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1 Mithras 2

M 3570 Mithras (ders., Religions xi/lxxiv). Beide Thesen hat-


(Mithraskult). ten in der 1. H. des vorigen Jh. großen Er-
folg, gerade weil ihnen das Modell eines ide-
A. Allgemeines .
alisierten, auf eine Theologie zentrierten in-
B. Name. nerlichen Christentums zugrunde lag. Seit
I. Namensformen . der Kritik der 1970er Jahre steht aber fest,
II. Deutung des Namens . dass der tatsächlich iran. Inhalt des röm.
M.kultes gering war (Beck, Cumont 2063/71).
C. Inder u. Iraner .
Ernstzunehmende Kritik hat zudem sowohl
I. Vedischer Mitra .
II. Mitanni . die historische Bedeutung der sog. oriental.
III. Miura im ,Jungavesta‘ . Kulte wie auch die Kohärenz der gesamten
IV. Miura im Achämenidenreich . Kategorie hinterfragt (R. MacMullen, Paga-
V. Miura-Mithres im hellenist. Iran u. Klein- nism in the Roman Empire [New Haven
asien . 1981]; moderater: N. Belayche / E. Rebillard,
VI. Mithras in Parther- u. Sassanidenzeit . ,Cultes orientaux‘ et pluralisme religieux:
Bonnet 137/50; C. Bonnet / V. Pirenne-Del-
D. Mithras im Röm. Reich.
I. Geschichte u. Verbreitung . forge / D. Praet [Hrsg.], Les religions ori-
II. Kultausübung. a. Tempel u. Relief . b. entales dans le monde grec et romain [Brus-
Kultbankett . c. Mysterien . sel 2009]). Auch die Kategorie ,hellenistische
III. Kosmologie u. Jenseitsvorstellungen . Mysterienreligion‘ hat sich weitgehend als
historische Fiktion erwiesen (vor allem W.
E. Auseinandersetzung mit Mithras in Kaiser- Burkert, Antike Mysterien3 [1994]), die jetzt
zeit u. Christentum.
hauptsächlich nur in bestimmten nationalen
I. Nichtchristlich. a. Mittel- u. neuplatonische
Rezeption . 1. Numenius u. Cronius . 2. Forschertraditionen (zB. U. Bianchi, The re-
Celsus . 3. Eubulus u. Pallas . 4. ligio-historical question of the mysteries of
Chaldäisch-theurgische Spekulation . 5. Kai- Mithra: ders. 3/29; G. Casadio, Ancient mys-
ser Julian . b. In spätantiken Ritualtexten. tic religion: Mediterraneo Antico 9 [2006]
1. Die ,Mithras-Liturgie‘ . 2. Der Berliner 485/534) oder in der Populärwissenschaft
,Catechismus‘ . In der spätantiken Gelehrt- (zB. M. Giebel, Das Geheimnis der Mysterien
heit. 1. Lactantius Placidus . 2. Macrobius . [Zürich 1990]; H. Bowden, Mystery cults in
II. Christlich. a. Polemik u. Apologetik . 1. the ancient world [London 2010]) aufrechter-
Justinus Martyr . 2. Tertullian . 3.
halten wird (dagegen: Turcan, Cultes; Al-
,Ambrosiaster‘ . b. Wechselwirkungen zwi-
schen Mithraskult u. Frühchristentum? . var). Diese kritischen Ansätze implizieren
die Schaffung neuer sinnstiftender Kontexte,
F. Ende des Mithraskultes . die aber nur im Rahmen einer neuartigen
,großen Geschichte‘ der Religion des röm.
M 3570 001 A. Allgemeines. Der röm. M.kult ist die im Imperiums denkbar sind (vgl. J. Rüpke
westl. Mittelmeerraum zwischen dem 2. u. 4. [Hrsg.], Antike Religionsgesch. in räumli-
Jh. nC. weitverbreitete Fortsetzung eines cher Perspektive [2007]). Andererseits hat
achämenidischen Kultes, der sich in Klein- die stetige Erweiterung der Beweislage des
asien im hellenist. Zeitalter ein Nischenda- M.kultes durch archäologische Befunde der
sein verschafft hatte. Die Art der Kontinu- Nachkriegszeit zur Anerkennung von dessen
ität ist aber umstritten. Der franco-belgische lokaler Diversität bzw. Regionalität geführt.
Religionshistoriker F. Cumont (1868/1947) Während man sich seit Cumont darum be-
hat hierzu zwei ,große Geschichten‘ (,grands müht hat, d e n M.kult zu ,rekonstruieren‘,
récits‘) vorgelegt: 1) Nach dem Muster der wobei sich der Religionshistoriker bei dem
griech. Rezeption des Isiskultes soll der Versuch, die unterschiedlichsten Indizien in
M.kult eine translatio Romana der mazday- Übereinstimmung zu bringen, selbst
aznischen Religion (d. h. des Ahura Mazdah) zwangsläufig als post-historischer M.-Theo-
gewesen sein (Cumont, Textes; ders., Mys- loge inszeniert (Merkelbach zB. stellt den
terien); 2) Als wichtiger Bestandteil der Ka- Kult als ein auf der Basis des platonischen
tegorie hellenistischer Mysterienreligionen ,Timaios‘ künstlich erzeugtes Phantasiepro-
(,religions orientales‘) soll er durch neue For- dukt dar; D. Ulansey, The origins of the mi-
men der subjektiven Religiosität den Weg thraic mysteries [New York 1989], als eine
für den christl. Glauben vorbereitet haben Reaktion auf die vermeintliche Entdeckung
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der Präzession der Tagundnachtgleiche Die früheste belegte griech. Form ist MiÂtra
[dazu N. Swerdlow: ClassPhil 86 (1991) (Herodt. 1, 131), später MiÂurhw (Xen. inst.
48/63; M. Clauss: Klio 83 (2001) 219/25]), wird Cyr. 7, 5, 53; Plut. Is. et Os. 46, 369E; Lucian.
es in diesem Artikel vorgezogen, die Hete- Iupp. trag. 8; Nonn. Dion. 21, 250) oder
rogenität des primären, d. h. archäologi- MiÂuraw (Iustin. apol. 1, 66; Dio Cass. 63, 5, 2;
schen, Beweismaterials hervorzuheben (vgl. Porph. antr. nymph. 6; PGM V 4; Iulian. Imp.
ders., Mysterien 26f). Während Texten or. 11 [4], 155B [2, 2, 134 Bidez / Lacom-
(,Quellen‘), gleich welchen Ursprungs, früher brade]), lateinisch M. (Stat. Theb. 1, 720;
eine privilegierte epistemische Stellung in Tert. bapt. 5; Firm. Mat. err. 5, 2). Die Stan-
der Forschung eingeräumt wurde, nimmt dardform in lateinischen Inschriften ist M.,
diesen Platz nunmehr die archäologisch-epi- mit vielen orthographischen u. phonetischen
graphische Befundlage ein. Die Inhalte der Variationen zB. Mythras, Mitras, Metras,
wenigen diskursiven Texte werden somit Mithre (Dat.), Mitre (Dat.), Midre (Dat.), My-
prinzipiell nicht primär als ,Gegebenheiten‘ thirae (Dat.). Theophore Eigennamen mit
betrachtet, sondern in Bezug auf ihre unter- altiranisch Miura- kommen sehr häufig vor
schiedlichen Erkenntnisinteressen unter- (mind. 45 Namen, ca. 300 verschiedene Per-
sucht. Daher scheint eine Differenzierung sonen zwischen dem 8. Jh. vC./4. Jh. nC.),
angebracht zu sein, u. zwar zwischen dem nicht nur im iran. Stammgebiet, sondern
archäologisch-epigraphisch belegten Kult, auch in der elamischen, akkadischen, aram.,
hier als ,organisierter Kult‘ bezeichnet (un- lykischen u. lydischen, griech. u. röm. Ono-
geachtet aller örtlichen, regionalen bzw. zeit- mastik, sagen aber wenig über die Verbrei-
lichen Variationen), u. den Interpretationen tung des M.kultes aus (R. Schmitt, Die theo-
bzw. Varianten, die uns diskursive Texte phoren Eigennamen mit altiranisch *Miura-:
präsentieren, die nicht unmittelbar im Milieu Duchesne-Guillemin 395/455).
des organisierten Kultes entstanden. Man- II. Deutung des Namens. Obwohl etymo- M 3570 003
che archäologische Einzelaspekte sind zuge- logische Überlegungen in solchen Kontexten
gebenermaßen problematisch, so zB. prove- wenig Aussagekraft besitzen, wird indo-ira-
nienzlose, an Sol invictus adressierte Votiv- nisch Mitra meistens als Entwicklung von
gaben oder die Signifikanz der Vierzahl nicht einem neutralen Abstraktum mitrám er-
dezidiert mithräischer Gottheiten in Mi- klärt, d. h. entweder *mi-, ,aufstellen, befes-
thräen. Sie werden aber in der folgenden tigen, festlegen‘, oder *mi-, ,austauschen‘, +
Darstellung ausgeklammert. instrumentales Suffix -tra-, mit der Bedeu-
M 3570 002 B. Name. I. Namensformen. Der Gott M. tung ,Vertrag / Abkommen / Vereinbarung‘.
ist eine Prägung des indo-iran. Zweigs der Im klass. Sanskrit bedeutet mitrá- (mask.)
Proto-Indoeuropäer. Der früheste Textbe- ,Freund‘. Im iran. Kulturbereich bedeutet
leg, mi-it-ra-aš-ši-il, findet sich in einem Ver- das Substantiv miura ,Vertrag / Abkommen‘,
trag zwischen dem hethitischen Großkönig das avestische Adjektiv miuro-druj ,ver-
Šuppiluliuma I u. Sattiwaza / Mattiwaza / tragsverletzend‘ (M. Mayrhofer, Die bisher
Kurtiwaza, Herrscher des mitannischen Puf- vorgeschlagenen Etymologien u. die ältesten
ferstaates am Euphrat (ca. 1380 vC.), dessen Bezeugungen des Mithra-Namens: Duches-
aristokratische Schicht anscheinend aus dem ne-Guillemin 317/25).
indischen Raum stammte (P. Thieme, The C. Inder u. Iraner. Im iran. Altavesta M 3570 004
,Aryan‘ gods of the Mitanni treaties: Jour- wird Miura- überhaupt nicht erwähnt; er
nAmOrSoc 80 [1960] 301/17). Der vedische kommt erst in den Yašts (,Götterhymnen‘)
Name war Mitra (Rgveda 3, 59 [dt.: K. F. des Jüngeren Avesta vor, das in ungefähr
Geldner (Hrsg.), Der Rig-Veda 1 (Cam- dieser Form vielleicht im 5./4. Jh. vC. ent-
bridge, Mass. 1951) 406f]). Im avestischen standen ist, aber erheblich ältere Traditio-
Dialekt des Altiran. hieß er Miuro- (nom.; nen mit einbezieht. Das Schweigen des Al-
Stamm: Miura-), im altpers. Dialekt (Parsa tavestas weist nicht, wie manchmal ange-
Fars, südwestl. Iran) *Miça, obwohl Miura- nommen, auf eine Ablehnung der yazata-
mehrmals in den altpers. Inschriften vor- (,Götter‘) hin, die stets in die lose struktu-
kommt (G. Bonfante, The name of Mithra: rierte, regional differenzierte zarathuštri-
Duchesne-Guillemin 47/58), u. unter Einfluss sche Religion einbezogen wurden.
des Parthischen im Arsakidenreich (ca. 238 I. Vedischer Mitra. In der indischen Tra- M 3570 005
vC./ca. 227 nC.) Myhr / Mihr, armen. Mehr. dition ist Mitra vor allem eine der vielen
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Gottheiten, die die kosmische, soziale u. kör- Handeln (P. Thieme, M. in the Avesta: Du-
perliche Ordnung (ŗta) aufrechterhalten bzw. chesne-Guillemin 501/10). Die eschatologi-
wiederbringen (J. Gonda, The Vedic God sche Funktion des M. als Totenrichter da-
Mitra [Leiden 1972] 91/101). Meistens aber gegen, die im sassanidischen Zoroastrismus
wird er in der Rgveda zusammen mit Va- bedeutend war, wird im Yašt 10 nicht the-
runa invoziert, eines der typischen vedischen matisiert.
Götterpaare (devatā-dvandva), die zusam- IV. Miura im Achämenidenreich. Eine M 3570 008
men die Welt hervorgerufen haben u. deren politische Version der mazdayaznischen Re-
Ordnung aufrechterhalten. ligion spielte im Achämenidenreich (ca.
M 3570 006 II. Mitanni. Auch die oben erwähnten 558/330 vC.) eine wichtige Rolle (G. Ahn, Re-
mitannischen Verträge invozieren wahr- ligiöse Herrscherlegitimation im achämeni-
scheinlich solche vedischen Götterpaare, zB. dischen Iran [Leiden 1992]): Der König trat
Mitra-Varuna, Indra (-Agni), die zwei Nasa- als Repräsentant des Ahura Mazdah u. Ga-
tyas, die den Eidbruch belangen (M. Mayr- rant der Gerechtigkeit auf. Obwohl Miura
hofer, Die Indo-Arier im alten Vorderasien sehr gut in dieses Bild passt, wird er erst
[1966] 13/7). von Artaxerxes II (404/359 vC.) ausdrücklich
M 3570 007 III. Miura im ,Jungavesta‘. In der zara- als königlicher Beschützer zusammen mit
thuštrischen Tradition war M. stets einer Ahura u. Anahit in Susa u. Ekbatana ge-
der prominentesten Götter (M. Boyce, On nannt (A2Sd; A2Ha,b; vgl. A3Pa: R. G. Kent,
Mithra’s part in Zoroastrianism: BullSchO- Old Persian [New Haven 1953] 154f. 160; R.
rAfrStud 32 [1969] 12/20; dies., Mithra the Schmitt, Die altpers. Inschriften der Achä-
king and Varuna the master: Philologica et meniden [2009] 187f. 194/7; Stausberg 175).
Linguistica, Festschr. H. Humbach [2001] Die enge Beziehung zwischen Miura, der
239/57). Der 10. (*Miura-) Yašt stellt den Sonne (xwaršed), u. dem hl. Feuer (Aša)
Gott als potenten, achtsamen Verbündeten kommt im Gebet des Darius III (336/330 vC.)
seines Vaters Ahura-Mazda dar (1. 92. 103. vor der Schlacht von Gaugamela zum Aus-
120 [I. Gershevitch (Hrsg.), The Avestan druck (Curt. 4, 13, 12), eine Anspielung auf
Hymn to Mithra (Cambridge 1959) 74. 100. die regelmäßigen Gebete (niyāyišn) an diese
118. 124. 132]). Dessen Brüder sind Rašnu u. Gottheiten (M. Boyce, A history of Zoroas-
Sraoša, die zusammen mit ihm die Vertrags- trianism 13 = HdbOrient 1, 8, 1, 2, 2A [1996]
brecher gewaltsam vernichten (ebd. 41f. 100 271f; de Jong 286).
[94. 122]), seine Schwestern sind Aši, die M.’ V. Miura-Mithres im hellenist. Iran u. M 3570 009
Streitwagen lenkt (ebd. 68. 76. 143 [104. 108. Kleinasien. Durch den politischen Verfall
144/6]; vgl. Yašt 17, 16 [K. F. Geldner des Reiches (331 vC.) verschwand die tra-
(Hrsg.), Avesta 2 (1889) 234; dt.: F. Wolff, gende Legitimation der mazdayaznischen
Avesta (Straßburg 1910) 279]), u. die maz- Religion als Staatsreligion (Stausberg 191).
dayaznische Religion (Yašt 10, 68 [Gershe- Außerhalb des pers. Kerngebiets konnte sie
vitch aO. 104]). Seine Heimat befindet sich in den Nachfolgestaaten nur dort überleben,
im Paradies, oberhalb des hl. Berges Hara wo das Reich aus politisch-strategischen
(ebd. 49f. 88 [98. 114]). Diejenigen, die den Gründen iranische ,Ritter‘, deren Gefolg-
Gott wahrhaftig verehren, werden mit Kraft, schaft u. andere Kolonisten angesiedelt
Reichtum, Sieg, gutem Ruf u. reinem *Ge- hatte, in Westkleinasien zB. in *Karien, *Ly-
wissen belohnt (ebd. 30. 33. 112 [88. 128]), dien u. Phrygien. Die sozio-politische Bedeu-
böse Dämonen dagegen werden von seinen tung dieser Großgrundbesitzerfamilien ver-
zahllosen Waffen ebenso vernichtet wie schwand zwar relativ schnell, doch ermög-
schlechte, verräterische Menschen, Familien lichten sie anscheinend die Ausübung (einer
u. Länder, die ,Besitzer der Unwahrheit‘, die hellenisierten Form) der mazdayaznischen
arglistig u. hinterhältig agieren (18. 23. 26. Religion durch geschulte Priester (maÂgoi)
48. 95/7. 128/33 [82. 84. 86. 96/8. 120. 136/40]). zB. in Hierokaisareia u. Hypaipa in Lydien u.
Genau wie der vedische Mitra garantiert er in Kappadokien (Paus. 5, 27, 5f; Strab. 15, 3,
landwirtschaftliche Prosperität, indem er 15; Tac. ann. 3, 60/4; Boyce / Grenet 197/308;
Regen hervorruft (61 [102]), Frieden gibt de Jong 144/56; P. Herrmann, Magier in Hy-
(29. 34 [86. 90]), vor Tod u. Zorn schützt (87. paipa: Hyperboreus 8 [2002] 364/9; *Cappa-
93 [114. 118]). Krankheit, Krieg, Tod u. Ar- docia). Außer M. gibt es keine epigraphisch
mut gelten als Strafe für verräterisches nachweisbaren iranischen Kulte im hellenist.
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Kleinasien (P. Briant, Histoire de l’empire schen iranischen u. hellenischen Göttern hin,
perse [Paris 1996] 697; M. Brosius, Artemis u. a. M., Helios, *Apollon u. *Hermes, den
Persike and Artemis Anaitis: Studies in Per- Antiochus I anscheinend als seinen persön-
sian history, Gedenkschr. D. M. Lewis [Lei- lichen Gott (yazata-) verehrte (H. Waldmann
den 1998] 227/38; die vermeintliche Paarung [Hrsg.], Die kommagenischen Kultreformen
Anahita-M. ist eine Chimäre). Der wichtigste unter König Mithradates I Kallinikos u. sei-
Hinweis auf einen weitergeführten anatoli- nem Sohne Antiochos [Leiden 1973] 62/77;
schen M.kult ist eine in eine Felswand in Boyce / Grenet 309/49; J. Wagner [Hrsg.],
Südost-Kappadokien (Ariaramneia) gemei- Gottkönige am Euphrat [2000] 11/73; A.
ßelte Inschrift, die ein vom örtlichen Ob- Breitenbach / S. Ristow: o. Bd. 21, 246). Eine
mann (strathgoÂw) veranlasstes Blutopfer für fundierte historische Schilderung der Tra-
Mithra nach dem Ritus der magoi (d. h. das dierung des M.kultes in die röm. Welt hinein
Tier wurde mit Keulenschlägen getötet: ist aus zwei Gründen unmöglich: erstens,
Strab. 15, 3, 15) dokumentiert: SagaÂriow ... weil das Gros der jungavestischen bzw. achä-
eÆmaÂgeyse MiÂuraì (Boyce / Grenet 272f). Die menidischen religiösen Texte u. Kommen-
einzige literarische, viel diskutierte Stelle, tare in der sassanidischen Zeit nicht weiter-
Plut. vit. Pomp. 24, 7 (wahrscheinlich der kopiert wurde u. daher unwiederbringlich
Pompeius-Geschichte des Poseidonius ent- verloren ist; zweitens, da die verschiedenen
nommen; Turcan, M. 5f), weist auf ,fremde ortsgebundenen M.kulte in Kleinasien offen-
Opfer‘ u. Geheimriten zu Ehren verschiede- sichtlich meist außerhalb der hellenist. In-
ner Götter am Berg Olymp an der lykischen schriftenkultur der Städte u. ohne charakte-
Küste hin (deren Inhalt nicht preisgegeben ristische bauliche Infrastruktur praktiziert
werden dürfe, teletaÂw tinaw aÆporrhÂtoyw), wurden (eine wichtige Ausnahme stellt Tra-
von denen diejenigen für Mithra (hë toyÄ MiÂ- pezunt / Ora Ponti Polemoniani dar, dessen
uroy) Plutarch zufolge zu seiner Zeit (ca. 100 kaiserzeitliche Münzen M. als Reitergott ab-
nC.) noch durchgeführt wurden (E. D. Fran- bilden; vgl. K. Ehling, M. equitans auf den
cis, Plutarch’s Mithraic pirates: Hinnells, Mi- kaiserzeitlichen Münzen von Trapezunt: Epi-
thraic studies 207/10). Höchstwahrscheinlich grAnatol 33 [2001] 129/33). Schon das hier
handelt es sich hier um hellenisierte zara- vorgelegte Material belegt, dass mehrere
thuštrische Kulte in Zusammenhang mit den Modelle denkbar sind (Beck, Cumont 2068f;
immer lodernden Naphtha-Feldern an die- ders., Mithraism 31/44; Boyce / Grenet
sem Berg. Eine örtlich differenzierte M.- 475/90; M. P. Speidel, Parthia and the Mi-
Rezeption ist auch weiter östlich nachweis- thraism of the Roman army: Duchesne-Guil-
bar. In Armenien zB., das von der zarathuš- lemin 479/83). Man denkt nicht (mehr) an
trischen Artaxidendynastie beherrscht eine weitergeführte Institution, zB. am Mi-
wurde, gab es eine von Mehr (oder Vahagn) thrakana-Fest (vgl. Duris v. Samos: FGrHist
dominierte Großgöttertrias: Als König Tiri- 76 F 5), sondern eher an unterschiedliche
dates I 66 nC. nach Rom kam, um seine narrative Schilderungen, die einen religiösen
Rückkehr auf den Thron von Kaiser Nero Bricoleur in der späthellenist. Zeit dazu in-
bestätigen zu lassen, ehrte er ihn ,wie ich spirierten, einen privaten M.kult zu gründen,
den Mithra ehre‘ (Dio Cass. 63, 5, 2: pros- ähnlich dem Zeuskult des Dionysius im ly-
kynhÂsvn se v Ï w kaiÁ toÁn MiÂuran; Ch. Le- dischen Philadelphia (Ditt. Syll.3 985), der
rouge, L’image des Parthes dans le monde allmählich einen bescheidenen lokalen bzw.
gréco-romain [Stuttgart 2007] 327/30); auch regionalen Erfolg genoss u. dadurch den Tod
gibt es viele M.-Traditionen, zB. von einem des Gründers überleben konnte. Die Hoff-
berittenen Mehr, der in einer nahe des Van- nung auf eine mögliche archäologische Lö-
sees gelegenen Höhle auf die Rückkehr der sung des Rätsels (die zwei Höhlen-Mithräen
Gerechtigkeit zur Erde warte (J. R. Russell, in Dülük) hat sich leider zerschlagen (A.
On the Armeno-Iranian roots of Mithraism: Schütte-Maischatz / E. Winter, Doliche
Hinnells, Mithraism 183/93). In der *Kom- [2004]; vgl. R. L. Gordon: JournRomArch 20
magene weisen die mehr als 30 verschiede- [2007] 602/10).
nen, zT. sehr aufwändigen Monumente von VI. Mithras in Parther- u. Sassanidenzeit. M 3570 010
Antiochus I (ca. 69/35 vC.), vor allem die Der kulturelle Austausch zwischen Iranern
Kultstätte auf dem Nemrud-Dağ, auf unter- u. der griech. Bevölkerung der seleukidi-
schiedliche Identifizierungsversuche zwi- schen Kolonien hatte nur begrenzte Auswir-
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kungen auf die Religion der Arsakidenzeit als eine Hypostase von Helios-Apollo aufge-
(Stausberg 203). Strabo, dessen Schilderung listet (Turcan, Mithriacisme 127/34); für Mo-
des Arsakidenreiches eher dürftig ist (J. W. mus (bei Lucian. deor. conc. 9; ca. 165 nC.) ist
Drijvers, Strabo on Parthia and the Parthi- er ,der Meder‘, der eine pers. Jacke (kaÂndyw)
ans: J. Wiesehöfer [Hrsg.], Das Partherreich u. eine phrygische Mütze (tiaÂra) trägt u.
u. seine Zeugnisse [1998] 279/93), behauptet, kein Griechisch spricht (Quellenslg. mit ital.
dass ,die Perser‘ dieser Zeit M. schlechthin Übers.: E. Sanzi [Hrsg.], I culti orientali
mit der Sonne identifizierten (15, 3, 13: nell’impero romano [Cosenza 2003] 411/41).
timvÄ si deÁ kaiÁ ÏHlion, oÏn kaloyÄsi MiÂurhn). In Die frühesten bekannten Tempelbauten sind
Yašt 10 ist M. der Vorreiter der Sonne (13 auf der Basis der Keramikfunde auf ca.
[Gershevitch aO. 78]), der mit ihr von Osten 80/110 nC. datierbar; die ersten (wenigen)
nach Westen fährt (67 [104]), u. nachts mit Votivinschriften gehören dem gleichen Zeit-
,eigenem Licht‘ nach Osten zurückfährt (95 horizont an. Sowohl die geographische Ver-
[120]), dessen Gesicht funkelt wie Sirius (143 teilung dieser Belege wie auch der relativ
[144]). Zu diesem Zeitpunkt also war M. noch privilegierte Status der Dedikanten spre-
nicht mit der Sonne identifiziert (Gershe- chen gegen die These, der Kult sei nicht in
vitch aO. 39f; dagegen G. Gnoli, Sol persice Kleinasien, sondern in Zentralitalien (Rom;
Mithra: Bianchi 726/40). Auf einigen wenigen Ostia) entstanden u. habe sich von dort bis
privaten sassanidischen Siegeln dagegen zum Rhein u. zum Donaugebiet ausgebreitet
wird er auf seinem Solarwagen dargestellt (M. J. Vermaseren, M. in der Römerzeit:
(F. Grenet, Mithra. Dieu iranien: Topoi 11 ders. 96/120, bes. 96/103; Merkelbach 160f;
[2001] 35/58, bes. 36f). In diesem Zeitraum Clauss, Mysterien 31f; B. Jacobs, Die Her-
etablierte sich zudem der Name dar-i Mihr, kunft u. Entstehung der röm. M.-Mysterien
,Tempel / Palast / Tor von Mihr‘, für den [1994] 27/33). Andererseits kann man keine
Feuertempel, wo auch feierliche Eide abge- eindeutigen Ausbreitungswege von Klein-
geben wurden (Boyce, Part aO. [o. Sp. ] asien aus verfolgen, wie es zu erwarten
26/9); der Terminus miuraiÄon = Feuertempel wäre. Die frühesten Träger waren offen-
ist auch im ptolemäischen Ägypten belegt sichtlich nicht Auxiliarsoldaten, wie einst
(PGurob. 22 Z. 10; 3. Jh. vC.). Im iran.-gnost. von Cumont behauptet (Religions 129f), son-
*Manichäismus sind Eigenschaften des M. dern zumeist Kaufleute u. privilegierte Skla-
zwei verschiedenen Prinzipien, dem Spiritus ven. Wie alle spezialisierten Kulte der röm.
Vivens u. dem Dritten Botschafter, verlie- Welt profitierte auch der M.kult vom ,hodo-
hen (M. Boyce, On Mithra in the Manichaean logischen Raum‘ des Reiches, d. h. den kom-
Pantheon: A Locust’s Leg, Festschr. S. H. munikativen Möglichkeiten, die im Mittel-
Taqizadeh [London 1962] 44/54). Etwa zur meerraum durch politische Einheit, Straßen-
gleichen Zeit erscheint M. nicht nur als Rich- bau u. Intensivierung der wirtschaftlichen
ter u. Totenrichter, sondern auch als Ver- Beziehungen entstanden waren. Es folgte
mittlungsinstanz zwischen den beiden anti- eine stetige Ausbreitung im Röm. Reich:
thetischen Prinzipien Ohrmuzd u. Ahreman Das erste bekannte Mithräum in *Mainz
(S. Shaked, Mihr the judge: Jerusalem Stu- wurde ca. 120 nC. gegründet; Köln II, Born-
dies in Arabic and Islam 2 [1980] 1/30), eine heim-Sechtem (1. Phase), Stockstadt II zwi-
Rolle, die ihm laut Plut. Is. et Os. 46, 369E schen 130/60, Virunum I ca. 150 (G. Piccot-
schon in den priesterlichen Spekulationen tini, M.tempel in Virunum [Klagenfurt 1994]
der postachämenidischen Zeit zugeschrieben 25); die ersten beiden Tempel in Ostia ca. 160
wurde. Es gibt mehrere Hinweise auf spätz- (Becatti 59/68. 87/92). In weiten Teilen des
eitliche M.-Ehrung in Bactriana u. Sogdiana Imperium dagegen, zB. Gallien, Hispanien,
(Grenet aO. 37/44). Südbritannien, Nordafrika u. im ganzen Ost-
M 3570 011 D. Mithras im Röm. Reich. I. Geschichte mittelmeerraum, wurde der Kult nur verein-
u. Verbreitung. In den frühesten literari- zelt rezipiert. Bisher sind ca. 135 M.-Tempel
schen Belegen wird M. als eine völlig fremde im Röm. Reich lokalisiert u. ausgegraben
Gottheit dargestellt. Bei Stat. Theb. 1, 719f worden (fast 40 davon seit 1960). Abgesehen
(seu Persei sub rupibus antri indignata se- von spärlichen Indizien im römerzeitlichen
qui torquentem cornua Mithram; ca. 80/90 Kleinasien blieb er stets ein privater, von
nC.) wird er zusammen mit dem achämeni- der öffentlich unterstützten stadtröm. bzw.
dischen Ahura-Mazda u. dem ägypt. Osiris Polis-Religion ausgeschlossener Kult. Ent-
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11 Mithras 12

gegen einer weitverbreiteten Annahme lag oder auf der Quadriga (S. Berrens, Sonnen-
der zahlenmäßige Schwerpunkt der Anhän- kult u. Kaisertum von den Severern bis zu
gerschaft selten auf der Armee, von wenigen Constantin I [2004] 29/169; Hijmans 411/61;
Standorten (zB. Nordbritannien, Lambaesis, die einzige Münze, die M. in der klass. Pose
Carnuntum, Aquincum, Apulum, Potaissa abbildet, ist eine städtische Prägung von
usw.) abgesehen (Clauss, Cultores 267/70; R. Tarsos, *Kilikien, anlässlich des Perserfeld-
L. Gordon, The Roman army and the cult of zugs von Gordian III; vgl. R. Turcan, Com-
M.: Y. Le Bohec / C. Wolff [Hrsg.], L’armée ment adore-t-on un dieu de l’ennemi?: Topoi
romaine et la religion sous le Haut-Empire 11 [2001] 137/48). Ob Galerius ein M.-Anhän-
romain [Paris 2009] 379/450). In Germanien ger war, wie man vermutet hat, muss dahin-
finden sich die meisten M.-Tempel weit hin- gestellt bleiben. Erst in diesem Zeitraum
ter der *Limes-Linie, in civitas-Hauptorten kommen militärische Gruppenvotive vor. Im
u. Straßenvici. Die Rekrutierungsbasis lag Laufe des 4. Jh. wurde der Kult als Teil der
eher in den Reihen der ökonomisch relativ ,alten röm. Religion‘ vom nichtchristl. Sena-
erfolgreichen städtischen Freigelassenen u. torenstand in Rom mit Vorbehalt anerkannt
deren Familien (vgl. die Mitgliedsliste aus (J. F. Matthews, Symmachus and the orien-
Virunum [183/ca. 201 nC.]: AnnÉpigr 1994, tal cults: JournRomStud 63 [1973] 175/95).
1334 u. Piccottini aO. 26/34; M. Rainer, Die Als Privatangelegenheit war er von den re-
M.-Verehrung in Ostia: Klio 66 [1984] scripta des *Gratianus (ca. 379/82), die die
104/13). Bei der Ausbreitung spielten auch staatl. Finanzierung der öffentlichen Kulte
die Beamten der Zollpachtgemeinschaften, untersagten, ausgenommen (vgl. Dessau nr.
vor allem im Gebiet des publicum portorium 4269 = Vermaseren, Corp. Mithr. nr. 406) u.
Illyrici (Pannonien), sowie relativ wohlha- blieb noch bis zum theodosianischen Verbot
bende kaiserliche Freigelassene u. Sklaven der heidn. Kulte (Cod. Theod. 16, 10, 10 vJ.
eine wichtige Rolle. Am Palatium in Rom 391) u. zT. danach auch in den Provinzen
war der Stabschef des kaiserl. Hofes (pro- weitverbreitet.
curator castrensis) unter *Commodus, Mar- II. Kultausübung. a. Tempel u. Relief. M 3570 012
cus Aurelius Carpus, ein M.-Anhänger (Ver- Der M.-Tempel (der Terminus miureiÄon ist
maseren, Corp. Mithr. nr. 510). Die Behaup- erst bei Socr. h. e. 3, 2 belegt) vereint in sich
tung, Commodus sacra Mithriaca homicidio drei verschiedene Funktionen: Er ist Auf-
vero polluit (Hist. Aug. vit. Comm. 9), kann bewahrungsort eines Sakralbildnisses, Opfe-
in diesem Kontext als ein bösartiger Hofwitz rungsstelle u. Gemeinschaftsraum für Fei-
betrachtet werden (vgl. J. Straub, Art. Com- erlichkeiten (Alvar 349/52); insofern ist er
modus: o. Bd. 3, 257: ,mehr als fragwürdig‘; mit den Vereinshäusern der Berufskollegien
M. Simon, Mithra et les empereurs: Duches- vergleichbar, die aber nicht als spezifisch re-
ne-Guillemin 411/28; dagegen R. Merkelbach, ligiöse Gemeinschaften agierten (B. Boll-
Art. Drache: o. Bd. 4, 235: Commodus als mann, Röm. Vereinshäuser [1998]; C. Leon-
,Großmeister der Mysterien‘). Unter *Cara- hard / B. Eckhardt, Art. Mahl V: o. Bd. 23,
calla gab es einen pater et sacerdos invicti 1025f). Die Grundpläne der meisten M.-
Mithrae domus Augustanae, d. h. eine offizi- Tempel stellen ein langgestrecktes Biclinium
ell anerkannte Gemeinde unter den Hof- mit einem zentralen Gang dar, der beider-
sklaven (Dessau nr. 4270 = Vermaseren, seits von einem Podium flankiert wird. Der
Corp. Mithr. nr. 511). Nach den politischen Gang lief direkt auf das Kultrelief bzw. Kult-
Schwierigkeiten in der Mitte des 3. Jh. be- fresko an der entfernten Kurzseite des Tem-
gannen einige Amtsträger damit, M.-Tempel pels zu. Als eine indexikalisch-symbolische
mit öffentlichen Geldern zu reparieren, ein Sakraldarstellung mit erzählerischem Inhalt,
Phänomen, das mit dem von den Tetrarchen dessen Sinn keinen Bezug auf das standar-
in Carnuntum, Pannonien, für M., fautori im- disierte griech.-röm. mythische Kulturgut
perii sui, errichteten Votivaltar seinen Hö- nahm, bildet das mithräische Stiertötungs-
hepunkt erreichte (Dessau nr. 659 = Ver- relief ein bewusstes Kontrastprogramm zum
maseren, Corp. Mithr. nr. 1698 [307 nC.]). konventionellen Tempelstandbild (E. Will,
Aber auch zu dieser Zeit stellten die *Mün- Le relief cultuel gréco-romain [Paris 1955]
zen auf Reichsemissionen niemals M. in sei- 19/54; J. Elsner, Art and the Roman viewer
ner charakteristischen Pose dar, nur Sol (in- [Cambridge 1995] 210/21. 240f; R. Turcan,
victus), nackt mit Sonnenkrone, stehend Mithra tauroctone: S. Éstienne [Hrsg.],
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13 Mithras 14

Image et religion dans l’antiquité gréco- [früher: viros] servasti eternali sanguine fuso
romaine [Naples 2008] 369/89). – M. tötet den haben sich als reine Hypothese Vermaserens
Stier nicht allein, sondern innerhalb eines herausgestellt; nur sanguine fuso ist sicher;
eklektischen Tierkreises von Rabe, *Hund, vgl. S. Panciera, Il materiale epigrafico dallo
Schlange, Skorpion; er wird von zwei fackel- scavo di s. Stefano Rotondo: Bianchi 103/5
tragenden ebenso ,orientalischen‘ Nebenfi- mit Anm.**; die veraltete Lesart wurde zB.
guren namens Cautes u. Cautopates flan- von C. Andresen, Art. Erlösung: o. Bd. 6, 151
kiert, die aber am Geschehen nicht direkt aus Vermaseren, Corp. Mithr. nr. 485 über-
beteiligt sind; links u. rechts oben werden nommen). Neun dieser Nebenbilder, die öf-
Sol u. Luna abgebildet (mit guten Illustrati- ter vorkommen, können als Kernbilder be-
onen, allerdings umstrittenen Bildkommen- trachtet werden: 1. Gruppe: Jupiter vernich-
taren vgl. Merkelbach 274/395). Um über- tet die *Giganten; ,Saturnus‘ träumt; Geburt
haupt einen Sinn zu ergeben, benötigte die des M. aus dem Steinhaufen; 2. Gruppe: M.
seltsame Semantik des Reliefs eine Erläute- lässt Wasser aus der Felswand für Cautes u.
rung. In einer Ikonographie, die relativ spät Cautopates herausspringen; M. reitet den
von der der Göttin Nike / Victoria übernom- wilden Stier; M. schleift den Stier zum
men wurde (N. Kunisch, Die stiertötende Schlachtungsort (transitus dei); 3. Gruppe:
Nike [1964]) u. ihre Geltung implizit durch M. weiht Helios-Sol mit der freigelegten
den Gegensatz zur visuellen Darstellung des Hinterkeule des Stieres (Merkelbach Abb.
konventionellen Opfergangs erlangt, über- 115. 159); M. u. Helios-Sol zelebrieren ein ge-
wältigt der Gott M. eigenhändig einen Stier, meinsames Opferbankett; M. steigt auf die
verrenkt ihm den Hals u. tötet ihn mit einem Quadriga von Helios-Sol u. wird in den Him-
Schwertstich durch die Schulter direkt ins mel gefahren (Cumont, Mysterien 120/5;
Herz (eine Leistung, die angeblich mensch- Clauss, Mysterien 71/110; Alvar 78/92). Die
lich u. anatomisch unmöglich ist; vgl. G. Pal- meisten anderen, bei denen manchmal über-
mer, Why the shoulder?: G. Casadio / P. A. haupt keine biographische Intention festge-
Johnston [Hrsg.], The cults of Magna Graecia stellt werden kann, kommen nur ein- oder
[Austin 2009] 314/23). Diese ikonographi- zweimal vor (R. L. Gordon, Panelled com-
schen Indizien weisen den Gott als kultur- plications: Journ. of Mithraic Studies 3 [1980]
stiftenden Helden aus u. lassen seine Hand- 200/27 = ders. nr. IX), weisen aber auf eine
lung als grundsätzlich nicht kommunikativ, Vielzahl von narrativen Anstößen, Interpre-
sondern ordnungschaffend erscheinen; die tationen u. Intuitionen hin, die jedoch für uns
Differenzierung bleibt allerdings ambivalent, weitgehend uninterpretierbar bleiben. – Die
weil der Stier oft mit dem dorsuale, dem Nebenszenen wurden regional in unter-
röm. Zeichen des feierlichen Opfers, darge- schiedlicher Weise am Relief bzw. Fresko
stellt wird (R. Turcan, Le sacrifice mithri- eingeführt (Turcan, Mithriacisme 45/61): als
aque: J. Rudhardt / O. Reverdin [Hrsg.], Le eingerahmte vertikale Seitenstreifen oder /
sacrifice dans l’antiquité [Vandœuvres 1981] u. auf dem Sockel- bzw. Fußgesims (haupt-
341/80; Turcan, Mithriacisme 138/45). Die sächlich Italien, Germanien, auch Pannonien;
Stiertötungsszene im engeren Sinne ist eine Merkelbach Abb. 52. 73. 101f. 112. 116. 122.
Art Theophanie (S. Zwirn, The intention of 128. 131f. 135. 137) oder ungerahmt über den
biographical narration on Mithraic cult-ima- felsigen Hintergrund der Hauptszene ver-
ges: Word and Image 5 [1989] 2/18, bes. 9f). teilt (ebd. Abb. 41. 47. 54); im Donauraum,
Ein visueller Kommentar dazu wird in ca. 50 wo die Auswahl mit der Felsgeburt beginnt,
quasi-biographischen Nebenbildern erkenn- wurden sie meist in sehr komprimierter
bar, die grosso modo drei verschiedene The- Form auf einem oberen u. einem unteren
men mit unterschiedlicher Intensität behan- Register eingetragen (ebd. Abb. 134. 144.
deln: 1) die Zeit bis zur Geburt des M.; 2) die 149f. 152f). Einige Szenen, vor allem die
Handlungen des M. vor der Stiertötung, vor Felsgeburt, das Stierreiten, das Stierschlei-
allem den Diebstahl des Stieres u. dessen fen, aber auch die Gigantenvernichtung u.
Jagd; 3) die Konsequenzen der Tötung des das ,Wasserwunder‘, sind oft als freiste-
Stieres u. dessen Verarbeitung als Opfer- hende, zwei- oder dreidimensionale Votiv-
fleisch (sanguine fuso, ,durch das Blutvergie- gaben im Tempel aufgestellt (Abb. 46. 48. 61.
ßen‘: Vermaseren / van Essen 217/21; die 77. 89f. 97. 121. 133. 156/8) bzw. auf den Wän-
Reste der vermeintlichen alten Lesart et nos den als Fresken aufgetragen. Zudem wurden
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15 Mithras 16

Gegenstände u. Tiere, die eine Schlüsselrolle concluse petris, qui geminos aluisti nectare
in der Erzählung spielen, zB. der Steinhau- fratres, ,Du im Fels eingeschlossener Brun-
fen, die ,phrygische‘ Mütze, Pfeil u. Bogen, nen, der du die Zwillingsbrüder [d. h. Cautes
der Weinkrater, immer wieder plastisch aus- u. Cautopates] mit Nektar ernährt hast‘),
gesondert (H. G. Horn, Eine M.-Weihung das gemeinsame Vortragen von Hymnen
vom Niederrhein: Ausgrabungen im Rhein- (reddite cantu: ebd. 240; *Hymnus), kleine
land 1983/84 [1985] 151/5; R. L. Gordon, Vie- entlang des Zentralgangs ausgeführte Pro-
wing Mithraic art: Arys 1 [1998] 227/58). So zessionen (ebd. 148/72). Tempel u. Relief bil-
wurden bestimmte Momente u. Themen der den also eine polythetische kommunikative
M.-Erzählung im Laufe des Ritualgesche- Einheit, die die Bedeutung der verschiede-
hens metonymisch operationalisiert. Deswe- nen erzählerischen Elemente übersetzt, mo-
gen ist das Mithräum als Erinnerungsort zu difiziert u. in internalisierbare, festbindende
definieren, in dem die Taten des M. durch religiöse Erfahrungen transformiert (L. H.
Medien ikonographischer, textueller u. ritu- Martin, Ritual competence and Mithraic ri-
eller Art wiedergegeben u. wiederholt wer- tual: Religion as a human capacity, Festschr.
den (A. Klöckner, M. u. das Mahl der Män- E. Th. Lawson [Leiden 2004] 245/63).
ner: U. Egelhaaf-Gaiser / D. Pausch / M. b. Kultbankett. Die wiederholte Darstel- M 3570 013
Rühl [Hrsg.], Kultur der Antike [2011] lung des gemeinsam von M. u. Helios-Sol ze-
200/25). Das wichtigste Thema war offen- lebrierten Opferbanketts weist auf dessen
sichtlich die Legitimierung des Festmahls zentrale performative Rolle in der Kultpra-
(*Mahl V), die als kritisches Bindeglied zwi- xis hin (A. Hultgård, Remarques sur les re-
schen mythischer Erzählung u. wiederholter pas cultuels dans le Mithriacisme: Ch.
Ritualpraxis diente. Es wurde eine Reliefun- Grappe [Hrsg.], Le repas de dieu = WissUn-
terart entwickelt, wobei das doppelseitige tersNT 169 [Tübingen 2004] 299/324). Beide
Zentralstück zu einem bestimmten Zeit- Götter halten ein Rhyton (Spende- u. Trink-
punkt im Ritualgeschehen um Zapfen ge- gefäß für Wein), das die Szene heroisch kon-
dreht werden konnte, um demonstrativ von notiert (vgl. die Nacktheit von Helios-Sol) u.
der Stiertötung zum Festmahl umzuschalten gleichzeitig auf das dionysische Symposium
(Merkelbach Abb. 53. 70. 101. 103. 122. 148). hinweist (S. Ebbinghaus, Art. Rhyton: The-
Solche Dynamisierung der Tempeleinrich- saurus Cultus et Rituum Antiquorum 5 [Los
tung ist für den M.kult typisch (A. Schatz- Angeles 2005] 201/3). Die Suggestivität der
mann, Möglichkeiten u. Grenzen einer funk- Blut-Wein Semantik wurde offensichtlich
tionellen Topographie von M.-Heiligtümern: voll ausgenutzt (Turcan, Mithriacisme 61f).
M. Martens / G. De Boe [Hrsg.], Roman Mi- Die Musterfunktion solcher Darstellungen
thraism [Brussel 2004] 11/24). So wurden die für die Kultpraxis wird auch anderweitig un-
Themen Tag u. Nacht, *Licht u. Finsternis, terstrichen. Manchmal kommen als Bankett-
Sonne u. Mond, Ablauf der Zeit, Abfolge der diener nicht Cautes u. Cautopates, sondern
Jahreszeiten usw. durch Spezialeffekte Inhaber des niedrigsten Mitgliedsranges
(durchlöcherte Altäre bzw. Reliefs; Merkel- vor, des Corax (Rabe; Merkelbach Abb. 15.
bach Abb. 20. 23. 55. 86b. 87. 89. 99. 124. 134. 53, vgl. 148 [abweichende Darstellung]; J. P.
164), Öffnungen in der Decke (zB. Terme di Kane, The mithraic cult-meal: Hinnells, Mi-
Mitra, Ostia), Fackelschein, Öllampen, Koh- thraic studies 313/51, bes. 347f). Auch die ar-
lenbecken usw. (Clauss, Mysterien 130/7; B. chitektonische Gestaltung des Tempels
Päffgen, Art. Lampe: o. Bd. 22, 904f; M. machte die Signifikanz des Banketts deut-
Wallraff, Art. Licht: ebd. 23, 107; noch als lich: Die Seitenpodien waren als Liegeplätze
,iranisch-persische Gedanken‘ von W. Gun- für solche Veranstaltungen konzipiert
del, Art. Astralreligion: o. Bd. 1, 813f vorge- (Klöckner aO. 210). In einer Stadt wie Ostia,
führt) visualisiert. Zu dieser Dynamisierung auch in Rom (F. Kolb, Rom [1995] 614f; Lex-
gehörten auch punktuelle Weihrauchver- TopUrbRom 3 [Roma 1996] 257/70 s. v. Mi-
brennung (J. Bird, Incense in Mithraic ritual: thra), hatte jedes Unterviertel ,seinen‘ M.-
D. Peacock / D. Williams [Hrsg.], Food for Tempel, der in verpachteten Räumlichkeiten
the gods [Oxford 2007] 122/34), *Akklamati- bei öffentlichen Gebäuden, horrea, ,magaz-
onen (Vermaseren / van Essen 232/9), das zini‘, Badehäusern, insulae, auch Privathäu-
Invozieren verschiedener mythischer Mo- sern eingerichtet wurde. Wenn man mit un-
mente (zB. S. Prisca, Rom [ebd. 193f]: Fons gefähr 0, 80/1, 20m2 pro liegender Person
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17 Mithras 18

rechnet, hätte das kleinste der 16 ausgegra- (die interne Selbstbezeichnung war syndeÂ-
benen Mithräen in Ostia Platz für maximal jiow, lat. syndexius, ,der, der sich durch
18 Mitfeiernde geboten, das größte für 45 (J. Handschlag gebunden hat‘; auch im Plural:
T. Bakker, Living and working with the Vermaseren, Corp. Mithr. nr. 423 [Rom]). Es
Gods [Amsterdam 1994] 112/5). Der größte ist trotzdem nicht zu bezweifeln, dass der
bisher bekannte Tempel (Els Munts, Tarr- M.kult bemüht war, seinen Anhängern län-
agon [nicht ganz sicher als mithräisch erwie- gerfristige religiöse Perspektiven zu eröff-
sen]) misst 250m2. In Italien gibt es selten nen, indem er eine Reihe verschiedener Qua-
Neben- u. Nutzräume, das Essen wurde dort lifizierungsstufen anbot (ob diese Etappen
meistens fertig eingekauft. In den Provin- ,Einweihungsgrade‘ genannt werden sollen,
zen, wo die Tempel oft freistehend am Rande ist unerheblich; G. Sfameni Gasparro, Misteri
von Siedlungen gegründet wurden, zuerst in e teologie [Cosenza 2003] 119/60. 233/48). Auf
einfacher Bauweise (zB. Holz), später in der Basis von Hieron. ep. 107, 2, 2 hat man
Stein, sind solche Nebenräume, in denen das traditionell angenommen, dass es sieben sol-
Essen zubereitet wurde, üblich. Untersu- cher Ränge gegeben habe: in aufsteigender
chungen der osteologischen Überreste sol- Rangfolge Corax (,Rabe‘), Nymphus (,männ-
cher Kultbankette zeigen, dass die M.-An- liche Braut‘; zur Lesart Merkelbach 772), Mi-
hänger in den Provinzen sich einen bewusst les (,Soldat‘), Leo (,Löwe‘), Perses (,Perser‘),
,italischen‘, d. h. relativ teuren u. hochwer- Heliodromus (,Sonnenläufer‘), Pater (,Va-
tigen Speiseplan aussuchten, Anzeichen so- ter‘), die als die generalisierbare Struktur
wohl für den relativ hohen Sozialstatus wie einer M.-Gemeinde anzusehen seien. Namen
auch das Selbstwertgefühl (A. von den u. Anzahl werden durch Funde im S. Prisca-
Driesch / N. Pöllath, Tierknochen aus dem Mithräum (Bildnachweis: Bianchi Taf.
M.-Tempel von Künzing, Lkr. Deggendorf: I/XXIV) wie auch im Tempel ,di Felicissimo‘
K. Schmotz [Hrsg.], Vorträge des 18. Nie- in Ostia (Vermaseren, Corp. Mithr. nr. 299 =
derbayerischen Archäologentages [2000] Merkelbach Abb. 38; Becatti 105/12) bestä-
145/62). Der Kult basierte somit auf gegen- tigt. Heute wird jedoch bezweifelt, ob diese
seitigen Interessen, Freundschaft u. Intimi- feste Struktur überall rezipiert wurde (Al-
tät, jeder Anhänger kannte die anderen; um- var 364/71): Gradnamen sind zB. im gesam-
gekehrt implizieren Freundschaft u. Intimi- ten Rhein-Donau-Gebiet kaum nachweisbar
tät auch Exklusivität. Der M.kult dient (Clauss, Mysterien 138/40); auch in Italien
daher als Musterbeispiel für die Spezialisie- kommen nur der höchste Rang (Pater) u. der
rung, Privatisierung u. Verselbständigung *Löwe öfter vor (Merkelbachs Postulat
religiöser Institutionen im Röm. Reich. Es [77/133], dass die Grade überall in der Iko-
muss aber auch betont werden, dass unge- nographie heimlich präsent seien, entbehrt
fähr 15% aller bekannten M.-Reliefs auf- jeglicher Grundlage). Es mag sein, dass man
grund ihrer geringen Flächengröße unmög- in Rom u. Ostia bemüht war, die (bis auf den
lich als Kultreliefs gedient haben können u. Pater zeitbefristeten) Ränge mit den beweg-
daher als Darstellungen für private, d. h. lichen Teilen des *Kosmos in Einklang zu
nichtgemeinschaftliche religiöse Zwecke zu bringen u. deswegen eine eher lockere
betrachten sind. Struktur bevorzugte (R. Turcan, Hiérarchie
M 3570 014 c. Mysterien. Die einzigen Texte, die den sacerdotale et astrologie dans les Mystères
M.kult klar als ,Mysterien‘ bezeichnen, sind de Mithra: R. Gyselen [Hrsg.], La sciences
neuplatonisch u. christlich (s. unten). Weder des cieux [Paris 1999] 249/61). In *Dura-
die Wandtexte im Mithräum unterhalb der Europos allerdings, wo viele nama-Akkla-
S. Prisca-Kirche in Rom (Vermaseren / van mationen die Bedeutung der Ränge im reli-
Essen 149/240), noch die übrigen Votivin- giösen Leben der Anhänger attestieren,
schriften deuten auf ein solches Selbstver- existierte die Korrelation zwischen Planeten
ständnis. Der einzige interne Hinweis u. Graden anscheinend nicht; auch kommt
könnte eine von *Firmicus Maternus err. 5, 2 der Name Heliodromus dort nicht vor, dafür
tradierte griech. (u. daher nicht ohne Wei- aber der sonst unbekannte sterevÂthw, ,Be-
teres im Westen geläufige) Begrüßungsfor- festiger‘ (des Himmelgewölbes [∼ des Pak-
mel sein: MyÂsta booklopiÂhw, syndeÂjie pa- tes?]; vgl. Francis 441f). Dass Ränge in Vo-
troÁw aÆgayoyÄ ,Eingeweihter eines Stierdieb- tivinschriften kaum erwähnt werden, hängt
stahls, Händedrücker eines illustren Vaters‘ jedoch auch damit zusammen, dass sie vor-
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19 Mithras 20

übergehende Abschnitte waren (A. Chalupa, Beitrag zur kognitiven Frage, obwohl die
Seven Mithraic grades: Religio 16 [2008] Grundthese des ,star-talk‘ in dieser Form
177/202), deren Erlangen man anderweitig wohl inakzeptabel ist]). Eine Standardisie-
betonen konnte. Im Mainzer Mithräum rung der Ritualvorgänge u. deren Interpre-
wurde ein kultisches Schlangengefäß gefun- tationen hatte keinen Stellenwert u. wäre so-
den, das zwei verschiedene Momente der wieso unmöglich gewesen, weil jede M.-
Einführung in den Grad ,Miles‘ darstellt (I. Gruppierung nach den Vorstellungen des
Huld-Zetsche, Der M.kult in Mainz [2008] jeweiligen Vorstehers (Pater, später auch
77/9 nr. 552; 106/8 [falsch interpretiert]; Al- pater et sacerdos; vgl. F. Mitthof, Der Vor-
var 347f. 371f). Die einzigen für die Inter- stand der Kultgemeinden des M.: Klio 74
pretation der intern rezipierten Intention [1992] 275/90) agierte; zudem gab es anschei-
des M.kultes brauchbaren Texte sind die lei- nend keine gemeindeübergreifende Organi-
der schlecht überlieferten Hymnenzitate im sation. Dass das Hervorrufen von Angstzu-
S. Prisca-Mithräum, Rom, die als Aufschrif- ständen bzw. körperliches Leiden eine ge-
ten zu den Anhänger-Porträts an den Wän- wisse Rolle beim Aufstieg in den
den angebracht wurden (in zwei erhaltenen nächsthöheren Rang spielen konnte, belegt
Schichten, ca. 200 u. 220 nC.). Sie betonen das oben erwähnte Mainzer Schlangengefäß
einerseits die subjektive Identifikation mit (120/40 nC.), auf dem der Pater mit einem
dem Helden M. u. seinen anstrengenden Ta- Bogen auf einen kauernden, nackten, ange-
ten (Vermaseren / van Essen 200/2: hunc henden Miles zielt; ausführlicher, aber nicht
quem aur[ei]s humeris portavit more iuven- mit einem bestimmten Rang in Verbindung
cum, ,den Jungstier, den er [M.] pflichtge- zu bringen, sind die Podien-Szenen des Mi-
mäß auf seinen goldenen Schultern trug‘; thräums von Capua / Neapel (ca. 250 nC.;
auch 204f: atque perlata humeris [...] maxima Merkelbach Abb. 28/32; R. Turcan, Art. In-
divum, ,die Anweisungen der Götter [...] auf itiation: o. Bd. 18, 120f; R. L. Gordon, The
den Schultern‘), weisen aber zudem auf be- Mithraic body: Casadio / Johnston aO. [o. Sp.
sondere kultische Aufgaben der Löwen hin, ] 379/415). Eine solche Betonung des
die auch anderswo ikonographisch mit Feuer männlichen Körpers implizierte zudem die
in Verbindung gebracht werden: accipe thu- durch die Steingeburt des M. legitimierte
ricremos Pater accipe sancte Leones, per Ausschließung von Frauen (die beste neuere
quos thuradamus, per quos consumimur ipsi, Diskussion: A. Chalupa, Hyenas or Liones-
,Empfange, heiliger Vater, die weihrauch- ses? Mithraism and women: Religio 13 [2005]
verbrennenden Löwen, durch die wir Weih- 199/230). Das Symbolum ueoÁw eÆk peÂtraw
rauch darbringen, durch die wir gereinigt (Firm. Mat. err. 20, 1) bedeutete u. a., dass
werden‘ (ebd. 224/32; H.-M. Jackson, The me- M. keine leibliche Mutter hatte (M. J. Ver-
aning and function of the Leontocephaline in maseren, The miraculous birth of M.: Mnem
Roman Mithraism: Numen 32 [1985] 30). So- NS 4 [1951] 285/301; Clauss, Mysterien 42;
wohl die Darstellung einer Reihe von gaben- Alvar 119f); stattdessen wurde der Stein als
tragenden Löwen in diesem Tempel als auch ,Mutterfels‘ (petra genetrix) betrachtet (J.
die Termini pater leonum (Sentinum: Dessau Daniélou, Art. Fels: o. Bd. 7, 723f; W.
nr. 4215 = Vermaseren, Corp. Mithr. nr. 688) Speyer, Art. Genealogie: o. Bd. 9, 1160).
bzw. leonteum (C. Aloe Spada, Il leo nella Diese mythische Angabe rief die Frage her-
gerarchia dei gradi mitriaci: Bianchi 639/48, vor, wie M. als mutterloser Säugling über-
bes. 647; s. u. Sp. ) implizieren einen nor- haupt überlebt habe. Ein vor kurzem veröf-
mativen Status dieses Grades in der Kultor- fentlichtes Relief im Jerusalemer Museum,
ganisation. Eine ausgiebige Diskursivierung das M. als tiaratragendes Kleinkind zeigt,
einer mithräischen ,Theologie‘ gab es an- das Traubensaft direkt von der Weinrebe
scheinend nicht: Man wurde durch das kol- saugt (A. de Jong, A new Syrian Mithraic
lektive Aussprechen von zunächst undurch- tauroctony: Bull. of the Asia Institute NS 11
schaubaren, prägnanten Stichwörtern bzw. [1997] 53/63), verdeutlicht, dass der felsge-
Akklamationen in die Lage versetzt, selbst borene M. keine Mutter brauchte. Gleichzei-
wesentliche Feststellungen u. Zusammen- tig präfigurieren die Weintrauben die Be-
hänge zu begreifen bzw. zu formulieren (R. deutung des Weins im Kult selbst, der im
Beck, The religion of the M.cult in the Ro- gemeinsam von M. u. Sol gefeierten Opfer-
man Empire [Oxford 2006] [ein wichtiger bankett eine zentrale Rolle spielt (zB. auf
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21 Mithras 22

dem Ladenburger Relief mit Kultmahlszene: dadurch seine geordnete Struktur erhielt u.
E. Schwertheim, Die Denkmäler oriental. mit Vitalkraft erfüllt wurde, eine Vorstel-
Gottheiten im röm. Deutschland [Leiden lung, die in verschiedener Weise im Kultre-
1974] 188f nr. 144; R. Wiegels, Lopodunum II lief ausgedrückt wird (zB. die stetige Prä-
59 [2000] 125 nr. G 21). Trauben u. Wein im- senz von Sonne u. Mond als kontrastierendes
plizierten somit wiederum den Ausschluss Paar; die Zodiakalzeichen am Oberrand der
von Frauen. In dieser Hinsicht bewahrte der Höhle [zB. Merkelbach Abb. 15. 52. 101. 112.
M.kult die traditionellen Mitgliedsbestim- 127]; die vom Zodiakalkreis umringte Stier-
mungen des griech. Symposions, wenn auch tötungsszene [ebd. 18. 81]; Sterne auf dem
auf anderer geistiger Basis. In einer proble- Reliefhintergrund oder verstreut auf M.s
matischen Passage behauptet Eubulus, zwei- Umhang [ebd. 41. 50. 52. 54]). Wie diese Vor-
fellos mit Berufung auf Numenius, dass die stellung mit der Vernichtung der Giganten
höchste Kaste der pers. Magier der Doktrin durch Jupiter, die in der üblichen griech.-
der Metempsychose angehangen habe u. röm. mythischen Kosmologie die Weltord-
dass dieselbe Doktrin in den M.-Mysterien nung etablierte, vereinbart wurde, wissen
eine Rolle spiele (wobei er davon ausgeht, wir nicht. Der M.-Tempel wurde ebenfalls
dass der Kult auf diese Magier zurückgehe): oft als Kosmos ausgestattet (zB. ,Sette
Etliche der im M.kult dargebotenen Tiere Sfere‘ in Ostia [Merkelbach Abb. 34]; S. Cle-
seien allegorische Abbildungen des Bandes mente, Rom [ebd. Abb. 43]; Capua [ebd. Abb.
zwischen Mensch u. Tier, zB. würden die 24]); die Einrichtung von M.-Tempeln in na-
Vollmitglieder der M.-Mysterien ,Löwen‘, türlichen Höhlen spielte in anderer Weise
Frauen ,Hyänen‘ u. die Diener ,Raben‘ ge- auf die Wechselwirkungen zwischen erinner-
nannt (bei Porph. abst. 4, 16: vëw toyÁw meÁn me- tem Mythos u. kosmischer Signifikanz an (H.
teÂxontaw tvÄ n ayÆtv
Ä n oÆrgiÂvn myÂstaw leÂontaw Lavagne, Importance de la grotte dans le
kaleiÄn, taÁw deÁ gynaiÄkaw yëeaiÂnaw, toyÁw deÁ mithriacisme en Occident: Duchesne-Guille-
yëphretoyÄntaw koÂrakaw). Die Erwähnung min 271/8; Schütte-Maischatz / Winter aO. [o.
von ,Hyänen‘ (so im Hauptmanuskript Vat. Sp. ] 127/9). Die Vorstellung eines durch
gr. 325, von I. B. Felicianus eigenmächtig in M. geordneten Kosmos wird explizit in ei-
leaiÂnaw geändert) hat in der Forschung Ver- nem Zitat in S. Prisca thematisiert, das das
wunderung hervorgerufen. Sollte die Über- Vortragen einer dichterischen Beschreibung
lieferung jedoch authentisch sein, deutet das dieser Ordnung in der Tradition des Aratus
auf eine moralische Rechtfertigung des Aus- impliziert: Primus et hic Aries astrictius or-
schlusses von Frauen hin, da *Hyänen dine currit, ,Hier läuft auch der Widder sehr
sprichwörtlich für Zweideutigkeit u. Unzu- ordentlich in der Reihe‘ (scil. der Reihe der
verlässigkeit standen (F. Witek / H. Brak- Zodiakalzeichen; vgl. Vermaseren / van Es-
mann: o. Bd. 16, 894/8). Die große Populari- sen 213 [falsch interpretiert]). Eine solche
tät des M.kultes legt nahe, dass diese noch- Dichtung stellt einen kultinternen Teilkom-
malige Bestätigung der Rechtmäßigkeit der mentar zur kosmischen Bedeutung der Stier-
asymmetrischen Einstufung der Geschlech- tötung dar, der in irgendeiner Form vermut-
ter sowie der moralischen Überlegenheit des lich auch in anderen Mithräen inszeniert
Mannes, die auch in den Darstellungen von wurde. Im letzten Viertel des vorigen Jh. hat
makrouymiÂa (duldsames Ertragen von Leid) man mit unterschiedlichen Lösungen immer
in Capua zum Ausdruck kam u. in der spät- wieder versucht, die Stiertötungsszene im
antiken Verherrlichung des *Herakles als engeren Sinne als Bezeichnung eines be-
moralischen Helden eine Parallele hat, stimmten Abschnitts des Sternhimmels zu
durchaus Anklang fand. Diese Denkweise entschlüsseln (vgl. Alvar 93/100). Dieser Re-
war somit kein Nachteil, sondern gab dem kurs auf die allegorischen Interpretations-
Kult vielmehr ein klares ethisch-soziales versuche der Renaissance, der heute aus gu-
Profil. ten Gründen weitgehend abgelehnt wird
M 3570 015 III. Kosmologie u. Jenseitsvorstellungen. (Beck, Mithraism 235/50; vgl. P. Herz: Gno-
In den Provinzen wird der M.-Tempel tem- mon 54 [1982] 88/90; K. Rudolph: OrLitZt 88
plum genannt, in Rom dagegen öfter spe- [1983] 275/80), offenbarte nur das wieder-
laeum, ,Höhle‘. Diese Bezeichnung weist so- holte Verlangen von Wissenschaftlern nach
wohl auf die Naturhöhle, wo M. den Stier zu einer dem vermeintlichen Wesen einer ,Mys-
Tode brachte, als auch auf den *Kosmos, der terienreligion‘ entsprechenden Geheimlehre.
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23 Mithras 24

Unbestritten aber ist die Tatsache, dass as- u. zwar die sowohl positiven wie auch nega-
tronomisch-astrologisches Gedankengut im tiven Auswirkungen dieses sehr langen Zeit-
M.kult eine viel extensivere Rolle spielte als verlaufs, darstellte (vgl. Jackson aO. [o. Sp.
bei anderen neuen Kulten in der griech.-röm. ] 20/3). Möglicherweise galt der Gott als
Welt. Die plausibelste Erklärung dafür ist, Areimanius (RomInscrBrit nr. 641; Bianchi
dass mit diesem die immerwährende Erhal- aO. [o. Sp. ] 24). Dass diese Vorstellung
tung des posteudoxischen Kosmos durch M. im M.kult relativ schwach entwickelt u. frei
dargestellt werden konnte (vgl. M. J. Ver- interpretierbar wurde, zeigt die sehr unein-
maseren, Mithriaca 2 [Leiden 1974] 21/3). heitliche, eklektische, bisweilen sich wider-
Dazu würde passen, dass es im Mithräum sprechende Ikonographie (J. R. Hinnells, Re-
von Dura-Europos den Status oder Lobna- flections on the lion-headed figure in Mi-
men bzw. die Funktion des sofisthÂw, ,Viel- thraism: Monumentum H. S. Nyberg 1
wissenden‘, gab (Francis 440). Auch die Auf- [Leiden 1975] 333/69; Fauth 26/33). Es kann
listung der astronomisch bedingten sieben nicht ganz ausgeschlossen werden, dass es
Wochentage (zB. Vermaseren, Corp. Mithr. hier u. dort weitergehende Spekulationen
nr. 693: Bologna; ebd. 1727: Brigetio, Pan- über Kosmologie, zB. eine hyperkosmische
nonia superior) dürfte die Wechselwirkung Sonne, gab (A. Mastrocinque, Des mystères
zwischen kosmischer Ordnung u. menschli- de Mithra aux mystères de Jésus [Stuttgart
chem Dasein illustrieren (R. L. Beck, Plane- 2009] 82/91); zuverlässige Indizien dafür sind
tary gods and planetary orders [Leiden allerdings extrem dürftig. Die traditionelle
1988] 15/30). Als Lenker des Kosmos wurde Interpretation des M.kultes als Mysterien-
M. zu einem omnipotenten bzw. henotheisti- religion hat zu der Überzeugung geführt,
schen Gott erhoben (vgl. IG 14, 998 = IGUr- dass die Seele nach dem Tod durch die sie-
bRom nr. 125; M. Clauss, Omnipotens M.: ben Planeten in den Himmel aufsteige (Mer-
Epigraphica 50 [1988] 151/61; R. L. Gordon, kelbach 228/44; Jackson aO. 28). Diese An-
M. Helios astrobrontodaimôn?: ebd. 68 [2006] sicht stützt sich im Wesentlichen auf zwei
155/94); als Lichtgott wurde er hin u. wieder Punkte: die Himmelsreise des M. in Helios’
im 3. Jh. mit dem Phanes der orphischen Quadriga am Ende seines irdischen Wirkens,
Rhapsodien assoziiert (Vermaseren, Corp. u. die Behauptungen einiger neuplatonischer
Mithr. nr. 475 = IGUrbRom nr. 108; vgl. M. Texte, die eine einseitige, zT. sogar fiktive
saecularis in Housesteads, Britannien: Ver- Darstellung des M.kultes darbieten (s. u. Sp.
maseren, Corp. Mithr. nr. 864 = RomIn- ). Man wendet dagegen ein, dass a) der
scrBrit nr. 1599; Steingeburt als Phanes: M.kult keine eigene Grabmal-Ikonographie
Vermaseren, Corp. Mithr. nr. 860; vgl. J. entwickelt habe, u. b) die Erwartung an eine
Haussleiter, Art. Ei: o. Bd. 4, 735; der Mo- seelische Himmelsreise weder in den Zitaten
dena Pantheus / Aion, wenn auch nicht im aus S. Prisca noch in den dipinti im Mi-
Kontext des organisierten Kultes entstan- thräum von Dura-Europos thematisiert
den, weist ebenfalls auf solche Spekulationen werde. Ein Hinweis darauf, dass das Thema
hin; Vermaseren, Corp. Mithr. nr. 695 = Mer- Tod trotzdem von Belang war, ist die Loka-
kelbach Abb. 324; vgl. M. Le Glay, Art. Aion: lisierung vieler Mithräen, vor allem in Ger-
LexIconMythClass 1 [1981] 403 nr. 17). Ein mania u. Belgica, am Rande des vicus, wo
besonderes Problem stellt in diesem Zusam- auch die Nekropoleis angesiedelt waren (A.
menhang der auf der Weltkugel stehende, Hensen, Mithräum u. Grab: Saalburg-Jb. 50
schlangenumwundene, löwenköpfige Gott [2000] 87/94). Man sollte deswegen in der
dar, der anscheinend erst im Laufe der spä- Bankettszene zwischen M. u. Sol, deren Iko-
ten antoninischen Periode in der röm. Iko- nographie direkt auf das heroische Toten-
nographie aufkommt (Museo Torlonia, Rom: mahl anspielt (J. Fabricius, Die hellenist. To-
Merkelbach Abb. 65, ,Mitreo di Fagan‘; tenmahlreliefs [1999], bes. 21/108), einen
Ostia: ebd. 40 [190 nC.]). Aufgrund des Fres- Hinweis auf die mithräische Vorstellung der
kos des Barberini-Mithräums in Rom, wo individuellen Zukunft nach dem Tode sehen.
diese Figur die Stelle des Schlusssteins in Genau wie das mythische Kultbankett wäre
der Reihe der Zodiakalzeichen einnimmt dessen Wiederholung durch die Kultanhän-
(ebd. Abb. 52), darf man annehmen, dass der ger u. a. auch eine Todesmahlzeit, die die
Gott eine an die Bedürfnisse der mithräi- Hoffnung auf einen ,guten Tod‘ widerspie-
schen Symbolik angepasste Form des Aion, gelt, ohne Festlegung auf ein bestimmtes
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25 Mithras 26

post-mortem Szenario. In eine ähnliche Rich- Pomp. 24, 7; s. o. Sp. ), als auch sein Ex-
tung deuten mehrere eigenartige Darstel- kurs zum iran. Dualismus (Is. et Os. 46,
lungen dieses mythischen Moments (vor al- 369D/47, 370C; de Jong 171/7) entspringt die-
lem ein Relief aus Tróia / Setubal, Lusita- ser Überzeugung. Die Selbststilisierung des
nien: Vermaseren, Corp. Mithr. nr. 798; M.kultes als persisch (zB. die Anführung
Terrasigillata-Schale im Rheinischen Lan- echter oder vermeintlich persischer Wörter,
desmuseum Trier: Merkelbach Abb. 93 = die Begrüßungsformel ,nama‘, das M.-Epi-
Schwertheim aO. [o. Sp. ] 239 nr. 206; theton ,nabarze‘, der Gott Areimanius)
Rückseite des Fiano-Romano-Reliefs: Mer- führte dazu, dass er nicht nur als eine nahe-
kelbach Abb. 70). Für eine hauptsächlich in- liegende Materialquelle für die pers. Reli-
nerweltliche Ausrichtung des Kultes spricht gion als solche wahrgenommen wurde, son-
nicht nur das reguläre Epitheton invictus u. dern die These stützte, dass auch die Magoi
die Institution der Votivgabe mit deren üb- die allegorische Methode verwendeten: Orig.
lichen Formeln pro se et suis u. ä., sondern c. Cels. 1, 12 zB. behauptet, dass die Perser
auch die in Germanien häufig vorkommende Mysterien praktizierten, die von den Gelehr-
Identifizierung des M. mit Mercurius, dem ten vollkommen verstanden, aber von den
Gott des Wohlbefindens (A. Hensen, Mercu- Halb- u. Ungebildeten nur performativ aus-
rio Mithrae: Provinzialröm. Forschungen, geführt würden.
Festschr. G. Ulbert [1995] 211/6; in Gallien 1. Numenius u. Cronius. Soweit wir wis- M 3570 017
wird er sowohl mit dem Wein als auch mit sen, waren Numenius (Mitte des 2. Jh. nC.)
[Heil-] Quellen verbunden; E. Thévenot, Le u. dessen Mitstreiter Cronius die ersten, die
dieu-cavalier, Mithra et Apollon: NouvClio versuchten, den M.kult wie auch die Eleusi-
1/2 [1949/50] 602/33). nischen Mysterien (frg. 55 [100 des Places])
M 3570 016 E. Auseinandersetzung mit Mithras in u. andere exotische Traditionen (frg. 1a [42
Kaiserzeit u. Christentum. I. Nichtchrist- des Pl.]) in dieser Weise systematisch zu in-
lich. a. Mittel- u. neuplatonische Rezeption. strumentalisieren. Numenius, der als pytha-
Die lange Konfrontation der Griechen mit gorisierender Platoniker zwischen den be-
dem achämenidischen Reich rief in der spät- greiflichen Erstprinzipien (aÆrxaiÂ), die für die
klass. u. hellenist. Zeit eine umfangreiche, kosmische Ordnung verantwortlich sind, u.
wenn auch tendenziöse kulturhistorische Li- der *Materie, die Unordnung verursacht,
teratur hervor (A. Momigliano, Alien wis- differenzierte, bezog sich in seiner dualisti-
dom [Cambridge 1975] 123/49). Schon im 4. schen Kosmologie auf den *Demiurgen u. die
Jh. vC. befassten sich Theopomp, Deinon u. Weltseele des platonischen ,Timaios‘: Als
Eudoxus, später Hermodor (2. Jh. vC.) u. So- dritter in der göttlichen Hierarchie führt der
tion (1. Jh. vC.) mit dem *Dualismus der Demiurg Ordnung in die Materie ein (frg.
mazdayaznischen Religion (Diog. L. 1 praef. 16f. 19/21 [57/60 des Pl.]). Die physische Welt
2; 6). Hierauf konnte man zurückgreifen, als des Werdens wurde durchaus positiv gese-
der frühe Mittelplatonismus die von Posido- hen (frg. 14. 16. 19 [55. 57. 59 des Pl.]; vgl. D.
nius (Sen. ep. 65) entwickelte Lehre des allen Wyrwa, Art. Kosmos: o. Bd. 21, 689f; M.
Menschen gemeinsamen *Logos übernahm, Frede, Numenius: ANRW 2, 36, 1 [1987]
wonach Spuren der vollkommenen Religio- 1034/75). Die ordnungs- u. lebensstiftende
sität der Urmenschheit in der religiösen Pra- Tat des M. passte sehr gut zu diesem
xis der sog. alten bzw. weisen Nationen, u. a. Schema: Der Gott wurde kurzerhand zum
der Ägypter u. Perser, noch vorhanden seien Demiurgen u. Herrn des Werdens erhoben
(Plut. Is. et Os. 66, 377D; frg. 157, 1 Sand- (dhmioyrgoÁw dÆvà n MiÂuraw kaiÁ geneÂsevw des-
bach; vgl. G. R. Boys-Stones, Post-Hellenis- poÂthw: Porph. antr. nymph. 24). Manche De-
tic philosophy [Oxford 2001] 3/59. 105/14). tails, die sicherlich (zB. Höhle-Kosmos-Glei-
Die Originalität des Mittelplatonismus lag chung) oder vermutlich aus einer verlässli-
diesbezüglich darin, gegen die stoische Kri- chen mithräischen Quelle stammen, wurden
tik der dogmatischen Systeme mit Hilfe ei- mit Traditionen aus der pers. Kulturge-
ner neuen Geschichte der Philosophie vor- schichte verbunden (zB. die Gründung der
zugehen, die speziell die Allegorie metho- pers. Religion durch Zoroaster, der auch den
disch anwendete. Sowohl Plutarchs M.kult erfunden haben soll [ebd. 6], oder die
Bemerkung, dass eine M.-teleth noch zu sei- Verbindung zwischen M. u. der Herbstta-
ner Zeit in Lykien zelebriert wurde (vit. gundnachtgleiche [ebd. 24], wofür es an-
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27 Mithras 28

scheinend keine archäologischen Belege im aO. [o. Sp. ] 21) eine Rolle spielten: Auf
organisierten Kult gibt). Dieses Potpourri dem Arcosolium der Kultnische des Mi-
wurde mit Hilfe der allegorischen Methode thräums in Dura-Europos (Phase 3, ca. 240
an die Hauptlinien der numenischen Philo- nC.) sind zwei bärtige Weise in persischer
sophie angepasst (Turcan, M. 62/89; vgl. J. Tracht auf Thronen abgebildet, jeder mit
Pépin, Porphyre, exégète d’Homère: H. Dör- Stab u. Schriftrolle (Merkelbach Abb. 16a),
rie, Porphyre [Genf 1966] 229/66). Da die Ori- die plausiblerweise als Magoi (vielleicht so-
ginaltexte nicht mehr erhalten sind, bleiben gar als Zoroaster u. *Ostanes) interpretiert
uns sowohl der Charakter u. die Interessen werden. Zudem wurden unter den dortigen
der mithräischen Quelle (direkter Informant; dipinti Hinweise auf eine Rolle oder Funk-
eine literarische Vermittlung?) als auch die tion maÂgow (Francis 440) u. ein Hymnenzitat
genauen Selektionsprinzipien des Numenius gefunden, das die Lehre der maÂgoi invoziert:
verborgen; sicher ist, dass die Informatio- pyrvtoÁn aËsuma toÁ kaiÁ maÂgoisi hà n[iÂ]ptron
nen, die sie enthalten, auch wenn sie hoch- oës{ s} iÂvn, ,feuriger Atem, der auch laut den
spezifisch u. daher überzeugend erscheinen, Magoi eine für Gottesfürchtige passende
nicht zu sehr verallgemeinert werden dür- Taufe ist‘ (Bidez / Cumont 2, 155 frg. o 9e; F.
fen. Wenn zB. ein neuplatonischer Autor wie Cumont, The Dura Mithraeum: Hinnells, Mi-
Eubulus berichtet, dass bei der Einweihung thraic studies 151/214, bes. 204f). Eine aus-
der Löwen deren Hände mit *Honig statt führlichere Betonung der Magoi im Ostmit-
Wasser gereinigt u. sie angewiesen wurden, telmeerraum ist also durchaus denkbar. Im
die Hände aÆpoÁ pantoÁw lyphroyÄ kaiÁ blapti- spätantiken Mithräum von Hawarte / Apa-
koyÄ kaiÁ mysaroyÄ, ,fern von allem Schmerz- mea, Syrien (370 nC.), hat man ein Wand-
lichen, Schädlichen u. Abscheulichen‘ zu hal- fresko gefunden, das mehrere rumpflose Dä-
ten u. dass ebenso ihre Zunge mit Honig aÆpoÁ monenköpfe auf einer Stadtmauer darstellt,
pantoÁw aëmartvloyÄ gereinigt wurde (bei die vielleicht auf eine gewisse Kenntnis des
Porph. antr. nymph. 15), stellt das wahr- echten mazdayaznischen M.kultes hinweisen
scheinlich nur das Ritual einer einzigen Ge- (M. Gawlikowski, The Mithraeum at Ha-
meinde dar (die Behauptung, dass Honigbe- warte and its paintings: JournRomArch 20
hälter im M.kult archäologisch nachweisbar [2007] 337/61).
seien [o. Bd. 16, 451 mit Lit.], entbehrt jeg- 2. Celsus. Am schwierigsten zu lösen ist M 3570 018
licher Grundlage; vgl. Bird aO. [o. Sp. ] die Frage nach der Seelenlehre, die neupla-
125). Nur wenn die generelle Thematik, wie tonische Texte dem M.kult mehrfach zu-
in diesem Fall (die Anforderung einer ethi- schreiben. Um 180 nC. hat Celsus in seiner
schen Haltung), auch in einer anderen Form Streitschrift gegen die Christen (Æ AlhuhÂw
belegt ist, zB. durch das Adjektiv aÆkeÂraiow, loÂgow) ein ,mithräisches‘ Symbolum be-
,rein / integer‘, in Dura-Europos (Francis schrieben, in der Form einer achtstufigen
440f) oder dikaioprajiÂaw ... loÂgoyw (Iustin. Leiter, die die Wanderung der Seelen durch
dial. 70, 1), sollten solche neuplatonischen zwei kosmische periÂodoi, den der Planeten
Darstellungen als vertrauenswürdig ange- u. den des Sternenhimmels, allegorisch dar-
sehen werden (Andresen aO. [o. Sp. ] stellen sollte (Orig. c. Cels. 6, 22; Turcan, M.
151). Ein weiteres Problem besteht darin, 44/61). Cumont hat diese Darstellung immer
dass sowohl die Information der neuplatoni- wieder als Beweis für ,die‘ mithräische See-
schen Texte als auch die von *Firmicus Ma- lenlehre vorgeführt, wonach die emporstei-
ternus gelieferten M.-Zitate ausnahmslos gende Seele des Verstorbenen die unerbitt-
griechischen Quellen entnommen wurden. lichen Wächter an jeder Stufe der Himmels-
Inwiefern die Ausführung des Kultes in den leiter (d. h. der Planetenreihenfolge) mit
Zentren des Ostmittelmeerraums (Alexan- vorgelernten Formeln (*Losungswort) be-
drien, Antiochia etc.) sich von der, die für sänftigen u. irdische Leidenschaften bzw.
den lat. Westen mehr oder weniger ,typisch‘ Fähigkeiten ablegen musste, bevor sie in den
bzw. ,charakteristisch‘ war, unterschied, ist achten Fixsternhimmel gelangen konnte
uns unbekannt. Es ist aber durchaus mög- (Religions 247/9; Mysterien 128/31; Lux 236.
lich, dass dort die im Westen kaum belegten 330f). Die Celsus-Passage liefert aber für ein
Magoi (der einzige westl. Hinweis ist das solches Szenario keinen Beweis (zu Recht er-
Wort ,magicas‘ in einem graffito im S. Pris- kennt P. Habermehl, Art. Jenseits: o. Bd. 17,
ca-Mithräum: AnnÉpigr 1980, 58 mit Bianchi 526/8 keine Himmels-Reise der Seele im
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29 Mithras 30

M.kult an). Weil die Planeten hier in keiner Magoi, von denen eine Elitegruppe das
physischen Reihenfolge, sondern in einer Fleischessen abgelehnt haben soll (Porph.
künstlichen, d. h. in der umgekehrten Rei- abst. 4, 16; vgl. R. Turcan, Salut mithriaque
henfolge der Wochentage, aufgelistet sind, u. et sotériologie néoplatonicienne: U. Bianchi /
diese Reihenfolge mit Hilfe einer Metalllehre M. J. Vermaseren [Hrsg.], Soteriologia dei
u. einer (ps-pythagoreischen?) musikalischen culti orientali nell’impero romano [Leiden
Theorie erläutert wird, kann man davon aus- 1982] 173/91). Auch wenn sie über authenti-
gehen, dass die Gesamtdarstellung aus ei- sche Information aus dem Kreis des M.kultes
nem platonisierenden bzw. chaldäisch-theur- verfügten, zB. die symbolische Verbindung
gischen Text entnommen wurde (Colpe 34f; zwischen Cautes u. dem Süden sowie Cau-
vgl. M. Frede, Celsus: ANRW 2, 36, 2 [1994] topates u. dem Norden (Porph. antr. nymph.
183/213). Die Celsus-Passage gewährt also 24), lag ihr Hauptinteresse nicht auf reiner
einen flüchtigen Einblick in eine von der ps- Überlieferung, sondern der Verwendbarkeit
zoroastrischen PeriÁ fyÂsevw inspirierte mys- der Fakten für ihre eigene Argumentations-
teriosophische Literatur, von der allerdings linie.
kaum etwas erhalten ist (vgl. Orig. c. Cels. 1, 4. Chaldäisch-theurgische Spekulation. In M 3570 020
16 = Bidez / Cumont 2, 139 frg. o 3; Michael Bezug auf die Perser u. die Magoi behauptet
Psellus, ÆEgkvÂmion eiÆw thÁn mhteÂra ayÆtoyÄ = Firm. Mat. err. 5, 1f, dass sie das Prinzip
Bidez / Cumont 2, 140f frg. o 6). Gerade weil Feuer in zwei Gestalten plastisch darstellen,
diese Literatur als die geheime bzw. ,wahre‘ sowohl als eine dreigesichtige u. von Schlan-
Lehre der pers. maÂgoi firmierte, diente sie gen umschlungene Frauenstatue (et mulie-
den Neuplatonikern bzw. Theurgen als ver- rem quidem triformi vultu constituunt,
meintliche Quelle für die Lehre des M.kultes. monstruosis eam serpentibus inligantes) als
M 3570 019 3. Eubulus u. Pallas. Wahrscheinlich zwi- auch als den Stierdieb M. Zuverlässige In-
schen Celsus u. Porphyrius (234/nach 300 formation über den M.kult (s. o. Sp. )
nC.) äußerten sich Eubulus u. Pallas aus- wird hier mit ,chaldäischer‘ Spekulation über
führlich zu M. (möglicherweise sind beide die Universalgöttin *Hekate vermengt. Fir-
vor Celsus anzusetzen, es fehlen gesicherte micus’ unmittelbar anschließende Interpre-
Daten). Leider sind nur ein paar Zitate bei tation dieser drei Gesichter (err. 5, 3) als
Porph. antr. nymph. erhalten (F. Buffière, Athene, Artemis u. Aphrodite, die als Sym-
Les mythes d’Homère [Paris 1957] 419/59; bole für die drei Teile der Seele, ira, mens,
Turcan, M. 23/43; zum chronologischen Ver- libido, dienen sollten, geht auf Porph. philos.
hältnis: M. Patillon / A. Ph. Segonds [Hrsg.], orac. haur. (122f Wolff) zurück u. stammt so-
Porphyre, De l’abstinence 3 [Paris 1995] mit aus den Chaldäischen Orakeln, die jener
XXXV94). In der Tradition von Numenius u. interpretiert (A. Pastorino [Hrsg.], Iuli Fir-
Cronius schrieben sie den Persern bzw. den mici Materni, De errore profanarum religi-
Magoi eine platonisierende Seelenlehre zu onum2 [Firenze 1969] zSt.; K. Ziegler, Art.
(vgl. Plat. leg. 10, 899d). Nach Eubulus ver- Firmicus Maternus: o. Bd. 7, 951; der verein-
mittelten diese den Mysten allegorisch thÁn zelt geäußerten Behauptung, dass der He-
eiÆw kaÂtv kaÂuodon tvÄ n cyxvÄ n kaiÁ paÂlin eÍjo- katekult innerhalb des M.kultes gut belegt
don, ,den Weg der Seelen nach unten u. den, sei, mangelt es an einer verlässlichen Quel-
der wieder zum Ausgang führt‘ (bei Porph. lenbasis). Ähnliche Belege für die Verwen-
antr. nymph. 6). Pallas beschäftigte sich in- dung angeblich persischer Elemente inner-
tensiv mit der Bedeutung der Tiernamen im halb der neuplatonischen Tradition lassen
M.kult u. interpretierte sie als Beweis für die sich in der These finden, dass im Mysteri-
Lehre der Metempsychose (Porph. abst. 4, enkult des M. UeÂmiw (die Quelle der Ordnung
16). Angesichts der Tatsache, dass die Un- im Universum) mit ÆAnaÂgkh (Notwendigkeit)
zerstörbarkeit der (rationalen) Seele eines identifiziert wurde (Procl. in Plat. remp. 10,
der Hauptanliegen des Numenius war (Orig. 620de [2, 345 Kroll]). Wie auch im Fall von
c. Cels. 5, 57) u. Cronius ein ganzes Werk Firmicus Maternus wird hier die chaldäisch-
über Metempsychose verfasste (Nemes. Em. theurgische Vorstellung von der ÆAnaÂgkh zu-
nat. hom. 2, 117 [35 Morani]), sollte man die grunde gelegt, die über die Ordnung des
Auslegungen von Eubulus u. Pallas relativ Kosmos wacht, besonders über die Bahnen
kritisch beurteilen, nicht zuletzt aufgrund der Himmelskörper, u. die deshalb mit der
der Zuschreibung solcher Ideen an die pers. Physis, der Natur, gleichgesetzt wurde;
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31 Mithras 32

diese aber ist einer der drei Aspekte oder selrolle ein (M. Papathanassiou, Astronomie,
Tätigkeitsbereiche der Hekate (Lewy 98. Astrologie u. Physik in der Rede Kaiser Ju-
355; S. I. Johnston, Hekate Soteira [Atlanta lians auf König Helios: Klio 72 [1990]
1990] 162). Es ist jedoch anzunehmen, dass 498/507). Hier spielt M. im Vergleich zu der
solche neuplatonischen bzw. chaldäisch- Sonne des theurgischen Systems eine uner-
theurgischen Spekulationen einen gewissen hebliche Nebenrolle. Der Ausdruck oë pathÁr
Einfluss auf die gebildeten Anhänger des M., MiÂuraw (Caes. 336C [2, 2, 71 Bidez / Lacom-
zumindest in den Metropolen des östl. Mit- brade]) bezeichnet nicht den M. des organi-
telmeerraumes, ausübten. Zudem mögen die sierten Kultes, sondern die theurgisch-chal-
drei ,Herrscher‘ der theurgischen *Initia- däische Sonne, deren Strahlen als unent-
tion, Aion, Sonne u. Mond, sowie die chaldä- behrliches Vehikel der zum noetischen Licht
ische Doktrin, die Seele werde in einem Son- hinauffahrenden Seele fungierten (R. Witt,
nenstrahl emporgehoben (Orac. Chald. frg. Iamblichus as a forerunner of Julian: B. Dals-
86. 116. 121. 194 [88. 95f. 112 des Places]; vgl. gaard Larsen [Hrsg.], De Jamblique à Pro-
Lewy 144/6. 177/226. 417/21), zu ähnlichen clus [Genève 1975] 35/67; vgl. Lippold aO.
Spekulationen in mithräischem Kontext ge- 471/3). Wenn Julian überhaupt als M.-Anhän-
führt haben; stichhaltige Beweise für solchen ger verstanden werden kann, dann nur in-
Einfluss fehlen jedoch. Ist dieser Punkt er- sofern, als er dieser leicht ,mithräischen‘
reicht, ergeht man sich zwangsläufig in Ver- Einflusssphäre verpflichtet war.
mutungen, die eine immer losere Verbin- b. In spätantiken Ritualtexten. 1. Die ,Mi- M 3570 022
dung zum organisierten Kult haben, der thras-Liturgie‘. A. Dieterich, Eine M.-Litur-
selbst weder zentralisierbar noch dogma- gie3 (1923), versuchte das Cumont’sche Ge-
tisch uniform war. samtbild zu unterminieren, indem er den
M 3570 021 5. Kaiser Julian. Man hat öfters behaup- vermeintlichen textuellen Beweis für insze-
tet, dass Kaiser *Iulianus selbst in die M.- nierte kosmokinetische Phänomene, hocham-
Mysterien eingeweiht worden sei, entweder bitionierte individuelle Himmelfahrten u. un-
als junger Mann oder aber erst iJ. 362 (zB. J. vermittelte Begegnungen mit M. lieferte (R.
Bouffartigue, L’empereur Julien et la culture Reitzenstein, Hellenist. Mysterienreligio-
des son temps [Paris 1992] 648f; K. Rosen, nen3 [1927] 169/79; Betz 1/4). Dieses Argu-
Julian [2006] 323f; R. B. E. Smith, Julian’s ment setzte voraus, dass die Urfassung eines
gods [London 1995] 135f). Eine gewisse in einer spätantiken graeco-ägypt. magi-
Skepsis ist aber angebracht (Turcan, M. schen Rezeptsammlung erhaltenen, an ,M.‘
105/28). Die Helios-,Kapelle‘ im konstantino- gerichteten ayÍtoptow (unmittelbare Vision
politanischen Palast (Liban. or. 18, 127 [2, eines Gottes) eigentlich ein Ritual des orga-
290 Foerster]) ist wahrscheinlich im Kontext nisierten M.kultes darstellt (PGM IV
der traditionellen Sonnenverehrung des kon- 475/820; gute Übersicht bei Betz 60/87). Seit-
stantinischen Hauses zu verstehen. Der dem bleibt die Causa umstritten (ebd. 32/8;
Name des M. kommt auch in Julians Hymnus vgl. J. Haußleiter, Art. Deus internus: o. Bd.
an Helios (Iulian. Imp. or. 11 [4] [2, 2, 189/206 3, 814; Andresen aO. [o. Sp. ] 150; Clauss,
Bidez / Lacombrade], Jahreswechsel 362/63) Mysterien 114/7; J. Alvar, Mithraism and
nur einmal vor (insgesamt wird er nur zwei- magic: R. L. Gordon / F. Marco Simón
mal von Julian explizit genannt: A. Lippold, [Hrsg.], Magical practice in the Latin West
Art. Iulianus I [Kaiser]: o. Bd. 19, 451). Ju- [Leiden 2010] 519/49, bes. 522/34). Der Text
lian war vielmehr von der durch *Jamblich unterscheidet sich tatsächlich in Aufbau u.
vermittelten Lehre der Chaldäischen Orakel Komplexität von den anderen im gleichen
beeinflusst (Smith aO. 91/113). In den ,Hym- Kodex zusammengetragenen ayÆtoÂptoi. Der
nen‘ an Helios u. an *Kybele (or. 8 [5] [2, 1, Gott wird aber namentlich (oë meÂgaw ueoÁw
213/35 Bidez / Rochefort], Mai 362 nC.) kon- ÏHliow MiÂuraw) nur in einem redaktionellen
zentriert er sich auf eine philosophisch-alle- Vorwort erwähnt (PGM IV 482), das sich
gorische Deutung der kosmischen Rolle die- auch in anderen Details (Anrufung der Pro-
ser beiden Gottheiten (I. Tanaseanu-Döbler, noia, die Zeremonie als ,Mysterion‘, Adres-
Befreiung aus der Finsternis: Bonnet sat[in] als ,Tochter‘) vom Duktus des Haupt-
281/302). Or. 11 (4) nimmt König Helios im teils unterscheidet. Dieterich (aO. 67f. 90f)
geistig-materiellen Kosmos als Quelle von betonte vor allem die angeblich siebenstufige
Leben, Bewegung u. Intelligenz die Schlüs- Gliederung des Verfahrens u. die Beschrei-
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33 Mithras 34

bung der höchsten, wahrsagenden (aber un- Tradition beschrieb (Lewy 209f; S. Johnston,
benannten) Gottheit als jung, strahlend u. Rising to the occasion: P. Schäfer / H.-G.
Anaxyriden-tragend (PGM IV 696f). Die sie- Kippenberg [Hrsg.], Envisioning magic [Lei-
benstufige Gliederung ist aber illusorisch den 1997] 165/94), scheint dagegen weniger
(Fauth 22f); die Epiphanie der expliziten He- überzeugend zu sein.
lios-Figur als kyÂriow toyÄ oyÆranoyÄ kaiÁ thÄw 2. Der Berliner ,Catechismus‘. Im J. 1992 M 3570 023
ghÄw (PGM IV 640f) wird nicht als Höhe- veröffentliche W. Brashear ein kleines opist-
punkt, sondern als Zwischenstufe, vor der hographisches Kodex-Frg. aus Hermupolis
Erscheinung der sieben Jungfrauen u. der (PBerol. 21196, 4. Jh. nC.), das eine Reihe
sieben stierköpfigen polokraÂtorew, ange- kryptischer Fragen u. Antworten (*Erota-
setzt, die die Sterne des Großen u. Kleinen pokriseis) mit offensichtlich religiösem Kon-
Wagens darstellen (ebd. 661/92). Auch stim- text enthielt (A mithraic catechism from
men etliche Details der Beschreibung der Egypt [Vienna 1992]). Größtenteils auf Basis
höchsten Gottheit, die von Dieterich u. Betz der Phrase oder Frage: ] eÆgeÂnoy leÂvn ( Z.
ohne Bedenken als M. identifiziert wird, 9), des Wortes pathÂr ( Z. 8) u. der Kollo-
nicht mit der Darstellung des M. im organi- kation ]atvì leontiÂvì ( Z. 8), argumentierte
sierten M.kult überein, zB. die goldene Brashear,Ç dass der Text ursprünglich Teil
Krone statt der phrygischen Mütze (ebd. eines Handbuchs mit Anweisungen für die
698), die Rindsschulter (Polarstern) statt der Initationsriten des M.kultes war. Auf den
Rindskeule (ebd. 699f), der Terminus aÆpau- ersten Blick erscheint dies plausibel, da Va-
anatismoÂw (741. 747. 771). Der höchste Gott ter u. Löwe Bezeichnungen für Grade inner-
der ,Liturgie‘ ist eher mit dem Agathos Dai- halb des Kultes sind u. das Wort leonteum =
mon zu identifizieren, dem Allherrscher, der mithraeum erst vor Kurzem in einer mi-
allein die gesamte Schöpfung zusammenhält, thräischen Inschrift aus S. Gemini in Um-
dem Ewigen u. Ungeschaffenen, dem polo- brien nachgewiesen wurde (U. Ciotti, Due
kraÂtvr, dessen Namen geheim u. unaus- iscrizioni mitriache inedite: Hommages à M.
sprechlich ist (vgl. PGM XII 238/44; XIII J. Vermaseren [Leiden 1978] 233/9). Die Re-
842/6; C. Colpe, Art. Geister [Dämonen]: o. aktionen waren jedoch vorsichtig bis skep-
Bd. 9, 619f). Vermutlich wurden ihm in einer tisch (Turcan, Mithriacisme 152/6; Ch. Har-
der Urfassungen einige Züge des Helios-M. rauer: Chronique d’Égypte 68 [1993] 280f;
(vor allem die Anaxyriden) verliehen, als von E. A. Judge, Art. Kultgemeinde [Kult-
plastisches Zeichen seiner erhellenden All- verein]: o. Bd. 22, 404 aber ohne Weiteres als
macht; aufgrund dieses Hinweises hat der echt mithräisch eingestuft). Das Papyrus-
Redakteur der Vorlage das gesamte Ritual Frg. ist so klein, dass kaum eines der Frage-
explizit, aber unüberlegt dem M. zugewie- Antwort Paare hinreichend rekonstruiert
sen. Auch in anderen Logoi der PGM wird werden kann, u. selbst in den Fällen, in de-
M. mehrmals als Sonnengott invoziert (zB. nen dies möglich ist, passen sie nur schlecht
PGM III 100: ... eÆntyÂxv tv Äì iëerv
Äì ÏHliÂv.
ì nai zu dem, was wir vom organisierten Kult im
meÂgiste MiÂu[ra]; 463: xaiÄre, ÏHlie MiÂura; V, Westen wissen (zB. die Wörter boÂurow,
4: ZeyÄ, ÏHlie, MiÂura, SaÂrapi; vgl. Ch. Har- ,Grube‘, u. kraÂspeta, ,Quasten‘). Auch ist
rauer, Meliouchos [Wien 1987] 78/81; Fauth nicht sicher, dass leontiÂvì hier ein Substantiv
58 zu PGM III 81); die Figur gehörte also u. kein Adjektiv ist. Struktur u. Wortwahl
zum Inventar der disponiblen Sonnen- erinnern eher an hermetische Texte (zB.
mächte. Die kürzlich wiederaufgenommene CorpHerm 1. 10. 12 [1, 7/19. 113. 126. 174/83
Untersuchung der weitgehend unveröffent- Nock / Festugière]; CorpHerm Stob. frg. 2a.
lichten demotischen Literatur der griech.- b [3, 4/8. 13f N. / F.]), in denen pathÂr ohne-
röm. Zeit wird wahrscheinlich eine Teilkon- hin häufig als Bezeichnung für den *Lehrer
textualisierung der Urfassung in der spät- erscheint; auch das Bestreben, Lehre in prä-
ägypt. Offenbarungsritualpraxis, in der gnanten Phrasen zu formulieren, findet sich
Tradition der *Himmelfahrt des verstorbe- ebd. frg. 11 (54/8 N. / F.). Allerdings ist der
nen Königs, ermöglichen (vgl. J.-F. Quack Inhalt von PBerol. 21196 kaum hermetisch,
[Hrsg.], Ägypt. Rituale der griech.-röm. Zeit weshalb ohne weitere Text-Frg. keine
[2011]). Die alternative Hypothese, dass der schlüssige Auswertung möglich zu sein
Urtext einen pneumatischen Aufstieg zum scheint.
höchsten Gott der chaldäisch-theurgischen
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35 Mithras 36

M 3570 024 c. In der spätantiken Gelehrtheit. 1. Lac- tion der Spätantike wirkt das Fehlen des M.
tantius Placidus. Eine andere Erklärungs- in *Macrobius’ Theokrasie (in Praetextatus’
tradition, die der Astralallegorie, findet sich langem Exkurs über den Sonnenkult: sat. 1,
in den Ergänzungen, die von Lactantius 17/23; Ph. Bruggisser: o. Bd. 23, 836/9), zu-
Placidus (5. Jh. nC.), einem christl. Kommen- nächst überraschend, weil die Präsentation
tator mit neuplatonischen Tendenzen, in ei- der Solarisierung der Hauptgottheiten in
nem früheren Kommentar zu Statius’ The- Ägypten, Syrien u. Phrygien, drei der wich-
bais vorgenommen wurden. M. (= die Sonne tigsten ,weisen Völker‘, relativ umfangreich
in Persien) wird dort in Höhlen als Allegorie ist (ebd. 1, 20, 13/21, 16). Früher wurde dafür
der Sonnenfinsternis verehrt (Persae in spe- Porphyrius verantwortlich gemacht, der Ma-
laeis Solem colunt ... quia eclipsin patitur: crobius als direkte Quelle gedient haben
Schol. Stat. Theb. 1, 719f [89 Sweeney]). Die sollte (J. Flamant, Macrobe et le néoplato-
Verwendung der Bezeichnung ,Sol Ephip- nisme latine [Leiden 1977] 652/80); heute
pus‘ an dieser Stelle könnte auf Numenius u. glaubt man eher, dass die zugrunde liegende
Cronius als ursprüngliche Quelle hinweisen, Synthese des röm.-stoischen u. neuplatoni-
da diese M. ebenfalls als bullenreitend schen Materials von Cornelius Labeo geleis-
(eÆpoxeiÄtai) beschreiben u. (andere) astralal- tet wurde (P. Mastandrea, Un platonico la-
legorische Erklärungen für Details des Re- tino Cornelio Labeone [ebd. 1979] 169/80).
liefs liefern: Das Schwert steht für Ares = Eine mögliche Erklärung für das vollstän-
Nachthaus vom Aries / Widder, u. der Bulle dige Fehlen von Persien u. der Tradition der
für Venus (tutela vom Stier: Porph. antr. Magi wäre, dass sie, entweder von Labeo
nymph. 24). Anschließend bietet Lactantius oder von Macrobius selbst, aufgrund politi-
Placidus auch eine alternative Erklärung an: scher Überlegungen bewusst ausgelassen
M. / Sol werde dargestellt leonis vultu cum wurden (vgl. das Argument von Firm. Mat.
tiara Persico habitu, ,mit dem Antlitz eines err. 5, 2 ungefähr zeitgleich mit den zwei
Löwen, einer phrygischen Mütze u. persi- Schlachten bei Singara [343 u. 348 nC.], dass
schem Gewand‘; der Bulle stehe für Luna u. der M.kult in Wahrheit ein Kult des Feindes
die Szene insgesamt sei eine allegorische sei: si hoc Romano nomine dignum putatis ut
Darstellung einer Sonnenfinsternis (Schol. Persarum sacris, ut Persarum legibus servi-
Stat. Theb. 1, 719f [89 Sw.]). Das Löwenant- atis). Es mag aber auch sein, dass M.’ solare
litz der Sonne wird als Allegorie ihrer geho- Identität völlig unstrittig u. daher in diesem
benen Stellung unter den Himmelskörpern Kontext uninteressant war.
(oder auch ihrer hohen Geschwindigkeit) er- II. Christlich. a. Polemik u. Apologetik. M 3570 026
klärt (ebd.). Diese Behauptung folgt einer Laut einem hartnäckigen Gemeinplatz, der
anderen neuplatonischen Idee, die Tert. adv. vor allem F. Cumont geschuldet ist, hatten
Marc. 1, 13, 5 überliefert: aridae et ardentis die frühen Christen eine besondere Abnei-
naturae sacramenta leones Mithrae philoso- gung gegen den M.kult. Dies ist jedoch
phantur, ,die mithräischen Löwen (oder: Lö- höchstens eine Halbwahrheit (G. Lease, Mi-
wen im Kult des M.) werden als Symbole des thraism and Christianity: ANRW 2, 23, 2
Trockenen u. Heißen in der Natur interpre- [1980] 1306/10; M. Simon, Mithra, rival du
tiert‘. In einem weiteren Eintrag wird *Ost- Christ?: Duchesne-Guillemin 457/78). Weil
anes als Quelle der Information, dass M. der der Kult vor dem 2. Jh. nC. kaum existierte,
pers. Sonne entspreche, angegeben (Schol. wurde M. nicht in die hellenist. Religions-
Stat. Theb. 1, 717 [87f Sw.]). Dies impliziert, kritik aufgenommen. Da deren Material-
dass zumindest einige dieser astralen Inter- sammlungen weitgehend als Vorlage für die
pretationen in nunmehr verlorenen zoroas- christl. Apologetik dienten, wird er in keiner
trischen Texten zu finden waren (vgl. ebd. 4, der frühen bzw. wichtigsten apologetischen
516f [293f] über Sonnen- u. Mondkult bei den Schriften erwähnt (zB. Athenag., Iren. de-
Persern). Auch hier bleibt nur, den Erfolg monstr., *Melito Sard., Theophil. Ant. ad.
der mithräischen Geheimhaltung bezüglich Autol., Tat. or., Clem. Alex. strom., Orig.
des Kultinhalts der Mysterien, aber auch die [abgesehen von c. Cels. 6, 22], Eus. praep.
unwiderstehliche Anziehungskraft des Enig- ev., Min. Fel. Oct., Cypr. Demetr., Tert. apol.
matischen zu konstatieren. u. nat., Arnob. nat., Lact. inst., Aug. civ. D.).
M 3570 025 2. Macrobius. Im Kontext der umfangrei- Hervorzuheben ist in diesem Zusammen-
chen *Enzyklopädie- u. *Kommentar-Tradi- hang besonders Eus. praep. ev. 4, 16, 7, der
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37 Mithras 38

die Mysterien ausführlich behandelt, aber Sp. ). Ausschließlich bei christlichen Au-
den M.kult nur ein einziges Mal erwähnt: Als toren vorkommende Angaben haben deswe-
Quelle für die angebliche Abschaffung des gen entweder nur lokalen (Colpe 31) bzw.
Menschenopfers unter Hadrian zitiert er geringen (Alvar 387f) Erkenntniswert.
Pallas, ,der das Material über die M.-Myste- 1. Justinus Martyr. Die intensive zeitge- M 3570 027
rien hervorragend zusammengetragen hat‘, nössische Suche nach einem passenden locus
auch dies nur ein Porphyrius-Zitat (abst. 2, sanctus für die Geburt Jesu führte *Iustinus
56, 3). Insofern Mysterienkulte in apologeti- Martyr (gest. um 162/68) zu einem verwor-
schem Zusammenhang vorkommen, werden renen Vergleich zwischen der (neu erfunde-
sie wegen der Immoralität der Götter, Blut- nen) Höhle in Bethlehem u. der Geburt des
vergießen, u. weltlicher Vergnügungen an- M. vom Stein bzw. der Höhle als Initiations-
gegriffen; M. aber bot hier keine Angriffs- ort (dial. 70, 1; 78, 6 [ca. 160 nC.]); die Unge-
fläche (R. Turcan, Les pères ont-ils menti nauigkeit des Vergleichs verrät die Ober-
sur les mystères paı̈ens? [Paris 1997] 35/55). flächlichkeit seiner diesbezüglichen Infor-
Erst die M.-Abhandlungen des Eubulus u. mationen, aber auch sein ,modisches
des Pallas im späten 2. / frühen 3. Jh. mach- Interesse‘ an solchen Religionsvergleichen
ten M. einem gebildeten Publikum zugäng- (vgl. S. Heid: o. Bd. 19, 811). Als Zeichen der
lich. Danach wird er als ein aus dem Stein böswilligen Absicht der Dämonen, die zeitli-
geborener Stierdieb von Comm. instr. 1, 13 che Originalität der christl. Ritualpraxis in
(CCL 128, 11f; ca. 250 nC.) präsentiert. der Eucharistie zu verkennen, weist Justi-
Trotzdem blieb der Kult den christl. Autoren nus an anderer Stelle auf die Gabe von Brot
weiterhin praktisch unbekannt. Im 4. Jh. u. Wasser im M.kult metÆ eÆpiloÂgvn tinvn ,zu-
werden basaÂnoyw kaiÁ kayÂseiw, ,Folterungen sammen mit einer mündlichen Formel‘ hin
u. Brandwunden‘ im Kult polemisch, aber (apol. 1, 66, 4). Obwohl man sich im M.kult
beiläufig von Gregor v. Naz. erwähnt (or. 4, intensiv mit den Wechselwirkungen zwi-
70 [SC 309, 180]; in der späten Kommentar- schen Wasser u. Feuer beschäftigte (R. Tur-
tradition maßlos übertrieben: PsNonn. in can, Eau et feu dans la religion mithriaque:
Greg. Naz. or. 4 comm. 6 [CCG 27, 74f]; vgl. G. Capdeville [Hrsg.], L’eau et feu dans les
R. Arbesmann, Art. Fasten: o. Bd. 7, 461f). religions antiques [Paris 2004] 257/67), ist es
*Hieronymus nennt M. zusammen mit unklar, wie diese Angabe mit dem üblichen
Erichthonius als Beispiel für die Erd- bzw. Verzehr von Fleisch beim Kultbankett ver-
Steingeburt (adv. Iovin. 1, 7 [PL 23, 228/31]); einbar ist. Auch wenn Justinus das angebli-
nur im Kontext eines konkreten Ereignisses, che Geschehen als mithräisches Sakrament
der Verwüstung eines röm. Mithräums auf verstand (Clauss, Christus 269f), bedeutet
Befehl des Stadtpräfekten Gracchus vor sei- dies nicht, dass es auch im M.kult so gesehen
ner Taufe als Christ iJ. 376/77 (ProsLatRo- wurde (M. Meslin, Convivialité ou communio
mEmp 1, 399), gibt er ausführlichere Infor- sacramentelle?: Paganisme, Judaisme, Chris-
mation (ep. 107, 2; s. unten); Paulinus v. Nola tianisme, Festschr. F. Cumont [Paris 1978]
weiß nur über das angebliche Paradoxon 295/305; dagegen: E. Sanzi, Misteri, soterio-
Licht-Finsternis zu berichten (carm. 32, 113f logia, dualismo [Roma 1996] 24). Es ist ty-
[CSEL 30, 198]: Quid quod et Invictum spe- pisch für christliche Autoren, dass sie nicht-
laea sub atra recondunt / quemque tegunt christliche Riten als Mysterien bzw. *Initi-
tenebris audent hunc dicere Solem?). Folg- ationen beschreiben (vgl. Leonhard /
lich wurde nur äußerst spärliche Information Eckhardt aO. [o. Sp. ] 1028f).
zur enzyklopädischen Tradition vermittelt 2. Tertullian. Ähnlich wie Justinus stellt M 3570 028
(zB. POxy. 15. 1802 Z. 64: M. = der pers. Pro- auch Tertullian (ca. 166/220) vereinzelt mi-
metheus [2./3. Jh. nC.]; Hesych. lex. s. v. thräische Rituale, zB. Lustration (bapt. 5, 1)
MiÂurhw [3, 108 Schmidt]: oë prv Ä tow eÆn PeÂr- u. den Verzicht des Miles auf den *Kranz
saiw ueoÂw, ,der wichtigste Gott unter den (weil der wahre Kranz M. sei: cor. 15, 3f), als
Persern‘; Suda s. v. MiÂuroy [3, 394 Adler]). sacramenta dar (Colpe 32f). In Fällen der an-
Sonst wird M. nur von vier christl. Autoren geblichen Konvergenz beruft sich Tertullian
angesprochen, die anscheinend alle ihre In- auf ein ähnliches Argument (ingenia diaboli)
formationen Numenius, Cronius oder Eubu- wie Justinus: ebenso wie andere heidn. Kulte
lus entnommen u. klar definierte Darstel- hätte sich der M.kult an christlichen Ge-
lungsinteressen haben (zu Firm. Mat. s. o. brauch angepasst. Das gleiche Argument
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39 Mithras 40

wird mehrmals verwendet, zB. praescr. 40, b. Wechselwirkungen zwischen Mithras- M 3570 030
1/4 (Sanzi, Misteri aO. 21/39). Hier behauptet kult u. Frühchristentum? Seit dem 19. Jh.
Tertullian ausdrücklich (si adhuc memini Mi- (vgl. Cumont, Mysterien 188) hat man immer
thrae), dass die Milites des M. an der Stirn wieder versucht, vor allem, aber nicht nur in
markiert wurden, was nachweislich falsch ist der Popularwissenschaft, engere Verbindun-
(L. Renaut, Les initiés aux mystères de Mi- gen zwischen M.kult u. Christentum nach-
thra étaient-ils marqués au front?: Bonnet zuweisen (besonders extreme Beispiele: H.
171/90). Man hat trotzdem vermutet, dass Koepf, M. oder Christus [1987]; M. Patella,
Tertullian früher selbst Myste war (P. Bes- Lord of the cosmos [New York 2006]), wenn
kow, Tertullian on M.: Hinnells, Mithraism nicht direkt, dann über den vermeintlichen
51/60, bes. 51f). Das Missverständnis weist Einfluss mazdayaznischer Religion auf die
aber eher auf eine indirekte Vermittlung hin. jüd. Religion (zB. Ch. Autran, Mithra, Zoro-
Die darauf folgende Feststellung (praescr. astre et la préhistoire aryenne du christia-
40, 4: celebrat et panis oblationem et imagi- nisme [Paris 1935]). Solche Vergleiche kon-
nem resurrectionis inducit et sub gladio red- zentrieren sich fast immer auf bestimmte
imit coronam) ist vermutlich nicht primär Motive (A. Deman, M. and Christ: Hinnells,
oder nur zT. auf den M.kult bezogen, son- Mithraic studies 507/17, bes. 510). Allerdings
dern auf verschiedene heidnische Gebräuche hält keine dieser angeblichen Ähnlichkeiten
(anders G. Bertram, Art. Auferstehung I: o. oder Entlehnungen einer kritischen Unter-
Bd. 1, 926; Clauss, Christus 268). Eine alle- suchung stand (vgl. Clauss, Mysterien 175/9).
gorische Erläuterung des Löwen als Symbol Darstellungen der drei Magier oder Könige,
des feurigen Elements (sicut aridae et ar- die dem neugeborenen Jesus in persischer
dentis naturae sacramenta leones Mithrae Tracht u. phrygischen Mützen huldigen
philosophantur: adv. Marc. 1, 13, 5) deutet (*Magierhuldigung), haben keinerlei Verbin-
auf eine neuplatonische Quelle hin (vielleicht dung zum M.kult, da sie auf dem kaiserzeit-
Eubulus bzw. Pallas; vgl. R. Turcan, La phy- lichen Typus der ,Tribut leistenden Barba-
sica ratio des ,lions‘ mithriaques [Tert. adv. ren‘ basieren (vgl. R. M. Schneider, Die Fas-
Marc. 1, 13, 5]: Foi, raison, verbe, Festschr. zination des Feindes: Wiesehöfer aO. [o. Sp.
J. Ries [Luxembourg 1993] 239/50). ] 95/146; **Barbar II [ikonographisch]).
M 3570 029 3. ,Ambrosiaster‘. Wahrscheinlich indirekt Auch die solaren Motive, die (äußerst selten)
auf der Basis eines neuplatonischen Textes in christliche Ikonographie übernommen
(Eubulus oder Pallas?) weist der ,Ambrosi- wurden, sind dem Kaiserkult (*Herrscher-
aster‘ (ca. 370/75 nC.) auf ein mithräisches kult) geschuldet (M. Wallraff, Christus verus
Einweihungsritual hin, wobei die Hände ei- Sol = JbAC ErgBd. 32 [2001]; vgl. die Be-
nes Mysten, dessen Augen verbunden sind, merkungen von Hijmans 567/82); an ihnen ist
mit den Eingeweiden eines *Hahns zusam- nichts spezifisch Mithräisches. Eine ausführ-
mengebunden werden, der anschließend liche Studie der Geburtshöhle hat ergeben,
über eine wassergefüllte Grube geschoben dass es keinen nachweisbaren mithräischen
wird; schließlich werden die Fesseln von ei- Einfluss auf den christl. Gebrauch des Mo-
nem liberator mit einem Schwert durch- tivs gegeben hat (M. Gervers, The iconogra-
trennt (PsAug. quaest. test. 114, 11 [CSEL phy of the cave in Christian and mithraic tra-
50, 308]). Diese Schilderung ist insofern plau- dition: Bianchi 579/600). Justinus Behaup-
sibel, als *Licht / Finsternis, Hahn u. Thea- tung, dass die mithräische Initiationspraxis
tralisierung der Befreiung gut zum M.kult der christl. ähnele, ist völlig haltlos (vgl.
passen; aber das Ritual, wenn es tatsächlich Heid aO. 811). Auch wenn Kollokationen in
in dieser Form jemals ausgeführt wurde, ist Betracht gezogen wurden (so zB. von Deman
sicherlich im Quellentext rekontextualisiert aO. 511f), ergaben sich keine zwingenden
worden (die ,Befreiung‘ wird in eine plato- Hinweise auf eine Vorgängerrolle mithräi-
nische Seelenbefreiung umgedeutet). Alle scher Ikonographie. Die Intention, eine Ver-
vier Autoren, besonders Justinus u. Tertul- bindung des Christentums zu Solarkulten,
lian, trachten danach, den M.kult als ,Mys- besonders zum M.kult, zu beweisen, zeigt
terienkult‘ zu konstruieren, ausgehend von sich nirgendwo deutlicher als in der weitver-
ihrem eigenen Verständnis von regulärer breiteten Annahme, dass M.’ Geburtstag der
Religion mit sakramentalen Werten u. Prak- 25. XII. (d. h. a. d. VIII Kal. Ian.) u. dies der
tiken (Sanzi, Misteri aO. 22/4). Hauptgrund für die Terminierung des Weih-
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41 Mithras 42

nachtsfestes auf dieses Datum gewesen sei. schwinden mithräischer Votivepigraphik um


Allerdings gibt es nicht den geringsten epi- die Mitte des 3. Jh. entbehrt jeglicher Aus-
graphischen bzw. archäologischen Hinweis sagekraft, da alle epigraphischen Gattungen
für Feiern des M.kultes an diesem Tag (vgl. in dieser Periode, bei allen regionalen Unter-
J. Rüpke, Integrationsgeschichten: ders. schieden, abnehmen. Mit Ausnahme der
[Hrsg.], Gruppenreligionen im röm. Reich Elite war dieser Abfall zumindest im religi-
[2007] 113/26, bes. 115f). Zudem basiert diese ösen Bereich dauerhaft; Votivgaben wichen
Behauptung auf einem schlichten Missver- nach u. nach anonymen Geldspenden. Die bis
ständnis der Angabe ,n(atalis) Invicti‘ im Fi- zum Ende des 4. Jh. laufenden Ansammlun-
localus-*Kalender s. v. 25. XII. (CIL 12, S. gen von Münzen in Mithräen sind somit ein
278 = Gründungstag des aurelianischen Tem- guter Indikator für eine bis dahin an-
pels des Sol Invictus, 275 nC.; natalis bedeu- dauernde kultische Nutzung dieser Stätten
tet hier nicht ,Geburtstag‘ sondern ,Inaugu- (E. Sauer, Not just small change: Martens /
rationstag‘). Es gibt keine Belege dafür, dass De Boe aO. [o. Sp. ] 327/53). Zum Bild der
*Aurelianus ein dauerhaftes Fest an diesem besonderen Feindseligkeit gehört seit Cu-
Tag etablierte (Wallraff aO. 176f) u. seine mont die Behauptung, dass M.-Tempel auf-
vierjährig stattfindenden Spiele zu Ehren fällig oft von Christen gewaltsam zerstört
Sols wurden mit großer Wahrscheinlichkeit worden seien bzw. dass es eine direkte Ver-
vom 19. bis 22. X. gefeiert, während die tra- bindung zwischen dem Niedergang des Kul-
ditionellen röm. Feste des Sol früher im Jahr tes u. christlichen Repressionen gegeben
stattfanden u. keine Verbindung zur Sonnen- habe. Als Beispiele werden immer wieder
wende hatten (8./9. VIII., 11. XII.; Hijmans dieselben zwei antiken Texte angeführt, als
584/92; ders., Sol invictus, the winter solstice ob sie ,typische‘ Situationen beschrieben; es
and the origins of Christmas: Mouseion 3 wird jedoch verschwiegen, dass sie die ein-
[2003] 377/98; Alvar 409/12). Insofern, als zigen ihrer Art sind. Einer der beiden ist
thematische bzw. ikonographische Ähnlich- Hieronymus’ Bericht über die Verwüstung
keiten überhaupt feststellbar sind, sollte eines Mithräums auf Befehl des röm. Stadt-
man daher von einer sehr begrenzten Kon- präfekten Gracchus iJ. 376/77 (s. o. Sp. ),
vergenz sprechen (Clauss, Christus 265/7; in dem aber sowohl dessen anfängliches Zö-
Alvar 383/421). Es besteht jedoch die Mög- gern bei dieser Aktion als auch das Bestre-
lichkeit, dass das Modell des christl. *Mar- ben, seinen neuen christl. Eifer mit einer
tyriums in einigen wenigen Bereichen, zB. dramatischen Aktion unter Beweis zu stel-
der Wahrnehmung der makrouymiÂa als einer len, betont werden. Der andere beschäftigt
religiösen Tugend, ein mithräisches Tapfer- sich mit der Stätte eines angeblichen Mi-
keitsideal dargestellt haben mag (Gordon, thräums in Alexandria, die **Constantius II
Body aO. [o. Sp. ] 308/10). Bischof Georg iJ. 358 zum Kirchenbau über-
M 3570 031 F. Ende des Mithraskultes. Auch der Ver- lassen hatte u. in der die Christen angeblich
fall des Kultes ist vielfach Objekt von fehl- Überreste von Menschenopfern fanden; Ge-
geleiteten Spekulationen geworden, meist org kam im anschließenden Aufruhr ums Le-
aufgrund des Einflusses von F. Cumont. Ei- ben (361 nC.; Socr. h. e. 3, 2f; Soz. h. e. 5, 7,
nige Klarstellungen bzw. Korrekturen sind 1/7; Rufin. h. e. 11, 22). Auch die beiden Mi-
daher angebracht. Es gibt keinen Grund, an- thräen in Königshofen / Straßburg (Verma-
zunehmen, dass die kaiserl. Gesetzgebung seren, Corp. Mithr. nr. 1335/75) u. Saarburg
gegen heidnische Opferpraktiken im 4. Jh. (ebd. nr. 965/84), deren große Reliefs zer-
(zB. diejenige gegen nächtliche Rituale: Cod. schmettert wurden, sind wiederholt als ,ty-
Theod. 16, 10, 5 vJ. 353; 9, 16, 7 vJ. 364) in pische‘ Fälle angeführt worden. Religiöse
irgendeiner Weise speziell gegen den M.kult Gewalt war jedoch immer lokal begrenzt u.
gerichtet war. Wie alle kaiserzeitlichen Ge- trat nur sporadisch auf (J. Hahn, Gewalt u.
setze müssen diese Maßnahmen in ihrem un- religiöser Konflikt [2004]). Es scheint eine
mittelbaren lokalen bzw. regionalen Kontext Differenzierung nötig zu sein zwischen Ge-
verstanden werden; sie zielten außerdem auf bieten, in denen die röm. Besiedlung durch
öffentliche u. nicht auf private Kultpraktiken Invasion oder Rückzug zerstört wurde (zB.
(R. M. Errington, Roman imperial policy Syrien [253 nC.]; das rechte Rheinufer [ab
from Julian to Theodosius [Chapel Hill 2006] 260 nC.]; Dakien [275 nC.]; Zerstörungen
93). Das weitgehende, relativ abrupte Ver- durch **Barbaren am Hadrianswall im spä-
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ten 3. Jh.), u. solchen, die ohne Unterbre- hochgradig diversifizierte Institution hatte
chung besiedelt waren. Selbst wenn man be- der M.kult weder die Mittel noch die Inten-
denkt, dass unfachmännische Ausgrabungen tion, eine relativ kohärente Identität zu
älteren Datums kaum verlässliche Schlüsse schaffen, die mit der des Christentums mit
zulassen u. die Gründe für die Aufgabe eines seinen jüd. Wurzeln, seinem umfangreichen
Tempels zudem vielfältig sein können, legt Schrifttum u. seinen Erfahrungen von kol-
eine Untersuchung der archäologischen Da- lektiver Verfolgung u. Martyrium vergleich-
ten aller in diesen Gebieten ausgegrabener bar wäre (J. M. Lieu, Christian identity in
Mithräen doch den Schluss nahe, dass etwa the Jewish and Graeco-Roman world [Oxford
zwei Drittel davon bis weit in die 2. H. des 4. 2004]). Kein M.-Anhänger hätte die Vorstel-
Jh. in Gebrauch waren, wenn auch oft in re- lung ,Mithriacus sum‘ in Analogie zum
duziertem Maße; eine Reihe davon, darunter christl. ,Christianus sum‘ formulieren kön-
der schön ausgemalte unterirdische Tempel nen. Auch wenn das von Tertullian darge-
in Hawarti / Apamea (Gawlikowski aO. [o. stellte Kranzritual u. der Ausspruch ,Corona
Sp. ]), wurde sogar erst in dieser Zeit ge- mea Mithra est‘ (s. o. Sp. ) generalisiert
gründet. Es gibt viel mehr archäologische werden könnten, wären sie nur innerhalb der
Belege für die Fortführung des M.kultes bis Gruppe der Anhänger verstanden worden;
ins späte 4. Jh. als für fast jede andere heidn. auch der Terminus syndexius stellte in kei-
Gottheit, teilweise aufgrund der Wiederer- ner Weise ein Glaubensbekenntnis dar, son-
kennbarkeit der charakteristischen Tempel- dern drückte einfach Mitgliedschaft in einer
form (das Mithräum in Trier wurde bis ins 5. bestimmten Gruppe aus. Obwohl kein Zwei-
Jh. genutzt, vgl. M. Ghetta, Spätantikes Hei- fel daran besteht, dass M.-Anhänger in an-
dentum. Trier u. das Trevererland [2008] deren Mithräen fern ihrer Heimat an den
115/26). In einem prominenten Fall, Ostia, Riten teilnehmen konnten u. dies auch taten
wurden alle Mithräen freiwillig im späten 3. (ein gewisser Theodorus zB. widmete dem
Jh. aufgegeben u. keines davon gewaltsam Gott Helios einen Becher in Martigny: Ue-
zerstört; dies geschah jedoch aufgrund der oÂdvrow aÆneÂuhka uev ì die einzige
Äì ÂHliÂv;
Verschiebung der Bevölkerung nach Portus, griech. Inschrift zu Ehren des M. nördlich
wo bisher keine vergleichbaren Ausgrabun- der Alpen: AnnÉpigr 1998, 870), beweist dies
gen stattgefunden haben. Das große u. spät noch nicht die Existenz einer selbstbewuss-
entstandene Mithräum auf dem Gelände ei- ten Identität als Glaubensgemeinschaft. 2)
ner wohlhabenden Villa in Orbe-Boscéaz Wenn der Kult hauptsächlich in den Städten
(Schweiz) legt ebenfalls den Schluss nahe, sozial aufgestiegene Menschen (oder solche,
dass die Verlagerung der Eliten aus den die es werden würden) rekrutierte, dann
Städten zu einer Verschiebung der Mithräen deuten neue demographische Erkenntnisse
in ländliche Gebiete führte (Th. Luginbühl / über die Bevölkerung römischer Städte in
J. Monnier / Y. Mühlemann, Le mithraeum der Kaiserzeit darauf hin, dass viele von ih-
de la villa d’Orbe-Boscéaz: Martens / De Boe nen junische Latiner oder Freigelassene wa-
aO. 109/33). Eine neuere Studie der Situation ren (W. Scheidel [Hrsg.], Debating Roman
in Rom selbst, wo sämtliche bekannte Mi- demography = Mnem Suppl. 211 [Leiden
thräen, viele davon in Privathäusern, bis 2001]; wirtschaftlich litt diese Gruppe unter
zum letzten Jahrzehnt des 4. Jh. nC. in Ge- der Stadtflucht der lokalen Eliten im westl.
brauch waren u. manche, zB. S. Clemente Teil des Reiches in der 2. H. des 3. Jh., was
bzw. Crypta Balbi, auch noch im 5. Jh. nC. auch die relative Armut der Stadtmithräen
(O. Nicholson, The end of Mithraism: Anti- des 4. Jh. erklären würde). 3) Der interes-
quity 69 [1995] 358/62), kommt zu dem sengesteuerte Eklektizismus der Außendar-
Schluss, dass von offener christlicher Feind- stellungen des M.kultes durch Eubulus u.
seligkeit keine Rede sein kann, sondern bis Pallas entspricht ungefähr der Art u. Weise,
zum Dekret des Theodosius iJ. 392 eine ru- in der mithräische Patres selbst agierten, d.
hige Koexistenz die Regel war (J. Bjørne- h. die Anhänger zogen eine interessante,
bye, Hic locus est felix, sanctus, piusque be- aber lose, pluriforme Theologie einer ,kor-
nignus, Diss. Bergen [2007] 190/202). – Wenn rekten‘ vor. Die heidn. Kulte, die nach den
wir uns nun der Frage nach der historischen 390er Jahren noch überlebten, existierten in
Implausibilität dieses Konflikts zuwenden, Städten mit tief verwurzelten lokalen Bin-
so sind drei Punkte hervorzuheben: 1) Als dungen an eine bestimmte Gottheit oder auf
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45 Mithras 46

dem Land, in den schwer zugänglichen Dör- Richard L. Gordon.


fern der Agrarökonomie. Der M.kult fällt in
keine dieser beiden Kategorien.
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