Sie sind auf Seite 1von 414

Acerca de este libro

Esta es una copia digital de un libro que, durante generaciones, se ha conservado en las estanterías de una biblioteca, hasta que Google ha decidido
escanearlo como parte de un proyecto que pretende que sea posible descubrir en línea libros de todo el mundo.
Ha sobrevivido tantos años como para que los derechos de autor hayan expirado y el libro pase a ser de dominio público. El que un libro sea de
dominio público significa que nunca ha estado protegido por derechos de autor, o bien que el período legal de estos derechos ya ha expirado. Es
posible que una misma obra sea de dominio público en unos países y, sin embargo, no lo sea en otros. Los libros de dominio público son nuestras
puertas hacia el pasado, suponen un patrimonio histórico, cultural y de conocimientos que, a menudo, resulta difícil de descubrir.
Todas las anotaciones, marcas y otras señales en los márgenes que estén presentes en el volumen original aparecerán también en este archivo como
testimonio del largo viaje que el libro ha recorrido desde el editor hasta la biblioteca y, finalmente, hasta usted.

Normas de uso

Google se enorgullece de poder colaborar con distintas bibliotecas para digitalizar los materiales de dominio público a fin de hacerlos accesibles
a todo el mundo. Los libros de dominio público son patrimonio de todos, nosotros somos sus humildes guardianes. No obstante, se trata de un
trabajo caro. Por este motivo, y para poder ofrecer este recurso, hemos tomado medidas para evitar que se produzca un abuso por parte de terceros
con fines comerciales, y hemos incluido restricciones técnicas sobre las solicitudes automatizadas.
Asimismo, le pedimos que:

+ Haga un uso exclusivamente no comercial de estos archivos Hemos diseñado la Búsqueda de libros de Google para el uso de particulares;
como tal, le pedimos que utilice estos archivos con fines personales, y no comerciales.
+ No envíe solicitudes automatizadas Por favor, no envíe solicitudes automatizadas de ningún tipo al sistema de Google. Si está llevando a
cabo una investigación sobre traducción automática, reconocimiento óptico de caracteres u otros campos para los que resulte útil disfrutar
de acceso a una gran cantidad de texto, por favor, envíenos un mensaje. Fomentamos el uso de materiales de dominio público con estos
propósitos y seguro que podremos ayudarle.
+ Conserve la atribución La filigrana de Google que verá en todos los archivos es fundamental para informar a los usuarios sobre este proyecto
y ayudarles a encontrar materiales adicionales en la Búsqueda de libros de Google. Por favor, no la elimine.
+ Manténgase siempre dentro de la legalidad Sea cual sea el uso que haga de estos materiales, recuerde que es responsable de asegurarse de
que todo lo que hace es legal. No dé por sentado que, por el hecho de que una obra se considere de dominio público para los usuarios de
los Estados Unidos, lo será también para los usuarios de otros países. La legislación sobre derechos de autor varía de un país a otro, y no
podemos facilitar información sobre si está permitido un uso específico de algún libro. Por favor, no suponga que la aparición de un libro en
nuestro programa significa que se puede utilizar de igual manera en todo el mundo. La responsabilidad ante la infracción de los derechos de
autor puede ser muy grave.

Acerca de la Búsqueda de libros de Google

El objetivo de Google consiste en organizar información procedente de todo el mundo y hacerla accesible y útil de forma universal. El programa de
Búsqueda de libros de Google ayuda a los lectores a descubrir los libros de todo el mundo a la vez que ayuda a autores y editores a llegar a nuevas
audiencias. Podrá realizar búsquedas en el texto completo de este libro en la web, en la página http://books.google.com
Über dieses Buch

Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde.
Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch,
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist.
Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei – eine Erin-
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat.

Nutzungsrichtlinien

Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen.
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien:

+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden.
+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen
unter Umständen helfen.
+ Beibehaltung von Google-Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht.
+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein,
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben.

Über Google Buchsuche

Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen.
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter http://books.google.com durchsuchen.
° II 17 II c N '
» GcnnmentZ, VcstmcntZ, ^
^2
Die

Uambeln und Münder


in den

Sonntagsevangelien deö Hircljenjaljreö.

Kanzelvortrnge
von

Dr. K. F«v. Liechetmer.


°^5^"^ ^"'
Prediger au der Sl, Mchaels-Hofürche zu Munchen.

Mit ZMonntlon de» h°thl°. eyoüchö«. Ordinariat« München, Fleming.

Hlegensvnrg.
Äruck und Verlag von Georg Jol'epy Manz.
1868.
Da« Uebn'Iehuna,s«cht wird »orbchnltcn.

l,o/^l 5i^cx
» .

8)< /7S6
.^^.1 >^,
^ ' ^
' ^!, , ,/- >,:
^ 1,

^.,
^

Vorwort.

^n der folgenden Einleitung habe ich die Be


deutung der Parabeln und Wunder des Herrn kurz
dargelegt. Die Anregung, nach dieser Weise die in
den Sountagsevangelien des Kirchenjahres vorkommen
den Parabeln und Wunder, soweit es thunlich war
zu erklären, gaben mir zwei Abhandlungen des verstor
benen Cardinals Wiseman: „Die Parabel« des ueuen
Testamentes" und „Die Wunder des neuen Testamen
tes", abgedruckt im ersten Bande der „Abhandlungen
über verschiedene Gegenstände von Sr. Eminenz Car-
dinal Wiseman" (Regensburg, Mauz 1854). Jene
Parabeln, welche ich in meinem Buche: „Die Kirche
Jesu Christi nach ihrem Bestande, ihrer Aufgabe und
^ 646 *
IV Vorwort.

Wirksamkeit" (Regeusburg, Mauz 1865) schon erklärt


habe, wurden hier übergangen, oder dafür ein anderes
passendes Thema gewählt, wie die ausführliche Angabe
des Jnhaltes jedes Vortrages zeigt.

München, den 3l. Juli 1868.

Dr. Lierheimer.
Inhalt.
Seite
Vorwort III
Einleitung, Die Bedeutung der Parabeln und Wunder . . 1

Vir Hochzeit zu Cana.


(II. Sonntag nach Epiphanie.)
Glaube der Indianer an Iejus; Gegensatz der Christen; das erste
Wunder.
Ort des ersten Wunders. Wer hielt Hochzeit? Warum erscheint Jesus
mit Maria und den Jüngeru? Lehren daraus, Tischgebet, die
christliche Ehe. Die Worte: Sic haben leinen Wein mehr;
das Mitleid Marieus. Die Entgegnung Christi kein Tadel; ihr
eigentlicher Sinn. Beispiel Marieus, Ergebung in Gottes Willen
und Vertrauen. Zuflucht zu Maria.
Gewißheit des ersten Wunders. Vorbild der Traussubsiautiatiou.
Mystische Deutung der sechs Krüge und der zwei bis drei Maß
und anderer Nebennmstände. Unsere geistige Verwandlung durch
den Schutz Marieus N
II.
Vir Heilung des Allssiitzigeil.
(III. Sonntag nach Epiphanie.)
Geschichte des Aussatzes bei deu Judeu und im Mittelalter,
Der Wortsinu des Evangeliums. Die Bitte des Aussätzigen. Vier
Heiluiigsarten des Aussatzes, Bilder der geistigen Heilung, Warum
VI Inhalt.
Seite
der Aussätzige durch Berührung geheilt wurde. Die Veröffentlichung
des Wunders verboten.
Tieferer Sinn des Evangeliums. Der Aussätzige ein Bild Christi,
insofern er den Aussatz der Sünde trug; er ist auch der vom Aus
satz heilende Arzt; Weise unserer Heilung. Der Aussätzige auch ein
Bild des Sünders. Beziehung zum Bußfalrament und zur alten
Nußdisciplin . . 2?

III.
Die Parabel vom Siimanne und vom AnKrauK.
Hu!ll««mlg der Versuchungen,
>,V. Sonntag nach Epiphanie.)
Der Heiland selbst erklärt das Gleichuiß vom Sämanne und vom
Untraute. Wir werden auf die Frage antworten: Warum läßt
Gott zu, daß der Feind Unkraut (Versuchungen) sät?
Gott läßt die Versuchungen erstens zu unserem Nutzen zu. Unsere
Sündhaftigkeit wird erprobt. Wir werden in der Tugend fester
begründet, besonders im Gottvertrauen und in der Demuth. Unser
Lohn im Himmel wird größer. Versuchungen gereichen auch zur
größeren Ehre Gottes. Wer vom Teufel nicht versucht wird.
Mittel zur Bekämpfung der Versuchungen : Augenblickliches Ausschla
gen, Gebet und Wachsamkeit, Vertrauen auf Gott und Mißtrauen
in sich selbst, Empfang der heiligen Sakramente ... 42

IV.
Die Parabel vom Senfkörnlein.
Analogie des Wnrtr« GM« mil dem hrW»tut!5chen Worte.
(VI. Sonntag nach Epiphanie.)
Am dritten Schöpfungstage verlieh Gott den geschaffenen Pflanzen
und Kräutern die Kraft, Samen nach ihrer Art hervorzubringen.
Aehnlich verhält es sich mit dem Samenkorn des Wortes Gottes.
Worin liegt dessen Kraft und Bedeutung?
Die göttliche Offenbarung und die zweite Perfon der Gottheit heißen
Wort, Logos. Analogie des mündlichen Wortes mit dem Logos
in der Triniton beide sind von Ewigkeit, vom Vater erzeugt,
offenbaren des Vaters Herrlichkeit, sind Licht, haben schöpferische
Kraft. Analogie des mündlichen Wortes mit dem incarnirten
Worte: Maria hört die Botschaft und empfängt vom heiligen
Geiste, der Glaube aus dem Gehör erzeugt Christus in uns ; Maria
wird Mutter Christi; Mütter werden die Glaubenden; das münd-
Inhalt. VII
Seite
liche und das incarnirte Wort sind nothwendig; ihre Wirkungen;
ihre Dauer.
Analogie des mündlichen und eucharistischen Wortes im Priester, in
der Verwandlung nnd Einverleibung in Christus; in der Liturgie,
in den Wirkungen. Aufforderung zum Glauben und zur Befolg
ung des göttlichen Wortes . . . . . . .5,8

V.

Die Arbeiter im Weinberge.


(Sonntag Septuagesimä.'!
Die Bedeutung der kirchlichen Zeit vom Sonntag Septuagesimä bis
zum Afchermittwoch.
Anwendung der Parabel auf die Berufung der ganzen Menfchheit
zum Heile. Die verschiedenen Tagesstunden bedeuten dann die
Zeitalter : der frühe Morgen ist die Zeit von Adam bis Noe ; die
dritte Stunde ist die Zeit von Noe bis Abraham ; die fechste von
Abraham bis Mofes ; die neunte von Moses bis Christus ; in der
elften geschah die Berufung der Heiden. — Anwendung der Parabel
auf die Kirche des neuen Bundes, Ausbreitung des Christenthums.
Die Letzten werden die Ersten und umgekehrt. Der gleiche Zehner
für Alle. Die Parabel angewendet auf den gegenwärtigen Zu
stand der katholischen Kirche.
Die Parabel ist auch ein Bild und eine Geschichte der einzelnen
Seelen. Stufenreihe im Empfange der Sakramente. Berufung
in verschiedenen Lebensjahren. Die Frage: Warum stehet ihr
den ganzen Tag müßig? Aufforderung zur Arbeit im Wein
berge der Seele 7?

VI

Erklärung der Parabel vom Sämanne.


(Sonntag Sexagesimä.)
Das natürliche und das übernatürliche Leben bedürfen fortwahrender
Nahrung. Diese Nahrung für die Seele liefert das Wort Gottes.
Der Grund, warum sie nicht bei Allen anschlägt, ist in der Pa
rabel angedeutet.
Cintheilung der Hörer in vier Klassen. Erste Klasse — am Wege
— schlechte Christen ; Widerlegung ihrer Ciuwendungen und Ans- ,
reden. Zweite Klasse — Felsengrund — Scheinheilige, Heuchler,
Betschwestern, Feinschmecker, Oberflächliche. Dritte Klasse —
vm Inhalt.
Seit«
Töruer — d.h. S»rgen, Reichthümer und Wollust ; Verführ«,
nächste Gelegenheit zur Sünde, menschliche Rücksichten u. s. f.
Vierte Klasse — gute Erde — Befolget der Lehre. Befolger werdeu
jene, die das W»rt Gottes init Freude, Ueberlegung und gutem
Willen hören. Anrufung des heiligeu Geistes .... 94

« VII.

Jesus, der gute Hirt.


,(l1. Sonntag nach Ostern.)
Jesus als guter Hirt von den Propheten geweisfagt. Bild des guten
Hirten in den Katatomben. Stellvertreter des guten Hirten.
Ter gute Hirt gibt seiu Leben für seiue Schafe. Diese Hingebung
beginnt mit seiner Geburt und wahrt dreiunddreißig Jahre; er
gibt ein Leben voll vou Müheu uiid voll von Leiden', auch nach
dem Tode üdf er das Hirtenamt unsichtbar uud sichtbar; mystische
Hingebung', das Geschenk des göttlichen Lebens. — Der gute Hirt
leimt seiue Schafe, er keunt sie vou Ewigkeit uud liebt sie; aber
auch die Schüfe tcuneu ihn durch die Gnade und dcu in Liebe
lebendigeu Glauben.
Der gute Hirt will wahre Einheit herstellen, Juden und Heideu zu
Einer Kirche vereinigen, iu Einer Lehre uud unter Einem Hirten.
Die Mcvluiale oder Kennzeichen der Kirche Christi; ihr Hervor
treten in der Gegenwart. Wie über die gesummte Kirche so wacht
der gute Hirt über jedes einzelne Glied. Verhalteu der Schafe
gegen deu Hirten III

VIII.

Vas große Mendmahl.


i'eörntunss des Äitnrtü.

(II. Sonntag nach P f i u g st e n.

Die Beziehnug des Gleichnisses zum himmlischen und eucharistifcheu


Mahle. Im alten und im neueu Bunde sind Altar und Opfer
identische Begriffe.
Ter Altar stellt erstlich den Abendmahlstisch vor, wo das heiligste
Sakrament eingesetzt wurde ; Wichtigkeit desselben nach Vergleichen
mit den, alte» Bunde und nach seiner Stellung im Gotteshause.
Er stellt zweitens den Kalvarienberg, das Krenz, vor; die drei
Menschentlasfen bei Christi Tod finden sich auch in unseren Kirchen.
Inhalt. IX
Gelte
Cr stellt drittens Christus selbst vor; der Altarschmuck veranschau
licht dies; er ist Gottes Thron.
Beziehung des Marcs zum Opfer; der Altar ist Stätte der Anbet
ung, der Versöhnung, des Dankes und des Bittgebetes; von ihm
geht das bürgerliche und geistliche Leben aus. Besuch des Marcs 12?

IX.

Vas verlorne Schaf und der gefundene Groschen.


!II1, Sonntag nach Pfingsten.)

Zweimal trng Jesus die Parabel vom verlornen Schafe vor, den
'Aposteln und den Pharisäern gegenüber. Die Absicht des Herrn dabei.
Die Parabel vom verlornen Schaf ist erstlich das Bild des Men-
ichengeschlechtes und des Siiudenfalles. Die Wege, auf denen
Iesns die Verlornen sucht; der Zustand, woraus er sie erlöst;
seine Freude über die Rettuilg der Menschheit. — Diese Parabel ist
zweitens das Bild der Rechtfertigung jedes eiuzelneu Sünders.
Die maunigfaltigcn Wcge iu der Rettung Eiuzeluer; die Freude
über ihre Betchrung; die Bedingung der Buße.
Die Parabel von der Drachme ein Bild der Eutsüudigung des
Menschen durch die Kirche. Wic die Kirche ihr Amt im Großen
und. Kleinen üb!; wie sie ein Licht anzündet, das Hans kehrt und
ein ssreudenuicihl veranstaltet. Die Geschichte und die verschieden
artige Thäligkeit der Kirche. Nachahmung dieser Sorge der Kirche
für unser Seelenheil 145

X.

Vas Wunder des reichen Fischfanges.


Fitle Borgt für duz Zeitliche.

(IV. Sonntag nach Pfingsten.)

Hart ist es , umsonst zu arbeiten. Wem begegnet dies? Wer über


dem Zeitlichen das Ewige vergißt, handelt thöricht und sorgt anch
für das Zeitliche schlecht.
Gegen Christi Ausspruch: Suchet zuerst das Reich Gottes,
stellt die Welt den Sah auf: Sorget zuerst für das Zeitliche.
Dieser Satz ist thöricht und nnsinnig ; denn Gott, der Geber des
zeitlichen Gutes, seguet nicht seine Beleidiger, sonderu straft sie.
Der Dienst Gottes ist nicht Zeitverlust. Nur ein religiöses Lebeu
macht glücklich; Beispiel des Mathathias.
Inhalt.
Seite
Das Glück der Gottlosen ist nur scheinbar, nur zeitlich und währt
kurz; ihr Glück ist eher ein großes Unglück. Suchen wir also
zuerst das Reich Gottes l«I

XI.

Vie srodVtrmehrung.
M« Wunder der 1'iene und dir 1'irne der Wunder.
(VI. Sonntag nach Pfingsten.)
Die Bedeutung der Siebeuzahl in der hl. Schrift. Der Zusammen
hang des Wunders der Vrodvermehrung mit der hochheiligen
Eucharistie. Jedes ist ein Wunder der Liebe und eine Liebe
der Wunder.
Das Nlwrssakrament ein Deutmal der Wunder: Die Wesens»«-
Wandlung ; Leichtigkeit, mit der sie geschieht ; Gegenwart Jesu unter
jeder der beiden Gestalten ; auch in jedem Theilchen der Gestalten ;
die Ubipräsentia; Christus keiuer natürlichen Kraft unterworfen;
seine Gegenwart bleibend; die Consecrationsworte immer kräftig;
die Speise vollkommen sättigend; Nehulichkeiten zwischen der In-
carnation und der Eucharistie.
Die Israeliten lernen das Manna kennen durch den Glauben an
des Moses Wort und durch den Genuß. Anwendung auf das
heiligste Sakrament des Altars. Aufforderung zum «ftern Em
pfang der heiligen Communion 17?

XII.

Vir Propheten in Schafskleidern.


Nie Heuchelei.
(VII. Sonntag nach Pfingsten.)
Der erste Prophet im Schafskleide ist der Teufel; seine Nachfolger im
alten und im neuen Bunde bis zur Gegenwart. Die Heuchler. ,
Definition der Henchelei. Gründe, warum Christus sie so sehr ver
abscheut. Die acht Wehe bei Matth. XXIII gegen die Heuchler,
deren Erklärung und Anwendung auf die falschen Propheten in
der Kirche, in der Familie, in der Politik und im socialen Leben.
Das Beispiel des heuchlerischen Absalom.
Heuchler, die das Heilige mißbrauchen und dadurch auch die Guten
zurückhalten. Sie handeln wie Judas. Aufforderung zum christ
lichen Leben in Geist und Wahrheit 191
Inhalt. XI
Seite
XIII.
Ver ungerechte Verwalter.
Hie NiihriZKrit drr NellKindrl geginiilirl den lichtkindrlu.
(VIII. Sonntag nach Pfingsten,)
Der Grundsah: Der Zweck heiligt die Mittel, befolgt von Ieroboam,
Achab, den Anklägern Susanna's und dem Haushalter als Vor'
bildern mancher Personen der Gegenwart. Warum der Herr die
Klugheit des Verwalters lobt ; Zweck des Gleichnisses.
Nie Bestrebungen der Bösen, um der Religion und der Kirche zu
schaden ; Lauheit und Engherzigkeit der Guten bei solchen Anlässen.
Jene sind keck, diese furchtsam; jene scheuen kein Wort und keine
That, diese lassen es geschehen. Die Bestrebungen der Bösen, um
die Sittlichkeit zu untergraben, ihre verschiedenen Mittel; Verhalten
mancher Wern und Herrschaften, Mangel an Aufsicht und Sorgfalt.
Wie wir von den Schlechten lernen sollen. Wie wir namentlich für
den Glauben und die Sittlichkeit uns bethätigeu müssen . . 2M

XIV.
Vie Thrünen Jesu Christi.
- , (IX. Sonntag nach Pfingsten.)
Der Einzug Christi in Jerusalem ein Freudenfest; das Auge des
Herrn aber sieht in die Zukunft und füllt sich mit Thronen.
Jesus hat bei vier Anlässen geweint.
Jesus weint in der Krippe unsertwegen; Verdienst seiner Thrünen.
Mit dem Kinde Jesus weinen die frommen Seelen, die nach Gott
sich sehnen; Beispiele. — Jesus weint am Grabe des Lazarus;
Vorbild der Reuethränen, deren Beschaffenheit; Macht der Bnß-
thrünen ; sie bewirken Vergebung und erzeugen Frieden. — Je
sus weint über Jerusalem ; die Unbußfertigen und die nnr auf welt
liche Freuden Bedachten; ihr Ende gleich dem Schicksal Jerusalems.
Jesus weint in seiner Passion. Die Leidensthränen als Bild der
Bedrängten; Beispiele aus der Schrift, angewendet auf verschie
dene Anliegen . 224

XV.
Ver Pharisäer und der Zöllner.
Dir Hossutt ein Oräurl nur Gutl.
(X. Sonntag nach Pfingsten.)
Der Pharisäer mied das Böse und that das Gute, dennoch war er
kein Gerechter, weil er Gott und dem Nächsten gegenüber Hof
XII Inhalt.
, Veit«
fä'rtig war. Arten der Hofsart. Warum ist sie ein Gränel vor
Gott?
Des Menschen Beruf und Aufgabe ist, Gott zu ehren, ihn als Herrn,
als Geber alles Guten und als Endziel anzuerkennen; das Ge-
gentheil thut der Hofsärtige. Weder die natürlichen noch die über
natürlichen Güter hat er aus sich selbst; schreibt er sich das Ver
dienst zu , so entzieht er es Christo und dem heiligen Geiste. Sein
schändlicher Undank. Hoffart ist das Laster des Teufels ; sie zerstört
Gottes Werk. Beispiele göttlicher Strafgerichte.
Die Hoffart ist Ursache und Anfang jeder anderen Sünde. Sie ist be
sonders verabschemmgswttrdig am Christen. Aufforderung zur
Demuth . . .242

XVI.
Vir Heilung des Taubstummen.
(XI. Sonntag nach Pfingsten.)

T ie Heilung des Taubstummen ist das Bild der Heilung taubstummer


Zeeleu. Welche Seeleu sind taub und stumm? Die Heilungsart
ergibt sich aus den im Evangelium erzählten Umständen.
Ter Taubstumme wird zu Jesus geführt; Macht der Fürbitte für
Sünder nnd Ungläubige. Iefus führt den Taubstummen abseits
und wendet mehrere andere äußere Mittel an; warum heilt er ihn
nicht durch ein bloßes Wort? Das Abseitsgehen deutet die Noch
wendigkeit der Einsamkeit an. Jesus seufzt; die Seufzer der
Sünder und der Gerechten. Der Aufblick zum Himmel. Der
Finger im Ohre, mannigfache Einwirkung der Gnade. Die
Lösung der Zunge, Bekeuntniß der Sünden.
Das Wunder der Heilung taubstummer Seelen ist größer. Gott
unterwirft sich den freien Willen des Menschen; der ärgste Feind
wird besiegt. Erneuerung dieses Wunders an uns in der Taufe
und Buße. Der Beifall der Menge. Rechter Gebrauch der Sinne 259

XVII.
Der barmherzige Samariter.
(XII. Sonntag nach Pfingsten.)
Tie Parabel enthüllt zunächst, wer als unser Nächster angesehen
werden muß, und deutet zugleich die Eigenschaften der Nächsten
liebe an. Ihr allgemeiner Sinn aber soll nns das ganze Er
löjungswert durch Jesus Christus veranschaulichen.
Inhalt. XIII
Lette
Vergegenwärtigung des Ortes und der Personen in der Parabel.
Der beraubte und verwundete Wanderer ist der erste Mensch und
seine Nachkommenschaft. Der Priester stellt die Religionssysteme
außer dem mosaischen Gesetze vor, die dem Menschengeschlechte nicht
helfen tonnen. Der Levite repräsentirt den unzulänglichen alten
Bund. Der Samariter stellt den Erlöser Jesus Christus vor.
Das Lastthier ist das Kreuz. Wein und Oel sind das Blut Christi
und die sakramentalen Gnaden. Die Herberge ist die Kirche ; die
Ablässe.
Die katholische Kirche ist die wahre Kirche' Christi, weil sie das Werl
des barmherzigen Samariters, thätige Nächstenliebe, übt. Auf
forderung zur Uebung der Nächstenliebe . . . . . 276

XVlll.
Ver Jüngling von Naim.
God im Krele durch die Sünde.

(XV. Sonntag nach Pfingsten.)

Man soll sich nicht nach dem Urtheile der Sinne allein richten. An
wendung davon auf den Tod der Seele, den die Augen des
Glaubens sehen.
Dreifaches Leben: Leben des Leibes, der Vernunft und der Seele.
Der Tod der Seele durch die Sünde ist der Verlust des Gnaden
lebens. Dieser Tod ist schrecklicher als der Verlust des vernünf
tigen Lebens d. h. der Wahnsinn ; ist schrecklicher als der leibliche
Tod. Erklärung durch Vergleiche. Der Tod der Seele erkannt
aus den Opfern, welche Gott zu dessen Aufhebung bringt.
Folgerungen. Durch Heilung des SeelentodeZ zeigt Jesus seine
Gottheit, Verführer zur Sünde sind Seelenmörder. Wer schwer
sündigt, ist ein Selbstmörder, Nutzen dieser Gedanken. Fliehe
die Sünde . . 292

XIX.
Vit Heilung des Gichtbriichigen.
(XVIII. Sonntag nach Pfingsten.)

Warum Kapharnaum die Stadt Christi genannt wird. Nähere Be


schreibung des Ortes des Wunders. Betrachtung der betheiligten
Personen, ihrer Worte und Handlungen.
Di« Männer, welche deu Gichtbrüchigen tragen, geben uns ein Bei
spiel der Nächstenliebe, des Gottvertraueus und der Hintansetzung
XIV Inhalt.'
Seit«
menschlicher Rücksichten, — Der Gichtbrüchige zeigt, wie elend die
Sünde den Menschen an Leid und Seele macht. Zulassung der
Krankheiten zur Strafe oder zur Prüfung. Heilung der Seelen,
tranlheit. — Jesus erscheint als Wohlthäter, als Lehrer und als
Gott. — Drei Gichtbrüchige erwahnt das Evangelium, sie sind
das Bild der drei Haupttlasseu von Sündern.
Die Pharisäer als abschreckendes Beispiel, ihr Argwohn ; Warnung vor
demselben. ZU?

XX.
Vas Königliche Hochzeitmahl.
(XIX. Sonntag nach Pfingsten.)

Die Worte Salomons: Die Weisheit hat sich ein Haus ge>
baut, angewendet auf den Tempel des alten und die Kirche des
neuen Bundes ; Berufung in diese Kirche. Zusammenhang mit
der Parabel vom Hochzeitmahle und deren Inhalt.
Die dreimalige Vermählung des Gottessohnes mit der menschlichen
Natur, mit der Kirche und mit der gläubigen Seele. Erste ver
gebliche Einladung durch die Patriarchen und Propheten. — Zweite
Einladung und Tödtung der Knechte; die Apostel; die Zerstörung
Jerusalems. Dritte Einladung, Berufung der Heidenvoller. Die .
Kirche und deren Kennzeichen. — Das hochzeitliche Gewand, der
Guadenstaud, die thälige Nächstenliebe; Christen ohne hochzeitliches
Gewand, Berufene aber nicht Auserwählte, ihr Loos im Jenseits.
Mittel, um das hochzeitliche Gewand zu bewahren, Glaube, Haltung
der Gebote, Gottes- und Nächstenliebe, Gehorsam gegen die Kirche
und Beuützung der Guadeumiltel. Antheil der Kirche au der
Bildung der Auserwählten. Ermunterung zur Bewahrung des
hochzeitlichen Gewandes . . . . < . . . VZ

XXI.
Ver Beamte von CaplMnaum.
NemmKraN drr Wund«.

(XX. Sonntag nach Pfingsten.)

Wie Christus Wunder wirkte zum Beweise seiner Gottheit, so eriunert


uns die Kirche an diese Wunder zur Belebung unseres Glaubens.
Perhalten des Beamten, iu wie fern es Nachahmung verdient oder
nicht. Die Glaubeusverachter der Neuzeit.
Inhalt. XV
Seite
Erklärung des Begriffes eines Wunders. Daraus folgt von selber
die Beweiskraft der Wunder für die Nothwendigkeit des Glaubens.
Bestätigung durch die That der Menschwerdung und der Erlösung,
die um des Glaubens willen geschehen. Nie Beschaffenheit der
Wunder Christi selbst liefert einen neuen Beweis.
Einwendung der Gegner, daß jetzt keine Wunder mehr geschehen.
Entgegnung darauf: Die ununterbrochene Fortdauer der Wunder
wäre nicht gut; die Wunder Christi genügen; unser Glaube wäre
weniger verdienstlich ; zum Glauben gehört auch guter Wille. Die
Fortdauer ist auch nicht nothwendig, das Heideuthum ist über
wunden und dies ist das größte Wunder. Beweis des heiligen
Augustin. Festhalten am Glauben 339

XXII.
Ver unbarmherzige unecht.
Zu« Anrecht wcht «ich «Mt.

(XXI. Sonntag nach Pfingsten.)

Veranlassung zur Parabel. Wer dem Nächsten nicht verzeiht, er


langt anch für sich keine Verzeihung bei Gott. Ebenso fallt die
Ungerechtigkeit gegen den Nächsten auf den Urheber zurück; dies
muß nicht immer diesseits geschehen, geschieht aber dennoch öfters.
Die Schrift lehrt mit klaren Worten, daß der Ungerechte sich selber
Verderben bereitet. Das Nämliche lehren Thatsachen; Josephs
Brüder, Pharao, Abimelech, Saul, Goliath, Achab, Daniels
Feinde u. s. w. Ferner Beispiele aus dem neuen Testamente
und aus der Kirchengeschichte. Neue Belege aus der Profangc-
schichte aller Zeiten, ebenso aus der Kriegs- und Revolutionsgeschichte.
Ungerechtigkeiten in der gegenwärtigen Zeit, verübt im Familien-
und Privatleben, im Handel und Wandel, durch Wucher, im
Großen. Wandle allzeit redlich . . . . . .355

XXIII.

Warum ein Weltgericht.


(XXIV. Sonntag nach Pfingsten.)

Der Unglaube und der Halbglanbe haben ihren Grund vorzugs


weise in einem schlechten Herzen, das ernste Wahrheiten nicht
hören will. Ihre Einwendungen gegen das künftige Weltgericht.
Warum muß ein solches stattfinden? '
XVI Inhalt.
Gnte
Gott schuldet vor Allem das Weltgericht seiner Gerechtigkeit, die er
auf dieser Welt nicht immer so deutüch ufseubart wie seine anderen
Eigenschaften, wie eiu Blick auf die Böseu und Guten zeigt.' Er
schuldet es sich selber und seinem Hohne, der hienieden nicht von
Allen erkannt und verherrlicht wird.
Gott schuldet das Gericht auch seiner ^'icbe zu seinen Heiligen mid
Ruserwählten , die er verherrlicht und für alles Gute öfseutlich
belohnt; sie »verdeu zu Gericht sitzen über Kie Sund«. Auf
forderung, sich jeden Tag auf das Gericht vorzubereiten . .AN
Einleitung.
Die Bedeutung der Parabeln und Wunder.

lan versteht unter Parabel oder Gleichniß eine


aus dem Natur- oder Menschenleben hergenommene Er
scheinung oder Thatsache, welche gleichsam als Hülle und
Einkleidung benützt wird, um damit eine höhere religiöse oder
sittliche Wahrheit zu lehren. Die Parabeln in den Evan
gelien sind demnach sinnbildliche Darstellungen göttlicher
Lehren und Wahrheiten. Bald sind sie von der freien Natur
hergenommen, wie vom Acker, vom Feigenbaum oder von den
Fischen; bald aus dem häuslichen Leben und dessen Bedürf
nissen, vom Hausvater, von dem Sauerteig, von der Drachme ;
bald aus den gewöhnlichen Arbeiten, von der Bebaunng des
Ackers und des Weinberges, von der Weide der Herden, von
der Reinigung des Hauses; bald aus dem gesellschaftlichen
und verfeinerten Leben, vom Gastmahle, vom Empfange des
Bräutigams, von der Anwendung der Talente; zuweilen auch
aus dem gerichtlichen und politischen Leben, wie die Ver
söhnung mit dem Widersacher vor dem Gange zum Richter,
die Zeugenvernehmung u. s. w.
Daß Christus seine Gleichnisse sehr trefflich wählte und
damit Alles entzückte und in Erstaunen versetzte, wird uns
von dem heiligen Matthäus ausdrücklich mit den Worten
Lierheimer, Parabeln u. Wunder. 1
2 Einleitung.
berichtet: ^ Es erstaunte das Volk über seine Lehre;
denn er lehrte sie wie Einer, der da Macht hat, und
nicht wie ihre Schriftgelehrten und Pharisäer.
Es fragt sich nun zunächst, warum Christus die para
bolische Redeform wählte, warum er seine Lehren vorzugs
weise in Gleichnissen vortrug? Gewöhnlich antwortet man
darauf, er habe es gethan, weil es im Morgenlande so
Sitte war und weil man sich nur auf diese Weise den Ruf
eines Rabbi, eines Lehrers oder Meisters, erwerben konnte./
Diese Antwort ist nicht unrichtig, aber sie ist keineswegs
genügend und erschöpfend. Sie ist nicht unrichtig; dies zeigt
ein Blick auf die morgenländische und besonders auf die
jüdische Literatur, welche reich an schönen Parabeln ist. Seine
Sprüchwörter und Gleichnißreden waren es, die Salomon so
großen Ruf verschafften, daß die Königin von Saba eigens
die weite Reise zu ihm unternahm, um seine Weisheit zu
hören. Die Parabeln waren es, wodurch überhaupt alle
Weisen im Morgenlande sich auszeichneten und sich den Titel
„Lehrer" oder „Meister" erwarben. Sagt man also, Christus
habe in Parabeln geredet, um sich nach der Sitte des Landes
zu richten. Anklang beim Volke zu finden und als Meister
anerkannt zu werden, so ist das nicht unrichtig.,/
Allein diese Antwort genügt nicht, denn sonst hätten auch
die Apostel, die doch aus den Juden hervorgingen und großen-
theils zu Juden redeten, in ihren Lehrvortragen und Briefen
dieser Lehrweise sich bedienen müssen, was jedoch nicht der
Fall ist. Somit wird wohl noch ein anderer höherer Grund
vorhanden sein , der den Heiland zur Wahl der ,Parabeln
bestimmte. ,
Wie Jesus Christus seine Gottheit unter der Knechts
gestalt verbarg und sich als Menschensohn uns näherte; ebenso
wollte er auch seine heilige Lehre im sinnbildlichen Gewande

') Mttli. VII. 28, 29.


Die Bedeutung der Parabeln und Wunder. 3

vortragen. Die Kirche, welche er zu gründen beabsichtigte,


stand nicht gleich fertig und vollendet da, sie mußte erst ge-
stiftet, organisirt und entwickelt werden. Deshalb konnte er
auch nicht gleich offen von ihr reden, sondern mußte ihre
künftige Existenz und Gestaltung zuerst durch Sinnbilder und
Gleichnisse andeuten und anschaulich machen. Diese Kirche
sollte die Trägerin und Vermittlerin aller Heilslehren und
Heilsmittel werden, und darum finden wir in den Parabeln,
wenn wir nicht die eine oder die andere nur, sondern alle
zumal überschauen, das ganze System unserer heiligen Religion
und unserer Kirche ausgedrückt. >
Wer kennt zum Beispiele nicht das Gleichniß vom Säe-
manne, welcher den Samen in das Erdreich streut? Der
Säemann ist Jesus Christus, der seine himmlische Lehre in
die Herzen der Menschen pflanzt. Der Acker ist die Welt;
das Wort Gottes muß auf der ganzen Erde verkündigt
werden. Die Frucht des Samens wird in die Scheune ge
bracht ; die Menschen, welche nach Gottes Wort leben, kommen
in den Himmel. Aber es wird auch zu allen Zeiten schlechte
Menschen geben, welche diese Lehre nicht befolgen, Ketzer oder
Jrrlehrer werden aufstehen, welche die Wahrheit zu fälschen
und zu untergraben versuchen; daher die Parabel vom Netze,
in welchem sich gute und schlechte Fische finden, sowie die
Parabel vom bösen Manne, der Unkraut unter den Wei
zen säet. Liegt nicht in diesen Gleichnissen die ganze Ketzer
geschichte, von Simon Magus an bis herab auf Czerski
und Ronge und alle Anhänger der Firmen: Deutschkatholi-
clsmus, Materialismus, Rationalismus und sonstiger „ismus" ?
Nicht an allen Orten zugleich konnte der SaMe der himm
lischen Lehre verbreitet werden; daher die Parabel vom
Senfkörnlein, welches nach und nach zum Baume heran
wächst — gleichsam ein Compendium der Missionsgeschichte,
der Ausbreitung des Christenthums von Palästina nach Grie
chenland und Jtalien, von da nach Germanien, nach Gallien
1"
4 Einleitung.
und Skandinavien und weiter nach Amerika und Australien.
Die Welt war versunken in's Heidenthum, in Barbarei und
Sittenlosigkeit; si« sollte umgestaltet und zur Civilisation und
Sittlichkeit gebracht werden; daher das Gleichniß vom Sauer
teig, welcher die ganze Masse durchdringt und umwandelt.
Wirklich fallen die Götzenbilder, aus den Heidentempeln wer
den christliche Gotteshäuser, Vielweiberei und Sklaverei ver
schwinden, der Sinnengenuß weicht vor dem Blute der Martyrer.
Die Lehre des Heiles ist für alle Völker und für alle Zeiten
bestimmt; daher das Gleichniß von den Arbeitern im
Weinberge, die zu verschiedenen Tagesstunden gerufen wer
den. Die christliche Wahrheit soll Juden und Heiden ge
predigt werden, erstere jedoch verschmähen sie; dies deutet die
Parabel vom Hochzeitmahle an, wo die zuerst Geladenen,
die irdisch gesinnten Juden, sich weigern zu kommen, weshalb
die Lahmen und Blinden, die am Wege stehen, die Heiden,
gerufen werden. Allein auch von denen, welche das Christen-
thum annehmen, geht Mancher verloren, wie der Mann
ohne hochzeitliches Gewand zeigt./
Die Lehre Christi verlangt, daß der Mensch sich über
das Alltagsleben erhebe, nicht im Staube krieche, nicht an
vergängliche Güter sein Herz hänge, sondern nach dem himm
lischen Gute strebe, welches allein Werth hat, sonst wird er
nicht mit dem armen Lazarus den Himmel, sondern mit
dem reichen Prasser die Hölle theilen. Jst er in Sünden
gefallen, so gibt ihm Gottes Langmuth oftmals Zeit zur
Besserung; der Feigenbaum darf noch ein Jahr stehen
bleiben. Läßt der Sünder die Gnadenfrist unbenützt ablaufen,
so wird er gleich dem Feigenbaum vom Fluche getroffen,
umgehauen und in das Feuer geworfen. Dem Reuigen und
Demüthigen dagegen wird Verzeihung gewährt, wie die Para
beln vom verlornen Sohne und vom Zöllner im Tempel
zeigen. Wer sich aufrichtig bekehrt, der wird sogar von Gott
mit aller Zärtlichkeit behandelt; denn er ist das hundertste
Die Bedeutung der Parabeln und Wunder. 5

Schäflcin, welches der gute Hirt voll Freude auf seine


Schultern nimmt. Die immerwährende Scheidung der Guten
und Bösen beim Weltgerichte lehrt die Parabel vom Wei
zen und Unkraut, welche bis zum Tage der Ernte stehen
bleiben, worauf dann die Engel den Weizen, die Guten, in
den Himmel führen, während das Unkraut, die Gottlosen und
Unbußfertigen, in die Hölle verstössen werden./
Was geht aus dieser kurzen Skizze der evangelischen
Parabeln, die wir bei weitem nicht alle aufgezählt haben,
hervor? Wohl zunächst dieses, daß in ihnen der ganze Plan
der göttlichen Heilslehre niedergelegt ist. Nicht also bloß
um der morgenländischen Sitte willen oder um sich den Ruf
eines Lehrers und Meisters zu erwerben, hat Christus in
Gleichnissen geredet, sondern um uns unter dem parabolischen
Gewande das ganze Heilssystem darzustellen. ,
Zu einem ähnlichen Resultate werden wir gelangen, wenn
wir die Wunder Christi überhaupt in's Auge fassen. Die
nächste und natürlichste Antwort auf die Frage, warum der
Herr so viele Wunder wirkte, wird wohl jene sein, welche
der heilige Petrus in seiner Rede bei der Bekehrung des
Hauptmannes Cornelius andeutete, worin er sagte, Jesus sei
im ganzen Lande umhergegangen, um Gutes zu thun und
Alle zu heilen, weil Gott mit ihm war.° Die Wun
der des Herrn sollten also zunächst Werke her Gnade, des
Erbarmens und Mitleids sein; darum macht er Kranke ge
sund, Blinde sehend, Stumme redend, Taube hörend, Lahme
gehend. Nicht Gold und Silber gibt er ihnen, wohl aber
die leibliche Gesundheit, damit sie sich den nöthigen Unterhalt
verschaffen können./
Außer diesem irdischen und mehr materiellen Zwecke
sollten zweitens die Wunder auch dazu dieuen, ähnlich wie
die Parabeln Lehren höherer geistiger Wahrheiten zu sein.

') H,ot. X. 38.


6 Einleitung.

Wenn zum Beispiele der Heiland das Wunder des reichen


Fischfanges wirkt,, was lehrt er dadurch anderes als die
Ausbreitung des katholischen Glaubens? Wenn das Netz
ungeachtet der großen Menge der Fische nicht zerreißt, deutet
/ dies nicht die nothwendige Einheit der Kirche an? Wenn
Christus den geheilten Aussätzigen befiehlt, sich den Prie
stern zu zeigen, lehrt er damit nicht, daß den Priestern eine
höhere Gewalt zukommt und daß man ihnen Ehrfurcht schuldet?/
Der höchste Zweck aber, den der Herr bei seinen Wun
dern im Auge hatte, war, damit seine göttliche Sendung, die
Göttlichkeit seiner Lehre und seiner, Person zu beweisen. Darum
beruft er sich selber den Pharisäern gegenüber auf seine Wun
der als das sprechendste Zeugniß für seine Gottheit, indem er
sagt:' Wenn ich die Werke meines Vaters nicht
wirke, so glaubet mir nicht; wenn ich sie aber thue
und ihr mir nicht glauben wollet, so glaubet doch
den Werken, auf daß ihr erkennet und glaubet, daß
der Vater in mir ist und ich im Vater bin./
Endlich hatte Christus bei seinen Wunderthaten noch eine
andere Absicht, die gewöhnlich weniger beachtet wird, obschon
sie an Wichtigkeit der vorigen nicht nachsteht. Der Erlöser
wollte nämlich mit den Wundern, die er im natürlichen Ge
biete wirkte und die Jedermann sichtbar waren, auch ein«
übernatürliche, und geheimnißvolle Gnadenwirksamkeit im Ge
biete der Seelen lehren und versinnlichen. Einige Beispiele
werden genügen, um dies klar zu machen.
Oefters wird in den Evangelien erzählt, daß der Hei
land aus den Besessenen Teufel austrieb; ebenso wird
berichtet, daß er einem vom Mutterleibe her lahmen Men
schen den Gebrauch der Glieder wiedergab und daß er
Blindgebornen die Augen öffnete. Diese leiblich Unglück
lichen sind Bilder des gefallenen sündigen Menschen , der ob

') ^o»un. X. 37, 38.


Die Bedeutung der Parabeln und Wunder. 7

seiner Abstammung von Adam der Botmäßigkeit des Teufels


unterworfen ist, aus sich selbst den Weg zum Himmel nicht
wandeln kann und in der Finsterniß des Unglaubens sitzt.
Gleichwie nun jene Gebrechen des Leibes nur durch ein Wun
der göttlicher Allmacht geheilt werden können, ebenso wird
zur Heilung der geistigen Besessenheit, Lahmheit und Blind
heit ein Wunderakt Gottes erfordert. Dieser aber wird voll
zogen im heiligen Sakramente der Taufe, durch welches der
Mensch der Herrschaft des Satans entrissen, zu einem Kinde
Gottes gemacht und in die Möglichkeit versetzt wird, den
Weg des Glaubens und des ewigen Heiles zu wandeln.
Wird ferner in den Evangelien die Heilung Solcher er
zählt, welche nicht von Geburt aus unglücklich waren, sondern
erst später durch irgend eine Ursache in's Elend geriethen,
wie zum Beispiele jener Gichtbrüchige, dem Christus mit
der körperlichen Wiederherstellung auch die Gesundheit der
Seele durch Vergebung der Sünden schenkte, oder die Aus
sätzigen, die er zu den Priestern schickte; so ist dies eine leicht
verständliche Andeutung der Wirksamkeit und Nothwendigkeit
des heiligen Bußsakramentes für die nach der Taufe in Sün
den Gefallenen. Hieher gehören auch die Tobten erweck
ungen. Die Wiederbelebung der Tochter des Jairus, des
Jünglings von Naim und des Lazarus lehrt uns die Wieder
erweckung des Gnadenlebens im Anfange des Zustandes der
Sünde, in der Gewohnheitssünde und in der Verstocktheit.
Der Herr verlieh seinen Aposteln auch die Gewalt, durch
Salbung mit Oel Kranke zu heilen. Sogleich nimmt
Jedermann wahr, daß er damit auf das Sakrament der letz
ten Oelung vorbereiten wollte. Wenn er endlich beim ersten
Wunder zu Cana Wasser in Wein verwandelte und später
zweimal das Wunder der Brodvermehrung wirkte, lehrte
er damit nicht die wunderbarste aller Wesensverwandlungen,
die des Weines in sein Blut und des Brodes in seinen Leib
zur Nahrung der Seelen, das heiligste Sakrament des Altares?
8 Einleitung. Die Bedeutung der Parabeln und Wunder.

Es ist also in den Wundern ebenso wie in den Parabeln


eine tiefere Bedeutung und ein inniger Zusammenhang ent
halten, und während letztere zumeist auf die Lehre und die
äußere Organisation der Kirche Jesu Christi hinzeigen, deuten
erste« die innere Gnadenwirksamkeit an, das geheimnißvolle
Walten Gottes in den heiligen Sakramenten./
Die Aochzeit zu Oana.
^11. Sonntag nach Epivhanie.)
Thuet Alles, was er euch sagen wird. .luann. II. 5.

^ <^<em rastlos thätigen und von heiligem Eifer glühenden


Missionär, Pater de Smet aus der Gesellschaft Jesu, wurde,
wie wir in einem Jahrgange der Aunalen zur Verbreitung
des Glaubens lesen , ' auf einer Wanderung durch das Ge
biet der schwarzen Jndianer in Nordamerika von einem
Häuptlinge derselben folgender merkwürdige Vorfall erzählt.
Der Pater Point, welcher daselbst vorher an der Bekehrung
der Wilden arbeitete, hatte bei einer Mission unter den
Schwarzfüßen einigen Häuptlingen derselben kleine Kreuze
geschenkt und sie nachdrücklich ermahnt, zur Zeit der Gefahr
den Namen des Sohnes Gottes anzurufen und auf ihn all'
ihr Vertrauen zu setzen. Einmal nun begegnete es ihnen,
daß sie in einem Walde von einer überlegenen Anzahl ihrer
Feinde plötzlich umzingelt wurden und in größter Gefahr
schwebten, alle getödtet zu werden. Da erinnerten sie sich
der Worte des Missionärs, nahmen ihre Kreuze hervor, war
fen sich auf die Kniee nieder und riefen voll Glauben und
Vertrauen den Namen Jesus an; darauf erhoben sie sich und
drangen mit Muth und Zuversicht aus dem Walde hervor,
um sich einen Weg durch die ringsherumstehenden Feinde zu

') Jahrg. 1861. S. 96.


10 II. Sonntag nach Epiphanie.
bahnen. Diese schössen nun einen wahren Kugelregen gegen
sie ab, allein sie erschracken deshalb nicht, sondern gingen
unaufhaltsam vorwärts und kamen alle glücklich davon, ohne
daß auch nur Einer erheblich verletzt worden wäre. Als der
Häuptling dieses wunderbare Ereigniß berichtet hatte, schloß
er seine Erzählung mit den Worten: „Ja, die Religion des
Sohnes Gottes ist die allein gute und mächtige, wir wünsch
ten Alle, uns ihrer Annahme würdig zu machen." ^
Seht, verehrte Zuhörer, eine einzige Gebetserhörung ist
hinreichend, um diese noch auf niedriger Stufe der Cultur
lebenden Stämme zum Glauben an Jesus Christus, ja nicht
bloß zum Glauben an ihn sondern auch zum Leben nach die
sem Glauben, zur Annahme und Befolgung der Lehre Christi
zu bestimmen. Wie beschämend ist daher dieses Beispiel für
so viele Tausende von Christen, die in diesem Glauben ge
boren, unterrichtet und großgezogen wurden, die nicht ein
Wunder nur sondern unzählige Wunder Jesu Christi kennen,
nicht einmal sondern viele hundertmal die Kraft des Namens
Jesu an sich und Anderen erfuhren, die so oft im Namen
Jesu Vergebung ihrer Sünden erlangten, im Namen Jesu
der Gewalt des bösen Feindes und dem höllischen Abgrunde
entrissen wurden, und lhatsächlich empfanden, wie wahr jener
Ausspruch ist:' Alles, um was ihr den Vater in mei
nem Namen bitten werdet, wird euch gegeben wer
den; die aber ungeachtet all' dieser und zahlloser anderer
Wohlthaten fortfahren, diesen heiligsten Namen zu entweihen
und zu entehren, und sich der Annahme des Glaubens an
Jesus unwürdig zu zeigen! Wann werden sie endlich lernen,
daß dieser Name der beste ist, weil er Balsam ist für die
verwundete Seele, Trost für den Betrübten, Hoffnung für
den Verzweifelnden, Wonne für den Liebenden; daß er der
betrachtungsreichste ist, weil an ihn die ganze Erlösung und

') ^o»nn. XVI. 23.


Die Hochzeit zu Lana. 11

alle Werke unserer Rechtfertigung und Heiligung sich knüpfen,


indem nur im ihm, wie der Apostel sagt,^ Heil ist; daß er
endlich der hehrste ist, weil in ihm sich alle Kniee beugen,
der heilige Schutzengel sich demüthig' verneigt , der gläubige
Christ sein Haupt entblößt und der böse Feind flieht, sobald
wir ihn aussprechen? Wann werden sie einmal ganz in den
Geist und das Leben der Kirche eindringen, die im Namen
Jesu das neue Jahr begonnen hat, die täglich und stündlich
uns an Jesus erinnert, der dieser Name der anbetungswür
digste ist und die uns heute wieder durch ein eigenes Fest
zur Verehrung und gläubigen Anrufung desselben auffordert ?
Wann wird ihr Glaube so lebendig werden, wie der der
Apostel, die, als sie das erste Wunder zu Cana sahen, für
immer dem Heilande folgten? Ein Wunder war für jene
Jndianer hinreichend, um den Glauben an Jesus anzuneh
men, ein Wunder war für die Apostel genügend, um Jesu
treu anzuhängen. Wie also werden so viele Christen einst
sich verantworten, die ungeachtet einer Wolke von Zeugen lau
im Glauben und träg im Leben nach dem Glauben sind? ^
Doch es ist nicht so fast der Name Jesus an sich und
auch nicht der bloße Glaube an ihn, wovon ich heute zu reden
vorhabe, es ist der Text des Sonntagsevangeliums, den wir
in's Auge fassen wollen und der uns Stoff genug bietet, um
die übernatürliche Kraft dieses Namens und die Nothwendig
keit des Vertrauens und des Glaubens an Jesus darzuthun,
wenn wir anders die näheren Umstände genauer prüfen
wollen. Der göttliche Heiland vergleicht selbst seine Lehre
mit einer kostbaren Perle. Wie nun die Perle in einer har
ten und unansehnlichen Muschel eingehüllt ist, so sind auch die
wichtigsten Lehren und Heilswahrheiten oft in scheinbar un
ansehnliches, ja manchmal, wie stellenweise im heutigen Evan
gelium, in rauhes Gewand eingehüllt. Wir wollen also die

') H,et, IV. 12.


12 II. Sonntag nach Epiphanie.

Muschel öffnen und die Perlen daraus hervorholen und


zwar im Namen des Gastes von Cana. Deine Gnade, o
Jesus! sei mit uns.^

Der Ort, an welchem der göttliche Heiland sein erstes


Wunder wirken wollte, ist der Flecken Cana, nicht weit von
Nazareth entfernt, in der Landschaft Galiläa, der nördlichsten
von den drei Provinzen, in welche zu Christi Zeiten Palästina
eingetheilt war. Galiläa ist der vorzüglichste Schauplatz der
öffentlichen Thätigkeit Christi, wie uns schon die Namen der
in dieser Landschaft liegenden Städte — Nazareth, Caphar-
naum, Naim, Tiberias und des dazu gehörigen Sees von
Tiberias oder des galiläischen Meeres sagen. Auch waren
aus Galiläa die meisten Apostel gebürtig, und aus Cana
selbst der Apostel Simon, welcher im neuen Testament der
Cananäer genannt wird.v
Daher glaubten Einige, die Hochzeit, welche gefeiert
wurde, sei die des Simon gewesen, der dann, als er das
Wunder sah, feine Braut verließ und dem Herrn nachfolgte.
Nach Anderen soll es gar die Vermählung des heiligen
Johannes gewesen sein, was aber sehr unwahrscheinlich ist,
da Johannes zu den ersten Jüngern Christi gehört, der Herr
aber bereits mit mehreren derselben in Cana sich einfand.
Nur so viel läßt sich mit ziemlicher Gewißheit annehmen,
daß es Verwandte der seligsten Jungfrau waren, da Maria
schon daselbst war, * ehe Jesus erschien. Der heilige Joseph
mußte wohl schon gestorben sein, weil seiner keine Erwähnung
mehr geschieht. Ebenso läßt sich mit Gewißheit annehmen,
daß es keine reichen Leute waren, welche Hochzeit hielten,
weil es ihnen an Wein gebrach, x

') ^nunu. II. I. Lr»t ibi.


Nie Hochzeit zu Cana. 13

Bewundern wir hier vor Allem die Demuth Jesu Christi,


der, obwohl Gottes Sohn, es nicht verschmäht, bei Armen
zuerst einzukehren; denn er ist ja gesandt, um den Armen die
frohe Botschaft zu bringen. ^ Und wenn er später auch
beim Gastmahle des Pharisäers Simon sich einfindet und so
gar mit Sündern sich zu Tisch setzt, so ist das eben ein
Beweis, daß vor ihm kein Ansehen der Person gilt, daß er
kam, um Alle für das himmlische Mahl zu gewinnen, wie er
auch jetzt Alle an dem sakramentalen Tische Theil nehmen
läßt, den er uns in der heiligen Communion bereitet. Jesus
wird nach Cana geladen, weil seine Mutter daselbst war;
sehet hier Jesus und Maria wie zuvor im verborgenen, so
jetzt im öffentlichen Leben vereint, um Freud und Leid zu
theilen. Aber anch die Jünger des Herrn wurden gerufen,
damit einerseits gelehrt würde, daß, wer den Herrn ehrt, auch
dessen Diener ehren müsse, und damit sich jetzt schon erfüllte,
was Christus später ausspracht Wo ich bin, da wird auch
mein Diener sein. Ein anderes Mal gab er uns die
schöne Lehre:' Wenn du von Jemandem zur Hochzeit
geladen wirst, so setze dich nicht auf den ersten Platz.
Da der Herr immer zuerst das selbst that, was er lehrte, so
haben wir allen Grund zu glauben, daß er nicht den vor
nehmsten Platz einnahm, zumal sich damals sein Ruf noch
nicht verbreitet hatte, sondern er erst anfing, seine Herrlichkeit
zu zeigen,X
Wie uns damit überhaupt die Bescheidenheit und Mäßig
ung empfohlen wird, so wird uns namentlich noch nahe ge
legt, daß auch wir uns nicht ohne Jesus zu Tisch setzen sollen.
Schon im alten Bunde war das Tischgebet eingeschärft: ^
Wenn du issest und satt wirst, so hüte dich wohl, den
Herrn zu vergessen. Ebenso ist dieser fromme Gebrauch

l) I.u«. lV. 18. — °) ^ollim. XII. 2«. — ') I.N0. XIV. 8. —


') Hont. VI. 12, 15
14 II. Sonntag nach Epiphame.

durch das Beispiel des Herrn selbst geheiligt. Denn als er


das Wunder der Brodvermehrung wirkte, ^ da blickte er zu
erst zum Himmel auf und segnete die Brode. Und beim
heiligsten Mahle am Abende vor seinem Leiden erhob er wie
der seine Augen zum Himmel, segnete und dankte. '" Darum
muß auch der Christ vor und nach Tisch beten und Dem
danken, von dem jede gute Gabe und jedes vollkommene
Geschenk kommt.X
Aber warum hat denn Jesus überhaupt einer Hochzeit
beigewohnt? Vor Allem, um die Lehre jener Ketzer als
falsch darzustellen, welche die Ehe für sündhaft und unerlaubt
erklärten; sodann, wie die heiligen Väter bemerken, um damit
auszudrücken, daß er die eheliche Verbindung heiligen und mit
emer besonderen sakramentalen Gnade bereichern wolle; end
lich um zu zeigen, daß jede Ehe mit Gott eingegangen werden
soll. Jesus, Maria und die Jünger sind in Cana anwesend.
Wie bezeichnend ist dies für die christliche Ehe! Jesus muß
zugegen sein, weil die Ehe nicht ein bloßer Contrakt, ein
leibliches Zusammenleben ist, sondern ein von ihm eingesetztes
heiliges Sakrament. Maria muß zugegen sein, die keuscheste
Mutter des Herrn, weil die Gatten in ehelicher Liebe und
Treue leben sollen. Aber auch die Jünger sind da, die Ver
kündiger der Lehre Christi, weil es die erste und höchste Auf
gabe der Altern ist, auch ihre Kinder in der Lehre des Heiles
zu unterrichten und sie zu Schülern und Nachfolgern Jesu
Christi zu machen. >.
Seht da, verehrte Zuhörer, wie viele edle Perlen in der
Muschel verborgen sind. Doch noch kostbarere werden wir
finden, wenngleich die Muschel in dem Folgenden, in den
kurzen zwischen Jesus und Maria gewechselten Reden, eine
scheinbar rauhere Außenseite annimmt, eine Härte, welche

°) WUtli. XIV. 19; «uro. VI. 41; I.U0. IX. 16; ^Ullnn. Vl.
11, 23. — '°) U»ttu. XXVI. 26; Mro. XIV. 22.
Die Hochzeit zu Cana. 15

sogar den Feinden des Mariencults, weil sie eben bei der
Außenseite stehen blieben, Anlaß gab, gegen die Verehrung
Mariens sich auszusprechen, indem sie insbesondere den Wor
ten des Heilandes einen falschen Sinn unterschoben. Wir
müssen darum diese Worte etwas genauer prüfen und die
auftauchenden Schwierigkeiten beseitigen..
Vor Allem also dürfen die einfachen Worte Mariens
nicht mißverstanden wenden, wenn sie zu ihrem göttlichen
Sohne spricht: Sie haben keinen Wein mehr. Manche
nämlich fassen diese Worte so auf, als hätte die Mutter Jesu
geradezu ein Wunder von dem Herrn begehrt und sich so
unbescheiden, um nicht zu sagen vermessen gezeigt. Sie über
sehen dabei ganz, daß sie die demüthige Magd des Herrn
auf gleiche Stufe mit Herodes und den ungläubigen Juden
stellen. Denn ersterer begehrt bloß aus Neugierde von Chri
stus ein Zeichen zu sehen, als ihm Pilatus den Heiland
zuschickte; und letztere hatten ebenfalls eine schlechte Absicht,
weshalb ihnen der Herr entgegnete: " Dieses böse und
ehebrecherische Geschlecht verlangt ein Zeichen. Es hieße
also geradezu die Demuth und Heiligkeit Mariens mißkennen,
wenn ihrer Bitte an Jesus ein niedriges Motiv unterstellt
würde. Aber hätte sie überhaupt ein Wunder wünschen kön
nen? Warum nicht? Sie wußte aus des Engels Mund,
daß ihr Sohn der Sohn des Allerhöchsten, der Sohn Gottes
sei, sie hatte ferner alle die Wunderbegebenheiten gesehen, als
Engel seine Geburt verkündeten, Hirten und Weise wunderbar
herbeigeführt ihn anbeteten, Engel den Joseph zur Flucht
nach Aegypten bestimmten, Simeon und Anna durch göttliche
Eingebung den Messias erkannten und der zwölfjährige Jesus
selbst im Tempel seine himmlische Weisheit offenbarte, —
Maria aber all das, wie die Schrift wiederholt bemerkt, '^
in ihrem Herzen bewahrte./

") U^td. XII. 38. — "> I.U0. II. 19, 51.


16 II. Sonntag nach Epiphanie.

Allein es war dessenungeachtet, wenn wir dem heiligen


Bernhard Glauben schenken wollen, nicht das Verlangen
nach einem Wunder, sondern einfach das Mitleiden, das sie
zu den Worten bestimmte: Sie haben keinen Wein mehr.
„Denn wie ," fragt der honigfließende Lehrer , '^ „wie hätte
die Mutter Jesu nicht von Theilnahme und Mitleiden bewegt
werden sollen? Was konnte aus der Quelle der Barmher
zigkeit anderes hervorgehen, wenn nicht wieder Barmherzigkeit?
Wenn man eine Frucht einen halben Tag in der Hand trägt,
so bewahrt die Hand den ganzen Tag den Wohlgeruch.
Maria hat neun Monate lang die Barmherzigkeit selbst in
ihrem Schooße getragen; um wie viel mehr mußte also ihr
Herz voll Barmherzigkeit sein." Maria also zeigt sich hier
so ganz als die Zuflucht der Betrübten, als die Mutter der
Barmherzigkeit, zu der wir mit Recht aus diesem Thale der
Thränen rufen./
Aber wenn dem so ist, wenn bloß Barmherzigkeit und
Mitleid die jungfräuliche Mutter zu jenen Worten veranlaß-
ten, woher dann die scheinbar rauhe Antwort Christi: Weib,
was geht das mich und dich an? meine Stunde ist
noch nicht gekommen. Wir wollen uns hier nicht länger
bei der Jrrlehre der Montanisten und Manichäer aufhalten,
welche aus dem Ausdrucke Weib den Schluß zogen, daß
Maria nicht die Mutter Jesu sei. Diese Ketzer haben in
ihrer Verblendung ganz übersehen, daß gerade im heutigen
Evangelium zweimal Maria die Mutter Jesu genannt wird.
Ebenso wenig wollen wir bei der ruchlosen Lehre des Helvidins
und des Vigilantius verweilen, die sich berechtigt glaubten,
die beständige Jungfräulichkeit Mariens zu läugnen, weil
Christus sie einfach Weib nannte. Aus dem Folgenden
wird sich von selbst ergeben, warum Jesus sich des Namens
des Geschlechtes und nicht des Mutternamens bediente./ '

") 8ei,m. I. in Dom. I. puut vol. Lpipti.


Die Hochzeit zu Cana. 17

Endlich dürfen wir auch jenen nicht beistimmen, welche


in der Rede Christi einen Vorwurf und eine Zurechtweisung
für Maria erblicken. Denn erstlich hätte Maria, wenn sie
diese Worte als eine Rüge und Abweisung aufgenommen
hätte, nicht unmittelbar darnach zu den Aufwärtern fagen
können: Thut Alles, was er euch sagen wird. Zweitens
hätte Christus kein Wunder gewirkt. Denn die Rüge und
der Vorwurf setzten einen Fehler, eine Schuld der Mutter
voraus; allein niemals pflegt Gott eine Schuld durch ein
Wunder zu bekräftigen und gutzuheißen. Demnach kann auch
von einem Vorwurf keine Rede sein. Drittens endlich gränzt
es nahe an Gottlosigkeit , auch nur zu denken , Jesus habe
seine heilige Mutter tadeln wollen. Er, der für alle Sünder,
die sich ihm mit Glauben und Vertrauen näherten, stets ein
freundliches Wort hatte: Gehe hin, dein Glaube hat
dir geholfen; oder: Dir geschehe, wie du geglaubt
hast; gehe hin, deine Sünden sind dir vergeben; —
er sollte für seine eigene Mutter, die so gläubig und ver
trauensvoll und nur von Barmherzigkeit und Mitleiden be
wogen sprach: Sie haben keinen Wein mehr, nur Worte
des Vorwurfes gehabt haben? Nicht bloß die Ehre Mariens
also, sondern die Ehre Jesu Christi selbst zwingt uns, jene
Meinung als falsch zu betrachten, die in seiner Entgegnung
einen Tadel erblickt./
Welches also wird der wahre und richtige Sinn der
Worte sein: Weib, was geht das mich und dich an?
Entweder wollte Jesus, was übrigens Maria selbst wissen konnte,
damit zu verstehen geben, daß er nicht als Mensch, nicht als
Menschensohn, sondern als Gott Wunder wirke, so daß jene
Worte den Sinn hätten: „Nicht mir und dir zugleich, sondern
mir allein kommt das Wunder zu." Ober er wollte, was
übrigens damit zusammenhängt, ausdrücken, daß er eine
höhere Sendung und einen höheren Zweck habe, als bloß den,
der leiblichen Mutter unterthan zu sein; daß er nicht bloß
Lierheimer, Parabeln u, Wunder. 2
18 II. Sonntag noch Epiphanie,

für seine Mutter allein, sondern für Alle gekommen sei, um


öffentlich als Lehrer Aller aufzutreten, um Alle durch seine
Wunder zum Glauben zu bekehren; daß er nicht bloß dem
Menschen sondern noch mehr Gott gehorchen und die Ehre
seines himmlischen Vaters suchen müsse. „Nicht deinet- oder
meinetwegen wirke ich das Wunder, sondern damit Gottes
Herrlichkeit offenbar werde, nicht für dich nur, sondern für Alle,
damit sie glauben und Gott preisen."/
So, verehrte Zuhörer, müssen die Worte Christi genom
men werden, wenn sie mit seinem ganzen Erlöserberufe in
Einklang stehen sollen. Diese Rede hat also ganz denselben
Sinn , wie jene Worte , die er als zwölfjähriger Knabe im
Tempel sprach:" Wußtet ihr nicht, daß ich in Dem
sein muß, was meines Vaters ist. Oder wie jene an
dere Aeußerung, als seine Mutter und seine Brüder auf ihn
warteten: " Wer ist meine Mutter und wer sind
meine Brüder? Alle, die den Willen meines Vaters
thun, sind mir Bruder, Schwester und Mutter. Eben
deswegen bedient er sich auch ebenso wie am Kreuze des
Ausdruckes Weib, um zu zeigen, daß er als Gott über den
Banden des Blutes stehe, und auch um ihr damit zu sagen,
daß sie, das Weib mit Vorzug, das Ideal aller Weiblichkeit,
nicht nur seine, sondern aller Erlöste»«,, aller vom Weibe
Gebornen Mutter werden soll. Statt also mit jenen Worten
irgend etwas Erniedrigendes für Maria auszusprechen, will
uns der Herr vielmehr seine eigene hohe Bestimmung und
zugleich die Würde Mariens als Mutter aller Gläubigen
andeuten. Ein großes, ein für uns tröstliches Wort ist
es, wenn der Herr spricht: Weib, was geht das mich
und dich an. „Jch bin dein Sohn, den du geboren hast,
und bin i»er Sohn Gottes, den der Vater der ganzen Welt
geschenkt hat; ich gehöre dir, meine Mutter, aber ich gehöre

") Lue. II. 49. — ") U»ttl,. XII. 4U uLM.


Die Hochzeit zu Cana. 19
auch Allen und muß Allen Alles werden; wie Alle, die au
mich glauben, mir Bruder und Schwester und Mutter wer
den, so werden desgleichen Alle, die meine Brüder sind und
dich als Mutter begrüßen und anrufen, auch deine Söhne
und Kinder sein. Nicht bloß den Gerechten gehöre ich, son
dern auch den Sündern; ich lasse die neunundneunzig Schäf-
lein zurück, um das Eine verirrte aufzusuchen, damit Alle
mich als ihren Gott und dich als ihre Mutter anerkennen
und ehren." '"'
Wenn aber Jesus Alles hintansetzt, wenn er über alle
menschlichen Rücksichten sich erhebt, wenn kein Ansehen der
Person vor ihm gilt, um uns Alles zu werden, muß dann
nicht, auch uns Jesus über Alles gehen? Es ist also auch
hier wieder jene absolut nothwendige und doch so oft über-
tretene Lehre ausgesprochen, daß wir für Gott leben müssen,
daß jede menschliche Rücksicht weichen muß, wo es sich um
Gott, um das, was Gott gehört, um das Seeleuheil handelt,
daß mit einem Worte die ganze Welt nicht im Stande sein
soll, uns von Gott zu trennen, weil die ganze Welt uns
nichts nützen kann,, wenn wir an der Seele Schaden leiden.
Jeder menschliche Wille muß schweigen, wo der göttliche Wille
spricht, jeder menschliche Wille muß dem göttlichen sich unter
werfen. Deswegen sagt auch Maria zu den Dienern: Thut
Alles, was Er, der Sohn Gottes, euch thun heißt.—
Wie sie sich also einerseits als mitleidsvolle und barmherzige
Mutter zeigt, ebenso gibt sie uns anderseits das Beispiel,
der vollsten Gleichförmigkeit mit dem Willen Gottes und der
tiefsten Demuth. Sie hat, obwohl der Sohn sie nicht als
Mutter anredet und ihr eine aufschiebende Antwort gibt, kein
Wort der Widerrede, sie kennt nur Demuth und Gehorsam:
Was er euch sagt, das thut. O wie beschämend ist dieses

'°) Siehe Nilola«: Die Jungfrau Maria nach dem Evangelium,


17. Kap.
2'
29 II. Sonntag nach Epiphauie.

Beispiel der Gottesmutter für uns! Wie ungehalten sind


wir, wie verletzt fühlen wir uns, wenn man die schuldige
Rücksicht gegen uns ein wenig übersieht und uns nicht mit
allen Titeln anredet; wie widerspenstig sind oft Untergebene
gegen ihre Vorgesetzten, wie murren und zanken sie, welche
lange Gesichter machen sie, wenn sie ein wenig hart angelassen
werden, wo sie es verdient haben; wie aufbrausend und oft
sogar heftig werden sie, wenn etwas nicht nach ihrem Kopfe geht.^
Meine Stunde, sagt der Herr, ist noch nicht ge
kommen, ich muß noch etwas zuwarten, damit das Wunder
noch offenkundiger wird und nicht etwa die Ungläubigen
sagen können, es sei bloß mit Wein vermischtes Wasser.
Meine Stunde ist noch nicht gekommen, scheint der
Herr zuweilen auch zu uns zu sprechen, wenn er es in seiner
göttlichen Weisheit für besser erachtet, unsere Bitten nicht
augenblicklich zu erhören. Wie haben wir uns darum in
solchen Fällen zu verhalten? Wir dürfen eben im Gebete
nicht nachlassen, sondern müssen fest auf die göttliche Barm
herzigkeit hoffen, gleichwie auch Maria ihre Hoffnung nicht
aufgab, wie aus dem den Aufwärtern gegebenen Winke
hervorgeht./ ' 7
Aber wird nicht wenigstens unser Vertrauen in Maria
ein wenig geschwächt werden, wird unsere Verehrung nicht
nachlassen, weil sie nicht augenblicklich von ihrem göttlichen
Sohne erhört wurde? Jst vielleicht deswegen weniger wahr,
was der fromme Bernard sagt: „Gedenke, 0 mildeste Jung
frau, es sei noch nie erhört worden, daß Jemand, der zu
dir seine Zuflucht nahm und dich um deine Hilfe anrief, ver
lassen worden sei?" O nein, jene Antwort Christi entkräf-
tigt unser Vertrauen nicht, sondern bekräftigt es vielmehr.
Wie Christus der Herr zuerst sich erniedrigt hat, um dann
nur um so mehr erhöht zu werden, so entsprechen auch den
Demüthigungen Mariens um so größere Erhöhungen. Eben
weil sie demüthig war, hat der Herr die Niedrigkeit seiner
Dic Hochzeit zu Can«. 2l

Magd angesehen und Großes an ihr gethan. Darum folgt


auch immer der Demuth die Erhebung. Jm Tempel sprach
Jesus scheinbar demüthigend zu ihr: Jch muß im Hause
meines Vaters sein, und dann folgt er ihr nach Nazareth
und ist ihr unterthan, der Sohn Gottes gehorcht Marien.
Hier spricht er wieder: Meine Stunde ist noch nicht ge
kommen, und kurz darauf, wirkt er auf ihre Fürbitte hin
das Wunder und gibt uns stillschweigend zu verstehen, daß
wir uns nie vergebens an sie wenden, da sie bei Gott Alles,
selbst ein Wunder, vermag./
Wenn wir darum in den innersten Sinn der Worte des
Herrn eindringen, so finden wir in ihnen statt einer Beein
trächtigung eher eine Vorherverkündigung der Glorie Mariens.
Hier spricht Jesus: Meine Stunde ist noch nicht ge
kommen; aber als die Stunde des Leidens kam, der die
Auferstehung folgen sollte, da redete er zu seinem himmlischen
Vater: Vater, die Stunde ist gekommen, verherrliche
deinen Sohn. Er will also in Cana sagen: „Die Stunde
meiner vollen Verherrlichung ist jetzt noch nicht gekommen,
und darum mußt auch du, o Mutter, noch ein wenig im
Schatten bleiben; sobald ich aber auf Erden ganz verherr-
licht sein werde, dann wirst auch du überall als Gottesmutter
angerufen und gepriesen werden." Doch vielleicht schon zu
lange haben wir uns bei diesen Worten aufgehalten, wenden
wir uns deshalb zu der ihnen folgenden Thal..

Da die Juden die Gewohnheit hatten , sich bei Tisch


öfter zu reinigen, fo waren zu diesem Zwecke sechs steinerne
Wasserkrüge da, deren jeder zwei bis drei Maß hielt. Schon
deswegen konnte vorher in denselben kein Wein gewesen sein,
und um so weniger, wenn wir erwägen, daß jene, denen der
Wein ausging, sicherlich nicht mit Wein ihre Hände reinigten.
Dieser Umstand mußte darum das gewirkte Wunder nur um
22 II. Sonntag nach Epiphanie.

so augenscheinlicher machen. Auch war dieser neue Wein von


außerordentlicher Güte, wie ihn die Gäste vorher nicht ge
trunken hatten; was neuerdings das Wunder bekräftigt, da,
wie der heilige Johannes Chrysostomus bemerkt," alle
Wunder Christi immer einen besseren Zustand herbeiführten,
als der gewöhnliche natürliche ist. Endlich war der 'wunder
bare Wein in solchem Ueberflusse vorhanden und die Gaste
so zahlreich, daß an eine Tänschung gar nicht gedacht werden
kann. Wir erblicken also hier den Herrn so recht als Schöpfer
und Gebieter der Creatur, da auf seinen bloßen Willen hin
das Wasser in den besten Wein verwandelt ist./
Weil aber Christus bei allen Wundern, die er wirkte,
auch die höhere und noch ungleich wunderbarere Guadenwirk-
samkeit andeuten wollte,^ zum Beispiele durch die Heilung
der Tauben und Blinden die Taufe, durch die Heilung der
Aussätzigen und die Todtenerweckungen die Buße; so wird er
gewiß auch bei dem ersten Wunder eine ähnliche Absicht
gehabt haben. Und in der That belehren uns die heiligen
Väter, daß die Verwandlung des Wassers in Wein zu Cana
eine Vorbereitung auf eine viel erstaunlichere Verwandlung
sein sollte, nämlich des Weines in das Blut Christi; das
erste Wunder sollte ein Vorbild des höchsten Wunders sein./
Stellen wir nur einen kurzen Vergleich an. Beide Wun
der werden bei einem Mahle gewirkt. Hier in Cana ist es
ein irdisches Hochzeitmahl, dort im Speisesaale zu Jerusalem
ist es die innigste Vermählung der gläubigen Seele mit Gott.
Beim ersten Mahle wird das Wasser in Wein, in das edelste
Getränk der Erde verwandelt; beim zweiten aber wird der
natürliche Wein in das kostbarste Himmelsgetränk verwandelt,
in Wein, dem Jungfrauen entsprossen. Beim ersten Mahle
gibt Jesus ein natürliches, obwohl wunderbar erzeugtes Ge
tränk; beim anderen gibt er sich selbst, sein eigenes Blut.

") Hom. in ^u»IM. — ") Vergl. die Einleitung.


Die Hochzeit ;u Cana. 23

Das erste Wunder ist ein Ausfluß seiner Barmherzigkeit und


seiner Liebe; das zweite aber ist die höchste aller Gnaden,
der höchste Beweis der höchsten Liebe. Jm Ueberflusse ist
der Wein in Cana vorhanden; in Jerusalem gibt der Herr
nicht bloß einen Theil sondern all' sein Blut bis auf den
letzten Tropfen. Jener Wein erquickt und erfreut die Gäste;
doch ungleich süßer und lieblicher ist dieser wahre Lebensquell,
den das Wort geschaffen: Dieses ist mein Blut. Der
einmal zu Cana verwandelte Wein bleibt immer Wein, und
das einmal verwandelte Blnt bleibt immer Christi Blnt.
Als David von heftigem Durste gequält Wasser aus dem
Brunnen von Bethlehem begehrte, da gingen, obwohl die
Feinde dort lagerten, drei starke Männer hin und brachten
Wasser herbei. David aber wollte ein solches mit Lebens
gefahr geholtes Wasser nicht trinken, sondern sprach: Soll
ich das Blut jener Männer trinken, die auf Gefahr ihres
Lebens hingingen? Wieder ist in Bethlehem in jener hei
ligen Nacht eine göttliche Quelle entsprungen, aber wir dürfen
vor diesem Blute nicht erschrecken, das dem Herzen Jesu ent>
strömt, wir dürfen seinen Leib und sein Blut genießen zur
Nahrung und Heiligung unserer Seelen.,
Aber was wird denn zur Theilnahme an diesem hoch
heiligen Mahle erfordert? Wie zu Cana das Wasser zu den
üblichen Reinigungen vorhanden war, so dürfen auch wir nur
mit reiner Seele dem Gottesmahle uns nähern. Sechs
Wasserkrüge waren bei der Hochzeit bereit. Jn sechs Tagen
hat Gott die Welt erschaffen und am sechsten den Menschen
selbst gebildet. Sechs Grade gibt es, auf denen der Mensch
zu seiner geistigen Neubildung und Vereinigung mit Gott
emporsteigt. Sehr schön ist in dieser Beziehung die Deutung
der sechs Krüge, welche der heilige Bernhard gibt. „Sechs
Krüge," spricht er," „sind für jene aufgestellt, welche nach

") 3erm. II. in Dum. I. puut Oet. Lpipb.


24 II. Sonntag nach Epiphanie.

der Taufe in Sünden fallen: Der erste Krug und die erste
Reinigung ist die Reue, von der geschrieben steht: ^" Zu
welcher Stunde der Sünder reuig in sich geht, will
ich seiner Missethaten nicht mehr gedenken. Der
zweite ist die Beicht, denn Alles wird in der Beicht rein ge
waschen. Der dritte ist das Almosengeben, denn es heißt im
Evangelium:" Gebet Almosen, und Alles ist euch
rein. Der vierte ist die Verzeihung der Beleidigungen, da
wir ja beten: °° Vergib uns unsere Schulden, wie
auch wir vergeben unseren Schuldigern. Der fünfte
ist die Abtödtung des Leibes, denn durch Enthaltsamfeit be
reiten wir uns vor Gottes Lob zu verkünden. Der sechste
endlich ist der Gehorsam gegen die Gebote, damit auch wir
wie die Jünger zu hören verdienen: ^ Jhr seid Alle rein
wegen der Rede, die ich zu euch gesprochen habe.'>
Ebenso schön ist die mystische Erklärung, welche derselbe
Heilige von den zwei oder drei Maß gibt, die jeder Krug
faßte und die auch wir fassen müssen, um vollkommen zu
sein. „Auch der Heiland," spricht er, „setzt uns ein drei
faches Wasser vor. Er weint über Lazarus und das treulose
Jerusalem. Dieses Wasser haben wir, wenn wir unsere
Sünden bereuen und das Lager des Gewissens mit Thränen
benetzen. Das zweite Wasser entströmt nicht bloß den Augen
sondern dem ganzen Leibe des Erlösers, der blutige Schweiß
am Oelberge. Dieses Wasser haben wir, wenn wir im
Schweiße unseres Angesichtes unser Brod essen und unseren
Leib abtödten, und es hat die Farbe des Blutes, weil es
mühevoll ist und das Feuer der Begierlichkeit auslöscht. Das
dritte Wasser vergießt der Herr zugleich mit Blut aus seiner
heiligen Seitenwunde. Wie dieses aus der Seite des gestor
benen Heilandes fließt, so müssen anch wir der Welt absterben.

") L2eLb. XVIll. 21, 22. — ") I.U0. XI. 4l. — ") zl«ttl!.
VI. 12. — ") ^o»nn. XV. 3.
Die Hochzeit zu Caim. 25

damit uns das Wasser der Andacht und der Gnade des hei
ligen Geistes mitgetheilt und zu einer Lebensquelle werde, die
emporquillt in's ewige Leben. Das erste Wasser also reinigt
die Seele von begangenen Sünden, das zweite löscht die Be-
gierlichkeit aus und das dritte tränkt die dürstende Seele."
Der Wein wurde zuerst dem Speisemeister gebracht und
dann unter die übrigen Gäste verabreicht. Zuerst bricht der
Priester das Brod des Lebens im heiligen Opfer und dann
theilt er es unter die Anwesenden aus. Zuerst unterrichtet
der Herr die Apostel in seiner heiligen Lehre, damit sie die
selbe dann auch Anderen verkünden; jedes heilige Werk muß
von Gott' ausgehen. Der gute Wein war gegen die Gewohn
heit zuletzt aufgespart worden. Zuerst muß die Seele durch
Leiden und Trübsale hindurchgehen, muß ringen und kämpfen,
bis sie' jenen Wein beim himmlischen Mahle trinken kann,
den Christus, der wahre Weinstock, gibt. Anders macht es
die Welt und der böse Feind. Sie bieten zuerst süße Kost,
schmeicheln den Sinnen und befriedigen sie, aber zuletzt bleibt
nur Bitterkeit übrig. Sie machen der umgarnten Seele Luft
schlösser vor, aber es ist hintennach nur eitel Wind und Auf
geblasenheit. Darum dürfen wir uns nicht täuschen lassen
und müssen stets eingedenk sein, daß alle, welche fromm leben
wollen in Christo Jesu, zuerst Trübsal leiden und dann erst
himmlische Tröstungen genießen; zuerst den Trauben gleich
gestampft, gepreßt und gekeltert werden, wie Christus in
Leiden zermalmt wurde, dann aber ewig im Himmel
sich laben./
Arbeiten wir darum, Geliebteste, weil wir Alle zum
himmlischen Hochzeitmahle mit Jesus, Maria und den Apo
steln geladen sind, an der Umwandlung des Wassers iu Wein,
damit auch in uns das Unedle veredelt, das Niedrige erhöht,
das Jrdische vergeistigt werde, damit alles Wässrige in uns
aufhöre, die Oberflächlichkeit, Leichtfertigkeit und Lauheit in
Ernst, in Eifer und Beständigkeit sich umgestalte, damit wir
26 ll. Sonntag nach Epiphame. Die Hochzeit zu Cana.

mit einem Worte nicht dürre sondern fruchtbringende Reben


am wahren Weinstocke werden. /
Vergessen wir aber dabei nicht, daß Maria es ist, auf
deren Fürbitte Wasser in Wein verwandelt wurde. Wenn
sie, wie Dionysius der Karthäuser sagt, der zeitlichen
Noth ungebeten abhalf, um wie viel mehr wird sie uns, wenn
wir sie vertrauensvoll anrufen, in unseren geistlichen und
leiblichen Nöthen beistehen! Klagen wir ihr darum, daß es
uns an Wein gebricht, daß uns die wahre Gottes- und Näch
stenliebe fehlt, daß wir keine Demuth und Geduld, keinen
Eifer und keinen lebendigen Glauben besitzen. Sie wird uns
helfen, denn sie ist die Mutter der schönen Liebe, die' Zuflucht
der Sünder, die Trösterin der Betrübten, die Schatzmeister!n
der göttlichen Gnaden. Aber dabei ruft sie auch uns als
ihren Dienern zu: Thut Alles, was Er euch sagt; höret
und befolget die Lehren des Glaubens, thuet, was ihr als
Gottes Willen erkennet; dann werde ich Fürbitterin sein und
zu meinem göttlichen Sohne sagen: Sie haben keinen
, Wein, hilf ihnen, es sind arme Kinder Evas. Geben wir
diesen Worten ebenso bereitwillig Gehör wie jene Aufwärter,
seien wir folgsame Diener Mariens, dann ist sie Mutter,
dann wirkt Jesus auch an uns das herrlichste Wunder, unsere
Umwandlung aus Sündern in Himmelsgäste. Amen./
3>ie Aeilung des Aussätzigen.
(III. Sonntag nach Epiphmne.)
Herr! wenn, du willst, kannst du mich rein machen. Ultttli, VllI, 2.

'<^2ine der bösartigsten Krankheiten, entweder als Folge


natürlicher Unreinigkeit , oder eigens von Gott verhängt zur
Prüfung und häufiger noch zur Strafe, ist der Aussatz.
Dieses ansteckende Uebel, das namentlich in Aegvpten und
Vorderasien einheimisch ist, beginnt mit Flecken an der Haut,
die sich bald über den ganzen Körper ausbreiten, nach und
nach in eiternde Geschwüre übergehen, auch die Glieder und
edleren Theile ergreifen, den Vlutumlauf hemmen und all-
.mälig Auszehrung oder Wassersucht und zuletzt den Tod,
manchmal erst nach zwanzigjährigem Leiden herbeiführen. Jm
dritten Buche Mosis, im dreizehnten und vierzehnten Kapitel,
in welchem umständlich vom Aussatze die Rede ist, werden
sieben Arten desselben, theils mehr theis weniger gefährliche,
unterschieden. Gewöhnlich nimmt man hinsichtlich der äußeren
Erscheinung vier Hauptgattungen an, den rothen, schwarzen,
weißen und knolligen Aussatz; doch kamen nur die beiden letz
teren Arten unter dem Jndenvolke vor. Daher die Aus
drücke: „aussätzig wie Schnee," wie bei Giezi, dem Diener
des Propheten Eliseus,' oder „bedeckt am ganzen Leibe mit

') IV. «sF. V. 27.


28 III. Sonntag nach Vpiphanie.

Geschwüren," wie bei dem armen Lazarus an der Schwelle


des reichen Prassers, ° oder bei dem geduldigen Job. ^
Auch ist im genannten Buche Mosis noch von einem Häuser
aussatz die Rede, vielleicht Salpeterfraß, und von einem
Kleideraussatz, wovon man nicht bestimmt weiß, worin
er bestand.
Jm alten Testamente kommen verschiedene Beispiele vor,
die uns beweisen, daß Einzelne nicht selten zur Strafe mit
dem Aussatze behaftet wurden. So kam außer dem schon er
wähnten Knechte Giezi, der wegen seines Geizes aussätzig
wurde, dieses Uebel über Azarias, den König von Juda/
weil er den Götzendienst nicht ganz abgeschafft hatte; ebenso
über den König Ozias, weil er sich ein Vorrecht des Priester-
thumes anmassen wollte; ^ desgleichen über Maria, die
Schwester des Moses, weil sie über ihren Bruder gemurrt
hatte. 6 Am häufigsten aber wurde der Aussatz verhängt zur
Strafe für den Ungehorsam gegen die Priester, weshalb Gott
ausdrücklich die Warnung gab, die wir im fünften Buche
Mosis lesen: 7 Hüte dich sorgfältig, nicht der Plage
des Aussatzes zu verfallen, sondern thue, was dich
die Priester aus dem Levitengeschlechte lehren. Daß
es zu Christi Zeiten viele Aussätzige gab, ist uns aus den
heiligen Evangelien ohnehin wohl bekannt.
Diese unglücklichen Menschen befanden sich in einer höchst
bedauernswerthen Lage, zumal die Heilkunde kein sicheres
Mittel gegen dieses Uebel befaß. War eine Spur der Krank
heit vorhanden, so mußten sie sich dem Priester zeigen, und
dies einige Wochen hintereinander fortsetzen. Waren die An
zeichenverschwunden, so durften sie erst nach der Erklärung des
Priesters wieder unter Menschen und im Tempel erscheinen.
Zeigte sich aber der Aussatz als gefährlich und unheilbar, so

') I.ue. XVI. 20. — ') ^ub II. 7, 8. — ') IV. üex. XV.
5) II. r»!Äl. XXVI. — °) «II». XII. — ') Deut. XXIV. «.
Die Heilung de« Aussätzigen. 29

mußten sie ihre Kleider zerreißen, ihr Kinn verhüllen, das


Lager und später die Städte und Dörfer verlassen und außer
halb derselben wohnen, und wenn zufällig ein Gesunder in
ihre Nähe kam, ihm schon von Weitem zurufen: „Unrein,"
damit dieser aus dem Wege ging. Selbst in dem Falle, wo
der Aussatz durch ein Wunder geheilt wurde, mußte der Be-
treffende sich doch immer noch dem Priester zeigen; denn dem
Priesterthume stand es zu, zwischen Aussatz und Aussatz zu
unterscheiden und den Geheilten wieder in die Gemeinschaft
der Menschen und zum Besuche des Tempels und zur Teil
nahme am Opfer zuzulassen, was unter ganz eigenen Cere-
monien geschah, auf die wir später zurückkommen werden./
Jm Mittelalter, namentlich während der Kreuzzüge,
wurde diese verheerende Krankheit auch nach Europa gebracht
und trat ganz unter denselben Erscheinungen wie bei den
Juden auf. Wer war es in diesem glaubensreichen und doch
so oft als finster verschrieenen Zeitalter, wo kein Staat an
eine Sanitätspolizei dachte, der sich dieser elenden Menschen
annahm? Es war die katholische Kirche und ihre frommen
und eifrigen Diener. ^ Sie erblickten in jenen unglücklichen
Leidenden Büßende, die dem armen Lazarus gleich der Welt
abstarben, um zu neuem Leben zu erwachen. Sie wußten,
daß der göttliche Heiland sich der Aussätzigen angenommen
und sie geheilt hatte, daß er sogar bei einem Aussätzigen zu
Tisch gegangen war, ja daß er selbst den Aussatz aller un
serer Sünden auf sich geladen hatte; darum pflegten sie
in den Aussätzigen den göttlichen Heiland selbst. Von diesem
erhabenen Gedanken ging die mütterliche Liebe der Kirche aus.
Daher befahl schon Papst Gregor II. dem heiligen Bo-
nifacius, den Aussätzigen den Empfang der heiligen Eucharistie
nicht zu versagen. Das dritte lateranensische Concil bemerkt
cus^rüälich, daß manche Aussätzige des Gottesdienstes und

') S. Schöppner, Charakterbilder de« Mittelalter«. VI. 12.


30 III. Sonntag nach Epiphame.

des Empfanges der heiligen Sakramente würdiger sein dürf


ten, als viele andere Gesunde, und verordnete deswegen, daß
eigene Häuser, Kirchm und Friedhöfe für sie hergestellt und
ihnen ein eigener Seelsorger gegeben werden sollte. So ent
standen bald überall Siechen- oder Leprosenhäuser oder La-
zarethe, von dem armen Lazarus so genannt. Ludwig IX.
der Heilige machte fromme Stiftungen für zweitausend Le-
prosereien. Auch bildeten sich Vereine von Geistlichen und
Laien, die sich die Pflege der Leprosen oder Aussätzigen be
sonders angelegen sein ließen. Jnsbesondere zeichnete sich der
Lazaristenorden aus, ein Ritterorden, der aus dem Johanniter-
oder Malteserorden hervorging, dem namentlich in Frankreich
die Sorge für die Leprosenhäuser übertragen war und dessen
Großmeister stets ein Aussätziger sein mußte, damit er sich
um so mehr der Leidenden annahm, deren Loos er selbst er
duldet hatte. Jn der Kirchengeschichte und im Leben der
Heiligen begegnen uns rührende Züge der Pflege der Aus
sätzigen. Manche Bischöfe wuschen am Gründonnerstage Aus
sätzigen die Füße. Von der heiligen Elisabeth von Thüringen
wissen wir, daß sie gerade diese Kranken am liebsten pflegte.
Gleiches thaten der heilige Franz von AM, die heilige Ka
tharina von Siena, der heilige Martin, der heilige Romanus,
die heilige Ottilia, der heilige Edmund, der heilige Otto und
viele Andere. ^
Die Aufnahme der Kranken in die Leprosenhäuser war
eine rührende kirchliche Feier. Zuerst wurde für sie das hei
lige Meßopfer dargebracht. Darauf hielt der Priester eine
Anrede an sie, ermahnte sie zur Geduld, stellte ihnen vor,
daß ihre Absonderung bloß eine leibliche sei, weil sie vollen
Antheil an allen Gnadenmitteln und Gebeten der Kirche hät
ten, und verhieß ihnen bei geduldiger und christlicher Ertrag
ung dieser Heimsuchung eine um so sicherere Erlangung der

') S. Wetzer und Welle, Kirchenlerikon , Xll. S. 84.


Die Heilung des Aussätzigen. 3l

künftigen Seligkeit. Darauf wurde das Evangelium von dem


Aussätzigen gelesen und Erde vom Kirchhofe auf ihr Haupt
gestreut; alle ihre Kleider und Geräthschaften wurden gesegnet
und schließlich noch die Ermahnung ertheilt. Alles zu ver
meiden, wodurch die Ansteckung verbreitet werden könnte./
Sehet, verehrte Zuhörer, so heiligte die Kirche diese
Krankheit und ehrte die Kranken als fromme Büßer, die der
Welt abgestorben sind, um nur Christo zu leben. Jch glaubte
diese historischen Bemerkungen zur vollen Würdigung des
heutigen Evangeliums vorausschicken zu müssen. Es werden
uns zwar zwei Wunder unseres göttlichen Heilandes darin
berichtet; allein da das erste schon so vielen Stoff zur Be
lehrung und Beherzigung enthält, so muß ich mich auf dieses
beschränken, indem ich zuerst den offen zu Tag liegenden Sinn
desselben und dann die höhere Bedeutung darlege. Jm Be
wußtsein unserer Sündhaftigkeit und voll Vertrauen auf die
göttliche Kraft wollen auch wir flehend zum Herrn unsere
Hände erheben und rufen: Deine Gnade, o Jesus! sei mit uns.

Das heutige Evangelium beginnt mit den Worten: Zur


selben Zeit, da Jesus vom Berge herabstieg, folgte
eine große Menge Volkes nach. Es war nämlich den
beiden Wundern am Aussätzigen und am Knechte des Haupt
mannes, die im achten Hauptstücke bei Matthäus erzählt
werden, die Bergpredigt vorausgegangen, die im fünften,
sechsten und siebenten Hauptstücke dieses Evangelisten enthal
ten ist und alles Volk in Erstaunen versetzt hatte, weil der
Heiland sie lehtte wie Einer, der da Macht hat, und nicht
wie ihre Schriftgelehrten und Pharisäer. '" Daher folgten
sie ihm auch begeistert nach, um Zeugen einer noch höheren
Macht, der Gabe der Wunder, zu sein und so im Glauben

'°) Illllttd. Vll. 29.


32 III. Sonntag nach Epiphame.
an seine göttliche Sendung bestärkt zu werden. Der Lehre
folgten die Wunder, damit, wie der heilige Johannes Chry-
sostomus bemerkt," jener, der sich zuvor wunderbar im
Worte gezeigt hatte, nun auch wunderbar im Werke erschiene,
und damit er uns zugleich aufmerksam machte, daß auch wir
uns nicht mit dem Anhören der Lehre oder der Predigt allein
begnügen dürfen, sondern auch derselben entsprechend leben
und handeln müssen./
Während sich nun Jesus der Stadt Capharnaum näherte,
kam ein Aussätziger herbei, betete ihn an und sprach: Herr!
wenn du willst, kannst du mich rein machen. Bewun
dern wir hier vor Allem die Tugenden dieses unglücklichen
Menschen. Zu Christus kommen heißt glauben. Er kam
also voll Glauben an den Herrn, darum betet er ihn an und
spricht: Wenn du willst, kannst du mich reinigen, d.h.
ich glaube, daß du die Wundermacht besitzest, mich augenblick
lich gesund zu machen. Mit seinem Glauben verbindet er
aber auch die tiefste Demuth, denn er wirft sich auf sein
Angesicht vor ihm zur Erde nieder, welches der Sinn des
griechischen Wortes n^n«««»'«, „er betete an," ist. Aus die
sem Glauben und dieser Demuth entsprang endlich die ver
trauensvollste und doch zugleich ergebenste Bitte. Er fleht
um Reinigung, aber so, wie jeder Flehende beten sollte: Voll
Vertrauen: Du kannst mich reinigen, und voll Ergebung:
Wenn du willst, wenn es dir so genehm ist. Wir lernen
daraus , wie auch unsere Gebete beschaffen sein sollen. Wir
Müssen bitten voll Glauben und Vertrauen einerseits und
voll Demuth und Unterwerfung unter den göttlichen Wil
len anderseits, wenn wir der Erhörung bei Gott gewiß
sein wollen. . , . ,
Der Bitte des Aussätzigen folgt sogleich die Erhörung.
Jesus streckt seine Hand aus, rührt ihn an und sagt: Jch

") Hom. XXI. Up. impei,s.


Die Heilung de« Aussätzigen. 33

will, sei rein. Und augenblicklich war er vom Aussatze


rein. Wenn wir uns in der heiligen Schrift etwas näher
umsehen, so finden wir vorzüglich vier Arten von Heilung
der Aussätzigen. Erstens durch Abwaschung, wie es bei
Naaman der Fall war , dem der Prophet befahl, " sich
siebenmal im Jordan zu waschen, um rein zu werden. Zwei
tens durch den bloßen Befehl:" Gehet hin und zeiget
euch den Priestern, wie es mit den zehn Aussätzigen ge
schah, von denen wir bei dem Evangelisten Lukas lesen.
Drittens durch Absonderung, wie bei Maria, der Schwester
des Moses, die auf Gottes Befehl dadurch vom Aussatze ge
heilt wurde, daß sie sieben Tage außerhalb des 8ager5 zu
brachte. " Viertens endlich durch Berührung , wie es dem
Aussätzigen im heutigen Evangelium begegnete.
Wie nun der Aussatz das Bild der Sünde ist, so sind
auch diese vier Arten Bilder der Reinigung von Sünden.
Die Abwaschung ist das Symbol der Taufe und der Buß-
thränen. Das sich Zeigen vor dem Priester ist das Vorbild
der Beicht. Die Ausschließung das Zeichen der Bußstrafen
und der Excommunication oder des Kirchenbannes, der zur
Besserung der Widerspenstigen verhängt wird. Die Berühr
ung endlich ist das Sinnbild der Einwirkung Gottes auf das
sündige Herz. Diese göttlichen Berührungen aber sind man
nigfach. Bald sind sie rein körperlich, wie die Krankheiten;
bald geistig, wie die innere Stimme in den Gewissensbissen;
bald körperlich und geistig zugleich, wie schwere Heimsuchungen
und Unglücksfälle, wekche die zeitlichen Angelegenheiten be
treffen, aber auch von der Seele empfunden werden.
Der Aussätzige nun wird durch körperliche Berührung
geheilt. Warum wohl das? Im alten Bunde war es ver
boten , Aussätzige zu berühren , weil das Uebel erblich war.
Wenn also Christus ihn doch anrührt, so zeigt er damit einerseits

") lV. Lex. V. 10. — ") I.U0. XVIl. — ") Num. XI!.
Lierheimer, Parabeln u. Wunder. Z
34 III. Sonntag nach Epiphame.

daß er über dem Gesetze stehe und Herr desselben sei , ' an
derseits, daß ihm der Aussatz nichts anhaben könne, weil
er, obwohl er in der Gestalt unseres sündigen Fleisches
erschien, doch selbst rein und sündenlos war. Sicherlich wollte
er uns damit auch ein Beispiel der Demuth und der Nach
ahmung geben, daß wir unseren natürlichen Widerwillen über
winden und ohne Furcht Leidenden und Kranken beistehen
sollen. Wie gerade diese Lehre von den Heiligen erfaßt wurde,
haben wir bereits in den im Eingange angeführten Beispielen
gesehen und sehen es fort und fort in der oft hekdenmüthigen
Hingabe jener frommen Ordensleute , die sich besonders dem
Krankendienste weihen. Endlich ersehen wir aus dieser Be
rührung lue Macht der heiligen Menschheit Jesu Christi
wegen ihrer innigsten Verbindung mit der Gottheit, so daß
hier buchstäblich sich erfüllte, was das Evangelium mit den
Worten ausdrückt:'« Alles Volk suchte ihn anzurühren,
weil eine Kraft von ihm ausging, welche Alle heilte.
Aber wozu die Ermahnung an den Aussätzigen: Hüte
dich, daß du es Niemanden sagest? Ewige heilige Väter
sehen darin kein absolutes Verbot, '" sondern glauben, der
Herr habe damit bloß die Ausbreitung des Wunders unter
sagt, ehe sich der Geheilte den Priestern nach Vorschrift des
Gesetzes gezeigt hätte, damit diese nicht etwa die Thatsache
als falsch bezeichneten, wenn sie zuerst von anderer Seite
Kunde erhielten. Damit hängt zusammen , daß der Heiland
sie auf diese Weise .zum Glauben an ihn bewegen wollte,
wenn sie die wunderbar geschehene Heilung als eine unläug-
bare Sache anerkannten. Der heilige Hieronymus antwortet
auf die Frage, warum Christus dem Aussätzigen jenes Verbot
gab, ganz kurz: Es bedurfte der Anpreisung des Wunders
durch Worte nicht, wo die That selbst sprach. Alle Väter

") I.U0, VI. 19. — ") I.uä. a« 8»x. Vit» cbr!»t!, pai't, I.
c»p. 41.
Die Heilung des Aussätzigen. 3b

aber finden darin einstimmig eine Bekräftigung jenes Wor


tes , " daß die linke Hand nicht wissen soll , was die rechte
gibt, d. h. daß wir uns unserer guten Werke nicht rühmen,
sondern Gott die Ehre geben, daß wir nicht aus Eitelkeit,
um unser selbst willen, sondern wegen Gott Gutes thun sollen. /
Endlich befahl der Herr dem vom Aussatze Gereinigten:
Geh hin, zeige dich dem Priester und entrichte das
von Moses verordnete Opfer zum Zeugnisse für sie.
Es war nämlich im mosaischen Gesetze ausdrücklich vorge
schrieben, daß den Priestern allein das Recht zustehe, Aus
sätzige von der Gemeinschaft der Uebrigen abzusondern, oder,
wenn sie geheilt waren, sie wieder rein zu erklären und zum
Besuche des Tempels zuzulassen. Der Herr also, der ge
kommen war, nicht das Gesetz aufzulösen, sondern zu erfüllen,
gibt uns hiemit ein Beispiel des Gehorsams gegen die Gebote
Gottes und der Kirche. Daß er aber damit noch eine höhere
Absicht verband, wird sich aus dem Folgenden von selbst ergeben./

Der Wortflnn des heutigen Evangeliums wäre hiemit


zur Genüge erklärt. Allein wenn wir dasselbe etwas tiefer
betrachten, so finden wir darin noch einen anderen und zwar
doppelten Sinn, der noch ungleich wichtiger für uns ist. Wer
ist denn der Aussätzige, wen müssen wir uns unter dem Aus
sätzigen denken? Jhr werdet mir antworten: Den Sünder,
weil der Aussatz das Bild der Sünde ist, die Christus heilen
muß. Aber ich sage noch mehr, ich behaupte, daß der Aus
sätzige auch ein Bild Jesu Christi selbst im höheren Sinne
ist. Doch nicht ich bin es, der Solches behauptet, es ist. der
Prophet Jsaias, welcher von dem leidenden Heilande redend
geradezu sagt: ^ Wahrlich, er hat unsere Krankheiten
getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen;

') u»ttb. Vi. 3. — ") lu. I.lll. 4,


36 III. Sonuwg nach Epiphanie.

und wir, wir hielten ihn für einen Aussätzigen, und


geschlagen von Gott und darniedergedrückt. Ja wahr
lich, Geliebteste, unser Erlöser Jesus Christus ist der Aus
sätzige, weil er den Aussatz der ganzen Welt, alle unsere
Sünden, auf sich geladen hat. Darum gleicht er in seinem
bitteren Leiden ganz den Aussätzigen. Wie die aussätzigen
Menschen in ihrem Aeußeren ganz entstellt wurden, indem ihr
Körper über und über mit Wunden bedeckt war, so erscheint
uns auch Jesus, der Nooe domo, zerfleischt und verwundet
am ganzen Leibe; nach der grausamen Geißelung und Dornen-
krönnng war kein gesunder Fleck mehr an seinem Körper.
Und als er gar erst am Kreuze hing, um unseren Sünden
aussatz mit seinem Blute wegzuwaschen, da konnte er nach
dem königlichen Propheten sagen:'" Jch bin ein Wurm
und nicht ein Mensch, der Leute Spott und des Vol
kes Verachtung. Von Weitem mußte der Aussätzige den
Begegnenden zurufen: „Unrein!" Christus aber ruft: °« O
ihr Alle, die ihr vorübergehet am Wege, gebet Acht
und schauet, ob ein Schmerz sei, der meinem Schmerze
gleicht. Ausgeschlossen war der Aussätzige vom Umgange
mit Gesunden und mußte außerhalb der Stadt leben. Ist
nicht auch Jesus von den Juden aus der Stadt hinausge
worfen worden, hat er nicht zuletzt, wie der heilige Petrus
sich ausdrückt, °> außer dem Stadtthore gelitten? Wer also,
wer ist in einem höheren Sinne der Aussätzige? Wie aber
Jesus Christus am Kreuze der Opfernde und das Opfer zu
gleich ist, ebenso ist er auch für uns der Aussätzige und zu
gleich der vom Aussatze heilende Arzt,/
Betrachten wir einfach die alttestamentllchen Ceremonien,
welche bei der Reinigung der Aussätzigen vorgeschrieben waren,
und wir werden uns davon noch mehr überzeugen. Der vom
Aussatze Genesene mußte zwei Sperlinge, Cedernholz, rothe

") ?uuIui. XXI. ?. — ") 1-lu,Ln. I. 12. — ") llebr. XIII. 12.
Die Heilung de« Aussätzigen. 37
Wolle und Jsop bringen. Einer der Sperlinge wurde über
einem Gefäße, in welchem fließendes Wasser war, getödtet,
dann wurde der lebende zugleich mit dem Cedernholz, der
Wolle und dem Jsop in das Blut getaucht und der Aus-
sätzige damit besprengt, worauf man den lebenden Sperling
fliegen ließ. Der heilige Apostel Paulus sagt, daß bei den
Juden Alles vorbildlich war. Auch diese Ceremonie ist vor
bedeutend. Die beiden Sperlinge sind das Symbol Christi,
dessen Gottheit frei von Leiden und vom Tode ist, während
seine heilige Menschheit leiden und sterben mußte. Der Stab
von Cedernholz, an den der lebende Sperling gebunden wurde,
ist das Sinnbild des Kreuzesholzes, an dem der Erlöser
hing. Die rothe Wolle bedeutet das Blut des Heilandes.
Der Jsop ist das Besprengungsmittel , d. h. das Sinnbild
der Besprengung mit dem Blute Christi, die Mittheilung
seiner Gnade zu unserer Reinigung. Das lebendige Wasser
endlich, in welches das Blut floß, ist das Wasser der Taufe,
das durch Christi Blut das Heilmittel vom Sündenaussatze
geworden ist. Wie also der Herr der Aussätzige für die
ganze Menschheit wurde , so ist er auch der Arzt , der vom
Aussatze reinigt./
Eben darum aber, weil es sich um unsere Heilung han-
delt, sind jene Ceremonien auch für uns sinnreich. Wir müs
sen, wollen wir Vergebung unserer Sünden erlangen, glauben,
hoffen, lieben, uns demüthigen, abtödten und Reueschmerz
empfinden. Der Jsop wächst an Mauern und hängt ganz
fest an ihnen; deswegen bedeutet er den Glauben, der uner
schütterlich fest hält am Fundamente der Wahrheit, an Gott,
und an der Säule der Wahrheit, au der Kirche. Nach oben
strebt die Ceder , sie bedeutet die Hoffnung auf Vergebung
und Wiedervereinigung mit Gott. Roth war die Wolle, sie
ist das Bild glühender Liebe Gottes, der nicht mehr beleidigt
werden soll. Wasser mußte vorhanden sein, weil ohne Reue-
thränen der Sündenaussatz nicht getilgt wird. Ein Sperling
38 III. Sonntag nach Epiphanie.

muß sterben, der Welt und der Sünde muß der Büßer ab
sterben. Ein Sperling aber bleibt am Leben und fliegt iu's
Freie, die gereinigte Seele kann wieder frei den Flug nach
dem Himmel beginnen./
Schon daraus ergibt sich , daß der Aussätzige nicht bloß
im höheren Sinne ein Bild des leidenden Heilandes, sondern
auch ein Bild jedes Sünders ist. Es läßt sich dies aus dem
heutigen Evangelium noch deutlicher nachweisen. Der Aussatz
fängt mit kleinen Flecken an der Haut an, breitet sich aber
allmälig weiter aus, ergreift die Glieder und führt endlich
den Tod herbei. Ebenso verhält es sich mit der Sünde;
man fällt nicht gleich auf einmal in den Abgrund des Lasters.
Zuerst ist man untreu im Kleinen, und nach und nach wird
man es auch im Größeren. Zuerst gibt mau einige Male
der Leidenschaft nach, dann aber erhält sie die Oberhand und
macht den Menfchen zu ihrem Sklaven. Aus den einzelnen
Fehltritten bildet sich die Gewohnheit, die Gewohnheit führt
zur Verstocktheit oder Verzweiflung, und der ewige Tod der
Seele ist die unvermeidliche Folge. Der Aussatz war ferner
ansteckend, Jst nicht auch die Sünde ein ansteckendes Uebel?
Nehmen wir als Beispiel die Unkeuschheit. Wie steckt doch
dieses abscheuliche Laster den ganzen Menschen an! Es ver
dirbt den Verstand, der mit unreinen Gedanken erfüllt wird;
es verdirbt das Herz, in dem abscheukiche Begierden herr
schen; es verunreinigt die Sinne: die Angen durch lüsterne
Blicke, die Zunge durch schamlose Reden, das Ohr durch
Anhören abscheulicher Dinge, kurz es würdigt den ganzen
Menschen herab an Seele und Leib. Ja.es breitet die An
steckung noch weiter aus, es schändet das Ebenbild Gottes
auch in Anderen; ein einziger Verführer ist oftmals die Ur
sache des Verderbens Vieler, die er zum Bösen verleitet hat.
Oder nehmet die Sünde des Un- und Jrrglaubens. Ein
einziger Ketzer, wie viele Tausende hat er mit dem Gifte
feiner falschen Lehre angesteckt und zu Grunde gerichtet!
Die Heilung de« Aussätzigen. 39
Der Aussatz ist also das sprechendste Bild der Sünde, so
zwar, daß Sünde und Aussatz fast gleichbedeutende Worte
geworden sind. ^
Natürliche Heilmittel gibt es für den Aussatz nicht. Gibt
es ein natürliches Mittel zur Tilgung der Sünde? Nirgends
in der Welt. Darum war auch im alten Bunde nicht den
Heilkundigen, sondern den Priestern das Amt übertragen, vom
Aussatze rein zu erklären. War der Aussätzige noch nicht
vollständig geheilt, so wurde die Reinerklärung aufgeschoben;
erst nach voller Genesung wurde das Opfer gebracht im
Tempel. So haben auch im neuen Bunde nur die Priester
allein die Vollmacht, Sünden nachzulassen. Ist der Sünder
noch nicht geheilt, hat er keine Reue, will er die Gelegenheit
nicht meiden, so muß die Absolution bis zur vollen Genesung
der Seele aufgeschoben werden, dann erst kann der Gereinigte
wieder wesentlichen Antheil am Opfer nehmen und das Lamm
Gottes genießen. Es entspricht also die Behandlung der
Sünder ganz der Behandlung der Aussätzigen, eben weil die
Sünde der Aussatz der Seele ist./
Wir sehen dieses noch deutlicher, wenn wir einen Blick
auf die alte Bußdisciplin der katholischen Kirche werfen. Wie
die Aussätzigen vom Umgange mit Gesunden fern gehalten
wurden, so hat die Kirche öffentliche Sünder aus der Ge
meinschaft der Gläubigen ausgeschlossen und schließt sie noch
aus durch die Excommunication. Wie die Aussätzigen an
einem abgesonderten Orte lebten, so gab es früher für die
öffentlichen Büßer eigene Plätze außerhalb der Kirchthüre, wo
sie während des Opfers standen, und jetzt noch ist den Excom-
mumcirten die Theilnahme au der heiligen Messe und Com-
munion versagt. Wie die Aussätzigen den Gesunden von
Weitem zuriefen, fo flehten die Büßer die Gläubigen um ihre
Fürbitte an, und so betet die Kirche noch für Bekehrung der
Sünder. Wie die Priester die geschehene Heilung bezeugten,
so nahm der Bischof die Büßer nach abgelaufener Bußzeit
40 Hl. Sonntag nach Epiphanie.

wieder in die Gemeinschaft auf, und so werden sie auch jetzt


noch nach erhaltener Lossprechung zum heiligen Tische zugelassen.
Daß Reue, Beicht und Genugthunng die drei Haupt-
bestandtheile des heiligen Bußsakramentes sind , lernen wir
auch aus dem heutigen Evangelium. Zuerst berührt Christus
den Aussätzigen; Gott rührt das Herz des Sünders, damit
er seinen traurigeu Zustand erkenne und Reue über seine
Sünden empfinde. Dann schickt Christus den Aussätzigen zu
den Priestern. Nach der Reue folgt die Beicht vor dem ver
ordneten Priester. Der Aussätzige muß ein Opfer bringen;
der Sünder muß Genugthunng leisten, die , auferlegte Buße
verrichten. Und selbst in dem Falle, wo Gott dem Sünder
wegen seiner vollkommenen Reue schon vergeben hätte, muß er doch
noch beichten vor dem Priester, wie auch der Aussätzige, ob
wohl unmittelbar von Christus geheilt, doch noch dem Priester
sich zeigen mußte. Selbst wenn der Sünder eine innere Stimme
hörte, die zu ihm spräche wie Nathan zu David: ^ Der
Herr hat die Sünde von dir genommen; hört er doch
zugleich eine andere Stimme, die ihm zuruft: Gehe hiu und
zeige dich dem Priester. Das Wunder im heutigen Evan
gelium ist also zugleich ein Beweis für die Wahrheit des
heiligen Bußsakramentes und ein handgreiflicher Wink, daß
jene nicht die volle Lehre Jesu Christi haben, welche die hei
lige Beicht als Menschenerfindung verwerfen. /
Gehe hin, zeige dich dem Priester. Damit gibt uns
der göttliche Heiland auch die Eigeuschaften zuerkennen, welche
die Beicht haben muß. Gehe hiu, nicht aus Furcht oder
Zwang, sondern freiwillig und voll Offenheit. Zeige. Was?
deinen Aussatz, deine sündhaften Gedanken, Worte und Werke ;
verbirg nichts, sondern eröffne alle erschwerenden Umstände.
Zeige dich, nicht die Sünden Anderer, sondern deine eigenen,
zeige dich, wie du bist, ohne Bemäntelung oder Entschuldig-

') II. «eF. XU. 13.


Die Heilung de« Aussätzigen. 41

ung. Zeige dich dem Priester; denn ihm ist gesagt:


„Wem dn die Sünden nachlassest, dem sind sie nachgelassen."
Es ist also auch das heutige Evangelium einer kostbaren Perle
gleich, wenn die Muschel geöffnet wird. Perlen sind die
Lehren, die dieses Wunder enthält. Aber noch kostbarere
Perlen werden die Früchte sein, die diese Lehren tragen,
wenn sie von Allen befolgt werden./
Wenn darum einerseits die Muschel so hart ist, wenn
der Aussatz der Seele, die Sünde, in ihren Folgen so schreck
lich ist, wenn aber auch anderseits die Heilung so leicht er
langt werden kann, wer sollte dann noch länger vom heiligen
Bußsakrameute sich fernhalten, wer noch länger von falscher
Scham verleitet Sünden verheimlichen, wer noch länger den
Aussatz mit sich herumtragen? Eilet darum ihr Alle, deren
Herz sich belastet fühlt, zum Arzte der Seelen, um gerettet
zu werden. Aber eilet ebenso hin wie jener Aussätzige im
Evangelium, voll Glauben und Vertrauen, voll Demuth und
Offenheit. Bringet ein zerkuirschtes und gedemüchigtes Herz,
und dann öffnet sich euch das Herz der göttlichen Barmher
zigkeit und läßt den Strom seines Lebens, seiner Gnaden
quelle, wieder in eure Herzen fließen. Wie endlich der Aus
sätzige bei der Berührung des Herrn plötzlich umgewandelt
und wie neugeboren war, so wird auch der Sünder gänzlich
umgestaltet, wird aus einem Kranken ein Gesunder, aus einem
Todten ein Lebender werden, sobald der Priester die Hand
erhebt und spricht: „Jch spreche dich los von deinen Sünden;"
und diese Umwandlung wird in selige Verklärung übergehen,
wenn endlich der Herr selbst ihn unmittelbar berührt nicht
bloß mit der Hand, fondern mit seiner ganzen Gottheit und
Menschheit in der heiligen Communion. Amen.P
III.
Zie Mrabel vom Säemunne und vom
MnKmute. .
Zulassung der Versuchungen.
,^ . (V. Sgnnwg nach Epiphanse.) . , ,
Dies hat ein feindseliger Mensch gethan. «nttl!, Xlll. 28.

,^ ^Vas der göttliche Heiland mit den heutigen Gleichniß-


lehren wollte, kann keinem Zweifel unterliegen, da er es selbst
in dem nämlichen Hauptstücke bei Matthäus, aus welchem
dieses Evangelium genommen ist, erklärt. ' Der Acker ist die
Welt, das ganze Menschengeschkecht. Der Saemann, der gu
ten Samen ausstreut, ist der Menschensohn, ist Jesus Chri
stus. Die Frucht dieses Samens sind die Gläubigen, die
Kinder Gottes, die Erben des Himmelreiches. Der Feind,
welcher bösen Samen säet, ist der Teufel, weshalb die Kir
chenväter lehren, daß der Teufek der Urheber aller Ketzereien
sei. Die Frucht seines Samens, das Unkraut, sind die Kin
der des Bösen, die Sünder; denn jeder, sagt der heilige
Johannes, ° der Sünde thut, ist vom Teufel, denn der
Teufel sündigt vom Anfange an. Die Zeit der Ernte
ist die Vollendung des Weltlaufes. Die Schnitter endlich
sind die Engel, welche das Unkraut iu's höllische Feuer wer-

') Ullttli. XIII. — ') l. ^u»i,u. III. 8.


Die Parubel vom Säemanne und vom Unkraute. 43

fen, die Guten aber in das verheißene Himmelreich bringen,


wo sie glänzen werden gleich der Sonne.,
Es geht demnach aus dieser Parabel hervor, daß die
Kirche Christi alter ist als alle Ketzereien, weil der gute Same
zuerst ausgestreut wurde; daß ferner die Kirche eine immer
währende Dauer hat, weil ihr Ende, der Erntetag, auch das
Weltende ist; daß überdies nicht Gott sondern der Teufel der
Urheber des Bösen ist; daß endlich ein doppelter Zustand der
Einen Kirche Christi unterschieden werden muß, der Zustand
der Vorbereitung hieniedeu und der Zustand der Vollendung
im Jenseits, oder mit anderen Worten, eine Zeit des Kampfes
und eine Zeit des Sieges, eine streitende und eine triumphi-
rende Kirche. Jn der ersteren werden, eben weil sie eine
streitende und kämpfende ist, allzeit Feinde, Gottlose und Sün
der mit den Guten vermischt sein; in der letzteren wird nur
der gute Same, werden nur die verherrlichten Glieder der
Kirche sich befinden. Daraus ersieht man, daß jene Ketzer
falsche Propheten waren, welche bei ihrem Auftreten einen
neuen glücklicheren und besseren Zustand verhießen. Die No-
vatianer, die Montanisten, die DonatisteN und die Sek
ten des sechszehnten Jahrhunderts träumten von einer
unsichtbaren Kirche hienieden, die nur aus Heiligen be
stehe. Dies stimmt nicht mit der Lehre Christi überein.
Seine Kirche wird stets angefeindet werden, der Teufel wird
immer Unkraut säen, aber sie wird den endlichen Sieg
davontragen.,.
Was aber von der ganzen Kirche gilt, gilt aucl) von
jedem einzelnen Gliede derselben. Das Leben jedes Christen
ist ein Streit; eines jeden Herz ist ein Acker, in welches der
gute Same gesäet wird, in das aber auch der Teufel Unkraut
ausstreut. Und dieser Kampf dauert bis zum Lebensende.
Der Ausgang desselben wird ein Sieg sein für den muthigen
Streiter, eine Niederlage dagegen für jenen, der statt des
guten Samens das Unkraut im Boden seiner Seele wuchern
44 V. Sonntag nach Epiphame.

ließ. Aber gerade diese Lehre ist auch für so Manche schon
eine Klippe geworden, an der sie Schiffbruch litten. „Wenn,"
sagen sie, „Gott das Seelenheil aller Menschen will, warum
läßt er es dann zu, daß der böse Feind die Seelen zu ver
derben sucht? Wenn Gott so sehr besorgt ist für unser ewi
ges Heil, warum läßt er dem bösen Feinde einen so weiten
Spielraum? Wäre es nicht ein ungleich größerer Beweis
göttlicher Liebe zu uns gewesen, wenn Gott den Teufel nach
der Empörung im Paradiese gleich für immer und ewig in
die Hölle gebannt hätte, statt daß er uns jetzt ärger als der
grimmigste Todfeind verfolgt?" Solche, Fragen, verehrte Zu
hörer, werden von Kurzsichtigen nicht selten aufgeworfen.
Wir könnten ihnen eine andere Frage entgegenhalten, und
sagen: „Wannn hat denn Gott Luft, Feuer, Wasser und
Erde erschaffen, da diese Dinge uns außer vielem Nutzen doch
auch wieder großen Schaden bereiten können? Warum hat
er uns Augen, Ohren, Hände u. s. w. gegeben, da wir diese
Glieder so oft mißbrauchen und durch sie unserer Seele Ver
derben bereiten?"/
Jch will euch, verehrte Zuhörer, die Lösung solcher Fra<
gen ersparen und euch gleich die wahren Ursachen angeben,
warum Gott gestattet, daß der Teufel Unkraut unter den
guten Samen säet, warum er ihn nicht für immer unschädlich
gemacht hat, sondern es zuläßt, daß er uns nachstellt und
uns mit seinen Versuchungen zu Grunde zu richten sucht.
Wir werden auch dabei wieder finden, daß Alles, was von
Gott kommt oder zugelassen wird, gut gethan ist und zu sei
ner größeren Verherrlichung wie zu unserem eigenen Besten
gereicht, und so wird uns der Gedanke an die höllischen Ver
suchungen und den irdischen Lebenskampf nicht nur nicht ent-
muthigen, sondern vielmehr kräftigen und uns noch eifriger
machen im geistigen Streite. So will ich denn im Namen
des guten Säemannes guten Samen in gute Herzen aus
streuen. Deine Gnade, o Jesus! sei mit uns.x ^
Die Parabel vom Eiiemanne und vom Unkraute. 45

Aus zwei Hauptgründen läßt Gott es zu, daß der böse


Feind Unkraut säet, d. h. uns mit seinen Versuchungen nach
stellt: erstens zu unserem Nutzen und zweitens zu seiner
größeren Verherrlichung. Zu unserem Nutzen, weil d'adurch
unsere Sündhaftigkeit erprobt, unsere Tugend vermehrt und
unser Lohn im Himmel vergrößert wird. Zu seiner Verherr-
lichung, weil dadurch seine Allmacht und seine Güte noch
deutlicher hervortreten. Damit habe ich in Kürze die wich
tigsten Punkte meines Vortrages ausgesprochen. >
Vor Allem also gereichen die Versuchungen uns zum Nutzen,
weil unsere Standhaftigkeit erprobt wird. Der heilige Ba-
silius, der mit Recht der Große beigenannt wird, macht
uns diese Wahrheit durch einen trefflichen Vergleich anschau
lich. „Gleichwie," schreibt er,^ „der Sturm den Steuer
mann, die Nennbahn den Wettkämpfer, die Schlacht den Sol
daten, das Unglück den Großmüthigen erprobt, so erprobt die
Versuchung den Christen." Kann man wohl, will er damit
sagen, jenen Soldaten einen standhaften und tapferen Krieger
nennen, der beständig unter dem Zelte liegt, niemals hinaus
kam in's offene Feld und nie einem Feinde gegenüberstand?
Nein. Erst wenn er das Schlachtfeld betreten und mitten
unter dem Getümmel der Rosse, dem Geklirre der Waffen
und dem Regen der Geschosse seinen Posten unverrückt be
hauptete, wenn er muthig hineindrang in's heiße Kampfgewühl
und die Hiebe seiner Gegner wacker abwehrte, kann er ein
erprobter Krieger, ein standhafter Streiter genannt werden.
Oder kann mau jenen einen erfahrenen Steuermann, einen
tüchtigen Matrosen nennen, der nie einen Sturm auf hoher
See aushielt, sondern stets bei heiterem Himmel und ruhigem
Winde längs der Küste hinfegelte? Wiederum nein. Erst
dann gilt er als erprobter Seemann, wenn er mitten in
schwarzer Gewitternacht, unter dem Heulen des Sturmes,

') Or»t. XI, äe p»ti«ut.


46 V. Sonntag nach Cpiphanie.

bei hereinstürzenden Wogen und mitten zwischen Felsen und


Klippen mit sicherer Hand das Ruder lenkte und muthig
durch Wind und Wellen hindurchsteuerte. Geradeso können
auch wir keine standhaften Streiter Jesu Christi, keine «uS-
dauernden Fährmänner im Schiffe Petri genannt werden,
wenn wir nicht vorhe.r im geistigen Streite, im Sturme der
Versuchungen, im Ringkampfe mit den Mächten der Finsterniß
erprobt wurden./
Deshalb also läßt Gott die Versuchungen zu, um unsere
Sündhaftigkeit und Ausdauer zu prüfen. Denn es wäre
wahrlich nichts Großes, dann ein treuer Nachfolger Christi
zu sein, wenn der Weg zum Himmel nur mit Tröstungen er
füllt, nur mit weichen Blüthen bestreut wäre. Der Herr,
der die Dornenkrone getragen, wollte, daß auch seine Diener
auf dornigem Pfade ihr Ziel verfolgen. Muth also, meine
Christen, Muth unter den Dörnern der Versuchungen, sie sind
ja doch nur eine Probe unserer Sündhaftigkeit. Oder warum
ließ Gott unsere Stammältern durch die Schlange versuchen?
Weil sie als willensfreie Wefen beweisen mußten, daß sie aus
eigenem Antriebe ihm treu bleiben und den Lockungen des
Bösen widerstehen woklten. Oder warum versuchte er den
Abraham? Wollte er ihn etwa zum Mörder feines Sohnes
machen? Gewiß nicht, es war nur eine Probe seines Glau
bens und seines Gehorsams. Warum versuchte er den Tobias
und raubte ihm das Augenlicht? Weil, sagt der Erzengel
Raphael zu ihm,'' weil du Gott wohlgefällig warst,
mußte die Versuchung dich bewähren. Warum räumte
er dem Teufel eine so große Gewalt über Job ein, daß die
ser ihm alle Güter und selbst seine Kinder raubte und ihn
am ganzen Leibe mit der abscheulichsten Krankheit schlug? Es
war wieder nur eine Prüfung der Standhaftigkeit. Der hei
lige Paulus, der erste Einsiedler, der heilige Abt Antonius,

') 'lob. Xll. 13.


Die Parabel vom Siiemanne und vom Unlraute. 47

der hellige Jgnatius, der heilige PhUipp Neri, die heilige


Katharina von Siena, kurz unzählige Heilige hatten die fürch
terlichsten Anfälle des Teufels zu bestehen und wurden von
ihm mit den abscheulichsten Versuchungen zum Unglauben, zur
Unlauterkeit, zur Rache u. s. f. geplagt. Wollte sich etwa
Gott damit bloß ein Vergnügen machen und diese so sehr ge
liebten Seelen ohne allen Grund quälen? O! gestehen wir
es nur, es waren lauter Beweise seiner Liebe. Denn wen
Gott liebt, den züchtigt er; es waren bloß Prüfungen ihrer
Sündhaftigkeit; weil sie Gott wohlgefällig waren, mußte die
Versuchung sie bewähren^ -.
Wenn also Gott bei uns Versuchungen zuläßt, wenn sich
der Teufel uns naht und uns allerlei sündhafte Gedanken
eingibt, wenn er uns reizt, unsere Augen auf sündhafte Dinge
zu richten, unsere Ohren schlechten Reden zu öffnen, wenn er
uns bald mit Gedanken der Untreue, bald mit Regungen des
Mißtrauens, der Eifersucht, der Traurigkeit oder Verzweiflung
heimsucht, welchen Zweck, welche Absicht kann Gott dabei
haben, als unsere Liebe und Treue zu prüfen, unsere Aus
dauer und Sündhaftigkeit im Guten zu erproben und unseren
festen Willen ihm zu dienen noch fester zu machen? So lange
wir derlei Proben nicht bestanden haben, kann man nicht
sagen, daß wir ganz GoU ergebene, treuliebende Seelen, wahre
Nachfolger Christi sind.v > ,
Hielt ja fogar der Teufel die Tugend und Frömmigkeit
Jobs vor der Versuchung für eitel Blendwerk. Strecke
aus, sagt Satan zu Gott, deine Hand, taste an fein
Gebein und sein Fleisch, und dann wirst du sehen,
daß er in's Angesicht dich verwünschet. Jetzt, meint
damit der Böse, jetzt, weil's ihm gut geht, beobachtet er frei-
kich dein Gesetz; aber laß nur einmal Versuchungen über ihn
kommen, gib mir Gewalt über ihn, dann wirst du schon
sehen, wie unbeständig er ist und wie schnell er deinen Ge
boten untreu wird. Was da die alte Schlange spricht, ist
48 V. Sonntag nach Epiphanie.

nicht unrichtig. Unsere Tugend und Sündhaftigkeit muß er


probt werden, dann erst zeigt sich's, ob wir ächte Christen sind.'-
Was darum, schreibt der heilige Augustin, ^ was das
Feuer für das Gold ist, das sind die Versuchungen für die
Gerechten; und was das Feuer für Stroh und Spreu ist,
das sind die Versuchungen für laue und schlechte Menschen.
Das Feuer, wenn es Stroh erfaßt, verzehrt es und verwan
delt es in Asche; ebenso unterliegen laue Christen den Ver
suchungen und liefern eben dadurch den Beweis, daß ihre
Treue und Standhaftigkeit null und nichtig ist, daß sie leicht
sind wie Spreu, die der Wind zerstäubt, widerstandslos wie
Stroh, das ein Funke verbrennt. Umgekehrt wird das Gold
vom Feuer nicht verzehrt, es wird nur noch härter, noch
reiner und werthvoller. Ebenso werden gute und eifrige
Christen durch das Feuer der Versuchungen nur noch mehr
von allen Fehlern geläutert, werden rüstiger zu härteren
Kämpfen, standhafter im Guten und deshalb auch werthvoller
in den Augen Gottes. Der Apostel Jakobus sagt darum mit
Recht: 6 Haltet es für lauter Freuden, wenn ihr in
mancherlei Versuchungen gerathet. Denn eben dadurch
können wir vor Gott und vor der Welt den schönsten Be
weis ablegen, daß wir wahre und gute Christen sind.^
-Der andere Grund, warum Gott die Versuchungen des
bösen Feindes zuläßt, zielt nicht minder auf unseren Nutzen
ab. Wir sollen nämlich dadurch in der Tugend noch mehr
begründet werden. Das geht schon aus dem ersten Grunde
hervor. Je kampfgeübter der Krieger ist und je standhafter
er dem Feinde widersteht, desto mehr erwirbt er sich die Tu
gend der Tapferkeit; und je mehr der Christ dem Bösen
widersteht, desto geübter wird er im Guten, desto begründeter
in der Tugend. Der heilige Johannes Chrysostomus
zeigt uns dies durch einen Vergleich. Wie das Samenkorn

°) In ?«»!m. clli. — °) ^»ool>. i. 2.


Die Parabel vom Säemann« und vom Unlraute. 49

Regen braucht, sagt er,' ebenso brauchen wir Thränen. Und


wie das Erdreich, damit es Früchte und nicht Unkraut her
vorbringt, mit dem Pfluge durchfurcht und durchschnitten
werden, muß, so muß auch die Seele, damit sie ihre Härte
ablegt und statt des Unkrautes gute Früchte bringt, von Ver-
suchungen gequält werden. Die Früchte der Seele sind aber
eben die Tugenden. Die Versuchungen bezwecken also nach
Gottes Absicht den Fortschritt und die Begründung in der
Tugend./ . ., „.
Niemand wird ferner läugnen, daß der Teufel der größte
Feind Gottes und der Menschen ist, und daß er eben des
wegen immer nur das Gegentheil von dem will, was Gott
will. Während er uns also durch seine Nachstellungen schwach
und wankend machen möchte, will Gott uns standhaft und
muthig machen; und während jener durch feine Fallstricke uns
zur Sünde und zum Laster zu führen sucht, will Gott uns
in der Tugend und Heiligkeit bestärken. Der Teufel versucht
uns zur Unlauterkeit, damit wir nach Gottes Absicht dadurch
in der Tugend der Keuschheit noch vollkommener werden. Der
Teufel gibt uns Gedanken des Zweifels und des Unglaubens
ein; Gott also will dadurch unseren Glauben vermehren. Der
Teufel erweckt in uns Mißtrauen und Neid; Gott aber hat
dabei die Absicht, unser Vertrauen zu beleben. Und so könnte
ich alle Tugenden nacheinander durchgehen, und überall wür
den wir das gleiche Ergebniß habens
Ja ich darf sogar behaupten, es sei ohne Versuchungen
ein Fortschritt und eine Begründung in den Tugenden gar
nicht möglich. Denn wie sollte jener in der Geduld sich
üben, der nie zur Ungeduld versucht wird. Wie sollte ein Anderer
die Tugend der Sanftmuth sich aneignen, dem nie ein Anlaß
zum Unwillen und Zorn geboten wird? Wie sollten jene in
der Keuschheit, in der Demuth oder Gerechtigkeit höhere

^ in ru»im. exxv.
Lierheimer, Parabeln u, Wunder,
50 V. Sonntag nach Epiphame. ,

Tugendgrade erreichen, die zu den entgegengesetzten Lastern


nicht versucht werden? Gibt es aber ohne Versuchungen keinen
Fortschritt in der Tugend, dann ist auch wahr, daß dieselben
in der Tugend uns befestigen und somit nützlich für uns sind.
Darum hat jener fromme Jüngling, der bei seinem Tugend
streben von fürchterlichen Versuchungen gequält wurde, ganz
richtig seinem geistlichen Führer, welcher ihm fein Gebet ver
sprach, damit er von Versuchungen frei würde, geantwortet:
er möchte nicht um die Befreiung von der Versuchung, son
dern um die Gnade der Beharrlichkeit bitten; denn, setzte er
bei, seit ich Versuchungen erleide, bete ich länger, faste häufiger
und bin aufmerksamer auf mich selbst. ^ Seht, verehrte Zu
hörer, so wahr ist es, daß die Versuchungen der Hölle, wenn
wir ihnen mit Gottes Gnade, die nie fehlt, widerstehen, ge
rade das Gegentheil von dem bewirken , was der Feind
beabsichtigt./ ,,,'.. , ', . .
Namentlich aber sind es die Tugenden des Gottvertrau
ens und der Demuth, in welchen wir bei jeglicher Versuchung
noch fester begründet werden sollen. Sieht der Mensch sich
von den Netzen Satans umstrickt und von den Stürmen sei
ner Angriffe bedroht, dann fühlt er so recht seine Ohnmacht
und eilt den Knechten im Evangelium gleich zum Herrn, um
Mittel und Hilfe zur Ausrottung des Unkrautes zu finden.
Jhr habt, um mit dem heiligen Cyprian zu reden, " schon
öfter ein Kind in der Nähe feiner Mutter spielen sehen. So
lange es nichts Gefährliches erblickt, ist es guter Dinge,
glaubt Alles allein zu vermögen und hört gar nicht auf die
zärtlichen Rufe der Mutter. Kaum jedoch erregt ein Gegen
stand seine Furcht, so flüchtet es sich in den Mntterschooß,
hängt sich an die Kleider an und verbirgt sich darunter.
Solche Kinder sind wir alle. Droht keine Versuchung, so

°) Scaramelli, Anl. zur Ascese, II. Th. X.Abschn. II. Hptft. —


') v« provic!. ellp, 3. .<,:'.,
Die Parabel vom Säemaune und vom Unkraute. 51

sind wir stolz auf unsere Tugend und vergessen auf Gott.
Kommt aber eine Gefahr, dann empfinden wir unsere mensch
liche Schwachheit und fühlen, daß nur Gott uns helfen kann.
Demuth also und Gottvertrauen werden bei jeder Versuch
ung bezweckt. Wer dagegen sich auf sich selbst verläßt und
kein Vertrauen hegt, der wird bestimmt in der Versuchung
unterliegen./"
Wenn aber, verehrte Zuhörer, die Versuchungen unsere
Standhaftigkeit erproben und unsere Tugenden vermehren,
dann folgt wohl von selbst, daß sie drittens von Gott auch
deshalb zugelassen werden, um uns dadurch einen größereu
Lohn im Himmel geben zu können. Dies ist auch mit un-^"
zweideutigen Worten in der heiligen Schrift ausgesprochen.
So betet Sara, des jungen Tobias Frau, zu Gott:" Das
hält Jeder für gewiß, der dich ehrt, daß sein Leben,
wenn es in der Prüfung gewesen, gekrönt wird, und
wenn er in Trübsal gewesen, daß er erlöst wird,
und wenn er in Züchtigung gewesen, er zu deinem
Erbarmen gelangen kann. Denn du hast ja nicht
Freude an unserem Verderben, weil nach dem Sturme
du Ruhe gibst, und nach Thränen und Weinen mit
Frohlocken überschüttest. Der Heiland selbst verheißt
beim Evangelisten Lukas denen, die in Versuchungen standhaft
mit ihm ausharren, das von feinem Vater bestimmte Reich
und sagt," daß sie seine Tischgenossen sein werden im Him
melreiche. Ebenso spricht der Apostel Jakobus von der Sie
geskrone der Erprobten. Selig der Mann, sagt er, '° der
die Prüfung aushält, denn wenn er in ihr bewährt
ist, wird er die Krone des Lebens empfangen.v
Wenn aber Gott, wie aus diesen und vielen anderen
Schriftstellen hervorgeht, deshalb die Versuchungen zuläßt,

'°) l'ud. III. 2l, 22, — ") I.N0. XXII. 23 seqq. — ") ^»«.
I. 12.
4*
52 V. Eonntag nach Epiphame.

uM unfern Lohn im Himmel zu vermehren, dann wird es


auch nicht mehr schwer sein nachzuweisen, daß dieselben zu
Gottes Ehre und Verherrlichung gereichen. Wer aufmerksam
meinen Worten folgte, ja wer nur überhaupt weiß, daß wir
ohne Gottes Gnade nichts Gutes thun können, der wird auch
zugeben, daß der Sieg über den bösen Feind ein Werk seines
göttlichen Beistandes ist, wird zugeben, daß Gott unendlich
weise ist, indem er auch aus dem, was schädlich scheint, Nutzen
zieht und es zum Guten lenkt, wird mit einem Worte zu
geben, daß alle Vortheile, welche die Versuchungen bieten,
Gott zugeschrieben werden müssen, und wird deshalb auch
ihm die Ehre geben. Oder ist nicht Jesus gerade deshalb
im ganzen Judenlande so sehr gepriesen worden, weil ev
Macht hatte über die unreinen Geister und die Teufel ihm
gehorchten? Trägt nicht, wie aus dem heutigen Evangelium
hervorgeht, das Unkraut gerade dazu bei, die Allmacht .ulH
Gerechtigkeit Gottes noch deutlicher zu zeigen, indem er schließ
lich die Gerechten, die in der Versuchung Bewährten, auf
nimmt in sein ewiges Reich, die Gottlosen aber, die der
Stimme des bösen Feindes Gehör schenkten, von sich stößt
und sie der Gewalt desjenigen überläßt, dem sie im Leben
dienten und gehorchten?! . . ^ ,,
Man sage also nicht länger, Gott hätte besser gethan,
wenn er den Teufel ganz vertilgt hätte, denn Gott hätte da
durch eine Gelegenheit weniger zu seiner Verherrlichung, und
wir eine Gelegenheit weniger zur Erlangung besonderer Ver
dienste und einer strahlenderen Krone im Jenseits. Deswegen
können wir ganz dem heiligen August in beistimmen, welcher
schreibt:" „Der Teufel weiß gar nicht, wie viel Gutes durch
ihn geschieht, selbst wenn er 'ganz wüthend uns anfällt.
Wüthend drang er in das Herz des Judas, wüthend verräch
er Christus, wüthend kreuzigt er ihn, und doch wird durch

") in ?uu,»,. oxxx.


Die Parabel vom Säemanne und vom Unkraute. 53

den Gekreuzigten die ganze Welt erlöst. Sieh da, wie die
Wuth des Teufels dem Teufel selbst schadet, uns aber nützt."
Es gibt allerdings, ich kann diese Nebenbemerkung nicht
ganz unterdrücken, es gibt Leute, welche sich vom Teufel fast
gar nicht geplagt fühlen; aber ob das zu ihrem Vortheil ist
und ob es überhaupt ein günstiges Licht auf sie wirft, ist
nicht unschwer zu entscheiden. Ueberlassen wir die Erklärung
dem heiligen Franz von Sales, welcher sagt: „Die Hunde / ,
packen nicht die Hausgenossen, sondern nur fremde Leute an;
ebenso setzt auch der böse Feind jenen nicht zu, die ihm schon
zugehören." Diese Lösung, glaube ich, bedarf keines weiteren
Zusatzes. Gleichwie sich die Schlangen im Winter in Felsen
und Löcher verkriechen und Niemandem mit ihrem Gifte
schädlich sind, sobald aber der heiße Sommer beginnt, hervor
kommen und mit ihrem tödtlichen Gifte uns zu schaden suchen;
ebenso versucht die Schlange der Hölle jene Herzen nicht, in
denen es wie in einem kalten Winter ausschaut, während sie
warmen Herzen, die eifrig sind im Guten und sich der Tugend
befleißen wollen, nachstellt und ihnen mit dem Gifte ihrer
Versuchungen Verderben zu bereiten sucht. Würden jene kal
ten imd verrosteten Herzen aufthauen, ihr Sündenleben ver
lassen und reuig sich zu Gott wenden, dann würden sie als
bald erfahren, od ich die Wahrheit gesprochen habe. Doch
ich habe es heute zunächst mit Solchen zu thun, die von Ver
suchungen gequält werden. Jhnen will ich kürz noch einige
Mittel zum leichteren Widerstande an die Hand geben.

Zu den vorzüglichsten Mitteln , mit denen wir am leich


testen die Nachstellungen des bösen Feindes vereiteln und
unschädlich machen können, rechne ich, abgesehen von. dem gläu
bigen Vertrauen auf geweihte Gegenstände oder Sakramen
talien, die ich hier nicht einzeln aufzählen kann: Das bereit
willige Ausschlagen der Versuchungen, das Gebet, das Ver-
54 V. Sonntag nach Epiphanie.

trauen auf Gott und den Schutz der Heiligen und den Em
pfang der heiligen Sakramente./
Daß das bereitwillige Ausschlagen der Versuchungen,
und zwar gleich beim Beginne derselben, das zweckdienlichste
Mittel ist, versteht sich wohl von selbst. Wenn ein giftiges
Jnsekt auf euere Hand fällt, lasset ihr es wohl so lange lie
gen, bis es ench gebissen und vergiftet hat? Gewiß nicht.
Und was sind denn die Versuchungen anderes, als höllische
Jnsekten, die unserer Seele Verderben bereiten möchten?
Widerstehen wir ihnen also gleich anfangs mit allem Ernste.
Dieses Mittel rathen uns nicht bloß alle Lehrer des geist
lichen Lebens, sondern Gott selbst, indem er durch den heiligen
Paulus, spricht : " Wollet nicht Raum geben dem Teu
fel. Wenn dir Jemand sagte, gib Acht, daß sich kein Räuber,
kein Drache, kein Wolf in dein Haus einschleicht, so würdest
du dies ganz natürlich finden. Nun ist aber der Teufel der
allergefährlichste Räuber, der fürchterlichste Drache und der
grimmigste Wolf. Wie also, mußt du ihn nicht augenblicklich
zurückschlagen, wenn er es wagt, in dein Jnneres einzudrin
gen? Gib doch nicht Raum dem Teufel. Keinen Raum ge
ben heißt aber nicht bloß, den Teufel im Herzen nicht schallen
und walten lassen, als wäre er der Herr darin, sondern es
heißt auch, ihm gar keinen Zutritt gewahren. Will er unsere
Augen auf sündhafte Dinge hinwenden, so müssen wir gleich
den Blick davon abwenden; will er unsere Ohren bösen Re
den öffnen, so müssen wir sie augenblicklich denselben ver
schließen; will er uns mit unreinen Gedanken belästigen, so
müssen wir gleich jedes Wohlgefallen daran unterdrücken und
einen lebhaften Abscheu davor in uns erwecken. Dies bedeu
tet der Ausdruck: keinen Raum geben. ^
Mit diesem ersten Mittel muß aber auch das zweite
Hand in Hand gehen, nämlich Gebet und Wachsamkeit. Gerade

<) Dpbes. IV. 27.


Die Parabel vom Säemanne und vom Unkraute. 55

dieses Mittel empfiehlt uns der Herr am öftesten und nach


drücklichsten. Als die Leute schliefen, da säete der böse Feind
Unkraut. Deshalb ermahnt uns der Herr: ^ Wachet und
betet, damit ihr nicht in Versuchung fallet, ja er be
fiehlt uns sogar, täglich zu beten: '" Führe uns nicht in
Versuchung. Der Sinn dieser Bitte ist nicht, daß gar
keine Versuchungen über uns kommen sollen, denn wir haben
klar genug gesehen, wie nützlich dieselben sind und wie unver
meidlich im Leben, das ein Kriegsdienst ist; sondern wir
flehen, Gott möchte uns in der Versuchung nicht fallen, nicht
sinken lassen., <
Dieses Gebet aber und diese Wachsamkeit sind um so
nothwendiger, je schlauer es der höllische Feind anlegt, uns
in seine Netze zu ziehen. Der Versucher tritt nicht als Feind
sondern als Freund auf. Er stellt uns die Sünde, zu der
er uns verleiten will, nicht als Sünde dar, sondern als etwas
Gutes und Begehrenswerthes. Sieht er dich zum Beispiele
zu sinnlichen und fleischlichen Befriedigungen geneigt, so weiß
er sie dir höchst angenehm und lieblich zu machen. Will er
dich mit irdischer Habe fangen, fo weiß er den Geiz als
Sparsamkeit und Sorge für dein Auskommen darzustellen.
Kitzelt er dich mit Eitelkeit und vergänglicher Ehre, so über
schätzt er deine Verdienste. Kurz, er versteht es, dir jeglichen
Fehler als eine Tugend auszumalen. Aber, faget mir, Ge
liebteste, ist da nicht die größte Wachsamkeit nothwendig, um
nicht ' hintergangeu zu werden, braucht es da nicht eifriges
Gebet und innigen Anschluß an Gott, um Erleuchtung, um
Kraft von ihm zu erflehen. Ziehet darum diefe Waffenrüst
ung Gottes an und vergesset bei eurem Gebete nicht die vor
züglichste Waffe, das heilige Kreuzzeichen. Denn, sagt der
heilige Cyrillus, " sieht der Teufel das Kreuz, so denkt er

") u»ttb. XXVI. 41. — '°) Ibiä. IV. 13. — ") cawoli, IV,
56 V. Sonntag nach Epiphanie.

an den Gekreuzigten, der ihn am Kreuze überwunden hat,


und flieht. ,
Ein weiteres Mittel ist ein recht großes und lebendiges
Vertrauen auf Gottes Beistand und ein wirkliches Mißtrauen
in sich selbst. Für jene, spricht der Prophet Daniel, ^ die
auf Gott vertrauen, gibt es keine Beschämung. Um aber ein
solches lebendiges Vertrauen zu hegen, müssen wir von fol
genden Wahrheiten fest überzeugt sein: Erstens, daß der Teufel,
wie der heilige Auguftin sich ausdrückt, ein angeketteter Hund
ist, der uns nicht näher kommen kann, als Gott die Kette
nachläßt. Zweitens, daß, wie der Apostel uns versichert, "
Gott getreu ist, und uns nicht mehr versuchen läßt, als wir
ertragen können. Drittens endlich, daß Gott bei allen unseren
Kämpfen zugegen ist und uns Gnade und Stärke einflößt, um
zu siegen. Wer immer diese Wahrheiten festhält, in dem wird
ein wahres Vertrauen auf Gott sein, und Gott wird ihn
nicht zu Schanden werden lassen. So erzählt uns die Legende
von dem heiligen Einsiedler Antonius, daß ihm, nachdem er
eine heftige Versuchung des höllischen Feindes glücklich bekämpft
hatte, Jesus erschien, um ihn mit seiner süßen Gegenwart
zu trösten. Als Antonius seinen göttlichen Meister erblickte,
sprach er treuherzig zu ihm: Herr Jesus! wo warst du denn,
als ich so grausam versucht wurde? Und der Heiland ent
gegnete ihm: Jch war zugegen und sah dem Kampfe zu, den
du mit so unerschrockenem Muthe überstanden hast. Von einem
folchen Gottvertrauen war auch David beseelt, so daß er
sagen konnte:^ Wenn auch ganze Heereslager sich wi-
der mich erheben, mein Herz wird sich nicht fürch
ten; wenn eine ganze Schlacht gegen mich geliefert
wird, ich werde auf Gott hoffen. Fassen wir, Gelieb
teste, ein ähnliches Vertrauen, damit nicht auch uns der Vor
wurf treffe, welchen Christus den Aposteln machte, als sie sich

'°) v»n. Ul. 40. — ") I. coliutb. X. 13. — ") ?8Ä,Im. XXVI. 3.
Die Parabel vom Süemanne und vom Untroute. 57

beim Meeressturme fürchteten:" Was seid ihr furchtsam


ihr Kleingläubigen? Wenn die Stürme der Versuchungen
uns umtosen, wenn uns alle Hilfe entzogen und der Herr
zu schlafen scheint, er schläft nicht wirklich, er wacht für unser
Heil, und gebietet endlich: Schweig Satan, v
Das letzte Mittel endlich ist der fleißige Empfang der
heiligen Sakramente. Da dieses Mittel sich von selbst em
pfiehlt, so will ich nur mit ein paar Worten auf das Wich-
tigste hinweisen. Als die Jsraeliten in der Wüste gegen man
cherlei Gefahren zu streiten hatten, da schickte ihnen Gott
Brod vom Himmel, das Manna, von dem sie gestärkt zu
größeren Anstrengungen fähig wurden. Wie also, sollte das
wahre Manna, die göttliche Himmelssveise, nicht das wirk
samste Mittel sein zur Bekämpfung geistiger Gefahren und
Nachstellungen? Sagt es ja der Herr selbst:^ Kommet ihr
alle, die ihr mühselig und beladen seid, und ich will
ench erquicken, und ihr werdet Ruhe finden für eure
Seelen. Allein gleichwie jene habgierigen Israeliten, die
mehr Manna zusammenrafften, als sie essen konnten, keinen
Nutzen hatten, indem es voll Würmer wurde und faulte/"
so wird auch der Christ, der wohl communicirt, aber mit
Jesus nicht mitwirkt und die himmlischen Gnaden vergeudet,
keinen Nutzen haben, sondern vielmehr einer schweren Verant
wortung sich schuldig machen, da man nach den Worten des
Heilandes das Heilige nicht den Hunden vorwerfen darf."
Umgekehrt aber wird dort, wo eifriges Ringen nach Fort
schritt, ernstlicher Wille zum Guten und thätiger Kampf gegen
das Böse ist, die Kraft der heiligen Communion sich immer
sichtbarer zeigen und der unreine Geist immer ohnmächtiger werden.
Was ich vom heiligsten Altarssakramente sage, das gilt
anch vom heiligen Bußsakramente, namentlich dann, wenn man

") «uUli. Vlll. 26. — ") Ibiä. Xl. 28, — ") Lxock. XVl. 20.
— ") U»ttli. Vit. 6.
58 V. Sonntag nach Epiphame. Die Parabel vom Säemanne :e.

seine Versuchungen ohne Rückhalt aufdeckt. Denn gleichwie


nur jener Kranke geheilt werden kaun, der ohne Scheu alle
seine körperlichen Gebrechen dem Arzte miltheilt, so gilt das
Gleiche von den Krankheiten der Seele. Der Teufel ist, wie
ich schon mehrmals sagte,, ein Räuber, und hat darum auch
alle Eigenschaften eines Räubers. So lange sich dieser sicher
glaubt, übt er sein finsteres Handwerk aus, sieht er sich aber
entdeckt, so flieht er alsogleich. Geradeso flieht der Teufel,
wenn der Versuchte seine Nachstellungen nicht verheimlicht.
Beschönigungen und Bemäntelungen sind da ganz am unrech
ten Orte. Eilen wir darum recht oft zu den Gnadenquellen,
aber mit wahrem und nicht mit eingebildetem Seelendurste,
und wirken wir mit den Gnaden ernstlich mit; dann und nur
dann wird jeder neue Empfang ein neuer Sieg über unseren
Feind. Ueberlassen wir uns dabei auch den Armen unseres
heiligen Schutzengels und besonders unserer inniggeliebten
Mutter, der Hilfe der Christen, der Trösterin der Betrübten.
Zu ihr heißt uns die Kirche flehen: „Du beschütz uns vor
dem Feind;" sie nennt Maria den Meeresstern, der uns
voranleuchtet in der finsteren Nacht der Versuchungen, sie
nennt sie die Stadt der Zuflucht, die jedem Bedrängten Schutz
gewährt. Zu Dir al^o wenden wir uns aus diesem Thale
der Thränen, o Mutter der Barmherzigkeit, sei Schutzfrau
uns in jeder Gefahr, damit jene Schlange uns nicht schaden
könne, deren Haupt Du zertreten hast. Amen. >^ ' .

-?. ,>
^-> ^
Me Mrabel vom SenfKörnlein.
Analogie des Wortes Gottes mit dem hypostatischen
Worte.*)
(VI. Sonntag nach Epiphanie.)
Da« Himmelreich ist gleich einem Sciistörnlein. ziattli. Xlll. 31.

<^er dritte Schöpfungstag war angebrochen. Der schaf


fende Gott, welcher bereits das Licht durch fein allmächtiges
„Werde" in's Dasein gerufen, die Wasser von den Wassern
geschieden und das trockene Land gebildet hatte, sprach nun
sein drittes „Werde," und alsogleich brachte die Erde
Kraut hervor, das grünet und Samen tragt nach
seiner Art, und fruchttragende Bäume, die jeglichen
Samen haben nach ihrer Art.' Gott hat also an die
sem Tage die bisher kahle Erde nicht bloß mit dem schönsten
Schmucke geziert, sondern auch den Pflanzen, Kräutern und
Fruchtgewächsen aller Art die Kraft mitgetheilt, daß sie sich
immer erhalten und fortpflanzen können durch den Samen,
den sie hervorbringen; und fo haben wir seit Jahrtausenden

*) Da die Parabel vom Seiiflornlein und vom Sauerteige in ihrer


Bedeutung für die Kirche in meinen Vorträgen über die „Kirche Jesu
Ehristi," Regensburg 186s hinlänglich erklärt ist, so habe ich dafür ein
andere« Thema gewählt.
') 6eu. I. 12. , ,, ,' . ,,
60 VI. Sonntag nach Epiphanie.

den immer wiederkehrenden Wechsel, daß der Same Früchte


und die Früchte neuen Samen tragen krafl jenes „Werde,"
das Gott gesprochen./
Was in der natürlichen Welt geschah, das sollte in der
geistigen wiederholt werden. Auch in diese wollte Gott einen
Samen ausstreuen , der fort und fort Früchte trägt und nie
mals ausgeht, vorausgesetzt daß er in das rechte geistige Erd<
reich, in empfängliche Seelen, gelegt wird. Niemand kann
wohl darüber im Unklaren sein, was unter diesem geistigen
und übernatürlichen Samen zu verstehen sei, der zu einem
Baume heranwächst. Es ist das Wort Gottes. Ewig be-
wunderungswürdig ist jenes göttliche „Werde," durch welches
Jahr um Jahr die Erde mit neuem Grün sich schmückt und
neue Früchte hervorbringt , 'der Thierwelt und dem Menschen
zur leiblichen Nahrung. Doch ungleich mehr als für den
Leib ist Gott für unsere Seelen besorgt, deren Werth alle
anderen geschaffenen Dinge aufwiegt. Sollte er also in sein
geistiges Samenkorn, das die Seelennahrung bildet, nicht eine
ähnliche immer fortdauernde wirksame Kraft gelegt haben?
O gewiß; ein Mick auf die sittliche Welt genügt, um sich
davon zu überzeugen, die eben durch jenen Samen aus dem
Laster zur Tugend, aus der Verkommenheit zur Gesittung
geführt wurde. Es genügt ein Blick zum Himmel, wo alle
die Millionen von Heiligen Zeugniß von der Wundermacht
dieses göttlichen Samenkorns ablegen. Es genügt ein Blick
auf die Welttheile alle, wo dieses Wort verkündet wurde;
denn überall, wo der Boden gut war, trug und trägt es
fort und fort reichliche Früchte. Es genügt eill. Blick aus
die Seelen alle, die dieses Wort hören und befolgen, und
darin ihre höchste Seligkeit schon hienieden fühlen. Kurz, seit
fast zwei Jahrtausenden entfaltet der Same des göttlichen
Säemannes seine Macht und Wirksamkeit. Seine verhältuiß-
mäßig wenigen Lehren in den Evangelien, die wenigen An
stalten und Anordnungen, die er ursprünglich im Kreise der
Die Parabel vom Senfloniltin. 61

Zwölfe niederlegte, waren und sind seitdem hinreichend, um


den geistigen Hunger von Millionen und Millionen Menschen
zu stillen, um jedes edlere und höhere Sehnen und Streben
zu befriedigen, um bis an's Ende der Zeiten Alle zu beglü
cken, sie himmelwärts zu ziehen, ja selbst in den Himmel
einzuführen, die bereitwillig jenen Samen in sich aufnehmen./
Welche Wundermacht also besitzt das göttliche Samen
korn! Wer aber' verleiht ihm dieselbe? Lasset mich darauf
mit dem heiligen Apostel Paulus antworten, der am Anfange
seines Hebräerbricfts schreibt: ^ Nachdem Gott ehedem zu
verschiedenen Zeiten und auf mannigfache Art zu
den Bätern durch die Propheten geredet hatte, so
hat er zuletzt in diesen Tagen zu uns geredet durch
den Sohn, deu er zum Erben über Alles gesetzt,
durch den er auch die Welten erschaffen hat, der »ls
der Abglanz seiner Herrlichkeit und als Ebenbild
seines Wesens Alles durch das Wort seiner Kraft
erhaltend, nachdem er uns von Sünden gereinigt,
fitzet zur Rechten der Majestät in der Höhe. Der
Sohn also ist es, dessen „Werde" einst bei der Weltenschöpf
ung deM natürlichen Samenkorn jene zeugende Kraft verlieh,
und der Sohn ist es, der auch dem geistigen Samenkorn jene
himmlische Wundermacht mittheilt, weil es eben sein eigenes
Wort ist./, <- „.—
Wie wichtig also, verehrte Zuhörer, wie heilig muß uns
die göttliche Offenbarung, das Wort Gottes, die Lehre und
Verkündigung desselben erscheinen; mit welcher Liebe, mit
welcher Bereitwilligkeit müssen wir dasselbe aufnehmen! Doch
ich möchte euch in dieser Hochachtung vor dem Worte Gottes
heute noch mehr bestärken, und darum dürfen wir uns mit
diesen Gedanken nicht begnügen, sondern müssen noch etwas
weiter gehen, um die ganze Bedeutung desselben zu würdigen,

') »edl. I. 1-3. . ' , . , ' ' ,' .„


62 VI, Sonntag nach Epiphanie.

die es eben dadurch gewinnt, daß es nicht bloß ein von Chri
stus ausgesprochenes Wort ist, sondern in innigster Wechsel
beziehung zu ihm selbst steht, so daß zwischen dem Sohne
Gottes und seinem Worte eine Jdentität, eine Art Gleichheit
sich bildet. Der Gegenstand ist hoch und erhaben und erfor
dert innere Sammlung; flehen wir darum um Gottes Licht
und um seinen Beistand. Deine Gnade, o Jesus! sei mit uns!.

Vor Allem muß bemerkt werden, daß der Ausdruck:


Wort, Wort Gottes, in der heiligen Schrift eine doppelte
Bedeutung hat. Jm höchsten Sinne versteht die Schrift un
ter Wort die zweite Person der Gottheit, von welcher der
heilige Johannes im Beginne seines Evangeliums sagt: Jm
Anfange war das Wort, und das Wort war bei Gott,
und Gott war das Wort. Zweitens versteht sie aber auch
unter dem Worte die von Gott an das Menschengeschlecht
ergangenen Offenbarungen zu unserem Heile, die Heils- oder
Glaubenslehren, sei es nun daß dieselben unter besonderem
Beistande des heiligen Geistes aufgeschrieben, oder daß sie
durch mündliche Ueberlieferung fortgeerbt wurden, nämlich das
geschriebene und das überlieferte Wort Gottes, die heilige
Schrift und die Tradition. Gewiß, verehrte Zuhörer, liegt
schon darin ein eigener Werth für die Glaubenswahrheiten
oder die gesammte Offenbarungslehre, daß selbe mit dem ewi
gen Worte, der zweiten Person der heiligsien Dreifaltigkeit,
die gleiche Bezeichnung gemein hat.^
Doch diese Ähnlichkeit gestaltet sich noch viel großartiger,
wenn wir die Analogie zwischen beiden betrachten. Wir ver
stehen unter Analogie die Uebereinstimmung eines Dinges mit
einem anderen in bestimmten Eigenschaften oder Verhältnissen.
Welches nun ist die Analogie zwischen der zweiten Person der
Gottheit, dem ewigen unerschaffenen Worte, dem Sohne Got
tes, und der geoffenbarten Lehre, die wir der Kürze halber
Die Parabel vom Senfkörnlein. 63

das mündliche oder inspirirte Wort nennen wollen? Das


lmcrschciffene Wort ist von Ewigkeit, vom Vater erzeugt,
Gott von Gott; es hat aber auch in der Zeit die menschliche
Natur angenommen, das Wort ist Fleisch geworden, und
bleibt in dieser wunderbaren Vereinigung der beiden Naturen
zu Einer Person, die hypostatische Union genannt, durch alle
Zeiten geheimnißvoll unter uns gegenwärtig im heiligsten Sa
kramente des Altares. Das ewige Wort also kann betrachtet
werden: erstens als Person der heiligsten Dreifaltigkeit, zwei
tens in seiner Menschwerdung und drittens in der hochheiligen
Eucharistie. Es kann also als ewiges Wort aufgefaßt
werden, insofern es von Ewigkeit vom Vater erzeugt ist; als
zeltliches Wort, insofern es in der Zeit aus Maria die
menschliche Natur angenommen hat, und als geistiges, my
stisches Wort, insofern es im heiligen Opfer immer wieder
unter uns gegenwärtig wird. An diesen drei Beziehungen
nun des unerschaffeneu persönlichen Wortes hat auch das
mündliche Wort, die Lehre, den innigsten Antheil, zwischen
beiden herrscht wunderbare Uebereinstimmung oder Analogie,
und darin lieg> der Hochpunkt aller Glaubenslehren. Doch
fassen wir die einzelnen Punkte genauer in's Auge und wei
sen wir die Aehnlichkeit nach./
Nach der katholischen Lehre vom Geheimnisse der heilig
sten Dreifaltigkeit glauben wir von dem unerschaffenen Worte,
dem Logos, daß der Sohn von Ewigkeit her vom Vater er
zeugt, und daß diese Zeugung gleichsam eine Selbsterkenntniß
und Selbstaussprache des Vaters ist, daß folglich der Sohn
und der Vater ein und dieselbe Natur haben , daß der Sohn
der Abglanz, das Abbild des Vaters, die ewige Weisheit ist,
und daß endlich hinsichtlich des Verhältnisses der Dreieinigkeit
nach Außen zur Welt durch den Sohn Alles geschaffen und
die Menschheit erlöst wurde. Vergleichen wir nun damit das
mündliche oder verkündete Wort Gottes, und wir werden au
der Hand der heiligen Schrift wunderbare Aehnlichkeiten entdecken.
64 VI, Sonntag nach Epiphanie.

Jm Anfange war das Wort und das Wort war


bei Gott. Das unerschaffene Wort ist also vor aller Zelt, es
ist ewig. Und was sagt denn der heilige Paulus von dem münd
lichen Worte, von der Predigt des Evangeliums? Wir leh
ren, schreibt er den Konnthiern, ' Gottes Weisheit, die
geheimnißvolle, verborgene, welche Gott vor Beginn
der Welt zu unserer Herrlichkeit bestimmt hat, die
Keiner von den Fürsten dieser Welt erkannt hat.
Also auch die Lehre des Helles ist älter als die Welt, nimmt
Theil an der Ewigkeit des ewigen Wortes./
Der Sohn ist vom Vater erzeugt von Ewigkeit, d. h.
wie die heiligen Väter erklären, der Vater, der von Ewigkeit
sich selbst erkannte, hat von Ewigkeit sein ganzes Wesen aus
gesprochen, und diese Selbstaussprache ist der Sohn, der
darum Wort genannt wird, gleichwie auch unsere in Laute
gekleideten Worte der Ausdruck unseres inneren Gedankens
sind. Und was sagt denn der göttliche Heiland selbst von
seiner Lehre? Sagt er nicht, daß sie ebenso vom Vater aus
gehe, wie er selbst vom Vater ausgegangen ist? Meine
Lehre, spricht er,'' ist nicht mein, sondern dessen, der
mich gesandt hat. Wenn Jemand seinen Willen thun
. will, wird er inne werden, ob diese Lehre von Gott
sei. Und wieder: 2 Das Wort, welches ihr gehört habt,
ist nicht mein sondern des Vaters, der mich gesandt
hat. Jch habe nicht von mir selbst geredet, sondern
der Vater hat mir das Gebot gegeben, waö ich reden
soll." Das mündliche Wort hat also mit dem unerschaffenen
Worte auch seine Quelle, seinen Ursprung gemein; beide gehen
aus vom Vater.>
Durch die ewige Zeugung ist der Sohn der Abglanz des

») I. coi,mtb. II. 7. 8. — <) ^n»nn. Vll. l«, 17. — °) 1dl<l,


XIV, 24. — °) Ibill. XII. 49.
Die Parabel vom Senfkörnlein. 65

Vaters, die Offenbarung und Herrlichkeit des Vaters gewor


den, so daß uns ohne ihn nie eine nähere Kenntniß des Vaters
möglich geworden wäre; denn Niemand, wie der heilige
Johannes schreibt,' hat Gott gesehen, der eiugeborne
Sohn, der in des Vaters Schooß ist, der hat ihn ver
kündigt. Daher heißt, ihn sehen, so viel als den Vater
sehen. Denn als eines Tages Philippus zu ihm spracht
Herr, zeige uns den Vater, entgegnete ihm der Heiland:
Philippus, wer mich sieht, der sieht auch den Vater.
Deswegen nennt auch der Apostel Paulus Christus das Eben
bild des unsichtbaren Gottes, den Erstgebornen vor
der ganzen Schöpfung. ^ Auch hier, verehrte Zuhörer, tritt
uns also wieder die Ähnlichkeit zwischen dem unerschaffenen
und dem mündlichen Worte entgegen. Denn erst durch die
Lehren und Offenbarungen Christi ist uns ein Blick in das
innere dreieinige Liebeleben Gottes gestattet worden, durch
sie ist uns Gott als Vater gezeigt worden, zu dem wir nun
beten dürfen: Vater unser, der du bist iu dem Him
mel. Wie der Sohn Licht vom Lichte ist, so ist auch das gött
liche Wort ein Licht auf unseren Wegen, eine Leuchte, auf die
wir, wie der Apostel Petrus sagt, '" wohl Acht haben müssen,
um immerdar im Lichte zu wandeln./
Endlich ist in der Trinität das ewige Wort zugleich das
schaffende und erlösende. Alles, schreibt der Evangelist Jo
hannes, ist durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe
ist nichts gemacht, was gemacht ist." Und wer möchte
läugnen, daß das mündliche Wort Gottes es ist, durch wel
ches die ganze sittliche Welt gestaltet wurde? Jn Christo,
wie der Apostel sagt, " wird Alles neu hergestellt im
Himmel und auf Erden./ ,

') ^oaun.I.lß. — ') Ibis. XIV. 8, 9. — ') II, coiintli. IV. 4;


c)oluuz. I, 15. — '") Il.retl. I. 19. — ") ^uunu. 1.3. — ") Dpi!«u.
I. 10.
Lierheimer, Parabeln u, Wunder. 5
66 VI. Sonntag nach Epiphanie.

Wie innig also, verehrte Zuhörer, ist die Wechselbezieh


ung, wie herrlich die Analogie zwischen dem Worte Gottes
als Lehre und dem Worte Gottes als zweiter Person der
heiligsten Dreifaltigkeit! Was ist also die geoffenbarte Lehre
unter diesem Gesichtspunkte aufgefaßt? Sie ist eine ewige
Wahrheit, eine von Gott ausgegangene Wahrheit, eine Offen
barung Gottes des Vaters au das Menschengeschlecht, eine
himmlische Weisheit und die Ursache der moralischen Welt
erneuerung. Wie erhaben, wie heilig muß uns darum das
Wort Gottes und die Verkündigung desselben sein, durch
welche uns bald Vorschriften für unser sittliches Verhalten,
bald Geheimnisse aus den göttlichen Abgründen, die unseren
Verstand mit wunderbarem Lichte erfüllen, mitgetheilt werden!/
> Doch gehen wir noch weiter, indem wir das Verhältniß
des göttlichen Wortes als Lehre wie bisher zum ewigen so
nun zum menschgewordenen Worte betrachten. Der hei
lige Glaube lehrt: Das Wort, das vom Anfang an bei Gott
war, ist in der Zeit Fleisch geworden, empfangen vom hei
ligen Geiste, geboren aus Maria der Jungfrau. Es handelt
sich demnach hier zunächst um die wunderbare Empfängnis)
und Geburt des Sohnes Gottes./
Jn welchem Aehnlichkeitsverhältnisse steht nun dazu die
Lehre des Sohnes Gottes? Maria empfing in ihrem Schooße
das ewige Wort, als sie bei der Verkündung des Erzengels
sprach:" Sieh, ich bin die Magd des Herrn, mir ge
schehe nach deinem Worte. Sie vernahm mit dem leib
lichen Ohre die göttliche Kunde, und nachdem sie ihre Ein
willigung gegeben, ist das Wort Fleisch geworden. Und wie
nehmen denn wir das göttliche Wort in unseren Herzen auf?
Der Glaube, sagt der heilige Paulus, " kommt vom An
hören, das Anhören aber von der Predigt des Wor
tes Christi. Maria empfing durch die Gnadenwirksamkeit

') I>uo, I, L8. - ") Kom, X. 17.


Die Parabel vom Senfkörnlein. 6?

des heiligen Geistes; so können auch wir nur mit Hilfe der <e^
zuvorkommenden Gnade des heiligen Geistes Gottes Wort in
uns aufnehmen. Von Außen, wie der heilige Augustin sagt,
tönt das Wort an das Ohr, innerlich aber gibt Gott die
Gnade. Maria empfing das ewige Wort, als sie der Bot
schaft zustimmte. Empfangen nicht auch wir geistiger Weise
Christum, wenn wir dem Worte seiner Lehre zustimmen und
es glauben? Ohne allen Zweifel, wie der Apostel an die
Ephesier schreibt: '^ Durch den Glauben wohnt Chri
stus in euren Herzen; weshalb der ebengenannte heilige
Kirchenlehrer bemerkt: '^ „Wenn der Glaube in uns ist, so
ist Christus in uns." Daher auch der Ausdruck des Apostels
im Briefe an die Gakater: " Meine Kinder, die ich vom
Neuen mit Schmerzen gebäre, durch die Verkündigung
des göttlichen Wortes nämlich, bis Christus in euch ge
staltet wird./
Aehnlichkeit herrscht demnach zwischen der Empfängniß
des ewigen Wortes im Schooße Mariens und der Aufnahme
des Wortes der Lehre in unseren Herzen. Wenn daher Eli
sabeth Maria selig pries, indem sie sprach: '« Selig bist
du, weil du geglaubt hast, denn es wird erfüllt wer
den, was vom Herrn dir gesagt worden ist; sind dann
nicht ebenso die gläubigen Anhörer des göttlichen Wortes
glücklich zu preisen?/
Doch noch auffallender wird diese Aehnlichkeit, wenn wir
die zeitliche Geburt des ewigeu Wortes aus Maria in's Auge
fassen. Dadurch ist Maria die Mutter Gottes geworden.
Und wie, verehrte Zuhörer, nennt nicht der göttliche Erlöser
selbst auch jene seine Mütter, die das Wort Gottes hören
und es befolgen, d. h. durch Werke gleichsam gebären? Spen
det er nicht' jenen, die Gottes Wort bewahren, ein ebenso

") Lpneu. lll. n. — '°) I>»ot.49. in ^ulwu. — ") <3«I. IV. 19.
— ") I.UO. l. 45.
5*
68 VI. Sonntag nach Epiphanie,

großes Lob wie jener, die ihn geboren: " Selig sind, die
das Wort Gottes hören und es befolgen? Wahrlich,
Geliebteste, in eine innigere Verwandtschaft könnte das münd
liche Wort zum unerschaffenen Worte nicht mehr gebracht
werden, als es hier von dem göttlichen Heilande selbst ge
schieht. Darum hat der heilige Johannes Chrysostomus
ganz Recht, wenn er sagt: "" „Es ist etwas furchtbar Großes
und Wichtiges, wenn die Menschen, die das Wort Gottes
glauben und befolgen, Mütter Gottes genannt werden.^
Fast möchte ich, verehrte Zuhörer, da Größeres zum Lobe
des Wortes Gottes kaum mehr gesagt werden kann, hier ab
brechen, wenn ich es mir nicht zur Aufgabe gemacht hätte,
euch nach allen' Seiten von der engsten Wechselbeziehung zwi
schen dem Worte Gottes als Sohn Gottes und als Lehre
Gottes zu überzeugen. Sehen wir uns darum auch den
Zweck der Menschwerdung noch etwas näher an. Es ist ge
wiß, daß die Welt im Pfuhle der Laster und in der Finster-
niß des Heidenthums verblieben wäre, wenn das Wort nicht
Fleisch geworden wäre. Aber ebenso gewiß ist, daß der Er
löser als Lehrer auftreten mußte, um die Menschen über
ihren Zustand und ihre Bestimmung aufzuklären und ihnen
die Mittel an die Hand zu geben, wodurch sie zu der' ver
lornen Gottähnlichkeit zurückgelangen konnten./
Die Verkündigung des göttlichen Wortes ist darum von
nicht geringerer Nothwendigkeit als die Menschwerdung des
ewigen Wortes; und daher auch der den Aposteln so feierlich
ertheilte Auftrag:°' Gehet hin, und lehret alle Völker;
daher die Uebertragung seiner eigenen Sendung auf die Apo
stel:'" Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich
euch; daher die Verheißung, daß, gleichwie er Eins ist mit
dem Vater, er ebenso Eins bleiben werde mit seinen stellver-

")I.n<>. Xl. 28. — "') Now. cle 8pir. u. — ") Nattb. XXVIII. 18.
'") ^„»lw. XX, 21.
Die Parabel vom Senfkornlein. 69

tretenden Lehrern:"' Seht, ich bin bei euch alle Tage


bis an's Ende der Zeiten: daher endlich der Beistand des
heiligen Geistes, damit seine Lehre stets unfehlbar und unver
fälscht erhalten werde:" Der heilige Geist wird euch
Alles lehren und euch an Alles erinnern, was ich
euch gesagt habe. Seht, solche Anstalten, solche Vorsorge
trifft die ewige Wahrheit für ihr heiliges Wort. Und mit
allem Grunde. Denn wie der Herr selbst der Seligmacher
ist, so sollte auch sein Wort ein seligmachendes sein. Neh
met, schreibt der heilige Jakobus, ^ mit williger Hingeb
ung das eingepflanzte Wort an, das eure Seelen /
retten kann. Zum Beweise der Wahrheit des Glaubens
und seiner Worte ist er von den Todten auferstanden; aber
er schreibt auch unsere Auferstehung seinem Worte zu, wenn
er spricht: °" Wahrlich, wahrlich sage ich euch: Wenn
Jemand mein Wort halten wird, der wird den Tod
ewig nicht sehen. Wie er persönlich die Unwissenden be
lehrte, die Jrrenden zurechtwies, die Verstockten rügte und
Alle zur Vollkommenheit führen wollte; so bleibt immerdar
sein Wort nützlich, wie es im zweiten Briefe an Timotheus
,heißt,^ zur Belehrung, zur Zurechtweisung, zur
Besserung, zur Unterweisung in der Gerechtigkeit,
damit der Mensch Gottes vollkommen werde, zu je
dem guten Werke geschickt./ ^
Wie er selbst der Weg, die Wahrheit und .das Le
ben ist, °6 so zeigen seine Worte den Weg zum Himmel,
sind Wahrheit, sind Geist und Leben; er hat, wie Petrus
sprach, °" Worte des ewigen Lebens. Wie von ihm ge
sagt wird:'" Jesus Christus ist gestern, und heute,
und in alle Ewigkeit Ebenderselbe; so gilt das Näm-

'") zlnttl!. XXVIII. 20. — ") ^o«nn. XIV. ^6. — ") ^lvub.
I. 21. - ">) ^oaun. VIII. 51. — ") II. Nmach. III. 16, 17. —
") ^u»nn. XIV. 6. — ") Ibiä. VI. 69. — ") Nebr. XIII. 8.
70 VI, Sonntag nach Epiphanie.

liche von seinem Worte: ^ Himmel und Erde werden


vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen;
und noch schärfer drückt er sich beim Evangelisten Lukas
aus:^ Es ist leichter, daß Himmel und Erde ver
gehen, als daß ein einziges Pünktlein vom Gesetze
wegfalle./
Daher sind auch in der heiligen Schrift die Ausdrücke
ganz gleichbedeutend: den Glauben predigen, das Wort Got
tes predigen, Jesum Christum predigen. Daher ferner heißt,
Verkundiger des göttlichen Wortes hören oder verachten, so
viel als Jesum hören oder verachten:" Wer euch hört,
der hört mich, und wer euch verachtet, der verachtet
mich. Daher endlich heißt Jesum lieben soviel als sein Wort
lieben und halten:" Wenn mich Jemand liebt, spricht
er, so wird er mein Wort halten, und mein Vater
wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen
und Wohnung bei ihm nehmen. Wer mich nicht liebt,
der hält auch meine Worte nicht./
Doch genug, verehrte Zuhörer. Meine gedrängte Zu
sammenstellung wird wohl hinreichend die innige Harmonie
und die herrliche Analogie zwischen dem mündlichen Worte
Gottes und dem ewigen Worte, sowohl als zweite Person der
heiligsten Dreifaltigkeit an sich, als als menschgewordenes
Wort dargethan haben. Möchte sie aber auch mit Gottes
Gnade bewirken, daß dadurch eure Hochachtung vor dem Worte
Gottes wo möglich noch mehr befestigt werde und daß ihr
dadurch zu noch eifrigerer Befolgung desselben ermuntert würdet.
Allein ich bin euch noch die Erklärung einer dritten Ana
logie schuldig, nämlich zwischen dem mündlichen Worte
Gottes und dem eucharistischen Worte./

") Mttb. XXIV. 35. — ") I.UO. XVI. 17. — ") I>no. X. 16.
") ^u»nu. XIV. 23. 24.
Die Parabel vom Senfkörnlein. ?l

Wir haben bisher die innige Beziehung des mündlichen


Wortes Gottes zu Gott dem Worte von Ewigkeit und zu
dem sieischgewordenen Worte, d. h. zu Jesus dem Sohne
Gottes in der Ewigkeit und zu Jesus in der Zeit kennen
gelernt; es erübrigt uns noch das Verhältniß des mündlichen
Wortes zum eucharistischen Worte, d. h. zu Jesus im Ge
heimnisse des Nltares, im heiligen Opfer. Beim unblutigen
Opfer des neuen Bundes unterscheiden wir die Handlung des
Dieners Christi, die Gaben, welche dargebracht werden, und
die Verwandlung dieser Gaben in das Gott wohlgefälligste
Opfer, in den Leib und das Blut Jesu Christi. Es ist der
Priester, welcher die Stelle Jesu vertritt und die Opfergaben
des Brodes und Weines darbringt, die dann durch das Wort
der Consecration verwandelt werden in das übernatürliche
Brod, das vom Himmel herabkommt, in das vollkommenste
Opfer, das Gott dargebracht werden kann./
Auch zwischen diesem Opfer nun, durch welches Jesus
bleibend unter uns gegenwärtig wird, und dem mündlichen
Worte, den Lehren des Heiles, findet eine schöne Analogie
statt. Es ist der heilige Apostel Paulus, der uns dieselbe in
seinem Briefe an die Römer aufdeckt, wenn er schreibt:^
Jch bin ein Opferdiener Christi Jesu an die Heiben,
priesterlich verwaltend das Evangelium Gottes, da
mit die Heiden als ein angenehmes und durch den
heiligen Geist geweihtes Opfer Gott dargebracht
werden. Das mündliche Wort Gottes erfordert also ebenso
wie das eucharistische Opfer einen Diener Jesu Christi. Wie
bei diesem die sichtbaren Gaben dargebracht werden, so wird
hier das Evangelium, das lebendige Wort, verkündet, und
wie jenes »das Gott wohlgefälligste Opfer ist, so werden auch
die Heiden durch das Wort Gottes ein Gott wohlgefälliges
Opfer; es ist eine Art Verwandlung, indem durch das Wort

b) Low. XV. 16.


72 VI. Sonntag nach Epiphame.

die Ungläubigen in Gläubige, die Unreinen in Reine, die


Sünder in Gerechte, die Heiden in Christen umgestaltet wer
den. Wie das Wort der Consecration das Brod in Christi
Leib verwandelt, so werden die Menschen durch das münd
liche Wort zur Kirche, zum mystischen Leibe Christi geführt
und als Glieder mit demselben verbunden. Und wie das
unblutige Opfer an allen Orten als reines Opfer dargebracht
wird bis an's Ende der Zeiten, damit die Verdienste Jesu
Christi allen Zeiten und allen Völkern zu gut kommen können;
so wird das Wort Gottes verkündet werden zu jeder Zeit bis
an die Gränzen der Erde, damit durch diese geheimnißvolle
Opferung, die Ausbreitung des Evangeliums, Alle zu Gläu
bigen und zu Gliedern Jesu Christi gemacht werden. Das
also wäre die herrliche Uebereinstimmung des mündlichen Wor
tes Gottes mit dem ewigen Worte im heiligsten Sakramente
des Altars.,
Daher machten auch von jeher in der Kirche das Opfer
und die Verkündigung des Wortes die wesentlichen Theile des
Gottesdienstes, immer blieben beide innig mit einander ver
bunden, und sind noch miteinander verbunden bei jedem hei
ligen Meßopfer; denn immer geht dem Opferacte die Epistel
und das Evangelium voraus. Jn den Lesungen aus der hei
ligen Schrift, in der Epistel und im Evangelium, redet Chri
stus zu seinen Gläubigen, während er in der Opferhandlung
selbst unter ihnen gegenwärtig wird, und so das mündliche
und das unerschaffene Wort gleichzeitig zugegen sind. Daher
wird auch das Evangelienbuch ebenso incensirt wie der Altar
und das heiligste Sakrament, weil ja das Evangelium Je
sus, der zu uns redet, repräsentirt. Daher ist der Eidschwur
auf das Evangelienbuch ebenso heilig, wie der Eidschwur auf
das hochwürdigste Gut. Daher wird auch das Evangelien
buch bei allen allgemeinen Kirchenversammlnngen mitten unter
den Bischöfen und Lehrern aufgestellt, und sind sie um dasselbe
ebenso geschaart wie die Apostel um Christus.^
Die Parabel vom Senfkörnlein. 73

Doch noch wichtigere Analogien lassen sich zwischen dem


mündlichen und dem eucharistischen Worte nachweisen. Welche
Wirkungen verheißt denn der göttliche Heiland dem würdigen
Empfange des heiligsten Sakramentes? Er sagt, daß derselbe
ewiges Leben bereite, Auferstehung am jüngsten Tage und
himmlische Glorie. Ganz die gleichen Wirkungen nun ver-
spricht er auch der gläubigen Aufnahme seiner heiligen Lehre.
Von dem Genusse des eucharistischen Brodes sagt er:'" Wer
von diesem Brode ifft, der wird leben in Ewigkeit.
Und was sagt er vom Glauben an sein Wort, an seine
Lehre?^ Wer an mich glaubt, der hat das ewige Le
ben. Von dem eucharistischen Brode sagt er wieder:^ Wer
mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, der hat das
ewige Leben, und ich werde ihn auferwecken am jüng-
sten Tage. Vom Brode des göttlichen Wortes aber erklärt
er:^ Wahrlich, wahrlich ich sage euch: wer mein
Wort hört und dem glaubt, der mich gesandt hat,
der hat das ewige Leben und kommt nicht in's Ge
richt, sondern ist vom Tode zum Leben übergegangen.
Und wieder:" Wahrlich, wahrlich ich sage euch: wenn
Jemand mein Wort hält, wird er in Ewigkeit den
Tod nicht sehen./
Die heilige Communion ist endlich ein Unterpfand der
himmlischen Glorie; aber ebenso sagt der Herr von den Ge
rechten, die aus dem Glauben leben und in deren Seelenacker
der gute Same gedieh und das Unkraut nicht aufkommen
konnte, daß sie leuchten werden wie die Sonne im Reiche
ihres Vaters. Und wie hinwieder die unwürdige, sakrilegische
Communion ein Hineinessen des Todes und des Gerichtes ist, so
führt der Unglaube gegen das Wort Gottes zur Verdammung.
Wer mich verachtet, sagt Christus," und meine Worte

'°) ^u»rm. VI. 52. — ") Ibicl. v. 47. — ") Ibiil. v. 55. —
') Idiä. V. 24. — ") Idiä. VlII. 51 ' — ") Ibiä. Xll. 48.
74 VI. Sonutag nach Epiphanie.

nicht aufnimmt, der hat Einen, welcher ihn richtet.


Das Wort, das ich geredet habe, wird ihn richten
am jüngsten Tage./
Nach solchen Aussprüchen aus dem Mnnde der ewigen
Wahrheit dürfen wir uns darum nicht mehr wundern über
folgende ernste Stelle aus den Schriften des heiligen Augu
stinus:" „Jch frage euch, Brüder, was dünkt euch mehr,
der Leib Christi oder das Wort Christi? Wenn ihr die
Wahrheit gestehen wollet, so müsset ihr sagen, daß das Wort
Gottes nicht geringer ist als der Leib Christi. Gleichwie wir
darum bei Darreichung des Leibes Christi sorgfältig Acht
geben, damit nichts auf die Erde falle, so müssen wir mit
-gleicher Sorgfalt Acht geben, daß uns, wenn uns das Brod
des göttlichen Wortes gebrochen wird, nicht etwa durch ander
weitige Gedanken oder Reden dasselbe aus reinem Herzen
verloren gehe. Denn, schließt der Heilige, nicht minder schul
dig ist, wer das Wort Gottes nachlässig anhört, als der,
welcher den Leib Christi durch seine Nachlässigkeit auf die
Erde fallen läßt.">
Wird es nun, verehrte Zuhörer, nach Allem, was ich
bisher über die Erhabenheit des Wortes Gottes und dessen
innige Beziehung gesagt habe sowohl zu dem ewigen Worte,
das von Anfang an bei Gott und selbst Gott war und mit
dem es die gleiche Quelle des Ursprungs gemein hat, als
auch zum menschgewordenen Worte, das von Maria empfan
gen und geboren wurde und das auch uns eine geistige Mut
terschaft Jesu Christi verschafft, als endlich zum eucharistischen
Worte und der innigen Verbindung mit ihm im heiligsten
Sakramente des Altares, womit es die gleichen Wirkungen
theilt; — wird es, sage ich, nach allem diesen noch nothwen-
dig sein, einerseits die furchtbare Sünde jener zu zeigen,
welche das Wort Gottes geringschätzen und hintansetzen, oder

") I^ib. yuiu<jn. lwuiil, Ilom, 26.


Die Parabel vom Senfkönilein. ?5

anderseits das Glück und den Nutzen der gläubigen Hörer


und Befolger des göttlichen Wortes darzuthun? Jch rede
ja, kann ich mit dem Apostel sagen," zu Solchen, welche
das Gesetz kennen; ich rede, kann ich mit dem göttlichen Hei
land sprechen," "zu denen, welchen es gegeben ist, die Ge
heimnisse des Reiches Gottes zu verstehen; ich habe keine Solchen
vor mir, die sehend nicht sehen, und hörend nicht verstehen./
Darum halte ich es auch nicht für nothwendig, euch noch
länger zu einem recht lebendigen Glauben an das Wort Got-
tes aufzufordern, da ja an das Wort Gottes glauben so viel
ist als an Gott selbst glauben; darum dünkt es mir ferner
überflüssig, euch zu einer recht großen Liebe zum Worte Got
tes zu ermuntern, da ja das Wort Gottes lieben so viel
ist als Jesnm lieben; darum will ich euch nicht länger
vor allen Jrrlehren und vor den falschen Grundsätzen
der Welt warnen, auf daß ihr nicht herumgetragen werdet
von jedem Winde der Lehre in der Bosheit der Menschen,
weil Gottes Wort fester steht als Himmel und Erde; nicht
will ich länger in euch dringen, über dem Zeitlichen das
Ewige nicht zu vergessen, da ihr ohnehin wisset, daß Reich
thümer und Wohllüste des Lebens den Dörnern gleich das
göttliche Samenkorn ersticken. Aber bitten will ich euch, ver
ehrte Zuhörer, bitten um Jesu und um eurer Seelen willen,
immer hoch die Fahne der göttlichen Wahrheit zu erheben,
immer die Waffenrüstung des Glaubens zu tragen und so
als Gottesstreiter muthig zu kämpfen gegen alle Lockungen
der höllischen Vögel, gegen alle Versuchungen von Außen und
gegen alle sündhaften Neigungen in uns selbst. Wie hat
denn der göttliche Heiland alle Versuchungen des bösen Gei
stes überwunden, als dieser ihn in der Wüste zur Augenlust,
zur Fleischeslust und Hoffart des Lebens verleiten wollte?
Er hat ihn geschlagen mit dem Worte Gottes:" Es steht

") Ii«W. VII. 1. — ") I^uo. VIII. 10. - ") «»ttli. IV.
76 VI. Sonntag nach Epiplianie. Die Parabel vom Senfk'ornlem.

geschrieben, du sollst Gott deinen Herrn anbeten


und ihm allein dienen. Es steht geschrieben, der
Mensch lebt nicht allein vom Brode, sondern von
jedem Worte, das aus dem Munde Gottes kommt.
Kämpfen auch wir auf diese Weise, erinnern wir uns, daß
nur der Glaube und der Gehorsam gegen Gottes Wort alle
Geschoße des Widersachers vereitelt, und widerstehen wir
standhaft im Glauben; dann wird kein Unkraut im Acker un
serer Seele aufkommen, keine Disteln und Dörner der Sünde
werden wachsen, wohl aber werden wir gleich dem Senfkörn-
lein zu einem großen Baume heranwachsen und Früchte brin
gen für das ewige Leben. Amen.^
V.

Die Arbeiter im Meinberge. .


(Ssnntag Septuageslmü.)
Gehet auch ihr in meinen Weinberg. ,Nnttli. XX. 4.

,>^er erste Festkreis des katholischen Kirchenjahres ist ab


gelaufen, wir sind mit dem heutigen Sonntage in den zweiten
eingetreten. Der Weihnachtscyclus bezog sich vorzugsweise
auf die Geheimnisse aus dem Jugendleben des Erlösers. Nun
beginnen wir die Vorfeier der heiligen Osterzeit. Dieselbe
zerfällt in eine doppelte, in eine entferntere und eine nähere.
Letztere beginnt mit dem Aschermittwoche, erstere mit dem
Sonntage Septuagesimä, dem Sexagesimä und Quinquagesimä
folgen. Je nachdem nämlich in früheren Zeiten an einzelnen
Orten die Fasten mit oder ohne Unterbrechung, mit oder ohne
Beizählung der Sonntage gehalten wurden, begann man
siebenzig, sechzig oder fünfzig Tage vor Ostern, woher die
Benennungen der Sonntage Septuagesimä, der siebenzigste,
Sexagesimä, der sechszigste Tag u. s. f. stammen. Daraus
geht von selbst hervor, daß diese Zeit entsprechend dem Ad
vente eine Bußzeit ist. Jn der römischen Kirche wurde die
Fasten mit dem Sonntage Quadragesimä begonnen; da aber
die Sonntage ausfielen, so wurden um die vierzig Tage voll
zu machen, vier Tage vor demselben, also vom Aschermitt
woche an, hinzugerechnet. Dies der Grund, warum diese
Tage bis zum Aschermittwoche noch nicht Fasttage sind.
78 Sonntag Septuagesimü.

Aber dessenungeachtet verlangt die Kirche, daß wir jetzt


schon auf diese ernste Zeit uns vorbereiten, nicht nach dem
Sinne der Welt, die gerade jetzt um so toller wird, je mehr
der heidnische Carneval seinem Ende zugeht. Die Kirche will,
daß wir wirklichen Carneval feiern, d. h. das thun, was das
Wort Carneval sagt. Woher kommt denn dieses Wort? Es
ist aus zwei lateinischen Wörtern zusammengesetzt: <Ü2ic,,
Fleisch, und vale, lebe wohl, also „Fleisch! lebe wohl;"
wjr sollen dem Fleischlichen entsagen und auf Ueberirdisches
denken. Aber die Welt macht aus dem (^»ro vale ein lüura
vivat, und lebt und huldigt nur dem Fleische. Die Kirche
hüllt sich bereits in violette Farbe, das Symbol der Buße,
die Welt aber legt Narrenkleider an. Die Kirche singt von
heute an bis Ostern kein fröhliches Alleluja mehr; die Welt
dagegen erfreut sich an Lärm und Lustbarkeiten. Die Kirche
setzt an die Stelle bes Alleluja das ernstere I^aus tibi Oc>.
iniue, rex aeternas ^loriae, Lob sei dir, o Herr, du
König der ewigen Glorie; die Welt aber lobt sich selbst
und denkt statt an die Ewigkeit auf das Allervergänglichste
und Niedrigste. Die Kirche ruft uns jetzt im Eingange der
priesterlichen Tagzeiten zu: Lasset uns frühzeitig kom
men vor das Angesicht des Herrn und in Psalmen
ihm frohlocken; die Welt aber fordert auf zu Tanz und
Spiel, zu ausgelassenen Reden und noch ärgeren Dingen,
sie beginnt frühzeitig und hört endlich auch am frühen Mor-
gen auf, während andere gute Christen schon auf dem Wege
zur Kirche sind.
Noch schärfer tritt dieser Gegensatz hervor, wenn wir
die Evangelien des heutigen und der folgenden Sonntage be
trachten. Heute nämlich wird uns deutlich gesagt, daß unsere
irdische Lebenszeit nicht eine Zeit der Trägheit und der Sünde
sondern der Arbeit sein soll, um einmal den himmlischen
Zehner, die ewige Seligkeit, zu verdienen. Am Sonntage
Sexagesimä werden wir aufgefordert, den Samen des göttlichen
Die Arbeiter im Weinberge. <9

Wortes nicht in unfruchtbaren Boden fallen zu lassen, son


dern ihm ein empfängliches Herz zu öffnen. Und am Sonn
tage Quinquagesimä erinnert uns die Kirche an das Leiden
des Heilandes und an die Heilung des Blinden bei Jericho,
damit auch wir von geistiger Blindheit uns heilen lassen und
nicht länger dem Lichte der Wahrheit unser Jnneres ver
schließen. Damit wäre der Charakter dieser Zeit bis zum
Aschermittwoche, wie sie von der Kirche aufgefaßt wird, er
klärt, und Gott gebe, daß sie auch von euch Allen in diesem
Sinne erfaßt und durchlebt werde.
Nun wollen wir das heutige Evangelium selbst näher
erwägen, das uns, wie gesagt, die Aufgabe und das Ziel der
ganzen Menschheit und jedes einzelnen Menschen nahelegt.
Wie der Hausvater ausging, um Arbeiter in seinen Weinberg
zu gewinnen, so ist jede Predigt ein Ausgehen, um für das
Himmelreich zu werben durch Belehrung und Ermahnung.
Jn dieser Absicht rede ich und in dieser Absicht möchte ich
gehört werden, und darum siehe ich für mich und euch um
den göttlichen Beistand. Deine Gnade, o Jesus! sei mit uns./

Das Himmelreich, sagt unser Herr und Erlöser, und die


Art und Weise, wie Gott die Menschen in dasselbe führt,
gleichen einem Hausvater, der Arbeiter in seinen Weinberg
sucht und sich deshalb auf den Markt, in die Welt, begibt,
um Leute zu dingen. Gleichwie aber jener Hausvater zu
verschiedenen Stunden des Tages ausging, ebenso ruft Gott
zu verschiedenen Zeiten die Menschen zu seinem Dienste, zum
wahren Glauben, zur Ausbreitung der Kirche und zur Ver
mehrung der Zahl der Heiligen im Himmel. Man kann
darum mit mehreren Vätern, wie mit Jrenäus, Athanasius,
Hilarius und Gregorius, die verschiedenen Zeitepochen vom
Anfange bis zum Ende der Welt, oder mit anderen, wie
Basilius, Hieronnmus und Chrysostomus, die verschiedenen
80 Sonntag Septuagesimä.

Altersstufen der einzelnen Menschen verstehen, eben weil Gott


das gesammte Menschengeschlecht und jedes einzelne Glied
desselben zum Heile ruft. Wir werden diese beiden Erklär
ungen nacheinander in's Auge fassen.,
Schon die Propheten bezeichnen die alttestamentliche Kirche,
die Zeit vor Christus, öfters als einen Weinberg, und ver
stehen darunter zunächst das auserwählte Volk Gottes. So
zum Beispiele spricht Gott durch Jeremias zu Jsrael: ' Jch
hatte dich gepflanzt als erlesenen Weinberg.
Oder durch Joel:^ Ein Volk machte meinen Weingar
ten zur Wüste. Aehnliche Andeutungen finden sich bei
Jsaias und Ezechiel. Diesen entsprechend legen auch die ge
nannten Väter die einzelnen Tagesstunden aus, in denen der
Hausvater ausging.
Schon am frühesten Morgen kam er, um Arbeiter
zu gewinnen. Darunter verstehen sie das erste Weltalter von
Adam bis Noe. Denn schon in der ersten Stunde wurde
der erste Mensch gerufen und in den Lustgarten gesetzt, um
ihn zu bebauen und zu bewahren. Aber dieser erste Arbeiter
war ein treuloser Knecht, er begnügte sich nicht mit den
Früchten des Paradieses, sondern begehrte auch nach dem
vom Teufel gebotenen Apfel. Dennoch erbarmte sich der
Hausvater wieder, ließ Gnade für Recht ergehen und berief
ihn noch einmal, um, freilich im Schweiße seines Angesichtes,
den Weingarten als Thränenfeld zu bebauen. Abel sein Sohn,
ist ein fleißiger Arbeiter, Kam dagegen will nichts wissen vom
Dienste, und der nun eingetretene Zwiespalt zwischen Guten
und Bösen erbt sich fort in der Scheidung der Gotteskinder
und Menschenkinder. Letztere arten aus, und die ersteren verblei
ben dergestalt in der Minderheit, daß zuletzt nur Noe noch
und seine Familie im Weinberge des Herrn arbeiteten.
Daher vertilgte Gott auch, als der Abend dieses ersten Zeitalters

') ^lem. ll. 21. — ') io«I l. 7.


Die Arbeiter im Weinberge. 81

gekommen war, das ganze Menschengeschlecht mit Ausnahme


der Familie Noe's. Sie alle waren mit dem Herrn um
einen Zehner, einen Denar, übereingekommen. Der Denar
trug das Bildniß des Kaisers, wie unsere Münzen das Bild
des Königs. Volle Ebenbildlichkeit des Menschen mit Gott
war der Preis, der bei Adams Schöpfung verheißen war.
Aber das Ebenbild Gottes wurde ein Sklave Satans.
Dennoch geht der Hausvater um die dritte Stunde
wieder aus und sucht Arbeiter in seinen Weinberg. Diese
dritte Stunde ist das Zeitalter von Noe bis Abraham. Jch
will euch geben, was recht ist, spricht der Herr. Diese
Billigkeit entspricht der Verheißung beim Erscheinen des Regen-
bogens: ' Keine Fluth soll fürder mehr die Erde verheeren.
Aber wie gehorcht diese neue nachsündfluthliche Menschheit
dem göttlichen Rufe? Wir sehen es bereits au Cham. Statt
Gott dient - der Mensch der Lüsternheit, statt im Weinberge
arbeitet er im Dornacker der Sünde. Darum ließ Gott,
wie der Apostel sagt, die Völker ihre Wege gehen, und die
Folge war das Heidenthum:^ Die Herrlichkeit des un
wandelbaren Gottes trugen sie über auf dargestell
tes Bildniß des vergänglichen Menschen, und der
Vögel, und der vierfüßigen und kriechenden Thiere.
Kurz, aus Arbeitern Gottes wurden sie Teufelsdiener.
Sollte wirklich die gesammte Menschheit die Erkenntniß
Gottes verlieren? Wieder erbarmt sich der Hausvater, er
geht um die sechste Stunde abermals aus, um Arbeiter
zu gewinnen. Dies ist die dritte Periode von Abraham bis
Moses. Zuerst ergeht der Ruf an Abraham, und der Zehner,
der ihm versprochen wird, wenn er die Last und Hitze des
Tages erträgt, wenn er die Prüfungen des Glaubens und
des Gehorsams besteht, ist Gott selbst:« Jch selbst werde
dein übergroßer Lohn sein. Auch wird ihm und seiner

') 6ou. lX. II. — <) Koru. I. 23. — °) ««u XV. 1,


Lierheimer, Parabeln u. Wunder, (j
82 Sonntag Septuagesimä.

Nachkommenschaft ein eigenes Land als Besitz verheißen, das


Land Chanaan. Wie an Abraham, so ergeht der gleiche Ruf
mit ähnlichen Verheißungen an Jsaak und Jakob. Aber unter
des letzteren Söhnen regt sich schon wieder das Böse. Joseph
nach Aegypteu verkauft wird die Veranlassung, daß das ganze
Geschlecht in dieses Königreich zog. Hart bedrückt schwebt
das bereits zahlreiche Volk in Gefahr, der ägyptischen Skla
verei zu verfallen oder aufgerieben zu werden, so daß wieder
der Weinberg des Herrn ohne Arbeiter verödete.,
Da geht der Hausvater um die neunte Stunde neuerdings
aus. Der erste Arbeiter im Weinberge, an den der Ruf er
geht, ist Moses; er soll der Verwalter Gottes werden, um
sein ganzes Volk abzusondern vom heidnischen Markte Aegyp-
tens und es in den versprochenen Weinberg zu führen. Wie
feine Berufung eine wunderbare war, so sollte er wieder
durch Wunder die Uebrigen rufen. Zuerst kommen die Wun
der in den zehn ,Plagen; diesen folgt der Durchzug durch's
rothe Meer und dann alle die Wunder in der Wüste, das
Manna, das Wasser aus dem Felsen, die Heilung der von
Schlangen Gebissenen, die Siege über die Feinde u. f. f.,
lauter Stimmen Gottes, die dem Volke zuriefen: Gehet in
meinen Weinberg. Der lauteste Ruf aber, der unter
Blitz und Donner erging, war die Gesetzgebung auf Sinai.
Der Zehner entspricht den zehn Geboten. Würde das Volk
diese beobachten, wie es am Fuße des Berges feierlich ge
lobte, so sollte es immerdar Gottes Volk bleiben und einst
aus der Wüste in das verheißene irdische, ja in das gelobte
himmlische Vaterland geführt werden. Wenn wir diese ein
zelnen Stunden, von der ersten bis zur elften, überschauen,
so nehmen wir immer stärkere, eindringlichere und umfassen
dere Rufe Gottes wahr. Glänzender und größer ist die
Auserwählung Abrahams als die Noes, herrlicher noch die
Sendung Mosis als die Abrahams.
Aber wir können in diesem Zeitraume von der neunten
Die Arbeiter im Weinberge. , 83

bis zur elften Stunde, von Moses bis Christus, noch eine
Menge anderer Einladungen Gottes zur Arbeit in seinem
Weinberge unterscheiden, die ebenfalls um so stärker und nach
drücklicher wurden, je mehr der Weinberg verlassen zu werden
schien. Zur Zeit der Richter ergehen göttliche Aufträge an
Gideon, Jephta und Simson. Zur Zeit der ersten Könige
leben Samuel und Nathan, und diesen folgt nach der Spalt
ung Jsraels eine ganze Reihe von Propheten. Weil aber
ihre Drohungen und Strafpredigten nicht gehört wurden, so
mußten die trägen Arbeiter das Joch der Gefangenschaft
tragen. Nun erwacht freilich eine lebendige Sehnsucht nach
dem heimischen Boden, aber das neue Geschlecht war nach
der Rückkehr um nichts besser als das alte, und immer größer
wurde der Verfall, immer verwüsteter der Weinberg.
Da bricht endlich die elfte Stunde an und es erscheint
Gottes Sohn in Person, um zuerst die Juden und dann
Alles, was auf dem Markte sich befand, die ganze Mensch
heit, in seinen Weinberg zu rufen. Doch was geschah? Viele
kamen vom Aufgang und Niedergang, die Kinder des Reiches
aber wurden hinausgestoßen. Die Juden waren berufen, aber
nicht auserwählt, die Ersten sind die Letzten geworden. So
erfüllte sich denn die schreckliche Drohung, welche Gott einst
durch den Propheten Jsaias ausgesprochen hatte über seinen
Weinberg, über das Haus Jsrael, die Männer von Juda:"
Wegnehmen will ich seinen Zaun, daß er zur Ver
heerung werde, will niederreißen seine Mauer, daß
er zertreten werde. Und zur Wüste will ich ihn ma
chen, nicht wird er beschnitten und nicht umgegra
ben, und aufschießen werden Disteln und Dornen;
und den Wolken werde ich befehlen, daß sie nicht
Regen träufeln auf ihn. Da sie nämlich auch dem Rufe
iu der elften Stunde nicht folgten, so brach ein fremdes Volk

°) Iu. V. 5 u«q^.
6*
84 Sonntag Septuagesimä.
ein in die Gränzen Palästinas, schleifte die Mauern des
Tempels und verheerte die Stadt, und zerstreut wurde das
Volk über die ganze Welt, verstössen aus dem Weinberge.
Die Ersten sind die Letzten geworden. Keinen Vorzug sollten
fortan die Jllden mehr vor den Heiden haben. Vielmehr
erging jetzt an diese der göttliche Ruf. Ein ganz anderer
Weinberg wird von Gott angelegt.
Demnach ist die Parabel auch ein Bild der Kirche des
neuen Bundes, und ist es um so mehr, als Christus sich
selbst den wahren Weinstock und die Gläubigen, die Glieder
der Kirche, die Rebzweige nennt. Auch hier können wir
nach Stunden die Ausbreitung der Lehre Jesu Christi, die
Bebaunng des Weinberges verfolgen. >
Gleich in der ersten. Stunde wurden die Vermalter, die
Apostel; ausgesandt, um Arbeiter zu suchen, und Syrien,
Cilicien, Galatien, Macedonien, Griechenland und Jtalien
wurden Theile des Weinberges. Jn der dritten Stunde, als
Constantin das Christenthum als Staatsreligion erklärte und
die Kirche aus dem Morgengrauen der Katakomben heraus
trat an's helle Tageslicht, da vergrößerte sich die Zahl der
Arbeiter mit der Zunahme des Umfauges des Weinberges.
Spanien, Gallien und Nordafrika wurden hiuzugefügt. Vom
sechsten Jahrhundert an folgten England und Deutschland,
und allmälig mußten die Ringmauern erweitert werden nach
Schweden, nach Liefland und Rußland. Eine neue Stunde
schlug, und siehe, beide Jndien, China und Japan, Nord-
und Südamerika vermehren immer mehr den Weinberg des
Herrn. Aber noch stehen Viele müßig auf dem Markte,
weite Strecken, besonders in Centralasien, iiz Afrika und auf
so vielen Jnseln sind noch wüstes Land und müssen in Wein
berge umgewandelt werden. Es wird auch für sie die elfte
Stunde schlagen, in der ihnen der Zehner angeboten wird, wo
sie gleichförmig werden sollen dem Bilde des Sohnes Gottes.
Leider aber sind auch viele Andere, nachdem sie bereits X
Die Arbeiter im Weinberge. 85

im Weinberge waren, wieder abgefallen und auf den Markt


des Unglaubens, der Jrrlehre oder des Schisma zurück
gekehrt. Es ist, traurig genug, auch hier wahr geworden,
daß die Ersten die Letzten werden. Oder sind nicht die Pro
vinzen Kleinasiens, Aegyvten, Nordafrika, die Türkei und
Griechenland, wo zuerst das Licht des Glaubens aufging, ab
gefallen, trägt nicht dieser ehemalige Theil des Weinberges
jetzt die Dörner und Disteln des Schisma und sogar des
Muhamedanismus? Wie Viele ferner, die berufen waren,
haben es verschmäht, zu den Auserwählten zu gehören, haben
freiwillig den Weinberg, die Eine wahre Kirche Jesu Christi
verlassen, sind dem ersten Rufe abtrünnig geworden und ar
beiten statt im Weinberge Gottes im Dornacker der Ketzerei?
Wie Siele endlich, die zwar noch Arbeiter im Weinberge des
Herrn sind und zu den Gliedern der heiligen katholischen
Kirche gezählt werden, sind träge und müßige Arbeiter, ja oft
todte Glieder? Denn nicht bloß mit dem Munde Glaubend»,
sondern durch Werke thätige Arbeiter hat Gott bestellt. Darum
wird auch hier wahr werden am großen Weltabende, wenn
der ewige Richter abrechnet, daß Viele, welche die Ersten
waren, die Letzten werden, daß Viele, die sich in der streiten
den Kirche befanden, keinen Platz in der trimnphirenden finden./
Schauet euch nun, verehrte Zuhörer, das Gleichniß etwas
näher an, um euch von dieser Wahrheit noch mehr zu über
zeugen. Der Hausvater sucht oder ruft zuerst Arbeiter, schließt mit
denselben einen förmlichen Kontrakt ab, kommt mit ihnen
überein um einen Zehner des Tages und zahlt, nachdem das
Tagewerk vollbracht ist, an sie den Lohn aus. Alle, auch die
zuletzt Gerufenen, erhalten denselben Preis. So ruft Gott
einzelne Völker und einzelne Menschen zu verschiedenen Zeiten
in seine Kirche, aber alle empfangen den gleichen Lohn, und
Keiner hat ein Recht darüber Gott Vorwürfe zu machen,
sonst wird er ebenso wie jene Arbeiter zurechtgewiesen, die
wider den Hausvater murrten. Daraus geht hervor, daß
85 Sonntag Septuagesimä.
die Berufung zur Seligkeit und der himmlische Lohn immer
ein Werk der göttlichen Barmherzigkeit sind, und daß wir,
wenn wir auch Alles gethan und des Lebens Hitze und Last
getragen haben, doch immer mit dem Apostel gestehen müssen,
wir seien unnütze Knechte; denn hätte uns Gottes Gnade
nicht in seinen Weinberg gerufen, so wäre uns auch der Lohn
nicht zu Theil geworden. Der Zehner also, das ewige Leben,
ist zugleich eine Gerechtigkeit, weil es uns für unsere guten
Werke verliehen wird, und eine freie Gnade Gottes, weil
wir ohne diese kein für den Himmel verdienstliches Werk
vollbringen könnten.
Aber es ist noch ein anderer höchst wichtiger Umstand,
auf den ich, verehrte Zuhörer, eure Aufmerksamkeit hinleuken
muß. Die Parabel, verglichen mit dem gegenwärtigen Zustand
der katholischen Kirche, liefert uns auch den Beweis, daß diese
der wahre Weinberg Jesu Christi ist. Wie zuerst der Herr
und dann seine Apostel und deren Nachfolger ausgingen, um
Arbeiter für den Weinberg zu dingen, so übt die katholische
Kirche fort und fort und namentlich auch in der Gegenwart
das gleiche Amt aus. Sie übt es aus unter denen, welche
sich schon im Weinberge befinden, damit sie in der Arbeit
nicht ermüden, und übt es aus unter jenen, welche noch außer
halb desselben stehen.
Jch darf, was den letzteren Punkt betrifft, nur an die
auswärtigen Missionen und die Missionsanstalten erinnern.
Jn Rom allein blühen mehrere Collegien und Seminarien,
in welchen Glaubensboten herangebildet werden; ähnliche An
stalten befinden sich an anderen Orten Jtaliens, in Frank-
reich, Jrland und Belgien. Außerdem weihen sich die meisten
religiösen Orden zugleich dem Werke der Glaubensverbreit-
nng. Die Gesellschaft Jesu allein zählt gegenwärtig über
sechshundert Missionäre, die in allen Welttheilen zerstreut
sind. Die Lazaristen haben über zweihundert, die Congre-
gation der auswärtigen Missionen gegen hundert Missions
Die Arbeiter im Weinberge. 87

priester. Nicht minder zahlreiche Glanbensboten sendet der


Franziskaner- und Capuzinerorden aus. Ebenso schicken die
Redemptoristen, die Oblaten Mariens, die Mechitaristen, Car-
meliten, Benediktiner und andere Orden ihre Missionare in
fremde Lander, wo sie oft Jahre lang unter unsäglichen Mühen
bloß Dörner und Steine wegräumen müssen, bis es ihnen
endlich gelingt, den Boden zu ebnen und einige Rebzweige
des wahren Weinstockes zu pflanzen. Wer nur ein paar
Briefe aus den Annalen zur Verbreitung des Glaubens ge
lesen hat, wird dies gern zugeben. Aber auch weibliche Orden
wollen im Eifer nicht zurückbleiben und nehmen sich nament
lich der Bildung der Jugend an. Ja ich darf sagen, daß
alle guten Katholiken, welche um Ausbreitung des Glaubens
beten und Mitglieder der zu diesem Zwecke gegründeten
Vereine sind, wie sie bei uns, in Oesterreich und in Frank
reich bestehen, durch ihr geistiges und leibliches Schärflein
mit dem Hausvater ausgehen, um Arbeiter in den Weinberg
zu senden. ^
Während aber die Kirche das Licht des Glaubens nach
Außeu trägt und den Weinberg erweitert, vergißt sie nicht
auf die schon gepflanzten Reben, auf ihre eigenen älteren
Kinder. Auch unter ihnen setzt sie ihre Mission fort und
sucht die gewonneneu Arbeiter in Eifer und Thätigkeit zu er
halten. Denn jede Predigt, wie ich Eingangs sagte, jede
Christenlehre, jede religiöse Unterweisung ist eine neue Auf
munterung zur Arbeit im Weinberge und eine Verheißung des
Zehners, der im Himmel ausbezahlt wird.
So ist also die heutige Parabel ein fortlebendes und
immer sich erfüllendes Bild unserer heiligen katholischen Kirche,
ein Abriß der Geschichte der Ausbreitung und der Erhaltung
des heiligen Glaubens in Wort und That. Wie die ganze
Welt dem Herrn gehört und sein Weinberg werden soll, so
sind die Gränzen des Erdkreises die Gränzen der katholischen
Kirche. Wie Gott Alle vom Markte in seinen Weinberg ruft.
88 Sonntag Septuagesimä.

so will die Kirche alle Menschen in ihren Schooß aufnehmen.


Und wie endlich Alle belohnt werden, die dem an sie ergan
genen Rufe folgten, so ist auch die Kirche die allein selig-
machende. Das sind großartige und erhebende Gedanken für
jedes katholische Herz. Eben darum sind sie aber auch eine
mächtige Aufforderung an jeden Einzelnen, ein treuer und
fleißiger Arbeiter zu sein und den Weinberg seiner eigenen
Seele zu bebauen. Denn das Gleichniß, das wir bisher be
trachteten, ist zugleich ein Bild und eine Geschichte der ein
zelnen Seelen. Dies ist es, was wir noch kurz zu er
wägen haben. /

/ Der himmlische Hausvater ruft die ganze Menschheit


und jeden einzelnen Menschen in seinen Weinberg. Schon
am frühesten Morgen geht er aus; kaum daß das Kind zur
Welt gekommen ist, führt er es gleich in seinen Weinberg
durch das heilige Sakrament der Taufe. Er schließt mit ihm
einen Vertrag, und sobald es versprochen, dem bösen Feinde,
seinen Werken und aller seiner Hoffart zu widersagen, an
die heiligste Dreifaltigkeit zu glauben und der Kirche zu ge
horchen, reinigt er es von der Erbsünde, befreit es von ^»en
Fesseln der Hölle und verheißt ihm das ewige Leben. Um
die dritte Stunde geht er wieder aus. Er sieht, daß sei:'.
Arbeiter ermattet, daß bereits eine Last feine Seele beschwert,
und darum nimmt er dieselbe wieder hinweg durch das hei
lige Bußsakrament, schließt abermals einen Vertrag und ver
spricht dem, der ihn nicht mehr beleidigen will, den Zehner
der Ewigkeit. Er kommt neuerdings um die sechste Stunde.
Die Arbeit hat sich vermehrt, und darum ist eine neue Stärk
ung nothwcndig, und diese gibt er im heiligen Sakramente
der Firmung. Zur neunten Stunde reicht er eine noch köst
lichere Erfrischung in der heiligen Communion. Und schlägt
endlich die elfte Stunde, naht bald der Abend der irdischen
Die Arbeiter im Weinberge. 89

Lebensruhe, so erquickt er nochmal den müden Arbeiter in der


heiligen Oelung, nimmt die Lasten hinweg, die ihn nieder
beugen, erfüllt seine Seele mit Muth zur letzten Arbeit und
gibt ihm endlich, wenn er das Tagewerk gut vollbracht hat,
den bedungenen Lohn.
So ist also das Gleichniß von den Arbeitern im Wein
berge auch ein Vild jeder einzelnen Seele, und ist es noch
mehr, wenn wir bedenken, daß Einzelne ebenso in verschie
denen Altersstufen gerufen werden, wie die Arbeiter zu ver>
schiedenen Stunden. Einige ruft Gott früher, Andere später;
Einige ruft er schon in der Kindheit, Andere im Jünglings-,
Andere im Mannes- und Grcisenalter. So wurde Jeremias
schon im Mutterschooße gerufen. Ehe du hervorgingst
aus dem Schooße, spricht Gott zu ihm, habe ich dich ge
heiligt, und als Propheten für die Volker dich ge
setzt. Das Gleiche berichtet uns die Schrift von dem hei
ligen Johannes dem Täufer. Eine nächtliche dreimalige
Stimme rief den Knaben Samuel. Aehnliche Rufe in frühester
Kindheit finden wir mehrere im Leben der Heiligen. Der
heilige Thomas von Aquin verrieth noch nicht fünf Jahre
alt durch sein heiliges Leben, daß er zu etwas Außerordent
lichem von Gott bestimmt sei. Dasselbe wissen wir vom hei
ligen Franz von Sales. Der heilige Nikolaus von Myra
verschmähte an Fasttagen die Muttermilch. Ueber des hei
ligen Dominikus Heiligkeit wurde seine Mutter, als sie das
Kind noch unter ihrem Herzen trng, durch einen wunderbaren
Traum belehrt.
An Andere erging der göttliche Ruf in der dritten
Stunde, im Jünglingsalter. Der heilige Evangelist Johan
nes, der heilige Stanislaus Kostka und viele andere hei
lige Jünglinge und Jungfrauen folgten, so wie sie die Stimme
des Herrn hörten, und ließen sich durch kein Hinderniß ab
schrecken. Andere vernahmen diese Stimme im Mannesalter,
wie Andreas, Petrns, Paulus, Jgnatius von Loyola und
90 Sonntag Septuagesimii.

zahllose Andere im Ordens- wie im Laienstande. Noch An


dere endlich gaben der göttlichen Eingebung erst in der elften
Stunde Gehör, auf dem Todbette, oft nachdem sie in Sünden
grau geworden waren. Der Räuber zur Rechten des Hei
landes am Kreuze ist das beste Zeugniß.
Wie ferner unter den Arbeitern im Weinberge einige den
ganzen Tage andere nur einige Stunden dienten und dann
den Lohn empfingen, ebenso belohnt Gott einige nach kurzer,
andere erst nach langer Lebenszeit mit der Himmelskrone.
Denn er ist der Herr des Lebens, und er schaut nicht auf
das Was allein, sondern auch auf das Wie, auf den Willen.
Der Räuber, wie der heilige Gregor bemerkt, war an das
Kreuz gebunden und konnte sich nicht bewegen, nur das Herz
und die Zunge waren ihm noch frei geblieben, diese aber gab
er ganz und für immer dem Herrn, und verdiente so in einer
Stunde mehr als Andere, die ihr ganzes Leben lang nie zu
dem ernstlichen Willen kommen, Gott ganz zu dienen.
Damit fällt von selbst aller Grund zum Murren hin
weg. Das Evangelium selbst weiset uns auf diese Lösung
hin. Nur mit den zuerst gerufenen Arbeitern hat der Haus
vater einen förmlichen Vertrag abgeschlossen. Bei den spä
teren sagte er bloß: Jch will euch geben, was recht ist.
Diese Letzteren haben also mehr aus Liebe als um des Loh
nes willen gedient. Gleichwie nun uns jene Diener lieber
sind, die nicht ans purem Eigennutz dienen, sondern auch eine
wirkliche treue Anhänglichkeit an uns haben, ebenso ist es
bei Gott. Jene Ersteren haben eben gethan, was sie muß
ten, diese aber haben einen besonderen Eifer entwickelt und
sich dadurch auch ein außerordentliches Verdienst erworben.
Jn dieser Erklärung bestärkt uns auch ein Blick auf
das Leben der Heiligen. Manche Christen sind nur darauf
bedacht, keine Todsünden zu begehen, während Andere, deren
Lebenszeit nur kurz war, auch die läßlichen sorgfältig mieden.
Einige Christen erfüllen zwar ihre gewöhnlichen Pflichten,
Die Arbeiter im Weinberge. 91

andere dagegen thun mehr, als sie schuldig sind. Von ihnen
gilt daher das Wort im Buche der Weisheit:' Sie haben
in kurzer Zeit vollendet, aber die Werke einer lan
gen Zeit verübt. Gott schaut nicht darauf, ob Einer viel
Almosen gegeben hat, sondern ob er aus Liebe gibt. Darum
waren ihm die zwei Heller der Wittwe wohlgefälliger als die
großen Gaben, welche die Reichen in den Opferkasten warfen.
Er zählt nicht die Stunden, die Jemand in der Kirche zuge
bracht, sondern er blickt auf die Andacht, mit der man der
heiligen Handlung beiwohnt. Mit einem Worte, der leben
dige Glaube, die thätige Liebe und der rege Eifer sind es,
auf welche der ewige Vergelte! Rücksicht nimmt. Darum
ruft er auch den auf dem Markte Stehenden zu: Warum
stehet ihr hier den ganzen Tag müßig?
Dieses Wort ist au'ch an uns gerichtet. Deun leider
nur zu viele träge, laue und saumselige Arbeiter zählt unsere
Kirche in ihrem Weinberge, nur zu viele stehen auf dem
Markte der Welt und jagen einzig nur weltlichem Gewinne,
Geld und vergänglichen Dingen nach, nur zu viele halten
sich fern von der Kirche, oder bleiben trotz allen Mahnrufen
nachlässig in der Arbeit, in der großen Arbeit der Rettung
ihrer Seelen. Lasset uns darum, Geliebteste, nicht länger
dem göttlichen Rufe widerstehen, lasset uns ernstlich und rast
los arbeiten am Weinberge unserer Seelen!
Singen will, so läßt sich der Prophet Jsaias ver
nehmen,^ singen will ich meinem Geliebten ein Lied
meines Lieben von seinem Weinberge. Ein Wein
berg gehörte meinem Lieblinge an einer ölfetten
Höhe. Und er umzäunte ihn und las die Steine
aus demselben und bepflanzte ihn bestens, und baute
einen Thurm in Mitte desselben, und legte eine
Kelter darin an, und erwartete, daß er Trauben

') 8»p. IV. 13. — ') Iu. V. 1 uLM,


92 Sonntag Septnagesimä.

brächte, und er brachte Heerlinge, sauere Frucht. Was


ist's, das ich noch hätte thun sollen meinem Wein
berge, und that es nicht an ihm?
Dieser Weinberg, mein Christ, ist deine Seele. Edle
Reben hat Gott darin gepflanzt. Er hat dir so viele na
türliche Anlagen und noch weit mehr übernatürliche Gaben
gegeben, er hat dir schon in der heiligen Taufe die Tugenden
des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe eingegossen, hat
dir durch dein ganzes Leben hindurch zahllose andere Gnaden
zukommen lassen. Er hat diesen Weinberg umzäunt mit dem
Schutze seiner heiligen Engel, die dich auf allen Wegen be
gleiten. Er hat viele Arbeiter geschickt, um die Seele zu
bebauen, die Prediger, die Beichtväter, die guten Bücher, die
Beispiele der Heiligen. Er hat auch die Kelter nicht gespart
und die unnützen Auswüchse abgeschnitten durch Prüfungen
und Trübsale. Er hat die edle Rebe angebunden an den
Pfahl des Kreuzes, damit sie au ihm emporwachse zum
Himmel, und vom Safte des wahren Weinstockes befruchtet
den Wein der guten Werke, wahrer Gottes- und Nächstenliebe
trage. Säuerlich war anfangs die Traube, beschwerlich ist
der Kampf, hart die Arbeit, aber die Strahlen der Gnaden
sonne haben sie zur Reife gebracht, und der Wein, den sie
nun getragen, wird beim himmlischen Hochzeitmahle getrunken.
Sag an, mein Christ, was Gott noch weiter für deine
Seele hätte thun sollen? Und wie, wenn diese Stunde die
elfte, die letzte für dich wäre? So oft schon wurdest du ge
rufen, so oft schon hast du angefangen und nie vollendet.
Willst du wirklich nur zu den Berufenen und nicht auch zu
den Auserwählten gehören? Willst du aber das Letztere,
dann suche auch deinen Beruf und deine Auserwählimg durch
gute Werke gewiß zu machen, dann werde ein fleißiger Ar
beiter, ein Katholik im Leben und Handeln. O! nehmet Alle,
Gcliebtcste, nehmet diese Worte tief in eure Seelen auf,
lasset sie Wurzeln fassen und Reben und köstliche Trauben
Die Arbeiter im Weinberge. 93

bringen. Von unserer Kindheit an hat uns Gott in seinen


Weinberg gerufen zu seinem Dienste, und ist mit uns über
eingekommen um den Zehner des ewigen Lebens. Doch wir
waren müßig und thaten nicht unsere Schuldigkeit. Bitten wir
darum den barmherzigen Gott, daß er uns wenigstens in der
elften Stunde zur vollen Einsicht kommen lasse, damit wir
zuerst würdige Früchte der Buße tragen und dann einst den
verheißenen Lohn empfangen. Amen.^
VI.

OrKlänmg der Warabel vom Säemanne.


(Sonntag Seragesimü.)
Der Same ist das Wort Gottes. I.uo. VIII. II.

Alle Dinge müssen, sollen sie Bestand haben, nicht bloß


einmal in's Dasein gerufen, das heißt, erschaffen, sondern
auch fortwährend erhalten werden. Zum Gedeihen der Pflanze
genügt es nicht, bloß den Samen in den Boden zu streuen;
das hervorkeimende Gewächs muß auch begossen und gepflegt
werden, ohne diese Erhaltung würde es schon im Keime er
sticken. Das Thier, das zur Welt gekommen ist, braucht
Nahrung, ohne diese ginge es bald zu Grunde. Der physische
Mensch bedarf nach der Geburt fortgesetzter Bildung, Pflege
und Speise, sonst verwelkt er gleich der Pflanze ohne Wasser,
gleich dem Thiere ohne Nahrungsstoff. Mit einem Worte,
bei allen natürlichen Dingen wird nicht bloß die Erschaffung
erfordert, damit sie bestehen und ihr Ziel erreichen können,
sondern auch fortgesetzte Erhaltung und Nahrung.
Verlassen wir die sinnliche und körperliche, Welt und
steigen wir eine Stufe höher zum Leben des Geistes, so stellt
sich eine gleiche Nothwendigkeit heraus. Auch auf dieser
höheren Stufe genügt es nicht, daß der Funke des Geistes
einfach in den Menschen gelegt werde. Soll derselbe nicht
ein nutzloses Kapital bleiben, so muß er geweckt, ausgebildet
und erhalten werden durch Unterricht und Belehrung. Und
Erklärung der Parabel vom Säemanne. 95
wenn wir, verehrte Zuhörer, eine noch höhere Stufe erklim
men und uns in die übernatürliche Weltordnung versetzen,
wenn wir das Gnadenleben, das Leben der Seele für den
Himmel betrachten, könnet ihr wohl glauben, daß wir hier
jede Erhaltung und Pflege entbehren können und bloß der
Wiedergeburt in der Taufe bedürfen? Gewiß nicht. Schon
die Analogie sagt euch, daß zum höheren Seelenleben, zur
Erhaltung der Seele im Gnadenstande, eine fortgesetzte Nahr
ung und Belebung ebenso nothwendig ist, wie für den Leib
die Speise und für den natürlichen Geist die Ausbildung.
Welches aber wird jene Seelennahrung sein? Die Nahrung,
durch welche die in der Taufe für Gott geborne Seele er
halten wird, ist das Wort Gottes. Denn nicht bloß vom
Brode allein lebt der Mensch, sondern auch von je
dem Worte, das aus dem Munde Gottes kommt. ^
Das ewige Wort, das vom Himmel herabkam, ist nicht
gleich am Kreuze gestorben, sondern es hat zuerst selbst drei
Jahre lang gelehrt und gepredigt, damit wir wüßten, was
wir zu glauben und zu thun haben, um auch einst in den
Himmel zu kommen. Wer meine Worte hört und sie
befolgt, spricht der Herr,° der wird ewig leben. Wie
er, das ewige Wort, uns das Leben gab, so sollte sein münd
liches Wort uns das Leben erhalten. Oder ist es nicht das
Wort Gottes, das den Sünder aufweckt vom Todesschlafe
und ihn zu neuem Leben ruft? Jst es nicht das Wort Got
tes, das uns die tiefsten Geheimnisse aufschließt und uns einen
Blick in die unsichtbaren Regionen der Ewigkeit gewährt?
Jst es nicht das Wort Gottes, das uns den Willen Gottes
kundgibt, jenen Willen, durch dessen Befolgung. wir diesseits
und noch mehr jenseits wahrhaft glücklich werden? Eben
darum aber, weil dieses Wort die Nahrung der Seele ist,

') I«Mb. IV. 4. — ') I.u«. Xl. 28; ^onnn. V. 24; VI. 40;
XIV. 23, 24 et »1.
96 Sonntag Sexagesimä.

wird es schon den Kindern mitgetheilt in der Schule durch


Erlernung und Erklärung des Katechismus, wird es den
Größeren dargelegt in Christenlehren, und den Erwachsenen
verkündet in guten Schriften und von der Kanzel. Und da
mit es Alle hören können, hat Christus in seiner Kirche
ein eigenes Lehr- und Priesteramt eingesetzt und Sendboten
ausgeschickt, um alle Völker zu lehren, und steht denselben
mit seiner Gnade bei. Nicht ihr seid es, sagt er,' welche
reden, sondern der Geist eures Vaters ist es, der
in euch redet. Deswegen verlangt auch der heilige Paulus,
daß die Gläubigen die Verkünder dieses Wortes nicht als
bloße Menschen sondern als Diener Jesu Christi, und ihr
Wort nicht als Menschenwort sondern als Gotteswort an
sehen, weil sie nicht ihren Willen, nicht ihr Wort, sondern
Gottes Willen und Gottes Wort predigen.
Aber wenn dieses Wort so heilig und so nothwendig,
wenn es die wahre Nahrung der Seele für das himmlische
Leben ist, warum bringt es dann nicht in Allen die gleiche
Wirkung hervor, warum gelangen nicht Alle zum Leben?
Gewiß liegt die Schuld nicht am Worte selbst, das Geist
und Leben ist. Auch nicht am Verkünder, selbst wenn er
einen sündhaften Wandel führte: Denn auf dem Stuhle
Mofis, sagt der Herr, ^ sitzen Schriftgelehrte und Pha
risäer; was sie euch sagen, das thut, aber nach ihren
Werken sollt ihr nicht handeln. Wo also wird der
Grund zu suchen sein? Aus dem heutigen Evangelium geht
deutlich hervor, daß die Schuld an den Hörern des gött
lichen Wortes liegt. Denn der Weg, die Felsen und Dörner
sind nach der eigenen Erklärung des göttlichen Lehrmeisters
die Herzen der Menschen, denen das Wort Gottes gepredigt
wird. Es wäre ein Frevel, das heutige Evangelium anders
auszulegen, da es die ewige Wahrheit selbst so gedeutet hat.

') «»ttli. X. 20. — <) Ibiä. XXIII. 2, 3.


Erklärung der Parabel vom Säemanne. 97

Jch brauche daher nichts weiter zu thun, als die ein


zelnen Klassen von Zuhörern etwas näher auseinanderzusetzen.
Dabei aber, o mein Jesus! der du das wahre und lebendige
Wort bist, muß ich eine doppelte Bitte an dich richten, die
eine für meine Zuhörer, die andere für mich. Für meine
Zuhörer siehe ich, daß sie alle zu jener Klasse gehören möch
ten, in die dein Wort nicht vergebens ausgesäet wird, son
dern hundertfältige Frucht bringt; für mich aber, dein schwa
ches Werkzeug, bitte ich, daß du mich zu einem würdigen
Verkündiger deiner heiligen Lehre machest und daß du die
Worte meines Mundes mit deiner Gnade begleitest, damit sie
nicht auf Felsen oder unter Dörner, sondern in gute und
empfängliche Herzen fallen. Deine Gnade, o Jesus! sei mit uns. / -

Wenn ich heute die Anhörer des Wortes Gottes ent


sprechend dem Gleichnisse und der Erklärung Jesu Christi in
vier Klassen eintheile und dieselben etwas ausführlicher ent
wickle, so glaubet ja nicht, verehrte Zuhörer, daß bei jeder
Klasse gerade ihr darunter gemeint sein müßtet; von euch
will ich bloß das, um was ich so eben unseren Herrn Jesus
gebeten habe, nämlich daß ihr alle zur letzten Klasse gehören
möchtet. Beginnen wir also gleich mit der ersten Klasse. /
Einiger Same, sagt der göttliche Lehrmeister, fällt
an den Weg hin, er wird zertreten, es kommen die
Vögel und fressen ihn auf. Und das sind jene,
welche das Wort Gottes anhören, denen es aber der
Teufel wieder aus dem Herzen wegnimmt, so daß
sie nicht glauben und nicht selig werden. Wer also
ist darunter zu verstehen, wenn nicht jene, die, um mich der
Worte des Psalmistcn zu bedienen, ° Augen haben und
nicht sehen, und Ohren haben und nicht hören, von

5) rulllm. oxill. L, 5, 6.
Lierheimer, Parabeln u. Wunder.
98 Sonntag Sexagesimii.
denen man wie einst der heilige Erzmarlyrer Stephan von
den Juden sagen kann, " daß sie stets mit unbeschuittenen
Ohren und Herzen dem heiligen Geiste widerstehen,
und bei denen man das Gleiche wiederholen muß, was Chri
stus zu Jerusalem sprach:' Wie oft wollte ich dich um
mich versammeln wie eine Henne ihre Küchlein unter
ihren Flügeln, und du hast nicht gewollt; wie oft, o
Sünder, erging an dich mein Wort, bald ernst durch An
drohung der ewigen Strafe, durch Erinnerung an die vier
letzten Dinge, bald sanft durch Hinweis auf meine unendliche
Barmherzigkeit, die auch den größten Sünder, wenn er reu-
müthig zurückkehrt, nicht verstößt: doch du hast nicht gewollt,
hast vielmehr meine Worte, die durch den Mund des Pre
digers in dein Gewissen drangen, aus dem Sinn geschlagen
und dafür der Stimme des Versuchers Gehör gegeben und
dich in die Fallstricke des Teufels verwickelt, so daß mein
Wort dir nicht zum Leben sondern zur Verdammung gereicht !
Am Wege also stehen jene, die in ihren Sündenschlaf
ganz versunken sind und die der Teufel eng umstrickt hält,
die darum entweder gar nie eine Predigt anhören, oder wenn
sie sich zufällig in eine Kirche verirren, ihren Sinn anders
wohin wenden, oft mit den schlechtesten Gedanken sich unter
halten und das Haus Gottes bloß dazu benützen, um ihre
Augen zu weiden, Anderen Aergerniß zu geben und ihre
Frechheit öffentlich zur Schau zu tragen. Diese also sind es,
die am Wege oder außerhalb des Weges stehen und bei denen
die höllischen Vögel den Samen wegfressen, so daß sie un
gläubig bleiben und rettungslos verloren gehen. O wie treff
lich schildert der heilige Paulus in seinem zweiten Briefe an
die Korinthier diese getauften Heiden, denen das Wort Gottes
nicht einleuchtet, weil, schreibt er, ^ der Gott dieser Welt,
der böse Feind, ihren fleischlichen Sinn durch Unglau-

H,ct. VII. 51, — ^ Nnttli. XXIII. 37. — °) II. «ui,mtd. IX. 4.


Erklärung der Parabel vom Säemanne. 99

ben verblendet, so daß in sie das Licht des Evangeliums


nicht eindringen kann./
Aber o wie schrecklich klingt auch die Drohung, welche
Gott über diese Namenchristen ausspricht: Darum, sagt der
Herr, v weil ich rief, und ihr nicht wolltet, ich aus
streckte meine Hand, und keiner darauf achtete, weil
ihr verachtetet all meinen Rath, und meine Straf-
reden in den Wind schluget; will auch ich bei eurem
Untergange lachen und spotten, wenn euch begegnet,
was ihr fürchtet. Einst, beim Weltgerichte, werden sie zur
Linken unter die Böcke gestellt werden. Denn meine Schafe,
spricht der göttliche Hirt,'" hören meine Stimme und
folgen mir; ihr aber folget mir nicht, weil ihr nicht
aus meinen Schafen seid.
Doch wir wollen sie nicht gleich verdammen, verehrte
Zuhörer; diese am Wege Stehenden könnten vielleicht Gründe
haben, warum sie das Wort Gottes nicht hören. Jch rede
hier nicht von jenen, welche durch wirkliche gegründete Ursache,
durch dringende Berufsgcschäfte u. dgl. abgehalten sind, oder
selbst durch eifrige Lesung geistlicher Bücher sich die nöthige
Seelennahrung verschaffen; sondern von solchen, die diese
und ähnliche Aeußerungen im Munde führen: „Was brauchen
wir eine Predigt, wir wissen schon längst, was der Prediger
Alltägliches herableiert, das geht das dumme Volk an, dem
man etwas vormachen muß." Besteigt ein Priester die
Kanzel, der ihnen nicht zusagt, so kehren sie ihm den Rücken,
oder sie sagen: „Jch habe keinen Stuhl, um sitzen zu können,
die Stunde ist mir zu früh" u. s. f., kurz sie suchen alle
möglichen Ausreden, um ihre Harthörigkeit zu beschönigen.
Es gehört aber wahrlich nicht viel dazu, um darauf zu
antworten.
Man predigt nur Alltägliches, sagen sie. Das Broo,

') krov. I. 24 sea.q, — ") 5o»un. X. 26, 27.



1(X> Sonntag Sexagesimä.
womit sie ihren Leib sättigen, ist auch ein tägliches. Warum
entziehen sie sich dasselbe nicht? Weil es nothwendig ist.
Jst vielleicht das Brod des göttlichen Wortes nicht ebenso
nothwendig für die Seele? Aber man hört nur immer das
Alte, erwiedern sie. Aber haben sie das Alte auch schon ge-
than, oder sind nicht gerade sie es, die das sogenannte Alltägliche
täglich nicht thun? Sie wissen schon längst, was gepredigt
wird! Sonderbar, daß man gerade aus ihrem Munde oft die
einfältigsten Urtheile über religiöse Dinge zu hören bekommt.
Am liebsten aber entschuldigt man die Vernachlässigung
des göttlichen Wortes damit, daß man alle Schuld den Pre-
digern beimißt. Betritt zufällig ein Anderer als der Erwar-
tete die Kanzel, so machen sie sich davon. Nun, sagt der
^ heilige Cyrillus von Alexandrien, Judas ging auch hinweg
aus dem Speisesaale, als der Heiland seine letzte Anrede an
die Jünger hielt. Es gibt keine Predigt, und wäre sie noch
so einfach, aus der man nicht etwas für seine Seele gewinnen
könnte. Der heilige Evangelist Johannes, dessen Geist einem
Adler gleich zum Himmel flog, predigte in seinen letzten Lebens
jahren immer nur: „Kindlein, liebet einander." Als man
ihn deshalb beredete, gab er, wie der heilige Hieron ymus
schreibt, " die eines Johannes würdige Antwort: „Es ist ein
Gebot des Herrn, und wer es hält, thut genug." So ver
kündigt auch der Priester nicht sein Wort sondern Gottes
Wort, und wer dieses verachtet, verachtet Gott selbst.
Andere entschuldigen sich damit, daß sie sagen, sie hätten
keinen Stuhl, obwohl sie bei anderen Gelegenheiten recht gut
gehen und stehen können. Dem großen Kaiser Constantin
wnrde, wenn er dem Gottesdienste beiwohnte, von dem Bi
schöfe Eusebius von Cäsarea ein Sitz angeboten; allein aus
Ehrfurcht vor dem Worte Gottes wollte er nicht Platz neh
men. Jn den ersten Zeiten der Kirche gab es keine Stühle,

") In Lpist. »s 6ul,


Erklärung der Parabel vom Säemanne. 101

alle Gläubigen hörten knieend oder stehend zu. Es ist auch


jenen Leuten gar nicht um einen Stuhl zu thun, sondern bloß
um eiue Ausrede. Gerade so verhält es sich mit der an
deren Aeußerung: Die Predigten seien zu früh. Allerdings,
wenn man die Nacht zum Tag macht, und umgekehrt. Auch
möchte ich gern wissen, wie viele von denen, welche am Vor
mittag keine Predigt besuchen mögen, wohl am Nachmittag
das Wort Gottes anhören. Doch wozu noch länger viel von
dieser ersten Klasse sagen? Sie hört es ja doch nicht.
Gehen wir zur zweiten über, zu jenen, bei denen der
Same auf felsigen Grund fällt, aufgeht, aber gleich
wieder verdorrt, weil er keine Feuchtigkeit hat. Diese,
sagt der göttliche Erlöser, sind solche, welche das Wort Gottes
mit Freuden anhören, aber nicht Wurzel fassen lassen, sondern
bei der nächsten Gelegenheit und Versuchung wieder
abfallen. Aus dieser Erklärung des Herrn geht hervor, daß
er diese Gattung von Zuhörern nicht deshalb mit Felsen ver
gleicht, weil sie ein felsenhartes Herz haben, sondern weil auf
einem felsigen Grund wenig Erdreich liegt, in dem die Pflanze
Wurzel fassen könnte, d. h. weil es Herzen gibt ohne feste
Grundsätze, Leute voll flüchtigem Sinn und Oberflächlichkeit,
mit bloß äußerlichem Christenthum, in denen der Same des
Wortes Gottes nicht gedeiht.
Wer wird demnach zunächst zu dieser Klasse gehören?
Hieher gehören jene, die es gerade so machen wie der Phari
säer im Tempel und sagen: '^ Jch danke dir, o Gott,
daß ich nicht bin wie jener Zöllner dort. Was sind
also das für Leute? Das sind die Scheinheiligen, die Heuchler
nnd die von jedem guten Christen gemiedenen Betschwestern.
Jch muß schon bitten, mich nicht falsch zu verstehen und diesen
Ausdruck nicht zu mißdeuten. Nicht jene gehören in das
Geschlecht der Betschwestern und Scheinheiligen, die wirklich

") I^uo. XVIII. 11.


162 .Sonntag Sexagesimä.

aus frommem Herzen gut sind, gern beten, ihre Pflichten gegen
Gott und ebenso gegen ihren Nebeumenschen getreu erfüllen
und dabei ihre Standespflichten nicht vernachlässigen; sondern
jene, welchen es bei all ihrem Kriechen und Schönthun um
eine gründliche Besserung nicht ernst ist, welche bloß vor An
deren als Heilige erscheinen möchten, obwohl ihr Herz und
noch mehr ihre Zunge weit von aller Heiligkeit entfernt sind,
und die überhaupt nur sich selbst suchen, nicht aber Gott,
sondern Gott bloß als Aushängschild ihrer Selbstsucht be
nützen. /
Betrachten wir ihr Treiben nur in sofern, als es auf
die Anhörung des göttlichen Wortes Bezug hat, und wir wer
den finden, daß man sie nicht mit Unrecht den Pharisäern
gleichstellt. Sie kommen zur Predigt und hören mit aller
Aufmerksamkeit zu; aber schon während des Vortrages theilen
sie die ganze Predigt unter andere Leute aus; für sich selbst
aber behalten sie nichts. „Das, sagen sie bei sich, geht den,
und das jene an; aber dem hat er heute die Wahrheit gesagt,
die hat er gut getroffen, o wäre doch dieser oder jene heute
in der Predigt gewesen, die hätten ihren Theil ordentlich be
kommen." Dabei aber vergessen sie ganz auf sich selbst, sie
ging die ganze Rede nichts an, sie sind vielleicht, wenn's mit
der Heuchelei recht arg steht, gar noch gelobt worden. Habt
ihr da nicht, verehrte Zuhörer, den leibhaftigen Pharisäer vor
Augen, der sich selbst beschönigt und Andere verachtet? Doch
was sagt von ihnen der Herr, der Herzen und Nieren durch
forscht? Er sagt , daß sie nicht gerechtfertigt nach Hause gehen,
sondern vielmehr eine neue Sünde auf sich laden. Sie scheinen
von der Ansicht auszugehen, der Prediger habe es auf der
Kanzel mit einzelnen Persönlichkeiten zu thun. Nein, nicht
einzelne Personen tadelt er, sondern die Fehler und Sünden
tadelt er und warnt davor. Mit Recht also vergleicht das
Evangelium jene Heuchler mit dem Felsengrund, weil das
Wort Gottes gar nicht tief in sie eindringt.
Erklärung der Parabel vom Säcinaune. 103

Nicht tief dringt es ferner bei jenen ein, die nicht der
Hunger nach dem Worte Gottes herbeizieht, sondern bloß eine
gewisse Feinschmeckern oder Neugierde; bei jenen, die Freude ha
ben an gutem Vortrag und an schönen Phrasen, den Jnhalt
selbst aber sich wenig zu Herzen nehmen; die gern immer was
Neues hören möchten , obwohl sie das Alte noch lang
nicht befolgt haben; die wünschen, daß der Prediger immer
hübsch sanft und zart predige und schmeichle, aber bei Leibe
nichts von der Sünde, vom Tode, von der Hölle und anderen
ernsten Wahrheiten sage, weil das ihre empfindlichen Nerven
allzu stark angriffe. Da muß wohl der Grund der christlichen
Ueberzeugung sehr seicht und schwach sein, wenn er die kräf-
tige Nahrung göttlicher Wahrheiten nicht ertragen kann.
Wieder Andere gibt es, die recht gerne jede Predigt an
hören, dabei leicht erweicht werden, in Thränen zerfließen und
die besten Vorsätze für die Zukunft fassen. Nach acht Tagen
machen sie es ebenso, und in vierzehn Tagen wieder, bleiben
aber immer die alten Menschen, auch wenn sie des Jahres
ein paar hundert Predigten gehört haben. Woher kommt
denn das? Weil sehr wenig gutes Erdreich vorhanden ist,
weil das junge Pflänzchen, sobald es Wurzeln schlagen will,
sogleich auf Felsen stößt und verdorrt.
Aber möchte Mancher dabei deulen, wozu dann die vielen
Predigten, wenn's doch nichts hilft? Nun es sind eben nur
Einige, aber Gottlob nicht Alle, deren Herz einem Felsen
gleicht. Ueberdies hat der liebe Gott recht wohl gewußt, daß
es bei den Juden auch nichts helfe, und dennoch schickte er
fortwährend seine Propheten, die gewiß eine kernige Sprache
führten. Warum denn? Damit an ihnen Gottes Gerechtig-
keit offenbar würde, nachdem sie seiner Langmuth und Barm
herzigkeit kein Gehör geschenkt hatten. Darum schreibt auch
der heilige Paulns den Römern '''i Nicht die Hörer de«

', Liim. ll. l3.


104 Sonntag Sezagesimä.

Gesetzes sind gerecht bei Gott, sondern die Befolger


des Gesetzes werden gerechtfertigt werden. Und fast
gleichlautend schreibt der heilige Jakobus ": Seid Befolger
des Wortes, nicht bloß Hörer, indem ihr euch selbst
betrüget; denn wenn Jemand ein Hörer und kein Be
folger des Wortes ist, der gleichet einem Manne,
welcher sein natürliches Angesicht im Spiegel be
schaut, unch wenn er es beschaut hat, hinweggeht und
sogleich vergißt, wie er aussah. Das sollen sich Alle
merken, bei denen Gottes Wort auf felsigen Grund -fällt.
Es geht dies aber zugleich auch jene an, die zur dritten Klasse
gezählt werden.
Einiger Same, fährt der Herr fort, fiel unter die
Dörner, die Dörner wuchsen mit auf und erstickten
es. Und das sind jene, die das Wort zwar hören, aber dann
hingehen und durch Sorgen, Reichthümer und Wol
lüste des Lebens ersticken und keine Frucht bringen.
Drei Dörner also muß man fliehen, wenn man das Wort
Gottes mit Nutzen anhören will: Die Sorge, indem man
mehr um zeitliche Dinge, als um sein Seelenheil bekümmert
ist; die Reichthümer, indem man in den irdischen und nicht in
den himmlischen Gütern sein Glück sucht; und die Wollust,
indem man statt für den Geist bloß für das Fleisch lebt.
Aber warum kommt denn unter den Dörnern zeitlicher Sor
gen das Wort nicht auf? Weil, wo man die Nebensache zur
Hauptsache macht, der Zweck nicht erreicht wird. Das Zeit
liche und Jrdische ist Nebensache; Hauptsache ist die Sorge
für die Seele. Deswegen sagt auch Christus: '° Suchet
zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, und
dies Alles, was zeitlich ist, wird euch beigegeben werden.
Und der Apostel schreibt'": Seid nicht ängstlich besorgt,
sondern in allen Dingen lasset euer Anliegen in Ge-

") ^eob. I. 22 ueqq, — ") ^luttn. Vl. 33. — '°) kniüpp. IV. 6.
Erklärung der Parabel vom Säcmanne. 105

bet und Flehen mit Danksagung vor Gott kund wer


den. Daher sehen wir auch, daß jene, welche vor lauter Ge
schäften keine Zeit finden, um eine Predigt zu hören, doch
niemals fertig werden. Sie forgen nicht für die Seele, daher
wird ihnen auch das Uebrige nicht beigegeben.
Und warum erstickt denn der Reichthum das göttliche
Wort? Auf diese Frage könnte man mit einer ganzen Predigt
antworten. Den besten und kürzesten Aufschluß gibt uns der
heilige Paulus. Was er dem Timotheus schreibt, das gilt
uns Allen: Die reich werden wollen, sagt er," fallen
in Versuchungen uud Fallstricke des Teufels und
viele unnütze und schädliche Begierden, welche die
Menschen in Untergang und Verderben stürzen. Denn
die Wurzel aller Uebel ist die Habsucht. Einige, die
sich ihr ergaben, sind vom Glauben abgefallen und
haben sich in viele Schmerzen verwickelt. Du aber,
o Manu Gottes, fliehe Solches./
Nicht minder muß man den dritten Dorn fliehen,
die Wollust. Denn wie sollte der Same des göttlichen
Wortes in einem Herzen aufkommen, das voll ist von
unreinen Gedanken, voll von thierischen Begierden, oder
nicht zufrieden mit den Dörnern im eigenen Herzen, auch im
Herzen Anderer das Wort Gottes erstickt! Es wurde
zum Beispiele eine Person durch Anhörung einer Predigt auf
bessere Gedanken gebracht, sie entschloß sich ein neues Leben
anzufangen und die Dörner, die bisher ihre Seele verwun
deten, auszurotten. Da kommt der Verführer und sagt : Geh,
laß dir doch nichts vormachen, es ist auch nicht Alles wahr,
was die Geistlichen auf den Kanzeln sagen, die gleich Jeden
verdammen. Seht da jenen feindseligen Menschen, der, wie
der Heiland in einem anderen Gleichnisse sagt, ausgeht und
Unkraut, ja Dörner unter den Weizen wirft. Wehe, wehe

") I. liwotb. VI. 9—1l.


106 Sonntag Zexagesimä.
demjenigen, durch den Aergerniß kommt. Diese Verführer
also, die dem Worte Gottes das Schlangenwort des Teufels
entgegenstellen, sind so ganz die Dörner, die jeden edlen Keim
ersticken.
Aber es gibt noch andere Dörner, die den Menschen um
geben und jedes Gedeihen des göttlichen Samens verhindern.
Solche Dörner sind die nächsten Gelegenheiten zur Sünde.
Das Wort Gottes befiehlt, dieselben nicht bloß zu unterbrechen
sondern abzubrechen. Wo dieses nicht geschieht, da kann das
göttliche Samenkorn ebensowenig aufkommen wie das Getreid-
körnlein in einem Acker, der gegen hereinbrechende Ueberschwem-
mnngen nicht geschützt ist. Solche Dörner sind ferner die
Verspottungen und Verhöhnungen, durch welche schlechte Men
schen Andere einzuschüchtern und abzuhalten suchen, sich überall
als gute Christen zu zeigen. Solche Dörner sind die menschlichen
Rücksichten, eitle Menschenfurcht nnd rein irdische Beweggründe,
um deren willen man oft die wichtigsten religiösen Pflich
ten versäumt. Solche Dörner sind schlechte Gesellschaften, ver
derbliche Vergnügungsorte, sündhafte Gewohnheiten, die man
nicht meiden oder nicht ablegen will. Wer diese und ähnliche
Dörner aus dem, Acker seines Herzens nicht ausrottet, der
wird keinen Nutzen vom Worte Gottes haben, wird keine gute
Frncht bringen. Das also, verehrte Zuhörer, wäreu die drei
Klaffen, zu deneu keiner aus uns gehören darf. Kommen
wir nun zur letzten, zu der wir Alle gehören sollen. ,,

Einiger Same, sagt unser göttlicher Lehrer, fiel auf gute


Erde, ging ans nnd brachte hundertfältige Frucht,
und das sind die, welche das Wort hören, es in einem gu
ten, ja im besten Herzen bewahren und Frucht brin
gen in Geduld. Wir sagten, das Wort Gottes sei eine
Nahrung der Seele. Es muß darum, wenn es von der Seele
aufgenommen wird, ähnliche Wirkungen in ihr hervorbringen,
Erklärung der Parabel vom Säemanne. 107

wie die Speise im Leibe. Jst der Leib krank, so wird ihm
statt Speise Arzuei gegeben; so ist auch das Wort Gottes für
eine mit Sünden behaftete Seele eine Arzuei, ein Heilmittel,
um ihr die geistige Gesundheit wieder zu verschaffen. Jst der
Leib genesen, so kräftigt ihn die Speise, so daß er wächst und
zunimmt. Auf gleiche Weise stärkt auch das Wort Gottes
die von Sünden gereinigte Seele immer mehr, so daß sie stets
mehr an Erkenntniß und Liebe zu den himmlischen Dingen zu
nimmt, immer vollkommener vor Gott erscheint und zugleich
rüstiger und leichter die Gefahren des Heiles überwindet.
Wie aber die Speise jene guten Wirkungen im Leibe
nur dann erzeugt, wenn sie von diesem nicht bloß aufgenom
men, sondern auch gut verdaut wird ; ebenso genügt das bloße
Anhören des Wortes Gottes nicht, man muß es in die Seele
aufnehmen, öfters darüber nachdenken und darnach handeln,
nur fo trägt es hundertfältige Frucht. Nicht auf einmal reift
das Samenkorn zur Frucht, es kostet manche Mühe, bis man
das Getreide in die Scheune fahren kann. Darum sagt der
Heiland, das Wort Gottes bringe Frucht in Geduld, weil
auch hier ein ernstlicher und guter Wille und manche Selbst
überwindung erfordert wird, bis die Früchte sich zeigen.
Solche und nur solche Anhörer des Wortes, die mitwirken,
werden von Jesus Christus selig gepriesen: '^ Selig sind
die, welche das Wort Gottes hören und es befolgen.
Nur diese zählt er zu seinen Schafen: " Meine Schafe
hören meine Stimme und folgen mir. Nur diese siud
es, die ihn wahrhaft lieben und vou ihm wieder geliebt wer
den:^" Wenn Jemand mich liebt, so wird er meine
Worte halten, und mein Vater wird ihn lieben, und
wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm
nehmen. O was liegt darin für ein außerordentlicher Trost
für den fleißigen Anhörer und Befolger des göttlichen Wortes!

°) I.U«. XI. 28. — ") ^o»rm. X. 27. — '") Ibiä. XtV. 23.
!08 Sonntag Sexagcsimä.

Er gemeßt die Liebe desjenigen, der die Liebe selbst ist; er ist
eine Wohnung des himmlischen Vaters. Er ist ans Gott und
für Gott; denn wer aus Gott ist, der hört Gottes
Wort."
Wie, Geliebte, regt sich da nicht in euch Allen der hei
lige Wunsch, zur vierten Klasse zu gehören? „Ja, wird Man
cher im Stillen für sich denken, ich möchte ihr schon ange
hören, aber wenn nur mein Wille auch einmal zur That würde."
Nun, soll das etwas so außerordentlich Schweres sein! Gewiß
nicht, du brauchst bloß drei Dinge, um ein solcher Zuhörer zu
werden, der Früchte bringt für's ewige Leben. Und was sind
das für drei Dinge? Höre das Wort Gottes mit Freude,
mit Ueberlegung, mit gutem Willen.
Mit Freude, d.h. aus eigenem inneren Antriebe, denn
wer nur kommt, weil er muß, oder bloß aus mechanischer Ge<
wohnheit, oder wer absichtlich zu spät kommt, wer froh ist,
wenn's bald gar ist, der liefert den Beweis, daß feine Seele
sich in einem krankhaften Zustande befindet, ähnlich einem
krankhaften Körper, den die Speise aneckelt. „Gleichwie," schreibt
der heilige Johannes Chrysostomus, „der Appeiit nach
leiblicher Speise ein Zeichen körperlicher Gesundheit ist, so ist
auch das freudige Verlangen nach himmlischer Speise ein gutes
Zeichen, daß das Leben der Seele gesund ist." Gott sei ge
priesen, verehrte Zuhörer, daß unter euch diese Freude herrscht.
Verbindet aber mit dieser Freude auch die Ueberlegung.
Ueberlegen heißt, über das Gehörte nachdenken und es
auf sich selbst anwenden nicht unter Andere austheilen; denn
eine solche Freigebigkeit wäre sündhaft. War der Stoff eine
Glaubenswahrheit, so erwecke man Akte des Glaubens; war
es eine Sittenlehre, so «lache man den Vorsatz, ihr gemäß sein
Leben einzurichten. Es gibt keine, wenn auch uoch so einfache
Predigt, aus der man nicht etwas Nützliches lernen und es

') ^o»nn. VIII. 47.


Erklärung der Parabel vom Säemaune. 109

auf sein Leben anwenden könnte. Darum soll man diese Ueber-
lcgung auch zu Hanse nach der Predigt fortsetzen. Denn das
Wörtchen „Amen" heißt nicht: Jetzt ist's aus, jetzt kannst
du gehen und Alles wieder vergessen; sondern es heißt: Nun
geschehe das, was heute gelehrt wurde.
Jnsbesondere aber wird zum Anhören des göttlichen
Wortes der gute Wille erfordert. Gutwillig aber nennen
wir nicht den, der bloß zum Kritisiren kommt, sondern den,
der in der Absicht erscheint, sich belehren zu lassen; nicht jenen,
der die Verkündigung des göttlichen Wortes als bloß mensch
liche Sache betrachtet, sondern den, der es als eine göttliche
Sache auffaßt. Gutwillig nennen wir mit einem Worte den,
der das Gehörte auch thut und es in seinem äußeren Leben
zum Ausdrucke bringt. Beispiele eines solchen guten Willens
geben nns der heilige Paulus, der, als er jene Stimme vom
Himmel vernommen: -° Saulus, Saulus, warum ver
folgst du mich? sogleich antwortete: Herr, was willst
du, das ich thue? Desgleichen der königliche Kämmerer
von Aethiopien, welcher, nachdem er von Philippus belehrt
worden war, ohne Verzug erwiederte:^ Sieh, da ist
Wasser, was hindert, daß ich getauft werde? Ebenso
der Hauptmann Cornelius, die Purpurhändlerin Lydia, der
Kerkermeister zu Philipp! und Andere, von denen uns in der
Apostelgeschichte berichtet wird.
Damit man aber um so besser mit Freude, Ueberlegung
und gutem Willen die Predigt anhöre, wird vor dem Beginne
derselben der heilige Geist angerufen. Dies ist also keine
Zeit, die man gedankenlos zubringen darf, sondern eine Zeit,
in der mau vor Allem Reue über seine Sünden erwecken
soll, um mit reinem Herzen das Wort Gottes aufzunehmen;
eine Zeit, in der mau Gott bitten soll, daß er den Verstand
erleuchte, um immer mehr zuzunehmen in der Erkenntniß

') H,ct, lX. 4 ««qq. — ") Ib,6. Vlll. 36.


11" Sonntag Seiagesimä.

der ewigen Wahrheit und sie reiflich zu überlegen und auf


sich selbst anzuwenden; eine Zeit, in der man Gott anrufen
soll, daß er den Willen bewege, damit sein heiliges Wort in
gutes Erdreich falle und Frucht bringe. Schauet euch nur
euer Predigtlied näher an. Flehet ihr nicht darin zu Gott,
damit er seinen heiligen Geist herabsende und euch den Weg
der Heiligkeit, der Weisheit und Gerechtigkeit führe, euch
von Sünden reinige und die Wahrheit, die uns Jesus gab,
fruchtbar mache? Lasset darum diese Zeit nicht unbenützt
verstreichen, vermeidet zugleich das absichtliche Zuspätkommen,
das Andere stört und euch manches nützlichen Samenkörnleins
beraubt, und lockert zuvor den Boden des Herzens, damit er
das Wort Gottes als göttlichen Samen aufnehme und himm
lische Früchte trage./
Als der Herr vom Sinai den Jsraeliten die zehn Ge
bote verkündet hatte, sprach er durch Moses zum gesamm-
ten Volke: " Es sollen diese Worte, die ich dir heute
verkünde, in deinem Herzen sein, und du sollst sie
deinen Kindern erzählen und sie betrachten, wenn
du in deinem Hause bist und auf dem Wege gehest,
wenn du dich niedersetzest und aufstehest. Das näm
liche Wort des Herrn ergeht auch an euch, Geliebteste, bei
jeder Predigt. Wie darum das Volk antwortete: Alle
Worte des Herrn, die er gesprochen, wollen wir thun;
so wiederholet auch ihr nach jeder Predigt: Alles, was der
Herr heute zu uns gesprochen, wollen wir thun. Dann, Ge
liebteste, dann wird dieses Wort fruchtbar sein, es wird aufgehen
als grüne Hoffnungssaat, wird emporwachsen als himmlischer
Weizen und einst von den Engeln in die ewigen Scheuern, in
die Wohnungen Gottes getragen werden. Es geschehe. Amen, x^

') Deut. VI. 6 e«clq.


VN.

Jesus, der gute Airt.


(«. Sonntag nach Ostern.)
Ich bin der gute Hirt. ^oaim. X. 11.

/<I>chon im alten Bunde liebten es die Juden, die ur


sprünglich selbst ein Hirtenvolk waren, sich Gott als einen
guten Hirten zu denken. So zum Beispiele nennt Jakob vor
seinem Hinscheiden Gott seinen Hirten, der ihn von Kindheit
an geführt hat. ^ Ebenso sieht David in den Psalmen zu
Gott, ° er möchte Jsrael leiten und Joseph führen wie ein
Lamm, das heißt dem Volke die liebende Sorgfalt eines Hir
ten erweisen; und ein anderes Mal betet er, " daß Gott ihn
wie ein guter Hirt auf gute Weideplätze führen möchte./
Noch häufiger aber wird dieses Bild in den Weissagungen
der Propheten gebraucht und besonders gern von den heiligen
Sehern auf den Messias angewendet im Gegensatze zu den
Priestern und Aeltesten des israelitischen Volkes, welche ihre
Hirtenpflichten schlecht erfüllten. Hieher gehört das vierund^
dreißigste Kapitel des Propheten Ezechicl. Gott klagt darin
mit bitteren Worten über die Führer, welche sich als schlechte
Hirten gezeigt hatten, so daß er sich genöthigt sieht, ihnen
das Hirtenamt zu entziehen, selbst die Herde heimzusuchen

') 6«u. XI>VlII. 15. — ') ?ua!u,. I.XXIX. 2. — ') ?u»Im.


XXII. 1, 2.
112 II. Sonntag nach Ostern.
und den Schafen nachzugehen. Was verloren ist, spricht
er, werde ich suchen, und was verscheucht ist, zurück
führen, und was beschädigt ist, verbinden, und was
schwach ist, will ich stärken, und was stark ist, be
wahren; und ich werde sie weiden nach Recht. Der
letzte Helfer aus aller Noth wird aber der Messias sein.
Und ich werde, sagt Gott, über sie Einen Hirten er
wecken, daß er sie weide, meinen Knecht David; der
wird sie weiden, und dieser soll ihnen zum Hirten
sein. Christus also, der Sohn Davids, wird hier mit Vor
zug als der Eine wahre Hirt verheißen. Und noch einmal
spricht Gott bei demselben Propheten:'' Und mein Knecht
David wird König sein über sie, und Ein Hirt über
sie Alle.
Eine ähnliche Vorherverkündigung des messianischen Hir
tenamtes finden wir bei dem Propheten Jrremias, und ebenso
bei Michäas und Zacharias. Besonders zart ist endlich das
Bild, dessen sich Jsaias bedient, wenn er die frohe Botschaft
der Erlösung mit den Worten meldet: ° Sieh, der Herr,
Gott, wird kommen mit Macht und sein Arm wird
herrschen .... wie ein Hirt wird er seine Herde
weiden, in seinem Arm die Lämmer sammeln und auf
seinen Schooß heben, die Säugenden wird er selber
warten.
Da nun diese Stellen des alten Testaments den Juden
und Schriftgelehrten gewiß bekannt waren, so konnte ihnen
auch der Sinn der Parabel vom guten Hirten, die Christus
auf sich selbst anwendete, gar nicht zweideutig sein. Aber
ungleich verständlicher noch ist sie uns Christen geworden, die
wir wirklich erfahren haben, wie dieser guter Hirt sein Leben
für seine Schafe gegeben, hat, wie er sie alle kennt und alle
in Einen Schafstall vereinigen will. Die Darstellung Christi

') L-ec-b. XXXVII. 24. - °) Iu, XI.. 10 86!,,.


Jesus der gute Hirt. , 113

als guter Hirt war darum von jeher das Lieblingsbild der
Christen. Wer das Glück hatte die unterirdischen Räume der
Katakomben zu durchwandern, dem wird gerade dieses Bild
in mannigfachen Formen am häufigsten begegnet sein. Bald
sehen wir den Hirten allein, mit dem Schäferstabe in der
Hand. Bald ist er von Schafen und Lämmern umgeben, die
ihn umstehen oder sich an ihn innig anschmiegen und zu ihm
emporblicken. Andere Male entwindet er ein Schäflein den
Dörnern, in die es sich verstrickt hat, oder er trägt das wie-
dergefundene Schäflein auf den Schultern, oder hält ein
Lamm in den Armen.
Ebenso wird auch Petrus dargestellt von einer Herde
umgeben; denn zu ihm hat ja der Herr gesprochen: " Weide
meine Lämmer, weide meine Schafe, als er ihm an
seiner Statt das sichtbare Hirtenamt übertrug. Daher führt
heut zu Tage noch der Papst als Nachfolger Petri und Stell
vertreter Christi den Titel: Oberster Hirt; und ebenso
werden die Bischöfe Oberhirten genannt und tragen als Sinn
bild ihrer Gewalt den Hirtenstab. Auch werden die Priester
Hirten des Volkes genannt, welche, wie Petrus sagt/ die an
vertraute Herde Gottes weiden und über sie wachen,
nicht aus Zwang, sondern freiwillig, nach Gottes
Willen.
Wir wollen darum heute an der Hand des Evangeliums
unseren Herrn und Heiland als den guten Hirten betrachten
und zwar nach jenen Eigenschaften, die er sich selbst beilegt,
damit wir stets gern und willig der Stimme dieses besten
Hirten, des großen Hirten der Schafe, wie ihn der
Apostel nennt, s folgen. Deine Gnade, o Jesus! sei mit uns.

—-"— —^..v ,.'.,.,,'!'. ^


^°)^o»uv, XXI. 15 «eqy, — ') I, ?etl. V, 2, 3<— ») Idis. V. 4.

Lierheimer, Parabeln u, Wundlr. H


11,4 II, Sonntag nach Ostern.

Drei Eigenschaften legt sich Jesus, der gute Hirt, im


heutigen Evangelium bei. Er gibt erstens sein Leben für
seine Schafe. Zweitens schreibt er sich eine genaue Kenntniß
derselben zu und wird hinwieder auch von ihnen erkannt.
Drittens endlich stellt er sich zur Aufgabe, eine volle Einheit
herzustellen, fo daß Ein Hirt ist und Ein Schafstall. Er
wägen wir nun diese drei Punkte etwas näher. -
Die Äebe, die Güte des göttlichen Hirten ist vor Allem
so groß, daß er sein Leben für seine Schafe gibt. Um die
ganze Bedeutung dieses Opfers zu erfassen, dürfen wir nicht
an jenen Augenblick allein denken, wo er am Kreuze starb,
sondern wir müssen sein ganzes Erdenleben von seiner Geburt
bis zur Himmelfahrt, ja auch sein verklärtes Leben im Himmel,
und zwar nicht bloß sein menschliches, sondern auch sein gött
liches in Betracht ziehen; denn in diesem ganzen, in diesem
weiten, ja unendlichen Umfange hat er sein Leben für seine
Schafe gegeben. Oder hat er nicht um unsertwillen auf sein
ausschließlich göttliches Leben im Himmel so zu sagen drei
unddreißig Jahre verzichtet, um ein elendes, mühevolles, sterb
liches Leben zu führen? Und wie bezeichnend sind die Um-
stände, welche gleich bei seinem Eintritte in dieses Leben, bei
seiner Geburt, uns entgegentreten!
Er wird in einem Stalle geboren, welcher Hirten als
Aufenthaltsort und Zufluchtsstätte diente; er wird in eine
Krippe gelegt, in welcher die Schafe ihr Futter fanden; er
schickt Engel vom Himmel, um zuerst armen Hirten seine
Geburt zu verkünden; Hirten sind es, von welchen er die
erste Huldigung und Anbetung empfängt. Will er nicht durch
alle diese Umstände andeuten, wie lieb ihm das Hirtenamt
sei, wie auch er ein Hirt, der gute Hirt, werden wolle?
Schaueu wir uns dann sein ganzes Erdenleben an, gleicht
es nicht in der That dem Leben eines Hirten? Zwanzig
Jahre hatte der Stammvater des israelitischen Volkes, Jakob,
dem Laban, seinem Vetter, gedient: vierzehn Jahre um seine
Jesus d« gute Hirt. 1l5
Töchter Rachel und Lia und sechs Jahre um seine Herden.
So treu, so redlich und eifrig war er in diesem Dienste, daß
er beim Abschiede zu Laban sagen konnte: ^ Bei Tag und
Nacht verzehrte mich Hitze und Frost, und der Schlaf
floh mein Auge. Jakob war ein guter Hirt, aber nicht
der gute Hirt, Jakob war nur Vorbild; der gute Hirt in
Wahrheit, im höchsten und einzigen Sinne dieses Wortes ist
Jesus Christus. Zählet alle Stunden seines dreiunddreißig'
jährigen Erdenlebens, ob sie nicht alle zum Dienste unserer
Seelen bestimmt waren? Seht, wie er sich abmüht bei Tag
und Nacht, wie er Hitze und Frost nicht scheut, wie so oft
der Schlaf von seineu Augen flieht. Bald in kleinen Flecken
bald in Städten, bald im Freien oder in Häusern, in Syna
gogen und im Tempel, bald in der Ebene, bald aus Berges-
höhen, jetzt in der Wüste und dann wieder auf dem See, hier
im engeren Kreise der Jünger und dort umgeben von zahl
reichen Volksschaaren — ist er den ganzen Tag über für seine
Schäflein thätig. Er unterrichtet sie in den Lehren des
Heiles, heilt ihre Gebrechen und Krankheiten, tilgt ihre Sün
den, stillt ihren Hunger.
Er vergißt dabei ganz auf sich selbst. Müde von der
Reise und ermattet von der Hitze setzt er sich am Iakobs-
brunnen nieder, Durst und Hunger quälen ihn; doch es gilt
ein Schäflein aus dem Samariterlande zu gewinnen, und
darum verzichtet er auf alle Ruhe und auf die nöthige Nah
rung; meine Speise, sagt er zu deu Jüngern," die ihm
zu essen anboten, ist, daß ich den Willen dessen thue,
der mich gesandt hat. Und wer könnte alle Schritte
zählen, die er gethan, alle Worte, die er geredet, alle Schweiß
tropfen, selbst blutige, die er vergossen, der gute Hirt für
seine Schafe. Selbst während der Nacht gönnt er sich keine
Ruhe, sondern erhebt sich zmn Gebete und AHt seine

') «on. XXXl. 40. — '°) ^»-»«». IV, »l.


116 II. Sonntag nach Ostern.

Seele aus in glühenden Bitten zum himmlischen Vater für


seine Schäflein. Von ihm allein gilt das Wort des Psal-
misten: " Sieh, nicht wird schlummern und nicht wird
schlafen derjenige, welcher Jsrael beschützt.
Oft wird ihm seine Arbeit erschwert, oft heuleu die
Wölfe, wenn er zur Herde spricht. Doch alles Murren, alle
Nachstellungen und Verfolgungen der Pharisäer können seine
Hirtensorgfalt nicht vermindern. Als David noch die Herden
feines Vaters weidete, da erlegte er öfters Bären und Löwen,
wenn sie ein Schaf raubten, faßte sie am Kinn, würgte und
tödtete sie. Mit einem noch wüthenderen Feinde hatte der
göttliche Hirt zu kämpfen, mit jenem brüllenden Löwen, der
herumgeht, um Seeleu zu verschlingen; doch er bändigte ihn,
zwang ihn, die Leiber der Besessenen zu verlassen, und entriß
ihm die Seelen, die er bereits als seine Beute betrachtet hatte.
Und welche Liebe bewies er dann solchen geretteten Schäflein!
Denket an Zachäus, an Magdalena, an Petrus, an den
Gichtbrüchigen, deren bloße Namen schon mehr als hinreichend
sind, um die große Liebe dieses Hirten zu erkennen.
Doch es genügt ihm nicht ein Leben voll von Mühen
für seine Schafe zu geben, er will auch eiu Leben voll von
Leiden für sie geben. Erlasset es mir, verehrte Zuhörer, euch
alle Schmerzen aufzuzählen, die er von der Krippe bis zum
Kreuze unsertwegen erduldet hat, und begnüget euch mit jenen
Worten des Psalmisten, in welchen er den Herrn mit einem
von vielen Hunden gehetzten Wilde oder Schafe vergleicht,
wenn er sagt: ^ Mich umringen viele Hunde, der Bö
sewichte Schaar umlagert mich; sie haben meine
Hände und Füße durchbohrt, und gezählt alle meine
Gebeine.
Ja so weit geht seine Liebe zu den Lämmern seiner
Weide, daß er selbst zum Lamme wird, wie es Johannes der

") l>5»Iw. oxx. 4. — ") pslllw. XXI, 17, 18.


Jesus der gute Hirt. 11?
Täufer ausdrückt:" Seht das Lamm Gottes, das hin
wegnimmt die Sünden der Welt; und noch deutlicher der
Prophet Jsams:" Er ist geopfert worden, weil er selbst
es wollte, und er thut seinen Mund nicht auf; wie
ein Schaf wird er zur Schlachtung geführt, und dem
Lamme gleich vor seinem Scheerer ist er stumm und
öffnet nicht seinen Mund. Wo wäre ein Hirt, der sich
um eines Schafes willen die Ader öffnen ließe? Der göttliche
Hirt aber gibt wirklich all fein Blut bis zum letzten Tropfen
hin. Darum genügt ihm nicht ein Leben voll Mühen, nicht
ein Leben voll Leiden; er will sein ganzes Leben hingeben bis
zum Tode. Und welches Leben und zu welchem Tode? Ein
unendliches Leben, das Leben eines Gottmenschen, für Sünder,
die das Leben verwirkt hatten; ein schuldloses Leben für
schuldbeladene Knechte. Doch wer wäre im Stande, die
Größe einer solchen Liebe zu bemessen? „Du hast mich," ruft
der heilige Augustin aus, „du hast mich, o Herr, mehr geliebt ^-
als dich selbst, weil du sterben wolltest für mich." „So über
reich," sagt der heilige Eusebius, „so überreich war die Erlösung,
daß man meinen sollte, der Mensch habe den Werth eines
Gottes, weil der Gottmensch für ihn sterben mußte," sterben
in tiefster Erniedrigung, sterben am Kreuze. Wahrlich, eine
größere Liebe hat Niemand als diese, daß Einer sein
Leben hingibt für seine Freunde." Wer sind denn
diese Freunde? Alle, die seines Erbarmens bedurften, alle
verirrten Schafe, alle Seelen, die er erkaufte mit seinem Blute.
Aber die Liebe des guten Hirten endet mit dem Tode
nicht, sie erstreckt sich über das Grab hinüber; sie dauert
nicht bloß jene vierzig Tage, die er nach der Auferstehung noch
auf Erden zubrachte, sondern sie währt ewig. Jmmer bleibt er
der unsichtbare Hirt, der jedem Schäflein seiner Herde zuruft: '"

") >Io»nn, I. 29. - ") I«. I.III, 7. — ") ^ounn XV. 13. —
'°) I.U0. XII. 32.
l18 II. Sonntag noch Osten«.

Fürchte dich nicht du kleine Herde, weil es eurem


Vater gefallen hat, euch das Reich zu geben. Fort
und fort ruft er als guter Hirt die verirrten Schäflein zurück,
fort und fort steht er mit seiner Gnade und seinen Tröstungen
den Bedrängten und Verfolgten bei, fort und fort wacht er
als oberster Hirt über die ganze Herde, seine heilige Kirche.
Er ist es, der die Martyrer stärkt; er, der die Bekenner zur
Tugend führt; er, der Jungfrauen sich verlobt; er, der jede
Seele innerlich erleuchtet und zum Heile führt; er, der über
die gesammte Kirche wacht. Seht, spricht er," ich bin
bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt.
Und wie er unsichtbar die Herde lenkt und leitet, ebenso
will er sie sichtbar durch Stellvertreter regieren. Weide
meine Lämmer, weide meine Schafe, spricht er zu Petrus
und zu allen seinen Nachfolgern. Die gleiche Sorgfalt für
die gläubige Herde legt er allen seinen Dienern ans Herz,
damit sie wachen über die Seelen und einst Rechenschaft dar
über ablegen können.
Schaut euch um, verehrte Zuhörer, außer der katholischen
Kirche, ob ihr Hirten findet, die ihr Leben für ihre Herde
gaben? Sie sind nicht Hirten sondern Miethlinge, darum
fliehen sie und lassen die Schafe im Stiche. Die katholische
Kirche dagegen zählt treue Hirten, die nach Jesu Beispiel ihr
Leben ließen, nach Hunderten in jeder Zeit. Erinnern wir
uns an die ersten Päpste, an die Leiden eines Athauasius und
Chrysostomus, an einen heiligen Thomas von Canterbury, an
Johannes von Ncpomuk, an das Martyrium der Glaubens
boten in China und Hindostan in allerjüngster Zeit, an die
Drangsale der pflichttreuen Bischöfe jetzt in Jtalien, oder an
den im Jahre 1848 auf den Barrikaden erschossenen Erz
bischof Affre von Paris, den seine Menschenliebe und Hirten
treue zum Martyrer machte. Seht, in solchen Helden lebt

") zi»ul,, xxvm. 20.


Jesu« der gute Hirt. I!9

der gute Hirt sichtbar fort, der sein Leben gibt für seine
Schafe.
Noch eine andere Opferung dieses Hirten bitte ich wohl
zu beachten. Wie er einst sein sterbliches Leben wirklich hin
gab, so gibt er es noch immer täglich in mystischer Weife
hin, im heiligen Opfer der Messe, und gibt es geheimnißvoll
und doch wesentlich hin in der heiligen Comnmnion, so daß
der heilige Johannes Chrysostomus fragen kann: „Wel- /^,
cher Hirt hat je seine Schafe mit seinen eigenen Gliedern ge
sättigt? Welcher Hirt tränkt seine Schafe mit seinem eigenen
Blute? Christus allein hat dies gethan, der unendlich gute
Hirt, welcher die erlösten Schafe so liebt, daß er sie mit
seinem eigenen Fleische nährt und sättigt." Seht, verehrte
Zuhörer, an all das müssen wir denken, wenn wir das Wort
des Heilandes betrachten: Jch bin der gute Hirt; der
gute Hirt gibt sein Leben für seine Schafe.'
Aber er hat nicht bloß ein menschliches sondern auch ein
göttliches Leben. Gibt er auch dieses für seine Schafe ? O
gewiß, er gibt es ihnen zum Lohue, wenn sie seine Stimme
hören und ihr folgen; denn er verleiht ihnen das ewige Leben,
d. h. die Theiluahme an seiner unendlichen, göttlichen Glück
seligkeit. Jch muß bekennen, Geliebteste, daß ich, je tiefer
mein Geist in diese unbegränzte Güte des göttlichen Hirten
eindringt, um so weniger Worte finde, um mein Erstaunen
auszudrücken. Jch muß da so ganz das' Herz allein gehen
lassen, dessen Empfindungen um so unaussprechlicher werden,
je lebhafter, je inniger und glühender sie sind. Leben um ^
Leben, sagt das Gesetz.'« Ja, Leben um Leben. Gott hat
sein Leben für mich hingegeben, darum soll auch mein Leben
Gott gehören. Der Hirt hat das Schäflein ewig geliebt,
ewig will darum auch das Schäflein den Hirten lieben.
Der gute Hirt kennt seine Schäflein, und seine Schäflein

') Deut. XIX. 2l. ''''''


130 II. Sonntag nach Ostern.

kennen ihn. Dies ist die zweite Eigenschaft, welche sich Jesus
als Hirt der Seelen beilogt. Was will er damit ausdrücken?
Jch bin, spricht er, der gute Hirt und kenne die Mei
nigen, und die Meinigen kennen mich; so wie mich
kennt der Vater und ich kenne den Vater. So innig
also, so unmittelbar und klar erkennt Christus seine Schäflein,
wie er vom Vater erkannt wird und hinwieder den Vater er
kennt. Von Ewigkeit erkennen sich der Vater und der Sohn,
denn im Anfange war das Wort und das Wort war
bei Gott. Sie erkenuen sich gegenseitig so, wie jeder sich selbst
erkennt, denn ich und der Vater bin Eins." Sie erkennen
sich nicht bloß mit spekulativer Erkenntniß, sondern ihr innigstes
Erkennen ist zugleich ein innigstes Lieben, denn dieser ist mein
innig geliebter Sohn, an dem ich all mein Wohlgefallen
habe. °" Ebenso also erkennt auch der Sohn die Seinigen.
Er erkennt sie von Ewigkeit her als die Ausersehenen,
die seinem Bilde gleichförmig werden sollen. Er erkennt sie
als sein Eigenthum, das ihm durch das Erlösungswerk gehört;
darum betet er auch:^ Heiliger Vater, erhaltesie in
deinem Namen, die du mir gegeben hast, daß sie
Eins seien, wie auch wir. Er erkennt und liebt sie zu
gleich; er liebt sie, wie Johannes schreibt,^ bis an das
Ende. Er erkennt sie, während sie noch hienieden wandeln
und ruft sie beim Namen, weil sie nach seinem Ebenbilde er
schaffen, weil sie mit seinem Zeichen, dem Kreuze, und mit
seinem Blute gezeichnet sind, und seiner Kirche und ihm ein
verleibt wurden in der heiligen Taufe, weil sie seine Tugen
den nachzuahmen suchen, weil sie seine Lehre und seine Gebote
beobachten, weil sie einander lieben. Denn daran, sagt
er," wird man erkennen, daß ihr meine Jünger seid,
wenn ihr einander liebet, v

") ^ÜNN. X. 30. - ") zlattli. III. 17; XVII. 5. — ") ^ounn.
XVII. U, — ") Idid. XIII. l. — ") lbicl. v. 35.
Jesu« der gute Hirt. I2l

Aber auch die Schafe erkennen den guten Hirten, hören


seine Stimme und folgen ihr. Sie erkennen ihn durch die
heiligmacheude Gnade, die er ausgegossen hat in ihre Herzen;
und der Geist, wie der Apostel sagt," gibt Zeugniß
unserem Geiste, daß wir Kinder Gottes sind. Sie
erkennen seine Stimme, in den besonderen Gnaden, womit er
sie zum Guten anregt und zu dessen Vollbringung kräftigt.
Sie erkennen ihn besonders durch die sakramentale Lebensge
meinschaft iu der heiligen Communion, wo er zu ihrem Her
zen redet. Sie erkennen ihn in Leiden und Widerwärtigkeiten,
wo er die Mühseligen aufrichtet und tröstet; erkennen ihn in
Heilsgefahren, wo er sie warnt und vom Bösen abhält. Und
diese Erkenntniß durch den in Liebe lebendigen Glauben macht
schon hinieden ihre Glückseligkeit, die einst durch nnverhülltes
Erkennen zur Seligkeit selbst wird, weshalb der göttliche
Heiland spricht:^ Dies ist das ewige Leben, daß sie
dich erkennen, den einzigen wahrhaften Gott, und
den, so du gesandt hast, Jesum Christum. Jede andere
Erkenntniß ohne die göttliche ist werthlos und nichtig, wie
dies Gott schon durch den Propheten Jeremias ausgesprochen
hat-2" Nicht rühme sich der Weise seiner Weisheit,
und nicht rühme sich der Tapfere in seiner Tapfer
keit, und nicht rühme sich der Reiche seines Reich-
thums; sondern darin rühme sich, wer sich rühmt,
mich zu erkennen und zu verstehen, daß ich bin der
Herr, der ich Gnade übe.
Bestreben wir uns darum auch, verehrte Zuhörer, unseren
göttlichen Hirten immer besser zu erkennen, nicht bloß durch
den Glauben, sondern durch die That, durch treues Hören
auf feine Stimme, durch Befolgung seiner Lehre, durch Flucht
vor jeder schweren Sünde. Eine Entfremdung der traurigsten
Art ist die Sünde, sie reißt das Schäfke!n los von seinem

') liom. VIII, 16 — ") ^ounr,, XVII, 3. — ")^i,em. IX, 2,?, 21.
122 II, Sonntag nach Ostern.

Hirten, verdunkelt den Verstand und verdirbt das Herz, so


daß es den Hirten nicht mehr erkennt, wie auch der Hirt den
Untreuen nicht erkennt und ihn auf ewig von sich verstoßen
muß. Ein Undank der gräulichsten Art ist die Sünde, durch
welche das Schäfleiu vergißt, daß der gute Hirt sein Leben
hingegeben hat, um es vom Bösen zu befreien. Ein Un
glück, größer als jeder zeitliche Nachtheil ist die Sünde, weil
sie das Schäflein ausstößt ans der Herde und es zur Linken
unter die Böcke stellt, zu welchen einst der ewige Richter
sagen muß: °? Hinweg von mir, ihr Verfluchten, ich
kenne euch nicht.
Die dritte Aufgabe endlich, welche sich der gute Hirt
stellt/ ist die Verwirllichung wahrer Einheit, so daß Ein Hirt
ist und Ein Schafstall. Hierüber noch einige Worte. /

> Wir alle, klagt der Prophet Jsaias,^ irrten Schafen


gleich, jeder kehrte sich nach seinem Wege. Jrre ge
führt von den eigenen Hirten war das Volk Jsrael zer
splittert in religiöse und politische Parteien. Die einen folgten
den Pharisäern, andere wurden von den Sadducäern, wieder
andere von den Essäeru und Herodianern geleitet. Da kam
der gute Hirt, um Alle für sich zu gewinnen und sie wieder
zu Einer Herde zu verbinden.
Aber er hatte außer der Gemeinde Jsrael auch noch
andere Schafe, die nicht aus diesem Schafstalle waren und
gleichfalls umherirrten und ihre Wege gingen. Auch sie muß
er nun herzuführen, die außer dem alten Bunde stehenden
Heidenvölker, um aus Juden und Heiden Eine Herde unter
Einem Hirten zu bilden. Er nennt auch die Heiden seine
Schafe. Denn ihm gehören sie aus verschiedenen Titeln.
Er ist ihr Schöpfer, er hat sie erlöst und erkauft mit kost-

') U-mI,. XXI. l2, 4l. — ") lu. Uli. 6.


Jesu« der gute Hirt. 123
barem Lösepreis; seinem Reiche gehören sie zu, weil dessen
Grunzen die Gränzen des Erdkreises sind; ihm wurden sie
vom Vater als Erbe zugesprochen. Die Scheidewand, welche
bisher beide Theile auseinandergehalten, mußte fallen, aus
beiden soll Eins werden. Es ist, wie der Apostel sagt, °'
kein Unterschied mehr zwischen Juden und Heiden,
denn sie haben alle denselben Herrn, der reich ist
für Alle, die ihn anrufen.
Der göttliche Heiland gibt sich also als den Stifter der
Kirche des neuen Bundes zu erkennen. Nicht mehrere, son
dern Einen Echafstall, Eine Kirche, will er gründen. Nicht
auf verschiedenen Weideplätzen soll sich die Herde zerstreuen,
sondern Eine Lehre, Ein und dieselben Heilsmittel sollen alle
Schäflein empfangen; nicht von unter sich getrennten Hirten
sondern von Einem Oberhirten sollen Alle geleitet werden.
Die Kirche Jesu Christi muß also vor Allem das Merk
mal der Einheit haben, Einheit im Glauben, Einheit in den
Gnadenmitteln, Einheit im Oberhaupte. Und da der göttliche
Hirt nur zu den Juden persönlich, zu den Heiden aber durch
seine Sendboten, durch die Apostel, redete, um sie zu Einer
Kirche zu vereinigen; so muß die Kirche auf Christus und die
Apostel gebaut, sie muß apostolisch sein. Nicht Eine Nation
allein, nicht bloß das Jndenthum, sondern alle Nationen der
Erde sollen zum Schafstall vereinigt werden; die Kirche Jesu
Christi kann nicht Nationalkirche sein, sie muß allgemein, sie muß
katholisch seiu. Und welches ist der Zweck dieser Einen, aposto
lischen nnd katholischen Kirche? Die Verbindung der Schäflein
mit Christus, ihre Cntsündigung durch seinen Sühnopfertod,
durch Hiugabe seines Lebens, mit einem Worte, die Heiligung.
Welcher nun, verehrte Zuhörer, wenn wir die verschie
deneu christlichen Sekten, die protestantischen und schismatischen,
überblicken, welcher kommeu diese Merkmale zu, welche ist dlr

'") Iluli^ X. 12.


124 II. Sonntag nach Ostern,

wahre Schafstall des guten Hirten? Weder heilige Stifter,


noch wirkliche Heilige besitzen die griechischen, armenischen und
russischen Schismatiker seit ihrem Abfalle von Rom; und noch
weniger besitzen solche die verschiedenen protestantischen Sekten,
Beiden fehlt die Katholicität der Zeit und des Raumes,
beiden die Apostolicität; denn keine reicht hinauf ins aposto
lische Zeitalter, vielmehr haben sie sich von jener Kirche los
gerissen, in welcher die apostolische Nachfolge nie unterbrochen
wurde. Allen fehlt die Einheit im Glauben und im Ober
haupte; die einen wollen gar kein sichtbares Oberhaupt, die
anderen suchen es in Athen, wieder andere in Constantinopel,
noch andere in St. Petersburg oder Moskau.
Der Katholik dagegen, unter welchem Himmelsstriche er
immer leben mag, findet überall die geistigen Weideplätze,
überall findet er Ein höchstes Oberhaupt, überall Bischöfe als
Nachfolger der Apostel, überall weiß er sich als Glied Eines
großen Ganzen, als Schäflein im Schafstalle des guten Hirten,
Und diese Einheit der Herde unter Einem guten Hirten ist
vielleicht, seit die Kirche steht, niemals großartiger hervorge
treten, als gerade in unseren Tagen. Wie es von der Krippe
des Heilandes in den Psalmen heißt: ^" Die Könige von
Tharsis, und die Jnseln werden Geschenke reichen,
die Könige der Araber und von Saba Gaben bringen;
so wurden und werden in der That gegenwärtig dem Stell-
vertreter des Heilandes aus allen Theilen der Welt, aus
Amerika und Afrika, aus Europa und Asien und bis von den
fernen Jnseln der Sildsee kostbare Geschenke und Liebesgaben
zu Füßen gelegt, von Nord und Süd, von Ost und West
kommen Beweise der Liebe, der Verehrung und Huldigung,
welche die Schäflein dem Hirten zollen. Wo immer die
Schäflein leben mögen, fühlen sie sich doch alle als Glieder
Einer großen Her5e, als Angehörige Eines Schafstalles, als
Kinder des besten Hirten.
") ?i,»Im. I.XXI. lo.
Jesus der gute Hirt. 125
Welch ein Glück, welch ein Trost liegt darin für uns,
verehrte Znhörer, zu wissen, daß auch wir Glieder dieser
Kirche sind, für welche der göttliche Hirt unablässig besorgt
ist, die er als die seinige erkennt und für die er Alles, auch
sein Leben, hingegeben hat. Welch eine Beruhigung gewährt
uns, wie ermuthigt und stärkt uns in jeder Bedrängniß der
Gedanke, daß der gute Hirt, wie über die ganze Kirche so
auch über jedes einzelne Schäflein wacht. „Denn so," schreibt
der heilige Augustin, „sorgt er für jeden Einzelnen aus nus,
wie wenn er nur für ihn allein besorgt wäre; und so sorgt
er für Alle, wie für jeden Einzelnen." Ja für uns Alle ins-
gesammt und für jeden Einzelnen ist er ein guter Hirt; so
daß jeder wie der Apostel Paulus von sich sagen kann: "
Jch lebe im Glauben an den Sohn Gottes, der mich
geliebt und sich selber für mich hingegeben hat.
Jst aber die Liebe des göttlichen Hirten zu uns so groß,
so unaussprechlich groß, dann müssen gewiß auch wir beflissen
sein, wahrhaft gute Schäflein zu werden. Wie fein Auge
stets auf uns gerichtet ist, so wollen auch wir ihn überall
vor Augen haben und unser Leben nach seinem Beispiele ein
richten. Wie sein Ohr jederzeit geneigt ist, unsere Bitten zu
hören, so wollen auch wir stets auf seine inneren Eingebungen
und auf feine Lehren hören. Wie die Schafe furchtsam sind
und sogleich, sobald sie eine Gefahr bemerken, um den Hirten
sich drängen, so wollen auch wir in jeder Versuchung zum
Herrn unsere Zuflucht nehmen. Ueber rauhe Pfade muß
zuweilen der Hirt die Herde führen, ehe sie zu fetten Triften
gelangt; auch uns führt der Herr zuweilen auf dem Pfade
der Trübsale, durch Prüfungen und Leiden, aber sie sind
nur der Weg zu himmlischen Tröstungen, zum himmlischen
Weideplatze. Folgen wir also überall und unter allen Um,
ständen dem Rufe des guten Hirten.

') «uI. II. 20.


126 II, Sonntag nach Ostern. Jesus der gute Hirt.
Wie ein Wanderer, der ein entferntes Ziel erreichen
will, unterwegs nicht stehen bleibt, wenn eine schöne Flur sein
Auge fesselt, sondern vorwärts trachtet; so dürfen auch wir
an Jrdisches und Vergängliches das Herz nicht hängen, wo
Ewiges und Unvergängliches unser harret. Jch bin die
Thüre, sagt der göttliche Heiland, ^^ wenn Jemand durch
mich hineingeht, wird er gerettet werden; und er
wird hineingehen und herausgehen, und wird Weide
finden. Es gibt keinen anderen Eingang zum Himmel als
durch Jesus Christus; es führt kein anderer Weg zur himm
lischen Weide als jener, welchen der gute Hirt vorgezeichnet hat.
Betreten wir ihn also, ohne jemals wieder davon abzuweichen.
Die österliche Zeit geht bald ihrem Ende entgegen.
Sind wohl Alle vom Pfade des Verderbens durch Reue und
Weicht zurückgekehrt, haben Alle deu festen Vorsatz gefaßt,
nicht mehr darauf zu wandeln? O daß doch kein irrendes
Schäflein mehr sich fände, welches dem guten Hirten entrinnen
will; daß doch Alle hineingingen durch ihn! Ja, lasset uns
Alle hineingehen mit Christus in ein neues Leben nach dem
Glauben, damit wir einst auch herausgehen können aus dem
zeitlichen Leben, hinüber zum ewigen, zur Glorie. Lasset
uns hineingehen in den Weg des Heiles, um mit vielen
Verdiensten und guten Werken bereichert heranszugehen.
Lasset uns hineingehen in die Weideplätze der streitenden
Kirche, zur fleißigen Anhörung des göttlichen Wortes, zum
öfteren Empfang der heiligen Sakramente, zur Erfüllung
aller katholischen Pflichten, damit wir einst herausgehen aus
der streitenden in die trinmphirende Kirche, uns am letzten
Welttage zur Rechten des guten Hirten wieder zusammen-
schaaren und mit ihm auch dort oben in der Weide ewiger
Anschaunng Eine Herde bilden. Amen.

") ^nl.nn, X. 9.
VIII.

Zas große Abendmaßl.


Bedeutung des Altares.

(l>. Sonntag nach Pfingsten.)


Ich werbe eingehen zum Altare Gotte«. ?u»!«. XI.Il. 4.

M <^vas der göttliche Heiland mit dem heutigen Gleichnisse


lehren wollte, ist leicht zu verstehen. Ein vornehmer Phari
säer hatte ihn zugleich mit anderen Gästen zu Tische gebeten.
Der Herr bemerkte dabei, wie Manche derselben sich die ersten
Plätze aussuchten, und warnte deshalb vor Rang- und Ehr
sucht, während er gleichzeitig dem Gastgeber selbst den Rath
gab, daß er besser thäte, wenn er die Armen, Presthaften,
Lahmen und Blinden einladen würde, denn dafür würde er
reiche Vergeltung erhalten bei der Auferstehung der Gerechten.
Daher sagte einer der Tischgenossen, welcher diese Rede ver
nommen hatte: ' Selig, wer da mitfpeisen wird im
Reiche Gottes./
Eben diese Aeußerung nun gab dem Herrn Anlaß, die
Parabel von dem großen Abendmahle vorzutragen. Sie be
zieht sich also zunächst auf, die Vereinigung mit dem Herrn
in der triumphirenden Kirche, auf die ewige Tischgenossenschaft X
der Seligen mit Gott in seinem Reiche. Da aber die Kirche

') I.ue, XIV. 15.


128 II. Sonntag nach Pfingsten.

schon hienieden ein Mahl besitzt, durch welches wir in die


innigste Verbindung niit Jesus treten, ein Mahl, das zugleich
Unterpfand des Antheils an der himmlischen Tischgenossen
schaft, am ewigen Leben, ist; so bezieht sich das Gleichniß
auch auf die eucharistische Feier, auf das Opfer und die
Communion, und wird darum recht passend für den Sonntag
der Fronleichnamsoktav gewählt, um die Gläubigen zur Theil-
nahme daran einzuladen.
Allein wie der Herr selbst es andeutele, so ist es leider
noch. Jrdischer Besitz, geldgieriges Trachten und Aeuver-
mähltsrin, d. h. sinnliches Leben, hält gar Viele fern von der
Theilnahme am eucharistischen Mahle und am Opf« der
Altäre, wo es zubereitet wird. Dafür aber wird, was diefe
verschmähen, gerade jenen zu Theil, die in den Augen der
Welt oftmals gering und schlecht erscheinen; der Armen im
Geiste ist das Himmelreich, während die Verächter des
Mahles auf Erden auch vom himmlischen ausgeschlossen wer
den. Würden diese recht erwägen, wer der ist, der sie ein
ladet, wozu er sie einladet, und welche Speisen er ihnen vor
setzt, so müßten sie dem Rufe seiner Diener folgen. .
Ein solcher Ruf soll heute auch durch mich ergehen.
Es liegt jedoch nicht in meiner Absicht, etwa von den Freuden
der ewigen Tischgenossenschaft ^ oder vom heiligsten Sakramente
überhaupt zu reden, sondern speziell von dem Orte, wo es
bereitet, aufbewahrt und gespendet wird, und von welchem es
auch den Namen hat, vom Altare. Was ist der Altar für
uns, was stellt er vor, an was erinnert er uns? Diese
Fragen möchte ich beantworten. Hat man nämlich die Be
deutung des Altares recht erfaßt, so ist dies an sich schon
eine wichtige Einladung zur Theilnahme an den anbetungs
würdigen Geheimnissen, die dort gefeiert werden, am Opfer
und am Opfermahle Jesu Christi.,
') S. meine Vorträge über „Leib und Seele." N. XXVII. Regensb.
Mauz. 1564.
Da« große Abendmahl. 129

Das Wort Opfer und das Wort Altar sind so zu


sagen identisch; denn es gibt kein Opfer ohne Altar, und wo
ein Altar ist, ist er eben zum Opfer bestimmt. Durchgehen
wir die ganze alttestamentliche Geschichte von Abel bis herab
zu den Machabäern; häufig lesen wir, daß Gott Altäre er
richtet wurden, aber nie, ohne daß man darauf Opfer ent
richtete. Und hinwieder, wenn von Opfern die Rede ist,
werden stets die Altäre erwähnt oder als schon vorhanden
vorausgesetzt. So, um nur einige Beispiele anzuführen, er
baute schon Noe nach der Sündfluth einen Altar und brachte
ein Dankopfer dar.^ Ebenso erbaute Abraham einen Altar,
und das Opfer, welches darauf geschlachtet werden sollte, war
sein eigener Sohn Jsaak, das Vorbild des Erlösers. * Jakob
erfreut sich der Erscheinung der Himmelsleiter, zum Danke
errichtet er einen Altar und entfernt sich nicht eher von dem
Orte, den Gott durch seine Gegenwart geheiligt hat, als bis
er Oel darauf gegossen und das Gelübde gemacht hat, später
»uf diesem Altar, wenn der Herr ihn segnete, Opfer darzu
bringen. ° Moses will am Fuße des Sinai opfern, da baut
er einen Altar und zwölf Denkmäler nach den zwölf Stämmen,
und schlachtet junge Rinder zum Brand- und Friedopfer dem
Herrn. " Ebenso errichteten die Jsraeliten auf dem Berge
Hebal nach dem Einzuge ins verheißene Land einen Altar und
brachten auf demselben Arandopfer dar.' Gott bestimmte
später, daß der Tempel zu Jerusalem die einzige Opferstätte
sein sollte, und wir finden darin je nach Beschaffenheit der
Opfer einen Rauchopferaltar, einen Altar für die Schaubrode
und den Brandopferaltar. Kurz, im ganzen vorchristlichen
Alterthume waren Altar und Opfer zwei unzertrennliche
Begriffe.,
Wird es darum im neuen Bunde, der im alten sein

') «eN. VIII. 2«. — <) Non. XXII. 9. — 5) ldi<l. XXVII!; XXXV.
— ") «xo<I. XXIV. 4. — ') ^«u. VI». 3l.
iierheimer, Parabeln u, Wunder. 9
130 II. Sonntag nach Pfingsten.

Vorbild hatte, anders sein, zumal die alttestamentlichen


Opfer nur im Hinblicke auf das große Opfer des neuen
Bundes einen Werth, hatten? Auch im neuen Testament sind
Altar und Opfer auf das Jnnigste verwandt. Da aber nur
die katholische Kirche ein wahres Opfer hat, so finden wir
auch nur in ihr wahre Altäre, und daher auch die ganz be
sondere Feierlichkeit, welche die Kirche für die Consecration
dieser zum Dienste Gottes bestimmten Orte vorschreibt. Das
Opfer aber ist Jesus Christus selbst, der sich als unblutiges
Opfer hingab beim letzten Abendmahl und als blutiges am
Kreuze. Demnach ist der Altar erstens das Bild des Abend
mahlstisches, zweitens das Bild des Kreuzes und drittens
stellt er Jesus Christus selbst vor, ist also gleichsam eine
fortdauernde Erscheinung und Vergegenwärtigung des Gott
menschen.
Diese verschiedenen Beziehungen werden wir darum näher
erwägen, woraus sich dann die Heiligkeit unserer Altäre und
die Ehrfurcht und Liebe, mit welcher wir vor ihnen erscheinen
müssen, von selbst ergibt. Beginnen wir unter Anrufung des
göttlichen Beistandes. Deine Gnade, o Jesus! sei mit uns.»

Der Altar stellt uns jenen Tisch vor, an welchem Chri


stus das letzte Abendmahl mit seinen Jüngern feierte und
das allerheiligste Sakrament einsetzte; er stellt uns ferner das
auf Golgatha errichtete Kreuz vor, an dem Jesus das, Werk
unserer Erlösung vollbrachte; er stellt uns endlich Christus
selbst vor, den Haupteckstein seiner Kirche und den Mittel
punkt der Einheit aller Gläubigen. Da aber das Abendmahl,
das Kreuz und Christus als Opfernder und Geopferter im
Meßopfer sich vereinigen, so liegt, wenn, auch schon jeder dieser
Umstände einzeln für sich Ehrfurcht erweckt und Verehrung
gegen die Altäre erzeugt, dennoch in der Gesammtheit aller
die Hauptbedeutung und der Hochwerth des Altares. Wir
Dus große Abendmahl. 131

werden daher diese Punkte je für sich und dann insgesammt


in Verbindung mit dem Opfer betrachten.
Jch sagte, der Altar stelle uns erstlich jenen Tisch vor,
an welchem Christus das letzte Abendmahl feierte und das
heiligste Sakrament einsetzte. Daher kommt es, daß bei den
Vätern häufig der Altar als heiliger Tisch, Tisch des Herrn
bezeichnet wird; ja schon der heilige Paulus bedient sich im
ersten Briefe an die Korinther dieses Ausdruckes. ^ Denu
ganz das Nämliche, was am Abendmahlstische geschah, geschieht
auch auf unseren Altären. Dort brach Jesus das Brod,
segnete es, blickte dankend zum Himmel, reichte es den
Jüngern und sprach: Nehmet hin und esset, denn dies
ist mein Leib. Ebenso nimmt am Altare der Priester in
der Person Christi und kraft des Auftrages: Dies thut zu
meinem Andenken, das Brod, blickt dankend auf zum
Vater, segnet es und spricht aus göttlicher Vollmacht den
Herrn vertretend: Dies ist mein Leib; auch bricht er das
Brod und reicht es den Gläubigen zum Genusse dar. Des
gleichen ergreift er wie Christus beim letzten Abendmahle den
Kelch und spricht: Dies ist der Kelch meines Blutes,
des neuen und ewigen Bundes, ein Geheimniß des
Glaubens, das für euch und für Viele wird vergössen
werden zur Vergebung der Sünden. Die Kirche also
ist der Speisesaal und der Altar der Tisch, an welchem das
letzte Abendmahl erneuert, das vornehmste Geheimniß göttlicher
Liebe und Erbarmung gefeiert wird.
Voll Glauben an die Macht ihres göttlichen Erlösers
saßen damals die Jünger zu Tische, voll Andacht und glühen
der Liebe empfingen sie aus den Händen des Herrn das
Lebensbrod, den wahren Leib dessen, der das Leben selbst und
auch unser Leben ist. Werden also nicht auch wir voll Glau-
ben> voll Andacht und Liebe vor den Altären erscheinen müssen?

°) I. Forint!,. X. 2l.
132 ll. Sonntag nach Pfingsten.

Wenn wir nach Jerusalem gehen, dort das Speisegemach be


treten und noch den Tisch darin finden könnten, mit welcher
Ehrfurcht würden Wir uns vor ihm niederlassen? Sieh, hier
ist Jerusalem, hier der Speisesaal, hier der Tisch, wenn auch
nicht materiell, so doch wahrhaft der nämliche. Aber wo ist
dein Glaube, wo deine Andacht und Ehrfurcht?
Wenn die Jsraeliten einst fern vom heimatlichen Boden
an den Flüssen Babylons bei der bloßen Erinnerung an ihre
Vaterstadt und deren Heiligthum weinten und jammerten und
ausriefen: ° Wenn ich deiner vergäße, Jerusalem, so
sei vergessen meine Rechte! An meinem Gaumen
klebe meine Zunge, wenn deiner ich nicht mehr ge
dächte, wenn ich Jerusalem nicht hielte für meiner
Wonne Höchstes; wenn David, als er von der Flucht vor
Absalom zurückgekehrt war, beim Wiederanblicke der Altäre
sich überglücklich fühlte, sich mit einer Taube verglich, die ein
sicheres Nest gefunden, und ausrief:'" Glückselig, die
wohnen in deinem Hause, o Herr, alle Zeit werden
sie dich preisen; wenn es seine höchste Freude war, vor den
Altären zu weilen:" Jch werde eingehen zum Altare
Gottes, zu Gott, der meine Jugend erfreut; wenn, er
dort Schutz und Kraft in jeder Noth fand: " Vor meinem
Angesichte hast du mir einen Tisch bereitet gegenüber
denen, die mich drängen; — wenn, sage ich, die Juden
und ihr König eine solche Sehnsucht nach ihrem Heiligthum
und ihren Altären trugen, auf denen doch nur Stier- und
Widderblut floß; welches Verlangen muß dann uns beseelen,
welche Wonne müssen wir empfinden vor unseren Altären,
den Tischen des großen Abendmahles, den Stätten des heilig
sten Sakramentes?
Sagt uns nicht jchon die ganze Bauart einer Kirche,

') ?8»Im cXXXVI. 5 8Lclc>. — ") I>8»lW. I.XXXIII.5. — ") ?u»Im.


Xl.Il. 4. — ") ?unlm. XXII. 5. . .
Da« große Abendmahl. 133

daß der Tisch des Herrn, der Altar, das Erste und Wich
tigste für uns sein soll? Die Thürme, gleichsam die Wegweiser,
und ihre Glocken, gleichsam deren Sprache, wohin rufen sie
uns, wenn nicht vor den Altar? Die Vorhallen und Portale
des Gotteshauses, wohin laden sie uns ein, wenn nicht zum
Erscheinen vor dem Altare? Die ganze Länge und Breite des
Schiffes der Kirche, wohin führt sie, welches ist ihr Schluß
punkt? Der Altar. Die Stufen des Presbyteriums sind sie
nicht Stufen zum Altare, die uns auffordern, auch mit unseren
Gedanken und Gefühlen höher emporzusteigen und das Herz
ruhen zu lassen vor dem Altare? Mit einem Worte, die
Altäre sind nicht der Tempel, sondern die Tempel sind der
Altäre wegen da. Darum müssen sie auch für uns das Centrum
sein, das Heiligthum, wo unsere Vereinigung mit Gott ge
feiert wird. Nähern darum auch wir uns ihnen, wie die
Apostel dem Abendmahlstische, mit jener Sehnsucht, mit wel
cher der Herr selbst an demselben seine Jünger versammelte,
mit dem Glauben des Petrus, mit der Demuth des Andreas,
mit dem Eifer des Jakobus, mit der Liebe des Johannes;
dann wird auch für uns der Altar ein Ort der Wonne,
ein Ort des Segens, ein Ort der Kraft sein wider unsere
Feinde. '
Doch der Altar stellt uns nicht bloß deu Tisch des Herrn
beim Abendmahle vor, er repräsentirt auch das Kreuz, den
Kalvarienberg. Verlassen wir zuerst im Geiste wie Jesus
den Speisesaal, folgen wir ihm nach geschehener Verurtheilung
hinaus vor die Thore Jerusalems auf die Schädelstätte und
schauen wir zu, wie man das Kreuz aufrichtet, wie der Gott
mensch daran leidet, sein Blut vergießt und stirbt. Kehren
wir dann wieder zurück zum Altare und fragen wir den
Glauben, was denn hier geschieht, wenn das heilige Meß
opfer dargebracht wird. Er sagt uns, daß da dasselbe Opfer
stattfindet, nur auf unblutige Weise, welches am Kreuze blutig
vollbracht wurde, daß die Messe nur die Erneuerung und
134 ll. Sonntag nach Pfingsten.

Wiederholung des Kreuzesopsers ist; denn derselbe Leib wird


hingaben, der am Kreuze für uns hingegeben wurde, dasselbe
Blut fließt, das am Kreuze geflossen war; derselbe Hohe
priester opfert, der am Kreuze geopfert hat. Der Altar also
ist das Kreuz, ist der Kalvaria.
Wie also werden wir davor erscheinen, mit welchen Ge
sinnungen besonders dem heiligen Opfer beiwohnen müssen?
Dreierlei Klassen von Menschen standen unter dem Kreuze
Christi auf Golgatha, und diese nämlichen drei Klassen finde
ich auch vor den Altären unter den Christen wieder. Uuter
dem Kreuze standen erstens gottlose, verworfene Menschen,
grausame Feinde und rachgierige Pharisäer. Statt ihren Er
löser zu bemitleiden, vermehren sie seine Pein; statt vor ihm
die Kuiee zu beugen, verhöhnen sie ihn; statt nm Verzeihung
für ihre Schuld zu bitten, verspotten und lästern sie ihn;
statt das Zeichen der Erlösung gläubig zu umfangen, ist ihnen
das Kreuz eine Thorheit und ein Aergeruiß./
Jch sagte, daß ich diese Klasse vor den Altären wieder
finde. Jst dieses wirklich der Fall? O! leider gibt es auch
unter den Christen solche, welche die Altäre entehren; statt
vor ihnen ihre Kniee zu beugen, ihnen lieber den Rücken
kehren; statt vor denselben in Andacht und Demuth zu weilen,
schwätzen und ungebührlich sich benehmen; denen der Altar ein
Stein des Anstoßes ist, und die allen guten Christen Aerger-
niß geben, die ebendeswegen um nichts besser sind als die ver
stockten Juden und die ungläubigen Heiden. ' Gleichwie darum
diese vom Kreuze, so gehen auch jene vom Altare hinweg
nicht gesegnet, nicht begnadigt, sondern mit neuen Sünden,
mit noch größerem Fluche beladen. Wie daher die Jnden
und Heiden unseren Abscheu verdienen ob der Unbilden, die
sie dem Kreuze und dem Gekreuzigten anthaten, so müssen
auch die Schänder und Entehrer der Altäre gebrandmarkt
werden, da der Altar das Kreuz, der Ort des Opfertodes
Jesu Christi ist.
Das große Abendmahl. 135

Doch unter dem Kreuze finde ich auch eine andere Klasse
von Menschen, jene nämlich, die voll Reueschmerz an ihre
Brust schlugen und laut bekannten : " Wahrlich, der ist
Gottes Sohn. O wie oft schon hat es sich ereignet, daß
der unglückliche Sünder voll Schmerz und Zerknirschung ob
seiner Frevel niedersank vor den Stufen des Altares und gleich
dem Zöllner im Tempel es nicht wagte, seinen Blick zu er
heben, sondern reuig an seine Brust schlug und gerechtfertigt
dann hinwegging! Denn wohin anders soll der Sünder fliehen
als hin zum Kreuze des Gotteslammes, das die Sünden der
Welt hinwegnimmt, zu den Altären, wo fort und fort das
Blut fließt, das ihn reinigt von jeder Schuld? Gleich dem
rechten Schächer, der seine Missethaten bekennt und voll
Schmerz über seine Vergehen an Jesus mit der demüthigen
Bitte sich wendet: " Herr, gedenke meiner, wenn du
in dein Reich gekommen bist; so sollen auch wir, denn
wir Alle sind ja sündige Menschen, reumüthig unsere Schuld
bekennen, damit auch uns, wenn wir vor dem Altar erscheinen,
die Früchte des Kreuzesopfers zu Theil werden und der Er
löser freundlich zu unserem Herzen spreche: Auch du wirst
mit mir im Paradiese sein. Die tiefste Demuth hat am
Kreuze sich geoffenbart; demüthig, ohne Stolz, ohne Hochmuth,
müssen auch wir vor dem Altare knieen und unsere Unwür-
digkeit gestehen, dann wird auch für uns der Altar der Ort
des Heiles, das Zeichen der Erlösung sein.
Unter dem Kreuze standen endlich Maria, , die Mutter
Jesu, Johannes, der Jünger der Liebe, und eiuige andere
getreue Freunde des Heilandes. An welche Christen mahnen
uns denn diese Personen? Sie erinnern uns an alle frommen
und Jesum liebenden Gläubigen, sie erinnern uns insbeson
dere an jene heiligen Seelen, die ihren höchsten Genuß, ihre
süßeste Wonne eben darin suchen, vor den Altären zu weilen,
>!-'' >'
") «»tili, XXVII 54. — ") I.U«. XXIII. 42.
136 ll. Sonntag nach Pfingsten.

dort ihre Gebete zu verrichten, dort ihre Liebe gleich der


Lampe vor dem Heiligthume zu entzündeu und zu vermehren,
dort ihr ganzes Herz vor ihrem Gott auszuschütten.
Wenn wir ein Auge hätten wie der Allwissende, das in
den Herzen liest, ein Auge, das die ganze Vergangenheit
ebenso überblickt wie die Gegenwart, welches Schauspiel würde
sich uns darbieten, wenn wir es gleichzeitig auf alle Altäre
richten könnten in großen Städten und in kleinen Dörfern,
in prachtvollen Tempeln und stillen Klosterkirchen, und wenn
wir dann in die Herzen alle blicken könnten, die je vor den
selben geseufzt, vor denselben geweint, gedankt, gefleht oder
frohlockt haben; o wie würden wir da erst recht das Kreuz
Jesu Christi erkenneu, von dem alles Heil und aller Segen
ausgeht, die Quelle, aus der alle Gnaden entspringen,
welche Betrübte trösten, Uumuthig« besänftigen, Verwundete
heilen, Rathlose erleuchten, Schwache stärken, Gute entflammen.
Vollkommene noch heiliger machen!
Doch wozu uns auf Andere berufen, wo wir es ja felbst
schon oft genug erfahren haben, oder leicht erfahren können,
wenn wir wollen? Sind wir nicht immer, wenn wir anders
gläubig und liebend vor dem Altare uns niederwarfen, besser
hinweggegangen? Glich das Herz ob eines Kummers, ob eines
schweren Anliegens, einer unter dem Sonnenbrande welkenden
Pflanze, so richtete es sich mit neuem Muthe auf wie diese,
wenn frischer Regen auf sie fiel. Und glich es, weil es
fromm und gut ist, einer schönen Blume, dann hat es sich
noch schöner geformt und haucht nun durch seine neuen Tugend
bestrebungen, zu denen es die Vorsätze vor dem Altare ge
holt, noch köstlichere Blumendüfle aus. Welch geheimnißvolle
und doch so fühlbare Macht liegt also im Altare!
Diese hat er aber eben daher, weil er der Tisch des
Herrn, weil er das Kreuz auf Golgatha ist, ja weil er, wie
mancher heilige Kirchenlehrer sich ausdrückt, Christum selbst
vorstellt. Deim der eigentliche Opferaltar war der Leib
Da« große Abendmahl. l3?

Christi selbst, da er ja in seinem Leibe das Opfer vollbracht


hat; daher ist der Altar ein Bild des Leibes Christi. Eben
deswegen wird der Altar gesalbt, weil auch Christus der Ge
salbte ist; ebendeshalb muß auch der consecrirte Altar oder
die Altarplatte von Stein sein, weil Christus, wie der Apostel
sagt, '5 der Fels und der Haupteckstein ist, auf dem das
ganze Gebäude, die ganze Kirche, verbunden ist und aufwächst
für Gott zum heiligen Tempel. Jnsofern aber Christus auf
dem Altare im heiligsten Sakramente bleibend gegenwärtig
ist, ist derselbe auch der Thron Jesu Christi, die wahre
Bundeslade, der heilige Berg Gottes.
Der Altar, wie ich vorhin bemerkt habe, ist der vor
nehmste Gegenstand des Gotteshauses, gleichsam dessen Haupt;
so ist auch Christus das Haupt der Kirche. Und gleichwie
die Kirche, die Gemeinschaft aller Rechtgläubigen, ohne Chri
stus aufhören würde die Kirche zu sein, so ist auch das Got
teshaus ohne Altar keine Kirche mehr. Der Altar stellt uns
also Jesus Christus selbst vor. Daher bedeutete schon im
frühesten christlichen Alterthume der Ausdruck: „einen fremden
Altar errichten," so viel, als sich von der Kirche trennen.
Gleichwie nämlich Christus als Haupt der Kirche auch der
Mittelpunkt der Einheit ist, und die Bischöfe, Priester und
Gläubigen durch Christus und mit Christus Einen Leib aus
machen, so wurde stets auch der Altar als Mittelpunkt der
Einheit betrachtet, der Bischöfe, Priester und Gläubige zu
Einem Glauben verbindet.
Derjenige also, der sich vom Altare trennt, der von den
Altären nichts wissen will, der sich scheut ihnen zu nahen, der
vor ihnen keine Ehrfurcht hat, der will auch von Christus
nichts wissen, schent Christum selbst. Willst du ein Freund
Jesu Christi sein, dann mußt du auch ein Freund der Altäre

") I. corimb. X. 4; Lpbsu. II. 20.


138 II, Sonntag nach Pfingsten.
sein. Die Altäre ehren und zu ihrem Schmucke beitragen,
heißt darum Christum ehren und schmücken.
Ja der Schmuck selbst erinnert uns, daß der Altar Chri
stum vorstellt. Denn die Leuchter mit ihren brennenden Ker
zen sagen uns, daß Christus das wahre Licht ist, das jeden
Menschen erleuchtet. Die Altartücher erinnern uns an jene
Linnen, in welche der Herr gehüllt und womit er in das
Grab gelegt wurde. Das Kreuz endlich ist das Zeichen des
Menschensohnes, auf dem er jetzt immer erscheint und mit
welchem er beim großen Gerichte wieder erscheinen wird.
Reliquien der Heiligen sind im Altare eingeschlossen, denn
Jesus ist ja auch im Himmel mit seiuen Heiligen vereint.
Wenn wir darum vor dem Altare beten, so vereinigen wir
uns auch mit den Heiligen und durch sie mit Christus.
Habet Ehrfurcht, spricht der Herr,'" vor meinem
Heiligthume. Ja, habet Ehrfurcht, denn dieses Heiligthum,
der Altar, ist der Tisch, der Sitz des größten Geheimnisses
der Liebe; dieser Altar ist das Kreuz, auf welchem das Werk
der Erlösung sich wiederholt; dieser Altar ist Christus, der
Gesalbte, der Haupteckstein, die Krone der Heiligen. Sieh,
schreibt der heilige Johannes in seiner geheimen Offenbarung,"
sieh, die Hütte Gottes unter den Menschen, er wird
bei ihnen wohnen, sie werden sein Volk, und Gott
wird selber mit ihnen, wird ihr Gott sein. Was also
die Cherubim und Seraphim, die Engel und Erzengel, die
in Ehrfurcht niederfallenden vierundzwanzig Aeltesten vor
dem Throne des Lammes sind, welches geschlachtet wurde,
das sollen wir vor dem Altare sein.
Doch wir müssen auch noch die nähere Beziehung des
Altares und dessen Verbindung mit dem Opfer betrachten.
Dieses ist ein Opfer der Anbetung, der Versöhnung, des

'") I.evit, XIX. 30. — ") Hpoo. XXl. 3.


Das große Abendmahl. 139

Dankes und der Bitte. Folglich muß auch der Altar die
Stätte unserer Anbetung, der Versöhnung, des Dankes und
Gebetes sein. Hievon nach einem Augenblicke. ,

/ Wenn schon der salomonische Tempel zu Jerusalem ein


Ort der Anbetung war, wenn stets an das israelitische Volk
die Aufforderung erging, den Herrn anzubeten an seinem
heiligen Orte, wenn Gott selbst erklärte, er habe jene Stätte
auserkoren, damit sein Name dort sei in Ewigkeit; '^ um wie
viel mehr müssen daun unsere Altäre Orte der Anbetung
sein, da auf ihnen Gott nicht bloß geistig, sondern wesentlich
gegenwärtig weilt? Und wenn Gott schon durch die Opfer des
alten Bundes so sehr geehrt wurde, daß er mehrmals erklärte,
sie seien ein angenehmer Wohlgeruch vor ihm; um wie viel
mehr muß dann das Opfer unserer Altäre für ihn ein Opfer
des Lobes und der Anbetung sein, da sein eigener gött
licher Sohn es ist, der sich zum Opfer darbringt, jener Sohn,
an dem er sein innigstes Wohlgefallen hat, jener Jesus, von
welchem der Apostel sagt, '" er habe sich für uns zur Gabe
und Gott zum Opfer eines füßen Wohlgeruches dahiugegeben?
Schon der Prophet Malachias sah es im Geiste vorher,
daß unsere Altäre Orte der Anbetung und des wohlgefälligsten
Lobopfers sein würden, wenn er spricht: °" Vom Aufgange
der Sonne bis zum Niedergange werde groß sein der
Name Gottes unter den Völkern, an allen Orten
werde seinem Namen gehuldigt und ein reines Opfer
dargebracht werden. Ja wahrlich ein reines Opfer, ein
Opfer der Huldigung und Anbetung; denn durch nichts, wie
der heilige Laurentius Justiniani schreibt, wird Gott mehr
geehrt als durch das heilige Meßopfer, welches der Heiland,

") Deut. XII. II; »!. — ") 6pbsu. V. 2. — ") Minen. I. II.
140 ll, Sonntag uach Pfingsten,

um dem Vater eine vollkommen würdige Ehre zu erweisen,


seiner Kirche hinterlassen hat.
Willst du also, mein Christ, Gott recht ehren, so eile hin
zu den Altären, vereinige dich mit dem Priester und bringe
mit ihm dem himmlischen Pater seinen inniggeliebten Sohn
dar; willst du Gott anbeten, so eile wieder zu den Altären,
sieh, da thront dein Herr und König im Tabernakel, da hat
er sein heiliges Zelt aufgeschlagen, um die Huldigungen seiner
Gläubigen zu empfangen. Gehe nicht allein hin, fordere auch
Andere auf mit dir niederzufallen vor dem Altar, damit alle
Volker wie mit einer Zunge sein Lob verkünden und dem
Ehre erweisen, dem alle Ehre gebührt. Sieh, David ladet
alle Geschöpfe ein," alle Nationen, Himmel und Erde, die
Vögel der Luft und die Fische im Meere, die Berge und
Abgründe, um den Namen des Herrn zu lobpreisen. O!
hätte David Gott so gegenwärtig gehabt, würde er ihn so
auf dem Altare erblickt haben, wie wir ihn besitzen, welches
Lob, welche Anbetung würde dann aus seinem Munde und
Herzen entsprungen sein? Lernen wir also daraus, was uns
obliegt.
Bedenken wir dann weiter, daß der Altar nicht bloß der
Ort der Anbetung ist, der Ort, wo Gott das größte Lob-
opfer dargebracht wird, sondern daß er auch ein Ort der
Versöhnung ist, der Versöhnung mit Gott und dem Nächsten.
Frieden mit Gott können wir nur durch das Kreuzesblut
Christi haben; dieses Blut aber fließt am Altare, wo täglich
der Herr bei der Wandlung spricht: Dies ist mein Blut,
das für euch und für Viele vergossen wird zur Ver
gebung der Sünden. Wende dich also reuig zum Altare,
und das Blut Christi wird dir Reinigung von deinen Sünden
und Versöhnung mit Gott verschaffen.
Aber nicht nur für die Lebenden, auch für die Ver-

') ?8l,Im, cXI.VIII.


Das große Abendmahl. 141

storbenen ist der Altar der Ort der Versöhnung. Wenn die
Seele in den Flammen des Fegfeuers schmachtet und große
Qnal erduldet, und der Priester bringt für sie am Altare das
unblutige Versöhnungsopfer dar, so schickt ihr Gott um der
Verdienste des kostbaren Blutes willen seinen Engel zu, um
ihre Pein zu lindern oder sie ganz davon zu befreien. Und
auch die Kirche sorgt für die Abgeschiedenen in besonderer
Weise, indem sie einzelne Altäre oder Priester privilegirt, um
den Seelen der Leidenden einen vollkommenen Ablaß zuzu
wenden. Seien wir darum im Leben Verehrer der Altäre
und eifrige Theilnehmer am Opfer, das darauf gefeiert wird,
dann werden Opfer und Altar uns auch im Tode nützen.
Wie innig bitten die Heiligen, wenn sie ihr letztes Stündlein
herannahen fühlen, ihre Freunde, ihrer doch ja am Altare zn
gedenken, damit ihnen Gott gnädig sei, überzeugt, daß der
Altar ein Versöhnungsort ist mit Gott.
Er ist aber auch ein Ort der Versöhnung mit dem
Nächsten, wie aus den Worten des Heilandes hervorgeht: °"
Wenn du dich erinnerst, daß dein Bruder etwas wi
der dich habe, so laß deine Gabe vor dem Altar.e,
geh zuvor hin und versöhne dich mit deinem Bruder,
dann komm und opfre deine Gabe. Ein unzertrennlicher
Zusammenhang herrscht also zwischen der Bruderliebe und
dem Opfer des Altares; will der Christ göttlicher Erbarmung
theilhaftig werden, so muß er sie auch an Anderen üben.
Endlich ist der Altar auch ein Ort des Dankes und
der Bitte. Jch brauche dies gar nicht näher zu entwickeln,
denn es geht aus dem früher Gesagten schon genügend her
vor, es sagt uns dies ein innerer Jnstinkt, es lehrt es uns
die Kirche. Denn wenn sie uns zu Dank- und Bittgebeten
ruft, so versammelt sie uns eben vor dem Altare. Dort
stimmt sie das le veum an, die Lob- und Dankeshymne

') »l»ttli. V. 23, 24,


142 II. Sonntag^nach Pfingsten.

gegen Gott, dort fleht sie um alle leiblichen und geistigen


Güter, um Beharrlichkeit der Guten, um Bekehrung der
Sünder, um Abwendung aller Uebel. Verschließt sich der
Himmel und versagt er der Erde den nöthigen Regen, so
eilen wir zu den Altären und bitten um Hilfe. Drohen Un-
gewitter und Mißwachs, wieder eilen wir zu den Altären und
suchen Beistand. Wüthen Krieg, Pest und verheerende Krank
heiten, die Altäre sind unsere Zufluchtsstätten. Kurz in allen
«allgemeinen und besonderen Anliegen suchen wir Trost und
Rettung bei den Altären, weil wir wissen, daß wir da ganz
besonders im Namen Jesu beten und vom Vater erhört
werden.
Vom Altare geht endlich das bürgerliche und geistliche
Leben aus. Denn am Altare wird die Ehe eingesegnet, am
Altare geloben die Gatten gegenseitige Liebe und Treue und
die Erziehung ihrer Kinder für Gott, am Altare empfangen
sie den Segen der Kirche und Gnade von Gott. Vom Altare
geht auch das geistliche Leben aus. Denn da werden jene
geweiht, welche zu Vätern und Wächtern des höheren Lebens
der Seelen der Gläubigen berufen sind; am Altare werden
sie geweiht, um dem Altare zu dienen, um da als Mittler
und Dollmetscher der gläubigen Herde zu Gott zu reden.
Am Altare legen jene, die der Welt entsagen und sich ganz
Gott weihen, die Gelübde des Gehorsams, der Armuth und
Keuschheit ab.
Jst aber jeder Stand vom Altare ausgegangen, dann
muß auch jeder zum Altare zurückkehren. Keiner, er mag
Laie oder Geistlicher, vornehm oder gering sein, darf sich von
ihm trennen; denn eine Trennung vom Altare wäre auch
eine Trennung von Gott, von Jesus Christus, vom Orte
alles Segens. Es gibt da keine Ausnahmen und keine Aus
wege. Jhr könnet nicht, sagt der Apostel,'" zugleich

') I. Cuiintli. X. 2l.


Das große Abendmahl. 143

theilhabeu am Tische des Herrn, am Altare, und am


Tische der bösen Geister.
Wie heilig also, Geliebteste, sind unsere Altäre! Wir
mögen sie an sich betrachten, oder in Beziehung zum Opfer
und zu uns, als den Tisch des Abendmahles, als das Kreuz
auf Golgatha, oder als die Vorstellung Christi selbst; wir
mögen sie als Stätten des Lobes, der Versöhnung oder der
Bitte und des Dankes, oder endlich als die Ausgangspunkte
der verschiedenen Stände ansehen; immer sind sie für uns
von höchster Wichtigkeit, sind Acte der Geheimnisse der größ
ten Liebe Gottes, Tabernakel Gottes unter den Menschen,
Wohnstätten der Gerechten, verknüpft mit allen öffentlichen
und privaten Verhältnissen der Gesammtheit und des Einzelnen.
Ehren und lieben wir darum auch die Altäre so, daß
wir mit David sagen können:" Herr, ich liebe die Zierde
deines Hauses und den Ort deiner Wohnung. Nähern
wir uns gern und mit Freuden, damit in unserem Munde
wahr werde, was wir täglich am Beginne der heiligen Opfer
handlung an den Stufen des Altares aussprechen: Jch will
eingehen zum Altare Gottes, zu, Gott, der meine
Jugend erfreut. Die Jugend ist, wie der heilige Augu
stin erläutert, die innere Erneuerung, der Stand der Gnade
und Freude nach erlangter Vergebung oder Erhörung. Gehen
wir darum zum Altar, wenn uns das Bewußtsein einer
Schuld drückt, um durch Zerknirschung und Buße Vergebung
und Freude zu erlangen. Gehen wir hin in Leiden und
Trübsalen, um Trost und Kraft zu schöpfen und so Freude
zu finden. Gehen wir hin im Glücke und Segen, um durch
Dankbarkeit gegen Gott die Freude noch zu erhöhen.
Kommen wir aber nie bloß äußerlich, kommen wir ganz,
kommen wir mit dem Herzen. Denn was für die Kirche, den
Tempel Gottes, der Altar ist, das ist für uns, die geistigen

") ru»lm. XXV. ß.


144 II. Sonntag nach Pfingsten. Da« große Abendmahl.

Tempel, das Herz. Würden wir darum zwar leiblich gegen


wärtig sein, aber das Herz nicht zum Altare mitbringen,
dann wäre unser Erscheinen werthlos vor Gott. Die Herzen
also laßt uns niederlegen, die Herzen opfern auf dem Altare.
Wir geben damit das Beste, was wir zu geben vermögen, und
empfangen dafür Alles, was nur immer das Herz begehren
kann, empfangen Den, der allein das Herz zu befriedigen und
auszufüllen vermag, wir empfangen Gott. Gott meines
Herzens und mein Antheil ist Gott in Ewigkeit."
Amen. 4-

") rualm. I.XXII. 26.


IX.

Zus verlorne Schuf und der gefundene


Groschen.
(>»>. Sonntag nach Pfingsten.)
Dieser nimmt die Sünder an und isset mit ihnen. I^uo. XV. 2.

x Zweimal hat der göttliche Lehrmeister die Parabel von


dem verlornen Schafe vorgetragen: das erste Mal vor seinen
Aposteln, die ihn gefragt hatten, wer der Größte sei im Him
melreiche; das andere Mal vor den Pharisäern, die darüber
murrten, weil er mit Zöllnern und Sündern umging. Bei
der ersten Veranlassung, welche uns der heilige Evangelist
Matthäus erzählt, ' rief Jesus, um die Apostel, welche es
nicht gern sahen, daß sich die Kinder dem Heilande vertraulich
näherten, noch besser über ihre Frage aufzuklären, zuerst ein
Kind herbei, stellte es in ihre Mitte und sprach: Wahrlich,
ich sage euch, wenn ihr nicht umkehret und werdet
wie die Kinder, werdet ihr nicht eingehen in das
Himmelreich. Wer somit sich selbst verdemüthigt
wie dieses Kind, der ist der Größere in dem Himmel-
reiche; und wer ein solches Kind in meinem Namen
aufnimmt, der nimmt mich auf. Darnach ging er über
auf die Sünde des Aergernifses und bemerkte schließlich:
Sehet zu, daß ihr nicht Eines von diesen Kleinen

') I«»ttli. XVlll.


Lierheimer, Parabeln u. Wunder, 10
146 III. Sonntag noch Pfingsten.

verachtet, denn ich sage euch, daß ihre Engel im


Himmel immerdar das Angesicht meines Vaters
schauen, welcher im Himmel ist. Endlich knüpftc er da
ran die Parabel von dem Manne, der von hundert Schafen
Eines verloren hatte und demselbcu so lange nachging, bis er
es gefunden, worüber er dann mehr erfreut ist, als über die
neummdneunzig, welche nicht irre gegangen sind, und schließt
dann mit den Worten: Also ist es auch nicht der Wille
des Vaters im Himmel, daß Eines dieser Kleinen
verloren gehe..
Ans all dem also sollten die Apostel lernen, die Rang
streitigkeiten bei Seite zu lassen und sich vielmehr die ein
fachen und arglosen Kinder zum Muster zu nehmen, die von
Gott besonders geliebt und begünstigt werden, außerdem aber
noch den Werth jeder einzclueu Seele, selbst der des kleinsten
und niedrigsten Menschen, recht zu schätzen, da dieselbe Gott
ebenso werth ist wie dem Hirten ein verirrtes Schäflein.
Als aber der göttliche Heiland die nämliche Parabel vor
den Pharisäern wiederholte, war die Veranlassung eine ganz
andere. Da sie die Hauptaufgabe des Erlösers, die Süuder
zu rufen, gänzlich verkannten, so war es ihnen nicht erklärlich,
ja unerträglich, daß er gerade mit diesen und nicht mit ihnen,
die sich doch so gelehrt, so gerecht und angesehen dünkten,
umging, daß er für jene stets freundliche und liebevolle
Worte, für sie aber, die sich doch für so vollkommen hielten,
nur Worte des Tadels hatte. Jn ihrem Dünkel und. in
ihrer Selbstüberschätzung sahen sie darum auch nur um so
verächtlicher auf die Zöllner und Sünder herab; denn phari
säische Gerechtigkeit, wie der heilige Papst Gregor der
Große sagt," hat nur Unwillen und Verachtung für den
Jrrenden nnd Sündigen, während die wahre Gerechtigkeit
ihm Mitleiden nnd Hilfe bietet. Ja in ihrem geistigen Hoch-

') Nom. XXX lV. in Dviwß.


Das verlorne Schaf und der gefundene Groschen. 14?

muthe gingen sie sogar noch weiter, indem sie frevelhaft über
den Herrn richteten und mit mißgünstigem Herzen die reiche
Quelle der Barmherzigkeit tadelten. Was entgegnet ihnen
nun der Heiland? „Der himmlische Arzt, sagt der ebeuge
nannte Kirchenvater, behandelt diese Hochmüthigen gleich Kranken
mit der milden Heilslehre der folgenden Gleichnißreden."^
Die Parabel vom verlornen Schafe hat also hier, wenn auch
die Veranlassung verschieden war, doch einen ähnlichen Zweck
wie bei der vorigen. Wie die Apostel nicht ungehalten sein
durften, weil Christus die Kinder zu sich kommen ließ, deren
das Himmelreich ist, so sollten die Pharisäer sich nicht unge
halten zeigen, weil er mit Sündern umging, da auch im
Himmel Freude ist über einen Sünder, der sich bekehrt,
größere Freude als über neunundneunzig Gerechte, die der
Buße nicht bedürfen. Wer aber ist der Mann, der dem ver
irrten Schafe nachgeht? Dies sagt uns das Evangelium,
welches die Kirche am zweiten Sonntage nach Ostern liest,
oder vielmehr Jesus Christus selbst, wenn er erklärt, er sei
der gute Hirt, der sein Leben hingibt für seine Schafe, der
alle kennt und bei Namen nennt, und ebenso von ihnen er
kannt wird, der endlich alle zu Einem Schafstalle vereinigt.
Verbinden wir dieses Evangelium mit dem heutigen,
dann kann kein Zweifel mehr über den Sinn dieser Parabel
obwalten, ebensowenig wie über den Sinn des Gleichnisses
von dem verlornen Groschen oder der Drachme, um deren
willen die Frau ein Licht anzündet, das ganze Haus kehrt
und sorglich sucht, bis sie selbe gefunden. Unsere Aufgabe,
verehrte Zuhörer, wird es fonach heute sein, die große Be
deutung dieser beiden Paiabeln, die so ungemein tröstlich für
uns sind, näher zu erwägen. Doch versichern wir uns zuerst
des Beistandes desjenigen, ohne welchen wir nichts zum Heile
Führendes vermögen, indem wir inständig rufen: Deine Gnade,
o Jesus! sei mit uns.

10'
148 III. Sonntag nach Pfingsten.

Nachdem der heilige Geist auf die Apostel herabgekommen


war, mußten sie dem empfangenen Auftrage Christi ent
sprechend ausgehen in alle Welt, lehren und taufen, und so
die Menschen zu Gliedern der Kirche auf Erden und durch
diese zu Gliedern des Himmelreiches machen. Dies will uns
auch die Kirche durch die ersten Sonntagsevangelien nach
Pfingsten veranschaulichen. Darum erinnerte sie uns am
vorigen Sonntage an die Parabel vom großen Abendmahle,
wo die Diener im Namen des Herrn ausgingen, um zur
Theilnahme an der ewigen Tischgenossenschaft einzuladen.
Heute nun will sie uns noch deutlicher zeigen, daß gerade die
Sünder dazu berufen sind. Sündhaft ist die ganze Mensch
heit und jeder einzelne Mensch. Doch Sündhaftes, Unreines,
kann ja in den Himmel nicht eingehen, darum muß zuerst
eine Entsündignng vorangehen. Wie nun diese an der ge
sammten Menschheit und an jedem Menschen insbesondere be
wirkt werde, dies eben lehren uns die heutigen Parabeln.
Es scheint mehr als zufällig zu sein, daß zuerst ein Mann
dem verlorneu Schafe nachgeht, und dann eine Frau die ver
lorne Drachme sucht. Wer der Mann sei, ist Jedermann
bekannt. Wer aber wird die Frau sein? Jst es vielleicht
die Kirche?
Schauen wir uns um bei den ältesten Vätern, wie sie
diese Gleichnisse auslegten. Mehrere beziehen sie auf die Er
lösung des Menschengeschlechtes überhaupt, Andere ans die
Erlösung der einzelnen Menschen, oder sie deuten sie auf die
an Stelle des Hirten tretende Heils- und Rettungsanstalt
der Menschen und des Menschen, auf die Kirche. Demnach
wird der Sinn der Parabeln ein dreifacher sein: Erstens
lehren sie die Erlösung der Menschheit im Allgemeinen, zwei
tens die Erlösung eines jeden Einzelnen im Besonderen und
drittens die Fortsetzung der Entsündignng und Heiligung durch
die Kirche. Diese drei Punkte werden darum auch wir ins
Auge fassen müssen.
Da« verlorne Schaf und der gefundene Groschen. 149

Der Mann, der hundert Schafe besitzt, die neunund-


neunzig zurückläßt und dem Einen verlornen nachgeht, ist
Jesus Christus, welcher, wie die heiligen Jrenä us, Cyril-
lus und Ambrosius sagen,' die Heerschaaren des Himmels,
die neunundneunzig, d. h. die im Verhältnisse zur Zahl der
Menschen größere Menge der Engel, welche einer Erlösung
nicht bedurften, im Himmel zurückläßt und dem Einen Ver
lornen, das auch zum Himmelreiche berufen war, d. h. dein
ganzen Menschengeschlechte, nachgeht, um es zurückzuführen
zur Einheit mit den Engeln im Reiche Gottes.
Wie ist nun diese Zurückführung geschehen? Gerade so,
wie es inl Gleichnisse ausgedrückt ist. Der erste Mensch, und
durch dessen Sündenfall das ganze Menschengeschlecht, haben
das Paradies verlassen und auf rauhe Pfade sich verirrt,
auf denen sie sich immer weiter vom Orte der Wonne ent
fernten. Sie geriethen auf einen Acker, der Dörner und
Disteln trug und fanden überall sanren Schweiß und Schmer
zen, Krankheiten und zuletzt deu Tod. Dies sind die Wege,
verehrte Zuhörer, welche das verlorne Schaf, das Menschen
geschlecht, wandelte.
Schauen wir uns nun das Werk der Erlösung an und
wir werden deutlich erkennen, daß Christus auf allen diesen
Wegen dem Menschengeschlechte nachgegangen ist, um es wieder
zurückzubringen. Das verlorne Schaf hat das Paradies ver
lassen; so verläßt auch Christus seine Wonne und Herrlichkeit
im Himmel. Der Mensch war verloren gegangen; darum
entäußert sich Christus seiner Gottheit und nimmt die mensch
liche Natur an. Der Mensch bebaut einen Dornacker, Chri
stus nimmt Knechtsgestalt an und arbeitet an der Ausrottung
der Dörner. Der Mensch muß im sauren Schweiße sein Vrod
sich verdienen; o wie müht sich Jesus ab durch beständiges
Umherwandern von Ort zu Ort, bald in Wüsten, bald auf

') cf. 8. Ilwm. in e»ten. »<3 I.ue. XV.


150 III. Sonntag nach Pfingsten.

Bergen, bald in Städten, bald in kleinen Flecken, nun betend,


nun lehrend, nun Wunder wirkend, nun die Nacht durchwachend,
nun geschmäht, nun verfolgt. Aber nicht bloß seine Füße
will er wund gehen um des Schäflcins willen, sein ganzer
Leib soll leiden; nicht bloß gewöhnlichen, auch blutigen Schweiß
will er vergießen. Alutiger Schweiß dringt aus seinem gan
zen Leibe am Oelberge; Blut fließt aus seinem Körper bei
der grausamen Geißelung, Blut träufelt über sein Antlitz bei
der Dornenkrönung, blutige Spuren bezeichnen den Weg auf
Golgatha, Blut floß aus Händen und Füßen nach deren
Durchbohrung, Blut fließt endlich aus dem Herzen noch. Es
war also mehr als ein angestrengtes Suchen, es war der
schmerzlichste Kampf; ja es waren die fchauerlichsten Todes
wehen, die er um des Schafes willen erduldete; es war end
lich der Tod felbst, der über ihn Gewalt bekam. Buchstäblich
also ist das Wort wahr,; Er läßt die neunundneunzig
in der Wüste und geht dem verlornen nach, bis er
es findet.
Und was thut er, nachdem er es endlich gefunden? Er
nimmt es voll Freuden auf seine Schultern. Was
sind das für Schultern? Dies sagt uns der heilige Petrus,
wenn er in seinem ersten Briefe schreibt: ^ Er trug unsere
Sünden mit seinem eigenen Leibe am Holze, damit
wir den Sünden abgestorben der Gerechtigkeit leben
möchten; durch seine Wunden seid ihr geheilt, denn
ihr waret wie irrende Schafe. Die Schultern sind seine
an dem Balken des Kreuzes ausgestreckten Glieder; denn des
halb ließ er sich, wie der heilige Bernhardin bemerkt, mit
harten Nägeln an das Kreuz heften, damit seine Schultern
nicht mehr getrennt werden könnten von dem wiedergefundenen
Schäflein.
Ach, wie schrecklich war das Schäflein zugerichtet, wie war es

') I. ?str. II. 24, 25,


Da« verlorne Schaf und der gefundene Groschen. 151

so ganz entblößt und aller Wolle beraubt, wie waren allseitig


Dorner in sein Fleisch gedrungen und hatten es jämmerlich
verwundet, wie lechtzte es vor brennendem Durst, wie lag es
erschöpft und mit dem Tode ringend da, bestgnbt nnd be
schmutzt, kaum mehr wieder zu erkennen. Ja, so sah die
Menschheit aus. Alles Gnadeiischmnckes war sie bar, beladen
mit ungeheuren Mißverdiensten, verloren in den Gräueln des
Heidenthnms, blind für eine höhere Erkenntniß, schmachtend
nach einem besseren Zustande, aus sich selber unfähig sich zu
erheben; und all das durch eigene Schuld. Deunoch ver
schmäht der Hirt sie nicht. O! welch eine unbegreifliche
Barmherzigkeit, welche eine unendliche Liebe ist also in den
einfachen Worten verborgen: Und wenn er es gefunden
hat, so legt er es auf seine Schultern mit Freude.
Aber auch das war ihm noch nicht genug. Er kehrt
nun zurück nach Hause, ruft seine Freunde und Nach
barn zusammen und spricht zu ihnen: Freuet chlch
mit mir, denn ich habe mein Schaf wiedergefunden,
das verloren war. Nachdem das große Werk der Ent-
fündigung der Menschheit vollbracht war, kehrte Jesns zurück
in sein Haus, er fuhr auf gegen Himmel und rief seine
Freunde und Nachbarn, die Engel, zusammen, die ihm immer
nahe sind und seine Glorie schauen, und forderte sie auf,
mit ihm zu jubeln, weil er das verlorne Schaf wiedergefunden.
Aber warum fordert er denn nicht zur Freude über das
gerettete Schaf auf, sondern zur Freude mit ihm? Seht da
einen neuen Beweis göttlicher Liebe und Erbarmung. Ob
wohl die Wohlthat der Erlösung dem Menschengeschlecht zu
gut kommt, und Gott auch ohne uns ewig glückselig wäre,
so ist ihm doch unser Heil so werth nnd theuer, daß er unser
Gut so ansieht, als wäre es sein eigenes. Er freut sich,
weil unser Leben seine Wonne ist, weil er nicht vergebens ge
arbeitet, nicht vergebens gelitten hat, weil es keinen größeren
Trinmph für das kostbare Blnt gibt, als die Rettung der
152 III. Sonntag nach Pfingsten.

Seelen. O, wenn es die Menschen, die gottentfremdet leben,


recht beherzigen würden, welche Freude sie Gott durch ihre
Bekehrung bereiten! Doch leider gönnen Manche lieber dem
Teufel eine Freude als Gott.
Der heilige Cyprian, um diesen furchtbaren Frevel
recht anschaulich zu machen, läßt darum den Teufel mit feinem
Anhange auftreten und ihn zu Christus sprechen: ^ „Sieh,
alle diese, die du um mich siehst, gehören mir; und doch habe
ich für sie keine Backenstreiche empfangen, keine Geißelhiebe
ertragen, kein Kreuz geschleppt, kein Blut vergossen, sie nicht
um den Preis der Leiden und des Todes erlöst, ja nicht ein
mal ein ewiges Reich des Glückes ihnen verheißen." Was
muß sich wohl bei dieser Rede der Sünder denken, wenn er
sich auch noch verhöhnt und verspottet sieht, während er, wenn
er dem Rufe des guten Hirten gefolgt wäre, der fein Leben
für ihn hingab, mit Freuden aufgenommen worden wäre, ja
Gott selbst und dem Himmel die größte Freude bereitet hätte?
Denn so schließt der Herr die Parabel: Jch sage euch:
Ebenso wird Freude sein im Himmel über Einen
Sünder, der Buße thut, mehr als über neunund-
neunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.
Die Erlösung der Menschheit ist also etwas ungleich
Größeres als die Schöpfung des Himmels und der Engel,
denn ungleich mehr hat Gott seine Allmacht, seine Weisheit,
seine Güte und Liebe in der Erlösung geoffenbart als in der
Schöpfung, ungleich mehr hat ihm die Erlösung gekostet als
die Schöpfung des Himmels und der Erde. Daher schreibt
der heilige Beda:" „Sein verirrtes Schäflein fand der Herr,
als er den Menschen erlöste. Ueber dieses wiedergefundene
ist größere Freude im Himmel, als über die neunundneunzig
nie verlornen, weil ein größerer Grund göttlichen Lobes in
der Wiederherstellung des Menschengeschlechtes gegeben ist,

5) De op. et elo«muu. — ") üxp!»u in I^uo,


Das verlorne Schaf und ber gefundene Grofchen. 153

denn in der Erschaffung der Engel. Wunderbar ist es, daß


und wie Gott die Engel schuf, aber noch wunderbarer ist es,
daß nnd wie er die Menschen erlöst hat."
Die ganze Parabel ist also wirklich eine bildliche Ge
schichte der Erlösung der gesamntten Menschheit. Sie ist aber
zweitens auch das Bild, wie jeder einzelne Mensch gerecht
fertigt wird. Dies deutet schon das Schlußwort an, daß
Freude ist im Himmel über Einen Sünder, der Buße thut.
Denn wie Christus für alle Menschen insgesammt, so ist er
auch für jeden Einzelnen in die Welt gekommen, so daß Jeder
mit dem Apostel sagen kann:' Der Sohn Gottes hat mich /,
geliebt, nnd sich selber für mich hingegeben. Jst Gott
schon für unser natürliches Dasein so besorgt, daß er bemerkt,''
kein Sperling falle vom Dache ohne seinen Willen; ist er für
unser leibliches Wohl so bekümmert, daß er sogar alle Haare
auf unserem Haupte zählt; um wie viel mehr wird er dann
für unser übernatürliches .heil besorgt sein und doppell be
sorgt sein, wenn eines seiner Schäflein sich verirrt hat und in
Sünden nnd geistiges Elend gefallen ist? O da geht er ihm
erst recht nach, wie der Mann dem verlornen Schafe, um es
zur Herde zurückzuführen.
Es wäre jedoch eine endlose Aufgabe, wenn ich dies im
Kleinen und Einzelnen nachweisen wollte. Wir müßten da
eindringen in alle einzelnen Stände, eindringen in alle ein
zelnen Verhältnisse, ja eindringen in alle einzelnen Herzen,
um nur einen winzigen Theil der Wirksamkeit der göttlichen
Gnade kennen zu lernen. Gottes Wege, ans welchen er die
Seelen fucht, sind so mannigfach wie die Geschöpfe; die Mit
tel, die er anwendet, um endlich das Schäflein zu finden, so
abwechselnd, so eigenthümlich und neu, znweileu auch so ge-
heimnißvoll und dann doch wieder so handgreiflich, daß sie sich
im Einzelnen gar nicht bestimmen lassen. Denken wir nur

') 6uI. ll. 20. — ') zl»«li, X; l.uo, Xll.


154 III. Sonntag nach Pfingsten.

an die Verirrungen des heiligen Augustinus, wie er sie im


Buche seiner Bekenntnisse aufgezeichnet hat, bis er endlich die
Stimme vernahm: „Nimm und lies." Und doch war auf
allen diesen Jrrwegen der gute Hirt beständig hinter ihm,
weshalb der Heilige später sagte: „Spät liebte ich dich, o alte
und neue Schönheit! spät liebte ich dich. Mit mir warst du,
und ich war nicht mit dir. Du riefest und riefest mit lauter
Stimme, und zerrissest meine Taubheit."
Wenu im Leben eines einzelnen Menschen die Wege des
guten Hirten so mannigfaltig sind, was müssen wir ahnen,
wenn wir an alle Seelen denken, an deren jede sein Ruf er
geht, da er ja alle und jede selig machen will? Bei Manchen
muß der gute Hirt oft Jahre lang nachgehen, und muß dabei
alle die Beleidigungen wieder erdulden, die er während seines
dreiunddreißigjährigen Erdenlebens erduldet hat. Für alle na
türlichen Wohlthaten, die er dem Verirrten spendet, erntet er nur
Undank über Undank, für alle geistigen Gnadenschätze, die er
ihm darbietet, empfängt er schnöde Zurückweisung, ja oft wer
den seine Heilsmittel nur gebraucht, um ihm noch eine em
pfindlichere Schmach anzuthun. Und doch, der gute Hirt er
müdet nicht, immer noch wandelt er hin über Berge und
rauhe Ebenen, über Meere und Flüsse, folgt dem Verirrten
in alle Gesellschaften, kommt zu ihm in's stille Kämmerlein,
klopft und ruft, bis endlich das Schäflciu öffnet.
Andere Male läßt er das Schäfleiu sein Elend zuerst
recht fühlen, hält sich scheinbar fern, schickt ihm Leiden und
Unglücksfälle; es will seine Stimme noch nicht erkennen, ja
es fängt sogar an zu murren nnd zu lästern, obschon es selbst
Schuld au seinen: Unheil und Verderben ist. Noch andere
Male ändert er dessen äußere Verhältnisse, führt es hinweg
von der bösen Gelegenheit, bringt es unter gute Menschen,
um es durch gute Beispiele zu bessern, kurz er wendet alle
nur erdenklichen Mittel an, um den Verirrten zu retten. Leider
bleibt Mancher trotz allen Beweisen göttlicher Hirtenliebe
Da« verlorne Schaf und der gefundene Groschen. 155

ungerührt und geht dann unrettbar verloren für das Reich


Gottes, für die Genossenschaft der Engel. Hätte er dem
Rufe Gehör geschenkt, hätte er die Gnade trinmphiren lassen,
o welche Seligkeit würde er sich selbst bereitet, welche Freude
dem guten Hirten verursacht haben!
Denn den reuigen und bußfertigen Sünder verstößt und
verwirft er nicht; „der Hirt, sagt der heilige Gregor von
Nyssa," der sein irrend Schäfte!n fand, straft es nicht
zürnend, treibt es nicht gewaltsam zur Herde zurück; auf
seine eigenen Schultern legt er es mildiglich, trägt es und
gesellt es zur Herde wieder." Aber es ist noch schwach, es
ist vielseitig verwundet; siehe da, wie er es pflegt und heilt,
denn er ist auch Arzt. „Quält dich Fieberhitze, schreibt der
heilige Ambrosius, '" Christus ist die kühlende Quelle.
Lastet Ungerechtigkeit auf dir, er ist deine Gerechtigkeis. Bist
du schwach, er ist deine Kraft. Fürchtest du den Tod, er ist
dein Leben. Begehrst du den Himmel, er ist der Weg,
Fliehest du die Finsterniß, er ist das Licht; bedarfst du der
Speise, er ist deine Nahrung."
Und so, verehrte Zuhörer, sucht, so heilt, so sorgt der
gute Hirt für jede einzelne Seele, und zwar mit Freuden.
„Denn mein Erlöser, sagt so rührend der Kirchenlehrer
Origenes, mein Erlöser kann sich nur dann vollkommen
freuen, wenn auch ich, sein letztes ärmstes Kind, zu ihm in
Barmherzigkeit aufgenommen bin."
Ja, er freut sich mit unaussprechlicher Freude über das
wiedergefunden: Schäflein; denn diefes Wiederfinden ist ein
Triumph über die Hölle, ist eine Vermehrung der Zahl
der Seligen, ist eine neue Glorie für die heiligste Dreifaltig
keit. Und in diese Freude, in diesen Jubel stimmen alle Engel
und Heiligen im Himmel mit ein, weil sie den göttlichen
Willen erfüllt sehen, weil ihre Schaar vermehrt wird; und

ln <^,t. Fi,, — '°) l.il,, III. <tu vi^.


156 in. Sonntag nach Pfingsten.

sie freuen sich mehr als über neunundneunzig Gerechte, die


der Buße nicht bedürfen, nicht als ob sie nicht auch über diese
sich freuten, sondern weil eben die Rückkehr des Verirrten
eine neue Freude für sie ist, die sie bisher nicht genossen hatten.
Doch eine Bedingung darf von Seite des Zurückgekehrten
nicht übersehen werden. Freude herrscht im Himmel über
Einen Sünder, der Buße thut. Es ist nicht genug, bloß
den Vorsatz zu fassen Buße zu thun, denn das wäre noch
keine Buße, das wäre' ein Aufschieben derselben; es ist nicht
genug, bloß scheinbar Buße zu thun, denn das wäre Heuchelei
und Verstellung, die doch zu nichts führen würde; sondern
es muß wirkliche wahre Bußthat sein, Hinwegwendung von
der Sünde, Verlassen der Jrrwege, Wiedergutmachung des
begangenen Bösen, Reue und Genugthunng, aufrichtige Bes
serung. Wie der Heiland das Schäflein ans seine Schultern
nimmt, so muß fortan auch das Schäflein die Bürde und das
sanfte Joch Christi tragen, dessen Geboten und Lehren treu nach
leben, dessen Gnadenmittel eifrig benützen und so mit und durch
Jesus dem Hause sich nähern, wo ihm ewige Freude zu Theil wird.
Jch habe Eingangs bemerkt, daß wir aus den heutigen
Parabeln auch noch die fortdauernde Entsündigung der Mensch
heit und der Einzelnen durch die Kirche lernen. Dies ergibt
sich recht deutlich aus der Parabel von der verlorneu Drachme,
auf welche ich sogleich übergehen werde.

Eine Frau besaß zehn Drachmen oder Groschen, doch


einer davon ging verloren. Da zündet sie ein Licht an, kehrt
das ganze Hans aus und sucht so lang, bis sie ihn findet.
Wer ist diese Drachme, wer ist die Frau ? Die Drachme, eine
in Palästina verbreitete Münze, trug das Bild des Münz
herrn, sie ist daher das Bild der Seele, welche nach Gottes
Ebenbild geschaffen und bestimmt ist, dem Bilde des Sohnes
Gottes gleichförmig zu werden. Neun Chöre der Engel
Das verlorne Schaf und der gefundene Groschen. 15?

waren Gott treu geblieben, doch das zehnte Gebilde, der


Mensch, war durch die Sünde verloren gegangen. Christus, der
gute Hirt, hat ihn wieder gesucht und hat dann nach seinem
Hingange zum Vater an seine Stelle die Kirche gesetzt, welche
als Heilsanstalt hier unter dem Bilde der Frau eingeführt
wird, weil sie durch die Taufe die Mutter aller Gläubigen,
die Wächterin und Hüterin aller wiedergebornen Seelen wird.
Wie nun übt die Kirche dieses Amt aus? Sie übt es
aus im Großen, in der ganzen Welt, und übt es aus, wenn
ich so sagen darf, im Kleinen, an jeder einzelnen Seele, und
zwar übt sie es überall in derselben Weise aus, wie es der
Herr im Gleichnisse andeutet. Sie zündet ein Licht an; denn
überall hin sendet sie ihre Glaubensboten, um das Licht der
Wahrheit anzuzünden; das ganze Haus kehrt sie aus, sie
dringt in alle Welttheile, in alle Länder ein, zu den verschie-
densten Völkern und Stämmen, um überall die Heilsbotschaft
zu verkünden, die Seelen zu suchen und die Gefundenen sicher
in ihrem Schooße zu bergen.
Sie zündet ebenso das Licht an in jedem Einzelnen, sie
beginnt mit dem Kinde in der Schule, unterweist den Jüng
ling und die Jungfrau, belehrt die Erwachsenen, ermahnt die
Greise. Sie kehrt das Haus aus; ein Strahl der Gnade
dringt bei der Verkündigung des göttlichen Wortes in die
Seele, das Gewissen wird geweckt, Thränen der Rene fließen,
Werke der Buße treten hinzu, und siehe, die Drachme, an der
das Königsbild nicht mehr zu erkennen war, die Seele wird
erneuert, wird wiederum ein Kind Gottes. Und nun freut sich
die Kirche, veranstaltet ein Freudenmahl und läßt die wiederge
fundene Seele zu zur Theilnahme am wunderbarsten Geheimnisse,
das sie besitzt. Und mit ihr freuen sich die Engel im Himmel.
Die Kirche übt aber dieses ihr Amt der Rettung ver,
irrter Seelen aus durch ihre Diener, welche in ihrem Namen
reden und die Sakramente spenden. Wollte ich darum ein
umfassendes Bild von der Thätigkeit und Wirksamkeit der
158 III. Sonntag nach Pfingsten.
Kirche entwerfen, so müßte ich die ganze Kirchengeschichte vor
tragen, die Geschichte jeder einzelnen Diöcese, ja jeder einzelnen
Pfarrei. Jch müßte beginnen mit den Päpsten, von Petrus
bis herab auf Pins IX., welche ihre Sorgfalt dem ganzen
katholischen Erdkreise zuwenden; müßte dann hinweisen auf
alle Bischöfe, welche wachen über die Sprengel, in welchen sie
vom heiligen Geiste gesetzt sind; müßte erinnern an alle
eifrigen Missionäre, an alle Ordens- und Weltpriester, welche
für die Seelen bestellt und derentwegen mit so hohen Gewal
ten ausgestattet sind ; müßte alle Kirchenlehrer, alle Theologen
aufzählen, welche durch ihre Schriften gewirkt haben. Doch
das wäre noch nicht genug. Um die Frau, welche die ver
lorne Drachme sucht, noch besser zu zeichnen, müßten auch
alle Bekehrungen und alle die Mühen und Schwierigkeiten,
die damit verbunden sind, erwähnt werden, die Bekehrungen
ganzer Nationen wie einzelner Personen. Ja selbst die
Ketzereien dürften nicht mit Stillschweigen übergangen werden,
weil sie Anlaß gaben, daß die Kirche ihnen gegenüber das
Licht des Glaubens, der unveränderlichen ewigen Wahrheit,
die allein frei machen kann, noch heller leuchten ließ.
Wenn wir dann alles dieses, was ich hier nur andeutend
berührt habe, wieder in seine einzelnen Theile zergliederten
und verfolgten, so hätten wir auch damit noch nicht die ganze
Sorge der Kirche für die Seeleu kennen gelernt. Denken wir
auch an alle die großartigen Stiftungen, welche der Geist der
katholischen Kirche ins Leben gerufen hat, an alle die Wohl-
thätigkeitsaustalten, an alle die religiösen Vereine, die sämmtlich
mehr oder weniger das höhere Ziel des Menschen im Auge haben.
Wer wäre wohl im Stande alle die heilsamen Einflüsse auf
die Seelen zu überschauen, geschweige denn einläßlich anzu
führen, die denselben entsprungen sind?
Seieu wir dabei nicht engherzig, verehrte Zuhörer, denken
wir nicht bloß an das Gute, was zum Wohle der Seelen
geschieht und offenbar und bekannt wird; denn millionenmal
Das verlorne Schaf und der gefundene Groschen. 159

mehr ist das, was verborgen bleibt, im Stillen gewirkt wird


und nur Gott bekannt ist. Seien wir nicht engherzig, bleiben
wir nicht bloß bei dem Guten stehen, das unter uns gewirkt
wird; die katholische Kirche ist über den ganzen Erdkreis aus
gebreitet, und überall hat sie seeleneifrige Glieder, die betend
und handelnd mit ihr mitwirken zur Rettung der Seelen.
Vergessen wir endlich auch nicht ganz den äußeren Cult, die
Andachten, Gebräuche und Ceremonien der Kirche; denn es ist
ja bekannt, daß manches irrende Schäfiein durch die Erhaben
heit des katholischen Gottesdienstes mächtig ergriffen und zur
Bekehrung vorbereitet wurde.
Doch genug; es ist ja ohnehin sonnenklar, daß die Kirche
jene Frau ist, welche die verlorne Drachme sucht, welche die
Mutter unserer Seelen und außer welcher kein Heil zu fin
den ist. Ein Blick auf uns selbst sagt es uns zur Genüge,
daß wir unsere ganze geistige Wohlfahrt, unseren Glauben
und unsere guten Sitten der Kirche zu verdanken haben. Lockt
uns vergänglicher Reichthum: so ruft diese Frau uns zu: "
Sammelt euch Schätze im Himmel, wo weder Rost
uoch Motten sie verzehren, und wo Diebe sie nicht aus
graben und stehlen. Schmeichelt uns die Sinnlichkeit, so
sagt sie uns: '° Wer für das Fleisch säet, wird vom
Fleische das Verderben ernten. Wollen wir im Glauben
wanken, so ist sie uns Säule und Grundfeste der Wahr
heit." Strauchelten wir, irrten wir vom rechten Wege ab,
so zündete sie uns wieder das Gnadenlicht an und reinigte
uns von unseren Sünden durch ihre heiligen Sakramente.
Kurz, ihr erster und vornehmster Zweck bleibt immer, dafür
zu sorgen, daß unsere Seelen keinen Schaden leiden, ja daß sie
täglich heiliger und vollkommener werden in den Augen Gottes.
Geben wir darum ihren Mahnungen anch allzeit Gehör,
ja suchen wir sie nach Kräften in der Lösung ihrer Aufgabe
zu unterstützen. Unterstützet sie, ihr Aeltern, indem ihr die
") zlattk. VI, 19. — ") «lll. Vl. 8. — ") l. limotl,. III. 15.
160 II!. Sonntag nach Pfingsten. Das verlorne Schaf ,e.

Seelen eurer Kinder für den Himmel bildet, denn dazu hat
sie euch die Kirche in der heiligen Taufe zurückgegeben, um
Gotteskinder aus ihnen zu machen. Unterstützet sie, ihr Haus
väter und Hausmütter, ihr Meister, indem ihr unablässig
auch für die Seelen eurer Dienstboten und Lehrlinge besorgt
seid, denn auch ihre Seelen sind um Christi Blut erkauft.
Ja geben wir Alle ihren Mahnungen Gehör und benützen wir
recht eifrig alle die Gnadenmittel, welche sie uns zum Heile
unserer Seelen bietet, damit keine Drachme verloren gehe;
denn es gibt ja nichts Göttlicheres, als mitzuwirken mit Gott
und mit der Kirche zum Heile der Seelen. Gott kennt nichts
Kostbareres als die Seele, die Kirche weiß nichts Werthvolleres
als die Seele. Unsere Seele zu pflegen muß also das Kost
barste und Werthvollste auch für uns sein.
Ueben wir daher endlich auch, soweit es in unseren
Kräften steht, au uns und für uns selbst das Amt der
Kirche, zunächst durch tägliche Erleuchtung und Selbsterkennt-
niß und durch Auskehr des Hauses unserer Seele. Fast
täglich lassen wir uns kleine Fehler, Nachlässigkeiten und Un-
vollkommenheit zu Schulden kommen, die, wenn sie auch die
Seele des Gnadenstandes nicht berauben, doch wie entstellende
Flecken an ihr haften in den Augen des allreinen Gottes.
Darum müssen wir uns auch täglich reinigen durch die abend
liche Gewissenserforschung in Gegenwart des heiligen Schutz'
engels, damit er und alle heiligen Engel sich freuen über uns.
Seien wir also, Geliebteste, und bleiben wir immerdar
gute Schäfleiu des Einen obersten Hirten, seien und bleiben
wir gute Kinder der Einen und besten Mutter der Kirche. Wie
es nur Einen Hirten und Eine Kirche gibt, so haben wir auch
nur Ein Leben, Eine Seele und Eine Glorie. Folgen wir also
dem Einen Jesus und seiner Einen Braut, damit wir aus
der streitenden in die triumvhirende Kirche, aus dem zeitlichen
zum ewigen Leben, aus der Buße zur Glorie übergehen. Amen.
X.

Zas Munder des reichen IWfanges.


Eitle Sorge für das Zeitliche.
(IV. Sonntag nach Pfingsten.')
Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen.
(Lue. V. 5.)

^vv ei st er, sprach klagend der heilige Petrus zum Hei


lande, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und
nichts gefangen. Unwillkürlich kommt mir beim Lesen
dieser Worte der Gedanke: Wahrhaftig, es ist hart für den
Menschen, umsonst gearbeitet, ohne Gewinn sich abgemüht,
ohne Erfolg oder Lohn Zeit und Kraft angewendet zu haben.
Hart ist es für den Fischer, Tag und Nacht das Netz aus
zuwerfen und es immer leer herauszuziehen. Hart ist es für
den Wanderer, die ganze Nacht hindurch zu gehen und am
Morgen zu sehen, daß er irre gegangen ist. Hart ist es für
den Landmann, das ganze Frühjahr sich zu plagen und im
Herbste wegen Mißwachses nichts in die Scheune führen zu
können. Wenn es aber schon so hart ist, einen Tag, eine
Nacht oder ein Jahr vergeblich gearbeitet zu haben, wie mag

') Da« Wunder des reichen Fischfange« als Vorbild der Katholicität
der Kirche oder der Ausbreitung de« Glaubens durch die Missionen wnrde
in meinen Vorträgen über „die Kirche Jesu Christi" erklärt. Daher wurde
hier ein andere« zeitgemäße« Thema gewählt.
Lierheimer, Parabeln u. Wunder. 11
162 IV. Sonntag nach Pfingsten.
es dann jenem Menschen zu Muth sein, der auf dem Tod
bette auf sein vergangenes Leben wie auf einen langen Weg
oder ein weites Ackerseld zurückblickt und sich dabei gestehen
muß: Jch habe mein ganzes Leben lang umsonst gearbeitet?
Wer aber wird so zu sich selber sprechen müssen? Wohl
derjenige, der auf dieser Welt nur für die Welt nicht aber
für die Ewigkeit gearbeitet hat; derjenige, der nur solche
Güter gesammelt hat, welche er im Tode zurücklassen muß,
aber keine guten Werke, keine Verdienste vor Gott; derjenige,
der ein gottentfremdetes Leben geführt und nicht auf den Ruf
des Herrn geachtet hat: Folge mir nach. Jst aber schon
der Rückblick auf die Vergangenheit für einen solchen Menschen
auf dem Todbette niederschmetternd, wie mag ihm erst zu
Muthe werden, wenn er an die Zukunft denkt und sich im
Geiste vor jenen Richter hinversetzt, der Jedem nach Gerech
tigkeit vergilt! O Geliebteste! würden wir öfter an den Augen
blick des Todes und an die Rechenschaft vor dem göttlichen
Richterstuhle denken, gewiß, wir könnten dann nicht so gleich-
giltig gegen das Ewige dahinleben, wir würden das Leben
ernster auffassen, uns von den irdischen Dingen mehr los
reißen und unsere Sorge ausschließlich oder doch zumeist auf
das Zukünftige richten.
Daß sehr Viele dies nicht thun, dies zeigt uns die all
tägliche Erfahrung, zeigen uns die verkehrten Grundsätze, von
welchen sie sich leiten lassen. Jn ihren Augen ist derjenige
ein bemitleideuswerther Thor, der etwas Zeitliches um des
Ewigen willen hintansetzt; jener hingegen ein Weiser, der
vor Allem die zeitlichen Dinge im Auge hat, auch wenn er
darüber auf die ewigen ganz vergißt. Sprechen sie dies nicht
immer mit dürren Worten aus, so handeln sie wenigstens
darnach und suchen auch Andere zu ihrer Meinung zu bekehren,
und leider mit Erfolg. Oder nimmt nicht die religiöse Gleich-
giltigkeit mehr und mehr überhand, arbeiten nicht unzählige
Menschen Tag und Nacht, ohne dabei um das Höhere sich zu
Da« Wunder des reichen Fischfanges. 163

bekümmern, ja oft sogar mit offenbarer Mißachtung Gottes


und seines Dienstes? Die Folgen werden nicht ausbleiben,
ja sie werden um so schrecklicher um sich greifen, je mehr man
vergißt, daß das Auswerfen des Netzes ohne Gott vergeblich
ist, d. h. je mehr man übersieht, daß an Gottes Segen Alles
gelegen ist.
Es wird sich darum gewiß der Mühe lohnen, um euch
nicht bloß vor gleicher Verkehrtheit zu bewahren, sondern auch
euren wahren Jnteressen, euren zeitlichen und, ewigen, Rech
nung zu tragen, — etwas eingehender darzuthun, daß jene,
welche über dem Zeitlichen das Ewige vergessen, sehr thöricht
handeln und auch für das Zeitliche schlecht sorgen. Vernehmet
mich, denn ich rede im Namen des Herrn. Deine Gnade,
o Jesus! sei mit uns./

Jesus Christus, die ewige Wahrheit, hat den Satz auf


gestellt: ' Suchet zuerst das Reich Gottes und seine
Gerechtigkeit, und alles Uebrige wird euch dazuge
geben werden. Der oberste Grundsatz der Welt dagegen
lautet: „Sorge zuerst und zu allermeist für das Zeitliche."
Diesen Satz wenden die Weltmenschen in verschiedener Weise
an. Einige sehen nur darauf, wie sie ihr Vermögen ver
größern, ihr Einkommen vermehren, angesehene und einträg-
,liche Stellen erlangen und im Ueberflusse leben können. Ob
sie dabei Ungerechtigkeiten üben, Andere übervortheilen, fremde
Ehre und fremdes Gut schädigen, Aermere unterdrücken, kurz
was für Mittel sie dabei anwenden, das kümmert sie wenig.
Bei Anderen dagegen ist eher Verschwendung und Sorglosig
keit für Familie und Haus an der Tagesordnung; sie wollen
der Genußsucht fröhnen, an allen Vergnügungen Theil nehmen,
dem Fleische dienen, die Hoffart und Putzsucht befriedigen,

ülattb. Vl. 33.


11*
164 IV. Sonntag nach Pfingsten.

der Sinnlichkeit im Gennsse von Speise und Trank schmei


cheln. Ob aber dabei die Gebote Gottes und der Kirche
übertreten, die Seele mit Sünden bedeckt, die Keuschheit ver
loren, die Standespflichten verletzt werden, das kümmert sie
wenig. Jhr Grundsatz ist ja: „Sorge zuerst für das Zeitliche."
Aber die Seele? Nun- die Seele, die ißt und trinkt nicht,
man sieht und greift sie nicht, sie wird nicht nach Geld und
Geldeswerth geschätzt. Wie mag man also nach der Seele
fragen? Sie wird also vor der Hand auf die Seite geschoben.
Oder denken vielleicht die Weltmenschen, es werde ihnen, wenn
sie zunächst für die Erde und das Fleisch sorgen, auch das
Reich Gottes, der Himmel, dazugegeben werden? Nein, das
denken sie nicht, daran denken sie eben gar nicht. Und drängst
du sie, fragst du um ihr Seelenheil, so lautet die Antwort:
„O! damit hat es seine guten Wege, da kann man noch zu
warten." Die arme Seele also kann zusehen, wie sie zurecht
kommt, auf sie nimmt man keine Rücksicht, wenn sie auch
verschmachtet; man stürzt sie vielmehr in die bösen Gelegen
heiten hinein, speist sie nicht mit dem Worte Gottes, nicht
mit den heiligen Sakramenten, höchstens, wenn's gut geht,
einmal im Jahre, und da zuweilen so, daß ich nicht gut stehen
möchte, ob der Empfang der Seele eher zum Tode als zum
Leben gereicht. Während man es für unsinnig hält, irgend
ein wichtiges zeitliches Geschäft auf das Todbett zu verschieben,
trägt man kein Bedenken, die Sorge für die Seele darauf
zu versparen, als ob dies das allerunbedeutendste Geschäft
wäre. Ja sogar auf dem Todbette schiebt man die Sorge
für die Seele bis zum letzten Augenblicke hinaus. Kurz man
handelt nach dem Grundsatze: „Sorget zuerst und zumeist für
den Leib und zu allerletzt für die Seele."
Dieser Grundsatz aber ist der thörichtste und unsinnigste,
dem man folgen kann. Jhr erwartet vielleicht, verehrte Zu
hörer, daß ich dies beweise, indem ich euch vorstelle, welchen
unschätzbaren Werth die Seele hat, um welchen unendlich
Das Wunder de« reichen Fischfange«. 165

kostbaren Preis, den des Blutes Jesu Christi, sie erkauft


wurde, und welchen geringen Werth dagegen der Leib hat,
der bald vermodert, und die Erdengüter alle, welche vergehen.
Jhr erwartet, daß ich sodann daraus schließe, wie thöricht
und unsinnig es sei, zuerst für das Werthlose und Vergäng
liche und zuletzt erst für das Werthvollste und Theuerste zu
sorgen; wie unsinnig es sei, sich zumeist um einen in Fäul-
niß übergehenden Leib und dessen sündhafte Gelüste und zu
letzt um die unsterbliche nach Gottes Bild geschaffene Seele
zu bekümmern. Es ist wahr, verehrte Zuhörer, ich könnte
das thun. Allein ist es euch nicht selbst schon begegnet, daß
ihr, wenn ihr Anderen derlei Vorstellungen machtet, nur einen
geringen oder gar keinen Erfolg erzieltet? Fleischliche und in
die Welt versunkene Menschen schätzen nur das, was sie sehen
und genießen, nicht das, was sie glauben müssen. Jhr Auge
ist blind für das Geistige, ihr Ohr taub für das Höhere, sie
haben nur Sinn für das Zeitliche und Jrdische./
Haher müssen wir einen anderen Weg einschlagen und
sie von der Verkehrtheit und Falschheit ihres Grundsatzes da
durch zu überzeugen suchen, daß wir ihnen begreiflich machen,
wie derjenige, welcher für die Seele zuletzt und für das Leib
liche zumeist bedacht ist, am schlechtesten und am wenigsten für
sein zeitliches Wohl Sorge trägt. Uud so ist es in Wahrheit.
Denn saget, wer ist der Geber der irdischen Güter, wer
schenkt Gesundheit und Reichthum, wer gibt reine Lust und
Freude, wer Ehre und Vermögen, von wem kommt alles
Zeitliche? Ohne Zweifel von Gott. Denn soweit ist der
Glaube dem Weltmenschen doch nicht abhanden gekommen, daß
er dies nicht zugeben sollte. Oder, wenn die Weltkinder hie
und da beten, um was bitten sie Gott zumeist? Etwa um den
Geist der Buße, um wahre Weisheit des Herzens, um Er-
kenntniß der übernatürlichen Dinge? O nein, sondern gerade
um zeitliche Güter, um Gesundheit, um Gelingen ihrer Ge
schäfte, um Gedeihen ihres Wohlstandes, um Bewahrung vor
166 IV. Sonntag nach Pfingsten.

Unglück, um ein langes und vergnügtes Leben u. s. w So


unvollkommen auch ein solches Gebet ist, so bekennen sie da
durch doch im Jnnersten ihres Herzens, daß Gott der Herr
ist über die irdischen Güter, der sie gewähren und sie wieder
entziehen kann.
Wenn aber dem so ist, verehrte Zuhörer, dann sollte
und müßte man vernünftiger Weise glauben, daß gerade die
Weltmenschen, daß gerade jene, welche die irdischen Dinge so
hoch anschlagen, Gott am allermeisten dienen, ihn am wenig
sten beleidigen und am eifrigsten seine Gebote beobachten, um
dann dafür von ihm Segen und Glück im Zeitlichen zu er
halten. Aber was thun sie statt dessen? Sie setzen Gott
hintan, sündigen, vernachlässigen den göttlichen Dienst, wider
stehen der Gnade oder leben wenigstens in religiöser Gleich-
giltigkeit dahin. Und dies sollte nicht die größte Thorheit
sein? Sie begehren nach zeitlichem Gut; Gott ist der Herr,
der es geben und nehmen kann; und sie erzürnen ihn dafür,
schätzen ihn gering und beleidigen ihn! Und dabei wollen sie
fest vertrauen, es werde ihnen, wenn sie an das Reich Gottes
nicht denken, das Zeitliche zugegeben werden./
Wer von einem Fürsten eine Gnade erhalten will, der
bewirbt sich auf alle Weise um dessen Freundschaft und Gunst
und hütet sich sorgfältigst, seiuem Gebieter auch nur im Ge
ringsten zu mißfallen oder ihn wohl gar zu beleidigen, zu
verletzen und zu erzüruen; er bewirbt sich um die Fürsprache
mächtiger und einflußreicher Personen und spart keine Com-
plimente, keine Bitten und Versvrechnngen. Seht, das ist die
gewöhnliche Klugheit der Weltkiuder. Handelt es sich dagegen
um Gott, so thun sie das gerade Gegentheil. Sie begehren
von ihm zeitliche Güter und Freuden; allein statt seine Gnade
und Freundschaft zu suchen, fluchen sie vielleicht und miß
brauchen seinen heiligsten Namen, versäumen die religiösen
Pflichten und den Gottesdienst, huldigen der Sinnlichkeit und
folgen ihrer Leidenschaft, denken von den Heiligen, statt sich
Das Wunder des reichen Fischfange«. 167

um deren Fürbitte zu bewerben, gering, halten vielleicht sogar


deren Leben und Beispiel für Thorheit und entrüsten sie
durch ihren unchristlichen Wandel. Und dann hoffen sie von
Gott Segen, Gedeihen und zeitliche Wohlfahrt ? O Thorheit!
o Verkehrtheit!/
Rufen sie auf diese Art nicht eher Gottes Zorn und
Strafgericht heraus? Oder ist nicht er es, der Blitz und
Donner, Schauer und Hagel in seiner Hand hält, um die
Felder der Sünder zu vernichten? Jst nicht er es, dessen
Wink Wasser und Sturm gehorchen, um ihre Fluren zu über
schwemmen und ihre Hänser zu stürzen? Jst nicht er es,
der dem Feuer gebieten kann, um ihr Hab und Gut einzu
äschern? Zählt nicht er die Tage und Stunden des Lebens,
kann er nicht jeden Augenblick zulassen, daß dieser Tag und
diese Stunde ihre letzte sind? Hat er nicht alle Haare des
Hauptes, alle Adern, alle Nerven und Muskeln des Leibes
gezählt, und bedarf es mehr als seines Willens, damit die
Gesundheit aus ihren Gliedern weiche und die Krankheit ihren
traurigen Einzug halte? Hält er nicht das Schwert des Ge
richtes in seiner Hand, um sie damit zu tödten, vielleicht
mitten im Taumel der Lust, mitten in der Befriedigung der
Leidenschaft, mitten in rauschender Freude, im Vollzuge des
Lasters? Ja, Allmächtiger! in deiner Hand liegt dies Alles,
und Niemand ist, der dir zu widerstehen vermöchte.
Sollte ich es mithin nicht die unsinnigste aller Thor-
heiten nennen, wenn die Menschen dich hintansetzen und dabei
doch auf zeitliches Glück hoffen, ja wenn sie deine Gebote ver
achten und mit Füßen treten und sich durch die Sünde Freude
und Wohlfahrt zu verschaffen suchen? O! kommet doch, so
möchte ich darum Allen, welche wähnen, ohne Gott glücklich
werden zu können, mit dem Psalmisten zurufen,° kommet zu
Einsicht, Verblendete unter dem Volke, und Thoren,

') ?8»!m. xcm. 8.


168 IV. Sonntag nach Pfingsten.

werdet doch einmal klug. Erinnert euch an das Wort


des nämlichen Propheten: " Wenn der Herr das Haus
nicht baut, so plagen sich die Bauleute erfolglos.
Was aber von einzelnen Menschen gilt, verehrte Zuhörer,
das gilt auch von ganzen Gemeinden, von Städten und
Staaten. Geht ja doch auch ihr Streben dahin über Stadt
und Land Wohlstand zu bringen, Wohlhabenheit und irdisches
Glück allenthalben zu begründen. Dies ist ganz in der Ord
nung und recht, aber unrecht wäre es, wenn man dabei das
Reich Gottes und seine Gerechtigkeit außer Acht ließe, wenn
man nur darauf sähe, daß die Polizeigesetze gehalten werden,
aber gleichgiltig bliebe, wenn Gottes Gebote tausendfach
übertreten werden, wenn man öffentliche Laster ungestraft dul
dete, das Recht unterdrückte, gottlose und unsittliche Schriften
verbreiten ließe, Schmähungen und Lästerungen wider Gott,
wider Glauben und Kirche frei gestattete und so fort; — und
dann bei allem dem dennoch sich einbildete, Glück und Wohl
stand begründen und vermehren zu können. Dies hieße das
Wort des königlichen Propheten vergessen:'' Wenn der Herr
die Stadt nicht hütet, so wachen die Hüter vergebens;
hieße vergessen, daß der Segen von Gott kommt, der aber für
Laster und Verbrechen der Einzelnen wie der Gemeinden und
Staaten nicht Segen sondern Strafen aufbewahrt hat. Hat
er nicht die Sündfluth gesendet und die dem Fleische dienende
Menschheit vernichtet? Hat er nicht Sodoma und Gomorrha
mit Feuer verheert und im Schwefelsumpfe begraben? Hat
er nicht Jerusalem in Asche gelegt? Nennt er nicht die krie
gerischen Eroberer und alle die Geißeln der Menschheit zu
verschiedenen Zeiten die Schwerter seines Zornes? Jn glei
cher Weise wird man, wenn wir die mannigfachen Plagen,
welche heutigen Tages die Welt durchziehen, näher in's Auge
fassen, gewiß nicht behaupten können, daß sie unverdient von

') ?«ulm. cxxvi. i. — ') ru»lm. oxxvi. i.


Da« Wunder des reichen Fischfange«. 169

Gott geschickt wurden, sondern wird zugeben müssen, daß auch


sie in der Gotteutfrcmdung, im Unglauben und in dem Sit-
tciwerderbuiß ihren Ursprung haben. Daher nennt auch die
geheime Offenbarung die verschiedenen Strafgerichte, welche
Gott über die Erde ergehen läßt, Schalen des Zornes Gottes,
welche die Engel auf sein Geheiß ausgießen auf die Erde.°
Nichtsdestoweniger beleidigt man angesichts aller dieser
Wahrheiten Gott und läßt ihn beleidigen, und hofft dabei noch
irdisches Glück! Wie, ist das nicht eine gränzenlose Thorheit,
eine unsinnige Verblendung? O daß doch die Weltmenschen
einmal znr Besinnung kämen und jene wahre Weisheit be
griffen, welche lehrt, daß man, um auf Erden glücklich zu
leben, vor Allem sich um Gottes Gnade und Segen bewerben
müsse. Dies ist der einzige We>, zur Zufriedeuheit; der um-
gekehrte dagegen, den die Welt einschlägt, der Weg der Bei-
seitesetzung des Himmlischen und Göttlichen, führt zuletzt zu
einem Abgrunde, wo Gottes Zorn nnd Gericht früher oder
später ausbricht./
Würden die Weltkinder Glück auf Glück ohne Gott
bauen, ihr Bau gliche jenem Standbilde, welches der König
von Babylon sah, dessen Kopf von Gold, die Brust von
Silber, der Leib von Erz, die Fuße aber von Lehm waren.
Ein kleiner Stein rollt an die irdenen Füße, nnd das ganze
Standbild stürzt zusammen. Ebenso verhält es sich mit allem
zeitlichen Glück, wenn es nicht auf Gott und Gottesfurcht ge
baut ist; ein kleiner Wink der strafenden Hand Gottes ge
nügt, und der ganze Bau liegt im Staube. Darum heißt
es auch von den Sündern im ersten Psalm: ^ Sie sind dem
Staube gleich, den der Wind verweht von der Erde
Fläche; während umgekehrt vou dem, der nicht auf die Lock
ungen der Welt nnd den Rath der Bösen hört, gesagt wird:'
Er ist wie ein Baum gepflanzt an Wasserbäche, der

°) ^sioo. XVl. — °) I'ul»Im. I, 4. — ') v. 3.


170 IV. Sonntag nach Pfingsten.

seine Früchte gibt zu seiner Zeit und dessen Laub nie


abfällt, und dem Alles, was er thut, gelingt.
Aber vielleicht möchten die Weltkinder, die nun einmal
ganz von ihrem Grundsatze eingenommen sind: „Sorge zuerst
und zumeist für das Zeitliche," entgegnen: Wenn man immer
ans Gott merken, wenn man seinen religiösen Pflichten nach
kommen, Gottes Wort fleißig anhören, der heiligen Messe bei
wohnen, von Zeit zu Zeit die heiligen Sakramente empfangen,
d. h. mit Einem Worte als guter Christ leben foll, dann
geht ja eine Menge Zeit verloren, manchen Vortheil muß
man dann versäumen, manchen Gewinn zurücklassen, manchen
Genuß sich versagen!
Seht, verehrte Zuhörer, auch solche Reden kann man
hören, oder muß sie wenigstens bei Vielen voraussetzen, weil,
wenn sie dieselben auch nicht immer mit dem Munde aus
sprechen, doch ihre Handlungsweise ganz darnach beschaffen ist.
Also soweit ist es mit nicht wenigen Christen gekommen, die
an das Wort des göttlichen Heilandes glauben: ^ Was
nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt ge
winnt, aber au seiner Seele Schaden leidet? So lief
eingefleischt ist bei ihnen das Verlangen nach irdischem Gut,
daß es bis zur Verachtung Gottes und des Gottesdienstes
führt? So blind hat sie ihr sinnliches Streben gemacht, daß
sie das Christenthum geradezu auf den Kopf stellen und statt
zu sagen: „Suchet nicht das, was Rost und Motten ver
zehren, was Diebe ausgraben und stehlen können," dafür
sprechen: „Laßt den Himmel und das, was zum Himmel
führt, bei Seite, versäumet Kirche, Gebet und Sakramente,
bloß um noch mehr Erdengüter zusammenraffen oder um noch
besser der Genußsucht dienen zu können?" Großer Gott! was
ist das für eine heillose Verblendung^

') Uattb. XVI. 26.


Da« Wunder des reichen Fischfanges. 1?1

Aber vielleicht täusche ich mich und stelle die Sache ärger
dar, als sie ist. Doch nein, verehrte Zuhörer, ich kann euch
selbst zu Zeugen auffordern. Fraget die Weltkinder, warum
sie in keine Predigt gehen, warum sie die Messe nicht anhören,
warum man sie wunderselten bei einer religiösen Handlung
sieht; und ihr werdet von dem Einen zur Antwort bekommen:
„Jch habe dafür keine Zeit;" von dem Anderen: „Mein Ge
schäft leidet es nicht, ich bin da und dort zu einer Belustigung
eingeladen;" ja ihr werdet oftmals noch schnödere Antworten
erhalten, noch gottlosere Aeußerungen hören. Nun, wohin
wird das führen? Wir wissen es; wer für die Seele und
das Ewige nicht sorgt, sorgt auch für das Zeitliche schlecht.,
Wir sehen es überdies durch gar viele Beispiele bestätigt.
Ohne Gott auch kein göttlicher Segen. Daher ist das Ende
solcher entarteter Christen, außer dem Verluste des ewigen Heils,
gar oft auch schon das zeitliche Verderben. Die Frömmigkeit
dagegen ist, wie der Apostel schreibt," zu Allem nützlich,
und hat die Verheißung dieses und des zukünftigen
Lebens. Eben davon aber wollen ^jene Weltmenschen nichts
wissen, darum gehen sie der zeillichen und der ewigen Ver
heißungen verlustig. Deshalb, Geliebteste, wenn euch eure
Wohlfahrt und euer Heil lieb ist, lasset euch nicht anstecken
von dem verderblichen Geiste der Welt, der schon so Viele
diesseits und jenseits unglücklich gemacht hat, höret nicht auf
die Lockungen trügerischer Güter, sondern schließet euch um so
inniger an Gott an, befolget noch getreuer die Vorschriften
unserer heiligen Religion, denn nur ein religiöses Leben kann
wahrhaft glücklich machen.
Nehmet euch ein Beispiel an jenem Helden des alten Bun
des, an Mathathias, dem Stammvater der Machabäer. König
Antiochus hatte eine eigene Gesandschaft an ihn abgeschickt, um
ihn zu verleiten, abtrünnig zu werden vom Gesetze Gottes,

') l. Nwotn. lV. «.


1 ?2 IV. Sonntag nach Pfingsten.

er verhieß ihm seine Freundschaft und versprach, ihn und


seine Söhne mit Gold und Silber und vielen Geschenken zu
bereichern. Allein Mathathias erwiederte: '" Und wenn alle
Nationen dem Könige Autiochus gehorchen und vom
Dienste des Gesetzes abtrünnig werden, so werden
ich uud meine Söhne und Brüder dem Gesetze unserer
Vater gehorchen. Warum redete er so? Gott sei uns
gnädig! fuhr er fort, nicht frommet es uns, zu ver
lassen Gesetz und Vorschriften Gottes.
Jn ähnlicher Weise wie Antiochus, der später ein so
schreckliches Ende nahm, tritt die Welt mit ihren Schmeiche
leien an uns heran und ruft uns zu: „Sorget zuerst für das
Zeitliche," Sie will uns abwendig machen vom Dienste
Gottes und verspricht uns Glück und Freude in Fülle. O
lassen wir uns nicht irre führen, antworten auch wir: Nicht
frommt es uns, zu verlassen Gesetz und Vorschriften
Gottes. Glauben wir nicht der Welt, glauben wir dem gött
lichen Munde der uns sagt: Suchet zuerst das Reich
Gottes, lebet als gute Christen, und dann wird euch
alles Uebrige dazugegeben werden.
Doch ich weiß es, Ein Bedeuten könnte vielleicht noch
der Eine oder der Andere hegen. „Gelingt es nicht, sagt er,
so manchen Sündern, so manchen schlechten Menschen, sich hier
auf Erden großes Glück zu bereiten und gleichsam Gott zu
trotzen, ja mit seinem Glücke und seiner Gottlosigkeit noch zu
prahlen und groß zu thun?" Darauf muß ich noch eine kurze
Antwort geben./

Es ist allerdings richtig, daß manche schlechte und gott


vergessene Menschen in zeitlichem Wohlstande, in irdischem
^.,..,>'. >„ >' st und Freude schwelgen. Ob sie deshalb benei
Da« Wunder de« reichen Fischfanges. 173

denswerth sind, ob deswegen der Grundsatz der Welt sich


rechtfertigen läßt, das wird sich klar zeigen, wenn ihr nur
einige Erwägungen mit mir anstellet.
Vor Allem also ist zu bedenken, daß das Glück solcher
Weltmenschen meistentheils nur ein scheinbares ist. Denn
während das Aeußere Freude und Glück zeigt, nagt im Her
zen sehr oft der Wurm des bösen Gewissens, eine unheimliche
Angst und Furcht vor dem Tode plagt sie beständig, kurz sie
können innerlich nie wahrhaft froh werden. Wo aber Ruhe
und Friede fehlt, ist da wahres Glück? Das zeitliche Glück
bei gottentfremdetem Leben ist ein wahres Damoklesschwert.
Bekannt ist, wie Damokles den Tyrannen von Syrakus,
Dionys den Aelteren, glücklich pries, weil er alle Güter in
reicher Fülle besaß. Um ihn zu enttäuschen, hieß dieser den
Damokles sich an eine reichbesetzte Tafel setzen, wo er nach
Herzenslust schwelgen konnte; doch über seinem Haupte hing
an einem Pferdehaar ein scharfgeschliffenes Schwert, das jeden
Augenblick herabfallen und ihn tödten konnte. Da wurde es
dem Damokles unheimlich und er mißgönnte dem Tyrannen
nicht länger sein irdisches Glück. Könnten wir in das Herz
mancher Menschen blicken, die in den besten äußeren Verhält
nissen leben und alle ihre Wünsche befriedigt sehen, wir wür
den eine ähnliche Unheimlichkeit in ihnen wahrnehmen und sie
nicht länger beneiden.
Zweitens ist zu beachten, daß solch zeitliches Glück un-
christlicher Menschen zuweilen eine zufällige Belohnung Got
tes für manches gute Werk ist, welches sie geübt haben.
Denn es gibt solche Leute, welche sich um den heiligen Glau
ben nicht bekümmern, sich an kein Gebot der Kirche halten und
jede religiöse Uebung scheuen; doch bestimmt sie ihre natürliche
Herzensgüte mancherlei Gutes zu thun, viel Almosen zu geben.
Kranke und Nothleidende zu unterstützen; Gott läßt sich von
ihnen im Gutesthun nicht übertreffen, und weil er ihnen ob
ihres Wandels und ihrer gottentfremdeten Gesinnung, wegen
1 74 IV. Sonntag nach Pfingsten.

ihres Mangels an Bußsinn und ächter Religiösität keine ewige


Belohnung geben kann, so segnet er sie manchmal mit zeit
lichem Glück. Aber o wie gering ist diese Belohnung im Ver
gleiche mit jener, welche Gott feinen treuen Dienern verheißen
hat! Werdet ihr also mit diesen irdisch Gesegneten einen Tausch
eingehen mögen, werdet ihr das ewige Heil um zeitlicher
Wohlfahrt willen verscherzen wollen?/
Bedenket drittens, wie gar sehr kurz das irdische Glück
des Weltmenschen ist. Was kann ihm der Abend, was kann
ihm der morgige Tag bringen? Erinnert euch an jenen Rei
chen im Evangelium; " seine Felder trugen ihm Früchte im
Ueberflusse, es fehlt ihm an Raum die Ernte unterzubringen,
schon geht er mit dem Gedanken um, die alten Scheuern ab
zubrechen und größere zu bauen, um darin seine Güter auf
zubewahren, endlich spricht er in seinem Glücke: Nun, meine
Seele! hast du viele Güter zurückgelegt auf viele
Jahre, ruhe jetzt, iß, trink und laß dir wohl sein.
Doch was geschieht? Gott ruft ihn und spricht: Du Thor!
diese Nacht werden sie deine Seele von dir fordern;
und wem wird das zukommen, was du gesammelt
hast? Seht, schließt der göttliche Heiland, so geht es dem
Glücklichen dieser Erde, der für sich Schätze sammelt,
aber nicht reich ist bei Gott. Mag also der Gottverges-
sene noch so angesehen und vermöglich sein vor der Welt,
Niemand verspricht ihm den kommenden Tag. Vielmehr muß
er in beständiger Furcht schweben, daß Gott ihn zur Verant
wortung ziehe, und um so ärger strafe, je größer das Glück
war und je länger es gedauert hat. Werdet ihr also noch
sagen, es sei besser zuerst und zumeist für das Zeitliche zu
sorgen und das Ewige hintanzusetzen?
Bedenket endlich noch, daß eiu großes zeitliches Glück für
den Sünder nicht einmal ein wahres Glück sondern mehr ein

") I.U0. XII. 16 ««qq.


»
Das Wunder des reichen Fischsanges. 175
Unglück, ja oft eine furchtbare Strafe Gottes ist, weil fein
Herz gar leicht noch mehr verblendet wird. Wäre er in
Elend gerathen, hätten Krankheiten ihn getroffen, wären be
deutende Verluste über ihn gekommen, so hätte er sich vielleicht
zu Gott bekehrt. König Nabuchodonosor hatte in einem fabel
haften Glücke gelebt und war darüber in seinem Hochmuthe
soweit gegangen, daß er sich selber ein Gott dünkte und gött
liche Verehrung forderte; doch das Strafgericht blieb nicht aus,
er wurde des Verstandes beraubt und mußte Jahre lang unter
Thieren leben. '° Aber heilsam war für ihn diese Züchtigung,
denn er kam zur wahren Einsicht und bekannte, daß Gottes
Hand nichts zu widerstehen vermag und daß er jene erniedrige,
die in Hochmuth wandeln. Ebenso hat auch König Manasse
im irdischen Glücke den Götzen gedient ; erst als Gott ihn ge
züchtigt hatte, kam er zur Besinnung und kehrte dann zum
Dienste des wahren Gottes zurück. '" Hätte ihn Gott nicht
geschlagen, er wäre wohl immerdar ein Götzendiener geblieben
und im Zorne Gottes gestorben. So ergeht es wirklich man
chem bösen Christen. Eben weil er im Glücke bleibt, vergißt
er immer mehr auf Gott, fürchtet weniger feine strafende
Hand und wiegt sich in den Gedanken ein, daß zeitliches Glück
ohne Gott recht wohl bestehen könne; dadurch wird dann die
Blindheit immer ärger, die Gottvergessenheit immer größer,
das Herz immer verhärteter, bis er endlich in der Sünde da
hinstirbt. Saget also selbst, ob in einem solchen Falle zeit
liches Glück nicht eher ein Unglück und eine Strafe Gottes ist?
Damit fällt auch der ganze Einwurf, daß Gottlose in
der Welt gar oft glücklich sind, in Nichts zusammen; wahr
hingegen bleibt und wird immer wahr bleiben, daß Frömmig
keit und ein christliches Leben nützlich ist und daß es die Ver
heißungen dieses und des zukünftigen Lebens hat. Der Welt
mensch mag darum immerhin sagen : „Suchet zuerst und zumeist

") 0»u. IV. — ") IV. «eF. XXI; II. ?»r»I. XXXIII.
176 IV. Sonntag n. Pfingsten. Das Wunder d. reichen Fischfanges.

das Zeitliche;" niemals wird er beisetzen können: „Das See


lenheil, der Himmel, wird dir dann schon dreingegeben werden."
Der Christ aber, der zuerst das Seelenheil und das Reich
Gottes sucht, kann zuversichtlich hoffen, daß ihm Gott, wenn
es seinem Heile zuträglich ist, auch das Zeitliche beigeben wird.
Trauet darum nie dem Grundsatze der Welt, sondern
folget dem Grundsatze des Christenthums. Ersterer ist nichts
weiter als das Wort der alten Schlange in neuer Gestalt:
Esset, und es werden euch die Augen aufgehen; hul
diget der Geld- und Genußsucht, ihr werdet sein wie Götter,
und ein prächtiges Leben führen. Die Früchte, die jener
Grundsatz den Stammältern eintrug, bringt er auch den Welt-
liudern, von denen gar vielen schon aber gewöhnlich zu spät
die Augen aufgegangen sind. Letzterer aber, der Grundsatz
des Christenthums, ist unfehlbares Gotteswort, das, wenn auch
Himmel und Erde vergehen, niemals vergehen wird. Jhm
also wollen wir glauben, und wir werden uns in der Zeit nie
unglücklich fühlen, in der Ewigkeit aber unvergängliches Glück
genießen. Amen.
XI.

Iie Krodvermeßrung.
Das Wunder der Liebe und die Liebe der Wunder.
(VI. Sonntag nach Pfingsten.)
Er fragte sie: Wie viel Nrode habt ihr? Sie sagten: Sieben.
Mi«, VIll. 5,)

^<^s geschah gewiß nicht ohne göttliche Fügung, daß ge


rade sieben Brode vorhanden waren, welche von unserem
Herrn und Heilande wunderbar vermehrt wurden, um die
hungernde Menge in der Wüste zu sättigen. Die Zahl
Sieben tritt uns überhaupt in der heiligen Schrift als eine
sehr bedeutungsvolle entgegen, so daß sie die heilige Zahl ge
nannt wird.'
Nachdem Gott in sechs Tagen die Welt geschaffen hatte,
ruhte er am siebenten Tage und heiligte so die erste Woche
der Welt. Wie sich aber die Zahl Sieben auf diese Weise
an die natürliche Weltschöpfung anschließt, ebenso begegnet sie
uns wieder in der höheren Geisterwelt und im Gebiete der
übernatürlichen Wirksamkeit, im Reiche der Gnade. Denn
unter den tausendmal hunderttausend Engeln, welche dem Ewi
gen ihr dreimal „Heilig" zurufen, sind sieben besonders aus
gezeichnet, die zunächst am Throni Gottes stehen. Jch bin
Raphael, sprach der Engel, ' welcher den jüngeren Tobias

') lud, X!l. 15.


Lierheinier, Parabeln u. Wunder, 12
l?8 VI, Sonntag nach Psingsien.
»
auf der Reise begleitet und wunderbar beschützt hatte, elner
der sieben, die wir stehen vor dem Herrn. Ebenso
werden diese sieben Engel in der geheimen Offenbarung des
heiligen Johannes besonders hervorgehoben.^
Jm Reiche der Gnade aber begegnet uns die Sieben-
zahl in den sieben Gaben des heiligen Geistes, vorgebildet
im siebeuarmigen Leuchter, dessen Lampen Tag und Nacht in
der Stiftshütte brannten. Nicht minder ist diese Zahl, abge
sehen von den sieben heiligen Sakramenten, auf die ich noch
zurückkomme, durch Christus in besonderer Weise geheiligt
worden. Sieben Bitten nämlich enthält das Gebet, das er
selbst uns gelehrt hat und das deswegen mit Vorzug das
Gebet des Herrn genannt wird. Als Jesus am Kreuze hing,
da beschloß er sein Erdenleben mit sieben feierlichen Worten,
die gleichsam die letzte Predigt des Erlösers, sein Testament,
bilden. Sieben Tugenden, die uns mit Gott verbinden und
unser Leben ihm wohlgefällig machen, sollen jeden Christen
zieren, die drei göttlichen Tugenden des Glaubens, der Hoff
nung und der Liebe, und die vier Cardinal- oder Haupt-
tugenden der Klugheit, Gerechtigkeit, Mäßigkeit und Stark-
müthigkeit.,
Wiederum finden wir die Siebenzahl im Leben der Mut
ter des Herrn, der Königin der Engel und der Helferin der
Christenheit, in ihren sieben Freuden und Schmerzen. Ganz
besonders aber spielt diese Zahl eine große Rolle in der ge
heimen Offenbarung: in sieben Engeln, in sieben Gemeinden,
an welche Johannes seine Briefe richtet, in sieben Flammen,
sieben Posaunen und sieben Siegeln, die das Buch verschließen,
welches nur das Lamm öffnen kann.'.
Siebenmal mußte sich der Syrer Naaman im Jordcm-
flnsse waschen, um vom Aussatze rein zu werden; sieben sind
auch die Werke, ob welcher wir durch Gottes Barmherzigkeit
Nachlassung unserer Sünden, Gnade und ewiges Leben er
langen, nämlich erstens die Taufe, durch welche wir Gottes
Die Brodvermehrung. 1?9

kinder werden; zweitens der Martyrertod, denn: Wer sein


Leben um meinetwillen verliert, wird es erhalten;°-
drittens das Almosen: Errette deine Seele durch Almo
sen und durch Barmherzigkeit gegen die Armen;'
viertens die Vergebung fremder Schuld: Vergebet und auch
euch wird vergeben werden; ^ fünftens die Bekehrung
Anderer: Wer einen Sünder vom Jrrwege zurückführt,
bedeckt der Sünden Menge; ^ sechstens das Uebermaß
der Liebe: Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott
und Gott in ihm;" siebentens endlich die Buße: Wer Buße
thut, soll leben und nicht sterben.^
Daher ist es auch nicht zufällig, daß die Kirche sieben
Bußvsalmen zählt und daß die alten Bußcanones häufig für
grobe Vergehen siebenjährige Bußübungen auflegten.
Am wichtigsten aber ist für uns die Siebenzahl in den
Gnadenmitteln, in den heiligen Sakramenten. Vielleicht hat
es gerade ihretwegen die göttliche Weisheit so gefügt, daß beim
Wunder der Brodvermehrung sieben Brode vorhanden waren.
Mit sieben Broden hat der Herr die Hungernden in der
Wüste vom leiblichen Tode gerettet; durch sieben Sakramente
rettet er uns in der Wüste dieses Lebens vom ewigen Tode
und erhält uns das Seelenleben. Er befahl dem Volke, sich
auf die Erde zu lagern, ehe er es sättigte; für die Crden-
pilger sind die sieben Gnadenmittel bestimmt. Sein Segen
hat die Brode wunderbar vermehrt; der Segen seines Blutes
ist es, der fortwirkt in den Sakramenten, so daß deren Kraft
nie abnimmt. Die Jünger vertheilen die Brode; den Nach
folgern der Apostel ist die Spendung der Sakramente über
tragen. Alle wurden gesättigt; in Allen, die der Gnade kein
Hinderniß in den Weg legen, bringen die Heilsmittel ihre
übernatürlichen Wirkungen hervor. Sieben Körbe wurden mit

') ziltttl,. X. 3<1, — ') Unn, lV. 21. — ') I.uo, VI. 37. - °) ^»cob,
2,». — ") ^o-mn. IV. l,!. - ') I?2°e»i. XVlll. 2l,
180 VI. Sonntag nach Pfingsten.
den Ucberrestcn gefüllt; mögen Tausende getauft oder gefirmt
werden, tausend Hostien consecrirt oder tausend Absolutionen
gespendet werden, die Kraft der sieben Sakramente bleibt un
geschwächt, sie werden sich an tausend neuen Empfängern ebenso
wirksam erweisen./
Wie aber die einzelnen Brode uns an die einzelnen Sa
kramente erinnern können, so ist das ganze Wunder der Brod
vermehrung ein Vorbild des höchsten Wunders und des
heiligsten unter allen Sakramenten, des Geheimnisses des
Altares. So wenig es einem der vier Taufende einfiel, an
dem Wunder der Brodvermehrung zu zweifeln, ebensowenig
darf es dem Christen in den Sinn kommen, an diesem heilig
sten Sakramente zu zweifeln; denn derselbe, der die Brode
vermehrte, hat gesprochen: Dies ist mein Leib, dies ist
mein Blut. Wie jene Tausende an die wirkliche Brodver
mehrung glaubten, obschon sie sich das Wie nicht erklären
konnten; ebenso glauben wir an die wirkliche Gegenwart Jesu
Christi unter den Gestalten des Brodes und Weines, obgleich
wir die Weise der Verwandlung nicht begreifen. Wie endlich
die Brodvermehrung ein Wunder der Liebe zu dem gläubigen
Volke war, und eine Liebe der Wunder, da die wenigen Brode
Tausende gleichmäßig sättigten; so ist auch das heiligste Sa
krament des Altares ein Wunder der Liebe, denn nur die all
mächtige göttliche Liebe konnte ein solches Geheimniß ersinnen
nnd verwirklichen, und eine Liebe der Wunder, weil das eine
Geheimniß eine Menge von Wundern in sich begreift, wie die
Wescnsverwandlung, die bleibende Gegenwart Jesu Christi in
jeder Gestalt und in jedem Theilchen der Gestalt und so fort.
Jch habe es mir zur Aufgabe gestellt, heute diese vielfachen
Wunder ench in Erinnerung zu bringen, damit ihr den heiligen
Frohnleichnam, Jesus im heiligsten Sakramente, recht bewun
dert und anbetet. Jch beginne in seinem Namen. Deine
Gnade, o Jesus! sei mit uns..
Die Brodvennchnmg. 18 l

Als David der Wunder gedachte, womit Gott das israe


litische Volk auf seiner langen Wanderung durch die Wüste
erhielt, besonders der wunderbaren Speise des Manna und
des Wassers aus dem Felsen, da rief er voll Begeisterung in
seinem hundertzehnten Psalm aus: Ein Denkmal seiner
Wunder hat er gegründet, der barmherzige und er
barmende Herr, Speise hat er gegeben denen, die ihn
fürchten; seines Wirkens Macht hat er gezeigt seinem
Volke. Jn welche Worte hätte wohl David ausbrechen
müssen, wenn er die Wunder des neuen Bundes gekannt
hätte, von welchen die alttestamentlichen bloß Vorbilder und
Schatten waren, wenn er das wahre Manna gekannt hätte,
das alle himmlische Süßigkeit in sich enthält, und den Felsen,
aus dem nicht Wasser zur Löschung leiblichen Durstes, sondern
Blut zur Tilgung der Sünden und zur Erlangung des ewigen
Lebens geflossen? Dieses Denkmal der Wunder besitzen wir,
es ist der sakramentale Heiland, Jesus im Geheimnisse des
Altares; in ihm zeigt Gott am allermeisten seines Wirkens
Macht. Weisen wir es im Einzelnen nach.
Das erste Wunder im Geheimnisse des Altares ist die
Wesensverwandlung oder Transsubstantiation. Als Jesus
Christus dieses hochwürdigste Sakrament beim letzten Abend-
mahle einsetzte, sagte er zu seinen Jüngern nicht: „Dieses
Brod ist mein Leib," auch nicht: „Mit diesem Brode oder
unter diesem Brode ist mein Leib," sondern er drückte sich so
aus: Dies ist mein Leib, d. h. dies, was euren Sinnen
als Brod erscheinen möchte, ist mein Leib, dies, was eure
Sinne für Wein halten könnten, ist nicht Wein, sondern ist
mein Blut. Was ergibt sich aus diesen klaren Worten, die
wir so nehmen müssen, wie sie lauten? Ohne Zweifel dieses,
daß Christus das Brod in seinen Leib und den Wein in sein
Blut verwandelt hat, d. h. daß die Substanz, das Wesen des
Brodes und Weines aufhörte und an deren Stelle die Sub
stanz des Leibes und Blutes Christi trat. Das Wesen des
182 VI. Sonntag nach Pfingsten.

Brodes und des Weines hat mithin nicht so aufgehört, daß


an deren Stelle nichts anderes getreten wäre, denn dies wäre
eine Vernichtung des Brodes und des Weines gewesen, son
dern an Stelle des Brodes und Weines traten der Leib und
das Blut Jesu Christi. Wie bei dem Wunder zu Cana der
Wein an Stelle des Wassers trat und das Wesen des Wassers
aufhörte, ohne vernichtet zu werden, und Wein wurde, ebenso
geschieht Aehnliches im heiligsten Sakramente. /
Die Thatsache ist unläugbar, denn der untrügliche Mund
Christi verbürgt sie; das Wie der Verwandlung aber ist Ge
heimniß, ist ein Wunder. Jch sage, die Thatsache sei durch
Christi Mund verbürgt. Denn er hatte ja klar verheißen,
sein Fleisch würde wahrhaft eine Speise und sein Blut wahr
haft ein Trank sein. Sollen sein eigenes Fleisch und Blut
unsere Nahrung werden, dann können offenbar Brod und
Wein unter dieser Nahrung nicht verstanden werden. Sind
aber Brod und Wein nicht mehr Brod und Wein sondern
Fleisch und Blut, dann muß eine Transsubstantiation, eine
Verwandlung der Substanz des Brodes und Weines in die
Substanz des Leibes und Blntes stattgefunden haben. Die
Thatsache ist also nicht zu bestreiten.^
Aber das Wie der Verwandlung, das ist Geheimniß, ist
ein Wunder göttlicher Allmacht. Gleichwie also einst auf das
allmächtige Werde aus dem Nichts Himmel und Erde ent
standen, so werden durch das Wort der Consecration, das
Christus selbst oder gemäß seiner Verordnung die Priester als
Christi Mund sprechen, aus dem Brode und Weine der Leib
und das Blut Christi. So wenig wir darum die Thatsache
der Weltschöpfung läugnen dürfen, wenn wir gleich nicht be
greifen, wie die Welt aus Nichts entstand, ebenso wenig dürfen
wir die Transsubstantiation läugnen, obgleich wir das Wie nie be
greifen werden. Er, der Allmächtige, hat gesprochen, nnd Leib und
Blut sind da; er hat befohlen und sie waren geschaffen.^
°) l>un!m. xxxil. 9.
Die Brodvermehrung. 183

Doch warum, verehrte Zuhörer, hat die göttliche Liebe


Jesu dieses Wunder gewirkt, daß die Elemente des Brodes
und Weines in sein Fleisch und Blut verwandelt werden?
Dazu, damit wir, indem wir dieses eucharistische Brod genie
ßen, ganz in Christus umgewandelt werden. Die Liebe des
Wunders ist darum auch ein Wunder der Liebe. Deshalb
müssen wir in Wahrheit gestehen: Ein Denkmal der Wun
der hat er gegründet, der barmherzige und erbar
mende Herr, Speise hat er gegeben denen, die ihn
fürchten. Beachtet wohl dieses letzte Wort: die ihn fürch
ten, d.h. ihn in würdigem Zustande, mit sündenfreiem Her
zen, mit kindlicher Liebe empfangen. Denn gleichwie der
Magen die Speise nicht verdaut, wenn es ihm an der gehö
rigen Lebenswärme gebricht, so wird unsere geistige Umwand
lung in Christus trotz dem Genusse seines Leibes nicht vor
sich gehen können, wenn es uns an Reinheit des Herzens und
an Liebe gebricht. Doch das Wunder der Wefensverwand-
lung ist bloß der Anfang der Wunder in jenem Geheimnisse./
Ein zweites Wunder ist die Leichtigkeit, mit der die
Verwandlung geschieht. Es bedarf keiner außerordent
lichen Mühe und Anstrengung, um dieselbe zu bewirken, einige
wenige Worte sind genügend. Wenn Jemand die Macht be
säße, nach Gutdünken Berge zu versetzen, Meere auszutrocknen,
Stürme hervorzurufen und Todte zu erwecken; man würde
ihn gewiß allgemein bewundern, selbst wenn er dazu vieler Ge
bete, langer Nachtwachen und häufiger Fasten bedürfte. Und
doch, was sind alle diese Leistungen im Verhältnisse zu jener
Wesensverwaudlung, im Vergleiche mit welcher selbst die
Schöpfung des Himmels und der Erde als ein geringes Werk
erscheint?/
Leuchtet also aus diesem neuen Wunder nicht wieder die
unendliche Liebe und Erbarmung des Herrn uns entgegen,
der die Consecration so leicht machte, um uns deu Empfang
seines Leibes und Blutes zu ermöglichen? Wäre auf der
184 VI, Sonntag nach Pfingsten.

ganzen Wclt immer nur Ein Priester, welcher jene Worte sprechen
darf, o wie würde sich Alles nach dem Orte sehnen, wo der
selbe weilt! Nun dürfen sie aber alle Priester auf der ganzen
Erde sprechen. Wer kann darin die Liebe der Wunder und
das Wunder der Liebe verkennen? Und für wen all das? Für
mich, für dich, mein Christ, für uns Alle, v
Das dritte Wunder ist, daß Jesus Christus unter
jeder der beiden Gestalten gegenwärtig ist. Er hat
zwar dieses heiligste Sakrament unter zwei Gestalten einge
setzt um des Opfers willen, welches eine Erinnerung und eine
lebendige Darstellung seines blutigen Opfertodes am Kreuze
sein soll; allein dies schließt nicht aus, daß in jeder Gestalt
für sich der ganze Christus zugegen ist. Christus, der
Auferstandene von den Todten, sagt der Apostel,^
stirbt nicht mehr; es ist also der glorreiche Christus, der
immerdar lebt, zugegen. Unter der Gestalt des Brodes muß
also ein lebendiger Leib, mithin auch das Blut, und unter der
Gestalt des Weines ein lebendiges Blut, also auch der Leib
sein. Wo aber der lebendige Leib Christi ist, da ist auch seine
Seele; und weil es wegen der hypostatischen Uuion keinen
bloßen Menschen Christus, sondern nur den Gottmenschen gibt,
so ist mit dem Leibe und der Seele auch die Gottheit Christi
zugegen. Darum, schließt das Concil von Trient/"
ist unter einer jeden der Gestalten ebensoviel enthalten als
unter beiden. Und der göttliche Heiland selbst sagt es: "
Wer mich ißt, wird leben durch mich. Das Essen be-
zieht sich offenbar nur auf die Brodsgestalt; also genießt man
auch in dieser den ganzen Christus. Jst dies nicht wieder
ein Wunder der Liebe, um ja Allen die Möglichkeit des Ge
nusses zu verschaffen?.
Diesem dritten Wunder ist das vierte Wunder ähnlich,
daß Christus nicht bloß unter jeder Gestalt sondern auch in

°) Rom. vl. 9, - '°) 80« XIII. c»n. 3. - ") ^Ulmn Vl. 58.
Die Brodvermchrnng. 135

jedem Theilchen der Gestalten ganz gegenwärtig ist.


Christus hat, wie ausdrücklich von den Evangelisten berichtet
wird, die Wandlungsworte nur einmal gesprochen, das Brod
gebrochen und dann dessen Theile den Aposteln dargereicht; es
muß also auch im Theile jeder den ganzen Christus empfangen
haben. Das Brod besteht aus vielen Theileu, deren jedem
das Wesen des Brodes zukommt; das Wesen des Brodes
aber wird verwandelt, also muß auch in jedem Theile der Ge
stalt Christus ganz sein. Beim Kelche ist dies noch deutlicher.
Alle Apostel tranken ans einem und demselben Kelche und doch
empfing jeder den ganzen Christus. Deswegen singt auch die
Kirche im I^uäa 8ion am Frohnleichnamsfeste: „Jst gebrochen
nun das Zeichen, laß des Glaubens Kraft nicht weichen, son
dern denke, daß im Theile, gleichviel wie im Ganzen ist."
Magst du also eine große oder eine kleine, eine halbe oder
eine Viertelshostie empfangen, du empfängst doch den ganzen
Jesus, wie ihn die Apostel beim letzten Abendmahle em
pfingen./
Ein fünftes Wunder ist, daß Christus überall gegen
wärtig ist, wo immer das Opfer gefeiert und Brod und
Wein consecrirt werden, ohne daß mit der Vervielfältigung
der Orte auch Christus selbst vervielfältigt würde. Denn
gleichwie Gott überall in der ganzen Welt und in jedem Ge
schöpfe zugegen ist, und doch nur Ein Gott, so Christus, der
Sohn Gottes, in der Eucharistie. Ein Vorbild davon und
eine theilwcise Erklärung dieses Wnnders finden wir in den
beiden Wundern der Brodvermehrung, die der göttliche Hei
land gewirkt hat. Es waren nur wenige Brode, die der Herr
segnete und seinen Jüngern zum Vertheilcn gab, und doch
vermehrten sie sich so, daß Tausende empfingen und gesättigt
wurden. Eine ähnliche aber noch wunderbarere Vervielfäl
tigung und Sättigung findet in der Eucharistie Statt, ohne daß
Jesus selbst vervielfältigt würde, wo immer auf dem Erden-
runde consecrirte Brodsgestalten sind, weshalb es wieder im
186 Vl. Sonnwg nach Pfingsten.

I^uä» ßiou heißt: „Ob Einer nur oder Tausende empfangen,


jener und diese empfangen alle gleichviel." l
Ein sechstes Wunder ist, daß Christus obwohl wesentlich
gegenwärtig, doch natürlichen Kräften nicht unterworfen
ist. Der Priester kann wohl die Gestalten des Brodes bre
chen, aber er kann den Leib Christi nicht brechen. Wenn man
einen Thautropfen theilt, in welchem der Sonnenstrahl erglänzt,
so theilt man dadurch die Sonne nicht, obschon sie in jedem
geseilten Tropfen widerstrahlt. Und wenn man einen Spie
gel zerbricht, in den ich eben hineinschaue, so bricht man des
wegen mein Gesicht nicht, obschon es auch in jedem Splitter
des Spiegels ganz gesehen wird. Jn gleicher Weise, wenn
die Hostie gebrochen wird, wird doch Christus nicht gebrochen,
denn sein Leib ist im heiligsten Sakramente glorreich und da
rum unverletzlich zugegen, und deswegen können seine Glieder
nicht verstümmelt und nicht getheilt werden.,,
Ein siebentes Wunder ist die bleibende Gegenwart
Jesu Christi im hochheiligen Sakramente so lange als die
Gestalten bleiben. So hat die Kirche jeder Zeit gelehrt, und
das Coucil von Trient belegt jene mit dem Banne, '^
welche behaupten, der Leib Christi sei nur im Genusse gegen
wärtig. Denn Jesus wollte in diesem Geheimnisse unsere
Speise werden; wie darum eine Speise so lange bleibt, bis
sie verzehrt oder verdorben wurde, so will auch Christus
bleiben, so lange als die Gestalten bleiben und den Sinnen
noch als Brod und Wein erscheinen. Würde darum mit den
consecrirten Gestalten bloß eine solche Aenderung, z. B. in
der Farbe, vorgenommen werden, um deren willen sie nicht
aufhörten Brod und Wein zu sein, so würden auch der Leib
und das Blut Christi nicht aufhören im Sakramente gegen
wärtig zu fein. Ware dagegen die Aenderung der Gestalten
von der Art, daß sie nicht mehr als Brod und Wein ange-

") 8e»5. Xlll. s-,n, 4


Die Brodvermehrung. l87

sehen werden könnten, indem z. B. das Brod corrumpirt oder


der Wein zu Essig geworden ist, dann wäre auch Jesus nicht
mehr sakramentalisch gegenwärtig.,
Ein achtes Wunder ist, daß, wenn auch die Worte der
Consccration unzählige Male und von unzähligen Priestern
gesprochen werden, doch deren Kraft niemals sich ver
mindert. Alles Zeitliche wird durch den langen Gebrauch
abgenützt und verliert seine Kraft; das Göttliche dagegen bleibt
sich ewig gleich. Wie darum das schöpferische Werde fort
dauernd im Stande ist, die Welt in ihrem Dasein zu erhalten,
so wird auch das Wunderwort der Consecration seine Kraft
bis zum Ende der Zeiten bewahren. Warum? Aus Liebe,
weil Jesus darin seine Wonne findet, bei uns zu bleiben bis
zur Vollendung der Weltzeit. Seht hier wieder die Liebe des
Wunders und ein Wunder der Liebe, das allen unseren Dank
und unsere ganze Gegenliebe verdiente
Noch ein letztes Wunder, das ich zwar schon angedeutet
habe, muß ich noch etwas ausführlicher hervorheben, die sät
tigende Kraft dieses Sakramentes. Die Brode, welche
Jesus gesegnet hatte, waren zur Sättigung mehrerer tausend
Menschen nicht bloß genügend sondern überflüssig, denn es
wurden mit den Ueberbleibseln noch einige Körbe angefüllt.
Wer sieht darin nicht die schöpferische Allmacht des Erlösers,
der in so augenscheinlicher Weise als Gebieter der Natur sich
zeigt? Aber noch Höheres geschieht im eucharistischen Brode.
Dieses, das unter seiner Hülle den sieischgewordenen Sohn
Gottes birgt, sättigt nicht bloß einige Tausend einmal, es
sättigt alle Menschen auf der Erde, die reinen Herzens davon
essen, es sättigt sie immerdar, es sättigt sie überreich. Es
gibt keinen Hnnger, 'den dieses Himmelsbrod nicht stillen,
keinen Durst, den dieser Himmelstrank nicht löschen, es gibt
kein Verlangen, keinen Wunsch, keine heilige Begierde, kein
frommes Gebet, das diese Himmclsspeise nicht in rechter Weise
befriedigen könnte. Wie sollte es auch anders sein? Wir
!88 vi. Sonntag nach Pfingsten.

empfangen ja in diesem heiligsten Sakramente den göttlichen


Heiland selbst, mit dem uns, wie der Apostel sagt," Alles
,geschenkt wird. Was könnte uns fehlen, wenn wir Gott
in uns haben? oder welche Leere im Herzen oder welche
Tiefe im Geiste könnte es geben, die Gott nicht auszufüllen
vermöchte?^
Daher sehen wir, daß die Heiligen so gern ihre Zuflucht
zur heiligen Communion nahmen. Wollte der heilige Thomas
die Fülle der Wissenschaft, so suchte er sie in der heiligen
Communion. Wollte die heilige Theresia Trost in ihren
Versuchungen, Labung in ihrer geistigen Verlassenheit, so suchte
und fand sie dieselbe in der heiligen Eucharistie. Wollte der
heilige Philippus Neri den Frieden der Seele und die Kraft
zu vieler Arbeit, so suchte er sie in der heiligen Communion.
Kurz das heiligste Sakrament kräftigt Alle, die es würdig
empfangen; denn was das Brod dem Leibe ist, das, ja noch
unendlich mehr ist die Eucharistie für die Seele, sie nährt,
erhält und stärkt das Leben und macht übervoll von Freude;
denn sie erfüllt das Herz mit dem, der es allein befriedigen
kann, mit Gott. Darum spricht der heilige Augustin ebenso
zart wie schön zur Seele: „Sauge Menlein, sauge und trinke
die unaussprechliche Süßigkeit deines Geliebten. Versenke dich
ganz in ihn, damit du ganz voll werdest von ihm. Jhm
hänge an und bleibe in ihm; ist dein Genuß ein dauernder,
dann wird auch die Seligkeit eine immerdauernde sein."/
Wenn ihr nun, verehrte Zuhörer, alle diese wunderbaren
Umstände erwäget, werdet ihr läugnen dürfen, daß das heiligste
Sakrament wirklich das Denkmal der Wunder des barmher
zigen und erbarmenden Gottes ist, eine Liebe, die wahrhaft
verschwenderisch ist mit Wundern, eine Liebe der Wunder und
ein Wunder der Liebe?'
Lasset mich hierbei noch kurz die Aehnlichkeit dieses Ge-

') Ilnm. v.u. 32.


Die Brodvermehrung. 189

heimnisses mit dem der Jncarnation hervorheben, damit ihr


diese Wunder euch noch besser vergegenwärtigen könnet." Wie
bei der Menschwerdung die unsichtbare Gottheit sich mit der
sichtbaren von Mariens Schooß angenommenen Menschheit
verband; so verbindet sich im Geheimnisse der Eucharistie der
unsichtbare Leib Jesu Christi mit den sichtbaren Gestalten des
Brodes und Weines. Durch jene Verbindung der Gottheit
mit der menschlichen Natur sind nicht zwei sondern nur Ein
Christus geworden; ebenso wird aus der Verbindung des
Leibes Christi mit den Gestalten nur Ein Sakrament des
Leibes und Blutes Christi. Jn der Jncarnation hat sich die
Gottheit mit allen Theilen der angenommenen menschlichen
Natur verbunden; in gleicher Weise vereinigt sich durch das
Wort der Consecration der ganze Leib Christi mit allen
Theilen der Brodes- und Weinesgestalten. Die in der Jncar
nation angenommene Menschheit war leidensfähig und hat
wirklich gelitten, während die Gottheit keiner Leiden fähig war;
auch in diesem Sakramente können die Gestalten gebrochen,
zertheilt und genossen werden, aber Christus selbst wird da
durch nicht zerstört. Wie in der Menschwerdung die mensch
liche Natur von der Gottheit des ewigen Wortes gehalten und
getragen wurde, so werden die Gestalten, da das Wesen des
Brodes und Weines aufgehört hat, durch die Kraft des Leibes
Christi gehalten. Wie endlich keine geschaffene Kraft die hhpo-
statische Vereinigung der Gottheit mit der Menschheit in Christo
trennen kann, ebenso kann Niemand machen, daß das consecrirte
Brod nicht der Leib Christi sei, so lange die Gestalten
bleiben.^
Seht, so besteht zwischen dem Geheimnisse der Jncar
nation und dem der Eucharistie die innigste Verwandtschaft,
und muß bestehen, weil in beiden der wahre Christus ist.
War die Jncarnation ein Wunder der göttlichen Liebe und

") I^eu8iuL, 6e peikeet, moiib 6iv!n, üb, XlI, enp, 16. n. 129.
190 Vl. Sonntag nach Pfingsten.

eine Liebe zu Wundern, so ist es auch die Eucharistie. Und


für wen diese Liebe, diese Wunder? Für mich, für dich, für
uns Alle. Lasset mich nun, nachdem wir dieses wissen, daran
noch ein paar kurze Bemerkungen anknüpfen./

Das Gesagte hat uns hinreichend dargethan, daß das


heiligste Sakrament eine Liebe der Wunder ist und ein Wunder
der Liebe. Aber dürfen wir uns mit der bloßen Erkenntniß
schon begnügen, sollen wir nicht weiter gehen, um auch durch
eigene Erfahrung zu lernen, daß es in uns Wunder wirkt
und uns ganz mit göttlicher Liebe erfüllt, wenn wir es recht
nnd fleißig genießen? Daß wir dies thun müssen, ergibt sich
ja schon aus dem Zwecke der Einsetzung desselben. Denn
nicht dazu allein hat Christus das Geheimniß seines Leibes
nnd Blutes eingesetzt, daß wir es betrachten und bewundern,
sondern damit wir es genießen: Mein Fleisch ist wahr
haft eine Speise und mein Blut ist wahrhaft ein
Trauk. '^
Wir lernen dieses am ehesten, wenn wir uns an das
Vorbild der Eucharistie erinnern, an das Manna, und an das,
was dem Volke Jsrael damit begegnete.'" Sie hatten ge
klagt, daß sie in Aegypten Ueberfluß an Speise gehabt hatten,
während sie in der Wüste des nöthigen Brodes entbehrten.
Der Herr verhieß ihnen durch Moses, daß er sie au jedem
Morgen anch mit Brod sättigen werde. Schon am folgenden
Tage fanden sie rings um das Lager kleine Körner, dem Reife
ähnlich, auf dem Boden. Als sie diese sahen, wußten sie
nicht, was es wäre, und fragten deshalb einander: U^nliu?
das heißt: Was ist das? Es war das Manna. V
Wie nun erfuhren die Jsraeliten, daß dieses das wun-
derbare vom Himmel gesendete Brod sei? Sie lernten es

5) ^u»m!, V!. 5'll. — ") I5xu<z. XVI.


Die Brobvermehrung. 191

zuerst aus dem Gehör oder durch den Glauben, und dann
aus eigener Erfahrung, durch den Genuß. Als sie nämlich
fragten: Uanliu, was ist das? antwortete ihnen Moses:
Das ist das Brod, welches ench der Herr zu essen
gegeben. Gewiß gewannen sie schon durch diese Belehrung
eine hohe Meinung von dem Brode, aber sie kannten es noch
nicht vollständig. Sobald sie aber anfingen, die weißen Körner
zu sammeln und zu genießen, da fanden sie selber, daß es ein
ganz wunderbares himmlisches Brod sei, das jeden Wohlge
schmack enthielt und sie stärkte und kräftigte, so daß sie nicht
länger mehr sür ihr leibliches Leben in der Wüste in Sorge
zu sein brauchten; sie sahen nicht bloß, sie wußten jetzt aus
Erfahrung, daß das Manna nicht bloß wunderbar sondern ein
Wnnder göttlicher Liebe ist./
Seht, Geliebteste, geradeso ergeht es uns mit dem heilig
sten Sakramente. Wenn wir die kleine Hostie sehen, äußerlich
so unansehnlich wie das Manna, können auch wir fragen:
^lantn,, was ist das? Doch da kommt zuerst der Glaube
und belehrt uns: Seht, das ist das Brod, welches vom
Himmel herabgekommen ist und der Welt das Leben
gibt. Wir glauben es, weil es der untrügliche Mund Jesu
Christi selber ausgesprochen hat: Dies ist mein Leib. Jn
Folge dieses Glaubens wissen auch wir, daß es ein Wunder
göttlicher Liebe ist, die viele Wunder zugleich wirkt, um in
Brodsgestalt unter uns gegenwärtig sein zu köunen. >
Allein diese Erkeuntniß wird immer dunkel und schwach
bleiben, so lange wir uns nicht anschicken, dieses Brod vom
Himmel zu kosten und zu genießen; denn erst durch den Ge
nuß erfahren wir, wie süß der Herr denen ist, die ihn kosten,
erst durch den Genuß werden wir vollkommen überzeugt, daß
es wirklich das Himmelsbrod, das Brod des wahren Lebens
ist. Gleichwie, sagt der heilige Basilius, Niemand die
Süßigkeit des Honigs kennen lernt, den man ihm vorsetzt,
auch wenn ihm noch so viel darüber gesagt wird, bis er nicht
192 VI, Sonntag nach Pfingsten.

davon gekostet hat; so wird auch Niemand die Süßigkeit jenes


göttlichen Manna ohne dessen Gennß kennen lernen. Darum
hat Jesus selbst, als er dieses heilige Sakrament einsetzte,
es nicht für hinreichend gehalten, zu sagen: Dies ist mein
Leib, sondern hat ausdrücklich beigesetzt: Nehmet hin und
esset, gleich als wollte er damit ausdrücken: Dieses Sakra
ment wird euch nicht dazu allein gegeben, daß ihr es gläubig
ansehet und anbetet, sondern auch dazu, daß ihr es empfanget
und esset und so aus den Wirkungen, die es in eurer Seele
erzeugt, lernet, welche unbeschreibliche göttliche Süßigkeit, Gnade
und Liebe darin enthalten ist. ^
Sollte dies nicht hinreichen, um euch Alle nicht bloß zur
fleißigen Anbetung sondern auch zum öfteren Empfang des
heiligsten Sakramentes zu ermuntern? Erinnert euch noch,
was es dem Herrn gekostet hat, uns diesen Genuß zu ermög
lichen. Die Schöpfung des ganzen Weltalls, die Schöpfung
des Himmels und der Erde, aller Engel und Menschen, aller
Dinge zusammen, hat ihm nicht so viel gekostet, als dieses
einzige Sakrament. Denn zur Erschaffung jener bedurfte es
bloß seines Werde, um sie aus dem Nichts ins Dasein zu
rufen, gleichwie er auch zu ihrer fortdauernden Erhaltung
nichts braucht, als einen Akt seines Willens.^
Dagegen mußte er, um sich uns im heiligsten Sakramente
geben zu können, zuvor Mensch werden, mußte auf Erden
leiden und sterben; ja er muß, wie wir gesehen haben, dabei
eine Menge Wunder wirken; er muß immer das Priesterthum
erhalten, ohne welches es kein Opfer und kein Sakrament
gäbe; er muß, was noch mehr zu beachten, fortwährend Akte
des Gehorsams machen, indem er auf der Priester Wort her
niedersteigt auf die Altäre; er muß endlich, was wir am aller
meisten anstaunen müssen, eine Menge von Schmach erdulden,
welche ihm in diesem Geheimnisse von glaubenslosen oder
schlechten Menschen zugefügt wird, indem sie ihn unwürdig em
pfangen, ihn entehren, ja oft sogar zum Gespötte haben, so
Die Brodvermehrung. 193

daß man dies wirklich als das allergrößte Wunder der Liebe
betrachten muß, daß er den Menschen ungeachtet so vieler Be
leidigungen das heiligste Sakrament nicht entzieht.
Wenn die göttliche Liebe solche Wunder wirkt aus Liebe
zu uns, dann müssen unsere Herzen ganz kalt und erstorben
oder ganz in das Jrdische verstrickt sein, wenn sie eine solche
Liebe nicht zu würdigen und zu erwiedern wissen. Hören wir
darum nicht bloß jenes Wort: Dies ist mein Leib; son
dern befolgen wir auch dieses: Nehmet hin und esset. Eiu
Wunder der Liebe ist es, daß er herabsteigt, Brodsgestalt an
nimmt und ein verborgener Gott wird. Bewundern und lieben
auch wir, damit wir durch die Vereinigung mit ihm hinauf
steigen zu ihm und Träger der Gottheit werden. Ein Wunder
der Liebe ist es, daß er Brod in seinen Leib verwandelt und
sich uns als sakramentale Speise gibt; bewundern und lieben
auch wir, damit wir aus alten in neue Menschen umgewandelt
werden und so in Christus leben, wie er in uns lebt. Ja,
göttlicher Jesus! Du bist die Liebe der Wunder und das
, Wunder der Liebe im heiligsten Sakramente für mich und für
jeden Gläubigen, für uns Alle, sieh, auch wir wollen Liebe
werden, ganz Liebe für Dich. Amen.
,

Liciheimer, Parabeln u. Wunder, 1Z


XII.

Zie Mopßeten in SchafsKleidern.


Die Heuchelei. . , ^

(VII. Ssnntllg nach Pfingsten.)


Hütet euch vor den falschen Propheten. Uattli. VlI. 15.

/^vollet ihr wissen, wer der erste falsche Prophet gewesen


ist, so müsset ihr bis in's Paradies zurückgehen. Schon da
mals umhüllte sich der Teufel mit einem Schafspelze, oder
um mit den Worten der Schrift zu reden, er nahm Schlangen-
gestalt an, um die Stammälteru in's Verderben zu stürzen
und sein Werk der Lüge zu vollenden. Jst aber die Lüge
und Heuchelei einmal in die Welt eingedrungen, dann geht es
mit ihr wie mit einem großen Stein, den man vom Gipfel
eines hohen Berges hinabrollt, und der so lange nicht zur
Ruhe kommt, bis er nicht endlich in einen jähen Abgrund, der
sich vor ihm aufthut, hinabgestürzt ist, oder wie mit einer
Flamme, die, sobald sie einen Gegenstand erfaßt hat, so lange
fortbrennt, als irgend ein brennbarer Stoff vorhanden ist.x
Denn seit der erste falsche Prophet aus der Hölle ge
kommen ist, hat es fort und fort auf Erden falsche Propheten
gegeben, die. des Teufels Gebahren nachahmen. Wie schnell
ist schon Adam aus einem aufrichtigen Menschen ein Heuchler
geworden, indem er auf des Herrn Frage, wo er sei, antwortete: '

') «en. Hl. 10.


Die Propheten in Schafstleidern. 195

Ich habe mich gefürchtet, weil ich nackt bin. Wie hat
dieses nämliche Mittel der Verstellung sein Sohn Kam nach
geahmt, als er Abel einlud, mit ihm in's Freie zu gehen?
Wie sind nach ihnen so viele andere Lügenpropheten und
Heuchler aufgestanden, falsche Propheten im alten Bunde und
falsche Propheten im neuen? Oder was waren jene Baals-
diener, die das israelitische Volk zum Götzendienste verleiteten,
was sind jene Jrrlehrer, die feit neunzehn Jahrhunderten
auftraten, Anderes als falsche Propheten, die sich mit dem
Scheine der Wahrheit und Tugend zu umgeben suchten, die
sich in Schafspelze hüllten, innerlich aber raubgierige Wölfe
waren, welche aus der Herde Jesu Christi, aus der Kirche,
die Lämmer, die Gläubigen zu rauben und zu verschlingen
suchten? Denn gleichwie die Schlange einst zu den Stamm
äktern sprach:^ Es werden eure Augen aufgeschlossen
werden und ihr werdet sein wie Götter, so rufen auch
jene falschen Propheten den Guten zu: Man hat euch bisher
in der Finsterniß und im Aberglauben herumgeführt, hat euch
das lautere und ungefälschte Evangelium vorenthalten, nun
sollt ihr von allem Pfaffenlrug erlöst werden, sollt das reine
Gotteswort aus unserem Munde vernehmen..
Gleichwie ferner der Vater der Lüge zuerst das Wort
und die Auktorität Gottes zu untergraben bemüht war, indem
er den Stammältern sagtet Mit Nichten werdet ihr des
Todes sterben; so haben auch jene Lügenpropheten jederzeit
gerüttelt an der Auktorität Gottes und an dem von ihm ein
gesetzten unfehlbaren Lehramte der Kirche. Sind aber diese
Schranken einmal durchbrochen, hat man Gott und der Kirche
den Gehorsam aufgekündet, die Scheu vor der wahren Religion
abgelegt und dem Unglauben an einem Orte den Sieg ver
schafft, dann gleicht er dem wilden Bergstrome, der, nachdem
er den schützenden Damm durchbrochen hat, Fluren, Straßen

') «on. Ill, 5. - ') Non. III. 4.


13
96 VII. Sonntag nach Pfingsten.

und Häuser überfluthet und Alles verheert und zerstört. Es


ist das jeder Zeit der Fall gewesen und mußte so kommen.
Sobald die Auktorität Gottes und der Kirche untergraben ist,
wankt auch die weltliche Macht, es folgt die Verhöhnung der
von Gott gesetzten zeitlichen Obrigkeit, der Umsturz der Staa
ten, die Revolution./
Blicket einen Augenblick zurück auf die Ereignisse, die ihr
selbst zum Theil miterlebt habet. Was wollten denn vor un
gefähr zwanzig Jahren in Neapel, in Rom, Venedig, Wien
und so fort jene falschen Propheten, jene Wölfe, die unter dem
Schafspelze der Freiheit, Gleichheit und ,Brüderlichkeit ihre
Wühlereien trieben und Unverständige in ihre Netze lockten?
Jhr Zweck war in erster Linie Untergrabung und Sturz der
geistlichen Gewalt, der Kirche, und dann Untergrabung und
Umsturz der weltlichen Gewalt, der Staaten. Tod dem Prie-
sterthum, und dann Untergang des Köuigthums, war ihr Lo
sungswort. Aus ihren Früchten: Mordthaten, Raub, Betrug,
Anarchie sollt ihr sie erkennen. /
Doch nicht mit diesem falschen Prophetenthum im Großen
habe ich es heute zu thun. Es gibt noch ein anderes, das
sich ebenso in Schafspelze hüllt, inwendig aber raubgierigen
Wölfen gleicht und ebenfalls an feinen Früchten erkannt wird.
Zu diesem gehören alle jene, die unter dem Scheine der
Tugend und Frömmigkeit ihre Laster zu verbergen suchen;
jene, die mit gleißnerischen Reden und süßen Verführungs-
künsten Andere in Sittenlosigkeit und ins Verderben bringen;
jene, die unter der Maske des Mitleids und der .Freundschaft
nur ihren eigenen Vortheil suchen, dem Nebenmenschen aber
schaden, mit einem Worte, die falschen Christen, die Heuchler.
Sie alle sind aus der Zahl jener, die wohl mit dem Munde
sagen: Herr, Herr! in der That aber gegen den Willen
Gottes handeln, schlechte Früchte bringen und ins Feuer ge
worfen werden. Jhre Zahl ist leider nicht gering. Es gibt
Heuchler im geistlichen und im weltlichen Stande, Heuchler
Die Propheten in Schafskleidern. 19?

im klösterlichen und im ehelichen Leben, Heuchler unter Män


nern und Weibern, Heuchler in jedem Alter und in jedem
Berufe. ,
Sehen wir uns heute dieselben etwas näher an, um da
durch von dieser verächtlichen Eigenschaft abgeschreckt zu werden
und uns neuerdings in dem Vorsatze zu bekräftigen, Bäume
im Garten der Kirche zu sein, die gute Früchte tragen, Chri
sten in der That und Wahrheit. Der Herr gebe dazu seinen
Beistand. Deine Gnade, o Jesus! sei mit uns.x

Die Heuchelei, die sich jedoch unter Hunderterle! verschie


denen Formen äußern kann, ist im Allgemeinen eine verstellte
und erlogene Tugend und Rechtschaffenheit, oder ein äußerlich
gutes Betragen, welches aber mit der inneren Gesinnung im
Widerspruche steht; kurz sie ist eine Lüge in der That. Bei
den Griechen wurden die Schauspieler, welche eine fremde
Person auf der Bühne darstellten, Hypokriten genannt; dieses
nämliche Wort gebraucht die heilige Schrift für die Heuchler,
weil sie eine andere Person vorstellen wollen, als sie in der
That sind. Wie der Schauspieler, der die Person eines Königs
oder eines Feldherrn darstellt, kein König und kein Feldherr
ist; so ist der Christ, der sich als solcher äußerlich geberdet,
ohne wirklich als solcher zu leben, kein Christ, sondern ein
Lügner. Denn Lüge ist Alles, was der Wahrheit entgegen
gesetzt ist, mag sie sich nun durch Worte oder durch Zeichen
und Handlungen offenbaren.
Mit dieser einzigen Bemerkung wäre eigentlich schon der
Stab über jede Heuchelei gebrochen. Um jedoch die Abscheu
lichkeit dieses Lasters noch mehr kennen zu lernen, muß ich
hervorheben, daß unser göttlicher Heiland unter allen Sünden
keine so sehr und so oft tadelte, geißelte und brandmarkte,
als eben die Heuchelei. Jm dreiundzwanzigsten Hauptstücke
bei Matthäus spricht er allein ein achtmaliges Weh über
198 VII. Sonntag nach Pfingsten.
die Heuchler aus. Vue vodis, I^pucü,itae, wehe euch, ihr
Heuchler, ist der immer sich wiederholende Ausdruck./
Warum verabscheut denn Christus gerade dieses Laster
am meisten? Weil es erstlich im direkten Gegensatz zu Gott
steht, der die Wahrheit ist und die Wahrheit will, während
der Heuchler ein Betrüger und Lügner ist. Weil zweitens die
Heuchelei dem Christenthum und dessen innerem Geist wider
spricht, der von uns Geradheit, Aufrichtigkeit und Einfalt der
Tauben verlangt. Weil sie drittens eine Entwürdigung der
eigenen Persönlichkeit ist, gleichsam ein geistiger Selbstmord,
indem sie die Wahrheit und somit den ganzen sittlichen Cha
rakter des Menschen untergräbt und eine Disharmonie zwischen
dem äußeren und dem inneren Menschen herbeiführt. Weil
sie viertens eine Mißachtung des Nebenmenschen ist, der eben
so gut Anspruch auf Wahrhaftigkeit von unserer Seite hat, wie
wir sie bei ihm voraussetzen, und dessen Glaube und Ver
trauen nothwendig erschüttert werden, sobald er erfährt, daß
er es mit verstellten Leuten, mit Betrügern zu thun hat.
Weil fünftens die Heuchelei eine doppelte Ungerechtigkeit in
sich einschließt. Denn wer, fragt der heilige Bernhard/
wer ist gottloser, derjenige, welcher seine Gottlosigkeit gesteht,
oder jener, der Heiligkeit erheuchelt? Verdoppelt dieser nicht
seine Gottlosigkeit, da er nicht nur nicht gut ist, sondern noch
dazu lügt? Geheuchelte Gerechtigkeit, schreibt im gleichen Sinne
der heilige Augustinus, ^ ist keine Gerechtigkeit sondern
doppelte Ungerechtigkeit, weil sie Ungerechtigkeit und Lüge zu
gleich ist. Sechstens endlich wird der Heuchler geradezu dem
Teufel ähnlich. Denn auch der Teufel, wie der Apostel sagt/
nimmt die Gestalt eines Engels des Lichtes an, um uns zu
hintergehen. Ja der göttliche Heiland spricht ohne jeglichen
Vorbehalt zu den heuchlerischen Pharisäern: ^ Jhr habt

') 8e!,m. II. 6« ^88„mpt. — °) In ?u»Im, I>XIII. — °) II. eui,intli.


XI. II. — ') >Ionnn, VIII. 4l.
Die Propheten <u Schafskleibern. 199

den Teufel zum Vater, und eures Vaters Gelüste


wollet ihr thun./
Wenn der Herr selbst so redet, so ist es gewiß nicht zu
viel und nicht zu stark, wenn ich die Henchelei als das ver
ächtlichste Laster bezeichne. Ich habe dabei das Ansehen des
heiligen Augustinus für mich. Während wir nämlich öfters
grausame Menschen mit Tigern und Hyänen, Zornige mit
bissigen Hunden, Feiglinge mit Hasen, Unzüchtige mit Schweinen
vergleichen; werden die Heuchler und Doppelzüngigen allein
unter allen vom heiligen Augustinus mit Ungeheuern ver
glichen. Was soll damit ausgedrückt werden? Damit will
er zu verstehen geben, daß, wenn Zorn, Grausamkeit, Un
zucht u. s. w. garstige Laster sind, die den Menschen den
Thieren ähnlich machen, doch die Heuchelei ein noch gräßlicheres
Laster ist, weil sie unmittelbar vom Teufel stammt, der das
abscheulichste Ungeheuer ist. Der heilige Augustin geht also
wirklich nicht weiter als Christus selbst, und wir werden
uns davon noch mehr überzeugen, wenn wir kurz einige
jener Wehe durchgehen, welche der Herr über die Heuchler
ausruft. X
Wehe euch, spricht er vor , Allem, ^ wehe euch, ihr
Heuchler, die ihr das Himmelreich vor den Menschen ^
verschließet; denn ihr selbst gehet nicht hinein, uud
jene, die hineinwollen, lasset ihr nicht hinein. Diese
Worte des Heilandes sind zunächst an die Schriftgelehrten
und Pharisäer gerichtet, welche in Folge ihrer Stellung, ihrer
Kenntnisse und ihres Ansehens verpflichtet gewesen wären,
zuerst selbst in das Reich des Erlösers einzutreten, und danu
auch das Volk dazu zu ermuntern, statt dessen aber nicht nur
selbst den Herrn verfolgten, sondern auch Andere vom Reiche
der Gnade fern hielten, ja sogar die Menge wider Christus
aufreizten, und darum das Wehe der Verdammniß sich zuzogen

Unttb. XXIII, 13 u«qy.


209 VIl. Sonntag ,?ach Pfingsten.

als Feinde Gottes und Verderber der Seelen Anderer, obschon


sie sich bei jeder Gelegenheit als Eiferer für das Gesetz und
die Ehre Gottes und das Heil der Seelen geberdeten. ^
Saget nun, verehrte Zuhöhrer, trifft dieses Wehe nicht
auch jene, welche Andere zum Abfalle von der Kirche Jesu
Christi verleiten, oder sie am Eintritte in dieselbe verhindern?
Trifft es nicht jene Jrrlehrer, welche die Lehre der Kirche
entstellen, ihre Gebräuche verhöhnen und ihre Vorsteher ver-
leumden, unter dem Deckmantel reinen Eifers, um Mißbräuche,
wie sie sagen, zu entfernen, in der That aber, um Glauben
und Gehorsam zu untergraben? Haben dieses nämliche Wehe
nicht auch jene Priester und Seelenhirten zu fürchten, welche
ihre Pflichten vernachlässigen und so sich und ihrer Herde das
Himmelreich verschließen ? Müssen nicht bei diesem Wehe auch
jene Aeltern und Vorgesetzten erzittern, die, statt ihre Kinder
und Untergebenen zum Guten und zur Tugend anzuleiten,
nachsichtig gegen deren Fehler sind, ihnen volle Freiheit ge
währen und sie öfters sogar von religiösen Uebungen und
vom Empfange der heiligen Sakramente abhalten, unter dem
heuchlerischen Vorwande, dies sei gar nicht nothwendig, sie
thäten's ja auch nicht, es sei genug einmal im Jahre, wäh
rend sie dafür ganz ungehalten werden, wenn das Kind nicht
wenigstens zu ein paar Bällen oder sonstigen gefährlichen
Vergnügungen während des Jahres kommt? Lassen sie etwa
jene in das Himmelreich eingehen, die hineinwollen, und
kommen sie selbst hinein? Und jene ruchlosen Verführer,
welche bald durch Spott, bald durch Lügen, bald unter dem
Vorgeben eines erlaubten Vergnügens oder einer Erholung
Andere nach und nach zur Sünde verleiten und in's Verder-
ben stürzen, sind sie in jenem Weheruf nicht auch miteinbe
griffen? Wenn Joab den Abner, der früher in Sanls Dien
sten stand und dann zu David überging, wenn, sage ich, Joab
den Abner unter dem Vorwande, er hätte mit ihm zu sprechen,
beiseits führte und ihm dann den Dolch in den Unterleib
Die Propheten in Schafskleid«n. 20l

stieß: wenn er nachher ebenso den Amasa tödtete, indem er


ihn zuerst freundlich grüßte und sich stellte, als wolle er ihn
küssen: oder wenn Kain seinen Bruder Abel unter der erheu
chelten Einladung zu einem Spaziergange auf das Feld
hinauslockte und dann erschlug; so sind das in der That
höchst ruchlose und verabscheunngswürdige Thaten, und uni so
verabscheunngswürdiger, als sie unter dem Schafspelze der
Heuchelei verübt wurden. Werden mithin jene in Gottes
Augen weniger strafwürdig erscheinen, die unter derselben
Maske die Seelen morden und so sich und Andere vom Reiche
des Herrn ausschließen. O! wehe euch, ihr Heuchler, uicht
werdet ihr dem Gerichte der Hölle entfliehen./
Wehe euch, fährt der göttliche Heiland fort, ihr Heuch
ler, weil ihr Haus und Hof der Wittwen aufzehret,
indeß ihr lange Gebete betet. O! wie Viele gibt es,
die unter dem Scheine der Religion bloß ihren Eigennutz
suchen; wie Viele, die beten und in die Kirche gehen, weil sie
dabei ihren zeitlichen Vortheil sehen; wie Viele, die vor ge
wissen Personen ganz erzkatholisch thun, während es ihnen
nicht im Mindesten ernst ist; allein es schaut etwas dabei
heraus, man findet sein Fortkommen, es geht eben dieser
Wind, und den muß man benützen, x
Wehe euch, ihr Heuchler, ruft der Herr wieder, weil
ihr das Meer und das Festland durchreiset, um
einen einzigen Bekehrten zu machen, und wenn er es
geworden ist, machet ihr aus ihm einen Sohn' der
Hölle, doppelt mehr denn ihr. Viele Mühe gaben sich
die Pharisäer, theils aus Eitelkeit theils aus Gewinnsucht,
um Proselyten zi!" machen, d. h. um Einzelne ans dem Hei-
denthum zum Judenthum zu bekehren, die man Proselyten des
Thores und der Gerechtigkeit nannte, je nachdem sie entweder
nur einen Theil oder das ganze mosaische Gesetz annahmen.
Hatten sie aber dieselben für das Judeuthum gewonnen, so
unterrichteten sie selbe nicht in der reinen mosaischen Lehre,
202 VII. Sonntag nach Pfingsten.

sondern in ihren falschen und verworfenen Zusätzen, und be


wirkten so, daß ihre Schüler oft noch schlechter wurden als sie
selbst, weshalb der Herr sagt, daß sie Kinder der Hölle
erziehen. ^
Solche Heuchler gibt es heut zu Tage noch genug, ja
vielleicht mehr denn je, besonders auf dem politischen Gebiete.
Wie haben doch die Wühler und Feinde des Rechtes sich alle
Mühe gegeben und geben sich dieselbe noch, um unter dem
Scheine der Legitimität, des Nationalitätsprinzips, der volks-
wirlhschaftlichen Jnteressen, des Fortschritts u. s. w. die Gut
gesinnten zu hintergehen, die dann, sobald die modernen Jdeen
und Theorien als vielgepriesene Aufklärung Eingang bei ihnen
gefunden haben, hinter ihren Lehrern in nichts zurückbleiben,
um anch anderwärts die bestehende Ordnung zu stürzen, und
aus zufriedenen unzufriedene, aus unterthänigeu revolutionäre
Bürger zu machen! Solche Heuchler gibt es ferner im gesell
schaftlichen Leben, die von Volksbeglückung, von Hebung des
Wohlstandes, Förderung der materiellen Jnteressen, Gleichheit
aller Menschen und allgemeinen Menschenrechten schwärmen,
die dem gemeinen Manne vormachen, sie wollten ihm zu Ge
nuß und Bildung verhelfen, in der That aber nnr unglückliche
nnd irreligiöse Menschen bilden. Oder was hat denn der
Socialismus und der noch ärgere Communismus Gutes ge-
stiflet? Entweder hat er sich lächerlich gemacht, oder er hat
den Boden der europäischen Civilisation unterwühlt und Auf
stände, Kämpfe und moralische und physische Verschlechterung
herbeigeführt, Alles unter der Maske der Heuchelei, um Kinder
der Hölle zu machen.
Solche Heuchler gibt es auch auf dem religiösen und
kirchlichen Gebiete, die sich unter der Maske der Humanität
oder Menschlichkeit bergen, in der That aber nur den positiven
Glauben zu untergraben suchen und selbst das häusliche und
eheliche Leben gefährden. Jhnen ist nichts erwünschter als
das, was als Waffe gegen das Christeuthum dienen kann.
Dit Propheten in Schafskleidern. 203

Daher die Anpreisung des Materialismus, die Förderung


antichristlicher Tendenzen in der Literatur und Wissenschaft
unter dem Aushängschilde freier Forschung, daher die Locker
ung des ehelichen Bandes unter dem Titel des natürlichen
Rechtes, daher die Verbreitung unsittlicher Grundsätze durch
eine schamlose Presse und unzüchtige Romane und Novellen
unter dem Vorwandc der Aufklärung und Bildung, daher das
sichtliche Bestreben, alle religiösen Bekenntnisse miteinander zu
vermengen und zu vermischen unter dem Vorgeben der Religions-
und Gewissensfreiheit. All das, verehrte Zuhörer, ist ächte
Heuchelei, ist wie bei dcu Pharisäern ein Werben um Anhänger,
die man zu Kindern der Hölle macht.
Als Absalom auf Verrath an seinem Vater David sann,
da nahm er den Schafspelz um, um seine Wolfsnatur zu
verbergen. Er setzte sich unter die Pforte, rief Jeden zu sich,
der eine Streitsache bei dem Könige vorbringen wollte, stellte
dessen Klage als gut und gerecht hin, drückte seinen Kummer
aus, daß kein ordentlicher Richter bestellt sei, reichte Jedem
die Hand und küßte ihn, und gewann so die Herzen der
Männer von Jsrael. Nachdem er seiner Sache sicher zu sein
glaubte, hing er auch noch den Mantel religiöser Heuchelei um,
indem er seinem Vater vorspiegelte, er habe ein Gelübde in
Hebron zu entrichten, in der That aber, um offen als Em
pörer aufzutreten und sich selbst als König ausrufen zu lassen.
Zweihundert Männer von Jerusalem waren mit ihm ans-
gezogen, einfachen Herzens, ohne etwas von dem Plane zu
wissen, bald aber wuchs der Haufe, David mußte fliehen,
wurde sogar gelästert, errang aber doch zuletzt den Sieg,
während Absalom den verdienten Lohn empfing und jämmer
lich zu Grunde ging.
An Absalom habt ihr, verehrte Zuhörer, das Vorbild
aller Heuchler auf politischem, kirchlichem und gesellschaftlichem
Gebiete. Nicht das Wohl des Staates, nicht die Freiheit der
Kirche, nicht das Glück des Volkes und des Einzelnen ist es,
204 VII Sonntag nach Pfingsten.

was sie bezwecken wollen, obwohl sie es vorschützen, sondern


es ist nur der gemeinste Eigennutz, oder der Kampf gegen
Recht und Wahrheit, gegen Glaube und Sittlichkeit. So
lange es mit offenem Bruche nicht geht, bergen sie sich hinter
dem Mantel der Heuchelei, bis endlich der Zeitpunkt gekommen
ist, wo sie offen ihre Farbe bekennen zu dürfen glauben.
Und wie Absalom so Manche verführte und in's Verderben
stürzte, die entweder seine Absichten nicht durchschauten oder
seine Gesinnungen im Stillen theilten, so ergeht es denen, die
den sogenannten Aposteln der Freiheit, den Volksbeglückern,
den Feinden der Kirche Gehör schenken. Statt Freiheit ernten sie
das Joch drückender Knechtschaft, wie ihr es jetzt vielfach sehen
könnet, statt Glück kommt Unglück, statt guter Sitten Liederlich
keit, Verarmung und Elend. Darum hütet euch vor dem
Sauerteige der Pharisäer, hütet euch vor den Sirenenstimmen
der modernen Aufklärung, denn dieser Sauerteig ist, wie Christus
sagt, Heuchelei, und über ihn ergeht sein Weheruf. Doch
wir müssen noch einige andere Wehe, noch einige andere Gatt
ungen von Heuchelei kennen lernen. /

Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, fuhr


der Herr in seiner Strafrede fort, wehe euch, Heuchler,
weil ihr verzehntet die Münze und den Anis und
den Kümmel, aber fallen gelassen habet, was das
Wichtigere des Gesetzes ist: das Recht und das Er
barmen und die Treue; dieses hättet ihr thun und
jenes nicht unterlassen sollen. Wehe euch, Heuchler,
weil ihr die Außenseite des Aechers und der Schüssel
reiniget, innen aber seid ihr voll von Raub und
Unlauterkeit. Wenn der göttliche Heiland in gegenwärtiger
Zeit wieder sichtbar unter uns Christen erschiene, glaubt ihr
wohl, daß er jetzt Niemand fände, über den er einen ähnlichen
Weheruf aussprechen müßte? >,
Die Propheten in Schafskleidern. ' 20ö

Wie die Pharisäer unbedeutende Dinge hochanschlugen,


das Wichtige aber übersahen, weshalb der Herr sagt, daß sie
Mücken abseigen, Kameele aber verschlucken, so gibt
es heut zu Tage nicht minder Leute, die auf jede Kleinigkeit
schanen, aber die Hauptsache unberührt lassen, die über Alles
ihre Kritik zu machen haben, nur nicht über sich selbst; denen
keine Andacht, keine Predigt, keine religiöse Handlung gut ge
nug ist, die aber dennoch an nichts sich kehren, die über jede
Geberde, über jeden Schritt des Nächsten ihren Mund aus
leeren, aber von ihren eigenen Fehlern nichts sehen. Und
wie die Pharisäer bloß auf äußere Reinlichkeit sahen, aber
die Reinheit des Herzens vernachlässigten, so gibt es anch
Namenchristen genug, die bloß auf Äußerlichkeiten schauen,
statt ihr Jnneres vor Allem in Ordnung zu bringen. O
wie oft ist die Tugend und Frömmigkeit nur eine Maske,
hinter der ein gottentfremdeter Sinn verborgen stcckt? Wie
oft wird Demuth erheuchelt, während im Jnnern Stolz und
Hochmuth hausen? Wie oft wird Sanftmuth erkünstelt,
während das Herz von Rachgier glüht? Wie oft wird
Freundlichkeit gezeigt, während Abneigung das Herz erfüllt?
Wie wird sogar das Heiligste mißbraucht, um heilig zu
erscheinen ?/
Wollte Gott, daß Jeder und Jede, die an ihre Vruft
schlagen, auch das Gefühl des reumüthigen Zöllners und nicht
das des stolzen Pharisäers hätten! Wollte Gott, daß Alle,
welche zu dem Tische des Herrn hinzutreten, den Glauben
eines Petrus, die Liebe eines Johannes und nicht die Gesinn
ung des Judas hätten! Wollte Gott, daß es keine Augen
diener gäbe, sondern nur Anbeter im Geiste und in der Wahr
heit! Wer die Religion nicht um ihrer selbstwillen pflegt und
übt, sondern bloß um menschlicher Rücksichten willen, der ist
ein schändlicher Heuchler, ist nicht viel verschieden von jenem
niederträchtigen Herodes, welcher zu den drei Weisen sprach,
sie möchten, wenn sie das Kind gefunden, zu ihm zurückkehren
^l)6 VII. Sonntag nach Pfingsten.

und ihm den Ort anzeigen, damit auch er hingehen und an


beten könne. Hätte er seine Absicht offen ausgesprochen, so
wäre er zwar gottlos gewesen, aber er wäre doch nicht als
Gottloser und Heuchler zugleich erschienen. Ebenso versündigt
sich jener doppelt, der Tugend und Gottesfurcht erheuchelt,
weil er sie erstlich nicht besitzt, und weil er überdies als
Lügner dasteht.x
Welchen Nutzen hat er denn davon? Es muß sehr schwer
sein, immer eine falsche Rolle zu spielen und sich gar nie zu
vergessen; es mag das eine Zeit lang angehen, aber später
wird es dennoch offenkundig. Und gesetzt, der Heuchler konnte
die Menschen alle hintergehen, wird er auch Gott täuschen
können? O nein; er rnft vielmehr, wie Job sagt, Gottes
Zorn heraus. Heuchler und Verschlagene, spricht er,")
reizen den Zorn Gottes. Einem Herzen, sagt der
weise Sirach, '" das doppelte Wege einschlägt, wird
nichts gelingen, und wer verkehrten Herzens ist,
findet darin seinen Untergang. Darum vergleicht der
Herr selbst die Heuchler mit übertünchten Gräbern." Wehe
euch, ihr Heuchler, denn ihr gleichet geweißten
Gräbern, welche von Außen den Leuten schön er
scheinen, inwendig aber voll sind von Todtengebeinen
und aller Unsauberkeit. So erscheinet anch ihr zwar
von Außen her den Menschen als Gerechte, aber
inwendig seid ihr voll von Heuchelei und
Schlechtigkeit./
Jch will, verehrte Zuhörer, nicht weiter auf Eiuzeluheiten
eingehen, nur auf einen Umstand möchte ich noch aufmerksam
machen, nämlich auf den Schaden, den der Heuchler nicht
bloß sich selbst, sondern auch Anderen, und zwar den wirklich
Guten und Frommen, verursacht. Dadurch nämlich, daß
Manche mit der Religion, mit dem Besuche der Kirche und

') ^nt', XXXVl. 1!!.— "') l^eli. III. 2^. — ") «nttl,. XXIIl. 27.
Die Propheten in Schafskleidern, 20?

dem Empfange der heiligen Sacramente Mißbrauch treiben,


schlagen sie gar oft dem katholischen Glauben größere Wunden,
als der positive Unglaube und ein offenkundiges schlechtes
Treiben. Denn Viele, welche das schlechte Leben und die
bösen Gesinnungen der Heuchler kennen, denken leicht gering
von einer Religion, die solche Fehler nicht beseitigen kann.
Und viele Andere, welche das heuchlerische Leben verabscheuen,
halten sich vom öfteren Empfange der heiligen Sakramente
fern, damit sie nicht auch zu den Heuchlern und Heuchlermen
gerechnet werden. Allerdings sollten sich die Guten durch das
Gebahren der .Heuchler vom Gebete und vom Gesuche der
Kirche nicht abhalten lassen und sich über fremde Urtheile
hinwegsetzen, die ihnen ihren Werth vor Gott nicht verringern
können; aber es ist dennoch wahr, daß manche schwache
Seelen, die zwar ein frommes Leben führen möchten, sich
dessen scheuen, wenn durch Heuchler die Frömmigkeit iu Miß-
credit gekommen ist. O es ist eine schwere, eine furchtbar
schwere Verantwortung, die der Heuchler auf sich ladet, weil
er ein Betrüger ist an sich selbst, ein Betrüger seines Nächsten,
ein Betrüger, wenn es möglich wäre, auch vor Gott/
Darum, Geliebte, fliehet die Heuchler und fliehet die
Heuchelei. Wie ihr Judas verabscheuet, so und nicht weniger
verabscheuet dieses Laster. Zweimal trat die heuchlerische
Gesinnung des Judas zu Tag. Einmal, als er bei Aus
gießung des Salböls verlauten ließ, man hätte das Geld
besser für die Armen verwendet; das andere Mal, als er
feinen Herrn und Meister durch einen Kuß verrieth. Das
erste Mal erheuchelte er Nächstenliebe, das zweite Mal Gottes
liebe, sein Ende aber war der Selbstmord. Sollte dieses
einzige Beispiel nicht abschreckend genug sein? Judasse sind
alle Heuchler, weil sie Gott und den Nächsten betrügen möchten.
Werden sie auch nicht immer in dieser Welt entlarvt, so
werden sie es gewiß in der anderen vor Gott, vor dem Alles
offen und aufgedeckt liegt und der Herz und Niereu durch
208 VII. Sonntag n. Pfingsten, Die Propheten iu Schafskleibern.

forscht, und werden es einst am jüngsten Tage vor den Augen


der ganzen Welt. Und ist ihr Ende hienieden nicht immer
der moralische Tod, die Verachtung, so wird ihr sicheres
Ende der ewige Tod. Denn sie sind jener unfruchtbare Baum,
von dem der göttliche Erlöser im heutigen Evangelium sagt,
daß er umgehauen nnd in's ewige Feuer geworfen wird.
Sie sind jener Feigenbaum, den der Fluch des Herrn traf,
weil sie nur Blätter, nur erkünstelte Tugenden, besitzen, aber
keine Früchte, keine wahrhaft guten Werke. Wahr ist darum
der Ausspruch Jobs:'° Des Heuchlers Ruhm ist nur ein
Augenblick. Jst ja das ganze Erdenleben nur ein Augen
blick im Verhältnisse zur Ewigkeit. Augenblicklich also ist die
Heuchelei, ewig aber die Schande./
Wir, meine Lieben, wollen uns solche Schande ersparen,
wir wollen nicht bloß gut scheinen, sondern auch gut sein.
Wir wollen nicht den unverständigen Kindern gleichen, die
Alles, was glänzt, für Gold halten, obschon es nur eitel
Flitter ist, fondern wir wollen vollkarätiges Gold sein, Kinder
Gottes in der That und Wahrheit, so daß, wenn unsere Ge
sinnungen und Handlungen, unsere Absichten und Werke im
Schmelztiegel Gottes geprüft, oder auf der Wage Gottes ab
gewogen werden, keine Schlacke, keine Zumischung von Heuchelei
sich daran findet, sondern Aufrichtigkeit, Geradheit und Rein
heit, die bestehen kann vor den Augen der Menschen
und vor dem Auge des Allwissenden. Unser Losungs
wort sei: Jch will ganz, ich will ohne jegliche Selbstsucht, ich
will nur um Gotteswillen den Willen des Vaters thun, der
im Himmel ist, damit ich eingehe in das Himmelreich. Amen.^,

") ^ob, XX. 5.


xm.
Der ungerechte Verwalter.
Die Rührigkeit der Weltkinder gegenüber den Lichtkindern.
(VIII. Sonntag nach Pfingsten.)
Die Kinder dieser Welt sind in ihrer Art klüger als die Kinder de« Lichte«.
(I.uo. XVI. 8.)

/Zeit die Welt steht, gibt es eine Anzahl von Menschen,


die ganz dem ungerechten Haushalter im heutigen Evangelium
gleichen. Es sind alle jene, welche der Maxime huldigen:
Alles, was mir gefällt, das ist auch erlaubt; oder: Was mir
Nutzen und Vortheil bringt, das ist auch gerecht, ist recht
schaffen und gut; was mir zu Ansehen, zu Reichthum und
Glück verhilft, das darf ich mir um jeden Preis verschaffen,
mögen die Mittel dazu gut oder schlimm sein; mit einem
Wort: Der Zweck heiligt die Mittel./
Der Gegenkönig Ieroboam von Jsrael fürchtete, es
möchte sein Volk, wenn es alljährlich nach Jerusalem zum
Opfer ging, wie es im Gesetze vorgeschrieben war, von ihm
abfallen und sich wieder dem rechtmäßigen Könige von Jnda
unterwerfen. Was that er, um dies zu verhindern und sich
in der Herrschaft zu behaupten? Er wendete das schlechteste
Mittel an. Er verleitete das Volk zum Götzendienste, indem
er in Dan und Aersabee Götzenbilder aufstellen ließ, um das
Volk von Jerusalem fern zu halten. Ebenso machen es heut
Lierheimer, Parabeln u, Wunder. 14
210 VIII. Sonntag nach Pfingsten.
zu Tage jene, welche auf Umsturz aller religiösen und politi
schen Ordnung hinarbeiten, dabei aber sich mit dem Titel
„Volksfreunde" oder „Volksbeglücker" schmücken; sie suchen
auf jede Weise den religiösen Jndifferentismus zu nähren,
den Glauben zu untergraben und die Achtung vor dem Rechte
zu schwächen, um später um so leichter ihre Gewaltherrschaft
geltend machen zu können. Sie thun, was Jeroboam that, bloß
in anderer Form.^
Der schlechte israelitische König Achab wollte sich um jeden
Preis in den Besitz des Weinberges Naboths setzen, und um
sein Ziel zu erreichen schauderte er selbst vor einer Mordthat
nicht zurück, er ließ Naboth steinigen. Was thun die Achab
der Gegenwart? O wie viel Menschenblut haben sie schon
vergossen, wie haben sie alle Principieu von Recht und Eigen-
thum verkehrt, wie haben sie selbst den Meuchelmord nicht
gefürchtet, um rechtmäßige Besitzer aus ihrem Eigenthum zu
vertreiben und sich desselben zu bemächtigen! Das sind die
Achab im Großen. Und wer kann die Achab im Kleinen
zählen, die durch Ungerechtigkeit, durch Wucher, durch Betrug
sich forthelfen, die hartherzig gegen wahre Armuth , karg gegen
die Dienstboten, knickerig gegen Andere sind, um dann mit dem
so Erworbenen besser schwelgen zu können?^
Da jene beiden niederträchtigen Alten ihre thierische Lust
an der keuschen Susann« nicht befriedigen können, so greifen
sie zur gemeinsten Verleumdung der züchtigen Frau und bür
den ihr ebendasselbe Verbrechen auf, das sie zu begehen vor
hatten. Geliebteste! es wird besser sein einen dichten Mantel
über alle die Schandthaten zu werfen, welche bloß neue Auf
lagen jener Frechheit und Schlechtigkeit sind.v
Der ungerechte Haushalter hat eine lüderliche Wirtschaft
geführt, und weil er davongejagt zu werden fürchtete und zum
Arbeiten zu faul und zum Betteln zu stolz war, so wurde er
ein Betrüger und verfälschte die Schuldbriefe, um sich gute
Freunde zu machen und sein Auskommen zu sichern. Hört
Der ungerechte Verwalter. 211

man nicht auch in der Jetztzeit sehr häufig von Unterschlagung


von Geldern, von Bestechungen, Fälschungen, Schulden und
großartigem Aktienschwindel und Börsenmanövern, um anderen
Leuten das Geld aus der Tasche zu locken? Kurz, die unge
rechten Haushalter sind in der Gegenwart noch zahlreicher als
in früheren Zeiten, noch schlechter sind die Mittel, die sie
anwenden, um zu ihren Zwecken zu gelangen. Kein Gebot
Gottes, kein Gesetz der Kirche, kein Grundsatz des Völker
rechtes ist ihnen zu heilig, um sich darüber hinwegzusetzen;
keine Eide zu furchtbar, um sie zu brechen; keine Pflicht zu
streng, um sie geringzuachten; kein geistiges und kein leibliches
Gut des Nächsten zu kostbar, um es nicht anzugreifen/
Aber, saget ihr vielleicht, der Herr lobt ja den unge
rechten Haushalter; also predigt das heutige evangelische
Gleichniß Ungerechtigkeit und beschönigt den Betrug. Das sei
ferne. Ein einfacher Blick auf den Wortlaut genügt, um dem
Einwurfe zu begegnen. Und der Herr, heißt es, lobte
den ungerechten Verwalter wegen seiner Klugheit.
Also nicht wegen seiner Schlechtigkeit, seiner Fälschungen und
Betrügereien; sondern wegen seiner Klugheit. Klug sein
und gut und gerecht sein, sind aber zweierlei. Man kann
schlau und klug sein, und doch dabei die Bosheit im höchsten
Grade besitzen. Die Klugheit des Haushalters nun wird ge
lobt, nie und nimmermehr aber seine Schlechtigkeit; denn sonst
wäre das Evangelium auf den Kopf gestellt./
Aber warum lobt der Herr die Klugheit, oder was
ist denn überhaupt durch das ganze Gleichniß beabsichtigt?
Einfach dieses: Der Herr will die Lauheit der Guten rügen
und ihnen ein Beispiel vor Augen halten, wie sie sich beeifern
sollten für das Wahre und Gute. Gleichwie die Schlechten
voll Rührigkeit, voll Thätigkeit, Umsicht und Klugheit sind,
um ihre gottlosen Pläne durchzusetzen, ebenso sollen die Guten
eifrig, klug, thätig und rührig sein, für Tugend und Heiligkeit.
Darum fügt auch der Heiland bei: Die Kinder der Welt
14«
212 VIII. Sonntag nach Pfingsten.

sind in ihrer Art, d. h. im Bösen, klüger, als die Kin


der des Lichtes in ihrer Art, nämlich im Guten./
Jch glaube deshalb ganz im Sinne des göttlichen Hei
landes zu handeln, der dieses Gleichniß zu unserem Seelen-
heile vortrug, sowie im Sinne unserer heiligen katholischen
Kirche, die uns dieses Evangelium heute zur Betrachtung vor
hält, wenn ich den Vorwurf Christi, daß die Kinder der Welt,
die Leichtsinnigen, Bösen und Ungläubigen in ihrer Art klüger
sind als die Kinder des Lichtes, die Guten und Gläubigen,
etwas weiter ausführe. Es gilt dies zugleich als eine Ver
vollständigung des Themas vom vorigen Sonntage, wo ich
von der Heuchelei gesprochen habe. Jch fahre daher fort
unter Anrufung des göttlichen Beistandes. Deine Gnade,
o Jesus! sei mit uns./

Wenn wir die Schlauheit, Rührigkeit und Thätigkeit der


gottlosen Menschen mit dem vergleichen, was entgegen die
Guten und Rechtschaffenen thun und unternehmen, so müssen
wir, wenn auch ungern, gestehen, daß wir manche Ursache
haben uns zu schämen und daß uns der Vorwurf des gött>
lichen Heilandes mit Recht trifft.,
Schaut euch nur selbst ein wenig um, welch unermüd
lichen Eifer die Feinde unseres heiligen Glaubens und alles
wahrhaft Guten, die Neuheiden und Bekeuner der gesunden
Sinnlichkeit, im Kampfe gegen Gott und gegen seine Kirche
entwickeln, wie sie kein Mittel unversucht lassen, um Entschie
dene schwach und Schwache abtrünnig zu machen, wie sie un
geachtet aller erlittenen Niederlagen nie den Muth verlieren,
sondern kaum zurückgewiesen vom Neuen den Kampf auf
nehmen. Keine Rede ist ihnen zu schlecht, wenn sie damit den
Glauben und die Achtung vor der Kirche und dem Heiligen
untergraben können; auch kein Geld lassen sie sich reuen, um
schlechte Schriften und Zeitungsblätter zu unterstützen und zu
Der ungerechte Verwalter. 213

verbreiten, welche nur gegen den Glauben und die Sittlichkeit


zu Feld ziehen. Verleumdungen gegen wackere katholische
Laien und Geistliche zu erfinden und recht allgemein zu machen,
ist eines ihrer beliebtesten Mittel. Dabei handeln sie ein«
trächtig wie Ein Mann und halten zusammen wie Stahl und
Eisen, um Gutes, das geschehen soll, zu hintertreiben, um das
schon vorhandene Gute zu zerstören und dafür Alles zu för-
dern, was irgendwie dem christlichen Lebensernst und der
Gottesfurcht Eintrag thun kann. So die Kinder der Welt., ^
Und die Kinder des Lichtes? Saget es aufrichtig, Ge-
liebteste, könnet ihr an denen, welche sich der Tugend und
Sittlichkeit befleißigen, eine gleiche Emsigkeit und Beharrlichkeit
rühmen? Herrscht unter ihnen eine gleiche Einheit und Ein-
tracht? Sind sie ebenso thatsä'chlich für das Gute, für den
Glauben und ihre Kirche begeistert, wie jene für das Gegen
theil? Oder herrscht nicht vielmehr mit wenigen Ausnahmen
große Lauheit, Sorglosigkeit und vor Allem Uneinigkeit?
Man sucht eben in dem alltäglichen Geleise fortzufahren,
drückt sein tiefstes Bedauern aus, wenn etwas dazwischen
tritt, ja schent sich sogar ein wenig mehr zu thnn, als gerade
unumgänglich nothwendig ist. Wenn irgend ein guter Zweck
gefördert werden foll, wie gar leicht entsteht wegen kleinlicher
Eifersüchteleien Uneinigkeit und Zwietracht im eigenen Lager,
wodurch jene, die anfänglich einen guten Willen hatten, wieder
abgeschreckt werden./
Gerade dies aber ist deu Schlechten höchst willkommen,
die ohnehin durch Verdächtigung der Personen und ihrer Ab
sichten sowie durch Entstellung der Sache das Feuer der Zwie
tracht noch mehr anfachen und so das Gute, welches ihnen
höchst ungelegen war, wieder vereiteln. Traurig genug ist's,
daß manche Gute, statt die Wahrheit solcher grundloser Ver
dächtigungen zu untersuchen, ganz leichtfertig derlei Schwätze
reien Glauben schenken und nicht nur vom begonnenen Guten
abstehen, sondern es selbst noch mitbekämpfen helfen, obwohl
214 VIII. Sonntag nach Pfingsten.

sie recht gut wissen oder doch wissen könnten, wess' Geistes
Kinder jene find, von denen sie sich bethören lassen.,
Beispiele, sagt das Sprüchwort, sind gehässig, und darum
will ich nicht auf Einzelnheiten eingehen. Doch glaube ich
nicht verschweigen zu dürfen, daß hie und da die Betheiligung
der minder bemittelten Klasse bei frommen Zwecken größer ist,
als die mancher Reichen, welche auf der einen Seite ihr Geld
hinauswerfen, aber auf der anderen, wenn es sich um acht
christliche Werke handelt, jeden Kreuzer zählen. Verschwen
derisch und freigebig sein, bloß um zu prahlen und groß zu
thun, hat auch keinen Werth vor Gott, dem das Schärflein,
welches die arme Wittwe in den Opferkasten warf, willkom
mener war, als die aus Eitelkeit entsprungenen Gaben
der 'Reichen. Doch kehren wir zur Klugheit der Weltkinder
zurück./
Jch habe bereits angedeutet, daß sie bei Verfolgung ihres
Zieles akle Entschiedenheit zeigen und mit Keckheit ja mit
Frechheit auftreten. Wie geberden sich die Kinder des Lichtes?
O wie muthlos, wie feig sind sie, wenn es sich um Zerstörung
der Pläne der Gottlosen handelt. Es geschieht nicht selten,
daß öffentliche Schmähungen über Kirche und Staat, über
Glauben und Gesetze ausgesprochen werden. Wie benehmen
sich dabei oft Solche, die im Herzen ganz anderer Meinung
sind? Sie hören stumm zu, wagen keine Antwort zu geben,
drücken ihr Mißfallen weder durch offene Entgegnung noch
durch stillschweigende Entfernung aus, und so kommt es,
daß oft ein paar Schreier eine ganze Gesellschaft verhöhnen
dürfen./
Die Gottlosen lassen es natürlich bei den Worten nicht
bewenden, sondern schreiten zur That. Daher die weitere
Erscheinung, daß eine Hand voll schlechter aber einträchtiger
Personen mehr als einmal hinreichend war, um nicht bloß ein
kleines Dorf, sondern ganze Städte und Landschaften in Auf
regung zu versetzen. Wir haben recht naheliegende Beweise,
Der ungerechte Verwalter. 215

die ihr selbst großentheils mit erlebt habet. Wenn wir an


die Gräuelscenen in den letzten vierziger Jahren in Neapel,
in Rom, in Venedig, in Wien, in Prag, in Baden u. s. w.
denken, war es denn die gesammte Einwohnerschaft, welche
alle Ordnung umstürzte, oder bloß ein Haufen Gesindel?
Zur Zeit der französischen Revolution, insbesondere zur Zeit
der Schreckensherrschaft, waren es da nicht auch einige Wenige,
welche Millionen terrorisirten ? Wenn ihr ferner diejenigen
zählet, welche gegenwärtig in verschiedenen Landern unheilvolle
Pläne im Schilde führen, so werdet ihr gleichfalls nur ein
winziges Häuflein zusammenbringen, von dem man meinen
sollte, daß es unter der ganzen Population verschwinden müßte.
Dennoch haben sie die Oberhand und herrschen./
Wären wohl derlei Thatsachen möglich, wenn auf Seite
der Guten gleiche Einheit und Entschiedenheit an den Tag
gelegt würde? Man tröstet sich dabei gern mit dem Gedanken:
„Es wird schon wieder anders werden, das Vöse wird nicht
ewig herrschen." Ein solcher Trost ist freilich sehr bequem,
aber er ist weder eine Entschuldigung der vorausgegangenen
Gleichgiltigkeit, noch eine Abhilfe für die Zukunft. Darum
wird auch, wenn ungeachtet aller Kämpfe gegen das Recht,
gegen die Ordnung und Wahrheit, gegen den Glauben und
die Kirche, doch diese zuletzt triumphiren, das Verdienst davon
nur im beschränktesten Maße den Menschen zuzuschreiben sein.
Es ist eben ein Höherer, Geliebteste, der die Weltgeschichte
macht und seine Kirche lenkt; ihm allein gebührt die Ehre,
ohue ihn wäre längst die Welt ausgestorben und ein Trüm
merhaufen geworden. Der königliche Prophet hatte Recht die
Jsraeliten aufzufordern: ' Gebet Ehre dem Gotte über
Jsrael, dessen Herrlichkeit und dessen Macht ist in
den Wolken. Denn nicht einmal, sondern hundertmal wäre
das Land der Verheißung bis zur Zeit, wo der Erlöser kam,

') ru»Im. I.XVII. 35.


216 Vlll. Sonntag nach Pfingsten.

verloren gewesen, wenn nicht Gott immer wieder seinem


Volke geholfen hätte. Die Juden selbst konnten sich nicht
helfen, sie arbeiteten eher mit an ihrem Verderben. Auch in
dieser Hinsicht ist die Synagoge ein Vorbild der Kirche Jesu
Christi. Wenn daher die Kirche immer wieder siegreich aus
dem Kampfe hervorging, so müssen auch wir mit dem Psal-
misten sprechen:° Nicht uns, o Herr, nicht uns, sondern
deinem Namen gib die Ehre. Doch kommen wir wieder
auf die Kinder der Welt zurück./
Wir haben gesehen, wie viel sie klüger sind als wir,
wenn es sich um Untergrabung des Glaubens und des Rechtes
handelt. Das Gleiche gilt auf dem Gebiete der Sittlichkeit,
auch hier sind sie in ihrer Art klüger. Es ist ein uraltes
Mittel, das tyrannische Machthaber und schlechte Menschen stets
angewendet haben, um leichter ihr Ziel zu erreichen, nämlich
die Moral zu corrumpiren, die Menschen zu entsittlichen.
Schon Crösus gab dem Perserkönig Cyrus, als dieser die
lydische Landschaft in Kleinasien erobert hatte, den Rath, die
Lydier nicht gewaltthätig zu Sklaven zu machen und ihrer
Waffen zu berauben, sondern ihnen zu befehlen, daß sie weich,
liche Kleider tragen und ein lustiges Leben führen sollten.
Cr wußte nämlich recht gut, daß man über entnervte und
entsittlichte Menschen weit leichter Herr werden könne, als
über gesittete und unverdorbene./
Darum ist es eine durch die ganze Weltgeschichte hin
durchgehende Erscheinung, daß dem Untergange eines Reiches
oder einer Nation stets der sittliche Verfall voranging. Wann
nahte das mächtige Perserreich, das sich von der lybischen
Wüste in Afrika bis zum Jndus in Asien erstreckte, seinem
Ende? Als Herrscher und Volk verweichlichten, als das Sit-
tenverderbniß des Hofes mit seinen 25(X)0 Dienern auch der
Menge sich mittheilte. So lange noch Zucht und Anstand

') ru»im. «Xlli. i. n.


Der ungerechte Verwalter. 217

bewahrt wurden, waren die Römer das mächtigste Volk auf


dem Erdboden; als aber orientalischer Luxus, Schwelgerei
und Unsittlichkeit überhand nahmen, als man nur auf sinnliche
Befriedigung allein Werth legte, da ging der römische Staat
in Trümmer. Geradeso verhielt es sich mit den Griechen und
Aegyptern; ebenso mit den Chalifen und der arabischen Herr-
schuft im Mittelalter. Kurz bei allen Völkern und Reichen,
die im Laufe der Zeit untergegangen sind, kehrt dieselbe Er
scheinung wieder. Oder hätte vielleicht die sogenannte Refor
mation des sechszehnten Jahrhunderts so rasch sich verbreiten
können, wenn keine sittliche Verkommenheit im geistlichen wie
im weltlichen Stande vorhanden gewesen wäre? Oder hätte
die Revolution in Frankreich so weit sich ausdehnen können,
wenn nicht vorher durch die antireligiösen und unsittlichen Lehren
der Encyclopädisten, der Voltärianer, der Boden unterwühlt
worden wäre? Seht, verehrte Zuhörer, das Alles wissen die
Feinde der Ordnung recht gut, und darum ist es ihr ausge
sprochener Grundsatz: Macht zuerst die Leute moralisch schlecht,
dann haben wir gewonnenes Spiel./
Und welcher Mittel bedienen sie sich hierzu? Eines der
vorzüglichsten sind gottlose Bücher, unzüchtige Romane, lüder-
liche Dichtungen. Damit aber eine solche Schandliteratur ja
recht große Verbreitung finde, werden solche gedruckte Ausge
burten der Hölle um einen Spottpreis verkauft, um einige
Groschen kann man ganze Bände solcher infamer Produkte
bekommen. Merkt man nicht aus diesem einzigen Umstande
allein schon, worauf es abgesehen ist? Dazu kommen dann
unzüchtige Darstellungen in Malerei und Bildnerei, schlüpfrige
Schauspiele und Theaterscenen und ein raffinirter Luxus —
lauter Dinge, die nur geeignet sind, Kopf und Herz verrückt
zu machen und die Sittlichkeit zu untergraben. Von den
noch weit abscheulicheren Verführungsmitteln und der förm
lichen Abrichtung zum Laster will ich, um eure Ohren nicht
zu verletzen, gar nichts erwähnen./
218 VIII. Sonntag nach Pfingsten.

Was geschieht nun gegenüber dieser Schlauheit der Welt?


welche Klugheit wenden für die Erhaltung der Sittlichkeit die
jenigen für sich und für ihre Untergebenen, besonders ihre
Kinder an, welche doch als gute Christen gelten, Kinder Gottes
s«in und ihre heiligen Pflichten erfüllen wollen? Gott sei
Dank, es gibt noch wackere Aeltern und Hausväter, die sorg
fältig wachen und mit dem eigenen tugendhaften Beispiele den
Ihrigen vorangehen. Aber es gibt leider auch ebenso nach
lässige, leichtsinnige und unbekümmerte Väter, Erzieher und
Herrschaften, denen das sittliche Wohl ihrer Kinder und
Dienstboten wenig oder gar nicht am Herzen liegt. Oder
warum geben so Manche nicht besser ans den Umgang ihrer
Kinder Acht? warum schauen sie die Bücher nicht durch, welche
dieselben in Händen haben? warum führen sie dieselben oft
selbst an solche Orte hin, wo sie nichts Gutes sehen und
hören? warum schreiten sie nicht mit aller Strenge gegen un
sittliche Aeußerungen der Kinder ein oder lachen vielleicht gar
dazu? warum sprechen sie oft selbst so unvorsichtig vor Un
mündigen? Man übt wohl manchmal eine gewisse Strenge,
aber nur auf eine kurze Zeit; sobald der Sohn ein etwas
reiferes Alter erreicht hat, läßt man ihm mit einem Male alle
Freiheit, ohne sich weiter um seineu Wandel außer dem Hause
zu bekümmern. Man sagt, der junge Mensch muß sich selbst
bilden, sich Charakterfestigkeit aneignen u. f. w. vergißt aber
dabei, daß der junge Baum, dem kein stützender Pfahl zur
Seite steht, leicht vom Winde gebogen und entwurzelt werden
kann, und kommt fo in der Regel erst dann zur Erkenntniß
seines unklugen Vertrauens, wenn es bereits zu spät und das
Unheil schon geschehen ist./
Aehnliche Mißstände sieht man in Betreff der Dienstboten
obwalten. O wie gewaltig fehlt es da oft an der nöthigen
Klugheit; aber gewöhnlich müssen die Dienstboten die Schuld
tragen, von denen es gleich heißt: sie sind Alle nichts mehr
nutz. Jch für meinen Theil meine, daß wir weit bessere
Der ungerechte Verwalter. 219

Dienstboten hätten, wenn wir anch bessere Herrschaften hätten,


die in ihren Untergebenen nicht bloß den Arbeiter sondern
anch den Christen sehen, ihm Zeit gönnen, um seine religiösen
Pflichten zu erfüllen, ihn vor Gefahren zurückhalten und
menschlich behandeln. Jst der Dienstbote wirklich schlecht, nun
so ist man eben nicht an ihn gebunden und schaut sich um
einen bessern um. Darum, Geliebteste, seid vorsichtig, seid
tlug, damit euch nicht auch in euerem Hause der Vorwurf
treffe, daß die Schlechten klüger sind als ihr, die ihr gut
sein wollt.^
Das, was ich heute gesagt habe, wäre zwar hinreichend,
um den Zweck, den der göttliche Heiland beim Vortrage des
Gleichnisses vom ungerechten Verwalter im Auge hatte, zu
erklären, nämlich wie wir aus der Klugheit der Weltkinder in
ihrer Art lernen sollen, selbst klug und eifrig im Guten zu
sein. Dessenungeachtet möchte ich darüber noch einige weitere
Worte hinzufügen.^

Es scheint auf den ersten Augenblick eine sonderbare Zu-


muthung zu sein, wenn man Jemanden auffordert, er solle
von den bösen und ungerechten Menschen lernen und von ihnen
Gewinn ziehen. Dennoch kann dies ganz gut geschehen, natür
lich nicht in jeder Beziehung, sondern nur in einem gewissen
Sinne. Man muß es nämlich so machen wie die Bienen,
welche auch giftigen Pflanzen sich nähern, aber nur den Honig
davon nehmen, den Giftstoff dagegen zurücklassen. Heißt uns
ja der göttliche Heiland sogar von unvernünftigen Thiereu X
lernen, von Schlangen und Tauben, natürlich nicht das
giftige und gefährliche Wesen der Schlangen oder die Blödig
keit der Tauben, sondern von ersteren die Klugheit:' Seid
klug wie die Schlangen, und von letzteren die Einfalt:

') zillttli. X. l«.


220 Vlll. Sonntilg nach Pfingsten.

Seid einfältig wie die Tauben. Ja der weise Salomon


weist uns auf noch kleinere Thiere hin, auf die Ameisen^
Geh hin, Fauler, zur Ameise, und lerne von ihr Weis
heit und Thätigkeit. Wie nämlich die Ameise für ihr
irdisches Haus besorgt ist, so sei du besorgt für das Haus
deiner Seele, benütze den Sommer, die irdische Lebenszeit,
um dir Vorrath an guten Werken für die Ewigkeit zu
sammeln, x
Jn gleichem Sinne ermahnt uns der heilige Bernhard,
wir sollen von den Ruhmbegierigen, den Geizigen und Genuß
süchtigen lernen. Durch ihr unersättliches Verlangen nach
Würden, nach Geld und Vergnügen, sagt er, klagen sie uns
der Lauheit und Nachlässigkeit an. Denn wenn sie um Ver
gängliches so sehr sich abmühen, ist es nicht eine Schande, wenn
wir auf das Geistige und Ewige weit weniger bedacht sind?
Der Sünde Sold, schließt er, ist der Tod, die Frucht des
Geistes aber ewiges Leben. Schämen also müssen wir uns,
wenn wir nachlässiger zum Leben als jene zum Tode gehen, und
wenn wir minder eifrig für die Erlangung des Heiles als
jene für die Zubereitung ihrer Verdammung besorgt sind./
Andere heilige Väter gehen noch weiter und sagen, wir
könnten selbst vom bösen Feinde lernen, natürlich nicht seine
Bosheit, die sich die Kinder der Finsterniß zum Muster nehmen,
sondern den Schutz und die Sorge für unsere unsterblichen
Seeleu. Der böse Geist hat doch offenbar weitaus mehr
Verstand und Einsicht als wir Menschen. Wenn er sich also
so viele Mühe gibt, um eine Seele zu versuchen, zu verführen
und für sein höllisches Reich zu gewinnen, so muß sicherlich
die Seele einen unschätzbaren Werth haben. Jst ihm darum
keine Mühe zu groß, um sie zu verderben, dann darf auch
uns keine Anstrengung, keine Ueberwindung, kein Opfer zu
groß sein, um sie zu retten, Jst er in seiner Art so klug und

') ?rov. VI. «.


Der ungerechte Verwalter. 221

weiß er jeden an seiner schwachen Seite zu fassen, so müssen


wir nicht minder mit christlicher Klugheit uns versehen, um
seine Pläne zu vereiteln und das Gute zu thun..
Demzufolge, Geliebteste, ist auch klar, wie wir von bösen
Menschen lernen können. Jhre schlechten Werke und ihre un
gerechten Mittel sollen wir verabscheuen, aber ihre Klugheit
sollen wir zum Guten nachahmen. Jhre Thätigkeit und
Eintracht in Verfolgung schlechter Absichten soll uns ein
Sporn sein, uns gleichfalls zu sammeln und Eines Sinnes
das Gute zu unterstützen. Wenn wir einstimmig, mit Be
geisterung des Herzens, mit aller Einsicht des Verstandes, mit
allem Aufwande unserer Kräfte, mit Opferwilligkeit je nach
unfern Verhältnissen und mit festem Gottvertrauen die edlen
und guten Zwecke verfolgten und unterstützten, o! was könnte
geleistet werden, die Erde müßte ihre Gestalt erneuern./
Namentlich aber, Geliebteste, laßt uns unablässig kämpfen
gegen den immer mehr überhandnehmenden Unglauben und die
pestartige Unfittlichkeit, die in der Regel Hand in Hand gehen;
denn der Unglaube fördert die Sittenlosigkeit, und hinwieder
untergräbt die Unfittlichkeit den Glauben. Der lebendige
Glaube besitzt alle Kraft, um den Lockungen der Sünde zu
widerstehen, der todte Glaube hingegen ist ohnmächtig. Da-
her gehen der Teufel und seine Helfershelfer in Menschen
gestalt vorerst darauf aus, den Glauben ans dem Herzen des
Christen zu reißen; denn sie wissen recht gut, daß jener noch
nicht ganz verloren ist, in welchem noch einiger Glaube
schlummert, während bei dem, der um den Glauben gebracht
wurde, die Bekehrung unmöglich oder doch ungeheuer er
schwert ist./
Das Mittel aber, dessen sie sich vorzüglich bedienen, um
den Menschen lau und dann ganz glaubenslos zu machen,
ist die Verführung, die Verleitung zur Unkeuschheit und zur
Unmäßigkeit. Wer weiß, ob mir nicht Mancher von euch
Belege aus seinen Bekannten bringen könnte, die zuerst sittlich
222 VIII. Sonntag nach Pfingsten.

sielen und dann ungläubig wurden? Sie waren zuerst wie ihr
religiös, zweifelten nicht am Glauben und empfingen öfter im
Jahre die heiligen Sakramente. Wann also hat sich ihr Sinn
in Glaubenssachen geändert, wann fingen sie an die Beicht zu
fürchten? Erst nachdem sie sittlich verdorben waren, nachdem
die Bosheit ihren Geist verfinstert hatte. Diese Thatsache
läßt sich ohne sonderliche Schwierigkeit ' erklären. So lange
ein Christ einen sittlichen Wandel führt und ein vorwurfsfreies
Gewissen hat, ist ihm der Gedanke an Gott, an die vier
letzten Dinge, an die Gerechtigkeit Gottes, kurz an die ewigen
Wahrheiten der Religion keine Last sondern vielmehr ein
Gegenstand des Trostes. Erst wenn er moralisch schlecht ge
worden ist, dann werden ihm solche Erinnerungen eine wahre
Folter. Und was thut der von der Leidenschaft Verblendete?
Statt umzukehren und sich durch den Gebrauch jener Mittel,
welche ihm der Glaube bietet, die Ruhe des Herzens wieder
zu verschaffen, fängt er an, an den Glaubenswahrheiten zu
zweifeln, flieht die Kirche, hört Glaubensspötter gern an, und
kommt so allmalig ganz um den Glauben. Seht, wie einer
seits der Unglaube die Unsittlichkeit fördert, und umgekehrt
die Unsittlichkeit den Glauben zerstört./
Daher auch die durch unzählige Beispiele verbürgte
weitere Thatsache, daß von Hundert Jndividuen, welche vom
Glauben und von der wahren Kirche abfielen, neunundneunzig
durch Unsittlichkeit und unsittliche Beweggründe zu diesem be-
jammernswerthen Schritte kamen. Noch größer ist die Zahl
jener, die sich zwar nicht förmlich von der Kirche lossagten,
aber doch ihr innerlich nicht mehr angehören, ich meine die
schlechten Namenkatholiken, die durch Wort und That beweisen,
daß sie im Herzen glaubenslos sind oder doch wenigstens
gleichgiltig gegen die wahre Religion. Jch bin überzeugt,
Geliebteste, daß ihr zu dieser Schaar nicht gehöret, aber ich
meinte euch darauf aufmerksam machen zu müssen, damit ihr,
die Gefahr erkennend, um so klüger und vorsichtiger wandelt
Der ungerechte Verwalter. 223

und nicht bloß euch selbst fest im Glauben und sittenrein in


eurem Wandel bewähret, sondern euch auch gegen die Feinde
des Glaubens und der guten Sitten, in welcher Gestalt sie
auftreten mögen, schützet und ihnen muthig entgegentretet, wie
es jeder in seiner Stellung vermag./
Dann, Gelicbteste, wird es uns nicht so schwer werden,
einst, wenn der ewige Richter uns zuruft: Gib Rechenschaft
von deiner Haushaltung, gib Rechenschaft von dem
Talente des Glaubens, gib Rechenschaft von deiner Treue im
Guten, gib Rechenschaft von deinem Eifer im Kampfe gegen
das Böse, gib Rechenschaft von den Seelen, deren Obsorge
dir oblag — Anwort zu geben. Seien wir also keine Kinder
der Finsternis), der argen Welt, sondern Kinder des Lichtes,
lieben wir das Licht des Glaubens und hassen wir die Finsternis)
des Unglaubens und der Sittenlosigkeit, wuchern wir im
Guten, damit auch wir einst, wenn's mit uns zu Ende geht,
in die ewigen Hütten aufgenommen werden. Amen. ^
XIV.
3>ie Hßränen Jesu Oßrilti.
<IX. Sonntag nach Pfingsten.»
Da er die Stadt sah, weinte er über sie, I^uo. XIX. 41.

/Abgeben von jubelnden Schaaren, die laut frohlockten


und unablässig riefen: Hosanna dem Sohne Davids,
hochgelobt sei, der da kommt als König im Namen
des Herrn, feierte der Heiland seinen Einzug in Jerusalem.
Es war die letzte Huldigung, welche er empfing, die letzte An
erkennung seiner königlichen Würde, welche er gegen das Ende
seines Erdenlebens zuließ, ehe er das Werk der Erlösung durch
sein Leiden und seinen Tod vollendete. Jn seiner ganzen
Pracht und Schönheit lag Jerusalem vor ihm, stolz ragten
die Zinnen des Tempels über die Paläste und Häuser em
por, und Niemand wohl ahnte an jenem festlichen Tage, daß
in wenigen Jahren diese herrliche Stadt einem Schutthaufen
gleichen, daß in ihren Strassen Ströme Blutes fließen und
die größten Gräuel verübt, ihre Wälle geschleift, die Gräber
mit Leichen angefüllt und die Wohnungen durch Feuer verheert
würden; war ja Alles bei diesem Anlasse, den Neid und
Jngrimm der Pharisäer abgerechnet, nur Freude und Jubel.,
Doch alle die Hosanna, welche in das Ohr des Herrn
drangen, erheiterten ihn nicht, sie stimmten ihn vielmehr noch
wehmüthiger; denn inmitten aller äußerlichen Ehren war sein
Geist auf die Zukunft gerichtet, nicht bloß auf die aller-
Die Thränen Jesu Christi. 225
nächste, in der das Hosanna sich in ein OiioiiiHe verwandelte,
sondern auch auf die entferntere; sein göttliches Seherauge sah
den römischen Feldherrn Titus, der mit seinen Truppen Je
rusalem umzingelte und immer enger und enger einschloß, es
sah die Entweihung des gottgeheiligten Tempels, sah das
Feuermeer, welches ihn zerstörte, sah die Hunderttausende,
welche durch das Schwert, die Flammen oder den Hungertod
umkamen. Und dieser Blick in die kommenden Zeiten, ver-
bunden mit dem für einen erbarmungsvollen Erretter mehr
als peinlichen Gedanken, daß Jerusalem selbst Schuld sei an
seinem Verderben, weil es die Zeit seiner Heimsuchung nicht
erkannte, sondern der so oft und so dringend angebotenen
Heilsgnade fortwährend widerstand, erfüllte ihn mit solch un
beschreiblichem Schmerze, daß er denselben nicht länger verber
gen kann. Er weint. Jesus weint!/
Denken wir uns einmal, verehrte Zuhörer, ein wenig in
jene ganze Scene hinein; die Strassen sind mit Oel- und
Palmzweigen bestreut, ja mit Kleidern bedeckt, allgemeiner
Jubel umtönt uns von allen Seiten, wir sollten menschlicher
Weise, wenn wir das Auge auf dem ruhen lassen, dem der
ganze Triumph gilt, erwarten, daß er mit freudiger Miene
einherziehe. Und er weint! Jesus weint! Und doch, wie gött
lich erhaben erscheint er selbst in dieser Traurigkeit und Bitter
keit der Seele, in seinen Thränen, welche die Engel unsichtbar
auffangen und vor den himmlischen Thron bringen als Zeichen
seiner Bereitwilligkeit, alle Menschen selig zu machen. Seine Gott
heit sieht die Zukunft und seine mit der Gottheit hypostatisch ver
bundene Menschheit bejammert das Unglück, das über so Viele
kommen wird durch ihre eigene Schuld. Es waren Opfer-
thränen, kostbar in den Augen des ewigen Vaters. Denn
wenn alle, selbst die geringsten Handlungen im Leben Jesu
ihre Bedeutung und ihren Werth haben, so werden gewiß auch
die Thränen desselben bedeulungs- und werthvoll sein, weil
sie Thränen des Gottmenschen sind.^
Lierhelmer. Parabeln u. Wunder. 15
226 IX. Sonntag nach Pfingsten.

Jesus hat aber nicht bloß bei dieser Gelegenheit allein,


er hat auch bei anderen Anlässen geweint. Er hat geweint
wie jedes neugeborne Kind in der Krippe, er hat geweint am
Grabe des Lazarus und in seiner Passion, in der er blutige
Thräneu vergossen hat. Es mag daher gewiß keine ganz
fruchtlose Aufgabe sein, wenn wir heute die Thräuen Jesu
Christi ein wenig näher betrachten. Der heilige Bernhard
gibt vier Ursachen der Thränen an: ' das Elend dieser Welt,
die Sünden, das Mitleiden mit dem Nächsten und das Ver
langen nach der himmlischen Seligkeit. So beweint auch
Jesus als Kind in der Krippe das Elend dieser Welt, beweint
in Lazarus die Sünden, in Jerusalem die Unbußfertigen, und
öffnet durch die Thränen der Passion, die mit seinem Blute
sich vermengten, das himmlische Vaterland./
Da aber Jesus uns zugleich ein Beispiel geben wollte,
so sind seine Thränen auch noch in anderer Weise lehrreich
für uns. Mit dem Kinde Jesu weinen die Unschuldigen und
Gerechten, mit dem Freunde des Lazarus die Büßer, mit dem
Trauernden über Jerusalem die Mitleidigen, mit dem Leiden
den die von Trübsalen und Widerwärtigkeiten heimgesuchten
Gläubigen. Wohl mag Jesus auch noch bei anderen Gelegen
heiten geweint haben, ° wo nur Gott der Vater und die Engel
seine Zeugen waren, da er ja häusig in Abgeschiedenheit die
Nächte im Gebete zubrachte und sein Herz ausschüttete; doch
die erwähnten vier Veranlassungen sind gewiß. Diese wollen
wir daher einzeln durchgehen, um daraus manchen frommen
Gedanken, manchen Trost und neue Ermunterung zur Beharr
lichkeit im Guten zu ziehen. Bitten wir um Erleuchtung des
Geistes und um Rührung des Herzens, indem wir rufen:
Deine Gnade, o Jesus! sei mit uns.

') 8erm. IU. in N»t. vom. — ') Heb. V. 7.


Die Thriinen Jesu Christi. 22?
Der erste Laut eines Kindes ist ein Weinen. Jesus
Christus hat Knechtsgestalt angenommen, ist Mensch geworden,
um uns in Allem gleich zu werden. Welches also wird sein
erster Laut gewesen sein? Er liegt in einem dürftigen Noth-
stalle, der allen Winden und Wettern geöffnet ist und kaum
den abgehärteten Hirten eine hinreichende Zufluchtsstätte bot;
eine harte Krippe von Holz, in welcher sonst die Thiere ihr
Futter suchten, gefüllt mit etwas Stroh, ist seine Lagerstätte,
armselige Windeln umhüllen kaum die zartesten Glieder. Und
da hätte Jesus nicht mit dem Buche der Weisheit sagen
können:" Auch ich, in's Dasein eingetreten, sog ein
die gemeinsame Luft... und als erster Laut gleich
Allen, weinte ich?/
Aber dieses Kind ist auch Gott, und als Gottmensch
spricht es: ^ Mein Schmerz ist immerdar vor meinem
Angefichte. Es sieht in der Wiege schon ebenso wie später
als Mann alle die Sünden der Menschen von Adam bis zum
Weltende, die es als schuldloses Opferlamm auf sich nehmen
muß; es sieht alle die Mühsale des dreiunddreißigjährigen Erden
lebens, alle die Verfolgungen, Schmähungen und Leiden, die ihm
bevorstanden; und es hätte nicht weinen und seufzen sollen
in diesem Thale der Thränen? Das Holz der Krippe erinnerte
es an das Holz des Kreuzes, der Stall außerhalb Bethlehem
an die Schädelstätte außerhalb Jerusalem; und deswegen
sagt die Kirche in ihrem Hymnus: „Es weint das Kind, in
enger Krippe bloßgelegt." Die Schatten des Kalvarienberges
fielen hinein in die bethlehemitische Grotte, und darum waren
für die Krippe die Thränen, was für Gethsemani und Gol
gatha die Blutvergießungen waren. Noch konnte Jesus seinem
himmlischen Vater kein anderes Opfer für uns darbringen als
seine Thränen./
Cr weinte also nicht um seinetwillen, er weinte um uns

') 8»p. Vll. 3. — ') ?8»Im. XXXVII. 18,


15'
228 IX. Sonnt«g nach Pfingsten.
und über das Elend unserer irdischen Pilgerfahrt. „Es weint,
sagt der heilige Augustin, ^ das kaum zur Welt gekommene
Kind, und die Thränen sind ein Zeichen menschlichen Elendes;
es kann noch nicht davon reden, aber dennoch prophezeit es
schon." Und was prophezeit es denn? Tarauf antwortet
der heilige Cyprian:" „Jeder Mensch beginnt mit Thränen,
und obgleich er noch um gar nichts weiß, so weint er doch
schon im ersten Augenblicke über alle Aengsten, Mühen und
Beschwerden dieser Welt, die er betritt." So erging es also
auch dem menschgewordenen Gottessöhne, nur mit dem Unter
schiede, daß er unsertwegen weinte./ >
Waren wohl diese feine Thränen schon verdienstlich für
nns? O! seine Thränen sind geflossen, damit die nnsrigen
getrocknet würden, er hat geweint, damit wir lächeln können.
Wenn daher oft eines Kindes Thränen uns mehr bewegen
als alle Gründe und Anstrengungen, welche Erwachsene auf
bieten, werden dann die Thränen der Liebe, welche Jesus
vergoß, nicht auch Werth gehabt haben in Gottes Augen?
Vielleicht war die erste Frucht dieser Thränen der Glaube
der Hirten./ . , ,
Doch Jesus hat auch geweint, um uns ein Beispiel zu
geben. Wer weint denn mit dem Kinde Jesus? Wohl vor
Allem die Reinen und Unschuldigen, welche nicht so fast der
Schmerz über begangene Sünden sondern mehr die Sehnsucht
nach Gott zu Thränen rührt; jene, welche aus überströmender
heiliger Liebe Thränen der Andacht vergießen; jene, welche das
Elend dieser Erde erkannt haben und nach dem ewigen Vater
lande begehren; mit einem Worte, alle jene, welche nach Christi
Willen zu Kindern geworden sind, deren das Himmelreich ist,
die gerechten, frommen und schuldlosen Seelen. Daher finden
wir die Gabe der Thränen als eine Frucht der Andacht, der
Freude und Liebe Gottes häufig im Leben der Heiligen, selbst

°) De oiv. vei Üb. XXI. o»p. 14. — °) De bou. pütient.


Die Thr«nen Jesu Christi. 229
ernster und ergrauter Männer, wie des heiligen Philipp Neri,
des heiligen Ephrem, des heiligen Arsenius und Anderer,
Ja es gibt im Leben fast eines jeden Menschen solche Mo
mente, wo Gott laut an sein .Herz klopft und es unwillkürlich
weich stimmt, so daß er, wenn auch nicht immer äußerlich, doch
innerlich ganz ergriffen ist, Momente, wo er die Nichtigkeit
des Jrdischen recht erfaßt und von höherer Sehnsucht er
füllt wird./
Jch rede hier nicht von jenen Eindrücken, die zum Bei
spiele der Tod eines Freundes, eines Kindes, einer Mutter n. s.w.
hervorbringt, nicht von den natürlichen Thränen, sondern von
jenen Seelenstimmungen, die in uns der heilige Geist hervor
bringt, der seufzt mit unaussprechlichen Seufzern/ von den
Thränen z. B. beim Empfange der heiligen Communion,
beim Einkehren der Seele in Gott im innigen Gebete u, dgl.,
kurz von jenen seligen Augenblicken, in denen das Herz der
Welt entrückt sein möchte und mit dem Apostel ruft:^ Jch
verlange aufgelöst zu werden und bei Christus zu
sein. Wie die Jsraeliten an den Flüssen Babylons sitzend
beim Gedanken an Sion weinten, so entfließen den Augen
der frommen Seele Thränen beim Gedanken an das himmlische
Sion, und diese Thränen, die wie Thautropfen auf den Wangen
glänzen, werden edle Perlen für die Himmelskrone. Denn
die in Thränen säen, sagt der Psalmist," werden in
Frohlocken ernten; sie gingen und gingen, und wein
ten beim Streuen ihres Samens, aber sie werden
kommen, ja kommen mit Frohlocken und tragen ihre
Garben./
Solche Thränen hat David selbst geweint, als er gleich
der Hirschkuh nach Gott dürstete und dessen Antlitz zu schauen
begehrte. Mir sind, spricht er, '" meine Thränen zur

') Ilom. VIII, 2«. — ') rbilipp. l. 23. — ') ?«»Iw, 6XXV. 5, 6.
") ru»Im, XI.I. 4.
230 IX. Sonntag nach Pfingsten.

Speise Tag und Nacht, da man mir täglich sagt: Wo


ist dein Gott. Solche Thränen vergoß nach seiner Bekeh
rung der heilige Augustin, wie er selbst im Buche seiner
Betrachtungen bezeugt, wo er also zu Gott redet: " „Jch
bin verwundet von dem heiligen Pfeile deiner Liebe, und die
Thränen, welche ich Tag und Nacht so reichlich vergieße, sind
das Blut, welches aus der Wunde fließt, die er mir verur
sacht hat. Ach ja, triff mein Herz mit dem mächtigen und
heiligen Pfeile deiner Liebe, durchbohre es bis in's Jnnerste,
und ziehe durch meine Augen das Blnt daraus, indem du sie
zu zwei lebendigen Thräuenquellen machest, welche Tag und
Nacht ohne Aufhören fließend, beständige Beweise meines Ver
langens seien, deine Schönheit zu betrachten." Doch genug,
verehrte Zuhörer, über diese Thränen heiliger und von Got
tesliebe flammender Seelen, die mit dem Kinde in der Krippe
die Armseligkeit und das Elend dieser Welt erkennen und von
höherem Verlangen ergriffen werden./
Verlassen wir Bethlehem und wenden wir uns nach
Bethanien. Wir stehen am Grabe des Lazarus. Menschliches
Elend umgibt uns auch hier. Der Freund des Herrn, der
Bruder zweier Schwestern, die ihn so zärtlich geliebt, ist todt,
vier Tage liegt er schon in der Erde. Martha eilt dem
Heiland entgegen, Maria sinkt zu seinen Füßen nieder, beide
sprechen:'° Herr, wenn du hier gewesen wärest, so
wäre unser Bruder nicht gestorben. Auch viele Juden
sind zugegen und alle weinen mit den Schwestern, Da ward
auch Jesus im Geiste bew.egt, betrübte sich selbst und weinte.
Er trauerte mit den Trauernden, er trauerte vielleicht auch
deshalb, weil er den Freund noch einmal zurückrufen mußte
in die Gefahren dieser Welt. Doch der gestorbene Lazarus
ist auch nach der Ansicht mehrerer Väter ebenso wie der Jüng-

") Uesit. o»p. 3ß. — ") ^o»nn. Xl.


Die Thränen Jesu Christi. 231,
ling von Naim und die Tochter des Iairus ein Bild des
Sünders, welcher der Seele nach todt ist./
Jn diesem Sinne sind uns die Thränen Jesu ein Bei
spiel, wie wir die Sünden beweinen müssen. Thränen gehen
der Auferweckung des Lazarus vorher, Reue- und Bußthränen
führen zur Bekehrung und Vergebung der Sünden, und er
wirken der Seele ein neues Gnadenleben. Wie daher Jesus
zuerst im Geiste bewegt wurde, sich selbst betrübte oder er
schütterte und dann weinte; so muß auch der Sünder von der
göttlichen Gnade, die an die Thüre seines Herzens klopft, wie
Jesus, der am Eingange des Grabes steht, zuerst ergriffen
werden in der Beicht, muß sich selbst betrüben durch die Reue
und durch Thränen in der Genugthunng seine Schuld abwa
schen, dann ertönt der Ruf: Lazarus, komm heraus!
sündige Seele, erwache zu neuem Leben!/
Jch will hier nicht weiter auf die Nothweudigkeit der
Reuethränen hinweisen, nur eine einzige Stelle aus dem
Propheten Jeremias, die hier so ganz am rechten Orte ist,
will ich erwähnen, um so mehr als Jeremias auf den Trüm
mern Jerusalems sitzend in seinen Klageliedern das Bild eines
reuigen Büßers ist. Laß träufeln, spricht er in seinen»
zweiten Klagegesange,'" dem Strome gleich deine Thränen
Tag und Nacht, gönne dir nicht Ruhe, und nimmer
raste deines Auges Stern. Steh auf, ruf durch die
Nacht beim Beginn der Wachen, gieße wie Wasser aus
dein Herz vor dem Angesichte des Herrn./
Es ist eine Aufforderung zur Buße an das israelitische
Volk, dessen Frevel Gott durch die babylonische Gefangen
schaft strafte, und somit eine Aufforderung zur Buße für jede
Seele, die schwer wider Gott gesündigt hat. Wie muß diese
Buße beschaffen sein? Laß tränfeln dem Strome gleich
deine Thränen, einige Tropfen, einige Anwandlungen vou

") l'bren. II. l8 u«q.


232 IX. Sonntag nach Pfingsten.

Reue sind nicht genügend. Laß sie träufeln Tag und


Nacht; es ist nicht hinreichend, nur einmal seine Schuld be
weint zu haben, man muß anhaltende Bußgesinnung haben.
Gönne dir nicht Ruhe, nicht raste deines Auges
Stern; nicht bloß in Worten besteht der Schmerz, das Auge
muß reden, muh in Thränen sprechen, diese Sprache besänftigt
Gott. Gieße wie Wasser aus dein Herz. Eröffne durch
eine aufrichtige Beicht alle deine Sünden, die in deinem Her
zen verborgen sind, gieße sie so bereitwillig aus, wie Wasser,
das man aus einem Kruge ausschüttet, dann wird der Herr .
sich erbarmen und wird ebenso allen Schmutz von deiner
Seele entfernen, wie Wasser den äußeren Schmutz abwäscht./
Stellt etwa der Prophet hier eine zu große Forderung?
Nun, ein Vergleich soll uns belehren. Denken wir uns den
geduldigen Job, wie er auf dem Miste sitzt, über und über
von der Fußsohle bis zum Scheitel von brennenden und
eiternden Geschwüren bedeckt und so entstellt, daß seine drei
Freunde, welche gekommen waren ihn heimzusuchen, ihn gar
nicht wieder erkannten. Was thun sie bei diesem Anblicke?
Laut erheben sie ihre Stimme und weinen." Sie weinen,
weil der Leib Jobs so grausam zugerichtet ist. Und der
Sünder sollte nicht ungleich mehr weinen, wenn er seine mit
dem Aussatze der Sünde bedeckte Seele betrachtet? Ist die
Seele nicht mehr werth als der Leib? Und ist eine mit
Sünden beladene Seele nicht ungleich abscheulicher in Gottes
Augen als aller Aussatz des Leibes? Die Thränen der
Freunde konnten Job nicht heilen, wohl aber konnten die
Reuethränen die todte Seele gesund machen. Sieh, wie er
ihn lieb hatte, sprachen die Juden, als sie Jesus vor
Lazarus Leiche weinen sahen. Und wie hat er deine Seele
lieb, o Christ! O weine also mit ihm, weine nicht über ihn,
über dich und deine Sünden weine, verbinde deine Thränen

") ^od. II. 12,


Die Thräiim Jesu Christ!,

mit den Thränen Jesu, und sie werden dir ebenso Verzeihung
erflehen, wie sie Gott Anderen um ihrer Thränen willen an-
gedeihen ließ./
Dem Könige Ezechias hatte der Prophet Jsaias ange
kündigt, daß er bald sterben werde; doch kurze Zeit darnach
theilte dieser ihm mit, daß er noch fünfzehn Jahre leben
werde. Woher diese plötzliche Aenderung? Der Aufschub des
Todes war eine Frncht der Thränen, weil Ezechias mit
lautem Schluchzen weinte und zum Herrn betete. Jch habe
gehört dein Gebet, ließ ihm Gott sagen, '^ und habe
gesehen deine Thränen, siehe, ich will hinzufügen
zu deinen Tagen noch fünfzehn Jahre. David hat
durch zwei schwere Verbrechen sich befleckt; da benetzt er mit
Thränen sein Lager, Thränen werden seine Speise Tag und
Nacht,'" nnd Gott gewährt ihm nicht nur Vergebung, er
bestätigt ihn und sein Haus in der Königswürde. Petrus
sühnt durch bittere Reuethränen seine dreimalige Verleugnung
nnd erhält nicht bloß Verzeihung, sondern wird zur höchsten
Würde erhoben. Wie viel hat desgleichen Magdalena durch
ihre Bußthränen erlangt? „O! groß ist die Macht der
Thränen, sagt der heilige Johannes Chrysostomus. ''
Willst du wissen wie groß? setzt er bei. Höre: Das grüßte
Tugcndwerk ist das Martyrium, weil die Martyrer ihr ,Blut
vergießen, während die Sünder nur Thränen vergießen. Mag
dalena hat kein Blut vergoßen, und doch hat sie ihre Sünden
abgewaschen durch Thränen. Die Sünden sind aufgezeichnet
im Schuldbuche; doch die Thränen sind der Schwamm, der
alle austilgt und die Blätter reinigt."^,
Aber nicht bloß Vergebung der Sünden verschaffen die
Bußthränen, sie erzeugen auch .innere Freude und Heiterkeit.
Bitterlich hatte Augustinus geweint kurz vor seiner Bekeh
rung, ehe er die himmlische Stimme vernahm:^ „Nimm

") IV, N«F. XX. — '°) r^Im. XI.,. 4. — ") «om. II. m
?u»Im. I.. — ") conleHu. üb. VIII. e»p. 12.
234 IX. Sonntag nach Pfingsten.

und lies." Doch wie ist er plötzlich so ganz umgewandelt!


Hören wir ihn selbst in seinen Vekeuntnissen : „Wie plötzlich
schien es mir süß, den eitlen Freuden meiner hinfälligen Er
götzungen zu entsagen; wie sehr erfreute es mich, nun endlich
zu verlassen, was ich bisher zu verlieren gefürchtet hatte. . . .
Schon war meine Freude, mich mit dir zu unterhalten, o mein
Gott, der du mein Ruhm, mein Reichthum und mein Heil
bist." Daher sagt auch der heilige Laurentius Justiniani
von der Bußlhräne:" „Du besiegst den Unbesiegbaren, du
bindest den Allmächtigen, machest den Sohn der Jungfrau dir
geneigt, öffnest den Himmel und verscheuchest den Teufel;
du bist die Gefährtin der Gnade, die Erquickung der Seele,
das Bad der Schuld, die Erheiterung des Gewissens und die
starke Hoffnung der ewigen Auserwählung."/
Wenn also, mein Christ, das Bewußtsein einer Sünde
dich ängstigt, dann gehe zum Grabe des Lazarus, betrachte
deinen Heiland, der über deine Seele weint, und weine mit
ihm, damit er auch dir zurufe: „Komm heraus aus dem
Grabe der Sünde und erwache zu neuem Leben der Gnade."/
Wenden wir uns nun von Bethanien nach Jerusalem.
Jesus weint über dessen Bewohner, nicht nur wegen der
Schuld, die sie auf sich häuften, nicht bloß wegen der Straf
gerichte, die über sie hereinbrechen müssen, er weint ganz be
sonders über ihre Unbnßfertigkeit und Verstocktheit, die ihnen
ewigen Untergang bereiten wird. Das gottlose Jerusalem ist
das Bild aller Scelen, die verloren gehen und an den Früchten
des Leidens und Sterbens Jesu Christi keinen Antheil haben.
Darum beweint der Herr in Jerusalem zugleich alle Christen,
welche ebenso wie die Bewohner jener Stadt seine heiligen
Lehren verachten, ihn durch ihre Sünden auf's Neue geißeln
und kreuzigen und endlich wie Jerusalem in den Flammen
eines nie erlöschenden Feuers zu Grunde gehen, weil sie den

") De li^n. vit.


Die Thränen Jesu Christi. 235
Tag der Heimsuchung nicht erkennen und seine erbarmende
Liebe verschmähen./
Jesus hat also damals wohl auch über unsere Zeit ge
weint. Die Menge jubelt und frohlockt, Jesus aber weint.
Jst das nicht das gelreue Bild der gegenwärtigen Welt?
Wo man hinblickt, sieht man überall nur Lustbarkeiten; da
folgt ein Vergnügen dem andern, eine Festlichkeit reiht sich an
die andere, man hört und liest jetzt immer nur von Ein
ladungen, heute hier und morgen dort, und überall geht es
zu, als ob die Steine sich in Geld verwandelt hätten. Da
möchten wohl auch die Guten, welche etwas weiter sehen,
weinen, weil sie nicht ohne Mühe auf den Fall und Unter
gang Vieler, die jetzt in Saus und Braus dahinleben, schließen
können./
Freilich zucken über solche Bemerkungen die Weltkinder
hämisch die Achseln und sind gleich mit der Erwiderung bereit:
Man darf sich wohl auch noch eine Freude gönnen. Wohl,
eine Freude, aber keine ununterbrochene, keine übermäßige,
denn allzu viel ist ungesund, eine Freude, die kein schlimmes
Ende nimmt. Deswegen wäre es recht gut, wenn man auch
in der Freude stets ein Bischen weiter dächte; Hese Beimisch
ung würde die allzu große Hitze etwas abkühlen uud Mäßig
ung und Besonnenheit erzeugen. Allein es geht da ebenso
wie einst bei den Juden zur Zeit des Jsaias. Der Prophet
sah das drohende Unheil, das über sie kommen würde, vorher
und forderte deshalb auf zum Weinen, zur Trauer und zur
Buße. Doch was mußte er statt dessen sehen? Freude und
Lust, Kälberwürgeu und Widderschlachten, Fleisch
essen und Weintrinken; essen wir und trinken wir,
sprachen die Frevler, morgen werden wir sterben. °"
Gerade so geht es auch in unserer Zeit zu, und gerade so
reden die Schlechten. Und das Ende? Nimmer, spricht der

°) I«, XXII. 13 °e<,q.


236 IX. Sonntag nach Pfingsten.

Prophet, wird euch der Herr erlassen diesen Frevel,


bis ihr sterbet. Um dies noch deutlicher zu machen, wird
Jsaias zugleich zu Sobna, dem Beamten des Palastes gesandt,
der sich in seinem irdischen Besitze sicher wähnte, nnd be
auftragt, ihm zu verkünden: Sieh, der Herr läßt dich fort
tragen wie man fortträgt einen Hahn, und wie ein
Kleid, so wird er dich aufpacken ... und stoßen werde
ich dich von deinem Posten und deines Dienstes dich
entsetzen./ , ,
Doch bejammernswerther noch als alles zeitliche Unglück,
als alle irdischen Folgen, die ein solches Leben nach sich zieht,
das nur auf den Genuß dieser Welt bedacht ist, werden die
ewigen Folgen sein, das Verderben zahlloser Seelen. Und
über diese weint Jesus besonders, weil au ihnen geistiger
Weise dasselbe zutrifft, was Jerusalem begegnete. Je mehr
sie dem Taumel der Lust sich hingeben, je mehr sie der Lehre
Christi ihr Herz entfremden, desto mehr wird der Feind der
Seelen Gewalt über sie gewinnen, sie ängstigen durch Ver
zweiflung, sie umgeben mit dem Walle der Unbußfertigkeit
und Herzenshärte, sie von Grund aus zerstören im Tode,
mit den Flammen der Hölle peinigen, keinen Stein auf dem
andern lassen, sondern alles Trostes, alles Verdienstes sie be
rauben; und bis zum Ende wird die Verwüstung dauern,
ewig wird die Verdammung sein, weil sie den Tempel des
heiligen Geistes durch ihre Sünden in eine Räuber- und
Mörderhöhle verwandelt haben, und diese durch Verstocktheit
nährten, statt sie mit der Geißel der Reuethränen zu ver
treiben. Doch genug über diese Thränen, die der Heiland
über das unbußfertige Jerusalem, über die unglückseligen
Seelen weinte. Betrachten wir kurz die Thränen in seinem
Leidenskampfe./ ,, , . >
Die Thränen Jesu Chnsti. 23?
Jm Briefe an die Hebräer schreibt der heilige Paulus :°'
Christus brachte in den Tagen seines Fleisches Gebet
und Flehen unter starkem Geschrei und unter Weinen
vor den, welcher ihn vom Tode erretten konnte, und
ist erhört worden wegen seiner Gottergebenheit,
Diese Stelle bezieht sich wohl auf das Gebet Christi in Gelh-
femani, als er mit Betrübniß der Seele bis zum Tode flehtet'
Vater, wenn du willst, so gehe dieser Kelch an mir
vorüber, und dann blntige Schweißtropfen vergoß. Wahr
scheinlicher noch bezieht sie sich auf die letzten Augenblicke des
Erlösers am Kreuze, wo er unter lautem Rufe sprach:^ Mein
Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen, und
dann wiederholt mit lautem Rufe seinen Geist aufgab. Wenn
dabei die Evangelisten nicht ausdrücklich erwähnen, daß Jesus
unter diesem Schrei Thränen vergossen habe, so kann man es
doch nicht leicht bezweifeln, dg einerseits der heilige Paulus
es andeutet und es anderseits an sich ganz natürlich war,
daß Christus, von den furchtbarsten Schmerzen gequält,
eben weil er als Mensch litt, auch weinte. Und diese
Schmerzensrufe und Schmerzensthränen sind erhört wor
den; denn der Vater nahm den Geist Jesu auf in, seine
Hände und erweckte ihn am dritten Tage zu neuem ver
klärten Leben./
Was lernen wir nun wohl aus den Leidensthränen?
Auf dreifache Weise kann man Christi Passion betrachten.
Erstens als Ursache des Sieges über den Teufel, als That-
fache unserer Erlösung und Wiedervereinigung mit Gott, und
insofern erfüllt sie uns mit Freude und Dankbarkeit. Zweitens
läßt sie sich betrachten als die Folge unserer Sünden; da er
derentwegen leiden und sterben Mußte, und in dieser Hin
sicht, wird sie Schmerz und Traurigkeit in uns hervorrufen.

') llebr, V. 7. - ") U»ttl,. XXVI. 39. — ") Ibiä. XXVll. 4<!.
238 IX. Sonntag nach Pfingsten.

Endlich können wir Christi Leiden an sich betrachten nach


ihrer ganzen Größe und Schrecklichkeit, und dies bestimmt
uns ,zum Mitleiden und rührt uns zu Thränen. Wir
haben von den Freuden- und Bußthränen bereits gesprochen;
darum können wir aus den Leidensthränen Jesu zunächst
lernen, wie wir uns in Leiden, in Prüfungen und Heim
suchungen verhalten sollen, wie wir diese einerseits geduldig
ertragen müssen, aber doch auch anderseits wieder um Be
freiung davon, wenn es so in dem Willen Gottes gelegen ist,
bitten dürfen./
Hiebet fehlt es uns wahrlich nicht an Beispielen, wie
Gott die Gebete seiner Auserkorenen, die sie unter Thränen
vor ihm ausschütteten, erhört hat. Unermüdlich war To
bias im Wohlthun, er gab den Hungrigen Speise und den
Nackten Kleider und begrub die Todten. Um seinen treuen
Diener zu prüfen und zu läutern, ließ Gott dessen Erblindung
zu. Seine eigenen Verwandten lachten nun über seine bis
herige Frömmigkeit, sogar seine Frau spottete seiner. Da
wendete er sich zum Herrn und betete unter Thränen.
Und welches war die Frucht seiner Thränen mitten im
herben Leide? Gott schickte seinem Sohne den Erzengel
Ravhael als Begleiter auf der Reise, gab ihm auch das
Augenlicht wieder und verwandelte seine Thränen in Freude
und Glück./
Hart bedrängt war die Stadt Nethulia, Holofernes hatte
sie eingeschlossen und ihr sogar das nöthige Trinkwasser ent
zogen. Angst und Bangigkeit bemächtigte sich aller Bewohner
und schon dachten sie an die Uebergabe; doch Judith, die
starke Heldin, erfüllte sie mit neuem Vertrauen und forderte
sie auf, mit ihr Buße zu thun und unter Thränenvergießungen
Vergebung vom Herrn zu erflehen. Und die Frucht ihrer
Thränen? Judith tödtet den Holofernes und errettet Bethu-
lia. Auch dich, mein Christ, umringen Feinde, sie bedrohen
deine Seele, du wähnest zu unterliegen, nimm unter Thränen
Die Thränen Jesu Christi. 239
deine Zuflucht zu Gott, rufe wie Jesus unter Geschrei und
Weinen, und er wird dir den Sieg verschaffen über den
Versucher, über den Widersacher, der deiner Seele schaden
mochte^
Aman hat einen Mordbefehl gegen alle Juden im Reiche
des Assuerus veröffentlicht; alle weinen, und auch Esther fällt
weinend vor dem Könige nieder und sieht für ihr Volk. Da
erhebt Assuerus den goldnen Scepter zum Zeichen der Gnade
und der grausame Befehl wird zurückgenommen. Oftmals
droht uns eine Gefahr, ein kaum abwendbares Unglück steht
bevor ; weinen wir zu den Füßen des Kreuzes, unsere Thränen
werden Gott rühren, und er wird seine schützende Hand über
uns ausbreiten./
Jn mißlichster Lage befand sich Susanna; falsche Zeugen
waren gegen sie aufgetreten und beschuldigten sie des Ehebruches,
und das Gesetz verurtheilte sie zum Tode. Da schickte Gott
den Daniel, um die Unschuldige zu retten. Warum? Weil,
sagt die Schrift, Susanna weinend aufschaute zum Himmel
und ihr Herz Vertrauen hatte auf den Herrn." Wie
oft ereignet sich Aehnliches im Leben, wie oft wird die Un-
schuld verkannt, durch Verleumdungen die Ehre geraubt, durch
falsches Zeugniß das Recht mit Füßen getreten! Wo findet
der Bedrängte Hilfe? Jn seinen Thränen und im Flehen
zum Herrn./
Manchmal sind es innerliche Leiden, Traurigkeit und
Trostlosigkeit, die Gott über eine Seele verhängt, um
sie zu erproben, ob sie im Untroste ebenso ausharrt wie in
Trost und Freude; er entzieht ihr scheinbar seine Gegen'
wart und verschließt ihr gleichsam den Himmel. Was
soll sie thun? Sie soll weinen wie Magdalena am Grabe
des geliebten Meisters, und der Tröster wird nicht länger

') vuu. XIII, 35,


240 IX. Sonntag nach Pfingsten.

sich verbergen, wird ihr wieder seine himmlischen Tröstungen


mittheilen./
Auf solche Weise lernen wir aus dem Rufen und Weinen
Jesu in seinem bitteren Leiden am Kreuze, durch das er er
hört worden ist ob seiner Gottergebenheit, wie auch wir in
Kreuz und Leiden zu Thronen und Gebeten unsere Zuflucht
nehmen müssen und wie wir, wenn wir gottergeben sind und
beten: Vater, nicht mein Wille geschehe sondern der
deine, Erhörung finden. Denn auch an uns wird sich das
Wort des Heilandes erfüllen, das er zu seinen Jüngern ge
sprochen:'" Jhr werdet weinen und seufzen, die Welt
aber wird fich freuen; ihr werdet traurig sein, allein
eure Traurigkeit wird in Freude verwandelt werden.
Die Thränen Jesu sind also ohne Zweifel für uns in jeder
Lage des Lebens höchst lehrreich und nutzbringend. Sind wir
Gerechte und Vollkommene, so weinen wir mit Jesus in der
Krippe über das Elend dieser Welt, weinen mit den Heiligen,
weil wir noch fern sind vom Orte unserer Glückseligkeit,
Wir weinen mit Jesus vor Jerusalem über die Gottvergessen-
heit zahlloser Menschen, über die Sünder, über die Un- und
Jrrgläubigen und über die Verblendeten unserer Zeit, die
auch ohne Gott glücklich sein zu können wähnen, damit ihnen
doch das Licht der Wahrheit aufgehe und noch ein Tag der
Heimsuchung für sie komme, an dem sie zurückkehren in die
Vaterarme Gottes und in den Mutterschooß der Kirche. Haben
wir aber gesündigt, so weinen wir mit Jesus am Grabe des
Lazarus über unsere Vergehen, über den Tod unserer Seele,
damit unser Bußgeist und unsere Reuethränen uns wieder
den Himmel öffnen und Gottes Gnade zuwenden. Schickt
endlich der Herr Leiden und Prüfungen, dann stellen wir uns
unter das Kreuz Jesu und rufen mit Weinen, damit Gottes

") ^<um°. XVI. 20,


Die Thriiiien Jesu Christi. 24 l
heiliger Wille an uns geschehe, daß er das Leiden von uns
abwende, oder uns doch Geduld und christliche Ergebung ver
leihe, wenn es in seinen weisen Rathschlüssel! zu unserem
Besten bestimmt ist, daß die Trübsal noch längere Zeit fort
dauere. So werden dann diese vier Arten von Thränen
Jesu, weil sie in ihm ihren Ursprung haben und im Hin
blicke auf ihn vergossen werden, fruchtbringende Opfer sein,
werden den Durst Gottes, der nach unserem Heile dürstet,
stillen und zu Strömen werden, die hinüberftießeu in's ewige
Leben. Amen. ^.

^ >',,< .^' !
!,^^.!<,^>;<x ,' ^

kierheimer, Parabel« u, Wunder. Iß


XV.

Zer Wyarisäer und der Zöllner.


Die Hoffart ein Gräuel vor Gott.
(X. Sonntag nach Pfingsten.)
Wer sich selbst erhöhet, wird erniedriget. I^ie. XVlll. 14

<^<ie ganze Moral läßt sich auf den Sah zurückführen:


„Laß ab vom Bösen und thue das Gute." Wer an diesem
Grundsatz unverrückt festhält und ihn treu befolgt, an dessen
Sittlichkeit wird wohl nicht zu zweifeln sein. Ja, er wird
nicht bloß für seine Person gut sein, sondern er scheint auch
auf Vergeltung bei Gott rechnen zu dürfen, da ja der Psalmist
sagt:' Laß ab vom Bösen und thue das Gute, und du
wirst Wohnung haben immerdar./
Wenn aber dem so ist, so müssen wir den Pharisäer
im hentigen Evangelium nicht bloß für gut halten, sondern
auch annehmen, daß er Anspruch auf Verdienst hat. Oder
hat er nicht abgelassen vom Bösen? Jch bin nicht wie
andere Leute, sagt er, wie die Räuber, Ungerechten,
Ehebrecher und Zöllner; er stiehlt nicht, er mordet nicht,
er betrügt nicht, er treibt nicht Unkeuschheit, strebt nicht nach
fremdem Gut; kurz er ist sich keiner bösen Handlung bewußt. Aber
das war ihm nicht genug. Er thut auch Gutes. Er besuchte den

') ?ull!m, XXXVI, 27.


Der Pharisäer und der Zöllner. 24^

Tempel, er verrichtete seine Gebete, er hielt nicht bloß einen


sondern zwei Fasttage in der Woche und gab den zehnten
Theil von Allem, was er besaß. Wer möchte also an seinem
religiösen Eifer, an seiner Pflichttreue und seiner Nbtödtung
und Uneigennützigkeit zweifeln? Sollte man nicht fast in Ver
suchung kommen zu wünschen, es möchten doch alle Christen
so wie dieser Pharisäer beschaffen sein und ebenso getreu wie
dieser die Gebote Gottes und der Kirche beobachten?/
Dennoch, verehrte Zuhörer, sagt der göttliche Heiland, daß
der Pharisäer nicht nur keinen Anspruch auf Verdienst habe,
sondern daß er nicht einmal ein Gerechter sei. Warum denn?
Weil sein Stolz, seine Hoffart, ihn nicht bloß alles Lohnes
unwürdig, sondern überdies der Strafe würdig machte. Er
war hoffärtig gegenüber Gott und gegenüber dem Nächsten.
Hoffärlig gegenüber Gott; denn wenn er auch mit einem
Dankgebete anfing: Gott, ich danke dir, so ging doch sein
Gebet sogleich in ein Selbstlob über, indem er sich seiner
guten Handlungen rühmte und an sich gar nichts zu bereuen und
um gar keine Gnade zu bitten hatte. Hoffärtig war er auch
gegenüber dem Nächsten, indem er verächtlich auf den Zöllner
herabblickte als ans einen mit Sünden befleckten und alles
Guten beraubten Menschen. Um dieser doppelten Hoffart
willen fagt der göttliche Erlöser, daß der Pharisäer nicht ge
rechtfertigt nach Hause ging./
Welch ein garstiges Uebel muß also die Hoffart sein, da
sie alle guten Werke und Abtödtungen nutzlos macht, alles
Gute vernichtet und den Menschen in Gottes Augen als einen
Nichtgerechtfertigten, als einen Sünder erscheinen läßt? Und
welch schätzbare und werthvolle Tugend muß hinwieder die
Demuth sein, da sie die Sünden tilgt und aus einem Zöllner
einen Gerechten, ans einem verrufenen einen Gott wohlge
fälligen Menschen macht! Aber warum verabscheut Gott so
sehr die Hoffart, warum demüthigt er den sich selbst Erhöhen
den? Diese Frage, verehrte Zuhörer, möchte ich heute be
16'
^44 X. Loimtag nuch Pfingsten.

antworten. Denn> wenn wir das Warum kennen, dann wird


uns die Größe dieses Lasters von selbst einleuchtend sein, und
diese Erkenntniß des inneren Wesens und der Bosheit der
Hoffart wird dann weiterhin auch auf unseren Willen Ein
fluß ausüben und uns bewegen, stets diese Sünde zu fliehen und
dafür nach der entgegengesetzten Tugend, nach Demuth, zu streben./
Zuvor jedoch muß ich mit dem heiligen Gregor dem
Großen die Bemerkung vorausschicken, daß es vier Arten
von Hossart gibt. Jm Allgemeinen findet zwischen Hoffart,
Hochmuth und Stolz kein wesentlicher Unterschied Statt; denn
wenn der Hochmüthige sich über seinen Nebenmenschen erhebt
und diesen geringschätzt, oder wenn der Stolze bei sich selbst
stehen bleibt, ohne Gott die Ehre zu geben, so ist der Grund
zug immer ein hochfahrendes Wesen, eine unordentliche Selbst
überhebung, ein unordentliches Streben nach Auszeichnung.
Der heilige Gregor nun sagt:° „Es gibt vier Arten von
Hossart: die erste ist, wenn der Mensch sich selber das Gnte
zuschreibt, das er an sich hat; die zweite, wenn er es zwar
nicht sich selbst, aber doch seinen Verdiensten zuschreibt; die
dritte, wenn er sich eines Vorzuges rühmt, den er nicht
hat; die vierte endlich, wenn er sich einen Vorzug vor Anderen
einräumt." Ferner kann man nachdem heiligen Bonaventura^
hoffärtig fem in der Einbildung und Meinung, die mau von
sich hat; desgleichen mit dem Willen, ebenso im Reden, nnd
endlich in Handlungen. Darnach unterscheidet man die Eitel
keit, die Vermessenheit, den Ungehorsam, die Verachtung u. s. w.
Doch, wie gesagt, wir werden uns mit der Hoffart im All
gemeinen, welche die erste der sieben Hauptsünden ist, befassen
und sehen, warum dieselbe so besonders ein Abscheu und ein
Gräuel in Gottes Augen ist und dessen Rache herausfordert.
Flehen wir demüthig um den göttlichen Beistand. Deine
Gnade, o Jesus! sei mit uu,s.,

) >I.„!.!, !il,, XX!,I. eup, 4. — ') C«nti!c«zu, pu,t. l.


Der Pharisäer uud der Zöllner. ^^

Die Ehre Gottes und die Glückseligkeit dcs Menschen


sind innig miteinander verbunden; denn gleichwie l^'ott den
Menschen dazu erschaffen hat, daß er, wie der heilige Jgnatius
von Loyola in seinen geistlichen Uebungen sagt, seinen höchsten
Herrn lobe, ihm Ehrfurcht bezeige und ihm diene, mit einem
Worte, für Gottes Ehre lebe; so hängt hinwieder von dieser
Ehre des Menschen Seligkeit ab, weil er ohne Lob nnd Dienst
Gottes seine Seele nicht retten kann. Dies wurde mit klaren
Worten bei der Geburt des Heilandes durch die Engel ver
kündet:^ Ehre sei Gott in der Hohe, und Friede,
d. h. Beglückung und Seligkeit, den Menschen, die eines
guten Willens sind, das heißt, ihren Willen dem göttlichen
unterordnen. Gott ehren ist also des Menschen höchster Be
ruf auf Erden, und indem er demselben entspricht, geht er zu
gleich seiner Bestimmung entgegen^ seiner ewigen Glückseligkeit./
Dieser Beruf ist auch der erhabenste; denn in ihm liegt
das Einzige, was er für Gott thun kann. Der Mensch kann
Gott nicht allwissender machen, nicht allmächtiger, nicht heiliger
und gerechter, er kann seine Unendlichkeit und innere Seligkeit
nicht steigern und vergrößern; wohl aber kann er für seine
Ehre wirken, indem er ihn als den Urquell und Geber alles
Guten anerkennt, von dem Alles als der einzigen Ursache aus
geht und daher auch auf ihn als das einzige Endziel bezogen
werden muß./
Dies thun die Engel und Heiligen im Himmel, welche
sich nach den Worten der geheimen Offenbarung vor dem
Throne niederwerfen und sprechen:^ Würdig bist du, o
Herr, zu nehmen Ehre und Preis und Macht, denn
du hast alle Dinge geschaffen und durch deinen Willen
wurden sie und sind sie erschaffen. Dies ist auch der
Zweck der ganzen materiellen Schöpfung. Die Himmel,
sagt der Palmist/ erzählen die Herrlichkeit Gottes, Ine

') I.no. II. ll — °) ^l,«°, lV, N. — ") I^uln'. XVlll. i.


^6 X, Somiwg n,'ch Psiu.isteu,

Werke seiner Hände machet kund das Firmament.


Ein Tag überliefert dem andern den Ausspruch, und
eine Nacht theilt mit die Kunde der andern. Deswegen
ladet er auch alle Geschöpfe ein, mit ihm Gott zu loben und
zu ehren..
Dies ist auch die Aufgabe des Menschen; jeder muß mit
dem heiligen Paulus wiederholen:' Dem Könige der Ewig
keit, dem Unsterblichen, dem Unsichtbaren, dem ein
zigen Gott sei Ehre und Herrlichkeit in alle Ewigkeit.
Diese Aufgabe muß er wie der Seele so auch dem Leibe nach
erfüllen. Verherrlichet, sagt derselbe Apostel," und traget
Gott in eurem Leibe. Diese muß er selbst bei seinen
geringsten Handlungen im Auge haben. Jhr möget essen
oder trinken, schreibt er wieder," oder etwas Anderes
thun, so thuet Alles zur Ehre Gottes. Denn wie der
Knecht den Herrn und das Kind den Valer ehren muß, so
muß um so mehr das Geschöpf Alles zur Ehre des Schö
pfers thun./
Wenn nun der Mensch sich dessen weigerte, oder wenn
er sich selbst die Ehre gäbe, etwas als nicht von Gott em
pfangen betrachtete, oder es als sein eigenes Werk ansähe,
was würde daraus folgen? Einfach dieses, daß er sich selbst
an Gottes Stelle setzt, indem er sich zuschreibt, was Gott
gebührt, also gleichsam eine Selbstvergötterung sich zu Schulden
kommen läßt./
Saget mir nun, verehrte Zuhörer, thut das nicht in der
That der Hoffärtige, indem er bald ausdrücklich bald still
schweigend nur sich selbst die Ehre gibt, oder seiue Leistungen
seinen eigenen Bemühungen, seine Gaben seinen Verdiensten
beimißt? Liegt also in der Hoffart nicht eine gränzenlose An-
massung, sa eine Verachtung Gottes? Muß mithin der Hoffärtige
nicht ein Gräuel in Gottes Augen sein, muß Gott ihn nicht er-

') I. I'imntl,. I. l?. — ') I. vmmtli.VI. 20. — °) l. c<« int!,. X, 3l.


Der Pharisäer und der Zöllner. 247

niedrigen? Was würdet ihr von einem Knechte halten, der sich
die Ehre seines Herrn anmaßt? Oder was würdet ihr von einem
Sohne denken, der die dem Vater gebührende Ehre sich bei
legt? Was muß mau also von der Hoffart halten, welche die
Ehre Gottes, die Ehre des Unendlichen, beanspruchen will?
Doch gehen wir noch tiefer in die Sache ein./
Alle Vorzüge und Gaben, die der Mensch besitzt, sind
entweder natürliche oder übernatürliche. Erstere empfängt er
von Gott dem Schöpfer, letztere von Gott dem Erlöser und
Heiligmacher. Wenn also der Hoffärtige auf erstere stolz ist
und sich selbst ehrt, so setzt er sich gewissermassen an Stelle
des göttlichen Schöpfers. Und schreibt er sich die letzteren zu,
so nimmt er für sich die Ehre des Erlösers und Heiligmachers
in Anspruch. Jst das nicht eine entsetzliche Anmassung und
ein ungeheurer Frevel?/
So Mancher ist stolz auf seine natürlichen Anlagen und
Fähigkeiten, auf seine Geschicklichkeit und körperliche Schön
heit: Hat er sich diese etwa selbst gegeben, weil er sich ihret
willen geehrt sehen will? Er hat sich nicht einmal das Da
sein, nicht einmal ein Glied an seinem Leibe selbst gegeben,
er kann seinen Leib nicht einmal um eineu Zoll verlängern,
er kann keine fehlende Hand, keinen fehlenden Finger, nicht
einmal ein einziges ausgefallenes Haar ersetzen. Oder ist er
wenigstens der Urheber seiner Gesundheit? Ach nein, tausend
Wechselfällen unterliegt dieselbe, und diese ganz zu beseitigen,
steht nicht in seiner Macht. Oder kann er seine Lebensfrist um
eine Minute verlängern? Ist nicht jeder neue Athemzug eine
Gabe des Urhebers alles Lebens; wird er somit nicht, je
länger er lebt, nur um so abhängiger von dem, der ihm das
Dasein gegeben? Oder darf er sich seines Wohlstandes rühmen,
da er nicht einmal einen Grashalm zu erschaffen vermag?
Darf er sich seiner Künste und Erfindungen rühmen, seiner
Eisenbahnen und Telegraphen? Wer gibt ihm denn die Stoffe
dazu, und wie viel ist das, was er damit vermag? Er kann
2,18 X, Toimwz nach Pfixgstcn.

auf der Oberfläche der Erde herumfahren, aber nicht um einen


Zoll über das Echicneugeleisc sich erheben. Darf er sich sciuer
Macht und seines Einflusses rühmen? Hängt er nicht überall
von anderen Menschen, ja von den leblosen Elementen ab?
Aber seines Wissens, seiner Wissenschaft, seiner Bücher, die
er geschrieben, wird er sich doch rühmen dürfen? Nun, laßt
ihn schreiben, wenn Gott ihm den Verstand nimmt. Was
hast du also, o Mensch, das du nicht empfangen
hättest? frage ich mit dem Völkerlehrer. " Sag an, was
du ohne Gott hast? Nichts, gar nichts. Wenn du es aber
empfangen hast, warum rühmest du dich, als hättest
du es nicht empfangen? Warum gibst du dir selbst die
Ehre, die doch dem Urheber und Geber gebührt? Massest du
dir also nicht Gottes Ehre an und vergötterst dich selbst?
Und Gott, der so eifernd ist für seine Ehre, soll dich nicht
verabscheuen?/
Sind aber die natürlichen Güter dein Werk nicht, um
wie viel weniger werden es die übernatürlichen sein. Nicht
einmal die geringste für das ewige Leben verdienstliche Hand-
lung, kein Glaubensakt, kein Anfang der Reue, geschweige denn
die Erlangung der göttlichen Kindschaft und die Berechtigung
zur ewigen Anschaunng ist von nns selbst; Alles ist Gottes
Geschenk und zwar unverdientes Geschenk. Denn wir sind ja
nicht einmal vermögend aus uns selbst etwas zum Heile
Führendes zu denken, sondern das Vermögen ist aus Gott."
Wie die Rebe keine Frucht bringen kann, wenn sie
nicht am Weinstocke bleibt, so auch ihr uicht, wenn
ihr nicht in mir bleibet; denn ohne mich könnet ihr
nichts thun. So spricht die ewige Wahrheit." Der Hof-
färtige also, der auf seine Tugenden und guten Werke stolz
ist, macht gleichsam Jesus Christus zum Lügner, schreibt dessen

") I. curintli. IV. 7, — ") ll, conutli. III. 5, — ") ^unlw.


XV. 4 u«<1<1.
Der Pharisäer unb der Zöllner. ^49

Verdienste, da j^dc Gnade ein Verdienst Christi ist, sich selbst


zu und setzt sich so an die Stelle des Erlösers und an die
Stelle des heiligen Geistes, des Ausspenders aller Gnaden.
Und Gott soll den Hoffärtigen nicht verabscheuen?/
Aber, wird man einwenden, wir wirken ja doch mit der
göttlichen Gnade mit. Allerdings; aber könnten wir wohl
mitwirken, wenn uns nicht auch dazu die Kraft gegeben würde?
Und wenn wir mitwirken, thun wir dabei nicht einfach unsere
Pflicht und Schuldigkeit?/
Was also kannst du dein nennen? Jch will es dir sagen:
Wenn du betest, so sind die Zerstreuungen dabei deine Sache;
wenn du ein gutes Werk thuest, so ist die Eitelkeit dabei deine
Sache; kurz alle Unvollkommenheiten und Sünden, diese sind
ganz und gar deine Sache. Willst du etwa darauf stolz sein,
daß du mißfällig bist in Gottes Augen, daß du dir zeitliche
und ewige Strafen zuziehest? O! siehe, wie deine Hoffart
nahezu an Wahnsinn gränzt und wie furchtbar du wider Gott
nnd dich selbst frevelst, wenn du dem die Ehre entziehest, dem
allein alle Ehre gebührt./ >
Erkenne ferner, wie du dich durch deine Hoffart zugleich
des schändlichsten Undankes schuldig machest. Alles, was an dir
Gutes sich findet, ist Gotles Geschenk, ist seine Wohlthat. Wenn
wir auch Alles gelhan hätten, sagt der götlliche Heiland, wenn
wir die erstaunlichsten Werke vollbracht hätten, so müßten wir
doch immer sprechen:" Wir sind unnütze Knechte, wir
haben nur gethan, was wir zu thun schuldig waren.
Wenn wir also bei uns selbst stehen bleiben und Gott nicht
danken, so läugnen wir gleichsam seine Macht in uns, miß-
kennen seine Gnade und werden dadurch undankbar vor dem,
dem wir in Allem und für Alles Dank sagen müßten. Und
o wie sehr verabscheut Gott den Undauk! Die Hoffnung
des Undankbaren, sagt das Buch der Weisheit," wird

') I^«. XVII, 10. — ") 8nsi, XVI 29,


250 X, Somttag uoch Pfingslcn.

wie Winterreif zerschmelzen, und wie ein unnützes


Wasser zerfließen. ^
Aber es lassen sich noch stärkere Gründe angeben, warum
Gott die Hoffart so sehr haßt und verabscheut. Es gibt
keinen größeren Gegensatz als den zwischen Gott und dem
Teufel. Nun ist aber die Hoffart ein teuflisches Laster, ja sie
ist das Laster des Teufels selbst. Denn wodurch oder wie
hat denn der Teufel wider Gott gesündigt? Sei es, daß er
Gott die schuldige Ehre verweigert, oder daß er seine Vorzüge
sich selbst zugeschrieben, oder wider Gott sich aufgelehnt, oder
nach Gleichheit mit ihm gestrebt hat, jedenfalls war seine
Sünde Stolz oder Hoffart; denn der Anfang aller Sünde,
sagt der weise Sirach, '^ ist die Hoffart. Die Hoffart ist
also ganz das Laster des Teufels. Wenn nun zwischen Gott
nnd dem Teufel der größte Gegensatz besteht, wenn der Teufel
eben wegen seiner Hoffart aus einem Engel des Lichtes in den
Fürsten der Finsterniß verwandelt, in den Abgrund der Hölle
gezogen und ewiger Pein übergeben wnrde; wird dann Gott
nicht anch den Menschen verabscheuen, der des Teufels Ge
bahren nachahmt? O gewiß, antwortet der Apostel. Der
Hofsärtige geräth in das Gericht des Teufels, d. h. er macht
sich ebenso der Verdammung schuldig..
Die Hoffart geht ferner darauf aus, Gottes Werke zu
zerstören und zu vernichten. Denn wie sie den Engel zum
Teufel machte, so machte sie das Paradies zum Distelfeld und
Dornenacker, machte den Heiligen zum Sünder, den Frennd
zum Feinde Gottes. Dies sehen wir an unseren Stamm-
ältern. Was ließ ihnen denn die Frucht am Baume als gut
und lieblich erscheinen, was verleitete sie zum Ungehorsam?
Nichts anderes als die Hoffart. Die Schlange hatte ihnen
gesagt:'" Jhr werdet sein wie Götter, wissend Gutes
und B öse s. Jch will hier nicht weiter auf den Fall der

") Loci,, X, 15. - '") «on, III, 5,


Der Pharisäer uub der Zollner. 25 l

ersten Menschen eingehen und nichts sagen von den Folgen,


welche er für sie und für uns Alle nach sich zog; ich bleibe
bei dem einzigen Gedanken stehen, daß ihre Hoffart Gottes
schönstes Werk auf Erden, die Krone der Schöpfung zerstört
hat. Und Gott sollte deshalb gegen dieses Laster nicht am
meisten empört sein?/
Bemerket dabei, daß bei jedem Akte der Hoffart sich
Aehnliches wiederholt wie beim Sündenfalle; immer vernichtet
er Gottes Werk. Denken wir uns zum Beispiele einen Mild-
thätigen, der reiche Almosen gibt und viel Gutes stiftet. Das
Almosen ist ein gar kostbares Werk in Gottes Augen, es tilgt
die Sünden aus, ist eiu Dienst Gottes, bahnt den Weg zum
Himmel und zieht viele Gnaden herab. Doch da kommt die
Hoffart mit in's Spiel, der Wohlthätige gibt das Almofeu
nicht mehr zur Ehre Gottes, sondern sucht dabei seine eigene
Ehre, und siehe, das herrliche Werk ist zerstört, alles Verdienst
ist dahin, er hat kein Recht mehr auf himmlische Vergeltung;
er hat seinen Lohn schon empfangen, wie der Herr sagt."
Oder denken wir uns eine Seele, die beflissen war, auch mit
ihrem Leibe Gott zu ehren, die keusch und makellos lebte;
doch die Hoffart schleicht sich ein, sie wird stolz auf ihre
Reinheit, sie will deshalb geehrt werden, sie thnt sich etwas
darauf zu gut. Sieh da, wie des Teufels Laster ihr allen
Werth vor Gott raubt, und wie dann gar oft die hoffärtige
Person von Gott gedemüthigt wird./
Ebenso geht es mit jeder anderen Tugend. „Glaube mir,
schreibt deshalb der heilige Bernhard,^ alle deine Nacht
wachen, alle deine Gebete, Fasten, Almosen und sonstigen
guten Werke werden vor Gott für nichts erachtet, wenn sie
mit Hoffart enden." Darum vergleicht der heilige Augustin
solche Werke mit dem Rauche. " Der Rauch steigt empor und

") zl»ttli, VI. 3^ — ") 8eru,, 37. clß my6, bene viv. — ") In.
I'snln, XXXVl. ,
2'il? X. somitcig uach Pfingsien.

breitet sich wolkenartig aus; doch je weiter er sich ausbreitet,


desto mehr verschwindet er. Der Heilige hat dieses Bild
wohl den Psalmen entlehnt, da es in denselben von den
Feinden Gottes, zu denen auch die Hoffärtigen gehören, heißt:'"
Sie zerstieben schnell, wenu sie geehrt und gefeiert
sind, wie Rauch zerstieben sie. Ein Gräuel also ist in
Gottes Angen der Hoffärtige, weil er Gottes Werke, seine
Gulldenwiriungen, sein ganzes Tugendgebäude zerstört und zu
nichte macht./
Einen weiteren Grund gibt der weise Sirach an, wenn
er sagt:" Der Anfang der Hoffart des Menschen ist
ein Abfall von Gott, wenn sein Herz von seinem
Schöpfer weicht. Der Abfall von Gott hat jeder Zeit die
schrecklichsten Folgen nach sich gezogen, und deswegen fährt
der Siracide fort: Darum, nämlich wegen der Hoffart,
entehrte der Herr die Versammlungen der Bösen
und richtete sie gänzlich zu Grund, darum stürzte er
die Throne stolzer Fürsten und setzte milde Herrscher
au ihre Stelle; darum rottete er stolze Völker aus
bis auf die Wurzel uud pflanzte statt ihrer demü-
thige aus den Heiden.,
Was hier der Weise nur in allgemeinen Zügen andeutet,
das lehrt uns die Schrift handgreiflich in einzelnen Bei
spielen. Erinnern wir uns an den König Antiochns. So
weit war er in seinem Hochmuthe gegangen, daß er sich ein
bildete, er könne den Fluthen des Meeres gebieten, die Berge
in der Wage abwägen und an die Gestirne des Himmels
reichen. O wie furchtbar hat ihu Gott gezüchtigt! Würmer
krochen aus seinem Leibe, das Fleisch fiel in Stücken von ihm
ab und Niemand konnte es in seiner Nähe vor unerträglichem
Gestanke aushalten. Da kam er wohl selbst zur Einsicht und
sprach:°° Billig ist's, sich Gott zu unterwerfen, und
") ruuIm. XXXVI. 20. — ") ücoli. X. 14 ueqq, — ") II. zllien.
IX ,2.
Der Phorlfter und der Zöllner. 353

als Sterblicher sich nicht Gott gleich zu dünken.


Weil er von Gott abfiel und sich selbst vergötterte, darum ist
er erniedrigt worden./
Wie ist ferner Nabuchodonosor ob seiner Hoffart gestraft
worden! Gott beraubte ihn zeitweilig des Verstandes, er
wurde ausgestoßen von den Menschen, mußte unter den Thieren
im Freien leben und mit Gras sich nähren, bis er endlich
Gott die Ehre gab und sprach:" Jch preise den König
des Himmels, weil alle seine Thaten Wahrheit sind
und seine Wege Recht; und welche in Hochmuth wan-
deln, die vermag er zu erniedrigen. Jch übergehe
einen Abimelech, eineu Rabak, einen Absalom, einen Sennache-
rib, und crinuere nur noch an Herodes Agrippa, einen Enkel
des Kindermörders, denselben, der den Petrus eingekerkert und
den Jakobus getödtet hatte. Cine Gesandtschaft von Turus
und Sidon war zu ihm gekommen, um Friedensunterhand
lungen anzuknüpfen. Mit königlichem Gewande angcthan
bestieg er den Thron und hielt eine Rede an das jüdische
Volk. Dieses rief ihm, nachdem er geendet, schmeichelnd
zu:^ Eines Gottes Stimme ist das und nicht eines
Menschen; und er nahm beifällig diese Aeußerung auf.
Doch welches war die Folge seiner Hoffart? Zur Stelle,
erzählt die Apostelgeschichte,^ schlug ihn ein Engel des
Herrn dafür, daß er nicht Gott die Ehre gegeben,
und von Würmeu zerfressen, verschied er. Es traf ihn
also zur Strafe für seinen Hochmuth dieselbe Züchtigung, die
über den König Antiochus Epiphanes ob gleichen Frevels ge
kommen war. Nicht durch das Schwert sollten diese Hoffärtigen
umkommen, nicht von Löwen sollten sie zerrissen werden, Würmer
mußten sie zerfressen, weil sie, die doch nur Erdenwürmer im
Vergleiche mit Gott sind, Gottes Rechte sich anmasseu wollten./
Es wird also gewiß klar sein, warum dieses Laster ein

I)!.». IV. A4. - ") ä«t. Xll, 22. — ''), l!.«1. v> 23.
25 l X. Sonntag noch Pfingsten.

solch furchtbarer Gräuel vor Golt ist; es beansprucht die


Ehre, die Gott allein gebührt, es ist des Teufels eigenstes
Laster, es zerstört Gottes herrlichste Werke und führt zum Ab
falle von Gott. Doch wir haben noch nicht alle Gründe er
schöpft. Es erübrigen uns noch zwei andere Ursachen, aus
welchen wir schließen können, warum Gott die Hoffart fo sehr
verabscheuen muß. Jch will dieselben noch kurz angeben./

Die Hoffart ist an sich schon eine große Sünde, sie ist
aber zugleich auch der Anfang und die Ursache einer jeden
anderen Sünde, die der Mensch begeht. Wenn daher Gott
jede Sünde haßt, um wie viel mehr muß er die Hoffart hassen,
da sie das Grundübel ist, aus welchem alle einzelnen Uebel
entspringen?/
Auf zweifache Weise kann nach der Lehre des heiligen
Bonaventura die Hoffart als Ursache und Anfang jeder
Sünde betrachtet werden. °" Erstlich insofern die Hoffart die
allererste Sünde war, die im Himmel von den Engeln und
im Paradiese von den Stammättern begangen wurde, und vor
der es gar keine andere Sünde gab; zweitens insofern, als
sie die bestimmende Ursache zu jeder nachher begangenen
Sünde ist. Denn was ist die Sünde anderes als eine Ver
achtung Gottes und eine Hintansetzung seines Willens; und
was ist diese Verachtung und Hintansetzung anderes, als eine
Hoffart? So also fließt die Hoffart in jcde einzelne Sünde
ein und wird deren eigentliche Ursache. Ohne Hoffart gäbe
es keine Teufel, ohne Hoffart keine Erbsünde, ohne Hoffart
keine persönliche Sünde. Aus der Hoffart, schreibt der heilige
August in," entspringen Ketzereien, Spaltungen, Verleumdung,
Neid, Zorn, Streitigkeiten, Geringschätzung, Anmassung, Lüge,

l) coinpeixl ttieul. vei,it. — ") 'lau,. IV. <le uu!, <loenm, nnp 19.
Ter Pbanjäer und dcr Zöllner. 35!5i

Heuchelei, Eitelkeit, Meineid, kurz alle einzelnen Sündenartcn,


die aufzuzählen allzu weit führen würde./
Dies ist an sich so einleuchtend, daß es eines näheren
Beweises gar nicht bedarf. Oder hätte es je einen Arianis-
mus gegeben ohne den Stolz des Arius? Hätte je ein Pro,
tefiantismus entstehen können ohne die hoffärtige Einbildung,
weiser zu sein und den Glauben besser zu verstehen als alle
Märtyrer, alle Bischöfe, Kirchenväter, Päpste und Gläubigen,
kurz die gesammte Kirche? Wäre je ein griechisches Schisma
entstanden ohne den Hochmuth eines Photius, eines Michael
Cärularius und eines Markus von Ephesns? Würden je
blutige Kriege in der Welt geführt worden fein, wenn nicht
Einzelne sich übermüthig über Andere erhoben hätten? Und
wenn wir ein Nischen in uns selbst hineinblicken, saget es auf'
richtig, würden wir nicht frei sein von aller Eitelkeit, von allen
Feindschaften, von allem Neid und Geiz und von so vielen
anderen Fehlern, wenn wir weniger hoffärtig und mehr de>
müthig wären? Der Anfang aller Sünde ist also die Hoffart.
Gerade deswegen aber, weil sie eine Sünde und die Urheberin
aller Sünden ist, wird sie von Gott so ganz besonders, mehr
als jedes andere Uebel, gehaßt und verabscheut./
Besonders verabscheunngswürdig und gräulich aber er
scheint die Hoffart im Christeuthum. Der oberste Grundsatz
im Erdenleben Jesu, der Zweck seiner ganzen Wirksamkeit
war die Verherrlichung seines himmlischen Vaters: Jch suche
nicht meine Ehre, spricht er.^ Ja er geht so weit zu be-
haupten:°" Wenn ich mich selber ehre, so ist meine Ehre
nichts. So denkt, so redet und handelt jener, der seiner
göttlichen Natur nach dem Vater wesensgleich ist; der Alles
thun kann, was der Vater thut; der Alles sein nennt, was
der Vater hat; der das Leben ebenso in sich selbst hat, wie es
der Vater in sich selbst hat; der ebenso Tode auferweckt und
__ ^_ -' - ,,'.., '.'^ l.' !, .. . -,' ^,., '

") 5(i!»nn. VlII, 50, ^ ", «IM, V 5 t,


256 X. Sonntag nach Pfiugs!cn.

lebendig macht, wie der Vater. Wie soll darum der Christ
deuten, reden und handeln? Muß nicht sein oberster Grundsatz
ebenfalls sein: „Alles zur größeren Ehre Gottes." Wenn
er daher anders denkt und redet und handelt, wenn er sich
selbst die Ehre gibt, ist er dann ein wahrer Christ? Sieh also,
wie die Hoffart im schärfsten Gegensatz zum Christenthume steht./
Dies wird uns noch deutlicher, wenn wir einzelne Mo
mente aus dem Leben Jesu hervorheben. Wenn er in diese
Welt kam, wenn er in einem Stalle geboren wurde nud
dreißig Jahre in der Werkstätte arbeitete, wenn er Verleumd
ungen und Verfolgungen ertrug, wenn er endlich »n einem
Kreuze starb; fo ist jeder dieser Momente eine thatsächliche Predigt
gegen die Hoffart. Wenn er nicht eine stolze Königin sondern eine
demüthige Magd zur Mutter sich erkor, wenn er einem armen
Zimmermann Gehorsam leistete, wenn er von Johannes sich
taufen ließ, wenn er mit Zöllnern und Sl'mdern umging, wenn
er feinen Jüngern die Füße wusch; so ist jeder dieser Akle
der Erniedrigung zugleich eine Verwerfung des entgegenge
setzten Lasters. Wenn er oftmals den wnnderbar Geheilten
verbot, das Geschehene weiter zu verbreiten, wenn er sich
zurückzog, als man ihn in der Wüste zum Könige machen
wollte, weun er den Zeugen der Verklärung auf Tabor unter
sagte, davon vor seiner Auferstehung zu reden, lehrt er damit
nicht ebenso oft, daß man alle Hoffart fliehen müsse? Wenn
er schließlich nicht einmal sondern mehrmal erklärte, daß Gott
den Hoffärtigen widerstehe, wenn er Alle aufforderte, den
Kindern gleich zu werden, wenn er sagte, der Größte müsse
wie der Kleinste werden und der Vorsteher wie der Diener,
wenn er nicht will, daß man sich auf die ersten Plätze setze,
wenn er endlich so recht die Demnth als die Tugend seines
Herzens bezeichnet und uns auffordeit, sie von ihm zu lernen,
— will er mit all dem nicht ausdrücken, daß Hoffärtige seine
Nachfolger nicht sein können, daß Christenthnm und Hosfart
mit einander sich nicht vereinbaren lassen? Weun schon ein
Der Pharisäer und der Zi5lli«r. 257

hoffähiger Pharisäer, ein hoffärtiger Jude, ein hoffärtiger


Heide in Gottes Augen ein Gräuel sind, um wie viel mehr
wird ein hoffärtiger Christ ein Gegenstand des Abscheues für
ihn sein! Paßt für ein demülhiges Haupt ein stolzes Glied,
für einen Erlöser in Niedrigkeit ein Erlöster in Hoffart, für
einen guten Hirten ein übermüthiges Schäflein? O schäme
dich, sagt deshalb der heilige August in,'" schäme dich, o
Mensch, stolz zu sein, da für dich Gott demüthig geworden
ist. Die HimmelSpforte ist klein, und deshalb können keine
Hochmüthigeu durch sie eingehen, sondern nur Demüthige.j
Darum, verehrte Zuhörer, nachdem wir erkannt haben,
warum und wie sehr die Hoffart uns Gott mißfällig macht,
wie sie uns unseres christlichen Charakters entkleidet und' uns
zu allen Sünden verführt und so dem Verderben preisgibt,
laßt uns dieses Laster, das so tief in uns eingewurzelt ist,
mit allem Eifer bekämpfen und nach der entgegengesetzten
Tugend mit allen Kräften ringen. Denn wer sich selbst
erniedrigt, der wird erhöht werden.^
Erniedrigen wir uns vor Gott, geben wir nicht uns
sondern ihm allein die Ehre. Erniedrigen wir uns vor unseren
Mitmenschen, denn Manche, die wir für unvollkommen halten,
besitzen oft verborgene Tugenden, die sie werthvoll machen
vor Gott; Manche, die wir für schlecht halten, können besser
werden, als wir sind, wie ja auch aus einem Saulus ein
Paulus geworden ist. Haben wir jeder Zeit eine geringe
Meinung von uns selbst, denn den Demüthigen gibt Gott
seine Gnade. Gelingt es uns, und mit Gottes Gnade ist
ja Alles möglich, gelingt es uns, unsere Selbstüberschätzung
und Selbstüberhebung, unsere Hoffart zu besiegen, dann ist
die Ursache und Quelle aller Sünden beseitigt, und dann
werden wir leicht Fortschritte machen in jeder Tugend.^
Der vorhingeuannte Kirchenvater macht uns dieses durch

'-) ln ?u!!!n,. XVlll.


Lierhnmer, Par^l,cl,i u, Wmider. 1 7
258 X. Eoimtag n. Pfingsten. Ter Pharisäer u. der Zöllner.

einen Vergleich klar. Wenn ein Arzt, sagt er/' bloß äußer
lich ein Uebel zu heben sucht und nicht auch die Ursache des
selben entfernt, so wird die Heilung nicht erfolgreich sein.
Jemand ist zum Beispiele voll schlechter Säfte, welche Haut
krankheiten und Geschwüre erzeugen. Wenn der Arzt bloß
das Geschwür beseitigt und nicht gleichzeitig auch auf Entfern
ung der schlechten Säfte hinwirkt, so wird nach kurzer Zeit
das Geschwür wieder hervorbrechen. Da er nun dieses weiß,
so tritt er auch der Ursache entgegen und stellt dadurch die
volle Genesung her. Gerade so, sagt der Heilige, verhält es
sich auch mit den Krankheiten der Seele, mit den Sünden.
Entferne die Ursache, und du hast die Sünde entfernt; heile
die Hoffart, und du hast jegliches Uebel gehoben/
Der erste Schritt zu Gott ist die Erkeuntniß, daß wir
Sünder und daß wir aus uns selbst arm sind und nichts
vermögen; der erste Schritt zum Verderben ist die Selbstrccht-
fertigung, die Einbildung und hohe Meinung von unserer
Tugend. Ter Zöllner senkt den Blick zu Boden, er schlägt
an seine Brust und spricht: Gott! fei mir Sünder gnädig.
Der Pharisäer blickt stolz um sich, denkt gering vou Anderen
und rühmt sich seiner Tugenden. Der Pharisäer geht ver
loren, der Zöllner wird gerettet. Wessen Loos wollen wir
theilen? Wohl nicht das des Pharisäers sondern das des
Zöllners. Aber dann entsagen wir auch gründlich ein für
allemal aller Hoffart und folgen wir dem Beispiele des de-
müthigen und reuigen Zöllners. Dann wird auch an uns
das Schlußwort des heutigen Evangeliums wahr werden:
Wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.
Amen,x

') l'rnet, 25, in ^ounn.


XVI.

Zie Heilung des Haubjtummen.


(XI. Sonntag nach Pfingsten.)
Zic führten einen Taubstummeu zu ihm. Illaro, VII, 32.

^ <^/ie Geschichte von der Heilung des Taubstummen, welche


im heutigen Evangelium erzählt wird, ist wohl so klar und
deutlich, daß sie einer näheren Erklärung nicht bedarf. Allein
der Heiland hatte bei allen Wundern, die er wirkte, außer
der leiblichen Wohlthat, die er den Unglücklichen erwies, stets
auch einen höheren übernatürlichen Zweck im Auge. „Unser
Herr und Erlöser, sagt der heilige Gregor der Große,'
ermahnt uns bald mit Worten, bald durch Thaten; denn auch
seine Handlungen sind Vorschriften, weil er uns durch das,
was er stillschweigend thnt, zu verstehen gibt, was wir thun
müssen." Dies ist nun auch bei dem ebengeleseueu Evange
lium der Fall. Der Taubstumme ist das Bild aller geistig
Taubeu und Stummen; daher muß auch dessen Heilung auf
höhere übernatürliche Wirkungen Gottes in der Seele bezogen
werden, um so mehr als das geistige Taub- und Stummseiu
ungleich gefährlicher ist und weit mehr einer Heilung bedarf
als das leibliche./

') IIum. XVII in KvnnF.


2C)0 XI. Sonntag nach Pfingsten.

Daher wird es das Beste sein, wenn wir alle Einzeln-


heilen, die bei diesem Wnnder erwähnt werden, nacheinander
dnrchgehen und nach deren tieferem Sinn forschen. Doch
zuvor müssen wir wissen, worin das geistige Taub- und
. Stummsein besteht, das geheilt werden muß.
Wer also ist zunächst geistiger Weise taub? Geistig taub
sind diejenigen, welche all dem, was sich auf ihr Seelenheil be-
zieht, freiwillig das Ohr verschließen, welche also die Wahrheiten
des Glaubens nicht hören und nicht verstehen wollen, das
Wort Gottes und die Gebote der Kirche nicht beachten, den
göttlichen Einsprechungen ihr Herz verschließen, die guten
Unterweisungen und Vorstellungen ihrer Vorgesetzten und an
derer wohlmeinender Menschen verachten, die Stimme des
Gewissens, die sie ermahnt, auf einen besseren Weg zurückzu
kehren, unterdrücken, die selbst bei den Drohungen und Züch
tigungen Gottes nicht in sich gehen, mit einem Worte jene,
welche, wie der Apostel im zweiten Briefe an Timotheus
sagt,^ die gesunde Lehre uicht ertragen, von der Wahr
heit das Ohr hinweg und eitlen Märchen zuwenden.
Die Zahl solcher geistig Tauben ist leider heutigen Tages nicht
klein. Sagen wir nichts von den Tausenden, welche noch in
der Finsterniß des Heioenthums und des Unglaubens sitzen
und die Kunde des Heiles gar nicht vernommen haben; sagen
wir nichts von den vielen Jrrgläubigen, die nur der Ketzerei
ihr Ohr leihen; wir haben schon in der katholischen Kirche
laue und schlechte Christen genug. Vergeblich ermahnt diese
geistig Tauben der Prediger auf der Kanzel, vergeblich der
Priester im Beichtstuhle, vergeblich das eigene Gewissen, ver
geblich die Angehörigen und Freunde; ihre Ohren sind ver
schlossen für alles Gute, verschlossen für Alles, was ihnen
zum ewigen Heile förderlich wäre. Geistig taub sind also alle

') II. I'^mull,. IV. 3, 4.


Die Heilung de« Taubstummen. ^6l

jene, welche nur das hören, was ihrer Seele Schaden bringt,
dem aber, was zu ihrer Rettung dient, das Ohr verschließen.
Und wer gehört denn zu den geistig Stummen? Geistig
stumm ist, wer nie seiueu Mund öffnet, um zu beten, wer
Gott für empfangene Wohlthaten nicht dankt, ihm nicht die
Ehre gibt, nicht um fernere Gnaden bittet: stumm ist, wer
die ungerecht verfolgte Unschuld nicht vertheidigt, wer Fehlende,
obwohl verpflichtet, nicht zurechtweist; wer, wo er durch sein
Wort das Böse verhindern könnte, aus Meuscheufurcht und
Feigheit stillschweigt. Geistig stumm ist ferner jener, der
seine Sünden im Beichtstuhle verschweigt, die Wunden des
Herzens, die bösen Gelegenheiten dem Arzte der Seele nicht
entdeckt und Gott nicht um Erbarmung und Verzeihung an
rufen will. Geistig stumm, obschon sie reden, sind auch jene,
welche ihre Zunge bloß zum Lästern, Fluchen, Zanken, zu un>
züchtigen Reden und Gesängen gebrauchen; denn obwohl sie
den Mund körperlich öffnen, ist er doch stumm, ja schlechter
als stumm vor Gott. Kurz, geistig stumm sind Alle, welche
iu der Regel reden, wo sie schweigen, und immer schweigen,
wo sie zu ihrem Besten reden sollten.
Alle diese geistig Tauben und Stummen nun haben ihr
Vorbild im Taubstummen des heutigen Evangeliums. Sehen
wi/ nun, welcher Art die Mittel sind, nm diese geistige Gehör-
und Sprachlosigkeit zu heilen. Sie sind in dem angedeutet,
was der Herr mit dem Taubstummen vornahm, und ver
dienen darum eine eingehendere Erwägung. Doch zuvor
wollen wir noch das Beispiel jenes Volkes nachahmen und
zu Jesus recht innig um unsere eigene Heilung flehen,, um
die Oeffuung unseres Geistes für die Wahrheit und unseres
Herzens für den Vorfatz, der Wahrheit entsprechend zu leben.
Bitten wir daher wie immer: Deine Gnade, o Jesus! fei
mit unS./
262 XI. Sonntag nach Pfingsten.

Die Mittel zur Heilung des geistigen Taub- und Stumm-


seins sind dieselben, welche der Herr bei dem leiblich Taub
stummen anwendete. Das Erste, was mit diesem geschah,
war, daß er von seinen Angehörigen zu Jesus geführt wird,
und daß diese bei dem Herrn fürbitten, er mochte demselben
seine Hand auflegen und ihn herstelleu. Hat diese Fürbitte
nicht sogleich geneigtes Gehör bei Jesus gefunden? Habt ihr,
verehrte Zuhörer, vielleicht nicht selber schon öfters die Macht
und die Wirkungen einer solchen Fürbitte erprobt? Wenn
z. B. euer Sohn oder eure Tochter sich auf Abwege verirrt
hatten, wenn eure Ermahnungen und Zureden, eure Ver»
sprechen und Drohungen erfolglos blieben, oftmals sogar mit
bösen Worten, mit Hohn und Verachtung gelohnt wurden, zu
wem, ihr Väter und Mütter, habt ihr eure Zuflucht ge
nommen, wo Trost und Hilfe gesucht? Nicht wahr, ihr habt
den geistig Taubstummen zu Jesus gebracht, habt vor ihm
euren Kummer ausgeschüttet und ihn um Abhilfe angerufen?
Und der erbarmende Gott hat euch nicht ungetröstet von sich
ziehen lassen./
Denn das Gebet für Sünder und Jrrende ist das wohl
gefälligste vor Gottes Thron. Da wir wissen, schreibt der
heilige Johannes," daß er unsere Bitten höret, so sind
wir auch gewiß, daß wir das von ihm Erbetene ir-
langen werden. Wenn Jemand weiß, daß sein Bru
der eine Sünde begeht, die keine Sünde zum Tode
ist d. h. keine solche, welche wegen Unbußfertigkeit unverzeih
lich wäre, so bete er, und es wird ihm das Leben er-,
halten. Für die Sünder hat Jesus selbst gebetet, um der
Sünder willen ist er Mensch geworden und am Kreuze ge
storben. Wir üben also wahrhaft das Amt Jesu Christi
aus, wenn auch wir für Sünder und Jrrende flehen.^
Thun wir daher recht oft und fleißig, was jenes Volk

') I. 5'!MN V. 15, !6.


Die Heilung de« Taubstummen. 263

für den Taubstummen that, beten wir für Alle, welche ihr
inneres Ohr vor Gott verschlossen halten, für die Feinde des
Glaubens und der Kirche und für die Feinde des heiligen
Vaters. Unsere Waffen sind stärker als die ihrigen, die nur
ans Betrug, Ungerechtigkeit und Gewaltthat sich stützen; unsere
Waffen sind Gottes Naffen, die den Sieg über die Höllen-
pforten davontragen, über den Widersacher, der so viele See
len in seinen Fallstricken gefangen hält. Thun wir, was jenes
Volk that, für alle Sünder, auf daß sie Herz und Mund
öffnen, ihre Sünden bekennen und wieder Gottes Lob ver
künden, daß der böse Feind, der ihr Ohr und ihren Mund,
verschließt, von ihnen weiche und sie wieder die Freiheit der
Kinder Gottes erlangen.
Doch was that Jesus selbst auf jene Bitte hin, und was
thut er fortwährend geistig au denen, die der Seele nach taub
und stumm sind? Er führte den Taubstummen abseits, steckte
seinen Finger in dessen Ohren, spie aus nnd berührte die
Zunge desselben, sah dann auf gegen den Himmel, seufzte
und sprach zu ihm: Epheta, d. h. eröffne dich. Und seine
Ohren öffneten sich sogleich, das Band seiner Zunge war ge
löst und er redete recht./
Aber hätte denn Christus nicht auch durch ein einziges
Wort den Taubstummen retten können? O gewiß, er ver
mochte dieses, wie er es häufig bei anderen Wundern that.
Allein er wendete hier alle jene Mittel und äußeren Ge
bräuche an, um uns vor Allem zu zeigen, wie schwer es sei,
taubstumme Seelen zu heilen, nicht schwer von seiner Seite,
sondern schwer von ihrer Seite, weil sie der Wahrheit nicht
gern und schnell folgen wollen. Er wendete sie ferner an, um
damit anzudeuteu, wie er auch seine sakramentalen Gnaden
an sichtbare Zeichen knüpfen werde. Er wendete sie endlich
an, um uns zu belehren, daß wir die äußeren Gebräuche,
welche die Kirche bei gottesdienstlichen Verrichtungen, bei der
Ausspendnng der Sakramente, beim heiligen Meßopfer, und
264 XI. Gmintag uach Pfingsten.
bei den Sakramcntalien anwendet, nicht geringschätzen dürfen,
zumal dieselben eine tiefe religiöse Bedeutung haben.
Worin aber bestanden in unserem gegenwärtigen Falle
die äußeren Zeichen und Mittel, welche die inneren Wirkungen
hervorbrachten? Das Erste, was Jesus mit dem Taub
stummen lhat, war, daß er ihn abseits von der Menge führte.
Was hat wohl das zu bedeuten? Damit will er sagen, daß
der Sünder, den die göttliche Gnade ruft, sich gleichfalls vom
großen Haufen absondern, sich von der Welt und von den
Gelegenheiten zum Bösen zurückziehen und an einen stillen
und einsamen Ort begeben muß, um dort über seinen trau
rigen Zustand nachzudenken. Denn gewöhnlich spricht der
Herr nicht im Gewirre der Welt, mitten unter zeitlichen Ge
schäften und Zerstreuungen zur Seele, weil da seine Stimme
meistens überhört wird, sondern er will allein mit ihr sein,
damit sie dem irdischen Getöse entzogen leichter seine Ein
gebung vernehme. Jch will sie, sagt er durch den Pro
pheten/ in die Einsamkeit führen und da zu ihrem
Herzen sprechen./
Eine solche Einsamkeit ist aber auch schon das eigene
Herz, sobald es sich einmal seines traurigen Sündenlcbeus
bewußt wird; denn da fühlt es alsdann so recht seine Ver
lassenheit von Gott, fühlt die ganze Oede des Jrdischen und
Vergänglichen, fühlt seine Taubheit, die Blindheit seines Ver
standes und die Verkehrtheit seines Willens. Jst dieses Ge
fühl einmal in deiner Seele erwacht, mein Christ, dann hat
dich Jesus bereits abseits geführt. O! widerstehe dann dem
Zuge seiner Gnade nicht länger, laß ihn weiter au dir han
deln und folge, wohin er dich ruft.
Aber auch die Guten und Gerechten führt Gott zuweilen
abseits, um sie noch iuiiiger an sich zu fesseln. Der Heiland
selbst hat die Einsamkeit geliebt; gar oft zog er sich zurück

<) 0u. n, lt.


Die Heilung de« Taubstummen. 265

auf einen Berg, um ganz allein mit seinem himmlischen


Pater zu verkehren. Was mag wohl in solchen Stunden in
seinem göttlichen Herzen Alles vor sich gegangen sein? Der
jenige kann es einigermassen ahnen, der zuweilen nach dem
Porbilde seines göttlichen Meisters die Einsamkeit sucht.
Wenn er zum Beispiele so ganz allein und unbeachtet in einer
Kirche oder Kapelle betete, oder zu Hause in seine Kammer
eingeschlossen in Gottes Gegenwart recht lebendig sich ver
setzte, o wie hat er sich da innerlich gehoben gefühlt und ist
mit Wonne überströmt worden; wie vernehmlich ließ sich da
die Stimme des Herrn in seiner Seele hören, wie schlug sie
alle Saiten derselben an und entlockte ihnen süße Harmonien
neuer Vorsätze, neuer Hingebung und Weihe des Lebens für
das höchste Gut; wie trauk er da mit vollen Zügen heilige
Tröstungen und schöpfte ans den Quellen des Erlösers mit
Freuden Wasser, ^ die in's ewige Leben fließen! Darum sagt
die Nachfolge Christi:" „Schließ hinter dir deine Thüre
und rufe Jesum, deinen Geliebten zu dir; bleib mit ihm in
der Kammer, denn du wirst nirgends solchen Frieden finden."
Wie also der Heiland die sündige Seele zuerst abseits führte,
damit sie den verlornen Weg zum Himmel wieder finde, fo
führt er auch die vollkommene oft in die Einsamkeit, um ihr
da den Himmel zu öffnen und sie einen Vorgeschmack der
ewigen Freuden kosten zu lassen.>
Das Zweite, was Jesus bei dem Taubstummen that,
war, daß er seufzte. O wie groß muß das Elend der Seele
sein, die taubstumm ist, da sie Gott zum Seufzen bringt! Und
du. Unglücklicher, feufzest nicht über dich selbst, wenn du den
Herrn deinetwegen seufzen hörest? Oder hast du solche Seuf
zer niemals vernommen? Wenn deine Aeltern über deinen
Ungehorsam klagten nnd über deine Verblendung jammerten,
sieh, das waren Seufzer des Herrn; wenn deine Vorgesetzten,

') Iu, Xil 3 — ') l.!d, I, c-'p, 20,


266 XI. Lemtta>, „ach Pfingsten.

deine Seelsorger dir Vorstellungen machten und dich zurecht


wiesen, es waren Seufzer des Herrn. Wenn dein eigenes
Gewissen klagend gegen dich auftrat, wenn es deine Gedanken
und Absichten tadelte, deine Reden und Handlungen ver-
dammte, es war Gottes Stimme, es waren Seufzer des
Herrn. Und sie haben dich nicht gerührt? O bedenke doch,
daß du, wenn du darauf nicht hörest, dafür einst das Heulen
und Zähneknirschen der Verworfenen hören mußt. Geh also
in dich und bete mit der Kirche in ihrem I)ic8 irue: „Bang
erseufz' ich schuldbefangen, Reue röthet meine Wangen, laß
mich Flehenden Gnad' erlangen."
Ganz anderer Natur sind die Seufzer Jesu im Herzen
seiner treuen Seelen, die das Hohelied mit der Taube iu
Felsenritzen vergleicht/ die nicht singt, sondern klaget und
seufzet, weil der heilige Geist, von welchem sie geleitet werden,
in ihnen fleht mit unaussprechlichen Seufzern, d. h. das Ver
langen nach himmlischen Dingen immer stärker entzündet und
sie zu stets höher steigender Einigung mit Gott hinführt.
Jch müßte hier, wollte ich darauf näher eingehen, alle die
Seufzer der Patriarchen, der Propheten und der Gerechten
der Vorzeit erwähnen, die mit innigster Sehnsucht riefen: ^
Komm, o Herr, zögere nicht; thauet ihr Himmel aus
der Höhe und ihr Wolken regnet den Gerechten,
aufthue sich die Erde und lasse hervorsprossen den
Heiland; ich müßte dann, zum neuen Aunde übergehend,
mit Stephanus beginnen, und die Reihen der Apostel, der
Martyrer, Bekenner und Jungfrauen, kurz aller frommen
und heiligen Seelen durchgehen, die alle seufzten und dürsteten
nach Gott. Anders also verhält es sich mit dem Seufzen
des reuigen Sünders und anders mit dem Seufzen des Ge
rechten; doch führen beide zu Einem Ziele, dorthin, wohin
Jesus seufzend blickte, zum Himmel.

') Ci,M, II. 14. - ') lu XI.V. ?; ff, II-»',. II, 3.


Die Heilung dc« Taubsiummeu. 26?

Warum erhob denn Jesus die Augen zum Himmel?


Wohl vor Allem, um seinem himmlischen Vater die Ehre zn
geben, von dem er wußte, daß er ihn allzeit erhöre; dann
aber auch um anzuzeigen, woher die Hilfe komme in Leiden
und Trübsalen, nämlich nicht von der Welt sondern vom
Himmel. Seht anch hier wieder, verehrte Zuhörer, den Un
terschied zwischen Gerechten und Sündern. Prüft der Herr
seine Auserwählten, so geschieht es, um sie noch mehr himmel
wärts zu ziehen, und darum macheu sie es in Drangsalen
wie David, als er sprach:" Jch erhob meine Augen zu
den Bergen, woher mir Hilfe kommen wird, meine
Hilfe ist vom Herrn, der Him uel und Erde erschaf
fen; er läßt nicht straucheln deinen Fuß, und es
schläft nicht, der dich beschützt..
Nicht so macht es gewöhnlich der Sünder, wenn sein
rächendes Gewissen ihn peinigt, er wendet sich häufig zuerst
zur Erde, ehe er einmal an den Himmel denkt. Er gibt sich
zeillichen Vergnügungen und Zerstreunngen hin, um im Tau
mel der irdischen Freuden gleichsam Gott zum Schweigen zu
bringen. Doch die Genüsse der Welt betäuben nur für den
Augenblick und vermehren hintennach die Qual, indem sie
ihm sagen: Wir können dein Uebel nicht heilen. Da wendet
er sich zu schlechten Kameraden, zu glaubenslosen Menschen,
ob sie etwa ihn beruhigen könneu; doch sie schüren nur die
Hölleugluth im Herzen, und wie Hohn klingt es, wenn sie
sagen: Kümmere dich nicht nm dein Gewissen; denn je mehr
er es unterdrücken will, desto lauter wird es ihu anklagen.
Da macht er sich an die Arbeit und sucht sich vielseitig und
angestrengt zu beschäftigen, um etwa unter den Geschäften
auf seine Sünden zu vergessen; aber auch die Arbeit sagt ihm
zuletzt: Jch kaun dir nicht helfen — nicht von der Erde, nur
vom Himmel kannst du das einzige Heilmittel erwarten;

') p,i'!m, cxx. l «e^.


268 XI, Sonntag nach Pfingsten.

Dorthin also richte dein Auge, dorthin dein Seufzen und


Flehen, und alsbald wirst du den Finger Gottes in deinen
Ohren verspüren wie der Taubstumme.
Nachdem nämlich Jesus geseufzt, den Blick zum Himmel
erhoben und gebetet hatte, legte er seine Finger in die Ohren
des Taubstummen und öffnete dessen Gehörssinu, damit durch
diesen die Wahrheit und mit ihr die Gnade in ihn eindringen
könnte. Er wollte also damit zu verstehen geben, daß Gott
nur dann nns erhört, nur dann dem Sünder seine Gnade
wieder schenkt, wenn dieser seine Fehler unter Seufzern bewein»,
das thränenvolle Auge zum Himmel richtet und um Erbarm
ung ruft. Er legte ihm, sagt die Schrift, die Finger in
die Ohren, d. h. er theilte ihm die Gnade des heiligen
Geistes mit, der der Finger der Rechten des Vaters genannt
wird; nnd diese Gnade läßt ihn die Wahrheit des Heiles er
kennen und macht ihn willig und folgsam gegen den göttlichen
Willen; diese Gnade verscheucht den unreinen Geist und ge
winnt die Seele wiederum für Gott, weshalb Christus sagt,'"
er treibe die Teufel durch den Finger Gottes aus.
Dieser Finger Gottes wirkt auf mannigfache Art und
berührt uns auf die verschiedenste Weise. Wenn Gott zum
Beispiel zeitliches Unglück über uns hereinbrechen läßt, so ist
das sein Finger, der zur Buße ruft. Wenn er ein theurcs
Glied durch den Tod von deiner Seite reißt, so ist das nicht
immer eine Prüfung des Guten, sondern gar oft auch ein
göttlicher Wink für den Bösen, eine Mahnung an seinen
eigenen Tod. Wenn er so viele Wunder durch Moses wirkte
und so große Plagen über Aegypten kommen ließ, so waren
das seine Finger, um Pharaos stolzen Sinn zu beugen und
ihn zu bewegen, das Volk ziehen zu lassen, wie es die Zau
berer selbst zugeben mußten, indem sie zuerst die Wunder des
Moses nachzuahmen suchten, aber schon beim dritten unter-

') I.no. Xs. 2U,


Die Heilung de« Taubstummen. 269

lagen und deshalb sagten:" Das ist der Finger Gottes.


Wenn er die Jsraeliten in die Hände der Madianiter, Edo-
miter, Philister u. s. w. gab, so war das sein Finger, um
sie von der Abgötterei zur wahren Gottesverehrung zurückzu-
rufen. Wenn er den verlornen Sohn an den Raud des
Grabes durch Hunger und Elend kommen ließ, so war das
sein Finger, um ihn zur Reue und Umkehr zu bringen. Wer
solchen Winken des göttlichen Fingers nicht folgt, der geht zu
Grund wie Pharao; wer aber diesen Gnadenrufen Gehör
schenkt, der wird gerettet und liebevoll aufgenommen gleich dem
verlornen Sohne./
Darum, Geliebteste, wenn Gott uns in irgend einer Weise,
sei es durch Züchtigungen oder Tröstungen, mit seinem
Finger berührt, uns mit seiner Gnade rnft, widerstehen wir
ihm nicht; denn es ist unser Verderben, wenn wir gegen die
Hand des Allmächtigen uns auflehnen, und es ist unser Heil,
wenn wir von seinem Finger uns leiten lassen. Der Aufmerk
same aber wird selbst in kleinen Dingen diesen Finger er-
kennen und überall mit dem Psalmisten sagen: '^ Deine Hand
geleitet mich und deine Rechte fasset mich./
Das Letzte, was der Heiland mit dem Taubstummen
vornahm, war, daß er ausspuckte, mit Speichel dessen Zunge
berührte und sprach: Epheta, das ist, eröffne dich. Diese
Art der Heilung hat Jesus auch bei zwei Blinden angewendet,
indem er bei dem einen die Augen mit seiuem Speichel be
netzte und bei dem andern Speichel mit Erde vermengte und
die Augen damit bestrich. Der Speichel ist das Simibild der
Erweichung und gleichsam der Neubildung und Umgestaltung
des Geschöpfes und hat darnm auch bei der Heilung des
geistigen Stummseins seine höhere Gedeutung. Wenn nämlich
der Mensch der Wahrheit sein Ohr geöffnet und den Glauben
angenommen hat, dann löst Gott auch seine Zunge, das heißt,

") Kxocl. VIll. 19. — ") I'uülm, cxxxm. w.


270 Xl. SomNag nach Pfingsten.

er gibt ihm die Gnade, seine Sünden zu bekennen, nnd dann,


wenn das Herz von dieser drückenden Last befreit ist, Gottes
Lob zu verkünden, ihn zu preisen und zu verherrlichen, geradeso
wie der Taubstumme, nachdem seine Ohren geöffnet und das
Band seiner Znnge gelöst war, recht redete.
Groß ist dieses Wunder, das der Herr hier gewirkt hat;
aber ungleich größer noch ist das geistige Wunder, das in der
Seele gewirkt wird, und dieses müssen wir noch etwas näher
betrachten.

Groß ist das Wunder, das der Herr an dem Taub


stummen wirkte, aber ungleich größer noch ist das Wunder,
das er in taubstummen Seelen wirkt, in der Bekehrung der
Sünder. Denn bei der Heilung der leiblichen Taubheit han
delt es sich bloß um ein willenloses Geschöpf, um körperliche
Organe, die dem göttlichen Allmachtsworte nicht wiederstehen
können. Er, der das ganze Weltall aus Nichts gemacht,
aus Lehm der Erde den menschlichen Leib gebildet, kann auch
ein krummes Glied gerade, eine stumme Zunge redend, ein
blindes Auge seheud macheu. Bei der Bekehrung der sündigeu
Seelen aber handelt es sich um den Sieg über den freien
Willen, die größte irdische Macht.,
Denn wer wäre im Stande, uns unseren freien Willen
zu rauben? Ein Tyrann kann uns in Fesseln werfen, kaun
uns mit den ausgesuchtesten Martern quälen, kann uns sogar
das leibliche Leben nehmen; aber kann er uns auch unseren
freien Willen rauben? Nun, das vermag kein Mensch. Jn
der Bekehrung aber erringt der Finger Gottes den Sieg über
diese geheimnißvolle Kraft, über den verkehrten Willen, und
unterwirft ihn dem seinigen, und deshalb ist diese das erstaun
lichste Wunder göttlicher Allmacht. Die göttliche Gnade feiert
unzählige Triumphe; doch ihre großartigsten und herrlichsten
feiert sie bei der Rückkehr der verirrten Seele; da jubeln die
Die Heilung des Taubstummen. 271

Engel mehr als über neunnndneunzig Gerechte, wenn sie das


Schäflein, auf den Schultern des guten Hirten erblicken, aus
dessen Händen es früher hinweggegangen war.
In der Bekehrung des Sünders handelt es sich ferner
um die Besiegung eines Feindes, gegen den alle Heere der
Welt nichts vermögen, und wären sie zahlreicher als die
Schaaren eines Xerxes, tapferer als die Truppen Hanibals,
todesmuthiger als die Machabäer, gewandter als die Römer,
unerschrockener als die Germanen. Denn es handelt sich um
die Ueberwindung des Fürsten dieser Welt, um die Bekämpfung
des Höllengeistes, dessen Herrschaft um so gewaltiger ist, je
mehr die Seele sich ihm hingegeben hatte. Gottes Gnade
jedoch besitzt auch über diesen Gewaltigen Gewalt, und ihr
Sieg ist der glänzendste weil er eine Erneuerung des Eben
bildes Gottes, ein Triumph des Blutes Christi, eine Glorie
des heiligen Geistes ist./
Stauneu wir also immerhin über die Heilung des Taub
stummen, aber staunen wir noch mehr über das geistige Wunder,
das damit angedeutet ist. Staunen wir endlich auch über
uns selbst, daß wir dieses Wunder, obwohl es täglich und stünd
lich gewirkt wird, nicht bewundern; staunen wir namentlich darüber,
daß wir es nicht einmal an unserer eigenen Seele genügend
erkennen und würdigen. Oder hat es sich nicht wirklich an
uns ereignet? Denken wir doch au unsere heilige Taufe.
Hat der Priester dabei nicht die nämlichen Gebräuche ange
wendet wie Jesus bei dem Taubstummen? Hat er nicht auch
unsere Sinne mit Speichel berührt und gesprochen: Epheta,
öffne dich? Jst dabei nicht auch unser Ohr aufgeschlossen
worden, um die himmlische Wahrheit gläubig zu vernehmen? Jst
nicht auch unsere Zunge gelöst worden, damit sie recht rede vor
Gott und vor den Menschen, und damit wir, was wir im
Herzen glauben, zugleich mit dem Munde bekennen zur Selig
keit? Ist da nicht der allergrößte Feind überwältigt worden,
der unreine Geist der Finsterniß, nuter dessen Botmäßigkeit
272 XI. Sonntag nach Pfingsten.

wir standen? Nun, Geliebteste, waren wir dieses Wunder immer


dar eingedenk? Haben wir es stets als solches betrachtet?
Haben wir seit unserer Taufe das Ohr nicht mehr verschlossen,
den Mund nicht mehr verunreinigt? Oder war vielleicht dieses
erste Wunder zu gering? Nun dann denket daran, wie oft
euch der liebe Gott schon in der heiligen Veicht vergeben, wie
oft er da neuerdings den Sieg über den bösen Willen errungen,
das Ohr wieder der Wahrheit geöffnet und den Mund zum
Bekenntnisse der Sünden aufgeschlossen hat., ,
Haben wir wenigstens diese Wohlthat recht benützt?
Haben wir wenigstens die in der letzten Veicht gemachten Vor-
sätze gehalten? Welche Aenderung ist mit uns vor sich gegangen?
Sind wir neue Menschen geworden, die nun recht reden, wie
der Taubstumme, oder sind wir die alten geblieben? Aus
unsereu Reden und Handlungen wird mau es e» kennen.
Wenn wir nicht besser reden und handeln als vorher, dann
ist unser Gehör nicht geöffnet worden, dann sind wir noch
taubstumm. Wenu wir in die alten schweren Sünden zurück-
fallen, den alten Hader und Zank nähren, die nämlichen
Ehrabschneidungen und Verleumdungen ausstreuen, die schlechten
Gelegenheiten nicht meiden, nicht abseits geheu von den bösen
Gewohnheiten, dann siud wir nicht geheilt worden, sind krank
geblieben.
Und o wie undankbar erscheinen wir dabei; undaulbar
nicht bloß vor Gott, sondern auch vor jener Menge, die den
Herrn wegen eines leiblichen Wunders lobte und pries,
während wir die geistigen Gaben nicht nur nicht schätzen, son
dern vergeuden, mißbrauchen und mit neuen Beleidigungen
vergelten! Cr hat Alles wohlgemacht, riefen sie, die
Tauben macht er hörend und die Stummen redend.
Sie mochten in dem gewirkten Wunder und in anderen, die
sie gesehen hatten, Jesus als den wahren Messias erkannt
haben, von dem bei dem Propheten Isaias geschrieben steht:"
") 13 xxxv. 4 u«<,<,.
Die Heilung de« Taubstummen. 273

Gott selbst kömmt und erlöset euch, und dann wer-


den sich öffnen die Augen der Alinden, und die
Ohren der Tauben erschließen sich, dann springet wie
ein Hirsch der Lahme, und gelöset ist der Stummen
Zunge.
Als sie dann gar noch hörten, wie er verbot, das Wun
der weiter zu verbreiten, zum Beweise, daß man den Beifall
und die Lobeserhebungen fliehen soll, da verwunderten sie sich
noch mehr und sagten noch lauter: Er hat Alles wohl ge
macht. Was würden sie erst gethan haben, hätten sie ihn
wie wir erkannt als den Schöpfer, durch den Alles gemacht ist,
als den Erlöser, dem wir Alles, unser ganzes Sein und unsere
Seligkeit verdanken? Ja, er hat Alles wohl gemacht, er hat
nicht bloß etwas Gutes gethan, er hat Alles gut gcthan. Er hat
Alles wohl gemacht in der Schöpfung der Welt und aller
Dinge; denn Gott, sagt die Schrift," sah Alles, was er
gemacht, und es war recht gut. Er hat Alles wohl ge
macht in der Erlösung, durch die er das wieder überreich
gut machte, was der böse Feind und des Menschen schlechter
Wille zerstört hatten. Gut ist Alles, was sich auf unsere
Heiligung bezieht, gut die Kirche, gut die Lehre, gut die Sakra
mente. Dessenungeachtet, obwohl er Alles wohl gemacht hat,
wissen ihm die Menschen oft so schlechten Dank dafür, und
statt ihn zu loben und zu preisen, beleidigen sie ihn nur und
bleiben taubstumm.
Wollen auch wir zu diesen gehören? O gewiß nicht.
Wir wollen lieber taub und stumm sein für die Einflüsterungen
des Teufels, taub gegen die Reize der Sinnlichkeit, gegen die
Lockungen der Welt zur Sünde, wollen unseren Mund ver>
schließen für jede Rede, die eine Beleidigung Gottes oder l>'s
Nächsten enthielte, und deshalb das Wort des weisen Sirach

") 6en. I. 31.


Lierheirner, Parabeln u, Wunder, 18
274 Xl. Sonntag nach Pfingsten.
befolgen: " Umhege deine Ohren mit Dornen, und
deinem Munde mache Thürflügel und Riegel; oder
mit dem Psalmisten beten:'" Setze, o Herr, Wache meinem
Munde und feste Thüren meinen Lippen.
Wir wollen unsere Sinne dazu benützen, wozu sie uns
der gütige Schöpfer gegeben, und unser Herr und Erlöser sie
geistig aufgeschlossen hat. Unser Ohr sei stets der Wahrheit
geöffnet, die uns Gott verkünden läßt; dann dürfen wir sicher
rechnen, daß auch er sein Ohr vor uns nicht verschließen
wird, wenn wir unS hilfesuchend zu ihm wenden. Er wird
uns nicht bloß erhören, er wird uns auch innerlich mit seiner
Gnade sättigen und erquicken, wie er es in der geheimen
Offenbarung verheißen hat: Siehe, spricht er," ich stehe
vor der Thüre und klopfe an; wer meine Stimme
hört und mir die Thüre öffnet, zu dem werde ich
hineingehen und Abendmahl halten mit ihm und er
mit mir./
Unser Mund aber sei so beschaffen, daß, wie Petrus
sagt: '5 kein Trug in ihm sich finde, daß unsere Lippen
immer nur für das Gute, für das Wohl des Nächsten und
die Ehre Gottes geöffnet seien. Deine Stimme erklinge
in meinem Ohre, weil deine Stimme lieblich ist; so
redet der Bräutigam zur Braut im Hohenliede. " Es erfreut
sich der Herr an der Stimme seiner Braut, der Kirche, an
ihren Fürbitten, Lobhymnen und Danksagungen; er erfreut
sich an den Reden und Gebeten aller seiner theuren Seelen,
seiner wahren Gläubigen; denn die Zunge des Gerechten
ist, wie das Buch der Sprüchwörter sagt,"' ein auserlesen
Silber.
Das also, verehrte Zuhörer, wären so einige geistliche

") D«s!i. XXViII 28, — '°) pznlm, oxi., 3, — ") äpoo, lll, 2U.
'^ l l'.'t,' II, ^ — ") l!»»' I!, It. — ") l>l'<»v, X 2l>.
Die Heilung de« Taubstummen. 275

Lehren und Winke, die wir aus dem heutigen Evangelium


ziehen können. Beherzigen wir dieselben zuweilen, indem wir
uns abseits begeben, fern vom Geräusche der Welt. Bitten
wir dabei wie jenes Volk und seufzen wir mit Jesus über
die vielen taubstummen Seelen, indem wir mit Herz und
Mund zu ihm flehen, daß er auch ihre Sinne aufschließe,
damit sie fortan recht reden und Alles wohl thun, wie auch
wir in unseren Gesinnungen und Absichten, in unseren Reden
und Handlungen uns so verhalten wollen, daß man auch von
uns sagen könne: Sie haben Alles wohlgethan. Amen./

18'
XVII.

3er barmßerzige Samariter.


(XII. Sonntag nach Pfingsten.)
Der Samariter ward von Mitleid gerührt. I^ue. X, 3l,

>rHIs war dem jüdischen Gesetzlehrer nicht unbekannt,


worin das Wesen der Vollkommenheit besteht und was dazu
erfordert wird, um das Ziel derselben, das ewige Leben, zu
erlangen, nämlich die Beobachtung des Gebotes der Liebe
Gottes über Alles und der Liebe des Nächsten wie sich selbst.
Der göttliche Heiland selber bedeutete ihm, daß es sich so
verhalte, indem er ihm entgegnete: Du hast recht geant
wortet, thu das, so wirst du leben. Aber warum fragte
denn der Gesetzlehrer weiter: Wer ist denn mein Nächster?
Sollte er, der die ganze Summe des Gesetzes kannte, etwa
nicht gewußt haben, daß jeder Mensch unser Nächster ist?^
Allerdings bestanden über diese Frage verschiedene Mein
ungen unter den Schriftgelehrten und Pharisäern. Gewöhn-
lich betrachteten sie nur die Juden, ihre Volksgenossen, und
etwa noch die Proselyten und Fremdlinge, welche zum Juden-
thume übergetreten waren oder als Schützlinge im Lande
weilten, als ihre Nächsten, weshalb der Herr schon früher ein-
mal bei einer anderen Gelegenheit gesagt hatte:' Wenn ihr

') .»!.!!l,, V, !?,


Der barmherzige Samariter. 27?

nur eure Brüder, d. h. eure Stammgcnossen, grüßet,


was thut ihr da Ausgezeichnetes? Dagegen aber stritten
sie untereinander darüber, ob sie auch fremden Nationen, z. B.
den Samaritern und den Heiden, Liebe und Erbarmen schuldig
wären./
Darauf gibt nun Jesus dem Gesetzlehrer Antwort mit
der ganzen Parabel vom barmherzigen Samariter und zeigt
ihm damit, daß die Juden nicht bloß den Juden, sondern auch
deu Samaritern Liebe und Erbarmen schulden und sonach auch
fremde Menschen als ihre Nächsten betrachten müssen. Be
kanntlich herrschte zwischen Juden und Samaritern eine gegen«
seitige Abneigung, ja offene Feindschaft, so daß sie jeden näheren
Verkehr vermieden, wie wir dies recht deutlich aus der Ver
wunderung der Samariterin ersehen, die erstaunt war, weil
Jesus von ihr, einer Auswärtigen, zu trinken begehrte.°
Jndem also der Herr einen Samariter dem verwundeten
Juden zu Hilfe eilen läßt, gibt er eben damit zu verstehen,
daß nicht bloß der Freund und der Einheimische, sondern auch
der Feind und der Fremdling als Nächster zu betrachten sei,
daß mithin das Gebot der Nächstenliebe sich auf alle Menschen
erstrecke, was auch daraus schon hervorgeht, daß ja jedem
Einzelnen das Gebot gegeben ist: Du sollst den Nächsten
lieben wie dich selbst, also Jeder Jedem der Nächste sein
soll und alle Menschen einander lieben müssen. Diese allge
meine Menschenliebe war freilich dem Judenthume unbekannt,
aber im Christenthume sollte sie zur That werden, weshalb
der Apostel im Briefe an die Galater schreibt:" Da ist weder
Jude noch Grieche, da ist weder Sklave noch Freier,
da ist weder Mann noch Weib, denn ihr seid alle Eins
in Christo Jesu./
Aber nicht bloß die Allgemeinheit der Nächstenliebe hat
Christus in der heutigen Parabel gelehrt, sondern er hat zu-

') ^<1!MN. IV. n, — ') «u!. III. 2«.


278 Xll, Sonntag nach Pfingsten.

gleich auch deren Wesen und Eigenschaften angedeutet. Der


Samariter hat dem Verwundeten nicht etwa nur sein Beileid
ausgedrückt, sondern hat ihm tatsächlich geholfen. Die Nächsten
liebe darf nicht in bloßen Gefühlen bestehen, in schönen Redens
arten und kunstlichen Phrasen, sondern sie muß sich durch
Werke bethätigen. Der Verwundete war für den Samariter
eine fremde Person, er war ihm nicht befreundet oder ver
wandt; die Nächstenliebe ruht auf einem vornehmeren Grunde
als nur auf natürlicher Zuneigung oder Blutsverwandtschaft,
ihr Erbarmen muß aus der Liebe Gottes entspringen, man
muß den Nächsten lieben wegen Gott und iu Gott.
DieS ergiebt sich schon aus dem Wortlaute des Gebotes:
Du sollst Gott lieben aus ganzem Herzen. Wenn
wir also den Nächsten nicht mehr wegen Gott und in Gott
liebten, so entzögen wir Gott etwas von unserem Herzen,
welches ihm ganz gehören muß. Folglich verlangt Gott, in
dem er die Nächstenliebe gebietet und sie mit der Gottesliebe
zusammenstellt, daß wir alle Menschen wegen Gott lieben.
Deswegen vergleicht der heilige Bernhard diese beiden
^/ Gebote mit den Flügeln eines Vogels. Mit einem Flügel
kann sich der Vogel nicht in die Höhe schwingen, er muß
beide Flügel gleichzeitig in Bewegung setzen. So hälfe auch
uns die Liebe Gottes, welche deu Nächsten ausschließt, nichts,
und hinwieder wäre jene Nächstenliebe, welche Gott auf die
Seite setzt, keine Liebe mehr, die uns über die Welt zum
Himmel erhebt. Darum hat auch Moses, als er vom Sinai
herabkam und das Volk voll Lust und Freude um das goldene
Kalb tanzen und Abgötterei treiben sah, nicht nur die eine
Tafel, auf welcher die Pflichten gegen Gott standen, sondern
^ auch die andere, auf welche die Pflichten gegen den Nächsten ge
schrieben waren, zerbrochen, weil die Gottes- und die Nächsten
liebe innigst miteinander verbunden sind.
Außer diesem besonderen Zwecke hat aber die heutige
Parabel noch einen anderen allgemeinen. Sie lehrt nämlich
Der barmherzige Samariter. 279

nicht bloß die thätige Nächstenliebe, sondern enthüllt uns zu


gleich das ganze Werk der Erlösung der Menschheit durch
Jesus Christus. Dieses werde ich nun vorzugsweise darlegen
und dann noch ein paar Bemerkungen über den besondern
Zweck beifügen. Vernehmet mich, denn ich spreche im Namen
des Herrn. Deine Gnade, o Jesus! sei mik uns./

Bevor wir auf den verborgenen und geheimnißvollen


Sinn der Parabel vom barmherzigen Samariter eingehen,
wird es gut sein, die geschichtliche Seite derselben noch einmal
kurz in's Auge zu fassen.
Der Schauplatz ist die Strasse von Jerusalem nach Jericho,
die auch in das Land der Samariter führte. Der göttliche
Heiland konnte darum recht gut den Fall annehmen, daß ein
Samariter, welcher wegen irgend eines Geschäftes in Jeru
salem gewesen war und von da zurückkehrte, oder eben nach
dieser Stadt reiste, jenes Weges kam. Schon in den ältesten
Zeiten war jene Gegend gegen den Jordan hin, von welchem
Jericho nicht sehr weit entfernt ist, höchst unsicher; denn süd
lich und östlich von diesem Flusse hausten die Jdumäer, Ma-
dianiter, Edomiten, Amoniter und andere räuberische Stämme,
welche, wie wir aus der biblischen Geschichte wissen, häufig
Einfälle in das Judeuland machten und raubten und fort
schleppten, was irgend beweglich war. Es hat sich in dieser
Beziehung im Osten nichts geändert, denn alle Reiseberichte
stimmen darin übercin, daß noch heut zu Tage das Reisen in
Palästina wegen der überall umherschweifenden räuberischen
Beduinenhorden sehr gefährlich ist, so zwar, daß man sich
ohne starke Bedeckung kaum von der nächsten Umgebung
Jerusalems entfernen darf. Geradeso mochte es zu Christi
Zeiten hie und da vorkommen, daß Räuber auf jener Straße
den einsamen Wanderern auflauerten und sie ausplünderten.^
') Wiseman, Abhandlung über die Parabeln.
280 XII. Sonntag nach Pfingsten.

Der Heiland läßt auch einen Priester und einen Leviten


dieses Weges ziehen. Diese Annahme ist ebenfalls ganz ge
rechtfertigt. Bekanntlich wurde dem Stamme Levi bei der
Theilung des gelobten Landes von Josue kein besonderer An-
lheil zugewiesen, sondern sie sollten zerstreut unter den übrigen
Stämmen leben. Wir wissen nun, daß, Jerusalem ausge
nommen, in Jericho die meisten Priester und Leviten lebten,
welche jedesmal, wenn sie die Perrichtung des Dienstes im
Tempel traf, nach der Hauptstadt reisten und dann nach be
endigtem Dienste wieder an ihren Wohnort zurückkehrten.
Demnach konnte es sich leicht fügen, daß ein Priester und ein
Levite eben auf jener Landstraße dahinzogen./
Wenn uns irgend ein Ereigniß von einem Orte erzählt
wird, den wir genau kennen, so ist unser Jnteresse daran
weit größer, als wenn es sich um eine unbekannte Gegend
handelt. Jhr könnet also leicht schließen, welchen Eindruck
das Gleichniß des Herrn auf die Anwesenden machte, die mit
der Oertlichkeit wohl, bekannt waren, und wie begreiflich es
ihnen werden mußte, wer denn ihr Nächster sei, nämlich jeder
Mensch, welchen Glaubens oder welcher Nation er sein mag.
Doch die Parabel hat noch einen viel tieferen Sinn und
eine weit umfassendere Bedeutung, sie zeigt uns, wie gesagt,
in einem kleinen Bilde das ganze Werk der Erlösung der
Menschheit durch deu wahren barmherzigen Samariter, den
Gottmenschen Jesus Christns. Dies, verehrte Zuhörer, ist
es, was wir zunächst ins Auge fassen wollen. Wie öfters
tüchtige Künstler mit einigen Linien das Bild einer Gegend
oder das Profil eines menschlichen Antlitzes zum Sprechen ähn
lich hinzeichnen, so stellt uns der göttliche Heiland in wenigen
Zeilen unsere ganze Geschichte vom Sündenfalle bis zur Er
lösung vor Augen. ,
Wer ist denn jener Wanderer, der auf dem Wege von
Mördern überfallen, seiner Kleider beraubt, geschlagen und
verwundet wird und halbtodt auf der Strasse liegen bleibt?
Der barmherzige Samariter. 5i81

Jst es nicht der erste Mensch im Paradiese, dem sich die alte
Schlange, der Lügner und Mörder von Anbeginn, der Teufel,
hinterlistig nähert, um ihn und alle seine Nachkommen ins
Verderben zu stürzen? Dieser beraubt ihn seiner Kleider, des
Gewandes der Unschuld und der heiligmachenden Gnade, des
Wohlgefallens, der Freundschaft und der Kindschaft Gottes,
womit er ursprünglich bekleidet war. Und damit nicht zu
frieden, schlägt und verwundet er ihn auch: Der erste Mensch,
der frei war vom Kampfe der bösen Begierlichkeit, fühlt jetzt
in sich den heftigen Sturm der Leidenschaften; Krankheiten,
Schmerzen und Drangsale aller Art brechen über ihn herein,
er muß gegen Mühseligkeiten und Beschwerden kämpfen, und
zuletzt ereilt ihn der Tod als Sold der Sünde und des Un
gehorsams gegen Gott. Der Meufch vom Weibe geboren,
sagt Job/ hat der Tage wenige, der Plagen aber viele;
wie eine Blume sproßt er auf und verwelkt er, dahin
flieht er wie ein Schatten und unstät ist er.j
Wie ferner jener Wanderer Jerusalem verläßt, so mußte
der sündige Mensch das himmlische Jerusalem, das Paradies
verlassen ; und wie jener in die Wüste gerieth, welche zwischen
Jerusalem und Jericho liegt, so muß dieser den Acker bebauen,
der Dörner und Disteln trägt, muß im Schweiße seines An
gesichtes sein Brod essen und ringen und leiden, bis er zur
Erde wiederkehrt, von der er genommen ist. Und wie endlich
der Reisende halbtodt liegen blieb, unfähig sich zu bewegen,
sich aufzuraffen und an einen sicheren Ort zn eilen, so ver
mag auch der gefallene Mensch aus sich selbst nicht zum ver
lornen Gnadenleben zurückzukehren, sondern senfzt unter dem
Joche der Sünde und der Knechtschaft des Teufels. Jn
diesem Wanderer stellt uns also der Herr so recht anschaulich
den Zustand des Menschen nach dem Sündenfalle dar.,
Bon ungefähr, erzählt Jesus weiter, reiste ein

') ^c,d. XIV. 1 , 2.


282 XII. Sonntag nach Pfingsten.

Priester auf der nämlichen Strasse, und als er den


Verwundeten sah, ging er vorbei. Wen hat man wohl
unter diesem Priester im Gegensatz zu dem später kommenden
Leviten und dem Samariter zu verstehen? Dieser Priester ist
der Repräsentant aller frühern Religionssysteme außer dem
durch Moses gegebenen Gesetze. Es geht selbst durch die ver
schiedenen heidnischen Religionen der geheimnißvolle Zug, daß
die Menschheit sich früher in einem weit besseren Zustande
befunden, denselben aber durch eigene Schuld verloren habe.
Daher wissen die Sagen aller alten Völker von einem voraus
gegangenen goldenen Zeitalter, wo die Menschen unmittelbar mit
den Göltern verkehrten und ungetrübte Glückseligkeit genossen,
und dadurch erwachte bei allen die Sehnsucht nach der Wie
derkehr jener Zeiten./
Es traten auch einzelne hervorragende Männer auf,
Gesetzgeber, Dichter, Philosophen, und arbeiteten an der
Veredlung und Verbesserung ihrer Mitmenschen. Aber konnten
sie auch helfen, waren sie im Stande, die Welt zu retten und
zu beglücken? O nein, sie sehen das Elend des Wanderers,
aber sie vermögen nicht zu helfen, sie gehen vorüber. Noe
sieht das allgemeine Verderben unter seinen Zeitgenossen, er
fordert sie auf zur Besserung, aber er erntet nur Spott und
Hohn. Confucius tritt unter den Chinesen, Buddha unter
den Jndiern als Lehrer auf; aber was sie vermochten, das
zeigt die niedrige religiöse Stufe, auf der ihre Anhänger stehen.
Sokrates, der weiseste unter allen Griechen, sieht die tiefe
Versunkenheit seiner Mitbürger und sucht sie zu belehren und
zu bessern. Allein eben diese Mitbürger verschreien ihn als
einen dem Staate, der Religion und der Familie gefährlichen
Menschen und zwingen ihn den Giftbecher zu trinken. Und
die Philosophen und Geschichtsforscher, ein Epiktet, Zenon und
Plato, ein Cicero, Seneka und Tacitus, die Stoiker, welche
die geachtetste unter den philosophischen Schulen bildeten, was
vermochten sie, obwohl sie die traurigen Verhältnisse ihrer
Der barmherzige Samariter. 283

Zeit durchschauten? All ihr Scharfsinn und alle ihre Kraft


konnte keinen besseren Zustand begründen, das Verderben nahm
vielmehr überhand. Seht, diese heidnischen religiösen und
philosophischen Systeme sind der Priester, der an dem Ver
wundeten vorbeigeht und nicht hilft./
Es kam aber auch ein Levite an den Ort, er sieht
den Wanderer, geht aber gleichfalls vorüber. Damit
ist zunächst der alte Bund, dessen Priester und Gesetzeslehrer
gemeint. Obwohl ihnen die Ursache des Verderbens der
Menschheit besser bekannt ist, gehen doch auch sie vorüber und
vermögen nicht zu helfen. Der alte Bund, es ist nicht zu
läugnen, fordert überall zur Buße und Besserung auf, und
hat für Alles sein Gesetz, das dem Menschen beständig seiu:
Du sollst nicht, zuruft, aber er vermag die Sünde und die
Wurzel des Bösen nicht zu tilgen und das Thor des Himmels
nicht zu öffnen. Wohl weist ferner der alte Bnnd durch alle
feine Jnstitutionen, durch sein Pricsterthum, seine blutigen und
unblutigen Opfer und seine heiligen Zeiten auf eine kommende
Erlösung hin, aber die Erlösung selbst kann er nicht bewirken.
Ebenso sprechen endlich die Propheten des alten Bundes in
ihren Weissagungen mit den deutlichsten Worten von dem Er
löser und von der Eutsündigung der Menschheit; aber der
Erlöser war immer noch ein erwarteter, die Eulsündignng
eine erhoffte; kurz der alte Bund war bloß vorbereitend, war
dem Leviten gleich eine vorübergehende Erscheinung, die nicht
zu helfen im Stande ist./
Soll also, verehrte Zuhörer, der unglückliche Wanderer
verwundet und halbtodt rettunglos am Wege liegen bleiben?
Findet sich Niemand, der ihm eine hilfreiche Hand bietet, ihn
heilt und nach der Genesung in seine Heimath zurück
bringt? O doch, es kommt ein Samariter, sieht ihn, er
barmt sich seiner, verbindet ihm seine Wunden, nachdem er
Oel und Wein in dieselben gegossen, setzt ihn auf sein Lastthier,
führt ihn in die Herberge, zahlt für ihn, läßt ihn sorgfältig
384 XII, Sonntag nach Pfingsten.

pflegen und herstellen. O wie viele Lehren des Heiles, Ge


liebteste, sind in diesen wenigen Worten des Erlösers enthalten;
wie sind darin mit einigen Linien alle die erstaunlichen Wun
der der göttlichen Barmherzigkeit, die im Werke der Erlösung
hervortraten, klar ausgedrückt. Folgen wir ihnen Punkt für
Punkt. ^—
Die Samariter waren in den Augen der Juden Fremd
linge; ist ihnen nicht auch Jesus Christus, der wahre darm
herzige Samariter, ein Fremdling gewesen? Er kam, schreibt
der heilige Johannes/ in sein Eigenthum und die Seinen
haben ihn nicht aufgenommen. Er kam aus der Fremde;
denn er ist ja nicht von dieser Welt, sondern vom Himmel.
Er kam, weil er das Elend des halbtodten Erdenpilgers sah,
weil er den Weheschrei der verwundeten Kinder Adams hörte
und mit ihnen Mitleiden und Erbarmen fühlte. Er kam, um
ihre Wunden zu heilen, die der Mörder von Anbeginn an
Leib und Seele ihnen geschlagen, um dessen Herrschaft zu zer
stören, die Sünde nnd die Strafe der Sünde zu tilgen, uns
vom ewigen und zeitlichen Tode zu erretten, uns wieder zu
Kindern Gottes und Miterben des Himmelreiches zu machen,
kurz uns Alles zu bringen, was zur Wiedererlangung der
verlornen Gottesgemeinschaft nothwendig war./
Und wie geht denn die Heilung der Wunden vor sich,
wie wird die Genesung der Seele bewirkt ? Dadurch, daß der
barmherzige Samaritan Wein und Oel in die Wunden gießt,
den Schwachen auf sein Lastthier nimmt und ihn in die Her
berge führt. Kann etwa Jemand im Zweifel sein, was dar
unter zu verstehen ist ? Das Lastthier, ans welches der Herr
den Kranken nimmt, ist es nicht sein heiliges Kreuz, auf dem
er alle unsere Sünden und Gebrechen getragen hat? Er hat,
wie Paulus den Kolossern schreibt,' die Handschrift der
Satzung, die gegen uns war, ausgelöscht und hinweg-

°) >7o»un. I. II. — ') Lo1u«5. II. 14,


Der barmherzige Samariter. 235

genommen, an's Kreuz sie heftend. Und Jahrhunderte


zuvor weissagte Jsaias:^ Er ist verwundet worden um
unserer Missethaten willen, geschlagen um unserer
Sünden willen, unseres Friedens wegen lag die
Züchtigung auf ihm, und durch seine Wunden wur
den wir geheilt./
Ja durch seine Wunden wurden wir geheilt; denn aus
ihnen fließt der heilkräftige Wein und das lindernde Oel,
sein kostbares Blut und die Gnaden, welche die Schrift oft
als Salböl des heiligen Geistes bezeichnet. Das Blut ist es,
das die Sünden tilgt und uns die Gnaden verdient, durch
die wir zur Gottesgemeinschaft gelangen. Denn nicht mit
vergänglichem Gold und Silber, sagt der Apostel Petrus,"
seid ihr erlöst worden, sondern mit dem Blute Jesu
Christi, das uns reinigt von jeder Sünde. Und dieses
Blut fließt fort und fort als der wahre Lebensstrom im Opfer
der heiligen Messe und ruft beständig um Vergebung und
Gnade für uns arme Sünder. Wie dieses Blut am Fuße
des Kreuzes auf Calvaria als Heilsquelle entsprang und durch
sieben Kanäle in den heiligen Sakramenten in die Seelen
strömt, so sammelt sich dieses nämliche Blut bei der heiligen
Wandlung im Kelche und wird täglich vergossen für uns
und für Viele zur Vergebung der Sünden./
Wie ferner die Quelle des kostbaren Blutes nie versiegt,
so versiegt auch die Quelle des Guadenöles nicht. Mit Qel
und Chrisam wurden wir gesalbt in der heiligen Taufe, da
mit wir Christo ähnlich und Gesalbte Gottes seien. Mit
Chrisam wurden wir gesalbt in der heiligen Firmung, damit
wir Kraft und Stärke empfingen zum Kampfe für den Glau
ben. Mit Oel werden wir gesalbt in der letzteu Oelung,
damit der todesmüde Wanderer aufgerichtet und ermuthigt

') Iu. I.,ll, 5. — ') l I^t', l. l?, 19; °s. !' >l"»un, l. ?,
286 XII. Sonntag nach Pfingsten.

werde zum letzten Streite wider den Fürsten der Finsteruiß.


Mit Oel wird der Priester bei der heiligen Weihe gesalbt,
und das Salböl der Freude befähigt ihn zum heiligen Dienste.
Mit Oel werden unsere Kirchen und Altäre gesalbt bei der
Consecration, damit sie geheiligt und geeignet seien zum gött
lichen Dienste. Mit Oel nähren wir die Lampen des Heilig-
thums vor dem allerheiligsteu Sakramente, auf daß wir immer
uns erinnern an die wirkliche Gegenwart des Herrn, des
wahren Lichtes, das jeden Menschen erleuchtet. Das Oel und
der Wein also, welche der barmherzige Samaritan in die
Wunden gießt, bedeuten die Gnadenwirksamkeit der heiligen
Sakramente; denn diese heilen die Seelenwunden, verbinden
das Jrdische mit dem Himmlischen, machen aus geistig Todten
Lebende, aus Erdenkindern Gotteskinder.x
Doch wie, verehrte Zuhörer, wenn etwa der Fall sich
ereignete, daß die Wunden des Wanderers wieder aufbrechen
und er so neuerdings an den Rand des Todes kommt; hat
der barmherzige Samaritan dieses traurige Geschick nicht vor
hergesehen? O gewiß; denn er führt den dem Verderben Ent
rissenen in die Herberge, läßt ihn vom Wirthe sorgfältig
pflegen, zahlt für ihn und verspricht auch alle weiteren Aus
gaben reichlich zu decken. O unendlich gütiger und barmherziger
Gott! so genügt es dir also nicht, uns einmal dem Verderben
entrissen zu haben, du kennst unsere Gebrechlichkeit und
Schwäche, du weißt, daß wir einer Herberge bedürfen, darum
stiftest du deine heilige Kirche und ordnest Stellvertreter an,
welchen du es zur Aufgabe machest, an deiner Statt die Er
denpilger in diesem Thränenthale zu führen, sie zu pflegen,
die wiederaufgebrochenen Wunden zu heilen durch das heilige
Sakrament der Buße, sie zu nähren mit dem Orode des
göttlichen Wortes und mit der kostbarsten aller Speisen, dem
himmlischen Mahle der Engel.
Sollte die Pflege noch mehr kosten, so wird der Sama
ritan Alles ersetzen. Hat der Mensch ob seiner Sünden
Der barmherzige Samariter. 28?

mehr Strafen verdient, als er in diesem Leben abzubüßen


vermag, so trägt der Herr die Schuld ab, indem er der
Herberge, der Kirche, die Gewalt ertheilt, aus dem Schatze
der unendlichen Verdienste Jesu Christi und der Verdienste
Mariens und der übrigen Heiligen, als einem Gemeingut«
der Angehörigen des Hauses Gottes, zu schöpfen und Ablässe
zu ertheilen, damit einerseits der göttlichen Gerechtigkeit Ge
nüge geleistet und anderseits dem zahlungsunfähigen Wanderer
geholfen werden
Vieles könnte darüber noch gesagt werden, insbesondere
ließe sich der Gedanke weiter ausführen, wie schon diese einzige
Parabel uns zeigt, daß die katholische Kirche allein die wahre
Kirche Jesu Christi ist, weil nur sie das Oel und den Wein
hat, und weil nur in ihr solche Stellvertreter sind, welche die
Gewalt haben, die wiederaufgebrochenen Wunden zu heilen.
Allein wir können dies auch auf eine andere Weise sehen,
wenn wir nämlich den besonderen Sinn und Zweck der Pa
rabel in's Auge fassen, d. h. insofern sie uns die Pflicht der
Nächstenliebe und der Barmherzigkeit an's Herz legt. Doch
darüber, um nicht zu lang zu werden und eure Geduld nicht
allzusehr zu ermüden, nur noch einige Worte, s

Wird wohl jene die wahre Kirche Jesu Christi sein,


welche der Lehre des Evangeliums am getreuesten nachkommt,
und zwar nicht bloß mit dem Munde, sondern in der That,
nicht bloß zu gewissen Zeiten, sondern in allen Jahrhunderten,
nicht bloß an einzelnen Orten, sondern in allen Theilen des
Erdkreises? Jch glaube, verehrte Zuhörer, daß ihr keinen
Anstand nehmet, diese Frage mit Ja zu beantworten.. Wenn
ich sonach nur mit ein paar kurzen Andeutungen darthue, daß
gerade in der katholischen Kirche die Lehre des heutigen
Evangeliums jeder Zeit auf die vollkommenste Weise erfüllt
288 XII. Sonntag nach Pfingsten.

wurde, so werdet ihr leicht für euch selbst den Schluß ziehen
können.^ >
Jch will euch nicht auf die ersten Christen aufmerksam
machen, die Alles gemeinsam hatten, so daß es unter ihnen
eigentlich keinen Nothleidenden geben konnte; ich ziehe es vor,
bloß einige hervorragende Charaktere namhaft zu machen.
Wenn ein Felir von Valois, ein Johannes von Matha
mit ihren Nachfolgern, oder ein Paulin us von Nola sich
selbst in die Sklaverei begaben, um die Christen daraus zu
befreien, ist das nicht ein Werk des barmherzigen Samaritans?
Wenn ein heiliger Carl Borromaus nicht einmal die noth-
wendigsten Bedürfnisse des Lebens für sich behält, wenn er
zur Zeit der furchtbaren Pest in Mailand in die niedrigsten
Wohnungen tritt und den Leidenden mit Gefahr seines eigenen
Lebens leibliche Unterstützung und himmlischen Trost spendet,
ist das nicht ein Werk des barmherzigen Samaritans? Wenn
ein Johannes von Gott in Granada in Spanien mitten
hineingeht in die Flammen des Spitales, in welchem Fener
ausgebrochen war, und unbekümmert um sich selbst die dem
Feuertode preisgegebenen Kranken herausträgt, wenn er Tag
und Nacht am Bette der Leidenden zubringt, ist das kein
Werk des barmherzigen Samaritans? Wenn ein Camillus
von Lellis, ein Vincenz von Paul und die Glieder der
von ihnen gestifteten Orden unablässig bemüht sind, Werke
der Barmherzigkeit zu üben und Andere zu gleichen Werken
auzueifern, sind sie nicht Nachahmer des barmherzigen Sama
ritans? Wenn Ordensleute auf die höchsten Berge sich zurück-
ziehen und keine andere Freude begehren, als die von Abgrün
den, von Schnee und Eis gefährdeten Reisenden aufzusuchen,
wie es die Mönche auf dem großen St. Bernhard thun,
üben sie nicht das Werk des barmherzigen Samaritans?
Wenn eine heilige Katharina von Genua, um auch einige
Beispiele christlicher Samariterinnen anzuführen, Tag und
Nacht im großen Spitale zu Genua deu Kranken dient, wenn
-Der barmherzige Samariter. 289

eine heilige Franziska Romana von Haus zu Haus Al


mosen für die Armen sammelt, wenn eine heilige Landgräfin
Elisabeth von Thüringen ihre süßeste Erholung in der
Unterstützung der Nothleidenden findet ; was thun sie Anderes,
als das Gebot des Herrn erfüllen:'" L>iebe deinen Näch
sten, und: Was ihr dem Geringsten aus meinen
Brüdern gethan habt, das habt ihr mir gethan?^
Eine Kirche aber, die solche Helden und Heldinnen er-
zeugt, von denen ich nur einige erwähnte, da doch ihre Zahl
Legion ist, eine solche Kirche sollte nicht den wahren Geist
Jesu Christi besitzen? Die Kirche aber, der diese Heiligen
angehören, ist unsere Kirche, die katholische. Sie ist also
die Kirche des barmherzigen Samaritaus, die wahre Kirche
Jesu Christi.x
Was folgt daraus für uns? Daß auch wir Nachfolger
des barmherzigen Samaritans sein sollen, daß auch wir, jeder
nach seinen Kräften, beflissen sein müssen, Werke der Barm,
Herzigkeit zu üben, und zwar Werke geistlicher und leiblicher
Barmherzigkeit. Denn wie jene Heiligen bei ihren Werken
zugleich Seelen für Christus zu gewinnen suchten, ja über
haupt und zunächst die Seelen im Auge hatten, so müssen
auch wir zum Heile unserer Nebenmenschen mitwirken, ihnen
beistehen durch Rath und That, in geistigen und zeitlichen
Dingen, wie es das Vermögen und der Stand eines Jeden
mit sich bringt, da der Einzelne nur Einzelnes aber nicht Alles
leisten kann.^
Als der heilige Martin, später Bischof von Tours,
noch nicht Christ und nur ein einfacher Kriegsmann war,
begegnete ihm eines Tages am Thore von Amiens ein armer
Bettler, der ihn um ein Almosen bat. Es war eine schnei
dende Kälte und Martin hatte bereits Alles verschenkt bis

'°) Ul»t!,, XXV. 4N.


Vierheimer, Parubeln u, Wunder, 19
290 XII. Sonntag nach Pfingsten.

auf seine Waffen und seinen Kriegsmantel. Rasch entschlossen


nimmt er das Schwert, theilt den Mantel in zwei Hälften,
gibt die eine dem Armen und behält die andere für sich.
Einige lachten ihn deswegen aus, Andere dagegen bewunderten
seine große Mildthäligkeit. Jn der folgenden Nacht erschien
ihm der Heiland, augethan mit der Hälfte des Mantels,
welche Martin dem Armen gegeben, und er hörte den Herrn
zu der ihn umgebenden Engelschaar sprechen: „Martinus,
noch Kalechumenus, d. h. noch nicht getaufter Christ, hat mich
mit diesem Gewande bekleidet.'^
Hören wir diese nämliche Stimme, sobald wir ein gutes
Werk vollbringen, nicht mit dem sinnlichen Ohre, so hören
wir sie gleichwohl mit dem Ohre des Glaubens, der uns
lehrt, daß das, was wir dem Geringsten thun, von Christus
gerade so angesehen wird, als hätten wir es ihm selbst ge-
than. Wird er nicht einst beim Weltgerichte sprechen;"
Kommet, ihr Gesegneten meines Vaters! Jch war
hungrig, und ihr habt mich gespeist; Jch war dur
stig, und ihr habt mich getränkt; Jch war nackt, und
ihr habt mich belleidet. Der Heiland kennt aber nicht
bloß leiblichen Hunger und Durst und äußere Nacktheit,
sondern auch geistige Nöthen. Wer Andere in der Lehre des
Heiles unterrichtet und ihren Seelenhnnger stillt, wer Jrrende
zurechtweist, wer Sünder durch sein Gebet, seine Ermahn
ungen und sein Beispiel bekehrt und ihnen wieder zum Kleide
der Gnade verhilft, übt auch die Werke des Samaritans.
Ewiges Leben also wird dem zu Theil, welcher leibliche
und geistliche Barmherzigkeit übt. Ewige Verdammung da
gegen trifft jenen, der sie unterläßt, der den hungernden
Jesus nicht sättigt, den durstigen Jesus nicht tränkt, den
nackten Jesus nicht bekleidet. Ein Gericht ohne Er-

") ,»-,,!l,. XXV. Ü4 u!'<,q


Der barmherzige Samariter. 29 l

barmen, sagt der Apostel Jakobus, '° wird über den er-
gehen, der nicht Barmherzigkeit übt, die Barm
herzigkeit aber triumphirt über das Gericht. Seid
darum bemüht, Geliebteste, euren Berns und eure Auser-
wählung durch gute Werke gewiß zu machen; dann seid ihr
Nachfolger des barmherzigen Samaritans, erfüllet sein großes
Gebot: Du sollst den Nächsten lieben wie dich selbst,
nnd erwerbet euch reiche Verdienste für die Ewigkeit. Gehet
also hiu und thuet desgleichen. Amen. ^,

") ^«ul», II. 13.

19
XVIII.

I)er Jüngling von Maiin.


Tod der Seele durch die Sünde.

(XV. Sonntag nach Pfingsten.)


Ein großer Prophet ist unter uns auferstanden. I^uo. VII. IL.

> c^s ist


if merkwürdig, daß die Menschen bei ihren Urtheilen
so wenig das Geistige und Höhere beachten und sich so gern
bloß von ihren Sinnen leiten lassen, selbst solche, ja gerade
solche am meisten, welche mit ihrer Vernunft und Bildung
oft recht hoch hinauswollen. Dies sehe ich bestätigt bei der
Betrachtung des heutigen Evangeliums. Als die Leute sahen,
wie Jesus einen Todten zum Leben erweckte, da erfaßte alle
Staunen und laut riefen sie aus: Ein großer Prophet ist
unter uns auferstanden. Sie sagten dies mit Recht.
Denn das Wunder war in der That groß, war eine göttliche
That, ein gewaltiges Zeugniß für Jesus. Aber woher kommt
es denn, daß das nämliche Volk die himmlische Lehre Jesu ver
schmähte und geringschätzte, durch welche er die Welt, die sündige
Menschheit, vom geistigen Tod, vom Tod der Seele aufwecken
wollte? Das kommt wohl daher, weil die Menschen den Tod
der Seelen mit den Sinnen nicht wahrnehmen und sich des
halb um die Erweckung davon wenig bekümmern, während sie
den leiblichen Tod mit dni Augen gewahren und darum auch
Der Jüngling, een Naim. ii93

das Wunder so hoch anschlagen, wodurch Christus den Jüng


ling erweckte./ , '
Einen gleichen Gedanken ruft es in mir hervor, wenn
ich die weinende Mutter betrachte. Sie weint über den leib
lich Todten, und ich verarge ihr ihren Schmerz und ihre
Thräneu nicht. Aber saget mir, verehrte Zuhörer, wie viele
Aeltern, wie viele Väter und Mütter gibt es, die zwar nicht
den Tod des Leibes, aber desto mehr den Tod der Seele
ihrer Kinder, eines Sohnes oder einer Tochter, zu beweinen
hätten, aber darüber keine Klage und keine Thräne haben, weil
sie eben auch den Seelentod nicht mit ihren Sinnen fühlen
und deshalb wenig beachten? Wie mancher Vater, wie manche
Mutter dürften in Thränen gebadet hinter dem Leichensarge
der verlorenen Unschuld ihres Sohnes oder ihrer Tochter ein-
herschreiten und dürften um so tiefer betrübt sein, als sie
vielleicht selbst durch ihre Nachlässigkeit, durch ihre Pflichtver-
gesseuheit und ihr schlechtes Beispiel, oder durch Duldung der
schlechten Gelegenheit den Sarg des geistig Todten gezimmert
haben? Und doch, was sieht man gar oft statt dessen? Nicht
Trauer, nicht Schmerz, wohl aber Gleichgiltigkcit. Höchstens
daß man im ersten Augenblicke ein wenig in Zorn und Hitze
geräth, aber auch das nicht so fast aus Kummer über den
Seelentod, sondern mehr aus Aerger über die Schande und
sonstige üble zeitliche Folgen. Woher rührt diese Gleichgiltigkcit?
Etwa daher, weil man den Werth einer Seele nicht kennt? O,
mau kennt denselben wohl. Sondern daher, weil man sich in
seinem Benehmen lediglich von den Sinnen leiten läßt, der
Seelentod aber von diesen nicht beachtet wird./
Dies, verehrte Zuhörer, ist ein sehr weit verzweigtes
Nebel. Nur zu Viele schauen bloß auf die greifbaren Folgen
der Sünde, nicht auf die Abscheulichkeit der Sünde selbst.
Sind solche Folgen nicht vorhanden, wie es bei Sünden in
Gedanken, Begierden und Reden öfters der Fall ist, so be
reuen und beichten sie dieselben gar nicht oder nur unge
294 XV. Soimlag nach PsmgsKn.
„ügend. Erst weun ein zeitlicher Schaden daraus erwächst,
kommen sie zur Reue. Eine solche Reue ist aber bloß eine
natürliche. Deswegen sind vielleicht mehr Beichten ungiltig,
als man glaubt. Doch das sei nur im Vorbeigehen bemerkt./
Meine Hauptabsicht geht heute dahin, aus deu Thränen,
welche die Mutter von Naim über den leiblichen Tod ihres
Sohnes weinte, den Schluß zu ziehen, wie bitter der Schmerz
des Christen sein muß über den Tod der Seele, den die
Sünde verursacht. Die Sünde ist der Tod der Seele; ihr
wisset es, das Wort Gottes, die heilige Schrift, die heiligen
Väter lehren es, das Wort Todsünde selbst drückt es aus.
Aber habt ihr es auch recht überdacht, recht erfaßt, was es
heiße, der Seele nach todt sein? Laßt es mich heute erklären
zu eurem Nutzen, zu eurem ewigen Heilem
Freilich fühle ich, daß ich hier eine schwierige Aufgabe
habe, da es sich um einen Tod handelt, den die Augen nicht
sehen und die Hände nicht fühlen, sondern der Sache des
Glaubens ist. Daher habe ich euch auch gleich Eingangs auf
merksam gemacht, daß der Christ sich nicht lediglich nach dem
Urtheile seiuer Sinne richten darf. Die Sinne kennen kein
anderes Gut, als das irdische, und darum wähnen sie, es
gebe keinen anderen Tod als die Trennung von diesen Gütern.
Aber eine ganz andere Welt, einen weit größeren Ocean des
Guten zeigt uns der Glaube, und daher auch eine andere
Trennung von anderen Gütern, einen anderen Tod. Diesen
will ich euch heute zeigen, damit ihr ihn für immer scheuet,
das Leben aber liebet. Beginnen wir im Namen Gottes.
Deine Gnade, o Jesus! sei mit uns. 5,

Worin besteht der Tod der Seele? So lautet unsere


Frage. Um die Antwort klar zu machen, müssen wir zunächst
erwägen, was der Tod überhaupt ist. Der Tod ist der Ver
lust des Lebens. Nun lebt aber der Christ ein dreifaches
Der Jüngling von Naim. ^95

Leben. Ein Leben besteht darin, daß sein Leib sich bewegt
und seine Sinne alle ihre Verrichtungen thun, daß er sieht,
hört, fühlt, kurz es besteht in all dem, was der Mensch, weil
in einen Leib gekleidet, mit dem Thiere gemein hat; und dieses
heißt das leibliche oder auch das niedrige, thierische und sinn
liche Leben. Dasselbe geht verloren durch den leiblichen Tod,
welcher eine Strafe für die erste Sünde ist, ohne daß
er jedoch gleich unmittelbar nach begangener Sünde eintreten
müßte./
Ein anderes Leben besteht in der Thätigkeit der Vernunft
oder des Geistes, indem der Mensch denkt, spricht, urtheilt
und begreift, mit freiem Willen handelt, kurz Alles thut,
was nur der Geist thun kann und wodurch sich der Mensch
vom Thiere wesentlich unterscheidet; und dieses heißt man das
vernünftige Leben. Dieses hat jeder Mensch, der zum Ge
brauche der Vernunft gekommen ist, auch nach der Erbsünde;
denn durch dieselbe hat er seinen Verstand und seinen freien
Willen nicht verloren, wenngleich diese Kräfte geschwächt wor
den sind. Dieses zweite Leben geht ebenfalls durch die Sünde
nicht verloren, nicht einmal in der Hölle, weil der Geist nicht
sterben kann./
Aber der Geist hat auch noch ein drittes Leben, und das
ist jenes, von welchem Christns sagt: ^ Jch bin gekommen,
damit sie das Leben haben. Und wieder:" Wenn ihr
das Fleisch des Menschensohues nicht esset, könnet
ihr das Leben nicht in euch haben. Oder an einer
anderen Stelle:' Wer mein Wort hört und glaubt,
der ist vom Tode zum Leben übergegangen. Dieses
Leben ist nicht so sichtbar und fühlbar wie die beiden anderen,
sondern man kennt es bloß durch den Glauben. Worin be
steht es denn eigentlich? Es besteht, um es kurz zu sagen,
darin, daß der heilige Geist auf wunderbare und gcheimuiß-

^Ulmn. X, ly. — >) Iliicl, VI. 54, — ') ldiä. V. 24.


296 XV. Somilag nach Pfingsten.

volle aber doch wahre und innige Weise mit der Seele des
Menschen vereinigt ist. Dadurch werden wir an Kindesstatt
angenommene Kinder Gottes, werden Brüder Jesu Christi
und Miterben des Sohnes Gottes; dadurch erlangen wir die
heiligmachende Gnade und die eingegossenen Tugenden des
Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, dadnrch das Vermögen,
gute und verdienstliche Werke für den Himmel zu thun; dadurch
werden wir fähig, dereinst die heiligste Dreifaltigkeit von An
gesicht zu Augesicht zu schauen und die gleiche Seligkeit mit
Gott zu genießen.»
Dieses drille Leben heißt das Gnadeuleben, weil es ein
ausschließliches Geschenk der göttlichen Gnade ist; heißt über-
natürliches Leben, weil es über das Wesen der menschlichen
Natur hinausgeht. Es ist ein Leben, das Gott dem Menschen
von Anfang an zu geben nicht schuldig war, sondern das er nur
aus freier Liebe uns geschenkt hat. Es ist jenes Leben, welches
Adam und Eva verloren haben, und ohne welches wir Alle
wegen der Erbsünde geboren werden. Es ist das Leben,
welches wir erst in der heiligen Taufe erlangen, die eben des
halb das Sakrament der Wiedergeburt genannt wird, weil,
wie wir in der natürlichen Geburt zum leiblichen Leben, fo
durch das Wasser und den heiligen Geist zum übernatürlichen
Leben wiedergeboren werden. Es ist ein Leben, welches der
Getaufte durch jede schwere Sünde tödtet und verliert, und
zu dem er nur durch das heilige Bußsakrament wieder er
weckt werden kann. Dies ist darum auch jenes Leben, welches
bei weitem nicht alle Menschen besitzen, sondern nur jene, welche
getauft, gut und rein von schweren Sünden sind, mit einem
Worte, die Gerechten.^
Jst nun dies Alles klar und gewiß, so werdet ihr daraus
leicht ersehen, worin der Tod der Seele besteht, den die Sünde
verursacht. Er ist der Verlust dieses übernatürlichen Lebens,
also der Verlust der Vereinigung mit Gott dem heiligen
Geiste, der Verlust der Kindschaft Goltes und des Anrechtes
Der Jnngling ron Naim: -^7

auf den Himmel, kurz alles dessen, was uns Gott wohlge
fällig, gerecht und heilig macht. Darum ist auch der Tod
der Seele viel furchtbarer als der Verlust des vernünftigen
und des leiblichen Lebens./
Den Verlust des vernünftigen Lebens nennt man Wahn
sinn. Welch ein trauriges Uebel der Wahnsinn, die Verrückt
heit, ist, brauche ich euch nicht zu sagen. Dessenungeachtet,
verehrte Zuhörer, wenn plötzlich das Zeichen des Menschen
sohnes erschiene, wenn der Herr in diesem Augenblicke Alle
vor seinen Richterstuhl forderte, wer meinet ihr, daß besser
daran wäre, jener, dessen Vernunft so zu sagen todt ist, der
Wahnsinnige, oder jener, dessen Seele todt ist, der Sünder?
O gewiß erginge es dem Wahnsinnigen unvergleichlich besser
vor Gott als dem Süuder.^ Der im Jrrenhause Lebende
ist unglücklich für diefe Lebenszeit, der Sünder aber wird
unglücklich für die ganze Ewigkeit. Beim Wahnsinnigen ist
der Verstand durch fixe Jdeen verrückt, er wollte die Narr
heit nicht, es gibt gar keinen Menschen, der mit Absicht wahn
sinnig werden möchte; der Süuder aber hat die ewige von
Gott gesetzte Ordnung verrückt, indem er freiwillig statt Gott
der Sünde und dem Bösen diente. Elend ist der Mensch,
dessen Verstand gleichsam todt ist; aber tausendmal elender,
wie ihr sehet, ist der Sünder, dessen Seele todt ist..
Der Tod der Seele ist ferner auch schrecklicher als der
leibliche Tod. Jst die Seele aus dem Leibe geschieden, sagt
der heilige Augustiu, so ist das der leibliche Tod; ist aber
Gott von der Seele geschieden, so ist dies der Seelentod.
Ein solcher Unglücklicher, welcher der Seele nach todt ist,
wenn er auch dem Leibe nach lebt, gleicht jenem reichen Manne,
dem der Blitz in seine Geldkiste fuhr, alles Geld darin ver
zehrte, die Kiste aber unversehrt ließ. So mag auch der
Leib des Sünders ganz gesund und frisch sein; aber der

') Stolz, Besuch bei Sem, Cham und Iaphet.


^98 XV. Homitag nach Pfiugsten.

überualürliche Neichthum, der Guadeuschatz des heiligen Geistes


ist dahin, und armer als arm ist dieser Mensch. Und wie
jener Reiche lieber die Kiste als das Geld verloren hätte,
ebenso wäre es ungleich besser das leibliche Leben als das
Seelenleben zu verlieren. Schrecklicher also ist der Tod der
Seele als der Tod des Leibes. Bei diesem verliert die
Seele bloß die Verbindung mit dem Leibe, bei jenem aber
die Verbindung mit Gott. So viel also Gott mehr werth
ist als der Leib, so viel ist auch der Verlust des Seelenlebens
größer als der Verlust des leiblichen Lebens.^
Der leibliche Tod trennt von den Erdengütern, der
Seelentod aber vom Himmel. Um so furchtbarer ist demnach
der Seelentod, als der Himmel mehr werth ist als die Erde.
Das Leben der Seele nähert sich seinem Werthe nach dem kost
baren Blute Jesu Christi, weil es mit diesem erkauft ist; es nähert
sich dem Himmel, weil wir uns denselben mit dem Gnadenleben
verdieneu; und der Verlust desselben, der Tod der Seele, sollte
nicht das äußerste Uebel sein, das uns treffen kann?/
Beim Tode des Leibes geht der Körper in Fäuluiß und
Moder über, wird abscheulich und häßlich und wird in das
Grab geworfen. Beim Tode der Seele aber geht die Seele
gleichsam in Fäuluiß über, ihre Kräfte werden zerrüttet, sie
wird unfähig etwas vor Gott Verdienstliches zu denken ge
schweige denn zu thun, sie wird ein Gräuel und Abscheu vor
dem Allerheiligsten, so daß, wie der heilige Bernhard schreibt,
(verzeihet, wenn ich sein Wort wiederhole) ein Aas vor Gott
weniger übel riecht als eine solche Seele; sie wird so abscheu
lich, daß die heilige Katharina von Siena, als ihr der Herr
einmal im Geiste eine Seele im Zustande der Sünde sehen
ließ, darüber in Krämpfe fiel und versicherte, tausendmal lieber
sterben als eine solche Seele wieder sehen zu wollen; wird
so abscheulich, daß alle Engel und Heiligen sich davon ab
wenden und der heilige Schutzengel, wenn ich so sagen darf,
trauernd und zürnend sein Antlitz verhüllt; wird so abschen
Der Jüngling voll Naim. 299
lich, daß sie verdient, nicht in ein Erdengrab, sondern in die
Hölle des ewigen Feuers geworfen zu werden; wird so ab
scheulich, daß sie dem Teufel ähnlich wird, denn wer sündigt,
ist ein Kind des Teufels.' Und der Tod der Seele follte
nicht der graulichste, der entfetzlichste, der furchtbarste sein,
furchtbarer als der leibliche Tod!/
Bedenket nur, daß das übernatürliche Leben einer eiu-
zigen Seele, welche in der Gnade Gottes lebt, mehr werth
ist als das leibliche Leben aller Menschen, die je gelebt haben
und leben werden; denn nicht für die Leiber, sondern für die
Seele hat der Sohn Gottes den unendlichen Preis seines
Blutes bezahlt. Wenn darum noch einmal die Sündflnlh
käme und die ganze Menschheit in ein Leichenheer, die ganze
Erde in einen unübersehbaren Leichenacker verwandelte, so
wäre der bloß leibliche Tod aller Menschen zusammen ein
viel geringeres Uebel, als der Tod einer einzigen Seele durch
die Sünde. Und dieser Tod sollte nicht der gräßlichste, der
schrecklichste sein?/
Wählen wir noch einen anderen Vergleich. Gewiß ist
der Besitz eines Reiches auf dieser Welt in den Augen der
Menschen kein kleines Ding. Wie viele blutige Kriege sind
öfters schon um eines solchen Reiches willen geführt, wie viele
Fluren, wie viele Dörfer und Städte verheert und zerstört,
wie viele Menschen verwundet, zu Krüppeln geschlagen und
gelüdtet worden? Wie viele Kräfte müssen anderseits zusammen
wirken, um ein solches Reich zu erhalten? Wie viele Beamte
werden erfordert, wie viele Gefetze und Verordnungen müssen
erlassen, wie viele Steuern und andere Lasten getragen, wie
viele Pflichten erfüllt werden? Und doch, was ist ein irdisches
Reich, wenn es nach dem Maßstabe des Himmels bemessen
wird? Wenn ein großes Weltreich, wie einst das römische,
das macedonische, das arabische oder mongolische, zu Grund

°) I. ^uuun, ill. 8. w.
309 XV. Sonntag nach Pfingsten.

ging, hat der Himmel darüber getrauert, hat er nur eine


einzige Thräne deshalb vergossen? Wenn dagegen eine einzige
Seele verloren geht, so trauert darüber der Himmel ebenso,
wie er sich umgekehrt freut, wenn eine Seele gewonnen wird.
Ueber die Bekehrung einer einzigen Seele freut sich, nach
den Worten des Heilandes," der Himmel mehr, als über
neunundneunzig Gerechte. Eiu großes Reich dieser Welt
ist also in den Augen Gottes etwas geringfügigeres als eine
einzige Seele. Wenn der oberste Weltenlenker sich um irdische
Reiche und Rationen bekümmert, so geschieht es nur um der
Seelen willen. An einer Seele hat Gott mehr Jnteresse als
an einem Erdenreiche, ja mehr als an der ganzen geschaffenen
Welt. Es ist wieder der untrügliche Mund der göttlichen
Wahrheit, der uns dies lehrt mit den Worten:' Was nützt
es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt,
aber an seiner Seele Schaden leidet? Die ganze Welt
wiegt also weniger vor Gott als eine einzige Seele. Welch furcht
bare Katastrophen, welch empfindliche Folgen hat gar oft der
Untergang eines Reiches dieser Welt nach sich gezogen? Aber,
o wie unbedeutend, wie nichtig sind dieselben vor Gott! Ein
Erdenreich geht eben nur für die Erde verloren, zieht bloß
einen zeitlichen Verlust nach sich. Der Untergang, der Tod
der Seele aber zieht den Verlust des Himmels, zieht ewiges
Elend, ewiges Verderben nach sich. Schließet also selbst wie
der, verehrte Zuhörer, welch ein schreckliches Uebel der Tod
der Seele ist..
Ju seiner ganzen Furchtbarkeit aber erscheint derselbe,
wenn wir bedenken, was es Gott kostet, um diesen Tod der
Seele zu besiegen. Um ein todte Seele zu erwecken, muß die
ganze heiligste Dreifaltigkeit thätig sein. Es bedarf der All
macht Gottes des Vaters, um einen Sünder zu bekehren.

°) I.ue. XV. 7. — ') zinttti. XVI. 26,


Der Jüngling von Nuim, 30 l

Wie viel vermochte doch der Erzengel Michael, der den Teufel
schlug? Wie viel vermag Maria, die Helferin der Christen,
die Fürbitterin der Sünder? Sie können für todte Seelen
bitten, aber sie sind nicht im Stande ihnen das verlorene
Leben zu geben. Das vermag nur der Herr des Lebens,
der Allmächtige. Es bedarf ferner der unendlichen Liebe des
Sohnes Gottes. Denn wenn alle Menschen seit Adam ihr
Blut hingäben, wenn alle Engel zusammen die größten Opfer
brächten und auf die Freuden des Himmels verzichteten, so
wäre dies nicht genug, um eine todte Seele zum Leben zurück
zurufen; dazu braucht es die unendliche Liebe des Sohnes Gottes
selbst, braucht es eine unendliche Genugthunng. Es bedarf
endlich der Gnade des heiligen Geistes. Alle Bußlhränen, die
geweint wurden, und wenn sie den Fluthen der Weltmeere
gleichkämen, könnten eine Seele nicht rein waschen, es bedarf
dazu des Gnadenthaues des heiligen Geistes. Und alle Liebes
akte der Chernbim und Seraphim zusammen, und glichen sie
Feuerbränden, die das Weltall verzehren, könnten die Ursache
des Todes, die Sünde, nicht austilgen, es bedarf der Gnaden
flamme des heiligen Geistes, um sie zu tilgen./
Um leiblichen Todten das leibliche Leben zu schenken, war
bloß ein Willensakt, ein Wort Gottes nothwendig: Mädchen
steh ans; Jüngling ich sage dir, steh auf; Lazarus
komm heraus, aber um geistig Todte zu erwecken, wisset ihr,
was dazu erfordert wurde? Es bedurfte des Blutes des
Sohnes Gottes, es bedurfte der Geißeln, der Dornenkrone,
der Nägel, des Kreuzes, an dem ein Gott hing. Dessen be
durfte es zur Besiegung des Seelentodes, zur Wiedergewinn
ung des übernatürlichen Lebens. Ein Bethlehem, ein Oelberg,
ein Kalvarienberg mit Allem, was sich an diese Namen knüpft,
war hier nothwendig. Und dieses Seelenleben soll nicht das
vornehmste, das kostbarste, und der Tod der Seele soll nicht
der ärgste, der gräßlichste sein? So möget ihr euch den»,
verehrte Zuhörer, aus dem Gesagten, indem ihr es überdenket,
302 XV. Sonntag nach Pfingsten.

selbst ein Urtheil bilden, wie schrecklich der Zustand desjenigen


ist, dessen Seele mit einer schweren Sünde behaftet, der todt
ist vor Gott. Lasset uns nun daraus einige Folgerungen
ziehen./

Jst der Tod der Seele etwas so Ungeheures, unver


gleichlich trauriger als der Verlust des Verstandes und un-
endlich ärger als der Tod des Leibes, so folgt daran» für's
Erste, daß Christus sich um so mehr als den wahren Sohn
Gottes zeigte, indem er den Tod der Seele hob./
Als die Juden die Erweckung des leiblich todten Jüng
lings von Naim sahen, war ihnen dieses ein unbestreitbares
Zeugniß für Jesus Christus, dem sie mit den Worten Aus
druck gaben: Ein großer Prophet ist unter uus auf
erstanden, und Gott hat sein Volk heimgesucht.
Müssen also wir nicht um so mehr das Gleiche rufen, wenn
wir vernehmen, daß Christus die gesammte Menschheit, so
viel an ihm war, vom Tode zum Leben erweckt hat? Die
gesammte Menschheit war zur Zeit Jesu der Seele nach
gleichsam Eine große Leiche; alle Menschen, mit äußerst
wenigen Ausnahmen, waren der Seele nach todt, ver
sunken in Unsittlichkeit und Götzendienst. Hat nicht Jesns
Christus diese geistestodte Menschheit erweckt zu neuem Leben,
so daß alle rein, keusch und heilig werden konnten, indem er
Allen die Macht gab, Kinder Gottes zu werden?«
Erweckt er nicht alle Zeit und auch heut zu Tage noch dura)
seine heilige Kirche zahllose Schaareu solcher geistig Todten
zum übernatürlichen Leben? Erweckt er nicht durch die Ver
kündigung seiner heiligen Lehre, durch die heilige Taufe und
das heilige Bußsakrament so Viele, die in Finsterniß nnd

') ^<'!»m, I, 12,


Der Jüngling von Naim. 3l)3

im Todesschatten sitzen, so daß sie in sein wunderbares Licht


gelangen und ein höheres Leben leben?.
Ja, verehrte Zuhörer, das ist der größte Beweis, daß
Christus der große Prophet ist, der sein Volk heimgesucht hat,
daß er der Erneuerer der Menschheit, der Erlöser, der Lc-
bensspender ist. Das ist das göttlichste Wunder, das Jesus
gewirkt hat, und für welches wir ihm zum tiefsten, zum nn-
aufhörlichen Danke verpflichtet sind. Schulden wir ihm schon
für die Wohlthat des leiblichen Lebens so großen Dank, was
schulden wir ihm erst für das Seelenleben!/
Jst der Tod der Seele etwas so Ungeheures, unendlich
ärger als der leibliche Tod, so folgt daraus zweitens, daß
derjenige, welcher durch freiwillige Vernachlässigung seiner
Pflicht, oder durch schlechte Erziehung, durch Verführung u. dgl.
schuld ist an dem geistigen Tode seines Nebenmenschen, wahr,
haft ein Mörder und des Mordes schuldig ist, und zwar
eines Mordes unendlichmal ärger, als wenn er die Verführ,
ten und der Seele nach Getödteten bloß dem Leibe nach ge
mordet hätte, und daß er vor Gott eine Verantwortung ohne
Ende und ohne Gränzen auf sich ladet. Und leider nicht un
bedeutend ist die Zahl dieser Seelenmörder in den verschie
denen Ständen, die durch ihre Pflichtversäumniß, dnrch ihr
Beispiel, ihre Reden, ihre Schriften oder Bilder und sonstige
ruchlose Künste und Mittel, Seelen morden und iu's Ver
derben stürzen. Jhr verabscheuet die Räuber und Mörder,
die euch oder Anderen nach dem Leben streben und euer irdi
sches Dasein verkürzen wollen, O traget diesen Adschen auch
auf die Seelenmörder über und fliehet sie! Fliehet sie mehr
als die Pest, mehr als giftige Schlangen; denn diese können
nur dem Körper schaden, jene aber schaden der Seele; diese
bereiten nur ein zeitliches Uebel, jene aber ewige Qnalen
der Hölle./
Jst der Tod der Seele etwas so Ungeheures , unendlich
ärger als der Tod des Leibes, so folgt daraus drittens, daß
304 XV. Sonntag nach Pfingsten.

derjenige, welcher eine schwere Sünde begeht, sich wahrhaft


eines Selbstmordes schuldig macht, und zwar eines Selbst
mordes an der eigenen Seele. Jst schon der leibliche Selbst'
mord ein so furchtbares Verbrechen, daß sich dagegen die
Natur sträubt, daß die Kirche ihn zu tiefst verabscheut, und
Gott ihn als den frevelndsten Eingriff in sein Majestätsrecht
und somit als einen namenlosen Gräuel betrachtet, was muß
man dann von dem Selbstmorde an der eigenen Seele denken,
wo die Seele unendlich mehr werth ist als der Leib? Welch
ein fürchterliches Scheusal ist demnach die Sünde, die Mörderin
der Seele! Wie, verehrte Zuhörer, ist nicht dieser einzige
Gedanke für sich allein mehr als hinreichend, um Jeden zu
rückzuhalten, der eine schwere Sünde begehen möchte? Und
doch, ach! wie Viele verüben diesen Mord an der Seele des
Nächsten, verüben diesen Selbstmord an ihrer eigenen Seck,
und zwar so leichtsinnig, so scherzend, oft um eines so kleinen
Vortheiles oder Gewinnes willen, wegen einer ganz niedrigen
und schmutzigen Lust, — daß man wahrlich meinen sollte, sie
hätten das Wort „Seele" niemals gehört und ständen mit
ihrem Verstande auf derselben Stufe wie die vernunftlosen
Geschöpfe,/ , . .
Erinnert euch darum, verehrte Zuhörer, erinnert euch
der heute vernommenen Wahrheiten, besonders in der Stunde
der Versuchung, zur Zeit der Gefahr, indem ihr zu euch felbst
sprechet: Sündige ich, so morde ich meine Seele, ich raube
ihr das göttliche Leben, das Leben der Gnade, die Vereinigung
mit Gott, und füge ihr den schrecklichsten Tod zu, den Tod
der Sünde. Wie, ich sollte eine so wahnsinnige Unthat an
mir selbst begehen können!/
Hast du aber gesündigt, armer Mensch, und den Mord
an deiner Seele verübt, dann kann ich nur an das Wort der
heiligen Schrift dich verweisen: ° Sohn! über den Todten

") Ke?Ii. XXXVIIl, IU.


Der Jüngling von Naim. 305
vergieße deine Thränen. Ja, Gott gebe dir, daß du
Thränen der Reue über einen so großen Todten weinest, wie
deine Seele ist. Spare deine Thränen nicht, denn dazu hat
sie dir Gott gegeben. Wäre dein Vater, deine Mutter, dein
Gatte, dein Kind gestorben, sie sind dir doch nicht so nahe
verwandt wie deine eigene Seele. Beweinest du mit vieleu
Thränen den Tod eines deiner Geliebten, so beweine noch un
gleich mehr deinen eigenen Seelentod. Sieh, auch dir gilt
das Wort, das der Herr auf seinem letzten Leidenswege nach
Golgatha zu den klagenden Fraueu Jerusalems sprach: '"
Weinet nicht über mich, über euch selbst und eure
Kinder weinet. Weine über den Verlnst der göttlichen
Kindschaft, weine über den Tod deiner Seele, damit aus
deinen Reuethränen, wenn sie sich mit dem Blute Jesu Christi,
mit seinen Verdiensten, vermischen, ein neues Seelenleben in
dir erzeugt werde./
Jst der Tod der Seele etwas so furchtbares, furchtbarer
als der leibliche Tod, so lernen wir darans, verehrte Zu
hörer, die Sünde, die Ursache des geistigen Todes, mehr als
jedes andere Uebel und Unglück fliehen. Zur Zeit als der
byzantinische Hof mit dem Gedauken umging, den heiligen
Erzbischof uud Kirchenvater Johannes Chrysostomus von
Constantinopel zu entfernen, äußerte sich eines Tages der
Kaiser vor einigen seiner Höflinge: Wenn ich mich nur an
diesem Bischöfe rächen könnte. Sogleich waren dieselben bereit,
dem Kaiser ihre schlechten Pläne mitzutheilen. Der Eine
sagte: Schicke ihn weit fort in die Verbannung, damit du
ihn nie mehr unter das Gesicht bekommest. Ein Anderer
äußerte sich: Nimm ihm alle Kirchengüter weg. Ein Dritter
sprach: Laß ihn mit Ketten beladen und in einen Kerker
werfen. Ein Vierter sagte: Bist du nicht Herrscher? laß ihu
umbringen, dann bist du seiner für immer erledigt. Allein

"') I.l,e. XXlll, 2",


Aerheimer, Parabeln u, Wunder, 30
30l, XV. Sonntag nach Pfingsten. Der Jüngling von Naim.

eilt Fünfter, klüger als die übrigen, bemerkte: Jhr täuschet


euch Alle, das ist nicht der rechte Weg, sich an Chrysostomus
zu rächen und ihn zu strafen. Denn wenn ihr ihn in die
Verbannung schicket, so wird die ganze Welt sein Vaterland
sein. Beraubet ihr ihn der Güter, so entziehet ihr dieselben
nicht ihm, sondern bloß den Armen. Werfet ihr ihn in ein
Gefängniß, fo wird er seine Ketten küssen und sich glücklich
preisen. Verdammet ihr ihn zum Tode, so öffnet ihr ihm
den Himmel. Wollt ihr euch an ihm wirklich rächen, so
zwinget ihn, eine Sünde zu begehen, ich kenne ihn, er ist ein
Mann, der gar nichts auf dieser Welt fürchtet als die Sünde.
Verbannung, Armuth, Kerker, Qualen und Martern, selbst
der leibliche Tod schüchtern ihn nicht ein, nur Eines fürchtet
er, den Tod der Seele, die Sünde. O Geliebteste! wenn
man das anch von uns sagen könnte! Lasset uns darum heute,
wo wir erkannt haben, welch furchtbares Uebel die Sünde, der
Seelentod, ist, neuerdings den Vorsatz machen, jede Sünde
und jede Gelegenheit zur Sünde zu fliehen nnd, wenn es
nöthig sein sollte, eher bereitwillig das Leben des Leibes hin
zugeben, als an der Seele Schaden zu leiden. Lasset uns
aber auch unablässig beten für jene, die noch im geistigen Todes-
schlafe liegen, damit der Herr, der große Prophet, auch sie
heimsuche und sie auferstehen zu neuem Leben. Amen. /^,
XIX.

Z)ie Aeilung des chichtbrüchigen.


(XVIII. Sonntag nach Pfingsten.)
Sie brachten zu ihm einen Gichtbrüchigen. I^»l,!l,, IX, 2.

. Aom Lande der Gerafener an der Ostseite des Sees von


Tiberias, wo der göttliche Heiland zwei Besessene geheilt
hatte, kehrte er wieder auf das westliche Ufer zurück und b>
gab sich in seine Stadt, d. h. nach Kapharnaum. Gleichwie
nämlich Bethlehem seine Stadt genannt wird, weil er daselbst
geboren, und Nazareth, weil er dort erzogen worden war,
so heißt auch Kapharnaum seine Stadt, weil er sich darin
häufig aufhielt. Sie war der Schauplatz vieler wunderbarer
Thaten. Hier begann Jesus zu predigen, hier heilte er, wenn
auch abwesend, den Knecht des Hauptmannes nnd den Sohn
eines königlichen Beamten, hier entrichtete er durch Petrus die
Tempelsteuer, offenbarte zuerst seine Macht über die unreinen
Geister, machte die Schwiegermutter des Petrus gesund nnd
heilte noch viele andere Kranke und vom Teufel Behaftete, so
daß der Ruf seiner Wunderthaten in Kapharnaum sich in
alle umliegenden Gegenden ausbreitete. Deshalb also, weil
er daselbst so oft verweilte und so viel wirkte, wird es auch
seine Stadt genannt. Wahrscheinlich wohnte er jedesmal im
Hanse und in der Familie des Petrus, wie sich aus mehreren
Stellen der Schrift schließen läßt. ^
20 «
308 XVIII. Sonntag nach Pfingsten.

Hier nun trug sich der nach dem Evangelisten Matthäus


eben gelesene Vorfall mit dem Gichtbrüchigen zu, welcher von
Markus und Lukas theilweise noch ausführlicher erzählt wird.
Kaum hatte sich nämlich die Kunde von der Anwesenheit des
Herrn verbreitet, so eilte auch sogleich eine große Menge
Volkes herbei, darunter manche Gesetzlchrer nnd Pharisäer,
um ihn zu sehen und zu hören. Er lehrte nun, vermuthlich
im oberen Theile des Hauses, während der Andrang der
Menge immer größer wurde. Die Nachricht war auch zu den
Ohren des Gichtbrüchigen gedrungen und er mochte wohl
sehnlichst wünschen, zu Jesus gebracht zu werden und von
ihm die Gesundheit wieder zu erlangen. Es fanden sich auch
vier Männer, die sich um ihn annahmen und ihn in seinem
Bette zu dem Hause des Petrus hintrugen. Allein da sie
wegen des vielen Volkes mit ihrer Bürde nicht durchdringen
und in das Jnnere des Hauses nicht gelangen konnten, so
trugen sie den Gichtbrüchigen auf das Dach, wohin gewöhnlich
auch von Außen eine Treppe hinaufführte. Meistens war
im Dache eine Oeffnung angebracht, theils um Licht und Lust
in das Gemach hinabzulassen, theils um durch dieselbe auf
die Plattform des Hauses zu gelangen, insbesondere zur Zeit
des Laubhütteufestes, wo die Juden bekanntlich im Freien
wohnen mußten zur Erinnerung an ihren Aufenthalt unter
Zelten in der Wüste. Da aber die Luke zu klein war,
so nahmen die Männer mehrere Ziegel hinweg, um sie
zu erweitern, und ließen dann den Krauken sammt dem
Bette in das Gemach hinab gerade vor Jesns hin, wo nun
die Heilnng und das Uebrige, was das Evangelium erzählt,
erfolgte. /
Es ist dieses für uns von der größten Bedentung.
Denn die Vergebung der Sünden, welche Jesus dem Gicht-
brüchigen gewährte, und die Worte, welche er hierauf an die
Pharisäer richtete, nm ihnen zu zeigen, daß ihm alle Macht
gegeben sei im Himmel und auf Erden, im Zusammenhalte
Die Heilung des Gichtbrüchigcn. 309

mit seiner späteren Anrede an die Apostel:' Wie mich der


Vater gesendet hat, so sende ich euch; wem ihr die
Sünden vergebet, dem sind sie vergeben; lassen uns
llar das heilige Vußsakrament erkennen, durch welches alle
Sünden wirklich nachgelassen werden. Allein es sind noch
eine Menge anderer Lehren darin enthalten./
Wir mögen uns die Männer näher ansehen, welche den
Gichtbrüchigen zu Jesus brachten, oder den Gichtbrüchigen
selbst, oder den Heiland, der ihm so große Gnaden erwies,
oder die Pharisäer, welche wie gewöhnlich mnrrten, oder end
lich das Volk, welches von Erstaunen ergriffen wurde und
Gott lobte und pries; in Allem finden wir Stoff zu den
lehrreichsten Erwägungen. Wir werden daher die einzelnen
betheiligten Personen und deren Worte oder Handlungen nach
einander durchgehen, um zu sehen, welche Lehren und Bei
spiele wir daraus für uns entnehmen können. Wie Christus,
nach den Worten des heiligen Petrus Chrysologus, während
er menschliche Handlungen verrichtete, zugleich göttliche Thaten
vollbrachte; so sind auch in den in den Evangelien erzählten
Handlungen gar viele Heilslehren für uns verborgen. Um
aber diese zu erkennen und ihnen entsprechend zu leben, be
dürfen wir des göttlichen Beistandes. Flehen wir daher um
denselben mit der gewohnten Bitte: Deine Gnade, o Jesus!
sei mit uns./'

Ein nachahmungswürdiges Beispiel geben uns vor Allem,


um mit ihnen zu beginnen, die Männer, welche den Gicht
brüchigen zu Jesus trugen, ja nicht bloß ein einfaches, sondern
ein doppeltes Beispiel, das der Nächstenliebe und ,das des
Gottvertrauens.
Traget, sagt der Apostels Einer des Andern Last,

^oxun, XX. 21, 23. — ') 6»1. Vl. 2.


310 XVlll, Eomitag nach Pfingsten.

so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. Eine zwei


fache Last müssen wir tragen: erstlich die Fehler Anderer, so
wohl ihre natürlichen Mängel und Gebrechen, als ihre sittlichen
Unvollkommenheiten, wie Zorn, Undank, Widerspruch und der«
gleichen; zweitens die Nöthen Anderer, in welchen wir ihnen
zu Hilfe kommen, sie unterstützen und, falls sie Sünder sind,
zu Gott für sie beten, um seinen Zorn durch unsere Verdienste
zu besänftigen. O wie genau handelten jene vier Männer
nach dieser apostolischen Mahnung! Sie trugen die Last der
Gebrechen ihres Mitmenschen, indem sie sich aus Eckek oder
Abscheu nicht von ihm fern abwendete sondern alle Unannehmlich
keit seines Znstandes mit Geduld aushielten; sie trugen des
gleichen die Last seiner Nöthcn, eilten ihm zu Hilfe und führten
ihn zu Jesus, damit er ihn au Leib und Seele gesund mache.
Damit haben sie wahrhaft das Gesetz Christi erfüllt. Denn
es ist ja sein Gebot, daß wir einander lieben. Sie bekehrten,
um mit dem heiligen Jakobus zu reden,' durch ihren Liebes
dienst den Sünder von seinem Jrrwege, retteten seine Seele
vom Tode und halfen die Menge der Sünden bedecken — ein
in den Augen Gottes unschätzbar gutes, ja das beste Werk.
Sie waren soinit nach zwei Seiten thätig, sie übten die leib
liche und geistliche Barmherzigkeit aus.
Hierin können sie uns als Muster der Nachahmung im
Verhalten gegen Kranke an Leib und Seele dieueu. Auch wir
sollen die leiblich Kranken besuchen und pflegen und sie zu
Jesus hinführen, d. h. sie in unserem Gebete Gott empfehlen,
sie bereden, daß sie nach der Mahnung des heiligen Jakobus ^
die Priester der Kirche zu sich rufen, damit diese ihnen
geistlichen Trost spenden, und sie in ihrer Schwachheit durch
die heiligen Sakramente stärken. Ebenso sollen wir unsere
der Seele nach kranken Brüder zu Jesus bringen, indem wir
erstlich nicht ablassen, sie zu ermahnen und zu bitten, daß sie

') ^eub V. 20, — <) Idicl, v, I l.


Die Hnlung des Gichibnichigcn. 3l l

der Sünde entsagen, ihre Vergehen reumüthig bekennen und


sich mit Gott versöhnen, und ihnen zweitens selber mit gutem
Beispiele vorangehen, von allen gefährlichen Gelegenheiten
uns fern halten, uns öfters den Gnadenqnellen nähern, und
ihnen so durch unser Lebeu beweisen, daß die heiligen Sakra
mente wirkliche Heilmittel der Seele, wirksame Mittel zur
Erlangung der christlichen Vollkommenheit sind. Deswegen
ermahnt uns auch der heilige Paulus im Briefe an die Co-
losser so schön und so nachdrücklich: ^ Ziehet an als Aus>
erwählte, Heilige uud Geliebte Gottes herzliches Er
barmen, Güte, Demuth, Eingezogenhcit, Geduld;
traget Einer den Andern, vergebet Einer dem Andern,
wenn er eine Klage wider ihn hat; wie der Herr euch
vergeben hat, so sollt auch ihr es thuu. Ueber Alles
aber habet Liebe zu einander, denn Liebe ist das Band
der Vollkommenheit./
Noch ein anderes Beispiel geben uns jene Mäuner, näm
lich das eines großen Gottvertrauens. Jene Männer, sagt
ein Schrifterklärer, müssen sehr gnt von Jesus gedacht und
einen großen Glauben an ihn gehabt haben; denn wie hätten
sie ohne Vertrauen auf seine Hilfe sich die Mühe nehmen
sollen, den Kranken hieher zu bringen? O daß doch so manche
Kleingläubige und Verzagte ebeuso dächten und handelten, statt
daß sie sagen: „Gott bekümmert sich gar nicht um mich, ich
bete immer, aber es hilft mir nichts." Merken sie nicht,
daß solche Reden einen Zweifel an der göttlichen Vorsehung
enthalten, und daß sie deshalb der Hilfe von Oben sich noch
unwürdiger machen? Derjenige hingegen, welcher unerschütter
lich auf Gott vertraut, weiß, daß der Herr Alles, auch die
schwersten Leiden und Prüfungen zum Besten lenken kann,
und darum läßt er sich nicht wankend machen, sondern spricht
mit dem Psalmisten:" Jch habe auf dich vertraut, o Herr,

5) c«Io3«. III. 12 «ec,<l. — ") r«l,Im. XXX. 2.


312 XVIII. Sonntag nach Pfingsten.

ich werde nicht zu Schanden. Und gewiß wird er


sich zuletzt, wenn er geduldig ausharrt, wenn er gleich jenen
Männern die Hindernisse nicht scheut und immer wieder zu
Gott seine Zuflucht nimmt, nicht getäuscht sehen, sondern zu
hören verdienen: Dein Vertrauen hat dir geholfen; denn
bewährt ist das Wort: „Gott verläßt nicht, wenn er nicht
verlassen wird."
Ja noch eine andere Lehre geben uns jene Männer.
Um den Kranken zu Jesus zu bringen, mußten sie Schwierig
keiten überwinden, sich plagen, das Bett mit dem Leidenden
auf das Dach schleppen, dieses erweitern und endlich die
Bürde hinablassen. Dabei hätte man ihnen Vorwürfe machen
könncu wegen ihrer Rücksichtslosigkeit, hätte über sie murren
können wegen ihrer Zudringlichkeit. Allein der Herr blickte
mit Wohlgefallen auf sie, weil sie nichts fürchteten, um zu
ihm zu gelangen. O wie beschämend ist dieses Benehmen für
so manche Christen, die, um für ihr Seelenheil zu sorgen, um
ein gutcs Werk auszuüben, stets tausenderlei Rücksichten haben
und immer mit den Worten bei der Hand sind: „Was wer
den die Leute sagen, wenn ich mich bei dieser frommen Sache be
theilige, wenn ich öfters dem Herrn im heiligen Sakramente mich
nähere, wenn ich mich um Elende und Verlassene annehme!"
Wie beschämend ferner ist jenes Beispiel für so viele Andere,
die es zwar mit Gott und den Guten halten möchten, aber
doch auch von der Welt und von den Gleichgiltigen nicht
lassen wollen und so immer auf halbem Wege stehen bleiben,
ohne je das wahre Ziel zu erreichen! Wer ernstlich das Gute
will, darf keiue solchen Hindernisse scheuen, darf sich nicht zum
Sklaven menschlicher Rücksichten machen, sondern muß gerade
zu auf das Ziel losgehen; dann wird, der Herr auch auf
ihn mit Wohlgefallen herabblicken.
Doch es ist Zeit, daß wir uns zu dem Gichtbrüchigen
selber wenden. Was lehrt uns wohl gleich der erste Anblick
desselben? Sieh, wie elend die Sünde den Menschen macht.
Die Heilung de« Gichlbrüchigcn. 3l3

Denn wenn wir den heiligen Thomas von Aquin und


andere heilige Väter fragen, warum Christus dem Gicht'
brüchigen vor der Heilung des Leibes zuerst die Süudeu nach
gelassen hat, mit deu Worten: Deine Sünden sind dir
vergeben; so erhalten wir die Antwort: Weil Jesus zuerst
die Wurzel des Uebels entfernen wollte. Es war also, die
Sünde, welche jenen Menschen so elend an Leib und Seele
gemacht hatte. Am Leibe; denn er war von der Gicht be
fallen, er konnte weder Hände noch Füße bewegen, weder
gehen noch stehen noch sonst etwas thun. An der Seele; denn
er war geistig todt vor Gott, was das allergrößte Uebcl ist,
das dem Menschen zustoßen kann.
Auf ähnliche Weise sucht der Herr gar oft mit schmerz
lichen und langwierigen Krankheiten oder sonstigen Leiden jene
heim, welche wegen ihrer Süudeu eine solche Züchtigung ver
dienten ; ja die Sünde ist oft der Grund eines kurzen Lebens.
Die Furcht Gottes, sagt die heilige Schrift/ vermehrt
die Lebenstage, die Jahre der Bösen aber werden
verkürzt. Gott, spricht wieder der fromme Job/ sucht
den Sünder mit Schmerzen im Bette heim und läßt
alle seine Gebeine verfaulen," wie dies z. B. bei An-
liochus von Syrien buchstäblich der Fall war. Gleichwie
nämlich das weltliche Gericht den Verbrecher nicht immer gleich
mit dem Tode bestraft, fondern ihn vorher im Kerker schmachten
läßt; so schickt Gott auch den Süuder nicht jedesmal augen
blicklich in die Hölle, sondern sendet ihm vorher allerlei Leiden und
Schmerzen. Der Gichtbrüchige lehrt uns daher, wie elend
die Sünde den Menschen an Leib und Seele machen kann,
und mahnt uns zugleich dringend, die Sünde zu fliehen, welche
in so großes zeitliches und ewiges Elend stürzt.^
Gott läßt jedoch leibliche Krankheiten auch oft aus an
deren Ursachen zu, sie sind nicht immer eine Strafe für die

') ?!,ov. X, 2?, — ') ^ul,, XXXIII. ip.


^"4 XVIII, Homttag unch Pfingsten.

Sünden. Er schickt auch den Gerechten Leiden, entweder nm


sie vorsorglich vor Stolz und Hochmuth zu bewahren und sie
noch demüthiger zu machen, oder um sie in der Geduld zu
üben und ihnen Gelegenheit zu noch reichlicheren Verdiensten
zn geben, endlich auch nm dadurch selbst noch mehr verherrlicht
zu werden, wie es zum Beispiele mit Lazarus und dem Blind-
gcboruen geschah. Jmmer aber ist es Pflicht des Christeu,
in solchen Umständen seine Zuflucht zu Jesus zu nehmen,
dem Helfer aller Bedrängten und Leidenden. Wer aber Sün
den auf dem Herzen hat, der säume nicht, sich vor Allem
von der Seelenkrankheit heileu zu lassen, und nicht, wie es
gar oft geschieht, zuerst alle Sorge auf deu Leib zu verwenden
und zuletzt an die Seele zu denken. Die Seele des Gicht-
brüchigen hat Jesus zuvor geheilt, uud darnach erst dessen
Leib, weil die Sünde ein größeres Uebel ist als alle Leiden
des Leibes zusammen./
Vier Männer brachten deu Kranken zum Heilande. Vier
Dinge verschaffen dem Sünder Gnade und Wiederversöhnung
mit Gott: Reue, Vorsatz der Besserung, Bekenntniß der Sün-
den und Genugthunng. Vier Dinge verhüten, daß er in die
Sünden zurückfäll!: Gedenke, o Mensch, in allen deinen
Werken an die vier letzten Dinge, an den Tod, die Kürze des
Erdenlebens, denn jeder Tag kann der letzte sein; an das Ge
richt, in welchem du vor dem allwissenden Gott über alle
Gedanke», Worte und Handlungen und Unterlassungen Rechen
schaft ablegen mußt; an die Hölle, die Qual des ewigen Feuers,
die den unbußfertigen Sünder trifft; an den Himmel, den
Gott den Gerechten und den frommen Büßern aufschließt.
Jn einem noch viel höheren Sinne aber faßt der heilige
Johannes Chrysostomus den ganzen Vorgang mit dem
Gichtbrüchigen auf. Er sieht in ihm, den die Sünde so elend
gemacht hat, das Bild der ganzen Menschheit, der heidnischen
Welt vor Christus, welche an einem menschlich unheilbaren
Uebel litt, unfähig war, selber zu Gott hinzuzutreten und nach
Die Heilung de« Gichtl'nichigcn. 3l5

den vier Himmelsgegenden zerstreut auf der Erde wie ein


hilfloser Krauker auf dem Nette lag. Als aber Christus für
sie am Kreuze Vergebung der Sünden erwirkt hatte, da konnte
sie sich erheben und in ihr Haus zurückkehren, das sie verlassen
hatte, in's himmlische Paradies. Einen gleichen Gedanken
drückt anch der heilige Augustin aus, wenn er sagt: „Ein
großer Arzt kam vom Himmel, weil ein großer Kranker auf
der Erde lag." Doch vergegenwärtigen wir uns auch die
Person dieses Arztes./
Jn dreifacher Weise können wir Christus im Hause zu
Kapharnaum betrachten, nämlich als Wohlthäte r, als Lehrer
und als Gott. O wie zärtlich, wie wohlthuend mag das
Wort aus seinem Munde gewesen sein: Sei getrost, mein
Sohn! „O bewunderungswürdige Demuth, ruft der heilige
Hierouymus aus/ einen elenden und gebrechlichen Menschen
würdigt er, ihn Sohn zu nennen, ihn, den die jüdischen
Priester nicht einmal zu berühren wagten." Er ihn nennt
Sohn, nicht nur weil er ihn geschaffen, sondern noch mehr,
weil er ihm Vergebung seiner Sünden gewähren und ihn da
durch zu einem Kinde der Gnade machen will. Welches
Vertrauen muß darum auch in jedem reuigen Christen ent
stehen, wenn er vor dem Priester an Gottes Statt kniet, und
dieser seinem Beichtkinde die Sünden nachläßt und es zu einem
Kinde Gottes macht! Auch das ist eine Wohlthat, ja eine
unermeßliche Wohlthat Jesu Christi; denn was würde der
sündige Christ beginnen, wenn der Herr seinen Priestern nicht
die Macht der Vergebung verliehen hätte? O daß sich doch
dies alle jene gesagt sein ließen, welche vor dem heiligen
Bußsakramente eine so große Scheu haben und lieber Kinder
der Finsterniß bleiben, als daß sie Kinder Gottes werden.
Daß dies doch alle jene beherzigten, welche aus unbegründeter

') ln c-ip. 9. ziattb.


3 I6 XVill. Sonntag uach Pfingsten.

Furcht oder falscher Scham Sünden verschweigen und so, statt


getröstet zu werden, nur einen neuen Stachel in's eigene Herz
bohren! Wer mit lebendigem Glauben, mit wahrer Rene und
Zerknirschung und mit Vertrauen zu Gottes Stellvertreter
dem Beichtstuhle sich nähert und alle seine Wunden aufdeckt,
der wird stets am Priester einen Vater finden, der ihn wie
den verlornen Sohn oder wie Jesus den Gichtbrüchigen auf
nimmt./
Jesus erscheint aber hier nicht bloß als Wohlthäter,
sondern auch als Lehrer. Er spricht zu deu Pharisäern:
Warum denket ihr Böses in euren Herzen? So
Manche nehmen auf ihre inneren Gedanken, Neigungen und
Absichten gar keine Rücksicht, wähnend, daß diese nicht so sehr
sündhaft seien. Und doch spricht der Herr: Warum denket
ihr Böses? Lehrt er also damit nicht klar, daß man sich
auch in Gedanken versündigen könne, und gibt er nicht zugleich
die Weisung, sich dieselben auf der Stelle aus dem Sinne zu
schlagen, sobald sie im Herzen aufsteigen, indem man zu sich
selber spricht: Wie, ich sollte Böses denken, da Gott Alles
weiß, in dem Herzen liest und einst Rechenschaft darüber
fordert? Hinwieder gibt es aber auch Andere, welche oft von
bösen Gedanken gegen den Glauben, gegen die Reinigkeit oder
gegen die Nächstenliebe geplagt werden, jedoch ganz gegen
ihren Willen. Sobald diese bemerken, womit ihr Geist sich
beschäftigt, erwecken sie allsogleich einen lebhaften Abscheu da
gegen; ja Manche werden ganz betrübt, wenn sie sich solcher
Gedanken nicht gleich erwehren können und dieselben immer
wiederkehren. Zu Solchen spricht der Herr nicht wie zu deu
Pharisäern: Warum denket ihr Böses in eurem Her
zen, sondern vielmehr: Sei getrost, mein Sohn. Denn
ein solcher geistiger Kampf gegen den bösen Feind und gegen
die Reize der Sünde gereicht ihnen zu größerem Verdienste
und führt sie noch mehr zu Gott, weil sie im Andenken au
ihn stets wieder Hilfe finden. Es wollte sich, können sie
Die Heilung de« Gichtbrilchigen. 31?

mit dem Pscilmisten sagen,'" nicht trösten lassen meine


Seele; da gedachte ich Gottes, und ich ward er-
heitert./
Endlich zeigt sich Jesus hier als Gott, und zwar als
allwissender und allmächtiger Gott. Als allwissender Gott,
denn er kannte die Gedanken; als allmächtiger Gott, durch
die Sündenvergebung und die plötzliche Heilung des Leidenden:
Sei getrost, mein Sohn, deine Sünden sind dir ver-
geben. Die Pharisäer dachten, Christns lästere Gott, weil
sie von der Ueberzeugung ansgiugen, mir Gott allein könne
Sünden vergeben. Christus aber vergab die Sünden, und
zum Beweise, daß er die Macht dazu habe, wirkte er das
handgreifliche Wunder; er ist also Gott. Was ist leichter,
fragte er die Hartgläubigen, zu sagen: Dir find deine
Sünden vergeben, oder zu sagen: Steh auf und geh.
Er wollte damit ausdrücken: Euch scheint es freilich leichter
zu sein, etwas bloß zu sagen, als es auch wirklich zu thun.
Allein ich sage es nicht bloß, sondern thue Beides, ich lasse
die Sünden nach und mache die Seele gesund, ich heile aber
ebenso die Krankheit und mache den Leib gesund, damit ihr
ja nicht länger an meiner göttlichen Macht über den ganzen
Menschen, über Seele und Leib, zweifeln könnet. Und kaum
hatte er zum Kranken gesagt: Steh auf, nimm dein Bett
und geh nach Hause, stand auch dieser auf und ging in sein
Haus, zum Erstaunen der großen Volksmenge, welche Zeuge
war, da vorher vier Männer zu thun hatten, ihn fortzubringen,
Jesus erscheint also hier als Wohlthäter, Lehrer und Gottes
Sohn./
Aber noch ein anderer Umstand dürfte hiebe! beachtet
werden. Wir lejen in den Evangelien von drei Gichtbrllchigen,
deren Heilung ausführlicher erzählt wird. Der Erste war der
Knecht des Hauptmannes zu Kapharnaum, " welcher im

°) ?H,',!m, I.XXV! '!, l — ") zl„ttl,, V!I>,


318 XVIII. Sonntag nach Pfingsten.

Hause gichtbrüchig lag und deu Jesus, obwohl entfernt, als


er seines Gebieters demüthigeu Glauben gesehen: Ich bin
nicht würdig, daß du eingehest unter mein Dach, ge^
sund machte. Der Andere war der achtunddreißig jährige
Gichtbrüchige, welcher an Bethsaida/° an dem Fischteiche zu
Jerusalem lag, aber unvermögend war, in das Wasser hinab
zusteigen und durch das Bad die Gesundheit zu erlangen.
Auch zu diesem sagte Jesus: Steh auf, nimm dein Bett
uud geh, und überdies gab er ihm den wohlverständlichen
Wink: Sündige nun nicht mehr, damit dir nicht etwas
Aergeres widerfahre. Der dritte eudlich ist der Gicht"
brüchige im beutigen Evangelium. Diese drei Gichtbrüchigen
nun: der eine im Hause, der andere am Teiche und der dritte
im Bette, sind ebenso wie die drei Todteu, die Jesus erweckte:
die Tochter des Jairus im Hause der Aeltern, der Jüngling
von Naim auf öffentlicher Strasse, und Lazarus, der bereits
vier Tage im Grabe lag, ein Bild der drei Hauptklassen von
Süudern, der verborgenen und geheimen, der offenkundigen
und allbekannten, und endlich der Gewohnheitssünder.
Erstere schämen sich wenigstens und wünschen nicht, daß
ihre Haudlnugcn bekannt werden; die anderen dagegen haben
dieses Schamgefühl bereits abgelegt und verüben ungescheu»
Böses; die dritten endlich sind ganz in's Laster verstrickt und
verharren in ihrer Bosheit gleich Leichnamen im Grabe, oder
gleich Kranken, bei denen die Hoffnung bereits aufgegeben ist.
Dennoch hat Jesus keiueu verloren gegeben, für jeden hatte
er Erbarmen und Hilfe, weun er nur gläubig war, auf sein.,'
Stimme hörte und sich helfen lassen wollte. Kein Sünder
also darf an Gottes Gnade und Barmherzigkeit verzweifeln,
jeden will der Herr retten, aber er muß d»s Bett verlassen,
muß der sündhaften Gewohnheit, die ihn umstrickt hielt, eut
sagen und in das Hans Gottes gehen, d. h. fortan seinen

") ^nnnn. V.
Die Heilung de« Gichtlrüchigen. 3! 9

christlichen Pflichten getreu nachkommen, nicht mehr als Silu'


der sondern als Gerechter leben.
Aber wir haben noch zwei weitere Betheiligte zu betrach'
ten: die Pharisäer, von welchen wir wenigstens lernen sollen,
wie wir uns nicht verhalten dürfen, nnd das Volk, das uns
zeigt, wir wir uns für empfangene Wohlthaten daxkbar de,
zeigen sollen. Auch ihnen müssen wir darum noch knrz unsere
Aufmerksamkeit zuwenden./

Der göttliche Heiland hat uns die Pharisäer gar oft als
abschreckendes Beispiel vor Augen gestellt, hier aber, bei der
Heilung des Gichtbrüchigen ist es vorzüglich ihr falscher Ver
dacht und Argwohn, wovor er uns warnt. Sie hegten feiud'
selige Gesinnungen gegen Jesus, dachten Böses von ihm und
beschuldigten ihu sogar in ihrem Herzen der Gotteslästernng,
O! der Argwohn, verehrte Zuhörer, ist eine gar häßliche nnd
verabscheunngswürdige Sünde; dennoch kommt er so häufig
vor. Gar oft denkt man im Herzen Böses von seinen Mit
menschen, gar oft stellt man sich den Nächsten schlecht und
sündhaft vor, deutet seine Reden und Handlungen falsch, legt
ihm seine guten Absichten bös aus, unterschiebt ihm Dinge,
an die er gar nicht denkt, und sucht überhaupt au ihm Alles
in ein schiefes und ungünstiges Licht zu setzen. Mau vergißt
dabei gänzlich auf das göttliche Wort: " Richtet nicht, da^
mit auch ihr nicht gerichtet werdet; verdammet nicht,
damit anch ihr nicht verdammet werdet. Durch Arg,
wohn und freventliches Urtheil greift der Mensch gleichsam
Gott vor; er kann nicht in das Herz des Anderen hineinsehen
und darin nicht alle Gedanken und Absichten lesen wie Gott,
und dennoch wirft er sich zum Richter auf. So thateu die

") ^»e. Vl, 87.


320 XVlll. Sonntag nach Pfingsten.

Pharisäer, und darum dienen sie uns als Beispiel, wie wir
nicht handeln sollen./
Gar viele schlimme Folgen zieht der Argwohn nach sich.
War nicht der Argwohn des Herodes, daß Christus ihn vom
Throne stoßen könnte, die Schuld am Kindermorde? War
nicht der Argwohn Sauls, der in David beständig einen Feind
vermuthete, Ursache aller ungerechten Schritte, selbst des Ver
suches zur Ermordung des schuldlosen David? Ja der Arg'
wohn ist sogar ein Zeichen, daß derjenige selber ein schlechtes
Herz hat, welcher vom Nächsten Schlechtes denkt. Denn wer
selbst nicht böse ist, schreibt der heilige Gregor von Na,
zianz, der argwöhnt auch von Anderen nicht leicht etwas
Böses; ein böser Mensch aber glaubt es ganz geru, daß An-
dere ebenso sind wie er./
Darum ist es gut, den Rath Hugo 's von St. Victor
zu befolgen, welcher sagt: " „Sei so mild gegen fremde Ver-
gehen wie gegen deine eigenen; beurtheile Niemanden strenger
als du dich selber beurtheilest; richte Audere so, wie du selbst
gerichtet zu werden wünschest. Dein Gesetz bindet dich; das
Urtheil, das du über Audere fällst, wirst du selbst tragen.
Verdamme Niemanden vor dem Gerichte; prüfe zuerst, und
dann urtheile; denn nicht wer angeklagt, sondern wer über
wiesen wird, ist schuldig." Darum, Geliebteste, ahmen wir
nicht die Pharisäer nach, nicht wegen der Gefahr, Anderen
Unrecht zu thun, und nicht um unser selbst willen, damit uns
nicht mit dem Maße eiugemessen werde, mit welchem wir
ausmessen. Befleißen wir uns vielmehr jener Liebe, von wel
cher der Apostel sagt: '° Die Liebe ist nicht selbstsüchtig,
sie läßt sich nicht erbittern, sie denkt nichts Arges.^
Endlich haben wir auch noch das Beispiel zu beachten,
welches die Volksmenge uns gibt. Die Schaaren, sagt
das Evangelium, staunten und priesen Gott, der den

") De -mim Ilb. II, el!s>. 27, — '-) I. collntl, X!II, 5,


Die Heilung des Gichtbriichigcn. 321

Menschen solche Gewalt gegeben. Sie hatten gesehen, wie


Christus den Kranken plötzlich geheilt hatte, wie dieser sogleich
vom Bette aufstand und gesund nach Hause ging, und diese außer
ordentliche Wunderthat erfüllte sie mit heiligem Erstaunen, mit
Ehrfurcht vor dem Herrn. Sie hatten' aber auch gehört, wie
Christus das Wunder als Beweis wirkte, daß er Macht habe
Sünden zu vergeben, und dieses erfüllte sie mit noch größerem
Erstaunen, und zugleich brachen sie in Danksagungen und Lob
preisungen Gottes aus. Hätten sie ahnen können, daß Chri
stus auch anderen Menschen diese Macht ertheilen könne,
Sünden zu vergeben, und daß diese Gewalt fortdauern soll
bis an's Ende der Zeiten, welche Bewunderung, welches Er
staunen hätte sie dann ergreifen, in welche Lobpreisungen Got
tes hätten sie dann ausbrechen müssen?/
Was jene Schaaren nicht wußten, das wissen wir, Ge
liebteste, das haben wir schon unzählige Male an uns und an
Anderen erfahren. Wenn daher jene wegen einer einzigen,
einem anderen Menschen erwiesenen Wohlthat Gott dankten
und ihm die Ehre gaben, was werden wir thun müsseu, die
wir diese Wohlthat schon so oft genossen haben? Allein was
geschieht gar oft statt dessen? Lohnen wir nicht unzählige
Male die Wohlthat der Sündenvergebung mit neuen Beleidig
ungen Gottes, mit neuen Sünden, vergessen wir nicht unzählige
Male Gott zu danken für die Einsetzung des heiligen Buß-
sakramentes ? Gibt es nicht sogar Menschen, die sich Christen
nennen, und diese vom Herrn durch Wunder bewiesene Wohl
that verwerfen und jenes heilige Sakrament läuguen und als
Menschenerfindung, als Priestertrug ausgeben? Wird es end
lich nicht sogar von vielen Katholiken verkannt oder doch ganz
unbenützt gelassen? Dürfen sich solche Christen wohl mit
jenen Volksschaaren messen, die damals noch lange nicht so
viel von Jesus wußten, als wir wissen, oder müssen sie nicht
eher im Vergleiche mit ihnen tief beschämt werden? O, Ge
liebteste! darin liegt ein großer, ein furchtbarer Vorwurf für
Aerheimer, Porodeln u. Wxnder. 2l
322 XVlll. Sonntag n. Pfingsten. Die Heilung d. Gichtbrilchigen.

uns, wenn wir Gottes Gnaden so wenig erkennen und schätzen


und uns weigern, ihm die Ehre zu geben. Bleiben wir doch
nicht hinter jenem Volke, zurück. Tausendmal mehr Grund
haben wir Gott zu loben und zu preisen./
Der heilige Thomas von Villanova, um zum öfteren
Empfange des heiligen Bußsakramentes zu ermuntern, zählt
verschiedene Vortheile desselben auf, indem er sagt: '" „Gebet
Acht, ich bitte euch, welcher Trost darin für die Seele liegt,
welche Sicherheit und Ruhe des Gewissens daraus entsieht,
welche Lebensernenerung, welche Hoffnung auf Gnade bei Gott,
welche Erleichterung des Herzens, welche Leichtigkeit im Wider
stande gegen die Sünde und in Vollbringung des Guten, in
Besserung des Lebens und Vermehrung der Andacht, kurz in
allen geistigen Gütern, die zum ewigen Heile beitragen." Ge
wiß, Geliebteste, jeder von euch, der in rechter Weise dieses
heilige Sakrament empfing, wird die Wahrheit dieser Worte
bestätigen können. Wenn wir nun für jede einzelne Gnade
Gottes, auch für die geringste, uns dankbar bezeigen sollen,
wie werden wir für dieses heilige Sakrament danken müssen,
in welchem so viele Gnadenschätze enthalten sind?/
Lernen wir also, verehrte Zuhörer, aus dem heutigen
Evangelium von jenen vier Männern, wahre Nächstenliebe und
Gottvertranen, verlassen wir mit dem Gichtbrilchigen die
Sünde, beten wir an unfern Herrn und Heiland als unseren
Gott und Erlöser, fliehen wir die pharisäischen Laster und
richten wir endlich unser Leben so ein, daß es ein immerwäh,
render Dank, eine beständige Lobpreisung Gottes ist. Amen./

'°) 8ei'm. in vom. IV. H!l»6r.


XX.

Zas Königliche Aochzeitmaßl.


(XIX. Sonntag nach Pfingsten.)

Mit dcm Himmelreiche ist es wie mit einem Könige, der seinem Sohne
Hochzeit hielt, «nttli. XXII. 2.

^m Buche der Sprüchwörter läßt sich Salomon, dessen


sich die göttliche Weisheit als eines Werkzeuges ihrer Mit
theilungen bediente, also vernehmen: ' Die Weisheit hat
sich ein Haus gebaut, ausgehauen sieben Säulen;
sie hat geschlachtet ihre Opferthiere, Wein gemischt
und aufgestellt ihren Tisch. Sie sendet ihre Mägde,
daß sie rufen bei der Burg und an den Mauern der
Stadt: Wer etwa Kind ist, komme zu mir! Und zu
den Unverständigen sagt sie: Kommet, esset mein
Brod, und trinket Wein, den ich gemischt für euch.
Wenn wir diese Worte in ihrer allernächsten Bedeutung
nehmen, so erinnern sie uns sogleich an jenes Haus, das
Salomon selbst, als Repräsentant der Weisheit, erbaute, an
den Tempel, gestützt mit vielen Säulen, in welchem er eineu
Altar errichtete, auf dem die Opferthiere geschlachtet und die
Trankopfer mit Wein ausgegossen wurden, wo er einen Tisch
für die Schaubrode aufstellte, von wo aus immerdar den

') ?,ov. IX. ! «<?qq.


2l
324 XIX. Sonntag nach Pfingsten.

Kindern Jsraels das Gesetz und die Gebote Gottes verkündet


und erklärt und wohin sie zu den Opfern gerufen wurden.
Wie aber der ganze alte Bund mit allen seinen Jnsti
tutionen vorbildlich war für den neuen Bund, so sind es auch
diese Worte Salomous. Es ist die ewige Weisheit des Va
ters, der Sohn Gottes, der ein solches .Haus wirklich erbaut
und aushaut sieben Säulen, seine heilige Kirche mit den sieben
Gnadengaben des heiligen Geistes und mit den sieben heiligen
Sakramenten. Für sie läßt er sich schlachten als das wahre
Opferlamm, das zur Schlachtbank geführt wird, mischt Wein,
vergießt sein kostbares Blut, und stellt einen Tisch auf, den
Altar, von dem aus er immer einladet zum Genusse jenes
Brodes, das zum ewigen Lehen führt. Aus dieser Kirche
sendet er die Mägde, die Dienerinen der Weisheit, seine
Apostel, die Lehrer, Priester und Seelsorger, damit sie alle
rufen, die zur göttlichen Kindschaft bestimmt sind, er sendet
sie in alle Flecken und in alle Städte, damit sie überall den
Unverständigen die Lehren des Heiles verkünden und sie ein
laden zur Theilnahme an seinem Brode und Weine, an jenen,
Mahle, das er ihnen bereitet hat./
Von einer solchen Aussendung von Dienern und von
einer Einladung zu einem festlichen Mahle ist auch im heuti
gen Evangelium die Rede, nur daß das Bild in einem viel
größeren Maßstabe und mit noch markirteren Zügen und be
stimmteren Farben darin ausgeführt ist. Um so unverkenn
barer und klarer ist darum auch der Sinn dieser Parabel.
Es ist nicht mehr die Berufung zum alten Bunde mit seiner
Opferstätte im Tempel, es ist eine viel großartigere Berufung,
für welche der alte Bund nur Vorbereitungsmittel war, und
zu einem weit kostbareren Mahle mit dem Königssohne, es ist
die bis an die Gränzen der Erde an alle Völker ergangene
Einladung zum neuen Bunde, zur Vereinigung mit Jesus
Christus, sowohl zu einem wahren Hochzeitmahle mit ihm auf
Erden, als zu einem ewigen Gastmahle mit ihm im Himmel,
Da« königliche Hochzcitmahl. 3^5

es ist die Einladung zu seiner alle Menschen umfassenden


Gemeinschaft in seiner heiligen katholischen Kirche und zu einem
festlichen Mahle in dieser Kirche, zum heiligen Abendmahle.
Die Theilnahme am Tische des Herrn soll aber zugleich ein
Unterpfand künftiger Herrlichkeit sein, gerade so wie die strei
tende Kirche der Weg zur triumphirendcn Kirche, zur ewigen
Tischgenossenschaft mit Gott ist./
Auf solche Weise tritt uns denn in der heutigen Parabel
der Begriff der Kirche in seiner ganzen Bedeutung entgegen,
als der Kirche aus Stein mit Jesus im heiligsten Sakramente,
der Kirche als Heilsanstalt, und der Kirche im Himmel.
Leider aber drängen sich in diese herrlichen Lichtseiten auch
dunlle Schattenseiten herein. Nicht Alle folgen der Einlad
ung, und auch von jenen, welche der Einladung folgten, wer
den Manche wieder verstoßen. Viele sind berufen, aber
Wenige auserwählt. Es ist die Verwerfung der Juden,
die zunächst den Pharisäern vom Herrn begreiflich gemacht
wird, aber auch die Verwerfung des Christen, der ohne hoch
zeitliches Gewand erscheint./
Welch eine Fülle von Wahrheiten, verehrte Zuhörer, ist
also im heutigen Evangelium enthalten? Eine solche Menge,
daß wir kaum im Stande sind, sie auf einmal zu überblicken.
Darum wird es wohl am Besten sein, wenn wir dasselbe
zergliedern in bestimmte Haupttheile nnd diese nacheinander
erwägen. Fassen wir darum zunächst die Hochzeit ins Auge,
die der König seinem Sohne bereitet. Darauf die erste Ein
ladung, sodann die zweite, und endlich das Gericht über den
Mann ohne hochzeitliches Gewand. Wir finden im Ganzen
eine vollständige Geschichte beginnend vom Rathschlnsse der Er
lösung bis zur Vollendung des Reiches Gottes, nnd in jedem
einzelnen Punkte wieder einen Reichthum besonderer Lehren
für uns. Gehen wir also ans Werk mit der Bitte: Deine
Gnade, o Jesus! sei mit uns./
326 XlX. Sonntag nach Pfingsten.

Mit dem Himmelreiche ist es wie mit einem Könige,


der seinem Sohne Hochzeit hielt. Wer ist dieser Herr
scher, wer ist sein Sohn, worin besteht die Hochzeit? Das
sind die ersten Fragen, verehrte Zuhörer, die sich uns auf
drängen und deren Lösung nicht schwer ist. Der König ist
Gott der Vater selbst, der überall herrscht, im Himmel, auf
Erden und unter der Erde, im Himmel als König der Glorie,
auf Erden als König der Gnade und in der Hölle als König
der Gerechtigkeit. Sein Sohn ist die von Ewigkeit erzeugte
zweite Person der Dreieinigkeit, Jesus Christus, der öfters in
der heiligen Schrift ein Bräutigam genannt wird. So bei
Matthäns, wo er von sich selbst sc,gt:° Wie können die
Kinder des Bräutigams, die Apostel, trauern, solange
der Bräutigam bei ihnen ist? Ebenso in der Parabel
von den klugen und thörichteu Jungfrauen;' und wiederholt
in der geheimen Offenbarung des heiligen Johannes. ^ Und
wer ist denn die Braut, mit wem hält der Sohn des ewigen
Königs Hochzeit? Die heiligen Bäter geben darauf dreierlei
Antworten, die alle richtig sind..
Die erste Vermählung feierte er in seiner Menschwerdung,
als er im jungfräulichen Schooße Mariens wie in einem
Brautgemache unsere Natur annahm und sie mit seiner gött
lichen Natur auf das Jnnigste und Unzertrennlichste zu Einer
Person, hypostatisch, vereinigte. Von Ewigkeit her war diese
wunderbare Verlobung im Rathschlusse Gottes beschlossen, bis
sie durch das:^ Mir geschehe uach deinem Worte ver
wirklicht wnrde, um bald darauf von den Engeln den Hirten
und durch einen Stern den Weisen verkündet, von den Schrift-
gelehrten zwölf Jahre später nnbewnßt angestaunt und zu
letzt von aUem Volke bewundert zu werden, das an dem all
gemeinen Wohlthäter keinen bloßen Menschen mehr sah, bis

') U»ttn. lX, 15. - ') «l.ttb. XXV. — ') ^poo. XVlII, XXI.
°) I.NL. I, ?8,
Da« toiiigliche Hochzeitmahl. 32?

es endlich mit dem Hauptmcmne unter dem Kreuze gestehen


mußte:" Wahrlich, der war Gottes Sohn, der Gekreuzigte
ist Gott und Mensch zugleich./
Seine zweite Vermählung feierte der Sohn Gottes mit
seiner heiligen Kirche. Sie hat er geheiligt und gereinigt im
Bade des Wassers, damit sie ihm eine herrliche Braut werde,
die, wie der Apostel sagt,' weder Flecken hat noch Runzeln,
sondern heilig ist und unbefleckt. Sie hat er mit sich verlobt, so
daß aus ihm, dem Haupte, und der Kirche, den Gliedern,
nur Ein Leib entsteht; sie hat er enger mit sich vermählt, als
es das Band der Ehe bewirken kann; denn groß, schreibt der
heilige Paulus^ ist dies Geheim niß in Christo und in
der Kirche. Wie die menschliche Natur, die er mit seiner
göttlichen Person verband, ein Werk seiner schöpferischen
Macht ist, so ist die Kirche die Frucht seiner Erlösungsthat,
weil er sie durch sein Blut erworben hat; und darum liebt
er sie auch so innig, darum begnügt er sich nicht mit einer
unsichtbaren Verbindung allein, sondern weilt wesentlich in
ihr durch seine sakramentale Gegenwart im Tabernakel./
Eine dritte Verlobung endlich geht der Sohn des Ewigen
ein mit jeder gläubigen Seele, wie er es einst durch Oseas ver
heißen:^ Und ich verlobe dich mir in Treue, damit du
erkennest, daß ich der Herr bin. Diese Vermählung be
ginnt er in der heiligen Taufe und erneuert sie iu der Buße,
diese Vermählung setzt er fort im wunderbaren Geheimnisse
der Eucharistie, denn wer mein Fleisch ißt und mein Blut
trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm;'" diese Ver
mählung vollendet er endlich beim ewigen Hochzeitmahle im
Himmel, damit wo er ist, auch die geliebte Seele sei, und
damit erfüllt würde, was er durch Jeremias gesprochen:"
Mit ewiger Liebe liebe ich dich, darum ziehe ich dich
heran in Erbarmung./
°) «uttll. XXVIl. 54. — '1 Lplieu. V. 25 uec,<,. — °) lbiÄ. v. 32.
— ') 0u. II. 19,, 20. — '°) ^ounn. VI. 57. — ") ^erom. XXXl. 3.
328 XlX. Sonntag nach Pfingsten.

Allein wo ist der Mensch, der eine solch' wunderbare,


und zwar dreifach wunderbare Verbindung jemals ahnen,
geschweige denn beanspruchen durfte, wenn ihn Gott nicht da
von in Kcnntniß gesetzt und dazu eingeladen hätte? Eine
solche Einladung ist wirklich ergangen. Der König schickte seine
Knechte aus, um zur Hochzeit zu rufen. Solche Knechte waren
schon die Patriarchen Abraham, Jsaak und Jakob, denen die
Verheißung wurde, daß in einem ihrer Nachkommen alle Ge
schlechter der Erde gesegnet würden. '° Solche Knechte waren
Moses, Samuel, Jsaias, Jeremias, Ezechiel, Daniel und die
übrigen Propheten, weshalb Petrus nach der Heilung des
Lahmgcbornen zu den Juden sagte:" Alle Propheten, die
von Samuel bis jetzt geweissagt haben, verkündigten
diese Tage, der Menschwerdung des Sohues Gottes näm
lich, der Stiftung eines neuen Reiches und der Erlösung der
Seelen, d. h. der dreifachen Hochzeit des Königssohnes. Oder
hat nicht z. B. Jsaias verheißen," daß das von der Jung-
fran geborene Kind der Gott mit uns fei? Weissagt nicht
derselbe Prophet, '^ daß aus Juden und Heiden Ein Bund,
Eine Kirche, entstehen werde? Sprechen nicht von dieser Ver
bindung mit der Kirche auch Jeremias und Ezechiel, '" wenn
Gott durch sie verkündet, er werde uns reinigen, so daß wir
sein Volk sind und er unser Gott ist? "Haben nicht, mit einem
Worte, alle Propheten den künftigen Messias prophezeit, auf
seine Ankunft vorbereitet und zum Glauben an ihn aufgefordert?
Leider war diese erste Einladung vergebens. Die Ge<
ladenen, sagt der Herr, wollten nicht kommen. Was that
er in seiner liebenden Erbarmung? Er sandte abermals andere
Knechte aus. Siehe, ließ er sie zu den Eingeladenen spre
chen, mein Mahl habe ich bereitet, meine Ochsen und
das Mastvieh sind geschlachtet, und Alles ist bereit'

") 6en, XXII. 16-18; et ul. — ") äot. III. 24. — ") I«. VII. 4.
— ") I1M. I.XVI, — '«) ^«m. XXXI. D-ooti. XXXIV.
Das königliche Hochzeitmahl. 329

kommet zur Hochzeit. Zacharias preist die Barmherzig


keit Gottes, in der uns heimgesucht hat der Aufgang aus
der Höhe, um unsere Füße auf den Weg des Frie
dens zu geleiten." Simeon sieht das längst erwartete
Heil mit eigenen Augen und ist bereit, nun im Frieden zu
scheiden. '^ Es erhebt der Vorläufer seine Stimme am Jor
dan, predigt die Taufe zur Buße und zeigt mit dem Finger
auf das Lamm, das die Sünden der Welt hinwegnimm!.
Das Reich Gottes ist bereits zu den Juden gckommen, der
Sohn des Königs schickt seine Jünger, die Apostel, paarweise in
alle Städte und Flecken, er hat das Frühmahl bereitet, er hat
das Brod seiner himmlischen Lehre vorgelegt, hat das wunderbare
Himmelsmahl eingesetzt, hat die Scheidewand zwischen Juden
und Heiden niedergerissen, hat sein Leben für jede Seele hin
gegeben, kurz er hat Alles gethan, was zum Heile nothweudig
ist. Seine Knechte, die Apostel, fordern nnn Alle auf zum
Glauben an den meuschgewordenen Gott, zum Eintritt in
seine heilige Kirche, zur Verbindung mit Jesus.
Doch was geschieht? Die Juden achten nicht darauf, der
eine geht auf sein Landgut, der andere zu seinem Gewerbe,
wieder andere ergriffen die Knechte, beschimpften und tödteten
sie. Wie es der Heiland hier in der Parabel andeutete, so
kam es wirklich. Zeilliche Dinge und zeitliche Beweggründe,
Habsucht, Geiz, Stolz und sinnliche Lnst hielten die Einen ab,
an den menschgewordeneu Erlöser zu glauben und iu seine
Kirche einzutreten. Andere zeigten sich geradezu boshaft und
verstockt, ja sie legten sogar Hand an an die Gesandten Gottes,
weshalb der heilige Stephanus zu ihnen sprach:" Mit har
tem Nacken und unbeschuittenen Herzen und Ohren
widersteht ihr allzeit dem heiligen Geiste; wie euere
Väter so auch ihr. War je ein Prophet, den eure

") !.„<:. l. 78, 79. — ") lbi<5. VI. 29 «eqq. ^ ") ^ot. VII.
5l ue<zq.
'"0 XIX. Sonntag nach Pfingsten.

Väter nicht verfolgt haben? Ja gelodtet haben sie


diejenigen, welche die Ankunft des Gerechten vor-
horverkündigteu; und ihr seid nun Verräther und
Mörder des Gerechten geworden. Ja sie legten auch
cm die Apostel und an die übrigen Diener des Herrn Hand
au. Wie Johannes der Täufer enthauptet wurde, so wurde
Stephanus gesteinigt, Jakobus, der Bruder des Johannes,
gelödttt, Petrus eingekerkert, wurden die übrigen Apostel ge
geißelt und auf alle Weise verfolgt./
Allein das göttliche Strafgericht sollte dafur nicht aus
bleiben Der erzürnte König sandte sein Kriegsvolk, ließ die
Mörder tödten und ihre Stadt in Brand stecken. Jst das
nicht buchstäblich in Erfüllung gegangen? Es kamen die Feinde,
wie der Herr bei einer anderen Gelegenheit sagte, °" warfen einen
Wall auf, schloßen die Stadt ein, tödtcten die Bewohner,
zerstörten die Häuser und ließen selbst vom Tempel keinen
Stein auf dem andern. Jerusalem wurde von den Römern
eingenommen und zerstört, weil die Juden den Tag ihrer
Heimsuchung nicht erkannten, weil sie die Einladung zur
Hochzeit verschmähten, nicht an den Gottmenschen Jesus
Christus glaubten, seiner Kirche nicht beitraten und ihre eigenen
Seelen nicht retten wollten./
Damit ist der erste Theil der Parabel geschlossen, die
Juden wnrden wegen ihres Starrsinns und Unglaubens ver
worfen; vollzogen, wie Jeremias in seinen Klageliedern
sagt/' hat der Herr sein Zürnen, ergossen seinen
bitteren Grimm, und hat entzündet ein Feuer in
Sion, das dessen Fundameute fraß... das Angesicht
des Herrn hat sie zertheilt, nicht mehr blicket er auf
sie. Er wendet sich nun jenen anderen Schafen zu, die nicht
aus diesem Schafstalle siud, um sie herbeizuführen, damit Ein
Schafstall und Ein Hirt werde. Das Hochzeit mahl ist

°) I.Uo. XIX. — ") l'w,on. IV. l l ucqq.


Dos königliche Hochzcitmahl. 331

zwar bereitet, sprach der Herr zu den Knechten, aber die


Geladenen waren dessen nicht werth; gehet also hin
aus auf die offenen Strassen, und wen ihr immer
antreffet, den rufet zur Hochzeit. Sie gingen also
hinaus, brachten Alle zusammen, Rechte und Schlechte,
und die Hochzeit ward mit Gästen ganz besetzt.
Wer, verehrte Zuhörer, erkennt darin nicht augenblicklich
die Berufung der Heiden zum Glauben und zur Kirche, die
Berufung der ganzen Menschheit ohne Unterschied des Alters
und Geschlechtes, des Standes und der Beschäftigung, ohne
Berücksichtigung des moralischen Instandes, da eben Christus
nicht gekommen ist, um die Gerechten sondern die Sünder
zur Buße und dadurch zum Heile zu führen? Wer erkennt
darin nicht den an die Apostel und ihre Nachfolger ergangenen
Befehl:^ Gehet hin, lehret alle Völker und taufet
sie: Taufet sie, damit sie der göttlichen Natur theilhaftig,
Kinder Gottes werden, wie ich die menschliche Natnr annahm
und des Menschen Sohn wurde; taufet sie, damit sie hin-
zugethan werden zur Gemeinde, damit sie Glieder meiner
heiligen Kirche werden, berechtigt zur Theilnahme an meincm
Tische und an allen Gnaden; taufet sie, damit sie meine
Brüder, Miterbeu des Himmels, Gäste des himmlischen
Hochzeitmahles werden?
Und wie herrlich und großartig enthüllt sich uns hier
zugleich unsere heilige Kirche mit allen ihren Kennzeichen.
Es zeigt sich hier vor Allem die Einheit der Kirche; denn
nur zu Einer Gemeinschaft, zu Einem Gastmahle werden Alle
berufen, unter dem Vorsitze und unter der Oberleitung des
Sohnes des Gottkönigs, Jesus Christus.
Es erscheint hier ihre Apostolicität; denn durch die
Knechte, durch die Apostel, müssen Alle geladen und eingeführt
werden, so daß die Kirche, die Gemeinschaft aller Rechtgläubigen,

«) zlütil,. XXVIII, 19.


332 XIX. sonulag mich Pfingsten.

hinaufg/baut ist auf die Grundveste der Apostel, die wieder


auf dem Hauptecksteiu, auf Jesus, ruhen/"
Es glänzt ebenso ihre Heiligkeit; denn es sollen ja
Alle herbeigezogen werden, auch die Bösen, um geheiligt zu
werden, um Theil zu nehmen am Mahle, das Gott bereitet,
an den Verdiensten, an der Heiligkeit Christi.
Es offenbart sich endlich die Katholicität oder All
gemeinheit der Kirche, die alle Völker aller Zungen vereinigt,
die sich erstreckt über alle .Strassen, über alle Himmelsgegen
den; denn überall hin dringt der Ruf ihrer Gesandten:
Kommet zur Hochzeit, kommet zum Glauben, kommet zur
Vereinigung mit Gott; überall, bis an die Gränzen der Erde
ergeht die Einladung.
Der Hochzeittisch ist wirklich mit Gästen besetzt; die
Kirche Jesu Christi, die apostolische, eine und heilige Kirche
ist in der That die allgemeine, die sich ausbreitet hiu über
die Meere, über alle Wclttheile. Auch wir, Gelicbteste, ge
hören zu den Geladenen, auch wir sind Hochzeitgäste des
Königssohnes, sind Glieder seiner Braut, der Kirche.
Aber ist die bloße Einladung und die Einverleibung in
die Kirche an sich schon genügend? Die Antwort darauf gibt
uns der letzte Theil der Parabel. Der König betritt den
Speisesaal, er sieht einen Menschen, der kein hochzeitliches
Gewand anhat, und spricht: Freund! nicht weil er es war,
sondern es hätte sein sollen, weil er der Freundschaft ge
würdigt, aber sich derselben unwürdig gezeigt hatte; Freund!
wie bist du hieher gekommen, da du kein hochzeit
liches Gewand anhast? Es war nämlich und ist noch im
Morgenlande Sitte, daß die znr Hochzeit Geladenen vom
Könige mit Gewändern beschenkt werden. Was bedeutet denn
dieses hochzeitliche Gewand? >
Die Antwort darauf finden wir in der Apokalypse, wo

') Lpbeu. II. l9 uoqc,.


Das königliche Hochzeitmahl. 333

es heißt:" Laßt uns fröhlich sein nnd jauchzen; denn


des Lammes Hochzeit ist gekommen, und seine Braut
hat sich geschmückt; ihr ward gegeben, sich zu kleiden
in glänzend weißen Byssus, dieser Byssus ist die
Gerechtigkeit der Heiligen... Worin besteht denn die
Gerechtigkeit der Heiligen? Wodurch werden wir Gerechte,
Heilige? Nicht durch den Glauben allein, sondern auch durch
die Hoffnung und die Liebe, die uns zugleich mit der heilig/
machenden Gnade in der Taufe eingegossen werden. Das
hochzeitliche Gewand bedeutet also zunächst die Unschuld und
Reinheit der Seele, die wir in der heiligen Taufe empfangen
haben, oder auch jene Reinheit, die wir uns durch unsere
Reue- und Bußthränen, durch die Besprengung mit dem
sühnenden Blute Jesu Christi im heiligen Bußsakranieute
wieder erworben haben, weshalb der Apostel von den Gläu-
bigen sagt:°° Jhr seid abgewaschen, seid geheiligt und
gerechtfertigt im Namen unseres Herrn Jesu Christi
uud durch den Geist unseres Gottes./
Das hochzeitliche Gewand besteht ferner in der Liebe
Gottes und des Nächsten, denn die Liebe tilgt der Sünden
Menge^ und erwirbt uns Gottes Gegenliebe und Wohl
gefallen; aber nicht in einer bloßen Gefühlsliebe, sondern in
einer thatigen Liebe, die sich durch Werke offenbart, denn
der Glaube ohne die Werke ist todt;" in einer Liebe,
die auch die fruchtbare Mutter aller anderen Tugenden ist,
weshalb der Apostel an die Colosser schreibt:^ Als Gottes
Erwählte, Heilige und Geliebte ziehet an herzliches
Erbarmen, Güte, Demuth, Sanftmut!) und Geduld.
Kurz, das hochzeitliche Gewand besteht in all dem, was den
wahren Christen ziert, der nicht bloß den Namen trägt, son
dern in Wahrheit ein. Nachfolger Jes» Christi ist.,

") äpuo. XlX. 7, 8, —M) i. c«,i!'tl,, vi, ll, — ") l. ??„,.


lV. 8. — ") ^eu!,. ll. 20. — ") culu,^, III. ,2,
334 XIX. Sonntag nach Pfingsten.

Und nun, meine Lieben, laßt uns ein wenig umherblicken


gleich jenem Könige, ob wir nicht gar viele katholische Christen
ohne das hochzeitliche Gewand finden, gar viele, die statt des
weißen Kleides der Gerechtigkeit der Heiligen, die schmutzigeil
Lappen der Sünde tragen? O wie so Manche sind angethan,
mit dem falschen Purpur der Hoffart, des Stolzes und des
Hochmuthes, der verkehrten Eigenliebe und der thörichten
Eitelkeit, so daß von dem Purpurmantel der Selbstverläug'
nnng und Demuth des Heilandes gar nichts mehr sichtbar,
daß dieser vielleicht längst zerrissen und weggeworfen ist! Wie
viele Andere tragen statt des freigebigen Mantels Christi den
Geldsack des Geizes, der sie immer tiefer und tiefer abwärts
zieht, bis ihnen endlich wie dem Simon Magus gesagt wird:""
Dei« Geld sei mit dir zum Verderben! Wie gar Viel,,'
suchen durch ihre Reize zu blenden und Seelen zu verderben,
da doch ihr Gewand über und über bedeckt ist mit dem Un
rathe der Unkeuschheit und die entehrten Glieder des heiligen
Geistes nicht zu verhüllen vermag! Wie Manche haben das
Hochzeitkleid zerrissen durch Neid, durch den der Tod Eingang
in die Welt gefunden hat? Wie Viele decken nur ihre Weich
lichkeit,, ihre Schwelgereien, ihre Unmäßigkeit und Genußsucht
zu, während vom Gewande der Mäßigung und Enthaltsamkeit
kaum noch Spuren zu finden sind! Wie aufgeblasen und ent
stellt sind wieder Andere durch ihren Zorn und ihre Rachsucht,
so daß man nirgends mehr den sanftmüthigen Jesus, der sie
mit seinem eigenen Herzen belehrt hat, sanft und demüthig
zu sein, entdecken kann! Wie Viele endlich tragen nnr den
Schafspelz 'der Heuchelei und Scheinheiligkeit, oder gar den
Wolfspelz der Verführung und des Aergernisses, oder das ver,
nachlässigte Gewand der Trägheit und Gleichgiltigkeit in den
wichtigsten Jnteressen der Seele!» ,.
Was werden denn diese Alle antworten, wenn einst im

') 4nt, VIII 20.


Das königliche Hochzeitmahl. 335

Gerichte der ewige Richter sie fragt: Wie bist du hieher


gekommen, da du kein hochzeitliches Gewand hast?
Was werden sie für eine Entschuldigung vorbringen? Sie werden
verstummen gleich dem Menschen im Evangelium. Das Ge
fühl der Scham wird sie erdrücken, das eigene Gewissen sie
verdammen. Und die weitere Folge? Der König wird sie
binden und hinauswerfen lassen in die äußerste Finsternis?,
wo Heulen und Zähneknirschen sein wird. Jhr Ende also ist
ewige Verdammung. Sie waren geladen zur Hochzeit, waren
ausgestattet mit dem hochzeitlichen Gewande, doch sie haben
es entstellt, zerrissen oder ganz abgeworfen, darum werden sie
von den übrigen Gästen losgerissen und verworfen auf ewig. Sic
waren Christen, d. h. sie hießen Christen, aber sie lebten nicht
als Christen und haben darum auch keinen Antheil an Christus,
Das also ist das furchtbar traurige und schreckliche ?oos der
Berufenen aber nicht Auserwählten. Und was wird denn
aus jenen, welche das hochzeitliche Gewand bewahren? Wcr
gehört nicht bloß zu den Berufenen, sondern anch zu den
Auserwählten? Wir wollen diese Frage nur mit einigen knrzen
Andeutungen noch beantworten./

Der göttliche Heiland spricht zwar nicht ausdrücklich von


dem Loose derer, die das hochzeitliche Gewand bewahren,
wohl aber deutet er es indirekt an, indem er sie Auserwählte
nennt, und ebenso läßt es sich aus der ganzen Parabel von
selbst erkennen. Sie bleiben vereint mit Jesus Christus, mit
dem sie durch seine heilige Kirche verbunden wurden, und
gehen ans ihr über zum ewigen himmlischen Hochzeitmahle,
zur ewigen Glückseligkeit, um immer mit Gott zu Tisch zu
sitzen in seinem Reiche. ,
Doch wie muß man es angehen, um das hochzeitliche
Gewand zu bewahren, um ein Anserwählter zu sein? Man
muß nicht bloß der Einladung folgen nnd den Glauben an
336 XIX. Sonntag nach Pfingsten.

nehmen, sondern auch demselben gemäß leben. Dies ist die


erste Pflicht der Auserkornen, der Schäflein des guten Hirten.
Denn meine Schafe, spricht er,"" hören meine Stimme
und folgen ihr; und darum gebe ich ihnen das ewige
Leben, und in Ewigkeit werden sie nicht verloren gehen.
Sie folgen aber seiner Stimme, wenn sie seine Gebote halten
und dadurch zugleich ihre Gottesliebe an den Tag legeu;
denn wer meine Gebote hat, sagt er," und sie hält, der
ist es, der mich liebt; und ich werde ihn lieben und
mich selbst ihm offenbaren. Sie zeigen ferner ihre Liebe
auch dadurch, daß sie den Nächsten lieben; denn wir wissen,
schreibt der heilige Johannes/" daß wir vom Tode in's
Leben versetzt sind, weil wir die Brüder lieben. Und
sie beweisen ihre Nächstenliebe durch gute Werke; denn eben
zu den Auserwählten spricht der Herr einst: ^ Kommet, ihr
Gesegneten meines Vaters, besitzet das Reich, welches
seit Grundlegung der Welt euch bereitet ist; denn ich
war hnngrig, und ihr habt mich gespeist; ich war
durstig, und ihr habt mich getränkt; ich war nackt, und
ihr habt mich bekleidet./
Kurz, zu den Auserwählten gehören jene, welche sich be-
sireben, dem Bilde des Sohnes gleichförmig zu werden; denn
diese hat Gott vorherbestimmt, diese gerechtfertigt, diese auch
verherrlicht." Christus hat aber auch die Kirche geliebt und
sich für sie hingegeben, deswegen sind seine Auserwählten
gleichfalls voll Liebe und Hingebung an die Kirche- und be
weisen diese durch getreue Beobachtung ihrer Gebote und
durch eifrige Benützung aller Gnadenschätze, die sie ihnen
anbietet^
Wir werden ja gerade durch die Kirche zum himmlischen
Gastmahle gerufen; durch sie empfaugen wir das hochzeitliche

'") ^onnn, X. 27—28, - ") Idi.1. XIV. 2l. — ") I. .1nn!M, III. !4.
— ") zI»t!k XXV, <tt u<!qq. — ") «um, Vlll, 29 u«qq.
Das königliche Hochzeitmahl. 33?

Gewand in der heiligen Taufe; durch sie wird es wieder ge


reinigt, wenn es befleckt wurde, im heiligen Sakramente der
Buße; durch sie werden uns fort und fort die köstlichste!! Ge-
richte vorgesetzt. Sie bietet uns vor Allem die Speise des
göttlichen Wortes, das Brod der himmlischen Lehre ; und wer
aus Gott ist, der hört Gottes Wort. «° Alle ladet sie ein
znr Theilnahme, die Unwissenden belehrt sie, den Sünder bedroht
sie einerseits und ermuntert ihn anderseits zur Reue, dem
Kleinmüthigen bietet sie Trost, dem Versuchten Stärkung und
Hilfsmittel, den Starken zeigt sie noch höhere Pfade der
Vollkommenheit..,
Ja die Kirche ist selbst das Gastmahl, das der Sohn
des ewigen Königs bereitet hat. Treten wir ein in eine
katholische Kirche, schauen wir uns um in jedem Gotteshause.
Jmmer ist der Tisch gedeckt, der Altar, wo das kostbarste
Seelenmahl bereitet wird; immer weilt hier der göttliche Speise
meister im Tabernakel und ist stündlich bereit, die Mühseligen
zu erquicken, die Hungernden zu sättigen und die Liebenden
auf's Nene durch wunderbare Bande an sich zu fesseln und
sich mit ihnen wiederholt auf's Engste zu verloben. Ist da
gegen der Altar in einer Kirche entblößt, fehlt der Tabernakel
oder steht er offen und leer, ist keine Communioubank da, so
sagen wir, daß es keine Kirche mehr im wahren Sinne ist.
So unzertrennlich vereinigt sich der Begriff der Kirche mit
dem des heiligsten Sakramentes, eben weil das Hochzeitmahl,
die Verlobung Christi mit seiner Kirche dauernd veranschau
licht und verwirklicht ist in seiner immerwährenden Gegen
wart im hochheiligen Geheimnisse des Altars, x
Wie also Christus die Kirche liebt und sich unzertrennlich
mit ihr vereinigt, so müssen auch wir die Kirche lieben und
ihr treu bleiben. Und wie die Kirche Christo anhängt und
ihm gehorcht, so müssen auch wir Christo und der Kirche an
hängen und dieneu. Was von der ganzen Kirche gilt, das
") ^o»nu, VIII. 47.
Lierheimer, Parabeln u. Wundlr. 22
338 XIX. Sonntag nach Pfingsten.

muß auch von Jedem ihrer Glieder gelten. Sind wir Glie
der der Kirche, so sind wir auch Glieder Jesu Christi; sind
wir wahre Glieder der auserwählten Braut Christi, dann
find wir auch Auserwählte Christi./
Aber trachten wir auch unsere Auserwählung gewiß zu
machen. Benutzen wir fleißig das Mahl, das uns die Kirche
bereitet, indem wir die Speise ihrer himmlischen Lehre nicht
bloß verkosten, nicht bloß mit dem Gehör aufnehmen, sondern
auch befolgen, indem wir häufigen Gebrauch machen von ihren
Gnadenmitteln, eine recht innige Sehnsucht tragen nach der
Vereinigung mit Jesus im heiligsten Sakramente und ihn recht
oft und gläubig anbeten in diesem wunderbaren Geheimnisse;
denn durch den Genuß aller dieser Speisen des kirchlichen
Mahles gelangen wir zur Süßigkeit des himmlischen Mahles.
Tragen wir dabei auch immer das hochzeitliche Gewand des
lebendigen Glaubens, der wahren Liebe Gottes und des
Nächsten, das Gewand der guten Werke, den Mantel werk-
thätiger Liebe. Hüten wir uns sorgfältig, dasselbe durch eine
schwere Sünde zu beschmutzen und zu entstellen, bewahren wir
es auch so viel wie möglich rein von den Makeln läßlicher
Sünden, damit auch unsere Seelen wie die Kirche reine Bräute
Christi seien, ohne Flecken, ohne Runzeln, heilig und unbefleckt.
Kommt dann der Herr seiner Zeit als königlicher Richter,
dann braucht er uns nicht zu fragen, wo wir unser hochzeit
liches Gewand haben, denn er sieht uns ja damit angethan
und erkennt uns daran als die Seinigen, als seine Aus
erwählten, und führt uns ein in den himmlischen Speisesaal,
in die Gesellschaft der Engel und Heiligen, ja an den Tisch
des dreieinigen Gottes selbst, und läßt uns ewig Theil nehmen
an den Wonnen und Freuden des Hochzeitmahles im Himmel
reiche. Amen.
XXI.

Z)er Beamte von Gapöarnaum.


,Beweiskraft der Wunder.
(XX. Sonntag nach Pfingsten.)
Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder sehet, jo glaubet ihr nicht.
(.lo-mn, IV. 48.)

HIm großes Wunder berichtet uns heute das Evangelium.


Durch ein bloßes Wort in weiter Entfernung macht der gött
liche Heiland den dem Tode nahen Sohn des königlichen
Beamten in einem Augenblicke gesund. Warum erinnert uns
wohl die Kirche von Zeit zu Zeit in den sonntäglichen Peri-
kopen an die Wunder des Herrn? Wohl in derselben Absicht,
die der Herr selbst hatte, wenn er Wunder wirkte. Er wirkte
Wunder, um die Menschen zum Glauben an seine Gottheit
zu führen; und die gleiche Absicht, die Belebung unseres
Glaubens an Jesus Christus, hat auch die Kirche im Auge.
Allerdings hatten die Wunder Jesu öfters auch einen äußeren
Zweck, nämlich die Erweisung leiblicher Wohlthaten, die Ver
leihung körperlicher Gesundheit für die Kranken, des Augen
lichtes für die Blinden, der Sprache für die Stummen, des
Gebrauches der Glieder für die Lahmen. Aber dieser äußere
Zweck blieb doch immer nur Mittel für einen viel höheren
Zweck; der Hauptzweck war stets, zum Glauben an Jesus und
an seine heilige Lehre zu bewegen.
22'
340 XX. Sonntag nach Pfingsten.

Dieses wird in den heiligen Evangelien selbst deutlich


ausgesprochen, indem darin öfters bemerkt wird, Christus habe
dieses oder jenes Zeichen gethan, damit die Leute an ihn
glaubten. So heißt es schon nach dem ersten Wunder zu
Cana:' Er offenbarte dadurch seine Herrlichkeit und
seine Jünger glaubten an ihn. Er offenbarte seine
Herrlichkeit, die Herrlichkeit nämlich des Eingebornen
vom Vater, ° die Gottheit des Sohnes, die zunächst von den
Aposteln geglaubt wurde. Darum beruft sich auch der Hei
tand selbst, wenn er den Glauben forderte, auf seine Wunder.
Wenn ihr meinen Worten nicht glauben wollet, sagt
er zu den Juden, ^ so glaubet doch meinen Werken.
Ja er erklärt ihnen sogar/ daß sie keine Schuld hätten,
wenn sie seine Wunder nicht gesehen hätte«, so aber wären
sie ohne Entschuldigung, wenn sie nicht glaubten. >
Jmmerhin aber lag dabei eine andere Gefahr nahe. Es
war nämlich nur zu leicht möglich, daß die Menschen zu Jesus
nicht um seiner selbst willen kamen, sondern bloß der äußeren
Wohlthaten wegen. Eben dieser Gefahr wollte er mit den
Worten begegnen: Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder
sehet, so glaubet ihr nicht. Dies scheint auch bei dem
königlichen Beamten der Fall gewesen zu sein, weshalb ihm
der Herr mit jenen Worten zu verstehen gab: „Du suchest
eigentlich nur den Wohlthäter in mir, nicht aber mich selbst
um meinetwillen, der ich doch den Menschen Alles bin." Jn
dieser Vermuthung bestärkt uns das ganze Verhalten des hilfe
suchenden Vaters. Er war nämlich der Meinung, daß die
wirkliche leibliche Gegenwart Christi in Capharnaum noth-
wendig sei, um den kranken Sohn gesund zu machen; ja er
glaubte sogar, daß diese Gegenwart nichts mehr nützen würde,
wenn der Herr nicht sich beeilte und rechtzeitig erschiene:

') ^o»n». II. 11. — ') Ibiä. I. 14. — ') Ibiä. X. 38. — <) lbiä.
XV. 24.
Der Beamte von Caphanianm. 341

Komm doch, ehe mein Sohn stirbt. Jst er einmal todt,


wollte er sagen, dann ist dein Kommen umsonst. Erst als
ihn Jesus bestimmt versicherte: Geh hin, dein Sohn lebt,
glaubte er dem Worte, freilich nicht vollkommen und unbe
dingt. Denn der Evangelist hebt ausdrücklich hervor, daß er
erst dann mit seinem ganzen Hause vollends glaubte, als er
aus dem Munde der Knechte vernommen hatte, das Kind sei
zur selben Stunde gesund geworden, in welcher ihm Jesus
gesagt hatte: Dein Sohn lebt. -
Doch ungeachtet seines Verhaltens und feiner Absicht
kann uns dieser königliche Beamte dennoch als Vorbild dienen,
einerseits im Vertrauen auf Jesus, das auch dann nicht er
schüttert werden darf, wenn unsere Bitten nicht gleich erhört
werden, und anderseits im Glauben an sein Wort, an seine
göttliche Sendung und himmlische Lehre, und zwar um so mehr,
als dies, wie der heilige Johannes bemerkt, erst das zweite
Wunder war, welches Jesus in Galiläa wirkte. Wie viele
unzählige Wunder sind darauf gefolgt, so daß es unmöglich
scheinen sollte, daß man noch einen Christen finden könne, der
schwankend wäre im Glauben. Und doch, nicht Wenige sind
es, denen man auch zurufen kann: Wenn ihr nicht Zei
chen nnd Wunder sehet, glaubet ihr nicht. Oder ver
nimmt man nicht öfters diese und ähnliche Aeußerungen:
„Wozu von einer Glaubenspflicht reden? Es steht dem Men
schen ganz frei zu glauben; glaubt er nicht, so macht es auch
nichts." Vor drei Jahrhunderten sagte man: „Du branchst
bloß zu glauben, sonst ist weiter gar nichts nothwendig."
Heut zu Tage aber sagt man : „Du brauchst uicht zu glauben,
du kommst auch so durch die Welt.'^
Treten wir heute dieser Aeußerung, die bei Manchen
mehr Unverstand als Bosheit ist, entgegen, indem wir gerade
aus den Wnndern Jesu, die nun einmal unläugbare That-
sachen sind und bleiben, den Beweis führen, daß es absolute
Pflicht ist, an seine Gottheit und an seine himmlische Lehre
342 XX, Sonnlag uach Pfingsten,

zu glauben. Flehen wir aber zuvor noch einmal im Herzen


um Erleuchtung von Oben. Deine Gnade, o Jesus! sei
mit uns. , ,,

Die unzähligen Wunder, welche Jesus vor allem Volke


wirkte, beweisen, daß wir nothwendig an ihn und an seine
heilige Lehre glauben müssen. Ueber diese Wahrheit kann
Niemand in Zweifel oder Unklarheit sein, der nur einiger-
massen versteht, was ein Wunder ist. ,
Gott hat die ganze Welt geschaffen, er hat der Erde
und dem Meere ihre Gränzen gesetzt, hat der Sonne, dem
Mond und den Sternen ihre Bahn vorgezeichnet, hat jedem
Geschöpfe seine Natur und Einrichtung gegeben und jedem
Wesen ein bestimmtes Gesetz und eine besondere Ordnung an-
gewiesen, wonach Alles in der Welt geht und von ihm ge
lenkt und erhalten wird. So z>im Beispiele ist es von Gott
gesetzte Ordnung, daß die Sonne jeden Tag zu gewissen Stun
den auf- und untergeht, daß jedes Jahr auf den Winter
der Frühling und auf den Sommer der Herbst folge. Ebenso
ist es von Gott gewollte Ordnung, daß der Mensch zur Er
haltung seines Daseins Speise und Trank braucht. Nicht
minder ist es seit dem Sündenfalle unabänderliches Gesetz,
daß er einmal sterben muß, und nach dem Tode nicht wieder
lebendig wird bis zum jüngsten Gerichte. Desgleichen ist es
göttliche Ordnung, daß eine Krankheit, wenn sie noch heilbar
ist, durch Anwendung der natürlichen Mittel und durch ordent
lichen Verlauf und Wirkung der natürlichen Kräfte gehoben
werde. Und so können wir tausend andere Dinge anführen,
bei denen wir stets eine bestimmte Ordnung, ein fixes Gesetz
wahrnehmen. Diese Ordnung, dieses Gesetz hat der Allmäch
tige selbst gegeben und hält es unverrückt aufrecht, seit er
Himmel und Erde geschaffen hat.
Wie er aber diese Ordnung und dieses Gesetz gemacht
Der Beamte von Capharnaum. 343

hat und festhält, ebenso steht es in seiner Gewalt, von diesem


Gesetz hie und da eine Ausnahme zu machen, von dieser Ord
nung in irgend einem Falle abzuweichen. Oder sollte der, welcher
Himmel un5 Erde durch seinen bloßen Willen aus Nichts
gemacht hat und Alles augenblicklich wieder in's Nichts zu
rücksinken lassen kann, etwa nicht im Stande sein, in einzelnen
Fällen nach seinem Willen anders zu handeln, anders zu
wirken, als es das Gesetz und die Ordnung eigentlich erfor
dern? Gewiß, das muß Gott können, denn sonst wäre er
nicht der Herr der Natur, wäre nimmermehr allmächtig.
Nun gut, wenn in irgend einem einzelnen Falle eine
solche Aenderung geschieht, so nennen wir das ein Wunder.
Wenn zum Beispiele die Sonne zehn Stunden länger scheint
als sonst, wie es sich unter Josua zutrug; wenn ein Todter,
der schon vier Tage im Grabe lag, auf Jesu Wort wieder
lebendig aus dem Grabe hervorgeht, wie dies mit Lazarus
geschah; wenn ein von Geburt an Blinder durch ein bloßes
Wort sogleich das Augenlicht erhält; wenn Sturm und Meer
auf ein einfaches Geheiß hin sogleich stille sind; wenn ein
Schwerkranker, der schon am Rande des Grabes steht, augen
blicklich heil und gesund wird: so sind das offenbar Aus
nahmen von der von Gott gesetzten Ordnung der Welt und
der Natur, sind wirkliche ächte Wunder.
Darum kann auch Niemand Wunder thun als Gott allein;
denn nur der Urheber der Weltordnung kann über dieselbe
verfügen, ein Geschöpf vermag nichts gegen Gott und seine
Allmacht, womit er jene Ordnung gesetzt hat. Wenn daher
Menschen Wunder thun, so sind sie bloß Werkzeuge Gottes,
die nicht aus eigener Kraft handeln, sondern nur in der Macht
und im Namen Gottes.
Jst nun dem so, wie ich gesagt habe, muß der allmäch
tige Gott bei jedem einzelnen Wunder selbst in die Ordnung
der Welt eingreifen; so können wir fragen, in welcher Absicht
und zu welchem Zwecke Gott so viele, ja unzählige Wunder
344 XX. Sonntag noch Pfingsten,

durch Jesus Christus wirkte. Gewiß hat Golt nicht planlos


und blindlings seine Allmacht so tansendfach in außerordent
licher Weise gezeigt, sondern zu einem Zwecke, der seiner
ewigen Weisheit, Heiligkeit und Liebe würdig wav. Schlagen
wir die heiligen Evangelien auf, lesen wir die Geschichte des
Lebens, der Thaten und des Todes Christi, öffnen wir anch
die Apostelgeschichte, schauen wir uns um nach den Werken,
welche die Apostel im Namen Jesu gethan haben; auf jedem
Blatte begegnen uns die unläugbarsten Wunder. Wozu all
das? Der heilige Johannes antwortet uns darauf gegen das
Ende seines Evangeliums: ^ Dies Alles ist geschehen,
damit ihr glaubet, daß Jesus der Sohn Gottes ist,
und damit ihr durch den Glauben an ihn das ewige
Leben habet..
Das also ist die unverkennbare Absicht, das der eigent-
, liche Zweck Gottes bei allen Wundern, daß wir dadurch zum
Glauben an Christus und au seine heilige Lehre geführt wer
den. Die Wunder selbst also, diese außerordentlichen Wirk
ungen göttlicher Allmacht, beweisen, daß wir nothwendig glau^
den müssen. Ebendeshalb, weil diese Absicht und dieser Wille
Gottes so klar und entschieden ausgesprochen ist, dringt auch
unser Herr nnd Heiland so sehr auf den Glauben, und droht
den Ungläubigen mit der Strafe der Verdammniß. Ohne
Glauben, spricht sein Apostel," kann man unmöglich
Gott gefallen; wer glaubt, sagt Jesus selbst/ der wird
selig werden, wer aber nicht glaubt, der wird ver-
dammt werden. Und wieder: ^ Wer nicht glaubt, der
ist schon gerichtet. Und abermals:" Wer an den Sohn
nicht glaubt, der wird das Lebeu nicht sehen, sondern
der Zorn Gottes bleibt über ihm.v . '
Steht es also frei zu glauben oder nicht? darf man sagen,

5) ^o»nn, XX. 31, — °) Nebr. XI. 6.—5) N»i,e. XVI. 16.


^o»nn. III. 18, - ') Ibi<I. v, 3«.
Der Beamte von Caphanmum. 345

der Glaube sei nicht nothwendig? Wisset ihr, was der heilige
Johannes von jenen sagt, die ungeachtet aller Zeugnisse, aller
Wunder Gottes nicht glauben wollen? Wer dem Sohne
nicht glaubt, schreibt er,'" der macht ihn zum Lügner,
weil er an das Zeugniß nicht glaubt, welches Gott
von seinem Sohne bezeuget hat. Steht es etwa frei,
Gott zum Lügner zu machen, ihn mit äußerster Schmach zu
überhäufen? Also kann es auch nicht freistehen, zu glauben
oder nicht; die Zeugnisse Gottes, die Wunder, sind ein Be
weis, daß man nothwendig glauben muß./
Wollet ihr euch davon noch mehr überzeugen, verehrte
Zuhörer, so betrachtet nur kurz das größte aller Wunder,
die Menschwerdung des Sohnes Gottes. Warum, frage ich,
ist Gottes Sohn Mensch geworden, warum hat er sich er
niedrigt und Knechtsgestalt angenommen, warum ist seine Geburt
durch so hervorragende Wunderbcgebcn heilen verherrlicht wor
den? Die heilige Schrift sagt es deutlich:" So sehr hat Gott
die Welt geliebt, daß er seinen eingebornen Sohn
hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren
gehe, sondern das ewige Leben habe. Wenn nun schon
wir Menschen Alles, was wir thnn, nach dem Werthe nnd
der Größe der Sache bemessen, die wir haben wollen; so muß
wahrlich der Glaube in den Augen Gottes den allerhöchsten
Werth haben, und muß er denselben für uns Menschen für
absolut nothweudig halten, da er das Größte gethan hat,
was Gott thun konnte, um uns zum wahren Glauben zu
bringen, indem er seinen Eingebornen selber Mensch werden
und in die Welt kommen ließ, damit er uns den Glauben
lehre und Alle an ihn glauben./
Wir finden noch eiue weitere ährliche Stelle iu der
heiligen Schrift, die Worte nämlich, welche Christus ebenso
wie die vorigen an Nikodemus richtete:^ Gleichwie Moses

») I. ^».,mn, V. 10, - ") .lunnn. III. 16. — ") Idlll. vv. 14, 15.
346 XX. Sonntag nach Pfingsten.

die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muß auch


des Menschen Sohn erhöht werden, damit keiner,
der an ihn glaubt, verloren gehe, sondern jeder das
ewige Leben habe. Nun gut, verehrte Zuhörer, wäre der
Glaube an Jesus Christus nicht nothwendig, warum hat
er dann alle die Leiden ertragen von seiner Geburt bis zur
Grablegung, warum hat er Tag und Nacht Gottes Wort
überall verkündet, warum sein Kreuz auf Golgatha geschleppt
und den entsetzlichsten Tod, den je ein Mensch erlitten, aus
gestanden; warum hat Gott selbst den Tod Christi durch die
wunderbarsten Erscheinungen verherrlicht, so daß, wie der
heilige Papst Gregor der Große redet," die Erde ihn als
Gott erkannte, indem sie erbebte, die Sonne ihn erkannte,
weil sie ihre Lichtstrahlen verbarg, die Steine und Wände
ihn erkannten, indem sie sich spalteten, die Unterwelt ihn er
kannte, die ihre Todten wiedergab — warum, sage ich, all
das, wenn der Glaube an ihn und an seine Lehre nicht nöthig,
wenn er etwas ganz Gleichgiltiges und Freistehendes ist?
Warum so Ungeheures thun, wenn die Menschen auch ohne
alles dieses glücklich sein können? Sollte Alles, was Christus
gethan und gelitten, umsonst, nur ein eitles Unternehmen ge
wesen sein?/
Fern sei von uns eine solche Frevelrede. Vielmehr laßt
uns hinaufschauen zum Kreuze, zum wundenbedeckten Heiland,
der sterbend daran hängt, laßt uns betrachten sein Blut und
seine Schmerzen und dabei bedenken, wie nothwendig für uns
der Glaube sein muß, um dessenwillen der Erlöser gleich der
Schlange erhöht wurde am Kreuze und den er durch seinen
Tod besiegelt hat. Denn gewiß nicht für etwas Geringes
und Gleichgiltiges setzt der Sohn Gottes sein Leben ein, son
dern für das Höchste und Nothwendigste. Darum, so oft ihr
auf das Kreuz blicket, denket an den heiligen Glauben. So

') Nom, X, in I5vl'nS,


Der Veamtr von Capharnaum, 347

nothwendig als das Kreuz zur Seligkeit ist, eben so noth-


wendig ist der Glaube, denn nur wer glaubt, wird selig
werden./
Doch fassen wir die Wunder Christi, eben weil die Feinde
des Christenthums sie gern in Zweifel ziehen möchten, da sie
deren Kraft fühlen, selbst näher in's Auge. Gewöhnlich theilt
man sie ein in Wunder in der leblosen Natur, in Kranken-
heilungen, Todtenerweckungen und Macht über die höhere
Geisterwelt. Zu den ersteren gehören besonders die Verwand
lung des Wassers in Wein, die Brodvermehrungen, das Wan
deln auf dem Meere nnd die Stillung des Seesturmes. Bei
all diesen zeigt sich die unmittelbare Gewalt Jesn über die
willenlose Natur./
Ein volles Jahr vergeht, ehe sie ans dem wässerigen
Saft der Rebe die Blüthe, die Beeren, die Trauben und zu
letzt den Wein bildet. Jahresfrist ist nothwendig, bis das
Samenkorn zur Frucht reift, und dann ist noch gar viele
Arbeit uöthig, bis schmackhaftes Arod bereitet ist. Kein Ge
schöpf kann das Gesetz der Schwere beseitigen, das in der
Natur liegt, nimmermehr vermag ihm das flüfsige Meer so
zu widerstehen, daß der Mensch trockenen Fnßes darüber hin
weggehen könnte. Und wo wäre die irdische Kraft, die plötz
lich die stürmischen Wogen zu beschwichtigen vermöchte?
Wohlan, verehrte Zuhörer, war Jesus an alle diese
Gesetze gebunden? Erzeugt er nicht in einem Augenblicke Wein
und Brot», steht er nicht über dem Gesetz der Schwerkraft,
ist ihm nicht sogar der Luftkreis unterthan? Er erscheint also
überall als Gebieter der leblosen Natur. Zeigt er nicht die
selbe Gewalt über die Krankheilen aller Art, müssen ihm nicht
auch die Geister gehorchen, muß nicht sogar das Todlenreich
ihm seine Todten wiedergeben? Mit einem Worte, offenbart
er sich nicht überall, so lauge er unter den Menschen wandelt,
für sie leidet und stirbt, mit einer Macht ausgestattet, die
nur Gott besitzt? So gut also die ganze Schöpfung uns über
348 XX. Sonntag nach Pfingsten.

zeugt, daß ein Schöpfer ist, ebenso überzeugen uns die Wunder
Jesu, daß er der Sohn Gottes, der Erlöser ist, dem Alle
glauben müssen.
Doch unsere Gegner stellen sich auch damit noch nicht zu-
frieden, und wisset ihr, was sie Neues dagegen vorzubringen
haben? Wir können, so gestehen sie, wir können die Wunder
Christi nicht läugnen, allein sie stehen uns allzu fern, sie sind
längst veraltet, über achtzehn Jahrhunderte sind schon darüber
hinweggegangen. Sind, fahren sie fort, sind die Wunder ein
so klarer Beweis, daß wir uothwendig an Jesus und an
seine Lehre glauben müssen, dann müssen jeder Zeit, von Tag
zu Tag neue Wunder zu ihren Gunsten gewirkt werden.
Hinter solche Mauern und Schanzen ziehen sich die Feinde
des christlichen Glaubens zurück und wähnen da ganz unan
greifbar zu sein.
Wir wollen nichts von der Gottlosigkeit sagen, die in
solchen Aeußerungen liegt, indem sie Gott gleichsam Gesetze
vorschreiben und ihn zwingen möchten neue Wunder zu thun.
Wir wollen lieber ihr Bollwerk, das sie für unüberwindbar
halten, unmittelbar angreifen und zeigen, daß es nur eine eitle
Nebelwand ist, die sogleich in Nichts sich auflöst, sobald die
Sonne der Wahrheit darauf scheint. Welche Waffen wir da
bei anwenden, sollt ihr sogleich vernehmen.

Auf die Einwendung der Gegner, daß zum Beweise der


Nothwendigkeit des Glaubens an Jesus und seine heilige
Lehre täglich neue Wunder erforderlich sind, entgegnen wir
erstens, daß eine solche Fortdauer gar nicht gut wäre, und
zweitens, daß sie gar nicht nothwendig ist.
Warum das Erftere? Weil die Wunder, wenn sie all
täglich würden, nothwendig alle Beweiskraft verlieren müßten.
Oder weshalb macht es denn auf uns keinen außerordentlichen
Eindruck, wenn wir täglich die Sonne aufgehen sehen: warum
Der Beamte von Capharnaum. 349

bleiben wir ganz gleichgiltig, wenn wir Jahr um Jahr die


Jahreszeiten sich regelmäßig wiederholen sehen; warum betrach
ten wir es gleichsam als eine absolute Nothwendigkeit, daß
die Bäume im Frühlinge Blüthen und im Herbste Früchte
tragen? Weshalb? Weil diese Erscheinungen allgemein und
alltäglich sind. Und wie nun, wenn wir täglich Todtenerweck-
ungen sähen, wenn wir täglich beobachten konnten, daß alle
Krankheiten durch ein bloßes Wort geheilt werden; würden
wir diese Erscheinungen zuletzt nicht ebenso gleichgiltig mit
ansehen wie den eben erwähnten Wechsel in der Natur?/
Denken wir uns einen Menschen, der von Jugend auf
in einem stockfinsteren Kerker saß, nie etwas von der Sonne
hörte und noch weniger einen Strahl dieses herrlichen Ge
stirnes sah, kurz gar keinen Begriff von Tag und Nacht hat.
Wenn dieser plötzlich an das helle Tageslicht geführt würde,
müßte ihm das nicht als das größte Wunder vorkommen,
was wir ganz gewöhnlich finden. Und wenn er es von da
an täglich wahrnehmen könnte, würde es ihm mit der Zeit
nicht ebenso gleichgiltig und natürlich vorkommen wie uns?
Seht, geradeso ginge es mit den Wundern. Darum habe ich
gewiß nicht Unrecht, wenn ich behaupte, daß es gar nicht gut
wäre, wenn es fort und fort Wunder gäbe.,.
Nur dann wäre eine solche Forderung einigermassen be
rechtigt, wenn die Wunder Christi nicht hinreichend gewesen
wären, um die Welt zum christlichen Glauben zu bekehren.
Allein eine solche Voraussetzung ist durchaus nicht annehmbar,
weil sie der Erfahrung und dem Begriff des Wunders wider
spricht. Der Urheber des Wunders ist Gott, der Allmächtige
und Heilige, der niemals Lug und Trug bekräftigen kann.
Wäre also für das Christenthum nur ein einziges Wunder
gewirkt worden, so böte dieses einen hinreichenden Beweis
für dessen Wahrheit; um so mehr also fo viele Todtenerweck-
ungen, Krankenheilungen, Wunder in der leblosen Natur und
in der Geisterwelt.
350 ' XX. Sonntag nach Pfingsten.

Aber vielleicht würde doch unser Glaube lebendiger und


verdienstlicher, wenn immer neue Wunder stattfänden? Jch
bin der entgegengesetzten Ansicht, weil ich den Glauben desjenigen
jür verdienstlicher halte, dem Gottes Wort allein schon ge
nügt und der keine wunderbaren Zeichen weiter begehrt. Und
ich finde diese Ansicht durch ein merkwürdiges Zeugniß des
göttlichen Heilandes bestätigt. Bekannt ist, " wie der Apostel Tho
mas der Aussage der übrigen Apostel keinen Glauben schenkte, als
sie ihn feierlich versicherten, sie hätten den Herrn gesehen, sondern
ihnen entgegnete: Wenn ich nicht die Wundmale der Nägel
sehe, undmeineFinger nicht indieWnnde seineSeite
lege, so glaube ich es nicht. Als ihm aber Christus wirklich er
schien, und er seine Finger in die heiligen Wundmale legte, da glaubte
er und drückte seinen Glauben durch das Bekenntniß aus: Mein
Herr und mein Gott! Der göttliche Heiland aber erwiderte
ihm: Weil du gesehen hast, hast du geglaubt; selig sind,
die nicht sehen, und doch glauben. Somit fällt auch die
Ausflucht mit der Verdienstlichkeit des Glaubens weg.
Doch geben wir einmal einen Augenblick zu, daß die
Fortdauer der Wunder gut, ja daß es sogar höchst wünschens-
werth wäre, wenn Christus wieder käme und ebensoviele Wun
der wirkte, wie einst vor den Juden. Könnet ihr mir die
bestimmte Versicherung geben, daß alsdann Alle Glauben wer
den? O nein. Den unwiderlegbarsten Beweis liefern die
Juden selbst. Zahllose Wunder hatte Christus vor ihren
Augen gewirkt, Wunder so acht und unläugbar, daß sie gar
nicht bestritten werden konnten. Aber haben deswegen Alle an
ihn geglaubt? Nicht im Mindesten; lieber schrieben sie die
Wunderthaten, da sie dieselben nicht wegläugnen konnten, dem
Teufel zu. Und heut zu Tage würde es sicherlich auch nicht
anders gehen. Denn um in Folge der Wunder an Jesus
Christus und seine heilige Lehre zu glauben, genügt das bloße

") >1c»»r,u, XX.


Der Beamte von Capharnaum. 351

Sehen nicht, es wird auch guter Wille erfordert. Darum


spricht Christus:^ Die Werke, die ich thue, geben Zeug-
niß von mir, aber ihr glaubet nicht, weil ihr nicht
aus meinen Schafen seid. Wozu also würden für diese
die Wunder dienen? Sie würden ihnen bloß zur gewisseren
Verdammung gereichen.
Nicht unrichtig ist deshalb der Gedanke des jansenistisch
gesinnten Pascal:'" Die Wunder dienen nicht zur Bekehrung,
sondern zur Verdammung. Jch sage, dieser Gedanke sei nicht
unrichtig; ja er entspricht sogar den Worten Christi, wenn
er erklärt, daß gegen die Juden, welche in Folge seiner Wun-
der nicht glaubten, einst im Gerichte die Männer von Ninive,
die Königin von Süden und die Städte von Tyrus und
Sidon sich erheben und sie anklagen werden. Denn wären
in Tyrns und Sidon die Wunder gewirkt worden, welche vor
den Juden gewirkt wurden, sie hätten in Sack und Asche
Buße gethan. Wahrlich, setzt der Herr bei," besser wird
es ihnen ergehen am Tage des Gerichtes.
Doch abgesehen von allem bisher Gesagten habe ich noch
eine zweite direkte Antwort. Jch behaupte nämlich, daß neue
Wunder heut zu Tage durchaus nicht nothwendig sind. Ein
einfacher Vergleich der gegenwärtigen Zeit mit der Zeit, zu
welcher Christus auf Erden erschien, wird uns dies klar
machen. Als Jesus in die Welt kam, war fast der ganze
Erdkreis heidnisch, das Heidenthum, die Anbetung der Götzen
war nicht bloß geduldet, sondern war Staatsgesetz und Staats
religion; jeder Zweifel daran, jede Weigerung, den Götzen zu
opfern und zu huldigen, war ein Verrath am Staate, ein
Verrath an der Religion des Volkes. Dieser allgemein
herrschenden Ansicht trat die Religion Jesu Christi schnur
stracks entgegen, denn sie erklärte das Heidenthum für Teufels-

'°) ^o»nn. X, 25, 26. — '") Vergl. Nicolas, Phil. Studien.


VI. Vb. S. Kap. — ") U»ttti. XI, 22.
352 XX. Sonntag nach Pfingsten.

dienst. Sollte sie dennoch durchdringen, sollte sie den Sieg


davontragen über das angestammte, väterliche, gesetzlich be
fohlene Heidenthum, sollte sie dasselbe in seiner ganzen Falsch
heit und Nichtigkeit darstellen, so bedurfte es dazu ganz außer
ordentlicher, die natürlichen Kräfte übersteigender Wunder,
weshalb der Apostel sagt,^ diese seien nicht für die Gläu
bigen, sondern für die Ungläubigen zum Zeichen da.>
Ja sie waren auch für die Juden nothwendig. Diese
hatten freilich schon die messianischcn Weissagungen, die au
Christus genau in Erfüllung gingen. Allein in ihrem ver
kehrten und fleischlichen Sinne erwarteten sie nicht einen geist
lichen sondern einen zeitlichen Befreier. Darum waren auch
für sie die Wunder nothwendig, wie denn auch Christus sich
ihnen gegenüber häusig darauf beruft, um sie von seiner gött
lichen Sendung zu überzeugen.
Nicht so verhält es sich in unseren Tagen. Die Lehre
und der Glaube Jesu Christi haben längst den Sieg errungen,
das alte Heidenthum ist unter uns verschwunden, wir werden
von christlichen Aeltern geboren, saugen gleichsam mit der
Muttermilch die christlichen Lehren ein, finden sie überall be
kannt und anerkannt. Es braucht somit auch keine Wunder
mehr, um deren Göttlichkeit darzuthun, da ja eben das Ver
schwinden des Heidenthums und die Bekehrung der Welt zum
christlichen Glauben an sich schon das größte aller Wunder
ist. Wer also damit sich nicht begnügt und noch immer neue
Wunder begehrt, der sieht den Wald vor lauter Bäumen
nicht, der übersieht das allergrößte Wunder, das jedes andere
Wunder unnöthig macht, die Bekehrung der Welt. Oder wie,
sind etwa die Todtenerwecknngcn und Krankenheilungen größere
Wunder? Wenn Gott einen Todten erweckt, ein lahmes Glied
oder ein blindes Auge heilt, oder wenn er Winden und Meeren
gebietet, so sind das lguter Wirkungen an solchen Geschöpfen,

') I. Lulintti. XIV. 22.


Der Beamte von Capharnaunl. , ^ 353

die Gott nicht widerstehen können. Wenn er aber die ganze


Anschaunng, Gesinnung und Denknngsart des Menschen ändert,
wenn er ihn zu einem ganz neuen Leben führt, so daß er
liebt, was er bisher verachtet, und verachtet, was er bisher
geliebt, so sind das Wirkungen an Geschöpfen, die vermöge
ihrer Willensfreiheit Gott widerstehen konnten, und somit sind
sie auch um so wunderbarer. Wir sehen aber dieses Wunder
in den verflossenen Jahrhunderten nicht bloß an Einem Men-
schen, sondern an der Menschheit gewirkt, und somit ist dies
das größte Wunder, welches jedes andere überflüssig macht.,
Es geschieht demnach hier etwas Aehnliches wie bei der
Schöpfung der Welt. Jm Anfange erschuf Gott Himmel
und Erde. Wodurch? Durch ein Wunder seiner Allmacht.
Ist aber einmal die Welt geschaffen, so braucht es, um uns
von diesem ersten Wunder zu überzeugen, keine weiteren Wun-
der mehr, eben weil der Fortbestand der Welt von selbst ein
Beweis des ersten Schöpnmgswunders ist. Ebenso verhält
es sich mit der Schöpfung der übernatürlichen Welt, mit dem
christlichen Glauben. Jst dieser einmal durch ein Wunder
eingeführt, so brauchen wir keine weitereu Wunder mehr, da
j.a eben die Erhaltung desselben der glänzendste Beweis des
ersten Wunders ist./ .',:..,,,>, . , '.
Sehr treffend ist deswegen das Argument des heiligen
Augustinus:'" Entweder ist die Welt durch Wunder zum
Glauben an Jesus Christus und seine heilige Lehre bekehrt
worden, oder nicht. Jst fie durch Wunder bekehrt, so müssen
wir von selbst an diese Wnnder glauben, ohne daß sie fort-
dauern. Ist sie aber ohne Wunder bekehrt, dann ist dies das
allergrößte Wunder, und dann bedarf es ebenfalls keiner nenen
Wunder mehr., 7 . '. ,,-'.!,. ,.«'.,, ,,/ >' « 5 ' . .- ,'
Daraus ergibt sich sodann der weitere Schluß, daß der
christliche Glaube sich um so wahrer und zweifelloser darstellt,

") De eiv, I)«i, !il,. XXII. o«p, 5.


«ierheimer, Parablln u, Wunder. 83
354 XX. Sonntag n. Pfingsten. Der Beamte von Capharnaum.

je weiter wir uns von der Zeit der ersten Wunder entfernen.
Es scheint das auf den ersten Blick ein Widerspruch, und
ist dennoch ganz richtig. Denn nicht erst drei, vier oder sechs
Jahrhunderte, sondern bald neunzehn Jahrhunderte sind seit
den Wundern Jesu verflossen, und ihre Wirkung währt stets
fort; um so größer also ist ihr Beweis, je weiter wir uns
von der Zeit der ersten Wunder entfernen.^
Es ließe sich dieses noch weiter ausführen, und es ließe
sich endlich zu allem Ueberflusse noch darthun, daß die Wun
der zum Beweise der Göttlichkeit Christi und seiner Lehre
in seiner heiligen katholischen Kirche durch alle Zeiten bis jetzt
fortgedauert haben, so daß hellleuchtend wie die Sonne die
Wahrheit feststeht: die Wunder beweisen, daß wir nothwendig
an Jesus und seine heilige Lehre glauben müssen und zwar
an jene Lehre, die er uns durch feine Kirche zu glauben vor
stellt. Allein die Zeit drängt mich zum Schlusses
Denken wir also, verehrte Zuhörer, niemals so, daß auch
uns der Vorwurf des Herrn treffen müßte: Wenn ihr nicht
Zeichen und Wunder sehet, so glaubet ihr nicht, son
dern halten wir uns fest an jenes tröstliche Wort des gött
lichen Heilandes:°" Dies ist der Wille meines Vaters,
der mich gesandt hat, daß, wer den Sohn sieht und
an ihn glaubt, das ewige Leben habe. Wir sehen den
Sohn Gottes und erkennen seine Gottheit in den Wundern,
die er gewirkt hat, und wir sehen und erkennen ihn fort
während im größten aller Wunder, in der Fortdauer und
im ununterbrochenen Bestande des christlichen Glaubens.
Halten wir darum auch treu und unerschütterlich fest an dem
Glauben an Jesus Christus und an seine göttliche Lehre, da
mit wir das ewige Leben haben. Amen.

'») ^«»nn. Vl. 40.


' .. ,! > ,

XXII.
I>er unbarmßerzige Anecht.
Das Unrecht rächt sich selbst.
. ,, ^.. ^XXI. Sonntag nach Pfingsten.)
Bezahle, was du schuldig bis». Mttl,. XVlll, 28.
>' ' ^ , , , ,/ -- , - .^ ,, .'
^ ^/ie nächste Veranlassung zur Parabel vom unbarmher
zigen Knecht des barmherzigen Königs gab der heilige Petrus,
welcher an den göttlichen Heiland die Frage gerichtet hatte,
wie oft er wohl seinem Bruder, der sich wider ihn versündigt
hatte, verzeihen solle. Der Herr erwiederte ihm, er solle
siebenzigmal siebenmal vergeben, und um ihm zu zeigen, daß
dieses nichts so ungeheuer Großes sei, trug er das heutige
Gleichniß vor.
Zehntausend Talente schuldete der Knecht seinem Herrn;
unzählig sind die Sünden, welche wir Menschen gegen Gott
begehen, und doch ist er bereit, die ganze Schuld nachzulassen,
wenn wir reuig darum bitten. Nur hundert Zehner, eine
kleine Summe, hat der nämliche Knecht von seinem Mitknechte
zu fordern; gering und winzig sind die uns zugefügten Be
leidigungen im Vergleiche mit jenen, welche wir Gott, dem
unendlichen Herrn, anthun. Wenn also, will der göttliche
Meister sagen, wenn Gott euch Menschen so oft und so viek
verzeiht, ist es dann zu viel verlangt, wenn ihr siebenzigmal
23'
356 XXI, Sonntag nach Pfingsten.

siebenmal verzeihet? Daran knüpft er sodann die weitere


Lehre, daß wir von Gott nie Verzeihung erwarten dürfen,
wenn wir dieselbe unserem Nächsten vorenthalten, indem er
die Drohung ausspricht, daß Gott mit uns ebenso wie mit dem
unbarmherzigen Knechte verfahren werde, wenn wir unserem
Bruder nicht vergeben.
Wird aber derjenige so furchtbar gestraft, der eine ihm
angethane Beleidigung nie verzeihen will, welche Strafe wird
dann jenen treffen, der Anderen überdies hart begegnet und
sich gegen sie mannigfache Ungerechtigkeiten erlaubt, sei es im
Verborgenen oder offen, wie bei dem Knechte, der semen Mit-
knecht ergriff, würgte und in's Gefängniß werfen ließ? Tritt
nicht Gott selbst als Rächer der Ungerechtigkeit auf, läßt er
nicht den Elenden ergreifen, den Peinigern übergeben und in
jenen Kerker werfen, aus dem keine Erlösung mehr stattfin
det? Seht da, verehrte Zuhörer, wie das Unheil, das der
Ungerechte anrichten wollte, auf ihn selbst zurückfällt./
Es ließe sich nun die Frage aufwerfen, ob diese Strafe
für die Ungerechtigkeit gegen den Nächsten immer erst in der
anderen Welt eintritt, oder ob sie nicht auch in dieser Welt
schon den Gottlosen trifft? Daß sie in der anderen Welt
ganz gewiß eintreten muß, wenn sie diesseits nicht gesühnt und
nachgelassen wurde, darüber wird wohl kein Zweifel bestehen.
Ebenso wird Niemand läugnen, daß Gott jede Ungerechtigkeit,
die man seinem Nächsten zufügt, schon hier auf Erden rächen
und strafen kann. Allein dieses mutz nicht in jedem einzelnen
Falle stattfinden.
Vielmehr würde, wenn in jedem einzelnen Falle auf das
Vergehen sogleich die Strafe folgte, das ganze Erdenleben
seinen eigentlichen Zweck verlieren, eine sittliche Probezeit zu
sein. Wenn z. B. ein Diebstahl augenblicklich mit zeitlichem
Unheil bestraft würde; oder wenn Jemand, der einen Anderen
verleumdet hat, wüßte, daß er sogleich von heftigen Schmer
zen befallen wird; oder wenn jener, der einen Anderen zu
Der unbarmherzige Knecht. 35?

tödten sucht, in demselben Augenblicke selbst ermordet würde:


kurz, wenn Jeder, der irgend eine Ungerechtigkeit gegen den
Nächsten sich zu Schulden kommen läßt, vorher wüßte, daß
die Strafe unmittelbar auf dem Fuße folge, da würde wohl
bald die menschliche Freiheit und mit ihr die Selbstbestimmung
zu einer sittlichen Handlung aufhören, gerade so wie umge
kehrt, wenn jede gute Handlung augenblicklich ihren Lohn em
pfänge, der Menfch zuletzt nicht mehr aus Liebe zur Tugend,
fondern bloß um feines zeitlichen Vortheils willen Gutes
thun würde, somit wieder seinen sittlichen Charakter verliert.
Daraus folgt also erstlich, daß es eine ewige Vergeltung
geben müsse, da die göttliche Gerechtigkeit das Gute nicht
unbelohnt und das Böse nicht ungestraft lassen kann; zwei
tens, daß das göttliche Strafgericht nicht immer schon in dieser
Welt eintreten muß, wohl aber, daß es eintreten kann und
häufig auch wirklich eintritt. Wie der ungerechte Knecht in
den Kerker geworfen wurde, in welchen er seinen Mitknecht
verstoßen hatte, fo fällt, wenn auch nicht immer, doch sehr
häufig, in diesem Leben schon das Böse, das man dem Näch
sten anthut, auf den Urheber zurück. Und dies ist es, ver
ehrte Zuhörer, was ich heute näher darzuthun vorhabe, damit
wir niemals in unseren Handlungen die Pflicht der Gerechtig
keit verletzen.
Gerade in unserer Zeit hört man so viel von Uebervor-
theilungen, Veruntreunngen, Betrügereien und anderen Unge
rechtigkeiten, die bald von Einzelnen bald von Mehreren ver
übt werden, so daß es wohl der Mühe werth ist, einen Blick
auf die Vergangenheit zu werfen, auf die Geschichte Ein
zelner und größerer Massen, um daraus, wenn man will,
zu lernen, wohin ein solches Treiben führen muß, und wie
nur zu oft das Verderben auf den Ungerechten selbst zurück
fällt, und zwar gewöhnlich das nämliche Verderben, das er
Anderen bereitet hat oder bereiten wollte. Kommen wir
ohne weiteres zur Sache, nur bitten wir noch, da wir im
358 XX!. Sonntag nach Pfings!«,.

Namen Gottes versammelt find, um seinen Beistand und


seine Erleuchtung. Deine Gnade, o Jesus! sei mit uns. ,

„Unrecht Gut thut niemals gut," und: „Wer Anderen


eine Grube gräbt, fällt selbst hinein," sind zwei uralle Sprüch-
wörter, hervorgegangen wie andere kernige Denksprüche aus
vielseitiger menschlicher Erfahrung. Aber diese Sprüche haben
noch einen höheren Werth, sie sind nicht bloß ein erprobtes
Menschenwort, sie sind auch unfehlbares Gotteswort. Denn
wir finden diese nämlichen Wahrheiten fast mit gleichen Wor
ten auch in den vom heiligen Geiste eingegebenen Schriften
des alten wie des neuen Testamentes ausgesprochen.,
So sagt der königliche Prophet im siebenten Psalm, vom
Loose des Ungerechten redend: Sein Unheil kehrt auf fein
eigen Haupt zurück, und seine Bosheit läßt sich auf
seinem Nacken nieder. Nicht anders, spricht sich sein weiser
Sohn in den Sprüchwörtern aus: ' Wer Unrecht säet,
wird Unrecht ernten: und zugleich belehrt er uns, daß
dies sich nicht bloß an einzelnen Menschen sondern auch an
ganzen Staaten und Reichen erfülle, wenn er an einer an
deren Stelle sagt: 2 Gerechtigkeit erhebt ein Volk, elend
aber macht die Völker die Ungerechtigkeit. Gleiches
lehrt, wenn auch in bildlicher Sprache, der weise Sirach,
welcher schreibt:" Wer einen Stein in die Höhe wirft,
dem wird er auf den Nacken fallen, und ein Streich
aus Arglist wird dem Arglistigen Wunden schlagen.
Wer eine Grnbc gräbt, wird in selbe fallen, nnd wer
einen Stein legt seinem Nächsten, wird anstoßen au
demselben, und wer Schlingen bereitet einem Anderen,
wird stürzen durch diese./

') I'luv. XXII tt. - ') «Kill. x,v. 34. — ') Kecü. XXVII. 2« 3«<,<1.
Der unbarmherzige Knecht. 359

Das Nämliche erfahren wir aus dem Munde Jesu Christi ;


denn wenn er sagt:'' Alle, die das Schwert ergreifen,
werden durch das Schwert umkommen, so heißt das
eben im Allgemeinen, daß jegliche Art von Unrecht, welches
am Nächsten verübt wird, auf den Urheber selbst zurückfällt.
Den gleichen Sinn haben jene anderen Worte des Heilandes^
Mit welchem Gerichte ihr richtet, werdet ihr gerichtet
werden, und mit welchem Maße ihr messet, wird euch
wieder eingemessen werden. Wer also Ungerechtigkeit
gegen seinen Nächsten übt, wird nur sich selbst schaden; das
Loos, welches er Anderen bereiten wollte, wird ihn selbst
treffen.
Es wäre sonach, wo Gottes Mund gesprochen, nicht
weiter nöthig, Beispiele anzuführen, die uns die Wahrheit
jener Aussprüche bestätigen. Allein da Worte wohl beweisen,
Beispiele aber überweisen, Worte leicht verhallen, Thatsachen
aber sich tief einprägen, so wollen wir die Geschichte zu Rath
ziehen, ob die Handlungen den Worten entsprechen. Doch ich
muß gestehen, verehrte Zuhörer, daß ich ob der Menge von
Beispielen kaum weiß, wo ich zuerst beginnen und was ich
unter dem Vielen, das sich mir darbietet, da denn doch nicht
Alles aufgezählt werden kann, auswählen soll Jch mag mich
in der heiligen Geschichte oder in der profanen umschauen,
mag mich zu einzelnen Menschen oder zu ganzen Nationen,
zur alten oder zur neueren und neuesten Zeit, zu entfernten
oder benachbarten Ländern wenden, überall treten mir eine
Menge von Thatsachen entgegen, die uns alle die nämliche
Wahrheit verkünden, daß die an Anderen versuchte oder ver
übte Ungerechtigkeit den Urheber gewöhnlich selbst traf.),
Werfen wir zuerst einen Blick in die heilige Schrift.
Einer der ersten mit der Entstehung des jüdischen Volkes
verknüpften ungerechten Akte war der Verkauf Josephs

'» ziÄltli. XXVl. 52, — ') Ib!<l, VII, 2.


360 XXI, Aomuag nach Pfingsten.

durch seine Brüder an fremde Kaufleute. Gleich hier seht ihr,


wie sich das Unrecht an ihnen rächt. Sie selbst müssen durch
eine Hungersnoth gezwungen in das nämliche fremde Land
ziehen, müssen viele harte Reden anhören, einen von ihnen
sogar als Gefangenen zurücklassen und manche andere tiefe
Demüthigung hinnehmen. Warum? Sie fagen es selbst :"
Weil wir gegen unseren Bruder gesündigt haben,
leiden wir mit Recht. Das Unheil also, das sie dem
Joseph bereitet, kehrt auf ihr eigen Haupt zurück.v
Bekannt ist, wie die Aegypter, nachdem Jakobs Nach
kommen zu einem starken Volke herangewachfen waren, alle
Mittel aufboten, um sie zu knechten und nach und nach zu
vernichten. Zuerst wurden ihncn die drückendsten Frohndienste
bei Bauten und Feldarbeiten aufgelegt; sodann befahl Pharao
den ägyptischen Hebammen alle Knaben, die von israelitischen
Müttern geboren würden, sogleich zu tödten; endlich gebot er
seinem ganzen Volke, alle männliche Nachkommenschaft der
Hebräer in den Nil zu werfen und zu ertränken. Jhr wisset,
verehrte Zuhörer, wie alles dieses an den Söhnen Israels
verübte Unrecht auf die Aegnpter und ihren grausamen König
zurückfiel. Jm Wasser sollten die jüdischen Knaben umkom
men; doch plötzlich kommt die Züchtigung. Moses erhebt seinen
Stab über die Gewässer Aegyptens, und alle Flüsse, Bäche
und Teiche verwandeln sich in Blut und das Wasser geht in
Fäulniß über, so daß die Aegypter nicht mehr davon trinken
können. Nicht erweichte das Jammern der Mütter Pharaos
Herz, darum muß er jetzt die Plage der Frösche und Brem
sen erdulden, die überall eindringen in die Häuser, Betten
und selbst in die Lebensmittel. In harten Feldarbeiten ver
dammte er die Jsraeliten, und darum kommt ein Hagelschlag
und vernichtet alle Feldfrüchte, tödtet Menschen und Vieh.
Alle Söhne Israels sollten sterben, dafür stirbt alle Erstgeburt

«en, XI.ü, 2l.


Der unbarmherzige Knecht. 361

in Aegypten, vom Erstgebornen de« Königs bis zum Sohne


der niedrigsten Sklavin. Das ganze Volk will Pharao zu
Grunde richten, doch er und sein ganzes Heer gehen zu Grunde,
begraben von den Fluchen des rothen Meeres. Sind das nicht
deutliche Belege, daß, wer Unrecht säet, nur Unrecht erntet?
Noch mehr, verehrte Zuhörer. König Abimelech tödtet
siebenzig Brüder auf einem Steine mit dem Schwerte.
Sonderbares Geschick! Als er den Thurm von Thebes belagerte,
warf ein Weib einen Stein auf ihn herab und zerschmetterte
sein Gehirn, und der Waffenträger tödtete ihn sodann vollends
mit dem Schwerte. Goliath will mit seinem Schwerte den
David tödten, doch mit dem nämlichen Schwerte trennt der
Hirtenknabe den Kopf vom Rumpfe des Riesen. Erfüllt
sich an ihnen nicht buchstäblich das Wort des Herrn: Wer
das Schwert ergreift, wird durch das Schwert um-
kommen? Gleiches bewahrheitet sich an Saul. Oft hat er
das Schwert gegen David gezückt, endlich tödtet er sich mit
seinem eigenen Schwerte. Achitophel, der abtrünnige Rath-
geber Davids, räth dem Nbsalom, den König zu tödten, doch
das Loos trifft ihn selbst, er erhängt sich: und wie Absalom,
der Empörer, endete, ist Jedermann bekannt.
Nhab will um jeden Preis den Weinberg Naboths in
seinen Besitz bekommen, und Jezabel, die Königin, um das
Mittel nicht verlegen, gibt den Rath, den Naboth zu steinigen.
Welches war die Folge dieser Ungerechtigkeit? Achab fällt in
der Schlacht, und au der nämlichen Stelle, an der Naboths
Blut geflossen, lecken die Hunde das Blut des Königs auf.
Jezabel wird auf die Steine der Straße herabgeworfen und
Hunde fressen ihr Fleisch. Jst es also wahr, daß unrecht
Gut niemals gut thut? Daniels Feinde setzen es durch,
daß der König ihn in die Löwengrube werfen ließ; doch der
Prophet wird wunderbar erhalten, und nun läßt der König
jene Männer in die Grube werfen, die augenblicklich von den
Löwen zerrissen wurden.» >,
362 XXI. Sonntag nach Pfingsten.

Jene niederträchtigen Alten, wekche Susanna des Ehe


bruchs beschuldigten, wurden gesteinigt, während sie der keu
schen Frau diese Todesart bereiten wollten. Aman, der für
Mardochäus einen Galgen errichtet, endet selbst daran. Jene
israelitischen Könige, wie Sellum, Phacee, Zambri und
Andere, die sich durch Ermordung ihrer Vorgänger den Weg
zum Throne bahnten, gingen Alle wieder durch Mord zu
Grunde. Was beweisen denn, verehrte Zuhörer, alle diese
Thatsachen aus der alttestamentlichen Geschichte? Sind sie
nicht lauter Belege, daß die am Nächsten verübte Ungerechtig
keit auf die Urheber zurückfällt ?v
Aus dem neuen Testamente Beispiele zu bringen, wo
,der göttliche Heiland so deutlich sich ausgesprochen hat, dürfte
kaum nöthig sein. Denn nachdem das Gebot der Nächsten
liebe mit dem der Gottesliebe auf eine Stufe gesteklt wurde
und Christus wiederholt erklärt hatte, daß er Alles, waS man
dem Nächsten thut, so ansehe, als habe man es ihm selbst
gethan; ist Gott wie der Belohner der guten Handlungen,
so auch der persönliche Rächer jeder Ungerechtigkeit gegen den
Nebenmenschen geworden. Wollt ihr aber, verehrte Zuhörer,
doch einige Fingerzeige, so denkt an den Pharisäer, den das
Urtheil der Verwerfung traf, nachdem er ungerecht den Zöllner
verurtheilt hatte; oder an den reichen Prasser, der mit
brennendem Durste gestraft wurde, weil er den armen Laza-
rus darben ließ; oder an das Blut Christi, das über feine
Kreuziger und deren Kinder kam, wie sie es selbst in ihrem
Frevel ausgesprochen hatten.^
Gehet dann in der Geschichte der christlichen Kirche weiter,
und ihr werdet öfters in den Martyrerakten finden, wie gar
häufig die wilden Bestien, welche die Tyrannen gegen die
heiligen Bekenner losließen, gegen jene selbst wütheten, oder
wie die Flammen des Scheiterhaufens statt des Martyrers
die Henker ergrissen. Am dentlichsten aber spricht für unsere
Behauptung, was im Leben der heiligen Elisabeth von
Der unbarmherzige Knecht.

Portugal erzählt wird, und was auch deutsche Dichter unter


veränderten Namen, vielleicht weil es sich um eine katholische
Heilige handelte, zum Thema ihrer Poesien wählten. Ein
Diener verleumdete seinen Genossen, neidisch auf die Gunst,
in welcher dieser bei der Königin stand, bei seinem Herrn.
Der eifersüchtige und leichtgläubige Gebieter gibt den Befehl,
den Ersten, der des folgenden Tages nach dem Eisenhammer
käme, nm sich um den Vollzug hes königlichen Befehls zu
erkundigen, in den Feuerofen zu werfen. Der fromme Diener,
dem dieser verhängnißvolle Auftrag erlheilt wird, verweilt
unterwegs in einem Kirchlein, um der heiligen Messe beizu
wohnen. Währenddessen eilt der Verleumder, wähnend, des
Königs Befehl sei bereits vollzogen, nach dem Eisenhammer;
doch kaum hat er seine Frage gestellt, so wird er schon er
griffen und in jene Gluth geworfen, die er einem Anderen
bestimmt hatte. Seht, wer Andern eine Grube gräbt, fällt
selbst hinein./
Doch wenden wir uns nun zur Profangeschichte.
Allein, verehrte Zuhörer, wer wäre im Stande, auch nur die
offenkundigsten Thatsachen anzudeuten, die uns fast auf jeder
Seite der Weltgeschichte begegnen? Ohne nnr den leisesten
Widerspruch befürchten zu müssen, glaube ich behaupten zu dürfen,
daß es kein Volk seit Erschaffung der Welt gibt, in dessen
Geschichte sich nicht viele Beispiele fänden, die uns bestätigen,
daß die Ungerechtigkeit ihr eigener Rächer war. Jch rede
hier, wie gesagt, nur von solchen Thatsachen, sowohl aus dem
Leben ganzer Völker wie einzelner Menschen, die klar zu Tag
liegen und nicht verborgen blieben; denn von lausenden mögen
oft nur einige zehn in die Öffentlichkeit gedrungen oder der
Nachwelt überliefert worden sein, während die übrigen alle
nur Gott allein bekannt sind. Ja, ich glaube noch weiter
gehen und behaupten zu dürfen, daß nicht bloß die Geschichte
eines Volkes oder Landes, sondern auch die Geschichte einer
jeden Stadt, ja sogar eines jeden Dorfes von mehreren solchen
364 XXI. Sonntag nach Pfingsten.

Fällen weiß, wo die gegen Andere verübte Ungerechtigkeit die


Urheber selbst traf.^
Wenn wir darum in der Weltgeschichte lesen, daß jener
athenische Erzgießer Perillus, welcher für den grausamen
Tyrannen von Agrigent, Phalaris, einen ehernen Stier zum
Verbrennen von Menschen gemacht hatte, zuerst darin ver
brannt wurde; oder daß jener spartanische König Pausanias,
als er sein Volk knechten wollte, dafür in einem Tempel ge
fangen gehalten und dem Hungertode preisgegeben wurde;
oder daß so manche römische Kaiser, die Anderen einen grau
samen Untergang bereiteten, selbst auf die jämmerlichste Weise
ums Leben kamen; daß ein Maxentius, der eine gebrechliche
Brücke zum Untergange des Kaisers Constantin erbaut hatte,
selbst über die Brücke hinabstürzte und im Tiber ertrank, u. s. w.
so sind das nur winzige Thatsachen, die verschwinden,
wenn wir Beispiele im Großen berücksichtigen, Geschicke, die
ganze Völker trafen für die gegen andere Völker begangenen
Ungerechtigkeiten.
Griechenland unter persisches Joch zu bringen war seit
Cyrus Zeiten die Jdee aller Könige, der sie Millionen ihrer
Unterthanen opferten; und doch unterlagen sie endlich den
Bekämpften, die Griechen herrschten über die Perser. So
lange der arianische Ostgothenkönig Theodorich gut regierte
und die Katholiken duldete, blühte sein Reich; doch kaum wich
er vom Pfade der Gerechtigkeit ab, kaum fing er an die recht
gläubige Kirche zu bedrängen und edle Männer, wie den
tugendhaften Boethius und den greisen Symmachus zu tödten,
so ereilte ihn auch schon die Strafe, er starb bald, und kurz
nach seinem Tode zerfiel sein Reiche
Lange Jahre hatte das heidnische Rom fremde Völker
unterworfen, das Christenthum bekämpft und sich berauscht
im Blute der Martyrer; doch als das Maß der Ungerechtig
keit voll war, wurde es selbst den fremden Völkern unter
worfen, und die Kirche der Martyrer regierte fortan an
Der unbarmherzige Knecht. 365

Stelle der Tyrannen. Entsetzlich waren die Gräuel, womit


sich die Herrscher des byzantinischen Reiches befleckten, treulos
und niederträchtig ihre Trennung von der wahren Kirche;
daher trifft sie eine furchtbare Züchtigung, sie werden Sklaven
der Muhamedaner, ihr Reich wird eine Beute der Türken,
an der Stelle des hellstrahlenden Kreuzes auf der Sophien-
kirche zu Constantinopel steht nun der blasse türkische Halbmond..
Und wenn wir uns in der Kriegsgeschichte umschauten
und die Ursache der Kriege mit dem endlichen Ausgange ver
glichen, wie oft würden wir finden, daß die ungerechten Er
oberer, wenn sie auch vorübergehend manchen Sieg errangen,
doch zuletzt armselig unterlagen, terxes wird von dem An-
sührer seiner eigenen Leibwache ermordet, Alexander der
Große stirbt in der Blüthe seiner Jahre, Pyrrhus von Epi-
rus kommt in einem Straßengefechte um, C. Julius Cäsar
fällt durch dreiundzwanzig Dolchstiche, Attila, die Geißel Got
tes, erstickt in seinem Blute, Peter der Große von Rußland
stirbt an einem durch seine Völlerei unheilbar gewordenen Ge
schwüre, Karl XII. von Schweben fällt durch die Hand eines
Meuchelmörders, Napoleon I. stirbt auf einer einsamen Jnsel
als Verbannter.»
Werfen wir endlich noch einen Blick auf die wüthendsteu
Häupter der französischen Revolution, deren Ungerechtigkeit
mehr als himmelschreiend ist und sie zuletzt selbst traf. Marat,
einer der grimmigsten Mordhunde, fällt durch die Hand eines
entschlossenen Mädchens, Charlotte Corday, die ihn erstach.
Carrier, bekannt durch seine Noyaden und republikanischen
Hochzeiten, das heißt, durch massenweise Hinrichtungen, indem
er entweder unschuldige in der Loire ertränken ließ, so daß
deren Wasser zuletzt untriukbar wurde, oder sie schaarenweise
auf der Guillotine enthauptete, endete zuletzt selbst auf der
Guillotine. Chalot, der für Ludwig XVI. Hinrichtung ge
stimmt hatte, ward selbst hingerichtet. Danton, einer der-
Haupturheber aller der Gräuel, die Frankreich mit Blut über
366 XXl. Sonntag nach Pfingsten.

schwemmten, wurde ohne alles Verhör guillotinirt. Robes-


pierre, das größte Scheusal der Republik, der Mörder von
Tausenden, zerschmettert sich zuerst mit einem Pistolenschuß
die Kinnlade und wird dann mit einundzwanzig Gefährten
hingerichtet:
Doch genug der Beispiele, verehrte Zuhörer, ich fürchte
eure Geduld zu ermüden, wenn ich deren noch mehrere anführe.
Niemand wird länger mehr bezweifeln, ^daß das Unrecht, wel
ches man dem nächsten zufügt, nur zu oft den Urheber selbst
trifft. Kommen wir nun zur Anwendung.^

Klagen über Ungerechtigkeiten aller Art werden auch heut


zu Tage überall laut. Man hört von Ungerechtigkeiten, die im
öffentlichen wie im häuslichen Leben, von Einzelnen wie von
Gesellschaften, von Unterthanen wie von Regierungen, von
Privaten wie von ganzen Staaten begangen werden.
Oder werden nicht gar oft die heiligsten Pflichten
der Gerechtigkeit von Eltern gegen ihre Kinder und umge
lehrt, ferner von Gatten gegen die Gattinen, von Herrschaften
gegen Dienstboten und von diesen wieder gegen ihre Herr
schaften verletzt? Oder ist vielleicht die vernachlässigte
Kiudererziehung keine Ungerechtigkeit und fällt sie nicht oft
genug auf die Eltern zurück, die später schwer genug büßen
müssen, was sie früher versäumt haben? Und Kinder, die an
ihren Eltern unrecht handelten, sind sie nicht oft später von
ihren Nachkommen ebenso behandelt worden? „Nicht weiter,
mein Sohn," schrie ein Vater seinem Kinde zu, das ihn ge
waltsam aus dem Hause verstieß und bei den Haaren über
die Schwelle zog, „denn bis hieher habe ich einst auch deinen
Großvater gezogen." Liegt die Ursache der Zerrüttung in so
manchen Familien nicht in irgend einer Ungerechtigkeit, in
einem ehebrecherischen Wandel eines der beiden Gatten, in
Der unbarmherzige Knecht. 36?

der längst verletzten Liebe und Treue, die sie sich einst am
Altare geschworen haben?
Jst die immer mehr und mehr überhandnehmende Genuß
sucht, der immer ärger werdende Luxus, wenn man namentlich
auf die Erwerbsquellen und den Vermögensstand der Einzelnen
Rücksicht nimmt, nicht gar oft eine himmelschreiende Unge
rechtigkeit? Woher sind denn die Mittel bei Manchen, die bei
keinem Vergnügen fehlen und stets nach neuester Mode durch
die Straßen ziehen, während man doch weiß, daß sie ganz
wenig Vermögen oder nur ein mäßiges Einkommen, hie und
da auch keines von beiden haben? Nun, ihr wisset es selbst,
verehrte Zuhörer, das Räthsel ist nicht schwer zu lösen. Sie
haben eben Schulden gemacht, die Leute betrogen und ange
führt, oder vielleicht gar, leider fage ich hier etwas nicht ganz
Unbekanntes, vielleicht gar das Geld zu Genuß und Putz
durch Lüderlichkeit, durch schamlose Preisgebung, durch Sünden
lohn sich erworben. Und wohin wird eine solche gräuliche
Ungerechtigkeit führen, wird sie nicht auch auf das Haupt der
Urheber zurückfallen? Nun, verehrte Zuhörer, da brauche ich
keine Beispiele anzuführen, denn ihr möget selbst Manchen
und Manche kennen, die einst großthaten und in Saus und
Braus dahinlebten, nun aber am Hungertuch nagen, den
Bettelstab tragen, und statt in Sammet und Seide in Lum
pen gehüllt sind. Jeder, sagt das Sprüchwort, ist seines
eigenen Glückes Schmied.'
Wie zahllose Ungerechtigkeiten im häuslichen Leben vor
kommen, die sich nur zu oft selbst rächen, ebenso gibt es auch
unzählige im öffentlichen Verkehr, im Handel und Wandel, im
Kleinen wie im Großen. Jch will euch selbst reden lassen. Wie oft
klaget ihr über Uebervortheilung, über zu hoch gestellte Forder
ungen, über Betrug in Maß und Gewicht und schlechter
Waare, über zugefügten Schaden, Diebstähle und dergleichen.
Wie viel wird namentlich geklagt über die ungerechte Vertheuer-
ung der Lebensmittel und den schauderhaften Wucher, der
368 XXI. Sonntag noch Pfingsten.

von Einzelnen getrieben wird. Ja, ihr habet Recht, verehrte


Zuhörer, all' das sind Ungerechtigkeiten, welche Menschen gegen
ihre Mitmenschen begehen!/
Ob sie ihnen wohl auch Segen bringen? Nun, wir ^
haben heute Beispiele genug gehört und gesehen, daß auf un
gerechten Dingen kein Segen, sondern Fluch liegt. Und die
Erfahrung bestätigt es. Wie gekommen, so zerronnen, mni«
parta male Mubuntu,', sagt das Sprüchwort. Und der
weise Sirach spricht^ Der Ungerechten Güter werden
wie ein Bach vertrocknen und wie ein starker Donner
im Regengusse verhallen. An wie Vielen ist das schon
buchstäblich in Erfüllung gegangen. Wie Viele haben durch
,Gier nach Neichthum ungerechte Schwindeleien angefangen, in
unsaubere Börsen-- und Aktienmanöver sich eingelassen, um
anderen Leuteu das Geld auf feine Weise aus der Tasche zu
stehlen; und das Ende? Sie haben sich selbst und ihr Haus
zu Grunde gerichtet. Der arge Wucher, der heutzutage mit
Geld getrieben wird, auch von christlichen Juden, der oft so
gar Elend und Roth herbeiwünscht, um auf Kosten des Nach-»
sten zu gewinnen, der gerade mit unserer Zeit, die überall
ihre erheuchelte Humanität zur Schau trägt, in so grellem
Widerspruche steht; wohin führt er? Wer, sagt der weise
Salomon,^ Reichthum aufhäuft durch Wucher und
Zinsen, sammelt ihn für den, der freigebig gegen
die Armen ist. Als Beispiel dient jener Reiche, der
spracht Nun meine Seele iß und trink und laß dir
wohl sein, aber noch in derselben Nacht in der Hölle begraben
ward. Als Belege endlich dienen die gräulichen Wucherprocesse,
wie sie in Frankreich und theilweife auch bei uns vorkamen
und mit Schimpf, Schande und Gefä'ngniß für die Betrüger
endeten. ' . ^.. ' ". , ^

') Koeli. XI.. 13. - ') ?i,ov. XXVIII. g. — "j l.no. Xll. 19.
Der unbarmherzige Knecht, 369

Wohin endlich, um auch ein Wort von dem Unrecht im


Großen zu sagen, wohin wird der Strom jener Ungerechtig
keiten münden, die gerade in unseren Tagen von Regierungen
und Staaten gegen die katholische Kirche oder andere Staaten
begangen werden? Wohin wird es führen, daß man die feier-
lichsten Verträge bricht, die zwischen Monarchen und dem
Oberhaupte der Kirche geschlossen wurden? Sind die Concor-
date nicht ebenso gut bindend für beide Theile, wie die zwischen
Privaten geschlossenen Contrakte? Wohin wird es führen, daß
man alles Recht des Eigrnthums mit Füßen tritt, Kloster
aufhebt und fromme Stiftungen vernichtet? Wie die Säculari-
fation in England keinen Segen gebracht hat, wo, wie Kaiser
Karl V. sagte, Heinrich VIII. die Henne erschlug, die ihm
goldene Eier legte; wie jene, die bei uns zur Zeit der Säen-
larisation nur für ihren eigenen Säckel bedacht waren, wenig
Glück und Segen ernteten; so wird es gegenwärtig auch dort
gehen und ist schon geschehen, wie z. B. im heutigen Jtalien,
wo man bei allem Raub und Diebstahl dennoch leere Kassen,
ja mehr als bloß leere Kassen, enorme Schuldenmasseu hat.
Welches wird der schließliche Ausgang sein? Wenn das, was
wir heute aus zahllosen Beispielen gesehen haben, Wahrheit
ist, dann werden seiner Zeit auch alle diese Ungerechtigkei
ten, Plünderungen, Mordbrennereien und Hinrichtungen auf
das Haupt derer zurückfallen, die sie veranlaßt und befördert
haben. Die Herrschaft, sagt der Ekklesiastikus,"' wird
von einem Volke auf das andere übertragen wegen
der Ungerechtigkeiten und Unbilden und Schmähungen
nnd der verschiedenen Arglist.x
Soll also Unglück und Verderben von uns ferne bleiben,
dann müssen wir die Ungerechtigkeit hassen, die jedes Volk
elend macht, und die Gerechtigkeit pflegen, welche die Völker

") Looli. X. 8.
Lierheimer, Parabeln u. Wund». 24
379 XXI. Sonntag n. Pfingsten. Der unbarmherzige Knecht.

erhebt. Lieben und üben wir also die Gerechtigkeit im Großen


durch treues Festhalten an Thron und Altar, und lieben wir
sie im Kleinen durch strengste Erfüllung der Nächstenliebe, in
dem wir uns nie ein Unrecht gegen unsere Nebenmenschen zu
Schulden kommen lassen, weder in unseren Worten noch in
unseren Handlungen. Vergesset darum nie das Sprüchwort
Salomons, das ich euch heute mit auf den Weg gebe:" Wer
redlich wandelt, dem wird Heil widerfahren. Amen.

") prov, XXVM. 18.


XXIII.

arum ein Weltgericht.


(XXIV. Sonntag nach Pfingsten.)
3ie werden de« Menschen Sohn auf den Wolken de« Himmels tommcu
sehen mit grosier Macht und Herrlickleit. l>luttli. XXIV. 30,)

>W°h
^Voher kommt es, daß so Manche unter den Katholiken
gar keinen Glauben haben, oder nur soviel glauben, als ihnen
gerade beliebt? Etwa daher, daß die Glaubenswahrheiten
nicht genugsam verkündet oder nicht hinreichend bewiesen und
bezeugt sind? Nicht im Mindesten, denn es gibt tausenderlei
Gelegenheiten, um sich unterrichten zu lassen, und gibt un
zählige Wunder, womit Gott seine Lehre und die Wahrheit
seiner heiligen Kirche bestätigt hat. Woher also der' Unglaube,
woher der Halbglaube?'
Jch will es kurz sagen. Nicht im Verstande liegt der
Fehler, sondern im Herzen, tief im Herzen. Man sieht recht
gut ein, daß man, wenn mau recht glauben will, auch nach
dem Glauben leben, die Gebote Gottes halten, seine Leiden
schaften bekämpfen und den sundhaften Gelüsten widerstehen,
oder daß man, wenn man dies nicht thut, fortwährend den
Wurm des bösen Gewissens in sich tragen, fort und fort in
Furcht vor Gott und seinem Gerichte leben und sich durch
diese Gedanken in allen Freuden stören lassen muß. Was thut
24'
372 XXIV, Sonntag nach Pfingsten.

man nun, um wo möglich einerseits diese Last von sich abzu


schütteln und anderseits frei der Sünde und dem Laster dienen
zu können? Man bemüht sich, den lästigen Gedanken an
Gott, an seine Wahrheiten und Gebote zu vergessen, sich der
Furcht vor dem Tode, dem Gerichte und den ewigen Höllen
strafen zu entledigen und sich zu diesem Zwecke durch Schein-
gründe selbst zu hintergehen und gleichsam sein Gewissen zu
betäuben, indem man sich vormacht oder vormachen läßt, die
göttlichen Wahrheiten seien so streng nicht zu nehmen, die
Kirche könne vielleicht irren und die Geistlichen, um den Lieb
lingsausdruck solcher Leute zu übergehen, die Sache übertrei
ben und die Hölle schwärzer malen, als sie ist. Darum
suchen die Glaubenslosen ihren eigenen Verstand zu betrügen,
indem sie ihn zwingen möchten, jene Stellen der heiligen
Schrift ganz zu übersehen, welche von der göttlichen Gerech
tigkeit handeln. Sie wissen nur von jener zu reden, welche
lautet:' Gott ist die Liebe; aber nicht von jener andern,
in der es heißt:^ Die Gerechtigkeit des Herrn bleibt
in Ewigkeit. Und doch muß Beides wahr sein: Gott muß
die Liebe und die Gerechtigkeit zugleich sein. Seht, verehrte
Zuhörer, so ist das schlechte Herz die Ursache des Un- und
Halbglaubens. Man will durch die bitteren Wahrheiten des
Evangeliums nicht gestört werden, und darum glaubt man
sie nicht. ,
Eine solche bittere Wahrheit ist auch der Glaube an das
künftige Weltgericht. Kaum hören davon die Ungläubigen,
fo sagen sie auch schon: „Wir glauben nicht, daß es ein sol
ches Gericht geben wird." Sie übersehen aber dabei einen
sehr wichtigen Umstand, der sie wohl zum Nachdenken bringen
müßte. Hat nicht der göttliche Heiland Jesus Christus
in ein und derselben Weissagung, die wir eben gehört haben,
mit der schauderhaften Zerstörung Jerusalems zugleich das

') I. ^o»°n. IV. 8. — ') ?«»Im. cXVIII. 142.


Warum ein Weltgericht. 373

jüngste Gericht vorhergesagt? Wenn die Weissagung von der


Zerstörung Jerusalems so genau mit allen ihren schrecklichen
Einzelnheiten in Erfüllung ging, sollte da nicht aller Grund
zum Glauben vorhanden sein, daß auch die Weissagung vom
letzten Gerichte ebenso genau mit allen Umständen in Erfüll«
ung gehen werde?
Es treten aber auch die Halbgläubigen auf, die zwar
Christum nicht ganz verläugnen, aber so nach ihrer Art selig
werden und nach ihrem Gutdünken den Glauben zurechtlegen
möchten, und sagen: „Wie ist es möglich, daß die Sonne sich
verfinstert, der Mond erbleicht und die Sterne vom Himmel
fallen? wie ist es möglich, daß die Menschen alle auferstehen
und an Einem Orte sich versammeln?" Wie bekümmert und'
besorgt sind doch diese Leute für den allmächtigen Gott! Er,
der Sonne, Mond, Sterne und Erde aus Nichts zu erschaffen
vermochte, wird wohl auch solche Zeichen noch zu wirken ver-
mögen. „Aber," entgegnen sie wieder, „das wird ja allzu
schauerlich werden, wie verträgt sich das mit Gottes Liebe?"
Jch frage dafür: Hat Gott die Wahrheit geredet, oder wollte
er sich bloß einen Spaß machen und uns einen unnöthigen
Schrecken einjagen? Wenn letzteres, dann wischet nur keck
das Kreuz von der Stirn, das euch in der heiligen Taufe
gemacht wurde, und höret auf Christen zu sein. Glaubet ihr
aber, daß Gott die Wahrheit redet, dann dürft ihr auch
seine Worte nicht verkleinern. Glaubet ihr, daß er keiue
blinde sondern eine wahre Liebe hat, die mit Heiligkeit und
Gerechtigkeit verbunden ist, dann dürft ihr anch nicht zweifeln,
daß er Gericht halten und Jedem nach seinen Werken ver.
gelten wird.
Dieses will ich heute näher ausführen, indem ich die Frage
beantworte: Warum muß ein allgemeines Weltgericht am
jüngsten Tage stattfinden? Gehen wir ohneweiters auf dieses
Thema ein mit der Bitte: Deine Gnade, o Jesus! sei mit uns.
H?4 XX!V. Honiitag nach Pfingsten.

Gott schuldet ein allgemeines Weltgericht vor Allem seiner


Gerechtigkeit und sich selbst, und zweitens seiner Liebe, die er
zu seinen Heiligen und Auserwählten trägt. Er schuldet es
seiner Gerechtigkeit. Jch muß, um dieses recht klar zu macheu,
vor Allem einen Blick auf die anderen göttlichen Eigenschaften
werfen./
Betrachtet mit mir, wie deutlich und wie herrlich Gott
diese schon hier auf Erden offenbart. Er offenbart seine
Allmacht, indem er das ganze unermeßliche Weltall, Himmel
und Erde, die Engel und das Menschengeschlecht durch sein
Wort aus Nichts geschaffen hat und feit Jahrtausenden
fort und fort durch seinen bloßen Willen erhält. Er wirket
Alles, wie der Apostel sagt,' nach dem Wohlgefallen
seines Willens./'
Er offenbart seine Weisheit, indem er die ganze uner-
faßliche Einrichtung und Schönheit in der Welt geordnet hat,
die wir im Himmel und auf Erden, im Kreislauf der Ge
stirne so gnt ,wie in den kleinsten Thieren und Pflanzen be
wundern, so daß ungeachtet der Verschiedenheit der Geschöpfe
dennoch die innigste Harmonie stattfindet. Gottes Weis
heit, wie das Buch der Weisheit sich ausdrückt,^ wirket
von einem Ende bis zum andern mächtig fort und
ordnet Alles lieblich an./
Er offenbart seine Gnade und Barmherzigkeit, indem er
das größte Opfer bringt, seinen eingebornen Sohn in die
Welt sendet und ihn zum Tode am Kreuze dahingibt, um uns
von der 'Sünde und dem ewigen Verderben zu befreien und
uns zu Kindern Gottes und Erben des Himmels zu machen.
Denn als, wie der Apostel schreibt, ^ die Güte und Men
schenfreundlichkeit Gottes, nnseres Heilandes, er
schien, hat er nach seiner Barmherzigkeit uns erlöst..

'> ll,,!«:u, l. n — ') »!'p. VIII. ! — ') t'it. III. i.


Warum «in Weltgericht. 375

Er offenbart seine Heiligkeit, indem er jene ewigen Ge


setze, die er einst unter Blitz und Donner auf Siuai verkün
dete, zugleich allen Menschen in das Herz und in ihr Gewis
sen schrieb, um sie zu lehren, was gut und böse ist, und uns
deshalb auch durch Moses zuruft:" Seid heilig, denn ich
der Herr, euer Gott, bin heilig./
Seht, verehrte Zuhörer, in solch großartiger, in solch
herrlicher und wunderbarer Weise offenbart Gott schon hier
auf dieser Welt seine ewigen Eigenschaften. Aber hat er auch
in dieser Welt mit ebenso großem Glanze und ebenso unwider
stehlicher Weise seine Gerechtigkeit geoffenbart, so daß Jeder
immerdar bei Allem, was da vorfällt, bekennen muß: Gott
ist gerecht, er vergilt Jedem sogleich nach Verdienst? Es ist
dies wohl zuweilen geschehen, wie z. B. bei der Zerstörung
Jerusalems, aber nicht immer und nicht sogleich: vielmehr
verhüllt sich seine Gerechtigkeit nur zu häusig hier auf Erden,
so daß wir selbst nicht selten uns fragen müssen: Wo bleibt
da die Gerechtigkeit?/
Oder wie, fordert nicht die Gerechtigkeit, daß das Laster
nach Verdienst gestraft und die Tugend nach Verdienst belohnt
wird? Thut dies Gott allzeit schon iu dieser Welt, sichtbar
und offenkundig vor den Augen der Menschen? Nein, Ge
liebteste; oft, ja sehr oft sehen wir das Laster in dieser Welt
ungestraft. Nicht immer wird der Flucher und der Lästerer
gegen Gott und seine heilige Kirche sogleich von Gottes
rächender Hand geschlagen. Nicht immer ereilt den Dieb,
den Betrüger und Verleumder der Arm der Gerechtigkeit.
Nicht selten gehen Mordthateu ganz oder theilweise straflos
hin. Nicht jedesmal folgt der Trunkenheit, der Unzucht und
dem Treubruche die gebührende Strafe. Ja viele Sünder
sehen wir oftmals lange Zeit und manchmal sogar ihr ganzes
Leben lang ohne erhebliche Leiden und geziemende Strafen

") l.LV. XI. ll.


316 XXIV. Sonntag nach Pfingsten.

dahinleben, um von den Sünden in Gedanken und Begierden,


die noch häufiger ungerächt bleibeu, ganz zu schweigen. Sagt,
verehrte Zuhörer, offenbart sich so Gottes Gerechtigkeit?
Gibt es nicht ferner manche Menschen, die durch ihre
Verbrechen und Schlechtigkeiten sogar großes zeitliches Glück
erlangen? Mancher Empörer hat sich schon eine Krone, man
cher Betrüger ein großes Vermögen, mancher Gewissenloser
ein hohes Amt erworben. Sagt, offenbart sich so Gottes
Gerechtigkeit?/
Gibt es nicht sogar schauerliche Verbrechen, die in dieser
Welt gar nicht mehr geahndet werden können, wie z. B. der
Selbstmord oder der Tod im Zweikampfe, im Duell, die doch
gewiß der Gerechtigkeit Gottes nicht entgehen können, da sie
der verletzendste Eingriff in sein Majestätsrecht als Herr des
Lebens sind? Wo offenbart sich da Gottes Gerechtigkeit? Es
bleibt ims also nach allem Gesagten kein anderer Schluß über
als dieser, daß einmal ein Tag und eine Stunde kommen
muß, wo die Gerechtigkeit sich ebenso offenbaren wird wie die
übrigen Eigenschaften, no sie ihren Urtheilsspruch fällt und
den Sündern ihre Strafe wird./
Wenden wir uns sodann auf die entgegengesetzte Seite,
und wir werden zum gleichen Schlusse kommen. Sehen wir
einmal zu, ob alle Guten, welche Gott wahrhaft von ganzem
Herzen dienen, auch schon hier auf Erden den Lohn empfangen,
den ihre Tugenden und heiligen Werke verdienen. Wir fin
den nur zu oft das Gegentheil. Verfolgung, Verleumdung,
Elend, Leiden, Baude und Tod sind häufig ihr Lohn und An-
theil. Der heilige Wenzeslaus verzeiht seinem gottlosen Bru
der und wird dafür von diesem ermordet. Der heilige' Bischof
Stanislaus verweist dem König Boleslaus seineu schändlichen
Umgang nnd sucht ihn ans den guten Weg zurückzuführen, er
wird dafür erstochen. Und o wie viele Priester und Missionäre,
die den Heiden und Wilden die frohe Botschaft des Evange
liums und die Kunde des Heiles brachten, sind dafür von
Warum ein Weltgericht. 377

diesen erschlagen worden! Wie viele Millionen heiliger Mar-


tyrer, die ihren Glauben unbefleckt bewahrten und den Herrn
Jesum bekannten, sind auf Scheiterhaufen verbrannt, wilden
Thieren vorgeworfen, ans Kreuz geschlagen, mit dem Schwerte
hingerichtet, oder sonst auf grausame Weise zum Tode gebracht
worden! Wie ist es den Lieblingen des Herrn, den heiligen
Aposteln, auf dieser Welt ergangen? Wir dürfen uns zwar
darüber nicht wundern, da ja der Herr selbst mit Leiden zer
malmt wurde; aber das müssen wir sagen, daß bei allen
diesen Gottes Gerechtigkeit sich nicht gezeigt, sich nicht ge-
offenbart hat.x
Wie im Leben einzelner Menschen, so drängt sich uns
auch im Ganzen und Großen die gleiche Wahrnehmung auf.
Oder sind etwa z. B. alle die Vergehen, die einst ein Arius,
ein Nestorius, ein Pelagius, ein Montanus und andere Häre-
siarchen verursachten, sind alle die Seelenmorde, deren Urheber
sie waren, schon in dieser Welt vergolten worden? Sind alle
die Gräuel, die Muhamed in der Welt heraufbeschworen hat
und die Jahrhunderte lang halbe Welltheile erfüllten, satt-
sam gesühnt worden? Jst all das Unrecht, das England
unter Heinrich VIII. und Elisabeth, das Deutschland und
Schweden gegen die katholische Kirche verübten, mit vollstän
diger Genugthunng in dieser Welt ausgeglichen? Hat Frank
reich den Mord Ludwigs XVI., hat es die Gräuelthaten der
Revolution alle gut gemacht und lassen sie sich überhaupt in
dieser Welt gut machen? Und wird alle Treulosigkeit und
Ungerechtigkeit, die in unseren Tagen verübt wird, noch in dieser
Welt von den Urhebern und Helfershelfern abbezahlt werden
können ? x
Kurz, wie oft hat in den großen Begebenheiten der Welt-
geschichte die Lüge über die Wahrheit, die Ungerechtigkeit über
die Gerechtigkeit, das zeitliche Jnteresse über das ewige, der
Un- und Jrrglaube über den Glauben, der Haß der Höllen-
psörten über einzelne Theile der streitenden Kirche den Sieg
378 XXIV. Sonntag nach Pfingsten.

davongetragen! Wie oft haben dabei Kurzsichtige den Gedanken


ausgesprochen, es scheine fast, der liebe Gott nehme sich der
guten Sache nicht mehr an!>
Allein, wenn wir einmal am Ende der Zeiten die ganze
Zeit von Adam bis zum jüngsten Tage, wenn wir mit einem
Blicke alle geschichtlichen Thatsachen der abgelaufenen Jahr
hunderte überschauen können, dann werden wir gewiß ein
anderes Urtheil abgeben, und all das begreiflich finden, was
jetzt mit einem undurchdringlichen Schleier verhüllt ist. Hat
sich die göttliche Gerechtigkeit bis jetzt nicht geoffenbart, so wird,
ja muß doch auch ihre Zeit kommen.v
Oder dürfen wir etwa annehmen, daß Gott zwar alle
seine anderen Eigenschaften aber niemals seine Gerechtigkeit
den Menschen zeigen werde? Wahrlich, wenn diese Voraus-
setzung richtig wäre, dann gäbe Gott uns in der That einigen
Grund und Anlaß, an seiner Gerechtigkeit zu zweifeln und
über ihn zu klagen und zu murren, weil er nicht nach Ver
dienst belohnt oder bestraft. Allein das kann und darf nicht
ftin. Jetzt zwar, wie Paulus den Athenern predigte/ hat
Gott die Zeiten dieser Unwissenheit nachgesehen,
aber er hat auch einen Tag bestimmt, an welchem er
den Erdkreis nach Gerechtigkeit richten wird durch
einen Mann, den er dazu bestellt und Allen als
glaubwürdig dargestellt hat, indem er ihn aufer
weckte von den Todten. Und was wird das für ein Tag
der Offenbarung göttlicher Gerechtigkeit sein, wenn nicht jener,
an welchem alle Geschlechter der Erde wehklagen und alle
Nationen vor dem Richterstuhle versammelt werden? v
Allerdings sucht jetzt, so lange es noch Zeit ist, den be
leidigten Gott zu versöhnen, die Barmherzigkeit der Gerechtig
keit ihr Recht streitig zu machen, weil immer noch der Wille
vorherrscht, alle Menschen selig zu machen, weswegen auch in

äct. XVII, ul.


Warum ein Weltgerich!. 379

der heiligen Schrift die gegenwärtige Weltzeit die Zeit der


Gnade, der Heimsuchung und der Barmherzigkeit genannt wird.
Allein wenn diese Zeit abgelaufen ist, dann wird auch die
Gerechtigkeit hervortreten, und die Gerechtigkeit und Barm
herzigkeit werden sich wie zwei Schwestern in ihr Erbe theilen;
die Barmherzigkeit wird jene beanspruchen, die den Tag ihrer
Heimsuchung erkannten, die Gerechtigkeit aber jene fordern,
welche ihre Schwester verschmähten.,
Wie einst die Erde am Anfange der Schöpfung finster
war, bis der allmächtige Gott das Licht schuf und es von
der Finsterniß trennte, und das Licht Tag und die Finsterniß
Nacht nannte, und so der erste Schöpfungstag entstand; so
wird auch der gerechte Gott Licht und Finsterniß, Gute und
Böse, am ersten Tage der Ewigkeit, wenn ich so sagen darf,
von einander scheiden, die Guten einführen in das Lichtreich,
die Gottlosen aber in die äußerste Finsterniß stürzen, weshalb
dieser Tag nach der Schrift der Tag der Vergeltung, der Tag
der Gerechtigkeit genannt wirt»
Es kommt also, ja es muß die Zeit kommen, wo Gott
auch seine Gerechtigkeit, die er so lange zu verhüllen schien,
ebenso herrlich wie seine anderen Eigenschaften offenbaren wird.
Alsdann werden die Herzen der Menschen, alle ihre Gedanken,
alle ihre Reden, all ihr Thun und Lassen, offen da liegen
wie ein großes anfgeschlagenes Buch vor aller Welt, und
Gott wird zu Gericht sitzen und das Urtheil sprechen, und
alle Welt wird bekennen müssen : Wahr und gerecht sind deine
Urtheile, o Herr! Alsdann wird sich zeigen, wie Gott auch
nicht einmal einen Trunk Wassers, den man aus Liebe zu
ihm einem Durstenden gereicht hat, unbelohnt läßt, und wie
anderseits kein sündhafter Gedanke, und wäre er im verborgen
sten Winkel des Herzens gewesen, dem Auge seiner Gerechtig
keit entgeht. Dann wird Gott überreiche Entschädigung den
Armen geben für alle Entbehrungen, die sie getragen, vollen
Ersatz den Verfolgten für die Leiden, die sie geduldet, Ver
380 XXlV, Sonntag nach Pfingsten.

geltung den Geprüften und Heimgesuchten für die Schmerzen,


die sie gelitten./ .
Aber auch den Sündern wird ihre Strafe werden, die
um so größer sein wird, je strafloser sie auf Erden gesündigt,
je stolzer sie Gott verachtet und je mehr sie die Frommen
bedrückt haben. Kurz, Gott wird, wie der Apostel sagt,^
Iedemvergelten nach seinen Werken, und zwar denen,
welche mit Beharrlichkeit in guten Werke« nach Herr
lichkeit, Ehre und Unvergänglichkeit streben, mit dem
ewigen Leben; denen aber, die zänkisch sind und der
Wahrheit nicht beipflichten, sondern der Ungerechtig
keit sich hingeben, mit Zorn und Ungnade. Trübsal
und Angst über eines jeden Menschen Seele, der Böses
thut; Herrlichkeit aber, Ehre und Friede Allen, die
Gutes thun."
Darum, verehrte Zuhörer, wenn ihr jetzt die Guten
verfolgt und in Noth und Elend, die Bösen aber in Lust und
Glück erblicket, werdet nicht kleinmüthig, murret nicht wider
Gott, sondern habet Geduld zu warten, und ihr werdet stau
nend sehen, wie Gott auch seine Gerechtigkeit offenbaren und
thun wird, was er dieser Eigenschaft schuldig ist.
Und wie er seiner eigenen Gerechtigkeit gerecht werden
muß, so wird er auch seinem Sohne vollständig gerecht werden.
Er wird halten, was er ihm einst beim Psalmisten zuge
schworen: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich lege
deine Feinde zum Schemel deiuer Füße; herrsche in
Mitte deiner Feinde. Nicht immer und nicht von Allen
ist Christus auf Erden verherrlicht worden, gar Viele haben
sich als Feinde des Kreuzes Christi gezeigt, haben die Lehre
Jesu und die Lehre seiner unfehlbaren Kirche bekämpft, haben
seine Wunder geläugnet und haben ihn und seine Diener
und Gläubigen verfolgt, haben ihre Glieder, die Glieder
Warum ein Weltgericht. 381

Christi, zur Sünde mißbraucht und sich als falsche Brüder


Jesu gezeigt. Soll der Vater dem Sohne nicht auch diesen
gegenüber gerecht werden und ihn vor ihnen verherrlichen mit
jener Herrlichkeit, die er ihm verheißen?
Wann jedoch wird dies geschehen, da es in der Welt
nicht immer geschieht? Es wird an jenem Tage geschehen, wo
der Vater das ganze Weltall dem Sohne zu Füßen legt und
ihm das Gericht über die Gottlosen überträgt, damit er
herrsche über alle Könige und Völker, die ihn nicht erkennen
wollten, herrsche über alle Ungläubigen und Jrrgläubigen,
die seinen Namen lästerten, herrsche über alle seine Verfolger,
herrsche über alle Wölfe in Schafspelzen, herrsche über alle
seine Feinde: Denn würdig, wie die geheime Offenbarung
sagt," ist das Lamm, das geschlachtet wurde, zu em
pfangen Macht und Gottheit, Ehre und Herrlichkeit.
Gott schuldet also ein allgemeines Weltgericht seiner Gerechtig'
keit, er schuldet es sich selber und seinem Sohne. Er schuldet
es aber auch seiner Liebe, die er zu seinen Heiligen und Aus
erwählten trägt, wie wir sogleich sehen werden..

Wenn die Sonne sich verfinstert, der Mond feinen Schein


nicht mehr gibt und die Sterne vom Himmel fallen, wenn
das Zeichen des Menschensohnes erscheint und er selbst auf
den Wolken des Himmels kommt mit großer Macht und
Herrlichkeit, dann wird er seine Engel aussenden, und sie
werden seine Nuserwählteu von den vier Winden, von einem
Ende des Himmels bis zum andern zusammenbringen. Daß
hier der göttliche Heiland zunächst nur von den Auserwählten
redet, deutet schon an, daß er ihnen vor Allem gerecht werden
will. Darum spricht er auch beim Evangelisten Lukas zu
ihnen:" Wenn jenes zu geschehen anfängt, dann sehet

') ^poo. V. 12. — "') I.uo. XXI. 28.


382 XXIV. Sonntag nach Pfingsten.

auf und erhebet eure Häupter, d. h. fasset Muth, Hoff


nung und große Freudigkeit. Und warum? Weil eure Er
lösung gekommen ist. Nicht die Erlösung von der Sünde
und der Gewalt des Teufels, denn diese vollbrachte der Sohn
Gottes schon am Kreuze, sondern die Vollendung und der
Abschluß des ganzen Erlösungswerkes.
Diese Frucht haben wir aber noch nicht genossen, so
lange nicht auch der Leib auferstanden ist, und so lange den
Gerechten nicht volle Genugthunng zu Theil geworden ist so
wohl für alles Gute, das sie gewirkt, als auch für alle Leiden,
welche sie von Seite der Gottlosen erduldet haben. Darum
sagt auch der heilige Johannes in seiner geheimen Offenbarung,
daß die Seelen der Heiligen zu Gott riefen Tag und Nacht:"
Wie lange, Herr, wirst du nicht nach der Gerechtigkeit
richten, räche das Blut deiner Heiligen, das ver
gossen wurden
Gar Vieles haben die Gerechten Gutes gethan, was den
Augen der Welt verborgen blieb. Wer kennt alle die Tugen
den, die einst in den Wüsten Oberägypteus unter den frommen
Einsiedlern der ersten Jahrhunderte blühten; wer kennt alle
die Opfer, die Gott in Abgeschiedenheit von der Welt ohne
öffentliche Zeugen gebracht wurden, wer kennt das stille Walten
so mancher frommer Personen im häuslichen Kreise, das kaum
der nächsten Umgebung bekanntwird? Soll all das unbelohnt
und für ewig den Menschen verborgen bleiben ? O nein, es wird
offenbar werden am jüngsten Tage, der Herr selbst wird es
laut verkünden vor aller Welt:'" Kommt, ihr Gesegneten
meines Vaters; ich war hungrig und ihr habt mich
gespeist, ich war durstig und ihr habt mich getränkt,
nackt, und ihr habt mich bekleidet..
Und wie vieles Gute ist ferner in dieser Welt mit Bösem
vergolten worden. Wie viele Schmach, Spott und Hohn, wie

") Hpoo, VI. 10, — ") »»ttti. XXV. 34 u«qq.


Warum ein Weltgericht, 383

viele Leiden, Trübsale und Verfolgungen mußten oft die Ge


rechten um ihres Glaubens, um ihrer Tugend, kurz um Jesu
willen, ausstehen. Soll das nicht ersetzt werden, sollen die
Bösen ewig über sie triumphiren dürfen? O nein; denn wer
mich verherrlicht vor den Menschen, spricht der Herr,
den werde auch ich verherrlichen vor meinem himm
lischen Vater. Darum verweisen auch die Apostel allzeit
in ihren Briefen die Gläubigen auf die zweite Ankunft Jesu
Christi, auf den Tag der seligen Hoffnung, wie ihn der heilige
Paulus heißt, wo sie entrückt werden in die Wolken, Christo
entgegen in die Luft, um allzeit bei ihm zu fein. Darum
ist auch der jüngste Tag für die Kinder Gottes kein Tag der
Furcht und des Schreckens, sondern des Triumphes, kein Tag
des Zornes, sondern der Freude und des Jubels. >
Für die Sünder freilich wird dieser Tag der entsetzlichste
sein, wegen ihrer eigenen öffentlichen Schande vor Gott, vor
den Engeln und Heiligen, und wegen ihrer noch tieferen Be
schämung gegenüber den Auserwählten, die sie so oft im Leben
verlacht und verspottet hatten. Höret nur, wie ergreifend dies
das Auch der Weisheit ausdrückt:" Alsdann werden die
Gerechten mit großer Standhaftigkeit denen gegen
über stehen, von denen sie geängstigt und bedrängt
wurden. Diese aber werden es sehen und von schreck-
licher Furcht verwirrt werden, und bei sich vor Angst
des Geistes seufzen: Diese sind's, die wir einst ver
lachten und mit schimpflichen Reden verhöhnten.
Wir Thoren hielten ihr Leben für Unfinn und ihr
Ende für schimpflich. Siehe, wie sie nun unter die
Kinder Gottes gezählt sind und ihr Loos unter den
Heiligen ist. Was half uns der Stolz, was nützte
uns des Reichthums Prahlerei? Alles das ging vor-

") 8up. V. 1 usclq.


384 XXlV. Sonntag nach Pfingsten.

über wie ein Schatten und wie ein dahin eilender


Bote, und wie ein Schiff, welches das wogende Meer
durchfährte
Doch die Gerechtigkeit, welche Gott seine» geliebten
Heiligen widerfahren läßt, wird noch viel größer und vollen
deter sein. Er wird sie nicht bloß gerechtfertigt vor aller
Welt darstellen, sondern sie werden auch zu Gericht sitzen über
die Sünder, werden mit dem Sohne Gottes urtheileu über
die Gottlosen. Die Gerechten, wie wieder das Buch der
Weisheit sagt," werden glänzen .... sie werden die
Völker richten und über die Nationen herrschen, und
der Herr wird ihr König sein in Ewigkeit. Und den
Aposteln hat der Herr, weil sie ihm nachgefolgt sind, verheißen,
daß sie auf Thronen sitzen und mit dem Sohne Gottes Ge
richt halten werden.x
O welches Schauspiel wird hier sich darbieten! Seht,
wie da ein Lazarus Gericht über den Prasser halten wird,
der ihn von seiner Thüre gestoßen, wie Stephanus Gericht
halten wird über den hohen Rath, der ihn um des Namens
Jesu willen gesteinigt hat, wie Johannes der Täufer über
einen Herodes, der ihn enthauptete, wie Petrus und Paulus
über einen Nero, der sie zum Tode verdammte, Agnes über
einen Diocletian, Symphorosa mit ihren sieben Söhnen über
einen Hadrian, Sixws und Laurentius über Valerian, kurz
jeder Heilige gerade über den, von welchem er am meisten
verfolgt und bedrängt wurde. O in welch namenloser Schande
müssen da die Verfolger und Henker vor diesen ihren Richtern
stehen, und welcher Ersatz wird da den Gerechten für Alles
geboten werden, was sie einst gelitten haben ! Seht, so herr
lich, so glänzend wird Gott seine Gerechtigkeit offenbaren.
Wenn dann endlich Gottes Sohn im Verein mit den
Heiligen das furchtbare aber gerechte Urtheil sprechen wird

") 8»p. III. 71 ueqq..


Warnm ein Weltgericht., 385

über die Unglückseligen, wenn das Mark und Bein durch


dringende Wort ertönen wird: Hinweg von mir, ihr Ver
fluchten, und wenn er zu seinen Auserwählten gewendet
sprechen wird: Kommet, ihr Lieblinge meines Vaters,
und besitzetdas Reich, das euch von Anbeginn bereitet
worden, o was für einen Sieg, welchen Triumph werden
da die Heiligen, wird die göttliche Gerechtigkeit selbst feiern!
Ja, in diesem Augenblicke, da ist das Werk der Erlösung ganz
vollendet, beschlossen und gekrönt mit der herrlichsten Genug-
thunng. Nothwendig ist also das jüngste Gericht zur Offen
barung der göttlichen Gerechtigkeit, zum Siege der Wahrheit
und Heiligkeit über die Lüge und Sünde, zur Verherrlichung
der Gerechten vor der ganzen Welt.>
Und nun, verehrte Znhörer, zum Schlusse noch eine Frage:
Glaubet ihr das Alles, was heute gestützt auf die heilige
Schrift und die Lehre der Kirche gesagt wurde? O gewiß,
werdet ihr antworten, wir sind ja katholische Christen. Weim
ihr es aber glaubet, welches muß dann das einzig richtige
Ergebnis) sein? Gewiß kein anderes als der thatkräftigc Vor
satz, dem Glauben und seinen Lehren gemäß zu leben. Fassen
wir darum heute, Gelicbteste, Alle wieder den festen Entschluß, so
zu leben, daß wir einst alle im Gerichte bestehen können.
Und damit dieser Entschluß um so fruchtbringender werde,
laßt uns bei der unsichern Dauer unseres Erdenlebens nie
vergessen, was der heilige Augustin sagt : Jn jenem Zustande,
in welchem einen Jeden der letzte Tag seines Lebens finden
wird, in dem wird ihn auch der letzte Tag der Welt finden;
wie Jeder stirbt, so wird er an jenem Tage zum Gerichte er
scheinen. Ja wir könnten sogar sagen, daß wir jetzt schon vor
dem Gerichte erscheinen, weil Gott alle unsere Gedanken,
Worte und Werke aufzeichnet für das einstige Gericht. Darum
ermahnt uns auch der Apostel Petrus:"' Das Eine ver-

") II. I'^t,'. III. «; II. '.».


Aerhnm»', Parabeln u, Wun!>»', H
386 XXIV. Sonntag nach Pfingsten. Warum ein Weltgericht.

gesset nicht, meine Lieben, daß bei dem Herrn Ein


Tag wie tausend Jahre und tausend Jahre wie Ein
Tag sind. Der Herr weiß die Frommen aus der
Probe zu erlösen, die Lasterhaften aber aufzube
wahren zur Strafe am Tage des Gerichtes. Jeder
Tag ist also ein Gerichtstag für uns, jeder Tag kann ein
Tag der Erlösung sein. Bestehen wir darum auch jeden Tag
die Probe, und wir werden sie auch am letzten Tage bestehen
vor jenem Richter, der gesprochen: Himmel uud Erde
werden vergehen, aber meine Worte werden nicht
vergehen. Amen. >i
A. Z. G. E. G.
Im Verlage von G. I. Mauz in Regensburg ist er
schienen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen:
I)r. Fr. F. LitrheilNtr, y»l,»l!,',lr ,c.
Zie Kirche Zesu Ohristi
nach ihrem Bestände, ihrer Aufgabe und Wirksamkeit,
mit besonderer Berücksichtigung der Gegenwart dargestellt.
gr. 8. 2 fl. od. 1 Thlr. ?'/, sgr.
Diese Schrift handelt von dem Wesen und Bestande, sowie von
der Aufgabe und Wirksamkeit der Kirche Jesu Christi. Dieser ebenso
wichtige als zeitgemäße Gegenstand findet in einundzwanzig Vorträgen
eine eingehende, gründliche und lichtvolle Behandlung. Insbesondere
werden jene Wahrheiten , gegen welche die Feinde der Kirche gegen-
wärtig mit allen Waffeu uukämpfen, hervorgehoben, beleuchtet, und
nach Vernunft, Schrift und Tradition siegreich vertheidigt. Auch auf
den Syllabu« ist Bedacht genommen, und sind die in demselben ent
haltenen Sätze gründlich besprochen und widerlegt. Es gereicht uns
daher zum Vergnllgen, auf diese« treffliche Wert, welche« für die Sache
Gotte« und feiner heiligen Kirche so mannhaft einsteht und die So
phismen de« Unglaubens und der Freigeisterei in ihrer ganzen Blöße
darstellt, aufmerksam zu machen, und es Priestern und gebildeten Laien
herzlich zu empfehlen. 2.

Dr. Ir. Z. ^«lheim«, liosprediger zc.

Der leidende Jesus.


Fafienbetrachtungen.
gr. 8. Velinpap. 48 kr. od. 15 sgr.
Diese Fastenbetrachtungen welche die Hauplmomente der Leidens-
geschichte de« Herrn, nämlich Jesu« am Oelberge, seine Gefangen-
nehmnng, seine Verurtheilung, Geißlung, DornenkrVnung, Kreuztrag
ung und Kreuzigung znm Inhalte haben, stehen den besten homiletischen
Erzeugnissen der Neuzeit würdig zur Seite.
Ein acht katholische« Gepräge an sich tragend, vertreten sie das
Dogma und die Moral, wirken gleichlrästig auf Verstand und Herz,
tragen der gegenwärtigen Zeitrichtung und deu herrschenden Gebrechen
volle Rechnung und dringen mit aller Entschiedenheit auf volle im Glau
ben wurzelnde Tugend. Auch in formeller Beziehung verdienen sie
alle« Lob, ihre Durchführung ist logisch, ihre Sprache einfach, aber
edel. Wir tonnen sonach diese Fastenbetrachtungen allen Seelsorgern
mit gutem Gewissen empfehlen. Pred, n. Kat.

vr. Fl. t. LielheilUrl, Hofpredigeric.

Leib und Seele,


Vorträge, gehalten in der k. St. Michaelshofkirche in Müncken.
gr. 8. Velinp. 2 fl. 24 kr. od. 1 Thlr. 15 sgr.
Diese Vortrage bestehen au« folgenden 27 Themata: Die Vor
zllge de« Leibe«, seine Mängel, der Leib im Sterben und in der Ver>
wefung, ein Besuch de« Gottesackers, die Auferstehung de« Fleische«,
die Glorie de« auferstandenen Leibes, die Sünde wider den Leib, die
Keinigteit, die Pflege desselben; die Geistigkeit der Seele, ihre Unsterb
lichkeit, Freiheit, da« Gewissen; Wagnetismus, Somnambulismus,
Spiritismus; die Seele Gotte« Ebenbild im Gnadenstande, iu der
Sundes die ungläubige, die glaubige, die Gott liebende Seele, im
besonderen Gerichte, im Fegfeuer, iu der Hölle, ewig, gepeinigt, nicht
allein, die Seele in der Seligkeit, Gotte« Tischgenofsin im Himmel. —
An» diesen Vorträgen sind uamentlich hervorzuheben: die Glorie der
Auferstehung, die Seele Gottes Ebenbild, in der Gnade, in der Sünde,
die ungläubige, die gläubige Seele, die Beweise für die Existenz des
Fegfeuers, für die Ewigkeit der Hülle. In allen aber ist die Sprache
edel und fchwungreich , die Beweisführung logisch und klar, Beispiele
und Gleichnisse gewählt und die Schlußanwendung voll Kraft und
Ueberzengung. Wir wünschen diesen gehaltvollen Vorträgen überall
eine freundliche Aufnahme, A, Lit, Zeitg. XI. 49.

A. Nilollls (vc,s. »er ,'!M°ftpli. 5l«l>ieu :c.),


die Kunst des Glaubens.
Oder: P h i losophische Vorbereitung, um christlich
zu glauben. Deutsch von Dr. P liske. Autorisirte Ausgabe.
2 Bäude. 8. 3 fl. 48 kr. od. 2 Thlr. 9 sgr.
Da« vorliegende Wert hat den Zweck, diejenigen, welche den Glau
ben noch nicht besitzen, zu bemfelben zu führen. Die vier Theile de«
Werkes entsprechen den vier Seelenzuständen, in welchen sich die Un-
gläubigen befinden können. Der erste Theil handelt vom Bedürf
nisse zu glauben und ist für Jene bestimmt, welche dem Glauben
am fernsten stehen und gar keinen Sinn für denselben haben; der zweite
Theil zeigt den Grund zu glauben nud hat Jene im Auge, welche
zwar das Bedürfniß zu glauben lebhaft fühlen, aber über ihre Glaubens-
zweisel nicht hinauskommen und keinen festen Stand gewinnen tonnen;
der dritte Theil enthält die Mittel zu glauben und befaßt sich mit
Jenen, welche von der Wahrheit de« Glaubens überzeugt sind, aber
ihn gleichwohl noch nicht annehmen, weil ihnen da« Hauptmoment zu
dessen Erkenntnis; — die Uebung de« Glaubens , da« Leben nach dem
selben noch fehlt; der vierte- Theil fchildert da« Glück zu glauben
und bezieht sich auf Jene, welche, obgleich sie von der Wahrheit, der
Nothwendigkeit und dem Glücke zn glauben überzeugt sind, doch dem
Glauben sich noch nicht unterwerfen, weil sie sich vor dessen strengen
Verbindlichkeiten sllrchteu. Der Name de« Verfasser« enthebt un« der
Notwendigkeit, un« über diese« Wert weitläufiger zu äußern; wir
bemerken nur, baß dasselbe durch eingehende, gründliche und lichtvolle
Behandlung de« Gegenstande« sowie durch den Geist acht christlicher Liebe,
der seinen ganzen Inhalt durchweht, manche Werke ähnlicher Tendenz
weit überragt. Der Verfasser gleicht einem Arzte, der die Natur, und
Krankheit seine»Putienten vollständig kennt, und dem e« Herzeusangelegeu,
heit ist, demselben durch Anwendung geeigneter Mittel zur Gesund,
bei! ,u verhelfen. Wir leben der Ueberzengung, daß biefe« uusgezeich-
nele Wert bei seiuer gediegenen Uebersetzung auch in Deutschland jeueu un>
gethcilten Beifall finden werbe, welchen e« in Frankreich gefunden hat. 2.
'^
culll, ^3^7
l!
M«W

Ws

M,

Das könnte Ihnen auch gefallen