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Heinrich · Müller · Graeve

Löffler/Petrides
Biochemie und
Pathobiochemie
9. Auflage
Springer-Lehrbuch
Peter C. Heinrich, Matthias Müller, Lutz Graeve (Hrsg.)

Löffler/Petrides
Biochemie und
Pathobiochemie
9., vollständig überarbeitete Auflage

Mit 1080 farbigen Abbildungen

123
Prof. Dr. Peter C. Heinrich
Institut für Biochemie und Molekularbiologie, ZBMZ
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Stefan-Meier-Straße 17
79104 Freiburg
E-Mail: peter.c.heinrich@biochemie.uni-freiburg.de

Prof. Dr. Matthias Müller


Institut für Biochemie und Molekularbiologie, ZBMZ
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Stefan-Meier-Straße 17
79104 Freiburg
E-Mail: matthias.mueller@biochemie.uni-freiburg.de

Prof. Dr. Lutz Graeve


Institut für Biologische Chemie und Ernährungswissenschaft (140c)
Universität Hohenheim
Garbenstraße 30
70599 Stuttgart
E-Mail: graeve@uni-hohenheim.de

ISBN-13 978-3-642-17971-6 ISBN 978-3-642-17972-3 (eBook)


DOI 10.1007/978-3-642-17972-3

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Planung: Christine Ströhla , Heidelberg


Copyedition: Dr. Gaby Seelmann-Eggebert, Limburgerhof
Projektmanagement: Rose-Marie Doyon, Heidelberg
Projektkoordination: Michael Barton, Heidelberg
Umschlaggestaltung: deblik Berlin
Fotonachweis Umschlag: Kristallstruktur erstellt von Dr. Christophe Wirth – Institut für Biochemie und Molekularbiologie,
Universität Freiburg.
Die Abbildung zeigt die Kristallstruktur des aktivierten Komplexes aus Ligand (rot), β2- adrenergem Rezeptor (gelb) und seinem
trimeren Gs- Protein bestehend aus den Untereinheiten α (grün), β (hellblau) und γ (rot) 
(Kristallstruktur erstellt anhand PDB 3SN6 nach: Rasmussen et al. 2011, Nature 477, 549–555).
Grafische Gestaltung: KLEIN medicalARTWORK, Mainz
Zeichnungen: Julius Ecke, München; Fotosatz-Service Köhler GmbH – Reinhold Schöberl, Würzburg; Bitmap, Mannheim
Satz und Reproduktion der Abbildungen: Fotosatz-Service Köhler GmbH – Reinhold Schöberl, Würzburg

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V

Der Springer-Verlag dankt seinen langjährigen Herausgebern und Gründervätern


der Biochemie und Pathobiochemie
Professor Georg Löffler und Professor Petro E. Petrides.
Geleitwort

»65 Jahre molekulare Medizin – von Peptiden und später von Proteinen anhand ihrer
wohin führt der Weg?« Sequenz gelegt. Im Jahre 1953 publizierten James
Watson und Francis Crick ihr bahnbrechendes Mo-
40 Jahre Lehrbuch Biochemie und Pathobiochemie ge- dell der Doppelhelix der DNS und lieferten damit eine
ben Anlass zu einem Rückblick über die Entwicklung Erklärung des Mechanismus der Kopierung dieser
einer molekular orientierten Medizin in den letzten Erbsubstanz.
vier Jahrzehnten. In der Einleitung zur 1. Auflage im Mit der Entwicklung der Technik der Sequenzierung
Jahre 1975 war zu lesen, dass »biochemisches Wissen wurde auch die Ermittlung der Primärstruktur des
und Methodik Eingang in nahezu alle Fachgebiete der mutierten Sichelzell-Hämoglobins im Jahre 1957
Medizin gefunden hatten«. Dies war das Ergebnis ei- möglich.
ner Entwicklung, die 30 Jahre zuvor begonnen hatte, Die auf diese Pionierarbeiten folgenden zwei Jahr-
als im Frühjahr 1945 nachts auf dem Weg von Denver zehnte führten zu einem vertieften Verständnis des
nach Chicago William Castle, Hämatologe in Boston, Stoffwechsels von Zellen und Geweben auf dem ein-
und Linus Pauling, Chemiker, damals in Pasadena, geschlagenen methodischen Weg der molekularen
über die Wechselwirkung von Antikörpern mit den Analyse. Der Fortschritt war jedoch trotz allem eine
zugehörigen Antigenen ins Gespräch kamen. In die- »Schnecke«. Noch 1975, als die 1. Auflage des vorlie-
sem Zusammenhang erwähnte Castle, dass bei der genden Lehrbuches erschien, hieß es, dass es »auf-
vererbbaren Sichelzellanämie die Erythrozyten bei grund der Größe und monotonen Sequenz der DNS
Sauerstoffabgabe eine Sichelform ausbilden und dabei noch nicht gelungen sei, die Basensequenz einzelner
im polarisierten Licht eine Doppelbrechung zeigen. Gene zu bestimmen«.
Dies sprach für eine molekulare Umordnung des Hä- Vier Jahre später, in der 2. Auflage (1978), wurden die
moglobins als Träger des Sauerstoffmoleküls. ersten neu entwickelten Sequenzierungsmethoden
Sichelzellen und die Sichelzellkrankheit waren zwar von Frederick Sanger und Alan Coulson bzw. Alan
schon im Jahre 1910 von James Herrick, einem prak- Maxam und Walter Gilbert (Boston) besprochen
tischen Arzt mit wissenschaftlichen Interessen in Chi- (Erste Generation-Sequenzierung). Es waren erstaun-
cago, erstmalig beschrieben worden. Aber erst im liche Verfahren, die sich den Mechanismus der Syn-
Jahre 1946 begann Paulings Arbeitsgruppe mit der these von DNS mit genauer Einhaltung der Nukleo-
Untersuchung des Hämoglobins von Patienten mit tidsequenz einer Vorlage zunutze machten, wie sie
Sichelzellanämie. Für eine Beteiligung des Hämoglo- überall in der Natur stattfindet (katalysiert vom En-
bins an dem pathologischen Geschehen sprach, dass zym DNS-Polymerase). Der geniale Trick, der die
Erythrozyten, aus denen das Hämoglobin entfernt Ablesung der gesuchten Sequenz durch Neusynthese
worden war, bei Entzug von Sauerstoff die Sichelzell- ermöglichte, bestand darin, dass die neugebildeten
form nicht mehr ausbildeten. Im Sommer 1948 ent- Moleküle eine physikalisch nachweisbare Markierung
deckten die Forscher, dass Hämoglobin aus Sichelzel- trugen (radioaktiv, später mit fluoreszierenden Farb-
len bei der Elektrophorese eine veränderte Mobilität stoffmolekülen). Dieses hochspezifische Verfahren
aufwies. Die Untersuchungen ergaben weiterhin, dass wurde immer weiter ausgebaut, vervollkommnet und
viele Individuen sowohl normales wie verändertes miniaturisiert. Weitere 20 Jahre später, fast zeitgleich
Hämoglobin enthielten. Sie waren offensichtlich hete- mit der Jahrhundertwende, wurde die komplette Se-
rozygot für die vermutete Mutation, hatten also ein quenz des menschlichen Genoms in weltweit zugäng-
normales und ein mutiertes Gen. Diese Ergebnisse, lichen Datenbanken eingespeichert.
die 1949 in einem klassisch gewordenen Artikel ver- Seit der letzten Auflage dieses Lehrbuches im Jahre
öffentlicht wurden, offenbarten eine direkte Verbin- 2006 hat sich diese Entwicklung exponentiell be-
dung zwischen der Existenz veränderter Hämoglo- schleunigt. Es blieb nicht bei der Ermittlung der Se-
bin-Moleküle und den entstehenden pathologischen quenz eines einzigen typisch menschlichen Genoms.
Phänomenen. Mit dieser Schlussfolgerung wurde das Vielmehr wurde es zunehmend möglich, die Unter-
Konzept der molekularen Krankheit in die Medizin schiede festzustellen, die der Genomtext zwischen
eingeführt. einzelnen Individuen aufweist. Hatte die Ermittlung
der ersten, sogenannten Referenz-Sequenz noch Jahr-
In den 50er-Jahren gelang es in Cambridge (UK) erst- zehnte internationaler kooperativer Forschung und
mals dem Biochemiker Frederick Sanger, eine exakte den Einsatz von mehr als einer Milliarde Dollar erfor-
Aminosäure-Sequenz eines Polypeptids, nämlich der dert, so machte bereits 10 Jahre danach die Ankündi-
A- und der B-Kette des Insulins, zu bestimmen. Da- gung eines »1000 Dollar Genoms« die Runde. Gegen-
mit war der Grundstein für die molekulare Analyse wärtig ist es möglich, die individuelle Sequenz der
VII
Geleitwort

DNS eines Menschen (mit rund 3 Milliarden Basen- vollständige molekulare Beschreibung den Menschen
paaren) innerhalb von wenigen Tagen zu ermitteln. auf seine biologische Verfassung reduzieren und da-
Beschränkt man die Sequenzierung auf die besonders mit zahlreiche ursächlich wirkende soziale und eth-
wichtigen ca. 180 000 Abschnitte (Exons), die die ca. nisch-kulturelle Faktoren beim Patienten ausblenden
23 000 Codes für die menschlichen Proteine enthalten könnte.
(insgesamt als Exom bezeichnet), dann fallen Kosten Damit ist in den 65 Jahren seit der Erstbeschreibung
von nur noch etwa 2000 Euro an. Diese technische einer molekularen Erkrankung bis zum heutigen Tage
Revolution beruht auf der massiv-parallelen Durch- eine sich zuletzt abrupt beschleunigende Entwicklung
führung der erforderlichen enzymatisch katalysierten abgelaufen. Sie mündet in die Erkennung der moleku-
Synthesen. Mithilfe der Methoden der sogenannten laren Grundlagen unserer persönlichen Individualität
»Nächste Generation Sequenzierung« können heute und der damit verbundenen individuellen Ausprä-
– bei Erscheinen der 9. Auflage – ursächliche Mutati- gung von Krankheiten. So erfreulich diese Entwick-
onen bei angeborenen und erworbenen Erkrankun- lung aus naturwissenschaftlicher Perspektive auch ist,
gen durch Untersuchung großer Kollektive betroffe- darf sie uns den Blick auf die mitlaufenden Risiken
ner Menschen schnell ermittelt werden. einer hochgradig technifizierten zellbiologisch-gene-
tischen Medizin nicht verstellen.
Diese Entwicklung hat die Medikamentenentwick- Es ist ein besonderes Privileg, diese eindrucksvolle
lung in der Krebsmedizin und vielen anderen Fachge- Entwicklung der modernen Biochemie (Zell- und
bieten der Medizin revolutioniert. Heute kann man Molekularbiologie) mit ihrer Bedeutung für die klini-
die intrazellulären Stoffwechselwege von menschli- sche Medizin über die vergangenen 40 Jahre einem
chen Tumoren molekular analysieren und die auftre- großen Leserkreis vermittelt haben zu dürfen.
tenden Mutationen nachweisen. Anschließend wer-
den neu entwickelte Medikamente eingesetzt, die im Petro E. Petrides und Jens Reich
Idealfall spezifisch auf die mutierten Proteine wirken.
Die Untersuchung menschlichen Tumorgewebes hat
damit zur »personalisierten Medizin« geführt. Die Prof. Dr. med. Petro E. Petrides, Arzt und Biochemiker, hat vor
Therapie ist auf die konkreten molekularen Defekte mehr als 40 Jahren die Gründung dieses Lehrbuches angeregt
bestimmter »Tumorgene« des einzelnen Patienten und seitdem mitherausgegeben. Er hat an verschiedenen Uni-
ausgerichtet. Nur dadurch ist eine wirklich wirksame versitäten des In- und Auslandes (Ludwigs-Universität-Mün-
Therapie möglich geworden. Kritische Autoren spre- chen, Salk-Institut La Jolla, und Stanford-Universität, Palo Alto,
chen dagegen von einer Stratifizierung zur Vermei- Kalifornien, Charité Humboldt Universität Berlin) gearbeitet.
dung von Ineffektivität, d. h., bestimmte Therapien An der aktuellen Auflage beteiligt er sich noch mit einzelnen
werden nicht verabreicht, wenn die molekularen Kapiteln. Er ist in eigener Praxis als Arzt und Dozent an der
Voraussetzungen nicht vorliegen. LMU München (Hämatologie/Onkologie) tätig.
Heute ist eine reduktionistische Entwicklung zu be-
obachten, die die Tumorerkrankung auf die Charak- Prof. Dr. med. Jens Reich hat die Weiterentwicklung des Lehr-
terisierung einiger weniger Tumorgene reduzieren buches von Anfang an mit Interesse beobachtet und mit kriti-
möchte. Holistische Ansätze dagegen versuchen, schen Anmerkungen befruchtet. Er hatte den Lehrstuhl für
durch die Untersuchung möglichst vieler Parameter Bioinformatik am Max Delbrück Centrum für Molekulare Me-
(z. B. des Proteoms = Gesamtanalyse des Proteinspek- dizin an der Humboldt-Universität – Charité in Berlin inne und
trums einer Zelle oder eines Gewebes) tiefgreifende war von 2001 bis 2012 Mitglied des Deutschen (vormals Natio-
Unterschiede zu identifizieren, die für die Krank- nalen) Ethikrates.
heitsentstehung von entscheidender Bedeutung sind.

Wir stehen damit am Anfang einer Entwicklung, die


in Zukunft für jeden Menschen innerhalb kurzer Zeit
und zu erträglichen Kosten die Ablesung des indivi-
duellen Genoms ermöglichen wird. Da nahezu alle
Krankheiten durch die Wechselwirkung der geneti-
schen Konstitution mit den Umweltbedingungen, der
Lebensweise und der Einwirkung von Noxen entste-
hen, wird sich eine Medizin der Zukunft nicht mehr
auf den anonymen »Fall« aus einem mehr oder min-
der großen Kollektiv mit derselben Diagnose, son-
dern ganzheitlich auf das konkrete Schicksal der Per-
son richten. Es sind allerdings auch ernst zu nehmen-
de Bedenken formuliert worden, dass eine derart
IX

Vorwort

Gegenstand der Biochemie ist die Aufklärung der verbunden mit größerer Leserfreundlichkeit dienen.
molekularen Grundlagen des Lebens. Insbesondere 17 Kapitel wurden völlig neu geschrieben. Grundle-
auf Grund einer Vielzahl moderner Techniken und gend überarbeitet wurden neun Kapitel der Moleku-
Forschungsansätze hat die Biochemie sehr stark ihre larbiologie. Durch Einbringung zahlreicher neuer
Nachbardisziplinen, wie die Zellbiologie, Molekular- Abbildungen sind die molekularbiologischen The-
biologie, Genetik, Entwicklungsbiologie, Physiologie, men aktualisiert und umfassender behandelt. Auch
Pharmakologie, aber auch die klinische Medizin ge- die 17 Kapitel, die sich mit dem Energiestoffwechsel,
prägt. Die Biochemie hat sich aber wegen ihrer Aus- der Synthese von Speicher- und Baustoffen, sowie der
richtung auf das molekulare Verständnis physiologi- Regulation des Stoffwechsels beschäftigen, wurden
scher Prozesse, wie z. B. der Stoffwechselvorgänge, neu gestaltet. Alle übrigen Kapitel sind in intensiver
stets ihre Individualität erhalten. Zusammenarbeit der Autoren mit den Herausgebern
überarbeitet worden.
Die seit Jahren mit ungebrochener Geschwindigkeit
voranschreitende Zunahme unserer Kenntnisse in Zu allen Kapiteln finden die Leserinnen und Leser
den Biowissenschaften, und hier speziell in der Bio- wichtige und wertwolle Literaturhinweise im Inter-
chemie, Molekular- und Zellbiologie, hat für die net  auf einer Webseite des Springer-Verlags www.
Medizin wichtige Konsequenzen. So haben neue Er- springer.com/978-3-642-17971-6.
kenntnisse zum tieferen Verständnis physiologischer
Vorgänge, wie z. B. der Hormonwirkung, neurobiolo- Die biochemischen Inhalte des neuen Gegenstands-
gischer Prozesse und immunologischer Reaktionen, katalogs des Instituts für Medizinische und Pharma-
aber auch pathobiochemischer Zusammenhänge ge- zeutische Prüfungsfragen (IMPP) von 2014 werden
führt. Wir haben mit der vorliegenden 9. Auflage des mit der vorliegenden 9. Auflage des Lehrbuchs »Bio-
Lehrbuches »Löffler/Petrides Biochemie und Patho- chemie und Pathobiochemie« umfassend abgedeckt.
biochemie« versucht, dieser rasanten Entwicklung Die Benutzung unseres Lehrbuchs wird die Studie-
möglichst weitgehend Rechnung zu tragen. So war es renden der Medizin in die Lage versetzen, den 1. Ab-
uns ein besonderes Anliegen, das moderne biochemi- schnitt der ärztlichen Prüfung erfolgreich zu be-
sche, vor allem aber das molekular- und zellbiologi- stehen.
sche Grundwissen zu aktualisieren und dabei den-
noch kompakt darzustellen. Mit Sektion V »Funktio- Das Lehrbuch »Biochemie und Pathobiochemie« ist
nelle Biochemie der Organe« ist auch die neue Auf- auf ein molekulares Verständnis pathobiochemischer
lage des Lehrbuchs »Biochemie und Pathobiochemie« Zusammenhänge als Grundlage und Vorbereitung für
seiner traditionell starken Vernetzung von Bioche- die ärztliche Tätigkeit ausgerichtet. Mit seiner umfas-
mie/Molekularbiologie mit der Klinik treu geblieben. senden Darstellung biochemischer und molekular-
Wichtige Bezüge von Biochemie/Molekularbiologie biologischer Themen richtet es sich aber auch an
zur Pathobiochemie werden nun entweder in eigenen Biologen, Biochemiker, Ernährungswissenschaftler,
kurzen Kapiteln beschrieben oder sind am Ende der Pharmakologen, Pharmazeuten und Psychologen.
meisten Kapitel hervorgehoben worden. Darüber hinaus ist es als eine Orientierungshilfe für
die in der Klinik und Praxis tätigen Ärztinnen und
Mit der 9. Auflage hat sich das Herausgebergremium Ärzte gedacht.
verändert. Die Gründerväter des Buches Löffler und
Petrides sind als Herausgeber ausgeschieden, als Ein Buch ist niemals perfekt. Es lebt von der Kritik
Kapitelautoren aber weiterhin präsent geblieben. Als und den Anregungen seiner Leserinnen und Leser.
neue Herausgeberkollegen konnten Matthias Müller Wir sind daher – wie in der Vergangenheit – auch
und Lutz Graeve gewonnen werden, die beide über künftig dankbar für Kommentare, Korrekturen und
jahrelange Erfahrung in der akademischen Lehre und Verbesserungsvorschläge.
Lehrorganisation verfügen.
Unseren Leserinnen und Lesern wünschen wir viel
Was ist außerdem neu an der 9. Auflage? Gegenüber Freude an dem spannenden Fach Biochemie/Patho-
der 8. Auflage mit 35 Kapiteln weist die »Biochemie biochemie.
und Pathobiochemie« jetzt 5 Sektionen mit insgesamt
74 Kapiteln auf. Die inhaltliche Umstrukturierung Die Herausgeber
und Konzentrierung einzelner Themen auf kleinere Februar 2014
Kapitel soll einer besseren Übersicht des Lehrstoffs
Danksagung

Die folgenden Kollegen haben durch kritische und Bei unseren Studierenden bedanken wir uns für
kompetente Durchsicht der verschiedenen Kapitel zahlreiche Kommentare und Vorschläge.
ganz wesentlich zum Gelingen des Buches beigetra-
gen: Christian Bästlein (Freiburg), Willi Bannwarth Ebenso wie für die vergangenen Auflagen war auch
(Universität Freiburg), Wolfgang Bettray (RWTH für die neunte Auflage der unermüdliche Einsatz der
Aachen), Wilhelm Jahnen Dechent (RWTH Aachen), Lehrbuchabteilung des Springer-Verlages von großer
Ernst-Peter Fischer (Universität Konstanz), Otto Hal- Bedeutung: Ganz besonders möchten wir in diesem
ler (Universität Freiburg), Carola Hunte (Universität Zusammenhang Rose-Marie Doyon, Renate Sched-
Freiburg), Katrin Kuscher (Universität Freiburg), din, Christine Ströhla und Dorit Müller danken. Vol-
Christine Lambert (Universität Hohenheim), Chris ker W. Klein (Mainz) sind wir für die graphische Um-
Meisinger (Universität Freiburg), Khosrow Mottaghy setzung des Covers zu Dank verpflichtet. Besonderer
(RWTH Aachen), Tobias Recker (RWTH Aachen), Dank gilt auch unserer Lektorin Gaby Seelmann-
Natalie Rinis (RWTH Aachen), Harald Wajant (Uni- Eggebert.
versität Würzburg),
Sehr zu Dank verpflichtet ist Peter Heinrich dem Di-
Christophe Wirth (Universität Freiburg) danken wir rektor des Instituts für Biochemie und Molekularbio-
für die Hilfe beim Entwurf der Cover-Abbildung und logie der Universität Freiburg, Prof. Nikolaus Pfanner
Ernst-Peter Fischer (Universität Konstanz) für die für die großzügige Unterstützung der Arbeit an dem
Überlassung des Textes in »Übrigens« (Kapitel 10). Lehrbuch. Auch die Hilfe von Wolfgang Fritz und
Hans-Peter Henninger darf nicht unerwähnt bleiben.
Für die unermüdliche Hilfe bei der Anfertigung zahl- Zum Schluss möchten wir unseren Familien für ihre
reicher neuer Abbildungen möchten sich die Autoren Geduld und ihr Verständnis für unsere Arbeit an die-
bei Peter Freyer (Aachen) und zum Kapitel 49 bei sem Buch herzlich danken.
Carlo Maurer (Universität Freiburg) recht herzlich
bedanken. Die Herausgeber
Februar 2014
Ganz besonderer Dank geht an Katrin Kuscher, Seve-
rin Weigend, Matthias Behringer und Markus Bever
für ihren Enthusiasmus und ihre Hilfe bei Literatur-
Recherchen und der Korrespondenz zwischen Auto-
ren, Herausgebern und dem Springer-Verlag.
XI

Die Herausgeber

Peter C. Heinrich
Studierte Chemie an den Universitäten in Frankfurt und Marburg. Promotion bei Karl Dimroth an
der Universität Marburg, research associate an der Yale University (J. S. Fruton), im Anschluss wissen-
schaftlicher Assistent am Biochemischen Institut der Universität Freiburg (H. Holzer). Von 1970–1973
wissenschaftlicher Mitarbeiter der Firma Hoffmann LaRoche, Basel. 1975 Habilitation für das Fach
Biochemie an der Universität Freiburg. 1980 Professur für Biochemie an der Universität Freiburg.
1986 visiting professor an der Stanford University Medical School (G. Ringold). Von 1987 bis 2007 In-
haber des Lehrstuhls für Biochemie und Molekularbiologie und Geschäftsführender Direktor des
Institutes für Biochemie an der RWTH Aachen. 1994–2004 Sprecher der DFG-Forschergruppe/Son-
derforschungsbereichs 542 »Molekulare Mechanismen Zytokin-gesteuerter Entzündungsprozesse:
Signaltransduktion und pathophysiologische Konsequenzen«. Editorial Board Member: 1994–2001
Biochemical Journal; 1995–2008 Journal of Interferon and Cytokine Research; 2003–2007 Journal of
Biological Chemistry.
Wichtige wissenschaftliche Beiträge: Identifikation des Hepatozyten-stimulierenden Faktors als
Interleukin-6; Entdeckung des Transkriptionsfaktors APRF/STAT3α; Aufklärung der molekularen
Mechanismen der Interleukin-6 Signaltransduktion über den Jak/STAT-Weg und deren Signalab-
schaltung. Seit 2008 Gastprofessor im Institut für Biochemie und Molekularbiologie der Universität
Freiburg. 2012 visiting professor am Beckman Research Institute und der Irell & Manella Graduate
School of Biological Sciences, Pasadena.
Professor Heinrich hat langjährige Erfahrung in der Lehre und Betreuung von Medizin-, Biologie-
und Biochemiestudenten.

Matthias Müller
Studium der Humanmedizin an der Universität Freiburg. Am Biochemischen Institut der Universität
Freiburg Promotion bei Gerhard Schreiber und nach der Approbation Wissenschaftlicher Assistent
bei Helmut Holzer. Anschließend Postdoktorand und später Assistant Professor bei Günter Blobel,
The Rockefeller University, New York. Habilitation für das Fach Biochemie an der Universität Freiburg
(1987). Professor für Biochemie/Molekularbiologie von 1993-1997 an der Ludwig-Maximilians-Uni-
versität in München, seit 1997 an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Neben zahlreichen
anderen nationalen und internationalen Forschungsförderungen, seit 1988 Projektleiter in mehre-
ren Sonderforschungsbereichen. Forschungsschwerpunkte: Sec- und Tat-abhängiger Proteintrans-
port in Bakterien; molekulare Chaperone; Biogenese von α-helikalen und β-tonnenförmigen Mem-
branproteinen; Sekretion von bakteriellen Pathogenitätsfaktoren. Langjähriges und breitgefächer-
tes, transregionales Engagement in der Biochemielehre und deren Organisation.

Lutz Graeve
Studierte Biologie an der Universität Hamburg. Promotion am Institut für Physiologische Chemie,
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, bei Joachim Kruppa. Von 1986-1990 als Postdoktorand
bei Enrique Rodriguez-Boulan im Department of Anatomy and Cell Biology an der Cornell Universi-
ty Medical School in New York. Von 1990-2000 als wissenschaftlicher Assistent am Institut für Bio-
chemie des Klinikums der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen bei Peter
C. Heinrich. 1995 Habilitation für das Fach Biochemie an der Medizinischen Fakultät der RWTH
Aachen. Seit 2000 Professor für das Fachgebiet Biochemie der Ernährung an der Universität Hohen-
heim in Stuttgart. Von 2005–2012 Studiendekan, seit 2013 Studiengangsleiter für die ernährungs-
wissenschaftlichen Studiengänge.
Die Arbeitsgebiete umfassen zelluläre Signaltransduktion insbesondere von Interleukin-6-Typ Cyto-
kinen, Biologie von Lipid Rafts, Rolle von Caveolae und Matrix-Metalloproteinasen in der Tumor-
biologie und Einfluss sekundärer Pflanzeninhaltsstoffe auf zelluläre Signalvorgänge.
Das Layout

Einleitung: Kurzer Ein-


stieg ins Thema

Abbildungen: Mehr
als 1000 Abbildungen
veranschaulichen
komplexe Zusammen-
hänge

Schwerpunkte:
Zentrale Themen des
Kapitels auf den Punkt
gebracht

Roter Faden:
Zusammenfassende
Kernaussagen

Übrigens: Interessante Zusatzinfos


zum Vertiefen und zum Schmökern
Pathobiochemie:
Erklärt die biochemischen
Grundlagen von Krankheiten

Zusammenfassung:
Das Wichtigste zum
Kapitel in Kürze

Tafelteil:
Wichtige Formeln sind
in einem separaten
Tafelteil am Ende von
Kapitel 3 zusammen-
gestellt

Literatur:
Eine umfassende Literaturliste finden Sie auf der Produktseite unter springer.com/978-3-642-17971-6
XV

Die Autoren

Prof. Dr. Siegfried Ansorge Prof. Dr. Peter Bruckner


IMTM GmbH Institut für Physiologische Chemie und Pathobiochemie
ZENIT-Technologiepark Universitätsklinikum Münster
Leipziger Straße 44 Waldeyerstraße 15
39120 Magdeburg 48129 Münster 

Prof. Dr. Cord-Michael Becker Prof. Dr. Leena Bruckner-Tuderman


Institut für Biochemie Klinik für Dermatologie und Venerologie
Universität Erlangen-Nürnberg Universitätsklinikum Freiburg
Fahrstraße 17 Hauptstraße 7
91054 Erlangen 79104 Freiburg

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hubert E. Blum Prof. Dr. Hannelore Daniel
Abteilung Innere Medizin II Lehrstuhl für Ernährungsphysiologie
Medizinische Universitätsklinik Freiburg Technische Universität München
Hugstetter Straße 55 Gregor-Mendel-Straße 2
79106 Freiburg 85350 Freising-Weihenstephan

Prof. Dr. Hans Bock Prof. Dr. Rainer Deutzmann


Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie Lehrstuhl für Biochemie I
Universitätsklinikum Düsseldorf Universität Regensburg
Moorenstraße 5 Universitätsstraße 31
40225 Düsseldorf 93053 Regensburg

Prof. Dr. Burkhardt Brandt Prof. Dr. Hartmut Follmann †


Institut für Klinische Chemie (ehemals) Biochemie – Institut für Biologie
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel Universität Kassel
Arnold-Heller-Straße 3 (Haus 17) Heinrich-Plett-Straße 40
24105 Kiel 34109 Kassel

Prof. Dr. Ulrich Brandt Prof. Dr. Dieter O. Fürst


Nijmegen Centre for Mitochondrial Disorders (NCMD) Institut für Zellbiologie
Department of Pediatrics Universität Bonn
Radboud University Nijmegen Medical Centre Ulrich Haberlandstraße 61a
Geert Groteplein-Zuid 10, Route 772 53121 Bonn
NL-6525 GA Nijmegen
Prof. Dr. Lutz Graeve
Prof. Dr. Regina Brigelius-Flohé Institut für Biologische Chemie
Deutsches Institut für Ernährungsforschung und Ernährungswissenschaft (140c)
Abt. Biochemie der Mikronährstoffe Universität Hohenheim
Potsdam-Rehbrücke Garbenstraße 30
Arthur-Scheunert-Allee 114–116 70599 Stuttgart
14558 Nuthetal
Prof. Dr. Serge Haan
Dr. Jan Brix Life Sciences Research Unit
Institut für Biochemie und Molekularbiologie, ZBMZ University of Luxembourg
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg 162A, Avenue de la Faiencerie
Stefan-Meier-Straße 17 L-1511 Luxembourg
79104 Freiburg
XVI Die Autoren

Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Ulrich Häring Prof. Dr. Armin Kurtz
Endokrinologie und Diabetologie, Angiologie, Lehrstuhl f. Physiologie I
Nephrologie und Klinische Chemie Universität Regensburg
Medizinische Universitätsklinik Tübingen Universitätsstraße 31
Otfried-Müller-Straße 10 93053 Regensburg
72076 Tübingen
Prof. Dr. Georg Löffler
Prof. Dr.  Dieter Häussinger Institut für Biochemie
Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie  Universität Regensburg
Universitätsklinikum Düsseldorf Universitätsstraße 31
Moorenstraße 5  93053 Regensburg
40225 Düsseldorf 
Prof. Dr. Monika Löffler
Prof. Dr. Peter C. Heinrich Institut für Physiologische Chemie
Institut für Biochemie und Molekularbiologie, ZBMZ Universität Marburg
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Karl-von-Frisch-Straße 1
Stefan-Meier-Straße 17 35032 Marburg
79104 Freiburg
Prof. Dr. Petra May
PD Dr. Heike Hermanns Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie
Rudolf-Virchow-Zentrum für Experimentelle Biomedizin Universitätsklinikum Düsseldorf
Universität Würzburg Moorenstraße 5
Josef-Schneider-Straße 2 (D15) 40225 Düsseldorf
97080 Würzburg
Prof. Dr. Joachim Mössner
Prof. Dr. Dr. Hans R. Kalbitzer Klinik und Poliklinik für Gastroenterologie
Institut für Biophysik und Physikalische Biochemie und Rheumatologie
Universität Regensburg Department für Innere Medizin, Neurologie
Universitätsstraße 31 und Dermatologie
93053 Regensburg Universitätsklinikum Leipzig, AöR
Liebigstraße 20
Prof. Dr. Monika Kellerer 04103 Leipzig
Zentrum für Innere Medizin I
Marienhospital Stuttgart Prof. Dr. Matthias Müller
Böheimstraße 37 Institut für Biochemie und Molekularbiologie; ZBMZ
70199 Stuttgart Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Stefan-Meier-Straße 17
Prof. Dr. Hans-Georg Koch 79104 Freiburg
Institut für Biochemie und Molekularbiologie, ZBMZ
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Prof. Dr. Gerhard Müller-Newen
Stefan-Meier-Straße 17 Institut für Biochemie und Molekularbiologie
79104 Freiburg RWTH Aachen
Pauwelsstraße 30
Prof. Dr. Josef Köhrle 52057 Aachen
Institut für Experimentelle Endokrinologie
Charité – Universitätsmedizin Berlin Prof. Dr. Petro E. Petrides
Charité Campus Virchow-Klinikum Hämatologisch-onkologische Schwerpunktpraxis
Augustenburger Platz 1 Am Isartor
13353 Berlin Zweibrückenstraße 2
80331 München
Prof. Dr. Thomas Kriegel und
Institut für Physiologische Chemie Medizinische Klinik
Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus Ludwig-Maximilians-Universität München
Technische Universität Dresden
Fetscherstraße 74
01307 Dresden
XVII
Die Autoren

Prof. Dr. Gabriele Pfitzer Dr. Michael Täger


Institut für Vegetative Physiologie IMTM GmbH
Universität Köln ZENIT-Technologiepark
Robert-Koch-Straße 39 Leipziger Straße 44
50931 Köln 39120 Magdeburg

Prof. Dr. Klaus-Heinrich Röhm Prof. Dr. Uwe Wenzel


Institut für Physiologische Chemie Molekulare Ernährungsforschung
Universität Marburg Justus-Liebig-Universität Gießen
Karl-von-Frisch-Straße 1 IFZ, Heinrich-Buff-Ring 26–32
35032 Marburg 35392 Gießen

Prof. Dr. Fred Schaper


Institut für Biologie 
Otto-von-Guericke Universität Magdeburg
Forschungsgebäude Systembiologie
Universitätsplatz 2 
39106 Magdeburg  

Prof. Dr. Wolfgang Schellenberger


Institut für Biochemie
Medizinische Fakultät
Universität Leipzig
Johannisallee 30
04103 Leipzig

Prof. Dr. Lutz Schomburg


Institut für Experimentelle Endokrinologie
Charité – Universitätsmedizin Berlin
Augustenburger Platz 1
13353 Berlin

Prof. Dr. Rolf Schröder


Institut für Neuropathologie
Schwabachanlage 6
91054 Erlangen

PD Dr. Ulrich Schweizer


Institut für Biochemie und Molekularbiologie
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Nussallee 11
53115 Bonn

Prof. Dr. Harald Staiger


Endokrinologie und Diabetologie, Angiologie,
Nephrologie und Klinische Chemie
Medizinische Universitätsklinik Tübingen
Otfried-Müller-Straße 10
72076 Tübingen

Prof. Dr. Norbert Stefan


Endokrinologie und Diabetologie, Angiologie,
Nephrologie und Klinische Chemie
Medizinische Universitätsklinik Tübingen
Otfried-Müller-Straße 10
72076 Tübingen
Inhaltsverzeichnis

I Grundlagen der Biochemie und der Molekularen Zellbiologie . . . . . . . . . . . 1

1 Ohne Wasser kein Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3


Peter C. Heinrich
1.1 Eigenschaften des Wassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
1.2 Kolligative Eigenschaften des flüssigen Wassers und osmotischer Druck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
1.3 Autoprotolyse von Wasser, pH-Wert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
1.4 Säuren und Basen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
1.5 Puffersysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

2 Vom Molekül zum Organismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14


Hartmut Follmann †
2.1 Die chemischen Elemente lebender Organismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
2.2 Charakteristische Eigenschaften organischer Biomoleküle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
2.3 Von chemischer Materie zu biologischer Vielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

3 Kohlenhydrate, Lipide, Aminosäuren und Nucleotide – Bausteine des Lebens . . . . . . . . . . 26


Georg Löffler, Matthias Müller
3.1 Kohlenhydrate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
3.2 Lipide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
3.3 Aminosäuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
3.4 Nucleotide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

Tafelteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

4 Bioenergetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
Thomas Kriegel, Wolfgang Schellenberger
4.1 Thermodynamische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
4.2 Energietransformation und energetische Kopplung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
4.3 Verbindungen mit hohem Gruppenübertragungspotenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

5 Proteine – Struktur und Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61


Hans R. Kalbitzer
5.1 Aufbau von Proteinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
5.2 Konformation von Proteinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
5.3 Hämoglobin und Myoglobin: Ein wichtiges Beispiel für die Konformationsabhängigkeit
funktioneller Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
5.4 Physiologische und pathologische Faltungsprozesse bei Proteinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
5.5 Proteinevolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

6 Proteine – Analytische Untersuchungsmethoden, Synthese und Isolierung . . . . . . . . . . . 86


Hans R. Kalbitzer
6.1 Isolation und Reinigung von Proteinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
6.2 Charakterisierung von Proteinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
6.3 Nachweisverfahren und Identifizierung von Proteinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
6.4 Methoden zur Aufklärung der dreidimensionalen Struktur von Proteinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
6.5 Proteombestimmung (Proteomik) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
6.6 Synthese von Peptiden und Proteinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

7 Enzyme – Grundkonzepte der Biokatalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101


Thomas Kriegel, Wolfgang Schellenberger
7.1 Struktur und Funktion der Biokatalysatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
7.2 Nomenklatur und Klassifizierung der Enzyme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
XIX
Inhaltsverzeichnis

7.3 Multiple Formen von Enzymen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106


7.4 Ribozyme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
7.5 Mechanismen der Enzymkatalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
7.6 Definition, Maßeinheiten und Bestimmung der Enzymaktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
7.7 Michaelis-Menten-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

8 Regulation der Enzymaktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115


Thomas Kriegel, Wolfgang Schellenberger
8.1 Einfluss von Temperatur und pH-Wert auf die Enzymaktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
8.2 Abhängigkeit der Enzymaktivität von der Enzym- und Substratkonzentration . . . . . . . . . . . . . . . . 116
8.3 Regulation der Enzymaktivität durch Hemmstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
8.4 Kooperativität und allosterische Kontrolle der Enzymaktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
8.5 Regulation der Enzymaktivität durch covalente Modifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
8.6 Regulation der Enzymaktivität durch Protein-Protein-Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124

9 Enzyme in Forschung, Diagnostik und Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125


Thomas Kriegel, Wolfgang Schellenberger
9.1 Anwendung von Enzymen in der Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
9.2 Bestimmung von Enzymen in biologischen Flüssigkeiten (Enzymdiagnostik) . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
9.3 Enzyme als Zielstrukturen von Pharmaka . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

10 Nucleinsäuren – Struktur und Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130


Hans-Georg Koch, Jan Brix, Peter C. Heinrich
10.1 Struktur und Funktion von DNA und RNA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
10.2 Die DNA-Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
10.3 DNA als Trägerin der Erbinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
10.4 Funktion und Struktur der RNA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146

11 Biomembranen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
Lutz Graeve, Matthias Müller
11.1 Aufbau und Eigenschaften von Biomembranen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
11.2 Membranfluidität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
11.3 Lipid rafts oder membrane rafts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150
11.4 Membranproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
11.5 Transport durch Membranen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
11.6 Biosynthese von Membranen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155

12 Zellorganellen und Vesikeltransport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157


Lutz Graeve, Matthias Müller
12.1 Die Zellkompartimente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
12.2 Vesikulärer Transport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166
12.3 Proteinsortierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169

13 Cytoskelett . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
Lutz Graeve, Matthias Müller
13.1 Mikro- oder Actinfilamente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
13.2 Mikrotubuli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
13.3 Intermediärfilamente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
13.4 Motorproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
XX Inhaltsverzeichnis

II Zellulärer Metabolismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181

14 Glucose – Schlüsselmolekül des Kohlenhydratstoffwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183


Georg Löffler, Matthias Müller
14.1 Katabole Verwertung von Glucose und Fructose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
14.2 Bildung und Verwertung der Glycogenspeicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
14.3 Die Gluconeogenese – endogene Glucoseproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

15 Mechanismen der Glucosehomöostase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199


Georg Löffler, Matthias Müller
15.1 Glucosetransport durch Membranen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
15.2 Regulierte Leerung und Füllung der Glycogenspeicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
15.3 Steuerung von Glucoseabbau und Glucoseproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208

16 Zucker – Bausteine von Glykoproteinen und Heteroglycanen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214


Georg Löffler
16.1 Glucose als Substrat für die Biosynthese anderer Zucker, Aminozucker und Zuckersäuren . . . . . . . . 214
16.2 Die Saccharide von Proteoglycanen, Hyaluronsäure und Peptidoglycan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218

17 Pathobiochemie des Kohlenhydratstoffwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222


Georg Löffler
17.1 Erworbene Defekte des Kohlenhydratstoffwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
17.2 Hereditäre Defekte des Kohlenhydratstoffwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224

18 Der Citratzyklus – Abbau von Acetyl-CoA zu CO2 und H2O . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226


Ulrich Brandt
18.1 Stoffwechselbedeutung des Citratzyklus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
18.2 Einzelreaktionen des Citratzyklus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
18.3 Regulierte Schritte im Citratzyklus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231
18.4 Anabole Reaktionen im Citratzyklus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
18.5 Pathobiochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234

19 Mitochondrien – Organellen der ATP-Gewinnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235


Ulrich Brandt
19.1 Die mitochondriale Energietransformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
19.2 Pathobiochemie der Mitochondrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249

20 Oxidoreduktasen und oxidativer Stress . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252


Ulrich Brandt
20.1 Katalyse von Redoxreaktionen durch Oxidoreduktasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252
20.2 Oxidativer Stress . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254

21 Lipogenese und Lipolyse – Bildung und Verwertung der Fettspeicher . . . . . . . . . . . . . . . . 257


Georg Löffler
21.1 Aufbau und Abbau von Triacylglycerinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257
21.2 Abbau und Aufbau von gesättigten und ungesättigten Fettsäuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
21.3 Regulation von Lipogenese und Lipolyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275

22 Stoffwechsel von Phosphoglyceriden und Sphingolipiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279


Georg Löffler
22.1 Synthese und Abbau von Phosphoglyceriden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
22.2 Synthese und Abbau von Sphingolipiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284
22.3 Funktionelle Metabolite von Membranlipiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286
XXI
Inhaltsverzeichnis

23 Stoffwechsel von Cholesterin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292


Georg Löffler
23.1 Cholesterin – Membranlipid und Ausgangssubstanz von Steroidhormonen und Gallensäuren . . . . . 292
23.2 Synthese von Isoprenlipiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
23.3 Cholesterinhomöostase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296

24 Lipoproteine – Transportformen der Lipide im Blut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300


Georg Löffler
24.1 Zusammensetzung der Lipoproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300
24.2 Funktion und Umsatz einzelner Lipoproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302

25 Pathobiochemie des Lipidstoffwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307


Georg Löffler
25.1 Störungen des Fettsäurestoffwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307
25.2 Störungen und pharmakologische Beeinflussung des Eicosanoidstoffwechsels . . . . . . . . . . . . . . . 308
25.3 Störungen des Stoffwechsels von Phosphoglyceriden und Sphingolipiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309
25.4 Störungen des Lipoproteinstoffwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310

26 Prinzipien von Aminosäurestoffwechsel und Stickstoffumsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313


Klaus-Heinrich Röhm
26.1 Beziehung zwischen Stickstoff, Ammoniak und Aminosäurestoffwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
26.2 Stickstoffumsatz im menschlichen Organismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315
26.3 Enzymatische Mechanismen des Aminosäurestoffwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
26.4 Prinzipien des Aminosäureabbaus beim Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322

27 Funktioneller Aminosäurestoffwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325


Klaus-Heinrich Röhm
27.1 Organspezifische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325
27.2 Stoffwechsel einzelner Aminosäuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332

28 Pathobiochemie des Aminosäurestoffwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352


Klaus-Heinrich Röhm
28.1 Neurotoxizität von Ammoniak . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352
28.2 Angeborene Störungen im Aminosäurestoffwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352
28.3 Aminosäurestoffwechsel in Therapie und Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355

29 Purinnucleotide – Biosynthese, Wiederverwertung und Abbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357


Monika Löffler
29.1 Biosynthese von Purinnucleotiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357
29.2 Regulation der Biosynthese von Purinnucleotiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360
29.3 Wiederverwertung von Purinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361
29.4 Abbau von Purinnucleotiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362

30 Pyrimidinnucleotide – Biosynthese, Wiederverwertung und Abbau . . . . . . . . . . . . . . . . . 365


Monika Löffler
30.1 Biosynthese von Pyrimidinnucleotiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365
30.2 Biosynthese von Desoxyribonucleotiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366
30.3 Regulation der Biosynthese von Pyrimidinnucleotiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368
30.4 Wiederverwertung der Pyrimidine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370
30.5 Abbau von Pyrimidinnucleotiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371

31 Pathobiochemie des Purin- und Pyrimidinstoffwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372


Monika Löffler
31.1 Transport und Wirkung von Hemmstoffen der Purin- und Pyrimidinbiosynthese . . . . . . . . . . . . . . 372
31.2 Störungen im Purinstoffwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374
31.3 Störungen im Pyrimidinstoffwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376
XXII Inhaltsverzeichnis

32 Porphyrine – Synthese und Abbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379


Matthias Müller, Hubert E. Blum, Petro E. Petrides
32.1 Die Bildung von Häm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379
32.2 Abbau und Ausscheidung von Häm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384
32.3 Pathobiochemie des Porphyrinstoffwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387

III Zelluläre Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393

33 Prinzipien zellulärer Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395


Gerhard Müller-Newen, Peter C. Heinrich, Heike M. Hermanns, Fred Schaper
33.1 Kommunikation zwischen Zellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395
33.2 Extrazelluläre Mediatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396
33.3 Rezeptoren als zentrale Signalvermittler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398
33.4 Prinzipien der intrazellulären Signaltransduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401

34 Mediatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407
Peter C. Heinrich, Serge Haan, Heike M. Hermanns, Gerhard Müller-Newen, Fred Schaper
34.1 Hormone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407
34.2 Cytokine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408

35 Rezeptoren und ihre Signaltransduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411


Peter C. Heinrich, Serge Haan, Heike M. Hermanns, Gerhard Müller-Newen, Fred Schaper
35.1 Nucleäre Rezeptoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411
35.2 Aktivierung membranständiger Rezeptoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412
35.3 G-Protein-gekoppelte Rezeptoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413
35.4 Rezeptoren mit intrinsischer Kinase (Rezeptorkinasen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420
35.5 Rezeptoren mit assoziierten Kinasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426
35.6 Spezielle Aktivierungsmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436
35.7 Regulation der Rezeptoraktivierung und -inaktivierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439

36 Insulin – das wichtigste anabole Hormon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442


Harald Staiger, Norbert Stefan, Monika Kellerer, Hans-Ulrich Häring
36.1 Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442
36.2 Synthese in den β-Zellen des Pankreas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443
36.3 Sekretionsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445
36.4 Konzentration und Halbwertszeit im Serum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447
36.5 Wirkspektrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447
36.6 Signaltransduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449
36.7 Pathobiochemie: Diabetes mellitus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451

37 Glucagon und Katecholamine – Gegenspieler des Insulins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458


Harald Staiger, Norbert Stefan, Monika Kellerer, Hans-Ulrich Häring
37.1 Glucagon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458
37.2 Katecholamine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461

38 Integration und hormonelle Regulation des Energiestoffwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466


Georg Löffler
38.1 Stoffwechsel während des Hungerns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466
38.2 Stoffwechsel bei Nahrungszufuhr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473
38.3 Steuerung der Nahrungsaufnahme über Appetit und Sättigungsgefühl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479

39 Hormone des Hypothalamus und der Hypophyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483


Josef Köhrle, Lutz Schomburg, Ulrich Schweizer
39.1 Hypothalamus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483
39.2 Hypophyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489
39.3 Pathobiochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494
XXIII
Inhaltsverzeichnis

40 Steroidhormone – Produkte von Nebennierenrinde und Keimdrüsen . . . . . . . . . . . . . . . . 495


Ulrich Schweizer, Lutz Schomburg, Josef Köhrle
40.1 Gemeinsame Schritte bei der Biosynthese von Cortico- und Sexualsteroiden . . . . . . . . . . . . . . . . . 495
40.2 Das Nebennierenrindenhormon Cortisol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497
40.3 Die Gonadotropine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502
40.4 Männliche Sexualsteroide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503
40.5 Weibliche Sexualsteroide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506

41 Schilddrüsenhormone – Zentrale Regulatoren von Entwicklung, Wachstum,


Grundumsatz, Stoffwechsel und Zelldifferenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512
Josef Köhrle, Ulrich Schweizer, Lutz Schomburg
41.1 Regulation der Hormonproduktion der Schilddrüse durch das hypothalamisch-hypophysäre System 512
41.2 Biosynthese der Schilddrüsenhormone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516
41.3 Zelluläre Effekte und Wirkungsmechanismen der Schilddrüsenhormone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521
41.4 Pathobiochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524

42 Wachstumshormon und Prolactin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528


Lutz Schomburg, Ulrich Schweizer, Josef Köhrle
42.1 Wachstumshormon (GH) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528
42.2 Prolactin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531
42.3 Pathobiochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532

IV Molekularbiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533

43 Zellzyklus – Koordination der Zellteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535


Peter C. Heinrich, Hans-Georg Koch, Jan Brix
43.1 Chronologie des Zellzyklus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535
43.2 Kontrolle des Zellzyklus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536
43.3 Kontrolle der cyclinabhängigen Kinasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537
43.4 Wachstumsfaktoren und Zellzyklus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543

44 Replikation – Die Verdopplung der DNA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545


Hans-Georg Koch, Jan Brix, Peter C. Heinrich
44.1 Die DNA-Replikation ist semikonservativ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545
44.2 Das Replikonmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546
44.3 Initiation – Start der Replikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547
44.4 Elongation – Neusynthese der DNA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549
44.5 Termination – Beendigung der Replikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555
44.6 Pathobiochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556

45 DNA-Mutationen und ihre Reparatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559


Hans-Georg Koch, Jan Brix, Peter C. Heinrich
45.1 Mutationen – Veränderungen der DNA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559
45.2 DNA-Reparatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562

46 Transkription und Prozessierung der RNA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 567


Jan Brix, Hans-Georg Koch, Peter C. Heinrich
46.1 Grundlegender Mechanismus der Transkription . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 567
46.2 Transkription bei Prokaryonten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 569
46.3 Transkription bei Eukaryonten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572

47 Regulation der Transkription – Aktivierung und Inaktivierung der Genexpression . . . . . . 588


Jan Brix, Hans-Georg Koch, Peter C. Heinrich
47.1 Kontrolle der Transkription bei Prokaryonten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588
47.2 Regulation der Transkription bei Eukaryonten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588
XXIV Inhaltsverzeichnis

48 Translation – Synthese von Proteinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600


Matthias Müller, Lutz Graeve
48.1 Der genetische Code und seine molekularen Übersetzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600
48.2 Translationsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 606
48.3 Modifikation der Translationsaktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 611

49 Proteine – Transport, Modifikation und Faltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615


Matthias Müller, Lutz Graeve
49.1 Proteinfaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615
49.2 Transmembraner Proteintransport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 618
49.3 Covalente Modifikation von Proteinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 623

50 Proteine – Mechanismen ihres Abbaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 629


Matthias Müller, Lutz Graeve
50.1 Proteasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 629
50.2 Markierung für den Abbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 629
50.3 Abbau durch das Proteasom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 630
50.4 Lysosomale Proteolyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 631
50.5 Intramembrane Proteolyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 631

51 Apoptose – Der programmierte Zelltod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 633


Peter C. Heinrich, Hans-Georg Koch, Jan Brix
51.1 Auslöser der Apoptose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 633
51.2 Effektorcaspasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 637
51.3 Kontrolle der Apoptose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 637

52 Grundlagen der Tumorentstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 638


Burkhard Brandt, Petro E. Petrides
52.1 Krebsepidemiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 638
52.2 Molekulare Parameter der Malignität von Tumorzellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 639
52.3 Das Genom der Tumorzelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 640
52.4 Transkriptom der Tumorzelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642
52.5 Funktion des Tumorproteoms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 643

53 Spezifische Tumore – Entstehung, Progression und Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 649


Burkhard Brandt, Petro E. Petrides
53.1 Funktion von Onkogenen und Tumorsuppressorgenen bei den häufigsten Karzinomen . . . . . . . . . 649
53.2 Bedeutung von Mutationen in Mutator- und Tumorsuppressorgenen für die genetische
Prädisposition der häufigsten Karzinome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 652
53.3 Viren als Auslöser von malignen Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655
53.4 Die Tumorprogression: Molekulare Mechanismen der Metastasenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655
53.5 Effektive Therapien solider Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 658

54 Gentechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 660
Jan Brix, Peter C. Heinrich, Hans-Georg Koch, Georg Löffler
54.1 Grundlagen der Gentechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 660
54.2 Vektoren zum Einschleusen fremder DNA in Wirtszellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 669
54.3 DNA-Bibliotheken (DNA-Banken) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 673
54.4 Gentechnik in den Grundlagenwissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 674
54.5 Gentechnisch produzierte Medikamente (Biologicals) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 676

55 Gentechnik in höheren Organismen – Transgene Tiere und Gentherapie . . . . . . . . . . . . . . 679


Jan Brix, Peter C. Heinrich, Hans-Georg Koch, Georg Löffler
55.1 Transgene Tiere als Modellorganismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 679
55.2 Knockout-Mäuse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 679
55.3 Genregulation durch RNA-Interferenz: Knockdown . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 681
55.4 Gentherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 683
XXV
Inhaltsverzeichnis

V Funktionelle Biochemie der Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 685

56 Energiebilanz und Ernährungszustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 687


Hannelore Daniel, Uwe Wenzel
56.1 Die Energiebilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 687
56.2 Der Ernährungsstatus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 692
56.3 Positive und negative Energiebilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 693

57 Makronährstoffe und ihre Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 696


Hannelore Daniel, Uwe Wenzel
57.1 Die Stoffwechselbedeutung von Proteinen, Lipiden und Kohlenhydraten und ihre Beteiligung
an der Homöostase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 696
57.2 Besondere Ernährungserfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 703

58 Fettlösliche Vitamine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 706


Regina Brigelius-Flohé
58.1 Allgemeine Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 706
58.2 Vitamin A – Retinol und seine Derivate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 708
58.3 Vitamin D – Calciferole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 712
58.4 Vitamin E – Tocopherole und Tocotrienole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 714
58.5 Vitamin K . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 717

59 Wasserlösliche Vitamine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 720


Regina Brigelius-Flohé
59.1 Vitamin C – Ascorbinsäure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 720
59.2 Vitamin B1 – Thiamin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 723
59.3 Vitamin B2 – Riboflavin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 724
59.4 Niacin und Niacinamid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 724
59.5 Vitamin B6 - Pyridoxin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 726
59.6 Pantothensäure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 728
59.7 Biotin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 729
59.8 Folsäure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 730
59.9 Vitamin B12 – Cobalamin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 732
59.10 Biochemischer Nachweis von Mangelzuständen wasserlöslicher Vitamine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 734

60 Essentielle Spurenelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 736


Regina Brigelius-Flohé, Petro E. Petrides
60.1 Definition, Einteilung und Bedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 736
60.2 Chrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 736
60.3 Cobalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 736
60.4 Eisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 736
60.5 Fluor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 740
60.6 Iod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 740
60.7 Kupfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 740
60.8 Mangan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 741
60.9 Molybdän . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 741
60.10 Selen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 741
60.11 Zink . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 743

61 Gastrointestinaltrakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 745
Georg Löffler, Joachim Mössner
61.1 Verdauungssekrete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 745
61.2 Regulation gastrointestinaler Sekretion und Pathobiochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 753
61.3 Verdauung und Resorption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 758
61.4 Intestinales Immunsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 768
XXVI Inhaltsverzeichnis

62 Leber – Zentrales Stoffwechselorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 770


Dieter Häussinger, Georg Löffler
62.1 Der Aufbau der Leber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 770
62.2 Stoffwechselleistungen der Hepatocyten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 772
62.3 Biotransformation – Metabolisierung von Endo- und Xenobiotica . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 776
62.4 Gallesekretion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 779
62.5 Charakteristika von Sinusendothelien, Kupffer- und Sternzellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 783
62.6 Pathobiochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 783

63 Quergestreifte Muskulatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 787


Dieter O. Fürst, Rolf Schröder
63.1 Funktioneller Aufbau der Skelettmuskulatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 787
63.2 Molekularer Aufbau und Funktion der Skelettmuskulatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 788
63.3 Stoffwechsel der Muskulatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 796
63.4 Besonderheiten der Herzmuskulatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 799
63.5 Pathobiochemie angeborener und erworbener Muskelerkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 801

64 Die glatte Muskulatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 805


Gabriele Pfitzer
64.1 Aufgaben der glatten Muskulatur und funktionelle Einteilungsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 805
64.2 Struktur der glatten Muskulatur und Proteine des kontraktilen Apparats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 806
64.3 Molekulare Grundlagen der Kontraktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 807
64.4 Erregungs-Kontraktions-Kopplung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 812
64.5 Relaxation der glatten Muskulatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 814
64.6 Plastizität der glatten Muskulatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 815
64.7 Die glatte Muskulatur ist an vielen Erkrankungen der inneren Organe beteiligt . . . . . . . . . . . . . . . 815

65 Niere – Ausscheidung von Wasser und Elektrolyten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 817


Armin Kurtz
65.1 Funktionen und Aufbau der Nieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 817
65.2 Energiestoffwechsel in der Niere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 820
65.3 Endokrine Aktivitäten der Niere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 821
65.4 Natriumhaushalt und renale Natriumreabsorption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 822
65.5 Wasserhaushalt und renale Wasserreabsorption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 829
65.6 Kaliumhaushalt und renale Kaliumausscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 834
65.7 Renale Reabsorption von Monosacchariden, Peptiden und Aminosäuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 835
65.8 Harnpflichtige Substanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 836
65.9 Pathobiochemie des Wasser- und Elektrolythaushalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 836

66 Der Säure-Basen- und Mineralhaushalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 840


Armin Kurtz
66.1 Der Säure-Basen-Haushalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 840
66.2 Calcium- und Phosphathaushalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 846
66.3 Pathobiochemie des Säure-Basen- und Mineralhaushalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 853

67 Blut – Bestandteile und Blutplasma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 857


Gerhard Müller-Newen, Petro E. Petrides
67.1 Bestandteile des Blutes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 857
67.2 Elektrolyte und niedermolekulare Bestandteile des Blutplasmas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 857
67.3 Plasmaproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 858
67.4 Pathobiochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 862

68 Blut – Hämatopoese und Erythrocyten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 863


Gerhard Müller-Newen, Petro E. Petrides
68.1 Hämatopoese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 863
68.2 Erythrocyten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 865
68.3 Pathobiochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 875
XXVII
Inhaltsverzeichnis

69 Blut – Thrombocyten und Leukocyten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 877


Gerhard Müller-Newen, Petro E. Petrides
69.1 Thrombocyten – Blutgerinnung und Fibrinolyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 877
69.2 Leukocyten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 887

70 Immunologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 893
Siegfried Ansorge, Michael Täger
70.1 Rolle des Immunsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 893
70.2 Unspezifische, angeborene Immunantwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 894
70.3 Das spezifische, adaptive Immunsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 899
70.4 Instrumente und Mechanismen der Antigenerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 900
70.5 Prozessierung und Präsentation von Protein-Antigenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 901
70.6 Zellen der spezifischen Immunantwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 903
70.7 Mechanismen der T-Zell-Aktivierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 906
70.8 B-Lymphocyten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 911
70.9 Antikörper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 914
70.10 Zirkulation von Lymphocyten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 922
70.11 Interaktionen der unspezifischen, angeborenen und spezifischen, adaptiven Immunantwort . . . . . . 923
70.12 Immunabwehr von Mikroorganismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 925
70.13 Pathobiochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 927

71 Extrazelluläre Matrix – Struktur und Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 931


Rainer Deutzmann, Peter Bruckner
71.1 Aufbau der extrazellulären Matrix (EZM) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 931
71.2 Abbau der extrazellulären Matrix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 949
71.3 Pathobiochemie: Angeborene Erkrankungen des Kollagenstoffwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 950

72 Knorpel- und Knochengewebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 952


Rainer Deutzmann, Peter Bruckner
72.1 Aufbau und Biosynthese von Knorpel und Knochen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 952
72.2 Regulation der Chondro- und Osteogenese durch Hormone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 955
72.3 Osteoklasten – Abbau und Umbau von Knochen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 955
72.4 Knochenwachstum bis zur Pubertät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 957
72.5 Homöostase von Knochengewebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 957
72.6 Knochenumbau durch Cytokine und Steroidhormone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 957
72.7 Pathobiochemie: Knochenerkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 958

73 Haut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 961
Leena Bruckner-Tuderman, Peter Bruckner
73.1 Aufbau und Funktionen der Haut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 961
73.2 Epidermis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 961
73.3 Dermoepidermale Junktionszone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 962
73.4 Dermis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 963
73.5 Pathobiochemie der Haut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 964

74 Nervensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 968
Petra May, Cord-Michael Becker, Hans H. Bock
74.1 Neuronen, Erregungsleitung und -übertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 968
74.2 Glia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 984
74.3 Blutgefäße und Liquor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 986
74.4 Stoffwechsel des Gehirns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 988
74.5 Neurodegenerative Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 990

Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 995
Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 996
Genetischer Code, Wichtige Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 998
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 999
Vorbemerkungen
Maßeinheiten

Die IFCC (International Federation for Clinical Chemistry) und die IUPAC (International Union of Pure and Applied Chemistry) haben gemeinsame
Empfehlungen zur Vereinheitlichung von Maßeinheiten verabschiedet, die sog. SI-Einheiten (Système International d‘Unités). Das Maßsystem basiert
auf sieben Grundeinheiten: Meter (m), Kilogramm (kg), Sekunde (s), Ampère (A), Kelvin (K), Mol (mol) und Candela (cd) (. Tab. 1).
Die Einheiten für z. B. Volumen, Konzentration, Kraft und Druck werden von diesen Grundeinheiten abgeleitet (. Tab. 2).

. Tabelle 1 SI-Basiseinheiten, Namen und Symbole

SI-Basisgröße Größensymbol Einheitenzeichen SI-Einheit Unübliche Einheiten


Länge l m Meter 1 Ångström (Å) = 10–10 m = 0,1 nm
Masse m kg Kilogramm
Zeit t s Sekunde 1 min = 60 s
1 h = 3600 s
1 d = 86400 s
Stromstärke i A Ampère
Temperatur T K Kelvin Temp. in °C = Temp. in K – 273,2
Stoffmenge 1 mol = 6,022 · 1023 Teilchen n mol Mol
Lichtstärke lV cd Candela

. Tabelle 2 Abgeleitete Basiseinheiten, Namen und Symbole

Abgeleitete Größe Symbol Name der Einheit Definition (in Unübliche, alte Einheiten
Einheit SI-Einheiten)
Volumen V Liter l 10–3 m3 1 dm3 = 1 l
1 cm3 = 1 ml
1 mm3 = 1 µl
Konzentration c Molarität M mol · l–1 1 mol · m–3 = 1 mmol · l–1
1mmol · m–3 = 1 µmol · l–1
Angaben in g%, g/100 ml, mg/100 ml sowie
mol%, mval/l oder äq/l, mäq/l sollten nicht mehr
verwendet werden
Molare Masse, Molmasse Dalton Da g · mol–1 Molekulare Masse (M) =
Wenn ein Atom 1,66 · 10–24 g wiegt, Masse (m) / Stoffmenge (n)
beträgt die Molmasse: (früher: Molekulargewicht)
(1,66 · 10–24)g · (6,022 · 1023) = 0,999652 g
Kraft F Newton N kg · m · s–2 1 dyn = 10–5 N
Druck p Pascal Pa N· m–2 1 bar = 105 Pa = 750 mm Hg
1 mm Hg = 133,3 Pa
1 atm = 1,0133 bar
1 Torr = 1,3332 mbar
1,013 · 105 = 1 atm
Energie, Arbeit, Wärmemenge E, A, Q Joule J N·m 1 Kalorie (cal) = 4,1868 J
1 Elektronenvolt (eV) = 1,602 10–19 J
Frequenz f Hertz Hz s–1
Leistung P Watt W J · s–1 = V · A 1 PS = 735 W
Elektrische Ladung q Coulomb C A·s
Elektrische Spannung U Volt V W · A–1
Reaktionsgeschwindigkeit v – v mol · s–1
Katalytische Aktivität Einheit U µmol · min–1
Katal mol · s–1
Sedimentationskoeffizient Svedberg S 10–13 s
Radioaktivität Bequerel Bq 1 Zerfall · s–1 1 Curie (Ci) = 3,7 · 1010 Bq

. Tabelle 3 Häufig verwendete Zehnerpotenzen, Präfixe und Symbole

Dezimale Vielfache u. Teile Präfix Symbol Dezimale Vielfache u. Teile Präfix Symbol
1015 Peta- P 10–6 Mikro- µ
1012 Tera- T 10–9 Nano- n
9
10 Giga- G 10–12 Pico- p
106 Mega- M 10–15 Femto- f
103 Kilo- k 10–18 Atto- a
10–3 Milli- m
XXIX
Vorbemerkungen

Reaktionsschemata 4 der Golgi-Apparat orange,


4 die Mitochondrien braun,
Es bedeuten: 4 das Cytosol hellblau,
4 DNA-Stränge blau und grau,
C C reguliert die Reaktion von A nach B über
4 RNA-Stränge rot.
eine Aktivierung;
+
D reguliert die Reaktion von B nach A über
A B eine Hemmung.
Normwertbereiche

Da in diesem Buch bei einigen biologisch-chemischen Größen,
D wie z. B. bei der Konzentration der Glucose, den Aminosäuren
oder Lipiden im Blut, quantitative Angaben gemacht werden, soll
Induktion
kurz einiges zum Begriff des Normbereiches gesagt werden.
Repression Bestimmt man in einem größeren, klinisch nichtkranken
Kollektiv z. B. die Blutzuckerkonzentration, so erhält man eine
wichtige Größe, den Mittelwert, als das arithmetische Mittel der
Tafeln Werte aller untersuchten Personen: dabei wird die Summe aller
Einzelwerte durch die Anzahl der durchgeführten Untersuchun-
Die Formeln der wichtigsten Kohlenhydrate, Lipide, Amino- gen dividiert:
säuren und Nucleotide sind in einem Tafelteil am Ende von xi
Kapitel 3 zusammengestellt. –
x=
n
wobei –x (gelesen »x quer«) den Mittelwert, xi die Einzelmessung
Verweise und n die Anzahl der untersuchten Personen (bzw. Untersuchun-
gen) darstellt.
Zahlreiche Querverweise sollen den Lesenden das Verständnis Die Kenntnis des Mittelwertes reicht jedoch nicht aus, da er
einzelner Kapitelthemen auch ohne eine umfassende Kenntnis nichts über die Streubreite, d. h. die Differenz zwischen dem höch-
der im Buch vorausbeschriebenen Sachverhalte ermöglichen. sten und niedrigsten Wert aussagt. Die Angabe der Streu- oder
Variationsbreite ist wiederum unbefriedigend, da 1. nur die bei-
den Extremwerte berücksichtigt werden und 2. die Variations-
Übrigens breite durch die Anzahl der Messungen bestimmt wird. Je mehr
Messwerte vorliegen, desto höher wird die Differenz zwischen den
Wie bereits in der 8. Auflage werden Text und Abbildungen auf- beiden Extremwerten.
gelockert durch sogenannte Übrigens-Boxen, in denen unseren Aus diesen Gründen berechnet man die Standardabwei-
Leserinnen und Lesern in kurzer Form Meilensteine von Ent- chung (s) oder Variabilität nach der Formel:
deckungen – in der Regel mit Nobelpreisen ausgezeichnet – vor-
gestellt werden. Aber auch Anekdotisches und Wissenwertes ist
in den Übrigens-Boxen zu finden. s= ! (xi – –
n–1
x )2

Sie stellt ein Maß für die Streuung der Einzelwerte um den Mit-
Englische Begriffe telwert dar. Ermittelt man die Häufigkeitsverteilung der einzel-
nen Messgrößen in einem Kollektiv, so kann diese eine beliebige
Da für viele Begriffe in der Biochemie/Molekularbiologie keine Kurvenform haben. Im Idealfall gruppieren sich die Messwerte
adäquaten deutschen Übersetzungen geläufig sind, werden sehr in Form einer Normalverteilung (Gauß-Verteilung) um den
oft die englischen Begriffe verwendet, die klein und kursiv ge- Mittelwert (x–). Die Gauß-Verteilung entspricht einer Glocken-
druckt sind. kurve, wobei die beiden Wendepunkte von entscheidender Be-
deutung sind: der Abstand zwischen – x und dem Wendepunkt ist
der Wert s, die Standardabweichung.
Farbklima Um z. B. bei klinischen Studien die Normalwerte von den pa-
thologischen Resultaten deutlich trennen zu können, muss man
4 In Abbildungen vorkommende Enzyme sind weitestgehend auf beiden Seiten der Kurve Grenzen zwischen den bei Gesun-
in hellblauen Kästen mit »runden Ecken« und schwarzer den häufigen bzw. den seltenen Werten ziehen. Als Grenze des
Schrift dargestellt, sog. Normwertbereiches definiert man im Allgemeinen – beim
4 die Plasmamembranen als zwei blaue Linien mit Vorliegen einer Normalverteilung – die Spanne innerhalb der
dazwischenliegendem Gelb, doppelten Standardabweichung (x – ± 2s) zu beiden Seiten des
4 die Zellkerne violett, Mittelwertes. Dieser Bereich schließt die mittleren 95% der Ver-
4 das endoplasmatische Retikulum (ER) grün, teilung ein (Vertrauensbereich oder Normbereich).
1 I

Grundlagen der Biochemie


und der Molekularen
Zellbiologie
Kapitel 1 Ohne Wasser kein Leben –3
P. C. Heinrich

Kapitel 2 Vom Molekül zum Organismus – 14


H. Follmann †

Kapitel 3 Kohlenhydrate, Lipide, Aminosäuren und Nucleotide –


Bausteine des Lebens – 26
Tafelteil – 47
G. Löffler, M. Müller

Kapitel 4 Bioenergetik – 54
T. Kriegel, W. Schellenberger

Kapitel 5 Proteine – Struktur und Funktion – 61


H. R. Kalbitzer

Kapitel 6 Proteine – Analytische Untersuchungsmethoden,


Synthese und Isolierung – 86
H. R. Kalbitzer

Kapitel 7 Enzyme – Grundkonzepte der Biokatalyse – 101


T. Kriegel, W. Schellenberger

Kapitel 8 Regulation der Enzymaktivität – 115


T. Kriegel, W. Schellenberger

Kapitel 9 Enzyme in Forschung, Diagnostik und Therapie – 125


T. Kriegel, W. Schellenberger

Kapitel 10 Nucleinsäuren – Struktur und Funktion – 130


H.-G. Koch, J. Brix, P. C. Heinrich

Kapitel 11 Biomembranen – 149


L. Graeve, M. Müller

Kapitel 12 Zellorganellen und Vesikeltransport – 157


L. Graeve, M. Müller

Kapitel 13 Cytoskelett – 174


L. Graeve, M. Müller
3 1

1 Ohne Wasser kein Leben


Peter C. Heinrich

Einleitung Periodensystems wie Schwefelwasserstoff (H2S) oder Selenwas-


serstoff (H2Se) höhere Schmelz- und Siedetemperaturen sowie
Das Leben auf der Erde hängt von Wasser ab. Es ist die Hauptkomponen- eine höhere Wärmekapazität und Oberflächenspannung auf.
te lebender Organismen. Da reines Wasser transparent, geruchlos, ge- Während Schwefelwasserstoff (H2S) bereits bei –61 °C in den
schmacklos und weit verbreitet ist, wird es oft nicht wirklich wahrge- gasförmigen Zustand übergeht, siedet Wasser erst bei +100 °C.
nommen. Es ist falsch, Wasser nur als inertes Lösungsmittel zu betrach- Dieses unterschiedliche Verhalten beruht auf dem hohen
ten. Wasser transportiert, reagiert, stabilisiert, signalisiert, strukturiert, Dipolmoment des Wassermoleküls und der Fähigkeit, sog.
verteilt. Für all diese Funktionen ist die Dipolstruktur und die Fähigkeit Wasserstoffbrückenbindungen auszubilden (s. u.).
von Wassermolekülen, Wasserstoffbrückenbindungen auszubilden und Das Wassermolekül besteht aus nur zwei Elementen, einem
zu lösen, verantwortlich. Das Leben sollte als eine gleichwertige Partner- Sauerstoffatom und zwei Wasserstoffatomen. Es ist nicht linear,
schaft von Biomolekülen und Wasser betrachtet werden. sondern gewinkelt aufgebaut, mit einem H‒O‒H-Bindungswinkel
von 104,5° (. Abb. 1.1A, B). Das Wassermolekül hat die Geome-
Schwerpunkte trie eines Tetraeders. Im Inneren des Tetraeders befindet sich das
Sauerstoffatom und an zwei Ecken des Tetraeders je ein H-Atom.
4 Ausbildung von Wasserstoffbrückenbindungen zwischen
An den zwei anderen Ecken befinden sich die freien Elektronen-
Wassermolekülen (Dipol-Dipol-Wechselwirkungen) und ihr
paare des Sauerstoffs (. Abb. 1.1C). Da der Sauerstoff aufgrund
Einfluss auf die Struktur von Wasser und Eis aber auch auf
seiner hohen Elektronegativität die Elektronen von beiden Was-
kolligative Eigenschaften wie Schmelz- und Siedepunkt,
serstoffkernen wegzieht, sind diese partiell positiv und der Sau-
Verdampfungswärme und Oberflächenspannung
erstoff partiell negativ geladen. Das elektrisch neutrale Wasser-
4 Ausbildung hydrophober Wechselwirkungen
molekül mit seiner ungleichen Ladungsverteilung bezeichnet
4 Bedeutung der Osmose für Aufnahme und Abgabe von
man daher als Dipol (. Abb. 1.1A–C).
Wasser und damit auch für die Formgebung lebender Zellen
4 Wassertransport durch Aquaporine (Wasserkanäle) in Niere,
Das Wassermolekül bildet Wasserstoffbrücken-
Speichel- und Tränendrüsen
bindungen aus
4 pH-Wert, pK-Wert und Puffersysteme in Körperflüssigkeiten
Aufgrund der Dipolstruktur der Wassermoleküle kommt es zur
Ausbildung von Wasserstoffbrückenbindungen zwischen den
einzelnen Wassermolekülen (. Abb. 1.2A). Das partiell positiv
geladene Wasserstoffatom (Donor) des rechten Wassermoleküls
1.1 Eigenschaften des Wassers wird von einem der zwei freien Elektronenpaare des Sauerstoffs
(Akzeptor) des linken Wassermoleküls angezogen. Wasserstoff-
Ohne Wasser ist Leben nicht vorstellbar brückenbindungen sind relativ schwach. Zur Spaltung einer H-
Während Menschen recht lange Hungerperioden überstehen O-Brücke im flüssigen Wasser müssen nur 23 kJ/mol aufgewen-
können, führt ein völliger Wasserentzug bereits nach wenigen det werden. Im Vergleich hierzu ist die Bindungsenergie einer
Tagen zum Tod durch Verdursten. Der menschliche Körper be- kovalenten H-O-Einfachbindung mit 470 kJ/mol 20-mal höher.
steht zu annähernd 60 Gewichtsprozenten aus Wasser, welches
auf Intra- und Extrazellulärräume verteilt ist. Zwei Drittel der A B C
Wassermenge entfallen auf intrazelluläre Flüssigkeit und etwa
ein Drittel auf extrazelluläre Flüssigkeit. Diese befindet sich im
interstitiellen Raum zwischen den Körperzellen sowie im Blut-
plasma, Gelenkflüssigkeit und Liquor cerebrospinalis.
Wasser ist im biologischen Umfeld das universelle Lösungs-
mittel, in dem sich alle Stoffwechselreaktionen abspielen. Die
Bedeutung des Wassers für das Leben basiert auf einer Reihe . Abb. 1.1 Struktur des Wassermoleküls. A Dipolstruktur; δ+, δ–, positive
ungewöhnlicher Eigenschaften dieses Moleküls. bzw. negative Partialladungen. B Elektrostatische Potentialflächen des Was-
sermoleküls; rot: hohe, blau: geringe Elektronendichte. C Das Wassermole-
kül weist eine tetraedrische Geometrie auf: Im Zentrum des Tetraeders be-
Wasser ist ein polares Molekül findet sich das Sauerstoffatom, an den Ecken die beiden H-Atome und die
Wasser weist im Vergleich zu anderen kleinen, ähnlich aufgebau- zwei freien Elektronenpaare des Sauerstoffatoms. (B, C Adaptiert nach
ten Molekülen mit Elementen der sechsten Hauptgruppe des Müller Esterl 2004)

P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
4 Kapitel 1 · Ohne Wasser kein Leben

A B A
1 B

. Abb. 1.3 Wasserstoffbrückenbindungen in Eis und Wasser. A Eis hat


ein verhältnismäßig voluminöses, hochgeordnetes Kristallgitter aus tetra-
edrisch angeordneten Wassermolekülen. Für ein Wassermolekül ist exem-
plarisch gezeigt, dass dieses mit vier Wassermolekülen über Wasserstoffbrü-
ckenbindungen interagiert (mit 1, 2, 3 und 4 markiert). B Wenn das Eisgitter
. Abb. 1.2 Wasserstoffbrückenbindung zwischen benachbarten Wasser- beim Schmelzpunkt zusammenbricht, bleiben die geordneten Strukturen
molekülen. A Das partiell positiv geladene H-Atom des rechten Wassermole- im flüssigen Wasser zum Teil erhalten, zum Teil entstehen aber auch kom-
küls wird von einem der beiden freien Elektronenpaare des Sauerstoffatoms paktere Anordnungen (flickering cluster, blau unterlegt), sodass das flüssige
des linken Wassermoleküls angezogen. Die Wasserstoffbrückenbindung ist Wasser eine größere Dichte hat als das Eis. Bei Temperatursteigerung lösen
grün gestrichelt. B Das im Zentrum des Tetraeders befindliche Wassermole- sich die Strukturen allmählich auf. Das Dichtemaximum des Wassers liegt
kül bildet zu vier Wassermolekülen (vier Ecken des Tetraeders) Wasserstoff- bei 4 °C. (Adaptiert nach Müller Esterl 2004)
brückenbindungen aus, zwei als Donor und zwei als Akzeptor. (Adaptiert
nach Alberts 2008; mit freundlicher Genehmigung von Taylor u. Francis) bildenden und wieder zerfallenden Clustern (flickering clusters)
vorstellen (. Abb. 1.3B). Die flickering cluster-Struktur des flüssi-
Daher beträgt der Abstand zwischen H-Atom und O-Atom gen Wassers hat bei 0 °C eine Dichte von 1,00 g/ml und ist höher
(H-O) bei Wasserstoffbrückenbindungen 0,18 nm und bei kova- als die Dichte der Wassermoleküle im Eis, welches aufgrund
lenten H-O-Bindungen nur 0,10 nm. seiner ungewöhnlich offenen Struktur nur eine Dichte von
Aufgrund der H-Brückenbindungen entstehen in flüssigem 0,92 g/ml aufweist. Der Unterschied der Dichte von flüssigem
Wasser kurzlebige geordnete Assoziate. Dies erklärt warum Was- Wasser und Eis hat wichtige Konsequenzen für das Leben auf der
ser bei Raumtemperatur flüssig und der dem Wasser verwandte Erde. Wäre Eis dichter als Wasser würde es in Seen und Ozeanen
giftige Schwefelwasserstoff (H2S), der keine Wasserstoffbrücken- auf dem Grund liegen statt zu schwimmen. Von der Sonne
bindungen ausbilden kann, gasförmig ist, obwohl H2S eine fast abgeschirmt wären die Gewässer auf dem Grund dauerhaft
doppelte molekulare Masse (34 Da gegenüber 18 Da*) aufweist. gefroren und Leben hätte sich nicht entwickeln können.

Lebensdauer und Zahl der Wasserstoffbrücken Wasserstoffbrückenbindungen kommen


im Wasser sind temperaturabhängig nicht nur im Wasser vor
Mit zunehmender Temperatur nimmt der Ordnungszustand des Grundsätzlich kann man eine Wasserstoffbrücke als die gemein-
Wassers ab, mit abnehmender Temperatur dagegen zu. Eis besitzt same Nutzung eines Wasserstoffatoms zwischen zwei Molekülen
eine regelmäßige hochgeordnete Kristallstruktur (. Abb. 1.3A), definieren. Somit ist die Ausbildung von Wasserstoffbrückenbin-
in der jedes Wassermolekül tetraedrisch vier Wasserstoffbrücken dungen nicht nur auf Wasser beschränkt.
ausbildet, zwei als Donor und zwei als Akzeptor (. Abb. 1.2B). . Abb. 1.4 zeigt, dass ein Wasserstoffatom in einer Wasser-
Auch im flüssigen Wasser befindet sich noch ein großer Teil der stoffbrückenbindung von zwei elektronegativen Atomen wie
Wassermoleküle in geordneten Strukturen. Bei 37 °C liegen 15 % Stickstoff oder Sauerstoff gemeinsam benutzt werden kann. Des-
der Wassermoleküle mit je vier assoziierten Wassermolekülen vor. halb können Alkohole, Aldehyde, Ketone und Moleküle mit N-H-
Die Halbwertszeit jeder einzelnen Wasserstoffbrückenbindung Bindungen ebenfalls Wasserstoffbrückenbindungen ausbilden.
ist allerdings kürzer als 10 Picosekunden. Dies bedeutet, dass das In Nucleinsäuren und Proteinen stabilisieren Wasserstoff-
durchschnittliche Wassermolekül wandert, sich reorientiert und brückenbindungen die räumliche Anordnung dieser Makromo-
mit neuen Nachbarn Wasserstoffbrücken ausbildet. Man muss leküle. Diese leichte Lösbarkeit von Wasserstoffbrückenbindun-
sich reines flüssiges Wasser als ein Netzwerk aus sich schnell gen ist eine wichtige Voraussetzung sowohl für die Replikation
und Transkription der DNA als auch für Konformationsände-
* Die relative molekulare Masse eines Moleküls ist die Summe der Atom- rungen in Proteinen.
massen. Die Bezeichnung molekulare Masse ersetzt den Begriff Molekular-
gewicht, weil Letzteres von der Erdanziehung (Gravitation) abhängt. Da Die Polarität der Wassermoleküle ist für die Ausbil-
die relative molekulare Masse als Quotient aus der Molekülmasse und
1/12 der Masse eines Atoms des Kohlenstoff-Isotops 12C definiert ist, ist
dung von Hydrathüllen gelöster Ionen verantwortlich
die Masseneinheit dimensionslos. Dennoch hat sich eingebürgert, das Die polare Natur der Wassermoleküle (Dipole) und ihre Fähig-
Dalton als Einheit der molekularen Masse zu benutzen. keit Wasserstoffbrücken auszubilden ist der Grund dafür, dass
1.1 · Eigenschaften des Wassers
5 1

. Abb. 1.4 Wasserstoffbrückenbindungen. Die häufigsten Wasserstoff-


brückenbindungen in biologischen Systemen. Wasserstoffbrückenbindun-
gen sind durch senkrechte grüne Striche dargestellt. Die Donoratome Stick-
stoff und Sauerstoff sind elektronegative Elemente, die dem Wasserstoff
eine positive Partialladung verleihen. Die partiell positiv geladenen H-Ato-
me wechselwirken mit einem freien Elektronenpaar der Akzeptoratome

. Abb. 1.5 Auflösung von Kochsalz (NaCl) in Wasser. Na+ (magenta) und
sich polare anorganische und organische Moleküle in Wasser Cl– (grün) Ionen werden durch elektrostatische Anziehungskräfte zusam-
mengehalten und bilden ein Kristallgitter. Wasserdipole schwächen die
lösen. Polare Moleküle wie Salze lösen sich meist sehr leicht in
elektrostatischen Anziehungskräfte zwischen den positiv und negativ gela-
Wasser auf, obgleich das Kristallgitter z. B. von Kochsalz (NaCl) denen Ionen, und das Kristallgitter wird zerstört. Na+ und Cl– umgeben sich
durch die starken ionischen Wechselwirkungskräfte zwischen mit Hydrathüllen, deren Wechselwirkungen zwischen den Ionen und den
den positiv und negativ geladenen Na+- und Cl–-Ionen zusam- Wassermolekülen durch unterbrochene Linien dargestellt sind. (Adaptiert
mengehalten wird. Das Kristallgitter von NaCl kann sich nur nach Horton 2008, © Pearson Studium)
auflösen, weil die positiv geladenen Na+-Ionen von Wassermole-
külen so umgeben werden, dass das partiell negativ geladene Stoffe keine Wasserstoffbrücken mit den Wasserdipolen ausbil-
Dipolende des Sauerstoffatoms des Wassers an die Na+-Ionen den und deshalb nicht durch Wasserstoffbrückenbindungen in
und das partiell positiv geladene Dipolende der beiden Wasser- das Wassernetzwerk eingebunden werden können, muss das
stoffatome an die Cl–-Ionen binden (Ionen-Dipol-Wechselwir- Wasser seine Struktur reorganisieren. Dazu bilden die Wasser-
kung). Man spricht von Hydratisierung, das heißt es bilden sich moleküle um die hydrophoben Moleküle herum »käfigartige
Hydrathüllen um die Na+- und Cl–-Ionen aus. Wenn die daraus Clathratstrukturen« (lat.: clatratus vergittert) aus, d. h. die hyd-
resultierende Hydratationsenergie die Gitterenergie von NaCl rophoben Moleküle werden von einer Pentagon-/Hexagon-Hy-
übersteigt, löst sich das Salz in Wasser auf (. Abb. 1.5). Die drathülle umgeben. Dies bedeutet, dass die Clathratbildung von
Anzahl der von einem Ion gebundenen Wassermoleküle hängt einer vermehrten Ordnung der Wassermoleküle begleitet ist,
von dessen Radius ab. Die kleineren Ionen, z. B. Na+, binden was einer Verringerung der Entropie entspricht (7 Kap. 4.1).
Wasser stärker als die größeren. Wenn sich zwei nicht-polare Moleküle in ihren Käfigen annä-
Dies bedeutet z. B. dass das hydratiserte Na+-Ion einen grö- hern, führt dies zu einer Aggregation der unpolaren Moleküle
ßeren Radius als das hydratisierte K+-Ion aufweist, obwohl sich und zu einer Freisetzung von Wassermolekülen, die ursprüng-
die Atomradien der nicht hydratisierten Ionen umgekehrt ver- lich mit der nicht-polaren Oberfläche interagiert hatten (. Abb.
halten. Dieses Phänomen erklärt, warum K+-Ionen biologische 1.6). Diese größere Beweglichkeit der Wassermoleküle bedeutet
Membranen leichter überwinden können als Na+-Ionen. eine größere Unordnung und damit eine Zunahme der Entropie.
Somit entsteht die hydrophobe Wechselwirkung infolge eines
Hydrophobe Interaktionen entstehen Entropieeffektes.
aufgrund der Unverträglichkeit hydrophiler Nach der Gibbs-Helmholtz-Gleichung (7 Kap. 4.1):
und hydrophober Gruppen
Nicht-ionische Moleküle mit polaren funktionellen Gruppen ΔG = ΔH – TΔS
wie z. B. Alkohole, Amine und Carbonylverbindungen bilden
Wasserstoffbrücken aus und lösen sich daher leicht in Wasser ΔH = Enthalpiedifferenz und ΔS = Entropiedifferenz
(hydrophile Substanzen; griech: hydor, Wasser; philos, Freund). kommt es bei einer Zunahme der Entropie (ΔS) zu einer
Nicht-polare Substanzen wie z. B. Öl, Fette oder Kohlenwasser- Abnahme der Freien Enthalpie ΔG1. Prozesse, bei denen ΔG <0
stoffe sind in Wasser nicht löslich, d. h. sie meiden den Kontakt ist, laufen spontan ab (exergon). Hydrophobe Effekte sind
mit Wasser (hydrophobe Substanzen, griech: phobos, Angst). demnach nicht auf eine gegenseitige Anziehung/Bindung der
Hydrophobe Substanzen lösen sich dagegen sehr gut in apolaren hydrophoben Moleküle zurückzuführen, sondern auf eine
Lösungsmitteln wie Chloroform, Tetrachlorkohlenstoff oder Abnahme der freien Enthalpie hervorgerufen durch den Anstieg
Hexan (»Gleiches löst sich in Gleichem«). Das Verhalten von der Entropie der umgebenden Wassermoleküle. Der häufig
Wassermolekülen gegenüber hydrophoben Substanzen und verwendete Begriff hydrophobe Bindung ist nicht korrekt, es
nicht-polaren funktionellen Gruppen in biologischen Makro-
molekülen unterscheidet sich von der besprochenen leichten 1 In der Thermodynamik ist ΔG als Freie Enthalpie definiert (s. 7 Kap. 4). Häu-
Wasserlöslichkeit polarer Stoffe wie NaCl. Da die unpolaren fig wird in der angelsächsischen Literatur ΔG als Freie Energie bezeichnet.
6 Kapitel 1 · Ohne Wasser kein Leben

. Abb. 1.6 Modell zur Erläuterung des hydrophoben Effektes in wässrigen Lösungen. Hydrophobe Moleküle (gelb) können mit Wassermolekülen
keine Wasserstoffbrücken ausbilden. Das sie umgebende Wasser in Form von Pentagon-/Hexagon-Hydrathüllen (nicht gezeigt) zwingt die hydrophoben
Moleküle zur spontanen Aggregation verbunden mit einer Freisetzung von Wassermolekülen (Entropiezunahme). (Adaptiert nach Stryer 2007)

handelt sich vielmehr um hydrophobe Wechselwirkungen, oder der gelösten Substanz abhängen. Kolligative Eigenschaften des
anders formuliert: Wasser zwingt hydrophobe Moleküle in ein Wassers sind der Dampfdruck, der Siedepunkt, der Schmelz-/
sich spontan bildendes Aggregat. Ohne Wasser gibt es keine Gefrierpunkt und der osmotische Druck. Die Eigenschaften des
hydrophoben Effekte. Wassers werden verändert, wenn Substanzen im Wasser gelöst
sind, d. h. wenn die Wasserkonzentration in der Lösung niedriger
Hydrophobe Wechselwirkungen spielen eine ist als in reinem Wasser. Zum Beispiel wird in einer 1 molaren
wichtige Rolle bei der Selbstorganisation Lösung von Glucose (1 mol Glucose gelöst in 1.000 ml Wasser bei
von Makromolekülen und biologischen Strukturen einem Druck von 1 atm) der Gefrierpunkt der Lösung um 1,86 °C
4 Hydrophobe Wechselwirkungen sind für die Ausbildung erniedrigt und der Siedepunkt um 0,54 °C erhöht.
der 3D-Struktur von Proteinen sehr wichtig. Sie sind dafür
verantwortlich, dass das Innere vieler Proteine praktisch Die Diffusion von Wassermolekülen durch selektiv
wasserfrei ist, da hier die hydrophoben Seitenketten dicht permeable Membranen wird als Osmose bezeichnet
gepackt sind. Auf der Proteinoberfläche dagegen befinden Wenn eine wässrige Lösung von Glucose durch eine semiperme-
sich die geladenen und polaren Aminosäuren. Häufig able (lat: semi: halb; permeare: durchwandern) Membran (nur
tragen hydrophobe Wechselwirkungen mehr zur Stabilität durchlässig für Wasser, nicht für Glucose) von reinem Wasser
eines Proteins bei als alle übrigen nicht-kovalenten Wech- getrennt ist, wandern die Wassermoleküle von der hohen
selwirkungen. Wasserkonzentration = reines Wasser durch die Membranbarriere
4 Hydrophobe Wechselwirkungen sind auch von großer Be- in die Glucoselösung mit der niedrigeren Wasserkonzentration,
deutung für die Ausbildung von Quartärstrukturen von die dadurch verdünnt wird (. Abb. 1.7). Man bezeichnet die Lö-
Proteinen, der Organisation von Multienzymkomplexen, sungsmittel (Wasser)-Bewegung vom Ort hoher Konzentration
der Stabilisierung der DNA- Doppelhelix (7 Kap. 10.2.1) zum Ort niedriger Konzentration (Glucoselösung) als Osmose.
und der Assemblierung von biologischen Membranen Unter osmotischem Druck einer Lösung z. B. einer Glucoselö-
(7 Kap. 11.1). sung versteht man den hydrostatischen Druck, der dem Durch-
tritt des Lösungsmittels durch die semipermeable Membran ent-
Nähern sich z. B. eine hydrophobe Gruppe eines Liganden (Hor- gegen wirkt. Der osmotische Druck π wird durch die van’t Hoff-
mone, kompetitiver Inhibitor, Medikament) und eine unpolare Gleichung beschrieben
Rezeptorgruppe, die beide von geordneten Wassermolekülen
umgeben sind, so gehen die Wassermoleküle bei Annäherung Π = n · V–1 · R · T
von Wirkstoff und Rezeptor in einen ungeordneteren Zustand
über. Durch den hiermit verbundenen Entropieanstieg kommt es Dabei stellen n die Teilchenzahl, V das Volumen, R die allgemei-
zu einer Abnahme der Freien Enthalpie, die den Ligand-Rezep- ne Gaskonstante und T die absolute Temperatur dar.
tor-Komplex stabilisiert. Der osmotische Druck π ist proportional zur Konzentration
(n/V) des gelösten Stoffes. Für eine 1 molare Glucoselösung
beträgt der osmotische Druck 2.270 kPa. Eine 1 molare NaCl-
1.2 Kolligative Eigenschaften des flüssigen Lösung weist dagegen einen doppelt so hohen osmotischen
Wassers und osmotischer Druck Druck von 4.540 kPa auf, da die NaCl-Lösung aufgrund der
Dissoziation des Kochsalzes in Na+- und Cl–-Ionen 2 mol/l Teil-
Als kolligative Eigenschaften (kolligativ = miteinander verbunden) chen enthält. Die Anzahl aller osmotisch wirksamen Teilchen in
werden Eigenschaften eines Stoffes bezeichnet, die allein von der mol/l Lösung bezeichnet man als Osmolarität der Lösung, bezo-
Anzahl der gelösten Moleküle/Ionen pro Volumen des Lösungs- gen auf 1 kg Lösungsmittel spricht man von Osmolalität. Die
mittels und nicht von der chemischen Natur (Größe und Ladung) Osmolarität des Blutplasmas hält sich bei Gesunden in einem
1.3 · Autoprotolyse von Wasser, pH Wert
7 1
A B C Um den osmotischen Druck, der von den gelösten Teilchen
im Cytosol von Säugetierzellen ausgeht, zu minimieren,
speichern Hepatocyten und Muskelzellen nicht freie Glucose,
sondern hochmolekulares Glycogen (ca. 50.000 Glucoseeinheiten
in einem Glycogenmolekül!) (7 Kap. 3.1.4). Sie vermeiden so das
Eindringen von Wasser aufgrund osmotischer Effekte. Die in
Adipocyten (Fettzellen) gespeicherten Triglyceride sind auf-
grund ihrer Wasserunlöslichkeit osmotisch nicht wirksam.
Zur Beschleunigung des Wassertransports in und aus Säuge-
tierzellen während der Osmose dienen Wasserkanäle, die 1992
von Peter Agre entdeckt und »Aquaporine« genannt wurden.
Diese Entdeckung wurde 2003 mit dem Nobelpreis für Chemie
gewürdigt. Beim Menschen sind inzwischen 13 Aquaporine
nachgewiesen worden. Sie werden besonders in der Niere, den
. Abb. 1.7 Vorgänge bei der Osmose. A Das Becherglas ist mit reinem Speichel- und Tränendrüsen exprimiert.
Wasser gefüllt, die Glasröhre enthält eine Glucoselösung, die unten mit ei-
Das Aquaporin AQP1 ist ein Homotetramer (. Abb. 1.9). Jede
ner semipermeablen Membran vom umgebenden Wasser abgetrennt ist.
Die Membran ist nur für Wasser, nicht aber für die in Wasser gelöste Glucose Untereinheit besteht aus 6 Transmembranhelices und 2 kurzen
durchlässig. B Wassermoleküle aus dem Becherglas diffundieren durch die Helices. Im Unterschied zu Kaliumkanälen (7 Kap. 74) bildet jede
semipermeable Membran in die Glasröhre und verdünnen die Glucoselö- Aquaporinuntereinheit eine Pore mit einem Durchmesser von
sung. Dabei steigt die Flüssigkeitssäule in der Glasröhre solange an, bis de- 0,3 nm. Der Durchmesser eines Wassermoleküls beträgt 0,28 nm.
ren Schwerkraft = osmotischer Druck das weitere Eindringen von Wasser-
Aquaporine transportieren Wassermoleküle, aber keine Protonen.
molekülen stoppt. C Als osmotischen Druck π bezeichnet man die Kraft auf
den Stempel, die den Ausgangszustand A wiederherstellt. (Adaptiert nach Die Kanäle öffnen sich nach Phosphorylierung spezifischer Ami-
Nelson, Cox 2011) nosäurereste und schließen sich bei Dephosphorylierung. Bei Ein-
tritt in den Aquaporinkanal zeigt das O-Atom des Wassers zu-
Bereich zwischen 290 und 300 Milliosmol (mosmol/l), entspricht nächst zur cytosolischen Seite. Während das Wassermolekül den
also ungefähr der Osmolarität von 0,15 mol/l NaCl. Kanal durchquert, dreht es sich in der Mitte des Kanals um 180°
Für alle lebenden Zellen sind Aufnahme und Abgabe von und die H-Atome zeigen jetzt in Richtung Cytoplasma.
Wasser von großer Bedeutung. Änderungen der extrazellulä-
ren  Osmolarität können in Säugetierzellen zu schnellen
Schrumpfungen oder Schwellungen führen. . Abb. 1.8 zeigt, wie 1.3 Autoprotolyse von Wasser, pH-Wert
Erythrocyten in reinem Wasser (hypotones Milieu) schwellen.
Wasser strömt so lange in das Zellinnere bis die Zellen platzen. Wasser hat eine geringe Tendenz zu dissoziieren. Da Wassermo-
In konzentrierter Kochsalzlösung (hypertones Milieu) wird da- leküle Protonen (H+) untereinander austauschen, kann ein Pro-
gegen eine Schrumpfung der roten Blutzellen beobachtet. Bei ton von einem Wassermolekül auf ein benachbartes Wassermo-
experimentellen Arbeiten mit Säugetierzellen ist es daher wich- lekül übertragen werden und es entstehen Hydronium- (H3O+)
tig, dass diese in einem isotonen Medium gehalten werden, in und Hydroxidionen (OH–) (Gleichung 1)
dem die Osmolarität identisch mit derjenigen im Zellinneren ist.
Deshalb wird auch in der Medizin zur Infusion als Blutersatz H2O + H2O H3O+ + OH‒ (1)
kein reines Wasser, sondern eine isotone Kochsalzlösung (0,9 %
= 9 g/l Wasser) verwendet. Diese Lösung hat praktisch den glei- Das Gleichgewicht für diese sog. Autoprotolysereaktion liegt
chen osmotischen Druck wie das Blutplasma (s. o.). auf der Seite des undissoziierten Wassers.

. Abb. 1.8 Effekt von hypotonem, isotonem und hypertonem Milieu auf rote Blutzellen (Einzelheiten s. Text). Eine physiologische Kochsalzlösung
(= isotones Milieu) enthält 0,154 mol NaCl/l, entsprechend 9 g/l
8 Kapitel 1 · Ohne Wasser kein Leben

Für reines Wasser gilt somit


1
[H+] = [OH‒] = 10‒7 mol/l

Der pH-Wert ist der negative dekadische


Logarithmus der Wasserstoffionenkonzentration
Da es sehr unbequem ist, mit derart niedrigen Konzentrationen
umzugehen, wurde von Søren Sørensen vorgeschlagen, den ne-
gativen dekadischen Logarithmus der H+-Ionenkonzentration,
den sog. pH-Wert oder das pH (Neutrum!) (potentia hydrogenii
oder auch pondus hydrogenii) zu verwenden:

pH = –log [H+]

. Abb. 1.9 Aquaporin. Dreidimensionale Struktur des tetrameren Aqua- Daraus folgt, je höher die Wasserstoffionenkonzentration (= Pro-
porin AQP1. Die Ansicht von der cytoplasmatischen Seite zeigt, dass jede tonenkonzentration) desto niedriger der pH-Wert und umge-
der vier Untereinheiten eine Pore (schwarze Pfeilspitze) für den Transport kehrt.
eines Wassermoleküls bildet. (Adaptiert nach Sui 2001, mit freundlicher
Die Änderung des pH- Wertes um eine Einheit bedeutet eine
Genehmigung von Macmillan Publishers Ltd)
10fache Änderung in der Wasserstoffionenkonzentration.
Da die H+-Ionenkonzentration von reinem Wasser 10‒7 mol/l
Es ist bekannt, dass die Wasserstoffionen (Protonen, H+) beträgt, ergibt sich ein pH-Wert von
nicht nur als Hydronium (H3O+)-Ionen, sondern auch als multi-
mere Hydrate wie H+(H2O)2, H+(H2O)3 und H+(H2O)5 vor- pH = –log [10‒7] = –log [1/107] = log [107] = 7,0
liegen.
Zur Vereinfachung hat sich eingebürgert, die Hydronium- Auf einer pH-Skala bedeutet pH 7,0 eine neutrale Lösung, pH-
ionen (H3O+)-Konzentration als H+-Konzentration zu schrei- Werte kleiner 7 bedeuten saure Lösungen, pH Werte über 7 alka-
ben, obgleich in wässriger Lösung keine Protonen vorliegen. lische Lösungen. In . Abb. 1.10 sind die pH-Werte einiger be-
Protonen sind H+-Ionen, die aus H-Atomen entstehen, denen ihr kannter Flüssigkeiten und Körperflüssigkeiten zusammenge-
einziges Elektron entzogen wurde. stellt.
Die Anwendung des Massenwirkungsgesetzes auf das obige Da der pH-Wert die Struktur und Aktivität von Makromole-
Wasserdissoziationsgleichgewicht (Gleichung 1) ergibt külen, z. B. die katalytische Aktivität von Enzymen, stark
beeinflusst, sind pH-Messungen in biochemischen und klini-
K = [H+] · [OH‒]/[H2O]2 . (2) schen Labors sehr wichtig. pH-Messungen können mit Indikato-
ren durchgeführt werden. Dabei handelt es sich um schwache
Die eckigen Klammern symbolisieren Konzentrationen in mol/l.
organische Säuren oder Basen, die bei Base- oder Säurezugabe
Da ein Mol Wasser 18 g wiegt, enthält ein Liter (1.000 g) Was-
ihre Farbe ändern, z. B. Lackmus oder Phenolphthalein. Sehr viel
ser 1.000/18 = 55,6 mol Wasser. Da ferner die molare Konzentra-
präzisere pH-Messungen erfolgen mit Hilfe einer Glaselektrode
tion an Wasser mit 55,6 mol/l viel größer ist als die Konzentratio-
in einem pH-Meter, das eine von der Protonenkonzentration
nen an H+- und OH–-Ionen, wird die Wasserkonzentration als
abhängige elektrische Spannung misst. In der medizinischen
konstant betrachtet und in die Gleichgewichtskonstante K einbe-
Diagnostik werden pH-Messungen von Körperflüssigkeiten wie
zogen. Dadurch ergibt sich die Ionenproduktkonstante Kw des
Blut und Urin durchgeführt. Bei nicht behandelten Diabetikern
Wassers:
können z. B. aufgrund der hohen Ketonkörperkonzentrationen
erniedrigte pH-Werte im Plasma (metabolische Acidose)
Kw = K · [H2O]2 = [H+] · [OH‒]
auftreten (7 Kap. 21.2.2).
Durch Messung der elektrischen Leitfähigkeit wurden die Kon-
zentrationen von H+ und OH– bei 25 °C bestimmt zu:
1.4 Säuren und Basen
[H+] = 10–7 mol/l
Es gibt eine Vielzahl von Verbindungen, die in reinem Wasser
[OH–] = 10–7 mol/l (pH = 7,0) gelöst zu einer Veränderung des pH-Wertes führen.
Die Ionenproduktkonstante des Wassers ist daher Kw = 10–7 ∙ 10–7 Hierbei kann es sowohl zu einer Erhöhung als auch zu einer Er-
= 10–14 mol2/l2 niedrigung der Wasserstoffionenkonzentration in der Lösung
Bei 25 °C (Gleichgewichtskonstanten sind temperaturabhän- kommen.
gig) beträgt der Zahlenwert für das Ionenprodukt des Wassers Säuren und Basen können die Protonen (H+)- und Hydroxid
(OH‒)-Ionenkonzentrationen von reinem Wasser verändern.
[H+] · [OH‒] = 10‒14 mol2/l2 Nach der Definition von Johannes Nicolaus Brønstedt sind Säu-
1.4 · Säuren und Basen
9 1

. Tab. 1.1 Beispiele für konjugierte Säure-Base-Paare

Säure (Protonendonoren) Konjugierte Base (Protonenakzeptor)

HCl Cl–

NH4+ NH3

H2CO3 HCO3–

HCO3– CO32–

H3PO4 H2PO4–

H2PO4 HPO42–

Die Dissoziationskonstante (auch Säurekonstante) ist


der zahlenmäßige Ausdruck der Stärke einer Säure
Die Reaktion einer Säure HA mit der Base Wasser führt zur
Bildung von H3O+-Ionen und der konjugierten Base A‒.

HA + H2O A– + H3O+

oder vereinfacht:

HA + H2O A– + H+

Bei starken Säuren wie Salzsäure (HCl) oder Schwefelsäure


(H2SO4) liegt das Gleichgewicht der Reaktion in wässriger
Umgebung vollkommen auf der rechten Seite. In biologi-
schen Systemen herrschen schwache Säuren, d. h. organische
Säuren mit Carboxylgruppen (–COOH) vor. Ein Maß für die
Stärke einer Säure ist die Gleichgewichts- oder Dissozia-
tionskonstante K’.
Nach dem Massenwirkungsgesetz gilt

sauer K’ = [H+] · [A‒]/[HA] ∙ [H2O]


HCI (1 mol/l)

. Abb. 1.10 pH-Werte verschiedener Flüssigkeiten und Körperflüssig- Da die Konzentration an Wasser praktisch unverändert bleibt,
keiten (rote Schrift)
wird diese konventionsgemäß in die Konstante K’ einbezogen
und das Produkt als Säurekonstante KS definiert.
ren Protonendonoren, die in Anwesenheit eines Protonenak-
zeptors Protonen abgeben. Basen sind Protonenakzeptoren, die K’ · [H2O] = Ks = [H+] · [A‒]/[HA]
Protonen aufnehmen. Verbindungen wie Wasser, welches sowohl
als Protonendonor wie auch als Protonenakzeptor reagieren Der Index s steht für »Säure«, im Englischen ist »a« = acid ge-
kann, werden als Ampholyte bezeichnet. Ein weiteres Beispiel bräuchlich.
sind die Aminosäuren, die sowohl saure wie basische Eigenschaf- Analog lässt sich die Basekonstante KB für eine schwache
ten aufweisen (7 Kap. 3.3). Base B aus der Gleichung
Die allgemeine Darstellung einer Säure-Base-Reaktion
B + H2O BH+ + OH–
HA + B A‒ + BH+
ableiten zu:
zeigt, dass Säuren ihre Wasserstoffionen nur abgeben können,
wenn Basen anwesend sind, d. h. eine Säure HA geht durch Pro- K’ ∙ [H2O] = KB = [BH+] ∙ [OH‒] / [B]
tonenabgabe in ihre konjugierte Base A– über, während die
Base B durch Protonenaufnahme ihre konjugierte Säure BH+ Die Säurekonstante Ks und die Basenkonstante KB sind tempera-
bildet. turabhängig.
. Tab. 1.1 fasst einige Säuren und ihre konjugierten Basen, Da die Angabe der Säurekonstanten in Zehnerpotenzen un-
sog. konjugierte Säure-Base-Paare, zusammen. handlich ist, verwendet man meist den negativen dekadischen
10 Kapitel 1 · Ohne Wasser kein Leben

1 . Tab. 1.2 pKS-Werte einiger Säure-Base-Paare mit biochemischer Bedeutung in wässriger Lösung bei 25 °C

Säure Konjugierte Base pKS Säurestärke

HCl Cl– –6 Stark

Hydroniumionen (H3 O +) H 2O –1,7 Stark

Phosphorsäure (H3PO4) Dihydrogenphosphat (H2PO4–) 2,1 Mittelstark

Brenztraubensäure Pyruvat 2,5 Mittelstark

Acetessigsäure Acetacetat 3,58 Schwach

β-Hydroxybuttersäure β-Hydroxybutyrat 3,39 Schwach

Milchsäure Lactat 3,9 Schwach

Essigsäure Acetat 4,75 Schwach



Kohlensäure (CO2 + H2O) Hydrogencarbonat (HCO3 ) 6,35 Schwach
– 2–
Hydrogencarbonat (HCO3 ) Carbonat (CO3 ) 10,2 Sehr schwach
– 2–
Dihydrogenphosphat (H2PO4 ) Hydrogenphosphat (HPO4 ) 7,2 Schwach

Ammoniumionen (NH4+) Ammoniak (NH3) 9,3 Sehr schwach

Hydrogenphosphat (HPO42–) Phosphat (PO43–) 12,3 Kaum noch Säure

Logarithmus von Ks, der als pKs- (englisch pKa-) Wert bezeichnet sentliche Verschiebung des pH-Wertes des Blutplasmas durch
wird. die Puffersysteme des Blutes verhindert.

pKs= –log Ks Schwache Säuren und ihre konjugierten Basen


bilden Puffersysteme und halten den pH-Wert im
Dieser ist ein Maß für die Stärke einer Säure. Je kleiner der pKs- Zellinneren und in Körperflüssigkeiten konstant
Wert, umso stärker die Säure. Unter einem Puffersystem oder kurz Puffer versteht man im ein-
In . Tab. 1.2 sind die pKs-Werte einiger in der Biochemie fachsten Fall Lösungen, die sich aus einer schwachen Säure und
wichtiger Säuren in wässriger Lösung (25 °C) aufgeführt. deren konjugierter Base oder umgekehrt aus einer schwachen
Bei mehrprotonigen Säuren wie Kohlensäure oder Phos- Base und deren konjugierter Säure zusammensetzen. Der pH-
phorsäure gibt es für jede Dissoziationsstufe einen pKs-Wert. Wert einer Pufferlösung ändert sich in einem bestimmten Puf-
Dabei wird stets das erste Proton leichter als das zweite und die- ferbereich auch bei Zugabe größerer Mengen an Säure (Proto-
ses leichter als ein drittes abgegeben. nen) oder Base (Hydroxidionen) kaum.
Um die Wirkung eines Puffersystems zu verstehen, ist in
. Abb. 1.11 der Verlauf der Titration einer schwachen Säure, der
1.5 Puffersysteme Essigsäure (CH3COOH, pKs 4,75) mit einer starken Base,
Natronlauge (NaOH) dargestellt.
Die Protonenkonzentration (pH-Wert) wird innerhalb von Zel- In der Abbildung ist der pH-Wert gegen die zugegebene
len und in den meisten Körperflüssigkeiten konstant gehalten. Menge an NaOH – ausgedrückt als Quotient aus den NaOH- und
Abweichungen vom physiologischen pH-Wert wirken sich z. B. Essigsäure (HAc)-Konzentrationen in mol/l – aufgetragen. Zu
auf die Struktur und katalytische Aktivität von Enzymen beson- Beginn der Titration, die mit einem pH-Messgerät verfolgt wird,
ders nachteilig aus. ist die Essigsäure zu einem sehr geringen Teil in H+ und Ace-
tat‒ (Ac‒) dissoziiert:
Im Stoffwechsel werden Protonen produziert
Protonen entstehen einerseits aus dem bei der Oxidation von Ks = [H+] · [Ac‒] / [HAc] = 1,7 · 10–5 mol/l
Energiesubstraten (Kohlenhydrate, Fette) entstehenden Kohlen-
dioxid (CO2 ca. 20 mol/Tag = 880 g), und andererseits aus den Zugesetzte Hydroxid(OH‒)-Ionen fangen die freien Protonen der
Carbonsäureprotonen. Im ersten Fall wird das hauptsächlich aus Essigsäure unter H2O-Bildung ab. Durch den Protonenentzug
dem Citratzyklus stammende CO2 durch das Enzym Carboan- wird das System
hydrase in H+- und HCO3‒-Ionen umgewandelt. Im zweiten Fall
kommen »Carbonsäureprotonen« aus Milchsäure, Acetessigsäu- CH3COOH H+ + CH3COO‒
re und Hydroxybuttersäure, die in der Glycolyse (7 Kap. 14.1.1)
bzw. Ketogenese (7 Kap. 21.2.2) gebildet werden. Die Protonen aus dem Gleichgewicht gebracht. Um das Gleichgewicht wie-
werden zunächst vom Blut aufgenommen. Dabei wird eine we- derherzustellen dissoziiert die Essigsäure und setzt Protonen
1.5 · Puffersysteme
11 1
Auf das Dissoziationsgleichgewicht lässt sich das Massenwir-
kungsgesetz anwenden

K = [H+] · [A‒] / [HA] ∙ [H2O]

Da die Wasserkonzentration durch die Dissoziation der schwa-


chen Säure praktisch nicht beeinflusst wird, kann diese in die
Gleichgewichtskonstante K einbezogen werden. Für die Säure-
konstante Ks gilt dann

Ks = [H+] · [A‒] / [HA] oder


[H+] = Ks · [HA] / [A‒]

Nach Bildung des negativen dekadischen Logarithmus lassen


sich folgende Gleichungen ableiten

– log [H+] = –log Ks – log [HA] / [A‒] bzw.


pH = pKs – log [HA] / [A‒]
pH = pKs + log [A‒] / [HA]

. Abb. 1.11 Titrationskurve der Essigsäure. (Einzelheiten s. Text).


In allgemeiner Form gilt:
(Adaptiert nach Nelson, Cox 2011)
pH = pKs + log [konjugierte Base/Säure]

in dem Maß frei, wie sie durch OH‒-Ionen der Natronlauge zu Diese Gleichung wurde von Lawrence Henderson und Karl Has-
Wasser verbraucht werden, solange, bis die Essigsäure vollständig selbalch erstmals beschrieben. In ihr sind pH- und pKs-Wert
in Natriumacetat umgewandelt ist, d. h. aus der gesamten Essig- sowie das Konzentrationsverhältnis von konjugierter Base und
säure entsteht quantitativ die konjugierte Base Acetat. Als schwacher Säure miteinander verknüpft.
Äquivalenzpunkt wird der Punkt bezeichnet, an dem es bei wei- Wenn die Konzentrationen von konjugierter Base und
terer Zugabe von NaOH zu einem plötzlichen pH- Anstieg schwacher Säure gleich sind, wird der Quotient 1 und der
kommt. Am Halbäquivalenzpunkt ist die Hälfte der ursprüng- Logarithmus 0. Somit gilt pH = pKs. Dies bedeutet, dass der
lichen Säure in die konjugierte Base umgewandelt worden. Bei pKs-Wert dem pH-Wert entspricht, bei dem die Hälfte der Säu-
einem pH-Wert von 4,75, der dem pKs-Wert von Essigsäure ent- re dissoziiert ist.
spricht, ist das Verhältnis der Konzentrationen von Acetat zu Beim Verdünnen des Essigsäure/Acetat-Puffers bleibt der
Essigsäure gleich 1 und der pH gleich dem pKs. Von großer Be- pH-Wert konstant, da sich das Verhältnis von A– und HA nicht
deutung ist, dass über einen relativ weiten Bereich NaOH der ändert, obwohl die absoluten Konzentrationen von A– und HA
Essigsäure zugesetzt werden kann, ohne dass sich der pH-Wert kleiner werden.
stark ändert (in . Abb. 1.11, hellgrün unterlegt). Dieses Phänomen Ist das Verhältnis von konjugierter Base zu Säure gleich 10:1
wird als Pufferung bezeichnet. Diese Eigenschaft bleibt auch bzw. 100:1, so betragen die pH-Werte
nach Verdünnen von Pufferlösungen erhalten.
pKs + 1 bzw. pKs + 2
Die Henderson-Hasselbalch-Gleichung beschreibt
den Zusammenhang zwischen pH, pKs und dem Die Pufferkapazität gibt an, wie viele H+ bzw. OH– Ionen einem
Konzentrationsverhältnis von konjugierter Base und Liter einer Lösung zugegeben werden können bis deren pH-
schwacher Säure Wert sich um eine Einheit ändert. Die Kapazität eines Puffers ist
Der Verlauf der Titrationskurven aller schwachen Säuren wird bei pH = pK am größten und nimmt nach kleineren und größe-
durch die Henderson-Hasselbalch-Gleichung beschrieben. ren pH-Werten glockenförmig ab. Sie steigt linear mit der Ge-
Diese lässt sich wie folgt ableiten: samtkonzentration des Puffersystems [HA] und [A–] an, d. h. ein
Schwache Säuren wie Essigsäure, Kohlensäure oder Phos- 0,5 mol/l-Puffersystem puffert etwa 5-mal so viele Protonen oder
phorsäure (abgekürzt HA) dissoziieren in Wasser Hydroxidionen ab wie ein 0,1 mol/l Puffersystem.

HA + H2O H3O+ + A‒ Wichtige Puffersysteme im Blutplasma


des menschlichen Organismus sind:
oder vereinfacht 4 das Kohlendioxid/Hydrogencarbonat-System (pK’s = 6,10)*
4 das Dihydrogenphosphat/Hydrogenphosphat-System
HA + H2O H+ + A‒ (pK’s = 6,80)*.
4 die Plasmaproteine
12 Kapitel 1 · Ohne Wasser kein Leben

* In Körperflüssigkeiten weichen die pKs-Werte häufig von de- wirken. Die Erklärung, warum das CO2/HCO3–-System im
1 nen ab, die in verdünnten wässrigen Lösungen gemessen werden Blut dennoch seine Funktion erfüllen kann, ist in der Tatsache
(. Tab. 1.2). Daher die Bezeichnung pKs’. begründet, dass es ein offenes Puffersystem ist. Die CO2- und
HCO3–-Konzentrationen werden unabhängig voneinander in
Das Kohlensäure/Hydrogencarbonat-Puffersystem den Organsystemen Lunge, Niere und Leber reguliert: die CO2-
ist im Extrazellulärraum sehr wichtig Konzentration durch die Atmung über die Lunge, die HCO3–-
Der pH-Wert in Extrazellulärräumen wird im Wesentlichen Konzentration über die Ausscheidung und Reabsorption durch
durch das Kohlendioxid/Hydrogencarbonat-Puffersystem kons- die Nieren (7 Kap. 65.5 und 7 Kap. 27.1.4) sowie über die
tant gehalten (gelegentlich wird für Hydrogencarbonat die Regulation der Harnstoffsynthese in der Leber (7 Kap. 27.1.2).
eigentlich veraltete Bezeichnung Bicarbonat verwendet). Bei einem Abfall des Blut-pH- Wertes, weil z. B. in den Le-
Für dieses Puffersystem müssen die folgenden zwei Gleich- bermitochondrien eine vermehrte Synthese der Ketonkörper
gewichte (s. Gleichungen 3–4) betrachtet werden. Acetessigsäure und Hydroxybuttersäure stattfindet und diese
Das Enzym Carboanhydrase, welches in den meisten Gewe- Ketonkörper ans Blut abgegeben werden, verschiebt sich auf-
ben und in Erythrocyten vorkommt, katalysiert die Hydratation grund des Anstiegs der Wasserstoffionen im Blut das Gleichge-
von Kohlendioxid (CO2) nach der Gleichung wicht von Hydrogencarbonat und CO2 in Richtung Kohlensäure
(Gleichung 5).
CO2 (gelöst) + H2O H+ + HCO3– (3)

Das zweite Gleichgewicht ist das Verhältnis der im Blut/Extrazel- (5)


lulärraum vorhandenen Konzentration an gelöstem CO2 zu gas-
förmigem CO2 in den Lungenalveolen. Die Kohlensäure ist nicht stabil und zerfällt in Wasser und ge-
löstes CO2. Letzteres wiederum steht in den Lungenalveolen im
CO2 (gelöst) CO2 (gasförmig) (4) Gleichgewicht mit gasförmigem CO2, welches abgeatmet wer-
den muss.
Die Anwendung des Massenwirkungsgesetzes auf die Reaktion Bei einer Zunahme des pH-Wertes, d. h. wenn die Wasser-
in Gleichung (3) liefert stoffionenkonzentration abnimmt, kommt es zu einer vermehr-
ten Produktion von Hydrogencarbonat aus Kohlensäure.
K’ = [H+] · [HCO3–] / [CO2(gelöst)] · [H2O]
Pathobiochemie
Da die Wasserkonzentration konstant ist, wird diese in die Es gibt prinzipiell zwei unterschiedliche Störungen des Säure-
Gleichgewichtskonstante einbezogen, es ergibt sich die Säure- Base-Haushalts, die zur Acidose oder Alkalose führen. Sie wer-
konstante Ks den in 7 Kap. 66.1 ausführlich besprochen.
Metabolische Störungen entstehen bei einem Ungleichge-
Ks = K’ · [H2O] = [H+] ∙ [HCO3–] / [CO2(gelöst)] oder wicht zwischen H+-Produktion und Verbrauch, respiratorische
[H+] = Ks · [CO2(gelöst)] / [HCO3–] Störungen entstehen bei abnormaler Lungenfunktion, d. h. bei
verstärkter (Hyperventilation) oder bei verminderter Abat-
Nach Bildung des negativen dekadischen Logarithmus ergibt sich mung des CO2 durch die Lunge (obstruktive Lungenerkran-
kungen, z. B. Asthma, chronic obstructive pulmonary disease,
pH = pKs – log [CO2(gelöst)] / [HCO3–] oder COPD).
pH = pKs + log [HCO3–] / [CO2(gelöst)]
Dihydrogenphosphat/Hydrogenphosphat-System
Der pKs-Wert für das Kohlensäure / Hydrogencarbonat- Puffer- Die mehrprotonige Phosphorsäure, H3PO4, kann in drei Stufen
system beträgt bei 25 °C im wässrigen Milieu 6,4. Aufgrund der deprotoniert werden und besitzt drei Dissoziationskonstanten
Temperaturabhängigkeit der pKs-Werte beträgt der pKs-Wert im und pKs-Werte:
Blut bei 37 °C 6,1.
Bei einem physiologischen Blut-pH-Wert von 7,4 gilt

7,4 = 6,1 + log [HCO3–]/[CO2(gelöst)] oder


7,4 – 6,1 = 1,3 = log [HCO3–]/[CO2(gelöst)] Da der pH-Wert des Blutes 7,4 beträgt, ist das H2PO4–/HPO42–
-Puffersystem mit einem pKs-Wert von 7,2 besonders geeignet.
d. h. der Logarithmus des Quotienten [HCO3–]/[CO2(gelöst)] Aufgrund seiner geringen Konzentration (1 mmolar) und
muss 1,3 sein. damit geringen Pufferkapazität im Blutplasma spielt dieses
Dies ist der Fall bei einem [HCO3–]/[CO2(gelöst)]-Verhältnis Säure-Base-Paar dort allerdings eine eher untergeordnete Rolle
von 20:1 (Logarithmus von 20 ergibt 1,3). bei der Abpufferung von Protonen.
Es ist nicht zu verstehen, dass der CO2/HCO3–-Puffer mit
einem pKs-Wert von 6,1 den Blut-pH von 7,4 konstant halten
kann, da optimale Puffersysteme am besten im pKs ±1-Bereich
1.5 · Puffersysteme
13 1
Plasmaproteine
Die Plasmaproteine und insbesondere das Hämoglobin der Ery- 7 Die Literaturliste finden Sie unter springer.com
throcyten tragen ebenfalls zur Konstanthaltung des Blut-pH’s
bei. Während die sauren Seitengruppen von Glutamat und As-
partat (pK ~ 4) und die basischen Reste von Lysin und Arginin
(pK ~ 10,5) kaum zur Pufferung beitragen, sind der Imidazol-
ring des Histidins (pK ~ 6) und die SH-Gruppe von Cystein
(pK ~ 8) wesentlich für die Pufferung durch Proteine verant-
wortlich.

Puffersysteme im Urin des menschlichen


Organismus sind:
4 das Dihydrogenphosphat/ Hydrogenphosphat-System
(pK’s = 6,80)* (S. 9, rechte Spalte) und
4 das Ammonium/Ammoniak-System (pK’s = 9,30)

Dagegen ist das im Urin reichlich vorhandene Ausscheidungs-


produkt Harnstoff als neutrales Säureamid der Kohlensäure
NH2-CO-NH2 nicht sauer oder basisch und unter physiologi-
schen Bedingungen ohne Einfluss auf den pH-Wert des Urins.

Zusammenfassung
Mit 60 % unseres Körpergewichtes stellt Wasser die Haupt-
komponente des Organismus dar.
Das Wassermolekül ist ein Dipol, der mit sich selbst aber
auch mit anderen polaren Molekülen Wasserstoffbrücken-
bindungen ausbilden kann.
Hydrophile Substanzen, wie polare organische Biomoleküle
und anorganische Salze, lösen sich leicht in Wasser.
Hydrophobe Moleküle oder Molekülgruppen werden von
Wasser in eine spontane Aggregation/Assoziation
gezwungen (Entropieeffekt).
Wassermoleküle wandern durch Osmose von Orten hoher
zu Orten niedriger Wasserkonzentration. Der osmotische
Druck einer Lösung ist der Druck, der aufgewendet werden
muss, um das Einfließen von Wasser zu verhindern.
Wassermoleküle zeigen eine sehr schwache, aber wichtige
Tendenz in Protonen und Hydroxidionen zu dissoziieren. Die
Konzentration an Protonen in einer Lösung wird durch den
pH-Wert beschrieben. Dieser ist als negativer dekadischer
Logarithmus der normierten Wasserstoffionenkonzentration
[H+] definiert.
Säuren sind Protonendonoren, Basen Protonenakzeptoren.
Verbindungen, die sowohl als Säuren wie auch als Basen
fungieren (z. B. Wasser), nennt man Ampholyte. Die Stärke
einer Säure wird durch ihre Dissoziationskonstante Ks bzw.
den pKs-Wert bestimmt. Der negative dekadische Logarith-
mus von Ks wird als pKs bezeichnet.
Ein Puffersystem ist ein Gemisch einer schwachen Säure und
deren konjugierter Base. Es hält den pH- Wert einer Lösung
bei Zugabe von Säure oder Base innerhalb einer pH-Einheit
um den pK der Komponenten konstant. Die Henderson-
Hasselbalch-Gleichung beschreibt den Zusammenhang
zwischen pH, pKs und dem Konzentrationsverhältnis von
konjugierter Base und korrespondierender Säure.
2 Vom Molekül zum Organismus
2
Hartmut Follmann †

Einleitung reich und meist räumlich gerichtet. Gegenüber verdünnten


wässrigen Lösungen (ohne intermolekulare Wechselwir-
»Ohne Wasser kein Leben!« stellt das erste Kapitel dieses Buches fest. Mit kungen) verändern zwischenmolekulare Kräfte innerhalb
gutem Grund: Das Vorkommen von Wasser auf der Erde in allen drei von Zellen die lokale Konzentration von Substraten und
Aggregatzuständen – Eis, flüssig, gasförmig – erlaubt die Existenz sehr oft auch deren Reaktivität.
vieler verschiedener, an große Kälte, gemäßigte Temperaturen oder 4 Die meisten Reaktionen innerhalb einer Zelle werden durch
Hitze angepasster Lebensformen und ist für sie als Lösungsmittel und Enzymkatalyse stark beschleunigt und für bestimmte Re-
Reaktionspartner unentbehrlich. »Aber auch kein Leben ohne tausende aktionen und Substrate spezifisch gestaltet.
organischer und anorganischer Stoffe!« fügen dieses und folgende 4 Durch hydrophobe Membranen, die die Zelle in Komparti-
Kapitel hinzu. Zum Verständnis physiologischer wie pathologischer mente (Reaktionsräume, Zellorganellen) unterteilen, wer-
Zustände soll deutlich werden, warum beides einander bedingt und wie den Konzentrationsgradienten und Ungleichgewichte auf-
es zur Existenz lebender Zellen kommen konnte, die einen Baustein- und recht erhalten, die fern vom thermodynamischen Gleichge-
Energiestoffwechsel unterhalten, replikationsfähig sind und mit ihrer wicht sind.
Umwelt kommunizieren. 4 Regulatorisch wirksame Substanzen (Hormone, Inhibito-
ren, second messenger u.a.m.) können für Anpassung des
Schwerpunkte Zellstoffwechsels an die wechselnden, oft durch die Umwelt
diktierten Bedürfnisse eines Organismus sorgen.
4 Die chemischen Elemente: Häufigkeit und Funktionen in
4 Durch die makromolekulare Struktur und Funktion von
lebenden Organismen
Nucleinsäuren und Proteinen mit ihren spezifischen Was-
4 Stoffklassen und Reaktionsweisen chemischer Zellinhalt-
serstoffbrückenbindungen existiert zwischen ihnen und ggf.
stoffe
zwischen ganzen Zellen ein Austausch und Fluss von Infor-
4 Stereoisomerie und Strukturvielfalt in Biomolekülen
mation.
4 Entstehung des Lebens aus einfachen organischen
Molekülen
Lebensvorgänge wie Stoffwechsel, Zellteilung oder Sinneswahr-
4 Der universelle Stammbaum aller lebenden Organismen
nehmungen lebender Organismen versteht man neben Kenntnis
ihrer chemischen Zusammensetzung nur unter Berücksichti-
gung derartiger Wechselwirkungen zwischen ihren organischen
Eine wichtige Feststellung zu Beginn: Eine spezielle Chemie »des und anorganischen Molekülen. Zumeist sind daran wegen ihrer
Lebens« oder gar »des Menschen« gibt es streng genommen Dipolstruktur (7 Kap.1, 7 Abb.1.1) auch Wassermoleküle betei-
nicht. Überall und immer führen chemische, physikalisch-che- ligt. Die lebensprägende Bedeutung von Wasser für aquatische
mische und somit auch biochemische Vorgänge unter bestimm- Einzeller wie für große Landbewohner vom Säugetier bis zum
ten Bedingungen nach denselben Gesetzen zu vergleichbaren Mammutbaum wird daran noch einmal deutlich. Sogar in der
Zuständen und Produkten. Dass sich Vorgänge im Milieu leben- Raumforschung gilt der (noch nirgends gelungene) spektrosko-
der Zellen oder ganzer Organe (in vivo) von denen rein chemisch pische Nachweis von Wasser als bester denkbarer Hinweis für
definierter Systeme (»im Reagenzglas«, in vitro) oftmals dras- mögliches Leben auf »Exoplaneten« ferner Sterne!
tisch zu unterscheiden scheinen, liegt an der sehr unterschiedli-
chen Komplexität der jeweils herrschenden Bedingungen:
4 Zellen und Zellorganellen enthalten in ihrem kleinen Volu- 2.1 Die chemischen Elemente
men und wasserarmem Milieu ansehnliche Konzentratio- lebender Organismen
nen organischer Stoffe, deren Strukturen meist sog. schwa-
che Wechselwirkungen in und zwischen den Molekülen Im menschlichen Körper kommen 22 verschiedene
ermöglichen. Elemente vor, darunter viele nur als Spurenelemen-
4 Solche spontan existierenden, energetisch günstigen Wech- te für katalytische Funktionen. Die Biochemie
selwirkungen können ionisch sein (polar, –X+ –Y–), dipol- von Zellen ist durch viele sog. schwache
artig wie z. B. die H-Brücken im Wasser (7 Kap. 1), in Pro- Wechselwirkungen der Moleküle untereinander
teinen und Nucleinsäuren (–H ··· O=, 7 Kap. 5 und 10), oder und mit Wasser gekennzeichnet
von hydrophober Natur (wie in Lipiden, 7 Kap. 3.2). Sie Chemische Elemente sind die Grundlage unserer stofflichen
sind einzeln von geringem Energiebetrag, aber sehr zahl- Existenz. Von den auf der Erde natürlich vorkommenden 92 Ele-

P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
2.1 · Die chemischen Elemente lebender Organismen
15 2

. Abb. 2.1 Periodensystem der Elemente. Die Edelgase (rechte Spalte, von Helium bis Radon) und die der Vollständigkeit halber unten aufgeführten
Lanthaniden (»seltene Erden«, Elemente 58–71) sowie die radioaktiven Actiniden (Elemente 90–103, nach Uran alle künstlich hergestellt) haben – abgese-
hen von möglichen Strahlenschäden – medizinisch keine Bedeutung.
Für den Menschen wichtige Elemente sind farbcodiert: ■ Essentiell für Körperbau und Stoffwechsel; möglicherweise essentiell aber molekulare
Funktion im Detail unbekannt; ■ Verbindungen sind giftig; ■ Verbindungen werden pharmakologisch oder in der Medizintechnik genutzt

menten zwischen Wasserstoff und Uran sind die völlig inerten diagnostik und unlösliches Bariumsulfat als Röntgenkontrast-
Edelgase, die »seltenen Erden« sowie nur in vollkommen unlös- mittel, Lithium in der Psychopharmatherapie, Goldpräparate
lichen Verbindungen vorkommende Schwermetalle von vornhe- gegen Arthritis, Titan- und Platinverbindungen (Budotitan, Cis-
rein ungeeignet für Zellen und zelluläre Funktionen, die ja auf platin) in der Krebsbehandlung. Weitere anorganische Stoffe und
Existenz in und Stoffaustausch mit einem wässrigem Milieu be- kurzlebige Isotope sind in experimenteller Prüfung als Radio-
ruhen. Die für den Menschen nach heutigem Wissensstand pharmaka.
essentiellen 23 Mengenelemente und Spurenelemente (blau) Lebende Zellen setzen sich aus vielfältigen und zahlreichen
sind in . Tab. 2.1 aufgeführt und im Periodensystem der Elemen- Verbindungen der (bio)organischen und (bio)anorganischen
te (. Abb. 2.1) dargestellt. Sechs weitere Elemente – Arsen, Bor, Chemie zusammen. Leben wie wir es kennen, vom Einzeller bis
Brom, Silicium, Vanadium und Zinn – die im menschlichen Kör- zum Menschen, ist auf unserer Erde entstanden (7 Kap. 2.3), und
per nachgewiesen wurden, sind dort ebenfalls markiert. Ob sie hängt in seiner Existenz seitdem und weiterhin von der herr-
eine essentielle Funktion erfüllen ist unklar, denn allein der ana- schenden chemischen und physikalischen Umgebung ab. Es ist
lytische Nachweis eines Elements im Körper und in unserer Nah- aufschlussreich und auch von praktischer Bedeutung, das Vor-
rung beweist noch keine physiologische Funktion. Silicium, das kommen und die Häufigkeit der Elemente im Menschen – reprä-
zweithäufigste Element der Erdkruste, ist z. B. als Kieselsäure in sentativ für höhere landlebende Wirbeltiere – zu betrachten und
Pflanzen weit verbreitet und wird von uns zwangsläufig aufge- mit dem Anteil derselben Elemente an der »anorganischen« Welt
nommen. Eine nützliche Funktion von Arsen ist schwer mit der der Erdkruste zu vergleichen (. Tab. 2.1). Dabei wird klar, dass
Tatsache zu vereinen, dass es auch ein Stoffwechselgift darstellt. irdisches Leben vielfach in krassem Ungleichgewicht mit der
Experimente an Versuchstieren unter Mangelbedingungen bzw. Chemie unseres Planeten steht, wie insbesondere im Fall von
mit dosierter Zufuhr einzelner Elemente sind auf Menschen Kohlenstoff und Stickstoff. Vorhandensein bzw. Mangel mancher
ohnehin nicht übertragbar. mineralischer Elemente im menschlichen Körper sind von Be-
In . Abb. 2.1 sind auch einige für uns toxische Elemente (lila) deutung, wo ihr Einbau als »aktive Zentren« in Proteine (vor al-
aufgeführt, und schließlich solche, die in der Humanmedizin lem Enzyme) oder in Coenzym-Moleküle Lebensfunktionen
technisch und pharmakologisch verwendet werden (grün). Bei- überhaupt erst ermöglicht oder zumindest die Spezifität und
spiele sind ein kurzlebiges Technetium-Isotop in der Radio- Aktivität von Stoffwechselprozessen stark erhöht; das gilt bei-

Hauptgruppenelemente Nebengruppenelemente Übergangselemente Lanthaniden seltene Erden Actiniden


16 Kapitel 2 · Vom Molekül zum Organismus

. Tab. 2.1 Häufigkeit und wichtige Funktionen der chemischen Elemente in einem menschlichen Körper von 70 kg bzw. der entsprechenden
25 kg Trockenmasse

2 Element Masse pro Massenanteil an Vorkommen, Funktionen im Körper (Auswahl) Massenanteil


Körpermasse (g) Trockenmasse (g) der Erdkruste (%)

Mengenelementea

Sauerstoff (O) 43.000 14.000 Wasser; alle organischen Stoffe 49

Kohlenstoff (C) 16.000 6.000 Alle organischen Stoffe 0,09

Wasserstoff (H) 7.000 2.500 Wasser; organische Stoffe 0,9

Stickstoff (N) 1.800 650 Proteine, Nucleotide, Nucleinsäuren 0,03

Calcium (Ca) 1.200 430 Hydroxylapatit (Knochen, Zähne) 3,4

Phosphor (P) 800 300 Hydroxylapatit, Nucleinsäuren, Coenzyme 0,1

Schwefel (S) 140 50 Thiole und Disulfide in Proteinen, Coenzyme 0,05

Kalium (K) 125 45 Elektrolyt 2,4

Natrium (Na) 100 36 Elektrolyt in Körperflüssigkeiten 2,6

Chlor (Cl) 95 34 Elektrolyt in Körperflüssigkeiten 0,2

Magnesium (Mg) 25 9 Phosphatstoffwechsel, Nucleinsäurefunktionen 1,9

Fluor (F) 5 2 Fluorapatit (Knochen, Zähne) 0,028

Eisenc (Fe) 4 1,5 Sauerstofftransport, Atmung, Redoxzentren in Proteinen, 4,7


Eisentransport und -Speicherung

Spurenelementeb

Zink (Zn) 2,3 Katalytisch und strukturell in Proteinen 0,012

Silicium (Si) 1,0 Funktion ungewiss 25,7

Kupfer (Cu) 0,07 Katalytisch in Enzymen 0,01

Iod (I) 0,015 In Schilddrüsenhormonen 10-5

Selen (Se) 0,014 Reaktive Zentren von Enzymen 0,008

Mangan (Mn) 0,012 Katalytisch in Enzymen 0,1

Nickeld (Ni) 0,01 Indirekt 0,019

Molybdän (Mo) 0,005 Katalytisch in Enzymen 0,007

Chrom (Cr) 0,002 Glucose-Insulin-Wechselbeziehungen 0,019

Kobalt (Co) 0,002 Reaktives Zentrum in Vitamin B12 0,004


a Elemente, die mehr als 50 mg/kg Trockenmasse ausmachen.
b Elemente, die weniger als 50 mg/kg Trockenmasse ausmachen (7 s. auch 7 Kap. 60).
c >50 mg/kg „Häm-Eisen“ und „Nicht-Häm-Eisen“; Eisen wird aber funktionell oft als Spurenelement betrachtet.
d Kein menschliches Zielprotein bekannt aber wahrscheinlich essentiell für bestimmte Darmbakterien.
2.2 · Charakteristische Eigenschaften organischer Biomoleküle
17 2
spielsweise für die Sauerstoffbindung am Eisen der Hämoglo-
bine oder für Zink in Verdauungsenzymen und in Insulin.
Derartige Funktionen hängen kritisch von der Verfügbarkeit und
der Aufnahme des jeweiligen Metalls aus der Nahrung zusam-
men, wie in einem späteren Kapitel im Detail besprochen wird
(7 Kap. 60).

2.2 Charakteristische Eigenschaften


organischer Biomoleküle

Biomoleküle befolgen allgemeingültige Reaktions-


weisen der organischen Chemie. Sie tragen polare
Substituenten, die Wasserlöslichkeit und ionische
Wechselwirkungen erlauben, oder sie enthalten in
Lipiden unpolare Kohlenwasserstoffreste für die
Bildung von Membranen, oder beides
Alle Lebensvorgänge in einzelnen Zellen und im gesamten Kör-
per – Synthese neuer Zellmasse, Energieproduktion, Informa-
tionsfluss u.a.m. – beruhen auf chemischen Umsetzungen zwi-
schen den jeweils vorhandenen Inhaltsstoffen. »Organisch«
nannte man ursprünglich die in Organen und einem Organis-
mus gebildeten und umgesetzten Substanzen. Ein grundsätzli-
cher Unterschied zwischen physiologisch vorkommenden und . Abb. 2.2 Strukturen und Bezeichnung in Biomolekülen vorhandener
chemisch-synthetisch hergestellten organischen Stoffen besteht funktioneller Gruppen. An den Bindungen links und ggf. rechts der
funktionellen Gruppen stehen i.a. Alkyl- (–C–C–) oder Aryl- (C6H5 –) Reste
allerdings nicht: Diese lange gehegte »vitalistische« Auffassung
(s. auch . Abb. 2.3)
wurde am Beispiel des Harnstoffs (NH2–CO–NH2) schon 1828
von dem deutschen Chemiker Friedrich Wöhler widerlegt.
Angesichts der Vielfalt von Stoffwechselprozessen ist es nö- Organische Chemie ist die Chemie des Kohlenstoffs in den
tig, die Grundstrukturen der häufigsten organischen sowie bio- Verbindungen mit sich selbst und mit anderen Elementen. Sie
anorganischen Stoffe vor Augen zu haben und die Art der zwi- umfasst alle Bausteine für Lebewesen und die von ihnen gebilde-
schen ihnen ablaufenden Reaktionen zu kennen und zu differen- ten »Naturstoffe« ebenso wie die riesige Zahl synthetischer Pro-
zieren. Die folgende Nennung wichtiger Stoffklassen und Reak- dukte, die unser tägliches Leben, Technik, Umwelt und die Me-
tionsweisen soll als Grundlage für deren detaillierte Beschreibung dizin bestimmen. Biologische Prozesse beruhen auf organisch-
in folgenden Kapiteln (7 Kap. 3, 5, 7, 10, 11) dienen. Insbesondere chemischen Reaktionen.
sollte man folgende spezifische Reaktionsmöglichkeiten zur Woher rührt die Sonderstellung des Elements Kohlenstoff?
Kenntnis nehmen: Entsprechend seiner Stellung in der Mitte des Periodensystems
4 Bildung oligomerer und polymerer Kohlenhydate, Pro- (. Abb. 2.1: Hauptgruppe IV, Ordnungszahl 6) besitzt er eine
teine, Nucleinsäuren durch Kondensation von monomeren nicht-abgeschlossene Elektronenkonfiguration mit vier Außen-
Zuckern, Aminosäuren, Nucleotiden, oder Valenzelektronen, die zu vier sog. sp3-Orbitalen »hybridisie-
4 die Oxidation bzw. Reduktion organischer Verbindungen ren«. Sie erlauben die Ausbildung von vier covalenten Bindungen
(durch Sauerstoff bzw. wasserstoffliefernde Coenzyme), ggf. hoher Stabilität zu anderen C-Atomen, zu Wasserstoff ( Koh-
in »Elektronentransportketten«, lenwasserstoffe, »Alkane«) oder »Heteroatomen« wie Sauerstoff
4 die Fähigkeit bestimmter Moleküle als Energielieferant für ( Alkohole und Ether), Stickstoff ( Amine) oder Schwefel
Reaktionen zu dienen, vor allem die Phosphorsäurereste im ( Thiole). Für derartige Kohlenstoffe und Elementkombinatio-
Adenosintriphosphat ATP, nen ist – im ungestörten Idealfall – eine Tetraeder-Geometrie mit
4 die Bildung spezifischer, reaktiver Metallkomplexe Bindungswinkeln von jeweils 109° typisch (. Abb. 2.3).
zwischen organischen Verbindungen und Spurenelementen Mehrere Atome können zu langen Ketten verknüpft sein (mit
4 und »hydrophobe Wechselwirkungen« zwischen Lipiden »freier Drehbarkeit« um die Einfachbindungen), spannungsfreie
oder aromatischen Molekülteilen in wässrigem Milieu als Fünf- oder Sechsringe bilden, oder auch in Vier- oder Dreiringen
Ursache der Bildung von Membranen. mit Bindungswinkeln von 90° bzw. 60° angeordnet sein. Im letz-
teren Fall besitzen die Moleküle eine Ringspannung und erhöhte
Zum besseren Verständnis für die komplexe Materie der Bioche- Reaktivität; in Biomolekülen kann dies funktionell bedeutsam
mie und Molekularbiologie werden hier einige Eigenschaften sein wie z.B. im Antibiotikum Penicillin (. Abb. 2.6a).
und Reaktionsweisen, die auch Gegenstand der folgenden Kapi- Organische Moleküle können Doppelbindungen oder Drei-
tel des Buches sind, exemplarisch erläutert. Die nächsten Seiten fachbindungen enthalten (>C=C<: Alkene; –C C–: Alkine). Um
ersetzen aber kein Lehrbuch der Chemie! derartige Mehrfachbindungen ist im Grundzustand keine freie
18 Kapitel 2 · Vom Molekül zum Organismus

Drehbarkeit möglich, wohl aber in chemisch oder durch Strah- Kohlenwasserstoffe und Fette sind bekanntlich wasserab-
lung angeregten Zuständen (z. B. Rhodopsin, 7 Kap. 58.2). weisend (hydrophob). Amphiphile Stoffe, die zugleich lipophile
und hydrophile Strukturen enthalten wie z. B. Phospholipide
2 (7 Kap. 3.2.6) ordnen sich in Wasser spontan zu Lipiddoppel-
2.2.1 Funktionelle Gruppen schichten, die wässrige Innenräume umschließen; dabei werden
umgekehrt viele zuvor geordnete Wasserdipole nun ungeordnet,
Die spezifischen Funktionen von Biomolekülen werden über- so dass die Entropie (Unordnung) des Gesamtsystems zunimmt.
wiegend von den an ihren Kohlenstoffketten haftenden »funk- Bildung und Existenz von Membranen und Vesikeln beruhen auf
tionellen Gruppen« bestimmt. . Abb. 2.2 zeigt und benennt die diesem rein physikalisch-chemischen Zusammenhang.
wichtigsten solcher Substituenten und Teilstrukturen.
Alkohole, Aldehyde, Zucker
Alkohole tragen Hydroxylgruppen am Ende bzw. im Inneren
2.2.2 Stoffklassen einer Kohlenstoffkette (primäre bzw. sekundäre oder tertiäre
Alkohole). Durch ihre OH-Gruppen sind sie häufig wasser-
In der folgenden Übersicht und in . Abb. 2.3 sind wichtige Subs- mischbar. Die Substanzen mittlerer Oxidationsstufe zwischen
tanzklassen und deren Strukturen, Eigenschaften und Reak- Alkohol und Carbonsäure heißen Aldehyde (von Alcohol dehy-
tionsweisen innerhalb der Organischen Chemie und Biochemie drogenatus):
zusammengestellt.
–CH2OH –CH=O –COOH
Kohlenwasserstoffe, Alkohole,
Carbonsäuren, Ester, Fette Sie sind reaktive Verbindungen, die wieder zu Alkoholen redu-
Kohlenwasserstoffketten biologischen Ursprungs finden sich – je ziert und leicht (z. B. aerob durch Sauerstoff) zur Säure oxidiert
nach Biosyntheseweg – in unverzweigten Fettsäuren mit bis zu werden können.
30 C-Atomen Länge und der endständigen funktionellen Grup- Zucker (»Kohlenhydrate«, sog. wegen ihrer formalen Zusam-
pe –COOH, oder es sind Terpene mit verzweigten Ketten oder mensetzung [C(H2O)]n) sind Polyalkohole. In natürlich vorkom-
Ringen aus dem C5-Kohlenwasserstoff Isopren. Sie können »ge- menden Hexosen wie Glucose und Fructose, Galaktose oder
sättigt« sein (mit Wasserstoff, ohne Doppelbindungen) oder Mannose (der Zusammensetzung C6H12O6 , n = 6) tragen je fünf
mehr oder weniger stark »ungesättigt« mit Doppelbindungen im der sechs Kohlenstoffatome eine Hydroxylgruppe; sie sind mit
Molekül. Doppelbindungen liegen einzeln (isoliert) in einer C- dieser hydrophilen Struktur sehr leicht wasserlöslich. Am ersten,
Kette vor, oder in mehr oder weniger langen sog. konjugierten endständigen C-Atom der C6 -Kette haben »Aldohexosen« be-
Systemen (–C=C–C=C–C=C–C=). Verbindungen der letzteren dingt durch Details der Biosynthese (z. B. Gluconeogenese in der
Art sind farbig: Sie absorbieren sichtbares Licht weil Lichtquan- Leber; 7 Kap.14.3) eine Aldehydfunktion. Dadurch sind sie »re-
ten passender Energie nicht einzelne Doppelbindungen anre- duzierende Zucker«. Auf ihrer spezifischen Reaktion mit Oxida-
gen, sondern das konjugierte π-Elektronensystem als Ganzes. tionsmitteln beruhen diverse Farbreaktionen zur quantitativen
Physiologisch bedeutsame Verbindungen mit dieser Eigenschaft Glucose-Bestimmung. Durch Kondensation aktivierter mono-
sind z.B. das rote Carotin (Provitamin A) der Nahrung und dar- merer Zucker (s. u.) entstehen Polysaccharide wie Glycogen.
aus entstehendes gelb-orange Retinal (Vitamin A) beim Sehvor-
gang (7 Kap. 58.2). Amine, Aminosäuren, Peptide
Kohlenwasserstoffe sind häufig mit Hydroxylgruppen (–OH) Amine tragen Aminogruppen –NH2 an einem Kohlenstoffgerüst
oder Carboxylgruppen (–COOH) substituiert und dadurch zu und sind dadurch basisch (Protonenakzeptoren). Substitution
Alkoholen bzw. Carbonsäuren (»Fettsäuren«) funktionalisiert. am gleichen endständigen Kohlenstoff (α) mit einer Carboxyl-
Die Reaktion einer Carboxylgruppe mit einem Alkohol unter gruppe führt zur Substanzklasse α-Aminocarbonsäuren mit der
Wasserabspaltung ergibt einen Ester: Struktur NH2 –CHR–COOH (R = weitere Substituenten, s. u.),
den monomeren, »proteinogenen« Bausteinen von Peptiden und
–COOH + HO–R –COOR + H2O Proteinen. Sie sind durch die gleichzeitige Anwesenheit einer
sauren und einer basischen Funktion im Molekül amphoter und
Dieser kann umgekehrt leicht wieder zu den Ausgangskompo- liegen in wässriger Lösung bei physiologischem pH als Zwitter-
nenten hydrolysiert (»verseift«) werden. In der Natur finden sich ionen +NH3–CHR–COO– vor (7 Kap. 1 und 3.3). Mit Ausnahme
Ester in Fetten, Wachsen, flüchtigen Duft- und Aromastoffen von Glycin (R = H) sind die natürlichen α-Aminosäuren chiral
und vielen anderen Stoffklassen. und optisch aktiv (L-Aminosäuren, . Abb. 2.4).
Fette tierischer und pflanzlicher Herkunft enthalten drei Mo- Aminosäuren haben zahlreiche Stoffwechselfunktionen
leküle Fettsäure mit bis zu 20 C-Atomen Kettenlänge, die durch (7 Kap. 26), darunter z. B. die Bildung von biogenen Aminen
Esterbindungen mit dem dreiwertigen Alkohol Glycerin C3H5 durch Decarboxylierung (CO2-Abspaltung) oder Transaminie-
(OH)3 verknüpft sind (»Triglyceride«). Sie sind durch ihren ho- rungen mit Ketosäuren (Austausch zwischen Carbonyl- und
hen Wasserstoffgehalt energiereich. Unter β-Oxidation wird der Aminofunktionen):
Energieinhalt von Fettsäuren für den Stoffwechsel physiologisch
genutzt (7 Kap. 21.2.1). >C=O >CH–NH2
2.2 · Charakteristische Eigenschaften organischer Biomoleküle
19 2

. Abb. 2.3 Aromatische, heterocyclische und andere chemische Strukturen in biochemisch wichtigen Stoffklassen. Substituenten der Molekülgerüste
sind nicht vollzählig gezeigt. Herkunft und Funktion der Substanzen werden in anderen Kapiteln des Buches beschrieben

Vor allem dienen die 20 proteinogenen L-Aminosäuren (7 Kap. ren mit der Nahrung aufgenommen werden. Eine Reihe anderer
3.3) als Substrate für die ribosomale Proteinbiosynthese (7 Kap. heterocyclischer Verbindungen, teils von spezieller Struktur,
48). kommen in Vitaminen und Coenzymen vor (. Abb. 2.3).
Peptidbindungen zwischen der Carboxylgruppe einer und Mit OH-Gruppen substituierte Aromaten – wie in der Amino-
der Aminogruppe einer zweiten Aminosäure (formal unter Was- säure Tyrosin – heißen Phenole. Im Gegensatz zu einfachen Alko-
serabspaltung entstanden) sind resonanzstabilisiert und daher holen sind phenolische OH-Gruppen schwache Säuren weil bei
recht hydrolysestabil: ihrer Deprotonierung das zusätzliche Elektronenpaar des Pheno-
lat-Anions (C6H5-O–) in energetisch günstiger Konjugation mit
dem mesomeren π-Elektronensystem des Aromaten steht.

Zu ihrer enzymatischen Spaltung – etwa zur Inaktivierung oder Nucleotide, energiereiche Verbindungen
Verdauung – existieren eine große Zahl spezifischer Peptidasen Fünf verschiedene Nucleotide mit den Zuckern Ribose bzw.
und Proteasen (7 Kap. 50 und 61.3.2). 2-Desoxyribose sind Bausteine der Nucleinsäuren RNA bzw.
DNA; sie tragen die heterocyclischen Purinbasen Adenin und
Aromatische und heteroaromatische Guanin sowie die Pyrimidine Cytosin und Uracil bzw. Thymin
Verbindungen, Phenole (7 Kap. 3.4). Mit einer Triphosphatstruktur am Molekül-5’-Ende
Mit »aromatischem Charakter« bezeichnet man Benzol (C6H6) fungieren die Nucleotide – unter Abspaltung von Diphosphat –
und andere Ring-Verbindungen, in denen sechs π-Elektronen als Substrate von RNA- bzw. DNA-Polymerasen. Eines der Nuc-
völlig delokalisiert sind (und nicht in drei unterscheidbaren leotide, Adenosin-5’-Triphosphat ATP (. Abb. 2.3) dient außer-
Doppelbindungen). Die aromatischen Substituenten der Amino- dem im gesamten Stoffwechsel als universelle »energiereiche
säuren Phenylalanin, Tyrosin und Tryptophan sowie Nucleotide Verbindung«. Energiereich nennt man ATP mit seinen endstän-
mit den »heteroaromatischen« (Stickstoffatome enthaltenden) digen Phosphorsäureanhydridbindungen, sowie Substrate mit
Pyrimidin- und Purinbasen sind aufgrund derartiger Mesomerie anderen Strukturen (7 Kap. 2.2.3), bei deren Übertragung auf
sehr stabile Substanzen. Sie sind ebenso wie Lipide hydrophob, Wasser (Hydrolyse) oder andere Akzeptoren Energie frei wird
und zusätzlich zu einer energetisch günstigen Übereinandersta- bzw. für andere Reaktionen verfügbar ist.
pelung (»stacking«) der planaren aromatischen Ringe befähigt, die
auch die DNA-Doppelhelix stabilisiert. Manche aromatische Mo-
leküle wie Phenylalanin und Tryptophan können vom Menschen
nicht synthetisiert werden und müssen als essentielle Aminosäu-

Kohlenstoff# Alkan-Kette# gesättigte# Alkene# trans-Doppelbindung# cis-Doppelbindung# Cyclohexan# Inosit# Pyranose-Zucker# β-D-Glucose# Benzol# Phenol#
Pyridin# Nicotinsäure# Pyrimidin# Pteridin# Purin# Pyrrol# Imidazol# Thiazol# Chinon# Naphthochinon#
20 Kapitel 2 · Vom Molekül zum Organismus

2.2.3 Reaktionsweisen Aldolspaltung bzw. -addition nennt man Reaktionen, in denen


Zucker wie z. B. Fructose-1,6-bisphosphat reversibel gespalten
Zwischen organischen Molekülen einer Zelle bzw. gebildet werden; der Begriff »Aldol« stammt von den Alde-
2 erfolgen Kondensationsreaktionen zum Aufbau hyd-alkohol-Strukturen in Substraten bzw. Produkten. Beson-
Kohlenstoff- und Stickstoff-haltiger Ketten- und ders bekannt ist die Reaktion unter Katalyse durch Fructosebis-
Ringmoleküle sowie Redoxreaktionen (Elektronen- phosphat-Aldolase bei der Umwandlung zwischen C6- und C3-
übertragungen), in denen Energie für den Zellstoff- Zuckern (P = Phosphat):
wechsel gewonnen wird. Moleküle mit Stickstoff-,
Sauerstoff- und Schwefel-Substituenten sind
Komplexliganden in reaktiven Metallzentren der
Bioanorganischen Chemie
Die meisten biochemischen Umsetzungen befolgen aus der orga-
nischen Chemie bekannte einfache Reaktionsweisen, insbeson-
dere beim Aufbau größerer Moleküle aus kleineren Substraten
(Biosynthesen, Bildung von Oligomeren und Polymeren) und in
»Redox«reaktionen, die reduzierende und oxidierende Molekü-
le miteinander kombinieren und den Energiestoffwechsel domi-
nieren. Sie werden in der Zelle durch eine Vielzahl mehr oder
weniger spezifischer Enzyme katalytisch beschleunigt. Viele Kondensationsreaktionen
Stoffwechselreaktionen sind grundsätzlich reversibel. Die in vivo Zahlreiche biologische Substanzen sind aus kleinen Bausteinen
vorherrschende Richtung einer reversiblen Reaktion wird nach entstandene oligo- und polymere Makromoleküle: Fette und
dem Massenwirkungsgesetz durch die aktuellen Stoffkonzentra- Isopren-Lipide, Polysaccharide, Polypeptide (Proteine) und Po-
tionen bestimmt. Unabhängig davon kann eine hormonelle Steu- lynucleotide (Nucleinsäuren). Da in Zellen die technische Art
erung anaboler und kataboler Prozesse den Umsatz von Stoffen der Abspaltung von Wasserstoff, Wasser oder anderen kleinen
bestimmen. Molekülen durch Hitze, starke Säuren oder Metallkatalysatoren
Einige typische Reaktionsmechanismen sind am Beispiel be- nicht möglich ist, werden monomere Substrate auf Kosten des
kannter Substrate und Produkte des Zellstoffwechsels dargestellt. Energie-Stoffwechsels zunächst chemisch aktiviert und dann –
unter Enzymkatalyse und Wiederfreisetzung der aktivierenden
Substitution und Addition Gruppen – miteinander verknüpft. Als Substrate oder Coenzyme
An einzelnen C-Atomen einer Kette oder an zwei Atomen einer nutzen Polymerasen, Ligasen und Synthetasen energiereiche Di-
Doppelbindung werden Substituenten ausgetauscht bzw. addiert; oder Triphosphate und Thiol-(–SH)Funktionen:
dabei sind häufig sterische Verhältnisse zu beachten (hier nicht 4 ATP und andere Nucleosid-Triphosphate Nucleinsäuren
berücksichtigt). Beispiele: 4 ATP Aminoacyl-tRNA ribosomale Proteinsynthese
Unter Substitution einer Austrittsgruppe –X an einem Car- 4 Uridindiphosphat-(UDP-)Glucose Polysaccharide
bonylkohlenstoffatom durch Wasser verlaufen Ester- oder Pep- 4 Isopentenylpyrophosphat Isoprenlipide
tidhydrolysen: 4 Acetyl-Coenzym A Acyl-CoA Fettsäuren

Redoxreaktionen
Viele biologisch-chemische Stoffumwandlungen, sowohl Syn-
thesen wie Abbaureaktionen und insbesondere der Energiestoff-
wechsel beruhen auf Elektronenübertragungen, deren Kompo-
Unter Addition (im Falle von Wasser: Hydratisierung) werden nenten oft in »Elektronentransportketten« physikalisch und
aus ungesättigten C=C-Doppelbindungen gesättigte Strukturen: räumlich aufeinanderfolgend platziert sind. Chemisch einfache-
re Umsetzungen wie Oxidation unter »Verbrennung« (mit star-
ker Temperaturerhöhung) oder Reduktion (»Hydrierung«) mit
starken Reduktionsmitteln (die evtl. Wasser zersetzen) sind ver-
ständlicherweise in lebenden Zellen nicht möglich.
Allgemein gilt:
Reaktionen an und in Kohlenstoffgerüsten 4 Reduktion : Aufnahme von Elektronen (Wasserstoff)
Die Decarboxylierung von Carbonsäuren ist durch die Abspal- 4 Reduktionsmittel : Elektronendonor
tung des stabilen Moleküls Kohlendioxid (CO2) begünstigt. Sie 4 Oxidation : Entzug von Elektronen (Wasserstoff) oder
wird im Stoffwechsel durch Decarboxylasen wie z. B. Pyruvatde- Aufnahme von Sauerstoff
carboxylase katalysiert: 4 Oxidationsmittel : Elektronenakzeptor

An komplexen Redoxvorgängen sind oft verschiedene Vorgänge


beteiligt und zu differenzieren. Z. B. bei der Atmung sind Eisen
in Cytochromen und die Sauerstoff-Aufnahme durch Cytochro-

Fumarsäure# Apfelsäure# Brenztraubensäure# Acetaldehyd# Dihydroxyaceton-phosphat# Glyerinaldehyd-3-phosphat# Fructose-1,6-bisphosphat#


2.2 · Charakteristische Eigenschaften organischer Biomoleküle
21 2
moxidase im Enzym zu unterscheiden. Ein augenfälliges Beispiel 7 Kap. 19.1) ist Grundlage der Existenz aerober Lebewesen
von Redoxchemie an einer unveränderten C6-Kohlenstoffkette schlechthin.
bei unverändertem Sauerstoffgehalt ist dagegen die Biosynthese
von Vitamin C: Die formale Oxidation der Ausgangssubstanz Radikalreaktionen
(Zunahme des Sauerstoffanteils im Produkt) beruht hier nicht In bestimmten Fällen können organische Moleküle existieren, in
auf der Zufuhr von Sauerstoff, sondern resultiert aus einer mehr- denen nicht alle vier Valenzelektronen eines C-Atoms Bindun-
fachen Dehydrierung (Entzug von Wasserstoff): gen zu Reaktionspartnern eingegangen sind sondern nur drei,
und das vierte Elektron ungepaart bleibt; es wird in einer Struk-
C6H12O6 C6H10O6 *C6H8O6 C6H6O6 turformel i. Allg. mit » « gekennzeichnet. Derartige, meist
D-Glucose Gulonolacton L-Ascorbinsäure Dehydroascorbat sehr reaktionsfähige und kurzlebige Species nennt man »(freie)
(Vitamin C)
organische Radikale«. Auch an Sauerstoff- oder Schwefelato-
*Anmerkung: Dieser Schritt der Redoxkette kann von Mensch men  kann ein freies Elektron lokalisiert sein (–O bzw. –S ).
und Meerschweinchen nicht katalysiert werden; daher muss von Die Bildung der 2’-Desoxyribonucleotide als Substrate der
ihnen die im Stoffwechsel als Antioxidationsmittel benötigte DNA-Replikation in der S-Phase des Zellzyclus (7 Kap. 30.2,
Ascorbinsäure als Vitamin aufgenommen werden. 7 Kap. 43) verläuft beispielsweise nach einem derartigen Mecha-
nismus; therapeutisch kann sie daher durch chemische »Radikal-
Im Folgenden sind einige biologisch, biochemisch und che- fänger« (z. B. Derivate von Hydroxylamin oder Hydroxamsäu-
misch bedeutsame Redoxreaktionen genannt. Bei Betrachtung ren, R–NH-O-H) unterdrückt werden.
der Substrate und Produkte und mit den oben gegebenen Defi-
nitionen ist leicht zu erkennen, welche Prozesse eine Reduktion Bildung von Metallkomplexen:
des Ausgangsmaterials darstellen und welche Schritte Oxidatio- Bioanorganische Chemie
nen sind: Die meisten vom menschlichen Körper benötigten Spurenele-
mente sind Metalle aus dem Bereich der »Übergangselemente«
CO2 + 4 H2 CH4 + 2 H2O des Periodensystems (. Abb. 2.1). In dieser Reihe sind die außen-
(Methanogenese in anaeroben Bakterien) liegenden fünf d-Atomorbitale nicht voll mit Elektronen besetzt;
sie treten daher leicht mit Liganden zusammen, die freie Elekt-
2 CO2 + [8 H] (Coenzyme) CH3COOH + 2 H2O ronenpaare besitzen und bilden mit ihnen stabile Komplexe. Bio-
(Essigsäurebildung) moleküle (insbesondere Aminosäuren und Coenzyme) besitzen
zahlreiche funktionelle Gruppen die als Komplexliganden fun-
6 CO2 + 6 H2O + Licht C6 H12 O6 + 6 O2 gieren können: Carbonyl- (>C=O) und Carboxylatgruppen
(oxygene Photosynthese, Pflanzen) (–COO–), Amino- (–NH2), Imino- (=NH) und heterocyclische
Stickstofffunktionen (=N– in Pyrrol oder Histidin) sowie Schwe-
CH4 (Methan, Biogas) + 2 O2 CO2 + 2 H2O + Wärme felatome (–SH bzw. –S– im Cystein). In Proteinen werden auf
(Verbrennung) diese Weise Metalle räumlich und chemisch definiert gebunden
und für physiologische Wechselwirkungen (Bindung von Subst-
C6H12O6 + 6 O2 Glycolyse, Citratcyclus, Atmungskette raten, Redoxwechsel, Katalyse u. a.) verfügbar.
6 CO2 + 6 H2O (Atmung, Energie) Etwa die Hälfte aller bekannten Enzyme und vergleichbarer
Proteine enthält Metallionen als unentbehrliche Komponenten.
Auch an anderen Elementen als Kohlenstoff kann Redoxchemie Darunter befinden sich zentrale biologische Systeme wie der
von Bedeutung sein. So gibt es reversible Wechsel zwischen Thi- Sauerstofftransport an Eisenzentren, die kupferhaltige Cyto-
olgruppen und »Disulfidbrücken« der Aminosäure Cystein im chrom-c-Oxidase der mitochondrialen Atmungskette (7 Kap. 19.1)
Tripeptid Glutathion (GSH bzw. GSSG = Glutaminyl-cysteinyl- und die Kontrolle der Genexpression durch »Zinkfinger« in
glycin in reduzierter bzw. oxidierter Form, 7 Kap. 27.2.4), die ein Transkriptionsfaktoren (7 Kap. 46–47), sowie außerhalb des
Puffersystem zur Regulation des Redoxzustandes der Zelle dar- Tierreiches die Wasserspaltung im Mangan-Zentrum der pflanz-
stellen: lichen Photosysteme oder die mikrobielle Stickstoff-Fixierung an
Eisen-Molybdän-Cofaktoren. Besonders zahlreich, strukturell
2 Cystein–SH + Akzeptor und funktionell vielseitig sind Eisenkomplexe. Sie begegnen uns
Cystein-S–S-Cystein + Akzeptor-H2 (Regulation) mit dem Porphyrinstickstoff-Ringsystem im Hämoglobin
(. Abb. 2.5) und in Cytochromen, mit Schwefelliganden in red-
Die »Stärke« (Oxidationskraft bzw. Reduktionskraft) von orga- oxaktiven Ferredoxinen (7 Kap. 20), und Sauerstoff-koordiniert
nischen Redoxsystemen und von redoxaktiven Metallen (z. B. im Eisenspeicherprotein Ferritin (7 Kap. 60.2.3).
zweiwertiges/dreiwertiges Eisen) definiert man im bioche-
mischen Bereich durch ihre Standard-Redoxpotentiale Eo’
bei pH 7 (7 Kap. 4). Die Kopplung zwischen elektrochemi-
schem Potential der Atmungskette und dem Gewinn chemi-
scher Energie im energiereichen Adeninnucleotid ATP in den
Mitochondrien (oxidative Phosphorylierung, »OXPHOS«,
22 Kapitel 2 · Vom Molekül zum Organismus

2.2.4 Stereoisomerie in organischen Molekülen

In »optischen Antipoden« bestimmt die räumliche


2 Asymmetrie der D- bzw. L-Stereoisomeren von Ami-
nosäuren, Zuckern und anderen Biomolekülen de-
ren spezifische Stoffwechselaktivitäten
Die tetraedrische Anordnung von vier verschiedenen Substitu-
enten mit Bindungswinkeln von je 109° um ein sp3-hybrisiertes, . Abb. 2.4 Raumstruktur (schematisch) der Stereoisomeren einer
α-Aminosäure (Alanin) und einer α-Hydroxycarbonsäure (Milchsäure)
»asymmetrisches« Kohlenstoffatom herum (. Abb. 2.3) hat eine
links und rechts einer Spiegelebene
unter Biomolekülen weit verbreitete Konsequenz: Die Existenz
von zwei Isomeren gleicher chemischer Zusammensetzung aber
von unterschiedlicher Raumstruktur (»Chiralität« oder »Hän-
digkeit«), die sich wie Bild und Spiegelbild unterscheiden. In 2.2.5 Strukturkomplexität und Strukturvielfalt
. Abb. 2.4 ist diese Situation für zwei bekannte Stoffe, Alanin
(eine Aminosäure) und Milchsäure (ein Stoffwechselprodukt) Die meisten Biomoleküle besitzen komplexe Strukturen mit
dargestellt. Derartige Substanzpaare heißen »Enantiomere« oder mehreren Bindungstypen und Reaktionsmöglichkeiten. Das ei-
»optische Antipoden«. Sie sind »optisch aktiv«, weil ihre Lösun- senhaltige, sauerstoffbindende Häm – die prosthetische Gruppe
gen – wie von Louis Pasteur und J.H. van’t Hoff im 19. Jahrhun- des Blutfarbstoffs Hämoglobin (7 Kap. 32) – vereinigt beispiels-
dert erkannt – bei Durchstrahlung mit polarisiertem Licht des- weise sechs chemisch unterscheidbare Teilstrukturen in einem
sen Ebene nach rechts (Drehwinkel >0 °) bzw. nach links (Dreh- Molekül (. Abb. 2.5).
winkel <0 °) drehen. Eine 1:1-Mischung zweier Enantiomere Die in allen Substraten und Produkten des Zellstoffwechsels
nennt man Racemat oder racemisches Gemisch; dessen Lösung erkennbare Strukturkomplexität ist eine wesentliche, funktio-
dreht die Ebene polarisierten Lichts nicht, weil sich die beiden nell wichtige Eigenschaft von Biomolekülen. In komplexeren
entgegengesetzten Drehwinkel kompensieren. In bestimmten Strukturen wie Multienzymkomplexen, Ionenkanälen, Rezepto-
Reaktionsweisen (z. B. Substitution, s. o.) werden reine Enantio- ren oder Zellorganellen herrscht ein noch viel stärkerer Grad an
mere zum Gemisch »racemisiert«. Komplexität. Es kann hilfreich sein, auch das Verhalten von
In der biochemisch gebräuchlichen Darstellung nach
Emil Fischer ordnet man die Kohlenstoffatome eines Moleküls
senkrecht in einer Kette an mit dem am stärksten oxidierten C-
Atom (hier COOH) oben und dem wasserstoffreichsten (hier
CH3) unten. Durch die Stellung des für den Stoff charakteristi-
schen Substituenten (NH2 bzw. OH) am asymmetrischen Koh-
lenstoffatom (C) links bzw. rechts der C-Kette (laevus bzw. dexter)
wird die Substanz als L- oder D-Isomeres definiert. Den experi-
mentell bestimmten Drehwinkel kennzeichnet man durch (+)
bzw. (–). Man beachte, dass zwischen Drehwinkel (+) bzw. (–)
und der Konfiguration D bzw. L keine Korrelation besteht. Die
Enantiomeren sehr kompliziert gebauter chiraler Naturstoffe wie
Antibiotika oder Steroide werden besser nach den sog. »CIP-
Regeln« mit R (rectus) und S (sinister) beschrieben. Dabei ent-
spricht R nicht immer D der Fischer-Definition.
Die meisten natürlich vorkommenden Aminosäuren, Hyd-
roxycarbonsäuren, Zucker (Kohlenhydrate) und andere chirale
Stoffe liegen nicht als Racemat vor, sondern als reine Enantiome-
re. Ursache dieser Stereoselektivität ist, dass die zur Produktbil-
dung benötigten Enzyme (7 Kap. 7) ausschließlich aus L-Amino-
säuren bestehen – also selbst chiral sind – und daher in ihren
räumlich hoch geordneten katalytischen Zentren jeweils nur eins
. Abb. 2.5 Ein Häm-Molekül besitzt C–C-Einfachbindungen 1 ,
von beiden Stereoisomeren als »passendes« Substrat umgesetzt
C=C-Doppelbindungen 2 , ein Tetrapyrrol-Ringsystem mit konjugierten
bzw. Produkt gebildet werden kann. Zwar findet man nicht selten C=C- und C=N-Bindungen 3 , zwei ionische bzw. ionisierbare Carbon-
beide Enantiomere in der Natur (. Abb. 2.4), aber diese entstam- säure-Substituenten 4 und einen 6-zähnigen Eisen-Komplex mit fünf
men dann ganz unterschiedlichen Stoffwechselprozessen unter- koordinativen Bindungen zwischen dem zentralen Metall-Ion und Stick-
schiedlicher Lokalisation: L-Alanin ist Bestandteil aller Stan- stoff-Liganden 5 (vier vom Tetrapyrrol und eine von Imidazol, der Sei-
tenkette eines Histidin-Restes im Globin). Eine sechste Position am Eisen
dardproteine, D-Alanin dagegen im Murein der Bakterienzell-
6 (hier unbesetzt) ermöglicht die reversible Bindung von Sauerstoff, aber
wände zu finden; L-Milchsäure kommt in Blut, Muskel und an- auch von toxischen Liganden wie Blausäure HCN oder Kohlenmonoxid CO.
deren tierischen Organen vor, D-Milchsäure entsteht bei der Eisen und das konjugierte π-Elektronensystem sind Ursache der »blutroten«
Vergärung von Glucose durch Mikroorganismen. Farbe, die jedoch als solche physiologisch nicht von Bedeutung ist
2.3 · Von chemischer Materie zu biologischer Vielfalt
23 2

. Abb. 2.6 Biosyntheseprodukte des tierischen, pflanzlichen oder mikrobiellen Stoffwechsels. Die gezeigten physiologisch aktiven Moleküle a bis f
entstanden entweder durch chemische Modifizierung (»Funktionalisierung«) einer einfacheren Vorstufe vergleichbarer Größe, oder (in vier Fällen) durch
Kondensation von zwei oder mehr zunächst unabhängigen Substanzen

solch spezialisierten Zellkompartimenten unter dem Blickwin- vor knapp 4 Milliarden Jahren einfache organische Moleküle von
kel der in ihren molekularen Komponenten schon vorgegebe- selbst entstanden sind und sich unter bestimmten äußeren Be-
nen Wechselwirkungen zu verstehen. Dazu wiederum ist es dingungen – in Eis, in verdunstenden Tümpeln, durch Adsorpti-
nützlich, die Erkennung von komplexen Molekülen aus ihren on an Tonmineralien – anreichern und dabei auf einfache Weise
Substrukturen zu trainieren. »replizieren« konnten. Schon Charles Darwin (1809–1882) sin-
Zur Gewöhnung an solch eine molekulare Betrachtungswei- nierte 1871 in einem berühmten Brief über den »warm little
se sind in . Abb. 2.6 die Strukturformeln einiger physiologisch pond, mit allen Arten Ammoniak und Phosphaten, in Gegen-
wichtiger Moleküle ohne Namen wiedergegeben. Deren Aus- wart von Licht, Hitze, Elektrizität etc. ... zur chemischen Bildung
gangsstoffe sind gängige Metabolite der betreffenden Tiere, proteinartiger Substanz«.
Pflanzen oder Bakterien. Kann man a bis f durch Betrachtung Aber früher war alles anders: Die kosmisch bedingte Ur-At-
der Strukturen bestimmten Stoffgruppen zuordnen? Ein Versuch mosphäre der Erde enthielt die Elemente überwiegend in redu-
lohnt sich. Hinweise geben die Existenz und Verknüpfung ver- zierter, wasserstoffreicher Form und noch keinen freien Sauer-
schiedener unterscheidbarer Molekülteile, die Natur und Posi- stoff. Stanley Miller (1930–2007), Doktorand der Chemie in
tion von Heteroatomen (= Elemente zusätzlich zu C, H und O; Chicago, hat 1953 solche Szenarien als Erster experimentell ge-
Spurenelemente nicht vergessen), häufige bzw. seltene Verzwei- prüft. Er setzte Gasgemische aus heißem Wasserdampf, Wasser-
gungsmuster oder gespannte Ringstrukturen in den Molekülen. stoff, Ammoniak (NH3), Methan (CH4) und ggf. Schwefelwas-
Unter den gezeigten Substanzen sind ein bekanntes Antibioti- serstoff (H2S) – aber ohne Sauerstoff – tagelang elektrischen
kum (7 Kap. 16.2.4), ein Gewebshormon (7 Kap. 22.3.2) und ein Entladungen und UV-Licht aus und konnte aus den abgekühlten
Hormon der Schilddrüse (7 Kap. 41.1.1), ein Phospholipid Lösungen ansehnliche Mengen neu gebildeter α-Aminosäuren
(7 Kap. 22.1.1), die lichtabsorbierende Komponente eines Seh- isolieren. »Miller-Experimente« sind seitdem in großer Zahl
pigments (7 Kap. 58.2) und ein sehr häufiger Zucker. variiert und auf weitere Stoffklassen (beispielsweise Blausäure
HCN) ausgedehnt worden. Oft entstehen auch Oberflächenfilme
aus hydrophoben Fettsäuren.
2.3 Von chemischer Materie zu biologischer Eine andere, wasserfreie Variante abiotischer Chemie, die
Vielfalt »Eisen-Schwefel-Welt« verdanken wir dem Münchener
Chemiker Günter Wächtershäuser (ab 1988). Er zeigte, dass sich
Biomoleküle und einfachste membranumhüllte, beim Kontakt einfacher Gase wie Kohlenmonoxid oder -dioxid
replikationsfähige Zellen sind auf dem Planeten (CO, CO2) mit heißen Eisensulfid-Oberflächen (FeS), wie sie an
Erde sehr früh entstanden. Ribosomale RNA ist ein Vulkanflanken vorkommen, bekannte Metabolite wie Ameisen-
molekularer Ahnenpass für die heutigen Reiche säure, Essigsäure und Brenztraubensäure (Pyruvat) bilden.
der Archaebakterien, (Eu)Bakterien und der einen Auch für empfindlichere Biomoleküle, deren Bildung unter
Zellkern enthaltenden Eukaryonten (Pilze, Pflanzen den chemischen Bedingungen auf einer frühen Erde bislang
und Tiere) schwerer verständlich war (z. B. Zucker, Pyrimidin- und Purin-
Woher kommt das Leben? Es kann kaum mehr Zweifel daran nucleotide, energiereiche Phosphate von der Art des ATP) sind
bestehen, dass »hier bei uns«, auf dem noch heißen, aber schon chemisch und geochemisch plausible abiotische Reaktionswege
von Ur-Ozeanen mit flüssigem Wasser bedeckten Planeten Erde gefunden worden. Fast alle vermuteten Bestandteile und stoff-
24 Kapitel 2 · Vom Molekül zum Organismus

wechselähnliche Umsetzungen einer Urzelle lassen sich inzwi-


schen in vitro realisieren.
Altbekannt ist, dass beim Mischen von wässrigen Lösungen
2 mit Lipiden spontan Membranvesikel entstehen, die einen vom
äußeren Milieu abgetrennten Innenraum bilden (Liposomen,
7 Kap. 3.2). Manche Eigenschaften einfacher Zellen – z. B. Stoff-
austausch zwischen außen und innen – lassen sich damit simu-
lieren.
Membranumhüllte Klümpchen heterogener organischer
Substanz sind noch keine lebenden Zellen, die spontan als Amö-
be davonkriechen. Aber wenn man sehr viele solcher Mole-
külanhäufungen unter sehr vielen verschiedenen äußeren Be-
dingungen (fluktuierende Temperatur, pH-Wert, Licht-Dunkel-
Wechsel, Zufuhr von Substraten u. a.) betrachtet, so werden ei-
nige davon mit Sicherheit einmal zur Selbstreplikation fähig
. Abb. 2.7 Big tree: Schematische Darstellung des Stammbaums sämt-
sein. Physikochemiker wie Hans Kuhn und Manfred Eigen ha- licher Lebewesen auf der Basis von rRNA- und anderen Gensequenzen.
ben gezeigt, dass derartige molekulare Vorgänge in vielen kleinen 1 bezeichnet die Aufnahme von frühen aeroben, über Cytochrome
Schritten in langen Zeiträumen (Millionen Jahren) tatsächlich (7 Kap. 19) zur Sauerstoffatmung fähigen Bakterien als Endosymbionten
eintreten müssen. Die experimentelle Bestätigung (im Reagenz- (spätere Mitochondrien) in bis dahin anaerobe eukaryontische Zellen,
2 die Integration von photosynthetischen Bakterien vom Typ der Cyano-
glas und im Zeitraffer) wird immer vollständiger: Man beginnt
bakterien (blaugrüne Algen mit Chlorophyllen) als Vorläufer der Chloro-
die abiotische Kondensation von Aminosäuren zu funktions- plasten in anderen Eukaryonten. Mitochondrien und Chloroplasten besit-
fähigen Polypeptiden (Proteinen) mit spezifischer Struktur oder zen noch heute spezifische, von den Vorläufern mitgebrachte Gene
Enzymaktivität (7 Kap. 7) zu verstehen, und ebenso die von
Nucleotiden zu katalytischen RNAs (»Ribozymen«) (7 Kap. 10.1
und 48.1.4) und Information-codierenden kleinen RNA-Genen.
Von hier an erforderte der Weg zu »lebenden«, sich vermeh- An der Wurzel des Stammbaums steht mit »LUCA«, dem »last
renden und mit der anorganischen Umwelt interagierenden Pro- universal common ancestor« der drei Ur-Reiche eine hypotheti-
tozellen die Vernetzung mit ersten Stoffwechselprozessen zur Be- sche aber physiologisch-chemisch beschreibbare Population von
reitstellung weiterer monomerer Bausteine sowie von energierei- Minimalzellen, die mit G-C-reicher RNA und allenfalls 200 En-
chen organischen Molekülen. Zusätzlich zur Aufnahme von unter zym- und anderen Proteinen chemotroph in heißem Milieu ve-
Hitze und energiereicher Strahlung gebildeter organischer Subs- getierten. Über lange Zeiträume hinweg, unter wechselnden
tanz von außen werden einfache energieliefernde Folgereaktionen geochemischen Verhältnissen unterlag ihr Gen-Pool ständig
wie Glycolyse und Decarboxylierung (7 Kap. 2.2.3) zu einem eige- Zufallsmutationen, und durch Selektion von in Stoffwechselwe-
nen chemotrophen Stoffwechsel beigetragen haben. Die ebenfalls gen oder in Replikationschritten besser an die jeweilige Umwelt
gut dokumentierte chemische Bildung lichtabsorbierender Pig- angepassten Zellen kam es zur zunehmenden Diversität von
mente (Vorstufen von Chlorophyllen) und deren Nutzung in ei- LUCA’s Nachfolgern in verschiedenen Reichen des Lebens. In
nem einfachen phototrophen Energiestoffwechsel wurde wahr- diese frühe Phase der Evolution wird auch das Auftreten von
scheinlich schon in frühesten Lebensformen produktiv. DNA-Genomen zusätzlich zu RNA fallen: DNA konnte erst mit
Gibt es einen Zusammenhang zwischen solchen niedersten dem komplexen Bildungsweg für 2’-Desoxyribonucleotide ent-
Lebensformen und heute existierenden »höheren« Organismen? stehen (7 Kap. 30.2) und dann ihre universelle Funktion als Hy-
Der amerikanische Mikrobiologe Carl Woese erkannte, dass alle drolyse-stabiles genetisches Material einnehmen. Der Weg von
Zellen in der RNA ihrer Protein-synthetisierenden Ribosomen chemischer zu biologischer Vielfalt war vorgegeben.
(ribosomale oder rRNA, 7 Kap. 48) ein Molekül von wenig mehr Ein Beleg für diese Vorstellungen wäre der Fund oder die
als 1.500 Nucleotiden in hoch konservierter Sequenz besitzen, das Rekonstruktion LUCA-ähnlicher, chemoheterotroph »leben-
leicht zu analysieren ist und sich als perfekter »Ahnenpass« eig- der« Minimalzellen mit Mini-Genom. Moderne parasitär-intra-
net. Die inzwischen von vielen hundert Organismen, von primi- zellulär existierende Bakterien wie Mycoplasmen besitzen zwar
tivsten Einzellern bis zu Pflanzen und Tieren analysierten rRNA- ebenfalls nur sehr wenige Gene (7 Kap. 10.3.2) aber erlauben als
Sequenzen erlauben widerspruchsfrei eine Einordnung in drei »heutige« Zellen keinen direkten Vergleich. Ob aktuelle
»Ur-Reiche«: Archaebakterien und Eubakterien (ohne Zellkern) Forschungsprogramme zum Konzept »Synthetische Biologie«
sowie kernhaltige Eukaryonten (. Abb. 2.7). Die Entdeckung und einmal selbständig lebens- und entwicklungsfähige Minizellen
Analyse vieler zuvor unbekannter sog. hyperthermophiler, acido- im Reagenzglas zeugen werden ist eine spannende Frage.
philer und anderer »extremophiler« Archaebakterien aus Sauer-
stoff-freien, schwefelsauren, sehr heißen Lebensräumen, wie sie
wohl auf der frühen Erde allenthalben vorkamen, ist deutschen
Wissenschaftlern um Karl Otto Stetter zu verdanken.
2.3 · Von chemischer Materie zu biologischer Vielfalt
25 2

Zusammenfassung
Der menschliche Körper besteht aus 22 chemischen Elemen-
ten, unter denen die Nichtmetalle C, H, O, N, S, P sowie (in
geringerer Menge) F, Cl, I und Se den Hauptanteil »organi-
scher« Stoffe ausmachen.
12 verschiedene Metalle sind für Strukturen (Ca), als Elektro-
lyte (Na- und K-Ionen) sowie als Spurenelemente (Fe, Cu, Zn
u. a.) in katalytischen Funktionen essentiell.
Biochemische Reaktionen laufen zumeist in wässrigem
Medium und bei annähernd neutralen pH-Werten ab; sie
werden durch spezifische und für verschiedene Zellkom-
partimente typische Enzyme katalytisch beschleunigt.
Eine Besonderheit organischer Naturstoffe, die C-Atome mit
vier verschiedenen Substituenten enthalten, ist ihre mögli-
che Existenz in zwei Stereoisomeren, die sich zueinander wie
Bild und Spiegelbild verhalten und von unterschiedlicher
physiologischer Aktivität sind.
Es besteht kein Zweifel, dass physiologische Vorgänge stets
auf molekulare Mechanismen zurückzuführen sind. Als Bei-
spiel für schwindende Wissenslücken sei der Kenntnisfort-
schritt »epigenetischer« Reaktionen bei der Modulation von
Genexpression ohne Änderung einer Gensequenz (7 Kap.
47.2) genannt.
Zelluläres Leben begann vor etwa 4 Milliarden Jahren mit
einfachsten Gasen und Mineralien und entwickelte sich über
lange Zeiträume zu den drei Reichen der Archaebakterien
und Eubakterien (Prokaryonten ohne Zellkern) sowie der eu-
karyontischen Pilze, Tiere und Pflanzen, die einen Zellkern
und aus frühen Prokaryonten übernommene Mitochondrien
und ggf. Chloroplasten enthalten.

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3 Kohlenhydrate, Lipide, Aminosäuren und Nucleotide –
Bausteine des Lebens
3 Georg Löffler, Matthias Müller

Einleitung 3.1 Kohlenhydrate

Lebende Organismen synthetisieren und verwerten Kohlenhydrate, 3.1.1 Einteilung und Funktionen
Lipide, Aminosäuren und Nucleotide. Die Funktionen dieser Verbindun- der Kohlenhydrate
gen sind vielfältig.
Kohlenhydrate kommen als rasch metabolisierbare Substrate oder als Kohlenhydrate oder Saccharide sind mengenmäßig die häufigs-
Speicherstoffe hoher Energiedichte vor. Sie sind Gerüstsubstanzen, ten von Lebewesen synthetisierten Verbindungen unseres Plane-
bilden wichtige Komponenten der extrazellulären Matrix und sind ten. Im Vergleich zu Lipiden und Aminosäuren ist das Prinzip
Bestandteil vieler Proteine. ihres Aufbaus vergleichsweise einfach, da sie alle Abkömmlinge
Lipide bilden eine besonders vielfältige Gruppe von Verbindungen. von Verbindungen der Grundstruktur
Triacylglycerine sind die energiedichtesten Speicherverbindungen.
Die amphiphilen Phospholipide und Sphingolipide bilden Membran- (HCOH)n
strukturen von Zellen. Wegen ihrer Fähigkeit zur Polymerisation sind
Isoprene zur Bildung der besonders umfangreichen Gruppe der sind, wobei n ≥3 sein muss.
Isoprenlipide imstande. Zu diesen gehören u. a. fettlösliche Vitamine,
Cholesterin, die von Cholesterin abgeleiteten Steroidhormone und die Je nach ihrer Zusammensetzung werden
für die Fettverdauung wichtigen Gallensäuren. Kohlenhydrate in Monosaccharide, Di-, Oligo-
Als α-Aminocarbonsäuren sind Aminosäuren formal Derivate von und Polysaccharide eingeteilt
Fettsäuren. Von den etwa 100 bekannten Aminosäuren kommen stan- Monosaccharide Monosaccharide sind durch Hydrolyse nicht
dardmäßig 20 als sog. proteinogene Aminosäuren in Proteinen vor. mehr weiter zerlegbare Kohlenhydrate. Formal handelt es sich
Zusätzlich erfüllen Aminosäuren vielfältige Funktionen im Stoffwechsel um Aldehyde bzw Ketone mehrwertiger Alkohole, also um Al-
oder dienen als Signalstoffe. dosen bzw. Ketosen. Wegen des gehäuften Vorkommens asym-
Nucleotide sind Verbindungen aus einer heterozyklischen Base, einer metrischer C-Atome gibt es eine große Zahl von stereoisomeren
Pentose (Ribose oder Desoxyribose) und einer Phosphatgruppe. Formen von Monosacchariden (Einzelheiten s. Lehrbücher der
In Form ihrer Triphosphate stellen sie eine universelle Form von organischen Chemie).
Energie dar. Die Nucleotide sind außerdem an der Regulation vieler
enzymatischer Reaktionen beteiligt. Nucleotide sind die Bausteine von Di-, Oligo- und Polysaccharide Monosaccharide enthalten eine
DNA und RNA und bilden aktivierte Zwischenprodukte bei der Biosyn- besonders reaktionsfähige Aldehyd- bzw. Ketogruppe. Deshalb
these von Proteinen, Kohlenhydraten und Lipiden. Sie kommen als haben sie die Fähigkeit, weitere Monosaccharide mit Hilfe glyco-
Bestandteile von Coenzymen vor oder fungieren selbst als Signal- sidischer Bindungen (7 Kap. 3.1.2) anzulagern und auf diese
moleküle. Weise eine Vielzahl der verschiedensten Verbindungen zu bilden.
So entstehen u. a. Di- bzw Oligosaccharide und als Makromo-
Schwerpunkte leküle die Polysaccharide.
4 Mono-, Oligo- und Polysaccharide, Heteroglycane
Kohlenhydrate sind Energielieferanten,
4 Glycosidische Bindungen
Energiespeicher und Strukturbestandteile
4 Lipidklassen
Die Funktionen von Kohlenhydraten sind außerordentlich viel-
4 Lipidmembranen, Micellen, Detergenzien
fältig. Schon lange ist bekannt, dass sie nahezu allen Organismen
4 Proteinogene und nicht-proteinogene Aminosäuren
als rasch zur Verfügung stehende Energielieferanten dienen. Dies
4 Physikochemische Eigenschaften von Aminosäuren
gilt vor allem für Glycogen bzw. Stärke, die in tierischen und
4 Aufbau und Funktion von Nucleosiden und Nucleotiden
pflanzlichen Zellen als Energiespeicher verwendet werden.
Andere Polysaccharide sind Bestandteile der extrazellulären
Matrix der Gewebe aller höheren Lebewesen. Sie sind an der für
vielzellige Organismen besonders wichtigen Zell-Zell-Kommu-
nikation beteiligt (7 Kap. 71).
Außerdem ist eine große Zahl von Proteinen, die
Glykoproteine, mit spezifischen Oligosaccharidstrukturen

P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
3.1 · Kohlenhydrate
27 3

. Tab. 3.1 Biochemisch wichtige Hexosen (Auswahl) . Tab. 3.2 Biochemisch wichtige Pentosen (Auswahl)

Bezeichnung Vorkommen und biologische Bedeutung Bezeichnung Vorkommen und biologische Bedeutung

D-Glucose Fruchtsäfte; Bestandteil von Stärke, Glycogen, D-Ribose Vorkommen in Ribonucleinsäuren (RNA) und Ribo-
Saccharose, Lactose nucleotiden (z. B. ATP)
Wichtigstes vom Organismus verwertetes Mono- Strukturelement von Coenzymen; Biosynthese aus
saccharid; Blutzucker Glucose

D-Galactose Bestandteil von Lactose, des wichtigsten Kohlen- D-Desoxy- Vorkommen in Desoxyribonucleinsäuren (DNA) und
hydrats der Milch ribose Desoxyribonucleotiden (z. B. dATP)
Wird vom Organismus in Sphingolipide und Glyko- Biosynthese aus Ribose
proteine eingebaut. Abbau nur nach Umwandlung
D-Ribulose Stoffwechselzwischenprodukt im Glucoseabbau
in Glucose möglich
über Pentosephosphatweg
D-Mannose Bestandteil von tierischen und pflanzlichen Glyko-
D-Arabinose, Vorkommen in Proteoglycanen
proteinen
D-Xylose
Dient zur Sortierung lysosomaler Proteine. Abbau
erst nach Umwandlung in Glucose

D-Fructose Fruchtsäfte; Bestandteil von Saccharose


Biosynthese aus Glucose in verschiedenen Gewe-
ben; Abbau erst nach Umwandlung in Glucose, in aus der Nahrung stammenden Nucleosiden im Dünndarm
der Leber jedoch direkter Abbau möglich resorbiert (7 Kap. 29.3 und 30.4). Wichtig ist, dass sie im Verlauf
des Glucosestoffwechsels intrazellulär synthetisiert und dann
als Bestandteile von Nucleotiden und Nucleinsäuren ver wen-
ausgestattet, die für die Proteinfunktion von Bedeutung sind. Im det werden (7 Kap. 3.4). Die Struktur von D-Ribose und
Wesentlichen handelt es sich hierbei um Membranproteine und D-Desoxyribose ist in . Tafel IV.2 dargestellt.
sezernierte Proteine (7 Kap. 49.3).
Die OH-Gruppen von Monosacchariden werden in
vielfältiger Weise modifiziert
3.1.2 Monosaccharide – Pentosen und Hexosen Alle Hexosen und Pentosen können vielfältig modifiziert wer-
den, wie es in . Abb. 3.1 am Beispiel der Glucose dargestellt ist:
Bezüglich ihrer Umsatzraten und ihrer quantitativen Bedeutung 4 In wässriger Lösung stellt sich durch Mutarotation ein
spielen die Hexosen und Pentosen im Stoffwechsel die größte Gleichgewicht zwischen zwei anomeren Formen der Gluco-
Rolle. Außerdem kommen in geringem Umfang als Zwischenpro- se ein. Dabei beträgt der Anteil der β-D-Glucose 63,9% und
dukte des Pentosephosphatweges (7 Kap. 14.1.2) der aus derjenige der α-D-Glucose 36% (. Abb. 3.1 1 ).
4 C-Atomen bestehende Zucker Erythrose und der aus 7 C-Ato- 4 Durch Reduktion am C-Atom 1 entstehen aus Mono-
men bestehende Zucker Sedoheptulose vor, jeweils in Form von sacchariden die entsprechenden mehrwertigen Alkohole
Phosphorsäureestern. (aus Glucose Sorbitol, aus Mannose Mannitol etc.)
(. Abb. 3.1 2 ).
Hexosen sind wichtige Bestandteile 4 Durch Oxidation der endständigen -CH2-OH-Gruppe von
von Nahrungskohlenhydraten Monosacchariden entstehen Uronate (Uronsäuren),
Die für den tierischen Stoffwechsel wichtigsten Hexosen sind in die u. a. Bestandteile wichtiger Polysaccharide sind
. Tafel I.1 und in . Tab. 3.1 zusammengestellt. Unter ihnen (7 Kap. 3.1.4). An Glucuronat werden ausscheidungspflich-
kommt der Glucose die größte Bedeutung zu (7 Kap. 14 und tige körpereigene und auch körperfremde Substanzen
7 Kap. 16): gekoppelt (. Abb. 3.1 3 ; 7 Kap. 62.3.1).
4 Fast alle mit der Nahrung aufgenommenen Kohlenhydrate 4 Hydroxylgruppen von Monosacchariden können verestert
müssen in Glucose umgewandelt werden, bevor sie unter werden (s. Lehrbücher der organischen Chemie). Von bio-
Energiegewinn abgebaut werden können. chemischem Interesse sind die Phosphorsäureester, da int-
4 Alle im Organismus vorkommenden Monosaccharide razellulär hauptsächlich phosphorylierte Monosaccharide
können aus Glucose synthetisiert werden. umgesetzt werden (7 Kap. 14.1.1) (. Abb. 3.1 4 ).
4 Das Kohlenstoffskelett der Glucose kann als Ausgangs- 4 Aminozucker entstehen durch den Ersatz einer Hydroxyl-
material für die Synthese der nicht-essentiellen Aminosäure gruppe durch eine Aminogruppe. Bei den physiologischer-
Glutamat (7 Kap. 26.2.2) und von Fettsäuren und weise vorkommenden Aminozuckern Glucosamin, Galac-
Cholesterin (7 Kap. 21.2.3) verwendet werden. tosamin und Mannosamin ist die Aminogruppe mit dem
C-Atom 2 des Monosaccharids verbunden (. Abb. 3.1 5 ).
Pentosen sind Bestandteile von Nucleotiden Häufig ist die NH2-Gruppe acetyliert (. Abb. 3.1 6 ). Die
und Nucleinsäuren Aminozucker und ihre N-acetylierten Derivate kommen in
. Tab. 3.2 fasst die am häufigsten vorkommenden Monosaccha- verschiedenen Glykoproteinen, als Bestandteile der Proteo-
ride mit 5 C-Atomen zusammen. Pentosen werden in Form von glycane, in bakteriellen Zellwänden und im Chitin vor.
28 Kapitel 3 · Kohlenhydrate, Lipide, Aminosäuren und Nucleotide – Bausteine des Lebens

4 Handelt es sich dagegen um Nicht-Kohlenhydrate, so ent-


stehen Substanzen, die als O- bzw. N-Glycoside bezeichnet
werden.
4 Die Verbindung wird nach dem die glycosidische Bindung
eingehenden Zucker benannt (Glucosid, Galactosid etc.),
der Nicht-Kohlenhydratanteil der entstehenden Verbin-
3 dung wird auch als Aglycon bezeichnet.
4 Der α- und β-Anomerie bei den Monosacchariden
(. Tafel I.2) entspricht die α- und β-Isomerie bei den
Glycosiden. Allerdings ist hier nicht mehr das Phänomen
der Mutarotation (s. Lehrbücher der organischen Chemie)
möglich, da die Hydroxylgruppe am C-Atom 1 durch den
angelagerten Rest blockiert ist (. Abb. 3.2).
4 Natürlich vorkommende O- und N-Glycoside werden zum
Teil als Pharmaka verwendet. So werden beispielsweise die

. Abb. 3.1 Die wichtigsten Derivate der α-D-Glucose. 1 Durch Mutarota-


tion entsteht β-D-Glucose. 2 Durch Reduktion am C-Atom 1 entsteht Sorbi-
tol. 3 Durch Oxidation am C-Atom 6 entsteht Glucuronat (Glucuronsäure). . Abb. 3.2 Entstehung von α-Methylglucosid und β-Methylglucosid.
4 Durch Veresterung der OH-Gruppe am C-Atom 6 mit Phosphorsäure ent- α-und β-Glucose stehen durch Mutarotation miteinander im Gleichgewicht.
steht Glucose-6-Phosphat. 5 Ersatz der Hydroxylgruppe am C-Atom 2 Durch Umsetzung mit Methanol entsteht unter den entsprechenden Bedin-
durch eine Aminogruppe führt zum Glucosamin. 6 Glucosamin kann an gungen α- bzw. β-Methylglucosid, die allerdings nicht mehr ineinander
der Aminogruppe acetyliert werden, sodass N-Acetylglucosamin entsteht. überführt werden können
7 Durch Oxidation am C-Atom 1 entsteht Gluconolacton, welches hydroly-
tisch zu Gluconat (Gluconsäure) gespalten werden kann ( 8 )

4 Durch Oxidation am C-Atom 1 wird die halbacetalische


Hydroxylgruppe zum Lacton dehydriert (. Abb. 3.1 7 ),
das durch Wasseranlagerung in die entsprechende
Carbonsäure übergeht. Diese wird i. Allg. durch die En-
dung –on gekennzeichnet (aus Glucose entsteht Gluconat)
(. Abb. 3.1 8 ).

Die halbacetalische Hydroxylgruppe


am C-Atom 1 von Monosacchariden geht
glycosidische Bindungen ein
Analog der Bildung eines Vollacetals kann die Hydroxylgruppe des
halbacetalischen C-Atoms 1 von Monosacchariden mit OH- bzw.
NH2-Gruppen unterschiedlichster Verbindungen unter Wasser-
. Abb. 3.3 Struktur der Herzglycoside Digitoxin und Digoxin. Die phar-
abspaltung reagieren, wobei sog. Glycoside gebildet werden: makologisch wirksame Komponente ist das Pflanzensteroid Digitoxigenin.
4 Stammt die OH-Gruppe von einem weiteren Monosaccha- Mit einer glycosidischen Bindung ist dieses mit drei Molekülen Digitoxose
rid, so entstehen Di-, Oligo- oder Polysaccharide. verknüpft

Sorbitol# α-D-Glucurenat# β-D-Glucose# α-D-Glucose# α-D-Glucose-6-Phosphat# Gluconolacton# α-D-Glucosamin# γ-Lacton ungesättigtes#


Gluconat# α-D-N-Acetyl-Glucosamin#
3.1 · Kohlenhydrate
29 3
weite Verbreitung. Sie werden bei den Heteroglycanen bespro-
. Tab. 3.3 Charakterisierung von natürlich vorkommenden Oligo- chen (. Tab. 3.4).
und Polysacchariden
Polysaccharide setzen sich aus einer großen Zahl gly-
Oligosaccharide Polysaccharide
cosidisch verknüpfter Monosaccharide zusammen
Homoglycane Amylose, Amylo- Polysaccharide sind Verbindungen, die sich aus einer großen
pectin, Glycogen, Zahl von Monosacchariden zusammensetzen, wobei das schon
Cellulose, Dex-
bei den Disacchariden verwendete Bauprinzip der Verknüpfung
trane, Inulin
über glycosidische Verbindungen beibehalten wird. Man unter-
Frei In der Milcha Hyaluronsäureb scheidet:
Heteroglycane Gebun- In Glykoprotei- In Proteoglyca- 4 Homoglycane, die nur ein Monosaccharid als Baustein ent-
den nen und Glykoli- nenb und Peptido- halten.
pidena glycanenb 4 Heteroglycane, Oligo- bzw. Polysaccharide, die aus mehre-
a
Diese Oligosaccharide haben in der Regel verzweigte Strukturen. ren unterschiedlichen Monosaccharidbausteinen zusam-
b Diese Polysaccharide sind unverzweigt und werden auch als mengesetzt sind.
Glycosaminoglycane oder Mucopolysaccharide bezeichnet.
Homoglycane sind wichtige zelluläre Energiespeicher
Stärke und Glycogen Beide Verbindungen dienen als zelluläre
Kohlenhydratspeicher:
sog. herzwirksamen Glycoside für die Therapie der Herz- 4 Amylose macht 20–30 % der pflanzlichen Stärke aus. Sie ist
insuffizienz eingesetzt (. Abb. 3.3). ein aus mehreren tausend Glucoseresten bestehendes
Kettenmolekül. Die Glucosereste sind wie bei der Maltose
durch α-(1 4)-glycosidische Bindungen verknüpft
3.1.3 Disaccharide – glycosidisch verknüpfte (. Tafel I.4). Dadurch ergibt sich eine schraubenförmige
Monosaccharide Windung des Amylosemoleküls mit ca. 6 Glucoseeinheiten
pro Schraubengang (. Abb. 3.4).
Disaccharide entstehen durch Knüpfung einer glyco- 4 Amylopectin stellt den größeren Bestandteil pflanzlicher
sidischen Bindung zwischen zwei Monosacchariden Stärke dar. Es besteht ebenfalls aus α-(1 4)-glycosidisch
Disaccharide entstehen dadurch, dass eine glycosidische Bin- verknüpften Glucoseresten. Es enthält jedoch zusätzlich
dung zwischen der besonders reaktionsfähigen Hydroxylgruppe Verzweigungsstellen über die Hydroxylgruppe am C-
am halbacetalischen C-Atom 1 eines Monosaccharids mit einer Atom 6 (α-(1 6)-glycosidische Bindung) (. Tafel I.4). Da
Hydroxylgruppe eines weiteren Monosaccharidmoleküls ge- sich die Seitenketten ihrerseits wieder verästeln können,
knüpft wird. Man unterscheidet Disaccharide vom Maltose- bzw. bilden sich stark verzweigte Riesenmoleküle (. Abb. 3.4).
Trehalosetyp (. Tafel I.3). Im Amylopectin kommt es im Mittel an jedem 25. Glucose-
rest zu einer Verzweigung. Die molekulare Masse des Amy-
lopectins ist mit etwa 106 Da sehr hoch.
3.1.4 Oligosaccharide und Polysaccharide – 4 Glycogen ist das tierische Reservekohlenhydrat. In seiner
Homo- und Heteroglycane Struktur entspricht es weitgehend dem Amylopectin, aller-
dings ist es mit einer Verzweigung pro 6–10 Glucoseresten
Unter den Begriffen Oligo- bzw. Polysaccharide versteht man noch stärker verzweigt. Die Molekülmasse des Glycogens
kettenförmige, häufig auch verzweigte Moleküle, die durch Kon- kann zwischen 1∙106 und 20∙106 Da schwanken.
densation mehrerer, z. T. noch modifizierter Monosaccharide
gebildet werden. Diese Verbindungen sind von großer biologi- Cellulose Cellulose ist die auf der Erde am weitesten verbreitete
scher Bedeutung, eine Einteilung findet sich in . Tab. 3.3. organische Substanz. Sie besteht aus Glucosemolekülen, die
β-(1 4)-glycosidisch miteinander verknüpft sind. Infolge der
Oligosaccharide sind Verbindungen, β-glycosidischen Bindungen liegt das Molekül als fadenförmiges
die 3 bis maximal 20 glycosidisch verknüpfte Kettenmolekül vor, das lange Fasern ausbildet, die durch Wasser-
Monosaccharide enthalten stoffbrückenbindungen verknüpft sind. Cellulose ist die wich-
Freie Oligosaccharide kommen im Pflanzenreich vor, im Tier- tigste pflanzliche Stützsubstanz.
reich trifft man sie nur in geringen Konzentrationen an. Eine
Ausnahme machen die 4–6 Monosaccharide enthaltenden Oli- Dextrane Dextrane sind aus Glucose bestehende Homoglycane,
gosaccharide der Milch, welche die charakteristischen Struktu- die von Bakterien gebildet werden. Die Glucosereste sind
ren des Kohlenhydratanteils der Blutgruppenglykoproteine ent- (1 6)-glycosidisch verbunden, wobei (1 2)-, (1 3)- oder
halten und in geringen Mengen auch im Urin ausgeschieden (1 4)-Verzweigungen vorkommen. Dextrane werden vor allem
werden. als Molekularsieb bei der Gelchromatographie (Gelfiltration,
In gebundener Form haben Oligosaccharide dagegen als Be- s. 7 Kap. 6.1.1) verwendet. Außerdem dient Dextran als Blut-
standteile der Glykoproteine (s. u.) und der Ganglioside eine plasmaersatz bei starken Blutverlusten.
30 Kapitel 3 · Kohlenhydrate, Lipide, Aminosäuren und Nucleotide – Bausteine des Lebens

A Heteroglycane sind Oligo- bzw. Polysaccharide


aus mehreren unterschiedlichen
Monosaccharidbausteinen
Heteroglycane enthalten neben verschiedenen einfachen Mono-
sacchariden auch Derivate von Monosacchariden wie Aminozu-
cker und Uronsäuren.
3 Heteroglycane kommen in Form von Oligosacchariden oder
sog. Glycosaminoglycanen vor. Während die Oligosaccharidket-
ten von Glykoproteinen meist verzweigt vorliegen, werden als
Glycosaminoglycane lange, unverzweigte Heteroglycanketten
bezeichnet, die aus repetitiven identischen Disaccharideinheiten
zusammengesetzt sind (. Tab. 3.5, . Tafel I.5). Diese Disaccha-
B
ride bestehen typischerweise aus
4 einem Hexosamin bzw. dessen N-acetyliertem Derivat und
4 einer Uronsäure, meist Glucuronsäure (Keratansulfat ent-
hält statt einer Uronsäure Galactose).

Zusätzliche Sulfatgruppen sind über Esterbindungen mit ver-


schiedenen Hydroxylgruppen der Monosaccharide verknüpft.
Eine ältere, heute weniger gebräuchliche Bezeichnung für Glyco-
saminoglycane ist Mucopolysaccharide.
Fast ausnahmslos treten Heteroglycane in covalenter Ver-
knüpfung, meist mit Proteinen, aber auch mit Lipiden auf. Hete-
roglycane werden eingeteilt in:
4 Glykoproteine
4 Proteoglycane
4 Peptidoglycane
4 Glykolipide
. Tab. 3.4 fasst wichtige Eigenschaften der Heteroglycane zusam-
men.
Glykoproteine Es handelt sich um Proteine, an die über N- bzw.
O-glycosidische Bindungen Oligosaccharide geknüpft sind
(. Tafel I.6; über Biosynthese und Funktion von Glykoproteinen
s. 7 Kap. 49.3.3).
Die Glycanketten von Glykoproteinen eukaryontischer Zel-
len bestehen aus folgenden Monosacchariden bzw. Monosaccha-
C ridderivaten:
4 Glucose
4 Galactose
4 Mannose
4 N-Acetylglucosamin
4 N-Acetylgalactosamin
4 L-Fucose
4 Neuraminsäure

Bezogen auf die Masse kann der Kohlenhydratanteil der Glyko-


proteine von weniger als 5 % (Immunglobulin G) bis zu 85 % (bei
Blutgruppensubstanzen) betragen.
Glykoproteine sind sehr weit verbreitet. Viele Export- und
Membranproteine sind Glykoproteine. Von den menschlichen
Plasmaproteinen tragen nur Albumin und Transthyretin (Präal-
bumin) keine Zuckerreste.
. Abb. 3.4 Aufbau von Stärke und Glycogen. A Amylose, B Glycogen, Beispiele von Glykoproteinen sind:
c Ausschnitt eines Amylopectin- bzw. Glycogenmoleküls mit einer Verzwei-
4 Strukturproteine (z. B. Kollagen)
gungsstelle
4 Enzyme (z. B. pankreatische Ribonuclease, Amylase,
Acetylcholinesterase, Glucocerebrosidase)
3.1 · Kohlenhydrate
31 3

. Tab. 3.4 Einteilung der Heteroglycane

Bezeichnung Kohlenhydrat Nicht-Kohlenhydrat Funktion

Glykoproteine Oligosaccharide aus 2–20 unterschied- Verschiedenste Proteine Vielseitig, vom Protein abhängig, z. B.
lichen Monosacchariden Proteinfaltung, -sortierung

Proteoglycane Glycosaminoglycane mit sich wieder- Einfach aufgebaute Proteinskelette Bestandteil der extrazellulären Matrix
holenden Disacchariden; Molekülmasse (core-Protein)
2∙103 bis 3∙106 Da

Peptidoglycane Disaccharid aus N-Acetylglucosamin Peptide aus 4–5 Aminosäuren Bildung der bakteriellen Zellwand
und N-Acetylmuraminsäure

Glykolipide Oligosaccharide Ceramid, Polyisoprenol, Bauteile zellulärer Membranen, Zwischen-


Phosphatidylinositol produkt bei der Glykoproteinbiosynthese,
Membrananker von Proteinen (GPI-Anker)

4 Transportproteine (z. B. Caeruloplasmin, Transferrin) ketten erfolgt O-glycosidisch über ein Serin und beginnt mit der
4 Peptidhormone (z. B. Luteinisierungshormon, follikelsti- Zuckersequenz: Xylose-Galactose-Galactose-Glucuronat (7 Kap.
mulierendes Hormon) 16.2.2), an die sich die Disaccharidkette anschließt.
4 Immunglobuline Die wichtigsten in Proteoglycanen nachweisbaren Glycosa-
4 Fibrinogen minoglycane sind in . Tab. 3.5 aufgelistet.
4 Blutgruppenantigene Mit Ausnahme von Heparin kommen Proteoglycane aus-
schließlich in der extrazellulären Matrix vor und ihre Variabilität
Proteoglycane Mit Ausnahme der Hyaluronsäure sind die Gly- ist für deren funktionelle Vielfalt verantwortlich (7 Kap. 71.1).
cosaminoglycane an sog. core-Proteine gebunden und werden Proteoglycane haben die Fähigkeit zu assoziieren und geordnete
deswegen als Proteoglycane bezeichnet. Die Verknüpfung der Strukturen auszubilden (7 Kap. 71.1.5). Als Polyanionen binden
repetitiven Disaccharideinheiten mit den zugehörigen Peptid- sie Kationen (Ca2+, Mg2+), Wasser, Peptidhormone und Cytokine

. Tab. 3.5 Disaccharide der Glycosaminoglycane

Bezeichnung Molekülmasse Hexosen Stellung Bindung Vorkommen


(Da) des Sulfats

Hyaluronsäurea 1–3 ∙ 106 N-Acetylglucosamin – β(1 4) Synovialflüssigkeit, Glaskörper, Nabel-


Glucuronsäure β(1 3) schnur

Chondroitin-4-Sulfat 2–5 ∙ 104 N-Acetylgalactosamin 4 β(1 4) Knorpel, Aorta


(Chondroitinsulfat A) Glucuronsäure β(1 3)

Chondroitin-6-Sulfat 2–5 ∙ 104 N-Acetylgalactosamin 6 β(1 4) Herzklappen


(Chondroitinsulfat C) Glucuronsäure β(1 3)

Dermatansulfat 2–5 ∙ 104 N-Acetylgalactosamin 4, 6 β(1 4) Haut, Blutgefäße, Herzklappen


(Chondroitinsulfat B) Iduronsäure 2 α(1 3)b
oder Glucuronsäure 2 β(1 3)

Heparin 0,5–3 ∙ 104 Glucosamin 6, Nc α(1 4) Kein Bestandteil der extrazellulären


Glucuronsäure oder 2 β(1 4) Matrix. Wird in Mastzellen gespeichert.
Iduronsäure 2 α(1 4)b Wirkt gerinnungshemmend
(7 Kap. 69.1.4)

Heparansulfat 2–10 ∙ 103 Glucosamin oder 6, Nc α(1 4) Blutgefäße, Zelloberfläche


N-Acetylglucosamin
Glucuronsäure 2 β(1 4)
oder
Iduronsäure 2 α(1 4)b

Keratansulfat 5–20 ∙ 103 N-Acetylglucosamin 6 β(1 3) Cornea, Nucleus pulposus, Knorpel


Galactose β(1 4)
a Eine Bindung von Hyaluronsäure an Protein ist nicht nachgewiesen.
b Diese glycosidische Bindung der L-Iduronsäure entspricht sterisch der β-glycosidischen Bindung der D-Glucuronsäure, wird jedoch wegen der
L-Konfiguration der Iduronsäure als α-glycosidisch bezeichnet.
c Die Sulfatierung erfolgt nach Deacetylierung am N-Atom der Aminozucker.
32 Kapitel 3 · Kohlenhydrate, Lipide, Aminosäuren und Nucleotide – Bausteine des Lebens

(7 Kap. 34.2). Außerdem nehmen sie wichtige Funktionen im


Rahmen von Wachstums- und Differenzierungsvorgängen wahr säuren eingesetzt werden, getrennt werden. Für die Identifi-
(7 Kap. 71.1.5). Die core-Proteine bilden eine umfangreiche Gen- kationen der einzelnen Bestandteile komplexer Kohlenhyd-
familie aus mehr als 100 Mitgliedern. Störungen der Biosynthese rate eignet sich die Kernspinresonanzspektroskopie und die
und des Abbaus von Proteoglycanen führen zu schweren Abnor- Massenspektrometrie (s. Lehrbücher der biochemischen
mitäten (7 Kap. 71.1.5). Analytik).
3
Peptidoglycane Über Aufbau und biologische Bedeutung der
Peptidoglycane als Bestandteil der bakteriellen Zellwand s.
7 Kap. 16.2.4. Zusammenfassung
Alle Kohlenhydrate leiten sich von Aldehyden bzw. Ketonen
Glykolipide Als Glykolipide werden Verbindungen von meist mehrwertiger Alkohole ab, die als Aldosen bzw. Ketosen
komplex aufgebauten Oligosacchariden mit Lipiden bezeichnet, bezeichnet werden. Sie sind imstande, miteinander Verbin-
die überwiegend als Membranbestandteile vorkommen. Unter- dungen einzugehen und auf diese Weise Makromoleküle zu
schieden werden in tierischen Zellen Sphingoglykolipide bilden. Im Einzelnen unterscheidet man:
(7 Kap. 3.2.4) und Polyprenolglykolipide (7 Kap. 3.2.5). 4 Monosaccharide
4 Disaccharide
4 Oligo- und Polysaccharide
Übrigens
Analytik von Kohlenhydraten Von besonderer Bedeutung im Stoffwechsel sind:
Indische, chinesische und japanische Ärzte kannten schon 4 Hexosen (Glucose, Galactose, Mannose, Fructose)
vor mehr als 2000 Jahren eine Krankheit, die süßen Harn er- 4 Pentosen (Ribose, Desoxyribose, Ribulose, Xylose)
zeugt. Es wurde beobachtet, dass dieser süße Urin den Hun-
den schmeckte, Fliegen wurden angelockt und man nannte Monosaccharide können unter Ausbildung glycosidischer
die Krankheit »Honigharn«. Der Ausdruck »Diabetes« (griech. Bindungen mit OH- bzw. NH2-Gruppen reagieren. Die dabei
das Hindurchgehende) wurde von Aretheios aus Kappadoki- entstehenden Verbindungen werden Glycoside genannt.
en (81–128 n. Chr.) in den medizinischen Sprachgebrauch Wird die glycosidische Bindung zwischen 2 Monosacchari-
eingeführt, um die großen Harnmengen, den Harndrang den geknüpft, entstehen Disaccharide (Maltose, Lactose,
und das häufige Wasserlassen zu charakterisieren. Das Prü- Saccharose).
fen des süßen Geschmacks von Diabetikerharn wurde noch Saccharide aus 3–20 Monosacchariden werden als Oligo-
im 20. Jahrhundert den Studenten in der Vorlesung ein- saccharide, solche mit mehr als 20 als Polysaccharide be-
drucksvoll demonstriert. Der Professor ließ sich ein mit Harn zeichnet:
gefülltes Glas reichen, steckte einen Finger hinein, zog die 4 Homoglycane enthalten nur ein einziges Monosaccharid
Hand wieder zurück und kostete am Finger. Es ging alles 4 Heteroglycane dagegen mehrere unterschiedliche
ziemlich schnell und die Zuschauer waren fassungslos. Erst Monosaccharide
später wurde geklärt, was geschehen war. Der Professor
hatte den Zeigefinger in das Uringlas gesteckt, aber seinen Das wichtigste tierische Homoglycan ist das Glycogen.
Mittelfinger abgeschleckt. Niemand im Zuhörerkreis hat das Heteroglycane kommen v. a. in Glykoproteinen und Proteo-
bemerkt. glycanen der extrazellulären Matrix vor.
Die heute gebräuchlichen Verfahren zum Glucosenachweis
in Körperflüssigkeiten verlangen vom Untersucher weniger
Einsatz und sind deutlich weniger störanfällig. Die Glucose-
bestimmung erfolgt im Allgemeinen mit Hilfe optisch-enzy- 3.2 Lipide
matischer Tests (7 Kap. 7.6), meist mit Hilfe von Hexokinase
(1) und Glucose-6-Phosphatdehydrogenase (2): 3.2.1 Einteilung und Funktionen der Lipide

(1) Glucose + ATP Glucose-6-Phosphat + ADP Die Klassifizierung von Lipiden erfolgt nach dem
Vorkommen von Esterbindungen
(2) Glucose-6-Phosphat + NADP+ Eine gebräuchliche Klassifizierung für die chemisch sehr
6-Phosphogluconat + NADPH + H+ unterschiedlichen Lipide teilt diese in zwei Hauptgruppen ein,
die einfachen, nicht-hydrolysierbaren Lipide und die zu-
Messgröße ist dabei die spezifische Absorption von NADPH sammengesetzten, Esterbindungen bzw. Amidbindungen ent-
bei 340 nm (7 Abb. 7.5 in 7 Kap. 7.6). haltenden und damit hydrolysierbaren Lipide (. Tab. 3.6 und
Gemische komplexer Kohlenhydrate können durch Techni- . Tab. 3.7).
ken, die auch bei der Trennung von Proteinen und Amino-
6
3.2 · Lipide
33 3
Orbita) gespeichert. Durch die Fettspeicherung im Fettgewebe
. Tab. 3.6 Klassifizierung von einfachen, nicht-hydrolysierbaren ist über längere Zeit die Unabhängigkeit von der Nahrungszu-
Lipiden fuhr gewährleistet.
Lipidklasse Beispiele
Ein Erwachsener speichert etwa 10.000 g Fett (bei Überge-
wicht wesentlich mehr!), aber maximal nur etwa 500 g Kohlen-
Fettsäuren Gesättigte, einfach und mehr- hydrate in Form von Glycogen.
fach ungesättigte

Fettsäurederivate Prostaglandine, Leukotriene Membranaufbau Eine besondere Bedeutung haben Phospho-


glyceride, Sphingolipide und Cholesterin als Bausteine der
Polyisoprene Ubichinon, Dolichol, Vitamine
A, E, K Plasmamembran und der intrazellulären Membranen, z. B. der
Isoprenderivate Mitochondrien, der Lysosomen und des endoplasmatischen Re-
Steroide Cholesterin, Steroidhormone,
Vitamin D
tikulums (7 Kap. 11.1).

Signalvermittlung Lipide sind an der Regulation des Stoffwech-


sels, des Wachstums und der Differenzierung beteiligt. Die Ste-
roidhormone der Nebennierenrinde und der Gonaden
. Tab. 3.7 Klassifizierung von zusammengesetzten, hydrolysier-
baren Lipiden (7 Kap. 40) sind ebenso Lipide wie Prostaglandine und Leuko-
triene, die als Gewebshormone weit verbreitet sind (7 Kap. 22.3.2).
Lipidklasse Komponenten Darüber hinaus sind Lipide als second messenger für die Sig-
naltransduktion außerordentlich wichtig (7 Kap. 33.4.2).
Acyl- Alkohol Weitere
reste Bestandteile

Triacylglycerine 3 Glycerin (Glycerol) 3.2.2 Gesättigte und ungesättigte Fettsäuren


Phosphoglyceride 2 Glycerin-3-Phos- Ethanolamin,
phat Cholin, Inositol, Fettsäuren bestehen aus einer Kohlenwasserstoff-
Serin kette und einer Carboxylgruppe
Sphingomyelin 1a Sphingosin Phosphoryl- Der allgemeine Aufbau von Fettsäuren und die Regeln für ihre
cholin, Phos- Benennung sind in . Tafel II.1 dargestellt. Entsprechend ihrer
phorylethanol- Biosynthese aus Acetylresten enthalten die Fettsäuren tierischer
amin Organismen meist eine Alkankette mit einer geraden Anzahl von
Cerebroside, 1a Sphingosin Zucker C-Atomen.
Ganglioside In der chemischen Nomenklatur werden Fettsäuren nach
Cholesterinester 1 Cholesterin den analogen Kohlenwasserstoffen mit gleicher Kettenlänge
(Cholesterol) benannt. So heißt beispielsweise eine gesättigte Fettsäure mit
a
Acylrest ist über Amidbindung mit dem Aminoalkohol Sphingosin 6 C-Atomen Hexansäure, eine mit 18 C-Atomen Octadecansäure.
verknüpft. Für die meisten Fettsäuren sind jedoch Trivialnamen üblich, die
häufig den Organismus oder das Gewebe wiedergeben, aus dem
die Fettsäure ursprünglich isoliert worden ist (. Tab. 3.8).
Fettsäuren sind Bausteine von Acylglycerinen, Phosphogly-
Lipide dienen der Energiespeicherung, cerinen, Sphingolipiden und Cholesterinestern. Als unveresterte
dem Membranaufbau und der Signaltransduktion sog. freie Fettsäuren kommen sie in den Geweben in geringen
Lipide haben eine Vielzahl von Funktionen, besonders bei Mengen vor, im Blutplasma beträgt ihre Konzentration etwa
4 der Energiespeicherung 0,5–1 mmol/l.
4 beim Aufbau von Membranen und
4 bei der Signalvermittlung Gesättigte Fettsäuren enthalten nur Einfach-
bindungen, ungesättigte Fettsäuren eine oder
Energiespeicherung Lipide sind ein wichtiger Nahrungsbe- mehrere Doppelbindungen
standteil. Die Fettverbrennung ergibt im Vergleich mit anderen Mehr als die Hälfte der in tierischen bzw. pflanzlichen Zellen
Nahrungsstoffen die höchste Energieausbeute (38–39 kJ/g Fett) vorkommenden Fettsäuren enthalten eine oder mehrere Dop-
(7 Kap. 56.1). Neben ihrem energetischen Wert haben Nahrungs- pelbindungen. Diese Tatsache ist von erheblicher biologischer
lipide auch Bedeutung, weil sie die essentiellen Fettsäuren und Bedeutung, da i. Allg. das Vorhandensein von Doppelbindun-
die fettlöslichen Vitamine Retinol, Calciferole, Tocopherole und gen den Schmelzpunkt einer Fettsäure beträchtlich absenkt
Phyllochinone enthalten (7 Kap. 58). (. Tab. 3.8). Dies wird bei den in Speicher- und in Membran-
Im tierischen Organismus findet sich die höchste Lipidkon- lipiden häufig vorkommenden Fettsäuren mit 16 und 18 C-Ato-
zentration im Fettgewebe Hier werden Triacylglycerine als men besonders deutlich. Ohne das Vorhandensein von Doppel-
Energiespeicher, zur Wärmeisolierung (subkutanes Fettgewebe) bindungen wären diese Lipide bei physiologischen Temperatu-
oder als Druckpolster (Fett der Nierenlager, der Fußsohle, der ren starr.
34 Kapitel 3 · Kohlenhydrate, Lipide, Aminosäuren und Nucleotide – Bausteine des Lebens

. Tab. 3.8 Wichtige Fettsäuren

Trivialname Chemischer Name Formel Schmelzpunkt Vorkommen


(°C)

3 A. Gesättigte Fettsäuren

Essigsäure Ethansäure C 2H 4O 2 16 Endprodukt des bakteriellen Kohlenhydratabbaus; als


Acetyl-CoA im Intermediärstoffwechsel

Propionsäure Propansäure C3H 6O 2 –24 Endprodukt des bakteriellen Kohlenhydratabbaus; als


Propionyl-CoA im Intermediärstoffwechsel; Endprodukt
beim Abbau ungeradzahliger Fettsäuren und bestimmer
Aminosäuren

Buttersäure Butansäure C 4H 8O 2 –8 In Fetten, z. B. Butter; Endprodukt des bakteriellen Abbaus


von z. B. Cellulose (»Ballaststoffe«); fördert Proliferation der
Darmmukosa

Isovaleriansäure Isopentansäure C5H10O2 –33 Als Isovaleryl-CoA-Intermediat beim Abbau verzweigtketti-


ger Aminosäuren

Myristinsäure Tetradecansäure C14H28O2 53,9 Anker für Membranproteine

Palmitinsäure Hexadecansäure C16H32O2 62,8 Bestandteil tierischer und pflanzlicher Lipide

Stearinsäure Octadecansäure C18H36O2 69,6 Bestandteil tierischer und pflanzlicher Lipide

Lignocerinsäure Tetracosansäure C24H48O2 84 Bestandteil von Cerebrosiden und Sphingomyelin

B. Einfach ungesättigte Fettsäuren

Crotonsäure trans-Butensäure C 4H 6O 2 71,6 Als Crotonyl-CoA Metabolit beim Fettsäureabbau

Palmitoleinsäure cis-Δ9-Hexadecensäure C16H30O2 1 In Pflanzenölen, Bestandteil tierischer Lipide

Ölsäure cis-Δ9-Octadecensäure C18H34O2 16 Hauptbestandteil aller Fette und Öle

Nervonsäurea cis-Δ15-Tetracosensäure C24H46O2 42 In Cerebrosiden

C. Mehrfach ungesättigte Fettsäuren

Linolsäurea Δ9,12-Octadecadiensäure C18H32O2 –5 In Pflanzenölen


a
α Linolensäure Δ9,12,15- C18H30O2 –11 In Pflanzenölen
Octadecatriensäure

Arachidonsäure Δ5,8,11,14- C20H32O2 –49 In Fischölen; Bestandteil vieler Phosphoglyceride


Eicosatetraensäure

EPA Δ5,8,11,14,17- C20H30O2 –54 In Fischölen; Vorläufer von Prostaglandinen der Serie 3
Eicosapentaensäure (7 Kap. 22.3.2); antiinflammatorisch, antiatherogen

DHA Δ4,7,10,13,16,19- C22H32O2 –44 In Phosphatidylserin neuronaler Zellmembranen; verhindert


Docosahexaensäure Apoptose, unterstützt neuronale Differenzierung
a Essentielle Fettsäuren.

Wegen des Fehlens einer entsprechenden Enzymausstattung (. Tafel II.1) wegen der Lage ihrer am weitesten von der
können mehrfach ungesättigte Fettsäuren, deren Doppelbindun- Carboxylgruppe entfernten Doppelbindung als ω-3-Fettsäure
gen mehr als 9 C-Atome von der Carboxylgruppe entfernt sind, bezeichnet (über die ernährungsphysiologische Bedeutung von
vom tierischen Organismus nicht synthetisiert werden ω-6- und ω-3-Fettsäuren 7 Kap. 57.1.3).
(7 Kap. 21.2.4). Da sie jedoch eine Reihe wichtiger Funktionen Wichtige Fettsäurederivate sind Prostaglandine, Thrombo-
erfüllen, müssen sie mit der Nahrung zugeführt werden und xane und Leukotriene. Sie entstehen aus mehrfach ungesättig-
werden deshalb auch als essentielle Fettsäuren bezeichnet ten Fettsäuren, besonders der Arachidonsäure (20 C-Atome)
(. Tab. 3.8). Eine wichtige essentielle Fettsäure ist die Linolsäure und werden deswegen auch als Eicosanoide (griech. eikosa = 20)
(. Tafel II.1) mit 18 C-Atomen. Die zweite Doppelbindung ist hier bezeichnet. Wegen ihrer Wirkung auf den Zellstoffwechsel in
12 C-Atome von der Carboxylgruppe entfernt und liegt geringsten Konzentrationen (10–10–10–8 mol/l) werden sie zu
demzufolge 6 C-Atome vor dem endständigen ω-C-Atom. Man den Gewebshormonen gerechnet. Über Biosynthese, Struktur
bezeichnet die Linolsäure daher auch als ω-6-Fettsäure. Im und Wirkungsweise der Eicosanoide s. 7 Kap. 22.3.2.
Gegensatz dazu wird die ebenfalls essentielle Linolensäure
3.2 · Lipide
35 3
3.2.3 Triacylglycerine und Phosphoglyceride

Glycerinlipide enthalten als gemeinsame Struktur den dreiwerti-


gen Alkohol Glycerin. Wenn mindestens eine der drei Hydroxyl-
gruppen des Glycerins mit Fettsäuren verestert ist, handelt es sich
um Acylglycerine.

Bei Triacylglycerinen sind alle drei Hydroxylgruppen


des Glycerins mit Fettsäuren verestert
Sind alle drei Hydroxylgruppen des Glycerins mit Fettsäuren ver-
estert, spricht man von Triacylglycerinen (Triglyceriden)
(. Tafel II.2). Monoacyl- bzw. Diacylglycerine (nur eine oder
zwei der drei OH-Gruppen des Glycerins sind verestert) kom-
men in geringen Mengen in den Geweben als Zwischenprodukte
beim Auf- und Abbau der Triacylglycerine vor.
In der höchsten Gewebskonzentration kommen Triacylgly-
cerine im Speicherfett des Fettgewebes vor. Die Zusammenset-
zung der Triacylglycerine ist von großer Bedeutung für ihre Kon-
sistenz:
4 Je länger die Kohlenwasserstoffketten der Fettsäurereste
sind, umso höher liegt der Schmelzpunkt der Triacyl-
glycerine.
4 Je mehr Doppelbindungen die Fettsäurereste in Triacyl-
glycerinen enthalten, umso niedriger liegt der Schmelz-
punkt.

Dementsprechend findet man beispielsweise einen besonders


hohen Anteil an mehrfach ungesättigten Fettsäuren mit beson-
ders niedrigem Schmelzpunkt im subkutanen Fettgewebe von
Meeressäugern. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Tranöl der Wale.

Phosphoglyceride sind Derivate


. Abb. 3.5 Aufbau von GPI(Glycosyl-Phosphatidylinositol)-Ankern. Die-
des Glycerin-3-Phosphats se Verankerung von Proteinen in der Membran erfolgt durch ein Phosphati-
Phosphoglyceride sind die mengenmäßig bedeutendsten Mem- dylinositolmolekül, an welches ein Tetrasaccharid aus Glucosamin und
branbestandteile tierischer Gewebe (7 Kap. 11.1). Ihre Struktur- 3 Mannoseresten geknüpft ist. Der terminale Mannoserest trägt ein Ethano-
merkmale finden sich in . Tafel II.3. laminphosphat, welches über eine Säureamidbindung mit dem C-Terminus
des jeweiligen Proteins verbunden ist. Dieses Grundgerüst ist bei den ver-
Von besonderer Bedeutung für den Aufbau von Membranen
schiedenen GPI-Ankern modifiziert. Mit der OH-Gruppe am C-Atom 3 des
eukaryontischer Zellen sind Phosphatidylcholin, Phosphatidy- Inositols kann ein weiterer Fettsäurerest verestert sein (wie dargestellt);
lethanolamin, Phosphatidylserin und Phosphatidylinositol. R1: die erste Mannose kann zusätzlich mit Phosphoethanolamin, Galactose
oder N-Acetylgalactosamin verknüpft sein; R2: die zweite Mannose kann
Phosphatidylcholin Phosphatidylcholin (Lecithin) ist mengen- zusätzlich einen Phosphoethanolaminrest tragen; R3: ein weiterer
Mannoserest
mäßig das häufigste Phosphoglycerid. Es ist ein Phosphorsäure-
diester der Phosphatidsäure mit dem Aminoalkohol Cholin.
welches schon in geringen Mengen hämolytisch wirkt, d. h. eine
Phosphatidylethanolamin und Phosphatidylserin Beide Phos- Auflösung der Erythrocytenmembran bewirkt. Phospholipasen
phoglyceride entsprechen strukturell dem Phosphatidylcholin, kommen u. a. in Bienen- und Schlangengiften vor und sind mit
jedoch ist das Cholin durch Ethanolamin bzw. Serin ersetzt. ein Grund für die Gefährlichkeit dieser Gifte (7 Kap. 22.1.2).

Phosphatidylinositol Im Phosphatidylinositol, dem eine beson- Glycosyl-Phosphatidyl-Inositol-Anker Glycosyl-Phosphatidyl-


dere Bedeutung im Rahmen der Signaltransduktion zukommt Inositol-Anker oder GPI-Anker sind wichtige Membranbestand-
(7 Kap. 33.4.2), ist der Phosphorsäurediester mit dem zyklischen teile, die auf der Grundstruktur des Phosphatidylinositols basie-
sechswertigen Alkohol Inositol verknüpft. ren (. Abb. 3.5). Sie dienen der Verankerung von Rezeptoren
oder Enzymen, z. B. der Acetylcholinesterase, der alkalischen
Lysophosphoglyceride Unter Einwirkung von Phospholipasen Phosphatase oder des Prionproteins (7 Kap. 49.3.5) in der Mem-
entstehen aus Phosphoglyceriden durch Abspaltung einer Fett- bran. Für den Aufbau des GPI-Ankers werden Glucosamin und
säure die entsprechenden Lysophosphoglyceride. Der bekann- 3 Mannosen mit glycosidischen Bindungen an das Inositol ge-
teste Vertreter dieser Gruppe ist das Lysophosphatidylcholin, knüpft, das mit einer dritten Fettsäure verestert sein kann. Die
36 Kapitel 3 · Kohlenhydrate, Lipide, Aminosäuren und Nucleotide – Bausteine des Lebens

. Abb. 3.6 Struktur des Cardiolipins . Abb. 3.7 Aufbau von Plasmalogenen

terminale Mannose trägt einen Phosphoethanolaminrest, der lären Membranen mit Ausnahme der mitochondrialen Innen-
mit dem C-Terminus des jeweiligen Proteins über eine Säure- membran. In besonders hoher Konzentration kommen sie im
amidbindung verbunden ist. Die Mannosereste können weitere Zentralnervensystem vor. So leitet sich der Name Sphingomyelin
Ethanolamine und andere Saccharide tragen. vom typischen Vorkommen dieser Lipide in den Myelinscheiden
des Nervengewebes ab.
Cardiolipin Cardiolipin oder Diphosphatidylglycerin ist ein ty-
pisches Phosphoglycerid der bakteriellen Plasmamembran und
findet sich bei Eukaryonten entsprechend der Endosymbionten- 3.2.5 Isoprenoide
entwicklung in der inneren Mitochondrienmembran wieder
(. Abb. 3.6). Auch hier ist das Rückgrat des Moleküls ein Glyce- Der Grundbaustein der Isoprenlipide ist das Isopren (2-Me-
rin, bei dem die Hydroxylgruppen der C-Atome 1 und 3 mit je thyl-1,3-Butadien . Durch Polymerisation mehrerer Isoprenres-
einer Phosphatidsäure verestert sind. te entstehen einkettige Moleküle, die ggf. zyklisieren können
(. Tafel II.5). Sie bilden die Grundlage einer großen Zahl von
Plasmalogene Plasmalogene stehen strukturell dem Phosphati- Naturstoffen.
dylcholin bzw. dem Phosphatidylethanolamin nahe. Sie machen
z. B. 20–30 % der Phospholipide des Gehirns und der Muskeln Polyisoprene sind lineare Polymerisationsprodukte
aus. Der Unterschied zu den eigentlichen Phosphoglyceriden be- von Isoprenresten
ruht darauf, dass am C-Atom 1 des Glycerins anstelle einer Fett- 4 Terpene sind Verbindungen aus 10 C-Atomen, die formal
säure ein Fettsäurealdehyd als Enolether gebunden ist. Die durch Polymerisation zweier Isoprenreste entstanden sind.
zweite, als Ester gebundene Fettsäure ist immer ungesättigt. Als Viele pflanzliche ätherische Öle gehören in die Gruppe der
stickstoffhaltige Alkohole dienen in der Regel Ethanolamin oder Terpene.
Cholin (. Abb. 3.7). 4 Sesquiterpene sind Verbindungen mit 15 C-Atomen, die
aus drei Isoprenen zusammengesetzt sind.
4 C20-Verbindungen werden als Diterpene bezeichnet,
3.2.4 Sphingo- und Glykolipide C30-Verbindungen als Triterpene.
4 Isoprenoide mit besonderer Bedeutung für den tierischen
Die Strukturen der wichtigsten Sphingolipide sind in . Tafel II.4 Organismus sind die fettlöslichen Vitamine Retinal
zusammengefasst. Sphingolipide sind wie Phosphoglyceride (. Tafel II.5), Tocopherol und Phyllochinon (7 Kap. 58).
amphiphile Moleküle. Sie finden sich in wechselnden Konzen- 4 Dolichol besteht aus 19 Isopreneinheiten (. Tafel II.5).
trationen als Bestandteile der Lipiddoppelschichten aller zellu- Als Dolicholphosphat dient es bei der Biosynthese von
3.2 · Lipide
37 3
Glykoproteinen im endoplasmatischen Retikulum dazu, Phosphoglyceride und Sphingolipide
die synthetisierten Oligosaccharidketten in der Membran bilden an Grenzflächen oder in Wasser
des endoplasmatischen Retikulums zu verankern geordnete Strukturen aus
(7 Kap. 49.3.3). Im Gegensatz zu den Triacylglycerinen enthalten Phosphoglyce-
ride und Sphingolipide viele geladene bzw. polare Gruppen:
Steroide entstehen durch Zyklisierung 4 Alle Phosphoglyceride tragen eine negative Ladung an der
des Triterpens Squalen Phosphatgruppe (pKS = 1–2).
Steroide sind ebenfalls Derivate des Isoprens, da sie durch Zykli- 4 Phosphatidylethanolamin und Phosphatidylcholin haben
sierung des Triterpens Squalen entstehen. Chemisch leiten sie bei physiologischem pH-Wert zusätzlich eine positive La-
sich vom Cyclopentanoperhydrophenanthren (Steran oder dung am Stickstoff (. Tafel II.3) und werden deswegen als
Gonan) ab. neutrale Phospholipide bezeichnet.
Ausgangspunkt aller in tierischen Organismen vorkom- 4 Phosphatidylserin (. Tafel II.3) besitzt zwei negativ und
menden Steroide ist Cholesterin (. Tafel II.5). eine positiv geladene Gruppe, Phosphatidylinositol
Cholesterin hat eine Reihe wichtiger Funktionen: (. Tafel II.3) und Cardiolipin (. Abb. 3.6) besitzen nur ne-
4 Es ist Bestandteil aller zellulären Membranen mit Ausnah- gativ geladene Phosphatgruppen. Diese Verbindungen re-
me der mitochondrialen Innenmembran. präsentieren die Gruppe der anionischen (sauren) Phos-
4 Es ist die Muttersubstanz für die Biosynthese der zahlrei- pholipide.
chen Steroidhormone, die in der Nebennierenrinde und in
den Gonaden gebildet werden (7 Kap. 40). Ähnliche Eigenschaften haben die geladenen »Kopfteile« des
4 Aus einem Synthesevorläufer (7-Dehydrocholesterin) Sphingomyelins. Kohlenhydratreste von Glycosphingolipiden
entstehen die D-Hormone (D-Vitamine) (7 Kap. 58.3). (. Tafel II.4) haben zwar keine elektrische Ladung, sind jedoch
4 Es ist der Ausgangspunkt für die Biosynthese der für die wegen ihrer vielen Hydroxylgruppen polar und ebenfalls
Verdauungsvorgänge unerlässlichen Gallensäuren (7 Kap. hydrophil.
61.1.4 und 62.4). Da die sowohl bei den Phosphoglyceriden als auch den
Sphingolipiden vorkommenden Kohlenwasserstoffketten der
Anstelle des Cholesterins enthalten Pflanzen v. a. β-Sitosterol, langkettigen Fettsäuren hydrophob sind, gehören Phospho-
das sich von diesem nur durch seine aliphatische Seitenkette glyceride und Sphingolipide zu den sog. amphiphilen (oder auch
unterscheidet (. Tafel II.5). Über die Resorption von Cholesterin amphipathischen) Verbindungen. Auch die sog. Detergenzien
und β-Sitosterol s. 7 Kap. 61.3.3. Ergosterol ist ein Steroid, das (. Abb. 3.8) gehören in diese Klasse. Für amphiphile Verbindun-
von Pilzen und Mycoplasmen anstelle von Cholesterin synthe- gen ist typisch, dass in einem Molekül hydrophobe wie auch hy-
tisiert wird. Es dient als Provitamin für die Synthese des drophile Regionen vorkommen.
Vitamin D2 (7 Kap. 58.3). Von besonderem pharmakologischem Amphiphile Lipide ordnen sich an Grenzflächen oder im
Interesse sind die vielen Pflanzensteroide, die neben Hydroxyl- Wasser in typischer Weise an (. Abb. 3.9 A–D):
gruppen auch Ether- und Lactongruppierungen enthalten 4 An Wasser-Luft-Grenzschichten breiten sich amphiphile
können und häufig als Glycoside vorkommen. Beispiele hierfür Lipide in Form von monomolekularen Filmen aus, in
sind die Herzglycoside (. Abb. 3.3). denen der polare Anteil des Moleküls ins Wasser ragt,
während sich die hydrophoben Kohlenwasserstoffreste zur
Luft hin orientieren (. Abb. 3.9A).
3.2.6 Lösungsverhalten von Lipiden 4 Eine ähnliche Orientierung findet sich an Wasser-Öl-
Grenzschichten, wobei der polare Anteil dem Wasser
Triacylglycerine sind apolar und in Wasser unlöslich zugewandt ist, während die apolare, hydrophobe Gruppe in
Triacylglycerine mit langkettigen Fettsäuren, die den Hauptteil der Ölphase steckt.
des sog. Speicherfettes des Fettgewebes darstellen, sind wasser- 4 In bestimmten Konzentrationsbereichen ordnen sich am-
unlöslich, da alle drei Hydroxylgruppen des Glycerins verestert phiphile Lipide in wässrigen Lösungen in Form von Micel-
sind. Aus diesem Grund sind sie nicht imstande, an wässrigen len an (. Abb. 3.9B). Die hydrophoben Anteile sind dabei
Grenzflächen geordnete Strukturen (s. u.) auszubilden. gegeneinander gerichtet und nach außen zur wässrigen
Im Gegensatz zu den Triacylglycerinen verfügen Mono- bzw. Phase hin durch die polaren, hydrophilen Anteile der
Diacylglycerine über freie Hydroxylgruppen. Deshalb sind sie Moleküle abgeschirmt. Dieses Verhalten trifft v. a. für die
z. B. imstande, an Grenzflächen Micellen zu bilden und spielen in . Abb. 3.8 dargestellten Detergenzien zu. Andere Lipide,
eine wichtige Rolle bei der Emulgierung von Lipiden während die selbst nicht in der Lage sind, Micellen zu bilden (Cho-
der intestinalen Resorption (7 Kap. 61.3.3). lesterin, fettlösliche Vitamine), können mit amphiphilen
Lipiden assoziieren und bilden so gemischte Micellen.
Diese sind eine entscheidende Voraussetzung für die Lipid-
resorption im Dünndarm (7 Kap. 61.3.3).
4 Amphiphile Lipide mit umfangreicheren hydrophoben
Anteilen wie Phosphoglyceride und Sphingolipide bilden
typischerweise sog. Doppelschichten oder lipid bilayers
38 Kapitel 3 · Kohlenhydrate, Lipide, Aminosäuren und Nucleotide – Bausteine des Lebens

A
Weise als Vehikel benutzt, mit denen Arzneimittel, Enzyme,
DNA u. a. in den intrazellulären Raum transportiert werden
können.

Über den Aufbau biologischer Membranen aus amphiphilen Li-


piden s. 7 Kap. 11.1.
3
Übrigens
Analytik von Lipiden
Da Lipide wasserunlöslich sind, erfordert ihre Extraktion aus
Geweben und die anschließende Fraktionierung die Anwen-
dung organischer Lösungsmittel. Ester- bzw. amidgebun-
dene Fettsäuren können durch Hydrolyse abgetrennt und
anschließend analysiert werden.
Für die Auftrennung der einzelnen Komponenten von Lipid-
gemischen verwendet man Adsorptionschromatographie,
häufig in Form von Dünnschichtchromatographie, wobei die
stationäre Phase Kieselsäuregel ist. Als mobile Phase dienen
Gemische unterschiedlicher organischer Lösungsmittel.
Einzelne Lipide werden anhand ihrer Beweglichkeit bei der-
artigen chromatographischen Verfahren identifiziert, ein
apparativ aufwendigeres, aber wesentlich empfindlicheres
modernes Verfahren ist die Massenspektrometrie von Lipi-
den (s. Lehrbücher der biochemischen Analytik).

Zusammenfassung
Zu den einfachen, nicht-hydrolysierbaren Lipiden gehören:
B
4 Fettsäuren und deren Abkömmlinge wie Prostaglandine,
Thromboxane und Leukotriene
4 Isoprenlipide wie Cholesterin und seine Abkömmlinge,
die Vitamine A, E, K, sowie viele andere Naturstoffe

Hydrolysierbare Lipide werden nach ihrer Alkohol-


komponente eingeteilt. Man unterscheidet:
4 Acylglycerine
4 Phosphoglyceride
. Abb. 3.8 Strukturen von Detergenzien. A Die dargestellten Detergenzi-
4 Sphingolipide
en können in bestimmten Konzentrationsbereichen in wässrigem Milieu
spontan Micellen bilden. Da Micellen viele apolare Verbindungen einschlie- 4 Cholesterinester
ßen können, sind sie die Grundlage für die fettlösende Wirkung von Seifen
und Reinigungsmitteln. B Cholat ist eine wichtige Gallensäure (7 Kap. 61.1.4 Wichtige Funktionen von Lipiden sind:
und 62.4) und spielt bei der intestinalen Lipidresorption eine entscheidende 4 Bereitstellung von Substraten für die Energiegewinnung
Rolle. Hydrophile Anteile sind blau, hydrophobe gelb hervorgehoben
4 Speicherung von Energie, vor allem in Form von Triacyl-
glycerinen
4 Aufbau von Membranen, vor allem durch Phospho-
(. Abb. 3.9C) aus. Dieses Phänomen beruht auf der Tatsache, glyceride, Sphingolipide und Cholesterin
dass sich die hydrophoben Kohlenwasserstoffketten der Fett- 4 Bereitstellung von Signalmolekülen, vor allem Steroid-
säurereste gegeneinander orientieren, während die hydrophi- hormone, Prostaglandine, Leukotriene, Thromboxane
len Teile sich zur wässrigen Phase hin ausrichten.
4 Werden Lipiddoppelschichten mit Ultraschall behandelt,
entstehen Liposomen (. Abb. 3.9D), die wegen ihrer struk-
turellen Ähnlichkeit mit zellulären Membranen leicht mit
den Plasmamembranen vieler Zellen fusionieren können.
Liposomen werden deshalb gelegentlich mit normalerweise
nicht-membrangängigen Wirkstoffen beladen und auf diese

SDS# Octylglucosid# MEGA-8# Triton^R^^X-100# Cholat#


3.3 · Aminosäuren
39 3

A B

C D

. Abb. 3.9 Möglichkeiten der Anordnung von amphiphilen Lipiden. A In Grenzschichten, B–D im Wasser. Die blau hervorgehobenen Teile der Phospho-
lipidmoleküle stellen die hydrophilen Bereiche, die gelb gezeichneten die hydrophoben Bereiche dar

3.3 Aminosäuren sind Dreibuchstabenabkürzungen üblich, für die Notierung


längerer Proteinsequenzen auch Einbuchstabensymbole
3.3.1 Einteilung und Funktionen (. Tafel III).
der Aminosäuren
Aminosäuren sind die Bausteine der Proteine,
Aminosäuren sind Derivate gesättigter erfüllen aber auch zahlreiche andere Funktionen
Carbonsäuren im Stoffwechsel
Aminosäuren sind Derivate von Carbonsäuren, die typischer- Von über 100 bekannten Aminosäuren kommen in der Natur nur
weise an dem auf das Carboxyl-C-Atom folgenden α-C-Atom 20 als Bausteine von Proteinen vor. Diese Aminosäuren bilden die
mit einer Aminogruppe substituiert sind (. Abb. 3.10). Es han- Gruppe der proteinogenen Aminosäuren. Viele Organismen be-
delt sich also um α-Aminocarbonsäuren. Das α-C-Atom trägt nutzen darüber hinaus die erst während der Proteinbiosynthese
außerdem den als Seitenkette bezeichneten Rest (R in . Abb. aus Serin gebildete Aminosäure Selenocystein (. Tafel III, 7 Kap.
3.10), der bei jeder Aminosäure verschieden ist und ihre indivi- 48.1.1 und 7 Kap 60.2.9), Archäen außerdem Pyrrolysin (ein mo-
duellen physikochemischen Eigenschaften wie z. B. Ladung und difiziertes Lysin) (. Abb. 3.11) als Proteinbausteine, sodass man
chemische Reaktivität bestimmt. heute genau genommen von 22 proteinogenen Aminosäuren
Viele Aminosäuren werden mit Trivialnamen bezeichnet, sprechen muss. Die Zahl der in Proteinen tatsächlich vorkom-
z. B. Alanin anstelle der chemischen Bezeichnung α-Amino- menden Aminosäuren ist allerdings größer als 22, da einige
propionat etc. Für die proteinogenen Aminosäuren (s. u.) Aminosäuren noch posttranslational modifiziert werden.

. Abb. 3.11 Struktur von Pyrrolysin (Pyl). Der Name leitet sich von dem
. Abb. 3.10 Allgemeine Struktur der α-Aminosäuren. R: Seitenkette Pyrrolinring ab

Micellen# Liposomen#Lysin#
40 Kapitel 3 · Kohlenhydrate, Lipide, Aminosäuren und Nucleotide – Bausteine des Lebens

. Tab. 3.9 Wichtige Eigenschaften von 20 proteinogenen Aminosäuren. (Nach Kyte u. Doolittle 1982)

Aminosäure Abkürzungen Molekülmassea Ungefähre Häufigkeit in Proteinen Isoelektrischer Punkt Hydropathie-Index


(Da) (%)

3 Isoleucin Ile I 131 5,8 6,02 4,5

Valin Val V 117 6,6 5,97 4,2

Leucin Leu L 131 9,5 5,98 3,8

Phenylalanin Phe F 165 4,1 5,48 2,8

Cystein Cys C 121 1,6 5,07 2,5

Methionin Met M 149 2,4 5,74 1,9

Alanin Ala A 89 7,6 6,02 1,8

Glycin Gly G 75 6,8 5,97 –0,4

Threonin Thr T 119 5,6 5,87 –0,7

Serin Ser S 105 7,1 5,68 –0,8

Tryptophan Trp W 204 1,2 5,89 –0,9

Tyrosin Tyr Y 181 3,2 5,66 –1,3

Prolin Pro P 115 5,0 6,48 –1,6

Histidin His H 155 2,2 7,59 –3,2

Asparagin Asn N 132 4,3 5,41 –3,5

Glutamin Gln Q 146 3,9 5,65 –3,5

Aspartat Asp D 133 5,2 2,97 –3,5

Glutamat Glu E 147 6,5 3,22 –3,5

Lysin Lys K 146 6,0 9,74 –3,9

Arginin Arg R 174 5,2 10,8 –4,5

Die Aminosäuren sind in der Tabelle nach ihrem Hydropathie-Index geordnet. Isoleucin ist die hydrophobste, Arginin die hydrophilste Aminosäure.
a
Bei der Berücksichtigung von Molekülmassen einzelner Aminosäuren im Proteinverband müssen 18 Da (H2O) abgezogen werden.

Als nicht-proteinogene Aminosäuren werden alle Amino- Neun Aminosäuren mit apolaren Seitenketten:
säuren bezeichnet, die nicht über eine spezifische tRNA in neu- 4 Glycin, Alanin, Valin, Leucin, Isoleucin, Methionin und
synthetisierte Proteine eingebaut werden. Im Prinzip lassen sie Prolin mit einer aliphatischen Seitenkette
sich einteilen in Aminosäuren, die 4 Phenylalanin und Tryptophan mit einer aromatischen Sei-
4 zwar auch im Proteinverband vorkommen, aber erst durch tenkette
posttranslationale Modifikation entstehen (7 Kap. 3.3.3),
4 außerhalb des Proteinverbandes spezifische Stoffwechsel- Sieben Aminosäuren mit ungeladenen polaren Seitenketten:
funktionen erfüllen (7 Kap. 26.1.4). 4 Tyrosin, Serin und Threonin mit einer OH-Gruppe in der
Seitenkette
4 Cystein und Selenocystein mit einer SH- bzw. SeH-Gruppe
3.3.2 Proteinogene Aminosäuren in der Seitenkette
4 Asparagin und Glutamin mit einer Säureamidgruppe in
Die proteinogenen Aminosäuren werden aufgrund der Seitenkette
der chemischen Eigenschaften ihrer Seitenketten in
unterschiedliche Gruppen eingeteilt Fünf Aminosäuren mit geladenen polaren Seitenketten:
Nach Aufbau und Eigenschaften der Seitenketten, die weitere 4 Aspartat und Glutamat mit einer Carboxylgruppe in der
funktionelle Gruppen (OH-, SH-, Carboxyl- oder Guanidino- Seitenkette
gruppen) enthalten können, werden proteinogene Aminosäuren 4 Lysin mit einer Aminogruppe in der Seitenkette
nach Gruppen zusammengefasst (. Tafel III): 4 Arginin mit einer Guanidinogruppe in der
Seitenkette
4 Histidin mit einer Imidazolgruppe in der Seitenkette
3.3 · Aminosäuren
41 3
Die Hydrophobizität der Aminosäureseitenketten
ist eine wesentliche Determinante für Struktur und
Funktion von Proteinen
In . Tab. 3.9 sind weitere Eigenschaften der klassischen 20 prote-
inogenen Aminosäuren aufgelistet, u. a. der Hydropathie-Index.
Dieser ist ein relatives Maß für die Hydrophobizität einer Ami-
nosäure. Er variiert von +4,5 für die hydrophobste Aminosäure
Isoleucin bis –4,5 für die hydrophilste Aminosäure Arginin.
Ein Vergleich mit . Tafel III verdeutlicht, dass sich 6 der
9 Aminosäuren mit apolaren Seitenketten durch einen positiven
Hydropathie-Index auszeichnen, also besonders hydrophob
sind. Umgekehrt sind alle 5 Aminosäuren mit geladenen
Seitenketten besonders hydrophil. Proteinregionen, an denen
diese Aminosäuren gehäuft vorkommen, werden für Wechsel-
wirkungen mit einer wässrigen Umgebung verantwortlich sein,
Regionen mit hydrophoben Aminosäuren werden dagegen
bevorzugt an Stellen des Proteins lokalisiert sein, an denen
Wasser keinen Zutritt haben soll.

Abgesehen von Glycin ist bei allen


proteinogenen Aminosäuren das α-C-Atom
asymmetrisch substituiert
Bei allen Aminosäuren, außer bei Glycin, trägt das α-C-Atom vier
unterschiedliche Liganden und bildet deswegen ein Asymmetrie-
zentrum. Dies ist in 7 Abb. 2.4 am Beispiel des L- bzw. D-Alanins
dargestellt. Wegen der tetraedrischen Anordnung der Bindungs-
orbitale am α-C-Atom kommen zwei stereoisomere Formen des
Alanins vor, die sich wie Bild und nicht deckungsgleiches Spiegel-
bild verhalten. Beim L-Alanin steht in der üblichen Darstellungs-
weise die Aminogruppe links vom α-C-Atom, wenn die Carb- . Abb. 3.12 Posttranslational modifizierte Aminosäuren
oxylgruppe nach oben zeigt. Alle proteinogenen Aminosäuren
sind L-α-Aminosäuren. Die Translationsmaschinerie (7 Kap. 48.2)
hat sich in der Evolution so entwickelt, dass nur L-α-Aminosäuren
für die Proteinsynthese Verwendung finden. Ein plausibler Grund Die meisten derartigen Seitenkettenmodifikationen sind irrever-
hat sich hierfür bisher nicht finden lassen. sibel. Reversible Modifikationen, wie z. B. die von Proteinkina-
Einige D-α-Aminosäuren (D-Alanin, D-Glutamin) kommen sen katalysierte Phosphorylierung, haben meist regulatorische
in bakteriellen Zellwänden (7 Kap. 16.2.4) und außerdem als Bedeutung (7 Kap. 33.4.1 und 35).
Bestandteile mancher Antibiotika und Pilzgifte vor.
Viele nicht-proteinogene Aminosäuren
werden im Rahmen des Aminosäurestoffwechsels
3.3.3 Nicht-proteinogene Aminosäuren gebildet
Nicht-proteinogene Aminosäuren sind häufig Derivate von pro-
Bestimmte Aminosäuren werden posttranslational teinogenen Aminosäuren mit bestimmten Stoffwechselfunktio-
modifiziert nen (7 Kap. 27).
Einige Aminosäuren sind das Produkt von Modifikationen an
den Seitenketten proteinogener Aminosäuren wie Phosphorylie- Beispiele hierfür sind:
rung, Hydroxylierung, Methylierung, Acetylierung, γ-Carboxy- 4 Ornithin und Citrullin als Intermediate der Harnstoffsyn-
lierung oder intramolekulare Cyclisierung. Diese Modifikatio- these
nen finden erst nach dem Einbau der proteinogenen Aminosäu- 4 Homocystein als Zwischenprodukt im Stoffwechsel der
ren in Proteine statt. Beispiele von modifizierten Aminosäuren proteinogenen Aminosäure Methionin
sind (. Abb. 3.12): 4 3,4-Dihydroxyphenylalanin (DOPA) als Vorstufe von Pig-
4 Pyroglutamat menten und biogenen Aminen
4 γ-Carboxyglutamat 4 γ-Aminobutyrat (GABA) als Neurotransmitter
4 γ-Hydroxyprolin und δ-Hydroxylysin
4 N-ε-Acetyllysin
4 Phosphoserin, Phosphothreonin und Phosphotyrosin
(. Abb. 33.6)

Pyro-(Cyclo-)-Glutamat# γ-Carboxy-Glutamat# γ-Hydroxy-Prolin# δ-Hydroxy-Lysin# N-ε-Acetyl-Lysin#


42 Kapitel 3 · Kohlenhydrate, Lipide, Aminosäuren und Nucleotide – Bausteine des Lebens

3.3.4 Aminosäuren als Ampholyte


. Tab. 3.10 pKS-Werte von Aminosäuren. (Nach Fersht 1999)
Aminosäuren haben amphotere Eigenschaften
Dissoziierbare Gruppe pKS-Werte freier pKS-Werte im
Die NH2-Gruppen von Aminosäuren sind Protonenakzeptoren, Aminosäuren Proteinverband
ihre COOH-Gruppen Protonendonoren. Aminosäuren haben
damit die Eigenschaften sowohl von Basen als auch von Säuren, -COOH-Gruppe 1,8–2,4 2–5,5
3 d. h. sie gehören zu den amphoteren Verbindungen (7 Kap. 1.4). -NH2-Gruppe 8,8–10,5 ca. 8
Die pKS-Werte (7 Kap. 1.4) der α-Carboxylgruppen von Amino-
COOH-Gruppe der Aspartat- 3,9 2–5,5
säuren liegen im Bereich von 2, die der α-Aminogruppen um Seitenkette
9–10 (. Tab. 3.10). Auch die Aminosäureseitenketten haben häu-
COOH-Gruppe der Gluta- 4,1 2–5,5
fig dissoziierbare Gruppen (. Tab. 3.10). mat-Seitenkette
Im Proteinverband hängen die pKS-Werte aller dissoziierba-
NH2-Gruppe der Lysin- 10,8 ca. 10
ren Gruppen stark von der molekularen Umgebung durch die
Seitenkette
benachbarten Seitenketten ab (. Tab. 3.10). Protonierungsvor-
gänge innerhalb eines Proteins spielen bei der Enzymkatalyse NH2-Gruppe der Arginin- 12,5
Seitenkette
eine herausragende Rolle (7 Kap. 7.5).
Wie aus . Tab. 3.10 ersichtlich wird, liegen die meisten OH-Gruppe von Tyrosin 9,1 9–12
pKS-Werte der dissoziierbaren Gruppen von Aminosäuren deut- SH-Gruppe von Cystein 8,4 8–11
lich außerhalb des physiologischen pH-Wertes von 7,0–7,4
NH-Gruppe im Imidazolring 6 5–8
(7 Kap. 66.1.2). Eine Ausnahme stellt das Histidin dar, dessen von Histidin
Imidazolring ein protonierbares N-Atom mit einem pKS-Wert
von ungefähr 6 enthält. Tatsächlich tragen deswegen Proteine
mit ihren Histidinresten wesentlich zur Pufferkapazität im Kör-
per bei. seine α-Aminogruppe schon deprotoniert ist, die endständige
ε-Aminogruppe aber noch ein Proton gebunden hat. In diesem Fall
Der Ladungszustand von Aminosäuren liegt der pI zwischen den pKS-Werten der beiden Aminogruppen.
ist abhängig vom pH-Wert
Der Zusammenhang zwischen dem pH-Wert einer Lösung und
dem Dissoziationsgrad von Säure- und Basengruppen wird Zusammenfassung
durch die Henderson-Hasselbalch-Gleichung beschrieben Formal sind Aminosäuren Derivate von Fettsäuren, die am
(7 Kap. 1.5). Danach gilt, dass die α-Carboxyl- und α-Amino- α-C-Atom eine Aminogruppe tragen. Nach der Wasserlös-
gruppen von Aminosäuren in den pH-Bereichen ihrer jeweiligen lichkeit ihrer Seitenketten kann zwischen hydrophilen und
pKS-Werte zu 50 % dissoziiert vorliegen. Laut . Tab. 3.10 ist das hydrophoben Aminosäuren unterschieden werden.
für die α-Carboxylgruppen bei pH = 1,8–2,4 und für die Aminosäuren sind amphotere Verbindungen (Ampholyte).
α-Aminogruppen bei pH = 8,8–10,5 der Fall. Wie in . Abb. 3.13 Bei neutralem pH-Wert liegen ihre Carboxyl- und Amino-
für die Aminosäure Valin dargestellt, sind die α-Carboxylgruppen gruppen in der Regel im geladenen Zustand vor. Die 22 pro-
bei pH-Werten unterhalb ihres pKS-Wertes von ca. 2,3 weitge- teinogenen Aminosäuren sind die primären Proteinbau-
hend protoniert (–COOH) und Valin liegt damit positiv geladen steine. Nicht-proteinogene Aminsosäuren entstehen durch
vor. Bei Anstieg des pH-Wertes über den pKS der α-Carboxyl- Modifikationen an den Seitenketten proteinogener Amino-
gruppe dissoziiert diese und Valin nimmt zunehmend eine zwit- säuren oder sie spielen eine spezifische Rolle im Amino-
terionische Form an. Der pH-Wert, bei dem alle Valinmoleküle säurestoffwechsel (z. B. Harnstoffzyklus).
je eine positive (–NH3+)- und eine negative (–COO–)-Gruppe
besitzen, wird als isoelektrischer Punkt (pI, IP, IEP) bezeichnet
(7 Kap. 5.2.5). Für Valin liegt dieser beim Mittelwert aus seinen
beiden pKS-Werten (ca. 2,3 und 9,7), also bei pH = 6.0 (. Tab. 3.4 Nucleotide
3.9). Steigt der pH über den pI von 6,0 hinaus, wird die
α-Aminogruppe zunehmend deprotoniert, bis Valin bei pH- 3.4.1 Struktur von Nucleosiden und Nucleotiden
Werten oberhalb des pKS seiner α-Aminogruppe (ca. 9,7) nur
noch die negative Ladung der COO–-Gruppen trägt. Nucleotide sind die Bausteine der Nucleinsäuren DNA (deoxyri-
Anders verlaufen die Titrationskurven von Aminosäuren, die bonucleic acid) und RNA (ribonucleic acid) (7 Kap. 10), die dem-
zusätzliche Carboxyl- oder Aminogruppen in ihren Seitenketten zufolge auch als Polynucleotide bezeichnet werden.
tragen. Dies wird in . Abb. 3.13 an den Beispielen von Glutamat Wie aus . Abb. 3.14 hervorgeht, sind Nucleotide aus drei
und Lysin gezeigt. Glutamat hat dann keine Nettoladung, wenn die verschiedenen Komponenten aufgebaut:
α-Carboxylgruppe schon dissoziiert, die endständige γ-Carboxyl- 4 einer stickstoffhaltigen, heterozyklischen Base, entweder
gruppe aber noch protoniert vorliegt. Der pI von Glutamat ent- einem Purin- oder Pyrimidinderivat,
spricht also dem Mittelwert aus den pKS-Werten der beiden Car- 4 einer Pentose, entweder Ribose oder Desoxyribose,
boxylgruppen. Analog ist Lysin dann elektrisch neutral, wenn 4 einem oder mehreren Phosphatresten.
3.4 · Nucleotide
43 3

. Abb. 3.13 Ladungsverhalten der Aminosäuren Valin, Glutamat und Lysin in Abhängigkeit vom pH-Wert
44 Kapitel 3 · Kohlenhydrate, Lipide, Aminosäuren und Nucleotide – Bausteine des Lebens

Nucleotide ohne Phosphatreste werden als Nucleoside be-


zeichnet.

Die Basen der Nucleotide


sind Purin- oder Pyrimidinderivate
Die häufigsten in Nucleotiden und Nucleosiden vorkommen-
3 den Purinbasen sind Adenin (A) und Guanin (G), die häufigs-
ten Pyrimidinbasen Cytosin (C), Thymin (T) und Uracil (U)
(. Tafel IV.1):
4 Thymin kommt überwiegend in DNA vor,
4 Uracil physiologischerweise nur in RNA, . Abb. 3.14 Aufbau von Nucleosiden und Nucleotiden
4 Cytosin, Adenin und Guanin sind Bestandteile von DNA
wie auch von RNA.

Darüber hinaus kommen vor allem in ribosomalen RNAs und in


Transfer-RNAs (7 Kap. 10.4 und 48.1.2) sog. seltene Purin- und
Pyrimidinbasen vor. Häufig handelt es sich hierbei um chemisch
veränderte Basen, deren Modifikation (z. B. Methylierung) erst
posttranskriptional erfolgt. Zu den seltenen Basen von Transfer-
RNAs gehört auch das Pseudouridin (s. u.).
. Abb. 3.15 Keto-Enol-Tautomerie von Thymin
Oxopurine und Oxopyrimidine zeigen das Phänomen der
Keto-Enol-Tautomerie, wie in . Abb. 3.15 am Beispiel des Thy-
mins dargestellt ist. Das Gleichgewicht liegt dabei stark auf der
Seite der Ketoform. Für die korrekte Informationsübertragung
bei Replikation und Transkription (7 Kap. 44 und 46) muss die
Ketoform vorliegen, da durch die Enolform Fehlablesungen
zustande kommen können.

Zuckerbestandteile der Nucleotide


sind Ribose oder Desoxyribose
Als Zuckerbestandteil finden sich in Mono- bzw. Polynucleoti-
den und in Nucleosiden ausschließlich die Pentosen D-Ribose
bzw. die am C-Atom 2 reduzierte Pentose 2-Desoxy-D-Ribose . Abb. 3.16 Pseudouridin
(. Tafel IV.2). Dementsprechend werden Nucleoside in Ribo-
bzw. Desoxyribonucleoside und Nucleotide in Ribo- bzw.
Desoxyribonucleotide eingeteilt.
tose; 3’-Nucleotide kommen als Hydrolyseprodukte von einzel-
In Nucleotiden und Nucleosiden ist die nen Nucleasen vor (. Tafel IV.3). Die Nomenklatur der Nucleotide
Base durch eine N-glycosidische Bindung mit der wird aus . Tab. 3.11 ersichtlich. In . Tafel IV.3 sind die Strukturen
Pentose verknüpft einiger häufiger Mononucleotide dargestellt.
Zwischen der halbacetalischen Hydroxylgruppe am C-Atom 1’
einer Pentose (Ribose bzw. Desoxyribose) und einem N-Atom
der heterozyklischen Purin- oder Pyrimidinbasen kommt es zur 3.4.2 Rolle von Nucleosiden und Nucleotiden
Ausbildung einer typischen N-glycosidischen C-N-Bindung. Im im Stoffwechsel
Allgemeinen binden die Purinbasen über das N-Atom 9, die Py-
rimidinbasen über das N-Atom 1 an das C-Atom 1’ der Ribose Nucleoside entstehen im Intestinaltrakt beim
(. Tafel IV.3). Eine ungewöhnliche C-C-Bindung findet sich bei Abbau der Nucleinsäuren der Nahrung und in den
dem seltenen Nucleosid Pseudouridin (Ψ), bei dem die Ribose Geweben beim Abbau von Nucleotiden
mit dem C-Atom 5 von Uracil verbunden ist (. Abb. 3.16). Nucleoside entstehen im Intestinaltrakt bei der Verdauung der
Die Benennung der Nucleoside ist in . Tab. 3.11 zusammen- in den Nahrungsstoffen enthaltenen Nucleinsäuren, sind jedoch
gestellt. Generell gilt, dass bei Pyrimidinbasen meist die Endung zum Teil auch in erheblicher Konzentration bereits in bestimm-
–idin, bei Purinbasen die Endung –osin angehängt wird. ten Nahrungsmitteln enthalten. Besonders nucleosidreich ist
z. B. die Muttermilch. Durch spezifische Transportsysteme im
Nucleotide sind die Phosphatester von Nucleosiden Intestinaltrakt werden diese Nucleoside resorbiert. Sie dienen
Durch Veresterung einer Hydroxylgruppe der Pentose eines Nu- hauptsächlich der Synthese von Nucleotiden und Nucleinsäuren,
cleosids mit Phosphat entsteht aus einem Nucleosid ein Nucleo- vor allem in den Epithelzellen des Intestinaltraktes. Diese Funk-
tid (. Abb. 3.14). Die Veresterung erfolgt am C-Atom 5’ der Pen- tion ist besonders bei Säuglingen von Bedeutung. Purinnucleo-

Nucleosidmonophosphat#
3.4 · Nucleotide
45 3

. Tab. 3.11 Nomenklatur von Nucleosiden und Nucleotiden

Base Nucleosida Nucleotidb Abkürzungc

Adenin Adenosin Adenosin-5’-Mono- A


phosphat (AMP)

Guanin Guanosin GMP G

Uracil Uridin UMP U

Thymin Thymidin dTMPd T

Cytosin Cytidin CMP C

Hypoxanthin Inosin IMP I . Abb. 3.17 3’-Phosphoadenosyl-5’-Phosphosulfat (PAPS). Der aktivierte


Sulfatrest ist rot hervorgehoben
Xanthin Xanthosin XMP X
a Aufgelistet sind die Ribonucleoside; Desoxyribonucleoside werden
entsprechend als Desoxyadenosin etc. bezeichnet.
b Neben den aufgeführten Nucleosidmonophosphaten gibt es Di-
und Triphosphate (z. B. ADP, ATP).
c Die Einbuchstabenabkürzungen werden wahlweise für Basen,
Nucleoside und Nucleotide (z. B. bei der Notierung von DNA- bzw.
RNA-Sequenzen) verwendet.
d Als DNA-Baustein liegt TMP nur als Desoxynucleotid vor.

side und hierbei besonders das Adenosin spielen eine wichtige


Rolle als extrazelluläre Signalmoleküle. Adenosin führt zu einer . Abb. 3.18 Cytidindiphosphat-Cholin
Relaxation der glatten Gefäßmuskulatur und steigert die Durch-
blutung vieler Gewebe.
Die Tatsache, dass viele Zellen spezifische Transportsysteme
(Carrier) für die Aufnahme von Nucleosiden besitzen, hat erheb- gie für alle zellulären Aktivitäten, z. B. Biosynthesen, Trans-
liche medizinische Bedeutung. Derartige Carrier sind nämlich portvorgänge oder Motilität.
imstande, auch chemisch modifizierte Nucleoside aufzunehmen 4 Sie sind die aktivierten Vorstufen für die DNA- und RNA-
und dann intrazellulär in die entsprechenden Nucleosidtriphospha- Biosynthese (7 Kap. 44 und 46).
te umzuwandeln. Diese dienen dann häufig als Hemmstoffe der 4 Nucleosidtriphosphate sind an der Regulation zahlreicher
Purin- bzw. Pyrimidinsynthese und der Nucleinsäuresynthese. enzymatischer Reaktionen beteiligt (Proteinkinasen 7 Kap.
Deshalb werden derartige Verbindungen zur Therapie von Tumor- 33.4.1, G-Proteine 7 Kap. 33.4.4).
oder Viruserkrankungen eingesetzt (7 Kap. 31.1.1). 4 Nucleotide bilden die für viele Biosynthesen benötigten ak-
tivierten Zwischenprodukte. Beispiele sind UDP-Glucose
Nucleotide sind Träger energiereicher für die Glycogenbiosynthese, 3’-Phosphoadenosyl-5’-Phos-
Phosphatbindungen phosulfat für Sulfatierungen (. Abb. 3.17), CDP-Cholin
Durch Anlagerung weiterer Phosphatmoleküle entstehen aus (. Abb. 3.18) für die Phospholipidsynthese und das Amino-
Nucleosidmonophosphaten Nucleosiddiphosphate und acyl-Adenylat für die Proteinbiosynthese (7 Kap. 48.1.3).
Nucleosidtriphosphate. Eine besondere Bedeutung als univer- 4 Adeninnucleotide sind Bestandteile der Coenzyme
seller Energiedonor für eine Vielzahl von Reaktionen hat das in 5 Nicotinamid-Adenin-Dinucleotid (NAD+)
. Tafel IV.3 dargestellte Adenosin-5’-Triphosphat (ATP). Die 5 Flavin-Adenin-Dinucleotid (FAD)
Bindung zwischen dem α- und β- sowie dem β- und γ-Phosphat 5 Coenzym A (CoA-SH) (7 Kap. 59.6)
des ATP ist energiereich, da es sich jeweils um eine Phosphor-
säureanhydridbindung handelt. Nucleosidcyclophosphate sind intrazelluläre
Signalmoleküle
Nucleotide sind an einer Vielzahl biochemischer Wichtige Derivate von ATP und GTP sind das cyclische Adeno-
Prozesse beteiligt sin-3’,5’-Monophosphat ’,5’-cyclo-AMP, cAMP, . Tafel IV.3)
Nucleotide haben eine außerordentliche Bedeutung für die Auf- und das cyclische Guanosin-3’,5’-Monophosphat ’,5’-cyclo-
rechterhaltung der Lebensvorgänge in Zellen, da sie an vielen GMP, cGMP . Beide Nucleotide entstehen intrazellulär unter Py-
entscheidenden biochemischen Vorgängen beteiligt sind: rophosphatabspaltung durch die Einwirkung spezifischer Cycla-
4 Sie sind universelle Energieträger, da durch Substratket- sen. Sie dienen als intrazelluläre Signalmoleküle second messen-
tenphosphorylierung und bei der oxidativen Phosphorylie- ger) und haben wichtige Funktionen bei der Regulation von
rung ATP oder GTP entstehen. Diese liefern dann die Ener- Zellstoffwechsel, Wachstum und Differenzierung (7 Kap. 33.4.2).
46 Kapitel 3 · Kohlenhydrate, Lipide, Aminosäuren und Nucleotide – Bausteine des Lebens

Zusammenfassung
Nucleoside bestehen aus je einer von vier Basen, die über
N-glycosidische Bindungen mit Ribose bzw. Desoxyribose
verknüpft sind.
Durch Veresterung der Hydroxylgruppe, in der Regel am
3 C-Atom 5’ der Ribose bzw. Desoxyribose, mit Phosphorsäure
werden aus Nucleosiden die entsprechenden Nucleotide
gebildet.
Durch die Anlagerung weiterer Phosphate entstehen aus
Nucleosidmonophosphaten die entsprechenden Di- und Tri-
phosphate. Sie enthalten energiereiche Phosphorsäure-
anhydridbindungen, deren Hydrolyse endergone Reaktio-
nen ermöglicht.
Durch Verbindungen mit Nucleosiddiphosphaten werden
Zwischenprodukte des Intermediärstoffwechsels aktiviert.

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Tafeln Kohlenhydrate
47 3

Tafelteil

I. 1 Häufige Monosaccharide I .2 Glucose

. Tafel I.2 Anomerie der Glucose. Oben: offene Kette; Mitte: in wässriger Lö-
sung erfolgt durch Reaktion der C-Atome 1 und 5 der Glucose die Ausbildung
eines intramolekularen Halbacetals (Pyranosering). Dadurch entsteht am C-
Atom 1 ein weiteres Asymmetriezentrum mit den beiden Anomeren (Diaste-
reomeren) α-D- und β-D-Glucose. Unten: Die thermodynamisch begünstigten
Sesselformen der beiden Anomeren

. Tafel I.1 Häufige Monosaccharide. Die in Form ihrer β-Anomeren


(Diastereomeren) dargestellten Monosaccharide werden nicht nur zur
Energiegewinnung abgebaut, sondern auch zum Aufbau von Oligo- und
Polysacchariden verwendet

β-D-Glucose# β-D-Galactose# β-D-Mannose# β-D-Fructose# Neuraminsäure# β-D-N-Acetyl-Glusosamin#


β-D-N-Acetyl-Galactosamin# β-D-N-Acetyl-Mannosamin# L-Fucose# α-D-Glucose# β-D-Glucose#
48 Kapitel 3 · Kohlenhydrate, Lipide, Aminosäuren und Nucleotide – Bausteine des Lebens

. Tafel I.3 Struktur wichtiger Disaccharide. Bei Disacchariden vom Mal-


tosetyp (Maltose, Lactose) ist die glycosidische Bindung zwischen dem
I .3 Struktur wichtiger Disaccharide
Halbacetal-C-Atom 1 eines Zuckermoleküls und einer alkoholischen Hydro-
xylgruppe des zweiten Zuckermoleküls geknüpft. Diese Disaccharide ent-
halten noch eine freie halbacetalische Hydroxylgruppe. Dadurch haben sie
reduzierende Eigenschaften und können weitere glycosidische Bindungen
eingehen. Dies ist bei Disacchariden vom Trehalosetyp (Trehalose, Saccha-
3 rose) nicht der Fall, da hier die glycosidische Bindung zwischen zwei halb-
acetalischen Hydroxylgruppen ausgebildet wurde

I .5 Struktur der wichtigsten Glycosaminoglycane

I .4 Aufbau von Stärke und Glycogen

. Tafel I.4 A, B Aufbau von Stärke und Glycogen. A Amylose. Die


Glucosereste sind wie bei der Maltose durch α-(1 4)-glycosidische Bin-
dungen verknüpft. B Amylopectin und Glycogen. Sie bestehen ebenfalls
aus glycosidisch verknüpften Glucoseresten, enthalten jedoch zusätzlich
Verzweigungsstellen über die Hydroxylgruppe am C-Atom 6 (α-(1 6)- . Tafel I.5 Struktur der wichtigsten Glycosaminoglycane. Die funktio-
glycosidische Bindung) nellen Gruppen sind rot hervorgehoben

α-Glucosyl-(1 4)-Glucosid# Maltose# β-Galactosyl-(1 4)-Glucosid# Lactose# α-Glucosyl-(1 1)-α-Glucosid# Trehalose# α-Glucosyl-(1 2)-β-
Fructosid# Saccharose# Amylose# Amylopectin# Glycogen# Hyaluronsäure# Chondroitin-6-Sulfat# Chondroitin-4-Sulfat# Dermatansulfat#
Tafeln Lipide
49 3
. Tafel I.6 A, B Glycoproteine mit O- bzw. N-glycosidisch verknüpften
Zuckerresten. A Bei O-glycosidisch verknüpften Glycoproteinen erfolgt die
I .6 Glycoproteine mit O- bzw. N-glycosidisch Bindung eines Zuckermoleküls an die Hydroxylgruppe eines Serin- bzw. sel-
verknüpften Zuckerresten tener Threoninrestes. B Bei N-glycosidisch verknüpften Glycoproteinen er-
folgt die Bindung über die NH2-Gruppe eines Asparaginrestes
A B

I I.1 Aufbau von Fettsäuren

. Tafel II.1 Aufbau von Fettsäuren. Links: Beispiele einer gesättigten und einer einfach ungesättigten Fettsäure in der cis- und trans-Konformation (Z- bzw. E-
Isomere). Die Kohlenstoffatome von Fettsäuren werden, beginnend mit der Carboxylgruppe, mit arabischen Ziffern nummeriert. Ein alternatives Zählverfahren
benennt die einzelnen CH2-Gruppen von Fettsäuren mit griechischen Buchstaben. Die der Carboxylgruppe benachbarte CH2-Gruppe wird mit α bezeichnet,
die nächstfolgende mit β usw. Die CH3-Gruppe am Ende einer Fettsäure ist immer das ω-C-Atom. Die Stellung einer Doppelbindung in einer Fettsäure wird
durch ein Delta angegeben (Δ). So bezeichnet Δ9 eine Doppelbindung zwischen den C-Atomen 9 und 10 einer Fettsäure. Doppelbindungen in cis-Konforma-
tion führen zu einem Knick in der Alkankette. Fast alle in der Natur vorkommenden ungesättigten Fettsäuren liegen in der cis-Konformation vor. Rechts: wich-
tige ungesättigte Fettsäuren. Sind zwei oder mehr Doppelbindungen in einer Fettsäure enthalten, so sind diese immer durch zwei C-C-Bindungen getrennt, es
handelt sich also um isolierte Doppelbindungen
Serin# Asparagin# N-Acetyl-Galactosamin# N-Acetyl-Glucosamin# gesättigte Fettsäuren# Stearinsäure# Octandecansäure# ungesättigte Fettsäuren# Ölsäure#
<k>cis<kk>-Δ^9^^-Octandecensäure# Elaidinsäure# <k>trans<kk>-Δ^9^^-Octandecensäure# Ölsäure# <k>cis<kk>-Δ^9^^-Octadecensäure# Linolsäure#
<k>cis<kk>-Δ^9,12^^-Octadiensäure# α-Linolensäure# <k>cis<kk>-Δ^9,12,15^^-Octatriensäure# Arachidonsäure# <k>cis<kk>-Δ^5,8,11,14^^-Eicosatetraensäure#
50 Kapitel 3 · Kohlenhydrate, Lipide, Aminosäuren und Nucleotide – Bausteine des Lebens

. Tafel II.2 Tripalmitoylglycerin als Beispiel für ein Triacylglycerin. Die


Fettsäurereste (Acylreste) sind schwarz, der Glycerinanteil blau dargestellt.
I I.2 Tripalmitoylglycerin
Gemischte Triacylglycerine mit Fettsäuren verschiedener Kettenlänge und
als Beispiel für
unterschiedlichem Sättigungsgrad kommen allerdings in tierischen Gewe-
ein Triacylglycerin
ben wesentlich häufiger vor. Mehrfach ungesättigte Fettsäuren finden sich
dabei häufig in der Position 2 von Glycerin

I I.3 Aufbau von Phosphoglyceriden

. Tafel II.3 Aufbau von Phosphoglyceriden. Wie bei Triacylglycerinen ist das Rückgrat der Phosphoglyceride der dreiwertige Alkohol Glycerin. Zwei der
Hydroxylgruppen des Glycerins sind mit langkettigen Fettsäuren verestert (zur Vereinfachung in der Abbildung Myristylreste), die dritte mit Phosphorsäu-
re. Deshalb können Phosphoglyceride auch als Derivate des Glycerin-3-Phosphats angesehen werden. Die Ketten der Fettsäuren sind für die hydrophoben,
die übrigen Teile der Phosphoglyceride für die hydrophilen Eigenschaften verantwortlich. Phosphatidsäure (Phosphatidat) kommt im Wesentlichen nur als
Zwischenprodukt bei der Synthese von Triayclglycerinen und Phosphoglyceriden vor. Alle anderen Phosphoglyceride sind Phosphorsäurediester, da der
Phosphatrest der Phosphatidsäure mit einem weiteren Alkohol verknüpft ist

Phosphatatidat# Phosphatidylcholin# Phosphatidylethanolamin# Phosphatidylserin# Phosphatidylinositol#


Tafeln Aminosäuren
51 3

I I.4 Sphingolipide B

A C

. Tafel II.4 Sphingolipide. A Sphingolipide sind Verbindungen des Aminodialkohols Sphingosin. Wenn die Aminogruppe des Sphingosins mit einer Fett-
säure in Säureamidbindung verknüpft ist, entsteht Ceramid. B Sphingomyeline tragen an der endständigen Hydroxylgruppe des Ceramidanteils einen
Phosphorylcholin- oder einen Phosphorylethanolaminrest. Häufig kommen ungesättigte Fettsäuren vor, u.a. die Lignocerinsäure mit 24 C-Atomen und ihre
ungesättigten Derivate. Im Gegensatz zum Sphingomyelin ist bei den Cerebrosiden die terminale Hydroxylgruppe des Ceramids glycosidisch an das C-
Atom 1 einer Galactose oder Glucose gebunden (Galactosyl- bzw. Glucosylceramid). Sulfatide sind Cerebroside, bei denen der Galactosylrest am C-Atom 3
mit Schwefelsäure verestert ist. C Ganglioside enthalten anstelle eines Monosaccharids einen komplexen, häufig verzweigten Oligosaccharidanteil. Als
Kohlenhydratreste kommen Glucose, Galactose, Galactosamin und N-Acetylneuraminsäure (Sialinsäure) vor. Das abgebildete Gangliosid GM-1 ist eines von
etwa 60 Mitgliedern dieser Lipidklasse. Alle kohlenhydrathaltigen Sphingolipide werden unter dem Begriff Glycosphingolipide zusammengefasst

I I.5 Isoprenderivate

. Tafel II.5 Isoprenderivate. Durch Polymerisation von Isoprenresten entstehen einkettige Moleküle, die zyklisieren können. Steroide sind zyklische
Isoprenderivate, die sich vom Steran (die ersten 17 C-Atome von Cholesterin ohne die Doppelbindung) ableiten

Sphingosin# Ceramid# N-Acylsphingosin# Sphingomyelin# Galactosylcerebrosid# D-Galactose# N-Acetyl-D-Galactosamin# D-Galactose# D-Glucose# Ceramid#
N-Acetylneuraminsäure# Sialinsäure# Gangliosid GM-1# Isopren# Dolichol# Retinal# Cholesterin# β-Sitosterol# Ergosterol#
52 Kapitel 3 · Kohlenhydrate, Lipide, Aminosäuren und Nucleotide – Bausteine des Lebens

III Proteinogene Aminosäuren

. Tafel III Proteinogene Aminosäuren. Die Aminosäuren sind nach chemischen Eigenschaften ihrer Seitenketten geordnet. Unter den Formeln
stehen jeweils die Trivialnamen sowie die 3- und 1-Buchstabenabkürzungen.
* Glycin besitzt keine eigentliche Seitenkette und wird deswegen oft als eigene Gruppe betrachtet.
** Tryptophan kann auch zu den Aminosäuren mit polarer Seitenkette gerechnet werden (s. Hydrophathieindex in . Tab. 3.9)

Aminosäuren# Seitenketten# apolare# Glycin# Alanin# Valin# Leucin# Isoleucin# Methionin# Prolin# Aminosäuren# Seitenketten# ungeladene polare#
Phenylalanin# Tryptophan# Tyrosin# Serin# Threonin# Cystein# Selencystein# Aminosäuren# Seitenketten# saure# Aminosäuren# Seitenketten# basische#
Asparagin# Glutamin# Aspartat# Glutamat# Lysin# Arginin# Histidin#
Tafeln Nucleotide
53 3

I V.1 Pyrimidin- und Purinderivate I V.3 Nucleotide

I V.2 Ribose und Desoxyribose

. Tafel IV.1 Pyrimidin- und Purinderivate. Uracil, Thymin, Cytosin, Adenin und Guanin
sind die wichtigsten Basen von DNA und RNA. Orotsäure, Xanthin, Hypoxanthin und Harn-
säure sind Zwischenprodukte bei deren Synthese und Abbau

. Tafel IV.2 Ribose und Desoxyribose. Nur wenn diese Zucker Bestandteile von Nucleo-
tiden und Nucleosiden sind, werden ihre C-Atome mit apostrophierten Zahlen markiert
(1’ etc. s. . Tafel IV.3)

. Tafel IV.3 Nucleotide. ATP, CDP und dTMP als Beispiele für ein Nucleosid-5’-Triphosphat,
ein Nucleosid-5’-Diphosphat und ein Nucleosid-5’-Monophosphat. Als DNA-Baustein ist
dTMP ein Vertreter der Desoxynucleotide. Die zyklischen Nucleosidmonophosphate cAMP
und cGMP kommen als second messenger vor. Nucleosid-3’-Monophosphate, wie das abge-
bildete 3’-GMP, entstehen als Spaltprodukte bestimmter Nucleasen aus Nucleinsäuren
Uracil# Adenin# Thymin# Guanin# Cytosin# Xanthin# Orotsäure# Hypoxanthin# Harnsäure# D-Ribose# 2-Desoxy-D-Ribose# Adenosin-5’-Triphosphat (ATP)#
Cytosin-5’-Diphosphat (CDP)# Desoxythymidin-5’-Monophosphat (dTMP)# cyklisches Adenosin-3’,5’-Monophosphat (3’,5’-cyclo AMP, cAMP)# cAMP (cyklisches Adenosin-3’,5’-
Monophosphat)# Guanosin-3’-Monophosphat (3’-GMP)#
4 Bioenergetik
Thomas Kriegel, Wolfgang Schellenberger

4
Einleitung tisch-autotroph gebildeter komplexer organischer Moleküle
(Kohlenhydrate, Fette, Proteine).
Die Stoffwechselprozesse in Lebewesen folgen denselben physikalisch-
chemischen Gesetzmäßigkeiten, die auch in der unbelebten Natur wirk- Die Hauptsätze der Thermodynamik beschreiben
sam sind. Der Energieaustausch eines Organismus mit seiner Umgebung die Erhaltung und Transformation von Energie
lässt sich durch die Hauptsätze der Thermodynamik beschreiben. Auf Die Gesetzmäßigkeiten der Energieerhaltung und der Energie-
diese Weise ist es möglich vorauszusagen, ob eine biochemische Reak- transformation sind in den Hauptsätzen der Thermodynamik
tion freiwillig (spontan) abläuft oder nicht. formuliert. Eine thermodynamische Analyse erfordert, zwischen
einem System und seiner Umgebung zu unterscheiden. Unter
Schwerpunkte einem System ist das im Zentrum der Betrachtung stehende Ob-
jekt, z. B. eine Zelle, zu verstehen. Seine Umgebung besteht (for-
4 Lebewesen als thermodynamisch offene Systeme, die sich
mal) aus dem Rest des Universums. Ein System kann offen, ge-
nie im Gleichgewicht mit ihrer Umgebung befinden
schlossen oder abgeschlossen (isoliert) sein. Offene Systeme
4 Freie Enthalpie als thermodynamische Zustandsgröße und
können Materie und Energie mit der Umgebung austauschen,
Triebkraft biochemischer Reaktionen
während geschlossene Systeme nur zum Energieaustausch befä-
4 Energietransformation, endergone und exergone Reaktionen
higt sind. Abgeschlossene Systeme tauschen weder Energie noch
und energetische Kopplung
Materie mit der Umgebung aus.
4 Verbindungen mit hohem Gruppenübertragungspotenzial
(energiereiche Verbindungen)
Erster Hauptsatz der Thermodynamik:
4 Adenosintriphosphat (ATP) als Überträger Freier Enthalpie
Energie kann weder erzeugt noch vernichtet werden
im Zellstoffwechsel
Innere Energie Während eines physikalischen oder chemischen
Vorganges können offene und geschlossene Systeme Energie an
die Umgebung abgeben oder von ihr aufnehmen. Dies kann durch
4.1 Thermodynamische Grundlagen Wärmeaustausch (ΔQ) und/oder dadurch geschehen, dass das
System Arbeit leistet bzw. Arbeit am System geleistet wird (ΔA).
Die Energie zur Aufrechterhaltung Die Folge eines Austausches von Wärme bzw. Arbeit ist eine Än-
der Lebensvorgänge auf unserem Planeten derung der inneren Energie (ΔU) des Systems. Entsprechend gilt:
entstammt der Sonnenstrahlung
Das Leben auf der Erde wird durch die in . Abb. 4.1 schematisch ΔU = ΔA + ΔQ (1)
dargestellten Energieflüsse und Energietransformationen er-
möglicht und bestimmt. Durch Kernfusion entsteht in der
Sonne Energie, die zu einem großen Teil in Form von Licht ab-
gestrahlt wird. Auf der Erde kann die Lichtenergie zur Biosyn-
these der verschiedenen Bausteine lebender Organismen ver-
wendet werden. Zu diesem als Photosynthese bezeichneten
Prozess sind chlorophyllhaltige Pflanzen und einige Mikroorga-
nismen befähigt. Die Leistung dieser photosynthetisch-auto-
trophen (altgriech. autotroph – »sich selbst ernährend«) Orga-
nismen besteht darin, mit Hilfe von Sonnenlicht biologische
Makromoleküle aus einfachen Substanzen wie Kohlendioxid
und Wasser herzustellen und gleichzeitig molekularen Sauer-
stoff zu erzeugen.
Ein anderes Stoffwechselprinzip ist bei den heterotrophen
(altgriech. heterotroph – »sich von anderen ernährend«) Organis-
. Abb. 4.1 Quelle der biochemischen Energie in lebenden Systemen
men verwirklicht, zu denen neben Bakterien, Pilzen und Tieren
und Energiefluss zwischen autotrophen und heterotrophen Organismen.
auch der Mensch gehört. Heterotrophe Organismen gewinnen Der Stoffwechsel autotropher und heterotropher Organismen führt zu
die zur Aufrechterhaltung ihrer Lebensfunktionen benötigte einem Entropieexport. Entropie kann sowohl in Form von Wärme als auch
Energie aus der sauerstoffabhängigen Oxidation photosynthe- in Form von Stoffen exportiert werden

P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
4.1 · Thermodynamische Grundlagen
55 4
Es ist üblich, den Energiefluss vom System aus zu betrachten. Die ist. Die Entropie eines offenen Systems nimmt dann ab
Abgabe von Wärme bzw. die Leistung von Arbeit wird dabei mit (ΔSSystem < 0), wenn der Export von Entropie den Betrag der
einem negativen, die Aufnahme von Wärme bzw. von Arbeit mit Entropieproduktion im System übersteigt. Nach Erwin Schrö-
einem positiven Vorzeichen versehen. dinger (1944) besteht das Wesen des Stoffwechsels in einem
Entropieexport, dessen Betrag die Entropieerzeugung im Sys-
Reaktionsenthalpie tem übertreffen muss. Für diesen Entropieexport benötigen
Nach dem 1. Hauptsatz der Thermodynamik muss eine Verringe- Organismen Energie, die sie ihrer Umgebung entnehmen. Erst
rung der inneren Energie bei der Oxidation komplexer organi- der Austausch von Energie und Materie mit der Umgebung
scher Moleküle mit einer Freisetzung von Energie in Form von ermöglicht die Entstehung und Erhaltung komplexer biologi-
Wärme bzw. Arbeit einhergehen. Die dabei gebildete Wärmemen- scher Systeme.
ge ist von der Art der Energieübertragung abhängig. Mit der En-
thalpie (H) wurde eine thermodynamische Zustandsgröße einge- Die Freie Enthalpie zeigt an, ob ein
führt, die den Energieumsatz bei konstantem Druck durch Eigen- biochemischer Prozess freiwillig (spontan)
schaften des Systems beschreibt. Die Änderung der Enthalpie ei- ablaufen kann oder nicht
ner Reaktion (Reaktionsenthalpie, ΔH) kann durch kalorimetrische Freie Enthalpie Der 2. Hauptsatz der Thermodynamik gibt Ant-
Untersuchungen bestimmt werden. ΔH gibt die maximale Reak- wort auf die Frage nach der Freiwilligkeit des Ablaufes eines bio-
tionswärme an, die unter isobaren Bedingungen frei wird oder chemischen Prozesses. Bei der Anwendung des 2. Hauptsatzes
zugeführt werden muss. Exotherme Reaktionen (ΔH < 0) finden auf offene Systeme muss die Entropieänderung des Systems und
unter Wärmefreisetzung statt, während der Ablauf endothermer die der Umgebung betrachtet werden. In der Gibbs-Helmholtz-
Reaktionen (ΔH > 0) die Zufuhr von Wärme erfordert. Gleichung (Gleichung 3) wird mit der Freien Enthalpie (G) eine
thermodynamische Zustandsgröße eingeführt, die unter iso-
Spontan ablaufende Prozesse sind mit einer therm-isobaren Bedingungen stattfindende Veränderungen aus-
Zunahme der Entropie verbunden schließlich durch Veränderungen von Zustandsgrößen des Sys-
Entropie Der 1. Hauptsatz der Thermodynamik liefert mit der tems beschreibt:
Energiebilanz eine Rahmenbedingung für physikalische Prozesse
und chemische Reaktionen. Er trifft jedoch keine Aussage darü- ΔG = ΔH – T · ΔS (3)
ber, ob ein Vorgang stattfindet und welcher von vielen möglichen
Zuständen gleicher Energie der wahrscheinlichste ist. Der von ΔH bezeichnet die Reaktionsenthalpie, T die absolute Tempera-
Rudolf Clausius bereits 1865 eingeführte Begriff der Entropie (S) tur und ΔS die Änderung der Entropie des Systems (Reaktions-
als Maß für die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines Zustan- entropie). Die thermodynamischen Zustandsgrößen ΔG, ΔH
des hat sich als ein wertvolles Instrument zur Beantwortung die- und ΔS einer Reaktion werden auf die umgesetzte Stoffmenge
ser Frage erwiesen. Der 2. Hauptsatz der Thermodynamik besagt, bezogen und in der Maßeinheit kJ/mol angegeben.
dass in einem abgeschlossenen System nur solche Prozesse frei-
willig stattfinden, bei denen die Entropie zunimmt. Die Entropie Bei freiwillig ablaufenden Reaktionen ist
erreicht ihren Maximalwert, wenn das thermodynamische die Änderung der Freien Enthalpie negativ
Gleichgewicht erreicht ist. Ein einprägsames Beispiel für Prozesse, Eine Reaktion läuft unter isotherm-isobaren Bedingungen nur
die mit einer Zunahme der Entropie verbunden sind, ist der durch dann freiwillig ab, wenn die freie Reaktionsenthalpie ΔG einen
Diffusion eintretende Konzentrationsausgleich in zwei durch eine negativen Wert annimmt. Man bezeichnet eine solche Reaktion
permeable Membran voneinander getrennten Lösungen mit ini- als exergon. Nimmt ΔG einen positiven Wert an, liegt eine
tial unterschiedlicher Konzentration einer diffusiblen Substanz. endergone Reaktion vor, die nicht freiwillig stattfindet. Im
thermodynamischen Gleichgewicht ist ΔG = 0. Der Betrag von
Biologische Systeme sind notwendigerweise ΔG lässt erkennen, ob eine exergone Reaktion den Ablauf eines
thermodynamisch offene Systeme endergonen biologischen Prozesses – z. B. die Kontraktion eines
Ein strukturiertes System wie eine Zelle enthält im Vergleich zu Actomyosinkomplexes im Muskel – energetisch ermöglicht
einem homogenen System gleichartiger Zusammensetzung ein oder nicht. Die Begriffe »exergon« und »freiwillig« bzw. »spon-
geringeres Maß an Entropie. Diese Situation ist das Ergebnis ei- tan« bedeuten, dass eine Reaktion thermodynamisch möglich
nes Entropie-Exportes in Form von Wärme und/oder Stoffen ist. Sie erlauben keine Aussage über die Geschwindigkeit des
(. Abb. 4.1). Dabei kann man die Entropieänderung, die durch Reaktionsablaufes.
einen Prozess im System verursacht wird, in einen Anteil, der die
Veränderung der Entropie des Systems und in einen weiteren Die Änderungen der Freien Enthalpie sind additiv
Anteil, der die Veränderung der Entropie der Umgebung be- Da es sich bei der Freien Enthalpie um eine thermodynamische
schreibt, zerlegen: Zustandsgröße handelt, kann die Änderung der Freien Enthalpie
eines biochemischen Reaktionssystems als Summe der Ände-
ΔSGesamt = ΔSSystem + ΔSUmgebung (2) rungsbeträge der Freien Enthalpie der einzelnen Reaktions-
schritte berechnet werden. So ist der ΔG-Wert für die Oxidation
In einem offenen System läuft ein Prozess dann freiwillig (d. h. der Glucose zu CO2 und H2O unabhängig davon, ob diese
ohne Investition von Energie bzw. Arbeit) ab, wenn ΔSGesamt > 0 Umwandlung im Zellstoffwechsel durch eine Vielzahl von Ein-
56 Kapitel 4 · Bioenergetik

zelreaktionen erreicht wird oder ob sie durch direkte Verbren-


nung im Reagenzglas erfolgt. . Tab. 4.1 Standardpotenziale (E’0) biochemischer Redoxpaare
(Auswahl)
Die Änderung der Freien Enthalpie hängt von der
Korrespondierendes n (Anzahl übertra- E’0 (V)
Gleichgewichtskonstanten der Reaktion und von Redoxpaar gener Elektronen)
der Zusammensetzung des Reaktionsgemisches ab
Standardbedingungen Der Standardzustand ist ein hypotheti- ½ O2/O2– 2 +0,82
scher Referenzzustand, in dem alle Reaktionspartner bei einer Cytochrom a (Fe 3+/Fe2+) 1 +0,29
4 Temperatur von 25 °C und einem Druck von 1 bar in einer Kon-
Cytochrom c (Fe3+/Fe2+) 1 +0,22
zentration von 1 mol/l vorliegen. Eine unter diesen Bedingungen
erfolgende Veränderung der Freien Enthalpie trägt das Sym- Ubichinon/Ubihydrochinon 2 +0,10
(Ubichinol)
bol ∆G0 und wird als Freie Standardreaktionsenthalpie
bezeichnet. Da in biologischen Systemen viele Reaktionen bei Cytochrom b (Fe3+/Fe2+) 1 +0,08
neutralem pH-Wert stattfinden, wird in der Biochemie ein Dehydroascorbat/Ascorbat 2 +0,06
Standardzustand als Bezugssystem verwendet, für den eine
Fumarat/Succinat 2 +0,03
Protonenkonzentration von 10–7 mol/l (pH 7) und – einer Emp-
fehlung der IUBMB (International Union of Biochemistry and FMN/FMNH2 2 –0,12

Molecular Biology) folgend – auch die Ionenstärke und die Kon- NAD+/NADH + H+ 2 –0,32
zentrationen verschiedener Ionen festgelegt sind. Die Freie Stan- 2H+/H2 2 –0,42
dardreaktionsenthalpie unter »biochemischen Standardbedin-
gungen« wird mit dem Symbol ΔG’0 bezeichnet. ΔG0 und ΔG’0
unterscheiden sich u. a. dann, wenn Protonen als Substrat oder
Produkt der Reaktion auftreten. Freie Standardreaktionsenthalpie bei einer bestimmten Tempe-
ratur ein logarithmischer Ausdruck der Gleichgewichtskonstan-
Konzentrationsabhängigkeit der Freien Enthalpie Ausgangs- ten ist. Je stärker negativ ΔG’0 ist, desto größer ist die Gleichge-
punkt der Betrachtung ist eine Reaktion mit zwei Ausgangsstof- wichtskonstante K’ und umso mehr liegt das Reaktionsgleichge-
fen (A, B) und zwei Reaktionsprodukten (C, D): wicht auf der Seite der Reaktionsprodukte.

aA + bB cC + dD (4) Reduktions-Oxidations-Reaktionen Eine Vielzahl biochemi-


scher Reaktionen geht mit einer Elektronenübertragung einher.
Die Änderung der Freien Enthalpie (ΔG) dieser Reaktion wird
Reduktion und Oxidation finden dabei immer gleichzeitig statt
durch Gleichung 5 beschrieben:
und lassen sich als die Summe von zwei Halbreaktionen be-
⎛ [C]c ⋅ [D]d ⎞ schreiben. Man spricht deshalb von Redoxreaktionen. Das Re-
∆G = ∆G ¢0 + R ⋅ T ⋅ ln(Q R) mit Q R = ⎜ a ⎟ (5) duktionsmittel und dessen oxidierte Form sowie das Oxidations-
⎝ [A] ⋅ [B]b ⎠ mittel und dessen reduzierte Form bilden jeweils ein korrespon-
dierendes Redoxpaar. Liegen zwei korrespondierende Redox-
R ist die Gaskonstante (8,314 J mol–1 K–1), T die absolute Tempe- paare in einer Lösung nebeneinander vor, kann es zu einer
ratur. [A], [B], [C] und [D] bezeichnen die Konzentrationen der Elektronenübertragung vom Elektronendonor des einen Paares
Reaktionspartner. Die Freie Standardreaktionsenthalpie (ΔG’0) ist auf den Elektronenakzeptor des anderen Paares kommen. Die
eine reaktionsspezifische Konstante. Der Reaktionsquotient QR Richtung des Elektronenflusses wird dabei durch die Elek-
berücksichtigt die Abhängigkeit der Freien Enthalpie von der Zu- tronenaffinitäten der beteiligten Redoxpaare bestimmt, die
sammensetzung des Reaktionsgemisches. Wenn Wasser in biolo- durch Redoxpotenziale (E) quantitativ charakterisiert werden.
gischen Systemen als Reaktant auftritt, wird dessen Konzentrati- Elektronen fließen stets vom Redoxpaar mit dem negativeren
on (55,5 mol/l) durch die Reaktion nicht signifikant beeinflusst. zum Redoxpaar mit dem positiveren Redoxpotenzial. Das Be-
Deshalb wird in der Biochemie die H2O-Konzentration im Aus- zugssystem zum Vergleich von Elektronenaffinitäten verschiede-
druck für die Freie Standardreaktionsenthalpie berücksichtigt ner Redoxpaare ist die Standardwasserstoffelektrode. Redoxpo-
und nicht in den Reaktionsquotienten QR aufgenommen. tenziale von Redoxpaaren, die an dieses Bezugssystem Elektro-
nen abgeben (von diesem aufnehmen), erhalten ein negatives
Thermodynamisches Gleichgewicht Befindet sich eine Reaktion (positives) Vorzeichen. Misst man Redoxpotenziale unter bio-
im thermodynamischen Gleichgewicht (ΔG = 0), folgt aus Glei- chemischen Standardbedingungen, erhalten diese das Sym-
chung 5 die Beziehung: bol E’0. In . Tab. 4.1 sind die Standardpotenziale E’0 ausge-
wählter biochemischer Redoxpaare zusammengestellt.
(6)
Nernst-Gleichung Das für Redoxprozesse entscheidende aktuel-
le Redoxpotenzial (E) wird vom Standardpotential (E’0), aber
Der Reaktionsquotient QR entspricht dann der Gleichgewichts- auch von den Konzentrationen der oxidierten und reduzierten
konstanten K’ der Reaktion. Gleichung 6 demonstriert, dass die Form des korrespondierenden Redoxpaares (cox, cred) sowie von
4.2 · Energietransformation und energetische Kopplung
57 4
der Zahl der übertragenen Elektronen (n) und von der absoluten Glc + Pi + H+ Glc-6-P + H2O
Temperatur (T) bestimmt. Dieser Zusammenhang wird durch ΔG1’0 = +13,8 kJ/mol (9)
die Nernst-Gleichung beschrieben:
Das Vorzeichen der Freien Standardreaktionsenthalpie ΔG1’0
R ⋅T ⎛c ⎞ zeigt an, dass diese Reaktion unter Standardbedingungen nicht
E = E ¢0 + ⋅ ln ⎜ ox ⎟ (7)
spontan abläuft. Im Gegensatz dazu erfolgt die Hydrolyse von
n⋅F ⎝ cred ⎠
Adenosintriphosphat (ATP) zu Adenosindiphosphat (ADP)
R ist die Gaskonstante (8,314 J mol–1 K–1), F die Faraday-Kons- und anorganischem Phosphat (Pi) unter Standardbedingungen
tante (96,5 kJ mol–1 V–1). exergon:
Die Potenzialdifferenz (ΔE) einer Redoxreaktion ergibt sich
als Differenz der Redoxpotenziale der beteiligten Redoxpaare. ATP + H20 ADP + Pi + 2 H+
ΔE ist mit der Freien Enthalpie (ΔG) gemäß Gleichung 8 ver- 0
ΔG2’ = –30,6 kJ/mol (10)
knüpft:
In einem System, in dem beide Reaktionen gleichzeitig stattfin-
ΔG = – n · F · ΔE (8) den, berechnet sich die Freie Standardreaktionsenthalpie der
gekoppelten Reaktion als Summe der ΔG-Werte der Einzelreak-
Die durch die Gleichungen 7 und 8 beschriebenen Zusammen- tionen. Dementsprechend könnte die Gesamtreaktion durchaus
hänge sind für das Verständnis der energetischen Aspekte der freiwillig ablaufen. Voraussetzungen hierfür sind jedoch:
biologischen Oxidation, bei der Elektronen über eine Vielzahl 4 eine direkte Übertragung der γ-Phosphatgruppe des ATP
von Redoxsystemen auf Sauerstoff als terminalen Elektronenak- auf Glucose, sodass die Hydrolyseenergie des ATP nicht in
zeptor übertragen werden, von zentraler Bedeutung. Die Freie Form von Wärme freigesetzt, sondern für chemische Arbeit
Enthalpie dieses exergonen Prozesses wird bei der Atmungs- verfügbar gemacht wird und
kettenphosphorylierung zur Regenerierung von Adenosintri- 4 ein Konzentrationsverhältnis der Reaktionspartner, das die
phosphat (ATP) aus Adenosindiphosphat (ADP) und anorgani- Einhaltung der Bedingung ΔG < 0 gemäß Gleichung 5
schem Phosphat (Pi) genutzt (7 Kap. 19.1). sicherstellt.

In der Zelle wird der Phosphoryltransfer von ATP auf Glucose


4.2 Energietransformation durch Hexokinasen (7 Kap. 14.1) katalysiert:
und energetische Kopplung
Glc + ATP Glc-6-P + ADP+ H+
Der physiologische Zustand einer Zelle 0
ΔG’ = –16,8 kJ/mol (11)
wird durch die Kopplung endergoner
und exergoner Reaktionen aufrechterhalten Beispielgebend für die Verbindung von Reaktionen in Reaktions-
Aus den Gesetzen der Thermodynamik folgt, dass die in einem ketten soll die Biosynthese des Glucosespeichermoleküls Glyco-
Organismus stattfindenden Prozesse insgesamt exergon ablaufen gen betrachtet werden, bei der die exergone Hydrolyse von Pyro-
müssen. Viele Teilprozesse, die zur Erzeugung, Erhaltung und phosphat (PPi) genutzt wird, um die Bildung von UDP-Glucose
Funktion biologischer Strukturen beitragen, sind jedoch ender- aus Glucose-1-Phosphat (Glc-1-P) und Uridintriphosphat
goner Natur. Beispiele hierfür sind Biosynthesereaktionen, der (UTP) zu ermöglichen (7 Kap. 14.2):
aktive Transport durch biologische Membranen und die Muskel-
kontraktion. Diese lebensnotwendigen Vorgänge beziehen ihre Glc-1-P + UTP UDP-Glc + PPi
Energie aus einer Kopplung an exergone Reaktionen. Die Zelle G1’0 = 0 kJ/mol (12)
wirkt dabei als Energietransformator.
Die Energietransformation in biologischen Systemen ba- Das in der Reaktion gebildete Pyrophosphat wird in Säugerzellen
siert auf zwei prinzipiell unterschiedlichen Mechanismen: durch Pyrophosphatasen enzymatisch hydrolysiert:
4 einer chemischen Kopplung exergoner und endergoner
Reaktionen unter Beteiligung »energiereicher Verbindun- PPi + H2O Pi + Pi + 2H+
gen« und 0
ΔG2’ = –33,5 kJ/mol (13)
4 einer chemiosmotischen Kopplung durch die Erzeugung
eines Membranpotenzials mit Hilfe einer exergonen Reak- Die stark exergone Hydrolyse des Pyrophosphates bewirkt, dass
tion, dessen Abbau eine endergone Reaktion ermöglicht. die Gesamtreaktion in vivo nur in der beschriebenen Richtung
ablaufen kann. Im Zellstoffwechsel werden eine Reihe wichtiger
Eine chemische Kopplung kann durch Enzyme (7 Kap. 7) oder Biosynthesereaktionen durch die enzymatische Hydrolyse von
durch die Verbindung von Reaktionen in Reaktionsketten erfol- Pyrophosphat durch Pyrophosphatasen thermodynamisch er-
gen. Die erstgenannte Möglichkeit soll am Beispiel der Phospho- möglicht.
rylierung der Glucose (Glc) zu Glucose-6-Phosphat (Glc-6-P)
erläutert werden:
58 Kapitel 4 · Bioenergetik

4.3 Verbindungen mit hohem Gruppen-


übertragungspotenzial

Für die Übertragung Freier Enthalpie werden


energiereiche Phosphate genutzt
Energiereiche Phosphate Phosphoryltransferreaktionen sind in
biologischen Systemen weit verbreitet und erfüllen zentrale
Funktionen im intermediären Stoffwechsel. Ist Wasser der Phos-
4 phorylakzeptor, wird die Reaktion als Hydrolyse bezeichnet. Die
für diesen Reaktionstyp geschaffene thermodynamische Skala
. Abb. 4.2 Struktur des Magnesium-ATP-Komplexes MgATP2–. Die Phos-
der Phosphorylgruppenübertragungspotenziale charakteri-
phatgruppen werden – vom C5-Atom der Ribose ausgehend – mit α, β und
siert die Änderung der Freien Standardenthalpie, die bei der γ bezeichnet. Die Bindung zwischen α-Phosphatgruppe und Adenosin ist
Hydrolyse von 1 Mol einer Phosphorylverbindung erfolgt. An- eine Phosphorsäureesterbindung, während die Phosphatgruppen durch
hand ihrer Phosphorylgruppenübertragungspotenziale werden energiereiche Phosphorsäureanhydridbindungen verbunden sind
die biochemisch bedeutsamen Phosphorylverbindungen (. Tab.
4.2) formal in zwei Gruppen eingeteilt: Bei energiereichen Ver-
bindungen ist die Änderung der Freien Standardenthalpie ΔG’0 wertigen Kationen lösliche Komplexe bilden kann. In der Zelle
der Hydrolyse stärker negativ, bei energiearmen Verbindungen kommt das Nucleotid überwiegend in Form von Komplexen mit
weniger negativ als –25 kJ mol–1. Mg2+-Ionen vor.
Der Begriff »energiereich« sagt aus, dass die Substanz eine Obwohl die Hydrolyse des ATP stark exergon verläuft
stark exergone Reaktion mit Wasser (Hydrolyse) eingehen kann. (ΔG’0 = –30,6 kJ/mol), erfolgt sie wegen der hohen Aktivie-
Bei biochemischen Phosphorylgruppenübertragungsreaktionen rungsenergie (7 Kap. 7.1) der Reaktion spontan nur sehr lang-
fungieren jedoch in der Regel andere Moleküle als Phosphoryl- sam. Diese kinetische Stabilität des ATP ist für seine biochemi-
akzeptoren. Der Ausdruck »Verbindung mit hohem Gruppen- sche Funktion als Energieüberträger von größter Bedeutung. Im
übertragungspotenzial« beschreibt deshalb die biochemischen Zellstoffwechsel wird ATP nur enzymatisch zu ADP oder AMP
Funktionen und die energetischen Eigenschaften der als »ener- hydrolysiert.
giereich« bezeichneten Phosphorylverbindungen besser als der
im biochemischen Sprachgebrauch verwurzelte Begriff der
»energiereichen Verbindung«. Neben den Phosphorylverbin- Übrigens
dungen kommen im Zellstoffwechsel weitere Metabolite mit ho- Energetik der zellulären ATP-Hydrolyse
hem Gruppenübertragungspotenzial vor, die andere funktionel- Die Freie Standardreaktionsenthalpie (ΔG’0) der durch Glei-
le Gruppen auf eine Vielzahl von Akzeptoren übertragen. Bei- chung 10 beschriebenen ATP-Hydrolyse beträgt –30,6 kJ/
spiele hierfür sind die Acyl-CoA-Verbindungen, in denen Fett- mol. Die für die Energetik der Reaktion entscheidende Freie
säuren durch eine energiereiche Thioesterbindung an Coenzym A Reaktionsenthalpie (ΔG) hängt von den Konzentrationen
gebunden sind (7 Kap. 21.2.1). von ATP, ADP, Pi und dem pH-Wert ab. Gemäß Gleichung 5
In . Abb. 4.2 ist die Struktur des Adenosintriphosphates dar- ergibt sich für die Änderung der Freien Reaktionsenthalpie
gestellt. Das ATP-Molekül enthält zwei energiereiche Phosphor- bei pH 7:
säureanhydridbindungen. Da bei physiologischem pH-Wert die ⎛ [ ADP ] ⋅ [ Pi ] ⎞
Phosphatgruppen des ATP vollständig dissoziiert sind, handelt ∆G = ∆G ¢0 + R ⋅ T ⋅ ln ⎜ 0 ⎟
⎝ [ ATP ] ⋅ cH2O ⎠
es sich um ein vierfach negativ geladenes Molekül, das mit zwei-

Konventionsgemäß ist dabei die Konzentration des Wassers


. Tab. 4.2 Phosphorylgruppenübertragungspotenziale biochemi- (55,5 mol/l) im Wert für die Freie Standardreaktionsenthalpie
scher Phosphorylverbindungen (Auswahl) bereits berücksichtigt. Der Reaktionsquotient wird jedoch
durch formales Einsetzen einer Wasserkonzentration von
Phosphorylverbindung ΔG’0 (kJ/mol) c0H2O = 1 mmol/l dimensionslos gehalten.
Phosphoenolpyruvat –61,9
In menschlichen Erythrocyten betragen die Konzentrationen
von ATP, ADP und Pi etwa 2,25 mmol/l, 0,25 mmol/l und
1,3-Bisphosphoglycerat –49,4
1,65 mmol/l. Durch Einsetzen dieser Zahlenwerte erhält man
ATP ( AMP + PPi) –45,5 bei 37 °C (310 K) eine Änderung der Freien Enthalpie von
Kreatinphosphat –43,1
∆G = −30 ,6 kJ / mol + 8 ,315 J / (mol ⋅ K ) ⋅ 310 K
Pyrophosphat (PPi) –33,5
⎛ 0 ,25 mmol / l ⋅165
, mmol / l ⎞
⋅ ln ⎜
ATP ( ADP + Pi) –30,6 ⎝ 2,25 mmol / l ⋅1mmol / l ⎟⎠
= −52,8 kJ / mol
Glucose-6-Phosphat –13,8
6
Fructose-1,6-Bisphosphat –8,6
4.3 · Verbindungen mit hohem Gruppenübertragungspotenzial
59 4
Phosphorylierung von ADP durch Reaktionen mit anderen
Dieses Beispiel zeigt, dass unter zellulären Bedingungen der energiereichen Phosphorylverbindungen erlaubt (. Tab. 4.2).
Betrag der Änderung der Freien Enthalpie für die Umwand- Die Regenerierung des ATP aus ADP und anorganischem Phos-
lung von ATP in ADP deutlich größer ist als unter Standard- phat erfolgt generell durch eine Kopplung der ADP-Phosphory-
bedingungen. Umgekehrt ergibt sich daraus, dass für die lierung an exergone Reaktionen. Man spricht von einer
Neubildung von ATP aus ADP und Pi ein entsprechend höhe- Substrat(ketten)phosphorylierung, wenn die Phosphoryl-
rer Betrag an Freier Enthalpie erforderlich ist. gruppe eines energiereichen Intermediates (Substrates) auf ADP
übertragen wird. Beispiele hierfür sind die durch Phosphogly-
ceratkinase und Pyruvatkinase katalysierten Reaktionen der
ATP ist ein universeller Überträger Freier Enthalpie Glycolyse (7 Kap. 14.1). Auch die durch Kreatinkinasen kataly-
im Zellstoffwechsel sierte Übertragung der Phosphorylgruppe des Kreatinphospha-
Die Freie Enthalpie der ATP-Hydrolyse wird durch eine energe- tes auf ADP (7 Kap. 63.3) trägt zur ATP-Regenerierung bei. Der
tische Kopplung an endergone Prozesse für die Zelle nutzbar größte Teil des täglich synthetisierten ATP entsteht jedoch wäh-
gemacht. Im Zellstoffwechsel können Phosphatgruppen des rend der Oxidation von Substratwasserstoff mit Sauerstoff im
ATP auf Akzeptoren übertragen werden, wenn die Gesamtreak- Rahmen der Atmungskettenphosphorylierung in den Mito-
tion exergon verläuft (ΔG < 0). Eine Vielzahl ATP-abhängiger chondrien (7 Kap. 19.1). Anders als bei der Substrat(ketten)
Phosphorylierungsreaktionen ist mit der Bildung von Reaktions- phosphorylierung erfolgt die Energiekonservierung hierbei
produkten verbunden, deren Hydrolyseenergien beträchtlich durch die Erzeugung eines chemiosmotischen Potenzials an
weniger negativ sind als die des ATP. In biologischen Systemen der inneren Mitochondrienmembran, das die Energie für die
sind diese Reaktionen oftmals irreversibel. Der Begriff »irrever- Regenerierung von ATP aus ADP und anorganischem Phosphat
sibel« drückt hierbei nicht die grundsätzliche Irreversibilität ei- bereitstellt.
ner Reaktion aus, sondern besagt, dass die Reaktion aufgrund der
großen Veränderung der Freien Standardenthalpie (ΔG’0 ! 0) ATP wirkt auch als Überträger von Pyrophosphat-
und bei physiologischen Konzentrationen von Substraten und und Adenylatgruppen sowie als Neurotransmitter
Produkten nur in einer Richtung ablaufen kann. Die durch In einigen Reaktionen des Zellstoffwechsels fungiert ATP als Do-
Hexokinase, Phosphofructokinase und Pyruvatkinase katalysier- nor von Pyrophosphat- und Adenylatgruppen. Zu den Reaktio-
ten Reaktionen der Glycolyse (7 Kap. 14.1) sind Beispiele für nen, bei denen eine Pyrophosphatgruppe übertragen wird, ge-
irreversible enzymatische Transphosphorylierungen, während hört die durch Phosphoribosylpyrophosphatsynthetase kataly-
die schnelle Regenerierung von ATP aus ADP im Muskel durch sierte Initiation der Biosynthese der Purinnucleotide (7 Kap.
Kreatinkinasen auf reversible Weise erfolgt (7 Kap. 63.3.1). 29.1). Bei Adenylierungsreaktionen erfolgt eine Übertragung der
Adenylatgruppe (5’-AMP) des ATP auf ein Akzeptormolekül.
Beispiele einer physiologisch bedeutsamen Adenylierung sind
Übrigens die Biosynthese der Nucleinsäuren (7 Kap. 44.4 und 46.2) und die
ATP ist der wichtigste Überträger Freier Enthalpie Aminosäureaktivierung bei der Translation (7 Kap. 48.1.3). Dar-
Die zellbiochemische Funktion des ATP soll anhand einer über hinaus wirkt ATP durch Bindung an Membranrezeptoren
vereinfachenden energetischen Betrachtung verdeutlicht der P2-Familie als Neurotransmitter (7 Kap 74.1.12). Zu diesen
werden: Der Grundenergieumsatz eines 75 kg schweren Rezeptoren gehören sowohl ligandengesteuerte Ionenkanäle
Menschen beträgt ca. 6.000 kJ pro Tag. Nimmt man an, dass (P2X-Rezeptoren) als auch G-Protein-gekoppelte Rezeptoren
die Energietransformation im Organismus stets mit einer (P2Y-Rezeptoren).
Hydrolyse von ATP verbunden ist, entspricht dies bei Zu-
grundelegung der Freien Standardreaktionsenthalpie der
ATP-Hydrolyse von –30,6 kJ/mol einem Umsatz von etwa Zusammenfassung
200 mol bzw. 100 kg ATP pro Tag. Geht man außerdem da- Die strukturelle und funktionelle Komplexität biologischer
von aus, dass der Gesamtbestand des Organismus an Ade- Systeme kann nur durch eine kontinuierliche Zufuhr Freier
ninnucleotiden (ATP + ADP + AMP) etwa 0,2 mol (ca. 100 g) Enthalpie (ΔG) erzeugt und aufrechterhalten werden.
beträgt, so folgt daraus, dass jedes ATP-Molekül täglich Wichtigste Quelle der erforderlichen Freien Enthalpie ist die
mehr als 1.000-mal zu ADP hydrolysiert wird und nachfol- sauerstoffabhängige Oxidation komplexer organischer
gend regeneriert werden muss. Verbindungen. Nur exergone Reaktionen (ΔG < 0) laufen
freiwillig (spontan) ab und können Arbeit leisten.
In der Zelle werden endergone Reaktionen durch eine Kopp-
ATP entsteht im Zellstoffwechsel durch lung an exergone Prozesse ermöglicht. Die energetische
die Kopplung der ADP-Phosphorylierung Kopplung wird wirkungsvoll durch Verbindungen mit
an exergone Reaktionen hohem Gruppenübertragungspotenzial (energiereiche Ver-
Regenerierung des ATP aus ADP ATP kann eine zentrale Funk- bindungen) vermittelt. Adenosintriphosphat (ATP) ist die
tion im Energiestoffwechsel vor allem deshalb erfüllen, weil sein wichtigste Verbindung mit hohem Gruppenübertragungs-
Phosphorylgruppenübertragungspotenzial sowohl den Transfer 6
der γ-Phosphatgruppe auf Akzeptorverbindungen als auch die
60 Kapitel 4 · Bioenergetik

potenzial und erfüllt im Zellstoffwechsel die Funktion eines


Überträgers Freier Enthalpie.
Die Regenerierung des ATP erfolgt überwiegend im Mito-
chondrium durch die Nutzung von exergonen Redoxreaktio-
nen zur Ausbildung eines chemiosmotischen Membran-
potenzials, das die endergone Phosphorylierung des ADP
antreibt (Atmungskettenphosphorylierung). Demgegenüber
4 ermöglicht die ATP-Regenerierung durch Substrat(ketten)-
phosphorylierung eine Energiebereitstellung auch unter
anaeroben Stoffwechselverhältnissen.

7 Die Literaturliste finden Sie unter springer.com


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5 Proteine – Struktur und Funktion


Hans R. Kalbitzer

Einleitung Schwerpunkte

Proteine (Eiweiße) stellen diejenige Klasse von biologischen Makro- 4 Aufbau der Proteine
molekülen dar, die in der Zelle mengenmäßig bei Weitem dominiert. 4 Peptidbindung
Wenn man einmal von spezialisierten Zellen wie Fettzellen absieht, stellt 4 Sekundär- und Tertiärstruktur
die Gruppe der Proteine mit mehr als 20 % des Feuchtgewichts die größ- 4 Proteinfaltung
te Fraktion organischer Moleküle in menschlichen Zellen und Geweben 4 Hämoglobin und Myoglobin als Sauerstofftransporter
dar. Der Prototyp des Eiweißstoffes ist das Hühnereiweiß (engl. egg albu- 4 Fehlfaltung von Proteinen als Ursache menschlicher Erkran-
min). Historisch hat es lange gedauert, bis man zur Erkenntnis kam, dass kungen
es sich hier um eine ganze Stoffklasse handelt. Allerdings wurde die
Proteinurie (Eiweiß im Urin) schon früh als Symptom einer Nierenschä-
digung beobachtet, ohne zu wissen, dass es sich hier um Protein handel-
te (der Begriff war noch gar nicht erfunden). So beschrieb Paracelsus 5.1 Aufbau von Proteinen
(1493–1541) einen Stoff im Urin von Nierenkranken, der beim Erhitzen
und Säurebehandlung ausfällt, bezeichnete ihn aber als Milch der Niere. Proteine werden in der Regel in der Zelle am Ribosom gemäß der
Erst 1765 berichtete Domenico Cotugno, dass er im Urin eines Soldaten in der mRNA codierten Aminosäuresequenz durch Verknüp-
nach Erhitzen einen Stoff gefunden habe, der dem Hühnereiweiß glei- fung der natürlichen proteinogenen Aminosäuren synthetisiert.
che. Die korrekte wissenschaftliche Bezeichnung Protein wurde erst Am Ribosom entstehen lineare Ketten von Aminosäuren, die
1838 von Jöns Jakob Berzelius vorgeschlagen, die er vom dem griechi- durch Peptidbindungen (Säureamidbindungen) miteinander
schen Wort πρωτεı̂ος (proteios, »grundlegend«) ableitete. Sie bezog sich verknüpft sind. Bei der Biosynthese am Ribosom werden unter
auf alle Stoffe, die dem Hühnereiweiß ähnlich sind. Gerardus Johannes normalen Umständen nur die 20 kanonischen proteinogenen
Mulder benutzte dann den Begriff Protein erstmals 1839 in einer Veröf- L-Aminosäuren und die beiden relativ seltenen nicht-kanoni-
fentlichung zur Elementaranalyse von Albumin. Erst 40 Jahre später schen proteinogenen Aminosäuren Selenocystein und Pyrroly-
(1902) wurde schließlich das noch heute gültige Bild von Franz Hof- sin miteinander verknüpft. Prolin ist im Gegensatz zu den ande-
meister und Emil Fischer entwickelt, dass Proteine aus einer Kette von ren primären Aminosäuren, d. h. Aminosäuren mit einer primä-
Aminosäuren aufgebaut sind. ren Aminogruppe, eine sekundäre Aminosäure und wird oft in
Im Erbgut von allen Lebewesen wird als zentrale Information der Aufbau biochemischen Textbüchern chemisch nicht korrekt als Imino-
seiner Proteine gespeichert. Das menschliche Genom enthält etwa säure bezeichnet. Nach der Biosynthese am Ribosom können
30.000 für Proteine codierende Nucleotidsequenzen (Gene). Die Anzahl diese Ketten modifiziert und zusätzlich miteinander oder mit
der im Menschen vorkommenden verschiedenartigen Proteine ist aber anderen organischen Molekülen verknüpft werden. Unter geeig-
wesentlich höher, da alternatives Spleißen der Gene zu einer Vielzahl neten experimentellen Bedingungen kann man das Ribosom
zusätzlicher Proteinvarianten führt. dazu bringen, auch nicht-natürliche Aminosäuren gezielt in die
Im Genom ist nur die Sequenz der Aminosäuren gespeichert, die die Polypeptidkette einzubauen.
Proteine aufbauen. Obwohl nur 22 verschiedene Aminosäuren direkt in
der DNA codiert werden, kann durch deren Kombination und Verknüp- Proteine werden je nach Größe als Oligopeptide
fung über Peptidbindungen eine Vielfalt von verschiedenen Proteinen oder Polypeptide bezeichnet
für alle nur denkbaren Funktionen aufgebaut werden. Posttranslationale Peptide können sich in ihrer Kettenlänge beträchtlich unter-
Modifikationen der Proteine und die Assoziation mit Nicht-Protein- scheiden. Bis zu einer Länge von 10 Aminosäuren spricht man
komponenten wie Metallionen erhöhen weiter die funktionelle Diversi- von Oligopeptiden, längere Peptide werden als Polypeptide
tät. Für die ungestörte biologische Funktion ist in vielen Fällen die drei- bezeichnet. Ein Protein ist nichts anderes als ein großes Polypep-
dimensionale Struktur (Konformation) der Proteine von entscheidender tid, wobei die Grenze zwischen Protein und Peptid üblicherwei-
Bedeutung, die im Allgemeinen nicht statisch ist, sondern sich den se bei 100 Aminosäureresten liegt. Polypetide mit weniger als
wechselnden Anforderungen dynamisch anpasst. 100 Aminosäuren werden jedoch dann Proteine genannt, wenn
sie proteintypische Funktionen wie die von Enzymen erfüllen.
Oligopeptide werden häufig nach der Anzahl ihrer Aminosäuren
benannt, wie z. B. Dipeptid, Tripeptid oder Dekapeptid, wenn
sie aus 2, 3 oder 10 Aminosäuren aufgebaut sind.

P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_5, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
62 Kapitel 5 · Proteine – Struktur und Funktion

Viele Proteine besitzen Nicht-Proteinanteile re auf. Das folgende Peptid kann man daher entweder in der
Da Proteine aus Aminosäuren aufgebaut sind, führt deren hyd- Form von
rolytische Spaltung wieder ausschließlich zur Entstehung von +
L-α-Aminosäuren oder deren Derivaten. Da die Polypeptidkette H3N-Ala-Gly‒Ser-Met‒Asp‒Phe-COO–
auch covalente oder nicht-covalente Bindungen mit anderen
Molekülen der Zelle eingehen kann, findet man neben den ein- oder
fachen Proteinen zusätzlich eine heterogene Gruppe von Protei- +
nen, die man zusammengesetzte Proteine nennt. H3N-A-G‒S–M‒D‒F-COO–
Entsprechend ihrem Nicht-Proteinanteil bezeichnet man sie
dann als Nucleoproteine, wenn sie zusätzlich Nucleinsäuren schreiben.
5 enthalten, oder als Glykoproteine, wenn sie zusätzlich Zucker-
ketten enthalten. Lipoproteine enthalten Lipide, Metallopro-
teine Metalle und Chromoproteine chromophore Gruppen wie Zusammenfassung
Porphyrine. Entsprechend ihrer vielfältigen Funktionen stellen die Prote-
Der Nicht-Proteinanteil variiert bei den zusammengesetzten ine in den meisten Zellen und Geweben mengenmäßig mit
Proteinen sehr stark. Sind kleinere Liganden, die für die Funk- ca. 20 % des Feuchtgewichts die Hauptgruppe biologischer
tion des Proteins wichtig sind, an das Protein gebunden, nennt Makromoleküle dar.
man sie Cofaktoren. Diese findet man insbesondere bei den ka- Die zur Erfüllung dieser Funktionen notwendige strukturelle
talytisch aktiven Proteinen, den Enzymen. Sind sie fest (in der Vielfalt wird durch unterschiedliche Kombinationen der
Regel covalent) an Proteine gebunden, bezeichnet man sie auch 22 proteinogenen Aminosäuren ermöglicht, wobei die Rei-
als prosthetische Gruppen, handelt es sich um locker gebunde- henfolge der Aminosäuren in der Aminosäuresequenz die
ne, organische Moleküle und sind sie an der Katalyse beteiligt, spezifischen Eigenschaften eines Proteins bestimmt. Peptid-
heißen sie Coenzyme. Typische Cofaktoren sind neben kleinen bindungen verknüpfen die einzelnen Aminosäuren eines
organischen Molekülen wie Pyridoxalphosphat (7 Kap. 59.5) Proteins miteinander.
Metallionen wie Magnesium, Mangan, Eisen und Kupfer
(7 Kap. 7.5; Kap. 60.2). Das Protein, das seine Cofaktoren enthält,
bezeichnet man als Holoprotein oder Holoenzym, den reinen
Proteinanteil als Apoprotein oder Apoenzym. 5.2 Konformation von Proteinen

Es gibt eine große Vielfalt von Proteinen Nicht die Kenntnis der Sequenz der Aminosäuren in einer Poly-
Jedes Protein ist durch die individuelle Reihenfolge (Sequenz) peptidkette, sondern erst die Kenntnis der räumlichen Struktur
seiner Aminosäuren definiert. Sie ist in der Abfolge der Basen in oder Konformation eines Proteins ermöglicht ein vollkommenes
den Nucleinsäuren festgelegt, die im Erbgut für das jeweilige Pro- Verständnis seiner biologischen Funktion.
tein codieren. Die Bildung von Peptidbindungen bei der Biosyn- Traditionell nimmt man eine Einteilung der Proteinstruktu-
these von Proteinen wird in 7 Kap. 48.2.2 beschrieben, die che- ren in vier verschiedenen Organisationsebenen mit steigender
mische Synthese in 7 Kap. 6. Komplexität vor:
Aus den 22 proteinogenen Aminosäuren lässt sich theore- 4 Die Primärstruktur entspricht der Aminosäuresequenz.
tisch eine gewaltige Anzahl von Proteinen bilden, die sich 4 Die Sekundärstruktur beschreibt die lokale räumliche
in ihrer Aminosäuresequenz und damit in ihren Eigenschaften Anordnung des Rückgrats von Polypeptidketten.
unterscheiden. Selbst wenn man sich auf die 20 kanonischen 4 Als Tertiärstruktur bezeichnet man die räumliche (3D-)
proteinogenen Aminosäuren beschränkt, sind schon für ein Struktur einer gefalteten Polypeptidkette.
relativ kleines Protein aus 100 Aminosäuren 20100 (etwa 4 Die Quartärstruktur gibt die Anordnung mehrerer Poly-
1,3∙10130) verschiedene Kombinationsmöglichkeiten denkbar. peptidketten in einem Proteinkomplex wieder.
Schon mit 100 Aminosäuren lassen sich also theoretisch mehr
verschiedene Proteinmoleküle erzeugen als vermutlich Atome
im Universum vorkommen (ungefähre Abschätzung 3∙1078). 5.2.1 Aminosäuresequenz (Primärstruktur)
Allerdings findet sich in der Natur eine viel kleinere Anzahl und Peptidbindung
verschiedener Proteine. Daher entstehen neue Proteine in der
Evolution fast nur durch Variation und Kombination schon Die Abfolge der Aminosäuren (Aminosäuresequenz) in einem
existierender, bewährter Sequenzen, und nur die für das Über- Protein wird als Primärstruktur bezeichnet. Wenn die Poly-
leben der Organismen essentiellen Proteine bleiben langfristig peptidkette nicht posttranslational modifziert wird (7 Kap. 49.3),
erhalten. bestimmt die Primärstruktur vollständig alle Eigenschaften eines
Die Abfolge der Aminosäuren in Aminosäuresequenzen Proteins, insbesondere auch die räumliche Struktur, die unter
wird im Dreibuchstabencode oder im Einbuchstabencode gegebenen äußeren Bedingungen vom Protein eingenommen
(7 Kap. 3, Tafel III) dargestellt. Dabei beginnt man konventions- wird.
gemäß mit der N-terminalen (aminoterminalen) Aminosäure
und hört mit der C-terminalen (carboxyterminalen) Aminosäu-
5.2 · Konformation von Proteinen
63 5

. Abb. 5.1 Bildung der Peptidbindung. Aus zwei Aminosäuren (hier Gly- . Abb. 5.3 Mesomerie der Peptidbindung. Oben: die beiden Grenzstruk-
cin und Alanin) ensteht durch Wasserabspaltung eine Peptidbindung. Die turen; unten: der mesomere Zwischenzustand mit der trans-Stellung der
Bindung kann durch Wassereinbau (Hydrolyse) wieder gespalten werden. Peptidbindung (braun). δ+, δ–:Partialladungen
Die neu entstandene Peptidbindung und die Atome, aus denen sie gebildet
wird, sind hellgrün unterlegt

Die Peptidbindung ist die für Proteine spezifische barkeit um alle drei Bindungen einer Aminosäureeinheit. Tat-
Verknüpfung der Aminosäurebausteine sächlich ist die freie Drehbarkeit um die Peptidbindung selbst
Die einzelnen Aminosäuren sind durch eine für Proteine spezifi- erheblich eingeschränkt, da die Peptidbindung den Charakter
sche Bindung, die Peptidbindung, verknüpft. Dabei handelt es sich einer partiellen Doppelbindung hat, bei der die vier Atome der
um eine Säureamidbindung, die die α-Carboxylgruppe der voran- Peptidbindung in einer Ebene liegen (. Abb. 5.3). Die partielle
gehenden Aminosäure mit der α-Aminogruppe der nachfolgenden Doppelbindung wird am besten durch zwei mesomere Grenz-
Aminosäure (bei der Aminosäure Prolin der sekundären Amino- strukturen beschrieben, bei denen die freien Elektronenpaare
gruppe) verknüpft. Die Ausbildung einer Peptidbindung geht zwischen dem Stickstoff- und dem Sauerstoffatom oszillieren.
mit der Abspaltung von H2O einher (Kondensationsreaktion, Neben der Grenzstruktur, die der klassischen Einfachbindung
. Abb. 5.1). Durch Wiederholung dieses Vorgangs entsteht eine entspricht, existiert eine zweite Grenzstruktur, bei der aufgrund
Peptidkette, die nur noch eine freie α-Aminogruppe am Anfang der Elektronegativität des Sauerstoffes ein Elektronenpaar der
und eine freie α-Carboxylgruppe am Ende besitzt. Peptidketten C=O-Doppelbindung zum Sauerstoff wandert. Der Sauerstoff
sind aus einer wechselnden Folge (. Abb. 5.2) von N-Atomen (aus erhält dadurch eine negative Ladung, und das freie Elektronen-
den Aminogruppen), Cα-Atomen, von denen die Seitenketten paar des Stickstoffs wird zwischen die C-N-Bindung verschoben,
abgehen, und C-Atomen (aus den Carbonylgruppen) nach dem wobei das Stickstoffatom eine positive Ladung erhält. In dieser
sich wiederholenden Muster –N–Cα–C–N–Cα–C–N–Cα–C– aufge- Grenzstruktur ist die Länge der C-N-Bindung gegenüber einer
baut, bei der sich immer wieder das Muster der drei Atome –N– Einfachbindung von 0,147 auf 0,127 nm verkürzt. Wie immer bei
Cα–C– wiederholt (Polypeptidkette). Dieses Rückgrat der Peptid- Resonanzstrukturen liegt der tatsächlich beobachtete Zustand
kette ist allen Proteinen gemeinsam. Die dreidimensionale Struk- zwischen diesen beiden Extremen, die reale Länge der C-N-Bin-
tur und die spezifischen Eigenschaften eines Proteins werden durch dung, die die Röntgenstrukturanalyse von Proteinen experi-
die variable Abfolge seiner Aminosäureseitenketten bestimmt. mentell ergibt, liegt bei etwa 0,133 nm.
Eine praktisch genutzte Folge der Resonanzstruktur der Pep-
Die Peptidbindung ist planar und hat den Charakter tidbindung ist ihre Absorption von ultraviolettem Licht mit ei-
einer partiellen Doppelbindung nem Maximum von etwa 210 nm. Die Messung der Ultraviolett-
Das Rückgrat der Polypeptidketten wird auf den ersten Blick aus absorption bei dieser Wellenlänge erlaubt die quantitative Kon-
Einfachbindungen gebildet, daher erwartet man eine freie Dreh- zentrationsbestimmung von Proteinen in Lösungen.

. Abb. 5.2 Beispiel für eine Aminosäuresequenz. Die Hauptkette ist orange dargestellt und Seitenketten sind gelb hinterlegt. Die einzelnen Peptid-
bindungen sind rot umrandet
64 Kapitel 5 · Proteine – Struktur und Funktion

. Abb. 5.4 Cis- und trans-Konfiguration der Peptidbindung. Linke Reihe: Peptidbindung zwischen zwei primären Aminosäuren (hier Ala-Ala),
rechte Reihe: Peptidbindung mit der sekundären Aminosäure Prolin (hier Ala-Pro). Bindungslängen und -winkel. (Adaptiert nach Engh u. Huber (1991)
und Ramachandran u. Sasisekharan 1968). (Mit freundlicher Genehmigung von John Wiley & Sons und Elsevier)

Eine cis-Konfiguration der Peptidbindung findet einer einheitlichen Konformation wie sie typisch für wohlgefal-
man gewöhnlich nur vor Prolylresten tete Proteine ist.
Grundsätzlich gibt es wie immer bei Doppelbindungen zwei An-
ordnungen der Atome um die C-N-Bindung, die sich durch eine Peptidbindungen werden unter
Rotation um 180° unterscheiden, die cis- und die trans-Stellung. Energieaufwand geknüpft
In der trans-Stellung liegen die beiden Cα-Atome auf verschiede- Die Spaltung der Peptidbindung erfolgt durch den Einbau eines
nen Seiten in der Bindungsebene, bei der cis-Stellung auf der Wassermoleküls, der Hydrolyse. Im wässrigen Milieu biologi-
gleichen Seite (. Abb. 5.4). Aus sterischen Gründen ist die trans- scher Systeme ist in der Reaktion von . Abb. 5.1 die Hydrolyse
Stellung energetisch begünstigt und wird normalerweise in Pro- bevorzugt; die Ausbildung einer Peptidbindung ist deswegen
teinen vorgefunden. Eine Ausnahme bildet die Peptidbindung eine energieverbrauchende Reaktion, ihre Spaltung durch
mit der sekundären Aminogruppe von Prolylresten, bei welcher spezifische Enzyme, die Proteasen, hingegen nicht.
der Amidwasserstoff durch das Cδ der Seitengruppe ersetzt ist
(. Abb. 5.4). In ungefalteten Proteinen kommt hier die trans-
Konfiguration etwa 5-mal häufiger vor als die cis-Konfiguration, 5.2.2 Lokale Struktur der Polypeptidhauptkette
in gefalteten Proteinen ist die cis-Konfiguration noch etwas sel- (Sekundärstruktur)
tener. In Lösung stehen beide Konfigurationen in einem dynami-
schen Gleichgewicht und gehen ununterbrochen ineinander Die lokale räumliche Struktur der Polypeptidhauptkette wird
über. durch die Größe der Torsionswinkel (dihedralen Winkel, Di-
Trotz der eingeschränkten Rotation um die Peptidbindung ederwinkel) φ, ψ und ω bestimmt (. Abb. 5.5) und wird auch als
führt die freie Drehbarkeit um die beiden anderen Einfachbin- Sekundärstruktur bezeichnet. Der Winkel ω ist 180°, wenn sich
dungen (Cα–C und N–Cα) dazu, dass die meisten kleinen Peptide die Peptidbindung in einer perfekten trans-Konfiguration befin-
in der Lösung eine Vielzahl verschiedener Konformationen ein- det. Er ist 0° in der cis-Konfiguration der Peptidbindung. Für den
nehmen, die miteinander in einem schnellen Gleichgewicht ste- φ- und den ψ-Winkel entsprechen 180° einer maximalen
hen. Ihre »Struktur« wird als statistisches Knäuel (»random- Streckung der Hauptkette.
coil«) beschrieben, bei dem alle thermodynamisch möglichen
Konformationen vorkommen. Erst spezifische Interaktionen
zwischen Aminosäureresten der Kette stabilisieren das Peptid in
5.2 · Konformation von Proteinen
65 5

. Tab. 5.1 Kanonische Sekundärstrukturen

Sekundärstruk- φa ψa Wasserstoff-
tureinheit brückenmusterb

α-Helix –57 –47 COi–NHi+4


(rechtsgängig)

310-Helix –76 –5 COi–NHi+3


(–49) (–26)

α-Helix (links- +57 +47 COi–NHi+4


gängig)

π-Helix –57 –70 COi–NHi+5

Kollagentripel- –51 +153 COi–NHj–1 und NHi–1–COk


. Abb. 5.5 Definition der dihedralen Winkel in Polypeptiden. Die dihe- helix –76 +127
dralen (Torsions-)Winkel der Hauptkette sind φ (phi), ψ (psi) und ω (omega), –45 +148
die der Seitenketten werden mit dem griechischen Buchstaben χ (chi) be-
zeichnet. Beginnend mit ci, dem durch die Cα-Cβ-Bindung (im Bild Cα-Ri) defi- β-Faltblatt –119 +113 COi–1–NHj und NHi+1–COj
nierten Winkel, werden die Seitenkettenwinkel fortlaufend (ci+1 etc.) durch- (parallel) oder
nummeriert. Die Kette ist in ihrer maximalen Streckung (φ, ψ, ω = 180°) dar- COj–1–NHi und NHj+1-COi
gestellt. Die jeweils vier mit einem Grünraster hinterlegten Atome liegen we-
β-Faltblatt –139 +135 COi–NHj und NHi–COj oder
gen der Mesomerie der Peptidbindung (rote Umrandung) in einer Ebene.
(antiparallel) COi–1–NHj+1 und NHi+1–
Der Abstand der nicht in dieser Ebene liegenden Cα-Atome beträgt 0,36 nm
COj–1
a
Die angegebenen Winkel sind die energetisch günstigsten Werte,
in realen Strukturen finden sich deutliche Abweichungen von
Wasserstoffbrückenbindungen spielen eine zentrale diesen Idealwerten durch intramolekulare Wechselwirkungen mit
Rolle für die Ausbildung von Sekundärstrukturen dem Rest des Proteins. Insbesondere bei der 310-Helix weichen die
Bei der Strukturanalyse von Proteinen trifft man häufig auf Be- idealen Werte weit von den gewöhnlich experimentell gefundenen
reiche, die durch periodische Muster von Torsionswinkeln cha- Werten (in Klammern) ab.
b
COi–NHi+4 bezeichnet eine Wasserstoffbrücke zwischen der Carbo-
rakterisiert sind. Sie entstehen durch die Bildung von Wasser-
nylgruppe der Aminosäure in der Position i und der Amidgruppe
stoffbrücken zwischen dem Wasserstoff einer Amidgruppe (Do- der Aminosäure in Position i+4. Die Suffixe i, j, k bezeichnen die Posi-
natoren) und dem Sauerstoffatom einer Carbonylgruppe (Ak- tion der Aminosäure in verschiedenen Strängen der Peptidkette.
zeptoren) verschiedener Aminosäurereste der Hauptkette,
wodurch die Proteine eine höhere Stabilität erhalten (. Tab. 5.1).
Diese Strukturbereiche werden als die Sekundärstrukturele-
mente eines Proteins bezeichnet. Die wichtigsten Sekundär- zwei Windungen beträgt 0,54 nm, entspricht also genau der
strukturelemente, die in Proteinen vorkommen, sind die α-Helix Entfernung, die mit Röntgenbeugungsuntersuchungen be-
und das β-Faltblatt. Eine Zusammenstellung der kanonischen stimmt wurde. Aus diesen beiden Werten kann man dann den
Sekundärstrukturen von Proteinen, die durch typische Wasser- Abstand der Cα-Atome von zwei benachbarten Aminosäuren
stoffbrückenmuster charakterisiert sind, zeigt . Tab. 5.1. in Richtung der Helixachse bestimmen, er beträgt 0,54 nm/3,6,
also 0,15 nm.
α-Helix Die auffälligste Eigenschaft der α-Helix ist eine Ausrichtung
Röntgenstreuungsexperimente an Haaren in den 30er Jahren der Carbonyl- und der Amidgruppen parallel zur Helixachse, die
hatten gezeigt, dass die darin enthaltenen fibrillären Proteine, die erlaubt, stabile Wasserstoffbrücken zwischen jeder vierten Ami-
α-Keratine, aus Einheiten aufgebaut sind, die sich im Abstand nosäure zu bilden (. Abb. 5.6).
von 0,5–0,55 nm entlang ihrer Längsachse wiederholen. Mit dem Die Stabilität von Sekundärstrukturen wird auch von den Sei-
ursprünglichen einfachen Modell, bei dem das Haar aus paralle- tenketten der Aminosäuren beeinflusst. So wird die Bildung einer
len, ausgestreckten Polypeptidketten aufgebaut war, war ein wie- α-Helix besonders durch die Aminosäure Prolin gestört, dessen
derkehrender Atomabstand von 0,5–0,55 nm nicht zu erklären. Stickstoffatom in die Seitenkette eingebunden ist. Daher steht
Linus Pauling und Robert Corey schlugen 1951 ein Modell vor, kein Wasserstoffatom zur Ausbildung einer Wasserstoffbrücke
das im Einklang mit den experimentellen Daten war: In diesem zur Verfügung (. Abb. 5.4). Zusätzlich schränkt die Ringbildung
Strukturmodell ist die Polypeptidkette von α-Keratin in Form die freie Drehbarkeit um die N-Cα-Bindung ein, der φ-Winkel
einer rechtsgängigen Schraube (Helix) angeordnet, bei der die kann nicht den für die α-Helix idealen Wert von –57° (. Tab. 5.1)
Atome des Peptidrückgrats im Inneren der Helix lagern und die annehmen. Da jedoch erst ab der 4. Aminosäure eine Amidgrup-
Seitenketten nach außen zeigen. pe für eine Wasserstoffbrücke in der α-Helix zur Verfügung ste-
In dieser helicalen Anordnung der Atome der Peptidhaupt- hen muss, findet man Prolin noch relativ häufig am Beginn von
kette, die als Strukturelement des α-Keratins als α-Helix bezeich- α-Helices. Auch die kleine Aminosäure Glycin destabilisiert
net wurde, kommen 3,6 Aminosäuren auf eine 360°-Windung α-Helices. Demgegenüber findet man Alanin und Aminosäuren
der Helix. Die Ganghöhe der Helix, d. h. der Abstand zwischen wie Methionin und Glutaminsäure gehäuft in α-Helices.
66 Kapitel 5 · Proteine – Struktur und Funktion

lich. Die rechtsgängige 310-Helix (3 Aminosäuren pro Win-


dung, die einen 10-gliedrigen Ring bilden) findet man häufiger
an den Enden von α-Helices und macht etwa 10 % aller Helices
aus, die man in globulären Proteinen findet. Sie ist durch Was-
serstoffbrücken zwischen jeder dritten Aminosäure charakteri-
siert und ist damit dünner und steiler als die α-Helix. Sehr selten
ist die rechtsgängige π-Helix mit Wasserstoffbrücken zwischen
jeder fünften Aminosäure und 4.4 Aminosäuren pro Windung.
Sie ist dicker und flacher als die α-Helix. Die linksgängige α-Helix
ist für L-Aminosäuren energetisch ungünstig, da sich die Seiten-
5 ketten sterisch behindern.
Die rechtsgängige α-Helix wurde zwar im α-Keratin ent-
deckt, ist aber nicht auf dieses Protein beschränkt, sondern in
den meisten Proteinen zu finden. Ihr α-helicaler Anteil ist sehr
variabel. Es gibt Proteine, die keine α-Helices haben, oder Prote-
ine wie das Myoglobin mit einem α-Helixgehalt von etwa 70 %
(7 Kap. 5.3). Die α-Keratine selbst sind faserförmige (fibril-
läre) Proteine und Hauptbestandteile der Haut (Keratinocyten),
Haare und Nägel. Zwei Keratinhelices sind umeinander gewun-
den und bilden eine sog. coiled-coil-Struktur. Aus diesen Basis-
einheiten wird dann letztlich ein Intermediärfilament mit 10 nm
Durchmesser aufgebaut. Diese hierarchische Architektur ist in
7 Kap. 13.3 detaillierter beschrieben.

β-Faltblatt
Wie die α-Helix wurde auch das β-Faltblatt (β-pleated sheet) als
die zweite fundamentale Sekundärstruktureinheit durch die
Röntgenstrukturanalyse eines faserförmigen Proteins, der Seide,
entdeckt. Die Seide gehört zur Familie der β-Keratine, daher lei-
tet sich dann auch der Name dieser Struktur ab. Im Gegensatz zu
den α-Keratinen lassen sich β-Keratine kaum in der Längsachse
dehnen. Dies beruht darauf, dass die einzelnen Stränge einer
Faltblattanordnung schon fast maximal gestreckt sind, die φ- und
ψ-Winkel nehmen sehr große Werte an und ähneln damit der
maximal ausgestreckten Polypeptidkette (extended strand)
(. Tab. 5.1). Die N-H- und C=O-Gruppen einer Aminosäure-
einheit zeigen in die entgegengesetzte Richtung und liegen fast
auf einer Ebene (. Abb. 5.7, graue Flächen). Diese Anordnung
erlaubt die Bildung von stabilen Wasserstoffbrücken zwischen
zwei benachbarten β-Strängen, führt aber auch zu einer regelmä-
ßigen Knickung der Peptidkette. Die Atome der Hauptkette der
verschiedenen Stränge bilden eine Struktur, die mit einem gefal-
teten Blatt Papier (Faltblatt!) Ähnlichkeiten hat (. Abb. 5.7).
. Abb. 5.6 Räumlicher Aufbau einer rechtsgängigen α-Helix. Benachbar- Aminosäuren, die häufig in β-Faltblättern gefunden werden,
te Aminosäuren sind durch schwarze und gelbe Atombindungen gekenn- sind Isoleucin, Valin und Tyrosin.
zeichnet, die Peptidbindungen sind rot dargestellt. Der N-Terminus der Po-
lypeptidkette befindet sich in der Zeichnung oben, der C-Terminus unten.
Im idealen β-Faltblatt würde der φ- und ψ-Winkel jeweils
(Adaptiert nach Pauling 1968) 135° und –135° annehmen, da dann die Amid- und Carbonyl-
gruppen genau auf einer Ebene liegen würden. Bei realen Falt-
blättern wie sie in Proteinen gefunden werden, weichen die Win-
Das wichtigste helicale Sekundärstrukturelement kel leicht von den idealen Werten ab. Hierdurch kann die steri-
in Proteinen ist die rechtsgängige α-Helix sche Behinderung der Seitenketten an den Cα-Atomen verringert
Für die klassische α-Helix (. Tab. 5.1) werden die Wasserstoff- werden. Dies führt dazu, dass die Faltblätter nicht komplett eben
brücken zwischen der Amidgruppe einer Peptidbindung und der sind, sondern die β-Stränge ein rechtsgängige Verdrillung auf-
Carbonylgruppe der vierten darauf folgenden Aminosäure ge- weisen (s. z. B. . Abb. 5.13).
bildet. Obwohl die rechtsgängige α-Helix bei weitem die häu-
figste helicale Struktur in Proteinen ist, sind auch andere Wasser-
stoffbrückenmuster und damit auch andere Helixformen mög-
5.2 · Konformation von Proteinen
67 5

. Abb. 5.7 Paralleles (A) und antiparalleles β-Faltblatt (B). Beim parallelen Faltblatt bildet eine Aminosäure (j) Wasserstoffbrücken mit zwei Amino-
säuren (i–1; i+1) des Nachbarstranges, beim antiparallelen Faltblatt nur mit einer benachbarten Aminosäure (i)

Es gibt parallele oder antiparallele β-Faltblätter Die kanonischen Sekundärstrukturelemente


Die Lage der Wasserstoffbrückendonatoren (Amidgruppen) werden durch Schleifen verbunden
und Wasserstoffbrückenakzeptoren (Carbonylgruppen) in einer Um eine kompakte räumliche Faltung zu erreichen, müssen die
Ebene erlaubt zwei grundsätzlich unterschiedliche Anordnun- relativ starren kanonischen Sekundärstruktureinheiten mit
gen der einzelnen Stränge im β-Faltblatt. Die benachbarten Pep- nicht-periodischen Schleifenregionen (coils, loops) verbunden
tidketten können in dieselbe oder in die entgegengesetzte Rich- werden. Der Anteil von Sekundärstrukturelementen variiert von
tung bezüglich ihres N- und C-Terminus verlaufen. Sie sind Protein zu Protein. Typische globuläre Proteine sind gewöhnlich
dann parallel oder antiparallel angeordnet. Wenn alle β-Stränge aus einem hohen Anteil kanonischer Sekundärstrukturen aufge-
parallel angeordnet sind, spricht man von einem parallelen baut, die durch enge Schleifen miteinander verbunden werden.
β-Faltblatt, im anderen Fall von einem antiparallelen β-Faltblatt Diese Schleifenregionen haben in der Regel ebenfalls eine wohl-
(. Abb. 5.7). Die meisten β-Faltblätter bestehen aus mehr als definierte räumliche Struktur. Die Stränge in einem antiparalle-
zwei Strängen, die sowohl parallel als auch antiparallel angeord- len β-Faltblatt sind oft mit kurzen Schleifen verbunden, die sinn-
net sein können. In diesem Fall spricht man von einem gemisch- gemäß β-Kehren (β-turns) genannt werden. Sie bestehen meist
ten β-Faltblatt. aus nur 4 Aminosäuren. Wie die kanonischen Sekundärstruktur-
elemente besitzen auch sie charakteristische Torsionswinkel und
Wasserstoffbrückenmuster (. Abb. 5.8). Parallele β-Stränge kön-
nen natürlich nicht durch diese kurzen Schleifen verbunden wer-
den, da ihre Enden räumlich weit auseinander liegen. Sie werden
68 Kapitel 5 · Proteine – Struktur und Funktion

A B der Längsachse ist nicht mehr 0,15 nm wie bei der α-Helix, son-
dern 0,286 nm. Im Gegensatz zur klassischen α-Helix ist sie
linksgängig, die Carbonyl- und Amidgruppen stehen nicht par-
allel zur Helixachse, sondern stehen beinahe senkrecht zu ihr,
sodass keine Wasserstoffbrücken innerhalb der Kollagenhelix
gebildet werden können. Allerdings können Wasserstoffbrücken
gebildet werden, wenn sich drei Kollagenhelices zusammenla-
gern und zusammen eine rechtsgängige Helix bilden (. Abb.
5.9). Jede dritte Aminosäure im Kollagen liegt im Zentrum der
Tripelhelix. Aus sterischen Gründen muss es ein Glycin sein, da
5 sonst die Seitengruppen die Zusammenlagerung der Einzelsträn-
ge behindern würden. Die generalisierte Sequenz des Kollagens
ist daher (Gly-X-Y)n. Die drei Einzelstränge, die sich zusammen-
lagern, müssen aber nicht genau dieselbe Sequenz haben. Sie sind
so aneinander gelagert, dass das Glycin eines Strangs eine Was-
serstoffbrücke mit der Aminosäure X des benachbarten Strangs
ausbilden kann. Stabilisiert wird die Tripelhelix außerdem durch
. Abb. 5.8 β-Kehren Typ I (A) und Typ II (B). Die Abbildung stellt die aus je hydrophobe Wechselwirkungen zwischen den Seitenketten der
4 Aminosäuren gebildeten β-Kehren dar. Typ I und Typ II unterscheiden sich
lediglich in den φ- und ψ-Winkeln zwischen den Aminosäuren 2 und 3. An
anderen Aminosäuren. Kollagen hat eine besonders große Zug-
den Aminosäuren 1 und 4 enden bzw. beginnen Faltblattstrukturen. Die Cα- festigkeit, da eine Kraft in Richtung der Längsachse nur zu einer
Atome der 4 Aminosäuren sind durchnummeriert leicht kompensierbaren Querkraft führt, die die Einzelstränge
der Tripelhelix zusammenpresst.

daher oft mit längeren Schleifenregionen verbunden, die zusätz- Im Ramachandran-Diagramm wird die lokale
lich α-helicale Bereiche enthalten. Struktur der Polypeptidkette dargestellt
Schleifenregionen haben oft eine höhere Beweglichkeit als der Da zwischen den Atomen aufeinanderfolgender Aminosäuren
Rest der Struktur und sind oft Teil von Regionen, die funktionell sterische Behinderungen auftreten können, sind nicht alle Kom-
ihre Struktur bei der Bindung von Liganden anpassen müssen. binationen von φ- und ψ-Winkeln in Proteinen möglich. Stellt
Da wohlgeordnete, kompakt gefaltete Proteine besonders gut man alle Kombinationen der dihedralen Winkel der Hauptkette
kristallisieren, glaubte man lange Zeit, dass alle Proteine in ihrem in einem zweidimensionalen Diagramm dar, so gibt es Regionen,
nativen Zustand solche kompakten Strukturen annehmen. In- die energetisch günstig (erlaubt) sind, und Regionen, die energe-
zwischen weiß man, dass ein erheblicher Anteil von Proteinen tisch ungünstig (verboten) sind (. Abb. 5.10). Die kanonischen
ungeordnete Bereiche mit hoher Flexibilität enthält oder sogar Sekundärstrukturen sind in den erlaubten Bereichen des Rama-
gänzlich ungefaltet ist (intrinsically unfolded proteins). Eine Ana- chandran-Diagramms zu finden. Wenn in einem Protein Tor-
lyse des menschlichen Genoms sagt voraus, dass etwa 30 % der sionswinkel in den verbotenen Bereichen des Ramachandran-
dort codierten Proteine zur Gruppe der intrinsisch ungefalteten Diagramms zu finden sind, deutet dies entweder auf eine wich-
Proteine gehören. tige strukturelle Besonderheit hin oder ist oft nur ein Zeichen für
Wenn die Werte, die die Torsionswinkel von aufeinanderfol- eine fehlerhafte 3D-Strukturbestimmung.
genden Aminosäuren annehmen, gänzlich unkorreliert sind und
von Molekül zu Molekül variieren, spricht man von einem Zu-
fallsknäuel (random coil). In Lösung gehen die verschiedenen 5.2.3 Dreidimensionaler Aufbau (Tertiärstruktur)
Konformationen der Polypeptidkette rasch ineinander über. Das
Zufallsknäuel ist der typische Zustand völlig denaturierter Pro- Die Tertiärstruktur beschreibt die dreidimensionale
teine in Lösung. Struktur eines Proteins
Die Tertiärstruktur eines Proteins entspricht der räumlichen An-
Die Kollagenhelix wird nur durch intermolekulare ordnung seiner Sekundärstrukturelemente. Für die anschauliche
Wasserstoffbrückenbindungen stabilisiert Darstellung der Raumstruktur eines Proteins werden α-Helices
Kollagenhelix Das wichtigste extrazelluläre Protein des Bindege- durch Zylinder oder Spiralen und β-Faltblätter durch Pfeile wie-
webes ist das Kollagen (7 Kap. 71.1). Es ist durch eine besondere dergegeben, wobei der Pfeil die Richtung des Stranges vom N- zum
Aminosäurezusammensetzung und einer daraus folgenden spe- C-Terminus angibt. Die übrigen Teile des Proteins zwischen den
zifischen Struktur, die Kollagenhelix, gekennzeichnet. Es besteht Sekundärstrukturelementen werden gewöhnlich durch Kurven
zur Hälfte aus Glycyl- und Prolylresten. Wie die schon bespro- (schmale Bänder oder dünne Zylinder) beschrieben, die durch die
chenen α- und β-Keratine bildet es stabile Fasern. Aufgrund ihrer Positionen der Cα-Atome definiert werden (. Abb. 5.11).
besonderen Aminosäuresequenz hat die Kollagenhelix ganz spe-
zifische Struktureigenschaften: sie bildet eine langgestreckte He- Supersekundärstrukturen Sind Sekundärstrukturelemente in
lix, die anders als die α-Helix nicht durch interne Wasserstoffbrü- charakteristischen Abfolgen angeordnet, spricht man von Super-
cken stabilisiert ist. Der Abstand zwischen zwei Aminosäuren auf sekundärstrukturen oder Motiven. Hierzu gehören z. B. Helix-
5.2 · Konformation von Proteinen
69 5

B C

. Abb. 5.9 Modell der Kollagentripelhelix. A Drei linksgängige Helices


winden sich rechtsgängig umeinander. N: N-Terminus, C: C-Terminus.
B Ansicht der Helix von der C-terminalen Seite aus. C Ausschnitt aus der
Kollagenhelix im grau markierten Bereich von A in der Höhe von Gly25.
PDB ID: 2WUH

Schleife-Helix-Motive (helix-turn-helix motif), bei denen zwei Elektrostatische (ionische) Wechselwirkung Ionenbindungen
α-Helices über eine Schleife miteinander verbunden sind. Dieses zwischen den geladenen Gruppen der Aminosäuren sind die
Motiv ist typisch für calciumbindende Proteine wie Tropomyo- stärksten nicht-covalenten Wechselwirkungen in Proteinen. Da
sin oder Calmodulin (. Abb. 5.12), während es bei DNA-binden- die elektrostatische Energie zwischen zwei geladenen Gruppen
den Proteinen der direkten Interaktion mit der DNA dient. umgekehrt proportional zum Abstand r der Ladungen ist (und
nicht zu r3 wie z. B. beim Dipol von H-Brücken), fällt sie nur
Die Bildung von Tertiärstrukturen geht auf langsam mit dem Abstand ab und hat prinzipiell eine relativ
physikalische Wechselwirkungen zurück große Reichweite. In der Lösung sind allerdings die geladenen
Die räumliche Faltung eines Proteins ist das Ergebnis aller phy- Gruppen stark solvatisiert und durch Gegenionen im Lösungs-
sikalischen Wechselwirkungen im Protein selbst und zwischen mittel partiell abgeschirmt. Daher ist der wirkliche Anteil der
dem Protein und dem Lösungsmittel. Im Einzelnen sind es die Ionenbindungen an der gesamten Stabilisierungsenergie in der
elektrostatischen Wechselwirkungen, die van-der-Waals Wech- Lösung relativ klein. Ausnahmen sind die seltenen Ionenpaare
selwirkungen, die intramolekularen Wasserstoffbrückenbindun- im Inneren von Proteinen oder definierte Ionencluster an der
gen und die hydrophoben Wechselwirkungen, die zwischen allen Oberfläche von Proteinen. Diese findet man relativ häufig bei
Atomen des Systems Lösungsmittel – Protein bestehen. Unter- Proteinen thermophiler Mikroorganismen, deren Struktur auch
stützt wird die Stabilisierung der Struktur oft durch zusätzliche bei hohen Temperaturen stabil gehalten werden muss.
covalente Verknüpfungen zwischen verschiedenen Aminosäu-
ren in der Sequenz.
70 Kapitel 5 · Proteine – Struktur und Funktion

. Abb. 5.12 Das Helix-Schleife-Helix-Motiv, eine einfache Supersekun-


därstruktur

Van-der-Waals-Wechselwirkung Die van-der-Waals-Wechsel-


wirkung hat einen abstoßenden und einen anziehenden Anteil.
Der abstoßende Anteil verhindert, dass sich zwei Atome im Pro-
tein zu nahe kommen und sich durchdringen. Für die Stabilität
. Abb. 5.10 Ramachandran-Diagramm der dihedralen Winkel φ- und ψ
der Peptidhauptkette. Die typischen Winkelkombinationen für verschie- von Proteinen ist die anziehende Komponente der van-der-
dene Sekundärstrukturelemente sind eingezeichnet, die idealen Werte sind Waals-Wechselwirkung besonders wichtig. Sie beruht auf einer
in . Tab. 5.1 gegeben: α: rechtsgängige α-Helix, αL: linksgängige α-Helix, räumlichen Ungleichverteilung der Elektronen in den Molekül-
310: rechtsgängige 310-Helix, : paralleles β-Faltblatt, : antiparalleles orbitalen. Die daraus resultierende partielle Ladungstrennung
β-Faltblatt, π: π-Helix, C: Kollagenhelix, II: Polyglycinhelix II. (Rosa) verbotene
erzeugt elektrische Dipole und führt zu einer wechselseitigen
Bereiche, (dunkelgrün) uneingeschränkt erlaubte Bereiche, (hellgrün) er-
laubte Bereiche, (gelb) beschränkt erlaubte Bereiche Anziehung zwischen den Dipolen und damit auch den zugehö-
rigen Atomen. Die Carbonyl- und die Amidgruppen der Peptid-
bindung spielen dabei eine besondere Rolle, da sie ein relativ
großes permanentes statisches Dipolmoment haben. Diesem
permanenten Dipolmoment entsprechen die mesomeren Grenz-

. Abb. 5.11 Verteilung von α-Helices und β-Faltblättern im menschlichen Ras-Protein. Links Sekundärstrukturdarstellung, rechts Atomares Modell. Das
Ras-Protein ist C-terminal gekürzt (ab Aminosäure 167), um die Kristallisation zu ermöglichen. Im aktiven Zentrum ist ein Mg2+-Ion und das GTP-Analog
GppNHp gebunden, das nicht hydrolysiert werden kann. Bei der Bindung von vielen Ras-Bindedomänen bildet sich am markierten Wechselwirkungsort ein
intermolekulares β-Faltblatt. Im atomaren Modell des Proteins sind Wasserstoffatome weiß, Kohlenstoffatome schwarz, Sauerstoffatome rot, Stickstoff-
atome blau und Schwefelatome gelb dargestellt. Das Nucleotid ist grün, das Metallion orange dargestellt. PDB ID: 5P21, 1RFA

Proteine Calciumbindungsmotiv
5.2 · Konformation von Proteinen
71 5
strukturen, die wir schon als die Ursache für die Planarität der Lösungsmittel. Da thermodynamisch ein System immer Zustän-
Peptidbindung kennengelernt haben. Zu den statischen Dipol- de mit niedrigerer freier Enthalpie bevorzugt, wird der gefaltete
momenten kommen noch die schwachen London-Dispersions- Zustand des Proteins stabilisiert.
kräfte, die durch eine rasch fluktuierende Verschiebung der
Elektronenverteilung in nicht-polaren Gruppen hervorgerufen Disulfidbindungen Eine weitere Stabilisierung der Tertiärstruk-
wird. Es entstehen dabei sich schnell ändernde Dipolmomente, tur eines Proteins kann durch eine covalente Verknüpfung räum-
die im Zeitmittel zu einer wechselseitigen Anziehung zwischen lich benachbarter Aminosäureseitenketten erfolgen. Allerdings
den beteiligten Atomen führen. wird normalerweise zunächst die dreidimensionale Struktur un-
ter dem Einfluss der schon diskutierten physikalischen Wechsel-
Intramolekulare Wasserstoffbrückenbindung Die generellen Ei- wirkungen eingenommen, die dann erst später durch die covalen-
genschaften einer Wasserstoffbrücke können durch eine einfache ten Bindungen stabilisiert wird. Die häufigste covalente Verknüp-
elektrostatische Anziehungskraft zwischen dem Dipol der nega- fung in Proteinen ist die Disulfidbindung, die durch die Verknüp-
tiv polarisierten Akzeptorgruppe und der positiv polarisierten fung der Thiolgruppen zweier Cysteinreste gebildet wird. Da
Donatorgruppe erklären. Typischerweise sind die Donatoren innerhalb der Zelle ein reduzierendes Milieu besteht, können in-
Gruppen des Moleküls, in denen ein Wasserstoffatom durch sei- trazelluläre cytosolische Proteine nur in Ausnahmen stabile Di-
ne covalente Bindung an ein elektronegatives Atom wie Stickstoff sulfidbindungen ausbilden. Im Gegensatz dazu bilden sich in der
oder Sauerstoff positiv polarisiert wird. Der Bindungspartner, nicht-reduzierenden Umgebung des endoplasmatischen Retiku-
der Akzeptor der Wasserstoffbrücke ist dann ein weiteres elekt- lums bzw. des mitochondrialen Intermembranraumes oder im
ronegatives Atom. Eine quantenchemische Analyse zeigt aber, Extrazellulärraum stabile Disulfidbindungen. Hier können sie
dass es zusätzlich eine direkte Überlappung der Molekülorbitale beträchtlich zur Gesamtstabilität des Proteins beitragen.
zwischen Donator und Akzeptor in der Wasserstoffbrückenbin- Da die Lösungsmittelmoleküle eine Vielzahl von Interaktio-
dung gibt. Dies erklärt auch, warum der Abstand zwischen dem nen mit den an der Oberfläche gelegenen Aminosäureresten ein-
Wasserstoffatom und dem Akzeptor mehr als 0,05 nm kleiner ist gehen können, bestimmt deren Interaktion die Stabilität und
als von der Summe der van-der-Waals-Radien zu erwarten wäre. Struktur wesentlich mit. Die genaue Zusammensetzung des Lö-
In Wasser selbst beträgt der intermolekulare H-O-Abstand in der sungsmittels (in biologischen Systemen normalerweise Wasser)
Wasserstoffbrücke nur etwa 0,18 nm anstatt der 0,26 nm, die sich bestimmt daher auch die energetisch günstigste Struktur des
aus der Summe der van-der-Waals-Radien ergeben würden. Die Proteins, die man unter den gegebenen äußeren Bedingungen
Theorie erfordert auch eine bevorzugte Ausrichtung der Wasser- vorfindet. Wenn der Druck (isobar) und die Temperatur (iso-
stoffbrücken relativ zu dem freien Elektronenpaar des Akzeptors. therm) konstant sind, bestimmt die freie Enthalpie G des aus
Dies ist auch experimentell in hoch aufgelösten Röntgenstruktu- Lösungsmittel und Protein bestehenden Gesamtsystems die
ren bestätigt, bei denen der N-H-Verbindungsvektor der Peptid- Struktur des Proteins. Daher führt beispielsweise der Zusatz von
gruppen bevorzugt zum freien Elektronenpaar des Carbonyl- Ethanol zu einer wässrigen Proteinlösung meist zu einer grund-
sauerstoffs zeigt. legenden Konformationsänderung des Proteins. Die hydropho-
Die intramolekularen Wasserstoffbrücken haben typischer- ben Alkoholmoleküle sind jetzt potentielle Partner der norma-
weise Bindungsenergien von –12 bis –30 kJ/mol. Der energeti- lerweise im Proteininneren liegenden hydrophoben Seitenket-
sche Beitrag einer solchen Wasserstoffbrücke zur Erhaltung der ten. Die hydrophoben Seitenketten des Polypeptids werden da-
Tertiärstruktur erscheint relativ gering, da er sich nur wenig von durch nach außen orientiert, das Protein verliert seine native
demjenigen einer Wasserstoffbrücke zum Wasser der Umgebung Struktur. Diesen Verlust der geordneten Struktur eines Proteins
unterscheidet. Umgekehrt beträgt die gesamte Stabilisierungs- nennt man allgemein Denaturierung (7 Kap. 5.4.1).
energie eines Proteins nur etwa –30 bis –60 kJ/mol.
Gemeinsamkeiten von strukturell verwandten
Hydrophobe Wechselwirkung Die hydrophobe Wechselwirkung Proteinen können durch ihre Faltungstopologie
liefert den Hauptbeitrag zur Bildung der kompakten Tertiär- erkannt werden
struktur von Proteinen. Sie bewirkt eine Orientierung hydropho- Unter der Faltungstopologie eines Proteins (protein-fold) ver-
ber Seitenketten weg vom polaren Lösungsmittel ins Innere eines steht man die Reihenfolge der kanonischen Sekundärstruktur-
Proteins. Während dieses Prozesses wird das Wasser aus dem elemente in der Primärstruktur und deren räumliche Beziehung.
Kern des Proteins eliminiert. Die Ursachen der hydrophoben Begrifflich steht die Faltungstopologie zwischen den Ebenen der
Wechselwirkung sind immer noch umstritten. Im strengen Sinn Sekundär- und Tertiärstruktur. Sie wird zur Klassifikation von
existiert sie sogar gar nicht, da es nach neueren experimentellen Proteinen nach gemeinsamen Strukturmerkmalen genutzt. Bei
Daten keine hydrophoben, sondern nur weniger hydrophile Sei- der Faltungstopologie werden gewöhnlich nur Helices und Falt-
tenketten gibt. Gewöhnlich wird die hydrophobe Wechselwir- blattstränge als Sekundärstrukturelemente unterschiedlicher
kung als entropischer Effekt interpretiert, da die hydratisierten Länge berücksichtigt, die durch variable Schleifen verbunden
hydrophoben Seitenketten eine höhere Ordnung (geringere En- sind. Für die Definition der Topologie ist weder die spezifische
tropie) des Wassers in ihrer Umgebung erzwingen. Wenn sie ins Aminosäuresequenz noch die Länge der einzelnen Sekundär-
Proteininnere verlagert werden, steigt die Entropie in der Was- strukturelemente und deren genaue Lage im Raum von Belang.
serhülle. Damit verringert sich die freie Enthalpie (Gibb’s free Ein Beispiel ist die ββαββαβ-Faltungstopologie des Ubiqui-
energy) des gesamten Systems von Protein und umgebendem tins (7 Kap. 49.3.2) (ubiquitin-fold), das aus einem gemischten
72 Kapitel 5 · Proteine – Struktur und Funktion

. Abb. 5.13. Faltungstopologie des Ubiquitins. Vom N-Terminus her zeigt


Ubiquitin die Faltungstopolgie ββαββαβ. (Einzelheiten siehe Text). PDB ID:
1UBQ

. Abb. 5.14 Hierarchie der Proteinstrukturen. In den 3 Hauptklassen der


5-strängigen β-Faltblatt und zwei α-Helices besteht, die auf dem
Proteine können jeweils verschiedene Architekturen unterschieden werden,
Faltblatt liegen (. Abb. 5.13). Die beiden ersten und die drei letz- die sich aus unterschiedlichen Faltungsgruppen zusammensetzen. Diese
ten Stränge bilden jeweils ein antiparalleles Faltblatt, die über werden dann wieder in Superfamilien und Familien untergliedert.
Strang 1 und Strang 5 parallel aneinander gelagert sind. Dieselbe (Einzelheiten s. Text). (Adaptiert nach CA Orengo und JM Thornton 2005)
Faltungstopologie findet sich aber auch in den Ras-Bindungsdo-
mänen verschiedener Ras-Effektoren, die bei der Bindung an das
aktivierte Ras-Protein ein intermolekulares β-Faltblatt zwischen In jeder dieser Klassen lassen sich wieder bestimmte Archi-
jeweils einem β-Strang des Effektors und einem des Ras-Proteins tekturmotive identifizieren (. Abb. 5.14). Insgesamt wurden
bilden (. Abb. 5.13). bisher mehr als 30 verschiedene Architekturen gefunden. Pro-
teine mit ähnlichen Architekturen können dann weiter nach
Einteilung der Proteine nach ihrer Faltungstopologie Eine erste ihrer spezifischen Faltung in Faltungsgruppen (folds) eingeteilt
Klassifizierung der Proteine nach ihrer Faltungstopologie lässt werden, die dann zu Superfamilien und Familien zusammen-
sich durch eine Einteilung nach den Sekundärstrukturelementen gefasst werden.
erreichen, aus denen sie aufgebaut sind. Hier kann man drei Die Klassifizierung von Proteinen nach ihrer Faltungstopo-
Hauptklassen definieren (. Abb. 5.14): logie ermöglicht das Auffinden neuer struktureller Beziehungen
4 α-Proteine bestehen überwiegend aus α-Helices. zwischen verschiedenen Proteinen. Im letzten Jahrzehnt war die
4 β-Proteine sind im Wesentlichen aus antiparallelen Entdeckung neuer Faltungstopologien ein Hauptziel vieler gro-
β-Faltblättern aufgebaut. ßer Forschungsprogramme in der strukturellen Proteomik, die
4 α-β-Proteine bestehen aus parallelen oder gemischt sich auf die systematische Aufklärung der dreidimensionalen
parallel-antiparallelen Faltblättern, die durch α-Helices Strukturen von Proteinen und deren Interpretation konzentriert.
verbunden sind. Eine der Erwartungen an die strukturelle Proteomik ist, mit der
Erstellung einer weitgehend kompletten Datenbasis auch unbe-
kannte räumliche Strukturen durch Homologiemodellierung

Proteine Architektur Superfamilien homologe Laktatdehydrogenase Flavodoxin


5.2 · Konformation von Proteinen
73 5
sicher vorherzusagen, wenn die Primärstruktur bekannt ist. β-Untereinheit besteht) (7 Kap. 5.3); das Hüllprotein des Tabak-
Theoretisch werden etwa 4.000 verschiedene Faltungstopologien mosaikvirus ist eine Homomultimer aus 2.130 Protomeren.
vorhergesagt. Die wechselseitige räumliche Anordnung der Protomere in
einem multimeren Protein wird als Quartärstruktur bezeichnet.
Domänen Proteine mit mehr als 150 Aminosäuren lassen sich Sie ist oft für spezifische Eigenschaften des Proteins verantwort-
oft in strukturell unterschiedliche Regionen aufteilen, in die sog. lich, dementsprechend können kleine Änderungen der Quartär-
strukturellen Domänen. Die Domänen stellen zusammenhän- struktur oft die Eigenschaften des Proteins signifikant beeinflus-
gende Teile des Proteins dar, die sich im Allgemeinen auch un- sen. Wichtige Beispiele sind hier die Regulation des Sauerstoff-
abhängig falten können. Sie stellen oft auch funktionelle Domä- transports durch das Hämoglobin im Blut und die Steuerung der
nen dar, die bestimmte biologische Funktionen wie die Bindung katalytischen Aktivität von Enzymen. Änderungen der Quartär-
anderer Proteine (Bindedomäne) oder eine bestimmte katalyti- struktur von Proteinen nach der Bindung von Substraten ist die
sche Aktivität übernehmen. Allerdings wird für die enzymati- Basis der klassischen kooperativen Bindung und der allosteri-
sche Katalyse oft mehr als eine strukturelle Domäne benötigt und schen Regulation (7 Kap. 8.4). Die Quartärstruktur von Enzymen
die Katalyse findet an der Grenzfläche zwischen den strukturel- und die davon abhängige Aktivität werden häufig durch covalen-
len Domänen statt. te Modifikationen beeinflusst. Hier spielt die Phosphorylierung
von Hydroxylgruppen von spezifischen Seryl-, Threonyl- und
Nach ihrer Form unterscheidet man grob zwischen Tyrosylresten in den Untereinheiten eines multimeren Proteins
fibrillären und globulären Proteinen biologisch eine dominierende Rolle. Sie erfolgt durch die Aktivi-
Globuläre Proteine Globuläre Proteine haben eine kugelähnli- tät phosphatübertragender Enzyme (Proteinkinasen). Biologisch
che Gestalt und sind kompakt gefaltet. Sie zeigen gewöhnlich ist dieser Effekt reversibel, da die Phosphatgruppen unter der
eine gute Wasserlöslichkeit und übernehmen oft katalytische Einwirkung von phosphatabspaltenden Enzymen (Proteinphos-
und regulatorische Funktionen im Stoffwechsel (Funktionspro- phatasen) bei Bedarf wieder entfernt werden können. Ein klassi-
teine). Die meisten Enzyme gehören zur Klasse der globulären sches Beispiel ist hier die Regulation des Glycogenstoffwechsels,
Proteine. Auch das Hämoglobin, das den Sauerstoff im Blut bei dem die Glycogenphosphorylase durch Phosphorylierung
transportiert, ist ein Vertreter der globulären Proteine. aktiviert und die Glycogensynthase durch Phosphorylierung de-
aktiviert wird (7 Kap. 15.2).
Fibrilläre Proteine Fibrilläre Proteine haben im Gegensatz zu Damit sich die Protomere gezielt zusammenlagern können,
globulären Proteinen eine langgestreckte, faserförmige Gestalt werden bestimmte, komplementäre Bereiche auf der Oberfläche
und stellen meist Strukturproteine dar. Sie sind oft in Wasser der Proteine benötigt. Diese mussten durch die Evolution für die
oder verdünnten Salzlösungen schlecht löslich, da sie große Ag- Protein-Protein-Wechselwirkung optimiert werden und ermög-
gregate bilden. Typische Vertreter der fibrillären Proteine sind lichen es den Proteinen sich gegenseitig zu »erkennen« und an-
die extrazellulären Proteine α-Keratin (Hauptbestandteil von schließend zusammenzulagern. Um eine starke Interaktion zu
Haaren und Wolle, 7 Kap. 73.2), β-Keratin (Hauptbestandteil von gewährleisten, müssen die Oberflächen geometrisch so gut auf-
Seide) und Kollagen (Hauptbestandteil der extrazellulären Mat- einander abgestimmt sein, dass kein Wasser eindringen kann.
rix, von Bändern und Sehnen; 7 Kap. 71.1). Die Packungsdichte der Atome entspricht dann derjenigen in-
nerhalb eines Proteins. Die verschiedenen Untereinheiten wer-
den hauptsächlich durch hydrophobe Wechselwirkungen, Was-
5.2.4 Räumliche Anordnung mehrerer serstoffbrücken und elektrostatische Wechselwirkungen zusam-
Polypeptidketten in einem multimeren mengehalten.
Protein (Quartärstruktur) Zusätzlich können diese nicht-covalenten Bindungen durch
covalente Bindungen zwischen den Untereinheiten verstärkt
Die Quartärstruktur beschreibt die räumliche werden. Die Ausbildung von Disulfidbrücken zwischen zwei
Anordnung mehrerer identischer oder verschiede- Cysteinresten ist sicherlich die am weitesten verbreitete intra-
ner Polypeptidketten in Proteinkomplexen und intermolekulare covalente Verknüpfung. Proteine der extra-
Wenn sich mehrere Polypeptidketten zu Proteinkomplexen zu- zellulären Matrix, wie Kollagen und Elastin, lagern sich zu dau-
sammenlagern, spricht man von multimeren Proteinen. Die ein- erhaft stabilen, hochmolekularen Fibrillen zusammen, indem die
zelnen Polypeptidketten solcher Komplexe können als Protome- Untereinheiten durch Schiff-Basen-Bildung zwischen Lysinsei-
re oder Untereinheiten bezeichnet werden. Häufig wird die An- tenketten und Allysinseitenketten miteinander quervernetzt
zahl an Untereinheiten aus der Benennung deutlich: dimere, werden (7 Kap. 71.1.2).
trimere, tetramere, oligomere, polymere (= multimere) Proteine.
Sind die Protomere identisch, werden die Komplexe als Homo-
polymere, andernfalls als Heteropolymere bezeichnet. Oft ver- 5.2.5 Geladene Gruppen in Proteinen
wendet man aber auch die Ausdrücke Protomer und Unterein-
heit für kleine identische Grundeinheiten, aus denen ein Polymer Die Mehrzahl aller Proteine enthalten Aminosäuren mit positiv
aufgebaut ist, obwohl sie aus mehr als einer Polypeptidkette be- oder negativ geladenen Seitenketten. In der Hauptkette verlieren
stehen. So ist Hämoglobin ein Tetramer, das aus zwei Heterodi- die α-Aminogruppen und die α-Carboxylgruppen der einzelnen
meren aufgebaut ist (einem Protomer, das aus einer α- und einer Aminosäuren ihre Ladungen, wenn sie in die Peptidbindungen
74 Kapitel 5 · Proteine – Struktur und Funktion

überführt werden. Nur die bei neutralem pH positiv geladene


N-terminale Aminogruppe und die negativ geladene C-termina-
le Carboxylatgruppe sind nicht in die Peptidbindung eingebun-
den. Bei der Biosynthese von Proteinen wird allerdings die Ami-
nogruppe des N-terminalen Methionins bei Bakterien formyliert
und verliert dabei seine Ladung.
Die geladenen Seitenketten können je nach pH-Wert der
Umgebung reversibel protoniert und deprotoniert werden und
damit ihren Ladungszustand ändern. Die Carboxylgruppe von
Aspartyl- und Glutamylresten wird bei niedrigen pH-Werten
5 protoniert und verliert ihre negative Ladung. Die Aminogruppe
von Lysylresten und die Guanidinogruppe von Arginylresten
verliert ihre positive Ladung bei sehr hohen pH-Werten. Eine
Sonderstellung nimmt die Imidazolgruppe von Histidinen ein:
in Proteinen hat sie einen pK-Wert im Bereich von 7, d. h. bei
physiologischen pH-Werten kann sie protoniert und positiv ge-
laden sein oder auch deprotoniert und ungeladen vorliegen
(7 Kap. 3.3.4).
Bei höheren pH-Werten können auch die Seitenketten der
polaren Aminosäuren geladen sein: die Hydroxylgruppen des
Threonins, des Serins und des Tyrosins sowie die Sulfhydryl-
gruppen des Cysteins werden dann deprotoniert (7 Kap. 3.3.4)
und erhalten eine negative Ladung.
Wenn eine Seitenkette geladen ist, geht sie mit ihrer Umge-
bung eine elektrostatische Wechselwirkung ein und kann die . Abb. 5.15 Titrationskurve von Hämoglobin. Die Äquivalente an Säure
Faltung eines Proteins stabilisieren oder destabilisieren. Wenn oder Base, die für eine pH-Änderung notwendig sind, sind gegen den pH
die Oberflächenladungen durch extreme pH-Werte geändert aufgetragen. In den Bereichen, in denen sich bei Zusatz von Säure oder
Base der pH-Wert nur wenig ändert (steiler Kurvenbereich), puffert Hämo-
werden, führt dies im Allgemeinen zur Denaturierung des Pro- globin am besten. Der physiologische pH-Bereich ist rosa markiert
teins (Säure- oder Basendenaturierung).
Ein zweiter, spezifischer Effekt des Protonierungs-Deproto-
nierungs-Gleichgewichts ist die Beeinflussung der biologischen
Aktivität von Enzymen, bei denen die Seitenketten von gelade- denen Gruppen des Proteins ein komplexes elektrisches Feld im
nen Aminosäuren oft direkt an der Katalyse beteiligt sind. Sie Protein und seiner Umgebung, dessen Größe an einer bestimm-
können hier die funktionellen Gruppen für eine charakteristi- ten Stelle im Protein den pK-Wert der dort vorgefundenen Sei-
sche Art der Katalyse, die Säure-Base-Katalyse liefern. Bei dieser tengruppe modifiziert.
werden Protonen reversibel vom Substrat übernommen oder auf Die Abweichungen der pK-Werte von Modellwerten können
das Substrat übertragen (7 Kap. 7.5). Auch hier spielt das Histidin mehrere pK-Einheiten betragen. Starke Abweichungen des pK-
wieder eine besondere Rolle, da es bei physiologischen pH-Wer- Wertes findet man oft bei Resten, die direkt an der enzymati-
ten teilweise als Säure und teilweise als Base vorliegt. schen Katalyse beteiligt sind (7 Tab. 3.10).
Die Titrationskurve des Hämoglobins ist in . Abb. 5.15 zu
Isoelektrischer Punkt Wie bei einzelnen Aminosäuren gibt es sehen. In drei pH-Bereichen sind größere Säure-Base-Äquiva-
auch bei Proteinen einen pH-Wert, bei dem sie im elektrischen lente notwendig, um den pH-Wert zu ändern, d. h. hier puffert
Feld nicht zum positiven oder negativen Pol wandern. Bei diesem das Hämoglobin durch Abgabe bzw. Aufnahme von Protonen
pH besitzen sie im dynamischen Gleichgewicht im Zeitmittel besonders gut. Zwei dieser Bereiche bei pH 3 und pH 11 haben
keine Nettoladung, die eine Bewegung im elektrischen Feld be- für die physiologische Funktion des Hämoglobins keine größere
wirkt. Dieser pH-Wert ist der isoelektrische Punkt pI des Pro- Relevanz. Der Puffereffekt bei pH 3 wird durch die Aspartyl- und
teins. Prinzipiell kann man ihn aus den pK-Werten aller gelade- Glutamylreste des Hämoglobins verursacht, der Puffereffekt bei
nen Gruppen berechnen. Allerdings ist dies für Proteine nicht so pH 11 wird durch Arginyl- und Lysyslreste bedingt. Wichtig ist
einfach, da die pK-Werte der einzelnen Aminosäurereste im der Effekt im physiologischen pH-Bereich von pH 7.4 (rosa mar-
Protein in der Regel von den Werten abweichen, die man bei kiert), der durch die Histidylreste des Hämoglobins bewirkt
freien Aminosäuren oder Modellpeptiden bestimmt (7 Tab. wird. Deren Protonierungs-Deprotonierungs-Gleichgewicht hat
3.10). Der pK-Wert einer bestimmten Seitenkette im Protein einen direkten Einfluss auf den O2- und den CO2-Transport
hängt nämlich von der gesamten räumlichen Struktur des Prote- durch das Hämoglobin (7 s. u.) und auf die Regulation des Säure-
ins ab. Auf der einen Seite hat man lokale Effekte: Die Bildung Base-Haushalts im Blut (7 Kap. 66.1.3).
von Wasserstoffbrücken oder Salzbrücken mit räumlich benach-
barten Aminosäuren beeinflusst das Dissoziationsgleichgewicht
einer Seitenkette im Protein. Darüber hinaus erzeugen alle gela-
5.3 · Hämoglobin und Myoglobin: Ein wichtiges Beispiel für die Konformationsabhängigkeit funktioneller Eigenschaften
75 5
Das Hämoglobin kommt, wie schon das Präfix »haemo«
Zusammenfassung (nach dem griechischen Wort αἷμα (haima) für Blut) sagt, nur im
Die Hierarchie der Proteinstrukturen hat vier Ebenen: Blut vor. Daneben gibt es mit dem Myoglobin ein zweites Protein,
4 Die Primärstruktur entspricht der Sequenz der Amino- das Sauerstoff bindet und in den Herz- und Skelettmuskelzellen
säuren eines Proteins, die durch Peptidbindungen ver- in hohen Konzentrationen vorkommt (daher auch das Präfix
knüpft wurden. Die Peptidbindung verknüpft die Carb- »myo« nach dem griechischen Wort μῦς (müs) für Muskel). Im
oxylgruppe einer Aminosäure mit der Aminogruppe der Herzmuskel überbrückt sauerstoffbeladenes Myoglobin den
darauffolgenden Aminosäure; sie hat einen partiellen Sauerstoffmangel, der durch die Kompression der Herzkranzge-
Doppelbindungscharakter und ist planar. fäße während jeder Systole entsteht. Im Skelettmuskel dient es
4 Die Sekundärstruktur beschreibt die lokale räumliche als Puffer bei einem durch die Muskelkontraktion kurzzeitig ge-
Struktur der Hauptkette. Die meisten Proteine enthalten steigerten Sauerstoffbedarf. Zusätzlich führt die Diffusion des
die kanonischen Sekundärstrukturelemente, die durch sauerstoffbeladenen Myoglobins (Oxymyoglobin) auch zu einer
Wasserstoffbrückenbindungen zwischen den Amid- und deutlich schnelleren Verteilung des Sauerstoffs in den Muskelzel-
Carbonylgruppen der Peptidbindungen stabilisiert wer- len so wie Hämoglobin die Transportkapazität des Blutes für
den. Die wichtigsten Sekundärstrukturelemente sind die Sauerstoff um das 70fache gegenüber der Menge steigert, die
α-Helix und das β-Faltblatt. physikalisch löslich ist.
4 Die Tertiärstruktur entspricht der vollständigen drei-
dimensionalen Konformation monomerer Proteine. An α-Helices machen einen hohen Prozentsatz
der Ausbildung der Tertiärstruktur sind elektrostatische der Sekundärstruktur des Myoglobins aus
(ionische) und van-der-Waals-Wechselwirkungen, intra- Myoglobin Myoglobin ist ein monomeres Protein von 153 Ami-
molekulare Wasserstoffbrücken, hydrophobe Wechsel- nosäuren. Es besitzt eine molekulare Masse von ca. 17,8 kDa.
wirkungen und Disulfidbrücken zwischen den Amino- Hugo Theorell entdeckte Myoglobin 1932 in Schweden. Es war
säureseitenketten der Polypeptidketten beteiligt. Die auch das erste Protein, dessen räumliche Struktur vollständig in
meisten Proteine enthalten geladene Seitenketten, die atomarer Auflösung aufgeklärt werden konnte. Nachdem An-
abhängig vom pH-Wert der Lösung protoniert oder de- fang der fünfziger Jahre schon die α-Helix- und das β-Faltblatt
protoniert sein können. Eine besondere Bedeutung hat als vorherrschende Sekundärstrukturelemente der α- und
der Imidazolring der Histidine, der Protonen bei der β-Keratine durch Röntgenfaserstreuungsexperimente entdeckt
Säure-Base-Katalyse aufnehmen oder abgeben kann. wurden, gelang es Ende der fünfziger Jahre John Kendrew in
4 Die Quartärstruktur von Proteinen gibt die räumliche Oxford durch Röntgenstreuung an Myoglobineinkristallen die
Anordnung mehrerer Untereinheiten in einem multi- räumlichen Koordinaten der ungefähr 2.500 Atome eines Myo-
meren Protein wieder. Sehr viele Proteine sind nur als globinmonomers zu ermitteln. Myoglobin ist aus 8 α-Helices
Multimere biologisch aktiv. Häufig wird die Aktivität (A-H) aufgebaut, die zusammen 70 % der Struktur von Myoglo-
multimerer Proteine durch die Wechselwirkungen bin ausmachen (. Abb. 5.16). Somit stellt Myoglobin einen typi-
zwischen ihren Untereinheiten kontrolliert. schen Vertreter der Klasse der α-Proteine (. Abb. 5.14) dar.
Die sich zwischen den Helices befindenden Bereiche können
keiner bekannten kanonischen Sekundärstruktur wie dem
β-Faltblatt zugeordnet werden. Die Helices und Schleifenregio-
5.3 Hämoglobin und Myoglobin: Ein wichtiges nen formen eine kompakt gefaltete, globuläre Struktur mit einer
Beispiel für die Konformationsabhängig- Größe von 4,4 . 4,4 . 2,5 nm.
keit funktioneller Eigenschaften
Das Eisenzentrum des Häm bindet im Myoglobin
Hämoglobin transportiert den Sauerstoff im Blut von und Hämoglobin den molekularen Sauerstoff
Wirbeltieren und Menschen, Myoglobin dient der Im Zentrum des Myoglobinmoleküls befindet sich eine hydro-
kontinuierlichen Sauerstoffversorgung des Muskels phobe Tasche, die das Häm als prosthetische Gruppe enthält. Das
Hämoglobin Sauerstoff ist ein unpolares Molekül und daher in Häm ist aus vier Pyrrolringen aufgebaut, die über Methinbrü-
dem polaren wässrigen Medium des Intra- und Extrazellulär- cken (–CH=) verknüpft sind (7 Kap. 32.1.1). Dieses Porphyrin-
raums schlecht löslich. Wegen der geringen physikalischen Lös- gerüst wird an den Pyrrolringen durch verschiedene zusätzliche
lichkeit von Sauerstoff im Blut des Menschen ist für eine ausrei- Gruppen modifiziert, nämlich vier Methyl-, zwei Vinyl- und
chende Versorgung der peripheren Gewebe die Anwesenheit zwei Propionylgruppen. Im Zentrum der Pyrrolringe befindet
eines spezifischen Sauerstofftransporters erforderlich. Es ist das sich ein zweiwertiges Eisenatom, das mit den vier Stickstoffato-
Hämoglobin, das in den roten Blutkörperchen (Erythrocyten) in men der Pyrrolringe koordiniert ist (. Abb. 5.17).
hoher Konzentration vorkommt. Es wird in den Lungenkapilla- Der Sauerstoff ist nicht-covalent an das Eisenatom gebunden.
ren mit Sauerstoff beladen und gibt diesen in den Kapillaren ab, Da das Porphyringerüst eine Anzahl von konjugierten Doppel-
wenn dort der Sauerstoffpartialdruck durch den Sauerstoffver- bindungen besitzt, absorbiert es Licht im sichtbaren Bereich des
brauch des umgebenden Gewebes absinkt. Dafür nimmt es dann elektromagnetischen Spektrums. Daher sind Myoglobin und der
das im katabolen Stoffwechsel entstehende CO2 auf und trans- myoglobinhaltige Muskel rötlich gefärbt. Da Hämoglobin diesel-
portiert es zurück zur Lunge. be prosthetische Gruppe enthält, erscheint auch Blut rot gefärbt.
76 Kapitel 5 · Proteine – Struktur und Funktion

. Abb. 5.16 Räumliche Struktur des Myoglobins. Die Hauptkette des


Myoglobins mit den 8 α-Helices ist blau dargestellt. Das Porphyringerüst
(C-Atome: grün; O-Atome: rot; N-Atome: blau) mit dem Zentralatom Fe2+ . Abb. 5.17 Häm, die prosthetische Gruppe des Myoglobins und Hämo-
(orange) und dem gebunden O2-Molekül (rot) ist in atomarer Auflösung globins. Das Häm ist über das zentrale Eisenatom covalent an den Imida-
wiedergegeben. Das proximale (links) und das distale (rechts) Histidin sind zolring eines Histidinrestes von Helix F (proximales Histidin) der Globin-
braun hervorgehoben. PDB ID: 1MBO kette gebunden. Bei der Bindung an das zentrale Eisenatom kommt der
Sauerstoff zwischen dem Eisenatom und einem weiteren Histidinrest von
Helix E der Globinkette, dem distalen Histidin, zu liegen
Die rötliche Färbung der Haut rührt auch von der Farbe des Blutes
her. Wenn bei Eisenmangel nicht genügend Hämoglobin gebildet
werden kann, nimmt die rötliche Färbung der Haut ab. Daher ist in den Zellen immer einige Prozent des Myoglobins in diesem
Blässe ein charakteristisches Symptom der Blutarmut (Anämie). Zustand vor, das Metmyoglobin wird aber in der lebenden Zelle
Die Lage des Porphyrinrings im Myoglobin wird durch die immer wieder reduziert. Bei totem Muskelgewebe wird mit der
Gesetzmäßigkeiten festgelegt, die wir schon bei der Ausbildung Zeit immer mehr Myoglobin oxidiert. Dadurch entsteht die typi-
der Tertiärstruktur von Proteinen kennengelernt haben: der hy- sche dunkle Färbung von lang gelagertem Fleisch. Denselben
drophobe Porphyrinring und die Vinylseitenketten gehen Inter- Effekt findet man auch beim Hämoglobin, durch Oxidation des
aktionen mit hydrophoben Seitenketten des Proteins ein, die Häm-Eisens entsteht hier Methämoglobin. Unter dem Einfluss
hydrophilen Propionylseitenketten zeigen zur Oberfläche des der NADH-abhängigen Methämoglobinreduktase (7 Kap. 68.2.4)
Myoglobins (. Abb. 5.16). Neben diesen nicht-covalenten kann das Eisenatom im Organismus wieder reduziert werden.
Wechselwirkungen wird die prosthetische Gruppe durch eine Erst die Proteinumgebung gibt dem Häm seine besonderen
covalente Bindung zwischen einem Histidinrest und dem funktionellen Eigenschaften. Das Häm-Molekül findet man auch
Eisenatom am Protein verankert (. Abb. 5.17). Dieser Histidin- in anderem biologischen Kontext an andere Proteine gebunden.
rest wird auch als proximales Histidin bezeichnet und koppelt Eine wichtige Gruppe von Enzymen sind hier die Cytochrome
Konformationsänderungen des Proteins an Zustandsänderun- (7 Kap. 32.1.2).
gen am Porphyrinring, die mit der Sauerstoffbindung oder der
Sauerstoffabgabe einhergehen. Hämoglobin ist ein Tetramer aus
Auf der anderen Seite des Porphyrinrings liegt ein zweiter zwei α- und zwei β-Ketten
Histidinrest in der Nähe des Eisenatoms, ist aber nicht-covalent Hämoglobin ist aus vier Polypeptidketten aufgebaut (. Abb. 5.18).
an das Metallion gebunden. Zwischen diesem Histidin und dem Das Hämoglobin des Erwachsenen besteht aus jeweils zwei α- und
Metallion lagert sich das Sauerstoffmolekül bei seiner Bindung zwei β-Ketten. Diese Ketten haben nur eine geringe Sequenzähn-
an. lichkeit mit der Polypeptidkette des Myoglobins (27 gemeinsame
Das zweiwertige Fe2+ wird im freien Porphyrin in einer wäss- Aminosäuren). Die α-Ketten bestehen aus 141 Aminosäuren, die
rigen Lösung durch den Luftsauerstoff schnell zum dreiwertigen β-Ketten sind mit 146 Aminosäuren etwas größer. Das aus diesen
Fe3+ oxidiert. Das dabei entstehende Hämatin kann keinen Ketten gebildete Tetramer hat eine molekulare Masse von etwa
Sauerstoff mehr binden. Im Myoglobin ist dieser Oxidationspro- 64,5 kDa und besteht aus 574 Aminosäuren.
zess durch die Interaktion des Eisens mit dem proximalen Histi- Die vier Polypeptidketten des Hämoglobins binden mit dem
din erheblich verlangsamt. Trotzdem findet dieser Vorgang statt, Häm dieselbe prosthetische Gruppe wie das Myoglobin. Trotz
es entsteht Metmyoglobin. Im biologischen Gleichgewicht liegen der großen Sequenzunterschiede nehmen die Hämoglobinpoly-
5.3 · Hämoglobin und Myoglobin: Ein wichtiges Beispiel für die Konformationsabhängigkeit funktioneller Eigenschaften
77 5

A B

. Abb. 5.18 Darstellung der tetrameren Struktur des menschlichen Hämoglobins. Die beiden α-Untereinheiten sind in Rottönen wiedergegeben, die
beiden β-Untereinheiten in grün. Die gezeigte Konformation des Oxyhämoglobins (links) wird als R-Zustand bezeichnet, die des Desoxyhämoglobins
(rechts) als T-Zustand. Der zentrale Kanal des Oxyhämoglobins (links) ist durch die hier nicht abgebildeten Aminosäure-Seitenketten fast vollständig ver-
schlossen. C1 und C2 bezeichnen die C-Termini, N1 und N2 die N-Termini der entsprechenden α1- und α2-Untereinheiten. Die jeweiligen Termini befinden
sich in engem räumlichen Kontakt. Die Helices der α/β-Untereinheiten werden gewöhnlich mit Großbuchstaben (A–H) markiert. PDB ID: 2DN1, 2DN2

peptide beinahe dieselbe Tertiärstruktur wie das Myoglobin an. schen den beiden α- und den beiden β-Untereinheiten sind im
Dies legt nahe, dass im Wesentlichen nur die 27 Aminosäuren, Vergleich dazu nur schwach ausgebildet, es bildet sich ein flüs-
die bei Myoglobin- und Hämoglobinketten identisch sind, für sigkeitsgefüllter Kanal (. Abb. 5.18). Er verläuft entlang der
die Ausbildung des hydrophoben Kerns und die Kontakte zum zweizähligen Symmetrieachse der Homodimere. Wenn Hämo-
Häm verantwortlich sind. Man kann annehmen, dass Hämoglo- globin keinen Sauerstoff gebunden hat (Desoxyhämoglobin) ist
bin und Myoglobin durch Genverdopplung aus einem Gen der der Kanal etwa 2 nm breit und 5 nm lang. Mit Bindung von
Urglobinkette entstanden sind. Im Laufe der Evolution haben sie Sauerstoff tritt eine Änderung der Tertiär- und Quartärstruktur
sich dann unabhängig voneinander weiter entwickelt und sich ein, sodass bei Sauerstoffsättigung im Oxyhämoglobin der Kanal
ihren neuen Aufgaben angepasst. Der Prozess der Genduplika- beinahe vollkommen verschwunden ist.
tion wiederholte sich mehrmals, so dass heute das Myoglobin, Hämoglobin ist nicht nur bei den Wirbeltieren (Vertebraten)
die α- und β-Ketten des Hämoglobins sowie weitere Varianten zu finden, sondern dient auch bei vielen wirbellosen Tieren (In-
wie die γ-, δ- und ε-Ketten des Hämoglobins existieren, die man vertebraten) als Sauerstofftransportsystem. Bei Mollusken
aber im Allgemeinen nur in fetalen Entwicklungsstadien oder (Weichtieren), Arthropoden (Gliederfüßlern) und Brachiopo-
beim Erwachsenen unter besonderen Bedingungen findet den (Armfüßlern) übernehmen das kupferhaltige Hämocyanin
(7 Kap. 68.2.3). und das eisenhaltige Protein Hämerythrin die Rolle des Sauer-
Analog zum Myoglobin enthalten auch die Hämoglobinpo- stofftransporters. Im Unterschied zum Hämoglobin enthalten
lypeptide als kanonische Sekundärstrukturelemente nur die beiden Proteine kein aus Porphyrinringen aufgebautes Häm
α-Helices mit einem Gesamtanteil von über 70 %. Auch die als Cofaktor, der Sauerstoff ist trotzdem an die Metallionen ge-
β-Ketten bilden wie das Myoglobin 8 Helices (A–H) aus, bei den bunden.
α-Ketten fehlt eine α-Helix, die D-Helix (. Abb. 5.18).
Im funktionellen Hämoglobin-Tetramer werden die vier Ein- Quartärstrukturänderungen sind die Basis
zelketten durch Wechselwirkungen zwischen ihren Kontaktstel- kooperativer Effekte im Hämoglobin
len zusammengehalten. Jeweils eine α- und eine β-Untereinheit Die Bindung von Sauerstoff an das monomere Myoglobin zeigt
bilden ein Dimer (α1/β1- und α2/β2-Dimer), das durch mehr als eine einfache hyperbolische Abhängigkeit der Sauerstoffsätti-
30 intermolekulare, hauptsächlich hydrophobe Kontakte stabili- gung des Proteins von der Konzentration des gelösten Sauer-
siert wird. Diese beiden Dimere sind so zueinander angeordnet, stoffs, wobei die Sauerstoffkonzentration gemäß dem Henry-
dass sie durch eine Rotation um 180° ineinander überführt wer- Dalton-Gesetz proportional zum Sauerstoffpartialdruck ist
den können. Auch zwischen den α1- und β2- sowie den α2- und (. Abb. 5.19). Dieselbe Bindungskurve wie für Myoglobin erhält
β1-Untereinheiten gibt es jeweils eine große Anzahl intermole- man auch für die isolierte β-Kette des Hämoglobins, die in Lö-
kularer Kontakte. Die stabilisierenden Wechselwirkungen zwi- sung als Monomer vorliegt. Eine ganz andere Bindungskurve
78 Kapitel 5 · Proteine – Struktur und Funktion

Ausatmen einhergehenden Formänderung der Lunge bezeichne-


te Perutz das Hämoglobin als molekulare Lunge.
Wie wir schon gesehen haben (. Abb. 5.18) unterscheiden
sich Oxy- und Desoxyhämoglobin im Wesentlichen durch ihre
Quartärstruktur, das heißt durch die wechselseitige Anordnung
der einzelnen Untereinheiten. Bei der durch die Sauerstoffbin-
dung verursachten Änderung der Quartärstruktur bleiben die
Struktur des α1/β1- und α2/β2-Dimers und die internen Kontakte
zwischen den Peptidketten weitgehend erhalten. Im Gegensatz
dazu ändert sich die relative Orientierung der Dimere drama-
5 tisch: Das α1/β1-Dimer wird relativ zum α2/β2-Dimers um etwa
15° durch die Sauerstoffanlagerung verdreht und der zentrale,
wassergefüllte Kanal schließt sich (. Abb. 5.18). Durch diese Ro-
tationsbewegung ändern sich auch die Kontakte zwischen den
α1-und β2-Ketten und den α2- und β1-Ketten und damit auch die
physikalischen Wechselwirkungen zwischen den Aminosäure-
resten der beiden Dimere deutlich. Als Nettoeffekt dieser Umla-
gerungen ergibt sich ein zweites Energieminimum, das die Quar-
tärstruktur des Oxyhämoglobins stabilisiert. Diese beiden Zu-
stände werden als der T- und der R-Zustand des Hämoglobins
. Abb. 5.19 Sauerstoffbindungskurven des Myoglobins, der isolierten bezeichnet (T = tense, R = relaxed). Die zugehörigen Konforma-
β-Kette des Hämoglobins und des tetrameren Hämoglobins
tionen der einzelnen Polypeptidketten heißen folgerichtig t- und
r-Konformationen.
Wie genau nun dieser Übergang vom T- in den R-Zustand bei
erhält man für das tetramere Hämoglobin. Hier findet man einen der kooperativen Sauerstoffbindung vonstattengeht, ist immer
sigmoidalen Verlauf der Bindungskurve, der offensichtlich aus noch Gegenstand aktueller Forschung, da die experimentellen
der Zusammenlagerung der einzelnen Untereinheiten resultiert. Daten mit mehr als einem kinetischen Modell erklärt werden
Was bedeutet das für die Sauerstoffaufnahme und -abgabe? Im können. Allerdings sind die Grundzüge der notwendigen kon-
Myoglobin steigt die Sättigung des Proteins mit steigendem formationellen Übergänge wie sie von Perutz aus den Röntgen-
Sauerstoffpartialdruck schnell an, sodass bei 1 mmHg (0,13 kPa) strukturdaten abgeleitet wurden als konsistentes Basismodell
50 % des Myoglobins mit Sauerstoff gesättigt sind. Für das Hä- allgemein akzeptiert.
moglobin ist es anders. Die Bindungskurve steigt zunächst nur
langsam an, und erst bei höheren Sauerstoffpartialdrücken zeigt Die Sauerstoffbindung verursacht primär
sie einen steilen Anstieg. Daher benötigt man zur Halbsättigung eine Bewegung des Eisenatoms und des daran
einen deutlich höheren Partialdruck von 26,6 mmHg (3,5 kPa). gebundenen proximalen Histidinrestes als Auslöser
Bei dem in den Lungenalveolen vorherrschenden Sauerstoffpar- für eine Konformationsänderung des gesamten
tialdruck von etwa 100 mmHg (13,3 kPa) sind beide Proteine mit Hämoglobins
Sauerstoff gesättigt. Ganz anders ist es im Kapillarbett, in dem Der wichtigste Schritt ist die Bindung des Sauerstoffmoleküls an
der Sauerstoff möglichst vollständig abgegeben werden muss. das Eisen des Häms und die dadurch induzierte Bewegung des
Hier führt die S-förmige Bindungskurve schon bei dem hier ty- proximalen Histidinrestes. In Abwesenheit von Sauerstoff befin-
pischen Sauerstoffpartialdruck von 22,5 mmHg (3 kPa) zu einer det sich das Eisen im paramagnetischen high-spin-Zustand, bei
signifikanten Abgabe des Sauerstoffs. dem nicht alle Elektronen gepaart sind. In diesem Zustand liegt
Die sigmoidale Bindungskurve ist ein Zeichen für eine ko- das Eisenion außerhalb der Porphyrinringebene und der Por-
operative Bindung des Sauerstoffs an das Hämoglobin: Die Bin- phyrinring selbst ist leicht durchgebogen (. Abb. 5.20). Wenn
dung von einem Sauerstoffmolekül an eine Untereinheit führt zu nun ein Sauerstoffatom an das Eisenatom bindet, ändert sich
einer Änderung ihrer Tertiärstruktur. Die daraus resultierende dessen Elektronenkonfiguration, das zweiwertige Eisenatom
Änderung der Quartärstrukturinteraktionen führt dazu, dass die geht in den diamagnetischen low-spin-Zustand über. Eine di-
anderen Untereinheiten die Konformation einnehmen, die eine rekte Folge davon ist eine Verkürzung der Bindungen zu den
höhere Affinität für Sauerstoff hat. Stickstoffatomen der Pyrrolringe. Das Eisenatom befindet sich
Die strukturelle Basis zur Erklärung dieser Vorgänge liefer- jetzt in der Ebene des Porphyrinsystems und bewegt sich dabei
ten die Röntgenstrukturanalysen von Max F. Perutz. Schon Ende um etwa 0,075 nm auf das nun planare Ringsystem zu. Dieser
der 40er Jahre hatte man die Beobachtung gemacht, dass man bei Bewegung folgt das proximale Histidin (. Abb. 5.20) und indu-
der Kristallisation von Oxyhämoglobin andere Kristalle erhält als ziert nun den Übergang der Untereinheit in den R-Zustand.
bei Desoxyhämoglobin. Die erhaltenen Röntgenstrukturen zeig- Da das proximale Histidin Teil der Helix F ist, überträgt sich
ten, dass Hämoglobin in zwei unterschiedlichen Formen vorlie- die Bewegung des Eisenatoms primär auf diese Helix und dann
gen kann, je nachdem, ob es keinen Sauerstoff gebunden hat oder auf das gesamte Protein. Die Verschiebung der Helix F führt
mit Sauerstoff gesättigt ist. In Analogie zur mit dem Ein- und dann zu einer Verschiebung von Helix G und letztlich zu einer
5.3 · Hämoglobin und Myoglobin: Ein wichtiges Beispiel für die Konformationsabhängigkeit funktioneller Eigenschaften
79 5

. Abb. 5.20 Schematische Darstellung von strukturellen Veränderungen bei der Oxygenierung der α-Kette des Hämoglobins. Die Aminosäuren Tyro-
sin 140 und das C-terminale Arginin 141 der Helix H der α-Kette und das proximale Histidin der Helix F, das an das Häm-Eisen gebunden ist, sind besonders
hervorgehoben. (Einzelheiten s. Text)

deutlichen Lageveränderung der C-terminalen Aminosäuren Wechselwirkungen abhängt (s. o.) und die Ladung der beteilig-
Tyrosin und Arginin der β-Untereinheiten. Dadurch werden v. a. ten Gruppen prinzipiell durch den pH-Wert beeinflusst wird,
elektrostatische Interaktionen zwischen den α1- und α2-Ketten kann man auch eine Abhängigkeit der Sauerstoffbindung vom
bzw. den β1- und α2-Ketten aufgebrochen, was zum Übergang pH-Wert erwarten. Im physiologischen pH-Bereich um 7,4 kom-
des Hämoglobins in den R-Zustand führt. Die Bedeutung dieser men für eine Protonierung/Deprotonierung die N-terminalen
elektrostatischen Interaktionen für den Quartärstrukturüber- Aminogruppen der α- und β-Ketten und die C-terminalen His-
gang kann man experimentell einfach beweisen: Entfernt man tidinreste der β-Ketten in Frage, die beide pK-Werte im neutra-
die C-terminalen, positiv geladenen Argininreste, so verschwin- len Bereich haben. Sie werden daher bei einem niedrigem pH-
det die Kooperativität der Sauerstoffbindung, obwohl das Hämo- Wert protoniert und sind dann positiv geladen. Die positiven
globin immer noch ein Tetramer bildet. Ladungen stabilisieren den für Sauerstoff niederaffinen T-Zu-
Der Sauerstoff wird in der r-Konformation besser gebunden stand des Proteins. Das bedeutet, dass bei niederem pH (Acido-
als in der t-Konformation, da in der r-Konformation der Sauer- se) wie er in den Kapillaren bei ungenügender Sauerstoffversor-
stoff näher an das distale Histidin herangeführt wird und auf gung des Gewebes vorliegt, verstärkt Sauerstoff abgegeben wird.
diese Weise stabilisierende Interaktionen mit diesem eingehen Diesen Effekt nennt man Bohr-Effekt.
kann. Wenn man dann noch annimmt, dass in der t-Konforma- Im Kapillarbett steigt durch den katabolen Stoffwechsel der
tion der Sauerstoff schwächer an die β-Ketten als an die α-Ketten CO2-Spiegel erheblich an. Kohlendioxid kann bei hohen Kon-
bindet, kann man ein plausibles Modell aufstellen, mit dem sich zentrationen mit den N-terminalen Aminogruppen der Hämo-
die kooperative Sauerstoffbindung gut qualitativ und quantitativ globinketten reagieren und labile covalente Carbamine bilden
beschreiben lässt: Bei niedrigem Sauerstoffpartialdruck bindet (Carbaminohämoglobin). Diese Modifikation stabilisiert wie-
Sauerstoff zunächst an die α-Kette, die aber im Gleichwicht über- der den T-Zustand (erhöhte Sauerstoffabgabe, Haldane-Effekt).
wiegend in der t-Konformation bleibt, da diese durch die Quar- Hämoglobin versorgt also nicht nur die peripheren Zellen mit
tärstrukturinteraktionen stabilisiert wird. Bei Zunahme des Sau- Sauerstoff, sondern ist gleichzeitig am Transport der beim Stoff-
erstoffpartialdrucks nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass eine wechsel entstehenden Protonen und des CO2 zur Lunge beteiligt
zweite α-Kette (oder mit geringerer Wahrscheinlichkeit eine (7 Kap. 68.2.3).
β-Kette) oxygeniert wird. Damit erhöht sich die Tendenz, dass Durch eine Veränderung des Gleichgewichts zwischen R-
die Untereinheiten in die r-Konformation übergehen, die Sauer- und T-Zustand wird also die Sauerstoffanlagerungskurve des
stoffaffinität nimmt zu. Dies triggert den weiteren Übergang an- Hämoglobins in Abhängigkeit von den Protonen- und CO2-Kon-
derer Einheiten in die r-Konformation, sodass bei weiterer Erhö- zentrationen im Medium nach links oder rechts verschoben.
hung des Sauerstoffpartialdrucks das gesamte Molekül schnell in Eine andere wichtige Regulation der Sauerstoffaffinität des Hä-
den R-Zustand mit hoher Sauerstoffaffinität übergeht. moglobins findet bei der Höhenanpassung statt. 2,3-Bisphos-
phoglycerat (2,3-BPG) ist ein Stoffwechselprodukt des Glucose-
Die Sauerstoffaffinität des Hämoglobins wird stoffwechsels (7 Kap. 68.2.4) und kann als hochgeladenes Mole-
durch allosterische Effektoren reguliert kül im zentralen Kanal des Hämoglobins binden. Da dieser nur
Die Sauerstoffaffinität des Hämoglobins muss den häufig wech- im T-Zustand offen ist, stabilisiert es dessen offenen Zustand und
selnden äußeren Bedingungen angepasst werden. Eine wichtige führt zu einer erleichterten Sauerstoffabgabe. Bei der Höhenad-
Möglichkeit besteht darin, das intrinsische Gleichwicht zwischen aptation wird in den Erythrozyten vermehrt 2,3-BPG gebildet,
dem niederaffinen T-Zustand und dem hochaffinen R-Zustand um so die verringerte Sauerstoffsättigung des Blutes zumindest
zu verschieben. Da dieses Gleichgewicht von elektrostatischen teilweise zu kompensieren.

Desoxyhämoglobin# Oxyhämoglobin#
80 Kapitel 5 · Proteine – Struktur und Funktion

. Abb. 5.21 Denaturierung und Renaturierung von Ribonuclease aus Pankreas. Das native Enzym mit den vier rot dargestellten Disulfidbrücken wird
durch Behandlung mit einem Überschuss an Thiolen (z. B. Mercaptoethanol) in Gegenwart hoher Harnstoffkonzentrationen entfaltet und somit denatu-
riert. Nach Entfernung von Harnstoff und Mercaptoethanol durch Dialyse erreicht das Enzym wieder seine ursprüngliche Aktivität und Raumstruktur. Es ist
renaturiert

Da die Bindungsstellen für Protonen, Kohlendioxid und schen Methoden wie der CD-(Circulardichroismus-)Spektros-
2,3-Bisphosphoglycerat nicht mit denen für den Sauerstoff am kopie bestimmen kann. Harnstoff geht dabei keine chemische
Häm identisch sind, handelt es sich bei diesen Komponenten um Reaktion mit dem Polypeptid ein, alle covalenten Bindungen
klassische allosterische Effektoren (nach der griechischen Be- bleiben intakt. Die Disulfidbrücken der nativen Ribonuclease
zeichnung für »anderer Bereich« benannt). können dann zusätzlich noch durch Beigabe eines Reduktions-
mittels wie β-Mercaptoethanol gespalten werden, um eine linea-
re Polypeptidkette zu erhalten. Am Schluss erhält man dann ein
Zusammenfassung vollkommen inaktives, ungefaltetes Protein. Entfernt man nun
Hämoglobin ist das Sauerstofftransportprotein der Wirbel- den Harnstoff und das Reduktionsmittel durch Dialyse, nimmt
tiere: das Protein wieder selbstständig seine native Konformation an.
4 Das Hämoglobin des Erwachsenen ist ein Tetramer aus Sogar die Disulfidbrücken werden unter dem Einfluss des Luft-
zwei α- und zwei β-Untereinheiten. sauerstoffs wieder korrekt gebildet. Es kommt zur spontanen
4 Die kooperative Sauerstoffbindung ist eine Folge der Renaturierung.
Wechselwirkung zwischen den Untereinheiten. Damit ist bewiesen, dass alle Informationen über die native
4 Bei niedrigem pH (Acidose) der Umgebung wird Sauer- Konformation in der Primärstruktur codiert sind, die ja auch die
stoff abgegeben (Bohr-Effekt). einzige Information ist, die über das Protein in der DNA gespei-
4 2,3-Bisphosphoglycerat-Bindung erhöht die Sauerstoff- chert ist. Allerdings garantiert diese Eigenschaft nicht, dass nicht
abgabe bei der Höhenadaptation. auch Fehlfaltungen entstehen können (im Falle der Ribonuclease
z. B. falsche Disulfid-Brücken). Um die Faltungseffizienz zu er-
höhen, hat die Zelle für bestimmte Proteine zusätzliche Hilfsme-
chanismen entwickelt (7 Kap. 49.1).
5.4 Physiologische und pathologische
Faltungsprozesse bei Proteinen Der Faltungscode von Proteinen ist noch
nicht entschlüsselt
5.4.1 Denaturierung und Faltung von Proteinen Heutzutage ist die Aufklärung der Nucleotidsequenz einer DNA
Routine und kann mit hoher Zuverlässigkeit durchgeführt wer-
Wie wir schon gesehen haben, ist die ungestörte biologische den. Da der genetische Code bekannt ist, kann daraus die Ami-
Funktion eines Proteins von seiner intakten räumlichen Struktur nosäuresequenz direkt abgeleitet werden. Anders ist es mit der
abhängig. Eine Zerstörung der nativen Konformation (Denatu- räumlichen Struktur eines Proteins. Auch wenn die Aminosäure-
rierung) führt zum Verlust der biologischen Aktivität. 1961 zeig- sequenz eines Proteins bekannt ist, kann man seine Raumstruktur
te Christian Anfinsen experimentell an der Ribonuclease, dass im Allgemeinen noch nicht mit hoher Genauigkeit vorhersagen.
zumindest ein kleines Protein reversibel denaturiert und renatu- Es gibt offensichtlich hierzu keine einfache Codierung, die es nur
riert werden kann (. Abb. 5.21). zu entschlüsseln gilt. Dies hat verschiedene physikalische Gründe.
Titriert man eine Lösung von nativ gefalteter, enzymatisch Ein wesentlicher Grund ist sicherlich, dass der zugängliche Kon-
aktiver Ribonuclease mit Harnstoff, geht die enzymatische Akti- formationsraum für Proteine riesig groß ist und sich mögliche
vität mit steigender Harnstoffkonzentration immer mehr zu- Konformationen energetisch oft nur wenig unterscheiden.
rück. Parallel dazu wird auch der Anteil an kanonischen Sekun- Die Vielzahl der frei drehbaren Einfachbindungen der
därstrukturelementen immer kleiner, den man mit biophysikali- Haupt- und Seitenketten lässt eine fast unbegrenzte Zahl von
5.4 · Physiologische und pathologische Faltungsprozesse bei Proteinen
81 5
möglichen Konformationen zu. Selbst wenn man davon aus- schnellen, reversiblen Gleichgewicht U N ausgeschieden.
geht, dass die native Struktur die Struktur mit der niedrigsten Ihr Auftreten stellt den Prototyp der (scheinbar) irreversiblen
Energie (genauer: niedrigsten freien Enthalpie G) ist, ist das glo- Denaturierung dar. Wie schon oben für den denaturierten und
bale Minimum der freien Enthalpie relativ flach, d. h. die freie den gefalteten Zustand U und N besprochen, stellen in Lösung
Enthalpie der nativen Konformation eines Proteins unterschei- auch die Zustände I und X eigentlich wieder Ensembles von
det sich quantitativ kaum von derjenigen anderer, ähnlicher ähnlichen Konformationen dar.
Konformationen. Selbst die Energieunterschiede zwischen ei- Experimentell lassen sich allerdings bei kleinen Proteinen
nem korrekt gefalteten und einem denaturiertem Protein sind mit einfachen spektroskopischen Methoden (Fluoreszenzspekt-
sehr klein. Die freie Stabilisierungsenthalpie ∆G0stab eines ty- roskopie, CD-Spektroskopie) oft nur ein gefalteter und ein dena-
pischen mittelgroßen Proteins liegt in der Größenordnung von turierter Zustand (Zweizustandsmodell) nachweisen und es ge-
45 ± 15 kJ mol–1. Dieser Wert entspricht nur der Energie von lingt nicht, ein Faltungsintermediat zu detektieren. Faltungsin-
einigen wenigen zusätzlichen Wasserstoffbrücken im Protein. termediate müssen allerdings aus fundamentalen, thermodyna-
Dazu kommt, dass die funktionelle, »native« 3D-Struktur nicht mischen Gründen immer dann vorhanden sein, wenn ein
notwendigerweise dem absoluten Minimum der freien Enthal- Protein in mehreren, funktionell wichtigen Konformationen
pie entspricht, sondern manchmal nur transient eingenommen vorkommt (essentielle Faltungsintermediate). Diese können
(kinetische Stabilisierung) wird. Ein Beispiel hierfür ist die Pro- auch nicht durch die Evolution eliminiert werden.
tease Chymotrypsin, die durch limitierte Proteolyse (s. 7 Kap. Die wichtigsten strukturellen Eigenschaften eines Ensembles
8.5 und 61.1.3)aus einem stabil gefalteten, inaktiven Vorläufer- von Zwischenzuständen lassen sich häufig mit dem Bild eines
protein hervorgeht. geschmolzenen Kügelchens (molten globule) darstellen. Im
Zwischenzustand des molten globule sind schon einige instabile
Kleine Proteine falten und entfalten sich schnell und Sekundärstrukturelemente im zeitlichen Mittel vorhanden, die
ohne einfach nachweisbare Zwischenzustände sich aber noch schnell umlagern können, da der hydrophobe
Nach ihrer Biosynthese am Ribosom liegen die Proteine noch Kern des Proteins noch partiell hydratisiert ist.
weitgehend im ungefalteten Zustand vor, obwohl die naszieren- Der Faltungsvorgang eines Proteins lässt sich anschaulich und
den Ketten bereits im Austrittskanal der Ribosomen Sekundär- theoretisch zutreffend mit dem des Faltungstrichters (folding fun-
strukturen ausbilden können. Der ungefaltete Zustand U wird nel) beschreiben. Der Faltungstrichter ist ein Sonderfall der freien
meist hinreichend gut als Zufallsknäuel beschrieben (ist aber Energielandschaft (free energy landscape), in der die freie Enthal-
eigentlich ein Ensemble von vielen, schnell ineinander überge- pie (abzüglich des Entropieanteils der Peptidkette) als Funktion
henden Konformationen ohne stabile Sekundärstruktureinhei- aller möglichen Konformationen der Polypeptidkette dargestellt
ten). Die native Struktur N eines Proteins wird traditionell als wird (. Abb. 5.22). Das primär ungefaltete Protein befindet sich
eine wohldefinierte, einheitliche Struktur angesehen wie man sie zunächst in einem Zustand hoher freier Enthalpie am Eingang des
in Kristallstrukturen beobachtet. Computersimulationen von Faltungstrichters. Wie ein Skifahrer im Schwerefeld der Erde folgt
Proteinstrukturen und genauere experimentelle Untersuchun- es der Piste bergabwärts (in Richtung kleinerer freien Enthalpien),
gen mit modernen Methoden wie der NMR-Spektroskopie zei- um schließlich im Tal anzukommen. Es gibt natürlich viele ver-
gen, dass die Annahme einer einzigen nativen Struktur N in Lö- schiedene Startpositionen (Konformere des Zufallsknäuels) und
sung eine erhebliche Vereinfachung darstellt. In Wirklichkeit viele verschiedene Wege (teilgefaltete Konformere) auf dem Weg
findet man wieder ein ganzes Ensemble ähnlicher Strukturen in zum Tal. Wenn sich der Trichter immer mehr verengt, gibt es im-
Lösung. Unter günstigen Bedingungen wie sie in der Zelle vor- mer weniger Möglichkeiten. Gleichzeitig wird die Steigung immer
herrschen werden die native(n) Struktur(en) N bei kleinen Pro- größer und damit die Faltung immer schneller.
teinen, die nur aus einer einzigen Domäne bestehen, oft schon in Im Bild des Faltungstrichters löst sich auch das bekannte
einigen Millisekunden erreicht. Levinthal-Paradoxon auf natürliche Weise. Es besteht darin,
In einer ersten Näherung kann man die Faltung und die Ent- dass sich bei plausiblen Annahmen selbst ein kleines Protein
faltung eines Proteins durch eine einfache Reaktionsgleichung nicht in endlicher Zeit falten könnte, wenn es alle möglichen
beschreiben: Kombinationen von φ- und ψ-Winkeln austesten müsste. Die
dazu benötigte Zeit würde das Alter das Universum überschrei-
U ! I ! N ten. Der Faltungstrichter zeigt den Denkfehler: Für ein Protein
ist es nicht nötig, alle möglichen Konformationen anzunehmen,
↓↑
da der Gradient der freien Energie das Peptid zur korrekten
X
Struktur hin führt. Wenn der Faltungstrichter glatt und unstruk-
↓ turiert ist, wird sich das Protein schnell ohne nachweisbare
Xn Zwischenzustände falten. Wenn kleine lokale Energieminima auf
der Oberfläche zu finden sind, wird die Faltung verzögert und
I ist hier ein Zwischenzustand, der bei der ordnungsgemäßen Intermediate sind nachweisbar. Hat die freie Energielandschaft
Faltung auftritt. Faltungsintermediate X, die nicht direkt auf dem tiefe Täler oder gar Täler mit niedrigerer Energie als die native
Weg zur nativen Struktur liegen, können die Faltung eines Pro- Struktur, ergeben sich Fehlfaltungen X. Diese Nebenminima
teins erheblich verzögern und bilden oft stabile Aggregate Xn. können dann nur mit zusätzlicher (thermischer) Energie wieder
Wenn sie aus der Lösung ausfallen, sind sie faktisch aus dem verlassen werden.
82 Kapitel 5 · Proteine – Struktur und Funktion

peratur der Hitzedenaturierung für viele Proteine ist 55 °C.


Auch bei Temperaturerniedrigung geht die Stabilität von Protei-
nen stark zurück. Allerdings wird die Kältedenaturierung nur
selten experimentell beobachtet, da die hierzu nötigen Tempera-
turen gewöhnlich etwas unterhalb des Gefrierpunkts von Wasser
liegen.
Ob ein Protein in Lösung im gefalteten oder ungefalteten
Zustand vorliegt, hängt davon ab, welcher Zustand energetisch
günstiger ist, wenn man die Summe aller physikalischen Wech-
selwirkungen des Protein-Lösungsmittel-Systems berücksich-
5 tigt. Daher spielen das Lösungsmittel, dessen pH und die Ionen-
stärke eine wichtige Rolle. Außerhalb relativ enger Grenzen die-
ser Parameter denaturiert das Protein.
Will man Proteine absichtlich denaturieren, benutzt man in
der Biochemie meist Harnstoff und Guanidiniumchlorid (Chlo-
ridsalz des Iminoharnstoffs) als Denaturierungsmittel. Deren
Zusatz führt nur zur reversiblen Entfaltung des Proteins, ohne
eine Modifikation covalenter Bindungen zu bewirken. Da diese
Denaturierungsmittel die geordnete Wasserstruktur zerstören,
werden sie als chaotrop bezeichnet. Als Mechanismus wird all-
gemein angenommen, dass in Anwesenheit von Harnstoff oder
Guanidiniumchlorid die Entropie des Wassers größer wird und
damit der Einfluss der hydrophoben Wechselwirkungen verrin-
gert wird. Dies führt dann zur Solvatisierung des hydrophoben
Kerns und der Denaturierung des Proteins. Allerdings sprechen
neuere Ergebnisse (insbesondere Moleküldynamiksimulatio-
nen) für eine direkte Wechselwirkung von Harnstoff und Guani-
diniumchlorid mit dem denaturierten Zustand des Proteins, der
dadurch energetisch begünstigt wird.
Will man Proteine aus einer Lösung ausfällen und gleichzei-
tig inaktivieren, verwendet man oft pH-Veränderungen durch
. Abb. 5.22 Schematische Darstellung des Konformationsraums von Zusatz von Trichloressigsäure oder Perchlorsäure. Auch Schwer-
Proteinen. Der im Prinzip multidimensionale Konformationsraum ist metallsalze werden zum Denaturieren von Proteinen genutzt.
vereinfacht auf zwei Dimensionen x̂ und ŷ reduziert, die zugehörige freie Gleichzeitig mit der Denaturierung werden die Proteine ausge-
Enthalpie G ist durch die senkrechte Koordinate gegeben. N: native
fällt, da die Schwermetallkomplexe der Proteine oft unlöslich
Struktur. (Einzelheiten s. Text)
sind.
Die Proteindenaturierung wird irreversibel, wenn das dena-
turierte Protein stabile, unlösliche Aggregate (ungeordnete Pro-
Proteine sind nur bei bestimmten äußeren teinkomplexe) oder Polymere (geordnete makromolekulare
Bedingungen nativ gefaltet Komplexe) bildet. Wie wir schon besprochen haben, bilden sich
Wie die Denaturierung von Eiweiß beim Eierkochen zeigt, kön- diese gewöhnlich aus fehlgefalteten Faltungsintermediaten X
nen schon kleine Änderungen der äußeren Bedingungen zur oder dem ungefalteten Protein U. Einen alternativen Mechanis-
Denaturierung (dem Verlust der dreidimensionalen Struktur) mus, der zur irreversiblen Denaturierung führt, stellen chemi-
von Proteinen führen. Aus der Sicht der Thermodynamik ist dies sche Prozesse dar, die die covalente Struktur der Polypeptid-
leicht zu verstehen: Wie wir schon gesehen haben, ist selbst unter kette verändern. Ein relativ häufiger Prozess ist die spontane
günstigen, physiologischen Bedingungen die freie Enthalpie der Desaminierung von Asparigin- und Glutaminresten, die dabei
Stabilisierung ∆G0stab relativ klein. Sie bestimmt das Gleichge- in die negativ geladenen Aspartyl- oder Glutamylreste verwan-
wicht zwischen gefaltetem und ungefaltetem Zustand. Die zuge- delt werden. Dazu kommen die Oxidation von Cystein- und
hörige Gleichgewichtskonstante K kann nach der Gleichung als Methioninresten durch den Luftsauerstoff, die autokatalytische
∆Gstab = –RT∙lnK berechnet werden (7 Kap. 4.1). Bei ∆Gstab Spaltung von Asp-Pro-Peptidbindungen und die Racemisie-
= 45 kJ/mol liegen bei 37 °C in der Lösung nur 2.6∙10–6 % aller rung von Aspartaten. In Zellextrakten oder Körperflüssigkei-
Proteinmoleküle im denaturierten Zustand vor. Die Temperatur ten kann eine nicht-enzymatische Glykierung der ε-Amino-
ist hier ein wichtiger Parameter, da ∆Gstab selbst stark tempera- gruppe von Lysinseitenketten spontan stattfinden (7 Kap.
turabhängig ist. Bei Proteinen von Menschen liegt das Maximum 17.1.2).
der freien Stabilisierungstemperatur gewöhnlich in der Nähe der
physiologischen Körpertemperatur von 37 °C. Manche mensch-
liche Proteine denaturieren schon bei 42 °C, eine typische Tem-
5.4 · Physiologische und pathologische Faltungsprozesse bei Proteinen
83 5
5.4.2 Pathobiochemie der Proteinfaltung ren Ablagerungen von Amyloid im Gehirn einhergehen. Diese
Ablagerungen sind mit Farbstoffen wie Kongorot spezifisch ein-
Fehlgefaltetes Protein muss von der Zelle färbbar. Sie gehören damit zu der großen Gruppe der Amyloido-
entweder renaturiert oder eliminiert werden sen, die auch andere Organe als das Gehirn befallen können.
Ungefaltetes oder fehlgefaltetes Protein neigt zur Bildung von Biochemisch gemeinsam ist diesen Erkrankungen das Vorkom-
stabilen Aggregaten oder Polymeren. Oft sind diese schädlich men unlöslicher, β-Faltblatt-reicher Fibrillen, die aus fehlerhaft
für die Zellen und führen am Ende zum Zelluntergang. Daher gefaltetem, körpereigenem Protein bestehen. Beim Morbus Alz-
hat die Zelle Schutzmechanismen entwickelt, um eine Bildung heimer ist es das Aβ-Peptid, ein proteolytisches Fragment eines
dieser Aggregate zu unterdrücken. Prinzipiell gibt es hier zwei Membranproteins (7 Kap. 74.5).
Mechanismen, die schnelle Herstellung der nativen Faltung Einen besonderen Fall stellt hier die Gruppe der übertragba-
durch Faltungshelfer oder der schnelle Abbau der fehlgefalteten ren spongiformen Enzephalopathien (TSE, transmissible spongi-
Proteine durch spezialisierte proteolytische Systeme. form encephalopathy) dar, zu denen der Morbus Creutzfeldt-Ja-
Eine noch ungeklärte Frage ist, wie die Zelle zunächst die kob und BSE (bovine spongiform encephalopathy) gehören, bei
(nicht triviale) Erkennung der Fehlfaltung eines Proteins be- denen die Krankheiten durch ein fehlgefaltetes Protein, das
werkstelligt. Insbesondere gibt es eine große Anzahl von Prote- Prionprotein (PrP), übertragen werden. Eine unerwartete (aber
inen (schätzungsweise 30 % aller im Genom codierten Protei- logische) Eigenschaft des fehlgefalteten Zustands des Proteins
ne), die intrinsisch ungefaltet sind und dieser Erkennung entge- PrPSc im Zustand X (7 Kap. 5.4.1) ist, dass seine Gegenwart die
hen müssen. Für die Elimination von fehlgefalteten Proteinen Fehlfaltung von anderen endogenen Prionenproteinen PrPC zu
sind die wichtigsten Systeme das Proteasom und das Lysosom induzieren scheint. Damit erzeugt PrPSc prinzipiell neue infekti-
(7 Kap. 50). öse Partikel aus dem überall vorkommenden, körpereigenen
Die Aminosäuresequenzen der meisten Proteine sind durch membranständigen Prionprotein (7 Kap. 74.5.5).
die Evolution so optimiert worden, dass sie ohne Hilfe schnell in Den generellen Mechanismus der Fibrillenbildung haben wir
der Zelle ihre korrekte Faltung annehmen. Daher häufen sich schon kennengelernt, ein fehlgefaltetes Protein im Zustand X la-
auch diese Proteine im Normalfall nicht unkontrolliert als fehl- gert sich zu Aggregaten oder Polymeren zusammen. Kinetisch
gefaltete oder ungefaltete Proteine in der Zelle an. Dies kann hat die Bildung von großen Polymeren noch einen zweiten As-
unter Stressbedingungen (z. B. oxidativer Stress) anders sein, da pekt, es gibt eine kritische Konzentration von X, bei der die Po-
hier die Bildung von irreversibel oxidierten Produkten begüns- lymerbildung effektiv wird. Die Polymerisation geht erst dann
tigt ist. schnell vonstatten, wenn genügend »Kristallisationskeime« vor-
Auch unter günstigen Bedingungen verzögert sich die Fal- handen sind.
tung von Proteinen durch eine notwendige cis-trans-Isomerisie- Die Forschung der letzten Jahre hat auch experimentell ge-
rung der Peptidbindung vor Prolinresten oder durch die not- zeigt, dass die Bildung amyloidartiger Fibrillen kein einzigarti-
wendige Bildung von Disulfidbindungen. Hier hat die Zelle ges, seltenes Ereignis ist. Diese Fibrillen entstehen vielmehr häu-
spezifische Enzyme, die diese Prozesse beschleunigen. Die Iso- fig im Reagenzglas aus partiell denaturierten Proteinen. Ein
merisierung der Peptidbindung wird unter dem Einfluss von Beispiel ist hier das Apomyoglobin, also das Häm-freie Myoglo-
Peptidylprolylisomerasen (7 Kap. 49.1.5) beschleunigt, die bin. Es bildet bei niedrigem pH-Wert spontan Fibrillen, die alle
schnelle Ausbildung von korrekten Disulfidbindungen wird Eigenschaften von β-Amyloid haben (. Abb. 5.23). Wie die
durch Proteindisulfidisomerasen unterstützt (7 Kap. 49.2.1). CD-Spektroskopie zeigt, entstehen aus dem primär α-helicalen
Zu diesen katalytisch aktiven, spezialisierten Isomerasen Protein bei der Fibrillenbildung intermolekulare β-Faltblatt-
kommen die Chaperone (7 Kap. 49.1.1), eine ganze Gruppe von strukturen. Die Details dieses Übergangs sind bis heute aller-
Faltungshelfern, die keine spezifische katalytische Funktion ha- dings noch nicht verstanden.
ben. Sie binden Faltungsuntermediate I oder fehlgefaltetes Pro-
tein X (7 Kap. 5.4.1) und verhindern damit deren unkontrollierte
Aggregation. Gleichzeitig beschleunigen Chaperone die korrekte Zusammenfassung
Faltung, indem sie die unproduktiven Faltungsintermediate de- Ein Protein bezeichnet man als denaturiert, wenn seine
stabilisieren und wieder in den Faltungszyklus einschleusen. native räumliche Struktur verloren gegangen ist. Die Dena-
Proteine, die viele funktionelle Konformationen einnehmen turierung eines Proteins ist gewöhnlich mit dem Verlust
müssen, sind oft nicht für schnelle Faltung optimierbar (s. o.). seiner biologischen Funktion verbunden. Denaturierung tritt
Dazu gehört das Actin, ein Schlüsselprotein des Cytoskeletts, das immer dann auf, wenn der entfaltete oder partiell entfaltete
mit einer Vielzahl anderer Proteine interagieren muss. In der Zustand durch äußere Einwirkungen (Temperaturänderun-
Zelle ist es weitgehend auf die Hilfe von Chaperonen angewiesen, gen, Zusatz von denaturierenden Substanzen, pH, …) ener-
um sich korrekt zu falten. In vitro lässt sich daher auch getisch günstiger ist als der native Zustand.
rekombinantes Actin nur mit sehr schlechter Ausbeute rückfalten. Die dreidimensionale Struktur von Proteinen ist prinzipiell in
seiner Primärstruktur codiert. Kleine Proteine falten sich in
Fehlgefaltete Proteine sind für zahlreiche der Regel spontan aus dem ungefalteten Vorläufer. In der
Erkrankungen verantwortlich Zelle sind komplexere Proteine häufig auf Faltungshelfer wie
Schon seit langem ist bekannt, dass degenerative neurologische 6
Erkrankungen wie die Alzheimer Erkrankung mit extrazellulä-
84 Kapitel 5 · Proteine – Struktur und Funktion

A 5.5 Proteinevolution

Nach der vorherrschenden wissenschaftlichen Meinung (Evo-


lutionstheorie) sind alle derzeit auf der Erde existierenden
Lebewesen aus einem Vorgänger hervorgegangen und haben
einen gemeinsamen Stammbaum. Dabei sind die meisten Basis-
funktionen mit leichten Modifikationen erhalten geblieben,
obwohl die diesen Funktionen zugrundeliegenden Gene
durch Mutagenese modifiziert und durch die Evolution selek-
tiert wurden. Daher sollten die im Genom verankerten funda-
5 mentalen Stoffwechselwege in allen Organismen weitgehend
erhalten geblieben sein. Dies betrifft beispielsweise fundamen-
tale Funktionen wie die Energieversorgung der Zellen oder
die Synthese und den Abbau wichtiger zellulärer Komponenten.
Da im Genom die Sequenzen aller Proteine abgespeichert
sind, die diese Basisfunktionen als Hauptakteure ausführen,
sollten diese Gene in verschiedenen Spezies miteinander ver-
wandt sein.
Da die Wahrscheinlichkeit einer Mutation sich im Laufe der
Evolution erhöht, lässt sich auch auf Grund der Mutationsrate in
B
einem Gen oder dem Genprodukt ein Stammbaum aufstellen,
der die klassischen morphologischen Klassifikationen durch sei-
ne Informationsfülle in seiner Aussagekraft deutlich übertrifft.
Zusätzlich lassen sich durch den Vergleich von Aminosäurese-
quenzen konservierte Aminosäuren identifizieren und damit
strukturell oder funktionell bedeutende Reste im Protein identi-
fizieren. Durch die Sequenzierung der Genome vieler Organis-
men steht uns dazu heutzutage eine riesige Datenbasis zur Ver-
fügung.

Das Cytochrom c des Menschen unterscheidet sich


nur wenig von dem anderer Arten
Im Folgenden wollen wir diese Zusammenhänge an einem
wichtigen Protein der Atmungskette, dem Cytochrom c, ausfüh-
ren(7 Kap. 19.1.2). Cytochrom c ist ein Protein, das in den Mito-
chondrien aller Eukaryonten und bei allen aeroben Bakterien zu
finden ist.
Ein Vergleich der Aminosäuresequenzen von Wirbeltieren,
Insekten, Pilzen und Pflanzen zeigt, dass an 35 Positionen des aus
. Abb. 5.23 Bildung amyloidähnlicher Fibrillen aus Apomyoglobin. 104 Aminosäuren bestehenden Wirbeltiercytochroms die Ami-
A Natives Myoglobin besitzt typischerweise einen hohen Anteil an nosäuren identisch (vollständig konserviert) sind. Dies bestätigt
α-helicalen Abschnitten. Nach Ansäuern entstehen aus Myoglobin unlös-
die Hypothese, dass alle Cytochrome von einem gemeinsamen
liche Fibrillen, die alle Eigenschaften von Amyloid haben. B CD-Spektren
von nativem Myoglobin (rot) bzw. säurebehandeltem amyloidartigem Myo-
Vorfahren abstammen. Die Unterschiede in den Aminosäurese-
globin (blau). Das Minimum des amyloidartigen Myoglobins bei 215 nm quenzen korrelieren sehr gut mit dem bekannten Verwandt-
zeigt einen hohen Anteil an β-Faltblattstruktur an. (Aus Fändrich et al., schaftsgrad der untersuchten Spezies.
mit freundlicher Genehmigung von Macmillan Publishers, Ltd) 8 der komplett konservierten Aminosäuren sind Glycine und
zusätzlich ist ein zusammenhängender 11 Aminosäuren langer
Bereich erhalten. Diese Aminosäuren spielen sicherlich eine be-
sondere Rolle für die Funktion des Cytochrom c als Elektronen-
Disulfidisomerasen, Peptidylprolylisomerasen und Chape- überträger im Mitochondrium. Aber auch über die konservier-
rone angewiesen. ten Bereiche hinaus ist die Häufigkeit der Aminosäuresubstitu-
Fehlgefaltete Proteine sind die Ursache vieler degenerativer tionen signifikant von der Position abhängig. Die hydrophoben
Krankheiten, die mit der Bildung von β-Amyloid verbunden Reste, die das für den Elektronentransport verantwortliche Häm
sind. in Position halten und den hydrophoben Kern des Proteins bil-
den, werden, wenn überhaupt, durch strukturell ähnliche Reste
ersetzt. Typische Austausche sind Valin gegen Isoleucin oder
Leucin, Leucin gegen Methionin und Phenylalanin gegen Tyro-
5.5 · Proteinevolution
85 5

. Abb. 5.24 Proteindomänen. Viele Proteine haben einen modularen Aufbau, bei dem verschiedene Domänen hintereinander aufgereiht sind. Fibronec-
tin, Kollagen XII und das Muskelprotein Titin enthalten nur wenige verschiedene Domänen in vielfacher Wiederholung. Fn: Fibronectin Typ I, II, III; VWA: von
Willebrand Faktor Typ A; Ig: Immunglobulindomäne; TSPN: thrombospondin N-terminal-like domain. (Adaptiert nach Doolittle und Bork 1993)

sin. Zwei konservierte Cysteinreste in Position 14 und 17, ein Beispiel für die Neukombination von Domänen zur Erzeugung
Histidinrest in Position 18 und ein Methioninrest in Position 80 neuer Proteine ist in . Abb. 5.24 gezeigt. Fibronectin des Blut-
halten das Häm in Position. An der Oberfläche des Proteins sind plasmas, Kollagen XII und Titin enthalten eine Kombination
16 Lysinreste konserviert, die wichtig für die Interaktion mit Cy- verwandter Domänen, obwohl sie durchaus unterschiedliche
tochrom b und der Cytochromoxidase sind. Hier sind auch an- Funktionen haben.
dere polare Aminosäuren durch ähnliche Aminosäuren ersetzt,
typischerweise Lysin gegen Arginin, Serin gegen Threonin und
Aspartat gegen Glutamat. Zusammenfassung
Die Sequenzen des Cytochrom c von Säugetieren unterschei- Die vergleichende Analyse von Proteinsequenzen erlaubt
den sich im Schnitt an 11 Stellen von denen der Vögel. Wenn die Konstruktion von phylogenetischen Stammbäumen und
man annimmt, dass sich der Stammbaum von Vögeln und Säu- gibt gleichzeitig die Information darüber, welche Reste in
getieren vor etwa 280 Millionen Jahren trennte, würde etwa eine einem Protein strukturell oder funktionell besonders wichtig
Aminosäuresubstitution in 25 Millionen Jahren stattfinden. Die- sind.
se innere Uhr ist natürlich abhängig von dem untersuchten Pro- Die Variation bewährter Strukturmuster von Domänen und
tein, für jedes Protein findet man im Prinzip eine eigene Zeitska- die Kombination verschiedener Domänen sind zwei wichti-
la. Wenn man daher eine große Anzahl von Proteinen miteinan- ge Strategien, um in der Evolution Proteine mit neuen Funk-
der vergleicht, kann man ein sehr genaues Bild über den phylo- tionen zu erschaffen.
genetischen Stammbaum bekommen. Selbstverständlich kann
man auch spezifische Nucleotidsequenzen zur Konstruktion des
Stammbaums nutzen. Hier ist besonders die ribosomale RNA 7 Die Literaturliste finden Sie unter springer.com
wegen ihrer zentralen Stellung und ihres ubiquitären Vorkom-
mens ein guter Verwandtschaftsindikator.

Multidomänenproteine Wir haben schon gelernt, dass sich viele


Proteine gemäß ihrer Topologien in Proteinfamilien einteilen
lassen. Viele der Proteine einer solchen Familie (aber nicht not-
wendigerweise alle) sind auch evolutionär miteinander ver-
wandt, obwohl sie durchaus unterschiedliche Funktionen aus-
üben können. Aus der Sicht der Evolution bedeutet das, dass
durch die Variation eines bewährten 3D-Strukturschemas Prote-
ine mit neuen Funktionen geschaffen werden können. Eine alter-
native Methode ist die wiederholte Duplikation kleinere Se-
quenzmotive durch Genduplikation oder, sehr weit verbreitet,
die Kombination verschiedener existierender Domänen zu neu-
en Proteinen mit neuen Funktionen. Auf DNA-Ebene entspricht
dieses einer Neukombination von Exons (exon shuffling). Ein
6 Proteine – Analytische Untersuchungsmethoden,
Synthese und Isolierung
Hans R. Kalbitzer

Einleitung Proteine können über chromatographische


Verfahren voneinander getrennt werden
Reindarstellung und Analytik von Substanzen sind wichtige Standbeine Homogenisierung von biologischem Material Je nach Zelltyp
6 der klassischen Chemie und Biochemie. Dies gilt auch heute noch für die oder Gewebeart müssen die Zellen mit unterschiedlichen Me-
Proteinbiochemie, obwohl das Genom vieler Lebewesen einschließlich thoden aufgeschlossen werden, um die Proteine freizusetzen.
des Menschen und damit auch die Aminosäuresequenzen aller in der Dabei wird Gewebe zunächst mit einem Mixer mechanisch ho-
zugehörigen DNA codierten Proteine bekannt sind. Die dort codierten mogenisiert. Die Zellen selbst werden dann mit verschiedenen
Proteine können im Prinzip alle heterolog exprimiert werden, daher Methoden aufgeschlossen; Standardverfahren sind hierbei die
erscheint es auf den ersten Blick sinnlos, sich noch mit der Isolierung von Zerstörung der Zellwände in der Glasperlenmühle, die Behand-
Proteinen aus biologischem Material oder deren chemischen Synthese lung mit hohem Druck (French press), Ultraschall, Detergentien
zu beschäftigen. Tatsächlich ist dies nicht so, da die Proteine, die in der und Lysozym (zur Zerstörung der Zellwände von Bakterien).
Zelle zu finden sind, oft noch posttranslational modifiziert werden. Unlösliche Komponenten wie Zellwände werden dann gewöhn-
Natürlich muss auch bei heterologer Expression das Protein aus dem lich mit Hilfe der Zentrifugation entfernt.
Gastorganismus gereinigt werden. Eine sorgfältige Analytik stellt die
Basis reproduzierbarer Experimente dar. Zum Verständnis der Funktions- Prinzip der Verteilungschromatographie Wenn sich die Proteine
weise von Zellen und Geweben in der Systembiologie muss man natür- im Überstand befinden, wird man sie gewöhnlich in einem ers-
lich auch die Konzentrationen ihrer einzelnen Bestandteile, also auch ten Schritt chromatographisch fraktionieren. Befinden sie sich
der Proteinkomponenten, kennen (Proteomik). Die Analytik selbst kann im unlöslichen Pellet, müssen die Proteine zunächst durch Zu-
einfache chromatographische Methoden betreffen oder auch in der satz von Detergentien oder Denaturierungsmitteln solubilisiert
aufwendigen Bestimmung der räumlichen Struktur von Proteinen werden, bevor sie chromatographiert werden. Typisch für die
bestehen. meisten Formen der Chromatographie sind zwei unterschiedli-
che Phasen, eine stationäre und eine mobile Phase. Die statio-
Schwerpunkte näre Phase bindet die aufzutrennenden Proteine reversibel. Die
mobile Phase ist gewöhnlich eine Flüssigkeit, kann aber auch ein
4 Isolierung von Proteinen aus Zellen und Geweben
Gas sein (Gaschromatographie). Die mobile Phase strömt an
4 Chromatographische Analyse und Reinigung von Proteinen
der stationären Phase vorbei und die zu isolierende Substanz
4 Ultrazentrifugation
verteilt sich dann gemäß der relativen Affinität auf die beiden
4 Massenspektrometrie
Phasen.
4 Bestimmung der dreidimensionalen Struktur von Proteinen:
Zur präparativen Anwendung der Chromatographie muss
Röntgenstrukturanalyse und NMR-Spektroskopie
das Zielprotein zurückgewonnen werden. Gewöhnlich ist die
4 Proteomik
stationäre Phase in einem Rohr (Säule) eingeschlossen, durch das
4 Chemische Polypeptidsynthese
die Flüssigkeit strömt (Säulenchromatographie). Bei einem
4 Zellfreie Biosynthese von Proteinen
moderaten Unterschied der Affinitäten eines Proteins für beide
Phasen stellt sich ein dynamisches Gleichgewicht ein, indem das
Protein immer wieder an die stationäre Phase bindet und dann
wieder in die nachströmende Lösung übergeht. Dies führt zu
6.1 Isolation und Reinigung von Proteinen einer allmählichen Elution von der Säule. Bei hohen Affinitäts-
unterschieden wird das Protein zunächst fest an die Säule gebun-
6.1.1 Verfahren zur Isolation von Proteinen den. In einem zweiten Schritt wäscht man dann das Protein mit
aus biologischem Material einer Lösung, die die Interaktion mit dem Säulenmaterial stark
verringert, von der Säule.
Die Isolation von Proteinen aus Zellen, Geweben oder Körper- Für die Durchführung der präparativen Säulenchromatogra-
flüssigkeiten gehört zu den grundlegenden biochemischen Ar- phie werden grundsätzlich vier verschiedene Komponenten be-
beitsmethoden. Hierfür sind immer zwei Grundschritte nötig, nötigt, eine Pumpe, eine Säule, ein Detektor und ein Fraktions-
der Aufschluss der Probe und die Isolation des Proteins aus dem sammler. Die Pumpe sorgt dafür, dass die Flüssigkeit durch das
Aufschluss. Für die Reinigung eines Proteins spielt die chroma- System gepumpt wird. Im einfachsten Fall kann man hier auch
tographische Auftrennung eine zentrale Rolle. den hydrostatischen Druck (Schwerkraft) nehmen. Die Säule

P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_6, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
6.1 · Isolation und Reinigung von Proteinen
87 6
Stärke der Bindung des Zielproteins über die Auswahl des Säulen-
materials und den Puffer kontrollieren. Salzionen im Puffer kon-
kurrieren um die Bindungsplätze auf dem Säulenmaterial. Nach
Bindung werden die Zielmoleküle durch einen stufenweise oder
linear ansteigenden Salzgradienten in Abhängigkeit ihrer Bin-
dungsstärke (Ladung) eluiert und somit voneinander getrennt.

Affinitätschromatographie Bei der Affinitätschromatographie


werden ganz spezifische Eigenschaften eines Proteins zur selekti-
ven Bindung an die stationäre Phase ausgenutzt. Daher kann man
. Abb. 6.1 Ionenaustauscher auf Agarosebasis mit Diethylaminoethyl- oft in einem einzigen Reinigungsschritt das Zielprotein vollstän-
oder Carboxymethyl-Resten dig von anderen Proteinen trennen. Grundsätzlich bindet man
kovalent einen für das gesuchte Protein spezifischen Liganden an
eine poröse, inerte Säulenmatrix. Wenn dann die Proteinlösung
sorgt für die Auftrennung des Materials. Der Detektor (bei Pro- durch die Säule gepumpt wird, bindet das gesuchte Protein an
teinen meist ein UV-Detektor, der die UV-Absorption durch die seinen Liganden. Der Ligand kann das Substrat eines Enzyms, ein
Peptidgruppen misst) zeigt an, wann die Proteine die Säule ver- Interaktionspartner des gesuchten Proteins oder ein Antikörper
lassen. Der Probensammler schließlich sammelt nacheinander gegen das Protein sein. Insbesondere die letzte Methode ist uni-
die verschiedenen Fraktionen in getrennten Behältern. versell einsetzbar, aber für Präparationen im großen Maßstab zu
Für die Proteinreinigung nimmt man heutzutage meist Sys- aufwendig. Nach der selektiven Bindung des Proteins auf der Säu-
teme zur schnellen Proteinflüssigkeitschromatographie (FPLC, le und der Abtrennung aller anderen Proteine wird es im nächsten
fast protein liquid chromatography), die die Flüssigkeit mit erhöh- Schritt wieder von dem Säulenmaterial gelöst. Hierzu gibt man
tem Druck von bis zu 0,2 MPa (2 bar) durch das System pumpen. den freien Liganden im Überschuss dazu oder schwächt unspezi-
Sie sind computergesteuert und erlauben, die Flüssigkeitszusam- fisch die Interaktion mit dem Protein durch eine pH-Änderung
mensetzung während der Elution automatisch zu variieren. Än- oder durch die Denaturierung der Proteine (. Abb. 6.2).
dert man dabei kontinuierlich die Konzentration einer Kompo- Bei rekombinant erzeugten Proteinen (7 Kap. 54.5) kann man
nente (z. B. von NaCl), spricht man von der Elution mit einem die obige Reinigungsstrategie durch Manipulation des Proteins
Gradienten. gezielt variieren. Dazu baut man gentechnisch künstliche Bin-
dungsstellen in das Protein ein. Gewöhnlich fügt man dazu an
Ionenaustauscherchromatographie Eine wichtige, relativ unspe- den N- oder C-Terminus zusätzliche Protein- oder Peptid-
zifische Auftrennmethode ist die Ionenaustauschchromatogra- sequenzen (tags) an, für die es spezifische Liganden gibt. Man
phie. Als stationäre Phase nimmt man heutzutage meist wählt in der Regel Liganden aus, die in Form von kommerziell
modifizierte Agarose (Sepharose). Ein häufig genutzter Anionen- hergestellten Säulenmaterialien verfügbar sind. Standardprotei-
austauscher enthält beispielweise positiv geladene Diethylamino- ne für eine Fusion mit dem Zielprotein sind z. B. die Glutathion-
ethylreste (DEAE-Sepharose), ein entsprechender Kationen- S-Transferase (GST) oder das Maltosebindungsprotein (MBP)
austauscher enthält negativ geladene Carboxymethylreste (CM- von Escherichia coli. Die rekombinanten Fusionsproteine können
Sepharose) (. Abb. 6.1). Sie binden dann Moleküle, die die entge- dann auf Affinitätssäulen gebunden werden, die mit Glutathion
gengesetzte Ladung haben. Da die Gesamtladung eines Proteins oder Amylose (= Maltosepolymer) modifiziert sind. Anschlie-
von seinem pI und dem pH des Puffers abhängt, kann man die ßend können sie dann mit Lösungen der entsprechenden Ligan-

. Abb. 6.2 Prinzip der Affinitätschromatographie. An den an eine inerte Matrix immobilisierten Liganden bindet das zu reinigende Protein mit hoher
Spezifität, während andere Moleküle nicht gebunden werden. Durch denaturierende Verbindungen, pH-Änderungen oder kompetitive lösliche Liganden
wird das zu reinigende Protein von der Matrix abgelöst
88 Kapitel 6 · Proteine – Analytische Untersuchungsmethoden, Synthese und Isolierung

6 . Abb. 6.3 Prinzip der Gelchromatographie. Bei der Gelchromatographie


können kleine Moleküle (gelb) in die porösen Gelpartikel eindringen und le-
gen einen längeren Weg zurück als Moleküle, die hierfür zu groß sind (vio-
lett). Daher kommen die kleinen Moleküle später am Säulenausgang an. Es
findet eine Auftrennung nach der Molekülgröße (Molekülmasse) statt

den (Glutathion oder Maltose) eluiert werden. Gewöhnlich


möchte man am Ende ein reines Protein ohne Fusionsanteil er-
halten. Daher baut man zwischen dem Fusionsanteil und dem
Zielprotein ein Peptid ein, das eine Spaltstelle für eine sequenz-
spezifische Protease enthält. Gängig ist hier das Einfügen einer
Schnittstelle für die Protease Thrombin, die Enterokinase und . Abb. 6.4 Prinzip der Dichtegradientenzentrifugation. 1 Auftragung
die TEV-Protease (tobacco etch virus protease). des Proteingemischs auf den Dichtegradienten; 2 Zentrifugation; 3 Frak-
tionierung
Ein weiterer Vorteil solcher Fusionen ist, dass durch sie sehr
oft auch die Expression und Löslichkeit der Konstrukte erhöht
wird. Manchmal ist allerdings ein großer Fusionsanteil uner-
wünscht. Dann kann man auf Oligopeptide mit spezifischen Bin- entspricht. Der Dichtegradient wird üblicherweise aus einer Sac-
dungseigenschaften zurückgreifen. Hier hat sich besonders das charoselösung hergestellt. Der Gradient wird entweder vor der
Histidinoligopeptid (His-tag) bewährt. Die Histidine binden Zentrifugation durch eine Mischung von Saccharoselösungen
mit mikromolarer Affinität an das Metallion von Ni2+-NTA- mit unterschiedlichen Konzentrationen aufgebaut, oder aber
Säulen, auf denen das Metallion an NTA (nitrilotriacetic acid) fest man lässt sich den Gradienten während des Zentrifugenlaufes
gebunden ist. Das Fusionsprotein kann leicht wieder mit Imida- selbst formen. Die präparative (Ultra-)Zentrifugation eignet sich
zol oder durch eine Absenkung des pH-Wertes eluiert werden. nicht nur für die Auftrennung von Proteinen, sondern auch von
Nucleinsäuren (z. B. in CsCl-Gradienten) und von subzellulären
Gelchromatographie Die Gelchromatographie (Gelfiltration, Partikeln.
Molekularsiebchromatographie, size exclusion chromatogra-
phy) trennt Proteine nach ihrer Molekülgröße auf. Molekularsie-
be enthalten hochvernetzte poröse Partikel (z. B. aus Dextran) als 6.1.2 Analytische Trennverfahren von Proteinen
stationäre Phase. Gibt man eine Lösung mit Molekülen verschie-
dener Größe auf eine derartige Säule, wandern kleinere Molekü- Hochdruckflüssigkeitschromatographie Die Hochdruckflüssig-
le auch durch die Poren in den Gelpartikeln, während große keitschromatographie (HPLC; high pressure oder auch high per-
Moleküle nur den direkten Weg zwischen den Partikeln nehmen formance liquid chromatography) stellt eine moderne analytische
können (. Abb. 6.3). Daher wandern die größeren Moleküle Variante der Verteilungschromatographie mit besonders gro-
schneller als die kleinen durch die Säule, was zu einer Trennung ßer Trennschärfe und reduziertem Zeitbedarf dar. Sie ist (nur)
nach Molekülgröße führt. geeignet, kleinste Mengen von Proteinen in hochreiner Form zu
erhalten. Im Gegensatz zur normalen Säulenchromatographie
Ultrazentrifugation kann ebenfalls zur Trennung wird die Flüssigkeit unter hohem Druck von 2–20 MPa (20- bis
von Proteinen eingesetzt werden 200-facher Atmosphärendruck) durch ein dicht gepacktes
Präparative Ultrazentrifugation Das Prinzip der Ultrazentrifu- Säulenmaterial gedrückt. Typischerweise werden Hochdruck-
gation (7 Kap. 6.2) wird zu präparativen Zwecken in Form der röhren mit 25 cm Länge und einem Durchmesser von 2–4,6 mm
Gleichgewichtsdichtegradientenzentrifugation (. Abb. 6.4) genutzt.
angewendet. Hierbei wird ausgenutzt, dass sich Proteine in ei- Als stationäre Phase bei der Normalphasen-HPCL (NP-
nem Dichtegradienten im Gleichgewicht an der Stelle anrei- HPLC) dienen normalerweise kleine Silicapartikel mit einem
chern, bei der ihre eigene Dichte der des umgebenden Mediums Durchmesser von 5 mm und einer Porengröße von typischerwei-
6.1 · Isolation und Reinigung von Proteinen
89 6

. Abb. 6.5 Prinzip der Umkehrphasen-HPLC. Weniger hydrophobe Pro-


teine werden schon bei einer geringeren Konzentration an n-Propanol (vio-
lette Kugeln) eluiert als stärker hydrophobe. Dabei konkurriert das Propanol
um Bindungsstellen am Protein mit den hydrophoben Seitenketten (Octyl-
gruppen) der stationären Phase

se 30 nm. Die Oberfläche der Partikel ist stark polar, daher wer- . Abb. 6.6 SDS-Polyacrylamidgelelektrophorese von Proteinen. Eine ty-
pische Anwendung der SDS-PAGE ist die Kontrolle von Proteinreinigungen.
den die Moleküle hauptsächlich nach ihrer Polarität aufgetrennt.
Die Trennung erfolgte in einem 16,5 %igen Polyacrylamidgel. Spur 1: Mole-
Wenn die native Faltung keine Rolle spielt, nimmt man für külmassenstandards, Spur 2: Extrakt von E. coli-Bakterien, in denen das
die analytische Auftrennung von Peptiden und Proteinen ge- menschliche Ras-Protein überexprimiert wurde, Spur 3: Extrakt nach Zentri-
wöhnlich die Umkehrphasen-Hochdruckflüssigkeitschroma- fugation, Spur 4: Ergebnis nach Auftrennung mit dem Anionenaustauscher
tographie (RP-HPLC, reversed phase HPLC). Hier ist die stationä- Q-Sepharose , Spur 5: nachfolgende Gelchromatographie
re Phase hydrophob, da die Silicapartikel mit Alkanresten mit
variierenden Kettenlängen von 4 bis 18 Kohlenstoffatomen mo-
difiziert sind. Die Elution wird mit einer Mischung von Wasser fidbindungen verknüpft sind, können dissoziieren. Am Ende
oder Puffer mit einem organischen Lösungsmittel wie n-Propa- sind 1,5 bis 2 SDS-Moleküle pro Peptidbindung an das Protein
nol oder Acetonitril (. Abb. 6.5) durchgeführt. Die Auftrennung gebunden. Die negativen Ladungen des SDS bestimmen wegen
der Moleküle erfolgt hier nach ihrer Hydrophobizität. ihrer hohen Anzahl im Wesentlichen die Gesamtladung des
entstehenden SDS-Protein-Komplexes. Im elektrischen Feld
Trägerelektrophorese Proteine in Körperflüssigkeiten wie Blut- wandern dann diese negativ geladenen SDS-Protein-Komplexe
plasma, Urin oder Liquor kann man mit Hilfe der Trägerelekt- zur positiv geladenen Anode. Somit hängt die Wanderungsge-
rophorese einfach und schnell auftrennen. Als stationäre Phase schwindigkeit der Proteine nur noch von ihrer Größe ab und ist
dient hier eine Celluloseacetatfolie oder ein Agarosegel. Sie stellt in guter Näherung proportional zu ihrer molekularen Masse.
eine billige Alternative zur analytischen Säulenchromatographie Auf ein Elektrophoresegel trägt man gewöhnlich mehrere
dar. Bei dieser Methode erfolgt die Trennung ausschließlich auf- Proben in gleichem Abstand voneinander auf, sodass nach der
grund der Ladung der Proteine. Die Auftrennung ist umso grö- Elektrophorese parallele Spuren von Proteinen entstehen
ßer, je weiter der pH-Wert des Elektrophoresepuffers vom iso- (. Abb. 6.6). Zur Bestimmung der Molekülmassen trägt man auf
elektrischen Punkt eines Proteins entfernt ist (7 Abb. 3.13). einer Spur noch eine Referenzprobe auf, die Proteine mit be-
kannten Molekülmassen enthält. Nach Abschluss der Elektro-
SDS-Polyacrylamidgelelektrophorese trennt phorese müssen die Proteine fixiert und sichtbar gemacht wer-
Proteine ausschließlich nach ihrer Molekülmasse den. Normalerweise nimmt man hierzu Coomassie Blau, das die
SDS-Polyacrylamidgelelektrophorese Bei der SDS-Polyacryl- Proteine gleichmäßig einfärbt. Es erlaubt deshalb eine semi-
amidgelelektrophorese (SDS-PAGE) werden Proteine nach ih- quantitative Bestimmung der relativen Proteinkonzentrationen
rer Molekülmasse aufgetrennt. Trägermaterial ist ein Polyacryl- im Gel nach der Farbintensität. Will man Proteine in sehr gerin-
amidgel, das meistens zwischen zwei Glasplatten gegossen wird. gen Mengen nachweisen, wählt man die sehr empfindliche Sil-
Die Porengröße des Gels bestimmt die Trennschärfe des Gels berfärbung, die allerdings für eine Quantifizierung wenig geeig-
und muss der Größe der untersuchten Proteine angepasst wer- net ist.
den. Die Porengröße wird durch die Konzentration des zuge-
setzten Acrylamids und seiner Quervernetzung bestimmt. Die Mit der zweidimensionalen Gelelektrophorese
Proteine werden in einem Puffer aufgetragen, der das negativ werden Proteine nach der Molekülmasse und dem
geladene Detergens SDS (sodium dodecyl sulfate) (7 Abb. 3.8) isoelektrischen Punkt aufgetrennt
und das Reduktionsmittel β-Mercaptoethanol enthält. SDS Kombiniert man die klassische SDS-Gelelektrophorese mit einer
denaturiert das Protein, da die Wechselwirkung seiner hydro- anderen Trennmethode, spricht man von der zweidimensiona-
phoben Alkankette mit den hydrophoben Resten des Proteins len Gelelektrophorese (2D-Gelelektrophorese), da die Proteine
zur Auflösung des hydrophoben Kerns führt. Gleichzeitig nach zwei verschiedenen Eigenschaften aufgetrennt werden.
werden dabei bestehende Protein-Protein-Interaktionen oder Normalerweise nimmt man für die zusätzliche Dimension als
Bindungen an Membranlipide so abgeschwächt, dass Polymere Trennmethode die isoelektrische Fokussierung (IEF).
monomerisieren und Lipide freigesetzt werden. Das β-Mercapto- In der Praxis wird zunächst die isoelektrische Fokussierung
ethanol reduziert mögliche Disulfidbindungen. Damit kann durchgeführt. Die Probe wird mit Harnstoff, β-Mercaptoethanol
sich das Protein ganz entfalten und Polymere, die durch Disul- und einem nicht-ionischen Detergens versetzt. Dabei werden
90 Kapitel 6 · Proteine – Analytische Untersuchungsmethoden, Synthese und Isolierung

wie bei der SDS-Elektrophorese die Proteine denaturiert und


mögliche Disulfidbindungen gespalten. Das nicht-ionische De-
tergens solubilisiert das Protein, ohne seine Gesamtladung zu
verändern. Auf einem Polyacrylamidstreifen, der einen durch
kovalent gebundene Ladungsträger erzeugten, immobilisierten
pH-Gradienten enthält, wird die Probe aufgetragen. Nach Anle-
gen des elektrischen Feldes wandern die Proteine bis zu dem je-
weiligen pH-Wert, bei dem sie nicht geladen sind. Dieser pH-
Wert ist definitionsgemäß gerade ihr isoelektrischer Punkt (pI),
und die Proteine sind daher nach ihrem pI-Wert aufgetrennt.
Anschließend wird der Streifen auf ein klassisches SDS-Gel ge-
legt (. Abb. 6.7), und ein elektrisches Feld wird nun noch einmal
senkrecht zur Längsachse des Streifens angelegt. Hierdurch wer-
6 den die Proteine in eine zweite Dimension nach ihrer Molekül-
masse aufgetrennt. Es entsteht ein zweidimensionales Muster auf
dem Gel, bei dem jedem Protein eine Position auf dem Gel zuge-
ordnet werden kann. Es ist möglich, mehr als 1.000 Proteine auf
einem solchen Gel aufzutrennen. Arbeitet man unter gut stan-
dardisierten Bedingungen, kann man mit der entsprechenden
Software die Proteine semiautomatisch identifizieren.

6.2 Charakterisierung von Proteinen

Charakterisierung des gereinigten Proteins Die Isolation und


Reinigung eines Proteins bis zur Homogenität ist meist der
erste Schritt, bevor es mit anderen Methoden weiter charakte-
risiert werden kann. Abhängig von der Vorgeschichte gibt es
zwei grundsätzlich unterschiedliche Szenarien: Es handelt
sich um
4 ein mit rekombinanter Technologie hergestelltes Protein be-
kannter Aminosäuresequenz oder
4 ein aus natürlichen Quellen gereinigtes Protein unbekann-
ter Sequenz.

Im ersten Fall muss man nur die Identität des Produkts bestäti-
gen. Hierzu wird das Protein normalerweise ansequenziert, um
mögliche Modifikationen wie N-Methylierung der ersten Ami-
nosäure oder die Abspaltung N-terminaler Aminosäuren zu er-
kennen. Solche Modifikationen können durch Expression eines
rekombinanten Proteins in einem fremden Wirtssystem entste-
hen. Die genaue Molekülmasse wird mit der Massenspektrome-
trie bestimmt. Ist das Massenspektrum durch die bekannte Se-
quenz erklärbar und stimmt die Sequenz der ersten Aminosäu-
ren mit der Zielsequenz überein, gilt die Identität als bestätigt. Im
zweiten Fall ist man manchmal mit einer qualitativen Bestäti-
gung der Identität zufrieden. Wenn man das gereinigte Protein
allerdings genau charakterisieren will, muss man auch hier die
Aminosäuresequenz bestimmen.

Die Molekülmasse von Proteinen kann


mit Hilfe der SDS-Polyacrylamidgelelektrophorese
abgeschätzt werden
. Abb. 6.7 Prinzip der zweidimensionalen Gelelektrophorese.
Eine Methode zur ungefähren Bestimmung der Molekülmasse Oben: Trennung der Proteine nach dem isoelektrischen Punkt in der ersten
von Proteinen haben wir mit der SDS-PAGE (. Abb. 6.6) schon Dimension und nach der Molekülmasse in der zweiten Dimension.
kennengelernt. Sie wird immer routinemäßig vor weiteren Unten: 2D-Gel der zellulären Proteine menschlicher Leukämiezellen
Analysen durchgeführt.
6.2 · Charakterisierung von Proteinen
91 6

. Abb. 6.8 Prinzip der Massenspektrometrie. Beim MALDI-TOF-Verfahren werden die in der Probe enthaltenen Proteine zunächst mit Hilfe eines
gepulsten Lasers ionisiert. Die dabei entstehenden (positiv geladenen) Protein-Ionen werden in einem elektrischen Feld beschleunigt. Sie durchlaufen
anschließend eine sog. Driftstrecke. Ihre Flugzeit durch die Driftstrecke wird durch einen Detektor gemessen und ist dem Verhältnis aus Masse und
Ladung (m/z) proportional. (Einzelheiten s. Text)

Die relative Molekülmasse Mr, die fälschlicherweise häufig ionisiert. Ein elektrisches Feld saugt dann die entstandenen Io-
als Molekulargewicht bezeichnet wird, ist die Summe aller Atom- nen ab. Eine Alternative ist die Elektrospray-Ionisation (ESI,
massen eines Moleküls. Die relative Molekülmasse entspricht electrospray ionization), die besonders schonend ist. Sie führt
dabei einem Zwölftel der Masse des Kohlenstoffisotops 12C, also kaum zur Fragmentierung des Analyten und ist daher zur Mas-
etwa 1,66∙10–24 g. In der Biochemie wird diese Einheit als senbestimmung von Proteinen gut geeignet. Der gelöste Analyt
Dalton (Da) bezeichnet. Im Gegensatz zur relativen Molekül- wird in einer dünnen Kapillare durch ein elektrisches Feld be-
masse bezieht sich die molare Masse (oder Molmasse) auf eine schleunigt. Dabei entsteht an der Spitze der Kapillare ein Über-
Stoffmenge von 6,02214∙1026 Molekülen und wird in kg/mol schuss an Ionen gleichartiger Ladungen, die dann ein feines
angegeben. Eine relative Molekülmasse von 1 kDa entspricht also Aerosol bilden. Gleichzeitig wird Probenflüssigkeit durch heißes
einer molaren Masse von 1 kg/mol. Stickstoffgas verdampft. Die entstanden Ionen werden dann wie-
der durch ein elektrisches Feld separiert.
Die Molekülmasse kann mit hoher Empfindlichkeit In einem starken elektrischen Feld werden dann die gelade-
und Genauigkeit mit der Massenspektrometrie nen Moleküle beschleunigt. Da die Beschleunigung der Molekü-
bestimmt werden le von ihrer Ladung z und ihrer Masse m abhängt, hängt auch
Massenspektrometrie Heutzutage ist die Massenspektrometrie ihre Geschwindigkeit am Ende der Beschleunigungsstrecke von
(MS, mass spectrometry) die Methode der Wahl für eine genaue den beiden Parametern ab. Sie ist proportional zum Verhältnis
Bestimmung der molaren Masse eines Proteins und ist hierin m/z. Daher treffen die Ionen auch zu verschiedenen Zeiten auf
allen anderen, alternativen Methoden weit überlegen. Die Emp- dem Detektor auf und man kann sie aufgrund ihrer Flugzeit in
findlichkeit der Massenspektrometrie ist so groß, dass die Pro- einem TOF-(time of flight) Massenspektrometer trennen. Elektri-
teinmenge einer einzelnen, auf der SDS-PAGE sichtbaren Prote- sche Quadrupole (4 stabförmige Elektroden, an die eine Gleich-
inbande ausreicht, um problemlos die Masse des Proteins zu spannung angelegt wird, die mit einer Wechselspannung der
bestimmen. Die dabei erreichbare Genauigkeit ist besser als Frequenz ω überlagert ist) können dazu benutzt werden, um nur
0,1 Da. Moleküle mit einem bestimmten m/z-Wert durchzulassen. Die
Grundsätzlich ist ein Massenspektrometer aus drei Kompo- Größe der Spannungen legt fest, welche Moleküle den Quadru-
nenten aufgebaut, der Ionenquelle, einem Analysator und ei- pol unabgelenkt passieren können, die anderen Moleküle kolli-
nem Detektor (. Abb. 6.8). In der Ionenquelle müssen aus der dieren mir der Wand und werden damit eliminiert.
Proteinprobe Ionen erzeugt und in das Hochvakuum abgegeben
werden, das im Massenspektrometer herrscht. Eine Methode, Die Ultrazentrifugation erlaubt die Massenbestim-
um aus Proteinlösungen Ionen zu erzeugen, ist die Matrix-unter- mung von großen Proteinen und Proteinkomplexen
stützte Laser-Desorption/Ionisation (MALDI, matrix-assisted Analytische Ultrazentrifugation Mit der Massenspekrometrie
laser desorption/ionization), bei dem eine kleine Menge der Pro- kann man sehr genau die molare Masse eines isolierten Proteins
be zunächst mit einer kristallinen Matrix (z. B. 2,5-Dihydroxy- bestimmen. Proteine bilden in Lösung oft nicht-kovalente, wenig
benzoesäure, DBT) gemischt und auf einem metallischen Träger stabile Komplexe mit sich selbst oder anderen Proteinen. Diese
cokristallisiert und getrocknet wird. Mit einem gepulsten Laser Komplexbildung kann für ihre biologische Funktion von großer
wird die Matrix schlagartig verdampft. Dabei werden die Prote- Bedeutung sein. Oft liegt in Lösung ein Gleichgewicht von Mo-
ine mitgerissen und gleichzeitig unter dem Einfluss der Matrix nomeren und Polymeren verschiedener Größe vor. Diese insta-
92 Kapitel 6 · Proteine – Analytische Untersuchungsmethoden, Synthese und Isolierung

bilen Komplexe sind für die Massenspektrometrie nicht geeignet.


Hier gibt die analytische Ultrazentrifugation, die von Theodor . Tab. 6.1 S-Werte und daraus errechnete Molekülmassen einiger
Svedberg und seinen Mitarbeitern eingeführt wurde, eine Ant- Proteine (Ribosomen enthalten neben Proteinen einen großen Anteil
von RNA)
wort.
Zentrifugiert man eine Proteinlösung mit einer sehr hohen S20 Molekülmassen
Umdrehungszahl U, sind alle Moleküle in der Lösung einer (Svedberg-Einheiten (Da)
hohen Zentrifugalkraft ausgesetzt, die wie ein künstliches bei 20 °C)
Schwerefeld wirkt. Bei Zentrifugalkräften, die das 400.000fache
Insulin 1,2 6.300
der Erdanziehungskraft erreichen können, sedimentieren die
Proteine in der wässrigen Lösung. Da aber gleichzeitig der Myoglobin 2,0 16.900
hydrostatische Druck zu einer entgegengesetzten Auftriebskraft Hämoglobin 4,5 63.000
führt, wird die Zentrifugalkraft partiell kompensiert. Generell
Fibrinogen 7,6 340.000
ist der Auftrieb proportional zur Dichtedifferenz von Lösungs-
6 mittel und gelöster Substanz und damit für alle Moleküle unter- Ribosom (Bakterien) 70 2.500.000

schiedlich. Nur diejenigen Moleküle sedimentieren in einer Tabakmosaikvirus 174 59.000.000


wässrigen Lösung, die wie die Proteine eine höhere Dichte als
Wasser haben.
Man kann nun die Sedimentationsgeschwindigkeit v = dr/dt
in Richtung der Zentrifugalkraft mpw2r mit einem optischen Sys- Die vollständige saure Hydrolyse
tem messen. Dabei ist r der Abstand von der Rotationsachse zum der Peptidbindungen erlaubt die Bestimmung
betrachteten Molekül im Zentrifugenröhrchen, mp die Masse der Aminosäurezusammensetzung
des Proteins und ω die Rotationsgeschwindigkeit ω = 2π∙U Die Peptidbindungen in Proteinen können durch Behandlung
(U: Umdrehungen/s). Da die Beschleunigung der Proteinmole- mit starken Säuren oder Basen hydrolytisch gespalten werden.
küle im künstlichen Schwerefeld durch die Reibung mit dem Die entstandenen Aminosäuren lassen sich dann mit einer HPLC
Lösungsmittel aufgehoben wird, die proportional zur Geschwin- quantifizieren und bei bekannter Molekülmasse kann daraus die
digkeit v ist, stellt sich eine konstante Sedimentationsgeschwin- Aminosäurezusammensetzung berechnet werden. Allerdings
digkeit v ein (Stokes-Gesetz). muss man dabei berücksichtigen, dass bei der Hydrolyse ge-
Als Maß für die Größe der Molekülmasse erhält man den wöhnlich Nebenreaktionen ablaufen. Bei der meist angewandten
Sedimentations- oder Svedberg-Koeffizienten s, der unter sauren Hydrolyse mit 6 N HCl werden die Seitengruppen von
sonst gleichen experimentellen Bedingungen (s. u.) für ein Mo- Asparaginen und Glutaminen angegriffen, und es entsteht durch
lekül unabhängig von der Zentrifugalbeschleunigung ist: Abspaltung der Aminogruppe Aspartat und Glutamat. Zusätz-
lich geht ein Teil der Serine, Threonine und Tryptophane bei der
s = v/ω2r Hydrolyse verloren.

Da sich hier in den Basiseinheiten Meter, Kilogramm und Sekun-


de (MKS-System) sehr kleine Werte ergeben, drückt man s in der 6.3 Nachweisverfahren und Identifizierung
Svedberg-Einheit S aus, wobei 1 Svedberg 1∙10–13 s entspricht. von Proteinen
Typischerweise haben Proteine Svedberg-Werte im Bereich von
1-200 S (. Tab. 6.1). Immunologische Nachweisverfahren ermöglichen
Die Sedimentationsgeschwindigkeit v ist primär von der Mo- die Identifizierung und Quantifizierung einzelner
lekülgröße und Dichte abhängig, wird aber von einer Reihe an- Proteine (und anderer Antigene) durch spezifische
derer Faktoren mit beeinflusst. Von der Proteinseite her ist es im Antikörper
Wesentlichen die Form des Proteins, bei gleichem Gesamtvolu- Immunpräzipitation Bei ausreichenden Mengen an Antigen und
men sedimentieren die fibrillären Proteine wegen ihrer elongier- Antikörper führt deren Interaktion zur Bildung von Proteinprä-
ten Form langsamer als die typischen globulären Proteine mit zipitaten, die in Agarosegelen sichtbar gemacht werden können.
ihrer nahezu sphärischen Form. Natürlich hängt die Sedimenta- Verwendet man z. B. für die Trägerelektrophorese von Proteinen
tionsgeschwindigkeit auch vom benutzten Lösungsmittel ab. Ins- (7 Kap. 6.1.2) ein Agarosegel, lassen sich anschließend Antiseren
besondere wird die absolute Sedimentationsgeschwindigkeit von in einer Vertiefung entlang der Laufstrecke einbringen, die an
der Dichte und Viskosität des Lösungsmittels beeinflusst. Daher denjenigen Stellen Präzipitationsbanden bilden, an denen in der
misst man gewöhnlich Sedimentationskonstanten immer im Elektrophorese die entsprechenden Antigene aufgetrennt wur-
gleichen Puffer bei der gleichen Temperatur und bestimmt nur den (Immunelektrophorese).
die relativen Sedimentationskonstanten der einzelnen Kompo-
nenten. Eine einfache lineare Beziehung zwischen der Molekül- Enzymimmunoassays Enzymimmunologische Tests finden häu-
masse und dem Sedimentationskoeffizienten ist wegen all dieser fig zum Nachweis und zur Konzentrationsbestimmung solcher
Faktoren nicht zu erwarten, sondern nur eine gute Korrelation. Antigene (Proteine) Anwendung, die in einer sehr niedrigen
Dies kann man auch an den in . Tab. 6.1 angegebenen Werten Konzentration vorliegen. Die erforderliche Signalverstärkung
sehen. wird durch die Verwendung von Enzym-Antikörper-Konjugaten
6.3 · Nachweisverfahren und Identifizierung von Proteinen
93 6
A B Immunhistochemie Die Visualisierbarkeit eines bestimmten
Proteins in einem Gewebeschnitt demonstriert die große Spezi-
fität und Sensitivität enzymimmunologischer Nachweisverfah-
ren. Ähnlich wie beim Enzymimmunoassay kommen oftmals
zwei Antikörper zum Einsatz, von denen der Sekundärantikör-
per mit einem Enzym markiert ist. Die Bildung gefärbter Reak-
tionsprodukte erfolgt dabei nur am Ort der Lokalisation des
Antigens (7 Abb. 62.3).
. Abb. 6.9 Verstärkung immunologischer Signale durch Enzyme.
A Test mit einem Enzym-Antikörper-Konjugat (grün/blau), dessen Antikör- Proteine können durch die Ermittlung ihrer
per (grün) das Antigen (rot) direkt erkennt. B Detektion eines Primärantikör-
N-terminalen Aminosäuresequenz über den
pers gegen das Antigen mit einem enzymgekoppelten Sekundärantikörper.
Die große Zahl der Produktmoleküle führt zu einer enormen Verstärkung Edman-Abbau identifiziert werden
des Eingangssignals (Antigen) Beim Edman-Abbau werden die Proteine durch eine chemi-
sche Reaktion vom N-terminalen Ende des Peptids her Amino-
säure für Aminosäure abgebaut. Nach der Abspaltung werden
die entstandenen Aminosäurederivate mit organischen Lö-
ermöglicht. Das zugrunde liegende Funktionsprinzip ist in sungsmitteln extrahiert und nacheinander chromatographisch
. Abb. 6.9 gezeigt. Das Antigen (rot) ist fest an eine Oberfläche mit der Umkehrphasen-HPLC identifiziert. Die Abspaltung
gebunden (Nitrocellulose, (s. u.) oder in Reaktionsgefäßen). An- erfolgt nach einer Reaktion der Aminogruppe mit Pheny-
schließend wird ein Enzym-Antikörper-Konjugat zugegeben lisothiocyanat (PITC). Das entstandene Phenylthiocarbamid
(. Abb. 6.9A). Dieses besteht aus einem gegen das Antigen ge- cyclisiert bei Behandlung mit wasserfreier Trifluoressigsäure
richtetes Immunglobulinmolekül (dem Antikörper, dunkelgrün), und das daraus hervorgehende Phenylthiohydantoinderivat
an das ein Enzymmolekül (blau) covalent gebunden ist. Die hohe (PTH-Derivat) wird vom Restpeptid abgespalten. Nach der
Spezifität der Antigen-Antikörper-Wechselwirkung ermöglicht Extraktion des Produkts kann die Reaktion wieder durch eine
die selektive Erkennung und Bindung des Antigens. Nach der Erhöhung des pH-Wertes und Zusatz von Phenylisothiocyanat
Entfernung von überschüssigem Enzym-Antikörper-Konjugat gestartet werden. Der nächste Zyklus beginnt. Wegen sich
wird ein für das gekoppelte Enzym geeignetes Substrat zugesetzt anhäufender Nebenprodukte kann man nur Sequenzen von
und das gebildete Reaktionsprodukt anhand der Lichtabsorption 30–40 Aminosäuren sicher aufklären. Die Edman-Analyse ist
oder Fluoreszenz erkannt bzw. quantifiziert. Steht nur ein nor- sehr empfindlich, nur etwa 10–100 pmol Protein sind für
maler (unkonjugierter) Antikörper zur Verfügung (. Abb. 6.9B, eine Sequenzierung notwendig, eine Proteinmenge, die in ei-
dunkelgrün), kann dieser als Primärantikörper eingesetzt und ner Bande eines SDS-Polyacrylamidgels nach der Elektro-
mit einem enzymgekoppelten Sekundärantikörper einer ande- phorese typischerweise enthalten ist. Die Edman-Sequen-
ren Tierart (hellgrün), der den Fc-Teil (7 Kap. 70.9.1) des Primär- zierung wird heutzutage im Allgemeinen durch Automaten
antikörpers erkennt, nachgewiesen werden. durchgeführt.
Dieses Prinzip wird bei verschiedenen Nachweisverfahren Will man größere Peptide sequenzieren, muss man sie erst
für Proteine (und anderer Antigene) eingesetzt, wie bei: in kleinere Fragmente zerlegen. Diese Fragmente werden dann
4 Western Blot (s. u.), wieder mit der HPLC aufgetrennt und anschließend wie be-
4 RIA und ELISA (7 Kap. 70.9.5) und schrieben mit dem Edman-Abbau analysiert. Hierzu gibt es ver-
4 Immunhistochemie (s. u.). schiedene chemische und enzymatische Methoden. Eine effek-
tive chemische Methode zur Fragmentierung ist die Bromcyan-
Western Blot Der erste Schritt der Western-Blot-Analyse ent- spaltung. Durch die Behandlung der Probe mit Bromcy-
spricht der schon besprochenen Auftrennung der Proteine mit an (CNBr) werden die Polypeptidketten hinter Methionylresten
einer SDS-Gelelektrophorese. Im zweiten Schritt müssen die gespalten. Die Alternative hierzu ist die Spaltung der Polypep-
Proteine zur weiteren Analyse auf Nitrocellulosepapier oder Ny- tidkette mit Proteasen, die eine bekannte Sequenzspezifität ha-
lonfolien übertragen werden. Diesen Vorgang nennt man Blot- ben. Üblicherweise nimmt man für die Sequenzierung die allge-
ten (blot = Abklatsch). Gewöhnlich werden die Proteine vom Gel mein verfügbaren Proteasen Trypsin und Chymotrypsin. Tryp-
auf die Folie durch ein senkrecht zur Geloberfläche angelegtes sin spaltet Polypeptidketten bevorzugt hinter den basischen
elektrisches Feld übertragen. Die Blots können anschließend mit Aminosäuren Arginin und Lysin, Chymotrypsin erkennt aro-
Antikörpern getränkt werden, die an ihre spezifischen Antigene matische Seitenketten, hinter denen die Spaltung stattfindet.
(Proteine) binden. Diese Reaktion wird über einen zweiten An- Für eine vollständige Aminosäuresequenzierung benötigt man
tikörper enzymimmunologisch (s. o.) sichtbar gemacht, wo- überlappende Fragmente, um deren Anordnung eindeutig zu
durch die Stelle der Antigen-Antikörper-Antikörper-Reaktion bestimmen. Solche überlappende Teilstücke kann man dadurch
angefärbt oder fluoreszenzmarkiert wird. Western-Blots sind erhalten, dass man die beschriebenen Methoden zur Fragmen-
wegen der Verwendung von Antikörpern hochspezifisch, sehr tierung parallel anwendet. Eine große Gefahr bei dieser klassi-
empfindlich und relativ einfach herzustellen, daher ist Western- schen Aminosäuresequenzierung besteht darin, dass man Frag-
Blotting im Routinebetrieb eine häufig genutzte Methode zur mente bei der Reinigung verliert und so fehlerhafte Gesamtse-
Identifizierung von bekannten Proteinen. quenzen erhält.
94 Kapitel 6 · Proteine – Analytische Untersuchungsmethoden, Synthese und Isolierung

. Abb. 6.10 Standardproteomanalyse mit der zweidimensionalen Elektrophorese und der Tandemmassenspektrometrie. A Zunächst werden die
Proteine mit Hilfe einer zweidimensionalen Gelelektrophorese aufgetrennt und auf dem Gel mit Trypsin verdaut. Die erhaltenen Peptide werden dann mit-
tels HPLC aufgetrennt. B Das ausgewählte Peptid wird mit der Tandemmassenspektrometrie analysiert. Zunächst erfolgt dabei die Isolierung des zugehö-
rigen Massenpeaks, der Moleküle mit gleichem m/z enthält. Diese Moleküle werden anschließend in einer Kollisionszelle fragmentiert. Die dabei entste-
henden Peptidionen werden massenspektrometrisch analysiert. Die Quadrupole Q1, Q2 und Q3 dienen der Abtrennung von Ionen mit instabiler Flugbahn.
C Die erhaltenen experimentellen Massenspektren werden analysiert und mit theoretischen Massenspektren verglichen, die aus einer Sequenzdatenbank
vorhergesagt werden können. (Adaptiert nach Gygi u. Aebersold 2000, mit freundlicher Genehmigung von Elsevier)

Zuverlässigere Daten erhält man, wenn man in die Analyse posttranskriptionale oder posttranslationale Modifikationen
eine DNA-Sequenzierung miteinbezieht, da DNA-Sequenzie- zu erwarten sind. Letztere sind natürlich nicht aus einer einfa-
rungen automatisiert durchgeführt werden und für praktische chen DNA-Sequenzierung zu erhalten.
Zwecke als fehlerfrei angesehen werden können. Eine gute Stra-
tegie ist, aus den Partialsequenzen der durch proteolytische Be- Massenspektrometrie ist heutzutage die elegan-
handlung gewonnenen Bruchstücke DNA-Sonden zu erzeugen. teste Methode zur Identifikation von Proteinen
Diese DNA-Sonden können dazu benutzt werden, das unbe- Vor der Massenspektrometrie müssen die gereinigten Proteine
kannte Gen aus einer experimentellen cDNA-Bibliothek heraus erst fragmentiert und die erhaltenen Bruchstücke aufgetrennt
mit Hilfe der PCR (7 Kap. 54.1.2) zu amplifizieren und dann die werden. Die Erzeugung der Fragmente kann wie oben beschrie-
zugehörige cDNA zu sequenzieren. ben erfolgen oder aber direkt im Massenspektrometer. Gewöhn-
Die Identifizierung des Proteins (d. h. die Ermittlung seiner lich benutzt man eine Kombination beider Methoden (. Abb.
Aminosäuresequenz) kann viel effektiver erfolgen, wenn für den 6.10). Geht man von Proteingemischen aus, führt man zunächst
betrachteten Organismus (wie für den Menschen und eine Viel- eine zweidimensionale Gelelektrophorese durch. Die Proteine
zahl von Mikroorganismen) das Genom schon aufgeklärt ist. werden nach Abschluss der Elektrophorese direkt auf dem Gel
Hier sucht man einfach die experimentell ermittelte(n) proteolytisch gespalten. Die dabei erhaltenen Peptidgemische
Partialsequenz(en) in der Genomdatenbank und kann daraus der einzelnen Proteinflecken (spots) werden dann über eine
direkt die zugehörige Proteinsequenz ableiten. HPLC weiter aufgetrennt und in das Massenspektrometer einge-
Allerdings gibt es immer noch Situationen, in denen die spritzt. Mit einem Quadrupolfilter werden wohldefinierte Pepti-
Standardaminosäuresequenzierung benötigt wird, nämlich im- de ausgewählt und dann in einer mit Heliumgas gefüllten Kolli-
mer dann, wenn man auf die DNA nicht zugreifen kann, oder sionszelle in kleinere Bruchstücke zerlegt. Diese entstehen beim
6.4 · Methoden zur Aufklärung der dreidimensionalen Struktur von Proteinen
95 6
Zusammenstoß der vorher beschleunigten Peptide mit den kann man seine Struktur mit Hilfe der Kernresonanzspektros-
Heliumatomen (CID, collision induced dissociation). Die dabei kopie (NMR, nuclear magnetic resonance) erhalten. Die Kernre-
erhaltenen Fragmente werden dann in einem zweiten, mit der sonanzspektroskopie kann allerdings auch für Proteine im festen
Kollisionszelle verbundenen Massenspektrometer endgültig Zustand durchgeführt werden.
analysiert (MS-MS, Tandem-MS).
Die erhaltenen Massenspektren der Fragmente werden an-
schließend mit bioinformatischen Methoden analysiert und er- 6.4.1 Röntgenstrukturanalyse
geben am Ende die Proteinsequenz(en).
Eine bahnbrechende Eigenschaft der Röntgenstrahlen, die von
Wilhelm Conrad Röntgen 1895 entdeckt wurden, war die Mög-
Zusammenfassung lichkeit, das Innere von Gegenständen sichtbar zu machen. Es
Eine wesentliche Voraussetzung für die Charakterisierung dauerte nicht lange, bis man herausfand, dass man mit Röntgen-
von Proteinen ist ihre Reindarstellung aus Zellextrakten strahlen auch die räumliche Anordnung der Atome in einfachen
oder Körperflüssigkeiten. Diese Reinigung wird gewöhnlich Kristallen und damit letztendlich auch die atomare Struktur von
mit einer Kombination verschiedener säulenchromatogra- kleinen anorganischen (NaCl, 1913) und organischen Molekülen
phischer Verfahren bewirkt. Gängige Techniken sind hier: (Benzol, 1928) durch die Interpretation der Röntgenbeugungs-
4 Ionenaustauschchromatographie muster aufklären konnte. Die ersten Strukturuntersuchungen
4 Gelchromatographie von Makromolekülen in den 30er Jahren des letzten Jahrhun-
4 Affinitätschromatographie derts scheiterten an der Komplexität der sich ergebenden Beu-
4 Umkehrphasen-HPLC (bei kleinen Mengen) gungsbilder. Es mussten noch 20 Jahre vergehen bis es John
Kendrew gelang, 1958 mit der Struktur des Myoglobins die erste
Zur schnellen Bestimmung der Molekülmasse im Biochemie- Röntgenstruktur zu lösen. Heute ist die Röntgenbeugung (X-ray
labor eignet sich die SDS-Polyacrylamid-Gelelektrophorese diffraction) die wichtigste Methode zur Strukturbestimmung
(SDS-PAGE). Als genauere Methoden stehen die Massen- biologischer Makromoleküle. Mehr als 90 % aller Proteinstruk-
spektrometrie und die, für den Routinebetrieb wenig geeig- turen der internationalen Proteindatenbank (pdb, protein data
nete, analytische Ultrazentrifugation zur Verfügung. bank) wurden mit Hilfe der Röntgenstrukturanalyse gelöst.
Zur schnellen Identifizierung von bekannten Proteinen
greift man oft auf den Western-Blot zurück. Zur analyti- Für eine Röntgenstrukturanalyse benötigt man
schen Auftrennung von komplexen Proteingemischen wird Einkristalle von Proteinen
häufig die zweidimensionale Elektrophorese gewählt. Pro- Um die Röntgenbeugungsdaten interpretieren zu können, benö-
teine können in einfachen Fällen aus der Position ihres tigt die Röntgenstrukturanalyse Einkristalle der zu untersu-
Flecks auf dem Gel identifiziert oder durch nachfolgende chenden Proteine. Deshalb wählt man auch oft den alternativen
Analyse durch Massenspektrometrie erkannt werden. Ausdruck Röntgenkristallographie (X-ray cristallography) zur
Die Aminosäuresequenz kleiner Polypeptide kann mit Hilfe Beschreibung der Methode. Die Kristallisation von Proteinen
des Edman-Abbaus bestimmt werden. Bei Proteinen muss stellt auch nach der Einführung von automatisierten Kristallisa-
vorher eine chemische oder enzymatische Fragmentierung tionsverfahren (»Kristallisationsrobotern«) immer noch die
durchgeführt werden. Eine moderne Methode ist die CID- größte Herausforderung auf dem Weg zur 3D-Struktur eines
MS-MS. Die höchste Zuverlässigkeit liefert die Sequenzie- Proteins dar. Proteine können spontan aus konzentrierten Prote-
rung der zugehörigen cDNA oder die rechnergestützte Su- inlösungen innerhalb von Stunden kristallisieren, die Suche nach
che von Peptidfragmenten in Genom-Datenbanken. geeigneten Kristallisationsbedingungen für ein ganz bestimmtes
Protein kann aber auch viele Jahre in Anspruch nehmen.
Bei der Kristallisation wird eine konzentrierte, nahezu gesät-
tigte Proteinlösung durch geeignete Manipulation der äußeren
6.4 Methoden zur Aufklärung der dreidimen- Bedingungen langsam in den übersättigten Zustand überführt. In
sionalen Struktur von Proteinen der Regel wird ein Tropfen der Proteinlösung auf einen Objekt-
träger gegeben, der dann umgedreht auf ein kleines Gefäß gelegt
Die genaue räumliche Struktur von Proteinen in atomarer Auf- wird (hängender Tropfen, hanging drop). Durch Dampfdiffusion
lösung kann bis heute mit ausreichender Sicherheit nur mit ex- im Gefäß verliert der Tropfen langsam Wasser, und die Protein-
perimentellen Methoden ermittelt werden. Allerdings kann die konzentration steigt. Wenn alle Bedingungen korrekt gewählt
allgemeine Faltung eines Proteins oft gut aus der Aminosäure- wurden, bilden sich schließlich in der übersättigten Lösung kleine
sequenz vorhergesagt werden, wenn die 3D-Struktur eines eng Kristallisationskeime, die durch Anlagerung weiterer Proteinmo-
verwandten Proteins bekannt ist. Zwei grundsätzlich unter- leküle langsam größer werden (. Abb. 6.11).
schiedliche Verfahren werden zur Strukturaufklärung von Pro- Allerdings tritt meistens ein konkurrierender unerwünsch-
teinen eingesetzt. Wenn das Protein in festem Zustand vorliegt, ter Prozess ein: Das Protein aggregiert ungeordnet und fällt aus
nutzt man die Streuung von Röntgenstrahlen, Neutronen und der Lösung aus, bevor sich Kristalle gebildet haben. Daher muss
Elektronen durch Proteineinkristalle zur Strukturaufklärung man in der Regel viele verschiedene Lösungsbedingungen aus-
(Röntgenkristallographie). Liegt das Protein in Lösung vor, probieren, bis man einen ausreichend großen Kristall erhält. Oft
96 Kapitel 6 · Proteine – Analytische Untersuchungsmethoden, Synthese und Isolierung

6
. Abb. 6.11 Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme eines Kristalls
der Pyruvatkinase. Der Kristall besteht aus regelmäßig im Kristallgitter
geordneten Enzymmolekülen. Auf einer Kante liegen etwa 2.000 Moleküle
nebeneinander. (Aus Hess und Sossinka 1974)

führt auch eine extensive Variation der Pufferbedingungen . Abb. 6.12 Röntgenbeugungsmuster eines Ras-Kristalls. Die Daten
wurden an einem Synchrotron mit einem 0,2×0,1×0,1 mm großen Kristall
nicht zum Ziel. In diesen Fällen versucht man, die Kristallisa-
bei einer Temperatur von 100 K und einer Wellenlänge von 0,128 nm
tionstendenz durch kleine Änderungen der Proteinoberfläche aufgenommen. (Mit freundlicher Genehmigung von I. Vetter)
zu erhöhen, die man durch gezielte Mutagenese einführt. Daher
entsprechen viele der in der Proteinstrukturdatenbank gespei-
cherten Röntgenstrukturen nicht genau dem gesuchten, natür- Diese Reflexe enthalten genug Information, um die räumlichen
lichen Zielprotein. Koordinaten aller Atome des Proteins genau zu bestimmen.
Im nächsten Schritt wird ein Einkristall auf einem Goniome- Wie jede elektromagnetische Strahlung hat auch die Rönt-
ter befestigt, einer Vorrichtung, mit der der Einkristall in der genstrahlung eine Intensität und eine Phase. Wenn nun neben
monochromatischen Röntgenstrahlung schrittweise gedreht den Intensitäten auch die Phasen aller Reflexe bekannt wären,
werden kann. Die gebeugten Röntgenstrahlen werden dann könnte man aus den Diffraktionsbildern direkt die Elektronen-
heutzutage mit einem Flächendetektor wie der CCD-Kamera verteilung des ganzen Proteins und damit auch alle Atomposi-
(CCD, charge coupled device) registriert und digitalisiert. Für tionen durch eine einfache mathematische Operation, die Fou-
eine scharfe Abbildung muss die Wellenlänge der benutzten rier-Transformation, berechnen. Leider erhält man experimen-
Strahlung der gewünschten Auflösung (kleinster Abstand, bei tell nur die Intensität der gestreuten Röntgenstrahlung, aber
der zwei Atome getrennt beobachtbar sind) entsprechen. Dies ist nicht deren Phase. Um die zur Berechnung der 3D-Struktur
schon für die im Labor genutzte charakteristische Strahlung der notwendige Phaseninformation zu erhalten, gibt es verschiedene
Kupferanode einer konventionellen Röntgenröhre der Fall, deren Ansätze. Die Standardmethode, die bei den ersten Proteinstruk-
Kα-Linie eine Wellenlänge von 0,154 nm hat. Gewöhnlich nutzt turen angewandt wurde, und auch heute noch von Bedeutung ist,
man heutzutage für die Strukturbestimmung die Synchrotron- ist der multiple isomorphe Ersatz (MIR, multiple isomorphous
strahlung, die von großen Teilchenbeschleunigern erzeugt wird. replacement). Hier erzeugt man von den Kristallen verschiedene
Wegen ihrer wesentlich größeren Luminosität (Strahlungsinten- Schwermetallderivate, indem man sie sich mit Schwermetallsal-
sität) kann man einen ganzen Datensatz in weniger als einer zen wie Uranylacetat oder Quecksilberacetat vollsaugen lässt
Stunde aufnehmen und mit viel kleineren Kristallen arbeiten. Im (soaking). Dabei wird idealerweise eines oder mehrere Schwer-
Gegensatz zur charakteristischen Strahlung einer Röntgenröhre metallatome an wohldefinierten Stellen gebunden, ohne dass die
kann man sich die Wellenlänge bei der Synchrotronstrahlung räumliche Struktur des Proteins verändert wird. Die Position der
aussuchen und arbeitet gewöhnlich bei kleineren Wellenlängen Schwermetalle im Kristall ist dann der Ausgangspunkt zur Lö-
um 1 nm. Bessere Ergebnisse scheint man bei noch kleineren sung des Phasenproblems.
Wellenlängen zu erhalten. Alternativ wird biosynthetisch Selenomethionin statt Me-
Die Streuung (Diffraktion) der Röntgenstrahlen an der Elek- thionin in das Protein eingebaut und die anomale Streuung des
tronenhülle der Proteinatome ergibt dann typische Muster von Selens bei einer oder (in schwierigen Fällen) mehreren Wellen-
Reflexen. . Abb. 6.12 zeigt ein solches Diffraktionsmuster, das längen gemessen (SAD, single-wavelength anomalous dispersion,
von einem Einkristall des Rasproteins aufgenommen wurde. Ab- MAD, multiple-wavelength anomalous dispersion). Liegt schon
hängig von der Qualität der verwendeten Kristalle enthält ein eine 3D-Struktur eines stark verwandten Proteins vor, kann man
vollständiger Satz von unter verschiedenen Winkeln aufgenom- diese Struktur zur Bestimmung von Ausgangswerten für die Pha-
men Beugungsbildern zwischen 10.000 und 100.000 Reflexe. sen verwenden (molekularer Ersatz, molecular replacement).
6.4 · Methoden zur Aufklärung der dreidimensionalen Struktur von Proteinen
97 6

. Abb. 6.13 Mehrdimensionale NMR-Spektroskopie zur Proteinstrukturbestimmung in Lösung. Links: 3D-HNCO-NMR-Spektrum des Kälteschock-
proteins Csp (cold shock protein) des hyperthermophilen Mikroorganismus Thermotoga maritima. Das Protein wurde in E. coli exprimiert und dabei mit den
stabilen Isotopen 15N und 13C angereichert. In den HNCO-Spektren werden Amidprotonen (H), der Amidstickstoff (N) und der Carbonylsauerstoff (CO) der
Peptidbindung selektiv detektiert. Eine Achse zeigt die 1H-, eine die 15N- und die dritte die 13C-Resonanzfrequenzen an, d. h. ein Signal im 3D-Spektrum
entspricht dann dem C, N und Amidproton (H) genau einer Peptidbindung im Protein. Rechts: Die NMR-Struktur von Csp ergibt eine β-Fass-Topologie, die
aus 5 β-Strängen gebildet werden. Das Kälteschockprotein wird bei Abkühlung von der optimalen Wachstumstemperatur von T. maritima von mehr als
80 °C in hoher Konzentration gebildet. (PDB ID: 1G6P)

Wenn die Kristalle eine ausreichende Qualität haben, ist die schen Bedingungen ermittelt. Es ist evident, dass natürlich kei-
Röntgenstrukturanalyse auch großer Proteine eine Routineange- ne Kristallisation der Proteine erforderlich ist. Ein Nachteil ist die
legenheit und erste Strukturen können prinzipiell schon inner- Komplexität der Strukturbestimmung selbst, die Monate oder
halb eines Tages erhalten werden. Daher ist die Kristallisation der Jahre dauern kann.
Proteine der eigentliche Engpass. Sie ist besonders schwierig für Bei der NMR-Strukturbestimmung werden die strukturab-
Membranproteine, die zur Erhaltung ihrer Struktur Membran- hängigen Wechselwirkungen der magnetischen Momente der im
lipide benötigen. Trotzdem hat man auch hier schon erhebliche Protein enthaltenen Atomkerne dazu genutzt, um eine Struktur
Fortschritte gemacht, sodass heute die Röntgenstruktur von zu berechnen. Die wichtigste Größe ist hier der Kern-Overhau-
mehr als 400 Membranproteinen bekannt ist. ser-Effekt (NOE, nuclear Overhauser effect), mit dem sich paar-
weise Abstände zwischen den Atomen bis zu maximal 0,6 nm
messen lassen.
6.4.2 NMR-Strukturbestimmung Um ein NMR-Experiment durchführen zu können, müssen
die magnetischen Momente in einem starken äußeren Magnet-
Im Jahr 1984 gelang es der Gruppe von Kurt Wüthrich, die erste feld ausgerichtet werden. Hierzu nutzt man gewöhnlich (teure)
dreidimensionale Struktur eines kleinen globulären Proteins, des supraleitende Magnete mit hohen Magnetfeldstärken, da die
Stiersperma-Proteaseinhibitors (BUSI, bull seminal proteinase Empfindlichkeit der NMR-Spektroskopie stark mit dem Magnet-
inhibitor) mit Hilfe der zweidimensionalen NMR-Spektroskopie feld zunimmt. Im Vergleich zur Röntgenkristallographie ist die
zu bestimmen. Damit wurde die NMR-Strukturbestimmung als NMR-Spektroskopie eine junge Methode, daher sind viele Berei-
eine neue Alternative zur Röntgenstrukturanalyse in die Bio- che noch in Entwicklung begriffen und nicht für den Routinebe-
chemie eingeführt. trieb optimiert.
Für die NMR-Strukturbestimmung müssen eine Reihe ver-
NMR-Spektroskopie erlaubt die Bestimmung schiedener mehrdimensionaler NMR-Spektren aufgenommen
der Struktur von Proteinen in Lösung werden (. Abb. 6.13).
Schon vor der ersten 3D-Proteinstrukturbestimmung war die Für Proteine mit Molekülmassen über 10 kDa müssen die
Kernresonanzspektroskopie (Synonyme: Kernmagnetische Proteine biosynthetisch mit den stabilen Isotopen 13C und 15N
Resonanz, NMR-(nuclear magnetic resonance)-Spektroskopie) (bei sehr großen Proteinen noch zusätzlich 2H) angereichert wer-
als eine wichtige analytische Methode in der Chemie weitverbrei- den, die in der Natur nur in geringer Häufigkeit vorkommen. Mit
tet und wurde zur Aufklärung der covalenten Struktur von Syn- einer Steigerung der Molekülmasse wird die NMR-Strukturbe-
theseprodukten routinemäßig eingesetzt. Im Gegensatz zur stimmung immer schwieriger, eine praktische Obergrenze für
Röntgenkristallographie arbeitet sie mit Proteinen im gelösten die Bestimmung einer vollständigen dreidimensionalen Struktur
Zustand. Die Proteinstruktur wird also unter quasiphysiologi- eines Proteins liegt derzeit bei etwa 100 kDa.
98 Kapitel 6 · Proteine – Analytische Untersuchungsmethoden, Synthese und Isolierung

Die meisten von DNA codierten Proteine haben eine mole- mik (proteomics) eine Aufgabe, die sich zwanglos aus der Geno-
kulare Masse in diesem Bereich. Trotzdem bleibt die Größenbe- mik (genomics) ergibt.
schränkung der Hauptnachteil der NMR-Spektroskopie, die Wie unterscheidet sich nun die Proteomik von der klassi-
Bestimmung einer Ribosomenstruktur, wie sie mit der Röntgen- schen Proteinbiochemie? Der Hauptunterschied folgt aus der
strukturanalyse gelungen ist, ist weit außerhalb dessen, was die Vollständigkeit der Daten, die im Prinzip erlaubt, ein geschlosse-
NMR derzeit leisten kann. Ein Vorteil der NMR-Strukturbestim- nes Bild aller Interaktionen der Proteine in einer Zelle zu erhal-
mung bleibt aber, dass sie im gelösten Zustand funktioniert und ten. Da nicht alle Proteine zur selben Zeit und in allen Zellen
gleichzeitig empfindlich für Bewegungsvorgänge im Protein ist. exprimiert werden, ist eine fundamentale Aufgabe der Proteo-
Die Kristallisation kann Artefakte erzeugen und muss nicht not- mik das Expressionsmuster der Proteine in bestimmten Zellen
wendigerweise das konformationelle Ensemble in der Lösung und bei bestimmten funktionellen Zuständen zu ermitteln. Für
repräsentieren. das Verständnis des Zusammenwirkens der Proteine ist auch eine
Eine neue Entwicklung ist die NMR-Strukturbestimmung im Kenntnis ihrer posttranslationalen Modifikationen erforder-
festen, nicht-kristallinen Zustand mit Hilfe der Festkörperreso- lich. Diese Informationen erlauben dann mit bioinformatischen
6 nanzspektroskopie (solid state NMR). Mit ihr ist es bereits ge- Methoden die Unterschiede verschiedener Proteome zu analy-
lungen, die ersten Strukturen von membrangebundenen Protei- sieren, um deren Rolle bei der Krankheitsentstehung oder der
nen zu bestimmen. Entwicklung individueller Besonderheiten zu verstehen. Die
funktionelle Proteomik konzentriert sich besonders auf die
Analyse des Netzwerks der Protein-Protein-Interaktionen und
Zusammenfassung deren Rolle bei der Erhaltung und Regulation der Funktionen,
Die räumliche Struktur von Proteinen wird im Wesentlichen die für das Überleben und die Vermehrung von isolierten Zellen
mit zwei verschiedenen Methoden bestimmt: und deren Organisation in Geweben und ganzen Organismen
4 Die am weitesten verbreitete Methode zur Proteinstruk- verantwortlich sind.
turbestimmung ist die Röntgenstrukturanalyse. Sie Wie wir wissen, ist für die ungestörte Funktion von Proteinen
führt schnell zum Ziel, wenn Proteineinkristalle hoher deren intakte dreidimensionale Struktur entscheidend. Deshalb
Qualität zur Verfügung stehen. Allerdings ist es oft nicht wäre auch die Kenntnis aller Proteinstrukturen von Nutzen
einfach, ausreichend gut streuende Kristalle des Zielpro- (strukturelle Proteomik). Wegen des hohen experimentellen
teins in der zur Verfügung stehenden Zeit zu erzeugen. Aufwands lässt sich dieses Ziel nicht erreichen. Deshalb versucht
4 Mit der NMR-Strukturbestimmung wird die eigentlich man in den Programmen der strukturellen Proteomik wenigs-
relevante Lösungsstruktur von Proteinen ermittelt. Sie tens alle wichtigen Faltungstopologien (7 Kap. 5.2.3) aufzuklä-
ist sehr zeitaufwendig und für große Proteine schwierig. ren, um dann mit Homologiemodellierung aus den Aminosäu-
resequenzen die 3D-Strukturen der Proteine vorhersagen zu
können. Die Proteomik ist ein Teilgebiet der zur Zeit sehr aktuel-
len Systembiologie, die alle molekularen Komponenten der Zel-
6.5 Proteombestimmung (Proteomik) le in ein funktionelles Netzwerk einordnet. Sie will damit die
lebende Zelle oder den Organismus als ganzes, miteinander ge-
Die Initiative zur Aufklärung des menschlichen Genoms hat zur koppeltes System verstehen.
Erfindung effektiver, schneller und zuverlässiger DNA-Sequen- Ein wichtiges Werkzeug der funktionellen Proteomik ist die
zierungsmethoden geführt. In der Zwischenzeit stehen uns die uns schon bekannte zweidimensionale Gelelektrophorese in
kompletten DNA-Sequenzen zahlreicher Organismen zur Verfü- Kombination mit der Massenspektrometrie (7 Kap. 6.3). Mit ihr
gung. Auf der Seite des National Center for Biotechnology Infor- lässt sich das Proteom in Zellen in interessanten funktionellen
mation (http://www.ncbi.nim.nih.gov/genome) sind derzeit Zuständen charakterisieren und in den Zellextrakten etwa
mehrere Tausend Genome von Mikroorganismen wie Staphylo- 1.000 Proteine gleichzeitig semiquantitativ erfassen.
coccus aureus, Escherichia coli, Streptococcus pyogenes, 8 Genome In jüngerer Zeit werden für die notwendige Automatisierung
von Pflanzen wie Arabidopsis thaliana (Gänserauke), Vitis vinife- der Analysen vorgefertigte Testfelder (arrays) immer häufiger
ra (Weinrebe), Zea mays (Mais), Oryza satina (Reis), 2.895 von eingesetzt, die mit der entsprechenden Computersteuerung eine
Viren und von zahlreichen Pilzen und Tieren abgespeichert. automatische Auslesung und Auswertung der Daten erlauben
19 komplette Säugergenome sind hier zugänglich, die von der (. Abb. 6.14). Miteinander wechselwirkende Proteine können in
Maus (Mus musculus) über das Rind (Bos primigenius taurus) Testfeldern identifiziert werden, auf denen rekombinant erzeug-
und den Gorilla (Gorilla gorilla) bis zum Menschen (Homo sa- te Proteine immobilisiert sind. Gibt man auf diese Testfelder ein
piens) reichen. Die Anzahl der gelösten Genome steigt weiterhin Zelllysat und wäscht dieses anschließend mit einer Pufferlösung,
schnell an. so bleiben nur die Proteine haften, die eine spezifische Interak-
tion zeigen. Sie können dann anschließend beispielsweise mas-
Die Untersuchung des Proteoms ergänzt senspektrometrisch identifiziert werden. Weitere Möglichkeiten
die Aufklärung des Genoms zur Identifikation von interagierenden Proteinen stellen Pha-
Da im Genom auch alle Proteine codiert werden, stehen uns auch gen-Display oder Hefe-Zwei-Hybrid-Analysen dar.
die Aminosäuresequenzen aller Proteine, das Proteom, zur Ver- In vielen Fällen ist es technisch einfacher, nicht das Protein
fügung. Daher ist die Untersuchung des Proteoms in der Proteo- selbst, sondern die mRNA in einem Zelllysat nachzuweisen. Statt
6.6 · Synthese von Peptiden und Proteinen
99 6

. Abb. 6.14 Standardverfahren der Proteomanalyse. Grundlage dieser Verfahren ist die Verwendung von Platten mit Vertiefungen, in die Proben einge-
bracht werden können und die als Reaktionsgefäße dienen. Die Zahl dieser Vertiefungen kann von 24 bis zu vielen Tausenden variieren. Die Detektion oder
Auslese der gewünschten Proben erfolgt im Allgemeinen mit automatisierten Verfahren. Die Verwendung von Protein-Chips mit immobilisierten Proteinen
dient vor allem der Identifikation von Protein-Protein-Wechselwirkungen. A Bei funktionellen Tests im Großmaßstab werden zelluläre Proteine in Gruppen
separiert und in die Reaktionsgefäße eingebracht. Entsprechende Bestimmungen der Proteinaktivität, z. B. der Enzymaktivität, erfolgen dann automati-
siert. B Bei Protein-Chips werden spezifische Proteine oder Proteindomänen gentechnisch hergestellt und in den Reaktionsgefäßen immobilisiert. Fügt
man dann Zell-Lysate aus Geweben oder Kulturen zu, binden die für die immobilisierten Proteine spezifischen Proteinliganden aus den Lysaten an die im-
mobilisierten Proteine. Nicht-gebundene Proteine aus den Lysaten werden entfernt, die gebundenen können anschließend isoliert und beispielsweise
durch Massenspektrometrie analysiert werden. C Auch beim Phagen-Display geht man von gentechnisch hergestellten Proteinen oder Proteindomänen
aus, die in den Reaktionsgefäßen immobilisiert werden. Diese reagieren mit Bakteriophagen, in deren Genom die cDNAs (7 Kap. 54.3) von Geweben oder
Zellen so integriert sind, dass jeweils einzelne cDNA-Moleküle als Proteinbestandteile der Phagenhülle exprimiert werden (einer sog. Phagen-cDNA-Biblio-
thek) und deswegen ggf. mit den immobilisierten Proteinen reagieren können. Nicht-gebundene Phagen werden durch Waschen entfernt, die gebun-
denen in E. coli vermehrt und anschließend die DNA-Sequenz der inserierten cDNA ermittelt

der Proteinkonzentrationen erhält man dann das Expressions- substanzen. Daneben gewinnen Peptide und Proteine als Bio-
muster der Proteine, das meistens mit dem Konzentrationsmus- pharmaka oder in diagnostischen Testansätzen in der Medizin
ter gut korreliert. Das Expressionsmuster kann mit DNA-Chips, eine zunehmende Bedeutung. Ihre Produktion kann nach ver-
auf denen kurze DNA-Stücke immobilisiert sind, leicht sichtbar schiedenen Methoden erfolgen. Bewährt hat sich für kleine Pep-
gemacht werden. Da ihre Nucleotidsequenzen zu der gesuchten tide die chemische Peptidsynthese, für größere Peptide die Fest-
mRNA komplementär sind, binden sie die gesuchte mRNA phasenpeptidsynthese und für Polypeptide aus mehr als 20 Ami-
(7 Kap. 54.1.1). Die Bindung wird gewöhnlich über eine Fluores- nosäuren die Biosynthese in vitro oder in vivo.
zenzmarkierung ausgelesen.
Ein ganz anderer Weg zur Erkennung von Protein-Protein-
Wechselwirkungen basiert auf Vorhersagen der Bioinformatik. 6.6.1 Chemische Peptidsynthese
Hat man ein Protein mit bekannter Sequenz aber unbekannter
Funktion, kann man durch eine Suche in der Proteindatenbank Für die Ausbildung einer Peptidbindung zwischen zwei Amino-
oft Proteine anderer Spezies identifizieren, deren Funktion be- säuren muss gewöhnlich die Carboxylgruppe der einen Amino-
kannt ist. Es ist dann sehr wahrscheinlich, dass auch das unbe- säure aktiviert werden. Eine Möglichkeit zur Aktivierung ist die
kannte Protein dieselbe Funktion hat und ähnliche Wechselwir- Herstellung eines Säurechlorids, das mit der Aminogruppe der
kungen mit anderen Proteinen eingeht. anderen Aminosäure reagieren kann (. Abb. 6.15). Da Amino-
säuren auch in ihren Seitenketten reaktive Gruppen enthalten
können, kann es leicht zu unerwünschten Fehlverknüpfungen
6.6 Synthese von Peptiden und Proteinen kommen. Asparagin- und Glutaminsäuren besitzen in ihren Sei-
tenketten Carboxylgruppen, Lysin eine zweite Aminogruppe.
Für die Charakterisierung von Proteinen oder Peptiden benötigt Deshalb muss man alle reaktiven Seitenketten des Peptids vor der
man die Moleküle gewöhnlich in großen Mengen und als Rein- Verknüpfungsreaktion vorübergehend mit Schutzgruppen
100 Kapitel 6 · Proteine – Analytische Untersuchungsmethoden, Synthese und Isolierung

. Abb. 6.15 Peptidsynthese durch Kopplung aktivierter Aminosäuren. Nach Aktivierung seiner Carboxylgruppe mit Thionylchlorid (SOCl2) bildet das so
entstandene Säurechlorid des Aspartats ein Dipeptid mit Phenylalanin. Die anschließende Veresterung der Carboxylgruppe mit Methanol führt zum syn-
thetischen Süßstoff Aspartam

6 blockieren, die nach erfolgreicher Peptidsynthese abgespalten Protein codiert, teilweise bekannt sein. Stammt das Protein aus
werden können. einem Organismus, dessen Genom noch nicht vollständig se-
Die Aktivierung der Aminosäuren kann leicht zur Racemi- quenziert ist, kann die DNA-Sequenz durch Ansequenzieren des
sierung am Cα-Atom führen. Die dabei entstehenden Stereoiso- gereinigten Proteins und Übersetzung der Aminosäuresequenz
mere sind gewöhnlich biologisch inaktiv. Daher muss man Akti- in eine Nucleotidsequenz ermittelt werden.
vierungsreaktionen auswählen, die die Racemisierung weitge-
hend vermeiden.
Größere Peptide werden gewöhnlich mit der automatischen Zusammenfassung
Festphasensynthese nach Merrifield gewonnen, bei der das Die Synthese von kleinen Peptiden wird mit chemischen
wachsende Peptid an eine CH2Cl-Gruppe eines Trägers aus Po- Methoden wie der Merrifield-Peptidsynthese durchgeführt.
lystyrol (beads) gekoppelt ist. Da die Carboxylgruppe der ersten Die Synthese von größeren Polypeptiden und Proteinen
Aminosäure an das Harz gebunden ist, erfolgt die Synthese vom erfolgt gewöhnlich gentechnologisch durch heterologe
C-terminalen Ende des Peptids aus. Expression der ausgewählten cDNA.

6.6.2 Gentechnische Proteinsynthese 7 Die Literaturliste finden Sie unter springer.com

Da bei der chemischen Synthese immer Fehlverknüpfungen ent-


stehen oder Reaktionen unvollständig verlaufen, häufen sich mit
der Zeit auch bei einer hohen Effektivität der einzelnen Reaktio-
nen immer mehr Nebenprodukte an. Diese können zwar über
eine HPLC-Trennung prinzipiell entfernt werden, verringern
aber die Ausbeute erheblich. Für die Synthese von größeren Pep-
tiden (mehr als 30 Aminosäuren) und Proteinen bietet sich die
gentechnologische Produktion in Bakterien (z. B. E. coli), Hefen
(z. B. Pichia pastoris), Insektenzellen oder Säugerzellen (z. B.
Ovarzellen des chinesischen Hamsters) an.
In kleineren Mengen kann man Proteine auch schnell mit der
zellfreien Proteinbiosynthese erzeugen. Hier setzt man einem
aus Zellen (E. coli, Weizenkeimlingen oder Reticulocyten) ge-
wonnenen Zelllysat die cDNA (s. u.) in einem geeigneten Vektor
zu. Das Zelllysat muss alle zur Translation notwendigen Kompo-
nenten (Ribosomen, tRNA) enthalten. Die zusätzlich notwendi-
gen niedermolekularen Komponenten wie Aminosäuren und
energiereiche Phosphate werden dann dem Ansatz beigegeben.
Die zugehörige mRNA erzeugt man durch Zusatz einer für die
Transkription der cDNA nötigen RNA-Polymerase. Die Protein-
synthese (In-vitro-Transkription/Translation) findet dann im
Reagenzglas statt.
Ganz allgemein benötigt man für all diese Methoden die
cDNA (7 Kap. 54.3) des gewünschten Proteins in einem geeigne-
ten Expressionsvektor (7 Kap. 54.2). Die cDNA gewinnt man aus
cDNA-Bibliotheken über Amplifikation mithilfe der PCR (7 Kap.
54.1.2). Dafür muss die Sequenz der DNA, die für das gesuchte

Aspartat# Phenylalanin# Aspartam#


101 7

7 Enzyme – Grundkonzepte der Biokatalyse


Thomas Kriegel, Wolfgang Schellenberger

Einleitung unverändert hervor und steht für einen neuen Katalysezyklus zur
Verfügung. Biokatalysatoren sind darüber hinaus auf allen Ebe-
Wie in 7 Kap. 4 beschrieben, kann mit Hilfe der Thermodynamik eine nen des Informationsflusses im Organismus wirksam und tragen
Voraussage über die Freiwilligkeit des Ablaufes einer biochemischen in vielfältiger Weise zur Steuerung und Koordination des Stoff-
Reaktion getroffen, nicht aber deren unerwartet hohe Geschwindigkeit wechsels der Zellen, Gewebe und Organe komplexer Organismen
erklärt werden. Erst die Entdeckung und Charakterisierung der in biolo- bei. In biologischen Systemen katalysieren Enzyme die weitaus
gischen Systemen als hochspezifische Katalysatoren wirksamen Enzyme überwiegende Zahl der biochemischen Reaktionen. Enzyme sind
lieferte eine Erklärung dieses Phänomens. Molekulare Grundlage der Proteine, deren katalytische Wirkung zu einer Erhöhung der Reak-
unübertroffenen Wirksamkeit der Biokatalysatoren ist die beeindrucken- tionsgeschwindigkeit um einen Faktor von bis zu 1017 im Vergleich
de Vielfalt und Flexibilität ihrer Proteinstrukturen. Enzyme bilden spe- zur nicht-katalysierten Reaktion führen kann (. Tab. 7.1).
zifische Bindungsstellen aus, die nicht nur eine selektive Anlagerung
und Umsetzung ihrer Substrate ermöglichen, sondern darüber hinaus Enzyme beschleunigen biochemische Reaktionen,
auch eine Anpassung der Enzymaktivität an die aktuelle Stoffwechsel- indem sie die Aktivierungsenergie erniedrigen
situation in einer Zelle gestatten. Für das Verständnis der katalytischen Wirkung von Enzymen ist
die Kenntnis derjenigen Faktoren von Bedeutung, die die Ge-
Schwerpunkte schwindigkeit einer chemischen Reaktion bestimmen. Moleküle
können nur dann erfolgreich miteinander reagieren, wenn sie in
4 Beschleunigung biochemischer Reaktionen durch Erniedri-
einer bestimmten räumlichen Orientierung zusammentreffen.
gung der Aktivierungsenergie ohne Veränderung des
Damit ein Ausgangsstoff – in der Enzymologie als Substrat (S)
Reaktionsgleichgewichtes
bezeichnet – zum Reaktionsprodukt (P) umgewandelt werden
4 Strukturelle und funktionelle Eigenschaften der Enzyme
kann, muss er darüber hinaus in einen aktivierten, d. h. in einen
4 Cofaktoren von Enzymen: Metallionen, Cosubstrate,
reaktionsfähigen Übergangszustand (S‡) überführt werden. Die
prosthetische Gruppen
energetische Barriere, die dazu überwunden werden muss, wird
4 Substratspezifität, Reaktionsspezifität und Stereospezifität
als Freie Aktivierungsenthalpie (ΔG‡) oder – vereinfacht – als
der Enzyme
Aktivierungsenergie bezeichnet. Der Betrag von ΔG‡ bestimmt
4 Mechanismen der Enzymkatalyse: Säure-Base-Katalyse,
die Geschwindigkeit der Reaktion, während von der Freien Re-
kovalente Katalyse, Metallionenkatalyse
aktionsenthalpie (ΔG) abhängt, ob die Reaktion spontan stattfin-
4 Systematische Nomenklatur und Klassifizierung der Enzyme
det oder nicht.
4 Kinetik enzymkatalysierter Reaktionen: Das Michaelis-
Die Reaktionsprofile in . Abb. 7.1 illustrieren die für eine
Menten-Modell
enzymkatalysierte Reaktion charakteristische Erniedrigung der
Aktivierungsenergie. Durch die Verbindung des Enzyms mit sei-
nem Substrat entsteht ein neuer Reaktionsweg, dessen Über-

7.1 Struktur und Funktion


der Biokatalysatoren
. Tab. 7.1 Vergleich der Geschwindigkeitskonstanten enzym-
Katalysatoren beschleunigen die Einstellung katalysierter Reaktionen (kcat) mit denen der nicht-katalysierten
chemischer Gleichgewichte, Reaktionen (k0)

ohne die Gleichgewichtslage zu beeinflussen Enzym kcat /k0 Siehe Kapitel


Die Aufklärung der Mechanismen des Stoffwechsels hat gezeigt,
dass chemische Reaktionen unter den hinsichtlich Stoffkonzen- Orotidin-5’-Phosphat-Decarboxylase 1017 30.1
tration, Temperatur, pH-Wert und Druck für biologische Syste- Adenosindesaminase 10 12 29.4, 31.2
me typischen Reaktionsbedingungen nur in Gegenwart von 11
Carboxypeptidase A 10 61.1
Katalysatoren hinreichend schnell ablaufen können. Die Wech-
9
selwirkung des Katalysators mit dem umzusetzenden Stoff stei- Triosephosphatisomerase 10 14.1
gert dessen Reaktionsfähigkeit und führt zu einer enormen Re- Carboanhydrase 10 7 61.1, 66.1, 68.2
aktionsbeschleunigung, ohne die Lage des Reaktionsgleichge-
Peptidyl-Prolyl-cis/trans-Isomerase 105 49.1
wichtes zu verändern. Der Katalysator geht aus der Reaktion

P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
102 Kapitel 7 · Enzyme – Grundkonzepte der Biokatalyse

Nach einer von Emil Fischer bereits 1894 entwickelten Mo-


dellvorstellung besitzen Enzyme eine zu ihrem Substrat komple-
mentäre Struktur (Schlüssel-Schloss-Prinzip). Für viele Enzyme
konnte jedoch gezeigt werden, dass erst durch eine substrat-
induzierte Konformationsänderung des Enzymproteins die
Reaktionspartner optimal zueinander positioniert werden. Mo-
lekulare Grundlage dieser als induced fit bezeichneten wechsel-
seitigen dynamischen Anpassung von Enzym und Substraten
(Daniel E. Koshland, Jr. 1959) ist die konformative Flexibilität
des Enzymproteins. So verursacht im Falle der Glucokinase
(7 Kap. 14.1) die Bindung der Glucose ein Umschließen des Zu-
ckersubstrates durch beide Domänen des Enzyms (. Abb. 7.2).
. Abb. 7.1 Energiediagramm einer Reaktion in Gegenwart und Abwe- Erst durch diese Konformationsänderung gelangt die γ-Phos-
senheit eines Enzyms. Die Freie Aktivierungsenthalpie (ΔG‡) bezieht sich phatgruppe des Nucleotidsubstrates (ATP) in die für den Phos-
auf die Übergangszustände S‡ bzw. ES‡ des Substrates bei dessen Umwand- phoryltransfer erforderliche Nähe zur OH-Gruppe am C6-Atom
7 lung in das Reaktionsprodukt. Das Enzym beschleunigt die Einstellung des
Reaktionsgleichgewichtes durch eine Erniedrigung von ΔG‡ (grüne Kurve).
der Glucose. Die »offene« Konformation der Glucokinase geht
dabei in eine »geschlossene« Konformation über. Gleichzeitig
Die Freie Reaktionsenthalpie (ΔG) wird durch das Enzym nicht verändert
kommt es zu einem Ausschluss von Wasser aus dem aktiven
Zentrum und damit zu einer Verhinderung der ATP-Hydrolyse.
gangszustand (ES‡) eine niedrigere Aktivierungsenergie aufweist
als derjenige der nicht-katalysierten Reaktion (S‡). Da der Über- Die Wechselwirkungen zwischen Enzym
gangszustand von Hin- und Rückreaktion derselbe ist, unter- und Substrat(en) werden im Übergangszustand
scheiden sich die Aktivierungsenergien der Hin- und Rückreak- der Reaktion optimiert
tion um den Betrag der Freien Reaktionsenthalpie (ΔG), die Die Struktur des aktiven Zentrums eines Enzyms muss nach ei-
selbst unverändert bleibt. Daraus folgt, dass Enzyme – genauso ner von Linus Pauling (1946) entwickelten Auffassung komple-
wie andere Katalysatoren – die Einstellung chemischer Gleichge- mentär zur Struktur des Substrates im Übergangszustand der
wichte beschleunigen, ohne die Gleichgewichtslage der kataly- Reaktion sein, um eine effiziente Katalyse zu ermöglichen.
sierten Reaktion zu beeinflussen (7 Kap. 4). Obwohl diese grundlegende Erkenntnis die Dynamik der
Im Reaktionsprofil einer enzymkatalysierten Reaktion treten Enzymstruktur nicht berücksichtigt, konnte an einer Vielzahl
in der Regel mehrere lokale Minima und Maxima der Freien von Beispielen gezeigt werden, dass Enzyme tatsächlich
Enthalpie auf (. Abb. 7.1). Die Minima kennzeichnen kurzle- bevorzugt den Übergangszustand des Substrates der katalysierten
bige Reaktionsintermediate, die prinzipiell isoliert werden Reaktion binden.
können. Die Maxima repräsentieren Übergangszustände von
Teilschritten der Reaktion. Der Übergangszustand mit der Übergangszustandsanaloga Die Übergangszustände der Subst-
höchsten Aktivierungsenergie (ΔG‡) bestimmt in der Regel die rate von Enzymreaktionen sind extrem kurzlebig. Sie können
Reaktionskinetik. daher weder direkt beobachtet noch isoliert werden. Dennoch
gelang es in einigen Fällen, stabile Moleküle zu konstruieren, die
Die Substrate werden im aktiven Zentrum Übergangszuständen von Substraten enzymkatalysierter Reak-
der Enzyme durch nicht-covalente tionen ähnlich sind, jedoch nicht in ein Reaktionsprodukt um-
Wechselwirkungen reversibel gebunden gewandelt werden. Man bezeichnet diese Moleküle als Über-
Das aktive (katalytische) Zentrum besteht aus gefalteten Teilen gangszustandsanaloga. Sie binden in der Regel sehr viel fester an
der Polypeptidkette des Enzyms und enthält oftmals reaktive das Enzym als dessen natürliche Substrate und bewirken so eine
Nichtproteinanteile (Cofaktoren). Die Aminosäuren des akti- starke und spezifische Hemmung der Enzymaktivität. Über-
ven Zentrums sind in der Primärstruktur (7 Kap. 5.2) des Enzym- gangszustandsanaloga werden als Enzyminhibitoren bei der
proteins oftmals weit voneinander entfernt positioniert und ge- Therapie verschiedener Erkrankungen eingesetzt (7 Kap. 9).
langen erst durch die Proteinfaltung (7 Kap. 49.1) in eine für die
Katalyse erforderliche räumliche Nähe. Aktive Zentren befinden Katalytische Antikörper Eine andere Anwendung des Konzeptes
sich vielfach in spaltenförmigen Vertiefungen oder höhlenarti- der Übergangszustände von Substraten bei Enzymreaktionen
gen Einstülpungen der Oberfläche der zumeist globulären En- besteht in der Erzeugung katalytischer Antikörper (Abzyme, ab-
zymproteine. Die Bindung der Substrate im aktiven Zentrum geleitet von antibody und enzyme). Der Begriff »Antikörper«
erfolgt durch die Ausbildung nicht-covalenter Wechselwirkun- bezeichnet vom Immunsystem erzeugte Proteine (Immunglobu-
gen (Wasserstoffbrücken, ionische Wechselwirkungen, hydro- line), die Domänen zur Bindung von körperfremden Stoffen
phobe Wechselwirkungen, van-der-Waals-Wechselwirkungen). (Antigenen) besitzen. Ähnlich wie bei Enzymen und deren Subs-
Dabei wird die Spezifität der Substratbindung von der genauen traten werden die Wechselwirkungen von Antikörpern und
Anordnung der funktionellen Gruppen des Enzyms im aktiven Antigenen durch nicht-covalente Bindungen bestimmt (7 Kap.
Zentrum bestimmt. Die Mehrzahl der Enzyme bindet zwei Sub- 70). Ein wesentlicher Unterschied zwischen Enzymen und Anti-
strate und wandelt diese in Reaktionsprodukte um. körpern besteht darin, dass Enzyme ihre Substrate bevorzugt im
7.1 · Struktur und Funktion der Biokatalysatoren
103 7
A B

. Abb. 7.2 Substratinduzierte Konformationsänderung der Glucokinase (Hexokinase IV). Die Bindung der Glucose (rot) induziert eine Schließbewe-
gung beider Domänen des Enzymproteins, die zu der für die Katalyse erforderlichen Positionierung der Substrate im aktiven Zentrum führt. Dabei geht
das Enzym von einer offenen (A) in eine geschlossene Konformation (B) über. Das Nucleotidsubstrat (ATP) ist in der Abbildung nicht dargestellt.
(PDB ID 1v4t und 1v4s)

Übergangszustand binden, während Antikörper in der Regel mit Die Mehrzahl der Cosubstrate und prosthetischen
den im Grundzustand befindlichen Antigenen interagieren. Gruppen wird aus Vitaminen gebildet
Setzt man jedoch Übergangszustandsanaloga als Antigene zur . Tab. 7.2 gibt einen Überblick über die vielfältigen biochemi-
Immunisierung ein, so können Antikörper mit katalytischer schen Funktionen der Cosubstrate und prosthetischen Gruppen.
Aktivität erzeugt werden. Katalytische Antikörper werden im Die Mehrzahl der dort aufgeführten Substanzen leitet sich von
Zusammenhang mit pathologischen Prozessen wie Autoimmu- wasserlöslichen Vitaminen ab. Da Vitamine vom Organismus
nität, Entzündung und Sepsis diskutiert. nicht synthetisiert werden können, jedoch an zentralen Stoff-
wechselprozessen unverzichtbar beteiligt sind, müssen sie mit
Eine Vielzahl von Enzymen benötigt Cofaktoren der Nahrung lebenslang aufgenommen werden (7 Kap. 58, 59).
zur Katalyse der Reaktion Das breite Funktionsspektrum der Coenzyme macht deutlich,
Cofaktoren Zahlreiche biochemische Reaktionen werden von dass bei einer häufig mehrere Vitamine betreffenden Mangel-
Enzymen unter Beteiligung niedermolekularer Substanzen – ernährung ein eher unspezifisches, jedoch schweres Krankheits-
sog. Cofaktoren – katalysiert. Zu den Cofaktoren gehören anor- bild auftreten kann.
ganische Ionen, aber auch nicht-proteinartige organische Mole-
küle, die man als Coenzyme bezeichnet. Cosubstrate sind Co- Metallionen wirken als Cofaktoren von Enzymen
enzyme, die während der Katalyse an das Enzym gebunden, Nahezu zwei Drittel aller Enzyme benötigen Metallionen als Co-
strukturell verändert und in modifizierter Form vom Enzym faktoren. Metalloenzyme enthalten Metallionen, die in einem
freigesetzt werden. Die veränderten Cosubstrate werden in einer stöchiometrischen Verhältnis fest an das Apoenzym gebunden
Folgereaktion in ihren Ausgangszustand zurückgeführt und sind. Ein typischer Vertreter der Metalloenzyme ist die Carboan-
können so erneut an der Katalyse teilnehmen. Ein herausragen- hydrase. Bei diesem Enzym ist ein an Histidinreste gebundenes
des Beispiel für ein Cosubstrat ist das an mehr als 250 Redox- Zink-Ion (Zn2+) unmittelbar in den Katalysemechanismus ein-
reaktionen beteiligte NAD+ (Nicotinsäureamidadenindinucleo- bezogen (7 Kap. 7.5). Im Unterschied zu den Metalloenzymen
tid) bzw. dessen reduzierte Form NADH. In Abgrenzung von den binden metallionenaktivierte Enzyme die Metallionen locker
Cosubstraten bezeichnet man Coenzyme, die dauerhaft – z. T. und reversibel. Die hier wirksamen Metallionen stammen vor
auch covalent – an das jeweilige Enzym gebunden sind und am allem aus der Gruppe der Alkali- und Erdalkalimetalle (Na+, K+,
Enzym regeneriert werden, als prosthetische Gruppen. Man Mg2+, Ca2+). Beispiele metallionenaktivierter Enzyme sind die
bezeichnet das Enzymprotein allein als Apoenzym, den Kom- durch Mg2+-Ionen aktivierten Restriktionsendonucleasen
plex aus Enzym und Cofaktor als Holoenzym. Die Integration (7 Kap. 54.1.1). Metallionen können darüber hinaus Enzymreak-
eines Cofaktors in das aktive Zentrum eines Apoenzyms ermög- tionen beeinflussen, indem sie durch die Bildung eines Metall-
licht oftmals erst die Katalyse bzw. erweitert das Reaktionsspek- ion-Substrat-Komplexes eine optimale Substratkonformation
trum des Enzyms. So sind die Seitenketten von Aminosäuren nur stabilisieren. So stellt der in Gegenwart von Magnesiumio-
bedingt geeignet, Elektronen zu übertragen. Oxidoreduktasen nen (Mg2+) entstehende Magnesium-ATP-Komplex (7 Abb. 4.2)
(7 Kap. 7.2) nutzen deshalb Cofaktoren wie NAD+, FMN (Flavin- das eigentliche Substrat der ATP-abhängigen Phosphotransfera-
mononucleotid), FAD (Flavinadenindinucleotid), Pterine, sen dar (7 Kap. 14.1.1). Auch als Komponenten prosthetischer
Eisen-Schwefel-Zentren oder Häm-Gruppen zur Katalyse des Gruppen wie Häm und 5’-Desoxyadenosylcobalamin (. Tab. 7.2)
Elektronentransfers. sind Metallionen an enzymatischen Reaktionen beteiligt.
104 Kapitel 7 · Enzyme – Grundkonzepte der Biokatalyse

. Tab. 7.2 Herkunft und biochemische Funktionen von Coenzymen

Coenzym Funktion(en) Korrespondierendes Enzym bzw. Reaktionsweg (Beispiel)


Vitamin

Cosubstrat

Ascorbat Redoxsystem, Hydroxylierung Ascorbat (Vitamin C) Prolylhydroxylase (7 Kap. 71.1.2)

Adenosintriphosphat (ATP) Phosphat- und Aden(os)yltransfer – Phosphofructokinase (7 Kap. 14.1.1)

Coenzym A (CoA) Acyltransfer Pantothenat Citratsynthase (7 Kap. 18.2)

Cytidindiphosphat (CDP) Transfer von Lipidbausteinen – Biosynthese von Phosphatidylcholin


(7 Kap. 22.1.1)

Difarnesylnaphthochinon γ-Carboxylierung von Glutamyl- Phyllochinon, Biosynthese von Gerinnungsfaktoren


resten Menachinon (7 Kap. 62.2.3)
(Vitamin K)
7 Nicotinsäureamid-Adenindinuc- Wasserstofftransfer Nicotinat (Niacin), Glutamatdehydrogenase (7 Kap. 26.3.2)
leotid(phosphat) (NAD+, NADP+) Nicotinsäureamid

Phosphoadenosylphospho- Sulfattransfer – Biosynthese der Proteoglykane


sulfat (PAPS) (7 Kap. 71.1.5)

S-Adenosylmethionin (SAM) Methylgruppentransfer – Biosynthese des Adrenalins (7 Kap. 37.2.2)

Tetrahydrobiopterin (THB) Wasserstofftransfer – Biosynthese des Tyrosins (7 Kap. 27.2.5)

Tetrahydrofolat (THF) C1-Gruppentransfer Folat Purinnucleotidbiosynthese (7 Kap. 29.1)

Ubichinon (CoQ) Wasserstofftransfer – Atmungskette (7 Kap. 19.1.1)

Uridindiphosphat (UDP) Saccharidtransfer – Glycogensynthase (7 Kap. 14.2.1)

Prosthetische Gruppe

5’-Desoxyadenosylcobalamin 1,2-Verschiebung von Alkylgruppen Cobalamin (Vitamin B12) Methylmalonyl-CoA-Mutase (7 Kap. 21.2.1)

Biotin CO2-Transfer (Carboxylierungen) Biotin Acetyl-CoA-Carboxylase (7 Kap. 21.2.3)

Flavinmononucleotid (FMN), Wasserstofftransfer Riboflavin (Vitamin B2) Atmungskette (7 Kap. 19.1.1)


Flavinadenindinucleotid (FAD)

Hämgruppen Elektronentransfer – Katalase (7 Kap. 20.1.1)

Lipoat Wasserstoff- und Acyltransfer Lipoat Pyruvatdehydrogenase (7 Kap. 18.2)

Pyridoxalphosphat (PALP) Transaminierung, Decarboxylierung Pyridoxin (Vitamin B6) Aspartat-Aminotransferase (7 Kap. 26.3.1)

Thiaminpyrophosphat (TPP) Oxidative Decarboxylierung Thiamin (Vitamin B1) Pyruvatdehydrogenase (7 Kap. 18.2)

Enzyme können aus mehreren identischen oder Multienzymkomplexe und multifunktionelle


nicht-identischen Polypeptidketten bestehen Enzyme vereinigen und koordinieren
Oligomere Enzyme Die Aufklärung der Struktur einer großen unterschiedliche Enzymaktivitäten
Zahl von Enzymen hat gezeigt, dass diese in vielen Fällen aus Aus der Analyse einiger Stoffwechselwege geht hervor, dass diese
mehreren Polypeptidketten bestehen und eine Oligomerstruk- durch Multienzymkomplexe katalysiert werden. Hierbei han-
tur (Quartärstruktur) ausbilden. Die als Untereinheiten (sub- delt es sich um aus verschiedenen Polypeptidketten bestehende
units) bezeichneten Polypeptidketten eines oligomeren Enzyms Proteinkomplexe, die mit allen für eine Reaktionsfolge erforder-
können identisch oder nicht-identisch sein (7 Kap. 5.2.4). Für das lichen Enzymaktivitäten ausgestattet sind. Im Falle des Pyruvat-
Verständnis der Stoffwechselregulation war die Erkenntnis be- dehydrogenase-Multienzymkomplexes (7 Kap. 18.2) kooperie-
deutsam, dass oftmals nur ein Typ der Untereinheiten oligomerer ren drei Einzelenzyme bei der oxidativen Decarboxylierung des
Enzyme Träger der katalytischen Aktivität ist, während andere Pyruvates. Demgegenüber sind bei multifunktionellen Enzy-
Untereinheiten der Steuerung der Enzymfunktion dienen. Eine men mehrere aktive Zentren auf einer Polypeptidkette lokali-
solche »Arbeitsteilung« wird auf einprägsame Weise am Aktivie- siert. So besitzt jede der Untereinheiten der homodimeren
rungsmechanismus der an der hormonellen Signaltransduktion multifunktionellen Fettsäuresynthase des Menschen alle sieben
beteiligten Proteinkinase A deutlich (7 Kap. 35.3). für die Synthese von Fettsäuren aus Malonyl-Coenzym A erfor-
derlichen Einzelenzymaktivitäten (7 Kap. 21.2.3). Eine auf diese
7.2 · Nomenklatur und Klassifizierung der Enzyme
105 7
Weise erreichte räumliche Koordination der Einzelreaktionen ist 7.2 Nomenklatur und Klassifizierung
mit wichtigen funktionellen Vorteilen verbunden: Durch die als der Enzyme
substrate channeling bezeichnete direkte Weiterleitung der Reak-
tionsprodukte auf im Reaktionsweg nachfolgende aktive Zentren Die Nomenklatur und Klassifizierung der Enzyme
eines Multienzymkomplexes oder multifunktionellen Enzyms wird durch die beteiligten Substrate und
können instabile Zwischenprodukte geschützt und Nebenreak- den Typ der katalysierten Reaktion bestimmt
tionen verhindert werden. Darüber hinaus wird die Effizienz des Enzymnomenklatur Die unüberschaubar große Zahl bekannter
katalysierten Prozesses durch die Vermeidung von Diffusions- Enzyme und ihre häufige Bezeichnung mit Trivialnamen macht
wegen erhöht. die Notwendigkeit einer systematischen Nomenklatur und Ein-
teilung deutlich. In der Biochemie findet ein von der IUBMB
Enzyme sind regulierbare substrat- und reaktions- (International Union of Biochemistry and Molecular Biology) vor-
spezifische Biokatalysatoren geschlagenes hierarchisches Nomenklatur- und Klassifizie-
Enzym-Substrat-Interaktion Im Unterschied zu den aus der Che- rungssystem Anwendung, das auf einer Beschreibung der
mie bekannten »klassischen« Katalysatoren besitzen Enzyme enzymkatalysierten Reaktion beruht. Den Nomenklaturregeln
über ihre große katalytische Effizienz hinaus weitere funktionel- entsprechend besteht der systematische Name eines Enzyms aus
le Eigenschaften, die sie als Katalysatoren für die in biologischen zwei Teilen: Der erste Namensteil gibt das Substrat (die Substra-
Systemen herrschenden Reaktionsbedingungen prädestinieren. te) an, der zweite Teil des Namens spezifiziert den Typ der kata-
Zu diesen spezifischen Fähigkeiten der Enzyme gehören: lysierten Reaktion und endet auf »-ase«.
4 die selektive Erkennung eines Substrates und die präzise Die Enzymnomenklatur soll am Beispiel der mit Trivialna-
Unterscheidung zwischen strukturell oftmals sehr ähnli- men als Hexokinasen bezeichneten Enzyme erläutert werden:
chen Substraten (Substratspezifität), Hexokinasen katalysieren die unter zellulären Bedingungen irre-
4 die Auswahl nur eines von mehreren thermodynamisch versible ATP-abhängige Phosphorylierung von D-Glucose, D-
möglichen Reaktionstypen für ein bestimmtes Substrat Fructose oder D-Mannose zum jeweiligen Hexose-6-Phosphat:
(Reaktionsspezifität) und
4 die Regulierbarkeit der Enzymaktivität als Voraussetzung ATP + D-Hexose
der Erhaltung stabiler Stoffwechselzustände (Homöostase) ADP + D–Hexose-6-Phosphat + H+ (1)
und der Stoffwechselkontrolle durch Signalstoffe.
Dementsprechend tragen Hexokinasen den systematischen Na-
Die Substratspezifität betrifft entweder das Substrat als Gesamt- men ATP:D-Hexose-6-Phosphotransferase.
molekül oder aber bestimmte Strukturelemente des Substrates.
Niedermolekulare Substrate können vom Enzym als Gesamtmo- Enzymklassifikation Zusätzlich zu ihrem systematischen Na-
lekül erkannt, gebunden und umgesetzt werden. Demgegenüber men erhalten die Enzyme eine sog. EC-Nummer (EC, Enzyme
kommt es bei makromolekularen Substraten (Proteine, Polysac- Commission), die aus vier Ziffern bzw. Zahlen besteht und in
charide, Nucleinsäuren) häufig zu einer auf spezifische Substrat- Klammern angegeben wird. Die erste Ziffer ordnet das jeweilige
strukturen begrenzten Interaktion mit dem Enzym. Enzym einer der insgesamt sechs in . Tab. 7.3 aufgeführten
Der Begriff »Stereospezifität« beschreibt die Fähigkeit eines Hauptklassen zu, die nachfolgenden Zahlen beziehen sich auf
Enzyms, selektiv zwischen den optischen Antipoden eines Subs- chemische Einzelheiten der katalysierten Reaktion und dienen
trates zu unterscheiden. So akzeptieren die Enzyme des Hexose- der laufenden Nummerierung. Die prinzipiellen Funktionen
stoffwechsels D-Hexosen, aber keine L-Hexosen, während die der Enzyme der Hauptklassen 1–6 sollen nachfolgend näher er-
Lactatdehydrogenase tierischer Organismen die Oxidation von läutert werden:
L-Lactat zu Pyruvat katalysiert, D-Lactat aber nicht als Substrat Oxidoreduktasen katalysieren Redoxreaktionen, die bei der
erkennt. Energiegewinnung durch oxidativen Substratabbau, aber auch
bei Biosynthesen eine große Rolle spielen. Viele dieser Enzyme
Enzyme können unter Erhalt ihrer katalytischen benutzen wasserstoffübertragende Coenzyme wie NAD(P)+/
Aktivität in reiner Form dargestellt werden NAD(P)H, FMN/FMNH2 oder FAD/FADH2. Trivialnamen für
Isolierung von Enzymen Das Verständnis der Funktion(en) eines Oxidoreduktasen sind Dehydrogenasen, Reduktasen, Oxidasen
Enzyms ist an die Kenntnis seiner molekularen Struktur gebun- und Hydroxylasen.
den. Die Aufklärung einer Enzymstruktur wiederum erfordert Transferasen sind Enzyme, die den Transfer einer funktio-
die Verfügbarkeit des reinen Enzymproteins. Bemerkenswerter- nellen Gruppe zwischen zwei Substraten katalysieren. Herausra-
weise kann die Mehrzahl der Enzyme ohne den Verlust ihrer gende Vertreter dieser Hauptklasse sind die als Kinasen bezeich-
katalytischen Aktivität aus verschiedensten biologischen Mate- neten Phosphotransferasen, die die Übertragung der γ-Phos-
rialien extrahiert und in reiner Form dargestellt werden. Selbst phatgruppe des ATP auf Akzeptorsubstrate katalysieren.
solche Enzyme, die normalerweise in einer Zelle in sehr geringen Hydrolasen sind insbesondere für den Abbau biologischer
Konzentrationen vorkommen, können durch gentechnische Ver- Makromoleküle bedeutsam. Sie katalysieren die hydrolytische
fahren als rekombinante Proteine erzeugt und in reiner Form für Spaltung covalenter Bindungen. Zu den Hauptklasse-3-Enzy-
biotechnologische Prozesse und therapeutische Anwendungen men gehören die Hydrolasen des Verdauungstraktes, der Blutge-
eingesetzt werden (7 Kap. 54, 55). rinnung und des Komplementsystems.
106 Kapitel 7 · Enzyme – Grundkonzepte der Biokatalyse

. Tab. 7.3 Einteilung der Enzyme in Hauptklassen (S = Substrat)

Enzymhauptklasse Reaktionstyp (vereinfacht) Beispiele

1. Oxidoreduktasen S1(red) + S2(ox) S1(ox) + S2(red) Lactatdehydrogenase (7 Kap. 14.1)


Phenylalaninhydroxylase (7 Kap. 27.2)

2. Transferasen S1 + S2 – R S1–R + S2 Hexokinase (7 Kap. 14.1)


(R = übertragbare Gruppe) Glycogensynthase (7 Kap. 14.2)

3. Hydrolasen S 1 – S 2 + H 2O S1 – H + S2 – OH Glucose-6-Phosphatase (7 Kap. 14.3)


Enteropeptidase (7 Kap. 61.1)

4. Lyasen S1 – S2 S1 + S2 Aldolase (7 Kap. 14.1)


Adenylatcyclase (7 Kap. 35.3)

5. Isomerasen S S’ UDP-Galactose-4-Epimerase (7 Kap. 16.1)


(S’ = isomere Form von S) Methylmalonyl-CoA-Mutase (7 Kap. 27.2)

7 6. Ligasen S1 + S2 + X* S1–S2 + X Pyruvatcarboxylase (7 Kap. 14.3)


(X*: energiereiche Verbindung) Glutaminsynthetase (7 Kap. 27.1)

Lyasen katalysieren die nicht-hydrolytische (und nicht-oxi- nelle Veränderungen der Prä-mRNA (7 Kap. 46.3.3 und 47.2)
dative) Spaltung bzw. Ausbildung covalenter Bindungen ohne zurückgeführt werden kann. Multiple Enzymformen, die auf-
Beteiligung von ATP oder anderen Verbindungen mit hohem grund von Allelvariationen desselben Genlocus (DNA-Polymor-
Gruppenübertragungspotenzial. Charakteristisch für Lyasen ist phismen) oder infolge covalenter Modifikationen von Enzym-
die Teilnahme von zwei Substraten an der Hinreaktion und nur proteinen entstehen, werden nicht als Isoenzyme bezeichnet.
einem Substrat an der Rückreaktion bzw. umgekehrt. Isoenzyme katalysieren die gleiche Reaktion, weisen in der Regel
Isomerasen katalysieren die Umwandlung isomerer Formen jedoch unterschiedliche funktionelle Eigenschaften auf. Die Aus-
von Substraten ineinander. Vertreter der Hauptklasse-5-Enzyme bildung charakteristischer Expressionsmuster von Isoenzymen
sind die Racemasen, Epimerasen und cis/trans-Isomerasen, aber im Verlaufe der Individualentwicklung sowie das Vorkommen
auch die intramolekularen Transferasen (Mutasen). unterschiedlicher Isoenzyme in verschiedenen Zellen und Zell-
Ligasen katalysieren die Ausbildung covalenter Bindungen kompartimenten tragen zur Differenzierung und Entwicklung
und sind vor allem an Biosynthesen beteiligt. Die Ligation geht des Organismus und dessen Anpassung an unterschiedliche
immer mit der Hydrolyse von ATP oder einer anderen Verbin- Stoffwechselerfordernisse bei.
dung mit hohem Gruppenübertragungspotenzial einher. Ligasen Isoenzyme entstehen häufig durch die Assemblierung
werden gelegentlich auch als Synthetasen bezeichnet. unterschiedlicher Typen von Polypeptidketten. Ein medizinisch
bedeutsames Beispiel hierfür ist die im Serum des Menschen in
fünf verschiedenen Formen vorkommende Lactatdehydroge-
7.3 Multiple Formen von Enzymen nase (LDH). Die LDH-Isoenzyme bestehen aus jeweils vier
Untereinheiten, von denen jede eine Molekularmasse von etwa
Die Verfeinerung der biochemischen Analytik führte zu der Er- 32 kDa besitzt. Die Aufklärung der Tetramerstruktur der LDH
kenntnis, dass eine große Zahl von Enzymen in multiplen For- ergab, dass die Entstehung der Isoenzyme die Folge einer Kombi-
men vorkommt. Mit diesem Begriff wird die Existenz molekular nation der durch das LDH-A-Gen codierten Polypeptidketten
unterschiedlicher Formen des gleichen Enzyms in einer Spezies vom M-Typ (abgeleitet von Muskel) und der durch das LDH-B-
beschrieben, die sich funktionell wesentlich voneinander unter- Gen codierten Polypeptidketten vom H-Typ (abgeleitet von Herz)
scheiden können. Das Vorkommen multipler Enzymformen ist (. Tab. 7.4). Während die Expression des LDH-B-Gens
kann das Resultat einer unterschiedlichen genetischen Codie- konstitutiv erfolgt, wird die Transkription des LDH-A-Gens
rung, co- bzw. posttranskriptioneller Veränderungen der Prä- durch Hypoxie induziert.
mRNA (7 Kap. 47.2.3, 47.2.4) oder aber die Folge covalenter Wegen ihrer unterschiedlichen Nettoladung lassen sich die
Modifikationen des Enzymproteins sein (7 Kap. 49.3). LDH-Isoenzyme mittels Elektrophorese voneinander trennen
und nachfolgend quantifizieren. Veränderungen der Gesamt-
Isoenzyme katalysieren trotz struktureller aktivität und des relativen Verhältnisses der LDH-Isoenzyme im
Unterschiede die gleiche Reaktion Blut sind bei verschiedenen Erkrankungen von klinischer Bedeu-
Eine wichtige Gruppe von Enzymen, die in multiplen Formen tung. Eine LDH-Analytik wird im Rahmen der Diagnostik der
vorkommen, sind die Isoenzyme. Der Isoenzymbegriff bezeich- hämolytischen und megaloblastären Anämie (7 Kap. 68.3) sowie
net diejenigen multiplen Formen eines Enzyms in einer Spezies, bei Erkrankungen der Skelettmuskulatur und der Leber durch-
deren Existenz auf eine Codierung durch unterschiedliche Gene geführt.
(die in vielen Fällen durch Genduplikation und divergente Evo-
lution entstanden sind) und/oder auf co- bzw. posttranskriptio-
7.5 · Mechanismen der Enzymkatalyse
107 7
7.4 Ribozyme
. Tab. 7.4 Isoenzyme der Lactatdehydrogenase
Ribozyme sind RNA-Moleküle mit
Isoenzym Oligomer- Vorkommen Referenz-
katalytischer Aktivität
struktur bereich (%)1
Die Mehrzahl der Biokatalysatoren sind Enzyme. Der Begriff
LDH-1 HHHH Herzmuskel, Erythro- 15–23 »Ribozym« bezeichnet RNA-Moleküle, die im Stoffwechsel der
cyten, Niere Nucleinsäuren und Proteine als Biokatalysatoren wirksam sind.
LDH-2 HHHM Herzmuskel, Erythro- 30–39 Obgleich sich ihre katalytische Wirkung auf wenige Reaktions-
cyten, Niere typen beschränkt, sind Ribozyme für eine normale Funktion des
LDH-3 HHMM Milz, Lunge, Lymph- 20–25 Zellstoffwechsels unverzichtbar. Ribozym-RNA kann mit Prote-
knoten, Thrombocyten, inen zu Ribonucleoproteinpartikeln assoziieren, die u. a. als Be-
Endokrine Drüsen standteil des Spliceosoms bei der Reifung der Prä-mRNA die
LDH-4 HMMM Leber, Skelettmuskel 8–15 Bildung und Spaltung von Phosphorsäurediesterbindungen
(7 Kap. 46.3.3) oder als Teil der großen ribosomalen Untereinheit
LDH-5 MMMM Leber, Skelettmuskel 9–14
die Ausbildung von Peptidbindungen bei der Proteinbiosynthese
1 Prozentualer Anteil an der LDH-Gesamtaktivität in Serum und Plasma. katalysieren (7 Kap. 48.2). In Analogie zur Entstehung der funk-
tionalen Raumstruktur eines Enzyms durch Proteinfaltung
(7 Kap. 49.1) hängt auch die katalytische Aktivität eines Ribo-
zyms von einer korrekten Faltung seiner Polyribonucleotidkette
Covalente Modifikation von Enzymen Multiple Formen von En- in eine wirksame dreidimensionale Struktur ab.
zymen können auch durch eine co- und/oder posttranslationale
covalente Modifikation des Enzymproteins entstehen. Die jewei-
lige Modifikation kann zellphysiologisch reversibel oder irrever- 7.5 Mechanismen der Enzymkatalyse
sibel sein (7 interkonvertierbare Enzyme und limitierte Proteolyse
7 Kap. 8.5). Da keine unterschiedliche genetische Codierung und Die katalytische Aktivität der Enzyme beruht
keine co- bzw. posttranskriptionelle Veränderung der Prä-mRNA auf spezifischen Katalysemechanismen
zugrunde liegt, handelt es sich bei den auf diese Weise entstehen- Nach Linus Pauling (1946) ist die bevorzugte Bindung des Subst-
den multiplen Enzymformen nicht um Isoenzyme. rates im Übergangszustand eine entscheidende Voraussetzung für
die große katalytische Effizienz eines Enzyms. Die Wechselwir-
Moonlighting-Enzyme sind Stoffwechselenzyme kungen der reaktiven Seitenketten der Aminosäuren und der Co-
mit zusätzlichen Funktionen faktoren im aktiven Zentrum mit dem jeweiligen Substrat können
Die Benennung von Enzymen nach dem Typ der katalysierten dabei sehr verschiedenartig sein. Während des katalytischen Pro-
Reaktion ist Ausdruck einer »Ein-Gen-ein-Protein-eine- zesses kommt es zur Ausbildung von Wasserstoffbrücken, ioni-
Funktion«-Vorstellung, die sich in einer zunehmenden Zahl von schen Wechselwirkungen, hydrophoben Wechselwirkungen, van-
Fällen als zu einfach erwiesen hat. Moonlighting (to moonlight – der-Waals-Wechselwirkungen und temporär-covalenten Bindun-
»eine Nebenbeschäftigung ausüben«) ist ein Begriff, der in der gen zwischen dem Enzym und dem Substrat. Der Vielzahl dieser
Enzymologie dafür steht, dass ein Enzym verschiedene katalyti- Interaktionsmöglichkeiten entspricht die Vielfalt der Katalyse-
sche Funktionen erfüllt oder neben seiner Funktion als Biokata- mechanismen. Bei formaler Betrachtung können drei grundle-
lysator andere Funktionen im Organismus ausübt. Multifunk- gende Mechanismen unterschieden werden:
tionelle Enzyme wie die Fettsäuresynthase (7 Kap. 21.2.3) werden 4 Metallionenkatalyse
nicht als Moonlighting-Enzyme bezeichnet. 4 Säure-Base-Katalyse
Das Moonlighting von Enzymen geht oftmals mit einer Ver- 4 covalente Katalyse
änderung der Lokalisation des Enzyms in der Zelle oder im Or-
ganismus einher oder ist an eine bestimmte Oligomerstruktur Metallionenkatalyse Zu den vielfältigen Wirkmechanismen
gebunden. Ein typischer Vertreter der Moonlighting-Enzyme ist der Metallionen gehören die Stabilisierung bzw. Abschirmung
die Glucose-6-Phosphatisomerase, die intrazellulär die reversib- negativer Ladungen und die Aktivierung von Wassermolekü-
le Umwandlung von Glucose-6-Phosphat in Fructose-6-Phos- len, aber auch die reversible Aufnahme von Elektronen bei
phat katalysiert (7 Kap. 14.1.1), während das von verschiedenen Redoxreaktionen und die Induktion einer optimalen Substrat-
Zelltypen sezernierte Protein extrazellulär als Cytokin wirkt konformation wie bei der Bildung des Magnesium-ATP-Kom-
(7 Kap. 34.2). Demgegenüber katalysieren unterschiedliche oli- plexes (7 Kap. 4.3). Ein gut untersuchtes Beispiel für die Beteili-
gomere Formen der Glycerinaldehyd-3-Phosphatdehydrogenase gung von Metallionen an der Biokatalyse ist die reversible
(GAPDH) unterschiedliche Reaktionen in verschiedenen Kom- Hydratisierung von CO2 zu Hydrogencarbonat (Bicarbonat)
partimenten derselben Zelle: Das tetramere Enzym katalysiert durch das zinkabhängige Enzym Carboanhydrase (7 Kap.
im Cytosol eine Reaktion der Glycolyse (7 Kap. 14.1.1), die mo- 61.1.2, 66, 68, 72):
nomere GAPDH hingegen ist im Zellkern als Uracil-DNA-Gly-
cosylase an der DNA-Basenexcisionsreparatur beteiligt (7 Kap. CO2 + H2O HCO3– + H+ (2)
45.2).
108 Kapitel 7 · Enzyme – Grundkonzepte der Biokatalyse

Serinproteasen kombinieren Säure-Base-Katalyse


und covalente Katalyse
Kombinierte Katalysemechanismen Die Serinproteasen gehören
zu einer weit verbreiteten Familie von Enzymen, die die Hydro-
lyse von Peptidbindungen in Proteinen und Peptiden katalysie-
ren. Serinproteasen besitzen in ihrem aktiven Zentrum einen
Serinrest, der eine entscheidende Rolle bei der Katalyse der pro-
teolytischen Reaktion spielt. Vertreter der Serinproteasen sind
verschiedene Enzyme der Proteinverdauung (7 Kap. 61), der
Blutgerinnung und der Fibrinolyse (7 Kap. 69.1.5), aber auch das
prostataspezifische Antigen (PSA). Der Katalysemechanismus
der exemplarisch ausgewählten Serinprotease Chymotrypsin ist
eine Kombination von Säure-Base-Katalyse und covalenter Ka-
talyse. . Abb. 7.4A gibt einen Einblick in die Architektur und
Funktion des aktiven Zentrums dieses Enzyms. Funktionell be-
7 . Abb. 7.3 Katalysemechanismus der Carboanhydrase (Metallionen-
deutsam sind neben dem namensgebenden Serinrest 195 die
katalyse). Im aktiven Zentrum entsteht an dem durch drei Histidinreste und
Seitenketten von Histidin 57 und Aspartat 102. Diese Aminosäu-
ein Wassermolekül komplexierten Zink-Ion ein reaktionsfähiges Hydroxyl- ren bilden die sog. katalytische Triade, die trotz einer immensen
anion. Die Bildung des Bicarbonats erfolgt ohne intermediäre Entstehung strukturellen Variabilität ein streng konserviertes Strukturmotiv
und Dissoziation von Kohlensäure (H2CO3) aller Serinproteasen darstellt.
Durch den nucleophilen Angriff des (partiell) deprotonier-
ten Serinrestes 195 auf den Carbonylkohlenstoff der zu spalten-
Der in . Abb. 7.3 dargestellte Katalysemechanismus der Carbo- den Peptidbindung (. Abb. 7.4B) entsteht ein »tetraedrischer
anhydrase illustriert die Wirkung des proteingebundenen Zink- Übergangszustand« (»I« in . Abb. 7.4C), aus dem das C-termi-
Ions als Lewis-Säure. Das Substrat CO2 wird so positioniert, dass nale Substratfragment R2-NH2 freigesetzt wird. Gleichzeitig ent-
ein Angriff des Hydroxylanions auf dessen C-Atom erfolgen kann. steht durch die covalente Bindung des N-terminalen Substrat-
Der Enzym-Zink-Substrat-Komplex wird durch Wasser unter fragmentes an Serin 195 ein covalentes Reaktionszwischenpro-
Freisetzung von HCO3– gespalten. Das im ersten Reaktionsschritt dukt, das als Acylenzym-Intermediat bezeichnet wird (covalen-
entstandene und temporär an einen Histidinrest (nicht gezeigt) te Katalyse). Nach Bindung eines Wassermoleküls und erneuter
gebundene Proton wird infolge einer Konformationsänderung Ausbildung eines tetraedrischen Übergangszustandes (»II« in
freigesetzt und damit das aktive Zentrum regeneriert. . Abb. 7.4C) wird das N-terminale Substratfragment R1-COOH
als zweites Produkt freigesetzt.
Säure-Base-Katalyse Bei diesem Katalysemechanismus fungie- Histidin 57 wirkt während der Katalyse alternierend als Pro-
ren Seitenketten von Aminosäuren im aktiven Zentrum als tonenakzeptor und -donor, indem sein Imidazolrest zunächst
Brønsted-Säure oder Brønsted-Base, indem sie Protonen rever- das Proton der Hydroxylgruppe von Serin 195 auf das C-termi-
sibel abgeben oder aufnehmen. Zu den beteiligten Aminosäuren nale Substratfragment unter Entstehung von R2-NH2 und nach-
gehören neben dem häufig anzutreffenden Histidin auch Cys- folgend ein Proton des Wassermoleküls auf den deprotonierten
tein, Tyrosin und Lysin. Auch Cofaktoren können hierbei als Serinrest 195 überträgt (Säure-Base-Katalyse). Damit wird das
Protonenakzeptoren oder -donatoren wirken. Das Prinzip der aktive Zentrum des Chymotrypsins regeneriert. Die Funktion
Säure-Base-Katalyse ist im Abschnitt »Kombinierte Katalyse- der β-Carboxylatgruppe von Aspartat 102 besteht in einer Stabi-
mechanismen« am Beispiel der Serinproteasen beschrieben und lisierung des Imidazoliumions des Histidins 57 durch die Ausbil-
illustriert (. Abb. 7.4). dung einer Wasserstoffbrücke (. Abb. 7.4B). Die Bedeutung die-
ser Interaktion wird eindrucksvoll durch das Ergebnis einer
Covalente Katalyse Charakteristisch für die covalente Katalyse »ortsgerichteten« Mutagenese verdeutlicht, bei der Aspartat 102
ist die vorübergehende Ausbildung einer covalenten Bindung durch Asparagin ersetzt wurde: Infolge der Mutation kam es zu
zwischen einer funktionellen Gruppe des Enzyms und dem Sub- einer Abnahme der katalytischen Aktivität des Chymotrypsins
strat: Es entsteht ein covalentes Reaktionsintermediat. Struktu- auf 0,01 % der Ausgangsaktivität.
relle Grundlage der covalenten Katalyse sind nucleophile Grup-
pen – z. B. Serinreste – im aktiven Zentrum des Enzyms. Exem-
plarisch kann erneut der Katalysemechanismus der Serinprotea- 7.6 Definition, Maßeinheiten
sen genannt werden, der ein covalentes Reaktionsintermediat und Bestimmung der Enzymaktivität
einschließt (. Abb. 7.4). An der Ausbildung covalenter Bindun-
gen zwischen Enzym und Substrat können auch Cofaktoren be- Die katalytische Aktivität eines Enzyms (Enzymaktivität) ist der
teiligt sein. Ein Beispiel hierfür ist die Funktion von Pyridoxal- quantitative Ausdruck der Geschwindigkeit der durch das En-
phosphat bei Transaminierungsreaktionen (7 Kap. 26.3.1). zym beschleunigten Umwandlung von Substrat in Produkt. Alle
Maßeinheiten der Enzymaktivität leiten sich daher von den
Basiseinheiten der Reaktionsgeschwindigkeit ab.
7.6 · Definition, Maßeinheiten und Bestimmung der Enzymaktivität
109 7
A B

. Abb. 7.4 Struktur und Katalysemechanismus der Serinprotease Chymotrypsin. A Raumstruktur des Chymotrypsins (Bändermodell). Das Enzym
besteht aus drei Polypeptidketten, die durch Disulfidbrücken miteinander verbunden sind. Die Aminosäuren Histidin 57, Aspartat 102 und Serin 195 (rot)
bilden die katalytische Triade im aktiven Zentrum der Protease. (PDB ID 4CHA). B Reversible Verschiebung von Elektronen und Protonen innerhalb der
katalytischen Triade (Säure-Base-Katalyse). C Hydrolyse der Peptidbindung in zwei Schritten unter Ausbildung eines Acylenzym-Intermediates (covalente
Katalyse). E-OH: Hydroxylgruppe des Serinrestes 195

Die Enzymaktivität wird in Enzymeinheiten net. Eine übliche Maßeinheit ist Unit pro Milliliter (U/ml) bzw.
oder in Katal angegeben Katal pro Liter (kat/l). In der klinisch-chemischen Laborato-
Maßeinheiten der Enzymaktivität Die traditionelle Maßeinheit riumsdiagnostik kommt der Bestimmung der katalytischen
der Enzymaktivität ist die Enzymeinheit (unit, U), die gelegent- Aktivitätskonzentration verschiedenster Enzyme in Körperflüs-
lich auch als »Internationale Einheit« (international unit, IU) sigkeiten eine herausragende Bedeutung zu (7 Kap. 9.2).
bezeichnet wird. Eine Enzymeinheit ist definiert als diejenige
Enzymmenge (genauer: Enzymaktivitätsmenge), die den Umsatz Spezifische katalytische Aktivität Die Bestimmung der katalyti-
von 1 Mikromol Substrat in Produkt in einer Minute (μmol/min) schen Aktivitätskonzentration ist zur molekular-funktionellen
katalysiert. In Übereinstimmung mit dem internationalen met- Charakterisierung eines Enzyms notwendig, aber nicht ausrei-
rischen Einheitensystem (frz. Système International d’Unites, SI) chend, da sie sich auf die Lösung des Enzyms, nicht aber auf das
wird empfohlen, das Katal (kat) als Maßeinheit der Enzymakti- Enzym selbst bezieht. Der Quotient aus katalytischer Aktivitäts-
vität zu verwenden. Ein Katal entspricht derjenigen Enzymakti- konzentration und Proteinkonzentration wird als spezifische
vitätsmenge, die den Umsatz von 1 Mol Substrat in Produkt in katalytische Aktivität (kurz: spezifische Aktivität) bezeichnet.
einer Sekunde (mol/s) katalysiert. Die Maßeinheit der spezifischen katalytischen Aktivität ist Unit
Für viele Anwendungen ist es zweckmäßig, die Messung der pro Milligramm (U/mg) bzw. Katal pro Kilogramm (kat/kg).
Enzymaktivität unter definierten Reaktionsbedingungen hin- Die Interpretation einer spezifischen katalytischen Aktivität
sichtlich Substratkonzentration, Temperatur, pH-Wert u. a. erfordert eine differenzierende Betrachtung, da zwischen Pro-
durchzuführen. Während in der experimentellen Enzymologie teinkonzentration und Enzymkonzentration ein erheblicher
die Messung von Enzymaktivitäten nicht zuletzt aus Praktikabi- Unterschied bestehen kann. Wird die Lösung eines reinen
litätsgründen oftmals bei Temperaturen von 25 °C oder 30 °C Enzyms analysiert, kann der Quotient aus katalytischer Aktivi-
erfolgt, ist in der klinisch-chemischen Laboratoriumsdiagnostik tätskonzentration und Proteinkonzentration als ein für das je-
eine Messtemperatur von 37 °C vorgeschrieben. weilige Enzym spezifischer Funktionsparameter betrachtet wer-
den. Demgegenüber erlaubt die Kenntnis einer spezifischen
Die Enzymaktivität kann auf das Volumen, katalytischen Aktivität keinen unmittelbaren Rückschluss auf die
die Proteinkonzentration oder die Enzym- katalytische Wirksamkeit des Enzyms, wenn die zur Aktivitäts-
konzentration bezogen werden bestimmung eingesetzte Enzymlösung neben dem jeweiligen
Katalytische Aktivitätskonzentration Die auf die Volumenein- Enzym weitere Proteine enthält. Ein solcher Fall liegt typischer-
heit einer Enzymlösung bezogene Enzymaktivität wird als kata- weise bei der Analyse eines Zellextraktes oder bei der Unter-
lytische Aktivitätskonzentration oder Volumenaktivität bezeich- suchung einer Blutprobe vor.
110 Kapitel 7 · Enzyme – Grundkonzepte der Biokatalyse

Die spezifische katalytische Aktivität wird routinemäßig zur A


Kontrolle des Verlaufes der Reinigung von Enzymen bestimmt.
Da das Wesen einer Enzymreinigung in der Abtrennung uner-
wünschter Begleitproteine besteht, vergrößert sich der Anteil des
Zielenzyms am Gesamtprotein mit dem Fortschreiten der Reini-
gungsprozedur. Dieser angestrebte Effekt kann anhand einer Zu-
nahme der spezifischen katalytischen Aktivität erkannt werden.

Molare katalytische Aktivität Der Quotient aus katalytischer Ak-


tivitätskonzentration und molarer Enzymkonzentration wird als
molare katalytische Aktivität bezeichnet. Mögliche Maßeinhei-
ten sind Katal pro Mol (kat/mol) oder 1/s. Die molare katalyti-
sche Aktivität gibt die Anzahl der Substratmoleküle an, die in
einer Sekunde von einem Enzymmolekül in Produkt umgewan-
delt werden. Dementsprechend kann die molare katalytische
7 Aktivität auch als molekulare katalytische Aktivität bezeichnet
werden. Dividiert man die molare katalytische Aktivität durch
die Anzahl der aktiven Zentren eines Enzymmoleküls, so erhält
B
man die Wechselzahl (turnover number), die den Substratumsatz
auf ein aktives Zentrum bezieht.

Enzyme können durch die Bestimmung ihrer


katalytischen Aktivität identifiziert,
quantifiziert und charakterisiert werden
Enzymkonzentration und Enzymaktivität Die Bestimmung der
Konzentration eines Enzyms in einer biologischen Flüssigkeit ist
mit klassischen physikochemischen Methoden wegen des oft-
mals sehr geringen Enzymgehaltes und wegen der begrenzten
Spezifität der analytischen Verfahren problematisch. Unspezifi-
. Abb. 7.5 Funktionsprinzip des optischen Tests. A UV-Absorptionsspek-
sche Methoden zur Messung der Proteinkonzentration (7 Kap. 6) tren und Cosubstratfunktionen von NAD+/NADH und NADP+/NADPH. B Akti-
kommen für die Bestimmung von Enzymkonzentrationen nicht vitätsbestimmung einer NADH-abhängigen Dehydrogenase. Die Extinktion
in Betracht, da sie zwischen verschiedenen Proteinen nicht zu bei 340 nm nimmt infolge der Bildung von NAD+ ab. Die Extinktionsände-
unterscheiden vermögen. Andererseits lässt die spezifische Be- rung pro Zeiteinheit (ΔE/min) ist der im Reaktionsansatz vorhandenen En-
zymmenge (angegeben in µl der eingesetzten Enzymlösung) proportional
stimmung der Konzentration eines Enzyms mit Hilfe hochsensi-
tiver immunologischer Methoden keinen Rückschluss auf die
katalytische Wirksamkeit des Enzyms zu, da auf diese Weise das
Enzymprotein, nicht aber dessen katalytische Aktivität erfasst des geschilderten Messprinzips auf die Bestimmung der Enzym-
wird. Daher bestimmt man anstelle der Enzymkonzentration die aktivität NAD+/NADH- oder NADP+/NADPH-abhängiger Oxi-
katalytische Aktivität eines Enzyms, indem man die Geschwin- doreduktasen dar. Da sich die optischen Eigenschaften von
digkeit der durch das Enzym katalysierten Reaktion ermittelt. NADH und NADPH durch eine spezifische Lichtabsorption bei
Diese Geschwindigkeit ist in der Regel der Anzahl der katalytisch einer Wellenlänge von 340 nm (Absorptionsmaximum) von de-
aktiven Enzymmoleküle und damit deren Konzentration pro- nen des NAD+ und NADP+ unterscheiden, lassen sich Änderun-
portional. gen der Konzentrationen der oxidierten bzw. reduzierten Formen
dieser Cosubstrate photometrisch leicht ermitteln. Beispielge-
Bestimmung der Enzymaktivität Hierzu ist die Messung des Subs- bend ist in . Abb. 7.5 die Anwendung des optischen Tests zur
tratverbrauches oder die Ermittlung der Produktbildung pro Bestimmung der katalytischen Aktivität einer NADH-abhängi-
Zeiteinheit erforderlich. In der Praxis hat sich die spektralpho- gen Dehydrogenase dargestellt. Die Abnahme der Extinktion ist
tometrische Bestimmung der Substrat- oder Produktkonzen- dem Verbrauch von NADH proportional und spiegelt damit den
tration auf der Grundlage des Lambert-Beer’schen Gesetzes zeitlichen Verlauf oder die Kinetik der enzymkatalysierten Reak-
durchgesetzt. Voraussetzung für die Anwendung dieser Metho- tion wider. Das Messprinzip wird daher auch als kinetisch-opti-
dik ist eine spezifische Absorption von monochromatischem scher Test bezeichnet.
Licht durch ein Substrat oder ein Produkt der Reaktion. Die En-
zymaktivität kann dann aus der gemessenen Extinktionsände- Gekoppelter optischer Test Die Anwendbarkeit des optischen
rung pro Zeiteinheit berechnet werden. Tests ist nicht auf NAD+/NADH- und NADP+/NADPH-abhän-
gige Enzyme begrenzt. Durch eine funktionelle Kopplung der
Optischer Test Der von Otto H. Warburg 1936 in die biochemi- Reaktion, die durch das zu charakterisierende Enzym katalysiert
sche Analytik eingeführte »optische Test« stellt die Anwendung wird, mit einer nachgeschalteten enzymatischen Indikatorreak-
7.7 · Michaelis-Menten-Gleichung
111 7
tion, an der NAD(P)+ oder NAD(P)H als Cosubstrat beteiligt
ist, kann die Aktivität einer Vielzahl von Enzymen bestimmt
werden, die selbst keine Oxidoreduktasen sind. Ein solcher
»gekoppelter optischer Test« liegt der in der Leberfunktions-
diagnostik häufig durchgeführten Bestimmung der Aktivität
der Alanin-Aminotransferase (ALAT; Gleichung 3) im Blut mit
Lactatdehydrogenase (LDH; Gleichung 4) als Indikatorenzym
zugrunde:

L-Alanin + α-Ketoglutarat Pyruvat + L-Glutamat (3)

Pyruvat + NADH + H+ L-Lactat + NAD+ (4)

Sind die Substrate der Alanin-Aminotransferase (Gleichung 3)


sowie das Indikatorenzym (LDH) und sein reduziertes Cosubs-
trat (NADH) im Überschuss vorhanden, so ist die Geschwindig-
keit der NADH-Oxidation nur von der Geschwindigkeit der . Abb. 7.6 Entstehung eines Fließgleichgewichtes während einer
Bereitstellung des Substrates der Lactatdehydrogenase (Pyruvat) enzymkatalysierten Reaktion. In der als pre-steady state bezeichneten
und damit von der katalytischen Aktivität der Alanin-Amino- Reaktionsphase erfolgt der Aufbau des Enzym-Substrat-Komplexes (ES),
transferase abhängig. dessen Konzentration im Fließgleichgewicht (steady state) nahezu konstant
bleibt. Im Fließgleichgewicht nimmt die Produktkonzentration [P] linear zu
Der (gekoppelte) optische Test besitzt wegen seiner breiten
(infolge der halblogarithmischen Darstellung ergibt sich ein exponentieller
Anwendbarkeit und großen Spezifität eine herausragende Be- Kurvenverlauf ). Die Konzentrationen des freien Enzyms [E] und des Enzym-
deutung für Enzymaktivitätsbestimmungen sowie für die enzy- Substrat-Komplexes [ES] sind überproportional dargestellt
matische Bestimmung von Metabolitkonzentrationen in biologi-
schen Flüssigkeiten (7 Kap. 9).

Die Untersuchung der Kinetik enzymkatalysierter Reaktionen


7.7 Michaelis-Menten-Gleichung erfolgt oft unter sog. Initialbedingungen. Hierbei wird die
Reaktion in einem Zeitfenster analysiert, in dem der Substrat-
Die Geschwindigkeit einer enzymkatalysierten verbrauch und die Produktbildung noch so gering sind, dass die
Reaktion wird durch die Konzentrationen des Enzyms Entstehung des Enzym-Substrat-Komplexes aus Produkt und
und des Substrates bestimmt Enzym vernachlässigt werden kann. Unter diesen Bedingungen
Enzymkinetik Die Reaktionsgeschwindigkeit (V) ist allgemein ist die Reaktionsgeschwindigkeit der Konzentration des Enzym-
definiert als die Veränderung der Substrat- oder Produktkonzen- Substrat-Komplexes proportional:
tration pro Zeiteinheit:
V = k+2 · [ES] (7)
d[P] d[S]
V= =− (5)
dt dt Die in Gleichung 7 enthaltene Konzentration des Enzym-
Substrat-Komplexes ist nicht direkt messbar. Unter der Annahme
Häufig wird bei Enzymreaktionen eine hyperbole Abhängigkeit eines Fließgleichgewichtes (steady state) in Bezug auf ES (. Abb.
der Reaktionsgeschwindigkeit von der Substratkonzentration 7.6) kann man jedoch eine Gleichung ableiten, die die Konzen-
beobachtet. Zur Erklärung dieser Beobachtung wurde von tration des Komplexes als Funktion der Konzentrationen des
Leonor Michaelis und Maud Leonora Menten ein einfaches ma- Substrates und des Enzyms ausdrückt. Für den Enzym-Substrat-
thematisches Modell entwickelt, das die hyperbole Kinetik Komplex im Fließgleichgewicht gilt:
von Enzymen näherungsweise beschreibt. Im Michaelis-Men-
ten-Modell werden zwei Phasen der Enzymreaktion unterschie- d[ES]
= (k +1 ⋅[E] ⋅[S] − (k −1 + k +2 ) ⋅[ES]) = 0 (8)
den: In einer reversiblen ersten Teilreaktion bildet das En- dt
zym (E) mit dem Substrat (S) in einem stöchiometrischen Ver-
hältnis den Enzym-Substrat-Komplex (ES), aus dem in einer [S] bezeichnet die Konzentration des freien Substrates, [E] die
zweiten Teilreaktion das Produkt (P) freigesetzt wird. Die Frei- des freien Enzyms. [E] und [ES] stehen mit der Gesamtenzym-
setzung des Produktes geht mit einer Regenerierung des freien konzentration [ET] in folgender Beziehung:
Enzyms (E) einher, das erneut am katalytischen Kreisprozess
teilnehmen kann: [ET] = [E] + [ES] (9)

k+1 k+2 Unter der Annahme, dass die Substratkonzentration sehr viel
E+S ES E+P (6)
k–1 k–2 größer als die Enzymkonzentration ist, ergibt die Kombination
112 Kapitel 7 · Enzyme – Grundkonzepte der Biokatalyse

der Gleichungen 8 und 9 eine Gleichung für die Konzentration durch eine niedrige Michaelis-Konstante charakterisiert und
des Enzym-Substrat-Komplexes im Fließgleichgewicht: umgekehrt.
[S]
[ES] = [ET ]⋅ (10) Experimentelle Bestimmung von KM und VMAX Die für ein Enzym
⎛ k −1 + k +2 ⎞ charakteristischen kinetischen Parameter KM und VMAX lassen
⎜⎝ k + [S]⎟
+1 ⎠ sich aus Messungen initialer Reaktionsgeschwindigkeiten bei
verschiedenen Substratkonzentrationen ableiten. Praktisch ist
Durch die Zusammenfassung der Gleichungen 7 und 10 die Schätzung beider Parameter aus der graphischen Darstellung
erhält man die Michaelis-Menten-Gleichung, die die Ab- der experimentell bestimmten V/[S]-Wertepaare jedoch schwie-
hängigkeit der Geschwindigkeit einer enzymkatalysierten rig, da die Reaktionsgeschwindigkeit ihrem Maximalwert erst bei
Reaktion von der Substratkonzentration unter Initialbedingun- sehr hohen Substratkonzentrationen nahe kommt (. Abb. 7.7A).
gen beschreibt: Dieses Problem kann durch verschiedene Transformationen der
Michaelis-Menten-Gleichung in lineare Beziehungen gelöst wer-
[S] [S] den. Das bekannteste Beispiel hierfür ist die Linearisierung nach
V = k +2 ⋅[ET ]⋅ = VMAX ⋅ (11)
⎛ k −1 + k +2 ⎞
+ [S]⎟
(K M + [S]) Lineweaver und Burk:
⎜⎝ k
7 +1 ⎠
1 1 K 1
= + M ⋅ (13)
Der Parameter KM wird als Michaelis-Konstante, VMAX als V VMAX VMAX [S]
Maximalgeschwindigkeit bezeichnet.
Die Auftragung der reziproken Werte von Substratkonzentration
Mit steigender Substratkonzentration nähert und Reaktionsgeschwindigkeit ergibt eine Gerade, die die Abs-
sich die Reaktionsgeschwindigkeit asymptotisch zisse bei –1/KM und die Ordinate bei 1/VMAX schneidet (. Abb.
der Maximalgeschwindigkeit (VMAX) 7.7B). Die bei niedrigen Substratkonzentrationen relativ ungenau
Die durch die Michaelis-Menten-Gleichung beschriebene V/[S]- bestimmten V-Werte erhalten dabei ein besonders großes Ge-
Charakteristik zeigt einen hyperbolen Verlauf (. Abb. 7.7A). wicht. Daher finden heute computergestützte Verfahren der
Wird die Substratkonzentration ([S]) erhöht, während alle ande- nicht-linearen Regression zur statistisch korrekten Schätzung
ren Parameter konstant bleiben, nähert sich die Reaktionsge- von KM und VMAX aus Messdaten Anwendung.
schwindigkeit (V) asymptotisch der Maximalgeschwindig- Die Michaelis-Menten-Gleichung wurde für ein minimales
keit (VMAX) und die Konzentration des Enzym-Substrat-Kom- Reaktionsschema (Gleichung 6) hergeleitet, bei dem der Zer-
plexes ([ES]) der Gesamtkonzentration des Enzyms ([ET]). Die fall  des Enzym-Substrat-Komplexes unmittelbar zur Bildung
Maximalgeschwindigkeit VMAX ist – wie auch die aktuelle Reak- des Reaktionsproduktes führt. Man kann jedoch zeigen, dass
tionsgeschwindigkeit V – der eingesetzten Enzymkonzentration auch komplexere Reaktionsmodelle, die mehrere Zwischen-
[ET] proportional. schritte der Umwandlung des Substrates zum Produkt einschlie-
ßen, unter steady-state-Bedingungen mit dieser Gleichung be-
Die Michaelis-Konstante (KM) gibt diejenige schrieben werden können. In Gleichung 11 tritt dann anstelle
Substratkonzentration an, bei der halbmaximale von k+2 eine Konstante auf, die eine Kombination mehrerer
Reaktionsgeschwindigkeit erreicht wird elementarer kinetischer Konstanten darstellt und als kataly-
Die in Gleichung 11 eingeführte Michaelis-Konstante trägt die tische Konstante (kcat) bezeichnet wird. Die katalytische Kon-
Maßeinheit einer Konzentration und entspricht derjenigen Sub- stante entspricht der in 7 Kap. 7.6 eingeführten Wechselzahl und
stratkonzentration, bei der die Reaktionsgeschwindigkeit wird in den nachfolgenden Gleichungen anstelle von k+2 ver-
½ VMAX beträgt (. Abb. 7.7A). Im Unterschied zu VMAX hängt wendet.
der numerische Wert der Michaelis-Konstanten nicht von der
Enzymkonzentration ab. Der KM-Wert kann auch unter Ver- Der Quotient kcat/KM
wendung der Dissoziationskonstanten des Enzym-Substrat- ist ein Maß für die katalytische
Komplexes (KD) angegeben werden: Wirksamkeit eines Enzyms
Die Messung von Enzymaktivitäten erfolgt in vitro oft bei Sub-
=
(k −1 + k +2) = K k +2 stratkonzentrationen, die den KM-Wert um ein Vielfaches über-
KM D+ (12)
k +1 k +1 schreiten. Unter diesen Bedingungen wird die katalytische
Wirksamkeit eines Enzyms durch die Konstante kcat charakteri-
Gleichung 12 zeigt, dass die Michaelis-Konstante stets größer siert:
ist als die Dissoziationskonstante des Enzym-Substrat-Komple-
xes (KD). Wenn die Dissoziation von ES in Enzym und Substrat [S] [S] K M
V = k cat ⋅ [ET ] ⋅ ⎯⎯⎯⎯ → k cat ⋅ [ET ] (14)
schnell im Vergleich zur Freisetzung des Produktes erfolgt ( M )
K + [S]
(k+2 ! k–1), entspricht die Michaelis-Konstante näherungsweise
der Dissoziationskonstanten (KD). Der KM-Wert kann dann Demgegenüber findet man unter physiologischen Bedingungen
als ein Maß für die Affinität des Enzyms zu seinem Substrat häufig Substratkonzentrationen vor, die weit unterhalb der KM-
betrachtet werden. Ein Enzym mit hoher Substrataffinität ist Werte der Enzym-Substrat-Paare liegen. Die Michaelis-Menten-
7.7 · Michaelis-Menten-Gleichung
113 7
A B

. Abb. 7.7 Kinetik einer Enzymreaktion vom Michaelis-Menten-Typ. A Hyperbole Abhängigkeit der Geschwindigkeit (einer Enzymreaktion von der Sub-
stratkonzentration. B Linearisierung der Michaelis-Menten-Gleichung nach Lineweaver und Burk zur Bestimmung der Parameter KM und VMAX eines Enzyms

. Tab. 7.5 Kinetische Konstanten von Enzymen

Enzym Substrat KM (M) kcat (s–1) kcat/KM (s–1 ∙ M–1) Siehe Kapitel

Superoxiddismutase Superoxidanion 3,5 ∙ 10–4 2,4 ∙ 106 6,8 ∙ 109 20


–4
Triosephosphatisomerase D-Glycerinaldehyd-3-Phosphat 4,0 ∙10 9,6 ∙ 104 2,4 ∙ 108 14
–5 4 8
Acetylcholinesterase Acetylcholin 9,0 ∙ 10 1,4 ∙ 10 1,6 ∙ 10 74

Carboanhydrase CO2 1,2 ∙ 10–2 1,0 ∙ 106 8,3 ∙ 107 66, 68, 72

Katalase H 2O 2 8,0 ∙ 10–2 1,6 ∙ 106 2,0 ∙ 107 20

Gleichung geht dann näherungsweise in eine bilineare Bezie-


hung über: Zusammenfassung
Die weitaus überwiegende Zahl der in biologischen Syste-
[S] [S] K M k men vorkommenden Katalysatoren sind Proteine. Man
V = k cat ⋅ [ET ] ⋅ ⎯⎯⎯⎯ → cat ⋅ [ET ] ⋅ [S] (15)
( K M + [S]) KM bezeichnet diese Biokatalysatoren als Enzyme, ihre katalyti-
sche Wirkung als Enzymaktivität. Eine Vielzahl von Enzymen
Der Quotient kcat/KM ist eine apparente Geschwindigkeits- entfaltet erst im Zusammenwirken mit Cofaktoren eine kata-
konstante zweiter Ordnung und charakterisiert die katalytische lytische Aktivität.
Effizienz eines Enzyms bei [S] << KM. Der Wert dieses Quotien- Enzyme besitzen die Fähigkeit, die umzusetzenden Stoffe
ten wird durch die Geschwindigkeit der diffusionskontrollierten auszuwählen (Substratspezifität), den Reaktionstyp zu be-
Kollision der Enzym- und Substratmoleküle limitiert und ist stimmen (Reaktionsspezifität), die Einstellung des Reaktions-
deshalb in wässrigen Lösungen auf etwa 109 s–1 M–1 begrenzt. gleichgewichtes zu beschleunigen (Katalyse) und ihre
Enzyme, deren kcat/KM-Werte diesen Grenzwert näherungsweise katalytische Aktivität in Abhängigkeit von den Umgebungs-
erreichen, können als katalytisch perfekt betrachtet werden, da bedingungen und Stoffwechselverhältnissen zu verändern
bei nahezu jedem Zusammentreffen von Enzym und Substrat (Regulation).
eine katalytische Reaktion stattfindet (. Tab. 7.5). Eine Erhöhung Die Struktur des aktiven Zentrums eines Enzyms muss komple-
der katalytischen Effizienz »perfekter« Enzyme kann nur durch mentär zu der des Übergangszustandes des Substrates der
eine Vermeidung oder Begrenzung von Diffusionswegen er- Reaktion sein, um eine effiziente Katalyse zu ermöglichen. Die
reicht werden. In biologischen Systemen ist eine solche Optimie- Wechselwirkungen der Aminosäureseitenketten und Cofakto-
rung z. B. durch die Integration von Einzelenzymen in Multien- ren im aktiven Zentrum mit dem Substrat werden durch nicht-
zymkomplexe realisiert (7 Kap. 7.1). covalente und temporär-covalente Bindungen bestimmt.
6
114 Kapitel 7 · Enzyme – Grundkonzepte der Biokatalyse

Die unterschiedlichen Mechanismen der Enzymkatalyse


(Metallionenkatalyse, Säure-Base-Katalyse, covalente Kata-
lyse) entsprechen der Vielfalt der Enzym-Substrat-Wechsel-
wirkungen. In der Regel nutzen Enzyme mehrere Katalyse-
mechanismen.
Isoenzyme sind multiple Formen von Enzymen einer Spe-
zies, die die gleiche Reaktion katalysieren, jedoch aufgrund
einer unterschiedlichen genetischen Codierung oder infolge
co- bzw. posttranskriptioneller Veränderungen der Prä-
mRNA eine unterschiedliche Struktur und unterschiedliche
funktionelle Eigenschaften aufweisen. Multiple Formen von
Enzymen können auch durch eine co- und/oder posttrans-
lationale covalente Modifikation der Enzymproteine ent-
stehen.
7 Die Michaelis-Menten-Gleichung beschreibt näherungs-
weise das kinetische Verhalten vieler Enzyme. Bei einer
Erhöhung der Substratkonzentration nähert sich die Reak-
tionsgeschwindigkeit hyperbelförmig dem Maximalwert
(VMAX). Die Michaelis-Konstante (KM) entspricht derjenigen
Substratkonzentration, bei der die Reaktionsgeschwindig-
keit die Hälfte des Maximalwertes erreicht.
Enzyme können unter Erhalt ihrer strukturellen und funktio-
nellen Eigenschaften aus biologischem Material isoliert wer-
den. Die molekulare und kinetische Analyse der Enzyme hat
ein umfassendes Verständnis der grundlegenden Stoffwech-
selvorgänge im menschlichen Organismus ermöglicht.

7 Die Literaturliste finden Sie unter springer.com


115 8

8 Regulation der Enzymaktivität


Thomas Kriegel, Wolfgang Schellenberger

Einleitung Produkte sowie anderer Liganden des Enzyms, aber auch vom
pH-Wert abhängig. Beim Menschen findet man für viele Enzyme
In 7 Kap. 7 wurden die Grundkonzepte der Biokatalyse durch Enzyme Temperaturoptima um 40 °C. Einige humane Enzyme überste-
besprochen. Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit den zahlreichen hen jedoch hohe Temperaturen ohne Verlust ihrer katalytischen
Mechanismen der Regulation der Enzymaktivität. Die Fähigkeit biologi- Aktivität. Zu diesen Enzymen gehört die Ribonuclease, deren
scher Systeme, die katalytische Aktivität ihrer Enzyme zu regulieren, ist Temperaturoptimum bei ca. 60 °C liegt.
eine unabdingbare Voraussetzung für Wachstum, Differenzierung, Zell- Enzyme bestimmter thermophiler Mikroorganismen weisen
teilung und Stoffwechseladaptation. Hierbei kann zwischen einer Temperaturoptima nahe dem Siedepunkt des Wassers auf. Die
schnellen Veränderung der Aktivität bereits vorhandener Enzymmole- strukturellen Besonderheiten dieser thermostabilen Enzyme, die
küle und einer vergleichsweise langsamen Kontrolle der Enzymmenge vor einer Hitzedenaturierung schützen, sind noch weitgehend
auf DNA-, RNA- und Proteinebene unterschieden werden. unbekannt. Praktische Anwendung findet eine hitzestabile DNA-
Polymerase aus Thermus aquaticus (Taq-Polymerase) bei der
Schwerpunkte Polymerasekettenreaktion (PCR) zur Vervielfachung (Amplifika-
tion) von DNA-Fragmenten. Das Enzym wird dabei wiederholt
4 Einfluss der Substrat- und Enzymkonzentration auf die
Reaktionstemperaturen um 90 °C ausgesetzt (7 Kap. 54.1.2).
Geschwindigkeit einer enzymkatalysierten Reaktion
4 Temperatur- und pH-Optimum der Enzymaktivität
pH-Abhängigkeit der Enzymaktivität Bestimmt man die kataly-
4 Reversible Hemmung der Enzymaktivität durch kompeti-
tische Aktivität eines Enzymes bei unterschiedlichen pH-Wer-
tive, nicht-kompetitive und unkompetitive Inhibitoren
ten, so findet man in der Regel ein Aktivitätsmaximum zwi-
4 Irreversible Hemmung der Enzymaktivität durch
schen pH 4 und pH 9. Enzyme, die physiologischerweise extre-
Modifikation des Enzymproteins
men pH-Bedingungen ausgesetzt sind wie das im sauren Milieu
4 Molekulare Grundlagen und zellbiochemische Bedeutung
des Magens wirksame Verdauungsenzym Pepsin (7 Kap. 61.1)
von Kooperativität und Allosterie
zeigen eine maximale katalytische Aktivität außerhalb dieses
4 Regulation der Enzymaktivität durch Phosphorylierung und
pH-Bereiches.
Dephosphorylierung
Die pH-Abhängigkeit der Enzymaktivität kann zurückge-
4 Irreversible Aktivierung von Proenzymen (Zymogenen)
führt werden auf eine:
durch limitierte Proteolyse
4 reversible Dissoziation bzw. Ionisierung funktioneller
Gruppen des Enzyms,

8.1 Einfluss von Temperatur und pH-Wert


auf die Enzymaktivität

Temperaturabhängigkeit der Enzymaktivität Innerhalb eines be-


grenzten Temperaturbereiches erhöht sich die Geschwindigkeit
enzymkatalysierter Reaktionen mit steigender Temperatur. Der
Beschleunigungsfaktor, der sich ergibt, wenn die Temperatur um
10 °C ansteigt, wird als Temperaturkoeffizient (Q10) bezeichnet.
Eine Temperaturerhöhung um 10 °C führt bei vielen enzymati-
schen Reaktionen etwa zu einer Verdoppelung der Reaktionsge-
schwindigkeit (Q10 2).
Die Temperaturabhängigkeit der Enzymaktivität zeichnet
sich durch ein Temperaturoptimum aus, jenseits dessen die Re-
aktionsgeschwindigkeit steil abfällt (. Abb. 8.1). Ursache des
. Abb. 8.1 Temperaturabhängigkeit der Enzymaktivität. Die unterbro-
Abfalls ist eine Hitzedenaturierung des Enzymproteins. Für die
chene Kurve zeigt den für chemische Reaktionen charakteristischen expo-
meisten Enzyme liegt das Temperaturoptimum oberhalb der je- nentiellen Anstieg der Reaktionsgeschwindigkeit bei steigender Temperatur
weiligen physiologischen Arbeitstemperatur. Die Lage des Tem- (Q10 ≈ 2). Der Abfall der Enzymaktivität bei höheren Temperaturen wird durch
peraturoptimums ist von den Konzentrationen der Substrate und die thermische Inaktivierung des Enzymproteins verursacht

P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_8, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
116 Kapitel 8 · Regulation der Enzymaktivität

A B

. Abb. 8.2 pH-Abhängigkeit der katalytischen Aktivität der Cysteinprotease Caspase 9. A Die Wendepunkte der Kurve spiegeln die Titration der an der
Katalyse beteiligten Seitenketten der Aminosäuren Cystein 287 und Histidin 237 im aktiven Zentrum des Enzyms wider. B: pH-abhängige reversible Ausbil-
dung der für die Katalyse erforderlichen Wasserstoffbrücke zwischen Cystein 287 und Histidin 237
8
4 reversible Dissoziation bzw. Ionisierung von Substraten Eine Veränderung der Substratkonzentration
und/oder Cofaktoren des Enzyms, kann eine schnelle Veränderung der Enzymaktivität
4 Konformationsänderung bzw. Denaturierung des Enzym- bewirken
proteins. Die Geschwindigkeit einer enzymkatalysierten Reaktion wird
wesentlich von der aktuellen Konzentration des jeweiligen Sub-
Der Einfluss des pH-Wertes auf die Enzymaktivität ist in . Abb. strates bestimmt (7 Kap. 7.7). Bei hohen Substratkonzentratio-
8.2 am Beispiel der an der Apoptose (7 Kap. 51) beteiligten Cas- nen hat deren Veränderung einen nur geringen Einfluss auf die
pase 9 illustriert. Caspasen sind Cysteinyl-Aspartyl-Proteasen, Reaktionsgeschwindigkeit, während im Bereich niedriger Sub-
die im aktiven Zentrum einen Cystein- und einen Histidinrest stratkonzentrationen bereits kleine Veränderungen zu einem
besitzen und ihre Substrate nach einem Aspartatrest spalten. Die relativ großen Abfall oder Anstieg der Reaktionsgeschwindigkeit
katalytische Aktivität der Caspase-9 erfordert die Ausbildung führen können. Da sich die Konzentrationen der meisten Sub-
einer Wasserstoffbrücke zwischen den Seitenketten der Amino- strate in der Zelle unterhalb der KM-Werte der zugehörigen
säuren Cystein 287 und Histidin 237. Durch die Beteiligung von Enzyme bewegen, können schon geringe Schwankungen von
Protonen an der reversiblen Ausbildung dieser Wasserstoff- Substratkonzentrationen in vivo funktionell bedeutsame Verän-
brücke kommt es zu einer glockenförmigen Abhängigkeit der derungen von Stoffumsatzgeschwindigkeiten bewirken.
Caspase-9-Aktivität vom pH-Wert.

8.3 Regulation der Enzymaktivität


8.2 Abhängigkeit der Enzymaktivität von der durch Hemmstoffe
Enzym- und Substratkonzentration
Enzymhemmung Verbindungen, deren Wechselwirkung mit ei-
Die Kontrolle der Proteinbiosynthese und nem Enzym dessen katalytische Aktivität verändert, werden als
der Proteolyse sind Möglichkeiten Enzymeffektoren bezeichnet. Positive Effektoren wirken als Ak-
der Langzeitregulation der Enzymaktivität tivatoren, negative Effektoren als Hemmstoffe oder Inhibitoren.
In biologischen Systemen ist die Enzymaktivität i. d. R. der En- Physiologische Enzymhemmstoffe sind beispielsweise die im Se-
zymkonzentration proportional. Die Anpassung des Enzymbe- rum vorkommenden Proteaseinhibitoren α1-Antitrypsin (7 Kap.
standes einer Zelle an unterschiedliche Stoffwechselsituationen 67.3) und Antithrombin (7 Kap. 69). Zu den medizinisch bedeut-
wird durch eine Veränderung der Transkription der codierenden samen Hemmstoffen von Enzymen gehören darüber hinaus
Gene (7 Kap. 46 und 47), der Translation der synthetisierten unterschiedlichste Zellgifte genauso wie eine große Anzahl von
mRNAs (7 Kap. 48 und 49) und/oder des proteolytischen Abbaus Therapeutika (7 Kap. 9).
(7 Kap. 50) der vorhandenen Enzymproteine erreicht. Verände- Nach der Art der Reaktion des Inhibitors mit dem Enzym
rungen dieser Art werden oft durch extrazelluläre Signale ausge- können zwei Hemmtypen unterschieden werden: die reversible
löst und führen – im Vergleich mit einer Regulation der Enzym- und die irreversible Enzymhemmung. Eine reversible Enzym-
aktivität durch Substrate und Effektoren – zu einer langsamen hemmung ist durch eine dem Massenwirkungsgesetz folgende
Kontrolle des Stoffwechsels. Bindung des Inhibitors an das Enzym charakterisiert und kann
– im Unterschied zu einer irreversiblen Enzymhemmung –
durch eine Entfernung des Inhibitors aus dem Massenwirkungs-
gleichgewicht aufgehoben werden.
8.3 · Regulation der Enzymaktivität durch Hemmstoffe
117 8

A B C

. Abb. 8.3 Kompetitive Enzymhemmung. A Reaktionsschema. Das Substrat (S) und der Inhibitor (I) konkurrieren um dieselbe Bindungsstelle im aktiven
Zentrum des Enzyms. B Kinetik bei verschiedenen Konzentrationen des Inhibitors. Auch die in Gegenwart des Inhibitors beobachteten Kurven nähern sich
asymptotisch der maximalen Reaktionsgeschwindigkeit VMAX. C Darstellung der Kinetik im Lineweaver-Burk-Diagramm. Die kompetitive Hemmung bewirkt
eine Erhöhung des KM-Wertes, während die maximale Reaktionsgeschwindigkeit unverändert bleibt

Reversible kompetitive Inhibitoren haben


keinen Einfluss auf die Maximalgeschwindigkeit
einer Enzymreaktion
Kompetitive Enzymhemmung Charakteristisch für diesen
Hemmtyp ist eine Konkurrenz des Substrates und des Inhibitors
um dieselbe Bindungsstelle im aktiven Zentrum des Enzyms. Eine
kompetitive Hemmung wird beobachtet, wenn die chemische
Struktur des Inhibitors (I) der des Substrates (S) ähnlich ist und
der Hemmstoff reversibel mit dem Enzym (E) zum Enzym-Inhi- . Abb. 8.4 Struktur von Sulfonamiden. Sulfonamide wie Sulfanilamid
bitor-Komplex (EI) reagiert (. Abb. 8.3). Erhöht man bei gleich und Sulfamethoxazol sind Strukturanaloga der p-Aminobenzoesäure, die
bleibender Hemmstoffkonzentration die Konzentration des Sub- ein Bestandteil der Folsäure ist. Sie verhindern die bakterielle Synthese der
strates, nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass sich der ES-Kom- Folsäure durch eine kompetitive Hemmung der Dihydropteroatsynthase
plex anstelle von EI bildet. Die maximale Reaktionsgeschwindig-
keit VMAX wird daher nicht verändert. Eine kompetitive Hem-
mung führt zu einem Anstieg der Michaelis-Konstanten KM
(. Tab. 8.1). Der in Gegenwart eines kompetitiven Inhibitors be- ren. Eine Hemmung der Folsäurebiosynthese bewirkt eine
stimmte KM-Wert wird als apparent (scheinbar) bezeichnet Hemmung des bakteriellen Wachstums. 1932 entdeckte
app
(KM ). Die Wirkung des Inhibitors kann durch eine Hemmkon- Gerhard Domagk, dass Derivate des Sulfanilamids als
stante Ki charakterisiert werden, die der Dissoziationskonstanten Strukturanaloga der p-Aminobenzoesäure durch eine
des Enzym-Inhibitor-Komplexes entspricht. Ki trägt die Maßein- kompetitive Hemmung der an der Folsäurebiosynthese
heit einer Konzentration und gibt diejenige Inhibitorkonzen- beteiligten Dihydropteroatsynthase bakteriostatisch wirken.
tration an, die eine Verdopplung der Michaelis-Konstanten be- Seit dieser Zeit finden Sulfonamide, deren Grundstruktur
wirkt. In der Darstellung nach Lineweaver und Burk (7 Kap. 7.7) derjenigen des Sulfanilamids entspricht, bei der Behandlung
schneiden sich die für unterschiedliche Hemmstoffkonzentratio- bakterieller Infektionen Anwendung (. Abb. 8.4). Da der
nen erhaltenen Geraden auf der Ordinate bei 1/VMAX. Mensch keine Enzyme der Folsäurebiosynthese besitzt, ent-
falten die therapeutisch eingesetzten Sulfonamide in dieser
Hinsicht keine toxische Wirkung. Domagk erhielt für seine
Übrigens Entdeckung 1939 den Nobelpreis für Medizin. Die Sulfona-
Sulfonamide wirken als kompetitive Enzyminhibitoren midresistenz zahlreicher Bakterienstämme hat dazu geführt,
bei der bakteriellen Folsäurebiosynthese dass Sulfonamide heute in Kombination mit anderen
Folsäure gehört zu den wasserlöslichen Vitaminen des Men- Medikamenten angewendet werden. Ein Beispiel hierfür
schen. Dagegen können Mikroorganismen die für ihren ist das Sulfonamid Sulfamethoxazol, das zusammen mit
Stoffwechsel benötigte Folsäure (7 Kap. 59.8) aus p-Amino- Inhibitoren der bakteriellen Dihydrofolatreduktase (7 Kap.
benzoesäure und anderen Metaboliten selbst synthetisie- 30) bei der Therapie von Harnwegsinfektionen eingesetzt
6 wird.
118 Kapitel 8 · Regulation der Enzymaktivität

A B C

. Abb. 8.5 Nicht-kompetitive Enzymhemmung. A Reaktionsschema. Der Inhibitor (I) bindet außerhalb des aktiven Zentrums sowohl an das freie
Enzym (E) als auch an den Enzym-Substrat-Komplex (ES). B Kinetik bei verschiedenen Konzentrationen des Inhibitors. C Darstellung der Kinetik im
8 Lineweaver-Burk-Diagramm. Die nicht-kompetitive Hemmung bewirkt eine Erniedrigung von VMAX, während der KM-Wert unverändert bleibt

Alternative Substrate können als kompetitive


Enzyminhibitoren wirken . Tab. 8.1 Einfluss reversibler Hemmstoffe auf KM und VMAX
Eine Vielzahl von Enzymen ist in der Lage, mehrere strukturell
Hemmtyp Veränderte Unveränderte
ähnliche Substrate alternativ umzusetzen. Die alternativen Subs- Parameter Parameter
trate wirken dabei wechselseitig als kompetitive Inhibitoren. Ein
medizinisch bedeutsames Beispiel ist die Hemmung der Um- Kompetitiv KMapp = KM * (1 + [I]/Ki) VMAX
wandlung von Methanol zu toxischem Formaldehyd durch die Nicht-kompetitiv VMapp
AX = VMAX/(1 + [I]/Ki) KM
Alkoholdehydrogenase der Leber durch das alternative Substrat
Unkompetitiv KMapp = KM/(1 + [I]/Ki) VMAXapp/KMapp
Ethanol bei der Therapie einer Methanolvergiftung.
VMapp
AX = VMAX/(1 + [I]/Ki)

Reversible nicht-kompetitive Inhibitoren reduzieren


die Maximalgeschwindigkeit einer Enzymreaktion
Nicht-kompetitive Enzymhemmung Die Bezeichnung dieses Reversible unkompetitive Inhibitoren erniedrigen
Hemmtyps verdeutlicht, dass eine Konkurrenz zwischen Subst- sowohl die Maximalgeschwindigkeit als auch die
rat und Hemmstoff im aktiven Zentrum des Enzyms nicht statt- Michaelis-Konstante einer Enzymreaktion
findet. Der Inhibitor bindet außerhalb des aktiven Zentrums Unkompetitive Enzymhemmung Der unkompetitive Hemmtyp
sowohl an das freie Enzym (E) als auch an den Enzym-Substrat- ist dadurch charakterisiert, dass der Inhibitor nur mit dem En-
Komplex (ES), ohne die Interaktion mit dem Substrat zu beein- zym-Substrat-Komplex (ES), nicht aber mit dem freien En-
flussen (. Abb. 8.5). Ursache der Erniedrigung von VMAX ist eine zym (E) reagiert. Die funktionelle Folge ist neben einer Ernied-
durch die Bindung des Inhibitors induzierte Konformationsän- rigung von VMAX eine Abnahme des KM-Wertes (. Tab 8.1). Im
derung im aktiven Zentrum des Enzyms. Der ternäre ESI-Kom- Lineweaver-Burk-Diagramm (7 Kap. 7.7) erhält man eine Schar
plex ist katalytisch inaktiv. Nicht-kompetitive Inhibitoren redu- paralleler Geraden. Zu den medizinisch bedeutsamen Beispie-
zieren die maximale Reaktionsgeschwindigkeit (Vap p
M AX), ohne len einer unkompetitiven Hemmung gehört die Wirkung des als
den KM-Wert zu verändern (. Tab. 8.1). Im Gegensatz zur kom- Antidepressivum eingesetzten Lithiumchlorids. Lithiumionen
petitiven Hemmung ist eine Kompensation der nicht-kompeti- hemmen die am Abbau des Inositol-1,4,5-Trisphosphates
tiven Hemmung durch eine Erhöhung der Substratkonzentration (7 Abb. 35.8) beteiligte Inositolmonophosphatase.
nicht möglich. Die Hemmkonstante Ki bezeichnet die Dissozia-
tionskonstante der Enzym-Inhibitor-Komplexe EI und ESI und Substrat- und Produkthemmung Bei einigen Enzymen kann
gibt diejenige Inhibitorkonzentration an, die eine Halbierung eine Hemmung der katalytischen Aktivität durch das Substrat
der maximalen Reaktionsgeschwindigkeit bewirkt. Eine rein beobachtet werden. Ein physiologisch bedeutsames Beispiel ei-
nicht-kompetitive Enzymhemmung tritt selten auf, da die infol- ner Substrathemmung ist die in 7 Kap. 8.4 beschriebene Hem-
ge der Hemmstoffbindung ausgelöste Konformationsänderung mung der Phosphofructokinase-1 durch ATP (. Abb. 8.10).
oftmals auch die Interaktion des Enzyms mit dem Substrat be- Enzyme werden grundsätzlich durch die Produkte der kataly-
einflusst. sierten Reaktion gehemmt. Im Michaelis-Menten-Modell (7 Kap.
7.7) wirkt das Reaktionsprodukt als kompetitiver Inhibitor. Als
Beispiel einer für die Regulation des Zellstoffwechsels wichtigen
8.4 · Kooperativität und allosterische Kontrolle der Enzymaktivität
119 8
Produkthemmung kann die inhibitorische Wirkung von Gluco-
se-6-Phosphat auf verschiedene Hexokinase-Isoenzyme ange- Übrigens
führt werden (7 Kap. 14). Prostaglandin-H2-Synthasen werden durch
Acetylsalicylsäure irreversibel gehemmt
Reversible vs. irreversible Enzymhemmung Reversible Inhibi- Prostaglandin-H2-Synthasen (PGHS) sind bifunktionelle
toren binden durch nichtkovalente Wechselwirkungen an das Membranenzyme, die aus zwei identischen Untereinheiten
Enzymprotein und können deshalb – z. B. durch Dialyse – unter bestehen (. Abb. 8.6). Sie katalysieren die Umwandlung
Aufhebung der Hemmung vom Enzym entfernt werden. Dem- von Arachidonsäure zu Prostaglandin H2 (7 Kap. 22.3.2):
gegenüber ist eine irreversible Enzymhemmung in der Regel die
Folge einer stabilen kovalenten Modifikation des aktiven Zen- Arachidonsäure + NAD(P)H + H+ + 2 O2
trums des Enzyms. Einige prinzipiell reversible Inhibitoren bin- Prostaglandin-H2 + NADP+ + H2O
den jedoch mit sehr hoher Affinität an das jeweilige Enzym, so-
dass ihre Wirkung praktisch irreversibel ist. Ein Beispiel hierfür Die PGHS-Untereinheiten besitzen zwei katalytische Zent-
ist die Hemmung der Cytochrom-c-Oxidase durch Cyanidionen ren, ein Cyclooxygenase- und ein Peroxidasezentrum. Im
(7 Kap. 19). Im Unterschied zu einer prinzipiell reversiblen Cyclooxygenasezentrum (COX) findet die Umwandlung des
Enzyminaktivierung durch Denaturierung, bei der typischerweise Substrates zu Prostaglandin G2 statt, das im Peroxidase-
die gesamte Raumstruktur des Enzymproteins betroffen ist, be- zentrum zu Prostaglandin H2 reduziert wird. Der Zugang des
wirkt die durch einen irreversiblen Inhibitor verursachte covalen- Substrates zu den Cyclooxygenasezentren erfolgt durch ei-
te Modifikation zumeist nur eine Veränderung der Struktur des nen hydrophoben Kanal, der im Bereich der membranbin-
aktiven Zentrums des Enzyms. denden Domäne beginnt (. Abb. 8.6A).
Beim Menschen werden die Isoenzyme PGHS-1 (COX-1) und
Suizidsubstrate bewirken eine irreversible PGHS-2 (COX-2) exprimiert. Medizinisch bedeutsam sind
Enzymhemmung ihre zelltypabhängige Expression, differentielle Regulation
Suizidsubstrate Mit diesem Begriff bezeichnet man Hemm- und unterschiedliche pharmakologische Beeinflussbarkeit.
stoffe, die im aktiven Zentrum eines Enzyms gebunden und – im Der schmerzstillende, blutgerinnungs- und entzündungs-
Unterschied zu kompetitiven Inhibitoren – nachfolgend umge- hemmende sowie fiebersenkende Arzneistoff Acetylsalicyl-
setzt werden. Die feste Bindung des durch einen katalytischen säure (Aspirin) wirkt durch eine spezifische Acetylierung ei-
Schritt veränderten Suizidsubstrates an das Enzym verhindert nes Serinrestes in der Nähe des Cyclooxygenasezentrums
jedoch das Fortschreiten der Katalyse bzw. den Eintritt des En- beider PGHS-Isoenzyme (. Abb. 8.6B). Folge dieser Modi-
zyms in einen neuen Katalysezyklus. Die Entwicklung von Arz- fikation ist eine irreversible Enzymhemmung. Das Isoenzym
neimitteln auf der Basis von Suizidsubstraten ist von großem COX-1 wird durch Acetylsalicylsäure wesentlich stärker
medizinischen Interesse, weil durch die Spezifität des katalyti- gehemmt als COX-2. Die Hemmung des COX-2-Isoenzyms
schen Schrittes eine weitgehend selektive Hemmung des Ziel- durch Acetylsalicylsäure führt interessanterweise auch dazu,
enzyms erfolgt und so unerwünschte Nebenwirkungen begrenzt dass anstelle der Arachidonsäure andere Fettsäuren oxidiert
werden (7 Kap. 9). Zu den therapeutisch wichtigen Suizidsub- und dadurch Signallipide mit antioxidativer und entzün-
straten gehört das Hypoxanthinanalogon Allopurinol, das zur dungshemmender Wirkung (Resolvine, Protectine) gebildet
Gichttherapie eingesetzt wird. Die enzymatische Hydroxylierung werden. Im Gegensatz zur Acetylsalicylsäure wirken viele
von Allopurinol durch die Xanthinoxidase (7 Kap. 29.4) führt moderne nicht-steroidale Entzündungshemmer wie Ibu-
zur Bildung von Alloxanthin, das dauerhaft im aktiven Zentrum profen als reversible kompetitive Inhibitoren der COX-Iso-
des Enzyms verbleibt (sog. dead-end complex). enzyme.
Die unbefriedigende Magenverträglichkeit der Acetylsalicyl-
Enzymhemmung durch Oxidationsmittel Bei einer Vielzahl intra- säure hat zur Suche nach selektiven Inhibitoren des in der
zellulärer Enzyme nehmen Sulfhydrylgruppen von Cysteinseiten- Magenschleimhaut nicht vorkommenden COX-2-Isoenzyms
ketten am Katalyseprozess teil. Unter der Einwirkung von Oxida- geführt. Da COX-1 in dem zum aktiven Zentrum führenden
tionsmitteln, die im Zellstoffwechsel entstehen (7 Kap. 20.2), hydrophoben Kanal einen Isoleucinrest besitzt (Ile 523),
können SH-Gruppen zu Disulfidstrukturen oxidiert werden, so COX-2 hingegen an dieser Position einen (kleineren) Valinrest
dass sie für die Katalyse nicht mehr zur Verfügung stehen. In den enthält (Val 523), bewirken größere Substituenten in einem
Zellen des Organismus ist die Erzeugung und Aufrechterhaltung entsprechenden Wirkstoff eine erhöhte Selektivität für das
eines antioxidativen Potentials für den Schutz SH-sensitiver En- COX-2-Isoenzym.
zyme essentiell. Zu den daran beteiligten Redoxsystemen gehören
Glutathion, Ascorbinsäure und Vitamin E (7 Kap. 20.2). In vivo
ist die oxidative Inaktivierung von Enzymen in vielen Fällen re-
versibel. 8.4 Kooperativität und allosterische Kontrolle
der Enzymaktivität

Eine Vielzahl von Enzymen zeigt ein komplexes kinetisches Ver-


halten, das durch die Michaelis-Menten-Gleichung nicht be-
120 Kapitel 8 · Regulation der Enzymaktivität

. Abb. 8.7 Sigmoidale Kinetik eines allosterischen Enzyms. Die Wechsel-


wirkungen der Substratbindungsstellen des allosterischen Enzyms führen
B
zu einer sigmoidalen Abhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit von der
Substratkonzentration (rote Kurve), die sich von der durch die Michaelis-
Menten-Gleichung bestimmten hyperbolen V/[S]-Charakteristik unterschei-
8 det (graue Kurve). KM gibt diejenige Substratkonzentration an, bei der halb-
maximale Reaktionsgeschwindigkeit erreicht wird. Beide Kurven nähern
sich asymptotisch der gleichen Maximalgeschwindigkeit (VMAX)

dung von Effektoren (Liganden) induziert werden. Zur Beschrei-


bung dieses Phänomens wurde der Begriff der Allosterie (griech.
. Abb. 8.6 Irreversible Hemmung der Prostaglandin-H2-Synthasen allo – »anders«, steros – »Ort«) geprägt, der die Beeinflussung
durch Acetylsalicylsäure. A Schematische Darstellung der Struktur des ho- eines aktiven Zentrums eines Enzyms durch die Bindung eines
modimeren Prostaglandin-H2-Synthase-Isoenzyms 1 (PGHS-1, COX-1). Die Liganden an einen vom aktiven Zentrum entfernt gelegenen Ort
Peroxidasezentren sind nicht dargestellt. B Covalente Modifikation des Se- des gleichen Enzymmoleküls (allosterisches Zentrum) zum Aus-
rinrestes 529 der PGHS-1 durch Acetylsalicylsäure. (A Adaptiert nach Fitz-
druck bringt. Die Veränderung der Konformation einer Unter-
Gerald 2003, mit freundlicher Genehmigung von Macmillan Publishers Ltd)
einheit kann dabei Konformationsänderungen in anderen Un-
tereinheiten des oligomeren Enzyms bewirken. Kooperativität
schrieben werden kann. Häufig wird eine S-förmige (sigmoida- und Allosterie treten auch bei Proteinen ohne Enzymfunktion
le) Abhängigkeit der Enzymaktivität von der Substratkonzentra- auf (7 Kap. 5.3).
tion beobachtet (. Abb. 8.7), die eine bemerkenswerte Ähnlich-
keit mit der Sauerstoffbindungskurve des Hämoglobins Struktur-Funktions-Modelle allosterischer Enzyme
aufweist (7 Kap. 5.3). Strukturuntersuchungen haben ergeben, erklären die sigmoidale Kinetik und
dass derartige Enzyme in der Regel aus mehreren Untereinheiten den Einfluss allosterischer Effektoren
bestehen. Die katalytische Aktivität dieser oligomeren Enzyme Funktionell bedeutsame Aspekte des komplexen kinetischen Ver-
kann äußerst wirksam durch Effektoren gesteuert werden. Die haltens allosterischer Enzyme können durch einfache Modelle
durch die Effektorbindung ausgelöste strukturelle und funktio- näherungsweise beschrieben werden. Jaques Monod, Jeffries
nelle Kommunikation zwischen verschiedenen Substrat- und Wyman und Jean-Pierre Changeux entwickelten 1965 ein Modell,
Effektorbindungsstellen eines Enzyms bezeichnet man als das als konzertiertes Modell oder Symmetriemodell bezeichnet
Kooperativität. In der Enzymkinetik wird zwischen positiver wird. Ausgangspunkt der Betrachtung ist ein dimeres Enzym,
und negativer Kooperativität unterschieden. Im Falle einer posi- dessen Untereinheiten bereits in Abwesenheit des Substrates in
tiven Kooperativität führt die Bindung eines Substrat- bzw. den Zustandsformen T (tense – »gespannt«) und R (relaxed – »re-
Effektormoleküls zu einer erleichterten Bindung weiterer laxiert«) vorliegen (. Abb. 8.8). Beide Zustandsformen (Konfor-
Substratmoleküle an noch unbesetzte katalytische Zentren des mationen) besitzen prinzipiell die Fähigkeit zur Substratbindung
gleichen Enzymmoleküls, während bei negativer Kooperativi- und zur Katalyse, jedoch ist die Affinität des R-Zustandes zum
tät die Substratbindung durch die zunehmende Besetzung von Substrat größer als die des T-Zustandes. Das Symmetriemodell
Substrat- oder Effektorbindungsstellen sukzessive erschwert basiert auf der Annahme, dass infolge der Wechselwirkungen der
wird. Man spricht von homotroper Kooperativität, wenn der Untereinheiten des Enzyms nur symmetrische Strukturformen
kooperative Effekt durch das Substrat selbst ausgelöst wird. existieren (TT oder RR), hybride Zustände (RT) hingegen nicht
Kommt der kooperative Effekt infolge der Bindung eines Effek- auftreten. Die symmetrischen Strukturformen stehen in einem
tors zustande, der nicht mit dem Substrat identisch ist, liegt allosterischen Gleichgewicht miteinander. Zwischen beiden
heterotrope Kooperativität vor. Konformationszuständen sind folglich nur »Alles-oder-Nichts«-
Molekulare Grundlage der Kooperativität sind Veränderun- Übergänge möglich. Ein Anstieg der Substratkonzentration
gen der Konformation eines Enzymproteins, die durch die Bin- führt im Symmetriemodell zu einer Verschiebung des R/T-
8.4 · Kooperativität und allosterische Kontrolle der Enzymaktivität
121 8

. Abb. 8.8 Symmetriemodell allosterischer Enzyme. Die Wechselwirkun- . Abb. 8.9 Kinetik eines allosterischen Enzyms im Symmetriemodell.
gen der Untereinheiten des dimeren Enzyms erzwingen symmetrische Kon- Die obere hyperbole Kurve entspricht der V/[S]-Charakteristik des R-Zu-
formationszustände, die in einem allosterischen Gleichgewicht stehen. Der standes, die scheinbar lineare tatsächlich aber ebenfalls hyperbole untere
Übergang zwischen R- und T-Zustand erfolgt nach dem »Alles-oder- Kurve der des T-Zustandes. Die sigmoidale Kurve entsteht durch die Zunah-
Nichts«-Prinzip. Mit steigender Substratkonzentration kommt es zu einer me des Anteils der R-Konformation des Enzyms bei steigender Substrat-
Verschiebung des allosterischen Gleichgewichtes zugunsten des für das konzentration
Substrat (grün) hochaffinen R-Zustandes. Auch allosterische Aktivatoren
binden bevorzugt an den R-Zustand (nicht dargestellt). Die Bindung eines
allosterischen Inhibitors (rot) stabilisiert den T-Zustand
risch wirksam sind. Man bezeichnet diese Moleküle als »Signal-
metabolite«. Generell kann die Gegenwart allosterischer Effekto-
Gleichgewichtes zugunsten des R-Zustandes. Die Vergrößerung ren zu einer Veränderung der Maximalaktivität VMAX (V-Syste-
des Anteils der Enzymmoleküle, die infolge der Bindung eines me) oder zu einer Beeinflussung der Substratkonzentration S0,5
Substratmoleküls in der R-Form vorliegen, ermöglicht die eines allosterischen Enzyms führen, bei der halbmaximale Reak-
Bindung weiterer Substratmoleküle an hochaffine Substratbin- tionsgeschwindigkeit beobachtet wird (K-Systeme). In vielen
dungsstellen des gleichen Enzymmoleküls (positive homotrope Fällen verändern allosterische Effektoren beide Parameter.
Kooperativität) und bewirkt den sigmoidalen Verlauf der V/[S]- Im Kontext des Symmetriemodells beruht die Wirkung allo-
Charakteristik des Enzyms (. Abb. 8.9). sterischer Effektoren darauf, dass sie das Gleichgewicht zwischen
Ein alternatives Modell zur Beschreibung der funktionellen R- und T-Zustand durch eine bevorzugte Bindung an einen der
Eigenschaften allosterischer Enzyme wurde von Daniel E. Kosh- zwei Konformationszustände verschieben (. Abb. 8.8). Negative
land Jr. (1966) entwickelt und wird als sequentielles Modell allosterische Effektoren binden bevorzugt an die T-Konformati-
(Koshland-Nemethy-Filmer-Modell) bezeichnet. Im Unter- on des Enzyms und verschieben so das allosterische Gleichge-
schied zum konzertierten Modell wird postuliert, dass die Bin- wicht zugunsten des für das Substrat niedrigaffinen T-Zustandes.
dung eines Liganden an eine Untereinheit eines oligomeren En- Im Gegensatz dazu bewirken positive allosterische Effektoren –
zyms eine Konformationsänderung unmittelbar in dieser Unter- ähnlich wie das Substrat – eine Verschiebung des allosterischen
einheit und mittelbar in benachbarten Untereinheiten induziert. Gleichgewichtes hin zum R-Zustand. Durch hinreichend hohe
Die im konzertierten Modell eingeführte Symmetrieforderung Konzentrationen eines positiven allosterischen Effektors kann
wird durch eine thermodynamische Beschreibung der Wechsel- das allosterische Gleichgewicht so weit verschoben werden, dass
wirkungen zwischen den Untereinheiten des oligomeren Enzyms bei Variation der Substratkonzentration eine hyperbole Kinetik
ersetzt. Eine wichtige Eigenschaft des sequentiellen Modells be- beobachtet wird, die dann die katalytischen Eigenschaften des
steht darin, dass dieses im Gegensatz zum Symmetriemodell R-Zustandes widerspiegelt (. Abb. 8.9).
auch eine negative Kooperativität erklären kann, bei der die Regulatorisch bedeutsam ist, dass allosterische Enzyme oft-
Bindung eines Substratmoleküls an ein aktives Zentrum die Bin- mals unter zellulären Bedingungen irreversible Reaktionen am
dung weiterer Substratmoleküle an noch unbesetzte Substratbin- Anfang von Stoffwechselwegen oder an Verzweigungspunkten
dungsstellen des gleichen Enzyms erschwert. des Stoffwechsels katalysieren. Die sensitive und spezifische Re-
gulation dieser Enzyme durch allosterische Effektoren eröffnet
Allosterische Enzyme werden wirksam durch posi- vielfältige Möglichkeiten für therapeutische Interventionen.
tive und negative allosterische Effektoren reguliert Von medizinischem Interesse sind hierbei u. a. Substanzen, die
Die katalytische Aktivität allosterischer Enzyme wird typischer- als allosterische Effektoren von Monooxygenasen der Cyto-
weise empfindlich durch Liganden gesteuert, die mit dem Sub- chrom-P450-Familie (7 Kap. 62.3) wirken. Auch die allosterische
strat strukturell nicht verwandt sind und an Bindungsstellen Kontrolle der an der Regulation von Zellfunktionen beteiligten
außerhalb des aktiven Zentrums gebunden werden. Zu diesen G-Protein-gekoppelten Rezeptoren (GPCR; 7 Kap. 35.3), die
Liganden gehören Moleküle, die im Stoffwechsel gebildet werden selbst keine katalytische Aktivität aufweisen, besitzt ein großes
und oftmals bereits in sehr geringen Konzentrationen regulato- pharmakotherapeutisches Potential.
122 Kapitel 8 · Regulation der Enzymaktivität

A B

. Abb. 8.10 Allosterische Regulation des Muskel-Isoenzyms der PFK1 des Menschen. A Abhängigkeit der Enzymaktivität von der ATP-Konzentration
([Fructose-6-Phosphat] = 0,25 mM) (rote Kurve). B Abhängigkeit der Enzymaktivität von der Fructose-6-Phosphatkonzentration ([MgATP2–] = 3 mM) (rote
8 Kurve). Blaue Kurven: Aktivierung der PFK1 durch Fructose-2,6-Bisphosphat (1 µM). Die in der Abbildung markierten Konzentrationen von Fructose-6-
Phosphat bzw. MgATP2– (unterbrochene Linien) entsprechen typischen intrazellulären Konzentrationen dieser Substrate

8.5 Regulation der Enzymaktivität


Übrigens durch covalente Modifikation
Phosphofructokinasen sind komplex kontrollierte
allosterische Enzyme Die covalente Modifikation stellt einen weit verbreiteten Mecha-
Das Enzym Phosphofructokinase 1 (PFK1, EC 2.7.1.11) nismus der Regulation der Enzymaktivität dar, der auf einer zell-
katalysiert eine zellphysiologisch irreversible Reaktion der physiologisch reversiblen covalenten Anheftung funktioneller
Glycolyse (7 Kap. 14.1.1): Gruppen an Aminosäureseitenketten oder auf einer zellphysio-
logisch irreversiblen proteolytischen Veränderung des Enzym-
Fructose-6-Phosphat + ATP proteins beruht. Man bezeichnet Enzyme, deren Aktivitätszu-
Fructose-1,6-Bisphosphat + ADP + H+ stand durch eine funktionell reversible kovalente Modifikation
von Aminosäureseitenketten des Enzymproteins verändert wer-
Die Isoenzyme der Phosphofructokinase 1 des Menschen den kann (7 Kap. 49.3), als interkonvertierbare Enzyme. Eine
(Muskel: PFKM; Leber: PFKL; Blutplättchen: PFKP) sind hete- häufig vorkommende covalente Modifikation von Enzymen ist
ro- oder homotetramere Proteine, deren Untereinheiten die Phosphorylierung durch ATP-abhängige Proteinkinasen
durch verschiedene Gene codiert werden. Da diese Gene bzw. die Dephosphorylierung der Phosphoenzyme durch Phos-
durch Genduplikation und Genfusion aus einem Vorläufer- phoproteinphosphatasen. Sowohl Proteinkinasen als auch
gen entstanden sind, zeigen die N- und C-terminalen Hälf- Phosphoproteinphosphatasen katalysieren unter zellulären Be-
ten der Polypeptidketten der PFK1 eine hohe Sequenziden- dingungen irreversible Reaktionen (. Abb. 8.11). Durch das ko-
tität. Im N-terminalen Teil befindet sich das aktive Zentrum, ordinierte Zusammenwirken der Kinasen und Phosphatasen ist
während der C-terminale Teil seine katalytische Funktion die Protein(de)phosphorylierung in vivo jedoch reversibel.
verloren hat, jedoch Bindungsstellen für allosterische
Effektoren wie AMP, Fructose-2,6-bisphosphat und ATP
besitzt. Das Substrat Fructose-6-Phosphat übt einen positiv-
. Tab. 8.2 Regulation der katalytischen Aktivität von Enzymen
homotropen kooperativen Effekt aus. Demgegenüber wirkt durch Phosphorylierung und Dephosphorylierung (Auswahl)
der Magnesium-ATP-Komplex sowohl als Substrat als auch
als allosterischer Inhibitor (negativ-heterotrope Kooperati- Enzym Aktive Form Siehe Kapitel
vität). Fructose-2,6-Bisphosphat ist der stärkste physiologische
Glycogensynthase Dephosphoryliert 15.2
Aktivator des Enzyms (. Abb. 8.10). Die allosterische Regula-
tion der PFK1 ermöglicht der Zelle eine effiziente Kontrolle der Glycogenphosphorylase Phosphoryliert 15.2
Glycolyse. Phosphorylasekinase Phosphoryliert 15.2

Pyruvatdehydrogenase Dephosphoryliert 18.2

Acetyl-CoA-Carboxylase Dephosphoryliert Abb. 21.22

Hormonsensitive Lipase Phosphoryliert 21.3.1

HMG-CoA-Reduktase Dephosphoryliert 23
8.5 · Regulation der Enzymaktivität durch covalente Modifikation
123 8

. Abb. 8.11 Phosphorylierung und Dephosphorylierung eines interkon-


vertierbaren Enzyms. Ein Serinrest des Enzymproteins wird durch eine Pro-
teinkinase in einer ATP-abhängigen Reaktion phosphoryliert. Die Regene-
rierung des unmodifizierten Serinrestes erfolgt hydrolytisch durch eine
Phosphoproteinphosphatase . Abb. 8.12 Aktivierung von Hydrolasen des exokrinen Pankreas durch
limitierte Proteolyse. Trypsin aktiviert neben verschiedenen Proenzymen
auch eine Colipase, die als Aktivator der Pankreaslipase wirkt. Die Aktivie-
rung von Trypsinogen und Chymotrypsinogen wird autokatalytisch ver-
Die verschiedenen Formen eines interkonvertierbaren stärkt
Enzyms weisen in der Regel unterschiedliche funktionelle Ei-
genschaften auf und ermöglichen dadurch schnelle Veränderun-
gen von Stoffwechselprozessen. In . Tab. 8.2 ist eine Auswahl Prozessen ermöglichen. Derartige »Phosphorylierungskaska-
von Enzymen zusammengestellt, deren katalytische Aktivität den« führen darüber hinaus zu einer enormen Verstärkung des
durch Phosphorylierung und Dephosphorylierung reguliert regulatorischen »Eingangssignals«.
werden kann.
Die Regulation der Enzymaktivität durch Phosphorylierung Die limitierte Proteolyse dient der irreversiblen
und Dephosphorylierung ist häufig von einer allosterischen Aktivierung inaktiver Enzymvorstufen
Kontrolle überlagert. So wird die Phosphorylasekinase das im Zahlreiche Enzyme werden als katalytisch inaktive Proenzyme
Muskel exprimierte Isoenzym der Phosphorylasekinase des (Zymogene) synthetisiert. Erst durch die Hydrolyse von Peptid-
Muskels (7 Kap. 15.2) durch Phosphorylierung und durch Ca2+- bindungen und die Abspaltung von Peptiden werden diese
Ionen aktiviert. Phosphorylierung und allosterische Aktivierung Enzyme in eine katalytisch aktive Form überführt. Beispiele
wirken dabei »synergistisch«, d. h. dass die durch beide Effekte hierfür sind die intrazelluläre Aktivierung von Caspasen
erreichte Aktivitätssteigerung deutlich größer als die Summe der während der Apoptose (7 Kap. 51) und die extrazelluläre Akti-
Einzelwirkungen ist. vierung von Proteasen der Blutgerinnung (7 Kap. 69). Auch
Für die Regulation des Stoffwechsels ist es von wesentlicher Sekretenzyme (7 Kap. 9) wie die im Gastrointestinaltrakt wirk-
Bedeutung, dass ein und dieselbe Proteinkinase mehrere Sub- samen Hydrolasen des exokrinen Pankreas (7 Kap. 61.1.3) wer-
stratproteine phosphorylieren kann. So wird bei ATP-Mangel die den als katalytisch inaktive Vorstufen synthetisiert, als solche
durch Adenosin-5’-Monophosphat (AMP) aktivierbare Pro- intrazellulär gespeichert und bei Bedarf sezerniert. Die extrazel-
teinkinase (AMPK) aktiviert, die eine große Zahl verschiedener luläre Aktivierung durch limitierte Proteolyse (hydrolytische
Enzyme phosphoryliert und dadurch eine physiologisch sinnvol- Spaltung einer begrenzten Zahl von Peptidbindungen) stellt
le Umstellung des Zellstoffwechsels ermöglicht (7 Kap. 38). An- dabei sicher, dass der Abbau von Biomolekülen erst am physio-
dererseits kann ein und dasselbe Enzym durch unterschiedliche logischen Wirkungsort der aktivierten Enzyme erfolgt.
Proteinkinasen an verschiedenen Aminosäureresten phosphory-
liert werden. Ein Beispiel hierfür ist die Regulation der Glyco- Trypsinogen wird durch die spezifische Spaltung
gensynthase durch verschiedene Glycogensynthasekinasen einer einzigen Peptidbindung aktiviert
(7 Kap. 15.2). Besonders eindrucksvoll ist die Kontrolle multi- In . Abb. 8.12 ist das Prinzip der Enzymaktivierung durch limi-
funktioneller Enzyme durch kovalente Modifikation. So bewirkt tierte Proteolyse am Beispiel verschiedener Verdauungsenzyme
die Phosphorylierung eines einzigen Serinrestes der bifunktio- des exokrinen Pankreas dargestellt. Die initiale proteolytische
nellen Fructose-6-phosphat-2-kinase/Fructose-2,6-bisphospha- Aktivierung des Trypsinogens erfolgt durch eine von den En-
tase (PFK2/FBPase2) der Leber eine Hemmung der Kinase- terocyten des Duodenums gebildete Endopeptidase (Enteropep-
aktivität und eine Aktivierung der Phosphataseaktivität. Folge tidase), die im Darmlumen spezifisch die Abspaltung eines N-
der Modifikation ist eine Erniedrigung der intrazellulären Kon- terminalen Hexapeptids katalysiert. Die Aktivierung eines Pro-
zentration des Signalmetaboliten Fructose-2,6-bisphosphat und enzyms kann durch geringe Mengen des bereits aktivierten En-
dadurch eine ausbleibende Aktivierung der hepatischen Glyco- zyms verstärkt werden (Autokatalyse).
lyse (7 Kap. 14.1.1). Die Phosphorylierung von Enzymen erfolgt
oftmals im Rahmen vernetzter und hierarchisch organisierter
Regulationssysteme, die ein schnelles und wirkungsvolles An-
und Abschalten von Stoffwechselwegen und physiologischen

Dephospho-Enzym# Phospho-Enzym#
124 Kapitel 8 · Regulation der Enzymaktivität

8.6 Regulation der Enzymaktivität


durch Protein-Protein-Interaktion Zu den Mechanismen der schnellen Regulation der
Enzymaktivität gehört die covalente Modifikation von
Die katalytische Aktivität von Enzymen kann nicht nur durch die Enzymproteinen. Eine herausragende Bedeutung kommt
Bindung niedermolekularer Effektoren, sondern auch durch die hierbei der zellphysiologisch reversiblen Phosphorylierung
Interaktion mit Proteinen wirksam reguliert werden. Ein ein- und Dephosphorylierung verschiedenster Enzyme zu. Im
drucksvolles Beispiel für eine regulatorisch bedeutsame Protein- Gegensatz dazu hat die Abspaltung von Peptiden durch
Protein-Wechselwirkung ist die Aktivierung der an der Kontrolle limitierte Proteolyse eine irreversible Veränderung der
des Zellzyklus beteiligten cyclinabhängigen Proteinkina- Enzymaktivität zur Folge.
sen (Cdk) durch Cycline (7 Kap. 43). Auch die Aktivität von Se-
rinproteasen des Blutes (7 Kap. 69) unterliegt einer komplexen
Steuerung durch Protein-Protein-Interaktionen, an denen Pro- 7 Die Literaturliste finden Sie unter springer.com
teine aus der Familie der Serpine (Serinproteaseinhibitoren) ent-
scheidend beteiligt sind. Zu den Serpinen gehört das in der Leber
gebildete α1-Antitrypsin (α1-Antiproteinase). Eine verminderte
Hemmung der neutrophilen Elastase durch diesen Inhibitor ist
mit einem deutlich erhöhten Risiko der Entstehung eines Lungen-
8 emphysems verbunden (7 Kap. 67.3). Die Bindung des Serpins im
aktiven Zentrum führt zunächst zu einer kompetitiven Hem-
mung der Serinprotease. Infolge einer proteolytischen Modifika-
tion des gebundenen Inhibitors durch die Protease selbst kommt
es zu einer irreversiblen Hemmung der Enzymaktivität (Suizid-
katalyse).

Zusammenfassung
Die Regulierbarkeit der katalytischen Aktivität der Enzyme
ist eine notwendige Voraussetzung für Wachstum, Differen-
zierung und Zellteilung sowie für die Kontrolle von Stoff-
wechselprozessen durch Signalstoffe. Hierbei wirken Mecha-
nismen einer schnellen Regulation der Aktivität bereits vor-
handener Enzymmoleküle und einer vergleichsweise lang-
samen Veränderung der Enzymmenge auf DNA-, RNA- und
Proteinebene zusammen.
Enzyme können durch Inhibitoren reversibel oder irrever-
sibel gehemmt werden. Bei einer reversiblen Hemmung
kommt es zu einer dem Massenwirkungsgesetz folgenden
Bindung des Inhibitors an das Enzym. Im Gegensatz dazu
wird das Enzym bei einer irreversiblen Hemmung durch
den Inhibitor dauerhaft kovalent modifiziert oder der
Inhibitor mit hoher Affinität im aktiven Zentrum gebun-
den. Suizidsubstrate sind Hemmstoffe, die erst nach einem
katalytischen Schritt fest im aktiven Zentrum gebunden
werden und dieses dauerhaft blockieren. Eine große Zahl
moderner Pharmaka gehört zur Wirkgruppe der Enzym-
inhibitoren.
Die Wechselwirkung allosterischer Enzyme mit positiven
und negativen Effektoren stellt einen wirksamen Mechanis-
mus der schnellen Kontrolle der Enzymaktivität dar. Die Bin-
dung dieser Liganden induziert Konformationsänderungen,
die mit einer Veränderung der Substrataffinität und/oder der
Maximalaktivität einhergehen.
6
125 9

9 Enzyme in Forschung, Diagnostik und Therapie


Thomas Kriegel, Wolfgang Schellenberger

Einleitung 4 die Bestimmung von Metabolitkonzentrationen in Körper-


flüssigkeiten. Da die Metabolitzusammensetzung von Blut
In 7 Kap. 7 und 7 Kap. 8 wurden die Grundkonzepte der Biokatalyse und und Harn den Funktionszustand und die Kooperation der
die Regulation der Enzymaktivität besprochen. Die Fähigkeit der Zellen, Gewebe und Organe widerspiegelt, stellt die Meta-
Enzyme, Substrate selektiv zu erkennen, an spezifische Bindungsstellen bolitanalytik eine sinnvolle Ergänzung der Enzymdiagnos-
hochaffin zu binden und mit großer katalytischer Wirksamkeit zu einem tik dar. Ein Beispiel ist die Verwendung von Urease und
von mehreren möglichen Reaktionsprodukten umzusetzen, begründet Glutamatdehydrogenase bei der Bestimmung der Harn-
ihre Bedeutung für die moderne medizinische Forschung, Diagnostik stoffkonzentration zur Bewertung der Nierenfunktion;
und Therapie. Eine Reihe von Krankheiten beruht auf dem Fehlen, einer 4 enzymimmunologische Analyseverfahren zum spezifi-
veränderten Expression oder veränderten Eigenschaften von Enzymen schen Nachweis und zur Bestimmung von Biomolekülen.
und/oder geht mit einem veränderten Vorkommen von Enzymen und Ein Beispiel ist die Kopplung von Peroxidase oder alkali-
Metaboliten in biologischen Flüssigkeiten einher. Der Nachweis und die scher Phosphatase an Immunglobulinmoleküle. Die so er-
Messung der Aktivität von Enzymen sowie die Bestimmung von Meta- zeugten Enzym-Antikörper-Konjugate werden in »Enzym-
bolitkonzentrationen mit Hilfe von Enzymen stellen eine wichtige immunoassays« (7 Kap. 6) z. B. zur Bestimmung von Hor-
Grundlage der klinisch-chemischen Laboratoriumsdiagnostik dar. Die monkonzentrationen im Rahmen der endokrinologischen
Kenntnis der Raumstruktur vieler Enzyme und ihrer Substrate hat zu Diagnostik oder im »Western Blot« zur selektiven Identi-
einer strukturbasierten Entwicklung hochwirksamer und nebenwir- fizierung von Proteinen nach deren elektrophoretischer
kungsarmer Therapeutika geführt. Trennung eingesetzt;
4 die Amplifikation, Sequenzierung, Klonierung und ge-
Schwerpunkte zielte Veränderung von DNA in der klinischen Genetik,
forensischen Medizin und rekombinanten DNA-Technolo-
4 Enzyme als Werkzeuge in der experimentellen Medizin:
gie. Ein Beispiel ist die Verwendung einer thermostabilen
Enzym- und Metabolitbestimmungen, enzymimmunologi-
bakteriellen DNA-Polymerase zur Amplifizierung von DNA
sche Nachweis- und Bestimmungsverfahren, Analyse und
bei der Polymerasekettenreaktion (7 Kap. 54.1.2);
gezielte Veränderung von Nucleinsäuren
4 die Substitution und die Verstärkung der Wirkung körper-
4 Bestimmung von Enzymaktivitäten, Isoenzymmustern und
eigener Enzyme. Ein Beispiel ist die Anwendung eines re-
Metabolitkonzentrationen in biologischen Flüssigkeiten im
kombinanten humanen gewebespezifischen Plasminogen-
Rahmen der klinisch-chemischen Laboratoriumsdiagnostik
aktivators (rh-tPA, recombinant human tissue plasminogen
4 Bedeutung der Enzyme als Zielstrukturen (targets) hoch-
activator) zur enzymatischen Auflösung von Thromben bei
wirksamer Pharmaka
Gefäßverschlüssen (Thrombolyse; 7 Kap. 69);
4 Unterstützung von Körperfunktionen mit Hilfe rekombinan-
4 die Konstruktion von Biosensoren. Ein Beispiel ist der Glu-
ter humaner Enzyme
cosesensor in Blutzuckermessgeräten, der eine schnelle und
4 Individuelle Unterschiede der Enzymausstattung als Grund-
minimal-invasive Bestimmung der Blutglucosekonzentra-
lage der Optimierung von Therapiekonzepten
tion mit Hilfe mikrobieller Enzyme ermöglicht (7 Übrigens
»Glucosensoren für Diabetiker«).

9.1 Anwendung von Enzymen in der Medizin


Übrigens
In der medizinischen Forschung, Diagnostik und Therapie erfül- Glucosesensoren für Diabetiker
len Enzyme vielfältige Funktionen als substrat- und reaktions- Biosensoren sind Messinstrumente, die zur Erkennung und
spezifische Katalysatoren, Reaktionsverstärker, Informations- Messung der Konzentration eines Analyten einen biochemi-
überträger und molekulare Werkzeuge. Zu den Anwendungsge- schen Prozess nutzen. Ein Anwendungsbeispiel in der Medi-
bieten von Enzymen in der Medizin gehören: zin ist der Glucosesensor zur Bestimmung der Blutglucose-
4 die Bestimmung von Enzymaktivitäten im Rahmen der konzentration, dessen Funktionsprinzip auf der Glucose-
Enzymdiagnostik. Ein Beispiel ist der Einsatz von Hexokina- oxidation durch das auf einer Platinmesselektrode immobili-
se und Glucose-6-Phosphatdehydrogenase bei der Bestim- sierte mikrobielle Enzym Glucoseoxidase (EC 1.1.3.4) beruht:
mung der Aktivität der Kreatinkinase im gekoppelten opti- 6
schen Test im Rahmen der Diagnostik des Myokardinfarktes;

P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_9, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
126 Kapitel 9 · Enzyme in Forschung, Diagnostik und Therapie

Enzyme der Blutgerinnung und des Komplementsystems.


D-Glucose + O2 + H2O D-Gluconsäure + H2O2 Eine Schädigung des Herkunftsorgans kann zu einer Ein-
schränkung der Proteinbiosynthese und damit auch zu
In einer elektrochemischen Folgereaktion kommt es zur Oxi- einem Absinken der Aktivität der betroffenen Enzyme im
dation des in der Primärreaktion entstandenen Wasserstoff- Blut führen.
peroxids zu Sauerstoff unter Freisetzung von Elektronen, die 4 Sekret-Enzyme. Zu dieser Enzymgruppe gehören die
einen messbaren Stromfluss proportional zur Glucosekon- Hydrolasen des exokrinen Pankreas, deren Funktion in der
zentration der Probe bewirken: Verdauung der Nahrungsstoffe im Darmlumen besteht.
Verdauungsenzyme können unter physiologischen Bedin-
H 2O 2 2H+ + O2 + 2e – gungen nur in geringem Maße durch Gefäßwände diffun-
dieren. Erst bei einer Schädigung des Pankreas kommt es zu
Alternativ stehen Glucosesensoren zur Verfügung, die an- einem Anstieg der intravasalen Enzymaktivität. Im Falle
stelle der Glucoseoxidase eine mikrobielle thermostabile eines chronischen Verlaufes kann die Einschränkung der
FAD-abhängige Glucosedehydrogenase (EC 1.1.99.10) nut- Biosynthese auch eine Abnahme der beim Gesunden ohne-
zen und damit die O2-Abhängigkeit der dargestellten Me- hin sehr niedrigen Enzymaktivitäten im Blut verursachen.
thode überwinden. Auch das im Seminalplasma vorkommende prostataspezi-
Die Miniaturisierung und Automatisierung der Messappara- fische Antigen (PSA, Semenogelase), das als Serinprotease
turen und das geringe erforderliche Blutprobevolumen ha- die Liquefizierung des koagulierten Ejakulates bewirkt,
ben zu einer breiten Anwendung von Glucosesensoren bei gehört zur Gruppe der Sekretenzyme.
der Blutglucosekontrolle von Diabetikern geführt. 4 Zell-Enzyme. Mit diesem Begriff werden Enzyme bezeich-
9 net, die in den verschiedenen Zelltypen des Organismus
wirksam sind und unter physiologischen Bedingungen
nicht in das extrazelluläre Kompartiment übertreten. Ein
9.2 Bestimmung von Enzymen in biologischen Anstieg der intravasalen Aktivität von Zell-Enzymen über
Flüssigkeiten (Enzymdiagnostik) den Normalbereich hinaus zeigt eine Enzymfreisetzung in-
folge einer pathologischen Zunahme der Permeabilität der
Blut ist eine extrazelluläre Flüssigkeit, in der Enzyme mit Funk- Cytoplasmamembran der Herkunftszellen oder einen Zell-
tionen im intrazellulären Kompartiment unter physiologischen untergang durch Nekrose an (7 Kap. 51). Ein besonders gut
Bedingungen in nur sehr geringen Konzentrationen nachweisbar untersuchtes Beispiel für die Schädigung eines Organs, die
sind. Die Erkenntnis, dass sich der Enzymgehalt des Blutes in- mit einer charakteristischen Freisetzung von Zell-Enzymen
folge pathologischer Prozesse in einem Organ in typischer Weise und anderen zellulären Proteinen einhergeht, ist der akute
verändern kann, hat die Bestimmung von Enzymaktivitäten Myokardinfarkt, bei dem es infolge einer akuten Mangel-
und Enzymkonzentrationen im Blut und in anderen Körper- durchblutung zu einer Nekrose von Myokardgewebe
flüssigkeiten wie Plasma, Serum, Harn oder Liquor zu einem kommt (. Abb. 9.1).
unverzichtbaren Instrument der Diagnostik verschiedenster Er-
krankungen werden lassen. Die Bestimmung von Enzymaktivi- Der Nachweis eines plasmaspezifischen Enzyms oder eines
täten erfolgt hierbei häufig im (gekoppelten) optischen Test Sekret-Enzyms im Blut erlaubt in der Regel einen Rückschluss
(7 Kap. 7.6). Zunehmend jedoch werden Enzymkonzentrationen auf das Herkunftsorgan und dessen Funktionszustand. Demge-
mit Hilfe spezifischer Antikörper gemessen (enzymimmunolo- genüber ist die Interpretation des Nachweises von Zell-Enzy-
gische Analyseverfahren, 7 Kap. 6.3). Damit können auch inakti- men im Blut häufig komplizierter. Hinweise auf das Herkunfts-
ve Proenzyme und Enzyme der Blutgerinnung bestimmt sowie organ ergeben sich aus dem unterschiedlichen Gehalt einzelner
Isoenzyme differenzierend erfasst werden. Zelltypen an bestimmten Enzymen sowie aus gewebespezifi-
schen Isoenzym-Mustern. Der Grad der morphologischen Inte-
Die Enzymaktivitäten im Blut sind Indikatoren grität einer Zelle und die Schwere einer Störung des Zellstoff-
der morphologischen Integrität und des Funktions- wechsels sind auch am Auftreten von Zellenzymen im Blut zu
zustandes der Zellen, Gewebe und Organe erkennen, die in unterschiedlichen intrazellulären Komparti-
Die medizinische Bedeutung der Enzymdiagnostik besteht in der menten vorkommen. Ein Anwendungsbeispiel hierfür ist die
Möglichkeit, Erkrankungen anhand eines charakteristischen Bestimmung des Aktivitätsverhältnisses von Alanin-Amino-
»Enzymmusters« in Körperflüssigkeiten diagnostizieren und transferase (ALAT) und Glutamatdehydrogenase (GLDH)
den Krankheitsverlauf sowie den Therapieerfolg durch die Be- (7 Kap. 26) im Rahmen der Leberfunktionsdiagnostik. Während
stimmung intravasaler Enzymaktivitäten kontrollieren zu kön- ein Anstieg der cytosolischen ALAT eine eher geringe Zellschä-
nen. Die im Blutplasma nachweisbaren Enzyme können nach digung signalisiert, kann bei einer Erhöhung der Aktivität der
ihrer Herkunft und Funktion in drei Gruppen eingeteilt werden: mitochondrialen GLDH im Blut ein schwerer Zell- bzw. Organ-
4 Plasmaspezifische Enzyme. Diese Enzyme werden als »Ex- schaden erwartet werden.
portproteine« von den sie produzierenden Zellen in das
Blut sezerniert und erfüllen dort eine physiologische
Funktion. Beispiele sind die in der Leber synthetisierten
9.2 · Bestimmung von Enzymen in biologischen Flüssigkeiten (Enzymdiagnostik)
127 9

nisch-chemischen Laboratoriumsdiagnostik zwei Methoden


angewendet:
In einem Immuninhibitionstest wird die M-Untereinheit der
Isoenzyme CK-MM und CK-MB durch einen spezifischen
Antikörper vollständig gehemmt und die Konzentration der
CK-MB anhand der katalytischen Aktivität ihrer durch den
Anti-M-Antikörper nicht gehemmten B-Untereinheit in
einem gekoppelten optischen Test (7 Kap. 7.2) ermittelt:

Kreatinkinase
Kreatinphosphat + ADP Kreatin + ATP

Hexokinase
ATP + Glucose ADP + Glucose-6-Phosphat + H+
. Abb. 9.1 Schematische Darstellung der relativen Konzentrationen von
Myoglobin, kardialem Troponin T (cTnT), Kreatinkinase-Isoenzym CK-MB
und Lactatdehydrogenase-Isoenzym LDH-1 im Serum nach einem akuten
Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenase
Myokardinfarkt (AMI). Die relativen Konzentrationen sind als Vielfaches der
Normalwerte (MoM, multiple of normal median) im Serum angegeben Glucose-6-Phosphat
+ NADP+ Gluconat-6-Phosphat + NADPH + H +

Da die Untereinheiten M und B die gleiche katalytische Akti-


Organspezifische Isoenzyme können den Ort vität aufweisen, wird das Messergebnis mit dem Faktor 2
einer Zellschädigung anzeigen multipliziert und die CK-MB-Aktivität in einer Maßeinheit der
Da die Expression von Isoenzymen oftmals organ- oder zellspe- katalytischen Aktivitätskonzentration (U/l) angegeben
zifisch erfolgt, ist eine Identifizierung des Ortes einer Zellschä- (7 Kap. 7.6).
digung durch den Nachweis und die Bestimmung von Isoenzy- Alternativ kann die Konzentration des CK-MB-Isoenzyms in
men möglich. Die medizinische Bedeutung der Isoenzym-Ana- einem Chemilumineszenz-Immunoassay (7 Kap. 6) mit
lytik soll am Beispiel der Kreatinkinase (creatine kinase, CK) Hilfe CK-MB-spezifischer Antikörper gemessen werden. Im
(7 Kap. 63.3) dargestellt werden. Kreatinkinase kommt in zwei mito- Unterschied zum Immuninhibitionstest wird dabei das Krea-
chondrialen und drei cytosolischen Formen vor. Bei den cytosoli- tinkinase-Protein selbst und nicht dessen katalytische Aktivi-
schen Isoenzymen der Kreatinkinase handelt es sich um dimere Pro- tät bestimmt und das Messergebnis in einer Maßeinheit der
teine, die aus katalytisch aktiven Untereinheiten des M-Typs (muscle) Proteinkonzentration (µg/l) angegeben.
und/oder des B-Typs (brain) zusammengesetzt sind: Die mit diesem Test bestimmte Konzentration der CK-MB wird
4 CK1 (CK-BB) kommt in hoher Konzentration nur im Ge- in der klinischen Praxis auch als »CK-MB-Masse« bezeichnet.
hirn vor und wird daher als Hirntyp bezeichnet.
4 CK2 (CK-MB) kann sowohl im Herzmuskel als auch im
Skelettmuskel nachgewiesen werden. Da die Konzentration . Abb. 9.1 zeigt schematisch den Verlauf der Konzentrationen
dieses Isoenzyms im Myokard am höchsten ist, wird es als des cytosolischen Kreatinkinase-Isoenzyms CK-MB, des kardia-
Myokardtyp bezeichnet. len Troponins T (cTnT) (7 Kap. 63.2.3), des Myoglobins und des
4 CK3 (CK-MM) wird neben dem Isoenzym CK2 im Herz- Lactatdehydrogenase-Isoenzyms LDH-1 (7 Kap. 7.3) im Serum
und Skelettmuskel gefunden und als Muskeltyp bezeichnet. nach einem akuten Myokardinfarkt. Die Eignung dieser Enzyme
und Proteine als Biomarker zur Feststellung kardialer Ereignisse
Die intravasale Gesamtaktivität der Kreatinkinase ist beim ist von der Spezifität und Sensitivität des Nachweises in einem für
Gesunden überwiegend auf das Isoenzym CK-MM zurück- therapeutische Interventionen relevanten Zeitfenster abhängig.
zuführen. Bei einer akuten Schädigung des Herzmuskels kann das Das kardiale Troponin cTnT wird spezifisch im Herzmuskel
Isoenzym CK-MB bereits 3 h nach Auftreten der Symptomatik in exprimiert und bei einer durch Mangeldurchblutung (Ischämie)
erhöhter Konzentration im Serum nachgewiesen werden. ausgelösten Nekrose freigesetzt. Wegen der hohen Spezifität und
Sensitivität des Nachweises dieses Proteins mittels hochempfind-
licher Immunoassays gilt die Bestimmung von cTnT heute als
Übrigens »Goldstandard« bei der laborchemischen Diagnostik des akuten
Analytik des Kreatinkinase-Isoenzyms CK-MB Myokardinfarktes. Die diagnostische Aussage der Troponinana-
Für die Bestimmung der cytosolischen heterodimeren lytik kann durch die Bestimmung des CK-MB-Isoenzyms ergänzt
Kreatinkinase CK-MB im Serum oder Plasma im Rahmen der werden. Die im Vergleich zum kardialen Troponin cTnT deutlich
Diagnostik des akuten Myokardinfarktes werden in der kli- schnellere Normalisierung der CK-MB im Serum begründet die
6 Eignung dieses Parameters zur Verlaufsbeurteilung eines Myo-
kardinfarktes und zur Detektion eines Reinfarktes.
128 Kapitel 9 · Enzyme in Forschung, Diagnostik und Therapie

A B

. Abb. 9.2 Komplex der HIV-Protease mit dem Inhibitor Ritonavir. A Raumstruktur des HIV-Protease-Ritonavir-Komplexes (Bändermodell). Der Inhibitor
(rot) ist als Ball-und-Stab-Modell gezeigt. B Chemische Struktur von Ritonavir. Die OH-Gruppe des Moleküls (rot) ist an der Interaktion mit einem der Aspar-
tatreste im aktiven Zentrum der HIV-Protease beteiligt. (PDB ID 1hxw)

. Tab. 9.1 Therapeutisch eingesetzte Enzyminhibitoren (Auswahl)

Zielenzym Pharmakon Hemm-Mechanismus Anwendungsbeispiel

9 Angiotensin-converting enzyme (ACE) Lisinopril Kompetitiv Antihypertensivum


(7 Kap. 65.4.3)

Carboanhydrase Acetazolamid Kompetitiv Glaukom-Therapeutikum


(7 Kap. 61.1.2)

Cyclooxygenase (COX-1) Acetylsalicylsäure Covalente Modifikation Antiphlogistikum


(7 Kap. 22.3.2)

Glycopeptidtranspeptidase Penicillin Suizidsubstrat Antibiotikum


(7 Kap. 16.2.4)

HIV-Protease Ritonavir Übergangszustandsanalogon Virostatikum


(7 Kap. 12.3)

HMG-CoA-Reduktase Lovastatin Kompetitiv Cholesterinsenker


(7 Kap. 23.1) (Statin)

Phosphodiesterase Sildenafil Kompetitiv Therapie der erektilen


(PDE5-Isoenzym) Dysfunktion
(7 Kap. 35.6.2)

Thrombin Antithrombin III (ATIII) Suizidsubstrat Antikoagulans


(7 Kap. 69.1.4)

Thymidylatsynthase Fluorouracil Suizidsubstrat Cytostatikum


(7 Kap. 30.2 und 31.1.2)

Xanthinoxidase Allopurinol Suizidsubstrat Uricostaticum


(7 Kap. 29.4)

Der Anstieg der Myoglobinkonzentration im Serum unmit- Die in . Abb. 9.1 aufgeführten Proteine und Enzyme werden
telbar nach einem akuten Myokardinfarkt zeigt eine nekrotische infolge nekrotischer Veränderungen aus dem Myokard freige-
Schädigung des Herzmuskels mit hoher Sensitivität an. Die feh- setzt. Für die Abschätzung eines Infarktrisikos und für die Beur-
lende Kardiospezifität des Myoglobins relativiert jedoch dessen teilung des Therapieverlaufes nach einem Myocardinfarkt kön-
Bedeutung als Infarktmarker. Ursache der geringen Bedeutung nen auch Biomarker wie Myeloperoxidase (7 Kap. 70), Matrix-
der LDH-Analytik im Rahmen der Diagnostik des akuten Myo- Metalloproteasen (7 Kap. 71.2) und C-reaktives Protein (7 Kap.
kardinfarktes ist der späte und vergleichsweise moderate intrava- 67.3 und 70.11) herangezogen werden, die auf entzündliche Pro-
sale Anstieg des auch außerhalb des Herzmuskels vorkommen- zesse am Herzmuskel hinweisen.
den LDH-1-Isoenzyms (7 Kap. 7.3).
9.3 · Enzyme als Zielstrukturen von Pharmaka
129 9
9.3 Enzyme als Zielstrukturen von Pharmaka ten von Enzymen führen. Die Bedeutung dieses Phänomens soll
an einem therapeutisch bedeutsamen Beispiel demonstriert wer-
Eine Vielzahl moderner Pharmaka wirkt durch die den: Eine Vielzahl von Arzneimitteln wird in der Leber durch das
spezifische Hemmung von Enzymen Cytochrom-P450-Enzymsystem (7 Kap. 62.3) chemisch verän-
Die molekulare Grundlage der Wirkung eines Pharmakons be- dert (»metabolisiert«). Beim Menschen wurden mehr als 50 Gene
steht in dessen möglichst spezifischer Wechselwirkung mit sei- identifiziert, die Cytochrom-P450-Enzyme (CYP-Enzyme) codie-
ner Zielstruktur (target). Zu den therapeutisch bedeutsamen ren. CYP2D6 (EC 1.14.14.1) ist an der Metabolisierung von etwa
Zielstrukturen gehören verschiedenste bakterielle, virale, funga- einem Viertel aller verschreibungspflichtigen Medikamente be-
le und humane Enzyme, deren Aktivität durch Enzyminhibito- teiligt. Zur interindividuellen Variabilität der CYP2D6-Aktivität
ren gehemmt werden kann. Ein zentrales Erfordernis der mole- trägt die Existenz von mehr als 70 Allelvarianten mit unter-
kularen Modellierung von Hemmstoffen mit therapeutischem schiedlicher katalytischer Aktivität und/oder Expression, aber
Einsatzpotenzial ist neben der Kenntnis der katalysierten Reak- auch eine individuell unterschiedliche Kopienzahl des CYP2D6-
tion die Verfügbarkeit einer hochaufgelösten Raumstruktur des Gens bei. Während in Europa 7–10 % der Bevölkerung »lang-
target-Enzyms. Man bezeichnet einen solchen multidisziplinä- same Metabolisierer« und nur 1–2 % »schnelle Metabolisierer«
ren Ansatz zur Schaffung hochwirksamer Medikamente bei in Bezug auf CYP2D6 sind, ist die Situation in Asien invers. Diese
gleichzeitiger Minimierung unerwünschter Nebenwirkungen als Situation ist z. B. bei der Therapie des Mammakarzinoms mit
strukturbasiertes (rationales) drug design. dem Östrogenrezeptorantagonisten Tamoxifen von Bedeutung.
Eine Auswahl von Pharmaka, deren therapeutische Wirkung Tamoxifen ist ein »Prodrug«, das erst durch CYP2D6 in die phar-
in der Hemmung eines bestimmten Enzyms besteht, ist in . Tab. makologisch aktive Form (Endoxifen) umgewandelt wird. Trä-
9.1 zusammengestellt. Beispielgebend soll hier auf Inhibitoren gerinnen einer genetischen Variante mit niedriger CYP2D6-
der HIV-Protease eingegangen werden, die im Rahmen der Aktivität ziehen daher keinen oder einen nur geringen Nutzen
AIDS-Therapie zum Einsatz kommen. Die für den Replikations- aus einer Behandlung mit Tamoxifen. Eine Optimierung der
zyklus des HI-Virus (7 Kap. 12.3) benötigte HIV-Protease ist ein Tamoxifen-Therapie wird durch die Verfügbarkeit von Biochips
homodimeres Enzym aus der Familie der Aspartatproteasen, das unterstützt, die eine Identifizierung der Allelvarianten des
im aktiven Zentrum zwei am Katalysemechanismus beteiligte CYP2D6-Enzyms gestatten. Bei der Interpretation der Biochip-
Aspartatreste besitzt. Die Aufklärung der Raumstruktur der Daten muss berücksichtigt werden, dass auch nicht-genomische
HIV-Protease und ihres Reaktionsmechanismus sowie die Faktoren wie Hormone und Medikamente die CYP2D6-Aktivi-
Kenntnis des natürlichen Polypeptidsubstrates eröffnete die tät modulieren. So bewirken Glucocorticoide (7 Kap. 40.2) eine
Möglichkeit der Konstruktion von Übergangszustandsanaloga verstärkte Transkription des CYP2D6-Gens, während das zur
(7 Kap. 7.1), die das Enzym hochwirksam hemmen. Ritonavir antiretroviralen Therapie eingesetzte Ritonavir ( . Tab. 9.1,
(. Abb. 9.2) ist ein solcher durch strukturbasiertes drug design . Abb. 9.2) als Inhibitor des CYP2D6-Enzyms wirkt.
entwickelter Hemmstoff, der von der HIV-Protease mit sehr
hoher Affinität gebunden wird (Ki ca. 0,1 nmol/l).
Zunehmend begrenzt wird der klinische Einsatz von Zusammenfassung
Ritonavir durch die hohen Mutationsraten des retroviralen Die Bestimmung von Enzymaktivitäten und Metabolitkon-
Genoms, die zu einem Verlust der Hemmwirkung auf die zentrationen in Körperflüssigkeiten ist ein unverzichtbares
HIV-Protease führen können. Bemerkenswerterweise gewinnt Instrument der medizinischen Diagnostik. Zelluläre Enzyme,
in dieser Situation eine ursprünglich unerwünschte Neben- die in das Blut übertreten, können das geschädigte Organ
wirkung der Ritonavir-Therapie an Bedeutung: Ritonavir identifizieren und Informationen über den Schweregrad und
hemmt Cytochrom-P450-abhängige Monooxygenasen der Leber den Verlauf der Erkrankung sowie den Erfolg einer Therapie
(CYP3A4 und CYP2D6) und verlangsamt so den Abbau weiterer liefern.
Medikamente wie Atazanavir, die im Rahmen einer antiretrovi- Die Aufklärung der Reaktionsmechanismen der Enzyme und
ralen Therapie Anwendung finden. ihrer Funktionen im Stoffwechsel sowie die Analyse ihrer
Eine zunehmende Zahl von Pharmaka wirkt als Enzymakti- Raumstrukturen hat zur Entwicklung hochwirksamer
vatoren. Beispiele hierfür sind die Aktivierung der löslichen Pharmaka geführt, die im Rahmen der kausalen Therapie
Guanylatcyclase durch NO-Pharmaka (7 Kap. 35.6) zur Verbes- einer Vielzahl von Erkrankungen Anwendung finden.
serung der Sauerstoffversorgung des Myocards und die Aktivie- Zu den vielfältigen Einsatzgebieten der Enzyme in der Medi-
rung von Plasminogen durch rekombinanten humanen Gewebe- zin gehören die Analyse und die gezielte Veränderung von
plasminogenaktivator (rh-tPA) zur Einleitung einer enzymati- Nucleinsäuren genauso wie die therapeutische Unterstüt-
schen Thrombolyse (7 Kap. 69). Von großem medizinischen zung von Körperfunktionen mit Hilfe rekombinanter huma-
Interesse sind auch Aktivatoren der Glucokinase im Rahmen ner Enzyme.
der Therapie des Typ-2-Diabetes. DNA-Polymorphismen führen zu individuell-unterschiedli-
chen Enzymausstattungen, deren Kenntnis zur Optimierung
Körpereigene Enzyme beeinflussen von Therapiekonzepten genutzt werden kann.
die Wirksamkeit von Pharmaka
DNA-Polymorphismen können zu einer individuell unterschied-
lichen Expression sowie zu individuell spezifischen Eigenschaf- 7 Die Literaturliste finden Sie unter springer.com
10 Nucleinsäuren – Struktur und Funktion
Hans-Georg Koch, Jan Brix, Peter C. Heinrich

Einleitung vermutlich die Desoxyribonucleinsäure als Informationsträger


durchgesetzt; lediglich in einigen Viren ist die Information in der
Nucleinsäuren wie DNA und RNA sind polymere Verbindungen, die aus RNA codiert.
Nucleotiden aufgebaut sind. Die DNA ist Träger der genetischen Informa-
tion, lediglich einige Viren nutzen RNA als Informationsträger. Bei Euka- Nucleinsäuren sind Polymere, aufgebaut
ryonten liegt die DNA im Zellkern vor, wo sie zusammen mit den Histon- aus Nucleotiden, die untereinander durch
proteinen den wesentlichen Teil des Chromatins ausmacht. RNA spielt Phosphodiesterbindungen verknüpft sind
eine entscheidende Rolle bei der Proteinbiosynthese. Sie ist Baustein der In . Abb. 10.1 ist ein hypothetisches Tetranucleotid aus je einem
Ribosomen, dient als Matrize für die Biosynthese von Proteinen, ist Trä- DNA- bzw. RNA-Strang dargestellt. Dabei gelten folgende Be-
gerin von aktivierten Aminosäuren und ist entscheidend an der Regula- sonderheiten:
tion der Genexpression beteiligt. 4 Nach Konvention wird das 5’-Phosphatende der Kette
(oben) an den Anfang, das 3’-OH-Ende (unten) an das Ende
Schwerpunkte der Kette geschrieben.
10 4 Aufbau der DNA-Doppelhelix
4 Die stickstoffhaltigen Purin- oder Pyrimidinbasen sind
stets über eine N-glycosidische Bindung an das C1’-Atom
4 Verpackung der DNA mit Hilfe von Proteinen zum Chromatin
4 Übertragung der genetischen Information der DNA über
RNA in Protein
4 Aufbau des menschlichen Genoms

1869 beschrieb Friedrich Miescher, dass im Zellkern eine phos-


phathaltige proteinfreie Substanz vorkommt, die er Nuclein
nannte. In späteren Jahren vermutete er, dass sie etwas mit dem
Fertilisierungsvorgang zu tun haben müsste. 1889 prägte Richard
Altmann den Begriff Nucleinsäure und 1893 identifizierte Alb-
recht Kossel die in Nucleinsäuren vorkommenden Basen und
Zuckerkomponenten.

10.1 Struktur und Funktion von DNA und RNA

Neben der Funktion der Nucleinsäuren als Informationsträger ist


die katalytische Funktion bestimmter Ribonucleinsäuren (Ribo-
zyme) von besonderer Bedeutung, so wird z. B. die Bildung der
Peptidbindung im Ribosom durch die ribosomale RNA kataly-
siert und nicht durch Proteine (7 Kap. 48.5). Katalytische RNA-
Moleküle, die die Fähigkeit besitzen, sich selbst zu replizieren,
waren darüber hinaus vermutlich wesentlich an der Entstehung
des Lebens aus einer präbiotischen Atmosphäre beteiligt: Die
sog. RNA-Welt-Hypothese geht davon aus, dass ursprünglich
RNA-Moleküle sowohl für die Informationsspeicherung als auch
für die Katalyse verantwortlich waren und die Trennung von In-
formationsspeicherung (DNA) und Katalyse (Proteine) erst
später erfolgte. Ribonucleinsäuren sind allerdings instabiler als
Desoxyribonucleinsäuren, besonders unter alkalischen Bedin-
gungen. Dabei ist die 2’-OH-Gruppe der Ribose direkt an der . Abb. 10.1 Primärstruktur eines hypothetischen DNA- bzw. RNA-Tetra-
hydrolytischen Spaltung der Phosphodiesterbindung der Ribo- nucleotids. Die Buchstaben A, T, G, C und U bezeichnen die Basen Adenin,
nucleinsäuren bei alkalischem pH-Wert beteiligt. Daher hat sich Thymin, Guanin, Cytosin und Uracil. (Einzelheiten s. Text)

P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_10, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
Phosphodiesterbindung Nucleinsäuren#
10.2 · Die DNA-Struktur
131 10
der Pentose gebunden (Ausnahme Pseudouridin, 10.2 Die DNA-Struktur
7 Kap. 3.4.1).
4 Die Verbindung zwischen den einzelnen Mononucleotiden 10.2.1 Die DNA-Doppelhelix
erfolgt durch eine Phosphodiesterbindung zwischen dem
C-Atom 3’ der einen Pentose und dem C-Atom 5’ der Erst 1944, also 75 Jahre nach der Erstbeschreibung der Nuclein-
nächsten. In der DNA ist diese 3’,5’-Bindung die einzig säuren, entdeckte Oswald Theodore Avery, dass DNA Trägerin
mögliche, da in der Desoxyribose keine weiteren Hydroxyl- der Erbmerkmale ist und nicht Proteine, wie von vielen Wissen-
gruppen für die Bindung von Phosphatestern zur Verfü- schaftlern postuliert worden war. Bis 1950 hatte schließlich Erwin
gung stehen. Auch in der RNA kommen am häufigsten Chargaff eine Reihe wichtiger Eigenschaften der DNA aufgeklärt:
3’,5’-Bindungen vor, obwohl auch 2’,5’-Bindungen möglich 4 Die Basenzusammensetzung der DNA ist speziesspezifisch.
sind, z. B. während des Spleißens (7 Kap. 46.3.3). 4 Aus verschiedenen Geweben der gleichen Art isolierte
DNA-Proben haben immer die gleiche Basenzusammen-
Die Struktur einer Nucleinsäurekette kann in abgekürzter Form setzung.
angegeben werden: 4 Innerhalb einer bestimmten Spezies ist die Basenzusam-
4 Die Buchstaben A, G, C und U oder T dienen dabei als mensetzung der DNA konstant und nicht vom Alter,
Symbole für die Basen. Ernährungszustand oder Veränderungen der Umgebung
4 Der Buchstabe p bezeichnet Phosphat. p auf der linken abhängig.
Seite der Nucleosidabkürzung stellt eine 4 Aufgrund der Tatsache, dass die Purinbase Adenin immer
5’-Zuckerphosphatbindung dar, auf der rechten Seite der mit der Pyrimidinbase Thymin paart, und die Purinbase
Nucleosidabkürzung eine 3’-Zuckerphosphatbindung. Guanin immer mit der Pyrimidinbase Cytosin (Chargaff-
4 Mit dem Präfix d wird zum Ausdruck gebracht, dass es sich Regel), ergibt sich, dass in allen untersuchten DNA-Proben
um ein Desoxyribonucleotid handelt. die Anzahl der Adeninreste gleich der Anzahl der Thymin-
reste ist. Ebenso ist die Anzahl der Guaninreste stets gleich
So wird beispielsweise mit dem Ausdruck dpG Desoxyguano- der Anzahl der Cytosinreste. Daraus folgt, dass die Summe
sin-5’-Phosphat bezeichnet. Ein dGp steht dagegen für Desoxy- der Purinnucleotide gleich der Summe der Pyrimidinnucle-
guanosin-3’-Phosphat. Die in . Abb. 10.1 dargestellten Tetranuc- otide sein muss (A + G = T + C).
leotide würden in der Kurzschreibweise als d(pA-T-G-C) bzw.
pA-U-G-C bezeichnet werden. Damit werden als Verknüpfung Trotz dieser Erkenntnisse waren der DNA-Aufbau und der Me-
Phosphodiesterbindungen zwischen dem C-Atom 3’ des einen chanismus der Informationsspeicherung und -wiedergabe durch
Zuckermoleküls und dem C-Atom 5’ des nächsten angenommen. die DNA völlig rätselhaft. Rosalind Franklin und Maurice Wil-
Aufgrund der Phosphatgruppen sind Nucleinsäuren starke kins stellten als erste röntgenkristallographische Untersuchun-
mehrbasige Säuren, die bei pH-Werten über 4 vollständig disso- gen über die DNA an und schlossen auf eine spiralige Struktur
ziiert sind. DNA und RNA unterscheiden sich nicht nur durch (s. 7 Übrigens Der Weg zur Doppelhelix und . Abb. 10.2). Erst
die Art der als Basenbestandteile verwendeten Zucker, sondern James Watson und Francis Crick gingen von der Annahme aus,
auch durch die Basenzusammensetzung: dass im DNA-Molekül Wasserstoffbrückenbindungen zwischen
4 In der DNA kommen Adenin, Guanin, Thymin und Cyto- den Basen vorhanden sind und schlugen 1953 ein Modell für die
sin vor. DNA-Struktur vor, das sich schließlich als richtig erwies (. Abb.
4 In der RNA findet sich in der Regel statt der Pyrimidinbase 10.3A). Es handelt sich um die B-DNA. Ihre Struktur ergibt sich
Thymin das Uracil. Die Verwendung von Thymin (5-Me- aufgrund von Wasserstoffbrückenbindungen und hydrophoben
thyluracil) anstelle von Uracil in der DNA ist notwendig, da Wechselwirkungen (. Abb. 10.3B):
Uracil auch durch spontane Desaminierung aus Cytosin 4 B-DNA besteht aus zwei helicalen Polydesoxynucleotid-
entstehen kann. Diese spontan und häufig auftretende strängen, die sich um eine gemeinsame Achse winden.
Mutation wird über spezielle DNA-Reparatursysteme Dabei verlaufen die Stränge in entgegengesetzter Richtung,
(7 Kap. 45.2) erkannt und behoben, was allerdings nur ge- sind also antiparallel.
lingen kann, weil Uracil nicht natürlicherweise in der DNA 4 B-DNA bildet eine rechtsgängige Doppelhelix mit etwa 10
vorkommt. Basenpaaren pro Windung auf einer Länge von 3,4 nm. Der
Durchmesser dieser Helix liegt bei 2 nm.
4 Die Basen zeigen in das Innere der Helix und sind planar
Zusammenfassung übereinander angeordnet. Über van der Waals-Kräfte und
Nucleotidbausteine bilden durch Verknüpfung über Phos- hydrophobe Wechselwirkungen tragen diese »Basenstapel«
phorsäurediesterbrücken zwischen den C-Atomen 3’ und 5’ zusätzlich zur Stabilität der DNA bei. Die Zucker-Phosphat-
der Ribose bzw. Desoxyribose lange kettenförmige Mole- Reste sind nach außen orientiert und bilden das negativ ge-
küle, die Nucleinsäuren. In DNA-Molekülen kommen aus- ladene Rückgrat der DNA-Doppelhelix.
schließlich Desoxyribonucleotide vor, in RNA-Molekülen 4 Benachbarte Basen entlang der Helixachse sind 0,34 nm
Ribonucleotide. DNA und RNA unterscheiden sich auch voneinander entfernt und um 36° gegeneinander verdreht.
durch die Basenzusammensetzung. 4 Die B-DNA weist eine große Furche (Breite 1–2 nm) und
eine kleine Furche (Breite 0,6 nm) auf; in diesen Bereichen
132 Kapitel 10 · Nucleinsäuren – Struktur und Funktion

A kann die Basensequenz der DNA von DNA-interagierenden


Proteinen erkannt werden.
4 Die beiden DNA-Einzelstränge werden durch Wasserstoff-
brückenbindungen zwischen jeweils zwei Basen zusam-
mengehalten.
4 Guanin und Cytosin können drei, Adenin und Thymin
zwei Wasserstoffbrücken ausbilden (. Abb. 10.4).

Übrigens
Der Weg zur Doppelhelix
Einer der wichtigsten und wohl folgenreichsten Beiträge
zur Wissenschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts lässt sich
auf den 25. April 1953 datieren. An diesem Tag erschien in
dem britischen Magazin Nature – auf nur zwei Seiten – die Ver-
öffentlichung eines Modells für den Stoff, aus dem die Gene
bestehen. Im britischen Cambridge schlugen der Amerikaner
James D. Watson (*1928) und der Brite Francis Crick (1916–
2004) eine grandiose Struktur für eine Säure (acid) vor, die im
19. Jahrhundert im Zellkern entdeckt worden war und seitdem
Desoxyribonucleinsäure (DNS, heute nur noch DNA) hieß: die
Watson-Crick-Doppelhelix. Diese stellt ein Molekül zur Verfü-
10 gung, dessen Struktur unmittelbar erkennen lässt, wie grundle-
gende biologische Funktionen zustande gebracht werden kön-
nen – nämlich die Verdoppelung des Erbmaterials als Vorstufe
der Vermehrung von Zellen und Organismen.
Wie kamen Watson und Crick zu ihrer Entdeckung?
Sie erkannten in ihren endlosen Diskussionen (die andere
Mitarbeiter des Cavendish Laboratoriums in Cambridge der-
art nervten, dass man den beiden ein gemeinsames Büro
gab), dass es wichtig sei, »sich nicht all zu sehr auf irgend-
welche experimentellen Einzelergebnisse zu verlassen«,
denn »sie könnten sich als irreführend herausstellen«. Man
musste damit rechnen, dass Messdaten schlichtweg falsch
waren und deswegen in die Irre führen könnten – so schwer
B verständlich dies für Außenstehende auch sein mag. Diese
Möglichkeit machte es zum Beispiel sinnlos, von einem Mo-
dell zu erwarten, dass es alle (gemessenen) Eigenschaften
seines natürlichen Vorbildes auf einmal erklärt. Die beiden
sagten sich, dass nicht Präzision und Detailbesessenheit in
erster Linie wichtig seien, sondern Mut und Phantasie. So
wichtig in vielen Fällen Genauigkeit ist, sie stellt keinen Wert
an sich dar. Und eine begrenzte Schlampigkeit im Denken
kann manchmal weiter führen als die größte Sorgfalt. Nicht
die perfekte Beherrschung des komplizierten Handwerks-
zeugs entscheidet über Erfolg und Misserfolg, sondern die
richtige Fragestellung, und die lautete im Frühjahr 1953:
»Wie sieht die Substanz, aus der Gene bestehen, aus? Welche
Struktur hat die DNA?«
Von dem Physiker Maurice Wilkins hatten Watson und Crick
erfahren, dass Rosalind Franklin Röntgenstrukturaufnahmen
von DNA erhalten hatte, die keinen Zweifel daran ließen,
dass DNA eine Helixstruktur haben musste. Sie konnte eine
neue Form der DNA sichtbar machen, die heute berühmte B-
Form, die sich von der bislang immer in den Experimenten
. Abb. 10.2 A Die vier Entdecker der DNA-Doppelhelix, B Röntgenbild 6
kristallisierter DNA. (© The Nobel Foundation)
10.2 · Die DNA-Struktur
133 10
A

. Abb. 10.3 Struktur der DNA-Doppelhelix Typ B. A Atommodell in


der Seitenansicht. Die Basen sind grün, das Rückgrat aus Desoxyribose und
Phosphat ist violett gefärbt. B Struktur eines kurzen DNA-Abschnitts in
Seitenansicht. Die Basen sind grün und die Desoxyribosen violett gefärbt.
(B Adaptiert nach Alberts 2008, mit freundlicher Genehmigung von Taylor
u. Francis)

verwendeten A-Struktur dadurch unterschied, dass sie mehr dem Chemiker Erwin Chargaff in New York neueste Ergeb-
Wasser enthielt. Frau Franklin wollte diese Daten für sich be- nisse zur DNA-Basenstöchiometrie erfahren hatten. In der
halten – was ihr offenbar niemand verübelt hat – aber Wat- Folge wurden sie von dem amerikanischen Kristallographen
son und Crick wussten sich auf verschiedenen Wegen, diese Jerry Donohue darauf hingewiesen, dass die vier Basen der
Informationen zu beschaffen – was ihnen alle Welt verübel- DNA eine andere Struktur haben, als in den Lehrbüchern
te. Das Röntgenbild der DNA, das Rosalind Franklin ihren dargestellt war. Trotz dieser Information kam die Arbeit nicht
Kollegen nicht zeigen wollte, lässt im Wesentlichen ein Kreuz automatisch zum Ziel, weil weder Crick noch Watson eine
erkennen, womit nicht nur die Schraubenstruktur der DNA Idee hatten, wie sie die großen Basen Adenin (A) und Gua-
festliegt, sondern sogar eine Doppelhelixstruktur (. Abb. nin (G) und die kleinen Basen Cytosin (C) und Thymin (T) an-
10.2B). ordnen sollten.
Der Durchbruch zur richtigen Struktur des Erbmaterials Wochenlang haben die beiden versucht, A mit A und T mit T
konnte aber erst gelingen, nachdem Watson und Crick von zu paaren, weil sie (ohne wissenschaftliche Grundlage)
6 6

3’-Ende# 5’-Ende#
134 Kapitel 10 · Nucleinsäuren – Struktur und Funktion

glücklichen Zufall gemacht wurde, ließ es sich Francis Crick


nicht nehmen, mit seiner bekannt lauten Stimme im Gast-
haus »Eagle«, das dem Cavendish Laboratorium gegenüber
lag, lautstark zu verkünden, das Geheimnis des Lebens sei
soeben gelüftet worden; eine kühne Behauptung, denn die
Doppelhelix löst nicht das Geheimnis des Lebens, die Dop-
pelhelix ist es.

Der größte Teil der DNA liegt in vivo als B-DNA vor (Watson-
Crick-Struktur). Grundsätzlich anders aufgebaut ist die Z-DNA
(. Abb. 10.5). Bei dieser DNA-Form handelt es sich um eine links-
gängige Doppelhelix, die im Vergleich zur B-DNA gestreckter ist
und deren große und kleine Furchen weniger stark ausgebildet
sind. Die Z-DNA macht insgesamt nur einen sehr kleinen Teil der
zellulären DNA aus und findet sich v. a. in GC-reichen DNA-Se-
. Abb. 10.4 Ausbildung von Wasserstoffbrücken (Basenpaarungen) quenzen. Über ihre biologische Bedeutung ist lange spekuliert
zwischen Adenin (A) und Thymin (T) bzw. Cytosin (C) und Guanin (G). worden; erst durch die Charakterisierung von Proteinen, die spe-
Die Wasserstoffbrücken sind blau gestrichelt, das Phosphat der Phospho- zifisch mit der Z-DNA interagieren, ist eine Beteiligung am RNA-
diesterbindung rot
Editing (7 Kap. 47.2.4) gezeigt worden. Darüber hinaus ist die
Z-DNA sehr immunogen: Z-DNA spezifische Antikörper finden
10 sich häufig bei Autoimmunerkrankungen, z. B. bei Systemi-
meinten, eine Gleiches-mit-Gleichem-Theorie würde ange- schem Lupus erythematodes. Die A-DNA (. Abb. 10.5) entsteht
messen wiedergeben, was in der Natur vorliegt. Erst die neu- nur bei experimenteller Dehydratisierung der B-DNA und stellt
en biochemischen Strukturen zwangen sie zum Umdenken. die kompakteste DNA-Form dar. Wahrscheinlich kommt die A-
Die Sternstunde zur Lösung der Basenanordnung in der DNA in vivo nicht vor, jedoch nehmen DNA-RNA-Doppelhelices
DNA beschreibt Watson in seinem Buch The Double Helix: und RNA-RNA-Doppelhelices die A-Konformation an; vermut-
»Plötzlich merkte ich, dass ein durch zwei Wasserstoffbin- lich verhindert die OH-Gruppe an C2 in der RNA sterisch die
dungen zusammengehaltenes Adenin-Thymin-Paar dieselbe Ausbildung einer B-Konformation. Wichtige strukturelle Eigen-
Gestalt hatte wie ein Guanin-Cytosin-Paar, das durch drei schaften der verschiedenen DNA-Strukturen sind in . Abb. 10.5
Wasserstoffbrücken zusammengehalten wurde. Alle diese zusammengestellt.
Wasserstoffbindungen schienen sich ganz natürlich zu bil-
den. Es waren keine Schwindeleien nötig, um diese zwei
Typen von Basenpaaren in eine identische Form zu brin- 10.2.2 Topologie der DNA
gen … Ich hatte das Gefühl, dass wir jetzt das Rätsel gelöst
hatten, warum die Zahl der Purine immer genau der Zahl der Auch die B-DNA als wichtigste biologische Konformation der
Pyrimidine entsprach, wie dies von Erwin Chargaff bereits DNA zeigt keine vollständig ausgestreckte und homogene Struk-
publiziert worden war. Diese Entsprechung erwies sich tur, sondern weist sequenzabhängige Abweichungen auf. Diese
plötzlich als notwendige Folge der doppelspiralförmigen Abweichungen von der helicalen Struktur sind wichtig für die
Struktur der DNA. Aber noch aufregender war, dass dieser Erkennung bestimmter DNA-Bereiche durch DNA-interagie-
Typ von Doppelhelix ein Schema für die Autoreproduktion rende Proteine und deshalb entscheidend für die Prozesse der
ergab, das viel befriedigender war als das Gleiches-mit-Glei- Replikation, Transkription, Rekombination, Transposition und
chem-Schema, das ich eine Zeitlang in Erwägung gezogen für die Integration viraler DNA. Die durch die Abweichung von
hatte. Wenn sich Adenin immer mit Thymin und Guanin im- der helicalen Struktur entstehende größere Instabilität der DNA
mer mit Cytosin paarte, so bedeutete das, dass die Basenfol- erleichtert zwar Proteinen die Interaktion mit der DNA, sie er-
gen in den beiden verschlungenen Ketten komplementär höht aber auch das Risiko von Mutationen, z. B. durch erhöhte
waren. War die Reihenfolge der Basen in einer Kette Empfindlichkeit gegenüber mutagenen Substanzen und gegen-
gegeben, so folgte daraus automatisch die Basenfolge der über Strangbrüchen. Sequenzabschnitte, die eine von der B-Kon-
anderen Kette. Es war daher begrifflich sehr einfach, sich formation abweichende Struktur bilden, werden deshalb häufig
vorzustellen, wie eine einzige Kette als Gussform für den in Tumorzellen und bei manchen neurologischen Erkrankungen
Aufbau einer Kette mit der komplementären Sequenz gefunden, z. B. bei Dystrophia myotonica und Friedreich-Ataxie.
dienen konnte«.
Nach dieser Jahrhundertentdeckung, die nicht aufgrund Palindromsequenzen können zu kreuzförmigen
logischer Überlegungen, sondern letztlich durch einen Strukturen führen
6 Palindrome sind eine häufige Ursache für eine von der B-DNA
abweichende Konformation. Man versteht hierunter generell
10.2 · Die DNA-Struktur
135 10

. Abb. 10.5 Strukturen von B-, A- und Z-DNA in Seitenansicht. Atommodelle der drei verschiedenen DNA-Konformationen. In der Tabelle sind die wich-
tigsten Struktureigenschaften von B-, A- und Z-DNA zusammengefasst

Sätze, die – egal ob von links nach rechts oder von rechts nach derte Konformation der DNA-Cisplatin-Addukte führt vermehrt
links gelesen – immer die gleiche Buchstabenreihenfolge erge- zu Strangbrüchen, die die Apoptose der Tumorzellen auslösen
ben. Ein Beispiel hierfür ist z. B. »Anni meide die Minna«. (7 Kap. 45.1 und 51.1).
Derartige DNA-Bereiche sind mit sich selbst komplemen-
tär,  da sie umgekehrte Wiederholungssequenzen (inverted Durch Superspiralisierung entstehen
repeats) enthalten. Inverted repeats findet man z. B. in den kompaktere DNA-Formen
DNA-Bindungsregionen von Rezeptoren der Steroidhormon- Die genomische DNA vieler Prokaryonten und Viren, aber auch
familie (7 Kap. 35.1). Bezogen auf doppelsträngige DNA stellen die mitochondriale DNA der Eukaryonten, ist ringförmig, d. h.
Palindrome Sequenzelemente mit zweifacher Symmetrie dar: die beiden DNA-Stränge bilden eine geschlossene Struktur ohne
Wie in . Abb. 10.6A gezeigt, lassen sich die Sequenzele- freie Enden. Bei der DNA-Replikation und -Transkription muss
mente  (hellblau unterlegte Sequenzen) zur Deckung bringen, der Doppelstrang allerdings lokal entwunden werden, was
indem sie zunächst 180° um eine horizontale Achse und an- zwangsläufig eine erhöhte Torsionsspannung im übrigen Teil der
schließend 180° um eine vertikale Achse gedreht werden. Sie sind DNA-Doppelhelix auslöst.
unter bestimmten Bedingungen imstande, haarnadelförmige Die genomische DNA der Eukaryonten ist zwar linear, aber
(hairpin) oder kreuzförmige (cruciform) Strukturen auszubilden die DNA-Stränge sind durch den Kontakt mit Proteinen eben-
(. Abb. 10.6B, C). falls zumindest partiell fixiert, d. h. das Problem der Torsion-
Wegen der in Längsrichtung hohen Flexibilität der DNA spannung besteht auch hier. Es leuchtet ein, dass sich die durch
können auch DNA-interagierende Proteine eine Konformations- lokale Entwindungen ausgelösten sog. Superhelices nicht unbe-
änderung der DNA auslösen. So bewirkt z. B. die Bindung des grenzt entwickeln dürfen, sondern dass die Zelle über Möglich-
TATA-box binding protein (TBP) einen starken Knick in der keiten verfügen muss, die Abweichungen vom normalen Win-
DNA. TBP bindet an adenin- und thyminreiche DNA-Abschnit- dungszustand zu beheben. Dies geschieht durch lokale Spaltung
te und die ausgelöste Konformationsänderung wird für die Tran- der Phosphodiesterbindung in einem oder in beiden Strängen
skription der meisten eukaryontischen Gene benötigt (7 Kap. der DNA-Doppelhelix und einer nachfolgenden Entspiralisie-
46.3.2). Konformationsänderungen der DNA können auch durch rung. Danach werden die Enden der DNA-Stränge wieder ver-
Medikamente ausgelöst werden. Cisplatin, eine zur Behandlung knüpft. Die hierfür verantwortlichen Enzyme sind die Topoiso-
von z. B. Hodentumoren eingesetzte Verbindung, führt zur che- merasen. Details zum Mechnismus dieser Enzyme werden in
mischen Quervernetzung der beiden DNA-Stränge. Die verän- 7 Kap. 44.3 beschrieben.
136 Kapitel 10 · Nucleinsäuren – Struktur und Funktion

B C

10

. Abb. 10.6 Palindrome und Ausbildung von Haarnadel- bzw. kreuz-


förmigen DNA-Strukturen. A Darstellung einer palindromischen DNA-
Sequenz. Der rote Punkt stellt den Schnittpunkt einer horizontalen und
einer vertikalen Symmetrieachse dar. B In einzelsträngiger DNA können mit
sich selbst komplementäre Sequenzen Haarnadelstrukturen ausbilden.
C In doppelsträngiger DNA entstehen aus inverted repeats kreuzförmige
Strukturen

10.2.3 Der Aufbau des Chromatins im Zellkern. Sie bildet dort einen Komplex mit verschiedenen
Proteinen, der als Chromatin bezeichnet wird. In Anbetracht der
Der DNA-Gehalt von Säugetierzellen liegt je nach Spezies zwi- riesigen Konturlänge muss die DNA sehr dicht verpackt sein.
schen 4 und 8 pg/Zelle. Dies ist mehr als 1.000-mal so viel wie der Hierfür ist ihre Assoziation mit den Histonproteinen unter Bil-
DNA-Gehalt von Mikroorganismen. Die höchsten Werte zeigen dung von Nucleosomen von besonderer Bedeutung.
die Zellen höherer Pflanzen mit mehr als dem 104fachen des
DNA-Gehaltes von Bakterienzellen. Dementsprechend variabel Histone sind DNA-bindende Proteine
ist auch die sog. Konturlänge der DNA. Dieser Wert ergibt sich Histone (. Tab. 10.1) kommen in fünf unterschiedlichen Formen
unter der Annahme, dass die gesamte DNA einer Zelle als linea- vor und zeichnen sich durch einen hohen Gehalt an basischen
res Makromolekül vorliegen würde. E. coli hätte demnach eine
Konturlänge von 1,36 mm, die diploide humane DNA dagegen . Tab. 10.1 Die fünf wichtigsten humanen Histonproteine*
eine Konturlänge von etwa 1,8 m pro Zelle! Dies bedeutet, dass
die Gesamt-DNA eines erwachsenen Menschen (bei einer Bezeichnung % Arginin % Lysin Molekülmasse
Zellzahl von etwa 1014) eine Länge von etwa 2∙1011 km besitzt, (kDa)
also mehr als die 1 000-fache Entfernung zwischen Erde und H1 11 29 19–23
Sonne (1,5∙108 km). Im Allgemeinen ist es jedoch üblich, die
H2A 19 11 14
Größe von DNA-Abschnitten durch die Zahl der Basen (base, b)
oder Basenpaare (base pairs, bp) anzugeben. Ein DNA-Einzel- H2B 16 16 14
strang von 1 kb Größe besteht demnach aus 103 Basen, einer von H3 13 10 15
1 Mb aus 106 Basen usw.
H4 14 11 11
Die DNA prokaryontischer Mikroorganismen ist meist ring-
förmig als stark gefaltetes Gebilde im Cytoplasma lokalisiert. Im * Die prozentualen Anteile der basischen Aminosäuren wurden aus
den in Datenbanken hinterlegten Sequenzen ermittelt (http://
Gegensatz dazu befindet sich die DNA aller eukaryontischen
www.ncbi.nlm.nih.gov).
Zellen mit Ausnahme der mitochondrialen DNA (7 Kap. 12.7)
10.2 · Die DNA-Struktur
137 10

. Abb. 10.7A Dreidimensionale Strukturen der Histone. Strukturen der Kernhistone H2A, H2B, H3 und H4 und des linker-Histons H1. Von dem linker-
Histon H1 ist bislang nur die Struktur der globulären (core) Domäne gelöst. Die Abbildungen wurden mit dem Programm ProteinWorkshop 2.0 erstellt.
PDB-Koordinaten: 1AO1 und 1GHC Dreidimensionale Strukturen der Histone

Aminosäuren aus. Die Histone H2A, H2B, H3 und H4 sind be- 4 Die Bildung eines stabilen Nucleosomenkerns beginnt mit
sonders hoch konservierte Proteine, d.h. sie unterscheiden sich der Heterodimerisierung der Histonproteine H3 und H4.
beim Vergleich zwischen verschiedenartigen Spezies nur durch Zwei derartige Dimere bilden anschließend ein (H3–H4)2-
sehr wenige Aminosäuren. Diese Tatsache spricht für ihre beson- Tetramer.
dere Bedeutung bei der DNA-Kondensation im Zellkern. Das 4 Die Histone H2A und H2B bilden ebenfalls Heterodimere,
Histon H1 ist dagegen geringer konserviert, existiert in gewebs- welche auf beiden Seiten des (H3-H4)2-Tetramers angela-
spezifischen Isoformen und zeigt eine abweichende 3D-Struktur gert werden.
(. Abb. 10.7A). Das gehäufte Vorkommen basischer Aminosäure- 4 Das auf diese Weise gebildete Histonoctamer der Zusam-
reste in den genannten Histonproteinen dient der Neutralisie- mensetzung (H2A-H2B)-(H4-H3)-(H3-H4)-(H2B-H2A)
rung des polyanionischen DNA-Rückgrats und erleichtert so die bildet eine scheibenförmige Struktur, um die 146–147 Ba-
Faltung von Nucleosomen zu höheren Strukturordnungen. senpaare DNA gewunden sind. Die DNA bildet dabei eine
Da inzwischen die Histonproteine ganz unterschiedlicher flache Superhelix mit 1,8 Windungen.
Spezies kloniert, sequenziert und kristallisiert wurden, sind ge- 4 Die Schwanzdomänen ragen aus dem globulären Histon-
sicherte Daten über ihre Raumstruktur vorhanden. Die Histo- octamer heraus und sind daher für Modifikationen (s. u.)
ne H2A, H2B, H3 und H4 zeigen einen sehr ähnlichen Aufbau zugänglich.
(. Abb. 10.7A). C-terminal befinden sich α-helicale Abschnitte,
von denen je drei eine Domäne bilden, die mit DNA interagieren Das Histon H1 nimmt nicht an der Bildung des Histonoctamers
kann und die auch als histone fold bezeichnet wird. Etwa 20– teil, ist jedoch für die Stabilisierung der DNA auf den Histon-
40 Aminosäuren bilden die sog. »Schwanz«-Domäne der Histo- octameren und die Aufrechterhaltung höherer Ordnungen der
ne (histone tails). Diese sind im N-terminalen Abschnitt aller Chromatinstruktur von Bedeutung. H1-Histone bilden eine Fa-
4 Histonproteine lokalisiert, darüber hinaus aber auch am C- milie von sog. linker-Histonen (Verbindungshistone) und sind
Terminus des Histons H2A. Die Schwanzdomänen der Histone mit den DNA-Zwischenstücken zwischen den Nucleosomen
spielen eine wichtige Rolle bei den regulierten Änderungen der (linker-DNA) assoziiert. Neben den Histonen werden für die Aus-
Nucleosomenstruktur während Replikation und Transkription bildung des Nucleosoms auch histonspezifische Chaperone benö-
(7 Kap. 44 und 47.2.1). tigt, die die Histone mit der DNA zusammenfügen und die ver-
Neben den fünf genannten Histonen kommen besonders in mutlich auch an der Positionierung der Nucleosomen beteiligt
Vertebraten noch einige seltene Histonisoformen vor. So wird sind.
z. B. statt H2A punktuell die Variante H2AX in Nucleosomen
eingebaut, die bei Doppelstrangbrüchen DNA-Reparaturenzyme Nucleosomen ordnen sich zu einer linksgängigen
rekrutiert. An den Centromeren (7 Kap. 43.2) findet man die H3- Helix, der 30-nm-Faser
Variante CENP-A (centromere protein A), die an der Bindung des Wie aus . Abb. 10.9 zu entnehmen ist, bilden Nucleosomen eine
Spindelapparates beteiligt ist. In manchen Vertebraten ist H1 perlenschnurartige Struktur (auch beads-on-a-string-Struktur
durch eine sechste Histonform, das H5 ersetzt. genannt), wobei die zwischen den einzelnen Nucleosomenparti-
keln gelegene sog. Verbindungs-DNA (linker-DNA) in ihrer Län-
Nucleosomen sind die unterste Organisationsebene ge variabel ist, in der Regel aber etwa 50–60 Basenpaare umfasst.
des Chromatins Das Histon H1 verschließt gewissermaßen das Nucleosom und
Die Erkenntnisse über den Aufbau der Histonproteine haben zu bestimmt die Länge der Verbindungs-DNA. Die Bildung der Nu-
einer molekularen Beschreibung des bereits 1974 von Ro- cleosomen führt zu einer etwa 7fachen Kondensation der DNA.
ger G.R. Kornberg beschriebenen Nucleosoms geführt (. Abb. Bei physiologischen Salzkonzentrationen bildet die Nucleo-
10.8). Nucleosomen enthalten einen aus den Histonproteinen somenkette eine 30 nm dicke Faser. Sie entsteht durch spiralför-
gebildeten sog. Nucleosomenkern (nucleosome core), um den die mige Aufwicklung der Nucleosomenkette, wobei jede Windung
DNA gewunden ist (. Abb. 10.7B): etwa 6 Nucleosomen enthält (. Abb. 10.9B, C). Dabei reagieren
138 Kapitel 10 · Nucleinsäuren – Struktur und Funktion

10

. Abb. 10.7B Dreidimensionale Strukturen der Histone. Schrittweise Assemblierung des Nucleosomenkerns. (Einzelheiten s. Text). (Adaptiert nach
Alberts 2008, mit freundlicher Genehmigung von Taylor u. Francis)
10.2 · Die DNA-Struktur
139 10
A B

. Abb. 10.8 Struktur eines Nucleosomenkerns. A Aufsicht auf die DNA-Superhelix. Die Histone H2A, H2B, H3 und H4 sind gelb, rot, blau bzw. grün einge-
färbt, die DNA hellgrau. B Ansicht derselben Struktur nach einer Drehung um 90° um die senkrechte Achse. (Einzelheiten s. Text). (Aus Luger et al. 1997, mit
freundlicher Genehmigung von Macmillan Publishers Ltd)

die positiv geladenen Schwanzdomänen der Histone mit negativ merartige Struktur die replizierten Chromosomen (Tochterchro-
geladenen Bereichen im H2A/H2B-Heterodimer. Dieses sog. So- matiden) bis zur Zellteilung zusammenhält, wobei die ATP-Hy-
lenoid wird ebenfalls durch H1-Moleküle stabilisiert und kon- drolyse eine Kontraktion oder Ausdehnung der Klammer er-
densiert die DNA etwa 100fach. laubt. Während der Mitose (7 Kap. 43.3) wird Kleisin spezifisch
Die 30-nm-Faser faltet sich schließlich zu vielen Schleifen, gespalten und die replizierten Chromosomen können auf die
die durchschnittlich etwa 20.000 bp enthalten. Diese Schleifen Tochterzellen verteilt werden. Über die weitere Strukturbildung
werden durch ein Proteingerüst stabilisiert, das im Wesentlichen zu den Chromosomen, die im Vergleich zur DNA-Doppelhelix
aus dem Histon H1 und sog. Nicht-Histonproteinen aufgebaut etwa um den Faktor 10.000 kondensiert sein müssen, ist nur we-
ist. Diese Proteine machen insgesamt etwa 10 % der Proteinmen- nig bekannt.
ge von Chromosomen aus. Die häufigsten sind Typ-II-Topoiso-
merasen (7 Kap. 44.3), die die durch die Kondensation auftre- Die posttranslationale Modifikation
tenden Superspiralisierungen auflösen können, und SMC-Prote- von Histonen reguliert die Kondensation der DNA
ine (structural maintenance of chromosome). Bei SMC- Proteinen und die Genexpression
handelt es sich um große (1.000‒1.500 Aminosäuren) ATP-bin- Die maximale Kondensation der DNA tritt lediglich während der
dende Proteine, die mit den Metaphase-Chromosomen (7 Kap. Metaphase des Zellzyklus (7 Kap. 43.3) auf, d. h. in der Phase, in
43.3) assoziiert vorliegen. Zusammen mit Histonen und Topo- der die Chromosomen auf die Tochterzellen verteilt werden
isomerasen stellen sie die häufigsten Chromatinproteine dar. müssen. Für die Replikation und Transkription muss die DNA
Ein SMC-Monomer besteht aus einer ATPase-Domäne, die über aber zumindest lokal entfaltet sein. Daher wird die Fähigkeit der
eine lange coiled-coil-Struktur (eine Helix, welche ihrerseits zu Histone, mit der DNA zu interagieren, über posttranslationale
einer Helix mit größerem Radius gewunden ist) mit einer Ge- Modifikationen reguliert. Hierbei werden im Wesentlichen die
lenkdomäne verbunden ist (. Abb. 10.10). SMC-Proteine sind positiven Ladungen der Histone maskiert, oder es werden nega-
universell konserviert und finden sich sowohl in Bakterien als tive Ladungen eingefügt. Die posttranslationale Modifikation
auch in Eukaryonten, wobei Eukaryonten zwei Klassen von der Histone dient aber nicht allein dazu, ihre Interaktionen mit
SMC-Proteinen besitzen, die Kondensine und die Kohäsine. der DNA zu modulieren. Zusätzlich ist das Modifizierungsmus-
Beiden Klassen ist gemeinsam, dass sie über ihre Gelenkdomä- ter der Histone (der sog. Histoncode) auch für die Rekrutierung
nen dimerisieren. Kondensine sind über die gesamte Länge der weiterer chromatinbindender Proteine verantwortlich, z. B. wäh-
Chromosomen verteilt und führen in einer ATP-abhängigen Re- rend der DNA-Reparatur oder der Transkription.
aktion supercoils in die DNA ein, was zu einer verstärkten Kon- Die wichtigsten Histonmodifikationen sind:
densation der DNA führt. Kohäsine dagegen sind nur an be- 4 Acetylierung
stimmten Stellen der Chromosomen zu finden und scheinen eine 4 Methylierung
klammerähnliche Struktur zu bilden, die durch Kleisin, ein wei- 4 Phosphorylierung
teres Protein, stabilisiert wird. Es wird vermutet, dass diese klam- 4 Ubiquitinierung
140 Kapitel 10 · Nucleinsäuren – Struktur und Funktion

A B

10

. Abb. 10.9 Die Kondensation der DNA. A Elektronenmikroskopische Aufnahmen von Nucleosomen, die wie Perlen auf einer Kette (beads-on-a-string)
aufgereiht erscheinen. B 30-nm-Faser (Solenoid), die durch Interaktionen zwischen den Nucleosomen entsteht. (A, B aus Alberts et al. 2008, mit freund-
licher Genehmigung von Taylor und Francis). C Schematische Darstellung der DNA-Verpackung zum Chromosom. (Einzelheiten s. Text)

4 Sumoylierung
4 Mono- und Poly-ADP-Ribosylierung Zusammenfassung
DNA zeigt folgende Strukturmerkmale:
Die Anheftung von Ubiquitin bzw. Sumo (small ubiquitin-like 4 Der DNA-Einzelstrang ist ein Polydesoxyribonucleotid.
modifier) scheint Histone allerdings im Unterschied zu cytosoli- 4 Sein Rückgrat wird von Desoxyribosemolekülen gebil-
schen Proteinen nicht für den Abbau durch das Proteasom zu det, die durch Phosphodiesterbindungen verknüpft
markieren. Die Steuerung der Genexpression über Histonmodi- sind.
fikationen ist ein wichtiger Faktor bei der epigenetischen Verer- 4 Jede Desoxyribose trägt in N-glycosidischer Bindung
bung, d.h. der Weitergabe von Merkmalen durch Mechanismen, eine der vier Basen Adenin, Guanin, Thymin oder
die nicht DNA-Sequenz-gebunden sind. Sie werden in 7 Kap. Cytosin.
47.2.1 besprochen. 4 DNA liegt als Doppelhelix vor. Diese Struktur wird aus
zwei antiparallel verlaufenden DNA-Einzelsträngen
gebildet und durch die Basenpaarung von Adenin mit
6

DNA-Doppelhelix Nucleosomen Chromatin kondensiertes Chromosomen


10.3 · DNA als Trägerin der Erbinformation
141 10
A B Gelenk

Antiparallele
coiled-coil
Smc4 Domänen Smc2

Kopf-Domäne (bindet ATP)

50 nm

. Abb. 10.10 Struktur und Funktion der SMC (structural maintenance of chromosome)-Proteine für die DNA-Kondensation. A Elektronenmikroskopi-
sche Aufnahme eines gereinigten SMC-Dimers. Die klammerartige Struktur der SMC-Dimere erlaubt eine stabile Interaktion mit der DNA. (Aus Hirano 2006,
mit freundlicher Genehmigung von Macmillan Publishers Ltd). B Schematischer Aufbau eines SMC-Protein-Dimers. SMC-Proteine bilden Dimere, die über
eine Gelenkdomäne miteinander verbunden sind. Die Gelenkdomäne ist über eine flexible coiled-coil-Domäne mit der ATP-bindenden Kopfdomäne ver-
bunden. C Modell der SMC Funktion für die DNA-Kondensation. Der DNA-Doppelstrang ist in hellgrün gezeigt. (Einzelheiten s. Text)

4 Für die Medizin hat die Molekularbiologie die Entwicklung


Thymin sowie Guanin mit Cytosin stabilisiert. Stapel- einer Vielzahl neuer diagnostischer Verfahren ermöglicht.
kräfte zwischen den π -Elektronen der Purin- und Pyri- 4 Dank Molekularbiologie und Gentechnologie können in
midinringe spielen für die Stabilität der DNA ebenfalls einfach zu handhabenden Zellkulturen (Bakterien, Hefen,
eine Rolle. Säugerzellen) medizinisch wichtige Verbindungen wie Hor-
4 Bei Eukaryonten liegt die DNA im Zellkern als Komplex mone, Wachstumsfaktoren, Antikörper etc. hergestellt und
mit Histon- und Nicht-Histonproteinen vor. Diese Struk- für die Therapie vieler Erkrankungen eingesetzt werden.
tur wird als Chromatin bezeichnet. 4 Gentechnische Verfahren bieten die Möglichkeiten, Pflan-
4 Die Grundeinheit des Chromatins ist das Nucleosom, zen und Tiere so zu modifizieren, dass die Versorgung der
dessen Kern besteht aus den Histonproteinen H2A, H2B, ständig wachsenden Weltbevölkerung mit Nahrungsmitteln
H3 und H4. Um dieses Histon-Octamer windet sich die verbessert werden kann.
DNA. An die linker-DNA zwischen den Nucleosomen bin- 4 Es ist in Zukunft vorstellbar, schwer zu behandelnde Erb-
det das Histon H1, das entscheidend an der weiteren krankheiten durch gentechnische Verfahren zu heilen. Im
Verpackung der DNA beteiligt ist. Falle monogenetischer Immunerkrankungen (SCID, severe
combined immunodeficiency, z. B. aufgrund einer defekten
IL-2-Rezeptor γ-Kette oder eines Adenosindesaminase-
mangels) wurde dies bereits erfolgreich durchgeführt.
10.3 DNA als Trägerin der Erbinformation
Für die in der Auflistung genannten Einsatzgebiete muss das ge-
Mit der Identifizierung der DNA als Trägerin genetischer Infor- netische Material der entsprechenden Organismen – im Extrem-
mationen und ihrer anschließenden Strukturaufklärung kam es fall auch des Menschen – gentechnisch verändert werden. Da im
zur Entwicklung der Molekularbiologie. Die Verfahren der Gen- Einzelfall die damit verbundenen Konsequenzen nicht vollstän-
technik erweiterten schließlich das zur Verfügung stehende Ar- dig abzusehen sind, wird die Gentechnik in der Gesellschaft kon-
senal von Methoden: Sie haben zur Aufklärung der Struktur trovers diskutiert (7 Kap. 54 und 55).
nicht nur einfacher bakterieller Genome, sondern im Jahr 2003
auch des komplexen menschlichen Genoms geführt:
142 Kapitel 10 · Nucleinsäuren – Struktur und Funktion

10.3.1 Das zentrale Dogma der Molekularbiologie

Bei jeder Zellteilung wird das Genom vollständig


verdoppelt
Bei der Zellteilung und Fortpflanzung ist es von großer Bedeu-
tung, dass eine möglichst genaue Kopie der gesamten DNA einer
parentalen Zelle für die entstehenden Tochterzellen gebildet
wird. Dieser Vorgang wird als Replikation bezeichnet und findet
bei eukaryontischen Zellen während der S-Phase (Synthesepha-
se) des Zellzyklus statt. Humane Zellen benötigen für die DNA-
Replikation etwa 6‒8 h. Die Einzelheiten dieses Vorgangs werden
in den 7 Kap. 43 und 44 beschrieben.

Zur Expression von Genen werden diese in RNA


transkribiert
Als Gen wird im Allgemeinen die Nucleotidsequenz bezeichnet, . Abb. 10.11 Erweitertes zentrales Dogma der Molekularbiologie.
die benötigt wird, um die als Basensequenz auf der DNA codier- (Einzelheiten s. Text)
te Information in einem Genprodukt zu realisieren. Dabei gilt
diese Definition unabhängig davon, ob es sich bei dem Genpro-
dukt um ein Protein oder eine RNA handelt, z. B. eine ribosoma- beim Vorgang der Informationsübertragung zwischen DNA und
le RNA oder transfer-RNA. Die Umsetzung der genetischen In- Protein nur die Richtung von der DNA zum Protein, nicht aber die
formation beginnt damit, dass die DNA-Sequenz eines Gens in umgekehrte Richtung eingeschlagen wird. In einem Proteinmole-
10 ein RNA-Molekül übersetzt wird. Dieser Vorgang wird als Trans- kül kann also nicht die Information zur DNA-Synthese gespeichert
kription bezeichnet und ist in 7 Kap. 46 und 47 beschrieben. Die sein. Nach der Entdeckung der reversen Transkriptase in Retro-
Gesamtheit der transkribierten Gene eines Organismus oder ei- viren wurde das ursprünglich von Francis Crick vorgeschlagene
nes Zelltyps nennt man auch Transkriptom. zentrale Dogma der Molekularbiologie um die Informationsüber-
Durch den Vorgang der Translation wird die in der messen- tragung von RNA in DNA erweitert. Die Informationsweitergabe
ger-RNA enthaltene Information in eine Aminosäuresequenz bei der Zellteilung setzt die DNA-Replikation voraus. Auch hier
übersetzt (7 Kap. 48). Die Gesamtheit aller synthetisierten Protei- wurde eine Ausnahme bei Polio- oder Reoviren gefunden. Im Ge-
ne wird als Proteom bezeichnet. nom dieser Viren sind RNA-abhängige RNA-Polymerasen codiert,
Die Aufklärung des Codes, mit dem die fortlaufende Sequenz die eine direkte Replikation des RNA-Genoms ermöglichen.
der Basen auf der DNA mit der Aminosäuresequenz eines Peptids
oder Proteins verknüpft ist, gehört zu den großen Leistungen der
molekularbiologischen Forschung. 10.3.2 Die Struktur von Genomen
Die DNA ist durch die festgelegte Sequenz der vier Basen
Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin gekennzeichnet. Nimmt Nach der Entdeckung, dass genetisch fixierte Eigenschaften von
man an, dass aus ihnen ein »Alphabet« mit den vier Buchsta- Organismen in der DNA verschlüsselt sind, war es natürlich von
ben A, T, G und C gebildet wird, lässt sich leicht berechnen, wie großem Interesse herauszufinden, wie die vielen für einen Orga-
viele Basen für die Festlegung einer Aminosäure benötigt wer- nismus typischen Gene in der Gesamtmenge seiner DNA, seinem
den. Bausteine aller Proteine sind die 20 unterschiedlichen pro- Genom, angeordnet sind. Das Genom bestimmter Viren besteht
teinogenen Aminosäuren. Wenn eine Folge von je 2 Basen eine nur aus wenigen tausend Basenpaaren, deshalb überlappen virale
Aminosäure beschreiben würde, wäre der Code unvollständig, Gene häufig. Im Unterschied hierzu sind bakterielle Genome be-
da mit ihm nur 42 = 16 Aminosäuren codiert werden könnten, reits deutlich größer und überlappende Gene selten. Allerdings ist
d. h. in der DNA wird eine Sequenz von mindestens 3 Basen die Gendichte des Bakterienchromosoms mit etwa 1.000 Ge-
benötigt. Diese kleinste Informationseinheit aus 3 Basen, das nen/1 Millionen Basenpaare (Mbp) sehr hoch und die gebildete
sog. Basentriplett, wird auch als Codon bezeichnet. Allerdings mRNA ist häufig polycistronisch, d. h. sie enthält die Information
können mit drei Basen schon 43 = 64 Aminosäuren codiert für mehrere Proteine. Bei Eukaryonten ist die Gendichte deutlich
werden. Wie man heute weiß, gibt es eine Reihe von Aminosäuren, niedriger als bei Bakterien (beim Menschen etwa 10 Gene/1 Mbp)
die durch mehr als ein Triplett codiert werden. Dieses Phänomen und die gebildete mRNA ist fast ausschließlich monocistronisch,
wird auch als Degeneration des genetischen Codes bezeichnet d. h. sie codiert nur für ein Protein (7 Kap. 46–48).
(7 Kap. 48.1). Unter Zugrundelegung dieser Codierung ist es Die kleinsten Genome findet man in Viren und Bakteriopha-
möglich, aus der Nucleotidsequenz eines Gens die Aminosäure- gen (Viren, die Bakterien als Wirtszellen benutzen). Da Viren
sequenz des codierten Polypeptids abzuleiten. und Bakteriophagen allerdings nicht zu einer selbstständigen
Das in . Abb. 10.11 dargestellte zentrale Dogma der Moleku- Lebensweise fähig sind, liefert deren Genom keinen Aufschluss
larbiologie formuliert die Beziehungen des Nucleinsäurestoff- darüber, wie viele Gene ein Organismus benötigt, um autonom
wechsels zu den wesentlichen zellulären Vorgängen und legt die leben zu können. Das Genom von Mycoplasma genitalium, ist das
Richtung des Informationsflusses fest. Entscheidend dabei ist, dass kleinste bislang sequenzierte Genom eines freilebenden Organis-
10.3 · DNA als Trägerin der Erbinformation
143 10
mus; es umfasst 0,58 Mbp und enthält 480 proteincodierende
Gene, wovon ein großer Teil (>30 %) für die Prozesse der Rep- . Tab. 10.2 Genomgröße und Genzahl verschiedener Organismen
likation, Transkription und Translation benötigt wird. Aller-
Organismus Genomgröße Zahl der Gene
dings sind von den 480 Genen nur etwa 260 Gene essentiell für (Mega-Basen-
das Überleben von M. genitalium. Ähnliche Ergebnisse wurden paare)
auch in dem Gram-positiven Bakterium Bacillus subtilis ge-
wonnen: von den etwa 4.000 Genen, die dieser Organismus HI-Virus (Virus) 0,009 9 (aus denen 15
verschiedene
besitzt, werden nur etwa 250 Gene benötigt, um den Organis-
Proteine syntheti-
mus zumindest unter Laborbedingungen am Leben zu erhalten. siert werden)
Daher kann man annehmen, dass für eine autonome Lebens-
Hämophilus influenzae 1,8 1.740
weise mindestens 250 proteincodierende Gene notwendig sind.
(Bakterium)
Aus der Definition eines minimalen Genoms ergibt sich prin-
zipiell die Möglichkeit, künstliches Leben zu erschaffen. Tat- Escherichia coli (Bakterium) 4,64 4.397
sächlich gelang es Eckhard Wimmer 2002 erstmalig, ein synthe- Saccharomyces cerevisiae 12,1 6.034
tisches Poliovirus zu erzeugen. Mittlerweile sind auch Bakte- (Bierhefe)
riophagen, Coronaviren und Bakterien künstlich hergestellt Caenorhabditis elegans 97 19.099
worden. (Fadenwurm)

Amoeba dubia (Amoebe) 670.000 Nicht bekannt


Nahezu alle Gene eukaryontischer Organismen
Arabidopsis thaliana (Blatt- 100 25.000
sind auf der chromosomalen DNA lokalisiert
pflanze)
Mit dem Fortschritt der technischen Möglichkeiten konnte die
genetische und strukturelle DNA-Analyse auch auf die wesent- Frittilaria assyriaca (Blatt- 120.000 Nicht bekannt
pflanze)
lich komplexer aufgebauten Genome zunächst niederer, später
auch höherer eukaryontischer Organismen einschließlich des Drosophila melanogaster 180 13.061
Menschen ausgeweitet werden. Die dabei gewonnenen Erkennt- (Taufliege)

nisse lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Homo sapiens (Mensch) 3.200 ca. 25.000
4 Auf der DNA sind die unterschiedlichen Gene in einer line-
aren Sequenz angeordnet. Überlappende Gene kommen
bei höheren Organismen nur sehr selten vor.
4 Im Unterschied zu Prokaryonten ist die Nucleotidsequenz Die bis heute durchgeführten Totalsequenzierungen der
eukaryontischer Gene nicht colinear mit der Aminosäure- Genome verschiedener Organismen haben eine Reihe überra-
sequenz des entstandenen Proteins, da eukaryontische schender Befunde erbracht, die in . Tab. 10.2 zusammengefasst
Gene aus codierenden Abschnitten (Exons) und nicht-co- sind.
dierenden Abschnitten (Introns) bestehen (7 Kap. 46.3.3). Das Genom eines komplexen Organismus wie das des Men-
4 Der Anteil der Introns in einem Gen kann sehr unter- schen ist etwa 1.500-mal größer als das eines einfachen Bakte-
schiedlich sein: während in dem gesamten Hefegenom nur riums. Auch die anderen untersuchten Vielzeller haben im Ver-
etwa 240 Introns existieren, kann ein einziges menschliches gleich zur Bakterienzelle um das 50- bis 100fach größere Geno-
Gen mehr als 100 Introns enthalten. Eine Ausnahme bilden me. Diese markanten Größenunterschiede spiegeln sich jedoch
die Histon-Gene beim Menschen, hier scheinen keine In- nicht in der Zahl der bei den einzelnen Organismen nachgewie-
trons vorzukommen. senen Gene wider. Im Vergleich zu Bakterien wie E. coli oder
4 Die auf der DNA lokalisierten Gene codieren für die ver- Bacillus subtilis, verfügt der Mensch lediglich über etwa 7-mal
schiedenen RNAs und für Proteine. mehr Gene. Besonders augenfällig ist der geringe Unterschied in
4 Außer im Zellkern kommt in tierischen Zellen DNA der Zahl der Gene beim Vergleich des Menschen mit dem Faden-
noch in Mitochondrien vor. Die mitochondriale DNA wurm oder der Taufliege. Aus diesen Beobachtungen muss man
codiert für wenige mitochondriale Proteine (7 Kap. 12.1.7) also schließen, dass die Komplexität eines u. a. mit einem kom-
und macht nur einen sehr kleinen Bruchteil der gesamten plizierten zentralen Nervensystem ausgestatteten vielzelligen
DNA aus. Säugetiers sich nicht ohne Weiteres aus der Zahl seiner Gene
ablesen lässt.
Die Zahl der Gene in eukaryontischen Organismen Diese fehlende Korrelation zwischen dem Gesamt-DNA-
ist nicht proportional zur DNA-Menge und Gehalt eines Organismus (Chromatin- oder C-Wert) und der
spiegelt nicht unbedingt die Komplexität eines Zahl seiner Gene wird als C-Wert-Paradoxon bezeichnet. Es
Organismus wider gibt allerdings auch keine strikte Korrelation zwischen der
Bislang sind die Genome von 120 eukaryontischen Organismen Genomgröße und dem Entwicklungszustand eines Organismus.
sequenziert worden (29 Vertebraten; 16 Invertebraten; 19 Proto- So besitzt die zur Familie der Liliengewächse zählende Fritillaria
zoen; 47 Pflanzen; 17 Pilze), von 1.844 prokaryontischen Orga- ein Genom von etwa 120.000 Mbp und das Genom einer ein-
nismen und von 2.748 Viren/Bakteriophagen (Stand Dezem- zelligen Amöbe ist etwa 200-mal größer als das Genom des
ber 2011; http://www.ncbi.nlm.nih.gov/mapview/). Menschen.
144 Kapitel 10 · Nucleinsäuren – Struktur und Funktion

. Abb. 10.12 Gen-Karte eines Teils des humanen Chromosoms 21. Die jeweiligen Abkürzungen stehen für in der angegebenen Region lokalisierte
Krankheitsgene (z. B. AML1, akute myeloische Leukämie; HCHWAD, hereditäre Amyloidose VIb). Die Zahlenangaben links vom Chromosom beschreiben
genetische Distanzen zwischen Genloci. Weitere Angaben sind unter http://www.ncbi.nlm.nih.gov/mapview/ zu finden

10.3.3 Das menschliche Genom aus etwa 1.350 Basenpaaren, d. h. sie codiert für ein Protein
mit 450 Aminosäuren, was einer molekularen Masse von
Die Sequenzierung des menschlichen Genoms hat etwa 50 kDa entspricht.
10 zu neuen Erkenntnissen über die Zusammenhänge 4 Die Analyse der für Proteine codierenden Gene ergibt eine
von Anzahl der Gene und deren Expression geführt klare Einteilung in eine Reihe unterschiedlicher Proteinfa-
Das humane Genom umfasst ca. 3.200 Mega-Basenpaare (Mbp). milien (. Abb. 10.13). Etwa 50 % der vorhergesagten Protei-
Diese sind inzwischen vollständig sequenziert, sodass die Zuord- ne lassen sich allerdings bisher noch nicht zuordnen. Dies
nung der etwa 25.000 menschlichen Gene zu den verschiedenen gilt im Übrigen für alle bisher sequenzierten Organismen:
Chromosomen möglich ist. Als Beispiel hierfür ist in . Abb. für etwa 50 % der vorhergesagten Proteine lässt sich bislang
10.12 ein Teil der Gen-Karte eines besonders kleinen humanen keine Funktion postulieren.
Chromosoms, nämlich des Chromosoms 21 dargestellt. Eine Lis- 4 Das menschliche Genom ähnelt dem bakteriellen Genom
te aller dort lokalisierten Sequenzen kann im Internet unter dahingehend, dass von den etwa 25.000 menschlichen
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/mapview/ (National Center for Genen 7,5 % für Proteine codieren, die am Nucleinsäure-
Biotechnology Information) gefunden werden. stoffwechsel beteiligt sind (z. B. Replikation, Rekombina-
Erkenntnisse aus der Sequenzierung des humanen Ge- tion, Reparatur). Ebenso ist der Anteil der Gene, die für
noms sind: Stoffwechselenzyme codieren mit etwa 7‒8 % bei Bakterien
4 Die Gene sind nicht gleichmäßig auf die 46 menschlichen und beim Menschen sehr ähnlich, auch wenn natürlich die
Chromosomen verteilt. Genreiche Abschnitte wechseln sich absolute Zahl der Enzyme beim Menschen deutlich höher
mit Gen-armen Abschnitten ab; dies ist vermutlich der ist als bei Bakterien.
Grund für das Bandenmuster der Chromosomen nach 4 Im Unterschied zu Bakterien codiert das menschliche
Giemsa-Färbung. Die durchschnittliche Gendichte beträgt Genom allerdings für eine große Zahl von Transkriptions-
etwa 10 Gene/1 Mbp, bei einem durchschnittlichen Ab- faktoren sowie für Signal- und Regulatorproteine, die insge-
stand von etwa 40.000 bp zwischen den Genen. Besonders