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R. Steinbrück, A.

Rehkopf TU Bergakademie Freiberg


Institut für Automatisierungstechnik

Ein praktisches Beispiel für die Identifikation gestörter dynamischer Systeme mit dem
Komponentenverfahren
1. Einleitung
Die hier präsentierten Ergebnisse entstanden bei Untersuchungen von Regelstrecken eines
Kompaktreformers, der zur Versorgung von PEM-Brennstoffzellen mit Wasserstoff auf Basis
von Erdgas dient. Das Erdgas wird durch Dampfreformierung in ein wasserstoffreiches
Reformatgas umgewandelt. Dieses Reformat ist aber wegen seines hohen Kohlenmonoxidge-
haltes ungeeignet für die Verwendung im PEM-Stack und durchläuft deshalb noch verschie-
dene Gasreinigungsstufen (Hoch- und Tieftemperaturshiftreaktoren und 2 Reaktoren zur
selektiven Oxidation).
Um die gewünschte Prozessgasqualität zu erreichen, werden die chemischen Umsätze
hauptsächlich über die Prozessgastemperatur am Eintritt der verschiedenen Reaktoren
gesteuert. Zur Beeinflussung der Temperaturen sind Prozessgaskühler in Form von Gas-Gas-
Wärmetauschern vorgesehen. Das Kühlmedium ist Luft und wird durch Ventilatoren dem
Wärmetauscher zugeführt. Über die Ventilatorleistung kann der Kühlvolumenstrom variiert
werden.
Gegenstand des Artikels ist die Ermittlung des dynamischen Verhaltens d.h. die Identifikation
der Kühlstrecken. Die Kühler werden dabei als einfache SISO-Systeme betrachtet mit der
Lüfterleistung als Eingangs- und der Prozessgastemperatur als Ausgangsgröße. Da es sich um
thermische Strecken handelt, wird die Struktur der Streckenmodelle auf die aperiodischer
Übertragungsglieder mit Ausgleich festgelegt. Sie schwingen nicht und sind stabil. Linearität
am Arbeitspunkt wird vorausgesetzt.

2. Identifikation mit sprungförmigen Testsignalen


Die bekannteste Methode zur Identifikation von Übertragungsgliedern ist die Auswertung der
Übergangsfunktion, d.h. der Streckenantwort auf ein sprungförmiges Eingangssignal.
Abbildung 1 zeigt sprungartige Änderungen des Lüfterstellsignals auf unterschiedliche
Niveaus sowie den beobachteten Verlauf der Prozessgastemperatur.

Abbildung 1: Systemantwort auf ein sprungförmiges Testsignal


Es sind verschiedene Störeffekte zu beobachten. Einerseits verschiebt sich der Mittelwert der
Prozessgastemperatur während der Messung, was auf eine unterlagerte Störung niedriger
Frequenz hindeutet. Andererseits sind auch höherfrequente Temperaturschwankungen im
Antwortsignal enthalten.
Will man nun zum Beispiel mit der Methode der kleinsten Quadrate (MKQ) die Parameter
eines vorgegebenen Modells bestimmen, ist dies ohne eine Korrektur des Antwortverlaufes
nicht möglich. Eine Beseitigung der tieffrequenten Niveauverschiebungen ist ohne die

1
Kenntnis der Störungsursache schwierig und kann zur Verfälschung des Messergebnisses
führen.
3. Identifikation mit sinusförmigen Testsignalen - Frequenzganganalyse
Während ein Sprungtestsignal alle Frequenzen ω = 0…∞ beinhaltet, beschränkt man sich bei
der Frequenzganganalyse auf einzelne Testfrequenzen. Die Systemantwort hat dieselbe
Frequenz, wie das Testsignal (s. Abbildung 2). Dieses Verfahren ist deshalb besser für die
Identifikation gestörter Strecken geeignet, solange sich Stör- und Testsignalfrequenzen
deutlich unterscheiden (Töpfer und Besch [ 4 ], Wernstedt [ 5 ]).

x̂e
x̂a

settling process φ

Abbildung 2: Antwort eines Verzögerungsgliedes erster Ordnung auf ein sinusförmiges Testsignal

Aus dem Eingangssignal : xe (t ) = xˆ e sin (ωt ) (1)


und der Systemantwort: xa (t ) = xˆ a sin (ωt + ϕ ) (2)
ermittelt man gemäß Abbildung 2 für verschiedene Frequenzen die dynamischen Parameter:

Amplitudenverhältnis: G ( jω ) = a (3)
xˆ e
 Im G ( jω ) 
und Phasenverschiebung ϕ = arctan  (4)
 Re G ( jω ) 
des komplexen Frequenzganges:
G ( jω ) = G ( jω ) e jϕ = G ( jω )(cos(ϕ ) + j sin(ϕ ) ) . (5)
4. Das Komponentenverfahren
Bei einem idealen Antwortsignal ist es leicht, Amplitudenverhältnis und Phasenverschiebung
abzulesen. Wie man im ersten Diagramm in Abbildung 4 sehen kann, ist dies bei realen
Messverläufen schwieriger.
Das in Abbildung 3 dargestellte Komponentenverfahren bedient sich der Kreuzkorrelation,
um aus den Messwerten Real- und Imaginärteil des aktuellen Antwortsignals zu berechnen.

nT
xe ( t ) = xˆ e sin (ω t ) 1 xˆe2
nT ∫0
x Kdt u (nT ) = Re{G( jω )}
Signal 2
Plant xa ( t ) = xˆe G ( jω ) sin (ω t + ϕ )
Generator
ω = 2π T G ( jω )
nT
1 xˆe2
nT ∫0
xe′ ( t ) = xˆ e cos (ω t ) x Kdt v(nT ) = Im{G ( jω )}
2
Abbildung 3: Frequenzgangmessung mit dem Komponentenverfahren

2
Den Realteil (Imaginärteil) erhält man durch Multiplikation der Systemantwort mit dem (um
90° verschobenen) Testsignal und anschließender Integration über die Messdauer nach den
Formeln ( 6 ). Die Auswertung erfolgt immer nach einer vollständigen Messperiode.
xˆe2
nT
1
nT ∫0
u (nT ) = ˆ
x e sin (ω t ) ⋅ ˆ
xe G ( j ω ) sin (ω t + ϕ ) dt = G ( jω ) cos(ϕ )
2
(6)
xˆe2
nT
1
nT ∫0
v(nT ) = xˆe cos(ω t ) ⋅ xˆe G ( jω ) sin (ω t + ϕ ) dt = G ( jω ) sin (ϕ )
2
Mit zunehmender Messdauer erhöht sich die Genauigkeit der ermittelten Frequenzgang-
kennwerte (Töpfer und Besch [ 4 ], Wernstedt [ 5 ]). Mit entsprechender Rechentechnik zur
Datenerfassung kann dieses Verfahren auch online durchgeführt werden.

Abbildung 4: Ein Beispiel für die Identifikation mit Frequenztestsignalen (f=0,00075 Hz)
Das zweite und dritte Diagramm in Abbildung 4 zeigt die Ergebnisse einer Messung. Man
sieht, dass sich Amplitudenverhältnis und Phasenverschiebung schon nach 7 Messperioden
nur noch geringfügig ändern und dass die abgeleitete Sinusapproximation gut zum Verlauf
des Antwortsignals passt.
5. Ergebnisse
Die mit dem Komponentenverfahren gewonnenen Frequenzgangmesswerte zeigten im
Vergleich mit den Sprungantworten eine deutlich bessere Reproduzierbarkeit. Negativ ist
allerdings der hohe Zeitbedarf der Frequenzgangmessungen, da die Testfrequenzen aufgrund
der Streckenzeitkonstanten im Bereich von 10-2 bis 10-4 Hz liegen.
Abbildung 5 zeigt die Ergebnisse von 12 Messungen die an einer Kühlstrecke für einen
Arbeitspunkt durchgeführt wurden. Die ermittelten Messpunkte sind in der Gaußschen
Zahlenebene dargestellt.

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Die Punkte liegen praktisch alle in der unteren Halbebene. Als Streckenmodell wird deshalb
ein aperiodisches Verzögerungsglied zweiter Ordnung (PT2) angenommen:

KS
GS = (7)
(1 + T1 p )(1 + T2 p )
Durch Approximation mittels der Methode der
kleinsten Quadrate wurden folgende Modell-
parameter gefunden:
KS = 3,6 K/%,
T1 = 226 s,
T2 = 63 s.
Die Güte der Streckenparameter wurde anhand
des Verhaltens des geschlossenen Regelkreises Abbildung 5: Ortskurve des Modells und
mit einem PI-Regler (Formel ( 8 )) untersucht. Messdaten
K (1 + Tn p )
GR = R (8)
Tn p
Für Verzögerungsglieder zweiter Ordnung bietet das Verfahren der Pol-Nullstellen-
Kompensation einen einfachen Weg zur Reglerparametrierung. Dabei wird die Reglerzeitkon-
stante (Nachstellzeit) gleich der großen Streckenzeitkonstante gesetzt (Tn = T1 = 226 s) so
dass sich als Übertragungsverhalten des offenen Kreises für T1 > T2 Formel ( 9 ) ergibt.
1
Go =
(1 + T2 p ) T1 p (9)
KR KS
Die Führungsübertragungsfunktion des ungestörten geschlossenen Kreises nimmt damit die
Form eines Schwingungsgliedes zweiter Ordnung an:
Go 1 1
Gw = = = .
1 + Go T1 T1T2 2 1 + 2 DT p + T 2 p 2 ( 10 )
1+ p+ p
KRKS KR KS
Für den Dämpfungsgrad D in Abhängigkeit von der relativen Überschwingweite hm gibt
Latzel [ 2 ] die Formel
ln(hm )
D= ( 11 )
π 2 + (ln(hm ))2
an. Durch Koeffizientenvergleich erhält man aus ( 10 ) die Reglerverstärkung in Abhängigkeit
von der gewünschten relativen Überschwingweite bei einem Führungssprung:
T1  π 2 
K R (hm ) =  + 1 . ( 12 )

4 K S T2  ln (hm )2

Für ein Überschwingen von 30% (hm=0.3) ergibt sich KR = 1,97 %/K.

Für diese Reglereinstellung (KR = 1,97 %/K; Tn = 226 s) wurden sowohl das Führungs- als
auch das Störungsverhalten an der Reformeranlage überprüft. Die Ergebnisse zeigt Abbildung
6. Das beobachtete Überschwingen beträgt 3,6 K (hm=0,36) beim Sollwertsprung von 120 auf
110 °C und 2,1 K (hm=0,21) beim Rücksprung. Da es sich bei den Temperaturregelkreisen um
Festwertregelungen handelt, ist vor allem das Störungsverhalten interessant. Eine bekannte
Störgröße ist der Prozessgasvolumenstrom. Er wurde in Form von Rampen verändert, wobei
die Prozessgastemperatur stets innerhalb eines ±1K-Bandes blieb.

4
∆T ≤ ±1 K

reference
reference reaction disturbance reaction reaction

Abbildung 6: Verhalten des geschlossenen Regelkreises


Die gute Übereinstimmung des Führungsverhaltens des geschlossenen Kreises mit den
Vorgaben, deutet auf eine gute Genauigkeit des ermittelten Streckenmodells hin. Die trotz
Störeinwirkungen erreichte Regelgüte (∆T ≤ ±1 K) erfüllt die technologischen Anforderungen
an den Kühlregelkreis.

6. Quellen
[1] Göldner, K.: Mathematische Grundlagen für Regelungstechniker. VEB Fachbuchver-
lag Leipzig, 1968
[2] Latzel, W.: Einstellregeln für vorgegebene Überschwingweiten. Automatisierungs-
technik 41 (1993), S. 103-113
[3] Strobel, H. (1975). Experimentelle Prozessanalyse. Akademie-Verlag, Berlin.
[4] Töpfer, H., Besch, P. (1990). Grundlagen der Automatisierungstechnik. Hanser
Verlag, München, Wien.
[5] Wernstedt, J.: Experimentelle Prozessanalyse. VEB Verlag Technik Berlin, Berlin,
1989
[6] Wilfert, H.-H.: Signal- und Frequenzganganalyse an stark gestörten Systemen, Reihe:
Theoretische Grundlagen der technischen Kybernetik. VEB Verlag Technik Berlin,
Berlin 1969

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