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Bis zu 88 Prozent der ärztlich gestellten

Diagnosen sind falsch – wenn Patienten zur


Einnahmequelle werden
2. Juli 2017 aikos2309

Wenn Patienten in Deutschland zur Einnahmequelle werden – eine mehr als schockierende
Studie aus den USA bestätigt, dass bis zu 88 Prozent der gestellten Diagnosen schlichtweg
falsch sind! Und die wenigsten von uns holen sich eine zweite Meinung ein. Warum auch?

Vertraut man nicht seinem Arzt, der doch eigentlich die Kompetenz haben müsste, die
richtige Diagnose zu stellen? Muss man jetzt wirklich an deren Kompetenz zweifeln?

Und wer sich die Mühe macht, eine zweite Meinung einzufordern, muss oft feststellen, dass
diese nicht mit der ersten Diagnose übereinstimmt.

Für kranke Menschen ist es nicht immer leicht, die richtige Therapie zu finden. Wenn Ihr
Hausarzt Ihnen z. B. zu einer Operation rät, macht es auf jeden Fall Sinn, sich bei einem
anderen Facharzt eine zweite Meinung einzuholen.

Egal wie krank Sie sich fühlen. Denn oft werden auch einfach nur gerne die Betten belegt, an
denen Ihr Hausarzt in der empfohlenen Klinik gut mit verdient.

Auch wenn die Ausbildung zum Arzt lang ist, mit vier Jahren Universität, um einen Bachelor-
Abschluss zu bekommen, dann folgen weitere vier Jahre für die gewählte Fachrichtung, und
dann drei bis sieben weitere Jahre als Assistenzarzt an verschiedenen Kliniken und Praxen,
heißt es noch lange nicht, dass derjenige ein erfahrener und gut ausgebildeter Arzt ist.

Nicht selten werden gerade in den ersten Jahren falsche Diagnosen gestellt. Eine zweite
Meinung kann Ihnen als Patient nicht nur ein sichereres Gefühl geben, sondern vielleicht auch
eine zweite Chance zum Überleben schenken. Denn wenn es um Ihre Gesundheit geht,
arbeiten zwei Gehirne besser als eins.

Die Forscher der Mayo Clinic untersuchten 286 Patientenakten von Personen, die beschlossen
hatten, die Mayo Clinic’s General Internal Medicine Division in Rochester für eine zweite
Meinung zwischen 2009 und 2010 zu konsultieren.

Die Gruppe bestand aus Patienten, die von Krankenschwestern, Praktikanten und
Assistenzärzten gleichermaßen mit einer Diagnose entlassen wurden, bevor sie sich eine
zweite Meinung einholten.

Um das Ausmaß der diagnostischen Fehler zu bestimmen, verglich die Mannschaft die
referierende Diagnose mit der endgültigen Diagnose. Die Forscher fanden heraus, dass nur 12
Prozent der Patienten eine korrekte Erstdiagnose erhielten, während fast neun von zehn
Personen (oder 88 Prozent) erst bei der zweiten Untersuchung die richtige Diagnose bekamen.

Zudem war es nicht selten eine völlig andere Diagnose, die sich überhaupt nicht mit der ersten
Meinung deckte! In 21 Prozent aller analysierten Fälle war die Diagnose völlig anders, als die
erste, während 66 Prozent der Patienten mit einer neu definierten Diagnose weggingen, und
damit erst in der Lage waren, die richtige Therapie anzutreten.

„Effektive und effiziente Behandlung hängt von der richtigen Diagnose ab. Zu wissen, dass
die Diagnose oder Verordnung von mehr als 1 von 5 Überweisungspatienten unvollständig
sein kann und falsch diagnostiziert wurde, ist mehr als alarmierend! Nicht nur wegen der
Sicherheitsrisiken, die unweigerlich mit einer falschen Diagnose einhergehen, sondern auch
für alle Folgetherapien, die eher schaden, als helfen!“ sagte der leitende Forscher James
Naessens, Sc.D., ein Sprecher im Gesundheitswesen und Forscher an der Mayo Clinic.

Nach einer umstrittenen Studie von der John Hopkins University, sind medizinische Fehler,
einschließlich Fehldiagnosen, die dritthäufigste Todesursache in amerikanischen
Krankenhäusern. ProPublica stellte jedoch fest, dass diese Zahl höher sein könnte, da Ärzte
keine medizinischen Fehler auf der Sterbeurkunde aufführen, so dass die tatsächliche Zahl der
Todesfälle mehr als ungenau sein könnte. Auch in Deutschland ist es für viele Angehörige
sehr schwer nachzuweisen, dass hier vielleicht fahrlässig gehandelt wurde.

Mit Tausenden von verschiedenen Krankheiten, einige mit sehr ähnlichen Symptomen, da ist
es nicht immer einfach, eine hundertprozentig richtige Diagnose gleich beim ersten
Arztbesuch zu bekommen. Daher ist eine zweite Meinung so entscheidend für die Gesundheit
und für das Überleben.

Wenn wir aus der Studie der Mayo Clinic etwas lernen können, dann ist es die Tatsache, dass
Arztpraxen und Diagnose ein kollaborativer Prozess sein sollten. Ärzte und andere
Gesundheitsdienstleister sollten enger zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass die
Patienten die richtige Diagnose und die richtige Behandlung so schnell wie möglich erhalten
können.

Trotz der Durchdringung von diagnostischen Fehlern, die tödlich enden könnten, wurde
bisher wenig Aufmerksamkeit auf die Verbesserung des Systems der Diagnosen und
Überweisungen, insbesondere in Kliniken, gelegt. Dr. Naessens stellte fest, dass viele falsche
Diagnosen für die explosionsartig gestiegenen Kosten im Gesundheitswesen mit
verantwortlich sind.

Viele Ärzte scheuen die zweite Meinung, da diese angeblich die Kosten erhöhen könnten.
Aber eine Fehldiagnose führt definitiv zu Verzögerungen bei den Behandlungen, führt nicht
selten zu Komplikationen und endet in vielen Fällen mit dem Tod des Patienten.

Dr. Naessens freut sich jedoch, dass die Nationale Akademie der Medizin in den USA
Maßnahmen ergreift, um die Diagnoseprozesse und die Fehlerreduktion zu verbessern. Sie
forderten eine föderale Finanzierung und planen das Auftreten von diagnostischen Fehlern
weiter zu untersuchen und neue Wege zu finden, um den Prozess zu verbessern.

Falsche Diagnosen: Wenn Patienten zur Einnahmequelle werden

Hausarzt Christoph Meyer bekommt regelmäßig Besuch von Mitarbeitern verschiedener


Krankenkassen, die über die Diagnosen seiner Patienten sprechen möchten. Der Facharzt für
Allgemeinmedizin berichtet darüber: „Sie legen einem Listen vor. Ich hab hier ein Beispiel:
Ich soll höherwertige Diagnosen finden, verpassen, anpassen. Höherwertig aber nur in dem
Sinne, dass diese Diagnosen den Krankenkassen mehr Geld in den Topf spülen und die
Patienten benachteiligen.“
Der Grund: Der so genannte Risikostrukturausgleich der Krankenkassen. Denn je kränker die
Patienten einer Krankenkasse sind, desto mehr Geld bekommt diese aus dem Ausgleichstopf.
Dafür maßgeblich sind 80 schwere Krankheiten wie Depressionen, Herz-Kreislauf-
Erkrankungen oder Diabetes. Je mehr ihrer Patienten diese Krankheiten haben, desto besser
für die Kasse.

Eine Praxis, die Christoph Meyer ablehnt, denn sie kann für die Patienten schwerwiegende
Folgen haben.

Patienten verlieren Versicherungsschutz

Timo H. ist eigentlich kerngesund. Laut seiner Krankenakte ist er angeblich fettleibig, soll an
Atemaussetzern im Schlaf und Kribbeln in den Beinen leiden und Flüssigsauerstoff
benötigen. Diese Diagnosen stimmen absolut nicht, sagt er. Für ihn war es ein absoluter
Schock, so etwas in seiner Krankenakte zu lesen, auch mit dem Wissen, dass dies so
abgerechnet wurde.

Welche Diagnosen in seiner Akte stehen, findet er nur durch Zufall heraus. Er wechselt von
der gesetzlichen in eine private Krankenversicherung, muss dafür verschiedene
Gesundheitsfragen beantworten. Als er später die erste Arztrechnung bei seiner privaten
Kasse einreicht, lehnt diese die Zahlung ab.

Vorwurf: Vorsätzliche Täuschung. Seine Angaben würden den Krankheiten in seiner Akte
widersprechen. Für Timo He. ist es ein Schock, zu lesen, dass er nicht mehr krankenversichert
ist.

Wegen der falschen Einträge in seiner Akte zieht Timo H. schließlich vor Gericht, fordert die
Wiederaufnahme in die private Krankenversicherung, vergebens. In einem Vergleich erhält er
lediglich 3.600 Euro Abfindung. Wieder aufgenommen wird er nicht. Die falschen Diagnosen
stehen bis heute in seiner Akte.

Fehler im Krankenkassensystem

Die Patienten werden kränker gemacht und die Krankenkassen profitieren. Für viele Experten
ein Grundproblem des Risikostrukturausgleichs. So erläutert der Gesundheitsökonom Prof.
Gerd Glaeske: „Zunächst einmal war gesetzlich geregelt, dass die Diagnosen, die einbezogen
werden sollten, schwerwiegend sind, chronisch, teuer und eng abgrenzbar. Nun ist aber eine
leichte Depression eben nicht vor allem eng abgrenzbar von einer mittelschweren oder
schweren, das heißt, ich hab da einen gewissen Spielraum.“

Und damit dieser Spielraum von den Ärzten auch im Sinne der Kassen genutzt wird, locken
die mit Geld. Ein Mittel dafür: So genannte Betreuungsstrukturverträge. In einem uns
vorliegenden Beispiel werden die Ärzte mit bis zu 12 Euro zusätzlich pro Patient gelockt,
wenn sie bestimmte Diagnosen abrechnen. Für die meisten dieser Krankheiten bekommt die
Kasse später mehr Geld aus dem Risikostrukturausgleich.

Für die Ärzte ein lukrativer Zusatzverdienst, meint Prof. Gerd Glaeske: „Insofern kann man
davon ausgehen, dass 2.000 bis 3.000 Euro pro Quartal für manche Praxen mehr an
Zuweisungen entsteht, die sie dann von den Kassen bekommen. Und das ist immerhin eine
Summe, für die es sich lohnt vielleicht dann bestimmte Diagnosen häufiger zu stellen.“
Private Dienstleister helfen

Die Krankenkassen greifen auch auf externe Dienstleister zurück. Wie etwa die Stuttgarter
Firma „AnyCare“.

Ein Geschäftsmodell: Mitarbeiter rufen im Auftrag von Krankenkassen bei chronisch kranken
Patienten an. Ihr Ziel dabei, die Patienten zu einem Arztbesuch zu bewegen. Denn nur, wenn
die Patienten mindestens zwei Mal im Jahr zum Arzt gehen, bekommt die Kasse zusätzliches
Geld. Genau das soll „Anycare“ sicherstellen, berichtet eine ehemalige Mitarbeiterin: „Wir
haben von Krankenkassen Listen mit Patientendaten bekommen, also Name, Adresse,
Geburtsdatum, Telefonnummer und Diagnose. Die haben wir angerufen, um sie dazu zu
bewegen, zum Arzt zu gehen, auch wenn sie sich eigentlich fit fühlen. Uns war klar, dass es
da nur ums Geld für die Kassen ging.“

„Anycare“ warb laut interner Unterlagen die „Einnahmesituation der Kassen zu verbessern“,
gab sogar Renditegarantien ab und versprach: „Die Kampagne rechnet sich“.

Wie? Das zeigt diese Beispielrechnung zu Patienten mit Gelenkverschleiß. Pro angerufenem
Versicherten verlangt „Anycare“ eine Pauschale von 34,51 Euro, für die Kasse macht das
Gesamtkosten von fast 3 Millionen Euro. Dafür gäbe es Zuweisungen aus dem
Risikostrukturausgleich in Höhe von mehr als 12,5 Millionen Euro, unterm Strich ein
Riesengeschäft für die Kasse und für „Anycare“.

Die ehemalige Mitarbeiterin von „Anycare“ berichtet weiter: „Um die Patienten zum Arzt zu
bekommen, haben wir auch Ängste geschürt, auf Folgeerkrankungen oder mögliche
Verschlimmerungen der Krankheit hingewiesen. Irgendwann wurde mir dann klar, dass man
da ein völlig verkehrtes und manipuliertes Gesundheitssystem unterstützt!“

Damit konfrontiert“Anycare“ schreibt, das Programm diene lediglich einer besseren


medizinischen Versorgung und der Prävention:

„Welche Konsequenzen der Patient aus den Informationen von ‚AnyCare‘ zieht, ist
ausschließlich seine autonome Entscheidung – auch ob er zum Arzt geht oder nicht.“

Ende der falschen Anreize?

Die Fehlanreize des Risikostrukturausgleichs sind mittlerweile auch Thema in Berlin. Hier
wird aktuell ein Gesetzentwurf diskutiert, der zusätzliches Geld für Diagnosen und
Ärzteberatungen durch die Kassen zukünftig verhindern soll, doch ohne schärfere Kontrollen
wird das wenig bringen.

Gesundheitsökonom Prof. Gerd Glaeske meint dazu: „Es gibt viele Menschen, die Gesetze
zwar zur Kenntnis nehmen, aber dennoch Umgehungsstrategien suchen. Insofern muss das
Bundesversicherungsamt, was ja bisher die Augen zugemacht hat vor den Vorwürfen,
reagieren und muss tatsächlich bessere Analysen machen, besser kontrollieren. Und das
gleiche gilt für die Länderüberwachungsbehörden, die bisher vor allen Dingen aus meiner
Sicht jedenfalls bei den AOKen immer mal wieder darüber hinweg geschaut haben, dass es da
möglicherweise auch Unregelmäßigkeiten gab.“

Andere Tricks blieben vom Gesetz gänzlich unangetastet, wenn die Kassen beispielsweise auf
externe Dienstleister zurückgreifen wie die Stuttgarter Firma „AnyCare“.
Mit dem neuen Gesetz allein werde die Bundesregierung den Grundproblemen des
Risikostrukturausgleichs nicht Herr werden, kritisieren Experten. Dafür bräuchte es eine
grundlegende Reform des Systems, bestätigt auch Gesundheitsökonom Prof. Gerd Glaeske:
„Dass man die Krankheitsauswahl begrenzt auf Krankheiten, die wirklich schwerwiegend
sind, die chronisch sind, die gut diagnostizierbar sind, so dass es da nicht mehr zu
Veränderungen kommen kann.“

Welche Rechte haben Patienten?

Jeder Patient hat das Recht, seine Patientenakte einzusehen. Nur in ganz wenigen
Ausnahmefällen kann diese Einsichtnahme verweigert werden. Und das ist genau zu
begründen. Eventuelle Kopien aus der Akte muss der Patient jedoch zahlen.

Versicherungsgesellschaften, wie private Krankenversicherungen und Lebensversicherungen,


haben nicht automatisch das Recht, die Krankenakte des Versicherungsnehmers einzusehen.
Sie können jedoch ihre Leistungspflicht von der Schweigepflichtentbindung des Arztes oder
der Vorlage relevanter Diagnosen aus der Akte abhängig machen.

In der Krankenakte des Arztes müssen bestimmte Informationen unbedingt enthalten sein.
Dazu gehören die Erhebung der Krankengeschichte, Diagnosen, Untersuchungen und ihre
Ergebnisse und Befund, etwa Ultraschall, Laborwerte und EKG sowie medikamentöse
Therapien und ihr Wirkungen. Außerdem müssen Eingriffe und ihre Wirkungen, also
Operationsberichte und Narkoseprotokolle, Aufklärungen und Einwilligungen und Arztbriefe
eingefügt werden.

Die Akte kann herkömmlich per Hand oder elektronisch geführt werden. Werden
Eintragungen geändert, muss das mit Datum erfolgen und der ursprüngliche Eintrag muss
weiter erkennbar sein. Elektronische Patientenakten sind deshalb mit einer
manipulationssicheren Software zu führen.

Die Patientenakte muss vom Arzt zehn Jahre aufbewahrt werden.

Geregelt wird das Verhältnis zwischen Arzt und Patient in den §§630a-h des Bürgerlichen
Gesetzbuchs auf Grund der Änderungen durch das so genannte Patientenrechtegesetz aus dem
Jahr 2013.

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