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Arnd Bauerkämper (Hg.

Die Praxis
der Zivilgesellschaft
Akteure, Handeln und Strukturen
im internationalen Vergleich

Unter Mitarbeit von Manuel Borutta

Mit ei nem Nachwort von Jürgen Kocka

Arnd Bauerkämper, Dr. phil. , i t Ge chäftsführender Leiter des Zentrum


für Vergleichende Geschichte Europas, Berlin , und Privatdozent am Fachbe- Campus Verlag
reich Geschicht - und Kulturwi ssenschaften der Freien Uni versität Berlin. Frankfurt/New York
Inhalt

Einleitung: Die Praxis der Zivilgesellschaft. Akteure und ihr


Handeln in historisch-sozialwissenschaftlicher Perspektive 7
Arnd Bauerkämper

Ziv ilgesellschaft als Konzept und die Suche nach ihren Akteu ren 31
Hans-Joachim Laulh

I. Kerne der Zivilgesellschaft


Das Öffentliche des Privaten. Die Familie als
zivilgese llschaftliche Kern institution 57
Gunilla-Friederike Budde

Akteure der Zivilgesellschaft vor Ort? Presse,


Lokalpolitik und die Konstruktion von »Gesellschaft«
im Gouvernement Saratov, 1890-1 9 17 77
Kirsten Bänker

Bildung und öffentl iche Partizipation. Sozialdemokratische


Bildungsaktivitäten in Leipzig und Pi lsen vor 19 14 105
Adina Lieske

II. Zivilgesellschaftliches Handeln


Ziv ilgesellschaft und Ständegesellschaft. Überlegungen
Bibliografische Informationen der Deut chen Bibl iothek am Beispiel Kurlands im 19. Jahrhundert 13 1
Die Deutsche Bibliothek veneich I d" p bl" · · Mathias Mesenhöller
Detaill ien e bibliografi ehe Date n~ d ,_esel . u rkat_1on in der Deut sc hen Nationalbib liografie.
ISBN 3-593 -3 7235-5 n s rn im ntemet uber h!lp://dnb.ddb.de abrufbar.
Arbeiter als die »and ren Akteure« der Zivilge ellschaft.
Die Übertragung von Zivilisiertheit an die europäische
f~s Werk cinschl_icß li h al ler seiner Teile ist urheberrechtlich geschüt zt
Periph erie während der Epoche der Russischen Revolut ion 161
f~r ~~~:;";~;;~~;u~s~eonhÜbZust~ mung
V b . . '
tt
Verlags unzulässi g. Das gi lt insbesondere
er_e ungen. rkro verfilmun ge n und die Ein spe ic herung
Jörn Grünewald
un d erar e1tung in elektroni schen Sy temen .
Ziv ilgesellschaft und Kultur. Programmatik, Organisation und
Copyright © _2003 Campus Verlag GmbH, Frankfurt/Main
Druck und Bindung: KM-Druck, Groß -Ums tadt Akteure gese llschaftlich getragener Theater im 19. Jahrhundert 189
G~druc~t auf säurefreiem und ch lorfrei gebleichtem Papier Philipp Ther
Pnnted 111 German y ·

Di kretionspolitik in der Ziv ilge II chaft _1 3


IBesuchen Sie uns im I t Manuel Frey
III. Konturen und Grenzen der Zi ilgesellschaft Einleitung: Die Praxis der Zivilgesellschaft
»Nationalisierte« Zivilgesellschaft. ng leich e
Staatsbürger in Rumänien , 1890- 1910 Akteure und ihr Handeln in historisch-
231
Dietmar Müller sozialwissenschaftlicher Perspektive
Fe lder zi ilgesellschaftl ichen Handelns? Verbände und Netzwerke Arnd Bauerkämper
des deutschen Bürgertum 1945-1 965 251
Regina Vogel

Polnischer Nationalstaat, deutsche Minderheit und


Schulwesen 19 18-J 9„9. Ansätze einer Zi ilgesellschaft? 275
Ingo E er
Am Beginn der Zivilgesellschaft steht das Handeln ihrer Akteure. Im späten
Gab e~. im 19. Jahrhundert in Polen ei ne Zivilgesellschaft?
Erste Uberlegungen J 8. Jahrhundert von europäischen Intellektuell en herausgebildet wurde das Bür-
293 .
Maciej Janowski gertum im 19. Jahrhundert zur wichtigsten Trägerschicht zivi lgesellschaftl icher
Werte und Strukturen . Jedoch dehnten sich diese anschließend auf die Arbeiter-
IV. Auf dem Wege zur globalen civil ociety? schaft aus . Überdies griffen im späten 19. und frühen 20. Jah rhundert zuneh-
mend Gruppen wie die Frauenrechtsbewegung wichtige zivi lgesell schaftl iche
Grenzen europäischer Zivilisation im piegel des Anderen. Reisende
als Akteure der Zivi lgese llschaft zwischen Inklusion und Exklusion Maximen auf, indem sie eine Teilhabe an politischen Entscheidungen und eine
319
Bernhard Struck erweiterte gesellschaftliche Parti zipation forderten . Jedoch haben keineswegs
alle Angehörigen dieser Schichten ein gleichermaßen nachhaltiges zivilgese ll-
Rem igranten als Akteure von Zivilgesel lschaft schaftliches Engagement gezeigt. Forschungen zu Akteuren der Zivilgesell chaft
und Demokratie. Historiker und Pol itikwissenschaftler sind deshalb geeignet, einzelne Personen und Gruppen in großen sozial n Fo r-
in Westdeutschl and nach 1945 343 mationen wie Bürgertum, Adel und Arbeiter chaft zu identifizieren , di e mit
Arnd Bauerkämper
ihrem Handeln besonders deutlich als Protagoni ten de r Ziv ilgesellsch aft her-
Ziv il gese llschaftl ich e Akteure und transnation ale Politik vortraten . Darüber hin aus ermög lichen akteurszentri erte tudien eine Differen-
37 1
Dieter Rucht zierung zwischen unterschiedlichen Funktionen und Rollen der Handlungsträger
die nur in spezifischen Konstellationen als Träger der Zivilge eil chaft agi rten .
Zi ilgesellschaft aus der Perspektive der Entwicklu ngslän der 39 1 Sch ließlich lenken Untersuchungen zu den Akteuren die Aufmerksamkeit auf di e
Berthold Kuhn ind ividuellen und strukturellen Vora ussetzungen zivilgese llschaftl ichen Han-
delns. Sie akzentuieren damit Zivi lgese!lschafts/ähigkei1 al eine unabdin gbar
Der Elfenbeinturm und die Zivi lgesellschaft 4 15 Handlun gsvoraussetzung. Insgesamt sind Studien zur Handlungspraxis in Zivil-
JohnKeane
gese llschaften gee ignet, die - durchweg zu statisch g fassten - bereichs logischen
~achwort: Ziv ilgesell schaft. Begriff und Ergebn isse der hi sto ri schen Begri ffs bestimmun gen zu überwinden und di D namik und Ambiva l nz zivil-
I· orschung 429 gese llschaftlicher Aktivitäten ana lytisch zu erfassen und zu erk lären.
Jürgen Kocka Diese Forschungsrichtung so ll n die hi r veröfö ntlichten Beiträ0 er tär-
ken auch durch ihre historische Perspektive. In den vier Kapiteln , d nen die
Zu den Autorinnen und Autoren 441 empirischen Studien jeweils zugeordnet sind, wird das Handeln konkreter Akteu-

7
Das Öffentliche des Privaten
Die Familie als zivilgesellschaftliche Kerninstitution
Gunilla-Friederike Budde

»Doch soll das Haus nicht von der Menschheit /rennen. «


(Louise 0110)

I. Vorüberlegungen

War die frühe Zivilgesellschaft ein Männerprojekt? Stößt man auf der Suche
nach Optionen und Grenzen weib licher Akteure in der Zivilgesel lschaft des
19. Jahrhunderts vornehmlich auf Grenzen weib licher Partizipation? Zum indest
die Mehrheit der mittlerweile im Zuge der spektakulären Renaissance auch histo-
risch inspirierten Forschungen zum Trendthema »Ziv ilgesellschaft« legt diese
Vermutung nahe . »Civil Society«, konstatierte Keith Tester lapidar, » is about
1
what happens to us when we leave our family and got about our o, n lifes. «
Auch wenn sich die wenigsten frUheren und heutigen Theoretiker der Zivilge-
sel lschaft einer so lch weiten Umschreibung ansch ließen würden, schein n die
meisten Tester zumindest in einem Punkt zuzustimmen: Bei al len Definitionsva-
rianten, die sich dem Begr iff anzunähern und sich dabei vor a ll em, wi be i
schwer fassbare n Begriffen Ublich zu vergewi ern suchen, was Zivilge ell-
schaft nicht ist, herrscht weitgehender Konsens darüb r, dass sie von der » Privat-
sph äre« abgegrenzt werden mu ss. »Me istens w ird Ziv il gese ll chaft«, o Jürgen
Kockas Resümee, »in Absetzung zum Staat, oft auch in Abgr nzung zur Öko-
nomie, durchweg im Unterschied zur Privatsphäre definiert.<<2
Für die Frauen des 19. Jahrhund erts hatt d iese Festschre ibung pr käre Kon-
sequ enzen: Als hi torische Akteurinnen wurden sie damit weitg hend au der
früh en Z ivilgese ll schaft herausgeschrieben . Je mehr ie eit dem 18. Jahrhundert
ideo log isch in di e Privatsphäre der Familie ei ngeschlo. n wurden , desto deutli -
cher blieben s ie vo n der Öffentli chkeit der Zivi lgese ll chaft au geschlo sen. ls

I Tester 1992, . 8. Vgl. z.B. auch Kocka 2000, . 24f.


2 Kocka 200 1, . 9.

57
Akteurin nen der Zi il ge ellschaft tau hten ie dieser Konstru ktion ent prechend
J 9. Jahrhunderts gespielt hat. Au ch wenn Zivi lgesellschaft und ziv ilgese llschaft-
nur erei nzelt in den aufgrund des restrikti en Vere insgesetzes wenigen ihnen
li ches Handeln grundsätzlich nicht klassengebunden sind - dies mag auch ein er
offi n stehenden Assoziationen auf und dann im Kaiserreich als Protagonistinnen
der Frauenbewegung. 3 der Vort ei le des Begriffs gegenüber dem Terminus »B ürgergesellsch aft« sein -,
gilt doch gerade in hi storischer Rückschau, dass Fam il ien des Bildungs- und
Vor allem die dichotomi eh e Gegenüber tel lung on »privat« und »öffent-
Bes itzbürgertums hin sichtlich ihres Muße- Wohl stands- und Wertepotenzials für
li ch «, die von der femin istischen G chicht wissen chaft seit einiger Ze it in
die Teilnahm e und Teilhabe am zivilgese llschaftli chen Projekt besonders prä-
Frage geste ll t und empirisch wi derlegt worden ist,4 scheint in dem Konzept einer
destiniert waren.7
on der »Privatsphäre« strikt getrennten Zivi lgese ll schaft wieder aufe rstehen zu
Die zeitliche Konzentration li egt hier auf dem Deutschen Kaiserreich, dem
kö nn en. Damit, so ancy Frasers plausi bler Einwan d, geraten auch heutige TI1e-
von vielen Histori kern und Histori kerinn en im Vergleich zu den Dekaden zuvor
oret iker der Zivi lgesellschaft in Gefahr, eine »Rhetori k der Privatheit« aufzugrei-
_ nicht zuletzt mit Verweis auf Tendenzen einer »sozia len Mili tarisierung« und
fen , die in der Vergangenheit »dazu verwendet worden ist, das Universum der
einem mit Rass ismus durchsetzten Nationalismus - eine abneh mende Zivi lität
leg itim en öffentlichen Auseinandersetzung einzuschränken. « Ihrer Meinung
attesti ert wird. Mit Blick auf die we ibli chen Akteure so ll hier überprüft werden,
nach mu ss jedoch eine haltbare Konzeption der Öffe ntlichkeit ni cht den Aus-
inwiewe it Bürgerfrauen in der Praxis Werte vertraten und vermittelten die fü r
schlu ss, sondern den Einbezug sol cher Interessen un d Pro bleme unterstützen die
eine Partizipation an der Ziviigese llschaft rüsteten.
von der bürgerlichen, »masku linisierten« Ideologie als »pri vat« etikettiert wer-'
den.5
Um ein e weitere Einzäunung der separate spheres zu verm eiden, werden hier
nich t die mittlerweile detai ll iert untersuchten Akti vitäten der Frauenvereine und II. Geschlechterkonzeptionen der frühen Zivi lgesellschaft
der Frauenbewegung beleuchtet,6 die vor all em im Ka iserreich eindrucks voll die
se lbstreferentiell e Dynam ik des zivilgesell schaftli chen Program ms unter Beweis
Entsprech end ihrer pol ar, doch komplementär gedachten »natü rl ich en Ge-
stellten, indem sie sein Gleichheitsversprechen beim Wort nahmen. Vielmehr
schlechtscharaktere«, so di e seit dem 18. Ja hrhundert gängige Argum entation,
werd en in diesem Beitrag Gedanken über die »pri vate« Seite der Zivilgese ll -
soll ten Männ er und Frauen sich in unterschiedl ichen Handlungs- und Wirkungs-
schaft und die >>öffentlich e« Seite der Fam ilie enh; icke lt. Nach ein em Überb lick
sphären finde n, sich ergän zen und ein harmonisches Mi te in ander pfl egen . Die
über die Gesch lechterkonzeptionen der früh en Zivilgese llschaft (II.), der ze igen
Frau galt »ih rer Natur nach« als emotionsbe lei tet, pass iv und sanft, der Mann al
so ll , dass die Geschlechterordnun g keineswegs ein e Marg inal ie auf der zi vilge-
vemunftorientiert, akti v und stürmisch . Dieser Gedanke ent prach zun äch t
sellscha ftl ichen Diskursagenda des 19. Jahrhunderts war, sondern dort immer
durchaus der Idee der bürgerlich en Gese ll schaft als Gem einschaft von differen-
wieder neu ver- und ausgehandelt wurde, kommen die Familie und die in ihr
zierten Indi viduen mit multiplen ldentitäten.8 Diese Akzeptan z der Plurali tät und
ag ierende n Fra uen als Tei l der Zivi lgese ll schaft in den Blick. Jhrer Fun ktion als
die fo rcierte funktionale Differenzierung gehörten sogar zu den konstitut iven und
~ittlerinnen ziv.i lgese llsch.aftli cher Werte (III.) sowie als Choreographin nen
neuen Merkmalen ni cht nur der idea len, sondern auch der r al exi tierend n
z1vllgesells chaftl1 cher Prax is (IV .) gil t das Interesse.
Bürgergese ll schaft, die bewusst Abschi ed nehmen wo ll te von der festgezurrten
Wenn hier aussch li eß li ch auf Frauen und Fami lien des Bürgertums oeschaut
Kompaktheit altständischer Gruppen des ancien r 'gime.9
wird , resul tiert di ese Besch ränkung vor all em aus der ex ponierten R~ ll e die
diese soziale Fonnation als Trägergruppe der Zivi lgese llschaft des 18.' und
7 Die heißt keines wegs, das nicht auch in anderen ozialen hichten \ e ibli he Akteure
3 iehe hierzu Gerh ard 200 1, S. 79f. und zivil gesellscha flli che Aktionen nusmachbar wären die .es j edo~h n eh zu unle~ud1.e n
4 gi lt. Auch der noch ausstehende Blick auf z i ilgesell chafl1 1che Le istun gen der Famili e im
Zu dieser Problematik der Kategorien , öffentli ch" und „privat" Bock 199 1· H 1992 ·
Da vidoff 1993; Budde J997. • ausen , 20 . Jahrhundert dürfte sich lohnen .
5 Fra e r 200 1, S. 14 1-1 43, 149. 8 Hierzu Budde 2000.
6 Vg l. hierzu u.a. die gerade erschienene Studi e von chröder 200 1. 9 Auch Paul Nolte sieht in der „Zul assung und Em1ögli chung von Differenz" ei ne „un ab-
dingbare Vornussetzun g für Zivi lge ellschafl." Vgl. N ltc 200 1, . 25.

58
59
D eh mit d r polar n Ge chlechterordnung wurden nich t nur »U ngleichhei-
ten« angenommen , sondern die e gleichze itig auch in einem System der Über- mestizieren ga lt. timmen, die dafür plädierten die Ungleichheit nicht zu recht-
fert igen, sondern aufzuheben, waren nur leise vernehmbar. Vie lm ehr halfen die
und Unterordnung erankert. Wer nach diesem nicht nur kontrastierenden, son-
meisten krä~ig mit, »diese Ordnung unbeschadet in die bürgerliche Gesellschaft
dern auch hierarchisierten Modell den dom inanten Part überneh men so llte, stand
hinüber zu retten und gegen die Dynamik des modern en Denkens und sozialen
außer Frage. Wie aber vertrug sich di e Idee wei bl icher Unterordnung mit dem
Wandels zu verte1'd'1gen.« 12
zivilge ellschaftlichen Programm allg mein r Chanceng leichheit und Entfal-
Namentli ch die seit der Spätaufkläru ng entwicke lte Wissenschaft vo m Men-
tungsfreiheit ohne Rücksicht auf Geburt und da mi t auch Gesch lecht? War die
schen, die Anthropologie, diente als Argumentationsquelle, aus der dabei eifr ig
lange vef\' ehrte spät und zögernd ein etz nde und bis heute nicht beendete
geschöpft: wurde. Indem sie die Gesch lechterdifferenz als natürliche, sch ließ li ch
Emanzipation der Frauen in den zentralen Prinzi pien der Ziv ilgese llschaft ange-
auch anatomisch an der Ungleichheit der Körper wi ssenschaftlich fund ierte Tat-
legt oder gehörten Ungleichh eitsmuster nicht ielrnehr zu ihren Grundp fe ilern?
sache ausarbeitete und mit weitreichenden Bedeutungen ausstattete trug sie dazu
Gegen die erste Annahme sprechen die nicht abnehmenden sondern noch wach-
bei, dass die vordem durchaus anerkannte Historizitäl der Geschlechterordnung 13
enden Ungleich heiten und ihre lnstitutional i ieru ng auf sozialem, rechtlichem
eingefroren und dagegen die »historische Konstante« einer »weiblichen Sonder-
und politischem Geb iet zum Jahrhundertend e, als es s ich verbot, sie noch als
anthropo logie« langfristig verankert wurde. 14 Bestechend schematisch und dami t
l'ä ndi sche Überhänge und Traditionsrelikte erklären zu wo ll en.
das Bedürfnis simplifizierter Ordnungsvorstellungen erfü llend geriet die Ge-
Immerhi n trieb diese Unstimmigkeit zwisch n uni versal em Versprechen und
schlechterordnun g zum grundlegen den Denkmode ll vor all em bürgerl icher
exkl usiver Realität auch die Vor- und Meisterden ker des emphatischen Pro-
Selbstrepräsentation , jedoch mit we itreichender, · klassenübergreifender Au -
gramms der Zivilgesellschaft um . Beflissen suchten sie nach ein er Leob itimation
. . strah lungskraft.
der Diskrepanz. Legionen von Publikationen theologi scher, philosoph ischer,
Den zugew iesenen »natürli chen Geschl echtscharakteren« so llten die zuge-
pädagogischer und naturwissenschaftlicher Pro enienz, ein zio ersonn en um das
schriebenen Räume von Bürgern und Bürgerinnen entsprechen. Danach ga lt der
dualistische Modell der Geschlechterbeziehungen zu stütze: und zu ~dieren
als »privat« konstrui erte Raum der Famili e als Frauenraum , während sich di e
°
1
strömten in die Öffentlichkeit. Friedrich Herders »Adrastea« aus dem Jahr
Männer im Bereich der beru flichen , politischen und ku lturellen Gestaltung in
1803 lieferte ein Erklärungsmuster, dem offenkundig viele fol gten . Danach, so
der »Öffentlichkeit« der Zivilgese llschaft bewegten. In di eser Pl atzanwe isung
erklärten zwei Freimaurer einer fiktiven Gesprächspartnerin die ihr verwehrte
wiederholte sich das männlich -weib li che Ungleichgewicht mit seinen un ter-
Logenm!tgliedschaft erübrige sich für Frau en eine Unterscheidung von rein
schiedl ichen Machtpotenzialen di e nich t zul etzt du rch rü ckbli ckende Hi storiker
menschlichen und bürgerlichen Pflichten da sie als »Erzieherin nen der Mensch-
und Hi storikerinn en, di e damit gleichze itig Hau pt- und Nebenschaupl ätz der
hei t fortwährend im Paradiese« der »häu slichen Gese llschaft« lebten wäh rend
Geschichte defini erten, zu überzeitli chen Uni versalien erhoben wurden.
der Mann fl..lr sich und die Familie die »Lasten des bürgerlichen L~ben s« zu
Doch ungeach tet der geschlech tsspezifischen Ei nfä rbung di e er Orte rwie-
schultern habe. Der Mann müsse in der bürgerlichen Gesellschaft, im öffentli-
sen sich ihre Ränd er in der sozialen Pra i al hi torisch höch t variabe l du rch-
chen Raum bestehen, die Frau könne sich im privaten, »rein menschlichen< lässig und fli eßend. Auch wenn sich unschwe r Räum e in der eschichte au ma-
Raum entfalten. Fo lglich bedürfe sie auch nicht einer Geselligkeit, welche die
chen lassen , in denen entweder Bürge rinnen oder Bürger ton angeb nd wi rkten,
Trenn un gen der bürgerlichen Gesellschaft zu überwinden suche und auf das
»Reinrnensch liehe« zie le. 11 bestanden di ese nicht als frei schwebende, autonom e Frauen- und Männerin ein ,
sondern waren durch Interaktion Kooperation und Konflikte eng mitein ander
Offens ichtlich reagierte man mit so lchen Erklärungsbemühungen nicht nur verwoben und aufe inander bezogen und damit einer tändigen eukonstruktion
auf selbst erkannte Spannungen des Gedankengebäudes, sondern auf die all eror-
au sgesetzt. Fraglos waren auch im 19. Jahrhundert Geschlecht und Gesch lech-
ten sich wandelnde Gesch lechterordnung, deren rea le Beweglichkeit es zu do-

10 1-lagemann 2000. 12 Hausen 1998, . 26.


11 Herder 1886/1967, . 13 2; Hoffmann 2000, S. 44 . 13 Sprc 1994 . 289.
14 Ho ncgger 199 1.

60
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t rdifferenz Produkte diskursiver Konstrukti on und damit keineswegs irreversi-
den Ego ismus durch Empath iefühigkeit temperiert betrachten sie die Familie als
bel. Sie wurden in verschjedenen Kontexten auf erschiedene Art mit unter- . .on par exce IIence«. 19
chl üsse linstitution, als »the voluntary as ociat1
sch iedlichen Konsequenzen imm er wieder neu hervorgebracht. Eine spezifisch
Diese in der aktuellen Diskuss ion noch wen ig durchgesetzte Interpretation
bürger li che Gesch lechterordnung ntstand im Zusammenspiel von normati ven
entsprach dem Selbstverständnis vie ler Bü rgerfrauen des ausgehenden 19. Jahr-
Entwürfen und ubjektiven Erfahrungen , an dem Männer und Frauen gleicher-
maßen beteiligt aren. 15 hunderts offenbar durchaus. Glaubt man ihren zahlreichen Aufzeichnungen
sahen sie sich kein eswegs als Randfi guren des zivilgese llschaftlichen Projekts.
Bestärkt durch zeitgenössische Diskurse, in denen die Erziehung künftiger Bür-
gerin nen und Bürger zunehmend zum wichtigen Thema wurde, wa ren sie s'.ch
ihrer Bedeutung für die Sozialisation der jeweils nachkommenden Generat ion
III. Frauen al Mittlerinnen zi il gesell chaftlicher Werte
wohl bewusst. Ze itgenössische Pädagogen nährten das mütterliche elbstver-
trauen in ihre Erziehu ngskompetenz. 20 Dass diese Aufgabe nicht als we ibliche
Zu den Orten an denen die e zi ilgese llschaftlich ausgehande lte und für die
»Pr ivatsache«, sondern auch als eine »öffentliche« Angelegenheit betrach tet
Zivilgesellschaft konstitutive Geschlechterordnung fortwährend auf di e Probe
wurd e, bestätigen auch di e Tagebuchnot izen der sechsfachen Mutter und Kau~-
geste!lt wurde, gehörte die Familie. Indem ausschli eßlich bereichslogisch argu-
mannsgattin Helene Eyck, in denen sie von allabendlichen Gesprächsrunden mit
m.~nt1ere.nde :neoretiker der Zivilge ellschaft häufig eine starre Trennung von
den Nachbarn berichtete: »Wir sprachen eben von allem und daß da di e Kinder
»Offenth~hke1t« und »Pri vatheit« vorau ssetzen und g leichzeitig für das 19. Jahr-
un d die Kin dererziehung nicht unerwähnt blieben ist selbstverständ lich .«21
hundert eme »Privatisierung« der Familie kon statieren, die sie mehr und mehr
Namentli ch die Entwick lung der Fami lie zu der nu r aus Eltern und Kindern
on der Auß.~nwelt absc.hottete, rücken sie die Fami lie an den Rand der Zivi lge-
bestehenden Kleinfamilie mi nderte ei nerseits die Möglichkeit inn erfamiliale n
ell schaft. Nahert man sich dem Konzept hingegen, wie hier in tendiert auch aus
pädagog ischen Erfahrungsaustausches, erhöhte aber andererse its di e ~otwe ndig-
handlungslogis~her Sicht und schaut auf die soziale Prax is mit ihrer permanenten
ke it Sachkenntnis auch außerhalb der fam il ialen Sphäre zu Rate zu ziehen. ach
Gre~z.llb~rscl~re1~n.g von öffentlich und privat eröffnet sich die Chance, die
11 geb~lltem und stets greifbarem Expertinnenwissen, das die Großfamilie hä ufig
Fami.lie '. ~1e Z1v1lgesellschaft zurückzuholen j a sie als zivilgesellschaftliche hatte bieten könn en, musste nun anderswo Ausschau gehalten werden. eben
Kern 111st1tution zu verstehen.
den informe llen Gesprächsrunden belegen die lur von pädagogi chen Handb ü-
Diese ~ichtweise widerspricht - wie bereits angedeutet - dem mainstream
chern , die Füll e von Leserbriefen in Fa mil ienzeitschr iften und die um fangreichen
der Theon~n zur Zivilgesellschaft, nach dem die Familie bestenfalls zu den
Korrespondenzen über den Famil ienkre is hi naus dass viele Frauen des Bü rger-
~> Randbere1ch.en der zi~il.gesellschaftlichen Organisati onen « gehört.16 ah Hege l
111 tum s di esen Weg wähl ten. Dam it leisteten sie einen wesentlich n Bei trag dazu
der als pn at konzip1e~en .» modernen Famil ie« noch eine der Ziv ilgese ll- dass rziehung und Familie zum Thema auf der ziv ilgese llsch aft lichen Agenda
sch aft vorge lagerte und für sie Grundbedingungen bietende Instituti on kon-
avancieren konnten. Sie traten dabei ke in eswegs nur als Rez ipi entinnen auf,
s:ru1erte Jürgen Habermas sie als exp lizite Gegensphäre zu taat o·· k ·. d
Offi 1. k . 11 , onom1e un
· ent ich e1t. Jean Cohen und Andrew Arato gehören z d · d' d'
.. u en wenigen, 1e 1e
Fam1h~ als »~ore c.omponent« in die Zivi lgesell chaft integrieren wo ll en .1s Als
Inst1!ut1on , di e lnd1 v1duen auf freiwillioer Basis und 1·n ge · Ab · 1
o memsamer s1c 11 19 ohcn/Arato 1992, . 629. »We ne erthc lc belic e timt it , uld have be~ n ?ellcr l
zu sammenführt, die auf gegenseitiger Sol idarität und ko llektiver Identität fußt include th e fa mily wi thin civil society, as its first ass ciation. (.. .) _rar 1he~ 1he lo_mil y co~ld
have taken its pl ace as a key instituti n in ci il societ~, one that ,. 1f co nce1 ed .' in .cgol'.tn-
ri an tcm,s could have provided an ex peri encc of honz ntal olida rny, lle t1ve 1dent_it .
15 Siehe llabem,as 2000; Budde 2000. and equa l 'participation t the autonom us in<li viduals co111pris i11 g it.- a l , k dcemed lun-.
16 olle 2001 , . 9. damcntal fi r thc !her asso iations f civil so iety and fo r the ult1mate d ve l pment of
17 liege! 1830/1 969; l labennas 1962. 1995: llabcm1as 1981 . civic virtue and rcspon ibility with res pect to the po lity.« Ebd., . 6' 1.
18 Cohcn/Arato 1992, . 538. 20 Vgl. hierzu ausführlich ßudde 1994 , . 166-192.
2 1 Eyck 1876- 1898. Die fo lgenden Zitate sind diesem Tagebuch cn1nommen .
62
sondern gestalteten den Diskurs ent cheidend mit. 22 Durch die e Form der Ver-
macht, doch werde ich ohne ihr nachzugeben, gut mir ihr fertig, denn Einwä n-
öfö ntlichung der als pri at dekl arierten Belange widerlegten sie eindringlich die
den , die ihr Verstand ge lten läßt, weiß sie sich zu finden«. Auch der zeitweiligen
V r t llung dass m_it_ der !'Llr das 19. J_~hrhund rt konstatierten »Privatisierung«
Eigenwilligkeit ihres Zwe itgeborenen wusste ie stets zu begegnen, ka m er doch
der »modernen Fam1l 1e« diese au der Offentlichkeit ver chwand.
»stets von se lbst zu besseren Einsichten, sobald man sich Zeit nimmt, ihn auf den
Doch nicht nur als itgestal terinnen pädagogischer Disku rse zur Theorie der
rechten Weg zu bringen.« Wissensbegierde und Weltinteresse erschienen ihr als
~rziehung, sondern auch in der Praxi übern ahmen die Frauen eine Sch lüsse lpo-
positive und förderu ngswürdige Eigensc hafte n, wie sie wiederhol t hervorhob:
s1t1on. Ihnen kam s nicht zuletzt zu ihren Kindern Werte zu vermitteln di e sie
»Ich glaube doch, daß es ein rechtes Glück ist, wenn Kinder Vieles erfragen und
für die Bewähru ng in der Zivilge ellsch aft wappn en sollten. Nicht nur d/e Berli-
ein noch größeres für sie se lbst, wenn sie exakte und möglichst der Wahrheit
ner Kaufmannsgattin Helene Eyck, die zwischen 1876 und 1898 akribisch Buch
nahe Antw rten erh alten. « Erziehung durch Überzeugung - so lautete das Credo
führte über die Entwicklungsschritte ih rer sechs Töchter und Söhne war sich
dieser Bürgerfrau.
ih rer VeranhJ ortung wohl bewusst. »Möge es mir doch ge lin gen im ~erein mit
Dass sie mit dieser Erziehungsmaxime, laut ihrer Beschreibung er langt durch
meinem geliebten Manne die Kinder zu den Menschen zu erziehen, die ich so
ausgiebige Mutter-Kinder-Diskussionen , den richtigen Weg wählte, sah sie im-
gern aus ihnen machen möchte ( ...) ke ine Wun derkinder, nur nützliche Mitglie-
mer dann bestätigt, wenn ihre Kinder auch außerhalb der eigenen vie r Wänd im
der der menschlichen Gesellschaft« fonnu lie1te sie ihre Erziehungsmax ime.2J
oese ll schaftlichen Verkehr brillierten. Dabei goutierte sie nicht nur, wenn sie mit
::,
Die Familie zu einer »friedlichen Stätte« zu gestalten, damit die Ki nder »den
»netten Manieren« und »gutem Betragen« zivile Umgangsfo rm en zur , chau
guten Keim forttragen und pflan zen und wieder zu einer guten aat brinoen«
stellten , sondern durchaus auch, wenn s ie Espr it, Ironie und Kritikfäh igke it an
betrachtete sie dabei als ihre Hauptau fga be. Auch wenn im Vokabular der s:chs~
den Tag legten. »S ie ist augenblick lich, besonders in Gesellschaft anderer (... )
fachen Mutter der Tenninu s »Zivilgesellschaft« nicht zu find en ist - er war oene-
wenig liebenswürdig, beobachtet dagegen sehr scharf und teilt später ihre Ver-
rell kein Begriff des ausgehenden 19. Jah rhunderts -, verweist eine Vi elzah7 von
mutu ngen, ih r Urteil mit«, kommenti erte sie, durchaus verständnisvo ll , eine
ähnlich lautenden Erziehungswünschen auf Vorstell ungen, die wir gemein hin Ph ase ihre pubertierenden Toch ter. Wenig später sch"\ ärmte sie von deren jünge-
dem Programm der »Zi ilgesellschaft« zurechnen.
rer Schwe ter: » ie kann sehr heiter und ausgelas en sei n und ersteht e , ei nen
Dabei schien Helene Eyck sic h sehr sicher we l he Werte es waren die ie Witz zu pariren! «24 Die Fähigkeit, »mit eigener Stimme zu sprechen«, nach an-
ihren Kindern auf dem Weg ins Bürgerleben mitgeben woll te. Neben der Erzie- cy Fraser die Grundl age ziv il gese llschaftlicher Parti zipation ,25 erschien auch
hung zu einem »geraden, wah rh eits li ebenden harakter« dominierten in ihrer di eser Bürgermutter aus dem Kaiserreich als erstre ben we rtere Erziehungsziel.
pädagogischen Buchführung vor allem drei Aspekte der Entwick lun g die sie zu Konflikte auszutragen und Kompromi sse auszuha lten , gehörten dazu . Ungeach-
fd_rdem bestrebt war. Zum einen ging es ihr darum , in ausg iebigen Mutter- tet der zeitgenössisch herrschend en Geschlechterkonz ptionen förderte sie kom-
Kmder-Gesprächen , geführt in einer Atmosph äre des Vertrau ens die kindlich e munikative Eigenschaften, we lch e die Di ku sionsbe reitschaft und -fä higke it
eugier zu wecken, zu erhalten und zu nähren. Imm er aufs Neu~ entzückt von beflüge lten und das gegenseitige Zuhören honorierten, sowohl b i den öhn n
den »unschuldsvollen Fragen« ihrer Jüngsten »nach dem Großen , das di e We lt als auch bei ihren Töchtern.
bewegt«, kon statierte sie mit Genuotuung die »schö
. . "' ne
w·iss beg1·erde« 11res
·1
Dass ihre Kinder zum zweiten eben fa lls unabhängig von ihrem Ge eh!echt
zwe iten Sohnes. »Sie wird ni e irgend etwas hören , das sie nicht versteht ohne früh zur Selbständigkeit erzog n werden sollt n tand fü r di se Bürg rfrau außer
nach der Bedeutung zu fragen « lobte sie eine andere Tocht·e D e: h
. . . ' r. » a man « so I u r Frage. Auch wen n sie in ihrem Ehrge iz ob der Leistungen ih rer prä lin ge im-
sie 111 deren Beschreibung fort »ihr gern zuhört und sie so · dl . h I d
nie 1c zu p au ern mer wieder zu Abstrichen gezwungen war, gab sie die Hoffnung nicht auf,
versteht, so wird ihr manchmal etwas durchge lassen das s·,e e· · t"
, m weni g un ar 1g »tüchti ge, se lbsUlndige Menschen aus ihnen all en zu m chen .« Unt r den Erzie-
22 Dnzu gehörten u.a. Louise Otto , Ag.nes von Bohlen Julic ßurow Amel Böl K - hun gszielen die sie immer wi der nannt , ti cht der Wert der Eigen tänd igkeil
Rudol h" EI" p lk d H · . . · , Y te. aro 1inc
p 1e, 1se o o un ennclle Dav1d1s. Vgl etwa vo n ßohlen 1859 a • ,

Quellensammlung bietet Häntzs hel 1986. · in e gute


23 Hervorheb ung G.-F. B. 24 Eyck, Eintrag vom 3 1.t 2. 1888 u. 7. 10. ISr .
25 Frnser 1986.

64
5
be onder hervor. Die Kinder frilh in die Lage zu vers tzen, für ihr Denken und
Tun Verantwortung zu übernehmen, er chien ihr als Quintessenz eines erfolgrei- und die »Orientierung am allgemei nen Wohl« als Grundwerte einer »Kultur der
ch n Erziehun g proze ses. Zivilität« besonders hervorgehoben , ohne jedoch die emotive Komponente ei nes
. Obwohl selbst hne B ruf! au bildung, nahm sie ihre Töchter exp lizit von solchen Habitus eigens zu ak.zentuieren .27 » Wahrscheinlich «, so hat Anthony
dieser Chance zur Selbständigkeit nicht au . »Denn mein Wunsch und Wille ist Giddens eher zurückha ltend, doch ei nleuchtend spekuliert, »si nd Individu en, die
sich in ihren eigenen Gefühlen auskennen und in der Lage sind, sich in die der
es«, chrieb sie, » ie in irgend einem Fache so weit auszubilden , daß sie darin
auf eigenen Füßen stehen und ich, wenn nötig durch Leben helfen kann! « an deren hineinzuversetzen, tatkräftigere und engag iertere Bilrger al jene Men-
schen, die nicht Uber solche Fähigkeiten verfügen.«28 Helene Eyck hätte ihm
Diese Offenheit un ter chied Hel ne E ck n h deutlich von der Mehrheit ihrer
sicherlich Recht gegeben.
bürgerlich en Zeitgeno sen und -genossi nnen . In zahlreichen Selbstzeugnissen,
Sie sah es zum dritten durchaus als ihre Aufgabe an, sowohl kognitive als
.or all~m aus der Feder von Protagonist inn en der alten Frauenbewegung, lassen
auch emotive Fähigkeiten und Eigenarten bei ihren Kindern zu fördern . o re-
sich die vielen Mut1er-Tochter-Kontlikte nachlesen, die hinter den Türen der
gistrierte sie zumeist wohl wollend die individuellen Wesenszüge ih.rer sechs
B.ürgerhä~ser ausgefochten wurden. Helene Eyck war mit ihrer Beobachtung
Söhne und Töchter und animierte sie dazu , diese pezifika als persönliches und
111cht allem, wenn sie am 29. Dezem ber 1896 über ihr älteste Tochter in ih rem
liebenswertes Plus zu achten. Damit wollte sie einerse its das elbstbew u st ein
Tagebuch verzeichnete: »Ich glaube mich nicht zu täuschen wenn ich annehme
und Selbstwertgefühl der Einzelnen stärken , andererseits aber auch bewi rken ,
daß sie mir weniger gut als früh r ist und sich mir weniger vertrauensvo ll nä~
hert.« dass sich die Geschwister untere inander in ihrer jewe iligen Eigenart und Diffe-
renz akzeptieren und anerkennen lernten. .
. Fanden Bürgertöchter im ausgehend en J9. Jahrhundert nun häufig väterlich es
Dass dabei Selbständigkeit und das daraus erwachsene Selbstbewusstsem
Wohlwollen partiell sogar Unter tützung für ihre »unweiblichen « Autonomie-
nicht auf Kosten anderer gehen durfte sondern ausufernder Eigenwillen durch
ambi tionen
26
, en iesen sich Bürgermütter nicht se lten als Sand im Emanzipation -
Einfühlun gsbereitschaft und -vern1ögen gezügelt werden musste, erschien ihr f~r
getr iebe. . Immerhin sah auch die Berliner Kaufmannsgattin - ihr Einschub
das inner- und außerfamiliäre Miteinander unumgänglich . He lene Eyck prakti-
»wenn nötig« unterstreicht di es - ein e Berufsausbi lduno ihrer Tochter nur als
zierte damit bereits im Kaiserreich einen Erzieh ungsstil , den oziologen wie
notwendige Schutzmaßnahm e, fal ls sich ihre »e igent1fche« Bestimmuno als
Hans Bertram für das späte 20. Jahrhund ert auf die Formel »kooperativer Indivi-
~ aus~rau .u~d Mutter nicht erfüllen sollte. Traditionell verfestigte und fe:ini s-
1 dualismus« gebracht haben .29 Einerseits teilte die Berliner Kaufmann ga ttin
ti sch n.spmert~ Ideen über die Rolle der Frau lieferten den Ausgangspunkt für
diese Vorstellung mit einer Viel zah l ihrer Zeit- und Kla sengenossinnen. nde-
so lch emen weiblichen Generation enkonflikt, bei dem die Töchter die » Waffen«
rerseits ze igte sie sich dabei vergleichsweise progress i , \ eil sie Empathi efühig-
der Argum entation skompetenz anwandten, die ihn en ihre Mütter selbst - mittels
Erziehung - in die Hand gegeben hatten . keit nicht nur für ihre Töchter zur Zilge lung des elbstbewussts ins sondern
auch für ihre Söhne als angemessen betrachtete.
. Solche Debatten bewiesen wieweit die Idee der Zivi lgese llschaft selber Me-
Die Empathie- und Kooperationsfähigkeit diente nicht nur dazu , die innerfa-
dium der Selbst- und Fremdkritik werden und so a · hI V
us s1c 1eraus oraussetzun- miliale Solidarität zu festigen, sondern so ll te auch helfen, ußenkontak te zu
g~n ~u Ref~rm und Wandel schaffen konnte. Diese se lbstreferentielle Dynamik.
knüpfen und zu pflegen . Verständnis für die Mitmens h n und die ~ reits haft
hi er 1m. Erz1ehungsproz~ss zwischen Müttern und Töchtern reflektiert, spiege lte
aufei nander zuzugehen, wö ll te di e Bürgermutter ihren Kindern bere it vo n .k le1.11
auch die Span nungen, Ja »Paradoxien« wider di e de z· ·1 II h ft ·
. . , r 1v1 ge e sc a eigen auf vennitte ln . Dabei unterschied sie genau nach d njenigen, für die da k111dl1-
" aren und smd. In klus ion und Exk lu sion bestimmten auch Se lbst- und Fremd-
che Mitgefü hl geweckt und denen, mi r de n n gleichsam auf ugen.höhe, g -
entwUrfe, Eigen- und Fremdempfindunoen wie sie in der bü 1· h F ·1·
. o , rger rc n am 1 1e spielt, gefe iert und kommuni ziert werden durfte. Die »außer rdent1rc 11e [il
ange legt wurden. Die Rolle von Emotionen gehört zu den b' 1 1 k
. 1s ang noc 1 aurn
beachteten Ingredienzen der Ziv il gese ll schaft Zwar werden et T
· wa » oeranw
I 27 Kocka 2000, S. 26.
26 Budde 1994, S. 187-1 92. 28 G iddens 1996, . 330 .
29 Bertram 1990, . 2 13; Uhle 1997, S. 185.
66
67
geg n ihre ebenmenschen, be onder Untergebene« und ihre Eigenart »ohne
Besinn n zu chenken« die sie bei einer Tochter beobachtete, konstatierte ie IV. Geselligkeit als Einübung und Teil zivilgesellschaftlicher
eb n o wie das »milde Herz« ihres zwe iten ohnes durchaus mit Befriedigung. Praxis
Rege lmäßig brach sie auch mit den Kindern an der Hand und reich bestückten
Körben zu Häu ern von Annen und Bedürftigen in der Umgebung auf. Dass es Was mit der Gästel iste für Kindergeburtstage begann, ging bei der Auswahl der
bald nicht elten die Ki nder selbst waren, die ie auf »am1e Familien« aufmerk - Geladenen zu gese llschaftlichen Anlässen weiter. Auch hi~r öffnete s1·c·h ~ und
sam machten und ihre Mutter zum Helfen ermahnten, verbuchte sie als Erfolg dies im Ka iserre ich in immer schne llerem Rhythmus und immer amb1t10~ 1erte-
die r Be uche. rem Maß _ der vermeintlich abgesc hirmte Famili enraum gegenüber Gle1chge-
Der gesel lschaftliche Verkehr jedoch bewegte sich in rigide selektierten . d Gleichgestimmten 31 Die Choreographie dieser social events, welche
smnten un · . h · 1· ß
Krei en. ollten die Kinder für »Untergebene« und ihre Nöte durchaus Interesse die ohnehin poröse Pri vatheit der Familie immer durch läss iger ersc ein en 1e ,
aufbri ngen, stand es außer Frage, dass man darüber hinaus keine Jnteressen mit gestalteten und dirigierten vor allem die Frauen des Bür~ertums: Erst deren
diesen Schichten teilte. hn Gegenteil : Es wurde als Gefahr heraufbeschworen, kommunikative und organisatorische Kapazität machte auch ihre Männer zu .voll
wenn die öhne und Töchter in die » falschen Kreise« zu geraten schienen. »Jch akzeptierten Mitgliedern der Zivilgesellschaft. Nic~t selten wurden .berufliche
möchte doch den Kindern und un s ei n angenehmes Heim bieten, möchte ihnen Karrieresprünge, wie eine Reihe von Beamtenmemot~en ver~aten, an d1~ Voraus-
auch Freundschaft und Umgang erhaltene<, klagte sie, als sie auf Gru nd beru fl i- setzung ge knüpft , dass der Kandi dat eine Frau an semer Seite hatte, die den er-
cher chwierigke iten ih res Mannes den fa milialen Lebensstandard bedroht sah. warteten Repräsentationspflichten bravourös nachzu~ehen verstand .
it dieser Unterscheidun g spiegelte die Erziehungspraxis die Paradoxien wi- Dies galt nicht nur für die mehr oder mind er >> privaten« ~esellschaften,. son-
der, die generell der sozialen Realität der Zi ilgesellschaft eigen si nd: 30 Einer- dern auch für die Tei ln ahme an dem im 19. Jahrhundert nonerenden Veremsl , -
eits ennittelte sie Werte, die für die Ziv ilgese llschaft rüsteten und ihre Ideale ben und Assoziationswesen. Wie wichtig dafür we ibliche Akte~re waren'. '.11erk-
mitprägten. Andererseits befestigte sie jedoch Vorstellungen, die einer egalitär ten Mann em vor allem dann ' wenn sie fehlten. Em . westfül·1scher

d.
gedachten Zivilgesell schaft zuwiderliefen. Vertrau n und Empathie als IL.ir das Rechtsreferendar bekam es währen d seiner langj ährigen Ausbildungsze it ie
Fun ktionieren der Zi il gese llschaft unabdingbare Gefüh ls- und Werthaltungen neben sei ner Arbeit mit einer Vielzahl on Vereins- und Gesellsch~ftsabenden
waren im Kaiserreich noch stark klassenmäßig eingefärbt und abgestuft. Bür- gefüllt war, bald zu spüren, wie lästig es sich ausw irkte, noch ke1~e Frau a~
germütter und Bürgerfamilien legten zwar ein erse its die Basis für diese emotio- se ·mer se1·1e zu haben . Bei· den Treffen de Mu ikvereins und. des Wemclubs,
. b I
nal en Dispositionen, zogen aber gleich zei tig die Grenzen ihres Ge ltungsraume . denen auch weibliche Mitglieder zugelassen wurden, pl atzierte man .thn. stets,
Indem nicht zu letzt die we iblichen Akteure der Zivilgese llschaft die Auswah l wie er seiner heim lichen Verlobten kl agte, neben heiratsfä higen »Fräul m der
trafen , für wen man we lche Gefüh le aufbringen, mit wem man außerhalb der outen Fami li en«. .
Er t nachdem die Verlobung »offiziell angezeigt« worde n war. konn te ~ s1~ h
O

Famili e verkehren und mit wem man sich in Gesellschaften und Assoziationen
treffen durfte trugen sie wesentlich dazu bei, di e norm at iv-uni versalisierende wieder »unbefangener« in Gesellschaft begeben und das Verem .' ben "' .n1 -
ldee der Zivilgese llschaft durch Exklusionsstrategien zu konterkarieren. ß n Dennoch ahnte er, was er, erst einmal in Amt und Würde, für Verpfl1ch-
tue;~en haben würde, wie er se iner Braut vorsichtig warn end zu verstehe: gab:
»Ich bin aber vor der Verwaltung auch nicht bange. v1e.l mehr vor. d n ':'e ei l_-
schaft li chen Verhältnissen, m . die
· tc
· h h mem
· · k mm · Mem Ideal ware , m 1t 0 11, .
. T
liebste Lisbeth vom ge räuschvollen ge e II 1g n re1 n'b fern auf den Verkehr
. mit
wenigen symp~th ischen Personen angewiesen zu leben . b r dav?n wird w~hl
so leicht ni chts werden denn namentl ich wenn man ei nem Koll g1um ang hört,
30 .ie he hierzu auch Tre~ L1:1ann 2000. Trentm ann bezieht sich dabei vo r allem auf di e exk lu-
sive Praxis von Assoz1at1 onen und verweist dam it auf das Problem di ese generell und un- 3 1 Ebd .
differenziert als .,zivi lgesellschafl lich" zu klassifizieren.
2 ßudde 1884- 19 16 Bd. 2.

68
69
hat man o vi Je ß zieh d' .
. un gen te man nicht ganz vernachlässi e d f JJ .
päter Frau erv ies i h zu sein er Erle ichteruno dann als he g n ar .« eine zivil gesellschaftli chen Engagement unterstell t. 17 »N un ist mir auch noch der
berin und Verein gefährtin die e au h . 'k b • . rvorragende Gastge- Strike der Hafenarbeiter dazwischen gekommen«, entschuldigte !da Baumgartner
les Taktieren er tand, ihr »Amt« a~ 111 P'. ant~n ,tuat1onen durch .g~schick- etwa einen verspäteten Brief an ihre Schwester. Kurz zuvor schon hatte sie den
schaft li ches Engagement zu nutzen A Ghatt111 e1n~s La~~rates für z1v1lgesell- Streik der Berliner Konfektionsarbeiterinnen vielfältig unterstützt und ihre
örtlichen Vere in für Armen . uc wenn sie bet ihrem Eintritt in den Schwester ebenfalls dazu ermutigt, mit Erfolg. Dies geschah etwa durch Einwer-
·d pflege darauf bestand, »nu r gewöh nliches Mito J,.ed
we, en zu " oll en wurd . b ld . o « ben von Spendengeldern oder auch , wie im Fal l von !da Baumgarten, durch
anzu strengen .«J4 , e sie a zu r Vors itzenden gewählt, »oh ne [s ich) dafür
publizistische Tätigkeit, indem sie den Er lös ihrer kleinen Schrift »Soziale Bi l-
Dass im ge eilig n Verkehr tz k der« den Familien der Streikenden zur Verfügung ste ll te.
beruflichen Fortkom d M" e wer ·e geknüpft wurden , die nicht nur dem Wurde die Trennung von »öffentlich« und »privat« im zeitgenössischen Dis-
men er anner und de II h ftJ' .
ganzen Familie dienten J" t . 1 . m gese sc a tchen Prestige der kurs genutzt, um Frauen einzuschränken, auszusc hließen und ihre Kommunika-
zu beobachtenden Akt-' .:: sie 1 an ~em im Deut chen Kaiserreich zunehmend tionsthemen, -formen und -Foren für »privat« und damit irrelevant zu erklären,
. ,v, en von Burgerfrauen beobachten v· 1
»halbamt liche Frauengeselli k . . . · te e nutzten die nutzten die in der Regel in kom munal en Räumen wirkenden Woh lfahrtsvereine
eits Vereine zu initiieren d~e et:« ~ ,e es die Landr~tsg.attin nannte, um ihrer- unter we iblicher Ägide das Leitmotiv der »organisie11en Mütterlichkeit«, um
cken verschrieben . s eh kulturellen zumeist Jedoch karitativen Zwe diese Grenzziehung zu unterlaufen , ohne sie allerdi ngs gru ndsätzlich zu hin ter-
Einigen wie den B . fragen.38 Auch hierbei konnten sich durchaus Ambi valenzen des zivilgesell-
ßaumgarrn~r gelan o eamffitengbatt mnen und Schwestern Helene Weber und !da schaftlichen Handelns abzeichnen. Gerade di e Vielzahl von Wohltätigkeitsverei-
b es o en ar durchaus gese ll l fl l' 1 V .
philanthropisches E · sc ia tc 1e erpfl 1chtun oen nen und -verbänden in denen sich vor allem Frauen organisi erten, trugen nicht
ngagement und später au 11 1· . h . . "' ,
baren und mite in d c po ttisc e Akt1v1täten zu verein- selten neben zivi len auch dogmatische Züge. Die Defin itionsmacht von »Z ivili-
an er zu verschränken 35 D d b . ..
werk zum Einsatz kam · ass a e1 auch das famtl1äre Netz- tät«, die diese Frauen für sich in Anspruch nahm en, konnte schnell die Idee der
1 1
1887 die berühmte , gaHt la s Selbstverständlichkeit. Nachdem Helene Weber Toleranz unterhöhlen .
, von e ene Lan oe autigesetzt p ..
Abgeordnetenhau über d' V b "' · e . et1t1on an das preußisch e Dies bekamen nicht nur die in bürgerlichen Häusern täti gen Dienstmädchen
te er esserun Oo der Leh . b'ld
hatte, warb sie in ihrem B . f .h rermnen I ung unterzeichnet am eigenen Leibe zu spüren. Generell unterstellte man »unterbürgerl ichen«
. ri e . an t re chwester· »W h h . 1· .
die Petition auch an den R . h . · a rsc em ich übrigens wird Schi chten ein Defizit an Zivilität, das es durch Erziehung zu beheben gelte. Die
etc stag gehen und daft.l ä
von auswärts sehr wil lko 36 „ r w ren noch Unterschriften Landratsgattin Elisabeth Budde erinnerte sich an eine »Ko llegin«, deren mi sio-
mmen .c< Uberhaupt, so . d .
Schwestern , bestärkten sich b .d .. . ze igt er Briefwechse l der narischer Eifer diese »Schattenseite« der Zivilgesellschaft präsentierte: »[ ie]
e1 e gegense1t1g 111 ihre Akt' . .. .
Informationen aus gaben Lektü n · 1v1taten. Sie tauschten leistete viel in der Armenpflege. Auf ihrem Rad durchkreuzte sie die Arbeiterge-
' reempfeh lungen zur W 't b'Jd gend Wilhelmshaven , konnte sehr energisch werden, wen n sie merkt , daß ein e
Kontakte und vergewisserte . h .. . e, er t ung, vermittelten
n sie gegense1t1g ihre d
Dabei ging es den beiden S h s tan punktes. der Hausfrauen ni cht auf ihrem Posten war un d ihren Mann schlecht versorgte.
c western die ihr En .
und Ehefrau en begannen und d . : gagement bereits als Mütter Es wurde gesagt, ihre Radklingel triebe jede schwatzende Frau von der traße an
.
ke111eswegs nur um »weibliche ann 111 ihrer Witwens h ft . den Suppento.pf. «39
8 e 1ange« an denen ä c J'a h weiter verstärkten,
esse zeigten oder das Interesse v 1 'h m nn tc e Bürger kein Inter- owoh l für die männlichen als auch für die we ibli ch n Akteure der Ziv ilge-
er oren atten Die ä 1· h .
seh en Hi storikerinn en Leonore D 'd ff · s n m tc hatten di e eng li- se ll schaft ga lt damit ei nerse its, da s zivilg seil chaftliche Formen du rchweg mit
av1 o und Catherine Hall dem weib lichen zivilgese llschaftlichen In ha lten korrespondierten . Ander rse it konnten zi il 0 -
sellschaftliche Wert und Ideale, we lche die hier vorge teilten Bürgerinn en al
33 Ebd., Brief vom J 9.8. 1887.
34 Budde 1884- 19 16, ßd. 3, . 7 6 37 iehe hi erzu David fT/Hall 1987, . 434 .
35 iehe hierzu Roth 2001 , . 5 l 6f. 38 So di e gängige 1l1ese der Arbeiten zur weib li hen Wohl lü tigkc it im 19. Jahrh undert . Vgl.
36 Ebd., . 524. zul etzt Schröder 2001.
39 Buddc 1884 -191 6, Bd . 3 . 94f.
70
71
ütt r bZ\ . mütterliche ohltäteri nnen ertraten, sich elb t aushebeln, wenn
ie ap di tisch ertreten un d we itergegeben wurden . zivilgese llschaftli ches Handeln ei ne Grenze zwischen Privatheit und Öffentlich-
keit.
Wie die hierarchisch strukturierte Geschl echterordnung war auch die von der
Öffentlichkeit vollends abgeschottete Kernfamilie ein historisches Konstrukt und
. Fazit entsprach kei neswegs der sozialen Realität des Kaiserreichs. Die Beschränkung
der weib lichen Akteure auf den »kleinen Kreis«, wie es sich zeitgenössische
Pub lizisten wünschten und woran noch heutige Historiker glauben, verkennt die
Die Optionen weiblicher Akteure an der Ziv ilgesellschaft zu partizip ieren, wa-
Wirkungsmacht und Ausstrahlungskraft der »Kultur der Zivi lität«, die in dem -
ren, o läs~t sich resümieren, vielfa ltig und zwiespä ltig. Als Mittlerinnen zivilge-
zumindest im Kaiserreich - gar nicht so »k leinen Kreis« der Familie generiert
ell chafthcher Werte konn ten sie für die Zivilgesellschaft wappnen, jedoch auch
und transferiert wurde. Schon die wenig hermet ische Erziehungspraxis vermit-
zur Fortdauer_il1 '.er Spannungen und Ambiva lenzen beitragen. Mit den hier prä-
telte durchaus nach außen gerichtete, auf die Zivi lgesellschaft orientierte Wert-
s~n-t1ert n Be1sp1elen lä st i h ein erseits die bekannte These bestätigen dass
und Gefüh lshaltungen wie Solidari tät, Fremd- und Selbstvertrauen, Empath ie,
zivllgese llschaftl iches Engagement Wege fur Bü rgerfrauen auch außerhalb der
Anerkennung von Differenz, emotionale Aufgeschlossenheit sowie Kommuni-
Familie ebnen und damit all mäh lich den weibl ichen Aktionsradius erweitern
kationsw illen und -vermögen. Daneben verfo lgte sie aber auch Exklusionsstrate-
k~nnten . Andererseits führte ie dieser Weg ke in e wegs weg von der Familie.
gien, die der Zivilgesellschaft keineswegs fremd waren und sind. .
Viel mehr _n~tzten sie das fami liäre etZ\verk. um ihre woh ltätigen und politi-
Helene Eyck, Elisabeth Budde, Jda Baumgartner und Helene Weber gehörten
chen Akt1 v1täten abzustützen und voranzu!Te iben. Dami t bezeugten sie die un -
zwar nicht zu den Exponentinnen der erstarkenden Frauenbewegung ihrer Ze it,
tr~nnbare Verwobenheit von »Öffentli chkeit« und >>Privatheit« - ungeachtet aller
die mit zivilgesellschaftlichen Mittel n auf die »dunklen Seiten« der Zivilgesell-
ze itgenössischen Diskurse und bis heute fortlebenden Vorste llungen die ihre
Tren nun g beschwören. ' schaft verwiesen und gemeinhin als Paradeakteurinnen der Zivil gese llschaft
gefeiert werden. Doch als Mittlerinnen zivilge ellschaftl icher Werte und a!s
Die_h!er nur knapp umri ssenen Vorstellungen so llten zeigen daß die histori-
Reg isseurinnen ziv ilgesellschafili cher Aktivitäten leisteten Bürgerfra u.en, die
sche Zivilgese llschaft keineswegs nur außerh alb der Fami lie und weitoehend
nicht in der Frauenbewegung aktiv waren, auch ihrem elbstverständnis na h
ohne ~e ibliche A~teure stattfand. Wer di e Famil ie generel l zu r Priva~phä re
einen entscheidenden Beitrag zur Praxis der Ziv il gese ll chaft mit ihren id ealen,
deklar'. ert und damit aus der Zivilgesellschaft ausgren zt, was in den gegenwärti-
Grenzen und Amb iva lenzen .
g~n wi s~enschafthch~n D_iskuss ionen nicht selten geschieht erl iegt der Gefahr
hint~r die dank ?er histori schen Forschung mittlerweile differen ziert·e Perspekti-
ve ~iner Po lans1erung von »öffentl ich« und »privat« zurü kzufa ll en. Einerseits
gehörte der Schu tz vor staatlichen Einm ischungen sow ie di Bere itste llu no von Literatur
Fürsorge, G_e?orgenheit und Intimität zu wesentlichen Aufga ben auch und "'g ra-
de der F~milJe. Eben di se Optio n ma rkierte die Zivil ität einer Ge ellschaft im
Untersc~ 1ed zu diktatori_eh überformten Gese llschaften mit ihrer gewollten Bertram. Hans ( 1990), »J ugend und lndi idua lismus : Abschied vom Intere se an öfTentli hen
~urchdnngung und damit Aufhebu ng des Privaten. Andererseits bewahrt der Ange legenheiten un d Rückzug ins Private?« in : eue Sammhmg, Jg. 30, .' 208-2~2. ,
h1_er präsentierte.. primär handlun gs log! ehe Zugang zur Zivilgesellschaft davor, Bock, isela ( 1991 ), l> hallenging Dichot omies: Perspcctive on Wo men ' s H 1story«, in: Kare~
Offen/Ruth Pierso n/Jane Redall (Hg.), Writing Wo111e11 ' Hi tory: lntemaiional Perspeclt-
Rau~e. und Sp.haren al mehr oder minder »nicht-öffentli ch« zu definieren un d
v •s, London , S. 1-23 .
damit ih re z1v1lgesellschaftli chen Aufga ben und Praktiken aus den Augen zu
Bohlen, Agnes von ( 1859), Das Buch der Muller für !laus 11nd Er::ie/111ng, Berlin . . .
verlieren. Ebenso wenig wie die Ziv ilgesell schaft raumgebunden ist, kennt auch Budde, Ernst/Elisabeth chrage ( 1884- 1915), Briefe 1111d Erinnerungen, 3 Bde. : K111der=e11.
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