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Berichte

Isabella Scheibmayr

Care! Feminism Confronts Capitalism –


Herrschaft, Protest, Visionen im Feld der Sorgearbeit
Bericht zur Jahrestagung der Sektion Feministische Theorie und
Geschlechterforschung in der Österreichischen Gesellschaft für Soziologie,
29. u. 30. Jänner 2015, Linz

Am 29. und 30. Jänner wurde an der vaten Arbeitsteilung unsichtbar mache.
Johannes Kepler Universität Linz und der Care sei immer herrschaftlich organisiert,
Arbeiterkammer Oberösterreich die Jah- es gäbe keine Vergangenheit, die besser
restagung der Sektion Feministische wäre als der Status quo. Die Frage, ob die
Theorie und Geschlechterforschung Reorganisation der Care-Arbeit, wie wir
(F Th. G) in der ÖGS gehalten. Es fan- sie derzeit erleben, Teil einer Revolution
den sich rund 110 Interessierte aus For- sein kann, wie wir sie wünschen, sei noch
schung und Praxis ein, um in zwei Tagen nicht entschieden. Abschließend plädiert
Herausforderungen und Zukunftsszena- Klinger für ein Ende der Bescheidenheit.
rien im Feld der Sorge(arbeit) zu disku- Der Titel »Vercarete Verhältnisse: Ar-
tieren. Das Organisationsteam unter der beitsarrangements, Arbeitsteilung und
Leitung von Brigitte Aulenbacher, Fabienne Macht in der Pf lege« steht den ersten
Décieux und Ilona Horwath bot ein um- Vorträgen voran. Karina Becker (Trier)
fangreiches und intensives Programm. machte mit der Darstellung migrantischer
Im Eröffnungsvortrag von Cornelia Pf legearbeit in Deutschland den Anfang.
Klinger (Wien) stand die Sorge um Care In ihrer empirischen Studie zeigte sie,
in einer sich wandelnden kapitalistischen dass in der 24h-Betreuung die Arbeitsmi-
Gesellschaft im Vordergrund. Die Care- grantinnen kaum auf institutionelle
Revolution werde aus feministischer Per- Machtressourcen zurückgreifen können.
spektive gefordert, finde aber von neoli- Erwartet werde, dass sie Handlungslogik
beraler Seite und nicht zuletzt technolo- folgen, die für familiäre Arbeit typisch
gisch statt, so lautete die provokante sei. Diese Normalitätskonstruktion von
These. Lebenssorge betrifft jedoch das Pf lege münde in strukturelle Machtlosig-
Sein in seiner gesamten Kontingenz. keit. Margareta Kreimer (Graz) stellte dieser
Technologien haben das Spektrum poli- Diagnose die österreichische Situation
tischer und ökonomischer Handlungsfä- gegenüber. Auch hier wird die Idealvor-
higkeit in der Pf lege erweitert, gleichzei- stellung der Pf lege zuhause normalisiert
tig greift das im Pf legebereich dominante und die 24h-Form legalisiert. Die
Liebeskonzept auf andere Bereiche der Baumol’sche Kostenkrankheit führe je-
Güterproduktion über. Klinger warnte doch zu eingeschränkter Marktfähigkeit
vor einem romantisierenden Verständnis dieser Form (Subventions- und Regulie-
von Sorge, da dies geschlechts- und klas- rungsbedarf ). Die Idealisierung der Pf lege
senspezifische Ungleichheiten in der pri- zuUniversitaetsbibliothek
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Feministische Studien (© Lucius & Lucius, Stuttgart) 2 / 15
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auf (teil)stationäre Angebote aus. Eva Appelt schilderte die österreichische Si-
Fleischer (Innsbruck) zeigte in ihrem Vor- tuation – familiale Sorgearbeit sei die
trag, wie intersektionale Analysen infor- wichtigste Ressource für Kinder- und
meller Pf lege den Handlungshorizont er- Altenbetreuung, die durch Transferleis-
weitern können. Interkategoriale Verglei- tungen, den Ausbau sozialer Rechte und
che führen oft zu »intersektionaler Un- staatlicher Förderung der Kommodifizie-
sichtbarkeit«, indem sie ein Bild der »ty- rung aufrechterhalten wird und dadurch
pischen« Pf legekraft entlang der Katego- bestehende Ungleichheiten weiter fest
rien Klasse, Geschlecht und Ethnizität schreibt. Helma Lutz verortet die Pf lege
zeichnen, damit fallen andere Gruppen in Deutschland ebenso krisenhaft und
Pf legender aus dem Blick (Minderjäh- sieht in den derzeitigen Strukturen wenig
rige, Non-kin-Carer, Männer). Antikate- Raum für gewerkschaftliche Organisa-
goriale Analysen und intrakategoriale tion. Ein Weg aus der Krise müsse Pf lege
Ansätze leisten hier notwendige Diffe- als universelles Menschenrecht anerken-
renzierungen. nen, die geschlechtsspezifische Arbeits-
Im zweiten Panel drehte sich alles um verteilung als Gleichheitsverstoß ankla-
Pf lege als Geschäft, die Kommerzialisie- gen und den Vorstoß des Marktes zurück-
rung des Sorgens. Claudia Gather (Berlin) drängen. Derzeit seien nur kleine Verbes-
zeigte die Situation der Selbstständigen in serungen innerhalb des bestehenden Sys-
der Pf lege in Deutschland, dort betreuen tems zu beobachten.
8.000 Selbstständige und 291.000 Beschäf- Am Freitag standen solche Entwick-
tigte ca. 576.000 Pf legebedürftige. Dabei lungstendenzen in der Sorgearbeit im
zeigt sich unter den Selbstständigen ein Vordergrund. Dorian Woods (Tübingen)
heterogenes Bild – von berufsethischen verglich am Beispiel der Elternzeit Auto-
bis zu gewinnorientierten Pf legeunter- kratien und Demokratien und zeigte die
nehmen. Akteure im Feld der Pf lege Heterogenität im Hinblick auf Länge,
können nicht auf gesellschaftliche Trans- Kompensation, Geschlechterregime und
formationen warten, sie suchen individu- Ausgestaltung. Stefan Kerber-Clasen (Er-
elle Lösungswege, um die Situation er- langen-Nürnberg) zeigte am Beispiel des
träglicher zu machen. Katharina Pelzel- Kita-Bereichs in Deutschland die wider-
mayer (Zürich) erörterte am Beispiel der sprüchlichen Entwicklungen innerhalb
24h-Betreuung in der deutschsprachigen der Care-Krise auf. In der Kinderbetreu-
Schweiz die Wichtigkeit feministischer ung kommt es zum Ausbau staatlicher
Ref lexion des Konzeptes der Kommodi- Betreuungsangebote und Professionalisie-
fizierung. Dass auch Widerstand im Be- rung, jedoch unter prekären Bedin-
reich der Pf lege möglich ist, schilderte gungen. Roland Atzmüller (Linz) plädierte
Sarah Schilliger (Basel) am Beispiel der in seinem Vortrag »Soziale Ungleich-
Schweiz. Dort hat gerade die Kommerzia- heiten im Workfare Staat« dafür die Rolle
lisierung der Pf lege dazu geführt, die des Staates neu zu ref lektieren. Er veror-
Politisierung von Care voranzutreiben tete Transformation des Care-Bereichs
und gewerkschaftliche Selbstorganisatio- unter neoliberalen Vorzeichen, die eman-
nen ermöglicht. zipatorische mit herrschaftsförmigen
Am Abend diskutierten Erna Appelt Tendenzen verbindet. Durch Polarisie-
(Innsbruck) und Helma Lutz (Frankfurt) rung sozialer Sicherungssysteme würden
unter der Moderation von Brigitte Aulen- marginalisierte Gruppen erst konstruiert
bacher und Ilona Horwath zum Thema Zu- und permanent aktiviert und beherrscht.
kunftsfragen im Wohlfahrtsstaat. Erna Diese
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malisiere Zweckrationalität für alle Tä- Autonomen Zentrum von & für Migran-
tigkeiten und stabilisiere prekäre und ge- tinnen Linz (maiz) verortete ein Fehlen
schlechtliche Arbeitsteilung. von Perspektiven migrantischer Pf lege-
Im anschließenden Panel – gute Arbeit kräfte in akademischen Auseinanderset-
und die Chance, für sich selbst zu sor- zungen zu Care. Deren Wissen werde
gen – wurde der Frage nach individuellen zentral für die Formulierung alternativer
Handlungsmöglichkeiten nachgegangen. Systeme sein, für das Durchbrechen he-
Kristina Binner und Maria Dammayr (Linz) gemonialer Konzepte sei eine breite Soli-
machten an Altenpf lege und Wissenschaft darisierung der Zivilgesellschaft, Wissen-
die Problematik der Selbstsorge auf, wo schaft und Politik mit den Betroffenen
eine Zweck-Mittel-Verkehrung zu beob- nötig. Tine Haubner ( Jena) betontedie
achten sei, die Selbstsorge werde vermehrt Rolle des Wohlfahrtsstaates als gesell-
als Reproduktion der Arbeitskraft nor- schaftspolitischer Akteur. Wege aus der
miert. Der Frage nach der Möglichkeit Krise müssen Emanzipation im Feld an-
fairer Arbeitsbedingungen in der 24- stoßen, Widerstand von unten und neue
Stunden-Betreuung, ging Almut Bachinger feministische Bewegungen hervorbrin-
(Linz) nach. Obwohl die 24h-Pf lege nur gen. Margit Waid von der Abteilung für
4 – 5 % der Pf legeleistungen ausmacht, Gleichstellungspolitik der Johannes Kep-
wird ihr besondere Aufmerksamkeit zu- ler Universität Linz betonte die Chance,
teil. Gute Arbeitsbedingungen sind inte- aktive Gleichstellungsmaßnahmen durch-
graler Teil guter Pf legeleistungen, sie plä- zusetzen, die die derzeitigen Diskurse um
dierte für eine feministische Politik klei- Sorge bieten. Iris Woltran von der Arbei-
ner Schritte, um ILO-Mindeststandards terkammer Oberösterreich konstatierte
umzusetzen. Die (diskursive) Dominanz drei zentrale Momente in der Bewälti-
der 24h-Betreuung verhindere jedoch gung der Sorgekrise: Ausbau öffentlicher
auch das Nachdenken über Alternativen. Betreuungsangebote, verstärkte Integra-
Birgit Riegraf (Paderborn) betonte in tion von Männern und Verbesserungen
ihrer Mittagsvorlesung: die Care-Krise in den Arbeitsbedingungen. Karin Jurczyk
stellt die in der Nachkriegszeit propa- von der Initiative »Care.Macht.Mehr«
gierte Form der Arbeitsteilung qualitativ diagnostizierte »die Krise war immer!«.
und quantitativ in Frage. Die derzeitigen Wege sieht sie in der Sensibilisierung der
Entwicklungen führen zu neuen Arbeits- Öffentlichkeit, Rechenschaftspf licht von
teilungen entlang der Kategorien Ge- Staaten durch Care-Berichte und öffent-
schlecht, Ethnizität und Klasse. Sie kon- liche Aktionen.
statierte einen grundlegenden Wandel in Mit diesem breiten Spektrum an Vi-
der Gerechtigkeitsdiskussion, die zuneh- sionen und einer lebhaften Abschlussdis-
mend auf Leistung fokussiere und damit kussion endete die Tagung, die sich durch
Verteilungsgerechtigkeit aus dem Blick ein engagiertes Organisationsteam und
verliert und den Markt als Gerechtig- Publikum sowie inhaltlich tiefe Ausein-
keitsinstanz etabliert. Postwohlfahrtsstaa- andersetzung mit der Thematik der Sorge
ten entziehen sich damit selbst die Grund- in all ihren Formen auszeichnete. Der
lage für eine erfolgreiche Bewältigung Tagungstitel »Herrschaft, Protest, Visio-
der Care-Krise. nen im Feld der Sorgearbeit« versprach
Im Abschlusspodium wurden Perspek- nicht zu viel, die Frage nach Anpassungs-
tiven aus Forschung und Praxis zusam- strategien und politischen Praxen wurde
mengebracht, um Wege aus der Sorge- ebenso beantwortet wie die Weiterent-
krise aufzuzeigen. Luzenir Caixeta vom wicklung
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der Bewegungen im Feld. Gleichzeitig Erkenntnisse aus dem Feld der Sorgear-
zeigte die Tagung die Dringlichkeit der beit in Gesellschaftstheorien zu integrie-
Debatte sowie die Notwendigkeit, weiter ren. Bleibt zu hoffen, dass dieses Wissen
produktive, explizit feministische Theo- auch in politischen Debatten Eingang
rieentwicklung voranzutreiben und die findet!

Karolin Kalmbach und Elaine Lauwaert

Bewegung / en
5. Jahrestagung der Fachgesellschaft Geschlechterstudien / Gender Studies
Association (FG)vom 13. – 14.Februar in Bielefeld

Bewegung / en war das Thema der diesjäh- sellschafts- / wissenschaftskritischem An-


rigen Tagung der Fachgesellschaft Ge- spruch und (Wissens)Hierarchien auf.
schlechterstudien / Gender Studies (FG). Welche Möglichkeiten gibt es, das (Selbst)
Es ging um die Verbindung von Wissen- Verständnis der Gender Studies als kri-
schaft und Bewegungen, um Denk-Be- tische Intervention in Gesellschaft und in
wegungen, um Wissenschaft als bewe- das wissenschaftliche Feld selbst zu stär-
gend und bewegt. Im Namen der Veran- ken? Wie kann sich das Wissensfeld trotz
stalter_innen vor Ort und des Vorstands Kanonisierung und Disziplinarität größt-
der FG eröffneten Tomke König und Su- mögliche Offenheit bewahren? Und wo-
sanne Völker die Tagung und luden mit rin bestehen die Notwendigkeiten und
der Frage nach den Möglichkeiten von Vorteile von klaren Grenzziehungen in
Kritik in einer Welt, in die wir zwar in- Zeiten, in denen Gender und Queer Stu-
volviert sind, über die wir aber nicht ver- dies immer wieder die Wissenschaftlich-
fügen, zum Austausch ein. keit abgesprochen wird? Welche Aus-
Im Folgenden sollen anhand der in der grenzungen werden damit aber auch vor-
Brückenveranstaltung von der KEG (Kon- genommen?
ferenz der Einrichtungen der Frauen- und Verhandelt wurden diese Fragen bei-
Geschlechterforschung) zur FG aufge- spielsweise in der Gesprächsrunde Gender
worfenen Themen Einblicke in die Fra- Studies reloaded. Hier wurde der Wunsch
gestellungen der Tagung gegeben wer- geäußert, die Universität als einen offenen
den, die sich als rote Fäden durch die ver- Ort zu behaupten, an dem Welt anders
schiedenen Veranstaltungen zogen. gedacht werden kann, wo es nicht um die
Unter der Überschrift Wohin bewegen Produktion von vermeintlich gesichertem
sich die Gender Studies? wurde das Span- Wissen geht, sondern wo es Raum zum
nungsfeld der Institutionalisierung umris- Ausprobieren und Scheitern gibt. Durch
sen: Die erfolgreiche Verankerung kri- die Kanonisierung sei die Offenheit des
tischer Wissenschaften geht häufig mit Gender-Begriffes verloren gegangen und
dem Vorwurf der Entpolitisierung durch die Queer Studies hätten nun die Aufga-
die Kanonisierung von Wissen einher ben und Ziele übernommen, mit denen
und wirft damit Fragen nach deren ge- dieUniversitaetsbibliothek
Bereitgestellt von | Saechsische Landesbibliothek - Staats- und Gender Studies einst angetreten
Dresden seien.
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