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Manipulation, Suggestion
Wie man Menschen beeinflusst
ERZÄHLERIN:
Da will jemand nach der Arbeit noch schnell in den Supermarkt springen und einen
Liter Milch holen und ach, vielleicht noch… Vorsicht, warnt der Psychologe und
Hypnotherapeut Doktor Burkhard Peter:
ERZÄHLERIN:
Aber vergeblich. Mit was kommt der Kunde heim? Mit einem Baguette, einer Flasche
teurem Bordeaux-Wein und diversen Kleinigkeiten, inklusive Schokoriegel. Das ist
wahrlich keine Ausnahme, erklärt Florian Becker, Professor für Marketing- und
Wirtschaftspsychologie.
ERZÄHLERIN:
Dass Kunden manipuliert werden, weiß heute eigentlich jeder. Vor einem halben
Jahrhundert betrat der amerikanische Publizist Vance Packard noch Neuland, als er
sein Buch über „Die geheimen Verführer“ veröffentlichte.
Seine Enthüllungen über die psychologischen Tricks von Public Relations-Fachleuten,
Personalberatern und Verkäufern erregten auch in Deutschland großes Aufsehen.
ZITATOR:
Diese tiefenpsychologischen Manipulatoren sind im Begriff, mit ihrem Wirken unter der
Oberfläche des amerikanischen Lebens eine derartige Überzeugungsmacht zu
erlangen, dass die Öffentlichkeit gut daran täte, sich mit dieser Angelegenheit zu
befassen.
ERZÄHLERIN:
Damals kannten die Motivforscher in den Marketing- oder PR-Büros noch „ihren
Freud“. Gemäß der psychoanalytischen Triebtheorie spekulierten sie über die oralen
und sexuellen Bedürfnisse von Kunden oder Wählern, um diese gewinnbringend
umzulenken. Moderne Manipulatoren stützen sich lieber auf die Ergebnisse lern- und
emotionspsychologischer Experimente.
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ERZÄHLERIN:
Was den Kunden wie eine bewusste, individuelle Entscheidung vorkommt, ist nichts
als ein Reflex. Der Effekt, den der amerikanische Psychologe John A. Bargh 1996
entdeckte, nennt sich Priming. Was bedeutet: mittels eines Reizes lassen sich
Assoziationen „triggern“, die die Interpretation des nachfolgenden Reizes beeinflussen.
Das funktioniert ungefähr so:
ERZÄHLERIN:
Welche Farbe hat Schnee?
ZITATOR:
Weiß natürlich.
ERZÄHLERIN:
Welche Farbe hat die Wand hier?
ZITATOR:
Auch weiß.
ERZÄHLERIN:
Welche Farbe haben die Wolken da draußen am Himmel?
ZITATOR:
Weiß.
ERZÄHLERIN:
Was trinkt die Kuh?
ZITATOR:
Milch.
ERZÄHLERIN:
Falsch. Kühe trinken Wasser, keine Milch. Tja, wie gesagt:
ERZÄHLERIN:
Französische Hintergrundmusik erhöht den Absatz französischer Produkte. Ein leichter
Zitrusduft im Raum sorgt dafür, dass sich Menschen reinlicher verhalten. Und:
ERZÄHLERIN:
Man kann sich selbst natürlich auch auf Erfolg „primen“ oder die eigene
Gedächtnisleistung steigern, indem man den Lernstoff abends kurz durchliest, um ihn
am nächsten Morgen zu pauken. Dann handelt es sich allerdings nicht mehr um eine
(in Anführungszeichen) „böse“ Manipulation, sondern um Selbstbeeinflussung, um
Auto-Suggestion. Nicht die Methode an sich, sondern die Art der Anwendung ist aus
moralischer Sicht problematisch.
ERZÄHLERIN:
Für den Wirtschaftspsychologen Florian Becker definieren vier Kriterien eine
Manipulation im engeren Sinn.
ERZÄHLERIN:
Wer manipuliert wird, handelt fremd-, nicht selbstbestimmt. Je unsicherer und
ängstlicher Menschen sind, desto leichter lassen sie sich zu etwas überreden oder gar
zu Marionetten machen. Ohne das passende Gegenüber tut sich ein Manipulator
allerdings schwer, sagt der Hypnotherapeut Burkhard Peter.
ERZÄHLERIN:
Da ziehen sich Augenbrauen bedenklich zusammen. Hier zucken Mundwinkel
verächtlich. Neben der Sprache verfügt der Mensch über ein großes Spektrum
mimischer Ausdrücke und Gesten, die beim Gegenüber nicht ohne Wirkung bleiben.
Wir bemühen uns, uns jemanden mit einem vielleicht sogar falschen Lächeln gewogen
zu machen, bevor wir ihm etwas Unangenehmes mitteilen. Wir schmeicheln uns ein
und versuchen, mit „allen“ Mitteln zu überzeugen.
ERZÄHLERIN:
In hierarchischen Verhältnissen stellen Beeinflussungen eine ernste, gern übersehene
Gefahr dar. Eltern, die ihre Kinder mit Liebesentzug erpressen. Ein Chef, der seine
Mitarbeiter gegeneinander ausspielt. Anders als offene Gewalt wirkt Suggestion subtil
und schleichend. Wie soll man sich dagegen wehren?
Nun, Burkhard Peter:
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ERZÄHLERIN:
Wenn das so einfach wäre.
Übrigens: Sätze, Wörter oder andere Sinnesreize prägen sich umso besser ein, je öfter
sie wiederholt werden. Das weiß jeder Schüler, der Vokabeln pauken muss.
ERZÄHLERIN:
So fühlt sich Wärme, so Kälte und so Geborgenheit an. Kinder lernen durch Erfahrung.
Der Wiederholungseffekt lässt sich natürlich auch manipulativ nutzen, indem man
etwa Straßenzüge mit Wahlplakaten pflastert, die immer dasselbe Gesicht eines
einzigen Kandidaten zeigen: Sympathien entwickeln sich nämlich nach der Häufigkeit
des Kontakts.
ERZÄHLERIN:
Manche Produkte kaufen die Leute wie verrückt, weil sie die Marke angeblich „lieben“.
Pawlows Hund hatte das Läuten einer Glocke so eng mit dem danach gereichten Futter
verknüpft, dass ihm schon beim Klingelgeräusch der Speichel lief. Um im Menschen
ein entsprechendes Reiz-Reaktions-Schema zu verankern, muss man nur Werbefilme
zeigen, die einer bestimmten Dramaturgie folgen.
ERZÄHLERIN:
Die Werbung suggeriert: Wenn du mich besitzt, wird nichts mehr wie vorher sein. Es
ist zwar nur ein Getränk, ein Auto oder ein Gerät. Aber mit Sigmund Freud könnte
man auch von „libidinös besetzten Objekten“ oder Fetischen sprechen.
ERZÄHLERIN:
Erklärt der Wirtschaftspsychologe Florian Becker.
Auch Placebos, also Medikamente ohne Arzneistoffe, arbeiten mit den Mitteln der
klassischen Konditionierung. Der Hypnotherapeut Burkhard Peter bezieht sich
allerdings lieber auf das englische Verb „to suggest“ - was „jemandem etwas
empfehlen oder nahe legen“ heißt und nicht unbedingt „etwas einflüstern“ meint. So
betrachtet kommt die (übrigens wissenschaftlich erwiesene) Wirkweise von Placebos
einem Vorschlag gleich, den der Patient annimmt:
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ERZÄHLERIN:
Der Glaube an das Mittel, verstärkt durch die Instanz des Arztes, kann Berge
versetzen. Große Furcht vor Nebenwirkungen führt dagegen zu einem Nocebo-Effekt:
die Symptome verschlechtern sich oder neue treten auf. Der Mensch als Spielball
unbewusster Kräfte.
ERZÄHLERIN:
Die Vordenker der Aufklärung riefen dazu auf, sich aus Abhängigkeiten zu befreien
und sich der Willkür und dem Gottesgnadentum absolutistischer Herrscher zu
widersetzen. Der Menschen Unmündigkeit sei zum großen Teil selbst verschuldet,
meinte der Philosoph Immanuel Kant im Jahr 1784, kurz vor der französischen
Revolution:
ZITATOR:
Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen gerne
Zeitlebens unmündig bleibt; und warum es Anderen so leicht wird, sich zu deren
Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein.
ERZÄHLERIN:
Kant rief dazu auf, den eigenen Verstand zu benutzen. Der menschliche Verstand
besitzt in der Tat Mittel, um Täuschungen zu durchschauen und Einflüsterungen Stand
halten zu können. Im Gehirn gibt es eine eigene Zone, die für die Abwehr von
Manipulationsversuchen prädestiniert ist.
ERZÄHLERIN:
Wenn Suggestionen wirken sollen, muss also der präfrontale Cortex umgegangen
werden. Indem man etwa die Aufmerksamkeit ablenkt.
ERZÄHLERIN:
Im Alltag allerdings muss gar nicht so viel Aufwand betrieben werden. Denn bewusste
Aufmerksamkeit ist eine äußerst knapp bemessene menschliche Ressource. Anders
könnte das Hirn das blitzschnelle, ständige Hin und Her von Sinneseindrücken und
physiologischen Reaktionen nicht ertragen. Zahlreiche Automatismen, angeborene wie
erlernte, bestimmen unser Leben; selbst wenn wir glauben, aus freien Stücken zu
handeln und uns am Ende eines Einkaufs vermeintlich dafür „entscheiden“, noch eine
kleine Süßigkeit in den Korb zu legen.
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ERZÄHLERIN:
Und zwar ein Muster, das nicht unbedingt durch Werbung eingeprägt wurde, sondern
vielleicht durch frühkindliche Erfahrungen, weil Bezugspersonen Essen als Trost
verabreicht haben oder Kinder aus Einsamkeit zu futtern begannen.
ZITATOR:
Der Anteil des Unbewussten an unseren Handlungen ist ungeheuer und der Anteil der
Vernunft sehr klein.
ERZÄHLERIN:
Der Arzt Gustave Le Bon warnte schon 1896 in seinem Buch „Psychologie der
Massen“ eindringlich vor der Verführbarkeit der Menschen. Seine Erkenntnisse über
den stark beeinflussbaren unbewussten psychischen Apparat inspirierten nicht nur den
Seelenkundler Sigmund Freud, sondern auch den Volksverhetzer Adolf Hitler.
ZITATOR:
Beim Studium der Einbildungskraft der Massen fanden wir, dass sie namentlich durch
Bilder erregt wird. Diese Bilder stehen einem nicht immer zur Verfügung, aber man
kann sie durch geschickte Anwendung von Worten und Redewendungen hervorrufen.
So z.B. (durch) die Ausdrücke Demokratie, Sozialismus, Gleichheit oder Freiheit, deren
Sinn so unbestimmt ist, dass dicke Bände nicht ausreichen, ihn festzustellen. Und
doch knüpft sich eine wahrhaft magische Macht an ihre kurzen Silben, als ob sie die
Lösung aller Fragen enthielten. In ihnen ist die Zusammenfassung der verschiedenen
unbewussten Erwartungen und der Hoffnung auf ihre Verwirklichung lebendig.
ERZÄHLERIN:
Wie der Einzelne in der Masse allzu bereitwillig Verstand und kritisches Bewusstsein
aufgibt, um sich stattdessen von allgemeinen Gefühlen überwältigen zu lassen, lässt
sich bei jedem public viewing oder auch bei jedem shit storm im Internet beobachten.
ERZÄHLERIN:
Man überlässt das Studium der „Volksseele“ heute mehr oder weniger stillschweigend
Marketingpsychologen und populistischen Manipulatoren. Was in den Augen Florian
Beckers damit zusammenhängt, dass ein falsches, weil rationales Menschenbild
vorherrscht.
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ERZÄHLERIN:
Vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Beginn der Nazizeit boomten
Suggestionsphänomene wie Mesmerismus, Magnetismus oder Hypnotismus. In
akademischen Schulen wie der von Nancy erforschten Neurologen und Psychiater die
Hintergründe:
ERZÄHLERIN:
Was aber nicht bedeutet, dass ein Volk, das zu Massenverbrechen angestiftet wurde,
sich der Verantwortung entziehen kann, indem es auf den charismatischen Charakter
des Führers verweist. Freilich gibt es hochsuggestible Personen, die sich unter
Hypnose bei Bühnenshows zum Affen machen lassen. Vor einigen Jahren erregten
amerikanische Therapeuten Aufsehen, die ihren Patientinnen angeblich falsche
Erinnerungen an sexuellen Missbrauch suggerierten. Seriöse Hypnotherapeuten wie
Burkhard Peter versetzen niemanden in Trance, ohne sich Schritt für Schritt dessen
Zustimmung zu vergewissern.
ERZÄHLERIN:
Nämlich vergessene Ereignisse wieder wach zu rufen oder sich an bestimmte Gefühle
zu erinnern. Trance reduziert das Bedürfnis, die Situation wie gewohnt zu
kontrollieren. Sie eröffnet dem Patienten neue Erfahrungsräume.
So können alte Muster durchbrochen werden, indem man etwa die schnelle
automatische Befriedigung von Bedürfnissen aufzuschieben und sich zu fragen lernt:
ERZÄHLERIN:
…gibt der Marketingpsychologe Florian Becker zu.
Aber professionelle Manipulatoren sind auf alle Einwände und Eventualitäten
vorbereitet:
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ERZÄHLERIN:
Allgemeine Aufklärung über die ungeheuren Wirkkräfte des Unbewussten scheint
dringend geboten. Sonst bleiben Manipulatoren und Beeinflussern jeder Couleur Tür
und Tor geöffnet.
Als kleine Gegen- oder Vorsichtsmaßnahme im privaten wie im öffentlichen Leben mag
Burkhard Peters Maxime dienen:
stopp