Katja Ohngemach
Senkungszustände
Die weiblichen Genitalorgane (Vagina, Uterus, Ovarien, Tuben) und zum Teil Blase und
Enddarm sind mittels bindegewebiger Bandstrukturen im kleine Becken verankert. Diese
Befestigung darf aber nicht zu starr sein, eine zwanglose Beweglichkeit der Organe innerhalb
gewisser Grenzen muss noch möglich sein. Andererseits darf diese Befestigung aber auch
nicht zu schlaff sein, da sonst eine Verschiebung, besonders in vertikaler Richtung (also
nach unten) begünstigt würde.
Neben den Bandstrukturen kommt den muskulären Anteilen des Beckenbodens eine
wesentliche Bedeutung für die Gewährleistung normaler Lageverhältnisse (Topographie)
und normaler Belastbarkeit zu. Im Normalfall garantiert der großflächige M. levator ani
einen sicheren Abschluss des Beckenraumes nach unten, die zwischen seinen Schenkeln noch
klaffende Lücke wird durch das zum Teil muskuläre, zum Teil aus Bandstrukturen bestehende
Diaphragma urogenitale verschlossen, es bleiben nur drei kleine Lücken übrig:
für Urethra, Vagina und Rectum.
Vereinfachter Blick „von oben" auf die Bandstrukturen im kleinen Becken, die für die
Position des Uterus verantwortlich sind.
Normaler Blasenverschluss
Die Blase und ihre Verschlusseinrichtungen sind in vielfältiger Weise von gynäkologischen
Erkrankungen betroffen. Die Zusammenhänge sind einerseits von der Topographie,
andererseits von der Konstruktion der Verschlussmechanismen her verständlich.
Am Verschlusseffekt an der Urethra sind glatte Muskelfasern, die vom N. sypathicus versorgt
werden, quergestreifte, vom N. pudendus innervierte Muskelfasern und venöse Schwellkörper
beteiligt. Wie schon beschrieben, wird dieses gesamte System von Bindegewebsfasern an Ort
und Stelle (in situ) gehalten. In so einem komplexen System sind vielfältige Störungen
möglich, da jeder Bereich betroffen sein kann (organische Störungen, nervöse Störungen,
topographische Störungen...). Von der Seite betrachtet, bilden Harnblasenboden und
Harnröhre an der Hinterseite einen Winkel von 100-120°, welcher auch für den Verschluss
bedeutsam zu sein scheint. Dies erklärt, warum häufig bei einer vertikalen Senkung auch eine
Inkontinenz auftritt.
Die Gravidität wirkt sich einerseits durch die hormonal bedingte Auflockerung von
Gelenkverbindungen und sonstigen bindegewebigen Strukturen, andererseits durch die
körperliche Überlastung und die Dehnungsvorgänge ungünstig aus. Schließlich können auch
geburtstraumatische Veränderungen des Beckenbodens lang anhaltende Folgen haben.
Vereinfacht ist eine Senkung Ausdruck eines Missverhältnisses zwischen Belastung und
Belastbarkeit.
Hieraus ergeben sich von selbst die Ansatzpunkte für eine Prophylaxe: Vermeidung von
Übergewicht, Überlastung, Durchführung von krankengymnastischen Übungen und Schonung
im Wochenbett, Vermeidung von z.B. Obstipation.
Symptomatik: Zum Teil treten eher uncharakteristische Beschwerden wie diffuse Kreuz-
und Rückenschmerzen oder gürtelförmige Schmerzen im mittleren Unterbauch mit
Druckgefühl nach unten auf, zum Teil sind die Beschwerden aber auch charakteristisch, je
nach betroffenen Organen. Typisch sind im Blasenbereich: Druckgefühl, Harndrang,
Harninkontinenz, Ischuria paradoxa (Überlaufinkontinenz), Neigung zu Zystitiden /
Pyelitiden. Typisch sind im Rektumbereich: Erschwerung der Entleerung des Enddarms,
Schmerzen beim Stuhlgang, Begünstigung von Hämorrhoidenbildung und Blutungen.
Funktionelle Harninkontinenz
Ist die Senkung behoben und besteht trotzdem noch eine Belastungsinkontinenz, so kommt
zur Unterstützung des Urethraverschlussdrucks eine weitere Operation in Frage, die Urethra-
Schlingen-Suspensionsoperation. Hierbei wird zur Stützung der Harnröhre ein netzartiges
Band hinter die Harnröhre gelegt, damit diese bei Belastung nicht mehr ausweichen kann,
sondern wieder abgedrückt und somit der Verschlussdruck erhöht wird. Die bekanntesten
Verfahren sind hierbei das TVT (tension-free vaginal tape — spannungsfreies Vaginalband),
das hinter dem Symphysenknochen ausgefädelt wird, oder das MONARC-Band, welches
beidseits jeweils durch das foramen obturatorium ausgestochen wird.
Urge- oder Dranginkontinenz: Der Urinabgang ist hierbei nicht eine Folge einer
Verschlussschwäche, sondern Ausdruck einer kurzen unwillkürlichen und nicht
unterdrückbaren Kontraktion des Detrusormuskels der Blase bei verminderten
Hemmungsimpulsen, also aktiver Natur und blasenbedingt (motorische Form) oder Folge
der Auswirkung vermehrter sensibler Entleerungsimpulse (sensorische Form).
Charakteristisch ist eine reduzierte Blasenkapazität, ein verfrüht vermitteltes Füllungsgefühl
(Drang / urge) und, bei der motorischen Form, messbare Aktivität des Detrusormuskels. Bei
dieser Inkontinenzform korrespondiert (also treten gleichzeitig auf) der unwillkürliche
Harnabgang mit einem imperativen (nicht unterdrückbaren) Harndrang. Im Gegensatz
zur Belastungsinkontinenz tritt der Urinabgang üblicherweise unabhängig von Belastungen
auf. In Ausnahmefällen kann es aber sein, dass eine Belastung oder auch nur
Erschütterung der Blase eine Muskelkontraktion auslöst, die ihrerseits zum Urinabgang
führt. Anders als bei der Belastungsinkontinenz ist der Harnabgang aber nicht synchron
(=zeitgleich) mit der Belastung, sondern mit messbarer Verzögerung.
Naturgemäss kommen auch Kombinationsformen von Belastungs- und Dranginkontinenz
vor und natürlich führen die Drangimpulse um so eher zum unwillkürlichen Urinabgang,
je geringer der Harnröhrenverschlussdruck ist, je schlechter also die Verschlussfunktion ist.
Diagnostik: Anamnestisch typisch ist der imperative Harndrang unmittelbar vor dem
unwillkürlichen Abgang kleinerer Mengen von Urin. Bei der sekundären symptomatischen
Urgeinkontinenz werden, je nach Grundkrankheit, zumeist auch Pollakisurie (häufiger
Harndrang mit jeweils nur geringer Harnmenge) und Nykturie (nächtlicher Harndrang).
Nachweisen lassen sich die autonomen Detrusorkontraktionen in der so genannten
Zystotonometrie oder Urodynamik (Messung des Blaseninnendruckes bei zunehmender
Füllung und Provokation / Husten oder Pressen).
Reflexinkontinenz: Hier sind die Verschlussmechanismen intakt. Als Folge einer Störung der
Nervenleitung von der Blase zum Gehirn, z.B. bei Querschnittslähmung, kommt aber das
Signal, dass die Blase voll ist, im Gehirn nicht an und die Blase leert sich reflektorisch-
selbsttätig.
Extraurethrale Inkontinenz
Harnwegsfisteln: Bei diesen Fisteln besteht fast immer eine Harninkontinenz HP, also eine
absolute Inkontinenz. Geht der gesamte Urin unwillkürlich ab, handelt es sich meist um eine
grössere Blasen-Scheiden-Fistel. Muss trotz des ständigen Urinabganges die Blase noch
„normal" entleert werden, handelt es sich entweder um eine kleinere Blasen-Scheiden-Fistel
oder, häufiger, um eine Ureter-Scheiden-Fistel (ständiger Harnabgang von der geschädigten,
Blasenfüllung von der gesunden Seite). Harnwegsfisteln sind meist erworben (schwere
Geburten, Voroperationen, Strahlenfolgen etc.). Im Hinblick auf die Gefährdung der Nieren
durch aufsteigende Infektionen sollten Fisteln so bald wie möglich operativ saniert werden.
Ständiger Urinabgang bei Missbildungen: Da dieser meist schon in der Kindheit / Jugend
operiert wird, wird der Gynäkologe nur ausnahmsweise mit derartigen Fällen konfrontiert.
Zusammenfassung Diagnostik
Die Diagnostik ist, wenn man unnötige oder gar sinnlose Operationen vermeiden will, relativ
aufwendig und umfasst Anamnese, gynäkologische Untersuchung ohne / mit Pressen,
Urinuntersuchung, Restharnprüfung, Blasenspiegelung / Zystoskopie, urodynamische
Messung / Urethrozystotonometrie und andere Spezialmethoden, neurologischer Status,
Fisteldiagnostik.
Ziel der diagnostischen Untersuchungen muss die klare Erkennung der eigentlichen
Hauptursache der Harninkontinenz sein, da nur eine kausale (= ursächliche) Therapie zum
Ziel führt.
Die Entleerung der Blase kann entweder durch eine Abflussbehinderung am Übergang von
der Blase zur Harnröhre oder im Bereich der Harnröhre, die mechanisch oder funktionell
bedingt sein kann, oder durch mangelhafte Austreibungskräfte gestört sein.
Mechanische Störungen: Durch Tumore, nach Operationen durch z.B. Narbengewebe, durch
Schwellungen, bei Lageveränderungen (Quetschhahnmechanismus, der Abflusshahn Urethra
wird abgequetscht wie beim Stehen auf einem Gartenschlauch) oder auch bei Verlegung
durch einen Blasenstein kann der Abfluss behindert sein. Die Therapie besteht in
Wiederherstellung der normalen Abflussverhältnisse oder Schaffung eines anderen
Abflussweges.
Funktionelle Störungen: Hier wirken sich zwei verschiedene Mechanismen aus. Entweder
funktioniert die Koordination von Detrusormuskel und Verschlussmechanismen nicht oder
der Detrusormuskel kontrahiert zu schwach, was primär der Fall sein kann oder auch
sekundär, z.B. nach lang andauernder Stenose im Urethrabereich.
Folgeerscheinungen: Beim akuten Harnverhalt kommt es, bei rechtzeitiger Therapie der
auslösenden Ursachen, fast nie zu dauerhaften Folgeerscheinungen. Falls doch, sollte notfalls
der Dauerkatheterismus durchgeführt werden.
Stuhlinkontinenz
Der Begriff Stuhlinkontinenz bezeichnet den Verlust der Fähigkeit, Darmgase und / oder
Stuhl zu kontrollieren. Die Schwere der Erkrankung reicht von leichten Problemen bei
Blähungen bis hin zu einer schweren Halteschwäche für flüssigen oder geformten Stuhl.
Grad 1: Leichte Form: Unkontrollierter Abgang von Winden, leichte Verschmutzung der
Wäsche. Grad 2: Mittlere Form: Unkontrollierter Abgang von dünnflüssigem Stuhl,
unkontrollierter Abgang von Winden, gelegentlicher unkontrollierter Stuhlabgang. Grad 3:
Schwere Form: Stuhl und Winde gehen vollständig unkontrolliert ab. Der richtige Ansprech-
partner bei diesen Problemen ist der Proktologe bzw. Koloproktologe.
Für eine Stuhlinkontinenz können viele Faktoren auslösend sein. Nicht selten sind
kombinierte Ursachen verantwortlich. Eine der häufigsten Ursachen sind Verletzungen
während des Geburtsaktes. Neben einer Durchtrennung des Schließmuskels (Dammriss III°
oder IV0) können auch Nerven verletzt werden, welche den Schließmuskel dann nicht mehr
versorgen. Das altersbedingte Nachlassen der Kraft des Schließmuskels ist häufig
auslösend für eine Stuhlinkontinenz. Afternahe Operationen, Infektionen und
vielfältige Darmerkrankungen im Afterbereich, sind neben neurologischen Störungen und
Erkrankungen am Entstehen einer Stuhlinkontinenz beteiligt, ebenso wie
Beckenbodenschwäche oder Senkungszustände.