Löffler/Petrides
Biochemie und
Pathobiochemie
9. Auflage
Springer-Lehrbuch
Peter C. Heinrich, Matthias Müller, Lutz Graeve (Hrsg.)
Löffler/Petrides
Biochemie und
Pathobiochemie
9., vollständig überarbeitete Auflage
123
Prof. Dr. Peter C. Heinrich
Institut für Biochemie und Molekularbiologie, ZBMZ
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Stefan-Meier-Straße 17
79104 Freiburg
E-Mail: peter.c.heinrich@biochemie.uni-freiburg.de
Springer Medizin
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»65 Jahre molekulare Medizin – von Peptiden und später von Proteinen anhand ihrer
wohin führt der Weg?« Sequenz gelegt. Im Jahre 1953 publizierten James
Watson und Francis Crick ihr bahnbrechendes Mo-
40 Jahre Lehrbuch Biochemie und Pathobiochemie ge- dell der Doppelhelix der DNS und lieferten damit eine
ben Anlass zu einem Rückblick über die Entwicklung Erklärung des Mechanismus der Kopierung dieser
einer molekular orientierten Medizin in den letzten Erbsubstanz.
vier Jahrzehnten. In der Einleitung zur 1. Auflage im Mit der Entwicklung der Technik der Sequenzierung
Jahre 1975 war zu lesen, dass »biochemisches Wissen wurde auch die Ermittlung der Primärstruktur des
und Methodik Eingang in nahezu alle Fachgebiete der mutierten Sichelzell-Hämoglobins im Jahre 1957
Medizin gefunden hatten«. Dies war das Ergebnis ei- möglich.
ner Entwicklung, die 30 Jahre zuvor begonnen hatte, Die auf diese Pionierarbeiten folgenden zwei Jahr-
als im Frühjahr 1945 nachts auf dem Weg von Denver zehnte führten zu einem vertieften Verständnis des
nach Chicago William Castle, Hämatologe in Boston, Stoffwechsels von Zellen und Geweben auf dem ein-
und Linus Pauling, Chemiker, damals in Pasadena, geschlagenen methodischen Weg der molekularen
über die Wechselwirkung von Antikörpern mit den Analyse. Der Fortschritt war jedoch trotz allem eine
zugehörigen Antigenen ins Gespräch kamen. In die- »Schnecke«. Noch 1975, als die 1. Auflage des vorlie-
sem Zusammenhang erwähnte Castle, dass bei der genden Lehrbuches erschien, hieß es, dass es »auf-
vererbbaren Sichelzellanämie die Erythrozyten bei grund der Größe und monotonen Sequenz der DNS
Sauerstoffabgabe eine Sichelform ausbilden und dabei noch nicht gelungen sei, die Basensequenz einzelner
im polarisierten Licht eine Doppelbrechung zeigen. Gene zu bestimmen«.
Dies sprach für eine molekulare Umordnung des Hä- Vier Jahre später, in der 2. Auflage (1978), wurden die
moglobins als Träger des Sauerstoffmoleküls. ersten neu entwickelten Sequenzierungsmethoden
Sichelzellen und die Sichelzellkrankheit waren zwar von Frederick Sanger und Alan Coulson bzw. Alan
schon im Jahre 1910 von James Herrick, einem prak- Maxam und Walter Gilbert (Boston) besprochen
tischen Arzt mit wissenschaftlichen Interessen in Chi- (Erste Generation-Sequenzierung). Es waren erstaun-
cago, erstmalig beschrieben worden. Aber erst im liche Verfahren, die sich den Mechanismus der Syn-
Jahre 1946 begann Paulings Arbeitsgruppe mit der these von DNS mit genauer Einhaltung der Nukleo-
Untersuchung des Hämoglobins von Patienten mit tidsequenz einer Vorlage zunutze machten, wie sie
Sichelzellanämie. Für eine Beteiligung des Hämoglo- überall in der Natur stattfindet (katalysiert vom En-
bins an dem pathologischen Geschehen sprach, dass zym DNS-Polymerase). Der geniale Trick, der die
Erythrozyten, aus denen das Hämoglobin entfernt Ablesung der gesuchten Sequenz durch Neusynthese
worden war, bei Entzug von Sauerstoff die Sichelzell- ermöglichte, bestand darin, dass die neugebildeten
form nicht mehr ausbildeten. Im Sommer 1948 ent- Moleküle eine physikalisch nachweisbare Markierung
deckten die Forscher, dass Hämoglobin aus Sichelzel- trugen (radioaktiv, später mit fluoreszierenden Farb-
len bei der Elektrophorese eine veränderte Mobilität stoffmolekülen). Dieses hochspezifische Verfahren
aufwies. Die Untersuchungen ergaben weiterhin, dass wurde immer weiter ausgebaut, vervollkommnet und
viele Individuen sowohl normales wie verändertes miniaturisiert. Weitere 20 Jahre später, fast zeitgleich
Hämoglobin enthielten. Sie waren offensichtlich hete- mit der Jahrhundertwende, wurde die komplette Se-
rozygot für die vermutete Mutation, hatten also ein quenz des menschlichen Genoms in weltweit zugäng-
normales und ein mutiertes Gen. Diese Ergebnisse, lichen Datenbanken eingespeichert.
die 1949 in einem klassisch gewordenen Artikel ver- Seit der letzten Auflage dieses Lehrbuches im Jahre
öffentlicht wurden, offenbarten eine direkte Verbin- 2006 hat sich diese Entwicklung exponentiell be-
dung zwischen der Existenz veränderter Hämoglo- schleunigt. Es blieb nicht bei der Ermittlung der Se-
bin-Moleküle und den entstehenden pathologischen quenz eines einzigen typisch menschlichen Genoms.
Phänomenen. Mit dieser Schlussfolgerung wurde das Vielmehr wurde es zunehmend möglich, die Unter-
Konzept der molekularen Krankheit in die Medizin schiede festzustellen, die der Genomtext zwischen
eingeführt. einzelnen Individuen aufweist. Hatte die Ermittlung
der ersten, sogenannten Referenz-Sequenz noch Jahr-
In den 50er-Jahren gelang es in Cambridge (UK) erst- zehnte internationaler kooperativer Forschung und
mals dem Biochemiker Frederick Sanger, eine exakte den Einsatz von mehr als einer Milliarde Dollar erfor-
Aminosäure-Sequenz eines Polypeptids, nämlich der dert, so machte bereits 10 Jahre danach die Ankündi-
A- und der B-Kette des Insulins, zu bestimmen. Da- gung eines »1000 Dollar Genoms« die Runde. Gegen-
mit war der Grundstein für die molekulare Analyse wärtig ist es möglich, die individuelle Sequenz der
VII
Geleitwort
DNS eines Menschen (mit rund 3 Milliarden Basen- vollständige molekulare Beschreibung den Menschen
paaren) innerhalb von wenigen Tagen zu ermitteln. auf seine biologische Verfassung reduzieren und da-
Beschränkt man die Sequenzierung auf die besonders mit zahlreiche ursächlich wirkende soziale und eth-
wichtigen ca. 180 000 Abschnitte (Exons), die die ca. nisch-kulturelle Faktoren beim Patienten ausblenden
23 000 Codes für die menschlichen Proteine enthalten könnte.
(insgesamt als Exom bezeichnet), dann fallen Kosten Damit ist in den 65 Jahren seit der Erstbeschreibung
von nur noch etwa 2000 Euro an. Diese technische einer molekularen Erkrankung bis zum heutigen Tage
Revolution beruht auf der massiv-parallelen Durch- eine sich zuletzt abrupt beschleunigende Entwicklung
führung der erforderlichen enzymatisch katalysierten abgelaufen. Sie mündet in die Erkennung der moleku-
Synthesen. Mithilfe der Methoden der sogenannten laren Grundlagen unserer persönlichen Individualität
»Nächste Generation Sequenzierung« können heute und der damit verbundenen individuellen Ausprä-
– bei Erscheinen der 9. Auflage – ursächliche Mutati- gung von Krankheiten. So erfreulich diese Entwick-
onen bei angeborenen und erworbenen Erkrankun- lung aus naturwissenschaftlicher Perspektive auch ist,
gen durch Untersuchung großer Kollektive betroffe- darf sie uns den Blick auf die mitlaufenden Risiken
ner Menschen schnell ermittelt werden. einer hochgradig technifizierten zellbiologisch-gene-
tischen Medizin nicht verstellen.
Diese Entwicklung hat die Medikamentenentwick- Es ist ein besonderes Privileg, diese eindrucksvolle
lung in der Krebsmedizin und vielen anderen Fachge- Entwicklung der modernen Biochemie (Zell- und
bieten der Medizin revolutioniert. Heute kann man Molekularbiologie) mit ihrer Bedeutung für die klini-
die intrazellulären Stoffwechselwege von menschli- sche Medizin über die vergangenen 40 Jahre einem
chen Tumoren molekular analysieren und die auftre- großen Leserkreis vermittelt haben zu dürfen.
tenden Mutationen nachweisen. Anschließend wer-
den neu entwickelte Medikamente eingesetzt, die im Petro E. Petrides und Jens Reich
Idealfall spezifisch auf die mutierten Proteine wirken.
Die Untersuchung menschlichen Tumorgewebes hat
damit zur »personalisierten Medizin« geführt. Die Prof. Dr. med. Petro E. Petrides, Arzt und Biochemiker, hat vor
Therapie ist auf die konkreten molekularen Defekte mehr als 40 Jahren die Gründung dieses Lehrbuches angeregt
bestimmter »Tumorgene« des einzelnen Patienten und seitdem mitherausgegeben. Er hat an verschiedenen Uni-
ausgerichtet. Nur dadurch ist eine wirklich wirksame versitäten des In- und Auslandes (Ludwigs-Universität-Mün-
Therapie möglich geworden. Kritische Autoren spre- chen, Salk-Institut La Jolla, und Stanford-Universität, Palo Alto,
chen dagegen von einer Stratifizierung zur Vermei- Kalifornien, Charité Humboldt Universität Berlin) gearbeitet.
dung von Ineffektivität, d. h., bestimmte Therapien An der aktuellen Auflage beteiligt er sich noch mit einzelnen
werden nicht verabreicht, wenn die molekularen Kapiteln. Er ist in eigener Praxis als Arzt und Dozent an der
Voraussetzungen nicht vorliegen. LMU München (Hämatologie/Onkologie) tätig.
Heute ist eine reduktionistische Entwicklung zu be-
obachten, die die Tumorerkrankung auf die Charak- Prof. Dr. med. Jens Reich hat die Weiterentwicklung des Lehr-
terisierung einiger weniger Tumorgene reduzieren buches von Anfang an mit Interesse beobachtet und mit kriti-
möchte. Holistische Ansätze dagegen versuchen, schen Anmerkungen befruchtet. Er hatte den Lehrstuhl für
durch die Untersuchung möglichst vieler Parameter Bioinformatik am Max Delbrück Centrum für Molekulare Me-
(z. B. des Proteoms = Gesamtanalyse des Proteinspek- dizin an der Humboldt-Universität – Charité in Berlin inne und
trums einer Zelle oder eines Gewebes) tiefgreifende war von 2001 bis 2012 Mitglied des Deutschen (vormals Natio-
Unterschiede zu identifizieren, die für die Krank- nalen) Ethikrates.
heitsentstehung von entscheidender Bedeutung sind.
Vorwort
Gegenstand der Biochemie ist die Aufklärung der verbunden mit größerer Leserfreundlichkeit dienen.
molekularen Grundlagen des Lebens. Insbesondere 17 Kapitel wurden völlig neu geschrieben. Grundle-
auf Grund einer Vielzahl moderner Techniken und gend überarbeitet wurden neun Kapitel der Moleku-
Forschungsansätze hat die Biochemie sehr stark ihre larbiologie. Durch Einbringung zahlreicher neuer
Nachbardisziplinen, wie die Zellbiologie, Molekular- Abbildungen sind die molekularbiologischen The-
biologie, Genetik, Entwicklungsbiologie, Physiologie, men aktualisiert und umfassender behandelt. Auch
Pharmakologie, aber auch die klinische Medizin ge- die 17 Kapitel, die sich mit dem Energiestoffwechsel,
prägt. Die Biochemie hat sich aber wegen ihrer Aus- der Synthese von Speicher- und Baustoffen, sowie der
richtung auf das molekulare Verständnis physiologi- Regulation des Stoffwechsels beschäftigen, wurden
scher Prozesse, wie z. B. der Stoffwechselvorgänge, neu gestaltet. Alle übrigen Kapitel sind in intensiver
stets ihre Individualität erhalten. Zusammenarbeit der Autoren mit den Herausgebern
überarbeitet worden.
Die seit Jahren mit ungebrochener Geschwindigkeit
voranschreitende Zunahme unserer Kenntnisse in Zu allen Kapiteln finden die Leserinnen und Leser
den Biowissenschaften, und hier speziell in der Bio- wichtige und wertwolle Literaturhinweise im Inter-
chemie, Molekular- und Zellbiologie, hat für die net auf einer Webseite des Springer-Verlags www.
Medizin wichtige Konsequenzen. So haben neue Er- springer.com/978-3-642-17971-6.
kenntnisse zum tieferen Verständnis physiologischer
Vorgänge, wie z. B. der Hormonwirkung, neurobiolo- Die biochemischen Inhalte des neuen Gegenstands-
gischer Prozesse und immunologischer Reaktionen, katalogs des Instituts für Medizinische und Pharma-
aber auch pathobiochemischer Zusammenhänge ge- zeutische Prüfungsfragen (IMPP) von 2014 werden
führt. Wir haben mit der vorliegenden 9. Auflage des mit der vorliegenden 9. Auflage des Lehrbuchs »Bio-
Lehrbuches »Löffler/Petrides Biochemie und Patho- chemie und Pathobiochemie« umfassend abgedeckt.
biochemie« versucht, dieser rasanten Entwicklung Die Benutzung unseres Lehrbuchs wird die Studie-
möglichst weitgehend Rechnung zu tragen. So war es renden der Medizin in die Lage versetzen, den 1. Ab-
uns ein besonderes Anliegen, das moderne biochemi- schnitt der ärztlichen Prüfung erfolgreich zu be-
sche, vor allem aber das molekular- und zellbiologi- stehen.
sche Grundwissen zu aktualisieren und dabei den-
noch kompakt darzustellen. Mit Sektion V »Funktio- Das Lehrbuch »Biochemie und Pathobiochemie« ist
nelle Biochemie der Organe« ist auch die neue Auf- auf ein molekulares Verständnis pathobiochemischer
lage des Lehrbuchs »Biochemie und Pathobiochemie« Zusammenhänge als Grundlage und Vorbereitung für
seiner traditionell starken Vernetzung von Bioche- die ärztliche Tätigkeit ausgerichtet. Mit seiner umfas-
mie/Molekularbiologie mit der Klinik treu geblieben. senden Darstellung biochemischer und molekular-
Wichtige Bezüge von Biochemie/Molekularbiologie biologischer Themen richtet es sich aber auch an
zur Pathobiochemie werden nun entweder in eigenen Biologen, Biochemiker, Ernährungswissenschaftler,
kurzen Kapiteln beschrieben oder sind am Ende der Pharmakologen, Pharmazeuten und Psychologen.
meisten Kapitel hervorgehoben worden. Darüber hinaus ist es als eine Orientierungshilfe für
die in der Klinik und Praxis tätigen Ärztinnen und
Mit der 9. Auflage hat sich das Herausgebergremium Ärzte gedacht.
verändert. Die Gründerväter des Buches Löffler und
Petrides sind als Herausgeber ausgeschieden, als Ein Buch ist niemals perfekt. Es lebt von der Kritik
Kapitelautoren aber weiterhin präsent geblieben. Als und den Anregungen seiner Leserinnen und Leser.
neue Herausgeberkollegen konnten Matthias Müller Wir sind daher – wie in der Vergangenheit – auch
und Lutz Graeve gewonnen werden, die beide über künftig dankbar für Kommentare, Korrekturen und
jahrelange Erfahrung in der akademischen Lehre und Verbesserungsvorschläge.
Lehrorganisation verfügen.
Unseren Leserinnen und Lesern wünschen wir viel
Was ist außerdem neu an der 9. Auflage? Gegenüber Freude an dem spannenden Fach Biochemie/Patho-
der 8. Auflage mit 35 Kapiteln weist die »Biochemie biochemie.
und Pathobiochemie« jetzt 5 Sektionen mit insgesamt
74 Kapiteln auf. Die inhaltliche Umstrukturierung Die Herausgeber
und Konzentrierung einzelner Themen auf kleinere Februar 2014
Kapitel soll einer besseren Übersicht des Lehrstoffs
Danksagung
Die folgenden Kollegen haben durch kritische und Bei unseren Studierenden bedanken wir uns für
kompetente Durchsicht der verschiedenen Kapitel zahlreiche Kommentare und Vorschläge.
ganz wesentlich zum Gelingen des Buches beigetra-
gen: Christian Bästlein (Freiburg), Willi Bannwarth Ebenso wie für die vergangenen Auflagen war auch
(Universität Freiburg), Wolfgang Bettray (RWTH für die neunte Auflage der unermüdliche Einsatz der
Aachen), Wilhelm Jahnen Dechent (RWTH Aachen), Lehrbuchabteilung des Springer-Verlages von großer
Ernst-Peter Fischer (Universität Konstanz), Otto Hal- Bedeutung: Ganz besonders möchten wir in diesem
ler (Universität Freiburg), Carola Hunte (Universität Zusammenhang Rose-Marie Doyon, Renate Sched-
Freiburg), Katrin Kuscher (Universität Freiburg), din, Christine Ströhla und Dorit Müller danken. Vol-
Christine Lambert (Universität Hohenheim), Chris ker W. Klein (Mainz) sind wir für die graphische Um-
Meisinger (Universität Freiburg), Khosrow Mottaghy setzung des Covers zu Dank verpflichtet. Besonderer
(RWTH Aachen), Tobias Recker (RWTH Aachen), Dank gilt auch unserer Lektorin Gaby Seelmann-
Natalie Rinis (RWTH Aachen), Harald Wajant (Uni- Eggebert.
versität Würzburg),
Sehr zu Dank verpflichtet ist Peter Heinrich dem Di-
Christophe Wirth (Universität Freiburg) danken wir rektor des Instituts für Biochemie und Molekularbio-
für die Hilfe beim Entwurf der Cover-Abbildung und logie der Universität Freiburg, Prof. Nikolaus Pfanner
Ernst-Peter Fischer (Universität Konstanz) für die für die großzügige Unterstützung der Arbeit an dem
Überlassung des Textes in »Übrigens« (Kapitel 10). Lehrbuch. Auch die Hilfe von Wolfgang Fritz und
Hans-Peter Henninger darf nicht unerwähnt bleiben.
Für die unermüdliche Hilfe bei der Anfertigung zahl- Zum Schluss möchten wir unseren Familien für ihre
reicher neuer Abbildungen möchten sich die Autoren Geduld und ihr Verständnis für unsere Arbeit an die-
bei Peter Freyer (Aachen) und zum Kapitel 49 bei sem Buch herzlich danken.
Carlo Maurer (Universität Freiburg) recht herzlich
bedanken. Die Herausgeber
Februar 2014
Ganz besonderer Dank geht an Katrin Kuscher, Seve-
rin Weigend, Matthias Behringer und Markus Bever
für ihren Enthusiasmus und ihre Hilfe bei Literatur-
Recherchen und der Korrespondenz zwischen Auto-
ren, Herausgebern und dem Springer-Verlag.
XI
Die Herausgeber
Peter C. Heinrich
Studierte Chemie an den Universitäten in Frankfurt und Marburg. Promotion bei Karl Dimroth an
der Universität Marburg, research associate an der Yale University (J. S. Fruton), im Anschluss wissen-
schaftlicher Assistent am Biochemischen Institut der Universität Freiburg (H. Holzer). Von 1970–1973
wissenschaftlicher Mitarbeiter der Firma Hoffmann LaRoche, Basel. 1975 Habilitation für das Fach
Biochemie an der Universität Freiburg. 1980 Professur für Biochemie an der Universität Freiburg.
1986 visiting professor an der Stanford University Medical School (G. Ringold). Von 1987 bis 2007 In-
haber des Lehrstuhls für Biochemie und Molekularbiologie und Geschäftsführender Direktor des
Institutes für Biochemie an der RWTH Aachen. 1994–2004 Sprecher der DFG-Forschergruppe/Son-
derforschungsbereichs 542 »Molekulare Mechanismen Zytokin-gesteuerter Entzündungsprozesse:
Signaltransduktion und pathophysiologische Konsequenzen«. Editorial Board Member: 1994–2001
Biochemical Journal; 1995–2008 Journal of Interferon and Cytokine Research; 2003–2007 Journal of
Biological Chemistry.
Wichtige wissenschaftliche Beiträge: Identifikation des Hepatozyten-stimulierenden Faktors als
Interleukin-6; Entdeckung des Transkriptionsfaktors APRF/STAT3α; Aufklärung der molekularen
Mechanismen der Interleukin-6 Signaltransduktion über den Jak/STAT-Weg und deren Signalab-
schaltung. Seit 2008 Gastprofessor im Institut für Biochemie und Molekularbiologie der Universität
Freiburg. 2012 visiting professor am Beckman Research Institute und der Irell & Manella Graduate
School of Biological Sciences, Pasadena.
Professor Heinrich hat langjährige Erfahrung in der Lehre und Betreuung von Medizin-, Biologie-
und Biochemiestudenten.
Matthias Müller
Studium der Humanmedizin an der Universität Freiburg. Am Biochemischen Institut der Universität
Freiburg Promotion bei Gerhard Schreiber und nach der Approbation Wissenschaftlicher Assistent
bei Helmut Holzer. Anschließend Postdoktorand und später Assistant Professor bei Günter Blobel,
The Rockefeller University, New York. Habilitation für das Fach Biochemie an der Universität Freiburg
(1987). Professor für Biochemie/Molekularbiologie von 1993-1997 an der Ludwig-Maximilians-Uni-
versität in München, seit 1997 an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Neben zahlreichen
anderen nationalen und internationalen Forschungsförderungen, seit 1988 Projektleiter in mehre-
ren Sonderforschungsbereichen. Forschungsschwerpunkte: Sec- und Tat-abhängiger Proteintrans-
port in Bakterien; molekulare Chaperone; Biogenese von α-helikalen und β-tonnenförmigen Mem-
branproteinen; Sekretion von bakteriellen Pathogenitätsfaktoren. Langjähriges und breitgefächer-
tes, transregionales Engagement in der Biochemielehre und deren Organisation.
Lutz Graeve
Studierte Biologie an der Universität Hamburg. Promotion am Institut für Physiologische Chemie,
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, bei Joachim Kruppa. Von 1986-1990 als Postdoktorand
bei Enrique Rodriguez-Boulan im Department of Anatomy and Cell Biology an der Cornell Universi-
ty Medical School in New York. Von 1990-2000 als wissenschaftlicher Assistent am Institut für Bio-
chemie des Klinikums der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen bei Peter
C. Heinrich. 1995 Habilitation für das Fach Biochemie an der Medizinischen Fakultät der RWTH
Aachen. Seit 2000 Professor für das Fachgebiet Biochemie der Ernährung an der Universität Hohen-
heim in Stuttgart. Von 2005–2012 Studiendekan, seit 2013 Studiengangsleiter für die ernährungs-
wissenschaftlichen Studiengänge.
Die Arbeitsgebiete umfassen zelluläre Signaltransduktion insbesondere von Interleukin-6-Typ Cyto-
kinen, Biologie von Lipid Rafts, Rolle von Caveolae und Matrix-Metalloproteinasen in der Tumor-
biologie und Einfluss sekundärer Pflanzeninhaltsstoffe auf zelluläre Signalvorgänge.
Das Layout
Abbildungen: Mehr
als 1000 Abbildungen
veranschaulichen
komplexe Zusammen-
hänge
Schwerpunkte:
Zentrale Themen des
Kapitels auf den Punkt
gebracht
Roter Faden:
Zusammenfassende
Kernaussagen
Zusammenfassung:
Das Wichtigste zum
Kapitel in Kürze
Tafelteil:
Wichtige Formeln sind
in einem separaten
Tafelteil am Ende von
Kapitel 3 zusammen-
gestellt
Literatur:
Eine umfassende Literaturliste finden Sie auf der Produktseite unter springer.com/978-3-642-17971-6
XV
Die Autoren
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hubert E. Blum Prof. Dr. Hannelore Daniel
Abteilung Innere Medizin II Lehrstuhl für Ernährungsphysiologie
Medizinische Universitätsklinik Freiburg Technische Universität München
Hugstetter Straße 55 Gregor-Mendel-Straße 2
79106 Freiburg 85350 Freising-Weihenstephan
Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Ulrich Häring Prof. Dr. Armin Kurtz
Endokrinologie und Diabetologie, Angiologie, Lehrstuhl f. Physiologie I
Nephrologie und Klinische Chemie Universität Regensburg
Medizinische Universitätsklinik Tübingen Universitätsstraße 31
Otfried-Müller-Straße 10 93053 Regensburg
72076 Tübingen
Prof. Dr. Georg Löffler
Prof. Dr. Dieter Häussinger Institut für Biochemie
Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie Universität Regensburg
Universitätsklinikum Düsseldorf Universitätsstraße 31
Moorenstraße 5 93053 Regensburg
40225 Düsseldorf
Prof. Dr. Monika Löffler
Prof. Dr. Peter C. Heinrich Institut für Physiologische Chemie
Institut für Biochemie und Molekularbiologie, ZBMZ Universität Marburg
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Karl-von-Frisch-Straße 1
Stefan-Meier-Straße 17 35032 Marburg
79104 Freiburg
Prof. Dr. Petra May
PD Dr. Heike Hermanns Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie
Rudolf-Virchow-Zentrum für Experimentelle Biomedizin Universitätsklinikum Düsseldorf
Universität Würzburg Moorenstraße 5
Josef-Schneider-Straße 2 (D15) 40225 Düsseldorf
97080 Würzburg
Prof. Dr. Joachim Mössner
Prof. Dr. Dr. Hans R. Kalbitzer Klinik und Poliklinik für Gastroenterologie
Institut für Biophysik und Physikalische Biochemie und Rheumatologie
Universität Regensburg Department für Innere Medizin, Neurologie
Universitätsstraße 31 und Dermatologie
93053 Regensburg Universitätsklinikum Leipzig, AöR
Liebigstraße 20
Prof. Dr. Monika Kellerer 04103 Leipzig
Zentrum für Innere Medizin I
Marienhospital Stuttgart Prof. Dr. Matthias Müller
Böheimstraße 37 Institut für Biochemie und Molekularbiologie; ZBMZ
70199 Stuttgart Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Stefan-Meier-Straße 17
Prof. Dr. Hans-Georg Koch 79104 Freiburg
Institut für Biochemie und Molekularbiologie, ZBMZ
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Prof. Dr. Gerhard Müller-Newen
Stefan-Meier-Straße 17 Institut für Biochemie und Molekularbiologie
79104 Freiburg RWTH Aachen
Pauwelsstraße 30
Prof. Dr. Josef Köhrle 52057 Aachen
Institut für Experimentelle Endokrinologie
Charité – Universitätsmedizin Berlin Prof. Dr. Petro E. Petrides
Charité Campus Virchow-Klinikum Hämatologisch-onkologische Schwerpunktpraxis
Augustenburger Platz 1 Am Isartor
13353 Berlin Zweibrückenstraße 2
80331 München
Prof. Dr. Thomas Kriegel und
Institut für Physiologische Chemie Medizinische Klinik
Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus Ludwig-Maximilians-Universität München
Technische Universität Dresden
Fetscherstraße 74
01307 Dresden
XVII
Die Autoren
Tafelteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
4 Bioenergetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
Thomas Kriegel, Wolfgang Schellenberger
4.1 Thermodynamische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
4.2 Energietransformation und energetische Kopplung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
4.3 Verbindungen mit hohem Gruppenübertragungspotenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
11 Biomembranen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
Lutz Graeve, Matthias Müller
11.1 Aufbau und Eigenschaften von Biomembranen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
11.2 Membranfluidität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
11.3 Lipid rafts oder membrane rafts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150
11.4 Membranproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
11.5 Transport durch Membranen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
11.6 Biosynthese von Membranen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
13 Cytoskelett . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
Lutz Graeve, Matthias Müller
13.1 Mikro- oder Actinfilamente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
13.2 Mikrotubuli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
13.3 Intermediärfilamente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
13.4 Motorproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
XX Inhaltsverzeichnis
34 Mediatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407
Peter C. Heinrich, Serge Haan, Heike M. Hermanns, Gerhard Müller-Newen, Fred Schaper
34.1 Hormone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407
34.2 Cytokine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408
IV Molekularbiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533
54 Gentechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 660
Jan Brix, Peter C. Heinrich, Hans-Georg Koch, Georg Löffler
54.1 Grundlagen der Gentechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 660
54.2 Vektoren zum Einschleusen fremder DNA in Wirtszellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 669
54.3 DNA-Bibliotheken (DNA-Banken) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 673
54.4 Gentechnik in den Grundlagenwissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 674
54.5 Gentechnisch produzierte Medikamente (Biologicals) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 676
61 Gastrointestinaltrakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 745
Georg Löffler, Joachim Mössner
61.1 Verdauungssekrete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 745
61.2 Regulation gastrointestinaler Sekretion und Pathobiochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 753
61.3 Verdauung und Resorption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 758
61.4 Intestinales Immunsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 768
XXVI Inhaltsverzeichnis
70 Immunologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 893
Siegfried Ansorge, Michael Täger
70.1 Rolle des Immunsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 893
70.2 Unspezifische, angeborene Immunantwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 894
70.3 Das spezifische, adaptive Immunsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 899
70.4 Instrumente und Mechanismen der Antigenerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 900
70.5 Prozessierung und Präsentation von Protein-Antigenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 901
70.6 Zellen der spezifischen Immunantwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 903
70.7 Mechanismen der T-Zell-Aktivierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 906
70.8 B-Lymphocyten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 911
70.9 Antikörper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 914
70.10 Zirkulation von Lymphocyten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 922
70.11 Interaktionen der unspezifischen, angeborenen und spezifischen, adaptiven Immunantwort . . . . . . 923
70.12 Immunabwehr von Mikroorganismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 925
70.13 Pathobiochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 927
73 Haut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 961
Leena Bruckner-Tuderman, Peter Bruckner
73.1 Aufbau und Funktionen der Haut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 961
73.2 Epidermis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 961
73.3 Dermoepidermale Junktionszone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 962
73.4 Dermis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 963
73.5 Pathobiochemie der Haut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 964
74 Nervensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 968
Petra May, Cord-Michael Becker, Hans H. Bock
74.1 Neuronen, Erregungsleitung und -übertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 968
74.2 Glia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 984
74.3 Blutgefäße und Liquor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 986
74.4 Stoffwechsel des Gehirns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 988
74.5 Neurodegenerative Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 990
Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 995
Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 996
Genetischer Code, Wichtige Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 998
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 999
Vorbemerkungen
Maßeinheiten
Die IFCC (International Federation for Clinical Chemistry) und die IUPAC (International Union of Pure and Applied Chemistry) haben gemeinsame
Empfehlungen zur Vereinheitlichung von Maßeinheiten verabschiedet, die sog. SI-Einheiten (Système International d‘Unités). Das Maßsystem basiert
auf sieben Grundeinheiten: Meter (m), Kilogramm (kg), Sekunde (s), Ampère (A), Kelvin (K), Mol (mol) und Candela (cd) (. Tab. 1).
Die Einheiten für z. B. Volumen, Konzentration, Kraft und Druck werden von diesen Grundeinheiten abgeleitet (. Tab. 2).
Abgeleitete Größe Symbol Name der Einheit Definition (in Unübliche, alte Einheiten
Einheit SI-Einheiten)
Volumen V Liter l 10–3 m3 1 dm3 = 1 l
1 cm3 = 1 ml
1 mm3 = 1 µl
Konzentration c Molarität M mol · l–1 1 mol · m–3 = 1 mmol · l–1
1mmol · m–3 = 1 µmol · l–1
Angaben in g%, g/100 ml, mg/100 ml sowie
mol%, mval/l oder äq/l, mäq/l sollten nicht mehr
verwendet werden
Molare Masse, Molmasse Dalton Da g · mol–1 Molekulare Masse (M) =
Wenn ein Atom 1,66 · 10–24 g wiegt, Masse (m) / Stoffmenge (n)
beträgt die Molmasse: (früher: Molekulargewicht)
(1,66 · 10–24)g · (6,022 · 1023) = 0,999652 g
Kraft F Newton N kg · m · s–2 1 dyn = 10–5 N
Druck p Pascal Pa N· m–2 1 bar = 105 Pa = 750 mm Hg
1 mm Hg = 133,3 Pa
1 atm = 1,0133 bar
1 Torr = 1,3332 mbar
1,013 · 105 = 1 atm
Energie, Arbeit, Wärmemenge E, A, Q Joule J N·m 1 Kalorie (cal) = 4,1868 J
1 Elektronenvolt (eV) = 1,602 10–19 J
Frequenz f Hertz Hz s–1
Leistung P Watt W J · s–1 = V · A 1 PS = 735 W
Elektrische Ladung q Coulomb C A·s
Elektrische Spannung U Volt V W · A–1
Reaktionsgeschwindigkeit v – v mol · s–1
Katalytische Aktivität Einheit U µmol · min–1
Katal mol · s–1
Sedimentationskoeffizient Svedberg S 10–13 s
Radioaktivität Bequerel Bq 1 Zerfall · s–1 1 Curie (Ci) = 3,7 · 1010 Bq
Dezimale Vielfache u. Teile Präfix Symbol Dezimale Vielfache u. Teile Präfix Symbol
1015 Peta- P 10–6 Mikro- µ
1012 Tera- T 10–9 Nano- n
9
10 Giga- G 10–12 Pico- p
106 Mega- M 10–15 Femto- f
103 Kilo- k 10–18 Atto- a
10–3 Milli- m
XXIX
Vorbemerkungen
Sie stellt ein Maß für die Streuung der Einzelwerte um den Mit-
Englische Begriffe telwert dar. Ermittelt man die Häufigkeitsverteilung der einzel-
nen Messgrößen in einem Kollektiv, so kann diese eine beliebige
Da für viele Begriffe in der Biochemie/Molekularbiologie keine Kurvenform haben. Im Idealfall gruppieren sich die Messwerte
adäquaten deutschen Übersetzungen geläufig sind, werden sehr in Form einer Normalverteilung (Gauß-Verteilung) um den
oft die englischen Begriffe verwendet, die klein und kursiv ge- Mittelwert (x–). Die Gauß-Verteilung entspricht einer Glocken-
druckt sind. kurve, wobei die beiden Wendepunkte von entscheidender Be-
deutung sind: der Abstand zwischen – x und dem Wendepunkt ist
der Wert s, die Standardabweichung.
Farbklima Um z. B. bei klinischen Studien die Normalwerte von den pa-
thologischen Resultaten deutlich trennen zu können, muss man
4 In Abbildungen vorkommende Enzyme sind weitestgehend auf beiden Seiten der Kurve Grenzen zwischen den bei Gesun-
in hellblauen Kästen mit »runden Ecken« und schwarzer den häufigen bzw. den seltenen Werten ziehen. Als Grenze des
Schrift dargestellt, sog. Normwertbereiches definiert man im Allgemeinen – beim
4 die Plasmamembranen als zwei blaue Linien mit Vorliegen einer Normalverteilung – die Spanne innerhalb der
dazwischenliegendem Gelb, doppelten Standardabweichung (x – ± 2s) zu beiden Seiten des
4 die Zellkerne violett, Mittelwertes. Dieser Bereich schließt die mittleren 95% der Ver-
4 das endoplasmatische Retikulum (ER) grün, teilung ein (Vertrauensbereich oder Normbereich).
1 I
Kapitel 4 Bioenergetik – 54
T. Kriegel, W. Schellenberger
P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
4 Kapitel 1 · Ohne Wasser kein Leben
A B A
1 B
. Abb. 1.5 Auflösung von Kochsalz (NaCl) in Wasser. Na+ (magenta) und
sich polare anorganische und organische Moleküle in Wasser Cl– (grün) Ionen werden durch elektrostatische Anziehungskräfte zusam-
mengehalten und bilden ein Kristallgitter. Wasserdipole schwächen die
lösen. Polare Moleküle wie Salze lösen sich meist sehr leicht in
elektrostatischen Anziehungskräfte zwischen den positiv und negativ gela-
Wasser auf, obgleich das Kristallgitter z. B. von Kochsalz (NaCl) denen Ionen, und das Kristallgitter wird zerstört. Na+ und Cl– umgeben sich
durch die starken ionischen Wechselwirkungskräfte zwischen mit Hydrathüllen, deren Wechselwirkungen zwischen den Ionen und den
den positiv und negativ geladenen Na+- und Cl–-Ionen zusam- Wassermolekülen durch unterbrochene Linien dargestellt sind. (Adaptiert
mengehalten wird. Das Kristallgitter von NaCl kann sich nur nach Horton 2008, © Pearson Studium)
auflösen, weil die positiv geladenen Na+-Ionen von Wassermole-
külen so umgeben werden, dass das partiell negativ geladene Stoffe keine Wasserstoffbrücken mit den Wasserdipolen ausbil-
Dipolende des Sauerstoffatoms des Wassers an die Na+-Ionen den und deshalb nicht durch Wasserstoffbrückenbindungen in
und das partiell positiv geladene Dipolende der beiden Wasser- das Wassernetzwerk eingebunden werden können, muss das
stoffatome an die Cl–-Ionen binden (Ionen-Dipol-Wechselwir- Wasser seine Struktur reorganisieren. Dazu bilden die Wasser-
kung). Man spricht von Hydratisierung, das heißt es bilden sich moleküle um die hydrophoben Moleküle herum »käfigartige
Hydrathüllen um die Na+- und Cl–-Ionen aus. Wenn die daraus Clathratstrukturen« (lat.: clatratus vergittert) aus, d. h. die hyd-
resultierende Hydratationsenergie die Gitterenergie von NaCl rophoben Moleküle werden von einer Pentagon-/Hexagon-Hy-
übersteigt, löst sich das Salz in Wasser auf (. Abb. 1.5). Die drathülle umgeben. Dies bedeutet, dass die Clathratbildung von
Anzahl der von einem Ion gebundenen Wassermoleküle hängt einer vermehrten Ordnung der Wassermoleküle begleitet ist,
von dessen Radius ab. Die kleineren Ionen, z. B. Na+, binden was einer Verringerung der Entropie entspricht (7 Kap. 4.1).
Wasser stärker als die größeren. Wenn sich zwei nicht-polare Moleküle in ihren Käfigen annä-
Dies bedeutet z. B. dass das hydratiserte Na+-Ion einen grö- hern, führt dies zu einer Aggregation der unpolaren Moleküle
ßeren Radius als das hydratisierte K+-Ion aufweist, obwohl sich und zu einer Freisetzung von Wassermolekülen, die ursprüng-
die Atomradien der nicht hydratisierten Ionen umgekehrt ver- lich mit der nicht-polaren Oberfläche interagiert hatten (. Abb.
halten. Dieses Phänomen erklärt, warum K+-Ionen biologische 1.6). Diese größere Beweglichkeit der Wassermoleküle bedeutet
Membranen leichter überwinden können als Na+-Ionen. eine größere Unordnung und damit eine Zunahme der Entropie.
Somit entsteht die hydrophobe Wechselwirkung infolge eines
Hydrophobe Interaktionen entstehen Entropieeffektes.
aufgrund der Unverträglichkeit hydrophiler Nach der Gibbs-Helmholtz-Gleichung (7 Kap. 4.1):
und hydrophober Gruppen
Nicht-ionische Moleküle mit polaren funktionellen Gruppen ΔG = ΔH – TΔS
wie z. B. Alkohole, Amine und Carbonylverbindungen bilden
Wasserstoffbrücken aus und lösen sich daher leicht in Wasser ΔH = Enthalpiedifferenz und ΔS = Entropiedifferenz
(hydrophile Substanzen; griech: hydor, Wasser; philos, Freund). kommt es bei einer Zunahme der Entropie (ΔS) zu einer
Nicht-polare Substanzen wie z. B. Öl, Fette oder Kohlenwasser- Abnahme der Freien Enthalpie ΔG1. Prozesse, bei denen ΔG <0
stoffe sind in Wasser nicht löslich, d. h. sie meiden den Kontakt ist, laufen spontan ab (exergon). Hydrophobe Effekte sind
mit Wasser (hydrophobe Substanzen, griech: phobos, Angst). demnach nicht auf eine gegenseitige Anziehung/Bindung der
Hydrophobe Substanzen lösen sich dagegen sehr gut in apolaren hydrophoben Moleküle zurückzuführen, sondern auf eine
Lösungsmitteln wie Chloroform, Tetrachlorkohlenstoff oder Abnahme der freien Enthalpie hervorgerufen durch den Anstieg
Hexan (»Gleiches löst sich in Gleichem«). Das Verhalten von der Entropie der umgebenden Wassermoleküle. Der häufig
Wassermolekülen gegenüber hydrophoben Substanzen und verwendete Begriff hydrophobe Bindung ist nicht korrekt, es
nicht-polaren funktionellen Gruppen in biologischen Makro-
molekülen unterscheidet sich von der besprochenen leichten 1 In der Thermodynamik ist ΔG als Freie Enthalpie definiert (s. 7 Kap. 4). Häu-
Wasserlöslichkeit polarer Stoffe wie NaCl. Da die unpolaren fig wird in der angelsächsischen Literatur ΔG als Freie Energie bezeichnet.
6 Kapitel 1 · Ohne Wasser kein Leben
. Abb. 1.6 Modell zur Erläuterung des hydrophoben Effektes in wässrigen Lösungen. Hydrophobe Moleküle (gelb) können mit Wassermolekülen
keine Wasserstoffbrücken ausbilden. Das sie umgebende Wasser in Form von Pentagon-/Hexagon-Hydrathüllen (nicht gezeigt) zwingt die hydrophoben
Moleküle zur spontanen Aggregation verbunden mit einer Freisetzung von Wassermolekülen (Entropiezunahme). (Adaptiert nach Stryer 2007)
handelt sich vielmehr um hydrophobe Wechselwirkungen, oder der gelösten Substanz abhängen. Kolligative Eigenschaften des
anders formuliert: Wasser zwingt hydrophobe Moleküle in ein Wassers sind der Dampfdruck, der Siedepunkt, der Schmelz-/
sich spontan bildendes Aggregat. Ohne Wasser gibt es keine Gefrierpunkt und der osmotische Druck. Die Eigenschaften des
hydrophoben Effekte. Wassers werden verändert, wenn Substanzen im Wasser gelöst
sind, d. h. wenn die Wasserkonzentration in der Lösung niedriger
Hydrophobe Wechselwirkungen spielen eine ist als in reinem Wasser. Zum Beispiel wird in einer 1 molaren
wichtige Rolle bei der Selbstorganisation Lösung von Glucose (1 mol Glucose gelöst in 1.000 ml Wasser bei
von Makromolekülen und biologischen Strukturen einem Druck von 1 atm) der Gefrierpunkt der Lösung um 1,86 °C
4 Hydrophobe Wechselwirkungen sind für die Ausbildung erniedrigt und der Siedepunkt um 0,54 °C erhöht.
der 3D-Struktur von Proteinen sehr wichtig. Sie sind dafür
verantwortlich, dass das Innere vieler Proteine praktisch Die Diffusion von Wassermolekülen durch selektiv
wasserfrei ist, da hier die hydrophoben Seitenketten dicht permeable Membranen wird als Osmose bezeichnet
gepackt sind. Auf der Proteinoberfläche dagegen befinden Wenn eine wässrige Lösung von Glucose durch eine semiperme-
sich die geladenen und polaren Aminosäuren. Häufig able (lat: semi: halb; permeare: durchwandern) Membran (nur
tragen hydrophobe Wechselwirkungen mehr zur Stabilität durchlässig für Wasser, nicht für Glucose) von reinem Wasser
eines Proteins bei als alle übrigen nicht-kovalenten Wech- getrennt ist, wandern die Wassermoleküle von der hohen
selwirkungen. Wasserkonzentration = reines Wasser durch die Membranbarriere
4 Hydrophobe Wechselwirkungen sind auch von großer Be- in die Glucoselösung mit der niedrigeren Wasserkonzentration,
deutung für die Ausbildung von Quartärstrukturen von die dadurch verdünnt wird (. Abb. 1.7). Man bezeichnet die Lö-
Proteinen, der Organisation von Multienzymkomplexen, sungsmittel (Wasser)-Bewegung vom Ort hoher Konzentration
der Stabilisierung der DNA- Doppelhelix (7 Kap. 10.2.1) zum Ort niedriger Konzentration (Glucoselösung) als Osmose.
und der Assemblierung von biologischen Membranen Unter osmotischem Druck einer Lösung z. B. einer Glucoselö-
(7 Kap. 11.1). sung versteht man den hydrostatischen Druck, der dem Durch-
tritt des Lösungsmittels durch die semipermeable Membran ent-
Nähern sich z. B. eine hydrophobe Gruppe eines Liganden (Hor- gegen wirkt. Der osmotische Druck π wird durch die van’t Hoff-
mone, kompetitiver Inhibitor, Medikament) und eine unpolare Gleichung beschrieben
Rezeptorgruppe, die beide von geordneten Wassermolekülen
umgeben sind, so gehen die Wassermoleküle bei Annäherung Π = n · V–1 · R · T
von Wirkstoff und Rezeptor in einen ungeordneteren Zustand
über. Durch den hiermit verbundenen Entropieanstieg kommt es Dabei stellen n die Teilchenzahl, V das Volumen, R die allgemei-
zu einer Abnahme der Freien Enthalpie, die den Ligand-Rezep- ne Gaskonstante und T die absolute Temperatur dar.
tor-Komplex stabilisiert. Der osmotische Druck π ist proportional zur Konzentration
(n/V) des gelösten Stoffes. Für eine 1 molare Glucoselösung
beträgt der osmotische Druck 2.270 kPa. Eine 1 molare NaCl-
1.2 Kolligative Eigenschaften des flüssigen Lösung weist dagegen einen doppelt so hohen osmotischen
Wassers und osmotischer Druck Druck von 4.540 kPa auf, da die NaCl-Lösung aufgrund der
Dissoziation des Kochsalzes in Na+- und Cl–-Ionen 2 mol/l Teil-
Als kolligative Eigenschaften (kolligativ = miteinander verbunden) chen enthält. Die Anzahl aller osmotisch wirksamen Teilchen in
werden Eigenschaften eines Stoffes bezeichnet, die allein von der mol/l Lösung bezeichnet man als Osmolarität der Lösung, bezo-
Anzahl der gelösten Moleküle/Ionen pro Volumen des Lösungs- gen auf 1 kg Lösungsmittel spricht man von Osmolalität. Die
mittels und nicht von der chemischen Natur (Größe und Ladung) Osmolarität des Blutplasmas hält sich bei Gesunden in einem
1.3 · Autoprotolyse von Wasser, pH Wert
7 1
A B C Um den osmotischen Druck, der von den gelösten Teilchen
im Cytosol von Säugetierzellen ausgeht, zu minimieren,
speichern Hepatocyten und Muskelzellen nicht freie Glucose,
sondern hochmolekulares Glycogen (ca. 50.000 Glucoseeinheiten
in einem Glycogenmolekül!) (7 Kap. 3.1.4). Sie vermeiden so das
Eindringen von Wasser aufgrund osmotischer Effekte. Die in
Adipocyten (Fettzellen) gespeicherten Triglyceride sind auf-
grund ihrer Wasserunlöslichkeit osmotisch nicht wirksam.
Zur Beschleunigung des Wassertransports in und aus Säuge-
tierzellen während der Osmose dienen Wasserkanäle, die 1992
von Peter Agre entdeckt und »Aquaporine« genannt wurden.
Diese Entdeckung wurde 2003 mit dem Nobelpreis für Chemie
gewürdigt. Beim Menschen sind inzwischen 13 Aquaporine
nachgewiesen worden. Sie werden besonders in der Niere, den
. Abb. 1.7 Vorgänge bei der Osmose. A Das Becherglas ist mit reinem Speichel- und Tränendrüsen exprimiert.
Wasser gefüllt, die Glasröhre enthält eine Glucoselösung, die unten mit ei-
Das Aquaporin AQP1 ist ein Homotetramer (. Abb. 1.9). Jede
ner semipermeablen Membran vom umgebenden Wasser abgetrennt ist.
Die Membran ist nur für Wasser, nicht aber für die in Wasser gelöste Glucose Untereinheit besteht aus 6 Transmembranhelices und 2 kurzen
durchlässig. B Wassermoleküle aus dem Becherglas diffundieren durch die Helices. Im Unterschied zu Kaliumkanälen (7 Kap. 74) bildet jede
semipermeable Membran in die Glasröhre und verdünnen die Glucoselö- Aquaporinuntereinheit eine Pore mit einem Durchmesser von
sung. Dabei steigt die Flüssigkeitssäule in der Glasröhre solange an, bis de- 0,3 nm. Der Durchmesser eines Wassermoleküls beträgt 0,28 nm.
ren Schwerkraft = osmotischer Druck das weitere Eindringen von Wasser-
Aquaporine transportieren Wassermoleküle, aber keine Protonen.
molekülen stoppt. C Als osmotischen Druck π bezeichnet man die Kraft auf
den Stempel, die den Ausgangszustand A wiederherstellt. (Adaptiert nach Die Kanäle öffnen sich nach Phosphorylierung spezifischer Ami-
Nelson, Cox 2011) nosäurereste und schließen sich bei Dephosphorylierung. Bei Ein-
tritt in den Aquaporinkanal zeigt das O-Atom des Wassers zu-
Bereich zwischen 290 und 300 Milliosmol (mosmol/l), entspricht nächst zur cytosolischen Seite. Während das Wassermolekül den
also ungefähr der Osmolarität von 0,15 mol/l NaCl. Kanal durchquert, dreht es sich in der Mitte des Kanals um 180°
Für alle lebenden Zellen sind Aufnahme und Abgabe von und die H-Atome zeigen jetzt in Richtung Cytoplasma.
Wasser von großer Bedeutung. Änderungen der extrazellulä-
ren Osmolarität können in Säugetierzellen zu schnellen
Schrumpfungen oder Schwellungen führen. . Abb. 1.8 zeigt, wie 1.3 Autoprotolyse von Wasser, pH-Wert
Erythrocyten in reinem Wasser (hypotones Milieu) schwellen.
Wasser strömt so lange in das Zellinnere bis die Zellen platzen. Wasser hat eine geringe Tendenz zu dissoziieren. Da Wassermo-
In konzentrierter Kochsalzlösung (hypertones Milieu) wird da- leküle Protonen (H+) untereinander austauschen, kann ein Pro-
gegen eine Schrumpfung der roten Blutzellen beobachtet. Bei ton von einem Wassermolekül auf ein benachbartes Wassermo-
experimentellen Arbeiten mit Säugetierzellen ist es daher wich- lekül übertragen werden und es entstehen Hydronium- (H3O+)
tig, dass diese in einem isotonen Medium gehalten werden, in und Hydroxidionen (OH–) (Gleichung 1)
dem die Osmolarität identisch mit derjenigen im Zellinneren ist.
Deshalb wird auch in der Medizin zur Infusion als Blutersatz H2O + H2O H3O+ + OH‒ (1)
kein reines Wasser, sondern eine isotone Kochsalzlösung (0,9 %
= 9 g/l Wasser) verwendet. Diese Lösung hat praktisch den glei- Das Gleichgewicht für diese sog. Autoprotolysereaktion liegt
chen osmotischen Druck wie das Blutplasma (s. o.). auf der Seite des undissoziierten Wassers.
. Abb. 1.8 Effekt von hypotonem, isotonem und hypertonem Milieu auf rote Blutzellen (Einzelheiten s. Text). Eine physiologische Kochsalzlösung
(= isotones Milieu) enthält 0,154 mol NaCl/l, entsprechend 9 g/l
8 Kapitel 1 · Ohne Wasser kein Leben
pH = –log [H+]
. Abb. 1.9 Aquaporin. Dreidimensionale Struktur des tetrameren Aqua- Daraus folgt, je höher die Wasserstoffionenkonzentration (= Pro-
porin AQP1. Die Ansicht von der cytoplasmatischen Seite zeigt, dass jede tonenkonzentration) desto niedriger der pH-Wert und umge-
der vier Untereinheiten eine Pore (schwarze Pfeilspitze) für den Transport kehrt.
eines Wassermoleküls bildet. (Adaptiert nach Sui 2001, mit freundlicher
Die Änderung des pH- Wertes um eine Einheit bedeutet eine
Genehmigung von Macmillan Publishers Ltd)
10fache Änderung in der Wasserstoffionenkonzentration.
Da die H+-Ionenkonzentration von reinem Wasser 10‒7 mol/l
Es ist bekannt, dass die Wasserstoffionen (Protonen, H+) beträgt, ergibt sich ein pH-Wert von
nicht nur als Hydronium (H3O+)-Ionen, sondern auch als multi-
mere Hydrate wie H+(H2O)2, H+(H2O)3 und H+(H2O)5 vor- pH = –log [10‒7] = –log [1/107] = log [107] = 7,0
liegen.
Zur Vereinfachung hat sich eingebürgert, die Hydronium- Auf einer pH-Skala bedeutet pH 7,0 eine neutrale Lösung, pH-
ionen (H3O+)-Konzentration als H+-Konzentration zu schrei- Werte kleiner 7 bedeuten saure Lösungen, pH Werte über 7 alka-
ben, obgleich in wässriger Lösung keine Protonen vorliegen. lische Lösungen. In . Abb. 1.10 sind die pH-Werte einiger be-
Protonen sind H+-Ionen, die aus H-Atomen entstehen, denen ihr kannter Flüssigkeiten und Körperflüssigkeiten zusammenge-
einziges Elektron entzogen wurde. stellt.
Die Anwendung des Massenwirkungsgesetzes auf das obige Da der pH-Wert die Struktur und Aktivität von Makromole-
Wasserdissoziationsgleichgewicht (Gleichung 1) ergibt külen, z. B. die katalytische Aktivität von Enzymen, stark
beeinflusst, sind pH-Messungen in biochemischen und klini-
K = [H+] · [OH‒]/[H2O]2 . (2) schen Labors sehr wichtig. pH-Messungen können mit Indikato-
ren durchgeführt werden. Dabei handelt es sich um schwache
Die eckigen Klammern symbolisieren Konzentrationen in mol/l.
organische Säuren oder Basen, die bei Base- oder Säurezugabe
Da ein Mol Wasser 18 g wiegt, enthält ein Liter (1.000 g) Was-
ihre Farbe ändern, z. B. Lackmus oder Phenolphthalein. Sehr viel
ser 1.000/18 = 55,6 mol Wasser. Da ferner die molare Konzentra-
präzisere pH-Messungen erfolgen mit Hilfe einer Glaselektrode
tion an Wasser mit 55,6 mol/l viel größer ist als die Konzentratio-
in einem pH-Meter, das eine von der Protonenkonzentration
nen an H+- und OH–-Ionen, wird die Wasserkonzentration als
abhängige elektrische Spannung misst. In der medizinischen
konstant betrachtet und in die Gleichgewichtskonstante K einbe-
Diagnostik werden pH-Messungen von Körperflüssigkeiten wie
zogen. Dadurch ergibt sich die Ionenproduktkonstante Kw des
Blut und Urin durchgeführt. Bei nicht behandelten Diabetikern
Wassers:
können z. B. aufgrund der hohen Ketonkörperkonzentrationen
erniedrigte pH-Werte im Plasma (metabolische Acidose)
Kw = K · [H2O]2 = [H+] · [OH‒]
auftreten (7 Kap. 21.2.2).
Durch Messung der elektrischen Leitfähigkeit wurden die Kon-
zentrationen von H+ und OH– bei 25 °C bestimmt zu:
1.4 Säuren und Basen
[H+] = 10–7 mol/l
Es gibt eine Vielzahl von Verbindungen, die in reinem Wasser
[OH–] = 10–7 mol/l (pH = 7,0) gelöst zu einer Veränderung des pH-Wertes führen.
Die Ionenproduktkonstante des Wassers ist daher Kw = 10–7 ∙ 10–7 Hierbei kann es sowohl zu einer Erhöhung als auch zu einer Er-
= 10–14 mol2/l2 niedrigung der Wasserstoffionenkonzentration in der Lösung
Bei 25 °C (Gleichgewichtskonstanten sind temperaturabhän- kommen.
gig) beträgt der Zahlenwert für das Ionenprodukt des Wassers Säuren und Basen können die Protonen (H+)- und Hydroxid
(OH‒)-Ionenkonzentrationen von reinem Wasser verändern.
[H+] · [OH‒] = 10‒14 mol2/l2 Nach der Definition von Johannes Nicolaus Brønstedt sind Säu-
1.4 · Säuren und Basen
9 1
HCl Cl–
NH4+ NH3
H2CO3 HCO3–
HCO3– CO32–
H3PO4 H2PO4–
–
H2PO4 HPO42–
HA + H2O A– + H3O+
oder vereinfacht:
HA + H2O A– + H+
. Abb. 1.10 pH-Werte verschiedener Flüssigkeiten und Körperflüssig- Da die Konzentration an Wasser praktisch unverändert bleibt,
keiten (rote Schrift)
wird diese konventionsgemäß in die Konstante K’ einbezogen
und das Produkt als Säurekonstante KS definiert.
ren Protonendonoren, die in Anwesenheit eines Protonenak-
zeptors Protonen abgeben. Basen sind Protonenakzeptoren, die K’ · [H2O] = Ks = [H+] · [A‒]/[HA]
Protonen aufnehmen. Verbindungen wie Wasser, welches sowohl
als Protonendonor wie auch als Protonenakzeptor reagieren Der Index s steht für »Säure«, im Englischen ist »a« = acid ge-
kann, werden als Ampholyte bezeichnet. Ein weiteres Beispiel bräuchlich.
sind die Aminosäuren, die sowohl saure wie basische Eigenschaf- Analog lässt sich die Basekonstante KB für eine schwache
ten aufweisen (7 Kap. 3.3). Base B aus der Gleichung
Die allgemeine Darstellung einer Säure-Base-Reaktion
B + H2O BH+ + OH–
HA + B A‒ + BH+
ableiten zu:
zeigt, dass Säuren ihre Wasserstoffionen nur abgeben können,
wenn Basen anwesend sind, d. h. eine Säure HA geht durch Pro- K’ ∙ [H2O] = KB = [BH+] ∙ [OH‒] / [B]
tonenabgabe in ihre konjugierte Base A– über, während die
Base B durch Protonenaufnahme ihre konjugierte Säure BH+ Die Säurekonstante Ks und die Basenkonstante KB sind tempera-
bildet. turabhängig.
. Tab. 1.1 fasst einige Säuren und ihre konjugierten Basen, Da die Angabe der Säurekonstanten in Zehnerpotenzen un-
sog. konjugierte Säure-Base-Paare, zusammen. handlich ist, verwendet man meist den negativen dekadischen
10 Kapitel 1 · Ohne Wasser kein Leben
1 . Tab. 1.2 pKS-Werte einiger Säure-Base-Paare mit biochemischer Bedeutung in wässriger Lösung bei 25 °C
Logarithmus von Ks, der als pKs- (englisch pKa-) Wert bezeichnet sentliche Verschiebung des pH-Wertes des Blutplasmas durch
wird. die Puffersysteme des Blutes verhindert.
in dem Maß frei, wie sie durch OH‒-Ionen der Natronlauge zu Diese Gleichung wurde von Lawrence Henderson und Karl Has-
Wasser verbraucht werden, solange, bis die Essigsäure vollständig selbalch erstmals beschrieben. In ihr sind pH- und pKs-Wert
in Natriumacetat umgewandelt ist, d. h. aus der gesamten Essig- sowie das Konzentrationsverhältnis von konjugierter Base und
säure entsteht quantitativ die konjugierte Base Acetat. Als schwacher Säure miteinander verknüpft.
Äquivalenzpunkt wird der Punkt bezeichnet, an dem es bei wei- Wenn die Konzentrationen von konjugierter Base und
terer Zugabe von NaOH zu einem plötzlichen pH- Anstieg schwacher Säure gleich sind, wird der Quotient 1 und der
kommt. Am Halbäquivalenzpunkt ist die Hälfte der ursprüng- Logarithmus 0. Somit gilt pH = pKs. Dies bedeutet, dass der
lichen Säure in die konjugierte Base umgewandelt worden. Bei pKs-Wert dem pH-Wert entspricht, bei dem die Hälfte der Säu-
einem pH-Wert von 4,75, der dem pKs-Wert von Essigsäure ent- re dissoziiert ist.
spricht, ist das Verhältnis der Konzentrationen von Acetat zu Beim Verdünnen des Essigsäure/Acetat-Puffers bleibt der
Essigsäure gleich 1 und der pH gleich dem pKs. Von großer Be- pH-Wert konstant, da sich das Verhältnis von A– und HA nicht
deutung ist, dass über einen relativ weiten Bereich NaOH der ändert, obwohl die absoluten Konzentrationen von A– und HA
Essigsäure zugesetzt werden kann, ohne dass sich der pH-Wert kleiner werden.
stark ändert (in . Abb. 1.11, hellgrün unterlegt). Dieses Phänomen Ist das Verhältnis von konjugierter Base zu Säure gleich 10:1
wird als Pufferung bezeichnet. Diese Eigenschaft bleibt auch bzw. 100:1, so betragen die pH-Werte
nach Verdünnen von Pufferlösungen erhalten.
pKs + 1 bzw. pKs + 2
Die Henderson-Hasselbalch-Gleichung beschreibt
den Zusammenhang zwischen pH, pKs und dem Die Pufferkapazität gibt an, wie viele H+ bzw. OH– Ionen einem
Konzentrationsverhältnis von konjugierter Base und Liter einer Lösung zugegeben werden können bis deren pH-
schwacher Säure Wert sich um eine Einheit ändert. Die Kapazität eines Puffers ist
Der Verlauf der Titrationskurven aller schwachen Säuren wird bei pH = pK am größten und nimmt nach kleineren und größe-
durch die Henderson-Hasselbalch-Gleichung beschrieben. ren pH-Werten glockenförmig ab. Sie steigt linear mit der Ge-
Diese lässt sich wie folgt ableiten: samtkonzentration des Puffersystems [HA] und [A–] an, d. h. ein
Schwache Säuren wie Essigsäure, Kohlensäure oder Phos- 0,5 mol/l-Puffersystem puffert etwa 5-mal so viele Protonen oder
phorsäure (abgekürzt HA) dissoziieren in Wasser Hydroxidionen ab wie ein 0,1 mol/l Puffersystem.
* In Körperflüssigkeiten weichen die pKs-Werte häufig von de- wirken. Die Erklärung, warum das CO2/HCO3–-System im
1 nen ab, die in verdünnten wässrigen Lösungen gemessen werden Blut dennoch seine Funktion erfüllen kann, ist in der Tatsache
(. Tab. 1.2). Daher die Bezeichnung pKs’. begründet, dass es ein offenes Puffersystem ist. Die CO2- und
HCO3–-Konzentrationen werden unabhängig voneinander in
Das Kohlensäure/Hydrogencarbonat-Puffersystem den Organsystemen Lunge, Niere und Leber reguliert: die CO2-
ist im Extrazellulärraum sehr wichtig Konzentration durch die Atmung über die Lunge, die HCO3–-
Der pH-Wert in Extrazellulärräumen wird im Wesentlichen Konzentration über die Ausscheidung und Reabsorption durch
durch das Kohlendioxid/Hydrogencarbonat-Puffersystem kons- die Nieren (7 Kap. 65.5 und 7 Kap. 27.1.4) sowie über die
tant gehalten (gelegentlich wird für Hydrogencarbonat die Regulation der Harnstoffsynthese in der Leber (7 Kap. 27.1.2).
eigentlich veraltete Bezeichnung Bicarbonat verwendet). Bei einem Abfall des Blut-pH- Wertes, weil z. B. in den Le-
Für dieses Puffersystem müssen die folgenden zwei Gleich- bermitochondrien eine vermehrte Synthese der Ketonkörper
gewichte (s. Gleichungen 3–4) betrachtet werden. Acetessigsäure und Hydroxybuttersäure stattfindet und diese
Das Enzym Carboanhydrase, welches in den meisten Gewe- Ketonkörper ans Blut abgegeben werden, verschiebt sich auf-
ben und in Erythrocyten vorkommt, katalysiert die Hydratation grund des Anstiegs der Wasserstoffionen im Blut das Gleichge-
von Kohlendioxid (CO2) nach der Gleichung wicht von Hydrogencarbonat und CO2 in Richtung Kohlensäure
(Gleichung 5).
CO2 (gelöst) + H2O H+ + HCO3– (3)
Zusammenfassung
Mit 60 % unseres Körpergewichtes stellt Wasser die Haupt-
komponente des Organismus dar.
Das Wassermolekül ist ein Dipol, der mit sich selbst aber
auch mit anderen polaren Molekülen Wasserstoffbrücken-
bindungen ausbilden kann.
Hydrophile Substanzen, wie polare organische Biomoleküle
und anorganische Salze, lösen sich leicht in Wasser.
Hydrophobe Moleküle oder Molekülgruppen werden von
Wasser in eine spontane Aggregation/Assoziation
gezwungen (Entropieeffekt).
Wassermoleküle wandern durch Osmose von Orten hoher
zu Orten niedriger Wasserkonzentration. Der osmotische
Druck einer Lösung ist der Druck, der aufgewendet werden
muss, um das Einfließen von Wasser zu verhindern.
Wassermoleküle zeigen eine sehr schwache, aber wichtige
Tendenz in Protonen und Hydroxidionen zu dissoziieren. Die
Konzentration an Protonen in einer Lösung wird durch den
pH-Wert beschrieben. Dieser ist als negativer dekadischer
Logarithmus der normierten Wasserstoffionenkonzentration
[H+] definiert.
Säuren sind Protonendonoren, Basen Protonenakzeptoren.
Verbindungen, die sowohl als Säuren wie auch als Basen
fungieren (z. B. Wasser), nennt man Ampholyte. Die Stärke
einer Säure wird durch ihre Dissoziationskonstante Ks bzw.
den pKs-Wert bestimmt. Der negative dekadische Logarith-
mus von Ks wird als pKs bezeichnet.
Ein Puffersystem ist ein Gemisch einer schwachen Säure und
deren konjugierter Base. Es hält den pH- Wert einer Lösung
bei Zugabe von Säure oder Base innerhalb einer pH-Einheit
um den pK der Komponenten konstant. Die Henderson-
Hasselbalch-Gleichung beschreibt den Zusammenhang
zwischen pH, pKs und dem Konzentrationsverhältnis von
konjugierter Base und korrespondierender Säure.
2 Vom Molekül zum Organismus
2
Hartmut Follmann †
P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
2.1 · Die chemischen Elemente lebender Organismen
15 2
. Abb. 2.1 Periodensystem der Elemente. Die Edelgase (rechte Spalte, von Helium bis Radon) und die der Vollständigkeit halber unten aufgeführten
Lanthaniden (»seltene Erden«, Elemente 58–71) sowie die radioaktiven Actiniden (Elemente 90–103, nach Uran alle künstlich hergestellt) haben – abgese-
hen von möglichen Strahlenschäden – medizinisch keine Bedeutung.
Für den Menschen wichtige Elemente sind farbcodiert: ■ Essentiell für Körperbau und Stoffwechsel; möglicherweise essentiell aber molekulare
Funktion im Detail unbekannt; ■ Verbindungen sind giftig; ■ Verbindungen werden pharmakologisch oder in der Medizintechnik genutzt
menten zwischen Wasserstoff und Uran sind die völlig inerten diagnostik und unlösliches Bariumsulfat als Röntgenkontrast-
Edelgase, die »seltenen Erden« sowie nur in vollkommen unlös- mittel, Lithium in der Psychopharmatherapie, Goldpräparate
lichen Verbindungen vorkommende Schwermetalle von vornhe- gegen Arthritis, Titan- und Platinverbindungen (Budotitan, Cis-
rein ungeeignet für Zellen und zelluläre Funktionen, die ja auf platin) in der Krebsbehandlung. Weitere anorganische Stoffe und
Existenz in und Stoffaustausch mit einem wässrigem Milieu be- kurzlebige Isotope sind in experimenteller Prüfung als Radio-
ruhen. Die für den Menschen nach heutigem Wissensstand pharmaka.
essentiellen 23 Mengenelemente und Spurenelemente (blau) Lebende Zellen setzen sich aus vielfältigen und zahlreichen
sind in . Tab. 2.1 aufgeführt und im Periodensystem der Elemen- Verbindungen der (bio)organischen und (bio)anorganischen
te (. Abb. 2.1) dargestellt. Sechs weitere Elemente – Arsen, Bor, Chemie zusammen. Leben wie wir es kennen, vom Einzeller bis
Brom, Silicium, Vanadium und Zinn – die im menschlichen Kör- zum Menschen, ist auf unserer Erde entstanden (7 Kap. 2.3), und
per nachgewiesen wurden, sind dort ebenfalls markiert. Ob sie hängt in seiner Existenz seitdem und weiterhin von der herr-
eine essentielle Funktion erfüllen ist unklar, denn allein der ana- schenden chemischen und physikalischen Umgebung ab. Es ist
lytische Nachweis eines Elements im Körper und in unserer Nah- aufschlussreich und auch von praktischer Bedeutung, das Vor-
rung beweist noch keine physiologische Funktion. Silicium, das kommen und die Häufigkeit der Elemente im Menschen – reprä-
zweithäufigste Element der Erdkruste, ist z. B. als Kieselsäure in sentativ für höhere landlebende Wirbeltiere – zu betrachten und
Pflanzen weit verbreitet und wird von uns zwangsläufig aufge- mit dem Anteil derselben Elemente an der »anorganischen« Welt
nommen. Eine nützliche Funktion von Arsen ist schwer mit der der Erdkruste zu vergleichen (. Tab. 2.1). Dabei wird klar, dass
Tatsache zu vereinen, dass es auch ein Stoffwechselgift darstellt. irdisches Leben vielfach in krassem Ungleichgewicht mit der
Experimente an Versuchstieren unter Mangelbedingungen bzw. Chemie unseres Planeten steht, wie insbesondere im Fall von
mit dosierter Zufuhr einzelner Elemente sind auf Menschen Kohlenstoff und Stickstoff. Vorhandensein bzw. Mangel mancher
ohnehin nicht übertragbar. mineralischer Elemente im menschlichen Körper sind von Be-
In . Abb. 2.1 sind auch einige für uns toxische Elemente (lila) deutung, wo ihr Einbau als »aktive Zentren« in Proteine (vor al-
aufgeführt, und schließlich solche, die in der Humanmedizin lem Enzyme) oder in Coenzym-Moleküle Lebensfunktionen
technisch und pharmakologisch verwendet werden (grün). Bei- überhaupt erst ermöglicht oder zumindest die Spezifität und
spiele sind ein kurzlebiges Technetium-Isotop in der Radio- Aktivität von Stoffwechselprozessen stark erhöht; das gilt bei-
. Tab. 2.1 Häufigkeit und wichtige Funktionen der chemischen Elemente in einem menschlichen Körper von 70 kg bzw. der entsprechenden
25 kg Trockenmasse
Mengenelementea
Spurenelementeb
Drehbarkeit möglich, wohl aber in chemisch oder durch Strah- Kohlenwasserstoffe und Fette sind bekanntlich wasserab-
lung angeregten Zuständen (z. B. Rhodopsin, 7 Kap. 58.2). weisend (hydrophob). Amphiphile Stoffe, die zugleich lipophile
und hydrophile Strukturen enthalten wie z. B. Phospholipide
2 (7 Kap. 3.2.6) ordnen sich in Wasser spontan zu Lipiddoppel-
2.2.1 Funktionelle Gruppen schichten, die wässrige Innenräume umschließen; dabei werden
umgekehrt viele zuvor geordnete Wasserdipole nun ungeordnet,
Die spezifischen Funktionen von Biomolekülen werden über- so dass die Entropie (Unordnung) des Gesamtsystems zunimmt.
wiegend von den an ihren Kohlenstoffketten haftenden »funk- Bildung und Existenz von Membranen und Vesikeln beruhen auf
tionellen Gruppen« bestimmt. . Abb. 2.2 zeigt und benennt die diesem rein physikalisch-chemischen Zusammenhang.
wichtigsten solcher Substituenten und Teilstrukturen.
Alkohole, Aldehyde, Zucker
Alkohole tragen Hydroxylgruppen am Ende bzw. im Inneren
2.2.2 Stoffklassen einer Kohlenstoffkette (primäre bzw. sekundäre oder tertiäre
Alkohole). Durch ihre OH-Gruppen sind sie häufig wasser-
In der folgenden Übersicht und in . Abb. 2.3 sind wichtige Subs- mischbar. Die Substanzen mittlerer Oxidationsstufe zwischen
tanzklassen und deren Strukturen, Eigenschaften und Reak- Alkohol und Carbonsäure heißen Aldehyde (von Alcohol dehy-
tionsweisen innerhalb der Organischen Chemie und Biochemie drogenatus):
zusammengestellt.
–CH2OH –CH=O –COOH
Kohlenwasserstoffe, Alkohole,
Carbonsäuren, Ester, Fette Sie sind reaktive Verbindungen, die wieder zu Alkoholen redu-
Kohlenwasserstoffketten biologischen Ursprungs finden sich – je ziert und leicht (z. B. aerob durch Sauerstoff) zur Säure oxidiert
nach Biosyntheseweg – in unverzweigten Fettsäuren mit bis zu werden können.
30 C-Atomen Länge und der endständigen funktionellen Grup- Zucker (»Kohlenhydrate«, sog. wegen ihrer formalen Zusam-
pe –COOH, oder es sind Terpene mit verzweigten Ketten oder mensetzung [C(H2O)]n) sind Polyalkohole. In natürlich vorkom-
Ringen aus dem C5-Kohlenwasserstoff Isopren. Sie können »ge- menden Hexosen wie Glucose und Fructose, Galaktose oder
sättigt« sein (mit Wasserstoff, ohne Doppelbindungen) oder Mannose (der Zusammensetzung C6H12O6 , n = 6) tragen je fünf
mehr oder weniger stark »ungesättigt« mit Doppelbindungen im der sechs Kohlenstoffatome eine Hydroxylgruppe; sie sind mit
Molekül. Doppelbindungen liegen einzeln (isoliert) in einer C- dieser hydrophilen Struktur sehr leicht wasserlöslich. Am ersten,
Kette vor, oder in mehr oder weniger langen sog. konjugierten endständigen C-Atom der C6 -Kette haben »Aldohexosen« be-
Systemen (–C=C–C=C–C=C–C=). Verbindungen der letzteren dingt durch Details der Biosynthese (z. B. Gluconeogenese in der
Art sind farbig: Sie absorbieren sichtbares Licht weil Lichtquan- Leber; 7 Kap.14.3) eine Aldehydfunktion. Dadurch sind sie »re-
ten passender Energie nicht einzelne Doppelbindungen anre- duzierende Zucker«. Auf ihrer spezifischen Reaktion mit Oxida-
gen, sondern das konjugierte π-Elektronensystem als Ganzes. tionsmitteln beruhen diverse Farbreaktionen zur quantitativen
Physiologisch bedeutsame Verbindungen mit dieser Eigenschaft Glucose-Bestimmung. Durch Kondensation aktivierter mono-
sind z.B. das rote Carotin (Provitamin A) der Nahrung und dar- merer Zucker (s. u.) entstehen Polysaccharide wie Glycogen.
aus entstehendes gelb-orange Retinal (Vitamin A) beim Sehvor-
gang (7 Kap. 58.2). Amine, Aminosäuren, Peptide
Kohlenwasserstoffe sind häufig mit Hydroxylgruppen (–OH) Amine tragen Aminogruppen –NH2 an einem Kohlenstoffgerüst
oder Carboxylgruppen (–COOH) substituiert und dadurch zu und sind dadurch basisch (Protonenakzeptoren). Substitution
Alkoholen bzw. Carbonsäuren (»Fettsäuren«) funktionalisiert. am gleichen endständigen Kohlenstoff (α) mit einer Carboxyl-
Die Reaktion einer Carboxylgruppe mit einem Alkohol unter gruppe führt zur Substanzklasse α-Aminocarbonsäuren mit der
Wasserabspaltung ergibt einen Ester: Struktur NH2 –CHR–COOH (R = weitere Substituenten, s. u.),
den monomeren, »proteinogenen« Bausteinen von Peptiden und
–COOH + HO–R –COOR + H2O Proteinen. Sie sind durch die gleichzeitige Anwesenheit einer
sauren und einer basischen Funktion im Molekül amphoter und
Dieser kann umgekehrt leicht wieder zu den Ausgangskompo- liegen in wässriger Lösung bei physiologischem pH als Zwitter-
nenten hydrolysiert (»verseift«) werden. In der Natur finden sich ionen +NH3–CHR–COO– vor (7 Kap. 1 und 3.3). Mit Ausnahme
Ester in Fetten, Wachsen, flüchtigen Duft- und Aromastoffen von Glycin (R = H) sind die natürlichen α-Aminosäuren chiral
und vielen anderen Stoffklassen. und optisch aktiv (L-Aminosäuren, . Abb. 2.4).
Fette tierischer und pflanzlicher Herkunft enthalten drei Mo- Aminosäuren haben zahlreiche Stoffwechselfunktionen
leküle Fettsäure mit bis zu 20 C-Atomen Kettenlänge, die durch (7 Kap. 26), darunter z. B. die Bildung von biogenen Aminen
Esterbindungen mit dem dreiwertigen Alkohol Glycerin C3H5 durch Decarboxylierung (CO2-Abspaltung) oder Transaminie-
(OH)3 verknüpft sind (»Triglyceride«). Sie sind durch ihren ho- rungen mit Ketosäuren (Austausch zwischen Carbonyl- und
hen Wasserstoffgehalt energiereich. Unter β-Oxidation wird der Aminofunktionen):
Energieinhalt von Fettsäuren für den Stoffwechsel physiologisch
genutzt (7 Kap. 21.2.1). >C=O >CH–NH2
2.2 · Charakteristische Eigenschaften organischer Biomoleküle
19 2
. Abb. 2.3 Aromatische, heterocyclische und andere chemische Strukturen in biochemisch wichtigen Stoffklassen. Substituenten der Molekülgerüste
sind nicht vollzählig gezeigt. Herkunft und Funktion der Substanzen werden in anderen Kapiteln des Buches beschrieben
Vor allem dienen die 20 proteinogenen L-Aminosäuren (7 Kap. ren mit der Nahrung aufgenommen werden. Eine Reihe anderer
3.3) als Substrate für die ribosomale Proteinbiosynthese (7 Kap. heterocyclischer Verbindungen, teils von spezieller Struktur,
48). kommen in Vitaminen und Coenzymen vor (. Abb. 2.3).
Peptidbindungen zwischen der Carboxylgruppe einer und Mit OH-Gruppen substituierte Aromaten – wie in der Amino-
der Aminogruppe einer zweiten Aminosäure (formal unter Was- säure Tyrosin – heißen Phenole. Im Gegensatz zu einfachen Alko-
serabspaltung entstanden) sind resonanzstabilisiert und daher holen sind phenolische OH-Gruppen schwache Säuren weil bei
recht hydrolysestabil: ihrer Deprotonierung das zusätzliche Elektronenpaar des Pheno-
lat-Anions (C6H5-O–) in energetisch günstiger Konjugation mit
dem mesomeren π-Elektronensystem des Aromaten steht.
Zu ihrer enzymatischen Spaltung – etwa zur Inaktivierung oder Nucleotide, energiereiche Verbindungen
Verdauung – existieren eine große Zahl spezifischer Peptidasen Fünf verschiedene Nucleotide mit den Zuckern Ribose bzw.
und Proteasen (7 Kap. 50 und 61.3.2). 2-Desoxyribose sind Bausteine der Nucleinsäuren RNA bzw.
DNA; sie tragen die heterocyclischen Purinbasen Adenin und
Aromatische und heteroaromatische Guanin sowie die Pyrimidine Cytosin und Uracil bzw. Thymin
Verbindungen, Phenole (7 Kap. 3.4). Mit einer Triphosphatstruktur am Molekül-5’-Ende
Mit »aromatischem Charakter« bezeichnet man Benzol (C6H6) fungieren die Nucleotide – unter Abspaltung von Diphosphat –
und andere Ring-Verbindungen, in denen sechs π-Elektronen als Substrate von RNA- bzw. DNA-Polymerasen. Eines der Nuc-
völlig delokalisiert sind (und nicht in drei unterscheidbaren leotide, Adenosin-5’-Triphosphat ATP (. Abb. 2.3) dient außer-
Doppelbindungen). Die aromatischen Substituenten der Amino- dem im gesamten Stoffwechsel als universelle »energiereiche
säuren Phenylalanin, Tyrosin und Tryptophan sowie Nucleotide Verbindung«. Energiereich nennt man ATP mit seinen endstän-
mit den »heteroaromatischen« (Stickstoffatome enthaltenden) digen Phosphorsäureanhydridbindungen, sowie Substrate mit
Pyrimidin- und Purinbasen sind aufgrund derartiger Mesomerie anderen Strukturen (7 Kap. 2.2.3), bei deren Übertragung auf
sehr stabile Substanzen. Sie sind ebenso wie Lipide hydrophob, Wasser (Hydrolyse) oder andere Akzeptoren Energie frei wird
und zusätzlich zu einer energetisch günstigen Übereinandersta- bzw. für andere Reaktionen verfügbar ist.
pelung (»stacking«) der planaren aromatischen Ringe befähigt, die
auch die DNA-Doppelhelix stabilisiert. Manche aromatische Mo-
leküle wie Phenylalanin und Tryptophan können vom Menschen
nicht synthetisiert werden und müssen als essentielle Aminosäu-
Kohlenstoff# Alkan-Kette# gesättigte# Alkene# trans-Doppelbindung# cis-Doppelbindung# Cyclohexan# Inosit# Pyranose-Zucker# β-D-Glucose# Benzol# Phenol#
Pyridin# Nicotinsäure# Pyrimidin# Pteridin# Purin# Pyrrol# Imidazol# Thiazol# Chinon# Naphthochinon#
20 Kapitel 2 · Vom Molekül zum Organismus
Redoxreaktionen
Viele biologisch-chemische Stoffumwandlungen, sowohl Syn-
thesen wie Abbaureaktionen und insbesondere der Energiestoff-
wechsel beruhen auf Elektronenübertragungen, deren Kompo-
Unter Addition (im Falle von Wasser: Hydratisierung) werden nenten oft in »Elektronentransportketten« physikalisch und
aus ungesättigten C=C-Doppelbindungen gesättigte Strukturen: räumlich aufeinanderfolgend platziert sind. Chemisch einfache-
re Umsetzungen wie Oxidation unter »Verbrennung« (mit star-
ker Temperaturerhöhung) oder Reduktion (»Hydrierung«) mit
starken Reduktionsmitteln (die evtl. Wasser zersetzen) sind ver-
ständlicherweise in lebenden Zellen nicht möglich.
Allgemein gilt:
Reaktionen an und in Kohlenstoffgerüsten 4 Reduktion : Aufnahme von Elektronen (Wasserstoff)
Die Decarboxylierung von Carbonsäuren ist durch die Abspal- 4 Reduktionsmittel : Elektronendonor
tung des stabilen Moleküls Kohlendioxid (CO2) begünstigt. Sie 4 Oxidation : Entzug von Elektronen (Wasserstoff) oder
wird im Stoffwechsel durch Decarboxylasen wie z. B. Pyruvatde- Aufnahme von Sauerstoff
carboxylase katalysiert: 4 Oxidationsmittel : Elektronenakzeptor
. Abb. 2.6 Biosyntheseprodukte des tierischen, pflanzlichen oder mikrobiellen Stoffwechsels. Die gezeigten physiologisch aktiven Moleküle a bis f
entstanden entweder durch chemische Modifizierung (»Funktionalisierung«) einer einfacheren Vorstufe vergleichbarer Größe, oder (in vier Fällen) durch
Kondensation von zwei oder mehr zunächst unabhängigen Substanzen
solch spezialisierten Zellkompartimenten unter dem Blickwin- vor knapp 4 Milliarden Jahren einfache organische Moleküle von
kel der in ihren molekularen Komponenten schon vorgegebe- selbst entstanden sind und sich unter bestimmten äußeren Be-
nen Wechselwirkungen zu verstehen. Dazu wiederum ist es dingungen – in Eis, in verdunstenden Tümpeln, durch Adsorpti-
nützlich, die Erkennung von komplexen Molekülen aus ihren on an Tonmineralien – anreichern und dabei auf einfache Weise
Substrukturen zu trainieren. »replizieren« konnten. Schon Charles Darwin (1809–1882) sin-
Zur Gewöhnung an solch eine molekulare Betrachtungswei- nierte 1871 in einem berühmten Brief über den »warm little
se sind in . Abb. 2.6 die Strukturformeln einiger physiologisch pond, mit allen Arten Ammoniak und Phosphaten, in Gegen-
wichtiger Moleküle ohne Namen wiedergegeben. Deren Aus- wart von Licht, Hitze, Elektrizität etc. ... zur chemischen Bildung
gangsstoffe sind gängige Metabolite der betreffenden Tiere, proteinartiger Substanz«.
Pflanzen oder Bakterien. Kann man a bis f durch Betrachtung Aber früher war alles anders: Die kosmisch bedingte Ur-At-
der Strukturen bestimmten Stoffgruppen zuordnen? Ein Versuch mosphäre der Erde enthielt die Elemente überwiegend in redu-
lohnt sich. Hinweise geben die Existenz und Verknüpfung ver- zierter, wasserstoffreicher Form und noch keinen freien Sauer-
schiedener unterscheidbarer Molekülteile, die Natur und Posi- stoff. Stanley Miller (1930–2007), Doktorand der Chemie in
tion von Heteroatomen (= Elemente zusätzlich zu C, H und O; Chicago, hat 1953 solche Szenarien als Erster experimentell ge-
Spurenelemente nicht vergessen), häufige bzw. seltene Verzwei- prüft. Er setzte Gasgemische aus heißem Wasserdampf, Wasser-
gungsmuster oder gespannte Ringstrukturen in den Molekülen. stoff, Ammoniak (NH3), Methan (CH4) und ggf. Schwefelwas-
Unter den gezeigten Substanzen sind ein bekanntes Antibioti- serstoff (H2S) – aber ohne Sauerstoff – tagelang elektrischen
kum (7 Kap. 16.2.4), ein Gewebshormon (7 Kap. 22.3.2) und ein Entladungen und UV-Licht aus und konnte aus den abgekühlten
Hormon der Schilddrüse (7 Kap. 41.1.1), ein Phospholipid Lösungen ansehnliche Mengen neu gebildeter α-Aminosäuren
(7 Kap. 22.1.1), die lichtabsorbierende Komponente eines Seh- isolieren. »Miller-Experimente« sind seitdem in großer Zahl
pigments (7 Kap. 58.2) und ein sehr häufiger Zucker. variiert und auf weitere Stoffklassen (beispielsweise Blausäure
HCN) ausgedehnt worden. Oft entstehen auch Oberflächenfilme
aus hydrophoben Fettsäuren.
2.3 Von chemischer Materie zu biologischer Eine andere, wasserfreie Variante abiotischer Chemie, die
Vielfalt »Eisen-Schwefel-Welt« verdanken wir dem Münchener
Chemiker Günter Wächtershäuser (ab 1988). Er zeigte, dass sich
Biomoleküle und einfachste membranumhüllte, beim Kontakt einfacher Gase wie Kohlenmonoxid oder -dioxid
replikationsfähige Zellen sind auf dem Planeten (CO, CO2) mit heißen Eisensulfid-Oberflächen (FeS), wie sie an
Erde sehr früh entstanden. Ribosomale RNA ist ein Vulkanflanken vorkommen, bekannte Metabolite wie Ameisen-
molekularer Ahnenpass für die heutigen Reiche säure, Essigsäure und Brenztraubensäure (Pyruvat) bilden.
der Archaebakterien, (Eu)Bakterien und der einen Auch für empfindlichere Biomoleküle, deren Bildung unter
Zellkern enthaltenden Eukaryonten (Pilze, Pflanzen den chemischen Bedingungen auf einer frühen Erde bislang
und Tiere) schwerer verständlich war (z. B. Zucker, Pyrimidin- und Purin-
Woher kommt das Leben? Es kann kaum mehr Zweifel daran nucleotide, energiereiche Phosphate von der Art des ATP) sind
bestehen, dass »hier bei uns«, auf dem noch heißen, aber schon chemisch und geochemisch plausible abiotische Reaktionswege
von Ur-Ozeanen mit flüssigem Wasser bedeckten Planeten Erde gefunden worden. Fast alle vermuteten Bestandteile und stoff-
24 Kapitel 2 · Vom Molekül zum Organismus
Zusammenfassung
Der menschliche Körper besteht aus 22 chemischen Elemen-
ten, unter denen die Nichtmetalle C, H, O, N, S, P sowie (in
geringerer Menge) F, Cl, I und Se den Hauptanteil »organi-
scher« Stoffe ausmachen.
12 verschiedene Metalle sind für Strukturen (Ca), als Elektro-
lyte (Na- und K-Ionen) sowie als Spurenelemente (Fe, Cu, Zn
u. a.) in katalytischen Funktionen essentiell.
Biochemische Reaktionen laufen zumeist in wässrigem
Medium und bei annähernd neutralen pH-Werten ab; sie
werden durch spezifische und für verschiedene Zellkom-
partimente typische Enzyme katalytisch beschleunigt.
Eine Besonderheit organischer Naturstoffe, die C-Atome mit
vier verschiedenen Substituenten enthalten, ist ihre mögli-
che Existenz in zwei Stereoisomeren, die sich zueinander wie
Bild und Spiegelbild verhalten und von unterschiedlicher
physiologischer Aktivität sind.
Es besteht kein Zweifel, dass physiologische Vorgänge stets
auf molekulare Mechanismen zurückzuführen sind. Als Bei-
spiel für schwindende Wissenslücken sei der Kenntnisfort-
schritt »epigenetischer« Reaktionen bei der Modulation von
Genexpression ohne Änderung einer Gensequenz (7 Kap.
47.2) genannt.
Zelluläres Leben begann vor etwa 4 Milliarden Jahren mit
einfachsten Gasen und Mineralien und entwickelte sich über
lange Zeiträume zu den drei Reichen der Archaebakterien
und Eubakterien (Prokaryonten ohne Zellkern) sowie der eu-
karyontischen Pilze, Tiere und Pflanzen, die einen Zellkern
und aus frühen Prokaryonten übernommene Mitochondrien
und ggf. Chloroplasten enthalten.
Lebende Organismen synthetisieren und verwerten Kohlenhydrate, 3.1.1 Einteilung und Funktionen
Lipide, Aminosäuren und Nucleotide. Die Funktionen dieser Verbindun- der Kohlenhydrate
gen sind vielfältig.
Kohlenhydrate kommen als rasch metabolisierbare Substrate oder als Kohlenhydrate oder Saccharide sind mengenmäßig die häufigs-
Speicherstoffe hoher Energiedichte vor. Sie sind Gerüstsubstanzen, ten von Lebewesen synthetisierten Verbindungen unseres Plane-
bilden wichtige Komponenten der extrazellulären Matrix und sind ten. Im Vergleich zu Lipiden und Aminosäuren ist das Prinzip
Bestandteil vieler Proteine. ihres Aufbaus vergleichsweise einfach, da sie alle Abkömmlinge
Lipide bilden eine besonders vielfältige Gruppe von Verbindungen. von Verbindungen der Grundstruktur
Triacylglycerine sind die energiedichtesten Speicherverbindungen.
Die amphiphilen Phospholipide und Sphingolipide bilden Membran- (HCOH)n
strukturen von Zellen. Wegen ihrer Fähigkeit zur Polymerisation sind
Isoprene zur Bildung der besonders umfangreichen Gruppe der sind, wobei n ≥3 sein muss.
Isoprenlipide imstande. Zu diesen gehören u. a. fettlösliche Vitamine,
Cholesterin, die von Cholesterin abgeleiteten Steroidhormone und die Je nach ihrer Zusammensetzung werden
für die Fettverdauung wichtigen Gallensäuren. Kohlenhydrate in Monosaccharide, Di-, Oligo-
Als α-Aminocarbonsäuren sind Aminosäuren formal Derivate von und Polysaccharide eingeteilt
Fettsäuren. Von den etwa 100 bekannten Aminosäuren kommen stan- Monosaccharide Monosaccharide sind durch Hydrolyse nicht
dardmäßig 20 als sog. proteinogene Aminosäuren in Proteinen vor. mehr weiter zerlegbare Kohlenhydrate. Formal handelt es sich
Zusätzlich erfüllen Aminosäuren vielfältige Funktionen im Stoffwechsel um Aldehyde bzw Ketone mehrwertiger Alkohole, also um Al-
oder dienen als Signalstoffe. dosen bzw. Ketosen. Wegen des gehäuften Vorkommens asym-
Nucleotide sind Verbindungen aus einer heterozyklischen Base, einer metrischer C-Atome gibt es eine große Zahl von stereoisomeren
Pentose (Ribose oder Desoxyribose) und einer Phosphatgruppe. Formen von Monosacchariden (Einzelheiten s. Lehrbücher der
In Form ihrer Triphosphate stellen sie eine universelle Form von organischen Chemie).
Energie dar. Die Nucleotide sind außerdem an der Regulation vieler
enzymatischer Reaktionen beteiligt. Nucleotide sind die Bausteine von Di-, Oligo- und Polysaccharide Monosaccharide enthalten eine
DNA und RNA und bilden aktivierte Zwischenprodukte bei der Biosyn- besonders reaktionsfähige Aldehyd- bzw. Ketogruppe. Deshalb
these von Proteinen, Kohlenhydraten und Lipiden. Sie kommen als haben sie die Fähigkeit, weitere Monosaccharide mit Hilfe glyco-
Bestandteile von Coenzymen vor oder fungieren selbst als Signal- sidischer Bindungen (7 Kap. 3.1.2) anzulagern und auf diese
moleküle. Weise eine Vielzahl der verschiedensten Verbindungen zu bilden.
So entstehen u. a. Di- bzw Oligosaccharide und als Makromo-
Schwerpunkte leküle die Polysaccharide.
4 Mono-, Oligo- und Polysaccharide, Heteroglycane
Kohlenhydrate sind Energielieferanten,
4 Glycosidische Bindungen
Energiespeicher und Strukturbestandteile
4 Lipidklassen
Die Funktionen von Kohlenhydraten sind außerordentlich viel-
4 Lipidmembranen, Micellen, Detergenzien
fältig. Schon lange ist bekannt, dass sie nahezu allen Organismen
4 Proteinogene und nicht-proteinogene Aminosäuren
als rasch zur Verfügung stehende Energielieferanten dienen. Dies
4 Physikochemische Eigenschaften von Aminosäuren
gilt vor allem für Glycogen bzw. Stärke, die in tierischen und
4 Aufbau und Funktion von Nucleosiden und Nucleotiden
pflanzlichen Zellen als Energiespeicher verwendet werden.
Andere Polysaccharide sind Bestandteile der extrazellulären
Matrix der Gewebe aller höheren Lebewesen. Sie sind an der für
vielzellige Organismen besonders wichtigen Zell-Zell-Kommu-
nikation beteiligt (7 Kap. 71).
Außerdem ist eine große Zahl von Proteinen, die
Glykoproteine, mit spezifischen Oligosaccharidstrukturen
P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
3.1 · Kohlenhydrate
27 3
. Tab. 3.1 Biochemisch wichtige Hexosen (Auswahl) . Tab. 3.2 Biochemisch wichtige Pentosen (Auswahl)
Bezeichnung Vorkommen und biologische Bedeutung Bezeichnung Vorkommen und biologische Bedeutung
D-Glucose Fruchtsäfte; Bestandteil von Stärke, Glycogen, D-Ribose Vorkommen in Ribonucleinsäuren (RNA) und Ribo-
Saccharose, Lactose nucleotiden (z. B. ATP)
Wichtigstes vom Organismus verwertetes Mono- Strukturelement von Coenzymen; Biosynthese aus
saccharid; Blutzucker Glucose
D-Galactose Bestandteil von Lactose, des wichtigsten Kohlen- D-Desoxy- Vorkommen in Desoxyribonucleinsäuren (DNA) und
hydrats der Milch ribose Desoxyribonucleotiden (z. B. dATP)
Wird vom Organismus in Sphingolipide und Glyko- Biosynthese aus Ribose
proteine eingebaut. Abbau nur nach Umwandlung
D-Ribulose Stoffwechselzwischenprodukt im Glucoseabbau
in Glucose möglich
über Pentosephosphatweg
D-Mannose Bestandteil von tierischen und pflanzlichen Glyko-
D-Arabinose, Vorkommen in Proteoglycanen
proteinen
D-Xylose
Dient zur Sortierung lysosomaler Proteine. Abbau
erst nach Umwandlung in Glucose
Glykoproteine Oligosaccharide aus 2–20 unterschied- Verschiedenste Proteine Vielseitig, vom Protein abhängig, z. B.
lichen Monosacchariden Proteinfaltung, -sortierung
Proteoglycane Glycosaminoglycane mit sich wieder- Einfach aufgebaute Proteinskelette Bestandteil der extrazellulären Matrix
holenden Disacchariden; Molekülmasse (core-Protein)
2∙103 bis 3∙106 Da
Peptidoglycane Disaccharid aus N-Acetylglucosamin Peptide aus 4–5 Aminosäuren Bildung der bakteriellen Zellwand
und N-Acetylmuraminsäure
4 Transportproteine (z. B. Caeruloplasmin, Transferrin) ketten erfolgt O-glycosidisch über ein Serin und beginnt mit der
4 Peptidhormone (z. B. Luteinisierungshormon, follikelsti- Zuckersequenz: Xylose-Galactose-Galactose-Glucuronat (7 Kap.
mulierendes Hormon) 16.2.2), an die sich die Disaccharidkette anschließt.
4 Immunglobuline Die wichtigsten in Proteoglycanen nachweisbaren Glycosa-
4 Fibrinogen minoglycane sind in . Tab. 3.5 aufgelistet.
4 Blutgruppenantigene Mit Ausnahme von Heparin kommen Proteoglycane aus-
schließlich in der extrazellulären Matrix vor und ihre Variabilität
Proteoglycane Mit Ausnahme der Hyaluronsäure sind die Gly- ist für deren funktionelle Vielfalt verantwortlich (7 Kap. 71.1).
cosaminoglycane an sog. core-Proteine gebunden und werden Proteoglycane haben die Fähigkeit zu assoziieren und geordnete
deswegen als Proteoglycane bezeichnet. Die Verknüpfung der Strukturen auszubilden (7 Kap. 71.1.5). Als Polyanionen binden
repetitiven Disaccharideinheiten mit den zugehörigen Peptid- sie Kationen (Ca2+, Mg2+), Wasser, Peptidhormone und Cytokine
(1) Glucose + ATP Glucose-6-Phosphat + ADP Die Klassifizierung von Lipiden erfolgt nach dem
Vorkommen von Esterbindungen
(2) Glucose-6-Phosphat + NADP+ Eine gebräuchliche Klassifizierung für die chemisch sehr
6-Phosphogluconat + NADPH + H+ unterschiedlichen Lipide teilt diese in zwei Hauptgruppen ein,
die einfachen, nicht-hydrolysierbaren Lipide und die zu-
Messgröße ist dabei die spezifische Absorption von NADPH sammengesetzten, Esterbindungen bzw. Amidbindungen ent-
bei 340 nm (7 Abb. 7.5 in 7 Kap. 7.6). haltenden und damit hydrolysierbaren Lipide (. Tab. 3.6 und
Gemische komplexer Kohlenhydrate können durch Techni- . Tab. 3.7).
ken, die auch bei der Trennung von Proteinen und Amino-
6
3.2 · Lipide
33 3
Orbita) gespeichert. Durch die Fettspeicherung im Fettgewebe
. Tab. 3.6 Klassifizierung von einfachen, nicht-hydrolysierbaren ist über längere Zeit die Unabhängigkeit von der Nahrungszu-
Lipiden fuhr gewährleistet.
Lipidklasse Beispiele
Ein Erwachsener speichert etwa 10.000 g Fett (bei Überge-
wicht wesentlich mehr!), aber maximal nur etwa 500 g Kohlen-
Fettsäuren Gesättigte, einfach und mehr- hydrate in Form von Glycogen.
fach ungesättigte
3 A. Gesättigte Fettsäuren
EPA Δ5,8,11,14,17- C20H30O2 –54 In Fischölen; Vorläufer von Prostaglandinen der Serie 3
Eicosapentaensäure (7 Kap. 22.3.2); antiinflammatorisch, antiatherogen
Wegen des Fehlens einer entsprechenden Enzymausstattung (. Tafel II.1) wegen der Lage ihrer am weitesten von der
können mehrfach ungesättigte Fettsäuren, deren Doppelbindun- Carboxylgruppe entfernten Doppelbindung als ω-3-Fettsäure
gen mehr als 9 C-Atome von der Carboxylgruppe entfernt sind, bezeichnet (über die ernährungsphysiologische Bedeutung von
vom tierischen Organismus nicht synthetisiert werden ω-6- und ω-3-Fettsäuren 7 Kap. 57.1.3).
(7 Kap. 21.2.4). Da sie jedoch eine Reihe wichtiger Funktionen Wichtige Fettsäurederivate sind Prostaglandine, Thrombo-
erfüllen, müssen sie mit der Nahrung zugeführt werden und xane und Leukotriene. Sie entstehen aus mehrfach ungesättig-
werden deshalb auch als essentielle Fettsäuren bezeichnet ten Fettsäuren, besonders der Arachidonsäure (20 C-Atome)
(. Tab. 3.8). Eine wichtige essentielle Fettsäure ist die Linolsäure und werden deswegen auch als Eicosanoide (griech. eikosa = 20)
(. Tafel II.1) mit 18 C-Atomen. Die zweite Doppelbindung ist hier bezeichnet. Wegen ihrer Wirkung auf den Zellstoffwechsel in
12 C-Atome von der Carboxylgruppe entfernt und liegt geringsten Konzentrationen (10–10–10–8 mol/l) werden sie zu
demzufolge 6 C-Atome vor dem endständigen ω-C-Atom. Man den Gewebshormonen gerechnet. Über Biosynthese, Struktur
bezeichnet die Linolsäure daher auch als ω-6-Fettsäure. Im und Wirkungsweise der Eicosanoide s. 7 Kap. 22.3.2.
Gegensatz dazu wird die ebenfalls essentielle Linolensäure
3.2 · Lipide
35 3
3.2.3 Triacylglycerine und Phosphoglyceride
. Abb. 3.6 Struktur des Cardiolipins . Abb. 3.7 Aufbau von Plasmalogenen
terminale Mannose trägt einen Phosphoethanolaminrest, der lären Membranen mit Ausnahme der mitochondrialen Innen-
mit dem C-Terminus des jeweiligen Proteins über eine Säure- membran. In besonders hoher Konzentration kommen sie im
amidbindung verbunden ist. Die Mannosereste können weitere Zentralnervensystem vor. So leitet sich der Name Sphingomyelin
Ethanolamine und andere Saccharide tragen. vom typischen Vorkommen dieser Lipide in den Myelinscheiden
des Nervengewebes ab.
Cardiolipin Cardiolipin oder Diphosphatidylglycerin ist ein ty-
pisches Phosphoglycerid der bakteriellen Plasmamembran und
findet sich bei Eukaryonten entsprechend der Endosymbionten- 3.2.5 Isoprenoide
entwicklung in der inneren Mitochondrienmembran wieder
(. Abb. 3.6). Auch hier ist das Rückgrat des Moleküls ein Glyce- Der Grundbaustein der Isoprenlipide ist das Isopren (2-Me-
rin, bei dem die Hydroxylgruppen der C-Atome 1 und 3 mit je thyl-1,3-Butadien . Durch Polymerisation mehrerer Isoprenres-
einer Phosphatidsäure verestert sind. te entstehen einkettige Moleküle, die ggf. zyklisieren können
(. Tafel II.5). Sie bilden die Grundlage einer großen Zahl von
Plasmalogene Plasmalogene stehen strukturell dem Phosphati- Naturstoffen.
dylcholin bzw. dem Phosphatidylethanolamin nahe. Sie machen
z. B. 20–30 % der Phospholipide des Gehirns und der Muskeln Polyisoprene sind lineare Polymerisationsprodukte
aus. Der Unterschied zu den eigentlichen Phosphoglyceriden be- von Isoprenresten
ruht darauf, dass am C-Atom 1 des Glycerins anstelle einer Fett- 4 Terpene sind Verbindungen aus 10 C-Atomen, die formal
säure ein Fettsäurealdehyd als Enolether gebunden ist. Die durch Polymerisation zweier Isoprenreste entstanden sind.
zweite, als Ester gebundene Fettsäure ist immer ungesättigt. Als Viele pflanzliche ätherische Öle gehören in die Gruppe der
stickstoffhaltige Alkohole dienen in der Regel Ethanolamin oder Terpene.
Cholin (. Abb. 3.7). 4 Sesquiterpene sind Verbindungen mit 15 C-Atomen, die
aus drei Isoprenen zusammengesetzt sind.
4 C20-Verbindungen werden als Diterpene bezeichnet,
3.2.4 Sphingo- und Glykolipide C30-Verbindungen als Triterpene.
4 Isoprenoide mit besonderer Bedeutung für den tierischen
Die Strukturen der wichtigsten Sphingolipide sind in . Tafel II.4 Organismus sind die fettlöslichen Vitamine Retinal
zusammengefasst. Sphingolipide sind wie Phosphoglyceride (. Tafel II.5), Tocopherol und Phyllochinon (7 Kap. 58).
amphiphile Moleküle. Sie finden sich in wechselnden Konzen- 4 Dolichol besteht aus 19 Isopreneinheiten (. Tafel II.5).
trationen als Bestandteile der Lipiddoppelschichten aller zellu- Als Dolicholphosphat dient es bei der Biosynthese von
3.2 · Lipide
37 3
Glykoproteinen im endoplasmatischen Retikulum dazu, Phosphoglyceride und Sphingolipide
die synthetisierten Oligosaccharidketten in der Membran bilden an Grenzflächen oder in Wasser
des endoplasmatischen Retikulums zu verankern geordnete Strukturen aus
(7 Kap. 49.3.3). Im Gegensatz zu den Triacylglycerinen enthalten Phosphoglyce-
ride und Sphingolipide viele geladene bzw. polare Gruppen:
Steroide entstehen durch Zyklisierung 4 Alle Phosphoglyceride tragen eine negative Ladung an der
des Triterpens Squalen Phosphatgruppe (pKS = 1–2).
Steroide sind ebenfalls Derivate des Isoprens, da sie durch Zykli- 4 Phosphatidylethanolamin und Phosphatidylcholin haben
sierung des Triterpens Squalen entstehen. Chemisch leiten sie bei physiologischem pH-Wert zusätzlich eine positive La-
sich vom Cyclopentanoperhydrophenanthren (Steran oder dung am Stickstoff (. Tafel II.3) und werden deswegen als
Gonan) ab. neutrale Phospholipide bezeichnet.
Ausgangspunkt aller in tierischen Organismen vorkom- 4 Phosphatidylserin (. Tafel II.3) besitzt zwei negativ und
menden Steroide ist Cholesterin (. Tafel II.5). eine positiv geladene Gruppe, Phosphatidylinositol
Cholesterin hat eine Reihe wichtiger Funktionen: (. Tafel II.3) und Cardiolipin (. Abb. 3.6) besitzen nur ne-
4 Es ist Bestandteil aller zellulären Membranen mit Ausnah- gativ geladene Phosphatgruppen. Diese Verbindungen re-
me der mitochondrialen Innenmembran. präsentieren die Gruppe der anionischen (sauren) Phos-
4 Es ist die Muttersubstanz für die Biosynthese der zahlrei- pholipide.
chen Steroidhormone, die in der Nebennierenrinde und in
den Gonaden gebildet werden (7 Kap. 40). Ähnliche Eigenschaften haben die geladenen »Kopfteile« des
4 Aus einem Synthesevorläufer (7-Dehydrocholesterin) Sphingomyelins. Kohlenhydratreste von Glycosphingolipiden
entstehen die D-Hormone (D-Vitamine) (7 Kap. 58.3). (. Tafel II.4) haben zwar keine elektrische Ladung, sind jedoch
4 Es ist der Ausgangspunkt für die Biosynthese der für die wegen ihrer vielen Hydroxylgruppen polar und ebenfalls
Verdauungsvorgänge unerlässlichen Gallensäuren (7 Kap. hydrophil.
61.1.4 und 62.4). Da die sowohl bei den Phosphoglyceriden als auch den
Sphingolipiden vorkommenden Kohlenwasserstoffketten der
Anstelle des Cholesterins enthalten Pflanzen v. a. β-Sitosterol, langkettigen Fettsäuren hydrophob sind, gehören Phospho-
das sich von diesem nur durch seine aliphatische Seitenkette glyceride und Sphingolipide zu den sog. amphiphilen (oder auch
unterscheidet (. Tafel II.5). Über die Resorption von Cholesterin amphipathischen) Verbindungen. Auch die sog. Detergenzien
und β-Sitosterol s. 7 Kap. 61.3.3. Ergosterol ist ein Steroid, das (. Abb. 3.8) gehören in diese Klasse. Für amphiphile Verbindun-
von Pilzen und Mycoplasmen anstelle von Cholesterin synthe- gen ist typisch, dass in einem Molekül hydrophobe wie auch hy-
tisiert wird. Es dient als Provitamin für die Synthese des drophile Regionen vorkommen.
Vitamin D2 (7 Kap. 58.3). Von besonderem pharmakologischem Amphiphile Lipide ordnen sich an Grenzflächen oder im
Interesse sind die vielen Pflanzensteroide, die neben Hydroxyl- Wasser in typischer Weise an (. Abb. 3.9 A–D):
gruppen auch Ether- und Lactongruppierungen enthalten 4 An Wasser-Luft-Grenzschichten breiten sich amphiphile
können und häufig als Glycoside vorkommen. Beispiele hierfür Lipide in Form von monomolekularen Filmen aus, in
sind die Herzglycoside (. Abb. 3.3). denen der polare Anteil des Moleküls ins Wasser ragt,
während sich die hydrophoben Kohlenwasserstoffreste zur
Luft hin orientieren (. Abb. 3.9A).
3.2.6 Lösungsverhalten von Lipiden 4 Eine ähnliche Orientierung findet sich an Wasser-Öl-
Grenzschichten, wobei der polare Anteil dem Wasser
Triacylglycerine sind apolar und in Wasser unlöslich zugewandt ist, während die apolare, hydrophobe Gruppe in
Triacylglycerine mit langkettigen Fettsäuren, die den Hauptteil der Ölphase steckt.
des sog. Speicherfettes des Fettgewebes darstellen, sind wasser- 4 In bestimmten Konzentrationsbereichen ordnen sich am-
unlöslich, da alle drei Hydroxylgruppen des Glycerins verestert phiphile Lipide in wässrigen Lösungen in Form von Micel-
sind. Aus diesem Grund sind sie nicht imstande, an wässrigen len an (. Abb. 3.9B). Die hydrophoben Anteile sind dabei
Grenzflächen geordnete Strukturen (s. u.) auszubilden. gegeneinander gerichtet und nach außen zur wässrigen
Im Gegensatz zu den Triacylglycerinen verfügen Mono- bzw. Phase hin durch die polaren, hydrophilen Anteile der
Diacylglycerine über freie Hydroxylgruppen. Deshalb sind sie Moleküle abgeschirmt. Dieses Verhalten trifft v. a. für die
z. B. imstande, an Grenzflächen Micellen zu bilden und spielen in . Abb. 3.8 dargestellten Detergenzien zu. Andere Lipide,
eine wichtige Rolle bei der Emulgierung von Lipiden während die selbst nicht in der Lage sind, Micellen zu bilden (Cho-
der intestinalen Resorption (7 Kap. 61.3.3). lesterin, fettlösliche Vitamine), können mit amphiphilen
Lipiden assoziieren und bilden so gemischte Micellen.
Diese sind eine entscheidende Voraussetzung für die Lipid-
resorption im Dünndarm (7 Kap. 61.3.3).
4 Amphiphile Lipide mit umfangreicheren hydrophoben
Anteilen wie Phosphoglyceride und Sphingolipide bilden
typischerweise sog. Doppelschichten oder lipid bilayers
38 Kapitel 3 · Kohlenhydrate, Lipide, Aminosäuren und Nucleotide – Bausteine des Lebens
A
Weise als Vehikel benutzt, mit denen Arzneimittel, Enzyme,
DNA u. a. in den intrazellulären Raum transportiert werden
können.
Zusammenfassung
Zu den einfachen, nicht-hydrolysierbaren Lipiden gehören:
B
4 Fettsäuren und deren Abkömmlinge wie Prostaglandine,
Thromboxane und Leukotriene
4 Isoprenlipide wie Cholesterin und seine Abkömmlinge,
die Vitamine A, E, K, sowie viele andere Naturstoffe
A B
C D
. Abb. 3.9 Möglichkeiten der Anordnung von amphiphilen Lipiden. A In Grenzschichten, B–D im Wasser. Die blau hervorgehobenen Teile der Phospho-
lipidmoleküle stellen die hydrophilen Bereiche, die gelb gezeichneten die hydrophoben Bereiche dar
. Abb. 3.11 Struktur von Pyrrolysin (Pyl). Der Name leitet sich von dem
. Abb. 3.10 Allgemeine Struktur der α-Aminosäuren. R: Seitenkette Pyrrolinring ab
Micellen# Liposomen#Lysin#
40 Kapitel 3 · Kohlenhydrate, Lipide, Aminosäuren und Nucleotide – Bausteine des Lebens
. Tab. 3.9 Wichtige Eigenschaften von 20 proteinogenen Aminosäuren. (Nach Kyte u. Doolittle 1982)
Die Aminosäuren sind in der Tabelle nach ihrem Hydropathie-Index geordnet. Isoleucin ist die hydrophobste, Arginin die hydrophilste Aminosäure.
a
Bei der Berücksichtigung von Molekülmassen einzelner Aminosäuren im Proteinverband müssen 18 Da (H2O) abgezogen werden.
Als nicht-proteinogene Aminosäuren werden alle Amino- Neun Aminosäuren mit apolaren Seitenketten:
säuren bezeichnet, die nicht über eine spezifische tRNA in neu- 4 Glycin, Alanin, Valin, Leucin, Isoleucin, Methionin und
synthetisierte Proteine eingebaut werden. Im Prinzip lassen sie Prolin mit einer aliphatischen Seitenkette
sich einteilen in Aminosäuren, die 4 Phenylalanin und Tryptophan mit einer aromatischen Sei-
4 zwar auch im Proteinverband vorkommen, aber erst durch tenkette
posttranslationale Modifikation entstehen (7 Kap. 3.3.3),
4 außerhalb des Proteinverbandes spezifische Stoffwechsel- Sieben Aminosäuren mit ungeladenen polaren Seitenketten:
funktionen erfüllen (7 Kap. 26.1.4). 4 Tyrosin, Serin und Threonin mit einer OH-Gruppe in der
Seitenkette
4 Cystein und Selenocystein mit einer SH- bzw. SeH-Gruppe
3.3.2 Proteinogene Aminosäuren in der Seitenkette
4 Asparagin und Glutamin mit einer Säureamidgruppe in
Die proteinogenen Aminosäuren werden aufgrund der Seitenkette
der chemischen Eigenschaften ihrer Seitenketten in
unterschiedliche Gruppen eingeteilt Fünf Aminosäuren mit geladenen polaren Seitenketten:
Nach Aufbau und Eigenschaften der Seitenketten, die weitere 4 Aspartat und Glutamat mit einer Carboxylgruppe in der
funktionelle Gruppen (OH-, SH-, Carboxyl- oder Guanidino- Seitenkette
gruppen) enthalten können, werden proteinogene Aminosäuren 4 Lysin mit einer Aminogruppe in der Seitenkette
nach Gruppen zusammengefasst (. Tafel III): 4 Arginin mit einer Guanidinogruppe in der
Seitenkette
4 Histidin mit einer Imidazolgruppe in der Seitenkette
3.3 · Aminosäuren
41 3
Die Hydrophobizität der Aminosäureseitenketten
ist eine wesentliche Determinante für Struktur und
Funktion von Proteinen
In . Tab. 3.9 sind weitere Eigenschaften der klassischen 20 prote-
inogenen Aminosäuren aufgelistet, u. a. der Hydropathie-Index.
Dieser ist ein relatives Maß für die Hydrophobizität einer Ami-
nosäure. Er variiert von +4,5 für die hydrophobste Aminosäure
Isoleucin bis –4,5 für die hydrophilste Aminosäure Arginin.
Ein Vergleich mit . Tafel III verdeutlicht, dass sich 6 der
9 Aminosäuren mit apolaren Seitenketten durch einen positiven
Hydropathie-Index auszeichnen, also besonders hydrophob
sind. Umgekehrt sind alle 5 Aminosäuren mit geladenen
Seitenketten besonders hydrophil. Proteinregionen, an denen
diese Aminosäuren gehäuft vorkommen, werden für Wechsel-
wirkungen mit einer wässrigen Umgebung verantwortlich sein,
Regionen mit hydrophoben Aminosäuren werden dagegen
bevorzugt an Stellen des Proteins lokalisiert sein, an denen
Wasser keinen Zutritt haben soll.
. Abb. 3.13 Ladungsverhalten der Aminosäuren Valin, Glutamat und Lysin in Abhängigkeit vom pH-Wert
44 Kapitel 3 · Kohlenhydrate, Lipide, Aminosäuren und Nucleotide – Bausteine des Lebens
Nucleosidmonophosphat#
3.4 · Nucleotide
45 3
Zusammenfassung
Nucleoside bestehen aus je einer von vier Basen, die über
N-glycosidische Bindungen mit Ribose bzw. Desoxyribose
verknüpft sind.
Durch Veresterung der Hydroxylgruppe, in der Regel am
3 C-Atom 5’ der Ribose bzw. Desoxyribose, mit Phosphorsäure
werden aus Nucleosiden die entsprechenden Nucleotide
gebildet.
Durch die Anlagerung weiterer Phosphate entstehen aus
Nucleosidmonophosphaten die entsprechenden Di- und Tri-
phosphate. Sie enthalten energiereiche Phosphorsäure-
anhydridbindungen, deren Hydrolyse endergone Reaktio-
nen ermöglicht.
Durch Verbindungen mit Nucleosiddiphosphaten werden
Zwischenprodukte des Intermediärstoffwechsels aktiviert.
Tafelteil
. Tafel I.2 Anomerie der Glucose. Oben: offene Kette; Mitte: in wässriger Lö-
sung erfolgt durch Reaktion der C-Atome 1 und 5 der Glucose die Ausbildung
eines intramolekularen Halbacetals (Pyranosering). Dadurch entsteht am C-
Atom 1 ein weiteres Asymmetriezentrum mit den beiden Anomeren (Diaste-
reomeren) α-D- und β-D-Glucose. Unten: Die thermodynamisch begünstigten
Sesselformen der beiden Anomeren
α-Glucosyl-(1 4)-Glucosid# Maltose# β-Galactosyl-(1 4)-Glucosid# Lactose# α-Glucosyl-(1 1)-α-Glucosid# Trehalose# α-Glucosyl-(1 2)-β-
Fructosid# Saccharose# Amylose# Amylopectin# Glycogen# Hyaluronsäure# Chondroitin-6-Sulfat# Chondroitin-4-Sulfat# Dermatansulfat#
Tafeln Lipide
49 3
. Tafel I.6 A, B Glycoproteine mit O- bzw. N-glycosidisch verknüpften
Zuckerresten. A Bei O-glycosidisch verknüpften Glycoproteinen erfolgt die
I .6 Glycoproteine mit O- bzw. N-glycosidisch Bindung eines Zuckermoleküls an die Hydroxylgruppe eines Serin- bzw. sel-
verknüpften Zuckerresten tener Threoninrestes. B Bei N-glycosidisch verknüpften Glycoproteinen er-
folgt die Bindung über die NH2-Gruppe eines Asparaginrestes
A B
. Tafel II.1 Aufbau von Fettsäuren. Links: Beispiele einer gesättigten und einer einfach ungesättigten Fettsäure in der cis- und trans-Konformation (Z- bzw. E-
Isomere). Die Kohlenstoffatome von Fettsäuren werden, beginnend mit der Carboxylgruppe, mit arabischen Ziffern nummeriert. Ein alternatives Zählverfahren
benennt die einzelnen CH2-Gruppen von Fettsäuren mit griechischen Buchstaben. Die der Carboxylgruppe benachbarte CH2-Gruppe wird mit α bezeichnet,
die nächstfolgende mit β usw. Die CH3-Gruppe am Ende einer Fettsäure ist immer das ω-C-Atom. Die Stellung einer Doppelbindung in einer Fettsäure wird
durch ein Delta angegeben (Δ). So bezeichnet Δ9 eine Doppelbindung zwischen den C-Atomen 9 und 10 einer Fettsäure. Doppelbindungen in cis-Konforma-
tion führen zu einem Knick in der Alkankette. Fast alle in der Natur vorkommenden ungesättigten Fettsäuren liegen in der cis-Konformation vor. Rechts: wich-
tige ungesättigte Fettsäuren. Sind zwei oder mehr Doppelbindungen in einer Fettsäure enthalten, so sind diese immer durch zwei C-C-Bindungen getrennt, es
handelt sich also um isolierte Doppelbindungen
Serin# Asparagin# N-Acetyl-Galactosamin# N-Acetyl-Glucosamin# gesättigte Fettsäuren# Stearinsäure# Octandecansäure# ungesättigte Fettsäuren# Ölsäure#
<k>cis<kk>-Δ^9^^-Octandecensäure# Elaidinsäure# <k>trans<kk>-Δ^9^^-Octandecensäure# Ölsäure# <k>cis<kk>-Δ^9^^-Octadecensäure# Linolsäure#
<k>cis<kk>-Δ^9,12^^-Octadiensäure# α-Linolensäure# <k>cis<kk>-Δ^9,12,15^^-Octatriensäure# Arachidonsäure# <k>cis<kk>-Δ^5,8,11,14^^-Eicosatetraensäure#
50 Kapitel 3 · Kohlenhydrate, Lipide, Aminosäuren und Nucleotide – Bausteine des Lebens
. Tafel II.3 Aufbau von Phosphoglyceriden. Wie bei Triacylglycerinen ist das Rückgrat der Phosphoglyceride der dreiwertige Alkohol Glycerin. Zwei der
Hydroxylgruppen des Glycerins sind mit langkettigen Fettsäuren verestert (zur Vereinfachung in der Abbildung Myristylreste), die dritte mit Phosphorsäu-
re. Deshalb können Phosphoglyceride auch als Derivate des Glycerin-3-Phosphats angesehen werden. Die Ketten der Fettsäuren sind für die hydrophoben,
die übrigen Teile der Phosphoglyceride für die hydrophilen Eigenschaften verantwortlich. Phosphatidsäure (Phosphatidat) kommt im Wesentlichen nur als
Zwischenprodukt bei der Synthese von Triayclglycerinen und Phosphoglyceriden vor. Alle anderen Phosphoglyceride sind Phosphorsäurediester, da der
Phosphatrest der Phosphatidsäure mit einem weiteren Alkohol verknüpft ist
I I.4 Sphingolipide B
A C
. Tafel II.4 Sphingolipide. A Sphingolipide sind Verbindungen des Aminodialkohols Sphingosin. Wenn die Aminogruppe des Sphingosins mit einer Fett-
säure in Säureamidbindung verknüpft ist, entsteht Ceramid. B Sphingomyeline tragen an der endständigen Hydroxylgruppe des Ceramidanteils einen
Phosphorylcholin- oder einen Phosphorylethanolaminrest. Häufig kommen ungesättigte Fettsäuren vor, u.a. die Lignocerinsäure mit 24 C-Atomen und ihre
ungesättigten Derivate. Im Gegensatz zum Sphingomyelin ist bei den Cerebrosiden die terminale Hydroxylgruppe des Ceramids glycosidisch an das C-
Atom 1 einer Galactose oder Glucose gebunden (Galactosyl- bzw. Glucosylceramid). Sulfatide sind Cerebroside, bei denen der Galactosylrest am C-Atom 3
mit Schwefelsäure verestert ist. C Ganglioside enthalten anstelle eines Monosaccharids einen komplexen, häufig verzweigten Oligosaccharidanteil. Als
Kohlenhydratreste kommen Glucose, Galactose, Galactosamin und N-Acetylneuraminsäure (Sialinsäure) vor. Das abgebildete Gangliosid GM-1 ist eines von
etwa 60 Mitgliedern dieser Lipidklasse. Alle kohlenhydrathaltigen Sphingolipide werden unter dem Begriff Glycosphingolipide zusammengefasst
I I.5 Isoprenderivate
. Tafel II.5 Isoprenderivate. Durch Polymerisation von Isoprenresten entstehen einkettige Moleküle, die zyklisieren können. Steroide sind zyklische
Isoprenderivate, die sich vom Steran (die ersten 17 C-Atome von Cholesterin ohne die Doppelbindung) ableiten
Sphingosin# Ceramid# N-Acylsphingosin# Sphingomyelin# Galactosylcerebrosid# D-Galactose# N-Acetyl-D-Galactosamin# D-Galactose# D-Glucose# Ceramid#
N-Acetylneuraminsäure# Sialinsäure# Gangliosid GM-1# Isopren# Dolichol# Retinal# Cholesterin# β-Sitosterol# Ergosterol#
52 Kapitel 3 · Kohlenhydrate, Lipide, Aminosäuren und Nucleotide – Bausteine des Lebens
. Tafel III Proteinogene Aminosäuren. Die Aminosäuren sind nach chemischen Eigenschaften ihrer Seitenketten geordnet. Unter den Formeln
stehen jeweils die Trivialnamen sowie die 3- und 1-Buchstabenabkürzungen.
* Glycin besitzt keine eigentliche Seitenkette und wird deswegen oft als eigene Gruppe betrachtet.
** Tryptophan kann auch zu den Aminosäuren mit polarer Seitenkette gerechnet werden (s. Hydrophathieindex in . Tab. 3.9)
Aminosäuren# Seitenketten# apolare# Glycin# Alanin# Valin# Leucin# Isoleucin# Methionin# Prolin# Aminosäuren# Seitenketten# ungeladene polare#
Phenylalanin# Tryptophan# Tyrosin# Serin# Threonin# Cystein# Selencystein# Aminosäuren# Seitenketten# saure# Aminosäuren# Seitenketten# basische#
Asparagin# Glutamin# Aspartat# Glutamat# Lysin# Arginin# Histidin#
Tafeln Nucleotide
53 3
. Tafel IV.1 Pyrimidin- und Purinderivate. Uracil, Thymin, Cytosin, Adenin und Guanin
sind die wichtigsten Basen von DNA und RNA. Orotsäure, Xanthin, Hypoxanthin und Harn-
säure sind Zwischenprodukte bei deren Synthese und Abbau
. Tafel IV.2 Ribose und Desoxyribose. Nur wenn diese Zucker Bestandteile von Nucleo-
tiden und Nucleosiden sind, werden ihre C-Atome mit apostrophierten Zahlen markiert
(1’ etc. s. . Tafel IV.3)
. Tafel IV.3 Nucleotide. ATP, CDP und dTMP als Beispiele für ein Nucleosid-5’-Triphosphat,
ein Nucleosid-5’-Diphosphat und ein Nucleosid-5’-Monophosphat. Als DNA-Baustein ist
dTMP ein Vertreter der Desoxynucleotide. Die zyklischen Nucleosidmonophosphate cAMP
und cGMP kommen als second messenger vor. Nucleosid-3’-Monophosphate, wie das abge-
bildete 3’-GMP, entstehen als Spaltprodukte bestimmter Nucleasen aus Nucleinsäuren
Uracil# Adenin# Thymin# Guanin# Cytosin# Xanthin# Orotsäure# Hypoxanthin# Harnsäure# D-Ribose# 2-Desoxy-D-Ribose# Adenosin-5’-Triphosphat (ATP)#
Cytosin-5’-Diphosphat (CDP)# Desoxythymidin-5’-Monophosphat (dTMP)# cyklisches Adenosin-3’,5’-Monophosphat (3’,5’-cyclo AMP, cAMP)# cAMP (cyklisches Adenosin-3’,5’-
Monophosphat)# Guanosin-3’-Monophosphat (3’-GMP)#
4 Bioenergetik
Thomas Kriegel, Wolfgang Schellenberger
4
Einleitung tisch-autotroph gebildeter komplexer organischer Moleküle
(Kohlenhydrate, Fette, Proteine).
Die Stoffwechselprozesse in Lebewesen folgen denselben physikalisch-
chemischen Gesetzmäßigkeiten, die auch in der unbelebten Natur wirk- Die Hauptsätze der Thermodynamik beschreiben
sam sind. Der Energieaustausch eines Organismus mit seiner Umgebung die Erhaltung und Transformation von Energie
lässt sich durch die Hauptsätze der Thermodynamik beschreiben. Auf Die Gesetzmäßigkeiten der Energieerhaltung und der Energie-
diese Weise ist es möglich vorauszusagen, ob eine biochemische Reak- transformation sind in den Hauptsätzen der Thermodynamik
tion freiwillig (spontan) abläuft oder nicht. formuliert. Eine thermodynamische Analyse erfordert, zwischen
einem System und seiner Umgebung zu unterscheiden. Unter
Schwerpunkte einem System ist das im Zentrum der Betrachtung stehende Ob-
jekt, z. B. eine Zelle, zu verstehen. Seine Umgebung besteht (for-
4 Lebewesen als thermodynamisch offene Systeme, die sich
mal) aus dem Rest des Universums. Ein System kann offen, ge-
nie im Gleichgewicht mit ihrer Umgebung befinden
schlossen oder abgeschlossen (isoliert) sein. Offene Systeme
4 Freie Enthalpie als thermodynamische Zustandsgröße und
können Materie und Energie mit der Umgebung austauschen,
Triebkraft biochemischer Reaktionen
während geschlossene Systeme nur zum Energieaustausch befä-
4 Energietransformation, endergone und exergone Reaktionen
higt sind. Abgeschlossene Systeme tauschen weder Energie noch
und energetische Kopplung
Materie mit der Umgebung aus.
4 Verbindungen mit hohem Gruppenübertragungspotenzial
(energiereiche Verbindungen)
Erster Hauptsatz der Thermodynamik:
4 Adenosintriphosphat (ATP) als Überträger Freier Enthalpie
Energie kann weder erzeugt noch vernichtet werden
im Zellstoffwechsel
Innere Energie Während eines physikalischen oder chemischen
Vorganges können offene und geschlossene Systeme Energie an
die Umgebung abgeben oder von ihr aufnehmen. Dies kann durch
4.1 Thermodynamische Grundlagen Wärmeaustausch (ΔQ) und/oder dadurch geschehen, dass das
System Arbeit leistet bzw. Arbeit am System geleistet wird (ΔA).
Die Energie zur Aufrechterhaltung Die Folge eines Austausches von Wärme bzw. Arbeit ist eine Än-
der Lebensvorgänge auf unserem Planeten derung der inneren Energie (ΔU) des Systems. Entsprechend gilt:
entstammt der Sonnenstrahlung
Das Leben auf der Erde wird durch die in . Abb. 4.1 schematisch ΔU = ΔA + ΔQ (1)
dargestellten Energieflüsse und Energietransformationen er-
möglicht und bestimmt. Durch Kernfusion entsteht in der
Sonne Energie, die zu einem großen Teil in Form von Licht ab-
gestrahlt wird. Auf der Erde kann die Lichtenergie zur Biosyn-
these der verschiedenen Bausteine lebender Organismen ver-
wendet werden. Zu diesem als Photosynthese bezeichneten
Prozess sind chlorophyllhaltige Pflanzen und einige Mikroorga-
nismen befähigt. Die Leistung dieser photosynthetisch-auto-
trophen (altgriech. autotroph – »sich selbst ernährend«) Orga-
nismen besteht darin, mit Hilfe von Sonnenlicht biologische
Makromoleküle aus einfachen Substanzen wie Kohlendioxid
und Wasser herzustellen und gleichzeitig molekularen Sauer-
stoff zu erzeugen.
Ein anderes Stoffwechselprinzip ist bei den heterotrophen
(altgriech. heterotroph – »sich von anderen ernährend«) Organis-
. Abb. 4.1 Quelle der biochemischen Energie in lebenden Systemen
men verwirklicht, zu denen neben Bakterien, Pilzen und Tieren
und Energiefluss zwischen autotrophen und heterotrophen Organismen.
auch der Mensch gehört. Heterotrophe Organismen gewinnen Der Stoffwechsel autotropher und heterotropher Organismen führt zu
die zur Aufrechterhaltung ihrer Lebensfunktionen benötigte einem Entropieexport. Entropie kann sowohl in Form von Wärme als auch
Energie aus der sauerstoffabhängigen Oxidation photosynthe- in Form von Stoffen exportiert werden
P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
4.1 · Thermodynamische Grundlagen
55 4
Es ist üblich, den Energiefluss vom System aus zu betrachten. Die ist. Die Entropie eines offenen Systems nimmt dann ab
Abgabe von Wärme bzw. die Leistung von Arbeit wird dabei mit (ΔSSystem < 0), wenn der Export von Entropie den Betrag der
einem negativen, die Aufnahme von Wärme bzw. von Arbeit mit Entropieproduktion im System übersteigt. Nach Erwin Schrö-
einem positiven Vorzeichen versehen. dinger (1944) besteht das Wesen des Stoffwechsels in einem
Entropieexport, dessen Betrag die Entropieerzeugung im Sys-
Reaktionsenthalpie tem übertreffen muss. Für diesen Entropieexport benötigen
Nach dem 1. Hauptsatz der Thermodynamik muss eine Verringe- Organismen Energie, die sie ihrer Umgebung entnehmen. Erst
rung der inneren Energie bei der Oxidation komplexer organi- der Austausch von Energie und Materie mit der Umgebung
scher Moleküle mit einer Freisetzung von Energie in Form von ermöglicht die Entstehung und Erhaltung komplexer biologi-
Wärme bzw. Arbeit einhergehen. Die dabei gebildete Wärmemen- scher Systeme.
ge ist von der Art der Energieübertragung abhängig. Mit der En-
thalpie (H) wurde eine thermodynamische Zustandsgröße einge- Die Freie Enthalpie zeigt an, ob ein
führt, die den Energieumsatz bei konstantem Druck durch Eigen- biochemischer Prozess freiwillig (spontan)
schaften des Systems beschreibt. Die Änderung der Enthalpie ei- ablaufen kann oder nicht
ner Reaktion (Reaktionsenthalpie, ΔH) kann durch kalorimetrische Freie Enthalpie Der 2. Hauptsatz der Thermodynamik gibt Ant-
Untersuchungen bestimmt werden. ΔH gibt die maximale Reak- wort auf die Frage nach der Freiwilligkeit des Ablaufes eines bio-
tionswärme an, die unter isobaren Bedingungen frei wird oder chemischen Prozesses. Bei der Anwendung des 2. Hauptsatzes
zugeführt werden muss. Exotherme Reaktionen (ΔH < 0) finden auf offene Systeme muss die Entropieänderung des Systems und
unter Wärmefreisetzung statt, während der Ablauf endothermer die der Umgebung betrachtet werden. In der Gibbs-Helmholtz-
Reaktionen (ΔH > 0) die Zufuhr von Wärme erfordert. Gleichung (Gleichung 3) wird mit der Freien Enthalpie (G) eine
thermodynamische Zustandsgröße eingeführt, die unter iso-
Spontan ablaufende Prozesse sind mit einer therm-isobaren Bedingungen stattfindende Veränderungen aus-
Zunahme der Entropie verbunden schließlich durch Veränderungen von Zustandsgrößen des Sys-
Entropie Der 1. Hauptsatz der Thermodynamik liefert mit der tems beschreibt:
Energiebilanz eine Rahmenbedingung für physikalische Prozesse
und chemische Reaktionen. Er trifft jedoch keine Aussage darü- ΔG = ΔH – T · ΔS (3)
ber, ob ein Vorgang stattfindet und welcher von vielen möglichen
Zuständen gleicher Energie der wahrscheinlichste ist. Der von ΔH bezeichnet die Reaktionsenthalpie, T die absolute Tempera-
Rudolf Clausius bereits 1865 eingeführte Begriff der Entropie (S) tur und ΔS die Änderung der Entropie des Systems (Reaktions-
als Maß für die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines Zustan- entropie). Die thermodynamischen Zustandsgrößen ΔG, ΔH
des hat sich als ein wertvolles Instrument zur Beantwortung die- und ΔS einer Reaktion werden auf die umgesetzte Stoffmenge
ser Frage erwiesen. Der 2. Hauptsatz der Thermodynamik besagt, bezogen und in der Maßeinheit kJ/mol angegeben.
dass in einem abgeschlossenen System nur solche Prozesse frei-
willig stattfinden, bei denen die Entropie zunimmt. Die Entropie Bei freiwillig ablaufenden Reaktionen ist
erreicht ihren Maximalwert, wenn das thermodynamische die Änderung der Freien Enthalpie negativ
Gleichgewicht erreicht ist. Ein einprägsames Beispiel für Prozesse, Eine Reaktion läuft unter isotherm-isobaren Bedingungen nur
die mit einer Zunahme der Entropie verbunden sind, ist der durch dann freiwillig ab, wenn die freie Reaktionsenthalpie ΔG einen
Diffusion eintretende Konzentrationsausgleich in zwei durch eine negativen Wert annimmt. Man bezeichnet eine solche Reaktion
permeable Membran voneinander getrennten Lösungen mit ini- als exergon. Nimmt ΔG einen positiven Wert an, liegt eine
tial unterschiedlicher Konzentration einer diffusiblen Substanz. endergone Reaktion vor, die nicht freiwillig stattfindet. Im
thermodynamischen Gleichgewicht ist ΔG = 0. Der Betrag von
Biologische Systeme sind notwendigerweise ΔG lässt erkennen, ob eine exergone Reaktion den Ablauf eines
thermodynamisch offene Systeme endergonen biologischen Prozesses – z. B. die Kontraktion eines
Ein strukturiertes System wie eine Zelle enthält im Vergleich zu Actomyosinkomplexes im Muskel – energetisch ermöglicht
einem homogenen System gleichartiger Zusammensetzung ein oder nicht. Die Begriffe »exergon« und »freiwillig« bzw. »spon-
geringeres Maß an Entropie. Diese Situation ist das Ergebnis ei- tan« bedeuten, dass eine Reaktion thermodynamisch möglich
nes Entropie-Exportes in Form von Wärme und/oder Stoffen ist. Sie erlauben keine Aussage über die Geschwindigkeit des
(. Abb. 4.1). Dabei kann man die Entropieänderung, die durch Reaktionsablaufes.
einen Prozess im System verursacht wird, in einen Anteil, der die
Veränderung der Entropie des Systems und in einen weiteren Die Änderungen der Freien Enthalpie sind additiv
Anteil, der die Veränderung der Entropie der Umgebung be- Da es sich bei der Freien Enthalpie um eine thermodynamische
schreibt, zerlegen: Zustandsgröße handelt, kann die Änderung der Freien Enthalpie
eines biochemischen Reaktionssystems als Summe der Ände-
ΔSGesamt = ΔSSystem + ΔSUmgebung (2) rungsbeträge der Freien Enthalpie der einzelnen Reaktions-
schritte berechnet werden. So ist der ΔG-Wert für die Oxidation
In einem offenen System läuft ein Prozess dann freiwillig (d. h. der Glucose zu CO2 und H2O unabhängig davon, ob diese
ohne Investition von Energie bzw. Arbeit) ab, wenn ΔSGesamt > 0 Umwandlung im Zellstoffwechsel durch eine Vielzahl von Ein-
56 Kapitel 4 · Bioenergetik
Molecular Biology) folgend – auch die Ionenstärke und die Kon- NAD+/NADH + H+ 2 –0,32
zentrationen verschiedener Ionen festgelegt sind. Die Freie Stan- 2H+/H2 2 –0,42
dardreaktionsenthalpie unter »biochemischen Standardbedin-
gungen« wird mit dem Symbol ΔG’0 bezeichnet. ΔG0 und ΔG’0
unterscheiden sich u. a. dann, wenn Protonen als Substrat oder
Produkt der Reaktion auftreten. Freie Standardreaktionsenthalpie bei einer bestimmten Tempe-
ratur ein logarithmischer Ausdruck der Gleichgewichtskonstan-
Konzentrationsabhängigkeit der Freien Enthalpie Ausgangs- ten ist. Je stärker negativ ΔG’0 ist, desto größer ist die Gleichge-
punkt der Betrachtung ist eine Reaktion mit zwei Ausgangsstof- wichtskonstante K’ und umso mehr liegt das Reaktionsgleichge-
fen (A, B) und zwei Reaktionsprodukten (C, D): wicht auf der Seite der Reaktionsprodukte.
Einleitung Schwerpunkte
Proteine (Eiweiße) stellen diejenige Klasse von biologischen Makro- 4 Aufbau der Proteine
molekülen dar, die in der Zelle mengenmäßig bei Weitem dominiert. 4 Peptidbindung
Wenn man einmal von spezialisierten Zellen wie Fettzellen absieht, stellt 4 Sekundär- und Tertiärstruktur
die Gruppe der Proteine mit mehr als 20 % des Feuchtgewichts die größ- 4 Proteinfaltung
te Fraktion organischer Moleküle in menschlichen Zellen und Geweben 4 Hämoglobin und Myoglobin als Sauerstofftransporter
dar. Der Prototyp des Eiweißstoffes ist das Hühnereiweiß (engl. egg albu- 4 Fehlfaltung von Proteinen als Ursache menschlicher Erkran-
min). Historisch hat es lange gedauert, bis man zur Erkenntnis kam, dass kungen
es sich hier um eine ganze Stoffklasse handelt. Allerdings wurde die
Proteinurie (Eiweiß im Urin) schon früh als Symptom einer Nierenschä-
digung beobachtet, ohne zu wissen, dass es sich hier um Protein handel-
te (der Begriff war noch gar nicht erfunden). So beschrieb Paracelsus 5.1 Aufbau von Proteinen
(1493–1541) einen Stoff im Urin von Nierenkranken, der beim Erhitzen
und Säurebehandlung ausfällt, bezeichnete ihn aber als Milch der Niere. Proteine werden in der Regel in der Zelle am Ribosom gemäß der
Erst 1765 berichtete Domenico Cotugno, dass er im Urin eines Soldaten in der mRNA codierten Aminosäuresequenz durch Verknüp-
nach Erhitzen einen Stoff gefunden habe, der dem Hühnereiweiß glei- fung der natürlichen proteinogenen Aminosäuren synthetisiert.
che. Die korrekte wissenschaftliche Bezeichnung Protein wurde erst Am Ribosom entstehen lineare Ketten von Aminosäuren, die
1838 von Jöns Jakob Berzelius vorgeschlagen, die er vom dem griechi- durch Peptidbindungen (Säureamidbindungen) miteinander
schen Wort πρωτεı̂ος (proteios, »grundlegend«) ableitete. Sie bezog sich verknüpft sind. Bei der Biosynthese am Ribosom werden unter
auf alle Stoffe, die dem Hühnereiweiß ähnlich sind. Gerardus Johannes normalen Umständen nur die 20 kanonischen proteinogenen
Mulder benutzte dann den Begriff Protein erstmals 1839 in einer Veröf- L-Aminosäuren und die beiden relativ seltenen nicht-kanoni-
fentlichung zur Elementaranalyse von Albumin. Erst 40 Jahre später schen proteinogenen Aminosäuren Selenocystein und Pyrroly-
(1902) wurde schließlich das noch heute gültige Bild von Franz Hof- sin miteinander verknüpft. Prolin ist im Gegensatz zu den ande-
meister und Emil Fischer entwickelt, dass Proteine aus einer Kette von ren primären Aminosäuren, d. h. Aminosäuren mit einer primä-
Aminosäuren aufgebaut sind. ren Aminogruppe, eine sekundäre Aminosäure und wird oft in
Im Erbgut von allen Lebewesen wird als zentrale Information der Aufbau biochemischen Textbüchern chemisch nicht korrekt als Imino-
seiner Proteine gespeichert. Das menschliche Genom enthält etwa säure bezeichnet. Nach der Biosynthese am Ribosom können
30.000 für Proteine codierende Nucleotidsequenzen (Gene). Die Anzahl diese Ketten modifiziert und zusätzlich miteinander oder mit
der im Menschen vorkommenden verschiedenartigen Proteine ist aber anderen organischen Molekülen verknüpft werden. Unter geeig-
wesentlich höher, da alternatives Spleißen der Gene zu einer Vielzahl neten experimentellen Bedingungen kann man das Ribosom
zusätzlicher Proteinvarianten führt. dazu bringen, auch nicht-natürliche Aminosäuren gezielt in die
Im Genom ist nur die Sequenz der Aminosäuren gespeichert, die die Polypeptidkette einzubauen.
Proteine aufbauen. Obwohl nur 22 verschiedene Aminosäuren direkt in
der DNA codiert werden, kann durch deren Kombination und Verknüp- Proteine werden je nach Größe als Oligopeptide
fung über Peptidbindungen eine Vielfalt von verschiedenen Proteinen oder Polypeptide bezeichnet
für alle nur denkbaren Funktionen aufgebaut werden. Posttranslationale Peptide können sich in ihrer Kettenlänge beträchtlich unter-
Modifikationen der Proteine und die Assoziation mit Nicht-Protein- scheiden. Bis zu einer Länge von 10 Aminosäuren spricht man
komponenten wie Metallionen erhöhen weiter die funktionelle Diversi- von Oligopeptiden, längere Peptide werden als Polypeptide
tät. Für die ungestörte biologische Funktion ist in vielen Fällen die drei- bezeichnet. Ein Protein ist nichts anderes als ein großes Polypep-
dimensionale Struktur (Konformation) der Proteine von entscheidender tid, wobei die Grenze zwischen Protein und Peptid üblicherwei-
Bedeutung, die im Allgemeinen nicht statisch ist, sondern sich den se bei 100 Aminosäureresten liegt. Polypetide mit weniger als
wechselnden Anforderungen dynamisch anpasst. 100 Aminosäuren werden jedoch dann Proteine genannt, wenn
sie proteintypische Funktionen wie die von Enzymen erfüllen.
Oligopeptide werden häufig nach der Anzahl ihrer Aminosäuren
benannt, wie z. B. Dipeptid, Tripeptid oder Dekapeptid, wenn
sie aus 2, 3 oder 10 Aminosäuren aufgebaut sind.
P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_5, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
62 Kapitel 5 · Proteine – Struktur und Funktion
Viele Proteine besitzen Nicht-Proteinanteile re auf. Das folgende Peptid kann man daher entweder in der
Da Proteine aus Aminosäuren aufgebaut sind, führt deren hyd- Form von
rolytische Spaltung wieder ausschließlich zur Entstehung von +
L-α-Aminosäuren oder deren Derivaten. Da die Polypeptidkette H3N-Ala-Gly‒Ser-Met‒Asp‒Phe-COO–
auch covalente oder nicht-covalente Bindungen mit anderen
Molekülen der Zelle eingehen kann, findet man neben den ein- oder
fachen Proteinen zusätzlich eine heterogene Gruppe von Protei- +
nen, die man zusammengesetzte Proteine nennt. H3N-A-G‒S–M‒D‒F-COO–
Entsprechend ihrem Nicht-Proteinanteil bezeichnet man sie
dann als Nucleoproteine, wenn sie zusätzlich Nucleinsäuren schreiben.
5 enthalten, oder als Glykoproteine, wenn sie zusätzlich Zucker-
ketten enthalten. Lipoproteine enthalten Lipide, Metallopro-
teine Metalle und Chromoproteine chromophore Gruppen wie Zusammenfassung
Porphyrine. Entsprechend ihrer vielfältigen Funktionen stellen die Prote-
Der Nicht-Proteinanteil variiert bei den zusammengesetzten ine in den meisten Zellen und Geweben mengenmäßig mit
Proteinen sehr stark. Sind kleinere Liganden, die für die Funk- ca. 20 % des Feuchtgewichts die Hauptgruppe biologischer
tion des Proteins wichtig sind, an das Protein gebunden, nennt Makromoleküle dar.
man sie Cofaktoren. Diese findet man insbesondere bei den ka- Die zur Erfüllung dieser Funktionen notwendige strukturelle
talytisch aktiven Proteinen, den Enzymen. Sind sie fest (in der Vielfalt wird durch unterschiedliche Kombinationen der
Regel covalent) an Proteine gebunden, bezeichnet man sie auch 22 proteinogenen Aminosäuren ermöglicht, wobei die Rei-
als prosthetische Gruppen, handelt es sich um locker gebunde- henfolge der Aminosäuren in der Aminosäuresequenz die
ne, organische Moleküle und sind sie an der Katalyse beteiligt, spezifischen Eigenschaften eines Proteins bestimmt. Peptid-
heißen sie Coenzyme. Typische Cofaktoren sind neben kleinen bindungen verknüpfen die einzelnen Aminosäuren eines
organischen Molekülen wie Pyridoxalphosphat (7 Kap. 59.5) Proteins miteinander.
Metallionen wie Magnesium, Mangan, Eisen und Kupfer
(7 Kap. 7.5; Kap. 60.2). Das Protein, das seine Cofaktoren enthält,
bezeichnet man als Holoprotein oder Holoenzym, den reinen
Proteinanteil als Apoprotein oder Apoenzym. 5.2 Konformation von Proteinen
Es gibt eine große Vielfalt von Proteinen Nicht die Kenntnis der Sequenz der Aminosäuren in einer Poly-
Jedes Protein ist durch die individuelle Reihenfolge (Sequenz) peptidkette, sondern erst die Kenntnis der räumlichen Struktur
seiner Aminosäuren definiert. Sie ist in der Abfolge der Basen in oder Konformation eines Proteins ermöglicht ein vollkommenes
den Nucleinsäuren festgelegt, die im Erbgut für das jeweilige Pro- Verständnis seiner biologischen Funktion.
tein codieren. Die Bildung von Peptidbindungen bei der Biosyn- Traditionell nimmt man eine Einteilung der Proteinstruktu-
these von Proteinen wird in 7 Kap. 48.2.2 beschrieben, die che- ren in vier verschiedenen Organisationsebenen mit steigender
mische Synthese in 7 Kap. 6. Komplexität vor:
Aus den 22 proteinogenen Aminosäuren lässt sich theore- 4 Die Primärstruktur entspricht der Aminosäuresequenz.
tisch eine gewaltige Anzahl von Proteinen bilden, die sich 4 Die Sekundärstruktur beschreibt die lokale räumliche
in ihrer Aminosäuresequenz und damit in ihren Eigenschaften Anordnung des Rückgrats von Polypeptidketten.
unterscheiden. Selbst wenn man sich auf die 20 kanonischen 4 Als Tertiärstruktur bezeichnet man die räumliche (3D-)
proteinogenen Aminosäuren beschränkt, sind schon für ein Struktur einer gefalteten Polypeptidkette.
relativ kleines Protein aus 100 Aminosäuren 20100 (etwa 4 Die Quartärstruktur gibt die Anordnung mehrerer Poly-
1,3∙10130) verschiedene Kombinationsmöglichkeiten denkbar. peptidketten in einem Proteinkomplex wieder.
Schon mit 100 Aminosäuren lassen sich also theoretisch mehr
verschiedene Proteinmoleküle erzeugen als vermutlich Atome
im Universum vorkommen (ungefähre Abschätzung 3∙1078). 5.2.1 Aminosäuresequenz (Primärstruktur)
Allerdings findet sich in der Natur eine viel kleinere Anzahl und Peptidbindung
verschiedener Proteine. Daher entstehen neue Proteine in der
Evolution fast nur durch Variation und Kombination schon Die Abfolge der Aminosäuren (Aminosäuresequenz) in einem
existierender, bewährter Sequenzen, und nur die für das Über- Protein wird als Primärstruktur bezeichnet. Wenn die Poly-
leben der Organismen essentiellen Proteine bleiben langfristig peptidkette nicht posttranslational modifziert wird (7 Kap. 49.3),
erhalten. bestimmt die Primärstruktur vollständig alle Eigenschaften eines
Die Abfolge der Aminosäuren in Aminosäuresequenzen Proteins, insbesondere auch die räumliche Struktur, die unter
wird im Dreibuchstabencode oder im Einbuchstabencode gegebenen äußeren Bedingungen vom Protein eingenommen
(7 Kap. 3, Tafel III) dargestellt. Dabei beginnt man konventions- wird.
gemäß mit der N-terminalen (aminoterminalen) Aminosäure
und hört mit der C-terminalen (carboxyterminalen) Aminosäu-
5.2 · Konformation von Proteinen
63 5
. Abb. 5.1 Bildung der Peptidbindung. Aus zwei Aminosäuren (hier Gly- . Abb. 5.3 Mesomerie der Peptidbindung. Oben: die beiden Grenzstruk-
cin und Alanin) ensteht durch Wasserabspaltung eine Peptidbindung. Die turen; unten: der mesomere Zwischenzustand mit der trans-Stellung der
Bindung kann durch Wassereinbau (Hydrolyse) wieder gespalten werden. Peptidbindung (braun). δ+, δ–:Partialladungen
Die neu entstandene Peptidbindung und die Atome, aus denen sie gebildet
wird, sind hellgrün unterlegt
Die Peptidbindung ist die für Proteine spezifische barkeit um alle drei Bindungen einer Aminosäureeinheit. Tat-
Verknüpfung der Aminosäurebausteine sächlich ist die freie Drehbarkeit um die Peptidbindung selbst
Die einzelnen Aminosäuren sind durch eine für Proteine spezifi- erheblich eingeschränkt, da die Peptidbindung den Charakter
sche Bindung, die Peptidbindung, verknüpft. Dabei handelt es sich einer partiellen Doppelbindung hat, bei der die vier Atome der
um eine Säureamidbindung, die die α-Carboxylgruppe der voran- Peptidbindung in einer Ebene liegen (. Abb. 5.3). Die partielle
gehenden Aminosäure mit der α-Aminogruppe der nachfolgenden Doppelbindung wird am besten durch zwei mesomere Grenz-
Aminosäure (bei der Aminosäure Prolin der sekundären Amino- strukturen beschrieben, bei denen die freien Elektronenpaare
gruppe) verknüpft. Die Ausbildung einer Peptidbindung geht zwischen dem Stickstoff- und dem Sauerstoffatom oszillieren.
mit der Abspaltung von H2O einher (Kondensationsreaktion, Neben der Grenzstruktur, die der klassischen Einfachbindung
. Abb. 5.1). Durch Wiederholung dieses Vorgangs entsteht eine entspricht, existiert eine zweite Grenzstruktur, bei der aufgrund
Peptidkette, die nur noch eine freie α-Aminogruppe am Anfang der Elektronegativität des Sauerstoffes ein Elektronenpaar der
und eine freie α-Carboxylgruppe am Ende besitzt. Peptidketten C=O-Doppelbindung zum Sauerstoff wandert. Der Sauerstoff
sind aus einer wechselnden Folge (. Abb. 5.2) von N-Atomen (aus erhält dadurch eine negative Ladung, und das freie Elektronen-
den Aminogruppen), Cα-Atomen, von denen die Seitenketten paar des Stickstoffs wird zwischen die C-N-Bindung verschoben,
abgehen, und C-Atomen (aus den Carbonylgruppen) nach dem wobei das Stickstoffatom eine positive Ladung erhält. In dieser
sich wiederholenden Muster –N–Cα–C–N–Cα–C–N–Cα–C– aufge- Grenzstruktur ist die Länge der C-N-Bindung gegenüber einer
baut, bei der sich immer wieder das Muster der drei Atome –N– Einfachbindung von 0,147 auf 0,127 nm verkürzt. Wie immer bei
Cα–C– wiederholt (Polypeptidkette). Dieses Rückgrat der Peptid- Resonanzstrukturen liegt der tatsächlich beobachtete Zustand
kette ist allen Proteinen gemeinsam. Die dreidimensionale Struk- zwischen diesen beiden Extremen, die reale Länge der C-N-Bin-
tur und die spezifischen Eigenschaften eines Proteins werden durch dung, die die Röntgenstrukturanalyse von Proteinen experi-
die variable Abfolge seiner Aminosäureseitenketten bestimmt. mentell ergibt, liegt bei etwa 0,133 nm.
Eine praktisch genutzte Folge der Resonanzstruktur der Pep-
Die Peptidbindung ist planar und hat den Charakter tidbindung ist ihre Absorption von ultraviolettem Licht mit ei-
einer partiellen Doppelbindung nem Maximum von etwa 210 nm. Die Messung der Ultraviolett-
Das Rückgrat der Polypeptidketten wird auf den ersten Blick aus absorption bei dieser Wellenlänge erlaubt die quantitative Kon-
Einfachbindungen gebildet, daher erwartet man eine freie Dreh- zentrationsbestimmung von Proteinen in Lösungen.
. Abb. 5.2 Beispiel für eine Aminosäuresequenz. Die Hauptkette ist orange dargestellt und Seitenketten sind gelb hinterlegt. Die einzelnen Peptid-
bindungen sind rot umrandet
64 Kapitel 5 · Proteine – Struktur und Funktion
. Abb. 5.4 Cis- und trans-Konfiguration der Peptidbindung. Linke Reihe: Peptidbindung zwischen zwei primären Aminosäuren (hier Ala-Ala),
rechte Reihe: Peptidbindung mit der sekundären Aminosäure Prolin (hier Ala-Pro). Bindungslängen und -winkel. (Adaptiert nach Engh u. Huber (1991)
und Ramachandran u. Sasisekharan 1968). (Mit freundlicher Genehmigung von John Wiley & Sons und Elsevier)
Eine cis-Konfiguration der Peptidbindung findet einer einheitlichen Konformation wie sie typisch für wohlgefal-
man gewöhnlich nur vor Prolylresten tete Proteine ist.
Grundsätzlich gibt es wie immer bei Doppelbindungen zwei An-
ordnungen der Atome um die C-N-Bindung, die sich durch eine Peptidbindungen werden unter
Rotation um 180° unterscheiden, die cis- und die trans-Stellung. Energieaufwand geknüpft
In der trans-Stellung liegen die beiden Cα-Atome auf verschiede- Die Spaltung der Peptidbindung erfolgt durch den Einbau eines
nen Seiten in der Bindungsebene, bei der cis-Stellung auf der Wassermoleküls, der Hydrolyse. Im wässrigen Milieu biologi-
gleichen Seite (. Abb. 5.4). Aus sterischen Gründen ist die trans- scher Systeme ist in der Reaktion von . Abb. 5.1 die Hydrolyse
Stellung energetisch begünstigt und wird normalerweise in Pro- bevorzugt; die Ausbildung einer Peptidbindung ist deswegen
teinen vorgefunden. Eine Ausnahme bildet die Peptidbindung eine energieverbrauchende Reaktion, ihre Spaltung durch
mit der sekundären Aminogruppe von Prolylresten, bei welcher spezifische Enzyme, die Proteasen, hingegen nicht.
der Amidwasserstoff durch das Cδ der Seitengruppe ersetzt ist
(. Abb. 5.4). In ungefalteten Proteinen kommt hier die trans-
Konfiguration etwa 5-mal häufiger vor als die cis-Konfiguration, 5.2.2 Lokale Struktur der Polypeptidhauptkette
in gefalteten Proteinen ist die cis-Konfiguration noch etwas sel- (Sekundärstruktur)
tener. In Lösung stehen beide Konfigurationen in einem dynami-
schen Gleichgewicht und gehen ununterbrochen ineinander Die lokale räumliche Struktur der Polypeptidhauptkette wird
über. durch die Größe der Torsionswinkel (dihedralen Winkel, Di-
Trotz der eingeschränkten Rotation um die Peptidbindung ederwinkel) φ, ψ und ω bestimmt (. Abb. 5.5) und wird auch als
führt die freie Drehbarkeit um die beiden anderen Einfachbin- Sekundärstruktur bezeichnet. Der Winkel ω ist 180°, wenn sich
dungen (Cα–C und N–Cα) dazu, dass die meisten kleinen Peptide die Peptidbindung in einer perfekten trans-Konfiguration befin-
in der Lösung eine Vielzahl verschiedener Konformationen ein- det. Er ist 0° in der cis-Konfiguration der Peptidbindung. Für den
nehmen, die miteinander in einem schnellen Gleichgewicht ste- φ- und den ψ-Winkel entsprechen 180° einer maximalen
hen. Ihre »Struktur« wird als statistisches Knäuel (»random- Streckung der Hauptkette.
coil«) beschrieben, bei dem alle thermodynamisch möglichen
Konformationen vorkommen. Erst spezifische Interaktionen
zwischen Aminosäureresten der Kette stabilisieren das Peptid in
5.2 · Konformation von Proteinen
65 5
Sekundärstruk- φa ψa Wasserstoff-
tureinheit brückenmusterb
β-Faltblatt
Wie die α-Helix wurde auch das β-Faltblatt (β-pleated sheet) als
die zweite fundamentale Sekundärstruktureinheit durch die
Röntgenstrukturanalyse eines faserförmigen Proteins, der Seide,
entdeckt. Die Seide gehört zur Familie der β-Keratine, daher lei-
tet sich dann auch der Name dieser Struktur ab. Im Gegensatz zu
den α-Keratinen lassen sich β-Keratine kaum in der Längsachse
dehnen. Dies beruht darauf, dass die einzelnen Stränge einer
Faltblattanordnung schon fast maximal gestreckt sind, die φ- und
ψ-Winkel nehmen sehr große Werte an und ähneln damit der
maximal ausgestreckten Polypeptidkette (extended strand)
(. Tab. 5.1). Die N-H- und C=O-Gruppen einer Aminosäure-
einheit zeigen in die entgegengesetzte Richtung und liegen fast
auf einer Ebene (. Abb. 5.7, graue Flächen). Diese Anordnung
erlaubt die Bildung von stabilen Wasserstoffbrücken zwischen
zwei benachbarten β-Strängen, führt aber auch zu einer regelmä-
ßigen Knickung der Peptidkette. Die Atome der Hauptkette der
verschiedenen Stränge bilden eine Struktur, die mit einem gefal-
teten Blatt Papier (Faltblatt!) Ähnlichkeiten hat (. Abb. 5.7).
. Abb. 5.6 Räumlicher Aufbau einer rechtsgängigen α-Helix. Benachbar- Aminosäuren, die häufig in β-Faltblättern gefunden werden,
te Aminosäuren sind durch schwarze und gelbe Atombindungen gekenn- sind Isoleucin, Valin und Tyrosin.
zeichnet, die Peptidbindungen sind rot dargestellt. Der N-Terminus der Po-
lypeptidkette befindet sich in der Zeichnung oben, der C-Terminus unten.
Im idealen β-Faltblatt würde der φ- und ψ-Winkel jeweils
(Adaptiert nach Pauling 1968) 135° und –135° annehmen, da dann die Amid- und Carbonyl-
gruppen genau auf einer Ebene liegen würden. Bei realen Falt-
blättern wie sie in Proteinen gefunden werden, weichen die Win-
Das wichtigste helicale Sekundärstrukturelement kel leicht von den idealen Werten ab. Hierdurch kann die steri-
in Proteinen ist die rechtsgängige α-Helix sche Behinderung der Seitenketten an den Cα-Atomen verringert
Für die klassische α-Helix (. Tab. 5.1) werden die Wasserstoff- werden. Dies führt dazu, dass die Faltblätter nicht komplett eben
brücken zwischen der Amidgruppe einer Peptidbindung und der sind, sondern die β-Stränge ein rechtsgängige Verdrillung auf-
Carbonylgruppe der vierten darauf folgenden Aminosäure ge- weisen (s. z. B. . Abb. 5.13).
bildet. Obwohl die rechtsgängige α-Helix bei weitem die häu-
figste helicale Struktur in Proteinen ist, sind auch andere Wasser-
stoffbrückenmuster und damit auch andere Helixformen mög-
5.2 · Konformation von Proteinen
67 5
. Abb. 5.7 Paralleles (A) und antiparalleles β-Faltblatt (B). Beim parallelen Faltblatt bildet eine Aminosäure (j) Wasserstoffbrücken mit zwei Amino-
säuren (i–1; i+1) des Nachbarstranges, beim antiparallelen Faltblatt nur mit einer benachbarten Aminosäure (i)
A B der Längsachse ist nicht mehr 0,15 nm wie bei der α-Helix, son-
dern 0,286 nm. Im Gegensatz zur klassischen α-Helix ist sie
linksgängig, die Carbonyl- und Amidgruppen stehen nicht par-
allel zur Helixachse, sondern stehen beinahe senkrecht zu ihr,
sodass keine Wasserstoffbrücken innerhalb der Kollagenhelix
gebildet werden können. Allerdings können Wasserstoffbrücken
gebildet werden, wenn sich drei Kollagenhelices zusammenla-
gern und zusammen eine rechtsgängige Helix bilden (. Abb.
5.9). Jede dritte Aminosäure im Kollagen liegt im Zentrum der
Tripelhelix. Aus sterischen Gründen muss es ein Glycin sein, da
5 sonst die Seitengruppen die Zusammenlagerung der Einzelsträn-
ge behindern würden. Die generalisierte Sequenz des Kollagens
ist daher (Gly-X-Y)n. Die drei Einzelstränge, die sich zusammen-
lagern, müssen aber nicht genau dieselbe Sequenz haben. Sie sind
so aneinander gelagert, dass das Glycin eines Strangs eine Was-
serstoffbrücke mit der Aminosäure X des benachbarten Strangs
ausbilden kann. Stabilisiert wird die Tripelhelix außerdem durch
. Abb. 5.8 β-Kehren Typ I (A) und Typ II (B). Die Abbildung stellt die aus je hydrophobe Wechselwirkungen zwischen den Seitenketten der
4 Aminosäuren gebildeten β-Kehren dar. Typ I und Typ II unterscheiden sich
lediglich in den φ- und ψ-Winkeln zwischen den Aminosäuren 2 und 3. An
anderen Aminosäuren. Kollagen hat eine besonders große Zug-
den Aminosäuren 1 und 4 enden bzw. beginnen Faltblattstrukturen. Die Cα- festigkeit, da eine Kraft in Richtung der Längsachse nur zu einer
Atome der 4 Aminosäuren sind durchnummeriert leicht kompensierbaren Querkraft führt, die die Einzelstränge
der Tripelhelix zusammenpresst.
daher oft mit längeren Schleifenregionen verbunden, die zusätz- Im Ramachandran-Diagramm wird die lokale
lich α-helicale Bereiche enthalten. Struktur der Polypeptidkette dargestellt
Schleifenregionen haben oft eine höhere Beweglichkeit als der Da zwischen den Atomen aufeinanderfolgender Aminosäuren
Rest der Struktur und sind oft Teil von Regionen, die funktionell sterische Behinderungen auftreten können, sind nicht alle Kom-
ihre Struktur bei der Bindung von Liganden anpassen müssen. binationen von φ- und ψ-Winkeln in Proteinen möglich. Stellt
Da wohlgeordnete, kompakt gefaltete Proteine besonders gut man alle Kombinationen der dihedralen Winkel der Hauptkette
kristallisieren, glaubte man lange Zeit, dass alle Proteine in ihrem in einem zweidimensionalen Diagramm dar, so gibt es Regionen,
nativen Zustand solche kompakten Strukturen annehmen. In- die energetisch günstig (erlaubt) sind, und Regionen, die energe-
zwischen weiß man, dass ein erheblicher Anteil von Proteinen tisch ungünstig (verboten) sind (. Abb. 5.10). Die kanonischen
ungeordnete Bereiche mit hoher Flexibilität enthält oder sogar Sekundärstrukturen sind in den erlaubten Bereichen des Rama-
gänzlich ungefaltet ist (intrinsically unfolded proteins). Eine Ana- chandran-Diagramms zu finden. Wenn in einem Protein Tor-
lyse des menschlichen Genoms sagt voraus, dass etwa 30 % der sionswinkel in den verbotenen Bereichen des Ramachandran-
dort codierten Proteine zur Gruppe der intrinsisch ungefalteten Diagramms zu finden sind, deutet dies entweder auf eine wich-
Proteine gehören. tige strukturelle Besonderheit hin oder ist oft nur ein Zeichen für
Wenn die Werte, die die Torsionswinkel von aufeinanderfol- eine fehlerhafte 3D-Strukturbestimmung.
genden Aminosäuren annehmen, gänzlich unkorreliert sind und
von Molekül zu Molekül variieren, spricht man von einem Zu-
fallsknäuel (random coil). In Lösung gehen die verschiedenen 5.2.3 Dreidimensionaler Aufbau (Tertiärstruktur)
Konformationen der Polypeptidkette rasch ineinander über. Das
Zufallsknäuel ist der typische Zustand völlig denaturierter Pro- Die Tertiärstruktur beschreibt die dreidimensionale
teine in Lösung. Struktur eines Proteins
Die Tertiärstruktur eines Proteins entspricht der räumlichen An-
Die Kollagenhelix wird nur durch intermolekulare ordnung seiner Sekundärstrukturelemente. Für die anschauliche
Wasserstoffbrückenbindungen stabilisiert Darstellung der Raumstruktur eines Proteins werden α-Helices
Kollagenhelix Das wichtigste extrazelluläre Protein des Bindege- durch Zylinder oder Spiralen und β-Faltblätter durch Pfeile wie-
webes ist das Kollagen (7 Kap. 71.1). Es ist durch eine besondere dergegeben, wobei der Pfeil die Richtung des Stranges vom N- zum
Aminosäurezusammensetzung und einer daraus folgenden spe- C-Terminus angibt. Die übrigen Teile des Proteins zwischen den
zifischen Struktur, die Kollagenhelix, gekennzeichnet. Es besteht Sekundärstrukturelementen werden gewöhnlich durch Kurven
zur Hälfte aus Glycyl- und Prolylresten. Wie die schon bespro- (schmale Bänder oder dünne Zylinder) beschrieben, die durch die
chenen α- und β-Keratine bildet es stabile Fasern. Aufgrund ihrer Positionen der Cα-Atome definiert werden (. Abb. 5.11).
besonderen Aminosäuresequenz hat die Kollagenhelix ganz spe-
zifische Struktureigenschaften: sie bildet eine langgestreckte He- Supersekundärstrukturen Sind Sekundärstrukturelemente in
lix, die anders als die α-Helix nicht durch interne Wasserstoffbrü- charakteristischen Abfolgen angeordnet, spricht man von Super-
cken stabilisiert ist. Der Abstand zwischen zwei Aminosäuren auf sekundärstrukturen oder Motiven. Hierzu gehören z. B. Helix-
5.2 · Konformation von Proteinen
69 5
B C
Schleife-Helix-Motive (helix-turn-helix motif), bei denen zwei Elektrostatische (ionische) Wechselwirkung Ionenbindungen
α-Helices über eine Schleife miteinander verbunden sind. Dieses zwischen den geladenen Gruppen der Aminosäuren sind die
Motiv ist typisch für calciumbindende Proteine wie Tropomyo- stärksten nicht-covalenten Wechselwirkungen in Proteinen. Da
sin oder Calmodulin (. Abb. 5.12), während es bei DNA-binden- die elektrostatische Energie zwischen zwei geladenen Gruppen
den Proteinen der direkten Interaktion mit der DNA dient. umgekehrt proportional zum Abstand r der Ladungen ist (und
nicht zu r3 wie z. B. beim Dipol von H-Brücken), fällt sie nur
Die Bildung von Tertiärstrukturen geht auf langsam mit dem Abstand ab und hat prinzipiell eine relativ
physikalische Wechselwirkungen zurück große Reichweite. In der Lösung sind allerdings die geladenen
Die räumliche Faltung eines Proteins ist das Ergebnis aller phy- Gruppen stark solvatisiert und durch Gegenionen im Lösungs-
sikalischen Wechselwirkungen im Protein selbst und zwischen mittel partiell abgeschirmt. Daher ist der wirkliche Anteil der
dem Protein und dem Lösungsmittel. Im Einzelnen sind es die Ionenbindungen an der gesamten Stabilisierungsenergie in der
elektrostatischen Wechselwirkungen, die van-der-Waals Wech- Lösung relativ klein. Ausnahmen sind die seltenen Ionenpaare
selwirkungen, die intramolekularen Wasserstoffbrückenbindun- im Inneren von Proteinen oder definierte Ionencluster an der
gen und die hydrophoben Wechselwirkungen, die zwischen allen Oberfläche von Proteinen. Diese findet man relativ häufig bei
Atomen des Systems Lösungsmittel – Protein bestehen. Unter- Proteinen thermophiler Mikroorganismen, deren Struktur auch
stützt wird die Stabilisierung der Struktur oft durch zusätzliche bei hohen Temperaturen stabil gehalten werden muss.
covalente Verknüpfungen zwischen verschiedenen Aminosäu-
ren in der Sequenz.
70 Kapitel 5 · Proteine – Struktur und Funktion
. Abb. 5.11 Verteilung von α-Helices und β-Faltblättern im menschlichen Ras-Protein. Links Sekundärstrukturdarstellung, rechts Atomares Modell. Das
Ras-Protein ist C-terminal gekürzt (ab Aminosäure 167), um die Kristallisation zu ermöglichen. Im aktiven Zentrum ist ein Mg2+-Ion und das GTP-Analog
GppNHp gebunden, das nicht hydrolysiert werden kann. Bei der Bindung von vielen Ras-Bindedomänen bildet sich am markierten Wechselwirkungsort ein
intermolekulares β-Faltblatt. Im atomaren Modell des Proteins sind Wasserstoffatome weiß, Kohlenstoffatome schwarz, Sauerstoffatome rot, Stickstoff-
atome blau und Schwefelatome gelb dargestellt. Das Nucleotid ist grün, das Metallion orange dargestellt. PDB ID: 5P21, 1RFA
Proteine Calciumbindungsmotiv
5.2 · Konformation von Proteinen
71 5
strukturen, die wir schon als die Ursache für die Planarität der Lösungsmittel. Da thermodynamisch ein System immer Zustän-
Peptidbindung kennengelernt haben. Zu den statischen Dipol- de mit niedrigerer freier Enthalpie bevorzugt, wird der gefaltete
momenten kommen noch die schwachen London-Dispersions- Zustand des Proteins stabilisiert.
kräfte, die durch eine rasch fluktuierende Verschiebung der
Elektronenverteilung in nicht-polaren Gruppen hervorgerufen Disulfidbindungen Eine weitere Stabilisierung der Tertiärstruk-
wird. Es entstehen dabei sich schnell ändernde Dipolmomente, tur eines Proteins kann durch eine covalente Verknüpfung räum-
die im Zeitmittel zu einer wechselseitigen Anziehung zwischen lich benachbarter Aminosäureseitenketten erfolgen. Allerdings
den beteiligten Atomen führen. wird normalerweise zunächst die dreidimensionale Struktur un-
ter dem Einfluss der schon diskutierten physikalischen Wechsel-
Intramolekulare Wasserstoffbrückenbindung Die generellen Ei- wirkungen eingenommen, die dann erst später durch die covalen-
genschaften einer Wasserstoffbrücke können durch eine einfache ten Bindungen stabilisiert wird. Die häufigste covalente Verknüp-
elektrostatische Anziehungskraft zwischen dem Dipol der nega- fung in Proteinen ist die Disulfidbindung, die durch die Verknüp-
tiv polarisierten Akzeptorgruppe und der positiv polarisierten fung der Thiolgruppen zweier Cysteinreste gebildet wird. Da
Donatorgruppe erklären. Typischerweise sind die Donatoren innerhalb der Zelle ein reduzierendes Milieu besteht, können in-
Gruppen des Moleküls, in denen ein Wasserstoffatom durch sei- trazelluläre cytosolische Proteine nur in Ausnahmen stabile Di-
ne covalente Bindung an ein elektronegatives Atom wie Stickstoff sulfidbindungen ausbilden. Im Gegensatz dazu bilden sich in der
oder Sauerstoff positiv polarisiert wird. Der Bindungspartner, nicht-reduzierenden Umgebung des endoplasmatischen Retiku-
der Akzeptor der Wasserstoffbrücke ist dann ein weiteres elekt- lums bzw. des mitochondrialen Intermembranraumes oder im
ronegatives Atom. Eine quantenchemische Analyse zeigt aber, Extrazellulärraum stabile Disulfidbindungen. Hier können sie
dass es zusätzlich eine direkte Überlappung der Molekülorbitale beträchtlich zur Gesamtstabilität des Proteins beitragen.
zwischen Donator und Akzeptor in der Wasserstoffbrückenbin- Da die Lösungsmittelmoleküle eine Vielzahl von Interaktio-
dung gibt. Dies erklärt auch, warum der Abstand zwischen dem nen mit den an der Oberfläche gelegenen Aminosäureresten ein-
Wasserstoffatom und dem Akzeptor mehr als 0,05 nm kleiner ist gehen können, bestimmt deren Interaktion die Stabilität und
als von der Summe der van-der-Waals-Radien zu erwarten wäre. Struktur wesentlich mit. Die genaue Zusammensetzung des Lö-
In Wasser selbst beträgt der intermolekulare H-O-Abstand in der sungsmittels (in biologischen Systemen normalerweise Wasser)
Wasserstoffbrücke nur etwa 0,18 nm anstatt der 0,26 nm, die sich bestimmt daher auch die energetisch günstigste Struktur des
aus der Summe der van-der-Waals-Radien ergeben würden. Die Proteins, die man unter den gegebenen äußeren Bedingungen
Theorie erfordert auch eine bevorzugte Ausrichtung der Wasser- vorfindet. Wenn der Druck (isobar) und die Temperatur (iso-
stoffbrücken relativ zu dem freien Elektronenpaar des Akzeptors. therm) konstant sind, bestimmt die freie Enthalpie G des aus
Dies ist auch experimentell in hoch aufgelösten Röntgenstruktu- Lösungsmittel und Protein bestehenden Gesamtsystems die
ren bestätigt, bei denen der N-H-Verbindungsvektor der Peptid- Struktur des Proteins. Daher führt beispielsweise der Zusatz von
gruppen bevorzugt zum freien Elektronenpaar des Carbonyl- Ethanol zu einer wässrigen Proteinlösung meist zu einer grund-
sauerstoffs zeigt. legenden Konformationsänderung des Proteins. Die hydropho-
Die intramolekularen Wasserstoffbrücken haben typischer- ben Alkoholmoleküle sind jetzt potentielle Partner der norma-
weise Bindungsenergien von –12 bis –30 kJ/mol. Der energeti- lerweise im Proteininneren liegenden hydrophoben Seitenket-
sche Beitrag einer solchen Wasserstoffbrücke zur Erhaltung der ten. Die hydrophoben Seitenketten des Polypeptids werden da-
Tertiärstruktur erscheint relativ gering, da er sich nur wenig von durch nach außen orientiert, das Protein verliert seine native
demjenigen einer Wasserstoffbrücke zum Wasser der Umgebung Struktur. Diesen Verlust der geordneten Struktur eines Proteins
unterscheidet. Umgekehrt beträgt die gesamte Stabilisierungs- nennt man allgemein Denaturierung (7 Kap. 5.4.1).
energie eines Proteins nur etwa –30 bis –60 kJ/mol.
Gemeinsamkeiten von strukturell verwandten
Hydrophobe Wechselwirkung Die hydrophobe Wechselwirkung Proteinen können durch ihre Faltungstopologie
liefert den Hauptbeitrag zur Bildung der kompakten Tertiär- erkannt werden
struktur von Proteinen. Sie bewirkt eine Orientierung hydropho- Unter der Faltungstopologie eines Proteins (protein-fold) ver-
ber Seitenketten weg vom polaren Lösungsmittel ins Innere eines steht man die Reihenfolge der kanonischen Sekundärstruktur-
Proteins. Während dieses Prozesses wird das Wasser aus dem elemente in der Primärstruktur und deren räumliche Beziehung.
Kern des Proteins eliminiert. Die Ursachen der hydrophoben Begrifflich steht die Faltungstopologie zwischen den Ebenen der
Wechselwirkung sind immer noch umstritten. Im strengen Sinn Sekundär- und Tertiärstruktur. Sie wird zur Klassifikation von
existiert sie sogar gar nicht, da es nach neueren experimentellen Proteinen nach gemeinsamen Strukturmerkmalen genutzt. Bei
Daten keine hydrophoben, sondern nur weniger hydrophile Sei- der Faltungstopologie werden gewöhnlich nur Helices und Falt-
tenketten gibt. Gewöhnlich wird die hydrophobe Wechselwir- blattstränge als Sekundärstrukturelemente unterschiedlicher
kung als entropischer Effekt interpretiert, da die hydratisierten Länge berücksichtigt, die durch variable Schleifen verbunden
hydrophoben Seitenketten eine höhere Ordnung (geringere En- sind. Für die Definition der Topologie ist weder die spezifische
tropie) des Wassers in ihrer Umgebung erzwingen. Wenn sie ins Aminosäuresequenz noch die Länge der einzelnen Sekundär-
Proteininnere verlagert werden, steigt die Entropie in der Was- strukturelemente und deren genaue Lage im Raum von Belang.
serhülle. Damit verringert sich die freie Enthalpie (Gibb’s free Ein Beispiel ist die ββαββαβ-Faltungstopologie des Ubiqui-
energy) des gesamten Systems von Protein und umgebendem tins (7 Kap. 49.3.2) (ubiquitin-fold), das aus einem gemischten
72 Kapitel 5 · Proteine – Struktur und Funktion
A B
. Abb. 5.18 Darstellung der tetrameren Struktur des menschlichen Hämoglobins. Die beiden α-Untereinheiten sind in Rottönen wiedergegeben, die
beiden β-Untereinheiten in grün. Die gezeigte Konformation des Oxyhämoglobins (links) wird als R-Zustand bezeichnet, die des Desoxyhämoglobins
(rechts) als T-Zustand. Der zentrale Kanal des Oxyhämoglobins (links) ist durch die hier nicht abgebildeten Aminosäure-Seitenketten fast vollständig ver-
schlossen. C1 und C2 bezeichnen die C-Termini, N1 und N2 die N-Termini der entsprechenden α1- und α2-Untereinheiten. Die jeweiligen Termini befinden
sich in engem räumlichen Kontakt. Die Helices der α/β-Untereinheiten werden gewöhnlich mit Großbuchstaben (A–H) markiert. PDB ID: 2DN1, 2DN2
peptide beinahe dieselbe Tertiärstruktur wie das Myoglobin an. schen den beiden α- und den beiden β-Untereinheiten sind im
Dies legt nahe, dass im Wesentlichen nur die 27 Aminosäuren, Vergleich dazu nur schwach ausgebildet, es bildet sich ein flüs-
die bei Myoglobin- und Hämoglobinketten identisch sind, für sigkeitsgefüllter Kanal (. Abb. 5.18). Er verläuft entlang der
die Ausbildung des hydrophoben Kerns und die Kontakte zum zweizähligen Symmetrieachse der Homodimere. Wenn Hämo-
Häm verantwortlich sind. Man kann annehmen, dass Hämoglo- globin keinen Sauerstoff gebunden hat (Desoxyhämoglobin) ist
bin und Myoglobin durch Genverdopplung aus einem Gen der der Kanal etwa 2 nm breit und 5 nm lang. Mit Bindung von
Urglobinkette entstanden sind. Im Laufe der Evolution haben sie Sauerstoff tritt eine Änderung der Tertiär- und Quartärstruktur
sich dann unabhängig voneinander weiter entwickelt und sich ein, sodass bei Sauerstoffsättigung im Oxyhämoglobin der Kanal
ihren neuen Aufgaben angepasst. Der Prozess der Genduplika- beinahe vollkommen verschwunden ist.
tion wiederholte sich mehrmals, so dass heute das Myoglobin, Hämoglobin ist nicht nur bei den Wirbeltieren (Vertebraten)
die α- und β-Ketten des Hämoglobins sowie weitere Varianten zu finden, sondern dient auch bei vielen wirbellosen Tieren (In-
wie die γ-, δ- und ε-Ketten des Hämoglobins existieren, die man vertebraten) als Sauerstofftransportsystem. Bei Mollusken
aber im Allgemeinen nur in fetalen Entwicklungsstadien oder (Weichtieren), Arthropoden (Gliederfüßlern) und Brachiopo-
beim Erwachsenen unter besonderen Bedingungen findet den (Armfüßlern) übernehmen das kupferhaltige Hämocyanin
(7 Kap. 68.2.3). und das eisenhaltige Protein Hämerythrin die Rolle des Sauer-
Analog zum Myoglobin enthalten auch die Hämoglobinpo- stofftransporters. Im Unterschied zum Hämoglobin enthalten
lypeptide als kanonische Sekundärstrukturelemente nur die beiden Proteine kein aus Porphyrinringen aufgebautes Häm
α-Helices mit einem Gesamtanteil von über 70 %. Auch die als Cofaktor, der Sauerstoff ist trotzdem an die Metallionen ge-
β-Ketten bilden wie das Myoglobin 8 Helices (A–H) aus, bei den bunden.
α-Ketten fehlt eine α-Helix, die D-Helix (. Abb. 5.18).
Im funktionellen Hämoglobin-Tetramer werden die vier Ein- Quartärstrukturänderungen sind die Basis
zelketten durch Wechselwirkungen zwischen ihren Kontaktstel- kooperativer Effekte im Hämoglobin
len zusammengehalten. Jeweils eine α- und eine β-Untereinheit Die Bindung von Sauerstoff an das monomere Myoglobin zeigt
bilden ein Dimer (α1/β1- und α2/β2-Dimer), das durch mehr als eine einfache hyperbolische Abhängigkeit der Sauerstoffsätti-
30 intermolekulare, hauptsächlich hydrophobe Kontakte stabili- gung des Proteins von der Konzentration des gelösten Sauer-
siert wird. Diese beiden Dimere sind so zueinander angeordnet, stoffs, wobei die Sauerstoffkonzentration gemäß dem Henry-
dass sie durch eine Rotation um 180° ineinander überführt wer- Dalton-Gesetz proportional zum Sauerstoffpartialdruck ist
den können. Auch zwischen den α1- und β2- sowie den α2- und (. Abb. 5.19). Dieselbe Bindungskurve wie für Myoglobin erhält
β1-Untereinheiten gibt es jeweils eine große Anzahl intermole- man auch für die isolierte β-Kette des Hämoglobins, die in Lö-
kularer Kontakte. Die stabilisierenden Wechselwirkungen zwi- sung als Monomer vorliegt. Eine ganz andere Bindungskurve
78 Kapitel 5 · Proteine – Struktur und Funktion
. Abb. 5.20 Schematische Darstellung von strukturellen Veränderungen bei der Oxygenierung der α-Kette des Hämoglobins. Die Aminosäuren Tyro-
sin 140 und das C-terminale Arginin 141 der Helix H der α-Kette und das proximale Histidin der Helix F, das an das Häm-Eisen gebunden ist, sind besonders
hervorgehoben. (Einzelheiten s. Text)
deutlichen Lageveränderung der C-terminalen Aminosäuren Wechselwirkungen abhängt (s. o.) und die Ladung der beteilig-
Tyrosin und Arginin der β-Untereinheiten. Dadurch werden v. a. ten Gruppen prinzipiell durch den pH-Wert beeinflusst wird,
elektrostatische Interaktionen zwischen den α1- und α2-Ketten kann man auch eine Abhängigkeit der Sauerstoffbindung vom
bzw. den β1- und α2-Ketten aufgebrochen, was zum Übergang pH-Wert erwarten. Im physiologischen pH-Bereich um 7,4 kom-
des Hämoglobins in den R-Zustand führt. Die Bedeutung dieser men für eine Protonierung/Deprotonierung die N-terminalen
elektrostatischen Interaktionen für den Quartärstrukturüber- Aminogruppen der α- und β-Ketten und die C-terminalen His-
gang kann man experimentell einfach beweisen: Entfernt man tidinreste der β-Ketten in Frage, die beide pK-Werte im neutra-
die C-terminalen, positiv geladenen Argininreste, so verschwin- len Bereich haben. Sie werden daher bei einem niedrigem pH-
det die Kooperativität der Sauerstoffbindung, obwohl das Hämo- Wert protoniert und sind dann positiv geladen. Die positiven
globin immer noch ein Tetramer bildet. Ladungen stabilisieren den für Sauerstoff niederaffinen T-Zu-
Der Sauerstoff wird in der r-Konformation besser gebunden stand des Proteins. Das bedeutet, dass bei niederem pH (Acido-
als in der t-Konformation, da in der r-Konformation der Sauer- se) wie er in den Kapillaren bei ungenügender Sauerstoffversor-
stoff näher an das distale Histidin herangeführt wird und auf gung des Gewebes vorliegt, verstärkt Sauerstoff abgegeben wird.
diese Weise stabilisierende Interaktionen mit diesem eingehen Diesen Effekt nennt man Bohr-Effekt.
kann. Wenn man dann noch annimmt, dass in der t-Konforma- Im Kapillarbett steigt durch den katabolen Stoffwechsel der
tion der Sauerstoff schwächer an die β-Ketten als an die α-Ketten CO2-Spiegel erheblich an. Kohlendioxid kann bei hohen Kon-
bindet, kann man ein plausibles Modell aufstellen, mit dem sich zentrationen mit den N-terminalen Aminogruppen der Hämo-
die kooperative Sauerstoffbindung gut qualitativ und quantitativ globinketten reagieren und labile covalente Carbamine bilden
beschreiben lässt: Bei niedrigem Sauerstoffpartialdruck bindet (Carbaminohämoglobin). Diese Modifikation stabilisiert wie-
Sauerstoff zunächst an die α-Kette, die aber im Gleichwicht über- der den T-Zustand (erhöhte Sauerstoffabgabe, Haldane-Effekt).
wiegend in der t-Konformation bleibt, da diese durch die Quar- Hämoglobin versorgt also nicht nur die peripheren Zellen mit
tärstrukturinteraktionen stabilisiert wird. Bei Zunahme des Sau- Sauerstoff, sondern ist gleichzeitig am Transport der beim Stoff-
erstoffpartialdrucks nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass eine wechsel entstehenden Protonen und des CO2 zur Lunge beteiligt
zweite α-Kette (oder mit geringerer Wahrscheinlichkeit eine (7 Kap. 68.2.3).
β-Kette) oxygeniert wird. Damit erhöht sich die Tendenz, dass Durch eine Veränderung des Gleichgewichts zwischen R-
die Untereinheiten in die r-Konformation übergehen, die Sauer- und T-Zustand wird also die Sauerstoffanlagerungskurve des
stoffaffinität nimmt zu. Dies triggert den weiteren Übergang an- Hämoglobins in Abhängigkeit von den Protonen- und CO2-Kon-
derer Einheiten in die r-Konformation, sodass bei weiterer Erhö- zentrationen im Medium nach links oder rechts verschoben.
hung des Sauerstoffpartialdrucks das gesamte Molekül schnell in Eine andere wichtige Regulation der Sauerstoffaffinität des Hä-
den R-Zustand mit hoher Sauerstoffaffinität übergeht. moglobins findet bei der Höhenanpassung statt. 2,3-Bisphos-
phoglycerat (2,3-BPG) ist ein Stoffwechselprodukt des Glucose-
Die Sauerstoffaffinität des Hämoglobins wird stoffwechsels (7 Kap. 68.2.4) und kann als hochgeladenes Mole-
durch allosterische Effektoren reguliert kül im zentralen Kanal des Hämoglobins binden. Da dieser nur
Die Sauerstoffaffinität des Hämoglobins muss den häufig wech- im T-Zustand offen ist, stabilisiert es dessen offenen Zustand und
selnden äußeren Bedingungen angepasst werden. Eine wichtige führt zu einer erleichterten Sauerstoffabgabe. Bei der Höhenad-
Möglichkeit besteht darin, das intrinsische Gleichwicht zwischen aptation wird in den Erythrozyten vermehrt 2,3-BPG gebildet,
dem niederaffinen T-Zustand und dem hochaffinen R-Zustand um so die verringerte Sauerstoffsättigung des Blutes zumindest
zu verschieben. Da dieses Gleichgewicht von elektrostatischen teilweise zu kompensieren.
Desoxyhämoglobin# Oxyhämoglobin#
80 Kapitel 5 · Proteine – Struktur und Funktion
. Abb. 5.21 Denaturierung und Renaturierung von Ribonuclease aus Pankreas. Das native Enzym mit den vier rot dargestellten Disulfidbrücken wird
durch Behandlung mit einem Überschuss an Thiolen (z. B. Mercaptoethanol) in Gegenwart hoher Harnstoffkonzentrationen entfaltet und somit denatu-
riert. Nach Entfernung von Harnstoff und Mercaptoethanol durch Dialyse erreicht das Enzym wieder seine ursprüngliche Aktivität und Raumstruktur. Es ist
renaturiert
Da die Bindungsstellen für Protonen, Kohlendioxid und schen Methoden wie der CD-(Circulardichroismus-)Spektros-
2,3-Bisphosphoglycerat nicht mit denen für den Sauerstoff am kopie bestimmen kann. Harnstoff geht dabei keine chemische
Häm identisch sind, handelt es sich bei diesen Komponenten um Reaktion mit dem Polypeptid ein, alle covalenten Bindungen
klassische allosterische Effektoren (nach der griechischen Be- bleiben intakt. Die Disulfidbrücken der nativen Ribonuclease
zeichnung für »anderer Bereich« benannt). können dann zusätzlich noch durch Beigabe eines Reduktions-
mittels wie β-Mercaptoethanol gespalten werden, um eine linea-
re Polypeptidkette zu erhalten. Am Schluss erhält man dann ein
Zusammenfassung vollkommen inaktives, ungefaltetes Protein. Entfernt man nun
Hämoglobin ist das Sauerstofftransportprotein der Wirbel- den Harnstoff und das Reduktionsmittel durch Dialyse, nimmt
tiere: das Protein wieder selbstständig seine native Konformation an.
4 Das Hämoglobin des Erwachsenen ist ein Tetramer aus Sogar die Disulfidbrücken werden unter dem Einfluss des Luft-
zwei α- und zwei β-Untereinheiten. sauerstoffs wieder korrekt gebildet. Es kommt zur spontanen
4 Die kooperative Sauerstoffbindung ist eine Folge der Renaturierung.
Wechselwirkung zwischen den Untereinheiten. Damit ist bewiesen, dass alle Informationen über die native
4 Bei niedrigem pH (Acidose) der Umgebung wird Sauer- Konformation in der Primärstruktur codiert sind, die ja auch die
stoff abgegeben (Bohr-Effekt). einzige Information ist, die über das Protein in der DNA gespei-
4 2,3-Bisphosphoglycerat-Bindung erhöht die Sauerstoff- chert ist. Allerdings garantiert diese Eigenschaft nicht, dass nicht
abgabe bei der Höhenadaptation. auch Fehlfaltungen entstehen können (im Falle der Ribonuclease
z. B. falsche Disulfid-Brücken). Um die Faltungseffizienz zu er-
höhen, hat die Zelle für bestimmte Proteine zusätzliche Hilfsme-
chanismen entwickelt (7 Kap. 49.1).
5.4 Physiologische und pathologische
Faltungsprozesse bei Proteinen Der Faltungscode von Proteinen ist noch
nicht entschlüsselt
5.4.1 Denaturierung und Faltung von Proteinen Heutzutage ist die Aufklärung der Nucleotidsequenz einer DNA
Routine und kann mit hoher Zuverlässigkeit durchgeführt wer-
Wie wir schon gesehen haben, ist die ungestörte biologische den. Da der genetische Code bekannt ist, kann daraus die Ami-
Funktion eines Proteins von seiner intakten räumlichen Struktur nosäuresequenz direkt abgeleitet werden. Anders ist es mit der
abhängig. Eine Zerstörung der nativen Konformation (Denatu- räumlichen Struktur eines Proteins. Auch wenn die Aminosäure-
rierung) führt zum Verlust der biologischen Aktivität. 1961 zeig- sequenz eines Proteins bekannt ist, kann man seine Raumstruktur
te Christian Anfinsen experimentell an der Ribonuclease, dass im Allgemeinen noch nicht mit hoher Genauigkeit vorhersagen.
zumindest ein kleines Protein reversibel denaturiert und renatu- Es gibt offensichtlich hierzu keine einfache Codierung, die es nur
riert werden kann (. Abb. 5.21). zu entschlüsseln gilt. Dies hat verschiedene physikalische Gründe.
Titriert man eine Lösung von nativ gefalteter, enzymatisch Ein wesentlicher Grund ist sicherlich, dass der zugängliche Kon-
aktiver Ribonuclease mit Harnstoff, geht die enzymatische Akti- formationsraum für Proteine riesig groß ist und sich mögliche
vität mit steigender Harnstoffkonzentration immer mehr zu- Konformationen energetisch oft nur wenig unterscheiden.
rück. Parallel dazu wird auch der Anteil an kanonischen Sekun- Die Vielzahl der frei drehbaren Einfachbindungen der
därstrukturelementen immer kleiner, den man mit biophysikali- Haupt- und Seitenketten lässt eine fast unbegrenzte Zahl von
5.4 · Physiologische und pathologische Faltungsprozesse bei Proteinen
81 5
möglichen Konformationen zu. Selbst wenn man davon aus- schnellen, reversiblen Gleichgewicht U N ausgeschieden.
geht, dass die native Struktur die Struktur mit der niedrigsten Ihr Auftreten stellt den Prototyp der (scheinbar) irreversiblen
Energie (genauer: niedrigsten freien Enthalpie G) ist, ist das glo- Denaturierung dar. Wie schon oben für den denaturierten und
bale Minimum der freien Enthalpie relativ flach, d. h. die freie den gefalteten Zustand U und N besprochen, stellen in Lösung
Enthalpie der nativen Konformation eines Proteins unterschei- auch die Zustände I und X eigentlich wieder Ensembles von
det sich quantitativ kaum von derjenigen anderer, ähnlicher ähnlichen Konformationen dar.
Konformationen. Selbst die Energieunterschiede zwischen ei- Experimentell lassen sich allerdings bei kleinen Proteinen
nem korrekt gefalteten und einem denaturiertem Protein sind mit einfachen spektroskopischen Methoden (Fluoreszenzspekt-
sehr klein. Die freie Stabilisierungsenthalpie ∆G0stab eines ty- roskopie, CD-Spektroskopie) oft nur ein gefalteter und ein dena-
pischen mittelgroßen Proteins liegt in der Größenordnung von turierter Zustand (Zweizustandsmodell) nachweisen und es ge-
45 ± 15 kJ mol–1. Dieser Wert entspricht nur der Energie von lingt nicht, ein Faltungsintermediat zu detektieren. Faltungsin-
einigen wenigen zusätzlichen Wasserstoffbrücken im Protein. termediate müssen allerdings aus fundamentalen, thermodyna-
Dazu kommt, dass die funktionelle, »native« 3D-Struktur nicht mischen Gründen immer dann vorhanden sein, wenn ein
notwendigerweise dem absoluten Minimum der freien Enthal- Protein in mehreren, funktionell wichtigen Konformationen
pie entspricht, sondern manchmal nur transient eingenommen vorkommt (essentielle Faltungsintermediate). Diese können
(kinetische Stabilisierung) wird. Ein Beispiel hierfür ist die Pro- auch nicht durch die Evolution eliminiert werden.
tease Chymotrypsin, die durch limitierte Proteolyse (s. 7 Kap. Die wichtigsten strukturellen Eigenschaften eines Ensembles
8.5 und 61.1.3)aus einem stabil gefalteten, inaktiven Vorläufer- von Zwischenzuständen lassen sich häufig mit dem Bild eines
protein hervorgeht. geschmolzenen Kügelchens (molten globule) darstellen. Im
Zwischenzustand des molten globule sind schon einige instabile
Kleine Proteine falten und entfalten sich schnell und Sekundärstrukturelemente im zeitlichen Mittel vorhanden, die
ohne einfach nachweisbare Zwischenzustände sich aber noch schnell umlagern können, da der hydrophobe
Nach ihrer Biosynthese am Ribosom liegen die Proteine noch Kern des Proteins noch partiell hydratisiert ist.
weitgehend im ungefalteten Zustand vor, obwohl die naszieren- Der Faltungsvorgang eines Proteins lässt sich anschaulich und
den Ketten bereits im Austrittskanal der Ribosomen Sekundär- theoretisch zutreffend mit dem des Faltungstrichters (folding fun-
strukturen ausbilden können. Der ungefaltete Zustand U wird nel) beschreiben. Der Faltungstrichter ist ein Sonderfall der freien
meist hinreichend gut als Zufallsknäuel beschrieben (ist aber Energielandschaft (free energy landscape), in der die freie Enthal-
eigentlich ein Ensemble von vielen, schnell ineinander überge- pie (abzüglich des Entropieanteils der Peptidkette) als Funktion
henden Konformationen ohne stabile Sekundärstruktureinhei- aller möglichen Konformationen der Polypeptidkette dargestellt
ten). Die native Struktur N eines Proteins wird traditionell als wird (. Abb. 5.22). Das primär ungefaltete Protein befindet sich
eine wohldefinierte, einheitliche Struktur angesehen wie man sie zunächst in einem Zustand hoher freier Enthalpie am Eingang des
in Kristallstrukturen beobachtet. Computersimulationen von Faltungstrichters. Wie ein Skifahrer im Schwerefeld der Erde folgt
Proteinstrukturen und genauere experimentelle Untersuchun- es der Piste bergabwärts (in Richtung kleinerer freien Enthalpien),
gen mit modernen Methoden wie der NMR-Spektroskopie zei- um schließlich im Tal anzukommen. Es gibt natürlich viele ver-
gen, dass die Annahme einer einzigen nativen Struktur N in Lö- schiedene Startpositionen (Konformere des Zufallsknäuels) und
sung eine erhebliche Vereinfachung darstellt. In Wirklichkeit viele verschiedene Wege (teilgefaltete Konformere) auf dem Weg
findet man wieder ein ganzes Ensemble ähnlicher Strukturen in zum Tal. Wenn sich der Trichter immer mehr verengt, gibt es im-
Lösung. Unter günstigen Bedingungen wie sie in der Zelle vor- mer weniger Möglichkeiten. Gleichzeitig wird die Steigung immer
herrschen werden die native(n) Struktur(en) N bei kleinen Pro- größer und damit die Faltung immer schneller.
teinen, die nur aus einer einzigen Domäne bestehen, oft schon in Im Bild des Faltungstrichters löst sich auch das bekannte
einigen Millisekunden erreicht. Levinthal-Paradoxon auf natürliche Weise. Es besteht darin,
In einer ersten Näherung kann man die Faltung und die Ent- dass sich bei plausiblen Annahmen selbst ein kleines Protein
faltung eines Proteins durch eine einfache Reaktionsgleichung nicht in endlicher Zeit falten könnte, wenn es alle möglichen
beschreiben: Kombinationen von φ- und ψ-Winkeln austesten müsste. Die
dazu benötigte Zeit würde das Alter das Universum überschrei-
U ! I ! N ten. Der Faltungstrichter zeigt den Denkfehler: Für ein Protein
ist es nicht nötig, alle möglichen Konformationen anzunehmen,
↓↑
da der Gradient der freien Energie das Peptid zur korrekten
X
Struktur hin führt. Wenn der Faltungstrichter glatt und unstruk-
↓ turiert ist, wird sich das Protein schnell ohne nachweisbare
Xn Zwischenzustände falten. Wenn kleine lokale Energieminima auf
der Oberfläche zu finden sind, wird die Faltung verzögert und
I ist hier ein Zwischenzustand, der bei der ordnungsgemäßen Intermediate sind nachweisbar. Hat die freie Energielandschaft
Faltung auftritt. Faltungsintermediate X, die nicht direkt auf dem tiefe Täler oder gar Täler mit niedrigerer Energie als die native
Weg zur nativen Struktur liegen, können die Faltung eines Pro- Struktur, ergeben sich Fehlfaltungen X. Diese Nebenminima
teins erheblich verzögern und bilden oft stabile Aggregate Xn. können dann nur mit zusätzlicher (thermischer) Energie wieder
Wenn sie aus der Lösung ausfallen, sind sie faktisch aus dem verlassen werden.
82 Kapitel 5 · Proteine – Struktur und Funktion
A 5.5 Proteinevolution
. Abb. 5.24 Proteindomänen. Viele Proteine haben einen modularen Aufbau, bei dem verschiedene Domänen hintereinander aufgereiht sind. Fibronec-
tin, Kollagen XII und das Muskelprotein Titin enthalten nur wenige verschiedene Domänen in vielfacher Wiederholung. Fn: Fibronectin Typ I, II, III; VWA: von
Willebrand Faktor Typ A; Ig: Immunglobulindomäne; TSPN: thrombospondin N-terminal-like domain. (Adaptiert nach Doolittle und Bork 1993)
sin. Zwei konservierte Cysteinreste in Position 14 und 17, ein Beispiel für die Neukombination von Domänen zur Erzeugung
Histidinrest in Position 18 und ein Methioninrest in Position 80 neuer Proteine ist in . Abb. 5.24 gezeigt. Fibronectin des Blut-
halten das Häm in Position. An der Oberfläche des Proteins sind plasmas, Kollagen XII und Titin enthalten eine Kombination
16 Lysinreste konserviert, die wichtig für die Interaktion mit Cy- verwandter Domänen, obwohl sie durchaus unterschiedliche
tochrom b und der Cytochromoxidase sind. Hier sind auch an- Funktionen haben.
dere polare Aminosäuren durch ähnliche Aminosäuren ersetzt,
typischerweise Lysin gegen Arginin, Serin gegen Threonin und
Aspartat gegen Glutamat. Zusammenfassung
Die Sequenzen des Cytochrom c von Säugetieren unterschei- Die vergleichende Analyse von Proteinsequenzen erlaubt
den sich im Schnitt an 11 Stellen von denen der Vögel. Wenn die Konstruktion von phylogenetischen Stammbäumen und
man annimmt, dass sich der Stammbaum von Vögeln und Säu- gibt gleichzeitig die Information darüber, welche Reste in
getieren vor etwa 280 Millionen Jahren trennte, würde etwa eine einem Protein strukturell oder funktionell besonders wichtig
Aminosäuresubstitution in 25 Millionen Jahren stattfinden. Die- sind.
se innere Uhr ist natürlich abhängig von dem untersuchten Pro- Die Variation bewährter Strukturmuster von Domänen und
tein, für jedes Protein findet man im Prinzip eine eigene Zeitska- die Kombination verschiedener Domänen sind zwei wichti-
la. Wenn man daher eine große Anzahl von Proteinen miteinan- ge Strategien, um in der Evolution Proteine mit neuen Funk-
der vergleicht, kann man ein sehr genaues Bild über den phylo- tionen zu erschaffen.
genetischen Stammbaum bekommen. Selbstverständlich kann
man auch spezifische Nucleotidsequenzen zur Konstruktion des
Stammbaums nutzen. Hier ist besonders die ribosomale RNA 7 Die Literaturliste finden Sie unter springer.com
wegen ihrer zentralen Stellung und ihres ubiquitären Vorkom-
mens ein guter Verwandtschaftsindikator.
P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_6, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
6.1 · Isolation und Reinigung von Proteinen
87 6
Stärke der Bindung des Zielproteins über die Auswahl des Säulen-
materials und den Puffer kontrollieren. Salzionen im Puffer kon-
kurrieren um die Bindungsplätze auf dem Säulenmaterial. Nach
Bindung werden die Zielmoleküle durch einen stufenweise oder
linear ansteigenden Salzgradienten in Abhängigkeit ihrer Bin-
dungsstärke (Ladung) eluiert und somit voneinander getrennt.
. Abb. 6.2 Prinzip der Affinitätschromatographie. An den an eine inerte Matrix immobilisierten Liganden bindet das zu reinigende Protein mit hoher
Spezifität, während andere Moleküle nicht gebunden werden. Durch denaturierende Verbindungen, pH-Änderungen oder kompetitive lösliche Liganden
wird das zu reinigende Protein von der Matrix abgelöst
88 Kapitel 6 · Proteine – Analytische Untersuchungsmethoden, Synthese und Isolierung
se 30 nm. Die Oberfläche der Partikel ist stark polar, daher wer- . Abb. 6.6 SDS-Polyacrylamidgelelektrophorese von Proteinen. Eine ty-
pische Anwendung der SDS-PAGE ist die Kontrolle von Proteinreinigungen.
den die Moleküle hauptsächlich nach ihrer Polarität aufgetrennt.
Die Trennung erfolgte in einem 16,5 %igen Polyacrylamidgel. Spur 1: Mole-
Wenn die native Faltung keine Rolle spielt, nimmt man für külmassenstandards, Spur 2: Extrakt von E. coli-Bakterien, in denen das
die analytische Auftrennung von Peptiden und Proteinen ge- menschliche Ras-Protein überexprimiert wurde, Spur 3: Extrakt nach Zentri-
wöhnlich die Umkehrphasen-Hochdruckflüssigkeitschroma- fugation, Spur 4: Ergebnis nach Auftrennung mit dem Anionenaustauscher
tographie (RP-HPLC, reversed phase HPLC). Hier ist die stationä- Q-Sepharose , Spur 5: nachfolgende Gelchromatographie
re Phase hydrophob, da die Silicapartikel mit Alkanresten mit
variierenden Kettenlängen von 4 bis 18 Kohlenstoffatomen mo-
difiziert sind. Die Elution wird mit einer Mischung von Wasser fidbindungen verknüpft sind, können dissoziieren. Am Ende
oder Puffer mit einem organischen Lösungsmittel wie n-Propa- sind 1,5 bis 2 SDS-Moleküle pro Peptidbindung an das Protein
nol oder Acetonitril (. Abb. 6.5) durchgeführt. Die Auftrennung gebunden. Die negativen Ladungen des SDS bestimmen wegen
der Moleküle erfolgt hier nach ihrer Hydrophobizität. ihrer hohen Anzahl im Wesentlichen die Gesamtladung des
entstehenden SDS-Protein-Komplexes. Im elektrischen Feld
Trägerelektrophorese Proteine in Körperflüssigkeiten wie Blut- wandern dann diese negativ geladenen SDS-Protein-Komplexe
plasma, Urin oder Liquor kann man mit Hilfe der Trägerelekt- zur positiv geladenen Anode. Somit hängt die Wanderungsge-
rophorese einfach und schnell auftrennen. Als stationäre Phase schwindigkeit der Proteine nur noch von ihrer Größe ab und ist
dient hier eine Celluloseacetatfolie oder ein Agarosegel. Sie stellt in guter Näherung proportional zu ihrer molekularen Masse.
eine billige Alternative zur analytischen Säulenchromatographie Auf ein Elektrophoresegel trägt man gewöhnlich mehrere
dar. Bei dieser Methode erfolgt die Trennung ausschließlich auf- Proben in gleichem Abstand voneinander auf, sodass nach der
grund der Ladung der Proteine. Die Auftrennung ist umso grö- Elektrophorese parallele Spuren von Proteinen entstehen
ßer, je weiter der pH-Wert des Elektrophoresepuffers vom iso- (. Abb. 6.6). Zur Bestimmung der Molekülmassen trägt man auf
elektrischen Punkt eines Proteins entfernt ist (7 Abb. 3.13). einer Spur noch eine Referenzprobe auf, die Proteine mit be-
kannten Molekülmassen enthält. Nach Abschluss der Elektro-
SDS-Polyacrylamidgelelektrophorese trennt phorese müssen die Proteine fixiert und sichtbar gemacht wer-
Proteine ausschließlich nach ihrer Molekülmasse den. Normalerweise nimmt man hierzu Coomassie Blau, das die
SDS-Polyacrylamidgelelektrophorese Bei der SDS-Polyacryl- Proteine gleichmäßig einfärbt. Es erlaubt deshalb eine semi-
amidgelelektrophorese (SDS-PAGE) werden Proteine nach ih- quantitative Bestimmung der relativen Proteinkonzentrationen
rer Molekülmasse aufgetrennt. Trägermaterial ist ein Polyacryl- im Gel nach der Farbintensität. Will man Proteine in sehr gerin-
amidgel, das meistens zwischen zwei Glasplatten gegossen wird. gen Mengen nachweisen, wählt man die sehr empfindliche Sil-
Die Porengröße des Gels bestimmt die Trennschärfe des Gels berfärbung, die allerdings für eine Quantifizierung wenig geeig-
und muss der Größe der untersuchten Proteine angepasst wer- net ist.
den. Die Porengröße wird durch die Konzentration des zuge-
setzten Acrylamids und seiner Quervernetzung bestimmt. Die Mit der zweidimensionalen Gelelektrophorese
Proteine werden in einem Puffer aufgetragen, der das negativ werden Proteine nach der Molekülmasse und dem
geladene Detergens SDS (sodium dodecyl sulfate) (7 Abb. 3.8) isoelektrischen Punkt aufgetrennt
und das Reduktionsmittel β-Mercaptoethanol enthält. SDS Kombiniert man die klassische SDS-Gelelektrophorese mit einer
denaturiert das Protein, da die Wechselwirkung seiner hydro- anderen Trennmethode, spricht man von der zweidimensiona-
phoben Alkankette mit den hydrophoben Resten des Proteins len Gelelektrophorese (2D-Gelelektrophorese), da die Proteine
zur Auflösung des hydrophoben Kerns führt. Gleichzeitig nach zwei verschiedenen Eigenschaften aufgetrennt werden.
werden dabei bestehende Protein-Protein-Interaktionen oder Normalerweise nimmt man für die zusätzliche Dimension als
Bindungen an Membranlipide so abgeschwächt, dass Polymere Trennmethode die isoelektrische Fokussierung (IEF).
monomerisieren und Lipide freigesetzt werden. Das β-Mercapto- In der Praxis wird zunächst die isoelektrische Fokussierung
ethanol reduziert mögliche Disulfidbindungen. Damit kann durchgeführt. Die Probe wird mit Harnstoff, β-Mercaptoethanol
sich das Protein ganz entfalten und Polymere, die durch Disul- und einem nicht-ionischen Detergens versetzt. Dabei werden
90 Kapitel 6 · Proteine – Analytische Untersuchungsmethoden, Synthese und Isolierung
Im ersten Fall muss man nur die Identität des Produkts bestäti-
gen. Hierzu wird das Protein normalerweise ansequenziert, um
mögliche Modifikationen wie N-Methylierung der ersten Ami-
nosäure oder die Abspaltung N-terminaler Aminosäuren zu er-
kennen. Solche Modifikationen können durch Expression eines
rekombinanten Proteins in einem fremden Wirtssystem entste-
hen. Die genaue Molekülmasse wird mit der Massenspektrome-
trie bestimmt. Ist das Massenspektrum durch die bekannte Se-
quenz erklärbar und stimmt die Sequenz der ersten Aminosäu-
ren mit der Zielsequenz überein, gilt die Identität als bestätigt. Im
zweiten Fall ist man manchmal mit einer qualitativen Bestäti-
gung der Identität zufrieden. Wenn man das gereinigte Protein
allerdings genau charakterisieren will, muss man auch hier die
Aminosäuresequenz bestimmen.
. Abb. 6.8 Prinzip der Massenspektrometrie. Beim MALDI-TOF-Verfahren werden die in der Probe enthaltenen Proteine zunächst mit Hilfe eines
gepulsten Lasers ionisiert. Die dabei entstehenden (positiv geladenen) Protein-Ionen werden in einem elektrischen Feld beschleunigt. Sie durchlaufen
anschließend eine sog. Driftstrecke. Ihre Flugzeit durch die Driftstrecke wird durch einen Detektor gemessen und ist dem Verhältnis aus Masse und
Ladung (m/z) proportional. (Einzelheiten s. Text)
Die relative Molekülmasse Mr, die fälschlicherweise häufig ionisiert. Ein elektrisches Feld saugt dann die entstandenen Io-
als Molekulargewicht bezeichnet wird, ist die Summe aller Atom- nen ab. Eine Alternative ist die Elektrospray-Ionisation (ESI,
massen eines Moleküls. Die relative Molekülmasse entspricht electrospray ionization), die besonders schonend ist. Sie führt
dabei einem Zwölftel der Masse des Kohlenstoffisotops 12C, also kaum zur Fragmentierung des Analyten und ist daher zur Mas-
etwa 1,66∙10–24 g. In der Biochemie wird diese Einheit als senbestimmung von Proteinen gut geeignet. Der gelöste Analyt
Dalton (Da) bezeichnet. Im Gegensatz zur relativen Molekül- wird in einer dünnen Kapillare durch ein elektrisches Feld be-
masse bezieht sich die molare Masse (oder Molmasse) auf eine schleunigt. Dabei entsteht an der Spitze der Kapillare ein Über-
Stoffmenge von 6,02214∙1026 Molekülen und wird in kg/mol schuss an Ionen gleichartiger Ladungen, die dann ein feines
angegeben. Eine relative Molekülmasse von 1 kDa entspricht also Aerosol bilden. Gleichzeitig wird Probenflüssigkeit durch heißes
einer molaren Masse von 1 kg/mol. Stickstoffgas verdampft. Die entstanden Ionen werden dann wie-
der durch ein elektrisches Feld separiert.
Die Molekülmasse kann mit hoher Empfindlichkeit In einem starken elektrischen Feld werden dann die gelade-
und Genauigkeit mit der Massenspektrometrie nen Moleküle beschleunigt. Da die Beschleunigung der Molekü-
bestimmt werden le von ihrer Ladung z und ihrer Masse m abhängt, hängt auch
Massenspektrometrie Heutzutage ist die Massenspektrometrie ihre Geschwindigkeit am Ende der Beschleunigungsstrecke von
(MS, mass spectrometry) die Methode der Wahl für eine genaue den beiden Parametern ab. Sie ist proportional zum Verhältnis
Bestimmung der molaren Masse eines Proteins und ist hierin m/z. Daher treffen die Ionen auch zu verschiedenen Zeiten auf
allen anderen, alternativen Methoden weit überlegen. Die Emp- dem Detektor auf und man kann sie aufgrund ihrer Flugzeit in
findlichkeit der Massenspektrometrie ist so groß, dass die Pro- einem TOF-(time of flight) Massenspektrometer trennen. Elektri-
teinmenge einer einzelnen, auf der SDS-PAGE sichtbaren Prote- sche Quadrupole (4 stabförmige Elektroden, an die eine Gleich-
inbande ausreicht, um problemlos die Masse des Proteins zu spannung angelegt wird, die mit einer Wechselspannung der
bestimmen. Die dabei erreichbare Genauigkeit ist besser als Frequenz ω überlagert ist) können dazu benutzt werden, um nur
0,1 Da. Moleküle mit einem bestimmten m/z-Wert durchzulassen. Die
Grundsätzlich ist ein Massenspektrometer aus drei Kompo- Größe der Spannungen legt fest, welche Moleküle den Quadru-
nenten aufgebaut, der Ionenquelle, einem Analysator und ei- pol unabgelenkt passieren können, die anderen Moleküle kolli-
nem Detektor (. Abb. 6.8). In der Ionenquelle müssen aus der dieren mir der Wand und werden damit eliminiert.
Proteinprobe Ionen erzeugt und in das Hochvakuum abgegeben
werden, das im Massenspektrometer herrscht. Eine Methode, Die Ultrazentrifugation erlaubt die Massenbestim-
um aus Proteinlösungen Ionen zu erzeugen, ist die Matrix-unter- mung von großen Proteinen und Proteinkomplexen
stützte Laser-Desorption/Ionisation (MALDI, matrix-assisted Analytische Ultrazentrifugation Mit der Massenspekrometrie
laser desorption/ionization), bei dem eine kleine Menge der Pro- kann man sehr genau die molare Masse eines isolierten Proteins
be zunächst mit einer kristallinen Matrix (z. B. 2,5-Dihydroxy- bestimmen. Proteine bilden in Lösung oft nicht-kovalente, wenig
benzoesäure, DBT) gemischt und auf einem metallischen Träger stabile Komplexe mit sich selbst oder anderen Proteinen. Diese
cokristallisiert und getrocknet wird. Mit einem gepulsten Laser Komplexbildung kann für ihre biologische Funktion von großer
wird die Matrix schlagartig verdampft. Dabei werden die Prote- Bedeutung sein. Oft liegt in Lösung ein Gleichgewicht von Mo-
ine mitgerissen und gleichzeitig unter dem Einfluss der Matrix nomeren und Polymeren verschiedener Größe vor. Diese insta-
92 Kapitel 6 · Proteine – Analytische Untersuchungsmethoden, Synthese und Isolierung
. Abb. 6.10 Standardproteomanalyse mit der zweidimensionalen Elektrophorese und der Tandemmassenspektrometrie. A Zunächst werden die
Proteine mit Hilfe einer zweidimensionalen Gelelektrophorese aufgetrennt und auf dem Gel mit Trypsin verdaut. Die erhaltenen Peptide werden dann mit-
tels HPLC aufgetrennt. B Das ausgewählte Peptid wird mit der Tandemmassenspektrometrie analysiert. Zunächst erfolgt dabei die Isolierung des zugehö-
rigen Massenpeaks, der Moleküle mit gleichem m/z enthält. Diese Moleküle werden anschließend in einer Kollisionszelle fragmentiert. Die dabei entste-
henden Peptidionen werden massenspektrometrisch analysiert. Die Quadrupole Q1, Q2 und Q3 dienen der Abtrennung von Ionen mit instabiler Flugbahn.
C Die erhaltenen experimentellen Massenspektren werden analysiert und mit theoretischen Massenspektren verglichen, die aus einer Sequenzdatenbank
vorhergesagt werden können. (Adaptiert nach Gygi u. Aebersold 2000, mit freundlicher Genehmigung von Elsevier)
Zuverlässigere Daten erhält man, wenn man in die Analyse posttranskriptionale oder posttranslationale Modifikationen
eine DNA-Sequenzierung miteinbezieht, da DNA-Sequenzie- zu erwarten sind. Letztere sind natürlich nicht aus einer einfa-
rungen automatisiert durchgeführt werden und für praktische chen DNA-Sequenzierung zu erhalten.
Zwecke als fehlerfrei angesehen werden können. Eine gute Stra-
tegie ist, aus den Partialsequenzen der durch proteolytische Be- Massenspektrometrie ist heutzutage die elegan-
handlung gewonnenen Bruchstücke DNA-Sonden zu erzeugen. teste Methode zur Identifikation von Proteinen
Diese DNA-Sonden können dazu benutzt werden, das unbe- Vor der Massenspektrometrie müssen die gereinigten Proteine
kannte Gen aus einer experimentellen cDNA-Bibliothek heraus erst fragmentiert und die erhaltenen Bruchstücke aufgetrennt
mit Hilfe der PCR (7 Kap. 54.1.2) zu amplifizieren und dann die werden. Die Erzeugung der Fragmente kann wie oben beschrie-
zugehörige cDNA zu sequenzieren. ben erfolgen oder aber direkt im Massenspektrometer. Gewöhn-
Die Identifizierung des Proteins (d. h. die Ermittlung seiner lich benutzt man eine Kombination beider Methoden (. Abb.
Aminosäuresequenz) kann viel effektiver erfolgen, wenn für den 6.10). Geht man von Proteingemischen aus, führt man zunächst
betrachteten Organismus (wie für den Menschen und eine Viel- eine zweidimensionale Gelelektrophorese durch. Die Proteine
zahl von Mikroorganismen) das Genom schon aufgeklärt ist. werden nach Abschluss der Elektrophorese direkt auf dem Gel
Hier sucht man einfach die experimentell ermittelte(n) proteolytisch gespalten. Die dabei erhaltenen Peptidgemische
Partialsequenz(en) in der Genomdatenbank und kann daraus der einzelnen Proteinflecken (spots) werden dann über eine
direkt die zugehörige Proteinsequenz ableiten. HPLC weiter aufgetrennt und in das Massenspektrometer einge-
Allerdings gibt es immer noch Situationen, in denen die spritzt. Mit einem Quadrupolfilter werden wohldefinierte Pepti-
Standardaminosäuresequenzierung benötigt wird, nämlich im- de ausgewählt und dann in einer mit Heliumgas gefüllten Kolli-
mer dann, wenn man auf die DNA nicht zugreifen kann, oder sionszelle in kleinere Bruchstücke zerlegt. Diese entstehen beim
6.4 · Methoden zur Aufklärung der dreidimensionalen Struktur von Proteinen
95 6
Zusammenstoß der vorher beschleunigten Peptide mit den kann man seine Struktur mit Hilfe der Kernresonanzspektros-
Heliumatomen (CID, collision induced dissociation). Die dabei kopie (NMR, nuclear magnetic resonance) erhalten. Die Kernre-
erhaltenen Fragmente werden dann in einem zweiten, mit der sonanzspektroskopie kann allerdings auch für Proteine im festen
Kollisionszelle verbundenen Massenspektrometer endgültig Zustand durchgeführt werden.
analysiert (MS-MS, Tandem-MS).
Die erhaltenen Massenspektren der Fragmente werden an-
schließend mit bioinformatischen Methoden analysiert und er- 6.4.1 Röntgenstrukturanalyse
geben am Ende die Proteinsequenz(en).
Eine bahnbrechende Eigenschaft der Röntgenstrahlen, die von
Wilhelm Conrad Röntgen 1895 entdeckt wurden, war die Mög-
Zusammenfassung lichkeit, das Innere von Gegenständen sichtbar zu machen. Es
Eine wesentliche Voraussetzung für die Charakterisierung dauerte nicht lange, bis man herausfand, dass man mit Röntgen-
von Proteinen ist ihre Reindarstellung aus Zellextrakten strahlen auch die räumliche Anordnung der Atome in einfachen
oder Körperflüssigkeiten. Diese Reinigung wird gewöhnlich Kristallen und damit letztendlich auch die atomare Struktur von
mit einer Kombination verschiedener säulenchromatogra- kleinen anorganischen (NaCl, 1913) und organischen Molekülen
phischer Verfahren bewirkt. Gängige Techniken sind hier: (Benzol, 1928) durch die Interpretation der Röntgenbeugungs-
4 Ionenaustauschchromatographie muster aufklären konnte. Die ersten Strukturuntersuchungen
4 Gelchromatographie von Makromolekülen in den 30er Jahren des letzten Jahrhun-
4 Affinitätschromatographie derts scheiterten an der Komplexität der sich ergebenden Beu-
4 Umkehrphasen-HPLC (bei kleinen Mengen) gungsbilder. Es mussten noch 20 Jahre vergehen bis es John
Kendrew gelang, 1958 mit der Struktur des Myoglobins die erste
Zur schnellen Bestimmung der Molekülmasse im Biochemie- Röntgenstruktur zu lösen. Heute ist die Röntgenbeugung (X-ray
labor eignet sich die SDS-Polyacrylamid-Gelelektrophorese diffraction) die wichtigste Methode zur Strukturbestimmung
(SDS-PAGE). Als genauere Methoden stehen die Massen- biologischer Makromoleküle. Mehr als 90 % aller Proteinstruk-
spektrometrie und die, für den Routinebetrieb wenig geeig- turen der internationalen Proteindatenbank (pdb, protein data
nete, analytische Ultrazentrifugation zur Verfügung. bank) wurden mit Hilfe der Röntgenstrukturanalyse gelöst.
Zur schnellen Identifizierung von bekannten Proteinen
greift man oft auf den Western-Blot zurück. Zur analyti- Für eine Röntgenstrukturanalyse benötigt man
schen Auftrennung von komplexen Proteingemischen wird Einkristalle von Proteinen
häufig die zweidimensionale Elektrophorese gewählt. Pro- Um die Röntgenbeugungsdaten interpretieren zu können, benö-
teine können in einfachen Fällen aus der Position ihres tigt die Röntgenstrukturanalyse Einkristalle der zu untersu-
Flecks auf dem Gel identifiziert oder durch nachfolgende chenden Proteine. Deshalb wählt man auch oft den alternativen
Analyse durch Massenspektrometrie erkannt werden. Ausdruck Röntgenkristallographie (X-ray cristallography) zur
Die Aminosäuresequenz kleiner Polypeptide kann mit Hilfe Beschreibung der Methode. Die Kristallisation von Proteinen
des Edman-Abbaus bestimmt werden. Bei Proteinen muss stellt auch nach der Einführung von automatisierten Kristallisa-
vorher eine chemische oder enzymatische Fragmentierung tionsverfahren (»Kristallisationsrobotern«) immer noch die
durchgeführt werden. Eine moderne Methode ist die CID- größte Herausforderung auf dem Weg zur 3D-Struktur eines
MS-MS. Die höchste Zuverlässigkeit liefert die Sequenzie- Proteins dar. Proteine können spontan aus konzentrierten Prote-
rung der zugehörigen cDNA oder die rechnergestützte Su- inlösungen innerhalb von Stunden kristallisieren, die Suche nach
che von Peptidfragmenten in Genom-Datenbanken. geeigneten Kristallisationsbedingungen für ein ganz bestimmtes
Protein kann aber auch viele Jahre in Anspruch nehmen.
Bei der Kristallisation wird eine konzentrierte, nahezu gesät-
tigte Proteinlösung durch geeignete Manipulation der äußeren
6.4 Methoden zur Aufklärung der dreidimen- Bedingungen langsam in den übersättigten Zustand überführt. In
sionalen Struktur von Proteinen der Regel wird ein Tropfen der Proteinlösung auf einen Objekt-
träger gegeben, der dann umgedreht auf ein kleines Gefäß gelegt
Die genaue räumliche Struktur von Proteinen in atomarer Auf- wird (hängender Tropfen, hanging drop). Durch Dampfdiffusion
lösung kann bis heute mit ausreichender Sicherheit nur mit ex- im Gefäß verliert der Tropfen langsam Wasser, und die Protein-
perimentellen Methoden ermittelt werden. Allerdings kann die konzentration steigt. Wenn alle Bedingungen korrekt gewählt
allgemeine Faltung eines Proteins oft gut aus der Aminosäure- wurden, bilden sich schließlich in der übersättigten Lösung kleine
sequenz vorhergesagt werden, wenn die 3D-Struktur eines eng Kristallisationskeime, die durch Anlagerung weiterer Proteinmo-
verwandten Proteins bekannt ist. Zwei grundsätzlich unter- leküle langsam größer werden (. Abb. 6.11).
schiedliche Verfahren werden zur Strukturaufklärung von Pro- Allerdings tritt meistens ein konkurrierender unerwünsch-
teinen eingesetzt. Wenn das Protein in festem Zustand vorliegt, ter Prozess ein: Das Protein aggregiert ungeordnet und fällt aus
nutzt man die Streuung von Röntgenstrahlen, Neutronen und der Lösung aus, bevor sich Kristalle gebildet haben. Daher muss
Elektronen durch Proteineinkristalle zur Strukturaufklärung man in der Regel viele verschiedene Lösungsbedingungen aus-
(Röntgenkristallographie). Liegt das Protein in Lösung vor, probieren, bis man einen ausreichend großen Kristall erhält. Oft
96 Kapitel 6 · Proteine – Analytische Untersuchungsmethoden, Synthese und Isolierung
6
. Abb. 6.11 Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme eines Kristalls
der Pyruvatkinase. Der Kristall besteht aus regelmäßig im Kristallgitter
geordneten Enzymmolekülen. Auf einer Kante liegen etwa 2.000 Moleküle
nebeneinander. (Aus Hess und Sossinka 1974)
führt auch eine extensive Variation der Pufferbedingungen . Abb. 6.12 Röntgenbeugungsmuster eines Ras-Kristalls. Die Daten
wurden an einem Synchrotron mit einem 0,2×0,1×0,1 mm großen Kristall
nicht zum Ziel. In diesen Fällen versucht man, die Kristallisa-
bei einer Temperatur von 100 K und einer Wellenlänge von 0,128 nm
tionstendenz durch kleine Änderungen der Proteinoberfläche aufgenommen. (Mit freundlicher Genehmigung von I. Vetter)
zu erhöhen, die man durch gezielte Mutagenese einführt. Daher
entsprechen viele der in der Proteinstrukturdatenbank gespei-
cherten Röntgenstrukturen nicht genau dem gesuchten, natür- Diese Reflexe enthalten genug Information, um die räumlichen
lichen Zielprotein. Koordinaten aller Atome des Proteins genau zu bestimmen.
Im nächsten Schritt wird ein Einkristall auf einem Goniome- Wie jede elektromagnetische Strahlung hat auch die Rönt-
ter befestigt, einer Vorrichtung, mit der der Einkristall in der genstrahlung eine Intensität und eine Phase. Wenn nun neben
monochromatischen Röntgenstrahlung schrittweise gedreht den Intensitäten auch die Phasen aller Reflexe bekannt wären,
werden kann. Die gebeugten Röntgenstrahlen werden dann könnte man aus den Diffraktionsbildern direkt die Elektronen-
heutzutage mit einem Flächendetektor wie der CCD-Kamera verteilung des ganzen Proteins und damit auch alle Atomposi-
(CCD, charge coupled device) registriert und digitalisiert. Für tionen durch eine einfache mathematische Operation, die Fou-
eine scharfe Abbildung muss die Wellenlänge der benutzten rier-Transformation, berechnen. Leider erhält man experimen-
Strahlung der gewünschten Auflösung (kleinster Abstand, bei tell nur die Intensität der gestreuten Röntgenstrahlung, aber
der zwei Atome getrennt beobachtbar sind) entsprechen. Dies ist nicht deren Phase. Um die zur Berechnung der 3D-Struktur
schon für die im Labor genutzte charakteristische Strahlung der notwendige Phaseninformation zu erhalten, gibt es verschiedene
Kupferanode einer konventionellen Röntgenröhre der Fall, deren Ansätze. Die Standardmethode, die bei den ersten Proteinstruk-
Kα-Linie eine Wellenlänge von 0,154 nm hat. Gewöhnlich nutzt turen angewandt wurde, und auch heute noch von Bedeutung ist,
man heutzutage für die Strukturbestimmung die Synchrotron- ist der multiple isomorphe Ersatz (MIR, multiple isomorphous
strahlung, die von großen Teilchenbeschleunigern erzeugt wird. replacement). Hier erzeugt man von den Kristallen verschiedene
Wegen ihrer wesentlich größeren Luminosität (Strahlungsinten- Schwermetallderivate, indem man sie sich mit Schwermetallsal-
sität) kann man einen ganzen Datensatz in weniger als einer zen wie Uranylacetat oder Quecksilberacetat vollsaugen lässt
Stunde aufnehmen und mit viel kleineren Kristallen arbeiten. Im (soaking). Dabei wird idealerweise eines oder mehrere Schwer-
Gegensatz zur charakteristischen Strahlung einer Röntgenröhre metallatome an wohldefinierten Stellen gebunden, ohne dass die
kann man sich die Wellenlänge bei der Synchrotronstrahlung räumliche Struktur des Proteins verändert wird. Die Position der
aussuchen und arbeitet gewöhnlich bei kleineren Wellenlängen Schwermetalle im Kristall ist dann der Ausgangspunkt zur Lö-
um 1 nm. Bessere Ergebnisse scheint man bei noch kleineren sung des Phasenproblems.
Wellenlängen zu erhalten. Alternativ wird biosynthetisch Selenomethionin statt Me-
Die Streuung (Diffraktion) der Röntgenstrahlen an der Elek- thionin in das Protein eingebaut und die anomale Streuung des
tronenhülle der Proteinatome ergibt dann typische Muster von Selens bei einer oder (in schwierigen Fällen) mehreren Wellen-
Reflexen. . Abb. 6.12 zeigt ein solches Diffraktionsmuster, das längen gemessen (SAD, single-wavelength anomalous dispersion,
von einem Einkristall des Rasproteins aufgenommen wurde. Ab- MAD, multiple-wavelength anomalous dispersion). Liegt schon
hängig von der Qualität der verwendeten Kristalle enthält ein eine 3D-Struktur eines stark verwandten Proteins vor, kann man
vollständiger Satz von unter verschiedenen Winkeln aufgenom- diese Struktur zur Bestimmung von Ausgangswerten für die Pha-
men Beugungsbildern zwischen 10.000 und 100.000 Reflexe. sen verwenden (molekularer Ersatz, molecular replacement).
6.4 · Methoden zur Aufklärung der dreidimensionalen Struktur von Proteinen
97 6
. Abb. 6.13 Mehrdimensionale NMR-Spektroskopie zur Proteinstrukturbestimmung in Lösung. Links: 3D-HNCO-NMR-Spektrum des Kälteschock-
proteins Csp (cold shock protein) des hyperthermophilen Mikroorganismus Thermotoga maritima. Das Protein wurde in E. coli exprimiert und dabei mit den
stabilen Isotopen 15N und 13C angereichert. In den HNCO-Spektren werden Amidprotonen (H), der Amidstickstoff (N) und der Carbonylsauerstoff (CO) der
Peptidbindung selektiv detektiert. Eine Achse zeigt die 1H-, eine die 15N- und die dritte die 13C-Resonanzfrequenzen an, d. h. ein Signal im 3D-Spektrum
entspricht dann dem C, N und Amidproton (H) genau einer Peptidbindung im Protein. Rechts: Die NMR-Struktur von Csp ergibt eine β-Fass-Topologie, die
aus 5 β-Strängen gebildet werden. Das Kälteschockprotein wird bei Abkühlung von der optimalen Wachstumstemperatur von T. maritima von mehr als
80 °C in hoher Konzentration gebildet. (PDB ID: 1G6P)
Wenn die Kristalle eine ausreichende Qualität haben, ist die schen Bedingungen ermittelt. Es ist evident, dass natürlich kei-
Röntgenstrukturanalyse auch großer Proteine eine Routineange- ne Kristallisation der Proteine erforderlich ist. Ein Nachteil ist die
legenheit und erste Strukturen können prinzipiell schon inner- Komplexität der Strukturbestimmung selbst, die Monate oder
halb eines Tages erhalten werden. Daher ist die Kristallisation der Jahre dauern kann.
Proteine der eigentliche Engpass. Sie ist besonders schwierig für Bei der NMR-Strukturbestimmung werden die strukturab-
Membranproteine, die zur Erhaltung ihrer Struktur Membran- hängigen Wechselwirkungen der magnetischen Momente der im
lipide benötigen. Trotzdem hat man auch hier schon erhebliche Protein enthaltenen Atomkerne dazu genutzt, um eine Struktur
Fortschritte gemacht, sodass heute die Röntgenstruktur von zu berechnen. Die wichtigste Größe ist hier der Kern-Overhau-
mehr als 400 Membranproteinen bekannt ist. ser-Effekt (NOE, nuclear Overhauser effect), mit dem sich paar-
weise Abstände zwischen den Atomen bis zu maximal 0,6 nm
messen lassen.
6.4.2 NMR-Strukturbestimmung Um ein NMR-Experiment durchführen zu können, müssen
die magnetischen Momente in einem starken äußeren Magnet-
Im Jahr 1984 gelang es der Gruppe von Kurt Wüthrich, die erste feld ausgerichtet werden. Hierzu nutzt man gewöhnlich (teure)
dreidimensionale Struktur eines kleinen globulären Proteins, des supraleitende Magnete mit hohen Magnetfeldstärken, da die
Stiersperma-Proteaseinhibitors (BUSI, bull seminal proteinase Empfindlichkeit der NMR-Spektroskopie stark mit dem Magnet-
inhibitor) mit Hilfe der zweidimensionalen NMR-Spektroskopie feld zunimmt. Im Vergleich zur Röntgenkristallographie ist die
zu bestimmen. Damit wurde die NMR-Strukturbestimmung als NMR-Spektroskopie eine junge Methode, daher sind viele Berei-
eine neue Alternative zur Röntgenstrukturanalyse in die Bio- che noch in Entwicklung begriffen und nicht für den Routinebe-
chemie eingeführt. trieb optimiert.
Für die NMR-Strukturbestimmung müssen eine Reihe ver-
NMR-Spektroskopie erlaubt die Bestimmung schiedener mehrdimensionaler NMR-Spektren aufgenommen
der Struktur von Proteinen in Lösung werden (. Abb. 6.13).
Schon vor der ersten 3D-Proteinstrukturbestimmung war die Für Proteine mit Molekülmassen über 10 kDa müssen die
Kernresonanzspektroskopie (Synonyme: Kernmagnetische Proteine biosynthetisch mit den stabilen Isotopen 13C und 15N
Resonanz, NMR-(nuclear magnetic resonance)-Spektroskopie) (bei sehr großen Proteinen noch zusätzlich 2H) angereichert wer-
als eine wichtige analytische Methode in der Chemie weitverbrei- den, die in der Natur nur in geringer Häufigkeit vorkommen. Mit
tet und wurde zur Aufklärung der covalenten Struktur von Syn- einer Steigerung der Molekülmasse wird die NMR-Strukturbe-
theseprodukten routinemäßig eingesetzt. Im Gegensatz zur stimmung immer schwieriger, eine praktische Obergrenze für
Röntgenkristallographie arbeitet sie mit Proteinen im gelösten die Bestimmung einer vollständigen dreidimensionalen Struktur
Zustand. Die Proteinstruktur wird also unter quasiphysiologi- eines Proteins liegt derzeit bei etwa 100 kDa.
98 Kapitel 6 · Proteine – Analytische Untersuchungsmethoden, Synthese und Isolierung
Die meisten von DNA codierten Proteine haben eine mole- mik (proteomics) eine Aufgabe, die sich zwanglos aus der Geno-
kulare Masse in diesem Bereich. Trotzdem bleibt die Größenbe- mik (genomics) ergibt.
schränkung der Hauptnachteil der NMR-Spektroskopie, die Wie unterscheidet sich nun die Proteomik von der klassi-
Bestimmung einer Ribosomenstruktur, wie sie mit der Röntgen- schen Proteinbiochemie? Der Hauptunterschied folgt aus der
strukturanalyse gelungen ist, ist weit außerhalb dessen, was die Vollständigkeit der Daten, die im Prinzip erlaubt, ein geschlosse-
NMR derzeit leisten kann. Ein Vorteil der NMR-Strukturbestim- nes Bild aller Interaktionen der Proteine in einer Zelle zu erhal-
mung bleibt aber, dass sie im gelösten Zustand funktioniert und ten. Da nicht alle Proteine zur selben Zeit und in allen Zellen
gleichzeitig empfindlich für Bewegungsvorgänge im Protein ist. exprimiert werden, ist eine fundamentale Aufgabe der Proteo-
Die Kristallisation kann Artefakte erzeugen und muss nicht not- mik das Expressionsmuster der Proteine in bestimmten Zellen
wendigerweise das konformationelle Ensemble in der Lösung und bei bestimmten funktionellen Zuständen zu ermitteln. Für
repräsentieren. das Verständnis des Zusammenwirkens der Proteine ist auch eine
Eine neue Entwicklung ist die NMR-Strukturbestimmung im Kenntnis ihrer posttranslationalen Modifikationen erforder-
festen, nicht-kristallinen Zustand mit Hilfe der Festkörperreso- lich. Diese Informationen erlauben dann mit bioinformatischen
6 nanzspektroskopie (solid state NMR). Mit ihr ist es bereits ge- Methoden die Unterschiede verschiedener Proteome zu analy-
lungen, die ersten Strukturen von membrangebundenen Protei- sieren, um deren Rolle bei der Krankheitsentstehung oder der
nen zu bestimmen. Entwicklung individueller Besonderheiten zu verstehen. Die
funktionelle Proteomik konzentriert sich besonders auf die
Analyse des Netzwerks der Protein-Protein-Interaktionen und
Zusammenfassung deren Rolle bei der Erhaltung und Regulation der Funktionen,
Die räumliche Struktur von Proteinen wird im Wesentlichen die für das Überleben und die Vermehrung von isolierten Zellen
mit zwei verschiedenen Methoden bestimmt: und deren Organisation in Geweben und ganzen Organismen
4 Die am weitesten verbreitete Methode zur Proteinstruk- verantwortlich sind.
turbestimmung ist die Röntgenstrukturanalyse. Sie Wie wir wissen, ist für die ungestörte Funktion von Proteinen
führt schnell zum Ziel, wenn Proteineinkristalle hoher deren intakte dreidimensionale Struktur entscheidend. Deshalb
Qualität zur Verfügung stehen. Allerdings ist es oft nicht wäre auch die Kenntnis aller Proteinstrukturen von Nutzen
einfach, ausreichend gut streuende Kristalle des Zielpro- (strukturelle Proteomik). Wegen des hohen experimentellen
teins in der zur Verfügung stehenden Zeit zu erzeugen. Aufwands lässt sich dieses Ziel nicht erreichen. Deshalb versucht
4 Mit der NMR-Strukturbestimmung wird die eigentlich man in den Programmen der strukturellen Proteomik wenigs-
relevante Lösungsstruktur von Proteinen ermittelt. Sie tens alle wichtigen Faltungstopologien (7 Kap. 5.2.3) aufzuklä-
ist sehr zeitaufwendig und für große Proteine schwierig. ren, um dann mit Homologiemodellierung aus den Aminosäu-
resequenzen die 3D-Strukturen der Proteine vorhersagen zu
können. Die Proteomik ist ein Teilgebiet der zur Zeit sehr aktuel-
len Systembiologie, die alle molekularen Komponenten der Zel-
6.5 Proteombestimmung (Proteomik) le in ein funktionelles Netzwerk einordnet. Sie will damit die
lebende Zelle oder den Organismus als ganzes, miteinander ge-
Die Initiative zur Aufklärung des menschlichen Genoms hat zur koppeltes System verstehen.
Erfindung effektiver, schneller und zuverlässiger DNA-Sequen- Ein wichtiges Werkzeug der funktionellen Proteomik ist die
zierungsmethoden geführt. In der Zwischenzeit stehen uns die uns schon bekannte zweidimensionale Gelelektrophorese in
kompletten DNA-Sequenzen zahlreicher Organismen zur Verfü- Kombination mit der Massenspektrometrie (7 Kap. 6.3). Mit ihr
gung. Auf der Seite des National Center for Biotechnology Infor- lässt sich das Proteom in Zellen in interessanten funktionellen
mation (http://www.ncbi.nim.nih.gov/genome) sind derzeit Zuständen charakterisieren und in den Zellextrakten etwa
mehrere Tausend Genome von Mikroorganismen wie Staphylo- 1.000 Proteine gleichzeitig semiquantitativ erfassen.
coccus aureus, Escherichia coli, Streptococcus pyogenes, 8 Genome In jüngerer Zeit werden für die notwendige Automatisierung
von Pflanzen wie Arabidopsis thaliana (Gänserauke), Vitis vinife- der Analysen vorgefertigte Testfelder (arrays) immer häufiger
ra (Weinrebe), Zea mays (Mais), Oryza satina (Reis), 2.895 von eingesetzt, die mit der entsprechenden Computersteuerung eine
Viren und von zahlreichen Pilzen und Tieren abgespeichert. automatische Auslesung und Auswertung der Daten erlauben
19 komplette Säugergenome sind hier zugänglich, die von der (. Abb. 6.14). Miteinander wechselwirkende Proteine können in
Maus (Mus musculus) über das Rind (Bos primigenius taurus) Testfeldern identifiziert werden, auf denen rekombinant erzeug-
und den Gorilla (Gorilla gorilla) bis zum Menschen (Homo sa- te Proteine immobilisiert sind. Gibt man auf diese Testfelder ein
piens) reichen. Die Anzahl der gelösten Genome steigt weiterhin Zelllysat und wäscht dieses anschließend mit einer Pufferlösung,
schnell an. so bleiben nur die Proteine haften, die eine spezifische Interak-
tion zeigen. Sie können dann anschließend beispielsweise mas-
Die Untersuchung des Proteoms ergänzt senspektrometrisch identifiziert werden. Weitere Möglichkeiten
die Aufklärung des Genoms zur Identifikation von interagierenden Proteinen stellen Pha-
Da im Genom auch alle Proteine codiert werden, stehen uns auch gen-Display oder Hefe-Zwei-Hybrid-Analysen dar.
die Aminosäuresequenzen aller Proteine, das Proteom, zur Ver- In vielen Fällen ist es technisch einfacher, nicht das Protein
fügung. Daher ist die Untersuchung des Proteoms in der Proteo- selbst, sondern die mRNA in einem Zelllysat nachzuweisen. Statt
6.6 · Synthese von Peptiden und Proteinen
99 6
. Abb. 6.14 Standardverfahren der Proteomanalyse. Grundlage dieser Verfahren ist die Verwendung von Platten mit Vertiefungen, in die Proben einge-
bracht werden können und die als Reaktionsgefäße dienen. Die Zahl dieser Vertiefungen kann von 24 bis zu vielen Tausenden variieren. Die Detektion oder
Auslese der gewünschten Proben erfolgt im Allgemeinen mit automatisierten Verfahren. Die Verwendung von Protein-Chips mit immobilisierten Proteinen
dient vor allem der Identifikation von Protein-Protein-Wechselwirkungen. A Bei funktionellen Tests im Großmaßstab werden zelluläre Proteine in Gruppen
separiert und in die Reaktionsgefäße eingebracht. Entsprechende Bestimmungen der Proteinaktivität, z. B. der Enzymaktivität, erfolgen dann automati-
siert. B Bei Protein-Chips werden spezifische Proteine oder Proteindomänen gentechnisch hergestellt und in den Reaktionsgefäßen immobilisiert. Fügt
man dann Zell-Lysate aus Geweben oder Kulturen zu, binden die für die immobilisierten Proteine spezifischen Proteinliganden aus den Lysaten an die im-
mobilisierten Proteine. Nicht-gebundene Proteine aus den Lysaten werden entfernt, die gebundenen können anschließend isoliert und beispielsweise
durch Massenspektrometrie analysiert werden. C Auch beim Phagen-Display geht man von gentechnisch hergestellten Proteinen oder Proteindomänen
aus, die in den Reaktionsgefäßen immobilisiert werden. Diese reagieren mit Bakteriophagen, in deren Genom die cDNAs (7 Kap. 54.3) von Geweben oder
Zellen so integriert sind, dass jeweils einzelne cDNA-Moleküle als Proteinbestandteile der Phagenhülle exprimiert werden (einer sog. Phagen-cDNA-Biblio-
thek) und deswegen ggf. mit den immobilisierten Proteinen reagieren können. Nicht-gebundene Phagen werden durch Waschen entfernt, die gebun-
denen in E. coli vermehrt und anschließend die DNA-Sequenz der inserierten cDNA ermittelt
der Proteinkonzentrationen erhält man dann das Expressions- substanzen. Daneben gewinnen Peptide und Proteine als Bio-
muster der Proteine, das meistens mit dem Konzentrationsmus- pharmaka oder in diagnostischen Testansätzen in der Medizin
ter gut korreliert. Das Expressionsmuster kann mit DNA-Chips, eine zunehmende Bedeutung. Ihre Produktion kann nach ver-
auf denen kurze DNA-Stücke immobilisiert sind, leicht sichtbar schiedenen Methoden erfolgen. Bewährt hat sich für kleine Pep-
gemacht werden. Da ihre Nucleotidsequenzen zu der gesuchten tide die chemische Peptidsynthese, für größere Peptide die Fest-
mRNA komplementär sind, binden sie die gesuchte mRNA phasenpeptidsynthese und für Polypeptide aus mehr als 20 Ami-
(7 Kap. 54.1.1). Die Bindung wird gewöhnlich über eine Fluores- nosäuren die Biosynthese in vitro oder in vivo.
zenzmarkierung ausgelesen.
Ein ganz anderer Weg zur Erkennung von Protein-Protein-
Wechselwirkungen basiert auf Vorhersagen der Bioinformatik. 6.6.1 Chemische Peptidsynthese
Hat man ein Protein mit bekannter Sequenz aber unbekannter
Funktion, kann man durch eine Suche in der Proteindatenbank Für die Ausbildung einer Peptidbindung zwischen zwei Amino-
oft Proteine anderer Spezies identifizieren, deren Funktion be- säuren muss gewöhnlich die Carboxylgruppe der einen Amino-
kannt ist. Es ist dann sehr wahrscheinlich, dass auch das unbe- säure aktiviert werden. Eine Möglichkeit zur Aktivierung ist die
kannte Protein dieselbe Funktion hat und ähnliche Wechselwir- Herstellung eines Säurechlorids, das mit der Aminogruppe der
kungen mit anderen Proteinen eingeht. anderen Aminosäure reagieren kann (. Abb. 6.15). Da Amino-
säuren auch in ihren Seitenketten reaktive Gruppen enthalten
können, kann es leicht zu unerwünschten Fehlverknüpfungen
6.6 Synthese von Peptiden und Proteinen kommen. Asparagin- und Glutaminsäuren besitzen in ihren Sei-
tenketten Carboxylgruppen, Lysin eine zweite Aminogruppe.
Für die Charakterisierung von Proteinen oder Peptiden benötigt Deshalb muss man alle reaktiven Seitenketten des Peptids vor der
man die Moleküle gewöhnlich in großen Mengen und als Rein- Verknüpfungsreaktion vorübergehend mit Schutzgruppen
100 Kapitel 6 · Proteine – Analytische Untersuchungsmethoden, Synthese und Isolierung
. Abb. 6.15 Peptidsynthese durch Kopplung aktivierter Aminosäuren. Nach Aktivierung seiner Carboxylgruppe mit Thionylchlorid (SOCl2) bildet das so
entstandene Säurechlorid des Aspartats ein Dipeptid mit Phenylalanin. Die anschließende Veresterung der Carboxylgruppe mit Methanol führt zum syn-
thetischen Süßstoff Aspartam
6 blockieren, die nach erfolgreicher Peptidsynthese abgespalten Protein codiert, teilweise bekannt sein. Stammt das Protein aus
werden können. einem Organismus, dessen Genom noch nicht vollständig se-
Die Aktivierung der Aminosäuren kann leicht zur Racemi- quenziert ist, kann die DNA-Sequenz durch Ansequenzieren des
sierung am Cα-Atom führen. Die dabei entstehenden Stereoiso- gereinigten Proteins und Übersetzung der Aminosäuresequenz
mere sind gewöhnlich biologisch inaktiv. Daher muss man Akti- in eine Nucleotidsequenz ermittelt werden.
vierungsreaktionen auswählen, die die Racemisierung weitge-
hend vermeiden.
Größere Peptide werden gewöhnlich mit der automatischen Zusammenfassung
Festphasensynthese nach Merrifield gewonnen, bei der das Die Synthese von kleinen Peptiden wird mit chemischen
wachsende Peptid an eine CH2Cl-Gruppe eines Trägers aus Po- Methoden wie der Merrifield-Peptidsynthese durchgeführt.
lystyrol (beads) gekoppelt ist. Da die Carboxylgruppe der ersten Die Synthese von größeren Polypeptiden und Proteinen
Aminosäure an das Harz gebunden ist, erfolgt die Synthese vom erfolgt gewöhnlich gentechnologisch durch heterologe
C-terminalen Ende des Peptids aus. Expression der ausgewählten cDNA.
Einleitung unverändert hervor und steht für einen neuen Katalysezyklus zur
Verfügung. Biokatalysatoren sind darüber hinaus auf allen Ebe-
Wie in 7 Kap. 4 beschrieben, kann mit Hilfe der Thermodynamik eine nen des Informationsflusses im Organismus wirksam und tragen
Voraussage über die Freiwilligkeit des Ablaufes einer biochemischen in vielfältiger Weise zur Steuerung und Koordination des Stoff-
Reaktion getroffen, nicht aber deren unerwartet hohe Geschwindigkeit wechsels der Zellen, Gewebe und Organe komplexer Organismen
erklärt werden. Erst die Entdeckung und Charakterisierung der in biolo- bei. In biologischen Systemen katalysieren Enzyme die weitaus
gischen Systemen als hochspezifische Katalysatoren wirksamen Enzyme überwiegende Zahl der biochemischen Reaktionen. Enzyme sind
lieferte eine Erklärung dieses Phänomens. Molekulare Grundlage der Proteine, deren katalytische Wirkung zu einer Erhöhung der Reak-
unübertroffenen Wirksamkeit der Biokatalysatoren ist die beeindrucken- tionsgeschwindigkeit um einen Faktor von bis zu 1017 im Vergleich
de Vielfalt und Flexibilität ihrer Proteinstrukturen. Enzyme bilden spe- zur nicht-katalysierten Reaktion führen kann (. Tab. 7.1).
zifische Bindungsstellen aus, die nicht nur eine selektive Anlagerung
und Umsetzung ihrer Substrate ermöglichen, sondern darüber hinaus Enzyme beschleunigen biochemische Reaktionen,
auch eine Anpassung der Enzymaktivität an die aktuelle Stoffwechsel- indem sie die Aktivierungsenergie erniedrigen
situation in einer Zelle gestatten. Für das Verständnis der katalytischen Wirkung von Enzymen ist
die Kenntnis derjenigen Faktoren von Bedeutung, die die Ge-
Schwerpunkte schwindigkeit einer chemischen Reaktion bestimmen. Moleküle
können nur dann erfolgreich miteinander reagieren, wenn sie in
4 Beschleunigung biochemischer Reaktionen durch Erniedri-
einer bestimmten räumlichen Orientierung zusammentreffen.
gung der Aktivierungsenergie ohne Veränderung des
Damit ein Ausgangsstoff – in der Enzymologie als Substrat (S)
Reaktionsgleichgewichtes
bezeichnet – zum Reaktionsprodukt (P) umgewandelt werden
4 Strukturelle und funktionelle Eigenschaften der Enzyme
kann, muss er darüber hinaus in einen aktivierten, d. h. in einen
4 Cofaktoren von Enzymen: Metallionen, Cosubstrate,
reaktionsfähigen Übergangszustand (S‡) überführt werden. Die
prosthetische Gruppen
energetische Barriere, die dazu überwunden werden muss, wird
4 Substratspezifität, Reaktionsspezifität und Stereospezifität
als Freie Aktivierungsenthalpie (ΔG‡) oder – vereinfacht – als
der Enzyme
Aktivierungsenergie bezeichnet. Der Betrag von ΔG‡ bestimmt
4 Mechanismen der Enzymkatalyse: Säure-Base-Katalyse,
die Geschwindigkeit der Reaktion, während von der Freien Re-
kovalente Katalyse, Metallionenkatalyse
aktionsenthalpie (ΔG) abhängt, ob die Reaktion spontan stattfin-
4 Systematische Nomenklatur und Klassifizierung der Enzyme
det oder nicht.
4 Kinetik enzymkatalysierter Reaktionen: Das Michaelis-
Die Reaktionsprofile in . Abb. 7.1 illustrieren die für eine
Menten-Modell
enzymkatalysierte Reaktion charakteristische Erniedrigung der
Aktivierungsenergie. Durch die Verbindung des Enzyms mit sei-
nem Substrat entsteht ein neuer Reaktionsweg, dessen Über-
P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
102 Kapitel 7 · Enzyme – Grundkonzepte der Biokatalyse
. Abb. 7.2 Substratinduzierte Konformationsänderung der Glucokinase (Hexokinase IV). Die Bindung der Glucose (rot) induziert eine Schließbewe-
gung beider Domänen des Enzymproteins, die zu der für die Katalyse erforderlichen Positionierung der Substrate im aktiven Zentrum führt. Dabei geht
das Enzym von einer offenen (A) in eine geschlossene Konformation (B) über. Das Nucleotidsubstrat (ATP) ist in der Abbildung nicht dargestellt.
(PDB ID 1v4t und 1v4s)
Übergangszustand binden, während Antikörper in der Regel mit Die Mehrzahl der Cosubstrate und prosthetischen
den im Grundzustand befindlichen Antigenen interagieren. Gruppen wird aus Vitaminen gebildet
Setzt man jedoch Übergangszustandsanaloga als Antigene zur . Tab. 7.2 gibt einen Überblick über die vielfältigen biochemi-
Immunisierung ein, so können Antikörper mit katalytischer schen Funktionen der Cosubstrate und prosthetischen Gruppen.
Aktivität erzeugt werden. Katalytische Antikörper werden im Die Mehrzahl der dort aufgeführten Substanzen leitet sich von
Zusammenhang mit pathologischen Prozessen wie Autoimmu- wasserlöslichen Vitaminen ab. Da Vitamine vom Organismus
nität, Entzündung und Sepsis diskutiert. nicht synthetisiert werden können, jedoch an zentralen Stoff-
wechselprozessen unverzichtbar beteiligt sind, müssen sie mit
Eine Vielzahl von Enzymen benötigt Cofaktoren der Nahrung lebenslang aufgenommen werden (7 Kap. 58, 59).
zur Katalyse der Reaktion Das breite Funktionsspektrum der Coenzyme macht deutlich,
Cofaktoren Zahlreiche biochemische Reaktionen werden von dass bei einer häufig mehrere Vitamine betreffenden Mangel-
Enzymen unter Beteiligung niedermolekularer Substanzen – ernährung ein eher unspezifisches, jedoch schweres Krankheits-
sog. Cofaktoren – katalysiert. Zu den Cofaktoren gehören anor- bild auftreten kann.
ganische Ionen, aber auch nicht-proteinartige organische Mole-
küle, die man als Coenzyme bezeichnet. Cosubstrate sind Co- Metallionen wirken als Cofaktoren von Enzymen
enzyme, die während der Katalyse an das Enzym gebunden, Nahezu zwei Drittel aller Enzyme benötigen Metallionen als Co-
strukturell verändert und in modifizierter Form vom Enzym faktoren. Metalloenzyme enthalten Metallionen, die in einem
freigesetzt werden. Die veränderten Cosubstrate werden in einer stöchiometrischen Verhältnis fest an das Apoenzym gebunden
Folgereaktion in ihren Ausgangszustand zurückgeführt und sind. Ein typischer Vertreter der Metalloenzyme ist die Carboan-
können so erneut an der Katalyse teilnehmen. Ein herausragen- hydrase. Bei diesem Enzym ist ein an Histidinreste gebundenes
des Beispiel für ein Cosubstrat ist das an mehr als 250 Redox- Zink-Ion (Zn2+) unmittelbar in den Katalysemechanismus ein-
reaktionen beteiligte NAD+ (Nicotinsäureamidadenindinucleo- bezogen (7 Kap. 7.5). Im Unterschied zu den Metalloenzymen
tid) bzw. dessen reduzierte Form NADH. In Abgrenzung von den binden metallionenaktivierte Enzyme die Metallionen locker
Cosubstraten bezeichnet man Coenzyme, die dauerhaft – z. T. und reversibel. Die hier wirksamen Metallionen stammen vor
auch covalent – an das jeweilige Enzym gebunden sind und am allem aus der Gruppe der Alkali- und Erdalkalimetalle (Na+, K+,
Enzym regeneriert werden, als prosthetische Gruppen. Man Mg2+, Ca2+). Beispiele metallionenaktivierter Enzyme sind die
bezeichnet das Enzymprotein allein als Apoenzym, den Kom- durch Mg2+-Ionen aktivierten Restriktionsendonucleasen
plex aus Enzym und Cofaktor als Holoenzym. Die Integration (7 Kap. 54.1.1). Metallionen können darüber hinaus Enzymreak-
eines Cofaktors in das aktive Zentrum eines Apoenzyms ermög- tionen beeinflussen, indem sie durch die Bildung eines Metall-
licht oftmals erst die Katalyse bzw. erweitert das Reaktionsspek- ion-Substrat-Komplexes eine optimale Substratkonformation
trum des Enzyms. So sind die Seitenketten von Aminosäuren nur stabilisieren. So stellt der in Gegenwart von Magnesiumio-
bedingt geeignet, Elektronen zu übertragen. Oxidoreduktasen nen (Mg2+) entstehende Magnesium-ATP-Komplex (7 Abb. 4.2)
(7 Kap. 7.2) nutzen deshalb Cofaktoren wie NAD+, FMN (Flavin- das eigentliche Substrat der ATP-abhängigen Phosphotransfera-
mononucleotid), FAD (Flavinadenindinucleotid), Pterine, sen dar (7 Kap. 14.1.1). Auch als Komponenten prosthetischer
Eisen-Schwefel-Zentren oder Häm-Gruppen zur Katalyse des Gruppen wie Häm und 5’-Desoxyadenosylcobalamin (. Tab. 7.2)
Elektronentransfers. sind Metallionen an enzymatischen Reaktionen beteiligt.
104 Kapitel 7 · Enzyme – Grundkonzepte der Biokatalyse
Cosubstrat
Prosthetische Gruppe
5’-Desoxyadenosylcobalamin 1,2-Verschiebung von Alkylgruppen Cobalamin (Vitamin B12) Methylmalonyl-CoA-Mutase (7 Kap. 21.2.1)
Pyridoxalphosphat (PALP) Transaminierung, Decarboxylierung Pyridoxin (Vitamin B6) Aspartat-Aminotransferase (7 Kap. 26.3.1)
Thiaminpyrophosphat (TPP) Oxidative Decarboxylierung Thiamin (Vitamin B1) Pyruvatdehydrogenase (7 Kap. 18.2)
Lyasen katalysieren die nicht-hydrolytische (und nicht-oxi- nelle Veränderungen der Prä-mRNA (7 Kap. 46.3.3 und 47.2)
dative) Spaltung bzw. Ausbildung covalenter Bindungen ohne zurückgeführt werden kann. Multiple Enzymformen, die auf-
Beteiligung von ATP oder anderen Verbindungen mit hohem grund von Allelvariationen desselben Genlocus (DNA-Polymor-
Gruppenübertragungspotenzial. Charakteristisch für Lyasen ist phismen) oder infolge covalenter Modifikationen von Enzym-
die Teilnahme von zwei Substraten an der Hinreaktion und nur proteinen entstehen, werden nicht als Isoenzyme bezeichnet.
einem Substrat an der Rückreaktion bzw. umgekehrt. Isoenzyme katalysieren die gleiche Reaktion, weisen in der Regel
Isomerasen katalysieren die Umwandlung isomerer Formen jedoch unterschiedliche funktionelle Eigenschaften auf. Die Aus-
von Substraten ineinander. Vertreter der Hauptklasse-5-Enzyme bildung charakteristischer Expressionsmuster von Isoenzymen
sind die Racemasen, Epimerasen und cis/trans-Isomerasen, aber im Verlaufe der Individualentwicklung sowie das Vorkommen
auch die intramolekularen Transferasen (Mutasen). unterschiedlicher Isoenzyme in verschiedenen Zellen und Zell-
Ligasen katalysieren die Ausbildung covalenter Bindungen kompartimenten tragen zur Differenzierung und Entwicklung
und sind vor allem an Biosynthesen beteiligt. Die Ligation geht des Organismus und dessen Anpassung an unterschiedliche
immer mit der Hydrolyse von ATP oder einer anderen Verbin- Stoffwechselerfordernisse bei.
dung mit hohem Gruppenübertragungspotenzial einher. Ligasen Isoenzyme entstehen häufig durch die Assemblierung
werden gelegentlich auch als Synthetasen bezeichnet. unterschiedlicher Typen von Polypeptidketten. Ein medizinisch
bedeutsames Beispiel hierfür ist die im Serum des Menschen in
fünf verschiedenen Formen vorkommende Lactatdehydroge-
7.3 Multiple Formen von Enzymen nase (LDH). Die LDH-Isoenzyme bestehen aus jeweils vier
Untereinheiten, von denen jede eine Molekularmasse von etwa
Die Verfeinerung der biochemischen Analytik führte zu der Er- 32 kDa besitzt. Die Aufklärung der Tetramerstruktur der LDH
kenntnis, dass eine große Zahl von Enzymen in multiplen For- ergab, dass die Entstehung der Isoenzyme die Folge einer Kombi-
men vorkommt. Mit diesem Begriff wird die Existenz molekular nation der durch das LDH-A-Gen codierten Polypeptidketten
unterschiedlicher Formen des gleichen Enzyms in einer Spezies vom M-Typ (abgeleitet von Muskel) und der durch das LDH-B-
beschrieben, die sich funktionell wesentlich voneinander unter- Gen codierten Polypeptidketten vom H-Typ (abgeleitet von Herz)
scheiden können. Das Vorkommen multipler Enzymformen ist (. Tab. 7.4). Während die Expression des LDH-B-Gens
kann das Resultat einer unterschiedlichen genetischen Codie- konstitutiv erfolgt, wird die Transkription des LDH-A-Gens
rung, co- bzw. posttranskriptioneller Veränderungen der Prä- durch Hypoxie induziert.
mRNA (7 Kap. 47.2.3, 47.2.4) oder aber die Folge covalenter Wegen ihrer unterschiedlichen Nettoladung lassen sich die
Modifikationen des Enzymproteins sein (7 Kap. 49.3). LDH-Isoenzyme mittels Elektrophorese voneinander trennen
und nachfolgend quantifizieren. Veränderungen der Gesamt-
Isoenzyme katalysieren trotz struktureller aktivität und des relativen Verhältnisses der LDH-Isoenzyme im
Unterschiede die gleiche Reaktion Blut sind bei verschiedenen Erkrankungen von klinischer Bedeu-
Eine wichtige Gruppe von Enzymen, die in multiplen Formen tung. Eine LDH-Analytik wird im Rahmen der Diagnostik der
vorkommen, sind die Isoenzyme. Der Isoenzymbegriff bezeich- hämolytischen und megaloblastären Anämie (7 Kap. 68.3) sowie
net diejenigen multiplen Formen eines Enzyms in einer Spezies, bei Erkrankungen der Skelettmuskulatur und der Leber durch-
deren Existenz auf eine Codierung durch unterschiedliche Gene geführt.
(die in vielen Fällen durch Genduplikation und divergente Evo-
lution entstanden sind) und/oder auf co- bzw. posttranskriptio-
7.5 · Mechanismen der Enzymkatalyse
107 7
7.4 Ribozyme
. Tab. 7.4 Isoenzyme der Lactatdehydrogenase
Ribozyme sind RNA-Moleküle mit
Isoenzym Oligomer- Vorkommen Referenz-
katalytischer Aktivität
struktur bereich (%)1
Die Mehrzahl der Biokatalysatoren sind Enzyme. Der Begriff
LDH-1 HHHH Herzmuskel, Erythro- 15–23 »Ribozym« bezeichnet RNA-Moleküle, die im Stoffwechsel der
cyten, Niere Nucleinsäuren und Proteine als Biokatalysatoren wirksam sind.
LDH-2 HHHM Herzmuskel, Erythro- 30–39 Obgleich sich ihre katalytische Wirkung auf wenige Reaktions-
cyten, Niere typen beschränkt, sind Ribozyme für eine normale Funktion des
LDH-3 HHMM Milz, Lunge, Lymph- 20–25 Zellstoffwechsels unverzichtbar. Ribozym-RNA kann mit Prote-
knoten, Thrombocyten, inen zu Ribonucleoproteinpartikeln assoziieren, die u. a. als Be-
Endokrine Drüsen standteil des Spliceosoms bei der Reifung der Prä-mRNA die
LDH-4 HMMM Leber, Skelettmuskel 8–15 Bildung und Spaltung von Phosphorsäurediesterbindungen
(7 Kap. 46.3.3) oder als Teil der großen ribosomalen Untereinheit
LDH-5 MMMM Leber, Skelettmuskel 9–14
die Ausbildung von Peptidbindungen bei der Proteinbiosynthese
1 Prozentualer Anteil an der LDH-Gesamtaktivität in Serum und Plasma. katalysieren (7 Kap. 48.2). In Analogie zur Entstehung der funk-
tionalen Raumstruktur eines Enzyms durch Proteinfaltung
(7 Kap. 49.1) hängt auch die katalytische Aktivität eines Ribo-
zyms von einer korrekten Faltung seiner Polyribonucleotidkette
Covalente Modifikation von Enzymen Multiple Formen von En- in eine wirksame dreidimensionale Struktur ab.
zymen können auch durch eine co- und/oder posttranslationale
covalente Modifikation des Enzymproteins entstehen. Die jewei-
lige Modifikation kann zellphysiologisch reversibel oder irrever- 7.5 Mechanismen der Enzymkatalyse
sibel sein (7 interkonvertierbare Enzyme und limitierte Proteolyse
7 Kap. 8.5). Da keine unterschiedliche genetische Codierung und Die katalytische Aktivität der Enzyme beruht
keine co- bzw. posttranskriptionelle Veränderung der Prä-mRNA auf spezifischen Katalysemechanismen
zugrunde liegt, handelt es sich bei den auf diese Weise entstehen- Nach Linus Pauling (1946) ist die bevorzugte Bindung des Subst-
den multiplen Enzymformen nicht um Isoenzyme. rates im Übergangszustand eine entscheidende Voraussetzung für
die große katalytische Effizienz eines Enzyms. Die Wechselwir-
Moonlighting-Enzyme sind Stoffwechselenzyme kungen der reaktiven Seitenketten der Aminosäuren und der Co-
mit zusätzlichen Funktionen faktoren im aktiven Zentrum mit dem jeweiligen Substrat können
Die Benennung von Enzymen nach dem Typ der katalysierten dabei sehr verschiedenartig sein. Während des katalytischen Pro-
Reaktion ist Ausdruck einer »Ein-Gen-ein-Protein-eine- zesses kommt es zur Ausbildung von Wasserstoffbrücken, ioni-
Funktion«-Vorstellung, die sich in einer zunehmenden Zahl von schen Wechselwirkungen, hydrophoben Wechselwirkungen, van-
Fällen als zu einfach erwiesen hat. Moonlighting (to moonlight – der-Waals-Wechselwirkungen und temporär-covalenten Bindun-
»eine Nebenbeschäftigung ausüben«) ist ein Begriff, der in der gen zwischen dem Enzym und dem Substrat. Der Vielzahl dieser
Enzymologie dafür steht, dass ein Enzym verschiedene katalyti- Interaktionsmöglichkeiten entspricht die Vielfalt der Katalyse-
sche Funktionen erfüllt oder neben seiner Funktion als Biokata- mechanismen. Bei formaler Betrachtung können drei grundle-
lysator andere Funktionen im Organismus ausübt. Multifunk- gende Mechanismen unterschieden werden:
tionelle Enzyme wie die Fettsäuresynthase (7 Kap. 21.2.3) werden 4 Metallionenkatalyse
nicht als Moonlighting-Enzyme bezeichnet. 4 Säure-Base-Katalyse
Das Moonlighting von Enzymen geht oftmals mit einer Ver- 4 covalente Katalyse
änderung der Lokalisation des Enzyms in der Zelle oder im Or-
ganismus einher oder ist an eine bestimmte Oligomerstruktur Metallionenkatalyse Zu den vielfältigen Wirkmechanismen
gebunden. Ein typischer Vertreter der Moonlighting-Enzyme ist der Metallionen gehören die Stabilisierung bzw. Abschirmung
die Glucose-6-Phosphatisomerase, die intrazellulär die reversib- negativer Ladungen und die Aktivierung von Wassermolekü-
le Umwandlung von Glucose-6-Phosphat in Fructose-6-Phos- len, aber auch die reversible Aufnahme von Elektronen bei
phat katalysiert (7 Kap. 14.1.1), während das von verschiedenen Redoxreaktionen und die Induktion einer optimalen Substrat-
Zelltypen sezernierte Protein extrazellulär als Cytokin wirkt konformation wie bei der Bildung des Magnesium-ATP-Kom-
(7 Kap. 34.2). Demgegenüber katalysieren unterschiedliche oli- plexes (7 Kap. 4.3). Ein gut untersuchtes Beispiel für die Beteili-
gomere Formen der Glycerinaldehyd-3-Phosphatdehydrogenase gung von Metallionen an der Biokatalyse ist die reversible
(GAPDH) unterschiedliche Reaktionen in verschiedenen Kom- Hydratisierung von CO2 zu Hydrogencarbonat (Bicarbonat)
partimenten derselben Zelle: Das tetramere Enzym katalysiert durch das zinkabhängige Enzym Carboanhydrase (7 Kap.
im Cytosol eine Reaktion der Glycolyse (7 Kap. 14.1.1), die mo- 61.1.2, 66, 68, 72):
nomere GAPDH hingegen ist im Zellkern als Uracil-DNA-Gly-
cosylase an der DNA-Basenexcisionsreparatur beteiligt (7 Kap. CO2 + H2O HCO3– + H+ (2)
45.2).
108 Kapitel 7 · Enzyme – Grundkonzepte der Biokatalyse
. Abb. 7.4 Struktur und Katalysemechanismus der Serinprotease Chymotrypsin. A Raumstruktur des Chymotrypsins (Bändermodell). Das Enzym
besteht aus drei Polypeptidketten, die durch Disulfidbrücken miteinander verbunden sind. Die Aminosäuren Histidin 57, Aspartat 102 und Serin 195 (rot)
bilden die katalytische Triade im aktiven Zentrum der Protease. (PDB ID 4CHA). B Reversible Verschiebung von Elektronen und Protonen innerhalb der
katalytischen Triade (Säure-Base-Katalyse). C Hydrolyse der Peptidbindung in zwei Schritten unter Ausbildung eines Acylenzym-Intermediates (covalente
Katalyse). E-OH: Hydroxylgruppe des Serinrestes 195
Die Enzymaktivität wird in Enzymeinheiten net. Eine übliche Maßeinheit ist Unit pro Milliliter (U/ml) bzw.
oder in Katal angegeben Katal pro Liter (kat/l). In der klinisch-chemischen Laborato-
Maßeinheiten der Enzymaktivität Die traditionelle Maßeinheit riumsdiagnostik kommt der Bestimmung der katalytischen
der Enzymaktivität ist die Enzymeinheit (unit, U), die gelegent- Aktivitätskonzentration verschiedenster Enzyme in Körperflüs-
lich auch als »Internationale Einheit« (international unit, IU) sigkeiten eine herausragende Bedeutung zu (7 Kap. 9.2).
bezeichnet wird. Eine Enzymeinheit ist definiert als diejenige
Enzymmenge (genauer: Enzymaktivitätsmenge), die den Umsatz Spezifische katalytische Aktivität Die Bestimmung der katalyti-
von 1 Mikromol Substrat in Produkt in einer Minute (μmol/min) schen Aktivitätskonzentration ist zur molekular-funktionellen
katalysiert. In Übereinstimmung mit dem internationalen met- Charakterisierung eines Enzyms notwendig, aber nicht ausrei-
rischen Einheitensystem (frz. Système International d’Unites, SI) chend, da sie sich auf die Lösung des Enzyms, nicht aber auf das
wird empfohlen, das Katal (kat) als Maßeinheit der Enzymakti- Enzym selbst bezieht. Der Quotient aus katalytischer Aktivitäts-
vität zu verwenden. Ein Katal entspricht derjenigen Enzymakti- konzentration und Proteinkonzentration wird als spezifische
vitätsmenge, die den Umsatz von 1 Mol Substrat in Produkt in katalytische Aktivität (kurz: spezifische Aktivität) bezeichnet.
einer Sekunde (mol/s) katalysiert. Die Maßeinheit der spezifischen katalytischen Aktivität ist Unit
Für viele Anwendungen ist es zweckmäßig, die Messung der pro Milligramm (U/mg) bzw. Katal pro Kilogramm (kat/kg).
Enzymaktivität unter definierten Reaktionsbedingungen hin- Die Interpretation einer spezifischen katalytischen Aktivität
sichtlich Substratkonzentration, Temperatur, pH-Wert u. a. erfordert eine differenzierende Betrachtung, da zwischen Pro-
durchzuführen. Während in der experimentellen Enzymologie teinkonzentration und Enzymkonzentration ein erheblicher
die Messung von Enzymaktivitäten nicht zuletzt aus Praktikabi- Unterschied bestehen kann. Wird die Lösung eines reinen
litätsgründen oftmals bei Temperaturen von 25 °C oder 30 °C Enzyms analysiert, kann der Quotient aus katalytischer Aktivi-
erfolgt, ist in der klinisch-chemischen Laboratoriumsdiagnostik tätskonzentration und Proteinkonzentration als ein für das je-
eine Messtemperatur von 37 °C vorgeschrieben. weilige Enzym spezifischer Funktionsparameter betrachtet wer-
den. Demgegenüber erlaubt die Kenntnis einer spezifischen
Die Enzymaktivität kann auf das Volumen, katalytischen Aktivität keinen unmittelbaren Rückschluss auf die
die Proteinkonzentration oder die Enzym- katalytische Wirksamkeit des Enzyms, wenn die zur Aktivitäts-
konzentration bezogen werden bestimmung eingesetzte Enzymlösung neben dem jeweiligen
Katalytische Aktivitätskonzentration Die auf die Volumenein- Enzym weitere Proteine enthält. Ein solcher Fall liegt typischer-
heit einer Enzymlösung bezogene Enzymaktivität wird als kata- weise bei der Analyse eines Zellextraktes oder bei der Unter-
lytische Aktivitätskonzentration oder Volumenaktivität bezeich- suchung einer Blutprobe vor.
110 Kapitel 7 · Enzyme – Grundkonzepte der Biokatalyse
k+1 k+2 Unter der Annahme, dass die Substratkonzentration sehr viel
E+S ES E+P (6)
k–1 k–2 größer als die Enzymkonzentration ist, ergibt die Kombination
112 Kapitel 7 · Enzyme – Grundkonzepte der Biokatalyse
der Gleichungen 8 und 9 eine Gleichung für die Konzentration durch eine niedrige Michaelis-Konstante charakterisiert und
des Enzym-Substrat-Komplexes im Fließgleichgewicht: umgekehrt.
[S]
[ES] = [ET ]⋅ (10) Experimentelle Bestimmung von KM und VMAX Die für ein Enzym
⎛ k −1 + k +2 ⎞ charakteristischen kinetischen Parameter KM und VMAX lassen
⎜⎝ k + [S]⎟
+1 ⎠ sich aus Messungen initialer Reaktionsgeschwindigkeiten bei
verschiedenen Substratkonzentrationen ableiten. Praktisch ist
Durch die Zusammenfassung der Gleichungen 7 und 10 die Schätzung beider Parameter aus der graphischen Darstellung
erhält man die Michaelis-Menten-Gleichung, die die Ab- der experimentell bestimmten V/[S]-Wertepaare jedoch schwie-
hängigkeit der Geschwindigkeit einer enzymkatalysierten rig, da die Reaktionsgeschwindigkeit ihrem Maximalwert erst bei
Reaktion von der Substratkonzentration unter Initialbedingun- sehr hohen Substratkonzentrationen nahe kommt (. Abb. 7.7A).
gen beschreibt: Dieses Problem kann durch verschiedene Transformationen der
Michaelis-Menten-Gleichung in lineare Beziehungen gelöst wer-
[S] [S] den. Das bekannteste Beispiel hierfür ist die Linearisierung nach
V = k +2 ⋅[ET ]⋅ = VMAX ⋅ (11)
⎛ k −1 + k +2 ⎞
+ [S]⎟
(K M + [S]) Lineweaver und Burk:
⎜⎝ k
7 +1 ⎠
1 1 K 1
= + M ⋅ (13)
Der Parameter KM wird als Michaelis-Konstante, VMAX als V VMAX VMAX [S]
Maximalgeschwindigkeit bezeichnet.
Die Auftragung der reziproken Werte von Substratkonzentration
Mit steigender Substratkonzentration nähert und Reaktionsgeschwindigkeit ergibt eine Gerade, die die Abs-
sich die Reaktionsgeschwindigkeit asymptotisch zisse bei –1/KM und die Ordinate bei 1/VMAX schneidet (. Abb.
der Maximalgeschwindigkeit (VMAX) 7.7B). Die bei niedrigen Substratkonzentrationen relativ ungenau
Die durch die Michaelis-Menten-Gleichung beschriebene V/[S]- bestimmten V-Werte erhalten dabei ein besonders großes Ge-
Charakteristik zeigt einen hyperbolen Verlauf (. Abb. 7.7A). wicht. Daher finden heute computergestützte Verfahren der
Wird die Substratkonzentration ([S]) erhöht, während alle ande- nicht-linearen Regression zur statistisch korrekten Schätzung
ren Parameter konstant bleiben, nähert sich die Reaktionsge- von KM und VMAX aus Messdaten Anwendung.
schwindigkeit (V) asymptotisch der Maximalgeschwindig- Die Michaelis-Menten-Gleichung wurde für ein minimales
keit (VMAX) und die Konzentration des Enzym-Substrat-Kom- Reaktionsschema (Gleichung 6) hergeleitet, bei dem der Zer-
plexes ([ES]) der Gesamtkonzentration des Enzyms ([ET]). Die fall des Enzym-Substrat-Komplexes unmittelbar zur Bildung
Maximalgeschwindigkeit VMAX ist – wie auch die aktuelle Reak- des Reaktionsproduktes führt. Man kann jedoch zeigen, dass
tionsgeschwindigkeit V – der eingesetzten Enzymkonzentration auch komplexere Reaktionsmodelle, die mehrere Zwischen-
[ET] proportional. schritte der Umwandlung des Substrates zum Produkt einschlie-
ßen, unter steady-state-Bedingungen mit dieser Gleichung be-
Die Michaelis-Konstante (KM) gibt diejenige schrieben werden können. In Gleichung 11 tritt dann anstelle
Substratkonzentration an, bei der halbmaximale von k+2 eine Konstante auf, die eine Kombination mehrerer
Reaktionsgeschwindigkeit erreicht wird elementarer kinetischer Konstanten darstellt und als kataly-
Die in Gleichung 11 eingeführte Michaelis-Konstante trägt die tische Konstante (kcat) bezeichnet wird. Die katalytische Kon-
Maßeinheit einer Konzentration und entspricht derjenigen Sub- stante entspricht der in 7 Kap. 7.6 eingeführten Wechselzahl und
stratkonzentration, bei der die Reaktionsgeschwindigkeit wird in den nachfolgenden Gleichungen anstelle von k+2 ver-
½ VMAX beträgt (. Abb. 7.7A). Im Unterschied zu VMAX hängt wendet.
der numerische Wert der Michaelis-Konstanten nicht von der
Enzymkonzentration ab. Der KM-Wert kann auch unter Ver- Der Quotient kcat/KM
wendung der Dissoziationskonstanten des Enzym-Substrat- ist ein Maß für die katalytische
Komplexes (KD) angegeben werden: Wirksamkeit eines Enzyms
Die Messung von Enzymaktivitäten erfolgt in vitro oft bei Sub-
=
(k −1 + k +2) = K k +2 stratkonzentrationen, die den KM-Wert um ein Vielfaches über-
KM D+ (12)
k +1 k +1 schreiten. Unter diesen Bedingungen wird die katalytische
Wirksamkeit eines Enzyms durch die Konstante kcat charakteri-
Gleichung 12 zeigt, dass die Michaelis-Konstante stets größer siert:
ist als die Dissoziationskonstante des Enzym-Substrat-Komple-
xes (KD). Wenn die Dissoziation von ES in Enzym und Substrat [S] [S] K M
V = k cat ⋅ [ET ] ⋅ ⎯⎯⎯⎯ → k cat ⋅ [ET ] (14)
schnell im Vergleich zur Freisetzung des Produktes erfolgt ( M )
K + [S]
(k+2 ! k–1), entspricht die Michaelis-Konstante näherungsweise
der Dissoziationskonstanten (KD). Der KM-Wert kann dann Demgegenüber findet man unter physiologischen Bedingungen
als ein Maß für die Affinität des Enzyms zu seinem Substrat häufig Substratkonzentrationen vor, die weit unterhalb der KM-
betrachtet werden. Ein Enzym mit hoher Substrataffinität ist Werte der Enzym-Substrat-Paare liegen. Die Michaelis-Menten-
7.7 · Michaelis-Menten-Gleichung
113 7
A B
. Abb. 7.7 Kinetik einer Enzymreaktion vom Michaelis-Menten-Typ. A Hyperbole Abhängigkeit der Geschwindigkeit (einer Enzymreaktion von der Sub-
stratkonzentration. B Linearisierung der Michaelis-Menten-Gleichung nach Lineweaver und Burk zur Bestimmung der Parameter KM und VMAX eines Enzyms
Enzym Substrat KM (M) kcat (s–1) kcat/KM (s–1 ∙ M–1) Siehe Kapitel
Carboanhydrase CO2 1,2 ∙ 10–2 1,0 ∙ 106 8,3 ∙ 107 66, 68, 72
Einleitung Produkte sowie anderer Liganden des Enzyms, aber auch vom
pH-Wert abhängig. Beim Menschen findet man für viele Enzyme
In 7 Kap. 7 wurden die Grundkonzepte der Biokatalyse durch Enzyme Temperaturoptima um 40 °C. Einige humane Enzyme überste-
besprochen. Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit den zahlreichen hen jedoch hohe Temperaturen ohne Verlust ihrer katalytischen
Mechanismen der Regulation der Enzymaktivität. Die Fähigkeit biologi- Aktivität. Zu diesen Enzymen gehört die Ribonuclease, deren
scher Systeme, die katalytische Aktivität ihrer Enzyme zu regulieren, ist Temperaturoptimum bei ca. 60 °C liegt.
eine unabdingbare Voraussetzung für Wachstum, Differenzierung, Zell- Enzyme bestimmter thermophiler Mikroorganismen weisen
teilung und Stoffwechseladaptation. Hierbei kann zwischen einer Temperaturoptima nahe dem Siedepunkt des Wassers auf. Die
schnellen Veränderung der Aktivität bereits vorhandener Enzymmole- strukturellen Besonderheiten dieser thermostabilen Enzyme, die
küle und einer vergleichsweise langsamen Kontrolle der Enzymmenge vor einer Hitzedenaturierung schützen, sind noch weitgehend
auf DNA-, RNA- und Proteinebene unterschieden werden. unbekannt. Praktische Anwendung findet eine hitzestabile DNA-
Polymerase aus Thermus aquaticus (Taq-Polymerase) bei der
Schwerpunkte Polymerasekettenreaktion (PCR) zur Vervielfachung (Amplifika-
tion) von DNA-Fragmenten. Das Enzym wird dabei wiederholt
4 Einfluss der Substrat- und Enzymkonzentration auf die
Reaktionstemperaturen um 90 °C ausgesetzt (7 Kap. 54.1.2).
Geschwindigkeit einer enzymkatalysierten Reaktion
4 Temperatur- und pH-Optimum der Enzymaktivität
pH-Abhängigkeit der Enzymaktivität Bestimmt man die kataly-
4 Reversible Hemmung der Enzymaktivität durch kompeti-
tische Aktivität eines Enzymes bei unterschiedlichen pH-Wer-
tive, nicht-kompetitive und unkompetitive Inhibitoren
ten, so findet man in der Regel ein Aktivitätsmaximum zwi-
4 Irreversible Hemmung der Enzymaktivität durch
schen pH 4 und pH 9. Enzyme, die physiologischerweise extre-
Modifikation des Enzymproteins
men pH-Bedingungen ausgesetzt sind wie das im sauren Milieu
4 Molekulare Grundlagen und zellbiochemische Bedeutung
des Magens wirksame Verdauungsenzym Pepsin (7 Kap. 61.1)
von Kooperativität und Allosterie
zeigen eine maximale katalytische Aktivität außerhalb dieses
4 Regulation der Enzymaktivität durch Phosphorylierung und
pH-Bereiches.
Dephosphorylierung
Die pH-Abhängigkeit der Enzymaktivität kann zurückge-
4 Irreversible Aktivierung von Proenzymen (Zymogenen)
führt werden auf eine:
durch limitierte Proteolyse
4 reversible Dissoziation bzw. Ionisierung funktioneller
Gruppen des Enzyms,
P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_8, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
116 Kapitel 8 · Regulation der Enzymaktivität
A B
. Abb. 8.2 pH-Abhängigkeit der katalytischen Aktivität der Cysteinprotease Caspase 9. A Die Wendepunkte der Kurve spiegeln die Titration der an der
Katalyse beteiligten Seitenketten der Aminosäuren Cystein 287 und Histidin 237 im aktiven Zentrum des Enzyms wider. B: pH-abhängige reversible Ausbil-
dung der für die Katalyse erforderlichen Wasserstoffbrücke zwischen Cystein 287 und Histidin 237
8
4 reversible Dissoziation bzw. Ionisierung von Substraten Eine Veränderung der Substratkonzentration
und/oder Cofaktoren des Enzyms, kann eine schnelle Veränderung der Enzymaktivität
4 Konformationsänderung bzw. Denaturierung des Enzym- bewirken
proteins. Die Geschwindigkeit einer enzymkatalysierten Reaktion wird
wesentlich von der aktuellen Konzentration des jeweiligen Sub-
Der Einfluss des pH-Wertes auf die Enzymaktivität ist in . Abb. strates bestimmt (7 Kap. 7.7). Bei hohen Substratkonzentratio-
8.2 am Beispiel der an der Apoptose (7 Kap. 51) beteiligten Cas- nen hat deren Veränderung einen nur geringen Einfluss auf die
pase 9 illustriert. Caspasen sind Cysteinyl-Aspartyl-Proteasen, Reaktionsgeschwindigkeit, während im Bereich niedriger Sub-
die im aktiven Zentrum einen Cystein- und einen Histidinrest stratkonzentrationen bereits kleine Veränderungen zu einem
besitzen und ihre Substrate nach einem Aspartatrest spalten. Die relativ großen Abfall oder Anstieg der Reaktionsgeschwindigkeit
katalytische Aktivität der Caspase-9 erfordert die Ausbildung führen können. Da sich die Konzentrationen der meisten Sub-
einer Wasserstoffbrücke zwischen den Seitenketten der Amino- strate in der Zelle unterhalb der KM-Werte der zugehörigen
säuren Cystein 287 und Histidin 237. Durch die Beteiligung von Enzyme bewegen, können schon geringe Schwankungen von
Protonen an der reversiblen Ausbildung dieser Wasserstoff- Substratkonzentrationen in vivo funktionell bedeutsame Verän-
brücke kommt es zu einer glockenförmigen Abhängigkeit der derungen von Stoffumsatzgeschwindigkeiten bewirken.
Caspase-9-Aktivität vom pH-Wert.
A B C
. Abb. 8.3 Kompetitive Enzymhemmung. A Reaktionsschema. Das Substrat (S) und der Inhibitor (I) konkurrieren um dieselbe Bindungsstelle im aktiven
Zentrum des Enzyms. B Kinetik bei verschiedenen Konzentrationen des Inhibitors. Auch die in Gegenwart des Inhibitors beobachteten Kurven nähern sich
asymptotisch der maximalen Reaktionsgeschwindigkeit VMAX. C Darstellung der Kinetik im Lineweaver-Burk-Diagramm. Die kompetitive Hemmung bewirkt
eine Erhöhung des KM-Wertes, während die maximale Reaktionsgeschwindigkeit unverändert bleibt
A B C
. Abb. 8.5 Nicht-kompetitive Enzymhemmung. A Reaktionsschema. Der Inhibitor (I) bindet außerhalb des aktiven Zentrums sowohl an das freie
Enzym (E) als auch an den Enzym-Substrat-Komplex (ES). B Kinetik bei verschiedenen Konzentrationen des Inhibitors. C Darstellung der Kinetik im
8 Lineweaver-Burk-Diagramm. Die nicht-kompetitive Hemmung bewirkt eine Erniedrigung von VMAX, während der KM-Wert unverändert bleibt
. Abb. 8.8 Symmetriemodell allosterischer Enzyme. Die Wechselwirkun- . Abb. 8.9 Kinetik eines allosterischen Enzyms im Symmetriemodell.
gen der Untereinheiten des dimeren Enzyms erzwingen symmetrische Kon- Die obere hyperbole Kurve entspricht der V/[S]-Charakteristik des R-Zu-
formationszustände, die in einem allosterischen Gleichgewicht stehen. Der standes, die scheinbar lineare tatsächlich aber ebenfalls hyperbole untere
Übergang zwischen R- und T-Zustand erfolgt nach dem »Alles-oder- Kurve der des T-Zustandes. Die sigmoidale Kurve entsteht durch die Zunah-
Nichts«-Prinzip. Mit steigender Substratkonzentration kommt es zu einer me des Anteils der R-Konformation des Enzyms bei steigender Substrat-
Verschiebung des allosterischen Gleichgewichtes zugunsten des für das konzentration
Substrat (grün) hochaffinen R-Zustandes. Auch allosterische Aktivatoren
binden bevorzugt an den R-Zustand (nicht dargestellt). Die Bindung eines
allosterischen Inhibitors (rot) stabilisiert den T-Zustand
risch wirksam sind. Man bezeichnet diese Moleküle als »Signal-
metabolite«. Generell kann die Gegenwart allosterischer Effekto-
Gleichgewichtes zugunsten des R-Zustandes. Die Vergrößerung ren zu einer Veränderung der Maximalaktivität VMAX (V-Syste-
des Anteils der Enzymmoleküle, die infolge der Bindung eines me) oder zu einer Beeinflussung der Substratkonzentration S0,5
Substratmoleküls in der R-Form vorliegen, ermöglicht die eines allosterischen Enzyms führen, bei der halbmaximale Reak-
Bindung weiterer Substratmoleküle an hochaffine Substratbin- tionsgeschwindigkeit beobachtet wird (K-Systeme). In vielen
dungsstellen des gleichen Enzymmoleküls (positive homotrope Fällen verändern allosterische Effektoren beide Parameter.
Kooperativität) und bewirkt den sigmoidalen Verlauf der V/[S]- Im Kontext des Symmetriemodells beruht die Wirkung allo-
Charakteristik des Enzyms (. Abb. 8.9). sterischer Effektoren darauf, dass sie das Gleichgewicht zwischen
Ein alternatives Modell zur Beschreibung der funktionellen R- und T-Zustand durch eine bevorzugte Bindung an einen der
Eigenschaften allosterischer Enzyme wurde von Daniel E. Kosh- zwei Konformationszustände verschieben (. Abb. 8.8). Negative
land Jr. (1966) entwickelt und wird als sequentielles Modell allosterische Effektoren binden bevorzugt an die T-Konformati-
(Koshland-Nemethy-Filmer-Modell) bezeichnet. Im Unter- on des Enzyms und verschieben so das allosterische Gleichge-
schied zum konzertierten Modell wird postuliert, dass die Bin- wicht zugunsten des für das Substrat niedrigaffinen T-Zustandes.
dung eines Liganden an eine Untereinheit eines oligomeren En- Im Gegensatz dazu bewirken positive allosterische Effektoren –
zyms eine Konformationsänderung unmittelbar in dieser Unter- ähnlich wie das Substrat – eine Verschiebung des allosterischen
einheit und mittelbar in benachbarten Untereinheiten induziert. Gleichgewichtes hin zum R-Zustand. Durch hinreichend hohe
Die im konzertierten Modell eingeführte Symmetrieforderung Konzentrationen eines positiven allosterischen Effektors kann
wird durch eine thermodynamische Beschreibung der Wechsel- das allosterische Gleichgewicht so weit verschoben werden, dass
wirkungen zwischen den Untereinheiten des oligomeren Enzyms bei Variation der Substratkonzentration eine hyperbole Kinetik
ersetzt. Eine wichtige Eigenschaft des sequentiellen Modells be- beobachtet wird, die dann die katalytischen Eigenschaften des
steht darin, dass dieses im Gegensatz zum Symmetriemodell R-Zustandes widerspiegelt (. Abb. 8.9).
auch eine negative Kooperativität erklären kann, bei der die Regulatorisch bedeutsam ist, dass allosterische Enzyme oft-
Bindung eines Substratmoleküls an ein aktives Zentrum die Bin- mals unter zellulären Bedingungen irreversible Reaktionen am
dung weiterer Substratmoleküle an noch unbesetzte Substratbin- Anfang von Stoffwechselwegen oder an Verzweigungspunkten
dungsstellen des gleichen Enzyms erschwert. des Stoffwechsels katalysieren. Die sensitive und spezifische Re-
gulation dieser Enzyme durch allosterische Effektoren eröffnet
Allosterische Enzyme werden wirksam durch posi- vielfältige Möglichkeiten für therapeutische Interventionen.
tive und negative allosterische Effektoren reguliert Von medizinischem Interesse sind hierbei u. a. Substanzen, die
Die katalytische Aktivität allosterischer Enzyme wird typischer- als allosterische Effektoren von Monooxygenasen der Cyto-
weise empfindlich durch Liganden gesteuert, die mit dem Sub- chrom-P450-Familie (7 Kap. 62.3) wirken. Auch die allosterische
strat strukturell nicht verwandt sind und an Bindungsstellen Kontrolle der an der Regulation von Zellfunktionen beteiligten
außerhalb des aktiven Zentrums gebunden werden. Zu diesen G-Protein-gekoppelten Rezeptoren (GPCR; 7 Kap. 35.3), die
Liganden gehören Moleküle, die im Stoffwechsel gebildet werden selbst keine katalytische Aktivität aufweisen, besitzt ein großes
und oftmals bereits in sehr geringen Konzentrationen regulato- pharmakotherapeutisches Potential.
122 Kapitel 8 · Regulation der Enzymaktivität
A B
. Abb. 8.10 Allosterische Regulation des Muskel-Isoenzyms der PFK1 des Menschen. A Abhängigkeit der Enzymaktivität von der ATP-Konzentration
([Fructose-6-Phosphat] = 0,25 mM) (rote Kurve). B Abhängigkeit der Enzymaktivität von der Fructose-6-Phosphatkonzentration ([MgATP2–] = 3 mM) (rote
8 Kurve). Blaue Kurven: Aktivierung der PFK1 durch Fructose-2,6-Bisphosphat (1 µM). Die in der Abbildung markierten Konzentrationen von Fructose-6-
Phosphat bzw. MgATP2– (unterbrochene Linien) entsprechen typischen intrazellulären Konzentrationen dieser Substrate
HMG-CoA-Reduktase Dephosphoryliert 23
8.5 · Regulation der Enzymaktivität durch covalente Modifikation
123 8
Dephospho-Enzym# Phospho-Enzym#
124 Kapitel 8 · Regulation der Enzymaktivität
Zusammenfassung
Die Regulierbarkeit der katalytischen Aktivität der Enzyme
ist eine notwendige Voraussetzung für Wachstum, Differen-
zierung und Zellteilung sowie für die Kontrolle von Stoff-
wechselprozessen durch Signalstoffe. Hierbei wirken Mecha-
nismen einer schnellen Regulation der Aktivität bereits vor-
handener Enzymmoleküle und einer vergleichsweise lang-
samen Veränderung der Enzymmenge auf DNA-, RNA- und
Proteinebene zusammen.
Enzyme können durch Inhibitoren reversibel oder irrever-
sibel gehemmt werden. Bei einer reversiblen Hemmung
kommt es zu einer dem Massenwirkungsgesetz folgenden
Bindung des Inhibitors an das Enzym. Im Gegensatz dazu
wird das Enzym bei einer irreversiblen Hemmung durch
den Inhibitor dauerhaft kovalent modifiziert oder der
Inhibitor mit hoher Affinität im aktiven Zentrum gebun-
den. Suizidsubstrate sind Hemmstoffe, die erst nach einem
katalytischen Schritt fest im aktiven Zentrum gebunden
werden und dieses dauerhaft blockieren. Eine große Zahl
moderner Pharmaka gehört zur Wirkgruppe der Enzym-
inhibitoren.
Die Wechselwirkung allosterischer Enzyme mit positiven
und negativen Effektoren stellt einen wirksamen Mechanis-
mus der schnellen Kontrolle der Enzymaktivität dar. Die Bin-
dung dieser Liganden induziert Konformationsänderungen,
die mit einer Veränderung der Substrataffinität und/oder der
Maximalaktivität einhergehen.
6
125 9
P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_9, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
126 Kapitel 9 · Enzyme in Forschung, Diagnostik und Therapie
Kreatinkinase
Kreatinphosphat + ADP Kreatin + ATP
Hexokinase
ATP + Glucose ADP + Glucose-6-Phosphat + H+
. Abb. 9.1 Schematische Darstellung der relativen Konzentrationen von
Myoglobin, kardialem Troponin T (cTnT), Kreatinkinase-Isoenzym CK-MB
und Lactatdehydrogenase-Isoenzym LDH-1 im Serum nach einem akuten
Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenase
Myokardinfarkt (AMI). Die relativen Konzentrationen sind als Vielfaches der
Normalwerte (MoM, multiple of normal median) im Serum angegeben Glucose-6-Phosphat
+ NADP+ Gluconat-6-Phosphat + NADPH + H +
A B
. Abb. 9.2 Komplex der HIV-Protease mit dem Inhibitor Ritonavir. A Raumstruktur des HIV-Protease-Ritonavir-Komplexes (Bändermodell). Der Inhibitor
(rot) ist als Ball-und-Stab-Modell gezeigt. B Chemische Struktur von Ritonavir. Die OH-Gruppe des Moleküls (rot) ist an der Interaktion mit einem der Aspar-
tatreste im aktiven Zentrum der HIV-Protease beteiligt. (PDB ID 1hxw)
Der Anstieg der Myoglobinkonzentration im Serum unmit- Die in . Abb. 9.1 aufgeführten Proteine und Enzyme werden
telbar nach einem akuten Myokardinfarkt zeigt eine nekrotische infolge nekrotischer Veränderungen aus dem Myokard freige-
Schädigung des Herzmuskels mit hoher Sensitivität an. Die feh- setzt. Für die Abschätzung eines Infarktrisikos und für die Beur-
lende Kardiospezifität des Myoglobins relativiert jedoch dessen teilung des Therapieverlaufes nach einem Myocardinfarkt kön-
Bedeutung als Infarktmarker. Ursache der geringen Bedeutung nen auch Biomarker wie Myeloperoxidase (7 Kap. 70), Matrix-
der LDH-Analytik im Rahmen der Diagnostik des akuten Myo- Metalloproteasen (7 Kap. 71.2) und C-reaktives Protein (7 Kap.
kardinfarktes ist der späte und vergleichsweise moderate intrava- 67.3 und 70.11) herangezogen werden, die auf entzündliche Pro-
sale Anstieg des auch außerhalb des Herzmuskels vorkommen- zesse am Herzmuskel hinweisen.
den LDH-1-Isoenzyms (7 Kap. 7.3).
9.3 · Enzyme als Zielstrukturen von Pharmaka
129 9
9.3 Enzyme als Zielstrukturen von Pharmaka ten von Enzymen führen. Die Bedeutung dieses Phänomens soll
an einem therapeutisch bedeutsamen Beispiel demonstriert wer-
Eine Vielzahl moderner Pharmaka wirkt durch die den: Eine Vielzahl von Arzneimitteln wird in der Leber durch das
spezifische Hemmung von Enzymen Cytochrom-P450-Enzymsystem (7 Kap. 62.3) chemisch verän-
Die molekulare Grundlage der Wirkung eines Pharmakons be- dert (»metabolisiert«). Beim Menschen wurden mehr als 50 Gene
steht in dessen möglichst spezifischer Wechselwirkung mit sei- identifiziert, die Cytochrom-P450-Enzyme (CYP-Enzyme) codie-
ner Zielstruktur (target). Zu den therapeutisch bedeutsamen ren. CYP2D6 (EC 1.14.14.1) ist an der Metabolisierung von etwa
Zielstrukturen gehören verschiedenste bakterielle, virale, funga- einem Viertel aller verschreibungspflichtigen Medikamente be-
le und humane Enzyme, deren Aktivität durch Enzyminhibito- teiligt. Zur interindividuellen Variabilität der CYP2D6-Aktivität
ren gehemmt werden kann. Ein zentrales Erfordernis der mole- trägt die Existenz von mehr als 70 Allelvarianten mit unter-
kularen Modellierung von Hemmstoffen mit therapeutischem schiedlicher katalytischer Aktivität und/oder Expression, aber
Einsatzpotenzial ist neben der Kenntnis der katalysierten Reak- auch eine individuell unterschiedliche Kopienzahl des CYP2D6-
tion die Verfügbarkeit einer hochaufgelösten Raumstruktur des Gens bei. Während in Europa 7–10 % der Bevölkerung »lang-
target-Enzyms. Man bezeichnet einen solchen multidisziplinä- same Metabolisierer« und nur 1–2 % »schnelle Metabolisierer«
ren Ansatz zur Schaffung hochwirksamer Medikamente bei in Bezug auf CYP2D6 sind, ist die Situation in Asien invers. Diese
gleichzeitiger Minimierung unerwünschter Nebenwirkungen als Situation ist z. B. bei der Therapie des Mammakarzinoms mit
strukturbasiertes (rationales) drug design. dem Östrogenrezeptorantagonisten Tamoxifen von Bedeutung.
Eine Auswahl von Pharmaka, deren therapeutische Wirkung Tamoxifen ist ein »Prodrug«, das erst durch CYP2D6 in die phar-
in der Hemmung eines bestimmten Enzyms besteht, ist in . Tab. makologisch aktive Form (Endoxifen) umgewandelt wird. Trä-
9.1 zusammengestellt. Beispielgebend soll hier auf Inhibitoren gerinnen einer genetischen Variante mit niedriger CYP2D6-
der HIV-Protease eingegangen werden, die im Rahmen der Aktivität ziehen daher keinen oder einen nur geringen Nutzen
AIDS-Therapie zum Einsatz kommen. Die für den Replikations- aus einer Behandlung mit Tamoxifen. Eine Optimierung der
zyklus des HI-Virus (7 Kap. 12.3) benötigte HIV-Protease ist ein Tamoxifen-Therapie wird durch die Verfügbarkeit von Biochips
homodimeres Enzym aus der Familie der Aspartatproteasen, das unterstützt, die eine Identifizierung der Allelvarianten des
im aktiven Zentrum zwei am Katalysemechanismus beteiligte CYP2D6-Enzyms gestatten. Bei der Interpretation der Biochip-
Aspartatreste besitzt. Die Aufklärung der Raumstruktur der Daten muss berücksichtigt werden, dass auch nicht-genomische
HIV-Protease und ihres Reaktionsmechanismus sowie die Faktoren wie Hormone und Medikamente die CYP2D6-Aktivi-
Kenntnis des natürlichen Polypeptidsubstrates eröffnete die tät modulieren. So bewirken Glucocorticoide (7 Kap. 40.2) eine
Möglichkeit der Konstruktion von Übergangszustandsanaloga verstärkte Transkription des CYP2D6-Gens, während das zur
(7 Kap. 7.1), die das Enzym hochwirksam hemmen. Ritonavir antiretroviralen Therapie eingesetzte Ritonavir ( . Tab. 9.1,
(. Abb. 9.2) ist ein solcher durch strukturbasiertes drug design . Abb. 9.2) als Inhibitor des CYP2D6-Enzyms wirkt.
entwickelter Hemmstoff, der von der HIV-Protease mit sehr
hoher Affinität gebunden wird (Ki ca. 0,1 nmol/l).
Zunehmend begrenzt wird der klinische Einsatz von Zusammenfassung
Ritonavir durch die hohen Mutationsraten des retroviralen Die Bestimmung von Enzymaktivitäten und Metabolitkon-
Genoms, die zu einem Verlust der Hemmwirkung auf die zentrationen in Körperflüssigkeiten ist ein unverzichtbares
HIV-Protease führen können. Bemerkenswerterweise gewinnt Instrument der medizinischen Diagnostik. Zelluläre Enzyme,
in dieser Situation eine ursprünglich unerwünschte Neben- die in das Blut übertreten, können das geschädigte Organ
wirkung der Ritonavir-Therapie an Bedeutung: Ritonavir identifizieren und Informationen über den Schweregrad und
hemmt Cytochrom-P450-abhängige Monooxygenasen der Leber den Verlauf der Erkrankung sowie den Erfolg einer Therapie
(CYP3A4 und CYP2D6) und verlangsamt so den Abbau weiterer liefern.
Medikamente wie Atazanavir, die im Rahmen einer antiretrovi- Die Aufklärung der Reaktionsmechanismen der Enzyme und
ralen Therapie Anwendung finden. ihrer Funktionen im Stoffwechsel sowie die Analyse ihrer
Eine zunehmende Zahl von Pharmaka wirkt als Enzymakti- Raumstrukturen hat zur Entwicklung hochwirksamer
vatoren. Beispiele hierfür sind die Aktivierung der löslichen Pharmaka geführt, die im Rahmen der kausalen Therapie
Guanylatcyclase durch NO-Pharmaka (7 Kap. 35.6) zur Verbes- einer Vielzahl von Erkrankungen Anwendung finden.
serung der Sauerstoffversorgung des Myocards und die Aktivie- Zu den vielfältigen Einsatzgebieten der Enzyme in der Medi-
rung von Plasminogen durch rekombinanten humanen Gewebe- zin gehören die Analyse und die gezielte Veränderung von
plasminogenaktivator (rh-tPA) zur Einleitung einer enzymati- Nucleinsäuren genauso wie die therapeutische Unterstüt-
schen Thrombolyse (7 Kap. 69). Von großem medizinischen zung von Körperfunktionen mit Hilfe rekombinanter huma-
Interesse sind auch Aktivatoren der Glucokinase im Rahmen ner Enzyme.
der Therapie des Typ-2-Diabetes. DNA-Polymorphismen führen zu individuell-unterschiedli-
chen Enzymausstattungen, deren Kenntnis zur Optimierung
Körpereigene Enzyme beeinflussen von Therapiekonzepten genutzt werden kann.
die Wirksamkeit von Pharmaka
DNA-Polymorphismen können zu einer individuell unterschied-
lichen Expression sowie zu individuell spezifischen Eigenschaf- 7 Die Literaturliste finden Sie unter springer.com
10 Nucleinsäuren – Struktur und Funktion
Hans-Georg Koch, Jan Brix, Peter C. Heinrich
P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_10, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
Phosphodiesterbindung Nucleinsäuren#
10.2 · Die DNA-Struktur
131 10
der Pentose gebunden (Ausnahme Pseudouridin, 10.2 Die DNA-Struktur
7 Kap. 3.4.1).
4 Die Verbindung zwischen den einzelnen Mononucleotiden 10.2.1 Die DNA-Doppelhelix
erfolgt durch eine Phosphodiesterbindung zwischen dem
C-Atom 3’ der einen Pentose und dem C-Atom 5’ der Erst 1944, also 75 Jahre nach der Erstbeschreibung der Nuclein-
nächsten. In der DNA ist diese 3’,5’-Bindung die einzig säuren, entdeckte Oswald Theodore Avery, dass DNA Trägerin
mögliche, da in der Desoxyribose keine weiteren Hydroxyl- der Erbmerkmale ist und nicht Proteine, wie von vielen Wissen-
gruppen für die Bindung von Phosphatestern zur Verfü- schaftlern postuliert worden war. Bis 1950 hatte schließlich Erwin
gung stehen. Auch in der RNA kommen am häufigsten Chargaff eine Reihe wichtiger Eigenschaften der DNA aufgeklärt:
3’,5’-Bindungen vor, obwohl auch 2’,5’-Bindungen möglich 4 Die Basenzusammensetzung der DNA ist speziesspezifisch.
sind, z. B. während des Spleißens (7 Kap. 46.3.3). 4 Aus verschiedenen Geweben der gleichen Art isolierte
DNA-Proben haben immer die gleiche Basenzusammen-
Die Struktur einer Nucleinsäurekette kann in abgekürzter Form setzung.
angegeben werden: 4 Innerhalb einer bestimmten Spezies ist die Basenzusam-
4 Die Buchstaben A, G, C und U oder T dienen dabei als mensetzung der DNA konstant und nicht vom Alter,
Symbole für die Basen. Ernährungszustand oder Veränderungen der Umgebung
4 Der Buchstabe p bezeichnet Phosphat. p auf der linken abhängig.
Seite der Nucleosidabkürzung stellt eine 4 Aufgrund der Tatsache, dass die Purinbase Adenin immer
5’-Zuckerphosphatbindung dar, auf der rechten Seite der mit der Pyrimidinbase Thymin paart, und die Purinbase
Nucleosidabkürzung eine 3’-Zuckerphosphatbindung. Guanin immer mit der Pyrimidinbase Cytosin (Chargaff-
4 Mit dem Präfix d wird zum Ausdruck gebracht, dass es sich Regel), ergibt sich, dass in allen untersuchten DNA-Proben
um ein Desoxyribonucleotid handelt. die Anzahl der Adeninreste gleich der Anzahl der Thymin-
reste ist. Ebenso ist die Anzahl der Guaninreste stets gleich
So wird beispielsweise mit dem Ausdruck dpG Desoxyguano- der Anzahl der Cytosinreste. Daraus folgt, dass die Summe
sin-5’-Phosphat bezeichnet. Ein dGp steht dagegen für Desoxy- der Purinnucleotide gleich der Summe der Pyrimidinnucle-
guanosin-3’-Phosphat. Die in . Abb. 10.1 dargestellten Tetranuc- otide sein muss (A + G = T + C).
leotide würden in der Kurzschreibweise als d(pA-T-G-C) bzw.
pA-U-G-C bezeichnet werden. Damit werden als Verknüpfung Trotz dieser Erkenntnisse waren der DNA-Aufbau und der Me-
Phosphodiesterbindungen zwischen dem C-Atom 3’ des einen chanismus der Informationsspeicherung und -wiedergabe durch
Zuckermoleküls und dem C-Atom 5’ des nächsten angenommen. die DNA völlig rätselhaft. Rosalind Franklin und Maurice Wil-
Aufgrund der Phosphatgruppen sind Nucleinsäuren starke kins stellten als erste röntgenkristallographische Untersuchun-
mehrbasige Säuren, die bei pH-Werten über 4 vollständig disso- gen über die DNA an und schlossen auf eine spiralige Struktur
ziiert sind. DNA und RNA unterscheiden sich nicht nur durch (s. 7 Übrigens Der Weg zur Doppelhelix und . Abb. 10.2). Erst
die Art der als Basenbestandteile verwendeten Zucker, sondern James Watson und Francis Crick gingen von der Annahme aus,
auch durch die Basenzusammensetzung: dass im DNA-Molekül Wasserstoffbrückenbindungen zwischen
4 In der DNA kommen Adenin, Guanin, Thymin und Cyto- den Basen vorhanden sind und schlugen 1953 ein Modell für die
sin vor. DNA-Struktur vor, das sich schließlich als richtig erwies (. Abb.
4 In der RNA findet sich in der Regel statt der Pyrimidinbase 10.3A). Es handelt sich um die B-DNA. Ihre Struktur ergibt sich
Thymin das Uracil. Die Verwendung von Thymin (5-Me- aufgrund von Wasserstoffbrückenbindungen und hydrophoben
thyluracil) anstelle von Uracil in der DNA ist notwendig, da Wechselwirkungen (. Abb. 10.3B):
Uracil auch durch spontane Desaminierung aus Cytosin 4 B-DNA besteht aus zwei helicalen Polydesoxynucleotid-
entstehen kann. Diese spontan und häufig auftretende strängen, die sich um eine gemeinsame Achse winden.
Mutation wird über spezielle DNA-Reparatursysteme Dabei verlaufen die Stränge in entgegengesetzter Richtung,
(7 Kap. 45.2) erkannt und behoben, was allerdings nur ge- sind also antiparallel.
lingen kann, weil Uracil nicht natürlicherweise in der DNA 4 B-DNA bildet eine rechtsgängige Doppelhelix mit etwa 10
vorkommt. Basenpaaren pro Windung auf einer Länge von 3,4 nm. Der
Durchmesser dieser Helix liegt bei 2 nm.
4 Die Basen zeigen in das Innere der Helix und sind planar
Zusammenfassung übereinander angeordnet. Über van der Waals-Kräfte und
Nucleotidbausteine bilden durch Verknüpfung über Phos- hydrophobe Wechselwirkungen tragen diese »Basenstapel«
phorsäurediesterbrücken zwischen den C-Atomen 3’ und 5’ zusätzlich zur Stabilität der DNA bei. Die Zucker-Phosphat-
der Ribose bzw. Desoxyribose lange kettenförmige Mole- Reste sind nach außen orientiert und bilden das negativ ge-
küle, die Nucleinsäuren. In DNA-Molekülen kommen aus- ladene Rückgrat der DNA-Doppelhelix.
schließlich Desoxyribonucleotide vor, in RNA-Molekülen 4 Benachbarte Basen entlang der Helixachse sind 0,34 nm
Ribonucleotide. DNA und RNA unterscheiden sich auch voneinander entfernt und um 36° gegeneinander verdreht.
durch die Basenzusammensetzung. 4 Die B-DNA weist eine große Furche (Breite 1–2 nm) und
eine kleine Furche (Breite 0,6 nm) auf; in diesen Bereichen
132 Kapitel 10 · Nucleinsäuren – Struktur und Funktion
Übrigens
Der Weg zur Doppelhelix
Einer der wichtigsten und wohl folgenreichsten Beiträge
zur Wissenschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts lässt sich
auf den 25. April 1953 datieren. An diesem Tag erschien in
dem britischen Magazin Nature – auf nur zwei Seiten – die Ver-
öffentlichung eines Modells für den Stoff, aus dem die Gene
bestehen. Im britischen Cambridge schlugen der Amerikaner
James D. Watson (*1928) und der Brite Francis Crick (1916–
2004) eine grandiose Struktur für eine Säure (acid) vor, die im
19. Jahrhundert im Zellkern entdeckt worden war und seitdem
Desoxyribonucleinsäure (DNS, heute nur noch DNA) hieß: die
Watson-Crick-Doppelhelix. Diese stellt ein Molekül zur Verfü-
10 gung, dessen Struktur unmittelbar erkennen lässt, wie grundle-
gende biologische Funktionen zustande gebracht werden kön-
nen – nämlich die Verdoppelung des Erbmaterials als Vorstufe
der Vermehrung von Zellen und Organismen.
Wie kamen Watson und Crick zu ihrer Entdeckung?
Sie erkannten in ihren endlosen Diskussionen (die andere
Mitarbeiter des Cavendish Laboratoriums in Cambridge der-
art nervten, dass man den beiden ein gemeinsames Büro
gab), dass es wichtig sei, »sich nicht all zu sehr auf irgend-
welche experimentellen Einzelergebnisse zu verlassen«,
denn »sie könnten sich als irreführend herausstellen«. Man
musste damit rechnen, dass Messdaten schlichtweg falsch
waren und deswegen in die Irre führen könnten – so schwer
B verständlich dies für Außenstehende auch sein mag. Diese
Möglichkeit machte es zum Beispiel sinnlos, von einem Mo-
dell zu erwarten, dass es alle (gemessenen) Eigenschaften
seines natürlichen Vorbildes auf einmal erklärt. Die beiden
sagten sich, dass nicht Präzision und Detailbesessenheit in
erster Linie wichtig seien, sondern Mut und Phantasie. So
wichtig in vielen Fällen Genauigkeit ist, sie stellt keinen Wert
an sich dar. Und eine begrenzte Schlampigkeit im Denken
kann manchmal weiter führen als die größte Sorgfalt. Nicht
die perfekte Beherrschung des komplizierten Handwerks-
zeugs entscheidet über Erfolg und Misserfolg, sondern die
richtige Fragestellung, und die lautete im Frühjahr 1953:
»Wie sieht die Substanz, aus der Gene bestehen, aus? Welche
Struktur hat die DNA?«
Von dem Physiker Maurice Wilkins hatten Watson und Crick
erfahren, dass Rosalind Franklin Röntgenstrukturaufnahmen
von DNA erhalten hatte, die keinen Zweifel daran ließen,
dass DNA eine Helixstruktur haben musste. Sie konnte eine
neue Form der DNA sichtbar machen, die heute berühmte B-
Form, die sich von der bislang immer in den Experimenten
. Abb. 10.2 A Die vier Entdecker der DNA-Doppelhelix, B Röntgenbild 6
kristallisierter DNA. (© The Nobel Foundation)
10.2 · Die DNA-Struktur
133 10
A
verwendeten A-Struktur dadurch unterschied, dass sie mehr dem Chemiker Erwin Chargaff in New York neueste Ergeb-
Wasser enthielt. Frau Franklin wollte diese Daten für sich be- nisse zur DNA-Basenstöchiometrie erfahren hatten. In der
halten – was ihr offenbar niemand verübelt hat – aber Wat- Folge wurden sie von dem amerikanischen Kristallographen
son und Crick wussten sich auf verschiedenen Wegen, diese Jerry Donohue darauf hingewiesen, dass die vier Basen der
Informationen zu beschaffen – was ihnen alle Welt verübel- DNA eine andere Struktur haben, als in den Lehrbüchern
te. Das Röntgenbild der DNA, das Rosalind Franklin ihren dargestellt war. Trotz dieser Information kam die Arbeit nicht
Kollegen nicht zeigen wollte, lässt im Wesentlichen ein Kreuz automatisch zum Ziel, weil weder Crick noch Watson eine
erkennen, womit nicht nur die Schraubenstruktur der DNA Idee hatten, wie sie die großen Basen Adenin (A) und Gua-
festliegt, sondern sogar eine Doppelhelixstruktur (. Abb. nin (G) und die kleinen Basen Cytosin (C) und Thymin (T) an-
10.2B). ordnen sollten.
Der Durchbruch zur richtigen Struktur des Erbmaterials Wochenlang haben die beiden versucht, A mit A und T mit T
konnte aber erst gelingen, nachdem Watson und Crick von zu paaren, weil sie (ohne wissenschaftliche Grundlage)
6 6
3’-Ende# 5’-Ende#
134 Kapitel 10 · Nucleinsäuren – Struktur und Funktion
Der größte Teil der DNA liegt in vivo als B-DNA vor (Watson-
Crick-Struktur). Grundsätzlich anders aufgebaut ist die Z-DNA
(. Abb. 10.5). Bei dieser DNA-Form handelt es sich um eine links-
gängige Doppelhelix, die im Vergleich zur B-DNA gestreckter ist
und deren große und kleine Furchen weniger stark ausgebildet
sind. Die Z-DNA macht insgesamt nur einen sehr kleinen Teil der
zellulären DNA aus und findet sich v. a. in GC-reichen DNA-Se-
. Abb. 10.4 Ausbildung von Wasserstoffbrücken (Basenpaarungen) quenzen. Über ihre biologische Bedeutung ist lange spekuliert
zwischen Adenin (A) und Thymin (T) bzw. Cytosin (C) und Guanin (G). worden; erst durch die Charakterisierung von Proteinen, die spe-
Die Wasserstoffbrücken sind blau gestrichelt, das Phosphat der Phospho- zifisch mit der Z-DNA interagieren, ist eine Beteiligung am RNA-
diesterbindung rot
Editing (7 Kap. 47.2.4) gezeigt worden. Darüber hinaus ist die
Z-DNA sehr immunogen: Z-DNA spezifische Antikörper finden
10 sich häufig bei Autoimmunerkrankungen, z. B. bei Systemi-
meinten, eine Gleiches-mit-Gleichem-Theorie würde ange- schem Lupus erythematodes. Die A-DNA (. Abb. 10.5) entsteht
messen wiedergeben, was in der Natur vorliegt. Erst die neu- nur bei experimenteller Dehydratisierung der B-DNA und stellt
en biochemischen Strukturen zwangen sie zum Umdenken. die kompakteste DNA-Form dar. Wahrscheinlich kommt die A-
Die Sternstunde zur Lösung der Basenanordnung in der DNA in vivo nicht vor, jedoch nehmen DNA-RNA-Doppelhelices
DNA beschreibt Watson in seinem Buch The Double Helix: und RNA-RNA-Doppelhelices die A-Konformation an; vermut-
»Plötzlich merkte ich, dass ein durch zwei Wasserstoffbin- lich verhindert die OH-Gruppe an C2 in der RNA sterisch die
dungen zusammengehaltenes Adenin-Thymin-Paar dieselbe Ausbildung einer B-Konformation. Wichtige strukturelle Eigen-
Gestalt hatte wie ein Guanin-Cytosin-Paar, das durch drei schaften der verschiedenen DNA-Strukturen sind in . Abb. 10.5
Wasserstoffbrücken zusammengehalten wurde. Alle diese zusammengestellt.
Wasserstoffbindungen schienen sich ganz natürlich zu bil-
den. Es waren keine Schwindeleien nötig, um diese zwei
Typen von Basenpaaren in eine identische Form zu brin- 10.2.2 Topologie der DNA
gen … Ich hatte das Gefühl, dass wir jetzt das Rätsel gelöst
hatten, warum die Zahl der Purine immer genau der Zahl der Auch die B-DNA als wichtigste biologische Konformation der
Pyrimidine entsprach, wie dies von Erwin Chargaff bereits DNA zeigt keine vollständig ausgestreckte und homogene Struk-
publiziert worden war. Diese Entsprechung erwies sich tur, sondern weist sequenzabhängige Abweichungen auf. Diese
plötzlich als notwendige Folge der doppelspiralförmigen Abweichungen von der helicalen Struktur sind wichtig für die
Struktur der DNA. Aber noch aufregender war, dass dieser Erkennung bestimmter DNA-Bereiche durch DNA-interagie-
Typ von Doppelhelix ein Schema für die Autoreproduktion rende Proteine und deshalb entscheidend für die Prozesse der
ergab, das viel befriedigender war als das Gleiches-mit-Glei- Replikation, Transkription, Rekombination, Transposition und
chem-Schema, das ich eine Zeitlang in Erwägung gezogen für die Integration viraler DNA. Die durch die Abweichung von
hatte. Wenn sich Adenin immer mit Thymin und Guanin im- der helicalen Struktur entstehende größere Instabilität der DNA
mer mit Cytosin paarte, so bedeutete das, dass die Basenfol- erleichtert zwar Proteinen die Interaktion mit der DNA, sie er-
gen in den beiden verschlungenen Ketten komplementär höht aber auch das Risiko von Mutationen, z. B. durch erhöhte
waren. War die Reihenfolge der Basen in einer Kette Empfindlichkeit gegenüber mutagenen Substanzen und gegen-
gegeben, so folgte daraus automatisch die Basenfolge der über Strangbrüchen. Sequenzabschnitte, die eine von der B-Kon-
anderen Kette. Es war daher begrifflich sehr einfach, sich formation abweichende Struktur bilden, werden deshalb häufig
vorzustellen, wie eine einzige Kette als Gussform für den in Tumorzellen und bei manchen neurologischen Erkrankungen
Aufbau einer Kette mit der komplementären Sequenz gefunden, z. B. bei Dystrophia myotonica und Friedreich-Ataxie.
dienen konnte«.
Nach dieser Jahrhundertentdeckung, die nicht aufgrund Palindromsequenzen können zu kreuzförmigen
logischer Überlegungen, sondern letztlich durch einen Strukturen führen
6 Palindrome sind eine häufige Ursache für eine von der B-DNA
abweichende Konformation. Man versteht hierunter generell
10.2 · Die DNA-Struktur
135 10
. Abb. 10.5 Strukturen von B-, A- und Z-DNA in Seitenansicht. Atommodelle der drei verschiedenen DNA-Konformationen. In der Tabelle sind die wich-
tigsten Struktureigenschaften von B-, A- und Z-DNA zusammengefasst
Sätze, die – egal ob von links nach rechts oder von rechts nach derte Konformation der DNA-Cisplatin-Addukte führt vermehrt
links gelesen – immer die gleiche Buchstabenreihenfolge erge- zu Strangbrüchen, die die Apoptose der Tumorzellen auslösen
ben. Ein Beispiel hierfür ist z. B. »Anni meide die Minna«. (7 Kap. 45.1 und 51.1).
Derartige DNA-Bereiche sind mit sich selbst komplemen-
tär, da sie umgekehrte Wiederholungssequenzen (inverted Durch Superspiralisierung entstehen
repeats) enthalten. Inverted repeats findet man z. B. in den kompaktere DNA-Formen
DNA-Bindungsregionen von Rezeptoren der Steroidhormon- Die genomische DNA vieler Prokaryonten und Viren, aber auch
familie (7 Kap. 35.1). Bezogen auf doppelsträngige DNA stellen die mitochondriale DNA der Eukaryonten, ist ringförmig, d. h.
Palindrome Sequenzelemente mit zweifacher Symmetrie dar: die beiden DNA-Stränge bilden eine geschlossene Struktur ohne
Wie in . Abb. 10.6A gezeigt, lassen sich die Sequenzele- freie Enden. Bei der DNA-Replikation und -Transkription muss
mente (hellblau unterlegte Sequenzen) zur Deckung bringen, der Doppelstrang allerdings lokal entwunden werden, was
indem sie zunächst 180° um eine horizontale Achse und an- zwangsläufig eine erhöhte Torsionsspannung im übrigen Teil der
schließend 180° um eine vertikale Achse gedreht werden. Sie sind DNA-Doppelhelix auslöst.
unter bestimmten Bedingungen imstande, haarnadelförmige Die genomische DNA der Eukaryonten ist zwar linear, aber
(hairpin) oder kreuzförmige (cruciform) Strukturen auszubilden die DNA-Stränge sind durch den Kontakt mit Proteinen eben-
(. Abb. 10.6B, C). falls zumindest partiell fixiert, d. h. das Problem der Torsion-
Wegen der in Längsrichtung hohen Flexibilität der DNA spannung besteht auch hier. Es leuchtet ein, dass sich die durch
können auch DNA-interagierende Proteine eine Konformations- lokale Entwindungen ausgelösten sog. Superhelices nicht unbe-
änderung der DNA auslösen. So bewirkt z. B. die Bindung des grenzt entwickeln dürfen, sondern dass die Zelle über Möglich-
TATA-box binding protein (TBP) einen starken Knick in der keiten verfügen muss, die Abweichungen vom normalen Win-
DNA. TBP bindet an adenin- und thyminreiche DNA-Abschnit- dungszustand zu beheben. Dies geschieht durch lokale Spaltung
te und die ausgelöste Konformationsänderung wird für die Tran- der Phosphodiesterbindung in einem oder in beiden Strängen
skription der meisten eukaryontischen Gene benötigt (7 Kap. der DNA-Doppelhelix und einer nachfolgenden Entspiralisie-
46.3.2). Konformationsänderungen der DNA können auch durch rung. Danach werden die Enden der DNA-Stränge wieder ver-
Medikamente ausgelöst werden. Cisplatin, eine zur Behandlung knüpft. Die hierfür verantwortlichen Enzyme sind die Topoiso-
von z. B. Hodentumoren eingesetzte Verbindung, führt zur che- merasen. Details zum Mechnismus dieser Enzyme werden in
mischen Quervernetzung der beiden DNA-Stränge. Die verän- 7 Kap. 44.3 beschrieben.
136 Kapitel 10 · Nucleinsäuren – Struktur und Funktion
B C
10
10.2.3 Der Aufbau des Chromatins im Zellkern. Sie bildet dort einen Komplex mit verschiedenen
Proteinen, der als Chromatin bezeichnet wird. In Anbetracht der
Der DNA-Gehalt von Säugetierzellen liegt je nach Spezies zwi- riesigen Konturlänge muss die DNA sehr dicht verpackt sein.
schen 4 und 8 pg/Zelle. Dies ist mehr als 1.000-mal so viel wie der Hierfür ist ihre Assoziation mit den Histonproteinen unter Bil-
DNA-Gehalt von Mikroorganismen. Die höchsten Werte zeigen dung von Nucleosomen von besonderer Bedeutung.
die Zellen höherer Pflanzen mit mehr als dem 104fachen des
DNA-Gehaltes von Bakterienzellen. Dementsprechend variabel Histone sind DNA-bindende Proteine
ist auch die sog. Konturlänge der DNA. Dieser Wert ergibt sich Histone (. Tab. 10.1) kommen in fünf unterschiedlichen Formen
unter der Annahme, dass die gesamte DNA einer Zelle als linea- vor und zeichnen sich durch einen hohen Gehalt an basischen
res Makromolekül vorliegen würde. E. coli hätte demnach eine
Konturlänge von 1,36 mm, die diploide humane DNA dagegen . Tab. 10.1 Die fünf wichtigsten humanen Histonproteine*
eine Konturlänge von etwa 1,8 m pro Zelle! Dies bedeutet, dass
die Gesamt-DNA eines erwachsenen Menschen (bei einer Bezeichnung % Arginin % Lysin Molekülmasse
Zellzahl von etwa 1014) eine Länge von etwa 2∙1011 km besitzt, (kDa)
also mehr als die 1 000-fache Entfernung zwischen Erde und H1 11 29 19–23
Sonne (1,5∙108 km). Im Allgemeinen ist es jedoch üblich, die
H2A 19 11 14
Größe von DNA-Abschnitten durch die Zahl der Basen (base, b)
oder Basenpaare (base pairs, bp) anzugeben. Ein DNA-Einzel- H2B 16 16 14
strang von 1 kb Größe besteht demnach aus 103 Basen, einer von H3 13 10 15
1 Mb aus 106 Basen usw.
H4 14 11 11
Die DNA prokaryontischer Mikroorganismen ist meist ring-
förmig als stark gefaltetes Gebilde im Cytoplasma lokalisiert. Im * Die prozentualen Anteile der basischen Aminosäuren wurden aus
den in Datenbanken hinterlegten Sequenzen ermittelt (http://
Gegensatz dazu befindet sich die DNA aller eukaryontischen
www.ncbi.nlm.nih.gov).
Zellen mit Ausnahme der mitochondrialen DNA (7 Kap. 12.7)
10.2 · Die DNA-Struktur
137 10
. Abb. 10.7A Dreidimensionale Strukturen der Histone. Strukturen der Kernhistone H2A, H2B, H3 und H4 und des linker-Histons H1. Von dem linker-
Histon H1 ist bislang nur die Struktur der globulären (core) Domäne gelöst. Die Abbildungen wurden mit dem Programm ProteinWorkshop 2.0 erstellt.
PDB-Koordinaten: 1AO1 und 1GHC Dreidimensionale Strukturen der Histone
Aminosäuren aus. Die Histone H2A, H2B, H3 und H4 sind be- 4 Die Bildung eines stabilen Nucleosomenkerns beginnt mit
sonders hoch konservierte Proteine, d.h. sie unterscheiden sich der Heterodimerisierung der Histonproteine H3 und H4.
beim Vergleich zwischen verschiedenartigen Spezies nur durch Zwei derartige Dimere bilden anschließend ein (H3–H4)2-
sehr wenige Aminosäuren. Diese Tatsache spricht für ihre beson- Tetramer.
dere Bedeutung bei der DNA-Kondensation im Zellkern. Das 4 Die Histone H2A und H2B bilden ebenfalls Heterodimere,
Histon H1 ist dagegen geringer konserviert, existiert in gewebs- welche auf beiden Seiten des (H3-H4)2-Tetramers angela-
spezifischen Isoformen und zeigt eine abweichende 3D-Struktur gert werden.
(. Abb. 10.7A). Das gehäufte Vorkommen basischer Aminosäure- 4 Das auf diese Weise gebildete Histonoctamer der Zusam-
reste in den genannten Histonproteinen dient der Neutralisie- mensetzung (H2A-H2B)-(H4-H3)-(H3-H4)-(H2B-H2A)
rung des polyanionischen DNA-Rückgrats und erleichtert so die bildet eine scheibenförmige Struktur, um die 146–147 Ba-
Faltung von Nucleosomen zu höheren Strukturordnungen. senpaare DNA gewunden sind. Die DNA bildet dabei eine
Da inzwischen die Histonproteine ganz unterschiedlicher flache Superhelix mit 1,8 Windungen.
Spezies kloniert, sequenziert und kristallisiert wurden, sind ge- 4 Die Schwanzdomänen ragen aus dem globulären Histon-
sicherte Daten über ihre Raumstruktur vorhanden. Die Histo- octamer heraus und sind daher für Modifikationen (s. u.)
ne H2A, H2B, H3 und H4 zeigen einen sehr ähnlichen Aufbau zugänglich.
(. Abb. 10.7A). C-terminal befinden sich α-helicale Abschnitte,
von denen je drei eine Domäne bilden, die mit DNA interagieren Das Histon H1 nimmt nicht an der Bildung des Histonoctamers
kann und die auch als histone fold bezeichnet wird. Etwa 20– teil, ist jedoch für die Stabilisierung der DNA auf den Histon-
40 Aminosäuren bilden die sog. »Schwanz«-Domäne der Histo- octameren und die Aufrechterhaltung höherer Ordnungen der
ne (histone tails). Diese sind im N-terminalen Abschnitt aller Chromatinstruktur von Bedeutung. H1-Histone bilden eine Fa-
4 Histonproteine lokalisiert, darüber hinaus aber auch am C- milie von sog. linker-Histonen (Verbindungshistone) und sind
Terminus des Histons H2A. Die Schwanzdomänen der Histone mit den DNA-Zwischenstücken zwischen den Nucleosomen
spielen eine wichtige Rolle bei den regulierten Änderungen der (linker-DNA) assoziiert. Neben den Histonen werden für die Aus-
Nucleosomenstruktur während Replikation und Transkription bildung des Nucleosoms auch histonspezifische Chaperone benö-
(7 Kap. 44 und 47.2.1). tigt, die die Histone mit der DNA zusammenfügen und die ver-
Neben den fünf genannten Histonen kommen besonders in mutlich auch an der Positionierung der Nucleosomen beteiligt
Vertebraten noch einige seltene Histonisoformen vor. So wird sind.
z. B. statt H2A punktuell die Variante H2AX in Nucleosomen
eingebaut, die bei Doppelstrangbrüchen DNA-Reparaturenzyme Nucleosomen ordnen sich zu einer linksgängigen
rekrutiert. An den Centromeren (7 Kap. 43.2) findet man die H3- Helix, der 30-nm-Faser
Variante CENP-A (centromere protein A), die an der Bindung des Wie aus . Abb. 10.9 zu entnehmen ist, bilden Nucleosomen eine
Spindelapparates beteiligt ist. In manchen Vertebraten ist H1 perlenschnurartige Struktur (auch beads-on-a-string-Struktur
durch eine sechste Histonform, das H5 ersetzt. genannt), wobei die zwischen den einzelnen Nucleosomenparti-
keln gelegene sog. Verbindungs-DNA (linker-DNA) in ihrer Län-
Nucleosomen sind die unterste Organisationsebene ge variabel ist, in der Regel aber etwa 50–60 Basenpaare umfasst.
des Chromatins Das Histon H1 verschließt gewissermaßen das Nucleosom und
Die Erkenntnisse über den Aufbau der Histonproteine haben zu bestimmt die Länge der Verbindungs-DNA. Die Bildung der Nu-
einer molekularen Beschreibung des bereits 1974 von Ro- cleosomen führt zu einer etwa 7fachen Kondensation der DNA.
ger G.R. Kornberg beschriebenen Nucleosoms geführt (. Abb. Bei physiologischen Salzkonzentrationen bildet die Nucleo-
10.8). Nucleosomen enthalten einen aus den Histonproteinen somenkette eine 30 nm dicke Faser. Sie entsteht durch spiralför-
gebildeten sog. Nucleosomenkern (nucleosome core), um den die mige Aufwicklung der Nucleosomenkette, wobei jede Windung
DNA gewunden ist (. Abb. 10.7B): etwa 6 Nucleosomen enthält (. Abb. 10.9B, C). Dabei reagieren
138 Kapitel 10 · Nucleinsäuren – Struktur und Funktion
10
. Abb. 10.7B Dreidimensionale Strukturen der Histone. Schrittweise Assemblierung des Nucleosomenkerns. (Einzelheiten s. Text). (Adaptiert nach
Alberts 2008, mit freundlicher Genehmigung von Taylor u. Francis)
10.2 · Die DNA-Struktur
139 10
A B
. Abb. 10.8 Struktur eines Nucleosomenkerns. A Aufsicht auf die DNA-Superhelix. Die Histone H2A, H2B, H3 und H4 sind gelb, rot, blau bzw. grün einge-
färbt, die DNA hellgrau. B Ansicht derselben Struktur nach einer Drehung um 90° um die senkrechte Achse. (Einzelheiten s. Text). (Aus Luger et al. 1997, mit
freundlicher Genehmigung von Macmillan Publishers Ltd)
die positiv geladenen Schwanzdomänen der Histone mit negativ merartige Struktur die replizierten Chromosomen (Tochterchro-
geladenen Bereichen im H2A/H2B-Heterodimer. Dieses sog. So- matiden) bis zur Zellteilung zusammenhält, wobei die ATP-Hy-
lenoid wird ebenfalls durch H1-Moleküle stabilisiert und kon- drolyse eine Kontraktion oder Ausdehnung der Klammer er-
densiert die DNA etwa 100fach. laubt. Während der Mitose (7 Kap. 43.3) wird Kleisin spezifisch
Die 30-nm-Faser faltet sich schließlich zu vielen Schleifen, gespalten und die replizierten Chromosomen können auf die
die durchschnittlich etwa 20.000 bp enthalten. Diese Schleifen Tochterzellen verteilt werden. Über die weitere Strukturbildung
werden durch ein Proteingerüst stabilisiert, das im Wesentlichen zu den Chromosomen, die im Vergleich zur DNA-Doppelhelix
aus dem Histon H1 und sog. Nicht-Histonproteinen aufgebaut etwa um den Faktor 10.000 kondensiert sein müssen, ist nur we-
ist. Diese Proteine machen insgesamt etwa 10 % der Proteinmen- nig bekannt.
ge von Chromosomen aus. Die häufigsten sind Typ-II-Topoiso-
merasen (7 Kap. 44.3), die die durch die Kondensation auftre- Die posttranslationale Modifikation
tenden Superspiralisierungen auflösen können, und SMC-Prote- von Histonen reguliert die Kondensation der DNA
ine (structural maintenance of chromosome). Bei SMC- Proteinen und die Genexpression
handelt es sich um große (1.000‒1.500 Aminosäuren) ATP-bin- Die maximale Kondensation der DNA tritt lediglich während der
dende Proteine, die mit den Metaphase-Chromosomen (7 Kap. Metaphase des Zellzyklus (7 Kap. 43.3) auf, d. h. in der Phase, in
43.3) assoziiert vorliegen. Zusammen mit Histonen und Topo- der die Chromosomen auf die Tochterzellen verteilt werden
isomerasen stellen sie die häufigsten Chromatinproteine dar. müssen. Für die Replikation und Transkription muss die DNA
Ein SMC-Monomer besteht aus einer ATPase-Domäne, die über aber zumindest lokal entfaltet sein. Daher wird die Fähigkeit der
eine lange coiled-coil-Struktur (eine Helix, welche ihrerseits zu Histone, mit der DNA zu interagieren, über posttranslationale
einer Helix mit größerem Radius gewunden ist) mit einer Ge- Modifikationen reguliert. Hierbei werden im Wesentlichen die
lenkdomäne verbunden ist (. Abb. 10.10). SMC-Proteine sind positiven Ladungen der Histone maskiert, oder es werden nega-
universell konserviert und finden sich sowohl in Bakterien als tive Ladungen eingefügt. Die posttranslationale Modifikation
auch in Eukaryonten, wobei Eukaryonten zwei Klassen von der Histone dient aber nicht allein dazu, ihre Interaktionen mit
SMC-Proteinen besitzen, die Kondensine und die Kohäsine. der DNA zu modulieren. Zusätzlich ist das Modifizierungsmus-
Beiden Klassen ist gemeinsam, dass sie über ihre Gelenkdomä- ter der Histone (der sog. Histoncode) auch für die Rekrutierung
nen dimerisieren. Kondensine sind über die gesamte Länge der weiterer chromatinbindender Proteine verantwortlich, z. B. wäh-
Chromosomen verteilt und führen in einer ATP-abhängigen Re- rend der DNA-Reparatur oder der Transkription.
aktion supercoils in die DNA ein, was zu einer verstärkten Kon- Die wichtigsten Histonmodifikationen sind:
densation der DNA führt. Kohäsine dagegen sind nur an be- 4 Acetylierung
stimmten Stellen der Chromosomen zu finden und scheinen eine 4 Methylierung
klammerähnliche Struktur zu bilden, die durch Kleisin, ein wei- 4 Phosphorylierung
teres Protein, stabilisiert wird. Es wird vermutet, dass diese klam- 4 Ubiquitinierung
140 Kapitel 10 · Nucleinsäuren – Struktur und Funktion
A B
10
. Abb. 10.9 Die Kondensation der DNA. A Elektronenmikroskopische Aufnahmen von Nucleosomen, die wie Perlen auf einer Kette (beads-on-a-string)
aufgereiht erscheinen. B 30-nm-Faser (Solenoid), die durch Interaktionen zwischen den Nucleosomen entsteht. (A, B aus Alberts et al. 2008, mit freund-
licher Genehmigung von Taylor und Francis). C Schematische Darstellung der DNA-Verpackung zum Chromosom. (Einzelheiten s. Text)
4 Sumoylierung
4 Mono- und Poly-ADP-Ribosylierung Zusammenfassung
DNA zeigt folgende Strukturmerkmale:
Die Anheftung von Ubiquitin bzw. Sumo (small ubiquitin-like 4 Der DNA-Einzelstrang ist ein Polydesoxyribonucleotid.
modifier) scheint Histone allerdings im Unterschied zu cytosoli- 4 Sein Rückgrat wird von Desoxyribosemolekülen gebil-
schen Proteinen nicht für den Abbau durch das Proteasom zu det, die durch Phosphodiesterbindungen verknüpft
markieren. Die Steuerung der Genexpression über Histonmodi- sind.
fikationen ist ein wichtiger Faktor bei der epigenetischen Verer- 4 Jede Desoxyribose trägt in N-glycosidischer Bindung
bung, d.h. der Weitergabe von Merkmalen durch Mechanismen, eine der vier Basen Adenin, Guanin, Thymin oder
die nicht DNA-Sequenz-gebunden sind. Sie werden in 7 Kap. Cytosin.
47.2.1 besprochen. 4 DNA liegt als Doppelhelix vor. Diese Struktur wird aus
zwei antiparallel verlaufenden DNA-Einzelsträngen
gebildet und durch die Basenpaarung von Adenin mit
6
Antiparallele
coiled-coil
Smc4 Domänen Smc2
50 nm
. Abb. 10.10 Struktur und Funktion der SMC (structural maintenance of chromosome)-Proteine für die DNA-Kondensation. A Elektronenmikroskopi-
sche Aufnahme eines gereinigten SMC-Dimers. Die klammerartige Struktur der SMC-Dimere erlaubt eine stabile Interaktion mit der DNA. (Aus Hirano 2006,
mit freundlicher Genehmigung von Macmillan Publishers Ltd). B Schematischer Aufbau eines SMC-Protein-Dimers. SMC-Proteine bilden Dimere, die über
eine Gelenkdomäne miteinander verbunden sind. Die Gelenkdomäne ist über eine flexible coiled-coil-Domäne mit der ATP-bindenden Kopfdomäne ver-
bunden. C Modell der SMC Funktion für die DNA-Kondensation. Der DNA-Doppelstrang ist in hellgrün gezeigt. (Einzelheiten s. Text)
nisse lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Homo sapiens (Mensch) 3.200 ca. 25.000
4 Auf der DNA sind die unterschiedlichen Gene in einer line-
aren Sequenz angeordnet. Überlappende Gene kommen
bei höheren Organismen nur sehr selten vor.
4 Im Unterschied zu Prokaryonten ist die Nucleotidsequenz Die bis heute durchgeführten Totalsequenzierungen der
eukaryontischer Gene nicht colinear mit der Aminosäure- Genome verschiedener Organismen haben eine Reihe überra-
sequenz des entstandenen Proteins, da eukaryontische schender Befunde erbracht, die in . Tab. 10.2 zusammengefasst
Gene aus codierenden Abschnitten (Exons) und nicht-co- sind.
dierenden Abschnitten (Introns) bestehen (7 Kap. 46.3.3). Das Genom eines komplexen Organismus wie das des Men-
4 Der Anteil der Introns in einem Gen kann sehr unter- schen ist etwa 1.500-mal größer als das eines einfachen Bakte-
schiedlich sein: während in dem gesamten Hefegenom nur riums. Auch die anderen untersuchten Vielzeller haben im Ver-
etwa 240 Introns existieren, kann ein einziges menschliches gleich zur Bakterienzelle um das 50- bis 100fach größere Geno-
Gen mehr als 100 Introns enthalten. Eine Ausnahme bilden me. Diese markanten Größenunterschiede spiegeln sich jedoch
die Histon-Gene beim Menschen, hier scheinen keine In- nicht in der Zahl der bei den einzelnen Organismen nachgewie-
trons vorzukommen. senen Gene wider. Im Vergleich zu Bakterien wie E. coli oder
4 Die auf der DNA lokalisierten Gene codieren für die ver- Bacillus subtilis, verfügt der Mensch lediglich über etwa 7-mal
schiedenen RNAs und für Proteine. mehr Gene. Besonders augenfällig ist der geringe Unterschied in
4 Außer im Zellkern kommt in tierischen Zellen DNA der Zahl der Gene beim Vergleich des Menschen mit dem Faden-
noch in Mitochondrien vor. Die mitochondriale DNA wurm oder der Taufliege. Aus diesen Beobachtungen muss man
codiert für wenige mitochondriale Proteine (7 Kap. 12.1.7) also schließen, dass die Komplexität eines u. a. mit einem kom-
und macht nur einen sehr kleinen Bruchteil der gesamten plizierten zentralen Nervensystem ausgestatteten vielzelligen
DNA aus. Säugetiers sich nicht ohne Weiteres aus der Zahl seiner Gene
ablesen lässt.
Die Zahl der Gene in eukaryontischen Organismen Diese fehlende Korrelation zwischen dem Gesamt-DNA-
ist nicht proportional zur DNA-Menge und Gehalt eines Organismus (Chromatin- oder C-Wert) und der
spiegelt nicht unbedingt die Komplexität eines Zahl seiner Gene wird als C-Wert-Paradoxon bezeichnet. Es
Organismus wider gibt allerdings auch keine strikte Korrelation zwischen der
Bislang sind die Genome von 120 eukaryontischen Organismen Genomgröße und dem Entwicklungszustand eines Organismus.
sequenziert worden (29 Vertebraten; 16 Invertebraten; 19 Proto- So besitzt die zur Familie der Liliengewächse zählende Fritillaria
zoen; 47 Pflanzen; 17 Pilze), von 1.844 prokaryontischen Orga- ein Genom von etwa 120.000 Mbp und das Genom einer ein-
nismen und von 2.748 Viren/Bakteriophagen (Stand Dezem- zelligen Amöbe ist etwa 200-mal größer als das Genom des
ber 2011; http://www.ncbi.nlm.nih.gov/mapview/). Menschen.
144 Kapitel 10 · Nucleinsäuren – Struktur und Funktion
. Abb. 10.12 Gen-Karte eines Teils des humanen Chromosoms 21. Die jeweiligen Abkürzungen stehen für in der angegebenen Region lokalisierte
Krankheitsgene (z. B. AML1, akute myeloische Leukämie; HCHWAD, hereditäre Amyloidose VIb). Die Zahlenangaben links vom Chromosom beschreiben
genetische Distanzen zwischen Genloci. Weitere Angaben sind unter http://www.ncbi.nlm.nih.gov/mapview/ zu finden
10.3.3 Das menschliche Genom aus etwa 1.350 Basenpaaren, d. h. sie codiert für ein Protein
mit 450 Aminosäuren, was einer molekularen Masse von
Die Sequenzierung des menschlichen Genoms hat etwa 50 kDa entspricht.
10 zu neuen Erkenntnissen über die Zusammenhänge 4 Die Analyse der für Proteine codierenden Gene ergibt eine
von Anzahl der Gene und deren Expression geführt klare Einteilung in eine Reihe unterschiedlicher Proteinfa-
Das humane Genom umfasst ca. 3.200 Mega-Basenpaare (Mbp). milien (. Abb. 10.13). Etwa 50 % der vorhergesagten Protei-
Diese sind inzwischen vollständig sequenziert, sodass die Zuord- ne lassen sich allerdings bisher noch nicht zuordnen. Dies
nung der etwa 25.000 menschlichen Gene zu den verschiedenen gilt im Übrigen für alle bisher sequenzierten Organismen:
Chromosomen möglich ist. Als Beispiel hierfür ist in . Abb. für etwa 50 % der vorhergesagten Proteine lässt sich bislang
10.12 ein Teil der Gen-Karte eines besonders kleinen humanen keine Funktion postulieren.
Chromosoms, nämlich des Chromosoms 21 dargestellt. Eine Lis- 4 Das menschliche Genom ähnelt dem bakteriellen Genom
te aller dort lokalisierten Sequenzen kann im Internet unter dahingehend, dass von den etwa 25.000 menschlichen
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/mapview/ (National Center for Genen 7,5 % für Proteine codieren, die am Nucleinsäure-
Biotechnology Information) gefunden werden. stoffwechsel beteiligt sind (z. B. Replikation, Rekombina-
Erkenntnisse aus der Sequenzierung des humanen Ge- tion, Reparatur). Ebenso ist der Anteil der Gene, die für
noms sind: Stoffwechselenzyme codieren mit etwa 7‒8 % bei Bakterien
4 Die Gene sind nicht gleichmäßig auf die 46 menschlichen und beim Menschen sehr ähnlich, auch wenn natürlich die
Chromosomen verteilt. Genreiche Abschnitte wechseln sich absolute Zahl der Enzyme beim Menschen deutlich höher
mit Gen-armen Abschnitten ab; dies ist vermutlich der ist als bei Bakterien.
Grund für das Bandenmuster der Chromosomen nach 4 Im Unterschied zu Bakterien codiert das menschliche
Giemsa-Färbung. Die durchschnittliche Gendichte beträgt Genom allerdings für eine große Zahl von Transkriptions-
etwa 10 Gene/1 Mbp, bei einem durchschnittlichen Ab- faktoren sowie für Signal- und Regulatorproteine, die insge-
stand von etwa 40.000 bp zwischen den Genen. Besonders