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Pakt der Schande: Das koloniale Sykes-Picot-

Abkommen als Wurzel des Nahost-Konflikts


16. Mai 2018 aikos2309

Am 16. Mai jährt sich der 1916 konzipierte Sykes-Picot-Pakt. Heute gilt das Abkommen als
Beispiel für zynische westliche Machtpolitik ohne Rücksicht auf Befindlichkeiten von
Völkern – und ist Quelle anhaltender Wut gegen den Westen im Nahen Osten.

Das Geheimabkommen, abgeschlossen zwischen dem britischen Diplomaten Sir Mark Sykes
und dessen französischem Konterpart François Georges-Picot, sollte in der Zeit seines
Entstehens die beiden Achsenmächte zusammenrücken lassen.

Dies war bedeutend, da sich die Lage an den Fronten des Ersten Weltkriegs nach Niederlagen
bei Gallipoli und in Mesopotamien sowie in Anbetracht einer deutsch-osmanischen Offensive
auf den Suezkanal für beide als ungünstig darstellte.

Für die bis dahin so mächtigen Kolonialmächte hätten weitere Rückschläge ungeahnte Folgen
zeitigen können. Deshalb wollte man sich auf eine verbindliche Nachkriegsordnung im Falle
eines Sieges einigen. Diese sollte zum einen beiden Mächten dauerhaften Einfluss in der
Region sichern, zum anderen die staatliche Ordnung des Osmanischen Reiches zerschlagen
und darüber hinaus einen zu großen Einfluss Russlands verhindern sollte, das entlang der
Kaukasusfront im Krieg gegen die Osmanen stand.

Osmanisches Reich sollte zerschlagen werden wie die Habsburgermonarchie

Unrealistisch war die Perspektive ja nicht: Das Osmanische Reich befand sich tatsächlich
bereits seit langer Zeit in einer Phase des Niedergangs. In Istanbul hatten die nationalistischen
Jungtürken die Macht an sich gerissen. Im Osten hatten Armenier den Aufstand und die
Abspaltung von Gebieten geprobt, was Istanbul mit einer Vertreibungsaktion beantwortete,
die hunderttausende Tote forderte.

Auf dem Balkan blühten Nationalismus und Separatismus auf. Gleichzeitig schwand die
Macht in den zahlreichen arabisch bevölkerten Territorien des Osmanischen Reiches und
konfessionelle Spannungen breiteten sich aus. Die aufeinanderprallenden tribalistischen
Stammesinteressen taten ihr Übriges. Letztere Entwicklung sollte dann im Zentrum des
Abkommens stehen.

Wie es der europäischen Kolonialistenlogik bereits damals immanent war, vertrauten ihre
Protagonisten einander auch wechselseitig nicht – selbst wenn es um Verbündete ging –, und
so dachte Sykes gleich auch noch Wege mit, um den Franzosen den Kuhhandel als deren
Interessen dienlich verkaufen zu können.

Frankreich sollte “Erbe der Kreuzritter” erlangen

Vor allem sollte die Aufteilung osmanischer Gebiete dem Empire Vorteile bringen: Südlich
der Trennlinie in der “roten Zone”, welche die Briten für sich beanspruchten, sollte ein Puffer
entstehen, um den Suezkanal zu schützen. Die für die Franzosen vorgesehene “blaue Zone”
sollte sich wiederum zwischen Russland, das damals noch britisch beherrschte Indien und die
Protektoratsgebiete in Ägypten und auf der Arabischen Halbinsel schieben.

Für Jerusalem wollte man eine internationale Verwaltung schaffen, Haifa sollte britisch
bleiben, auch das spätere Mandatsgebiet Palästina und der Norden des heutigen Irak rund um
Mossul sollten ebenfalls von London kontrolliert werden.

Frankreich sollte nicht zuletzt dadurch zufriedengestellt werden, dass es als vermeintliches
Land des “Erbes der Kreuzritter” Syrien, den Libanon und Hatay zugedacht bekäme – was im
Vergleich mehr war als seiner eigentlichen Bedeutung entsprochen hätte. Außerdem sollte
Paris im Gegenzug grünes Licht geben für einen Angriff auf das Osmanische Reich über die
Südflanke bei Iskenderun.

Dass Frankreich dies zuvor abgelehnt hatte, nahm den Achsenmächten die Möglichkeit eines
gleichzeitigen Angriffs von zwei Seiten und zwang sie dazu, als alleinigen Weg den Einfall in
Gallipoli zu unternehmen – mit den bekannten fatalen Folgen.

Mit dem Sykes-Picot-Abkommen war allerdings auch die Stunde des “Lawrence von
Arabien” gekommen, des in Kairo ansässigen Geheimagenten Thomas Lawrence, der namens
britischer Diplomaten Kontakt zum damaligen Herren der Heiligen Stätten des Islams
aufnehmen sollte, den Scherifen Hussein in Mekka.

Für arabische Stämme des Osmanischen Reiches wurde der Nationalismus zum Eigentor

Von Europa aus hatten nationalistische Vorstellungen innerhalb der unterschiedlichen


Volksgruppen bereits über Jahre hinweg Fuß fassen können. Die arabischen Stämme sollten
mit die Letzten sein, die davon ereilt werden sollten – aber es gelang, sie dafür zu begeistern
und sie widmeten sich diesem teils mit besonderer Inbrunst.

Neben dem Nationalismus appellierten die Engländer vor allem aber auch an die religiösen
Vorstellungen im arabischen Raum. Scherif Hussein sollte sich selbst zum spirituellen
Oberhaupt der Muslime stilisieren und den Dschihad gegen den Sultan in Konstantinopel
ausrufen, der als Verfälscher des Islam dargestellt werden sollte – während Hussein
vermeintlich den wahren Islam der Gefährten des Propheten wiederbeleben würde.

Dass der Scherif stattdessen eine Marionette des britischen Herrschaftsanspruchs darstellen
würde, fiel offenbar in den arabischen Stämmen kaum jemandem auf.

Auch weitere Verbündete wie Russland und Italien sollten nicht ohne “Belohnungen” aus
dem Sykes-Picot-Abkommen hervorgehen, Moskau sollte Konstantinopel regieren können
und damit der Orthodoxie ihre alte Hauptstadt zurückholen. Auch Italien sollte Teile des
osmanischen Territoriums erlangen.

Bolschewiki ließen britisch-französische Pläne auffliegen

Die Diplomaten hatten jedoch die Rechnung ohne die Große Sozialistische Oktoberrevolution
gemacht, die unter kräftiger Mithilfe Deutschlands 1917 in Russland die Karten neu mischen
sollte und nicht nur dazu führte, dass die russische Armee sich von der Kaukasusfront
zurückzog, sondern auch dazu, dass das Geheimpapier und sein Inhalt an die Öffentlichkeit
drangen.
Die Architekten des Abkommens sollten den Arabern ihre naive Begeisterung anschließend
auch auf ihre Weise danken: Statt eines einheitlichen arabischen Staates errichteten England
und Frankreich Monarchien, die in erster Linie vom Wohlwollen des Westens abhängig
waren. Syrien und der Libanon wurden durch französische Kolonialplanung geschaffen.

Dass die Staaten, die auf diese Weise geschaffen wurden, innenpolitisch schwach, uneinig, oft
einander wechselseitig spinnefeind, konfessionell gespalten und außenpolitisch unbedeutend
sein würden, war nicht nur ein aus Sicht der Westmächte angenehmer Nebeneffekt der
Zerschlagung des Osmanischen Reiches. Es erleichterte es ihnen auch, diese gegeneinander
auszuspielen und sich selbst lukrative Wirtschaftsdeals gegen die Gewährung von Schutz und
Rüstungsgütern zu sichern.
“Teile und herrsche” als grundlegende Strategie

Wie sich die Länder politisch entwickeln würden, war dabei bestenfalls zweitrangig. Das
Beispiel Saudi-Arabien zeigt deutlich, dass die westlichen Demokratien keine grundsätzlichen
Probleme mit fundamentalistischen Regierungen haben, die Extremismus exportieren und
deren Umfeld teilweise sogar offen Terrorismus unterstützt, solange diese den billigen Zugriff
auf die Rohstoffvorkommen zulassen und außenpolitisch niemandem in die Quere kommen,
dem sie nicht in die Quere kommen sollten.

Nur wenige Jahre, nachdem arabische Geheimgesellschaften mithilfe der Briten unermüdlich
den Nationalismus geschürt hatten und alle Register zogen, um das Osmanische Reich von
innen heraus zu unterminieren, mussten die arabischen politischen Führer erfahren, dass etwa
die Levante von Großbritannien gleich drei Parteien versprochen worden war: 1

915 in der Korrespondenz des britischen Diplomaten Henry McMahon mit dem Scherifen
Hussein den Arabern; 1916 den Franzosen, mit denen man sich die Reste des Osmanischen
Reiches aufteilen wollte; und am 2. November 1917 dem späteren Präsidenten der
Zionistischen Weltorganisation, Chaim Weizmann.

In einem von Mark Sykes vorbereiteten Brief versprach der britische Außenminister Balfour
diesem, dass auf dem Territorium eine “nationale Heimstätte für das jüdische Volk in
Palästina” eingerichtet werden solle. Diese sollte nach britischem Kalkül eine weitere
Pufferzone mit Blick auf den Suezkanal schaffen. Die Kurden wurden übrigens schon damals
außen vor gelassen.

Heute gilt das Sykes-Picot-Abkommen nicht nur als abschreckendes Beispiel für willkürliche
und zynische westliche Machtpolitik ohne Rücksicht auf Traditionen, Interessen und
Befindlichkeiten von Völkern.

Vor allem aber ist das Sykes-Picot-Abkommen bis heute die Quelle anhaltender Wut gegen
den Westen und der nicht nur in der islamischen Welt weit verbreiteten Überzeugung, dass
man westlichen Versprechen nie trauen könne.

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