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MAGAZIN

10. Dezember 2017 Gesellschaft  15

5000
JAHRE
PATRIARCHAT
Kultfilm aus
dem Jahr 1933:
King Kong und
die weisse Frau.

D
er schiere Um­ son des Jahres». Sie haben
fang des Skan­ Frauen eine globale Platt­
dals um Film­ form gegeben, ihre Ge­
produzent Har­ schichten von Machtmiss­
vey Weinstein brauch, Belästigung, Schi­
ist überraschend. Schliess­ kane und sexuellem Miss­
lich sind sexuelle Über­ brauch zu berichten.
griffe in Hollywood ein so Es gibt aber bereits einen
alter Hut, dass sie schon sogenannten Backlash, ei­
ein ­Klischee sind. nen Gegentrend, der auf
Während sich der Skan­ jede feministische Bewe­
dal um übergriffige Män­ Erst seit 5000 Jahren sind Männer wichtiger als gung der letzten Dekaden
ner auf Politik, Medien und unweigerlich folgt. Es ist
die Wirtschaftswelt aus­ Frauen. Warum es höchste Zeit ist, das Patriarchat immer derselbe Reflex: die
dehnt, wird aber klar, dass Opfer zu beschuldigen. Sie
jetzt gerade etwas Neues abzuschaffen – und was #metoo bewirkt. seien falsch angezogen
geschieht: Frauen schwei­ oder hätten sich falsch be­
gen nicht mehr, nennen ALEXANDER EDMONDS (TEXT) UND SILVIA TSCHUI (ÜBERSETZUNG) nommen.
sogar Namen. ­
­ Listen mit Ist die ganze #metoo-
­Titeln wie «Scheiss­männer Debatte also nur ein wei-
in den Medien» («Shit Men terer Social-Media-Trend,
in Media») oder «Tabelle der Schan­ den letzten Jahren hierarchisch Zum ersten Mal werden Frauen ge­ der bereits langsam verblasst?
de» («Spreadsheet of Shame») kur­ schlechter gestellte Frauen beläs­ hört: Am Mittwoch ernannte das Oder ist der Skandal ein «Riss im
Fotos: Getty Images

sieren in den USA und in England, tigten. Kommen all die Aufschreie einflussreiche «Time Magazine» Stoff des Patriarchats», wie die be­
­darauf stehen Namen von bri­ von Frauen in den sozialen Medien die ersten Frauen, die sich gegen rühmte Globalisierungskritikerin
tischen Politikern und einfluss­ hinzu, sind wir bei Tausenden von den mächtigen Weinstein gestellt Naomi Klein sagt? Das Patriarchat,
reichen US-Medienleuten, die in Fällen. hatten, gemeinschaftlich zur «Per­ glauben viele, soll bis zu den 
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Ein Mann, viele ­Frauen:


ein Harem des Künstlers
Giacomo Mantegazza.

 ­ungebildeten Nebeln Revolution ist die


Der muskelbepack-
der menschlichen Zivili­ te Brad Pitt spielt Schnelligkeit, mit der
sation zurückreichen. So Achilles im Film sie sexuelle Kultur be­
argumentieren zumin­ «Troja». reits verändert hat:
dest einige Soziobiolo­ Noch vor einem Jahr
gen. Sie führen die Ur­ konnten Donald
sprünge des Patriarchats Trumps Anklägerin­
auf biologische Unter­ nen ihm nichts anha­
schiede der Geschlechter Zahlreiche ben. Heutzutage gibt
zurück, insbesondere auf Frauen es eine starke gesell­
meldeten,
die Vaterschaftsfrage: Da Donald Trump mit schaftliche Sensibili­
Männer ihrer Vaterschaft
nicht ganz sicher sein
von Harvey
Weinstein
belästigt
Gattin Melania: Sein
Verhalten vor einem
Jahr bräche ihm
sierung darauf, dass
Frauen, welche von
2.10. ZÜRICH
können, versuchen sie
die Sexualität von Frauen
worden zu
sein.
heute sein Genick. sexuellen Übergriffen
berichten, routine­ HALLE 622
zu kontrollieren, um ih­ artig diffamiert, nicht TICKETS:

Das Patriarchat
WWW.TICKETCORNER.CH
ren eigenen genetischen Fortbe­ dass das Patriarchat nicht in der Das schlägt sich auch in alten und ernst genommen, beschuldigt und
stand zu sichern. Diese Kontrolle Natur des Menschen liegt. Ohne neuen Sagen nieder: Als Achilles verurteilt werden – doch diese Pra­
zeigt manche kulturelle Ausprä­ den sozialen Druck, die Vaterschaft den Trojanischen Krieg gewann, xis scheint zu enden. Frauen lassen
gung: Vom arabischen «haram» wichtig zu nehmen, haben Männer erhielt er als Beute die berühmte sich nicht mehr alles gefallen.

liegt nicht in
(islamische Verbote) bis hin zur
­ erwiesenermassen kein Bedürfnis Schönheit Briseis als Konkubine. Bleibt die Frage: Wie würde eine
viktorianischen Gouvernante. das sexuelle Verhalten von Frauen Zu sagen hatte sie dazu nichts. Bis nicht patriarchale Welt aussehen?
Natürlich sind Männer wie Wein­ zu kontrollieren und überwachen. heute zieht sich das Motiv der Frau­ Einerseits hätte eine Abschaffung

der Natur des


stein nicht an der Vaterschafts­ Männer und Frauen sind in sol­ en als Beute oder Trophäe durch Sa­ des Patriarchats grösste Auswir­
frage, sondern an sexueller Befrie­ chen Gesellschaften beidseitig ab­ gen und Märchen: Die Prinzessin kungen auf Ehen und auf die ro­
digung interessiert. Ihr Verhalten hängig voneinander, und Frauen wird einfach geheiratet vom erst­ mantische Liebe. Dass beides zu­
illustriert aber ein zweites, für So­ werden nicht als Besitz betrachtet. besten Prinzen, der mal eben daher­ sammengehen muss, ist nämlich

Menschen
ziobiologen interessantes Prinzip: Sie haben zudem eine sexuelle kommt. Homers Geschichte und in ebenfalls eine – relativ junge – Er­
Sex mit vielen Partnern gibt Män­ ­Eigenständigkeit und Freiheit, die der ­Folge auch unter anderem die findung innerhalb des Patriarchats. DIE GRÖSSTEN HITS
nern einen grösseren reprodukti­ erste europäische Beobachter kom­ Märchen der Gebrüder Grimm sind Die Erstarkung der Frauen geht
ven Vorteil als Frauen. Ein einzelner plett schockiert hat – die heut­zu­ ­mythologische Illustrationen dafür, denn auch jetzt bereits mit statisti­ MIT STARGAST BEGLEITET VON EINEM
Sexakt kostet einen Mann bio­
logisch gesehen keinen grossen
tage aber moderner wirkt als in
­unserer Gesellschaft.
dass Frauen fortan in patriarcha­len schen Werten von späterem Eltern­
Gesellschaften als Trophäen gelten werden, späterer Heirat, einer sin­
JERMAINE SINFONIE
ORCHESTER
Aufwand, bringt aber einen grossen Wenn das Patriarchat nicht in un­ – im Englischen gibt es dafür sogar kenden Geburtenrate und einem JACKSON
Ertrag: sein genetisches Überleben. seren Genen begründet liegt – wo­ einen Begriff: «Trophy Wife». grösseren Anteil von Single-Haus­ MIC DONET
Dieser Argumentation liegt der rin dann? Die brillante österreich- halten und einem grösseren Anteil RINO GALIANO
­niederträchtigste Doppelstandard amerikanische Historikerin Gerna Wie würde eine nicht von Alleinerziehenden einher. Ob UND WEITERE

­patriarchaler Gesellschaften zugrun- Lerner sagt in ihrem Lehrbuch «Die patriarchale Welt aussehen? all dies eine per se schlechte Sache
de: Männer werden für sexuell aus­ Entstehung des Patriarchats», dass Lerners Ansichten und Argumente ist, sei angesichts der weltweiten
schweifendes Verhalten gerühmt, erst mit der Sesshaftigkeit, der Ent­ sind nicht unumstritten – was sie Überbevölkerung dahingestellt.
Die weltweit grösste
Frauen bestraft und verachtet. Statue des Herrschers stehung des Ackerbaus im Nahen aber beweisen: Das Patriarchat Was hingegen sicher ist: Die Ab­
Dschingis Khan steht Osten und in Folge insbesondere liegt nicht in unserer Biologie und schaffung des Patriarchats brächte
Das Märchen von der Biologie in der Mongolei. der Vorratshaltung Hierarchien nicht in unseren Genen. Es hat viel­ weltweit wirtschaftliche Vorteile –
und den Genen und Besitzdenken auftraten. mehr eine Geschichte und Ursa­ momentan versagt sich unser Sys­
Das Problem mit diesen Gründen Im Gegensatz zu den Jäger- und chen – und kann demzufolge auch tem die Hälfte der verfügbaren
des Patriarchats? Sie gehören ins Sammlergesellschaften mit flachen überwunden werden. Lerner da­ Talente, indem sie es Frauen
Reich der Fantasie. Ethnologen ha­ Föten ihrer Frauen wachsen nach Volk in Südwestchina, existiert kei­ Hierarchien ging es nach der Ent­ tiert den Beginn des Ackerbaus – schwierig macht, sich durchzuset­
ben sexuelles Verhalten in Jäger- wiederholtem Sex mit multiplen ne Ehe. Frauen und Männer sind wicklung des Ackerbaus und der also eigentlich des Patriarchats – zen. Grundsätzlich bleibt deshalb
Fotos: Getty Images, AFP, Keystone, ddp Images

und Sammler-Gesellschaften doku­


mentiert, vom Amazonas bis zum
Pazifik. Die immer wiederkehrende
Partnern. Die Aché von Paraguay
unterscheiden beispielsweise vier
verschiedene Arten von «Vater­
frei, ihre sexuellen Beziehungen so
zu arrangieren, wie sie wollen. Män­
ner ziehen sogar die Kinder ihrer
Vorratshaltung darum, sein Land,
seinen Besitz und in Folge auch sein
eigenes Erbgut zu verteidigen.
auf 3100 vor Christus. Nun schei­ zu sagen: Ein biologisch nicht be­
nen 5000 Jahre zwar lange. In der gründetes System, das seit 5000
Geschichte des Homo sapiens, die Jahren die Hälfte des verfügbaren
16.03.2018
Beschreibung dieser Völker: «ab­
solut gleichberechtigt». Diese Völ­
ker organisieren ihre Sexualität in
schaft», darunter «Der, der es rein
getan hat» und «Der, der es durch­
gemischt hat». Frauen wählen
Schwestern als ihre eigenen auf. In
ihrer Sprache ist das Wort für Vater
und das Wort für Onkel dasselbe.
Handel kam auf, die Politik ent­
stand – und Frauen wurden in der
Folge zum ersten Mal in der Ge­
doch schon 200 000 Jahre andau­ Talents brach liegen lässt, ist wohl
ert, ist das Patriarchat aber nicht nicht das denkbar Beste. l
länger als ein Wimpernschlag.
ZÜRICH HALLENSTADION
komplett unpatriarchaler Weise. ­mehrere Väter, um ihrem Kind die Solche Gesellschaftsverhältnisse schichte zum handelbaren «Gut», Ob #metoo reicht, es ganz ab­ Alexander Edmonds (47) ist Professor für
Viele dieser Völker kennen die Weitergabe multipler Talente zu er­ sind keine ethnologischen Ausnah­ wurden als Sklavinnen gehandelt, zuschaffen? Eine der auffallenden medizinische und soziale Anthropologie an
­Vaterschaft nicht so wie wir – die möglichen. Bei den Mosuo, einem men, sondern der Beweis dafür, ausgetauscht oder geraubt. Eigenschaften dieser kulturellen der Universität Edinburgh in Schottland.

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