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P E R A N H A LT E R D U R C H D I E G A L A X I S

text  NELE JUSTUS


fotos  JEWGENI ROPPEL

DIE SPANNUNG
IST UNERTRÄGLICH
Ulrich Weiner leidet. Er ist überzeugt, elektronische
Strahlung macht ihn krank. Deswegen lebt er in einem
Funkloch, im Wohnwagen, im Abseits.
Unsere Reporterin hat ihr Handy ausgeschaltet und ihn besucht

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Mit einer Neonröhre will Ulrich Weiner seinen Feind sichtbar machen:
Unterhalb eines Strommastes fängt sie im elektrischen Feld zu leuchten an

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Nur im Schutzanzug aus Silberseide verlässt Ulrich sein Funkloch

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Der Wohnwagen ist seit 15 Jahren sein Zuhause

D
iesen Mann zu treffen, ist nicht leicht. Ulrich nenlernt, merkt man schnell: Er ist offen und gesellig, inter­
Weiner hat kein Telefon und keinen festen Wohn­ essiert und redselig. Das Leben als Einsiedler ist wider seine
sitz. Er lebt zurückgezogen in einem Funkloch im Natur. Aber er ist sich sicher: Nur so kann er überleben. Es wäre
Schwarzwald. Den genauen Ort will er nicht ver­ so einfach, ihn als Spinner abzustempeln. Viele tun das auch.
raten. Aus Angst, dass ihm auch dieses Refugium Wenn da einer mit einem Schutzanzug um die Ecke kommt
genommen wird. Funklöcher sind rar geworden in den letzten und irgendwas von gefährlicher Strahlung faselt, haben wir
Jahren. Deswegen haben wir uns mit seiner Kontaktperson unser Urteil schnell gefällt. Aber Uli ist nicht allein. Zwei
verabredet, Monika, an einer Tankstelle im südlichsten Zipfel Prozent der Deutschen bezeichnen sich laut Bundesamt für
Deutschlands. Sie wird uns zu ihm bringen. Strahlenschutz, kurz BfS, als elektrosensibel. Das sind immer­
Durch die nebelverhangenen Hügel fährt Monika vorweg, hin mehr als anderthalb Millionen Menschen.
wir hinterher, immer tiefer ins Tal. Dort wird der Wald immer
dichter und der Handyempfang immer schlechter. Auf einmal Sie alle eint ein Problem: Als Krankheit ist Elektrosensibilität
ist er ganz weg. Und wir sind am Ziel. Wir schalten unsere Han­ nicht anerkannt. Wenigstens in Deutschland. In Schweden gilt
dys aus. Wann habe ich das eigentlich das letzte Mal gemacht? sie als „körperliche Beeinträchtigung“. Damit haben Elektro­
Als wir aussteigen, kommt uns Ulrich Weiner schon mit sensible ein Recht auf einen elektrosmogfreien Arbeitsplatz.
ausgestreckter Hand entgegen. „Herzlich Willkommen“, sagt Auch gibt es Krankenhäuser für sie mit strahlungsfreien Be­
er. „Ich bin der Uli. Wollt ihr einen Kaffee zum Ankommen?“ So handlungsräumen. Fakt aber bleibt: Wissenschaftliche Studien
sitzen wir also kurz darauf dicht gedrängt auf seiner blau ge­ konnten bisher keinen Zusammenhang zwischen elektrischen
streiften, abgeschrabbelten Sitzbank in seinem Wohnwagen und magnetischen Feldern und den Beschwerden elektrosen­
und halten uns an den dampfenden Tassen fest. sibler Menschen nachweisen. Streng genommen dürfte es
Uli ist elektrosensibel. Was das bedeutet? Strahlung setzt Elektrohypersensibilität, kurz EHS, also gar nicht geben. „Das
ihm zu. Er sagt, sie greife sein Nervensystem an, mache ihn bedeutet nicht, dass diese Menschen nicht leiden. Ihre Lebens­
schwach. Er kann sich dann kaum noch konzentrieren, be­ qualität ist erheblich eingeschränkt, sie sind zum Teil arbeitsun­
kommt Sehstörungen, es fällt ihm schwer, Worte zu finden und fähig“, sagt Dr. Gunde Ziegelberger. Sie ist Biologin und hat für
klare Sätze zu formulieren. Wenn er sich der Strahlung nicht das BfS mehrere Studien zum Thema geleitet. Ihr Fazit ist aber:
entzieht, kommen starke Kopfschmerzen dazu, er muss sich Die Mobilfunkfelder von Handys, WLAN oder Basisstationen
übergeben, leidet unter Durchfall und Herzrhythmusstörun­ sind nicht die Ursache für die Symptome. Allerdings führe häu­
gen, bis hin zum völligen Zusammenbruch. „Das kann lebens­ fig schon die Erwartungshaltung dazu, dass diese Menschen
gefährlich enden“, sagt er. Deswegen tut er alles, um sich zu tatsächlich welche entwickelten. „Für eine Studie haben wir
schützen. Das Funkloch verlässt er nur selten. Und wenn, dann Probanden, die sich als elektrosensibel bezeichnet haben, in
in einem Schutzanzug. Sein Leben verbringt er in Isolation. ein MRT geschoben, um die Effekte auf das Gehirn zu messen.
Uli ist ein jungenhafter Typ. Dass er über 40 ist, sieht man Sobald wir ihnen ein Handy mitgaben – eine Attrappe aus
nur an seinem schütter werdenden Haar. Wenn man ihn ken­ ­Plastik – konnte man sehen, dass die Erwartungsareale

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ansprangen. Es tut sich bei diesen Menschen also tat­


sächlich etwas. Das konnten wir belegen. Nur nicht,
dass es krank macht.“ Ähnliches zeigen weitere Stu­
dien. Da schliefen etwa Probanden unter einem Ab­
schirmbaldachin besser als ohne, selbst wenn dieser
aus Plastik war und keine Abschirmwirkung hatte.
Oder man konnte anhand eines EEGs nachweisen,
dass Menschen schlechter schliefen, wenn sie wuss­
ten, dass eine mobile Basisstation in der Nähe war –
das war aber selbst dann der Fall, wenn diese ausge­
schaltet blieb. Ist also doch alles nur Kopfsache?

Sie seien Psychos, nicht ganz dicht, Esoteriker.


Solche Vorwürfe müssen sich Elektrosensible ständig
anhören. Sie sind die nervigen Nachbarn, die klingeln
und einen bitten, das WLAN auszuschalten. Sie sind
die Kollegen, die ständig Migräne, Schwindel oder
sonst irgendwas haben und krank zu Hause bleiben.
Sie rennen von Arzt zu Arzt, um ihre Leiden endlich
loszuwerden – aber keiner kann ihnen helfen. Denn
auch die Ärzte schieben die Symptome oft auf die
Psyche. Sie schicken ihre Patienten weiter zu Psychia­
tern, die dann Pillen verschreiben, die auch nichts
bringen. „Der normale Hausarzt kennt sich mit Elek­
trosensibilität nicht aus“, sagt Uli. „Der hat keine Ah­
nung.“ Seiner riet ihm damals, ein bisschen kürzer zu
treten. Du arbeitest zu viel, habe er gesagt. Das war’s.
Uli war Jungunternehmer. Er führte seine eigene
Firma und 20 Mitarbeiter, trug Anzug, Krawatte und Bäume funktionieren als Riesenantenne. Über die
zurückgegelte Haare. Das war Ende der 90er. Uli ver­ Harzschichten leiten sie den Funk weiter. Deswegen
kaufte Mobiltelefonverträge und die ersten Handys, kann man durch ihre Rinde Radio hören
als es gerade so richtig losging mit dem Mobilfunk. Als
monatlich 100 000 neue Verträge abgeschlossen wurden. Uli sensible ausbauen. Er startete eine Unterschriftenaktion, um zu
war ständig auf Achse, besuchte Kunden in ganz Deutschland. zeigen, wie viele Betroffene sich einen solchen Ort wünschten,
In sein Auto hatte er alles eingebaut, was die Technik hergab: er brachte Bewohner, Politiker und Sprecher der Mobilfunk-
Autotelefone, mobiles Internet, Fax. Weil er bis zu 15 Antennen betreiber an einen Tisch. Das Ergebnis: Man konnte oder wollte
auf seinem Autodach montiert hatte, nannten es viele nur „den ihm nicht zusagen, dass das Gebiet um die Mühle funkfrei blei­
Igel“. Uli war ein Technikfreak, und er ist es heute noch. ben würde. Mittlerweile steht in knapp drei Kilometern Entfer­
Irgendwann stellte er fest, dass er sich kaum noch konzen­ nung ein 45 Meter hoher Funkmast, der die Umgebung versorgt.
trieren konnte, nachdem er mit dem Handy telefoniert hatte.
Der Kopf war wie Brei. Er unterzog sich einem wochenlangen Heute wollen wir alle ständig erreichbar sein. Haben wir
Selbstversuch. Und merkte, dass er an handyfreien Tagen viel kein Netz, regen wir uns auf. Unser ganzes Leben verläuft
leistungsstärker war. Also stellte er seinen Betrieb um und ver­ digital: Arbeiten, shoppen, daten – das Handy ist immer dabei.
bannte die Mobiltelefone. Aber mit der Zunahme der Handys Auch abends im Bett. Ein Leben ohne Smartphone? Kaum noch
und Sendemasten wurden seine Beschwerden schlimmer. Wenn vorstellbar. Digitalisierung ist das Stichwort der Stunde. Wer
im Hotel im Nebenzimmer jemand telefonierte, ging es ihm als Wirtschaftsnation ganz vorn mitspielen will, braucht Breit­
miserabel. Er fing an, Städte zu meiden, zog sich zum Schlafen bandanschlüsse und Hochleistungsnetze. Deswegen kündigte
immer häufiger in Funklöcher zurück. Dann blieb er dort. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) im April den
„Der Wohnwagen sollte nur eine Übergangslösung sein“, „Funklöchern den Kampf “ an. Der Zustand des deutschen Mo­
erzählt Uli, während er sich sein Brot dick mit Honig bestreicht. bilfunknetzes sei für eine Wirtschaftsnation untragbar, erklärte
„Mein Traum war ein Funklochhaus. Aber ich habe nie eines er. Selbst Kasachstan soll ein besseres LTE-Netz haben als wir.
gefunden, bei dem man mir garantieren konnte, dass kein Politiker fordern also noch mehr Funkmasten, damit künftig alle
Funkmast in der Nähe gebaut werden würde.“ Einmal war er Menschen flächendeckend telefonieren und mobil ins Internet
fast am Ziel. Es gab da diese alte Wassermühle in Sachsen in gehen können. Im kommenden Jahr sollen die Frequenzen für
der Nähe von Mittweida. Ein Fachwerkhaus, an einer Talsperre die fünfte Mobilfunkgeneration 5G versteigert werden. Für die
gelegen. Er wollte es zu einem Erholungszentrum für Elektro­ Verbraucher bedeutet das ein schnelleres Netz, für den Staat ein

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„Wir stehen mit dem Rücken an
der Wand. Sind hilflos. Dabei wollen wir
nur ein normales Leben führen“
ULRICH WEINER

Wenn er lange der Strahlung ausgesetzt war,


gibt sich Ulrich eine Infusion mit Vitamin C – das
fängt die freien Radikale

milliardenschweres Wettbieten. Und für die Elektrosensiblen, Tage aufs Dach klettern muss, um ihn runterzuschaufeln, weil
dass sie bald kaum noch Rückzugsorte haben werden. er sonst zu schwer wird. Wenn er tagelang nichts anderes zu
essen hat als Tütensuppen oder Konserven. Uli kann schon seit
Nur 0,1 Prozent der Fläche in Deutschland ist funkfrei. So Jahren nicht mehr einkaufen. Er ist darauf angewiesen, dass ihn
wie das Loch, in dem Uli lebt. Mitten im Naturschutzgebiet Freunde mit Lebensmitteln versorgen. Seit er 25 ist, kann er
steht sein Wohnwagen auf einem kleinen Parkplatz, den Wan­ nicht mehr arbeiten, hat keine Einnahmen. Auch Sozialhilfe
derer häufig nutzen, um ihre Tagestouren zu starten. So wie erhält er nicht. In seinen Funklöchern dürfte Uli offiziell nicht
gerade. Ein silberner Kleinwagen parkt direkt neben seinem stehen, er ist nur geduldet. Ein paarmal musste er weiterziehen.
Fenster. Uli wird sichtlich nervös. Er holt seinen E-Smog-Spion Und sich mühsam wieder alles neu aufbauen: sein Netzwerk
aus dem Regal, ein Messgerät, mit dem man Strahlungsquellen an Helfern, soziale Kontakte. „Wir stehen mit dem Rücken an
in der Nähe aufzeigen und hörbar machen kann. „De-deeee­ der Wand“, sagt er. „Wir sind hilflos. Dabei wollen wir alle nur
deeee“, piept der. „Das ist ein Bluetooth-Signal“, sagt Uli. Wenn ein normales Leben führen.“ Ist das zu viel verlangt?
die Wanderer das Handy nicht mitnehmen, sondern im Auto Viele Elektrosensible leben zurückgezogen. Sie flüchten aufs
neben ihm stehen lassen, hat er ein Problem. Also geht er lieber Land, verbringen ihre Nächte und manchmal auch die Tage in
raus, um mit ihnen zu reden. „Ist immer ein bisschen unan- abgeschirmten Kellern. Sie investieren Zehntausende, um sich
genehm“, sagt er, als er zurückkommt. „Aber die beiden Frauen und ihre Häuser vor der Strahlung zu schützen. Einer von ihnen
hatten großes Verständnis.“ ist Reinhard Lang, ein Religionspädagoge, der nur ein paar Kilo­
Uli wohnt in einem Paradies. Ein Bach rauscht hinter sei­ meter von Uli entfernt in einem kleinen Ort wohnt. Er lässt uns
nem Fenster, und ein paar Hundert Meter entfernt liegt ein in seinen Keller schauen. Dort hat er einen faradayschen Käfig
kleiner Wasserfall, so idyllisch, dass man stundenlang sitzen gebaut, in dem er und seine Frau nun schlafen. Schön ist der
bleiben möchte. Aber Uli hat sein Paradies nicht freiwillig ge­ nicht. Eher ziemlich trostlos. Ein Holzgerüst, an das er die ab­
wählt. Er muss hier sein. Das Leben im Wald macht ihn manch­ schirmende Silberfolie genagelt hat. „Wir hatten wochenlang
mal müde. Besonders im Winter, wenn der Schnee wochenlang nicht geschlafen“, berichtet Reinhard. Er hatte kaum mehr
meterhoch um seinen Wohnwagen steht. Wenn er alle paar Kraft und Energie, um den Alltag zu meistern, dabei war er

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„Wir sind Flüchtlinge im eigenen Land.
Bald werden uns auch die
letzten Lebensräume genommen“
ULRICH WEINER

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Der Wald ist seine Heimat. Dabei ist Ulrichs größter Wunsch, wieder richtig anzukommen.
In einem Haus im Funkloch. Das sucht er schon seit Jahren. Erfolglos

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Mit Schutzanzug unter einem Silbernetz fahren wir mit Ulrich durch die Gegend.
Bei 30 Grad. Die Klimaanlage läuft auf Hochtouren. Aber Schutz ist Schutz

Religionslehrer Reinhard Lang hat sein Haus abgeschirmt


und sich im Keller einen faradayschen Käfig gebaut

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„Lieber in einem
Käfig schlafen, als gar nicht
schlafen können“
REINHARD LANG

mal Leistungssportler, Skimarathonläufer, fuhr fast


immer vorneweg. Bis ein Tetra-Mast in der Nähe auf­
gestellt wurde. Tetra ist ein Behördenfunk. Wenn man
sich mit dem E-Smog-Spion vor Reinhards Tür stellt,
kann man ihn deutlich hören. Er klingt wie eine Kreis­
säge. Schrill und eindringlich. Das WLAN des Nach­
barn hört man auch: „Tatatatata“ macht das. Im Käfig
aber hört man: nichts. Völlige Ruhe. „Aber fühlt man
sich denn darin nicht wie in einem Gefängnis?“, frage
ich den 63-Jährigen. „Alles Gewohnheitssache“, sagt
der. „Besser so, als gar nicht schlafen zu können.“
Reinhard hat Glück, wenn man es so nennen mag.
Auch seine Frau ist elektrosensibel. Sie stützen sich
gegenseitig. Wissen, wie sich die Krankheit anfühlt.
Aber viele der Betroffenen stehen irgendwann allein
da. Sie verlieren ihren Partner. Manchmal auch ihre
Familien. Eine Frau, die lieber anonym bleiben will,
erzählt mir, dass sie ihren Mann und ihre Kinder in der
Stadt zurücklassen musste, weil sie es dort nicht mehr
aushielt. Sie zog aufs Land, sieht ihre Familie nur alle Der Gegner: der Funkturm. Mitten auf einem Berg im
paar Wochen. Ihre Große ist jetzt 16. „Könnt ihr euch Schwarzwald. Auch Bäume, sagen Elektrosensible,
nicht wenigstens scheiden lassen?“, habe sie letztens macht der Funk krank. Gesund sieht der hier nicht aus
gefragt. Dann könnte sie wenigstens ihren Mitschü­
lern erklären, warum ihre Mutter nie da ist. Zu sagen, sie sei ionisierenden Strahlen, die genug Energie haben, um DNA-Mo­
elektrosensibel, gleiche einem sozialen Selbstmord. leküle zu schädigen. WLAN, Bluetooth, Handystrahlung und
Elektrosensible fordern die Einführung „weißer Zonen“. So die elektrischen Felder von Hochspannungsleitungen gehören
könnten sie weiter leben und arbeiten wie bisher. Sie hätten aber zu den nichtionisierenden Strahlen. Die bezeichnen wir als
wieder ein Zuhause, einen Ort, an dem sie sich wohlfühlen – Elektrosmog. Wenn sie deutlich über den Grenzwerten liegen,
keinen, der sie krank macht. Fragt man Uli, wie das aussehen sind auch sie gefährlich. Aber wie schädlich ist eine dauerhafte
könnte, dann stellt er sich sein Utopia wie eine Art Silicon Valley niedrige Bestrahlung?
vor. „Ein Tal, in dem wir arbeiten und an funkfreien Zukunfts­ Seinen unsichtbaren Feind will uns Uli heute zeigen. Er sitzt
technologien forschen können. Die wird es eh irgendwann ge­ bei uns im Auto auf der Rückbank, natürlich eingepackt in sei­
ben müssen. Funk wird sich volkswirtschaftlich nicht mehr nen Strahlenschutzanzug und unter einem zusätzlichen Ab­
lange halten können, die Auswirkungen auf die Menschen sind schirmnetz aus Silberfäden. Wir fahren auf ein Feld, über das
zu hoch.“ Uli ist davon überzeugt, dass sich auch ADHS bei Kin­ sich eine Stromtrasse zieht. Je näher wir den riesigen Hoch­
dern oder die steigenden Burn-out-Raten auf den Elektrosmog spannungsleitungen kommen, desto lauter wird das Knistern
zurückführen lassen. „Die Leute fallen ja heute nicht mehr nur und Brummen. Uli sieht aus wie ein Außerirdischer, wenn er so
für ein paar Tage aus, sondern gleich mehrere Wochen oder in seinem Anzug und in Gummistiefeln über das Feld stapft. In
Monate.“ Die ersten Unternehmen und Behörden hätten sich der Hand hält er eine Neonröhre. Als er unter dem Strommast
schon von ihm beraten lassen, wie sie Arbeitsplätze strahlungs­ angekommen ist, streckt er sie in die Höhe. „Wir haben jetzt
arm umgestalten können. hier ganz starke elektrische Felder in der Luft“, erklärt er. „Und
die bringen das Gas im Stab zum Leuchten.“ Und tatsächlich.
Rund 30 Prozent der Deutschen äußern sich besorgt über Die olle Röhre strahlt fast so hell wie das Lichtschwert von Luke
die Auswirkungen von Handystrahlung. Strahlung an sich Skywalker. Da frage ich mich für einen kurzen Moment schon:
ist ja schon ein Wort, das negativ besetzt ist. Wir denken direkt Kann das noch gesund sein? Genau das hat Uli beabsichtigt.
an Radioaktivität, Röntgen und UV. Alles Dinge, von denen wir Er ist der lauteste Sprecher einer Bewegung, von der nur
wissen, dass sie uns krank machen können. Sie zählen zu den wenige etwas wissen. Er organisiert Demos, redet mit Jour­

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Zwei starke Charaktere: Lama Amaretto und Ärztin Monika Krout.


Vorneweg latscht noch ein Alpaka – das hat aber nur eine Statistenrolle

Ulrich Weiner in seinem Element: Beim Vortrag ist er voll bei der Sache.
Als Gespenst macht er sich aber auch ganz gut

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nalisten und hält Vorträge in Schulen, vor Bürgerinitiativen und gen Monaten verstarb er nach einer Gehirnblutung. Sie ist sich
allen, die ihm zuhören wollen. Wir begleiten ihn in die Eiffel, wo sicher, der Sendemast, der 60 Meter von ihrem Haus entfernt
er abends vor etwa 50 Leuten in einem Gasthof steht. Darunter steht, ist schuld daran. Er wurde zu niedrig gebaut und
eine Familie, sonst nur älteres, leicht ergrautes Publikum. Uli ist zu dicht an den Häusern. In der Nachbarschaft nennen sie ihre
ein guter Redner. Er weiß, wie er die Menschen kriegt. Er zitiert Straße nur „die Witwenstraße“, weil die Männer reihenweise
Studien, welche die in Deutschland geltenden Grenzwerte als dem Krebs erliegen. Dr. Krout hat die Krankheitsfälle protokol­
zu hoch einstufen. Er erzählt von einer Zukunft, in der alles liert, sich an Politiker gewandt, an die Ärztekammer, das Ge­
vernetzt ist – vom Mülleimer über den Verkehr bis hin zum sundheitsamt. Die Antwort, die sie erhält, ist immer die gleiche:
Menschen. „In Schweden lassen sich Leute schon Chips als Man nehme ihr Anliegen ernst, könne aber nichts tun. Die er­
Bahntickets unter die Haut implantieren. Das ist keine Science- laubten Grenzwerte würden eingehalten. Die Häufung der Fälle
Fiction mehr.“ Er sagt Sätze wie: „Die wollen euch das Bargeld sei nur zufällig. Deswegen sucht sie jetzt die Öffentlichkeit.
nehmen“ oder „Lasst euch von den Argumenten der Industrie Zusammen mit ihr und Uli fahren wir zu einer Freundin, die
nicht täuschen“. Die kommen an. Dann rufen die Gäste „ge­ Lamas und Alpakas züchtet, um zu zeigen, dass Mobilfunk sich
nau!“ und fangen an zu diskutieren. Uli stellt den Mobilfunk auf alle auswirkt. Auch auf Tiere. Und die können sich nichts
als einen gefährlichen Gegner dar. Was er sagt, kann er belegen. einbilden. „Du hast keine Ahnung, was ein Funkturm ist, gell?“,
Er hat sich über die Jahre ein umfassendes Archiv aufgebaut. sagt Uli und streichelt seinem langhalsigen Gegenüber das Fell.
Das ist seine Munition. Aber weil er ein Überzeugungstäter ist, Das Zotteltier und ihn verkabelt Dr. Krout mit einem EKG, das
ist das Bild, das er zeichnet, ein einseitiges. den Herzschlag mitschneidet. Zusätzlich bekommt das Lama
ein Dosimeter umgeschnallt, ein Messgerät, das die Strahlen­
Seit es Handys gibt, wurden Hunderte Studien durch- dosis aufzeichnet. Dann machen wir uns auf zu einem Weg im
geführt, die klären sollen, ob Mobilfunkstrahlung ge- Wald, der mal näher, mal weiter weg um einen Funkturm führt.
fährlich oder doch harmlos ist. Es geht um Krebs, genetische Sehen können wir Uli nicht. Es ist heiß. Seinen Schutzanzug
Schäden an Zellen und Spermien, um Unfruchtbarkeit. Regel­ hat er ausgezogen, damit die Werte nicht verfälscht werden.
mäßig wurden Untersuchungen veröffentlicht, die eine gesund­ Trotzdem steht ihm der Schweiß auf der Stirn, als er mit dem
heitsschädliche Wirkung nahelegen. Aber es gibt genauso jene, Lama zurückkehrt. „So ein Spaziergang, eine Stunde ohne
die das Gegenteil belegen. Es ist ein Glaubenskampf, bei dem Schutzanzug, das ist richtig heftig.“ Später zeigt die Auswertung
sich Wissenschaftler gegenseitig diffamieren, sich den Vorwurf der EKGs in der Praxis von Monika Krout: Dort, wo die Funk­
der Fälschung oder zu großer Industrienähe um die Ohren hau­ strahlung ansteigt, steigt auch die Herzfrequenz – und das bei
en, sich untereinander oder die Medien verklagen. 2011 stufte Uli und dem Lama. Und: Das Herz schlägt in Funkturmnähe
die Weltgesundheitsorganisation Handystrahlung als „mögli­ schneller, als wenn man leicht bergauf geht.
cherweise krebserregend“ ein. Genauso wie 266 Chemikalien, Von all dem habe ich nichts gemerkt. Ich fühle mich bes­
die Abgase eines Benzinmotors oder das Pflanzenschutzmittel tens. Und so wie mir geht es vielen. Wir können mit der Funk­
DDT. Endgültige Gewissheit gibt es bisher nicht. Das macht die belastung anscheinend ziemlich gut leben. „Aber wie lange
Debatte nicht leichter. noch?“, fragt mich Uli. Mit dieser Frage fahre ich nach Hause.
Die am häufigsten zitierten Studien, die einen Zusammen­ Seit ich wieder zurück bin, schalte ich das Handy regelmäßig
hang zwischen Handystrahlung und Krebs herstellen, stammen aus. Schaden kann das nicht.
von Professor Lennart Hardell, einem schwedischen Onkolo­
gen. Er konnte zeigen: Menschen, die besonders viel mit dem
Handy telefonieren, haben nach zehn Jahren ein doppelt so
WENIGER IST
hohes Risiko, an zwei Arten von Gehirntumoren zu erkranken. MEHR
Seine Kritiker werfen ihm vor: Er befragte Krebspatienten rück­
wirkend nach ihrer Handynutzung. Deswegen gelten solche
Studien als unzuverlässig. „Wenn Hardell mit seinem Anstieg SO KANNST DU DIE STRAHLENBELASTUNG SENKEN:
der Erkrankungsraten durch Handynutzung recht hat, müsste 1  Achte beim Kauf eines Handys auf einen niedrigen
man in den Ländern mit vollständigen Krebsregistern auch SAR-Wert. Bis zu einem Wert von 0,6 Watt pro Kilogramm
darin einen Anstieg sehen können“, gibt Gunde Ziegelberger gilt ein Gerät als strahlungsarm.
vom BfS zu bedenken. „Das war aber bisher nicht der Fall.“ Weil 2  Telefoniere mit einem Headset, dann ist die
es zudem 20, 30 Jahre dauert, bis Hirntumore entstehen, werden Strahlungsquelle weiter vom Kopf entfernt.
gerade neue Untersuchungen vergeben, die genau das über- 3  Telefoniere möglichst nur bei gutem Empfang. Je
prüfen sollen. ­schlechter die Verbindung zur nächsten Basisstation ist, desto
höher muss die Leistung sein, mit der das Handy sendet.
Den endgültigen Beweis, dass doch etwas dran ist an 4  Schalte dein Handy nachts in den Flugmodus.
der Elektrosensibilität, will uns Uli mit einer seiner
Mitstreiterinnen liefern. Dr. Monika Krout ist Ärztin aus Wo der nächste Funkmast steht?
Aachen. Auch sie ist elektrosensibel. Ihr Mann war es auch. emf3.bundesnetzagentur.de
Unter Funkstrahlung bekam er epileptische Anfälle. Vor weni­

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