Artikelbeispiele
Der Terminus ‹S.› ist gebildet aus lat. ‹solus› (allein) und ‹ipse›
(selbst). Unter ‹S.› wird meistens ein radikaler erkenntnistheoretischer
Idealismus verstanden, der nicht nur eine vom Bewußtsein
unabhängige Außenwelt leugnet, sondern Bewußtsein darüber hinaus
mit dem eigenen Bewußtsein gleichsetzt. Im folgenden wird sich
zeigen, daß dieses Verständnis einiger Differenzierungen bedarf.
Ursprünglich ist die Begriffsgeschichte von ‹S.› eng mit derjenigen
von ‹Egoismus› verflochten und überkreuzt sich mit ihr. Die heute
vorherrschende Unterscheidung, nach der ‹Egoismus› die praktische
(ethische) und ‹S.› die theoretische (erkenntnistheoretische) Position
der Einzigkeit benennt, bildet sich erst in der 2. Hälfte des 19. Jh.
heraus [1]. Zunächst ist die Terminologie genau umgekehrt. So geht
der Ausdruck ‹S.› auf eine unter dem Pseudonym ‹Lucius Cornelius
Europaeus› erschienene Schrift zurück, in der der Jesuitenorden als
Monarchie der Selbstsüchtigen («solipsorum») angegriffen wird [2].
Dieser Gebrauch findet sich noch bei I. KANT [3], der ‹S.› mit
«Selbstsucht» übersetzt, und W. T. KRUG definiert geradezu: «S. ... ist
ein unbeschränkter praktischer Egoismus» [4].
Parallel hierzu verläuft die Entwicklung der ‹Egoismus› – Linie
gegensinnig von einem theoretischen zu einem praktischen Begriff. Bei
KANT heißt es: «Der Egoism kann dreierlei Anmaßungen enthalten: die
des Verstandes, des Geschmacks und des praktischen Interesses, d.i.
er kann logisch oder ästhetisch oder praktisch sein» [5]. Der logische
Egoist wird als jemand bestimmt, der es für «unnöthig» hält, «sein
Urteil auch am Verstände Anderer zu prüfen». Er ist also nicht der
Solipsist im heutigen Sinne. Dieser wird als metaphysischer Egoist in
der Frage angesprochen, «ob ich als denkendes Wesen außer meinem
Dasein noch das Dasein eines Ganzen anderer, mit mir in Gemeinschaft
stehender Wesen (Welt genannt) anzunehmen Ursache habe ...» [6].
Insgesamt stellt Kant dem Egoismus den Pluralismus gegenüber. Damit
greift er auf eine Einteilung von CH. WOLFF zurück, die dieser in der
Vorrede zur 2. Aufl. seiner ‹Deutschen Metaphysik› mit Blick auf die
«Erkenntnis der Dinge» vorgenommen hat [7]. Der Einteilung
entspricht das folgende Schema:
Anmerkungen
[3] I. KANT: KpV A 129. Akad.-A. 5, 73; Met. der Sitten II (1797) Eth.
Elem.lehre § 10. Akad.-A. 6, 433.
2
[4] W. T. KRUG: Allg. Handwb. der philos. Wiss.en ( 1832–38) 3, 805
(Art. ‹S.›).
[7] CH. WOLFF: Vern. Ged. von Gott, der Welt und der Seele des
2
Menschen [Dtsch. Met.]... (1720, 1722) Vorrede (1721), zit. nach
11
( 1751). Ges. Werke I/2 (1983) 4; vgl. ferner: Psychologia rat.
2
(1734, 1740), a.O. II/6 (1972) §§ 38. 43.
[10] Vgl. das ausführl. Zitat bei: HALBFASS, a.O. [1] 203.
[15] J.-P. SARTRE: L'être et le néant III, ch. 1, IIf. (Paris 1943)
277–310.
2
[16] F. C. S. SCHILLER: Stud. in humanism (London 1912) ess. X.
2
[17] F. H. BRADLEY: Appearance and reality (Oxford 1897) ch. XXI.
[21] Zur Disk. im 18. Jh. vgl. HALBFASS, a.O. [1] 200ff.
2
[25] A. WEISHAUPT: Über Materialismus und Idealismus ( 1787, ND
1979) 96.
e
[26] Vgl. L. ROBINSON: Un solipsiste au 18 s. Ann. philos. 24 (1913)
15–30.
[38] 5. 63.
2
[44] H. DRIESCH: Ordnungslehre ( 1923) 3f.; so auch: R. REININGER:
Das psychophys. Problem (1916) 51.
Literaturhinweise
G. GABRIEL
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