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Bawabet Yafa
Jaffa Gate
Sandra Schäfer
2017, 4-Kanal-Videoinstallation, Farbe, 27 Minuten, Arabisch, Eng- Das schiitisch dominierte Viertel Haret Hreik in Beirut beherbergt
lisch. Produktion Sandra Schäfer, Ekaterina Degot. Produktionsfir- nach außen unsichtbar das Hauptquartier der Hisbollah-Partei.
men mazefilm (Berlin, Deutschland), Akademie der Künste der Welt 2006 bombardierte die israelische Armee das Viertel, die Hisbollah
(Köln, Deutschland), Urban Subjects (Wien, Österreich). Kamera baute es in der Folge rasch wieder auf. Dieses Wiederaufbauprojekt
Sandra Schäfer. Ton Sandra Boutros. Sound Design Martin Ehlers- ist Teil eines kriegerischen Konflikts und geopolitischen Gefüges,
Falkenberg. Schnitt Sandra Schäfer. Production Manager Caroline in dem Architektur an der Herstellung von Raum, Landschaft und
Kirberg. Mit Ibtissam Malak, Hassan el-Jeshi, Rahif Fayad. Erinnerung beteiligt ist.
Die Videoinstallation zeigt Büros, in denen der Wiederaufbau ge-
Kontakt: http://www.mazefilm.de/ plant und entworfen wurde, eine der wiederaufgebauten Woh-
nungen selbst sowie eine Mehrzweckhalle, in der regelmäßig die
Sympathisanten der Hisbollah zusammenkommen, um Videoanspra-
chen des Parteiführers Hassan Nasrallah beizuwohnen.
Was bedeutet es, wenn Neubauten sich ohne Risse und Brüche in
die bestehende städtische Struktur und in individuelle Erinnerun-
gen einfügen sollen? Wie wird die Interpretation des Widerstands
durch die Hisbollah zum beherrschenden Projekt, das sich räum-
lich manifestiert? Was bedeutet das Bauen, das keinen Platz für
Ruinen und Gedenken lässt, weil es in einer Logik kurzer Intervalle
von Kriegslosigkeit denkt?
Filme
1996: Doch bin ich wirklich (Videoinstallation, 38 Min.). 1997: Eng-
land–Deutschland (Videoinstallation, 171 Min.). 1998: Mensch, Tan-
ja! (Videoinstallation, 30 Min.). 1999: Kontaktfreudig, offen und
gewandt im Umgang (Videoinstallation, 7 Min.). 2000: Die unsicht-
bare Dienstleistung (Videoinstallation, 4 Min.). 2001: A Country’s
New Dawn (5 Min.). 2004: The Making of a Demonstration (10 Min.).
2006: Traversée de la Mangrove (38 Min.). 2007: Passing the Rain-
bow (71 Min.). 2008: To Act in History (Videoinstallation, 21 Min.).
2011: On the Set of 1978ff (Videoinstallation, 58 Min.). 2013: Notes
on Pasolini’s Form of a City. Sana’a, Sabaudia, Rome (Videoinstal-
lation, 25 Min.). 2014: Başakşehir: An Urban Model (Videoinstalla-
tion). 2016: Mleeta (Videoinstallation, 12 Min., Forum Expanded
2016). 2017: Constructed Futures: Haret Hreik.
Filme
2011: Not Yet Anywhere (Soundinstallation), Fragments of a Suspended
Practice (Installation). 2013: I Swear I Saw This (Videoinstallation,
loop), A Roomful of Lost Memory (Installation), The answer is that
we all depend heavily on wires, but we hardly ever think about them.
(Videoinstallation). 2016: Hawamesh Aan Al-Hegra / Footnotes
on Migration.
Oliver Husain
2016, 3D, Farbe, 18 Minuten, Englisch. Produktion Oliver Husain. Die Isla Santa Maria ist – wenn man dem Mythos Glauben schenkt –
Produktionsfirma Oliver Husain (Toronto, Kanada). In Auftrag eine Insel, die aus dem Wrack des Nachbaus eines der Schiffe
gegeben von Images Festival and Gallery TPW, Toronto. Regie, Christopher Columbus‘ entstand, der für die World’s Columbian
Buch Oliver Husain. Kamera Iris Ng. Production Design Oliver Exposition 1893 in Chicago angefertigt wurde. Ausgehend von
Husain. Kostüm Stuart Farndell. Maske Buzz Buzz. Ton Michelle diesem Mythos verknüpft Isla Santa Maria 3D zwei historische
Irving. Musik Michelle Irving. Sound Design Michelle Irving. Ereignisse, die die Art, wie wir die Welt sehen, neu ordneten:
Schnitt Oliver Husain. Mit Liz Peterson (Dr. Hologramm), Naishi Columbus‘ brutales koloniales Vermächtnis und die Entwicklung
Wang (Konquistador). perspektivischer Zeichnung und stereoskopischer Bilder. Die Fi-
guren, die den Film bevölkern – ein tanzender Konquistador, ein
Kontakt: oliver@husain.de als schwebendes Hologramm erscheinendes Orakel, eine Grup-
pe Repräsentant*innen eines fremden Planeten und eine Grup-
pe viktorianischer Müßiggänger*innen am Strand – sind aus der
Zeit gerissen, hinein in eine non-lineare Erzählung, in der sich
Geschichte, Wahrheit und Fantasie zu einer Neuerfindung der Zu-
kunft vermengen.
Der Film ist eine Geschichte von Bewegungs- und Projektionstech- Husain bemerkt, dass 3D-Film sowie die ihm vorangegangenen Ste-
nologien. Zentraler Punkt ist die Reproduktion der Santa Maria, des reoskope einen einzigen idealen Standpunkt haben, von dem alle
Flaggschiffs von Columbus‘ erster Atlantiküberquerung. Columbus’ anderen divergieren und den er als König*innen-Standpunkt be-
Santa Maria strandete am Weihnachtstag 1492 vor Haitis Küste auf zeichnet. Wie wir aus der Kunstgeschichte wissen, korrespondiert
einer Sandbank und sank am Tag darauf. 400 Jahre später, 1893, der Aufstieg der Tradition der fixen Betrachterperspektive in der
wurde für die Weltausstellung von Chicago eine Nachbildung der europäischen Kunst mit einem schnell wachsenden Wunsch, neu
Santa Maria erstellt. Diese sank zwar nicht, wurde aber nach der erobertes Land zu „sehen“ – denn die Ansicht war privilegierter
Weltausstellung jahrelang im Chicago-Becken der Verrottung preis- modus operandi von Inbesitznahme und Eigentümerschaft. Nach
gegeben. In der Eingangsszene des Films bewegt sich ein Konquis- der fixen Betrachterperspektive gestaltete Abbildungen situieren
tador langsam am Ufer eines Gewässers, die Choreographie an der den*die Beobachter*in/Zuschauer*in außerhalb des Bildes und
Bewegung eines Teleskops orientiert. Weiße Stangen in den Hän- betonen die Objektivität und Realität des Abgebildeten. Später
den der tanzenden Gestalt orientieren sich ständig neu, um sowohl stellte sich die Fotografie in den Dienst dieses Bildes der Reali-
den Körper des Konquistadors wie die ihn umgebende Geographie tät, setzt die fixe Betrachterperspektive fort und wiederholt die
im Raum festzulegen. Diese sich bewegende Geometrie markiert Vorstellung für ein zentrales, rationales Subjekt, dem diese Bilder
auch das Verhältnis zwischen Leinwand und Zuschauer*in, ein Um- dargeboten werden.
stand, der ansonsten nicht immer sichtbar wird. Später im Film er-
scheint unser Konquistador wieder, nun mit Kreisen, die Leonardos In seinem epischen Roman Gegen den Tag (eine von Husains vielen
Vermessung des Menschen in Erinnerung rufen. Die Vielzahl der Quellen) beschreibt Thomas Pynchon eine fantastische Landkar-
Kreise wiederholt die Form eines Teleskops, der*die Zuschauer*in te folgendermaßen:
an der Spitze, der Tänzer am Steuer (die Schiffsmetaphern sind „Das Problem liegt in der Projektion. Der Urheber des Itinerars
zahlreich). Der narrative Höhepunkt erfolgt in Form einer von einer [der Karte] hat sich die Erde nicht nur als dreidimensionale Kugel,
gewissen Dr. Hologramm (das projizierte Bild einer Frau in viktoria- sondern, darüber hinausgehend, als imaginäre Fläche vorgestellt,
nischen Gewändern) gehaltenen Rede vor einer Gruppe von wild und die optischen Vorrichtungen für deren irgendwann erfolgen-
kostümierten „Repräsentant*innen“. Die Szene wurde im Keller der de Projektion auf die zweidimensionale Seite erwiesen sich in der
Art Gallery of Ontario gedreht, inmitten der Thompson-Sammlung Tat als sehr vertrackt.“
von Schiffsmodellen, welche, neben anderen berühmten Schiffen,
einige Modelle enthält, die von Gefangenen des Napoleonischen Die von Pynchon angeführte Äquivalenz zwischen der bekannten
Kriegs gemacht wurden. Zwischen diesen aufgeladenen Miniaturen Dreidimensionalität unserer Erde und der einer imaginären Fläche
Filme (Auswahl)
1999: Ron & Leo (13 Min.). 2002: Q (16 Min.). 2005: Swivel (15 Min.),
Shrivel (8 Min.), Squiggle (22 Min.). 2007: Rushes for Five Hats (13
Min.). 2008: Mount Shasta (8 Min.). 2009: Purfled Promises (8 Min.).
2012: Item Number (15 Min.). 2013: Parade (11 Min.). 2016: Isla
Santa Maria 3D.
Pana Ha’Geshem
The Rain is Gone
Noam Enbar
2016, 1-Kanal-Videoinstallation, Farbe, 17 Minuten, Hebräisch. Holot ist ein Internierungslager in der israelischen Wüste nahe der
Produktion Avi Mograbi, Serge Lalou. Produktionsfirma Les Films ägyptischen Grenze. Dorthin werden Asylsuchende aus Eritrea und
d’Ici (Paris, Frankreich). Kamera Philippe Bellaiche. Ton Tully Chen. dem Sudan gebracht, die nicht in ihre Heimatländer abgeschoben
Musik Noam Enbar. Schnitt Noam Enbar. Mit Awet Asheber, Dawit werden können, denen die israelische Politik aber jegliche Perspek-
Tsegai, Nouraldin Musa, Liat Boltsman, Liat Shabtai, Goytom Brahne, tive in Israel verwehrt. Theaterregisseur Chen Alon und Filmema-
Yonatan Yohanns Estifanos, Ybrah Menan, Liat Shabtai, Shaharit cher Avi Mograbi beschließen, mit diesen in prekärsten Umständen
Yerushalmi. lebenden Menschen einen Theaterworkshop zu initiieren.
Noam Enbar entwickelte die strukturiert-improvisierte Komposi-
tion Pana Ha‘Geshem, die unter Mitwirkung der Teilnehmer*innen
Noam Enbar, geboren 1978 in Tel-Aviv, Israel, ist ein Sänger, Kom- performt wurde. Die Komposition basiert auf einem berühmten,
ponist und Performer. Er komponiert Musik für Filme, Theater und mit der Kibbuzbewegung assoziierten, israelischen Bauernlied,
Tanzstücke. Die großformatige Audio-Video-Performance The De- das in einen expressiven polyphonen Gesang umgewandelt wurde.
tails, eine Kollaboration mit Avi Mograbi, war erstmals als Teil des Die 1-Kanal-Videoinstallation entstand im Zusammenhang mit dem
Berlinale Forum Expanded 2012 zu sehen. 2015 gründete er sein Dokumentarfilm Between Fences (2016) von Avi Mograbi und Chen
eigenes Ensemble, The Great Gehenna Choir, das seine Komposi- Alon, der 2016 im Berlinale Forum präsentiert wurde.
tionen spielt. Seit 2012 unterrichtet er Komposition und Chor an
der Musrara School of Art, Jerusalem.
Filme
2016: Pana Ha’Geshem / The Rain is Gone.
Kontakt: http://www.lesfilmsdici.fr
Joe Namy Die Installation basiert auf zwei Texten, in denen der Vorgang
des Übersetzens von Krieg und Widerstand diskutiert wird. Sie
2017, 1-Kanal-Videoinstallation, Farbe, 15 Minuten, Englisch, eröffnet den Zuschauer*innen übermittelt durch Zeugenberich-
Arabisch. te einen immersiven Erfahrungs- und Reflexionsraum zur Durch-
dringung der Komplexität des Krieges in Syrien und im Irak. Das
Kontakt: http://www.olivetones.com Bild zeigt nur eine Farbe: Purpur, projiziert auf eine reflektierende
Leinwand, so dass die Spiegelung des Publikums mit dem unterti-
telten Text verschmilzt.
Lina Mounzers Aufsatz War in Translation: Giving Voice to the Wo-
men of Syria verwebt die Zeugenaussagen, die sie übersetzt, mit
ihren eigenen Erfahrungen aus dem Bürgerkrieg im Libanon und
mit der Frage, wie diese Einfluss auf die Art und Weise ausüben, in
der sie die Berichte verarbeitet und verinnerlicht, um die Essenz
der Worte herauszudestillieren.
Stefan Tarnowskis Aufsatz Subtitling a Film beschreibt die Feinhei-
ten des Übersetzens von Untertiteln für das anonyme Filmkollektiv
Abounaddara und die Arbeit mit jemandem, den man nie getrof-
fen hat. Auf diesen Erfahrungen basierend untersucht Tarnowski
die Rolle von Untertiteln, indem er hinterfragt, welche Details in
einer Übersetzung verloren gehen und welche Ergänzungen und
Widersprüche zwischen Untertitel und Bild entstehen.
Joe Namy, geboren 1978 in Lansing, USA, ist ein in Beirut, Liba-
non, lebender Künstler. Er arbeitet mit visuellen Medien und Musik.
Seine Projekte setzen sich mit Identität, Erinnerung, Macht und
Strömungen in organisierten Klängen auseinander. Er ist aktuell
Berater für das unabhängige Studienprogramm Home Workspace or-
ganisiert von Ashkal Alwan. Er studierte Jazz, Arabisch und Heavy-
Metal-Schlagzeug in Detroit, wo er begann Hip-Hop Videos zu
machen. Seine Arbeiten wurden auf zahlreichen internationalen
Festivals und in Ausstellungen gezeigt. Einige seiner Arbeiten
veröffentlicht er auf der Soundart-Plattform Electric Kahraba, die
auch als experimentelles Radioprogramm operiert.
Filme
2008: Locusts (10 Min.). 2009: People Not Places (12 Min.),
Jnoub / South Lebanon (12 Min.). 2010: Detroit Summer (4 Min.),
Foreclosure Reversal (4 Min.), Under the Shade of Apprehension (7
Min.). 2014: Testify (6 Min.), Half Step (1 Min., Forum Expanded
2014). 2015: Dive (5 Min.), Stones Gods People (5 Min., Forum Ex-
panded 2016). 2017: Purple, Bodies in Translation – Part II of A
Yellow Memory from the Yellow Age.
Twelve
Jeamin Cha
2016, 3-Kanal-Videoinstallation, Farbe, 33 Minuten, Koreanisch. Die südkoreanische Mindestlohn-Kommission ist ein Gremium, das
Produktionsfirma Jeamin Cha (Seoul, Korea). Regie, Buch Jeamin den gesetzlichen Mindestlohn für das jeweilige Folgejahr aushan-
Cha. Kamera Youngjik Cho. Sound Design Morceauxx J. Woo. Mit delt und festlegt. Seit seiner Gründung 1978 wurden die Beratun-
Si Hyun Cho, Sook Hee Song, SungDae Yoon, Donghoon Lee, Yo Han gen des Gremiums unter Ausschluss der Öffentlichkeit abgehalten.
Choi, An Young Shin, Jong Sup Hwang, Sang Jin Baik, Changwan Wir können daher nur vermuten, wie im Jahr 2015 der Mindestlohn
Park, Hyunkwang Jin, Ji Hyun Jung, Hye Young Kim. für das Jahr 2016 zu Stande kam. Das bedeutet, dass wir, um eine
die Gegenwart betreffende Entscheidung zu verstehen, auf die Si-
Kontakt: theyoungowl@gmail.com tuation eines bereits vergangenen Treffens zurückblicken müssen,
in dem der zukünftige Lohn ausgehandelt wurde.
Das Drehbuch zur 3-Kanal-Videoinstallation Twelve basiert, aus-
gehend von verschiedenen Dokumenten, auf einem tatsächlichen
Treffen des Jahres 2015. Zwölf Charaktere repräsentieren die zwölf
Termine, an denen die Beratungen stattfanden. Den Spielszenen
des Treffens werden Aufnahmen einer Maschine gegenüber gestellt,
die repetitive Bewegungen ausführt, deren Zweck unklar bleibt. Die
Arbeit unterstreicht die Tatsache, dass das, was als formale, öffent-
liche und menschliche Diskussion bezeichnet wird, ausschließlich
hinter verschlossenen Türen, in einem nicht-öffentlichen Raum
stattfindet und fragt nach der Zukunft von Nation und Demokratie.
Chroma-key and Labyrinth (2013) und Twelve (2016) Die 3-Kanal-Videoinstallation Twelve lässt die als Mittler agieren-
Die beiden Filme der Künstlerin zu Fragen der Arbeitswelt wurden den Kommissionsmitglieder auf der zentralen Leinwand, Vertreter
im Jahr 2016 auf zwei unterschiedlichen koreanischen Biennalen der Wirtschaft auf der linken Seite und Vertreter der Arbeiter auf
präsentiert: auf der Mediacity Seoul 2016 und der Gwangju Bien- der rechten Seite auftreten. Es werden zwölf Sitzungen in chrono-
nale 2016 – was für die junge Künstlerin einen bemerkenswerten logischer Reihenfolge dargestellt. Die Standpunkte der Teilnehmer
Erfolg darstellte. Auf der Gwangju Biennale wurde das bereits be- divergieren stark voneinander, doch die Handlung verläuft abge-
stehende Werk Chroma-key and Labyrinth gezeigt. Die künstlerische sehen von ein paar hitzigen Momenten eher gemäßigt. Wenn der
Direktorin der Biennale Maria Lind beschrieb die Arbeit als eine, Konflikt sich zuspitzt, unterbrechen Bilder einer Pillen sortierenden
die den Tatbestand beleuchtet, dass der moderne Mensch zwar in Maschine die Verhandlungen. Obwohl die Verhandlungsparteien äu-
einer Online-Welt lebt, die Grundlage dieser Welt aber letztendlich ßerst unterschiedliche ökonomische Bedürfnisse und Standpunkte
die körperliche Arbeit ist. In Chroma-key and Labyrinth untersucht vertreten, ist das visuelle Gefälle entschieden geringer. Dies liegt
Cha die rein theoretische, abstrakte Auffassung von Arbeit, die das daran, dass im Film die gleichen Szenen immer wieder wiederholt
tatsächliche Wesen des Arbeitsprozesses verschleiert. Der Film werden und die Verteilung der Personen auf den Leinwänden (je
zeigt die geschäftigen Hände eines Kabelinstallateurs zwei Mal: vier pro Leinwand) ausgewogen ist. Solange die beiden opponie-
Einmal bei ihrer tatsächlichen Arbeit, ein weiteres Mal vor einem renden Seiten keine Kompromissbereitschaft an den Tag legen,
In Autodidact gibt Cha ein Gespräch wieder, das sie mit Hur
Youngchun geführt hat. Er brachte sich Forensik bei, um die Wahr-
heit hinter dem Tod seines Sohnes herauszufinden, der 1984 wäh-
rend seines Militärdiensts unter fragwürdigen Umständen ums
Leben kam. Auch hier stellt Cha die unentwegte Suche nach einer
zu enthüllenden, versteckten Wahrheit als Hysterie-Erfahrung dar.
Der aufgrund seiner Assoziationen mit psychischen Störungen ne-
gativ konnotierte Begriff Hysterie wird der Wahrheit gegenüber-
gestellt, insbesondere einer Wahrheit, von der Moral und Gewissen
verlangen, dass wir sie ans Licht bringen. Mittels eines ironischen,
kontrastierenden Wortpaars sowie durch abstrakte visuelle Ef-
fekte verleiht die Künstlerin einer Auseinandersetzung Form, die
aufgrund der gesellschaftlichen Unterdrückung anders nicht zum
Ausdruck gebracht werden kann.
UHF42 E01+E02 2 1 / 42
UHF42 / E01+E02
Mike Crane
2017, 4-Kanal-Videoinstallation, Farbe, 40 Minuten, Arabisch. Pro- UHF42 E01+E02 sind die ersten zwei Episoden eines Fernsehdramas,
duktion Khaled Faqeeh, Mike Crane. Produktionsfirmen Wattan TV das in der Fernsehnachrichtenagentur Wattan TV in der besetzten
(Ramallah, Palästina), Mike Crane (New York, USA). Buch Khaled Stadt Ramallah im Westjordanland spielt. Die 6-teilige Serie por-
Faqeeh. Kamera Amjad Shoman. Production Design Atheer Niem. trätiert das alltägliche Büroleben und kombiniert dokumentari-
Ton Atheer Niem. Schnitt Sameh Kareem. Production Manager sche Aufnahmen mit inszenierten Szenen, die Techniker*innen,
Samia Hirzalla. Mit Wafaa Arouri, Kamal Odeh, Sara AlAdra, Hamza Journalist*innen und Mitarbeiter*innen des Senders bei der Pro-
AlSalaymeh, May Marei, Ala Zeid, Raneen Khalid, Emad S. AbuBaker. duktion eines Berichts über die steigenden Verbraucherschulden
in der Region zeigen. Im Verlauf der letzten zehn Jahre ist Ramal-
Mike Crane, geboren 1982 in Miami, USA, und aufgewachsen in lah, begünstigt durch die steigende Zahl privater Bankkredite,
Bogotá, Kolumbien, ist Künstler und lebt in New York. Er studierte Investitionen in den Immobiliensektor und eine florierende Frei-
an der Cooper Union School of Art (BFA) und machte seinen MFA zeitwirtschaft, zu einer kosmopolitischen Insel des Wohlstands
am Hunter College, City University of New York. Crane präsentier- inmitten der besetzten palästinensischen Gebiete geworden. Etwa
te seine Filme international in Kinos und Ausstellungen. Er wurde zeitgleich machte sich Wattan TV mit seiner Berichterstattung zu
mit dem Creative Capital Award 2015 ausgezeichnet. Entwicklungen im öffentlichen Sektor einen Namen, die er als ers-
ter Sender im Mittleren Osten in Form fiktionaler Erzählungen – als
Filme „dramatisierte Nachrichten“ – produziert. UHF42 übernimmt Wat-
2005: Highlands (140 Min.). 2009: New Company (45 Min.). 2010: tans Fernsehnachrichtenästhetik, stülpt das System aber um: Die
Spoke Hub Distribution Paradigm (60 Min.), Theory of Heat (15 Min.). Angestellten inszenieren ihre eigenen Recherchen zu privater Ver-
2012: Assembly Room 1 (42 Min.). 2014: Feedback Action Program schuldung öffentlicher Infrastruktur unter militärischer Besetzung.
(30 Min.). 2015: Choice Modeling (20 Min.), Bunker Drama (30 Min.,
Forum Expanded 2016). 2017: UHF42 E01+E02. Kontakt: cranemike@gmail.com
Untitled Fragments
James Benning
2017, 3-Kanal-Videoinstallation, Farbe, 75 Minuten, Englisch. Die 3-Kanal-Videoinstallation Untitled Fragments bringt vier histo-
rische Geschichten miteinander in Verbindung: Kit Carsons Politik
Kontakt: http://www.neugerriemschneider.com der verbrannten Erde, mit der er in den 1860er-Jahren die Navajos
aus ihrer Heimat im Canyon de Chelly vertrieb, die Exekution Che
Guevaras in Bolivien 1967, das Flächenbombardement in Hanoi 1972
und das Cedar Fire, ein Flächenbrand in der kalifornischen Sierra
2016. Auf der Tonspur ist die Aufnahme der Funkübermittlung einer
B-52 der US Air Force (Stratofortress Bomber, Codename Lilac 02)
zu hören, die am Abend des 26. Dezembers 1972 entstand, als 116
B-52s während ihres Angriffs auf Hanoi und Haiphong innerhalb
von 15 Minuten ihre gesamten Bomben abwarfen. Die Aufnahme
wurde 2016 freigegeben.
Die Installation ist Teil eines größeren Projekts, zu dem zusätzlich
Malerei, Zeichnungen, Serigraphien, Wandteppiche, Filmloops und
historische Objekte gehören.
James Benning
Filme (Auswahl)
1971: Did You Ever Hear that Cricket Sound?. 1972: Ode to Muzac
(3 Min.), Time & A Half (17 Min.), Art Hist. 101 (17 Min.). 1973:
Honeyland Road (11 Min.), Michigan Avenue (6 Min.). 1974: i94 (3
Min.), 8½ x 11 (33 Min.). 1975: 3 Minutes on the Dangers of Film
Recording (3 Min.), Saturday Night (3 Min.), The United States of
America (25 Min.), 9/1/75 (22 Min.). 1976: Chicago Loop (8 Min.),
11 x 14 (83 Min., Forum 1977). 1977: One Way Boogie Woogie (60
Min.). 1979: Grand Opera. An Historical Romance (90 Min., Forum
1980). 1981: Him and Me (88 Min.). 1983: American Dreams (lost
and found) (56 Min.). 1985: O Panama (28 Min., Forum 1987). 1986:
Landscape Suicide (95 Min., Forum 1987). 1988: Used Innocence (95
Min.). 1991: North on Evers (87 Min.). 1995: Deseret (82 Min.). 1997:
Four Corners (80 Min., Forum 1998). 1998: Utopia (93 Min.). 1999:
Oraib Toukan
2016, 1-Kanal-Videoinstallation, Farbe, 28 Minuten, Arabisch. Pro- When Things Occur basiert auf Skype-Gesprächen mit in Gaza leben-
duktion Oraib Toukan. Produktionsfirma Oraib Toukan (Ramallah, den Fotograf*innen, ihren lokalen Helfer*innen und Fahrer*innen.
Palästina). In Auftrag gegeben von Cities Exhibition 5, Birzeit Uni- Die Gesprächpartner*innen zeichnen für bestimmte Bilder verant-
versity Museum. Schnitt Oraib Toukan. Übersetzung und Unter- wortlich, die sich im Sommer 2014 von Bildschirm zu Bildschirm
titel Fadi Abu Nimeh. Mit Lara Abu Ramadan, Hosam Salem, Khalil verbreiteten. Der Film schaut hinter die Fassade der Trauer und des
Hamra, Walaa Al Ghussein, Ashraf Al Masri. Schmerzes – auf deren digitale Verkörperung, Verbreitung und Re-
präsentation. Er untersucht, wie der Blick im digitalen Raum gelei-
tet wird und wie Empathie überspringt. Darüber hinaus fragt der
Oraib Toukan, geboren 1977 in den USA, lebt und arbeitet als Künst- Film nach der Funktionsweise des dokumentarischen Signifikants
lerin in Oxford, England, wo sie aktuell promoviert. Bis 2015 leitete – und dessen Abstraktion – beim Betrachten von Leid. Was genau
sie die Kunstabteilung des Bard College an der Al Quds University bedeutet es, Leid „aus der Distanz“ zu betrachten – und wie viele
in Palästina. Sie ist Gastdozentin an der International Academy Meter oder Kilometer Abstand sind dazu nötig? Wie sieht das Ver-
of Fine Arts in Ramallah und Assistenzprofessorin an der Univer- halten und die politische Ökonomie von Bildern des Kriegs aus? Wer
sity of Oxford’s Ruskin School of Fine Arts. Sie hat an zahlreichen ist „der Einheimische“ in der Repräsentation des Kriegs? Und worin
internationalen Einzel- und Gruppenausstellungen teilgenommen. besteht die tägliche Routine derer, die den Krieg repräsentieren?
Kontakt: http://www.oraibtoukan.com/
1
Subversive Film besteht aus Reem Shilleh und Mohanad Yaqubi, die
ihre Arbeit im Rahmen von Think Film No. 5 „Archival Constellations“ vor-
stellen werden. Yaqubis Film Off Frame aka Revolution until Victory wird
ebenfalls im Forum Expanded 2017 präsentiert.
Towards Memory
Katrin Winkler
2016, 2-Kanal-Videoinstallation, Farbe, 32 Minuten, Deutsch, Warum sind manche Ereignisse aus der aktuellen Geschichtsschrei-
Englisch. Produktion Katrin Winkler. Produktionsfirma Katrin bung ausgeklammert und andere überbetont? Wer gibt wem das
Winkler (Berlin, Deutschland). Kamera Katrin Winkler. Ton Kauna Recht sich zu äußern und zu welchem Zeitpunkt? Wie ist Geschich-
Hoabeb. Sound Design Stefan Röselmair. Schnitt Katrin Winkler, te im gegenwärtigen Moment sichtbar und hörbar? Was ist ein
Noam Gorbat. Mit Monica Nambelela, Lucia Engombe, Fatima Pedru, Anti-Monument? Auf welche Art und Weise wirkt ein Archiv auf
Esther Utjiua Muinjange. die Gegenwart?
Towards Memory ist ein Video- und Rechercheprojekt, das in Zu-
Kontakt: katrin.winkler2@gmx.de sammenarbeit mit namibischen Frauen entstand, die als Kinder
ab 1979 während des Namibischen Unabhängigkeits- und Anti-
Apartheid-Kampfs in die damalige DDR gesandt wurden. Nach dem
Fall der Berliner Mauer wurden sie schnell wieder zurückgeschickt.
Grundlage der Videoinstallation sind Archivrecherchen, Video-
interviews und aktuelle Erinnerungsfeierlichkeiten zur 25-jäh-
rigen Unabhängigkeit Namibias und dem Genozid an den Herero
und Nama. Das Projekt fragt nach der Verknüpfung deutscher und
namibischer Geschichte und dem politischen Umgang mit den Kon-
sequenzen und (Un-)Sichtbarkeiten von Kolonialismus, Genozid,
Vertreibung und Apartheid.
Günther Selichar