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2 Die folgende kurze Charakteristik hält sich eng an die Darstellung Freud's
in den „Bemerkungen über einen Fall von Zwangsneurose«. (Jahrbuch für psychoanalyt.
Forschungen. Bd. I.)
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Der Patient erinnert sich, daß der Geschlechtstrieb bei ihm sehr
frühzeitig, d. h. schon vor dem sechsten Lebensjahre, mit großer
Heftigkeit hervorbrach. Als sein erstes Sexualobjekt aus dieser Zeit
nannte er eine Kindergärtnerin, deren Gegenwart ihn erregte. Auch in
der Phantasie beschäftigte er sich lebhaft mit ihr. Die damalige
Erregung führte zur Onanie, die er ausübte, indem er sici^ auf die
Bauchseite legte und dann reibende Bewegungen ausführte. In dieser
Betätigung wurde er durch die Kinderfrau (früher Amme) gestört. Sie
verbot ihm sein Tun eindringlich, prügehe ihn wiederholt, wenn er
dem Verbot zuwiderhandelte und stellte ihm in Aussicht,
sich auf diese Weise für sein ganzes Leben unglücklich
Während der Schuljahre hatte Patient eine mehrere Jahre
erotische Schwärmerei für einen Mitschüler.
er werde
machen.
dauernde
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Der Kranke, dessen Libido sehr frühzeitig und mit großer Energie
hervorgetreten war, hat die exekutive Fähigkeit zu Liebe und Haß
größtenteils eingebüßt. Auf gleichem Wege wie die Zwangsneurotiker
7*
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1 Ich bemerke hier, daß die anderen männlichen Patienten, deren depressive
Psychosen ich analysieren konnte, sich ganz ähnlich verhielten. Impotent war keiner
von ihnen. Aber für alle war das autoerotische Verhalten von jeher lustvoller,
während
ihnen jede Applikation an weiblichen Personen beschwerlich und lästig war.
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hervor. Bei zweien meiner Patienten erhob ich einen Befund, der dem
von Maeder geschilderten überraschend ähnlich war.
er laut proklamiert: ich liebe ihn nicht, ich hasse ihn ja." .Da die »
außen ersetzt wird, so wird der eigene Haß als eine Folge der von
außen her erduldeten Gehässigkeiten hingestellt. Die dritte Formel
lautet nun: „Ich liebe ihn ja nicht — ich hasse ihn ja — weil er .
mich verfolgt." , |
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1, Ich kann die Menschen nicht lieben; ich muß sie hassen.
2. Die Menschen lieben mich nicht; sie hassen mich . . . weil ich
mit angeborenen Mängeln behaftet bin 2. Darum bin ich unglück-
lich, deprimiert.
» Man beachte in der deutschen Sprache die Etymologie von .häßlich": was
den Haß erregt.
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Für ihn gehen aus der Unterdrückung dieser oft genug auftauchenden
Regungen des Hasses, der Rache usw. neue krankhafte Erscheinungen
hervor: die Ideen der Verschuldung. Nach den bisherigen
Erfahrungen glaube ich sagen zu dürfen : je heftiger die unbewußten
Regungen der Rache sind, umso ausgeprägter ist die Neigung, Wahn-
ideen der Verschuldung zu bilden. Dieser Wahn kann, wie bekannt,
ins Ungeheure gehen, so daß der Kranke etwa angibt, er allein habe
seit Weltbeginn alle Sünden verschuldet, oder alles Böse in der Welt
stamme allein von ihm. Es handelt sich hier um Individuen mit einem
ins Unbewußte verdrängten unersättlichen Sadismus, der sich gegen
alle und alles richten möchte. Freilich ist die Vorstellung einer so
ungeheuren Schuld dem Bewußtsein im höchsten Maße qualvoll;
einem solchen Grade des verdrängten Sadismus entspricht eine besondere
Schwere des depressiven Affektes. Dennoch enthält die Verschuldungs-
idee die Erfüllung eines Wunsches: des verdrängten Wunsches, ein
Verbrecher allergrößten Stiles zu sein, mehr Schuld auf sich zu laden
als alle anderen Menschen zusammengenommen. Auch hier werden
wir an gewisse psychische Vorgänge bei den Zwangsneurotikern
erinnert. Ich nenne nur die Vorstellung dieser Kranken bei der
„Allmacht" ihrer Gedanken. Sie leiden häufig an der Angst, durch
Gedanken an den Tod gewisser Personen deren Tod tatsächlich
verschuldet zu haben. Auch beim Zwangsneurotiker sind die sadistischen
Triebregungen unterdrückt. Da er nicht gemäß seinem ursprünglichen
Triebe handeln kann, gibt er sich unbewußt der Phantasie hin,
durch Gedanken töten zu können ; dem Bewußtsein wird dieser
Wunsch nicht als solcher, sondern als quälende Beängstigung
bemerkbar.
Aus der Verdrängung des Sadismus sehen wir Depression, Angst
und Selbstvorwürfe hervorgehen. Wird aber die wichtige Lustquelle
der aktiven Triebbetätigung versperrt, so ist die Hinwendung zum
Masochismus die selbstverständliche Folge. Der Patient stellt sich
passiv ein; er zieht Lust aus seinem Leiden, aus der beständigen
Selbstbespiegelung. Im tiefsten melancholischen Elend ist so noch ein
versteckter Lustgewinn enthalten.
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• Manche Kranke verfechten auch die Meinung, geheilt werden zu können durch
die ErfüUung einer äußeren Bedingung, die allerdings unerfüllbar zu sein pflegt.
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In einer Anzahl von Zügen prägt sich die Ähnlichkeit der manischen
und der kindlichen Psyche aus. Hier sei nur noch ein einzelner Hinweis
nach dieser Richtung gegeben. In den Zuständen leicht manischer
Exaltation findet man eine Art der sorglosen Heiterkeit, die einen
offensichtlich kindlichen Charakter trägt. Der Psychiater, der viel mit
solchen Kranken zu verkehren hat, bemerkt deutlich, daß sein gemüt-
licher Rapport mit ihnen ein ganz gleichartiger ist wie der mit einem
etwa fünfjährigen Kinde.
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