Strategiekonzepte für
Biotechnologie-Unternehmen
Gründung, Entwicklungspfade, Geschäftsmodelle
Ollig, Wolfgong:
Strategiekanzepte fur Biatechnalagie-Unternehmen : Grundung,
Entwicklungspfade, Geschăftsmadelle / Wolfgang Ollig.
Mit einem Geleitw. van Michael Dawling. -
1. Aufl ..
(DUV : Wirtschaftswissenschaft)
Zugl.: Regensburg, Univ., Diss., 200l
ISBN 978-3-8244-0586-2 ISBN 978-3-663-08987-2 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-08987-2
ISBN 978-3-8244-0586-2
Geleitwort
V
Karl-Heinz, für seine Energie
Marlene, für ihre Ratio
Mare, für seine Freundschaft
Judith, für ihre Kreativität
Vorwort
VII
sowie insbesondere auch meinen Interviewpartnern. Die zuverlässige Literatur-
recherche und die Qualität der graphischen Gestaltung wäre ohne meine Kollegen
Wolfgang Limbeck und Anja Lehnhardt von McKinsey & Company, bei denen ich
mich an dieser Stelle bedanken möchte, nicht möglich gewesen. Mein herzlicher
Dank für die kritische Durchsicht der Arbeit gilt meinen Freunden Alexander Meier,
Andreas Neichel und Achim Zeeb. Besonders bedanken möchte ich mich bei meiner
Freundin Judith Burmann, die mich inhaltlich und gestalterisch unterstützt hat und
deren Einsichten mir soviel geholfen haben. Meinen Eltern und meinem Bruder
möchte ich besonders herzlich danken, denn ohne ihre Unterstützung bis zum
heutigen Tag hätte ich die mir gesetzten Ziele kaum erreicht.
Wolfgang Ollig
VIII
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis ...................................................................................................... XV
1 Problemstellung ................................................................................................ 1
IX
6.3 Hohe Forschungsintensität ............................................................... 67
6.4 Großer Kapitalbedarf ......................................................................... 69
X
IV. Konzeptioneller Orientierungsrahmen als Grundlage der explorativen
Untersuchung zu wachstumsstarken und innovativen Biotech-
Untemehmen ............................................................................................•.............. 155
XI
3.1 British Biotech- die Chancen und Risiken der vertikalen
Integration zum Produkt-Unternehmen ....................................... 235
3.2 Biogen - der klassische Migrationspfad für Biotech-
Unternehmen der ersten Generation ............................................. 239
3.3 Millennium- vom Target-Lieferanten zum
Technologiepla ttform-Unternehmen mit therapeutischem
Produkt-Know-how ......................................................................... 242
3.4 Incyte Pharmaceuticals- vom Produkt-orientierten zum
bioinformatischen Technologie-Unternehmen ............................ 248
3.5 MMI- vom Technologie-orientierten Startup zum
standardsetzenden Nischenunternehmen .................................... 255
3.6 LION Bioscience- vom Genomik-orientierten Startup zum
integrierten Plattform-Unternehmen mit Produktambitionen .. 269
3.7 MediGene- die vertikale Migration entlang der
Wertschöpfungskette zum biopharmazeutischen
Unternehmen ..................................................................................... 276
3.8 Medigenomix und Gene Alliance- mit innovativen
Organisationsstrukturen zu Wettbewerbsvorteilen im
Commodity Geschäft ....................................................................... 280
3.9 Synopsis der Fallstudienanalyse ausgewählter Biotech-
Unternehmen ..................................................................................... 286
3.9.1 Within-case-Analyse ............................................................... 286
3.9.2 Cross-case-Analyse ................................................................. 294
XII
3 Handlungsempfehlungen für Biotech-Unternehmen auf Basis des
strategischen Orientierungskonzepts ........................................................ 330
3.1 Ressourcen-orientierte Strategieparameter .................................. 330
3.2 Markt-orientierter Strategieparameter: Produkt-Markt-
Konzept .............................................................................................. 333
3.3 Strategischer Interaktionsparameter: Kooperationen ................ 334
3.4 Holistischer Strategieparameter: Geschäftsmodell... .................. 334
XIII
Abbildungsverzeichnis
XV
Abbildung III.5: Kräfte der Innovationsgenerierung .................................................... 88
Abbildung 111.6: Ansatzpunkte aus der Innovationsdebatte für eine
Strategiekonzeption und Thesenentwicklung .................................. 92
Abbildung 111.7: Typologien von Unternehmensgründungen * ............................... 100
Abbildung III.8: Ökonomische Entrepreneurship Konzepte ..................................... 112
Abbildung III.9: Erfolgskriterien für schnell wachsende innovative
Unternehmen ....................................................................................... 124
Abbildung III.10: Entwicklungsphasen der Unternehmung ....................................... 128
Abbildung 111.11: Ansatzpunkte aus der Entrepreneurship-Oehatte für eine
Strategiekonzeption und Thesenentwicklung ................................ 129
Abbildung III.12: Wettbewerbskräftemodell nach Porter ............................................ 134
Abbildung III.13: Argumentationslogik des Market-based-View .............................. 135
Abbildung III.14: Argumentationslogik des Resource-based-View ........................... 146
Abbildung III.15: Ansatzpunkte aus der Strategiedebatte für eine
Strategiekonzeption und Thesenentwicklung ................................ 152
Abbildung IV.1: Erkenntnisse aus der Analyse industriespezifischer
Rahmenbedingungen für die Generierung des strategischen
Orientierungskonzepts ....................................................................... 158
Abbildung IV.2: Erkenntnisse aus betriebswirtschaftliehen Ansätzen für die
Generierung des strategischen Orientierungskonzepts ................ 163
Abbildung IV.3: Argumentationslogik zur Generierung des strategischen
Orientierungskonzepts ....................................................................... 164
Abbildung V.1: Methodische Vorgehensweise der Untersuchung in
Anlehung an den Fallstudienansatz von Yin .................................. 177
Abbildung V.2: Spezifisches Untersuchungsdesign einer explorativen
Fallstudien- und einer primär- statistischen Interview-
Untersuchung in Anlehnung an Yin (1989) .................................... 178
Abbildung V.3: Struktur des Interviewsamples ......................................................... 180
Abbildung V.4: Top-2-Erfolgsfaktoren für ein Biotech-Unternehmen aus Sicht
der einzelnen Zielgruppen ................................................................ 187
Abbildung V.S: Kernergebnisse Unternehmensressourcen ...................................... 191
Abbildung V.6: Wettbewerbsfähigkeit von Technologien in der
Biotechnologie im Zeitablauf ............................................................ 193
Abbildung V.7: Technologischer Kommoditisierungsdruck am Beispiel der
DNA Sequenzierung .......................................................................... 194
Abbildung V.8: Beispielhafte Innovationssprünge auf neueS-Kurven in der
Wirkstoff-Forschung ........................................................................... 195
Abbildung V.9: Kernergebnisse Technologie ...................... ,...................................... 197
Abbildung V.lO: Änderung der Investoreneinschätzung bei Biotech-
Investments .......................................................................................... 200
XVI
Abbildung V.ll: Jährliche Venture-Capital-Investitionen in die Biotechnologie
in Buropa von 1995 bis 1999 ............................................................. 201
Abbildung V.12: Venture-Capital-Investitionen in die Biotechnologie in UK,
Deutschland und Frankreich in den Jahren 1993, 1997 und
1999 ....................................................................................................... 202
Abbildung V.13: Durchschnittliche Venture-Capital-Investitionssumme
institutioneller Anleger in UK, Deutschland und Frankreich ...... 203
Abbildung V.14: Biotech-Performance in den USA ..................................................... 208
Abbildung V.15: Entwicklung des privaten und öffentlichen
Finanzierungsvolumens in deutschen Biotech-Unternehmen
von 1996 bis 1998 ................................................................................. 209
Abbildung V.16: Kernergebnisse Finanzierung ........................................................... 210
Abbildung V.17: Kernergebnisse Produkt-Markt-Konzept. ...................................... 214
Abbildung V.18: Kernergebnisse Kooperationen ......................................................... 219
Abbildung V.19: Differenzierung der Biotech-Unternehmensmodelle nach
Auswertung der Expertengespräche ............................................... 221
Abbildung V.20: Grundsätzliche Entwicklungsszenarien für Biotech-
Unternehmen ....................................................................................... 223
Abbildung V.21: Außerordentliche Kursanstiege von biopharmazeutischen
Unternehmen nach Pressemitteilungen .......................................... 227
Abbildung V.22: Die verschiedenen Dimensionen eines nachhaltigen
Geschäftsmodells für Biotech-Unternehmen .................................. 233
Abbildung V.23: Kernergebnisse Geschäftsmodell.. .................................................... 234
Abbildung V.24: Ausgewählte Fallstudien nach der Geschäftsmodellstruktur
entrepreneurialer Biotech-Unternehmen ........................................ 235
Abbildung V.25: Entwicklung der Marktkapitalisierung von British Biotech
von Juni 1992 bis Januar 1999 ............................................................ 238
Abbildung V.26: Entwicklung der Marktkapitalisierung von Biogen von Juni
1992 bis Januar 1999 ............................................................................ 242
Abbildung V.27: Kooperationsnetzwerk der Millenium Pharmaceuticals, Inc.,
Herbst 1998 .......................................................................................... 246
Abbildung V.28: Entwicklung der Marktkapitalisierung von Millennium vom
April1996 bis Januar 1999 ................................................................. 247
Abbildung V.29: Entwicklung der Marktkapitalisierung von Incyte von April
1996 bis Januar 1999 ............................................................................ 254
Abbildung V.30: Prinzip der MMI proprietären Oberflächentechnologie,
dargestellt am Beispiel eines Sandwichassays für Proteine
(Antikörper) und Nukleinsäuren (DNA/RNA)* ........................... 257
Abbildung V.31: Netzwerk der MMI GmbH im Herbst 1999 .................................... 263
Abbildung V.32: Entstehungslogik der MMI NewCo ................................................. 265
XVII
Abbildung V.33: Produkte und Kompetenz der LION Bioseience im vertikalen
Wertschöpfungsprozeß ...................................................................... 272
Abbildung V.34: Stand der Produktentwicklungen von MediGene im Winter .
1999/2000 ............................................................................................. 279
Abbildung V.35: Gene Alliance Netzwerk .................................................................... 284
Abbildung V.36: Marktbewertung der Fallstudien-Unternehmen nach
Entwicklungsphasen .......................................................................... 295
Abbildung V.37: Konzeptionelle Darstellung der Evolution in der
Wirkstoffsuche- Vom Zufallsprinzip zum
wissenschaftlichen Ansatz: Biotechnologie als Quelle einer
effektiveren Medizin .......................................................................... 302
Abbildung Vl.l: Cash-flow optimierte Geschäftsstrategie im Lebenszyklus
von Biotech-Unternehmen ................................................................. 311
Abbildung VI.2: Konzeptionelle Darstellung der Nutzenoptimierung eines
eigenen Therapeutikums in den verschiedenen Phasen der
Wertschöpfungsstufen** .................................................................... 316
Abbildung VI.3: Konzeptionelle Darstellung der Nutzenoptimierung für
Technologie-orientierte Biotech-Unternehmen** ........................... 318
Abbildung VI.4: Parameter der strategischen Entwicklungsszenarien .................... 320
Abbildung VI.5: Archetypen der strategischen Entwicklung für Biotech-
Unternehmen ....................................................................................... 322
Abbildung VI.6: Langfristige strategische Entwicklungstendenzen für
Biotech-Unternehmen ........................................................................ 325
Abbildung VI.7: Konzeptionelle Darstellung der Einflußsphären auf den
gesamten Wertschöpfungsprozeß von Biotech, Pharma und
CRO's .................................................................................................... 327
Abbildung VI.8: Parameter des industriellen Wandels in den Life Seiences .......... 329
Abbildung VI.9: Evolution der Geschäftsmodelle in den Life Seiences ................... 330
Abbildung Vl.lO: Handlungsoptionen für Biotech Unternehmen .............................. 336
Abbildung VI.ll: Strategisches Orientierungskonzept für Biotech-
Unternehmen ....................................................................................... 337
Abbildung Vl.12: Ansatzpunkte für weitergehende Forschungsarbeiten ................. 339
XVIII
Tabellenverzeichnis
XIX
Abkürzungsverzeichnis
XXI
ELISA Enyzm-Linked-Immuno-Sorbed-Assay
EK Eigenkapital
EMBL European Molecular Biology Laboratory, Heidelberg
EMEA European Medicines Evaluation Agency: EU-Behörde zur
Zulassung von Arzneimitteln
EPO Erythropoietin: Wachstumsfaktor, der für die Bildung
und Reifung speziell der roten Blutzellen verantwortlich
ist
EU Europäische Union
FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung
FCF Free Cash-flow
FCS Fluoresence Confocal Spectroscopy
FDA Food and Drug Administration: US amerikanische
Genehmigungsbehörde für Pharma- und
Diagnostikprodukte. FDA-Zulassung ist Voraussetzung
für Markteinführung eines Produktes.
FhG-ISI Frauenhafer Gesellschaft- Institut für Systemtechnik und
Innovationsforschung
FK Fremdkapital
F&E Forschung und Entwicklung
GenTG Gentechnik Gesetz
GPC Genome Pharmaceuticals Corporation AG
HBM Harvard Business Manager
HBR Harvard Business Review
HGP Human Genome Project: internationales Projekt zur
Sequenzierung des menschlichen Genoms
HGS Human Genome Sciences, Inc.
HMR Hoechst Marion Raussei AG, seit Dezember 1999 mit Rhone-
Poulenc S.A. zu Aventis S.A. fusioniert.
HRB Handelsregisterbucheintrag
HTS High Troughput Screening
HW Handwörterbuch
HWF Handwörterbuch der Führung
HWO Handwörterbuch für Organisation
i.d.R. In der Regel
ifo-Institut Deutsches Wirtschaftsforschungsinstitut, München
IO Industrial organisation bzw. Industrieökonomik
IPO Initial Public Offering bzw. Börsengang
IT Informationstechnologie
i.V. Im Vergleich
XXII
J&J Johnson & Johnson, Inc.
JV JointVenture
KAM Key Account Management
Life Seiences Geschäftsbereiche, die von molekularbiologischer
Forschung beeinflußt werden. Dies sind die
Humanmedizin, Agro-Lebensmittel-Tierzucht und
Umwelt.
LSE-Quote London Stock Exchange Notierung
Mass. Massachusettes, Bundesstaat der USA in Neuengland
MBO Management Buy Out
MbV Market-based-View bzw. marktorientierter Ansatz
MIT Massachusettes Institute of Technology
MPI Max-Planck-Institute
MTP Mikrotiterplatte: Träger- und Aufbewahrungsmedium für
Substanzen in der Pharma-Industrie
NBE New biological entity bzw. neue biologische Substanz
NCE New chemical entity bzw. neue chemische Substanz
NIH National Institute of Health bzw. die amerikanische
Gesundheitsbehörde
NME New Medical Entities bzw. neue medizinische Stoffe
NUK Neues Unternehmertum Köln e.V.
NYSE New York Stock Exchange
o.D. ohne Datum
OECD Organisation for Economic Co-operation and
Development bzw. Organisation für wirtschaftliche
Zusammenarbeit
o.J. ohne Jahr
o.O. ohne Ort
PDO Product Development Organisations bzw. Produkt-
Entwicklungs-Dienstleister für Wirkstoffe
PCR Polymerase-Kettenreaktion: Ein Verfahren zur
enzymatischen Herstellung von DNA/RNA-Sequenzen.
Durch diese Amplifikation von Nukleotiden kann auch
mit sehr kleinen Strängen von DNA gearbeitet werden.
(Nobelpreis für K.B. Mullis 1993).
Rb V Resource-based-View bzw. ressourcenorientierter Ansatz
RNA Ribonukleinsäure: Sie dienen vorwiegend der
Übertragung der genetischen Informationen. Nach ihren
biologischen Funktionen wird die RNA in Boten-bzw.
Messenger-RNA (mRNA), ribosomale RNA (rRNA),
Transfer-RNA (tRNA) und nukleare RNA (nRNA)
unterschieden.
XXIII
SAB Scientific Advisory Board, entspricht dem
Wissenschaftlichen Beirat
SKB SmithKline Beecham plc.
sz Süddeutsche Zeitung
tbg Technologie-Beteiligungs-Gesellschaft
TVM Techno Venture Management, eine führende deutsche
Venture Capital Gesellschaft, die im Januar 2000 mit der
britischen Venture Capital Gesellschaft 3i Europe plc.
fusionierte.
u.a. unter anderem
u.a.T. unter anderem Titel
u.d.T. unter dem Titel
UHTS Ultra-High-Troughput Screening
UPMC University of Pittsburgh Medical Center, USA
UK United Kingdom bzw. Vereinigtes Königreich
vc Venture Capital
VCG Venture Capital Gesellschaft
Vol. Volume bzw. Jahrgang
VP Vice President
WIS Wehrwissenschaftliches Institut für Schutztechnologien,
ABC Schutz, der Bundeswehr
WIST Wirtschaftswissenschaftliches Studium
WKN Wertpapier-Kenn-Nummer
ZEW Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung
ZfB Zeitschrift für Betriebswirtschaft
ZfbF Schmalenbachs Zeitschrift für betriebliche Forschung
XXIV
Riesige Unternehmen schließen sich zu noch gigantischeren
Einheiten zusammen während die wirklich spannenden
Ideen bei den kreativen Startups entwickelt werden
Tom Peters
1
vativer Unternehmen aus einem forschungsnahen Umfeld? Die Bedeutung junger
wachstumsstarker Unternehmen für qualitativ hochwertige Beschäftigungsmöglich-
keiten und Innovationsaktivitäten einer Volkswirtschaft wurde auch in Deutschland
nachgewiesen.S
Index
450% 1990-2000
• Nasdaq CAGR 25%
400% Nasdaq Composite
• DowJones CAGR 15%
CAGR43%
350%
300% Biolech S&P 400
," CAGR 30%
250%
, • Dow Jones
200% CAGR 21%
150%
100% -' ......... -......
50%
0%
01/1996 01/2000 Zeit
Vor diesem Hintergrund erklärt sich das Bemühen der verschiedenen Akteure in
Deutschland, durch Verbesserung der Rahmenbedingungen Unternehmerische
Gründungen zu stimulieren und zu erleichtern.9 Aus betriebswirtschaftlicher Sicht
interessiert vor allem die Kenntnis der erfolgsdeterminierenden Faktoren und das
tiefere Verständnis von nachhaltigen Strategiekonzepten für wachstumsstarke und
innovationsgetriebene Unternehmen - von der Gründung bis zum ausgereiften Ge-
7 Weitere Faktoren: die intensive Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Forschungseinrichtungen und Unter-
nehmen, hohe Effektivität der Managementfähigkeiten und gründungsfördernde Faktoren wie einen funktio-
nierenden Markt für Risikokapital, unternehmerischen Mentoren etc., vgl. o.V. (1999) S. 17, vgl. EU-Studie
(1999); vgl. auch Kaps (2000) S. 18.
8 Vgl. Nerlinger (1998) S. 27-62.
9 Hier sind insbesondere die lnitiierung bzw. Unterstützung von regionalen High-tech-Clustern, beispielsweise
in Mariinsried (Biotechnologie) oder Köln (Multimedia), vgl. McKinsey (2000) S. 5-39, vgl. Lechner (2000), die
Bereitstellung öffentlicher Fördermittel für Gründungskapital, z.B. die Gründung des Marktplatzes für Wag-
niskapital an der Stmtgarter Wertpapierbörse arr. 10.11.98 als Vorbereitung junger Unternehmen auf den
etablierten Finanzmarkt, (vgl. o.V. (1998) S. 30), der Abbau von bürokratischen Hemmnissen, die geogra-
phische Konzentration von technologischen Ressourcen und das Veranstalten von Business Plan Wettbe-
werben zu nennen, vgl. exemplarisch StartUp (1999/2000), NUK (1999/2000), Science-4-Life (1999/2000),
König (1998) S. 8-11, Burscheidt (1998) S. 43; vgl. auch Oakey (1994).
2
schäftsmodell. Erst eine grundlegende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit
diesem Thema schafft die Voraussetzungen für die Erstellung von Handlungs-
optionen und das Ausarbeiten von Heuristiken)O Für das Erreichen von Wettbe-
werbspositionen mit außerordentlichen Erfolgspotentialen in kritischen Zeitfenstern,
z.B. bei der Nutzung von menschlichen Genom-Informationen für spezifische
diagnostische und therapeutische Anwendungen, haben die gewählten Strategie-
konzepte und verfolgten Geschäftsmodelle der Unternehmen eine erfolgskritische
Bedeutung.l1
Die biotechnologische Industrie ist eine junge, fragmentierte Branche mit einer großen
Zahl an innovativen und schnell wachsenden Unternehmen. Das Potential der
zugrundeliegenden Molekularbiologie erscheint gewaltig - sowohl in technolo-
gischer als auch in kommerzieller Dimension. Als neues grundlegendes Paradigma
in der Humanmedizin, der Agro-Lebensmittel-Tierzucht und dem Umwelt-
/Chemiesektor wird die Biotechnologie diese Geschäftsbereiche in der Zukunft stark
verändern oder sogar revolutionieren.l2 Ihre Bedeutung wurde auch am Kapital-
markt deutlich, insbesondere im Jahr 2000, als sich Biotech Unternehmen signifikant
positiver entwickelten als der Durchschnitt von NASDAQ und Dow Jones (siehe
Abbildung 1.2.)
10 Der Begriff Heuristik bedeutet das Aufstellen von Hypothesen als Mittel wissenschaftlicher Forschung. Sie
stellt eine vorläufige Annahme bis zur Falsifizierung dar (siehe Kap. V.l), die zur Erlangung eines besseren
Verständnisses des Themengebietes eingesetzt wird. ·Heuristische Modelle werden vor allem in sozial-
wissenschaftlichen Forschungsgebieten angewandt, in denen im Gegensatz zu den Naturwissenschaften
'wahre' bzw. 'falsche' Aussagensysteme nur begrenzt eindeutig nachgewiesen werden können.
11 Vgl. Kanter, Kao, Wiersema (1997); vgl. Nesheim (1997); Burmester/Vahs (1999), vgl. Sabisch (1999).
12 Der ,Paradigma'-Begriff findet in der Wissenschaft seit Kuhn (erstmals 1962) vielfach Verwendung, insbeson-
dere in Theorien des wissenschaftlichen Wandels der Geistes-, Natur- und Sozialwissenschaften. (1) Defini-
torisch wird Paradigma als Theoriesystem interpretiert, als Normensystem eines Wissenschaftsbildes, das Ziel
und Methodik des spezifischen Untersuchungsansatzes einbezieht. (2) In ökonomischen Arbeiten findet der
Begriff insbesondere bei entwicklungstheoretischen Themen Anwendung, z.B. in der Theorie wirtschaftlicher
Entwicklung und Zyklen (z.B. Kontratieff, Kuznets, Mensch), der Innovationsforschung (z.B. Dosi, Nelson) oder
der Strategieentwicklung (z.B. Münchner-, St. Gallener-Ansatz, Market-based-View, Resource-based-View).
(3) Kuhn, der den Paradigma-Begriff in seinen verschiedenen Bedeutungsdimensionen entscheidend ent-
wickelt hat, argumentiert, daß in der wissenschaftlichen Entwicklung eine neue Theorie die bestehende er-
setzt, ohne auf ihr aufzubauen oder in einer Synthese weiterzuentwickeln. Wissenschaftliche Dynamik und
Fortschritt wird nicht als Aufbau und Synthese einzelner Wahrheitselemente interpretiert, sondern als Folge
gedanklich festgefügter Perioden - oder Paradigmen -, die sich nacheinander ablösen. Wissenschaftlicher
Fortschritt vollzieht sich nach Kuhn sprunghaft und als revolutionärer Prozeß, der in Krisensituationen ein-
setzt, wenn die alte von der neuen Theorie substituiert wird. Die neue Theorie wird zu Beginn des Umbruchs
als 'Anomalie' zur 'normalen' Wissenschaft verstanden. (4) Evolutionäre Modelle im Geist des Kritischen
Rationalismus nach Popper verstehen dagegen Wissenschaft als kontinuierliche Anhäufung von Wissen, das
durch systematische theoretische und praktische Falsifikationsversuche getestet wird - validiert oder im
negativen Falsifikationsfall verworfen. Wissenschaftlicher Fortschritt in Form der kritischen Auseinander-
setzung mit bestehenden Paradigmen(· im Kritischen Rationalismus ist nur eine vorläufige Verifizierung mög-
lich-) wird in diesem Sinne als eine ständige Annäherung an die Wahrheit verstanden. ln der vorliegenden
Untersuchung wird der Kuhn 'sehe Paradigma Begriff verwendet, der in ökonomischen Entwicklungs- und
Innovationstheorien weit verbreitet ist. Zur Paradigma-Diskussion vgl. Popper (1995) S. 177-183; vgl. Popper
(1996) S. 15-45; vgl. Kuhn (1993) S. 79-89,97-100, 171-185; vgl. Störig (1998) S. 687-694; vgl. Behrend (1998) S.
109-129, vgl. Waldmann (1999) S. 16-55, 85-134; vgl. Schurz (1998) S. 1-51.
3
ln 2000 behaupten sich Bieteeh-Unternehmen besser als die übrigen
Hightech-Unternehmen an der Nasdaq
Index
600%
500%
..
400% ..,:·: ~. ~~~~h S&P 400
0%
01/1996 01/2001 Zeit
Trotz dieser grundsätzlich positiven Aussichten ist die Zukunft der jungen Biotech-
Unternehmen nicht unproblematisch. Ähnlichkeiten zur Mikroelektronik und Ver-
gleiche zu Industriestandard-setzenden Unternehmen wie Intel, Microsoft oder Cisco,
Sun stehen spezifische Besonderheiten der Technologie und der relevanten Ge-
schäftsfelder gegenüber, die einfache Analogien von Biotechnologie und IT S tartups
als unzureichend erscheinen lassen. Insbesondere die langen Zyklen der Produkt-
entwicklung, die hohen Kosten und die eingeschränkte Erfolgswahrscheinlichkeit
des Forschungsprozesses sind biotechnologische Charakteristika. In ihrer Gesamt-
heit führen sie zu großen Risiken und verlangen einen hohen externen Kapitalbedarf,
der für kleine ressourcenschwache Unternehmen äußerst problematisch sein kann.l3
Diese unterschiedlichen Faktoren führen zur Fragestellung, welche Bedeutung und
langfristige Relevanz dem Phänomen der wachstums- und innovationsstarken
Biotech-Unternehmen zu kommt (siehe Abbildung 1.3).
Unternehmen aus der Biotechnologie haben sich als originäre Forschungsunterneh-
men sehr häufig auf einzelne Segmente der F&E-Wertschöpfungsstufen spezialisiert.
Pharma- und Chemie-Unternehmen, die traditionellen Wettbewerber in den von der
Biotechnologie veränderten Geschäftsbereichen, decken dagegen die gesamte Breite
der Wertschöpfungskette von der Forschung bis zum Vertrieb kommerzialisierbarer
4
Produkte ab. Diese Konzerne sind jedoch zunehmend an Forschungsleistungen von
Biotech-Unternehmen interessiert, denn innovative biotechnologische Verfahren
eröffnen Chancen, die Produktivität im F&E-Prozeß signifikant zu erhöhen und die
eigene 'Produktpipeline' substantiell zu ergänzen und zu stärken.I4
Zentrale
Ansatzpunkte Kernelemente
• Volkswirtschaftliche Bedeutung
Phänomen schnell
wachsender • Entrepreneurship
Unternehmen • lnnovationsgenerierung
Bedeutung eines
• Strategiekonzepte grundlagenden
wissenschaftlichen
• Paradigmenwechsel Verständnisses für
in Life Seiences innovationsgetriebene
Biotach-Untarnahmen
• Biotechnologie als
Industrielle 'SchiOsseltechnologie'
Biotechnologie
• Dynamisches Wachstum
• Industriestruktur
(David vs. Goliath)
Nur ein konstanter Strom von erfolgreichen Produkteinführungen, der die hohen
Anforderungen sowohl in der Quantität neuer Medikamente als auch in der
therapeutischen Qualität erfüllt, sichert den nachhaltigen ökonomischen Erfolg und
die Unabhängigkeit der Unternehmen. 15 Eine F&E-Strategie, die eine aktive
Lizensierungs- und Outsourcingpolitik mit intensiven Austauschbeziehungen zu
14 Vgl. Aitken, Lamarre, Silber (1998) S. 29·31; um die hohen Ertragserwartungen der Kapitalmärkte zu erfüllen,
greifen Life-Sciences-Unternehmen zunehmend auf externe Forschungsergebnisse insbesondere im Rahmen
von Lizensierungen zurück, u m genügend Produkte in der Entwicklungspipeline zu haben; vgl. außerdem
Cavalla (1997) S. 37·43.
15 Während Unternehmen wie Merck & Co., Scherin~:- Piollgh. Pfi:er, /&/ und Eli Lilly als selbständ ige Unter·
nehmen erfolgreiche neue Produkte ein führten und Mark tan teile gewonnen haben, ha ben Unternehmen mit
einer schwachen Produktpipeline und geringer Innovationsrate wie Hoechst, Marion , Mcrrill, G/axo, C iba -Gei~y,
Sm ith- Kline, Beecham , Plrarmacia, Rh6ne Poulenc und We/lcome e ine strategische An twort auf das eigene
Wachstumsproblem in Zusammenschlüssen gesucht. Es scheint, daß in der Pha rma-Industrie unte rnehme-
cisehe Unabhängigkeit nur durch erfolgreiche Produktinnovationen und höheren Marktan teil zu erhalten ist.
5
innovativen Biotech-Unternehmen umfaßt, wird für Life-Sciences-Unternehmen
zunehmend zum kritischen Erfolgsfaktor im Wettbewerb.l6
Für die wachstumsstarken Biotech-Firmen17 stellt sich mit Blick auf die beschriebe-
nen strategischen Herausforderungen in Zukunft die Frage, wie sich das eigene Un-
ternehmen im Wettbewerb positionieren soll und welche Geschäftsmodelle sich lang-
fristig erfolgreich entwickeln werden. Es scheint offen, ob die Biotechnologie eine
Machtverschiebung zugunsten der Biotech-Unternehmen, ein kooperatives Zusam-
menspiel oder eine Konsolidierung durch die Life-Sciences-Unternehmen bringen
wird. Die Ergebnisoffenheit der Entwicklung in den biotechnologisch geprägten In-
dustriebereichen und die hohe Dynamik in den Wettbewerbsbeziehungen machen
eine tiefergehende Analyse in der folgenden Untersuchung interessant. Drei grund-
sätzliche Fragestellungen spiegeln das Spektrum der sich abzeichnenden Ent-
wicklungsszenarien (siehe Abbildung 1.4):
16 Vgl. auch PWC (1998) S. 2-3; vgl. hierzu beispielhaft eine Untersuchung der Investmentgesellschaft Bank
Vontobel AG, Zürich, zit. in FAZ (1999) S. 27.
17 Die Begriffe 'Unternehmen' und 'Firma' werden in dieser Arbeit synonym verwendet.
18 Das erste börsennotierte Bieteeh-Unternehmen Genenlech wurde 1990 für 2,1 Mrd. USD zu 60% vom Pharma-
/Diagnostikakonzem Rache übernommen, der eine Option zum 30.6.1999 zur vollständigen Übernahme
ausübte (im Anschluß Floating von 17% an NASDAQ), Gen-Probe wurde 1989 als erstes reines Biotech- von
einem japanischen Pharma-Unternehmen übernommen, der Chugai Pharmaceuticals.
19 Arngen und Biosen sind große integrierte Biolech-Konzerne mit NASDAQ-Notierungen und Marktkapitalisie-
rungen von 22,9 Mrd. USD und 10,9 Mrd. USD im Dezember 1999, zu Biogen siehe Fallstudie in Kap. V.3.2.
20 Beide Unternehmen sind Pioniere der neuen Generation von Biotech-Unternehmen, die in den neunziger
Jahren aus der Genomforschung entstanden sind. Eine ausführliche Diskussion findet in den Fallstudien in
Kap. V.3.3. und .3.4 statt.
21 Vgl. Ernst & Young (1999); eine Ausnahme der bis Mitte der neunziger Jahre enttäuschenden unternehme-
rischen Biotech-Bilanz in Deutschland stellt die Qiagen N. V. dar, das 1984 in Düsseldorf gegründet wurde und
im Juni 1996 als erstes deutsches Bieteeh-Unternehmen an die amerikanische Technologiebörse NASDAQ,
ging. Eine detaillierte Fallstudiendarstellung liefert Zaby (1999) S. 62-77.
erfolgreichen Börsengang (!PO) realisiert.22 Die zunehmende Relevanz des Themen-
gebietes, insbesondere auch für die junge deutsche Unternehmensszenerie, verstärkt
die Suche nach einem tragfähigen konzeptionellen Bezugsrahmen, bei dem die beste-
henden wirtschaftswissenschaftlichen Theorie- und Strategieansätze genutzt werden.
Beispiele
22 Vgl. Ernst & Young (1999); EVCA (1999); zu den Schw ierigkei ten der Biotechnologie in Deutschland und dem
Umschwung Mitte der neunziger Jahre, siehe Kap. 1/.4-5; erfolgreiche deutsche IP O-Biotech-Unternehmen sind
beispielsweise Morphosys, GPC, MediGene oder LION Bioscience, siehe auch Kap. V.2.1.3
23 Für un ternehmerisch h andelnde Akteure sind d ies insbesondere F ra gestellungen nach zukünftig erfolgver-
sprechenden Unternehmensstrategien für forschungsintensive Firmen sowie F ragen nach der Ausgestaltung
von Kooperationen mit Großunternehmen, vgl. Aussagen Euro Biotech F orum 1998; für d ie Wissenscha ft
7
• Fragen nach den spezifischen Strategieparametern für biotechnologische Startup-
Unternehmen differenziert nach Phasen der Unternehmensentwicklung
• Fragen insbesondere nach der Sinnhaftigkeit und der erfolgreichen Konstruktion
von Kooperationsvereinbarungen von Biotechnologie- und Life-Sciences-Unter-
nehmen
• Fragen nach unterschiedlichen Entwicklungspfaden und daraus ableitbaren
strategischen Optionen junger Biotechnologie-Unternehmen
• Fragen nach einer Generierung von geeigneten Geschäftsmodellen für junge bio-
technologische Unternehmen
Offene Fragestellungen
In der vorliegenden Untersuchung soll ein Beitrag zur Beseitigung eines Konzep-
tionalisierungsdefizits geleistet werden. Zur Annäherung an den Untersuchungs-
gegenstand wird eine Sondierung verschiedener theoretischer Ansätze und
Erkenntnisse aus der betriebswirtschaftliehen Forschung vorgenommen, die An-
satzpunkte für ein Strategiekonzept darstellen, das für die spezifischen Herausforde-
wird vor allem die Notwendigkeit der Überwindung eines Theoriedefizits bei der Analyse strategischer Kon-
zepte diagnostiziert, vgl. Langman (1995/1998).
8
rungen biotechnologischer Unternehmen anwendbar ist. Ziel der Untersuchung ist
es, eine konzeptionelle Darstellung des Problemfeldes zu erarbeiten, in der bisherige
Erkenntnisse zum Themenfeld aufgearbeitet und in einen originären Struktur-
ierungsvorschlag integriert werden. Eine explorative empirische Untersuchung
führt zu einer Modifizierung des theoretischen Bezugsrahmens und einer
Präzisierung von Arbeitshypothesen für weiterführende Forschungsarbeiten (siehe
Abbildung 1.5).
9
Erkenntnisse auf ihre praktische Anwendbarkeit. Nur bei klarer Problembezogen-
heil zur realen Unternehmenssituation wird die Sinnhaftigkeit der Untersuchung,
einen Erkenntnisbeitrag zum Erkenntnisobjekt 'innovativer und schnell wachsender
Unternehmen in der Biotech-Industrie' zu leisten, gewährleistet.
Dimensionen von
Forschungszielen Kernpunkte
-------------------------------------
r------------------------------------
1 Deskriptiv • Klärung von Definitionen, Grundlagen :
I • Basislegung für theoretische Aussagen 1
I I
I
1 Theoretisch • Bildung von Aussagen, Axiomen,
I Modellen, Theoremen
I
• Erklärung von Ursache-Wirkungs-
I
I Zusammenhängen
I
: Empirisch • Exploration des Begründungszusammenhanges
1 und Modifizierung der theoretischen Ausgangs-
~ ____________ ~~:_s~l~~g _________________ _ 1
• Explikative Validierung von Ursache-Wirkungs-
Zusammenhängen in der Realität durch
empirisch quantitative Untersuchungen
Die vorliegende Arbeit gliedert sich in sechs Kapitel. Nach einer thematischen Ein-
führung und Klärung der zentralen Fragestellungen der Arbeit in Kapitel I. wird in
Kapitel II. das Technologiekonzept 'Biotechnologie' als industrieller und strategischer
Rahmen für Unternehmen erörtert. Neben einer Grundlagenklärung liegt der Fokus
auf einer Analyse der Wertschöpfungsstufen in den Life Sciences. Ein tieferes Ver-
ständnis der verschiedenen Phasen im F&E-Prozeß liefert die Basis für differenzierte
Aussagenhypothesen und strategische Ansatzpunkte von biotechnologischen Unter-
nehmenskonzepten. Eine Darstellung der Geschäftsfelder und ihre kommerzielle
Bedeutung wird durch eine Risikobetrachtung der Biotechnologie zusätzlich vali-
diert und erweitert. Die Akzeptanzproblematik beeinflußt die Kommerzialisierungs-
chancen von Biotech-Unternehmen und ist folglich für ein holistisches Strategie-
konzept von Bedeutung. Eine Darstellung der industriellen Entwicklung der
Biotechnologie wird durch die Generierung von industriespezifischen Anforde-
rungen und strateeischen Rahmenbedingungen abgeschlossen. Diese bilden eine
differenzierte Untersuchungsgrundlage für ein Orientierungskonzept von Unter-
nehmen dieser Branche.
10
In Kapitel III. werden betriebswirtschaftliche Erklärungsansätze diskutiert, die zur
Entwicklung eines strategischen Orientierungskonzeptes beitragen. Es werden drei
grundlegende Argumentationslinien erörtert: Innovationsansätze, Entrepreneurship-
Ansätze sowie die markt- und ressourcen-orientierten Strategiekonzepte. Innova-
tionsansätze dienen zum Verständnis des Innovationsphänomens und der Innova-
tionsgenerierung als Basis des Erfolgs insbesondere von High-tech-Unternehmen.
Von besonderer Relevanz erscheinen Beiträge zurEntrepreneurship-und Strategie-
debatte. Die Ausprägungsform des für die Biotechnologiedebatte relevanten schnell
wachsenden innovativen Startups auf Basis einer differenzierenden Typologisierung
stellt die Grundlage der weiteren Untersuchung dar. Einen Schwerpunkt der theo-
retischen Entrepreneurship-Analyse nehmen die funktionalen und verhaltenswissen-
schaftlichen Gründungskonzepte, eine Erörterung der relevanten Zielsysteme und
eine Darlegung der unterschiedlichen Entwicklungsphasen von Startup-Unter-
nehmen ein. In der Strategiedebatte werden die unterschiedlichen Konzepte von
Market-based-View (MbV) und Resource-based-View (RbV) intensiv beleuchtet und
auf ihre Konzeptionalisierungsrelevanz für ein zu generierendes Biotech Strategie-
konzept analysiert._ Die markt- und ressourcen-orientierten Argumentationslinien
geben Anhaltspunkte für einen strategischen Orientierungsrahmen für Biotech-
Unternehmen.
In Kapitel IV. werden die bisherigen Erkenntnisse der industriespezifischen Biotech-
nologie und der betriebswirtschaftlich-theoretisch en Perspektive zu einem holisti-
schen Orientierungskonzept zusammengefaßt, das als Grundlage der explorativen
Untersuchung in Kapitel V. dient. Neben ressourcen-und markt-orientierten Strate-
gieparametern, werden 'Kooperationen' und das 'Geschäftsmodell' als weitere Para-
meter des Konzeptes synthetisiert, da ihnen eine spezifische und sehr bedeutsame
Funktion im Strategiekanon von Biotech-Unternehmen zukommt. Entlang der
einzelnen Parameter werden Thesen aufgestellt, die in Kapitel V. an explorativen
Erkenntnissen gespiegelt werden.
In Kapitel V. werden auf den theoretischen Erkenntnissen des erarbeiteten Strategie-
konzeptes aufbauend in einer empirisch-explorativen Analyse konkrete Ansatz-
punkte für die Erweiterung des Kenntnisstandes zu Strategiekonzepten von Biotech-
Unternehmen untersucht. Ein eigenständiger Methodikabschnitt gewährleistet eine
wissenschaftliche Einordnung der explorativen Erkenntnisse. Die empirisch-explo-
rative Arbeit basiert auf einer detaillierten Gründererfahrung bei dem Biotechnologie
Startup-Unternehmen Molecu/ar Machines Industries (MMI GmbH)29, verschiedenen
Betreuer- und Juror-Funktionen in den Business-Plan-Wettbewerben NUK, StartUp
und Science-4-Life, persönlichen Tiefeninterviews mit Entscheidungsträgern aus den
Zielgruppen der Biotechnologie-, Pharma- und Venture Capital Industrie sowie acht
ausführlichen Fallstudien, in denen spezifische Unternehmensentwicklungen analy-
siert werden. Die Erkenntnisse aus den Experteninterviews werden entlang des in
Kapitel IV. generierten Orientierungskonzepts diskutiert. Eine Analyse unternehme-
rischer Fallstudien wird in 'within-' und 'cross-case'-Auswertungen vertieft.
11
Zusammenfassung und abschließende Bewertung führt in Kapitel VI. zu einer Modi-
fizierung der entlang des Orientierungskonzeptes aufgestellten Thesen. Neben
einem Ausblick auf zukünftige Wettbewerbsentwicklungen werden auf Basis der
Untersuchung Handlungsempfehlungen für Biotech-Unternehmen gegeben sowie
Anhaltspunkte identifiziert, die für eine weiterführende Forschung im Themengebiet
sinnvoll erscheinen.
Diese Konzeptionalisierung stellt den umfassenden Versuch dar, die Schnittstelle
zwischen Betriebswirtschaft und dem speziellen Themengebiet der Life Seiences mit
Ansatzpunkten zu einem aus theoretischer und explorativer Analyse hervorgegan-
genen holistischen Strategieansatz zu schließen. Mit der Untersuchung wird ein
Beitrag zur Präzisierung des aktuellen theoretischen Kenntnisstandes im Yin 'sehen
Sinne angestrebt, der in weiteren Forschungsanstrengungen als Grundlage für empi-
risch-quantitative Arbeiten dienen kann. Die Exploration des Begründungszusam-
menhangs a ls Z iels etzung der vorliegenden Arbeit unterstützt somit durch Verfeine-
rung und Modifizierung der E i ngangshypothesen eine explikative Validierung von
Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen in nachfolgenden großzahligen Untersu-
chungen (siehe Abbildung 1.7) .
Kernpunkte
• Klarung der • Klarung von : • Kritische Würdigung • Exploration des Be- • Generierung von
zentralen industriespezi- i des th eoretischen grOndungszusam- strategischen Hand-
Problem- fischen Anforde- : K enntnisstandes menhangs lungsoptionen
stellung der rungenfür i• Generierung eines "Strategiekonzepte • Erarbeitung von An-
Arbeit strategisches : strategischen Orien- von Biotech- sätzen fOr weiler-
Orientierungs- ' lierungskonzeptes U nternehmen" füh rende Forschung
konzept für Unternehmen in • Präzisierung von
der Biotechnologie Arbeitshypothesen
12
3 Abgrenzung des Themas
Die vorliegende Arbeit zielt auf eine Erweiterung des theoretischen Kenntnisstandes
zu Strategiekonzepten für wachstumsstarke und innovationsgetriebene Biotech-
Unternehmen. Das Untersuchungsdesign ist nicht quantitativ-explikativ ausge-
richtet und stellt somit auch keine ausreichende Validierung oder Testung von
Hypothesen oder Diskussion von Erfolgsfaktoren dar. Dieses Vorhaben bleibt einer
explikativen großzahligen Untersuchung an anderer Stelle vorbehalten. 3D
Die hohe Spezifizität der Biotech-Branche und die hohe Komplexität der Technologie
erschweren eine Annäherung an dieses Themengebiet und gestalten vereinfachende
Vergleich zu anderen Branchen wie IT /Internet problematisch. Die detaillierte
Diskussion der biotechnologischen Rahmenbedingungen fundiert aus diesem Grund
den Ausgangspunkt für die Konzeptionalisierung der Biotech-spezifischen Ansatz-
punkte, mit der Absicht, Erkenntnisse zu generieren, die deutlich über allgemein-
generische Ansätze hinaus gehen. Im Verlauf der Untersuchung wird deutlich, daß
die Humanmedizin das stark dominierende Geschäftsfeld für Biotech-Unternehmen
darstellt. In der Folge liegt der Schwerpunkt der Untersuchung auf diesem Ge-
schäftsfeld, das die Biotech-Unternehmen auf absehbare Zeit hinaus entscheidend
prägen wird. Erkenntnisse zu den Feldern Agro-Lebensmittel-Tierzucht und
Umwelt/Chemie werden bei Bedarf ergänzt, sie stehen allerdings nicht im Mittel-
punkt der Arbeit.
Die Auswahl der theoretischen Ansätze orientiert sich am Bedeutungsbeitrag und
Erkenntnisfortschritt bei der Erarbeitung eines holistischen Orientierungskonzeptes.
Im Fokus der betriebswirtschaftliehen Erklärungsansätze stehen Innovations-,
Entrepreneurship-, Markt- und Ressourcen-orientierte Ansätze. Aspekte aus netz-
werktheoretischen Überlegungen werden punktuell thematisiert ohne jedoch einen
Schwerpunkt der theoretischen Analyse darzustellen.
13
Die Biotechnologie wird die nächste Kontratieff
Kurve Jiir wirtschaftliche Wertentwicklung sein
Fondsmanager Technologiefonds DWS
15
enger Verbindung mit der technischen Chemie und der Verfahrenstechnik"34. Bio-
technologie bedeutet die Nutzung biologischer Systeme zur Gewinnung von Zell-
masse, zur Gewinnung von Stoffwechselprodukten und zur Nutzung von spezifi-
schen Leistungen.35 Einen zeitlichen Überblick der wichtigsten Phasen in der Bio-
technologie bietet Tabelle II.l.
Zeitraum Entwicklungs- Verfahren Produkte
tendenzen
Vor 1865 Traditionelle Nutzung - Alkoholische Gärung -Wein, Bier
Prä- der Biotechnologie bei der -Milchsäure Gärung -Käse, Sauerteig, Joghurt
Pasteur Herstellung von -Essigsäure Gärung -Essig
Nahrungsmitteln
1865- 1940 Biotechnische Verfahren -Fermentation -Butanol, Aceton, Ethanol
Pasteur ohne absoluten Aus- - Oberflächenkultur -Zitronensäure
schluß von Fremdkeimen -Aerobe - Bäckerhefe, Futterhefe
Abwasserklärung
- Biomasse Herstellung
1940- 1960 Biotechnische Verfahren -Steril-Technik -Spezifische Antibiotika
Antibiotika unter Ausschluß von -Submers-Verfahren (z.B. Penicillin)
Fremdkeimen und mit -Tierische Zellkulturen - Breitband Antibiotika
selektionierten Stämmen - Mikrobielle (z.B. Tetracycline)
Stoffumwandlungen - Virus- Impfstoffe
-Steroide (z.B. Cortison)
-Vitamine (z.B. B 12)
-Ovulationshemmer
1960- 1975 Integration und - Mikrobiologische - Einzeller-Protein (SCP)
Post- Anti- Anwendung wichtiger Herstellung von -Enzyme (Waschmittel)
biotika Forschungsergebnisse aus Biopolymeren -Polysaccharide
Naturwissenschaften und - Immobilisierung von (Xanthan)
Technik in der Enzymen - Fructose-Sirup
Biotechnologie und Zellen (Isomerase)
-Anaerobe -Biogas
Abwasserklärung -Industrie-Alkohol
- Alkoholische Gärung (Gasohol)
ab 1975 Konstruktive - Hybridoma-Technik - Monoklonale Antikörper
Moderne Optimierung von Zellen - Gentechnik - Rekombinante
Bio- und vorhersagbare (Genetic Engineering) Impfstoffe
technologie Bioprozeß-Technologie -Therapeutische
Humanproteine
Die der modernen Biotechnologie zugrunde liegende Basiswissenschaft ist die Moleku-
larbiologie. Als Begriff erstmals in den dreißiger Jahren geprägt, eröffnet sie ein
neues wissenschaftliches Feld, bei dem die Anwendung von chemischen und physi-
16
kalischen Methoden bzw. Erkenntnissen zu einer verbesserten Erforschung zentraler
biologischer Fragestellungen führte. Dieser interdisziplinäre Austausch zwischen
Physikern, Chemikern und Biologen gestaltete sich sehr fruchtbar und produktiv. Er
ebnete den Pfad zu den entscheidenden wissenschaftlichen Durchbrüchen, die zur
Entdeckung der DNA (Desoxyribo-Nuclein-Acid) durch Watson und Crick im Jahr
1953 führten.37 Die darauf folgende tiefere Erforschung ihrer chemischen und physi-
kalischen Eigenschaften und Funktionsweisen eröffnete das revolutionäre Möglich-
keitenspektrum einer in den evolutiven Prozeß eingreifenden Schlüsseltechnologie -
der Gentechnologie.38 Die moderne Biotechnologie stellt den Schwerpunkt der
vorliegenden Untersuchung dar. Ihre revolutionären molekularbiologischen Ver-
fahren und die daraus generierbaren Ergebnisse, z.B. monoklonale Antikörper,
rekombinante Impfstoffe, therapeutische Humanproteine und gentherapeutische
Behandlungen, bilden das Kommerzialisierungspotential der Biotechnologie-Unter-
nehmen seit Ende der siebziger Jahre. Das enorme und in seiner Reichweite kaum
abschätzbare wissenschaftliche und wirtschaftliche Potential, macht die Gentechno-
logie und damit die moderne Biotechnologie zu einer elementaren Technologie im
ausgehenden 20. Jahrhundert.39
Die von der molekularbiologischen Forschung beeinflußten, veränderten und neu
definierten Geschäftsbereiche werden als Life Seiences bezeichnet. Der Begriff wird in
dieser Untersuchung nicht als implizite Strategie verstanden, nach der ein Zusam-
menwachsen der biotechnologischen Geschäftsfelder Humanmedizin und Agro tech-
nologische und marktliehe Synergien generiert bzw. die einzig gestalterische Ant-
wort von Unternehmen in diesen Feldern sein kann.40 Sie eröffnen einen weiten
37 Insbesondere die Nutzung der Röntgenuntersuchungen zur Struktur der DNA von Rosalinde Frank/in führten
zu einer quantitativen Verifizierung theoretischer Forschungshypothesen. Wichtige Beiträge lieferten Linus
Pauling, Niels Bohr, Erwin Schrödinger, Leo Szilard, Oswald Avery und insbesondere Max Delbrück und dessen
'Phage Gruppe', vgl. Watson (1997) S. 199-200, vgl. Teileiman (1994) S. 181-182.
38 Watson/Crick gelten als Begründer der modernen Biotechnologie. 1962 erhielten sie zusammen mit M.F.
Wilkins für die Entdeckung der DNS-Struktur den Nobelpreis für Medizin. Den Wettlauf um die Entdeckung
der DNS-Struktur hat Watson erstmals 1968 unter dem Titel "The double helix" dargelegt, vgl. Watson (1997).
Watson betrieb von 1968-1988 das NIH Institut für Molekularbiologie in Cold Spring Harbor, USA. Er war
Mitbegründer und erster Leiter des Human Genom Projects (HGP). Ein von Watson gleichfalls initiiertes
Museum der DNA und Gentechnik hat bereits sehr früh zu einer sachlichen Information über Chancen und
Risiken dieser Technologie beigetragen. Er ist damit gleichfalls ein Pionier unter den Wissenschaftlern, die
sich zu wenig in der Akzeptanzdiskussion der Biotechnologie in der Gesellschaft beteiligt haben. Zur
Akzeptanzdebatte in Deutschland, vgl. Ollig/Ries (1995) S. 9-14.
39 Vgl. OECD (1989) S. 48-49.
40 Diese Integrationsstrategie für Life-Sciences-Geschäftsfelder wurde erstmals von Monsanto in den neunziger
Jahren verfolgt, dann auch von Aventis und Novartis angewandt. Der wirtschaftliche Erfolg gilt aber zuneh-
mend als zweifelhaft: Monsanto schloß sich Ende 1999/2000 mit Pharmacia & Upjohn zusammen, wobei die mit
dem Namen 'Monsanto' verbundenen AgBio-Aktivitäten als 'Belastung' des neu-zusammengeschlossenen
Unternehmens 'Pharmacia' bewertet wurden. Das AgBio-Geschäft stand ab Frühjahr 2000 zur Disposition.
Am 18.10.2000 wurden 14% des Kapitals der neuen Gesellschaft 'Monsanto', in der alle AgBio und AgChem-
Aktivitäten gebündelt wurden, zu einer Bewertung von 5 Mrd. USD wieder an die Börse (NYSE) geführt.
Wachsende öffentliche Proteste gegen die Verwendung von genetisch verändertem Saatgut (siehe Kap. II.4)
hatten zu einem sehr zurückhaltenden Anlegerinteresse geführt, so daß der Emissionspreis mit 20 USO sogar
unterhalb des Zielkorridors von 21-24 USD lag, vgl. o.V. (20001) S. 25, vgl. www.monsanto/investors/news.
Novartis und AstraZeneca haben ihre AgBio und AgChem Geschäftsfelder ebenfalls im Frühjahr 2000 unter
dem Namen 'Syngenta' zusammen gelegt (ca. 7,3 Mrd. USD Umsatz in 1999) und das neue AgBio-
Unternehmen im November 2000 als 'Spin-off' an den Kapitalmarkt gebracht.
17
Anwendungshorizont und umfassen Bereiche aus Humanmedizin, Agro-Lebens-
mittel-Tierzucht (AgBio) und Umwelt/Chemie. Die Gentechnologie- respektive die
moderne Biotechnologie- kann somit als Querschnittstechnologie definiert werden.
Die Gentechnologie als Verfahrenstechnologie innerhalb der Biotechnologie umfaßt
"alle Methoden zur Isolierung, Charakterisierung und gezielten Veränderung und
Übertragung von Erbgut".41 Ziel ist die Veränderung oder Herstellung organischer
Stoffe, Mikroorganismen, pflanzlicher oder tierischer Zellkulturen sowie isolierter
Enzyme in gesteuerten industriellen Produktionsverfahren.42 Dieses Handlungsziel
entstand nicht erst durch die Gentechnologie, sondern ist bereits Grundlage der tra-
ditionellen Biotechnologie bei der Herstellung von Käse, Wein, Bier und Brot sowie
der Züchtung von Pflanzen und Tieren mit gewünschten Merkmalsänderungen nach
den Mendel'schen Vererbungsregeln.43
Die revolutionäre Neuerung der Gentechnologie besteht in der gezielten Isolierung
und Neukombination von Erbmaterial, das durch eingesetzte Trägerorganismen
(i.d.R. Bakterien) in andere Lebewesen übertragen werden kann, ohne an Artgrenzen
der Organismen gebunden zu sein.44 Dieses als ,In-vitro-Neukombination' bezeich-
nete Charakteristikum ermöglicht es, die evolutionären Grundprinzipien, die zu-
fällige Mutation des Erbmaterials und die Selektion erfolgreicher Spezies durch die
Umwelt, zu manipulieren und gezielt einzusetzen. Die DNA-Doppelhelix enthält
den genetischen Bauplan jeder organischen Lebensform, der für Merkmale und bio-
chemische Abläufe im Organismus konstituierend ist. Sie ist die stoffliche Grund-
lage der Erbinformationen in Zellen, aus denen alle Proteinmoleküle unabhängig von
ihrer Funktion synthetisiert werden. Die DNA ist somit der Anfang der molekular-
biologischen Ereignisse in jedem Lebewesen.45
41 Schell/Mohr (1995) S. 1.
42 Vgl. Gassen/Bertram (1990) S. 14.
43 Vgl. Rehm/Präve (1987) S. 1-5.
44 Vgl. Gassen/Bertram (1990) S. 15.
45 Vgl. Friemert (1996) S. 39-48.
46 Gassen/Bertram/Martin (1987) S. 28.
18
Jahr 2000 erstmals zur Sequenzierung von rund 90% des menschlichen Genoms
führte (siehe Abbildung II.1).47
Die neuen Techniken, vor allem die DNA Rekombination, DNA Sequenzierung und
monoklonale Antikörperherstellung eröffneten ab Mitte der siebziger Jahre ein riesi-
ges technologisches Anwendungspotential.48 Rekombinante DNA Techniken ermög-
lichten das Einsetzen eines fremden Gens oder Genabschnitts in einen anderen
artfremden Organismus, bei dem die Eigenschaften des fremden Gens in die eigene
genetische Struktur integriert wird. Auf diese Weise kann z.B. anhand des einge-
bauten genetischen Codes ein Protein in dem neuen Organismus, i.d.R. ein Bakte-
47 Zur Geschichte der Gentechnologie vgl. z.B. Brocks/Schulte (1987) S. 13·19; obwohl K. B. Mrmis für seine
Arbeiten zur PCR-Technik 1993 der Nobelpreis verliehen wurde, wird seine eigentliche Urheberschaft dieser
für die moderne Biotechnologie sehr wichtigen Technik bezweifelt. PCR-Amplifikationen wurden bereits
1969 von K. Kleppe angewandt, vgl. Kornberg (1995) S. 236-241. Die kommerziellen Rechte an der PCR-
Technik wurden von der Biolech-Firma Chiron nach Übernahme des biotechnologischen Pionierunternehmens
Cetus für 300 Mio. USO an Roche verkauft. Das Pharma-Unternehmen sicherte sich einen Multi-Milliarden-
Dollar-Markt für seine molekulare Diagnostik. Der Zugang zu dieser Technik wurde durch Roche's Quasi-
Monopol deutlich eingeschränkt, vgl. Diller (1998) S. 45-53.
48 Vgl. Brocks/Schulte (1987) S. 39-43
19
rium, hergestellt werden.49 Das Bakterium als fremder Organismus bildet dann eine
natürliche Produktionsstätte für Proteine eines anderen, des menschlichen Organis-
mus. Bakterien, vor allem das Escherichia coli Bakterium, sind die sehr häufig ver-
wendeten Expressionssysteme für rekombinante Proteine. So können komplexe und
große menschliche Proteinstrukturen wie Humaninsulin, Wachstumshormone oder
Interleukine durch Bakterien produziert werden, die durch konventionelle chemisch-
pharmazeutische Methoden ohne gentechnische Verfahren nicht hergestellt werden
konnten.SO Mit der monoklonalen Antikörper-Technik, bei der mehrere Zellen mit
jeweils spezifischen Eigenschaften verschmolzen werden, können große Mengen an
qualitativ hochwertigen spezifischen Antikörpern produziert werden. Diese
monoklonalen Antikörper erkennen einzelne Antigene frühzeitig im Organismus, so
daß sie als ultrasensitive Diagnose-Kit-Systeme für 'Antigen-verursachte' Krank-
heiten verwendet werden (siehe Tabelle II.3).5! Die DNA-Sequenziertechnik, von Sanger
erstmals praktiziert, ermöglicht es, die Reihenfolge der Basenpaare einer DNA bzw.
eines vollständigen Genoms zu bestimmen und zu kartieren. Sie ist der Schlüssel zu
einer systematischen Analyse des genetischen Erbmaterials des Menschen und ande-
rer Organismen. Das Sequenzieren großer Genabschnitte bzw. Genome wird aller-
dings entscheidend von der Entwicklung neuer automatisierter und leistungsstär-
kerer Arbeitstechniken bestimmt.S2 Insbesondere die Entdeckung und Verbreitung
der Polymerase Chain Reaction (PCR) Technologie war von größter Bedeutung, da
durch diese Amplifikationstechnik kleinste DNA-Sequenzen bearbeitbar wurden.
Das Möglichkeitenspektrum der biotechnologischen Forschungsarbeiten verbreiterte
sich dadurch erheblich.53
Eine vollständige Kartierung des menschlichen Genoms ist das Ziel des Human
Genome Projects (HGP), das 1985 erstmals formuliert und ein Jahr später vom NIH
finanziell gefördert wurde. Die internationale Human Genome Organisation (HUGO),
seit 1988 als Dachorganisation des Projektes zur menschlichen Genomsequenzierung,
war ursprünglich ein biologisch-wissenschaftliches Grundlagenprojekt, mit dem
Ziel, die Ursachen genetisch bedingter und vererbter Krankheiten zu entdecken.54
Die enormen Möglichkeiten, die die Kenntnis des menschlichen Genoms für thera-
peutische und diagnostische Zwecke eröffnete, initiierten allerdings sehr schnell
kommerzielle Interessen zur Patentierung und Vermarktung sequenzierter Genab-
schnitte. Beispielsweise vermarktet das Unternehmen Human Genome Seiences Inc.
(siehe auch Fallstudie Incyte) die Forschungsergebnisse des privaten TIGR-Instituts
49 Boyer und Cohen implantierten 1973 erstmals erfolgreich einen Teil der Frosch-DNA in das Bakterium
Escherichia coli.
50 Vgl. Prevezer (1998) S. 157-159; Proteine, in langen Aminosäureketten kodierte Eiweiße, können in verschiede-
nen Funktionen auftreten. Sie existieren als Hormone (Steuerungsproteine), Enzyme (Stoffwechsel), Anti-
körper (Immunsystem), Rezeptoren (Signaltransmitter); Transportproteine oder Neurotransmitter (Schmerz-
weiterleitung). Gentechnologie ermöglicht es, Proteine gezielt zu therapeutischem Nutzen einzusetzen.
51 Vgl. Dodgson (1991) S. 1-2; vgl. Hacking (1986) S. 246.
52 Vgl. BMFT (1991) S. 31-32; siehe Kap. 11.2.
53 Zur Wirkungsweise und Anwendungsgebieten der PCR-Technologie vgl. Minol (1996) S. 292-319.
54 Vgl. Gassen/König (1994) S. 5; BMFT (1991) S. 53-60; Grundlage der Sequenzierung des HGP sind Genomab-
schnitte, die aus einem Sampie verschiedener Test-Personen stammen. Der Rückschluß auf bestimmte Indi-
viduen ist ausgeschlossen.
20
(Institut for Genomic Research) an interessierte Pharma-Unternehmen.55 Daneben
wurden im Sommer 1999 erstmals Forschungsgelder aus dem Budget des HGP an
private Unternehmen vergeben, die Genome Therapeutics Corp. und als Subunter-
nehmer die Incyte Pharmaceuticals Inc. (siehe auch Fallstudie Incyte). Insgesamt sollen
bis Ende 2002 jährlich rund 100 Mio. USD an öffentlichen Forschungsgeldern für Se-
quenzierleistungen vergeben werden.56 Im Frühjahr 2000 verkündeten sowohl die
HUGO als auch das Biotech-Unternehmen Ce/era Genomics eine erste, allerdings noch
nicht lückenlose Entzifferung des menschlichen Genoms (siehe Kap. 11.3.1).
60 Einige therapeutische Produkte, z.B. Insulin, Antibiotika etc., können in synthetischen Verfahren nicht in aus-
reichender Menge und mit konstantem Qualitätsniveau, z.B. Reinheit der Verbindung, die bei Naturpro-
dukten nicht vollkommen reproduzierbar ist, hergestellt werden, vgl. Brauer (1991) S. 16, vgl
Gassen/Bertram/Martin (1987) S. 28; das Protein Faktor VIII wird bei der Bluter-Krankheit eingesetzt, Inter-
feronbetabei Multiple Sklerose, G-CSF bei Leukämie, siehe Tabelle I/.2.
61 Vgl. Malerba/Orsenigo (1996) S. 52.
62 Streck/Pieper (1997) S. 3; deutsche Chemie-/Pharma-Unternehmen endeckten biotechnologische Forschung
erst verspätet als neue Schlüsseltechnologie, vgl. Dolata (1995) S. 456-480.
63 Vgl. Streck/Pieper (1997) S. 3-5.
22
rensweisen und Produkte. Sie sind die Protagonisten des neuen biotechnologischen
Paradigmas.64 Diese Unternehmen versuchen, mit ihren wissenschaftlichen Erkennt-
nissen eine kommerzielle Anwendung zu erschließen bzw. das technologische
Potential in einem Unternehmerischen Rahmen umzusetzen. Im Vergleich zu den
etablierten Großunternehmen der Chemie- und Pharma-Industrie sind die Biotech-
Unternehmen sehr jung und sehr klein. Sie werden auch als "Entrepreneurial Life
Seiences Companies" oder "dedicated biotechnology firms" (DBF) bezeichnet. Das Mana-
gement besteht aus einer Kombination von Wissenschaftlern und Unternehmern, sie
sind sehr häufig Venture-Capital-finanziert und haben eine expansive Wachstums-
strategie: sie sind die Herausforderer der dominierenden Akteure insbesondere im
Gesundheitsmarkt, aber zunehmend auch im AgBio-Sektor.65
Im Fokus der Diskussion steht die Kategorie der 'entrepreneurialen' Biotechnologie-
Unternehmen- in dieser Untersuchung als 'Biotech-Unternehmen' bezeichnet.
23
suche. Dies führt zu Veränderungen der knappen Faktoren im Wertschöpfungspro-
zeß, zu einer Verkürzung der Forschungs- und Entwicklungszeiten sowie zu einer
Erhöhung der Wahrscheinlichkeit und Planbarkeit, aus dem gesamten Prozeß ein er-
folgreiches Produkt zu generieren. Beispielsweise haben Biotech-Unternehmen
durch neue genornisehe Technologien eine Vielzahl an vorher knappen potentiellen
Wirkstoff-Targets generiert. Mit dem gesamten technologischen Potential der Bio-
technologie ändern sich die Erfolgsparameter der Life-Sciences-Industrie. Das tra-
dierte Kräfteverhältnis der dominierenden Unternehmen wandelt sich und eröffnet
große Chancen für die neuen innovativen Biotechnologie-Unternehmen.69 Ein tiefe-
res Verständnis des Produktentstehungsprozesses ist für die Beurteilung von strate-
gischen Fragestellungen aus diesem Grund essentiell (siehe Abbildung II.2).
.. IForschung I
Zeit
Kosten -30-80 -50 -1 00 -250
(in Mio.
USO)
• Gen- • Kombinatorische • Pharmakogenomik
seq uenzieru ng Chemie • -10-17 Jahre von
• Funktionale • Biochips • Epidemiologie der Entdeckung bis
Genomik • Proteomik zur Zulassung eines
• Bioinformatik • HTS/ UHTS Medikaments
• Transgene • -500 Mio. USO
Tiermodellei
Genexpression
rung ihrer Produktpatente erzielen, siehe hierzu die Analyse von Temin zu den Ursprüngen der ameri-
kanischen Pharma-Industrie, vgl. Kap. IJ.6.2.
74 Vgl. Herzog (1995) S. 80-83
75 Vgl. Datamonitor (1996) S. 62-64 ..
76 Präklinische Phase enthält Toxokologie und Pharmakologie, vgl. Jäger /Mangold/Gielsdorf (1995) S. 255.
77 Vgl. Mak/Hörrmann/Tiby (1995) S. 132-137.
78 Vgl. Lehman Brothers (1998) S. 6; vgl. Datamonitor (1996) S. 71.
26
medizinisch-pharmazeutisches Know-how benötigt. Im Mittelpunkt stehen die Aus-
wirkungen der jeweiligen Substanz auf den Menschen: das Feststellen von Wirkung,
Nebenwirkung und geeigneter Dosierung der Substanz. Die stark naturwissen-
schaftlich geprägte Forschung - die Identifikation und Validierung der Substanz -
endet dagegen mit dem Beginn der Klinischen Phasen.
79 Eine ausführliche Beschreibung der einzelnen klinischen Phasen und der Zulassungsvoraussetzungen in den
USA bei Schweitzer (1997) S. 155-160.
80 Vgl. jaeger/Mangold/Gielsdorf (1995) S. 261-262.
81 Vgl. insbesondere Lehman Brothers (1998) S. 3, 13-33.
82 Vgl. Lehrnarr Brothers (1998) S. 6.
83 Für den gesamten klinischen Prozeß vgl. Herzog (1995) S. 120-131.
84 Unter dem Begriff 'Pharmacogenomics/Pharmakogenomik' versteht man, durch Kenntnis der genetischen Krank-
heitsursachenund der individuellen genetischen Veranlagung des Individuums, erblich bedingte Besonder-
heiten an denjenigen Zellstrukturen zu entdecken, die für die Krankheit ursächlich sind. Bei Ausnutzung der
27
werden die individuellen Ausprägungen der Menschen, die Genotypen, differenziert
analysiert. Genotypen reagieren unterschiedlich auf jeweilige Wirkstoffe. Eine
genauere Kenntnis über die Wirksamkeit einer 'Lead substance' auf bestimmte Geno-
typ-Cluster kann das Design der klinischen Studien effektiver bestimmen. Mit neuen
Diagnostika werden die Patientengruppen ausgewählt, für die der Wirkstoff am
besten geeignet ist, so daß das Auftreten von Nebenwirkungen in der Therapie stark
reduziert wird. Diagnostische Methoden werden somit nicht nur zur Krankheits-
diagnose eingesetzt, sondern auch zur Patientenselektion für ein geeignetes thera-
peutisches Präparat. Dies entspricht einem grundsätzlich neuen Ansatz, in dem dia-
gnostische und therapeutische Methoden symbiotisch eingesetzt werden. Die Mißer-
folgsrate klinischer Studien kann somit wesentlich reduziert werden, die Tests
werden leichter prognostizierbar, schneller und billiger. Aktuelle Schätzungen prog-
nostizieren eine erhöhte Therapiewirksamkeit von rund 30%, reduziertes Auftreten
von Nebenwirkungen um rund 25%, so daß Entwicklungskosten pro Produkt um ca.
33 Mio. USD bis zum Jahr 2010 sinken werden.SS
In der Phase I beginnen die menschlichen Testreihen mit dem Wirkstoff. Am gesun-
den Probanden werden die Verträglichkeit, die pharmakologische Bedeutung und
die Pharmakakinetik des Wirkstoffs untersucht. Die Phase I dauert zwischen 9-20
Monaten und kostet ca. 30-50 Mio. USD. Die Erfolgswahrscheinlichkeit beträgt 10%.
In der Phase II werden an kleinen Patientenzahlen der medizinischen Zielindikation,
z.B. Diabetiskranken bei einem neuen Diabetis Therapeutikum, in homogener Stich-
probe therapeutische Wirksamkeitsnachweise, Dosistests, weitere Untersuchungen
zur Pharmakakinetik u.a. durchgeführt. Die Phase II dauert zwischen 19-38 Monaten
und kostet ca. 80-100 Mio. USD. Die Erfolgswahrscheinlichkeit beträgt 30%.
In der Phase III werden die Tests am Patienten in Großversuchsreihen ausgeweitet.
Diese sehr langfristigen Untersuchungen werden mit ausgewählten Kliniken durch-
geführt, die die notwendigen Patienteninformationen bereitstellen. Der große
dokumentatorische Nachweis ist sehr zeit- und ressourcenaufwendig. In der breiten
Anwendung werden Vergleiche mit anderen Präparaten vorgenommen und Ver-
träglichkeitstests in Bezug auf Nebenwirkungen geleistet. Jetzt muß der Wirkstoff
auch im großen Maßstab produziert werden, es muß ein 'Upscaling' von laborartiger
Herstellung hin zur industriellen Fertigung erfolgen. Dafür ist viel Produktions- und
Entwicklungs-Know-how erforderlich. Diese Prozeßstufe ist sehr kostenintensiv und
wirkt fast prohibitiv für kleinere Unternehmen. Die Phase III dauert rund 20-50
Monaten und kostet ca. 200-250 Mio. USD mit der Wahrscheinlichkeit einer
erfolgreichen Vermarktung von 80%.86
Möglichkeiten von Pharmacogenomics werden Behandlungen und Therapeutika immer individueller - die
Segmentierung für den Therapeutikamarkt werden zunehmen: weniger pauschale Blockbuster, dafür mehr
spezifische Medikamente für kleinere Patientengruppen, aber mit höherer Wirksamkeit. Für die Industrie
bedeutet dies, daß es kleinere Märkte für einzelne Produkte geben wird, aber mehr Pro-
dukte/Produktvariationen mit höherer Marktdurchdringung, da die Wirksamkeit der Therapie deutlich
steigt.
85 Vgl. z.B. Diller (1998) S. 50-52, vgl.. Front line Startegic Mgt Consulting/Pharma (04/2001) S. 178.
86 Kostenschätzungen der einzelnen klinischen Phasen aus Lehman Brothers (1998) S. 6. Erfolgswahrscheinlich-
keiten einer Vermarktung in den jeweiligen Phasen aus Datamonitor (1996) S. 71.
28
(4) Die Zulassung als Produkt
Nach erfolgreichen klinischen Studien müssen für die einzelnen Märkte die jewei-
ligen Zulassungsbehörden konsultiert werden, z.B. die amerikanische FDA (Food and
Drug Administration) oder die europäische EMEA (European Agency for the Eva-
luation of Medicinal Products).87 Der Prozeß ist zeitintensiv und determinierend für
die endgültige Zulassung als Wirkstoff in dem jeweiligen Markt.S8 Essentiell für die
Prognostizierbarkeil einer erfolgreichen Zulassung ist die Transparenz des Verfah-
rens, die von den einzelnen Regulierungsbehörden abhängig ist.S9 Neben Arznei-
mitteln gilt dies auch für gentechnisch veränderte Lebensmittel.90 Die durchschnitt-
lichen Zulassungszeiten ('review times') der amerikanischen FDA für neue Wirk-
stoffe haben sich in den neunziger Jahren von 30,3 Monaten in 1991 auf 17,8 Monaten
im Jahr 1996 verringert.91
87 Zur gestärkten Rolle der FDA seit den sechziger Jahren vgl. Müller (1991) S. 61-63.
88 Vgl. Andersson (1995) S. 266-267, 275-276: Vergleich der Zulassungszeiten und Verbreitung neuer Wirkstoffe
in Multiländerstudie.
89 Von Unternehmen wird der Mangel an Verfahrenstransparenz bei der EMEA kritisiert, die im Gegensatz zur
amerikanischen FDA Unklarheiten über notwendige Endprodukte der Zulassung bestehen läßt, vgl. Ernst &
Young (1998a) S. 22-23.
90 Vgl. o.V. (1999d) S. 17-18: Die Lebensmittelzulassung in Buropa wird durch eine Vielzahl nationaler und
supranationaler Institutionen erschwert. Es existiert keine der EMEA ähnliche Organisation, die den Zulas-
sungsprozeß für medizinische Produkte in der EU regelt.
91 Quelle: US FDA, zit. in Ernst &Young (1998a) S. 16: Die FDA hat durch Reform ihrer Prozeßvorschriften und
einer schnelleren Bearbeitung von Produkten für Haupt-Krankheitsgebiete die Zulassungszeiten verringert.
Eine sechsmonatige Zulassungszeit ist "statutory standard".
92 Marketing und Vertrieb übertreffen die F&E-Ausgaben bei führenden Pharma-Unternehmen: von 1992-94
lagen die F&E-Ausgaben bei Merck, Pfizer und Eli Lilly zwischen 11-15%, für Marketing & Sales und Pro-
motion zwischen 21-40% vom Umsatz, vgl. Schweitzer (1997) S. 43-46.
29
Markting-Infrastruktur verfügen. Strategische Kooperationen mit Pharma-Unter-
nehmen, die über große und schlagkräftige Vertriebs- und Marketingorganisationen
verfügen, stellen für Startups eine Möglichkeit dar, dieses Defizit zu überwinden.93
93 Beispielsweise hat Genenlech mit Eli Lilly, Amgen mit J&J und Biogen mit Schering-Plough Vermarktungs-
kooperationen geschlossen, vgl. Tabelle JI.4.
94 Vgl. beispielsweise PWC (1997 /1998/1999), EuropaBio (1997), Prognos (1997), Ernst&Young
(1996/1997 /1998/1999), Burrill (1998/1999), McKinsey (1999).
30
(1) Es besteht ein hoher Bedarf an neuen Wirkstoffen und Diagnostika. Existierende
Wirkstoffe wurden bisher durch reinen Empirismus (massives Screenen von in der
Natur gefundenen Substanzen nach besonderen Reaktionseigenschaften) oder Zufall
entdeckt.95 Ein rationaler Prozeß der Wirkstoffsuche in der Pharmaindustrie ist bis
heute nicht erreicht, ein wirkliches Ursachenverständnis von Krankheiten vielfach
noch unbekannt. Biotechnologische Verfahren haben das Potential, diesen unzu-
reichenden Zustand zu ändern und eröffnen große Kommerzialisierungschancen für
Unternehmen. In der Anfangsphase der kommerziellen Biotechnologie war das
große Interesse etablierter Pharma-Unternehmen nach den rekombinant herge-
stellten Proteinen essentiell für den schnellen wirtschaftlichen Erfolg.
(2) Neben dem wissenschaftlichen Bedarf besteht ein hohes kommerzielles Anreizpoten-
tial, in der Gesundheitsbranche präsent zu sein. Der Markt ist sehr groß, wächst
stetig, ohne daß eine Saturierung abzusehen wäre und ist sehr profitabeJ.96 Dieser
Anreiz wird zusätzlich gesteigert durch die Möglichkeit mit neuen biotechnolo-
gischen Methoden den Gesundheitsmarkt zu revolutionieren und zu gestaltenden
Akteuren der wirtschaftlichen Neuordnung zu werden. Akzeptanzprobleme, die
eine Kommerzialisierung behindern könnten, bestehen z.Zt. nur noch bei genthera-
peutischen oder Keimbahn-Eingriffen. Der Nutzenvorteil einer besseren gesundheit-
lichen Versorgung überwiegt die kritischen Bedenken.97
(3) Die Nähe biotechnologischer Forschung zur kommerziellen Produktanwendung führt zu
schnelleren 'Proofs of Principle'.98 Biotechnologische Forschungsergebnisse konnten
in der Medizin wesentlich schneller in Produkte umgesetzt werden als in anderen
Gebieten. Durch Klonierung hergestellte rekombinante Proteine oder spezifische
Antikörper-Diagnose-Kits mit signifikant bessere Produkt- bzw. Wirkungseigen-
schaften gingen direkt auf die bahnbrechende Entdeckungen der biotechnologischen
Grundlagenforschung bei Rekombination und Sequenzierung von DNA in den Sieb-
ziger Jahren zurück (siehe Abbildung II.l). Rekombinantes Humaninsulin wurde 1982,
bereits vier Jahre nach der Klonierung des ersten gentechnischen Insulins 1978, als
erstes biopharmazeutisches Produkt von der FDA zugelassen. 99
·Die Kombination dieser drei Aspekte macht das Geschäftsfeld der Humanmedizin
zum attraktiven und dominierenden Wettbewerbsumfeld für Biotech-Unterneh-
men)OO Dies schließt auch die nicht-kommerzielle Forschung ein, denn die Perspek-
31
tiven für Drittmittel-Einwerbungen und die Verwertung von Patenten sind auch für
Wissenschaftler und Forschungseinrichtungen aus der Academia sehr interessant.l01
3.1 Humanmedizin
Humanmedizin umfaßt die Wirkstoffentwicklung in der Pharmaindustrie, die Verbes-
serung diagnostischer Methoden und neue medizinische Behandlungsmethoden wie
die Gentherapie. Die wesentlichen kommerziellen biotechnologischen Durchbrüche
wurden bisher auf dem Gebiet der Therapeutika und Diagnostika erzielt
101 Drittmittel für öffentliche Forschung sind staatliche oder private Fördergelder, die i.d.R. projektbezogen ver-
geben werden und einen großen Teil der Forschungskapazitäten der Academia (Pure Wissenschaft) finanzie-
ren. Staatliche Mittel umfassen in Deutschland beispielsweise BMBF- und in den USA NIH-Fördermittel,
private Finanzierungsmittel stammen von Unternehmen, z.B. aus der Pharmaindustrie.
102 Vgl. Seid! (1995) S. 160-162.
103 Vgl. Teitelman (1994) S. 157; problematisch für ein rationales Drug Design sind multikausale Ursachen und
die Komplexität der auftretenden Krankheitsbilder. Voraussetzung ist daneben das vollständige Verständnis
einer Krankheit und der pharmakologisch wirksamen Substanzen.
32
rekombinate Vakzine wie z.B. das Hepatitis-B-Vakzin (siehe Tabelle II.2))04 Die Ent-
wicklung eines Therapeutikums ist sehr komplex und langwierig (siehe Kap. II.2).
Zeit- und kostenintensive klinische Untersuchungen müssen vor der Zulassung zum
Medikament erfolgreich durchgeführt werden.
33
Der Zulassungsprozeß als Voraussetzung für die Vermarktung dauert zwischen 17
und 30 Monaten. Insgesamt wurden bis Anfang 1998 rund 100 biopharmazeutische
Therapeutika für den Arzneimittelmarkt in den USA zugelassen, ca. 200 Produkt-
kandidaten standen vor der FDA Marktzulassung.105
Diagnostika sind Methoden bzw. Indikatoren zum frühzeitigen Erkennen von Krank-
heitssymptomen. Moderne biotechnologische Verfahren ermöglichen mono- und
polykonale bzw. rekombinate Antikörpertests, die in-vitro (außerhalb des Körpers)
in Immunoassays oder in-vivo (im Körper) praktiziert werden. Angewandt wird
insbesondere die PCR sowie weitere molekularbiologische Detektionsmethoden. Der
Diagnostika-Geschäftsbereich erwirtschaftet bisher wesentlich niedrigere Margen als
das Pharma-Geschäft.
(2) Aktuelle Entwicklungen und Perspektiven der Biotechnologie für die Humanmedizin
Neben der Herstellung biopharmazeutischer Produkte durch gentechnologische Ver-
fahren, ermöglicht die DNA-Sequenzierungstechnik darüber hinaus die molekulare
Analyse und Erforschung des Genoms, des genetischen Bauplans jeder Spezies. Die
Sequenzierung und Kartierung der gesamten DNA eines Lebewesens, legt die mole-
kularbiologischen Grundlagen offen - den genetischen Code. Die Gene sind der
Ausgangspunkt biochemischer Prozesse im Körper. In den 50.000-100.000 Genen des
menschlichen Genoms, das aus 23 Chromosomen besteht, werden alle Proteine des
Körpers definiert und die wichtigen Regulationen der einzelnen Genabschnitte fest-
gelegt, die zur Aktivierung oder Deaktivierung bestimmter Funktionen führen.
Jedes Gen stellt eine bestimmt Reihenfolge der Basenpaare- Adenin, Cytosin, Guanin
und Thymin - dar, die Informationen für die Bildung eines Proteins enthalten.107
Das ursprüngliche Ziel, bis zum Jahr 2005 das gesamte Genom mit 2,9x 109 Basen-
paaren (bp) zu entschlüsseln, konnte durch die Fortschritte bei den Arbeitstechniken
der Genomanalyse und stärkerer Berücksichtigung von qualitativ hochwertiger
Sequenzierleistung bei der Mittelvergabe von Forschungsgeldern entscheidend
beschleunigt werden, so daß im Jahr 1999 noch davon ausgegangen wurde, bis zum
Frühjahr 2002 rund 90% und bis 2003 rund 99,99% des menschlichen Genoms zu
34
sequenzieren.108 Durch massiven Einsatz von Sequenzier-Maschinen und Informa-
tionstechnologie bei der Auswertung der Genomdaten verkündete das Unternehmen
Celera Genomics, das in Konkurrenz zum staatlich finanzierten HGP bei der Genom-
sequenzierung steht, eine erste vollständige Entzifferung der menschlichen DNA
bereits im April 2000. Das HGP folgte einige Tage später mit dem Ergebnis einer
vorläufigen Genomsequenzierung, die rund 90% der Erbinformationen umfaßte)09
Eine lückenlose und fehlerfreie Sequenzierung der Basenpaare muß allerdings erst
noch erzielt werden, denn die von Celera verwendete Technik ist sehr grob und un-
genau, so daß die genauemenschliche DNA-Sequenz weiterhin offen ist.llO Dieses
Ereignis der ersten menschlichen Genomsequenzierung, das schneller eintrat, als
selbst von Experten erwartet, macht allerdings deutlich, wie sehr der Leistungsfort-
schritt bei der Informations- und miniaturisierten Automationstechnologie den
Erkenntnisgewinn in der Biotechnologie beschleunigt.lll
Dieser genetische Code ist allerdings - obwohl in seine molekularen Bausteine, die
Nukleinsäuren, zerlegt - noch nicht entschlüsselt, d.h. interpretierbar. Die Auswer-
tung der Ergebnisse und Verwertung der immensen Datenmengen aus der Genom-
sequenzierung steht noch am Anfang. Die Verbindung molekularbiologischer
Erkenntnisse mit den technischen Möglichkeiten der Informatik eröffnet ein weites
Spektrum hinsichtlich Miniaturisierung, automatisierter Genanalyse und Bearbei-
tung komplexer Datenmengen des Genoms (siehe Fallstudien Incyte, LION). Die Kon-
struktion von Biochips oder DNA Chips, auf denen große Datenmengen an gene-
tischer Information, Peptiden oder anderen Biomolekülen komprimiert werden, hat
sich Ende der neunziger Jahre sehr schnell weiter entwickelt.112 Miniaturisierung
und schnellere Analysemethoden werden in der Biotechnologie immer bedeutsamer
(siehe auch Fallstudie MMI).l13 Eine noch futuristisch anmutende Vorstellung jenseits
medizinischer Anwendungen liegt in einer weiteren Integration von Bio- und Infor-
mationswissenschaften, die bis zu Konzeptionen eines molekularen Computer reicht:
Nukleinsäuren als neues technologisches Paradigma für Mikrochips erscheinen
möglich,ll4
115 Z.T. konnten bereits erste Erfolge bei somatischen gentherapeutischen Behandlungsmethoden erzielt werden,
insbesondere bei der auf einem Gendefekt beruhenden Immunschwächekrankheit der ADA-Deficiency: auf-
grund des defekten Adenosin-Desaminase Enzyms entwickelt sich kein intaktes Immunsystem, vgl. z.B.
Ryser/Weber (1991) S. 16-17.
116 Unter dem Begriff 'Protenomics' versteht man den Bereich der Biotechnologie, in dem durch Kenntnis des
Genoms die Herstellung, der Aufbau und die Veränderung von Proteinen im Organismus ursachenspezfisch
untersucht wird. Der Begriff 'Bioinformatik' bezeichnet die Schnittstelle zwischen der Molekularbiologie und
der Informatik. Das Anwendungspotential entsteht, da im Rahmen der Genomprojekte und diversen verbun-
denen Forschungsprojekten der Bedarf für Datenspeicherung, -bearbeitung und -integration sehr stark
wächst, siehe auch Fallstudien lncyte und LJON. Die Begriffe 'Functional Genomics' und 'Pharmacogenomics'
wurden bereits in Kap. II.2 erläutert.
117 o.V. (1999f) S. 32.
36
Bei der Biotechnologie im medizinischen Bereich kann der Patient noch
mitentscheiden. Man kann direkt mit dem Arzt kommunizieren. Bei der
'grünen' Biotechnologie kenne ich denjenigen nicht, der Hand anlegt. Der
Akteur, der Prozeß und das Produkt sind anonym. Diese psychologische
Hürde gilt es zu überwinden. Es braucht Transparenz darüber, was in der
'grünen' Biotechnologie getan und wie es kommuniziert wird.
Friedrich v. Bohlen, CEO LION Bioscience
123 In Deutschland werden Äcker mit gentechnisch veränderte Pflanzen von militanten Gegnern häufig zerstört,
so daß neben langwierigen Genehmigungsverfahren eine weitere Verzögerung für die wirtschaftliche Nut-
zung eintritt. Zur Bedeutung von gesellschaftlicher Akzeptanz und geeigneten Handlungsmaßnahmen der
Biotechnologie-Unternehmen, vgl. Ernst & Young LLP (1998a) S. 26.
124 Vgl. o. V. (1999h) S. 18.
125 Vgl. Bachmann/Bastianelli/Riese/Schlenzka (2000) S. 93-98.
126 Aussichtsreiche Biopolymere wie 'Poly-lactic-acid' (PLA), 'Poly-hydroxy-alcanoates' (PHA), 'Polytrinethylene-
terephthalate' (PTT) haben durch bessere Leistungsmerkmale versus traditionellen chemischen Produkten
mittel-/langfristig (2005-2010) großes Wachstumspotential, vgl. McKinsey (1999b).
127 Vgl. Malinowsky/Dombach/Tiby (1992) S. 6; vgl. McKinsey (1999b), vgl. Deutscher Bundestag (1987) S. 100;
beispielsweise können Mikroorganismen in der Gewässer- oder Bodenreinigung anorganische Stoffe auf-
nehmen, verarbeiten und somit der Umwelt entziehen; für konkrete Projektbeschreibung einer Grundwasser-
sanierung am Gaswerkstandort Düsseldorf-Flingern vgl. Raphael (1997) S. 161-167.
128 Vgl. Raphael (1997) S. 168-174.
38
masse eingesetzt werden. Das Gebiet der Umwelt/Chemie i.w.S. inklusive basis-
/spezialchemischer und energiespezifischer Anwendungen ist das bislang am
geringsten penetrierte Aktionsfeld sowohl von reinen Biotech-Unternehmen als auch
von dominierenden Marktspielern in der Chemieindustrie,l29
Auch wenn nach Prognosen ca. 30% aller chemischen Prozesse und Produkte im Jahr
2010 durch die Biotechnologie beeinflußt werden, sind die dominierenden Unter-
nehmen in der Chemieindustrie noch sehr zurückhaltend gegenüber biotechnolo-
gischen Anwendungen 'inhouse' bzw. gegenüber Kooperationen mit führenden Bio-
·tech-Unternehmen,l30 Geringes Interesse der großen Unternehmen sowie vielfach
noch nachzuweisende Vorteile der biotechnologischer gegenüber existierenden Pro-
dukten und Prozessen, führt kurzfristig zu einem sehr kleinen Marktvolumen im
Umwelt-/Chemie-Bereich (siehe Abbildung II.2). Viele Projekte, auch die Umsetzung
der in der öffentlichen Diskussion propagierten Sanierungsanwendungen, befinden
sich noch im Ideen- bzw. frühen Forschungsstadium. Wirtschaftliche Nutzenpoten-
tiale erscheinen erst mittel- bis langfristig realisierbar, zumal auch rechtliche Rah-
menbedingungen für Zulassung und Vermarktung noch nicht abschließend geregelt
sind,l31
39
Neue Methoden haben das Spektrum der traditionell chemisch-pharmazeutischen
Forschungsinhalte radikal erweitert und zu neuen biopharmazeutischen Produkten,
den rekombinanten Proteinen, geführt. Diese haben sich erfolgreich am Markt
durchgesetzt und sind mit Umsätzen konventioneller Medikamente vergleichbar,
auch wenn die größten Blockbusterprodukte noch dominanter sind, beispielsweise
erzielte allein das Produkt 'Lipitor' 1999 einen Umsatz von rund 3,6 Mrd. USD (siehe
Tabelle 11.3).
Die Bedeutung rekombinanter Produkte wird bei neuen Entwicklungen noch weiter
zunehmen, denn ihre klinische Erfolgsquote ist mit 63-68% mehr als doppelt so hoch
wie bei konventionellen Pharmaka (25-32%). Auch therapeutische monoklonale
Antikörper (35-48%) und diagnostische monoklonale Antikörper (73-80%) haben eine
höhere Erfolgswahrscheinlichkeit, in klinischen Phasen zu bestehen. In den letzten
Jahren nimmt die Anzahl der in den klinischen Phasen getesteten biopharmazeu-
tischen Produkte weiter zu. Im Jahr 1999 befanden sich 350 biotechnisch hergestellte
Produktkandidaten in der klinischen Entwicklung. Davon richten sich 151 gegen
Krebserkrankungen, 29 gegen HIV und AIDS-bedingte Krankheiten, 19 gegen Auto-
immun- und 8 gegen Blutkrankheiten.J34 Im Jahr 2003 sollen diese rund 10-15% des
gesamten pharmazeutischen Marktes von rund 400 Mrd. USD stellen.J35 Der Anteil
biopharmazeutischer Produkte steigt demnach sowohl absolut als auch prozentual
40
mit einem riesigen zu verteilenden Marktpotential für Unternehmen in der nächsten
Dekade (siehe Abbildung II.4) .
Im Diagnostikamarkt haben sich biotechnologische Verfahren sehr schnell durch-
gesetzt. Z.Zt. basieren die meisten neuen Diagnosemethoden auf molekular-bioche-
mischen Funktionsweisen.136 Dieneuesten technologischen Entwicklungen, die sich
aus dem 'Genomik-Ansatz' ergeben, werden die zukünftige Therapeutika- und
Diagnostika-Entwicklung noch grundsätzlicher wandeln, als dies die erste und
zweite Generation der biopharmazeutischen Produkte erreicht hat. Trotz prognos-
tizierter Verkürzung des Forschungs- und Entwicklungsprozesses, wird eine
nachhaltige Beurteilung frühestens in 10-20 Jahren möglich sein.
41
grundsätzlich langsamer bzw. stellte sich nach kurzer Zeit als preissensitiver 'Com-
modity Markt' heraus.137 In Europa werden die Kommerzialisierungsprobleme
durch die außerordentlich langen und intransparenten Zulassungsverfahren der EU
weiter verstärkt, so daß trotz guter technologischer Positionierung der Unternehmen
ein erheblicher Rückstand zu der US-amerikanischen Marktentwicklung besteht.138
Akzeptanzprobleme bei Farmern und Konsumenten in den USA, Japan und Europa,
die von den Unternehmen lange unterschätzt und negiert wurden, belasten die
kommerzielle Verbreitung erheblich.l39 In dieser Diskussion wird deutlich, daß die
Herausstellung eines klaren Konsumentennutzens für Farmer und Verbraucher von
der Biotech und Life-Sciences-Industrie stark vernachlässigt wurde.J40
Neben den dominanten Anbietern der agrochemischen Unternehmen konnte sich,
anders als im Gesundheitssektor, nur sehr begrenzt ein Kreis unabhängiger agrobio-
technologischer Unternehmen etablieren. Der biotechnologische Mehrwert existiert
gerade im gentechnisch verbesserten Saatgut. Speziell die USA, die im Jahr 1998
rund 81% der gesamten Agro-Biotechnologie ausmachten, substituieren konven-
tionelles Saatgut und bauen gentechnisch veränderte Pflanzen an (siehe Tabelle Il.4).
Prozentualer Anteil
Herbizid relevante Eigenschaften 58%
Krankheitsresistenzen (Virus, Pilze etc.) 15%
Sonstige Eigenschaften (Zusatzstoffe, Marker, etc.) 27%
Gesamte Anzahl 1.086
zugelassener rekombinanter Organismen
Tabelle II.S: Eigenschaften von der EU zugelassener rekombinanter Organismen
Quelle: Robert Koch Institut, Ernst & Young (1998b), Eigene Berechnungen
Eine prägnante Analyse zur Problematik der Agro Biotechnologie liefert Erickson:
"Agricultural biotechnology has yet to produce much of commercial value. Aside
from seed crops engineered to withstand herbicides and to produce a naturally-
occurring insect toxin, a bovine hormone protested today, and a slow-to-rot tomato
44
1994 1997 2000 2003 CAGR
(geschätzt) 1994-2000
USA 160-210 225-325 350-600 1.000-2.500 ~16%
* Für das weltweite biotechnologische Marktpotential in Umwelt und Chemie werden vielfältige und
sehr unterschiedliche Prognosen erstellt. Die Marktschätzung für das Jahr 2003 beruht auf der Aus-
wertung mehrerer Marktstudien.149
149 Vgl. beispielsweise PWC (1997 /1998/1999), BuropaBio (1997), Prognos (1997), Emst&Young
(1996/1997 /1998/1999), Burrill (1998/1999), McKinsey (1999/1999b), Raphael (1997).
150 Vgl. o.V. (1999j) S. 18; o.V. (2000b) S. 22: Die 'Fusion unter Gleichen' führt zu einer Marktbewert-ung von
rund 43 Mrd. USD. Der derzeitige Börsenwert von Monsanto ist kaum höher als der Wert seiner Pharma-
sparte G.D. Searle- dies ist Ausdruck der Skepsis gegenüber der AgBio-Strategie von Monsanto.
45
dies. Verantwortlich für diese Wahrnehmung sind die Verbraucherproteste in
Europa, Japan und zunehmend auch in den USA,151 Große Nahrungsmittelhersteller
reagieren auf diesen Widerstand mit der Zusicherung, ohne genveränderte Grund-
stoffe zu arbeiten. Seit Dezember 1999 formiert sich auch der Protest der amerikani-
schen und europäischen Farmer, die die Marktmacht bei gentechnologisch veränder-
tem Saatgut von Monsanto als Bedrohung empfinden und eine Kartellrechtsklage
formuliert haben. Als Zwischenfazit erscheint die Entwicklung von Monsanto als Ex-
emplarbeispiel für eine rein Technologie bestimmte Strategie. Die Umsetzung tech-
nologischer Neuerungen und Produktinnovationen wurde dabei ohne Berücksich-
tigung des Endkonsumenten und seiner Bedürfnisse realisiert. Die Stigmatisierung
des Namens Monsanto mit den Gefahren von genetisch veränderten Lebensmitteln
manifestiert deutlich das Scheitern des zwar ambitiösen, aber am Markt und den
Konsumenten vorbeigehenden integrierten Life-Sciences-Strategiekonzepts.
Der grundsätzliche Durchbruch kommerzieller Nutzung in der Ag Bio steht noch aus.
Mittel- bis langfristig werden sich Bieteeh-Unternehmen allerdings Chancen-
potentiale eröffnen, wenn sie die Nutzenaspekte für den Konsumenten klar in den
Mittelpunkt ihrer Forschung stellen. Der zeitliche Entwicklungsrückstand zum wirt-
schaftlichen Marktvolumen der Biopharmazeutik beträgt ca. 10-15 Jahre.
Im Umwelt-/Chemiebereich ist das Marktpotential klein und der Nutzenvorteil bio-
technologischer gegenüber konventionellen Verfahren z. Zt. noch nicht realisiert, so
daß dieser Bereich bisher eine untergeordnete Rolle für Bieteeh-Unternehmen ge-
spielt hat. Im Vergleich zu den Geschäftsfeldern Humanmedizin und AgBio bietet
die Biotechnologie in Umwelt/Chemie in naher Zukunft die geringsten kommer-
ziellen Erfolgschancen. Allerdings stellt die Umwelt und Chemie mittel- bis lang-
fristig ein immer wichtiger werdendes Anwendungsgebiet dar, bei dem sowohl der
Bedarf an Reinigung, Sanierung, Recycling als auch die Vorteile gegenüber
chemisch-physikalischen Verfahren vorhanden sind.
Für die schwache Marktentwicklung im Geschäftsfeld Umwelt/Chemie gibt es
einige Ursachen. Die Effizienz biotechnologischer Verfahren zur Vermeidung von
Umweltverschmutzung einerseits, und der Beseitigung von Umweltverschmutzung
andererseits, ist noch nicht ausgereift, so daß chemische Verfahren vielfach kosten-
günstiger sind. Viele neue Verfahren, die Anfang der neunziger Jahre vermarktet
wurden, hielten der wissenschaftlichen Prüfung nicht stand und haben als Mißer-
folge die weitere Entwicklung belastet.152 Auch der Markt für rekombinant herge-
stellte industrielle Enzyme, die insbesondere in der Waschmittelindustrie eingesetzt
werden, blieb auf relativ geringem Niveau,l53 Neben geringerer Nachfrage der wirt-
schaftlichen Akteure, behindern die dominanten Oligopolistischen Marktstrukturen
von großen multinationalen Unternehmen in der Chemieindustrie ein schnelles Ver-
46
ändern der Nachfragestruktur bzw. einen Durchbruch neuer biotechnologischer
Verfahren.l54
Im Fokus der weiteren Untersuchung steht das Geschäftsfeld der 'Humanmedizin'. Der
Bedeutungsgrad des erreichten Kenntnisstandes, das marktliehe Volumen und zu-
künftige Potential von Pharma und Diagnostika dominieren die wirtschaftlichen
Aktivitäten von Biotech-Unternehmen sowohl kurz- als auch mittelfristig. Aller-
dings ergeben sich für einige Biotech-Unternehmen Kommerzialisierungschancen in
den anderen Geschäftsfeldern, insbesondere in der 'AgBio'. In der weiteren Analyse
werden deswegen die FelderAgBio und Umwelt/Chemie für die strategische Aus-
richtung von Biotech-Unternehmen nur berücksichtigt, wenn ein zusätzlicher Er-
kenntnisgewinn erzielt werden kann.
154 Vgl. Prevezer (1998) S. 173,183-184:Es besteht auch eine geringere Bindung zwischen den wissenschaftlichen
Institutionen und den Unternehmen der Branche zur Erschließung des biotechnologischen Innovationspo-
tentials.
155 Eine kompetente Einführung in elementare Fragestellungen der modernen Biotechnologie gibt jacob (1998),
vgl. auch Watson (2000) S. 55, Protagonisten einer Biotechnologie ohne gesetzliche Restriktionen.
47
schaftliehe Bedingungen, die Forscher und Unternehmen gleichermaßen beein-
flussen.
156 Vgl. z.B. Breyer (1999) S. 156-167; vgl. Skorupinski (1999) S. 131-145.
157 Diese Gefahren werden in den Medien z.T. unkritisch recherchiert und dargestellt. Z.B. würde das als
Problemlall oft zitierte transgenere Soja mit einem Paranuß-Allergen bei den bestehenden Lebensmittel-
kontrollen keine Marktzulassung erhalten, vgl. o.V. (1999b) S. 23.
158 Kritische Position bei Beck (1999) S.l7.
159 Allerdings kann gerade auch durch die Gentechnologie das Infektionsrisiko gesenkt werden: z.B. konnte die
molekularbiologische Analyse der extrem gefährlichen Filo-Viren (z.B. Ebola, Lassa Virus) durch Klonierung
und Sequenzanalyse ohne Infektionsrisiko durchgeführt werden, vgl. Flöhl (1999) S. 9.
160 Gesammelte Argumente von Gentechnikgegnern in einer Aulsatzsammlung, Emmerich (1999); zu Tech-
nologiefolgeabschätzung und insbesondere zu Aufklärungsmaßnahmen vgl. Schallies/Wachlin (1999).
161 Vgl. beispielsweise BMFT (1991) S. 65-73, 100-154.
48
sondere die Definition von "Krankheit" ist nicht ausschließlich objektiv begründbar.
Wenn Krankheit als "Abweichung einer Struktur oder Funktion vom Normalen" de-
finiert wird, erscheinen bei der Frage nach den Bestimmungsgrößen des Normalen
diese nicht eindeutig medizinisch, sondern auch gesellschaftlich geprägt. Eine Ab-
grenzung zwischen "normal" und "krank" ist nur bei starken Abweichungen von
der durch Menschen definierten Norm klar definierbar. Zwischentöne sind offen für
vielfältige Interpretationen. In diesem grundsätzlichen Problemkreis medizinischer
Krankheitsforschung befindet sich insbesondere die moderne Biotechnologie, deren
Methoden in bisher nicht gekanntem Ausmaß den Definitionsbereich von Krankheit
verschieben können.J62
- Das Klonieren von Lebewesen sowie das Patentieren dieser gentechnisch verän-
derten transgenenPflanzen und Tiere, stellt das bestehende Verhältnis des Menschen
zu seiner lebenden Umwelt in Frage. Spätestens seit dem Genschaf Dolly im Jahr
1997 sind diese ethischen Problembereiche sichtbar, denn durch Klonierungen und
Patentierung immer neuer Gattungen werden Präzedenzfälle geschaffen, die nicht
mehr umkehrbar sind. Daneben stellt sich auch die Frage des Besitzes und der Nut-
zung der ausgestellten Patente auf transgene Lebewesen. Müssen z.B. Bauern in der
Dritten Welt für das von ihnen genutzte Saatgut Lizenzen an multinationale Unter-
nehmen zahlen? Wem gehört der Genschatz der Lebewesen auf der Erde?163
- Die Möglichkeiten gezielter DNA-Nachweise beim Menschen in Kombination mit
kommerziellen Interessen könnte zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aus-
grenzung führen. Z.B. könnte ein verpflichtender Genpaß Grundlage für Versiche-
rungspolicen oder Arbeitsverhältnisse werden. Schlechte Risiken, Menschen mit be-
stimmten Krankheitspräpositionen oder Veranlagungen könnten auf diese Weise
ausgegrenzt werden. Der wirtschaftlichen S~lektion könnte eine gesellschaftliche
folgen, wenn solche Praktiken der Risikoselektion auch in anderen Bereichen ange-
wandt werden.J64
- Moderne biotechnologische Methoden ermöglichen gezielte Eingriffe in die geneti-
schen Grundlage des Menschen. Dies kann durch eine somatische Gentherapie (Ein-
griff in Körperzelle mit doppeltem Chromosomensatz) geschehen. Hierbei ist es das
Ziel, auf Gendefekten beruhende Krankheiten auf der genetischen Grundlage zu hei-
len. Kritiker befürchten, daß neben unstrittigen positiven Anwendungen, z.B. bei
der Behandlung von Krankheiten wie der ADA-Defizienz, die Medizin entscheidend
in menschliche Schicksale und Wertevorstellungen eingreift und eine inflationie-
rende Wirkung des Verständnisses von "Krankheit" bzw. "Behinderung" entsteht.
Fragen, ob neue von gesellschaftlichen Vorstellungen geschaffene ,Idealmenschen'
das Produkt von gentherapeutischen Maßnahmen sein werden und eine Ausgren-
zung von Menschen, die diesem Typus nicht entsprechen, stattfinden wird, bleiben
ohne abschließende Antwort.
162 Vgl. z.B. BMFT (1991) S. 74-78; speziell in Deutschland mit dem Erbe nationalsozialistischer Rassenlehre,
Eugenik- und Euthanasieprogrammen ist eine Diskussion zu diesem Thema komplex und schwierig.
163 Siehe die Stellungnahme zur Genforschung und Patentierung der DFG, vgl. DFG (1997) S. 21-40.
164 Vgl. Bahl (1999) S. 45- 54; zur rechtlichen Problematik in Deutschland vgl. Kienle (1998) S. 77-84; vgl. BMFT
(1991) s. 204-221.
49
- Diese Problematik wird noch deutlicher, wenn gentechnische Eingriffe in die
menschliche Keimbahn diskutiert werden. Keimbahneingriffe (Eingriff in Fortpflan-
zungszellen mit einfachem Chromosomensatz) beeinflussen die Vererbung und
damit das Genom zukünftiger Generationen. Themen wie Eugenik und gezielte
Züchtungen von Eigenschaften, fordern Fragen der gesellschaftlichen Behandlung
und Wertschätzung andersartiger Menschen heraus.l65
- Ein weiteres Problemfeld ergibt sich durch die Möglichkeit, mit menschlichen Em-
bryonen zu forschen. Der Mensch an sich ist nicht mehr ausschließlich Adressat und
Profiteur neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und Produkte, sondern wird durch
die Biotechnologie zugleich Objekt und Medium neuer weitergehender Forschungs-
anstrengungen und Therapiemöglichkeiten. Ethische Schranken, religiöse Bedenken
und gesetzgeberische Rahmensetzung werden durch die technologischen Möglich-
keiten herausgefordert.166
165 Vgl. hierzu Rifkin (1998) S. 180-223: Rifkin ist der herausragende amerikanische Kritiker der modernen
Biotechnologie.
166 Vgl. Kollek (1999) S. 125- 136; in der deutschen Gentechnologiedebatte haben beispielsweise die beiden christ-
lichen Kirchen auf eine restriktive Gesetzgebung in der Reproduktionsmedizin, des Embryonenschutzes und
der Humangenetik hingewirkt, vgl. EKD (1988) S. 119-127, vgl. Theisen (1991) S. 78, Döring (1988) S. 96-100,
Hoffmann (1985) S. 142. Zur aktueJlen rechtlichen Situation prädikativer gentechnologischer Methoden in
Deutschland und Europa vgl. Kienle (1998).
167 Vgl. z.B. Sloterdijk (1999), vgl. Chargaff (1999) S.49, vgl. Spaemann (1999) S. 53, vgl. Jäger (1999) S. 51.
168 Die 'Kritische Theorie' geht auf die Arbeiten der 'Frankfurter Schule' zurück, mit den Hauptvertretern Adorno,
Horkheimer, Marcuse und in jüngster Zeit Habermas.
169 Vgl. Fukuyama (1999) S. 16-33.
170 Fukuyama (1999) S. 33.
50
Erfahrungen der Sozialisierung und Erziehung stellen ihrer Meinung nach die auf-
gestellten Thesen grundsätzlich in Frage.171
Die Debatte hat gerade erst begonnen und ihr Ausgang ist offen. Sie ist für eine um-
fassende Akzeptanz in der Bevölkerung notwendig. Sie wird die weitere Entwick-
lung der wissenschaftlichen und kommerziellen Biotechnologie begleiten und beein-
flussen. Ignoranz und Gleichgültigkeit von Unternehmen gegenüber diesen Themen
ist gefährlich. Sie kann zu einer starken Beeinträchtigung der Geschäftstätigkeit und
sogar zur in Frage Stellung des grundsätzlichen kommerziellen Geschäftsmodells
führen. Folgen dieser Art deuten sich beispielsweise in der Ag-Biotechnologie an,
mit negativen Konsequenzen für die Unternehmerischen Protagonisten, z.B.
Monsanto.
51
Tiefe der Debatte und die emotionale Betroffenheit der Beteiligten, insbesondere der
Gentechnologiegegner, variierte sehr stark zwischen den einzelnen Ländern.l76 Ins-
besondere in Deutschland und der Schweiz wurde eine stark emotionalisierte
Debatte geführt, bei der Kritiker versuchten, ein spezifisches Risiko der Biotechno-
logie deutlich zu machen, ähnlich der Kernenergie. In der Akzeptanzdebatte, die mit
zunehmender Intensität von einer rein wissenschaftlich-technologischen zu einer
Wertesystemdebatte transformierte, konvergierten neben substantiellen Kritikpunk-
ten an biotechnologischen Forschungsinhalten auch allgemein wissenschafts-, tech-
nologie- und gesellschaftskritische Positionen.l77 Eine allgemein kritische Haltung,
die in den Massenmedien ein Forum fand und durch diese weiter verstärkt wurde,
gepaart mit dem Wunsch der politisch Handelnden, mögliche Risiken gesetzgebe-
risch zu bannen und zu kontrollieren, führten in Deutschland zum Gentechnologie-
gesetz (GenTG) vom 1.7.1990.178 Dieses Gesetz wirkte insbesondere in seiner admi-
nistrativen Auslegung und im Schaffen eines risikobannenden geistigen Klimas sehr
restriktiv für das Entstehen einer unternehmerisch-biotechnologischen Szene in
Deutschland ähnlich den East- bzw. West-Coast-Clustern in den USA.
Erst die Novellierung des GenTG zum 1.1.1994 und der gewandelte politische Wille,
für die wirtschaftliche Nutzung der modernen Biotechnologie positive Rahmenbe-
dingungen zu schaffen, verkörpert durch die Förderinstrumente des BioRegio-Wett-
bewerbs seit 1995, änderte diese Grundstimmung in Deutschland,l79 Die Debatte hat
an öffentlicher Aufmerksamkeit verloren und an Objektivität gewonnen. Es wird
nicht mehr von einem grundsätzlichen Risiko der Biotechnologie ausgegangen, son-
dern das Risikopotential in Abhängigkeit vom spezifischen Forschungsobjekt und
Anwendungsgebiet stärker rationaler beurteilt, z.B. aktuell die Verwendung von
embryonalen Stammzellen für neue Therapien,l80 Während medizinische und
pharmakologische Anwendungsgebiete positiver bewertet werden und eine höhere
Akzeptanz erreichen, wird aber insbesondere der Einsatz im Agro-, Lebensmittel-
und Tierzuchtbereich weiter kritisch gesehen. Die Einstellung in Buropa ist insbe-
sondere bei Lebensmittelanwendungen wesentlich negativer als in den USA
(24% versus 38% Unterstützung). Ursächlich hierfür könnten die intensivere
176 Für einen ausführlichen empirischen Vergleich der gesellschaftlichen Akzeptanz bei der modernen Biotech-
nologie Anfang der neunziger Jahre in Europa, vgl. Marlier (1992) S. 58-108.
177 Für eine ausführliche Analyse der gentechnologischen Akzeptanzdebatte in Deutschland, vgl. Ollig/Ries
(1995) s. 9-45.
178 Politische Grundlage des Gentechnikgesetzes waren die Benda Kommission 1984 und die Enquetekom-
mission des Deutschen Bundestages 'Chancen und Risiken der Gentechnik' von 1984-86; zum GenTG und den
Sicherheitmaßnahmen in Deutschland und Europa, vgl. Wimmers (1996) S. 124-134.
179 Im Oktober 1995 wird vom BMBF der BioRegionen Wettbewerb ausgeschrieben. Die Regionen München,
Rheinland und Rhein-Neckar-Dreieck gewinnen und werden mit BMBF Mitteln als BioRegionen spezifisch
gefördert. Ziel ist die Herausbildung von spezifischen Biotechnologie-Clustern, bei denen eine enge Verzah-
nung und Netzwerkbildung zwischen Institutionen und Personen aus Forschung und Unternehmen zu einer
biotechnologischen Infrastruktur führt. Dies soll insbesondere die Zahl von Ausgründungen junger Biotech-
nologie-Startups aus akademischen Forschungsinstituten führen. Zu den Zielen des BioRegio Wettbewerbs
und dem Konzept der ausgewählten Bio-Region Rhein-Neckar, vgl. Abshagen (1999) S. 15-23.
180 Bemerkenswert ist die Evolution der Positionen zu diesem Thema, z.B. der DFG, vgl. o.V. (2001) S.2; Die
Problematik grundsätzlicher Barrieren für die Forschung, z.B. in der Embryonenforschung, besteht darin,
dauerhaft utilitaristischen Argumenten, z.B. Fortschritten in der medizinischen Therapie, ausgesetzt zu sein.
Dies führt im Zeitablauf zu immer weiter gehenden Brüchen ehemals feststehender Tabus.
52
Medienberichterstattung, eine selektivere Wahrnehmung von gentechnischen
Methoden und auch ein geringes Vertrauen in die Regulationsinstanzen der EU sein,
vor allem seit den BSE Erkrankungen britischer Rinder und in jüngster Zeit durch
unkontrollierte Dioxin Verseuchungen von Geflügelprodukten in Belgien.181 Die EU
stärkte im Jahr 1999 diese Vorbehalten durch einen Genehmigungsstop zum Anbau
transgener Pflanzen und deren Nutzung in Lebensmitteln, obwohl die wissen-
schaftliche Grundlage der Entscheidung äußerst umstritten war.182
Eine große Bedeutung hat in diesem Zusammenhang der wahrgenommene Grad der
Nutzenstiftung und die Anwendungsnähe für den Konsumenten.183 Unternehmen
müssen eine effektive Kommunikationspolitik, die informiert, Glaubwürdigkeit ver-
mittelt und über Gefahren.und Nutzenstiftung gleichermaßen aufklärt, in ihre Hand-
lungsstrategien integrieren, um die wirtschaftlichen Erfolgspotentiale zu heben. Dies
gilt insbesondere für Agro-Biotech-Produkte und die Thematik transgener Tiere.l84
Die Kommunikationspolitik im Zusammenhang mit der Klonierung des Genschafes
"Dolly" schaffte es z.B. trotz der Befürchtungen um gentechnisch herstellbare
'Monsterkreaturen' in der Öffentlichkeit ein Image aufzubauen, das die großen wis-
senschaftlichen Möglichkeiten und Nutzenpotentiale für den Menschen in der Medi-
zin verdeutlichte. Hierbei zeigte sich die besondere Sensibilität des britischen Unter-
nehmens PPL Therapeutics, das eine in der Branche professionelle Agentur, HCC De
Facta Group, mit dieser Thematik betraute. Die erfolgreiche Kommunikation war
nicht nur für das Unternehmen bemerkenswert, sondern hatte auch Implikationen
auf die Mediendarstellung und öffentliche Wahrnehmung der gesamten Branche.l85
181 Vgl. Gaskell/Bauer/Durant/ Allum (1999) S. 384-387; vgl. hierzu auch o.V. (1999b) S. 23: Skepsis der Ver-
braucher führt zu Problemen, wenn Nahrungsmittelhersteller in ihren Produkten gentechnisch veränderte
Substanzen als Vorprodukte verarbeiten; Akzeptanzbewertungen in deutschen Schulen vgl. Keck/Renn
(1999) s. 117-130.
182 Vgl. Hobom (1999) S. N1-N2.
183 Der Nutzen gentechnisch veränderter Lebensmittel ist bei einem durch die Agroindustrie produzierten Über-
fluß an Nahrungsmitteln schwer zu vermitteln. Tatsächlich gründet der Anreiz für biotechnologische Agro-
produkte bisher auf Kostensenkung für die Produzenten. Zusätzlich entsteht Mißtrauen, wenn die Industrie
die Kennzeichnung gentechnologisch veränderter Produkte ablehnt, vgl. o.V. (1999c) S. 23-27.
184 Vgl. Ollig/Ries (1995) S. 45-74.
185 Vgl. Ranchhod/Gurau (1999) S. 6-7.
53
denen Anwendungsgebieten und damit die Unternehmerische Perspektive erschie-
nen sehr aussichtsreich. Viele Prognosen über biotechnologische 'Wunderpharma-
zeutika' und den Sturz der dominierenden Pharma-Unternehmen durch junge Bio-
teeh-Unternehmen waren allerdings stark übertrieben. Ein Großteil der Erwartun-
gen blieb bis heute unerfüllt - sowohl in medizinischer Hinsicht als auch in wirt-
schaftlichen Erfolgsgrößen der Biotech-Unternehmen, so daß einige Beobachter bis-
her ernüchtert "the biotechnology revolution as a disappointment, even a failure"
ansehen.l86 Problematisch waren insbesondere die zeitlichen Vorstellungen bis zum
Erreichen der prognostizierten Ergebnisse. Im Gegensatz zur IT, in der die grundle-
genden wissenschaftlichen Paradigmen in der Physik bereits erschlossen waren
bevor Transistor und Halbleiter entwickelt wurden, sind die wissenschaftlichen
Grundlagen in der Gentechnologie, z.B. in den Genomics, noch lange nicht abschlie-
ßend erforscht. Wirtschaftliche Konzepte beinhalten aus diesem Grund ein deutlich
höheres Risiko.
60
50
40
30
20
10
0
1976 1978 1980 1982 1984 1986 1988
Abbildung II.5: Neu gegründete 'entrepreneuriale' Biotech-Unternehmen in den USA von 1976 bis
1988
(1) USA
Als unternehmerisches Rollenbeispiel fungierte das erste rein biotechnologische
Unternehmen Genentech, das 1976 mit 100.000 USD gegründet wurde, als erstes
54
Unternehmen 1980 mit einer Zeichnungsmarktbewertung von 260 Mio. USD an die
Börse ging, die sich in den ersten Handelsminuten auf 660 Mio. USD fast verdrei-
fachte.187
Die Zahl der Gründungen 'entrepreneurialer' Biotech-Unternehmen in den USA er-
höhte sich Ende der siebziger Jahre signifikant mit einem vorläufigen Höhepunkt in
1981 und weiteren Zwischenhochs in 1983 und in 1987 (siehe Abbildung II.5). Die
genaue Anzahl der Biotech-Unternehmen differiert nach dem jeweiligen definito-
rischen und statistischen Ansatz.l88 Bei Berücksichtigung der unterschiedlichen
Studien, kann für die Jahre 1976 bis 1988 von rund 400 neu gegründeten Biotech-
Unternehmen, die meisten (rund 65%) mit Schwerpunkt in Humanmedizin,
ausgegangen werden
Dieser große Optimismus verursachte einen regelrechten ,Biotech Hype', der aller-
dings nach Ausbleiben oder Verzögerungen der Ergebnisse zu großen Enttäuschun-
gen führte. Seit den achtziger Jahren haben Biotech-Aktien eine außerordentlich
hohe Volatilität- euphorische Einschätzungen wechseln mit gänzlich ernüchterten
Urteilen.189 Ende des Jahres 1999 existierten in den USA rund 1.300 Biotechnologie-
Unternehmen, davon waren rund 25% börsennotiert, während in Europa bei rund
1.200 Unternehmen nur 6% öffentlich notiert werden (siehe Tabelle 11.7).
Europäische u.s.
Biolech-Industrie Biolech-Industrie
1997 1998 1999 1997 1998 1999
-Anzahl Unternehmen 716 1.036 1.178 1.287 1.274 1.283
- Mitarbeiter 27.500 39.045 45.823 118.000 140.000 153.000
-Umsatz 1.721 2.725 3.709 13.413 15.985 15.777
- F&E-Ausgaben 1.508 1.910 2.334 7.258 8.268 8.398
- börsennotiert 49 61 68 294 317 327
(2) Europa
Trotz der verstärkten Gründungen in Europq. wird bei genauerer Kennzahlen
analyse erkennbar, daß zwischen den USA und Europa ein deutliches Entwick-
lungsgefälle besteht. Neben der höheren Anzahl an börsennotierten und damit
tendenziell größeren Unternehmen, sind im Vergleichsjahr 1999 insbesondere das
187 Vgl. z.B. Hacking (1986) S. 252; vgl. Teileiman (1989) S. 11-13.
188 Einen Überblick der unterschiedlichen Studien gibt Müller (1991) S. 125-138.
189 Für einen Überblick der Anfänge der amerikanischen Biolech-Industrie in den achtziger Jahre vgl. Teileiman
(1989) und Hall (1987).
55
Umsatzverhältnis von durchschnittlich 3,15 Mio. EUR zu 12,3 Mio. EUR, die Höhe
der Forschungsausgaben von 1,98 Mio. EUR zu 6,6 Mio. EUR und die Mitarbeiter-
zahl von 39 zu 120 klare Indikatoren für den höheren Reifegrad der amerikanischen
Industrie. In den USA hatten im Jahr 1999 bereits 16 Unternehmen mehr als 100 Mio.
USD Umsatz, während in Europa noch kein Biotech-Unternehmen diese Größen-
ordnung erreichte. Hierin manifestiert sich die noch rudimentäre Marktorientierung
europäischer Unternehmen, die erst am Anfang der zwischen 7 und 15 Jahren dau-
ernden Produktinkubationszeiten stehen, nach denen signifikante Umsätze erwirt-
schaftet werden. Der zeitliche Entwicklungsvorsprung der amerikanischen Unter-
nehmen wird auch bei den marktreifen biopharmazeutischen Produkten deutlich:
während in den USA jährlich mehrere neue Medikamente von Bieteeh-Unternehmen
zugelassen werden - neun im Jahr 1997 und sieben im Jahr 1999 - gab es in Europa
erst ein Produkt im Jahr 1999 (siehe Abbildung II.6). Andere Biolech Präparate
wurden von Pharma- bzw. amerikanischen Biotech-Unternehmen in Europa
genehmigt.190
1995 1265
1-------'
1997 1294
1--------'
1995 0
1997 0
1999
Abbildung ll.6: Vergleich des industriellen Entwicklungsstands zwischen Europa und USA
Quelle: BIO, McKinsey
190 Von den durch die EMEA 22 genehmigten therapeutischen Produkten in Europa im Jahr 1998, waren 11
biotechnologisch, davon 7 von Pharma- und 4 von amerikanischen Biotech-Unternehmen, vgl. Ernst & Young
(1998) S. 20; vgl. Ernst & Young (1999).
56
Die unterschiedlichen Entwicklungsstadien spiegeln sich auch in den Markt-
kapitalisierungen der jeweils führenden Unternehmen wider. Insgesamt haben nur
wenige Biotech-Unternehmen eine Marktkapitalisierung über 5 Mrd. USD. . Der
Vergleich zu den Marktkapitalisierungen der etablierten Unternehmen in der
Pharmaindustrie wie z.B. Merck & Co. (130 Mrd. Euro), Glaxo Wellcome (97 Mrd. Euro),
Bayer (30 Mrd. Euro) und BASF (30 Mrd. Euro) zeigt klar die unterschiedlichen
Dimensionen, nach denen Biotech und Life-Sciences-Untert nehmen beurteilt werden
müssen (siehe Abbildung II.7).191
USA Europa
Diese Zahlen verdeutlichen, daß trotz der Begeisterung über die Zukunftstechnolo-
gie 'Biotech', das erreichte industrielle Niveau der Unternehmen in Europa noch sehr
niedrig ist. Eine Führungsposition in Europa nimmt UK ein, sowohl hinsichtlich
Anzahl der Unternehmen, Börsennotierungen und verfügbarem Venture Capital.
Seit 1998 konnte Deutschland allerdings diese Kluft verringern. Verstärkt wird
dieser Aufholeffekt durch die negative Stimmung für die Biotech-Szene in UK, aus-
gelöst durch große Enttäuschungen von Phase III Therapeutikakandidaten bei British
Biotech seit Mitte 1997 (siehe Fallstudie 'British Biotech'), während in Deutschland ver-
57
stärkt Unternehmen gegründet werden und sehr viel Venture Capital in diesen bis
dato wenig entwickelten Beteiligungsmarkt fließt.192
(3) Deutschland
Die Ursprünge der Unternehmerischen Landschaft in Deutschland sind vergleichs-
weise bescheiden. Biotechnologie wurde in den achtziger Jahren vor allem in den
etablierten Pharmakonzernen kommerziell angewandt, dagegen blieben die 'entre-
preneurialen' Biotech-Unternehmen relativ unbedeutend.193 Eine deutliche Wende
setzte Mitte der neunziger Jahre ein, als mit der Novellierung des GenTG sowie des
BioRegionen-Wettbewerbs und der Entstehung eines Pre-IPO-Beteiligungsmarktes
veränderte positive Rahmenbedingungen geschaffen wurden. Obwohl die deutsche
Biotech-Industrie im Jahr 1997 in Buropa noch deutlich hinter der in UK positioniert
war, haben die Jahre 1998 und 1999 der deutschen Biotech Szene einen starken
Impuls gegeben (siehe Abbildung II.B). Die Anzahl der Gründungen und die Höhe
des investierten Venture Capitals stiegen 1999 deutlich.
\-------''8.100 6
58
Im Vergleich zu den USA ist die deutsche Biotech-Industrie noch nahezu am Beginn
des Industrielebenszykluses. In Deutschland waren bis April1999 alle Unternehmen
außer dem Biotechnologiepionier Qiagen privat finanziert, die meisten befanden sich
in der Startup- und Wachstums-Phase. Die Entwicklung der Technologien und neue
Perspektiven in den wirtschaftlichen Genomik-Feldern, geben den Unternehmen
aber die Chance, den industriellen Rückstand zu verkürzen. Gemessen am Grad der
industriellen Entwicklung der Biotech-Branche existiert ein deutliches Gefälle von
den USA zu UK und Deutschland (siehe Abbildung II.9). Einzelne deutsche Unterneh-
men sind allerdings in einigen Geschäftsfeldern, z.B. der Bioinformatik, mit US-Un-
ternehmen trotz eines allgemeinen Entwicklungsrückstandes konkurrenzfähig.
-·· -··-· -·
1970 1975 1980 1985 1990 1995 1999
* Der Grad der 'industriellen Entwicklung' umfaßt insbesondere die Anzahl der Biolech Gründungen,
VC-Investments, Biolech IPO's und die Stimmung am Kapitalmarkt für die Biotechnologie. Die vor-
liegende Darstellung hat ausschließlich konzeptionellen Charakter.
In den USA wurden die Biotech-Unternehmen der ersten Generation in den neun-
ziger Jahren zu großen biopharmazeutischen Unternehmen. Für viele "dedicated bio-
technology firms" (DBF) sind diese biotechnologischen Pionierunternehmen das
Rollenmodell einer erfolgreichen Entwicklung. Der Weg von einem forschungsinten-
siven kleinen Startup-Unternehmen zum integrierten biopharmazeutischen Konzern,
59
wie er von Amgen, Biogen und Genentech als ersten erfolgreich beschritten wurde,
erscheint als idealtypisches Entwicklungsszenario. Im weiteren Verlauf der Unter-
suchung stellt sich die Frage, ob und in welchem situativen Umfeld dieser ausge-
wählte Entwicklungspfad im aktuellen Wettbewerbskontext, für ein nachhaltiges
Geschäftsmodell biotechnologischer Unternehmen weiterhin geeignet und realisier-
bar erscheint.
Zusammenfassend führt die bisherige Analyse zu ersten Erkenntnissen und Ansatz-
punkten eines Strategiekonzepts für Biotech-Unternehmen (siehe Abbildung 11.10).
60
Aspekte in den Punkten Branchenheterogenität, Bedeutung von Kooperationen, For-
schung und Kapitalbedarf, die die kommerzielle Biotechnologie von anderen Bran-
chen unterscheidet und spezifisch macht. Im folgenden Abschnitt werden diese
differenzierenden Punkten, in denen sich die industriespezifischen Anforderungen
und besonderen strategischen Rahmenbedingungen kristallisieren, ausführlicher
analysiert.
n Wirkstoff I
Therapeutische Wirkstoffindung
Positionierung in Wertschöpfungsstufen
des F&E-Prozesses
Gesamtheit der
'entrepreneurialen'
Biotech
Unternehmen
~ Technologie I Produktivnätssteigerende Technologie-
ansätze, die mittelbar in den Forschungs-
prozessder Humanmedizin e n i gebunden
sind
~ Instrumente
I Hardware (Geräte, Instrumente) für alle
Unternehmen in Life Seiences
Eine Segmentierung in dieser Arbeit dient als Grundlage für eine differenzierte
Betrachtung der Erfolgsparameter und Entwicklungsszenarien. Sie fungiert als
'Eingangshypothese' für die explorative Untersuchung. In der weiteren Analyse
stellen die einzelnen Geschäftsmodell-Typen strukturelle Ansatzpunkte dar, die
Aussagen und Thesen über die Gesamtheit der Biotech-Unternehmen klarer und
spezifischer werden lassen. Im ersten Ansatz werden drei Segmente unterschieden:
(1) das Wirkstoff-Unternehmen, (2) das Technologie-Unternehmen und (3) das
Instrumente-Unternehmen (siehe Abbildung 11.1 1).
(1) Wirkstoff-Unternehmen
(2) Technologie-Unternehmen
Technologie-Unternehmen sind nur indirekt am Wertschöpfungsprozeß für Wirk-
stoffe oder Diagnostika beteiligt. Sie entwickeln und vermarkten Technologien, die
einen produktivitätssteigerenden Einfluß auf den F&E-Prozeß haben. Sie entwickeln
kein Produkt für den Endkonsumenten (bzw. den Patienten), sondern positionieren
sich als Lieferanten im Business-ta-Business-Geschäft mit Pharma- oder Biotech-Un-
ternehmen, die Wirkstoffe bzw. Diagnostika entwickeln.
(3) Instrumente-Unternehmen
Instrumente-Unternehmen bieten die 'Hardware' für Unternehmen, die mit biotech-
nologischen Verfahren arbeiten. Sie sind somit auch nur indirekt am Wert-
schöpfungsprozeß beteiligt. Im Unterschied zu Technologie-Unternehmen bieten sie
physische Produkte an, die einer geringeren technologischen Erneuerbarkeit
unterliegen. Diese Produkte werden sowohl von Biotech-Unternehmen als auch von
Life-Sciences-Unternehmen nachgefragt. Instrumente-Unternehmen sind die ,Infra-
struktur-Unternehmen, die biotechnologische Arbeit ermöglichen. Im übertragen-
den Sinn sind sie 'die Verkäufer der Hacken und Schaufeln für die biotechnolo-
gischen Goldgräber'.
195 Der Begriff 'Kooperation' wird in dieser Untersuchung als eine auf "vertraglicher Vereinbarung beruhende
Zusammenarbeit zwischen rechtlich und wirtschaftlich selbständigen Unternehmen durch Funktionsabstim-
mung, Funktionsausgliederung oder -Übertragung auf einen Kooperationspartner" ( Rüdiger (1998) S. 26.)
verstanden. Diese Zusammenarbeit entspricht nicht der routinemäßigen Geschäftstätigkeit. Die empirische
Relevanz von Kooperationen zwischen entrepreneurialen' Bieteeh-Unternehmen und Life-Sciences-Unter-
nehmen belegt Shan (1990).
62
Vermarktungsvereinbarungen geschlossen, beispielsweise zwischen Genentech und
Eli Lilly (Insulin), Biogen und Schering-Plough (Interferon), Amgen und J&J (EPO).
Biotech-Unternehmen waren auf therapeutische Produktinnovationen fokussiert.196
Die Zusammenarbeit mit Pharma-Unternehmen basierte ausschließlich auf produkt-
spezifischen Partnerschaften. Als große forschungsorientierte Organisationsein-
heiten verfügten die Pharma Firmen über eine vollständig internalisierte vertikale
Wertschöpfungskette.197 Erst in den neunziger Jahren haben sich die Kooperationen
auf technologische Verfahrenskompetenzen, von geschlossenen Plattformen bis zu
speziellen Tools, sowie umfangreiche Forschungspartnerschaften erweitert. Die Zu-
sammenarbeit gestaltet sich vielfältiger, von kurzen nicht-exklusiven Marktkon-
takten bis zu intensiven, langfristig angelegten und exklusiven Kooperationen. Diese
unterschiedlichen Kooperationsansätze entspringen divergierenden Strategie-
ansätzen, deren Relevanz und nachhaltige Erfolgsfähigkeit im explorativen
Abschnitt der Untersuchung näher beleuchtet wird.
63
'Prozak' auf weniger als 2 Jahre bei Diflucan und Invirase in den neunziger Jahren.200
Die Innovationsführerschaft und schnelle Time-to-market Zeiten erhalten für die
Pharma- und Diagnostik-Unternehmen eine immer stärkere Bedeutung.
Ein weiterer Handlungsdruck für Pharma-Unternehmen zur Innovationssteigerung
durch kooperative Zusammenarbeit mit Biotech-Unternehmen entsteht aus der gro-
ßen Anzahl 'Blockbuster'-Produkte mit hohen Deckungsbeiträgen, die in den
nächsten Jahren stark gefährdet sind. Bis zum Jahr 2006 endet für mehr als 100
wichtige exklusive Therapeutika mit einem Umsatz von rund 37 Mrd. USD der
Patentschutz.201 Nachahmerprodukte (Generika) werden bei den Unternehmen zu
Umsatz- und Rentabilitätseinbußen führen, die dann nur durch eine gesteigerte und
kontinuierliche Folge neuer Produktentwicklungen kompensiert werden können.
Die langen Entwicklungszeiten und hohen Abbruchraten im F&E-Prozeß bedingen,
daß frühzeitig eine entsprechende Anzahl aussichtsreicher Produktkandidaten in
den Entwicklungspipelines der forschenden Unternehmen vorhanden sein muß. Ein
Großteil dieser neuen Produkte kann nur über innovative biotechnologische Ver-
fahren und Erkenntnisse aus der Genomforschung generiert werden, in der Biotech-
Unternehmen führend sind. 202 Beispielsweise ermöglicht es die 'kombinatorische
Synthese', neue Targetsubstanzen wesentlich schneller und in größeren Mengen zu
synthetisieren - somit erweitert sich das Spektrum aussichtsreicher Produktkandi-
daten. Die Umsetzung der genomischen Erkenntnisse (HUGO) auf die Proteinebene
(Proteomics) wird zu vielen spezifisch auf die Ursachen der jeweiligen Krankheiten
ausgerichteten Proteintherapeutika führen. Nur die Anwendung der Biotechnologie
kann die Produktivität des bisher durch ein 'trial and error'-Verfahren geprägten For-
schungsprozesses dramatisch verbessern und Produkte generieren, die nicht mehr
symptom- sondern ursachenspezifisch wirken. Bieteeh-Unternehmen sind somit für
die Pharma-Unternehmen eine essentielle Quelle innovativer Technologien und
neuer Produktkandidaten.
64
liehen Test der vorhandenen Technologie bzw. des verfolgten Produktansatzes. Sie
erlauben eine externe Validierung der internen Fähigkeiten. Die Interaktion und der
Austausch mit anderen Markteilnehmern erscheint als eine wichtige Komponente
der eigenen Marktpositionierung. Eine intensivere Diskussion der Kooperationsziele
von Biotech-Unternehmen findet in der explorativen Untersuchung statt.
Daneben haben Biotech-Firmen auch Kooperationen mit öffentlichen Forschungsein-
richtungen oder Krankenhäusern mit dem Ziel, das eigene wissenschaftliche Know-
how abzusichern, zu ergänzen oder weiterzuentwickeln. Denn bei der Erforschung
neuer Therapeutika und Diagnostika besteht eine natürliche Verbindung zu den wis-
senschaftlichen Disziplinen, die die grundlegenden Funktionsweisen des mensch-
lichen Organismus erforschen. Neue Erkenntnisse bieten Ansatzpunkte zur Ent-
wicklung neuer Produkte.
Komplexere Aufgabenstellungen oder umfangreiche Outsourcing-Projekte großer
Life-Sciences-Unternehmen können auch intensive und multiple Zusammenarbeiten
zwischen mehreren Partnern erforderlich machen. Gerade für kleinere Biotech-
Unternehmen entstehen durch das integrierte Wirken in einem Netzwerk mit an-
deren Unternehmen sinnvolle Strategien, die den eigenen marktliehen Auftritt er-
leichtern und den Ressourcenengpaß verringern. Die Bedeutung von Netzwerken
für Unternehmerische Geschäftsmodelle wird in der explorativen Untersuchung
eingehender analysiert.203
Die sehr hohe Kooperationsintensität in dem frühen industriellen Stadium der Bio-
technologie widerspricht dem traditionellen theoretisch entwickelten Verständnis
von Branchenentwicklungen und Skalenerträgen.204 Für neue Industrien wird in
ihrer Entstehung eine Phase des internen Wachstums und der Integration von vor-
und nachgelagerten Wertschöpfungsstufen angenommen. Mit zunehmender Reife
und vertikaler Integration der Industrie, bei der die Skalenerträge innerhalb des
Unternehmens realisiert werden, erschöpfen sich die synergetischen Potentiale und
die Zusammenarbeit mit externen Einheiten tritt ein. Die jungen Unternehmen
wachsen demnach zuerst ausschließlich intern, bevor sie als reife und etablierte
Akteure externe Beziehungen zu Konkurrenten oder Zulieferem aufnehmen. Diese
Konzeption einer erst im Reifegrad der Branche einsetzenden externen Leistungs-
verknüpfung - einer Kooperations- oder Netzwerkbildung mit anderen Marktteil-
nehmern - scheint für die wachstumsstarken Branchen IT und Biotech nicht durch-
203 Der Begriff 'Netzwerk' wird in Analogie zu Jarillo definiert. Sie sind "a mode of organization that can be used
by managers or entrepreneurs to position their firms in a stronger competitive stance." (Jarillo (1988) S. 32.)
Einige Autoren verwenden den Begriff 'network govemance' anstatt 'network organization', um den Unter-
schied zu einer strukturell und prozessual festgefügten Einheit einer Unternehmensorganisation aufzuzeigen,
vgl. Jones/Hesterly /Borgatti (1997) S. 914-916. Strategische Netzwerke sind "long-term, purposeful
arrangements among distinct but related for-profit organizations that allow those firms in them to gain or
sustain competitive advantage vis-a-vis their competitors outside the network." (Jarillo (1988) S. 32.) Unter·
nehmen in einem Netzwerk sind in einigen Funktionen unabhängig von anderen Partnern, ansonsten
entstehe eine 'vertikale quasi-integration', vgl. Jarillo (1988) S. 31-41.
204 Vgl. Stigler (1951) S. 185-193; Grundlegende Annahme dieser Theorie ist die Idee von Skalenerträgen, die
zuerst in Unternehmen realisiert werden können (vertikales Wachstum), bei zunehmender Reife der Industrie
aber ausgeschöpft sind (Outsourcing/Kooperationen); allerdings unklare empirische Nachweisbarkeit der
Stigler- These, vgl. Wright/Thompson (1986) S. 141-144.
65
gängig haltbar zu sein.205 Gerade in diesen Industrien haben Kooperationsbe-
ziehungen eine entscheidende strategische Bedeutung für die Entwicklungsper-
spektiven und den Erfolg von jungen Unternehmen.206 Die Wichtigkeit von strate-
gischen Partnerschaften und eingegangen Kooperationen erhöht sich, wenn
bestimmte Stufen des Wertschöpfungsprozesses bzw. Funktionen im Forschungs-
vorgehen ausgelagert werden.207 Eine Konzentration auf Kernkompetenzen hat in
der Gesundheitsbranche zu einem stärkeren Beziehungsgeflecht der Unternehmen
insgesamt geführt.
Die Verbindungen zwischen Biotech- und Pharma-Unternehmen haben sich kontinu-
ierlich entwickelt. Sie haben nicht mehr die eindimensionalen Stoßrichtungen der
achtziger Jahre und Biotech-Unternehmen nehmen nicht mehr ausschließlich eine
untergeordnete Zulieferfunktion für die dominierenden Pharma-Unternehmen ein.
Das Beziehungsgeflecht wurde komplexer und mehrdimensional_208 Während der
von den Pharma-Unternehmen extern bezogene Anteil der Wertschöpfungskette
stark zugenommen hat, haben sich parallel Biotech-Unternehmen zu vertikal inte-
grierten biopharmazeutischen Unternehmen entwicke1t.209 Bei gleichzeitigen
Abhängigkeiten und Konkurrenzverhältnissen wird der erreichbare Geschäftserfolg
für alle Unternehmen in den Life Seiences zunehmend von einer intelligenten Stra-
tegie der 'Coopetition' bestimmt - gleichzeitige Kooperation und Konkurrenz, auf
der Suche nach gemeinsamen 'win-win'-Situationen für die beteiligten Unter-
nehmen.210
Die Knappheit von Ressourcen für das einzelne Unternehmen kann eine wesentliche
Wachsturnsgrenze darstellen. Dies umfaßt sowohl finanzielle und tangible als auch
Managementressourcen und -know-how.211 Die Zusammenarbeit mit anderen Fir-
men kann zur Überwindung kritischer Engpässe führen. Kooperation mit ergänzen-
205 Im Überblick zu dieser Diskussion vgl. Sydow (1992) S. 287-289; in einer Untersuchung zu Halbleiter-Un-
ternehmen in den USA, die zwischen 1978-85 gegründet wurden, stellten Eisenhardt/Schoonhoven allerdings im
Jahr 1996 fest, daß in der gleichen Industrie reifere Unternehmen eine höhere Kooperationsrate aufwiesen.
Dies könnte an der personellen Ressourcenknappheit der jungen Unternehmen liegen, die bei komplexen
Produkt- oder Technologie-Entwicklungskooperationen notwendig sind. Gleiche Ergebnisse könnten für die
Biolech-Industrie angenommen werden, vgl. Eisenhardt/Schoonhoven (1996) S. 136-150.
206 Vgl. z.B. Arora/Gambarella (1990) S. 361-379; Sydow hebt insbesondere den Grad der technologischen und
marktliehen Unsicherheit sowie die Wettbewerbsintensität als wichtige Parameter hervor, die die Bedeutung
und Häufigkeit von Kooperationen in einer Branche beeinflussen, vgl. Sydow (1992) S. 287-295; vgl. auch Kay
(1998) S. 222-241; vgl. auch Corsten/Will (1995) S. 12-29; McGee/Dowling/Megginson weisen empirisch nach,
daß zunehmende Erfahrung des Managements und eine explizite strategische Ausrichtung des Unter-
nehmens einen positiven Einfluß auf den Erfolg von kooperativen Strategien hat, vgl.
McGee/Dowling/Megginson (1995) S. 565-580.
207 Vgl. Zahn (1991) S. 42-47; problematisch erscheint eine Auslagerung von Wertschöpfung, wenn ein oberfläch-
liches und nur am Moment ausgerichtetes Produkt-Markt-Denken existiert, bei dem klare Schnittstellen
zwischen Bereichen zu spät als neue sich formierende Geschäftsfelder erkannt werden, beispielsweise
zwischen Telekommunikation, Software, Internet, die zu E-commerce führen oder Genetik und Pharma-
kaentwicklung, die in Pharmakogenomik zusammen wachsen.
208 Vgl. Powell (1998) S. 228-240.
209 Siehe Kap. V.
210 Grundlegende Verwendung des Begriffs 'Coopetition' bei Nalebuff/Brandenburger (1996), vgl.
Nalebuff/Brandenburger (1996) S. 23-51.
211 Vgl. McGee/Dowling/Megginson (1995) S. 565-580.
66
den Biotech-Unternehmen sind in diesem Verständnis das Vehikel einer Wachstums-
strategie. Der Erfolg von Kooperationen scheint eine erhebliche Bedeutung für die
Entwicklungsdynamik und den Erfolg des Geschäftsmodells eines Biotech-Unterneh-
mens zu haben. Insbesondere die Auswahl des strategischen Partners, die gemein-
same Zieldefinition, die Ausgestaltung der Zusammenarbeit und die Entscheidungs-
tindung scheinen für ein erfolgreiches Ergebnis der Kooperation determinierend.212
Diese Elemente werden im explorativen Teil eingehender untersucht.
212 Zum theoretischen Problembereich der Auswahl eines geeigneten Kooperationspartners vgl. Linne (1993) S.
176-215.
213 Vgl. McKinsey (1999c), vgl. Burrill (1999) S. 8-10.
214 Vgl. McKinsey (1999c).
215 Zum Problembereich des Managements von bedeutenden Innovationen in großen internationalen Unter-
nehmen vgl. Gerybadze (1997) S. 38-81; Unternehmen, insbesondere in den Life Sciences, nutzen global
sowohl interne als auch externe F&E-Sourcing Möglichkeiten.
67
Biotechnologische Anwendungen haben für eine kommerzielle Nutzung bzw. ein
ökonomisches Geschäftskonzept eine außerordentliche Nähe zur Grundlagenfor-
schung. Viele Sachverhalte sind wissenschaftlich noch nicht abschließend geklärt,
z.T. nicht einmal ansatzweise.216 Aus dieser Nähe entspringt eine große Volatilität
der erreichbaren Ergebnisse. Die Unsicherheit von Forschungsprozessen wird auf
diese Weise Teil des unternehmerischen Modells. Im Gegensatz zur IT oder
Telekommunikation, bei der die grundlegenden wissenschaftlich physikalischen
Prinzipien bekannt sind (z.B. Halbleiter, Integrierte Schaltkreise, Datentransmission)
ist die Biotechnologie noch eine 'Grenzwissenschaft', bei der viele fundamentale
Funktionsweisen des komplexen organischen Lebens noch unbekannt sind. Dieser
Zusammenhang ist für das Verständnis biotechnologischer Unternehmen außeror-
dentlich wichtig.
Die hohe Unsicherheit der grundlagennahen Forschung eröffnet aber auch ein außer-
ordentlich interessantes Innovationspotential für die Unternehmen. Deutlich wird
dies beispielsweise in den Feldern der Genomics, Protenornies und Functional Geno-
mics, in denen aufbauend auf der Entschlüsselung des menschlichen Genoms, die
kausalen Ursachen von Krankheiten erkannt und entsprechende diagnostische bzw.
therapeutische Produkte entwickelt werden könnten. Das Erkennen und kontrol-
lierte Nutzen genetischer und proteomischer Wirkungsweisen eröffnet eine grund-
sätzlich andere Qualität der Krankheitsversorgung - ein neues Paradigma für die
Gesundheitsindustrie, eine fundamental neue S-Kurve.
Die Intensität der Forschungsanstrengungen macht die proprietäre Wahrung der Er-
gebnisse für die kommerzielle Anwendungen außerordentlich wichtig.217 Gerade
kleine Unternehmen mit einem spezifischen Technologiefokus müssen ihre originä-
ren Arbeitsresultate schützen und eine aktive Patentpolitik verfolgen, wenn sie ihre
Existenzberechtigung behaupten wollen. Dies gilt sowohl für therapeutische 'Leads'
als auch für technologische Zwischenprodukte oder Plattformen. Seit der Ent-
stehung von Biotech-Firmen sind Auseinandersetzungen um exklusive Nutzungs-
rechte ein konstituierendes Element der Industrie. Streitigkeiten wie bei Amgen-f&J
um das Epo-Patent, Chiron-DuPont um die Nutzung der PCR Technologie oder bei
Morphosys-Cambridge Antibody Technology um eine Bibliothekstechnologie machen die
Brisanz und den Wert dieser Nutzungsrechte für die betroffenen Unternehmen
deutlich. Für die Biotech-Unternehmen stellt eine durch Patente abgesicherte Exklu-
sivität sehr häufig die notwendige Grundlage für eine nachhaltige Entwicklung dar,
eröffnet (Amgen, Chiron-Roche) oder verschließt (J&J, DuPont) ganze Produkt- oder
Nutzungsfelder.218 Trotzdem stellen Strategien 'des alles oder nichts' bei Patent-
216 Technologischer Fortschritt und kommerzielle Nutzung sind in hohem Maß von Unsicherheit und Zufall
geprägt. Dies trifft insbesondere auf fundamental neue Technologien zu, wie den Transistor oder die
Biotechnologie, vgl. Nelson/Rosenberg (1998) S. 46-57. Die Biotechnologie hat im Gegensatz zur Mikro-
elektronik dieses Stadium der hohen Entwicklungsunsicherheit und Zufälligkeit noch nicht endgültig ver-
lassen.
217 In einer OECD-Studie werden die Schwierigkeiten, intellektuelles Kapital wirkungsvoll zu schützen, als ein
Hindernis für untemehmerische Aktivitäten diagnostiziert. Die Kosten für ein europäisches Patent sind drei-
mal höher als in USA und Japan, vgl. OECD (1998) S. 67-69.
218 Vgl. Kronberg (1995) S. 236-241.
68
streitigkeiten z.T. enorme Risiken dar, die Biotech-Unternehmen schwer belasten
oder sogar zerstören können. Beispielsweise führte der Streit um ein Patent für
Antikörper gegen den Septischen Schock zu existentiellen Problemen für die beiden
Biotech-Firmen Centocor Corp. und XOMA Corp., zu einer verspäteten Therapeutika-
zulassung und einer negativen Perzeption des gesamten Biotech Sektors aus
Investorensich t. 219
69
Schaffung eines das Unternehmen tragenden originären Umsatzes bzw. eines IPO's
sind i.d.R. mehrere private Finanzierungsrunden notwendig (siehe Abbildung 1!.12).
Venture Capital
Business Angels
Fremdkapital
=====================:
Private Ersparnisse
-----------------·
Private Ersparnisse scheinen aufgrund der Höhe des bis zum Marktauftritt notwen·
digen Kapitalbedarfs nur begrenzt und unzureichend als Finanzierungsquelle auszu-
reichen.223 Auch für Fremdkapitalgeber scheint die Natur des Geschäftes, der hohe
mehrjährige Kapitalbedarf und das Risiko für eine substantielle Finanzierung des
Aufbaus und der Expansion der Unternehmung nur sehr begrenzt geeignet.224
Eine andere EK-Form stellen die privaten Investoren dar, sog. 'Business Angels'. Sie
investieren in Unternehmen und übernehmen auch eine aktive Rolle des 'Coachings'
für Gründer und Management. In vielen Fällen sind sie ehemalige Unternehmer
oder haben in einem verwandten Umfeld gearbeitet, z.B. als Anwälte, Banker etc. In
ihrer Idealform sind Business Angels eine kompetente Verbindung von Finanzier
und Berater. In diesem Sinne ist ihre Bedeutung komplementär zU: den institutio-
nellen Investoren, den VC Gesellschaften. Ihre Investments sind i.d.R. höher als das
223 Roberts zeigt in seiner Untersuchung über 'High-tech'-Unternehmer, daß in der ersten Phase der Unterneh-
mensgründung rund 80% der finanziellen Mittel auch aus eigenen oder befreundeten Quellen stammen, vgl.
Roberts (1991) S. 143, allerdings bewegen sich die Kapitalbedürfnisse zum überwiegenden Teil unter 50.000
USO, die für mehrjährige Biotech Investitionen von mehr als 1 Mio. DM ohne immanenten Cash-flow-Zufluß
nicht ausreichen.
224 Die Bedeutung der Fremdkapital-Finanzierungwird eingehender in Kap. V.2.1.3 untersucht.
70
Potential der Gründerersparnisse, aber kleiner als die der Venture Capitalisten.
Business Angels decken somit ein Finanzierungssegment ab, das unterhalb des Mini-
malinvestments von VC-Firmen liegt. Ihre Bedeutung wächst in dem Ausmaß, in
dem die institutionellen Investoren höher dotierte Beteiligungen annehmen und 'zu
kleine' Investments ablehnen. Diese Unternehmen sind dann ohne private Investo-
ren in einer sehr schwierigen Position.
In den USA ist der Stellenwert der Business Angels in der 'Business Community' sehr
hoch. Viele erfolgreiche Unternehmer betätigen sich als private Investoren und
haben ein hohes professionelles Renome. Nach einigen Quellen verfügen sie in den
USA über wesentlich mehr zu investierendes Kapital als die institutionalisierten VC-
Firmen.225 In Deutschland ist dieses Segment der professionellen, aber privaten
Business Angels noch sehr klein und in transparent. Im Jahr 1999 wurden mit Unter-
stützung der KfW, der Deutschen Börse und anderen Finanzinstitutionen ein Netz-
werk gegründet, die das Entstehen eines Marktplatzes zwischen Unternehmern und
privaten Finanziers zur Unternehmensfinanzierungen stimulieren soll.226 Die wich-
tigsten Elemente einer breiten und qualifizierten Finanzierung durch Business
Angels stellen die Transparenz des Marktes, die Professionalität der Investment-
entscheidungen sowie die kompetente Betreuung der jungen Unternehmen dar. In
diesen Feldern liegt gleichzeitig die größte Problematik privater Investorenfinanzie-
rung.
Die wichtigste und wesentlichste Kapitalressource für junge Biotech-Unternehmen
vor dem Gang an die öffentlichen Kapitalmärkte ist Venture Capital,227
225 Marktsstudien gehen von rund 30. Mrd. DM aus, die jährlich als Finanzierungsmittel der Business Angels zur
Verfügung stehen- rund dreimal so viel, wie der VC Industrie, vgl. o.V. (2000) S. 16.
22 6 Diese Vereinigung privater Finanziers nennt sich 'Business Angels Netzwerk Deutschland' (BAND), vgl.
www.businessangels.de; daneben existieren auch andere Foren und Netzwerke.
227 Die Ursprünge des Venture Capitalliegen in den USA. Die erste bedeutende VC Gesellsc!laft, American
Research & Development (ARD), gegründet von Genera~. Doriot und R. Flanders finanzierte 1957 Digital
Equipment Corp. (DEC), vgl. Roberts (1991) 5. 5-12; vgl. Bygrave/Timmons (1992) 5. 1-5.
228 Vgl. Teitelman (1994) S. 179-202.
71
Venture Capital Investitionen waren für den Aufbau der breiten Biotech-Industrie-
szene in den USA notwendig. Trotz starker Schwankungen der finanziellen Mittel-
zuflüsse hat die Biotech-Industrie in entscheidendem Maß von der Existenz eines
funktionierenden Marktes für Private Equity profitiert. Dies wird insbesondere im
Vergleich zu den europäischen Ländern deutlich, die mit Ausnahme von UK bis in
die neunziger Jahre nur über eine rudimentäre durch Venture Capital finanzierte In-
dustrie verfügten.
Die 'Private Equity' Unternehmen in den USA stellten für Gründer aus der Wissen-
schaft über einen längeren Zeitraum finanzielle Ressourcen zur Verfügung, die ohne
diese Unterstützung eine Unternehmensgründung nur schwer umgesetzt hätten.
Neben der finanziellen Beteiligung kreierten die VC-Gesellschaften auch eine kom-
merzielle und an wirtschaftlichem Erfolg ausgerichtete Denkweise - ein unternehme-
risches 'Mindset'. Unternehmerische Beurteilungsgrößen wie Cash-flow, Rendite
eines Investments, Produkt-Markt-Strategie etc. ergänzten auf diese Weise sehr
schnell das biotechnologisch-wissenschaftliche Know-how der Gründer. Das Kon-
zept temporärer Investments und Ausstiegsoptionen für EK-Geber führte die jungen
Unternehmen zwangsläufig an die öffentlichen Kapitalmärkte heran und machte sie
mit den professionellen Erwartungen der Händler und Analysten vertraut. Für die
empirische Untersuchung folgt daraus die Frage, ob VC eine edukatorische Rolle -
einen unternehmerisch bildenden Einfluß auf die Biotech-Unternehmen hat.
Der Kapitalmarkt wurde somit zu einer natürlichen Finanzierungsquelle, die sich an
die privat plazierten Finanzierungsrunden anschloß. Abhängig von der allgemeinen
Stimmungslage an der Börse für Biotech-Aktien wurden Börsengänge bereits zu
einem sehr frühen Zeitpunkt in der Unternehmensentwicklung gewäh!t.229 Die sehr
stark 'hype' getriebene Attraktivität von Biotech-Werten schaffte sog. 'windows of
opportunities' für IPO's, in denen der Weg zu den öffentlichen Kapitalmärkten mög-
lich war, oft zu sehr hohen Bewertungen, die nur schwer mit substantiellen Belegen
untermauert waren. Dies führte dazu, daß z.T. Unternehmen einen IPO betrieben,
die den Anforderungen und Erwartungen der Analysten und Investoren nicht stand-
hielten. Dieamerikanische Technologiebörse NASDAQ, 1971 von 'National Associ-
ation of Securities Dealers' als ausschließlich elektronischer 'Over-the-counter'-Markt
für junge Unternehmen gegründet, wurde zum bevorzugten Marktplatz sowohl für
Biotech als auch IT-, Software und Internet-Unternehmen.230
In Deutschland entwickelte sich ein professioneller und liquider Venture Capital
Markt erst Mitte der neunziger Jahre, obwohl bereits vereinzelt in den achtziger Jah-
ren VC-Gesellschaften in Deutschland aktiv waren.231 Die ausgesprochene Kataly-
satorfunktion für die Biotech-Industrie wird anhand der Wachstumsraten der inve-
stierten Eigenkapitalsummen und der Anzahl der Gründungen sichtbar. Mit der
Gründung eines Börsensegments für schnell wachsende Technologie-orientierte Un-
ternehmen, des 'Neuen Marktes' im Jahr 1997, entstand für die institutionellen In-
232 Zur Notwendigkeit eines 'Exits' am Kapitalmarkt für Private Equity Investoren vgl. OECD (1999) 5. 78-80; der
Erfolg des Neuen Marktes führte sogar 1999 zu Börsengängen ausländischer Unternehmen in Deutschland
bzw. zur präferierten Börsenwahl deutscher Unternehmen zu Lasten der NA5DAQ. Einige Unternehmen,
u.a. Qiagen, haben ein Doppellisting.
233 Siehe auch Kap. V.2.1.3.
234 Vgl. Bygrave/Timmons (1992) 5. 23-25: die legislativen Maßnahmen, die einen positiv-initialenEffektauf die
VC-Industrie hatten, waren (1) Revenue Act 1978, (2) ERI5A's 'prudent man' rule (Investment guideline), (3)
5mall Business Investment Incentive Act 1980, (4) ERI5A'§. 'safe harbor' regulation 1980, (5) Economic
Recovery Tax Act 1981.
235 Vgl. Teitelman (1994) 5. 192.
73
In Deutschland sind die staatlichen Fördermaßnahmen der Deutschen Ausgleichs-
bank (DtA) und der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) seit Ende der neunziger
Jahre für den privaten Eigenkapitalmarkt bedeutsam. Jedes BK-Investment von VC
Gesellschaften kann durch Mittel der tbg und der KfW gefördert werden. Eigen-
kapital wird bereitgestellt aber nur mit Fremdkapital Renditezielen verzinst. För-
dermöglichkeiten aus dem BMBF auch für unternehmerische Forschungsprojekte
oder Beteiligungen von Landeskapitalbeteiligungsgesellschaften wie Bayernkapital
haben eine vergleichbare Funktion für private VC Firmen. Das Risiko eines Invest-
ments für das VC verringert sich dadurch erheblich, ohne daß sich das Chancen-
potential signifikant reduziert.236
Im historischen Vergleich zu den Entwicklungen in den achtziger und frühen neun-
ziger Jahren stellt sich für die aktuelle Generation der Biotech-Unternehmen eine
entscheidende strategische Frage, die auch eine finanzstrategische ist: inwieweit sind
die Entwicklungspfade der erfolgreichen Biotech-Pioniere Amgen, Biogen und
Genentech für die jungen Biotech-Unternehmen heute immer noch gangbare und
erfolgreiche strategische Perspektiven? Haben Venture Capitalisten und der
Kapitalmarkt im Jahr 2000 den gleichen 'langen Atem' und langen Zeithorizont über
mehrfache Finanzierungsrunden bis sich der kommerzielle Erfolg für die
Unternehmen einstellt? Oder müssen die Biotech-Unternehmen heute andere
Strategien wählen, um erfolgreich zu sein und biopharmazeutische Unternehmen zu
werden, die eigene Produkte, auch therapeutische, herstellen und vermarkten? Im
explorativen Abschnitt dieser Arbeit wird versucht, auf diese Fragen eine Antwort
oder zumindest mögliche Erklärungsversuche zu geben.
236 In den Tiefeninterviews, insbesondere mit den VC-Gesellschaften, wird die Bedeutung dieser Fördermaß-
nahmen weiter präzis:ert.
74
111. Erklärungsansätze zur Entwicklung einer Strategiekonzeption
für schnell wachsende und innovative Biotech-Unternehmen
76
Als kontinuierliche Neuerung verlaufen sie in gleichmäßiger Entwicklung auf ihrer
jeweiligen technologischen Bahn.
In diesem Zusammenhang erscheinen die Ansätze zu Entwicklungslinien und Para-
digmen von Innovationen für ein tieferes Verständnis der Innovationsintensität inter-
essant. Die Basisinnovation bricht mit dem bestehenden und dominierenden tech-
nologischen Paradigma: sie markiert eine Diskontinuität in der bisherigen Entwick-
lung und begründet eine neue technologische Bahn oder "natural trajectory"245 tech-
nologischer Entwicklung, die auch als S-Kurve bezeichnet werden kann.246 Solche
technologischen Diskontinuitäten können 'competence-destroying' oder 'competence-
enhancing' Charakter haben.247 Kompetenz-zerstörende Innovationen eröffnen neue
technologische Trajektorien, die die bestehende Fähigkeitenbasis und das Know-how
der alten technologischen Entwicklung obsolet machen und substituieren. Kompe-
tenz-verstärkende Innovationen stellen ,order-of-magnitude improvements' im
Preis-Leistungs-Verhältnis von Produktkategorien dar, bei denen trotz Substitution
der bestehenden Technologie das alte Fähigkeitenpotential nicht obsolet, sondern in
der neuen Technologie verstärkt genutzt wird.248
Technologische S-Kurven symbolisieren das Entwicklungspotential eines jeweiligen
technologischen Innovationspfades. Nach sehr starken Neuerungen in der Anfangs-
phase einer verfolgten technologischen Option nimmt im Zeitablauf die Grenzrate
der Neuerung immer weiter ab, trotz zunehmendem Mitteleinsatz. Das
auszuschöpfende Potential an technologischen Neuerungen verringert sich mit
zunehmendem Kenntnisstand einer Technologie. Je kleiner die Innovations-
fortschritte werden, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit eines technologischen
Paradigmawechsels, bei dem der bestehende Technologiepfad verlassen wird.249
Der neue Pfad bzw. die neue S-Kurve kann auf einem niedrigeren Entwicklungs-
niveau starten, überflügelt aber die traditionelle Technologie im Zeitablauf, da sie ein
wesentlich größeres unausgeschöpftes Potential besitzt. Die S-Kurve, als ein spezifi-
sches technologisches Paradigma zso, verläuft in bestimmten Bahnen, die durch das
Potential der Technologie inhärent vorgegebenen sind.251 Die Intensität und Dyna-
2.45 Nelson/Winter (1977) S. 56: Nelson/Winter sind Vertreter eines evolutionären Technologie-verständnisses im
Sinne der Modern Austrian School of Economics, vgl. insbesondere Nelson/Winter (1982), aber auch Nelson
(1987). Gerybadze reflektiert Nelson/Winters Arbeit und thematisiert in seiner Grundlagenarbeit die Bezie-
hung zwischen technologischer Entwicklung und Marktstruktur, vgl. Gerybadze (1982), siehe auch Bierfelder
(1994) s. 39.
246 Grundlegende Arbeit zum 5-Kurven-Konzept der technologischen Entwicklung, insbesondere auch als
Managementinstrument lieferte Foster (1986), neuesie Arbeiten insbesondere auch von Christensen
(1997), vgl. auch Brackhoff (1999) S. 185-196, vgl. Perlitz (1997) S. 515-518;.
247 Vgl. Abernathy/Clark (1985) S. 3-22.
248 Vgl. Tushman/ Anderson (1987) S. 90-95.
249 Foster bezeichnet als Effektivität, die unternehmerische Entscheidung, welche 5-Kurve verfolgt wird; als Effi~
zienz, die Steigung der aktuellen 5-Kurve, vgl. Foster (1986) S. 106-108.
250 Dosi (1982) hat diesen Begriff in die lnnovationsdebatte eingeführt und damit eine interessante Parallele zum
'wissenschaftlichen Paradigma'-Begriff von Kuhn hergestellt, siehe auch Kap. 1.1.
251 Vgl. Dosi (1982) S. 152-154: Dosi nennt in seinem Grundlagenpapier drei Beispiele für technologische Para-
digmen, den Verbrennungsmotor, petrachemische Verfahren und die Halbleitertechnologie, vgl. auch Dosi
(1988) s. 221-228.
77
mik der Innovationen werden durch die Bedeutung des jeweiligen technologischen
Paradigmas determiniert (siehe Abbildung III.l).
S, =Potentialpfad
der jeweiligen
Technologie ..x"
l
Technologie-
Leistungsfähigkeit
der Technologie
potT"'
•
Kumulierter F&E-Aufwand
252 Von einigen Forschern wird die Biotechnologie auch als eine 'lange Welle' im Sinne Kontratieffs oder auch
(1986) S. 284-288; Markusen/Hall/Glasmeier sprechen von 'Produkt-
Schumpeters interpretiert, vgl. Hacking
Profit-Zyklen' der High-tech-Industrien, vgl. Markusen/Hall/Glasmeier (1986) S. 40-58; eine damit impli-
zierte lang andauernde Wohlfahrtsgenerierung hat allerdings bis heute noch nicht stattgefunden. Die
Bieteeh-Unternehmen kämpfen dagegen z.Zt. erst noch um eine nachhaltig erfolgreiche strategische
Geschäftsentwicklung.
253 Siehe Kap. l/.3.
254 Zur theoretischen Einordnung der Biotechnologie vgl. auch Dodgson (1991) S. 6-8.
78
haben allerdings in den frühen Entwicklungsphasen der Industrie zu unrealistischen
und übertriebenen Erwartungshaltungen bei Branchenfremden und Investoren be-
züglich Zeitplänen, erschlossenem Marktpotential und kommerziellem Erfolg der
Unternehmen geführt.255 Dieser ,Biotech Hype' kann auch als Charakteristikum
neuer bahnbrechender Technologien gedeutet werden.256 Die hohe Unsicherheit
technologischer Durchbrüche und eine hohe Volatilität der Erwartungshaltungen
und Bewertung wirtschaftlicher Perspektiven sind kennzeichnende Merkmale der
biotechnologischen Industrie.257
255 Vgl. z.B. prognostizierte Kommerzialisierungspotentiale, die das tatsächlich realisierte Volumen deutlich
überschreiten, vgl. Paulson/Fröhlich (1998) S. 85-86.
256 Eine ähnliche Diagnose läßt sich aktuell für die Internet-basierten Geschäftskonzepte der sog. 'Neuen Öko-
nomie' konstatieren.
257 Siehe Kap. I/.2.
258 Vgl. Hauschildt (1992) Sp. 1030; vgl. Witte (1998) S. 11-12, erstmals derselbe (1973) S. 3.
259 Vgl. Pechtl (1991) S. 5.
79
werden, so daß die industrieökonomische Branchenperspektive im globalen Sinn als
Definition für die Untersuchung sinnvoll erscheint.
CD
Grundlagen-
®
Diffusion
Phasen
forschung
Grundsätzlich wird die Invention als reine Erfindung oder Entdeckung bezeichnet,
die geplant oderungeplant realisiert werden kann.261 Als wissenschaftliche Leistung
schafft die Invention Wissen, ohne einen immanenten Bezug zu einer kommerziellen
Verwendung herzustellen. Sie beruht auf Erkenntnissen wissenschaftlicher Grundla-
genforschung, die ohne spezifische Anwendungsrelevanz die eigentliche Basis des
Innovationsprozesses darstellen.262 Die Innovation stellt das erfolgreiche Schaffen
von Neuem, von der Ideengenerierung bis zur erfolgreichen Markteinführung dar.
Das kommerzielle Verwendungsziel ist kennzeichnend.263 Die Adoption beschreibt
die Akzeptanz der Innovation durch den Nutzer. Es findet eine Substitution derbe-
264 Der imitative Entrepreneur fördert in entscheide':'dem Ausmaß die Verbreitung von Innovationen, vgl.
Baumol (1996) S. 26-27; die Bedeutung von Imitation im Adoptionsprozeß des Nachfragers und in der
Diffusionstheorie untersucht Pechtl, vgl. insbesondere Pechtl (1991) S. 9-98; vgl. Hauschildt (1997) S. 61.
265 Vgl. Hauschildt (1997) S. 21-22.
266 In Anlehnung an das Buying Center Konzept von Webster/Wind, in dem unterschiedliche Rolle:tträger einen
organisationeilen Kaufprozeß beeinflussen. Webster/Wind identifizieren fünf verschiedene Rollen: (1) buyer,
(2) user, (3) influencer, (4) gatekeeper, (5) decider. Dieses Modell wird auch auf multipersonale und -organi-
satorische Entscheidungsprozesse angewendet, vgl. Webster/Wind (1972) S. 12·19, vgl. Backhaus (1997) S. 59·
65; zu Schlüsselpersonen-Konzepten im Innovationsprozeß vgl. Hauschildt/Schewe (1998) S. 161-176.
81
Innovationsbegriffes in Strategie- und Organisationsliteratur abstrahiert vom rein
technologischen Bezug. Innovation und die Fähigkeit eines Unternehmens, günstige
Rahmenbedingungen für einen kreativen Neuerungsprozeß zu schaffen, beschäftigt
die Managementlehre insgesamt. Generell wird in der Literatur sachzielorientiert
zwischen Produkt-, Prozeß- und Sozialinnovationen unterschieden, trotz zunehmen-
den Abgrenzungsproblemen.267 Diese Typenbildung erscheint für das Heraus-
arbeiten eines Bezugsrahmens dienlich.
Produktinnovation bezeichnet "a new technology or combination of technologies
introduced commercially to meet a user or a market need."268 Produkte sind das
umgesetzte und tangible Ergebnis von Innovation für Hersteller und Nutzer am
Markt. Produktinnovationen sind ein wesentliches gestalterisches Element der
unternehmerischen Produktpolitik Es existieren unterschiedliche Gestaltungsfor-
men von Veränderungen bestehender bis zur Schaffung neuer Produkte.269 Biotech-
nologische Produktinnovationen umfassen beispielsweise humanes Insulin, Inter-
leukine oder auch die Klonierung von Lebewesen, z.B. des Genschafs 'Dolly'.270
Prozeßinnovation oder auch Verfahrensinnovation bezeichnet eine "Veränderung
bzw. Neugestaltung der im Unternehmen für die Leistungserbringung notwendigen
materiellen und informationellen Prozesse", die zu einer Effizienz- oder Effekti-
vitätssteigerung führt.271 Biotechnologie hat zu signifikanten Verfahrensinnova-
tionen in den Life Seiences geführt wie der DNA-Rekombination, der DNA-Sequen-
zierung und der PCR.272 Ein Verfahren kann auch selbst zum Produkt werden,
wenn es als Dienstleistung vermarktet wird. Einige biotechnologische Unternehmen
definieren sich beispielsweise als serviceorientierte Unternehmen, wie z.B. die
Pharma-Unternehmen Verfahren anbieten, bei denen der F&E-Prozeß der Medika-
mentenherstellung produktiver gestaltet wird.273 Abernathy/Utterback belegen empi-
risch eine Korrelation zwischen Produkt- und Prozeßinnovationen. Sie konstatieren
eine Abnahme des am Beginn einer technologischen Entwicklung sehr hohen Pro-
duktinnovationspotentials über den Zeitraum des technologischen Lebenszykluses
267 Hauschildt präferiert eine Zweck-Mittel-orientierte Kategorisierung: Mittelinduzierte Innovationen als Tech-
nologie dominiert und Zweckinduzierte Innovationen als Nachfrage dominiert, vgl. Hauschildt (1997) 5. 8-9;
Pfeiffer et al. differenzieren nach prinzipiellen Innovationsrichtungen von Unternehmen in Anlehnung an
Ansoffs Produkt-/Marktmatrix (vgl. Ansoff (1966) 5. 132): (1) Potential- (2) Anwendungs- und (3) Laterale
Innovation, vgl. Pfeiffer/Weiß/Volz/Wettengl (1997) 5. 13-16; bei Dienstleistungen und kombinierten
Problemlösungen, bei denen Produkte zunehmender Komplexität mit Serviceleistungen gebündelt werden,
lassen sich Produkt und Prozeß nicht mehr klar trennen und komplizieren eine klare Artendifferenzierung;
Abernathy/Clark differenzieren nach kontinuierlichen und obsolet werdenden Technologiekompetenzen und
Markt-Kunden-Beziehungen. Sie definieren vier Innovationstypen - niche creation, regular, revolutionary,
architectual- an Fallbeispielen der Automobilindustrie, vgl. Abernathy /Clark (1985) S. 7-13, vgl. Clark (1987)
s. 60-79.
268 Abernathy lUtterback (1975) S. 642.
269 Vgl. Thom (1980) S. 32-35.
270 Siehe ausführlicher Kap.III.3.
271 Pleschak/Sabisch (1996) S. 20; 'Verfahren' sindeine Abfolge von Aktivitäten, die in ihrem Inhalt oder ihrer
generellen Zusammenstellung bzw. Priorisierung verändert werden können. Für eine ausführlichere Spezifi-
zierung von Prozeßinnovationen vgl. Wegener (1994) S. 17-54.
272 Siehe ausführlicher Kap. II.1.
273 Ausführlichere Erörterung der Prozeßinnovation bei Pleschak (1991) S. 23-73.
82
hinweg. Eine zu Beginn unkoordinierte Entwicklung, die die Leistungsfähigkeit der
Produktinnovationen fördert, wandelt sich in einen systematischen Prozeß, bei dem
Kostensenkungsaspekte den Schwerpunkt der Innovationen bilden. Die Innova-
tionsraten für Prozeßinnovationen nehmen dagegen antizyklisch mit zunehmender
Strukturiertheit des Entwicklungsprozesses zu.274
Sozialinnovation umfaßt neue soziale Methoden und Technologien, die sich auf ver-
haltenswissenschaftliche Erkenntnisse und soziale Interaktionsmechanismen be-
ziehen. Neben sozialwissenschaftliehen Anwendungsfeldern sind soziale Innova-
tionen für Fragestellungen im Unternehmen zu Struktur und Verhalten in Organisa-
tionen relevant.275 Im Sinne der Transaktionskostentheorie sind organisatorische
und soziale Neuerungen eine grundsätzliche Erklärungsgrundlage für das Entstehen
von Unternehmen.276 Innovationen bei Aufbau und Ablauf der unternehmerischen
Organisation kreieren einen Vorteil gegenüber gleichartigen Transaktionen am
Markt. Je innovativer die Unternehmerische Organisation ist, desto deutlicher wird
der Transaktionskostenvorteil gegenüber dem Wettbewerb. Die Unternehmens-
gründung kann somit als spezifische Variante des Innovationsphänomens inter-
pretiert werden.
Eine wichtige Erkenntnis zum Innovationsphänomen liegt in einem über die reine
technologische Dimension hinausgehenden Verständnis. Innovation ist nicht aus-
schließliches Thema für F&E-orientierte Fragestellungen, sondern hat eine viel um-
fassendere Bedeutung. Sie betrifft die gesamte Wertekette des Unternehmens und
kann zu einer vollständigen Neudefinition des Geschäftsmodells führen. In diesem
Sinne ist Innovation das Vehikel, um die Parameter des Wettbewerbs neu zu definie-
ren, Marktveränderungen zu antizipieren oder zu gestalten. "Innovation ist ... als
grundsätzliches Verhaltenskonzept zu interpretieren".277 Dies trifft insbesondere für
hoch innovative und schnell wachsende Unternehmen zu, die durch ihre Innova-
tionstätigkeit Veränderungsprozesse auslösen, die über die zugrunde liegenden tech-
nologischen Aspekte hinaus, Auswirkungen auf gesamtwirtschaftliche und gesell-
schaftliche Fragen haben. Zu dieser Kategorie zählen u.a. IT-orientierte- und Bio-
technologie-Unternehmen.278
274 Vgl. Abernathy lUtterback (1975) S. 639-647; vgl. ausführlicher Utterback (1994), insbesondere S. 79-102; vgl.
Brockhoff (1999) S. 202-210; in verschiedenen Anwendungsbereichen können allerdings auch Prozeßinnova-
tionen eine Serie von Produktinnovationen auslösen. So haben gentechnologische Verfahren eine neue Gene-
ration von Therapeutika, die auf einer Proteinstruktur basieren, hervorgerufen, z. B. EPO, Interferone und
lnterleukine.
275 Zu Führungs- und Motivationskonzepten vgl. Meier (1997) S. 96-158, vgl. auch Staehle (1994) S. 573-927.
276 Grundlegende Arbeit zur Transaktionskostentheorie von Williamson (1975), vgl. auch Ebers/Gotsch (1995) S.
208-235.
277 Zahn (1991) S. 34.
278 Wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen durch die IT und die Omnipräsenz des Interneis
wurden vielfach thematisiert, vgl. beispielsweise Kempis/Ringbeck (1999); Neben der Bedeutung der Bio-
technologie für grundlegende Veränderungen im Gesundheitssektor, z. B. eine individuellere Medizin, hat
sich auch das gesellschaftliche Selbstverständnis durch gentechnologische Möglichkeiten und Risiken gewan-
delt, vgl. hierzu Ollig/Ries (1995), siehe auch Kap. II.3.1.
83
1.2 Innovationsgenerierung als Basis des Unternehmerischen Erfolgs
Innovationen schaffen neue Produkte oder Prozesse. Die verbesserten Produkte
verstärken die Nachfrage und Kunden sind bereit, für diesen Mehrwert ein Premium
zu den bisherigen Preisen auf dem Markt zu zahlen. Die neuen Produkte als Ergeb-
nis der Innovation erhöhen den Umsatz und das Ergebnis desjenigen Unternehmens,
das die Innovationen am Markt durchsetzen kann.279 Eine Untersuchung des ifo-
Instituts weist beispielsweise empirisch nach, daß Innovationen bei 69% der Un-
ternehmen der westdeutschen Industrie eine Steigerung des Umsatzes bewirkten, bei
59% einen höheren Marktanteil und bei 51% einen höheren Gewinn.280 Unter-
nehmen verfolgen aus diesem Grunde das Ziel, vor den Konkurrenten den auf dem
Markt zu realisierenden Innovationsgewinn abzuschöpfen. Entscheidend für den
Erfolg ist nicht alleine die technologische Führerschaft des Unternehmens, sondern
die Umsetzung der Innovation auf dem Markt.281
Technologie-Perspektive
• Technologische Position
(Führer/Folger)
• Markteinführung (Führer/Folger)
Produkt-Markt-Perspektive Wettbewerbsperspektive
• Marktsegmentierung • Attraktivität des Branchen-
(einfach/differenziert) segments
• Marktbearbeitung
• Komparative Vorteile
(standardisiert/differenziert) (Kosten, Leistung, Qualität)
279 Weitzel beweist in einem Simulationsmodell eine Korrelation zwischen höherem Innovationsanteil am
Produktspektrum und positiver Umsatz- und Gewinnentwicklung für Unternehmen, vgl. Weitzel (1996) S.
178-212; zur Bedeutung des strategischen Markteintritts für den Unternehmenserfolg einer technologischen
Produktinnovation, vgl. Schneider (1991) S. 203·286.
280 Vgl. ifo Innovationstest, Erhebung 1997, Schmalholz/Penzkofer (1999) S. 8·10: wenn Innovationen zur
Erreichung ökonomischer Ziele wie Umsatz, Gewinn etc. verwendet wurden, war die Erfolgsquote der
Unternehmen sogar noch höher, 79% höherer Umsatz, 70% höherer Marktanteil, 60% höherer Gewinn.
281 Maurer untersucht den Innovationswettbewerb zwischen dem 'first' und 'second-mover' einer innovativen
Markteinführung. Oie Gewinnverteilung in der Post-Innovationsphase ist demnach vom technologischen
Standard und dem Qualitätsniveau der Gegenspieler abhängig, vgl. Maurer (1996) S. 40-82.
84
Innovation ist demnach eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für
wirtschaftlichen Erfolg. Zur Auswahl der geeigneten Innovationsstrategie existieren
in der Literatur verschiedene Systematisierungsansätze, die nach unterschiedlichen
Dimensionen einer gesamthaften Geschäftsfeldstrategie differenzieren. Jugel unter-
scheidet beispielhaft nach Technologie-, Produkt-Markt- und Wettbewerbs-Dimen-
sionen als Komponenten eines allgemeinen Bezugsrahmens (siehe Abbildung 11!.3).282
Diese Perspektiven werden als Elemente eines gesamthaften Orientierungsrahmens
für Biotech-Unternehmen in der weiteren Untersuchung aufgegriffen.283
(1) High-tech-Industrien
Die Wichtigkeit der Innovationsstrategie für den Unternehmenserfolg ist von der
Höhe der Innovationsrate in der Branche abhängig. In schnell wachsenden Bran-
chen, die auf technologische Basisinnovationen zurückzuführen sind, deren
unausgeschöpftes Potential noch sehr groß ist, ist die gewählte Innovationsstrategie
immer auch konstituierend für die gesamte Unternehmensstrategie. Ansoffbezeich-
net diese Felder als "turbulent fields of technology", bei denen neben einer hohen
Produktproliferationsrate die Zyklen für Technologien sehr kurz sind und schnell
substituierende S-Kurven eine hohe Innovationsrate generieren.284 Eine Segmen-
tierung in Prozeß- und Produkt-orientierte Innovationsintensitäten zeigt die unter-
schiedlichen Zielprofile korrespondierender Geschäftsfeldanforderungen (siehe
Abbildung III.4).
Die stark technologisch und innovationsgetriebenen Geschäftsfelder werden als
"high-technology businesses" bzw. als Hoch- oder Spitzentechnologie Geschäftsfel-
der bezeichnet. Technologie - in inkrementaler Form des bestehenden Paradigmas
oder als auftretende Diskontinuität eines neuen S-Kurven-Pfads - wird zur bestim-
menden Kraft der Umweltbedingungen des Unternehmens, sowohl aus der Produkt-
Markt-Perspektive als auch der Wettbewerbsperspektive.285 Technologische Verän-
derungen führen zu neuen Marktsegmenten bzw. neuen Produkten, die veränderte
Marktstrategien verlangen. Durch einen diskontinuierlichen Technologiesprung
kann sich die grundlegende wirtschaftliche Attraktivität des Geschäftes wandeln
oder zu höheren bzw. niedrigeren Eintrittsbarrieren für neue Wettbewerber führen.
Z.B. haben die Pfade der Transistorentwicklung und Mikroprozessoren in den
sechziger und siebziger Jahren das Entstehen kleiner wachstumsstarker Unter-
nehmen bewirkt, genauso wie biotechnologische Verfahrensweisen seit den siebziger
282 Vgl. )ugel (1991) S. 53-61, vgl. auch den konzeptionellen Rahmen der empirischen Untersuchung bei Weisen-
feld/Chakrabarti (1990) S. 747-758. Eine ausführliche Diskussion verschiedener innovativer Strategieansätze
biotechnologischer Unternehmen unter Einbeziehung der Erkenntnisse aus Market-based-View und
Resource-based-View findet im Kap. IV.1.2 statt.
283 Siehe auch Kap. V. und VI.
284 Vgl. Ansoff/MeDonneU (1990) S. 168-170; zum Lebenszyklus von Technologien vgl. auch Specht (1996) Sp.
1983-1994.
285 Vgl. Tushman/ Anderson (1987) S. 89-91.
85
Jahren den Forschungsprozeß pharmakologischer Produkte verändert und neue
Chancen für Startup-Unternehmen im Life-Sciences-Markt eröffnet haben.286
r:_ ~ Untersuchungsfokus
Prozessgetriebene Industrien
r-------------,
1 High-Tech-Industrien 1
• Halbleiter I I
hoch
• Spezialitätenchemie 1 • Biotechnologie I
1 • Information Technology
• Telekommunikation
I
Fokus: Fokus: I
Kostenersparnis, komplexe,technologische I
Suche nach verbesserter/neuer Problemlösungen, Reduzierung I
Lernkurve Time-to-Market I
--------------
Prozess- I
innovation
Reife Industrien Produktgetriebene Industrien
• Grundlagenchemie • Konsumgüterindustrie
• Stahl • Nahrungsmittelindustrie
Fokus: Fokus:
niedrig Kostenersparnis, Economies Design, New Releases,
of Scale, Ausnutzen Generierung neuer Produkt-
bestehender Erfahrungskurve generationen
niedrig hoch
Produktinnovation
Die große Bedeutung, die der High-tech Industrie in der politischen und wirtschafts-
wissenschaftlichen Diskussion für die verschiedensten Themen beigemessen wird,
hat zu einer starken Proliferation des Begriffes geführt, bei unterschiedlichen und
nicht immer klar abgegrenzten Definitionskriterien.287 Als charakteristische Merk-
male werden i.d.R. (1) eine hohe Forschungsintensität der Unternehmen und (2) eine
hohe Wissenschaftsbindung der technischen Innovationen identifiziert.288 Die Be-
deutung der wissenschaftlichen Grundlagen offenbart sich beispielsweise durch den
Anteil des wissenschaftlich-akademischen Personals an der gesamten Mitarbeiter-
86
zahl. Ein anderes in der Literatur zitiertes Kriterium ist das Wachstum des Unter-
nehmens oder die Anzahl der Beschäftigten. Dieses Merkmal schließt allerdings
auch Unternehmen anderer Branchen ein, wenn diese ein hohes Wachstum gene-
rieren. Starkes Wachstum ist nicht auf den High-tech-Sektor beschränkt. Darüber
hinaus ist Wachstum auch konzeptionell eher Folge als differenzierende Ursache von
High-tech-Unternehmen: erstens sind multifaktorielle Einflüsse für Wachstum
verantwortlich, z.B. Konjunktur, Marketingstrategie, Regulierungsgrad etc., und
zweitens wird impliziert, daß alle High-tech Unternehmen starkes Wachstum gene-
rieren, es also keine 'Underperformer' gibt. Diese Annahme ist sicher falsch.289 Nach
den Definitionskriterien Forschungsintensität und Anteil wissenschaftlicher Mit-
arbeiter werden IT und Biotechnologie orientierte Unternehmen der Kategorie der
Hochtechnologie Geschäftsfelder zugerechnet.
87
dung ein, beispielsweise bei Fragen der Lizenzvergabel -nahme.294 295 In der
Terminologie des Promotorenmodells von Witte, entscheiden sich Macht- und Fach-
promotoren auch bei suboptimalen Ergebnissen für eine interne F&E-Lösung.296
Häufig werden solche Leistungen mit insgesamt höheren Ressourcenaufwendungen
"erkauft". In der Pharmaindustrie, in der sich der F&E-Prozeß von den Stufen der
Identifizierung einer Targetsubstanz bis zum final zugelassenen Therapeutikum er-
streckt (vgl. Abbildung Il.2 ), hat dieses In- oder Outsourcing von Innovationsschritten
entscheidende Bedeutung für den kommerziellen Erfolg biotechnologischer Unter-
nehmen. Das Zusammenwirken verschiedener Protagonisten und der gewählte
strategische Ansatz ist für die Unternehmen im sehr zeitintensiven Forschungs- und
Entwicklungsprozeß der Life-Sciences-Branche sehr bedeutsam und erfolgsbestim-
mend.297
DEMAND PULL
Unternehmen
Kunde
lnhouse
F&E
.... __ ..,.
TECHNOLOGY PUSH
294 Vgl. Weisenfeld / Chakrabarti (1990) 5. 748; zur Differenzierung zwischen dem 'Unte rnehmen ' und den unter-
schied lichen Protagonisten eines Unternehmens als Subjekte von Entsche id ungen, sie he Kap. JII.2.1.
295 Siehe Kap. V.
296 Vgl. Perli tz/ Löbler (1989) S. 52-56;
insbesondere der Fachpromotor mi t obje ktspezifisch em Wissen, i.d .R. ein
Mitg lied der internen F&E-Einheit, unterstützt ein inte rnes gegenüber einem externen Projekt. Häufig wird
das Argument der wettbewerbsentscheidenden Schl üsselkompetenz angeführ t.
297 S~ehe Kap. 11.3.
298 Grundlegende Arbeiten zum Zusa mmenwirken von H erstellern und Kunden im lnnovationsprozeß gehen
auf Hippe/ zu rück, vgl Hi ppe! (1988) S. 13-27; vgl. Brackhoff (1999) S. 38-41; vgl. Hauschild t (1997) S. 201-214.
88
Eine große Bedeutung bei der Innovationsgenerierung nimmt der produktive Infor-
mationsaustausch zwischen den Partnern ein, der sich idealerweise als iteratives Pro-
blemlösungsmuster manifestiert. Diese Innovationsgenerierungsmuster sind auch
für erfolgreiche Kooperationen zwischen Firmen charakteristisch.299 Die unter-
schiedliche Initiative zur Innovationserbringung wird in der Literatur als Technology
Push und als Demand Pul! thematisiert. Technology Push charakterisiert eine aus den
technologischen Möglichkeiten generierte Innovation. Diese beinhaltet einen großen
Innovationsfortschritt, bei dem für bereits geschaffene Lösungspotentiale allerdings
zuerst eine entsprechende Nachfrage am Markt aufgebaut werden muß. Demand Pull
bezeichnet dagegen Innovationen, die von einem starken Nachfragerbedürfnis am
Markt hervorgerufen werden. Der Innovationsfortschritt ist i.d.R. klein, da die
Innovation aus den bestehenden technologischen Rahmenbedingungen hervorgehen
muß, aber die hohe Nachfrage garantiert eine schnelle Umsetzung und begrenztes
Risiko für das Unternehmen.300 Innovationen in der Biotechnologie-Branche, die in
einer engen Abhängigkeit zu neuen Erkenntnissen der Grundlagenforschung in
Molekularbiologie, Chemie und Physik steht, werden vor allem durch die technolo-
gischen Möglichkeiten der innovierenden Unternehmen determiniert.301
299 Vgl. Hippe! (1998) 64-69; vgl. Porter/Sölvell (1998) S. 445, siehe auch Kap. V. 2.5., 3.1.-3-8.
300 Vgl. beispielhaft Brackhoff (1999) S. 44; vgl. Perlitz/Löbler (1989) S. 27-29; Pfeiffer et al. definieren die gleichen
Tatbestände als Potentinl- und Bedarfsbasierende Innovationen, vgl. Pfeiffer/Weiß/Volz/Wettengl (1997) S. 30-
31.
30 1 Beispielsweise besteht eine hohe Nachfrage bei Patienten und
Pharma-Unternehmen für Therapeutika gegen
Krebs. Die Entwicklung therapeutischer Produkte, z.B. biotechnologisch hergestellter lnterleukine, ist aber
vom technologischen bzw. wissenschaftlichen Kenntnisstand abhängig.
302 Ökonorneirische Untersuchungen zu Industrie-Strukturveränderungen als Folge von lnnovationswettbe-
werben, vgl. Maurer (1996) S. 9-39.
303 Beispielsweise identifizieren Pfeiffer et al. spezifische Gefahrenmomente bei Technologieumbrüchen für
etablierte Unternehmen, vgl. Pfeiffer/Weiß/Volz/Wettengl (1997) S. 30-56.
89
Branchenführer solche diskontinuierlichen Paradigmenwechsel mit Erfolg zu reali-
sieren.304
Die Biotechnologie hat zu einer deutlichen Diskontinuität in den Bereichen der Life
Seiences geführt. Der technologische Umbruch, beispielsweise neben rein chemische
Substanzen auch biologische als Wirkstoffe zu nutzen, hat zwar begonnen, ist aller-
dings durch lange klinische Entwicklungszeiten bedingt am Markt erst ansatzweise
dokumentierbar.305 Das Szenario der technologischen Diskontinuität - einer Zäsur
mit massiven Auswirkungen auf die bestehenden Wettbewerbsverhältnisse- kreiert
für Biotech-Unternehmen ein enormes ChancenpotentiaL Ansoffbezeichnet das not-
wendige Verhalten zur Bewältigung diskontinuierlicher Umbrüche als "entrepreneu-
rial behaviour", während kontinuierliche bzw. inkrementale Veränderungen durch
den antagonistischen Ansatz des "competitive behaviour" beantwortet wird.306 Die
Biotechnologie als neues Paradigma fungiert als Auslöser neuer unternehmerischer
('entrepreneurial') Aktivitäten und Gründungen.
Zur frühzeitigen Erkennung und Antizipation von Technologieübergangssituationen
können Unternehmen strategische Frühwarnindikatoren nutzen, die zum Aufspüren
erster Anzeichen oder "schwacher Signale" von innovativen Umbrüchen sinnvoll
sind.307 Wenn große Diskontinuitäten aus Unternehmenssicht zuerst über statische
Planabweichungsanalysen erkannt werden, ist die Veränderung bereits eingetreten
und die Handlungszeit sehr kurz. Das zur Verfügung stehende Spektrum an strate-
gischen Alternativen ist dann stark begrenzt und das Risiko von zu langsamen Reak-
tionsprozessen ist hoch, da nur reaktiv auf eine schon eingetretene Veränderung ge-
handelt werden kann.308 Ein möglichst frühzeitiges Erkennen eintretender Verände-
rungen verringert die Wahrscheinlichkeit strategischer Überraschungen und verlän-
gert somit die Handlungszeit für eine adäquate Reaktion. Je komplexer, dyna-
mischer und instabiler die Umweltsituation des Unternehmens ist, desto wichtiger
wird eine antizipative Früherkennung als Bestandteil einer strategischen Unter-
nehmensführung.309 Dies beinhaltet eine Betrachtung möglicher Veränderungen der
304 Vgl. Foster (1986) S. 132·135: Von den 10 führenden Unternehmen in der Halbleiterindustrie im Jahr 1955 ist
1982 kein einziges in den Top 10; Darstellung von Unternehmen, die ihre dominierende Marktstellung nach
Technologieumbrüchen verloren haben bei Tushman/O'Reilly (1997) S. 1-15.
305 Siehe Kap. II. 2. und 3.
306 Vgl. Ansoff (1988) S. 167-172: Nach Ansoffbedingen die beiden Verhaltensweisen unterschiedliche Umwelt-
und organisatorische Rahmenbedingungen. Beide Ansätze sind für den nachhaltigen Erfolg notwendig. Die
inhärenten Kulturen sind allerdings verschieden und inkompatibel, so daß Mechanismen einer fruchtbaren
Koexistenz im Unternehmen aktiv geschaffen werden müssen.
307 Zum Konzept der "Schwachen Signale" und Früherkennungsmechanismen von Ansoff, vgl. Ansoff (1976) S.
129-152; zur kritischen Würdigung von Ansoffs Konzept vgl. Lieb! (1994) S. 364-366: in der deutschen Lite-
ratur wird insbesondere kritisiert, daß (1) die begriffliche Definition der "Schwachen Signale" unpräzise ist
und (2) eine unklare Abgrenzung zwischen unscharfen Informationen als immanenter Bestandteil und einem
sich abzeichnenden Auftreten von Strukturumbrüchen als Ziel der Früherkennung besteht. Das zweite
Problem entsteht gerade bei der Bewertung von Ergebnissen der strategischen Früherkennung im Unter-
nehmen. Insgesamt kann aber konstatiert werden, daß Ansoffs Konzept einen initialen Beitrag zur Diskus-
sion dynamischer Strategiekonzepte und zur Bewältigung von Diskontinuitäten durch Unternehmen geleistet
hat; zu den Methoden eines Technological Forecasting siehe Gerybadze (1996) Sp. 2030-2038.
308 Vgl. Ansoff (1976) S. 130-131; vgl. auch Nieschlag/Dichtl/Hörschgen (1997) S. 874- 876.
309 Vgl. auch Bower/Christensen (1999) S. 506-520.
90
unternehmensinternen und -externen Rahmenbedingungen als Ansatzpunkt tiefer-
gehender Analysen.310 Neben der analytischen Betrachtung werden alternative
Handlungsstrategien evaluiert, die ein auf die jeweilige Situationsveränderung
angepaßte Unternehmerische Reaktion gewährleisten.311 Z.B. wird die Umwelt in
der Pharma-Biotechnologie-Branche durch eine hohe Komplexität und Unsicherheit
im F&E-Prozeß sowie eine dynamische Marktentwicklung charakterisiert. Eine
große Bedeutung bekommen deshalb ,Technologie-Scouts', die neue und für das
Unternehmen interessante Entwicklungen in der Forschung zu einem möglichst
frühen Zeitpunkt identifizieren sollen. Bei Pharma-Unternehmen wird diese Rolle
von 'Technology Offices' wahrgenommen.
Eine Unterscheidung sollte zwischen den meist gemeinsam verwendeten und wenig
differenzierten Begriffen ,Forschung & Entwicklung' gemacht werden. Forschung
bedeutet das Aufspüren neuer technologischer Ansätze, das Abwägen von Alternati-
ven und ein Selektieren der abschließend präferierten Lösungswege. Entwicklung
dagegen beinhaltet das effektive Verfolgen des gewählten Forschungsansatzes, ein
geringeres Maß an Innovationsfreiheit und ein leistungsfähiges Projektmanagement,
bei dem marktfähige Produkte aus der selektierten technologischen Alternative ent-
wickelt werden. In der Entwicklung besteht somit eine inhärente Abneigung gegen
grundlegend neue Technologien, die einen gänzlich neuen Entwicklungsprozeß be-
dingen. In Phasen von Technologieumbrüchen besteht die Gefahr, daß in der Ent-
wicklung Produkte auf der Basis einer alten und obsolet werdenden Technologie
entwickelt werden. Die darauf aufbauende sehr ressourcen- und zeitintensive Ent-
wicklung erschwert die Bereitschaft zum Wechsel auf die neue Technologie sehr.
Man kann diesen Effekt auch als "technological myopia" bezeichnen.312 Die Erfolge
der ersten Generation amerikanischer Biotechnologie-Unternehmen beruhen auf der
konsequenten Anwendung gentechnologischer Verfahrensweisen für die Therapeu-
tikaentwicklung. Die etablierten Pharma-Unternehmen setzten weiterhin auf Scree-
ning Verfahren zur Entdeckung natürlicher Wirkstoffe und chemischer Herstellungs-
verfahren.313 Es besteht folglich ein Interessengegensatz zwischen der Forschung
und der Entwicklung, der andere Managementmechanismen und auch eine andere
Führungskultur bedingt. Die Unterscheidung zwischen Forschung und Entwicklung
sowie ein genaues Verständnis ist für das Erarbeiten erfolgreicher Strategieansätze in
der Life-Sciences-Industrie entscheidend. Biotechnologische Unternehmen mit einer
Positionierung im forschungsintensiven Wertschöpfungsbereich unterscheiden sich
grundsätzlich von integrierten Pharma-Unternehmen, die neben der Forschung ein
310 Unternehmensexterne Faktoren lassen sich in die marktbezogene (Mikroumwelt) und die umfeldbezogene
Umwelt (Makroumwelt) segmentieren, wobei insbesondere die umfeldbezogenen Faktoren eine wichtige
Rolle bei der Frühindikation spielen, vgl. Raffee (1995) S. 185-186, vgl. Raffee (1979) S. 3-9, vgl. auch das
Human Concept als Unternehmenskonzeption bei Dawson (1969) S. 32.
311 Zu konzeptionellen und methodischen Fragestellungen der Früherkennung, vgl. Wiedmann (1989) S. 301-348;
zu Handlungsstrategien vgl. Ansoff/McDonnell (1990) S. 357-367, 383-398; vgl. Raffee/Wiedmann (1988) S.
28-46.
312 Vgl. Ansoff/McDonnell (1990) S. 171-184.
313 Vgl. Kornberg (1995) S. 9-17.
91
therapeutisches oder diagnostisches Produkt klinisch entwickeln, zulassen und ver-
markten.314
Als Fazit kann konstatiert werden, daß Innovationen und das Gewährleisten von
Innovationsfähigkeit für den Erfolg von Unternehmen eine hohe Bedeutung haben.
Der Grad der Wichtigkeit hängt vom technologischen Umfeld der jeweiligen Branche
und d em Auftreten grundlegender Basisinnovationen in relevanten Feldern ab. Eine
Verkürzung der lnnovationszyklen, eine immer schnellere Potentialausnutzung von
bestehenden S-Kurven und damit schnellere Time-to-market-Zeiten stellen hohe An-
forderungen an die Reaktionsfähigkeit und strategischen Konzeptionen der Unter-
nehmen, insbesondere in Hochtechnologie-Geschäftsfeldern dar.315 In diesen Berei-
chen, zu denen gerade auch die Biotechnologie zählt, sind die Unternehmen die
Promotoren der Innovationen und der kommerziellen Umsetzung neuer wissen-
schaftlicher Erkenntnisse in marktfähige Produkte. Innovationsgenerierung ist in
diesen Unternehmen ein herausragendes strategisches Thema, ein "agenda setting
issue" für das Management (siehe Abbildung III.6).
Abbildung l//.6: Ansatzpunkte aus der In nova tionsdebatte fü r eine Strategiekon zeption und
Thesenentwicklung
Quelle: Eigene Darstellung
92
Create like a god - command like a king - work like a slave
Guy Kawasaki I Brancusi
93
Bemerkenswert erscheint, daß bereits in klassisch ökonomischen Beiträgen, dem
Unternehmer bzw. Unternehmensgründer eine funktionale Bedeutung für den wirt-
schaftlichen Prozeß einer Volkswirtschaft insgesamt beigemessen wird.321 Bei dieser
Betrachtungsweise verschmelzen die individuellen Motive und Zielvorstellungen
des Unternehmers mit objektiven, im gesamtwirtschaftlichen Interesse liegenden
Zielen. Eine solche Rolle trifft insbesondere für wertschöpfungs- und technologie-
intensive Unternehmen zu. "So nimmt der Gründer einer Technologie-orientierten
Unternehmung unbewußt die soziale Funktion der Weiterentwicklung der Wirt-
schaftsstruktur wahr, obwohl er vielleicht in seinem individuellen Streben durch rein
eigennützige Motive getrieben wird. Der Gründer kann somit ohne eigene Absicht
zum Träger einer gesamtwirtschaftlich und- gesellschaftlich relevanten Funktion ...
werden, die ohne seine Existenz nicht oder nur mit geringerer Effizienz und Durch-
setzungswahrscheinlichkeit wahrgenommen würde."322 Eine Diskussion der ver-
schiedenen Komponenten einer wirtschaftlichen Funktionserfüllung durch
Entrepreneure soll das Verständnis für Technologie-orientierte Startup-Unternehmen
verbessern. 323
321 Vgl. z.B. Knight (1921) S. 13-15; zur Verwendung des Unternehmerbegriffs von Cantillon, Say, Weber und
Schumpeter vgl. auch Kolshom/Tomecko (1998) S. 171-172.
322 Szyperski/ Nathusius (1977a) S. 3.
323 Eine ausführliche Analyse, differenziert nach ökonomischen Sichtweisen, wird in Kap. IV.l vorgenommen
324 Vgl. Schneider (1988) S. 60-64.
325 Schumpeter (1911) S. 100.
326 Schneiderbezeichnet den Administrator auch als 'Ökonomisierer', vgl. Schneider (1988) S. 65-69.
327 Zu den Unterschieden zwischen 'Entrepreneur' und 'Administrator', vgl. Stevensen (1998) S. 8-21.
94
strukturen und Marktprozesse gelten als stabilisierend, um die existierende Position
zu arrondieren und zu festigen.328 Aktivitäten werden nur in abgestimmter Form
unternommen, um persönliche Risiken auszuschließen. Ihm fehlt die Kreativität und
Innovationsstärke, die den Unternehmer auszeichnet und zum Promotor von Verän-
derungsprozessen werden läßt. Der Administrator unterscheidet sich grundsätzlich
vom Unternehmer.329 Seine Rolle entspricht Erscheinungsformen, die teilweise von
Managern in großen Unternehmen ausgeübt werden.330 Administrative Eigen-
schaften sind nicht an bestimmte Organisationsformen oder -größen gebunden. Sie
bilden sich aber häufig in großen bürokratielastigen Strukturen aus, zu denen z.T.
auch Großunternehmen zählen.
Eine Klärung und Präzisierung der Begriffsinhalte des "Unternehmers" ist sinnvoll,
allerdings führt die definitorische Debatte z.T. zu stark fragmentierten Bedeutungs-
inhalten. Der allgemeine Kenntnisstand wird durch unübersichtliche definitorische
Diskussionen wenig vergleichbar und nicht entscheidend weiterentwickelt.334
Daneben läuft die theoretische Aufarbeitung Gefahr, sich zu weit vom praktischen
95
Untersuchungsgegenstand zu entfernen. Erfolgreiche Modelle des Unternehmer-
seins in der wirtschaftlichen Realität implizieren sowohl das innovative Moment als
auch das gestalterisch organisatorische Element. Für den weiteren Fortgang der
Arbeit wird aus diesem Grund, bei Beibehaltung der unterschiedlichen Verständnis-
dimensionen, Innovation und organisatorische Gestaltung, ein umfassender Unter-
nehmerbegriff verwendet, der beide Bedeutungsinhalte einschließt.
97
2.2 Typologien von Unternehmensgründungen
Zum tieferen Verständnis des Phänomens 'schnell wachsender Unternehmen' in der
Biotechnologie ist eine typologisierende Einordnung in die Gründungsthematik
erforderlich. Grundsätzlich existieren verschiedene Auslöser und unterschiedliche
Motive für die Gründung eines Unternehmens. In der wissenschaftlichen Diskussion
ergeben sich vielfältige Ansatzpunkte, die jeweiligen Gründungstypen zu charakte-
risieren und mit Beispielen zu hinterlegen.344 Das Ziel der vorliegenden Ausfüh-
rungen liegt insbesondere in einer Strukturierung der für biotechnologische Unter-
nehmen relevanten Typologien. Als Grundlage für die weiterführende Unter-
suchung wird eine geeignete Arbeitsdefinition synthetisiert.
Eine der ersten und in der Literatur vielfach zitierten Kategorisierungen wurde von
Szyperski/Nathusius vorgelegt, die Gründungsformen nach den Kriterien 'Neuigkeit'
und 'Selbständigkeit' differenzieren.345 Dieses Modell stellt für die Herausarbeitung
kritischer Gesichtspunkte eine gute Grundlage dar, auf der eine eigene Segmentie-
rung vorgeschlagen und diskutiert wird. Aus der Kriterienmatrix bilden die Au-
toren vier Unternehmenstypen (siehe Tabelle III.1):
Die Fusion/Umgründung (1) und die Existenzgründung durch Betriebsübernahme (3) sind
derivative Gründungsformen von bereits bestehenden Geschäftseinheiten. Sie stel-
len die juristische Neugründung einer bereits bestehenden wirtschaftlichen Einheit
dar, aber keine originäre Gründung, bei der ein neues Unternehmen entsteht, das
durch ein einmaliges, bisher nicht vorhandenes Angebot am Marktgeschehen teil-
nimmt. Die zweite Differenzierungskategorie, die originären Gründungsformen,
werden nach dem Grad der Selbständigkeit differenziert. Eine Betriebsgründung (2)
stellt eine neue wirtschaftliche und juristische Einheit eines bereits bestehenden
Unternehmens dar, während die Unternehmensgründung (4) sowohl originär als auch
selbständig initiiert wird. Im Gegensatz zu einer von einer selbständigen Person
initiierten Gründung gehen die Autoren davon aus, daß die Muttergesellschaft über
Unternehmerische Erfahrung und fachliches Wissen verfügt, die eine Gründung
344 Grundlegende Überlegungen bei Szyperski/Nathusius (1977a) S. 26-30; ausführlicher bei Unterkoller (1989)
s. 45-66.
345 Vgl. Szyperski/Nathusius (1977a) S. 26-30.
98
notwendigerweise erleichtern.346 Kritisch ist zu bemerken, daß auch natürliche Per-
sonen über notwendige Gründererfahrung und fachliche Kenntnisse verfügen
können, die eine Gründung erleichtern, insbesondere wenn es sich um ein Grün-
dungsteam mit verschiedenen Qualifikationen handelt. Daneben kann institutio-
nelles Know-how einer größeren Gesellschaft oder auch ein Personentransfer nach-
teilig für den nachhaltigen Erfolg des Geschäftes sein, wenn z.B. Unternehmerische
Freiheiten, Flexibilität und Kreativität durch institutionelle Hemmnisse einge-
schränkt werden.347
99
~-...! Untersuchungsfokus
Ursprung
Konsolidierung/
Schnell Wach- Start-up mit Expansion in neue Wachstum
Anspruch sendes innova- eingeschränktem Geschäftsbereiche bestehender
tives Start-up Innovationsgrad
Geschäftsbereiche
• Der 'Typ des innovativen, aber nicht schnell wachsenden Unternehmens' wird nicht systematisch berück-
sichtigt. Innovative Unternehmen haben das Ziel, schnell zu wachsen. Wenn sie das nicht erreichen,
ist dies Ausdruck eines strategischen Mißerfolgs, aber keine grundsätzliche Unternehmensty pologie.
Der 'Typ des nicht innovativen, aber schnell wachsenden Unternehmens' wird in der vorliegenden Dar-
stellung aus konzeptionellem Grund nicht als Kategorie definiert. 'Innovativ' hat in diesem Fall nicht
nur eine technologische Bedeutung, sondern umfaßt auch eine grundsätzliche Innovationsfähig keit im
Vergleich zum Wettbewerb. In diesem Sinne ist schnelles Wachstum ohne einen originär-innovat iven
Beitrag selten nachhaltig und somit auch nicht grundsätzlich typologisierend.
100
oder im Dienstleistungssektor, z. B. als Franchisesystem. Es findet keine grundsätz-
liche Marktinnovation statt.352
Neben dem originären Startup-Unternehmen kann auch die gesellschaftliche Aus-
gründung differenzierter dargestellt werden. Eine Verselbständigung bereits beste-
hender Geschäftsbereiche durch Fusion, JointVenture, MBO oder Verkauf dient i.d.R.
der Restrukturierung, der Realisierung höherer Profilabilität bzw. einer Konzen-
tration auf das Kerngeschäft durch die Muttergesellschaft
Einen völlig anderen Fokus hat dagegen der Aufbau einer separaten Unternehmeri-
schen Einheit. Mit dem Aufbau eines neuen Geschäftsbereichs werden organisatorische
und motivatorische Rahmenbedingungen geschaffen, die den innovativen und
flexiblen Startup-Unternehmen nachempfunden sind.353 Dieser 'Venture Approach'
bezeichnet konzerninterne Programme, die Unternehmerische Aktivitäten fördern
sollen. "Venture Management .. .is seen as a viable alternative to acquisitions as a
means of entering new business areas; it allows firms to exploit technologies which
do not altogether fit into existing operations and .. .it combines the flexibility and
entrepreneurial abilities of the small company with the considerable advantage of
size".354 Neben dem Zielsystem eines Venture Managements, das dem der schnell
wachsenden und innovativen Startups sehr nahe ist, wird auch die Ressourcenzu-
teilung häufig nach Kriterien von Venture Capital Gesellschaften praktiziert.355 Es
soll ein unternehmensinterner Marktplatz für die besten Projekte und Ideen realisiert
werden. Hierfür wird z.B. "Corporate Venture Capital" verwendet oder unterneh-
mensinterne Businessplan Wettbewerbe als Ideengeneratoren und Initialzündung.356
Diese neuen Geschäftsbereiche können z.B. als Joint Venture, als Spin-off oder als
Startup mit BK-Beteiligung geführt werden.357 In vielen Fällen sind dies Geschäfts-
felder, die von originären Startups dominiert werden, z.B. Software, Internet oder
Biotechnologie. Die gesellschaftlichen Ausgründungen stellen eine Methode dar,
unternehmerisches Denken, Motivation und eine kreative Begeisterung für größere
Unternehmen zu erschließen. Etablierte Unternehmen können auf diese Weise an
der innovativen Dynamik von Startup Unternehmen partizipieren.358 Beispielsweise
verschlanken die großen Pharma-Unternehmen ihre internen Forschungsprozesse
352 Vgl. Rentrop (1985) S. 20-40: Rentrop bezeichnet die Gründungskonzeption einer innovativen Imitation als den
Transfer eines bewährten Unternehmenskonzeptes in einen anderen Markt.
353 Vgl. Servatius (1988) S. 158-250; vgl. Albach (1999) S. 418-419: Albach erkennt das Motivationsproblem nicht
nur als Problem der optimalen Delegation von Aufgaben in einem normalen Principal-Agent-Verhältnis,
sondern mißt ihm strategische Bedeutung die erfolgreiche Positionierung eines Unternehmens im Wettbe-
werb bei.
354 Rothwell/ Zegveld (1982) S. 96.
355 Vgl. Servatius (1988) S. 170-195.
356 Vgl. z.B. McNally (1997) S. 33-45; andere Gestaltungsinhalte reichen von einer externe VCG, VCG plus Unter-
stützung bei funktionalen Aufgaben, z.B. Marketing, Vertrieb, Produktion etc., Joint inside-outside ventures-
Kooperationen mit externen Startups (z.B. die Zusammenarbeit von BASF und dem US Biotech-Unternehmen
Lynx im Gemeinschaftsunternehmen BASF-Lynx, Heidelberg) bis zu einem 'New venture' innerhalb der
bestehenden Organisation, vgl. Rothwell/Zegveld (1982) S. 97-101.
357 Ausführlichere Darstellung einer Spin-Off-Gründung vgl. Kuipers (1990) S. 25-27.
358 Servatius sieht in Yenlure Management und der Förderung von lntrapreneuren die strategischen Antworten
für die Innovationsherausforderungen großer Unternehmen, vgl. Servatius (1988) S. 216-255.
101
und integrieren verstärkt Leistungen und Produkte von innovativen Biotech Start-
ups. Diese Entwicklung läuft parallel zur gleichzeitigen Konzentration unter den
Pharma-Unternehmen.359 Ein anderes Beispiel stellt das schweizer Pharma-Unter-
nehmen Rache dar, das seit 1999 zusammen mit ausgewählten Universitäten und
Instituten in Deutschland junge Biotech Startups gründet. Der Fokus der weiteren
Untersuchung liegt auf dem schnell wachsenden innovativem Startup-Unternehmen
in der Biotechnologie Industrie.
102
Umfeld des Massachusetts Institut of Technology (MIT) an der Route 128, und in
Silicon Valley, im Umfeld der Standford Universität, in den Blickpunkt der For-
schung.362 Die Schwäche der großen Unternehmen, den globalen Wettbewerb dyna-
misch zu führen, der Verlust an "competitive vigor", sinkende Produktivitäts-
gewinne der Wirtschaft insgesamt führten zu einer Neubelebung der Entrepreneur-
ship Debatte.363 R. Reagan erklärte die achtziger Jahre zum "Age of the Entre-
preneur", auch ein ideologischer Versuch, den 'Unternehmer' als Inbegriff amerika-
nischer Werte -Individualismus, Initiative, Erfolg und Reichtum - ins allgemeine
gesellschaftliche Bewußtsein zu bringen und zu usurpieren: der Archetyp des ame-
rikanischen Traums, der Träger stetigen Wandels hin zu einer verbesserten Welt.
"They [the entrepreneurs- A.d.V.] achieve what Jefferson hoped to achieve through
revolution in every generation, and they do so without bloodshet ... but with pur-
pose, direction and under control", wie Drucker sich ausdrückte.364 Die Beispiele von
jungen Computer- oder Biotech-Firmen wie Apple oder Genentech verkörperten die
neuen Erfolgsgeschichten. Junge Startup-Unternehmen entwickelten sich zu Pio-
nieren der neuen innovationsstarken Informations- und Biotechnologie-Industrie.
Durch Überwindung technologischer Diskontinuitäten und mit neuen unternehme-
rischen Konzepten wurden sie zu Konkurrenten der etablierten multinationalen
Großunternehmen, entwickelten marktbestimmende Standards und behaupteten
diese.365
362 Zur katalysatorischen Wirkung des MIT für die Herausbildung des 'High-tech-Entrepreneurs' vgl. Roberts
(1991).
Zum Forschungsstand Anfang der achtziger Jahre vgl. beispielhaft Kulicke (1993) S. 1, 3-5; Unter-
suchungen zu den Gründungszentren Boston Route 128 und Silicon Valley vgl. auch Kulicke (1987) S. 29-33;
vgl. Baptista (1998) S. 39-41; vgl. Drucker (1984) S. 58-64; Unternehmertum wurde zunehmend als Lösungs-
ansatz für die wirtschaftlichen Probleme einer Volkswirtschaft erkannt, vor allem bei der Hervorbringung
neuer Technologien und der Schaffung von Arbeitsplätzen; ausführliche empirische Untersuchung über die
ökonomische Bedeutung und regionale Cluster junger innovativer Startup-Unternehmen für die USA in der
ersten Hälfte der achtziger Jahre bei Birch (1987) S. 6-24, 135-165; vgl. auch Lück/Böhmer (1994) S. 415-417;
vgl. auch Picot/Laub/Schneider (1989) und Dietz (1989); Stand Beginn der neunziger Jahre bei Klandt (1993).
363 Vgl. Abernathy /Hayes (1980) S. 67-68; vgl. HebertfLink (1989) S. 40; erste Thesen zu der großen Bedeutung
kleiner und mittlerer Unternehmen für Innovationen und Beschäftigung leitete Birch aus einer Studie über die
Entwicklung in den USA ab, vgl. Birch (1979).
364 Drucker (1994) S. 253.
365 Als Exemplarbeispiel in der Informationstechnologie gilt das "Wintel''- Duopol, Intel und Microsoft, die den
weltgrößten Konzern IBM als dominierendes Unternehmen im PC Markt Ende der achtziger Jahre ablösten.
Biotechnologische Startup-Unternehmen haben eine Neuorientierung der Pharma-Industrie auf biopharma-
zeutische Verfahren zur Gewinnung von Therapeutika und Diagnostika erreicht. Genenlech entwickelte das
erste Humanprotein (Insulin) mit biotechnologischen Methoden (siehe Kap. II.).
103
Disziplin behindert. 366 Die hohe praktische Relevanz und die plötzliche öffentliche
Aufmerksamkeit des Entrepreneurship-Themas hat zu vielen anwendungsorien-
tierten Beiträgen im Handbuch-Charakter geführt - ein Ausdruck des neuen 'Mega-
themas'-, die den theoretischen und empirischen Erkenntnisprozeß allerdings nur
wenig vorangebracht haben.367 Die Einschätzung " ... despite the nurober of
published papers that might be considered related to the theory of entrepreneurship,
no generally accepted theory of entrepreneurship has emerged ... "368 spiegelt den
sowohl in Deutschland als auch in den USA festgestellten Mangel an Konzeptiona-
lisierung und theoretischen Entwicklungslinien der Entrepreneurship-Arbeiten
wieder. Diese Defizite an theoretischen Konzeptionen, Analysen und Instrumenten
wird z.T. als Ursache für die hohe Zahl an Unternehmen angesehen, die in den ersten
Jahren ihrer Entwicklung gescheitert sind.369 Es existieren Ansatzpunkte in der
Literatur, insbesondere aus der ökonomischen Theorie und aus verhaltenswissen-
schaftlichen Untersuchungen, die die Entstehung und die wahrgenommenen Funk-
tionen von jungen Unternehmen analysieren und erklären.370 Ziel der neueren For-
schung wurde es "to construct an interpretive framework capable of illuminating the
nature of entrepreneurship and its role in economic theory".371 Der historische und
ideengeschichtliche Zusammenhang zwischen diesen Ansätzen aus der ökono-
mischen Theorie und neueren aus der sich konstituierenden Entrepreneurship-For-
schung wurde allerdings z.T. sehr vernachlässigt. Es ist erst einigen wegweisenden
Beiträgen gelungen, eine systematische inhaltliche Einheit zu formen.372 Eine stär-
kere Berücksichtigung der Entrepreneurship Thematik in der Hochschulausbildung
und -lehre setzte in den USA erstmals in den achtziger Jahren ein, während in
366 Zum Theoriedefizit vgl. beispielhaft Szyperski/Nathusius (1977a) S. 36; Kirzner (1988) S. 124-125; vgl.
Brüderle et al. (1996) S. 18, 20-21; vgl. Klandt/Müller-Böling (1990) S. 143-145; vgl. Lück/Böhmer (1994) S. 407-
410; Picot/Laub/Schneider (1989) S. 2; vgl. Schneider (1988) S. 58; siehe auch Kap. Il/.2.1; Kirzner bemerkt nach
umfangreicher Sichtung des Themengebietes Anfang der achtziger Jahre, daß "the concept of
entrepreneurship remains elusive" (Kirzner (1982b) S. 289.); zur Beurteilung der theoretischen Erkenntnisse
aus empirischen Studien Mitte der achtziger Jahre, vgl. Unterkofler (1989) S. 32-33; auch Bygrave fordert mehr
empirische Methoden als theoretische Modellierung und zieht Parallelen zur naturwissenschaftlichen
Forschung, vgl. Bygrave (1989). Eine Gegenposition zur herrschenden Meinung vertreten Frank/Plaschka. Der
Vorwurf eines Theoriedefizits ist nach ihrer Einschätzung ein immer wieder vorgebrachtes Argument
gegenüber jungen Wissenschaften, der im Fall der Entrepreneur-Forschung nicht den aktuellen Erkenntnissen
Rechnung trägt, vgl. Frank/Plaschka (1995) S 937-940.
367 Vgl. Aldrich (1992); Trondsen (1997) S. 88; sehr praxisorientierte Artikel beispielsweise in HBR (1991); vgl.
Finger/ Samwer (1998).
368 Bull/Willard (1996) S. 1.
369 Vgl. Hunsdiek (1987) 5. 1-8, vgl. Schneider (1988) S. 3.
370 Vgl. exemplarisch Schumpeter (1952) 5. 99-139; vgl. Kirzner (1988) S. 196-204: der Unternehmer als Funk-
tionsträger im Marktgeschehen; vgl. Lück/Böhmer (1994) S. 403; vgl. auch Szyperski (1977) S.ll-13: Unter-
nehmensgründungenwerden als Mittel der Regenerationsfähigkeit des volkswirtschaftlichen Gesamtsystems
gesehen, um einen ,optimalen Konzentrationsgrad' der Wirtschaft zu erzielen.
371 HebertfLink (1989) S. 39.
372 Vgl. insbesondere Beiträge von HebertfLink (1988), (1989) und Ripsas (1997), Behrend (1998) für die deutsche
Forschungslandschaft.
104
Deutschland rund zehn Jahre später die Bedeutung für die Wirtschaftswissen-
schaften erkannt und Lehrstühle an Universitäten geschaffen wurden.373
Eine zweite Dimension der Entrepreneurship-Konzeption betrifft die Ausgestaltung
von Unternehmerischen Zielsystemen. Ziele determinieren die Ausprägung einer
Strategie und die Wahl des Geschäftsmodells einer Unternehmung. In ihnen mani-
festiert sich das Verständnis von 'Erfolg', von 'Anreizstrukturen' und 'Stakeholdern'
der Unternehmung. Die beiden grundlegenden Zielsysteme gehen auf Überlegun-
gen organisationstheoretischer Konzepte zur Theorie der Unternehmung zurück.
Ins'besondere die Ideen der behavioristischen und der Property Rights Ansätze
untermauern die beiden dargestellten 'Satisfier'- und 'Maximiser'- Konzepte. Die
Definition eines adäquaten Zielsystems wird insbesondere für junge wachstums-
starke Unternehmen zu einer strategischen Fragestellung. Sie charakterisiert den
Lösungsraum für die jeweiligen Unternehmerischen Geschäftsmodelle und fungiert
als die entscheidende Bemessungsgrundlage für Erfolg. Startup-Unternehmen in der
Biotech-Industrie mit großen Abhängigkeiten von externen Kapitalgebern, bildet die
Klärung und Operationalisierung eines übergeordneten Zielsystems, das die Bedürf-
nisse der Finanzinvestoren berücksichtigt, die Grundlage für ein umfassendes lang-
fristiges unternehmerisches Konzept.
Eine weitere Dimension bei der Erörterung wachstumsstarker Unternehmen gründet
in der Phasenkonzeption unternehmerischer Entwicklung. Beruhend auf einer
Lebenszyklusbetrachtung eröffnet diese dynamische Betrachtungsweise einen ge-
eigneten zeitlichen Horizont, um eine langfristige Strategiekonzeption zu verfolgen.
Insbesondere neue Technologie-orientierte Unternehmen durchlaufen verschiedene
Stufen des geschäftlichen Wachstums, mit denen sich auch die jeweiligen finan-
ziellen Bedürfnisse entwickeln.374 Der Erfolg von jungen Unternehmen kann nur
nach Ablauf eines angemessenen Zeitraums beurteilt werden, wenn sowohl der
Erfolg als auch der Mißerfolg von Strategien eintreten konnten. Die einzelnen Ent-
wicklungsphasen bilden ein formales Gerüst, das mit einer unternehmensindivi-
duellen Strategie und Geschäftsmodeliierung ausgestaltet wird. Für unternehmens-
externe Akteure stellen zu erreichende Meilensteine einer jeden Phase klare Refe-
renzpunkte dar, wenn junge, innovative und wachstumsstarke Unternehmen ver-
glichen und als Investitionsobjekt beurteilt werden. Die notwendigen Entwicklungs-
schritte werden analysiert und antizipiert sowie geeignete Unternehmerische Ent-
scheidungen und Aktivitäten in den jeweiligen Entscheidungspunkten, z.B. bei
Finanzierungsrunden, geplant. Eine Analyse dieser Unternehmerischen Phasen
beginnend mit dem Gründungszeitpunkt liefert die Grundlage zum Verständnis von
Entwicklungspfaden von Startup-Unternehmen in der biotechnologischen Industrie.
Die drei dargestellten inhaltlichen Dimensionen aus den Entrepreneurship-Ansätzen
bieten Anhaltspunkte für die Generierung und Ausgestaltung eines strategischen Be-
zugsrahmens von innovativen und wachstumsstarken Biotech-Unternehmen. Die zu
373 Zum Thema Entrepreneurship Ausbildung vgl. insbesondere Ripsas (1997) S. 231-277, Ripsas (1998) S. 217-
233, Klandt (1999) S. 245-255 und Grant (1998) S. 235-244; Lehrstühle entstanden u.a. an den deutschen Uni-
versitäten Karlsruhe, Köln, Mannheim, Münster und Oestrich-Winkel.
374 Vgl. Roberts (1991) S. 124-129.
105
diskutierenden Gedankengänge spiegeln den besonderen Charakter historisch junger
und organisatorisch kleiner Einheiten wider. In ihnen drückt sich die 'entrepreneuri-
sche' Facette der zu erarbeitenden Strategiekonzeption aus.
106
statischen neoklassischen Modellen, sondern nur mit dynamischen Marktprozessen
erklärbar.J82 Interessante Erkenntnisse konnten insbesondere zu vier Funktionen des
Unternehmers gewonnen werden, die für die weitere Untersuchung von Bedeutung
sind und im folgenden erörtert werden: die Übernahme wirtschaftlicher Unsicher-
heit, die Beseitigung von Marktungleichgewichten, die Durchsetzung von Innova-
tionen und die Koordination des Ressourceneinsatzes (siehe Abbildung IV.1).383
382 Zu Aussagen des Austrianismus vgl. Schneider (1988) S. 37-48; als Vertreter der Österreichischen Schule gel-
ten Carl Menger, Ludwig von Mises, Israel Kirzner, August von Hayek, Joseph Schumpeter, G. Shackle, zur Bedeu-
tung der Österreichischen Schule für die theoretische Nationalökonomie und ihre inhaltlichen Positionen, vgl.
Peukert (1998) S. 117-276.
383 Siehe hierzu die Überblicksarbeiten von Casson (1982), Bari·eto (1989) und HebertfLink (1988/1989). Andere
Autoren sind in ihren Erklärungsansätzen weniger umfassend und gleichzeitig auch weniger spezifisch. Vgl.
Sandberg (1986) S. 30-32 für die USA; bei Klandt (1984) S. 28-29 oder Kuipers (1990) S. 11, existiert z.B. keine
Differenzierung zwischen Unsicherheit und Arbitrage.
384 Vgl. Casson (1982) S. 370-373.
385 Risiken werden in modernen Volkswirtschaften beispielsweise über derivative Instrumente an den Kapital-
märkten abgesichert und bewertet, vgl. Uszczapowski (1999) S. 14-15.
386 Vgl. Miles (1980) S. 198-200.
387 Im Unterschied zu risikolosem Einkommen unselbständiger Arbeit, vgl. Kihlstrom/Laffont (1979) S. 719-721,
734.
388 Diese Überlegungen gehen bereits auf Knight (1921 ), S. 268-275, zurück.
389 Vgl. Ripperger (1998) S. 14-34; im Sinne des ökonomischen Vertragsverständnisses hängt der Grad der Un-
sicherheitsbegrenzung vom Grad der Rationalität der Akteure ab. Unsicherheit entspringt somit unvollstän-
digen Verträgen.
107
Dieses Element der Unternehmerischen Unsicherheit steigert sich, wenn bei einem
technologiegetriebenen Unternehmensmodell die wissenschaftlich-technologische
Unsicherheit hinzu kommt.390 Diese Unsicherheit, die in verschiedenen Ansätzen,
beispielsweise in Szenario- oder Optionspreismodellen zu bestimmen versucht wird,
stellt eine konstituierende Determinante von forschungsintensiven Biotech-Unter-
nehmen dar. Das hohe Chancen-/Risikoprofil von Biotech-Unternehmen ist ein
Ergebnis des sehr hohen immanenten Unsicherheitsfaktors (siehe hierzu Kapitel Il.).
108
(3) Durchsetzung von Innovationen
Ein anderes in der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung anzutreffendes Leit-
motiv ist die Rolle des Unternehmers als Promotor von Innovationen. Schumpeter hat
diese Sichtweise durch sein Werk begründet und bis heute entscheidend geprägt. In
seiner 'Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung' ist der Unternehmer der Prota-
gonist eines radikalen und in diskontinuierlichen Bahnen verlaufenden Verände-
rungsprozesses.396 Nach seinen Überlegungen existieren im marktwirtschaftliehen
System inhärente dynamische Kräfte, die zu neuen Marktkonstellationen führen,
wenn sie von einem Promotor aufgegriffen und umgesetzt werden.397 Das unter-
nehmerische Handeln führt nicht zu Marktgleichgewichten wie beim Ansatz von
Kirzner, sondern ist Auslöser von innovativen Prozessen, die zu Ungleichgewichten
des Marktes führen.398 Die latenten Veränderungsprozesse, die durch den Unter-
nehmer ausgeführt werden, charakterisieren eine Marktwirtschaft.399 Der "Prozeß
einer industriellen Mutation, ... der unaufhörlich die Wirtschaftsstruktur von innen
heraus [Hervorhebung im Original - A.d.V.] revolutioniert, unaufhörlich die alte
Struktur zerstört und unaufhörlich eine neue schafft. .. dieser Prozeß der 'schöpfe-
rischen Zerstörung' [Hervorhebung im Original - A.d.V.] ist das für den Kapita-
lismus wesentliche Faktum."400
109
oder Erfindens" und der Umsetzung dieser Invention im Markt als "neue Kombi-
nation". Die Funktion des Erfinders oder überhaupt des Technikers und die des
Unternehmers fallen nicht zusammen .... der Unternehmer als solcher ist nicht
geistiger Schöpfer der neuen Kombinationen ... [und wenn doch, dann - A.d.V.]
... grundsätzlich nur zufälligerweise."406 Diese Unterscheidung erscheint für die
weitere Analyse von Biotech-Unternehmen interessant. Unternehmen sind demnach
in erster Linie Konsequenz der kommerziellen Umsetzung eines entwickelten
Produktes oder Verfahrens im Markt. Wissenschaftliche Ergebnisse dienen als
Voraussetzung bzw. Vehikel zum wirtschaftlichen Erfolg (siehe auch Kap. III. 2.3).
Hieraus ergibt sich eine unterschiedliche Betrachtungsweise für die Forschung und
die Unternehmensführung in der Biotechnologie, auch wenn Wissenschafts- und
Unternehmerrolle in einer Person zusammen fallen.
110
Zustandekommen einer Transaktion muß ein Markt geschaffen werden. Die Organi-
sation eines Handels, der Prozeß bis zum Abschluß eines Vertrages, in dem Angebot
und Nachfrage vereinigt werden, impliziert Transaktionskosten, die als Initial-
investition vom Unternehmer zu übernehmen sind. Nur so kann er seine Ressour-
cenallokation erfolgreich am Markt umsetzen. Die vorhandenen Ressourcenalloka-
tionen werden durch Eigentumsrechte verbrieft, die den Marktakteuren zur Verfü-
gung stehen. Eine Minimierung der Transaktionskosten ist somit für den Unterneh-
merischen Erfolg mitentscheidend.414 Der Unternehmer wird zum "Market Maker"
zwischen Angebots- und Nachfragepositionen. Nach Picot et al. nimmt er gleich-
zeitig die Funktion des Informations-, Markt- und Ressourcenkoordinators ein.415
Beide grundsätzlichen Aufgaben, ein besserer Ressourceneinsatz und die Vertrags-
schließung, verleihen dem Unternehmer die Legitimation als Koordinator auf den
Produkt- und Faktormärkten zu agieren. Um seine Transaktionsrisiken zu minimie-
ren und die Erfolgsaussichten bei der Ressourcenkoordination zu verbessern, muß
der Unternehmer die bestehenden Informationsasymmetrien zu seinem Vorteil
nutzen. Informationen werden auch aktiv am Markt eingekauft.416 Der Grad der
Koordinationsleistung bestimmt die Höhe des Gewinns, den der Unternehmer
erwirtschaften kann.417 Für die weitere Erörterung von Strategiekonzepten und
Geschäftsmodellen bei Biotech-Unternehmen sind die Aspekte der Markttrans-
aktionen, Eigentumsrechte, Nutzung von Informationsvorteilen und Koordinations-
leistungen von Bedeutung.418
111
Funktionserfüllung
durch Unternehmer ._____K_e_r_n_p_u_n_k_te_ _ _, L I_ _ H_a_u_p_tv_e_rt_re_t_e_r_ __J
419 Die Anstrengungen zur Theoriebildung, die sich an empirischen Ergebnissen orientieren, sind notwendig,
um die Weiterentwicklung von Heuristiken und eine zunehmend differenziertere Zielausrichtung zukünf-
tiger empirischer Arbeiten zu gewährleisten. Zum Themenkomplex Strukturierungsansätze für empirische
Forschungsarbeiten, vgl. auch Kuipers (1990) S. 43-46. Zur Problematik induktiver Verfahren siehe Kap. V.
1.1.
112
fähigkeit zu erreichen.420 Junge Unternehmen werden sehr stark von einer Gründer-
Unternehmer-Orientierung geprägt, die die Entwicklung der Unternehmung deter-
minieren, so daß ein Verständnis dieser Rolle sinnvoll erscheint.421 Individuelle Ver-
haltensformen werden dabei in der Regel als kausales Ergebnis interdependenter
sozialpsychologischer Einflußfaktoren interpretiert.422 Casson behauptete Anfang
der achtziger Jahre sogar, daß " .. the subject area [theory of entrepreneurship -
A.d.V.] has been surrendered by economists to sociologists, psychologists and politi-
cal scientists ... almost all the social sciences have a theory of the entrepreneur, except
economics."423 Die verhaltenswissenschaftlichen Forschungsbeiträge lassen sich in
zwei wesentliche Segmente einteilen: 424 die Persönlichkeits-orientierten Ansätze und
die Cluster-orientierten Ansätze.
420 Vgl. Klandt (1984) S. 30-31: Funktionale Ansätze geben, nach Ansicht verhaltenswissenschaftlicher Autoren,
nur ex-post-Erklärungen.
421 Vgl. Schneider (1988) S. 59-60.
422 Grundlage ist hierfür in vielen sozialpsychologischen Untersuchungen der feldtheoretische Ansatz von Lewin,
vgl. Lewin (1951).
423 Casson (1982) S. 9.
424vgl. Klandt (1984) S. 46-60, 118-325; vgl. Plaschka (1986) 5. 79-171; vgl. Kuipers (1990) 5. 75-111, 153-233; in der
Literatur existieren weitere Segmentierungen, z.B. exogene, endogene oder externe, interne Untersuchungs-
faktoren vgl. Unterkoller (1989) 5. 13-14.
425 Vgl. 5zyperski/Nathusius (1977a) 5. 20.
426 Vgl. Lück/Böhmer (1994) 5. 406; vgl. Dietz (1989) 5. 309-346; von einigen Autoren wird allerdings kritisiert,
daß sich die Forschungsarbeiten zu einseitig auf die Unternehmerperson als Monokausalität des Erfolgs kon-
zentrieren und zu wenig bereits erarbeitete Thesen und Erkenntnisse in neue Forschungsdesigns einbeziehen.
Dies führt zu einer fragmentierten, zu wenig wechselseitig validierten und isolierten Entrepreneurship For-
schung, vgl. z.B. Brüderl/Preisendörfer /Ziegler (1996) 5. 14.
427 Vgl. insbesondere die Grundlagenarbeit von Klandt (1984); siehe auch 5zyperski/Nathusius (1977a) 5.38-47;
vgl. Kulicke et al. (1993) 5. 32-35.
113
charakterliche und persönlichkeitsbildende Faktoren sowie das Fähigkeitenprofil des
Unternehmers. Sozio-demographische und charakterliche Faktoren lassen nur sehr
bedingt generalisierende Hypothesen über erfolgreiche Unternehmerpersönlich-
keiten zu. Scheinbar normative Aussagen über Alter, Geschlecht, Familienstand oder
Charaktereigenschaften sind i.d.R. auf Auswahlspezifika des Untersuchungsdesigns
und die jeweiligen situativen Faktoren zurückzuführen.428 Die Individualität der
Persönlichkeiten und die Differenziertheit der Unternehmerischen Aktivitäten
erscheinen zu komplex, um auf einige wenige Kernpunkte reduziert zu werden.429
Es stellt sich hierbei auch die Frage der Sinnhaftigkeit solcher Untersuchungsaus-
sagen für wissenschaftliche Erkenntnisse.430 Eigenschaften, die einen erfolgreichen
Unternehmer auszeichnen, sind nach herrschender Meinung in der Wissenschaft
keine angeborenen Talente, sondern können durch praktische Erfahrung und sinn-
volles Coaching erlernt und antrainiert werden.431 Hierbei kommt den externen
Beratern in der Startup-Phase und insbesondere den Venture Capitalisten bzw.
Businessplan Coaches eine große Bedeutung zu. Daneben trifft bei den persönlich-
keitsbildenden und auch bei den fähigkeitsdominierten Faktoren der Einwand der
Komplexität der situativen Gegebenheiten zu, die eine Generalisierbarkeit der Aus-
sagen erschweren, obwohl unternehmerisch denkende Persönlichkeiten eine stärkere
Präferenz für Unabhängigkeit, Leistungsbereitschaft, Machtstreben und Selbstver-
wirklichung zu haben scheinen.432 433 Trotz gewisser positiver Aussagekorrelationen
und Erkenntnisgewinnen durch persönlichkeitsbildende Studien scheint ein anderer
Aspekt eine deutlich stärkere Bedeutung zu haben, der in der Debatte bisher nur un-
428 Selbst differenzierte Persönlichkeitstests mit mehrdimensionalen Kategorien bleiben in ihrer Aussagefähig-
keit beschränkt und schablonenhaft, vgl. beispielsweise Dietz (1989) S. 347-397.
429 Beispielsweise existiert eine Vielfalt der unternehmerischen Gründungstypen. Eine grundlegende
Unterscheidung muß zwischen 'schnell wachsenden innovativen Unternehmen' und 'Unternehmen mit einge-
schränktem Innovationsgrad' getroffen werden, vgl. Albach/Hunsdiek (1987) S. 567, siehe auch Kap. 111.2.2;
zur Problematik verhaltenswissenschaftlicher Studien bemerkt Vesper "the psychological surveys focus upon
correlations of averages and norms. But entrepreneurs are individuals." Vesper (1980) S. 11, siehe auch Kap.
I/1.2.2.
430 Hierbei würde eine deterministische Vorstellung zugrunde liegen: Unternehmereigenschaften als genetisch
und sozial bedingte Ausprägungsformen.
431 Der typische Unternehmer wird als solcher nicht geboren, vgl. Goebel (1998) S. 85-92; besonders bedeutsam
ist dies bei wissenschaftlichen Gründern, die Unternehmerische Fähigkeiten erlernen und CEO-Funktionen
wahrnehmen, z.B. W. Rutter bei Chiron, G. Rathmann bei Amgen, A. Zaffaroni bei Syntex, ALZA, und DNAX,
vgl. Kornberg (1995) S. 65-94,202- 216.
432 Vgl. z.B. Kirschbaum (1990) S. 80-83; Szyperski/Nathusius bezeichnen die ,Selbstverwirklichung' als Überwin-
dung der ,.Opportunitätsschwelle"(zitiert nach Watkins ,.opportunity barrier", vgl. Watkins, D.S. Entry into
independent entrepreneurship, Kopenhagen 1976, S. 10-16): ,.Der potentielle Gründer sieht sich plötzlich und
unvorbereitet mit einer Chance konfrontiert, von der er fühlt, daß sie sich anderen wahrscheinlich zum
gleichen Zeitpunkt nicht und ihm selbst sicherlich kein zweites Mal bieten würde." Szyperski/Nathusius
(1977a) S. 20.
433 Bereits Max Weber hat auf den positiven Einfluß der geistigen Grundhaltung der protestantischen Ethik auf
die Entwicklung kapitalistischer und marktwirtschaftlicher Strukturen hingewiesen, vgl. Weber (1930) S. 47-
69; zur Kritik an Webers Protestantismus-These vgl. auch Kieser (1995) S. 48-50; zu Leistungsmotivation und
Wertemustern von Unternehmern hat McC/elland einen wesentlichen Beitrag geleistet. Er erkennt im Unter-
nehmer einerseits ein Produkt der Gesellschaft, andererseits auch den Initiator gesellschaftlicher Normen. Er
ist einer der Pioniere einer dynamischeren Vorstellung des Unternehmerverhaltens, vgl. McClelland (1961),
vgl. auch Roberts (1991) S. 48-61; vgl. Klandt (1990) S. 88-96.
114
zureichend eingebracht wurde: Die Frage der Zielsysteme und Anreizstrukturen für
Unternehmerische Aktivitäten.434
115
(2) Cluster-orientierte Ansätze
Umfeld-orientierte Arbeiten konzentrieren sich auf die Einflußfaktoren der mikro-
und makrosozialen Umwelt. Als mikrosoziale Faktorenwerden die direkten soziolo-
gischen Kontakte vor, während und in den einzelnen Phasen nach der Unterneh-
mensgründung bezeichnet.443 Dies umfaßt die privaten Beziehungen aus Familie
oder Freundeskreis, aber auch professionelle, z.B. berufliche und finanzielle Kontakt-
bzw. Unterstützungspunkte. Eine besondere Bedeutung haben die Inkubatororgani-
sationen.444 Dies sind häufig Unternehmen, in denen der potentielle Unternehmer
arbeitet, die durch ihre wirtschaftlichen Aktivitäten oder ihre Unternehmenskultur
einen prägenden Einfluß ausüben. Diese sozialen Beziehungen verändern sich im
Zeitablauf des unternehmefischen Zykluses. Sie dienen der Informationsgewinnung,
der Beschaffung finanzieller Mittel, der Kundengewinnung oder auch der emotio-
nalen Unterstützung durch nahestehende Personen.445 Die makrosozialen Faktoren
umfassen insbesondere gesellschaftliche, politische und rechtliche Rahmen-
bedingungen. 446
Untersuchungen, die die sozialen Beziehungen des Unternehmers thematisieren,
können auch als "network approach to entrepreneurship bezeichnet werden.447
Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang neben der Existenz formaler Kontakte,
beispielsweise zu Banken, Wirtschaftsprüfern, Notaren, auch ein informelles Netz-
werk frei von ökonomischen Beziehungen zu Freunden oder Gleichgesinnten in
einem ähnlichen Entscheidungsumfeld. Bei der Entstehung der Unternehmung, vor
allem in den ersten Phasen, werden von einem informellen Netzwerk auch Unter-
stützungsaufgaben erfüllt, die durch formale, institutionalisierte Stellen erbracht
werden können.448 Die zunehmend aufgebauten Unterstützungsmaßnahmen,
insbesondere bei der Kapitalausstattung, führen zu einer aktiveren Nutzung durch
die gründenden Unternehmen. Dies gilt insbesondere für Technologie-orientierte
Unternehmen mit einem hohen Kapitalbedarf. Bei starkem Wachstum stellen
externe Netzwerke auch ein strategisches Instrument dar, die begrenzenden Fak-
toren der expansiven Unternehmensentwicklung zu überwinden und notwendige
117
in Helsinki konzentriert sich auf die Gebiete Umwelt-, Lebensmittel- und Tierzucht-
biotechnologie.455
Eine Verbindung von ökonomischem Raum, definiert als Matrix von formellen und
informellen Transaktionsprozessen zwischen jungen Unternehmern, Unternehmen
oder Sektoren, und geographischem Raum, einer spezifischen Einheit von Lokalitä-
ten, hat eine große und katalysatorische Wirkung auf Innovationsgenerierung, Aus-
bildung und innovative Unternehmensgründungen.456 Einige Forscher identifi-
zieren auch eine Korrelation zwischen der Existenz von Clustern, insbesondere bei
kohärenten technologischen und branchenorientierten 'Communities', und der Wett-
bewerbsfähigkeit der Unternehmen sowie der regionalen Agglomeration
insgesamt. 457
118
liegt das Interesse auf der unternehmerisch-ökonomischen Erfolgsdimension.461
Parameter der anderen Betrachtungsebenen, z.B. eine leistungs- und kreativitäts-
fördernde Unternehmenskultur oder positive Abstrahleffekte der Unternehmerischen
Ansiedlung auf das regionale Unternehmenscluster, sollen nur als Funktionen des
ökonomischen Erfolgs der Unternehmung berücksichtigt werden.
In neoklassischen Modellen wird das Streben nach Gewinnmaximierung als einziges
Ziel der Unternehmerischen Aktivitäten definiert.462 Dies ist gleichzeitig die mo-
delltheoretische Voraussetzung, um als Unternehmen am Markt zu bestehen. Die
Unternehmung wurde als monolithische Interesseneinheit verstanden, bei der Eigen-
tümer und Unternehmer identisch sind. Daneben wird die Person des Unternehmers
mit der Institution der Unternehmung gleichgesetzt - sie wird als sein Instrument
angesehen, Güter zu produzieren und das Einkommen zu maximieren. Auch in der
Bürokratiekonzeption von Max Weber wird eine monistische Zielsetzung unterstellt,
ohne genauere Analysen von Zielsetzungsprozessen oder organisatorischer Struktu-
ren.463 Die Unternehmung an sich, das organisatorische Zusammenwirken verschie-
dener Elemente ist nicht Gegenstand der Untersuchungen - sie wird als ,black-box'
behandelt.464
Die empirisch zu konstatierende Trennung zwischen Eigentum und Management
der Unternehmung bei den Kapitalgesellschaften führte zu neuen theoretischen An-
sätzen, die sich im Gegensatz zu den klassischen Markttheorien intensiver mit der
Ziel- und Motivstruktur der verschiedenen Akteure auseinandersetzten. Erkennt-
nisse über Unternehmerische Entscheidungsprozesse, Strategien und Kontrollfragen
werden insbesondere in der managementorientierten, der behavioristischen und der
eigentumsrechtlichen Unternehmenstheorie thematisiert.465 Für den weiteren Unter-
suchungsfokus erscheinen in erster Linie zwei grundsätzliche Denkrichtungen inter-
essant, die als 'Maximizer' und 'Satisfier' Ansätze bezeichnet werden. Aus ihnen
entwickeln sich unterschiedliche Zielsysteme, die den Entwicklungspfad der jungen
Unternehmung entscheidend beeinflussen. Aus ihnen leiten sich operationalisier-
bare Erfolgskriterien und Anreizsysteme für die Mitarbeiter ab, die einen entschei-
denden Beitrag zum wirtschaftlichen Erfolg der schnell wachsenden innovativen
Unternehmung leisten.
461 Mintzberg nennt dies die Ebene der 'Systemziele', in der die Beteiligten allgemeine organisatorische Ziele
unterstützen, die intrinsisch nicht ihr eigenen sind, z.B. das organisatorische Überleben, Funktionsfähigkeit,
Kontrolle und das Wachstum der Organisation, vgl. Mintzberg (1983) S. 264-278.
462 Vgl. Varian (1991) S. 298-304.
463 Vgl. Türk (1978) S. 81.
464 Vgl. Dosi/Malerba (1996) S. 2-3.
465 Vgl. z.B. Coase (1937), Williamson (1990) als Hauptvertreter des Transaction Cast und Property Rights'-Ansatz,
deutsche Vertreter Picot et al. (1998) und Schneider (1988); der behavioristische Ansatz vor allem bei
Cyert/March (1992), March/Simon (1958); grundlegende Beiträge zum Property Rights Ansatz bei Brunner
(1979), Furubotn/Pejovich (1974); vgl. auch Schenk (1978).
119
2.4.1 Der 'Satisfier Ansatz' - multifaktorielles Zielsystem mit begrenzter ökono-
mischer Erfolgsorientierung
Aus dem behavioristischen Ansatz entwickelt sich der Gedanke eines multifaktori-
ellen Zielsystems. Die Beiträge werden vom Forschungsziel geleitet, realitätsnahe
und aussagefähige Erkenntnisse zu Entscheidungsprozessen und Verhaltensmecha-
nismen innerhalb von Unternehmen zu generieren.466 Eine Unternehmung wird als
eine Koalition von Individuen und Institutionen verstanden, die in ihren differenzie-
renden Ausprägungen eine komplexe Organisation darstellt. Dies manifestiert eine
entscheidende Abkehr von der ,einheitlich handelnden Unternehmung' der Neo-
klassik. Verschiedenste Interessengruppen beeinflussen den Entscheidungsprozeß
und prägen mit ihren Interessenanforderungen, die als notwendige und zu erfül-
lende Nebenbedingungen bezeichnet werden können, die vom Unternehmen ange-
strebte Zielfunktion.467 Diese Ziele, die in einem Verhandlungsprozeß zwischen den
unterschiedlichen Interessenten erreicht werden, sind nicht konsistent und dauer-
haft, denn veränderte Bedürfnisse oder Einflüsse führen zu Zieländerungen bzw. -
anpassungen.468 Folgende Gruppen stellen mit ihren Partialinteressen Anforde-
rungen an das Unternehmen: Eigenkapitalgeber, Arbeitnehmer, Management, die
öffentliche Hand, aber auch Kunden und Lieferanten. Sie sind die 'Stakeholder'- die
Anspruchsgruppen- der Unternehmung. Unternehmerische Zielerreichung ist folg-
lich das Ergebnis der Erfüllung z.T. konfliktärer Nebenbedingungen. Von den han-
delnden Akteuren wird demnach nicht ein ertragsmaximierendes Verhalten erwartet
und angewandt, sondern ein für die verschiedenen Gruppen zufriedenstellendes
Ergebnis. Die Leistungsvergabe an die einzelnen Gruppen führt zu einem Ergebnis-
niveau, das unterhalb des möglichen Ertragsgrenzwertes der Unternehmung liegt
und somit ein suboptimales Ergebnis darstellt. Diese Differenz wird auch als "orga-
nizational slack" bezeichnet. "Slack consists in payments to members of the coaltion
in excess of what is required to maintain the organization. Many interesting phe-
nomena within the firm occur because slack is typically not zero."469
Manager nehmen ihre eigenen Vorteile bei unternehmensinterner Ressourcenver-
teilung wahr, z.B. bei selbstgewährten Boni oder exklusiven Reisen. Entscheidend ist
die Maximierung des Eigennutzens der Parteien, nicht die Maximierung der Unter-
nehmensinteressen. Das insgesamt akzeptierte und zu erreichende Zufriedenheits-
niveau orientiert sich an den Erwartungshaltungen der Partialgruppen und histo-
rischen Erfahrungswerten. Diese Art der Zielsystematik und -erreichung ist häufig
dann verbreitet, wenn die Unternehmerischen Organisationen sehr groß sind und
eine Trennung der Interessen und Anreize bei Eigentümer und Manager bzw. Mitar-
beiter existiert.
Ein Interessenkonflikt, der bei Biotech-Unternehmen eine hohe Relevanz besitzt,
besteht in der Konkurrenz von wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Zielen. Viele
Unternehmen entstehen in einem wissenschaftlichen Umfeld und rekrutieren ihre
466 Vgl. insbesondere Cyert/March (1992), Überblick bei Berger/Bernhard-Mehlich (1995) 5.123-125.
467 Vgl. Mintzberg (1983) S. 245-248, 253-256.
468 Vgl. Berger/Bernhard-Mehlich (1995) S. 136-137.
469 Cyert/March (1992) S. 42.
120
Kernmitarbeiter aus der akademischen Forschung. Das wissenschaftliche Werte-
system bemißt sich in Bedeutung und Anzahl von Publikationen- der Veröffent-
lichung von neuen Erkenntnissen. Dies steht im direkten Gegensatz zu den primä-
ren Unternehmerischen Zielen: einer unbedingten Marktorientierung sowie der
Patentierung und Sicherstellung der Exklusivnutzung von Wissen. Produktent-
wicklungen, die aus dem patentierten Wissen generiert werden, haben daneben nicht
unbedingt den wissenschaftlichen Neuigkeitsgrad und den Bedeutungscharakter,
der für akademische Anerkennung notwendig ist. Dieser Aspekt des Zielkonflikts
wird in Kap. V.2.1.1 vertiefend analysiert.
474 Vgl. Schneider (1988) S. 138-140; das 'Not-invented-here-Syndrom' ist leichter auszuschalten, wenn die
Interessenanreize für höhere Produktivität im Forschungsprozeß auch den Mitarbeitern offen stehen.
475 Aktienoptionsprogramme für Führungskräfte großer Unternehmen können auch zu eigennutzorientiertem
Verhalten führen, indem die Maximierung kurzfristiger Gewinnerwarrungen zur Leitungsmaxime wird: ein
short-term-view, höhere Kreditaufnahme für Aktienrückkaufprogramme, geringere Personalkosten durch
nicht ausgewiesene Optionsbeteiligungen der Führungskräfte können langfristig den Eigentümerinteressen
zuwider laufen, vgl. o.V. (1999e) S. 18-20; die Fokussierung der Kapitalmärkte auf Shareholder-Value-Maxi-
mierung beeinflußt die Zielausrichtung in großen Unternehmen, vgl. Guserl (1998) S. 1037-1051.
476 Hieraus entstehen die charakteristischen Problemfelder familiengeführter Unternehmen.
122
die Interessen von VC und Unternehmer gemeinsam auf eine Maximierung des
Unternehmenswertes ausgerichtet. Ein solcher "Maximizer"-Ansatz kann verstärkt
werden, wenn nicht nur der Unternehmer oder das Managementteam vom zu ver-
teilenden Gewinn profitieren, sondern auch ein erweiterter Kreis von Mitarbeitern.
477 Vgl. Wöhe (1990) S. 42·50; vgl. Kuipers (1990) S. 28-33; vgl. Perridon/Steiner (1993) S. 9-11; vgl. Drukarczyk
(1998) S. 108-117; vgl. Raffee/Effenberger/Fritz (1999) S 24-28; vgl. Albach (1988) S. 71-72: Albach berücksich-
tigt auch explizit Wachstumskriterien zur Messung des Unternehmenserfolgs; für einen ausführlichen Über-
blick der verbreiteten Erfolgsmaßstäbe vgl. auch Näther (1993) S. 22-151.
478 Untersuchungen des BMBF zu jungen Technologie-orientierten Unternehmen in den späten achtziger und
neunziger Jahren haben Langzeitanalysen von 5 und 8 Jahren zugrunde gelegt, um Aussagen über Erfolg und
Mißerfolg zu treffen, vgl. Pleschak/Werner (1998) S. 31-34; vgl. Kulicke et al. (1993) S. 5-8.
47.9 Ein bedeutendes Beispiel aus der IT Branche ist Apple: Bis Mitte der achtziger Jahre sicherte die Exklusivität
des Apple-Macintosh unangefochtene Technologieführerschaft und hohe Renditen. Diese Strategie verhin-
derte allerdings die Verbreitung des Apple Systems im schnell wachsenden Computermarkt Eine Marginali-
sierung im Standardwettbewerb mit IBM-kompatiblen Herstellern führte zu hohen Marktanteilsverlusten und
dem beinahe Scheitern des innovativen Computerpioniers, vgl. z.B. Carlton (1997); in der Biotechnologie-
Branche galt British Biotechnology mit seiner Strategie des integrierten Biotechnologie-Unternehmens bis Ende
1997 als positives Rollenbeispiel der Biolech-Industrie in UK. Das Scheitern einiger Produktkandidaten in
den klinischen Phasen führte zum radikalen Absturz der Marktkapitalisierung (minus 95%) und zur in Frage
Stellung der gewählten Unternehmensstrategie (siehe Fallstudie 'British Biotech').
480 Vgl. Müller (1991) S. 173-175.
481 Beispielsweise erwirtschafteten die von Peters/Watermann (1982) identifizierten Erfolgsunternehmen IBM (in
1991 2,9 Mrd. USO/ in 1992 5,0 Mrd. USO), DuPont (in 1991 3,9 Mrd. USO), Digital Equipment (in 1992 2,8 Mrd.
USO) und Caterpillar (in 1992 2,4 Mrd. USO.) in den neunziger Jahren die bis dato höchsten Verluste in der
Geschichte amerikanischer Unternehmen, vgl. Perlitz (2000) S. 6.
123
mente sinnvoll.482 Eine beispielhafte Aufzählung der wichtigsten Aspekte erfolgt in
Abbildung III.9.
485 Exemplarbeispiel sind die Unternehmen mit einem Internet fokussierten Geschäftsmodell, z.B. amazon.corn,
die bei außerordentlich hohen Marktkapitalisierungen größtenteils keinen Gewinn erwirtschaften.
486 Viele Pharma-Unternehmen kooperieren nicht mit zu kleinen Biotech-Firmen, da ihnen das Risiko eines Star-
tup-Mißerfolgs zu groß erscheint. Am Kapitalmarkt erhalten nur Unternehmen mit ausreichendem Potential
und Größe die erforderliche Visibilität bei den Analysten und Anlegern, siehe Kap. V.2.1.3.
487 In privaten Finanzierungsrunden ist die effiziente Preisbestimmung von der Entwicklung und Transparenz
des Venture Capital Marktes abhängig. Beispielsweise kann der deutsche Markt trotzgroßer Mittelzuflüsse
privaten Kapitals nicht unbedingt als effizient bezeichnet werden. Es gibt nur wenige kompetente und erfah-
rene Venture Gesellschaften, so daß eine Markttransparenz vergleichbar mit den USA noch nicht gegeben ist.
Daneben verzerren die hohen öffentlichen Subventionen durch KJW und tbg den Beteiligungsmarkt, siehe Kap.
V.2.1.3.
488 Allerdings zeigt die Entwciklung an der Kapitalmärkten im Frühjahr 2000, daß sich Biotech und Internet
Unternehmen der 'neuen Ökonomie' dauerhaft einer Rentabilitätslogik nicht entziehen können.
489 Vgl. Kulicke et al. (1993) S. 142-143.
125
scheidend das verfolgte Geschäftsmodell der Unternehmung, beispielsweise in
Richtung eines stark marktorientierten Unternehmens mit Fokus auf einer schnellen
Time-to-market oder in Richtung eines forschungsorientierten Unternehmens mit
Fokus auf ein exzellentes internes Technologieniveau. Die subjektiven Kriterien be-
dingen z.T. auch den objektiv meßbaren Erfolg. Z.B. bestimmen eine schnelle
Produkteinführung oder der Aufbau von organisatorischen Strukturen und Pro-
zessen die Erreichung von Marktanteilen und das Wachstum des Unternehmens.
Für die weitere Untersuchung wird die Eingeschränktheit der Erfolgsdefinitionen für
die Hypothesengenerierung berücksichtigt. Strategische Optionen mit dem Ziel der
Nachhaltigkeit unternehmerischer Entwicklungen und Geschäftsmodelle, die aus der
theoretischen und explorativen Darstellung in der vorliegenden Untersuchung her-
vorgehen, bilden nur ein Orientierungskonzept für weitergehende langzeitorientierte
empirische-quantitative Validierungen in nachfolgenden Studien.490 Die dargestellte
Situationsbedingtheit von ökonomischem Erfolg führt zu der Notwendigkeit, einen
Erfolgsbegriff zu formulieren, der auch den dynamischen Veränderungen und wech-
selnden strategischen Anforderungen in der Entwicklung eines Unternehmens
gerecht wird. Dies trifft insbesondere auf junge wachstumsstarke Unternehmen in
einem dynamischen Wettbewerbsumfeld wie der Biotechnologie zu. Erfolg bemißt
sich demnach als situations- und entwicklungsbezogene Beurteilungsgröße. Entlang
dieser Denklogik müssen erfolgreiche Startup-Unternehmen nicht automatisch er-
folgreiche Wachstums- oder IPO-Unternehmen werden. Die vorliegende Unter-
suchung hebt insbesondere auf das dynamische Entwicklungsmuster ab - auf die
evolutorische Entwicklung eines Unternehmens von der 'Pre-seed' bis zur 'Post-IPO'
Phase. Parameter der erfolgreichen 'Migration' eines Biotech-Unternehmens sind
sowohl objektive als auch subjektive Kriterien, wie sie ansatzweise in Abbildung III.9
dargestellt werden.
492 Vgl. auch Müller (1991) S. 177-193, vgl. Haas (1997) S. 28-35.
493 Vgl. Unterkofler (1989) S. 36-44; Szyperski (1977) S. 30-34; Klandt (1984) S. 56, vgl. Dietz (1989) S. 194-205; vgl.
Timmons (1990) S. 210-211; vgl. Wenz (1993) S. 10-21; vgl. Nerlinger (1998) S. 185-187; Hunsdiek/May-Strobl
versuchen Entwicklungsstufen zu bestimmen, Albach et al. identifizieren in der Unternehmensentwicklung
auftretende Wachstumsschwellen, orientieren sich aber grundsätzlich am Lebenszykluskonzept, vgl.
Albach/Bock/Wamke (1985), Hunsdiek/May-Strobl (1986).
494 Zwei wesentliche Denkrichtungen prägen die Theorie zu Unternehmerischen Entwicklungsmodellen: Einer-
seits die Selektionskonzepte, die in der Umwelt die wesentliche Determinante der Entwicklung sehen, während
die Unternehmerische Gestaltung nur in einem engen Rahmen beeinflußt. Wesentliche Vertreter sind Aldrich
(1979) und Hannan/Freeman (1977). Andererseits verfolgen die aktiven Gestaltungskonzepte, die Strategie
Choice Ansätze, den Standpunkt, daß die Unternehmerische Gestaltungskraft der grundsätzliche Einflußfaktor
der Unternehmensentwicklung ist. Unternehmensführung hat nach dieser These einen direkten Einfluß auf
die Erfolgswirksamkeit Wesentliche Vertreter sind Miles/Snow (1978), Ansoff/McDonnell (1990) und Child
(1972). Die Phasenkonzeption beschreibt dagegen den Entwicklungsprozeß rein formal. Einen guten Über-
blick über die verschiedenen Ansätze liefert Haas (1997) S. 33-74, vgl. auch Türk (1989) S. 51-94 und vgl. Habe!
(1992) s. 40-43.
495 Kritik zum Phasenkonzept bei Nerlinger (1998) S. 187.
496 Vgl. Szyperski (1977) S. 31-33, Wippler (1998) S. 13.
127
Operationspartnern hergestellt. Abhängig vom Geschäftsmodell werden bereits Pro-
dukte vermarktet oder sind noch im Entwicklungsprozeß bis zur Mark treife.
In der Wachstumsphase/Later Stage steigert das Unternehmen überproportional den
Umsatz bzw. wächst in Mitarbeiterzahl oder Forschungsprojekten, die eigenständig
oder im Rahmen von Kooperationen geführt werden. Abhängig vom Geschäfts-
modell werden ein geschäftsbezogener Cash-t1ow erwirtschaftet oder zusätzliche
Eigenkapitalmittel in Anspruch genommen. Die langen Inkubationszeiten für Bio-
lech-Produkte, sowohl technologische als auch therapeutische, führen zu sehr
schwierigen Bewertungsfragen und sehr oft unterschiedlichen Einschätzungen der
Unternehmen durch Externe. Die hohe Risikostruktur der forschungsintensiven
Biotech-Unternehmen führt zu einer sehr hohen Unsicherheit über die Erfolgsaus-
sichten.
Bewertung
....
''
'
.... ....
.... ....
L __ _ _ _ __ _ __ _ __ _ _ _ __ _ __ __ _ _ _ __ . Zeit
128
und Vermarktung proprietärer Produkte. Die Unternehmerischen Erfolgsaussichten
werden zunehmend mit erreichten Meilensteinen der Entwicklung belegt.
Die !PO-Voraussetzungen für ein Unternehmen unterliegen einer dynamischen Ent-
wicklung. Während in den achtziger Jahren biotechnologische Ein-Produkt-Unter-
nehmen durchaus einen Börsengang anstreben konnten, wird dies Ende der neun-
ziger Jahre als unzureichend beurteilt. Der Börsengang ist für ein Biotech-Unter-
nehmen ein notwendiger Entwicklungsschritt, um dauerhaft den notwendigen
Kapitalzufluß für das Wachstum des Unternehmens sicherzustellen. Problematisch
erscheint der geeignete Zeitpunkt für einen !PO am Kapitalmarkt und die notwen-
dige Marktkapitalisierung, um von Analysten und Anlegern wahrgenommen zu
werden. In der Past-IPO-Phase kann das Unternehmen den weiteren Kapitalbedarf
für die Expansion am Kapitalmarkt decken. Erst mit einer Notierung am Kapital-
markt sind signifikante Marktkapitalisierungen möglich, mit der sowohl internes als
auch externes Wachstum finanziert werden kann. Mit dem Börsengang entstehen
auch zusätzliche Aufgaben, insbesondere der Investor Relations Pflege und Kom-
munikation. Mißerfolge verursachen darüber hinaus auch schnellere und härtere
Reaktionen als bei privaten Investoren in Pre-IPO-Phasen.
Die Ansatzpunkte für ein Strategiekonzept für Biotech-Unternehmen aus der Strate-
giedebatte werden zusammenfassend in Abbildung III.ll dargestellt.
Abbildung ll/.11: Ansatzpunkte aus der Entrepreneurship-Oeballe für eine Strategiekonzeption und
Thesenentwicklung
Quelle: Eigene Darstellung
129
Strategy that blends two powerful sets of insights
about capability and competition represents an
enduring logic that transcends management Jads
D. Collis/C. Montgornery
130
Bei der Suche nach dauerhaftem Erfolg haben sich im Verlauf der wissenschaftlichen
Debatte die eingeschlagenen ,Wege' verändert und damit auch eine Evolution des
Strategiebegriffs sowie der assoziierten Verständnisinhalte bewirkt.502 Vier grund-
sätzliche Phasen sind in der Entwicklung der Strategiediskussion erkennbar (siehe
Tabelle III.2).
Zeitraum Strategiefokus
vor 1960 Integration und Koordination unternehmerischer Teilstrategien
1960-1970 Identifizierung einer geeigneten Produkt- Markt -Kombination
1970-1980 Realisierung von Erfahrungskurveneffekten und Gestaltung von
Portfoliomanagement
ab 1980 Markt-orientierte und Ressourcen-orientierte Ansätze zur Generierung von
Wettbewerbsvorteilen
Bis zu den sechziger Jahren prägten insbesondere die Themen der Integration von
funktionalen Teilstrategien, der Einsatz von Prozessen und Instrumenten des
Managements den Erkenntnisprozeß im General Management. Neben dieser
Koordinationsrolle interner Funktionen tritt in den sechziger Jahren eine besondere
Fokussierung auf den Absatzmarkt.503 Ansoff definiert mit seinem Produkt-Markt-
Konzept die Wettbewerbsarena für das strategische Handeln von Unternehmen.504
Im Zeichen von Risikostreuung und dem Managementziel des antizipierenden
Ausgleichs von zyklischen Geschäftsentwicklungen dominieren industrieübergrei-
fende Diversifizierung und Konglomeratsbildung.505 Anfang der siebziger Jahre
führt die Boston Consulting Group das Konzept der Erfahrungskurve und des
Produkt-Portfolios unter besonderer Berücksichtigung der Cash-flow-Ströme in die
strategische Diskussion ein. Die einfache Handhabung, die intuitive Logik und die
leichte Kommunizierbarkeit führen zu einer starken Verbreitung in der Unter-
nehmenspraxis. Diese aus einer Unternehmensberatung stammenden praktischen
Konzepte haben allerdings auch die theoretische Werthaltigkeit der Forschungsbei-
träge bereichert.506 Seit Anfang der achtziger Jahre prägen zwei grundsätzliche
Denkrichtungen die Entwicklung der Strategiedebatte: der Market-based-View und
der Resource-based-View. Ihre antithetischen Prämissen und Schlußfolgerungen
Strategie basieren somit konstitutiv auf der Strategie Choice Annahme (siehe Kap. IV.1.3). Der Population
Ecology-Ansatz von Hannan/Freeman (1977) nimmt hierzu eine antithetische Position ein, der zu Folge das
Unternehmen vollständig von Umweltfaktoren gesteuert wird. Mintzberg ordnet ihn als 'Environmental School'
in seine 10 Gedankenschulen ein, vgl. Mintzberg et al. (1998) S. 286-300.
50 2 Vgl. Rasche/Wolfrum (1994) S. 502; vgl. Knyphausen (1995) S. 14-32, vgl. Collis (1997) S. 15-23; In der
deutschen Debatte wird die Strategiediskussion allgemein unter dem Begriff ,Strategische Unternehmens-
führung' geführt.
503 Vgl. Rumelt/Schendel/Teece (1991) S. 7.
504 Vgl. Ansoff (1966); Ansoff (1988).
505 Vgl. z.B. Bergquist/Betwee/Meuel (1995) S. X.
506 Knyphausen konstatiert eine prägende Rolle der Beratungsgesellschaften bei der Entwicklung der Strategi-
schen Unternehmensführung als Disziplin insbesondere bei der Generierung von Methoden und Planungs-
konzepten- nicht frei von Eigeninteresse, vgl. Knyphausen (1995) S. 18-21.
131
scheinen oberflächlich betrachtet einen unauflöslichen Widerspruch darzustellen.
Ihre unterschiedlichen Ansatzpunkte zur Bewältigung der Unternehmerischen Her-
ausforderungen werden im folgenden erörtert.
3.1 Market-based-View
(I) Das Konzept
Der Market-based-View (MbV) gründet in starkem Maß auf industrieökonomischen
Arbeiten.507 Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses stehen die Branche und die
jeweilige Industriestruktur, die als Determinante des Unternehmenserfolgs interpre-
tiert werden. Grundlegende Thesen wurden bereits von Bain vertreten, dessen
orthodoxes Strukturparadigma einen direkten Zusammenhang zwischen Markt-
struktur und Unternehmensergebnis erkennt, bei dem die unternehmerische
Gestaltungskraft ohne signifikanten Einfluß bleibt.S08 Im modernen industrieökono-
mischem Ansatz, der insbesondere von Porter seit Anfang der achtziger Jahre geprägt
wird, nimmt das unternehmerisch gestaltende Element eine stärkere Rolle ein.
Strategie definiert sich demnach als marktorientierte Unternehmensführung, die sich
an den Rahmenbedingungen der externen Umwelt ausrichtet: Strategie als Ausnut-
zen von Marktunvollkommenheiten zur Erzielung eines ,competitive advantage'.
Unternehmerischer Erfolg definiert sich aus der Attraktivität der Branche und der
Unternehmerischen Position im Vergleich zum Wettbewerb in dieser Branche.
Systematische Unterschiede in der Performance von Unternehmen werden als Folge
unterschiedlicher Marktanforderungen interpretiert, die inter- und nicht intra-
industriell bedingt sind.S09 Diese Argumentationskette wird auch ,Structure-Conduct-
Performance' - Konzept genannt: die Struktur der Branche bestimmt das strategische
Verhalten, das zu unternehmerischem Erfolg führt.510
507 Hauptvertreter Bain (1968), Porter (1980/1985/1990/1991), Krebs (1985), Shapiro (1989); Industrieökonomie
ist das Synonym für ,industrial organizational economics' (10-Forschung) und inhaltlich sehr eng mit der
(neo-)ökonomischen Theorie verwandt; zwischen ökonomischer Theorie und Strategischem Management
existierte bis zu den Arbeiten von Bain und insbesondere Porter ein sehr problematisches und unbefriedigen-
des Verhältnis, da die modellhaften Annahmen der ökonomischen Theorie nur geringen Erklärungsgehalt für
die Theorie der Unternehmung und deren Wettbewerbsvorteile hatte, vgl. beispielsweise Teece (1984) S. 87-
108.
508 Vgl. Bain (1968).
509 Vgl. Knyphausen (1993) S. 772-774; zu theoretisch divergierenden Perzeptionen von Performance-unter-
schieden bei Unternehmen in Ökonomie (10-Forschung) und Strategischem Management (auch RbV), vgl.
Nelson (1991) S. 61-74.
510 Vgl. Rühli (1994) S. 34-37, vgl. Wegener (1994) S. 146-150; Ansätze zu einem Structure-Conduct-Performance-
Paradigma können der Richtung des Strategy Content Research zugeordnet werden: hierbei liegt der Fokus auf
der inhaltlichen Ausgestaltung der Strategien und der Wirkungsanalyse auf die Performance der Unter-
nehmung. Dagegen stellen Strategy Process Beiträge auf die Planungs- und Implementierungsvorgänge der
Strategiefindung ab. Die Unterscheidung zwischen Content und Process Forschung wurde erstmals in einem
Strategiereader bei Hafer/Sehendei (1979) eingeführt; vgl. auch Habe! (1992) und Fahey/Christensen (1986);
eine Trennung in Content und Process erscheint aber für eine Theoriebildung, bei der die umfassenden Inter-
dependenzen der Strategieformulierung erlaßt werden müssen, problematisch, vgl. hierzu HufliReger (1987)
S. 211-236 und Vertreter des Münchner Ansatzes um Kirsch, die ein 'Feld-Manöver-Erfolgs'-Konzept propa-
gieren, vgl. z.B. Näther (1993) S. 151-158 oder vgl. Stetter (1994) S. 95-108; vgl. auch Knyphausen (1995) S. 350-
399, der eine systemtheoretisch orientierte Konzeption für die Strategische Managementtheorie vorschlägt.
132
Im MbV wird zwischen der ,Corporate'- und der ,Business Unit'-Perspektive unter-
schieden. Die Corporate-Ebene betrachtet die Vorteilhaftigkeit der einzelnen Ge-
schäfte aus einer Portfolio-Sicht, ohne sich mit einer Wettbewerbs- oder Geschäfts-
strategie zu beschäftigen. Die Business-Unit-Ebene geht aus einer Segmentierung des
Unternehmens in geeignete Geschäftseinheiten hervor - auch ,Strategische
Geschäftseinheiten' genannt. Diese sind der Ausgangspunkt für die Strategieent-
wicklung.Sll Empirischer Ausdruck der Arbeiten zu wettbewerbsstrategischen
Themen sind u.a. die PIMS-Untersuchungen (Profit Impact of Market Strategies -
Datenbank), die einen Zusammenhang zwischen Marktperformance (Marktanteil)
und Erfolgsgröße (ROI) feststellen. 512 Obwohl es verschiedene Interpretationen über
die Beziehung zwischen Erfolgsgröße und Marktanteilskennzahlen gibt, haben die
empirisch generierten Ergebnisse insgesamt zu einer Validierung marktorientierter
Strategiekonzepte beigetragen.
(1) Analyseinstrumente
Beim MbV beruht die strategische Entscheidung in erster Linie auf der Wahl einer
attraktiven Branche. In einer Chancen-Risiken-Analyse wird die Intensität der Wett-
bewerbskräHe untersucht, die als Einflußparameter die Attraktivität für ein unter-
nehmerisches Engagement bestimmen. Porter ist der maßgebliche Begründer dieser
industrieökonomischen Analysemethoden.Sl3 Er definiert in seinem Wettbewerbs-
kräftemodell fünf entscheidende Faktoren- die ,Triebkräfte des Wettbewerbs'-, die
über die Attraktivität des Marktes entscheiden (siehe Abbildung III.12).
(2) Strategieentwürfe
Die besonderen Stärken einer Unternehmung im Vergleich zu den internen Ressour-
cen der Wettbewerber in einem Markt qualifizieren für eine von drei grundsätzlichen
Strategiekonzeptionen: (A) Kostenführerschaft, (B) Produktdifferenzierung oder (C)
Nischenanbieterschaft.
Als Ausgangskonzept dient ihm das Kirsch Modell, das sich auch auf Thesen des Radikalen Konstruktivismus
und den Habermas'schen Theorieansatz (Theorie des kommunikativen Handelns) bezieht, um den Gegensatz
zwischen Theorie und Praxisperspektive (auch als Binnen- und Außenperspektive bezeichnet) in der Strate-
gischen Unternehmensführung zu überbrücken.
511 Vgl. erstmals bei Hofer/Schendel (1978) S. 12-15; die Unterscheidung in 'Where to compete' (Welche
Geschäfte im Portfolio?) und 'How to compete' (Welche Strategie in der strategischen Geschäftseinheit?) wird
vielfach als Strukturierungskriterium in Beiträgen zur Strategiedebatte verwendet.
512 Ausführlichere Darstellung der PIMS Ergebnisse bei Buzzell/Gale (1987); vgl. auch Buzzell/Wiersema (1981)
S. 135-144 und Dietz (1989) S. 293-295; kritisch anzumerken bleibt, daß die Auswahl der Daten, der Geschäfts-
felder und Unternehmensgröße zu einer Untergewichtung von kleineren innovativen Unternehmen und
neuen Geschäftsbereichen führt, vgl. Knyphausen (1995) S. 213-217.
513 Vgl. Porter (1980), vgl. Porter (1985), Porter (1987b); vgl. auch Oster (1994) S. 31-79.
133
(A) Kostenführerschaft
Ziel ist das Erlangen der besten Kostenposition im Vergleich zu den Wettbewerbern
zur Herstellung eines ,akzeptablen Produktes'. Die Senkung der Kosten auf das
niedrigste zu erreichende Niveau garantiert der Unternehmung bei gleichen Preisen
ein Ergebnispremium gegenüber den Wettbewerbern. Bei Preiswettbewerb kann
durch die günstigste Kostenposition jede Preissenkung der Konkurrenten beant-
wortet oder antizipiert werden. Der Gewinn entspricht dem Kostenvorteil zum
zweitbesten Wettbewerber plus einer Marge, wenn weitere Konkurrenten mit un-
günstigeren Kostenstrukturen im Markt bestehen.
Potentielle externe
Wettbewerber
Bedrohung durch
neue Wettbewerber
Wettbewerber
Verhandlungsmacht innerhalb Verhandlungsmacht
der Lieferanten der Branche der Kunden
J
I Lieferanten :
~ I
Kunden
I
Rivalität unter den
bestehenden Unter-
nehmen
Bedrohung durch
Substitutionsprodukte und
-Gienste
Ersatzprodukte
(B) Differenzierung
Ziel ist das Generieren eines Produktnutzens, der für den Kunden einen singulären
Charakter hat und für den dieser bereit ist, ein Preispremium zu zahlen. Die bessere
Befriedigung des Kundennutzens führt bei diesem zu einer höheren Zahlungsbereit-
schaft: es liegt somit eine preisunelastische Situation vor. Der höhere am Markt rea-
lisierte Preis ermöglicht es der Unternehmung, ein Premium zu erwirtschaften, trotz
134
einer ungünstigeren Kostenposition, die sich aus einem differenzierteren und
kostenintensiveren Produktangebot ergibt.
(C) Nischenanbieterschaft
Ziel ist das Realisieren einer Kostenführerschaft oder Produktdifferenzierung in
einem spezifischen Marktsegment Diese Strategie wird nicht für die gesamte
Branche angewandt, sondern für abgegrenzte Teilsegmente oder ,Nischen'. Diese
Nischen können dann durch ein spezifisches Angebot bedient werden, entweder als
Kostenführer oder als Nutzenführer. Entscheidend ist die Abgrenzungsmöglichkeit
des jeweiligen Segmentes vom übrigen Markt.514
(3) Prämissen
Der MbV geht von der Annahme aus, daß alle Ressourcen innerhalb einer Branche
homogen und vollkommen mobil sind. Ressourcen bewegen sich immer zum effizi-
entesten Anbieter, der die beste Verwendung für die Ressourcen hat und die höchste
Faktorpreisentlohnung erbringen kann (siehe Abbildung III.13).
Markt
Wettbewerbstriebkra f t e . - - - - - - - . ,
FIT
Wasistdas • KostenfOhrerschaft
geeignete Branchenanalyse • Produktdifferen-
Geschäft? --> Chance-Risiko-Profil zierung
• Nischenanbieter-
schalt
6 A
I I
1 Homogenitill 1
Mobilität
der
Ressourcen 1
514 Die Dauerhaftigkeit von Marktnischen im Sinne Porters unterliegt den eweiligen
j Marktprämissen und kann
sich bei Veränderung auflösen. Beispielsweise behaupteten die deutschen Maschinenbauer i n den achtzige r
Jahren hochpreisige Segmente fü r kundenspezifische Spezialmaschinen. Die Weiterentwicklung japanischer
Standardmaschinen mit neuen Eigenschaften erodierten die Eintrittsbarrieren de r leistungsspezifischen Son-
d erstellung im Hochpreissegment deutsche r Maschinenbauer. Die technologische Entwicklung löste dieauf
Produktdifferenzierung und Preispremium basierenden Nischen im Maschinenbau auf.
135
Funktion der Wettbewerbsposition innerhalb eines spezifischen Marktes darstellen.
Unterschiede in der Leistungsfähigkeit resultieren aus einer divergierenden An-
fangsausstattung der einzelnen Unternehmen.515 In jedem Land existieren unter-
schiedliche Standortvoraussetzungen, die als Heimbasis und erstes Wettbewerbs-
umfeld die jeweiligen Startperspektiven und das strategische Verhalten von Unter-
nehmen prägen.516
Nach Ansicht der marktorientierten Unternehmensstrategie wird idealerweise ein
,FIT' zwischen einem industriestrukturell geeigneten Markt und einem im Vergleich
zu Wettbewerbern besser ausgestatteten Unternehmen hergestellt. Das Unter-
nehmen schafft sich somit eine monopolistische Stellung, in der durch eine monopo-
listische Rente ein höherer Erfolg sichergestellt werden kann. Das Kernprinzip des
MbV beruht somit auf der Identifizierung und Ausnutzung von Marktunvollkom-
menheiten, die zu einem nachhaltigen Wettbewerbsvorteil führen. Viele Arbeiten
sind im Kontext des MbV entstanden, die die theoretische Argumentationslinie
erweitert oder in quantitativen Untersuchungen zu einer Überprüfung von Aus-
sageparameternbeigetragen haben.
136
Perzeption vorhandener Alternativen existieren nicht. Das Unternehmen und die
handelnden Akteure bilden wie in der neoklassischen Unternehmenskonzeption eine
Einheit mit gleicher Interessen - und Handlungsstruktur. Unvollkommenheiten des
Ressourenmarktes können aber dazu führen, daß das gewünschte und optimale Res-
sourcenset 'a priori' nicht bekannt und somit auch rational nicht gewählt werden
kann. Die Beurteilung und Auswahl der notwendigen Unternehmensressourcen ist
somit nicht für alle gleich. Daneben ist auch die Wahrnehmung der Alternativen von
Sichtweise und Interessenstruktur der Unternehmerischen Organisation bzw. den
verschiedenen Protagonisten abhängig. Perzeption und Ressourcenwahl sind folg-
lich unterschiedlich. Danach sind die Annahmen der Informationstransparenz und
Wahrnehmungsgleichheit der Ressourcen nicht haltbar. Im Sinne der ökonomischen
Entrepreneurship Konzepte unterscheidet sich der Unternehmer gerade durch eine
differenzierte Bewertung des Potentials einer Ressource vom Mitbewerber (vgl.
Kap. III.2.3.1).
Die Annahme der Ressourcenhomogenität ist bei stark standardisierten Produkten in
saturierten Märkten ohne Veränderungsdynamik nachvollziehbar. Bei differenzier-
teren Produkten, komplexen Wertschöpfungsprozessen und hohen Innovationsraten
im Markt erscheint diese Prämisse schwieriger zu belegen. Innovationen, als Ergeb-
nis eines komplexen Prozesses, in die Unternehmerische Fähigkeiten, vorhandene
Ressourcen und externe Einflüsse eingehen, werden in der Analyse stark vernach-
lässigt. Modelltheoretisch wird bei Ressourcenhomogenität und Marktdiffusion der
Innovation angenommen, daß bei entsprechend hohem Anreiz - d.h. einer hohen
Monopolrente - Innovationen von Wettbewerbern übernommen werden. Hierbei
werden die unterschiedlichen Voraussetzungen zur Innovationsgenerierung bei den
jeweiligen Unternehmung vernachlässigt. Es wird angenommen, der Innovations-
transfer geschehe ohne Zeitverlust und ohne unternehmensindividuelle Unter-
schiede. Ein Vorhandensein spezifischer innovationsfördernder Ressourcen im
Unternehmen, z.B. eine innovationsstimulierende Unternehmenskultur mit adä-
quaten Anreizmechanismen oder eine besondere Ressourcenentwicklung durch
organisationelles Lernen, werden ignoriert. Die marktorientierte Sichtweise blendet
unternehmensindividuelle und innovationsgenerierende Faktoren größtenteils aus.
Die Annahme der Ressourcenmobilität und sofortigen Marktdiffusion erscheint aus
diesen Gründen problematisch.
137
Zukunft, weil sie sich auf das Herstellen eines FIT's mit der bestehenden Umwelt
konzentrieren. Das Unternehmen handelt und plant mit den bestehenden Ressour-
cen. Der Terminus FIT offenbart eine statische Sicht der Strategie. Dynamische
Anpassungsprozesse, die aus einem MISFIT zwischen strategischen Ambitionen und
aktueller Ressourcenausstattung hervorgerufen werden, bleiben ausgeblendet. Der
MbV konzentriert sich alleine auf eine optimale Ressourcenaufteilung, um die gegen-
wärtige Wettbewerbssituation abzubilden. Hamel/Prahalad sehen einen Zusammen-
hang zwischen dem dominierenden MbV Konzept aus ,strategic fit' und ,generic
strategies' und den Problemen westlicher Unternehmen in den achtziger Jahren
gegenüber ihrer japanischen Konkurrenz.518
Marktparameter können aber auch durch Unternehmen verändert und beeinflußt
werden, beispielsweise durch die Dynamik einer neuen Technologie, die von
bestimmten Unternehmen vorangetrieben wird. Technologische Veränderung ist als
prägender Einfluß im Wettbewerbskräftemodell Porters allerdings nicht enthalten.519
Die Ablösung der Vakuumröhre durch Transistoren und später durch integrierte
Schaltkreise schaffte grundlegend andere Erfolgsfaktoren für die auf der Elektronik
beruhenden Märkte.520 In einem dynamischen Strategiesinn ist auch die 'Outpacing
Strategie' japanischer Unternehmen in den achtziger Jahren zu interpretieren, die
Kostenführerschaft und Produktdifferenzierung nicht als antagonistisch akzeptier-
ten, sondern z.B. in der Automobilindustrie oder im Maschinenbau miteinander
verbinden konnten.521 Der festgefügte Strategiekanon von Porter stößt bei der
Integration dieser dynamischen und marktverändernden Unternehmensentwürfe an
seine konzeptionellen Grenzen.
Ein anderer konzeptioneller Kritikpunkt richtet sich gegen das Verständnis der Unter-
nehmensressourcen. Der modelltheoretischen Prämisse der Homogenität mit abso-
luter Mobilität und Substituierbarkeit liegt die weltanschauliche Konzeption
zugrunde, nach der Ressourcen keine dauerhaften Wettbewerbsvorteile generieren
können. Sie basiert auf einer stark modellökonomisch orientierten Theoriehistorie
aus Mikro- und Industrieökonomik. Dabei wird die individuelle Gestaltbarkeit der
Unternehmung über eine direkte Reaktion auf Marktimpulse hinaus vernachlässigt.
Der Aufbau von Eigenschaften, die durch unternehmensinterne Anstrengungen
einmalig und wertvoll werden, ohne direkt auf andere Wettbewerber transfederbar
zu sein, wird ignoriert. Die Nachhaltigkeit von Unternehmensressourcen, die auch
Grundlage eines dauerhaften Wettbewerbsvorteils werden können, ist konzeptionell
nicht vorgesehen. Insbesondere intangible Faktoren wie organisatorische Fähig-
keiten des Wissenserwerbs oder eine Leistungskultur im Unternehmen werden nicht
erfaßt. An dieser Stelle setzt der Resource-based-View' an.
140
Unternehmen können, indem sie Ressourcen für einen Preis unterhalb ihres intrin-
sischen Wertes erwerben und somit die Vorteile der Erwartungsdivergenzen nutzen,
,supranormale' Gewinne erzielen. Bei gleichen Erwartungen sind überdurchschnitt-
liche Gewinne nur zufällig zu erwirtschaften, da die Ressourcenpreise bereits ein all-
gemein wahrgenommenes Erfolgspremium beinhalten.529
Neben Transaktionen auf unvollkommenen Faktormärkten können Unternehmen
auch selbst originäre Ressourcenkombinationen ausbilden, die erst in der besonderen
Art des Zusammenwirkens mit anderen Unternehmerischen Faktoren für die Wettbe-
werbsfähigkeit bedeutsam werden.530 Dies gilt insbesondere für Ressourcen, die
,intacit' sind und nicht instantan übertragen oder erlernt werden können.531 Aus der
internen Gestaltung und dem Management von Ressourcen erwachsen somit die
Quellen für Ressourcenheterogenität-Ursache von Wettbewerbsvorteilen und öko-
nomischem Erfolg.
(1) Analyseinstrumente
Prinzipiell verfügt jedes Unternehmen über einen für die Ausbildung von Wettbe-
werbsvorteilen notwendigen RessourcenpooL Die Existenz eines daraus generierten
Erfolgs und dessen Nachhaltigkeil ist von zwei Faktoren abhängig:
(A) Die relevanten Ressourcen müssen originär oder zu Kernfähigkeiten kombinierbar
sein, die für den Kunden einen zusätzlichen Wert generieren und am Markt erfolg-
reich umgesetzt werden.
(B) Diese Kernfähigkeiten müssen- wenn sie nachhaltig erfolgswirksam sein sollen-
für das Unternehmen gegenüber dem Wettbewerb nachhaltig zu verteidigen sein.
(A) Kernfähigkeiten/-kompetenzen532
Kernfähigkeiten I-kompetenzen stellen das Zusammenwirken von spezifischen Res-
sourcenbündel dar, eines "particular bundle of firm resources".533 Dieses Bündel
kann aus verschiedenen Ressourcenkategorien bestehen - aus physischen, intangi-
blen, finanziellen und organisatorischen. Nach Amit/Schoemaker sind "capabilities ... a
firm's capacity to deploy resources, usually in combination, using organizational
processes, to effect a desired end .... They can abstractly be thought of as ,interme-
(B) Nachhaltigkeit
Neben der Charakterisierung von Kernkompetenzen ist für die Beurteilung des
Wettbewerbsvorteils die Frage der Nachhaltigkeit entscheidend - die Kernkompe-
tenz muß ,distinctive' und 'sustainable' sein. Eine vorteilhafte heterogene Ressour-
cenverteilung generiert nur dann einen längerfristigen konkurrentiellen Vorsprung,
wenn diese dauerhaft zu halten ist und keine Diffusion der einmaligen Kernkompe-
tenzen zu anderen Unternehmen eintritt.
Von den Vertretern des RbV werden vier wesentliche Faktoren identifiziert, die die
Nachhaltigkeit des Wettbewerbsvorteils bestimmen:537
(a) Werthaltigkeit: der Kunde ist bereit für das Produkt des Ressourcenbündels einen
Mehrwert am Markt zu zahlen. Dies ist die grundlegende Voraussetzung für ein
Unternehmen, um wirtschaftlichen Erfolg zu erzielen.
(b) Knappheit: das Ressourcenbündel ist nur begrenzt am Faktormarkt verfügbar und
es bestehen Hindernisse für eine Diffusion. Nur eine beschränkte Existenz der zur
Generierung von Erfolg notwendigen Ressourcen verhindert eine schnelle Diffusion
bei Konkurrenten, die zu einer Erodierung der Einmaligkeit des Ressourcenbündels
führt. Diese Knappheit erhöht sich mit zunehmender Unternehmensspezifität der
Ressource. Eine Übertragbarkeit wird schwieriger und verursacht höhere Kosten.
142
Gleichzeitig verliert die Ressource ihren inhärenten Wert für den anderen Akteur,
denn das besondere Umfeld - das Zusammenspiel mit den anderen Ressourcen in
der spezifischen Unternehmensumwelt (auch ,level of interconnectedness' genannt),
das zu der höheren Wertschöpfung beiträgt, ist aufgelöst. Unternehmensspezifische
Knappheit steigert den Wert und die Heterogenität der Ressource. Dies gilt insbe-
sondere für intangible und organisationeHe Ressourcen, die in einem Unternehmen
gewachsen sind und eine starke Spezifität ausgebildet haben.
(c) Schwere Imitierbarkeit: das Ressourcenbündel ist durch Wettbewerber nicht oder
nur sehr schwer zu imitieren. Der Wettbewerber kann die erfolgskritischen Be-
standteile nicht durch eigene ihm zugängliche Ressourcen kopieren. Sehr schwierig
zu imitieren sind Ressourcen, die sich aus der Entwicklungshistorie des Unterneh-
mens gebildet haben, wie z.B. die Unternehmenskultur, oder durch unternehmens-
interne Prozesse entstanden sind, wie besondere persönliche und organisationeHe
Erfahrungen. Die einzigartige Ausbildung eines unternehmensspezifischen Ressour-
cenbündels verhindert nahezu eine Nachahmung durch Wettbewerber. lmitierbar-
keit wird weiterhin erschwert durch Komplexität des Ressourcenbündels oder des
damit zusammenhängenden inhärenten Prozesses, weniger technischer sondern in-
formeller Natur. Diese verborgenen Eigenschaften können zu einem Mißverständnis
bzw. einer Nicht-Wahrnehmung der entscheidenden Ressource bei Konkurrenten
führen. Intangibilität und Perzeptionsdifferenzen, 'causal ambiguity' genannt, er-
schweren somit die Imitierbarkeit.538
(d) Schwere Substituierbarkeit: das Ressourcenbündel kann nicht ohne Auswirkungen
auf das Resultat von einem Wettbewerber ausgetauscht und damit ersetzt werden.
Der Wettbewerber kann die erfolgskritischen Bestandteile schwer durch eigene ihm
zugängliche Ressourcen substituieren. Diese Abwehr der Substituierbarkeit ist ins-
besondere in stark innovativen Märkten und hoher technologischer Erneuerungs-
kraft durch ein Unternehmen nur bedingt zu erreichen: sie entzieht sich der eigenen
Gestaltbarkeit. Je höher die Dynamik und Innovation in einer Branche, desto stärker
werden Konkurrenten nach alternativen Möglichkeiten forschen, eine erfolgreiche
Ressourcenkonfiguration mit anderen ihnen zugänglichen Mitteln zu substituieren.
Die Wahrnehmung des Status quo verändernder Chancenpotentiale, beispielsweise
durch Technologiesprünge, wird durch die Offenheit gegenüber der Außenwelt des
Unternehmens, nicht nur der marktliehen Umwelt, bestimmt (siehe Punkt II 1.2).
'Schwache Signale' und Analysen der Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Ressour-
cenbündel erlangen Bedeutung.
(2) Strategieentwürfe
Kernkompetenzen I-fähigkeiten, die aus Ressourcenbündeln bestehen und nach-
haltig durch ein Unternehmen im Wettbewerb behauptet werden können, bilden
nach dem Rb V die Quelle wirtschaftlichen Erfolgs. Kernkompetenzen sind ein
"summary of the firm's asset investments, which in aggregate are the fundamental
144
Die Nachhaltigkeit der im Unternehmen herausgebildeten Kernkompetenzen ist
durch das Unternehmen gestaltbar. Entscheidend sind intangible und unterneh-
mensspezifische Faktoren, die als dynamische Kernkompetenzen die Grundlage für
die innovative Erneuerung der erfolgreichen Ressourcenbündel legen.543
Organisatorische Fragestellungen, neben formaler Struktur insbesondere die sozialen
Prozesse und mentalen Kontexte der handelnden Menschen, gelangen in den
Mittelpunkt des Interesses: anstatt beispielsweise einer umfangreichen IT-Um-
gebung oder bestehender Patente, sind die organisatorische Fähigkeit der Technolo-
gieimplementierung oder die zukünftige Innovationsfähigkeit der Organisation bei
zukünftigen Produktgenerationen entscheidend. Daneben ist auch eine die dyna-
mische Strategiesicht begleitende langfristige Vision des Unternehmerischen Pfades
zum Erfolg notwendig. Hamel/Prahalad nennen dies ,strategic intent': "creating an
obsession with winning at all levels of the organization and then sustaining that
obsession over the 10-to 20-year quest for globalleadership".544
Dies bedeutet die Wahl der kritischen Kompetenzen und deren gezielter Aufbau als
Konsequenz von ,intent' und ,commitment' des Unternehmens. Strategie wird zur
Brücke zwischen Ambition zukünftiger Wettbewerbsposition und aktueller Ressour-
cenposition des Unternehmens. Dies beinhaltet eine eindeutige Zielperspektive aber
auch das inkrementaleVerfolgen der Ressourcenentwicklung- das dualistische Prin-
zip von ,strategy by design' und ,strategy by incrementalism'.545
(3) Prämissen
Der Rb V basiert auf der Annahme der Ressourcenheterogenität. Vollkommene Beschaf-
fungsmärkte, auf denen die für die Erfolgserzielung notwendigen Ressourcenbündel
transfederbar sind, werden durch Perzeptionsunterschiede der Unternehmerischen
Akteure und unternehmensinterne Ressourcenentwicklung als nicht existent abge-
lehnt. Homogenität, die einen vollkommenen Beschaffungsmarkt für Ressourcen
voraussetzt, ist somit mit der Existenz von spezifisch ausgebildeten und einmaligen
Ressourcen nicht vereinbar, die zum Angelpunkt des RbV werden. In einer dyna-
mischen Perspektive des RbV muß zum Entstehungszeitpunkt von Kernkompe-
tenzen im Unternehmen ein unvollkommener Wettbewerb existieren, damit eine
asymmetrische Ressourcenaufteilung - als Prämisse für erfolgsgenerierende Kern-
kompetenzen - erst entstehen kann. Ohne Beschränkungen des Wettbewerbs
könnten die Vorteile nicht konserviert werden, sondern wären in einem höheren Res-
sourcenpreis bereits zu Beginn enthalten. Bei der Ausübung des Vorteils verhindern
tion kompetitiven Vorteil begründet, vgl. Collis/Montgomery (1995) S. 127-128, für die Rb V Perspektive zu
Diversifikation vgl. auch Chatterjee/Wernerfelt (1991) S. 33-48; das zweite Forschungsfeld betrifft die strate-
gischen lmplikationen von globalem Wettbewerb. Die Positionen von MbV und Rb V sind dabei nicht weit
entfernt: beispielsweise wird die Bedeutung des Heimatlandes für die Strategiewahl in beiden Ansätzen her-
vorgehoben (heimische Ressourcenbasis-Rb V und die Heimbasis für 'factor conditions' im Porter Diamanten
- MbV), vgl. Porter (1990) und Collis (1991).
543 Vgl. Winter (1987) S. 169-175.
544 Hamel/Prahalad (1989) S. 64.
545 Vgl. Hamel/Prahalad (1993) S. 84.
145
die Unvollkommenheiten eine Erodierung des etablierten Vorteils durch sofortige
Imitation oder Substitution. Peteraf bezeichnet diese notwendigen Grenzen des
Wettbewerbs als "ex ante- ... and ... ex post Iimits to competition ... ".546 Sie erweitert
damit den RbV um eine Sicht vor dem Aufbau der Kernkompetenzen und bei der
Ausspielung der Kompetenzvorteile im Zeitablauf (siehe Abbildung III.14).
Markt WerthaiUgkelt
(1) Marktzugang
(2) Erhöhte Zahlungsbereitschaft
Welche Geschäfts-
+ +
möglichkeiten er- I Heterogenität I
1 Immobiiität der 1
öffnen die eigenen
.,.
Kompetenzen? : Ressourcen :
.,.
Dynamische Kernkompetenzen
146
die Konzentration auf definierte Kernbereiche des Unternehmens zum Leitmotiv in
den neunziger Jahren.547 Ansatzpunkte für Kritik ergeben sich aber aus einer
terminologischen Ungenauigkeit, der problematischen Operationalisierbarkeit als
ganzheitliches Strategiekonzept und der Interaktion mit anderen Strategiekonzep-
tionen.
547 Im Gegensatz zu unverbundenen Diversifikationen in den sechziger Jahren, werden seit den achtziger Jahren
verbundene Diversifikationen von Unternehmen in M&A-Aktivitäten bevorzugt, vgl. Knyphausen (1995) S.
86-87.
548 Vgl. z.B. Hamei/Prahalad (1990), Barney (1991), Amit/Schoemaker (1993), Hall (1992), Itami (1987).
549 Wenn sich die Wissenschaft nur auf Begriffsbildungs- und Definitionsprobleme beschränkt, spricht Popper
von einem ,essentialistisches Wissenschaftsziel'. Er kritisiert hierbei die mangelnde Leistungsfähigkeit der
Wissenschaft für Theoriebildung und -verifizierung, die über definitorische Auseinandersetzung und Nabel-
schau nicht hinaus kommt. Diese reduktionistische Sicht der essentialistischen Wissenschaftsziele wird in der
vorliegenden Untersuchung abgelehnt, allerdings ist die begriffliche Präzisierung ein wichtiger und für die
Theoriebildung notwendiger Teil eines umfassenden Wissenschaftsziels (siehe Kap. !.2), vgl. Popper (1995b) S.
147-148, vgl. Chmielewicz (1994) S. 49-76.
550 Vgl. Rumelt (1991) S. 167-185.; vgl. Hamel/Prahalad (1990) S. 86-91.
147
die Flexibilität eines Unternehmens verringern, schnell und antizipierend auf verän-
derte Umweltsituationen zu reagieren. Beispielsweise können dies "sunk costs" tan-
gibler Ressourcen sein wie Maschinen, Personalaufbau oder Marketinginitiativen mit
lokalen Schwerpunkten, aber auch eine ausgeprägte Kultur des Unternehmens, die
neuen Herausforderungen nur in ihrem gewohnten Modus begegnet. Starke und
komplex ausgebildete Kompetenzen einer bestehenden Geschäftssituation verhin-
dern gleichzeitig das kompromißlose Verfolgen eines neuen Paradigmas, das die
bestehenden Verhältnisse unwiederbringlich verändert: dies umso mehr, je diskon-
tinuierlicher sich der Paradigmasprung vollzieht.551 Dies offenbart einen weiteren
wesentlichen Kritikpunkt, der konzeptioneller Natur ist.
551 Auch die Fähigkeit von IBM als kompletter Systemanbieter den !I-Markt bis Mitte der achtziger Jahre zu
dominieren, beruhte auf ausgeprägten historischen Ressourcenkombinationen (intensive F&E-Kultur, starke
Marketing&Vertrieb-Orientierung). Die Fragmentierung und Miniaturisierung des !I-Marktes durch den
technologischen Fortschritt stellte das IBM Erfolgsmodell in Frage. Die starke Unternehmenskultur im alten
technologischen Paradigma ein Erfolgsfaktor, erwies sich für den Wandel als Hindernis.
552 Vgl. Rasche/Wolfrum (1994) S. 512-513.
148
mische Charakter, der bei Unternehmerischen Ressourcen und dynamischen Kern-
kompetenzen im Rb V entwickelt wird, liefert konzeptionelle Erkenntnisse und grobe
Gestaltungsvorschläge für die Unternehmerische Strategieentwicklung. Eine end-
gültige Beantwortung der Frage nach dem Entstehen der erfolgskritischen Ressour-
cen im Unternehmen, die letztendlich eine vom Markt auf die Unternehmens-
perspektive vorverlagerte Frage nach der letzten Ursache von Wettbewerbsvorteilen
ist, bleibt allerdings offen.
Ein anderer entscheidender Aspekt der Konzeption des RbV betrifft die Transferier-
barkeit in die unternehmerische Realität. Die Bedeutung von erfolgskritischen Ressour-
cenkombinationen und dynamischen Kernkompetenzen erscheint einsichtig - die
Relevanz für eine Einarbeitung in strategische Gestaltungsempfehlungen hoch. Die
grundsätzliche Schwierigkeit besteht aber in der ex-ante Identifikation und Förderung
der kritischen Ressourcen und Kernkompetenzen im Unternehmen.553 Für eine ex-
post Erklärung von Wettbewerbsvorteilen ist das Konzept sehr geeignet. Beispiels-
weise lassen sich die teamorientierte Arbeitsweise, das Denken in kontinuierlichen
Verbesserungskategorien und die intensive Zusammenarbeit mit wichtigen Zuliefer-
unternehmen - alles Elemente, die sich historisch und unternehmensspezifisch in
Japan entwickelt haben - als erfolgsentscheidende Faktoren japanischer Automo-
bilunternehmen in den achtziger und Anfang der neunziger Jahre identifizieren.554
Diese haben sich als spezifische Ressourcenkombinationen herausgebildet und sind
für Konkurrenten aufgrund des im Kern intangiblen Charakters schwer imitierbar
und im Sinne des RbV nachhaltig für den Erfolg.555 Imitation des erfolgreichen
Strategiekonzeptes verlangt die Berücksichtigung des zeitlichen- des evolutorischen
Elements der Unternehmensentwicklung, ohne bereits zum Zeitpunkt der Entschei-
dung (ex ante) das Ergebnis einer solchen Ressourcenorientierung abschätzen zu
können. Die Logik dieses Gedankengangs hinterfragt implizit die gestalterischen
Möglichkeiten einer rational-ökonomischen Managementtheorie: "Es muß eben erst
ein historischer, Zeit in Anspruch nehmender Prozeß durchschritten werden, in dem
sich die Merkmale eines Systems herauskristallisieren, und niemand kann vorher
wissen, wie zu einem bestimmten Zeitpunkt diese Merkmale im einzelnen aus-
sehen."556
Ein anderes Beispiel stellt das duale Ausbildungssystem in Deutschland dar. Ex-post
wird es heute als Grundlage des nachhaltigen und substantiellen Erfolgs deutscher
Unternehmen angesehen, mit einer qualifizierten Arbeiterschaft auf Veränderungen
553 Vgl. Amit/Schoemaker (1993) S. 328; die ex-ante Identifikation von Kompetenzen und notwendigen organi-
satorischen Transformationszeitpunkten beschäftigt auch Hamei/Prahalad (1994). Die Intensität ihrer The-
matisierung läßt vermuten, daß auch sie die Schwierigkeit einer aktiven strategischen Gestaltung anerkennen.
554 Vgl. beispielsweise Fujimoto (1998) S. 15-44:er führt die Stärke von Toyota in der Automobilindustrie auf hi-
storisch entwickelte evolutive Fähigkeiten zurück.
555 Einen ausführlichen Überblick über die Charakteristika japanischer Unternehmen, die wissenschaftliche
Erklärungsversuche und die Bedeutung für die Strategiediskussion bietet Knyphausen (1995) S. 115-143, vgl.
auch Aoki (1990) S. 1-27, Prahalad/Hamel (1989/1990); die Schwierigkeit der japanischen Automobilindustrie
- mit Ausnahme von Toyota - die kulturbedingten Parameter den veränderten Wettbewerbsbedingungen
anzupassen, manifestiert eindrucksvoll die potentiellen Gefahren starker historischer Entwicklungen (siehe
modelltheoretisch immanente Kritikpunkte).
556 Knyphausen (1995) S. 139.
149
flexibel zu reagieren.557 Die historische Entwicklung erfolgte aber eher zufällig. Die
schlechten Ausbildungssysteme in Deutschland zu Beginn der Industrialisierung
veranlaßten die Industrie, eine eigenständige Ausbildung für ihre Arbeiter einzu-
führen, die auf das alte und bedeutsame handwerkliche Zunftwesen zurückgriff, das
zu Beginn der Industrialisierung als ausdrückliches Zeichen für die Rückständigkeit
der deutschen im Vergleich zur englischen und französischen Industriegesellschaft
angesehen wurde. Für das Paradigma der Massenproduktion und des Taylorisrnus
war das gewachsene handwerklich Kleingewerbe-orientierte Produktions- und Aus-
bildungssystern nicht notwendig, behinderte sogar die schnelle Industrialisierung.
Die Krise der Industrialisierung und der Massenproduktion haben aber zu einer
Renaissance des handwerklichen Paradigmas geführt, das sich in kundenspe-
zifischen Lösungen, hoher Qualität, hoher Flexibilität der Unternehmen und hoch-
wertiger Ausbildung des Humankapitals ausdrückt.558 Ex ante waren die Erfolgs-
grundlagen sowohl der Erfolg der japanischen Automobilunternehmen oder der
deutschen Maschinenbauunternehmen schwer zu diagnostizieren. Die Möglichkeit
einer ex-ante Identifikation und Antizipation der erfolgskritischen Ressourcen-
kombinationen ist für eine zielgerichtete Unternehmensstrategie aber unerläßlich.
Lediglich aussagefähige ex-post Diagnosen zu stellen, erscheint für eine ganzheit-
liche Strategiekonzeption unbefriedigend. Die Schwierigkeit einer antizipierenden
Identifikation von nicht nur generischen Erfolgsressourcen, wie z.B. organisato-
risches Lernen, ist ein gestaltungsrelevantes Problern des Rb V.
Als Gegenposition zum MbV propagiert - bereits diese Tatsache manifestiert den
durchschlagenden Erfolg des MbV in der Strategiedebatte -, entsteht in vielen Bei-
trägen zum Rb V der Eindruck einer stark vereinfachenden und oberflächlichen Aus-
einandersetzung mit anderen, insbesondere marktorientierten Strategiekonzep-
tionen.559 Dem MbV wird eine eindimensionale, rein marktbasierte Argumentati-
onslogik unterstellt, obwohl auch dort Werteketteanalysen und Strategiekonzepte
eine unternehmensbezogene Sicht explizit einbeziehen. Rasche/Wolfrum vermuten
sogar, daß eine gezielte Neudefinition alter Begrifflichkeiten nur ein attraktives ,Re-
packaging' existierender Erkenntnisse über unternehmensbezogene Stärken dar-
stellt.560 Andererseits machen Collis/Montgomery deutlich " ... the Resource-based-
View builds on, but does not replace, the two previous broad approaches to strategy
by combining [kursiv im Orginal - A.d.V. - ] internal and external perspectives."561
Aus der Vielzahl der z.T. widersprüchlichen Beiträge und propagierten Thesen er-
scheint es deshalb sinnvoll, die zentralen Kernthesen zu filtern und mit den Thesen
des MbV zu vergleichen.
557 Auch hier läßt sich das Gegenargument formulieren, daß das duale Ausbildungssystem mit den festen
Strukturen von Kammern und definierten Ausbildungsgängen das Entstehen neuer Berufszweige im Dienst-
leistungsbereich, z.B. Medien oder e-commerce, behindert. Historische Vorteilhaftigkeil einer spezifischen
Kernkompetenz erweist sich als Verbindlichkeit beim Sprung zu einem neuen Paradigma (die Industrie-
wandelt sich zur Dienstleistungsgesellschaft).
558 Vgl. Piore/Sabel (1989) S. 58-59, 160-169,229-231,254-262.; vgl. Kieser (1994) S. 79-81.
559 Beispielsweise thematisiert Porter explizit die unternehmensinternen Kompetenzen, um eine dynamische
Strategietheorie zu erarbeiten, vgl. Porter (1991) S. 95-117.
560 Vgl. Rasche/Wolfrum (1994) S. 513.
561 Collis/Montgomery (1995) S. 119.
150
3.3 Zwischenfazit-Ansatzpunkte für ein holistisches strategisches Orientie-
rungskonzept
Der Market-based-View hat die Strategiedebatte stark bereichert, sowohl konzeptio-
nell als auch methodisch. In ihm werden ökonomische Prinzipien aus der stark mo-
dellhaft betriebenen Mikroökonomie als strategisches Instrumentarium eingeführt
und gleichzeitig in der Unternehmerischen Realität überprüfbar gemacht. Neben den
Erfolgen haben auch die Defizite des Ansatzes eine theoretische Weiterentwicklung
in der strategischen Unternehmensführung bewirkt. Die Vernachlässigung nicht klar
modellierbarer behavioristischer Aspekte wie beispielsweise akkumulierbare Erfah-
rung im Unternehmen, Motivationsfragen der Mitarbeiter oder organisatorische
Fähigkeiten haben zu Ansatzpunkten neuer Arbeiten geführt.562
Der Resource-based-View liefert wertvolle Erkenntnisse zur Bedeutung und Struktur
der unternehmensinternen Leistungsfähigkeit. Seine Originalität bezieht sich auf die
Sicht der Unternehmung als Kombination tangibler und intangibler Ressourcen, die
wegen ihrer beschränkten Fungibilität nur zum Teil oder gar nicht auf Märkten bezo-
gen werden können. Entgegen den Annahmen des ökonomischen Ansatzes wird die
Immobilität von kritischen Ressourcen und Fähigkeiten postuliert und die Histori-
zität der Unternehmerischen Tätigkeit als bedeutsam anerkannt.563 Mit dieser Sicht
erweitert der RbV entscheidend das strategische Theorieverständnis über rein
industrieökonomische Argumentationslinien hinaus. Einmalige Ressourcenkom-
binationen als Erfolgsgeneratoren, die Thematisierung der historischen Entwicklung
mit der hohen Relevanz dynamischer Kernkompetenzen für Unternehmen führen zu
neuer Aufmerksamkeit des Themas ,Organisation' - nicht als Aufbau- und Ablauf-
modell, oder als einflußloser Parameter einer Produktionsfunktion wie in der ökono-
mischen Theorie, sondern als Inkubator von organisatorischem Lernen, Anreiz-
mechanismus und Unternehmenskultur.564 Organisatorische Fähigkeiten werden als
ein kompetitiver Wettbewerbsvorteil interpretiert, der nachhaltig ökonomischen
Erfolg sichern kann.
Trotz der gegensätzlichen Positionen und scheinbar antithetischen Schlußfolge-
rungen für Unternehmerische Strategiekonzepte sind der Market-based-View und
der Resource-based-View sich gegenseitig befruchtende und ergänzende
Strategieentwürfe. Sie basieren beide auf dem konstitutiven Moment des Strategie
Choice Paradigmas: der rationalen Gestaltbarkeil unternehmerischer Entwicklungen
und Erfolge. In einer differenzierenden Analyse, die nicht nur die orthodoxen Posi-
tionsbestimmungen berücksichtigt - das strikte Structure-(Conduct)-Performance
Modell der Industrieökonomik bzw. die ausschließliche Ressourcenorientierung im
RbV - sondern auf die essentiellen Argumente abstrahiert und die konstruktiven
Weiterentwicklungen berücksichtigt, können beide Konzepte als symbiotisch aufge-
151
faßt werden.565 Schließlich hat Porter als Exponent des MbV mit seinen Arbeiten zur
Wertekette, bei der die einzelnen Aktivitäten des Unternehmens verbunden und
interdependent sind, ein wichtiges strategisches Instrument der internen Stärken-
Schwächen-Analyse entwickelt (siehe Abbildung III.15).566
Synthese
Abbildung Ill.15. Ansatzpunkte aus der Strategiedebatte fü r eine Strategiekonzeption und Thesen-
entwicklung
Quelle: Eigene Darstellung
565 Vgl. beispielsweise Knyhausen (1993) S. 785-786, auch Rasche/Wo lfrum (1994) S. 51 3-514; Krebs/Spence
zeigen, daß historische Elemente von Unternehmen, inklusive "sunk costs", in Weite rentwicklungen des MbV
thematisiert werden , vgl. Krebs/Spence (1985) S. 340 -378, vgl. auch Shapiro (1989) S. 125-137; Herausstellung
der integrativen Funktion d es Rb V im Strategischen Man a gement beispielsweise bei Mahoney / Pandian
(1992); vgl. auch Rühli (1995); Cmwer vergleicht den Rb V mit zentralen Strömungen ind ustrie-ökonomischer
Ansätzen (u.a. orthodoxe 10 und Transaktionskostenansatz) und resümiert dagegen, daß der Rb V mit starken
Wurzeln im industrie-ökonomischen Ansatz eine ganzhei tliche Alternative z um MbV da rste llt: der RbV
" rcflects a strong cumultive 10 he ritage and is a t the sametime unique in tha t it incorp orates a majo r depa r-
ture .. . to wards a eaching
r fo r a theory o f the firm" (Conner (199 1) S.143-144), vgl. Conner (199 1) S. 211 -154.
566 Vgl. Porter (1 985) S. 45-48.
567 Vgl. Po rte r (1987) S. 31-33; eine detaillierte Ana lyse und App likation der Wertekette des Porter-Kon zepts bei-
spielsweise b ei Duncan / Gi ntc r/Swayne (1 998) S. 6- 16.
568 Vgl. Amit / Schoema ker (1 993) S. 334-336.
152
management fads."569 Essentiell erscheint, daß, externe und interne Schwerpunkt-
setzung der Strategie in einer kontextbezogenen Betrachtung variieren können -
unter besonderer Berücksichtigung der kontingenztheoretischen Einflußfaktoren der
jeweiligen Unternehmung. Allerdings bestehen immer noch Ansatzpunkte das
strategische Rahmengerüst weiter zu verbessern: insbesondere die Dimensionen
Handlungsunsicherheit, Interaktionsstrategien mit verschiedenen Marktteilnehmern
und Komplexitätsfragen bieten ein Feld für bessere Einsichten.
569 Collis/Montgomery (1995) S. 128; zu einem umfassenden ,Corporate Advantage'-Konzept vgl. auch
Collis/Montgomery (1998) S. 71-83.
153
Strategie formulation is judgemental
designing, intuitive visioning, and
emergent learning; il is about Irans-
formation as weil as perpetuation
Mintzberg, Ahlstrand, Lampe!
155
• Biotech-Unternehmen lassen sich in drei Geschäftsmodell-Typen unter-
scheiden: das Wirkstoff-, das Technologie- und das Instrumente-
Geschäftsmodell
• Die einzelnen Geschäftsmodelle implizieren unterschiedliche Nachhaltig-
keit, Attraktivität und Entwicklungspfade der Biotech-Unternehmen
156
liehen Forschung, erscheint sinnvoll. Problematisch erscheint daneben die Sicherung
der Schutzrechte für die proprietäre Technologie bzw. die generierten Produkte.
Nur ein Patentschutz garantiert eine nachhaltige Generierung von Erträgen aus den
Forschungsprodukten. Eine klare Patentsituation und kompetente Betreuung der
Schutzrechte des Unternehmens erscheint für die Erreichung einer attraktiven
strategischen Position notwendig.
Erste Thesen:
Eine herausragende Technologie ist für Unternehmen der High-tech-Branche
Biotechnologie eine essentielle Strategiekomponente
Infolge der großen Unsicherheiten in der Forschung haben Biotech-Unter-
nehmen ein hohes Risikoprofil
Hohes Risiko in der Forschung beinhaltet ein großes wirtschaftliches Chancen-
potential für Biotech-Unternehmen
Die Sicherung der Forschungsergebnisse im Rahmen von Patentschutz hat
eine hohe Bedeutung
157
Venture Capital Investoren haben einen Einfluß auf die Erfolgschancen
von Biotech-Unternehmen
Staatliche Fördermaßnahmen zur Stimulierung des privaten Eigenkapital-
marktes unterstützen Venture Capital Investitionen und erweitern sinnvoll
das externe Kapitalangebot für Biotech-Unternehmen
Der Erwartungshorizont externer Kapitalgeber aus Venture Capital und
Kapitalmarkt gegenüber Biotech-Unternehmen hat sich im Zeitablauf
gewandelt
Abbildung IV.l: Erkenntnisse aus der Analyse industriespezifischer Rahmenbedingungen für die
Generierung des strategischen Orientierungskonzepts
Quelle: Eigene Darstellung
158
der explorativen Untersuchung (siehe Kap. III.l-3). Basierend auf einer detaillierten
theoretischen Analyse lassen sich Beiträge aus vier Theorieschwerpunkten für die
weitere Untersuchung synthetisieren: Innovation, Entrepreneurship, Markt-orien-
tierte und Ressourcen-orientierte Strategiekonzepte
Innovationsfähigkeit ist für schnell wachsende und durch stetig neue Forschungs-
erkenntnisse getriebene Unternehmen in der Biotech-Industrie eine essentielle Eigen-
schaft. Bedeutsam erscheint die Konzeption des technologischen Paradigmawech-
sels und der sich in stetigen Leistungsfähigkeitssprüngen bewegenden S-Kurven.
Dies gilt sowohl für die High-tech-Branche Biotechnologie als ganzes, im Vergleich
zu konventionellen pharmakologischen oder Agro-Technologien, als auch für unter-
schiedliche Technologien innerhalb der Biotechnologie. Die Integration der Techno-
logieperspektive in eine umfassende Unternehmerische Innovationsstrategie er-
scheint für eine High-tech-Branche wie die industrielle Biotechnologie zwingend.
Unterschiedliche Quellen der Innovationsgenerierung bieten insbesondere für Bio-
teeh-Unternehmen eine interessante Perspektive. Das komplexe Zusammenwirken
der unterschiedlichen Stufen der Forschungs- und Entwicklungs-Wertschöpfungs-
kette in den Life Seiences eröffnet signifikante strategische Potentiale für Biotech-
Unternehmen. In- und Outsourcing-Entscheidungen von Technologien und
Produktkandidaten scheinen für ein effizientes Forschungsmanagement einen neuen
Schwerpunkt zu bilden, um in einer innovativen und turbulenten Wettbewerbsland-
schaft unternehmensinternes und marktliches Know-how optimal zu nutzen. Diese
Aspekte scheinen sowohl für Pharma als auch für Biotech-Unternehmen zu gelten.
Die Bedeutung des Innovationsprozesses erhöht sich zusätzlich, wenn technolo-
gische Diskontinuitäten zu überwinden bzw. vorteilhaft auszunutzen sind. In einer
Industrie, deren kommerzieller Erfolg sehr stark von wissenschaftlichem Fortschritt
abhängt, spielen die Fähigkeiten einer antizipativen Erkennung von disjunkten
Umbrüchen eine wichtige Rolle.
Erste Thesen:
In der Biotechnologie als High-tech-Branche existieren kurze Innovations-
zyklen und disjunkte Technologieumbrüche (S-Kurvenkonzept) in einzelnen
Geschäftsfeldern
Hohe Bedeutung der Technologie innerhalb eine gesamthafte Innovationsstra-
tegie ist essentiell für die Innovationsfähigkeit und den Unternehmerischen
Erfolg in der Biotechnologie
Interaktionen und Zusammenarbeit von Unternehmen zur Generierung von
Innovationen sinnvoll
F&E-Outsourcing eröffnet Unternehmerische Chancen für Biotech-Unter-
nehmen
159
(2) Erkenntnisse aus den Entrepreneurship-Ansätzen
Die Arbeiten zum Entrepreneurship Thema fassen verschiedene Dimensionen zu-
sammen. Die Klärung verschiedener Typologien junger Unternehmen fühit zu einer
spezifischen Betrachtung des wachstumsstarken und innovativen Typs, dem Biotech-
Unternehmen zugerechnet werden können. Die Entrepreneurship Konzepte spezifi-
zieren die funktionalen Rollen und charakteristischen Ausprägungen der Entrepre-
neure. Als Ansatzpunkt eines Strategiekonzeptes leitet sich hieraus ein hohes Be-
deutungsprofil für das Management bzw. die Unternehmensführung von Startur-
Unternehmen ab.
Die Funktionen, die von Unternehmen im ökonomischen Sinn übernommen werden,
verdeutlichen die Wichtigkeit des innovativen Elements und der Koordination von
Ressourcen für innovationsgetriebene Unternehmen. Die Übernahme von markt-
licher Unsicherheit und das Ausnutzen von existierenden Marktungleichgewichten
beleuchtet die gesamtwirtschaftliche Aufgabe von Unternehmern und bildet eine
Erklärungsgrundlage für den erzielbaren ökonomischen Erfolg. Der außerordentlich
hohe Grad der Unsicherheit für Unternehmen in der Biotechnologie scheint eine kor-
respondierende hohe ökonomische Gratifikation bei Erfolg zu bedingen, um Unter-
nehmer und Investoren für Aktivitäten in dieser Branche zu gewinnen. Die Arbi-
trage von Marktungleichgewichten hat als Erklärungsansatz für Biotech-Unter-
nehmen keine Bedeutung.
Die verhaltenswissenschaftlichen Arbeiten, insbesondere die personenorientierten
Arbeiten, erscheinen für das Untersuchungsziel einer holistischen strategischen Kon-
zeption nur bedingt aussagefähig. Die Ergebnisse zu Erfolgscharakterzügen sind nur
unzureichend abstrahierbar und liefern nur begrenzt Erkenntnisse, die über wenig
überraschende Aussagen über Motivation und Leistungsethik hinaus reichen. Inter-
essanter erscheinen die Aussagen zur Bedeutung von teamorientierten Unterneh-
mensgründungen und den unterstützenden Umfeldfaktoren, den positiven Effekten
aus regionalen Agglomerationen und Netzwerkverbindungen für junge Unterneh-
men. Die Förderung von Biotech-Clustern in Deutschland im Rahmen des Bio-
Regionen-Wettbewerbs bietet hierbei einen interessanten Anhaltspunkt.
Die Frage der Zielbestimmung ist für alle Unternehmen von entscheidender Bedeu-
tung - nicht nur oder ausschließlich für junge Biotech-Unternehmen. Allerdings
scheinen die unterschiedlichen Implikationen eines 'Maximiser'- oder 'Satisfier'-
Ansatzes ein bestimmtes Muster der Unternehmerischen Entwicklung vorzuzeich-
nen, das insbesondere für wachstumsstarke Unternehmen aus High-tech-Industrien
relevant ist. Die Abhängigkeit des eingeschlagenen Entwicklungspfades scheint
nicht ausschließlich als bewußter Prozeß zu erfolgen, sondern ergibt sich aus den
jeweiligen Prämissen, Erfolgsdefinitionen und Gedankengebäuden der Zielsysteme -
der Metaebene des Unternehmens. Beispielsweise erscheint zur Akquise von VC
eine stark wachstums-und ertragsorientierte Zielsystematik notwendig bzw. förder-
lich. Die Bedeutung für die strategische Positionierung und das verfolgte Ge-
schäftsmodell muß in der explorativen Untersuchung näher ergründet werden.
Unterschiedliche Phasen, die ein junges Unternehmen im Idealfall durchläuft- von
der Gründung bis zum Börsengang-geben ein dynamisches Verständnis der unter-
160
nehmerischen Entwicklung. Die Perspektive eines Unternehmerischen Zykluses er-
öffnet Chancen für eine gestalterische Konzeption des Strategieentwurfsund des ver-
folgten Geschäftsmodells. Es führt zu der These, daß bestimmte Pfade der Entwick-
lung bewußt gewählt und auch vorbereitet werden können. Anforderungsprofile
und Herausforderungen der unterschiedlichen Entwicklungsschritte von der Vor-
gründungsphasebis zum Post-IPO werden in die strategische Konzeption integriert.
Ein antizipatives Phasenverständnis und eine korrespondierende Strategie scheinen
einen Einfluß auf die Erfolgswahrscheinlichkeit eines jungen High-tech-Unterneh-
mens zu haben. Im zweiten empirischen Abschnitt werden diese Thesen explorativ
für ihre Relevanz in der Biotech-Industrie näher betrachtet.
Erste Thesen:
Biotech-Unternehmen übernehmen verschiedene funktionale Aufgaben, insbe-
sondere bei Innovationsgenerierung und Internalisierung von Unsicherheit bei
Forschungsprojekten
Hohe Bedeutung des Unternehmers bzw. des Managements für den Geschäfts-
erfolg des Biotech Unternehmens
Determinierende charakterliche Verhaltenszüge des Unternehmers bzw.
Managers nur bedingt relevant
Es existieren unterschiedliche Erfolgswahrscheinlichkeiten bei Einzel- und
Teamgründungen
Biotech-Cluster bilden unterstützende Umweltfaktoren für die Interaktion von
Biotech-Unternehmen zu Wissenschaftseinrichtungen, Finanzierungsquellen,
anderen Biotech-Unternehmen und Life-Sciences-Unternehmen
Das Unternehmerische Zielsystem bestimmt Wachstumsperspektiven und
Ausrichtung des Geschäftsmodells
Die strategische Gestaltung der Unternehmerischen Entwicklungsphasen
beeinflußt den Erfolg der Unternehmung
161
(3a) Markt-orientierte Strategieperspektive
Die Marktperspektive - die Frage nach der Positionierung in der Life-Sciences-
Branche bzw. in spezifischen Stufen der Wertschöpfungskette-eröffnet interessante
strategische Aspekte für ein junges Biotech-Unternehmen, insbesondere wenn ein
dynamisches Entwicklungsverständnis angewandt wird. Fragen nach dem Produkt-
Markt-Konzept und dem Marktauftritt der Unternehmung können im Themengebiet
der Marktperspektive subsumiert werden. Zu klären bleibt, inwieweit unterschied-
liche Geschäftsmodelle für Biotech-Unternehmen mit individuellen Entwicklungs-
möglichkeiten innerhalb einzelner Wertschöpfungssegmente der Life-Sciences-
Industrie bestehen. Eine differenzierte Betrachtung der unternehmerischen
Geschäftsmodelle in der explorativen Untersuchung ermöglicht eine spezifischere
Aussagekraft für Strategieentwürfe.
(3b) Ressourcen-orientierte Strategieperspektive
Die unternehmensinterne Perspektive lenkt die Aufmerksamkeit auf die originären
Leistungsparameter - die Identifizierung, Herausbildung, Förderung und Bewah-
rung von kritischen Kernkompetenzen, als Grundlage langfristigen Erfolgs. Bedeut-
sam erscheint die Idee der dynamischen Kernkompetenzen I-fähigkeiten für Biotech-
Unternehmen. Spezifische und intern herausgebildete Ressourcen, wie. beispiels-
weise eine innovative und flexible Unternehmenskultur, können determinierende
Faktoren für nachhaltigen Unternehmenserfolg sein. Interessant für Biotech-Unter-
nehmen erscheinen alle Ressourcenkategorien, von tangiblen, finanziellen, organisa-
torischen bis zu intangiblen. Die Relevanz der allgemeinen strategischen Aussagen
wird in der weiteren Arbeit noch ausführlicher geprüft und bewertet. Bedeutsam für
den Grad der Interaktionsfähigkeit erscheinen auch Fragestellungen zur Nach-
haltigkeit vorteilhafter Ressourcenkombinationen innerhalb einer Unternehmung.
Allgemeine These:
• Strategiekonzeptionen tragen zur Stärkung der Nachhaltigkeit des Wettbe-
werbsvorteils bei, speziell in stark innovativen und kompetitiven Branchen wie
der Biotechnologie
Markt-orientierte Thesen:
• Auswahl eines attraktiven Branchensegments für den Geschäftserfolg eines
Biotech-Unternehmens entscheidend
Positionierung innerhalb Wertschöpfungskette erfolgsentscheidend für ein
Biotech-Unternehmen
• Überlegendes Produkt-Markt-Konzept schafft kompetitive Wettbewerbsvor-
teile für ein Biotech-Unternehmen
Ressourcen-orientierte Thesen:
• Identifizierung und Herausbildung von originären Ressourcen als dynamische
Kernkompetenzen I-fähigkeiten für Biotech-Unternehmen entscheidend
162
• Ressourcenkategorien Unternehmensressourcen, Technologie und Finan-
zierung sind relevant für Biotech-Unternehmen
• Ressourcenposition entscheidend für Wahl des Geschäftsmodells und Entwick-
lungspfad des Biotech-Unternehmens
• Nachhaltigkeit der Ressourcenvorteile hat Einfluß auf Interaktionsintensität
mit anderen Unternehmen
Abbildung IV.2: Erkenntnisse aus betriebswirtschaftliehen Ansätzen für die Generierung des
strategischen Orientierungskonzepts
Quelle: Eigene Darstellung
163
Jf at the Jirst the idea is not absurd,
then there is no hope for it
Albert Einstein
Betriebswirtschaftliche Theorie)
Holistisches integratorisches
o Innovationsansätze Orientierungskonzept
Die grundlegenden Strategieansätze MbV und RbV dienen bei der Synthese der
herausgearbeiteten Elemente zur Konzeptionalisierung. Eine vergleichende Analyse
der Erkenntnisse aus industriellen Rahmenbedingungen (Kap. II.) und betriebswirt-
schaftlichen Ansätzen (Kap. III.) verdeutlicht Unterschiede aber auch einige Paral-
lelen (siehe Tabelle IV.l):
Die Relevanz von Innovation wird sowohl in der spezifisch hohen
Forschungsintensität der Biotech-Branche deutlich, als auch in der theoretischen
164
Diskussion zum Innovationsphänomen bzw. im Entrepreneurship (innovative
Funktion des Unternehmens)
Die Bedeutung der Unternehmensressourcen, insbesondere des Unternehmens-
gründers bzw. des Managements wird sowohl in der ressourcen-orientierten
Analyse als auch in den Entrepreneurship-Ansätzendeutlich
Finanzierung ist Bestandteil der kritischen Unternehmensressourcen in der Argu-
mentation des RbV. Verstärkt wird diese Funktion in der Perspektive der Ent-
wicklung vom Startup zum Post-IPO-Unternehmen. Die außerordentlich hohen
Kapitalanforderungen in der Biotech-Branche erheben die Finanzierung zu einem
elementaren Strategieparameter
In verschiedenen Perspektiven wird der Aspekt eines Produkt-Markt-Konzepts der
Unternehmung analysiert. Die allgemein strategische Bedeutung in der Logik des
MbV wird durch die Herausforderung von High-Tech und Startup Unternehmen
ein geeignetes und zeitgerechtes Produktangebot zu vermarkten, wie in der
Entrepreneurship- und Innovationsdebatte sowie in der Anforderungen der Life
Seiences Industrie deutlich wird, zusätzlich spezifiziert
Im Gegensatz zu den genannten Aspekten wird die Rolle der Interaktion zwischen
Unternehmen in den strategischen Konzepten des RbV und MbV nur unzureichend
betrachtet. Kooperationen spielen bei der Herausbildung der Branche insgesamt und
der Entwicklung eines Biotech-Unternehmens allerdings eine sehr bedeutsame Rolle.
Ihnen kommt eine spezifische Relevanz für das Themengebiet zu, so daß Koopera-
tionen als interaktiver Strategieparameter in der explorativen Untersuchung eigen-
ständig analysiert werden.
Eine holistische Strategieperspektive kommt der Analyse des Geschäftsmodells zu. Impli-
zit wird es in der Entrepreneurship und Strategiedebatte thematisiert, allerdings nur
in Einzelaspekten, beispielsweise über Zielsysteme und Phasenmodelle in Entrepre-
neurship-Ansätzen. Die Branchen-Heterogenität in der Biotechnologie forciert die
Fragestellung nach dem geeigneten und zu präfederenden Modell für ein Unter-
nehmen. Die dynamische Perspektive entlang eines Unternehmerischen Phasen-
modells mit unterschiedlich zu bewertenden Entwicklungspfaden gestaltet die Ana-
lyse der Geschäftsmodelle zu einer zentralen Thematik dieser Untersuchung.
Aus dieser Argumentationslogik zur Generierung eines strategischen Orientierungs-
·konzepts für Biotech Unternehmen lassen sich vier grundsätzliche strategische
Parameter ableiten:
(1) Ressourcen-orientierte Parameter
(2) Markt-orientierter Parameter
(3) Interaktionsparameter
(4) Holistischer Parameter
Der ressourcen-orientierte Parameter beinhaltet die Dimensionen 'Unternehmens-
ressourcen', 'Technologie' und 'Finanzierung', während der markt-orientierte Para-
165
meter das 'Produkt-Markt-Konzept' umfaßt, der Interaktionsparameter die Dimen-
sion 'Kooperationen' und der holistische Parameter die Dimension des 'Geschäfts-
modells' (siehe Tabelle IV.l):
Tabelle IV.l: Synthese der Strategieparameter des Orientierungskonzepts und ihre Quellen
Quelle: Eigene Analyse
• Die Reihenfolge der Quellen für die Generierung der Strategieparameter des Orientierungskonzepts
folgt der chronologischen Kapitelreihenfolge dieser Arbeit und stellt keine Priorisierung oder Bewer-
tung des jeweiligen Anteils bei der Synthese der strategischen Parameter dar.
1 Ressourcen-orientierte Strategieparameter
(1) Unternehmensressourcen
Die Qualität der im Unternehmen vorhandenen Ressourcen, insbesondere das
Humankapital scheint ein determinierender Faktor des Erfolgs zu sein. Aus dem
RbV folgt die These, daß insbesondere die Herausbildung von dynamischen Kom-
petenzen, die einen unternehmensspezifischen Wettbewerbsvorteil darstellen, bei
der knappen Verfügbarkeit der personellen und finanziellen Mittel entscheidend
sind. In den ersten Phase der Entwicklung kommt vor allem der fachlichen und
166
breiten Unternehmerischen Kompetenz des führenden Unternehmer- bzw. Manage-
mentteams eine wichtige Kristallisationsrolle. Bei jungen Unternehmen prägen die
dominierenden Personen- meistens die Initialgeber der Gründung- die Ausrichtung
und strategische Positionierung. Aufgrund der Vielschichtigkeit der Anforderungen
und der umfassenden Herausforderungen an den Unternehmer ist eine sinnvolle
und komplementäre Aufgabenteilung zwischen verschiedenen Personen eines
leitenden Teams besonders erfolgswirksam. Ein hoher Professionalisierungsgrad der
Beteiligten erhöht die Attraktivität für das Unternehmen sowohl nach innen als auch
nach außen.
(2) Technologie
Der einem Geschäftskonzept zugrundeliegende Technologieansatz erscheint für ein
innovationsgetriebenes Biotech-Unternehmen wesentlich. Technologie ist in der
Biotechnologie omnipräsent. Dies betrifft nicht nur den ingenieursdefinierten Tech-
nologiebegriff, sondern deutlicher als in anderen Branchen den verfolgten wissen-
schaftlichen Ansatz - methodische Vorgehensweise, intangibles Know-how und
Schutzrechte. Technologie als Produkt und als Plattform-orientiertes Know-how er-
scheint wichtig, unabhängig von der im Wettbewerb eingenommenen Positionierung
des Biotech-Unternehmens. Eine hohe Konzentration von Ressourcen in F&E-orien-
tierten Aufgabenbereichen erscheint für forschungsintensive Unternehmen notwen-
dig. Entscheidend erscheint die langfristige Tragbarkeil des technologischen An-
satzes.
167
Inhaltliche Arbeitsthesent-hypothesen für den Ressourcen-orientierten
Strategieparameter 'Technologie'
• In der Biotechnologie als High-tech-Branche existieren kurze Innovationszyklen
und disjunkte Technologieumbrüche (S-Kurvenkonzept) in einzelnen Geschäfts-
feldern
• Eine herausragende Technologie ist für Unternehmen der High-tech-Branche
Biotechnologie eine essentielle Strategiekomponente und Bedingung für den
Unternehmerischen Erfolg
• Die Sicherung der Forschungsergebnisse im Rahmen von Patentschutz hat eine
hohe Bedeutung
(3) Finanzierung
Die Deckung des hohen Kapitalbedarfs bei Biotech-Unternehmen ist eine existenz-
notwendige und erfolgsdeterminierende Aufgabe. Es bestehen unterschiedliche
Finanzierungsquellen mit unterschiedlichen Vorteilsstrukturen. Die Finanzierung
scheint eine direkte Funktion des gewählten Geschäftsmodells zu sein, da sie bei
geringem geschäftsbezogenem Cash-flow die Wachstumsrate des Unternehmens
bestimmt. Die Interaktionen mit Finanzinvestoren und dem Kapitalmarkt bildet eine
Herausforderung für das Unternehmen, da ohne externen Kapitalfluß das Wachs-
tumsmodelllangfristig eingeschränkt wird.
168
2 Markt-orientierter Strategieparameter: Produkt-Markt-Konzept
Das Produkt-Markt-Konzept der Unternehmung entscheidet über den Ertrag aus der
Geschäftstätigkeit. Die Marktorientierung entscheidet über den jeweiligen Ge-
schäftsfeldfokus der Unternehmung in den Life Sciences. Er bestimmt sowohl die
mit dem Geschäft zusammenhängende Time-to-market-Frist, die zwischen dem
Pharma-, Diagnostika-, AgBio- und Business-ta-Business Markt stark variiert, als
auch die Höhe der Wertschöpfung, die am Markt erlöst werden kann. Eine weitere
Fragestellung basiert auf der Art des Marktauftritts des Biotech-Unternehmens.
Dieser kann direkt oder indirekt erfolgen. Die Kooperationsstrategie ist prinzipiell
ein Teil des gesamthaften Marktauftritts, diese wird aber eigenständig diskutiert, da
Kooperationen einen hohen Stellenwert für Biotech-Unternehmen haben (siehe
3. Strategischer Interaktionsparameter: 'Kooperationen'). Das Produkt-Markt-Konzept
wird stark vom jeweiligen Geschäftsmodell des Unternehmens beeinflußt. Darüber
hinaus scheint es einen Einfluß auf die Nachhaltigkeit der Wettbewerbsposition zu
haben.
169
Inhaltliche Arbeitsthesent-hypothesen für den strategischen
Interaktionsparameter 'Kooperationen'
• Kooperationen spielen eine besondere Rolle für Biotech-Unternehmen sowohl
gegenüber Life-Sciences-Unternehmen als auch wissenschaftlichen Instituten
• Funktion von Kooperationen für Biotech-Unternehmen hat sich im Zeitablauf
gewandelt: neben Vermarktungs- sind zunehmend Forschungsprojekte Gegen-
stand der Zusammenarbeit mit Pharma-Unternehmen
• Interaktionen und Zusammenarbeit von Unternehmen zur Generierung von
Innovationen sinnvoll
• F&E-Outsourcing eröffnet Unternehmerische Chancen für Biotech-Unternehmen
• Nachhaltigkeit der Ressourcenvorteile hat Einfluß auf Interaktionsintensität mit
anderen Unternehmen
• Kooperationen haben unterschiedliche Vorteilhaftigkeitsdimensionen für
Biotech-Unternehmen, die sich in der Partizipation am gesamten zu
verteilenden Wertschöpfungspotential messen lassen
Eine Vielzahl an Kooperationen führt zu netzwerkartigen Geschäfts-
modellstrukturen, bei denen interne und externe Ressourcen und Kompetenzen
ideal genutzt werden
170
giekonzept muß einen realistischen Weg aufzeigen, einen Fit zwischen den eigenen
Unternehmerischen Möglichkeiten - der Ressourcenbasis, z.B. den Finanzen und des
Managements - und dem angestrebten Geschäftsmodell zu finden.
171
V. Explorative Ansatzpunkte zu einem Strategiekonzept für
wachstumsstarke und innovative Biotech-Unternehmen
570 Das normative Werturteilsdiskussion wird in der vorliegenden Untersuchung ausgeklammert. Werturteile
stellen "positive oder negative Auszeichnungen eines Sachverhalts" dar (vgl. Albert (1972) S. 54): sie
unterstellen die Gültigkeit eines normativen Prinzips und einer präskriptiven Erwartung beim Adressaten,
sich mit dem postulierten Werteurteil zu identifizieren. Das Thema , Wertefreiheit der Wissenschaft', von Max
Weber als Prinzip aufgestellt, wird zwischen Vertretern des Kritischen Rationalismus ('Werturteile sind zu
vermeiden') einerseits, und Vertretern des Konstruktivismus und der kritischen Theorie ('Werturteile sind
notwendig') kontrovers diskutiert, vgl. Abel (1979b) S. 215-234; Zur Differenzierung lassen sich nach Albert
Werturteile sinnvoll nach Werturteile im Objektbereich, im Basisbereich und im Aussagenzusammenhang
unterscheiden. (1) Im Objektbereich bilden Werturteile selbst den Gegenstand wissenschaftlicher Analyse:
diese sind nicht kontrovers, da ihre Thematisierung selbst unstrittig ist. (2) Im Basisbereich stellen Werturteile
die Prämissen der nachfolgenden wissenschaftlichen Tätigkeit dar: die Auswahl der Problembereiche, Ziel-
und Methodendefinition sind unvermeidbar, soilten aber transparent und diskussionsfähig sein. (3) Im Aus-
sagenzusammenhangwerden Werturteile zu Bestandteilen der Aussagen und Handlungsoptionen: sie machen
die Aussage normativ. Sie sind vermeidbar und entsprechen im Anwendungsfall einer gezielt normativen
Wissenschaftskonzeption. (vgl. Raffee (1974) S. 44-64.) Im Sinne einer kritischen Debatte soll das ,Wertfrei-
heitsprinzip' im Sinne des Kritischen Rationalismus für die vorliegende Untersuchung verwendet werden.
Dieses Prinzip bleibt gewahrt "wenn zwar Handlungsempfehlungen abgegeben werden, dies jedoch nur in
hypothetischer Form geschieht" (Raffee (1980) S. 322). Wertfreiheit bedeutet in diesem Sinne also nicht den
Verzicht auf Aussagen, sondern eine klare Trennung zwischen Fakten und Aussagehypothesen, vgl. Albert
(1972) S. 55; vgl. Raffee (1980) S. 321-324; vgl. Chmielewicz (1994) S. 281-321.
173
1.1 Methodische Vorgehensweise
Wissenschaftliche Vorgehensweisen können auf einer deduktiven oder induktiven
Methodik beruhen.571 Die kritische Erörterung der beiden Ansätze liefert unter
Berücksichtigung des Untersuchungsgegenstandes die Grundlage für die Wahl der
Methodik in der vorliegenden Arbeit.
In der deduktiven Methode werden ausgehend von theoretisch generierten Sätzen for-
schungsführende Hypothesen abgeleitet und Aussagesätze gebildet, die dann in der
Realität empirisch geprüft und validiert werden. Im negativen Fall, wenn die abge-
leiteten Sätze nicht validiert werden können, werden diese verworfen, d.h. der nega-
tive Hypothesentest führt zur Elimination der aufgestellten Aussagen aus einem
potentiellen Lösungsraum 'wahrer' Aussagen. Im positiven Fall, wenn die Sätze
bestätigt werden können, gelten sie als vorläufig validierte Aussagesätze.572 Im
strengen Sinn als 'wahr' getestete Sätze können als Prognose dienen, zur Vorhersage
von realen Ereignissen, oder auch zur Retrodiktion, zum Nachweis von historisch
eingetroffenen Ergebnissen aus Theorie und Ernpirie.573 Die Untersuchungslogik der
Deduktion führt von der Theorie über Hypothesen und empirischer Validierung zu
einer neuen Theorie. Im Verständnis des Kritischen Rationalismus ist die neue
Theorie aber nur vorläufig validiert: eine identifizierte Wahrheit bis zum empi-
rischen Beweis des Gegenteils.574 Der Forschungsgang ist somit eine fortschreitende
negative und indirekte Selektion möglicher Antworten und Theoriesätze - falsche
Aussagen werden ausgeklammert, ohne daß wahre Aussagen absolut bestätigt
werden.
Die induktive Methode ist der Umkehrschluß zur Deduktion- sie führt von der Empi-
rie über Hypothesen zu einer Theorie. Aus Daten werden Hypothesen und Gesetze
abgeleitet, die sich in der zugrunde liegenden empirischen Grundgesamtheit als
'wahr' herausgestellt haben.575 Theoretische Sätze folgen somit aus empirischen
Datenrnengen, die in den jeweiligen Untersuchungen generiert werden. Essentiell ist
die Prämisse eines ausreichenden Datensatzes, der in seiner Gesamtheit ein Abbild
der Realität geben sollte. Nur dann sind aus dieser statistischen Menge abgeleitete
Hypothesen allgernein aussagefähig und in ihrer Substanz mehr als spezifische
Erkenntnisse aus einem spezifischen Datensatz. In der induktiven Untersuchung
werden somit von einer existierenden Datenstruktur theoretische Sätze abgeleitet,
die als Axiome formuliert und in einem theoretischen Modell zusarnrnengefaßt
werden können.576
175
im Sinne des Kritischen Rationalismus angenommen wird, daß Theorien immer nur
vorläufig akzeptiert werden können. Sätze, Theorien und Gesetze sind vorläufige
Hypothesen.583 Der Empirismus stellt die Grundlage für die ständige Prüfung der
aufgestellten Hypothesen anhand der Realität dar. Beobachtungen und Experimente
sind die notwendigen Instrumente der Falsifikation von Hypothesen. Aus empi-
rischen Tatsachen werden aber keine Theorien abgeleitet.584 Popper argumentiert
"die Wissenschaft akzeptiert ein Naturgesetz oder eine Theorie immer nur vorläufig;
d.h. daß alle Gesetze und Theorien Vermutungen oder vorläufige Hypothesen
sind ... [kursiv i.O. - A.d.V. - ] Nur die Falschheit einer Theorie kann aus empirischen
Tatsachen abgeleitet werden, und diese Ableitung ist rein deduktiv."585
Für die vorliegende Arbeit wird die induktive Methode aus logisch-konzeptionellen
und methodischen Gründen nicht verwendet. Erstere gehen aus der kritischen Aus-
einandersetzung mit dem induktiven Untersuchungsansatz hervor, letztere folgen
aus den speziellen Fragestellungen und den daraus abgeleiteten Anforderungen an
das Design dieser Untersuchung. Auch der deduktive Ansatz wird kritisiert, obwohl
er nicht nur in den Wirtschaftswissenschaften allgemein anerkannt und als bevor-
zugte Untersuchungsmethode für Erklärungszusammenhänge und Prognosen an-
gewandt wird. Die logische Richtigkeit wird zwar nicht in Zweifel gezogen, aller-
dings der häufig sehr geringe Aussagewert für die Praxis bemängelt, der aus wirk-
lichkeitsfremden Prämissen und einer starken Methodenfixierung resultiert.586
Allerdings kann die theoretische Aussagefähigkeit gesteigert werden, wenn durch
eine explorative Untersuchung das Verständnis für den Erkenntnisgegenstand ver-
tieft und verbessert wird. Die ursprüngliche theoretische Ausgangsbasis wird auf
diese Weise modifiziert, die Fragestellungen werden präzisiert, so daß der deduktive
Ansatz zu einer wesentlich aussagefähigeren Methodik entwickelt wird. Die modifi-
zierte Theorie stellt dann eine geeignete Plattform für weiterführende Untersu-
chungen dar, in denen die Kausalzusammenhänge in empirisch quantitativen Ana-
lysen getestet und falsifiziert werden können. Die durch Exploration präzisierte
deduktive Methodik ist die geeignete Vergehensweise zur Erörterung der gestellten
Forschungsfragestellungen in dieser Arbeit (siehe Abbildung V.l).
583 Vgl. Popper (1995c) S. 85·102; Der erkenntnistheoretische Absolutheitsanspruch wird im Sinne des Kritischen
Rationalismus verworfen (Fallibilismus - Theorien sind prinzipiell fehlbar) und durch das Prinzip des
permanenten Risikos der Widerlegung und des Scheitems durch die Realität ersetzt (Falisfikationismus -
Fortschritt in der Theorie durch erfolgreich überstandene Widerlegungsversuche). Im Kritischen Rationa-
lismus gestaltet sich WahrheitsEindung als kontinuierliche Verbesserung der vorhandenen Aussagesätze,
indem Sätze und Theorien die von der Wirklichkeit als falsch widerlegt wurden, eliminiert werden, vgl. Kern
(1979) S. 17-26; zur Methodologie und Falsifikationslehre des Kritischen Rationalismus vgl. Meyer
(1979a/1979b); für eine kritische Bewertung des Kritischen Rationalismus, insbesondere des Falsifikatio-
nismus, vgl. Hornbastei (1997) S. 19-76; zu weiteren wissenschaftstheoretischen Ansätzen- den phänomeno-
logisch-hermeneutischen, den empirisch-analytischen, den radikal konstruktiven, den kritisch theoretischen -
vgl. Tschamler (1996) S. 15-92.
584 Vgl. Popper (1996) 5.25-31.
585 Popper (1995c) S. 86.
586 Vgl. Wöhe (1990) S. 34-36; vgl. Lamnek (1995) S. 223-227; Mintzberg (1979) S. 583-585; Zaby (1999) S. 17-18;.
vgl. Eichhorn (1979) S. 60-62, 87.
176
EMPJRISCH-EXPLORATIVE ANALYSE
Modifizierte
Theoretische Explorative
Erkenntnisse theoretische
Untersuchung
Erkenntnisse
177
rung der zukünftigen Diskussion sowie der Generierung von Denkanstößen für
weiterführende Forschungsfragestellungen.589 Dabei werden in der explorativen
Analyse auch sekundär-statistische Materialien, die einige strukturelle Tatbestände
des Themas widerspiegeln, ausgewertet, soweit sie zu einer Bereicherung des
Erkenntnisgewinns beitragen (siehe Abbildung V.2).
selektion
• Primare und
sekundäre
Informations~
quellen
innovations-
getriebene
Biolech
Unternehmen
• Zielgruppendefinition
• Selektion der
Interviewpartner
• Fragebogendesign
Abbildung V.2: Spezifisches Untersuchungsdesign einer explorativen Fallstudien- und einer primär-
statistischen Interview-Untersuchung in Anlehnung an Yin (1989)
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an den Fallstudienansatz
von Yin (1989)
Der empirische Abschnitt der Untersuchung basiert auf zwei wesentlichen Teilen: (1)
einer primär-statistischen Interviewbefragung und (2) ausgewählten Fallstudien von
Biotech-Unternehmen. Fallstudien und selektive Tiefeninterviews sind insbesondere
dann eine sinnvolle methodische Untersuchungsform, wenn eine explorative
Themenentwicklung oder eine erste Validierungen von Hypothesen bzw. Heuristi-
ken erfolgen soll.590 Yin argumentiert, daß entsprechend den forschungsleitenden
Fragestellungen eine geeignete empirische Untersuchungsmethod e gewählt werden
sollte. Er postuliert drei Leitfragen zur Auswahl des Forschungsdesigns: (1) die
Form der Forschungsfragestellung, (2) das Ausmaß der Beeinflussung durch den
Untersuchenden und (3) die zeitliche Fokussierung der Untersuchung. Die Frage-
178
Stellungen der vorliegenden Arbeit sind explorativer Natur: die grundsätzlichen
Fragen sind 'wie?'- und 'warum?'- Fragestellungen. Das Untersuchungsdesign wird
durch den Autor nicht beeinflußt und thematisiert aktuelle Beispielfälle. Als geeig-
nete Forschungsmethode bietet sich nach der Kategorisierung von Yin die Pali-
studienmethodologie an.S91 Das explorative Design ermöglicht somit eine tiefer-
gehende Fundierung und Strukturierung des Themenkreises, die zu einer modifi-
zierten Theoriekonzeption führt.592
591 Yin unterscheidet fünf alternative Forschungsmethoden: (1) survey (2) archival analysis (3) history (4) case
study und (5) experiment, vgl. Yin (1989) 5.15-25, auch Lamnek definiert die Fallstudie als geeignete Methode
für die Exploration, vgl. Lamnek (1995b) S. 10-11.
592 Vgl. Yin (1989) S. 52-59.
593 Zur lnterviewmethodik, vgl. insbesondere Friedrich (1990) S. 207-236.
594 Ziel der Interviews war es nicht, empirische Datenerhebung für ein explikatives und kausales Unter-
suchungsdesign zu betreiben. Hiefür sind multivariate Methoden, Korrelations- und Regressionsanalysen
sowie insbesondere lineare Strukturgleichungssysteme wie LISEREL besser geeignet. Multivariate Methoden
bieten sich insbesondere auch für großzahlige Untersuchungen, die in einem festen Forschungsrahmen einen
einzel- oder multikausalen Begründungszusammenhang erschließen, zur Methodenvielfalt vgl.
Nieschlag/Dichtl/Hörschgen (1997) S. 766-835.
595 Das Gespräch mit Professor Stadler von dem Biotech-Untemehmen Artemis wurde telefonisch geführt.
179
Face-tc-Face-Experteninterviews mit drei unterschiedlichen Zielgruppen
geführt
• Telefonisches Interview
(2) Fallstudienanalyse
Ausgewählte Fallstudien von Biotech-Unternehmen stellen den zweiten Teil der
empirischen Untersuchung dar. Anhand diesen zunächst einzeln betrachteten
180
Unternehmensbeispielen läßt sich eine differenzierte Analyse mit hohem Erkennt-
nisgewinn durchführen.596 Individuelle Analysen ("within-case-analysis") führen zu
Einzelergebnissen, die in einer umfassenden Erörterung aller diskutierter Fallstudien
("cross-case-analysis") gegenüber gestellt und bewertet werden. Eine auf diese Weise
durchgeführte Synopsis liefert die Basis für eine Modifizierung des generierten
Bezugsrahmens.597
596 Vgl. Lamnek (!995b) S. 4-34, vgl. auch Schnellet al. (1988) S. 240-242.
597 Vgl. Yin (1989) S. 56.
598 In der Wissenschaftstheorie insgesamt gibt es seit den sechziger Jahren eine intensive Auseinandersetzung
über Methoden und wissenschaftliche Erkenntnis, die zwischen den Polen (I) absoluter Rigorismus und inter-
subjektive Nachweisbarkeil sowie (2) Methodenpluralismus und Kontingenzspezifität mit nachrangiger
Bedeutung des Methodischen schwankt, vgl. Störig (1998) S. 688-689; In der Strategietheorie spiegeln sich die
dichotomen Perspektiven in der neoklassischen bzw. 10-Forschung und in der deskriptiven Forschungsschule
(z. B. Mintzberg, Eisenhardt) wieder.
599 Vgl. Mintzberg (1977) S. 89-91.
600 Vgl. Knyphausen (1995) S. 29-30.
601 Mintzberg (1979) S. 583.
602 Bei vollkommenen Differenzen in der Validität von Hypomesen müßte man von ansonsten zwischen Fall-
studientheorien und Mulitvariaten Theorien unterscheiden. Dies zeigt, daß die Methodenwahl nicht die
Validität an sich beeinflussen kann.
181
Ein wiedererwachtes Interesse an der Fallstudie als wissenschaftliche Methodik ist
im wesentlichen auf zwei Entwicklungen zurückzuführen, die bei Knyphausen detail-
liert geschildert werden. 603 Zum einen, wurde in der Forschungslandschaft zuneh-
mend die Notwendigkeit erkannt, kontingenzspezifischen Strategieansätzen für
Unternehmen einen kontingenztheoretischen methodischen Ansatz gegenüber-
zustellen. Empirische Großuntersuchungen waren hierfür nur bedingt geeignet.
Zum anderen, führte die Rückbesinnung auf die Unternehmung, ausgelöst durch
den RbV und vom modernen MbV (moderne IO-Forschung) übernommen, zu einer
intensiveren Beschäftigung mit den Ressourcen und Kompetenzen von einzelnen
Unternehmen. Weder multivariate noch spieltheoretische Methoden, denen in den
achtziger Jahren ebenfalls große Bedeutung zugewachsen war, konnten dem neuen
Forschungsfokus ein optimales Untersuchungsdesign bieten.
Neben dieser entwicklungstheoretischen Renaissance legten vor allem Yin und
Eisenhardt eine methodische und wissenschaftliche Rechtfertigung des Fallstudien-
ansatzes vor.604 Grundsätzlich können mit der Fallstudienanalyse drei Forschungs-
ziele verfolgt werden, wobei die dritte Zieldimension mit dem Wissenschaftspara-
digma des Kritischen Rationalismus kollidiert: (1) das deskriptive Forschungsziel, bei
dem eine Beschreibung von spezifischen Tatbeständen verfolgt wird, (2) das
Forschungsziel der Modifikation theoretischer Aussagenzusammenhänge und
Hypothesen durch Fallstudien, (3) das theoriebildende Forschungsziel, bei dem aus
einer oder mehreren Fallstudien eine allgemein gültige Aussage oder Theorie
generiert wird.
Das deskriptive Ziel entspricht einer reinen Beschreibung von Ereignissen und Pro-
zessen. In der ursprünglichsten Form ist es ausschließlich narrativ, d.h. reproduziert
historische Fakten des ausgesuchten Fallstudienobjektes. Der wissenschaftliche An-
spruch und die Aussagefähigkeit für weiterführende Abstrahierungen ist deswegen
auch sehr limitiert. Wesentliches Manko in einem solchen deskriptiven Fallstudien-
design ist die fehlende Definition einer forschungsleitenden Fragestellung.605 Ohne
einen die Darstellung disziplinierenden 'roten Faden' sind die Komplexität der
Daten und Einflußparameter für einen konsistenten und nicht zufälligen Erkenntnis-
gewinn kaum zu bewältigen.606 Trotzdem kommt der Deskription eine nicht zu
unterschätzende Bedeutung bei der in Fragestellung allgemein akzeptierter Aus-
sagen zu. Mintzberg argumentiert, daß aus diesen Erkenntnisgesichtspunkten seine
Untersuchungen "have been as purely descriptive as we have been able to make it"
und weiter "it is the literature of management that often emerges as naked, since
183
zu falsifizieren.613 Das ambitiöse Forschungsziel der Theoriebildung durch Fall-
studien ist darüber hinaus problematisch. Obwohl viele Aspekte des theoriebilden-
den Designs die Fallstudienmethodik insgesamt bereichern und erweitern, unterliegt
der grundsätzliche Ansatz dem Induktionsvorbehalt
Die Fallstudienmethodik hat andere Ansätze in der empirischen Strategieforschung,
insbesondere auch die großangelegten multivariaten Studien, nicht verdrängt. Aber
abhängig vom Forschungsdesign ist sie ein sinnvoller und z.T. bevorzugter Unter-
suchungsansatz. Dies gilt insbesondere für explorative Arbeiten, bei denen ausfÜhr-
liche und Veränderungen im Zeitablauf berücksichtigende Einzelbeispiele unter-
sucht werden können. Besonders umfassende Darstellungen mit multiplen und
interdependenten Einflußfaktoren, bei denen eine kontext- und zeitraumbezogene
Eingebundenheit ("'embeddedness") für ein holistisches Verständnis notwendig ist,
nutzen die Möglichkeiten des Fallstudiendesigns.614 Insgesamt bereichert die Viel-
zahl der methodischen Ansätze mit ihren spezifischen Stärken-Schwächen-Profilen
eine differenzierte Auseinandersetzung mit den unterschiedlichsten Forschungs-
fragen.615
Die Möglichkeiten der Präzisierung von Forschungsfragestellungen und eine erhöhte
Problemrelevanz modifizierter Theorieansätze lassen insbesondere eine Kombination
von explorativer Fallstudienanalyse und kausalen empirisch quantitativen Analysen
als äußerst sinnvoll erscheinen. Die vorliegende Arbeit befaßt sich ausschließlich mit
dem grundsätzlichen Entdeckungszusammenhang und verfolgt somit ein explora-
tives Untersuchungsdesign mit dem Leitmotiv eines theoriemodifizierenden Fall-
studienansatzes.
613 Vgl. Knyphausen (1995) S. 224-225; Vertreter des empirisch-quantitaiven Ansatzes bestreiten vielfach die
Möglichkeit einer zweifelsfreien Falsifizierung durch den Fallstudienansatz. Kritisiert wird die nicht aus-
reichende Rigorosität und Stichprobengröße bei normalen Fallstudien-Untersuchungen. In der vorliegenden
Untersuchung wird keine Falsifizierung des Strategiekonzeptes für Biotech-Unternehmen vorgenommen. Das
explorative Design dient ausschließlich der Verbesserung und Modifizierung des theoretischen Bezugs-
rahmens.
614 Vgl. Pettigrew (1990) S. 267-274; vgl. Yin (1993) S. 3, 31-32.
615 Vgl. Lamnek (1995) S. 224-225; vgl. Mites/Huberman (1994) S. 2; vgl. Knyphausen (1995) S. 229-234.
184
spielen stammt aus fachspezifischen Literaturquellen, die fast ausschließlich biotech-
nologische Fragestellungen untersuchten, während der wirtschaftliche Kontextbezug
und die theoretische Einordnung in den aktuellen Kenntnisstand von jungen und
wachstumsstarken Biotech-Unternehmen vernachlässigt wird.616 In dieser Arbeit
wird insbesondere die Perspektivenerweiterung auf eine holistischen Strategiekon-
zeption angestrebt.
Eine weitere zusätzliche Informationsquelle stellt die primär-statistische Untersu-
chung dar, die während des Jahres 1999 in der deutschen Biotechnologie Szene
durchgeführt wurde. Die verschiedenen Zielgruppen mit unterschiedlichem Er-
fahrungs-, Erwartungs- und Interessenhorizonten an die Entwicklung der Branche
ermöglichten einen differenzierten Überblick der momentanen unternehmerischen
Gestaltungsszenarien.
Der Kern des Interesses zielte auf die zukünftig erfolgreichen Geschäftsmodelle und
kritischen Parameter der Biotech-Industrie. Aus diesem Grund ist eine an histo-
rischen Daten orientierte empirisch-quantitative Untersuchung, die in der Vergan-
genheit bewährte Gestaltungsoptionen in dieser jungen Branche für die Zukunft
extrapoliert, ungeeignet. Da bis auf wenige Ausnahmen die überwiegende Mehrheit
der Biotech-Unternehmen in Deutschland sehr jung, sehr klein und nicht börsen-
notiert ist, behindert auch die begrenzte Aussagefähigkeit für die Beurteilung eines
zeitlich nachhaltigen Erfolgs die Validität eines solchen Ansatzes.617
Eine Spezifizierung des Entdeckungszusammenhangs für eine Kanalisierung und
Generierung von Hypothesen zu Strategiekonzepten von Biotech-Unternehmen
liefert die Grundlage für großzahlige empirisch explikative Arbeiten als zukünftigen
Forschungsstand. Das Forschungsziel der 'Hypothesengenerierung' durch Exper-
teninterviews und Fallstudien im Yin 'sehen Sinne wird von der vorliegenden Unter-
suchung verfolgt.
Parameter lnterview-Sample
Gründungszeitraum 1993 bis 1998
Mitarbeiter 12 bis 150
VC finanziert 8 von 12
Unternehmen mit operativem Cash-flow 7von 12
616 Vgl. Beispielsweise die Veröffentlichung in den· Fachzeitschriften 'lnVivo', 'Nature Biotechnology' oder
'Science'.
617 Ein Großteil der Unternehmen wurde erst nach 1995 gegründet, beschäftigt weniger als 50 Mitarbeiter und ist
ausschließlich privat finanziert.
185
2.1 Ressourcen-orientierte Strategieparameter
2.1.1 Unternehmensressourcen
Die Ressourcen eines Unternehmens lassen sich analog zur Betrachtung des RbV in
vier Kategorien gliedern. Im vorliegenden Abschnitt werden die 'finanziellen
Ressourcen' nicht berücksichtigt, da sie getrennt und ausführlicher behandelt
werden.618 Gleiches gilt für die Teile der 'intangiblen Ressourcen', die als Ergebnis
der biotechnologischen Forschung im weitesten Sinne - Patente, Gebrauchsmuster,
Prozeß Know-how etc. - verstanden werden.619 Die Kategorie der 'physischen
Ressourcen' spielt bei Biotech Startup-Unternehmen nur eine untergeordnete Rolle
und wird aus diesem Grund nur bei entsprechender Relevanz fallweise erörtert. Der
Schwerpunkt der Analyse liegt auf der Darstellung der 'personalen Assets', des
Managementteams und der Mitarbeiter sowie den Organisationellen Ressourcen.
Das Management bzw. der oder die Gründer eines Startup-Unternehmens spielen
eine bedeutende Rolle für den Erfolg der Unternehmung. In der empirischen Be-
fragung wurde das 'Management' von den Befragten der VC Firmen und der Know-
ledge-Träger der Industrie als wichtigster Erfolgsfaktor für Biotech-Unternehmen
eingeschätzt (siehe Abbildung V.4). Insbesondere in den ersten Entwicklungsphasen,
in denen organisatorische Strukturen und Prozesse nur begrenzt vorhanden sind,
prägt der Gründer den Auftritt des Unternehmens. Um die einseitige Abhängigkeit
186
von den individuellen Stärken einer einzelnen Person aufzuheben, wird die Kon-
struktion eines 'Gründungsteams' als vorteilhaft eingeschätzt. Komplementäre
Fähigkeiten einer Gründungsmannschaft mit unterschiedlichen Erfahrungs- und
Fähigkeitenprofilen, die gemeinsam den Nukleus des Unternehmens bilden, steigern
Leistungsfähigkeit und professionelle Entwicklung. Bei technologisch sehr an-
spruchsvollen Unternehmenskonzepten ist zudem die Möglichkeit für einen einzigen
Gründer beschränkt, alle für das Unternehmen notwendigen wissenschaftlichen und
unternehmerischen Kompetenzen in seiner Person zu vereinigen.
50% 50%
30% 30%
Abbildung V.4: Tap-2-Erfolgsfaktoren für ein Biotech-Unternehmen aus S icht der einzelnen
Zielgroppen
Quelle: Eigene empirische Erhebung
620 Etablierte Business Plan Wettbewerbe existieren beis pielsweise in Köln, München, Berlin sow ie Life Seiences
spezifisch b ei Science-4-Life',
' initiiert von der Hoechst AG (jetzt Aventis S.A.) und dem Bundesland H essen.
187
1999 57% aller Teilnehmer als Professoren, Dozenten, wissenschaftliche Mitarbeiter
oder Studenten im wissenschaftlichen Sektor beschäftigt.621 Da sich der 'Science-4-
Life'-Wettbewerb sehr stark auch auf Konzernmitarbeiter und in der Wirtschaft
tätige Personen richtet, kann davon ausgegangen werden, daß der Anteil von Wis-
senschaftlern ohne wirtschaftliche Erfahrung bei anderen Biotech Gründungen
wesentlich höher ist.622
Finanzen und Marketing werden von den Gründern sehr häufig als Nebenaufgabe
interpretiert und als 'add-on-Aufgabe' von einem Naturwisssenschaftler 'zusätzlich
mitgemachf.623 In diesen Fällen wird die entscheidende Bedeutung gerade der kauf-
männischen Aufgaben für den Gesamterfolg der Unternehmung gravierend unter-
schätzt. Vor allem in der Beurteilung von Venture Capital Unternehmen spielt eine
professionelle betriebswirtschaftliche Aufgabenerfüllung eine bedeutende Rolle. Die
Kompetenz des Gründers oder des Managementteams ist für externe Kapitalgeber
das zentrale Bewertungskriterium eines Startup Investments.624 Eine Untersuchung
über gescheiterte Technologie-orientierte Unternehmen in Deutschland erhärtet
diesen Standpunkt, denn die Gründer- bzw. Managerproblematik ist die am meisten
genannte Ursache.625 Gerade bei Biotech Startups besteht die Notwendigkeit den
'Wissenschaftler' zum 'Unternehmer' zu entwickeln, um diese Defizite zu beseitigen.
Die Möglichkeiten als externer Berater oder Investoren bei fehlenden Fähigkeiten des
Gründers, kompetente Gründungsteams zu bilden, ist allerdings sehr beschränkt.
Bei den Initiatoren der Geschäftsidee muß die Bereitschaft existieren, unein-
geschränkt zusammenzuarbeiten, da ansonsten tiefgreifende Probleme zwischen den
Protagonisten nicht zu vermeiden sind.
188
Eine große Bedeutung wird auch den Zielsystemen der Unternehmen zugerechnet,
die durch die Gründer bzw. das Management maßgeblich definiert werden, da sie
gleichzeitig Eigentümer sind. In der empirischen Untersuchung wurden zwei
grundsätzlich unterschiedliche Varianten deutlich, die den Rahmen für die Ent-
wicklung definieren, unabhängig von der geschäftsorientierten Typologie des
Biotech-Unternehmens. Ursächlich ist die Frage nach der Bereitschaft, Venture
Capital aufzunehmen, um eine möglichst schnelle Expansion des Geschäfts zu er-
reichen. Dies ist eine grundlegende strategische Entscheidung, die sich aus der Hal-
tung des Gründungsmanagement gegenüber externen Anteilseignern ergibt (siehe
Tabelle V.2).
Bereitschaft des befragten Unternehmens, Venture Capital als
Finanzierungsquelle aufzunehmen (n=12)
Ja 10
Nein 2
Bei nur beschränkten alternativen Mitteln der Finanzierung, bedeutet ein Verzicht
auf Venture Capital, einen Verzicht auf Wachstum oder eine Strategie- und Ge-
schäftsausrichtung, die auf eine schnelle originäre Cash-flow Generierung abzielt,
unabhängig von langfristigen Perspektiven oder Zielvorstellungen. Die Mehrheit
der interviewten Unternehmen akzeptiert, für einen externen EK-Zufluß auch EK-
Anteile an der Unternehmung abzugeben. Die Notwendigkeit einen schnelle Cash-
flow zu erwirtschaften bedeutet in der Biotechnologie-Branche die Annahme von
Auftragsforschung und kundennahe Dienstleistung. Ein begrenzter Cash-Inflow
wird u.U. durch einen strategischen Fokus- und Zeitverlust erkauft.
Ein weiteres grundlegendes Kriterium bei der Beurteilung des Managements wird in
der Verbindlichkeit des unternehmerischen Engagements gesehen - des 'commit-
ment'. Insbesondere von externen Partnern wird der unbedingte und umfassende
Einsatz der Gründer-/Managementpersonen als Qualitätsmerkmal angesehen. Im
Sinne einer Principal-Agent-Informationsdivergenz manifestiert ein volles persön-
liches und z.T. finanzielles 'Commitrnent' den Glauben an den Erfolg der eigenen
Sache bzw. des Unternehmens. Für sehr wissenschaftsnahe Biotech-Unternehmen
impliziert diese Forderung gerade für Wissenschaftler, eine grundsätzliche Entschei-
dung zu treffen, ob sie wissenschaftlich oder unternehmerisch arbeiten wollen.
Doppelfunktionen an Instituten bzw. Universitäten in Kombination mit leitenden
Managementfunktionen in einem Biotech-Unternehmen werden von Investoren sehr
kritisch beurteilt. Für einen Venture Capitalisten, der hohe Renditeanforderungen
seiner eigenen Investoren erfüllen muß, ist die Glaubwürdigkeit des unbedingten
Managementeinsatzes ein Hauptkriterium bei der Einschätzung des Managements
eines Unternehmens. Kompetenter Managementeinsatz darf nicht durch berufliche
Doppelbelastung zum Engpaß des Unternehmenswachstums werden.
189
Um ein hohes 'Commitment' auch bei den Mitarbeitern zu schaffen, haben viele junge
Biotech-Unternehmen Beteiligungsmodelle kreiert. Mitarbeiter partizipieren in
diesen Programmen durch bevorzugten Anteilserwerb als Teil einer monetären
Kompensation am Gesamterfolg des Unternehmens. Ziel dieser Programme ist es,
eine hohe Identifikation und Bindung mit dem Biotech-Unternehmen zu erreichen.
Mitarbeiter sollen sich nicht nur als 'normale' Angestellte fühlen, sondern als 'Mit-
eigentümer' mit höherem Einsatz und höherer Produktivität. Eine Konvergenz der
Anreize zwischen Gründern und Mitarbeitern schafft eine engagierte und schlag-
kräftige Unternehmenseinheit Das hohe Chancenpotential im Erfolgsfall zieht
insbesondere leistungsorientierte Personen an. Durch Beteiligungsprogramme
besteht für das Unternehmen auch die Chance, in frühen Entwicklungsstadien gute
und erfahrene Manager aus der Industrie für ein Biotech-Startup zu gewinnen, die
ansonsten für ein Cash-flow-knappes Unternehmen nur sehr schwer zu binden
wären. Die Beteiligung der Mitarbeiter am Chancen- und Risikopotential der Unter-
nehmung wirkt darüber hinaus Cash-flow entlastend. Sie bindet erfolgreiche und
begehrte Mitarbeiter darüber hinaus an das Unternehmen- ermöglicht somit eine
langfristige Strategieentwicklung mit einer Kernmannschaft, die signifikant am ge-
schaffenen Mehrwert partizipiert.628 Venture Capital Unternehmen unterstützen
Beteiligungsprogramme, z. T. sind diese sogar eine Bedingung des Investments.
Ein großer Wettbewerbsvorteil gegenüber großen Life-Sciences-Unternehmen so-
wohl in der eigenen als auch der externen Wahrnehmung der Biotechs stellt die orga-
nisatorische Flexibilität und die daraus folgende Innovationsdynamik dar. Schnellere
Entscheidungsprozesse in einer kleinen Organisationseinheit und ein wegen finan-
zieller Engpässe ständig Marktopportunitäten suchendes Management gelten als
vorteilhafte Charakteristika. Eine informelle und weniger hierarchisch geprägte
Organisation wird als stärker Ieistungs- und innovationsorientierte Kultur einge-
schätzt. Eine solche Unternehmenskultur wird von einigen Gesprächspartnern als
eigene Kompetenz interpretiert. Im Sinne des RbV kann man von einer Kernkom-
petenz sprechen, die den Rahmen für das unternehmerisch-institutionelle Hervor-
bringen neuer und originärer Kompetenzen bildet - unternehmensspezifische
Ressourcen schafft, die werthaltig und nur begrenzt imitierbar sind. Für die erfolg-
reichen Biotech-Unternehmen besteht jedoch die Herausforderung, diese in einer
kleinen Organisationseinheit ausgeprägten Merkmale nicht durch Wachstum zu
verlieren. Hier sind organisatorische und motivatorische Aspekte gefragt, die im
Rahmen der Diskussion der Geschäftsmodelle beleuchtet werden (siehe Kap. V.2.4).
Eine Gefahr existiert jedoch, wenn es keine klare Abgrenzung einer im Marktumfeld
professionell agierenden Unternehmung im Gegensatz zu eher wissenschaftlich
orientierten universitären Arbeitsgruppen erfolgt. Gerade bei der engen inhaltlichen,
personellen und teilweise räumlichen Verflechtung mit akademischen Institutionen
wird es als sehr wichtig eingeschätzt, daß Standards der Qualitätssicherung, Termin-
628 Vorbildcharakter haben Unternehmen der IT und Internet Branche wie Microsoft, Sun, Cisco oder Yahoo!, die
ihre Mitarbeiter zu Millionären bzw. Milliardären gemacht haben und sehr lange mit ihrer erfolgreichen Mit-
arbeitermannschalt gearbeitet haben. Kein großes Unternehmen kann seinen Mitarbeitern eine solche Wert-
entwicklung anbieten.
190
erfüllung und Kundenabwicklung bei Biotech-Unternehmen in sehr frühem Ent-
wicklungsstadium entwickelt werden.
Positive Inkubationseffekte ('spill-over'-Effekte) gehen von Biolech Clustern aus, ins-
besondere den stark öffentlich geförderten BioRegionen, Rhein-Neckar-Dreieck,
Rheinland und München. Es findet eine geographische Konzentration fachlicher
Kompetenz statt, die von den Cluster-insidern (Beteiligten) als eindeutiger Standort-
faktor wahrgenommen wird. Es existiert ein schneller und informeller Austausch
der Protagonisten aus Academia, Venture-Capital-Gesellschaften und Unternehmen.
Es entstehen Geschäftsopportunitäten, die durch räumliche Nähe generiert oder
begünstigt werden, und es bestehen gute Rekrutierungsmöglichkeiten an den
Instituten oder Universitäten. Insbesondere der leichtere Zugang zu qualifiziertem
Mitarbeiternachwuchs stellt einen Vorteil im 'War for talent' dar, der sich zuneh-
mend als der entscheidende Engpaß des Wachstums von Biotech-Unternehmen her-
ausstellt.629 In den BioRegionen ist eine umfangreiche Infrastruktur mit kataly-
tischen Effekten für die biotechnologische Unternehmen entstanden. Einige Prota-
gonisten vermuten, daß dort bereits eine genügend große kritische Masse entstanden
ist, um als 'geographisches Inkubatorium' für die industrielle Biotechnologie zu
wirken. In diesem Fall generiert das wissenschaftliche und Unternehmerische
Umfeld sein eigenes Wachstum -wirkt als Wachstumsverstärker bei Gründungen
und erfolgreichen Unternehmensentwicklungen.
UNTERNEHMENSRESSOURCEN
629 Eine große Nachfrage besteht z.B. bei Bioinformatikem, vgl. Expertengespräche. Von Life-Sciences-Unter-
nehmen wird allgemein vom 'War for Talent' gesprochen, der die Schwierigkeit bezeichnet, die besten jungen
Wissenschaftler zu gewinnen; vgl. auch Staudt/Kottmann (1999) S. 33.
191
If you don 't have the mind-set that can talerate
uncertainty, that is ready to break test tubes, that is
ready to run experiments, then you will always be
forced to pretend that you know more than you know
Ron Heifetz
2.1.2 Technologie
Die Technologie Dimension ist der scheinbar offensichtlichste Teil eines Strategie-
konzepts für Biotech-Unternehmen. Eine kompetitive Technologie wird von allen
unterschiedlichen Zielgruppen als notwendige Grundlage einer erfolgreichen Unter-
nehmensentwicklung angesehen. Wettbewerbsfähigkeit der Technologie bezieht
sich in der Biotechnologie als weltweit vernetzte Branche auf das globale wissen-
schaftliche und Unternehmerische Leistungsniveau.630 Allerdings existiert die
Technologieperspektive nicht als autonome und isolierte Einheit, sondern ist in eine
umfassende Innovationsstrategie eingebunden. In ihr hat die Marktperspektive mit
Wettbewerbssituation, Produktorientierung und Kundennutzen eine explizite
Stellung. 631
Für das einzelne Unternehmen besteht ein hoher Konkurrenzdruck in der globalen
technologischen Wettbewerbslandschaft Alleine in der weltweiten Pharmaindustrie
investieren Biotech- und Life-Sciences-Unternehmen rund 9 Mrd. USO. pro Jahr in
interne und externe biotechnologische Forschungsprojekte.632 Der wissenschaftliche
630 Dies wird bei den führenden Publikationen in 'Nature Biotechnology', 'JnVivo' auf Konferenzen, z.B. der BIO,
und konkurrierenden Biotech-Unternehmen deutlich. Es gibt keinen ausschließlich lokalen deutschen Markt
oder eine deutsche Branche.
631 Der Begriff 'Produktorientierung' wird hier nicht als biotechnologische Produktorientierung verwendet,
sondern als grundsätzlich Output-orientierter Begriff, der therapeutische Produkte, Dienstleistungen, Tools,
Geräte und Technologieplattformen beinhaltet.
632 Quelle: Center of Medicines Research (CMR).
192
und technologische Erkenntnisprozeß schreitet trotz der Schwierigkeiten und
Komplexität der genetischen Grundlagenforschung im Zeitablauf sehr schnell voran,
beispielsweise im HGP. Die daraus folgenden Innovationsfortschritte führen zu
einer außerordentlich schnellen Kommoditisierung des technologischen 'state of the
art'- Wissens. Der konkurrentielle Vorteil einer Technologie und damit ihre Einzig-
artigkeit nimmt sehr schnell ab. Der technologische Grenznutzen fällt kontinuierlich.
Er kann auch durch effektive oder effiziente Optimierungen, die zu einem industri-
ellen Upscaling und Kostensenkungen führen, nur zeitlich begrenzt verlängert
werden. Um langfristig im technologischen Wettbewerb zu bestehen, müssen
Biotech-Unternehmen nicht nur die Lernkurveneffekte auf der spezifischen S-Kurve
realisieren, sondern vor allem die auftretenden Diskontinuitäten und Technologie-
umbrüche erkennen und überwinden (siehe Abbildung V.6).
Wettbewerbs-
fäh igkelt der
Technologie
Fazit
• Technologischer
Vorsp ru ng zunehmend
kurzlebiger
Einzig· {
. ... ... Kom modifizierung der
Industrialisierungs-
-
artigkeit
techno logie kürzer
...
'I
• Up·Scaling und
Optimierung
• Kostenvorteile
L - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - --•Zeit
193
dings weiterhin und führt zu einer andauernden Kommoditisierung des Sequenzier-
geschäfts, in dem nur noch Spezialisten mit ausgeschöpften Skalenerträgen oder
zusätzlichen Dienstleistungen und Qualitätsstandards, beispielsweise durch eine
bioinformatische Aufarbeitung der Daten, profitabel arbeiten können.
BEISPIEL: GENOMIK
\-~---
1991 1999
Diese Kommoditisierung führt zu einer Situation, in der die Marktpreise nur für die
Kosten der reinen Dienstleistung plus Marge ausreichen. Der Ressourcenaufbau, der
für eine kompetitive Wettbewerbsposition im Sequenziergeschäft notwendig ist,
verursacht eine hohe Fixkostenbelastung und verschiebt den Schwerpunkt der
Geschäftstätigkeit von einem forschungsintensiven Biotech-Unternehmen mit einer
'finanzielles Zubrot gewinnenden Dienstleistung' hin zu einem Sequenzier-
unternehmen mit geringen Margen. Forschungsprojekte können über diesen origi-
nären Cash-flow nur noch unzureichend gedeckt werden und Venture Capitalisten
finanzieren keine Unternehmen, die in einem niedrigmargigem Geschäftsfeld aktiv
sind.
Biotech-Unternehmen begegnen dieser konstanten technologischen Herausforderung
mit dem strategischen Ziel, einen größeren Teil der Wertschöpfung für ein Produkt
selber herzustellen. Unternehmen mit einer solchen Produktorientierung versuchen,
sich nicht als reine Dienstleister zu positionieren, sondern größere Teile eines Wirk-
stoffes zu generieren, von der Sequenzierung einzelner Genabschnitten, zur Identifi-
zierung von Targtes, der bioinformatischen Aufarbeitung und Validierung bis zu
einer Leitsubstanz Identifizierung und Validierung in präklinischen Assays und
Tiermodellen (siehe Abbildung V.B). Eine komplexere, werthaltigere und modulare
194
Leistungserbringung, ermöglicht es dem Biotech-Unternehmen, dem 'Commodity-
Geschäft' zu entgehen und eine strategische Perspektive jenseits der reinen Zuliefer-
funktionfür große Life-Sciences-Unternehmen zu generieren.
BEISPIEL: GENOMIK
Die Bedeutung der Technologiedimension wird in diesem Sinne auch von den
befragten Zielgruppen nur als einer von mehreren Erfolgsfaktoren eingeschätzt.
Zwar ist eine 'gute' Technologie Voraussetzung für das gesamte Geschäftssystem -
sie ist aber nicht hinreichend, um zu einem erfolgreichen Geschäftsmodell zu führen.
Eine z u starke oder ausschließliche Technologieorientierung des Unternehmens wir d
sogar als nachteilig empfunden. Insbesondere Venture-Capital-Unternehmen be-
fürchten b ei einem zu starken Forschungsfokus eine 'technology myopia', die z u
unrealistisch langen 'Time-to-Market'-Zeiten u nd h ohen Mißerfolgsquoten der
Forschungsergebnisse führt. Während die Biotech-Unternehmen der Technologie
eine übergeordnete Rolle zuerkennen, ist sie für VC-Firmen nicht der w ichtigste
Parameter (siehe Tabelle V .3 und 4).
195
Bedeutung der 'Technologie' für den Geschäftserfolg von Biotech-
Unternehmen aus der Sicht von Biotech-Unternehmen (n=lO)
der wichtigste Parameter 4
wichtig 7
weniger wichtig 1
Tabelle V.3: Bedeutung der 'Technologie' für den Geschäftserfolg von
Biotech-Unternehmen aus der Sicht von Biotech-Unternehmen
Quelle: Eigene empirische Erhebung
196
entscheidenden Inkubatororganisationen für Biotech-Gründungen. Neben dem
'kodierten und unkodierten' Wissen, rekrutiert sich ein Großteil des Managements
und der Forschungsmitarbeiter von Unternehmen aus Personen des wissenschaft-
lichen Umfeldes. Als Know-how-Träger sind sie die Garanten für zukünftige Inno-
vationsfähigkeit der Unternehmen. Bei fortwährenden Kontakten zwischen Insti-
tuten und Unternehmen entsteht darüber hinaus ein kontinuierlicher Fluß an qualifi-
zierten Humanressourcen, die u.U. über Projektarbeit schon während der wissen-
schaftlichen Laufbahn mit dem Unternehmen arbeiten. Oft entsteht auf diese Weise
eine natürliche Verbindung zwischen Grundlagenforschung in öffentlichen Einrich-
tungen sowie Entwicklung und Kommerzialisierung in Unternehmen. Für viele
Biotech-Unternehmen sind privilegierte Beziehungen zu öffentlichen Forschungs-
stellen ein strategisches 'Asset' (siehe Fallstudie MMI, Kap. V.3.5).
Das Chancenpotential für Biotech-Unternehmen erhöht sich z.Zt. kontinuierlich, da
Life-Sciences-Unternehmen zunehmend größere Teile des Forschungsprozesses für
die Wirkstoffentwicklung outsourcen. Größere Wertschöpfungsbereiche und ganze
Plattformen in der Forschung werden nicht mehr Inhouse entwickelt, sondern auf
dem Markt zugekauft, beispielsweise High-TroughputcSysteme in der Wirkstof-
findung (siehe Fallstudie MMI V.3.5). Dies führt zu einer höheren Transaktionsdichte
zwischen Biotech- und Pharma-Unternehmen, mit erheblichen Marktchancen für
innovative Biotech-Unternehmen.
TECHNOLOGIE
197
There has never been a time in recorded
history when supply of capital did not
outstrip the supply of opportunity
Eugene Kleiner, Venture Capitalist
2.1.3 Finanzierung
(1) Notwendigkeit externer Geldgeber
Die Finanzierungsfunktion ist der 'Taktgeber' für die Wachsturnsstrategie eines
Biotech-Unternehrnens - sie bestimmt das mögliche Gestaltungsspektrum für den
personellen und investiven Ressourcenaufbau oder die Akquisition von aussichts-
reichen Produktkandidaten. Die Frage, wie hoch und über welchen Zeitraum ein
Finanzierungsbedarf jenseits des eigenen Cash-flows besteht, ist abhängig von der
Marktnähe möglicher Produkte (im umfassenden Sinn) und damit vorn strategischen
Konzept des Biotech-Unternehrnens. Bei allen forschungsintensiven Unternehmen,
die sich nicht nur auf Auftragsforschung und schnell vermarktbare Dienstleistungen
konzentrieren, sind externe Kapitalgeber notwendig. Dies sind insbesondere
Venture-Capital-Gesellschaften, können aber auch Business Angels oder andere
Unternehmen sein, die Eigenkapital zur Verfügung stellen (siehe Tabelle V.5).
Zur externen Beurteilung eines Biotech-Investrnents, der Abschätzung der Geschäfts-
chancen und -risiken, ist neben dem finanziellem auch ein spezifisch biotechnolo-
gisches Know-how erforderlich. Die Betreuung und Evaluierung bei Venture-
Capital-Gesellschaften, die in Biotechnologie investieren, wird deswegen fast aus-
schließlich von Life-Sciences-Spezialisten betrieben, die eine spezifische naturwissen-
198
schaftliehe Ausbildung und z.T. eine langjährige Industrieerfahrung mitbringen.636
Fremdkapital ist als Finanzierungsquelle sehr problematisch. Es wird von Banken
auch nur in seltenen Fällen gewährt. Die hohe Risikostruktur des Biotech Geschäfts,
die notwendige hohe fachliche Expertise des Betreuungsaufwandes machen Unter-
nehmensfinanzierungen in der Biotechnologie für Banken nur bedingt interessant.
Biotech-Unternehmen nutzen die FK-Quelle auch nur in geringem Ausmaß, z.B. im
Rahmen eines geschäftsüblichen Kontokorrentkredits. Im Fall von Investitionsfinan-
zierungen mit konkreter Umsatzgenerierung, beispielsweise zur Markteinführung
eines industriereifen Produktes, stellt Fremdkapital allerdings durchaus eine sinn-
volle Finanzierungsalternative dar.
636 Für Investitionen in anderen Branchen ist der spezifische Erfahrungshintergrund der Portfoliomanager nicht
in gleichem Ausmaß entscheidend wie in der Biotechnologie.
199
Attraktivität für die Produkt-/Technologiekonzeption des Biotech-Unternehmens.
Bei einer Investitionsentscheidung verläßt sich der Kapitalgeber nicht mehr nur auf
'Visionen' oder 'Erwartungen für die Zukunft'- er kauft immer weniger 'die Katze
im Sack'.637 Für Biolech-Unternehmer hat diese Einstellung Konsequenzen für das
verfolgte Business Modell. Konzeptionen, die frühzeitiger einen Marktdurchbruch
versprechen, erringen dadurch eine erhöhte Attraktivität - eine interessante
Entwicklung beispielsweise für bioinformatische Unternehmenskonzepte (siehe Fall-
beispiele LION, Incyte, Kap. V.3.4/3.6).