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Öffentlich-rechtliche Medien –

Aufgabe und Finanzierung

Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats


beim Bundesministerium der Finanzen 03/2014
Öffentlich-rechtliche Medien –
Aufgabe und Finanzierung

Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats


beim Bundesministerium der Finanzen

Oktober 2014

Seite 4 Inhalt
Inhalt Seite 5

Inhalt

Kurzfassung 6

1. Einleitung 7
2. Das duale System 10
3. Das bestehende System: Probleme und Tendenzen 20
4. Leitlinien für eine Reform 31
5. Fazit 36

Anhang I-III 37

Verzeichnis der Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats


des Bundesministeriums der Finanzen 40
Seite 6 Kurzfassung

Kurzfassung

Die technischen Gründe, mit denen einst Subsidiaritätsprinzip mehr Gewicht geben;
das System des öffentlich-rechtlichen die öffentlich-rechtlichen Anbieter sollten
Rundfunks gerechtfertigt wurde, sind heut­ nur da auftreten, wo das privatwirtschaftli­
zutage weitgehend verblasst. Die Zahl der che Angebot klare Defizite aufweist. Zwei­
Programmkanäle ist technologisch bedingt tens sollte im öffentlichen Rundfunk auf
stark angestiegen, die Eintrittskosten für die Werbefinanzierung komplett verzichtet
neue Programmanbieter sind rapide gesun­ werden, da ansonsten die Fehlanreize der
ken, durch die verstärkte Nutzung des Inter­ Programmgestaltung, die mit dem öffentli­
nets als Informationsmedium kommt es zu chen-rechtlichen Rundfunk beseitigt wer­
Überlappungen zwischen Print- und Rund­ den sollen, gleichsam durch die Hintertür
funkmarkt. Angesichts der technischen Ent­ wieder eingeführt werden. Drittens sollte
wicklung gibt es kaum noch Gründe, warum sich der Gesetzgeber entweder für eine klare
der Rundfunkmarkt wesentlich anders or­ Finanzierung aus dem allgemeinen Haus­
ganisiert sein sollte als der Zeitungsmarkt, halt oder für eine moderne Nutzungsge­
der durch ein breites privates Angebot und bühr, die beispielsweise dem Subskriptions­
Subskriptionsmodelle gekennzeichnet ist. modell im Zeitungsmarkt folgt, entscheiden.
Nach Ansicht des Beirats gibt es daher gute Viertens ist eine größere Transparenz durch
Gründe für einige Reformen im Rundfunk­ die Publikation von Kenngrößen dringend
bereich. Erstens sollte ein zukunftsfähiges notwendig, um die Kosteneffizienz im öf­
System des öffentlichen Rundfunks dem fentlich-rechtlichen Rundfunk zu fördern.
Öffentlich-rechtliche Medien – Aufgabe und Finanzierung Seite 7

1. Einleitung

Aufgabe und Finanzierung des öffentlich- Die Öffnung und Nutzung des Internets
rechtlichen Rundfunks sowie das Verhält- für die Ausstrahlung von Fernseh- und Ra-
nis von öffentlich-rechtlichem Rundfunk diosendungen des öffentlich-rechtlichen
und privaten Anbietern sind seit einiger Zeit Rundfunks war Anlass für ein neues Fi-
wieder vermehrt Gegenstand der öffentli- nanzierungsmodell.2 Dieses wurde zum
chen Diskussion. 1. Januar 2013 deutschlandweit eingeführt,
Verstärkt wurde diese Diskussion in begleitet von einer heftigen Kritik in Tages-
jüngster Zeit durch das Ausgreifen der und Wochenzeitungen.
öffentlich-rechtlichen Medien in den Be- Mit der Erstellung von Pressetexten auf
reich des Internets und durch die Reform ihren Informationsseiten im Internet ha-
der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen ben sich die öffentlich-rechtlichen Medien
Rundfunks. Tieferer Hintergrund der Dis- jüngst in eine unmittelbare Konkurrenzsitu-
kussion ist ein seit vielen Jahren anhalten- ation mit klassischen Printmedien begeben.
der Diskurs darüber, ob das bestehende Das Eintreten eines gebührenfinanzierten
duale Konzept für Hörfunk und Fernsehen und nicht gewinnorientierten Konkur-
in Deutschland, die Aufgabenteilung zwi- renten in die Welt der journalistischen
schen öffentlich-rechtlichen und privaten Printmedien und Informationsdienste hat
Sendern, die Eintrittsbarrieren für private nachhaltige Wirkungen auf die Struktur
Anbieter und das Wettbewerbsverhältnis und Funktionsweise der Zeitungsmärkte.
zwischen privaten und öffentlich-rechtli- Die ohnehin schwierige Situation im Zei-
chen Anbietern, die interne Struktur und tungsmarkt wird durch die Angebote der
die Aufsicht über die öffentlich-rechtlichen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten
Sendeanstalten und der politische Auftrag verschärft. Das Eintreten von Dienstleistern,
angemessen sind oder einer grundlegenden die mit einer starken Finanzierung und
Reform bedürfen. 1 nicht profitorientiert um Marktanteile kon-
kurrieren, verändert grundlegend die Natur
des Wettbewerbs.

1. Vgl. zuletzt etwa Jürgen Kühling, Unsere Sender, unsere Richter, in: FAZ Nr. 34 vom 10. Februar 2014,
S. 7. Zu wettbewerbsrechtlichen Überlegungen und den europarechtlichen Aspekten vgl. Christoph Engel,
1990, Der Einfluß des europäischen Gemeinschaftsrechts auf die deutsche Rundfunkordnung, Nomos-
Verlag, Baden-Baden.
2. Vgl. etwa Klaus Stern, Paul Kirchhof, Markus Höppener, Angelica Schwall-Düren, Jörg Geerlings und
Wolfgang Hurnik, 2012, Die Neuordnung der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, C.H. Beck,
München; den neuen Beitrag rechtfertigend Hanno Kube, 2014, Der Rundfunkbeitrag, Nomos-Verlag,
Baden-Baden. Aus dem hier geschilderten Finanzierungsmodus fällt die vom Bund unter dem Leitge-
sichtspunkt der auswärtigen Kulturpolitik finanzierte Deutsche Welle heraus.
Seite 8 Einleitung

Diese institutionellen Veränderungen keine wirklich bindende Zugangsbeschrän­


vollziehen sich vor dem Hintergrund ra- kung mehr. Abbildung 1 zeigt die dynami­
scher technologischer Veränderungen. Die sche Entwicklung der frei empfangbaren
Diskussion um den öffentlich-rechtlichen TV-Sender in Deutschland in den letzten 25
Rundfunk und die rechtlichen Rahmenbe- Jahren. Der Marktanteil von ARD, ZDF und
dingungen von Fernsehen erfolgten in ihren den dritten Programmen der ARD, die vor
Anfängen in einem institutionellen Rah- Einführung des Privatfernsehens 1984 den
men, der mit der heutigen Situation wenig Markt alleine beherrschten, lag 2013 nur
gemein hat. Die Erstellung eines anspruchs- noch bei 38 Prozent [Arbeitsgemeinschaft
vollen und funktionsfähigen Fernsehpro- Fernsehforschung (AGF)]. Der öffentlich­
gramms war eine technische Herausfor- rechtliche Rundfunk verliert nicht nur
derung. Die Zahl möglicher Fernsehkanäle Marktanteile an private Programme, son­
war technologisch eng begrenzt, zunächst dern verliert insgesamt durch das Internet
auf einen Sendekanal, wenig später auf an Bedeutung. Das Internet bietet dabei
eine sehr kleine Anzahl von Sendern. Diese Sendeformate, die den klassischen Hörfunk-
Begrenzung besteht heute nur noch theo- und Fernsehmedien vergleichbar sind und
retisch und ist für alle praktischen Belange vermehrt über den Fernseher abgespielt
werden können.

Abbildung 1: Anzahl der durchschnittlich pro Haushalt technisch empfangbaren


TV-Sender in Deutschland von 1988 bis 2012 (jeweils am 1. Januar)

Quelle: SevenOne Media (http://de.statista.com/themen/765/fernsehsender/)


Öffentlich-rechtliche Medien – Aufgabe und Finanzierung Seite 9

Auch die finanziellen Hürden, die für das erörtert. Das anschließende Kapitel iden-
Betreiben eines Sendekanals entstehen, sind tifiziert bedeutsame wirtschaftspolitische
– anders als in der Frühzeit von Hörfunk Fehlsteuerungen und Reformbedarf im
und Fernsehen – heute niedrig. Das gilt für bestehenden System und leitet aus grundle-
terrestrische oder kabelgebundene Kanäle genden ökonomischen Überlegungen mög-
und erst recht für Internetformate. Das ste- liche Ansatzpunkte einer Neuordnung ab.
tige Anwachsen des Angebots ist also auch Die Analyse ergibt: Die veränderten tech-
durch sinkende Kosten getrieben. nologischen Rahmenbedingungen und die
Diese Aspekte – insbesondere das neue dadurch ausgelösten Änderungen im Nut-
Finanzierungsmodell, die technologische zerverhalten erfordern aus ökonomischer
Revolution, die redaktionellen Angebote Perspektive eine Anpassung des Rundfunk-
der öffentlichen Sender im Internet, die da- modells. Solche Alternativmodelle zum jet-
raus entstehende Konkurrenz mit anderen zigen System sind – entgegen weitverbreite-
Informationsmedien und die veränderte ter Auffassung – verfassungsrechtlich nicht
Nachfrage – bilden den Ausgangspunkt ei- ausgeschlossen. Das Gutachten skizziert
ner vorwiegend ökonomischen Analyse. Das keinen konkret ausgestalteten „Gegenent-
Gutachten beginnt mit einem Sachstands- wurf“. Vielmehr liefert es – anknüpfend an
bericht, in dem die Grundsachverhalte des Analogien zu einem funktionsfähigen, Ein-
bestehenden „dualen Systems“ skizziert griffen der Politik weitgehend entzogenen
werden. Sodann werden die rechtlichen Zeitungsmarkt – die konzeptionellen und
Rahmenbedingungen möglicher Reformen allokationspolitischen Grundlagen für eine
solche Neukonzeption.
Seite 10 Das duale System

2. Das duale System

Einige grundlegende Fakten – dungen von ARD, ZDF und Deutschland­


Öffentlicher Rundfunk in Zahlen radio lagen nach Angaben der KEF im Jahr
2013 bei 8.593,8 Millionen Euro (KEF 2014,
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk3 hat S. 22).6 Dabei schlagen ca. 40.000 Erstsen­
innerhalb Deutschlands einen ungewöhn­ deminuten im Bereich des Sports allein im
lichen Sonderstatus und ein beträchtliches 1. Programm der ARD mit rund 450 Milli­
Produktionsvolumen. Die öffentlich-recht­ onen Euro an Kosten zu Buche (KEF 2014,
lichen Sendeanstalten betreiben 22 Fern­ S. 37, Abbildung 4). Dies sind ca. 8 Prozent
sehkanäle sowie 67 Radioprogramme4 und der Sendezeit des Ersten Programms und ca.
entfalten Aktivitäten im Bereich des Inter­ 0,4 Prozent der Gesamtfernsehsendeminu­
nets. Weiteren Aufschluss über das Angebot ten, aber fast 5 Prozent der Gesamtausgaben
gibt der Bericht der Kommission zur Ermitt­ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Beim
lung des Finanzbedarfs der Rundfunkan­ ZDF hat der Sport eine ähnliche Bedeutung.
stalten (KEF). Ein normales Jahr hat 525.600 Ausgaben für Sportsendungen mit ca. 35.000
Minuten. Das Jahr 2012 verzeichnete dem Erstsendeminuten und Kosten von ca. 340
gegenüber 10,2 Millionen Fernsehsendemi­ Millionen Euro dominieren auch dort alle
nuten im Bereich der öffentlich-rechtlichen anderen Bereiche für diesen Einzelsender
Sender, was in etwa 19 Fernsehjahren ent­ im Hinblick auf die Kosten (KEF 2014, S. 37)
spricht.5 Von dieser Sendeleistung waren und gehören neben dem Ressort „Fernseh­
etwa 493.400 Sendeminuten im Bereich der spiele“ zu den teuersten Programmberei­
ARD und 487.900 Sendeminuten im Bereich chen.
des ZDF (jeweils ohne Werbung, KEF 2014,
S. 32). Über 90 Prozent der Sendeminuten
entfielen auf Spartenkanäle und dritte Pro­
gramme. Hinzu kommen 32,5 Millionen
Sendeminuten im Bereich des Radios. Die­
ses Angebot wird ganz überwiegend durch
Zwangsbeiträge finanziert. Die Aufwen­

3. Rechtlich meinte „Rundfunk“ stets Hörfunk- wie Fernsehprogramme, so bereits BVerfGE 12, 205 (226);
zum Ausfransen des verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriffs in Bezug auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nur
Herbert Bethge, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 6. Aufl. 2011, Art. 5 Rn. 90 ff.
4. Vgl. Hans-Peter Siebenhaar, 2012, Die Nimmersatten, Die Wahrheit über das System ARD und ZDF,
Eichborn-Verlag, Köln.
5. Vgl. KEF, 19. KEF-Bericht, Februar 2014.
6. Die Tabelle im Anhang I stellt die Umsätze und Budgets der öffentlich-rechtlichen und größeren priva­
ten Sender gegenüber.
Öffentlich-rechtliche Medien – Aufgabe und Finanzierung Seite 11

Mit 7.306,7 Millionen Euro waren 2012 begrifflich am Beitrag festhält, aber wie die
Gebühren die Haupteinnahmequelle (KEF Steuerlösungen keine Ausstiegsoption (als
2014, S. 141). Hinzu treten Einnahmen aus mögliche politische Reaktion des Individu-
Werbung und Sponsoring. Für ARD und ums im Sinne von Albert O. Hirschman9)
ZDF nennt der 19. Bericht der KEF beispiels- vorsieht. Auch durch Verzicht auf Emp­
weise Nettowerbeumsätze von 357,8 bzw. fangsgeräte im eigenen Haushalt kann man
132,1 Millionen Euro im Jahre 2012 (KEF sich nicht von der Zahlung befreien. Dieser
2014, S. 157 f.).7 Verzicht auf eine Ausstiegsklausel wurde
Zum Januar 2013 wurde das bisherige mit der technischen Entwicklung begrün-
Gebührenmodell, das die Zahlungsver- det, da praktisch nicht mehr kontrollierbar
pflichtungen der Bürger an den Besitz von ist, wer auf welchem Wege (Mobiltelefone,
Empfangsgeräten knüpfte, durch ein Modell Tablets, PCs, …) Rundfunksendungen kon­
der Zwangsabgaben, des sog. Haushalts- sumiert.10 Allerdings fehlt damit eine polit­
beitrags ersetzt. Dabei ist die Zahlungs- ökonomische Bremse für Gebührenerhö­
verpflichtung von der Verfügbarkeit eines hungen.
Empfangsgeräts unabhängig und wird am Anhang II zeigt auch, dass Deutschland
Begriff des „Haushalts“ bzw. der Betrieb- bei den öffentlichen Mitteln pro Kopf mit
stätte festgemacht. 94 Euro (2011) in der absoluten Spitzen-
Die Anhänge II und III in diesem Gut- gruppe der betrachteten Länder liegt. Ledig­
achten geben Aufschluss über Finanzierung lich Norwegen und die Schweiz gaben pro
und Steuerungsstrukturen des öffentlichen Kopf mehr für öffentlichen Rundfunk aus
Rundfunks im internationalen Vergleich. (Spalte 6).
Der internationale Vergleich in Anhang II
zeigt in einem Überblick über eine Anzahl
von Ländern, dass sich Marktanteile und
Finanzierungsmodalitäten des öffentlichen
Rundfunks zwischen den Staaten stark
unterscheiden. Gebühren-/Beitragsmodelle
existieren genauso wie Finanzierungen aus
dem allgemeinen Steueraufkommen (Spalte
3).8 Das neue deutsche Modell ist allerdings
insofern ungewöhnlich, als es zumindest

7. Werbung im Öffentlichen Rundfunk unterliegt bestimmten Restriktionen, was Sendezeit und Umfang
von Werbeunterbrechungen angeht. Der 13. Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staats­
verträge vom 10. März 2010 regelt in § 16 die Dauer der Werbung wie folgt: „(1) Die Gesamtdauer der
Werbung beträgt im Ersten Fernsehprogramm der ARD und im Programm „Zweites Deutsches Fernse­
hen“ jeweils höchstens 20 Minuten werktäglich im Jahresdurchschnitt. Nicht angerechnet werden auf die
zulässigen Werbezeiten Sendezeiten mit Produktplatzierungen und Sponsorhinweise. Nicht vollständig
genutzte Werbezeit darf höchstens bis zu 5 Minuten werktäglich nachgeholt werden. Nach 20.00 Uhr
sowie an Sonntagen und im ganzen Bundesgebiet anerkannten Feiertagen dürfen Werbesendungen nicht
ausgestrahlt werden. § 17 bleibt unberührt. (2) In weiteren bundesweit verbreiteten Fernsehprogrammen
von ARD und ZDF sowie in den Dritten Fernsehprogrammen findet Werbung nicht statt. (3) Im Fernse­
hen darf die Dauer der Spotwerbung innerhalb eines Zeitraumes von einer Stunde 20 vom Hundert nicht
überschreiten. (…)“.
8. Darüber hinaus gibt es noch einige Sonderfälle wie die spanische Steuer auf Medien- und Telekommu­
nikationsunternehmen oder den Zuschlag auf die Stromrechnung in der Türkei.
9. Albert O. Hirschman (1970): Exit, Voice, and Loyalty: Responses to Decline in Firms, Organizations, and
States, Harvard University Press: Cambridge, MA..
10. Der Rundfunkbeitrag wurde jüngst von zwei Landesverfassungsgerichten für mit dem jeweiligen Lan­
desverfassungsrecht vereinbar erklärt: Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, Urteil vom 13. Mai 2014
– VGH B 35/12 und Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 15. Mai 2014 – Vf. 8-VII-12
und Vf. 24-VII-12.
Seite 12 Das duale System

Gemeinsamkeiten zwischen
tenden Anbietern von Hörfunk- und Fern­
Zeitungs- und Rundfunkmarkt
sehprogrammen. Diese unterliegen Zulas­
sungsbeschränkungen („Konzession“) und
Ein Vergleich der Struktur und des Grads stehen unter regulatorischer Kontrolle
der öffentlichen Regulierung des Zeitungs­ („Staatsaufsicht“). Daneben gibt es das ver­
markts mit der Gestaltung des Angebots von fassungsrechtlich wiederholt gestärkte und
Hörfunk- und Fernsehprogrammen zeigt durch Zwangsabgaben finanzierte System
eine auffällige Asymmetrie. Der deutsche des öffentlichen Rundfunks mit seinem ei­
Gesetzgeber überlässt die Bereitstellung von genen Aufsichts- und Finanzierungssystem.
journalistischen Informationsdiensten im Diese sehr unterschiedlichen Markt­
Bereich der Printmedien weitgehend dem strukturen sind überraschend. Printmedien
freien Marktgeschehen. Dort konkurrieren und Rundfunkprogramme sind Produkte,
in Deutschland lokal und überregional im die große Ähnlichkeiten aufweisen, auch
Allgemeinen mehrere private Anbieter von wenn die Nutzerkreise unterschiedlich
Zeitungen und Zeitschriften. Ein öffentli­ sind. Beide Produktklassen handeln mit
ches Angebot einer öffentlich-rechtlichen Information. Beide Formen von Produkten
Tageszeitung, produziert durch eine aus Ge­ werden mit Technologien hergestellt, bei
bühren finanzierte Zeitungsredaktion, gibt denen die Erzeugung eines Produkts mit
es nicht. Der Marktzugang neuer Zeitungen qualitativ hochwertigen Informationsinhal­
unterliegt im Rahmen des Presserechts ver­ ten erhebliche Kosten hat, wohingegen die
gleichsweise geringer Regulierung. Diese ist Bereitstellung des Informationsinhalts an
im Gegenteil darauf gerichtet, den Markt­ weitere Nutzer zu sehr geringen Grenzkos­
zugang zu öffnen oder offen zu halten. Das ten möglich ist. Im Bereich der Zeitungen
hier pars pro toto herangezogene Berliner fallen erhebliche Kosten im redaktionellen
Pressegesetz – Pressrecht fällt in die Gesetz­ Bereich an, während die zusätzliche Zeitung
gebungskompetenz der Länder – schreibt schnell und preiswert gedruckt ist. Im Be­
beispielsweise in § 2 vor: „Die Pressetätig­ reich von Hörfunk- und Fernsehsendungen
keit einschließlich der Errichtung eines gilt Ähnliches. Die Kosten, das Produkt wei­
Verlagsunternehmens oder eines sonstigen teren Nutzern zugänglich zu machen, sind
Betriebes des Pressegewerbes darf nicht von sogar vergleichsweise noch geringer. Beide
irgendeiner Zulassung abhängig gemacht Produktkategorien haben weitere Gemein­
werden.“ Entsprechend ist der Zeitungs­ samkeiten. Die Zahl der möglichen Anbieter
markt durch praktisch freien Zugang und oder Einzelprodukte ist technologisch prak­
privatwirtschaftliche Konkurrenz gekenn­ tisch unbegrenzt. Der Eintritt eines weiteren
zeichnet. Transparenzrichtlinien schreiben Anbieters unterliegt heute keinen ernsthaf­
vor, dass Verantwortliche (Redakteure/ ten technologischen Beschränkungen mehr.
Herausgeber) sowie Eigentumsverhältnisse
offengelegt und entgeltliche Veröffentli­
chungen kenntlich gemacht werden. Die
konkurrierenden Unternehmen auf dem
Zeitungsmarkt sind großenteils gewinn-
orientiert, teilweise auch Stiftungen. Im
Gegensatz dazu steht das duale System
des Hörfunks und Fernsehens. Das System
kennt eine Reihe von privatwirtschaftlich
und überwiegend gewinnorientiert arbei­
Öffentlich-rechtliche Medien – Aufgabe und Finanzierung Seite 13

Die verfassungsrechtliche
Regierung auf die Informationsverbrei-
Perspektive
tung einseitigen Einfluss nehmen könnte.
In der Rechtsprechung wurde die Rund-
Das Produkt, das auf Zeitungs- wie Rund- funkfreiheit funktional verstanden und als
funkmarkt vertrieben wird, ist ein beson- „dienende“ Freiheit ausgelegt und daraus
ders sensibles und steht deshalb unter dem eine Verpflichtung des Gesetzgebers abge-
besonderen Schutz des Grundgesetzes: leitet, für Rahmenbedingungen zu sorgen,
Presse- und Medienfreiheit haben eine zent- die diese Freiheit, Informationsvielfalt und
rale Bedeutung für die Funktionsweise eines Informationsreichtum gewährleisten11. Das
demokratisch verfassten Gemeinwesens. In wird durch die verfassungsrechtliche Posi-
Deutschland wird diesem Sachverhalt auch tionierung der Rundfunkfreiheit als für die
im Grundgesetz (GG) Rechnung getragen. freiheitliche demokratische Grundordnung
Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 GG normiert im schlechthin konstituierend abgesichert12.
inhaltlichen Zusammenhang mit der Mei- Angesichts der heute bestehenden Pa-
nungsfreiheit und Informationsfreiheit in rallelen in den technologischen und wirt-
Satz 1 der Vorschrift: schaftlichen Grundlagen beider Produktka-
tegorien ist die Unterschiedlichkeit in der
„Die Pressefreiheit und die Freiheit Gestaltung und Regulierung von Presse und
der Berichterstattung durch Rundfunk Rundfunk durch den Gesetzgeber überra-
und Film werden gewährleistet.“ schend. Sie kann letztlich nur historisch er-
klärt werden, aus einer Zeit, in der die tech-
In diesem Satz werden Pressefreiheit nologischen Unterschiede zwischen den
(operationalisiert durch den Zeitungsmarkt) Produktkategorien groß waren.13 Sie kann
und die Rundfunkberichterstattung in ei- heute unter ökonomischen Gesichtspunk-
nem Satz und erkennbar gleichrangig und ten damit nicht mehr begründet werden.
symmetrisch genannt. Man kann sich fragen, wie man in
Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG wird allge- Deutschland eine freie Presse organisieren
mein so interpretiert, dass ein Zugang zu und regulieren würde, wenn es aus techno-
Information zu vertretbaren Kosten mög- logischen Gründen nur eine einzige Zeitung
lich sein muss, dass die bereitgestellten geben könnte. Wären Befürchtungen nicht
Informationen insgesamt einen hinrei- legitim, dass diese Zeitung in die Hände
chenden inhaltlichen Standard haben, und eines Konzerns gelangen könnte, der sein
dass Meinungsvielfalt gewährleistet werden Informationsmonopol für seine eigenen
muss. Letzteres wäre nicht gewährleistet, markt- und machtpolitischen oder ideolo-
wenn Informationsorgane von bestimmten gischen Interessen einsetzt? Oder dass die
Interessengruppen monopolisiert wären, Zeitung unter staatlicher Kontrolle zum
oder wenn die Politik, insbesondere die Agitationsinstrument der Regierung mu-
11. Dienend ist dabei in Abgrenzung zu einem liberalen Freiheitsbegriff zu verstehen, wonach die Rund-
funkfreiheit den Einzelnen zu beliebigem Gebrauch überlassen wäre. BVerfGE 87, 181 (197 f.) unter Be-
zugnahme auf BVerfGE 57, 295 (320); 83, 238 (296); zuletzt Urteil vom 25. März 2014 – 1 BvF 1/11 und
4/11 – „ZDF-Staatsvertrag“, Rdnr. 33 ff. Kritik etwa bei Christoph Degenhart, in: Wolfgang Kahl, Christian
Waldhoff und Christian Walter (Hrsg.), 2004, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn.
643 ff. (113. Aktualisierung September 2004).
12. BVerfGE 35, 202 (219); 117, 244 (258); Herbert Bethge, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar,
6. Aufl. 2011, Art. 5 Rn. 92 ff.
13. Die deutliche Orientierung der Rundfunkrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an den je-
weiligen technischen und sozialen Gegebenheiten und den seitherigen Wandel betonen etwa Christoph
Degenhart, in: Wolfgang Kahl, Christian Waldhoff und Christian Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum
Grundgesetz, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 647 (113. Aktualisierung September 2004); Martin Bullinger, 2009,
Freiheit von Presse, Rundfunk und Film, in: Josef Isensee und PaulKirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staats-
rechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 7, 3. Auflage, § 163 Rn. 94, 99, 118 ff., 148 ff.
Seite 14 Das duale System

tierte oder von dieser zumindest politisch „Art. 5 GG fordert zur Sicherung der
instrumentalisiert werden würde? Würde Freiheit auf dem Gebiet des Rund­
man dann nicht zu einer Interpretation funks allerdings nicht die in den Lan­
des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG neigen, wo­ desrundfunkgesetzen gefundene und
nach Pressefreiheit so verstanden werden für die Rundfunkanstalten des Bun­
müsste, dass Meinungsvielfalt innerhalb des übernommene Form. Insbeson­
dieser einen Tageszeitung garantiert wer­ dere ist es von der Bundesverfassung
den müsste? Man würde dann vielleicht nicht gefordert, daß Veranstalter von
ein Zeitungsfinanzierungsgesetz wünschen Rundfunksendungen nur Anstalten
und eine Zeitungsaufsicht, die pluralistisch des öffentlichen Rechts sein können.
besetzt ist, und eine Kommission, die über Auch eine rechtsfähige Gesellschaft
die auskömmliche Finanzierung und die des privaten Rechts könnte Träger von
sparsame Mittelbewirtschaftung der öffent­ Veranstaltungen dieser Art sein, wenn
lich-rechtlichen Zeitung wacht. Stattdessen sie nach ihrer Organisationsform hin­
gibt es viele Zeitungen; sie sind einfach reichende Gewähr bietet, daß in ihr in
und preiswert zu produzieren und stehen ähnlicher Weise wie in der öffentlich­
in Konkurrenz zueinander. Entsprechend rechtlichen Anstalt alle gesellschaftlich
gering sind die Eingriffe der Politik in den relevanten Kräfte zu Wort kommen,
Zeitungsmarkt. Dies führt zur Frage, ob das und die Freiheit der Berichterstat­
Modell, nach dem der Zeitungsmarkt gere­ tung unangetastet bleibt. Gegen eine
gelt ist, nicht auch ein geeignetes Modell für solche Gesellschaft besteht von Ver­
den Rundfunkmarkt sein kann. fassungs wegen kein Bedenken, wenn
Die Entwicklung der Rechtsprechung beispielsweise durch Gesetz eine die
zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk hat spezifischen Zwecke des Rundfunks,
viele Facetten und kann hier nicht um­ insbesondere die Erhaltung seiner ins­
fassend aufgearbeitet werden. Für unsere titutionellen Freiheit sichernde beson­
Fragestellung lässt sich jedoch Folgendes dere Gesellschaftsform zur Verfügung
herausheben: Bereits im ersten Rundfunk­ gestellt und jede, den angegebenen Er­
urteil des Bundesverfassungsgerichts vom fordernissen genügende Gesellschaft,
28. Februar 196114 musste sich das Gericht die Rundfunksendungen veranstaltet,
mit konkurrierenden Nutzungsansprüchen einer Staatsaufsicht ähnlich etwa der
über damals in einem technischen Sinne Banken- oder Versicherungsaufsicht
noch absolut knappe Sende- und Übertra­ unterworfen wird.“15
gungsmöglichkeiten auseinandersetzen. Das
Gericht billigte die überkommene, nach Das dritte Rundfunkurteil vom 16. Juni
dem Zweiten Weltkrieg entwickelte Orga­ 198116 musste auf die veränderten technolo­
nisationsform der Anstalt des öffentlichen gischen Rahmenbedingungen und Knapp­
Rechts, verlangte jedoch Staatsferne und heitsverhältnisse, vor allem auch im Hin­
im Sinne eines „Binnenpluralismus“ eine blick auf ein privatrechtliches Fernsehange­
ausgewogene Programmgestaltung. Insbe­ bot eingehen. Grundlegend für die weitere
sondere die Organisationsform der Anstalt Entwicklung der Rechtsprechung sind die
des öffentlichen Rechts wird nur als eine Ausführungen des Gerichts im maßstäbli­
mögliche Form gesehen: chen Teil seiner Entscheidung:

14. BVerfGE 12, 205.


15. BVerfGE 12, 205 (262); vgl. auch Roman Herzog, in: Theodor Maunz und Günter Dürig, Grundgesetz.
Kommentar, Art. 5 Abs. I, II Rn. 213a (30. Ergänzungslieferung Dezember 1992).
16. BVerfGE 57, 295.
Öffentlich-rechtliche Medien – Aufgabe und Finanzierung Seite 15

„Die Rundfunkfreiheit dient der glei- subjektiv- und objektivrechtlichen Ele-


chen Aufgabe wie alle Garantien des menten dienende Freiheit: Sie bildet
Art. 5 Abs. 1 GG: der Gewährleistung unter den Bedingungen der moder-
freier individueller und öffentlicher nen Massenkommunikation eine not-
Meinungsbildung, dies in einem um- wendige Ergänzung und Verstärkung
fassenden, nicht auf bloße Berichter- dieser Freiheit; sie dient der Aufgabe,
stattung oder die Vermittlung politi- freie und umfassende Meinungsbil-
scher Meinungen beschränkten, son- dung durch den Rundfunk zu gewähr-
dern jede Vermittlung von Informa- leisten. Diese Aufgabe bestimmt die
tion und Meinung umfassenden Sinne Eigenart und die Bedeutung der Rund-
(vgl. BVerfGE 12, 205 [260] - Deutsch- funkfreiheit: Freie individuelle und
land-Fernsehen; 31, 314 [326] - Um- öffentliche Meinungsbildung durch
satzsteuer; 35, 202 [222 f.] - Lebach). den Rundfunk verlangt zunächst die
Freie Meinungsbildung vollzieht sich Freiheit des Rundfunks von staatlicher
in einem Prozeß der Kommunikation. Beherrschung und Einflußnahme. In-
Sie setzt auf der einen Seite die Frei- soweit hat die Rundfunkfreiheit, wie
heit voraus, Meinungen zu äußern und die klassischen Freiheitsrechte, abweh-
zu verbreiten, auf der anderen Seite rende Bedeutung. Doch ist damit das,
die Freiheit, geäußerte Meinungen zur was zu gewährleisten ist, noch nicht
Kenntnis zu nehmen, sich zu infor- sichergestellt. Denn bloße Staatsfrei-
mieren. Indem Art. 5 Abs. 1 GG Mei- heit bedeutet noch nicht, daß freie und
nungsäußerungs-, Meinungsverbrei- umfassende Meinungsbildung durch
tungs- und Informationsfreiheit als den Rundfunk möglich wird; dieser
Menschenrechte gewährleistet, sucht Aufgabe läßt sich durch eine lediglich
er zugleich diesen Prozeß verfassungs- negatorische Gestaltung nicht gerecht
rechtlich zu schützen. Er begründet werden. Es bedarf dazu vielmehr einer
insoweit subjektive Rechte; im Zu- positiven Ordnung, welche sicherstellt,
sammenhang damit normiert er die daß die Vielfalt der bestehenden Mei-
Meinungsfreiheit als objektives Prin- nungen im Rundfunk in möglichster
zip der Gesamtrechtsordnung, wobei Breite und Vollständigkeit Ausdruck
subjektiv- und objektivrechtliche Ele- findet und daß auf diese Weise um-
mente einander bedingen und stützen fassende Information geboten wird.
(vgl. BVerfGE 7, 198 [204 f.] - Lüth). Der Um dies zu erreichen, sind materielle,
Rundfunk ist ‚Medium‘ und ‚Faktor‘ organisatorische und Verfahrensrege-
dieses verfassungsrechtlich geschütz- lungen erforderlich, die an der Aufgabe
ten Prozesses freier Meinungsbildung der Rundfunkfreiheit orientiert und
(BVerfGE 12, 205 [260]). Demgemäß deshalb geeignet sind zu bewirken, was
ist Rundfunkfreiheit primär eine der Art. 5 Abs. 1 GG gewährleisten will.“17
Freiheit der Meinungsbildung in ihren

17. BVerfGE 57, 295 (319 f.).


Seite 16 Das duale System

Das Gericht zieht auch einen Vergleich „Wie der Gesetzgeber seine Aufgabe
mit der Situation des freien Zeitungsmarkts erfüllen will, ist Sache seiner eige­
heran. Im Zeitungsmarkt sieht das Gericht nen Entscheidung Das Grundgesetz
die Voraussetzungen für Zugang, Pluralität schreibt ihm keine bestimmte Form
und Meinungsfreiheit als gegeben. Das Ge­ der Rundfunkorganisation vor; es
richt erwägt als Gedankenexperiment, den kommt allein darauf an, daß freie, um­
Rundfunkmarkt analog auszugestalten, hält fassende und wahrheitsgemäße Mei­
das Funktionieren eines solchen Modells nungsbildung im dargelegten Sinne
grundsätzlich für möglich, ein Systemüber­ gewährleistet ist, daß Beeinträchti­
gang wäre aber mit Risiken behaftet: gungen oder Fehlentwicklungen ver­
mieden werden. Der Gesetzgeber hat
„Auch bei einem Fortfall der bishe­ insbesondere Vorkehrungen zu tref­
rigen Beschränkungen könnte nicht fen, die sicherstellen, daß der Rund­
mit hinreichender Sicherheit erwar­ funk nicht einer oder einzelnen ge­
tet werden, daß das Programman­ sellschaftlichen Gruppen ausgeliefert
gebot in seiner Gesamtheit kraft der wird, daß die in Betracht kommenden
Eigengesetzlichkeit des Wettbewerbs gesellschaftlichen Kräfte im Gesamt­
den Anforderungen der Rundfunk­ programm zu Wort kommen und daß
freiheit entsprechen werde. Gewiß die Freiheit der Berichterstattung un­
mag manches dafür sprechen, daß sich angetastet bleibt. …“19
dann eine begrenzte Vielfalt einstellen
werde, wie sie heute etwa im Bereich Das Gericht räumt dem Gesetzgeber
der überregionalen Tageszeitungen be­ damit einen weitgehenden Gestaltungs­
steht. Doch handelt es sich dabei nur spielraum ein, wie diese Gewährleistungs­
um eine Möglichkeit. Während bei der pflichten durch Überwachung, Regulierung
Presse die geschichtliche Entwick­ und andere Markteingriffe, also „binnen­
lung zu einem gewissen bestehenden pluralistisch“, oder aber durch ein anderes
Gleichgewicht geführt hat, so daß es System „außen-pluralistisch“ bewerkstelligt
heute zur Sicherstellung umfassender werden.
Information und Meinungsbildung Eine große Zahl weiterer Rundfunkent­
durch die Presse grundsätzlich genü­ scheidungen stärkt zwar die Stellung der
gen mag, Bestehendes zu gewährleis­ öffentlich-rechtlichen Anstalten, was ihre
ten, kann von einem solchen Zustand Rechte hinsichtlich Produktvielfalt und
auf dem Gebiet des privaten Rund­ ihre Finanzierungserfordernisse angeht, die
funks zumindest vorerst nicht ausge­ Entscheidungen nehmen dabei aber im All­
gangen werden.“18 gemeinen explizit Bezug auf den bestehen­
den Rechtsrahmen einer dualen Ordnung
Insbesondere sieht das Gericht den des Rundfunks. Sie bestimmen Aufgaben,
Gesetzgeber dabei in der Gewährleistungs­ Rechte und Finanzierungsansprüche der
pflicht. Das Gericht lässt explizit offen, wie öffentlichen Rundfunkanstalten nur inner­
diese Gewährleistungspflicht erfüllt wird: halb dieses gesetzten Rechtsrahmens einer
dualen Rundfunkordnung. Die im dritten
Rundfunkurteil ausdrücklich erwähnten

18. BVerfGE 57, 295 (322 f.); diese Marktskepsis wird in den folgenden Entscheidungen „mit zunehmen­
der Entschiedenheit“ weiterverfolgt, vgl. Roman Herzog, in: Theodor Maunz und Günter Dürig, Grundge­
setz. Kommentar, Art. 5 Abs. I, II Rn. 216 (30. Ergänzungslieferung Dezember 1992).
19. BVerfGE 57, 295 (321 f.).
Öffentlich-rechtliche Medien – Aufgabe und Finanzierung Seite 17

grundsätzlichen Alternativen nimmt die „Wie diese Ordnung im Einzelnen aus-


Judikatur nicht mehr in den Blick. Das vierte gestaltet wird, ist Sache der gesetzge-
Rundfunkurteil vom 4. November 1986 bei- berischen Entscheidung. Das Grund-
spielsweise macht die unerlässliche „Grund- gesetz schreibt weder ein bestimmtes
versorgung“ zur „Sache der öffentlich-recht- Modell vor noch zwingt es zu konsis-
lichen Anstalten“, aber eben nur innerhalb tenter Verwirklichung des einmal ge-
der „dualen Ordnung des Rundfunks, wie wählten Modells. Von Verfassungswe-
sie sich gegenwärtig in der Mehrzahl der gen kommt es vielmehr allein auf die
deutschen Länder auf der Grundlage der Gewährleistung freier und umfassen-
neuen Mediengesetze herausbildet“20. Es der Berichterstattung an.“23
gehört zu den großen Defiziten der hier
dargestellten Rechtsprechungslinie, dass Mit der Einführung einer sog. Be-
der zentrale Begriff der „Grundversorgung“ stands- und Entwicklungsgarantie für den
weitgehend ungeklärt bleibt. Die fünfte öffentlich-rechtlichen Rundfunk24 erscheint
Rundfunkentscheidung eröffnet den öffent- dieser Ansatz freilich zugleich relativiert.
lich-rechtlichen Anstalten zwar den Zugang Auch die folgenden Rundfunkentschei-
zu Informationskanälen, die über den klas- dungen, die sich mit Kurzberichterstattung,
sischen Rundfunk hinausgehen. Aber auch Finanzierung und anderen Spezialfragen
diese wie spätere Entscheidungen müssen befassen, bewirken jeweils eine Stärkung
im Licht der erwähnten Konditionalität der öffentlich-rechtlichen Veranstalter im
gesehen werden. Die Freiheit des Gesetzge- bestehenden dualen System, Alternativen
bers bei der Wahl des Rechtsrahmens, mit geraten nicht mehr in den Blick. Zuletzt
dessen Hilfe die Gewährleistungspflichten hat das Gericht betont, dass auch der tech-
umgesetzt werden, die sich aus Artikel 5 nologische Wandel und die zunehmenden
Abs. 1 Satz 2 GG ergeben, wird in Übergriffe der öffentlich-rechtlichen Rund-
verschiedenen Entscheidungen be- funkanstalten in neue Kommunikationsfor-
21
tont , ist letztlich aber nicht mehr men wie dem Internet an den Argumenten
wirklich aufgenommen und diskutiert der eingeschlagenen Rechtsprechungslinie
worden. Das gilt insbesondere auch für nichts geändert hätten. Ja, die besonde-
die herrschende Ansicht im rundfunk- ren Wirkungsmöglichkeiten des öffentlich-
verfassungsrechtlichen Schrifttum.22 Auch rechtlichen Rundfunks seien dadurch noch
die sechste Rundfunkentscheidung vom verstärkt worden.25
5. Februar 1991 macht zwar die Bedingtheit
der Regeln für die Ausgestaltung des öffent-
lichen Rundfunks von der grundsätzlichen
Gestaltungsentscheidung des Gesetzgebers
erneut deutlich:
20. BVerfGE 73, 118.
21. BVerfGE 73, 118 (153).
22. Für die herrschende Meinung etwa Wolfgang Hoffmann-Riem, 1994, Kommunikations- und Medi-
enfreiheit, in: Ernst Benda, Werner Maihofer und Hans-Jochen Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungs-
rechts, 2. Auflage, § 7 rn. 75 ff. Als Ausnahme sei immerhin Roman Herzog, in: Theodor Maunz und Günter
Dürig, Grundgesetz. Kommentar, Art. 5 Abs. I, II Rn. 235 f., erwähnt, der bei Wegfall der Frequenzknapp-
heit und hinreichenden Sicherungsmechanismen einen Anspruch Privater auf Zulassung zum Rundfunk
vertritt.
23. BVerfGE 83, 238 (296).
24. BVerfGE 83, 238 (298, 299 f. und öfter); Christoph Degenhart, in: Wolfgang Kahl, Christian Waldhoff
und Christian Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 778 ff. (113.
Aktualisierung September 2004).
25. BVerfGE 119, 181 (215); 121, 30 (51); Urteil vom 25. März 2014 – 1 BvF 1/11 und 4/11 – „ZDF-Staats-
vertrag“.
Seite 18 Das duale System

Auch die neueste Entscheidung vom Entsprechend dieser Bedeutung be­


25. März 2014 sieht indes die duale Rund­ schränkt sich sein Auftrag nicht auf
funkordnung als eine rahmensetzende eine Mindestversorgung oder auf ein
Grundentscheidung des Gesetzgebers.26 Die Ausfüllen von Lücken und Nischen,
inhaltlichen Vorgaben zur Staatsferne und die von privaten Anbietern nicht ab­
Vielfaltssicherung erfolgen im Urteil expli­ gedeckt werden, sondern erfasst die
zit als ausgehend von der geltenden Rund­ volle Breite des klassischen Rundfunk­
funkordnung, bzw. „im Rahmen der dualen auftrags, der neben seiner Rolle für
Rundfunkordnung“.27 Innerhalb des dualen die Meinungs- und Willensbildung,
Systems betont das Urteil die marktkorrigie­ neben Unterhaltung und Information
renden Funktionen des öffentlich-rechtli­ eine kulturelle Verantwortung um­
chen Rundfunks: fasst ... und dabei an das gesamte Pub­
likum gerichtet ist ... Dabei muss sein
„Er (der öffentlich-rechtliche Rund­ Programmangebot für neue Publi­
funk) hat die Aufgabe, als Gegenge­ kumsinteressen oder neue Inhalte und
wicht zu den privaten Rundfunkan­ Formen offenbleiben und darf auch
bietern ein Leistungsangebot hervor­ technisch nicht auf einen bestimmten
zubringen, das einer anderen Entschei­ Entwicklungsstand beschränkt wer­
dungsrationalität als der der markt­ den ...“28
wirtschaftlichen Anreize folgt und
damit eigene Möglichkeiten der Pro­ Diese Ausführungen sind für den vom
grammgestaltung eröffnet. Er hat so zu Gesetzgeber gewählten Rahmen einer du­
inhaltlicher Vielfalt beizutragen, wie alen Rundfunkordnung getroffen29, das
sie allein über den freien Markt nicht Gericht selbst geht jedoch der Sache nach
gewährleistet werden kann ... Denn der kaum noch wirklich von Alternativen aus.
publizistische und ökonomische Wett­ Zur Problematik dieser Rechtsprechung
bewerb führt nicht automatisch dazu, gehört es, dass die Basis der rechtsdogma­
dass in den Rundfunkprogrammen die tischen Folgerungen ausschließlich mit Ei­
Vielfalt der in einer Gesellschaft ver­ genzitaten belegt wird und weder ökonomi­
fügbaren Informationen, Erfahrungen, sche, sozialwissenschaftliche oder sonstige
Werkhaltungen und Verhaltensmuster Fachliteratur einbezieht, der Begründungs­
abgebildet wird ... Er hat hierbei ins­ duktus mithin zunehmend selbstreferentiell
besondere auch solche Aspekte aufzu­ erscheint. Das alles hat entsprechende Aus­
greifen, die über die Standardformate wirkungen auf die rundfunkverfassungs­
von Sendungen für das Massenpubli­ rechtliche Literatur und damit die medien­
kum hinausgehen oder solchen ein ei­ rechtliche Diskussion insgesamt gehabt.
genes Gepräge geben. Zugleich können Nur angedeutet werden kann der euro­
so im Nebeneinander von privatem parechtliche Rahmen des öffentlich-recht­
und öffentlich-rechtlichem Rundfunk lichen Rundfunks. Der EuGH behandelt den
verschiedene Entscheidungsrationali­ Rundfunk als Dienstleistung i.S.v. Art. 56
täten aufeinander einwirken ... AEUV, auf den die Wettbewerbsregeln für
Unternehmen (Art. 101 ff. AEUV) grundsätz­
lich Anwendung finden. Die Gebührenfi­
nanzierung löste daher seinerzeit einen Bei­
hilfenstreit aus, der zwar beigelegt wurde,
26. Ebd., Rdnr. 36.
27. Ebd., Rdnr. 43, 44, 50.
28. BVerfG, Urteil vom 25. März 2014 – 1 BvF 1/11 und 4/11 – „ZDF-Staatsvertrag“, Rdnr. 36 und 37.
29. Ebd., Rdnr. 35.
Öffentlich-rechtliche Medien – Aufgabe und Finanzierung Seite 19

im Zuge der Reform des Finanzierungs- Wichtig ist dabei, nicht einer dem Status
modells jedoch erneut aufflackern könnte. quo verhafteten Denkblockade zu verfallen,
Im Kern gelten die Sendungen des deut- wie sie vor allem die neuere verfassungsge-
schen öffentlich-rechtlichen Rundfunks als richtliche Judikatur nahelegen könnte.31 Die
„Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Funktionsfähigkeit eines privatwirtschaftli-
Interesse“ (Art. 106 Abs. 2 i.V.m. Art. 14 chen Hörfunk- und Fernsehangebots kann
AEUV) und unterliegen dem von deutscher und darf nicht nur aus der Perspektive eines
Seite durchgesetzten Amsterdamer Pro- bestehenden Systems empirisch erschlossen
tokoll Nr. 29 von 1997, das feststellt, „dass werden. Entscheidend ist nicht die Frage, ob
der öffentlich-rechtliche Rundfunk in den angesichts des derzeit bestehenden privat-
Mitgliedstaaten unmittelbar mit demokra- wirtschaftlichen Angebots der öffentlich-
tischen, sozialen und kulturellen Bedürfnis- rechtliche Rundfunk eine bedeutsame
sen jeder Gesellschaft sowie mit den Erfor- Aufgabe erfüllt. Öffentlich-rechtlicher und
dernissen verknüpft ist, den Pluralismus der privater Rundfunk bilden ein interdepen-
Medien zu wahren“. Die Bestimmungen der dentes System. Das privatwirtschaftliche
Verträge berühren nicht die Befugnis der Angebot hat sich angesichts des bestehen-
Mitgliedstaaten, den öffentlich-rechtlichen den, gebührenfinanzierten und breit aufge-
Rundfunk zu finanzieren, sofern die Finan- stellten öffentlich-rechtlichen Rundfunks
zierung der Rundfunkanstalten dem öf- entwickelt. Ein reformierter oder anders
fentlich-rechtlichen Auftrag, wie er von den ausgerichteter öffentlich-rechtlicher Rund-
Mitgliedstaaten den Anstalten übertragen, funk würde ein entsprechend verändertes
festgelegt und ausgestaltet wird, dient und privatwirtschaftliches Angebot nach sich
die Handels- und Wettbewerbsbedingungen ziehen. Würde der öffentlich-rechtliche
in der Union nicht in einem Ausmaß beein- Rundfunk sein Programmangebot ein-
trächtigt, das dem gemeinsamen Interesse schränken, würden dadurch zunächst Lü-
zuwiderläuft, wobei den Erfordernissen der cken entstehen. Nicht alle, aber viele dieser
Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auf- Lücken würden durch entsprechende neue
trags Rechnung zu tragen ist.30 Angebote der Privaten gefüllt werden. Bei
einer Reform des öffentlich-rechtlichen
Gestaltungsspielräume für die Rundfunks müssen diese Reaktionen mitbe-
zukünftige Rundfunklandschaft rücksichtigt werden.

Angesichts dieser grundgesetzlich beste-


henden, vom Bundesverfassungsgericht zu-
nächst betonten, inzwischen jedoch kaum
noch ventilierten Gestaltungsfreiheit kann
man fragen, wie eine Hörfunk- und Fern-
sehlandschaft in Deutschland aussehen
könnte, die einerseits dem Gewährleistungs-
auftrag aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG für den
Gesetzgeber gerecht wird, die andererseits
die veränderten technologischen Gegeben-
heiten berücksichtigt und die Kräfte des
Wettbewerbs wohlstandsmehrend zur Gel-
tung bringt.
30. Abgedruckt in Christian Calliess und Matthias Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, S. 3061.
31. Christoph Degenhart, in: Wolfgang Kahl, Christian Waldhoff und Christian Walter (Hrsg.), Bonner
Kommentar zum Grundgesetz, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 758 ff. (113. Aktualisierung September 2004).
Seite 20 Das bestehende System: Probleme und Tendenzen

3. Das bestehende System:


Probleme und Tendenzen

Effizienzanreizprobleme öffentlich Die Einnahmen aus Zwangsabgaben


regulierter Unternehmen hatten 2012 ein Gesamtvolumen von ca.
7,5 Mrd. Euro.32 Bezogen auf die öffent­
Seit dem 1. Januar 2013 ist ein der Höhe lichen Mittel pro Kopf liegt Deutschland
nach einheitlicher, von der tatsächlichen zwar nicht ganz am oberen Ende in Europa,
Nutzung der Produkte des öffentlich-recht­ wohl aber, was die Gesamtsumme angeht.
lichen Rundfunks unabhängiger Beitrag zu Abbildung 2a zeigt die gesamten öffent­
erheben, bezogen auf Haushalte und Be­ lichen Ausgaben für den Rundfunk für
triebsstätten, derzeit in Höhe von 17,98 Euro einige ausgewählte Staaten im Jahr 2009; in
pro Monat (§ 8 des Rundfunkfinanzierungs­ Abbildung 2b sind die Aufgaben pro Kopf
staatsvertrags in der zum 1. Januar 2013 gül­ dargestellt. Grundsätzlich sollte man an­
tigen Fassung). Eine zentrale Rolle bei der gesichts der spezifischen Kostenfunktion
Überprüfung der periodisch erfolgenden der Produktion von Rundfunkprogrammen
Bedarfsanmeldungen der Leistungserbrin­ eine deutliche Kostendegression erwarten:
ger spielt die bereits genannte unabhängige Viele Kosten der Produktion eines bestimm­
Kommission zur Überprüfung und Ermitt­ ten Programmangebots sind praktisch
lung des Finanzbedarfs der Rundfunkan­ unabhängig von der Zahl der Empfänger.
stalten (KEF). Der KEF gehören 16 unab­ Nur einige Kostenbestandteile, insbeson­
hängige Sachverständige an. Dabei benennt dere die Lizenzgebühren für Filme und
jedes Land ein Mitglied. Deren Kompetenz Serien, mögen ungefähr proportional mit
soll sich auf die Bereiche Wirtschaftsprü­ den Zuschauerzahlen steigen. Wenn sich
fung und Unternehmensberatung, Betriebs­ also gegebene Kosten in Deutschland auf
wirtschaft (Personalfragen, Investitionen, 80 Millionen potentielle Nutzer vertei­
Rationalisierung), Rundfunkrecht, Medi­ len, sollte deren Finanzierungsbeitrag pro
enwirtschaft, Rundfunktechnik und Rech­ Kopf bei gleicher Versorgungsqualität nur
nungsprüfung durch Landesrechnungshöfe ein Bruchteil dessen sein, was in kleinen
beziehen. Die Ernennung erfolgt jeweils Ländern wie der Schweiz, Norwegen oder
durch den Ministerpräsidenten, bestimmte Österreich pro Kopf aufzubringen ist.33 Der
Funktionen sind nicht an bestimmte Länder hohe Finanzierungsbeitrag pro Kopf in dem
gekoppelt. bevölkerungsreichen Deutschland ist inso­
fern ein Indikator für eine weit überdurch­
schnittliche Versorgung.

32. http://www.rundfunkbeitrag.de/haeufige_fragen/einnahmen_oeffentlich_rechtlicher_rundfunk/
33. Dies ist per se nicht unbedingt ein Zeichen von Ineffizienz, da in größeren Ländern der Preis für zu­
sätzliche öffentliche Programme durch die größere Nutzerzahl sinkt und daher der Wunsch nach mehr
Programmen bestehen könnte.
Öffentlich-rechtliche Medien – Aufgabe und Finanzierung Seite 21

Abbildung 2a: Bevölkerungsgröße und öffentliche Rundfunkausgaben

8
Deutschland
7
Öffentliche Ausgaben (Mrd. EUR, 2011)

J
6

5
UK
4
F
3
E
2
I
1 CAN
AUS
0
0 50 100 150
Bevölkerung (in Mio.)

Abbildung 2b: Bevölkerungsgröße und öffentliche Rundfunkausgaben pro Kopf

120
Öffentliche Ausgaben pro Kopf (EUR, 2011)

100
Deutschland
DK
80
A UK

60
B E F J
40 IRE AUS
I
CAN
20
NZ

0
0 50 100 150
Bevölkerung (in Mio.)

Quellen: .Nordicity, 2013, Analysis of Government Support for Public Broadcasting and Other Culture in Canada. Prepared for CBC/
Radio-Canada. April 2011 und für die Wechselkurse http://www.oanda.com/lang/de/currency/converter/ zum 31. Dezember 2011.
Seite 22 Das bestehende System: Probleme und Tendenzen

Die derzeitige Finanzierung basiert auf Maßstäbe. Aber selbst gut und intelligent
dem Prinzip „Finanzmittel nach Bedarf“. konzipierte Formen der Regulierung ver­
Diesen Bedarf melden die Sendeanstalten mögen die fehlenden marktlichen Anreize
an, und die KEF stellt den Bedarf fest. Der im Bereich öffentlicher Unternehmen nicht
Prozess ist für eine breitere Öffentlichkeit zu ersetzen. Durch „Yardstick Competition“
nicht transparent und ordnungspolitische werden beispielsweise einfache, standardi­
Steuerungsmechanismen sind kaum er­ sierte Kenngrößen, wie Minutenkosten ei­
kennbar. Dies hat auch zu viel öffentlicher ner Talksendung oder Kosten der Buchhal­
Kritik am Finanzierungssystem des öffentli­ tung je Euro Budget, zwischen verschiede­
chen Rundfunks geführt.34 nen Sendeanstalten verglichen. Dabei blei­
Eine Verbesserung der Situation inner­ ben indes viele Dimensionen, u.a. auch Qua­
halb der bestehenden Ordnung ist keine litätsunterschiede, zunächst außer Acht, so
einfache Aufgabe. Die Theorie öffentlicher dass unter dem Gesichtspunkt von Kosten­
Unternehmen lehrt, dass deren Regulierung effizienz möglicherweise nicht Gleiches mit
den Regulator vor fast unlösbare Aufgaben Gleichem verglichen wird. Fortschrittlicher
stellt. Unternehmen, die sich marktwirt­ ist die Nutzung von Effizienzanalysen (Data
schaftlicher Konkurrenz stellen müssen, Envelopment Analysis – DEA). Dabei werden
haben Anreize zur Kostenminimierung, zu verschiedene öffentliche Anbieter entlang
Prozess- und Produktinnovationen und vieler Dimensionen miteinander vergli­
Anreize für eine Kundenorientierung, was chen. Ineffizienzen zeigen sich dann, wenn
Produkt- und Produktionsentscheidungen Anbieter unter Berücksichtigung einer Viel­
angeht. Unternehmen, die dabei versagen, zahl von Vergleichsdimensionen schlechter
scheiden aus dem Markt aus und werden abschneiden als andere. Die Schwierigkeit
von erfolgreicheren Unternehmen ersetzt. solcher Untersuchungen besteht naturge­
Die Zahl von Mitarbeitern und deren Löhne mäß darin, die Qualität des Outputs in ihren
und Einkommen folgen im privaten Sektor vielen Dimensionen adäquat abzubilden. Da
einem Opportunitätskostenkalkül und ha­ diese Methode aber auf vergleichbar kom­
ben so ihren natürlichen Anker. Ein entspre­ plexe Produktionsprozesse wie bei öffent­
chendes Korrektiv gibt es in öffentlichen lichen Schulen, Kindergärten, Polizei und
Unternehmen nicht in vergleichbarer Weise. Bibliotheken erfolgreich angewandt wird,
Die Sender melden ihren Bedarf an Fi­ sollte diese Methode auch beim Rundfunk
nanzmitteln an; dieser Bedarf wird von der anwendbar sein.35 Die Berichte der KEF lie­
KEF geprüft und bewilligt. Für diese Prü­ fern wenig Anhaltspunkte für den aktuellen
fung bedarf es ausreichend objektivierbarer Einsatz solcher Methoden.36

34. Die Monopolkommission weist auf ordnungspolitische Probleme hin, die sich aus den Verfahren der
Finanzierungsanpassung ergeben, insbesondere die mangelhafte Kostenkontrolle; vgl. Monopolkom­
mission, 2006, Hauptgutachten 2004/2005 - Mehr Wettbewerb auch im Dienstleistungssektor!, Nomos,
Baden-Baden, Kapitel V. Für eine die jüngste Finanzierungsreform einbeziehende Kritik siehe Hans-Peter
Siebenhaar, 2012, Die Nimmersatten, Die Wahrheit über das System ARD und ZDF, Eichborn-Verlag, Köln.
35. Vgl. Trevor Collier und Daniel.L. Millimet, 2008, Efficiency in Public Schools: Does Competition Mat­
ter? Journal of Econometrics 145, 134-157, Kristof De Witte und Benny Geys, 2011, Evaluating Efficient
Public Good Provision: Theory and Evidence from a Generalized Conditional Efficiency Model for Pu­
blic Libraries, Journal of Urban Economics 69, 319-327, Leigh M.. Drake und Richard Simper, 2003, The
Measurement of English and Welsh Policy Force Efficiency: A Comparison of Distance Function Models,
European Journal of Operational Research 147, 165-186, Anna Montén und Christian Thater, 2011, Deter­
minants of Efficiency in Child-care Provision, FinanzArchiv/Public-Finance Analysis 67, 378-403.
36. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Gegenwehr der öffentlich-rechtlichen Rundfunkan­
stalten gegen die an sich grundsätzlich zulässige Rechnungshofkontrolle, etwa durch Rechtsgutachten:
Fritz Ossenbühl, Rundfunkfreiheit und Rechnungsprüfung, 1984; Hans D. Jarass, Reichweite der Rech­
nungsprüfung bei Rundfunkanstalten, 1992.
Öffentlich-rechtliche Medien – Aufgabe und Finanzierung Seite 23

Das adäquate Leistungsspektrum


Marktversagen gekennzeichnet sein kann.
Angesichts der Anreizprobleme der Regu- Die zentrale Erkenntnis dieser Arbeiten
lierung öffentlicher Unternehmen liegt es besagt, dass der Besitzer einer Radiostation
nahe, deren Leistungsspektrum auf den angesichts der bestehenden Programmviel-
Prüfstand zu stellen. Man könnte das Leis- falt besser beraten sein kann, ein bestehen-
tungsspektrum auf den Bereich reduzieren, des Programm zu duplizieren, als eine noch
der nicht adäquat durch marktwirtschaft- nicht besetzte Programmnische zu füllen37,
lich-gewinnorientierte Unternehmen ab- bzw. dass spezielle Programmangebote im
gedeckt wird, bzw. abgedeckt würde, falls Gleichgewicht zu kurz kommen.38 Erfolgt
sich die öffentlich-rechtlichen Sendean- das Programmangebot ausschließlich aus
stalten aus dem jeweiligen Bereich zurück- werbefinanzierten Programmen, wird ten-
ziehen sollten. Entsprechend empfiehlt es denziell zu viel „Mainstream“ angeboten,
sich aus ökonomischer Sicht, für den öffent- da die Anbieter auf die Anzahl der Hörer
lich-rechtlich zu erbringenden Angebots- aber nicht auf deren Zahlungsbereitschaf-
umfang ein strenges Subsidiaritätsprinzip ten abzielen.39 Insbesondere Programme
einzufordern. Es handelt sich dabei um ein mit einer kleinen Hörergruppe mit hoher
aus vielen wirtschaftspolitischen Bereichen Wertschätzung werden nicht bedient, wenn
bekanntes Organisationsprinzip, das Ent- die Anzahl der verfügbaren Kanäle knapp ist
scheidungskompetenz und Verantwortung und/oder signifikante Fixkosten der Bereit-
zusammenführen soll. Angewandt auf die stellung bestehen.
Abgrenzung zwischen privatwirtschaftli- Die Werbefinanzierung führt zu einer
cher Produktion von Gütern und Dienstleis- Programmorientierung an Zielgruppen und
tungen und öffentlich-rechtlicher Produk- Einschaltquoten. Mit bestimmten Pro-
tion besagt das Prinzip, dass eine öffentlich- gramminhalten lassen sich große Ziel-
rechtliche Produktion nur da angezeigt ist, gruppen ansprechen, bzw. Zielgruppen, die
wo eine privatwirtschaftlich organisierte im besonderen Fokus der Werbeindustrie
Produktion versagt bzw. erhebliche Mängel stehen. Diejenigen Programme, für die die
aufweist, die sich auch durch weniger mas- Werbeindustrie eine hohe Zahlungsbereit-
sive Staatseingriffe nicht abstellen lassen. schaft hat, weil sie damit viele bzw. zah-
Seit den Forschungsergebnissen von lungskräftige Kunden erreicht, sind nicht
Steiner (1952) und Beebe (1977) ist bekannt, unbedingt mit den Programminhalten iden-
dass das Gleichgewicht der Programmge- tisch, für die Zuschauergruppen die höchste
staltung rein marktwirtschaftlich orien- Wertschätzung haben. Wenn beispielsweise
tierter Hörfunk- und Fernsehmedien durch eine Zuschauergruppe für ein bestimmtes

37. Peter O. Steiner, 1952, Program Patterns and Preferences, and the Workability of Competition in Ra-
dio Broadcasting, Quarterly Journal of Economics, 66(2), 194-223. Theoretisch sind in einigen Modellen
auch Gleichgewichte mit maximaler Differenzierung möglich, die empirische Evidenz des Programman-
gebots privater Sender legt jedoch eher Gleichgewichte mit minimaler Differenzierung nahe. Zur Theorie
vgl. Simon P. Anderson und Jean J. Gabszewicz, 2006, The Media and Advertising: A Tale of Two-sided
Markets, in: Victor A. Ginsburgh und David Throsby (Hrsg.), Handbook of the Economics of Art And Cul-
ture, Volume I, North Holland. Burlington, 598.
38. Jack H. Beebe, 1977, Institutional structure and program choices in television markets, Quarterly Jour-
nal of Economics 91(1), 15-37.
39. Bei empirischen Untersuchungen misst man die Programmvielfalt durch die Verteilung bzw. Kon-
zentration der Sendezeit auf die verschiedenen Inhalte. Seit Einführung der Senderfinanzierung durch
einzelne Werbespots in den USA (anstelle des Sponsorings ganzer Sendungen) ist die Programmvielfalt
bei den großen TV-Sendern zurückgegangen; siehe Mara Einstein, 2004, Broadcast Network Television,
1955–2003: The Pursuit of Advertising and the Decline of Diversity, Journal of Media Economics 17, 145-
155. Zur Kritik am methodischen Vorgehen siehe Shaun P. Hargreaves Heap, 2005, Television in a Digital
Age: What Role for Public Service Broadcasting?, Economic Policy 41, 119.
Seite 24 Das bestehende System: Probleme und Tendenzen

Sendeformat eine sehr hohe Zahlungsbe­ Einer solchen Korrektur durch öffent­
reitschaft hat, diese Zuschauergruppe aber lich-rechtliche Rundfunkanstalten ist eine
als Zielgruppe für die Werbeindustrie kaum partielle Werbefinanzierung eher abträglich.
interessant ist (z. B. weil die Gruppe nur eine Der öffentlich-rechtliche Rundfunk kon­
schwache Kaufkraft hat oder gegenüber kurriert dann nicht nur mit den Privaten
medialen Werbebotschaften relativ resistent um Werbekunden. Er setzt sich auch genau
ist), kommt es zu Programmlücken in einem den gleichen möglichen Fehlanreizen aus,
kommerziellen Rundfunkangebot. Durch was die Orientierung an Zielgruppen und
diesen Zielkonflikt zwischen Programm­ Einschaltquoten angeht. So entstehen im
machern und Zuschauern kann es zu uner­ Programm des öffentlich-rechtlichen Rund­
wünschten Verzerrungen in der Programm­ funks in der Tendenz die gleichen Verzer­
gestaltung und einer Unterabdeckung von rungen und Programmlücken, mit denen
wünschenswerten Nischenangeboten kom­ gerade die Existenz des öffentlich-rechtli­
men. Das Angebot an solchen Programmen chen Rundfunks ökonomisch gerechtfertigt
kann aber im gesellschaftlichen Interesse wird.
liegen, wenn für die Zuschauer aus dieser Eine Aufgabenabgrenzung, die sich am
Gruppe die Zahlungsbereitschaft für diese Subsidiaritätsprinzip orientiert, wird derzeit
Nischenangebote hinreichend hoch ist. nicht praktiziert. Im Gegenteil: Man beob­
Mögliche Beispiele für solche Inhalte könn­ achtet den Bieterwettbewerb der öffentlich­
ten Reportagen sein, die ein kostspieliges rechtlichen Sendeanstalten um Sendefor­
Auslandskorrespondenten-Netzwerk mit mate, die inhaltlich und konzeptionell von
hohen Fixkosten erfordern, und Bildungs­ der privaten Konkurrenz praktisch kaum
und Kulturprogramme, die nur kleine Zu­ zu unterscheiden sind. Beispiele finden
schauergruppen mit hoher Zahlungsbereit­ sich im Fernsehen besonders im Bereich
schaft ansprechen. Aufgabe der öffentlichen der Sportberichterstattung, im Bereich von
Hand ist gegebenenfalls die Korrektur des Vorabendserien sowie bei Diskussions­
Marktversagens, beispielsweise indem wün­ veranstaltungen. Es könnte der Eindruck
schenswerte Programme angeboten werden, entstehen, dass nicht der grundgesetzliche
die auf einem unregulierten Markt nicht Versorgungsauftrag und die Vielfalt im Zen­
durch Private bereitgestellt werden.40 trum der Aufmerksamkeit des öffentlich­
rechtlichen Rundfunks stehen, sondern die
Einschaltquoten.41 Auch im Hörfunk gibt es
erhebliche Doppelungen, z. B. wenn öffent­
liche und private Sender gleichermaßen die
„größten Hits aus den 80er und 90er Jahren“
spielen.

40. Neben der Schaffung eines öffentlich-rechtlichen Angebots gibt es indes eine weitere mögliche Ant­
wort auf das marktwirtschaftliche Versagen, Programmnischen zu füllen und Programmvielfalt durch
Wettbewerb zu erzeugen. Diese Antwort besteht in kluger Regulierung des privaten Angebots. Eine dritte
Antwort besteht in der Schaffung hinreichend vieler Programme. Die von Steiner und Beebe aufgezeigten
Probleme verschwinden, sobald die Zahl der verfügbaren Sender hinreichend groß und die Kosten für die
Angebotserzeugung hinreichend niedrig sind. Der Frage, ob angesichts der gestiegenen Verfügbarkeit von
Sendekanälen überhaupt noch ein Bedarf für ergänzendes öffentliches Programmangebot besteht, wird
in Kapitel 4 diskutiert.
41. Vgl. Giovanni Di Lorenzo, 2013, Mut ins Programm!, Die Zeit Nr. 22, 23. Mai 2013, Seite 1.
Öffentlich-rechtliche Medien – Aufgabe und Finanzierung Seite 25

Die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- den beispielsweise, dass der Umfang der TV-
anstalten führen als Rechtfertigung für die Berichte über die Europawahl 1999 keine
Duplizierung des privaten Programmspek- Auswirkungen auf die Wahlbeteiligung
trums gelegentlich an, dass die Zuschauer hatte.45 Für Deutschland zeigt eine Untersu-
bzw. Zuhörer nur auf diesem Wege zum chung des Nachrichtenkonsums im Umfeld
Konsum anspruchsvoller und bildender wichtiger TV-Ereignisse (Fußball-EM 2008
Programme verleitet werden können.42 Zu und Tatort-Ausstrahlung), dass versehent-
solchen „Lead-in“-Effekten gibt es einige liche Nutzer der Fernsehnachrichten etwas
empirische Studien. Wonneberger et al. besser informiert sind als Nicht-Nutzer.46
(2012) untersuchen beispielsweise den Kon- Das „Lead-in“-Argument ist überwie-
sum von TV-Nachrichten im holländischen gend meritorischer Natur. Hier wird vom
Fernsehmarkt zwischen 1988 und 2012.43 Programmmacher der „richtige“ Konsum
Trotz der Möglichkeit, auf andere Pro- von politischer Information für den ver-
gramme umzuschalten, hat das den Nach- meintlich unmündigen Bürger ausgewählt
richten vorhergehende Programm einen und ihm im Paket mit Unterhaltungssen-
Einfluss auf den Nachrichtenkonsum und dungen angeboten. Es liegt im Interesse
dieser Einfluss nahm sogar im Zeitverlauf eines auf guter Information basierten politi-
noch zu.44 Falls aus Gründen der politischen schen Willensbildungsprozesses, Zugang zu
Bildung der Konsum von Nachrichtensen- Information zu garantieren und die Kosten
dungen gegenüber anderen Sendungen des Zugangs niedrig zu halten. Eine meri-
erhöht werden soll, könnte die Kombination torische Festlegung der richtigen Menge an
aus attraktiven Unterhaltungssendungen Nachrichtenkonsum geht darüber ein Stück
mit Nachrichtensendungen diesem Ziel u.U. hinaus. Selbst wenn man eine solche Praxis
dienen. Unklar ist aber, ob ein beiläufiges für legitim hält, so wäre der „Lead-in“-Effekt
Sehen von Nachrichten die Zuschauer auch kein zwingendes Argument für die gegen-
wirklich erreicht. Schoenbach und Lauf fin- wärtige Programmgestaltung. Erstens kann

42. Ein anderes Argument für populäre Unterhaltungssendungen besagt, dass die Sender dadurch ein
positives Image aufbauen können, das ihnen dann hilft, anspruchsvolle Themen aus Politik, Kultur oder
Wirtschaft an die Zuschauer zu bringen. Allerdings beziehen die öffentlich-rechtlichen Sender ihr posi-
tives Image aus den Informations- und eben nicht aus den Unterhaltungssendungen. In der ARD/ZDF-
Langzeitstudie Massenkommunikation schreiben die Zuschauer den öffentlich-rechtlichen Rundfunkpro-
grammen die Eigenschaften sachlich (öffentlich-rechtlich 78 Prozent vs. privat 15 Prozent), glaubwürdig
(75 Prozent / 14 Prozent) und kompetent (72 Prozent / 20 Prozent) zu, aber kaum Eigenschaften wie
unterhaltsam (30 Prozent / 62 Prozent) oder modern (26 Prozent / 68 Prozent); siehe Christa-Maria
Ridder und Bernhard Engel, 2010, Massenkommunikation 2010: Funktionen und Images der Medien im
Vergleich, Media Perspektiven 11/2010, 537-548.
43.Entgegen der landläufigen Meinung können sie nicht bestätigen, dass die zunehmende Vielfalt im
Fernsehangebot zu einer Abnahme des Nachrichtenkonsums geführt hat.
44. Vgl. Anke Wonneberger, Klaus Schoenbach und Lex van Meurs, 2012, Staying Tuned: TV News Au-
diences in the Netherlands 1988—2010, Journal of Broadcasting & Electronic Media 56(1), 55–74. Zu einer
frühen Studie des Lead-in Effekts siehe Marilyn L. Boemer, 1987, Correlating Lead-in Show Ratings with
Local Television News Ratings, Journal Of Broadcasting & Electronic Media 31(1), 89-94.
45. Klaus Schoenbach und Edmund Lauf, 2002, The “Trap” Effect of Television and Its Competitors, Com-
munication Research 29, 564-583. Dass die Verfügbarkeit von politischen Nachrichten durchaus Auswir-
kungen auf die Wahlbeteiligung haben kann, zeigen Della Vigna und Kaplan anhand des Markteintritts
von Fox News in den USA. Der Markteintritt des konservativen Nachrichtensenders Fox News erhöhte
in den Städten, in denen der Sender im Kabelnetz verfügbar war, die Wahlbeteiligung bei den Präsident-
schafts- und Kongresswahlen im Jahr 2000 und mobilisierte insbesondere die Wähler der Republikaner;
Stefano della Vigna und Ethan Kaplan, 2007, The Fox News Effect: Media Bias and Voting, Quarterly Jour-
nal of Economics 122, 1187-1234.
46. Frank Marcinkowski, 2010, Das Fernsehen als Politikvermittlungsfalle. „Versehentliche“ Nutzung und
„beiläufiges“ Lernen von Nachrichten, Christian Schemer, Werner Wirth und Carsten Wünsch (Hrsg.), Po-
litische Kommunikation: Wahrnehmung, Verarbeitung, Wirkung, Nomos, Baden-Baden, 171-191.
Seite 26 Das bestehende System: Probleme und Tendenzen

das Argument die vollständige Duplikation griffe werden typischerweise nur im Bereich
von privaten Sendeformaten wie im Falle Minderjähriger bejaht, vor allem da, wo das
der Pop-Sender kaum rechtfertigen; diese Suchtgut massive irreparable Schädigun­
Sender sind von außen praktisch unun­ gen beim Konsumenten selbst oder erheb­
terscheidbar von ihren privaten Pendants. liche Beeinträchtigungen in seinem direk­
Selbst die Namensgebung von Radiopro­ ten Umkreis hervorrufen kann. Im Rahmen
grammen (beispielsweise „Jump“, „N-Joy“, der Verhaltensökonomik wird auch auf ein
„YouFM“, „Fritz“) verschleiert oft deren öf­ mögliches Phänomen verwiesen, wonach
fentlich-rechtliche Herkunft. Zweitens kann Konsumenten in ihrem Verhalten Gegen­
man auch im TV-Bereich kaum die große wartskonsum und Zukunftskonsum nicht
Zahl an Unterhaltungssendungen als „Lead­ konsistent gegeneinander abwägen.49 Ob
in“ zu den gelegentlichen Nachrichten- und eine intertemporale Inkonsistenz von Kon­
Informationsformaten rechtfertigen. Und sumentenpräferenzen staatliche Eingriffe
drittens dürfte der „Lead-in“-Effekt durch rechtfertigt, ist dabei zweifelhaft. Selbst
die vermehrte Nutzung von Mediatheken wenn man solche Eingriffe grundsätzlich
allmählich verschwinden. Wonneberger et akzeptiert, rechtfertigt dies nicht den Status
al. erwarten z. B., dass mit der steigenden Quo des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Nutzung der nicht-linearen Medien, bei Die Produktion eines öffentlich-rechtlichen
denen sich die Nutzer ihr Programm zeit­ Angebots und die Bereitstellung eines Guts
lich flexibel selbst zusammenstellen (z. B. zu einem Nutzerpreis von Null ließen sich
durch Breitbandzugriff auf Mediatheken), kaum damit rechtfertigen, dass dieses Gut
der Nachrichtenkonsum vom Programm­ süchtig macht oder im Übermaß konsu­
schema entkoppelt wird – ein Trend, der bei miert wird. Übermäßigem Konsum wird im
der jungen Bevölkerung bereits zu beobach­ Gegenteil üblicherweise durch Verbraucher­
ten ist. aufklärung und Information, Steuern, Ver­
bote oder Angebotseinschränkungen begeg­
Schutz des Zuschauers vor sich net. Soweit man nur dem privaten Fernse­
selbst? hen gefährliches Suchtpotential zuschreibt,
lässt sich der möglicherweise vorhandene
Gelegentlich wird der Suchtcharakter des Überkonsum ebenfalls nicht in den Griff be­
Fernsehens als weiterer Marktfehler an­ kommen, solange die Zuschauer zu den pri­
geführt.47 Ein solches Suchtproblem liegt vaten Sendern wechseln können. Eine Be­
vor, wenn der Fernsehkonsum den Wunsch steuerung des Fernsehkonsums, eine starke
nach mehr Fernsehkonsum erhöht.48 Ob Regulierung des Programmangebots oder
das Vorhandensein eines Suchtpotentials ei­ ein Verbot der Privaten stünden aber wohl
nes Guts staatliche Eingriffe rechtfertigt, ist im Widerspruch zur Rundfunkfreiheit. Sol­
umstritten. Denn staatliche Eingriffe haben che Maßnahmen wären ein weitgehender
hier einen meritorischen Charakter. Ein­ Eingriff in die Konsumentensouveränität.50

47. Vgl. Marco Gui und Luca Stanca, 2009, Television Viewing, Satisfaction and Happiness: Facts and Fic­
tion, Working Paper No. 167, Dipartimento di Economia Politica, Università degli Studi di Milano-Bicocca.
48. Vgl. Gary S. Becker und Kevin M. Murphy, 1988, A Theory of Rational Addiction, Journal of Political
Economy 96(4), 675-700.
49. Vgl. beispielsweise David Laibson, 1997, Golden Eggs and Hyperbolic Discounting, Quarterly Journal
of Economics 112(2), 443-378 und Richard H. Thaler, Amos Tversky, Daniel Kahneman und Alan Schwarz,
1997, The Effect of Myopia and Loss Aversion on Risk-taking: an Experimental Test, Quarterly Journal of
Economics 112(2), 647-661. Die externe Validität der diese Theorie stützenden Laborbefunde ist umstrit­
ten. Vgl. z. B. James Andreoni und Charles Sprenger, 2012, Risk Preferences Are not Time Preferences,
American Economic Review 102, 3357-3376.
50. Die Monopolkommission (2006, 396ff, a.a.O) diskutiert weiter denkbare Formen des Marktversagens,
wie z. B. adverse Selektion, und verwirft diese Marktversagensgründe als wenig plausibel.
Öffentlich-rechtliche Medien – Aufgabe und Finanzierung Seite 27

Finanzierung über nutzungsunab-


keine Impulse für eine optimale Angebots-
hängige Zwangsabgabe
steuerung setzen. Alternative Finanzie-
rungskonzepte könnten die nachfragesei-
Die Finanzierung von Anbieterleistungen tige Zahlungsbereitschaft, gerade auch für
auf Märkten hat wichtige Steuerungsfunk- die von den privaten Anbietern möglicher-
tionen. Passt die Art der Finanzierung von weise nicht bereitgestellten Angebote, ein-
Leistungen nicht zum institutionellen Kon- beziehen.
text der erbrachten Leistungen, gehen von Als alternative Finanzierungsmodelle
der Finanzierung gar keine oder sogar fal- werden Nutzungsabgaben einerseits und
sche Steuerungsimpulse aus. An idealtypi- eine Finanzierung des öffentlich-recht-
schen privaten Gütermärkten lenkt die Zah- lichen Rundfunks aus allgemeinen Steu-
lungsbereitschaft der Nachfrager Art und ermitteln andererseits häufig diskutiert.
Umfang des Angebots in effizienter Weise. Darauf wurde bereits hingewiesen. Auch
Im Bereich des privaten Rundfunks erfolgt stellt sich die Frage, wer gegebenenfalls die
die Finanzierung ganz überwiegend durch adäquate Gruppe der Zahler einer Zwangs-
Werbeeinnahmen. Dabei orientieren sich abgabe sein sollte.51
die Sender mit ihrem Angebot an den er- Gegen eine Finanzierung aus den all-
zielbaren Einschaltquoten und Zielgruppen, gemeinen Staatshaushalten (der Länder)
da sich höhere Einschaltquoten bestimmter wird gelegentlich eingewandt, dass den
Zielgruppen in höhere Werbeeinnahmen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten
umsetzen. Die Zahlungsbereitschaft der damit die erfolgreiche Beeinflussung der
Nutzer steuert in diesem Markt nicht direkt Entscheidungsträger für (zu hohe) Finanzie-
das Angebot. Indirekt erfolgt eine solche rungsbeiträge erleichtert würde. Allerdings
Steuerung aber über die Attraktivität und ist unklar, ob die Rundfunkanstalten leich-
Zahl dieser Nutzer als Empfänger von Wer- ter Einfluss auf die Parlamentarier als auf
bebotschaften. die 16 Mitglieder der KEF nehmen können.
Mit einer Finanzierung durch nut- Für eine Steuerfinanzierung sprechen die
zungsunabhängige Zwangsabgaben wie dem verbesserte demokratische Legitimierung
sog. Haushaltsbeitrag seit dem 1. Januar und Kontrolle sowie die parlamentarischen
2013 wurde die Sonderrolle des öffentlich- Hürden gegenüber einem Ausufern der Fi-
rechtlichen Rundfunks in Wirtschaft und nanzierungsansprüche. 52
Gesellschaft weiter verfestigt. Ziel der Fi-
nanzierung ist die Bereitstellung der bereits
diskutierten Grundversorgung, also eines
gesellschaftlich gewünschten Angebots, ins-
besondere soweit dieses nicht durch private
Anbieter gewährleistet ist. Eine der Höhe
nach maßgeblich vom Anbieter bestimmte,
nutzungsunabhängige Zwangsabgabe kann

51. Vgl. z. B. Karolin Herrmann, 2013, Die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Wirtschafts-
dienst 8/2013, 552-556. Um die Finanzierung zu entpolitisieren und den Druck nach Budgeterhöhungen
für den Rundfunk abzumildern, schlägt die Monopolkommission (2006, 415f, a.a.O) eine (einkommensab-
hängige) Fernsehsteuer vor, wobei das Aufkommen aus dieser Steuer an die allgemeine Preisentwicklung
gekoppelt sein soll, so dass das Budget in Zukunft nicht mehr durch diskretionäre Eingriffe real wachsen
kann.
52. Zu den – sehr umstrittenen – verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen einer Steuerfinanzierung
des öffentlich-rechtlichen Rundfunks unter gleichzeitiger Wahrung der Staatsferne hinsichtlich des Pro-
gramms siehe Christian Waldhoff, Verfassungsrechtliche Fragen einer Steuer-/Haushaltsfinanzierung des
öffentlich-rechtlichen Rundfunks, AfP 2011, 1-10.
Seite 28 Das bestehende System: Probleme und Tendenzen

Wettbewerb im „Gemischten zer selbst finanziert. Es hätte auch den Vor­


Oligopol“ teil, dass die Zahlungsbereitschaft der Nut­
zer eine wichtige Steuerungsfunktion aus­
Die Theorie des „gemischten Oligopols“ un­ üben kann.
tersucht Wettbewerb in Märkten, in denen
private, gewinnorientierte Unternehmen Neue Technologien
mit öffentlichen Unternehmen konkurrie­
ren.53 Letztere verfolgen oft nicht das Ziel Die beschriebene Theorie zum Entstehen
der Gewinnmaximierung, sondern der Kos­ einer ineffizienten Programmvielfalt geht
tendeckung und können wirtschaftliche meist (implizit) von knappen Transmissi­
Fehlbeträge häufig innerhalb des öffentli­ onskapazitäten aus. Wenn Sender privat­
chen Sektors weitergeben. Die Theorie des wirtschaftlich um eine beschränkte Zahl
gemischten Oligopols zeigt, dass solche öf­ von Rundfunkfrequenzen konkurrieren,
fentliche Unternehmen in der Konkurrenz werden sich die Programme mit den höchs­
mit gewinnwirtschaftlich orientierten Un­ ten Marktanteilen durchsetzen. Bei rein
ternehmen aggressiver auftreten können als werbefinanziertem Programm kann das,
ihre Wettbewerber. In der dualen Medien­ wie bereits ausgeführt, zu ineffizienter Pro­
ordnung handeln die öffentlich-rechtlichen grammvielfalt und zur Doppelung von Pro­
Rundfunkgesellschaften in der Rolle kos­ gramminhalten führen. Durch neue Tech­
tendeckender „öffentlicher Unternehmen“. nologien – insbesondere das Internet, aber
Entsprechend der Theorie konkurrieren sie auch die Digitalisierung des terrestrischen
im Vergleich zu privatwirtschaftlichen An­ Rundfunks – haben sich die Rahmenbedin­
bietern also aggressiver. Die Überlegungen gungen geändert. Die Zahl der möglichen
zum gemischten Oligopol sind im Bereich Sender ist technisch für alle praktischen Be­
des Markts für Online-Texte von besonderer lange unbegrenzt. Und in der Tat findet sich
Bedeutung. Die kostenlosen Nachrichten­ für praktisch jede Musikvorliebe inzwischen
angebote von ZDF.de oder tagesschau.de im ein geeignetes Internetradio. Zumindest was
Internet konkurrieren hier mit den Online- die Bereitstellung von Musik über Rund­
Angeboten der klassischen Printmedien. Die funk betrifft, sind damit Staatseingriffe zur
beitragsfinanzierten Angebote behindern Sicherung der Programmvielfalt allem An­
in der Tendenz Prozesse, durch die sich ein schein nach überflüssig geworden.
selbst tragendes, qualitativ hochwertiges
Subskriptionssystem privatwirtschaftlicher
Anbieter (spiegel.de, faz.net, welt.de, ...) ent­
wickeln kann.54 Ein solches Subskriptions­
system hätte nicht nur den Vorteil, dass es
sich über die Zahlungsbereitschaft der Nut­

53. Der Wettbewerb zwischen gewinnmaximierenden Unternehmen und solchen, die dem Gemeinwohl
verpflichtet sind und dabei Kostendeckung anstreben, ruft eine große Zahl von strategischen Überlegun­
gen auf den Plan. Einige besonders prominente Studien sind: Gianni de Fraja und Flavio Delbono, 1989,
Alternative Strategies of a Public Enterprise in Oligopoly, Oxford Economic Papers – New Series 41(2),
302-311; Ikuo Ishibashi und Toshihiro Matsumura, 2006, R&D Competition between Public and Private
Sectors, European Economic Review 50(6), 1347-1366; Toshihiro Matsumura, und Noriaki Matsushima,
2004, Endogenous Cost Differentials between Public and Private Enterprises: a Mixed Duopoly Approach,
Economica 71(284), 671-688; Toshihiro Matsumura, 1998, Partial Privatization in Mixed Duopoly, Journal
of Public Economics 70(3), 473-483.
54. Das Problem wird noch verschärft, wenn die öffentlich-rechtlichen Sender auch noch Werbeeinnah­
men erzielen dürfen und damit die Finanzierungsbasis der Privaten schwächen können.
Öffentlich-rechtliche Medien – Aufgabe und Finanzierung Seite 29

Veränderte Nutzungsgewohnheiten
Die große Verfügbarkeit von Information
und Unterhaltung über das Internet hat zu
veränderten Konsumgewohnheiten geführt,
da die Nachfrager Sendungen vermehrt „on
demand“ und nicht mehr gemäß des von
den Sendern vorgegebenen Programm-
schemas konsumieren. Der (terrestrische
oder kabelgebundene) Rundfunk konkur-
riert heute, vor allem bei jungen Menschen,
zunehmend mit dem Internet als Haupt-
informationsmedium.55 Abbildung 3 zeigt,
wie drastisch sich die Mediennutzung bei
der Bevölkerung im Alter zwischen 14 und
29 Jahren seit dem Jahr 2000 verschoben
hat.56Zugleich bietet das Internet Sende-
formate, die eine ähnliche Suggestivkraft
haben wie Formate in den klassischen Hör-
funk- und Fernsehmedien. Werden solche
Internetangebote über den Fernseher abge-
spielt, verschwinden die Unterschiede der
Medien praktisch vollständig.

55. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem jüngsten Urteil – ZDF-Staatsvertrag – durch die „Ergän-
zung“ des traditionellen Rundfunks durch Internet u.ä. eine Steigerung der staatlichen Verantwortung
hinsichtlich der Gefahren durch die Suggestivkraft des Fernsehens selbst (!) gesehen: „Die besondere
staatliche Verantwortung für die Sicherung von Vielfalt in diesem Bereich hat ihren Grund in der her-
ausgehobenen Bedeutung, die dem Rundfunk – und insbesondere dem Fernsehen – wegen seiner Brei-
tenwirkung, Aktualität und Suggestivkraft zukommt, und sich insbesondere daraus ergibt, dass Inhalte
schnell, sogar zeitgleich, übertragen und dabei Ton, Text und bewegte Bilder miteinander kombiniert
werden können. Diese Wirkungsmöglichkeiten gewinnen zusätzliches Gewicht dadurch, dass die neuen
Technologien eine Vergrößerung und Ausdifferenzierung des Angebots und der Verbreitungsformen und
-wege gebracht sowie neuartige programmbezogene Dienstleistungen ermöglicht haben.“ Urteil vom 25.
März 2014 – 1 BvF 1/11 und 4/11, Rdnr. 34.
56. Auch bei der Bevölkerung über 29 Jahren hat die Internetnutzung in den letzten Jahren zugenommen;
allerdings fällt die Nutzungsintensität (Stunden pro Tag) bei der älteren Bevölkerung geringer aus, siehe
Forschungsgruppe Wahlen e.V., 2013, Internet-Strukturdaten – Repräsentative Umfrage, IV. Quartal 2013,
Mannheim. Verlust und Alterung der Zuschauer beschäftigt auch die öffentlich-rechtlichen Sender; siehe
Volker Giersch, 2008, Ein nur noch seltenes Paar Öffentlich-rechtlicher Rundfunk und Jugend – Strate-
gien gegen den Generationenabriss, ARD-Jahrbuch 08, Nomos: Baden-Baden, 23-29.
Seite 30 Das bestehende System: Probleme und Tendenzen

Abbildung 3: Nutzungsdauer der Medien bei 14- bis 29-Jährigen

200
180
160
Nutzungsdauer der Medien

140
in Minuten pro Tag

120
Fernsehen
100
Hörfunk
80
Internet
60
40
20
0
2000 2005 2010

Quelle: Birgit van Eimeren und Christa-Maria Ridder, 2011, Ergebnisse der ARD/ZDF-Langzeitstudie Massenkommunikation –
Trends in der Nutzung und Bewertung der Medien 1970 bis 2010, Media Perspektiven 1/2011, 2-15

Die besondere Bedeutung, die hohe Typische Szenarien für die Zukunft des
Suggestivkraft bzw. die meinungsbildenden Medienkonsums halten eine Abnahme des
Eigenschaften waren nicht unerheblich für traditionellen Rundfunks und eine weitere
die Forderung nach einem aktiven Gewähr­ Zunahme des „nicht-linearen“ Medien­
leistungsschutz im Bereich von Hörfunk konsums für plausibel. Dennoch behält der
und Fernsehen.57 öffentliche Rundfunk auch bei einer sol­
Mit dem Bedeutungsverfall der Infor­ chen Entwicklung eine wichtige Funktion.
mationsverbreitung über knappe Rund­ Beispielsweise benötigen die Konsumenten
funkkanäle verringern sich die politisch­ insbesondere in einer zunehmend komple­
gesellschaftlichen Risiken, die mit einem xen Medienwelt mit einer Überfülle an An­
Übergang zu einer stärker konkurrenzwirt­ geboten eine Filterfunktion – eine Aufgabe,
schaftlichen Organisation des Fernsehens die die Redaktionen der Rundfunkanstalten
einhergehen. Und auch mit der Entstehung erfüllen.
von Medien mit ähnlicher Suggestivkraft
verliert dieses Argument für die Sonderstel­
lung des öffentlichen Rundfunks an Bedeu­
tung.

57. Zuletzt BVerfG, Urteil vom 25.3.2014 – 1 BvF 1/11 und 4/11, Rdnr. 34.
Öffentlich-rechtliche Medien – Aufgabe und Finanzierung Seite 31

4. Leitlinien für eine Reform

Die folgenden Eckpunkte einer Reform regulatorischen Umfeldes ein gesellschaft-


gehen von einem (möglichweise einge- lich und bildungspolitisch gefordertes An-
schränkten oder modifizierten) Fortbestand gebot nicht von sich aus anbieten würden.
der öffentlich-rechtlichen Rundfunksender Für staatliche Eingriffe in den Markt ist eine
und einem in Analogie zum Zeitungsmarkt überzeugende Rechtfertigung erforderlich.
organisierten privatwirtschaftlichen Ange- Wie die weltweit erfolgreich vermarkteten
bot aus. US-Fernsehserien zeigen, ist ein privates,
auf Subskriptionen der Kanäle basieren-
Subsidiaritätsprinzip und Korrektur des Fernsehsystem durchaus in der Lage,
von Marktfehlern anspruchsvolle und aufwendige Unterhal-
tungsprogramme hervorzubringen. In den
Die Übernahme von Leistungen durch den meisten Fällen dürfte eine vorsichtige Regu-
öffentlichen Sektor und ihre Finanzierung lierung des privaten Angebots ausreichend
durch Zwangsabgaben stehen unter dem sein. Wenn beispielsweise Einschränkungen
Legitimierungszwang des Subsidiaritäts- des Zugangs zu kulturell und politisch rele-
prinzips.58 Dieser Schluss ergibt sich aus vanter Information wegen exklusiver Sen-
grundlegenden ökonomischen Überlegun- derechte von Pay-TV drohen, oder wenn
gen. Legitim ist die Leistungserbringung Ineffizienzen durch exzessive Werbeblöcke
durch den öffentlichen Sektor nur dann, befürchtet werden, wäre es verfassungs-
wenn ein entsprechendes Leistungsangebot rechtlich geboten, in das Marktgeschehen
nicht privatwirtschaftlich-konkurrenzwirt- regulierend einzugreifen. Sollten die ver-
schaftlich zu organisieren ist, und zugleich fassungsrechtlichen Voraussetzungen für
die Qualität eines öffentlichen Angebots einen Eingriff erfüllt sein, kann der Gesetz-
im Verhältnis zu den Kosten einen hinrei- geber allerdings auch ohne ein öffentlich-
chenden Mehrwert erbringt. Der öffent- rechtlich produziertes Angebot durch eine
lich-rechtliche Rundfunk sollte deshalb als geeignete Regulierung des privaten Ange-
Anbieter nur dort auftreten können, wo die bots einen kostenfreien Zugang zu beson-
Privaten selbst bei Setzung eines geeigneten ders relevanten Informationsinhalten ge-
währleisten.59

58. Von anderen – oben dargelegten – Prämissen ausgehend anders das Bundesverfassungsgericht.
59. Eine allokationspolitische Analyse der Marktform für die Produktion von Sportveranstaltungen und
den Übertragungsrechten an solchen Veranstaltungen leisten Beck und Prinz (1998). In ihrer Abwägung
verschiedener Vorteile und Nachteile gelangen sie zu einer positiven Einschätzung eines „pay-per-view“-
Ansatzes; vgl. Hanno Beck und Alois Prinz, 1998, Sport im Pay-TV: Ein Fall für die Medienpolitik?, Wirt-
schaftsdienst,78. Jg. Heft 4, 224-231.
Seite 32 Leitlinien für eine Reform

Um ein Angebot durch öffentlich-recht­ Governance im öffentlichen


liche Sender ökonomisch zu rechtfertigen, Rundfunk
bedarf es einer aktiven Prüfung durch den
Gesetzgeber, ob bestimmte Informations­ Bei der Governance ist zwischen der Mi­
inhalte von besonderem gesellschaftlichen kro- und Makroebene zu unterscheiden. Die
oder bildungspolitischen Interesse erkenn­ Governance der Makroebene bezieht sich
bar von den privaten Sendern vernachläs­ auf die generellen Kontrollmöglichkeiten
sigt werden. Hierfür sind Institutionen er­ der Öffentlichkeit als Geldgeber der Rund­
forderlich, die diese Defizite (z. B. hinsicht­ funkanstalten. Hierzu gehören Fragen der
lich der Vielfalt des Angebots) identifizieren, Finanzierungsform, der Ernennung der In­
und andere, die diese Lücken gegebenenfalls tendanten von Rundfunkanstalten, die Re­
schließen.60 gulierung privatwirtschaftlicher Einfluss­
nahme durch Werbung und Sponsoring etc.
Erleichterung des Marktzutritts Auf der Mikroebene stellt sich die Frage,
ob das Programmangebot des öffentlichen
Falls die technologischen oder finanziellen Rundfunks ausschließlich durch langfristig
Hürden für die Sendergründung für be­ angelegte, hierarchische Organisationsfor­
stimmte Gesellschaftsgruppen, die solche men erfolgen soll oder ob nicht mehr flexi­
Lücken schließen wollen, als zu hoch emp­ ble, wettbewerbliche Elemente nötig sind.
funden werden, können einzelne öffentlich­ Auf der Makroebene steht die Aufsicht
rechtliche Kanäle für Programminhalte mit über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk
vereinfachtem Zugang für alle bereitgestellt vor dem Dilemma, dass einerseits die Po­
werden. Allerdings ist dieses Problem, das litik als Vertreter der Steuerzahler auf die
bereits bei der Zulassung der privaten TV- effiziente Nutzung der Mittel achten muss
Sender in Deutschland adressiert wurde und dass andererseits die journalistische
(Bürgerrundfunk, offene Kanäle), heutzu­ Unabhängigkeit der Medien von politischer
tage angesichts der nahezu kostenlosen Zu­ Einflussnahme sichergestellt werden soll.
gänge zu eigenen Kanälen bei YouTube und International haben die Staaten sehr unter­
ähnlichen Angeboten nachrangig geworden. schiedliche Antworten auf dieses Dilemma
gefunden. Die Tabelle in Anhang III liefert
eine stark stilisierte Typologie der Gover­
nance-Formen. Deutschland gehört zu den
korporatistischen Ländern, in denen ein
vom Management der Sender unabhängiges
und pluralistisches – und eben nicht von der
Regierung – besetztes Gremium die Aufsicht
über die Sender hat. Insbesondere die Un­
abhängigkeit von direkten Eingriffen der

60. Djankov et al. melden aufgrund ihrer empirischen Untersuchung staatlicher Eingriffe in den Medien-
betrieb Zweifel an dieser Pigouschen Sicht einer benevolenten Regierung an, die Marktfehler im Infor­
mationsmarkt korrigiert. Sie finden, dass mehr staatliches Eigentum an Medienbetrieben (allerdings nicht
unbedingt Rundfunkanstalten) mit schlechterer politischer, ökonomischer und sozialer Performance der
Länder einhergeht. Vgl. Simeon Djankov, Caralee McLiesh, Tatiana Nenova und Andrei Shleifer, 2003,
Who Owns the Media?, Journal of Law and Economics 46(2), 341-381. Christine Benesch zeigt, dass ein
höherer Anteil öffentlicher Fernsehanstalten mit einem niedrigeren Konsum von Fernsehnachrichten
einhergeht; dieser Befund würde nahelegen, dass die Zuschauer staatlich beeinflussten Nachrichten we­
niger Vertrauen schenken; vgl. Christine Benesch, 2012, Governance of Public Broadcasters and Television
Consumption, mimeo, SIAW, Universität Sankt Gallen. Zu ähnlichen Befunden siehe auch Peter T. Leeson,
2008, Media Freedom, Political Knowledge, and Participation, Journal of Economic Perspectives 22(2),
155-169.
Öffentlich-rechtliche Medien – Aufgabe und Finanzierung Seite 33

politischen Ebene (Ministerien, Regierung) (Landes-)Rechnungshöfe, wobei das Ziel der


scheint die Glaubwürdigkeit der öffentli- Programmfreiheit als eine wichtige Neben-
chen Sender bei Nachrichtensendungen bedingung bei dieser erforderlichen Kont-
und von Fernsehsendern im Allgemeinen zu rolle zu beachten ist.62 Etablierte Verfahren
erhöhen.61 wie „Yardstick Competition“ und fortschritt-
Ein starker Fokus auf den politischen liche Methoden der Effizienzmessung (z. B.
oder gesellschaftlichen Proporz lässt Fragen Data Envelopment Analysis – DEA) würden
der Kosteneffizienz leicht in den Hinter- die Transparenz bezüglich der Mittelver-
grund treten. Die Finanzierung erfolgt im wendung erhöhen. Eine starke Aufsicht,
korporatistischen System über Gebühren, adäquate Vergleichsmaßstäbe, ein Abrücken
u.a. mit der Begründung der größeren von einer reinen Bedarfsfinanzierung sowie
Unabhängigkeit von politischer Einfluss- eine starke öffentliche Transparenz können
nahme. Ein Vergleich der verschiedenen den Druck zu mehr Kosteneffizienz verbes-
Governance-Formen zeigt aber, dass es kei- sern.
nen klaren Zusammenhang zwischen Orga- Auf der Mikroebene stellt sich bei den
nisationsform und Finanzierungshöhe gibt. Sendeinhalten, die ohne staatlichen Ein-
Eine auf Kosteneffizienz ausgerichtete griff nicht privatwirtschaftlich bereitgestellt
Kontrolle steht im öffentlichen Sektor stets würden, die Frage, ob viele der fehlenden
vor besonderen Herausforderungen, weil Sendeinhalte nicht auch durch Ausschrei-
wettbewerbliche Elemente fehlen. Die poli- bung und Subventionierung ausgeglichen
tische Dimension des öffentlich-rechtlichen werden können, oder ob für alle Entschei-
Rundfunks und der Schutz vor politischer dungen über Sendeinhalte fest etablierte
Einflussnahme erschweren eine effektive Redaktionen notwendig sind, die in die
Kontrolle zusätzlich. Angesichts des Fi- Hierarchie der Rundfunkanstalten einge-
nanzvolumens des öffentlich-rechtlichen bunden sind.63 Anstelle einiger öffentlich-
Rundfunks und einer dem demokratischen rechtlicher Sender könnte man sich auch
Budgetprozess weitgehend entzogenen Fi- „Arts Councils“ vorstellen, die einzelne
nanzierungsweise ist eine effektive Kosten- Programminhalte ausschreiben und finan-
kontrolle indes besonders wünschenswert. zieren. Ein solches System existiert bereits
Die KEF verfügt als Aufsichtsbehörde durch in Neuseeland.64 In beschränktem Umfang
die Rechnungshof-Vertreter im Grunde – als Ergänzung zur BBC – wird ein solches
über die notwendige fachliche Kompe- „PSB contract awarding“ auch von Robin
tenz. Grundsätzlich unterliegen auch die Foster und Kip Meek vorgeschlagen.65
Rundfunkanstalten der Kontrolle durch die

61. Vgl. Benesch, 2012, a.a.O. und Sara Connolly und Shaun P. Hargreaves Heap, 2007, Cross Country
Differences in Trust in Television and the Governance of Public Broadcasters, Kyklos 60(1), 3-14. Connolly
und Hargreaves Heap finden, dass das Vertrauen mit einer direkten Regulierung durch Parlament oder
Regierung sinkt; zwischen Selbstregulierung und Regulierung durch unabhängige Institutionen finden sie
keinen Unterschied.
62. Christoph Degenhart, in: Wolfgang Kahl, Christian Waldhoff und Christian Walter (Hrsg.), Bonner
Kommentar zum Grundgesetz, Art. 5 Abs. 1 und 2, Rdnr. 830 (113. Aktualisierung September 2004). Be-
reits oben wurde darauf hingewiesen, dass die Rundfunkanstalten dieser Kontrolle durch eine ganze Kas-
kade von Rechtsgutachten einzuschränken versuchen.
63. Ob der Staat bei konsequenter Anwendung der Ausschreibungen überhaupt noch Eigner der Sender
sein muss, die diese Programme dann verbreiten, geht über die Perspektive dieser Stellungnahme hinaus,
da der Beirat von öffentlich-rechtlichen Sendern ausgeht. Zur Frage, ob staatliche, hierarchische Orga-
nisationen eine adäquate (Second-Best-)Lösung darstellen und welche gesellschaftliche Kosten dabei
anfallen, hat die Bürokratietheorie umfänglich Stellung genommen.
64. Vgl. Hanno Beck und Andrea Beyer, 2013, Rundfunkgebühr, Haushaltsabgabe oder Rundfunksteuer?
Kriterien und Optionen zur Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Publizistik 58(1), 69-91.
65. Vgl. Robin Foster und Kip Meek, 2008, Public Service Broadcasting in the United Kingdom – A Longer
Term View, Social Market Foundation (SMF), London.
Seite 34 Leitlinien für eine Reform

Die Autoren argumentieren, dass solche Finanzierung


Wettbewerbe möglicherweise eine bessere
Verwendung öffentlicher Gelder darstellen, Seit 2013 erfolgt die Finanzierung des öf­
als noch einen weiteren öffentlichen Sen­ fentlich-rechtlichen Rundfunks überwie­
der zu finanzieren. Für Deutschland emp­ gend durch feste nutzungsunabhängige
fiehlt auch der Bund der Steuerzahler ein Pflichtbeiträge, ergänzt durch Einnahmen
solches Ausschreibungsmodell, wobei alle aus Werbung und Sponsoring.
Qualitätsdimensionen wie Programmart Einnahmen aus Werbung und Sponso­
oder Sendeplatz von einem pluralistischen, ring können die Anreize in der Programm­
unabhängigen Kontrollgremium überwacht gestaltung des öffentlich-rechtlichen Rund­
werden sollen.66 Die Vorteile einer solchen funks verzerren. Sie erschweren es letztlich
Produktionsförderung bestehen in der grö­ den Anstalten, sich auf die Aufgaben zu kon­
ßeren fiskalischen Flexibilität und der ra­ zentrieren, die sich aus einer konsequenten
scheren Anpassungsmöglichkeit an techni­ Anwendung des Subsidiaritätsprinzips erge­
sche Veränderungen. Allerdings stellt sich ben würden. Angesichts des absolut gesehen
bei der Einrichtung eines „Arts Council“ die großen Betrags an Werbeeinnahmen und
Frage der geeigneten Governance: Wie soll seines verhältnismäßig geringen Anteils
ein solches Gremium besetzt werden? Wird von gut 5 Prozent am Gesamtbudget des öf­
es nicht viel leichter Opfer von Lobbyinte­ fentlich-rechtlichen Rundfunks sollte man
ressen als z. B. die Redaktion einer Sender­ einen Verzicht auf Werbung im öffentlich­
anstalt?67 Fehlt bei solchen periodischen rechtlichen Rundfunk erwägen.
Entscheidungen dann nicht der lange Atem, Bei der Finanzierung durch die Nutzer
um neue Sendeformate zu entwickeln? Har­ hat sich der Gesetzgeber auf eine unglück­
greaves Heap (2005) argumentiert beispiels­ liche Mischform festgelegt. Denn aus öko­
weise, dass angesichts fehlender Qualitäts­ nomischer Sicht sind die jetzigen Pflichtbei­
kennziffern – wie schreibt man eine „gute träge eine Steuer, die einer Zweckbindung
Dokumentationssendung“ aus? – die Kon­ unterliegt. Anstelle dieser Mischform sollte
trahierung über einzelne Verträge schwierig sich der Gesetzgeber entweder für eine klare
ist, und daher insbesondere für komplexe Finanzierung aus dem allgemeinen Haus­
und innovative Programminhalte ein öf­ halt oder für eine moderne Nutzungsgebühr
fentlicher Sender eine Second-Best-Lösung entscheiden. Entweder man betrachtet den
darstellen kann.68 Dies spricht aber nicht öffentlich-rechtlichen Rundfunk als ein
dagegen, zumindest in begrenztem Umfang Gut, das allen Bürgern gleichermaßen zur
mit Ausschreibungsmodellen zu experi­ Verfügung gestellt werden soll. Dann ist
mentieren, insbesondere um die Flexibilität eine Finanzierung über Steuern sachge­
des öffentlichen Rundfunks angesichts des recht, da sich damit – im Gegensatz zu den
rapiden technischen Wandels zu erhöhen. jetzigen Pflichtbeiträgen – eine Belastung
nach der Leistungsfähigkeit gewährleisten

66. Vgl. Deutsches Steuerzahlerinstitut des Bundes der Steuerzahler, 2013, Der öffentlich-rechtliche Rund­
funk in Deutschland, Berlin. In der Wissenschaft werden solche wettbewerblichen Ausschreibungsmo­
delle schon sehr lange erfolgreich praktiziert. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) förderte im
Jahr 2012 mehr als 31.000 Projekte, die in wettbewerblichen Verfahren vergeben wurden, mit insgesamt
2,7 Mrd. Euro.
67. Mancur Olson argumentiert, dass sich im Lobbyprozess kleine Gruppen besonders erfolgreich durch­
setzen können, da sie aus dem Lobbying große Vorteile pro Kopf ziehen können. Dies würde nahelegen,
dass die breite Zuschauerschaft im Lobbywettbewerb den Interessen der Produzenten unterliegen
würde, Vgl. Mancur Olson,1965, The Logic of Collective Action, Public Goods and the Theory of Groups,
Harvard University Press, Cambridge, MA.
68. Vgl. Shaun P. Hargreaves Heap, 2005, Television in a Digital Age: What Role for Public Service Broad­
casting?, Economic Policy 41, 112-157.
Öffentlich-rechtliche Medien – Aufgabe und Finanzierung Seite 35

lässt. Oder man trägt den veränderten tech- Angebote selbst müssten nicht länger
nologischen Rahmenbedingungen Rech- von einem monopolisierten öffentlich-
nung, die die Bereitstellung einer breiten rechtlichen Rundfunk produziert oder
Palette von Programmen als Clubgüter er- eingekauft werden, sondern könnten in
möglichen, und finanziert diese Programme konkurrenzwirtschaftlichen Produktions-
durch nutzungsabhängige Gebühren. und Angebotsformen erstellt werden. Eine
Angesichts der verbesserten technischen Regulierungsbehörde könnte über diesen
Möglichkeiten kann eine moderne Nut- Sektor wachen. Sie müsste dabei auf den Er-
zungsgebühr intelligenter ausgestaltet sein halt des Wettbewerbs unter den Anbietern
als das frühere deutsche Gebührenmodell. bedacht sein. Zu bedenken ist dabei, dass
Sie kann an verschiedene Sachverhalte an- ein undifferenziertes Gutscheinmodell bei
knüpfen. Sie muss auch nicht mehr nach den Rundfunkanstalten die Anreize auf Ein-
dem Alles-oder-Nichts-Prinzip erfolgen. schaltquoten ausrichtet und damit zu ähnli-
Trotz der vielfältigen Empfangsmöglich- chen Verzerrungen führen kann, wie sie im
keiten (terrestrisch, Kabel, Satellit, Inter- werbungsfinanzierten Rundfunk bestehen.
net) sind heutzutage auch Subskriptionen Für eine adäquate Ausgestaltung des
einzelner Kanäle oder ein „Pay-per-View“- Rundfunksystems eines Landes muss gelten,
System technisch möglich. dass das angebotene Programm letztendlich
Für ein System der Kanalsubskription nicht unabhängig von der Zahlungsbereit-
spricht auch ein weiteres Argument. An- schaft seiner Bürger sein darf. Hier bieten
gesichts der Möglichkeiten, Filme genau Nutzungsgebühren große Steuerungsvor-
zum gewünschten Zeitpunkt aus einem ge- teile, da sie zumindest ansatzweise Infor-
waltigen Archiv über Online-Mediatheken mationen über die Wertschätzungen der
abzurufen, schwindet die Bedeutung des Konsumenten liefern.
Angebots in klassischen TV-Formaten. Die
so entstehende Angebotsflut schafft Nach-
frage für Dienstleister mit Filterfunktion,
wie sie über eine Vielzahl an Spartenkanälen
geleistet werden könnte.
Solche Gebührenmodelle haben gegen-
über der allgemeinen Steuerfinanzierung
oder nutzungsunabhängigen Zwangsbei-
trägen den Nachteil, dass – bei gegebenem
Programm – einzelne Nutzer mit geringer
Zahlungsbereitschaft vom Konsum aus-
geschlossen werden. Gewichtet man den
Zugang der Nutzer zu Information so hoch,
dass man nutzungsabhängige Gebühren-
modelle aus diesem Grund ablehnt, so
besteht auch die Möglichkeit eines durch
allgemeine Steuern oder durch Zwangs-
beiträge finanzierten „Gutscheinsystems“.
Dieses könnte jeden Haushalt mit einem
unveräußerlichen „Budget“ ausstatten. Der
Haushalt könnte dann aus einer breiten
Palette werbefreier Angebote wählen. Diese
Seite 36 Fazit

5. Fazit

Mit der Entstehung von Informationsme­ Angebots geschlossen werden. Öffentlich­


dien im Internet und dem Wegfall techno­ rechtliche Sender könnten die verbleiben­
logischer Beschränkungen sowie mit den den Lücken im Programmspektrum füllen.
stark gesunkenen Eintrittskosten für neue Allerding sollte im öffentlichen Rundfunk
Programmkanäle haben sich die Bedingun­ auf die Werbefinanzierung komplett ver­
gen für das Informationsmedium Rund­ zichtet werden, da ansonsten die Fehlan­
funk nachhaltig verändert. Die technischen reize der Programmgestaltung, die mit dem
Gründe, mit denen einst das öffentlich­ öffentlichen-rechtlichen Rundfunk besei­
rechtliche System gerechtfertigt wurde, sind tigt werden sollen, gleichsam durch die Hin­
heutzutage weitgehend verblasst. Durch die tertür wieder eingeführt werden. Hier sollte
Überlappung der Medien, z. B. bei den In­ sich der Gesetzgeber entweder für eine klare
ternetauftritten, sind darüber hinaus An­ Finanzierung aus dem allgemeinen Haus­
sätze erkennbar, dass der Rundfunk in in­ halt oder für eine moderne Nutzungsgebühr
effizienter Weise in das bisherige Marktter­ entscheiden.
ritorium der Printmedien eingreift. Diese Innerhalb des öffentlichen Rundfunks
veränderten Rahmenbedingungen liefern können wettbewerbliche Elemente dazu
gute Gründe für eine Reform des Rundfunk­ beitragen, dass sich die Sender dynamisch
systems. Ein zukunftsfähiges System des besser an die sich wandelnden Zuschauer­
öffentlichen Rundfunks sollte dem Subsi­ interessen anpassen und der Kosteneffizienz
diaritätsprinzip mehr Gewicht geben: Der besonderes Augenmerk schenken. Solche
öffentlich-rechtliche Anbieter sollte nur da wettbewerblichen Elemente sind Subskrip­
auftreten, wo das privatwirtschaftliche An­ tionsmodelle für spezialisierte Spartenka­
gebot klare Defizite aufweist. Angesichts näle, die Ausschreibung von innovativen
der technischen Entwicklung gibt es kaum Programminhalten über „Arts Councils“
noch Gründe, warum der Rundfunkmarkt und die Publikationspflicht von standardi­
wesentlich anders organisiert sein sollte als sierten Kenngrößen. Die größere Transpa­
der Zeitungsmarkt, der durch ein breites renz durch die Publikation von Kenngrö­
privates Angebot und Subskriptionsmodelle ßen fördert die Kosteneffizienz (Yardstick
gekennzeichnet ist. Nur dort, wo die Priva­ Competition). Die Vergabe von Mitteln über
ten kein geeignetes Angebot erstellen, ent­ Wettbewerbe erhöht die Chancen auf inno­
steht eine Aufgabe für die öffentliche Hand. vative Sendeformate. Subskriptionsmodelle
Einige Lücken könnten durch eine kluge geben den Konsumenten eine Exit-Option
Regulierung eines weitgehend privaten und übermitteln so wichtige Signale über
Konsumentenpräferenzen an die Sender.
Öffentlich-rechtliche Medien – Aufgabe und Finanzierung Seite 37

Anhang I:

Umsatz und Budget der größten privaten und öffentlichen Sender


Private Umsatz 2012 Öffentlich-rechtliche Erträge
TV-Unternehmen in Mio. Euro Rundfunksender (davon Rundfunkbeiträge)
2012 in Mio. Euro
ProSieben Sat.1 Media AG69 2.969a Zweites Deutsches Fernsehen 1.993 (1.731)f

Mediengruppe RTL Deutschland70 1.982b Westdeutscher Rundfunk 1.317 (1.122)g

Sky Deutschland AG 1.333c Südwestrundfunk 1.144 (975)g

QVC Deutschland AG 709d Norddeutscher Rundfunk 1.082 (946)g

HSE24 Home Shopping Europe 515e Bayerischer Rundfunk 1.024 (878)g

Mitteldeutscher Rundfunk 682 (567)g

Hessischer Rundfunk 482 (400)g

Rundfunk Berlin-Brandenburg 403 (357)g

Saarländischer Rundfunk 108 (65)g

Radio Bremen 92 (41)g

Gesamt 8.327 (7.082)

Quellen:
a. http://www.prosiebensat1.de/media/3684172/p7s1_gb2012_deutsch.pdf S.3
b. http://www.rtl-group.com/public/Website/file_asset/FY_2012_Full_Year_Financial_Report.pdf S.9
c. http://ir.sky.de/sky/pdf/2012/Geschaeftsbericht2012_dt_safe.pdf S.4
d. http://presse.qvc.de/136.html, Umsatz des Jahres 2013
e. http://www.hse24.com/media/de/company_dateien/files_press/basisdaten_presse/ 140312_unternehmenspraes_HSE24_D.pdf S.17
f. http://www.zdf.de/ZDF/zdfportal/blob/31233444/1/data.pdf S.9
g. http://www.ard.de/download/329314/ARD_Finanzstatistik.pdf S.5-14

69. Die ProSiebenSat.1 Media AG umfasst die folgenden im deutschen Fernsehen empfangbaren Fernsehsender: SAT.1, ProSieben,
kabel eins, sixx, SAT.1 Gold und ProSieben MAXX.
70. Die Mediengruppe RTL Deutschland umfasst die folgenden im deutschen Fernsehen empfangbaren Fernsehsender: RTL Television,
VOX, n-tv, SUPER RTL, RTL II, RTLNITRO, RTL CRIME, passion und RTL Living.
Seite 38 Anhang

Anhang II:

Internationaler Vergleich
Marktanteil (Haupt-) Zuschauer
Öff. Ausgaben Öff. Ausgaben
der einheimi­ Finanzierungsquelle Gebühr pro Mio. EUR
Land (Mio. EUR, pro Kopf
schen öffentli­ der öffentlichen (EUR, 2012) öff. Ausgaben
2011) (EUR, 2011)
chen Sender Sender (2009)
Australien 18,4(2010) Steuern 900 40 6.311
(2012)/
Belgien 20,9 Steuern/ 513 100/ --­ 51 6.726
(wal / fla) 31,6(2012) Steuern
Bulgarien 8,5(2012) Steuern
Dänemark 65,9(2012) Gebühr 492 324 88 4.262
(2012)
Deutschland 42,8 Gebühr 7.275 216 94 4.143
Estland 19,0(2012) Steuern
Finnland 42,0(2012) Steuern 415 252 82 6.852
Frankreich 24,6(2012) Gebühr 3.272 125 52 8.537
Irland 29,6(2012) Gebühr 184 160 40 7.286
(2012)
Island 56,3 Steuern
Israel 10,0(2006) Gebühr 116
(2003)
Italien 43,3 Gebühr 1.708 112 29 15.371
Japan 20,0(2010) Gebühr 6.413 149 50 5.750
Kanada 5,5(2012) Steuern 861 25 3.342
(2012)
Lettland 13,3 Steuern
Litauen 9,9(2012) Steuern
(2013)
Neuseeland 62,0 Werbung 69 16 163.793
(2013)
Niederlande 23,7 Steuern 558(2007) 34(2007)
(2012)
Norwegen 41,0 Gebühr 641 345 136 5.092
(2012)
Österreich 35,3 Gebühr 548 194 70 6.371
(2012)
Polen 32,4 Werbung 60
Portugal 17,3(2012) Gebühr 27
Russland 32,1(2011) Steuern
Schweden 31,0(2012) Gebühr 804 239 88 8.768
(2013)
Schweiz 30,0 Gebühr 995 384 124 4.296
(2012)
Spanien 14,7 Steuer auf Medien­ 2.335 51 6.090
und Telekommuni­
kationsunternehmen
Tschechien 29,3(2012) Gebühr 86
(2010)
Türkei 3,3 2 %- Zuschlag auf
Stromrechnung
Ungarn 13,3(2012) Steuern
(2011)
Vereinigtes 53,7 Gebühr 4.653 179 73 7.429
Königreich
Vereinigte Spenden 792 3 6.617(2008)
Staaten

Quelle: Ingmar Rövekamp (2014), Public Service Broadcasting in an International Comparison, CESifo DICE Report 03/2014, 51-53.

Anmerkung: Steuern = Finanzierung aus allgemeinen Haushaltsmitteln; Gebühr = spezifische(r) Rundfunkgebühr/-steuer/-beitrag

Öffentlich-rechtliche Medien – Aufgabe und Finanzierung Seite 39

Anhang III:

Governance-Modelle des öffentlichen Rundfunks

Die nachfolgende Tabelle gibt eine Typologie der typischen Governance-Formen des öffentlichen Rundfunks.

Nordeuropäisches Parlamentarisches Korporatistisches Französisches Sonstige


Modell Modell Modell Modell Modelle
Elemente der Governance
Aufsicht Dual Board Dual Board Dual Board Single Board Single Board
Ernennung der Zivilgesellschaft-
Regierung Parlament Regulierer Regierung
Aufsicht durch liche Proporzregeln
Gebühr/
Finanzierung Gebühr Gebühr Gebühr Steuermittel
Steuermittel
Werbung nein ja/nein ja ja ja

Länder

Dänemark Estland Deutschland Bulgarienb Australien

Großbritannien Finnland Israel Frankreich Kanada

Irlanda Italien Kroatien Portugal

Japan Lettland Österreich Südafrika

Norwegen Rumänien Slowenien

(Schweden) Ungarn

Quelle: Chris Hanretty (2007): Five Ways to Govern a Public Broadcaster, mimeo, European University Institute, Florenz.

Anmerkungen:
a. Werbung zugelassen
b. Finanzierung zur Zeit aus Steuermitteln
Seite 40 Anhang

Verzeichnis der Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats

beim Bundesministerium der Finanzen

Prof. Dr. Kai A. Konrad (Vorsitzender) München


Prof. Dr. Thiess Büttner (Stellv. Vorsitzender) Nürnberg-Erlangen
Prof. Dr. Dieter Brümmerhoff Rostock
Prof. Dr. Lars P. Feld Freiburg/Br.
Prof. Dr. Lutz Fischer Hamburg
Prof. Nicola Fuchs-Schündeln, PhD Frankfurt/M.
Prof. Dr. Clemens Fuest Mannheim
Prof. Dr. Heinz Grossekettler Münster/W.
Prof. Dr. Günter Hedtkamp München
Prof. Dr. Klaus Dirk Henke Berlin
Prof. Dr. Johanna Hey Köln
Prof. Dr. Bernd Friedrich Huber München
Prof. Dr. Wolfgang Kitterer Köln
Prof. Dr. Jan Pieter Krahnen Frankfurt/M.
Prof. Dr. Gerold Krause Junk Hamburg
Prof. Dr. Alois Oberhauser Freiburg/Br.
Prof. Dr. Rolf Peffekoven Mainz
Prof. Dr. Helga Pollak Göttingen
Prof. Dr. Wolfram F. Richter Dortmund
Prof. Jörg Rocholl, PhD Berlin
Prof. Dr. Ulrich Schreiber Mannheim
Prof. Dr. Hartmut Söhn Passau
Prof. Dr. Christoph Spengel Mannheim
Prof. Dr. Klaus Stern Köln
Prof. Dr. Marcel Thum Dresden
Prof. Dr. Christian Waldhoff Berlin
Prof. Dr. Alfons Weichenrieder Frankfurt/M
Prof. Dr. Dietmar Wellisch Hamburg
Prof. Dr. Wolfgang Wiegard Regensburg
Prof. Volker Wieland, PhD Frankfurt/M.
Prof. Dr. Berthold Wigger Karlsruhe
Prof. Dr. Horst Zimmermann Marburg/Lahn

Stand: Februar 2014


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Impressum

Herausgeber
Bundesministerium der Finanzen
Referat für Öffentlichkeitsarbeit
Wilhelmstr. 97, 10117 Berlin

Stand
Oktober 2014

Bildnachweis
Ilja C. Hendel

Redaktion
Wissenschaftlicher Beirat
beim Bundesministerium der Finanzen

Weitere Informationen im Internet unter


www.bundesfinanzministerium.de

Diese Broschüre ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit der


Bundesregierung. Sie wird kostenlos abgegeben und ist
nicht zum Verkauf bestimmt.

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