___Dörte Kuhlmann
La Cité des Dames
Wien
Daran scheint sich bis heute nicht wirklich etwas geändert zu haben: Als
Robert Venturi 1991 der Pritzker Architectural Prize verliehen wurde,
kommentierte er diese Auszeichnung, dass es traurig sei, dass der Preis
nicht auch an Denise Scott-Brown verliehen worden sei, denn sie wären
nicht nur als Individuen, sondern auch als Entwerfer und Architekten
verheiratet.[1] Tatsächlich hatten Venturi und Scott-Brown die Entwürfe,
für die Venturi den Preis erhielt, gemeinsam entwickelt. Leider war es
lange Zeit in Architekturkreisen nicht ungewöhnlich, dass die Leistungen
von Frauen ignoriert wurden. Karen Kingsley schrieb mit einem
gewissen Sarkasmus, dass Kenneth Framptons Buch Modern
Architecture: A Critical History dasjenige der
Architekturgeschichtsbücher sei, das am ausführlichsten beide
Geschlechter diskutiert, da er vier Künstlerinnen beziehungsweise
Architektinnen erwähnt: Gertrude Jekyll, Charlotte Perriand, Margaret
MacDonald Macintosh und Lilly Reich.[2] Gemessen an der Zahl der
praktizierenden Architektinnen, die innerhalb der Periode tätig waren,
die Framptons Buch betrifft, ist diese Statistik natürlich erschreckend
gering. Allerdings ist die Kritik an Framptons Buch auch nicht ganz
gerechtfertigt, denn immerhin erwähnt er im Text zahlreiche weitere
Architektinnen, wie Eileen Gray, Doris Tuth, Aino Aalto oder auch Denise
Scott Brown u. a., nur werden diese Frauen (außer Gray) nicht im Index
genannt.
Selbst in Bezug auf geschriebene Werke, die explizit die Namen der
Autorinnen tragen, ist die Ignoranz gegenüber den weiblichen Beiträgen
vorhanden. Diese Erfahrung musste Denise Scott-Brown bereits mit
dem Buch Learning from Las Vegas, das heute als Klassiker gilt,
machen. Obwohl sie es zusammen mit Robert Venturi und Steve
Izenour geschrieben hat, wird Venturi immer alleine als Autor genannt.
Sie meinte dazu: „As a wife, I am very happy to see my husband
honored, but as a collaborator I feel very unhappy to see my work
attributed to Bob...We have developed a body of theory together that
owes a great deal to both of us. It is difficult to unseam it.“[3] Natürlich
wurde gerade bei Künstlerehepaaren gerne das Argument angeführt,
dass nur einer der Partner der „kreative Kopf“ sei, wobei meistens davon
ausgegangen wird, daß die Frau eher die versorgende Rolle einnimmt,
und der Mann die kreative Leistung.[4]
Das Problem wird auch nachvollziehbar, wenn man das Kunstfeld der
Architektur im Sinne von Pierre Bourdieu betrachtet. Seiner Meinung
nach besteht die Gesellschaft aus verschiedenen Aktionsfeldern, wie
etwa Ökonomie, Kultur, Bildung usw. Alle Praktiken, selbst jene, die
ungerichtet oder frei erscheinen, wie Kunst, so Bourdieu, seien darauf
ausgerichtet, so effizient wie möglich den symbolischen oder materiellen
Profit zu maximieren. Die kulturellen Felder, wie etwa Kunst oder
Architektur beinhalten fast ausschließlich symbolische Werte, da ihre
Objekte und Techniken von geringem materiellen oder praktischen Wert
sind. Daher wird der Machtkampf um die Stellung innerhalb dieses
Feldes durch die reine Logik der Positionierung, der Differenz und der
Unterscheidung determiniert. Das ”Subjekt” der Kunstproduktion, die
Bedeutung des Werkes und seines Wertes, wird nicht durch den
einzelnen Künstler bestimmt, sondern durch die gesamten Kräfte
(Künstler, Theoretiker, Kritiker usw.) oder den Habitus in Relation zu
einer Position innerhalb des Feldes.[13] Der Grund, warum weibliche
Künstler bislang als aktive soziale Kräfte jene Genderbeziehungen in
diesem Feld akzeptiert und unterstützt haben, durch die sie unterdrückt
wurden, mag daran liegen, das ein Individuum nur begrenzt gegen diese
komplexen Mechanismen agieren kann, wie Helen Hills bemerkt: „In
Outline of a Theory of Practice Bourdieu suggests that ‚agency‘ activities
of individual social actors, support hierarchical systems of organization
based on age and sex. So an individual is not necessarily aware of the
consequences of their actions in any broad sense, or in relation to
others. Actions which reproduce structural relations against their own
best interests are produced by ‚learned ignorance‘ or habitus, which
lends agents a sense of order. So women acting on their habitus may
well reproduce structural relations which determine their subordination to
men, even while they may sometimes exploit their freedoms to initiate
social change.“[14]
6. Architekturpolitik – Körperpolitik
Die These, dass die Architektur maßgeblich zur Festigung von sozialen
Vorstellungen und Verhaltensmustern beitragen kann, beruht auf einer
langen Tradition und wurde in der Gender-Debatte immer wieder zitiert.
Bill Hillier behauptete: „At the very least, then, a building is both a
physical and a spatial transformation of the situation that existed before
the building was built. Each aspect of this transformation, the physical
and the spatial, already has, as we shall see, a social value, and
provides opportunity for the further elaboration of this value, in that the
physical form of the building may be given further cultural significance by
the shaping and decoration of elements, and the spatial form may be
made more complex, by conceptual or physical distinctions, to provide a
spatial patterning of activities and relationships.“[35]
Hilliers Vorschlag, dass soziale Strukturen letztendlich räumlich sind, ist
nicht neu, denn es handelt sich hierbei um zentrale Punkte in vielen
Architekturtheorien seit der Publikation von Michel Foucaults
Überwachen und Strafen und Henri Lefebvres La production de
l'espace. Lefebvre unterscheidet zwischen räumlichen Praktiken (wie der
Raum wahrgenommen wird), Repräsentationen von Raum (wie man
sich Raum vorstellt) und den Repräsentationsräumen (der gelebte
Raum). Die Hauptaussage in Lefebvres Theorie ist, dass alles in der
Gesellschaft essentiell räumlich ist und dass sich der gesamte soziale
Raum vom Körper ableitet. Wenn alles tatsächlich ontologisch räumlich
ist, ist es keine kontingente Eigenschaft einiger Räume, sondern es
würde zu der Essenz des Raumes gehören. Die logische Folge eines
solchen Argumentes besteht darin, dass die Grenzen zwischen Dingen
und dem Selbst kontingent werden. Sowohl der Raum als auch die
Gesellschaft sind an der Konstruktion von den Grenzen des Selbst
beteiligt, aber das Selbst wird ebenfalls auf die Gesellschaft und den
Raum projiziert.[36]
Das vermittelnde Element zwischen dem Selbst als gelebte Realität und
den räumlichen-architektonischen Strukturen der Gesellschaft ist der
Körper. Das Argument, dass soziale und politische Macht den
physischen Körper einschließen, wurde überzeugend von Foucault
erörtert, der schrieb: ”der Körper steht auch unmittelbar im Feld des
Politischen; die Machtverhältnisse legen ihre Hand auf ihn; sie
umkleiden ihn, markieren ihn, dressieren ihn, martern ihn, zwingen ihn
zum Arbeiten, verpflichten ihn zu Zeremonien, verlangen von ihm
Zeichen.“[37] Weiter heißt es: „... zu einer ausnutzbaren Kraft wird der
Körper nur, wenn er sowohl produktiver wie unterworfener Körper ist“.
Insoweit es zutrifft, dass der Körper ein notwendiges Element in den
Machtstrukturen der Gesellschaft darstellt, sollte der Architektur
ebenfalls eine wichtige Rolle zuerkannt werden und damit auch der
Gender.[38]
[7] Ibid.
[8] Allerdings ist ihre Existenz umstritten und so sollte ihr Werk und ihre
Biografie genauer erforscht werden. Hess, Thomas B., „Great Women
Artists“ in Hess; Baker op. cit., S. 47. Comini, Alessandra ”Gender or
Genius? The Women Artists of German Expressionism” in Broude,
Norma and Garrard, Mary D. (Hg.), Feminism and Art History.
Questioning the Litany (New York: Harper & Row), S. 271 ff.
[9] ”Here is perhaps a key to the Expressionist-engendering epoch of which
Munch has always been seen as an extreme but primary example. The
theme of the time was the individual in society; its meaning was,
according to the interpreter, objectively or subjectively rendered; its
applications either universal or private. Determinism seemed a
universal fate, pessimism or stubborn faith the only qualifiers.” Comini,
op. cit., S. 272.
[10] Zitiert in Lorenz, Clare, Women in Architecture. A Contemporary
Perspective (London: Tretoil Publications Ltd 1990), S. 9
[11] Nochlin, Linda ”Why Have There Been No Great Woman Artists?” in Hess;
Baker, op. cit., S. 1-39.
[12] Baker, „Sexual Art-politics“, op. cit., S. 116.
[13] Ausführlich elaboriert Pierre Bourdieu diese Theorie in Bourdieu, Pierre,
Distinction: A Social Critique of Judgement of Taste, tr. Richard Nice
(Cambridge, Mass.: Harvard University Press 1984); Siehe auch
Bourdieu, Pierre, ”The Production of Belief: Contribution to an Economy
of Symbolic Goods” tr. Richard Nice in Media, Culture and Society
1980/2, S. 261-293.
[14] Hills, op. cit., S. 74
[15] Alpers, op. cit., S. 185.
[16] Danto, Arthur C., Beyond the Brillo Box. The Visual Arts in Post-Historical
Perspective, (New York 1992), S. 38.
[17] Ahrentzen, op. cit., S. 14.
[18] Betsky, Aaron, Building Sex. Men, Women, Architecture and the
Construction of Sexuality, (New York: William Morrow and Company,
Inc. 1995) S. xii.
[19] Doubilet, S.„P/A Reader Poll: Women in Architecture“, Progressive
Architecture 70 (10), 1989, S. 15-17.
[20] Zitiert nach Cole, Doris From Tipi to Skyscraper: A History of Women in
Architecture, (Boston: i-press 1973), S. 97, 98.
[21] Bentley, Nicholas, The Victorian Scene: 1837-1901, (London, New York:
Spring Books 1968), S. 68.
[22] Jormakka, Kari „The Flesh in Stone“, Datutop 21, Tampere Finnland 2001,
S.39; Danto, Arthur C., The Transfiguration of the Commonplace,
(Cambridge, Mass.: Harvard University Press 1981), S. 1-3.
[23] Park, Jane „Women, Architects and Feminism“ in Matrix, Making Space.
Women and the man-Made Environment. (London, Sidney: Pluto Press
1984), S. 11.
[24] Eisenman, Peter, ”The Beginning, the End and the Beginning again: Some
Notes on the Idea of Scaling.” in Space Design, special issue on Peter
Eisenman (Tokyo 1988), S. 6-7; Jameson, Frederic, ”Modernity versus
Postmodernity in Peter Eisenman” in Bédard, Jean-François (Hg.),
Cities of Artificial Excavation. The Work of Peter Eisenman, 1978-1988,
(Montréal: Centre Canadien d'Architecture 1994), S. 36.
[25] Ahrentzen, op. cit., S. 14.
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