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Strategiekonzepte für
Biotechnologie-Unternehmen
Gründung, Entwicklungspfade, Geschäftsmodelle
Ollig, Wolfgong:
Strategiekanzepte fur Biatechnalagie-Unternehmen : Grundung,
Entwicklungspfade, Geschăftsmadelle / Wolfgang Ollig.
Mit einem Geleitw. van Michael Dawling. -
1. Aufl ..
(DUV : Wirtschaftswissenschaft)
Zugl.: Regensburg, Univ., Diss., 200l
ISBN 978-3-8244-0586-2 ISBN 978-3-663-08987-2 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-08987-2
ISBN 978-3-8244-0586-2
Geleitwort
V
Karl-Heinz, für seine Energie
Marlene, für ihre Ratio
Mare, für seine Freundschaft
Judith, für ihre Kreativität
Vorwort
VII
sowie insbesondere auch meinen Interviewpartnern. Die zuverlässige Literatur-
recherche und die Qualität der graphischen Gestaltung wäre ohne meine Kollegen
Wolfgang Limbeck und Anja Lehnhardt von McKinsey & Company, bei denen ich
mich an dieser Stelle bedanken möchte, nicht möglich gewesen. Mein herzlicher
Dank für die kritische Durchsicht der Arbeit gilt meinen Freunden Alexander Meier,
Andreas Neichel und Achim Zeeb. Besonders bedanken möchte ich mich bei meiner
Freundin Judith Burmann, die mich inhaltlich und gestalterisch unterstützt hat und
deren Einsichten mir soviel geholfen haben. Meinen Eltern und meinem Bruder
möchte ich besonders herzlich danken, denn ohne ihre Unterstützung bis zum
heutigen Tag hätte ich die mir gesetzten Ziele kaum erreicht.
Wolfgang Ollig
VIII
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis ...................................................................................................... XV
1 Problemstellung ................................................................................................ 1
IX
6.3 Hohe Forschungsintensität ............................................................... 67
6.4 Großer Kapitalbedarf ......................................................................... 69
X
IV. Konzeptioneller Orientierungsrahmen als Grundlage der explorativen
Untersuchung zu wachstumsstarken und innovativen Biotech-
Untemehmen ............................................................................................•.............. 155
XI
3.1 British Biotech- die Chancen und Risiken der vertikalen
Integration zum Produkt-Unternehmen ....................................... 235
3.2 Biogen - der klassische Migrationspfad für Biotech-
Unternehmen der ersten Generation ............................................. 239
3.3 Millennium- vom Target-Lieferanten zum
Technologiepla ttform-Unternehmen mit therapeutischem
Produkt-Know-how ......................................................................... 242
3.4 Incyte Pharmaceuticals- vom Produkt-orientierten zum
bioinformatischen Technologie-Unternehmen ............................ 248
3.5 MMI- vom Technologie-orientierten Startup zum
standardsetzenden Nischenunternehmen .................................... 255
3.6 LION Bioscience- vom Genomik-orientierten Startup zum
integrierten Plattform-Unternehmen mit Produktambitionen .. 269
3.7 MediGene- die vertikale Migration entlang der
Wertschöpfungskette zum biopharmazeutischen
Unternehmen ..................................................................................... 276
3.8 Medigenomix und Gene Alliance- mit innovativen
Organisationsstrukturen zu Wettbewerbsvorteilen im
Commodity Geschäft ....................................................................... 280
3.9 Synopsis der Fallstudienanalyse ausgewählter Biotech-
Unternehmen ..................................................................................... 286
3.9.1 Within-case-Analyse ............................................................... 286
3.9.2 Cross-case-Analyse ................................................................. 294
XII
3 Handlungsempfehlungen für Biotech-Unternehmen auf Basis des
strategischen Orientierungskonzepts ........................................................ 330
3.1 Ressourcen-orientierte Strategieparameter .................................. 330
3.2 Markt-orientierter Strategieparameter: Produkt-Markt-
Konzept .............................................................................................. 333
3.3 Strategischer Interaktionsparameter: Kooperationen ................ 334
3.4 Holistischer Strategieparameter: Geschäftsmodell... .................. 334
XIII
Abbildungsverzeichnis
XV
Abbildung III.5: Kräfte der Innovationsgenerierung .................................................... 88
Abbildung 111.6: Ansatzpunkte aus der Innovationsdebatte für eine
Strategiekonzeption und Thesenentwicklung .................................. 92
Abbildung 111.7: Typologien von Unternehmensgründungen * ............................... 100
Abbildung III.8: Ökonomische Entrepreneurship Konzepte ..................................... 112
Abbildung III.9: Erfolgskriterien für schnell wachsende innovative
Unternehmen ....................................................................................... 124
Abbildung III.10: Entwicklungsphasen der Unternehmung ....................................... 128
Abbildung 111.11: Ansatzpunkte aus der Entrepreneurship-Oehatte für eine
Strategiekonzeption und Thesenentwicklung ................................ 129
Abbildung III.12: Wettbewerbskräftemodell nach Porter ............................................ 134
Abbildung III.13: Argumentationslogik des Market-based-View .............................. 135
Abbildung III.14: Argumentationslogik des Resource-based-View ........................... 146
Abbildung III.15: Ansatzpunkte aus der Strategiedebatte für eine
Strategiekonzeption und Thesenentwicklung ................................ 152
Abbildung IV.1: Erkenntnisse aus der Analyse industriespezifischer
Rahmenbedingungen für die Generierung des strategischen
Orientierungskonzepts ....................................................................... 158
Abbildung IV.2: Erkenntnisse aus betriebswirtschaftliehen Ansätzen für die
Generierung des strategischen Orientierungskonzepts ................ 163
Abbildung IV.3: Argumentationslogik zur Generierung des strategischen
Orientierungskonzepts ....................................................................... 164
Abbildung V.1: Methodische Vorgehensweise der Untersuchung in
Anlehung an den Fallstudienansatz von Yin .................................. 177
Abbildung V.2: Spezifisches Untersuchungsdesign einer explorativen
Fallstudien- und einer primär- statistischen Interview-
Untersuchung in Anlehnung an Yin (1989) .................................... 178
Abbildung V.3: Struktur des Interviewsamples ......................................................... 180
Abbildung V.4: Top-2-Erfolgsfaktoren für ein Biotech-Unternehmen aus Sicht
der einzelnen Zielgruppen ................................................................ 187
Abbildung V.S: Kernergebnisse Unternehmensressourcen ...................................... 191
Abbildung V.6: Wettbewerbsfähigkeit von Technologien in der
Biotechnologie im Zeitablauf ............................................................ 193
Abbildung V.7: Technologischer Kommoditisierungsdruck am Beispiel der
DNA Sequenzierung .......................................................................... 194
Abbildung V.8: Beispielhafte Innovationssprünge auf neueS-Kurven in der
Wirkstoff-Forschung ........................................................................... 195
Abbildung V.9: Kernergebnisse Technologie ...................... ,...................................... 197
Abbildung V.lO: Änderung der Investoreneinschätzung bei Biotech-
Investments .......................................................................................... 200
XVI
Abbildung V.ll: Jährliche Venture-Capital-Investitionen in die Biotechnologie
in Buropa von 1995 bis 1999 ............................................................. 201
Abbildung V.12: Venture-Capital-Investitionen in die Biotechnologie in UK,
Deutschland und Frankreich in den Jahren 1993, 1997 und
1999 ....................................................................................................... 202
Abbildung V.13: Durchschnittliche Venture-Capital-Investitionssumme
institutioneller Anleger in UK, Deutschland und Frankreich ...... 203
Abbildung V.14: Biotech-Performance in den USA ..................................................... 208
Abbildung V.15: Entwicklung des privaten und öffentlichen
Finanzierungsvolumens in deutschen Biotech-Unternehmen
von 1996 bis 1998 ................................................................................. 209
Abbildung V.16: Kernergebnisse Finanzierung ........................................................... 210
Abbildung V.17: Kernergebnisse Produkt-Markt-Konzept. ...................................... 214
Abbildung V.18: Kernergebnisse Kooperationen ......................................................... 219
Abbildung V.19: Differenzierung der Biotech-Unternehmensmodelle nach
Auswertung der Expertengespräche ............................................... 221
Abbildung V.20: Grundsätzliche Entwicklungsszenarien für Biotech-
Unternehmen ....................................................................................... 223
Abbildung V.21: Außerordentliche Kursanstiege von biopharmazeutischen
Unternehmen nach Pressemitteilungen .......................................... 227
Abbildung V.22: Die verschiedenen Dimensionen eines nachhaltigen
Geschäftsmodells für Biotech-Unternehmen .................................. 233
Abbildung V.23: Kernergebnisse Geschäftsmodell.. .................................................... 234
Abbildung V.24: Ausgewählte Fallstudien nach der Geschäftsmodellstruktur
entrepreneurialer Biotech-Unternehmen ........................................ 235
Abbildung V.25: Entwicklung der Marktkapitalisierung von British Biotech
von Juni 1992 bis Januar 1999 ............................................................ 238
Abbildung V.26: Entwicklung der Marktkapitalisierung von Biogen von Juni
1992 bis Januar 1999 ............................................................................ 242
Abbildung V.27: Kooperationsnetzwerk der Millenium Pharmaceuticals, Inc.,
Herbst 1998 .......................................................................................... 246
Abbildung V.28: Entwicklung der Marktkapitalisierung von Millennium vom
April1996 bis Januar 1999 ................................................................. 247
Abbildung V.29: Entwicklung der Marktkapitalisierung von Incyte von April
1996 bis Januar 1999 ............................................................................ 254
Abbildung V.30: Prinzip der MMI proprietären Oberflächentechnologie,
dargestellt am Beispiel eines Sandwichassays für Proteine
(Antikörper) und Nukleinsäuren (DNA/RNA)* ........................... 257
Abbildung V.31: Netzwerk der MMI GmbH im Herbst 1999 .................................... 263
Abbildung V.32: Entstehungslogik der MMI NewCo ................................................. 265
XVII
Abbildung V.33: Produkte und Kompetenz der LION Bioseience im vertikalen
Wertschöpfungsprozeß ...................................................................... 272
Abbildung V.34: Stand der Produktentwicklungen von MediGene im Winter .
1999/2000 ............................................................................................. 279
Abbildung V.35: Gene Alliance Netzwerk .................................................................... 284
Abbildung V.36: Marktbewertung der Fallstudien-Unternehmen nach
Entwicklungsphasen .......................................................................... 295
Abbildung V.37: Konzeptionelle Darstellung der Evolution in der
Wirkstoffsuche- Vom Zufallsprinzip zum
wissenschaftlichen Ansatz: Biotechnologie als Quelle einer
effektiveren Medizin .......................................................................... 302
Abbildung Vl.l: Cash-flow optimierte Geschäftsstrategie im Lebenszyklus
von Biotech-Unternehmen ................................................................. 311
Abbildung VI.2: Konzeptionelle Darstellung der Nutzenoptimierung eines
eigenen Therapeutikums in den verschiedenen Phasen der
Wertschöpfungsstufen** .................................................................... 316
Abbildung VI.3: Konzeptionelle Darstellung der Nutzenoptimierung für
Technologie-orientierte Biotech-Unternehmen** ........................... 318
Abbildung VI.4: Parameter der strategischen Entwicklungsszenarien .................... 320
Abbildung VI.5: Archetypen der strategischen Entwicklung für Biotech-
Unternehmen ....................................................................................... 322
Abbildung VI.6: Langfristige strategische Entwicklungstendenzen für
Biotech-Unternehmen ........................................................................ 325
Abbildung VI.7: Konzeptionelle Darstellung der Einflußsphären auf den
gesamten Wertschöpfungsprozeß von Biotech, Pharma und
CRO's .................................................................................................... 327
Abbildung VI.8: Parameter des industriellen Wandels in den Life Seiences .......... 329
Abbildung VI.9: Evolution der Geschäftsmodelle in den Life Seiences ................... 330
Abbildung Vl.lO: Handlungsoptionen für Biotech Unternehmen .............................. 336
Abbildung VI.ll: Strategisches Orientierungskonzept für Biotech-
Unternehmen ....................................................................................... 337
Abbildung Vl.12: Ansatzpunkte für weitergehende Forschungsarbeiten ................. 339
XVIII
Tabellenverzeichnis
XIX
Abkürzungsverzeichnis
XXI
ELISA Enyzm-Linked-Immuno-Sorbed-Assay
EK Eigenkapital
EMBL European Molecular Biology Laboratory, Heidelberg
EMEA European Medicines Evaluation Agency: EU-Behörde zur
Zulassung von Arzneimitteln
EPO Erythropoietin: Wachstumsfaktor, der für die Bildung
und Reifung speziell der roten Blutzellen verantwortlich
ist
EU Europäische Union
FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung
FCF Free Cash-flow
FCS Fluoresence Confocal Spectroscopy
FDA Food and Drug Administration: US amerikanische
Genehmigungsbehörde für Pharma- und
Diagnostikprodukte. FDA-Zulassung ist Voraussetzung
für Markteinführung eines Produktes.
FhG-ISI Frauenhafer Gesellschaft- Institut für Systemtechnik und
Innovationsforschung
FK Fremdkapital
F&E Forschung und Entwicklung
GenTG Gentechnik Gesetz
GPC Genome Pharmaceuticals Corporation AG
HBM Harvard Business Manager
HBR Harvard Business Review
HGP Human Genome Project: internationales Projekt zur
Sequenzierung des menschlichen Genoms
HGS Human Genome Sciences, Inc.
HMR Hoechst Marion Raussei AG, seit Dezember 1999 mit Rhone-
Poulenc S.A. zu Aventis S.A. fusioniert.
HRB Handelsregisterbucheintrag
HTS High Troughput Screening
HW Handwörterbuch
HWF Handwörterbuch der Führung
HWO Handwörterbuch für Organisation
i.d.R. In der Regel
ifo-Institut Deutsches Wirtschaftsforschungsinstitut, München
IO Industrial organisation bzw. Industrieökonomik
IPO Initial Public Offering bzw. Börsengang
IT Informationstechnologie
i.V. Im Vergleich
XXII
J&J Johnson & Johnson, Inc.
JV JointVenture
KAM Key Account Management
Life Seiences Geschäftsbereiche, die von molekularbiologischer
Forschung beeinflußt werden. Dies sind die
Humanmedizin, Agro-Lebensmittel-Tierzucht und
Umwelt.
LSE-Quote London Stock Exchange Notierung
Mass. Massachusettes, Bundesstaat der USA in Neuengland
MBO Management Buy Out
MbV Market-based-View bzw. marktorientierter Ansatz
MIT Massachusettes Institute of Technology
MPI Max-Planck-Institute
MTP Mikrotiterplatte: Träger- und Aufbewahrungsmedium für
Substanzen in der Pharma-Industrie
NBE New biological entity bzw. neue biologische Substanz
NCE New chemical entity bzw. neue chemische Substanz
NIH National Institute of Health bzw. die amerikanische
Gesundheitsbehörde
NME New Medical Entities bzw. neue medizinische Stoffe
NUK Neues Unternehmertum Köln e.V.
NYSE New York Stock Exchange
o.D. ohne Datum
OECD Organisation for Economic Co-operation and
Development bzw. Organisation für wirtschaftliche
Zusammenarbeit
o.J. ohne Jahr
o.O. ohne Ort
PDO Product Development Organisations bzw. Produkt-
Entwicklungs-Dienstleister für Wirkstoffe
PCR Polymerase-Kettenreaktion: Ein Verfahren zur
enzymatischen Herstellung von DNA/RNA-Sequenzen.
Durch diese Amplifikation von Nukleotiden kann auch
mit sehr kleinen Strängen von DNA gearbeitet werden.
(Nobelpreis für K.B. Mullis 1993).
Rb V Resource-based-View bzw. ressourcenorientierter Ansatz
RNA Ribonukleinsäure: Sie dienen vorwiegend der
Übertragung der genetischen Informationen. Nach ihren
biologischen Funktionen wird die RNA in Boten-bzw.
Messenger-RNA (mRNA), ribosomale RNA (rRNA),
Transfer-RNA (tRNA) und nukleare RNA (nRNA)
unterschieden.
XXIII
SAB Scientific Advisory Board, entspricht dem
Wissenschaftlichen Beirat
SKB SmithKline Beecham plc.
sz Süddeutsche Zeitung
tbg Technologie-Beteiligungs-Gesellschaft
TVM Techno Venture Management, eine führende deutsche
Venture Capital Gesellschaft, die im Januar 2000 mit der
britischen Venture Capital Gesellschaft 3i Europe plc.
fusionierte.
u.a. unter anderem
u.a.T. unter anderem Titel
u.d.T. unter dem Titel
UHTS Ultra-High-Troughput Screening
UPMC University of Pittsburgh Medical Center, USA
UK United Kingdom bzw. Vereinigtes Königreich
vc Venture Capital
VCG Venture Capital Gesellschaft
Vol. Volume bzw. Jahrgang
VP Vice President
WIS Wehrwissenschaftliches Institut für Schutztechnologien,
ABC Schutz, der Bundeswehr
WIST Wirtschaftswissenschaftliches Studium
WKN Wertpapier-Kenn-Nummer
ZEW Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung
ZfB Zeitschrift für Betriebswirtschaft
ZfbF Schmalenbachs Zeitschrift für betriebliche Forschung
XXIV
Riesige Unternehmen schließen sich zu noch gigantischeren
Einheiten zusammen während die wirklich spannenden
Ideen bei den kreativen Startups entwickelt werden
Tom Peters
1
vativer Unternehmen aus einem forschungsnahen Umfeld? Die Bedeutung junger
wachstumsstarker Unternehmen für qualitativ hochwertige Beschäftigungsmöglich-
keiten und Innovationsaktivitäten einer Volkswirtschaft wurde auch in Deutschland
nachgewiesen.S
Index
450% 1990-2000
• Nasdaq CAGR 25%
400% Nasdaq Composite
• DowJones CAGR 15%
CAGR43%
350%
300% Biolech S&P 400
," CAGR 30%
250%
, • Dow Jones
200% CAGR 21%
150%
100% -' ......... -......
50%
0%
01/1996 01/2000 Zeit
Vor diesem Hintergrund erklärt sich das Bemühen der verschiedenen Akteure in
Deutschland, durch Verbesserung der Rahmenbedingungen Unternehmerische
Gründungen zu stimulieren und zu erleichtern.9 Aus betriebswirtschaftlicher Sicht
interessiert vor allem die Kenntnis der erfolgsdeterminierenden Faktoren und das
tiefere Verständnis von nachhaltigen Strategiekonzepten für wachstumsstarke und
innovationsgetriebene Unternehmen - von der Gründung bis zum ausgereiften Ge-
7 Weitere Faktoren: die intensive Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Forschungseinrichtungen und Unter-
nehmen, hohe Effektivität der Managementfähigkeiten und gründungsfördernde Faktoren wie einen funktio-
nierenden Markt für Risikokapital, unternehmerischen Mentoren etc., vgl. o.V. (1999) S. 17, vgl. EU-Studie
(1999); vgl. auch Kaps (2000) S. 18.
8 Vgl. Nerlinger (1998) S. 27-62.
9 Hier sind insbesondere die lnitiierung bzw. Unterstützung von regionalen High-tech-Clustern, beispielsweise
in Mariinsried (Biotechnologie) oder Köln (Multimedia), vgl. McKinsey (2000) S. 5-39, vgl. Lechner (2000), die
Bereitstellung öffentlicher Fördermittel für Gründungskapital, z.B. die Gründung des Marktplatzes für Wag-
niskapital an der Stmtgarter Wertpapierbörse arr. 10.11.98 als Vorbereitung junger Unternehmen auf den
etablierten Finanzmarkt, (vgl. o.V. (1998) S. 30), der Abbau von bürokratischen Hemmnissen, die geogra-
phische Konzentration von technologischen Ressourcen und das Veranstalten von Business Plan Wettbe-
werben zu nennen, vgl. exemplarisch StartUp (1999/2000), NUK (1999/2000), Science-4-Life (1999/2000),
König (1998) S. 8-11, Burscheidt (1998) S. 43; vgl. auch Oakey (1994).
2
schäftsmodell. Erst eine grundlegende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit
diesem Thema schafft die Voraussetzungen für die Erstellung von Handlungs-
optionen und das Ausarbeiten von Heuristiken)O Für das Erreichen von Wettbe-
werbspositionen mit außerordentlichen Erfolgspotentialen in kritischen Zeitfenstern,
z.B. bei der Nutzung von menschlichen Genom-Informationen für spezifische
diagnostische und therapeutische Anwendungen, haben die gewählten Strategie-
konzepte und verfolgten Geschäftsmodelle der Unternehmen eine erfolgskritische
Bedeutung.l1
Die biotechnologische Industrie ist eine junge, fragmentierte Branche mit einer großen
Zahl an innovativen und schnell wachsenden Unternehmen. Das Potential der
zugrundeliegenden Molekularbiologie erscheint gewaltig - sowohl in technolo-
gischer als auch in kommerzieller Dimension. Als neues grundlegendes Paradigma
in der Humanmedizin, der Agro-Lebensmittel-Tierzucht und dem Umwelt-
/Chemiesektor wird die Biotechnologie diese Geschäftsbereiche in der Zukunft stark
verändern oder sogar revolutionieren.l2 Ihre Bedeutung wurde auch am Kapital-
markt deutlich, insbesondere im Jahr 2000, als sich Biotech Unternehmen signifikant
positiver entwickelten als der Durchschnitt von NASDAQ und Dow Jones (siehe
Abbildung 1.2.)
10 Der Begriff Heuristik bedeutet das Aufstellen von Hypothesen als Mittel wissenschaftlicher Forschung. Sie
stellt eine vorläufige Annahme bis zur Falsifizierung dar (siehe Kap. V.l), die zur Erlangung eines besseren
Verständnisses des Themengebietes eingesetzt wird. ·Heuristische Modelle werden vor allem in sozial-
wissenschaftlichen Forschungsgebieten angewandt, in denen im Gegensatz zu den Naturwissenschaften
'wahre' bzw. 'falsche' Aussagensysteme nur begrenzt eindeutig nachgewiesen werden können.
11 Vgl. Kanter, Kao, Wiersema (1997); vgl. Nesheim (1997); Burmester/Vahs (1999), vgl. Sabisch (1999).
12 Der ,Paradigma'-Begriff findet in der Wissenschaft seit Kuhn (erstmals 1962) vielfach Verwendung, insbeson-
dere in Theorien des wissenschaftlichen Wandels der Geistes-, Natur- und Sozialwissenschaften. (1) Defini-
torisch wird Paradigma als Theoriesystem interpretiert, als Normensystem eines Wissenschaftsbildes, das Ziel
und Methodik des spezifischen Untersuchungsansatzes einbezieht. (2) In ökonomischen Arbeiten findet der
Begriff insbesondere bei entwicklungstheoretischen Themen Anwendung, z.B. in der Theorie wirtschaftlicher
Entwicklung und Zyklen (z.B. Kontratieff, Kuznets, Mensch), der Innovationsforschung (z.B. Dosi, Nelson) oder
der Strategieentwicklung (z.B. Münchner-, St. Gallener-Ansatz, Market-based-View, Resource-based-View).
(3) Kuhn, der den Paradigma-Begriff in seinen verschiedenen Bedeutungsdimensionen entscheidend ent-
wickelt hat, argumentiert, daß in der wissenschaftlichen Entwicklung eine neue Theorie die bestehende er-
setzt, ohne auf ihr aufzubauen oder in einer Synthese weiterzuentwickeln. Wissenschaftliche Dynamik und
Fortschritt wird nicht als Aufbau und Synthese einzelner Wahrheitselemente interpretiert, sondern als Folge
gedanklich festgefügter Perioden - oder Paradigmen -, die sich nacheinander ablösen. Wissenschaftlicher
Fortschritt vollzieht sich nach Kuhn sprunghaft und als revolutionärer Prozeß, der in Krisensituationen ein-
setzt, wenn die alte von der neuen Theorie substituiert wird. Die neue Theorie wird zu Beginn des Umbruchs
als 'Anomalie' zur 'normalen' Wissenschaft verstanden. (4) Evolutionäre Modelle im Geist des Kritischen
Rationalismus nach Popper verstehen dagegen Wissenschaft als kontinuierliche Anhäufung von Wissen, das
durch systematische theoretische und praktische Falsifikationsversuche getestet wird - validiert oder im
negativen Falsifikationsfall verworfen. Wissenschaftlicher Fortschritt in Form der kritischen Auseinander-
setzung mit bestehenden Paradigmen(· im Kritischen Rationalismus ist nur eine vorläufige Verifizierung mög-
lich-) wird in diesem Sinne als eine ständige Annäherung an die Wahrheit verstanden. ln der vorliegenden
Untersuchung wird der Kuhn 'sehe Paradigma Begriff verwendet, der in ökonomischen Entwicklungs- und
Innovationstheorien weit verbreitet ist. Zur Paradigma-Diskussion vgl. Popper (1995) S. 177-183; vgl. Popper
(1996) S. 15-45; vgl. Kuhn (1993) S. 79-89,97-100, 171-185; vgl. Störig (1998) S. 687-694; vgl. Behrend (1998) S.
109-129, vgl. Waldmann (1999) S. 16-55, 85-134; vgl. Schurz (1998) S. 1-51.
3
ln 2000 behaupten sich Bieteeh-Unternehmen besser als die übrigen
Hightech-Unternehmen an der Nasdaq
Index
600%
500%
..
400% ..,:·: ~. ~~~~h S&P 400
0%
01/1996 01/2001 Zeit
Trotz dieser grundsätzlich positiven Aussichten ist die Zukunft der jungen Biotech-
Unternehmen nicht unproblematisch. Ähnlichkeiten zur Mikroelektronik und Ver-
gleiche zu Industriestandard-setzenden Unternehmen wie Intel, Microsoft oder Cisco,
Sun stehen spezifische Besonderheiten der Technologie und der relevanten Ge-
schäftsfelder gegenüber, die einfache Analogien von Biotechnologie und IT S tartups
als unzureichend erscheinen lassen. Insbesondere die langen Zyklen der Produkt-
entwicklung, die hohen Kosten und die eingeschränkte Erfolgswahrscheinlichkeit
des Forschungsprozesses sind biotechnologische Charakteristika. In ihrer Gesamt-
heit führen sie zu großen Risiken und verlangen einen hohen externen Kapitalbedarf,
der für kleine ressourcenschwache Unternehmen äußerst problematisch sein kann.l3
Diese unterschiedlichen Faktoren führen zur Fragestellung, welche Bedeutung und
langfristige Relevanz dem Phänomen der wachstums- und innovationsstarken
Biotech-Unternehmen zu kommt (siehe Abbildung 1.3).
Unternehmen aus der Biotechnologie haben sich als originäre Forschungsunterneh-
men sehr häufig auf einzelne Segmente der F&E-Wertschöpfungsstufen spezialisiert.
Pharma- und Chemie-Unternehmen, die traditionellen Wettbewerber in den von der
Biotechnologie veränderten Geschäftsbereichen, decken dagegen die gesamte Breite
der Wertschöpfungskette von der Forschung bis zum Vertrieb kommerzialisierbarer
4
Produkte ab. Diese Konzerne sind jedoch zunehmend an Forschungsleistungen von
Biotech-Unternehmen interessiert, denn innovative biotechnologische Verfahren
eröffnen Chancen, die Produktivität im F&E-Prozeß signifikant zu erhöhen und die
eigene 'Produktpipeline' substantiell zu ergänzen und zu stärken.I4
Zentrale
Ansatzpunkte Kernelemente
• Volkswirtschaftliche Bedeutung
Phänomen schnell
wachsender • Entrepreneurship
Unternehmen • lnnovationsgenerierung
Bedeutung eines
• Strategiekonzepte grundlagenden
wissenschaftlichen
• Paradigmenwechsel Verständnisses für
in Life Seiences innovationsgetriebene
Biotach-Untarnahmen
• Biotechnologie als
Industrielle 'SchiOsseltechnologie'
Biotechnologie
• Dynamisches Wachstum
• Industriestruktur
(David vs. Goliath)
Nur ein konstanter Strom von erfolgreichen Produkteinführungen, der die hohen
Anforderungen sowohl in der Quantität neuer Medikamente als auch in der
therapeutischen Qualität erfüllt, sichert den nachhaltigen ökonomischen Erfolg und
die Unabhängigkeit der Unternehmen. 15 Eine F&E-Strategie, die eine aktive
Lizensierungs- und Outsourcingpolitik mit intensiven Austauschbeziehungen zu
14 Vgl. Aitken, Lamarre, Silber (1998) S. 29·31; um die hohen Ertragserwartungen der Kapitalmärkte zu erfüllen,
greifen Life-Sciences-Unternehmen zunehmend auf externe Forschungsergebnisse insbesondere im Rahmen
von Lizensierungen zurück, u m genügend Produkte in der Entwicklungspipeline zu haben; vgl. außerdem
Cavalla (1997) S. 37·43.
15 Während Unternehmen wie Merck & Co., Scherin~:- Piollgh. Pfi:er, /&/ und Eli Lilly als selbständ ige Unter·
nehmen erfolgreiche neue Produkte ein führten und Mark tan teile gewonnen haben, ha ben Unternehmen mit
einer schwachen Produktpipeline und geringer Innovationsrate wie Hoechst, Marion , Mcrrill, G/axo, C iba -Gei~y,
Sm ith- Kline, Beecham , Plrarmacia, Rh6ne Poulenc und We/lcome e ine strategische An twort auf das eigene
Wachstumsproblem in Zusammenschlüssen gesucht. Es scheint, daß in der Pha rma-Industrie unte rnehme-
cisehe Unabhängigkeit nur durch erfolgreiche Produktinnovationen und höheren Marktan teil zu erhalten ist.
5
innovativen Biotech-Unternehmen umfaßt, wird für Life-Sciences-Unternehmen
zunehmend zum kritischen Erfolgsfaktor im Wettbewerb.l6
Für die wachstumsstarken Biotech-Firmen17 stellt sich mit Blick auf die beschriebe-
nen strategischen Herausforderungen in Zukunft die Frage, wie sich das eigene Un-
ternehmen im Wettbewerb positionieren soll und welche Geschäftsmodelle sich lang-
fristig erfolgreich entwickeln werden. Es scheint offen, ob die Biotechnologie eine
Machtverschiebung zugunsten der Biotech-Unternehmen, ein kooperatives Zusam-
menspiel oder eine Konsolidierung durch die Life-Sciences-Unternehmen bringen
wird. Die Ergebnisoffenheit der Entwicklung in den biotechnologisch geprägten In-
dustriebereichen und die hohe Dynamik in den Wettbewerbsbeziehungen machen
eine tiefergehende Analyse in der folgenden Untersuchung interessant. Drei grund-
sätzliche Fragestellungen spiegeln das Spektrum der sich abzeichnenden Ent-
wicklungsszenarien (siehe Abbildung 1.4):
16 Vgl. auch PWC (1998) S. 2-3; vgl. hierzu beispielhaft eine Untersuchung der Investmentgesellschaft Bank
Vontobel AG, Zürich, zit. in FAZ (1999) S. 27.
17 Die Begriffe 'Unternehmen' und 'Firma' werden in dieser Arbeit synonym verwendet.
18 Das erste börsennotierte Bieteeh-Unternehmen Genenlech wurde 1990 für 2,1 Mrd. USD zu 60% vom Pharma-
/Diagnostikakonzem Rache übernommen, der eine Option zum 30.6.1999 zur vollständigen Übernahme
ausübte (im Anschluß Floating von 17% an NASDAQ), Gen-Probe wurde 1989 als erstes reines Biotech- von
einem japanischen Pharma-Unternehmen übernommen, der Chugai Pharmaceuticals.
19 Arngen und Biosen sind große integrierte Biolech-Konzerne mit NASDAQ-Notierungen und Marktkapitalisie-
rungen von 22,9 Mrd. USD und 10,9 Mrd. USD im Dezember 1999, zu Biogen siehe Fallstudie in Kap. V.3.2.
20 Beide Unternehmen sind Pioniere der neuen Generation von Biotech-Unternehmen, die in den neunziger
Jahren aus der Genomforschung entstanden sind. Eine ausführliche Diskussion findet in den Fallstudien in
Kap. V.3.3. und .3.4 statt.
21 Vgl. Ernst & Young (1999); eine Ausnahme der bis Mitte der neunziger Jahre enttäuschenden unternehme-
rischen Biotech-Bilanz in Deutschland stellt die Qiagen N. V. dar, das 1984 in Düsseldorf gegründet wurde und
im Juni 1996 als erstes deutsches Bieteeh-Unternehmen an die amerikanische Technologiebörse NASDAQ,
ging. Eine detaillierte Fallstudiendarstellung liefert Zaby (1999) S. 62-77.
erfolgreichen Börsengang (!PO) realisiert.22 Die zunehmende Relevanz des Themen-
gebietes, insbesondere auch für die junge deutsche Unternehmensszenerie, verstärkt
die Suche nach einem tragfähigen konzeptionellen Bezugsrahmen, bei dem die beste-
henden wirtschaftswissenschaftlichen Theorie- und Strategieansätze genutzt werden.
Beispiele
22 Vgl. Ernst & Young (1999); EVCA (1999); zu den Schw ierigkei ten der Biotechnologie in Deutschland und dem
Umschwung Mitte der neunziger Jahre, siehe Kap. 1/.4-5; erfolgreiche deutsche IP O-Biotech-Unternehmen sind
beispielsweise Morphosys, GPC, MediGene oder LION Bioscience, siehe auch Kap. V.2.1.3
23 Für un ternehmerisch h andelnde Akteure sind d ies insbesondere F ra gestellungen nach zukünftig erfolgver-
sprechenden Unternehmensstrategien für forschungsintensive Firmen sowie F ragen nach der Ausgestaltung
von Kooperationen mit Großunternehmen, vgl. Aussagen Euro Biotech F orum 1998; für d ie Wissenscha ft
7
• Fragen nach den spezifischen Strategieparametern für biotechnologische Startup-
Unternehmen differenziert nach Phasen der Unternehmensentwicklung
• Fragen insbesondere nach der Sinnhaftigkeit und der erfolgreichen Konstruktion
von Kooperationsvereinbarungen von Biotechnologie- und Life-Sciences-Unter-
nehmen
• Fragen nach unterschiedlichen Entwicklungspfaden und daraus ableitbaren
strategischen Optionen junger Biotechnologie-Unternehmen
• Fragen nach einer Generierung von geeigneten Geschäftsmodellen für junge bio-
technologische Unternehmen
Offene Fragestellungen
In der vorliegenden Untersuchung soll ein Beitrag zur Beseitigung eines Konzep-
tionalisierungsdefizits geleistet werden. Zur Annäherung an den Untersuchungs-
gegenstand wird eine Sondierung verschiedener theoretischer Ansätze und
Erkenntnisse aus der betriebswirtschaftliehen Forschung vorgenommen, die An-
satzpunkte für ein Strategiekonzept darstellen, das für die spezifischen Herausforde-
wird vor allem die Notwendigkeit der Überwindung eines Theoriedefizits bei der Analyse strategischer Kon-
zepte diagnostiziert, vgl. Langman (1995/1998).
8
rungen biotechnologischer Unternehmen anwendbar ist. Ziel der Untersuchung ist
es, eine konzeptionelle Darstellung des Problemfeldes zu erarbeiten, in der bisherige
Erkenntnisse zum Themenfeld aufgearbeitet und in einen originären Struktur-
ierungsvorschlag integriert werden. Eine explorative empirische Untersuchung
führt zu einer Modifizierung des theoretischen Bezugsrahmens und einer
Präzisierung von Arbeitshypothesen für weiterführende Forschungsarbeiten (siehe
Abbildung 1.5).
9
Erkenntnisse auf ihre praktische Anwendbarkeit. Nur bei klarer Problembezogen-
heil zur realen Unternehmenssituation wird die Sinnhaftigkeit der Untersuchung,
einen Erkenntnisbeitrag zum Erkenntnisobjekt 'innovativer und schnell wachsender
Unternehmen in der Biotech-Industrie' zu leisten, gewährleistet.
Dimensionen von
Forschungszielen Kernpunkte
-------------------------------------
r------------------------------------
1 Deskriptiv • Klärung von Definitionen, Grundlagen :
I • Basislegung für theoretische Aussagen 1
I I
I
1 Theoretisch • Bildung von Aussagen, Axiomen,
I Modellen, Theoremen
I
• Erklärung von Ursache-Wirkungs-
I
I Zusammenhängen
I
: Empirisch • Exploration des Begründungszusammenhanges
1 und Modifizierung der theoretischen Ausgangs-
~ ____________ ~~:_s~l~~g _________________ _ 1
• Explikative Validierung von Ursache-Wirkungs-
Zusammenhängen in der Realität durch
empirisch quantitative Untersuchungen
Die vorliegende Arbeit gliedert sich in sechs Kapitel. Nach einer thematischen Ein-
führung und Klärung der zentralen Fragestellungen der Arbeit in Kapitel I. wird in
Kapitel II. das Technologiekonzept 'Biotechnologie' als industrieller und strategischer
Rahmen für Unternehmen erörtert. Neben einer Grundlagenklärung liegt der Fokus
auf einer Analyse der Wertschöpfungsstufen in den Life Sciences. Ein tieferes Ver-
ständnis der verschiedenen Phasen im F&E-Prozeß liefert die Basis für differenzierte
Aussagenhypothesen und strategische Ansatzpunkte von biotechnologischen Unter-
nehmenskonzepten. Eine Darstellung der Geschäftsfelder und ihre kommerzielle
Bedeutung wird durch eine Risikobetrachtung der Biotechnologie zusätzlich vali-
diert und erweitert. Die Akzeptanzproblematik beeinflußt die Kommerzialisierungs-
chancen von Biotech-Unternehmen und ist folglich für ein holistisches Strategie-
konzept von Bedeutung. Eine Darstellung der industriellen Entwicklung der
Biotechnologie wird durch die Generierung von industriespezifischen Anforde-
rungen und strateeischen Rahmenbedingungen abgeschlossen. Diese bilden eine
differenzierte Untersuchungsgrundlage für ein Orientierungskonzept von Unter-
nehmen dieser Branche.
10
In Kapitel III. werden betriebswirtschaftliche Erklärungsansätze diskutiert, die zur
Entwicklung eines strategischen Orientierungskonzeptes beitragen. Es werden drei
grundlegende Argumentationslinien erörtert: Innovationsansätze, Entrepreneurship-
Ansätze sowie die markt- und ressourcen-orientierten Strategiekonzepte. Innova-
tionsansätze dienen zum Verständnis des Innovationsphänomens und der Innova-
tionsgenerierung als Basis des Erfolgs insbesondere von High-tech-Unternehmen.
Von besonderer Relevanz erscheinen Beiträge zurEntrepreneurship-und Strategie-
debatte. Die Ausprägungsform des für die Biotechnologiedebatte relevanten schnell
wachsenden innovativen Startups auf Basis einer differenzierenden Typologisierung
stellt die Grundlage der weiteren Untersuchung dar. Einen Schwerpunkt der theo-
retischen Entrepreneurship-Analyse nehmen die funktionalen und verhaltenswissen-
schaftlichen Gründungskonzepte, eine Erörterung der relevanten Zielsysteme und
eine Darlegung der unterschiedlichen Entwicklungsphasen von Startup-Unter-
nehmen ein. In der Strategiedebatte werden die unterschiedlichen Konzepte von
Market-based-View (MbV) und Resource-based-View (RbV) intensiv beleuchtet und
auf ihre Konzeptionalisierungsrelevanz für ein zu generierendes Biotech Strategie-
konzept analysiert._ Die markt- und ressourcen-orientierten Argumentationslinien
geben Anhaltspunkte für einen strategischen Orientierungsrahmen für Biotech-
Unternehmen.
In Kapitel IV. werden die bisherigen Erkenntnisse der industriespezifischen Biotech-
nologie und der betriebswirtschaftlich-theoretisch en Perspektive zu einem holisti-
schen Orientierungskonzept zusammengefaßt, das als Grundlage der explorativen
Untersuchung in Kapitel V. dient. Neben ressourcen-und markt-orientierten Strate-
gieparametern, werden 'Kooperationen' und das 'Geschäftsmodell' als weitere Para-
meter des Konzeptes synthetisiert, da ihnen eine spezifische und sehr bedeutsame
Funktion im Strategiekanon von Biotech-Unternehmen zukommt. Entlang der
einzelnen Parameter werden Thesen aufgestellt, die in Kapitel V. an explorativen
Erkenntnissen gespiegelt werden.
In Kapitel V. werden auf den theoretischen Erkenntnissen des erarbeiteten Strategie-
konzeptes aufbauend in einer empirisch-explorativen Analyse konkrete Ansatz-
punkte für die Erweiterung des Kenntnisstandes zu Strategiekonzepten von Biotech-
Unternehmen untersucht. Ein eigenständiger Methodikabschnitt gewährleistet eine
wissenschaftliche Einordnung der explorativen Erkenntnisse. Die empirisch-explo-
rative Arbeit basiert auf einer detaillierten Gründererfahrung bei dem Biotechnologie
Startup-Unternehmen Molecu/ar Machines Industries (MMI GmbH)29, verschiedenen
Betreuer- und Juror-Funktionen in den Business-Plan-Wettbewerben NUK, StartUp
und Science-4-Life, persönlichen Tiefeninterviews mit Entscheidungsträgern aus den
Zielgruppen der Biotechnologie-, Pharma- und Venture Capital Industrie sowie acht
ausführlichen Fallstudien, in denen spezifische Unternehmensentwicklungen analy-
siert werden. Die Erkenntnisse aus den Experteninterviews werden entlang des in
Kapitel IV. generierten Orientierungskonzepts diskutiert. Eine Analyse unternehme-
rischer Fallstudien wird in 'within-' und 'cross-case'-Auswertungen vertieft.
11
Zusammenfassung und abschließende Bewertung führt in Kapitel VI. zu einer Modi-
fizierung der entlang des Orientierungskonzeptes aufgestellten Thesen. Neben
einem Ausblick auf zukünftige Wettbewerbsentwicklungen werden auf Basis der
Untersuchung Handlungsempfehlungen für Biotech-Unternehmen gegeben sowie
Anhaltspunkte identifiziert, die für eine weiterführende Forschung im Themengebiet
sinnvoll erscheinen.
Diese Konzeptionalisierung stellt den umfassenden Versuch dar, die Schnittstelle
zwischen Betriebswirtschaft und dem speziellen Themengebiet der Life Seiences mit
Ansatzpunkten zu einem aus theoretischer und explorativer Analyse hervorgegan-
genen holistischen Strategieansatz zu schließen. Mit der Untersuchung wird ein
Beitrag zur Präzisierung des aktuellen theoretischen Kenntnisstandes im Yin 'sehen
Sinne angestrebt, der in weiteren Forschungsanstrengungen als Grundlage für empi-
risch-quantitative Arbeiten dienen kann. Die Exploration des Begründungszusam-
menhangs a ls Z iels etzung der vorliegenden Arbeit unterstützt somit durch Verfeine-
rung und Modifizierung der E i ngangshypothesen eine explikative Validierung von
Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen in nachfolgenden großzahligen Untersu-
chungen (siehe Abbildung 1.7) .
Kernpunkte
• Klarung der • Klarung von : • Kritische Würdigung • Exploration des Be- • Generierung von
zentralen industriespezi- i des th eoretischen grOndungszusam- strategischen Hand-
Problem- fischen Anforde- : K enntnisstandes menhangs lungsoptionen
stellung der rungenfür i• Generierung eines "Strategiekonzepte • Erarbeitung von An-
Arbeit strategisches : strategischen Orien- von Biotech- sätzen fOr weiler-
Orientierungs- ' lierungskonzeptes U nternehmen" füh rende Forschung
konzept für Unternehmen in • Präzisierung von
der Biotechnologie Arbeitshypothesen
12
3 Abgrenzung des Themas
Die vorliegende Arbeit zielt auf eine Erweiterung des theoretischen Kenntnisstandes
zu Strategiekonzepten für wachstumsstarke und innovationsgetriebene Biotech-
Unternehmen. Das Untersuchungsdesign ist nicht quantitativ-explikativ ausge-
richtet und stellt somit auch keine ausreichende Validierung oder Testung von
Hypothesen oder Diskussion von Erfolgsfaktoren dar. Dieses Vorhaben bleibt einer
explikativen großzahligen Untersuchung an anderer Stelle vorbehalten. 3D
Die hohe Spezifizität der Biotech-Branche und die hohe Komplexität der Technologie
erschweren eine Annäherung an dieses Themengebiet und gestalten vereinfachende
Vergleich zu anderen Branchen wie IT /Internet problematisch. Die detaillierte
Diskussion der biotechnologischen Rahmenbedingungen fundiert aus diesem Grund
den Ausgangspunkt für die Konzeptionalisierung der Biotech-spezifischen Ansatz-
punkte, mit der Absicht, Erkenntnisse zu generieren, die deutlich über allgemein-
generische Ansätze hinaus gehen. Im Verlauf der Untersuchung wird deutlich, daß
die Humanmedizin das stark dominierende Geschäftsfeld für Biotech-Unternehmen
darstellt. In der Folge liegt der Schwerpunkt der Untersuchung auf diesem Ge-
schäftsfeld, das die Biotech-Unternehmen auf absehbare Zeit hinaus entscheidend
prägen wird. Erkenntnisse zu den Feldern Agro-Lebensmittel-Tierzucht und
Umwelt/Chemie werden bei Bedarf ergänzt, sie stehen allerdings nicht im Mittel-
punkt der Arbeit.
Die Auswahl der theoretischen Ansätze orientiert sich am Bedeutungsbeitrag und
Erkenntnisfortschritt bei der Erarbeitung eines holistischen Orientierungskonzeptes.
Im Fokus der betriebswirtschaftliehen Erklärungsansätze stehen Innovations-,
Entrepreneurship-, Markt- und Ressourcen-orientierte Ansätze. Aspekte aus netz-
werktheoretischen Überlegungen werden punktuell thematisiert ohne jedoch einen
Schwerpunkt der theoretischen Analyse darzustellen.
13
Die Biotechnologie wird die nächste Kontratieff
Kurve Jiir wirtschaftliche Wertentwicklung sein
Fondsmanager Technologiefonds DWS
15
enger Verbindung mit der technischen Chemie und der Verfahrenstechnik"34. Bio-
technologie bedeutet die Nutzung biologischer Systeme zur Gewinnung von Zell-
masse, zur Gewinnung von Stoffwechselprodukten und zur Nutzung von spezifi-
schen Leistungen.35 Einen zeitlichen Überblick der wichtigsten Phasen in der Bio-
technologie bietet Tabelle II.l.
Zeitraum Entwicklungs- Verfahren Produkte
tendenzen
Vor 1865 Traditionelle Nutzung - Alkoholische Gärung -Wein, Bier
Prä- der Biotechnologie bei der -Milchsäure Gärung -Käse, Sauerteig, Joghurt
Pasteur Herstellung von -Essigsäure Gärung -Essig
Nahrungsmitteln
1865- 1940 Biotechnische Verfahren -Fermentation -Butanol, Aceton, Ethanol
Pasteur ohne absoluten Aus- - Oberflächenkultur -Zitronensäure
schluß von Fremdkeimen -Aerobe - Bäckerhefe, Futterhefe
Abwasserklärung
- Biomasse Herstellung
1940- 1960 Biotechnische Verfahren -Steril-Technik -Spezifische Antibiotika
Antibiotika unter Ausschluß von -Submers-Verfahren (z.B. Penicillin)
Fremdkeimen und mit -Tierische Zellkulturen - Breitband Antibiotika
selektionierten Stämmen - Mikrobielle (z.B. Tetracycline)
Stoffumwandlungen - Virus- Impfstoffe
-Steroide (z.B. Cortison)
-Vitamine (z.B. B 12)
-Ovulationshemmer
1960- 1975 Integration und - Mikrobiologische - Einzeller-Protein (SCP)
Post- Anti- Anwendung wichtiger Herstellung von -Enzyme (Waschmittel)
biotika Forschungsergebnisse aus Biopolymeren -Polysaccharide
Naturwissenschaften und - Immobilisierung von (Xanthan)
Technik in der Enzymen - Fructose-Sirup
Biotechnologie und Zellen (Isomerase)
-Anaerobe -Biogas
Abwasserklärung -Industrie-Alkohol
- Alkoholische Gärung (Gasohol)
ab 1975 Konstruktive - Hybridoma-Technik - Monoklonale Antikörper
Moderne Optimierung von Zellen - Gentechnik - Rekombinante
Bio- und vorhersagbare (Genetic Engineering) Impfstoffe
technologie Bioprozeß-Technologie -Therapeutische
Humanproteine
Die der modernen Biotechnologie zugrunde liegende Basiswissenschaft ist die Moleku-
larbiologie. Als Begriff erstmals in den dreißiger Jahren geprägt, eröffnet sie ein
neues wissenschaftliches Feld, bei dem die Anwendung von chemischen und physi-
16
kalischen Methoden bzw. Erkenntnissen zu einer verbesserten Erforschung zentraler
biologischer Fragestellungen führte. Dieser interdisziplinäre Austausch zwischen
Physikern, Chemikern und Biologen gestaltete sich sehr fruchtbar und produktiv. Er
ebnete den Pfad zu den entscheidenden wissenschaftlichen Durchbrüchen, die zur
Entdeckung der DNA (Desoxyribo-Nuclein-Acid) durch Watson und Crick im Jahr
1953 führten.37 Die darauf folgende tiefere Erforschung ihrer chemischen und physi-
kalischen Eigenschaften und Funktionsweisen eröffnete das revolutionäre Möglich-
keitenspektrum einer in den evolutiven Prozeß eingreifenden Schlüsseltechnologie -
der Gentechnologie.38 Die moderne Biotechnologie stellt den Schwerpunkt der
vorliegenden Untersuchung dar. Ihre revolutionären molekularbiologischen Ver-
fahren und die daraus generierbaren Ergebnisse, z.B. monoklonale Antikörper,
rekombinante Impfstoffe, therapeutische Humanproteine und gentherapeutische
Behandlungen, bilden das Kommerzialisierungspotential der Biotechnologie-Unter-
nehmen seit Ende der siebziger Jahre. Das enorme und in seiner Reichweite kaum
abschätzbare wissenschaftliche und wirtschaftliche Potential, macht die Gentechno-
logie und damit die moderne Biotechnologie zu einer elementaren Technologie im
ausgehenden 20. Jahrhundert.39
Die von der molekularbiologischen Forschung beeinflußten, veränderten und neu
definierten Geschäftsbereiche werden als Life Seiences bezeichnet. Der Begriff wird in
dieser Untersuchung nicht als implizite Strategie verstanden, nach der ein Zusam-
menwachsen der biotechnologischen Geschäftsfelder Humanmedizin und Agro tech-
nologische und marktliehe Synergien generiert bzw. die einzig gestalterische Ant-
wort von Unternehmen in diesen Feldern sein kann.40 Sie eröffnen einen weiten
37 Insbesondere die Nutzung der Röntgenuntersuchungen zur Struktur der DNA von Rosalinde Frank/in führten
zu einer quantitativen Verifizierung theoretischer Forschungshypothesen. Wichtige Beiträge lieferten Linus
Pauling, Niels Bohr, Erwin Schrödinger, Leo Szilard, Oswald Avery und insbesondere Max Delbrück und dessen
'Phage Gruppe', vgl. Watson (1997) S. 199-200, vgl. Teileiman (1994) S. 181-182.
38 Watson/Crick gelten als Begründer der modernen Biotechnologie. 1962 erhielten sie zusammen mit M.F.
Wilkins für die Entdeckung der DNS-Struktur den Nobelpreis für Medizin. Den Wettlauf um die Entdeckung
der DNS-Struktur hat Watson erstmals 1968 unter dem Titel "The double helix" dargelegt, vgl. Watson (1997).
Watson betrieb von 1968-1988 das NIH Institut für Molekularbiologie in Cold Spring Harbor, USA. Er war
Mitbegründer und erster Leiter des Human Genom Projects (HGP). Ein von Watson gleichfalls initiiertes
Museum der DNA und Gentechnik hat bereits sehr früh zu einer sachlichen Information über Chancen und
Risiken dieser Technologie beigetragen. Er ist damit gleichfalls ein Pionier unter den Wissenschaftlern, die
sich zu wenig in der Akzeptanzdiskussion der Biotechnologie in der Gesellschaft beteiligt haben. Zur
Akzeptanzdebatte in Deutschland, vgl. Ollig/Ries (1995) S. 9-14.
39 Vgl. OECD (1989) S. 48-49.
40 Diese Integrationsstrategie für Life-Sciences-Geschäftsfelder wurde erstmals von Monsanto in den neunziger
Jahren verfolgt, dann auch von Aventis und Novartis angewandt. Der wirtschaftliche Erfolg gilt aber zuneh-
mend als zweifelhaft: Monsanto schloß sich Ende 1999/2000 mit Pharmacia & Upjohn zusammen, wobei die mit
dem Namen 'Monsanto' verbundenen AgBio-Aktivitäten als 'Belastung' des neu-zusammengeschlossenen
Unternehmens 'Pharmacia' bewertet wurden. Das AgBio-Geschäft stand ab Frühjahr 2000 zur Disposition.
Am 18.10.2000 wurden 14% des Kapitals der neuen Gesellschaft 'Monsanto', in der alle AgBio und AgChem-
Aktivitäten gebündelt wurden, zu einer Bewertung von 5 Mrd. USD wieder an die Börse (NYSE) geführt.
Wachsende öffentliche Proteste gegen die Verwendung von genetisch verändertem Saatgut (siehe Kap. II.4)
hatten zu einem sehr zurückhaltenden Anlegerinteresse geführt, so daß der Emissionspreis mit 20 USO sogar
unterhalb des Zielkorridors von 21-24 USD lag, vgl. o.V. (20001) S. 25, vgl. www.monsanto/investors/news.
Novartis und AstraZeneca haben ihre AgBio und AgChem Geschäftsfelder ebenfalls im Frühjahr 2000 unter
dem Namen 'Syngenta' zusammen gelegt (ca. 7,3 Mrd. USD Umsatz in 1999) und das neue AgBio-
Unternehmen im November 2000 als 'Spin-off' an den Kapitalmarkt gebracht.
17
Anwendungshorizont und umfassen Bereiche aus Humanmedizin, Agro-Lebens-
mittel-Tierzucht (AgBio) und Umwelt/Chemie. Die Gentechnologie- respektive die
moderne Biotechnologie- kann somit als Querschnittstechnologie definiert werden.
Die Gentechnologie als Verfahrenstechnologie innerhalb der Biotechnologie umfaßt
"alle Methoden zur Isolierung, Charakterisierung und gezielten Veränderung und
Übertragung von Erbgut".41 Ziel ist die Veränderung oder Herstellung organischer
Stoffe, Mikroorganismen, pflanzlicher oder tierischer Zellkulturen sowie isolierter
Enzyme in gesteuerten industriellen Produktionsverfahren.42 Dieses Handlungsziel
entstand nicht erst durch die Gentechnologie, sondern ist bereits Grundlage der tra-
ditionellen Biotechnologie bei der Herstellung von Käse, Wein, Bier und Brot sowie
der Züchtung von Pflanzen und Tieren mit gewünschten Merkmalsänderungen nach
den Mendel'schen Vererbungsregeln.43
Die revolutionäre Neuerung der Gentechnologie besteht in der gezielten Isolierung
und Neukombination von Erbmaterial, das durch eingesetzte Trägerorganismen
(i.d.R. Bakterien) in andere Lebewesen übertragen werden kann, ohne an Artgrenzen
der Organismen gebunden zu sein.44 Dieses als ,In-vitro-Neukombination' bezeich-
nete Charakteristikum ermöglicht es, die evolutionären Grundprinzipien, die zu-
fällige Mutation des Erbmaterials und die Selektion erfolgreicher Spezies durch die
Umwelt, zu manipulieren und gezielt einzusetzen. Die DNA-Doppelhelix enthält
den genetischen Bauplan jeder organischen Lebensform, der für Merkmale und bio-
chemische Abläufe im Organismus konstituierend ist. Sie ist die stoffliche Grund-
lage der Erbinformationen in Zellen, aus denen alle Proteinmoleküle unabhängig von
ihrer Funktion synthetisiert werden. Die DNA ist somit der Anfang der molekular-
biologischen Ereignisse in jedem Lebewesen.45
41 Schell/Mohr (1995) S. 1.
42 Vgl. Gassen/Bertram (1990) S. 14.
43 Vgl. Rehm/Präve (1987) S. 1-5.
44 Vgl. Gassen/Bertram (1990) S. 15.
45 Vgl. Friemert (1996) S. 39-48.
46 Gassen/Bertram/Martin (1987) S. 28.
18
Jahr 2000 erstmals zur Sequenzierung von rund 90% des menschlichen Genoms
führte (siehe Abbildung II.1).47
Die neuen Techniken, vor allem die DNA Rekombination, DNA Sequenzierung und
monoklonale Antikörperherstellung eröffneten ab Mitte der siebziger Jahre ein riesi-
ges technologisches Anwendungspotential.48 Rekombinante DNA Techniken ermög-
lichten das Einsetzen eines fremden Gens oder Genabschnitts in einen anderen
artfremden Organismus, bei dem die Eigenschaften des fremden Gens in die eigene
genetische Struktur integriert wird. Auf diese Weise kann z.B. anhand des einge-
bauten genetischen Codes ein Protein in dem neuen Organismus, i.d.R. ein Bakte-
47 Zur Geschichte der Gentechnologie vgl. z.B. Brocks/Schulte (1987) S. 13·19; obwohl K. B. Mrmis für seine
Arbeiten zur PCR-Technik 1993 der Nobelpreis verliehen wurde, wird seine eigentliche Urheberschaft dieser
für die moderne Biotechnologie sehr wichtigen Technik bezweifelt. PCR-Amplifikationen wurden bereits
1969 von K. Kleppe angewandt, vgl. Kornberg (1995) S. 236-241. Die kommerziellen Rechte an der PCR-
Technik wurden von der Biolech-Firma Chiron nach Übernahme des biotechnologischen Pionierunternehmens
Cetus für 300 Mio. USO an Roche verkauft. Das Pharma-Unternehmen sicherte sich einen Multi-Milliarden-
Dollar-Markt für seine molekulare Diagnostik. Der Zugang zu dieser Technik wurde durch Roche's Quasi-
Monopol deutlich eingeschränkt, vgl. Diller (1998) S. 45-53.
48 Vgl. Brocks/Schulte (1987) S. 39-43
19
rium, hergestellt werden.49 Das Bakterium als fremder Organismus bildet dann eine
natürliche Produktionsstätte für Proteine eines anderen, des menschlichen Organis-
mus. Bakterien, vor allem das Escherichia coli Bakterium, sind die sehr häufig ver-
wendeten Expressionssysteme für rekombinante Proteine. So können komplexe und
große menschliche Proteinstrukturen wie Humaninsulin, Wachstumshormone oder
Interleukine durch Bakterien produziert werden, die durch konventionelle chemisch-
pharmazeutische Methoden ohne gentechnische Verfahren nicht hergestellt werden
konnten.SO Mit der monoklonalen Antikörper-Technik, bei der mehrere Zellen mit
jeweils spezifischen Eigenschaften verschmolzen werden, können große Mengen an
qualitativ hochwertigen spezifischen Antikörpern produziert werden. Diese
monoklonalen Antikörper erkennen einzelne Antigene frühzeitig im Organismus, so
daß sie als ultrasensitive Diagnose-Kit-Systeme für 'Antigen-verursachte' Krank-
heiten verwendet werden (siehe Tabelle II.3).5! Die DNA-Sequenziertechnik, von Sanger
erstmals praktiziert, ermöglicht es, die Reihenfolge der Basenpaare einer DNA bzw.
eines vollständigen Genoms zu bestimmen und zu kartieren. Sie ist der Schlüssel zu
einer systematischen Analyse des genetischen Erbmaterials des Menschen und ande-
rer Organismen. Das Sequenzieren großer Genabschnitte bzw. Genome wird aller-
dings entscheidend von der Entwicklung neuer automatisierter und leistungsstär-
kerer Arbeitstechniken bestimmt.S2 Insbesondere die Entdeckung und Verbreitung
der Polymerase Chain Reaction (PCR) Technologie war von größter Bedeutung, da
durch diese Amplifikationstechnik kleinste DNA-Sequenzen bearbeitbar wurden.
Das Möglichkeitenspektrum der biotechnologischen Forschungsarbeiten verbreiterte
sich dadurch erheblich.53
Eine vollständige Kartierung des menschlichen Genoms ist das Ziel des Human
Genome Projects (HGP), das 1985 erstmals formuliert und ein Jahr später vom NIH
finanziell gefördert wurde. Die internationale Human Genome Organisation (HUGO),
seit 1988 als Dachorganisation des Projektes zur menschlichen Genomsequenzierung,
war ursprünglich ein biologisch-wissenschaftliches Grundlagenprojekt, mit dem
Ziel, die Ursachen genetisch bedingter und vererbter Krankheiten zu entdecken.54
Die enormen Möglichkeiten, die die Kenntnis des menschlichen Genoms für thera-
peutische und diagnostische Zwecke eröffnete, initiierten allerdings sehr schnell
kommerzielle Interessen zur Patentierung und Vermarktung sequenzierter Genab-
schnitte. Beispielsweise vermarktet das Unternehmen Human Genome Seiences Inc.
(siehe auch Fallstudie Incyte) die Forschungsergebnisse des privaten TIGR-Instituts
49 Boyer und Cohen implantierten 1973 erstmals erfolgreich einen Teil der Frosch-DNA in das Bakterium
Escherichia coli.
50 Vgl. Prevezer (1998) S. 157-159; Proteine, in langen Aminosäureketten kodierte Eiweiße, können in verschiede-
nen Funktionen auftreten. Sie existieren als Hormone (Steuerungsproteine), Enzyme (Stoffwechsel), Anti-
körper (Immunsystem), Rezeptoren (Signaltransmitter); Transportproteine oder Neurotransmitter (Schmerz-
weiterleitung). Gentechnologie ermöglicht es, Proteine gezielt zu therapeutischem Nutzen einzusetzen.
51 Vgl. Dodgson (1991) S. 1-2; vgl. Hacking (1986) S. 246.
52 Vgl. BMFT (1991) S. 31-32; siehe Kap. 11.2.
53 Zur Wirkungsweise und Anwendungsgebieten der PCR-Technologie vgl. Minol (1996) S. 292-319.
54 Vgl. Gassen/König (1994) S. 5; BMFT (1991) S. 53-60; Grundlage der Sequenzierung des HGP sind Genomab-
schnitte, die aus einem Sampie verschiedener Test-Personen stammen. Der Rückschluß auf bestimmte Indi-
viduen ist ausgeschlossen.
20
(Institut for Genomic Research) an interessierte Pharma-Unternehmen.55 Daneben
wurden im Sommer 1999 erstmals Forschungsgelder aus dem Budget des HGP an
private Unternehmen vergeben, die Genome Therapeutics Corp. und als Subunter-
nehmer die Incyte Pharmaceuticals Inc. (siehe auch Fallstudie Incyte). Insgesamt sollen
bis Ende 2002 jährlich rund 100 Mio. USD an öffentlichen Forschungsgeldern für Se-
quenzierleistungen vergeben werden.56 Im Frühjahr 2000 verkündeten sowohl die
HUGO als auch das Biotech-Unternehmen Ce/era Genomics eine erste, allerdings noch
nicht lückenlose Entzifferung des menschlichen Genoms (siehe Kap. 11.3.1).
60 Einige therapeutische Produkte, z.B. Insulin, Antibiotika etc., können in synthetischen Verfahren nicht in aus-
reichender Menge und mit konstantem Qualitätsniveau, z.B. Reinheit der Verbindung, die bei Naturpro-
dukten nicht vollkommen reproduzierbar ist, hergestellt werden, vgl. Brauer (1991) S. 16, vgl
Gassen/Bertram/Martin (1987) S. 28; das Protein Faktor VIII wird bei der Bluter-Krankheit eingesetzt, Inter-
feronbetabei Multiple Sklerose, G-CSF bei Leukämie, siehe Tabelle I/.2.
61 Vgl. Malerba/Orsenigo (1996) S. 52.
62 Streck/Pieper (1997) S. 3; deutsche Chemie-/Pharma-Unternehmen endeckten biotechnologische Forschung
erst verspätet als neue Schlüsseltechnologie, vgl. Dolata (1995) S. 456-480.
63 Vgl. Streck/Pieper (1997) S. 3-5.
22
rensweisen und Produkte. Sie sind die Protagonisten des neuen biotechnologischen
Paradigmas.64 Diese Unternehmen versuchen, mit ihren wissenschaftlichen Erkennt-
nissen eine kommerzielle Anwendung zu erschließen bzw. das technologische
Potential in einem Unternehmerischen Rahmen umzusetzen. Im Vergleich zu den
etablierten Großunternehmen der Chemie- und Pharma-Industrie sind die Biotech-
Unternehmen sehr jung und sehr klein. Sie werden auch als "Entrepreneurial Life
Seiences Companies" oder "dedicated biotechnology firms" (DBF) bezeichnet. Das Mana-
gement besteht aus einer Kombination von Wissenschaftlern und Unternehmern, sie
sind sehr häufig Venture-Capital-finanziert und haben eine expansive Wachstums-
strategie: sie sind die Herausforderer der dominierenden Akteure insbesondere im
Gesundheitsmarkt, aber zunehmend auch im AgBio-Sektor.65
Im Fokus der Diskussion steht die Kategorie der 'entrepreneurialen' Biotechnologie-
Unternehmen- in dieser Untersuchung als 'Biotech-Unternehmen' bezeichnet.
23
suche. Dies führt zu Veränderungen der knappen Faktoren im Wertschöpfungspro-
zeß, zu einer Verkürzung der Forschungs- und Entwicklungszeiten sowie zu einer
Erhöhung der Wahrscheinlichkeit und Planbarkeit, aus dem gesamten Prozeß ein er-
folgreiches Produkt zu generieren. Beispielsweise haben Biotech-Unternehmen
durch neue genornisehe Technologien eine Vielzahl an vorher knappen potentiellen
Wirkstoff-Targets generiert. Mit dem gesamten technologischen Potential der Bio-
technologie ändern sich die Erfolgsparameter der Life-Sciences-Industrie. Das tra-
dierte Kräfteverhältnis der dominierenden Unternehmen wandelt sich und eröffnet
große Chancen für die neuen innovativen Biotechnologie-Unternehmen.69 Ein tiefe-
res Verständnis des Produktentstehungsprozesses ist für die Beurteilung von strate-
gischen Fragestellungen aus diesem Grund essentiell (siehe Abbildung II.2).
.. IForschung I
Zeit
Kosten -30-80 -50 -1 00 -250
(in Mio.
USO)
• Gen- • Kombinatorische • Pharmakogenomik
seq uenzieru ng Chemie • -10-17 Jahre von
• Funktionale • Biochips • Epidemiologie der Entdeckung bis
Genomik • Proteomik zur Zulassung eines
• Bioinformatik • HTS/ UHTS Medikaments
• Transgene • -500 Mio. USO
Tiermodellei
Genexpression
rung ihrer Produktpatente erzielen, siehe hierzu die Analyse von Temin zu den Ursprüngen der ameri-
kanischen Pharma-Industrie, vgl. Kap. IJ.6.2.
74 Vgl. Herzog (1995) S. 80-83
75 Vgl. Datamonitor (1996) S. 62-64 ..
76 Präklinische Phase enthält Toxokologie und Pharmakologie, vgl. Jäger /Mangold/Gielsdorf (1995) S. 255.
77 Vgl. Mak/Hörrmann/Tiby (1995) S. 132-137.
78 Vgl. Lehman Brothers (1998) S. 6; vgl. Datamonitor (1996) S. 71.
26
medizinisch-pharmazeutisches Know-how benötigt. Im Mittelpunkt stehen die Aus-
wirkungen der jeweiligen Substanz auf den Menschen: das Feststellen von Wirkung,
Nebenwirkung und geeigneter Dosierung der Substanz. Die stark naturwissen-
schaftlich geprägte Forschung - die Identifikation und Validierung der Substanz -
endet dagegen mit dem Beginn der Klinischen Phasen.
79 Eine ausführliche Beschreibung der einzelnen klinischen Phasen und der Zulassungsvoraussetzungen in den
USA bei Schweitzer (1997) S. 155-160.
80 Vgl. jaeger/Mangold/Gielsdorf (1995) S. 261-262.
81 Vgl. insbesondere Lehman Brothers (1998) S. 3, 13-33.
82 Vgl. Lehrnarr Brothers (1998) S. 6.
83 Für den gesamten klinischen Prozeß vgl. Herzog (1995) S. 120-131.
84 Unter dem Begriff 'Pharmacogenomics/Pharmakogenomik' versteht man, durch Kenntnis der genetischen Krank-
heitsursachenund der individuellen genetischen Veranlagung des Individuums, erblich bedingte Besonder-
heiten an denjenigen Zellstrukturen zu entdecken, die für die Krankheit ursächlich sind. Bei Ausnutzung der
27
werden die individuellen Ausprägungen der Menschen, die Genotypen, differenziert
analysiert. Genotypen reagieren unterschiedlich auf jeweilige Wirkstoffe. Eine
genauere Kenntnis über die Wirksamkeit einer 'Lead substance' auf bestimmte Geno-
typ-Cluster kann das Design der klinischen Studien effektiver bestimmen. Mit neuen
Diagnostika werden die Patientengruppen ausgewählt, für die der Wirkstoff am
besten geeignet ist, so daß das Auftreten von Nebenwirkungen in der Therapie stark
reduziert wird. Diagnostische Methoden werden somit nicht nur zur Krankheits-
diagnose eingesetzt, sondern auch zur Patientenselektion für ein geeignetes thera-
peutisches Präparat. Dies entspricht einem grundsätzlich neuen Ansatz, in dem dia-
gnostische und therapeutische Methoden symbiotisch eingesetzt werden. Die Mißer-
folgsrate klinischer Studien kann somit wesentlich reduziert werden, die Tests
werden leichter prognostizierbar, schneller und billiger. Aktuelle Schätzungen prog-
nostizieren eine erhöhte Therapiewirksamkeit von rund 30%, reduziertes Auftreten
von Nebenwirkungen um rund 25%, so daß Entwicklungskosten pro Produkt um ca.
33 Mio. USD bis zum Jahr 2010 sinken werden.SS
In der Phase I beginnen die menschlichen Testreihen mit dem Wirkstoff. Am gesun-
den Probanden werden die Verträglichkeit, die pharmakologische Bedeutung und
die Pharmakakinetik des Wirkstoffs untersucht. Die Phase I dauert zwischen 9-20
Monaten und kostet ca. 30-50 Mio. USD. Die Erfolgswahrscheinlichkeit beträgt 10%.
In der Phase II werden an kleinen Patientenzahlen der medizinischen Zielindikation,
z.B. Diabetiskranken bei einem neuen Diabetis Therapeutikum, in homogener Stich-
probe therapeutische Wirksamkeitsnachweise, Dosistests, weitere Untersuchungen
zur Pharmakakinetik u.a. durchgeführt. Die Phase II dauert zwischen 19-38 Monaten
und kostet ca. 80-100 Mio. USD. Die Erfolgswahrscheinlichkeit beträgt 30%.
In der Phase III werden die Tests am Patienten in Großversuchsreihen ausgeweitet.
Diese sehr langfristigen Untersuchungen werden mit ausgewählten Kliniken durch-
geführt, die die notwendigen Patienteninformationen bereitstellen. Der große
dokumentatorische Nachweis ist sehr zeit- und ressourcenaufwendig. In der breiten
Anwendung werden Vergleiche mit anderen Präparaten vorgenommen und Ver-
träglichkeitstests in Bezug auf Nebenwirkungen geleistet. Jetzt muß der Wirkstoff
auch im großen Maßstab produziert werden, es muß ein 'Upscaling' von laborartiger
Herstellung hin zur industriellen Fertigung erfolgen. Dafür ist viel Produktions- und
Entwicklungs-Know-how erforderlich. Diese Prozeßstufe ist sehr kostenintensiv und
wirkt fast prohibitiv für kleinere Unternehmen. Die Phase III dauert rund 20-50
Monaten und kostet ca. 200-250 Mio. USD mit der Wahrscheinlichkeit einer
erfolgreichen Vermarktung von 80%.86
Möglichkeiten von Pharmacogenomics werden Behandlungen und Therapeutika immer individueller - die
Segmentierung für den Therapeutikamarkt werden zunehmen: weniger pauschale Blockbuster, dafür mehr
spezifische Medikamente für kleinere Patientengruppen, aber mit höherer Wirksamkeit. Für die Industrie
bedeutet dies, daß es kleinere Märkte für einzelne Produkte geben wird, aber mehr Pro-
dukte/Produktvariationen mit höherer Marktdurchdringung, da die Wirksamkeit der Therapie deutlich
steigt.
85 Vgl. z.B. Diller (1998) S. 50-52, vgl.. Front line Startegic Mgt Consulting/Pharma (04/2001) S. 178.
86 Kostenschätzungen der einzelnen klinischen Phasen aus Lehman Brothers (1998) S. 6. Erfolgswahrscheinlich-
keiten einer Vermarktung in den jeweiligen Phasen aus Datamonitor (1996) S. 71.
28
(4) Die Zulassung als Produkt
Nach erfolgreichen klinischen Studien müssen für die einzelnen Märkte die jewei-
ligen Zulassungsbehörden konsultiert werden, z.B. die amerikanische FDA (Food and
Drug Administration) oder die europäische EMEA (European Agency for the Eva-
luation of Medicinal Products).87 Der Prozeß ist zeitintensiv und determinierend für
die endgültige Zulassung als Wirkstoff in dem jeweiligen Markt.S8 Essentiell für die
Prognostizierbarkeil einer erfolgreichen Zulassung ist die Transparenz des Verfah-
rens, die von den einzelnen Regulierungsbehörden abhängig ist.S9 Neben Arznei-
mitteln gilt dies auch für gentechnisch veränderte Lebensmittel.90 Die durchschnitt-
lichen Zulassungszeiten ('review times') der amerikanischen FDA für neue Wirk-
stoffe haben sich in den neunziger Jahren von 30,3 Monaten in 1991 auf 17,8 Monaten
im Jahr 1996 verringert.91
87 Zur gestärkten Rolle der FDA seit den sechziger Jahren vgl. Müller (1991) S. 61-63.
88 Vgl. Andersson (1995) S. 266-267, 275-276: Vergleich der Zulassungszeiten und Verbreitung neuer Wirkstoffe
in Multiländerstudie.
89 Von Unternehmen wird der Mangel an Verfahrenstransparenz bei der EMEA kritisiert, die im Gegensatz zur
amerikanischen FDA Unklarheiten über notwendige Endprodukte der Zulassung bestehen läßt, vgl. Ernst &
Young (1998a) S. 22-23.
90 Vgl. o.V. (1999d) S. 17-18: Die Lebensmittelzulassung in Buropa wird durch eine Vielzahl nationaler und
supranationaler Institutionen erschwert. Es existiert keine der EMEA ähnliche Organisation, die den Zulas-
sungsprozeß für medizinische Produkte in der EU regelt.
91 Quelle: US FDA, zit. in Ernst &Young (1998a) S. 16: Die FDA hat durch Reform ihrer Prozeßvorschriften und
einer schnelleren Bearbeitung von Produkten für Haupt-Krankheitsgebiete die Zulassungszeiten verringert.
Eine sechsmonatige Zulassungszeit ist "statutory standard".
92 Marketing und Vertrieb übertreffen die F&E-Ausgaben bei führenden Pharma-Unternehmen: von 1992-94
lagen die F&E-Ausgaben bei Merck, Pfizer und Eli Lilly zwischen 11-15%, für Marketing & Sales und Pro-
motion zwischen 21-40% vom Umsatz, vgl. Schweitzer (1997) S. 43-46.
29
Markting-Infrastruktur verfügen. Strategische Kooperationen mit Pharma-Unter-
nehmen, die über große und schlagkräftige Vertriebs- und Marketingorganisationen
verfügen, stellen für Startups eine Möglichkeit dar, dieses Defizit zu überwinden.93
93 Beispielsweise hat Genenlech mit Eli Lilly, Amgen mit J&J und Biogen mit Schering-Plough Vermarktungs-
kooperationen geschlossen, vgl. Tabelle JI.4.
94 Vgl. beispielsweise PWC (1997 /1998/1999), EuropaBio (1997), Prognos (1997), Ernst&Young
(1996/1997 /1998/1999), Burrill (1998/1999), McKinsey (1999).
30
(1) Es besteht ein hoher Bedarf an neuen Wirkstoffen und Diagnostika. Existierende
Wirkstoffe wurden bisher durch reinen Empirismus (massives Screenen von in der
Natur gefundenen Substanzen nach besonderen Reaktionseigenschaften) oder Zufall
entdeckt.95 Ein rationaler Prozeß der Wirkstoffsuche in der Pharmaindustrie ist bis
heute nicht erreicht, ein wirkliches Ursachenverständnis von Krankheiten vielfach
noch unbekannt. Biotechnologische Verfahren haben das Potential, diesen unzu-
reichenden Zustand zu ändern und eröffnen große Kommerzialisierungschancen für
Unternehmen. In der Anfangsphase der kommerziellen Biotechnologie war das
große Interesse etablierter Pharma-Unternehmen nach den rekombinant herge-
stellten Proteinen essentiell für den schnellen wirtschaftlichen Erfolg.
(2) Neben dem wissenschaftlichen Bedarf besteht ein hohes kommerzielles Anreizpoten-
tial, in der Gesundheitsbranche präsent zu sein. Der Markt ist sehr groß, wächst
stetig, ohne daß eine Saturierung abzusehen wäre und ist sehr profitabeJ.96 Dieser
Anreiz wird zusätzlich gesteigert durch die Möglichkeit mit neuen biotechnolo-
gischen Methoden den Gesundheitsmarkt zu revolutionieren und zu gestaltenden
Akteuren der wirtschaftlichen Neuordnung zu werden. Akzeptanzprobleme, die
eine Kommerzialisierung behindern könnten, bestehen z.Zt. nur noch bei genthera-
peutischen oder Keimbahn-Eingriffen. Der Nutzenvorteil einer besseren gesundheit-
lichen Versorgung überwiegt die kritischen Bedenken.97
(3) Die Nähe biotechnologischer Forschung zur kommerziellen Produktanwendung führt zu
schnelleren 'Proofs of Principle'.98 Biotechnologische Forschungsergebnisse konnten
in der Medizin wesentlich schneller in Produkte umgesetzt werden als in anderen
Gebieten. Durch Klonierung hergestellte rekombinante Proteine oder spezifische
Antikörper-Diagnose-Kits mit signifikant bessere Produkt- bzw. Wirkungseigen-
schaften gingen direkt auf die bahnbrechende Entdeckungen der biotechnologischen
Grundlagenforschung bei Rekombination und Sequenzierung von DNA in den Sieb-
ziger Jahren zurück (siehe Abbildung II.l). Rekombinantes Humaninsulin wurde 1982,
bereits vier Jahre nach der Klonierung des ersten gentechnischen Insulins 1978, als
erstes biopharmazeutisches Produkt von der FDA zugelassen. 99
·Die Kombination dieser drei Aspekte macht das Geschäftsfeld der Humanmedizin
zum attraktiven und dominierenden Wettbewerbsumfeld für Biotech-Unterneh-
men)OO Dies schließt auch die nicht-kommerzielle Forschung ein, denn die Perspek-
31
tiven für Drittmittel-Einwerbungen und die Verwertung von Patenten sind auch für
Wissenschaftler und Forschungseinrichtungen aus der Academia sehr interessant.l01
3.1 Humanmedizin
Humanmedizin umfaßt die Wirkstoffentwicklung in der Pharmaindustrie, die Verbes-
serung diagnostischer Methoden und neue medizinische Behandlungsmethoden wie
die Gentherapie. Die wesentlichen kommerziellen biotechnologischen Durchbrüche
wurden bisher auf dem Gebiet der Therapeutika und Diagnostika erzielt
101 Drittmittel für öffentliche Forschung sind staatliche oder private Fördergelder, die i.d.R. projektbezogen ver-
geben werden und einen großen Teil der Forschungskapazitäten der Academia (Pure Wissenschaft) finanzie-
ren. Staatliche Mittel umfassen in Deutschland beispielsweise BMBF- und in den USA NIH-Fördermittel,
private Finanzierungsmittel stammen von Unternehmen, z.B. aus der Pharmaindustrie.
102 Vgl. Seid! (1995) S. 160-162.
103 Vgl. Teitelman (1994) S. 157; problematisch für ein rationales Drug Design sind multikausale Ursachen und
die Komplexität der auftretenden Krankheitsbilder. Voraussetzung ist daneben das vollständige Verständnis
einer Krankheit und der pharmakologisch wirksamen Substanzen.
32
rekombinate Vakzine wie z.B. das Hepatitis-B-Vakzin (siehe Tabelle II.2))04 Die Ent-
wicklung eines Therapeutikums ist sehr komplex und langwierig (siehe Kap. II.2).
Zeit- und kostenintensive klinische Untersuchungen müssen vor der Zulassung zum
Medikament erfolgreich durchgeführt werden.
33
Der Zulassungsprozeß als Voraussetzung für die Vermarktung dauert zwischen 17
und 30 Monaten. Insgesamt wurden bis Anfang 1998 rund 100 biopharmazeutische
Therapeutika für den Arzneimittelmarkt in den USA zugelassen, ca. 200 Produkt-
kandidaten standen vor der FDA Marktzulassung.105
Diagnostika sind Methoden bzw. Indikatoren zum frühzeitigen Erkennen von Krank-
heitssymptomen. Moderne biotechnologische Verfahren ermöglichen mono- und
polykonale bzw. rekombinate Antikörpertests, die in-vitro (außerhalb des Körpers)
in Immunoassays oder in-vivo (im Körper) praktiziert werden. Angewandt wird
insbesondere die PCR sowie weitere molekularbiologische Detektionsmethoden. Der
Diagnostika-Geschäftsbereich erwirtschaftet bisher wesentlich niedrigere Margen als
das Pharma-Geschäft.
(2) Aktuelle Entwicklungen und Perspektiven der Biotechnologie für die Humanmedizin
Neben der Herstellung biopharmazeutischer Produkte durch gentechnologische Ver-
fahren, ermöglicht die DNA-Sequenzierungstechnik darüber hinaus die molekulare
Analyse und Erforschung des Genoms, des genetischen Bauplans jeder Spezies. Die
Sequenzierung und Kartierung der gesamten DNA eines Lebewesens, legt die mole-
kularbiologischen Grundlagen offen - den genetischen Code. Die Gene sind der
Ausgangspunkt biochemischer Prozesse im Körper. In den 50.000-100.000 Genen des
menschlichen Genoms, das aus 23 Chromosomen besteht, werden alle Proteine des
Körpers definiert und die wichtigen Regulationen der einzelnen Genabschnitte fest-
gelegt, die zur Aktivierung oder Deaktivierung bestimmter Funktionen führen.
Jedes Gen stellt eine bestimmt Reihenfolge der Basenpaare- Adenin, Cytosin, Guanin
und Thymin - dar, die Informationen für die Bildung eines Proteins enthalten.107
Das ursprüngliche Ziel, bis zum Jahr 2005 das gesamte Genom mit 2,9x 109 Basen-
paaren (bp) zu entschlüsseln, konnte durch die Fortschritte bei den Arbeitstechniken
der Genomanalyse und stärkerer Berücksichtigung von qualitativ hochwertiger
Sequenzierleistung bei der Mittelvergabe von Forschungsgeldern entscheidend
beschleunigt werden, so daß im Jahr 1999 noch davon ausgegangen wurde, bis zum
Frühjahr 2002 rund 90% und bis 2003 rund 99,99% des menschlichen Genoms zu
34
sequenzieren.108 Durch massiven Einsatz von Sequenzier-Maschinen und Informa-
tionstechnologie bei der Auswertung der Genomdaten verkündete das Unternehmen
Celera Genomics, das in Konkurrenz zum staatlich finanzierten HGP bei der Genom-
sequenzierung steht, eine erste vollständige Entzifferung der menschlichen DNA
bereits im April 2000. Das HGP folgte einige Tage später mit dem Ergebnis einer
vorläufigen Genomsequenzierung, die rund 90% der Erbinformationen umfaßte)09
Eine lückenlose und fehlerfreie Sequenzierung der Basenpaare muß allerdings erst
noch erzielt werden, denn die von Celera verwendete Technik ist sehr grob und un-
genau, so daß die genauemenschliche DNA-Sequenz weiterhin offen ist.llO Dieses
Ereignis der ersten menschlichen Genomsequenzierung, das schneller eintrat, als
selbst von Experten erwartet, macht allerdings deutlich, wie sehr der Leistungsfort-
schritt bei der Informations- und miniaturisierten Automationstechnologie den
Erkenntnisgewinn in der Biotechnologie beschleunigt.lll
Dieser genetische Code ist allerdings - obwohl in seine molekularen Bausteine, die
Nukleinsäuren, zerlegt - noch nicht entschlüsselt, d.h. interpretierbar. Die Auswer-
tung der Ergebnisse und Verwertung der immensen Datenmengen aus der Genom-
sequenzierung steht noch am Anfang. Die Verbindung molekularbiologischer
Erkenntnisse mit den technischen Möglichkeiten der Informatik eröffnet ein weites
Spektrum hinsichtlich Miniaturisierung, automatisierter Genanalyse und Bearbei-
tung komplexer Datenmengen des Genoms (siehe Fallstudien Incyte, LION). Die Kon-
struktion von Biochips oder DNA Chips, auf denen große Datenmengen an gene-
tischer Information, Peptiden oder anderen Biomolekülen komprimiert werden, hat
sich Ende der neunziger Jahre sehr schnell weiter entwickelt.112 Miniaturisierung
und schnellere Analysemethoden werden in der Biotechnologie immer bedeutsamer
(siehe auch Fallstudie MMI).l13 Eine noch futuristisch anmutende Vorstellung jenseits
medizinischer Anwendungen liegt in einer weiteren Integration von Bio- und Infor-
mationswissenschaften, die bis zu Konzeptionen eines molekularen Computer reicht:
Nukleinsäuren als neues technologisches Paradigma für Mikrochips erscheinen
möglich,ll4
115 Z.T. konnten bereits erste Erfolge bei somatischen gentherapeutischen Behandlungsmethoden erzielt werden,
insbesondere bei der auf einem Gendefekt beruhenden Immunschwächekrankheit der ADA-Deficiency: auf-
grund des defekten Adenosin-Desaminase Enzyms entwickelt sich kein intaktes Immunsystem, vgl. z.B.
Ryser/Weber (1991) S. 16-17.
116 Unter dem Begriff 'Protenomics' versteht man den Bereich der Biotechnologie, in dem durch Kenntnis des
Genoms die Herstellung, der Aufbau und die Veränderung von Proteinen im Organismus ursachenspezfisch
untersucht wird. Der Begriff 'Bioinformatik' bezeichnet die Schnittstelle zwischen der Molekularbiologie und
der Informatik. Das Anwendungspotential entsteht, da im Rahmen der Genomprojekte und diversen verbun-
denen Forschungsprojekten der Bedarf für Datenspeicherung, -bearbeitung und -integration sehr stark
wächst, siehe auch Fallstudien lncyte und LJON. Die Begriffe 'Functional Genomics' und 'Pharmacogenomics'
wurden bereits in Kap. II.2 erläutert.
117 o.V. (1999f) S. 32.
36
Bei der Biotechnologie im medizinischen Bereich kann der Patient noch
mitentscheiden. Man kann direkt mit dem Arzt kommunizieren. Bei der
'grünen' Biotechnologie kenne ich denjenigen nicht, der Hand anlegt. Der
Akteur, der Prozeß und das Produkt sind anonym. Diese psychologische
Hürde gilt es zu überwinden. Es braucht Transparenz darüber, was in der
'grünen' Biotechnologie getan und wie es kommuniziert wird.
Friedrich v. Bohlen, CEO LION Bioscience
123 In Deutschland werden Äcker mit gentechnisch veränderte Pflanzen von militanten Gegnern häufig zerstört,
so daß neben langwierigen Genehmigungsverfahren eine weitere Verzögerung für die wirtschaftliche Nut-
zung eintritt. Zur Bedeutung von gesellschaftlicher Akzeptanz und geeigneten Handlungsmaßnahmen der
Biotechnologie-Unternehmen, vgl. Ernst & Young LLP (1998a) S. 26.
124 Vgl. o. V. (1999h) S. 18.
125 Vgl. Bachmann/Bastianelli/Riese/Schlenzka (2000) S. 93-98.
126 Aussichtsreiche Biopolymere wie 'Poly-lactic-acid' (PLA), 'Poly-hydroxy-alcanoates' (PHA), 'Polytrinethylene-
terephthalate' (PTT) haben durch bessere Leistungsmerkmale versus traditionellen chemischen Produkten
mittel-/langfristig (2005-2010) großes Wachstumspotential, vgl. McKinsey (1999b).
127 Vgl. Malinowsky/Dombach/Tiby (1992) S. 6; vgl. McKinsey (1999b), vgl. Deutscher Bundestag (1987) S. 100;
beispielsweise können Mikroorganismen in der Gewässer- oder Bodenreinigung anorganische Stoffe auf-
nehmen, verarbeiten und somit der Umwelt entziehen; für konkrete Projektbeschreibung einer Grundwasser-
sanierung am Gaswerkstandort Düsseldorf-Flingern vgl. Raphael (1997) S. 161-167.
128 Vgl. Raphael (1997) S. 168-174.
38
masse eingesetzt werden. Das Gebiet der Umwelt/Chemie i.w.S. inklusive basis-
/spezialchemischer und energiespezifischer Anwendungen ist das bislang am
geringsten penetrierte Aktionsfeld sowohl von reinen Biotech-Unternehmen als auch
von dominierenden Marktspielern in der Chemieindustrie,l29
Auch wenn nach Prognosen ca. 30% aller chemischen Prozesse und Produkte im Jahr
2010 durch die Biotechnologie beeinflußt werden, sind die dominierenden Unter-
nehmen in der Chemieindustrie noch sehr zurückhaltend gegenüber biotechnolo-
gischen Anwendungen 'inhouse' bzw. gegenüber Kooperationen mit führenden Bio-
·tech-Unternehmen,l30 Geringes Interesse der großen Unternehmen sowie vielfach
noch nachzuweisende Vorteile der biotechnologischer gegenüber existierenden Pro-
dukten und Prozessen, führt kurzfristig zu einem sehr kleinen Marktvolumen im
Umwelt-/Chemie-Bereich (siehe Abbildung II.2). Viele Projekte, auch die Umsetzung
der in der öffentlichen Diskussion propagierten Sanierungsanwendungen, befinden
sich noch im Ideen- bzw. frühen Forschungsstadium. Wirtschaftliche Nutzenpoten-
tiale erscheinen erst mittel- bis langfristig realisierbar, zumal auch rechtliche Rah-
menbedingungen für Zulassung und Vermarktung noch nicht abschließend geregelt
sind,l31
39
Neue Methoden haben das Spektrum der traditionell chemisch-pharmazeutischen
Forschungsinhalte radikal erweitert und zu neuen biopharmazeutischen Produkten,
den rekombinanten Proteinen, geführt. Diese haben sich erfolgreich am Markt
durchgesetzt und sind mit Umsätzen konventioneller Medikamente vergleichbar,
auch wenn die größten Blockbusterprodukte noch dominanter sind, beispielsweise
erzielte allein das Produkt 'Lipitor' 1999 einen Umsatz von rund 3,6 Mrd. USD (siehe
Tabelle 11.3).
Die Bedeutung rekombinanter Produkte wird bei neuen Entwicklungen noch weiter
zunehmen, denn ihre klinische Erfolgsquote ist mit 63-68% mehr als doppelt so hoch
wie bei konventionellen Pharmaka (25-32%). Auch therapeutische monoklonale
Antikörper (35-48%) und diagnostische monoklonale Antikörper (73-80%) haben eine
höhere Erfolgswahrscheinlichkeit, in klinischen Phasen zu bestehen. In den letzten
Jahren nimmt die Anzahl der in den klinischen Phasen getesteten biopharmazeu-
tischen Produkte weiter zu. Im Jahr 1999 befanden sich 350 biotechnisch hergestellte
Produktkandidaten in der klinischen Entwicklung. Davon richten sich 151 gegen
Krebserkrankungen, 29 gegen HIV und AIDS-bedingte Krankheiten, 19 gegen Auto-
immun- und 8 gegen Blutkrankheiten.J34 Im Jahr 2003 sollen diese rund 10-15% des
gesamten pharmazeutischen Marktes von rund 400 Mrd. USD stellen.J35 Der Anteil
biopharmazeutischer Produkte steigt demnach sowohl absolut als auch prozentual
40
mit einem riesigen zu verteilenden Marktpotential für Unternehmen in der nächsten
Dekade (siehe Abbildung II.4) .
Im Diagnostikamarkt haben sich biotechnologische Verfahren sehr schnell durch-
gesetzt. Z.Zt. basieren die meisten neuen Diagnosemethoden auf molekular-bioche-
mischen Funktionsweisen.136 Dieneuesten technologischen Entwicklungen, die sich
aus dem 'Genomik-Ansatz' ergeben, werden die zukünftige Therapeutika- und
Diagnostika-Entwicklung noch grundsätzlicher wandeln, als dies die erste und
zweite Generation der biopharmazeutischen Produkte erreicht hat. Trotz prognos-
tizierter Verkürzung des Forschungs- und Entwicklungsprozesses, wird eine
nachhaltige Beurteilung frühestens in 10-20 Jahren möglich sein.
41
grundsätzlich langsamer bzw. stellte sich nach kurzer Zeit als preissensitiver 'Com-
modity Markt' heraus.137 In Europa werden die Kommerzialisierungsprobleme
durch die außerordentlich langen und intransparenten Zulassungsverfahren der EU
weiter verstärkt, so daß trotz guter technologischer Positionierung der Unternehmen
ein erheblicher Rückstand zu der US-amerikanischen Marktentwicklung besteht.138
Akzeptanzprobleme bei Farmern und Konsumenten in den USA, Japan und Europa,
die von den Unternehmen lange unterschätzt und negiert wurden, belasten die
kommerzielle Verbreitung erheblich.l39 In dieser Diskussion wird deutlich, daß die
Herausstellung eines klaren Konsumentennutzens für Farmer und Verbraucher von
der Biotech und Life-Sciences-Industrie stark vernachlässigt wurde.J40
Neben den dominanten Anbietern der agrochemischen Unternehmen konnte sich,
anders als im Gesundheitssektor, nur sehr begrenzt ein Kreis unabhängiger agrobio-
technologischer Unternehmen etablieren. Der biotechnologische Mehrwert existiert
gerade im gentechnisch verbesserten Saatgut. Speziell die USA, die im Jahr 1998
rund 81% der gesamten Agro-Biotechnologie ausmachten, substituieren konven-
tionelles Saatgut und bauen gentechnisch veränderte Pflanzen an (siehe Tabelle Il.4).
Prozentualer Anteil
Herbizid relevante Eigenschaften 58%
Krankheitsresistenzen (Virus, Pilze etc.) 15%
Sonstige Eigenschaften (Zusatzstoffe, Marker, etc.) 27%
Gesamte Anzahl 1.086
zugelassener rekombinanter Organismen
Tabelle II.S: Eigenschaften von der EU zugelassener rekombinanter Organismen
Quelle: Robert Koch Institut, Ernst & Young (1998b), Eigene Berechnungen
Eine prägnante Analyse zur Problematik der Agro Biotechnologie liefert Erickson:
"Agricultural biotechnology has yet to produce much of commercial value. Aside
from seed crops engineered to withstand herbicides and to produce a naturally-
occurring insect toxin, a bovine hormone protested today, and a slow-to-rot tomato
44
1994 1997 2000 2003 CAGR
(geschätzt) 1994-2000
USA 160-210 225-325 350-600 1.000-2.500 ~16%
* Für das weltweite biotechnologische Marktpotential in Umwelt und Chemie werden vielfältige und
sehr unterschiedliche Prognosen erstellt. Die Marktschätzung für das Jahr 2003 beruht auf der Aus-
wertung mehrerer Marktstudien.149
149 Vgl. beispielsweise PWC (1997 /1998/1999), BuropaBio (1997), Prognos (1997), Emst&Young
(1996/1997 /1998/1999), Burrill (1998/1999), McKinsey (1999/1999b), Raphael (1997).
150 Vgl. o.V. (1999j) S. 18; o.V. (2000b) S. 22: Die 'Fusion unter Gleichen' führt zu einer Marktbewert-ung von
rund 43 Mrd. USD. Der derzeitige Börsenwert von Monsanto ist kaum höher als der Wert seiner Pharma-
sparte G.D. Searle- dies ist Ausdruck der Skepsis gegenüber der AgBio-Strategie von Monsanto.
45
dies. Verantwortlich für diese Wahrnehmung sind die Verbraucherproteste in
Europa, Japan und zunehmend auch in den USA,151 Große Nahrungsmittelhersteller
reagieren auf diesen Widerstand mit der Zusicherung, ohne genveränderte Grund-
stoffe zu arbeiten. Seit Dezember 1999 formiert sich auch der Protest der amerikani-
schen und europäischen Farmer, die die Marktmacht bei gentechnologisch veränder-
tem Saatgut von Monsanto als Bedrohung empfinden und eine Kartellrechtsklage
formuliert haben. Als Zwischenfazit erscheint die Entwicklung von Monsanto als Ex-
emplarbeispiel für eine rein Technologie bestimmte Strategie. Die Umsetzung tech-
nologischer Neuerungen und Produktinnovationen wurde dabei ohne Berücksich-
tigung des Endkonsumenten und seiner Bedürfnisse realisiert. Die Stigmatisierung
des Namens Monsanto mit den Gefahren von genetisch veränderten Lebensmitteln
manifestiert deutlich das Scheitern des zwar ambitiösen, aber am Markt und den
Konsumenten vorbeigehenden integrierten Life-Sciences-Strategiekonzepts.
Der grundsätzliche Durchbruch kommerzieller Nutzung in der Ag Bio steht noch aus.
Mittel- bis langfristig werden sich Bieteeh-Unternehmen allerdings Chancen-
potentiale eröffnen, wenn sie die Nutzenaspekte für den Konsumenten klar in den
Mittelpunkt ihrer Forschung stellen. Der zeitliche Entwicklungsrückstand zum wirt-
schaftlichen Marktvolumen der Biopharmazeutik beträgt ca. 10-15 Jahre.
Im Umwelt-/Chemiebereich ist das Marktpotential klein und der Nutzenvorteil bio-
technologischer gegenüber konventionellen Verfahren z. Zt. noch nicht realisiert, so
daß dieser Bereich bisher eine untergeordnete Rolle für Bieteeh-Unternehmen ge-
spielt hat. Im Vergleich zu den Geschäftsfeldern Humanmedizin und AgBio bietet
die Biotechnologie in Umwelt/Chemie in naher Zukunft die geringsten kommer-
ziellen Erfolgschancen. Allerdings stellt die Umwelt und Chemie mittel- bis lang-
fristig ein immer wichtiger werdendes Anwendungsgebiet dar, bei dem sowohl der
Bedarf an Reinigung, Sanierung, Recycling als auch die Vorteile gegenüber
chemisch-physikalischen Verfahren vorhanden sind.
Für die schwache Marktentwicklung im Geschäftsfeld Umwelt/Chemie gibt es
einige Ursachen. Die Effizienz biotechnologischer Verfahren zur Vermeidung von
Umweltverschmutzung einerseits, und der Beseitigung von Umweltverschmutzung
andererseits, ist noch nicht ausgereift, so daß chemische Verfahren vielfach kosten-
günstiger sind. Viele neue Verfahren, die Anfang der neunziger Jahre vermarktet
wurden, hielten der wissenschaftlichen Prüfung nicht stand und haben als Mißer-
folge die weitere Entwicklung belastet.152 Auch der Markt für rekombinant herge-
stellte industrielle Enzyme, die insbesondere in der Waschmittelindustrie eingesetzt
werden, blieb auf relativ geringem Niveau,l53 Neben geringerer Nachfrage der wirt-
schaftlichen Akteure, behindern die dominanten Oligopolistischen Marktstrukturen
von großen multinationalen Unternehmen in der Chemieindustrie ein schnelles Ver-
46
ändern der Nachfragestruktur bzw. einen Durchbruch neuer biotechnologischer
Verfahren.l54
Im Fokus der weiteren Untersuchung steht das Geschäftsfeld der 'Humanmedizin'. Der
Bedeutungsgrad des erreichten Kenntnisstandes, das marktliehe Volumen und zu-
künftige Potential von Pharma und Diagnostika dominieren die wirtschaftlichen
Aktivitäten von Biotech-Unternehmen sowohl kurz- als auch mittelfristig. Aller-
dings ergeben sich für einige Biotech-Unternehmen Kommerzialisierungschancen in
den anderen Geschäftsfeldern, insbesondere in der 'AgBio'. In der weiteren Analyse
werden deswegen die FelderAgBio und Umwelt/Chemie für die strategische Aus-
richtung von Biotech-Unternehmen nur berücksichtigt, wenn ein zusätzlicher Er-
kenntnisgewinn erzielt werden kann.
154 Vgl. Prevezer (1998) S. 173,183-184:Es besteht auch eine geringere Bindung zwischen den wissenschaftlichen
Institutionen und den Unternehmen der Branche zur Erschließung des biotechnologischen Innovationspo-
tentials.
155 Eine kompetente Einführung in elementare Fragestellungen der modernen Biotechnologie gibt jacob (1998),
vgl. auch Watson (2000) S. 55, Protagonisten einer Biotechnologie ohne gesetzliche Restriktionen.
47
schaftliehe Bedingungen, die Forscher und Unternehmen gleichermaßen beein-
flussen.
156 Vgl. z.B. Breyer (1999) S. 156-167; vgl. Skorupinski (1999) S. 131-145.
157 Diese Gefahren werden in den Medien z.T. unkritisch recherchiert und dargestellt. Z.B. würde das als
Problemlall oft zitierte transgenere Soja mit einem Paranuß-Allergen bei den bestehenden Lebensmittel-
kontrollen keine Marktzulassung erhalten, vgl. o.V. (1999b) S. 23.
158 Kritische Position bei Beck (1999) S.l7.
159 Allerdings kann gerade auch durch die Gentechnologie das Infektionsrisiko gesenkt werden: z.B. konnte die
molekularbiologische Analyse der extrem gefährlichen Filo-Viren (z.B. Ebola, Lassa Virus) durch Klonierung
und Sequenzanalyse ohne Infektionsrisiko durchgeführt werden, vgl. Flöhl (1999) S. 9.
160 Gesammelte Argumente von Gentechnikgegnern in einer Aulsatzsammlung, Emmerich (1999); zu Tech-
nologiefolgeabschätzung und insbesondere zu Aufklärungsmaßnahmen vgl. Schallies/Wachlin (1999).
161 Vgl. beispielsweise BMFT (1991) S. 65-73, 100-154.
48
sondere die Definition von "Krankheit" ist nicht ausschließlich objektiv begründbar.
Wenn Krankheit als "Abweichung einer Struktur oder Funktion vom Normalen" de-
finiert wird, erscheinen bei der Frage nach den Bestimmungsgrößen des Normalen
diese nicht eindeutig medizinisch, sondern auch gesellschaftlich geprägt. Eine Ab-
grenzung zwischen "normal" und "krank" ist nur bei starken Abweichungen von
der durch Menschen definierten Norm klar definierbar. Zwischentöne sind offen für
vielfältige Interpretationen. In diesem grundsätzlichen Problemkreis medizinischer
Krankheitsforschung befindet sich insbesondere die moderne Biotechnologie, deren
Methoden in bisher nicht gekanntem Ausmaß den Definitionsbereich von Krankheit
verschieben können.J62
- Das Klonieren von Lebewesen sowie das Patentieren dieser gentechnisch verän-
derten transgenenPflanzen und Tiere, stellt das bestehende Verhältnis des Menschen
zu seiner lebenden Umwelt in Frage. Spätestens seit dem Genschaf Dolly im Jahr
1997 sind diese ethischen Problembereiche sichtbar, denn durch Klonierungen und
Patentierung immer neuer Gattungen werden Präzedenzfälle geschaffen, die nicht
mehr umkehrbar sind. Daneben stellt sich auch die Frage des Besitzes und der Nut-
zung der ausgestellten Patente auf transgene Lebewesen. Müssen z.B. Bauern in der
Dritten Welt für das von ihnen genutzte Saatgut Lizenzen an multinationale Unter-
nehmen zahlen? Wem gehört der Genschatz der Lebewesen auf der Erde?163
- Die Möglichkeiten gezielter DNA-Nachweise beim Menschen in Kombination mit
kommerziellen Interessen könnte zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aus-
grenzung führen. Z.B. könnte ein verpflichtender Genpaß Grundlage für Versiche-
rungspolicen oder Arbeitsverhältnisse werden. Schlechte Risiken, Menschen mit be-
stimmten Krankheitspräpositionen oder Veranlagungen könnten auf diese Weise
ausgegrenzt werden. Der wirtschaftlichen S~lektion könnte eine gesellschaftliche
folgen, wenn solche Praktiken der Risikoselektion auch in anderen Bereichen ange-
wandt werden.J64
- Moderne biotechnologische Methoden ermöglichen gezielte Eingriffe in die geneti-
schen Grundlage des Menschen. Dies kann durch eine somatische Gentherapie (Ein-
griff in Körperzelle mit doppeltem Chromosomensatz) geschehen. Hierbei ist es das
Ziel, auf Gendefekten beruhende Krankheiten auf der genetischen Grundlage zu hei-
len. Kritiker befürchten, daß neben unstrittigen positiven Anwendungen, z.B. bei
der Behandlung von Krankheiten wie der ADA-Defizienz, die Medizin entscheidend
in menschliche Schicksale und Wertevorstellungen eingreift und eine inflationie-
rende Wirkung des Verständnisses von "Krankheit" bzw. "Behinderung" entsteht.
Fragen, ob neue von gesellschaftlichen Vorstellungen geschaffene ,Idealmenschen'
das Produkt von gentherapeutischen Maßnahmen sein werden und eine Ausgren-
zung von Menschen, die diesem Typus nicht entsprechen, stattfinden wird, bleiben
ohne abschließende Antwort.
162 Vgl. z.B. BMFT (1991) S. 74-78; speziell in Deutschland mit dem Erbe nationalsozialistischer Rassenlehre,
Eugenik- und Euthanasieprogrammen ist eine Diskussion zu diesem Thema komplex und schwierig.
163 Siehe die Stellungnahme zur Genforschung und Patentierung der DFG, vgl. DFG (1997) S. 21-40.
164 Vgl. Bahl (1999) S. 45- 54; zur rechtlichen Problematik in Deutschland vgl. Kienle (1998) S. 77-84; vgl. BMFT
(1991) s. 204-221.
49
- Diese Problematik wird noch deutlicher, wenn gentechnische Eingriffe in die
menschliche Keimbahn diskutiert werden. Keimbahneingriffe (Eingriff in Fortpflan-
zungszellen mit einfachem Chromosomensatz) beeinflussen die Vererbung und
damit das Genom zukünftiger Generationen. Themen wie Eugenik und gezielte
Züchtungen von Eigenschaften, fordern Fragen der gesellschaftlichen Behandlung
und Wertschätzung andersartiger Menschen heraus.l65
- Ein weiteres Problemfeld ergibt sich durch die Möglichkeit, mit menschlichen Em-
bryonen zu forschen. Der Mensch an sich ist nicht mehr ausschließlich Adressat und
Profiteur neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und Produkte, sondern wird durch
die Biotechnologie zugleich Objekt und Medium neuer weitergehender Forschungs-
anstrengungen und Therapiemöglichkeiten. Ethische Schranken, religiöse Bedenken
und gesetzgeberische Rahmensetzung werden durch die technologischen Möglich-
keiten herausgefordert.166
165 Vgl. hierzu Rifkin (1998) S. 180-223: Rifkin ist der herausragende amerikanische Kritiker der modernen
Biotechnologie.
166 Vgl. Kollek (1999) S. 125- 136; in der deutschen Gentechnologiedebatte haben beispielsweise die beiden christ-
lichen Kirchen auf eine restriktive Gesetzgebung in der Reproduktionsmedizin, des Embryonenschutzes und
der Humangenetik hingewirkt, vgl. EKD (1988) S. 119-127, vgl. Theisen (1991) S. 78, Döring (1988) S. 96-100,
Hoffmann (1985) S. 142. Zur aktueJlen rechtlichen Situation prädikativer gentechnologischer Methoden in
Deutschland und Europa vgl. Kienle (1998).
167 Vgl. z.B. Sloterdijk (1999), vgl. Chargaff (1999) S.49, vgl. Spaemann (1999) S. 53, vgl. Jäger (1999) S. 51.
168 Die 'Kritische Theorie' geht auf die Arbeiten der 'Frankfurter Schule' zurück, mit den Hauptvertretern Adorno,
Horkheimer, Marcuse und in jüngster Zeit Habermas.
169 Vgl. Fukuyama (1999) S. 16-33.
170 Fukuyama (1999) S. 33.
50
Erfahrungen der Sozialisierung und Erziehung stellen ihrer Meinung nach die auf-
gestellten Thesen grundsätzlich in Frage.171
Die Debatte hat gerade erst begonnen und ihr Ausgang ist offen. Sie ist für eine um-
fassende Akzeptanz in der Bevölkerung notwendig. Sie wird die weitere Entwick-
lung der wissenschaftlichen und kommerziellen Biotechnologie begleiten und beein-
flussen. Ignoranz und Gleichgültigkeit von Unternehmen gegenüber diesen Themen
ist gefährlich. Sie kann zu einer starken Beeinträchtigung der Geschäftstätigkeit und
sogar zur in Frage Stellung des grundsätzlichen kommerziellen Geschäftsmodells
führen. Folgen dieser Art deuten sich beispielsweise in der Ag-Biotechnologie an,
mit negativen Konsequenzen für die Unternehmerischen Protagonisten, z.B.
Monsanto.
51
Tiefe der Debatte und die emotionale Betroffenheit der Beteiligten, insbesondere der
Gentechnologiegegner, variierte sehr stark zwischen den einzelnen Ländern.l76 Ins-
besondere in Deutschland und der Schweiz wurde eine stark emotionalisierte
Debatte geführt, bei der Kritiker versuchten, ein spezifisches Risiko der Biotechno-
logie deutlich zu machen, ähnlich der Kernenergie. In der Akzeptanzdebatte, die mit
zunehmender Intensität von einer rein wissenschaftlich-technologischen zu einer
Wertesystemdebatte transformierte, konvergierten neben substantiellen Kritikpunk-
ten an biotechnologischen Forschungsinhalten auch allgemein wissenschafts-, tech-
nologie- und gesellschaftskritische Positionen.l77 Eine allgemein kritische Haltung,
die in den Massenmedien ein Forum fand und durch diese weiter verstärkt wurde,
gepaart mit dem Wunsch der politisch Handelnden, mögliche Risiken gesetzgebe-
risch zu bannen und zu kontrollieren, führten in Deutschland zum Gentechnologie-
gesetz (GenTG) vom 1.7.1990.178 Dieses Gesetz wirkte insbesondere in seiner admi-
nistrativen Auslegung und im Schaffen eines risikobannenden geistigen Klimas sehr
restriktiv für das Entstehen einer unternehmerisch-biotechnologischen Szene in
Deutschland ähnlich den East- bzw. West-Coast-Clustern in den USA.
Erst die Novellierung des GenTG zum 1.1.1994 und der gewandelte politische Wille,
für die wirtschaftliche Nutzung der modernen Biotechnologie positive Rahmenbe-
dingungen zu schaffen, verkörpert durch die Förderinstrumente des BioRegio-Wett-
bewerbs seit 1995, änderte diese Grundstimmung in Deutschland,l79 Die Debatte hat
an öffentlicher Aufmerksamkeit verloren und an Objektivität gewonnen. Es wird
nicht mehr von einem grundsätzlichen Risiko der Biotechnologie ausgegangen, son-
dern das Risikopotential in Abhängigkeit vom spezifischen Forschungsobjekt und
Anwendungsgebiet stärker rationaler beurteilt, z.B. aktuell die Verwendung von
embryonalen Stammzellen für neue Therapien,l80 Während medizinische und
pharmakologische Anwendungsgebiete positiver bewertet werden und eine höhere
Akzeptanz erreichen, wird aber insbesondere der Einsatz im Agro-, Lebensmittel-
und Tierzuchtbereich weiter kritisch gesehen. Die Einstellung in Buropa ist insbe-
sondere bei Lebensmittelanwendungen wesentlich negativer als in den USA
(24% versus 38% Unterstützung). Ursächlich hierfür könnten die intensivere
176 Für einen ausführlichen empirischen Vergleich der gesellschaftlichen Akzeptanz bei der modernen Biotech-
nologie Anfang der neunziger Jahre in Europa, vgl. Marlier (1992) S. 58-108.
177 Für eine ausführliche Analyse der gentechnologischen Akzeptanzdebatte in Deutschland, vgl. Ollig/Ries
(1995) s. 9-45.
178 Politische Grundlage des Gentechnikgesetzes waren die Benda Kommission 1984 und die Enquetekom-
mission des Deutschen Bundestages 'Chancen und Risiken der Gentechnik' von 1984-86; zum GenTG und den
Sicherheitmaßnahmen in Deutschland und Europa, vgl. Wimmers (1996) S. 124-134.
179 Im Oktober 1995 wird vom BMBF der BioRegionen Wettbewerb ausgeschrieben. Die Regionen München,
Rheinland und Rhein-Neckar-Dreieck gewinnen und werden mit BMBF Mitteln als BioRegionen spezifisch
gefördert. Ziel ist die Herausbildung von spezifischen Biotechnologie-Clustern, bei denen eine enge Verzah-
nung und Netzwerkbildung zwischen Institutionen und Personen aus Forschung und Unternehmen zu einer
biotechnologischen Infrastruktur führt. Dies soll insbesondere die Zahl von Ausgründungen junger Biotech-
nologie-Startups aus akademischen Forschungsinstituten führen. Zu den Zielen des BioRegio Wettbewerbs
und dem Konzept der ausgewählten Bio-Region Rhein-Neckar, vgl. Abshagen (1999) S. 15-23.
180 Bemerkenswert ist die Evolution der Positionen zu diesem Thema, z.B. der DFG, vgl. o.V. (2001) S.2; Die
Problematik grundsätzlicher Barrieren für die Forschung, z.B. in der Embryonenforschung, besteht darin,
dauerhaft utilitaristischen Argumenten, z.B. Fortschritten in der medizinischen Therapie, ausgesetzt zu sein.
Dies führt im Zeitablauf zu immer weiter gehenden Brüchen ehemals feststehender Tabus.
52
Medienberichterstattung, eine selektivere Wahrnehmung von gentechnischen
Methoden und auch ein geringes Vertrauen in die Regulationsinstanzen der EU sein,
vor allem seit den BSE Erkrankungen britischer Rinder und in jüngster Zeit durch
unkontrollierte Dioxin Verseuchungen von Geflügelprodukten in Belgien.181 Die EU
stärkte im Jahr 1999 diese Vorbehalten durch einen Genehmigungsstop zum Anbau
transgener Pflanzen und deren Nutzung in Lebensmitteln, obwohl die wissen-
schaftliche Grundlage der Entscheidung äußerst umstritten war.182
Eine große Bedeutung hat in diesem Zusammenhang der wahrgenommene Grad der
Nutzenstiftung und die Anwendungsnähe für den Konsumenten.183 Unternehmen
müssen eine effektive Kommunikationspolitik, die informiert, Glaubwürdigkeit ver-
mittelt und über Gefahren.und Nutzenstiftung gleichermaßen aufklärt, in ihre Hand-
lungsstrategien integrieren, um die wirtschaftlichen Erfolgspotentiale zu heben. Dies
gilt insbesondere für Agro-Biotech-Produkte und die Thematik transgener Tiere.l84
Die Kommunikationspolitik im Zusammenhang mit der Klonierung des Genschafes
"Dolly" schaffte es z.B. trotz der Befürchtungen um gentechnisch herstellbare
'Monsterkreaturen' in der Öffentlichkeit ein Image aufzubauen, das die großen wis-
senschaftlichen Möglichkeiten und Nutzenpotentiale für den Menschen in der Medi-
zin verdeutlichte. Hierbei zeigte sich die besondere Sensibilität des britischen Unter-
nehmens PPL Therapeutics, das eine in der Branche professionelle Agentur, HCC De
Facta Group, mit dieser Thematik betraute. Die erfolgreiche Kommunikation war
nicht nur für das Unternehmen bemerkenswert, sondern hatte auch Implikationen
auf die Mediendarstellung und öffentliche Wahrnehmung der gesamten Branche.l85
181 Vgl. Gaskell/Bauer/Durant/ Allum (1999) S. 384-387; vgl. hierzu auch o.V. (1999b) S. 23: Skepsis der Ver-
braucher führt zu Problemen, wenn Nahrungsmittelhersteller in ihren Produkten gentechnisch veränderte
Substanzen als Vorprodukte verarbeiten; Akzeptanzbewertungen in deutschen Schulen vgl. Keck/Renn
(1999) s. 117-130.
182 Vgl. Hobom (1999) S. N1-N2.
183 Der Nutzen gentechnisch veränderter Lebensmittel ist bei einem durch die Agroindustrie produzierten Über-
fluß an Nahrungsmitteln schwer zu vermitteln. Tatsächlich gründet der Anreiz für biotechnologische Agro-
produkte bisher auf Kostensenkung für die Produzenten. Zusätzlich entsteht Mißtrauen, wenn die Industrie
die Kennzeichnung gentechnologisch veränderter Produkte ablehnt, vgl. o.V. (1999c) S. 23-27.
184 Vgl. Ollig/Ries (1995) S. 45-74.
185 Vgl. Ranchhod/Gurau (1999) S. 6-7.
53
denen Anwendungsgebieten und damit die Unternehmerische Perspektive erschie-
nen sehr aussichtsreich. Viele Prognosen über biotechnologische 'Wunderpharma-
zeutika' und den Sturz der dominierenden Pharma-Unternehmen durch junge Bio-
teeh-Unternehmen waren allerdings stark übertrieben. Ein Großteil der Erwartun-
gen blieb bis heute unerfüllt - sowohl in medizinischer Hinsicht als auch in wirt-
schaftlichen Erfolgsgrößen der Biotech-Unternehmen, so daß einige Beobachter bis-
her ernüchtert "the biotechnology revolution as a disappointment, even a failure"
ansehen.l86 Problematisch waren insbesondere die zeitlichen Vorstellungen bis zum
Erreichen der prognostizierten Ergebnisse. Im Gegensatz zur IT, in der die grundle-
genden wissenschaftlichen Paradigmen in der Physik bereits erschlossen waren
bevor Transistor und Halbleiter entwickelt wurden, sind die wissenschaftlichen
Grundlagen in der Gentechnologie, z.B. in den Genomics, noch lange nicht abschlie-
ßend erforscht. Wirtschaftliche Konzepte beinhalten aus diesem Grund ein deutlich
höheres Risiko.
60
50
40
30
20
10
0
1976 1978 1980 1982 1984 1986 1988
Abbildung II.5: Neu gegründete 'entrepreneuriale' Biotech-Unternehmen in den USA von 1976 bis
1988
(1) USA
Als unternehmerisches Rollenbeispiel fungierte das erste rein biotechnologische
Unternehmen Genentech, das 1976 mit 100.000 USD gegründet wurde, als erstes
54
Unternehmen 1980 mit einer Zeichnungsmarktbewertung von 260 Mio. USD an die
Börse ging, die sich in den ersten Handelsminuten auf 660 Mio. USD fast verdrei-
fachte.187
Die Zahl der Gründungen 'entrepreneurialer' Biotech-Unternehmen in den USA er-
höhte sich Ende der siebziger Jahre signifikant mit einem vorläufigen Höhepunkt in
1981 und weiteren Zwischenhochs in 1983 und in 1987 (siehe Abbildung II.5). Die
genaue Anzahl der Biotech-Unternehmen differiert nach dem jeweiligen definito-
rischen und statistischen Ansatz.l88 Bei Berücksichtigung der unterschiedlichen
Studien, kann für die Jahre 1976 bis 1988 von rund 400 neu gegründeten Biotech-
Unternehmen, die meisten (rund 65%) mit Schwerpunkt in Humanmedizin,
ausgegangen werden
Dieser große Optimismus verursachte einen regelrechten ,Biotech Hype', der aller-
dings nach Ausbleiben oder Verzögerungen der Ergebnisse zu großen Enttäuschun-
gen führte. Seit den achtziger Jahren haben Biotech-Aktien eine außerordentlich
hohe Volatilität- euphorische Einschätzungen wechseln mit gänzlich ernüchterten
Urteilen.189 Ende des Jahres 1999 existierten in den USA rund 1.300 Biotechnologie-
Unternehmen, davon waren rund 25% börsennotiert, während in Europa bei rund
1.200 Unternehmen nur 6% öffentlich notiert werden (siehe Tabelle 11.7).
Europäische u.s.
Biolech-Industrie Biolech-Industrie
1997 1998 1999 1997 1998 1999
-Anzahl Unternehmen 716 1.036 1.178 1.287 1.274 1.283
- Mitarbeiter 27.500 39.045 45.823 118.000 140.000 153.000
-Umsatz 1.721 2.725 3.709 13.413 15.985 15.777
- F&E-Ausgaben 1.508 1.910 2.334 7.258 8.268 8.398
- börsennotiert 49 61 68 294 317 327
(2) Europa
Trotz der verstärkten Gründungen in Europq. wird bei genauerer Kennzahlen
analyse erkennbar, daß zwischen den USA und Europa ein deutliches Entwick-
lungsgefälle besteht. Neben der höheren Anzahl an börsennotierten und damit
tendenziell größeren Unternehmen, sind im Vergleichsjahr 1999 insbesondere das
187 Vgl. z.B. Hacking (1986) S. 252; vgl. Teileiman (1989) S. 11-13.
188 Einen Überblick der unterschiedlichen Studien gibt Müller (1991) S. 125-138.
189 Für einen Überblick der Anfänge der amerikanischen Biolech-Industrie in den achtziger Jahre vgl. Teileiman
(1989) und Hall (1987).
55
Umsatzverhältnis von durchschnittlich 3,15 Mio. EUR zu 12,3 Mio. EUR, die Höhe
der Forschungsausgaben von 1,98 Mio. EUR zu 6,6 Mio. EUR und die Mitarbeiter-
zahl von 39 zu 120 klare Indikatoren für den höheren Reifegrad der amerikanischen
Industrie. In den USA hatten im Jahr 1999 bereits 16 Unternehmen mehr als 100 Mio.
USD Umsatz, während in Europa noch kein Biotech-Unternehmen diese Größen-
ordnung erreichte. Hierin manifestiert sich die noch rudimentäre Marktorientierung
europäischer Unternehmen, die erst am Anfang der zwischen 7 und 15 Jahren dau-
ernden Produktinkubationszeiten stehen, nach denen signifikante Umsätze erwirt-
schaftet werden. Der zeitliche Entwicklungsvorsprung der amerikanischen Unter-
nehmen wird auch bei den marktreifen biopharmazeutischen Produkten deutlich:
während in den USA jährlich mehrere neue Medikamente von Bieteeh-Unternehmen
zugelassen werden - neun im Jahr 1997 und sieben im Jahr 1999 - gab es in Europa
erst ein Produkt im Jahr 1999 (siehe Abbildung II.6). Andere Biolech Präparate
wurden von Pharma- bzw. amerikanischen Biotech-Unternehmen in Europa
genehmigt.190
1995 1265
1-------'
1997 1294
1--------'
1995 0
1997 0
1999
Abbildung ll.6: Vergleich des industriellen Entwicklungsstands zwischen Europa und USA
Quelle: BIO, McKinsey
190 Von den durch die EMEA 22 genehmigten therapeutischen Produkten in Europa im Jahr 1998, waren 11
biotechnologisch, davon 7 von Pharma- und 4 von amerikanischen Biotech-Unternehmen, vgl. Ernst & Young
(1998) S. 20; vgl. Ernst & Young (1999).
56
Die unterschiedlichen Entwicklungsstadien spiegeln sich auch in den Markt-
kapitalisierungen der jeweils führenden Unternehmen wider. Insgesamt haben nur
wenige Biotech-Unternehmen eine Marktkapitalisierung über 5 Mrd. USD. . Der
Vergleich zu den Marktkapitalisierungen der etablierten Unternehmen in der
Pharmaindustrie wie z.B. Merck & Co. (130 Mrd. Euro), Glaxo Wellcome (97 Mrd. Euro),
Bayer (30 Mrd. Euro) und BASF (30 Mrd. Euro) zeigt klar die unterschiedlichen
Dimensionen, nach denen Biotech und Life-Sciences-Untert nehmen beurteilt werden
müssen (siehe Abbildung II.7).191
USA Europa
Diese Zahlen verdeutlichen, daß trotz der Begeisterung über die Zukunftstechnolo-
gie 'Biotech', das erreichte industrielle Niveau der Unternehmen in Europa noch sehr
niedrig ist. Eine Führungsposition in Europa nimmt UK ein, sowohl hinsichtlich
Anzahl der Unternehmen, Börsennotierungen und verfügbarem Venture Capital.
Seit 1998 konnte Deutschland allerdings diese Kluft verringern. Verstärkt wird
dieser Aufholeffekt durch die negative Stimmung für die Biotech-Szene in UK, aus-
gelöst durch große Enttäuschungen von Phase III Therapeutikakandidaten bei British
Biotech seit Mitte 1997 (siehe Fallstudie 'British Biotech'), während in Deutschland ver-
57
stärkt Unternehmen gegründet werden und sehr viel Venture Capital in diesen bis
dato wenig entwickelten Beteiligungsmarkt fließt.192
(3) Deutschland
Die Ursprünge der Unternehmerischen Landschaft in Deutschland sind vergleichs-
weise bescheiden. Biotechnologie wurde in den achtziger Jahren vor allem in den
etablierten Pharmakonzernen kommerziell angewandt, dagegen blieben die 'entre-
preneurialen' Biotech-Unternehmen relativ unbedeutend.193 Eine deutliche Wende
setzte Mitte der neunziger Jahre ein, als mit der Novellierung des GenTG sowie des
BioRegionen-Wettbewerbs und der Entstehung eines Pre-IPO-Beteiligungsmarktes
veränderte positive Rahmenbedingungen geschaffen wurden. Obwohl die deutsche
Biotech-Industrie im Jahr 1997 in Buropa noch deutlich hinter der in UK positioniert
war, haben die Jahre 1998 und 1999 der deutschen Biotech Szene einen starken
Impuls gegeben (siehe Abbildung II.B). Die Anzahl der Gründungen und die Höhe
des investierten Venture Capitals stiegen 1999 deutlich.
\-------''8.100 6
58
Im Vergleich zu den USA ist die deutsche Biotech-Industrie noch nahezu am Beginn
des Industrielebenszykluses. In Deutschland waren bis April1999 alle Unternehmen
außer dem Biotechnologiepionier Qiagen privat finanziert, die meisten befanden sich
in der Startup- und Wachstums-Phase. Die Entwicklung der Technologien und neue
Perspektiven in den wirtschaftlichen Genomik-Feldern, geben den Unternehmen
aber die Chance, den industriellen Rückstand zu verkürzen. Gemessen am Grad der
industriellen Entwicklung der Biotech-Branche existiert ein deutliches Gefälle von
den USA zu UK und Deutschland (siehe Abbildung II.9). Einzelne deutsche Unterneh-
men sind allerdings in einigen Geschäftsfeldern, z.B. der Bioinformatik, mit US-Un-
ternehmen trotz eines allgemeinen Entwicklungsrückstandes konkurrenzfähig.
-·· -··-· -·
1970 1975 1980 1985 1990 1995 1999
* Der Grad der 'industriellen Entwicklung' umfaßt insbesondere die Anzahl der Biolech Gründungen,
VC-Investments, Biolech IPO's und die Stimmung am Kapitalmarkt für die Biotechnologie. Die vor-
liegende Darstellung hat ausschließlich konzeptionellen Charakter.
In den USA wurden die Biotech-Unternehmen der ersten Generation in den neun-
ziger Jahren zu großen biopharmazeutischen Unternehmen. Für viele "dedicated bio-
technology firms" (DBF) sind diese biotechnologischen Pionierunternehmen das
Rollenmodell einer erfolgreichen Entwicklung. Der Weg von einem forschungsinten-
siven kleinen Startup-Unternehmen zum integrierten biopharmazeutischen Konzern,
59
wie er von Amgen, Biogen und Genentech als ersten erfolgreich beschritten wurde,
erscheint als idealtypisches Entwicklungsszenario. Im weiteren Verlauf der Unter-
suchung stellt sich die Frage, ob und in welchem situativen Umfeld dieser ausge-
wählte Entwicklungspfad im aktuellen Wettbewerbskontext, für ein nachhaltiges
Geschäftsmodell biotechnologischer Unternehmen weiterhin geeignet und realisier-
bar erscheint.
Zusammenfassend führt die bisherige Analyse zu ersten Erkenntnissen und Ansatz-
punkten eines Strategiekonzepts für Biotech-Unternehmen (siehe Abbildung 11.10).
60
Aspekte in den Punkten Branchenheterogenität, Bedeutung von Kooperationen, For-
schung und Kapitalbedarf, die die kommerzielle Biotechnologie von anderen Bran-
chen unterscheidet und spezifisch macht. Im folgenden Abschnitt werden diese
differenzierenden Punkten, in denen sich die industriespezifischen Anforderungen
und besonderen strategischen Rahmenbedingungen kristallisieren, ausführlicher
analysiert.
n Wirkstoff I
Therapeutische Wirkstoffindung
Positionierung in Wertschöpfungsstufen
des F&E-Prozesses
Gesamtheit der
'entrepreneurialen'
Biotech
Unternehmen
~ Technologie I Produktivnätssteigerende Technologie-
ansätze, die mittelbar in den Forschungs-
prozessder Humanmedizin e n i gebunden
sind
~ Instrumente
I Hardware (Geräte, Instrumente) für alle
Unternehmen in Life Seiences
Eine Segmentierung in dieser Arbeit dient als Grundlage für eine differenzierte
Betrachtung der Erfolgsparameter und Entwicklungsszenarien. Sie fungiert als
'Eingangshypothese' für die explorative Untersuchung. In der weiteren Analyse
stellen die einzelnen Geschäftsmodell-Typen strukturelle Ansatzpunkte dar, die
Aussagen und Thesen über die Gesamtheit der Biotech-Unternehmen klarer und
spezifischer werden lassen. Im ersten Ansatz werden drei Segmente unterschieden:
(1) das Wirkstoff-Unternehmen, (2) das Technologie-Unternehmen und (3) das
Instrumente-Unternehmen (siehe Abbildung 11.1 1).
(1) Wirkstoff-Unternehmen
(2) Technologie-Unternehmen
Technologie-Unternehmen sind nur indirekt am Wertschöpfungsprozeß für Wirk-
stoffe oder Diagnostika beteiligt. Sie entwickeln und vermarkten Technologien, die
einen produktivitätssteigerenden Einfluß auf den F&E-Prozeß haben. Sie entwickeln
kein Produkt für den Endkonsumenten (bzw. den Patienten), sondern positionieren
sich als Lieferanten im Business-ta-Business-Geschäft mit Pharma- oder Biotech-Un-
ternehmen, die Wirkstoffe bzw. Diagnostika entwickeln.
(3) Instrumente-Unternehmen
Instrumente-Unternehmen bieten die 'Hardware' für Unternehmen, die mit biotech-
nologischen Verfahren arbeiten. Sie sind somit auch nur indirekt am Wert-
schöpfungsprozeß beteiligt. Im Unterschied zu Technologie-Unternehmen bieten sie
physische Produkte an, die einer geringeren technologischen Erneuerbarkeit
unterliegen. Diese Produkte werden sowohl von Biotech-Unternehmen als auch von
Life-Sciences-Unternehmen nachgefragt. Instrumente-Unternehmen sind die ,Infra-
struktur-Unternehmen, die biotechnologische Arbeit ermöglichen. Im übertragen-
den Sinn sind sie 'die Verkäufer der Hacken und Schaufeln für die biotechnolo-
gischen Goldgräber'.
195 Der Begriff 'Kooperation' wird in dieser Untersuchung als eine auf "vertraglicher Vereinbarung beruhende
Zusammenarbeit zwischen rechtlich und wirtschaftlich selbständigen Unternehmen durch Funktionsabstim-
mung, Funktionsausgliederung oder -Übertragung auf einen Kooperationspartner" ( Rüdiger (1998) S. 26.)
verstanden. Diese Zusammenarbeit entspricht nicht der routinemäßigen Geschäftstätigkeit. Die empirische
Relevanz von Kooperationen zwischen entrepreneurialen' Bieteeh-Unternehmen und Life-Sciences-Unter-
nehmen belegt Shan (1990).
62
Vermarktungsvereinbarungen geschlossen, beispielsweise zwischen Genentech und
Eli Lilly (Insulin), Biogen und Schering-Plough (Interferon), Amgen und J&J (EPO).
Biotech-Unternehmen waren auf therapeutische Produktinnovationen fokussiert.196
Die Zusammenarbeit mit Pharma-Unternehmen basierte ausschließlich auf produkt-
spezifischen Partnerschaften. Als große forschungsorientierte Organisationsein-
heiten verfügten die Pharma Firmen über eine vollständig internalisierte vertikale
Wertschöpfungskette.197 Erst in den neunziger Jahren haben sich die Kooperationen
auf technologische Verfahrenskompetenzen, von geschlossenen Plattformen bis zu
speziellen Tools, sowie umfangreiche Forschungspartnerschaften erweitert. Die Zu-
sammenarbeit gestaltet sich vielfältiger, von kurzen nicht-exklusiven Marktkon-
takten bis zu intensiven, langfristig angelegten und exklusiven Kooperationen. Diese
unterschiedlichen Kooperationsansätze entspringen divergierenden Strategie-
ansätzen, deren Relevanz und nachhaltige Erfolgsfähigkeit im explorativen
Abschnitt der Untersuchung näher beleuchtet wird.
63
'Prozak' auf weniger als 2 Jahre bei Diflucan und Invirase in den neunziger Jahren.200
Die Innovationsführerschaft und schnelle Time-to-market Zeiten erhalten für die
Pharma- und Diagnostik-Unternehmen eine immer stärkere Bedeutung.
Ein weiterer Handlungsdruck für Pharma-Unternehmen zur Innovationssteigerung
durch kooperative Zusammenarbeit mit Biotech-Unternehmen entsteht aus der gro-
ßen Anzahl 'Blockbuster'-Produkte mit hohen Deckungsbeiträgen, die in den
nächsten Jahren stark gefährdet sind. Bis zum Jahr 2006 endet für mehr als 100
wichtige exklusive Therapeutika mit einem Umsatz von rund 37 Mrd. USD der
Patentschutz.201 Nachahmerprodukte (Generika) werden bei den Unternehmen zu
Umsatz- und Rentabilitätseinbußen führen, die dann nur durch eine gesteigerte und
kontinuierliche Folge neuer Produktentwicklungen kompensiert werden können.
Die langen Entwicklungszeiten und hohen Abbruchraten im F&E-Prozeß bedingen,
daß frühzeitig eine entsprechende Anzahl aussichtsreicher Produktkandidaten in
den Entwicklungspipelines der forschenden Unternehmen vorhanden sein muß. Ein
Großteil dieser neuen Produkte kann nur über innovative biotechnologische Ver-
fahren und Erkenntnisse aus der Genomforschung generiert werden, in der Biotech-
Unternehmen führend sind. 202 Beispielsweise ermöglicht es die 'kombinatorische
Synthese', neue Targetsubstanzen wesentlich schneller und in größeren Mengen zu
synthetisieren - somit erweitert sich das Spektrum aussichtsreicher Produktkandi-
daten. Die Umsetzung der genomischen Erkenntnisse (HUGO) auf die Proteinebene
(Proteomics) wird zu vielen spezifisch auf die Ursachen der jeweiligen Krankheiten
ausgerichteten Proteintherapeutika führen. Nur die Anwendung der Biotechnologie
kann die Produktivität des bisher durch ein 'trial and error'-Verfahren geprägten For-
schungsprozesses dramatisch verbessern und Produkte generieren, die nicht mehr
symptom- sondern ursachenspezifisch wirken. Bieteeh-Unternehmen sind somit für
die Pharma-Unternehmen eine essentielle Quelle innovativer Technologien und
neuer Produktkandidaten.
64
liehen Test der vorhandenen Technologie bzw. des verfolgten Produktansatzes. Sie
erlauben eine externe Validierung der internen Fähigkeiten. Die Interaktion und der
Austausch mit anderen Markteilnehmern erscheint als eine wichtige Komponente
der eigenen Marktpositionierung. Eine intensivere Diskussion der Kooperationsziele
von Biotech-Unternehmen findet in der explorativen Untersuchung statt.
Daneben haben Biotech-Firmen auch Kooperationen mit öffentlichen Forschungsein-
richtungen oder Krankenhäusern mit dem Ziel, das eigene wissenschaftliche Know-
how abzusichern, zu ergänzen oder weiterzuentwickeln. Denn bei der Erforschung
neuer Therapeutika und Diagnostika besteht eine natürliche Verbindung zu den wis-
senschaftlichen Disziplinen, die die grundlegenden Funktionsweisen des mensch-
lichen Organismus erforschen. Neue Erkenntnisse bieten Ansatzpunkte zur Ent-
wicklung neuer Produkte.
Komplexere Aufgabenstellungen oder umfangreiche Outsourcing-Projekte großer
Life-Sciences-Unternehmen können auch intensive und multiple Zusammenarbeiten
zwischen mehreren Partnern erforderlich machen. Gerade für kleinere Biotech-
Unternehmen entstehen durch das integrierte Wirken in einem Netzwerk mit an-
deren Unternehmen sinnvolle Strategien, die den eigenen marktliehen Auftritt er-
leichtern und den Ressourcenengpaß verringern. Die Bedeutung von Netzwerken
für Unternehmerische Geschäftsmodelle wird in der explorativen Untersuchung
eingehender analysiert.203
Die sehr hohe Kooperationsintensität in dem frühen industriellen Stadium der Bio-
technologie widerspricht dem traditionellen theoretisch entwickelten Verständnis
von Branchenentwicklungen und Skalenerträgen.204 Für neue Industrien wird in
ihrer Entstehung eine Phase des internen Wachstums und der Integration von vor-
und nachgelagerten Wertschöpfungsstufen angenommen. Mit zunehmender Reife
und vertikaler Integration der Industrie, bei der die Skalenerträge innerhalb des
Unternehmens realisiert werden, erschöpfen sich die synergetischen Potentiale und
die Zusammenarbeit mit externen Einheiten tritt ein. Die jungen Unternehmen
wachsen demnach zuerst ausschließlich intern, bevor sie als reife und etablierte
Akteure externe Beziehungen zu Konkurrenten oder Zulieferem aufnehmen. Diese
Konzeption einer erst im Reifegrad der Branche einsetzenden externen Leistungs-
verknüpfung - einer Kooperations- oder Netzwerkbildung mit anderen Marktteil-
nehmern - scheint für die wachstumsstarken Branchen IT und Biotech nicht durch-
203 Der Begriff 'Netzwerk' wird in Analogie zu Jarillo definiert. Sie sind "a mode of organization that can be used
by managers or entrepreneurs to position their firms in a stronger competitive stance." (Jarillo (1988) S. 32.)
Einige Autoren verwenden den Begriff 'network govemance' anstatt 'network organization', um den Unter-
schied zu einer strukturell und prozessual festgefügten Einheit einer Unternehmensorganisation aufzuzeigen,
vgl. Jones/Hesterly /Borgatti (1997) S. 914-916. Strategische Netzwerke sind "long-term, purposeful
arrangements among distinct but related for-profit organizations that allow those firms in them to gain or
sustain competitive advantage vis-a-vis their competitors outside the network." (Jarillo (1988) S. 32.) Unter·
nehmen in einem Netzwerk sind in einigen Funktionen unabhängig von anderen Partnern, ansonsten
entstehe eine 'vertikale quasi-integration', vgl. Jarillo (1988) S. 31-41.
204 Vgl. Stigler (1951) S. 185-193; Grundlegende Annahme dieser Theorie ist die Idee von Skalenerträgen, die
zuerst in Unternehmen realisiert werden können (vertikales Wachstum), bei zunehmender Reife der Industrie
aber ausgeschöpft sind (Outsourcing/Kooperationen); allerdings unklare empirische Nachweisbarkeit der
Stigler- These, vgl. Wright/Thompson (1986) S. 141-144.
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gängig haltbar zu sein.205 Gerade in diesen Industrien haben Kooperationsbe-
ziehungen eine entscheidende strategische Bedeutung für die Entwicklungsper-
spektiven und den Erfolg von jungen Unternehmen.206 Die Wichtigkeit von strate-
gischen Partnerschaften und eingegangen Kooperationen erhöht sich, wenn
bestimmte Stufen des Wertschöpfungsprozesses bzw. Funktionen im Forschungs-
vorgehen ausgelagert werden.207 Eine Konzentration auf Kernkompetenzen hat in
der Gesundheitsbranche zu einem stärkeren Beziehungsgeflecht der Unternehmen
insgesamt geführt.
Die Verbindungen zwischen Biotech- und Pharma-Unternehmen haben sich kontinu-
ierlich entwickelt. Sie haben nicht mehr die eindimensionalen Stoßrichtungen der
achtziger Jahre und Biotech-Unternehmen nehmen nicht mehr ausschließlich eine
untergeordnete Zulieferfunktion für die dominierenden Pharma-Unternehmen ein.
Das Beziehungsgeflecht wurde komplexer und mehrdimensional_208 Während der
von den Pharma-Unternehmen extern bezogene Anteil der Wertschöpfungskette
stark zugenommen hat, haben sich parallel Biotech-Unternehmen zu vertikal inte-
grierten biopharmazeutischen Unternehmen entwicke1t.209 Bei gleichzeitigen
Abhängigkeiten und Konkurrenzverhältnissen wird der erreichbare Geschäftserfolg
für alle Unternehmen in den Life Seiences zunehmend von einer intelligenten Stra-
tegie der 'Coopetition' bestimmt - gleichzeitige Kooperation und Konkurrenz, auf
der Suche nach gemeinsamen 'win-win'-Situationen für die beteiligten Unter-
nehmen.210
Die Knappheit von Ressourcen für das einzelne Unternehmen kann eine wesentliche
Wachsturnsgrenze darstellen. Dies umfaßt sowohl finanzielle und tangible als auch
Managementressourcen und -know-how.211 Die Zusammenarbeit mit anderen Fir-
men kann zur Überwindung kritischer Engpässe führen. Kooperation mit ergänzen-
205 Im Überblick zu dieser Diskussion vgl. Sydow (1992) S. 287-289; in einer Untersuchung zu Halbleiter-Un-
ternehmen in den USA, die zwischen 1978-85 gegründet wurden, stellten Eisenhardt/Schoonhoven allerdings im
Jahr 1996 fest, daß in der gleichen Industrie reifere Unternehmen eine höhere Kooperationsrate aufwiesen.
Dies könnte an der personellen Ressourcenknappheit der jungen Unternehmen liegen, die bei komplexen
Produkt- oder Technologie-Entwicklungskooperationen notwendig sind. Gleiche Ergebnisse könnten für die
Biolech-Industrie angenommen werden, vgl. Eisenhardt/Schoonhoven (1996) S. 136-150.
206 Vgl. z.B. Arora/Gambarella (1990) S. 361-379; Sydow hebt insbesondere den Grad der technologischen und
marktliehen Unsicherheit sowie die Wettbewerbsintensität als wichtige Parameter hervor, die die Bedeutung
und Häufigkeit von Kooperationen in einer Branche beeinflussen, vgl. Sydow (1992) S. 287-295; vgl. auch Kay
(1998) S. 222-241; vgl. auch Corsten/Will (1995) S. 12-29; McGee/Dowling/Megginson weisen empirisch nach,
daß zunehmende Erfahrung des Managements und eine explizite strategische Ausrichtung des Unter-
nehmens einen positiven Einfluß auf den Erfolg von kooperativen Strategien hat, vgl.
McGee/Dowling/Megginson (1995) S. 565-580.
207 Vgl. Zahn (1991) S. 42-47; problematisch erscheint eine Auslagerung von Wertschöpfung, wenn ein oberfläch-
liches und nur am Moment ausgerichtetes Produkt-Markt-Denken existiert, bei dem klare Schnittstellen
zwischen Bereichen zu spät als neue sich formierende Geschäftsfelder erkannt werden, beispielsweise
zwischen Telekommunikation, Software, Internet, die zu E-commerce führen oder Genetik und Pharma-
kaentwicklung, die in Pharmakogenomik zusammen wachsen.
208 Vgl. Powell (1998) S. 228-240.
209 Siehe Kap. V.
210 Grundlegende Verwendung des Begriffs 'Coopetition' bei Nalebuff/Brandenburger (1996), vgl.
Nalebuff/Brandenburger (1996) S. 23-51.
211 Vgl. McGee/Dowling/Megginson (1995) S. 565-580.
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den Biotech-Unternehmen sind in diesem Verständnis das Vehikel einer Wachstums-
strategie. Der Erfolg von Kooperationen scheint eine erhebliche Bedeutung für die
Entwicklungsdynamik und den Erfolg des Geschäftsmodells eines Biotech-Unterneh-
mens zu haben. Insbesondere die Auswahl des strategischen Partners, die gemein-
same Zieldefinition, die Ausgestaltung der Zusammenarbeit und die Entscheidungs-
tindung scheinen für ein erfolgreiches Ergebnis der Kooperation determinierend.212
Diese Elemente werden im explorativen Teil eingehender untersucht.
212 Zum theoretischen Problembereich der Auswahl eines geeigneten Kooperationspartners vgl. Linne (1993) S.
176-215.
213 Vgl. McKinsey (1999c), vgl. Burrill (1999) S. 8-10.
214 Vgl. McKinsey (1999c).
215 Zum Problembereich des Managements von bedeutenden Innovationen in großen internationalen Unter-
nehmen vgl. Gerybadze (1997) S. 38-81; Unternehmen, insbesondere in den Life Sciences, nutzen global
sowohl interne als auch externe F&E-Sourcing Möglichkeiten.
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Biotechnologische Anwendungen haben für eine kommerzielle Nutzung bzw. ein
ökonomisches Geschäftskonzept eine außerordentliche Nähe zur Grundlagenfor-
schung. Viele Sachverhalte sind wissenschaftlich noch nicht abschließend geklärt,
z.T. nicht einmal ansatzweise.216 Aus dieser Nähe entspringt eine große Volatilität
der erreichbaren Ergebnisse. Die Unsicherheit von Forschungsprozessen wird auf
diese Weise Teil des unternehmerischen Modells. Im Gegensatz zur IT oder
Telekommunikation, bei der die grundlegenden wissenschaftlich physikalischen
Prinzipien bekannt sind (z.B. Halbleiter, Integrierte Schaltkreise, Datentransmission)
ist die Biotechnologie noch eine 'Grenzwissenschaft', bei der viele fundamentale
Funktionsweisen des komplexen organischen Lebens noch unbekannt sind. Dieser
Zusammenhang ist für das Verständnis biotechnologischer Unternehmen außeror-
dentlich wichtig.
Die hohe Unsicherheit der grundlagennahen Forschung eröffnet aber auch ein außer-
ordentlich interessantes Innovationspotential für die Unternehmen. Deutlich wird
dies beispielsweise in den Feldern der Genomics, Protenornies und Functional Geno-
mics, in denen aufbauend auf der Entschlüsselung des menschlichen Genoms, die
kausalen Ursachen von Krankheiten erkannt und entsprechende diagnostische bzw.
therapeutische Produkte entwickelt werden könnten. Das Erkennen und kontrol-
lierte Nutzen genetischer und proteomischer Wirkungsweisen eröffnet eine grund-
sätzlich andere Qualität der Krankheitsversorgung - ein neues Paradigma für die
Gesundheitsindustrie, eine fundamental neue S-Kurve.
Die Intensität der Forschungsanstrengungen macht die proprietäre Wahrung der Er-
gebnisse für die kommerzielle Anwendungen außerordentlich wichtig.217 Gerade
kleine Unternehmen mit einem spezifischen Technologiefokus müssen ihre originä-
ren Arbeitsresultate schützen und eine aktive Patentpolitik verfolgen, wenn sie ihre
Existenzberechtigung behaupten wollen. Dies gilt sowohl für therapeutische 'Leads'
als auch für technologische Zwischenprodukte oder Plattformen. Seit der Ent-
stehung von Biotech-Firmen sind Auseinandersetzungen um exklusive Nutzungs-
rechte ein konstituierendes Element der Industrie. Streitigkeiten wie bei Amgen-f&J
um das Epo-Patent, Chiron-DuPont um die Nutzung der PCR Technologie oder bei
Morphosys-Cambridge Antibody Technology um eine Bibliothekstechnologie machen die
Brisanz und den Wert dieser Nutzungsrechte für die betroffenen Unternehmen
deutlich. Für die Biotech-Unternehmen stellt eine durch Patente abgesicherte Exklu-
sivität sehr häufig die notwendige Grundlage für eine nachhaltige Entwicklung dar,
eröffnet (Amgen, Chiron-Roche) oder verschließt (J&J, DuPont) ganze Produkt- oder
Nutzungsfelder.218 Trotzdem stellen Strategien 'des alles oder nichts' bei Patent-
216 Technologischer Fortschritt und kommerzielle Nutzung sind in hohem Maß von Unsicherheit und Zufall
geprägt. Dies trifft insbesondere auf fundamental neue Technologien zu, wie den Transistor oder die
Biotechnologie, vgl. Nelson/Rosenberg (1998) S. 46-57. Die Biotechnologie hat im Gegensatz zur Mikro-
elektronik dieses Stadium der hohen Entwicklungsunsicherheit und Zufälligkeit noch nicht endgültig ver-
lassen.
217 In einer OECD-Studie werden die Schwierigkeiten, intellektuelles Kapital wirkungsvoll zu schützen, als ein
Hindernis für untemehmerische Aktivitäten diagnostiziert. Die Kosten für ein europäisches Patent sind drei-
mal höher als in USA und Japan, vgl. OECD (1998) S. 67-69.
218 Vgl. Kronberg (1995) S. 236-241.
68
streitigkeiten z.T. enorme Risiken dar, die Biotech-Unternehmen schwer belasten
oder sogar zerstören können. Beispielsweise führte der Streit um ein Patent für
Antikörper gegen den Septischen Schock zu existentiellen Problemen für die beiden
Biotech-Firmen Centocor Corp. und XOMA Corp., zu einer verspäteten Therapeutika-
zulassung und einer negativen Perzeption des gesamten Biotech Sektors aus
Investorensich t. 219
69
Schaffung eines das Unternehmen tragenden originären Umsatzes bzw. eines IPO's
sind i.d.R. mehrere private Finanzierungsrunden notwendig (siehe Abbildung 1!.12).
Venture Capital
Business Angels
Fremdkapital
=====================:
Private Ersparnisse
-----------------·
Private Ersparnisse scheinen aufgrund der Höhe des bis zum Marktauftritt notwen·
digen Kapitalbedarfs nur begrenzt und unzureichend als Finanzierungsquelle auszu-
reichen.223 Auch für Fremdkapitalgeber scheint die Natur des Geschäftes, der hohe
mehrjährige Kapitalbedarf und das Risiko für eine substantielle Finanzierung des
Aufbaus und der Expansion der Unternehmung nur sehr begrenzt geeignet.224
Eine andere EK-Form stellen die privaten Investoren dar, sog. 'Business Angels'. Sie
investieren in Unternehmen und übernehmen auch eine aktive Rolle des 'Coachings'
für Gründer und Management. In vielen Fällen sind sie ehemalige Unternehmer
oder haben in einem verwandten Umfeld gearbeitet, z.B. als Anwälte, Banker etc. In
ihrer Idealform sind Business Angels eine kompetente Verbindung von Finanzier
und Berater. In diesem Sinne ist ihre Bedeutung komplementär zU: den institutio-
nellen Investoren, den VC Gesellschaften. Ihre Investments sind i.d.R. höher als das
223 Roberts zeigt in seiner Untersuchung über 'High-tech'-Unternehmer, daß in der ersten Phase der Unterneh-
mensgründung rund 80% der finanziellen Mittel auch aus eigenen oder befreundeten Quellen stammen, vgl.
Roberts (1991) S. 143, allerdings bewegen sich die Kapitalbedürfnisse zum überwiegenden Teil unter 50.000
USO, die für mehrjährige Biotech Investitionen von mehr als 1 Mio. DM ohne immanenten Cash-flow-Zufluß
nicht ausreichen.
224 Die Bedeutung der Fremdkapital-Finanzierungwird eingehender in Kap. V.2.1.3 untersucht.
70
Potential der Gründerersparnisse, aber kleiner als die der Venture Capitalisten.
Business Angels decken somit ein Finanzierungssegment ab, das unterhalb des Mini-
malinvestments von VC-Firmen liegt. Ihre Bedeutung wächst in dem Ausmaß, in
dem die institutionellen Investoren höher dotierte Beteiligungen annehmen und 'zu
kleine' Investments ablehnen. Diese Unternehmen sind dann ohne private Investo-
ren in einer sehr schwierigen Position.
In den USA ist der Stellenwert der Business Angels in der 'Business Community' sehr
hoch. Viele erfolgreiche Unternehmer betätigen sich als private Investoren und
haben ein hohes professionelles Renome. Nach einigen Quellen verfügen sie in den
USA über wesentlich mehr zu investierendes Kapital als die institutionalisierten VC-
Firmen.225 In Deutschland ist dieses Segment der professionellen, aber privaten
Business Angels noch sehr klein und in transparent. Im Jahr 1999 wurden mit Unter-
stützung der KfW, der Deutschen Börse und anderen Finanzinstitutionen ein Netz-
werk gegründet, die das Entstehen eines Marktplatzes zwischen Unternehmern und
privaten Finanziers zur Unternehmensfinanzierungen stimulieren soll.226 Die wich-
tigsten Elemente einer breiten und qualifizierten Finanzierung durch Business
Angels stellen die Transparenz des Marktes, die Professionalität der Investment-
entscheidungen sowie die kompetente Betreuung der jungen Unternehmen dar. In
diesen Feldern liegt gleichzeitig die größte Problematik privater Investorenfinanzie-
rung.
Die wichtigste und wesentlichste Kapitalressource für junge Biotech-Unternehmen
vor dem Gang an die öffentlichen Kapitalmärkte ist Venture Capital,227