Netter Collection
Medizinischer Atlas –
Endokrines System
1. Auflage
Abbildungen
Frank H. Netter, MD
Carlos A. G. Machado, MD
Mitarbeitende Zeichner
James A. Perkins, MS, MFA
John A. Craig, MD
Kristen Wienandt Marzejon, MS, MFA
Deutsche Übersetzung
Dr. med. Sibylle Tönjes
Zuschriften an:
Elsevier GmbH, Urban & Fischer Verlag, Hackerbrücke 6, 80335 München
12 13 14 15 16 5 4 3 2 1
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen
des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfäl-
tigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
und Lehrer und was noch wichtiger ist: Er vereinte die- zu Änderungen von Terminologie, Praxis und Befun-
se drei Berufe. Netter begann die Arbeit an seinen At- den geführt haben, bleibt manches immer gleich. Ein
lanten immer mit einer akribischen Recherche der Kör- Patient ist ein Patient. Ein Lehrer ist ein Lehrer. Und die
performen, einer Philosophie, die Basis seines breiten Bilder von Dr. Netter – er nannte sie Bilder, niemals
und tiefen medizinischen Wissens war. Er sagte oft: „Zu Zeichnungen – bleiben dieselben und wunderschöne
vermitteln ist das Ziel. Wie schön eine medizinische und lehrreiche Quellen, die seit mehr als einem halben Carney complex is characterized
by spotty skin pigmentation.
Pigmented lentigines and blue
Zeichnung auch sein mag – sie ist von geringem Wert, Jahrhundert die Hände von Ärzten geführt und ihr Vor- nevi can be seen on the face–
including the eyelids, vermillion
borders of the lips, the
wenn sie den Sachverhalt nicht deutlich darstellt.“ Seine stellungsvermögen genährt haben. conjunctivae, the sclera–and the
labia and scrotum.
größte Herausforderung und sein größter Erfolg war Die Originalserie wäre ohne die Hingabe all derer, Additional features of the
die Integration von künstlerischer Klarheit und Kom- die als Redakteure, Autoren oder auf andere Weise be- Carney complex can include:
widerspiegelt, von der Anfang 1948 als erster Band der die Expertise von Dr. Netter. Auch bei dieser zweiten Testicular large-cell
calcifying Sertoli cell tumors
umfassenden Sammlung von Netter-Arbeiten ein ein- Auflage gilt unser Dank den Autoren, Redakteuren, Be- Growth-hormone
secereting pituitary adenomas
zelnes Volume von CIBA Pharmaceuticals veröffent- ratern und Künstlern, die unermüdlich daran mitarbei- Psammomatous
melanotic schwannomas
licht wurde. Es war so erfolgreich, dass die Sammlung teten, dieses zeitlose Werk mittels reliabler Referenzen
in den nachfolgenden 40 Jahren zu einer achtbändigen an die aktuelle ärztliche Ausbildung und Praxis zu ad-
Serie erweitert wurde, bei der jeder Band einem Kör- aptieren. Wir alle, die wir zum Netter-Team von Else-
persystem gewidmet ist. vier gehören, danken Ihnen dafür.
Wir freuen uns, dass wir Ihnen Netters zeitlose Ar-
beit in dieser zweiten Auflage der legendären Serie mit
neuem Gesicht durch moderne Textverarbeitung und PPNAD adrenal glands are usually of normal size and most are
studded with black, brown, or red nodules. Most of the pigmented
untermauert durch die radiologische Bildgebung und nodules are less than 4 mm in diameter and interspersed in the
adjacent atrophic cortex.
stiel Hypophysenstiel
Zellen atrophieren. Somit enden etwa 15 % der Axone zwi-
Adenohypophyse
schen diesen beiden Schnittebenen. Pars intermedia
Die funktionelle und anatomische Innervation der Neu-
rohypophyse erfolgt vor allem über den Tractus hypotha-
lamohypophysialis im Hypophysenstiel. Er besteht aus
zwei Anteilen: dem Tractus supraopticohypophysialis, der Pars
Pars
entlang der anterioren oder ventralen Wand des Hypophy- nervosa distalis
senstiels verläuft, und dem Tractus tuberohypophysialis in
der posterioren oder dorsalen Wand des Hypophysen- Furche Bindegewebe
(Trabekel)
stiels. Der Tractus tuberohypophysialis geht aus dem zent-
ralen und posterioren Anteil des Hypothalamus, aus dem
Nucleus paraventricularis sowie aus versprengten Zellen
und Kernen im Bereich der tuberalen Region und der Cor-
pora mamillaria hervor. Der Tractus supraopticohypophy-
sialis entsteht aus den Nuclei supraopticus und paraventri-
cularis. Beim Eintritt in die Eminentia mediana nimmt er Hinterlappen Vorderlappen
eine sehr oberflächliche Position ein, sodass er bei Infek
tionen an der Schädelbasis und bei granulomatösen Ent- Abb. 1.2
zündungen gefährdet ist. Der Tractus tuberohypophysialis
im dorsalen Bereich der Eminentia mediana ist kleiner
und besteht aus feineren Fasern. Im Hypophysenstiel ver- weit als Gefäßbett für die großlumige Trabekelarterie in
einigen sich alle Fasern zu einem dichten, zentral liegen- den Hypophysenvorderlappen zieht. Die embryonale Spal-
den Bündel, sodass ein peripherer Bereich mit Kontakt zur te, die der Position der Rathke-Tasche in der Drüse ent-
Pars tuberalis, der kaum Nervenanteile enthält, verbleibt. spricht, kann teilweise in diesem Trabekel liegen. Sie ist bei
Der Tractus hypothalamohypophysialis endet überwie- Neugeborenen leichter zu erkennen und verschwindet oft
gend in der Neurohypophyse. im Laufe des Lebens. In der erwachsenen Drüse liegen in
Der Hypothalamus ist schlecht abgegrenzt. Anteroinfe- der Pars intermedia am Übergang zwischen der Pars dista-
rior wird er vom Chiasma opticum und von den Tractus lis und der Neurohypophyse kolloidgefüllte Follikel. Diese
optici begrenzt, posterior von der Substantia perforata Grenze verläuft meist unregelmäßig, da die Neurohypo-
posterior und den Pedunculi cerebri. Im Sagittalschnitt physe oft fingerförmige Ausstülpungen der Adenohypo-
wird er durch den Sulcus hypothalamicus auf der Wand physe enthält.
des III. Ventrikels vom Thalamus getrennt. Anterior ver-
schmilzt er mit der Area praeoptica und posterior mit dem
Tegmentum cerebri. Lateral hat er Bezug zum Subthala-
mus und zur Capsula interna.
Hypophysenvorder- und -hinterlappen werden durch
einen Bindegewebszug getrennt, der auch unterschiedlich
4 1 Hypophyse und Hypothalamus
sellae enthält eine kleine Öffnung für den Hypophysenstiel Nervus trochlearis (IV)
und trennt den anterioren Teil der Drüsenoberfläche vom Nervus trigeminus (V)
Chiasma opticum. Beidseits wird die Hypophyse von den Nervus abducens (VI)
Sinus cavernosi und den in ihnen enthaltenen Strukturen Pons
begrenzt. Inferior wird sie durch einen großen, teilweise
vakuolisierten venösen Sinus vom Boden der Fossa ge-
trennt, der mit dem Sinus circularis frei kommuniziert. Fornix
Die Meningen gehen in die Drüsenkapsel über und können Plexus choroideus
in der Fossa nicht als separate Schichten abgegrenzt wer- des III. Ventrikels
Foramen interventriculare
den. Allerdings reicht der Subarachnoidalraum vor allem Thalamus
Sulcus hypothalamicus Corpus callosum
Glandula
anterior oft unterschiedlich weit in die Sella, was in der pinealis
Magnetresonanztomografie oft als „teilweise leere Sella“ Vordere Kommissur
bezeichnet wird (› Abb. 1.12). Bei manchen Subarachno- Lamina terminalis
idalblutungen ist das dorsale Drittel der Drüse mit Blut,
das bis in diesen Raum gelaufen ist, bedeckt. Tuber cinereum
Zwischen Hypothalamus und Hypophyse bestehen
Corpus mamillare
funktionell und anatomisch wichtige Beziehungen. Diese
Bezeichnung bezieht sich auf die Strukturen im anterioren Cisterna chiasmatica
Teil des Bodens des III. Ventrikels und auf jene in der late-
ralen Wand des III. Ventrikels unter und vor dem Sulcus Chiasma opticum
hypothalamicus. Die Corpora mamillaria sind zwei runde,
Diaphragma sellae
weiße, erbsengroße Massen, die nebeneinander unter der
grauen Substanz auf dem Boden des III. Ventrikels vor der Cisterna
interpeduncularis
Substantia perforata posterior liegen. Sie bilden die poste-
riore Abgrenzung des Hypothalamus. An bestimmten Stel- Hypophyse
len der Hirnbasis ist die Arachnoidea von der Pia mater
Sinus
durch breite Räume getrennt, die frei miteinander kom- sphenoidalis
munizieren und als Cisternae subarachnoideae bezeichnet
Nasenseptum
werden. Der Fortsatz der Arachnoidea zwischen den bei-
den Schläfenlappen wird durch die Cisterna interpeduncu- Nasopharynx
laris von den Pedunculi cerebri getrennt. Nach anterior
setzt sich dieser Raum als Cisterna chiasmatica vor dem Cisterna pontis
Chiasma opticum fort. Raumforderungen stören diese Zis-
ternen. Abb. 1.4
Die superiore Lage des Chiasma opticum in Bezug auf
die Hypophyse ist von großer Bedeutung. Es handelt sich
um ein flaches, leicht viereckiges Bündel von Sehnervenfa- noidale. Über seine obere Fläche zieht ein kleiner Rezessus
sern am Übergang zwischen der anterioren Wand und des III. Ventrikels, der Recessus supraopticus, nach unten
dem Boden des III. Ventrikels. Seine anterolateralen Win- und vorn bis zur Lamina terminalis. Etwas weiter entfernt
kel gehen in die Nn. optici über und die posterolateralen liegt die Pinealisdrüse, ein kleiner, konischer, rotgrauer
Winkel in die Tractus optici. Die Lamina terminalis, das Körper unter dem Splenium des Corpus callosum. Selten
zephale Ende des primitiven Neuralrohrs, bildet eine dün- liegt eine ektope Pinealisdrüse im Boden des III. Ventri-
ne Schicht aus grauer Substanz, die von der oberen Fläche kels, aus der Tumoren entstehen. Zur Kompression der
des Chiasmas bis zum Rostrum des Corpus callosum anderen benachbarten Hirnnerven, außer dem N. opticus,
reicht. Inferior ruht das Chiasma auf dem Diaphragma sel- kommt es bei starker Aufweitung des Sinus cavernosus bei
lae unmittelbar hinter dem Sulcus chiasmatis des Os sphe- einem Hypophysentumor (› Abb. 1.24).
6 1 Hypophyse und Hypothalamus
eine tiefe Senke, die Sella turcica, deren tiefster Anteil die
Fossa hypophysialis ist. Die anteriore Grenze der Sella tur- Lamina Sinus sphenoidalis
perpendicularis
cica wird von zwei kleinen Erhebungen – jeweils einer auf ossis ethmoidalis Os sphenoidale
jeder Seite –, den Processus clinoidei mediales, abgeschlos-
sen. Die posteriore Grenze der Sella wird von einer lang Vomer
Pars basilaris
gezogenen Knochenplatte gebildet, dem Dorsum sellae, Processus palatinus ossis occipitalis
das an seinen superioren Winkeln mit zwei Knoten, den maxillae
Processus clinoidei posteriores, endet.
Hinter dem Dorsum sellae liegt eine flache Senke, der
Clivus, der leicht schräg nach hinten verläuft und als Fur-
che auf der Pars basilaris des Os occipitale weiterzieht. Die Os palatinum
Facies laterales des Corpus ossis sphenoidalis sind der Ur-
sprung der beiden Alae majores und enthalten die Lamina Abb. 1.6
pterygoidea medialis. Über dem Ursprung der beiden Alae
majores befindet sich eine breite Furche, welche die A. ca-
rotis interna und den Sinus cavernosus enthält. Die Facies Seit der Einführung des Operationsmikroskops im Jahre
superior beider Alae majores bildet einen Teil der mittle- 1969 durch Jules Hardy ist die sublabiale transseptale
ren Schädelgrube. Die A. carotis interna zieht durch das transsphenoidale Technik bei Hypophysenoperationen der
Foramen lacerum, eine große, etwa dreieckige Öffnung, Standard bei der Behandlung von Hypophysenadenomen.
die vorn vom Ala major ossis sphenoidalis, hinten von der Inzwischen erfolgen jedoch aufgrund besserer Endoskope
Spitze der Pars petrosa des Os temporale und medial vom in vielen Zentren, an denen Hypophysenoperationen
Corpus ossis sphenoidalis und von der Pars basilaris des durchgeführt werden, endoskopische transnasale Opera
Os occipitale begrenzt wird. Zur Nase hin hat die Fossa hy- tionen (› Abb. 1.31).
pophysialis Bezug zur Crista sphenoidalis und zur Lamina
cribrosa des Os ethmoidale.
8 1 Hypophyse und Hypothalamus
Hypophysenvorderlappenhormone
und ihre Feedback-Kontrolle
Die quantitative und zyklische Sekretion der trophischen Emotionale und äußere Einflüsse Nucleus paraventricularis
über afferente Nerven
Hypophysenhormone wird auf drei Ebenen streng kontrol-
liert: (1) adenohypophysiotrope Hormone des Hypothala-
mus, die in das Portalsystem abgegeben werden, wirken auf
die hypophysären G-Protein-verknüpften Bindungsstellen
auf der Oberflächenmembran der Zellen, sodass positive
oder negative Signale entstehen, welche die Transkription
der Gene der Hormone und deren Sekretion fördern. (2)
Zirkulierende Hormone der Zielzellen bewirken eine nega-
tive Rückkopplung ihrer trophischen Hormone. (3) Intra-
hypophysäre autokrine und parakrine Zytokine und Nucleus
Wachstumsfaktoren steuern lokal Zellentwicklung und supraopticus
Arteria
-funktion. Zu den hypothalamischen Releasing-Hormonen hypothalamica Neurosekrete des Hypothalamus
gehören Growth-Hormon-releasing-Hormon (GHRH), gelangen über Nervenfasern in
Corticotropin-releasing-Hormon (CRH), TSH-releasing- den primären Plexus des
Hormon (TRH) und Gonadotropin-releasing-Hormon (Gn- hypophysären Portalkreislaufs
Arteria
RH). Die beiden hypothalamischen inhibitorischen Fakto- hypophysialis Hypophysäre Portalvenen leiten
ren sind Somatostatin und Dopamin; sie unterdrücken die superior die Neurosekrete zur Adenohypophyse
Blutspiegel – regulierender Einfluss
Hypophysenhinterlappen
Der Hypophysenhinterlappen besteht aus Nervengewebe Signalwege des Ursprung von Vasopressin
und wird von den distalen Axonen der Nuclei supraopticus Vorderhirns Zellen des Nucleus
und paraventricularis des Hypothalamus gebildet. Die supraopticus
Axonaler
Axonendigungen speichern neurosekretorische Granula, Nucleus Transport der
paraventri- Sekretions-
die antidiuretisches Hormon (ADH) und Oxytocin, zwei cularis Gefensterte
produkte Kapillare
Nonapeptide aus einem Ring aus sechs Aminosäuren mit Signal-
einer Cystein-Cystein-Brücke und drei Aminosäuren im wege des HHL
Nucleus Hirnstamms
Schwanz, enthalten. In der Embryogenese wandern neuro-
supraopticus
epitheliale Zellen der Auskleidung des III. Ventrikels nach
lateral zum und über das Chiasma opticum und bilden den Neurosekretorische Endigung
Nucleus supraopticus sowie zu den Wänden des III. Vent- Arterien des (HHL)
rikels, wo sie den Nucleus paraventricularis bilden. Die Hypothalamus
Axon
Blutversorgung des Hypophysenhinterlappens erfolgt aus Mit dem Blut erreichen
Axon
den Aa. hypophyseales inferiores und die venöse Drainage Signale SON und PVN Fort- Kollagenraum
in Sinus cavernosus und V. jugularis interna. sätze der
Nervenbahnen der Neurosekretorische
Der Hypophysenhinterlappen dient der Speicherung Pituizyten
Neurohypophyse Vesikel
und Freisetzung von ADH und Oxytocin. Er speichert ge- Mastzelle
nug ADH, um für etwa 30 Tage eine basale Sekretion auf- Herring-Körper
Endothel Fibroblast
rechtzuerhalten und für etwa 5 Tage eine maximale Freiset-
HVL
zung sicherzustellen. Während etwa 90 % der Neurone des
Nucleus supraopticus ADH herstellen und alle seine Axone Basalmembran
HHL Kapillare
im Hypophysenhinterlappen enden, besitzt der Nucleus (Neurohypophyse)
paraventricularis fünf Unterkerne, die neben ADH auch Venöse Drainage des HHL
andere Peptide produzieren (z. B. Somatostatin, CRH, TRH Ort der Vasopressinresorption Arteria hypophysialis inferior
und Opioide). Die Neurone der Unterkerne des Nucleus
paraventricularis reichen bis in Eminentia mediana, Hirn-
stamm und Rückenmark. Der wichtigste stimulatorische
Sekretionsreiz für ADH und Oxytocin ist Glutamat und der
wichtigste inhibitorische Reiz ist γ-Aminobuttersäure (GA-
BA). Wenn ein Sekretionsreiz für ADH oder Oxytocin auf
den Nucleus supraopticus oder Nucleus paraventricularis
einwirkt, entsteht ein Aktionspotenzial, das entlang dem
Axon zum Hypophysenhinterlappen zieht und den Ein-
strom von Kalzium auslöst, das die neurosekretorischen
Granula zur Fusion mit der Zellmembran und Freisetzung
ihres Inhalts in den perivaskulären Raum sowie nachfol-
gend in das gefensterte Kapillarsystem des Hypophysen-
hinterlappens veranlasst.
Das in den neurosekretorischen Granula des Hypophy-
senhinterlappens gespeicherte ADH produziert ein helles
Signal in der T1-gewichteten Magnetresonanztomografie Aufhellung im Hypophysenhinterlappen. Das sa- Ektoper Hypophysenhinterlappen. Das sagittale
(MRT) – den „bright spot“ des Hypophysenhinterlappens. gittale T1-gewichtete MRT zeigt eine Hyperinten- T1-gewichtete MRT zeigt eine Hyperintensität
sität (Pfeil) im posterioren Anteil der Sella turcica. (Pfeil) im posterioren Anteil der Hypophysenstiels.
Dieser findet sich bei den meisten gesunden Menschen
und fehlt bei zentralem Diabetes insipidus. Außerdem Abb. 1.8
kann der „bright spot“ bei kongenitalen Fehlbildungen
verlagert sein, wenn beispielsweise der Hypophysenhinter-
lappen nicht deszendiert ist, und an der Basis des Hypo-
thalamus oder entlang dem Hypophysenstiel auftreten.
Obwohl der Hypophysenhinterlappen meistens normal
funktioniert, kann dieser „ektope Hypophysenhinterlap-
pen“ mit einer Hypoplasie und unterschiedlich starken
Dysfunktion des Hypophysenvorderlappens einhergehen.
10 1 Hypophyse und Hypothalamus
Kraniopharyngeom
Das Kraniopharyngeom ist bei Kindern und Jugendlichen Ein großes zystisches supraselläres Kranio-
der häufigste Tumor im Bereich der Hypophyse und macht pharyngeom komprimiert das Chiasma
opticum und den Hypothalamus und füllt
etwa 3 % aller intrakraniellen Tumoren sowie bis zu 10 % den III. Ventrikel bis zum Foramen interven-
aller kindlichen Hirntumoren aus. Kraniopharyngeome triculare (Monro) mit Sehstörungen, Diabe-
sind histologisch benigne Epithelioidtumoren, die aus tes insipidus und Hydrozephalus.
Überresten der Rathke-Tasche entstehen. Sie können sehr
groß werden (z. B. Durchmesser > 6 cm) und in den III.
Ventrikel sowie benachbarte Hirnstrukturen eindringen.
Diese Tumoren liegen für gewöhnlich über der Sella turci-
ca, drücken auf das Chiasma opticum und reichen bis in
den III. Ventrikel. Seltener liegen Kraniopharyngeome in
der Sella, komprimieren die Hypophyse und erodieren oft Nach Entleerung des
die knöchernen Abgrenzungen der Sella turcica. Befunde Zysteninhalts über
und Symptome, die vor allem durch Verdrängung entste- einen frontotemporalen
Lappen wird der Tumor
hen, treten für gewöhnlich in der Jugend auf und nur sel- vorsichtig unter dem
ten jenseits eines Alters von 40 Jahren. Zu den Verdrän- Chiasma opticum nach
gungssymptomen gehören Sehverluste durch Kompressi- vorne gezogen.
on des Chiasma opticum, ein Diabetes insipidus durch In-
vasion oder Durchtrennung von Hypothalamus oder
Hypophysenstiel, eine Dysfunktion des Hypothalamus
(z. B. Adipositas mit Hyperphagie, Hypersomnolenz, Stö-
rung der Temperatursteuerung), eine unterschiedlich star-
ke HVL-Insuffizienz (z. B. Wachstumshormonmangel mit
Kleinwuchs in der Kindheit, Hypogonadismus, Nebennie-
reninsuffizienz, Hypothyreose), eine Hyperprolaktinämie
durch Kompression des Hypophysenstiels oder Schädi-
gung der dopaminergen Neurone des Hypothalamus, Intraselläres zystisches Kraniopharyngeom,
Hirndruckzeichen (z. B. Kopfschmerzen, Strahlerbrechen, das die Hypophyse komprimiert und zum
Hypopituitarismus führt. MRT (Sagittalschnitt) eines zystischen
Papillenödem, Optikusatrophie), Symptome des Hydroze-
suprasellären Kraniopharyngeoms
phalus (z. B. kognitive Einschränkungen und Verwirrt-
heit), wenn große Tumoren den Liquorfluss behindern,
sowie Hirnnervenlähmungen bei Invasion des Sinus caver-
nosus.
Die Röntgenbefunde sind diagnoseweisend. Konventio-
nelle Röntgenaufnahmen und die Computertomografie
(CT) zeigen unregelmäßige supraselläre Kalzifikationen.
Die Magnetresonanztomografie (MRT) zeigt typische mul-
tilobuläre zystische Strukturen, die meist suprasellär lie-
gen, aber auch von der Sella ausgehen können. Die zysti-
schen Regionen enthalten häufig eine trübe, cholesterin-
haltige, visköse Flüssigkeit. Die Wände der zystischen und
Histologischer Schnitt: Kraniopharyngeom MRT (Koronalschnitt) eines suprasel-
soliden Komponenten bestehen aus Wirbeln und Strängen (H & E Färbung, x 125) lären Kraniopharyngeoms
von Epithelzellen, die durch ein lockeres Netz aus Sternzel-
len getrennt sind. Bei interzellulären Epithelbrücken und Abb. 1.10
Keratohyalin wird der Tumor als Adamantinom einge-
stuft.
Zu den Behandlungsoptionen von Patienten mit Kra-
niopharyngeomen gehören Beobachtung, endonasale
transsphenoidale Operationen bei kleineren intrasellären
Tumoren, Kraniotomien bei größeren suprasellären
Tumoren, die stereotaktische Strahlentherapie oder eine
Kombination dieser Modalitäten. Die meisten dieser Be-
handlungsansätze führen zu einer unterschiedlich ausge-
prägten HVL- oder HHL-Insuffizienz (oder beides) mit
entsprechendem Hormonmangel. Außerdem sind nach
der Behandlung Rezidive möglich (≈ 40 %), da der Tumor
auch an benachbarten Strukturen adhäriert, sodass eine
Langzeitbeobachtung erforderlich ist.
12 1 Hypophyse und Hypothalamus
Hypophysenvorderlappeninsuffizienz
bei männlichen Kindern und Jugendlichen
Die am häufigsten bei Kindern und Jugendlichen mit Hy- Kein Wachstumshormon vorhanden Hypophysenvorderlappen
pophysenvorderlappeninsuffizienz fehlenden Hormone Wachstumshormon
sind die Gonadotropine, luteinisierendes Hormon (LH)
und follikelstimulierendes Hormon (FSH). Gonadotropin-
mangel kann allein oder in Kombination mit anderen Hypophysäre
Gonadotropine
HVL-Mangelzuständen auftreten. Bei fehlenden Gonado- (FSH und LH) fehlen
tropinen ist die Pubertät von Jungen verzögert und es ent-
wickeln sich keine sekundären Geschlechtsmerkmale
(› Abb. 4.7). Penis und Prostata bleiben klein und das
Skrotum entwickelt keine Fältelung, der Larynx vergrö-
ßert sich nicht und die Stimme behält ihre kindliche hohe
Tonlage. Gelegentlich bildet sich Schambehaarung, die
aber meist dünn und fein ist. Achselbehaarung entwickelt
sich entweder nicht oder bleibt dünn. Der Bartwuchs
bleibt aus.
Durch die fehlenden Androgene schließen sich die
Epiphysenfugen verspätet, sodass das Längenwachstum
in Anwesenheit von normalem Growth-Hormon (GH)
und Insulin-like Growth Factor 1 länger andauert als nor-
mal. Das Längenwachstum ist in den Extremitäten beson-
ders ausgeprägt, weswegen Arme und Beine unverhält-
Kein Androgen
nismäßig lang werden. Es entstehen eunuchoide Propor- Kein Androgen
tionen; der Unterkörper ist länger (von den Fußsohlen bis Panhypo-
zum Schambein) als der Oberkörper (vom Schambein bis pituitarismus Selektiver hypophysärer
(hypophysärer Gonadotropinmangel
zur Kalotte). Außerdem übersteigt die Armspanne die
Zwergenwuchs) (hypophysärer Eunuchoidismus)
Körperlänge im Stand (normalerweise sind beide iden-
tisch). Im 3. Lebensjahrzehnt schließen sich die Epiphy-
senfugen auch bei unbehandelten eunuchoiden Männern.
Die Gabe von Testosteron führt prompt zum Epiphysen- Fehlende Stimulation,
schluss. Nach Epiphysenschluss findet sich bei Erwachse- daher infantile Hoden
nen mit HVL-Hormon-Mangel kein exzessives Längen-
wachstum.
Das klinische Bild des sekundären Hypogonadismus
hängt beim Jugendlichen davon ab, ob auch andere HVL-
Hormone fehlen oder nicht. Fehlt in der Kindheit auch
Hypophysäre Ursachen: Hypothalamische Ursachen:
GH, entsteht ein deutlicher Kleinwuchs. Er besteht, wenn
ein Kind mindestens zwei Standardabweichungen unter ▶ Hypophysenadenom ▶ Raumforderung
▶ Hypophysenzyste (z.B. Kraniopharyngeom)
der mittleren Körperlänge für Kinder gleichen Geschlechts ▶ Hypophysenoperation ▶ Bestrahlung
und Alters liegt, häufig unter dem 3. Größenperzentil. Die ▶ Infiltrat (z.B. lymphozytäre Hypophysitis) (z.B. wegen eines Gehirntumors)
drei Wachstumsphasen sind Säuglingsalter, Kindheit und ▶ Infarkt (z.B. Sheehan-Syndrom) ▶ Infiltrat (z.B. Sarkoidose)
Pubertät. Das infantile Wachstum folgt in den ersten 2 Le- ▶ Apoplex ▶ Trauma mit Schädelbasisfraktur
▶ Genetische Erkrankung ▶ Infektion (z.B. Virusenzephalitis)
bensjahren einem rapiden, aber abnehmenden Wachs- (z.B. POU1F1-Mutation) ▶ Panhypopituitarismus
tumsmuster mit einem durchschnittlichen Wachstum von ▶ Primäres Syndrom der leeren Sella (hypophysärer Zwergenwuchs)
30 cm. Es besteht eine statistisch signifikante und positive ▶ Sellametastasen ▶ Fehlendes Wachstumshormon
Korrelation zwischen der Körpergröße im Alter von 2 Jah-
ren und der Endgröße des Erwachsenenalters. In der Kind- Abb. 1.13
heit erfolgt das Wachstum relativ konstant mit einer Ge-
schwindigkeit von 5–7 cm pro Jahr. In der Pubertät kommt tes mellitus, ein Vitamin-D-Mangel, eine Hypothyreose
es zu einem Wachstumsschub von 8–14 cm jährlich. Die und das Cushing-Syndrom zu Kleinwuchs.
häufigsten Ursachen von Kleinwuchs sind ein genetischer Zum klinischen Bild tragen zudem Mangelzustände
Kleinwuchs und Wachstumsrückstand. Abgesehen vom weiterer HVL-Hormone bei. So führt ACTH-Mangel zu
GH-Mangel führen häufig Nierenerkrankungen, Krebser- orthostatischer Hypotonie, Tachykardie, Erschöpfung,
krankungen (und deren Behandlung), eine Glukokortiko- Anorexie, Gewichtsverlust, Hyponatriämie und Hypoglyk
idtherapie, Lungenerkrankungen (z. B. Mukoviszidose), ämie. TSH-Mangel kann zu Müdigkeit, Kälteintoleranz,
Herzerkrankungen (z. B. kongenitale Herzerkrankungen), Obstipation, Gesichtsschwellungen mit periorbitalem
gastrointestinale Erkrankungen (z. B. Zöliakie, entzündli- Ödem, Hauttrockenheit, Bradykardie und verzögerter Re-
che Darmerkrankungen), ein schlecht eingestellter Diabe- laxationsphase der Muskeleigenreflexe führen.
Hypophysenvorderlappeninsuffizienz bei Erwachsenen 15
Schwere Hypophysenvorderlappeninsuffizienz
(Panhypopituitarismus)
Schwere Symptome einer Hypophysenvorderlappeninsuf- Schwere Hypophysenvorderlappeninsuffizienz
fizienz treten nur bei fast vollständiger Zerstörung der Ausgedehntes, des-
Adenohypophyse auf. Bei progressiver Zerstörung (> 75 %) truierendes Makro-
Ätiologie
adenom oder
verschlechtert sich der leichte Hypogonadismus und durch Kraniopharyngeom
eine Hypothyreose und Nebenniereninsuffizienz treten Postpartale Nekrose
Unfall
progressiv Allgemeinsymptome, wie Asthenie, Fatigue, Postoperativ
Appetitverlust und Kälteintoleranz, auf. Die komplette Hy- Gonadotropin- TSH- ACTH- MSH-
GH-Mangel
pophysenvorderlappeninsuffizienz kann nach einer Hypo- mangel Mangel Mangel Mangel
physenoperation aufgrund eines Makroadenoms auftreten.
Bei dieser Krankheit findet sich grundsätzlich eine go-
nadale Atrophie. Auch die sekundären Geschlechtsmerk-
Männer Frauen
male bilden sich zurück. Bei Frauen schrumpfen die Ovari- Kinder Erwachsene Verlust der Verlust der Hypothyreose Nebennieren- Blässe
en und werden klein und fibrös. Der Uterus bildet sich bis ↓ Wachs- ↓ Allge- Körper- Achsel- und
tumsge- mein- insuffizienz
auf infantile Ausmaße mit einer extrem dünnen Endomet- behaarung Schambehaa-
schwin- befinden Infertilität rung
riumschicht zurück. Die äußeren Genitalien schrumpfen digkeit ↑ Fett- ↓ Libido Amenorrhö
ebenso wie die Vagina, die ein glattes, atrophes Epithel Klein- masse ↓ Vitalität Infertilität
wuchs ↓ Muskel- ↓ Hoden- Scheiden-
entwickelt. Die Mammae bilden sich zurück und die Areo-
masse größe trockenheit
lae verlieren ihre Pigmentierung. Bei Männern ist der Pe- Erektile Hitzewallungen
nis klein, sind die Hoden geschrumpft und ohne Fältelung Dysfunktion Mammaatrophie
und ist die Prostata stark atrophiert. Bei beiden Geschlech-
Kinder
tern ist die Schilddrüse klein und die Follikel sind mit ei- Pubertas tarda
nem niedrigen kubischen Epithel ausgekleidet. Die GH-Mangel schließt eunuchoiden Habitus aus
Schrumpfung der Nebennierenrinde ist in Zona fasciculata
Panhypopituitarismus
und Zona reticularis am ausgeprägtesten. Die Zona glome-
rulosa, der Ort der Aldosteronproduktion, ist im Gegen- Ausgedehnter
Ätiologie
Tumor (meist
satz zu den anderen beiden Schichten nicht ACTH-abhän- Kraniopharyngeom)
gig. Der allgemeine Aufbau der Nebennierenrinde bleibt Postpartale Nekrose
erhalten, aber die Zellen enthalten nur wenig Lipid. Unfall
Typisch ist eine, gemessen an der vorhandenen Anämie, MSH- und
ADH- Gonadotropin- TSH- ACTH- ACTH-Mangel
zu starke Blässe, die vermutlich Folge des Mangels von
GH-Mangel Mangel mangel Mangel Mangel
ACTH und MSH ist. Der Verlust der Muskelmasse ist zwar
multifaktorieller Ursache, vermutlich leistet das Wachs-
tumshormon aber einen wichtigen Beitrag. Kinder neigen
Männer Frauen
zur Entwicklung einer Hypoglykämie, gleichzeitig bestehen Verlust der Verlust der
Kinder Erwachsene Diabetes Hypo- Nebennieren- Blässe
oft ein Mangel der adrenalen Glukokortikoide und des Körper- Achsel- und thyreose insuffizienz
↓ Wachs- ↓ Allgemein- insipidus
Wachstumshormons sowie eine reduzierte Nahrungsauf- behaarung Scham-
tums- befinden (latent, Infertilität behaarung
nahme. geschwin- ↑ Fett- solange ↓ Libido Amenorrhö
digkeit masse Neben- ↓ Vitalität Infertilität
Der Begriff Panhypopituitarismus sollte den Fällen vor-
Klein- ↓ Muskel- nieren- ↓ Hoden- Scheidentrockenheit
behalten bleiben, in denen alle Funktionen von Adenohy- wuchs masse hormone größe Hitzewallungen
pophyse und Neurohypophyse betroffen sind. Patienten vorhanden Erektile Mammaatrophie
mit langsam progressiven destruktiven Läsionen entwi- sind oder Dysfunktion
gegeben
ckeln oft zuerst einen Diabetes insipidus, der verschwindet, werden)
sobald die Adenohypophyse so stark betroffen ist, dass eine
sekundäre Nebenniereninsuffizienz entsteht. Dieser Ant Kinder
Pubertas tarda
agonismus zwischen ADH und den Glukokortikoiden zeigt GH-Mangel schließt eunuchoiden Habitus aus
sich am Wiederauftreten des Diabetes insipidus, wenn die-
se Patienten Cortisol in ausreichend hoher Dosis erhalten. Abb. 1.16
Die Behandlung eines Mangels von ACTH, TSH, LH
oder FSH erfolgt genauso wie bei einem primären Hor- Die Behandlung von Patienten mit LH- und FSH-Man- Wachstumshormon wird bei Kindern mit Hypopituita-
monmangel der entsprechenden Zieldrüse. So wird bei gel hängt davon ab, ob ein Kinderwunsch besteht. Bei rismus grundsätzlich gegeben, bei Erwachsenen jedoch
ACTH-Mangel Hydrocortison (oder ein anderes Glukokor- Männern ohne Kinderwunsch ist eine transdermale Testo optional.
tikoid) gegeben, um das normale zeitliche Muster und die steronersatztherapie die Methode der Wahl. Die Testo Das einzige Symptom des Prolaktinmangels ist die Un-
entsprechende Dosierung der Cortisolsekretion nachzuah- sterondosis wird so angepasst, dass mittlere normale fähigkeit zu stillen.
men. Testosteronspiegel im Serum erreicht werden. Bei Kinder- Patienten mit Diabetes insipidus werden mit Desmo-
Patienten mit TSH-Mangel werden mit Levothyroxin wunsch erhalten die Männer Gonadotropine. Frauen er- pressin behandelt.
behandelt. Therapieziel ist ein Serumspiegel des freien halten eine Östrogen-Gestagen-Ersatztherapie und bei
Thyroxins im mittleren bis normalen Bereich. Kinderwunsch eine Ovulationsinduktion.
18 1 Hypophyse und Hypothalamus
gung aus der Kapsel. Bis zu einem Verlust von 50 % des
TS
M
Hypophyseninfarkt
Der Hypophyseninfarkt, die akute Blutung in die Hypophy-
se, ist zwar selten, aber ein endokriner Notfall, dessen Komprimiertes
Chiasma opticum
prompte Diagnose und Behandlung kritisch sind. Typisch
sind akute schwere Kopfschmerzen (oft beschrieben als Komprimierter
Hirnnerv III
„schlimmste Kopfschmerzen, die ich jemals hatte“), Sehver-
lust (das Blut nimmt den Weg des geringsten Widerstands, Hämorrhagischer
dehnt sich nach superior aus und komprimiert das Chiasma Hypophysentumor
opticum), Gesichtsschmerz, Übelkeit und Erbrechen sowie
Hypophyse
Augennervenlähmung (z. B. Ptose, Diplopie) durch Ein-
klemmung der Hirnnerven III, IV und VI in den Sinus ca-
vernosus. Außerdem zeigen die Patienten oft die Symptome
einer meningealen Reizung und Bewusstseinsstörungen.
Bei erhöhtem Hirndruck kommt es zu vermehrter Schläf-
rigkeit und Stupor, sodass eine operative Dekompression
erforderlich wird. Bei Beteiligung des Hypothalamus treten
Störungen der sympathischen Autoregulation mit Arrhyth-
mie und Atemstörungen auf. Im Liquor finden sich beim
Hypophyseninfarkt oft Erythrozyten und eine erhöhte Pro-
teinkonzentration. Dies kann ein differenzialdiagnostisches
Problem bei der Abgrenzung des Hypophyseninfarkts von
Komprimiertes Chiasma opticum
Meningitis und Subarachnoidalblutung darstellen.
Der am akutesten auftretende Hormonmangel ist die se-
Blutung
kundäre Nebenniereninsuffizienz, die zu Hypotonie und Ne-
bennierenkrise führen kann. Hypophyseninfarkte treten
meist bei bereits vorhandenen hypophysären Makroadeno- Hypophysentumor
men oder Zysten auf. Die Blutung kann auch spontan auftre-
ten oder durch ein Schädeltrauma, Gerinnungsstörungen Hypophyse (Hirnanhangsdrüse)
(z. B. idiopathische thrombozytopenische Purpura) oder An-
tikoagulanzien (z. B. Heparin, Cumarinen) ausgelöst werden.
Selten entsteht ein Infarkt in einem Hypophysentumor durch
die Gabe eines Hypothalamus-releasing-Hormons (z. B. Go-
nadotropin-releasing-Hormon-Agonisten bei Patienten mit
einem Gonadotropin produzierenden Adenom) oder durch
die Gabe einer Substanz zur Behandlung von Hypophysentu-
moren (z. B. Bromocriptin bei einem Prolaktin produzieren-
den Hypophysentumor). Die rapide Expansion des Sellain-
halts führt zu akuten Verdrängungssymptomen. Mehr als
50 % der Hypophyseninfarkte sind die initiale klinische Ma-
nifestation eines Hypophysentumors. Das Risiko für Hypo-
physeninfarkte ist nicht alters- oder geschlechtsabhängig. MRT eines Hypophyseninfarkts. Das koronale Bild (links) zeigt einen partiell zystischen Hypo-
Diagnoseweisend ist die Magnetresonanztomografie physentumor in der Sella mit hämorrhagischer Komponente, der über die Sella hinausragt.
(MRT) der Hypophyse. Sie zeigt für gewöhnlich Zeichen Das sagittale Bild (rechts) zeigt einen Flüssigkeitsspiegel im Bereich einer kürzlichen Blutung.
Hypophysärer Riesenwuchs
Hypophysärer Riesenwuchs tritt auf, wenn vor dem
Schluss der Epiphysenfugen bei einem Kind oder Jugendli-
chen ein Hypophysentumor, der Wachstumshormon (GH)
Das MRT (Koronalschnitt) zeigt einen großen
produziert, entsteht. Beim Erwachsenen (nach dem GH-produzierenden Hypophysentumor bei einem
Schluss der Wachstumsfugen) gibt es kein Längenwachs- 16-jährigen Jungen mit Gigantismus.
tum, daher führt der gleiche Tumor zu Veränderungen der
Akren, der Akromegalie (› Abb. 1.20).
Hypophysärer Riesenwuchs ist selten und kann bei Be-
ginn in der Kindheit zu einer erheblichen Körpergröße
führen. Der nachweislich größte Mensch mit hypophysä-
7
rem Riesenwuchs war 272 cm groß. Unbehandelt errei-
chen diese Menschen eine Endgröße von etwa 213 cm. Die
GH-produzierenden Hypophysentumoren treten bei hypo-
physärem Riesenwuchs meist sporadisch auf, können aber
auch Teil eines Syndroms sein, wie der multiplen endokri- 6
nen Neoplasie Typ 1 (› Abb. 8.1), des McCune-Albright-
Syndroms (› Abb. 4.11) und des Carney-Komplexes
(› Abb. 3.12).
Häufig entsteht hypophysärer Riesenwuchs durch ein
5
GH-produzierendes Hypophysenadenom, selten kann aber
auch ein ektoper Tumor GH-releasing-Hormon (GHRH)
abgeben oder eine Funktionsstörung des Hypothalamus
Feet and inches
Akromegalie
Ein chronischer Überschuss von Wachstumshormon (GH)
durch einen GH-produzierenden Hypophysentumor führt
zum klinischen Syndrom der Akromegalie, die als erstes
Ein chronischer GH-Exzess
Hypophysensyndrom im Jahr 1886 von Pierre Marie be- führt unter anderem zu
schrieben wurde und unbehandelt mit einer erhöhten vermehrtem akralem und
Weichgewebewachstum,
Morbidität und Mortalität einhergeht. Die jährliche Inzi- Vergröberung der Gesichtszüge,
denz wird auf 3 Erkrankungsfälle auf 1 Million Einwohner Prognathie, Rundrücken und
geschätzt; trotzdem ist das GH-produzierende Hypophy- progressiver dentaler Malokklusion
(Unterbiss).
senadenom der zweithäufigste hormonaktive Hypophy-
sentumor. Symptome eines chronischen GH-Überschusses
sind ein verstärktes Wachstum von Akren und Weichge-
weben, eine progressive dentale Malokklusion (Unterbiss),
eine degenerative Arthritis durch das vermehrte Wachs-
tum von Knorpel und Synovialis im Gelenk, eine tiefe, so-
nore Stimme, Kopfschmerzen, eine übel riechende Hyper-
hidrose, eine fettige Haut, eine perineurale Hypertrophie
mit Nerveneinklemmung (z. B. Karpaltunnelsyndrom), ei-
ne proximale Muskelschwäche, eine Kohlenhydratintole-
ranz (initial oft Manifestation eines Diabetes mellitus),
Hypertonie, Kolontumoren, ein obstruktives Schlafapnoe-
syndrom und Herzfunktionsstörungen. Die Verdrän-
gungssymptome von GH-produzierenden Makroadeno-
men der Hypophyse (> 10 mm) ähneln denen anderer
Makroadenome der Hypophyse (z. B. Gesichtsfeldausfälle,
Das MRT (Koronalschnitt) zeigt ein 2,1 cm
Okulomotoriusparesen, Kopfschmerzen und Hypophysen- großes hypophysäres Makroadenom, das
insuffizienz). auf der rechten Seite den Sellaboden aus-
Typisch bei Patienten mit Akromegalie sind die Ver- höhlt, in den rechten Sinus cavernosus
sowie in das Chiasma opticum über der
gröberung der Gesichtszüge, die Prognathie, die nach Sella turcica reicht.
vorn geneigte Körperhaltung, die schaufelartigen Hände
und die breiten Füßen. Oft nehmen Schuh- und Hand-
schuhgröße, Ring- oder Hutgröße langsam, aber vom Pa-
tienten, von seiner Familie und vom Hausarzt unbemerkt
zu. Häufig vergehen zwischen dem Auftreten der ersten
Symptome und der Diagnosestellung 8,5 Jahre. Hilfreich
bei der Diagnosestellung sind alte Fotografien des Pati-
enten.
Hohe GH-Plasmaspiegel sind beim hypophysären Rie-
senwuchs nicht diagnoseweisend. Der basale GH-Plasma-
spiegel ist bei schlecht eingestelltem Diabetes mellitus,
chronischem Leber- oder Nierenversagen oder einer Pro- Das MRT (mittlerer Sagittalschnitt) zeigt
tein-Kalorien-Malnutrition, wie der Anorexia nervosa, er- ein hypophysäres Makroadenom, das
bis in den Sinus sphenoidalis und den
höht. Die Diagnose der Akromegalie beruht auf zwei Krite- suprasellären Bereich reicht.
rien: einem nicht durch orale Glukosebelastung (75–100 g)
unter 0,4 ng/dl supprimierbaren GH-Spiegel und einem Abb. 1.20
erhöhten Serumspiegel (alters- und geschlechtsentspre-
chend) des Insulin-like Growth Factor 1 (IGF-1, einem
GH-abhängigen Wachstumsfaktor, der für viele GH-Wir- Bei allen Patienten mit Akromegalie besteht grundsätz- rung der Weichgewebeveränderungen ist oft eine Kombi-
kungen verantwortlich ist und früher als Somatomedin C lich eine Behandlungsindikation. Ziele sind das Vermei- nation aus oraler und plastischer Chirurgie indiziert (z. B.
bezeichnet wurde). Die Serumspiegel von IGF-1 sind nur den der Langzeitfolgen des GH-Überschusses, die Entfer- mandibuläre Osteotomien, Rezession der Supraorbitalbö-
selten falsch positiv erhöht; in der Schwangerschaft steigen nung der intrasellären Raumforderung und der Erhalt des gen, Rhinoplastiken und Zungenverkleinerung). Behin-
sie auf das Zwei- bis Dreifache des alters- und ge- normalen Hypophysengewebes und seiner Funktion. Be- dernde hypertrophe Osteoarthropathien der Hüften und
schlechtsentsprechenden oberen Normwerts. Die Labor- handlungsoptionen sind Operationen, eine gezielte Be- anderer großer Gelenke machen oft einen Gelenkersatz er-
untersuchungen werden bei Akromegalie durch eine MRT strahlung und Medikamente. Die transsphenoidale Aden- forderlich. Aufgrund des erhöhten Risikos für kolorektale
der Hypophyse und eine Gesichtsfeldtestung durch quan- ektomie durch einen erfahrenen Neurochirurgen ist die Adenome und Karzinome sollten bei Patienten mit Akro-
titative Perimetrie ergänzt. Sofern die Bildgebung der Hy- Behandlung der Wahl und sollte eventuell durch eine megalie regelmäßig Vorsorgeuntersuchungen mittels Ko-
pophyse kein Adenom nachweisen kann, sind eine Bestim- Gamma-Knife-Bestrahlung, eine Arzneimitteltherapie loskopie erfolgen.
mung von GHRH im Plasma sowie eine CT von Thorax oder beides ergänzt werden.
und Abdomen indiziert, um einen ektopen GHRH-produ- Nach der erfolgreichen operativen Behandlung bilden
zierenden Tumor auszuschließen (z. B. Pankreaskarzinom, sich die Weichgewebe deutlich zurück, die knöchernen
kleinzelliges Bronchialkarzinom). Veränderungen sind jedoch irreversibel. Nach Stabilisie-
22 1 Hypophyse und Hypothalamus
Prolaktinproduzierender Hypophysentumor
Prolaktinproduzierende Hypophysentumoren (Prolakti-
nome) sind die häufigsten hormonaktiven Hypophysentu-
moren. Es handelt sich um monoklonale Adenome aus
laktotropen Zellen, die infolge sporadischer Mutationen
auftreten. Trotzdem sind sie aber auch die häufigsten Hy-
pophysentumoren bei multipler endokriner Neoplasie
Typ 1 (› Abb. 8.1). Außerdem sind mehr als 99 % der
Prolaktinome benigne. Etwa 10 % der prolaktinproduzie- Das Prolaktin-produzierende Makroadenom
renden Hypophysentumoren sezernieren aufgrund einer führt bei suprasellärer Ausdehnung zu Gesichts-
feldstörungen und bei lateraler Ausdehnung
somatotropen oder mammasomatotropen Komponente (Sinus cavernosus) zu Hirnnervenlähmungen
Bei prämenopausalen Frauen führt die Hyper-
auch Wachstumshormon. (z.B. Diplopie, Ptose), Kopfschmerzen und
prolaktinämie zu einer bilateralen spontanen
einem unterschiedlich starken Hypopituitarismus.
Bei Frauen führen prolaktinproduzierende Mikroade- Galaktorrhö.
nome (≤ 10 mm größter Durchmesser) für gewöhnlich zur Serielle kraniale MRT (Koronal-
sekundären Amenorrhö mit oder ohne Galaktorrhö. Bei schnitte) eines Patienten mit einem
9 mm großen Prolaktin-produzierenden
Männern hingegen verursachen kleine Prolaktinome keine hypophysären Mikroadenom (Pfeile).
Symptome, sodass sie erst diagnostiziert werden, wenn sie Zum Diagnosezeitpunkt (linkes Bild)
so groß sind, dass Verdrängungssymptome auftreten. Die- betrug die Serumprolaktinkonzentration
280 ng/ml. Das rechte Bild wurde 6 Monate
se späte Diagnosestellung ist auch für die meisten postme- nach Normalisierung der Serumprolaktin-
nopausalen Frauen typisch. Verdrängungssymptome von konzentration durch einen Dopamin-
agonisten aufgenommen. Die Prolak-
prolaktinproduzierenden Makroadenomen sind bei supra- tinomgröße nahm um mehr als 50 % ab
sellärer Ausdehnung Gesichtsfelddefekte, bei lateraler (rechtes Bild).
Ausdehnung (Sinus cavernosus) Hirnnervenlähmungen
(z. B. Diplopie, Ptose), Kopfschmerzen und ein unter- Kraniales MRT (links koro-
naler, rechts sagittaler Schnitt)
schiedlich ausgeprägter Hypopituitarismus mit Kompres- eines Patienten mit einem
sion des normalen Hypophysengewebes. 6,5 cm großen Prolaktin-produ-
Die Hyperprolaktinämie reduziert bei Männern und zierenden hypophysären Ma-
kroadenom. Der Tumor enthält
Frauen die Gonadotropinsekretion. Bei Männern führt der verstreut zystische Bereiche,
hypogonadotrope Hypogonadismus zur Hodenatrophie, zu der größte liegt rechts inferior
einem niedrigen Serumspiegel von Testosteron, zur Abnah- frontal und deformiert das fron-
tale Ventrikelhorn mit leichter
me der Libido, zu sexuellen Funktionsstörungen, reduzier- Verschiebung über die Mittel-
tem Bartwuchs und zur Abnahme der Muskelmasse. Da linie nach links. Der Tumor win-
Männer kein Östrogen zur Vorbereitung der Brustdrüsen det sich um den superioren
und lateralen Rand des Sinus
besitzen, entsteht nur selten eine Galaktorrhö. Bei prämeno- cavernosus. Der Patient zeigt
pausalen Frauen kommt es jedoch bei Hyperprolaktinämie Gesichtsfeldausfälle und Sym-
zu einer bilateralen spontanen oder exprimierbaren Galak- ptome eines sekundären Hypo-
gonadismus. Die Ausgangs-
torrhö (› Abb. 4.26). Außerdem führt der prolaktinabhän- konzentration von Prolaktin im
gige hypogonadotrope Hypogonadismus bei Frauen zu einer Serum betrug 6100 ng/ml.
sekundären Amenorrhö und Östrogenmangelsymptomen. Kraniales MRT (links korona-
Ein lange bestehender Hypogonadismus kann bei Frauen ler, rechts sagittaler Schnitt)
desselben Patienten 6 Monate
und Männern zu Osteopenie und Osteoporose führen. nach Normalisierung der Se-
Allgemein verhalten sich die Serumspiegel von Prolak- rumprolaktinkonzentration mit einem Dopaminagonisten. Das MRT zeigt eine ausgeprägte Schrump-
tin proportional zur Größe des Prolaktinoms. So führt ein fung. Die Gesichtsfeldausfälle verschwanden und die Hypophysenfunktion normalisierte sich.
5 mm großes Prolaktinom zu einem Serumprolaktinspie-
Abb. 1.21
gel von 50–250 ng/ml (Normalbereich, 4–30 ng/ml) und
Prolaktinome mit einem Durchmesser > 2 cm zu Serum tion, auch wenn der Patient keine Tumorsymptome auf- der Patienten lassen sich prolaktinproduzierende Adeno-
prolaktinspiegeln von > 1.000 ng/ml. Daneben gibt es Ein- weist. Behandlung der Wahl ist bei gegebener Indikation me durch die Langzeitbehandlung mit einem Dopamina-
zelfälle, in denen kleine Prolaktinome eine sehr hohe Se- (z. B. bei sekundärem Hypogonadismus bei Männern oder gonisten heilen. Daher sollte in gewissen Abständen (z. B.
kretionskapazität für Prolaktin besitzen (z. B. Serumpro- prämenopausalen Frauen oder bei Makroadenomen) die alle 2 Jahre) ein Auslassversuch über 2 Monate erfolgen,
laktin > 1.000 ng/ml) und es gibt auch den umgekehrten orale Gabe eines Dopaminagonisten (z. B. Cabergolin oder um festzustellen, ob die Hyperprolaktinämie rezidiviert.
Fall von Makroadenomen mit ausgesprochen geringer Bromocriptin), der den Serumspiegel von Prolaktin rasch Patienten mit Makroprolaktinomen mit Ausdehnung in
Prolaktinproduktion (z. B. Serumprolaktin < 200 ng/ml). und effektiv senkt und das laktotrope Adenom verkleinert. den Sinus sphenoidalis sollten auf die mögliche Liquor-
Die Behandlung von prolaktinproduzierenden Hypo- Der Serumprolaktinspiegel sollte während der Behandlung Rhinorrhö hingewiesen werden, die bei Schrumpfung des
physentumoren richtet sich nach den Befunden und Sym- alle 2 Wochen kontrolliert und die Dosis von Bromocriptin Tumors auftreten kann und einen sofortigen neurochirur-
ptomen der Hyperprolaktinämie und den Verdrängungs- oder Cabergolin so lange erhöht werden, bis der Prolaktin- gischen Eingriff erforderlich macht, um einen Pneumoze-
effekten der intrasellären Raumforderung. So kann ein zu- spiegel im Normbereich liegt. Etwa 3–6 Monate nach dem phalus und eine bakterielle Meningitis zu verhindern. So-
fällig bei einer postmenopausalen Frau entdecktes 4 mm Erreichen eines normalen Serumspiegels von Prolaktin fern die Patienten den Dopaminagonisten nicht vertragen
großes prolaktinproduzierendes Mikroadenom unbehan- sollte die Tumorschrumpfung durch eine MRT der Hypo- (z. B. Übelkeit, Benommenheit, Verwirrtheit oder lebhafte
delt beobachtet werden. Da prolaktinproduzierende Mak- physe bestätigt werden. Die Mindestdosis des Dopamin Träume) oder der Tumor nicht auf diese Behandlung an-
roadenome der Hypophyse immer größer werden, besteht agonisten, die zur Normoprolaktinämie führt, sollte le- spricht, sollte eine transsphenoidale Operation oder eine
bei Makroadenomen fast immer eine Behandlungsindika- benslang weiter gegeben werden. Bei einem kleinen Teil Gamma-Knife-Bestrahlung erwogen werden.
ACTH-produzierender Hypophysentumor 23
ACTH-produzierender Hypophysentumor
ACTH-produzierende Hypophysenadenome führen zur ACTH-produzierendes Mikroadenom
überschüssigen Sekretion von Cortisol aus den Nebennieren
mit den für das Cushing-Syndrom typischen Symptomen
(› Abb. 3.9). ACTH-produzierende Hypophysentumoren
sind in der Regel benigne Mikroadenome (≤ 10 mm größter
Durchmesser), gelegentlich Makroadenome und sehr selten
Karzinome. Die Behandlung erfolgt durch eine transspheno-
idale selektive Adenektomie. Der Operationserfolg zeigt sich
durch das Abklingen des Cushing-Syndroms und eine intak- Winziges Adenom
te Funktion von Hypophysenvorder- und -hinterlappen. Mittelgroßes ACTH-
produzierendes Adenom
Die Operation erfolgt häufig endonasal (mit einem En-
doskop) durch den Sinus sphenoidalis (transsphenoidal)
und durch den Sellaboden (› Abb. 1.31). Kortikotrope
Adenome sind basophil und färben immunhistochemisch
positiv für ACTH an. Das Nachbargewebe des Adenoms
weist meist infolge der Atrophie der normalen ACTH-pro-
duzierenden Zellen Crooke-Hyalin auf. Bei präoperativer
Lokalisation eines Mikroadenoms mittels MRT oder Pro-
bennahme aus dem Sinus petrosus liegt die Heilungsrate
bei 80–90 % (› Abb. 3.10). Eine fehlende Heilung beruht
bei Mikroadenomen entweder auf deren geringer Größe,
sodass sie bei der Operation übersehen werden, oder auf
einer nicht zugängigen Lage (z. B. Sinus cavernosus). Die
MRT sollte mit einem starken Magnetfeld (z. B. 3 Tesla)
und Gadolinium erfolgen. Etwa die Hälfte der ACTH-pro-
duzierenden Hypophysentumoren ist so groß, dass sie mit- Crooke-Hyalin (Mann-Färbung, x400) Basophiles Adenom (Mann-Färbung, x125)
tels MRT gefunden werden können. Außerdem besteht bei
etwa 10 % der Gesunden ein sichtbares Mikroadenom in
der MRT, sodass der Nachweis eines kleinen intrasellären
Adenoms in der MRT bei einem Patienten mit Cushing-
Syndrom unspezifisch für ein ACTH-produzierendes Ade-
nom ist. Die geringe Heilungsrate (≈ 60 %) von Makroade-
nomen beruht in der Regel auf einer Beteiligung des Sinus
cavernosus, die eine vollständige Resektion verhindert.
Diese Patienten sollten am Operationstag intravenös eine
Glukokortikoiddosis erhalten (z. B. Hydrocortison 100 mg).
Am Morgen nach der Operation sollte der Serumcortisol-
spiegel (vor einer weiteren Glukokortikoidgabe) bestimmt
werden, um eine Kurzzeitheilung zu belegen, die durch
einen niedrigen Serumcortisolspiegel gekennzeichnet ist Auf dem kranialen MRT (Koronarschnitt) impo- Das kraniale MRT (Sagittalschnitt) zeigt ein
(z. B. < 1,8 μg/dl). Treten Symptome eines akuten Glukoko- niert das 4 mm große ACTH-produzierende 4 mm großes ACTH-produzierendes Adenom
Adenom (Pfeil) auf der linken Sellaseite als (Pfeil) zwischen Hypophysenhinter- und
kortikoidentzugs auf, bevor der Serumspiegel verfügbar ist, rundes hypodenses Knötchen -vorderlappen
sollte die Stressdosis eines Glukokortikoids gegeben werden
(z. B. Hydrocortison 2 × 100 mg/d i. v.). Anschließend wird Abb. 1.22
die Glukokortikoiddosis täglich reduziert und die Patienten
mit einer oralen Dosis, die dem Doppelten der Standarder- die Blutentnahme sollte vor der morgendlichen Einnahme um wieder ein Cushing-Syndrom auszulösen. Klinisch ma-
satzdosis entspricht (z. B. Prednison jeden Tag 10 mg mor- von Hydrocortison erfolgen. Der Serumcortisolspiegel nifestiert sich ein derartiges Rezidiv durchschnittlich nach
gens und 5 mg um 16 Uhr), aus dem Krankenhaus ent steigt langsam aus einem nicht nachweisbaren Bereich auf 3–4 Jahren. Daher sollten alle Patienten jährlich auf ein
lassen. Diese Dosis sollte sich jedoch an der Schwere des Werte > 10 μg/dl. Sobald dies geschieht, kann das Hydro- Rezidiv kontrolliert werden.
präoperativen Hypercortisolismus orientieren, um einen cortison über 2 Wochen ausgeschlichen und abgesetzt wer- Patienten mit Cushing-Syndrom haben perioperativ ein
schweren Steroidentzug zu vermeiden. Anschließend wird den. Durch dieses postoperative Management müssen Pati- erhöhtes Thromboserisiko, sodass Maßnahmen zur Prophy-
die Glukokortikoiddosis langsam über 4–6 Wochen bis zur enten mit typischem hypophysärem Cushing-Syndrom für laxe einer tiefen Beinvenenthrombose ergriffen werden soll-
Standardersatzdosis ausgeschlichen. Die hypothalamischen etwa 12 Monate nach der kurativen Operation Glukokorti- ten (einschließlich Mobilisierung am 1. postoperativen Tag).
CRH-Neurone und die atrophierten kortikotropen HVL- koide einnehmen. Die Symptome des Cushing-Syndroms Sofern ein Patient mit hypophysärem Cushing-Syn-
Zellen brauchen Monate, um sich von der chronischen Sup- klingen langsam über 6 Monate nach der Operation ab. drom durch einen transsphenoidalen Eingriff nicht geheilt
pression zu erholen. Die meisten Patienten tolerieren 8–12 Selbst bei niedrigem postoperativem Serumcortisol- wird, kann entweder erneut eine transsphenoidale Opera-
Wochen nach der kurativen Operation die tägliche Einmal- spiegel besteht weiterhin ein Rezidivrisiko – wenn ein klei- tion oder eine bilaterale laparoskopische Adrenalektomie
gabe eines kurz wirksamen Glukokortikoids (z. B. 15–20 mg ner Teil lebensfähiger kortikotroper Adenomzellen bei der erfolgen. Seltener eingesetzte Verfahren sind die Strahlen-
Hydrocortison an jedem Morgen). Alle 6 Wochen sollte der Operation nicht entfernt wird, vermehren sie sich im Laufe therapie der Sella oder eine pharmakologische Senkung
Serumcortisolspiegel um 8 Uhr morgens bestimmt werden; der Zeit und bilden irgendwann ausreichend viel ACTH, der adrenalen Cortisolproduktion.
24 1 Hypophyse und Hypothalamus
Nelson-Syndrom
Das Nelson-Syndrom bezeichnet die progressive Vergröße-
ACTH-produzie-
rung eines ACTH-produzierenden Hypophysentumors rendes Adenom,
nach bilateraler Adrenalektomie zur Behandlung eines hy- Mikroadenom ACTH normal oder
pophysären Cushing-Syndroms. Während zum Zeitpunkt (≤ 10 mm) leicht erhöht
oder Makroadenom
der transsphenoidalen Operation eine selektive Adenekto- (≥ 10 mm)
mie die Behandlung der Wahl beim ACTH-produzierenden
Adenom ist (› Abb. 1.22), besteht bei Erfolglosigkeit der
Keine vermehrte
Hypophysenoperation eine Indikation für eine laparosko- ACTH normal Pigmentierung
In
pische Adrenalektomie. Lässt sich der Hyperkortisolismus oder leicht erhöht
hib
it io
durch die bilaterale Adrenalektomie beheben, nimmt das
n
negative Feedback auf die ACTH-produzierenden Tumor-
zellen bei Ersatz physiologischer Glukokortikoiddosen ab Hyperplastische
Nebennieren
und das Adenom kann wachsen. Das Nelson-Syndrom tritt
nur bei wenigen Patienten auf, bei denen nach einer erfolg-
losen transsphenoidalen Operation eine bilaterale Adrenal- Cortisol aus den
ektomie erfolgte. Die meisten ACTH-produzierenden Mi Nebennieren stark erhöht
kroadenome vergrößern sich in dieser Situation nicht. Cushing-
Syndrom
Wird ein hypophysäres Cushing-Syndrom durch ein
ACTH-produzierendes Makroadenom (> 10 mm größter
Durchmesser) verursacht, besteht jedoch nach bilateraler
Adrenalektomie ein hohes Risiko für eine Tumorvergröße-
rung.
Beim Nelson-Syndrom kommt es durch den deutlich er- Ein Hypophysen-
höhten Blutspiegel von Proopiomelanocortin und ACTH tumor wird sichtbar
zur Hyperpigmentierung der Haut sowie durch die raum- oder ein residuelles ACTH stark erhöht
Makroadenom ver-
fordernde Wirkung des wachsenden Hypophysentumors größert sich nach
zu Verdrängungssymptomen (z. B. Gesichtsfeldausfälle, bilateraler laparo-
Okulomotoriuslähmungen, Hypopituitarismus und Kopf- skopischer
Adrenalektomie
schmerzen). Wie bei der Addison-Krankheit (› Abb. 3.22) Vermehrte
entsteht die generalisierte Hyperpigmentierung durch ACTH stark Pigmentierung
ACTH-abhängige Zunahme der Melaninproduktion in den erhöht
Melanozyten der Epidermis. Die Streckseiten (z. B. Knie,
Knöchel, Ellenbogen) und andere mechanisch beanspruch- Hyperplastische
te Bereiche (z. B. Gürtellinie, BH-Verschluss) sind oft noch Neben-
stärker hyperpigmentiert. Weitere Bereiche mit starker nieren Das
entfernt Cushing-
Hyperpigmentierung sind die Innenseiten der Lippen, die Kein Cortisol aus Syndrom
Wangenschleimhaut, Zahnfleisch und harter Gaumen, den Nebennieren klingt ab, aber
jüngere Operationsnarben, die Areolae, Sommersprossen Exogen zugeführtes es kommt zur
Cortisol deckt zwar Pigmentierung
und die Palmarfalten. (Letzteres kann bei Dunkelhäutigen den physiologischen und Zeichen ei-
normal sein.) Die Fingernägel weisen eine streifige dunkle Bedarf, reduziert nes Hypo-
Zeichnung auf, die von den Nagelbetten ausgeht. Bei Ver- aber weder den Hypo- physen-
physentumor noch tumors
dacht auf ein Nelson-Syndrom erfolgt eine MRT der Sella die ACTH-Produktion (Sehstörungen)
zum Nachweis der intrasellären Raumforderung. Außer-
dem ist die ACTH-Konzentration im Blut stark erhöht (z. B. Abb. 1.23
> 1.000 pg/ml; Normalbereich 10–60 pg/ml).
Bei Patienten mit hypophysärem Cushing-Syndrom, bei
denen eine bilaterale Adrenalektomie erfolgt ist, sollte für ven Tumoren gibt es keine effektive medikamentöse The-
etwa 10 Jahre jährlich eine MRT der Hypophyse erfolgen. rapie. Temozolomid wird derzeit bei aggressiven Hypo-
Zeigen serielle MRT-Aufnahmen ein Tumorwachstum, physentumoren oder -karzinomen untersucht.
kann eine gezielte Bestrahlung des Tumors erwogen wer- Trotz der Bedenken bezüglich der möglichen Entwick-
den. Sofern verfügbar, ist die Gamma-Knife-Radiochirur- lung eines Nelson-Syndroms sollte die Heilung eines
gie die Behandlung der Wahl bei ACTH-produzierenden Cushing-Syndroms durch eine bilaterale laparoskopische
Nelson-Tumoren. Im Gegensatz zu den meisten anderen Adrenalektomie nicht verworfen werden, wenn die trans-
Hypophysenadenomen wachsen diese Neoplasien jedoch sphenoidale Operation nicht kurativ war. Ein unbehandel-
trotz der Strahlentherapie oft aggressiv weiter. Bei ausge- tes Cushing-Syndrom kann zum Tode führen, während
dehnter Beteiligung des Sinus cavernosus sind mehrere das Nelson-Syndrom in der Regel behandelt werden kann.
Hirnnervenlähmungen möglich. Für diese lokal aggressi-
Hormoninaktiver Hypophysentumor 25
Hormoninaktiver Hypophysentumor
Hormoninaktive Hypophysentumoren werden entweder
zufällig entdeckt (z. B. bei einer kranialen MRT aufgrund
anderer Symptome) oder aufgrund der Verdrängungssym-
ptome einer intrasellären Raumforderung (z. B. Gesichts-
feldausfälle). In Autopsiestudien finden sich hypophysäre
Mikroadenome (größter Durchmesser ≤ 10 mm) recht häu-
fig bei etwa 11 % aller untersuchten Hypophysen. Hypo-
physäre Makroadenome (größter Durchmesser > 10 mm)
sind eher selten. Die adenohypophyseale Ursprungszelle
wird durch eine immunhistochemische Untersuchung der
resezierten Hypophysenadenome geklärt. Häufig handelt es
Chiasma opticum
sich um gonadotrope Makroadenome; die meisten produ-
zieren jedoch keinen Gonadotropinüberschuss, sodass kei- Tumor
ne Symptome eines Hormonüberschusses auftreten. Die
zweithäufigsten hormoninaktiven Makroadenome sind
nichtbasophile oder azidophile Nullzelladenome (chromo-
phobe Adenome), benigne Neoplasien der Adenohypophy- Gonadotropin produzierendes
Adenom mit Sellavergrößerung
se, die immunhistochemisch negativ auf HVL-Hormone
anfärben. Selten sind laktotrope, somatotrope und ACTH-
produzierende Hypophysenadenome klinisch stumm.
Die Verdrängungssymptome von hormoninaktiven
Makroadenomen veranlassen in der Regel zur Evaluation
mittels MRT. Bei suprasellärer Ausdehnung kommt es zur Kompression des Chiasma
Kompression des Chiasma opticum mit allmählicher supe- opticum durch ein klinisch
riorer bitemporaler Quadrantenanopsie, die in eine kom- nicht funktionelles
hypophysäres
plette bitemporale Hemianopsie übergehen kann Makroadenom
(› Abb. 1.11). Aufgrund des allmählichen Auftretens be-
merken die Patienten den Sehverlust oft erst, wenn er er-
heblich ist. Weitere Verdrängungssymptome einer sich
vergrößernden intrasellären Raumforderung sind Doppel-
bilder (bei Ausdehnung in den Sinus cavernosus und
Kompression des N. oculomotorius), eine unterschiedlich
starke Hypophyseninsuffizienz (durch Kompression der
normalen Hypophyse) und Kopfschmerzen.
Das MRT ist das Verfahren der Wahl zur Evaluation der
Sella und der umgebenden Strukturen und stellt die supra-
selläre und paraselläre Ausdehnung des Makroadenoms
dar. Bei allen Patienten mit Makroadenomen sollte nach ei-
ner tumorbedingten Überfunktion, einem kompressionsbe-
dingten Hypopituitarismus und Gesichtsfeldstörungen ge-
sucht werden. Hormoninaktive Makroadenome gehen we- Nullzelladenom (Mann-Färbung, x100) MRT (Sagittalschnitt) der suprasellären
gen der Kompression des Hypophysenstiels und weil das Ausdehnung eines klinisch nicht funktionellen
hypophysären Makroadenoms
Dopamin (inhibitorischer Faktor für das Prolaktin) die lak-
totropen HVL-Zellen nicht erreichen kann, oft mit einer Abb. 1.24
leichten Hyperprolaktinämie einher (z. B. einem Serumpro-
laktinspiegel von 30–200 ng/ml). Die laktotropen Hypophy-
senzellen sind die einzigen HVL-Zellen, die unter konstan- Hypophysentumoren. Zuwarten ist bei älteren Patienten
ter inhibitorischer Kontrolle durch den Hypothalamus ste- mit normalem Gesichtsfeld gerechtfertigt, während bei
hen. Bei allen Patienten mit Makroadenomen sollten auch Sehverlust grundsätzlich eine Intervention erfolgen sollte.
weitere hypophysäre Hormone bestimmt werden, wie das Die transsphenoidale Operation (› Abb. 1.31) behebt die
luteinisierende Hormon, das follikelstimulierende Hormon, Gesichtsfeldausfälle sofort und führt zur dauerhaften Hei-
die α-Untereinheit der Glykoproteinhormone, die gonada- lung. Auch eine präoperativ vorhandene Hypophysen-
len Zielhormone (Östrogen bei Frauen und Testosteron bei insuffizienz klingt oft wieder ab. Die Effizienz der trans-
Männern), Insulin-like Growth Factor 1, ACTH, Cortisol, sphenoidalen Operation wird durch eine postoperative
TSH und freies Thyroxin. Ein Diabetes insipidus ist bei Pati- MRT (in der Regel 3 Monate postoperativ) sowie durch die
enten mit benignen Tumoren der Adenohypophyse selten. Blutspiegel der sekretorischen Adenomprodukte, die vor
Behandlungsziele sind die Behebung der Verdrän- der Operation erhöht waren (z. B. α-Untereinheit der Gly-
gungssymptome (z. B. Sehverlust) und der Erhalt der Hy- koproteinhormone), überprüft. Rezidiviert das Hypophy-
pophysenfunktion. Derzeit gibt es keine effektiven medi- senadenom nach der transsphenoidalen Operation, erfolgt
kamentösen Behandlungsoptionen bei hormoninaktiven eine stereotaktische Gamma-Knife-Strahlentherapie.
26 1 Hypophyse und Hypothalamus
H2
O
nehmen, sodass der Urin im proximalen Tubulus isoos O
ADH erhöht die Durchlässigkeit H2
motisch zum Plasma bleibt. Die Rückresorption von Was- der medullären Sammelrohre
ser im distalen Sammelrohr erfolgt ADH-abhängig. Die für Wasser, sodass es durch
H2O
Henle-Schleife und das Sammelrohr der Niere sind kritisch die hohe Osmolalität des
H2O
Na+
Nierenmarks reabsorbiert wird
für die Vermeidung von Wasserverlusten. Das Gegen- Na+
Na+ Na+
stromprinzip der Henle-Schleife erzeugt eine hohe Os
H2O
H2O
Unter dem Einfluss des anti-
Schenkel der Henle-Schleife wird Natrium gemeinsam diuretischen Hormons werden Na+ Na+ Na+
H2O
mit Wasser aktiv aus dem tubulären Urin in die intersti täglich 14–16 l reabsorbiert, Na+ Na+
tielle Flüssigkeit des Nierenmarks transportiert, die da- sodass in 24 Stunden 1–2 l Urin Na+
ausgeschieden werden Na+ Na+
durch sehr hyperton wird. Durch die Undurchlässigkeit
dieses Schenkels der Henle-Schleife für Wasser wird der in Der aufsteigende Schenkel der Henle-Schleife ist
wasserundurchlässig, reabsorbiert aktiv Salz und erzeugt
den distalen Tubulus eindringende Urin hypoton gegen- eine hohe Osmolalität des Nierenmarks
über dem Plasma. Ohne ADH bleiben der distale Tubulus
und die Sammelrohre überwiegend undurchlässig für Abb. 1.26
Wasser, sodass die Nieren stark verdünnten Urin abgeben.
Bei maximaler ADH-Sekretion erreicht die Urinosmola
lität ein Plateau von 1.000–1.200 mosmol/kg, das durch durch ADH erhöht den intrazellulären Spiegel von zykli- Auch die Wasserzufuhr ist ein Schlüsselfaktor der Was-
die maximale Osmolalität des inneren Nierenmarks be- schem Adenosinmonophosphat (cAMP) durch Aktivie- serhomöostase. Eine erhöhte Plasmaosmolalität führt
grenzt wird. Ohne ADH werden täglich 14–16 l Urin ausge- rung der Adenylatzyklase. cAMP aktiviert die Proteinkina- ebenso wie eine Abnahme des intravasalen Volumens zu
schieden. se A, die Aquaporin-2 phosphoryliert und die Fusion von Durst. Dieser wird durch Osmorezeptoren im anterioren
ADH erhöht über den V2-Rezeptor der epithelialen Aquaporin-2-haltigen intrazytoplasmatischen Vesikeln Hypothalamus und durch Barorezeptoren im Thorax regu-
Hauptzellen die Wasserdurchlässigkeit der Sammelrohre, mit den apikalen Plasmamembranen der Hauptzellen in- liert. Zum Durstgefühl kommt es in der Regel bei einer Zu-
sodass ein osmotisches Gleichgewicht zwischen Urin und duziert. Durch die deutliche Zunahme der wasserleitenden nahme der Plasmaosmolalität um 2 %. Aufgrund der un-
hypertonem Interstitium des Nierenmarks entsteht. Da- Poren in der apikalen Plasmamembran steigt die apikale kontrollierten Flüssigkeitszufuhr (z. B. Kaffee, Tee, Erfri-
durch wird Wasser aus dem Urin in die medullären inter- Wasserdurchlässigkeit. Die aquaporinhaltigen Vesikel schungsgetränke und Wasser aus der Nahrung) ist Durst
stitiellen Blutgefäße extrahiert: Die Urinkonzentration werden abhängig von den intrazellulären cAMP-Spiegeln kein wichtiger Kontrollmechanismus; beim Gesunden
steigt und das Urinvolumen sinkt. Aquaporine sind intra- in die Membran oder aus ihr heraus geleitet, sodass eine wird überschüssiges Wasser täglich durch die osmoregu-
zelluläre Organellen oder Wasserkanäle, die den raschen minutengenaue Steuerung der renalen Wasserausschei- lierte ADH-Sekretion ausgeschieden.
Wassertransport über die Zellmembranen der Sammel- dung möglich ist, die sich am zirkulierenden ADH-Spiegel
rohre vermitteln. Die Aktivierung der V2-Rezeptoren orientiert.
28 1 Hypophyse und Hypothalamus
t
ren Schäden durch intraselläre Hypophysentumoren
hl
Infiltrate
fe
er
meist nicht zum Diabetes insipidus. Die häufigsten Ursa- Langerhans-Zell-Histiozytose Reabsorption im
od
chen sind Traumen (z. B. Neurochirurgie, geschlossenes Sarkoidose proximalen Konvolut
rt
zie
Wegener-Granulomatose normal (90 % des Filtrats
du
Schädeltrauma), primäre Hirntumoren oder Metastasen Lymphozytäre Infundibulo-
re
werden hier mit oder
und infiltrative Erkrankungen. Zentraler Diabetes insipi- hypophysitis Glomeruläre
H
ohne antidiuretisches
AD
DI der Schwangerschaft Filtration Neben-
dus kann durch eine Schwangerschaft exazerbieren oder Hormon reabsorbiert)
Genetisch normal nieren-
erstmals auftreten, da der ADH-Katabolismus durch die Familiärer zentraler DI hormone
plazentare Überproduktion des Enzyms Cysteinamino- (Mutationen des Arginin-
Bei Zerstörung
Vasopressin-Gens)
peptidase (Vasopressinase) erhöht ist. der Adeno-
Wolfram-(DIDMOAD-) hypophyse
Bei zentralem Diabetes insipidus setzen meist plötzlich Syndrom
Polyurie und Durst mit Appetit auf Kaltgetränke ein. Häu- ACTH
Nephrogen
fig erwachen die Patienten mehrmals in der Nacht, um reduziert
Mangelndes Ansprechen
Wasser zu lassen und zu trinken – oft eiskaltes Wasser. Bei auf ADH Nebenieren-
ambulanter Vorstellung führen die Patienten oft eine gro- hormone
ße Thermoskanne mit Eiswasser mit sich. Die Polyurie Ohne ADH keine Re- reduziert
absorption von Wasser in
hängt vom ADH-Mangel ab. Die Urinausscheidung kann den kortikalen und Filtration
von 3 l/d bei leichtem partiellem Diabetes insipidus bis zu medullären Sammelrohren reduziert
mehr als 10–15 l/d bei schwerem Diabetes insipidus betra-
Linderung des
gen. Bei Patienten mit gleichzeitiger Hypophysenvorder- Diabetes insipidus
lappeninsuffizienz ist mit der reduzierten glomerulären
Filtration eine sekundäre Nebenniereninsuffizienz assozi- Kortikosteroidgabe
Urinausscheidung erhöht kann zur Manifestation
iert (mit Reduktion des Blutdrucks, des Herzminutenvolu- eines latenten Diabetes
(5–15 Liter/24 Stunden)
mens und der Nierendurchblutung), sodass die Urinaus- insipidus führen
scheidung abnimmt. Bei Patienten mit partiellem Diabetes
insipidus erhöht der Glukokortikoidmangel auch die Abb. 1.27
ADH-Freisetzung. Diese Effekte werden bei Glukokortiko-
idgabe umgekehrt und der Diabetes insipidus wird „de-
maskiert“, sodass es rasch zur Polyurie kommt. ADH langsam aus dem degenerierenden Hypophysenhin- Lunge, Nieren, Lymphom, Leukämie, Kolon oder Mela-
Auch eine Neurochirurgie der Sella (transkraniell oder terlappen freigesetzt wird und bei übermäßiger Flüssig- nom) können die Hypothalamus-Hypophysen-Region
transsphenoidal) sowie stumpfe Schädeltraumen mit keitsgabe eine Hyponatriämie entstehen kann, und (3) betreffen und zu einem zentralen Diabetes insipidus füh-
Auswirkungen auf Hypothalamus und Hypophysenhin- ein permanenter Diabetes insipidus nach Erschöpfung ren.
terlappen können zum Diabetes insipidus führen. Bei bis der ADH-Speicher des Hypophysenhinterlappens. Bei 10 Patienten mit Langerhans-Zell-Histiozytose haben we-
zu 50 % der Patienten tritt innerhalb von 24 Stunden nach bis 25 % aller Patienten, die an der Hypophyse operiert gen der Infiltration von Hypothalamus und Hypophyse ein
einer Hypophysenoperation ein transienter zentraler Dia- werden, tritt nur die zweite dieser drei Phasen auf und es hohes Risiko für die Entwicklung eines zentralen Diabetes
betes insipidus auf, der nach einigen Tagen wieder ab- entsteht nie ein Diabetes insipidus, da das Operationst- insipidus. Weitere infiltrative Erkrankungen, die zu einem
klingt. Bei minimalinvasivem endoskopischem transna- rauma nur einige der Axone betraf. Die Folge ist eine in- zentralen Diabetes insipidus führen können, sind eine Sar-
salem transsphenoidalem Vorgehen liegt die Inzidenz des adäquate ADH-Sekretion, wobei die intakten Axone wei- koidose, eine Wegener-Granulomatose und eine autoim-
postoperativen permanenten Diabetes insipidus < 5 %, terhin funktionieren und die Manifestation eines Diabe- mune lymphozytäre Infundibulohypophysitis.
bei transkraniellen Operationen und größeren Tumoren tes insipidus verhindern. Diese transiente inadäquate Der familiäre zentrale Diabetes insipidus ist eine auto-
mit Hypothalamusbeteiligung (z. B. Kraniopharyngeom) ADH-Sekretion kann ernste Folgen haben, wie eine deut- somal-dominante Erkrankung durch Mutationen in dem
jedoch bei bis zu 30 %. Neurochirurgische oder traumati- liche Hyponatriämie, die etwa 7 Tage postoperativ ihren für das antidiuretische Hormone kodierenden Gen
sche Schäden des Hypothalamus führen oft zu einer drei- Spitzenwert erreicht und mit Kopfschmerzen, Übelkeit, (ADH-Gen). Das falsch gefaltete und mutierte Prohor-
phasigen Reaktion: (1) einer initialen polyurischen Phase Erbrechen und Krampfanfällen einhergeht. Diese Ereig- mon von ADH akkumuliert im endoplasmatischen Reti-
(Beginn innerhalb von 24 Stunden postoperativ und Dau- nisabfolge lässt sich verhindern, wenn der Patient ange- kulum der Nuclei supraopticus und paraventricularis und
er für bis zu 5 Tage) aufgrund der reduzierten ADH-Frei- wiesen wird, „in den ersten 2 postoperativen Wochen nur führt zum Zelltod. Daher entwickeln Kinder mit autoso-
setzung durch den axonalen Schock und die fehlende bei Durst zu trinken“. mal-dominanter Krankheit einen progressiven ADH-
Weiterleitung des Aktionspotenzials, (2) eine antidiureti- Primäre Hirntumoren (z. B. Kraniopharyngeom, Ger- Mangel und Symptome treten häufig erst mehrere Mona-
sche Phase (Tage 6–12), in deren Verlauf das gespeicherte minom) oder zerebrale Metastasen (z. B. von Mamma, te und Jahre nach der Geburt auf.
Langerhans-Zell-Histiozytose bei Kindern 29
Hypophysenmetastasen
Metastasen in der Hypophyse sind eine seltene Ursache ei-
ner intrasellären Raumforderung. Bei der autoptischen
Untersuchung der Hypophyse von an Krebs erkrankten Pa-
tienten finden sich in 3,5 % der Fälle Metastasen. Häufig
sind derartige Metastasen klinisch stumm und für einen
Nachweis mittels CT oft zu klein. Im Laufe des Lebens ma-
nifestieren sie sich oft mit einem Diabetes insipidus, Seh-
störungen (z. B. bitemporale Hemianopsie), Kopfschmer-
zen, Hirnnervendefekte (z. B. Lähmungen der Hirnnerven
III oder IV) und einem unterschiedlich starken Hypopitui-
tarismus. Oft besteht durch die unterbrochene Weiterlei-
tung von Dopamin durch den Hypophysenstiel zur Sup-
pression der normalen Prolaktinproduktion eine leichte
Hyperprolaktinämie (d. h. ein Serumprolaktin < 200 ng/
ml). Die Primärtumoren befinden sich oft (nach Häufig-
keit) in Mamma, Lunge, Niere, Kolon, Haut (Melanom),
Prostata, Schilddrüse, Magen, Pankreas, Nasopharynx,
Lymphknoten, Uterus und Leber. Mamma- und Bronchial-
karzinome metastasieren am häufigsten in die Hypophyse.
In etwa 80 % der Fälle wird die Hypophysenmetastase nach
oder zur gleichen Zeit mit dem Primärtumor festgestellt; 1. Mamma
das Intervall beträgt durchschnittlich 3 Jahre. Am längsten
ist das Intervall zwischen der Diagnose des Primärtumors
und der Entdeckung der Hypophysenmetastase beim
Mammakarzinom und am kürzesten beim Bronchialkarzi- 2. Lunge
nom. Die meisten Patienten haben noch Metastasen an
mindestens fünf anderen Stellen zusätzlich zur Sellaregion.
Die häufigsten Lokalisationen extrahypophysealer Meta
stasen sind Lymphknoten, Lunge und Knochen. 3. Niere
Die Metastasierung in die Hypophyse erfolgt hämato-
gen, über die Portalgefäße, als direkte Ausdehnung von
parasellären Lokalisationen oder der Schädelbasis oder
durch meningeale Ausbreitung aus der suprasellären Zis- 4. Rektum und Sigmoid
terne. Die Metastasierung erfolgt vermutlich aufgrund der
direkten arteriellen Versorgung aus den Aa. hypophyseales
vor allem in den Hypophysenhinterlappen. Da der Hypo-
physenvorderlappen keine direkte arterielle Versorgung 5. Melanom
besitzt (› Abb. 1.3), entstehen Metastasen im Hypophy-
senvorderlappen in der Regel durch direkte Ausbreitung
aus dem Hypophysenhinterlappen.
Hypophysenmetastasen können ein Hypophysenade-
nom nachahmen. In der Regel weisen das klinische Bild,
die neurologische Bildgebung und die endokrinologischen
Daten auf ein hormoninaktives Hypophysenadenom hin. Abb. 1.30
Daher sollten Metastasen immer in die Differenzialdiag-
nostik von Hypophysentumoren einbezogen werden. Da
ein Diabetes insipidus für ein benignes Hypophysenade- ne palliative Strahlentherapie, der gezielte Ersatz der hypo-
nom sehr ungewöhnlich ist (< 1 %), besteht bei Diabetes physären Zielhormone und eine primär gegen den Tumor
insipidus und rasch wachsendem Hypophysentumor gerichtete Chemotherapie am günstigsten. Eine Total
hochgradiger Verdacht auf intraselläre Metastasen. Zur resektion der diffusen, invasiven, vaskulären und hämor-
Bestätigung der Metastase ist eine Biopsie erforderlich. rhagischen Metastasen ist oft nicht möglich. Die operative
Hypophysenmetastasen sind prognostisch ungünstig; Verkleinerung der intrasellären Metastasen kann bei Ge-
die 1-Jahres-Mortalität liegt bei 70 %. Aufgrund der sichtsfelddefekten durch eine Kompression des Chiasma
schlechten Prognose von intrasellären Metastasen sind ei- opticum hilfreich sein.
32 1 Hypophyse und Hypothalamus
Hypophysenoperationen
Die drei wichtigsten Ziele einer Hypophysenoperation sind
Kraniotomie 1930er- bis 1960er-Jahre
(1) die komplette Resektion des Hypophysenadenoms, so-
dass Gesichtsfelddefekte korrigiert werden und das Hor-
monüberschusssyndrom (z. B. Akromegalie, Cushing-Syn-
drom) behoben wird, (2) die Vermeidung von Komplikati-
onen (z. B. Liquorrhinorrhö, neurologischer Schaden) und
Transseptal 1969 bis 1990er-Jahre
(3) der Erhalt von funktionellem Hypophysengewebe, um
einen Hypopituitarismus zu verhindern. Die Fähigkeit,
diese drei Ziele zu erreichen, hängt von der Erfahrung des
Operateurs sowie von Größe, Lage und Konsistenz des
Hypophysentumors ab. Während die Heilungsrate bei Mi
kroadenomen (Durchmesser ≤ 10 mm) 80–90 % beträgt,
liegt sie bei Makroadenomen (Durchmesser > 10 mm) bei
50–60 %. Bei Hypophysentumoren mit einem Durchmes-
ser > 20 mm sinkt die chirurgische Heilungsrate auf 20 %.
Außerdem ist die Lokalisation des Hypophysentumors ein
wichtiger Einflussfaktor auf die Heilungsrate; für gewöhn-
lich verhindert die Invasion des Sinus cavernosus eine
komplette Resektion. Manche Tumoren mit deutlicher su-
prasellärer Ausdehnung können das Chiasma opticum Transnasal 1990er-Jahre bis Gegenwart
und/oder den Hypothalamus einbeziehen, sodass bei einer
kompletten Resektion die Gefahr von Sehverlusten und
Hypothalamusschäden besteht. Die meisten Hypophysen-
adenome sind weich und lassen sich leicht kürettieren. Bei
sehr fibröser Konsistenz ist eine komplette Resektion je-
doch schwierig.
Die sublabiale transseptale transsphenoidale Hypophy-
senoperation wurde Anfang des 20. Jahrhunderts entwi-
ckelt, aber wegen der hohen infektionsbedingten Mortali-
tät wieder verlassen. Bis 1969 erfolgte der Zugang zur Sella
durch eine transfrontale Kraniotomie mit signifikanter
Morbidität und Mortalität. Durch die Entwicklung des
Operationsmikroskops und die Verfügbarkeit von Anti-
biotika wurde der sublabiale transseptale transsphenoidale
Zugang zur Hypophyse in den 1970er-Jahren wieder auf-
gegriffen. Bei diesem Zugang zum Sinus sphenoidalis er-
folgt eine sublabiale Inzision zur Nasenhöhle mit Entfer-
nung des Nasenseptums. Nach Eindringen in den Sinus
sphenoidalis besteht Zugang zur Sella turcica. Nach der
Tumorresektion wird das Nasenseptum ersetzt, sodass
postoperativ eine Nasentamponade erforderlich ist. Kom-
Sublabialer transseptaler transsphenoidaler Endoskopischer transnasaler transsphenoidaler
plikationen sind die Perforation des Nasenseptums und Operationszugang
Operationszugang
ein permanentes Taubheitsgefühl in Frontzähnen und
Oberlippe. Der sublabiale transseptale transsphenoidale Abb. 1.31
Zugang zur Sella wurde durch direkte transnasale Zugänge
ersetzt.
Beim direkten transnasalen transsphenoidalen Zugang, sphenoidalis vorgeschoben, das Sinusostium aufgeweitet Zu den seltenen, aber schweren intraoperativen Kom-
der in den 1990er-Jahren eingeführt wurde, ist keine exter- und der posteriore Anteil des Vomers entfernt, sodass der plikationen gehören Verletzungen der Pars cavernosa der
ne Inzision erforderlich. Die Operation erfolgt mit Operati- Zugang zum Sinus sphenoidalis frei ist. Nach der Platzie- A. carotis und der Sehbahn, Schäden der Hirnnerven III,
onsmikroskop oder Endoskop. Beim mikroskopischen rung eines selbsthaltenden Nasenspekulums erfolgen der IV, V und VI sowie Liquorlecks. Mögliche postoperative
Verfahren wird ein langes, schmales Spekulum direkt in Eintritt in die Sella turcica und die Durchführung der neu- Komplikationen sind intraselläre Hämatome, Liquorrhi-
das Nasenloch eingeführt und bis zum Ostium sphenoidale rochirurgischen Phase der Operation wie beim sublabialen norrhö, Meningitis und Hypopituitarismus.
vorgeschoben. Die Schleimhautinzision erfolgt am posteri- transseptalen Zugang. Nach Tumorresektion wird das Na- Mehr als 90 % der intra- und parasellären Tumoren las-
oren Anteil der Atemwege in der Nase ohne Schädigung senspekulum entfernt, das Nasenseptum wieder mittig sen sich transnasal entfernen. Der transkraniale Ansatz ist
des Nasenseptums. Im Sinus sphenoidalis ist die anteriore ausgerichtet und ein Mullverband angelegt. Operations- Läsionen vorbehalten, die bis in die mittlere Schädelgrube
Sellawand zu erkennen, die unter direkter mikroskopi- und Anästhesiezeit sowie Krankenhausverweildauer sind reichen oder eine große, komplexe supraselläre Kompo-
scher Sicht eröffnet wird, sodass der Tumor entfernt wer- beim endoskopischen transnasalen Zugang zur Hypophyse nente aufweisen.
den kann. Das transnasale Verfahren kann auch endosko- geringer als beim sublabialen transseptalen Vorgehen. Die
pisch durchgeführt werden. Dazu wird das Endoskop meisten Patienten bleiben nur eine Nacht im Kranken-
durch ein Nasenloch bis zur anterioren Wand des Sinus haus.
KAPITEL
2 Schilddrüse
34 2 Schilddrüse
(Fortsetzung)
(etwa 5 % der Bevölkerung). Die anatomische Trennung A. carotis communis M. cricothyroideus
kann palpabel sein und ist dann auf einen Tumor verdäch Cartilago cricoidea
V. jugularis interna
tig. Die Fusionsstörung des Isthmus in der Mittellinie und Lobus
das Fehlen eines Großteils des lateralen Lappens, oft der un V. thyroidea media pyramidalis
Glandula
Lobus dexter
teren Hälfte des linken Lappens, sind seltene Varianten bei thyroidea
A. thyroidea inferior Lobus sinister
< 1 % der Bevölkerung. Bei fehlender Isthmusfusion fühlen Isthmus
sich die medialen Seiten der lateralen Lappen oft wie Tumo V. thyroidea inferior
Nll. praetracheales
ren an, diagnoseweisend ist die Palpation eines Tracheal
Truncus
rings anstatt des Isthmus. Auch das Fehlen der unteren thyrocervicalis
Hälfte eines lateralen Lappens kann zu der Fehlannahme N. vagus (X)
führen, dass die obere Hälfte ein Schilddrüsenknoten ist. A. und V.
subclavia
Das untere Bild von › Abb. 2.2 ist eine Seitansicht der
Organe der rechten Halsseite nach Entfernung der Hals N. vagus (X) 1. Rippe (entfernt)
muskeln, der rechten Klavikula und des Sternums. Lage N. laryngeus recurrens (links)
und Größe der normalen Nebenschilddrüsen sind variabel. N. laryngeus
recurrens (rechts)
Häufig sind es vier Drüsen, zwei obere und zwei untere.
V. cava superior
Selten gibt es eine fünfte Drüse, die bei der Operation ent
deckt werden muss, falls sie adenomatös verändert und Aortenbogen
hormonaktiv oder hyperplastisch ist (z. B. bei multipler
endokriner Neoplasie Typ 1). Die oberen Drüsen sind kon Ansicht von rechts lateral
stanter vorhanden und besser abgegrenzt als die unteren,
oft auch deutlich größer und daher leichter zu finden. Sie
liegen in der Ebene hinter der Schilddrüse vom oberen
Schilddrüsenpol bis zu den unteren Ästen der A. thyroidea R. externus n. laryngei
inferior. Bei pathologischer Vergrößerung können sie ins M. constrictor superioris
pharyngis inferior
posteriore Mediastinum verlagert sein. Die unteren Drü Glandula parathyroidea
sen, die aus einem höheren Kiemenbogen als die oberen superior
A. carotis communis
Drüsen und embryologisch gemeinsam mit dem Thymus Lobus dexter glandulae
thyroideae (nach vorn
hinabwandern, liegen weiter verstreut über oder hinter der gebogen)
A. thyroidea inferior
Schilddrüse und unten im anterioren Mediastinum bis auf
Glandula parathyroidea
Höhe des Thymus. N. laryngeus inferior
Die Lymphgefäße und -knoten im oberen Bild von recurrens
› Abb. 2.2 folgen einem konstanten Muster. Am leichtes Ösophagus
ten sind diejenigen in der vorderen Mittellinie zu ertasten.
Der oberste liegt unmittelbar über dem Schilddrüsenisth
mus vor dem Ringknorpel und medial des eventuell vor Abb. 2.2
handenen Pyramidenlappens; es handelt sich um eine kon
stante Gruppe aus fünf Lymphknoten, die als Delphi-
Lymphknoten bezeichnet wird. Wenn er an einem Schild entlang der Karotisscheide (Jugulariskette) sowie die wei den Ringknorpel. Insbesondere nach bilateraler Durch
drüsenkarzinom oder einer Hashimoto-Thyreoiditis ter lateral gelegenen Knoten in der Fossa supraclavicularis. trennung dieses Nervs kommt es zu einer verwaschenen
beteiligt ist, kann er oft präoperativ palpiert werden. Die Die Virchow-Lymphknoten sind die untersten der Jugula Sprache.
prätrachealen Knoten unter dem Schilddrüsenisthmus riskette am oberen Ende des Ductus thoracicus. Diese Durch ihren unterschiedlichen Ursprung nehmen die
sind schwerer zu identifizieren, da sie in Fett eingelagert Knoten können bei Schilddrüsen- und Nebenschilddrü beiden Nn. laryngei recurrentes einen unterschiedlichen
sind und eine weniger konstante Lage haben als der Del senkarzinomen sowie bei Metastasen von Karzinomen au Verlauf. Der rechte Nerv verläuft diagonal von lateral nach
phi-Knoten. Die anderen Lymphknotengruppen sind (in ßerhalb des Halses beteiligt sein. medial hinauf, während der linke durch den Aortenbogen
der Reihenfolge ihrer chirurgischen Bedeutung) die Kno Die motorischen Nn. laryngei sind in beiden Bildern an seinem Ursprung gegen Trachea und Ösophagus ge
ten auf der lateralen Schilddrüsenoberfläche entlang der von › Abb. 2.2 gut zu erkennen. Der N. laryngeus superi drückt wird und in der Rinne zwischen Trachea und Öso
V. thyroidea lateralis, die Knoten entlang der oberen Aus or gibt einen motorischen Ast zum M. cricothyroideus ab. phagus nach oben verläuft. Durch diesen konstanten Ver
dehnung des N. laryngeus recurrens hinter dem Schilddrü Dieser Muskel spannt das Stimmband durch Zug an der lauf lassen sich beide leicht aufsuchen.
senlappen, die Knoten im Kieferwinkel und diejenigen Vorderseite des Schildknorpels nach unten in Richtung auf
36 2 Schilddrüse
Schilddrüse Bis der Überrest des Ductus thyroglossus verschwun Organlage der Schilddrüse umgibt, differenziert sich in das
den ist, wird der Schilddrüsensack in eine solide Zellmasse Drüsenstroma und seine dünne Kapsel aus elastischen Fa
Zwischen der 1. und 2. Kiementasche entsteht in der Mit umgewandelt. Am Ende der 7. Entwicklungswoche ist die sern.
tellinie der ventralen Rachenoberfläche ein sackförmiges sich entwickelnde Schilddrüse halbmondförmig und wan Der Ductus thyroglossus kann als Fistelgang, der vom
entodermales Divertikulum (der Schilddrüsensack), aus dert auf die Höhe der sich entwickelnden Trachea Foramen caecum linguae bis zum Larynx offen ist, oder in
dem später als erstes glanduläres Derivat des Pharynx das (› Abb. 2.3C). Diese Wanderung entsteht, weil die Form mehrerer Blindtaschen (Thyreoglossuszysten,
Schilddrüsenparenchym hervorgeht (› Abb. 2.3A). So Schilddrüse zurückgelassen wird, während der Pharynx › Abb. 2.4 und › Abb. 2.5) persistieren.
bald es kurz vor Ende der 4. Entwicklungswoche auftritt, nach vorn wächst. Zu diesem Zeitpunkt sind die beiden Aus persistierenden Anteilen des Duktus können akzes
bildet es fast sofort zwei Lappen, die durch einen schma (lateralen) Schilddrüsenlappen (lateral), jeder auf einer sorische Schilddrüsen oder eine mediane Fistel entstehen,
len, hohlen Hals verbunden sind. Dieser Hals ist der Duc Seite der Trachea, in der Mittellinie über einen sehr schma die nach außen am Hals endet. Persistiert ein Teil des Duc
tus thyroglossus, da sein pharyngeales Ende am Übergang len Isthmus aus sich entwickelndem Schilddrüsengewebe tus thyroglossus auf Höhe des Zungenbeins, dann zieht er
zwischen ventralem Pharynxboden und Zunge liegt. Der verbunden (› Abb. 2.3C). durch diesen Knochen hindurch (› Abb. 2.4).
Gang obliteriert und atrophiert dann langsam ab der 6. Die Schilddrüsenfollikel entstehen während der 8. Ent Der variable Pyramidenlappen der Schilddrüse entsteht
Entwicklungswoche. Seine Verbindung mit dem Pharynx wicklungswoche und lagern im 3. Entwicklungsmonat durch Retention und Wachstum des unteren Endes des ob
führt jedoch an der Spitze des V-förmigen Sulcus termina Kolloid ein. Am Ende des 4. Entwicklungsmonats entste literierten Ductus thyreoglossus. Gelegentlich ist er über
lis auf dem Zungenrücken zu einer permanenten Grube, hen neue Follikel nur noch durch Ausknospung und Tei ein meist links der Mittellinie verlaufendes Ligament oder
dem Foramen caecum (› Abb. 2.3C, › Abb. 2.4). lung bereits vorhandener Follikel. Das Mesenchym, das die Muskelband mit dem Schildknorpel oder dem Zungenbein
Entwicklung von Schilddrüse und Nebenschilddrüsen 37
(Fortsetzung)
tor
Re SH-
gen einen 25fachen Konzentrationsgradienten aus dem
zep
Thyreoglobulin
T
Plasma. Zur NIS-Funktion ist ein Natriumgradient über Tg Tg
die basolaterale Membran erforderlich. Der Transport von
2 Natriumionen erlaubt den Transport von 1 Iodatom. Au THOX2 Tg + I–
ßerdem transportiert NIS auch TcO4–, das klinisch zur
Schilddrüsenszintigrafie verwendet wird, und Kaliumper H2O2
chlorat (KClO4–), das die Iodaufnahme in die Schilddrüse TPO
2 Na+ 2 Na+ TSH
blockieren kann. Die Transkription des NIS-Gens und die
NIS T4
Halbwertszeit von Protein werden durch TSH verstärkt. I– I– I– I– T3
Pendrin Tg
Außerdem gelangt Iod durch das Iodotyrosindehalogena Dhal-1
I–
se-1-Isoenzym (Dhal-1) in die Zellen, die Monoiodotyro
sin (MIT) und Diiodotyrosin (DIT) deiodiert.
Grund- MIT, DIT
Pendrin ist ein Glykoprotein, das an der apikalen Gren umsatz T4 TSH
T3
ze der follikulären Schilddrüsenzellen exprimiert wird, wo I– T4 + T3 T4 + T3 Tg
es den Transfer von Iodid in das follikuläre Kolloid erleich
Und andere
tert. Nach seinem pendrinvermittelten Transfer ins Kollo Zellfunktionen
Apikale
id wird das Iodid von der Thyreoperoxidase (TPO) oxi Membran
Körperzelle
diert, um die Iodierung zu MIT und DIT zu erleichtern.
Thyreostatika (z. B. Propylthiouracil, Methimazol, Carbi
mazol) hemmen die TPO-Funktion. TPO benötigt H2O2,
Basolateralmembran
das von der thyreoidalen Oxidase 2 (THOX2) erzeugt wird,
was bei Iodexzess gehemmt wird. Die organischen Kom
ponenten von Iod werden in der Schilddrüse als Teil von
Thyreoglobulin gespeichert (Molekulargewicht 660 kD). Leber
Außerdem katalysiert TPO die Kopplung von 2 DIT-Mole Niere
külen zu T4 und von 1 MIT-Molekül und 1 DIT-Molekül zu
T3. T4 und T3 werden im Kolloid als Teil des Thyreoglobu
linmoleküls gespeichert – auf jedes Thyreoglobulinmole
kül kommen 3–4 T4-Moleküle. TSH stimuliert die Mobili Iod Schilddrüsen-
Essigsäurederivate hormonmetaboliten
sierung von Thyreoglobulin aus dem Kolloid durch Mikro Pyruvatderivate im Urin
pinozytose, sodass Phagolysosomen mit Proteasen, freiem
T4, T3, DIT und MIT entstehen. T4 und T3 werden aus dem Abb. 2.7
Phagolysosom über die basolaterale Zellmembran ins Blut
transportiert. Dieser Vorgang wird durch ein großes Iod
angebot gehemmt, was therapeutisch bei der Basedow- ronin (T2). Das Vorhandensein dieser Deiodinasen in ver derum an die DNA bindet. T3 hat eine 15-mal höhere
Krankheit zum Einsatz kommt. DIT und MIT werden schiedenen Zelltypen regelt die lokale Wirkung der Schild indungsaffinität für den Schilddrüsenhormonrezeptor
B
durch Dhal-1 deiodiert und das Iod wieder in das Follikel drüsenhormone. als T4.
lumen verbracht. T4 und T3 sind nur schlecht wasserlöslich und im Blut T4 und T3 werden vom Leber- und Nierengewebe in ihre
Das Verhältnis von T4 zu T3 in Thyreoglobulin beträgt an Plasmaproteine gebunden: thyroxinbindendes Globulin Pyruvat- und Acetoacetat-Derivate und schließlich zu Iod
etwa 15 : 1 und nach Freisetzung aus der Follikelzelle etwa (TBG), T4-bindendes Präalbumin (Transthyretin) und Al abgebaut. Diese Metaboliten werden in der Leber konzent
10 : 1. (Der Unterschied entsteht durch die 5’-Deiodie bumin. TBG besitzt eine Iodthyronin-Bindungsstelle je riert und zu Glukuronsäure konjugiert, mit der Galle aus
rung.) Die Deiodierung kann durch Propylthiouracil ge Molekül. Die Affinität von TBG ist für T3 20-mal geringer geschieden, im Dünndarm hydrolysiert und reabsorbiert.
hemmt werden. T4 wird nur in der Schilddrüse hergestellt. als für T4. Hinsichtlich des Gehalts an gespeicherten Hormonen
Obwohl T3 aus der Schilddrüse abgegeben wird, entstehen Von den thyroxinbindenden Proteinen treten T4 und T3 ist die Schilddrüse einzigartig. Jedes Gramm Schilddrüsen
75 % des Gesamt-T3 durch die periphere 5’-Deiodierung in die Körperzellen ein, wo sie ihre überwiegend kalorige gewebe speichert etwa 250 μg T4, das sind etwa 5 mg T4 in
von einem der Iodatome im äußeren Ring von T4. T4 und nen metabolischen Wirkungen entfalten (Anhebung des 20 g Schilddrüse. Daher überrascht es nicht weiter, dass es
T3 können durch 5-Deiodierung des inneren Rings inakti Grundumsatzes). Schilddrüsenhormone wirken durch bei einer akuten Schilddrüsenentzündung zur Hyperthyre
viert werden. Dabei entstehen reverses T3 und Diiodothy Bindung an den Schilddrüsenhormon-Rezeptor, der wie ose kommt.
Basedow-Krankheit 41
Basedow-Krankheit
Die Basedow-Krankheit beschreibt eine Autoimmuner Nervosität
Schwitzen
krankung der Schilddrüse mit Hyperthyreose, Struma, Or Übererregtheit
bitopathie sowie gelegentlich mit einer infiltrativen Der Gesichtsrötung
Rastlosigkeit
mopathie (prätibial oder umschriebenes Myxödem). Base Emotionale Instabilität
dow-Krankheit und Hyperthyreose dürfen nicht synonym Schlaflosigkeit
verwendet werden, weil manche Patienten mit Basedow- Gewichtsverlust
Krankheit nur eine Orbitopathie, aber keine Hyperthyreo
se aufweisen. Außerdem gibt es neben der Basedow-
Palpable Lymphknoten Exophthalmus
Krankheit noch andere Ursachen einer Hyperthyreose. Bei
der Basedow-Krankheit entsteht die Hyperthyreose durch Struma
(evtl. mit Schwirren)
Autoantikörper gegen den TSH-Rezeptor, die den Rezep Dyspnoe
tor aktivieren und die Synthese und Sekretion der Schild
drüsenhormone (Thyroxin [T4] und Triiodothyronin [T3])
und das Schilddrüsenwachstum stimulieren. Brustvergrößerung
(beim Mann
Die Basedow-Krankheit ist bei Frauen häufiger als bei Gynäkomastie) Palpitation, Tachykardie
Männern (8 : 1), mit einer Häufung im gebärfähigen Alter,
obwohl sie auch bereits in der Kindheit oder in sehr hohem Warme,
samtige Haut
Alter auftreten kann. Obgleich die vergrößerte Schilddrüse Appetitsteigerung
und der Exophthalmus die Leitsymptome dieser Krankheit
Muskelschwund
sind, sind tatsächlich fast alle Körpersysteme betroffen, so Diarrhö (gelegentlich)
dass es sich um eine systemische Erkrankung handelt. Die
Schilddrüse ist diffus vergrößert (Struma) und mindestens Pulsbe-
schleunigung Tremor
doppelt so groß wie normal. Oft ist der rechte Schilddrü
senlappen etwas größer als der linke und in der Regel ist
Warme, Trommelschlägelfinger
auch der Pyramidenlappen vergrößert. Nur selten ist die feuchte (bei manchen Patienten
Schilddrüse bei der Basedow-Krankheit nicht palpabel ver Handflächen mit schwerem Exoph-
größert. Durch die vermehrte Durchblutung der Drüse thalmus)
entsteht ein auskultierbares Geräusch und manchmal auch
ein palpables Schwirren über den oberen Polen. Histolo
gisch bestehen eine Hyperplasie der kolloidarmen Follikel Oligomenorrhö
und vermehrte Zellhöhen mit hochprismatischen Azinus oder Amenorrhö
zellen, die papilläre Einstülpungen in die Follikel auf Muskelschwäche,
Ermüdbarkeit
weisen können. Später sind multifokale lymphozytäre
Infiltrate (überwiegend T-Zellen) und gelegentlich sogar
Lymphfollikel (überwiegend B-Zellen) im Schilddrüsenpa
renchym vorhanden. Umschriebenes
Die Funktion der hyperplastischen Schilddrüse ist deut Myxödem
lich beschleunigt, was sich an der vermehrten Aufnahme
und dem Abbau von radioaktivem Iod und dem erhöhten
Spiegel von T4 und T3 zeigt, die den Sauerstoffverbrauch
und den Grundumsatz erhöhen und die Serumspiegel von
Gesamtcholesterin und High-Density-Lipoprotein-Chole
sterin senken. Die erhöhten Spiegel von T4 und T3 verursa Abb. 2.8
chen zahlreiche physikalische und psychologische Sym
ptome. Patienten mit dieser Krankheit sind meistens ner
vös, agitiert, unruhig und leiden unter Schlafstörungen, Stoffwechselleistung auch gerötet sein, oft mit vermehrter pisch ist der Haarverlust im myxödematösen Bereich, wo
Persönlichkeitsveränderungen und emotionaler Labilität. Schweißbildung. Gelegentlich besteht eine Vitiligo, eine bei vereinzelte Haarfollikel mit einem Haar die Diagnose
Außerdem bestehen Konzentrationsstörungen, Verwirrt weitere Autoimmunerkrankung. Gelegentlich tritt bei der nicht ausschließen. Umschriebene Myxödeme finden sich
heit und eine Störung des Ultrakurzzeitgedächtnisses. Basedow-Krankheit eine Onycholyse auf (Hohlnägel), die fast immer bei schwerer und progressiver Orbitopathie.
Bei der körperlichen Untersuchung zeigen Patienten Ablösung der weichen Nägel vom Nagelbett. Manchmal Außerdem geht die Basedow-Krankheit mit Trommel
mit Basedow-Krankheit einen feinschlägigen Tremor, der tritt bei schwerer progressiver Orbitopathie an den Unter schlägelfingern und -zehen einher (Akropachie).
am besten zu erkennen ist, wenn sie ein Papiertuch zwi schenkeln (prätibiales Myxödem) eine infiltrative Dermo Die Überaktivität des Sympathikus führt bei den meisten
schen den ausgestreckten Fingern halten sollen. Die erhöh pathie auf, die mit einer bräunlichen, gummiartigen, nicht Patienten mit Hyperthyreose zu starrem Blick und erwei
ten Spiegel von T4 und T3 sowie der vermehrte Sauerstoff eindrückbaren Verdickung von Kutis und Subkutis und li terter Lidspalte. Letztere zeigt sich, wenn der Patient dem
verbrauch und die generalisierte Vasodilatation erhöhen vider Hautverfärbung des meist lateralen unteren Unter Finger des Untersuchers in vertikaler Richtung mit dem
das Herzminutenvolumen mit Palpitation und Sinustachy schenkeldrittels einhergeht. Das klassisch lokalisierte prä Blick folgt. Dabei ist beim Blick nach unten die Sklera über
kardie. Die gesteigerte Herzaktion kann zu Vorhofflim tibiale Myxödem kann mit Knötchen (mit einem Durch der Pupille zu erkennen. Die Orbitopathie ist einzigartig
mern und Herzinsuffizienz führen. messer von bis zu 1 cm) auf der Tibia bis zu Kniehöhe ein für die Basedow-Krankheit (› Abb. 2.10).
Die Haut der Patienten ist warm und samtig (wegen der hergehen. Diese Läsion kann auch auf den Unterarmen Die erhöhte Stoffwechselrate führt trotz gesteigerten
reduzierten Keratinschicht). Sie kann durch die erhöhte vorkommen und Füße und sogar Zehen einbeziehen. Ty Appetits zum Gewichtsverlust und zum Abbau bestimmter
42 2 Schilddrüse
(Fortsetzung)
Muskeln
mon erhöht, was zu einer Oligomenorrhö und sogar Ame
norrhö führt, die bei Euthyreose wieder abklingt. Auch bei
hyperthyreoten Männern sind die Serumspiegel von sexu
alhormonbindendem Globulin erhöht, was sich in einem
erhöhten Serumspiegel des Gesamtcholesterins, einem
niedrigen Spiegel des freien Testosterons und einer leich
ten Erhöhung des Serumspiegels von luteinisierendem
Hormon widerspiegelt. Die Aromatisierung von Testoste
ron zu Estradiol ist vermehrt, was oft zur Gynäkomastie,
einer reduzierten Libido und sexuellen Funktionsstörun Tremor
gen führt.
Patienten mit Basedow-Krankheit weisen profunde
Muskelveränderungen auf. Typisch ist eine Atrophie der
Mm. temporales, der Schultergürtelmuskeln und der Mus
keln der unteren Extremität, vor allem des M. quadriceps
femoris. Es besteht eine Muskelschwäche und oft können
diese Patienten keine Treppen steigen oder eigenständig
aus einem Stuhl aufstehen. Die Muskelschwäche trägt auch
zur Dyspnoe bei. Typisch sind ein Tremor sowie ein deutli
ches Zittern bei der Beinstreckung und die Unfähigkeit,
Haut
Herz
Endokrine Orbitopathie
Die endokrine Orbitopathie ist eine Autoimmunerkran
kung der retroorbitalen Gewebe mit leichten bis extrem
schweren, progressiv verlaufenden Augensymptomen, vor
allem Proptose und Periorbitalödem.
Oft besteht bei einer Hyperthyreose (unabhängig von
der Ursache) eine vergrößerte Lidspalte (durch Kontrakti
on des M. levator palpebrae) mit starrem Blick. Letzterer
kann einer Proptose ähneln und muss mit einem Exoph
thalmometer objektiviert werden (siehe unten). Oft ist das
Augenlid hochgezogen, wird also bei Blicksenkung nicht
über den Bulbus nach unten geschoben. Außerdem kann
das Augenlid beim Blick nach oben rascher als der Bulbus
nach oben bewegt werden.
Die endokrine Orbitopathie geht oft mit Begleitsympto
men, wie einer echten Proptose, einer Bindehautinfektion,
Mittelschwere Ophthalmopathie
einem Bindehautödem (Chemose), einem Periorbitalödem,
einer Konvergenzschwäche und der Lähmung von einem
oder mehreren extraokulären Muskeln, einher. Oft klagen die
Patienten über vermehrten Tränenfluss (vor allem bei grel
lem Licht, Wind oder kalter Luft), ein Fremdkörpergefühl im
Auge und ein unangenehmes Völlegefühl in der Augenhöhle.
Bei Aufforderung zur Blickwendung fällt eine signifikante
Schwäche von einem oder mehreren extraokulären Muskeln
auf. Die Patienten klagen oft über verschwommenes Sehen
oder über Doppelbilder beim Blick nach oben oder zur Seite.
Es besteht eine Proptose mit einem Abstand zwischen
dem Kanthus vor der Kornea von mehr als 20 mm bei wei
ßen Patienten und mehr als 22 mm bei schwarzen Patien
ten, gemessen mittels Exophthalmometer. Die Proptose
kann asymmetrisch und durch ein periorbitales Ödem mas
kiert sein. Nützlich ist oft eine Testung der Druckresistenz
des Auges und des Orbitainhalts. Dies erfolgt durch Aufle
gen der Finger auf das über dem Augapfel geschlossene Lid
und den Versuch, ihn nach innen zu drücken. Normaler
weise lässt sich der Augapfel leicht und ohne Widerstand
Elastizitätstestung
nach hinten schieben; bei Patienten mit schwerer Orbitopa
thie nimmt die Resistenz deutlich ab und bei manchen lässt
sich der Augapfel nicht nach hinten schieben, was ein prog
nostisch schlechtes Zeichen ist. Die Progression kann so
rasch und ausgeprägt sein, dass sich die Augenlider nicht
schließen lassen, sodass Korneaulzera auftreten. Diese Ulze
ra können sich infizieren und zum Augenverlust führen. Schwere progressive Ophthalmopathie
Selten besteht ein Papillenödem, eine Papillitis oder eine
Retrobulbärneuritis, wodurch es zur Erblindung kommt. Abb. 2.10
Die Pathogenese der endokrinen Orbitopathie hängt
mit der Volumenzunahme im Retroorbitalraum – der ex Abgesehen von einem hohen Titer von TSH-Rezeptor- der endokrinen Orbitopathie und dem Beginn einer Hyper
traokulären Muskeln und der retroorbitalen Binde- und Antikörpern wurden mehrere weitere Risikofaktoren für die thyreose. Die Orbitopathie geht der Hyperthyreose bei 20 %
Fettgewebe – durch eine Entzündung und die Akkumulati Entwicklung einer Orbitopathie bei Patienten mit Basedow- der Patienten voraus, tritt bei 40 % gleichzeitig mit ihr auf,
on von hydrophilen Glykosaminoglykanen (GAG) (z. B. Krankheit identifiziert. Die endokrine Orbitopathie ist eben bei 20 % während der Behandlung der Hyperthyreose und
Hyaluronsäure) zusammen. Durch die GAG-Akkumulati so wie die Hyperthyreose bei Frauen häufiger, wobei Män bei weiteren 20 % in den 6 Monaten nach Diagnosestellung.
on in diesen Geweben, eine Veränderung des osmotischen ner eine schwerere Orbitopathie entwickeln. Zigarettenrau Die meisten Patienten können erfolgreich durch Kopf
Drucks und einen erhöhten Flüssigkeitsgehalt wird der chen erhöht nachweislich das Risiko für eine Orbitopathie hochlagerung während der Nacht und häufiges Eintropfen
Bulbus nach vorn geschoben und die Funktion der extra und deren Schwere. Rauchen scheint die GAG-Produktion von Kochsalzlösung in die Augen am Tage und Tragen ei
okulären Muskeln behindert. Die extraokulären Muskeln und die Adipogenese zu erhöhen. Die Radioiodtherapie der ner Sonnenbrille im Freien behandelt werden. Bei schwe
sind geschwollen und mit T-Lymphozyten infiltriert. Letz Hyperthyreose scheint die Orbitopathie ausgeprägter als ei ren Symptomen (z. B. Chemosis, Diplopie) kann eine Glu
tere spielen vermutlich auch eine Schlüsselrolle bei der Pa ne subtotale Thyreoidektomie oder thyreostatische Therapie kokortikoidtherapie in Betracht gezogen werden. Operati
thogenese der Krankheit. Die T-Zellen scheinen vom TSH- zu verschlechtern und kann sie auch auslösen. Durch die Be onen zur Orbitadekompression werden erwogen, wenn die
Rezeptor-Antigen aktiviert zu werden. Es besteht ein posi handlung der Hyperthyreose verkleinert sich zwar die Lid Orbitopathie trotz der Glukokortikoidtherapie fortschrei
tiver Zusammenhang zwischen der Schwere der Orbitopa spalte, die endokrine Orbitopathie wird aber nicht behoben. tet, das Sehvermögen gefährdet ist oder bei schwerer Pro
thie und dem Serumspiegel der TSH-Rezeptor-Antikörper. Außerdem besteht ein zeitlicher Zusammenhang zwischen ptose eine kosmetische Indikation besteht.
44 2 Schilddrüse
Die primäre Hypothyreose wurde zwar erst 1874 beschrie Trockenes, brüchiges Haar Lethargie, Gedächtnisstörungen,
ben, ist aber eine häufige Endokrinopathie, die bei Frauen verlangsamte Denkprozesse
(evtl. Psychosen)
7–8-mal häufiger als bei Männern auftritt. Das klinische
Bild hängt davon ab, wie stark der Schilddrüsenhormon
mangel ist und wie schnell die Serumspiegel von Thyroxin Verdickte Zunge,
Sprachverlangsamung
(T4) und Triiodthyronin (T3) abgesunken sind. Eine all Ödem von Gesicht
mählich einsetzende Hypothyreose wird oft jahrelang und Augenlidern
nicht diagnostiziert und die Patienten führen ihre Sympto Tiefe, heisere Stimme
me auf das Alter zurück. Außerdem wird das klinische Bild
der Hypothyreose von Begleiterkrankungen beeinflusst. Kälteintoleranz
Herzvergrößerung,
Bei einer Hypothyreose durch eine Erkrankung von Hypo leise Herztöne
thalamus oder Hypophyse stehen oft die Symptome einer
sekundären Nebenniereninsuffizienz, ein Hypogonadis Vermindertes
mus oder ein Diabetes insipidus im Vordergrund. Schwitzen Diastolische
Hypertonie (oft)
Die Pathophysiologie der Hypothyreose beruht auf
einer „Verlangsamung“ der meisten Stoffwechselprozes Raue (follikuläre
se. Oft sind die Patienten lethargisch mit verlangsamten Keratose), kalte,
trockene, gelbliche
Denkabläufen, verlangsamter Sprache, Kälteintoleranz, (Karotinämie) Haut
Obstipation und Bradykardie. Typisch ist trockenes,
brüchiges Haar, das eine etwaige Naturkrause verloren
hat. Bei ausgeprägter Hypothyreose kann eine Psychose Langsamer
entstehen. Durch die subkutane Akkumulation von Gly Puls
kosaminoglykanen entsteht ein Ödem an Gesicht und Menorrhagie
Augenlidern (periorbitales Ödem). Die Zunge ist dick (später auch
Amenorrhö)
und die Stimme tief und heiser mit verarmter Stimm
melodie. Schwäche
Die Haut ist aufgrund der reduzierten Schweißbildung
Aszites
kühl und trocken und kann rau sein. Oft tritt an den
Streckseiten von Armen und Beinen, am lateralen Thorax
und an den Oberschenkelaußenseiten sowie gelegentlich
auf den Schultern eine an Schleifpapier erinnernde folliku
läre Hyperkeratose auf. Die Haut an Händen und im Ge
sicht verfärbt sich oft gelblich im Sinne einer Karotinämie. Refraktärzeiten
der Reflexe verlängert
Die Fingernägel sind brüchig und reißen leicht ein. Oft fällt
das Haar im lateralen Drittel der Augenbrauen aus. Vitili
go und Alopezie sind bei polyendokriner Autoimmunin
suffizienz möglich.
Der Puls ist bei Hypothyreose meist verlangsamt und es
besteht eine diastolische Hypertonie; Letztere entsteht
durch den erhöhten peripheren Gefäßwiderstand. Das Abb. 2.14
Herzminutenvolumen ist reduziert und oft besteht eine be
lastungsabhängige Dyspnoe. Typisch für eine ausgeprägte,
lange bestehende Hypothyreose ist eine diffuse Herzver
größerung durch die myxödematöse Flüssigkeit im Myo
kard und durch Perikardergüsse, die mit Pleuraergüssen
und sogar mit einem Aszites einhergehen können. Die
Herztöne sind leise. Der Cholesterinstoffwechsel ist redu
ziert, sodass eine Hypercholesterinämie entsteht.
Die belastungsabhängige Dyspnoe entsteht auch durch
eine Schwäche der Atemmuskeln. Einige der Patienten
weisen eine Hypoxie und Hyperkapnie auf. Eine Makro
glossie kann zu einem obstruktiven Schlafapnoesyndrom
beitragen.
Jüngere weibliche Patienten können eine so starke Me
norrhagie entwickeln, dass eine Kürettage erforderlich ist.
Im späteren Verlauf tritt oft eine reversible sekundäre
Amenorrhö auf. Bei primärer Hypothyreose mit erhöhtem
TSH-Spiegel kann es durch die Stimulation der Prolaktin
48 2 Schilddrüse
(Fortsetzung)
Ätiologie
(Fortsetzung)
Primäre Hypothyreose
rogene Ursachen. So entwickeln die meisten Patienten
nach einer Thyreoidektomie aufgrund einer hormoninak
tiven Struma oder einer Basedow-Krankheit eine primäre
Hypothyreose. Bei der Basedow-Krankheit erfolgt meist Nach Behandlung der Basedow-Krankheit
Nach Thyreoidektomie mit radioaktivem Iod
eine Radioiodtherapie, um die Schilddrüse komplett zu
zerstören und eine primäre Hypothyreose herbeizuführen.
Die Hashimoto-Thyreoiditis ist die häufigste spontane Ur
sache der primären Hypothyreose und auch nach einer
subakuten oder akuten Thyreoiditis kann eine vorüberge
hende primäre Hypothyreose entstehen (› Abb. 2.22).
Typisch für eine Hashimoto-Thyreoiditis ist ein hoher Se
rumspiegel von Thyreoperoxidase-Antikörpern.
Eine zentrale Hypothyreose entsteht durch zahlreiche
Prozesse des Hypophysenvorderlappens, die zum Verlust Nach akuter Thyreoiditis Nach Hashimoto-Thyreoiditis
der TSH-Sekretion führen. Ein TSH-Mangel kann isoliert
Zentrale Hypothyreose (hypothalamisch oder hypophysär)
Behandlung
Kongenitale Hypothyreose
Die kongenitale Hypothyreose ist die häufigste vermeidba
re, behandelbare Ursache geistiger Retardierung. Der spä
tere Intelligenzquotient verhält sich umgekehrt proportio
nal zum Alter bei Diagnosestellung, weshalb eine frühzeiti
ge postpartale Diagnose entscheidend ist. Die häufigste
Ursache ist eine Schilddrüsendysgenesie, wie ihr kongeni
tales Fehlen (Agenesie), eine Hypoplasie oder eine Ektopie. Athyreote kongenitale Kongenitale Hypothyreose
Hypothyreose (sporadisch) mit Struma (endemisch,
Seltener hängt die kongenitale Hypothyreose mit hormon sporadisch, genetisch)
inaktiven Strumen oder mit Strumen zusammen, die an
140
geborene Fehler der Schilddrüsenhormon-Biosynthese
aufweisen. Die Synthesedefekte werden meist autosomal-
130
rezessiv vererbt und umfassen Störungen der Thyreoper
oxidase-Aktivität, einen anormalen Iodtransport und
120
anormale Thyreoglobulinmoleküle. Dieses Krankheitsbild Säugling mit nur
leichten Zeichen
tritt bevorzugt in Gebieten mit endemischer Struma auf,
110
einer kongenitalen
die kongenitale hypothyreote Struma wurde aber auch in Hypothyreose
Gegenden beobachtet, für die Strumen ungewöhnlich sind.
100
Die zentrale (hypothalamische oder hypophysäre) Hy
pothyreose ist eine weitaus seltenere Ursache der kongeni
90
talen Hypothyreose (1 von 100.000 Lebendgeburten) und
lässt sich nur durch Bestimmung des Serumspiegels von T4
80
nachweisen. Sie kann im Rahmen von Mittellinienfehlbil
Zentimeter
dung auftreten (z. B. Lippen-Gaumen-Spalte, septoopti
70
sche Dysplasie) und mit dem Mangel anderer HVL-Hor
mone einhergehen.
60
Bei der Geburt können nur leichte oder gar keine kör
Ältere
perlichen Symptome der kongenitalen Hypothyreose vor
50
Patientin
liegen, da ein Teil des mütterlichen T4 die Plazentaschran mit unbe-
ke passieren kann. In mehr als 85 % der Fälle tritt die kon handelter
40
kongeni-
genitale Hypothyreose sporadisch auf und wird daher taler Hypo-
30
Euthyreote Struma
Die euthyreote (nichttoxische) Struma tritt weltweit auf, ist
aber in Iodmangelgebieten am häufigsten. Bei der Iodman
gelstruma besteht eine typische Vergrößerung der Schild
drüse, sodass bei Jungen und Mädchen etwa zum Zeitpunkt
der Pubertät eine mittelgroße, nichttoxische, diffuse Struma
entsteht. Manche Strumen sind zunächst diffus und werden
später knotig, verhärten partiell und bilden zystische Berei
che. Knotenstrumen sind mehr oder weniger symmetrisch
oder auch sehr asymmetrisch. Unbehandelt kann eine der
artige Struma bis unter das Sternum herabwachsen, sodass
eine intrathorakale Struma entsteht. Mit zunehmender
Strumagröße und insbesondere bei Lage hinter dem Ster
num treten durch die Verdrängung von Trachea, Ösopha
gus, Nerven oder Jugularvenen obstruktive Symptome auf,
da der Thoraxeingang klein ist (≈ 5 × 10 cm) und knöcherne
Grenzen besitzt (lateral die Rippen, posterior der 1. Brust
wirbelkörper und anterior Manubrium und Sternum). In
der Regel wachsen multinoduläre Strumen sehr langsam Euthyreote, diffuse Struma mittlerer Größe
und es entwickeln sich schleichend obstruktive Symptome.
Erstes Symptom einer substernalen Struma ist oft eine Be
lastungsdyspnoe. Mit zunehmender Tracheaobstruktion Große diffuse Struma
tritt ein Stridor auf. Weitere Symptome durch das Thoracic-
Inlet-Syndrom sind eine Dysphagie, eine Stimmbandläh
mung durch Kompression des N. laryngeus und ein Horner-
Syndrom durch Kompression des zervikalen Sympathikus
ganglions. Bei der körperlichen Untersuchung lässt sich die
obere Brustkorbenge durch das Pemberton-Zeichen nach
weisen. Dazu wird der Patient gebeten, die Arme 1 Minute
lang senkrecht nach oben zu halten; bei deutlicher Gesichts
rötung, Zyanose oder Stridor gilt ein Thoracic-Inlet-Syn
drom als gesichert.
Gelegentlich kann eine Knotenstruma in einem Bereich
plötzlich an Größe zunehmen, sodass Schmerzen entstehen,
die zum Ohr, in Halsstrukturen oder in die Schulter weiter
geleitet werden. Ursache ist oft die Blutung in einen Follikel
oder in ein Adenom oder eine große Schilddrüsenzyste.
In derartigen multinodulären Strumen finden sich un
terschiedliche Adenomformen mit unterschiedlicher His
tologie. Manche sind hormonaktiv und können zur Hyper
thyreose führen (sogenannter heißer Knoten, › Abb. 2.12
und › Abb. 2.13). In diesen multinodulären Strumem ist Knoten-
strumen
Krebs weitaus seltener als bei einzelnen Schilddrüsenkno
ten, trotzdem ist ein Karzinom in einer multinodulären
Struma nicht ausgeschlossen. Abb. 2.18
Eine Hyperthyreose wird durch Messung des TSH-Spie
gels ausgeschlossen. Der Ultraschall der Schilddrüse hilft
bei der Beurteilung der Struktur der suprasternalen Kom
ponente einer multinodulären Struma. Die Ausdehnung
einer substernalen Struma lässt sich mittels CT oder MRT
bestimmen. Bei deutlichen Knoten lässt sich die Pathophy
siologie durch eine Feinnadelaspiration unter sonografi
scher Kontrolle ermitteln.
Indikationen für die operative Entfernung derartiger
Schilddrüsen sind: (1) kosmetische Gründe, aus denen der
Patient die Entfernung der Drüse wünscht, (2) eine plötzli
che Vergrößerung der Drüse, vor allem wenn der wachsen
de Bereich hart und daher malignomverdächtig ist, und (3)
vor allem die Korrektur obstruktiver Symptome durch die
Einklemmung von Trachea oder Ösophagus durch die
Schilddrüse.
52 2 Schilddrüse
Re TSH-
tor
Thyreoglobulin
weltweit in Iodmangelgebieten und haben ein Risiko für Thyreoglobulin
zep
Bakterielle Verschmutzung (Aktivierung von Strumigenen)
Tg-Genmutationen
eine endemische Struma. Der Serumspiegel von Iod wird Hemmung der Freisetzung von Schilddrüsenhormonen Tg Tg
zum Teil durch Iodid ersetzt, das durch Deiodination von Iod (z.B. Meeresalgen)
Reduzierte Sensibilität gegenüber Schilddrüsen-
Iodthyroninen in peripheren Geweben aufrechterhalten hormonen THOX2
Mutationen des Schilddrüsenhormonrezeptorgens Tg + I–
wird. Letztendlich ist die Ernährung die wichtigste Quelle. Defekte der transmembranösen Schilddrüsen-
Die Schilddrüse benötigt täglich 75 μg Iod. In Nordamerika hormontransporter H2O2
Defekte der Deiodinasen
beträgt die tägliche Aufnahme von Iod 150–300 μg. Durch TPO
die Verwendung von iodiertem Speisesalz wurde die Inzi 2 Na+ 2 Na+
denz der Iodmangelstruma erheblich reduziert. Seitdem ist NIS T4
I– I– I– I– T3
die Beeinträchtigung oder Störung der Synthese von Tg
Pendrin
Schilddrüsenhormonen die häufigste Ursache der Struma. Reduzierte Dhal-1 I– I–
Es werden immer mehr Krankheitsbilder als Ursachen Hemmung des
Hypophysen-
der kongenitalen Hypothyreose und der nichttoxischen vorderlappens MIT, DIT
Struma erkannt, bei denen kongenitale Defekte eines Stoff T4 T TSH
3
wechselschritts, der für den intrathyroidalen Metabolis T4 + T3 T4 + T3 Tg
mus von Iod oder für die Synthese von Schilddrüsenhor Vermehrte
mon erforderlich ist, vorliegen. So gibt es inzwischen eini TSH-Freisetzung
ge Familien mit Struma und kongenitaler Hypothyreose
mit verschiedenen Mutationen des für den Natrium-Iod-
Symporter (NIS) kodierenden Gens mit einem Defekt des
Iodtransports. Mutationen der für die Synthese von Thy
reoglobulin (Tg), Thyreoperoxidase (TPO) und TSH-Re
zeptor verantwortlichen Gene führen jeweils zur nichttoxi
schen Struma. Allerdings finden sich bei den meisten der
Hyperplasie Hyperplasie Involution von
artigen Strumen keine Mutationen. Drüse und
plus Adenom
Beim Pendred-Syndrom ist die Schilddrüsenhormon Adenomen
synthese gestört und es besteht ein sensorineuraler Hör Hämorrhagie,
Zystenbildung,
verlust. Pendrin, das für den Iodtransport in das Lumen Fibrose,
der follikulären Schilddrüsenzellen verantwortliche Prote Kalkeinlagerungen
in, dient auch dem Ionen-Flüssigkeitstransport in der
Kochlea. Abb. 2.20
Kongenitale Defekte der Organifizierung von Schilddrü
senhormon führen zur Struma. Beispielsweise sind das
kongenitale Fehlen von TPO sowie die inadäquate Produk In einer länger bestehenden Schilddrüsenhyperplasie
tion von Wasserstoffperoxid durch die Thyreoidoxidase 2 entstehen unterschiedliche Arten von Knoten, die unvoll
(THOX2) strumigen. ständig von einer Kapsel umgeben sind. Auf eine extreme
Einer partielle Resistenz gegen Schilddrüsenhormone Hyperplasie folgt eine Erschöpfung oder Involution. Das
können Mutationen des für den Schilddrüsenhormonre Epithel flacht ab, die Follikel füllen sich mit viskösem Kol
zeptor kodierenden Gens (in der Regel Mutationen in der loid und schließlich treten hämorrhagische Zysten auf, von
T3-bindenden Domäne des Schilddrüsenrezeptor-β-Gens) denen einige fibrosieren oder kalzifizieren. Selten entsteht
oder Defekte der Schilddrüsenhormon-Transmembran in solch einer hyperplastischen Drüse ein Karzinom.
transporter sowie der für die intrazelluläre Aktivierung
von T3 zu T4 zuständigen Deiodinasen zugrunde liegen. Bei
Schilddrüsenhormonresistenz bestehen in der Regel eine
euthyreote Struma sowie über den Normalbereich erhöhte
Serumspiegel von T3 und T4.
54 2 Schilddrüse
Riedel-Struma
Subakute Thyreoiditis
Typisch für die subakute Thyreoiditis (subakute granulo
matöse Thyreoiditis, akute, nichteitrige Thyreoiditis oder
Thyreoiditis de Quervain) ist das plötzliche Auftreten von 40,5
40
Temperatur [°C]
Symptomen einer Hyperthyreose: Fieber, Erschöpfung, Krankheitsgefühl
39,4
Myalgien und eine stark druckschmerzhafte Vergrößerung Dysphagie 38,8
der Schilddrüse. Diese seltene Krankheit ist bei Frauen 38,3
37,7
5-mal häufiger als bei Männern. Die Schilddrüse ist in der 37,2 Fieber
Regel asymmetrisch bis auf das 1,5- bis 2-Fache vergrö 36,6
ßert. Die Schilddrüsenschmerzen strahlen in die Kieferge 1 2 3 4 5 6 7
lenke oder Ohren aus. Die Schilddrüse sowie die Lymph Tage
knoten neben der Drüse sind druckschmerzhaft und der
Ins Ohr ausstrahlende Schmerzen
Patient klagt über Dysphagie.
Ursache scheinen Virusinfektionen zu sein; häufig ist
der Thyreoiditis eine obere Atemwegsinfektion vorausge Sichtbar vergrößerte Schilddrüse (einseitig betont)
gangen. Es kommt zur Schilddrüsenentzündung, Follikel
schädigung und Freisetzung des gespeicherten T4 und T3,
sodass zunächst eine symptomatische Hyperthyreose ent
steht, auf die eine Hypothyreose folgt. Die Hyperthyreose Druckschmerz-
hafte prätracheale
persistiert bis zur Erschöpfung der Schilddrüsenspeicher, Lymphknoten
was in der Regel 2–8 Wochen dauert. Mit Abklingen der Schmerzhaft
Entzündung regenerieren die Follikel und schließlich nor tastbare
malisiert sich auch die Schilddrüsenfunktion. Schilddrüse
Bei der körperlichen Untersuchung ist die Schilddrüse
symmetrisch vergrößert und deutlich druckschmerzhaft. Sehr geringe Aufnahme von
Manche Patienten verweigern die Halspalpation sogar. I (radioaktiv markiertem Iod)
131
↑T4
Die Biopsie zeigt eine entzündliche Reaktion mit Infilt ↑T3 Entzündlich bedingte
raten aus Lymphozyten und Neutrophilen. Es finden sich ↑Thyreoglobulin Blockade
nebeneinander Nekrosen und Schäden der Schilddrüsen
follikel.
Im Labor finden sich erhöhte Serumspiegel von freiem
T4, Gesamt-T3 und Thyreoglobulin sowie niedrige TSH-
Spiegel. Die Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) ist in der
Regel auf > 50 mm/h beschleunigt und es besteht eine Leu
kozytose. Bei der Radioiod-Szintigrafie (131I) reichert die
entzündete Schilddrüse kaum Iod an – die Aufnahme in
nerhalb von 24 Stunden beträgt oft nur 1–2 %. Die Kombi
nation aus niedriger 131I-Aufnahme, normalen oder erhöh
ten Serumspiegeln von T4 und T3, erhöhtem Serumthyreo
globulin, supprimiertem TSH und beschleunigter BSG ist
diagnoseweisend. Die subklinische und postpartale Thy
reoiditis gehen mit ähnlichen Befunden einher, allerdings Diffus infiltriertes Schilddrüsenstroma
fehlen Halsschmerzen und BSG-Beschleunigung.
Die Behandlung konzentriert sich auf Schmerzkontrolle Abb. 2.22
und eine symptomatische Therapie der Hyperthyreose. In
der Regel werden für 2–8 Wochen entweder nichtsteroida
le Antiphlogistika oder Glukokortikoide gegeben. Die
Symptome der Hyperthyreose (z. B. Tremor, Angst, Palpi
tationen) können mit einem Betablocker behandelt wer
den.
Die sich an die Hyperthyreose anschließende hypothy
reote Phase kann subklinisch oder symptomatisch verlau
fen. Bei hypothyreoten Symptomen wird für 6–8 Wochen
L-Thyroxin verabreicht, bis sich die Schilddrüsenfunktion
wieder normalisiert hat.
56 2 Schilddrüse
Papilläres Schilddrüsenkarzinom
Das papilläre Schilddrüsenkarzinom ist eines der drei vom
Schilddrüsenepithel ausgehenden Karzinome. (Die ande
ren beiden sind das follikuläre und das anaplastische Kar
zinom.) Es ist mit etwa 75 % der häufigste maligne Tumor
der Schilddrüse. Seine Inzidenz ist im 4. und 5. Lebens
jahrzehnt am höchsten und tritt bei Frauen 2,5-mal häufi
ger auf als bei Männern. Papilläre Schilddrüsenkarzinome
können sehr klein oder gut tastbar sein. Häufig findet sich
ein einzelner Knoten in der Schilddrüse. Durch den Ein
satz von CT und Ultraschall werden derartige Tumoren oft
zufällig entdeckt.
Das papilläre Schilddrüsenkarzinom kann multizent Zwei Tumorabschnitte mit deutlichen
risch auftreten. Oft finden sich bei einem Patienten mit papillären Projektionen
Halslymphknoten, der bei der Feinnadelaspiration papillä
res Schilddrüsengewebe enthält, ≥ 2 Läsionen in der Multiple Herde möglich
Meistens solitärer
Schilddrüse. Dabei handelt es sich oft um intraglanduläre
hormoninaktiver Knoten
Metastasen und mindestens die Hälfte enthält Zellen ande
ren klonalen Ursprungs.
Histologisch besitzt das papilläre Schilddrüsenkarzi
nom in der Regel eine Kapsel und besteht aus papillären
Strängen aus fein vaskularisiertem Gewebe, das mit ein-
oder mehrschichtigem kubischem und hochprismati
schem Epithel ausgekleidet ist. Schilddrüsenkolloid und
-follikel fehlen beim reinen papillären Schilddrüsenkarzi Selten ins Skelett
nom. Die ovalen Nuklei sind typischerweise vergrößert mit
hypodensem Chromatin und weisen zytoplasmatische
„Pseudoeinschlüsse“ auf (redundante Kernmembran). Bei
etwa 50 % der papillären Schilddrüsenkarzinome finden Sehr selten ins
sich kalzifizierte vernarbte Überreste von Tumorpapillen Gehirn
(Psammomkörper). Etwa 10 % der papillären Schilddrü
senkarzinome gehören zur follikulären Variante und ent
halten zusätzlich Follikelgewebe. Obwohl sie zum Diagno
sezeitpunkt meist kleiner sind, besitzen sie allgemein die
Metastasierung: vor allem in die regionalen
gleiche Prognose wie das gemeine papilläre Schilddrüsen Lymphknoten (zervikal und mediastinal)
karzinom. Die aggressivere großzellige Variante hingegen
(1 % der papillären Schilddrüsenkarzinome) ist bei Diag
nosestellung größer und verläuft öfter invasiv als die ge
meinen Formen. Seltenere, aggressivere Varianten sind
das klarzellige, das insuläre, das oxyphile und das diffus-
sklerosierende Karzinom.
Das papilläre Schilddrüsenkarzinom metastasiert oft in
die Halslymphknoten und oberen Mediastinallymphkno Sekundärer Lungenbefall (hämatogene Ausbreitung)
ten. Bei Diagnosestellung hat es bei nur 2 % der Patienten
den Hals überschritten und ist meist in die Lunge und sel Abb. 2.23
tener in den Knochen eingedrungen. (Weitere seltene Me
tastasierungsorte sind Gehirn, Leber, Niere und Nebennie
ren.) Lungenmetastasen imponieren im Thorax-Röntgen Bei einem Durchmesser > 1 cm oder bekannten Lymph frage, das auf die vorgenannten Behandlungen nicht ange
oder der Thorax-CT als miliäre Knötchen, die vom Hilus knotenmetastasen ist die Thyreoidektomie mit zentraler sprochen hat. Derzeit werden bei therapierefraktären Kar
aus nach außen streuen. Skelettmetastasen sind selten und zervikaler Lymphadenektomie die Behandlung der Wahl. zinomen molekularbiologische Therapien untersucht (z. B.
überwiegend bei älteren Patienten. Bei Invasion anderer Halsgewebe (z. B. Trachea, Ösopha Tyrosinkinasehemmer). Alle Patienten sollten postopera
Das papilläre Schilddrüsenkarzinom ist eines der am gus) sind größere Eingriffe erforderlich, bei solitärem pa tiv L-Thyroxin erhalten, um die wachstumsfördernde Wir
wenigsten aggressiven und malignen humanen Karzinome pillärem Schilddrüsenkarzinom mit einem Durchmesser kung des hypophysären TSH auf das papilläre Schilddrü
und führt in den meisten Fällen nicht zum Tod, obwohl < 1 cm kann ein weniger aggressives Vorgehen gewählt senkarzinom zu verhindern.
dies prinzipiell möglich ist. Es gibt drei Risikofaktoren für werden (z. B. Lobektomie und Isthmusektomie). Adjuvant
Karzinomrezidive und eine erhöhte Mortalität: Alter bei und auf individueller Basis kann eine Therapie mit radio
Diagnosestellung > 45 Jahre, großer Tumor (Durchmesser aktivem Iod 131 (131I) erfolgen. Eine externe Strahlenthe
> 7 cm) und Weichgewebeinvasion (z. B. Trachea, Ösopha rapie kann bei Metastasen, die nicht resektabel sind und
gus). Weitere Faktoren, die das Rezidivrisiko erhöhen, nicht auf die 131Iod-Therapie ansprechen, erwogen werden.
sind männliches Geschlecht, Multizentrizität, zahlreiche Eine systemische Chemotherapie kommt bei aggressivem,
Lymphknotenmetastasen (> 10) und ein Alter < 7 Jahre. symptomatischem papillärem Schilddrüsenkarzinom in
Follikuläres Schilddrüsenkarzinom 57
Follikuläres Schilddrüsenkarzinom
Das follikuläre Schilddrüsenkarzinom ist eines der drei
vom Schilddrüsenepithel ausgehenden Karzinome. (Die
anderen beiden sind das papilläre und das anaplastische
Karzinom.) Es ist nach dem papillären Karzinom mit 10 %
der zweithäufigste maligne Tumor der Schilddrüse. Im
Vergleich zum papillären Karzinom tritt es häufiger bei äl
teren Menschen auf. Am höchsten ist seine Inzidenz im
Alter zwischen 40 und 60 Jahren, außerdem tritt es bei
Frauen 3-mal häufiger auf als bei Männern. Das follikuläre
Schilddrüsenkarzinom kommt weltweit bevorzugt in Iod
mangelgebieten vor.
Das follikuläre Karzinom tritt als kleiner Knoten oder Primärtumor Metastase
als große Raumforderung in der Schilddrüse auf und im
Gegensatz zum papillären Karzinom findet sich meist nur
ein intrathyreoidaler Herd. Die Feinnadelaspiration mit Meistens solitärer hormoninaktiver Knoten
Zytologie kann nicht zwischen follikulärem Karzinom und
benignem follikulären Adenom unterscheiden. Eindeutige
Hinweise auf ein follikulärem Karzinom ergeben sich nach
dem En-bloc-Geweberesektat durch die Tumorkapsel oder
eine Gefäßinvasion.
Histologisch findet sich ein recht gut organisiertes folli
kuläres Muster mit kleinen, oft irregulären Follikeln mit
hochkubischem Epithel. Die organisierteren Follikel ent
halten häufig Kolloid. Es finden sich keine Hinweise auf
ein papilläres Schilddrüsenkarzinom (z. B. Psammomkör
per). Oft besteht ein Gefäßeinbruch oder ein Kapseldurch
bruch. Das minimalinvasive follikuläre Karzinom ist eine
Unterform mit Kapsel und guter Prognose. Sehr invasive
follikuläre Karzinome brechen jedoch in die Blutgefäße
und das benachbarte Schilddrüsengewebe ein und haben
eine schlechte Prognose.
Die meisten follikulären Schilddrüsenkarzinome sind Hämatogene Ausbreitung
in Lunge und Knochen
monoklonal und etwa 40 % sind mit somatischen Punkt
mutationen des RAS-Onkogens assoziiert und haben eine
schlechtere Prognose.
Das follikuläre Schilddrüsenkarzinom metastasiert oft
hämatogen. Bei 15 % der Patienten finden sich zum Zeit
punkt der Diagnosestellung bereits Fernmetastasen. Häu
fig sind Knochen und Lunge betroffen (seltener Leber, Ge
hirn, Harnblase und Haut). Die Halslymphknoten sind
seltener befallen als beim papillären Schilddrüsenkarzi
nom. Die Biopsie von Skelettmetastasen erbringt oft nor Selten Befall der Halslymphknoten
males Schilddrüsengewebe.
Das follikuläre Schilddrüsenkarzinom verläuft meist ag Abb. 2.24
gressiver als das papilläre. Negative prognostische Fakto
ren sind ein größerer Tumor, Fernmetastasen und Gefäß
invasion. Das Inselkarzinom ist eine schlecht differenzierte kel. Durch die postoperative Radioiodtherapie werden im
Form mit schlechterer Prognose und das oxyphile Karzi Organbett verbliebenes Schilddrüsengewebe und Mikro
nom ist eine onkozytäre Variante (› Abb. 2.26). metastasen zerstört. Anschließend wird L-Thyroxin gege
Das follikuläre Schilddrüsenkarzinom wird ähnlich be ben, um das hypophysäre TSH und dessen Wachstumsreiz
handelt wie das papilläre. Therapie der Wahl ist die totale auf etwaige residuelle Karzinomzellen zu supprimieren.
Thyreoidektomie mit zentraler zervikaler Lymphknoten Bei nichtresektablem Primärtumor oder Metastasen er
dissektion. Wichtig für die Operationsplanung ist ein prä folgt eine externe Strahlentherapie. Bei einigen wenigen
operativer Ultraschall des Halses mit Kartierung der Patienten mit refraktärer Erkrankung auf die vorgenann
Lymphknoten. Die Zellen des follikulären Karzinoms kön ten Maßnahmen ist eine systemische Chemotherapie er
nen radioaktiv markiertes Iod (131I) aufnehmen, allerdings forderlich, außerdem profitieren sie von molekularbiologi
nicht so gut wie die Zellen der normalen Schilddrüsenfolli schen Medikamenten (z. B. Tyrosinkinasehemmern).
58 2 Schilddrüse
Medulläres Schilddrüsenkarzinom
Das medulläre Schilddrüsenkarzinom geht von den para
follikulären C-Zellen im oberen Anteil der Schilddrüsen
lappen aus und macht etwa 3 % aller Schilddrüsenmaligno
me aus. Da die C-Zellen der Neuralleiste entstammen, ist
das medulläre Schilddrüsenkarzinom klinisch-histologisch
betrachtet eher ein neuroendokriner als ein Schilddrüsen
tumor.
In etwa 80 % der Fälle tritt das medulläre Karzinom spo
radisch auf, 20 % treten im Rahmen einer multiplen endo
krinen Neoplasie Typ 2 (MEN 2) oder als familiäres me
dulläres Schilddrüsenkarzinom (FMTC) hereditär auf.
Sporadische Karzinome manifestieren sich in der Regel im
Alter von 40–60 Jahren als solitäre Knoten mit leichter Be
vorzugung des weiblichen Geschlechts. Die Diagnose er
folgt durch Feinnadelaspiration des Knotens. Zum Diag
nosezeitpunkt weist mehr als die Hälfte der Patienten mit
der sporadischen Form Metastasen auf, die typischerweise
die regionalen Lymphknoten betreffen. Meist Befall
der Hals-
Das medulläre Karzinom produziert Kalzitonin und die
lymphknoten
deutlich erhöhten Serumspiegel können zu einer schweren
Diarrhö führen. Aufgrund der neuroendokrinen Embryo
logie kann es noch weitere Hormone produzieren, die zu
jeweils typischen Symptomen, wie einem Cushing-Syn
drom bei Überproduktion von Cortisol, führen.
Histologisch besteht das medulläre Schilddrüsenkarzi
nom aus balkenförmig angeordneten, eng gepackten Zel
len, die sich deutlich hinsichtlich Hyperchromatismus und
Kerngröße unterscheiden. Für gewöhnlich produzieren die
Zellen Kalzitonin, Galektin 3 und karzinoembryonales An
tigen.
Leber Niere
Das familiäre medulläre Schilddrüsenkarzinom ist mit
Mutationen des RET-Protoonkogens assoziiert und mani Seltenere Lokalisation von Metastasen
festiert sich im Rahmen von MEN 2A oder MEN 2B oder
davon unabhängig. Bei MEN 2 beträgt seine Penetranz
100 %. Männer und Frauen sind gleich häufig betroffen.
Bei MEN 2B tritt eine aggressivere Form auf, weswegen in
den ersten Lebensjahren eine prophylaktische Thyreoidek
tomie erfolgen sollte. Patienten mit familiärem Karzinom,
das nicht früh im Leben erkannt wird, entwickeln häufig Lunge
im Alter von 20–30 Jahren Symptome. Bei bekanntem Ri (feine Knötchen) Skelett
siko ist jedoch eine Diagnose vor der klinischen Manifesta Häufigste Lokalisation von Metastasen
tion möglich. Nachdem die typische Mutation des RET-
Protoonkogens festgestellt wurde, sollte eine genetische Abb. 2.25
Testung von Verwandten erfolgen.
Auch bei sporadischen Karzinomformen sollte eine ge
netische Testung auf Mutationen des RET-Protoonkogens Behandlung der Wahl ist die totale Thyreoidektomie.
erfolgen, da etwa 7 % der Patienten diese Mutation aufwei Die Prognose hängt zum Teil vom Alter bei der Diagnose
sen. Dies erleichtert die genetische Testung von Verwand stellung ab (je älter der Patient, umso schlechter die Prog
ten und deren operative Behandlung vor dem Auftreten nose). Bei familiärem Karzinom hängt die Prognose vom
von Metastasen. Alter zum Zeitpunkt der Thyreoidektomie ab; am höchsten
Bei allen Patienten mit medullärem Karzinom sollten sind die Heilungsraten bei sehr jungen Patienten. Postope
ein primärer Hyperparathyreoidismus und ein Phäochro rativ sollte der Serumspiegel von Kalzitonin kontrolliert
mozytom (Komponenten von MEN 2) im Labor ausge werden, um die operative Heilung zu bestätigen. Die Meta
schlossen werden. Außerdem sollte präoperativ der Se stasierung erfolgt in Hals, Mediastinum, Lunge, Leber,
rumspiegel von Kalzitonin bestimmt werden. Je höher er Knochen und Nieren. Persistierende, nichtresektable Me
ist, umso wahrscheinlicher bestehen bereits Metastasen, tastasen können mit molekularbiologischen Medikamen
sodass die Thyreoidektomie nicht kurativ sein wird. ten behandelt werden (z. B. Tyrosinkinasehemmern).
Oxyphiles Schilddrüsenkarzinom 59
Oxyphiles Schilddrüsenkarzinom
Das oxyphile Schilddrüsenkarzinom ist eine Variante des
follikulären Schilddrüsenkarzinoms und macht 3–4 % aller
Schilddrüsenmalignome aus. Es wird auch als onkozytäre
Variante des follikulären Schilddrüsenkarzinoms bezeich
net. Das oxyphile Schilddrüsenkarzinom besteht zu min
destens 75 % aus typischen Onkozyten. Die eosinophilen
oxyphilen Zellen lassen sich durch ihr reichliches Zyto
plasma, die ovalen Kerne mit prominenten Nukleoli und
die eng gepackten Mitochondrien erkennen. Die Prognose
des oxyphilen Schilddrüsenkarzinoms ist schlechter als die
des häufigeren follikulären Schilddrüsenkarzinoms, au
Trabekulär Plexiform
ßerdem geht es mit einer höheren Rezidivrate in den loka
len Lymphknoten einher. Die Diagnosestellung erfolgt
meist im Alter zwischen 40 und 70 Jahren (Median 61 Jah
re). Das oxyphile Schilddrüsenkarzinom tritt bei Frauen
doppelt so häufig auf wie bei Männern.
Das oxyphile Schilddrüsenkarzinom manifestiert sich
in der Regel als schmerzloser, solitärer Knoten, der entwe
der kaum tastbar ist oder einen gesamten Schilddrüsenlap
pen involvieren kann.
Makroskopisch zeigt sich ein mahagonibrauner Tumor.
Histologisch finden sich typische helle, durchscheinende,
eosinophile und granuläre hochkubische bis niedrigzylin
drische Zellen, die balkenförmig angeordnet sein können,
wobei jeder Balken von zahlreichen dünnwandigen Kapil
laren versorgt wird, oder sie sind streifenförmig in Ge
flechten angeordnet, die auch durch zahlreiche Kapillaren
getrennt werden. Kolloid findet sich kaum oder fehlt ganz.
Die Kerne sind hyperchromatisch und pleomorph mit pro
minenten eosinophilen Nukleoli. Die Zellen des oxyphilen
Schilddrüsenkarzinoms enthalten viele Mitochondrien. Sekundär in die und die Lunge
Die Diagnose basiert auf dem Kapseldurchbruch, dem Ge regionalen Lymphknoten (feine Knötchen)
fäßeinbruch oder der Metastasierung.
Etwa 5 % der Patienten weisen zum Diagnosezeitpunkt
Fernmetastasen in Lunge oder Knochen auf. Regionale
Lymphknotenmetastasen finden sich in etwa 25 % der Fäl
le. Weniger als 10 % der oxyphilen Schilddrüsenkarzinome
reichern Radioiod an.
Die Prognose von Patienten mit oxyphilem Schilddrü
senkarzinom ist abhängig vom Vorhandensein von Metas
tasen bei Diagnosestellung, dem Alter des Patienten, der Metastasierung: vor allem ins Skelett
Größe des Primärtumors und der lokalen extrathyreoida
len Invasion. Allgemein verläuft das oxyphile Schilddrü Abb. 2.26
senkarzinom aggressiver als das papilläre und das folliku
läre. Die postoperative Rezidivrate beträgt etwa 35 %.
Fernmetastasen sind der stärkste negative prognostische
Faktor. Das oxyphile Schilddrüsenkarzinom verläuft bei
Männern aggressiver als bei Frauen.
Die Behandlung erfolgt genauso wie beim follikulären
Schilddrüsenkarzinom. Häufig wird eine totale Thyreoid
ektomie mit ipsilateraler zentraler zervikaler Lymphkno
tendissektion durchgeführt. Die Radioiodtherapie scheint
das Behandlungsergebnis von Patienten mit oxyphilem
Schilddrüsenkarzinom nicht zu verbessern. Bei nichtre
sektablem Primärtumor kann eine externe Bestrahlung
erfolgen. Außerdem profitieren Patienten mit refraktärer
Erkrankung von molekularbiologischen Medikamenten
(z. B. Tyrosinkinasehemmern).
60 2 Schilddrüse
Anaplastisches Schilddrüsenkarzinom
Das anaplastische Schilddrüsenkarzinom ist eines der drei
vom Schilddrüsenepithel ausgehenden Karzinome. (Die
anderen beiden sind das papilläre und das follikuläre Kar
zinom.) Während das papilläre und das follikuläre Schild
drüsenkarzinom differenzierte Schilddrüsenkarzinome
sind, ist das anaplastische Schilddrüsenkarzinom undiffe
renziert. Das anaplastische Schilddrüsenkarzinom gehört
zu den bösartigsten und tödlichsten beim Menschen vor
kommenden Karzinomen und macht etwa 2 % aller Schild
drüsenkarzinome aus. Es tritt in der Regel jenseits eines
Alters von 50 Jahren auf (mittleres Alter 65 Jahre) und be
Riesenzellen Spindelzellen
trifft in etwa zwei Drittel der Fälle Frauen.
Das anaplastische Schilddrüsenkarzinom ist ein schnell
wachsender, schmerzhafter Halstumor, der hormoninak
tiv ist. Oft kann der Patient präzise angeben, wann es be
gonnen hat (oft vor Kurzem) und er klagt über Verdrän
gungssymptome, wie Dyspnoe, Dysphagie, Heiserkeit,
Husten und Druckschmerzen oder spontane Schmerzen
im Tumor. Mögliche Allgemeinsymptome sind Gewichts
verlust, Anorexie, Erschöpfung und Fieber. Bei der Unter
suchung findet sich ein großer (Durchmesser oft > 5 cm),
harter Knoten, der oft fixiert und in der Regel schmerzhaft
ist. Die darüber liegende Haut kann überwärmt und gerö
tet sein. Oft findet sich eine zervikale Adenopathie. Die
Trachea kann seitenverlagert sein und es kann eine Stimm
bandlähmung vorliegen. Wenn der Tumor den Thoraxein
gang verlegt, kann ein Vena-cava-superior-Syndrom vor
liegen.
Bei etwa 20 % der Patienten mit anaplastischem Schild
drüsenkarzinom ist anamnestisch ein differenziertes (pa Rasch wachsender Halstumor
pilläres oder follikuläres) Schilddrüsenkarzinom bekannt
und bei etwa 50 % eine Struma. Somit scheint es vermut
lich durch einen Entdifferenzierungsschritt aus differen
zierten Schilddrüsentumoren hervorzugehen (z. B. Verlust
eines Tumorsuppressorproteins oder erworbene aktivie
rende Mutation).
Die Diagnose wird durch eine Feinnadelaspiration oder
operative Biopsie gestellt. Histologisch handelt es sich um
einen soliden, stark anaplastischen Tumor, der überwie
gend aus Plattenepithelzellen besteht, aber auch verstreut
viele große Riesenzellen enthält.
Dieser hochmaligne Tumor metastasiert nur selten Kompression und Invasion der Trachea
stark. Sein rasches Wachstum erfolgt lokal begrenzt mit
Invasion der umgebenden Halsstrukturen (z. B. Muskeln, Abb. 2.27
Lymphknoten, Larynx, Trachea, Ösophagus und große
Halsgefäße). Häufig kommt es zum Tod durch Kompressi
on der Trachea und Ersticken. Die Metastasierung erfolgt beschränkt zu sein scheint, sollte eine totale Thyreoidekto
überwiegend in die Lunge. Außerdem metastasiert das mie erfolgen. Oft kommt es aber innerhalb von Monaten
anaplastische Schilddrüsenkarzinom in Knochen, Thorax zu einem Rezidiv, auch wenn die Läsion bei der Operation
haut, Leber, Herz, Nieren und Nebennieren. scheinbar vollständig entfernt wurde. Postoperativ ist eine
Die Computertomografie von Hals und Thorax hilft bei adjuvante externe Bestrahlung möglich. Es gibt keine ku
der Therapieplanung und bei der Überwachung des Thera rative Therapie für das metastasierte anaplastische Schild
pieansprechens. Ein Karzinomdurchmesser < 6 cm und die drüsenkarzinom. Eine Chemotherapie mit Substanzen wie
Beschränkung auf die Schilddrüse bedeuten ein längeres Paclitaxel führt zum temporären Ansprechen. Nur sehr
Überleben. selten überleben die Patienten > 12 Monate nach Diagno
Das anaplastische Schilddrüsenkarzinom ist fast nie ku sestellung. Im Grunde liegt die Letalität bei 100 %.
rativ operabel. Wenn die Erkrankung auf die Schilddrüse
Schilddrüsenmetastasen 61
Schilddrüsenmetastasen
Vermutlich aufgrund der starken Durchblutung von etwa
560 ml/100 g Gewebe/min (eine Durchblutungsrate, die
nur von den Nebennieren übertroffen wird) ist die Schild
drüse oft von Metastasen betroffen. Die Prävalenz von
Schilddrüsenmetastasen schwankt zwischen 1,25 % in
nicht ausgewählten Autopsiestudien und 24 % bei Autop
siestudien an Patienten, die an ausgedehnten Krebserkran
kungen verstarben. Bei präoperativer Feinnadelaspiration
finden sich in etwa 5 % der Schilddrüsen Metastasen. Bei
einem Schilddrüsenknoten und bekannter Krebserkran
kung sollte immer zunächst an eine Metastase gedacht 4. Kopf- und
Halsmalignom
werden.
Patienten mit Schilddrüsenmetastasen können Verdrän
gungssymptome aufweisen (z. B. Heiserkeit, Dysphagie,
Stridor oder Halstumor), sind aber häufig asymptomatisch.
Der Schilddrüsenknoten wird bei einer körperlichen Unter 2. Lunge
suchung oder zufällig bei einer bildgebenden Untersu
chung (z. B. Positronen-Emissionstomografie) im Rahmen
des Tumorstagings entdeckt. Zur Diagnostik erfolgt eine
Feinnadelaspiration, die hoch sensitiv und hoch spezifisch
ist. 3. Mamma
Die Primärtumoren befinden sich (in absteigender Häu
figkeit) in Nieren (Klarzellkarzinom), Lunge, Mamma,
Kopf und Hals, Gastrointestinaltrakt (Kolon, Ösophagus,
Magen) und Haut (Melanom). Weitere Lokalisationen von
Primärtumoren, die in die Schilddrüse metastasieren, sind 1. Niere
Uterus, Ovar, Prostata, Pankreas, Nebenschilddrüsen und
Sarkome. Meist manifestieren sich die Metastasen inner
halb von 3 Jahren nach Resektion des Primärtumors in der
Schilddrüse, wobei auch Intervalle von bis zu 26 Jahren be
schrieben sind (bei einem Patienten mit Nierenzellkarzi 5. Gastrointestinal-
trakt (Kolon,
nom). Ösophagus, Magen)
Die Schilddrüsenmetastase kann die einzige offensicht
liche Metastase sein. Obwohl es keine Einigung über die
Bedeutung der Operation bei diesen Patienten gibt, emp
fehlen die meisten Endokrinologen und endokrinen Chir
6. Melanom
urgen die Lobektomie. Bei größeren Metastasen oder Be
teiligung beider Schilddrüsenlappen kann eine fast totale
Thyreoidektomie erforderlich sein. Häufig handelt es sich
um einen palliativen Eingriff, wobei die aggressive operati
ve Behandlung von Schilddrüsenmetastasen bei Patienten
mit isoliertem metastasiertem Nierenzellkarzinom kurativ
war. Bei Metastasen, die sich nicht vollständig entfernen
lassen, kann eine externe Bestrahlung erwogen werden. Abb. 2.28
Bei multiplen Metastasen ist eine systemische Chemothe
rapie indiziert.
KAPITEL
3 Nebenniere
Entwicklung der Nebennieren 65
Definitive Aorta
Nebennierenrinde
Nebenniere
Niere
8. Entwicklungswoche
7. Entwicklungswoche
Abb. 3.1
Die erste ausführliche Beschreibung der Anatomie der schwindet, ein Drittel ihres Gewichts. Die bei der Geburt wicklungswoche), bekommen Massen dieser einwandern-
Nebennieren erfolgte 1563 durch Bartholomeo Eustachi. dünne äußere, permanente Rinde differenziert sich, sobald den chromaffinen Zellen Kontakt mit der Rinde und drin-
Jede Nebenniere besteht aus Rinde und Mark und ist von sich die innere primitive Rinde zurückbildet. Die Differen- gen medial in sie ein. In der Mitte der Fetalzeit sind einige
einer Kapsel umgeben. Die Rinde entstammt dem mesen- zierung der permanenten Nebennierenrinde in die drei der chromaffinen Zellen in den zentralen Anteil der Rinde
chymalen und das Mark dem ektodermalen Gewebe. In Zonen der adulten Drüse (Zona glomerulosa, Zona fasci- gewandert. Einige der chromaffinen Zellen bilden Para-
der 5.–6. Entwicklungswoche entsteht die Nebennieren- culata und Zona reticularis) ist jedoch erst im 3. Lebens- ganglien, das sind Ansammlungen chromaffiner Zellen auf
rinde als Proliferation von Zölomepithelzellen der benach- jahr beendet und hängt von der vorübergehenden Expres- beiden Seiten der Aorta. Der größte Cluster chromaffiner
barten Urogenitalleiste. Die Zellen proliferieren rasch, pe- sion von Transkriptionsfaktoren ab (z. B. steroidogener Zellen außerhalb des Nebennierenmarks liegt in Höhe der
netrieren das retroperitoneale Mesenchym und bilden die Faktor 1, Zona-glomerulosa-spezifisches Protein und In- A. mesenterica inferior und wird als Zuckerkandl-Organ
primitive Rinde. Diese wird bald von einer dünnen Lage ner-zone-Antigen). bezeichnet. Es ist beim Fetus recht stark ausgebildet und
kompakt angeordneter Zellen umschlossen, aus denen die Aus der Neuralleiste gehen bestimmte ektodermale Zel- im 1. Lebensjahr eine wichtige Katecholaminquelle.
permanente Rinde wird; auch hierbei handelt es sich um len hervor, verlassen ihren Ursprungsort und differenzie- Echte akzessorische Nebennieren aus Mark und Rinde
Zölomepithelzellen. In der 8. Entwicklungswoche hat das ren sich in die sympathischen Neurone des vegetativen sind beim Erwachsenen selten und liegen dann im Plexus
Rindengewebe eine enge Beziehung zum kranialen Nieren- Nervensystems. Allerdings differenzieren nicht alle Zellen coeliacus oder in der Nierenrinde. Nebennierenreste sind
pol. Gegen Ende der 8. Woche hat die Rinde eine beträcht- der primitiven autonomen Ganglien in Neurone. Aus eini- hingegen häufig und befinden sich in der Regel in der Nähe
liche Größe erreicht, trennt sich von seiner peritonealen gen werden endokrine Zellen, die als chromaffine Zellen der Nebennieren. Beim Erwachsenen kann akzessorisches
Mesothelzellschicht und wird von einer Bindegewebskap- bezeichnet werden, da sie durch Chromsalze braun anfär- versprengtes Rinden- oder Markgewebe in der Milz, im
sel eingeschlossen. Zu diesem Zeitpunkt ist die sich entwi- ben. Die zytoplasmatischen Granula werden bei der Anfär- Retroperitonealraum unter den Nieren, entlang der Aorta
ckelnde Nebenniere weitaus größer als die sich entwi- bung mit Chromsäure aufgrund der Oxidierung von Adre- und im Becken vorkommen. Da die Nebennieren in der
ckelnde Niere. nalin und Noradrenalin zu Melanin dunkel. Einige der Frühentwicklung nahe der Gonaden liegen, kann sich auch
Die primitive oder fetale Rinde stellt bei der Geburt den chromaffinen Zellen wandern von den primitiven autono- im Samenstrang, am Hoden im Skrotum, am Ovar oder im
Großteil der Nebenniere. Bis zur 2. Lebenswoche verlieren men Ganglien neben der sich entwickelnden Nebennieren- Lig. latum uteri akzessorisches Gewebe befinden. Sehr sel-
die Nebennieren infolge der Degeneration der massigen rinde ein und bilden das Nebennierenmark. Sobald die ten kann nur eine Nebenniere vorhanden sein.
Rinde, die bis zum Ende des 1. Lebensjahres ganz ver- Nebennierenrinde klar abgrenzbar ist (im Laufe der 7. Ent-
66 3 Nebenniere
zelnen, großen venösen Stamm geleitet, der leicht auf- A. und V. renalis sinistra
findbar ist.
Das arterielle Blut erreicht die Nebennieren über unter- Abb. 3.2
schiedlich viele dünne, kurze, astförmige Arterien, welche
die Nebennieren in einem arteriellen Kreislauf umgeben
(› Abb. 3.5). Man unterscheidet drei Typen: kurze Kap- medialen Seite der rechten Nebenniere am Übergang vom Operationsverfahren
selarterien, intermediäre Rindenarterien und lange Äste, oberen zum mittleren Drittel. Die V. suprarenalis sinistra
die durch Rinde, Mark und Sinusoide ziehen. Diese kleinen liegt inferomedial und drainiert direkt in die V. renalis si- Das Vorgehen bei der Operation der Nebennieren erfolgt
Arterien sind Endäste der A. phrenica inferior und bilden nistra. Oft mündet die V. phrenica inferior sinistra in die abhängig vom pathologischen Prozess, von der Tumorgrö-
superior die A. suprarenalis superior (entlang dem super A. suprarenalis sinistra, bevor Letztere in die V. renalis ße, der Patientengröße und vorausgegangener Operatio-
ioren medialen Organrand). Die A. suprarenalis media mündet. nen. Es gibt kein universell geeignetes Verfahren und das
geht von der Aorta ab und die A. suprarenalis inferior am Die arteriellen und venösen Kapillaren in der Nebennie- Entfernen der erkrankten Drüse oder eines adrenalen Tu-
inferomedialen Rand der Nebenniere aus der A. renalis. re unterstützen die Funktion von Rinde und Mark. So mors kann gelegentlich sehr schwierig sein.
Ergänzend finden sich weitere Äste von Gefäßen in der Nä- fließt cortisolreiches Blut von der Rinde zum Mark, wo
he der Drüse, wie der A. ovarica bei Frauen und der A. tes- Cortisol die Aktivität der Phenylethanolamin-N-Methyl-
ticularis beim Mann (links). transferase erhöht, die Noradrenalin zu Adrenalin um- Offene transabdominale Adrenalektomie
Das venöse Blut der rechten Nebenniere drainiert durch baut. Extraadrenales chromaffines Gewebe besitzt keine
die V. suprarenalis dextra in die V. cava. Diese Vene ist mit derart hohen Cortisolspiegel und kann daher nur Noradre- Der Patient liegt auf dem Rücken. Die Inzision erfolgt als
4–5 mm kurz und verläuft in einer Rinne auf der antero- nalin produzieren. erweiterter Subkostalschnitt oder als Mittelschnitt bei
Anatomie und Gefäßversorgung der Nebennieren 67
(Fortsetzung)
engem Rippenwinkel oder bilateraler Nebennieren V. cava inferior Aa. phrenicae inferiores
erkrankung. Der Zugang zur linken Nebenniere erfolgt Ösophagus
durch das Lig. gastrocolicum in die Bursa omentalis. Die Aa. suprarenales V. phrenica inferior sinistra
linke Nebenniere wird durch Anheben der Facies inferior superiores dextrae
Aa. suprarenales
des Pankreas, Eröffnung der Gerota-Faszie und Herab- superiores sinistrae
ziehen des oberen Nierenpols freigelegt. Der Zugang zur
rechten Nebenniere erfolgt durch Mobilisierung der V. suprarenalis
dextra Linke
rechten Kolonflexur nach inferior und Anheben des
Nebenniere
rechten Leberlappens.
Truncus
A. suprarenalis coeliacus
Offene posteriore Adrenalektomie media dextra
Laparoskopische transabdominale
Adrenalektomie
coeliaci des Truncus vagalis posterior zum Plexus coelia- N. splanchnicus lumbalis dexter I
Ganglion mesentericum superium
cus. Manche von ihnen sind an der Innervation der Neben- Rückenmark
Columna intermediolateralis
nieren beteiligt und werden in den Ganglien nahe der Drü- (Seitenhorn der grauen Substanz) Nebenniere
se umgeschaltet.
Th5 Medulla Kortex
Auf jeder Seite bilden die adrenalen Nerven einen Ple-
Nn. splanchnici
xus adrenalis entlang dem medialen Rand der Nebenniere. Postganglionäre
(präganglionäre Fasern)
Ein feiner Plexus subcapsularis überzieht die Drüse mit Th6 Fasern für die
feinen Filamenten, in die gelegentlich Ganglionzellen ein- Ganglion coeliacum Blutgefäße
Th7
gelagert sind und von denen Faszikel oder einzelne Fasern
durch die Rinde zum Mark ziehen, ohne dabei die Rinden- Th8
zellen, wohl aber die Rindengefäße zu versorgen. Die meis-
ten dieser Äste des Plexus adrenalis dringen jedoch nahe Truncus sympathicus
dem oder im Hilum als kompakte Bündel in die Drüse ein,
von denen einige die Aa. suprarenales begleiten. Diese
Bündel ziehen durch die Rinde zum Mark, wo sie sich stark
verzweigen und überwiegend synaptisch in der Umgebung
Präganglionäre Fasern zu
der medullären chromaffinen Zellen enden. Einige Fasern
den Zellen des Neben-
invaginieren die Plasmamembranen dieser Zellen, penet- nierenmarks
rieren sie aber nicht. Die präganglionären sympathischen
Fasern enden direkt an den medullären Zellen, da diese Abb. 3.4
Zellen sympathischen Ursprungs und Homologe von sym-
pathischen Ganglienzellen sind. Andere Fasern innervie-
ren die Nebennierengefäße, auch die zentrale Vene. balen Rückenmarks weitergeleitet werden. Die präganglio-
Im Rahmen der Kampf-oder-Flucht-Reaktion geben das nären sympathischen Fasern verlassen das Rückenmark
Nebennierenmark und das sympathikoneuronale System und bilden in den paravertebralen und präaortalen Gangli-
Katecholamine ab. Dadurch kommt es zur Vasokonstrikti- en des Truncus sympathicus Synapsen. Die präganglionä-
on in Haut und Organen mit nasskalter Haut, Angst, Er- ren Axone aus den unteren thorakalen und den lumbalen
regtheit, Aufstellen der Körperhaare, Tachykardie, dila- Ganglien innervieren über den N. splanchnicus das Ne-
tierten Pupillen, Hyperventilation, Hyperglykämie, redu- bennierenmark und verzweigen sich zwischen den Mark-
zierter gastrointestinaler Motilität und reduzierter Urin- zellen. In den Ganglien ist Acetylcholin der Neurotrans-
ausscheidung. Diese Reaktion wird durch neurale Reize mitter, während die postganglionären Fasern Noradrena-
von mehreren Gehirnbereichen ausgelöst (z. B. Hypothala- lin abgeben. Die chromaffine Zelle des Nebennierenmarks
mus, Pons und Medulla), die zu Synapsen auf den Zellkör- entspricht einer postganglionären Faser und besitzt als
pern der Columnae intermediolaterales des thorakolum- chemische Transmitter Adrenalin und Noradrenalin.
Histologie der Nebennieren 69
1β
c1
des Cortisonspiegels im Blut nehmen die pulsatile Sekreti- Sekretion 11 O
50
P4
on von ACTH-releasing-Hormon (CRH) und ACTH zu Adenohypophyse
11-Deoxycortisol
und erhöhen die Cortisolspiegel, die wiederum die weitere
1
c2
Freisetzung von CRH und ACTH hemmen. Die Feedback- 21
50
Kontrolle der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-
P4
Deoxycorticosteron
Achse wird von einer diurnalen Variation der ACTH-Se- ACTH 17-Hydroxyprogesterone
1 P450c11β 11
kretion begleitet. Pulsfrequenz und -amplitude von ACTH c2
0
45
7
sind zwischen 2 und 8 Uhr morgens am höchsten. Nach
c1
P 21 Corticosteron
50
17 e
8 Uhr nimmt die Sekretion von ACTH und Cortisol all- ind
P4
r
mählich ab und erreicht in den späten Abendstunden ih- 21 22 23 r en +
26 n nie P450c11AS 18
ren Tiefstpunkt. Der zirkadiane Rhythmus hängt vom 111218 20 24 25 Progesteron be
1 19 13 17 16 27 Ne CH2OH
Schlaf-wach- und Tag-Nacht-Rhythmus ab. Bei Übersee- 2 14 15
3 10 9 8
O=
–
C=O
reisen kann es 10–14 Tage dauern, bis sich der zirkadiane HO 4 5 6 7 HO H-C
D
HS
(Fortsetzung)
Leber
Blutkreislauf ↑ Bei oraler Östrogengabe, Schwanger- tochondrien. In der Zona glomerulosa bauen P450c11β
schaft oder aktiver Hepatitis und Aldosteronsynthase (P450c11AS) Deoxycorticosteron
CBG ↓ Bei Zirrhose, nephrotischem Syndrom,
CBG Plasmozytom oder Hyperthyreose
zu Corticosteron um. P450c11AS ist auch für die 18-Hy
Cortisol
11β -HSD1 droxylierung und 18-Methyloxidierung von Corticosteron
Cortisol Cortison
zu Aldosteron über das Zwischenprodukt 18-Hydroxycor-
Inaktivierung (Reduktion und Hydroxylierung): ticosteron erforderlich. Während die Aldosteronsekretion
Freies
Konjugation, vor allem mit Glukuronsäure
Cortisol durch die begrenzte Expression von CYP11B2 auf die Zona
≈ 10 %
Inaktivierung (Reduktion und Hydroxylierung): glomerulosa beschränkt ist, kann diese kein Cortisol pro-
Konjugation mit Glukuronsäure
Cortisol duzieren, da sie keine CYP17 exprimiert. In der Zona reti-
Albumin cularis fördern hohe Spiegel von Cytochrom b5 die
Inaktivierung: Konjugation, vor allem mit Sul-
fat und weniger mit Glukuronsäure
17,20-Lyase-Aktivität der 17α-Hydroxylase und die Pro-
duktion von DHEA, das durch die 3β-Hydroxysteroid-
Angiotensin II Angiotensinogen Dehydrogenase zu Androstendion umgebaut oder in der
Hohes Zona reticularis durch die DHEA-Sulfotransferase (SUL-
Kalium
T2A1) zu DHEA-S sulfatiert wird. Androstendion kann
ACTH Renin durch die 17β-Ketosteroidreduktase (17β-HSD3) in Ne-
Niere Cortison 20–130 μg/24 h
11β- bennieren oder Gonaden zu Testosteron umgebaut wer-
Cortisol 10–50 μg/24 h
HSD2 den.
Cortisol
Cortison
Tetra- und Dihydrocortisol Unter normalen Umständen werden in 24 Stunden 10
und Cortisonglukuronid bis 20 mg Cortisol und 0,1–0,15 mg Aldosteron produziert.
sowie andere C21-Derivate
Aldosteron 5–10 mg/24 h Die erwachsene Nebenniere produziert in 24 Stunden etwa
4 mg DHEA, 10 mg DHEA-S, 1,5 mg Androstendion und
Aldosteron 1–5 μg/24 h
0,05 mg Testosteron. Testosteron hat die 60fache androge-
3-Oxoderivat ne Potenz des potentesten 17-Ketosteroids (mit einem
5–15 μg/24 h
17-Ketosteroide
Sauerstoffatom in Position 17). Die adrenalen Androgene
Tetra- und Dihydro-
aldosteronglukuronid machen bei prämenopausalen Frauen etwa 50 % der zirku-
20–30 μg/24 h lierenden Androgene aus. Die Nebennieren produzieren
kleine Mengen von Estradiol (gebildet aus Testosteron)
17-Ketosteroide: Sulfate
(und Glukuronide)
und Estron (gebildet aus Androstendion). Beide werden
5–15 mg/24 h nach der Menopause wichtig, wenn die Nebennieren bei
Frauen die einzige Östrogenquelle sind.
Etwa 90 % des Plasmacortisols sind überwiegend an Corti-
sol-binding Globulin (CBG) und in geringerem Umfang an
Albumin gebunden. Die hepatische CBG-Produktion ist
bei Patientinnen, die oral Östrogene einnehmen (z. B. orale
Kontrazeptiva oder postmenopausaler Hormonersatz), bei
Schwangeren und bei aktiver Hepatitis erhöht. Reduziert
sind die CBG-Plasmaspiegel bei Zirrhose, nephrotischem
Syndrom, multiplem Myelom und Hyperthyreose. Bei der
Cortisolbestimmung muss die Summe des gebundenen
und des freien Serumcortisols ermittelt werden; der CBG-
Spiegel hat einen erheblichen Einfluss auf die gemessenen
Abb. 3.6
Cortisolspiegel, die bei oraler Östrogeneinnahme hoch und
bei niedrigen CBG-Spiegeln reduziert sind. In diesen Fäl-
matischen Retikulum liegen und der Elektronentransfer koidsynthese. (Die Zona glomerulosa exprimiert kein len wird der freie oder ungebundene Cortisolspiegel oder
durch Nikotinamidadenindinukleotidphosphat durch das P450c17.) P450c17 besitzt auch 17,20-Lyase-Aktivität, die die renale Ausscheidung von freiem Cortisol, das freie
Enzym P450-Oxidoreduktase (P450 OR) erfolgt. Die zur Produktion der adrenalen C19-Androgene führt (Dehy- Urincortisol (entspricht etwa 1 % der totalen Cortisolsekre-
17,20-Lyase-Aktivität von 17α-Hydroxylase setzt Flavo- droepiandrosteron [DHEA] und Androstendion). Der tion), gemessen.
protein b5 voraus, das als allosterischer Kofaktor der überwiegende Teil der adrenalen Androstendionprodukti- Die Plasmahalbwertszeit von Cortisol liegt bei 60 bis
CYP17- und P450-OR-Interaktion fungiert. on hängt von der Konversion von Dehydroepiandrosteron 120 Minuten. Die Interkonversion von Cortisol und Corti-
Im Zytoplasma wird Pregnenolon durch die durch die 3β-HSD zu Androstendion ab. Die 21-Hydroxy- son durch die 11β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase (11β-
3β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase (3β-HSD) mit Dehy lierung von Progesteron in der Zona glomerulosa oder von HSD) steuert die lokale Kortikosteroidwirkung. Es gibt
drogenierung der 3-Hydroxyl-Gruppe und Isomerisierung 17-Hydroxyprogesteron (Zona fasciculata) erfolgt durch zwei 11β-HSD-Isozyme: 11β-HSD1 wird vor allem in der
der Doppelbindung an C5 zu Progesteron umgebaut. Pro- die 21-Hydroxylase (P450c21) zu Deoxycorticosteron bzw. Leber exprimiert und baut Cortison zu Cortisol um,
gesteron wird durch die Aktivität der 17α-Hydroxylase 11-Deoxycortisol. Der letzte Schritt der Cortisolbiosyn 11β-HSD2 liegt in der Nähe der Mineralokortikoidrezepto-
(P450c17) zu 17-Hydroxyprogesteron hydroxyliert. Die these – die Konversion von 11-Deoxycortisol zu Cortisol ren von Niere, Kolon und Speicheldrüsen und inaktiviert
17-Hydroxylierung ist eine Voraussetzung der Glukokorti- durch die 11β-Hydroxylase (P450c11β) – erfolgt in den Mi- Cortisol zu Cortison. Durch reduzierte 11β-HSD2-Aktivität
72 3 Nebenniere
(Fortsetzung)
3β-Hydroxysteroiddehydrogenase
3β-HSD1 HSD3B1 Plazenta, Leber, Gehirn Pregnenolon, 17α-OH-Pregnenolon
(3 β-HSD1) (Typ-I-Isozym)
Pregnenolon, 17α-OH-Pregnenolon,
17α-Hydroxylase/17,20-Lyase P-450c17 CYP17 ZF, ZR, Gonaden, Gehirn
Progesteron, 17α-OH-Progesteron
11-Deoxycortisol,
11β-Hydroxylase P-450c11β CYP11B1 ZG, ZR, Gehirn
11-Deoxycorticosteron
Deoxycorticosteron,
Aldosteronsynthase P-450c11AS CYP11B2 ZG, Gehirn, Herz
18-OH-Corticosteron
Abkürzungen: DHEA = Dehydroepiandrosteron, ZF = adrenale Zona fasciculata, ZG = adrenale Zona glomerulosa, ZR = adrenale Zona reticularis
Abb. 3.7
entsteht ein Mineralokortikoidexzess. Cortisol ist ein po- zentration und normale Plasmacortisolspiegel. Die Dia xylierung zu Tetrahydrocortisol und Tetrahydrocortison
tentes Mineralokortikoid und bei Enzymmangel akkumu- gnose wird durch den Nachweis eines anormalen Quotien- und rascher Konjugierung mit Glukuronsäure und Aus-
lieren hohe Cortisolspiegel in der Niere. Somit verhindert ten von Cortisol zu Cortison im 24-Stunden-Sammelurin scheidung mit dem Urin. Somit erfolgt der Cortisolstoff-
11β-HSD2 normalerweise, dass physiologische Glukokor- gestellt (z. B. > 10 : 1). Der Mineralokortikoidexzesss durch wechsel vornehmlich in Leber und Niere.
tikoide am nichtselektiven Mineralokortikoidrezeptor wir- ektope ACTH-Sekretion, der oft bei Patienten mit Cus- Aldosteron wird auch in der Leber metabolisiert, wo es
ken, indem es sie in die inaktive 11-Ketokomponente Cor- hing-Syndrom auftritt, hängt mit der hohen Cortisolpro- eine Tetrahydroreduktion durchläuft und von den Nieren
tison umwandelt. Die 11β-HSD2-Aktivität kann hereditär duktion zusammen, welche die 11β-HSD2-Aktivität über- als 3-Glukuronidtetrahydroaldosteron ausgeschieden wird.
oder sekundär durch pharmakologische Hemmung durch steigt. Von diesem Konjugat werden täglich 20–30 μg mit dem
Glycyrrhizinsäure, den aktiven Wirkstoff der Süßwurzel Normalerweise ist die Cortisonkonzentration im Urin Urin ausgeschieden. Außerdem finden sich 5–15 μg/d des
(Glycyrrhiza glabra), reduziert sein. Der klinische Phäno- etwa 2–3-mal höher als die Cortisolkonzentration. Der Aldosteron-3-Oxoglukuronsäure-Konjugats als hydroly-
typ von Patienten mit Mineralokortikoidexzess umfasst Umbau von Cortisol und Cortison folgt ähnlichen Wegen sierbares Aldosteron. Ein weitaus kleinerer Teil von Aldos-
Hypertonie, Hypokaliämie, metabolische Alkalose, niedri- mit Reduktion der Doppelbindung von C4–5 zu Dihydro- teron (1–5 μg) taucht als freie Form im Urin auf.
ge Plasmareninaktivität, niedrige Plasmaaldosteronkon- cortisol oder Dihydrocortison mit anschließender Hydro-
Die biologischen Wirkungen von Cortisol 73
b. Kraniales MRT. Bei allen Patienten mit d. Abdominales CT. Bei Patienten mit ACTH-
Bestätigungstests ACTH-abhängigem Cushing-Syndrom ist ein unabhängigem Cushing-Syndrom zeigt eine
MRT der Hypophyse mit Gadolinium-Diethylen- Computertomografie der Nebennieren meist
Bei einer 24-Stunden-Urinausscheidung von freiem Corti- triaminpentaessigsäure indiziert. die Art der Erkrankung.
sol > 200 μg/24 h (> 552 nmol/24 h) und klinischem Bild
eines Cushing-Syndroms sind weitere Untersuchungen er- Abb. 3.10
forderlich. Bei „weichen“ klinischen Befunden und einer
Ausscheidung < 200 μg/24 h (< 552 nmol/24 h) sollte durch Erkrankung können im niedrig dosierten Dexamethason- gig (ACTH nicht nachweisbar) eingestuft. Bei ACTH-abhän-
den niedrig dosierten Dexamethasontest (Dexamethason test eine Suppression aufweisen. gigem Cushing-Syndrom ist grundsätzlich eine MRT der
0,5 mg p. o. alle 6 h für 48 h) ein autonomer Hypercortiso- Hypophyse mit Gadopentetat-Dimeglumin indiziert. Bei
lismus ausgeschlossen werden. Eine 24-Stunden-Urinaus- Nachweis eines Hypophysentumors (≥ 4 mm) und klini-
scheidung von freiem Cortisol > 10 μg/24 h (28 nmol/24 h) Klassifikation schen Veränderungen im Sinne einer hypophysären Erkran-
bestätigt die Diagnose. Der niedrig dosierte Dexametha- kung sind in der Regel keine weiteren Untersuchungen erfor-
sontest ist jedoch bei Weitem nicht perfekt (Sensitivität Die Subtypenevaluation sollte individualisiert und erst dann derlich. Kleine hypophysäre Läsionen (< 4 mm) finden sich
79 %, Spezifität 74 % und Genauigkeit 71 %). Der Test erfolgen, wenn das Cushing-Syndrom bestätigt ist. Viele der oft beim Gesunden und gelten als unspezifisch; hier sollte
funktioniert bei geringem Verdacht auf ein Cushing-Syn- Tests sind bei schwerem klinischem Cushing-Syndrom über- ebenso wie bei einer in der MRT normalen Hypophyse ein
drom am besten. Bei starkem klinischem Verdacht schließt flüssig und würden die lebensrettende Therapie nur unnötig Sinus-petrosus-Katheter durchgeführt werden. Bei ACTH-
eine normale Suppression ein ACTH-abhängiges Cushing- hinauszögern. Der Hypercortisolismus wird als ACTH-ab- unabhängigem Cushing-Syndrom ergibt sich die Art der Ne-
Syndrom nicht aus; Patienten mit leichter hypophysärer hängig (normal hohe ACTH-Spiegel) oder ACTH-unabhän- bennierenerkrankung in der Regel in der CT.
SpecialChar_Bold_6pt
76 3 Nebenniere
Cortisol
Deoxycorticosteron (DOC)
Abb. 3.11
Das endogene Cushing-Syndrom ist entweder ACTH-abhän- ACTH-abhängiges Cushing-Syndrom Zellveränderungen finden sich bei allen Formen des Hy-
gig oder ACTH-unabhängig. Das ACTH-abhängige Cushing- percortisolismus (z. B. ektopem, adrenalem und exogenem
Syndrom führt zur bilateralen Nebennierenrindenhyperpla- Häufig besteht ein hypophysäres Cushing-Syndrom. Etwa ACTH). Es handelt sich um eine Atrophie der normalen
sie. Die häufigste Ursache des endogenen Hypercortisolismus 95 % der ACTH-produzierenden Hypophysentumoren ACTH-produzierenden basophilen Hypophysenzellen
ist ein ACTH-produzierendes Hypophysenadenom (Cushing- sind Mikroadenome (≤ 10 mm), die in der Hälfte der Fälle durch das negative Cortisol-Feedback, gegen das die Ade-
Syndrom), seltener sind Tumoren, die ACTH (ektopes ACTH- nicht mittels MRT nachweisbar sind. Die ACTH-Serum- nomzellen relativ resistent sind. Der Serumspiegel von
Syndrom) oder Corticotropin-releasing-Hormon (CRH) pro- spiegel von Patienten mit ACTH-produzierenden Mikro Dehydroepiandrosteronsulfat (DHEA-S), einem ACTH-
duzieren. Sehr selten ist eine eutope CRH-Überproduktion adenomen liegen in der Regel im Normalbereich, sind aber abhängigen adrenalen Androgen, ist bei hypophysärem
verantwortlich. Das ACTH-unabhängige Cushing-Syndrom in Anbetracht des Hypercortisolismus unangebracht. Im Cushing-Syndrom leicht erhöht. Die Behandlung der Wahl
entsteht durch ein Nebennierenadenom oder -karzinom, eine Gegensatz dazu liegen die ACTH-Serumspiegel bei ACTH- bei ACTH-produzierenden Hypophysyentumoren ist die
ACTH-unabhängige makronoduläre Nebennierenhyperplasie produzierenden Makroadenomen in der Regel über dem selektive transnasale endoskopische Adenomektomie.
(AIMAH) oder eine primäre pigmentierte noduläre adreno- Referenzbereich und können zur Hyperpigmentierung Nichthypophysäre, exzessiv ACTH-produzierende Tu-
kortikale Erkrankung (PPNAD) (› Abb. 3.12). führen. Die erhöhten ACTH-Serumspiegel führen zu einer moren führen zum ektopen ACTH-Syndrom mit deutli-
Das klinische Bild hängt von der Pathophysiologie ab. bilateralen Nebennierenrindenhyperplasie und zur exzes- cher bilateraler Nebennierenrindenhyperplasie und Hy-
Bei exzessiv erhöhten adrenalen Androgenen (z. B. bei ek- siven Cortisolproduktion. Die Nebennierenrinden sind in percortisolismus. Die erhöhten Cortisol-Serumspiegel
topem ACTH-Syndrom oder Nebennierenrindenadenom) der Regel leicht hyperplastisch und wiegen jeweils 6–12 g hemmen die Freisetzung von CRH aus dem Hypothalamus
können Hirsutismus, Akne und ein zurückweichender (normalerweise jeweils 4–6 g). Beim ektopen ACTH-Syn- und von ACTH aus der Hypophyse. Die häufigste Ursache
Haaransatz vorhanden sein. Bei deutlich erhöhten Corti- drom wiegen die Nebennieren in der Regel jeweils > 12 g. ist ein bronchialer Karzinoidtumor. Andere möglicherwei-
solspiegeln (z. B. beim ektopen ACTH-Syndrom) bestehen Die Befunde und Symptome sowie die Pathologie des se ACTH-produzierende Tumoren sind das kleinzellige
oft eine schwere Hypertonie und Hypokaliämie. Wenn sich Cushing-Syndroms entstehen vor allem durch Cortisol. Bronchialkarzinom, das medulläre Schilddrüsenkarzinom,
der Hypercortisolismus langsam über mehrere Jahre ent- Aber auch die adrenalen Androgene können erhöht sein das Thymuskarzinoid, pankreatische neuroendokrine Tu-
wickelt (z. B. hypophysäres Cushing-Syndrom, AIMAH und es kann eine exzessive Mineralokortikoidwirkung vor- moren und das Phäochromozytom. Der Mineralokortikoid
oder PPNAD), stehen oft zentrale Adipositas, Osteoporose handen sein. Bei ACTH-produzierenden Hypophysenade- exzess durch die ektope ACTH-Sekretion entsteht durch
und proximale Muskelschwäche im Vordergrund. Bei nomen färbt das Mikroadenom immunhistochemisch auf die hohe Cortisolproduktion, welche die Kapazität der
deutlich erhöhten ACTH-Spiegeln steht oft die Hyperpig- ACTH an, während das umgebende nichttumoröse korti- 11β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase Typ 2 übersteigt, so-
mentierung der Haut im Vordergrund. kotrope Gewebe oft hyalinisiert ist (Crooke-Zellen). Diese dass Cortisol freien Zugang zum Mineralokortikoidrezep-
Pathophysiologie des Cushing-Syndroms 77
(Fortsetzung)
Hemmung des hypothalamischen CRH und des hypophysären ACTH Nachweisgrenze). Für gewöhnlich erzeugen nur Nebennie-
renadenome mit einem Durchmesser ≥ 2,5 cm ausrei-
chend hohe Cortisolmengen, um ein klinisches Cushing-
Beidseitige primäre Atrophie der
Syndrom auszulösen. Behandlung der Wahl bei einem
Nebennierenerkrankung kontralateralen
Nebennierenrinde isolierten Nebennierenadenom ist die unilaterale laparo
skopische Adrenalektomie.
Nebennierenkarzinome können auf das Organ be-
Fehlendes
oder sehr schränkt sein oder metastasiert haben (regionale Lymph-
Primär pigmentierte noduläre niedriges ACTH knoten oder Fernmetastasen in Lunge und Leber). Auch
adrenokortikale Erkrankung (PPNAD) hier atrophieren die umgebende und die kontralaterale
Einseitige primäre
Nebennierenerkrankung Nebennierenrinde. Etwa die Hälfte der Nebennierenkarzi-
Nebennieren- nome produziert ein oder mehrere Hormone (z. B. Gluko-
karzinom kortikoide, Mineralokortikoide, adrenale Androgene). Bei
Nebennieren-
ACTH-unabhängige massive adenom
Nebennierenhyperplasie hormonaktiven Nebennierenkarzinomen ist der Serum-
(AIMAH) spiegel von DHEA-S in der Regel erhöht. Außerdem be-
steht oft eine übermäßige Produktion von DOC und Aldo-
steron mit hypokaliämischer Hypertonie. Die Behandlung
erfolgt möglichst durch eine offene Laparotomie mit En-
bloc-Resektion des Tumors. Selbst bei offenbar kurativer
Operation besteht eine hohe Rezidivrate mit einer 5-Jah-
res-Überlebensrate von 30 %.
Cortisol:
Leicht erhöht: hypophysä- Die bilaterale makronoduläre Nebennierenhyperplasie
res Mikroadenom, (Nebennierengewicht in der Regel jeweils 100–500 g) ent-
Nebennierenandrogene: Mineralokortikoide Wirkung: AIMAH, PPNAD
Niedrig: Nebennierenadenom,
Mittelstark erhöht: steht gelegentlich durch die inadäquate Expression eutoper
Niedrig: Nebennierenadenom, hypophysäres Makro-
AIMAH, PPNAD AIMAH, PPNAD adenom,
Rezeptoren (z. B. Gastric inhibitory Polypeptide, β-adrenerg,
Normal: hypophysäres Mikroadenom Normal: hypophysäres Mikroadenom
Erhöht: ektope ACTH-Produktion, Erhöht: ektope ACTH-Produktion,
Nebennierenadenom ADH, Serotonin oder luteinisierendes Hormon) oder die
Deutlich erhöht:
Nebennierenkarzinom, hypo- Nebennierenkarzinom, hypo- ektope ACTH-Produktion, vermehrte Expression eutoper Rezeptoren. Der Mechanis-
physäres Makroadenom physäres Makroadenom Nebennierenkarzinom mus der wahllosen Expression eutoper Rezeptoren ist unbe-
kannt. Häufig besteht ein leichtes und langsam fortschrei-
tendes Cushing-Syndrom. Sofern möglich, erfolgt eine bila-
Akne Mittelstarke Hypertonie Gewichtszunahme mit Stammfettsucht terale laparoskopische Adrenalektomie.
Klinisches Bild
III
Mangel von 17α-Hy- Estrogen
III CH3
droxylase (P450c17)
Das steroidogene akut-regulatorische Protein (StAR) 5-Pregnenolon C=O
HO CH3 OH
bringt Cholesterin von der äußeren zur inneren Mitochon- Mangel von 21-Hy-
IV II C=O
drienmembran, wo die Cholesterin-Monooxygenase in ei- droxylase (P450c21)
nem geschwindigkeitsbestimmenden Schritt durch Ab- Mangel von HO
V 11β-Hydroxylase 17α-Hydroxypregnenolon
spaltung der Seitenkette Cholesterin zu Pregnenolon um- O
(P450c11β) Progesteron
baut. Mutationen des für StAR kodierenden Gens führen
CH3 17,20-lyase
zur autosomal-rezessiv vererbten kongenitalen lipoiden III
C=O O
adrenalen Hyperplasie, der schwersten CAH-Form mit OH
IV
Mangel aller adrenalen und gonadalen Steroidhormone
CH2OH
und einer ACTH-induzierten Akkumulation von Choleste- O HO
C=O 17-Hydroxyprogesteron
rinestern in der Nebennierenrinde. Der Defekt der Steroid- Dehydroepiandrosteron
CH2OH
synthese verschlechtert sich mit dem Alter. IV C=O 17,20-
OH
O lyase
11-Deoxycorticosteron
CH2OH II O OH
II. 3β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase- V O
C=O 11-Deoxycortisol
Mangel HO CH2OH 17β-HSD3
V
C=H
HO OH O 17β-HSD2 O
Die 3β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase (3β-HSD) wandelt
O Androstendion Testosteron
Pregnenolon durch Dehydrierung der 3-Hydroxyl-Gruppe Corticosteron Cortisol Aromatase Aromatase
in eine Ketogruppe und Isomerisierung der Doppelbindung P450c11AS O
H CH2OH 11β- 11β- P450 P450
CH2OH
an C5 zu Progesteron um. Das Typ-1-Isoenzym von 3β-HSD O=C C=O HSD2 HSD1 O OH
HO C=O
(3β-HSD1) kommt in Plazenta, Leber sowie Gehirn und das O OH
Typ-2-Isoenzym (3β-HSD2) in Nebennierenrinde und Go-
naden vor. Mutationen des für 3β-HSD kodierenden Gens O HO HO
O
(HSD3B2) führen zu einer seltenen CAH-Form mit Mangel Aldosteron Cortison Estron Estradiol
von Cortisol, Aldosteron und gonadalen Steroiden. Auf-
grund des 3β-HSD2-Blocks akkumulieren Δ5-Pregnenolon, Abb. 3.13
17α-Hydroxypregnenolon, Dehydroepiandrosteron (DHEA)
und DHEA-Sulfat (DHEA-S).
IV. 21-Hydroxylase-Mangel Weitere enzymatische Schritte
III. 17α-Hydroxylase-Mangel Die 21-Hydroxylierung von Progesteron in der Zona glo- In der Zona glomerulosa konvertiert die Aldosteronsyntheta-
merulosa und 17-Hydroxyprogesteron in der Zona fascicu- se (P450c11AS) Corticosteron über 18-Hydroxycorticosteron
Progesteron wird durch die 17α-Hydroxylase (P450c17) zu lata erfolgt durch die 21-Hydroxylase (P450c21). Dabei zu Aldosteron. Die Aldosteronsekretion ist durch die be-
17-Hydroxyprogesteron hydroxyliert. Die 17-Hydroxylie- entstehen 11-Deoxycorticosteron bzw. 11-Deoxycortisol. grenzte Expression der Aldosteronsynthetase auf die Zona
rung ist eine Voraussetzung der Glukokortikoidsynthese. Der 21-Hydroxylase-Mangel ist mit 90 % die häufigste glomerulosa beschränkt, die kein Cortisol produzieren kann,
(Die Zona glomerulosa exprimiert kein P450c17). Außer- Form der CAH. Er wird autosomal-rezessiv vererbt und da sie keine 17α-Hydroxylase exprimiert. In der Zona reticu-
dem besitzt P450c17 17,20-Lyase-Aktivität, die zur Pro- führt zur vermehrten ACTH-abhängigen Produktion von laris fördern hohe Spiegel von Cytochrom b5 die 17,20-
duktion von adrenalen C19-Androgenen führt (DHEA und Progesteron, 17-Hydroxyprogesteron und adrenalen And- Lyase-Aktivität der 17α-Hydroxylase und die Produktion
Androstendion). Der 17α-Hydroxylase-Mangel ist eine rogenen. von DHEA, das durch die 3β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase
weitere seltene Form der CAH durch Mutationen in zu Androstendion umgebaut oder in der Zona reticularis
CYP17A1, die autosomal-rezessiv vererbt wird und zur durch die DHEA-Sulfotransferase zu DHEA-S sulfatiert wird.
vermehrten ACTH-abhängigen Produktion von 11-Deoxy- V. 11β-Hydroxylase-Mangel Androstendion kann durch die 17β-Ketosteroidreduktase
corticosteron und Corticosteron führt, die beide eine mi- (17β-HSD3) in Nebennieren oder Gonaden zu Testosteron
neralokortikoide Wirkung haben, sodass es zu Hypokali Der letzte Schritt der Cortisolsynthese ist die Konversion umgebaut werden. Die beiden Isoenzyme der 11β-Hydroxy
ämie und Hypertonie kommt. Die fehlende 17,20-Lyase- von 11-Deoxycortisol zu Cortisol durch die 11β-Hydroxy steroid-Dehydrogenase (11β-HSD) regeln die lokale Kortiko-
Aktivität führt zur reduzierten Produktion von Androgen lase (P450c11β). Der 11β-Hydroxylase-Mangel ist die steroidwirkung mit zwei Isoenzymen. Typ 1 (11β-HSD1)
und Estrogen, da das Androgensubstrat, das zu Östroge- zweithäufigste Form der CAH. Er wird autosomal-rezessiv wird primär in der Leber exprimiert und baut Cortison zu
nen aromatisiert wird, fehlt. vererbt und führt zur ACTH-abhängigen Akkumulation Cortisol um, während Typ 2 (11β-HSD2) im Mineralokorti-
von 11-Deoxycortisol, 11-Deoxycorticosteron und adrena- koidrezeptor in Niere, Kolon und Speicheldrüsen vorkommt
len Androgenen. Ursache sind CYP11B1-Mutationen. und Cortisol durch Umwandlung zu Cortison inaktiviert.
80 3 Nebenniere
HE-Färbung Fettfärbung
3β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase-
Mangel
(Fortsetzung)
Reize
rons sind an Albumin oder schwach an Corticosteroid- Blutverlust
binding Globulin gebunden; 30–50 % liegen in freier Form
vor. Aldosteron hat eine relativ kurze Halbwertszeit von Renin
15–20 Minuten und wird in der Leber rasch zu Tetrahy Atriales natriuretisches Peptid
droaldosteron inaktiviert. Der normal periphere Serum- Angiotensin II
Primärer Aldosteronismus
Leitsymptome des erstmals 1955 von Jerome Conn be- Mechanismen bei primären Aldosteronismus
schriebenen primären Aldosteronismus sind Hypertonus,
supprimiertes Renin und erhöhte Aldosteronsekretion. Natriure-
Die häufigsten Subtypen sind der bilaterale idiopathische tische
Hyperaldosteronismus und das aldosteronproduzierende Hauptwir-
kung im
Adenom. Die weitaus seltenere unilaterale adrenale Hyper- Angiotensinogen ↓ Reninsekretion Atriales medullären
plasie entsteht durch Hyperplasie der Zona glomerulosa natriure- Sammel-
vorwiegend einer Nebenniere. Es sind zwei Formen des fa- Angiotensin I Autonome ↑ Plasmavolumen tisches rohr
exzessive ↓ Urinnatrium Peptid
miliären Hyperaldosteronismus beschrieben. Der Typ I,
Angiotensin II Aldosteron- Stimulation der Natriumausschei-
der glukokortikoidsupprimierbare Aldosteronismus, wird sekretion Mineralokortikoidrezeptoren dung (Aldo-
autosomal-dominant vererbt und geht mit einer unter- steron-Escape)
schiedlich starken Überproduktion von Aldosteron einher, Aldosterone
die durch Glukokortikoide supprimierbar ist. Der Typ II Andere natriuretische
↑ K+-, H+-Exkretion Hormone, Druckna-
Die autonome Aldosteronsekretion
bezeichnet familiäre aldosteronproduzierende Adenome, ↑ Na+- H2O-Reabsorption triurese und Zunahme
durch ein Nebennierenadenom oder
idiopathischen Hyperaldosteronismus oder beide. Sehr eine -hyperplasie stimuliert die der NaCl-Transporter
selten erfolgt die Aldosteronüberproduktion durch eine renalen Mineralokortikoidrezeptoren, werden aktiviert und
erhöht die Natrium- und Wasser- ↑ Plasmavolumen führen zur Natriumex-
extraadrenale Neoplasie (z. B. Ovar). kretion und verhindern
reabsorption und damit auch das
Der primäre Aldosteronismus ist die häufigste Ursache Herzminutenvolumen. periphere Ödeme.
der sekundären Hypertonie (5 % der Fälle). Meist besteht Das erhöhte Herzminuten- Vermehrte Kalium-
keine Hypokaliämie, sondern eine asymptomatische, volumen und der erhöhte ausscheidung im Urin
leichte oder schwere Hypertonie. Der Aldosteronüber- periphere Gefäßwiderstand
führen zur Hypertonie.
schuss führt zum renalen Verlust von Kalium und Wasser- Der erhöhte Gefäßwiderstand
stoffionen. Bei Hypokaliämie bestehen häufig begleitend ist Folge der Autoregulation
eine Alkalose, eine Nykturie und Polyurie (durch ein hypo- der Durchblutung bei Zu- Hypokaliämie
nahme des Herzminuten- ↑ Peripherer ↑ Herzminuten-
kaliämisch bedingtes Versagen der renalen Konzentrati- volumens. Außerdem Gefäßwiderstand volumen
onsfähigkeit), Palpitationen, Muskelkrämpfe sowie ein wirkt Aldosteron direkt auf
positives Chvostek- und Trousseau-Zeichen. Bei Hyperto- die Gefäßmuskulatur. ↑ Blutdruck
nie und Hypokaliämie, therapierefraktärer Hypertonie,
Hypertonie und adrenalem Inzidentalom, Beginn der Hy- Klinisches Bild
pertonie bei unter 20-Jährigen oder schwerer Hypertonie
Primärer Aldosteronismus
sollte ein primärer Aldosteronismus ausgeschlossen wer- Plasmaaldosteronkonzentration
den. Suchtest ist eine einfache ambulante Blutentnahme (PAC) > 15 ng/dl
+
morgens zwischen 8 und 10 Uhr (Quotient aus Plasma Die hypokaliämische Alkalose Plasmareninaktivität (PRA)
aldosteron und Plasmareninaktivität) beim sitzenden Pa kann zum Chvostek- und < 1 ng/ml/h
tienten. Die vorherige Einnahme von Antihypertensiva ist Trousseau-Zeichen führen.
↑ Verhältnis PAC : PRA
möglich, außer Mineralokortikoidrezeptorantagonisten ↑ Muskelschwäche
und hoch dosiertem Amilorid. Da der Quotient bei Hypo- und -krämpfe
Bestätigungstestung
kaliämie falsch negativ ist, sollte ein etwaiger Kaliumman-
↑ Plasmaaldosteron-
gel zuvor behoben werden. Spezifität und Sensitivität die- konzentration (PAC) Subtyptestung
ses Suchtests liegen bei etwa 75 %. Bei allen Patienten mit
↓ Plasmareninaktivität Das CT (axiales
erhöhtem Quotienten sollte als Bestätigungstest ein Aldo Bild) zeigt ein 1 cm
(PRA)
steron-Suppressionstest durchgeführt werden. großes aldosteron-
↑ Polyurie und Nykturie produzierendes
Die unilaterale Adrenalektomie bei aldosteronproduzie- ↑ Blutdruck Adenom (Pfeil) im
rendem Adenom oder unilateraler adrenaler Hyperplasie lateralen Anteil der
normalisiert die Hypokaliämie bei allen Patienten. Auch rechten Nebenniere.
die Hypertonie wird bei allen Patienten gebessert sowie bei
30–60 % geheilt. Bei idiopathischem Hyperaldosteronis-
Abb. 3.18
mus wird die Hypertonie nur selten durch eine uni- oder
bilaterale Adrenalektomie korrigiert. Da der idiopathische
Hyperaldosteronismus und der glukokortikoidsuppri- adenome (≤ 1 cm) oder bilaterale Makroadenome dar. Da- vaskuläre Morbidität erhöht, sollte bei allen Patienten eine
mierbare Aldosteronismus medikamentös behandelt wer- her ist für eine korrekte Therapieentscheidung eine Neben- Normalisierung des Aldosteronserumspiegels oder eine
den, ist bei Patienten mit Operationswunsch eine präzise nierenvenenblutentnahme unerlässlich (› Abb. 3.19). Blockade der Mineralokortikoidrezeptoren angestrebt
Subtypbestimmung wichtig, die zunächst mittels Neben- Behandlungsziel ist die Prävention der mit Hypertonie, werden. Die unilaterale laparoskopische Adrenalektomie
nieren-CT erfolgt. Findet sich in der CT bei einem Patien- Hypokaliämie und kardiovaskulärem Schaden assoziierten ist eine ausgezeichnete Behandlungsoption bei aldosteron-
ten < 40 Jahre mit primärem Aldosteronismus ein kleines, Morbidität und Mortalität. Die Behandlung des primären produzierendem Adenom oder unilateraler adrenaler Hy-
einzelnes, hypodenses Makroadenom (> 1 cm und < 2 cm) Aldosteronismus erfolgt ursachenabhängig. Die Blut- perplasie. Bei idiopathischem Hyperaldosteronismus und
und ist die kontralaterale Nebenniere unauffällig, kann ei- drucknormalisierung sollte nicht das einzige Ziel sein. Mi- glukokortikoidsupprimierbarem Aldosteronismus sollten
ne unilaterale Adrenalektomie erwogen werden. Oft stellt neralokortikoidrezeptoren finden sich nicht nur in Niere Mineralokortikoidrezeptorblocker gegeben werden.
die CT normal erscheinende Nebennieren, minimale uni- und Kolon, sondern auch in Herz, Gehirn und Blutgefä-
lateral verdickte Nebennierenschenkel, unilaterale Mikro ßen. Da die Überproduktion von Aldosteron die kardio-
86 3 Nebenniere
Nebennierenvenenblutentnahme
bei primärem Aldosteronismus
Die meisten Patienten mit primärem Aldosteronismus
Katheter in den Nebennieren- Nebenniere
haben entweder einen bilateralen idiopathischen Hyper venen zur Messung des Aldosteron
V.
aldosteronismus, der am besten mit Mineralokortikoid Aldosterongehalts produzieren-
phrenica
des Adenom
rezeptorblockern behandelt wird, oder ein unilaterales inferior
aldosteronproduzierendes Adenom, das durch eine unila- Niere
terale laparoskopische Adrenalektomie behandelt wird
(› Abb. 3.18). Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass die
adrenale CT nur in etwa 50 % der Fälle die Aldosteronquel-
le lokalisieren kann und dass bei Patienten mit primärem
Aldosteronismus, die eine operative Therapie ihrer Hyper-
tonie wünschen, die Nebennierenvenenblutentnahme sehr
entscheidend ist.
Wichtig für eine erfolgreiche Blutentnahme aus der Ne-
bennierenvene sind eine sorgfältige Auswahl und Vorbe-
reitung der Patienten, Erfahrung mit der Technik, ein defi-
niertes Vorgehen und eine korrekte Auswertung. Entschei-
dend ist ein schriftliches Protokoll. Die meisten Zentren
verwenden eine kontinuierliche ACTH-Infusion (50 μg/h
ab 30 Minuten vor der Probennahme und bis zu deren En-
de) (1) zur Minimierung stressinduzierter Fluktuationen V. cava Inferior
der Aldosteronsekretion während der nichtsimultanen Ne-
bennierenvenenblutentnahme, (2) zur Maximierung des
Cortisolgradienten zwischen V. suprarenalis und V. cava
inferior und somit zur Bestätigung einer erfolgreichen
Blutentnahme aus der V. suprarenalis und (3) zur Maxi-
mierung der Aldosteronsekretion aus einem aldosteron-
produzierenden Adenom.
Die Vv. suprarenales werden sequenziell transfemoral
unter fluoroskopischer Sicht katheterisiert. Die korrekte
Lage der Katheterspitze wird durch Injektion einer kleinen V. iliaca communis
Kontrastmittelmenge bestätigt. Die Blutentnahme erfolgt
durch vorsichtige Aspiration aus beiden Vv. suprarenales.
Eine erfolgreiche Katheterisierung kann mehrere Kathe-
Lig. inguinale
terkonfigurationen erforderlich machen; eventuell erleich- V. iliaca externa
tert die Dampfformung der Katheterspitze während des
Verfahrens den Zugang zu den Vv. suprarenales und das
Anlegen von seitlichen Löchern nahe der Katheterspitze
die Blutentnahme.
Die V. suprarenalis dextra tritt mehrere Zentimeter über
der V. renalis dextra von posterior in die V. cava inferior V. femoralis
ein. Sie ist aus mehreren Gründen schwieriger zu katheteri-
sieren als die linke; sie ist kurz, hat einen geringen Durch- Katheter in den Vv. femorales
messer und verläuft oft gewunden, sodass die Katheterspit-
ze in der Intima hängen bleibt und die Blutentnahme er- Abb. 3.19
schwert wird. Aufgrund ihrer Kürze verschiebt sich die
Katheterlage oft atemabhängig. Selten mündet sie gemein- lis. Sie lässt sich meist rasch katheterisieren und die Blut- re, da dies zeitaufwändiger ist; anschließend erfolgt fast
sam mit einem Lebervenenast, sodass eine spezielle Kathe- entnahme lässt sich leicht durchführen. immer rasch die linksseitige Entnahme. Die letzte Probe
terform erforderlich ist. Zudem verwechseln manche Ärzte Die letzte Probe muss aus einer Hintergrundquelle ohne stammt aus der V. iliaca externa. Dadurch werden in kur-
die V. suprarenalis dextra mit den benachbarten kleinen Beimischungen aus den Vv. suprarenales stammen. Tradi- zer physiologischer Abfolge drei Blutproben entnommen,
Lebervenenästen, die oft in der Nähe der Nebennieren in tionell erfolgt die Entnahme aus der V. cava inferior, ob- in denen jeweils die Spiegel von Aldosteron und Cortisol
die V. cava inferior eintreten. Eine Kontrastmittelinjektion wohl die V. iliaca externa besser geeignet wäre. Diese ent- bestimmt werden. Alle Blutproben werden in Verdünnun-
hilft bei der Abgrenzung dieser Venen voneinander. hält keine Zuflüsse aus dem linken Nebennierenbett, das gen von 1 : 1, 1 : 10 und 1 : 50 untersucht; entscheidend
Die V. suprarenalis sinistra mündet bei fast allen Pati- selten in eine große linke gonadale Vene drainiert, die sind die Absolutwerte.
enten nahe dem Dach der V. renalis sinistra und dem late- nach kaudal zur V. iliaca interna zieht. In erfahrenen Zentren beträgt die Komplikationsrate
ralen Rand der Wirbelsäule in die V. phrenica inferior. Um den zeitlichen Abstand zwischen den beiden Ne- ≤ 2,5 %. Mögliche Komplikationen sind symptomatische
Daher erfolgt die linksseitige Blutentnahme häufig aus der bennierenvenenblutentnahmen möglichst kurz zu halten, Leistenhämatome, Nebennierenblutungen und eine Dis-
V. phrenica inferior nahe der Mündung der V. suprarena- erfolgt die Entnahme zunächst aus der rechten Nebennie- sektion der V. suprarenalis.
Renin-Angiotensin-Aldosteron-System und renovaskuläre Hypertonie 87
Renin-Angiotensin-Aldosteron-System und
renovaskuläre Hypertonie
Aldosteron wird unter dem Einfluss von Angiotensin II, Pathophysiologie der renovaskulären Hypertonie bei einseitiger Nierenarterienstenose
Kalium und ACTH in der Zona glomerulosa produziert. Normale Niere Ischämische Niere
Renin ist ein Enzym, das vor allem aus dem juxtaglomeru- Der hohe Perfusionsdruck Normale oder ver- Die Stenose redu- Stimulation der Produktion
verhindert die Reninproduktion mehrte Nierendurch- ziert die Nieren- von Renin, Angiotensin II
lären Apparat der Nieren stammt. Seine Abgabe ins Blut ist und Natriumreabsorption blutung durchblutung und Aldosteron mit Na-
der geschwindigkeitsbestimmende Schritt des Renin-An- triumretention durch die
reduzierte Nierenperfusion
giotensin-Aldosteron-Systems (RAAS) und wird durch
vier Faktoren festgelegt: (1) die Macula densa, eine spezia-
lisierte Zellgruppe im distalen Tubulus, die als Chemore-
zeptoren zur Überwachung von Natrium und Chlorid die- +
nen, (2) die juxtaglomerulären Zellen, die als Druckrezep-
–
toren die Dehnung der Arteriolenwand und damit den re-
nalen Perfusionsdruck erfassen, (3) das sympathische Renin
Nervensystem, das die Freisetzung von Renin vor allem
abhängig von der aufrechten Körperhaltung moduliert,
und (4) humorale Faktoren, wie Kalium, Angiotensin II Natrium-
Natrium- exkre- Na+
und atriale natriuretische Peptide. Dadurch ist die Renin- ausschei- tion H2 O
dung (Druck- Aldosteron
freisetzung am höchsten, wenn der renale Perfusionsdruck natriurese) Angiotensinogen
niedrig oder im Tubulus wenig Natrium vorhanden ist Drucknatriurese kompensiert die
(z. B. Nierenarterienstenose, Nierenblutung, Dehydrie- Natriumretention durch die Aldosteron
ischämische Niere
rung). Supprimiert wird die Reninfreisetzung bei erhöh-
Angiotensin I
tem renalem Perfusionsdruck (z. B. Hypertonie) und natri-
ACE +
umreicher Ernährung. Direkt wird die Reninfreisetzung
durch eine Hypokaliämie erhöht und durch eine Hyperka- Angiotensin II Blutdruck
liämie reduziert. Vasokonstriktion
Angiotensinogen, ein in der Leber synthetisiertes α2-
Ursachen der renovaskulären Hypertonie
Globulin, ist das Substrat von Renin und wird von ihm in
Fibromuskuläre Dysplasie
Angiotensinpeptide umgebaut. Durch die Wirkung von
Renin auf Angiotensinogen entsteht Angiotensin I, das aus Atherosklerotische Nierenarterienstenose
10 Aminosäuren nach der präsegmentalen Frequenz be-
Schwere konzentrische
steht und biologisch inaktiv ist. Angiotensin II, die biolo- Atherosklerose der Nierenarterie
gisch aktive Hauptform von Angiotensin, entsteht durch mit Lipidablagerung, Kalkablagerung
Abspaltung der beiden carboxyterminalen Peptide von und Thrombose
Longitudinalschnitt einer fibromuskulären
Angiotensin I durch das Angiotensin-converting-Enzym Dysplasie mit unterschiedlicher muraler Dicke
(ACE). ACE liegt in den Zellmembranen der Lunge und
den intrazellulären Granula bestimmter Gewebe, die An-
giotensin II produzieren. Angiotensin II erhält über den Renales Arteriogramm.
Die Athero- Typisches perlschnur-
Angiotensinrezeptor ein normales extrazelluläres Volu- sklerose artiges Bild durch den
men und einen normalen Blutdruck aufrecht, in dem es (1) ist die häufigste Wechsel zwischen
Ursache der Stenosen und aneurys-
die Aldosteronsekretion in der Zona glomerulosa durch Nierenarterien- matischen Dilatationen
vermehrte Transkription der Aldosteronsynthetase stenose
(CYP11B2) erhöht, (2) die glatte Gefäßmuskulatur kontra- CT-Angiogramm. Das renal Arteriogramm ist der diagnostische Gold-
Bilaterale atherosklerotische standard und dient zur Beurteilung der Schwere der
hiert und dadurch den Blutdruck erhöht und die Nieren- Nierenarteriensklerose Nierenarterienstenose
durchblutung drosselt, (3) Noradrenalin und Adrenalin
aus dem Nebennierenmark freisetzt, (4) die Aktivität des Abb. 3.20
sympathischen Nervensystems durch Verstärkung des
zentralen sympathischen Outputs und damit der Noradre-
nalinabgabe aus den sympathischen Nervenendigungen Die Überproduktion von Aldosteron führt über zwei eines Alters von 55 Jahren, einem akuten Blutdruckanstieg
erhöht und (5) die ADH-Freisetzung fördert. Wege zur Hypertonie: (1) die mineralokortikoidinduzierte bei zuvor stabilen Werten, einer mittelschweren bis schwe-
Die typischen Aldosteronfunktionen sind die Regula Expansion von Plasma und extrazellulärem Flüssigkeitsvo- ren Hypertonie und unklaren Nierenatrophie oder bei ei-
tion des extrazellulären Volumens und die Kontrolle der lumen und (2) die Zunahme des peripheren Gefäßwider- nem akuten Anstieg des Serumkreatinins unmittelbar
Kaliumhomöostase durch Bindung von freiem Aldosteron stands. Die renovaskuläre Krankheit, die durch Athero nach Therapiebeginn mit einem ACE-Hemmer oder An-
an den Mineralokortikoidrezeptor im Zytosol der Epithel- sklerose oder eine fibromuskuläre Dysplasie entsteht, ist giotensin-Rezeptorblocker. Diagnostischer Goldstandard
zellen, vor allem in der Niere. Mineralokortikoidrezeptor eine korrigierbare Ursache der sekundären Hypertonie. der Nierenarterienstenose ist die renale Arteriografie, wo-
werden gewebespezifisch exprimiert. Die höchsten Kon- Der Verdacht besteht bei Beginn des Hypertonus vor dem bei als Suchtests mehrere weniger invasive Verfahren in-
zentrationen finden sich im distalen Nephron, Kolon und 30. Lebensjahr (v. a. bei fehlender Familienanamnese und frage kommen (z. B. Magnetresonanzangiografie, CT-An-
Hippocampus und niedrigere Spiegel im restlichen Gastro- fehlenden weiteren Risikofaktoren, wie Adipositas), einer giografie, Duplex-/Doppler-Sonografie).
intestinaltrakt und im Herzen. initial schweren Hypertonie (≤ 160/100 mm Hg) jenseits
88 3 Nebenniere
dass klinisches Bild und Laborbefunde oft von dem sellären Verlust der Diffuse Myalgien und
Muskelmasse Arthralgien
oder hypothalamischen Prozess und dem dadurch bedingten Anorexie und Ge-
Mangel oder die Überproduktion von Hormonen bestimmt wichtsverlust
Übelkeit und Erbrechen
werden. Möglich sind eine Hypothyreose, ein Diabetes insi- Bauchschmerzen
pidus, ein Wachstumshormonmangel und ein sekundärer
Hypogonadismus. Aufgrund der bei Nebenniereninsuffizi-
Na+ – niedrig bis DHEA-Sulfat – niedrig ACTH – niedrig
enz reduzierten freien Wasser-Clearance manifestiert sich normal Androstendion – niedrig Anämie, normozytäre, Typische Fazies bei
ein Diabetes insipidus oft erst nach Glukokortikoidersatz. K+ – normal Testosteron normochrome, Hämo- Panhypopituitarismus:
Kreatinin – normal (bei Frauen) – niedrig globin – niedrig hellbraune Haut,
Auch Verdrängungssymptome (z. B. Gesichtsfeldausfälle, Aldosteron – normal Neutropenie, relative „Krähenfüße“
Kopfschmerzen) durch den Sella- oder Hypothalamustumor
Blut
Plasmareninaktivität Lymphozytose
sind möglich. Beim Panhypopituitarismus haben die Patien- – normal bis hoch Blutglukose – niedrig
Cortisol – niedrig
ten oft ein typisches Gesicht mit hellbrauner Haut, feinen (geringer Anstieg nach
Gesichtsfältchen und Krähenfüßen sowie eine Ausdünnung ACTH-Gabe)
des lateralen Augenbrauendrittels mit Hypothyreose und
Hypogonadismus. Außerdem fehlt ACTH als einziges Hypo-
Aldosteron – normal
physenhormon (isolierte sekundäre Nebenniereninsuffizi- 17-Ketosteroide –
Urine
(Fortsetzung)
ris, Polyzythämie und Verdrängungssymptome durch den Mögliche Lokalisationen von Phäochromozytomen und Paragangliomen
Tumor. Obwohl die Hyperkalzämie Zeichen einer multip-
len endokrinen Neoplasie Typ 2 (MEN 2) sein kann, be-
steht sie häufig isoliert und klingt nach der Tumorresektion
Produktion von Noradrenalin
wieder ab. Die Sekretion von Calcitonin erfolgt katechol
aminabhängig, sodass das Serumcalcitonin bei katechol Produktion von Adrenalin
und Noradrenalin
aminproduzierenden Tumoren oft erhöht ist und nicht mit
einer MEN 2 zusammenhängt. Nüchternhyperglykämie
und Diabetes mellitus entstehen zum Teil durch die
α-adrenerge Hemmung der Insulinfreisetzung. Beim Para-
gangliom der Harnblase finden sich eine schmerzlose
Hämaturie und paroxysmale Attacken nach Miktion und
Defäkation. Einige andere ebenfalls produzierte Hormone, Truncus
sympathicus
die das klinische Bild dominieren können, sind ACTH
(Cushing-Syndrom), Parathormon-related-Peptid (Hyper- Aortenbogen
kalzämie), ADH (Syndrom der inadäquaten ADH-Sekre
tion), vasoaktives intestinales Peptid (wässrige Diarrhö)
und Growth-Hormone-releasing-Hormone (Akromegalie). Zwerchfell
Nebennierenmetastasen
Nebennierenmetastasen sind häufig. Vermutlich hängt
dies mit den hohen Glukokortikoidspiegeln und der rei-
chen Blutversorgung zusammen, letztlich ist der Grund
aber unbekannt. In der Autopsie finden sich bei 50 % der
Patienten mit disseminiertem Bronchial- oder Mamma-
karzinom, bei 30 % der Patienten mit Melanom und bei
15 % der Patienten mit Magen- oder Kolonkarzinom Ne-
bennierenmetastasen. In der Hälfte der Fälle bestehen die
Metastasen beidseits. Eine klinisch manifeste Nebennie-
renmetastase oder Nebenniereninsuffizienz tritt jedoch
nur bei 4 % der Patienten mit in die Nebennieren metasta-
sierenden Tumoren auf, da der überwiegende Teil der Ne-
bennierenrinde beider Nebennieren zerstört sein muss,
damit die Unterfunktion manifest wird.
Wenn früher Nebennierenmetastasen im Laufe des Le- 1. Lunge
bens entdeckt wurden, bestanden häufig langsam zuneh-
mende Symptome der primären Nebenniereninsuffizienz
(z. B. Müdigkeit, Myalgien, Übelkeit, Anorexie, orthostati-
sche Hypotonie, Hyperpigmentierung) oder Flanken- 4. Mamma
schmerzen. Heute sind asymptomatische Nebennierenme-
tastasen häufiger, da sie beim Staging mittels Computerto-
mografie oder Positronen-Emissionstomografie entdeckt
werden. Häufigster histologischer Typ ist das Adenokarzi- 2. Magen
nom. Oft liegen die Primärtumoren (in abnehmender Häu-
figkeit) in Lunge, Magen, Niere, Mamma, Kolon, Haut
(Melanom) und Pankreas. Bei Menschen asiatischer Ab-
stammung sind Nebennierenmetastasen von Primärtumo- 3. Niere
ren des Ösophagus, der Leber und der Gallenwege häufi-
ger. In etwa 70 % der Fälle werden die Nebennierenmeta
stasen gleichzeitig mit dem Primärtumor diagnostiziert;
bei den restlichen Patienten werden sie in der Regel im 5. Rektum
und Sigmoid
Laufe von 7–30 Monaten nach der Diagnose des Primärtu-
mors entdeckt. Am längsten ist das Intervall zwischen Dia-
gnose des Primärtumors und Entdeckung der Nebennie-
renmetastasen bei Patienten mit Lymphom, Mammakarzi- 6. Melanom
nom, Nierenzellkarzinom und kolorektalem Karzinom.
Die akkurate Typisierung der Metastase erfolgt meist
durch eine Feinnadelaspiration unter Ultraschall- oder
Röntgenkontrolle und immunzytochemischen Verfahren.
Vor der Biopsie sollte ein zufällig entdecktes adrenales
Phäochromozytom durch entsprechende biochemische
Untersuchungen ausgeschlossen werden.
Fast 100 % der Patienten haben noch weitere Metas
tasen. Nebennierenmetastasen sind ein prognostisch Abb. 3.29
schlechtes Zeichen mit einer 1-Jahres-Überlebensrate von
20 %. Besser ist die Überlebensrate nach operativer Entfer-
nung der Metastasen. Langzeitüberlebende nach operati- Operationsrisiko geeignet. Ablativverfahren sind die Ra-
ver Behandlung von Nebennierenmetastasen sind be- diofrequenzablation, die Kryoablation und die chemische
schrieben. Vor Kurzem wurde die endoskopische Nadelab- Ablation. Die meisten dieser Verfahren werden perkutan
lation der Nebennieren bei kleinen (größter Durchmesser unter Röntgenkontrolle ambulant durchgeführt. Mögliche
< 5 cm) Nebennierentumoren angewandt. Dieses Verfah- intraoperative Komplikationen sind eine hypertensive Kri-
ren mit minimaler Morbidität ist für Patienten mit hohem se und die Schädigung benachbarter Gewebe.
KAPITEL
4 Fortpflanzung
98 4 Fortpflanzung
Gonadendifferenzierung
Einflussfaktoren der normalen und Undifferenziertes Stadium
anormalen Gonadendifferenzierung
Tubuli mesonephrici
ren, wird durch die genetischen Informationen auf X- und Y- Chorda nephrogenica
Müller-Gang
Chromosom bestimmt. Die Differenzierung aller anderen
anatomischen und funktionellen Geschlechtsmerkmale er- Wolff-Gang
folgt sekundär durch die Wirkung der testikulären bzw. ova- Tubuli
riellen Sekrete auf die jeweilige primordiale Struktur. Das Y- mesonephrici
Medulla
Chromosom enthält Gene, durch die aus den primitiven Go- Mesenchym
naden Hoden werden, selbst wenn mehr als ein X-Chromo-
som vorhanden ist. Normale Ovarien entstehen nur, wenn Primäre
Keimstränge
zwei X-Chromosomen vorhanden sind. Fehlt eines (Karyotyp
45X0, Turner-Syndrom), entstehen primitive Stranggonaden.
Verdicktes
Viele Patienten mit kongenitaler Gonadendysgenesie Zölomepithel
Kortex
durch meiotische Nondisjunction weisen einen anormalen Primordiale
Karyotyp auf, manche jedoch auch normale Geschlechts- Keimzellen
Vergrößerung der (einwandernde)
chromosomen oder andere chromosomale Aberrationen. Genitalleiste Genitalleiste
Bei Mosaiken weisen die verschiedenen Gewebe multiple Fehlende Expression von
SRY, SOX9 und Anti-Müller- SRY steuert die SOX9-Expression;
Zelllinien mit unterschiedlichen Chromosomensätzen auf. Hormon, Repression der XX XY SOX9 steuert die Transkription von
Mosaike entstehen durch mitotische Nondisjunction oder autosomalen hoden- Anti-Müller-Hormon
Chromosomenverluste nach der Befruchtung. Manchmal induzierenden Gene
kommt es zu Deletionen oder Translokationen kleiner Frau (primitives Ovar) Mann (primitiver Hoden)
Chromosomenfragmente. Wenn diese Umlagerungen im Ductus epididymidis
Bereich der geschlechtsbestimmenden Gene liegen, kann Reste des Ductus mesonephricus Vas deferens Ductuli efferentes
der Effekt auf die Gonadendifferenzierung genauso stark (Gartner-Gang, Epoophoron, Paroophoron)
Rete testis
sein wie bei komplett fehlendem Geschlechtschromosom. Rete Medulla Kortex
ovarii Medulla
In wieder anderen Fällen führen Mutationen der ge-
schlechtsbestimmenden Gene zu fehlerhaften Enzymen
mit gestörter Gonadenstruktur oder Hormonsekretion.
Indifferent
Tunica
Zölomepithel albuginea
In der 6. Entwicklungswoche besteht die Gonadenanlage aus
(Keimepithel)
einer gut abgegrenzten Genitalleiste, die entlang der dorsa- Tunica vaginalis
len Mesenterialwurzel verläuft. Der kortikale Anteil der Leis- Primäre Oogonien
Ovum Sich Interstitielle Zellen
te besteht aus eine Kloake mit Zölomepithelzellen, aus denen Keimstränge
(degenerierend) Granulosazellen entwickelnde Spermatogonien
das reife Ovar entsteht. In diesen oberflächlichen Schichten Thekazellen Primordialfollikel
Primäre Keimstränge
finden sich auch große primordiale Keimzellen, die sich in Sekundärer Keimstrang (primitive Tubuli seminiferi)
Oogonien oder Spermatogonien differenzieren können.
Der medulläre oder innere Anteil der primitiven Gona- Abb. 4.1
de besteht aus Mesenchym, in dem dicht zusammengela-
gerte Epithelzellen die primären Keimstränge bilden. Der stränge vereint sich mit Teilen des Zölomepithels (die pri- AMH. Vermutlich gibt es einen Mechanismus zur Unter-
medulläre Anteil differenziert sich zum Hoden weiter. mordiale Keimzellen enthalten) zu den Tubuli seminiferi. Der drückung autosomaler hodeninduzierender Gene (z. B.
überwiegende Teil der Kortex wird jedoch durch Tunica albu- SOX9) und zur Aktivierung von Genen, die zur Bildung ei-
ginea und Tunica vaginalis isoliert, die einzigen Überreste des nes Ovars führen (z. B. WNT4 und NR0B1 [DAX1]). Zu
Testikuläre Differenzierung Kortex im reifen Hoden. Etwa in der 8. Entwicklungswoche diesem Zeitpunkt proliferiert der Kortex stark. Die sekun-
finden sich reichlich Leydig-Zellen, welche die für die Ent- dären Keimstränge dringen in das Innere der Gonade ein
Der Hoden entsteht durch den Einfluss des SRY-Gens (auf wicklung der äußeren Geschlechtsorgane wichtigen Androge- und nehmen dabei die primordialen Keimzellen mit. Aus
dem Y-Chromosom) und eines assoziierten Homeobox-Gens, ne produzieren. Die Leydig-Zellen verschwinden kurz nach Fragmenten der sekundären Keimstränge entstehen die
SOX9 (ein autosomales Gen). SRY steuert die Expression von der Geburt und treten erst zu Beginn der Jugend wieder auf. Primordialfollikel. Während sich das Ovar bildet, ziehen
SOX9, das wiederum die Transkription des Anti-Müller-Hor- sich die primären Keimstränge zum Hilum zurück und las-
mons (AMH) in den Vorläuferzellen der Sertoli-Zellen, das sen die Stromazellen und Bindegewebszellen zurück. Im
zur Rückbildung der Müller-Gänge führt, reguliert. Aus dem Ovarielle Differenzierung Ovar persistieren die Leydig-Zellen und das Rete ovarii als
inneren Anteil der primären Keimstränge wird ein Rohrsys- medulläre Überreste. Die Kortexproliferation klingt nach
tem, das die Tubuli seminiferi mit dem Ductus mesonephri- Die Ovarien entstehen mehrere Wochen später als die etwa 6 Monaten ab.
cus (Wolff-Gang) verbindet. Der periphere Anteil der Keim- Hoden durch die fehlende Expression von SRY, SOX9 und
Differenzierung der Gonadengänge 99
Genitalhöcker
die Urethralgrube liegt, die seitlich von den Urethralfalten Epithelhöcker wicklungs- Testosteron
und Labioskrotalwülsten begrenzt wird. Die männlichen Urogenitalfalte woche oder Gestagene)
wirkende Hormon aus dem mütterlichen Blut stammen. Labia majora Urethrafalten Corpus spongiosum (inkl. penile Urethra)
In der 12. Entwicklungswoche ist die Vagina nach pos- Labia minora Labioskrotalwülste Skrotum
terior gewandert, sodass die Androgenwirkung nicht mehr
zur Fusion der Urethralfalten und Labioskrotalwülste füh- Abb. 4.3
ren kann. Eine Klitorishypertrophie kann jedoch jederzeit
während der Fetalentwicklung und sogar noch nach der
Geburt entstehen.
Testosteron- und Östrogensynthese 101
Normale Pubertät
Zeitlicher Ablauf Tanner-Entwicklungsstadien der Mamma
(Fortsetzung)
bertät als Knochenmineral abgelagert. Nach der Pubertät Tanner-Entwicklungsstadien der weiblichen Schambehaarung
besitzen Jungen 50 % mehr Gesamtkörperkalzium als
Mädchen. Während der Pubertät nimmt die Hüftbreite bei
Mädchen stärker zu, bei Jungen werden die Schultern brei-
ter. Durch das Wachstum des Os acetabuli verbreitert sich
bei Mädchen der Beckeneingang. Männer besitzen 50 %
mehr Mager- und Skelettmasse als Frauen und Frauen all-
gemein doppelt so viel Körperfett wie Männer (in Oberar-
men, Oberschenkeln und oberem Thorax). Durch kardio-
vaskuläre Veränderungen während der Pubertät vergrö-
ßert sich die aerobe Reserve.
Marshall und Tanner entwickelten ein Staging-System Stadium 1 Stadium 2
zur Dokumentation der Abfolge der Veränderungen der Das Vellushaar des Schamhügels entspricht dem Wenig, kaum pigmentiertes, flaumiges Haar
auf der vorderen Bauchwand auf den Labien, das glatt oder nur leicht gekräuselt ist
sekundären Geschlechtsmerkmale. Die Tanner-Stadien
basieren auf sichtbaren Befunden und unterteilen die pu-
bertäre Entwicklung von Mammae und Schambehaarung
bei Mädchen sowie des Genitales und der Schambehaa-
rung bei Jungen in 5 Stadien. Stadium 1 ist das präpubertä-
re Stadium und Stadium 5 der Zustand beim Erwachsenen.
Weibliche Pubertät
(Fortsetzung)
Die erste Menstruation (Menarche) tritt im Durchschnitt Tanner-Entwicklungsstadien der Schambehaarung und des Genitales beim Mann
im Alter von 12,8 Jahren auf bzw. 1–3 Jahre nach Beginn
der Pubertät, in der Regel im Tanner-Stadium 4. Erste
Ovulationen finden erst einige Monate später statt. Bis da-
hin ist die Menstruation oft unregelmäßig und selbst dann
sind anovulatorische Zyklen für die ersten 2 Jahre nach der
Menarche häufig. Progesteron entsteht nur, wenn nach
dem Eisprung Gelbkörper gebildet werden. Sofern dies ge-
schieht, wird das proliferative Endometrium in den sekre-
torischen Typ umgewandelt. Die meisten ovariellen Pri-
mordialfollikel enthalten die Ovarien in der 20. fetalen Stadium 1 Stadium 2
Penis, Hoden und Skrotum haben dieselbe Hoden und Skrotum vergrößern sich. Die Skro-
Entwicklungswoche. Danach entstehen keine zusätzlichen Größe wie im Kleinkindalter. talhaut ändert ihre Konsistenz und rötet sich.
Keimzellen mehr. Unter Gonadotropinstimulation wäh- Das Vellushaar des Schambereichs entspricht Wenig, kaum pigmentiertes Haar an der
rend der Pubertät werden die Eierstöcke mikrozystisch dem der vorderen Bauchwand. Peniswurzel, das glatt oder nur leicht gekräuselt ist
und entwickeln Follikel mit einem Durchmesser > 4 mm.
Das Volumen der Ovarien nimmt während der Pubertät
von 0,2–1,6 ml auf 2,8 bis 15 ml zu.
Die Achselbehaarung entwickelt sich bei 70 % der Mäd-
chen im Alter von 12 Jahren. Zur Akne, dem manchmal
offensichtlichsten Zeichen der Pubertät bei Mädchen,
kommt es durch adrenale und ovarielle Androgene. Akne
ist eine Dysfunktion der Haarfollikel mit Okklusion und
Entzündung infolge der Androgenstimulation. Auch das
Gesicht von Jungen und Mädchen verändert sich in der
Pubertät: Nase, Unterkiefer, Oberkiefer und Stirnhöhlen
Stadium 3 Stadium 4
vergrößern sich. Bei Mädchen vergrößert sich die Hypo-
Das Längenwachstum des Penis übertrifft seine Di- Weiteres Wachstum des Penis und Entwicklung der Glans;
physe während der Pubertät von zuvor durchschnittlich 6 ckenzunahme, Hoden und Skrotum wachsen weiter. weitere Größenzunahme von Hoden und Skrotum.
auf 10 mm im Tanner-Stadium 5. Das spärliche Haar ist rauer, gekräuselter und Das Haar entspricht dem des Erwachsenen, bedeckt aber
dunkler und breitet sich über die Pubes aus. einen kleineren Bereich als bei den meisten erwachsenen
Männern und erreicht kaum die Innenseiten der Oberschenkel.
Männliche Pubertät
(Fortsetzung)
Frau Mann
Zunehmende
GnRH Akne
Zunehmende Akne Zunehmende
Gesichts-
Zunehmende Hypophysengonado- behaarung
Achselbehaarung tropine steigen ACTH
Kehlkopf-
vergrößerung
FSH (tiefere
Brust-
entwicklung LH Stimme)
Einsetzen der
Menstruation Zunehmende
Achsel-
Vergrößerung der behaarung
Vergrößerung der
Zunehmende retikulären Zone retikulären Zone Evtl. geringe
Scham-
behaarung Brust-
Hoden vergrößerung
Ovarien
Zunehmende
Scham-
Östrogen- behaarung
Östrogene produktion
erhöht Penis,
Prostata
Vaginalepithel und
verkörnt Testosteron- Samen-
Progesteron-
anstieg bläschen
produktion
vergrößern
sich
Körperkonturen
werden runder LH wirkt auf die Thekazellen und stimuliert LH wirkt auf die interstitiellen Leydig-Zellen
die Androgenproduktion sowie auf die Granulosa- zur Stimulation der Testosteronproduktion. Beschleunigter
zellen und stimuliert die Progesteronproduktion. FSH und Testosteron veranlassen die Sertoli- Epiphysen-
FSH veranlasst die Granulosazellen zur Zellen zur Stimulation der Spermatogenese. schluss
Beschleunigter
Stimulation der Produktion von Östrogen aus
Epiphysenschluss
Androgenen.
Abb. 4.8
Während der Pubertät verlängern sich die Stimmbänder Die Achselbehaarung taucht im Alter von 14 Jahren auf.
und vergrößern sich Larynx, Ringknorpel und Kehlkopf- Akne durch die testikulären und adrenalen Androgene
muskeln. Zwischen den Tanner-Stadien 3 und 4 der Geni- tritt in einem Durchschnittsalter von 12 Jahren auf (Be-
talentwicklung verändert sich die Stimmlage stark. Das reich: 9–15 Jahre) und findet sich während der gesamten
Durchschnittsalter, in dem die erwachsene Stimme er- Pubertät. Die pubertäre Gynäkomastie tritt bei etwa 50 %
reicht wird, beträgt 15 Jahre. Während des Tanner-Stadi- der sich normal entwickelnden Jungen in einem Alter von
ums 3 der Schamhaarentwicklung tritt der erste Bartwuchs im Mittel 13 Jahren auf und klingt in der Regel spontan
auf, zunächst an den Ecken der Oberlippe und auf den über 1–2 Jahre ab (› Abb. 4.25).
Wangen, dann unterhalb der Unterlippe und schließlich Auch das Gesicht von Jungen und Mädchen verändert
(nach Erreichen der Tanner-Stadien 5 für Schambehaa- sich in der Pubertät: Nase, Unterkiefer, Oberkiefer und
rung und Genitalien) bis zu den Koteletten und zum Kinn. Stirnhöhlen vergrößern sich.
106 4 Fortpflanzung
Pubertas praecox
Inadäquate Cortisolaus-
schüttung gemessen am
hypophysären ACTH Überschuss adrenalen Androgens
Typ: on
Läsi hemmt hypophysäre Gonadotropine
e n traler he ZNS- Früh-
Z e
nisc isch ls-
Orga idiopath nRH-Pu ACTH Kon ACTH-
e r G
od
ng d
es
normal adre genital Überschuss Suppression der Gonadotropine
reifu rators Hypophysäre
Hyp nale e
ge n e Gonadotropine erpl
asie
(FSH und LH)
Normale Nebennierenrinden-
erreichen adulte
Nebennierenrinden hyperplasie
Spiegel
Evtl.
Hoden vergrößert und reif Pigmentierung Weiterhin infantile
Hoden
Blutuntersuchungen: Blutuntersuchungen:
LH: ↑ LH: altersentsprechend
FSH: ↑ FSH: altersentsprechend
Testosteron: ↑ Testosteron: normal
17-OHP: normal 17-OHP: ↑
DHEA-S: normal DHEA-S: ↑
Androstendion: normal Androstendion: ↑
hCG: normal hCG: normal
Abb. 4.9
Bei der Pubertas praecox beginnt die Pubertät bei Mädchen Geschwindigkeit und Abfolge der pubertären Veränderun- tome mit einem hohen Krampfanfallrisiko einher. Seltene
< 8 Jahren und bei Jungen < 9 Jahren. Die Ursache können gen entsprechen denen der im normalen Alter beginnenden Ursachen sind gonadotropinsezernierende Hypophysen-
gutartig sein (normale Variante der frühen Adrenarche) Pubertät. Die Serumspiegel von LH, FSH, Testosteron und tumoren. Auch eine Androgenexposition (exogen oder en-
oder ernster (malignes Germinom). Bei geschlechtsent- Estradiol entsprechen denen der normalen Pubertät. Das dogen) kann zur Reifung des GnRH-Impulsgebers und zur
sprechenden Geschlechtsmerkmalen spricht man von einer Knochenalter ist erhöht und das Wachstum beschleunigt. zentralen Pubertas praecox führen.
isosexuellen Pubertas praecox. Eine Virilisierung bei Mäd- Trotz der meist idiopathischen Ätiologie ist bei Mäd-
chen oder Feminisierung bei Jungen wird als kontrasexuelle chen eine kraniale MRT indiziert, um eine ZNS-Erkran-
Pubertas praecox bezeichnet. Die Pubertas praecox ist bei kung auszuschließen. Bei Jungen ist die zentrale Pubertas Gonadotropinunabhängige Pubertas
Mädchen10-mal häufiger und meistens zentral bedingt. praecox zur Hälfte idiopathisch und durch ZNS-Anoma praecox
lien bedingt. Infrage kommen Hamartome des Tuber cine-
reum, die GnRH-neurosekretorische Neuronen enthalten Die periphere oder gonadotropinunabhängige Pubertas
Gonadotropinabhängige Pubertas und als ektopische GnRH-Impulsgeber fungieren, Astrozy- praecox (auch Pseudopubertas praecox) entsteht durch die
praecox tome, Ependymome, Hypothalamus- oder Optikusgliome überschüssige gonadale oder adrenale Sekretion von Ös-
bei Patienten mit Neurofibromatose Typ 1, eine Neoplasie trogen oder Testosteron. Sie folgt in der Regel weder in ih-
Die zentrale oder echte Pubertas praecox ist gonadotropin- im Bereich des Hypothalamus (z. B. Kraniopharyngeom), rem Verlauf noch in ihrer Geschwindigkeit der normalen
abhängig und beruht auf der vorzeitigen Reifung des Gona- die den hinteren Hypothalamus einklemmt, Nebenwir- Pubertät (z. B. Beginn mit Menarche). Abhängig von der
dotropin-releasing-Hormon-Impulsgebers, was bei Mäd- kungen einer ZNS-Bestrahlung (z. B. bei Tumoren oder Art des Hormonüberschusses kann die gonadotropinun-
chen 20-mal häufiger ist als bei Jungen. Oft wird diese Form Leukämie), Hydrozephalus, entzündliche ZNS-Erkran- abhängige Pubertas praecox isosexuell oder kontrasexuell
der Pubertas praecox durch einen ZNS-Prozess ausgelöst, kungen (z. B. Sarkoidose), angeborene Spaltbildungen und sein. Die Serumspiegel von LH und FSH sind supprimiert.
trotzdem kann die Ursache bei 90 % der betroffenen Mäd- Pinealistumoren. Hamartome des Tuber cinereum sind Mögliche Ursachen einer isosexuellen gonadotropinun-
chen nicht identifiziert werden. Symptome sind bei Mäd- keine echten Tumoren, sondern angeborene Fehlbildun- abhängigen Pubertas praecox bei Mädchen sind exogene
chen die vorzeitige Entwicklung der Mamma (Thelarche) gen, die in der MRT als isodense Füllung der präpontinen, Östrogene (z. B. östrogenhaltige Cremes und Salben), folli-
und der Schambehaarung (Pubarche) und bei Jungen die interpedunkularen und posterioren suprasellären Zisterne kuläre ovarielle Zysten, ovarielle Neoplasien (z. B. Granulo-
vorzeitige Pubarche und Hodenentwicklung (Gonadarche). erscheinen. Bei einem Durchmesser > 1 cm gehen Hamar- sazelltumor, Gonadoblastom und Leydig-Zell-Tumor), ös-
Pubertas praecox 107
(Fortsetzung)
Androgen-
Infantile Infantile überschuss
Hoden Hoden durch den
Tumor
Abb. 4.10
trogenproduzierende Nebennierentumoren und das McCu- Bei Jungen mit isosexueller peripherer Pubertas praecox Jungen exogene Östrogene (z. B. östrogenhaltige Cremes und
ne-Albright-Syndrom. Letzteres ist mit Mutationen in dem kommen diagnostisch infrage: testikuläre Leydig-Zell-Tu- Salben) und östrogenproduzierende Nebennierentumoren.
Gen (GNAS) verbunden, das für die α-Untereinheit des moren (meist gutartig), Keimzelltumoren, die humanes
Guanosin-Triphosphat-bindenden Proteins codiert, das an Chorion-Gonadotropin (hCG) produzieren (hCG ist ein
der Aktivierung der Adenylatzyklase beteiligt ist. Ursache LH-Rezeptor-Agonist) und an Stellen mit embryonalen Inkomplette Pubertas praecox
ist eine postzygotische somatische Mutation, weswegen das Keimzellen entstehen (Zirbeldrüse, hinteres Mediastinum,
Ausmaß der Gewebebeteiligung vom Zeitpunkt der Mutati- Leber [malignes Hepatom und Hepatoblastom], Retroperi- Bei der inkompletten Pubertas praecox treten Thelarche
on während der Entwicklung abhängt. Das McCune-Alb- toneum und Hoden). Keimzelltumoren sind maligne, kön- oder Adrenarche früher auf, ohne dass das Knochenalter
right-Syndrom geht mit der Trias aus gonadotropinunab- nen aber indolent (z. B. Dysgerminom) oder aggressiver erhöht ist. Die vorzeitige Thelarche kann ohne andere Pu-
hängiger Pubertas praecox, unregelmäßig umrandeten Ca- (z. B. Chorionkarzinom, embryonales Karzinom) sein. bertätszeichen bei sich normal entwickelnden Mädchen
fé-au-lait-Flecken, welche die Mittellinie normalerweise Weitere Differenzialdiagnosen sind androgenproduzie auftreten. Allerdings kann ein Teil der Mädchen mit vor-
nicht kreuzen, und knöcherner fibröser Dysplasie (z. B. Hy- rende Nebennierentumoren und die kongenitale adrenale zeitiger Thelarche oder Adrenarche eine gonadotropinab-
perostose der Schädelbasis und Gesichtsasymmetrie) ein- Hyperplasie (z. B. 21-Hydroxylase-Mangel oder seltener hängige Pubertas praecox entwickeln. Außerdem kann die
her (› Abb. 4.11). Abhängig von der Gewebeverteilung 11β-Hydroxylase-Mangel). Außerdem können Jungen inkomplette Pubertas praecox durch eine lang existieren-
der somatischen Mutation können weitere endokrine Hy- autosomal-dominante aktivierende Keimbahnmutationen de, unbehandelte primäre Hypothyreose entstehen.
perfunktionen auftreten, wie das Cushing-Syndrom (bil im LH-Rezeptor-Gen aufweisen, die für eine frühe Ent-
aterale adrenale Hyperplasie), eine Hyperthyreose, ein Hy- wicklung von Leydig-Zellen mit Testosteronsekretion
perparathyreoidismus (Adenom oder Hyperplasie), eine prädisponieren. Das McCune-Albright-Syndrom kann bei Diagnostik und Behandlung
hypophosphatämische Vitamin-D-resistente Rachitis und Jungen auftreten, ist aber nur halb so häufig wie bei Mäd-
Gigantismus (mammosomatotrope Hyperplasie). Die Pu- chen. Die gezielte Anamnese und körperliche Untersuchung lie-
bertas praecox im Rahmen eines McCune-Albright-Syn- Ursachen der kontrasexuellen gonadotropinunabhängi- fern Hinweise auf die Ursache der Pubertas praecox. Kopf-
droms beginnt in der Regel in den ersten 2 Lebensjahren gen Pubertas praecox bei Mädchen sind exogene Androgene schmerzen, Sehstörungen oder Symptome eines Diabetes
mit Menstruationsblutungen durch autonom funktionie- (z. B. Testosteron-Gel), androgenproduzierende Nebennie- insipidus lenken den Verdacht auf eine Raumforderung im
rende ovarielle luteinisierte Follikelzysten. rentumoren und die kongenitale adrenale Hyperplasie, bei Bereich des Hypothalamus. Alle vorhandenen Angaben
108 4 Fortpflanzung
(Fortsetzung)
Gonadendysgenesien
46,XX Störungen der Geschlechtsdifferenzierung: Androgenexzess
Klassifikation
2. Cortisolproduktion
reicht zur Hemmung
Männlicher und weiblicher Phänotyp sind bei der Geburt der hypophysären
in der Regel gut zu erkennen. Ein zweideutiges Genitale, ACTH-Ausschüttung
nicht aus 3. ACTH stark erhöht Virilisierender
das bei 1 von 4.000 Geburten vorkommt, kann die Ge- Tumor
schlechtszuordnung erschweren. Bei kongenitalen Abwei- Orale oder
4. Nebennierenrinden- parenterale Gabe
chungen zwischen externen Genitalien und gonadalem 1. Adrenokortikaler androgener
hyperplasie
oder chromosomalem Geschlecht treten Gonadendysge- Enzymdefekt Hormone
(Testosteron
nesien auf. Aus klinischer Sicht unterscheidet man wie oder Gestagene)
folgt:
1. Geschlechtschromosomale Gonadendysgenesien
– Turner-Syndrom: 45,X Mütterliches
– Klinefelter-Syndrom: 47,XXY Androgen über
5. Stark erhöhtes die Plazenta
– Gemischte Gonadendysgenesie: 45,X/46,XY adrenales Androgen
– Chimärismus: 46,XX/46,XY Nicht progressive
2. 46,XX-Gonadendysgenesien (virilisierte XX-Frau) Progressive Virilisierung Maskulinisierung
– Störungen der gonadalen Entwicklung (Gonaden- Das Fetalstadium bei Androgenexposition bestimmt das Ausmaß der Maskulinisierung
dysgenesie, ovotestikuläre und testikuläre Gonaden- der Genitalien.
dysgenesien) Früh (vor der 12. Woche: schwer) Spät (leicht)
– Androgenüberschuss (fetal, maternal) Eileiter
3. 46,XY-Gonadendysgenesien (unzureichend virilisierter Ovarien
Uterus
XY-Mann)
– Störungen der Hodenentwicklung (komplette und
partielle Gonadendysgenesie, ovotestikuläre Gona-
dendysgenesien, Hodenregression)
– Störungen der Androgensynthese oder -wirkung
Vagina Vagina
(kongenitale adrenale Hyperplasie, Mutationen des Sinus urogenitalis Urethra Vagina
Sinus urogenitalis
LH-Rezeptors, 5α-Reduktase-2-Mangel)
Das Geschlecht besteht aus dem chromosomalen Ge-
schlecht (z. B. 46,XX oder 46,XY), dem phänotypischen
Geschlecht (z. B. männliche oder weibliche externe Geni-
talien) und dem gonadalen Geschlecht (z. B. Vorhanden-
sein von Ovarien oder Hoden). Bei Gonadendysgenesien
verlaufen die Entwicklung von chromosomalem, phänoty- Penile Urethra (Hypospadie Klitorisvergrößerung: Vagina Einfache Klitoris-
pischem oder gonadalem Geschlecht atypisch. Mögliche oder normal); Vagina mündet mündet an der Klitorisbasis in den vergrößerung,
in die Urethra (Sinus urogenitalis), Sinus urogenitalis, partielle Fusion Genitalien sonst normal
Ursachen der Intersexualität sind die kongenitale adrena- Fusion der Labien (Skrotum) der Labien (Scrotum bifidum)
le Hyperplasie (46,XX-Gonadendysgenesie) und die parti-
elle Androgenresistenz (46,XY-Gonadendysgenesie). Aus Abb. 4.12
praktischen Gründen erfolgt die Einteilung in eine ge-
schlechtschromosomale Form, eine testikuläre Entwick-
lungsstörung und eine Störung der Hodenentwicklung Gonadales Geschlecht AMH und Inhibin B. Die AMH-Sekretion (unter Einfluss
mit Androgenisierung (46,XY-Gonadendysgenesie, männ von SOX9 und anderen Transkriptionsfaktoren) beginnt in
licher Pseudohermaphroditismus) sowie in Störungen der Das gonadale Geschlecht wird durch das Vorhandensein der 7. Entwicklungswoche und führt zur Rückbildung der
ovariellen Entwicklung und Androgenüberschuss (46,XX- von Ovarien oder Hoden bestimmt. SRY auf dem Y-Chro- Müller-Strukturen (Uterus, Eileiter und obere zwei Drittel
Gonadendysgenesien, weiblicher Pseudohermaphroditis mosom führt zur Hodenentwicklung (› Abb. 4.1, der Vagina). Bei einem männlichen Chromosomensatz
mus). › Abb. 4.2). Durch Expression von SRY und SOX9 prolife- (46, XY) sind AMH oder sein Rezeptor mutiert. Bei einer
rieren mesonephrische Zellen und wandern in die sich ent- Sertoli-Zell-Dysfunktion können die Müller-Gänge persis-
wickelnden Hoden ein. An der normalen Hodenentwick- tieren und sich ein Hodenhochstand (46,XY-Gonadendys-
Chromosomales Geschlecht lung sind mehrere Faktoren beteiligt. Die normale ovarielle genesie) entwickeln (› Abb. 4.14). Ist nur die Steroidsyn-
Entwicklung hängt von der Expression von Faktoren ab, these der Leydig-Zellen gestört, persistieren die Müller-
Das chromosomale Geschlecht wird bei der Befruch- welche die Hodenentwicklung verhindern, sowie durch die Gänge nicht, weil die AMH-Produktion in den Sertoli-Zel-
tung festgelegt und führt zu männlichen 46,XY- oder fehlende AMH-Expression. len nicht betroffen ist.
weiblichen 46,XX-Zygoten. Bei meiotischer Non-Dis- In der 9. Entwicklungswoche beginnt die Androgenpro-
junction kann Material der Geschlechtschromosomen duktion in den fetalen Leydig-Zellen im 1. und 2. Trime-
in Spermium oder Ovum verloren gehen oder hinzu- Phänotypisches Geschlecht non unter Einfluss von plazentarem humanem Choriongo-
kommen (Aneupleudie), sodass Chromosomensätze nadotropin und im 3. Trimenon unter Einfluss von LH aus
wie 47,XXY (Klinefelter-Syndrom) und 45,X (Turner- Männliches Geschlecht der fetalen Hypophyse. Nach Aufnahme von Cholesterin in
Syndrom) entstehen. Eine mitotische Non-Disjunction die Leydig-Zellen stimuliert LH das steroidogene akut-re-
in der Zygote kann zu einem Mosaik führen (z. B. Die Geschlechtsdifferenzierung wird durch Steroid- und gulatorische Protein zur Migration von der äußeren zur
45,X/46,XX). Peptidhormone vermittelt. Die Sertoli-Zellen produzieren inneren Membran der Mitochondrien. Anschließend wird
110 4 Fortpflanzung
(Fortsetzung)
Weibliches Geschlecht
Bei Frauen bilden die Müller-Strukturen den Uterus, den Relativ normaler weiblicher
Habitus (Inguinalhernien)
oberen Anteil der Vagina und die Eileiter. Die Wolff-Gänge
degenerieren ohne die lokale testikuläre Testosteronproduk-
Operative Freilegung der Hoden in den Leisten,
tion. Eine normale Uterusentwicklung ist auch in Abwesen- die Laparotomie zeigt das vollständige Fehlen von
heit von Ovarien möglich. Der Sinus urogenitalis wird zum Uterus, Eileitern und Ovarien.
unteren Anteil der Vagina und zur Urethra (› Abb. 4.2).
Aus dem Genitalhöcker wird die Klitoris, aus den Urogenital-
falten die Labia minora und aus den Labioskrotalfalten die
Labia majora. Etwa in der 16. Entwicklungswoche exprimie-
ren die Ovarien LH- und FSH-Rezeptoren. Die FSH-Serum- Typische Hodenhistologie bei Kryptorchismus
spiegel erreichen in der 20. Woche ihren Höchstwert, wenn (In-situ-Neoplasie oben links)
in den Ovarien die Primärfollikel entstehen. Die fetalen Ova-
rien produzieren nur sehr wenig Östrogen. Abb. 4.13
Bei Androgenexposition eines Fetus mit weiblichem
Chromosomensatz (46,XX) in utero (z. B. aus der Neben-
nierenrinde bei kongenitaler adrenaler Hyperplasie) rosexuelle, homosexuelle und bisexuelle Neigung. Die psy- Geschlechtschromosomale
kommt es zur Androgenisierung der externen Genitalien chosoziale Entwicklung ist komplex und hängt zum Teil Gonadendysgenesien
(› Abb. 4.12). In diesem Fall ist ein Uterus vorhanden von pränatalen endokrinen und kongenitalen chromoso-
und die Testosteronkonzentrationen sind nicht hoch ge- malen Faktoren ab. Das Y-Chromosom scheint kein wich- Eine geschlechtschromosomale Aneuploidie führt z. B. zu
nug, um die Wolff-Strukturen zu stabilisieren. tiger Faktor zu sein; so entwickeln sich phänotypische Klinefelter-Syndrom (47,XXY) und Turner-Syndrom
Frauen mit kompletter Androgenresistenz trotz 46,XY- (45,X) (› Abb. 4–17, › Abb. 4.18, › Abb. 4.19,
Karyotyp psychosozial zu Frauen. Die psychosoziale Ent- › Abb. 4.20).
Psychische Entwicklung wicklung kann sich verändern; so können Kinder mit
5α-Reduktase-Mangel die Geschlechterrollen in der Ado-
Die Geschlechtsidentität ist die Selbstwahrnehmung als leszenz ändern. Gemischte Gonadendysgenesie
weiblich oder männlich und die Geschlechterrolle bezieht Der Phänotyp ist äußerst variabel und hängt von der
sich auf geschlechtsspezifische Verhaltensweisen (z. B. Grunderkrankung ab. Die Klärung der Grundlage ist für Das 45,X/46,XY-Mosaik ist eine Form der gemischten
körperliche Aggression, Spielzeugvorlieben, Peer-Group- die Geschlechtszuordnung, die Behandlung und die medi- Gonadendysgenesie, die mit zahlreichen Phänotypen der
Interaktionen). Sexuelle Orientierung bezeichnet die hete- zinischen Auswirkungen wichtig. äußeren Genitalien einhergeht (normale weibliche Genita
Gonadendysgenesien 111
(Fortsetzung)
(Fortsetzung)
Klinefelter-Syndrom
47,XXY-Karyotyp
Das Klinefelter-Syndrom ist die häufigste genetische Ursa-
che des primären Hypogonadismus. Es tritt bei etwa 1 von
FSH
1.000 lebendgeborenen Jungen auf. Das Klinefelter-Syn- Hypophysäre Gonadotropine
LH
Hypophysenvorderlappen
drom entsteht, wenn überschüssiges X-chromosomales
Material vorliegt, meistens 47,XXY und seltener 48,XXXY,
46,XY/47,XXY-Mosaike und 46,XX (phänotypischer
Mann). Der 47,XXY-Karyotyp entsteht durch Non-Dis-
junction der Geschlechtschromosomen während der
Meiose bei der Gametogenese bei einem Elternteil
(› Abb. 4.16). Mosaike wie 46,XY/47,XXY entstehen bei
gestörter Mitose in einer Zygote mit initial normalem
Chromosomensatz. Das überschüssige X-Chromosom
führt bis zur Jugend zu wenigen bis gar keinen Anomalien.
Dann entwickeln die Betroffenen kleine, feste Hoden mit Brustvergrößerung
(Gynäkomastie)
hyalinisierten Tubuli seminiferi und verklumpte Leydig-
Zellen, eine Azoospermie, einen kleinen Phallus, eine Gy-
näkomastie, einen leichten bis mittelschweren Eunuchoi-
dismus, eine reduzierte Virilisierung und erhöhte Serum- Tubulus mit
Sertoli-Zellen
spiegel von LH und FSH. Hoden Mammahistologie
Die eunuchoiden Körperproportionen entstehen durch Androgen
den Testosteronmangel und den verzögerten Epiphysen-
schluss. Trotz der fast immer vorhandenen Infertilität zei-
gen diese Männer eine inadäquate Maskulinisierung von
einem mäßig schweren Eunuchoidismus bis zu einem fast
normalen männlichen Phänotyp. Die Blutspiegel von LH
und FSH sind in der Regel durch eine Fehlfunktion der
Leydig-Zellen bzw. der Tubuli seminiferi erhöht. Das Aus- Späte pubertäre Hoden- Dichtes Stroma
Sklerosierte
maß der Gynäkomastie ist hoch variabel und mit dem Aus- insuffizienz (Klinefelter,
Tubuli
nicht eunuchoidale
maß des Testosteronmangels assoziiert. Variante)
In den Gonaden finden sich unregelmäßig verteilt Tu-
buli und Tubulusnarben, die durch lockeres Bindegewebe
getrennt sind, sowie Klumpen von Leydig-Zellen. Oft tre-
ten vermehrt Leydig-Zellen auf, die in Nestern die Konfi-
guration von Adenomen annehmen können. Die nichthya-
linisierten Tubuli sind unterschiedlich groß. Manche ent-
halten nur Sertoli-Zellen, andere Keimzellen in frühen
Reifungsstadien. Die Basalmembran der Tubuli seminiferi
ist verdickt und sklerosiert und viele Tubuli enthalten gro-
ße Hyalinablagerungen. Oft fehlt die elastische Membran ↓ LH
↓ FSH
oder ist unterentwickelt. Vor der Jugend sind die Hoden
recht normal, wobei geringfügige histopathologische Ver- ↓ Testosteron
änderungen möglich sind.
Männer mit Klinefelter-Syndrom weisen meistens kei- Abb. 4.17
ne kongenitalen Anomalien auf (wie beim Turner-Syn-
drom), gelegentlich bestehen eine leichte mentale Retar-
dierung, Angstzustände oder Depressionen. Außerdem Der 47,XYY-Karyotyp führt zu phänotypisch norma- Die Symptome des Hypogonadismus werden in der Re-
haben sie oft psychosoziale Probleme, z. B. durch mangeln- len Männern mit in der Regel normaler Hodenfunktion gel effektiv mit Testosteronersatz behandelt. Die Testoste-
de Einsichtsfähigkeit, erschwerte soziale Interaktionen, und Fertilität. Männer mit diesem Karyotyp haben ein rondosis sollte so angepasst werden, dass der Serumspiegel
schlechtes Urteilsvermögen und kognitive Defekte bei der erhöhtes Risiko für Lernstörungen und Sprachverzöge- im mittleren Normalbereich liegt.
Wortverarbeitung. rung.
Außerdem besteht bei diesen Patienten ein erhöhtes Ri- Der Verdacht auf ein Klinefelter-Syndrom besteht bei
siko für die Entwicklung von Lungenerkrankungen (z. B. allen großwüchsigen Männern im Jugendalter mit Gynä-
Emphysem, Bronchiektasien), Krebserkrankungen (z. B. komastie und kleinen Hoden. Die Diagnose wird durch
mediastinale Keimzelltumoren, Mammakarzinom), Dia- Karyotypisierung der peripheren Leukozyten bestätigt.
betes mellitus und Varikose. Die Blutspiegel von Testosteron und Inhibin B sind nied-
Phänotypische Männer mit 46,XX-Karyotyp haben ein rig. Der Estradiolspiegel liegt im männlichen Referenzbe-
dem Klinefelter-Syndrom ähnlichen Phänotyp mit Aus- reich. Die Blutspiegel von LH und FSH sind erhöht. Die
nahme von Hypospadien und Minderwuchs. Diese Krank- Samenanalyse zeigt in der Regel eine Azoospermie, ob-
heit entsteht durch Translokation des SRY-Gens vom Y- wohl bei 46,XY/47,XXY-Mosaiken spontane Fertilität be-
Chromosom auf dem kurzen Arm des X-Chromosoms. schrieben ist.
Turner-Syndrom (Gonadendysgenesie) 115
Turner-Syndrom (Gonadendysgenesie)
Das Turner-Syndrom (Gonadendysgenesie) oder die X- Turner-Syndrom: 45,X0-Karyotyp
chromosomale Monosomie ist bei kleinwüchsigen Frauen Lig. teres uteri
Infantiler Uterus
mit primärer Amenorrhö eine wichtige Differenzialdiag- Eileiter Eileiter
nose. Gemäß der klassischen Beschreibung von Turner im Harnblase
Jahre 1938 sind die Patientinnen kleinwüchsig und haben
mehrere sichtbare kongenitale Anomalien, wie einen kur-
zen Hals mit Flügelfell (Pterygium colli), Cubitus valgus
und einen breiten Schildthorax. Diese Erkrankung tritt bei
etwa 1 von 2.500 lebendgeborenen Mädchen auf. Der
45,X0-Karyotyp scheint durch eine Non-Disjunction oder
einen Chromosomenverlust bei der Gametogenese bei ei-
nem der Elternteile zu entstehen (› Abb. 4.16). In einem
Drittel der Fälle ist das paternale X-Chromosom (Xp) vor-
handen und in den übrigen zwei Dritteln ein mütterliches
(Xm). Etwa 25 % der Patientinnen mit Turner-Syndrom
weisen ein chromosomales Mosaik auf (z. B. 45,X/46,XX), Kleinwuchs,
das durch Fehler bei der Mitose einer Zygote mit initial fehlende se-
normalem Chromosomensatz entsteht. Der fast immer kundäre Ge-
schlechtsmerk-
beim Turner-Syndrom vorhandene Kleinwuchs beruht auf male, spärliche
dem Verlust des Short-Stature-Homeobox-Gens (SHOX- Scham-
Gen) in der pseudoautosomalen Region des kurzen Arms behaarung,
Flügelfell,
des X-Chromosoms (Xp22), das für einen osteogenen Fak- Schildthorax,
tor kodiert. Die SHOX-Haploinsuffizienz führt noch zu Cubitus valgus,
weiteren Skelettanomalien, wie Cubitus valgus und kurzen Pigmentnävi
und/oder andere
Metakarpalia IV. angeborene Primitive Stranggonaden; Stroma ohne Keimepithel
Die Pubertät ist überwiegend durch eine primäre Ame- Fehlbildungen
norrhö und ausbleibende sekundäre Geschlechtsmerkmale
gekennzeichnet. Manche Patientinnen mit 45,X/46,XX-
Mosaik durchlaufen eine normale Pubertät und entwickeln
eine sekundäre Amenorrhö, wieder andere haben normale
Menstruationszyklen. Die gynäkologische Untersuchung
zeigt in der Regel einen normalen, aber infantilen Uterus
und Eileiter mit nur rudimentärer Gonadenentwicklung.
In der Regel finden sich fibröse Stranggonaden im Lig. la- Unzureichende Östrogenproduktion der
Gonaden stimuliert eine starke Abgabe von
tum uteri. Das Ausmaß der ovariellen Schädigung ist vari-
hypophysären Gonadotropinen
abel, wie an den diversen klinischen Symptomen und den
möglichen Mosaiken zu erkennen ist.
Patientinnen mit klassischem Turner-Syndrom werden
selten größer als 1,50 m und sind häufig bereits bei der Ge-
burt sowie während der Kindheit sehr klein. Das Verhält- Infantiles weibliches Genitale, oft Hypoplasie
nis zwischen Ober- und Unterkiefer ist bei den meisten der Labia minora
Patientinnen erhöht. Ein kongenitales Lymphödem der
Hände und Füße bei einem weiblichen Neugeborenen ist
ein frühes Zeichen dieser genetischen Krankheit. Neben Abb. 4.18
dem Kleinwuchs bestehen folgende weitere typische Be-
funde: ein kurzer Hals mit Flügelfell, ein hohes Gaumenge-
wölbe, ein breiter Schildthorax, hypoplastische Mamillen
mit weitem Abstand, verkürzte vierte Metakarpalknochen
und Cubitus valgus. Weitere Befunde sind Mikrognathie,
„Fischmaul“, niedriger Ohrenansatz oder Ohrfehlbildun-
gen, hypoplastische Nägel und ein tiefer Haaransatz im
Nacken, der bis zwischen die Schultern reicht. Pigmentnä-
vi, Teleangiektasien, Sehstörungen (z. B. Strabismus, Am-
blyopie, Ptose) und Ohrfehlbildungen (z. B. Anomalien der
Eustachi-Röhre, die oft zur Otitis media führen) sind häu-
fig. Aortenkoarktationen und weitere Herzfehlbildungen
(z. B. bikuspide Aortenklappe, Elongation des Aortenbo-
gens), Hypertonie, Aortendissektion, Nierenfehlbildungen
(z. B. Hufeisenniere, Anomalien des Ureterabgangs) und
mehrere andere Defekte sind beschrieben.
116 4 Fortpflanzung
(Fortsetzung)
Obwohl die Intelligenz in der Regel normal ist, sind neuro- Turner-Syndrom: 45,X/46,XX-Karyotyp
kognitive Störungen möglich (z. B. Aufmerksamkeits Eileiter Infantiler Lig. teres
defizitsyndrom, visuell-räumliche Wahrnehmung). Neuro Uterus uteri Eileiter
Harnblase
kognitive Störungen sind häufiger, wenn das vorhandene
X-Chromosom vom Vater stammt. Beispiel für die anorma-
le soziale Wahrnehmung bei diesen Patienten ist die Schwie-
rigkeit, affektive Zuneigung aus der Mimik abzuleiten. Die
Lig. teres Lig. teres
kraniale Magnetresonanztomografie und Positronen-Emis- uteri uteri
sionstomografie zeigen ein reduziertes Gewebevolumen und
einen reduzierten Glukosemetabolismus im rechten Parie-
tal- und Okzipitallappen, was zu den Störungen der visuell-
räumlichen Wahrnehmung beiträgt. Selten findet sich ein
kleines X-Ringchromosom (Karyotyp 46,X,r[X]), das oft mit
einer mentalen Retardierung einhergeht. Häufig bestehen
eine Hypothyreose (Hashimoto-Thyreoiditis), ein sensori-
neuraler Hörverlust, eine Zöliakie und Leberwertverände- Gonade Gonade
rungen. Die hohe Fraktur- und Osteoporoseneigung bei
Frauen mit Turner-Syndrom scheint multifaktoriell bedingt
zu sein, u. a. durch Östrogenmangel und die Haploinsuffizi-
enz der knochenrelevanten Gene auf dem X-Chromosom.
Außerdem entwickeln Patientinnen mit Turner-Syndrom
oft Keloid im Bereich von Operationsnarben.
Bei 45,X/46,XX-Mosaik differenzieren sich die Gonaden
oft besser, sodass im Kortex wenige, aber normal aussehende
Primordialfollikel entstehen. Bei Mädchen mit Primordialfol-
likeln vergrößert sich das Brustgewebe und schwache Menst- Stigmata des Turner-Syndroms
können fehlen Welliges Stroma ohne Keimanteile Ovarialstroma mit wenigen
ruationsblutungen treten auf. Allerdings entstehen diese ös-
Primordialfollikeln
trogenabhängigen Symptome erst spät, sodass im üblichen
Pubertätsalter das klassische Bild des sexuellen Infantilismus
besteht. Solche Mädchen können die Symptome des Turner-
Syndroms aufweisen und sind oft eher eunuchoid und groß-
wüchsig als kleinwüchsig. Bei weniger stark betroffenen
Frauen bestehen nur eine Infertilität und eine subnormale
Entwicklung der östrogenabhängigen Geschlechtsmerkmale. Gonadale Östrogenproduktion kann zur
Prävention einer übermäßigen Ausschüttung
Bei diesen Patientinnen sind Schwangerschaften möglich. hypophysärer Gonadotropine ausreichen
Virilisierungen entstehen eher bei einer gemischten
Gonadendysgenesie durch Y-Chromosomen-Mosaik
(45,X/46,XY) (› Abb. 4.14) und seltener durch andere
Karyotypen (z. B. 45,X/47,XYY; 45,X/46XY/47,XYY). Bei Genitale relativ normal, aber infantil; oft Aplasie oder
Hypoplasie der Labia minora
diesen Frauen besteht eine typische Gonadendysgenesie
mit Klitorisvergrößerung, intersexuellen Genitalien, hypo-
spadischem Phallus oder normal erscheinendem Penis
(› Abb. 4.20). Die Hodendifferenzierung reicht bei die-
sen Patientinnen von Stranggonaden bis zu hormonakti- Abb. 4.19
ven Hoden. Die Geschlechtszuordnung ist häufig schwierig
und erfolgt in der Regel anhand der externen Genitalien.
Sobald das Y-Chromosom-Mosaik bestätigt wurde, ist eine
prophylaktische Gonadektomie indiziert. Maligne Keim-
zelltumoren (z. B. Dysgerminome) können aus Gonado-
blastomen oder dysgenen Gonaden hervorgehen.
Wenn sich der medulläre Anteil der Gonadenanlage bei
45,X/46/XY-Mosaik über das rudimentäre Stadium hinaus
entwickelt, führt die Produktion von gangorganisierenden
Substanzen und Androgen zu einer morphologischen Ent-
wicklung parallel derjenigen der Hoden. Wenn der Hoden
rudimentär bleibt, sind Gonadengänge und externe Geni-
talien intersexuell oder hermaphroditisch. Da die vom Ho-
den produzierte gangorganisierende Substanz unilateral
wirkt, tritt bei ungleich entwickelten Hoden eine asymme-
trische Gangentwicklung auf.
Turner-Syndrom (Gonadendysgenesie) 117
(Fortsetzung)
(Fortsetzung)
Hypothalamus
Vaginal- Vaginal- Endo- Vaginal- Vaginal-
abstrich epithel metrium Ovar Mamma Hypothalamus Mamma Ovar Endometrium epithel abstrich
Hypophysenvoderlappen
Mütterliches
Mütterliches
Östrogen
Östrogen
Postmenopause
Säugling
Gonadotrope Hormone
Kindheit
FSH, LH und PR
bett
en
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Progesteron
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S
Serumöstrogen
Adulter Zyklus
Hypophysenhormone Ovar- und Chorionhormone
Abb. 4.23
122 4 Fortpflanzung
Gynäkomastie
Die Vergrößerung der männlichen Brust durch eine Zu- Physiologisch Idiopathisch Hormon- oder Medikamenteneinnahme
nahme ihrer drüsigen Komponente wird als Gynäkomastie
bezeichnet. Sie reicht von einer kaum sichtbaren, kleinen,
zentralen, subareolären Scheibe aus Mammagewebe bis zur
Ausbildung einer normalen weiblichen jugendlichen Mam- ?
ma. Sie kann uni- oder bilateral auftreten und ist oft
schmerzhaft. Bei Adipositas ist sie oft nur schwer festzustel- Parenteral Oral Topisch
Neonatal Hohes Alter
len, weil sie ganz oder teilweise auf einer Fetteinlagerung (maternales Östrogene, Testosteron, Spironolacton,
(Rückbildung) hCG, Marihuana, anabole Steroide,
beruhen kann (Pseudogynäkomastie). Der erste Schritt bei Östrogen via Pubertär
Plazenta) Haloperidol
der Abklärung einer Gynäkomastie ist die Unterscheidung
zwischen echter Gynäkomastie (Drüsengewebe), Pseudo
gynäkomastie (Fettgewebe) und Mammakarzinom.
Histopathologisch finden sich vermehrte Milchgänge
und Stroma. Die Milchgänge sind verlängert und verzweigt
mit Knospung und Bildung neuer Gänge, aber ohne Alveo-
len. Außerdem besteht eine epitheliale Hyperplasie.
Gleichzeitig ist das Stroma vermehrt und oft hyalinisiert.
Diese Veränderungen werden durch ein verringertes Ver- Hoden:
hältnis der Androgen-Östrogen-Aktivität verursacht. Die Klinefelter-
Syndrom,
Ursache ist physiologisch (z. B. pubertäre Gynäkomastie) Hunger,
Atrophie,
oder pathologisch (z. B. Hypogonadismus, Arzneimittel, hormonaktive Refeeding
Leberzirrhose, Mangelernährung). Tumoren
Physiologische Formen
Galaktorrhö
Galaktorrhö (anormale Laktation) bezeichnet die Sekre Stimulation des Hypothalamus über sensori- Hypophysentumoren oder -fehlfunktion
tion von milchiger Flüssigkeit aus der Mamma mehr als sche Signalwege
6 Monate nach der Entbindung bei einer nicht stillenden
Frau. Sie tritt meist bilateral, seltener auch unilateral auf
und entweder spontan oder nur durch Exprimierung. Der GH
Beginn kann bis zu einer normalen Stillzeit zurückverfolgt Prolaktin
werden, nach der kein Abstillen erfolgt ist. Bei Männern ist FSH- und
eine Galaktorrhö äußerst selten. LH-Mangel
Für eine normale Laktation und Galaktopoese (Aufrecht-
erhaltung der Laktation) müssen ausreichende Mengen von
Prolaktin aus dem Hypophysenvorderlappen sowie Östrogen Östrogen-
und Progesteron aus den Ovarien für die Gangbildung und mangel
die Entwicklung von Lobuli bzw. Alveoli vorhanden sein. Das Längeres Stillen
Serumprolaktin steigt allmählich während der Schwanger- (oder Manipulation)
Akromegalie
schaft und erreicht bei der Entbindung seinen Höchstwert, Amenorrhö
etwa das Zehnfache des oberen Normwerts bei nicht laktie-
renden Frauen. Der während der Schwangerschaft steigende Afferenzen
von der
Östrogenspiegel fördert die Prolaktinsekretion durch Bin- Mamille
dung an ein Prolaktin-Response-Element an den laktotropen Pro
laktin
Hypophysenzellen. Der Saugreiz hat eine doppelte Wirkung. GH
Er fördert die Laktation und stimuliert die Freisetzung von Benigne zystische Ox
Mastopathie yto
Prolaktin und Oxytocin. Letzteres führt zur Kontraktion der cin
Myoepithelzellen der Azini, wodurch der freie Fluss von
Milch in den größeren Gängen gewährleistet ist. Die Prolak Hyperprolaktinämie
tinsekretion wird durch Dopamin gehemmt, das kontinuier- mit Hypothalamus-
en
Östrog tumor, Hypophysen-
lich vom Hypothalamus freigesetzt wird und die laktotropen stielläsion oder hor-
Zellen über den Hypophysenstiel erreicht. steron moninaktivem
Proge
Die Ursachen der Galaktorrhö sind sehr unterschied- Hypophysentumor
lich, der gemeinsame Weg ist aber die Hyperprolaktin Endokrine Beeinflussung
Herpes zoster
der normalen Laktation
ämie. Jeder Prozess (z. B. Hypothalamustumor, Hypophy-
senstielläsionen und Makroadenome der Hypophyse), der
die Weiterleitung von Dopamin aus dem Hypothalamus zu
den laktotropen Hypophysenzellen stört, kann zur Hyper-
prolaktinämie führen. Oft manifestiert sich ein prolaktin Hyperprolaktinämie
sezernierender Hypophysentumor (Prolaktinom) erstmals Psychose mit Prolaktin produ-
zierendem Hypo-
mit einer Galaktorrhö (› Abb. 1.21). Medikamente, wel- physentumor
che die Dopaminwirkung an den Dopaminrezeptoren der Neuroleptika, die
laktotropen Zellen blockieren (z. B. Risperidon, Phenothia- den Dopaminrezeptor
zin, Metoclopramid), können ebenso zur Hyperprolaktin blockieren
Thoraxoperationen
ämie führen wie eine primäre Hypothyreose, bei der die
vermehrte Ausschüttung von TRH aus dem Hypothalamus
die Freisetzung von Prolaktin aus den laktotropen Zellen
anregt. Chronisches Nierenversagen führt durch die ver- Störung der hypothalamischen Dopaminwirkung
mehrte Prolaktinsekretion und verminderte metabolische
Clearance zur Hyperprolaktinämie. Abb. 4.26
Alles, was den Saugreiz beim Stillen eines Säugling si-
muliert (z. B. chronische Stimulation der Mamillen), kann Allgemein wird die Galaktorrhö am effektivsten durch
zur Galaktorrhö führen. Dieser Mechanismus ist auch für die Korrektur der Hyperprolaktinämie behandelt. Therapie
die Galaktorrhö nach Thorakotomie und anderen Brust- der Wahl bei prolaktinsezernierenden Hypophysentumo-
wandwunden, Brustwandverletzungen, Halswirbelsäulen- ren (› Abb. 1.21) sind Dopaminagonisten (z. B. Bromo-
läsionen und Herpes zoster der Brustwand verantwortlich. criptin, Cabergolin). Sie normalisieren das Serumprolaktin
Etwa 50 % der Frauen mit Akromegalie haben eine Ga- und beheben die Galaktorrhö. Obwohl die Hyperprolaktin-
laktorrhö, oft ohne begleitende Hyperprolaktinämie. ämie durch eine Kompression des Hypophysenstiels durch
Wachstumshormon ist selbst ein potentes Laktogen. hormoninaktive Hypophysentumoren mit einem Dop
Die häufigste Ursache der Galaktorrhö, die etwa 50 % der aminagonisten korrigiert werden kann, wirken diese Subs-
Fälle ausmacht, ist eine Überempfindlichkeit des Endor- tanzen nicht auf den Tumor selbst. Ist ein Medikament Ur-
gans Brust mit normalem Serumprolaktin und in der Regel sache der Hyperprolaktinämie, sollte auf eine alternative
regelmäßigen Menstruationszyklen. Diese Form der idiopa- Substanz umgestellt werden.
thischen Galaktorrhö tritt in der Regel nach der Entbindung
auf und persistiert bei Wiedereinsetzen der Menstruation.
KAPITEL
5 Pankreas
126 5 Pankreas
nu
Niere col o n
Meso
de
liegt anterior der V. portae vor den 1. und 2. Lendenwirbel- Kolon
Duo
körpern. Der Pankreaskörper liegt anterior der Aorta am
Linke
s
de
Abgang der A. mesenterica superior. Körper und Schwanz Kopf
ng Niere
ftu
liegen anterior von A. und V. lienalis und der Schwanz ante- A n ha Jejunum
rior der linken Niere. Anterior ist das Pankreas von Perito-
neum bedeckt. Die Basis des Mesocolon transversum setzt
am inferioren Rand von Pankreaskörper und -schwanz an.
Kolon
Embryogenetisch entsteht das Pankreas durch die Fu
sion der ventralen und dorsalen Knospen. Der Gang von
der kleineren ventralen Knospe verbindet sich direkt mit
dem Ductus choledochus und wird zum Ductus pancreati- Processus uncinatus
cus. Die ventrale Knospe wird zum inferioren Anteil von
Pankreaskopf und Processus uncinatus. Der Gang aus der
größeren dorsalen Knospe drainiert direkt in das Duode- A. und V. mesenterica superior
num und wird zum Ductus pancreaticus minor. Aus der Radix mesenteri
dorsalen Knospe entstehen Körper und Schwanz des Pan Ductus pancreaticus accessorius
kreas. Die Gänge beider Anlagen verschmelzen im Pan (Santorini) Ductus choledochus
kreaskopf, sodass das exokrine Pankreas überwiegend Ductus pancreaticus
durch den Ductus pancreaticus in den Ductus choledochus 2 (Wirsungianus)
1
drainiert, der an dieser Stelle auf der Medialseite des zwei-
ten Duodenalabschnitts die Ampulla Vateri bildet. Die Ab-
2 2
leitung der pankreatischen und biliären Sekrete wird
durch den Sphincter Oddi, eine Gruppe von Muskelfasern 3
AC
an der Ampulla Vateri, kontrolliert. B
Die Gefäßversorgung des Pankreas erfolgt über zahlrei- 4
che Äste aus der A. mesenterica superior und dem Truncus 1
Exokrine Pankreasfunktionen
Täglich produziert das Pankreas etwa 1 l alkalischen isoos- Sympathische Fasern
Körperkreislauf Vagusfasern
motischen Pankreassaft, der aus den azinären Zellen und Serum- (parasympathisch)
dem Ductus pancreaticus stammt. Der farblose, bikarbo- Chole- amylase und
Sekretin zystokinin -lipase Ganglion coeliacum
nat- und proteinreiche Pankreassaft spielt eine wichtige
Rolle bei der Alkalisierung des Duodenums und der Ver-
dauung. Die azinären Zellen produzieren die für die Ver- Sekretin
dauung der drei Hauptnährstoffe erforderlichen Enzyme:
Sekretin-induzierte
Amylase zur Verdauung von Kohlenhydraten (Stärke), Sekretion Pankreas
Proteasen (z. B. Trypsin) zur Eiweißverdauung und Lipa- (Flüssigkeit und
sen zur Fettverdauung. Die azinären Zellen sind pyra Elektrolyte)
midenförmig und weisen mit ihren Spitzen zum Lumen
des Azinus, wo die enzymhaltigen zymogenen Granula mit Neurogene oder
der apikalen Zellmembran verschmelzen, um ihren Inhalt durch Chole-
Pankreatischer Azinus
zystokinin Trypsinogen
abzugeben. Im Gegensatz zu den endokrinen Pankreas induzierte Ductus pancreaticus
zellen sind die azinären Zellen nicht spezialisiert und pro- Sekretion Vena portae
(Enzyme)
duzieren alle drei Arten Pankreasenzyme in derselben
Sekretin
Zellart.
Amylase wird in der aktiven Form sezerniert und hyd- Entero- Cholezystokinin
kinase Dextrine
rolysiert Stärke und Glykogen zu den Einfachzuckern Glu- Stärke Ma
kose und Maltose; Letztere wird von Darmmaltasen zu Amylase ltos e
Fettsä e
uren as
Glukose abgebaut. Die proteolytischen Enzyme werden als Fett alt Lymphatisch
Lipase M
Proenzyme sezerniert und müssen im Duodenum aktiviert G
lyz
Protein er
werden. So wird Trypsinogen im Duodenum durch eine ol
Glu
Sekretin
Trypsin
Enterokinase zu Trypsin. Die intrapankreatische Konver- Pe
kos
pti
sion von Trypsinogen wird durch einen pankreatischen de
e
sekretorischen Trypsininhibitor verhindert, um das Pan Dünndarm Am Peptid
ino asen
kreas vor Autodigestion zu schützen. Ein weiteres proteo- sä
ure Cholezystokinin
lytisches Enzym, das als Proenzym sezerniert wird, ist n