Sie sind auf Seite 1von 2

3.5.2018 Göttinger Forschung zu linker Militanz: Der kommende Aufsatz - taz.

de

Göttinger Forschung zu linker Militanz

Der kommende Aufsatz


Die Uni Göttingen will „Linksextremismus“ erforschen. Die autonome Szene aber will das nicht. Sie befürchtet eine
Einmischung des Staates.

Keinen Bock auf eine Studie über linke Militanz: Die autonome Szene in Göttingen Foto: dpa

GÖTTINGEN taz | Als am Vormittag des 11. November andernorts


mit närrischem Spektakel die Karnevalssaison eingeleitet wurde,
zogen vor dem Gebäude des Göttinger Instituts für
Demokratieforschung Demonstranten auf. Vor dem Eingang kippten
sie einen großen Haufen Papierschnitzel ab. Sie zogen Absperrband
vor die Tür und knüpften daran ein Transparent mit dem Spruch
„Verfassungsschutz abschaffen“.

Das Institut, so erklärten die Protestierenden ihre Aktion, arbeite


für oder zumindest im Sinne des Geheimdienstes. Im Verdacht
haben die Aktivisten dabei vor allem die Forschungen zum
Linksextremismus.

Seit dem Juli existiert die „Bundesfachstelle Linke Militanz“, sie ist
am Institut für Demokratieforschung angesiedelt. Im Rahmen des
Bundesprogramms „Demokratie leben! Aktiv gegen
Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“ fließen zwar
Mittel vom Familienministerium, doch es handele sich „um
unabhängige Grundlagenforschung“, versicherte der Politologe und
wissenschaftliche Mitarbeiter des Institutes, Julian Schenke, am
Donnerstag der taz. „Eine Einmischung von Sicherheitsbehörden
oder Regierungsinstitutionen ist ausgeschlossen.“

Dasselbe gelte für die ebenfalls am Institut angesiedelte


„Forschungs- und Dokumentationsstelle zur Analyse politischer und
religiöser Extremismen in Niedersachsen“. Sie beschäftigt sich mit
Rechtsextremismus, religiösem Fundamentalismus und linker
Militanz im Bundesland Niedersachsen.

Radikale Linke in den Blick nehmen

Die Fördermittel seien dem Landesverfassungsschutz infolge des


NSU-Skandals gegen seinen Willen von der rot-grünen
Landesregierung abgenommen worden, so Schenke. Gleichwohl
nutzt diese Forschungsstelle aber auch offen zugängliches Material,
das der niedersächsische Verfassungsschutz bereitgestellt hat.

Die Bundesfachstelle will dagegen die


DEMOKRATIEFORSCHUNG
radikale Linke in ganz Deutschland und
Das Institut für
Europa in den Blick nehmen. Bis Ende
Demokratieforschung an der Göttinger
2019 wollen die Forscher nach eigenen
Universität besteht seit 2010. Leiter und
Chef der rund 60 Mitarbeiter*innen war Angaben Erkenntnisse zur Rekrutierung
bi S b d P li l F nd Z sammenset ng inne en
http://www.taz.de/!5463654/ 1/2
3.5.2018 Göttinger Forschung zu linker Militanz: Der kommende Aufsatz - taz.de
bis zum September der Politologe Franz und Zusammensetzung, zu inneren
Walter, die Politikwissenschaftlerin Stine Kommunikationsweisen und zu
Marg leitet zurzeit die Einrichtung Entscheidungsprozessen der Szene
kommissarisch. Das Institut
gewinnen. Und pädagogische Ansätze
hat zahlreiche Studien veröffentlicht.
Auf Interesse stießen Untersuchungen zu
„zur Prävention demokratiefeindlicher
Pegida und zur Pädophilie-Debatte bei Aspekte linksradikaler Denk- und
den Grünen. Verhaltensweisen“ entwickeln. „Dabei
Im Sommer sorgte die Arbeit zu fassen wir Radikalität nicht als per se
„Rechtsextremismus und verwerflich auf“, betont Schenke.
Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland“
fürKontroversen. Nach Kritik an
Um an ihr Forschungsziel – „eine
angeblichen Methodenfehlern ließ die
wissenschaftlich fundierte Ethnologie
Ostbeauftragte der Bundesregierung, Iris
der linken Militanz“ – zu gelangen,
Gleicke, die von ihr in Auftrag gegebene
Studie fallen. wollen die Göttinger Forscher zunächst
lokale Milieus untersuchen. Schenke
drückt das so aus: „Im Rahmen
definierter lokaler Strukturen wollen wir Handlungsmotive und
Radikalisierungsgründe, Mentalitäten und Einstellungsmuster,
infrastrukturelle Vernetzungen und Aktionsformen wie unter einem
Brennglas analysieren.“

Als Methoden kämen etwa leitfadengestützte und biografisch-


narrative Interviews, Gruppendiskussionen, die Analyse und
Deutung politischer Schriften sowie von Debatten in sozialen
Netzwerken und auch „Feldforschung im Sinne von teilnehmender
Beobachtung“ infrage – „allerdings ganz ohne klandestine Praktiken
und unter Gewährleistung wissenschaftlicher
Datenschutzrichtlinien“.

Erste Publikationen und Forschungsberichte will das Institut bereits


ab 2018 vorlegen. Ein ehrgeiziger Zeitplan, denn ob die
Forschungsobjekte wie erhofft mitmachen, erscheint äußerst
fraglich. Eine Frau, die in der Göttinger autonomen Szene
unterwegs ist, sagte: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich
unsere Gruppe für Befragungen zur Verfügung stellt oder duldet,
dass Wissenschaftler zu unseren Treffen kommen.“

Schenke hingegen hebt hervor, dass die


Erste Publikationen und Arbeit von Behörden wie dem
Forschungsberichte will das Verfassungsschutz kritisch beurteilt
Institut bereits ab 2018 werde. Dies sei „selbstverständlicher
vorlegen
Teil unserer Analyse“. Ein wesentlicher
Teil der Arbeit bestehe auch darin,
adäquatere Begrifflichkeiten zu finden, „den Extremismusbegriff
halten wir selbst für unzureichend“.

Proteste wie die „Schnipsel-Aktion“ am 11. November verdammen


die Göttinger Wissenschaftler ungeachtet ihrer Klarstellungen nicht:
„Handelt es sich hier doch um die Ausübung demokratischer Rechte
in einer stets konfliktgeladenen politischen Kultur.“

http://www.taz.de/!5463654/ 2/2

Das könnte Ihnen auch gefallen