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Die AgustaWestland
AW 101 hat sich als
CSAR-Hubschrauber
der Royal Air Force
bereits im Irak
bewährt.
Foto: Royal Air Force
Bewaffnetes Suchen und Retten/Combat Search and Rescue unter Kampfbedingungen verfügbar wäre. Hier ist die politische
(CSAR) sind militärische, bewaffnete Such- und Rettungsak- und militärische Führung gefordert, den bestmöglichen Schutz
tionen mit dem Ziel, Besatzungen von Luftfahrzeugen, die in für die Soldaten, die sie in den Einsatz befiehlt, ohne weiteren
Not geraten sind, notfalls mit Waffeneinsatz aus Krisen- und Verzug sicherzustellen. Durch die Beschaffung eines leistungs-
Kriegsgebieten zu bergen. Dies schließt auch die Suche nach fähigen und vor allem bereits marktverfügbaren CSAR-Hub-
Vermissten sowie die Rettung isolierter oder verletzter Per- schraubers könnte diese Fähigkeitslücke zeitnah geschlossen
sonen im Spektrum von Joint Personnel Recovery Operations werden, zumal bereits 1996 eine CSAR-Kerngruppe in Holz-
(Personalrückführung) mit ein, um sie vor Gefangenschaft dorf eingerichtet wurde, die das verzugslose Erreichen einer
sowie Misshandlung, Folter und Ermordung zu bewahren. CSAR-Befähigung konzeptionell entwickeln soll.
Wie in den meisten NATO-Mitgliedsstaaten ist auch bei den
deutschen Streitkräften federführend die Luftwaffe beauf- Gerade in diesen Tagen erlangt die Forderung der Luftwaffe,
tragt, Fähigkeiten für das bewaffnete Suchen und Retten be- nunmehr endlich eine CSAR-Fähigkeit durch die Beschaffung
reitzuhalten. CSAR-Operationen werden vorrangig mit dafür eines geeigneten und bereits im Einsatz bewährten CSAR-Hub-
speziell ausgerüsteten Hubschraubern durchgeführt und im schraubers ohne weiteren Zeitverzug zu erhalten, eine ganz
Bedarfsfall durch die Unterstützung von Kampf- und Über- entscheidende Bedeutung. Im Vorfeld der internationalen
wachungsflugzeugen begleitet bzw. geschützt. Daneben Afghanistan-Konferenz in London kündigte Verteidigungs-
gibt es entsprechend den jeweiligen Szenarien auch CSAR- minister Karl-Theodor zu Guttenberg an, dass der Auftrag
Operationen mit Bodenfahrzeugen oder schwimmenden der Bundeswehr für den Einsatz in Afghanistan dahingehend
Einheiten. geändert wird, dass die Truppe mehr Präsenz in der Fläche
Die Bundesrepublik Deutschland verfügt über keine geeigneten zeigen soll. Dies bedeutet mit anderen Worten zum einen das
Fähigkeiten zum CSAR und ist seit Jahren auf die Unter- Verlassen der gut geschützten Feldlager und zum anderen
stützung durch Streitkräfte von NATO-Alliierten angewiesen. mehr Patrouillen zu Fuß und weniger Fahrzeugpatrouillen.
Bereits seit geraumer Zeit operieren deutsche Soldaten in Dieser Wandel des Einsatzkonzepts – ähnlich dem US-ameri-
Afghanistan, ohne dass in entsprechenden Bedrohungs- und kanischem „Partnering“ – sichert einerseits den wichtigen und
Notsituationen eine nationale Fähigkeit zum Suchen und Retten vertrauensbildenden Kontakt zur afghanischen Bevölkerung,
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Bundeswehr ohne CSAR-Fähigkeit Wehrtechnik
andererseits birgt er auch Gefahren für die Soldatinnen und - ballistischer Schutz für Piloten und Bordschützen,
Soldaten. Die überall wahrzunehmende aber nicht unbedingt - Selbstschutzbewaffnung,
rechtzeitig erkennbare Anwesenheit von Taliban und Terroristen - Reisegeschwindigkeit: 130Kn (KTAS),
stellt ein erhebliches Gefährdungspotential dar, dem nur mit - Heckrampe,
entsprechender Ausrüstung begegnet werden kann. - Fähigkeit zur Luftbetankung,
Dazu gehört zweifelsohne auch die Fähigkeit zum bewaffneten - medizinische Ausrüstung,
Suchen und Retten. Neben den Bodentruppen, die häufig auch - (Multifunctional Information Distribution System)
in „Urbanen Operationen“ eingesetzt werden, hat die Bundes- MIDS/LINK 16 (Digitaler Datendienst von MIDS).
wehr in Afghanistan auch Luftfahrzeuge wie TORNADO,
C-160 Transall und Hubschrauber im Einsatz, deren Bedrohung Des Weiteren beinhaltet der aktuelle Forderungskatalog
durch Beschuss und Abschuss allgegenwärtig ist. vom Oktober 2009 die Fähigkeit zur Durchführung von drei
Die Notwendigkeit zur Erlangung der CSAR-Fähigkeit ist konkreten Missionen mit jeweils unterschiedlichen Startfor-
innerhalb der Bundeswehr unbestritten, allein die zeitnahe derungen und Missionsprofilen. Bei den Startforderungen
Umsetzung erscheint als problematisch. wird zwischen der HIGE (Hover in Ground Effect/Schwe-
beflug im Bodeneffekt) und HOGE (Hover Out of Ground
Effect/Schwebeflug außerhalb des Bodeneffekts) -Forderungen
Der lange Weg zur Realisierung eines unterschieden. Die drei Missionsprofile werden nachfolgend
mittleren Transporthubschraubers dargestellt:
Erste Konzepte zur Beschaffung eines mittleren Transporthub- Mission 1 – Afghanistan ISAF Personnel Recovery/Personen-
schraubers entstanden bereits in den 1980er Jahren. Zunächst rückführung ohne Luftbetankung:
als ein Programm der NATO wurde zur gemeinsamen Realisie- - 7 Besatzungsmitglieder einschl. Ausrüstung und persön-
rung die NATO Industrial Advisory Group (NIAG) gegründet, licher Schutzausstattung jeweils bis zu 130kg,
aus der mit den Staaten Frankreich, Italien, die Niederlande - Start bei 3.000ft/35°C (HIGE),
und Deutschland die NATO Helicopter Management Agency - Kapazität zur Aufnahme von 7 abgesetzten Personen jeweils
(NAHEMA) hervorging, der sich später Portugal und Belgien bis zu 130kg in einer Landezone (HOGE) in 6.000ft/30°C,
anschlossen. Mit der NHIndusties (NHI) wurde ein zentraler - Einsatz 250NM/Reichweite 500NM,
Auftragnehmer bestehend aus den Firmen EADS Eurocopter, - Fluggeschwindigkeit: mindestens 120Kn (KTAS).
AgustaWestland und Stork Fokker gegründet. Das Projekt er-
hielt die Bezeichnung NH90 (NATO Helicopter der 90er Jahre), Mission 2 – Afghanistan ISAF CSAR Szenario mit Luftbetankung:
wobei die Entwicklung und Produktion mit verschiedenen - 7 Besatzungsmitglieder einschl. Ausrüstung und persön-
Baugruppen auf die beteiligten Hersteller aufgeteilt wurde. licher Schutzausstattung jeweils bis zu 130kg,
Die Bundesrepublik hat sich durch ein NH90 Beschaffungs- - Start bei 5.000ft/35°C (HIGE),
MoU (Memorandum of Understanding) zum Kauf von 134 - Kapazität zur Aufnahme von 7 abgesetzten Personen jeweils
Hubschraubern verpflichtet, wovon zunächst 122 Stück zur bis zu 130kg in einer Landezone (HOGE) in 6.000ft/30°C,
Beschaffung unter Vertrag genommen wurden. Der Beschaffungs- - Einsatz 350NM/Reichweite 700NM,
vertrag sieht die Lieferung von 80 TTH (Taktischer Trans- - Luftbetankung nach 450NM,
porthubschrauber) für das Heer und 42 Dual-Rolle LTH/SAR - Fluggeschwindigkeit: mindestens 120Kn (KTAS).
(Leichter Transporthubschrauber/Such und Rettung) für die
Luftwaffe vor, wobei davon ursprünglich wiederum 19 mit Mission 3 – ATALANTA CSAR/Personnel Recovery Szenario mit
einem zusätzlichen Rüstsatz CSAR ausgestattet werden sollten. Luftbetankung:
- 7 Besatzungsmitglieder einschl. Ausrüstung und persön-
Zur Realisierung der CSAR-Fähigkeit licher Schutzausstattung jeweils bis zu 130kg,
- Start bei Sea Level/45°C (HIGE),
Erste Forderungen für die CSAR-Fähig-
keit wurden bereits in der Militärisch-
taktischen-wirtschaftlichen Forderung
(MTWF) LTH/SAR vom Mai 1990 formu-
liert und im Interessenbekundungsver-
fahren (RFI – Request for Information)
vom November 2008 als Anforderungen
an ein Luftfahrzeug CSAR definiert.
Zwischenzeitlich haben sich durch
veränderte Einsatzrealitäten für die
Bundeswehr die damals festgelegten
Anforderungen erheblich erweitert.
Demzufolge ergeben sich aus dem
Forderungskatalog mit generellen ope-
rationellen Vorgaben, den Annahmen
für Einsätze sowie Einsatzprofilen fol-
gende Merkmale für ein CSAR taugliches
Waffensystem:
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Wehrtechnik Bundeswehr ohne CSAR-Fähigkeit
Boeing CH-47F
Auch der Hubschrauber CH-47F erfüllt
alle funktionalen Anforderungen hin-
sichtlich der gedachten Start- (HIGE
und HOGE) und Missionskriterien. Er ist
Die leistungsstärkere militärische Variante der S-92A von Sikorsky erscheint bereits marktverfügbar und hat sich als Hub-
im Projekt „Marinehubschrauber“ als geeigneter Kandidat und käme durchaus auch schrauber unter anderem im Irak und
als CSAR-Hubschrauber in Betracht. in Afghanistan als kampferprobt und
Foto: Sikorsky tauglich erwiesen.
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