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Es ist die Absicht der ersten Abschnitte, die Konversion nicht primär aus dem
Blickwinkel der korrumpierenden Macht zu betrachten. Überhaupt soll der
organisatorisch geprägte Anteil der Kommunikation von der individuellen
Ökonomie der Macht und deren Übertragungs- und
Gegenübertragungspotential getrennt vorgestellt werden. Ebenso will ich auch
nicht das kollektive Charisma von Personen in den Vordergrund stellen, man
wird es von Fall zu Fall voraussetzen müssen.
Der Begriff der Konversion wird in verschiedenen Bereichen bereits mit einer
präzisen Bedeutung verwendet. Ich will also auch den Gebrauch dieses
Begriffes mit Hilfe von den im Internet leicht zugänglichen
Verwendungsweisen ein erstes Mal als mehr oder weniger verfremdbare
Analogien skizzieren.
(i) Konversion (Logik), die Zurückführung eines unvollkommenen Modus auf
einen vollkommenen Modus eines Syllogismus durch Vertauschung von
Subjekt und Prädikat einer Aussage in der Syllogistik
(ii) Konversion (Marketing), Umwandlung eines Interessenten in einen Käufer
(iii) Konversion (Psychologie), nach Sigmund Freud die Übertragung von
Affekte auf Organe
(iv) Konversion (Religion), der Übertritt zu einer anderen
Glaubensgemeinschaft
(v) Konversion (Aktiengeschäft), Umwandlung einer bestehende Anleihe in
eine andere
(vi) Serokonversion, die serologische Antwort des Immunsystems
(vii) Umdeutung (Recht), die Umdeutung eines nichtigen Rechtsgeschäftes in
ein gültiges
(viii) Umschrift als Zusammenfassung von (literaler) Transkription (siehe
Transkription (Schreibung) und Transliteration
Alle diese spezifischen Definitionen beschreiben einen Aspekt des von mir
beabsichtigten Gebrauchs des Begriffs der Konversion in der Organisation
sozialer Kommunikation. Ich verstehe unter menschlicher Kommunikation
zunächst alle Möglichkeiten, auf Bedeutungen, Kontexte und deren Horizonte
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der Idee der Theorie und deren allgemeinen Regeln unterstellt. M. a. W.: Jede
allgemeine Theorie stellt das Individuum grundsätzlich nur als Mitglied einer
logisch-allgemeinen oder einer kollektiven Menge dar (Tokenproblem).
Die logisch grundsätzlich zu fordernde Abzählbarkeit der distinkt
unterscheidbaren Elemente einer Menge erzeugt im Versuch der
durchgängigen Bestimmung des Einzelfalls einen logisch fundierbaren
Widerstand: Die Allheit der Prädikate eines einzelnen Dinges ist keine
mathematisch-logische Menge, da die verschiedenen möglichen Prädikate
ohne einer gemeinsamen Theorie nicht abstrakt zwischen den verschiedenen
Aussagen und deren Modifikationen unterschieden werden können, also die
Prädikate unkontrolliert vermehrt werden können, und deren Unterscheidung
noch dazu im verschiedenen Maße auf implizite theoretische Annahmen
beruhen (zu liberale Abstraktions- und Distributionstheorie).
Da nur die Distribution gemäß der extensionalen Logik allgemein Merkmale
über eine ungeordnete Vielheit verschiedener Elemente aussagen läßt, läßt
sich logische Rationalität nur an der Menge aller Elemente einer Klasse
herstellen. Das setzt voraus, daß nur solche Merkmale der vorliegenden
Vielzahl von Elementen geregelt (allgemein: unmodifiziert jedem Element auf
gleiche Weise) zugesprochen werden können, die an diesen Elementen auch
regelmäßig zu finden sind. Die Merkmale können nur dann geregelt
distribuiert werden, wenn sie eben auch den Elementen allgemein sind, und
nicht nur unter bestimmten kontingenten, bekannten oder nicht bekannten
Umständen zutreffen. Diese ontologische Implikation der logischen Wahrheit
bleibt formal an dieser orthogonalen Konstruktion gebunden, muß selbst aber
eigens konzeptuell vorausgesetzt oder hergestellt werden.
Das führt in der allgemeinen soziologischen Theorie allein schon aus logischen
Gründen zur allerdings seltsamen Konsequenz, daß öffentliches Handeln
rational sein müsse. Ich glaube, daß diese logische Konsequenz als Produkt
der Formalität einer jeden allgemeinen Theorie der Soziologie und nicht als
Produkt der jeden soziologischen Theorie vorausgesetzten politischen
Philosophie angesehen werden kann, auch wenn es diesen Aspekt des
Herrschaftswissens geben wird. Ich möchte zwischen dem instrumentiellen
Charakter einer Wissenschaft, die diese zu einem Teil des Herrschaftswissen
macht, der Wissenschaft, die politische Macht untersucht, und dem Wissen
um eigene Macht unterscheiden können. Ich hebe hier den logischen Aspekt
und die zu treffenden Voraussetzungen, um eine allgemeine soziologische
Theorie zu situieren, heraus. Die allgemeine soziologische Theorie muß als
normative Idee bereits gedacht werden können, um die Rationalität des
sozialen Handelns überhaupt bestimmen zu können. Diese erste Bestimmung
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Foucault fest, wie Rationalität vom Ausschlußprozess dessen, was für nicht
rational oder nicht funktional gehalten wird, ausgehend, erst kollektive und
negativ bestimmt wird. Insofern beruht dieser Selektionsprozess einerseits auf
dem Tabu primitiver Gesellschaften und andererseits doch wieder auf der
normativen politischen Konstitutionsprozess von Massengesellschaften,
welche die Organisation der ausschließenden Institutionen in der von
Foucault beschriebenen Form überhaupt erst ermöglicht hat. — Die Reflexion
auf die Totalität gesellschaftlicher Kommunikation zeigt abermals eine
Verzweigung in den Prozessen der Bestimmung gesellschaftlicher Rationalität:
Entweder Konversion durch eine allgemeine Theorie der Soziologie als
Instrument einer politischen Philosophie, oder die kollektive Bestimmung der
Rationalität des sozialen Handelns mit einem uninterpretierten
Selektionsprinzip zwischen unbestimmter allgemeiner Zweckrationalität und
kriterienloser Mindestfunktionalität der Einzelfälle.
Thomas Briebicher beschreibt in seiner Rezension von Christian Schauers
Studie Aufforderung zum Spiel. Foucault und das Recht, (Böhlau, Weimar, Köln,
Wien, 2006) die sich einstellende Indifferenz der Position Foucaults
hinsichtlich des Zusammenwirkens der beiden Aspekte der
Institutionalisierung der Kommunikation, der des kollektiven Tabus, und der
der sozialen Organisation des Handelns, anhand der Kritik an dem Verhältnis
von Gerichtsgutachter und Richter:
»Schon in der Archäologie des Wissens, vor allem aber in der Vorlesung Die
Anormalen von 1974/75 beschäftigt Foucault das Verhältnis zwischen
forensischer Psychiatrie und Recht und in welcher Weise sich beide
gegenseitig beeinflussen. Im Rahmen der Vorlesungen sieht Foucault in
gerichtspsychiatrischen Gutachten das Scharnier zwischen jenen Diskursen,
wobei erstere jedoch weder im medizinischen noch im rechtlichen Code
verfasst sind, sondern sich unscharfer Begriffe wie „Gefährlichkeit“ und
„Risiko“ bedienen. Dies führt nicht nur zu einer zunehmenden Infragestellung
der Autonomie der jeweiligen Diskurse, es bringt auch eine Anzahl von
Rollen- und Funktionsverschiebungen mit sich. So wird etwa der Richter, der
sich vermehrt auf entsprechende Gutachten stützt zu „einem Verhaltens- und
Sicherheitstechniker unter anderen“ und insgesamt lässt sich auf der Basis von
Foucaults Ansatz und mit Hilfe einer systemtheoretischen Lesart folgern, dass
„das richterliche Urteil faktisch oft durch das Urteil des Psychiaters ersetzt
wird [...] und weiter, dass der Diskurs des forensischen Experten eine Tendenz
zur epistemischen Verselbständigung gegenüber dem medizinischen Diskurs
aufweist, mit der Konsequenz, dass er bisweilen weder von der Medizin noch
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von der Rechtsprechung verstanden werden kann“ (136, 139-140)«. (in: Ancilla
iuris, anci.ch, 2007:20, S. 21)
Das kollektive Tabu ist mit dem Schlüsselbegriff »Sicherheit« beschrieben. Es
ist zu vermuten, daß die doppelte Konversion des Gerichtsgutachters
zwischen Gericht und Medizin nicht gelingt. Da der forensische Experte des
Gerichts nicht mehr zwischen Medizin und Gericht vermittelt, nähert sich das
Gericht der Kollektivität des Auschlußprozesses an. Die Position des
Gerichtsgutachters führte demnach zu einer eigenen Institutionalisierung mit
eigener Fachterminologie und eigenen semantischen Modellen des zu
verhandelnden Themenkreises, sodaß anschließend von Gericht und Medizin
die Konversion verlangt werden kann. Das scheint gegenüber dem Gericht
besser zu funktionieren als gegenüber der Medizin. Daraus schließt Foucault
auf die durchschnittliche Reduktion der politisch relevanten Institutionen auf
den organisatorischen Aspekt der politischen Macht. Insgesamt lässt sich
sagen: Die Vermittlung zwischen Hilfestellung (Medizin), unabhängiger
Wahrheitsfindung (Gericht) und Herrschaft (Staat) gelingt nicht und
verwandelt die Diagnose zum bloßen Herrschaftsinstrument.
William Walters (Carlton, Kanada) sieht die durch die Reduktion auf den
Machtaspekt sich einstellende Indifferenz zwischen Kommunikation und
Institution als Gegelegenheit an, das Problem der Regierbarkeit schon auf
methodischer Ebene von den zentralstaatlichen Institutionen weg zu den
Formen des partikularen Handelns und deren Ineinandergreifen zu verlagern;
offenbar in der Hoffnung, damit auch politische Institutionen auf
übernationaler Ebene konstruieren zu können (z.B. Global Governmentality,
edited with Wendy Larner, 2004).
Eine der aktuellen Schwierigkeiten, die sich meiner Meinung nach in unserem
postmodernen Verständnis des Vergesellschaftungsprozesses einer adequaten
Analyse des Herausforderungshorizontes entgegenstellt, ist die Interpretation
unserer Kultur und Zivilisation als Naturprodukt. Hier geht es mir nicht um
die Kritik an der biologischen Grundlegung des durchschnittlichen Verhaltens
der Gattung überhaupt, hier steht die Verwechslung der biologischen
Grundlegung unseres sozialen Verhaltens mit der eigentlichen Ursächlichkeit
und der Begründung unserer konkreten kulturellen Entwicklung zu
Zivilisation und Wissenschaft zur Diskussionn.
Foucault scheint zuletzt die sich letztlich einstellende Indifferenz zwischen
den kollektiven und organisatorischen Aspekten der Institutionalisierung der
Kommunikation zu nutzen, die politischen Institutionen von zwei Seiten
aufzulösen. Von der kollektiven Betrachtung des handelnden Subjekts
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Hauke Brunkenhorst beschreibt in ihrer Studie Hanna Arendt (C. H. Beck, 1999)
die Dynamik der Entwicklung des politischen Denkens von Hannah Arendt,
die zwischen ihrem geistigen Hinterland und den politischen Entwicklungen
Europas entstanden ist. Die ökonomischen und politischen Veränderungen in
Europa, die zum Zweiten Weltkrieg führten, hat Arendt als Versagen und
Zurückdrängen des republikanischen Nationalstaates verstanden. Sie schreibt
1948: »Das bisher stärkste Bollwerk gegen die schrankenlose Herrschaft der
bürgerlichen Gesellschaft, gegen die Ergreifung der Macht durch den Mob
und die Einführung imperialistischer Politik in die Struktur der
abendländischen Staaten ist der Nationalstaat gewesen. Seine Souveränität, die
einst die Souveränität des Volkes selbst ausdrücken sollte, ist heute von allen
Seiten bedroht. (VT, 29)« (Brunkenhorst 1999, S. 29).
Arendt sieht in Origins of Totalitarianism (New York, 1951) »im Verlust der
revolutionären Substanz des Nationalstaates die Hauptursache für die
europäische Katastrophe« (ebenda). An solchen Stellen ist nachzufragen, ob
nicht eine zu weitgehende Identifizierung des romantischen Nationalstaates
des Ausnahmezustandes mit den bürgerlichen Ideen der Republik mit
vorrevolutionären Wurzeln vorliegt. Der rationale Zentralstaat des
aufgeklärten Absolutismus muß sich selbst nicht zwingend nationalstaatlich
verstehen, auch das historische Vorbild Frankreich war erst postrevolutionär
explizite nationalpatriotisch. Den Nationalstaat betrachte ich als Folge des
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Roger Masters und Gideon Schubert einerseits und der elitären politischen
Geschichtsphilosophie von Leo Strauß andererseits im übernächsten Abschnitt
näher eingehen; ein Abriss zu Grundlagenfragen des Verhältnisses von
politischer und wirtschaftlicher Macht wird ab dem dritten Kapitel gegeben.
Hier springt heraus, daß auch Hannah Arendt von einer gesetzmäßigen
Entwicklung der Geschichte ausgeht, die zuerst in der Auseinandersetzung
mit Monarchie und Aristokratie und deren Camouflage im französischen
Bürgerkaisertum als fruchtbar angesehen wird, weil sie kollektive der
partikularen Emanzipation und Partizipation wie der ökonomischen
Entwicklung förderlich war. Am vermeintlichen Ende der Epoche des
abendländischen Nationalstaates wird die Auseinandersetzung mit der
Oligarchisierung der politischen und ökonomischen Elite aber nicht
grundsätzlich wegen politischer Ohnmacht sistiert, die Auseinandersetzung
scheint theoretisch grundsätzlich abgeschlossen, weil wieder die
gesellschaftliche Entwicklung nur als historische Gesetzmäßigkeit betrachtet
wird, deren Ursachenanalyse bei der Ökonomie stehen bleibt.
Obzwar Hannah Arendt mitnichten mit der Depotenzierung des
Nationalstaates zum Totalitarismus zugleich das Individuum oder den
gesamten Vergesellschaftungsprozess zum einfachen Naturwesen und zur
Verhaltensbiologie depotenziert, wie es Michel Foucault an der Rändern seiner
Kulturanalyse tut, fällt sie, so meine kritische These, formal der nämlichen
Konversion der Theorie zum Opfer. Das ist mit der impliziten These, die auch
Arendt ab dem Moment zu vertreten beginnt, ab dem die Überlegung an dem
Punkt angekommen ist, daß die historische Entwicklung der modernen
Massengesellschaft offenbar mit Notwendigkeit ablaufe, zweimal deutlich
geworden.
Ich behaupte hingegen, daß die kultursoziologisch und kulturpsychologisch
gefaßte politische Idee zusammen zwar eine rationale Motivlehre ergeben
können, daß aber die Gesetzlichkeit nur eine verallgemeinerte
Schlußfolgerung aus eben dieser kollektiven kulturpsycholgischen Perspektive
ist. Die philosophisch gefaßte politische Idee, von der Hannah Arendt im
Grunde genommen normativ ausgeht, ist hingegen immer eine Idee der
Fähigkeit zu handeln und zu organisieren. Ich erblicke darin eine Parallele zu
Max Webers Doppelsystem von teils koordinierbaren, teils divergenten
Wertehierarchien einerseits und der Diskussion um die Interpretation der
bloßen Idee der allgemeinen Zweckrationalität andererseits. Wenn die
Soziologie, sei sie institutionssoziologisch oder kollektiv historisch, das
Freiheitsproblem ausblendet, hat die philosophische, das ist die kollektiv und
allgemein gefasste politische Idee, ihre Grundlage verloren.
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Wesen, die Zwecke an sich selbst sein sollen (also wir selbst) reine Spekulation
und deshalb bei der negativen Freiheit stehen. Ohne die Reflexion auf die
Doppeltbestimmtheit unseres Wollens und Willens zwischen pretium
(Marktwert und Gebrauchswerte) und dignitas (Würde und Wahrhaftigkeit)
gibt es keinen Übergang zum transzendentalen Ideal der Freiheit.