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Kontinuität und Umbruch in mittelägyptischen

Mönchsgruppen nach der Historia Monachorum in Aegypto


von Dimitrios Moschos

1. Historia Monachorum: Mittelägypten im Vordergrund1

Die Historia Monachorum in Aegypto ist ein gegen 397 abgefaßtes Er-
bauungswerk in der Form eines Reiseberichts von sieben Pilgern, die – so
der Erzählverlauf – Asketen und Pilgerorte in Ägypten von Süden nach
Norden besuchten. Über die Autorschaft des Werkes läßt sich wenig sagen.
Im Gegensatz zu früheren Annahmen wurde mittlerweile überzeugend
dargelegt, daß Rufin nicht der Autor der griechischen Fassung sein kann2.
Lange Zeit gingen die Meinungen auseinander, ob die Pilgerfahrt und die
daran teilnehmenden Protagonisten, auf deren Bericht das Werk beruht,
eine literarische Erfindung seien mit dem Ziel, mehrere einzelne Viten
von Asketen oder Lokallegenden zusammenzustellen, oder ob die Pilger-
fahrt tatsächlich stattfand. Schon Reitzenstein, der für die Priorität der
lateinischen Version Rufins optierte, glaubte, daß die griechische Historia
Monachorum in Aegypto eine „gedankenlose“ oder „tendenzlose“ Über-
arbeitung der didaktischen Novellen Rufins bilde3. Butler4 argumentierte
dafür, daß das Werk auf einem echten Reisebericht basiert. Ward und
Russel, welche viel später eine englische Übersetzung des Textes erarbei-
tet haben, führten diese Argumentation weiter und glaubten, eine genaue
Rekonstruktion der Reiseroute der Protagonisten erstellen zu können; sie
meinten daher, daß die Pilgerfahrt tatsächlich geschehen sei5. Später hat

1
Ich danke Herrn Dr. Dr. habil. Andreas Müller für seine wertvollen Hinweise und An-
regungen bei der Abfassung dieses Aufsatzes.
2
Zur Problematik siehe E. Schulz-Flügel, Praefatio, in: Tyrannius Rufinus, Historia mo-
nachorum sive De vita sanctorum patrum, hg. von E. Schulz-Flügel, PTS 34, Berlin/New
York 1990, 8-20.
3
R. Reitzenstein, Historia Monachorum und Historia Lausiaca. Eine Studie zur Geschichte
des Mönchtums und der frühchristlichen Begriffe Gnostiker und Pneumatiker, RFLANT
24, Göttingen 1916, 11-17.
4
Cf. C. Butler, The Lausiac History of Palladius. A Critical Discussion together with Notes
on Early Egyptian Monachism, vol. 1, TaS 6, Cambridge 1898, 276f.
5
The Lives of the Desert Fathers, the Historia Monachorum in Aegypto, translated by N.
Russell, introducted by B. Ward CistSS 34, London/Oxford 1981, 4-6.

ZAC, vol. 12, pp. 267-285 DOI 10.1515/ZAC.2008.018


© Walter de Gruyter 2008
268 Dimitrios Moschos

Schulz-Flügel6 in ihrer kritischen Edition der lateinischen Version Ru-


fins die Einheit des Werkes wieder bestritten, woraufhin de Vogüé diese
Ansicht als „hyperkritisch“ verworfen hat7. Es scheint allerdings auch
eine Kombination beider Möglichkeiten nicht unvorstellbar, daß nämlich
wirkliche Reiseeindrücke mit mehreren vorhandenen schriftlichen Quellen
zusammengeführt wurden8. Die Frage nach dem Werdeprozeß des Wer-
kes betrifft auch die Frage nach seiner historischen Zuverlässigkeit. Oft
wurde der kompilatorische Charakter des Werkes für Unstimmigkeiten,
Fehler und Überarbeitungen verantwortlich gemacht, die aus didaktischen
Erzählungen „eine tendenzlose Wundergeschichte grobschlächtigster Art“9
machten. Dies ist insofern zutreffend, als die genauen Zahlen in der Hi-
storia Monachorum in Aegypto längst als unzuverlässig erwiesen sind10;
wie de Vogüé bemerkt, vermissen wir in der Historia Monachorum in
Aegypto – anders als im Fall der Historia Lausiaca – zudem einen klaren
Redaktionsduktus11.
Doch gerade deswegen ist die Historia Monachorum in Aegypto eine
sehr aufschlußreiche Quelle. Hier wurden Einzeltraditionen und Viten
überwiegend aus Mittelägypten und ohne besondere Bearbeitung anein-
andergereiht. Den ursprünglichen Kern der Historia Monachorum in
Aegypto hat man mit Hilfe der syrischen Textversion und eines in der
Kirchengeschichte von Sozomenus zitierten längeren Passus der Historia
Monachorum in Aegypto zu erschließen versucht. Schulz-Flügel12 geht
dabei vom verwendeten Exzerpt des Sozomenus13 aus und identifiziert die
Kapitel über Johannes von Lykopolis bis Apelles (griechische Version Ka-
pitel 1-13 [= gr. 1-13], ohne die indirekten Berichte über andere Personen
innerhalb der Erzählungen, wie z.B. Patermuthios, Anuf usw.) und über
Isidor, Sarapion, Eulogios und Dioskoros (gr. 16-18.20) als diesen Ur-Kern

6
Tyrannius Rufinus, Historia monachorum sive de vita sanctorum patrum, hg. von E.
Schulz-Flügel (wie Anm. 2), 3f.
7
A. de Vogüé, Histoire littéraire du mouvement monastique dans l’antiquité, Première
Partie. Le monachisme latin, Paris 1996, 319.
8
Eine Rekapitulation der jüngeren Diskussion hat T. Baumeister unternommen: ders.,
Ägyptisches Lokalkolorit in der Historia Monachorum in Aegypto, in: U. Zanetti/E.
Lucchesi (Hgg.), Aegyptus Christiana. Mélanges d’hagiographie égyptienne et orientale
dédiés à la mémoire du Père Paul Devos Bollandiste, Cahiers de l’Orientalisme 25, Genève
2004, 165-174.
9
So über die Erzählung von Paulus dem Einfältigen oder Paphnutius nach Reitzenstein,
Historia (wie Anm. 3), 17.
10
Siehe z.B. über die Unzuverlässigkeit der numerischen Angaben P. Devos, Les nombres
dans l’Historia Monachorum in Aegypto, AnBoll 92, 1974, 97-108.
11
Die Historia Monachorum sei im Gegensatz zu Pall., h.Laus. „moins dense, moine variée,
moins personelle“, nach de Vogüé. Die Pilger der Historia Monachorum beschränkten sich
nämlich im Gegensatz zu Palladius, der lange in Ägypten weilte, auf eine viermonatige
Reiseroute (de Vogüé, Histoire littéraire [wie Anm. 5], 319f.).
12
Vgl. Schulz-Flügel, Praefatio (wie Anm. 2), 20-22.
13
Soz., h.e. VI 28,1-31,11 (GCS 50, 276,26-287,24 Bidez).
Kontinuität und Umbruch in mittelägyptischen Mönchsgruppen 269

der Historia Monachorum in Aegypto. Die genannten Quellen bzw. Quel-


lensammlungen hat der Kompilator mit der eigenständigen Erzählung über
Paphnutios, mit unabhängigen Erzählungen über Apollo (die dem ursprüng-
lichen Kapitel über Apollo fraglos erst nachträglich hinzugefügt wurden)
und eigenen Erfahrungen ergänzt. Nach einem Vergleich mit der syrischen
Fassung ist die Reihung der Kapitel 1-9 (bis Ammon) mit derjenigen der
griechischen Version identisch. Danach folgen wichtige Abweichungen,
die darauf schließen lassen, daß die Berichte über die Gemeinde in der
Sketis (gr. 20-23) sowie über Paulus den Einfältigen und Niederägypten
(gr. 25f.) nachträglich entstanden sind, da sie nach dem Schlußkapitel der
syrischen Fassung angefügt sind und sehr mangelhafte Kenntnis der dor-
tigen Umstände verraten14. In diese Richtung weisen auch die Korrekturen
Rufins, der um 404 n.Chr. die Auskünfte der Historia Monachorum in
Aegypto über Mittelägypten und namentlich die Sketische Wüste durch
Verbesserungen und Ergänzungen aus eigener Erfahrung bereicherte und
ins Lateinische übersetzte15.
Mittelägypten bezeichnet hierbei das Gebiet südlich von Gizeh bis nach
Panopolis (Achmim). In hellenistisch-römischer Zeit wird die alte Eintei-
lung Ägyptens in Nieder- (Delta-Gebiet) und Oberägypten (südlicher Teil)
abgelöst durch eine weitere Untergliederung der beiden Gebiete in 20 bzw.
22 Gaue (Nomoi). Später wurden sieben nördliche Gaue aus Oberägypten
(von Gizeh bis Antaeopolis) in einer Verwaltungseinheit (als sogenannte
Heptanomia) zusammengefaßt16. Es ist interessant, daß dieses Gebiet der
Heptanomia ebenso wie das Land weiter südlich bis nach Achmim gro-
ße Bedeutung für die Geschichte des christlichen, namentlich des kopti-

14
Das zeigen die unterschiedliche Stellung der Nitria-Sketis-Erzählungen in der griechischen
und syrischen Fassung und die verschiedenen Fehler des Verfassers über die Nitria (vgl.
die verstellte Erzählung über die „Langen Brüder“, die Verwechslung der zwei Makarii),
sowie die Abwesenheit wichtiger Figuren Nitrias, von denen wir in den Apophthegmata
Patrum erfahren, wie z.B. Pambo.
15
Diese Kompilation hat Rufin aufgrund mehrerer Erzählungen und seiner eigenen Er-
fahrung (und seiner eigenen Ansichten) korrigiert und ins Lateinische übersetzt. Eine
zeitliche Priorität der lateinischen gegenüber unserer griechischen Fassung zu vermuten,
wie es Bammel macht (C.P. Bammel, Problems of the Historia Monachorum, JThS 47,
1996, 98-100), führt nicht unbedingt zur Annahme, daß in der griechischen Fassung eine
anti-origenistische Revision des uns nicht erhaltenen Textes stattgefunden hat (Bammel,
Problems [wie Anm. 15], 100f.). Eine solche Revision erklärt nicht die ungenauen Angaben
und die oben erwähnten Vereinfachungen, denen man in der Erzählung über die Nitria
begegnet. Im Gegenteil stellt sich die Frage, warum ein angeblich anti-origenistischer
Redaktor den Text ungenauer und unglaubhaft umschreiben sollte. Gerade die korri-
gierten Daten über Nitria und das Weglassen von Erzählungen, die mit der evagrianisch
geprägten Gedankenwelt Rufins unvereinbar gewesen sein müssen, sind Zeugen für die
Authentizität des Inhalts der griechischen Fassung, da Rufin deutlich eigenständig den
Text umgearbeitet hat, zumindest was die Kellia betrifft. E. Schulz-Flügel macht ebenfalls
auf diese Korrekturen aufmerksam (dies., Praefatio [wie Anm. 2], 20-23.48-67).
16
Siehe dazu A.H.M. Jones, Egypt, with revisions by David Thomas, in: ders., The Cities
of the Eastern Roman Provinces, Oxford 21971, 295-348.
270 Dimitrios Moschos

schen Mönchtums besitzt. Große Ausstrahlung für die gesamte christliche


Mönchsbewegung ging hingegen zum einen von den niederägyptischen
Mönchszentren in der Sketischen Wüste (Nitria, Kellia, Sketis) aus. Dies
ist Resultat dessen, daß das hier herrschende Mönchtum in den Werken
bedeutender asketischer Schriftsteller und geistlicher Lehrer Erwähnung
und Dokumentation erfahren hat, deren lateinische und griechische Schrif-
ten über das gesamte Imperium Romanum verbreitet waren. Zum anderen
verfügte auch die „agrarische Kooperation“ von zusammenlebenden Aske-
ten südlich von Sohag mit ihren führenden Persönlichkeiten Pachom und
Schenute über bedeutende Vertreter des ägyptischen Mönchtums, die eben-
falls Gegenstand weit verbreiteter griechischer und lateinischer Schriften
waren (Viten, Briefe, die sogenannten Regeln Pachoms) und so weit über
die Region hinaus bekannt wurden. Diese beiden großen Mönchszentren
zeigten jeweils eine spezifische Form der Frömmigkeit und jeweils eigene
Organisationsformen, die das christliche Mönchtum in der ganzen christ-
lichen Ökumene nachhaltig beeinflussen sollten. Bei dem späteren Versuch
einer Einordnung und Klassifizierung mönchischen Lebens kam es zu dem
vereinfachenden Schema, wonach Niederägypten das Kernland des Ana-
choretentums war, Oberägypten hingegen das Zentrum des Könobitentums.
Demgegenüber zeigt die moderne Forschung, daß eine solche Einteilung in
zwei „reine“ Typen mönchischen Lebens eine nachträgliche und in dieser
Einfachheit nicht sachgemäße Klassifizierung darstellt17. Dies wird etwa
deutlich, wenn man die großen Mönchszentren im Gebiet zwischen Gizeh
und Achmim in den Blick nimmt, die für die spätere koptische Frömmigkeit
von großer Tragweite sind, hinsichtlich der allgemeinen Kirchengeschichte
des 4. und 5. Jahrhunderts jedoch selten Berücksichtigung finden. Die sorg-
fältige Edition sowohl literarischer Quellen wie der Korrespondenz einiger
sonst unbekannter asketischer Persönlichkeiten (Johannes18, Apa Paieus19)
als auch nichtliterarischer Quellen, die bei zahlreichen Ausgrabungen von
Mönchstätten, deren älteste Anlagen sich in die zweite Hälfte des 5. Jahr-
hunderts datieren lassen (siehe unten), zutage getreten sind, zeugen für
den Zeitraum von den Anfängen des Mönchtums bis in die zweite Hälfte
des 5. Jahrhunderts hinein von einer lebendigen mönchischen Bewegung
mit individuellen und von den genannten „Reinformen“ abweichenden
Organisationsformen (Semi-Anachoretentum, organisierte karitative Hilfe
u.ä.). Die ansonsten unbekannten Figuren aus diesem Gebiet mit ihren
unglaublichen Wundererzählungen, über die die Historia Monachorum in

17
J.E. Goehring, Ascetics, Society, and the Desert. Studies in Early Egyptian Monasticism,
Harrisburg (Pennsylvania) 1999.
18
Cf. Johannes, Epistula 24f.41.82-87 (STP 3, 141-146.191-194.324-341 Naldini).
19
Das Archiv von Paieus läßt sich auf die Zeitspanne zwischen 330 und 340 n.Chr. datie-
ren. Auf seine Bedeutung wurde schon von H.I. Bell, Jews and Christians in Egypt. The
Jewish Troubles in Alexandria and the Athanasian Controversy, illustrated by texts from
Greek papyri in the British Museum, London 1924 hingewiesen.
Kontinuität und Umbruch in mittelägyptischen Mönchsgruppen 271

Aegypto berichtet, sind Mosaiksteinchen im Bild des christlichen Ägyp-


tens jenseits von Alexandrien, die Rückschlüsse auf die Entstehung und
Entwicklung der Mönchsbewegung allgemein erlauben.
Der Autor der Historia Monachorum in Aegypto beginnt die Reise mit
seinen Begleitern in Lykopolis (Assiut), von wo aus er Richtung Norden
fortschreitet. Nach dem programmatischen Bericht über Johannes von
Lykopolis, in dem durch verschiedene Erzählungen und Lehren das Ziel
jeder Askese für den Leser verdeutlicht werden soll, fährt der Autor mit
Erzählungen über Persönlichkeiten fort, die gewöhnlich in der Region
Thebais zu verorten sind. Dabei fällt auf, daß der Autor auch Oxyrrhyn-
chos in der Thebais lokalisiert. Hieraus ist zu schließen, daß die Thebais
nicht immer konsequent Oberägypten bedeutet, sondern eher vage einen
nicht exakt eingegrenzten Raum im zentralägyptischen Land beschreibt.
Wir können die Existenz einiger der vorgestellten Asketen und Orte durch
andere Quellen bestätigen, auch wenn die heute bekannten geographischen
Angaben mit den in der Historia Monachorum in Aegypto verwendeten
nicht genau übereinstimmen.
Die Historia Monachorum in Aegypto berichtet weiter von den Gemein-
den des Pityrion und Serapion. Dazwischen wird vom Presbyter Eulogios
und vom Könobium des Abtes Isidor erzählt. Pityrion wird als Nachfolger
von Ammonas und Antonios dargestellt. Nur Serapion wird ausdrücklich
im Raum von Arsinoë lokalisiert20. Auf ergänzende Auskünfte über den
Presbyter Eulogios (Historia Monachorum in Aegypto 16), der nach Aus-
kunft des Textes das oft belegte Charisma der Einsicht ins menschliche Herz
(dioratikÒn) besaß, oder über das unter eindeutig pachomianischen Einfluß
organisierte Könobium von Isidor (Historia Monachorum in Aegypto 17)
müssen wir leider verzichten, da weitere Quellen hierüber keine Auskunft
erteilen. Was allerdings aufschlußreich sein kann, ist die Beschreibung der
Mönchsgemeinde von Pityrion.

2. Antonius und das Naqlun-Kloster.


Ein Beispiel mittelägyptischen Mönchtums

In der Region von Heptanomia (v.a. im Bereich von Fayum) bleiben Erin-
nerungen an die rege Aktivität des Antonius (ca. 250-356 n.Chr.) und seine
Niederlassung in Pispir lebendig, wie seine Korrespondenz mit Mönchs-
gemeinden in Arsinoë zeigt (so sie denn echt ist). Es verwundert daher
nicht, daß die sogenannte Regula Sancti Antonii gerade mit dem Namen
des Antonius verbunden ist und sich an eine Mönchsgemeinde in Gebel
Naqlun 16 km südlich des heutigen Medinet-el-Fayum (also im Bereich
von Arsinoë) richtet, nämlich an die Mönche des Naqlun-Klosters.

20
Historia monachorum 18,1 (SHG 34, 114,1 Festugière).
272 Dimitrios Moschos

Es steht fest, daß die älteste archäologisch belegbare Besiedlung des


Naqlun-Klosters in die zweite Hälfte des 5. Jahrhunderts zu datieren ist.
Man hat die Entstehung eines könobitischen Klosters im 7. Jahrhundert
feststellen können, das parallel zu einer älteren semi-anachoretischen Ge-
meinschaft existierte21. Letztere bestand aus 89 in den Fels gehauenen Ere-
mitagen auf einer Fläche von 1500 m2, von denen sich zwei ältere Anlagen
(Nr. 44 und 89) auf die zweite Hälfte des 5. Jahrhunderts datieren lassen22.
Das hat zur Revision der älteren Meinung geführt, daß diese Gemeinde
gerade wegen der Verbindung ihrer Regel mit Antonius bereits auf die erste
Hälfte des 4. Jahrhunderts zurückgehen müßte23. Unter Bezugnahme auf die
Regel selbst läßt sich vermuten, daß trotz des Mangels an weiteren Quellen
eine erste Form der Gemeinschaft doch schon vor 450 (vielleicht schon im
4. Jahrhundert) bestanden haben muß. Darauf weist die kompilatorische
Form des Textes hin, der eine längere Entstehungsgeschichte voraussetzt,
sowie die Verbindung mit dem Namen des Antonius. In dieser ersten
Phase gab es noch keine eigene Gemeindekirche, und deswegen werden
die Mönche vor dem Besuch einer von Laien überfüllten Kirche gewarnt24.
Die Form des Textes entspricht eher einer losen Zusammenstellung von
Ermahnungen als einer streng durchkomponierten Regel. Ethische Prin-

21
Ein seltenes Beispiel von parallelen Strukturen im Mönchsleben referiert E. Wipszycka, Les
rapports entre les monastères et les laures à la lumière des fouilles de Naqlun (Fayoum),
in: ders., Études sur le christianisme dans l’Égypte de l’Antiquité tardive, Aug. 52, 1996,
381.
22
Die Existenz des späteren Klosters des Erzengels Gabriel (Deir el-Malak Gabriyal) ist
im 7. Jahrhundert (durch Samuel, den dortigen Aufenthalt des späteren Gründers des
Nachbarklosters al-Qalamun) zuverlässig nachgewiesen. Die Erzählung von seiner Grün-
dung angeblich im 4. Jahrhundert durch den Mönch Aur (Geschichte von Aur) ist jedoch
offenbar eine spätere Fiktion (W. Godlewski, Deir el Naqlun. Quelques observations
historiques, in: M. Rassart-Debergh [Hg.], Actes du IVe Congrès copte, Louvain-la-
Neuve, 5-10 septembre 1988, Louvain-la-Neuve 1992, 182f.). Obwohl das Kloster im
7. Jahrhundert für kurze Zeit im Schatten des Nachbarkönobiums in al-Qalamun stand,
lebte es vom 12. bis zum 15. Jahrhundert nochmals auf. Die Stelle wurde seit 1986 vom
polnischen Zentrum für Mittelmeerarchäologie in Kairo archäologisch untersucht. W.
Godlewski hat einen Abriß ihrer Geschichte in mehreren Publikationen (Godlewski,
Quelques observations [wie Anm. 22], 178-186 sowie W. Godlewski, Naqlun 1989-1992,
in: T. Orlandi, [Hg.], Acts of the fifth International Congress of Coptic Studies, Rom
1993, 183-195 [mit Literatur], und W. Godlewski, Deir el Naqlun. Topography and
tentative history, in: B. Corrade et al. [Hgg.], Archeologia e Papiri nel Fayyum. Storia
della Ricerca, Problemi e Prospettive. Atti del Convegno Internationale Siracusa, 24-25
Maggio 1996, Siracusa 1997, 123-145) erstellt.
23
Siehe Wipszycka, Les rapports (wie Anm. 21), 378, wo sie ihre ältere Ansicht (E. Wips-
zycka, Une nouvelle Règle monastique égyptienne, in: W. Godlewski [Hg.], Acts of the
Third International Congress of Coptic Studies, Warschau 20-25 August 1984, Warschau
1990, 500) revidiert.
24
Antonii magni abbatis regulae sive canones ad filios suos spirituales monachos 28 [20]
(PG 40, 1069A [1070A] Migne); die jeweils erste Nummernangabe bezieht sich auf die
Zählung der lateinischen Übersetzung von A. Ecchellensis, die Nummer in der eckigen
Klammer entspricht der Zählung in der lateinischen Übersetzung des Benedikt von Aniane,
die im Wortlaut oftmals leicht abweicht. Beide Übersetzungen sind in der Migneedition
in PG 40 parallel abgedruckt.
Kontinuität und Umbruch in mittelägyptischen Mönchsgruppen 273

zipien werden zusammen mit praktischen Anweisungen in knapper Form


aneinandergereiht. Es wird mit Nachdruck die Versorgung der Älteren
und Kranken mit Wasser angeordnet25, was zu den lokalen Gegebenheiten
des Ortes paßt: Es gab keine Wasserversorgung in den Eremitagen, so
daß man für die Versorgung mit Wasser bis zum Kanal hinunter ins Tal
klettern mußte26. Was uns vom organisatorischen Standpunkt auffällt, ist
jene Form der Wirtschaft, die stark vom Geist der inneren caritas und
der Orientierung an der Gemeinschaft geprägt wurde. Es handelt sich
also um eine Mischung der anachoretischen Absonderung einerseits und
des pachomianischen Gemeindelebens andererseits. Den Mönchen wird
von der landwirtschaftlichen Bestellung verpachteter Grundstücke und
von Verträgen mit Grundstückseigentümern abgeraten27. Obwohl derar-
tiges scheinbar nicht ungewöhnlich war, betont die Regula die autarke
Wirtschaft der Gemeinschaft und will die Mönche von einer energischen
Einmischung in die von den Pachtverträgen dominierte Landwirtschaft
(Kolonat) abbringen. Der Mönch soll in seiner Zelle seinem Handwerk
nachgehen28. Dies setzt entsprechende Unterkünfte voraus und erinnert
an das Anachoretentum der Sketis29. Wenn der Mönch (im Notfall) in die
Welt hinausgehen muß (etwa auf den Markt), so soll er zumindest nicht
allein gehen30. Das erinnert stark an die pachomianische Regel31. Ebenfalls
an die pachomianischen Texte erinnert die Mahnung: de aegrotis qui apud
vos sunt, perquirite32. Der Mönch soll ferner den Überschuß seiner Arbeit
an die infirmiores monasterii verteilen; das klingt wiederum originell. Es
ist aber nicht eindeutig, ob nicht auch Laien im Umfeld der Gemeinschaft
ansässig waren. Dies war mit Sicherheit im 7. Jahrhundert der Fall (in der
Vita von Samuel werden in Naqlun 120 Mönche und 200 Laien erwähnt33).
Die stark karitativ orientierte Organisation wurde von einem oder vielleicht
mehreren Vorständen überwacht: nullum aggrediaris opus, quodcunque

25
Antonii magni abbatis regulae 55 [34] (1069A [1070A] M.).
26
Wipsyzcka, Rapports (wie Anm. 21), 376.
27
Terram vectigalibus subiectam ne semines, et societates cum dominis ne contrahas (Antonii
magni abbatis regulae 18 [13] (1067D [1068D] M.).
28
Antonii magni abbatis regulae 65 [40] (1071B [1072B] M.).
29
Vgl. zum Anachoretentum der Sketis G. Descoeudres, Die Mönchssiedlungen in der nitri-
schen und sketischen Wüste Ägyptens, in: K. Lange/R. Sörries (Hgg.), Vom Orient bis an
den Rhein. Peter Poscharsky zum 65. Geburtstag, Christliche Archäologie 3, Dettelbach
1997, und J.C. Guy, Le centre monastique de Scété au IVème et au début du Vème siècle,
OCP 30, 1964, 129-147.
30
Antonii magni abbatis regulae 17 [12] (1067D [1068D] M.).
31
Vgl. Pach., Praeceptum 84 (H. Bacht, Das Vermächtnis des Ursprungs. Studien zum frühen
Mönchtum, Bd. 2. Pachomius – Der Mann und sein Werk, Frankfurt 1983, 103).
32
Antonii magni abbatis regulae 2 [2] (1067A [1068A] M.). Man denkt an Pachoms
Zurechtweisung seines Schülers Theodor: ’ Ara diÁlqej Ólaj t¦j kalÚbaj tîn ¢delfîn
taÚthn t¾n ïran kaˆ ºsfal…sw m¾ e"na… tinaj aÙtîn ¢sqenoàntaj; Sancti Pachomii Vitae
Graeca, Vita prima 51 (SHG 19, 34,1-3 Halkin).
33
Wipsyzcka, Rapports (wie Anm. 21), 382.
274 Dimitrios Moschos

illud sit inconsulto Patre monasterii34. Andererseits wird die körperliche


Askese (Fasten und Wachen) und die geistliche Selbstüberwachung (Demut,
Enthaltsamkeit der Zunge, Gottesfurcht) stark thematisiert. Die Weisung,
der Mönch solle nicht an die in der Vergangenheit begangenen Sünden
denken35, erinnert an die Lehre des Antonius36. Ständiges Gebet unter
Tränen wird empfohlen. All das rückt die Naqlun-Gemeinde in die Nähe
des anachoretischen Milieus der Sketis und auch des Sinai.
Wenn wir zur Erzählung der Historia Monachorum in Aegypto über
Pityrion zurückkehren, stellen wir zunächst fest, daß die Beschreibung sei-
ner Mönchsgemeinde sehr stark an Naqlun erinnert: „[wir haben gesehen]
kat¦ t¾n Qhba$da Ôroj ØyhlÕn tù potamù ™pike…menon, foberÕn ¥gan kaˆ
krhmnîdej, kaˆ monacoÝj ™ke‹ o„koàntaj ™n to‹j sphla…oij“37. Hier denkt man,
daß es sich um eine genaue Wiedergabe des Eindrucks von den in Fels
gehauenen Eremitagen handelt. Ward identifizierte dieses Kloster wegen
der erwähnten Nachfolge von Antonius mit Pispir, obwohl sie zugibt, daß
Pityrion in weiteren Quellen, die eine genauere Lokalisierung zulassen wür-
den, nicht belegt ist. Die Identifizierung mit Pispir muß daher als spekulativ
zurückgewiesen werden, nicht zuletzt deshalb, weil der Historia Lausiaca
zufolge in Pispir ein Kloster liegt, in dem Treffen zwischen Mönchen und
Personen der „Außenwelt“ stattfanden, wohingegen die Mönchszelle von
Antonius tiefer in der inneren arabischen Wüste, „etwa dreißig Meilen vom
Fluß entfernt“38 liegt. Pispir war die „Einsiedelei (monast»rion), die neben
dem Fluß liegt“39. Im Bericht der Historia Monachorum in Aegypto ist aber
von Höhleneremitagen auf dem Fels die Rede. Es paßt also besser zu un-
serem Naqlun. Dazu kommt der Bericht über die Nachfolge des Antonius,
da Pityrion als Schüler des Antonius und als sein dritter Nachfolger seine
Charismen übernahm40. Wir wissen sonst nichts von einem institutionell
eingesetzten „Nachfolger“ des Antonius. Die Historia Lausiaca nennt
als Antoniusschüler Makarios und Amatas, die ihn begruben41. Athana-

34
Antonii magni abbatis regulae 32 [22] (1069A [1070A] M.). Es ist schwer aus diesem
Passus zu erschließen, ob diese Vorstände eine institutionelle oder charismatische Autorität
innehatten. Doch es ist anzunehmen, daß, wenn es sich hier um eine Institution gehandelt
hätte, das Verbot viel nachdrücklicher ausgefallen wäre.
35
Antonii magni abbatis regulae 60 [38] (1071A [1072A] M.).
36
Vgl. oÙk ™mnhmÒneue toà parelqÒntoj crÒnou: ¢ll¦ kaq' ¹mšran, æj ¢rc¾n œcon tÁj ¢sk»sewj,
me…zona tÕn pÒnon e"cen e„j prokop»n (Ath., v.Anton. 7,11 [SC 400, 154,42-44 Barte-
link]).
37
Historia monachorum 15,1 (110,1-3 F.).
38
Pall., h.Laus. 21,1 (Scrittori Greci e Latini, 104,6 Bartelink). Die Übersetzungen stammen
aus: Palladius, Historia Lausiaca. Die frühen Heiligen in der Wüste, hg. und aus dem
Griechischen übertragen von J. Laager, Zürich 1987, 114.
39
Pall., h.Laus. 21,1 (104, 7 B.) (Übers. Laager [wie Anm. 38], 114).
40
Historia monachorum 15,1f. (111,4-8 F.).
41
Pall., h.Laus 21,1 (104,9 B.).
Kontinuität und Umbruch in mittelägyptischen Mönchsgruppen 275

sius berichtete von der Übergabe des Gewandes des großen Asketen an
ihn und Ammonas42. Der Name und die Autorität von Antonius bilden
ein verbindendes Element zwischen der Regel und Pityrion, so daß man
schließen kann, daß, wenn Pityrion sich nach Unterweisungen richtete,
die mit Antonius verbunden waren, er als eine Art Antonius-Nachfolger
auftreten konnte. Die Historia Monachorum in Aegypto berichtet jedoch
darüber hinaus über Charismen, die Pityrion von Antonius übernahm. Die
Autorität des Antonius kann man mit der Forderung nach Enthaltsamkeit
und Fasten bei Pityrion43 in Verbindung bringen. Diese erinnert ebenfalls
an die Antoniusregel, wenngleich solche Mahnungen ein Gemeingut in
vielen asketischen Milieus bilden.
Betrachten wir nun noch die zweite Mönchsgruppe, die die Historia
Monachorum in Aegypto in dieser Umgebung vorstellt. Das im Bereich
der Arsinoë von der Historia Monachorum in Aegypto verortete Könobi-
um von Serapion ist uns sonst unbekannt, obwohl es nach der Erzählung
10.000 Mann umfaßt haben soll. Besonders interessant ist hier der ko-
operative und karitative Charakter der mönchischen Arbeit. Die Mönche
arbeiteten (offenbar als Saison-Arbeiter) bei der Ernte mit und verteilten
ihren Überschuß (12 Artaben, wahrscheinlich ca. 500 Liter44 Getreide) an
die Armen Alexandriens und der Vororte (also dem Delta-Gebiet)45. Das
erinnert noch einmal an die Weisung der Regel des Antonius, Lebensmittel
und andere Güter zu verteilen. In der Regula ist wahrscheinlich von armen

42
Die Übergabe des Gewandes spielt möglicherweise auf eine Rückkehr des Charismas in
der institutionalisierten Kirche an, siehe A. Dihle, Das Gewand des Einsiedlers Antonius,
JAC 22, 1979, 22-29. Vgl. dazu auch M. Tetz, Athanasius und die Vita Antonii. Litera-
rische und theologische Relationen, ZNW 73, 1982, 1-30.
43
Historia monachorum 15,3f. (111f. F.).
44
Der Verfasser der Historia monachorum rechnet die zwölf Artaben in vierzig modii
(Scheffel) um. Das scheint falsch zu sein, da in der byzantinischen Zeit eine Artaba zwei
„See-modii“ (qal£ssioi mÒdioi = ca. 17 Liter) entspricht (hierzu siehe E. Schilbach, By-
zantinische Metrologie, HAW 12/4, München 1970, 95), wonach die angegebene Menge
die Zahl von nur 24 modii erreichen sollte. Andererseits erfahren wir, daß die Artabe in
der Kaiserzeit in Ägypten sowohl 40 choinikes (= 40 Liter) als auch 24 choinikes (= 24
Liter) betragen konnte (siehe U. Wilcken, Grundzüge und Chrestomathie der Papyrus-
kunde, Bd. 1, Leipzig 1912, LXVIII). Schilbach erklärt, daß neben dem normalen auch
ein „Klostermodius“ (monasthriakÕj mÒdioj) mit einer Kapazität von 13,667 Liter in
Verwendung war (ibid). 12 Artaben von 40 Liter, d.h. insgesamt 480 Liter, könnten fast
36 „Klostermodii“ betragen, was nah an der Zahl 40 liegt (wobei 40 „Klostermodii“
547 Liter betragen würden). Wir sind also berechtigt, eine Summe zwischen 480 und 547
Liter an Getreide zu vermuten. Die Zahlen sind allerdings in der Historia monachorum
sehr unzuverlässig, wie in Anm. 10 erwähnt wurde.
45
„In der Erntezeit brachten alle zusammen das Getreide, das sie als Lohn erhalten hatten,
zu ihm. Alljährlich waren es zwölf Artaben, was wir als vierzig Scheffel bezeichnen. Dies
gaben ihm alle zur Unterstützung der Bedürftigen. Daher litt niemand in der Umgebung
Not. Darüber hinaus konnte man auch noch den Notleidenden in Alexandrien Hilfe
leisten.“ (Historia monachorum 18,1f. [114f. F.]; deutsche Übersetzung: Mönche im
frühchristlichen Ägypten [Historia Monachorum in Aegypto], aus dem Griechischen
übersetzt, eingeleitet und erklärt von K.S. Frank, Düsseldorf 1967, 114f.).
276 Dimitrios Moschos

Mönchen und nicht von Laien in Städten die Rede, sonst ist die Bezeich-
nung infirmiores monasterii schwer zu verstehen. Wir haben aber schon
erwähnt, daß möglicherweise auch Laien in der Nähe der Gemeinschaft
wohnten. In einer anderen Erzählung über Apollo erfahren wir von Laien,
die während einer Dürrezeit zur Mönchsgemeinde des Apollo hinzukamen,
um Nahrung als Almosen zu erhalten46.
Wie kann man die zwei in der Historia Monachorum in Aegypto darge-
stellten Mönchsgruppen mit Naqlun verbinden? Eine Möglichkeit besteht
darin, die anachoretische Gruppe von Pityrion mit der Gemeinde der
Felseremitagen von Naqlun und das Könobium von Serapion entweder
mit der dortigen könobitischen Gruppe oder mit einer anderen im Bereich
von Fayum unbekannten Mönchsgruppe zu identifizieren. Eine andere
Möglichkeit wäre, daß der Nachhall des Wirkens des Antonius in diesem
Bereich verzerrt wiedergegeben wurde. Möglicherweise sind dabei die
Eigentümlichkeiten des Mönchslebens in dieser Region von Antonius abge-
leitet worden. Der Autor fügt ohnehin hinzu, daß karitative Hilfe von allen
vorgestellten Äbten (wohl in dieser Region) verteilt wurde. Eine weitere
Präzisierung hängt von der historischen Genauigkeit ab, die man u.a. den
geographischen Daten der Historia Monachorum in Aegypto zugesteht.
Historisch sicher ist das vermittelte Bild eines Mönchtums, welches cha-
rismatisches Leben mit organisierter caritas verbindet und das mit dem
Bereich von Arsinoë und möglicherweise mit der Naqlun-Gemeinde in
Verbindung gebracht werden kann.

3. Charisma und Caritas im mittelägyptischen Mönchtum

Über Naqlun hinaus liegt im selben Großraum rechts am Nil im Gau von
Kynopolites das Kloster (oder die Klöster) der Melitianer. Wie schon er-
wähnt ergänzte die Edition der Korrespondenz des Nepheros die Lücken
aus einem älteren Dossier des Apa Pageus, und wir verfügen nun über eine
feste Basis für aufschlußreiche Einblicke ins melitianische Könobitentum
und insbesondere ins Kloster Hathor. Dort erfahren wir unter anderem,
daß gegen 360 n.Chr. ärmere Einwohner des nahegelegenen Dorfes durch
zwei Personen mit Weizen und Brot aus dem Kloster versorgt wurden47.
Einige Kilometer südwestlich lag die Stadt Oxyrrhynchos (Pemje), welche
in der Historia Monachorum in Aegypto in idyllischen Farben als eine rein
christliche Stadt voll von Mönchen und Nonnen geschildert wird48. Der
Verfasser betont die Gastfreundschaft und weniger die caritas. In der in

46
Historia monachorum 8,44 (63f. F.).
47
Papyrus Nepheros 36, vgl. B. Kramer, Neuere Papyri zum früheren Mönchtum in Ägypten,
in: G.W. Most/H. Petersmann/A.M. Ritter (Hgg.), Philanthropia kai eusebeia, Göttingen
1993, (217-233) 230.
48
Historia monachorum 5,1-4 (41f. F.).
Kontinuität und Umbruch in mittelägyptischen Mönchsgruppen 277

jüngerer Zeit zunehmend als historische Quelle geachteten Vita des Heiligen
Aphou, der um dieselbe Zeit zunächst als Eremit und dann als Bischof von
Pemje gelebt haben muß, wird von der Einrichtung einer Armenhilfe aus
kirchlichen Mitteln berichtet, die auf die Initiative des Aphou zurückgehe49.
Es versteht sich, daß diese und andere Anordnungen von Aphou seinem
asketischen Ideal entsprachen. Noch ca. 70 km weiter südlich, in der
Nähe der Hermopolis Magna, lebte in einer Höhle der frühere Eremit und
spätere Gründer des gleichnamigen Klosters Abu Fana, Apa Bane. Einige
Auskünfte erhalten wir aus den koptischen Apophthegmata. Diesen ist zu
entnehmen, daß Apa Bane während der Fastenzeit 37 Tage vollständig zu
fasten pflegte. Danach nahm er Geld von den Machthabern der Region
und zog umher, um es an die Armen, Elenden, Witwen und Waisen zu
verteilen. Er reiste in die Städte und Dörfer und gab den Bedürftigen das
Geld in reichem Maße50. In einer anderen Erzählung vom Apa Bane er-
fahren wir, daß er bei diesem Unternehmen nicht allein war. Auch andere
Asketen verteilten bei dieser Wanderung Almosen51.
An mehreren Orten asketischen Lebens in dieser Region scheint also
die institutionalisierte karitative Hilfe ein Teil der Lebensweise oder Le-
bensregel (im weiteren Sinne) der Asketen zu sein. Gewiß ist diese Praxis
nicht mit den von uns bekannten Lehren des Antonius direkt zu verbinden.
Abgesehen von der Verteilung seines Eigentums am Anfang seines Da-
seins als Mönch erfahren wir nur, daß er in Pispir ein kleines Landstück
bewirtschaftete, um autark leben und seine Gäste bewirten zu können52.
Obwohl Freigebigkeit gegenüber den Armen als Tugend in zahlreichen
lehrhaften Erzählungen über die ersten Asketen in Nitria und Sketis und in
vielen späteren Werken der asketischen Literatur gepriesen wird, ist meiner
Kenntnis nach die Praxis der institutionalisierten Armenhilfe in den großen
anachoretischen Zentren eher selten. Manche große Gruppen hatten ihren
eigenen o„konÒmoj (Verwalter), zu dessen Aufgaben jedoch eine regelmäßige
Spende an arme Laien anscheinend nicht gehörte. Als Melania die Ältere
dem großen Pambo Silber schenkte, ordnete dieser an, daß der o„konÒmoj
der Gruppe es an die armen Klöster Libyens und auf den Inseln, nicht aber
an diejenigen in Alexandrien verteilen solle53. Obwohl der Hintergrund
dieser Entscheidung nicht klar ist, erfahren wir jedenfalls nichts von einer

49
„Einmal im Jahr legte er Rechenschaft über die finanzielle Lage der Kirche ab, und alles,
was von den Ausgaben der Kirche zurückblieb, wandte er für die Armen der Stadt und
seine Nachbarn auf, so daß man seinetwegen das Übel der Armut vergessen hat“ (Vita
Aphu 17,2 [F. Rossi, Trascrizione di tre manoscritti copti del Museo Egizio di Torino, con
traduzione italiana, MAST.M 37, 1885, 82]). Die Übersetzung ist aus D. Bumazhnov, Der
Mensch als Gottes Bild im christlichen Ägypten. Studien zu Gen 1,26 in zwei koptischen
Quellen des 4.-5. Jahrhunderts, STAC 34, Tübingen 2006, 226, entnommen.
50
Apophth. Patr. koptisch 244 (BEC 6, 75 Chaine). Siehe auch G. Gabra, Zur Vita des
Bane (Abû Fâna), eines Heiligen des 4./5. Jahrhunderts, BSAC 29, 1990, 32.
51
Apophth. Patr. koptisch 249 (77 C.).
52
Ath., v.Anton. 50,5-7 (270-272 B.).
53
Pall., h.Laus. 10,3 (46,16-19 B.).
278 Dimitrios Moschos

Spende an Laien. Und obwohl solche Spenden möglicherweise einfach


als selbstverständlich betrachtet wurden und daher in der Literatur nicht
erwähnt werden, ist (anders als in Sachen Gastfreundschaft) das Fehlen
solcher Nachrichten für die Sketis und die explizite Erwähnung der Beihilfe
in unseren Quellen für Mittelägypten schwer erklärbar.
Eine Überprüfung der Historia Monachorum in Aegypto auf Informa-
tionen über regelmäßige karitative Hilfe hin ergibt, daß bei bestimmten
Bildern Assoziationen zwischen caritas und Charisma entstehen. Nach
einer Erzählung der Apophthegmata Patrum wird Antonius offenbart,
daß ein Arzt in Alexandrien seine übermäßigen Einkünfte für Bedürftige
ausgibt und das Trishagion zusammen mit den Engeln singt54. Obwohl
die Apophthegmata Patrum eine spätere Quelle darstellen und der Topos
des Wettstreits zwischen einem Mönch und einem Laien sehr verbreitet
war55, ist diese Erzählung von großer Bedeutung. Erstens ist das Vorbild
für alle Asketen gültig, und zweitens ist die engelgleiche Natur hier nicht
mit der Jungfräulichkeit (wie im 3. Jahrhundert)56, sondern mit der caritas
verbunden. Daß caritas in wunderbarer Weise und schließlich in charisma-
tischer Form praktiziert wird, entnehmen wir auch der oben erwähnten
Erzählung über Apollo und seine Gruppe in der Historia Monachorum
in Aegypto, wo die Sättigung der Laien in der Hungerszeit die Vorräte
des Klosters nicht erschöpft; ein Wunder, das an Elias in 1Kön 17,13-16
erinnert. Dies gibt in der Erzählung sogar der Teufel zu57. In den Berichten
über den Apa Bane erfahren wir, wie oben bereits dargestellt, daß er 37
Tage vor seinem Wanderexodus fastete. Es liegt nahe, daß es sich hier um
eine geistige Vorbereitung auf die Almosenverteilung handelt, die auch
eine symbolische Geste mitimpliziert, zugunsten der anderen selbst auf
die Speisen zu verzichten. Alle diese Beispiele verdeutlichen, daß in vielen
Fällen die karitative Hilfe als Merkmal eines individuellen oder kollekti-
ven Charismas betrachtet wird. Die caritas weist auf diese Weise auf eine
idyllische Welt hin, wo „niemand unrecht tat oder litt“58. Dieses Ideal
läßt sich wiederum leicht mit der Gütergemeinschaft der urchristlichen
Gemeinde verbinden. Ein weiteres Vorbild bildet Oxyrrhynchos, das als
„Heilige Stadt“ dargestellt werden kann, die ganz der Wohltat und der
Askese hingegeben ist und einig im Glauben und in der eucharistischen

54
Apophth. Patr., Alphabetikon Antonios 24 (PG 65, 84 Cotellier).
55
Der Vergleich eines Mönchs mit einem Laien dient der Darstellung eines Paradoxons:
daß der Laie nämlich in einer Tugend einem Mönch überlegen sein kann. Dadurch wird
der Mönch zur Demut ermahnt. Vgl. J. Wortley, The Spirit of Rivalry in Early Christian
Monasticism, GRBS 33, 1992, 383-404, und T. Baumeister, Art. Theodulos, LThK3 9,
2000, 1428.
56
P. Nagel, Die Motivierung der Askese in der alten Kirche und der Ursprung des Mönch-
tums, Berlin 1966, 44f.
57
Historia monachorum 8,46 (64 F.).
58
Ath., v.Anton. 44,2-4 (254,15 B.).
Kontinuität und Umbruch in mittelägyptischen Mönchsgruppen 279

Versammlung unter einem Bischof steht59. Ein ähnliches Bild ergibt sich
auch in der Vita Aphu: „so daß man in jenen Tagen über die ganze Stadt
sagte: Das ist wahrhaftig das Volk des Herrn“60. Hinweise auf die Gegen-
wart von Charismen erhalten wir auch aus der Literatur der Melitianer61.
In den Texten des Nepheros-Archivs bemerkt man Anspielungen auf eine
kollektive Wahrnehmung, selbst das entsprechende Charisma zu haben62,
und an anderer Stelle wird eine Ölspende als Ausrüstung der Seele und
Hoffnung in der Zukunft dargestellt63. Trotzdem kann damit keine klare
Verbindung zwischen diesem Charisma-Verständnis und der caritas her-
gestellt werden.
Bisher haben wir versucht zu zeigen, daß Angaben der Historia Mo-
nachorum in Aegypto sowohl einige Vermutungen über Naqlun stützen als
auch verifizierbare Parallelen mit anderen Quellen in der Betrachtungswei-
se, die zwischen Charisma und caritas eine Beziehung herstellt, aufweisen.
Nun stellt sich aber immer noch die Frage, warum die institutionalisierte
caritas in den großen Mönchszentren nicht vorkommt und was sich daraus
für die Geschichte des Mönchtums ergibt.

4. Die Spiritualisierung der karitativen Arbeit

Das Bild aus Oxyrrhynchos von der Historia Monachorum in Aegypto läßt
sich anhand anderer Informationen als historische Realität verifizieren. Eine
Kornverteilung an die Armen fand im Bereich von Hermopolis bereits seit
dem 3. Jahrhundert und noch bis in die 2. Hälfte des 5. Jahrhunderts hinein

59
Vgl. Historia monachorum 5,2-5 (42f. F.).
60
Vita Aphu 20 (84 R.); deutsche Übersetzung: Bumazhnov, Der Mensch als Gottes Bild
(wie Anm. 49), 227.
61
In der Korrespondenz von melitianischen Kreisen ist oft die Rede vom Heiligen Geist,
Soldaten Christi usw. In Papyrus Lond. 1917 (330-340 n.Chr.) wird der Asket Paieus als
[p]ai[p]lhrwma…noj pneÚmatoj ¡g…ou bezeichnet. Der Heilige Geist wird ohnehin dauernd
in diesem Brief zitiert, dessen Autor die Vergebung einer gewissen Sünde durch die Gebete
der Asketen bezweckt (vgl. Bell, Jews [wie Anm. 19], 81f.). In Papyrus Lond. 1919 (330-
340 n.Chr.) wird vom Autor Pennes versichert, daß die Rettung in Christus ist, der aber
dun£mei zusammen mit to‹j pr£ttousi t¾n a[Ù]toà meg£lhn dÚnamin kaˆ suneschkÒtej t¾[n]
pr[o]shgore…an (scil. mit denen die Christen heißen) (Bell, Jews [wie Anm. 19], 89). Im
koptischen Brief von Papyrus Lond. 1920 (330-340 n.Chr.) schreibt Hatre aus Tmou,
daß er das Gesicht seines Adressaten als Gesicht (oder unter den Gesichtern) der Engel
sehen möchte (eine Anspielung auf Apg 6,15) (Bell, Jews [wie Anm. 19], 92,7-11).
62
Die Frau Taouak schreibt an das Ehepaar Eudaimon und Apia, daß, wenn sie Unrecht
von ihnen erleidet, sie „Gott schauen“ werden (i.e. von Gott bestraft werden), „denn
der Schatz Gottes, das sind wir“ (Ð g¦r qhsaurÕj toà qeoà ¹m‹j), (Epistula 11,25-27
[Aegyptiaca Treverensia 4, 86 Kramer/Shelton]).
63
Paulos schreibt an Nepheros und verspricht ihm, sobald er Öl findet, es ihm zuzuschik-
ken, „denn darin besteht unsere Wegzehrung für die Seele und unsere Nahrung für die
Hoffnung in die Zukunft (toàto g¦r ¹m‹n ™fÒdion yucÁj kaˆ trof» tij melloÚshj ™lp…doj
™stin)“ (Epistula 3,8-10 [43 K./S.]). Es ist allerdings nicht deutlich, worum es an dieser
Stelle konkret ging.
280 Dimitrios Moschos

statt64; in Oxyrrhynchos lassen sich Getreidegaben auch noch viele Jahre


nach der Abfassung der Historia Monachorum in Aegypto papyrologisch
nachweisen. Sie wurden in Gastherbergen (xenodocheia) verteilt, die als
Sozialhilfezentren dienten und mit den Namen von Geistlichen verbunden
waren65. Nun wird aber die Frage, woher diese Hilfe kommt, nicht klar
beantwortet. Sind die Geistlichen, über die die Hilfe läuft, Mönche oder
Kleriker? Die Bezeichnung „Apa“ betrifft bekanntlich beide Gruppen.
Einen weiteren Beleg in literarischen Quellen über die Versorgung einer
Witwe ebenfalls in Oxyrrhynchos haben wir in der anonymen Sammlung
der Apophthegmata Patrum66. Dort übergibt ein Presbyter einer Witwe
die Hilfe, und es ist ein Mönch, der zuschaut und den Presbyter für sein
demütigendes Benehmen gegenüber der Witwe kritisiert. Jener warf ihr
nämlich vor, sie habe einen allzu großen Sack für die Getreideabholung
mitgebracht. Es ist demnach wahrscheinlich, daß die karitative Hilfe größ-
tenteils von der institutionalisierten Amtskirche übernommen wurde. Eine
Mahnung zu Wohltätigkeit, Almosen usw. ist stets in allen monastischen
Quellen zu finden, eine regelmäßige karitative Leistung großen Stils ist
dennoch, mit Ausnahme der bekannten oberägyptischen könobitischen
Klöster67, bei den uns bekannten Mönchsgruppen kaum zu beobachten.
Eine mögliche Erklärung könnte darin liegen, daß eine tatsächliche Kri-
sensituation in Verbindung mit landesweiten Hungersnöten seltener war,
als man denkt. Zudem sollte man die positive Wirkung des christlichen
und des asketischen Ideals der Autarkie nicht unterschätzen. Die Vorbilder
der großen Könobien, aber auch der kleinen anachoretischen Gemeinden
haben dazu beigetragen, der Handarbeit und den Arbeitern auch im Fall
von Frauen eine gewisse Würde zu verleihen. Es ist kein Zufall, daß in

64
H. Maehler, Abrechnung über Kornverteilung an die Bettler, in: Papyri in honorem
Johannes Bingen Octogenarii, curavit H. Melaerts, Studia varia Bruxellensia 5, Louvain
2000, 521f.
65
Siehe z.B. A. Papathomas, Eine Abrechnung über Getreideüberlieferungen eines Xenodo-
cheions an hilfsbedürftige Personen. Zur wohltätigen Aktivität der spätantiken Kirche,
in: Papyri in honorem Johannes Bingen Octogenarii, curavit Melaerts (wie Anm. 64),
561-571, insbesondere im Anhang über xenodocheia in den Papyri, wo die Rede von
einem xenodocheion tÒpou ¥pa D…ou (PGrLat IV, 284,2-6, aus Aphrodites Kome, Mitte
6. Jahrhundert) und vom xenodocheion des Apa Arion (POxy. XXVII 2480,44, aus
Oxyrrhynchos, 565/566 n.Chr.) ist. Für einen Überblick siehe auch E. Wipszycka, Les
aspects économiques de la vie de la communauté des Kellia, in: P. Bridel (Hg.), Le site
monastique copte des Kellia. Sources historiques et explorations archéologiques. Actes
du Colloque de Genève 13 au 15 août 1984, Genève 1986, 117-141 (= E. Wipszycka,
Études sur le christianisme dans l’Égypte de l’Antiquité tardive, Rom 1996, 337-362,
insbesondere 356f.).
66
Apophth. Patr., Anonymus 282, (ROC 14, 373 Nau).
67
Über die schenuteischen Klöster siehe J. Leipoldt, Schenute von Atripe und die Entste-
hung des national-ägyptischen Christentums, TU 25/1, Leipzig 1903, 94. Die karitative
Tätigkeit des pachomianischen Verbandes kann man von der Arbeitseinteilung und der
allgemeinen Organisation aus erschließen (siehe die Anmerkungen von H. Bacht, Das
Vermächtnis des Ursprungs [wie Anm. 31], 36).
Kontinuität und Umbruch in mittelägyptischen Mönchsgruppen 281

der entsprechenden Erzählung der Historia Monachorum in Aegypto über


Serapion berichtet wird, daß die Hilfe der Klöster an die Vororte Alex-
andriens ging, da Arme in der eigenen Gegend kaum zu finden waren68.
Eine Erzählung der anonymen Apophthegmata Patrum erwähnt eine arme
Witwe und ihre Tochter, die die karitative Hilfe der paganen Funktionäre
der Gemeinde ablehnten, da sie durch den Glauben an Gott eine anständige
Arbeit gefunden hatten und daher auskommen konnten69.
Die wichtigste Erklärung, die sich in unseren Quellen allerdings wi-
derspiegelt, ist ein Umbruch im Mönchtum in der zweiten Hälfte des 4.
Jahrhunderts. Wir haben genügend Hinweise darauf, daß die karitative
Arbeit, die den Bedürftigen regelmäßig Almosen bieten konnte, mit einer
Verinnerlichung verbunden war und den praktischen Charakter verloren
hatte. Mag der asketische Bischof Aphu zugleich als Mystiker und Praktiker
gelten, so bildet er dennoch deutlich die Ausnahme. Bei ihm wird allerdings
schon das Zentrum der mönchischen Lebensweise im Leben in Beschau-
lichkeit und Gebet verortet. Der in den koptischen Apophthegmata belegte
Abt Bane gab seine frühere, an Fasten und Almosen orientierte Askese auf
und zog sich in eine Zelle zurück, wo er im Stehen ununterbrochen Tag
und Nacht für die Menschen betete. Beim üblichen Sonntagsbesuch erklärte
Bane zur allgemeinen Überraschung seiner ehemaligen Mitasketen, die
seine bisherige Wanderaskese mit Almosen usw. weiter betrieben, daß er
sein früheres Wanderleben als Unzucht oder Entwürdigung (n=oupornia)
betrachte. Sein Genosse Apa Abraham legte diese Aussage weiter aus:
Früher hatte Bane im besten Fall ein Dorf mit seinen Almosen ernähren
können. Nun könne er beten und ganz Ägypten mit Gerste ernähren, vor
allem war er nun aber fähig, durch seine Gebete die Sündenvergebung all
seiner Zeitgenossen zu erreichen70.
Obwohl die Haltungsänderung Banes möglicherweise durch eine Krank-
heit veranlaßt wurde71, ist diese Wende von besonderer Bedeutung, weil sie
in den Kontext paßt. Bane war in den letzten Jahrzehnten des 4. Jahrhun-
derts tätig (er starb um 395 n.Chr. im Alter von 40 Jahren). Zu dieser Zeit
war die zweite Generation im großen Zentrum von Sketis tätig, während
in den großen Könobien die Nachfolger von Pachom und Pgol Theodor
und Schenute eine nachhaltige Gestaltung der könobitischen Mönchsform
anstrebten. In Sketis (Nitria) war noch Makarios der Alexandriner am
Leben, und die profilierte Mönchsgruppe der „Langen Brüder“ pflegte

68
Historia monachorum 18,1 (115,9f. F.).
69
Apophth. Patr., Anonymus 263 (364 N.).
70
Apophth. Patr. koptisch 249 (77 C.).
71
Nachdem unter der Leitung von H. Buchhausen die Anlage der Abu Fana ausgegraben
wurde, konnte man die Mumie von Bane identifizieren. Nach Untersuchungen erwies es
sich als sehr wahrscheinlich, daß mögliche Deformierungen der Wirbelsäule (Spondylitis
ankylosans, Morbus Bechterew) Bane zum Stehen zwangen, siehe H. Buschhausen, Die
Ausgrabungen von Dair Abu Fana in Ägypten in den Jahren 1991, 1992 und 1993,
Ägypten und Levante 6, 1996, 37-49.
282 Dimitrios Moschos

das geistliche Erbe des 374 verstorbenen Pambo weiter, als 383 Evagrios
Pontikos sich dort (Kellia) niederließ. Im Werk von Evagrios wird die spi-
ritualisierte Umdeutung der Askese in vielen Aspekten als Ausdruck einer
im Raum der Sketis schon vorhandenen Tradition prägend formuliert. Für
die Wohltätigkeit und die Arbeit zum Zweck der Almosen bedeutete diese
Umdeutung: Während Antonios und Ammonas ein Gleichgewicht zwischen
der Arbeit und den anderen Aufgaben des Mönchslebens zu bewahren such-
ten, wobei mit der Arbeit der karitative Charakter der Askese verbunden
war, förderte Apa Pambo das Ziel der Autarkie als Ausdrucksform der
Weltentsagung in leicht abgewandelter Weise. Grundlage des Mönchslebens
ist nach Pambo die Wahrung der inneren Ruhe anstatt einer aufregenden
Beziehung zum Nächsten72. Evagrios selber hat noch stärker auf dem Bei-
trag der Handarbeit zur Bekämpfung des Überdrusses und zum Erlangen
der ¢p£qeia bestanden73. Zwar haben die Almosen und der karitative
Charakter der Arbeit keine geringe Stellung im evagrianischen System, sie
werden aber primär als Mittel zur individuellen Erlösung betrachtet. Dies
stimmt mit seiner gesamten Theologie überein, die zuerst auf das eigene
Heil und dann (auf dieser Basis) auf das Heil des Nächsten zielt. Nach
dieser Denkweise ist die neutestamentliche Aufforderung, Kranke und
Häftlinge zu besuchen, grundsätzlich ein Mittel gegen den Überdruß74.
Eine Frage, die hier dahingestellt bleiben muß, hat mit dem kulturellen
Hintergrund dieses Umbruchs zu tun: Hängt die Spiritualisierung und das
kontemplative Leben vom Einfluß des griechischen philosophischen Den-
kens ab? Gehört der karitative und praktische kollektive Charakter des
asketischen Charismas zusammen mit anderen Kennzeichen75 der koptisch
geprägten Frömmigkeit? Eine solche Kategorisierung könnte die Nähe der
institutionalisierten caritas der oberägyptischen Könobien zu den mittel-
ägyptischen Mönchsgruppen erklären.
Auf alle Fälle setzten sich diese Gedanken der Spiritualisierung sehr
schnell in vielen Mönchszentren und nicht nur in den hellenisierten (etwa
in Sketis) durch. Das kann man an der Umarbeitung vieler mönchischer
Quellen ablesen. Kehren wir zuerst nochmals zur Historia Monachorum
in Aegypto zurück. Der endgültige Verfasser des Werkes reflektiert diesen
Umbruch, indem er eine lange Erzählung über Johannes von Lykopolis
seinem Werk voranstellt. Johannes markiert nicht nur den Beginn der

72
'E¦n d{ ful£xVj t¾n sune…dhsin ¢pÕ toà plhs…on [sic!] sou (Apophth. Patr., Alphabetikon
Pambo 2 [369 C.]).
73
Evagr. Pont., De rerum monachorum regula 8 (PG 40, 1260D Migne). Siehe auch
G. Bunge, Akedia. Die geistliche Lehre des Evagrios Pontikos vom Überdruß, SZPSK
12, Köln 1989, 78f.
74
Evagr. Pont., Perˆ logismîn 11,17f. (SC 438, 190,26-30 Géhin/Guillaumont/Guillau-
mont).
75
Eine gründliche Behandlung dieser Frage anhand christlich-mönchischer und altägyp-
tischer Werke findet sich in A. Eberle, Ethos im koptischen Mönchtum. Christliches
Gedankengut oder kulturelles Erbe Altägyptens?, ÄAT 52, Wiesbaden 2001.
Kontinuität und Umbruch in mittelägyptischen Mönchsgruppen 283

Pilgerfahrt. Seine Erörterungen bilden vielmehr auch einen Einstieg in die


Historia Monachorum in Aegypto über den Sinn des asketischen Lebens
überhaupt. Nach vielen Ausführungen etwa über die Bedeutung der Demut
endet er mit der Unterscheidung zwischen praktischem und theoretischem
(beschaulichem) Leben. Dabei faßt er zusammen:
Freilich lebt auch jener Asket recht, der sich ständig in dieser Welt um gute Werke
müht, der Bruderliebe zeigt, Gastfreundschaft übt und Almosen gibt, der freigebig
ist gegen seine Besucher, den Kranken beisteht und niemandem Ärgernis gibt. Gut
und recht lebt ein solcher, beschäftigt er sich doch mit der Erfüllung der Gebote,
wenngleich er sich dabei ganz irdischen Aufgaben widmet. Besser und größer
als dieser ist allerdings der Kontemplative, der vom tätigen Werk zur geistigen
Schau aufgestiegen ist. Die Sorge um das Irdische hat er anderen überlassen. Er
hat sich selbst ganz aufgegeben und entsagt. Allein mit himmlischen Dingen ist
er beschäftigt. Gelöst steht er vor Gott und wird von keinerlei Sorgen auf eine
andere Seite gezogen. So lebt er mit Gott76.

Wie wir aus dem Bericht von Palladius erfahren, steht Johannes von Ly-
kopolis dem „evagrianischen Bund“ (˜taire…a EÙagr…ou) sehr nahe77. Er
stellt also ein Beispiel für die Verbreitung der Spiritualisierung der Arbeit
und der Wohltat auch über Niederägypten hinaus dar. Seine Stellung in
der Historia Monachorum in Aegypto zeigt den Einfluß des evagrianischen
Denkens auf den unbekannten Verfasser, der jedoch die unterschiedlichen
Erzählungen des Werkes nicht einheitlich in diese Richtung durcharbeite-
te, wie es Palladius in der Historia Lausiaca tat. Was für eine praktische
Folge hatte diese Auffassung der spiritualisierten Arbeit? Der Abt Theodor
von Pherme, ein Sketiote der zweiten Generation (ca. 350-380 n.Chr.),
bemerkte mit Bedauern, daß in älteren Zeiten „die Werke der Seele“, das
Hauptwerk, während das Handwerk (™rgÒceiron in der Mönchssprache)
das Nebenwerk gewesen seien. Nun sei es umgekehrt und das Nebenwerk
sei zum Hauptwerk geworden78. Im nächsten Apophthegma erörtert er
diese Aussage, indem er erklärt, daß das Hauptwerk des Mönchs die Hil-
feleistung und die Liebe zum Mitbruder und nicht das Handwerk seien79.
Hiermit ist das Handwerk als Mittel zur Konzentration des Geistes, als
Übung, gemeint, und diese kritische Äußerung spiegelt eine Debatte aus
der Zeit der Endredaktion der Apophthegmata Patrum wider (nach dem
6. Jahrhundert)80.

76
Historia monachorum 1,62 (34 F.); deutsche Übersetzung: Mönche im frühchristlichen
Ägypten [Historia Monachorum in Aegypto], aus dem Griechischen übersetzt, eingeleitet
und erklärt von K.S. Frank (wie Anm. 45), 53.
77
Vgl. den Dialog mit Palladius in Pall., h.Laus. 35,5 (38-42 B.).
78
Apophth. Patr., Alphabetikon Theodor von Pherme 10 (189 C.).
79
Apophth. Patr., Alphabetikon Theodor von Pherme 11 (189 C.).
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Zu den neueren Ergebnissen zur Apophthegmata-Forschung vgl. zuletzt A. Müller, Das
Konzept des geistlichen Gehorsams bei Johannes Sinaites, Studien und Texte zu Antike
und Christentum 37, Tübingen 2006, 345-347.
284 Dimitrios Moschos

Die Diskussion über die wesentliche Aufgabe des Mönches, z.B. was sein
Hauptwerk (œrgon) und sein Nebenwerk (p£rergon) sein sollte, hat auch
das könobitische Leben beeinträchtigt. In den gegen 391 wahrscheinlich im
Kloster von Kanopos für die griechisch sprechenden Christen abgefaßten
Sancti Pachomii Vitae Graecae gibt es eine Anspielung darauf. In der Vita
prima wird bei seinem Einstieg in die Askese bei Palamon als Hauptwerk
die Handarbeit zum Zweck der regelmäßigen Almosen erwähnt81. In der
überarbeiteten Vita quarta wird die Handarbeit von Pachom und Palamon
für die Armen nicht mehr als œrgon sondern als p£rergon bezeichnet,
während als œrgon das Gebet und das Wachen genannt werden82. Der
Einfluß der Spiritualisierung auf das nachpachomianische Könobium läßt
sich auch anderweitig beobachten. Die Bedeutung der Arbeit wird dort
nur um des den Älteren nach der Regel geschuldeten Gehorsams und nicht
um des karitativen Dienstes willen gebilligt, wie Dörries richtig bemerkt83.
Das hängt mit der Entwicklung der nachpachomianischen Koinonia zur
Zeit Theodors zusammen, als die Demut, die individuelle Armut und der
Rigorismus, weniger aber die Bruderliebe das Selbstbild der Koinonia als
Heilsgemeinschaft prägten.
Es bleibt also festzuhalten, daß die Historia Monachorum die Ende des
4. Jahrhunderts veränderte Mönchslandschaft in Mittelägypten doch recht
zuverlässig abbildet. Man hatte bisher diese Zuverlässigkeit anhand des im
Text vorfindlichen Lokalkolorits bestätigt, das die ägyptischen Umstände
voraussetzt84. Daher konnten in Vergessenheit geratene Wandlungen und
Spaltungen in der Mönchsbewegung, die vom „harmonisierenden“ Cha-
rakter der Quellen zum Zweck der Erbauung überdeckt worden sind,
auch in diesem Werk offenbar gemacht werden. Trotz der zunehmenden
Bedeutung des kontemplativen Lebens, die mit einem Umbruch im mona-
stischen Milieu verbunden ist, sind noch Spuren eines enthusiastischen und
kollektiven Verständnisses vom Charisma festzustellen, sei es in Arsinoë
(Serapion, Pityrion, wenn er dort richtig lokalisiert wird), sei es in der
Gruppe von Apollo. Dieses Charisma ist eine prägende Erfahrung, welche
durch die (anders als in der Historia Lausiaca des Palladius nicht einheitlich
überarbeiteten) einzelnen Erzählungen und Traditionen sichtbar wird. Das
enthusiastisch und kollektiv erlebte Charisma wird indirekt mit Antonios
verbunden. Es führt zu regelmäßigen Almosenspenden und schafft entspre-

81
Sancti Pachomii Vitae Graecae, Vita prima 6 (5,6-8 H.). Über die komplizierte Redak-
tionsgeschichte der Vitae siehe A. Veilleux, Pachomian Koinonia. The Lives, Rules, and
Other Writings of Saint Pachomius and His Disciples. With a foreword by Adalbert de
Vogüé, Bd. 1. The Life of Saint Pachomius and His Disciples, CistSS 45, Kalamazoo
1980, 1-21.
82
’ Hn d{ aÙto‹j tÕ m{n œrgon n»fein ¢eˆ kaˆ scol£zein tÍ proseucÍ· s£kkouj d{ tric…nouj
Øfa…nein tÕ p£rergon, Sancti Pachomii Vitae Graecae, Vita quarta 9 (414,14-16 H.).
83
H. Dörries, Mönchtum und Arbeit, in: ders., Wort und Stunde, Bd. 1. Gesammelte Studien
zur Kirchengeschichte des 4. Jahrhunderts, Göttingen 1966, 290.
84
Baumeister, Ägyptisches Lokalkolorit (wie Anm. 8).
Kontinuität und Umbruch in mittelägyptischen Mönchsgruppen 285

chende Identitäten neu (etwa die Jerusalemer Urgemeinde rediviva). Ein


derartiges Bild steigert nicht nur den Wert der Historia Monachorum als
historische Quelle, sondern bietet auch einen aufschlußreichen Einblick in
die komplexe Geschichte der Mönchsbewegung in Ägypten insgesamt.

ABSTRACT

Although Historia Monachorum in Aegypto was for a long time discarded as a reliable
historical source, we could use this text as a useful collection of important pieces of
information (“untouched” by later interpolations) regarding the monastic movement
in Central Egypt. This area, albeit important for local Coptic Christianity, is rather
neglected in the bigger picture of the history of monasticism and the evolution of
Christian religiosity in Late Antiquity. Some reports about a group around a certain
Pityrion could probably refer to the recently excavated monastic site of Gebel Naqlun
in the area of Medinet-el-Fayum. More important is the description of special features
of the monastic movement in this area, like organized distribution of alms to the nee-
dy. This practice (which can be corroborated through other sources) was associated
with possession of a spiritual gift and the revival of the Jerusalem primitive church
community. Later on (at the end of the 4th c.) this socially orientated ascetic piety was
transformed to an introversive and individual spiritual excercise especially under the
influence of philosophical speculation about the meaning of ascetical life, such as the
work of Evagrius Ponticus.

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