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Sammelband
zu
„Stuttgart 21“
“Stuttgart 21”: Der neue Herzinfarkt Europas - Aus einem genialen Kopfbahnhof wird ein
Engpass - derFahrgast 4/2009 S. 15 ff.
Neue Erkenntnisse: „Stuttgart 21“ ist unwirtschaftlich - PRO BAHN mahnt Neubewertung der
Wirtschaftlichkeit an derFahrgast 4/2009 S. 18 ff.
Stuttgarter S-Bahn: In der Monopolfalle - derFahrgast 2/2008 S. 27 ff.
Stuttgart 21: Ökonomisch nicht vertretbar - derFahrgast 4/2007 S. 24
Kopfbahnhof Stuttgart: Die Zukunft war gestern - Ein Informatiker entlarvt Behauptungen von
angeblichen Fachleuten als unzutreffend - derFahrgast 3/2007 S. 27 ff.
Investitionsplanung: Zu wenig, um Neues anzufangen - derFahrgast 1/2007 S. 11 ff.
Alte Fehler betonieren - derFahrgast 1/2007 S. 17 ff.
Kein Geld für “Stuttgart 21”? - derFahrgast 1/2007 S. 23 ff.
Bauen, wo es nötig ist - derFahrgast 1/2006 S. 11 ff.
Stuttgart - Ulm: Prioritäten richtig setzen - derFahrgast 12006 S. 17 f.
Staat im Wissensnotstand - derFahrgast 4/2005 S. 5 f.
Stuttgart 21: Ungebremst ins Schwarze Loch - derFahrgast 2/2005 S. 29 ff
Stuttgart 21: Freibrief für den Flaschenhals - derFahrgast 2/2005 S. 33 ff.
Das Prinzip „Alles oder nichts“:Großprojekte in der Kostenfalle - - derFahrgast 1/2005 S. 5 ff.
Stuttgart 21: Ein reformierter Kopfbahnhof ist machbar - derFahrgast 1/2005 S. 21 ff.
derFahrgast - Herausgeber und Verlag: PRO BAHN e.V. Bundesverband, Friedrichstraße 95, 10117 Berlin,
Tel. (030) 2018 1742; Fax: (030) 2017 9967
Internet: www.pro-bahn.de, www.der-fahrgast.de, www.fahrgast-rechte.de
Konto Postbank Köln Konto Nr. 3105 48-500 BLZ 370 100 50
Chefredakteur (V.i.S.d.P.) Rainer Engel
Fahrgast-Politik
„Stuttgart 21“:
SMA untersucht Auch das Umland ist fast konfliktfrei. Die auch die Regional- und ICE-Züge der Gäu-
nicht kreuzungsfreien Bahnhöfe Mühl bahn halten sollen, müssen die Gleise mit
D
as renommierte Züricher Büro SMA acker und Heilbronn sind rund 50 Kilo Schotter um 20 cm hochgelegt werden. Das
hat ein Betriebskonzept 2020 auf meter entfernt. Auch die Neubaustrecke verlangt das Eisenbahn-Bundesamt aus
der für „Stuttgart 21“ umgebauten nach Mannheim und Karlsruhe wurde völ- Sicherheitsgründen zugunsten der Fahr
Infrastruktur als Simulation durchgespielt. lig kreuzungsfrei in die Altstrecken einge- gäste. Der Bahnhof zerfällt also in zwei
Das Gutachten steht unter Verschluss, bunden. Erst die S-Bahn nach Kirchheim eingleisige Haltestellen. Vor dem Bahnhof
denn das Ergebnis dürfte niederschmet- (Teck) wird Ende dieses Jahres drei neue muss das Gleis über Kreuz gewechselt
ternd sein. Daher ließ das Stuttgarter In- Zwangspunkte bringen, die bisher kaum werden.
nenministerium durch Professor Ullrich eine Rolle spielten.
Martin (Universität Stuttgart) noch einmal Intercity im Stau
nachrechnen, ob der Wunschfahrplan nicht Sparen macht Engpässe
doch „geht“. In einem sechsseitigen Papier Besonders kritisch wird es beim Intercity
des Ministeriums (mehr darf die Öffent- Während der Tunnelbahnhof kreuzungsfrei von Karlsruhe nach Nürnberg, der 2020 als
lichkeit nicht wissen) heißt es: Der Fahr- konzipiert ist, muss wegen der enorm teu- Regionalexpress (so die Landesregierung!)
plan ist „fahrbar“. Das bedeutet im Klartext ren Tunnelstrecken an anderer Stelle ge- verkehren wird. Er muss ein Gütergleis nut-
das genaue Gegenteil. spart werden. Der erste neue Engpass ist die zen, das die alle fünf Minuten verkehrende
Denn die DB schreibt schon heute einen eingleisige Verbindung vom Tunnelbahn- S-Bahn nach Backnang und Schorndorf
„fahrbaren Fahrplan“ – und erreicht im hof zum Flughafen-Fernbahnhof. Der kreuzt. Deshalb soll es diese Verbindung
Fernverkehr Pünktlichkeitswerte von nur zweite Engpass ist die Verbindung vom auch künftig nur alle zwei Stunden geben –
90 Prozent, wobei Verspätungen bis zu fünf Fernbahnhof nach Tübingen: Die Verbin- welch vorausschauende Prognose! Der
Minuten ausgeklammert werden. In den dungsstrecke soll nicht nur steil, sondern Express nach Würzburg soll in Kürze schon
Knoten Hamburg, Hannover, Würzburg, auch eingleisig und nicht kreuzungsfrei an- stündlich verkehren, weil die Region das
Nürnberg, Köln und Frankfurt geht es so gelegt werden. Der Effekt entspricht der verlangt.
eng zu. dass jede Verspätung eines Zuges die einer Autobahnausfahrt, bei der man nicht
Verspätung anderer Züge zur Folge hat. nur nach links über die Gegenfahrbahn ab- Bilanz: Zwölf neue
biegen muss, sondern Einfahrt und Aus-
Zwangspunkte
fahrt über eine einzige Spur erfolgen. Ähn-
Der geniale Kopfbahnhof
lich wird auch die Ausfahrt der Züge von Das Gesamtprojekt „Stuttgart 21“ wird
Der Knoten Stuttgart gehört bis heute nicht Flughafen in Richtung Böblingen und dem Fern- und Regionalnetz ein Dutzend
zu den neuralgischen Verspätungsprodu- Zürich ausfallen, denen alle zehn Minuten neuer Zwangspunkte bescheren. Im Ge-
zenten. Der Kopfbahnhof selbst ist nach ei- die Flughafen-S-Bahn den Weg versperrt. genzug sollen einige Zwangspunkte im
nem genialen Entwurf konfliktfrei gestaltet Kopfbahnhof beseitigt werden, die auch im
worden. Erst spätere Umbauten, insbeson- reformierten Kopfbahnhof bereinigt wer-
Falle Flughafen-Terminal
dere für die S-Bahn, haben den Betrieb den könnten. Der Gleisplan lässt erkennen:
erschwert, aber bis heute fahren die ICE- Die heute zweigleisige Station Flughafen- Für das „neue Herz Europas“ ist der Infarkt
Züge von Mannheim nach Ulm, ohne dass Terminal ist für die S-Bahn mit 96 cm vorprogrammiert.
ihnen andere Züge in die Quere kommen. hohen Bahnsteigen ausgestattet. Da dort
derFahrgast · 4/2009 15
Stuttgart 21
16 derFahrgast · 4/2009
Fahrgast-Politik
Zwar sieht die neueste Planung einen zweigleisigen Anbindung des gleisige Verbindung durchfahren, das S-Bahn-Gleis (12 Züge
Bahnsteigs vor. Der zweite Bahnsteig ist aber durch die S-Bahn zwölf pro Stunde) queren und in das dahinter liegende Gleis Richtung
mal stündlich belegt, hat eine ungeeignete Bahnsteighöhe von 96 cm Waiblingen einfädeln. Aufgrund der Topografie ist diese Gleislage
und ist für Züge für 55 cm Bahnsteighöhe überhaupt nicht nutzbar. nicht mit vertretbarem Aufwand zu ändern. Wegen der schwierigen
Situation geht die Landesregierung schon heute davon aus, dass
8 Rohrer Kurve – Typ: Ebenerdige Verzweigung durchgehende Züge Karlsruhe <> Nürnberg auf lange Sicht nur zwei
Regionalzüge Stuttgart > Horb/Zürich (drei Züge pro Stunde) kreu stündlich verkehren, obwohl dies die einzige schnelle Verbindung
zen S-Bahn Stuttgart > Flughafen (sechs Züge pro Stunde). zwischen diesen Knoten im Fernverkehrsnetz ist.
Die Planfeststellung im Bereich des Abstellbahnhofs Untertürkheim
9 Wendlinger Kurve (Tübingen <> Flughafen, zwei Züge pro Stun
ist nicht abgeschlossen, so dass die genaue Gleislage nicht bekannt
de) – Typ: Zwei ebenerdige Verzweigungen mit dazwischen liegender
ist. Es ist auch nicht bekannt, ob in diesem Bereich zusätzliche Kon
eingleisiger Verbindung
flikte mit dem Güterverkehr in der Verbindung Mannheim <> Korn
Regionalzüge Tübingen > Stuttgart (geplant nur ein Zug pro Stunde)
westheim <> Ulm entstehen.
kreuzen Fernverkehrszüge Stuttgart > Ulm (stündlich drei ICE und
zwei beschleunigte Regionalzüge zum Bodensee) und müssen auf 11 Flughafen/Messe-Fernbahnhof – Typ: Eingleisiges Stre
das Gleis Richtung Stuttgart einfädeln (fünf Züge pro Stunde). Prekär ckengleis
ist, dass das Verbindungsgleis in Richtung Stuttgart mit großer Stei Die Verbindung zwischen Stuttgart und dem Bahnhof Flughafen-
gung trassiert werden muss, sodass Züge hier nicht zum Halten Fernbahnhof soll in der Mitte der Streckengleise der Hochgeschwin
kommen sollten, obwohl sie „Vorfahrt achten“ müssen (zehn Zug digkeitsstrecke ausgefädelt und hier nur eingleisig ausgeführt wer
bewegungen auf der Neubaustrecke pro Stunde). Die nur für den den. Züge der beiden Richtungen behindern sich gegenseitig. Auf
Güterverkehr vorgesehene Verbindung von Wendlingen zur Einfahrt wartende Züge aus dem Tunnelbahnhof „Stuttgart 21“
Neubaustrecke soll in gleicher Weise ebenerdig an beide Strecken behindern nachfolgende Züge.
angebunden werden.
12 Stuttgart Hauptbahnhof – Typ: Fahrstraßenausschlüsse
10 Einfädelung Nürnberger Straße – Typ: Ebenerdige Abzwei- Züge Mannheim/Karlsruhe <> Stuttgart Hbf <> Abstellbahnhof
gung über zwei Gegengleise in eingleisige Verbindung Untertürkheim (derzeit mehrere ICE/TGV-Züge stündlich) und Züge
Züge Nürnberg <> Stuttgart <> Karlsruhe müssen diesen Weg neh Karlsruhe <> Nürnberg (derzeit IC zweistündlich) sowie Regional
men. Zurzeit geht die Landesregierung von einer zweistündlichen züge aus Nürnberg/Schwäbisch Hall/Aalen in Richtung Flughafen
Verbindung aus (derzeit IC-Verkehr). müssen vom inneren auf das äußere Gleis oder umgekehrt wechseln
Richtung Nürnberg > Karlsruhe: Der Zug muss das Regionalgleis und blockieren bei Ein- oder Ausfahrt das jeweils andere Gleis.
Stuttgart > Backnang/Aalen (vier Züge pro Stunde) und dann das Der Fahrstraßenausschluss erzwingt aus Kapazitätsgründen die
S-Bahn-Gleis Stuttgart > Waiblingen > Backnang und Schorndorf Leitung von Regionalzügen aus Nürnberg/Schwäbisch Hall/Aalen
(zwölf Züge pro Stunde, also alle fünf Minuten) queren und eine vor ausschließlich in Richtung Plochingen (Altstrecke nach Göppingen/
handene eingleisige Verbindung nutzen, die in den Abstellbahnhof Ulm und Tübingen).
Untertürkheim führt. In der Gegenrichtung muss der Zug diese ein (Angegeben sind jeweils die Zugzahlen der Spitzenstunde)
derFahrgast · 4/2009 17
Stuttgart 21
Neue Erkenntnisse:
Foto: fotolia
DB-Chef Grube eine Neubewertung
der Wirtschaftlichkeit des Projekts
„Stuttgart 21“ angemahnt. Anlass für
diese Forderung gibt nicht nur die er-
schreckend geringe Leistungsfähig-
keit der Zulaufstrecken (siehe vor
stehenden Beitrag), sondern auch
die Vorstellung neuer Bewertungs-
methoden für die Wirtschaftlichkeit
der Schienenwege durch Professor
Wulf Schwanhäußer. (1) Auch wenn
Schwanh äußer hierbei nicht aus- Als „marktgerecht“ galt für Schwanhäußer Am 15. Februar 2008 schrieb das Eisen
drücklich „Stuttgart 21“ erwähnt, so damals eine durchschnittliche Auslastung bahn-Bundesamt über das von Schwan
stellt er damit seine früheren Beurtei- von rund der Hälfte der technisch mög häußer entwickelte Berechnungsverfahren
lungen als unvollständig in Frage. lichen Kapazität. (9) Für Neubaustrecken „Strele“: „Hierzu ist festzuhalten, dass
Bislang ist von offizieller Seite die empfiehlt Schwanhäußer eine noch gerin Berechnungen nach ‚Strele’ zur Bewertung
Leistungsfähigkeit des achtgleisigen gere Auslastung. Daraus folgert er, dass Zu der Auswirkungen des Rückbaus von Bahn-
Tunnelbahnhofs „Stuttgart 21“ immer laufstrecken kaum noch aufnahmefähig sei hofs-, Umschlag- und Ladegleisen mit Über-
beschworen und das Projekt als wirt- en, der Tunnelbahnhof aber ausreiche. hol- und Kreuzungsmöglichkeiten sowie von
schaftlicher als der Umbau des Kopf- Doch das Gegenteil ist der Fall: Die Zu- Überleitstellen nicht ausreichend sind, da
bahnhofs mit 16 Gleisen bezeichnet laufstrecken verkraften eine Zugfolge von sich diese nur auf die Streckengleise bezie-
worden. Heute bestätigen sich die zwei Minuten, die auch im Störungsfall auf hen. Das Verfahren bildet als analytisch
Bedenken, die in derFahrgast be- anderen Engpässen tatsächlich genutzt theoretisches System die Wirklichkeit nur
reits vor vier Jahren ausführlich er wird, aber der Tunnelbahnhof schafft die modellhaft ab, geht nur vom aktuellen Ver-
läutert wurden. (2) Das Tunnelprojekt sen Ansturm von Zügen nicht und wird kehrsbedürfnis aus, berücksichtigt weder
„Stuttgart 21“ gefährdet die Ertrags- zum Nadelöhr. die Nutzbarkeit von betriebsnotwendigen
kraft der Verkehrsunternehmen, allen Anlagen noch die Auswirkungen der Maß-
voran des Fernverkehrs der Deut- nahmen in den Knoten und kann daher zu
schen Bahn AG. Kapazitätsberechnung
stark verfälschten Ergebnissen führen.“
in der Kritik
Und im Internet-Lexikon „Wikipedia“ ist
Leistungsfähig und
Professor Schwanhäußer hat sich einen Na über „Strele“ zu lesen: „Das Programm be-
wirtschaftlich? men bei der Berechnung der Kapazität von trachtet die Strecke als isoliertes System,
A
uf der Grundlage der seinerzeit als Eisenbahnlinien gemacht und sich auch Einflüsse und Wechselwirkungen mit ande-
Stand der Wissenschaft geltenden mehrfach mit detaillierten Berechnungen ren Teilen des Streckennetzes werden ver-
Rechenansätze und auf der Grund zur Leistungsfähigkeit des Stuttgarter Tun nachlässigt. Da der Berechnung nur Zug-
lage eines Leistungsangebots, das Anfang nelbahnhofs geäußert. Seine Rechenwerke zahlen zugrunde liegen, ist das Programm
der 90er Jahre entwickelt worden war, kam und Computerprogramme beruhen auf der nicht geeignet, um die Machbarkeit eines
Professor Schwanhäußer im Jahr 1997 in Annahme, dass „die praktische Leistungs bestimmten Fahrplanes zu überprüfen.“
einem Gutachten zu dem Ergebnis, dass der fähigkeit (Nennleistung) einer Eisenbahn Diese Kritik lässt sich in der Aussage zusam
achtgleisige Tunnelbahnhof „Stuttgart 21“ strecke als Anzahl von Fahrplantrassen je menfassen: Die Methoden Schwanhäußers
ausreichend dimensioniert sei und wies die Bezugszeitraum“ angegeben werden kann. sind nicht mehr Stand der Technik. Mit der
Kritik der Gegner des Projekts im Jahre Die Berechnungsprogramme Schwanhäu heutigen Computertechnik kann ein kon
2003 mit dem Ergebnis zurück: (3) „Die ßers sind in letzter Zeit in die Kritik geraten. kretes Betriebsprogramm simuliert und
dichte Zugfolge auf den Zulaufstrecken er- danach beurteilt werden, ob es auf der ge
laubt nur eine geringe Anzahl zusätzlicher planten Infrastruktur fahrbar ist. Über das
Züge in den Spitzenstunden. Die Bahnsteig- Wird Infrastruktur wie für Ergebnis für „Stuttgart 21“ haben wir auf
gleisanlage gewährleistet jedoch in den „Stuttgart 21“ neu gebaut und den vorstehenden Seiten informiert. Aller
Spitzenstunden noch Pufferzeiten zwischen dings liefert diese Untersuchung keine Ant
zu gering bemessen, ist dieser
1,8 und 4,5 Minuten zwischen den Bahn- wort auf die Frage, ob das vorgegebene
steigbelegungen [...]. Diese reichen aus, um
Zustand für ein Jahrhundert in Betriebsprogramm zukunftsfähig ist, und
einen marktgerechten Betriebsablauf auch Beton gegossen. auch keine Antwort auf die Frage nach der
in Spitzenstunden zu gewährleisten.“ Wirtschaftlichkeit der Infrastruktur.
18 derFahrgast · 4/2009
Fahrgast-Politik
Was ist Wirtschaftlichkeit? Leist ungsf ähigkeit des Tunnelbahnhofs system entstehenden Kosten sowohl bei
„Stuttgart 21“ erstellt wurden: betrieb- den Eisenbahnverkehrsunternehmen als
I
n der politischen Diskussion wird indes liche Verh ältnisse aus alten Zeiten, in auch beim Netzbetreiber.“
sen bis heute die Wirtschaftlichkeit des denen elektronische Stellwerke unbekannt Das ist aber nicht nur eine „sinnvolle Er
Projekts „Stuttgart 21“ für Infrastruktur waren. Dass nur die Ergebnis-Aussage: gänzung“ der bisherigen Rechensysteme,
betreiber und Verkehrsunternehmen nicht „Stuttgart 21“ sei marktgerecht von der sondern ein Paradigmenwechsel. Zu Zeiten
infrage gestellt. Dabei spielen die Aussagen DB-Führung und der daran interessierten der Staatsbahn gab es keinen Anlass, die
von Schwanhäußer eine wesentliche Rolle. Politik übernommen wurde, ohne jemals finanziellen Folgen einzelner Verspätungen
Wie also kommt Schwanhäußer im Jahre die Ausgangsdaten auf ihre Schlüssigkeit zu zu betrachten. Fahrgäste hatten genauso
2003 zu einer Aussage über einen „markt überprüfen, verwundert nicht. Schwanhäu wenig ein Recht auf pünktliche Beför
gerechten Betriebsablauf? Er schreibt: (4) ßer verteidigte sein Ergebnis bis in den Pro derung wie Güterkunden. Die Bahnreform
„Dabei wird unterstellt, dass bei dieser Zug- zess um die Planfeststellung vor dem Ver von 1994 mit ihrer Forderung nach Wirt
zahl ein wirtschaftlicher Erfolg erzielt wird.“ waltungsgerichtshof Mannheim im Jahre schaftlichkeit ist auch in der Wissenschaft
Das entsprach der Erkenntniswelt der 2005, behauptet jetzt aber, sich seit 1997 angekommen. Für „Stuttgart 21“ haben
Deutschen Bundesbahn. Fahrgastrechte nicht mehr dazu geäußert zu haben. aber solche Wirtschaftlichkeitsüberlegun
waren damals genauso unbekannt wie gen keine Rolle gespielt.
private Eisenbahnverkehrsunternehmen, Wirtschaftlichkeit neu entdeckt
die eine pünktliche Beförderung ihrer Züge Wirtschaftlichkeit neu
verlangten. Unpünktlichkeit schlug sich Jetzt, im Jahre 2009, will Schwanhäußer
berechnen
allenfalls in der Abwanderung enttäuschter zur Optimierung der Wirtschaftlichkeit der
Kunden nieder und in der ständigen Er Streckenbemessung die bisher errechnete Es stellt sich also heraus, dass frühere Aus
höhung des vom Bundeshaushalt zu tra „betrieblich optimalen Zugzahl“ um eine sagen über die ausreichende Dimensionie
genden Bahn-Defizits. Diese Definition „wirtschaftlich optimale Zugzahl“ ergän rung des achtgleisigen Tunnelbahnhofs
der Wirtschaftlichkeit ist weit weg von zen. Das ist folgerichtig und ein sinnvoller l hinsichtlich der Betriebsqualität mit Me
dem, was Unternehmen unter „Wirtschaft Ansatz zur Korrektur der bisherigen Ergeb thoden errechnet worden, die heute nicht
lichkeit“ verstehen. nisse, denn „Die Erträge sind neben den mehr Stand der Technik sind,
Eine weitere Grundlage der bisherigen Be Transportpreisen und den zulässigen Zug l hinsichtlich der „Wirtschaftlichkeit“
rechnungen legt Schwanhäußer ebenfalls lasten in hohem Maß von der Servicequalität nicht auf nachvollziehbaren Berechnun
offen: (5) „In der bisher gültigen Fassung mit den Merkmalen Pünktlichkeit und Beför- gen beruhen, sondern auf groben Ab
der Richtlinie 405 der DB Netz AG wurde derungszeit abhängig. Die Beförderungs schätzungen, deren Grundlagen keine
e ine Betriebsqualität definiert, die eine zeiten einschließlich der Wartezeiten im Gültigkeit mehr haben.
Eichung verwendet, welche sich auf die in Fahrplan und in der Betriebsabwicklung Es ist also an der Zeit, die Wirtschaft
der Mitte der 80er-Jahre festgesetzten Leis beeinflussen einen großen Teil der im Bahn- lichkeit des Projekts „Stuttgart 21“ nach
tungsfähigkeiten von 180 Strecken, also auf
mehr oder weniger maximal zulässige Zug-
zahlen bezog,“
Damit ist auch die Grundlage aller Berech
nungen offen gelegt, die bisher über die
derFahrgast · 4/2009 19
Stuttgart 21
heutigen Erkenntnissen völlig neu zu be bahnhof nachfolgende Züge blockiert, Zudem sind wichtige Planungsabschnitte
werten. erlaubt der Kopfbahnhof das Warten im noch nicht genehmigt.“
Gleisvorfeld und die Vorbeifahrt nachfol Und: Es ist noch nicht in die Öffentlichkeit
Der reformierte Kopfbahnhof ist gender Züge an ihren Bahnsteig. gedrungen, dass der Kopfbahnhof erst ein
mal grundlegend umgebaut werden muss,
betrieblich leistungsfähiger ...
bevor der Bau des Tunnelbahnhofs möglich
D
... und macht das Netz
ie betriebliche Leistungsfähigkeit ist. Die vorhandenen Gleise liegen über der
wirtschaftlicher
eines reformierten Kopfbahnhofs ist Baugrube und müssen erst beseitigt wer
weitaus größer als die des Tunnel Die folgenden Vorteile lassen sich heute in den. Die Planungen dafür sind weitgehend
bahnhofs. Das war in dieser Zeitschrift Euro und Cent bewerten: geheim, die Kosten sind ebenfalls Geheim
ebenfalls schon im Jahr 2005 nachzulesen. l Die Anschlusssicherheit ist im Kopf sache. Es soll möglichst wenig der von der
(6) Die Grundlage dafür ist die doppelte bahnhof ungleich höher als im Tunnel DB und den politischen Verfechtern unter
Anzahl der Bahnsteiggleise. bahnhof. dem Deckel gehaltenen Fakten an die
Das heißt zwar nicht „doppelte Kapazität“, l Die Pünktlichkeit unter ungewöhnli Oberfläche geraten. Es gilt daher, einen kla
weil die Standzeit im Kopfbahnhof auf chen Betriebsbedingungen ist ungleich ren Kopf für Fakten zu behalten.
grund der Wende länger ist als im Tunnel besser zu gewährleisten.
bahnhof – aber es bedeutet dennoch eine
rund 60 Prozent größere Kapazität. Das
l Störungen im S-Bahn-Tunnel können
20 derFahrgast · 4/2009
Fahrgast-Politik
Wettbewerb:
In der Monopolfalle
Warum ist die Ausschreibung der Stuttgarter S-Bahn gescheitert?
Von Rainer Engel
Foto: Knispermann
den Wettbewerb im Schienenverkehr
zu Fall bringen. Das ist die Lehre aus
der gescheiterten Ausschreibung der
S-Bahn Stuttgart. Aufgabenträger
müssen sich darauf einrichten, mehr
Verantwortung im Bereich von Werk-
stätten und Fahrzeugen zu überneh-
men, wenn sie sich nicht an Mono-
pole ausliefern wollen. Bestellen
genügt nicht, wo Monopolwirkungen
entstehen.
derFahrgast · 2/2008 27
Fahrgast-Politik
wirkung mindestens so lange an wie die Fahrzeuge nach dem Ende eines Vertrages, Brüssel nach Frankfurt durchfahren.
Lebensdauer der Fahrzeuge. Erst bei der der nicht erneuert wird, noch sinnvoll zu Schließlich ist auch die Notwendigkeit,
Neubeschaffung eines ganzen Fahrzeug- verwenden. Neigetechnik zu nutzen, ein Monopolfak-
parks ist das Monopol aufgehoben. Bei den Zweisystem-Fahrzeugen für Regio- tor. Hier ist die Situation inzwischen be-
Diese Option kommt bei umfangreichen nalstadtbahnen ist diese Wirkung ebenfalls sonders prekär: Es gibt zurzeit so gut wie
Netzen aus finanziellen und praktischen augenfällig: Stadtbahnwagen aus Karls- keinen Hersteller, der in der Lage wäre,
Gründen aber in der Regel nicht in Be- ruhe, Saarbrücken, Chemnitz oder Zwi- kurzfristig Triebwagen mit aktiver Neige-
tracht, sodass ein dauerhaftes Monopol ckau können zwar im Eisenbahnnetz frei- technik zu produzieren. Diese werden der-
entsteht. zügig eingesetzt werden, nicht aber auf zeit ausschließlich in Italien gefertigt. Alle
Als solche Monopolfaktoren sind zu nen- den Stadtstrecken. Dort spielt die jeweilige anderen Produktionslinien sind ausgelau-
nen: Stromversorgung, die Fahrzeugbreite und fen, und damit geht das Know-how ver-
● Gleichstrom-Versorgung, die Einstiegshöhe eine so entscheidende loren, das zum erfolgreichen Bau dieser
● Zweisystem-Fahrzeuge, Rolle, dass die Fahrzeuge nicht einfach um- Fahrzeuge notwendig ist.
● unübliche Fußbodenhöhe, gesetzt werden können.
● Steilstrecken-Ausrüstung, Als Zweisystem-Fahrzeuge mit entspre- Monopolfaktor Infrastruktur
● Neigetechnik-Ausrüstung. chenden Konsequenzen müssen aber auch
Für die Gleichstrom-S-Bahnen in Berlin Fahrzeuge für den grenzüberschreitenden chaut man genauer hin, dann stellt sich
und Hamburg steht außer Frage, dass es
sich um technische Anforderungen han-
delt, die Monopolwirkungen auslösen kön-
Verkehr betrachtet werden. Das beginnt
schon bei der Fahrzeugzulassung auf dem
Netz von Nachbarstaaten und setzt sich bei
S heraus: Alle beschriebenen Monopol-
wirkungen werden von der Infrastruk-
tur ausgelöst.
nen – diese Fahrzeuge können nur in ihrem der Zusatzausstattung für die Sicherungs- Meistens sind es topografische Faktoren –
angestammten Netz eingesetzt werden. systeme der Nachbarbahnen fort. seien es Gebirge, die zu überwinden sind,
Doch auch für die anderen „alten“ S-Bahn- Steilstrecken erfordern bekanntlich beson- oder die Lage von Knotenpunkten, die nur
Netze der Deutschen Bahn AG gilt: Es han- dere Ausrüstungen bei Antrieb und Brem- mit der kurzen Fahrzeit, die die Neigetech-
delt sich tendenziell um Monopole. Denn sen. Hier sind nicht nur die sehr wenigen nik ermöglicht, effizient untereinander zu
die S-Bahnen in München, Frankfurt und klassischen Steilstrecken zu nennen, etwa verbinden sind. Einige Faktoren sind his-
im Ruhrgebiet sind – wie das Stuttgarter die Bahnlinie von Boppard am Rhein nach torisch bedingt, etwa die S-Bahnen mit
Netz – auf eine Bahnsteighöhe von 96 cm Emmelshausen im Hunsrück. Auch die Stromschiene. Aber auch diese Faktoren
ausgelegt. Der Einsatz in anderen Netzen speziell auf die Neubaustrecke Köln – sind wirtschaftlich nicht sinnvoll zu beseiti-
ist nicht zulässig, weil der barrierefreie Ein- Frankfurt ausgelegten Elektrotriebwagen gen. Je spezieller die Anforderungen sind,
stieg verloren geht. Da derzeit alle vier der Baureihe 403 haben Monopolwir- die die Infrastruktur stellt, umso eher wach-
Netze in der Hand der DB sind, hätte ein kungen zur Folge – ein Thalys, der an sich sen Fahrzeuge und Infrastruktur zu einer
Wettbewerber schlechte Chancen, eigene freizügig fahren kann, kann nicht von wirtschaftlichen Einheit zusammen.
28 derFahrgast · 2/2008
Fahrgast-Politik
Monopolfaktor Werkstatt geeigneten Standort zu finden, der so güns- Das Land Niedersachsen hat mit seinem
tig liegt, dass man als Wettbewerber mit der Fahrzeugpool die Voraussetzungen für einen
n Stuttgart wurde nun von den Wett- DB gleichziehen könnte. Kurzum: Die frühen Wettbewerbsbeginn überhaupt erst
derFahrgast · 2/2008 29
Fahrgast-Politik
wurden die Fahrzeuge geleast und eine Daher fährt dort jetzt aufgrund einer wei-
Rücknahme durch das Land bei Vertrags-
ablauf vereinbart. Doch dieses Modell ist
nicht so wettbewerbsneutral wie das des
Landes Niedersachsen.
30 derFahrgast · 2/2008
Fahrgast-Politik
Stuttgart 21:
24 derFahrgast · 4/2007
Fahrgast-Politik
Fotos: Engel
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Mobilität“ a
derFahrgast · 3/2007 27
Kopfbahnhof Stuttgart
turen. Solche Pläne erlauben es auch, Umbauten so präzise zu skiz- chen Konzept beruhen. Es sei hinzugefügt, dass das Problem der
zieren, dass man darauf eine Kostenschätzung aufbauen kann. mangelnden Leistungsfähigkeit des Frankfurter Hauptbahnhofs
Heute sind solche Pläne Unternehmensgeheimnis der Deutschen darin besteht, dass er aus mehreren nebeneinanderliegenden Kopf-
Bahn AG – man muss sie mühsam über Luftaufnahmen rekons- bahnhöfen zusammengelegt wurde und es bei dem daraus folgen-
truieren und veröffentlicht wird nur, was dem Unternehmen nütz- den Betriebsablauf bis heute weitgehend geblieben ist.
lich erscheint.
Warum hat niemand mehr diese historischen Dokumente verwen- S-Bahn-Bau führt ins Chaos
det? Warum blieb es Jung [4] vorbehalten, erstmals 2005 in dieser
Zeitschrift einen Gleisplan zu veröffentlichen, der das Ziel eines Behnsen analysiert,
konfliktfreien Kopfbahnhofs verfolgt? „dass heute die klare Struktur teilweise verloren gegangen ist und
überwiegend Mischbetrieb vorherrscht. Der Grund dafür ist u. a.
die Inbetriebnahme der S-Bahn 1978 sowie die Einführung der Neu-
Vorortbahnhöfe sind Teil des Konzepts
baustrecke Mannheim – Stuttgart in die Ferngleise der Altstrecke
Behnsen beschreibt dieselben Grundprinzipien wie Jung und bei Kornwestheim.“
kommt mit ihrer Anwendung zu einem ähnlichen Ergebnis – dass
der Kopfbahnhof zu einem hoch leistungsfähigen Knotenbahnhof Seit dem Bau des Kopfbahnhofs hat sich nicht viel verändert. Aber
zu machen ist, wenn man wenige Fehler aus der Vergangenheit kor- die wenigen Veränderungen haben einen verheerenden Schaden
rigiert. Wenn man erkannt hat, dass dem historischen Kopfbahn- hinsichtlich der Leistungsfähigkeit des Bahnhofs angerichtet. Man
hof ein klares Konzept zugrunde liegt, dann muss es bei den Vorort- kann das schnell nachvollziehen, wenn man die Gleispläne ver-
bahnhöfen ähnlich sein: gleicht [5]: Für den starken Vorortverkehr waren die Gleise 1 bis 8
konfliktfrei erreichbar und konnten schon in der Ära der Dampflok
„Der Knoten Stuttgart [...] umfasst [...] auch die Vorbahnhöfe Unter- in kurzer Zeit viele Züge aufnehmen. Elektrotriebwagen machten
türkheim/Obertürkheim, Bad Cannstatt, Zuffenhausen und Stuttgart- es möglich, einen durchgehenden Vorortverkehr von Esslingen
Vaihingen. [...] Auffällig ist, dass die Trennung der Zuggattungen be- nach Ludwigsburg durchzuführen, obwohl zum Wenden der Züge
reits in den Vorbahnhöfen geschieht. Die Ingenieure konzipierten den in beiden Richtungen nur ein Gleis zur Verfügung stand. Mit dem
Knoten so, dass zwei Personenzuggattungen direkt [Anm. d. Red.: Bau der S-Bahn wurden diese acht Gleise – die Hälfte des Kopf-
und gleichzeitig] in die ihnen zugewiesenen Bereiche im Kopfbahn- bahnhofs – abgetrennt. Seither müssen sich die Vorortzüge ganze
hof einfahren konnten; vorsortiert nach Zuggattung und Zugziel. zwei Gleise im Tunnelbahnhof teilen. Da längst nicht alle Regio-
Durch diese Struktur wurden [...] Fahrstraßenausschlüsse im Gleis- nalzüge durch S-Bahnen ersetzt wurden, genügen die verbliebenen
vorfeld [...] unterbunden. In Bad Cannstatt entstand dazu die Rems- acht Ferngleise aber nicht, und so müssen die meisten Regionalzüge
bahnüberwerfung, welche aus zwei verschiedenen Zulaufstrecken seither über die Ferngleise fahren und quer durch das Bahnhofsvor-
(Remsbahn, Fils-/Neckartalbahn) die Züge nach den Zuggattungen feld zu den Vorortgleisen geleitet werden. Räntzsch [6] beschreibt
vorsortieren und die jeder Zugart zugewiesenen Gleise zusammen- diese Baumaßnahmen, die aus einer klaren Struktur einen Engpass
führen kann. Damit wies auch der Knoten eine für damalige Verhält- machten, Schritt für Schritt.
nisse unglaublich moderne Struktur auf.“ Die S-Bahn ist aber nicht nur für die heutigen Betriebsprobleme im
Stuttgarter Hauptbahnhof verantwortlich, sondern auch an die
Behnsen verweist zu Recht darauf, dass der Züricher Hauptbahn- Grenze ihrer Leistungsfähigkeit gelangt. Die S-Bahn-Station unter
hof für „Bahn 2000“ nach den gleichen Prinzipien umgebaut wurde dem Hauptbahnhof ist noch weniger leistungsfähig als die Mün-
und Umbauten des Frankfurter Hauptbahnhofs auf einem ähnli- chener S-Bahn-Stammstrecke: Während in München die Gleise
statt
ber wer fungen: Von Bad Can
en durch Ü nitt aus [2].
Z üge in den Vorortbahnhöf stalbah n (oben). Aussch
der Rem
Vorsortierung ise hinweg zur
) konfliktfrei über alle Gle
(links
28 derFahrgast · 3/2007
Fahrgast-Politik
und ICE
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zwischen Seitenbahnsteig (Ausstieg) und Mittelbahnsteig (Ein- liche Zufahrt zwischen Zuffenhausen und dem Nordbahnhof für
stieg) liegen, ist in Stuttgart nur ein Mittelbahnsteig vorhanden, so- machbar.
dass durch die gleiche Tür ein- und ausgestiegen werden muss. Eine
Leistungssteigerung ist nur möglich, wenn zusätzliche Gleise im Das Ergebnis:
Kopfbahnhof zur Verfügung stehen. Während Jungs Entwurf [4] „Die Vorbahnhofüberwerfung macht also einen kostenintensiven
dem Rechnung trägt, verbaut der Tunnelbahnhof „Stuttgart 21“ Umbau des Gleisvorfeldes weitgehend überflüssig.“
diese Entwicklung unwiederbringlich.
Damit ist das von der DB immer wieder beschworene Gespenst des
„Umbaus unter dem rollenden Rad“ als Phantom entlarvt. Behnsen
S-Bahn bremst ICE aus
hält sogar die Beibehaltung des Abstellbahnhofs für möglich, des-
Behnsen analysiert weiter: sen Zufahrtsgleise aber teilweise für Züge aus Richtung Bad Cann-
„Oberste Prämisse der S-Bahn-Systeme ist der artreine Verkehr auf statt genutzt werden können.
eigener Infrastruktur. Bedingt durch die bereits getrennten Vorort-
gleise konnte die S-Bahn diese nutzen. Da aber seit 1922 nun die
Modularer Umbau statt Kostenfalle
Fernzüge weitaus höhere Geschwindigkeiten aufweisen und somit
neben dem heutigen Fernverkehr (ICE, IC) nun als neue Zuggattung Behnsen analysiert im Detail die Umbauschritte und kommt zu
der Regionalverkehr entstand, müssen sich durch Wegfall zweier dem Ergebnis, dass viele Umbauten ganz ohne betriebliche Ein-
Gleise für die S-Bahn diese Zuggattungen nur zwei Gleise teilen. schränkungen möglich sind und einige notwendige Umbauschritte
Das bedeutete gleichzeitig, dass beide Kopfbahnhofbereiche nur bereits die Leistungsfähigkeit des Knotens drastisch erhöhen. Ent-
über ein [Anm. d. Red: ein einziges] Zufahrgleis zu erreichen waren, scheidend und richtig ist die Feststellung: Der modulare Umbau
da die Vorortgleise in den S-Bahn-Tunnel führten. [...] führt nicht in eine Kostenfalle – fast jeder Abschnitt entfaltet bereits
Man kann also festhalten, dass die Modifikationen die strukturellen nach der Realisierung einen Nutzen.
Engpässe verursachten und dies nicht per se am Knoten Stuttgart
selber liegt. Im Gegenteil: Für eine Trennung der Zuggattungen
Kapazitätsfalle „Stuttgart 21“
weist der Knoten hervorragende Voraussetzungen auf, die nur an die
heutigen Bedürfnisse anzupassen sind.“ Die Entmischung des Verkehrs in den Vorbahnhöfen, die vor einem
Jahrhundert die Planer des Knotens Stuttgart leisteten, haben die
Planer von „Stuttgart 21“ nicht erreicht. Sie pressen den gesamten
Phantom „Umbau unter rollendem Rad“
Regional- und Fernverkehr, der von Westen nach Stuttgart hinein-
Behnsen zeigt weiter auf, dass die Sortierung schneller und langsa- rollt, auf ein Tunnelgleis je Richtung zusammen – auf genau dem
mer Züge wiederhergestellt werden kann. Hierzu können vor allem einen Gleis, das als Zulaufstrecke geblieben ist, seitdem die S-Bahn
nicht mehr benötigte Gütergleise am Nordbahnhof und im Bereich das zweite Gleis in Anspruch nimmt. Mehr noch: Zu Spitzenzeiten
Bad Cannstatt und Untertürkheim genutzt werden. Genau von und im Störungsfall fahren Regionalzüge bis heute über die S-Bahn-
diesen Möglichkeiten geht auch der Entwurf des „reformierten“ Gleise auf die Vorortgleise der Bahnhofshalle, und bei Störungen im
Kopfbahnhofs von Jung aus, der eine Vorsortierung der Züge be- S-Bahn-Tunnel wenden S-Bahnen in der Bahnhofshalle, ohne den
reits östlich von Cannstatt und am Nordbahnhof zugrunde legt Fernverkehr zu blockieren. Damit ist es nach der Verwirklichung
und den Engpass zwischen Zuffenhausen und Nordbahnhof mit von „Stuttgart 21“ endgültig und unabänderlich vorbei. Kann man
einer Belegung der Züge im Zwei-Minuten-Abstand vorsieht, die das Fortschritt nennen? Die Planer wiederholen also genau den Feh-
bereits hinter dem Pragtunnel auf die Gleisgruppen verteilt werden. ler, der bereits mit dem S-Bahn-Bau in Stuttgart gemacht wurde:
Behnsen hält hingegen ein fünftes und sechstes Gleis für die west- weniger Zulaufgleise, weniger Bahnsteige, weniger Kapazität. Dafür
derFahrgast · 3/2007 29
Kopfbahnhof Stuttgart
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S-Bahn-Sta nhof dienten.
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wollen sie Milliarden in den Untergrund versenken. Der Tunnel- Der reformierte Kopfbahnhof kann mehr
bahnhof „Stuttgart 21“ zementiert genau den Engpass, an dem
der Knoten Stuttgart schon heute leidet. Aber das wird von Behnsen gelangt zu dem Fazit, dass ein reformierter Kopfbahnhof
Rechenkünstlern mit Professorentitel eifrig geleugnet. Vorteile bietet, von denen hier nur die Vorteile gegenüber dem
Tunnelbahnhof zitiert werden sollen:
Wirtschaftlichkeitsgutachten geheim! ● Durchgehend getrennte Korridore für alle (!) Zuggattungen von
Kornwestheim bis Untertürkheim.
Zunächst hatte der Aufsichtsrat der DB ein Gutachten über die ● Gleichzeitige, konfliktfreie Einfahrten von bis zu sieben Zügen
Wirtschaftlichkeit von „Stuttgart 21“ eingeholt. Da Verkehrsminis- einschließlich S-Bahn.
ter Tiefensee dieses nicht für ausreichend hielt, ließ er ein zweites
● Ausbildung eines Vollknotens im integralen Taktfahrplan.
Gutachten fertigen. Dieses soll nunmehr vorliegen, wird aber vom
● Redundanz (Abbau von Verspätungen bereits im Zulauf).
Ministerium geheim gehalten. Am 28. Juni 2007 wurde bei einem
● Saubere Trennung nach Zuggattungen und -richtungen.
Spitzengespräch nicht geklärt, wer die Risiken übernimmt, die
● Kundenfreundliche, bahnsteiggleiche Umstiege und höhen-
mittlerweile mit mehr als einer Milliarde beziffert werden. Ein
gleiche Verbindung zu allen anderen Bahnsteigen.
weiteres Spitzengespräch soll am 19. Juli 2007 stattfinden.
Lesen Sie auf Seite 32 weiter.
30 derFahrgast · 3/2007
Fahrgast-Politik
Dargestellt sind die für den Linienverkehr notwendigen Gleise und Gleisverbindungen (nicht maßstäblich).
* Gleise zu den Bahnsteigen von der Redaktion ergänzt
derFahrgast · 3/2007 31
Kopfbahnhof Stuttgart
➔ Die Wirkung eines integralen Taktknotens für den schnellen „besseren“ Anschluss, die in Hamburg, Hannover und München
Regionalverkehr wird weit unterschätzt. Sie bietet deutlich kürzere bekommen gar keinen ICE-Anschluss.
Gesamtreisezeiten als der Tunnelbahnhof „Stuttgart 21“, da ein
Halbstundentakt der schnellen Regionalzüge innerhalb von Neubaustrecke in Gefahr
Baden Württemberg aus Kostengründen wohl Utopie bleiben
wird. Denn für Verbindungen, für die im achtgleisigen Tunnel- Unterdessen gerät die Neubaustrecke von Wendlingen nach Ulm
bahnhof ein Anschluss nicht hergestellt werden kann, beträgt die unter Beschuss. Sie wird für den Güterverkehr nicht tauglich sein.
Wartezeit gleich fast eine ganze Stunde. Das gleiche gilt bei Die höchsten Steigerungsraten auf der Schiene hat aber der Güter-
Verspätungen. verkehr. Behnsen und Kleemann [10] weisen zu Recht darauf hin,
dass die für den Personenverkehr entwickelten Prämissen, die die
Neubaustrecke Stuttgart – Ulm rechtfertigten, nicht mehr zutref-
Die Bahn: unfähig oder verblendet?
fen. Die Güterverkehrslobby macht das bereits geltend [11]. Das
derFahrgast hatte Anfang des Jahres behauptet [7], dass die „Fach- wirtschaftliche Interesse an einer für den Personenverkehr optima-
leute“, die gegen den Kopfbahnhof argumentieren, in Wirklichkeit len Lösung könnte bei der DB unter Führung von Kapitalanlegern
nichts von effizientem Eisenbahnverkehr verstünden. Behnsen schnell zusammenbrechen. Wenn das Land Baden-Württemberg
lieferte den Beweis wenige Wochen später. jetzt nicht die Chance ergreift, die Neubaustrecke gegen „Stuttgart
Das gibt Anlass zu der Frage: Haben all diese „Fachleute“ die histo- 21“ einzutauschen und Finanzmittel für den raschen Bau der Neu-
rische Meisterleistung trotz ihres gewaltigen Wissenschaftsfundus baustrecke umzuwidmen, dann steht das Land wohl bald vor dem
wirklich nicht erkannt – oder argumentieren sie wider besseres Desaster einer verfehlten Politik – und bekommt gar nichts. Ge-
Wissen? troffen wäre vor allem das Land selbst, denn der Raum am östlichen
Und: Kann man es noch rechtfertigen, dass genaue Pläne der Eisen- Ufer des Bodensees wäre so schlecht zu erreichen wie heute.
bahnverkehrsanlagen Unternehmensgeheimnisse der Deutschen PRO BAHN hat sich eindeutig für die Neubaustrecke von Wend-
Bahn AG sind? Warum ist das Wissen vergessen, das noch 1987 – lingen nach Ulm ausgesprochen [12]. Noch gibt es keinen Anlass
vor genau 20 Jahren – präsent war? Damals wurde nicht nur die für den Fahrgastverband, davon abzurücken.
Dokumentation von Räntzsch [3] veröffentlicht, sondern machte
sich auch Professor Mühlhans „Gedanken über Probleme der Kopf-
bahnhöfe und mögliche Lösungen aus heutiger Sicht" [8]: „Kopf-
bahnhöfe haben aber auch einige wichtige Vorteile, die umso be-
deutender sind, je größer der Anteil des Ziel- und Quellverkehrs am
Gesamtverkehr ist. Die Reisenden empfinden, wenn der Zugang [1]
Quellen
Sascha Behnsen , Hans-Peter Kleemann, Die Zukunft war
vom Querbahnsteig aus erfolgt, den Kopfbahnhof übersichtlich. gestern ... Neue Ansätze und Überlegungen in der Jahrzehnte
Der im allgemeinen stufenfreie Zugang wird von ihnen sehr ge- dauernden Debatte um das Projekt Stuttgart 21 und die Neu-
schätzt." Alles vergessen – oder absichtlich vergraben? baustrecke Wendlingen – Ulm, Teil 3, www.srl.de > Aktuelles >
Dass die meisten Reisenden in Stuttgart aus- oder einsteigen, pfeifen weitere News > 22. Feb. 2007
die Spatzen von den Dächern. Aber genaue Zahlen gibt es nicht [9]. [2] Königliche Generaldirektion der Württbg. Staatseisenbahnen,
Die Arbeit Behnsens beweist, dass eine fachliche Diskussion über Neuer Hauptbahnhof Stuttgart, Entwurf I und Entwurf II, beide
den Knoten Stuttgart noch nicht stattgefunden hat. Noch immer de 1906, Maßstab 1 : 5000 sowie Stuttgart Hauptbahnhof,
glauben Politiker, dass die Bahn etwas von ihrem Geschäft verstünde. Weichen-, Signal- und Beleuchtungsgruppen, Stuttgart im
Das Gegenteil ist der Fall. Vor einem Jahrhundert verstanden die August 1922, Nachdruck als Anlagen zu [3]
Eisenbahner etwas von ihrem Geschäft und waren der Sache ver- [3] Andreas M. Räntzsch, Stuttgart und seine Eisenbahnen,
pflichtet. Heute reden sie den Politikern nach dem Munde, die Heidenheim 1987. Der Band ist noch im Handel erhältlich
Geld geben, und sitzen vor Computerbildschirmen, deren Fläche (ISBN 3-925887-03-2).
nicht ausreicht, um die Dimension einer Eisenbahnanlage im Stutt- [4] Kopfbahnhof statt Kostenfalle – Ein reformierter Kopfbahnhof
garter Talkessel zu erfassen – dafür benötigt man ein viel größeres ist machbar, In: derFahrgast 1/2005, S. 21 ff.
Format. [5] Vgl. Räntzsch [3], S. 398.
[6] Vgl. Räntzsch [3], S. 397.
[7] Kein Geld für „Stuttgart 21“?: derFahrgast 1/2007, S. 23 ff.
Was bleibt von „Stuttgart 21“?
[8] Edmund Mühlhans und G. Speck: Probleme der Kopfbahnhöfe
as also bleibt vom Tunnelbahnhof für Stuttgart, wenn alle und mögliche Lösungen aus heutiger Sicht, Internationales
32 derFahrgast · 3/2007
Nach Schluss der Drucklegung
Zum vorstehenden Beitrag weist Sascha Behnsen auf folgende Punkte hin, die wir hier
gerne weitergeben:
Eingangs möchte ich bemerken, dass ich keine Einwände dagegen habe, mit meinem
im Internet zugänglichen Artikel von Pro Bahn zitiert zu werden. Damit ist aber keinerlei
politische Stellungnahme meinerseits bezüglich Stuttgart 21 und der Neubaustrecke
Wendlingen-Ulm verbunden.
Meine von Ihnen zitierte Arbeit entwickelte sich aus meinem wissenschaftlichen
Interesse an dem Thema selber und aus den in mehrjähriger Recherche ausfindig
gemachten Primärquellen. Somit gibt ausschließlich der zitierte Fachartikel meine
persönliche, fachliche Meinung zu diesen Projekten wieder.
Meine Intention ist es nicht, indirekt durch die Zitation meines Artikels die Leistung der
vielen Experten pauschal zu kritisieren.
Bereits vor 100 Jahren wurde der Kopfbahnhof gemäß den Kundenbedürfnissen
konzipiert, wobei die realen Güterbewegungen und die realen Mobilitätsbeziehungen
tatsächlich berücksichtigt wurden.
Einer solchen Studie folgend wäre ähnlich Bahn 2000 ein Masterplan zu entwickeln, wie
die Infrastruktur von Stuttgart weiter entwickelt werden sollte. Meine Variante hat nur
das, zu zeigen, was mit der bestehenden Infrastruktur und den bestehenden
Geschenken möglich ist..
2. Ich sehe zwei Gleise für die S-Bahn unten und 2 Gleise oben vor, die als Notgleise
dienen, falls es Probleme im Stammtunnel gibt. Diese Verbindungen fehlen sowohl auf
der Grafik auf Seite 31 und in der Tabelle auf Seite 30.
Anm. d. Red. Die Grafik auf Seite 31 stellt nur die linienmäßig zu befahrenden Gleise
dar, um zu zeigen, welche betrieblichen Möglichkeiten im Linienverkehr standardmäßig
verfügbar sind. Unter Berücksichtigung einer Verbindung zwischen S-Bahn und
Haupthalle, die selbstverständlich bautechnisch möglich ist, würde die Grafik wie
nachstehend dargestellt aussehen.
Bad Cannstatt
Feuerbach
Pragtunnel
Gäubahn
Hauptbahnhof
Im Übrigen fahren im S-Bahnhof Stuttgart Hbf. Tief ca. 1200 Züge täglich durch -
ebenso viele wie in Zürich auf 4 Gleisen, wobei die Züge dort auch länger halten.
Anm. d. Red.: Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist aber, dass frühe Entwürfe
für die Stuttgarter S-Bahn einen viergleisige Tunnelstation vorsahen (Räntzsch [3] Seite
331). Eine viergleisige Tunnelstation ergibt erheblich mehr betriebliche und
fahrplantechnische Möglichkeiten (z.B. Korrespondenzen zu Schwachlastzeiten) und
ermöglicht eine dichtere Zugfolge, denn die Haltezeit in den Stationen begrenzt die
Streckenkapazität entscheidend. Ob die späteren Kapazitätsberecchnungen (siehe
Räntzsch [3] S. 335) den Ist-Zustand spiegeln oder auf Zuwachs ausgelegt sind, ist
entscheidend für die Dimensionierung von Bahnanlagen. Das Beispiel München
(„Überlauf“ der Stammstrecke und die Notwendigkeit einer zweite S-Bahn-
Stammstrecke) zeigt eindrucksvoll, dass gerade unterirdische Anlagen später nicht mehr
mit vertretbarem Kosten erweitert werden können. Auch in Frankfurt wird die Kapazität
des S-Bahn-Tunnels derzeit durch signaltechnische Maßnahmen auf das Äußerste
„ausgereizt“ – ein Zeichen dafür, dass heutige Planungen unter dem Diktat der
Kosteneinsparung und nicht unter dem Weitblick für künftige Entwicklungen erstellt
werden.
3. Nach Feuerbach sollte ausdrücklich erwähnt werden, dass 5 Gleise ein rasch
machbarer Interimszustand ist. Zielzustand ist eine 6- gleisige Struktur, was platzmäßig
problemlos ist und eine echte Trennung der Zugarten ermöglicht. Dies sollte ebenfalls in
der Tabelle ergänzt werden.
Anm. d. Red.: Der Bau des 5. und 6. Gleises zwischen Feuerbach und dem
Nordbahnhof ist in erster Linie eine Frage der Kosten, nicht eine Frage der technischen
Machbarkeit. Das gilt auch für alle anderen Elemente, über die bei einer vertieften
Untersuchung zur Leistungsfähigkeit und Ausgestaltung des Kopfbahnhofs zu
diskutieren ist.
Ergänzt sei auch, dass sich die Anbindung der Gäubahn nach dem Vorschlag von
Behnsen deutlich verbessert, wenn die Gäubahn über Obertürkheim, einen
Filderaufstieg zum S-Bahn-Tunnel unter dem Flughafen, die Filderbahn und die Rohrer
Kurve erreichbar wird. DerVorschlag für diese Anbindung findet sich seit langer Zeit in
den Broschüren zum Kopfbahnhof.
Eine weitere Einflussgröße, die die Angaben in der Tabelle wesentlich verändert, ist die
signaltechnische Ausgestaltung der Zulaufstrecken. Die Tabelle geht davon aus, dass
nur dort, wo es vermerkt ist, eine Zugfolge von kürzer als 4 Minuten = 15 Züge pro
Stunde zugrunde gelegt wird. Das entspricht einer hohen Betriebsqualität und guten
Puffern bei geringen Verspätungen. Überall kann die Zugfolge auf 2 Minuten abgesenkt
werden – das setzt aber ausreichende Bahnsteigkapazitäten voraus, da die Züge sonst
nicht aufgenommen werden können! Genau an dieser Stelle – den Haltezeiten -
entzündet sich die Diskussion um die Kapazität des Tunnelbahnhofs „Stuttgart 21“.
Wie auf Seite 30 vermerkt, geht es darum, die Möglichkeit der
(Wieder-) Herstellung der hohen Leistungsfähigkeit des Knotens Stuttgart darzustellen
und nicht Entwürfe gegeneinander auszuspielen.
Meine Intention ist es nicht, indirekt durch die Verwendung meines Artikels die
Leistung der vielen Experten pauschal zu kritisieren.
Mein Wunsch war es vielmehr, die Stuttgarter daran zu erinnern, dass der von Laien
erhobene Vorwurf eines ineffizienten, alten Bahnhofs nicht nur falsch ist, sondern
Württembergs Ingenieure den Knoten so auslegten, dass er an verkehrliche
Veränderungen angepasst werden kann, die man damals noch gar nicht vorhersehen
konnte.
Anm. d. Red.: Nicht nur Laien, sondern auch die Deutsche Bahn AG selbst, die für sich
Fachkunde in Anspruch nimmt, behauptet,. dass der Kopfbahnhof ineffizient sei und
daher durch einen Durchgangsbahnhof ersetzt werden müsse. Seitens der DB und
seitens einiger Professoren, die diese Behauptung mit „Expertisen“ stützen, wird wider
das bessere Wissen, das sie selbst erwerben könnten, gegen den Kopfbahnhof
argumentiert. Auf die Beiträge in derFahrgast 4/2005 Seite 5 („Staat im
Wissensnotstand“) und 1/2007 Seite 23 ff., insbesondere Seite 27 ff. wird verwiesen.
Gerade für Stuttgart ist wichtig zu erkennen, dass man auch mit der
Stadtbahn und mit der S-Bahn bereits vor Bahn 2000 diese modulare
Denkweise erfolgreich weiter anwandte. (Bezüglich der nicht ganz
unproblematischen Eingriffe bei der S-Bahn, sahen interessanterweise
bereits 1905 die damaligen Gutachter vorher, dass dies eines der
Probleme von Kopfbahnhöfen sei, dass später unter dem Diktat der
Kosteneinsparung oft eine suboptimale Erweiterung stattfindet und die
ursprüngliche, saubere Konzeption dabei meist verloren geht).
Von Entlarven oder gar von der Unfähigkeit von heutigen Experten kann
aber damit keine Rede sein - die Planer stehen heute unter anderen
Rahmenbedingungen als damals, die solche Planungsphilosophien
unterminieren
Ich habe dazu einfach das getan, wofür ich als Informatiker
ausgebildet bin: die Analyse eines Systems und das Aufzeigen von
systemimmanenten Optimierungsmöglichkeiten, weil es für uns de facto
egal ist, ob das System ein Programm oder eine Infrastruktur ist. Als
Informatiker sieht man die Dinge mit anderen Augen, als es ein
Ingenieur tut. Im Idealfall kooperieren und ergänzen sich aber beide
und profitieren vom gegenseitigen Wissen, so wie auch ich es vom
Erfahrungsschatz von heutigen Ingenieuren tat. Das ist mein Ziel und
so möchte ich mich verstanden sehen.
Sascha Behnsen
Anm. d. Red.: Die Redaktion bleibt gleichwohl bei der Kernaussage, dass es
unverantwortlich ist, wenn Institutionen und Unternehmen, die Milliardenbeträge
aus Steuergeldern verantworten und bewegen, Kenntnisse und Erkenntnisse
nicht zur Kenntnis nehmen, verschweigen und wenn Professoren und andere
Wissenschaftler vorhandenes Wissen nicht erwerben oder sogar wider besseres
Wissen argumentieren, um dem politischen Willen bestimmter
Entscheidungsträger oder ihren Geldgebern gefällig zu sein.
Die Wahrheit über die mangelnde Leistungsfähigkeit des Tunnelbahnhofs
„Stuttgart 21“ wird die Verantwortlichen genauso einholen wie alle anderen
technischen Wahrheiten. Den Schaden davon haben künftige Generationen,
während die Verantwortlichen dann nicht mehr in ihren Ämtern sind.
Thema
Foto: DB AG
INVESTITIONSPLANUNG
Finanzierung der Schienenwege – eine Achterbahn? Neubaustrecke Köln – Frankfurt.
derFahrgast · 1/2007 11
Zu wenig, um Neues anzufangen
Schiene war auch die Deutsche Bahn AG beteiligt – und der 25 von 50,1 Mrd. Euro, was bekanntlich nur knapp 50 %
sichert sich so, weil sie gleichzeitig Infrastruktur-, Verkehrs- sind. Verblüffend ist auch, im IRP zu lesen, dass für die
und Logistikunternehmen ist, einen Vorteil nicht nur gegen- „Neubauabschnitte des VDE Nr. 8.1, Nürnberg – Erfurt, und
über Wettbewerbern auf der Schiene, sondern auch gegenüber des VDE Nr. 8.2, Erfurt – Halle/Leipzig [...] allein im Zeitraum
Konkurrenten im Logistikgeschäft. bis 2010 rund 1,5 Mrd. Euro vorgesehen sind,“
Ein wirksamer Einfluss der deutschen Volksvertreter auf die während die Tabellen zum IRP ausweisen, dass hierfür
Investitionspolitik der Regierung ist also so gut wie ausge- 4,979 Mrd. Euro investiert werden sollen. Die Stirn runzelt
schlossen – ganz im Gegensatz zur Schweiz, wo die Wahlbe- sich, wenn man im Bundesverkehrswegeplan feststellt, dass
rechtigten die Gelder für den Ausbau der Schienenwege durch sich die Gesamtkosten der beiden Projekte auf 5,928 Mrd.
Volksentscheid genehmigen müssen und Bahn und Regierung Euro belaufen und der Bau zwischen 2003 und 2006 um kei-
sehr genau überlegen müssen, was sie dem Volk zur Abstim- nen Cent teurer geworden ist. Die Tabelle zum IRP suggeriert,
mung vorlegen. dass die Gesamtsumme, die der Bau kostet, bis Ende 2010 in-
vestiert werden soll – fertig werden soll die Strecke jedoch erst
2016. Auch das passt nicht; andere Projekte, die schon in Be-
■ Mehr Geld für Verkehrsprojekte
trieb genommen sind, kosten immer noch Millionenbeträge.
ergleicht man den IRP mit seinem letzten Vorgänger, Erstaunt stellt man so auch fest, dass die Neubaustrecke
12 derFahrgast · 1/2007
Thema
INVESTITIONSPLANUNG
Mannheim? Ein paar Millionen für Planungskosten.
W
keitsstrecke Hannover – Berlin.
ren danach finanziert werden. Die Gesamtkosten der
im IRP genannten Projekte betragen rund 25 Mrd.
Euro – und von diesen kann bis 2010 nur die Hälfte finanziert den Mitteln, die erst nach 2010 verwendet werden, ganz
werden. Bei unverändertem Finanzrahmen kann also vor 2016 anders aus.
nichts begonnen werden, was nicht im IRP eingestellt worden Besonders eindrucksvoll lässt sich das an der Neubaustrecke
ist – es sei denn, es wird umgeschichtet. Das gilt insbesondere Nürnberg – Erfurt darstellen: Die Aussage, dass diese Neu-
für das Projekt „Stuttgart 21“ und die Neubaustrecke Stuttgart baustrecke nach wie vor überproportional viel Geld ver-
– Ulm. Für die Neubaustrecke besteht nach dem IRP die Mög- schlingt und viele wichtige kleinere Projekte blockiert, ist und
lichkeit der Finanzierung eines Teils bereits im Zeitraum bis bleibt richtig, trifft aber nicht die derzeitige Lage. Was bis
2010. Der Baubeginn und eine zwischen Land und Bund ver- 2010 investiert wird, ist weitgehend sinnvoll angelegt. Wie der
einbarte Vorfinanzierung könnte die Dringlichkeit der Finan- IRP ausdrücklich mitteilt, sollen 1,5 Mrd. Euro in das
zierung gegenüber anderen noch nicht begonnenen Projekten Gesamtprojekt Halle/Leipzig – Erfurt – Nürnberg fließen.
so steigern, dass der erforderliche Restbetrag nach 2010 vorran- Bis 2010 wird nämlich vor allem im Abschnitt Nürnberg –
gig zur Verfügung gestellt wird. Das Projekt des Tiefbahnhofs Ebensfeld investiert. Die Bauarbeiten im Raum Nürnberg
„Stuttgart 21“ hingegen findet voraussichtlich nicht einmal im haben gerade begonnen, und der „Bericht zum Ausbau der
Zeitraum bis 2015 einen Platz in den Finanzierungslisten. Schienenwege 2006“ teilt mit, dass dieser Abschnitt bis 2010
fertiggestellt werden soll. Ebenfalls mit Hochdruck gearbeitet
und vorbereitet wird im Abschnitt Leipzig/Halle – Erfurt.
■ Politisches Handeln lohnt sich
Hier sind Großvorhaben wie die Saalequerung südlich Halle
Während die Investitionen, die bis 2010 bezahlt werden kön- bereits ausgeschrieben mit dem Ziel der Fertigstellung
nen, bereits jetzt weitgehend so festgelegt sind, dass sich eine bis 2012. Von den 1,5 Mrd. Euro bleiben also nur geringe
Diskussion darüber politisch nicht mehr lohnt, sieht es mit Lesen Sie bitte auf Seite 15 weiter.
derFahrgast · 1/2007 13
Zu wenig, um Neues anzufangen
14 derFahrgast · 1/2007
Thema
INVESTITIONSPLANUNG
Die Regionen bleiben abgehängt. Auch für die Sachsen-Fran- Hanau – Gelnhausen viergleisig ausgebaut werden muss. Kon-
ken-Magistrale gibt es keine wirklichen Zukunftsperspektiven: sequenzen zieht die Bundesregierung daraus aber nicht.
Gölztschtalbrücke bei Reichenbach.
Nicht berücksichtigte Vorhaben des
vordringlichen Bedarfs
➔ Beträge, mit denen im Abschnitt zwischen Ilmenau und
Vorhaben Gesamtkosten
Ebensfeld einige kleinere Maßnahmen durchgeführt werden
Mrd. Euro
können und damit das Baurecht gesichert werden kann –
Ulm – Lindau, Begegnungsabschnitte 51,0
mehr nicht. Es ist also mehr als fraglich, ob die amtierende
Neumünster – Bad Oldesloe: Elektrifizierung, 2. Gleis 304,4
Bundesregierung wirklich durch die bisher eingeleiteten Bau-
Rotenburg – Minden, 2. Gleis, 120 km/h 348,3
maßnahmen so vollendete Tatsachen schafft, dass es kein
Uelzen – Stendal, 2. Gleis 139,2
Zurück mehr für den Abschnitt im Thüringer Wald gibt.
Dasselbe gilt grundsätzlich für alle anderen Projekte, die noch Seelze – Minden, 3. und 4. Gleis 901,3
nicht begonnen sind, so für das fragwürdige Projekt der Y- Oebisfelde – Wustermark, Stammstrecke 467,9
Trasse: Der Verteilungskampf um die Neubaumittel wird sich Hagen – Gießen, Neitech 30,0
verschärfen. Ein typisches Beispiel dafür ist der nicht im IRP ABS/NBS Hanau – Fulda/Würzburg 2.250,0
aufgeführte Ausbau der Verbindung von Lindau in die Nürnberg – Reichenbach/Cheb, Elektrifizierung 467,4
Schweiz. Für die Elektrifizierung nennt der „Bericht zum Aus- Luxemburg – Koblenz – Mainz, Neigetechnik 39,1
bau der Schienenwege 2006“ den vergleichsweise geringen Berlin – Dresden, 200 km/h 216,6
Betrag von 180 Mio. Euro. Druck entsteht hier durch ein Venlo – Rheydt, zweigleisiger Ausbau 19,1
Angebot zur Vorfinanzierung aus der Schweiz. Wo kann man München – Mühldorf – Freilassing, 2. Stufe 160,0
die nötigen Gelder finden, wenn man nicht andere Projekte Münster – Lünen, 2. Gleis 177,0
verschiebt oder aufgibt? Neu Ulm – Neuoffingen, 3. Gleis 158,9
Deshalb lohnt sich die Auseinandersetzung mit den politi- Berlin – Görlitz, 2. Gleis 237,9
schen Gründen für die Investitionsentscheidungen, die der Pinneberg – Elmshorn, 3. Gleis 75,0
IRP offen nennt – und die schon der nächste Verkehrsminister Summe 6.043,1
ändern könnte.
derFahrgast · 1/2007 15
Zu wenig, um Neues anzufangen
Auch an diesem Ausbau hat die DB kein kommerzielles Inte- burg – Basel oder der Rhein-Ruhr-Express – verdienen unge-
resse. Pünktlichkeit im Reiseverkehr hat keinen Stellenwert, teilte Zustimmung.
weil Fahrgäste keine Rechte haben. Und für das internatio- Andere hingegen werfen die Frage auf, ob man nicht noch ein-
nale Logistikgeschäft der DB sind die Strecken entweder gar mal über preiswertere und effizientere Lösungen nachdenken
nicht oder nur von geringer Bedeutung. Werden die Wett- sollte (Y-Trasse, Flughafen Berlin). Das gilt sogar für die Neu-
bewerber das so einfach hinnehmen? baustrecke Erfurt – Ebensfeld, denn im Thüringer Wald wird
bis 2010 weiterhin nur wenig Geld verbaut – die wirklichen
Ausgaben kommen erst in den Jahren danach.
■ Ein Fazit
Grundsätzlich ist es richtig, dass ein Schwerpunkt auch auf
ls Fazit kann man festhalten: In die Schiene werden dem Güterverkehr liegt. Aber hier wird die Unternehmens-
Der Kommentar:
Masterplan statt Großprojektliste!
Wie schon der Bundesverkehrswegeplan 2003, so ist auch Unternehmen hat daran aber kein Interesse, denn die Ent-
der IRP gekennzeichnet durch die Beschreibung von gelte werden nach Zugkilometern kassiert und nicht nach der
Großprojekten. Wie schon der Verkehrswegeplan 2003 macht Anzahl der Fahrgäste. Das Geld für die „Bestandserhaltung“
auch der IRP den Fehler, Gelder für ganz konkrete Verkehrs- einfach der DB zu überlassen, ohne ihr politische Vorgaben
projekte zur Verfügung zu stellen statt Ziele vorzugeben. für eine Effizienzsteigerung zu machen, heißt, den Bock zum
Ein Beispiel: Es wird dezidiert Geld für „die Y-Trasse“ bereitge- Gärtner machen.
stellt. Das Ziel ist diesmal „Anbindung der Seehäfen“. Früher Auch auf den Hauptstrecken gibt es Konflikte, die mit Neu-
hieß es „Fahrzeitverkürzung zwischen Hannover und Ham- bauten erst heraufbeschworen werden.
burg“. Beide Ziele können auch mit anderen Bauvorhaben Ein schönes Beispiel dafür ist ein neuer Haltepunkt in Neu-
erreicht werden. Warum legt sich die Politik hier voreilig fest? stadt an der Aisch. Er läge in günstiger Lage zur Stadt, aber
Der Flughafen Berlin muss angeschlossen werden – aber ist auf der Verbindung der Neubaustrecken Hannover – Würz-
der ICE unter dem Terminal der richtige Weg, oder wären burg und Nürnberg – München. Er kann nicht gebaut werden,
mehr direkte Züge zum bisherigen Bahnhof besser? weil das die Kapazität der Hauptstrecke einschränken würde.
Eine ganzheitliche Betrachtung des Schienennetzes und die Den Kapazitätsengpass gibt es aber vor allem, weil jetzt fast
offene Diskussion von Alternativen ist der Deutschen Bahn alle ICE-Züge zwischen Nürnberg und Würzburg fahren. Und
AG immer noch genauso fremd wie den Politikern und so geht es mit fast jedem Neu- und Ausbauprojekt: Hinterher
Ministerien. stellt die DB dann plötzlich neue Engpässe fest, die man bei
Eine ganzheitlicher Ansatz ist auch notwendig, um den genügend Voraussicht hätte vermeiden können.
Reiseverkehr effizienter zu gestalten. Gezielte kleine Sanie- Insofern darf denn doch die Frage gestellt werden, ob die
rungsmaßnahmen besonders auf regionalen Strecken könn- Bundesregierung mit der Konzentration der Mittel auf angeb-
ten zu gewaltigen Einsparungen führen. Es finden sich endlos lich die Wirtschaft ankurbelnde Projekte wirklich den Stand-
viele Nahverkehrslinien, bei denen eine geringfügige An- ort Deutschland fördert oder nur die Misswirtschaft beim
hebung der Reisegeschwindigkeit – z. B. durch Beseitigung integrierten Bahnkonzern. Kleine Sanierungsmaßnahmen
von Langsamfahrstellen oder die Anhebung der Höchst- sind nämlich die Investitionen mit den höchsten Renditen.
geschwindigkeit von 80 auf nur 100 km/h – zu Reduzierungen Doch dafür braucht man einen großen Plan – einen Master-
der Betriebskosten um 25, 33 oder gar 50 % führen (z. B. plan für das deutsche Schienennetz –, ähnlich dem, was man
durch Einsparung einer oder mehrerer Garnituren im Umlauf), in der Schweiz „Bahn 2000“ genannt hat.
ohne die Angebote selbst einzuschränken. Das DB-Netz- Rainer Engel
16 derFahrgast · 1/2007
Thema
Foto: DB AG
INVESTITIONSPLANUNG
Neubau oder Bestandserhaltung? Der Eggetunnel zwischen Paderborn und Kassel ersetzt ein
Streckenstück, das über einen rutschenden Hang führte. Investition für den Fernverkehr oder
für den Nahverkehr? Durch den Tunnel fahren mehr Nahverkehrszüge als Intercity-Züge.
Die Abgrenzungen sind wenig sinnvoll und beruhen nur auf dem Glauben, dass das
Schienennetz eigenwirtschaftlich und unternehmerisch bewirtschaftet werden könne.
➢ Die Bundesregierung ist nicht bereit, Fehler von „die Strategie 21 der Deutschen Bahn AG mit folgenden
vorgestern und gestern zu korrigieren. Diese Haltung Elementen: Leistungssteigerung durch Trennung (,Ent-
zieht sich wie ein roter Faden durch den Investitions- mischung’) langsamer und schneller Verkehre, Einsatz
rahmenplan (IRP), wenn auch positive Aspekte darin moderner Leit- und Sicherungstechnik, Beseitigung von
stecken: ein Einblick in Details. Engpässen, Einsatz intelligenter Technologien“.
Nicht reflektiert wird dabei, dass diese Strategie – wenn
auch grundsätzlich richtig – auch wettbewerbsbehindernde
■ Viel Geld für Bestandserhaltung
Elemente enthält. Die Bundesregierung unterwirft sich so
ie Bestandserhaltung hat bei Schiene und Straße eine den Plänen eines Unternehmens, das sie gerade eben an Inves-
derFahrgast · 1/2007 17
Alte Fehler betonieren
D
Modernisierung des Bestandsnetzes abzusichern“.
Der Betrag von 2,5 Mrd. Euro ist der Mindestbetrag, den die Fertigstellung der in Bau befindlichen Neu- und Ausbau-
DB selbst immer wieder für die Bestandserhaltung nennt. ten Vorrang bei. Das ist zunächst logisch, da es volkswirt-
Kein Wort verliert der Plan darüber, dass die Abgrenzung schaftlich nicht vertretbar ist, angefangene Bauten ungenutzt
zwischen Ersatzinvestitionen und laufender Unterhaltung stehen zu lassen.
fließend und daher nicht sehr sinnvoll ist. Es lohnt sich also Unter der Flagge „Fertigstellung“ segelt aber auch die Neu-
nach wie vor für die DB, Strecken und Bauwerke bis zur baustrecke Nürnberg – Erfurt. Tunnelbohrer können nicht
Abrissreife herunterkommen zu lassen, damit eine vom Bund umkehren, und so tut die Politik so, als gäbe es kein Zurück
bezahlte Ersatzinvestition fällig wird. Noch geschickter stellt mehr, wenn erst einmal mit einem Projekt angefangen wurde.
sich die DB an, wenn sie Ersatzinvestitionen als Neubauten Das gilt nicht nur für die „längste U-Bahn Deutschlands“,
deklariert, da diese dann über die vorgenannten 2,5 Mrd. Euro sondern auch für andere Projekte und zieht sich bis in den Be-
hinaus finanziert werden. Das ist beispielsweise für den ginn neuer Projekte hinein. Dass damit Fehler von gestern
dringend nötigen Ersatz des Schwarzkopftunnels im Spessart und Unternehmensentscheidungen der DB von vorgestern in
gelungen. Er soll insgesamt 230 Mio. Euro kosten. Davon Beton gegossen werden, spielt keine Rolle.
werden 135,5 Mio. Euro aus Neubaumitteln, der Rest aus
Bestandserhaltungsmitteln finanziert. ■ Neubau für den Wirtschaftsstandort
Kein Wort verliert der Verkehrsminister darüber, dass die
Bundesregierung die Mittel für den laufenden Betrieb gerade Die Kriterien, nach denen neue Projekte ausgewählt wurden,
eben durch Kürzung der Regionalisierungsmittel für den beschreibt der Verkehrsminister so:
Regionalverkehr erheblich beschnitten hat – damit soll die ● „die Bedeutung für die Umsetzung der investitionspoli-
Bahn unternehmerisch selbst fertig werden. Vornehm zurück- tischen Schwerpunkte, darunter die Stärkung von Wirt-
haltend heißt es: schaftszentren und Wachstumskernen,
„Der langfristige Bedarf an Mitteln für den Erhalt wird ● die Funktion für die Verkehrswirksamkeit bzw. Leis-
von BMVBS und DB AG auf der Basis einer umfassenden tungsfähigkeit des Projektes im Netz (Lücken- bzw.
Analyse des Netzzustandes überprüft.“ Netzschluss),
Wie schön zu erfahren, dass das Ministerium angeblich in der ● der Planungsstand bzw. bestehendes Baurecht.“
Lage ist, das Netz zu überprüfen. Der vom Bundestag schon
vor Jahren eingeforderte Netzzustandsbericht liegt jedenfalls Die „ investitionspolitischen Schwerpunkte“ werden so defi-
bis heute nicht vor. niert:
Wo die Investitionsmittel tatsächlich bleiben, wird dem „Mit der Priorisierung der Bundesverkehrsinvestitionen auf
Außenstehenden, aber auch dem Parlament nicht deutlich. Vorhaben von möglichst hoher verkehrlicher und wirt-
Denn: schaftlicher Effizienz wollen wir dazu beitragen, die Ver-
„Für die damit zu realisierenden Maßnahmen schließen kehrsinfrastruktur noch stärker auf ihre Funktion zur
der Bund und die DB AG Sammelfinanzierungsvereinba- Stärkung des Wirtschaftsstandortes Deutschland auszu-
rungen für bestimmte Investitionskomplexe (z. B. Oberbau, richten. Wirtschaftliche Dynamik und Wachstum entstehen
Bahnhofsanlagen, Nahverkehr) und maßnahmenbezogene zuerst durch die Potenziale von Wachstumskernen. In die-
Finanzierungsvereinbarun-
gen für Projekte > 15 Mio. €
18 derFahrgast · 1/2007
Thema
INVESTITIONSPLANUNG
● verkehrliche Anbindung und Vernetzung der zentralen regionalen Zentren im Rhein-Ruhr-Gebiet miteinander ver-
Flughäfen binden. Der Infrastrukturausbau als zentrale Vorausset-
● Förderung moderner Technologien, mit denen die zung für den RRX wird den Ausbau einzelner Knoten, die
verkehrliche und wirtschaftliche Effizienz des Gesamt- Verbesserung der technischen Effizienz, eine Netzergän-
verkehrssystems gesteigert werden kann zung und den Bau von einzelnen Ausweich- und Überho-
● Weitere Investitionsprojekte von nationaler Bedeutung“ lungsstrecken umfassen. Wesentliche Maßnahmen sind
der Ausbau der auf der Strecke befindlichen Knoten, ins-
Damit lässt sich eigentlich fast alles begründen, was der Politik besondere Köln und Dortmund, sowie die Ausbaustrecke
teuer und prestigeträchtig genug erscheint. Es ist aber auch Düsseldorf – Duisburg. Der Bund hat ein Gutachten zur
eine klare Absage an die Entwicklung gleicher oder vergleich- Ermittlung einer optimalen Angebotsstruktur und einer ge-
barer Lebensbedingungen in den verschiedenen Regionen samtwirtschaftlichen Bewertung der erforderlichen Inves-
Deutschlands. Es stellt sich nämlich die Frage, ob dabei nicht titionen in die Schieneninfrastruktur in Auftrag gegeben.
ein Wachstumskern gegen den anderen ausgespielt wird. Die Untersuchungen werden 2006 abgeschlossen.“
Wenn z. B. die Neubaustrecke Nürnberg – Erfurt fertiggestellt Diese Ausführungen sind der Beweis dafür, dass die Kritik von
wird, besteht die Gefahr, dass der Wachstumskern Jena vom PRO BAHN am Magnetbahn-Projekt im Ruhrgebiet von An-
ICE-Verkehr abgehängt wird. Oder sind Wachstumskerne fang an richtig und wegweisend war. Einstweilen sind für den
nur Berlin und München? RRX allerdings immerhin 1,4 Mrd. Euro* eingestellt mit dem
Verwendungszweck „Ausbaustrecke Düsseldorf – Duisburg“.
■ Anti-Stau-Programm
■ Grenzüberschreitende Verkehre
it dem „Anti-Stau-Programm“ will die Bundesregierung
1,3 Mrd. Euro* für die Knoten Magdeburg, Halle/Leipzig, *) Alle genannten Geldbeträge nennen die Gesamtkosten der
Erfurt und Dresden, weitere 1,8 Mrd. Euro* für den Knoten Investition. Wie viel bis 2010 investiert wird, sagt der IRP
Berlin. Als neu zu beginnende Arbeiten an Knoten werden nicht aus.
derFahrgast · 1/2007 19
Alte Fehler betonieren
Polen soll aufgrund einer Vereinbarung aus dem Jahre 2003 ● 230 Mio. Euro* für den dreigleisigen Ausbau der Strecke
verbessert werden. Hier sind für den Ausbau der nur im Stelle – Lüneburg,
Güterverkehr genutzten Verbindung Hoyerswerda – Horka – ● 196 Mio. Euro* für die Elektrifizierung Jade-Weser-
Kohlfurt (Wegliniec) – einschließlich Elektrifizierung – Port/Wilhelmshaven – Oldenburg und (Bremen –) Lang-
163 Mio. Euro* vorgesehen. Auch der weitere Ausbau der wedel – Uelzen (– Stendal).
Strecke Berlin – Frankfurt (Oder) und die Erneuerung der
nur noch im Schritttempo befahrbaren Oderbrücke ist mit er Löwenanteil für die Seehafen-Anschlüsse soll mit
164 Mrd. Euro* vorgesehen.
Ebenfalls vorangetrieben werden soll der mit der Tschechi-
schen Republik bereits im Juli 1995 vereinbarte Ausbau der
D 1,2 Mrd. Euro* allerdings in eine Neubaustrecke zwi-
schen Hamburg, Bremen und Hannover fließen. Damit
feiert die heftig diskutierte sogenannte Y-Trasse fröhliche
Strecke Berlin – Dresden: Hier sollen 266 Mrd. Euro* Urständ. Es ist jedoch fragwürdig, den Neubau einer Strecke
verwendet werden. Einer Neubewertung der Verbindung für eine Höchstgeschwindigkeit von 300 km/h mit den
Berlin – Dresden und einem effizienteren Ausbau der Strecke Bedürfnissen des Güterverkehrs zu begründen.
über Jüterbog – Falkenberg/Elster stehen solche Verträge aber Gegen diese Neubaustrecke, die durch sensible Gebiete zwi-
wohl im Weg oder sind zumindest ein ausreichender Vor- schen Rotenburg (Wümme) und Walsrode geführt werden soll,
wand, um nicht über die Verbindung Berlin – Dresden vorbe- regt sich vor allem aus den Kreisen der Naturschützer Wider-
haltlos neu nachdenken zu müssen. Dass das nur Stückwerk stand. Im Jahr 2005 wurde sie aus Geldknappheit auf Eis gelegt.
ist, bemerkt man nur, wenn man weiß, dass für den Ausbau Über die Hintergründe für das überraschende Vorziehen des
auf 200 km/h noch einmal 216 Mio. Euro* veranschlagt sind. Projekts ist wenig bekannt. Bestehendes Baurecht kann es
Und der Ausbau für 160 km/h wird noch fragwürdiger, seit- nicht sein, denn einen Planfeststellungsbeschluss gibt es noch
dem feststeht, dass die Dresdener Bahn von Süden nicht an nicht. Allerdings hat der Bundestag die Einspruchsrechte der
den Berliner Flughafen angebunden wird. Umweltschützer fast zeitgleich mit der Veröffentlichung des
Entgegen anders lautenden Aussagen von Kritikern steht auch IRP erheblich eingeschränkt.
die Zulaufstrecke zum Alpentransit von Karlsruhe nach Basel Sind die Hintergründe in der Unternehmenspolitik der DB
in der Investitionsliste zur Realisierung an. So ist für den zu suchen, die einen guten Draht zum Ministerium hat?
Ausbau der Strecke Karlsruhe – Offenburg ein Betrag von Hatte nicht die DB damit gedroht, ihren Sitz nach Hamburg
200 Mio. Euro* vorgesehen. Davon soll in erster Linie die zu verlagern? Wollte sich nicht die DB bei der Hamburger
Durchführung durch Rastatt gebaut werden. Südlich von Lagerhaus und Logistik Gesellschaft (HHLA) einkaufen?
Offenburg sollen 2,7 Mrd. Euro* investiert werden. Das Hamburg ist heute der Dreh- und Angelpunkt der Logistik-
ist fast so viel, wie für die Neubaustrecke Nürnberg – Erfurt geschäfte, die der DB Gewinn bringen. Bremen und Rostock
vorgesehen ist. Für den Anschluss nach Straßburg und Saar- sind für den DB-Konzern von erheblich geringerer Bedeu-
brücken sind 344 Mio. Euro* vorgesehen, damit sind aller- tung:
dings keine großen Sprünge zu machen. „Der Ausbau des Knotens Bremen und der Strecken Berlin –
Der Ausbau der Verbindung zur Betuwe-Linie zum nieder- Rostock und Berlin – Stralsund erfolgt im Rahmen der
ländischen Hafen Rotterdam soll mit 512 Mio. Euro* rea- Investitionsmittel zur Erhaltung des bestehenden Schie-
lisiert werden, für den Ausbau der Verbindung nach Aachen nennetzes.“
und zur belgischen Grenze sind nur noch Restarbeiten zu
finanzieren. ■ Nur Fliegen ist schöner
Flughafenanbindungen erscheinen der Bundesregierung ganz
■ Anbindung von See- und Flughäfen
wichtig.
Die Anbindung von Seehäfen hält die Bundesregierung für „Kurzflüge zwischen den Flughäfen lassen sich durch
wichtig: schnelle Eisenbahnverbindungen ersetzen. Der Hochge-
„Vor dem Hintergrund der außenhandelsorientierten deut- schwindigkeitsverkehr auf der Schienenverbindung Köln –
schen Volkswirtschaft und der großen regionalen und ge- Rhein/Main bestätigt das.“
samtwirtschaftlichen Bedeutung deutscher Seehäfen gilt Doch das Argument, das für Frankfurt recht ist, weil der Flug-
es, den maritimen Standort Deutschland und seine Export-/ hafen direkt an der Durchfahrtstrecke der ICE-Züge liegt und
Importdrehscheiben zu sichern und zu stärken. Seehäfen der Flughafen sozusagen „nebenbei“ bedient werden kann,
sind Schnittstellen des Land- und Seeverkehrs, sie sind zu- wird für Köln, Berlin und München zur Groteske. Am Flug-
gleich logistische Dienstleistungszentren und Umschlag- hafen in Köln ist die Durchfahrt des ICE möglich, aber davon
plätze für die Industriestandorte. Der gezielte Ausbau der wird nur dreimal täglich Gebrauch gemacht, und das nur zu
land- und seeseitigen Zufahrten der Seehäfen sowie deren nachtschlafender Zeit. In Berlin wird es auf absehbare Zeit gar
Verbindungen mit den Wirtschaftszentren und den Logis- keine Durchfahrtmöglichkeit geben. Und zum Münchener
tikdrehscheiben in Deutschland gehören deshalb zu den Flughafen wird man ohne Umsteigen gar nicht gelangen,
zentralen Feldern der deutschen Seehafenpolitik.“ denn dorthin soll die Magnetbahn fahren. Das ist natürlich im
IRP nicht nachzulesen:
Dafür sollen allein 2,2 Mrd. Euro* in die Schiene investiert
werden: *) Alle genannten Geldbeträge nennen die Gesamtkosten der
● 405 Mio. Euro* für die Elektrifizierung der Strecke Ham- Investition. Wie viel bis 2010 investiert wird, sagt der IRP
burg – Lübeck – Travemünde, nicht aus.
20 derFahrgast · 1/2007
Foto: DB
Thema
INVESTITIONSPLANUNG
national (BBI) genannt, schreibt der IRP: Potsdam und Magdeburg gibt es hingegen keine ICE-Züge,
„Zur Inbetriebnahme des BBI ist eine adäquate ver- und von Erfurt, Leipzig und Dresden gibt es gar keine direkte
kehrliche Anbindung über Schiene und Straße fertig Schienenverbindung.
zu stellen. So soll der BBI über einen unterirdischen Eine Einigung über die Anbindung des Berliner Flughafens
Flughafenbahnhof innerhalb des Terminals an das kam nämlich erst zustande, nachdem Hartmut Mehdorn
Ein Durchbruch: Mit der Neubaustrecke Frankfurt – Mannheim soll endlich begonnen werden.
In Goddelau-Erfelden muss ein Regionalexpress einem verspäteten ICE Platz machen.
derFahrgast · 1/2007 21
Alte Fehler betonieren
zusagte, ICE-Züge aus Richtung Westen würden zum Flug- die Industrie und die Bahnen ein einheitliches
hafen fahren. Nur ein integrierter Bahnkonzern kann wohl Europäisches Schienenverkehrs-Managementsys-
solche Geschenke machen, damit ihm Infrastrukturprojekte tem ERTMS mit den beiden Komponenten Zugsteue-
finanziert werden. Das Projekt eilt, denn zum Winterflugplan rung/Zugsicherung und Signalgebung ETCS und
2011 soll der neue Flughafen seinen Betrieb aufnehmen. Funkkommunikation GSM-R entwickelt GSM-R ist
bereits im Betrieb der Eisenbahnen eingeführt. In
Deutschland ist im konventionellen Eisenbahnsystem
■ Rhein-Main – Rhein-Neckar kommt endlich
mit der weiterentwickelten induktiven Zugsicherung
Die dringend notwendige Neubaustrecke im Anschluss an die ein dem System ETCS gleichwertiges System vorhan-
Neubaustrecken Hannover – Fulda und Köln – Frankfurt soll den. Deshalb ist für die Migration von ETCS im kon-
endlich begonnen werden. 1,3 Mrd. Euro* werden hierfür bis ventionellen Bereich wichtig, dass die Forderung
2010 angesetzt, der größte Anteil soll nach 2010 investiert nach Interoperabilität im transeuropäischen Verkehr
werden. gewährleistet werden kann, ohne das vorhandene
System generell umrüsten zu müssen. Hierzu verfolgt
die deutsche Migrationsstrategie ein Korridorkon-
■ Moderne Technologien
zept. Für das Hochgeschwindigkeitssystem sieht die
Der IRP enthält einige weitere Infrastrukturmaßnahmen als deutsche Migrationsstrategie mittel- bis langfristig
Förderung: den vollständigen Ersatz der Linienförmigen Zugbe-
● „Kombinierter Verkehr einflussung (LZB) vor.“
● Gleisanschlüsse Man wird auch hier früher oder später zur Kenntnis
● Verkehrslenkung und -leitung“ nehmen müssen, dass es integrierte Bahnkonzerne und
Wettbewerb nicht ohne ständige Konflikte um Diskri-
Nicht angesprochen wird dabei die Wettbewerbsneutralität minierung gibt.
der Förderungen. Bei Gleisanschlüssen ist es noch verständ-
lich, wenn die Förderung den Unternehmen zuteil wird, die ■ Transrapid außer Konkurrenz
die Anschlüsse für ihr Gewerbe benötigen. Auch beim „kom-
und Wettbewerb
binierten Verkehr“ können Anlagen anderer Unternehmen
gefördert werden. Problematisch wird die Sache aber bei der as Projekt des Transrapid zum Münchener Flug-
Verkehrslenkung der Eisenbahn:
„Auf der Basis einer abgeschlossenen Machbarkeitsstudie
arbeitet die DB AG derzeit an einer integrierten Informa-
D hafen ist selbstverständlich auch im IRP enthalten.
550 Mio. Euro* sind dafür vorgesehen, aber sie
stehen weder bei den Schienen- noch bei den Straßen-
tionskette und an der Systemkonfiguration. Zu den be- projekten. Wer also meint, dass das Geld für andere
trieblichen Maßnahmen gehören Schienenprojekte zur Verfügung steht, wenn das Trans-
● die Zusammenführung von rechnergesteuerter Zug- rapid-Projekt gekippt wird, erliegt einer Fehleinschät-
überwachung und Zuglaufverfolgung (RZÜ) und elek- zung. Bemerkenswert klar ist auch die Formulierung:
tronischer Stellwerkstechnik (ESTW) im Rahmen der „Die Deutsche Bahn AG wird das Projekt eigenwirt-
Betriebszentralen (BZ), schaftlich planen, realisieren und betreiben. Die
● der Elektronische Buchfahrplan, der dem Triebfahr- Finanzierung des Vorhabens erfolgt durch die DB AG
zeugführer die Strecken- und Fahrinformationen über und den Freistaat Bayern. Aufgrund der industrie-
einen Bildschirm liefert, und politischen Bedeutung will der Bund die Realisierung
● die Zugfahrsteuerung zur Optimierung von Fahrzeit und finanziell fördern. Derzeit sind bereits 550 Mio. € im
Energieverbrauch.“ Bundeshaushalt abgesichert.“
Es handelt sich also nicht um eine Infrastrukturförde-
Dass hier noch von der integrierten Bahn ausgegangen wird, rung, sondern um eine Beihilfe für ein Wirtschaftsunter-
die DB-Chef Mehdorn an die Börse bringen will, wird im nehmen – und ist daher ein Fremdkörper im Verkehrs-
nächsten Satz klar: haushalt.
„Die Verkehrslenkung und -leitung im Schienenverkehr Und: Die Tür zu weiteren Zusagen von Geld wird weit
gehört zu den unternehmerischen Aufgaben der Eisen- offengehalten, falls der Transrapid doch teurer werden
bahnen. In diesem Rahmen soll das zukunftsorientierte sollte.
Bahnleitsystem der DB AG unter Nutzung moderner Tele-
matiktechnologien der Weiterentwicklung des Betriebs-
führungssystems der Bahn dienen.“
Das ganze Dilemma der Börsengang-Diskussion wird hier
sichtbar: Einerseits soll Wettbewerb auf der Schiene möglich
sein, andererseits bestimmt ein Wettbewerber mit seiner
Marktmacht und dem Netzmonopol, wie Verkehrslenkung
bei den Wettbewerbern auszusehen hat. Das gilt nicht nur
national, sondern auch international: *) Alle genannten Geldbeträge nennen die Gesamtkosten der
„Zur Überwindung unterschiedlicher Zugsteuerungs- und Investition. Wie viel bis 2010 investiert wird, sagt der IRP
Zugsicherungssysteme in den EU-Mitgliedstaaten haben nicht aus.
22 derFahrgast · 1/2007
Fahrgast-Politik
Foto: Engel
Neubau und Prestige:
Grafik: DB AG
Stuttgart Hauptbahnhof (Foto oben): Wird die Verlegung der Gleise unter die Erde ein Traum bleiben?
Die Vision des Tunnelbahnhofs in künstlerischer Freiheit (unten): Züge nach Berlin und Tübingen können
nach den Plänen nicht am gleichen Bahnsteig abfahren.
derFahrgast · 1/2007 23
Kein Geld für „Stuttgart 21“?
Geheime Risiken übernommen, die sich aus sinken- dann auch an vielen Stellen zu lesen, dass an
Wirtschaftlichkeitsberechnung den Grundstückspreisen ergeben und die er- diesem „Schicksalstag für Baden-Würt-
warteten Erlöse aus dem Verkauf der frei temberg“ über die Einbindung in die euro-
rundlage der Entscheidung sollte eine werdenden Bahngrundstücke schmälern. päische Verkehrsinfrastruktur und damit
G aktualisierte Wirtschaftlichkeitsberech-
nung sein (zum Grund siehe Kasten:
„Die Knackpunkte der Finanzierung“), die
Außerdem wurde bekannt, dass die Verle-
gung des Abstellbahnhofs, die mit 150 Mio.
Euro zu Buche schlägt, nicht in den Gesamt-
über Zukunft des Landes entschieden werde.
Umso größer war die Enttäuschung der
Landespolitik, als vom Bund auch dieses
schon seit Langem angekündigt war, jedoch kosten enthalten ist und zusätzlich von der Mal kein grünes Licht für „Stuttgart 21“ ge-
bis heute nicht veröffentlicht wurde und nur DB übernommen werden muss. geben wurde. Verkehrsminister Tiefensee
den Verhandlungspartnern vorlag. Bekannt Die Landespolitik versuchte im Vorfeld, bezweifelte die Zahlen der Landesregierung
war nur, dass sich das Projekt von ursprüng- durch Bildung eines sogenannten „Unter- und erklärte, dass in der Wirtschaftlich-
lich 2,6 Mrd. Euro auf 2,8 Mrd. Euro ver- stützerkreises“, der aus Prominenten der keitsrechnung Beiträge von etwa 1,5 Mrd.
teuert hatte. Diese Lücke von 200 Mio. Euro Politik, der Industrie und der Gesellschaft Euro als nicht gesichert angesehen werden
konnte kurz vor dem Termin in Berlin sowie aus Vertretern der Presse bestand, eine müssten. Er hat nun eigene Experten mit
durch erneute finanzielle Zugeständnisse erneute Aufbruchsstimmung für dieses Pro- der Aufgabe betraut, die Finanzierung noch
von Land, Stadt und Region geschlossen jekt zu schaffen, das immer wieder verscho- einmal kritisch zu prüfen und dabei auch
werden (siehe Tabelle „Finanzierungsplan“). ben worden war und an das viele nicht mehr mögliche Risiken für Kostensteigerungen
Die Stadt Stuttgart hat dabei zusätzliche so recht glauben wollten. In der Presse war aufzudecken.
1) tatsächlich Bundesmittel, über die das Land verfügt Dieser Traum ist ausgeträumt: Der Zeitplan hing
2) von Bund und Land finanzierte Gemeinschaftsaufgabe
3) Risikoübernahme für verringerte Grundstückserlöse noch Ende 2004 in der Informationsausstellung
4) als Aufgabenträger für die S-Bahn im Turm des Stuttgarter Hauptbahnhofs aus.
24 derFahrgast · 1/2007
Fahrgast-Politik
derFahrgast · 1/2007 25
Kein Geld für „Stuttgart 21“?
gart und der DB AG gelten, bei dem die Kostenrisiken beherrschbar? entwurf „Kopfbahnhof 21“ mithilfe des
Stadt für die später zu überbauenden modernen Simulationsprogramms „RailSys“
Flächen 459 Mio. Euro gezahlt hat. Im Fall Die Kostenrisiken betreffen in erster Linie vergleicht und dabei höhere Leistungsreser-
des Baus könnte eine privatisierte Trans- Befürchtungen, dass „Stuttgart 21“ und die ven für „Stuttgart 21“ ermittelt. Allerdings
portgesellschaft der DB also nicht über Neubaustrecke noch wesentlich teurer wer- konnte das Betriebsprogramm mit 35 Zügen
dieses Geld verfügen und müsste es um- den könnten als in der aktuellen Kosten- pro Stunde mit beiden Entwürfen bewältigt
gekehrt im Fall des Scheiterns auch nicht schätzung angenommen. Als Kostenrisiko werden. Für die Simulation im Auftrag der
zurückzahlen. Ministerpräsident Oettinger gelten vor allem das 33 km lange Tunnelsys- DB Projektbau wurden Annahmen für Hal-
hat sich in letzter Zeit wohl auch deshalb tem der Zulaufstrecken zum Tiefbahnhof, tezeiten gemacht, die auf der Richtlinie
besonders stark für einen integrierten Bör- bei dem Probleme mit den Mineralwasser- 405.0102 der DB beruhen, die jedoch nach
sengang der Bahn ausgesprochen. quellen auftreten könnten, und der Albauf- Meinung der Kritiker in Stuttgart nicht an-
stieg, bei dem mit geologischen Schwierig- gewendet werden können, weil hier der Ziel-
keiten gerechnet werden muss. Die Kosten und Quellverkehr gegenüber den durchfah-
Wird der Osten bevorzugt?
der vom Land angebotenen Vorfinanzie- renden Reisenden dominiert. Während bei
ür die erneute Verschiebung von rung könnten sich dann auf über eine „Stuttgart 21“ für den Fernverkehr 2,2 Mi-
26 derFahrgast · 1/2007
Thema
derFahrgast · 1/2007 27
Kein Geld für „Stuttgart 21“?
➔ bahnhof ab und nimmt daher Kompromisse in Kauf (z. B. sichtbar die Kapazität des Gleisvorfelds und erfordern Kompromisse bei
an einem eingleisigen Abschnitt der Zufahrt zur Gäubahn). Der der Gleislage der Streckengleise. Ein seriöser Vergleich muss
Vergleich mit einem erheblich teureren Tunnelbahnhofprojekt ist Kapazität und Kosten im Verhältnis zueinander beurteilen. Eine
daher nicht seriös. Anfechtbar sind auch die zugrunde gelegten unabhängige und belastbare Kostenschätzung für den Umbau
Haltezeiten im Tunnelbahnhof, die für ICE-Züge im Tunnelbahn- des Kopfbahnhofs liegt aber bis heute nicht vor.
hof mit nur 2,2 Minuten, für Regionalzüge mit nur 1 Minute ange- Der Entwurf von Jung (siehe Vorseite) vermeidet diese Kapazitäts-
geben werden. Bei Regionalzügen findet ein fast vollständiger bremsen und führt zu wesentlich geringeren Umbaukosten des
Fahrgasttausch statt. Alle großen Durchgangsbahnhöfe wie z. B. Kopfbahnhofs bei kürzerer Bauzeit, weil große Flächen frei werden.
Köln Hbf erfordern längere Haltezeiten zum Fahrgastwechsel. Das Gutachten von Martin beweist also nicht, dass der Kopf-
Die relativ schlechte Beurteilung des Kopfbahnhof-Entwurfs bahnhof an sich unterlegen ist – das Gegenteil ist der Fall, wie die
beruht auch darauf, dass der überprüfte Entwurf den Erhalt des Berechnungen in derFahrgast 1/05 Seite 28 f. beweisen.
Abstellbahnhofs zugrunde legt. Rangierfahrten dorthin belasten Die Redaktion
was aber bisher in allen Publikationen ver- Deshalb hat sich die Bahn auch vorbehalten, wichtige Infrastrukturprojekte auf Eis liegen,
schwiegen wird. erst nach Abschluss aller Planfeststellungsab- weil die vorhandenen knappen Gelder auf
schnitte eine endgültige Entscheidung über das Projekt „Stuttgart 21“ fixiert werden. Der
das Gesamtprojekt zu treffen. Ausbau von Gäu- und Südbahn sowie die
Planfeststellung
Zweigleisigkeit der Linie Heilbronn – Würz-
nicht abgeschlossen
burg sind einige landesweit bekannte Projekte.
In den Regionen wächst
ine Entscheidung für „Stuttgart 21“ zum Genauso sind lokal zusätzliche Gleisverbin-
28 derFahrgast · 1/2007
Fahrgast-Politik
21“ sowie die Kosten für die Alternativen Schritt für Schritt zum Hochleistungsbahnhof für Stuttgart
„Kopfbahnhof 21“ und W-Fall nochmals
überprüfen. Die DB hat bereits erklärt, dass Streckenabschnitt setzt voraus
nach ihrer Schätzung die Kosten der Alter-
Etappe 1 NBS Wendlingen – Ulm keine
nativen mit 2,55 Mrd. Euro bzw. 1,4 Mrd.
Euro zwar geringer seien als die 2,8 Mrd. Etappe 2a NBS (Stg –) Mettingen – Flughafen (S-Bahn) keine
Euro für „Stuttgart 21“ (Stuttgarter Zeitung Etappe 2b NBS Flughafen – Wendlingen Etappe 1 und 2a
vom 25.10.06), dass aber diese Lösungen Etappe 2c Rohrer Kurve Etappe 2a
nicht die gleiche Leistungsfähigkeit aufwei- Etappe 3a Auslagerung Abstellbahnhof keine
sen würden. Sowohl die DB als auch die an-
Etappe 3b S-Bahn Hp Mittnachtstraße keine
deren Partner sind bestrebt, „Stuttgart 21“
nur Feuerbach – Hauptbahnhof
als zwar teuer, aber alternativlos darzustellen.
Etappe 3c S-Bahn Cannstatt – Mittnachtstraße Etappen 3a
Etappe 3d Neustrukturierung Kopfbahnhof Etappen 3a, 3b, 3c
In Etappen bauen macht die
Etappe 4 Güterkurve Kornwestheim Gbf keine
Finanzierung möglich
Richtung Schorndorf – Aalen
in wichtiger Aspekt bei der Finanzie-
derFahrgast · 1/2007 29
Kein Geld für „Stuttgart 21“?
und München verkehren. Hierzu wären Wendlingen besteht keine Abhängigkeit. projekte gleichzeitig zu verwirklichen. Es
neben der genannten Kurve laut früherer Sogar eine zunächst nur bis zum Flughafen könnte sich dann herausstellen, dass z. B.
DB-Untersuchungen lediglich Ausbauten reichende Stichstrecke oder nur die Anbin- mit der Neubaustrecke Rhein/Main –
an einigen Kreuzungsbahnhöfen zwischen dung in Richtung Gäubahn würde sinnvoll Rhein/Neckar bei geringeren Baukosten
Aalen und Donauwörth notwendig. genutzt werden können (beim Flughafen wesentlich größere Verbesserungen im ge-
Für die zweite Etappe sollten angesichts der Berlin geht man genauso vor). Der Umbau samten Schnellbahnnetz erzielt werden als
Kostenentwicklung noch einmal kosten- des Kopfbahnhofs wiederum ließe sich in mit „Stuttgart 21“. Ebenfalls kann die
günstigere Alternativen für eine Einbindung mehrere Abschnitte teilen: zuerst die Aus- Fahrzeit im Korridor Stuttgart – München
der Neubaustrecke in den Knoten Stuttgart lagerung des Abstellbahnhofs, dann der auch durch kostengünstige Ausbauten zwi-
und eine Anbindung von Flughafen und Neubau der S-Bahn-Zuführung von Cann- schen Neu-Ulm und Dinkelscherben spür-
Messe an den Fernverkehr geprüft werden. statt zum Hauptbahnhof und schließlich der bar reduziert werden. Gleichzeitig muss
Ob die Strecke Wendlingen – Ulm vorher Umbau des Gleisvorfeldes selbst. In kleinen, durch Definition entsprechender Prioritä-
oder gleichzeitig neu gebaut wird: Der Tun- finanzierbaren Schritten käme man so ten wieder Geld für Investitionen in Regio-
nelbahnhof „Stuttgart 21“ bleibt das 2,8 zum Ziel einer leistungsfähigen und schnel- nalstrecken zur Verfügung stehen. Wegen
Mrd. Euro teure Projekt, das aus einem Guss len Anbindung Stuttgarts an das Hochge- fehlender Finanzierungszusage seitens des
fertig werden müsste. Die Ertüchtigung schwindigkeitsnetz. Landes und der DB liegen hier seit einigen
des Kopfbahnhofs würde hingegen eine Daher sollte zunächst eine Prioritätenliste Jahren praktisch alle Projekte auf Eis,
Entkoppelung bedeuten: Zwischen der der verschiedenen konkurrierenden Vor- obwohl sie für einen pünktlicheren und
Modernisierung des Kopfbahnhofs und der haben erstellt werden, denn es erscheint aus schnelleren Zugverkehr dringend erforder-
Neubaustrecke Mettingen – Denkendorf – heutiger Sicht nicht möglich, alle Verkehrs- lich wären.
Der Kommentar:
Kopfbahnhof 21 oder gar nichts?
Das Projekt „Stuttgart 21“ krankt daran, dass es keine breit ange- wird nicht berücksichtigt. Dass Fahrgäste es binnen drei Minuten
legte fachwissenschaftliche Diskussion über die diversen Aspekte schaffen, ebenerdig einen Anschlusszug zu erreichen, wird gar
des Vorhabens und vor allem über Alternativen gab. Getragen wur- nicht erst erwähnt.
de das Projekt von einer städtebaulichen Vision, und die Deutsche Wären Rampen für „Stuttgart 21“ vorgesehen und mindestens zehn
Bahn witterte das Geschäft, aus dem Verkauf der frei werdenden Bahnsteiggleise, so wären die Bedenken aus Sicht der Fahrgäste
Grundstücke einen nagelneuen Bahnhof finanzieren zu können. gegenüber dem Projekt sehr viel geringer. Aber diesen Luxus wollte
Die Argumente der Gegenseite reichten von Umweltschutz- bis zu man sich mit Rücksicht auf die damit erhöhten Kosten nicht leisten.
gesellschaftskritischen Einwänden. Die Debatte wurde dadurch Warum muss die Fahrzeit von Stuttgart zum Flughafen verkürzt
nicht gerade versachlicht, die fachliche Auseinandersetzung blieb werden, wenn dann der Weg vom Bahnsteig zum Terminal 5 Minu-
auf der Strecke, obwohl die Kritiker von Anfang an mit seriösen ten beträgt? Mit einer beiderseitigen Anbindung nach dem Vor-
Konzepten argumentierten. schlag von Arnoldi [2] wäre der S-Bahnhof unter dem Terminal
Für den Durchgangsbahnhof wurde mit 2,5 zu 1 ein abenteuerlich direkt von Mannheim, München und Zürich erreichbar, und der
hohes Nutzen-Kosten-Verhältnis errechnet. Die Berechnung be- Fahrgast wäre genauso schnell am Abflugschalter.
ruht auf fragwürdigen und überholten Annahmen. Warum bleibt es All diese Fragen fechten die Befürworter des Vorhabens nicht an.
umstrittenen Kritikern wie Martin Vieregg [1] vorbehalten, auf diese Sie machen sogar den Bau der Neubaustrecke über die Alb von
Zusammenhänge hinzuweisen? der Verwirklichung des Tunnelbahnhofs abhängig.
Ein groß angekündigtes Wirtschaftlichkeitsgutachten ist zwar fertig, Der Erfinder des „Stuttgart 21“-Projekts, Professor Heimerl [3], hält
aber geheim – warum? Warum prüft ein Professor einen Kopfbahn- von einer Zerlegung des Vorhabens in mehrere Etappen nichts.
hof-Entwurf, der auf Sparsamkeit ausgelegt ist, um festzustellen, Seiner Meinung nach hätte eine vorgezogene Neubaustrecke kei-
dass er gegenüber dem weit teureren Tunnelbahnhof unterlegen nen Sinn, wenn „Stuttgart 21“ nicht zugleich zeitnah und verbind-
ist? Warum geht er nicht daran, den Entwurf zu verbessern, nach- lich zugesichert wird. Die Devise: „Alles oder nichts“ hat bisher
dem er die Mängel erkannt hat? zum „Nichts“ geführt. Alles deutet darauf hin, dass es dabei bleibt,
Warum spielen Fahrgäste und ihre Bedürfnisse bei der Beurteilung wenn die Stuttgarter Landesregierung nicht einlenkt.
des Projekts keine Rolle? Die Leistungsfähigkeit des achtgleisigen Es nimmt nicht Wunder, dass Minister Tiefensee vorerst „Nein“
Tunnelbahnhofs wird nur betriebswissenschaftlich betrachtet. zum Projekt „Stuttgart 21“ sagt.
Volkhard Jung
Für den Durchgangsbahnhof von „Stuttgart 21“ wird die Durchlass-
fähigkeit für Züge nur mit stochastischen Methoden über die Gam-
ma-Funktion berechnet. Fahrgäste mit Rollkoffern, Kinderwagen,
Fahrrädern und Rollstühlen wissen ebenerdiges Gehen zu schät-
zen. Im Tunnelbahnhof heißt es aber, über Treppen, Rolltreppen
literatur
➔ [1] Vieregg, M.: Was leistet die Standardisierte Bewertung?
in: 24. Horber Schienen-Tage 2006, Tagungsband I,
oder Aufzüge umzusteigen. Bad Endorf 2006, S. 41-49.
Hat denn einmal jemand berechnet, um welchen Prozentsatz die ➔ [2] Kopfbahnhof 21, Herausgeber BUND und VCD,
Nachfrage sinkt, wenn Anschlüsse nicht oder nicht sicher gewährt Stuttgart 2006, S. 16.
werden können? Dass eine Anschlusssicherung im Kopfbahnhof ➔ [3] Heimerl, G.: Wichtig für Europa-Magistrale Paris – Bratislawa.
viel flexibler und leichter möglich ist als im Durchgangsbahnhof, Internationales Verkehrswesen (IV) 58 (2006) H. 7/8, S. 361-362.
30 derFahrgast · 1/2007
Thema
Verkehrsplanung:
Foto: AKN
Foto: Horst Metzger
Foto: Frank Bachmann
derFahrgast · 1/2006 9
Bauen, wo es nötig ist
➔ regierung – diese Aussage findet sich immer wieder. Nur wie ■ Monopol statt Ideenwettbewerb
soll das geschehen? Dafür fehlt bisher ein schlüssiges Kon-
zept – sowohl bei den Bundesregierungen wie bei der Deut- Während es im Bereich der Architektur bei teuren oder an-
schen Bahn AG. spruchsvollen Projekten heute üblich ist, einen Ideenwett-
Schaut man in die Details der Verkehrsplanung, dann wer- bewerb voranzustellen, der mehr Perspektiven eröffnet, als
den deren Ziele schnell zu Leerformeln und andere Priori- die staatlichen Planer entwickeln können, ist bei den teuren
täten bekommen Oberhand. Denn von den Projekten, die Eisenbahnprojekten ein Wettbewerb der guten Ideen ausge-
in die Verkehrsplanung des Bundes aufgenommen werden, schlossen. Wie der Bundesverkehrswegeplan mit der Auflis-
kann nur ein Bruchteil finanziert werden. Ob ein Verkehrs- tung einzelner Bahnlinien zeigt, ist nur eine Idee richtig.
projekt realisiert wird, hängt von zwei Faktoren ab, nämlich Weder das Raumordnungsverfahren noch die Diskussion
● ob das Verkehrsprojekt überhaupt in die Planung aufge- einzelner Alternativen zur Linienführung im Planfeststel-
nommen wird und lungsverfahren können die vorangegangenen Festlegungen
● ob es in den finanzierbaren Bedarf aufgenommen wird. durchbrechen. Beispielsweise wäre es sinnvoll gewesen,
Dabei kommen nicht die Ziele der Verkehrspolitik, sondern einen Ideenwettbewerb mit dem Ziel „Schnellverbindung
ganz andere Dinge zum Tragen. Bei den Straßenbauten zwischen Leipzig/Erfurt einerseits und Nürnberg/München
fällen die Parlamentarier diese Entscheidungen sehr effizient andererseits“ aufzulegen. Er hätte wahrscheinlich andere
nach der Methode: „Bist du für meine Autobahn, dann bin Ergebnisse erbracht als die voreilige Festlegung der Route
ich für deine Autobahn“. Beim Schienenverkehr hingegen „Leipzig – Erfurt – Nürnberg – München“.
ist es das einzige große Verkehrs- und Infrastrukturunter- Ein Ideenwettbewerb würde auch von der Festlegung befrei-
nehmen, das die Richtung bestimmt. en, dass die „Bundesverkehrswege“ identisch sind mit den
„Schienen der Deutschen Bahn AG“. Die Definition eines
Ziels „Mehr Kapazität über die Elbe im Skandinavienver-
Fehler beim Ausbau des Schienen- kehr“ würde alle Möglichkeiten des Ausbaus zwischen Ham-
burg und Lüneburg einerseits und Neumünster und Lübeck
netzes werden damit bestraft, dass andererseits offenlegen. Stattdessen wird über das dritte und
vierte Gleis südlich Elmshorn diskutiert und die Elektrifizie-
der Verkehr nicht auf die Schiene rung von Hamburg nach Lübeck verwirklicht.
verlagert wird.
■ Fehler, in Beton gegossen
Die fragwürdigen Prioritäten, die auf die Kombination einer
■ Planung aus der Froschperspektive
Monokultur der Planung durch ein einziges Verkehrsunter-
ie Sichtweise der Probleme hängt immer vom Stand- nehmen und der einseitigen Fixierung der Politik auf Presti-
10 derFahrgast · 1/2006
Thema
Foto: DB/Wagner
Die Neubaustrecke Köln – Frankfurt ist fertig: Logebachtalbrücke bei Ittenbach. Andere Projekte
warten auf dringende Realisierung. Doch die Prioritäten werden nicht richtig gesetzt.
N E U B A U S T R E C K E N
Betrachtung von Kosten und Nutzen einerseits und eine rungsplan (2). Um ein altes Sprichwort zu zitieren: Noch
ebenso nüchterne Berücksichtigung regionaler Interessen ist Polen nicht verloren, aber wenn die Politik nicht bald
andererseits kann in der Politik Wirkung zeigen und grobe die Prioritäten neu setzt, könnte der Schienenverkehr nach
Fehlentscheidungen verhindern. Polen bald verloren sein.
derFahrgast · 1/2006 11
Bauen, wo es nötig ist
Züge aber weiter nach Norden fahren, so ist Hamburg ein wichtigste Verbindung von Berlin zur Insel Usedom an der
einzigartiges Nadelöhr. Vor allem in Richtung Neumünster Ostseeküste. Der schnellste Zug schaffte die Strecke in etwas
und zum Anschluss an die feste Schienenverbindung über mehr als zweieinhalb Stunden. Heute benötigt man nach
den Großen Belt nach Skandinavien ist die Verbindungs- Usedom über die Wolgaster Brücke vier Stunden.
bahn zwischen Hauptbahnhof und Altona schon heute Die Verbindung wurde 2003 in den Bundesverkehrswege-
derart überlastet, dass sich die Nord-Ostsee-Bahn, die AKN plan aufgenommen. Dort ist vermerkt: „Die Dringlichkeit
und die Deutsche Bahn um die knappen Trassen im Perso- der Maßnahme muss im Rahmen weiterführender Unter-
nenverkehr rangeln. suchungen auch unter Einsatz von EU-Strukturfondsmit-
Für den Güterverkehr besteht noch eine Umgehungsstrecke teln in Abstimmung mit dem Land Mecklenburg-Vorpom-
am Hauptbahnhof vorbei, aber sie ist nur eingleisig und mern noch abschließend geklärt werden.“ Welchen Stand
kann gerade 15 Zugpaare aufnehmen – weniger als die diese Abstimmung hat, ist nicht bekannt, aber es dürften in
Hälfte der derzeit verkehrenden Güterzüge (3). Kürze EU-Mittel verfügbar sein, die im deutsch-polnischen
Zwar könnte die Verbindungsbahn noch etwas mehr leis- Grenzraum verwendet werden könnten. Meist kommt eine
ten, wenn der Hamburger Hauptbahnhof nicht durch man- solche Förderung so schnell nicht wieder und damit auch
gelhafte Zusammenarbeit der Besteller des Nahverkehrs nicht die Chance, das Projekt zu verwirklichen.
hoffnungslos verstopft wäre, und auch eine bessere Betriebs-
abwicklung brächte noch etwas (4). Aber die bisherigen ■ Lobby für mehr Schiene
Ansätze zur Beseitigung des Engpasses verdienen diese Be-
zeichnung nicht. Der in früheren Planungen enthaltene ährend für den Straßenverkehr die Dringlichkeit zu
Ausbau der Bahnlinie Bad Oldesloe – Neumünster beseitigt
die im Hamburger Stadtgebiet liegenden Engpässe genauso
wenig wie der Bau weiterer Gleise zwischen Pinneberg und
W lösender Probleme durch die täglichen Verkehrsstaus
auf den Autobahnen und die Klagen der Anwohner
über zu viel Lärm an den Bundesstraßen augenfällig werden,
Elmshorn. gibt es auf der Schiene keinen Stau – oder jedenfalls keinen,
Erst die Einbeziehung der nicht bundeseigenen Gleise der den man sehen kann.
AKN und die Betrachtung des Raums bis Hannover würden Zwar war schon immer bekannt, dass es Engpässe gibt, aber
den Weg frei machen für unkonventionelle Lösungsansätze die Einzelheiten sind mehr ein Insiderwissen, das bei der
wie den „Schienenflieger“ (siehe Seite 27 in dieser Ausgabe) Deutschen Bahn AG konzentriert ist. Nur fallweise kommt
oder die Einbeziehung der Heidebahn und der Strecken der davon etwas ans Licht der breiteren politischen Öffentlich-
Osthannoverschen Eisenbahn um Soltau in Güterverkehrs- keit, zum Beispiel durch die Arbeit des Fahrgastverbandes
konzepte (5). Doch es ist bereits unglaublich schwierig, PRO BAHN und durch diese Zeitschrift. Es ist ein Phäno-
solche alternativen Gedanken bis an eine intensive verglei- men, das die Bahnreform von 1994 geschaffen hat und
chende gutachtliche Betrachtung zu bringen. das ein Jahrzehnt später immer noch bestaunt wird, dass
neuerdings weitere Interessengruppen über solche Engpässe
■ Billiger nach Dresden reden: die Aufgabenträger des Schienenpersonennahver-
kehrs und die Wettbewerber der Deutschen Bahn AG im
Einen anderen Fall verkrusteten Planungsdenkens be- Güterverkehr und im Gefolge davon jetzt auch die verladen-
schreibt Sven Andersen (6) mit dem Ausbau einer Hochge- de Wirtschaft.
schwindigkeitsstrecke von Berlin nach Dresden. Bisher wird Noch werden die Forderungen dieser neuen Lobbyisten
immer noch der Wiederaufbau der „Dresdener Bahn“ durch für die Schiene nicht wirksam, denn zu übermächtig ist die
das Berliner Stadtgebiet favorisiert und damit die Ertüchti- Dominanz des marktbeherrschenden Verkehrsunterneh-
gung der klassischen Route über Elsterwerda. Andersen mens. Aber ganz langsam kommt Bewegung in die öffent-
schlägt stattdessen vor, die ICE-Strecken Berlin – Leipzig liche Diskussion.
und Leipzig – Dresden zu nutzen und die ebenfalls dazwi-
schen bestehende, bereits elektrifizierte Strecke von Jüterbog ■ Vorausschau statt Nachsehen
über Falkenberg nach Riesa auf den hohen Stand einer
Hochgeschwindigkeitsstrecke zu bringen. Dass diese Alter- Während Straßenbauten von staatlichen Behörden geplant
native, mit der Millionen eingespart werden könnten, bisher werden, die keiner Wirtschaftlichkeitskontrolle unterliegen,
nicht bedacht wurde, liegt an der Methode des Bundesver- liegt die Planung von Bahnbauten in der Hand eines börsen-
kehrswegeplans. Dort werden auszubauende Strecken auf- orientierten Unternehmens. Dass ein solches Unternehmen
gelistet – das dahinter stehende Ziel, zum Beispiel Berlin und nicht auf Vorrat plant, hätte man eigentlich bereits bei
Dresden mit einer Schnellverbindung auszustatten, fehlt der Bahnreform wissen müssen. Sobald die Mittel für den
hingegen in den politischen Aussagen. Bahnbau gekürzt werden, werden auch die Planer entlassen
und die Verträge mit den Planungsbüros gekündigt. Fach-
kunde, die für den Bahnbau nötig ist, geht verloren. Und
■ Schneller nach Usedom
wenn dann wirklich wieder einmal Geld da ist, kann es
Seit dem 29. April 1945 steht die Hubbrücke bei Karnin nicht ausgegeben werden, weil keine Pläne in den Schub-
funktionslos mitten in der Peene, nachdem die festen laden sind. Die Rückgabe von 450 Millionen Euro Investi-
Brückenüberbauten gesprengt wurden. Seit 1990 steht der tionsmitteln im laufenden Jahr ist ein trauriger Höhepunkt
Torso unter Denkmalschutz. Vorher war die bereits 1876 in dieser Entwicklung. So hat der Schienenverkehr das
eröffnete Bahnlinie von Ducherow nach Swinemünde die Nachsehen.
12 derFahrgast · 1/2006
Thema
Foto: Frank Bachmann
N E U B A U S T R E C K E N
■ Ohne Masterplan geht es nicht Mit ihren Bedürfnissen steht die verladende Wirtschaft
durchaus in Konkurrenz, denn Reisezüge bremsen die Gü-
inen Masterplan für die Schiene fordert der Fahrgast- terzüge aus. Doch die Probleme sind lösbar – nur nicht mit
derFahrgast · 1/2006 13
Thema
N E U B A U S T R E C K E N
dieser Strecke allerdings nur zwischen 70 und 150 km/h und tebauliche Ziele verfolgt und die Erschließung des Flug-
sie sind durch einen Ausbau auf der vorhandenen Trasse auch hafens, der neu entstehenden Messe sowie der Filderregion
nicht wesentlich zu steigern. Selbst der ICE 3 kann die 94 km werden verbessert, während die Verkürzung der Reisezeiten
lange Strecke nicht schneller als in 54 Minuten zurücklegen, fast nur durch die Neubaustrecke entstehen kann. Bis jetzt
was im Hinblick auf die gut ausgebaute Autobahn A8 zu lang- hat diese Taktik zu einer jahrelangen Verzögerung der
sam ist, um gegenüber dem Pkw konkurrenzfähig zu sein. Schnellbahnstrecke nach Ulm geführt, wobei die Finan-
zierungsperspektive immer unsicherer wurde. Inzwischen
■ 20 Jahre diskutiert haben sich die Kosten allein für den Abschnitt Wendlingen –
Ulm von ursprünglich 1,5 Mrd. Euro um 525 Mio. Euro auf
Seit über 20 Jahren wird deshalb über eine Neubaustrecke über 2 Mrd. Euro erhöht. Da der Bund diese Strecke nicht
zwischen Stuttgart und Ulm diskutiert. Diese sollte zunächst vor dem Jahr 2011 finanzieren kann, hat das Land Baden-
weiterhin durch das Filstal und dann in einem 23 km langen Württemberg wegen ihrer großen Bedeutung für die Ent-
Tunnel auf die Schwäbische Alb führen. Im Jahr 1992 ent- wicklung des Landes eine Vorfinanzierung angeboten und
schied sich die DB für eine neue Trasse, die bereits bei Esslin- hofft auch auf europäische Fördergelder, da die Strecke ein
gen von der alten Strecke abzweigen und in einem Tunnel zentraler Teil der europäischen „Magistrale Paris – Buda-
auf die Filderhochfläche führen sollte, um dann parallel zur pest“ ist. Ob das Gesamtprojekt verwirklicht werden kann,
Autobahn A8 über die Schwäbische Alb Ulm zu erreichen. hängt nun vom Ergebnis einer Wirtschaftlichkeitsberech-
Aus diesem Vorschlag entwickelte sich schließlich das Pro- nung, die im Sommer 2005 fertig gestellt sein sollte, aber
jekt „Stuttgart 21“, das eine Umwandlung des Stuttgarter zum Redaktionsschluss immer noch nicht vorliegt, sowie
Bahnhofs in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof vor- von weiteren finanziellen Zugeständnissen durch Land und
sieht, von dem aus der Stuttgarter Flughafen und die Auto- Stadt ab.
bahn nach Ulm durch einem Tunnel erreicht werden. Die Dieses Projekt ist ein Musterbeispiel dafür, wie politische
Neubaustrecke und das Bahnhofsprojekt werden dabei als Einflussnahme auf die Streckenplanung der Bahn zu sub-
untrennbare Einheit dargestellt. optimalen Gesamtergebnissen führen kann, denn inzwi-
schen ist klar, dass auf anderen Teilstücken dieser „Magis-
trale“ aus Geldmangel auf absehbare Zeit überhaupt keine
■ Hemmschuh Tunnelbahnhof
Ausbaumaßnahmen realisiert werden können. So wurde bei-
Diese Verknüpfung ist allerdings ein gewagtes Spiel um spielsweise der vorgesehene Ausbau der Strecke zwischen
„alles oder nichts“, das von fast allen politischen Kräften in Neu-Ulm und Augsburg gestrichen, obwohl hier mit gerin-
derFahrgast · 1/2006 17
Prioritäten richtig setzen
18 derFahrgast · 1/2006
Thema
Privates Schienennetz:
Staat im Wissensnotstand
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P R I VAT E S S C H I E N E N N E T Z
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➢ Durch ein privatisiertes Schienennetz gerät der Die Schatten im Bild werden kaum wahrgenommen. Das
Staat in einen Wissens- und Planungsnotstand und Desaster mit den Neigetechnikfahrzeugen, herunterge-
wird abhängig von den Informationen eines nicht kommene Nebenbahnen und immer noch nicht reno-
staatlich kontrollierten Monopolisten. vierte Bahnhöfe, marode Strecken für die Güterbahn. Sie wer-
Der Staat – das sind wir, die Bürger, die Fahrgäste den überstrahlt durch Bügelbauten am neuen Hauptbahnhof
und die verladenden Unternehmen. Der Staat – das in Berlin oder die Vision eines vergrabenen Bahnhofs in Stutt-
sind die Institutionen, die für uns das Schienennetz gart. Das Unternehmen Deutsche Bahn AG nähert sich im-
leistungsfähig machen sollen: die Aufgabenträger, mer mehr einer „schwarzen Null“. Alles in Ordnung?
die Ministerien, die Parlamente. Und auch Bahn- Keineswegs. Dass das Schienennetz ohne staatliche Mittel
industrie, Wissenschaft und Gerichtsbarkeit werden und Aufträge für den Nahverkehr nicht unterhalten werden
Opfer der Manipulation durch ein Schienennetz in kann, steht außer Frage. Dass die Langlebigkeit der Infra-
privater Hand. Diese gefährliche Entwicklung ist struktur Schiene mit Nutzungszeiten von bis zu 100 Jahren
bereits in vollem Gange. die Möglichkeiten unternehmerischer Kalkulation weit über-
steigt, ist bei Betriebswirten eine Binsenweisheit. Da diese
beiden Grundkenntnisse mit der Bahnreform 1994 missach-
tet wurden, entwickelt sich langsam, aber sicher eine Schief-
GEFÄHRDET?
lage der Entwicklung des Eisenbahnwesens. Und der Staat
lles in Ordnung: Die Sicherheit des Schienennetzes ist kann sie nicht korrigieren, weil die notwendigen Informatio-
GEFÄHRDET:
dukte her. So lauten die Aussagen aus den verschiedensten
Quellen. In der Tat: Die Bahnreform von 1994 und die star- Die Unabhängigkeit der Gerichte
ken Impulse zur Entwicklung des städtischen Nahverkehrs Die deutschen Gerichte arbeiten – so sieht es jedenfalls
in den 90er Jahren haben einen Innovationsschub gebracht, der Deutsche Richterbund – mit großer Kompetenz, im
der den deutschen Schienenverkehr aus der Rolle des internationalen Vergleich sehr schnell und dennoch kosten-
Aschenputtels erlöst und zum weltweit geachteten Vorzeige- günstig und vor allem mit einem Selbstverständnis, das
stück gemacht hat. Unabhängigkeit garantiert.
derFahrgast · 4/2005 5
Staat im Wissensnotstand
Nur dann und wann haben Richter mit „Eisenbahn“ zu tun. tut der Technischen Hochschule Aachen kamen von der DB.
Wie immer, wenn sich Richter technischen Sachverstand be- Das Institut für Eisenbahn- und Verkehrswesen/Verkehrs-
schaffen müssen, greifen sie auf Sachverständige zurück. wissenschaftliches Institut Stuttgart nennt auf seiner Inter-
Sachverständige von Unternehmen zu beauftragen, die am netseite 35 Aufträge, von denen zehn von der DB kommen.
Rechtsstreit beteiligt sind, verbietet sich von selbst – und je Wie groß die mit den Aufträgen zusammenhängenden
größer ein marktbeherrschender Konzern wie die Deutsche Finanzsummen sind, lässt sich aus diesen Angaben zwar nicht
Bahn AG ist, um so weniger fachkompetente Leute bleiben erschließen, aber das Gewicht des Auftraggebers Deutsche
übrig, die nicht dort arbeiten. Bahn AG ist doch sehr erheblich. Bei anderen Universitäten
Im Bereich des Ingenieurbaus und der Technik können die dürfte die Situation nicht wesentlich anders aussehen.
Gerichte noch auf eine ganze Reihe von Sachverständigen Das war auch zu Zeiten der Deutschen Bundesbahn nicht
zurückgreifen, die vom Eisenbahnbundesamt zugelassen oder anders. Aber die Bundesbahn war eine Behördenbahn, und
von den Industrie- und Handelskammern vereidigt sind. Aller- Beamte waren und sind zur Objektivität verpflichtet. Die
dings sind nicht wenige davon bei der DB selbst tätig oder bei Deutsche Bahn AG ist hingegen ein Unternehmen, das nur
Unternehmen beschäftigt, die in wirtschaftlichen Beziehungen ihren eigenen Gewinninteressen verpflichtet ist. Wer sich
zur DB stehen oder bei Universitäten, die ebenfalls in erhebli- den Vorgaben des Vorstands widersetzt, setzt sich der Gefahr
chem Umfang mit Forschungsaufträgen der DB zu tun haben. aus, bei einer kritischen Stellungnahme keine Aufträge mehr
Schon hier wird es schwierig, die Unabhängigkeit festzustellen. zu bekommen – ein existenzielles Risiko für das Institut:
Für komplexere Fragen, die bei der Planung von Eisenbahn- ● Neue Bahn-Technologien können „am Objekt“ nicht
anlagen zum Tragen kommen, gibt es jedoch keine vereidig- mehr erforscht werden. Kein aktueller Datentransfer
ten Sachverständigen. Meistens suchen die Richter dann (man muss sich künftig mit offizieller Bahnliteratur
Unterstützung bei Universitäten. Die Lehrstühle an deut- begnügen).* Für Studenten hieße das: keine Studien- und
schen Hochschulen, die sich mit dem Eisenbahnwesen Diplomarbeiten im Bereich der DB.
befassen, kann man an zwei Händen abzählen. ● Auch Bahnbetreiber außerhalb der DB vergeben Aufträge
Selbstverständlich ist es für die dort tätigen Professoren an verkehrswissenschaftliche Institute. Ist jedoch be-
notwendig, mit der Praxis zusammenzuarbeiten. Das ist auch kannt, dass ein Institut XY seit Jahren nicht mehr mit
in anderen Fachbereichen so – nur gibt es dort in der Regel DB-Aufträgen versorgt wird, müssen sich andere Auf-
keinen übermächtigen Konzern, der die Praxis allein be- traggeber schon fragen, ob in diesem Institut noch ausrei-
herrscht. Wenn dann noch in einem Rechtsstreit dieser Kon- chend Kompetenz vorhanden ist.
zern – die Deutsche Bahn AG – gleich selbst ein halbes Dut-
zend Professoren mit Stellungnahmen beauftragt, woher GEFÄHRDET:
sollen die Gerichte dann unabhängige Gutachter nehmen?
Die technologische Entwicklung
Genau vor diesem Problem wird der Verwaltungsgerichts-
hof in Mannheim stehen, bei dem derzeit der Rechtsstreit Nicht nur die Existenz der Institute ist in Gefahr, sondern
um die Planfeststellung für „Stuttgart 21“ liegt. Fast alle, die auch ihre Freiheit zu forschen. Man kann daher die Situation
Rang und Namen haben, haben schon im Auftrag der DB auf die Aussage zuspitzen: Es besteht die Gefahr, dass nur er-
Stellung genommen. Es wird spannend, wie das Gericht mit forscht wird, was der Deutschen Bahn AG dient, weil sie es be-
dieser Situation zurechtkommt. zahlt. Und was bezahlt wird, bestimmt ein Management, das
auf Börsenfähigkeit sieht und nicht auf Zukunftsfähigkeit.
Nicht viel anders sieht es bei Diplomarbeiten und Disser-
GEFÄHRDET:
tationen aus. Zahlreiche Absolventen streben verständlicher-
Wissenschaft und Forschung
weise eine Anstellung bei der Deutschen Bahn an. Auch hier
er glaubt, Professoren seien doch im öffentlichen besteht die Gefahr, dass sich Studenten nicht mehr mit
6 derFahrgast · 4/2005
Thema
Foto: Engel
Forschungsprojekt „Stuttgart 21“: Wie viele un-
abhängige Wissenschaftler gibt es, die das Modell
P R I VAT E S S C H I E N E N N E T Z
eines leistungsfähigen Kopfbahnhofs entwickeln,
wenn das der Deutschen Bahn AG missfällt?