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Die Torheit der Regierenden


Von Ralph Pöhner, 20. Mai 2017

Das schlechteste französische Staatsoberhaupt aller Zeiten? Ach wo! Foto: Kamul Zihnioglu
(Reuters)

Früher war alles besser, auch die Politiker. Schauen Sie sich doch nur mal diesen
Bundesrat an, vergleichen Sie ihn mit früher: Kurt Furgler! Willy Ritschard! Oder
… Nun gut, so viele Denkmal-Figuren gab es da auch nicht.

Aber trotzdem, betrachten wir die Sache international: Heute Trump, früher
Kennedy! Hie Merkel, damals Adenauer!

Da findet man sich also gleich wieder bestätigt von einem Essay, der am Montag
in der «Neuen Zürcher Zeitung» erschien: Es fehle an herausragenden
Staatslenkerinnen und -lenkern, so die Analyse des Politologen Stephan Bierling.
Der Westen zerlege sich selbst, «nicht nur, aber auch wegen seines überforderten
Führungspersonals». Und weiter: «In Zeiten, in denen die Europäer und
Amerikaner einen Roosevelt, Churchill, de Gaulle oder Adenauer brauchen
würden, bekommen sie Cameron, Hollande und Trump.»

Mechaniker der Macht


Offenbar sei die Personaldecke für die Spitzenämter selbst in alten Demokratien
sehr dünn, so Bierling. Der Professor für internationale Politik in Regensburg
nannte auch diverse Gründe dafür, zum Beispiel: Heutigen Politikern fehle die
spezielle Erfahrung, welche epochale Umbrüche und dramatische Kriegszeiten
einst geschaffen hatten. Oder: Die Art der Auswahl sorge dafür, dass jetzt
eher Mechaniker der Macht nach oben kämen – keine Staatslenker, die
strategisch zu denken gelernt haben.

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Und mitschuldig sind, natürlich, die Medien: Politiker seien heute
dauerüberwacht wie nie zuvor, womit viel verlorengehe. «Spontanität,
Formulierungslust, Ironie, Originalität werden zum Risiko, aus Angst sprechen
Politiker noch öfter in Phrasen als ohnehin schon.»

Ein beklemmender Befund – zumal Bierling mahnt, dass charismatische Politiker


jetzt nötiger wären denn je: «Allein sie können die schalen Rezepte der Populisten
entlarven, die verunsicherten Bürger vom Wert der Demokratie überzeugen und
den Westen im Kampf gegen seine Feinde zusammenhalten.»

Gute Informationen, schlechte Entscheide


Müssen wir also ganz bang in die Zukunft blicken? In diesem Blog suchen wir ja
eher Halt in der Vergangenheit, und dort findet sich tatsächlich ein
bedeutendes Werk zum Thema. Es stammt von Barbara Tuchman, einer der
berühmtesten Historikerinnen Amerikas, verstorben 1989: «Die Torheit der
Regierenden». Schon der Titel sagt allerhand.

Tuchman erkannte das Phänomen, dass die Staatslenker verblüffend oft Fehler


begehen, die geradezu bescheuert sind. Gemeint sind nicht etwa Fehler, die man
erst im schlaueren Rückblick erkennt. Nein: Die politische Geschichte der
Menschheit ist voll von Wahnwitz, den bereits die Zeitgenossen durchschauten.
Es gab klare, erkennbare Alternativen. Und die Fehler richteten sich direkt gegen
die Interessen der Regierenden und ihres Landes.

Barbara Tuchman schildert dies beispielsweise anhand der Renaissance-Päpste:


Sie waren nicht fähig, über die nächste Intrige, die nächste Orgie und den
nächsten Bankrott hinaus zu planen – weshalb es den Reformatoren um Luther,
Zwingli und Calvin leicht fiel, ihre Kirche zu erschüttern.

Weiter erwähnt Tuchman die Regierung in London, die nach 1770 auf


lächerlichen, völlig unbedeutenden Steuern für ihre Kolonien in Neuengland
beharrte: Grossbritannien verlor Amerika.

Und mit Wonne widmet sich die Historikerin dem Vietnamkrieg, wo die US-
Regierung eisern in eine Katastrophe stapfte, vor der Asienkenner, Strategen und
auch Militärs quasi per Dauerfeuer warnten. An der Spitze stand unter anderem
ein gewisser John F. Kennedy.

Idiotie ist zeitlos


Politiker fällen also selbst mit besten Informationen groteske Entscheide – immer
wieder. Die Staats-Idiotie ist nicht an eine Epoche, einen Ort oder eine
Regierungsform gebunden: «Sie ist zeitlos und universell», resümiert Tuchman.
Die Gründe können wir hier nur andeuten: Ein Punkt wäre die Angst, einen
Fehlentscheid zurückzunehmen. Ein anderer: Engstirnigkeit. Frustrierend ist
jedenfalls die generelle Lektion aus der «Torheit der Regierenden»: «In der
Regierungskunst, so scheint es, bleiben die Leistungen der Menschheit weit hinter
dem zurück, was sie auf fast allen anderen Gebieten vollbracht hat.»

Eine Einsicht, die selber historisch ist. Denn bereits 1813 schrieb John Adams, der
zweite Präsident der Vereinigten Staaten: «Während alle anderen Wissenschaften
vorangeschritten sind, tritt die Regierungskunst auf der Stelle; sie wird heute
kaum besser ausgeübt als vor drei- oder viertausend Jahren.»

Dies hiesse aber umgekehrt, dass die heutige Politikergeneration doch


nicht miserabler ist als ihre Vorgänger. Ihr Problem wäre eher, dass wir sie
kritischer sehen als gewisse Herren, von denen es nur noch Ölgemälde
oder Schwarzweissfotografien gibt.

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Politiker sind vermutlich wie die Jugend von heute – nämlich so missraten wie
niemals zuvor. Der Philosoph Sokrates musste das bekanntlich schon im 5.
Jahrhundert vor Christus feststellen.

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Ralph Pöhner studierte Geschichte und Wirtschaft in Zürich und


Madrid, war Assistent am Historischen Seminar der Uni Zürich und
schrieb unter anderem für «Facts», «Die Weltwoche» und «Die Zeit». Er
ist Mitgründer der Branchen-Medien Medinside und Finews.

Publiziert am 20.05.2017 Kategorie: Politik Stichworte: Fehler, Politologie,


Regierung

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