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DIE SPANNUNG
IST UNERTRÄGLICH
Ulrich Weiner leidet. Er ist überzeugt, elektronische
Strahlung macht ihn krank. Deswegen lebt er in einem
Funkloch, im Wohnwagen, im Abseits.
Unsere Reporterin hat ihr Handy ausgeschaltet und ihn besucht
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Mit einer Neonröhre will Ulrich Weiner seinen Feind sichtbar machen:
Unterhalb eines Strommastes fängt sie im elektrischen Feld zu leuchten an
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Der Wohnwagen ist seit 15 Jahren sein Zuhause
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iesen Mann zu treffen, ist nicht leicht. Ulrich nenlernt, merkt man schnell: Er ist offen und gesellig, inter
Weiner hat kein Telefon und keinen festen Wohn essiert und redselig. Das Leben als Einsiedler ist wider seine
sitz. Er lebt zurückgezogen in einem Funkloch im Natur. Aber er ist sich sicher: Nur so kann er überleben. Es wäre
Schwarzwald. Den genauen Ort will er nicht ver so einfach, ihn als Spinner abzustempeln. Viele tun das auch.
raten. Aus Angst, dass ihm auch dieses Refugium Wenn da einer mit einem Schutzanzug um die Ecke kommt
genommen wird. Funklöcher sind rar geworden in den letzten und irgendwas von gefährlicher Strahlung faselt, haben wir
Jahren. Deswegen haben wir uns mit seiner Kontaktperson unser Urteil schnell gefällt. Aber Uli ist nicht allein. Zwei
verabredet, Monika, an einer Tankstelle im südlichsten Zipfel Prozent der Deutschen bezeichnen sich laut Bundesamt für
Deutschlands. Sie wird uns zu ihm bringen. Strahlenschutz, kurz BfS, als elektrosensibel. Das sind immer
Durch die nebelverhangenen Hügel fährt Monika vorweg, hin mehr als anderthalb Millionen Menschen.
wir hinterher, immer tiefer ins Tal. Dort wird der Wald immer
dichter und der Handyempfang immer schlechter. Auf einmal Sie alle eint ein Problem: Als Krankheit ist Elektrosensibilität
ist er ganz weg. Und wir sind am Ziel. Wir schalten unsere Han nicht anerkannt. Wenigstens in Deutschland. In Schweden gilt
dys aus. Wann habe ich das eigentlich das letzte Mal gemacht? sie als „körperliche Beeinträchtigung“. Damit haben Elektro
Als wir aussteigen, kommt uns Ulrich Weiner schon mit sensible ein Recht auf einen elektrosmogfreien Arbeitsplatz.
ausgestreckter Hand entgegen. „Herzlich Willkommen“, sagt Auch gibt es Krankenhäuser für sie mit strahlungsfreien Be
er. „Ich bin der Uli. Wollt ihr einen Kaffee zum Ankommen?“ So handlungsräumen. Fakt aber bleibt: Wissenschaftliche Studien
sitzen wir also kurz darauf dicht gedrängt auf seiner blau ge konnten bisher keinen Zusammenhang zwischen elektrischen
streiften, abgeschrabbelten Sitzbank in seinem Wohnwagen und magnetischen Feldern und den Beschwerden elektrosen
und halten uns an den dampfenden Tassen fest. sibler Menschen nachweisen. Streng genommen dürfte es
Uli ist elektrosensibel. Was das bedeutet? Strahlung setzt Elektrohypersensibilität, kurz EHS, also gar nicht geben. „Das
ihm zu. Er sagt, sie greife sein Nervensystem an, mache ihn bedeutet nicht, dass diese Menschen nicht leiden. Ihre Lebens
schwach. Er kann sich dann kaum noch konzentrieren, be qualität ist erheblich eingeschränkt, sie sind zum Teil arbeitsun
kommt Sehstörungen, es fällt ihm schwer, Worte zu finden und fähig“, sagt Dr. Gunde Ziegelberger. Sie ist Biologin und hat für
klare Sätze zu formulieren. Wenn er sich der Strahlung nicht das BfS mehrere Studien zum Thema geleitet. Ihr Fazit ist aber:
entzieht, kommen starke Kopfschmerzen dazu, er muss sich Die Mobilfunkfelder von Handys, WLAN oder Basisstationen
übergeben, leidet unter Durchfall und Herzrhythmusstörun sind nicht die Ursache für die Symptome. Allerdings führe häu
gen, bis hin zum völligen Zusammenbruch. „Das kann lebens fig schon die Erwartungshaltung dazu, dass diese Menschen
gefährlich enden“, sagt er. Deswegen tut er alles, um sich zu tatsächlich welche entwickelten. „Für eine Studie haben wir
schützen. Das Funkloch verlässt er nur selten. Und wenn, dann Probanden, die sich als elektrosensibel bezeichnet haben, in
in einem Schutzanzug. Sein Leben verbringt er in Isolation. ein MRT geschoben, um die Effekte auf das Gehirn zu messen.
Uli ist ein jungenhafter Typ. Dass er über 40 ist, sieht man Sobald wir ihnen ein Handy mitgaben – eine Attrappe aus
nur an seinem schütter werdenden Haar. Wenn man ihn ken Plastik – konnte man sehen, dass die Erwartungsareale
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„Wir stehen mit dem Rücken an
der Wand. Sind hilflos. Dabei wollen wir
nur ein normales Leben führen“
ULRICH WEINER
milliardenschweres Wettbieten. Und für die Elektrosensiblen, Tage aufs Dach klettern muss, um ihn runterzuschaufeln, weil
dass sie bald kaum noch Rückzugsorte haben werden. er sonst zu schwer wird. Wenn er tagelang nichts anderes zu
essen hat als Tütensuppen oder Konserven. Uli kann schon seit
Nur 0,1 Prozent der Fläche in Deutschland ist funkfrei. So Jahren nicht mehr einkaufen. Er ist darauf angewiesen, dass ihn
wie das Loch, in dem Uli lebt. Mitten im Naturschutzgebiet Freunde mit Lebensmitteln versorgen. Seit er 25 ist, kann er
steht sein Wohnwagen auf einem kleinen Parkplatz, den Wan nicht mehr arbeiten, hat keine Einnahmen. Auch Sozialhilfe
derer häufig nutzen, um ihre Tagestouren zu starten. So wie erhält er nicht. In seinen Funklöchern dürfte Uli offiziell nicht
gerade. Ein silberner Kleinwagen parkt direkt neben seinem stehen, er ist nur geduldet. Ein paarmal musste er weiterziehen.
Fenster. Uli wird sichtlich nervös. Er holt seinen E-Smog-Spion Und sich mühsam wieder alles neu aufbauen: sein Netzwerk
aus dem Regal, ein Messgerät, mit dem man Strahlungsquellen an Helfern, soziale Kontakte. „Wir stehen mit dem Rücken an
in der Nähe aufzeigen und hörbar machen kann. „De-deeee der Wand“, sagt er. „Wir sind hilflos. Dabei wollen wir alle nur
deeee“, piept der. „Das ist ein Bluetooth-Signal“, sagt Uli. Wenn ein normales Leben führen.“ Ist das zu viel verlangt?
die Wanderer das Handy nicht mitnehmen, sondern im Auto Viele Elektrosensible leben zurückgezogen. Sie flüchten aufs
neben ihm stehen lassen, hat er ein Problem. Also geht er lieber Land, verbringen ihre Nächte und manchmal auch die Tage in
raus, um mit ihnen zu reden. „Ist immer ein bisschen unan- abgeschirmten Kellern. Sie investieren Zehntausende, um sich
genehm“, sagt er, als er zurückkommt. „Aber die beiden Frauen und ihre Häuser vor der Strahlung zu schützen. Einer von ihnen
hatten großes Verständnis.“ ist Reinhard Lang, ein Religionspädagoge, der nur ein paar Kilo
Uli wohnt in einem Paradies. Ein Bach rauscht hinter sei meter von Uli entfernt in einem kleinen Ort wohnt. Er lässt uns
nem Fenster, und ein paar Hundert Meter entfernt liegt ein in seinen Keller schauen. Dort hat er einen faradayschen Käfig
kleiner Wasserfall, so idyllisch, dass man stundenlang sitzen gebaut, in dem er und seine Frau nun schlafen. Schön ist der
bleiben möchte. Aber Uli hat sein Paradies nicht freiwillig ge nicht. Eher ziemlich trostlos. Ein Holzgerüst, an das er die ab
wählt. Er muss hier sein. Das Leben im Wald macht ihn manch schirmende Silberfolie genagelt hat. „Wir hatten wochenlang
mal müde. Besonders im Winter, wenn der Schnee wochenlang nicht geschlafen“, berichtet Reinhard. Er hatte kaum mehr
meterhoch um seinen Wohnwagen steht. Wenn er alle paar Kraft und Energie, um den Alltag zu meistern, dabei war er
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„Wir sind Flüchtlinge im eigenen Land.
Bald werden uns auch die
letzten Lebensräume genommen“
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Der Wald ist seine Heimat. Dabei ist Ulrichs größter Wunsch, wieder richtig anzukommen.
In einem Haus im Funkloch. Das sucht er schon seit Jahren. Erfolglos
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Mit Schutzanzug unter einem Silbernetz fahren wir mit Ulrich durch die Gegend.
Bei 30 Grad. Die Klimaanlage läuft auf Hochtouren. Aber Schutz ist Schutz
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„Lieber in einem
Käfig schlafen, als gar nicht
schlafen können“
REINHARD LANG
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Ulrich Weiner in seinem Element: Beim Vortrag ist er voll bei der Sache.
Als Gespenst macht er sich aber auch ganz gut
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nalisten und hält Vorträge in Schulen, vor Bürgerinitiativen und gen Monaten verstarb er nach einer Gehirnblutung. Sie ist sich
allen, die ihm zuhören wollen. Wir begleiten ihn in die Eiffel, wo sicher, der Sendemast, der 60 Meter von ihrem Haus entfernt
er abends vor etwa 50 Leuten in einem Gasthof steht. Darunter steht, ist schuld daran. Er wurde zu niedrig gebaut und
eine Familie, sonst nur älteres, leicht ergrautes Publikum. Uli ist zu dicht an den Häusern. In der Nachbarschaft nennen sie ihre
ein guter Redner. Er weiß, wie er die Menschen kriegt. Er zitiert Straße nur „die Witwenstraße“, weil die Männer reihenweise
Studien, welche die in Deutschland geltenden Grenzwerte als dem Krebs erliegen. Dr. Krout hat die Krankheitsfälle protokol
zu hoch einstufen. Er erzählt von einer Zukunft, in der alles liert, sich an Politiker gewandt, an die Ärztekammer, das Ge
vernetzt ist – vom Mülleimer über den Verkehr bis hin zum sundheitsamt. Die Antwort, die sie erhält, ist immer die gleiche:
Menschen. „In Schweden lassen sich Leute schon Chips als Man nehme ihr Anliegen ernst, könne aber nichts tun. Die er
Bahntickets unter die Haut implantieren. Das ist keine Science- laubten Grenzwerte würden eingehalten. Die Häufung der Fälle
Fiction mehr.“ Er sagt Sätze wie: „Die wollen euch das Bargeld sei nur zufällig. Deswegen sucht sie jetzt die Öffentlichkeit.
nehmen“ oder „Lasst euch von den Argumenten der Industrie Zusammen mit ihr und Uli fahren wir zu einer Freundin, die
nicht täuschen“. Die kommen an. Dann rufen die Gäste „ge Lamas und Alpakas züchtet, um zu zeigen, dass Mobilfunk sich
nau!“ und fangen an zu diskutieren. Uli stellt den Mobilfunk auf alle auswirkt. Auch auf Tiere. Und die können sich nichts
als einen gefährlichen Gegner dar. Was er sagt, kann er belegen. einbilden. „Du hast keine Ahnung, was ein Funkturm ist, gell?“,
Er hat sich über die Jahre ein umfassendes Archiv aufgebaut. sagt Uli und streichelt seinem langhalsigen Gegenüber das Fell.
Das ist seine Munition. Aber weil er ein Überzeugungstäter ist, Das Zotteltier und ihn verkabelt Dr. Krout mit einem EKG, das
ist das Bild, das er zeichnet, ein einseitiges. den Herzschlag mitschneidet. Zusätzlich bekommt das Lama
ein Dosimeter umgeschnallt, ein Messgerät, das die Strahlen
Seit es Handys gibt, wurden Hunderte Studien durch- dosis aufzeichnet. Dann machen wir uns auf zu einem Weg im
geführt, die klären sollen, ob Mobilfunkstrahlung ge- Wald, der mal näher, mal weiter weg um einen Funkturm führt.
fährlich oder doch harmlos ist. Es geht um Krebs, genetische Sehen können wir Uli nicht. Es ist heiß. Seinen Schutzanzug
Schäden an Zellen und Spermien, um Unfruchtbarkeit. Regel hat er ausgezogen, damit die Werte nicht verfälscht werden.
mäßig wurden Untersuchungen veröffentlicht, die eine gesund Trotzdem steht ihm der Schweiß auf der Stirn, als er mit dem
heitsschädliche Wirkung nahelegen. Aber es gibt genauso jene, Lama zurückkehrt. „So ein Spaziergang, eine Stunde ohne
die das Gegenteil belegen. Es ist ein Glaubenskampf, bei dem Schutzanzug, das ist richtig heftig.“ Später zeigt die Auswertung
sich Wissenschaftler gegenseitig diffamieren, sich den Vorwurf der EKGs in der Praxis von Monika Krout: Dort, wo die Funk
der Fälschung oder zu großer Industrienähe um die Ohren hau strahlung ansteigt, steigt auch die Herzfrequenz – und das bei
en, sich untereinander oder die Medien verklagen. 2011 stufte Uli und dem Lama. Und: Das Herz schlägt in Funkturmnähe
die Weltgesundheitsorganisation Handystrahlung als „mögli schneller, als wenn man leicht bergauf geht.
cherweise krebserregend“ ein. Genauso wie 266 Chemikalien, Von all dem habe ich nichts gemerkt. Ich fühle mich bes
die Abgase eines Benzinmotors oder das Pflanzenschutzmittel tens. Und so wie mir geht es vielen. Wir können mit der Funk
DDT. Endgültige Gewissheit gibt es bisher nicht. Das macht die belastung anscheinend ziemlich gut leben. „Aber wie lange
Debatte nicht leichter. noch?“, fragt mich Uli. Mit dieser Frage fahre ich nach Hause.
Die am häufigsten zitierten Studien, die einen Zusammen Seit ich wieder zurück bin, schalte ich das Handy regelmäßig
hang zwischen Handystrahlung und Krebs herstellen, stammen aus. Schaden kann das nicht.
von Professor Lennart Hardell, einem schwedischen Onkolo
gen. Er konnte zeigen: Menschen, die besonders viel mit dem
Handy telefonieren, haben nach zehn Jahren ein doppelt so
WENIGER IST
hohes Risiko, an zwei Arten von Gehirntumoren zu erkranken. MEHR
Seine Kritiker werfen ihm vor: Er befragte Krebspatienten rück
wirkend nach ihrer Handynutzung. Deswegen gelten solche
Studien als unzuverlässig. „Wenn Hardell mit seinem Anstieg SO KANNST DU DIE STRAHLENBELASTUNG SENKEN:
der Erkrankungsraten durch Handynutzung recht hat, müsste 1 Achte beim Kauf eines Handys auf einen niedrigen
man in den Ländern mit vollständigen Krebsregistern auch SAR-Wert. Bis zu einem Wert von 0,6 Watt pro Kilogramm
darin einen Anstieg sehen können“, gibt Gunde Ziegelberger gilt ein Gerät als strahlungsarm.
vom BfS zu bedenken. „Das war aber bisher nicht der Fall.“ Weil 2 Telefoniere mit einem Headset, dann ist die
es zudem 20, 30 Jahre dauert, bis Hirntumore entstehen, werden Strahlungsquelle weiter vom Kopf entfernt.
gerade neue Untersuchungen vergeben, die genau das über- 3 Telefoniere möglichst nur bei gutem Empfang. Je
prüfen sollen. schlechter die Verbindung zur nächsten Basisstation ist, desto
höher muss die Leistung sein, mit der das Handy sendet.
Den endgültigen Beweis, dass doch etwas dran ist an 4 Schalte dein Handy nachts in den Flugmodus.
der Elektrosensibilität, will uns Uli mit einer seiner
Mitstreiterinnen liefern. Dr. Monika Krout ist Ärztin aus Wo der nächste Funkmast steht?
Aachen. Auch sie ist elektrosensibel. Ihr Mann war es auch. emf3.bundesnetzagentur.de
Unter Funkstrahlung bekam er epileptische Anfälle. Vor weni
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