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jesammelte Werke 20
ichriften zur Politik
ind Gesellschaft
Band 20
Suhrkamp Verlag
Herausgegeben vom Suhrkamp Verlag
in Zusammenarbeit mit Elisabeth Hauptmann
Seit langem schon denke ich, daß ich nicht recht imstande bin, mich unter
den Menschen und Dingen zurechtzufinden, und daß ich doch dazu besser
imstande sein könnte. Diese beiden Gedanken zusammen haben mich zu
vielen Nachforschungen und Versuchen gebracht, zu denen mich einer
allein bestimmt nicht veranlaßt hätte; denn wenn ich zum Beispiel nur
gedacht hätte, ein Leben wie das meine sei nicht zu meistern, so wäre eine
Religion oder eine der mannigfachen skeptischen Haltungen der Philo-
sophen ausreichend gewesen, mich zu beruhigen. Hätte ich nur gedacht,
ich müßte meine Aussichten verbessern, so würde ich mich mit dem Erwerb
einiger schlauer Handgriffe begnügt haben und wäre in jene so häufige
Betriebsamkeit verfallen, die aus allem das Beste herausholt und damit
im Grunde alles sein läßt, indem sie sich eben an sein Bestes hält. So aber
hielt ich meine zwei Gedanken immer beisammen und wurde so weder die
Unruhe los noch die Vorsicht: Ich wollte alles so betrachten, daß ich mich
zurechtfände, weder länger noch kürzer; ich wollte mich nicht zu lange
beim Unvermeidlichen aufhalten, noch zu früh etwas für unvermeidlich
erklären.
Aus Notizbüchern
1919 bis 1926
1919
Monarchie
In jener Steinzeit handelte es sich darum, einem Menschen zu
dienen. Man kann das nicht verwechseln mit jener Übergangs-
epoche, wo eine Kommission an der Spitze des Staates es dem
Bürger leichter machte, sich frei zu fühlen. Der Mann der
Monarchie fühlte sich nicht weniger frei. Die Gesichtspunkte
der Eiszeit ermangelten nicht einer gewissen Größe. Der
Mensch wurde nicht so sehr nach seiner Leistung eingeschätzt
als vielmehr dem Vertrauen nach, das auf ihn (in ihm) gehäuft
lag. Das ist kein unfreier Standpunkt. Das Gefühl der Frei-
heit wird gemeinhin weniger geschätzt als das der Sicherheit
und der Übereinstimmung. Das Lebensgefühl jener Menschen
äußerte sich in dem Wissen um die organische Mitgliedschaft in
einem Gesamtkörper, der in seinem Haupt, gut oder schlecht,
frei war.
Der Tod
[In der] Dämmerung seiner Stube saß er, ein giftiger Kloß, und
dachte nach über die absolute Scheußlichkeit aller Dinge und
über einige Zusammenhänge, die man nicht geschenkt bekam.
Der Tod war der Abgrund, den man nicht ausloten konnte.
Aber wie konnte man es unternehmen, sich damit zu befassen,
wenn das Leben noch in keiner Form bewältigt war?! Es schien
ihm: er habe noch nicht gelebt. Da es nun aber nötig war, das
Denken von jeder Ausschweifung ins Zukünftige abzuhalten,
da die Möglichkeit einer Besserung nicht mehr hinter den Din-
gen stand, wie sollte es möglich sein, sie in ihrer wahren Art zu
begreifen? Das hieß mit geschlossenen Augen sein Todesurteil
4 Zur Politik und Gesellsdiaft
unterschreiben! Und da es also nicht möglich sein konnte,
die Wahrheit zu packen (da sie wohl nicht zu ertragen war),
mußte man sich zu überzeugen versuchen, daß dies auch nicht
nötig war. Dann blieb einem immer noch die Möglichkeit,
während man versuchte, sich einen Begriff vom Leben, wie es
sein sollte, nach seinem eigenen Leben, wie es war, zu bilden,
langsam zu vergessen, daß das Wesentliche dabei im dunkeln
blieb, und man erlebte vielleicht die kleine Erleichterung einer
von der Vernunft sanft geduldeten Klarheit, die weder in ihrer
Helligkeit noch in ihrer Herkunft besonders befriedigend war,
die zu lieben aber nicht allzuschwer werden konnte, wenn
immer man nur recht überzeugt war, daß es außer ihr nichts
gab...
Jene, die in die Begriffe verliebt sind oder der Eitelkeit der
Worte wie Liebhaber knechtisch ergeben, erleben durch die Er-
kenntnis ihres unheilbaren Zustandes noch einen kleinen
Triumph: Sie klammern sich blind an die Planken des Schiff s-
leibs, der sie mit hinab in den Strudel reißt. Mongol gehört
nicht zu ihnen. Jedoch erlebte er nach kurzem Schweißverlust,
daß die menschliche Natur die Wahrheit verschleiert, damit
der Geist nicht vor dem Körper sterbe.
Gott
Als er um sich sah nach einer Planke, die ihn nicht oben [...],
sondern er wollte nur etwas haben, das er mit hinabneh-
men konnte, verfiel er auf die Ideen, die sich mit Gott
beschäftigten. Gott, das war das hohe C der Romantik. Der
Abendhimmel über dem Schlachtfeld, die Gemeinsamkeit der
Leichen, ferne Militärmärsche, der Alkohol der Geschichte, das
war die Romantik der Schlachtfelder, die Zuflucht der Ster-
benden und der Mörder. Der Mann, der am Krebs verendete,
suchte mit allen Mitteln die Poesie dieses peinlichen Gescheh-
nisses auf die Zunge zu kriegen, er malte sich Bilder vom Leid
Aus Notizbüchern 5
der Erde, die ihn ausspie, vom Schmerz der Hinterbleibenden
oder der grandiosen und ihn ergreifenden Ironie ihrer Gleich-
gültigkeit, und vom Dunkel, das ihn aufnahm. Er hüllte sich
ein in Mitleid und Bewunderung und täuschte sich. Alle Men-
schen, in jeder Lage, unter allen Himmeln und mit allen Phi-
losophien, bemühten sich zäh und dringend, sich selbst zu täu-
schen. Je nach ihrer Intelligenz waren ihre Versuche geschick-
ter oder täppischer, etlichen gelang es bei sich selbst nicht, aber
bei andern, etlichen ging es umgekehrt. Immer aber schienen
die Triebe zu schwach, um ohne Heiligung zu triumphieren.
Als die wimmelnde Masse der Wesen auf dem fliegenden Stern
sich kennengelernt und ihre unbegreifliche Verlassenheit emp-
funden hatte, hatte sie schwitzend Gott erfunden, den nie-
mand sah, also daß keiner sagen konnte, es gäbe ihn nicht, er
habe ihn nicht gesehen.
Patriotismus
Nur in den Staaten, wo die Untertanen solche Schweine sind,
daß sie ansonsten in die Hosen pissen, ist es wirklich nötig, die
Pissoire zu Tempeln einzuweihen.
Sich mit dem Staat abfinden, ist so notwendig als: sich mit
dem Scheißen abfinden. Aber den Staat lieben ist nicht so
notwendig.
war als ihre Gemeinheit, sondern wegen dieser, als sie umge-
fallen waren, aus Faulheit nicht zuletzt, da begann die irrsin-
nige Jagd der Beherrschten nach - der Peitsche. Die Zwanzig-
jährigen schlössen sich an.
Die Zwanzigjährigen hatten die Gesichter derer gesehen, die
oben gestanden waren: schweißige, verkommene, aufgedun-
sene. Nun liefen sie mit, jene zu zertreten, und sahen nicht die
Gesichter hinter ihnen und neben ihnen. Die Zwanzigjährigen
können für eine Idee nichts tun als für sie sterben.
Gewiß, es gibt Völker, die keine Achtung hatten vor den Ideen
und sie verkommen ließen in der Gosse. Gewiß, es gibt Völ-
ker, die Achtung hatten vor den Ideen und sie in einen Tempel
sperrten und sie anbeteten (sie durften nur nicht heraus).
Aber dieses Volk, von dem ich rede aus Gnade, legte sich zu
den Ideen ins Bett, schändete sie und zeugte ihnen Bälge. Geht
weg von mir, hört nur nicht zu, sonst speie ich euch ins Ge-
sicht, ich kann nichts dagegen tun.
Die Besten aber, sich bleich abwendend von dem Gesicht die-
ses untergehenden Volkes, werden gut tun, sich nicht besprit-
zen zu lassen von dem Erbrochenen des Sterbenden und dem
Kot, den er noch läßt. Habt ihr nicht Ekel im Hals wie einen
Kloß beim Anblick dieses Volkes, das sich, ein Verein verrückt
gewordener Schieber, auf ein Karussell geworfen hat, um vor-
wärtszukommen; so sucht das Karussell abzudrosseln, um jene
zu »retten«!
[Keine Hilfe]
Ich habe immer, wenn ich Leute sah, die vor Schmerz oder
Kummer die Hände rangen oder Anklagen ausstießen, ge-
dacht, daß diese den Ernst ihrer Situation gar nicht in seiner
ganzen Tiefe erfaßten. Denn sie vergaßen vollständig, daß
nichts half, es war ihnen noch nicht klar, daß sie von Gott
nicht nur verlassen oder gekränkt waren, sondern daß es
io Zur Politik und Gesellschaft
überhaupt keinen Gott gab und daß ein Mann, der, allein auf
einer Insel, Aufruhr macht, wahnsinnig sein muß.
[...] Aber die Kirche ist ein Zirkus für die Masse, mit Pla-
katen außen, auf denen Dinge sind, die es innen nicht gibt.
(Wie auf den Jahrmärkten: außen »Die Enthauptung Louis
Capets« — innen zwei Jongleure und eine Pferdeschinderei.)
Das Plakat heißt: Der Hungerkünstler oder das königliche
Skelett, oder: Jedermann wird selig für elf Groschen, oder: Da
ich jetzt nicht komme, muß ich nachher kommen und so weiter
und so weiter. Sie haben nichts als ein Buch überliefert, das
haben sie verkritzelt und Kochrezepte und Medizinen über
die Weisheit geschmiert. So stark war die Idee, daß sie auch
nicht gleich kaputtging, als sie organisiert wurde, sondern
langsam hinsiechte. Es mußte etwas sein, das alle hören konn-
ten, auch die Tauben, auch die weit weg, die auf den schlech-
ten Plätzen, auch die, die man anbinden mußte, daß sie nicht
fortliefen... Das für die paar Fischer, das verging mit dem fau-
len Galiläer, der Gelegenheitsreden hielt unter Feigenbäumen,
12 Zur Politik und Gesellsdiaft
wenn er ein stilles Wasser sah und an sie und die Fische dachte.
Das war eine Hand voll Datteln für die Zunge, kaum für den
Hals, und da waren tausend Mägen. Der Galiläer hatte kein
Dach über dem Kopf gehabt, sie bauten Häuser für seine
Gläubigen, während sie, in der Hand die Kelle, immerfort
predigten, daß die Leute sich nicht verliefen. Der Galiläer war
für sich gestorben, sie riefen ihn wieder ins Leben zurück,
brauchten ihn, zitierten ihn nicht bloß, schickten ihn wieder
in den Tod, immer wieder, stellten ihn bereit im Tabernakel,
pfiffen ihm, wenn jemand da war, für den er sterben sollte,
und ließen ihn für Totschläger und Widerwillige sterben, in
ununterbrochenen Cinemas. Es war eine »heilige Handlung«,
besser eine heilige Feilschung. Der Galiläer war hochmütig
gewesen, ziellos, er hatte den Statthalter ewig verdammen
lassen, ohne ihn aufzuklären, er starb mitten in Mißverständ-
nissen, zwischen Schachern, die mit ihm ins Paradies kamen,
er sagte nicht, was Wahrheit sei, er schätzte die Dinge nicht ein,
unterschätzte sie nicht, sie waren da, also gut, er küßte den
Judas, weil er handelte, wie er war, und so liebte er ihn. Der
Katholizismus ist ein Ausbeutersystem, ein amerikanisches
Unternehmen, mit Gleichheit für alle, mit Stufenleitern, mit
Lohntarifen. Das Positive und der Verantwortungssinn daran
werfen einen Stier um. Die Entdeckung des Kopernikus, die
den Menschen dem Vieh näher bringt, indem sie ihn von den
Gestirnen entfernt, die dem Menschen befiehlt, mit seinem
Globus die Sonne zu umkreisen und die ihn aus dem Mittel-
punkt in die Statisterie schmeißt, war zunächst niedergeknallt,
dann für richtig und völlig unwichtig erklärt. »Das sind un-
geheure Dinge, geschaffen, daß ihr Gott bewundert, aber ihr
könnt ohne sie leben. Die Heilspunkte sind andere: sie zu ent-
decken, brauchen wir keine Wissenschaft.« Das ist eine Frech-
heit, der es an Erfolg nicht fehlen kann. Und in dieser Kirche
sind unabsehbare Wände leergelassen, mit Absicht, für die
Phantasten, in den Speichern hat alles Platz, alle Ideen sind in
den Dogmen unterzubringen. 7000 Gesichte gibt die Pflanze
Aus Notizbüchern 13
ab. Die Bänke sind bequem. Der Kot wird als Dünger verwer-
tet. Das Vieh gedeiht. Gott ist sichtlich über dem Unterneh-
men. Der arme Mensch stirbt täglich ungezählte Male für die
Mitglieder. Die Versicherung läuft bis zum Tod. Sie wird den
Überlebenden ausbezahlt. Es ist eine Lust zu sterben.
31. August
wie Schnee, wenn man ihn anlangt. Laßt euch nichts einreden:
100 000 Mark sind viel, aber 5 mal 20 000, das ist nicht viel.
Sollen sie in ihren frischgestrichenen Einheitshütten hocken
zwischen Grammophonen und Hackfleischbüchsen und neben
fix gekauften Weibern und vor Einheitspfeifen? Es ist kein
Glück, denn es fehlt die Chance und das Risiko. Chance und
Risiko, das größte und sittlichste, was es gibt. Was ist Zufrie-
denheit? Kein Grund zum Klagen, das ist ein Grund zuwe-
nig, nichts sonst! Und das Leben ohne Härte, das ist dummes
Zeug! Güte und Großmut und Kühnheit, das ist nichts ohne
die Sicherheit, daß das Selbstverständliche Roheit, Dummheit
und Appetitlosigkeit ist! Es ist reine Unwissenheit, wenn alle,
die von dieser verbrauchten Bourgeoisie angewidert sind, die
ja selber nichts als eine solche sozialisierte, das heißt versicher-
te Claque ist, ohne Appetit, Chance und Risiko, nicht sehen,
wo die wahrhaften Feinde dieser Bourgeoisie (und jener So-
zialdemokratie) stehen.
Notizen über die Zeit
1925 bis 1932
[Vergänglichkeit]
Nach Genuß von etwas schwarzem Kaffee erscheinen auch die
Eisenzementbauten in besserem Licht. Ich habe mit Erschrek-
ken gesehen (auf einem Reklameprospekt einer amerikani-
schen Baufirma), daß diese Wolkenkratzer auch in dem Erd-
beben von San Francisco stehenblieben. Aber im Grund halte
ich sie doch nach einigem Nachdenken für vergänglicher als
etwa Bauernhütten. Die standen tausend Jahre lang, denn sie
waren auswechselbar, verbrauchten sich rasch und wuchsen
also wieder auf ohne Aufhebens. Es ist gut, daß mir dieser
Gedanke zu Hilfe kam, denn ich betrachte diese langen und
ruhmvollen Häuser mit großem Vergnügen.
Ich glaube: Die Oberfläche hat eine große Zukunft.
In den kultivierten Ländern gibt es keine Moden. Es ist eine
Ehre, den Vorbildern zu gleichen. Ich freue mich, daß in den
Varietes die Tanzmädchen immer mehr gleichförmig aufge-
macht werden. Es ist angenehm, daß es viele sind und daß
man sie auswechseln kann.
Ich habe kein Bedürfnis danach, daß ein Gedanke von mir
bleibt, ich möchte aber, daß alles aufgegessen wird, umgesetzt,
aufgebraucht.
Ich habe das Gefühl, ich dürfe nichts sagen, sonst verfiele ich
einem Strafgericht. Es sei nicht erwünscht, von mir etwas ge-
sagt zu hören. Die Gefährlichkeit jeglicher Äußerung von mei-
ner Seite war mir außerordentlich klar. Wenn ich aber nach-
dachte, was ich nun zu sagen hätte und was man von mir um
keinen Preis zu hören wünschte, so konnte ich (so eigentümlich
dies vielleicht klingen mag) nichts finden.
Es leuchtet wohl ein, daß so etwas sehr beunruhigen muß. Ich
22 Zur Politik und Gesellschaft
habe jedesmal nachgeprüft, ob ein momentaner Fehler meiner
Konstitution vorlag, wenn ich plötzlich mit meinen Mitmen-
schen nicht zufrieden war. Einige Male war dies nicht der
Fall, meines Wissens. Aber auch in diesen Augenblicken hatte
ich nichts gegen die Menschen vorzubringen, vielleicht deswe-
gen, weil mir eher der ganze Typus verfehlt schien. Ich glaube,
der Mensch ist eine Rasse, die im Schöpfungsplan nicht vorge-
sehen war, welche Tatsache im Laufe ihrer nur wenigen Jahr-
tausende dauernden Lebenszeit nur von wenige Exemplaren
erkannt wurde, die übrigens selber noch nicht die Stufe der
Ichthyosaurier erreicht haben können. Ich möchte damit, wie
man sich wohl denken kann, keinem Menschen persönlich zu
nahe treten.
Ich würde zu keiner anderen Gruppe weniger gern gehören als
zu der der Unzufriedenen.
Etwa 1926
Notizen über die Zeit 25
Nachdruck verboten!
In jener Zeit war ich Soldatenrat in einem Augsburger La-
zarett, und zwar wurde ich das nur auf dringendes Zureden
einiger Freunde, die behaupteten, ein Interesse daran zu
haben. (Wie sich dann herausstellte, konnte ich jedoch den
Staat nicht so verändern, wie es für sie gut gewesen wäre.)
Wir alle litten unter einem Mangel an politischen Überzeu-
gungen und ich speziell noch dazu an meinem alten Mangel
an Begeisterungsfähigkeit. Ich bekam einen Haufen Arbeit
aufgehalst. Der Plan der Obersten Heeresleitung, mich ins
Feld zu bringen, war ja schon ein halbes Jahr vorher ge-
scheitert. Ich hatte es, durch Glück begünstigt, verstanden,
meine militärische Ausbildung zu verhindern, nach einem
halben Jahr beherrschte ich noch nicht einmal das Grüßen und
war selbst für die damals schon gelockerten militärischen Ver-
hältnisse zu schlapp. Ich verfügte dann aber sehr bald über mei-
ne Entlassung. Kurz: ich unterschied mich kaum von der über-
wältigenden Mehrheit der übrigen Soldaten, die selbstverständ-
lich von dem Krieg genug hatten, aber nicht imstande waren,
politisch zu denken. Ich denke also nicht besonders gern daran.
9. November 1928
[Über Militarismus]
Von allen Militaristen sind diejenigen die gefährlichsten, die
den Militarismus mildern wollen. Mich erschreckte nicht die
Haltung der Extremen, die die allgemeine Dienstpflicht ver-
längern und den Drill verschärfen wollten. Aber als ich hörte,
daß es Leute gab, die für ein Volksheer eintraten, eine Diszi-
plin mit Berücksichtigung der Menschenwürde forderten und
den Offizieren nahelegten, sich die Elemente der Bildung an-
zueignen, als ich das hörte, erschrak ich. Denn nun übersah
ich eine endlose Kette von Kriegen, die unsere Kindeskinder
i6 Zur Politik und Gesellschaft
töten, roh machen, niederhalten würden vermittels eines ver-
besserten Militarismus, und den widerlichsten Typ des Sol-
daten: den, der aus Berechnung tötet, aus Pflichtgefühl, auf
Grund zwingender Argumente.
lieh erschüttert, wer sie also sind: Spießer. Spießer sind heute
die letzten Träger dieser einst tragischen Leidenschaft. Der ver-
lockende Gedanke an Pensionsberechtigung ist es, der ihnen
das Messer in die Hand drückt. Der Sitz der Eifersucht ist näm-
lich jener Körperteil, mit dem man auf etwas sitzt. Damit
will ich übrigens nicht gesagt haben, daß ich selber nicht gern
sitze - denn wie könnte jemand behaupten, daß nichts Spie-
ßiges in ihm wäre!
Dezember 1928
Sylvester 1928
Es gibt einen Grund, warum man Berlin anderen Städten
vorziehen kann: weil es sich ständig verändert. Was heute
schlecht ist, kann morgen gebessert werden. Meine Freunde
und ich wünschen dieser großen und lebendigen Stadt, daß
ihre Intelligenz, ihre Tapferkeit und ihr schlechtes Gedächtnis,
also ihre revolutionärsten Eigenschaften, gesund bleiben. Mei-
nen Freunden wünsche ich natürlich alles, was sie meiner An-
sicht nach brauchen.
[Rauschgift]
Das gegen ihn gespritzte Gift verwandelt der Kapitalismus
sogleich und laufend in Rauschgift und genießt dieses.
[Nationale Schundliteratur]
Ich gestehe, daß ich es für einen wunden Punkt meiner Exi-
stenz halte, daß zum Beispiel die deutsche Geschichte so
schlecht geordnet ist. Es ist keine Entwicklung drinnen, und
sie ist auch nicht hineingebracht worden. Wären die Eisen-
bahnen etwa in beständigen Kämpfen mit den Cheruskern
erbaut worden oder könnte man den Siebenjährigen Krieg
nicht als Bürgerkrieg, sondern als Anzeichen größerer Schie-
bungen darstellen, so müßte es doch möglich sein, die Be-
freiungskriege, in denen von Deutschen nur Kleber und Ney
hervortraten, einfach zu streichen. Ebenso ist es bei gutem
Willen erreichbar, den Krieg 1870 totzuschweigen. Man kann
dafür Luther unterstreichen und im Notfall auf eine so inter-
nationale europäische Erscheinung wie Karl den Großen zu-
rückgreifen, wenn es Schwierigkeiten machen sollte, Bismarck
aus den Lesebüchern unserer Jugend zu entfernen. Was ich
meine, ist lediglich, daß es uns an nationalem Willen fehlt.
Das für den Augenblick dringendste ist es aber, die national
gefärbten Ansichtskarten einzustampfen. Es ist möglich, daß
andere Leute die rosa Farbe für anziehender halten als ich,
aber ich bezweifle, daß sie bei irgend jemandem eine heroische
Stimmung hervorrufen kann. Solange ich den Rhein als Him-
beersauce empfinde und seine Weinberge etwa mit dem poeti-
schen Schwung einer Weinhandlung angepriesen werden, ziehe
ich mich von diesem Strome zurück. Man muß bei einer zeit-
gemäßen Propagandatätigkeit der Tatsache, daß die Donau
zum Beispiel, behielte sie die Bedeutung bei, die sie in Passau
erreicht hat, und würde nicht ergiebiger in Bukarest, nicht
verwendbar wäre für Propaganda. Ich sage, man muß dieser
harten Tatsache ins Auge blicken können. Keine Schundlitera-
tur ist so ekelerregend als die nationale.
Notizen über die Zeit 39
Eigentum
Nach Aufhebung aller Gesetze, die etwa den Diebstahl mit
Strafen belegen, würde eine bestimmte Gruppe von Menschen
dennoch fortfahren (oder beginnen?), das Eigentum als Tabu
zu behandeln, und diese Gruppe würde anfangen (oder
4o Zur Politik und Gesellschaft
Als ich schon jahrelang ein namhafter Schriftsteller war, wußte ich noch
nichts von Politik und hatte ich noch kein Buch und keinen Aufsatz von
Marx oder über Marx zu Gesicht bekommen. Ich hatte schon vier Dramen
und eine Oper geschrieben, die an vielen Theatern aufgeführt wurden, ich
hatte Literaturpreise erhalten, und bei Rundfragen nach der Meinung fort-
schrittlicher Geister könnte man häufig auch meine Meinung lesen. Aber ich
verstand noch nicht das Abc der Politik und hatte von der Regelung
öffentlicher Angelegenheiten in meinem Lande nicht mehr Ahnung als
irgendein kleiner Bauer auf einem Einödshof. [...] 1918 war ich Soldaten-
rat und in der USPD gewesen. Aber dann, in die Literatur eintretend, kam
ich über eine ziemlich nihilistische Kritik der bürgerlichen Gesellschaft
nicht hinaus. Nicht einmal die großen Filme Eisensteins, die eine unge-
heuere Wirkung ausübten, und die ersten theatralischen Veranstaltungen
Piscators, die ich nicht weniger bewunderte, veranlaßten mich zum Stu-
dium des Marxismus. Vielleicht lag das an meiner naturwissenschaftlichen
Vorbildung (ich hatte mehrere Jahre Medizin studiert), die mich gegen eine
Beeinflussung von der emotionellen Seite sehr stark immunisierte. Dann
half mir eine Art Betriebsunfall weiter. Für ein bestimmtes Theaterstück
brauchte ich als Hintergrund die Weizenbörse Chicagos. Ich dachte, durch
einige Umfragen bei Spezialisten und Praktikern mir rasch die nötigen
Kenntnisse verschaffen zu können. Die Sache kam anders. Niemand, weder
einige bekannte Wirtschaftsschriftsteller noch Geschäftsleute - einem Mak-
ler, der an der Chicagoer Börse sein Leben lang gearbeitet hatte, reiste ich
von Berlin bis nach Wien nach -, niemand konnte mir die Vorgänge an der
Weizenbörse hinreichend erklären. Ich gewann den Eindruck, daß diese
Vorgänge schlechthin unerklärlich, das heißt von der Vernunft nicht erfaß-
bar, und das heißt wieder einfach unvernünftig waren. Die Art, wie das
Getreide der Welt verteilt wurde, war schlechthin unbegreiflich. Von je-
dem Standpunkt aus außer demjenigen einer Handvoll Spekulanten war
dieser Getreidemarkt ein einziger Sumpf. Das geplante Drama wurde nicht
geschrieben, statt dessen begann ich Marx zu lesen, und da, jetzt erst, las
ich Marx. Jetzt erst wurden meine eigenen zerstreuten praktischen Erfah-
rungen und Eindrücke richtig lebendig.
Studium des Marxismus
[Weltbildhauer]
Es gibt einige, die unter dem Verdacht stehen, daß sie die
Revolution nur machen wollen, um den dialektischen Ma-
terialismus durchzusetzen.
3
Du sollst dir kein Bild von der Welt machen des Bildes willen.
Nichts aber ist schlimmer als die geheime Sklaverei. Denn ist
die Sklaverei eine öffentliche, ist ein Zustand als Sklaverei
erkannt, so gibt es wenigstens als einen denkbaren noch einen
anderen Zustand, nämlich den der Freiheit. Wird aber tat-
sächliche Sklaverei von allen als Freiheit angesprochen, dann
ist Freiheit nicht mehr denkbar: Nicht nur ist Sklaverei ein
natürlicher, sondern auch Freiheit ein unnatürlicher Zustand
Marxistisdie Studien 55
Ober Freiheit
Die meisten Kopfarbeiter (Intellektuellen), welche für die Re-
volution sind, erwarten sich von ihr hauptsächlich die Frei-
heit. Von den Auswirkungen des kapitalistischen Systems
empfinden sie die große Unfreiheit am drückendsten. Sie kön-
nen am schnellsten gewonnen werden, wenn man ihnen zeigt,
daß die herrschenden politischen Verhältnisse furchtbare
Schranken für die freie Entfaltung der Wissenschaften bedeu-
ten, für alle menschliche Forschung und nützliche Praxis.
Viele Kopfarbeiter verstehen nun, daß eine Revolution, welche
sogleich ein Höchstmaß an persönlicher politischer Freiheit
herstellen würde, nur ein ganz kurzer Rausch wäre. Sie haben
ein eindrucksvolles Beispiel vor Augen. Die deutsche Revolu-
Marxistische Studien $7
Das Beispiel hierfür ist: Ein zu enger Schuh erzeugt oft eine
Stimmung ziemlich unbegrenzter Gereiztheit. Kann sich der
Gereizte des Schuhes nicht entledigen, dann ist er oft bereit,
58 Zur Politik und Gesellschaft
[Reiner Geist?]
Jahre hindurch eine schlechte Politik sehend, eine Politik im
Interesse der Schlechtigkeit, erklären sie nunmehr Politik für
schlecht, jede Politik, auch eine im Interesse der Güte. Das ist,
als ob sie, eine schlechte Operation sehend, jedes Operieren
für schlecht erklärten.
Aber der reine Geist? Vertreten sie nicht den reinen Geist?
Nun, welchen reinen Geist meinen sie? Es trat viel Geist auf
in der Geschichte, er nannte sich immer rein, er trat ohne
Hände auf, nur mit Augen, so sah man nicht blutbefleckte
Hände.
Die in unserer Epoche den reinen Geist vertreten, meinen den
Geist des revolutionären Bürgertums vergangener Jahrhun-
derte. Damals vertrat das Bürgertum tatsächlich eine kurze
Zeit lang alle Unterdrückten und kämpfte tatsächlich für den
»Fortschritt«. Es forderte Freiheit für die Industrie und den
Marxistische Studien 59
Früher hattet ihr unrecht, jetzt habt ihr recht, wären sie doch
unzufrieden, es freut sie nicht, da recht zu haben. In Wirklich-
keit fühlen sie, daß sie früher und heute unrecht hatten. Es
ist falsch, sich von der Geschwindigkeit alles zu erwarten, und
es ist unrecht, sie aufzugeben, wenn sie, nur technisch, nicht
aber faktisch erreicht ist.
lektivist sieht die Menschheit als einen Apparat, der erst teil-
weise organisiert ist.
Jene These, daß das Genie sich durchringe und dadurch sein
Genie beweise, daß es sich durchringe, gibt nur dem Wunsche
Ausdruck, nichts für das Genie zu tun. Das heißt, die Kon-
kurrenz der Individuen zum Zwecke der Auslese zu veran-
stalten, ohne ihnen den gleichen Start zu garantieren, also das
Examen über das Lehren [zu] stellen, was etwa den Berufseig-
nungsprüfungen der kapitalistischen , Gesellschaft entspricht,
die im Grund nur Prüfungen dieses Gesellschaftssystems sind,
und zwar solche, die es nicht besteht.
Was immer noch die Ursachen des Staates sein mögen; eine
Ursache des Staates ist auch der Staat selber.
Das Haus ist gebaut, aber die Bauleute wollten nicht weggehen.
Bevor das Haus gebaut ist, können wir nicht einziehen, aber
wenn es gebaut ist, sitzen die Bauleute darinnen, und wir kön-
nen nicht einziehen. Ist es so mit dem Staat? Der Staat soll
gemacht werden, mit viel Sorge und Mühe, damit das Land und
die Fabriken an alle kommen. Dann soll er verschwinden. Und
dann verschwindet er nicht. Und da er nicht verschwindet,
kommen das Land und die Fabriken nicht an alle. Ist es so?
Könnte das drohen?
Selbst wenn es drohte, könnte es sein, daß ohne Staat das Land
und die Fabriken nicht an alle kämen.
Wenn dies aber wäre, müßten wir die Gefahr auf uns nehmen.
68 Zur Politik und Gesellschaft
Brechtisierung
Lenin gibt Anleitung in der Bekämpfung des Redens von der
Notwendigkeit.
gemacht durch die Kälte der Menschen gegen die Menschen, die
unverschuldete Armut, durch unbesiegliche Ausbeutung nur zu
oft in ein Laster verwandelt, der Hunger, vor dem das Eigen-
tum sich nur durch Gewalt zu schützen vermag: das sind die
großen Zersetzer. Aber die Schilderer schildern die schlechten
Sitten mit verdächtiger Freude?! Die menschliche Natur erliegt
(und sei es menschlichen Zumutungen!), und diese melden es
fast triumphierend! Auch hier ein Irrtum! Wenn sie triumphie-
ren, so triumphieren sie meist nur über die Unwissenheit, das
Sichnichtswissenmachen oder die direkte Lüge. Denn die Schul-
digen, die sie nennen, soweit das Gesetz es zuläßt, wünschen
das moralische Elend, das sie durch das physische erzeugen,
nicht beleuchtet. Und gegenüber einem Elend, das ein solches
Maß erreicht hat wie das unsrige, erscheinen schon die Sich-
nichts wissenmachen den als Schuldige, ja sogar die Unwissen-
den! Das ist selten eine geheime Freude am Schmutz, was man
an den Schilderern schlechter Sitten bemerkt, viel häufiger eine
geheime Freude am Triumph eigener Unbestechlichkeit oder
naive Freude über das Gelingen des nicht immer leichten Nach-
weises.
[Marx-Beschreibungen]
Man sollte sich endlich frei machen von dem unserer Zeit nicht
liegenden Ton der Marx-Beschreibungen, die eigentümlich
hartnäckig in dem Stil gehalten sind, der das zweite Drittel
des 19. Jahrhunderts kennzeichnet. Um sich dieses Stiles zu
bedienen: Zum Teufel mit diesen prächtigen Kerlen, wacke-
ren Kumpanen, echten Kämpfernaturen! Genug von der Lö-
wenbrust oder Löwenmähne Marxens, des verteufelten Moh-
ren! Lauter Freiligrath! Das sieht schon bei Delacroix etwas
besser aus. Aber Frankreich kolonisierte ja wenigstens tatsäch-
lich, während Deutschland wieder nur »im Geiste« partizi-
pierte. Zeigte man sich hier nach Kräften aufsässig, indem man
gegen die fischigen, wohltemperierten, abgemessenen tatsäch-
lichen Machthaber sich kraftgenialisch gebärdete, so nahm man
doch auch wieder genußvoll teil an dem Gefühl des Auf-
schwungs des Bürgertums, das sein Schäfchen ins Trockene ge-
bracht hatte und sein Pfund wuchern ließ. Die Biographen
stellen Marx am liebsten eine Miniaturbarrikade als Schreib-
tisch in seine Bücherstube, wofern nicht als Nippes auf sei-
nen Schreibtisch. Und aus diesem Schreibtisch könnte man um-
Marxistische Studien 75
Kultur, also Überbau, ist nicht als Ding, Besitz, Resultat einer
Entwicklung, in geistigen Luxus umgesetzte Rente, sondern als
selbst entwickelnder Faktor (eventuell aber nicht nur renten-
erzeugend) und vor allem als Prozeß anzusehen.
5
Die Art, auf die Überbau entsteht, ist: Antizipation.
Was vernünftig ist, das wird wirklich, und was wirklich wird,
das ist vernünftig.
8
Aufgabe der Dialektiker ist es, die verschiedenen Denkgebiete
zu dialektisieren und die politische Komponente zu ziehen.
78 Zur Politik und Gesellschaft
10
Pädagogik
In allen bisherigen staatlichen Formen (sie sind auf Klassen-
unterschieden aufgebaut) erzeugte der Unterbau den ideolo-
gischen Überbau, die Kultur. Von dieser waren die weitaus
wichtigsten praktischen Ergebnisse zweifellos die Sitten und
Gebräuche selber. Daß diese auf den Unterbau wiederum ein-
wirkten, wurde von den Dialektikern immer betont. Im
neuen klassenlosen Staat (der kein Staat mehr ist) ist zum
erstenmal die Möglichkeit gegeben, diesen funktionellen Zu-
sammenhang bewußt zu bestimmen, die Beziehungen werden
direkt, Überbau und Unterbau bilden eine Einheit. Der Un-
terbau schafft Gebräuche, welche direkt wieder auf den Un-
terbau einzuwirken bestimmt sind, und zwar in Hinblick auf
Oberbau, oder die Oberbau-Dinge werden.
Marxistische Studien 79
[Untersdiied]
Nur wer sich vor Augen hält, daß ein Unterschied besteht
zwischen diesen beiden Sätzen, kann den zweiten, richtigen,
vollkommen verstehen.
Eines ist der Satz: Der Kommunismus ist das Ziel oder soll
das Ziel sein aller Menschen und ein anderes der Satz: Die
Sache des Proletariats, eben der Kommunismus, sei die am
allgemeinsten menschliche, breiteste und tiefste.
[Sklaverei]
Zukünftigen Geschlechtern muß die tödliche Abhängigkeit rie-
siger Menschenmassen von einigen Leuten, welche die Werk-
zeuge aller in Form gewaltiger Fabriken in ihren Händen hal-
ten, nicht weniger befremdlich erscheinen als uns die Sklaverei.
Sie werden nicht ohne Mühe ausfindig zu machen suchen, wie
dieser für beinahe alle doch so furchtbare Zustand so lang auf-
rechterhalten werden konnte.
[Schlechte Ordnung]
Was bedeutet es, sich darüber zu beschweren, daß Leute sich
in Städten unserer Art schlecht benehmen?
Wenn in einem Lande die Vorteile, die man aus der Gemeinheit,
den Lastern der Unwissenheit und dem asozialen Verhalten
ziehen kann, bei weitem die Vorteile überwiegen, die man aus
einem andern besseren Verhalten haben könnte, dann ist das
Land schlecht geordnet.
Wenn in einem Lande die Kaufleute den Hunger schaffen, um
ihn zu erpressen, die Beamten die Verfassung mißachten, die
Richter Unrecht tun, indem sie die Gesetze ausführen, die Zei-
tungsschreiber um Zeilenhonorare Existenzen vernichten, die
Politiker ihre Wähler verraten, die Ingenieure ihre Erfindun-
gen gegen Entlohnung verschweigen, die Ärzte den Kranken
84 Zur Politik und Gesellschaft
Was erzieht? Es erzieht der Hunger und die Art, wie er gestillt
werden kann. Es erzieht die Kälte und die Art, wie ein Obdach
oder die Kleidung errungen werden können. Es erzieht die Art,
wie die Menschen einander begegnen, wie einander zu begegnen
sie durch ihre Nöte gezwungen werden.
Es erziehen die schönen Künste nur, wenn sie nicht den Lebens-
kampf schwächen.
Marxistische Studien 85
wenn der Verrat nichts mehr hilft, die Gemeinheit nichts mehr
einbringt, die Dummheit niemanden mehr empfiehlt;
wenn selbst der unersättliche Blutdurst der Pfaffen nicht mehr
ausreicht und sie weggejagt werden müssen;
wenn nichts mehr zu entlarven ist, weil die Unterdrückung
ohne die Larve der Demokratie, der Krieg ohne die der Frie-
densliebe, die Ausbeutung ohne die der freiwilligen Zustim-
mung der Ausgebeuteten einherschreitet;
wenn die blutigste Zensur jedes Gedanken herrscht, aber über-
flüssig ist, denn es werden keine Gedanken mehr gedacht;
Nichts ist frecher als die schlaue Trennung der Begriffe Kul-
tur und Zivilisation, mit der schon die Halbwüchsigen in den
Volksschulen bekannt gemacht werden. Da soll das eine das
Lebensnotwendige, mit Administration Zusammenhängende,
Komfort, Tempo, Verkehr, Hygiene Regelnde, eigentlich recht
Seichte sein; das andere hingegen etwas langsamer Wachsen-
des, mehr Organisches, schwer Beibringbares, Wertvolles,
Überflüssiges. Gerade der letztere Begriff zeigt besonders deut-
lich, daß hier ein und dasselbe gemeint ist — aber für zweierlei
Klassen, also etwas ganz unbeschreiblich Verschiedenes. Und
für die eine dieser Klassen ist der Überfluß überflüssig, das ist
klar. Während gewisse Rassen und gewisse Klassen zivilisiert
werden können, was mit einigen Kanonen und Kapitalien ganz
Marxistisdie Studien 93
leicht geht, hört man nichts davon, daß man sie auch kultivie-
ren könnte — was die betreffenden mehr oder weniger farbigen
Rassen betrifft, haben sie eigentlich Kultur, wenn die Kanonen
angerollt werden. Nur die Zivilisation ist nicht vollständig ge-
nug. Mit den gewissen Klassen ist es anders: Die Kanonen
werden meist angerollt, weil sie die Kultur bedrohen.
[Zweierlei Versprechungen]
Der Arbeiter im Kapitalismus hat völlig recht, wenn er seinen
Wochenlohn zählt und auf die Versprechungen pfeift, die ihm
für die Zukunft gemacht werden. Er weiß, daß er am Ende der
Woche alles bekommen hat, was er bekommen wird aus der
Produktion, die er vollbracht hat. Außer seinen Lohn am
Ende der Woche hat er nichts zu erwarten; was er produziert
hat, geht ihn nichts an. Im Kapitalismus so zu denken ist für
den Arbeiter überhaupt der Beginn seines vernünftigen Den-
kens. (Es macht ihn sogar zum Atheisten, dies und nichts
anderes: Auch in der Religion sieht er vernünftigerweise nichts
anderes als Versprechungen, die nicht gehalten werden dürften.)
Er denkt nicht so, wenn er den Sozialismus aufbaut, und es
ist nunmehr seine Vernunft, die ihn nicht so denken läßt. Er
weiß, daß er nunmehr am Ende der Woche nicht alles erhält,
Marxistische Studien 95
was er aus der Produktion erhalten wird. Der Satz, daß man
nur hat, was man hat, ist ungemein wissenswert für den Ar-
beiter im Kapitalismus, der Anfang und die Quintessenz des
Materialismus. Aber der Kapitalist, als der Leiter der Pro-
duktion und ebenfalls Materialist, weiß, daß seine Fabrik,
die er hat, unter Umständen, zum Beispiel, wenn die Polizei
schlappmacht, nichts mehr ist, was er hat, daß sie schon im
Streik ein Haufen rostenden Eisens ist; er weiß, daß das,
was er hat, solang er etwas hat, die Arbeitskraft der Arbeiter
ist. Im Sozialismus ist der Arbeiter der Leiter der Produk-
tion und, was immer wieder gesagt werden muß, einer völlig
anderen Produktion, das heißt nicht nur einer Produktion mit
anderer Leitung. Lauten die Versprechungen der Faschisten ähn-
lich wie das, was sich der kommunistische Arbeiter verspricht,
so kommt das, es ist wahrhaft komisch, daß dies gesagt wer-
den muß, daher, daß es Versprechen gibt, die gehalten, und
Versprechen, die nicht gehalten werden.
Über revolutionären Kampf
In den Zeiten der Schwäche ist vieles wahr, aber es ist gleich
wahr; ist viel nötig und kann weniges geschehen; der Aus-
geschaltete ist in Ruhe versetzt und hat keine Ruhe.
3
Wann werden diese Schichten enttäuscht sein? Was will der
Bauer? Unter welchen Umständen kann er es erhalten? Unter
welchen Umständen sieht er ein, daß er es nicht erhalten
kann? (So, daß er keine Revolution macht, weil die auch
nichts ändern würde - seiner Meinung nach.)
5
Welche sozialistischen Maßnahmen kann der Faschismus
durchführen?
[Die Partei]
Lenin hatte den Wunsch, daß es für die Revolution nur die
Partei gebe. Für alle Menschen, die die Revolution wollten,
Marxistisdie Studien 99
Fragmentarisch
der Satz gilt: »Jeder nach seiner Fähigkeit, jedem nach seiner
Leistung.« Die Leistung wird gemessen an dem Wert, der für
den Aufbau der Produktion herauskommt. Die Bolschewiki
halten diesen Satz für einen vorübergehend zu praktizieren-
den. Sie rechnen mit einer Epoche, wo der Satz: »Jeder nach
seiner Fähigkeit, jedem nach seinem Bedürfnis« gelten soll.
Sie sehen die Praktizierung des ersten Satzes für notwendig
an zu der Schaffung eines Zustandes, der die Praktizierung
des zweiten ermöglicht und notwendig macht. Der Schlüssel-
punkt für das Verständnis des Prozesses, der den ersten Satz in
den zweiten verwandeln soll, bildet die Art der Produktion,
die hier aufgebaut wird. Würde es sich um eine solche Produk-
tion handeln, wie wir sie im Kapitalismus kennen, also eine
anarchische, eingeschränkte, in gewisser Hinsicht statisch ge-
haltene Produktion, dann bestünde wenig Aussicht dafür, daß
auf die jetzige Epoche eine so von ihr verschiedene folgt, wie
sie sein muß, damit der zweite, vom ersten so verschiedene Satz
in ihr praktiziert werden kann und muß. Wir wären auf die
Versprechungen der herrschenden Klasse angewiesen. Ver-
sprechungen zukünftiger gesetzlicher Bestimmungen, aber die
Produktion, die unter Praktizierung des ersten Satzes, der
große Ungleichheiten der Einkommen beinhaltet, aufgebaut
wird, ist keine kapitalistische Produktion, keine anarchische,
eingeschränkte, statisch gehaltene Produktion. Sie ist eine
sozialistische Produktion der größtmöglichen Menge, es gibt
keine Beschränkung, gegeben durch den Profit. Eine unüber-
sehbare Reihe von Mißverständnissen ergab sich seit wenigstens
einem Jahrhundert aus der Unfähigkeit vieler Menschen, den
Kommunismus als eine vor allem die Produktion betreffende
Lehre zu verstehen. Ausgehend von dem so weithin sichtbaren
Faktum der Fehlerhaftigkeit und Ungerechtigkeit des bürger-
lichen Systems der Konsumtion haben immer wieder gutwil-
lige und sympathische Leute im Kommunismus hauptsächlich
ein neues System der Verteilung der Güter gesehen und be-
grüßt. Sie haben die Produktion, ihre ungeheuerliche Fehler-
Marxistische Studien 107
In diesen Sätzen ist von Freiheit die Rede. Freiheit ist allem
Anschein nach etwas sehr Allgemeines, Einfaches. Was es ist,
weiß doch wohl jedermann, der Sohn, dem der Vater das Stu-
dium vorschreibt, die Frau, die der Vater verheiratet und der
Ehemann gefangen hält, der Arbeiter, dem der Polizist die
Flugblätter aus der Hand reißt, der Schriftsteller, dem der
Redakteur den Artikel verstümmelt. Etwas so Einfaches wie
die Freiheit zu sehen, kam der alte Mann in das Land der
Sowjets, aus einem Land, wo soviel Unfreiheit herrschte. Was
er sah und hörte, erfüllte ihn mit Erstaunen und nicht mit
freudigem.
Er hörte, daß man in diesem Land, dem Land der Freiheit,
über Freiheit sonderbare Anschauungen hatte. Die Freiheit
galt hier keineswegs als etwas so ewig gleich zu Definie-
rendes, Allgemeines und Einfaches. In einer gewissen Weise,
hörte er, sei er selber eigentlich aus einem Land der Freiheit
gekommen. Man schlug ihm die kommunistischen Klassiker
auf, die großen Verdammer der Unterdrückung, und zeigte
ihm, daß sie zum Beispiel den Arbeiter in den kapitali-
stischen Ländern als im Zustand der Freiheit befindlich be-
zeichneten. Allerdings waren sie, wie immer, ziemlich genau
in ihren Ausführungen und sagten sogleich, was für eine Frei-
heit sie da meinten: die Freiheit von Produktionsmitteln.
Und das war keineswegs ironisch gemeint. So wenig ironisch,
daß sie zum Beispiel den Arbeitern abrieten, eigene Häuschen
zu erwerben, wo dies möglich schien, um nur ja diese Freiheit
zu bewahren. Nun, das waren eigentümliche Anschauungen.
Der berühmte Reisende war nicht gesonnen, zuzugeben, daß
er nicht wüßte, was Freiheitsdrang ist, jener universelle, ewige,
Marxistisdie Studien m
Dies ist meine Meinung, die Prozesse betreffend. Ich teile sie,
in meinem isolierten Svendborg sitzend, nur Ihnen mit und
wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir mitteilen, ob eine Argu-
mentation dieser Art Ihnen nach Lage der Dinge politisch
richtig erscheint oder nicht.
Die Leute reagieren so: Wenn ich höre, daß der Papst ver-
haftet wurde wegen Diebstahls einer Wurst und Albert
Einstein wegen Ermordung seiner Schwiegermutter und Erfin-
dung der Relativitätstheorie, dann erwarte ich, daß die bei-
den Herren das leugnen. Gestehen sie diese Vergehen, dann
nehme ich an, sie wurden gefoltert. Ich meine keineswegs,
ii4 ^ u r Poetik und Gesellschaft
7
Aufbau einer großzügigen Propaganda der technischen und
ethischen Überlegenheit des Sozialismus für den Großteil
der Menschheit. Aufgabe des Herrschaftsanspruches des In-
dustrieproletariats und Angebot seines Vorkämpfertums. Die
Diktatur des Proletariats als die einfachste, unbestechlichste,
kürzeste, wirksamste und also praktischste Form des sozialen
Umbaus.
118 Zur Politik und Gesellschaft
3
Nichteinnehmen einer beratenden, onkelhaften, nach dem
kindlichen Willen lauschenden Haltung eines »Sprachrohrs«.
Sie verurteilt zur Untätigkeit, bloßen Selbstverständigung,
nimmt allen Analysen den organisierenden Charakter, min-
destens solange die revolutionäre Situation nicht »eintritt«,
hilft nicht, sie herbeizuführen (Verbreiten von Erkenntnissen
ist schwächer als Aufrichten von Kampfgruppen).
Totalität
Die Metaphysiker versuchen, und der Versuch beweist sie als
Metaphysiker, zur Totalität zu kommen, und sie tun so, als
gälte es, dieselbe lediglich nachzuweisen, so, als sei sie im
Grund vorhanden, müsse also nur aufgezeigt werden. Sie tun
so, das heißt, sie verstellen sich, denn wenn ihre Versuche miß-
glücken, also stets, zeigt es sich, daß sie ein Puzzlespiel gespielt
haben, bei dem sie gegen alle Spielregeln die Steine nicht nur
zusammensetzten, sondern auch heimlich bemalten.
Tatsächlich kann man sich eine Totalität nur bauen, machen,
zusammenstellen, und man sollte das in aller Offenheit tun,
aber nach einem Plan und zu einem bestimmten Zweck.
Jedermann weiß, daß zum Beispiel ein Haufen gewisser re-
volutionärer Verhaltungsweisen, also etwa Sinn für Gerech-
tigkeit, freiheitliche Bestrebungen, Gewalttätigkeit, List, ge-
wisse Kenntnisse und so weiter, keineswegs alle zusammen
und immerfort angewendet werden dürfen, wenn man eine
Revolution gewinnen will. Alle diese Verhaltungsarten und
noch ganz unbekannte dazu, müssen sich nach ganz bestimm-
tem Plan in die gemeinsame Aufgabe teilen, also planmäßig
auftreten und abtreten und im Augenblick ihrer Verwendung
noch dazu ohne jede Spur von Selbsterhaltungstrieb handeln.
Die Revolution ist ihr Bezugssystem, nur in Hinblick auf sie
treten sie auf oder ab. Die Revolution ist auf sie angewiesen,
aber sie nützen ihr nur, wenn sie nicht sich selbst durchsetzen
wollen, ohne Zugeständnis aneinander und so weiter.
132 Zur Politik und Gesellsdiaft
Zu Descartes »Betrachtungen«
Herauszufinden wäre, was ihm diese eine so unglückliche und
qualvolle Überlegung nützt oder zu nützen scheint. Denn zu-
nächst scheint es doch ganz und gar gleichgültig, was für uns
wahr und falsch ist, und auch ganz und gar unergründbar -
solange es eben nur um ein Erkennen und nicht um Handeln
geht, also um ein Erkennen, das jedenfalls vom Handeln ge-
trennt ist. Denn das ist ein doch ganz unnatürliches, das heißt
für gewöhnlich nicht vorkommendes Unterfangen, dessen
Nützlichkeit (oder Ziel) also durchaus genannt werden muß.
Wie kann dieser Untersucher erwarten, er könne über etwas,
was ihm nicht unmittelbar nötig zu wissen ist, etwas erfahren!
Das heißt, wenn er nicht handeln muß! Er erkennt das Papier,
vor dem er sitzt (und billigt ihm eine gewisse größere Sicher-
heit zu als vielem andern), denn er will schreiben. Schreibend
gewinnt er an Sicherheit in bezug auf das Papier. Auch das
Schreiben selber hat verhältnismäßig wenig Zweifelhaftes: Er
sehe hin und er wird sehen: er hat geschrieben. Aber über das
Wesen des Papiers ohne Manipulationen [.. .]* etwas zu
erfahren, wird sehr schwierig sein. Es ist durch Manipulatio-
nen entstanden, für Manipulationen da und hat drin seine
ganze mögliche Sicherheit. Es wäre unvernünftig, zu bezwei-
feln, daß man auf Schreibpapier schreiben kann. Auf den
ersten Blick erscheint es dagegen beinahe vernünftig, etwa
daran zu zweifeln, ob ein Quadrat unbedingt vier Seiten ha-
ben muß. Aber einmal haben wir (es gibt also auch uns) etwas
mit vier Seiten Quadrat genannt. Wir vergaßen die Zwecke
schneller als diese Bezeichnung, sowohl auch deshalb, weil sie
bald mehreren Zwecken genügte. Freilich kann ich bezweifeln,
ob ein Baum, den ich sehe, da ist. Wäre er nicht da, würde mir
aber vielleicht wenigstens der Sauerstoff fehlen, den er ausat-
met. Und wieviel, was ich nicht kenne, ist nötig, für vorhan-
Damit sprang ich natürlich ganz aus dem Denken des Descar-
tes, und was ich dachte, hat nur wenig mehr von seinem Den-
ken; es steht sozusagen quer zu seinem Denken. Das sage ich,
damit man nicht meint, ich wolle etwas darüber aussagen, was
er eigentlich gesagt habe, worauf man aber bisher nicht ge-
kommen sei. Ich springe aber mit ihm nur um, wie einer, der,
wenn er liest, [Galilei] habe in der Kirche, das Schwanken
eines Leuchters betrachtend, das Pendelgesetz entdeckt, an-
fängt zu fragen: Warum ging er in die Kirche, oder: Warum
sah er dort nach den Leuchtern?
So fragte ich mich bei der Lektüre der Grundlagen der Philo-
sophie jetzt: ob auch ich Lust und Möglichkeit hätte, an allem
zu zweifeln, was ich für wahr halte, und, wenn ja, meine Exi-
stenz in Zweifel stellte und dann annähme als unzweifelhaft,
diese sei gesichert, wenn ich und da ich doch denke, und zwar
das alles prüfen und entscheiden würde in ganz allgemeinem,
aber meinem Sinne.
Ich sagte sogleich, es habe sich mir vor allem andern aufge-
drängt, daß meine Zeit eine ganz und gar andere als die seine
sein müsse. Aber das andere war doch kein völlig anderes; es
war nur anders, wie der Morgen und der Abend ein und des-
selben Tages anders sind. Stand jener am Anfang, so stand ich
am Ende einer Zeit. Und da es eine Zeit war, Frühe und Abend
eines einzigen Tages, fühlte ich mich wohl auch aufgelegt zu
ähnlichen Fragen. Und da der Morgen und der Abend eines
einzigen Tages so sehr anders sind, fühlte ich, daß auch die Ant-
wort auf die Fragen anders ausfallen müßte.
So konnte auch ich zweifeln an meiner Existenz, und auch ich
konnte mir eine Sicherung derselben nur erhoffen durch ein
Denken, und es machte zunächst nichts aus, daß ich unter Exi-
stenz etwas ganz Profanes verstand, nämlich das, was der ge-
wöhnliche Mann eben Existenz nennt, nämlich, daß er eine
Arbeitsstelle hat, die ihn nährt, kurz, daß er leben kann. Und
auch ich konnte nicht gut zweifeln, daß ich diese Existenz
einzig und allein durch Denken, wenn auch im weitesten
Notizen zur Philosophie 135
Audi der Satz »Cogito ergo sum« hat eine ungleidie (und ver-
gleidisweise) Wahrheit. Es müssen noch viele Sätze dazukom-
men, um ihn zu stützen. Das Sein wie das Denken ist etwas
Vergleidisweises und Ungleidies (Steigerbares). Der Satz ist
auch nur als Grundstein eines ganzen Gebäudes gedacht. Er
ist nicht durch sich selber richtig.
Was meint er? Will er sagen: Man muß an allem zweifeln, so-
lang man keinen Beweis hat. Man muß mit der Bezweiflung
der eigenen Person (als des noch Sichersten) beginnen. Man
darf sie nur glauben, weil man sie beweisen kann. Ihr Beweis
ist: sie denkt. Will er das sagen? Da es viel Seiendes gibt, das
(zumindest vergleichsweise) nicht denkt, könnte dieses Seiende
sein Sein niemals nachweisen. Der Satz heißt also: Ich bin
bewiesen durch das Ich; wenn ich auch nicht denken könnte,
wäre ich vielleicht auch, könnte es mir aber nicht nachweisen.
Das Nachweisen und das Den-Nachweis-Aufnehmen ist ein
Denken. Ist also der Selbstnachweis der Person gelungen? Es
ist nur Denken als eine Art des Seins behauptet; es gibt aber
noch mehr Arten des Seins.
Die Frage nach dem Ding an sich wird gestellt in einer Zeit,
wo auf Grund der ökonomisch-gesellschaftlichen Entwicklung
die Verwertung aller Dinge in Angriff genommen wird. Die
Frage aber zielte nicht nur ab auf die Auffindung neuer
Brauchbarkeiten an den Dingen, sondern bezeichnete auch den
Widerspruch zu einer Betrachtung der Dinge nur nach Ver-
wertbarkeit hin: Die Dinge sind nicht nur für uns, sondern
auch für sich. Allerdings sind sie auch in diesem absoluten Zu-
stand noch verwertbar . . .
i Die Operation mit diesen Begriffen ermöglicht die Auflösung der Kant-
sdien Zweifel und die Fruktifizierung der Descartesschen.
Notizen zur Philosophie 139
nahmen sich nicht mehr nur von den Dingen, was sie brauch-
ten, sondern, ein Ding besitzend, suchten sie neue Brauchbar-
keiten an ihm ausfindig zu machen. Es war jetzt auch zu
verwerten, was andere brauchten. Das Ding wurde ungeheuer
gedrängt, möglichst viel herzugeben.
Die Dinge sind für sich nicht erkennbar, weil sie für sich auch
nicht existieren können.
5
Der Baum erkennt den Menschen mindestens so weit, als er
die Kohlensäure erkennt.
Zur Erkenntnis des Baums gehört für den Menschen die Be-
nutzung des Sauerstoffs. Der Begriff des Erkennens muß also
weiter gefaßt werden.
14° Zur Politik und Gesellschaft
i Der Philosoph scheint zu verfahren wie gewisse Zeichner, die eine Fläche
schraffieren, so daß die unsichtbare, aber vorher »darunter« angebrachte
Zeichnung heraustritt, ganz von selber sozusagen. Man sieht niemand die
»eigentlichen« Striche machen, so wie der Philosoph könnten auch wir das
Schraffieren besorgen, und wir könnten oben oder unten oder in der Mitte
damit beginnen, da ja das »Ganze« schon da ist, und überall, wo man
schraffiert, heraustreten muß.
Notizen zur Philosophie 143
[Notizen]
Im Gegensatz zum Idealismus muß einem der Materialismus
immer sagen, was bei ihm herauskommt, den Idealismus da-
gegen muß man fragen, woraus er herauskam.
Über Vorstellungskritik
Die Kant-Goethesche Ästhetik postuliert, daß die genießende
Person von ihren Interessen gelöst sei. Durch ihre Interessen
nämlich ist die Person zu eindeutig (zu fest) bestimmt, um alle
Haltungen einzunehmen, die sie (ohne durch Interessen be-
stimmt zu sein) einnehmen könnte. Denn an sich ist dem Men-
schen nichts Menschliches fremd. Die Kunst gestattet ihm, sich
allgemein menschlich zu geben, was er sonst nicht kann. Sie
gestattet also eigentlich, auf (seinen) Interessen zu verharren,
welche nicht allgemein menschlich sind, nämlich »im Leben«.
Die Welt des Künstlers enthält also im Grund alles, was zu
einer Welt nötig ist. Sie kann als Ganzes genossen werden,
und zwar - nach Aufgabe der individuellen Interessen - ohne
Gefahr. Der Genießer kann durch Einfühlung (Mimesis) zu
nichtinteressebedingtem Verhalten kommen. Jedenfalls wird
ihm dies zugesagt.
Darin liegt eine grobe Tauschung.
Notizen zur Philosophie 145
6
Kausalität zum Beispiel nur, wo sie herstellbar anzuerkennen.
7
Verhalten als Logik. Geschäftsordnung als Ordnung.
9
Das methodische Denken von mehr als einem.
4
Sie erzieht diese Dialektiker zu Organisatoren von Dialekti-
kern. Jedes ihrer Mitglieder beginnt seine Lerntätigkeit zu-
gleich mit einer Lehrtätigkeit; es organisiert sofort.
5
Die Arbeiten in den einzelnen Fachgebieten werden in Zusam-
menarbeit mit den auf anderen Fachgebieten tätigen Mitglie-
dern ausgeführt.
Dialektik
Es ist psychologisch erklärlich, daß die Sozialisten erlebnis-
mäßig einen sehr schneidigen Fortschrittsbegriff haben. Der
Fortschritt besteht im Sozialismus, und ohne Fortschritt ist
Sozialismus nicht möglich. Dieser Begriff »Fortschritt« hat
große Annehmlichkeiten politischer Art, aber für den Begriff
»Dialektik« hat er nachteilige Folgen gehabt. Dialektik ist,
unter dem Gesichtswinkel des Fortschritts gesehen, etwas, was
152 Zur Politik und Gesellsdiaft
die Natur hat (immer gehabt hat), eine Eigenschaft, die aber
erst Hegel und Marx entdeckt haben. Vor dieser Entdeckung
war die Welt nicht erklärlich, wo etwas von ihr doch erklärt
wurde, war man eben, ohne es zu wissen und ohne es sich zu
merken, auf ihre Dialektik gestoßen. In den Köpfen der Dia-
lektiker nämlich spiegelt sich nur dieses Ding Dialektik, das die
Eigenschaft der Natur ist, wider. So in Kenntnis gesetzt von
den Eigentümlichkeiten irdischer Erscheinungen, sind die Dia-
lektiker, in gewaltigem Vorsprung zu andern Menschen, im-
stand, ihre Vorkehrungen zu treffen. Die Anhänger dieser ein-
fachen, aber begeisternden Auffassung verfallen, wenn man
sie auf die Ähnlichkeit ihrer Auffassung mit der einiger Hand-
leser, sie könnten die in der Handfläche gelesenen bevorste-
henden Ereignisse jetzt nach ihrer Feststellung natürlich
vereiteln, hinweist, in mürrisches und übelnehmerisches Gemur-
mel. In Wirklichkeit ist die Dialektik eine Denkmethode oder
vielmehr eine zusammenhängende Folge intelligibler Metho-
den, welche es gestattet, gewisse starre Vorstellungen aufzulö-
sen und gegen herrschende Ideologien die Praxis geltend zu
machen. Man mag mit gewissem Erfolg in Form gewagter
Deduktionen das Verhalten der Natur als dialektisch bewei-
sen können, aber viel leichter ist es, auf die schon erreichten
handgreiflichen und unentbehrlichen Erfolge dialektischen
Verhaltens, das heißt der Anwendung dialektischer Methoden
in bezug auf gesellschaftliche Zustände und Vorkommnisse,
also die Natur der Gesellschaft, und zwar unserer Gesellschaft,
hinzuweisen. Ich kann mir denken, daß eins gleich eins ist,
und ich kann mir denken, daß eins nicht gleich eins ist. Ge-
nügt nicht, zu sagen, daß das letztere zu denken günstiger ist,
nämlich, wenn ich in bestimmter Weise handeln muß?
Notizen zur Philosophie 153
Dialektische Kritik
Sollen nun an der Hand ihrer Resultate Anschauungen kri-
tisch untersucht (in die Krise gebracht) werden statt der Re-
sultate dieser Anschauungen, so müssen auch diese wieder nicht
auf eine Art gesichtet werden, als wolle man sie sich unter
Umständen einverleiben. Diese Art der Betrachtung aber ist
sehr schwer zu vermeiden, denn der ganzen Struktur der Ge-
sellschaft nach, in der wir leben, sind wir sehr auf die Einver-
leibung von Dingen angewiesen und damit auf Methoden,
welche alle Dinge eben in Einverleibbare verwandeln. Diese
unsere Art bekommt den Dingen schlecht. Die Anschauungen,
getrennt von den Menschen, die sie haben, und damit von den
Standpunkten, die diese Menschen einnehmen, haben keinerlei
Kraft mehr, und hauptsächlich weil unsere Anschauungen so
von bestimmten Menschen auf bestimmten Standpunkten
weggenommen sind, beeinflussen sie unsere Haltung so we-
nig. Wir stellen sie nur aus. Es ist also falsch, an Anschauun-
gen heranzugehen von der Seite her, wo sie übernehmbar
(oder ablehnbar) im obigen Sinne sind. Betrachten wir also
die Haltung von Menschen an der Hand ihrer Anschauun-
gen und vergegenwärtigen wir uns, daß diese Haltung mit je-
nen Anschauungen nur bedingt übereinstimmt, das heißt, daß
der Grad, nach dem die Handlungen der Menschen durch ihre
Anschauungen verpflichtet sind, erst untersucht werden muß.
Denn letzten Endes müssen wir darauf hinauskommen, her-
auszubringen, wie die Menschen handeln werden, wenn es gilt,
die Welt zu verändern. Dazu müssen wir sie jeweils in Grup-
pen teilen und die Einteilung so vornehmen, daß Interessen
sichtbar werden, die genügend stark und einflußreich sind,
um sich bemerkbar, also sichtbar zu machen.
154 Zur Politik und Gesellschaft
Man kann sagen, daß die ersteBahn von Eri bis [Piermont] von
Verbrechern gebaut wurde. Dennoch kam sie zustande und
lohnte sich nicht nur für die Verbrecher. Sie war ein sehr wich-
tiges Werk, und sie zu bauen war also nicht nur ein Verbre-
chen. Aber was soll man von einer Gesellschaft sagen, in der
^ die wichtigen Werke nur durch Verbrechen zustande kommen?
Denn so ist es: Das Land hatte von der Bahn Nutzen, aber
der Anstand hatte Schaden.
Notizen zur Philosophie 155
Ist die Privatinitiative gut oder ist sie schlecht? Die großen
industriellen Werke wurden durch Leute mit Privatinitiative
aufgebaut. Sie war also gut. Als die großen Werke standen,
war sie unnütz geworden, und die Kollektivinitiative konnte
sie abschaffen. Die Arbeiter hatten sie immer schlecht genannt.
So war es: Je mehr ihr Gutes (in den Werken) hervortrat, desto
mehr trat auch ihr Schlechtes hervor. Das Gute bezeichnete
das Schlechte als schlecht.
Erkannt zu haben, daß das Denken was nützen müsse, ist die
erste Stufe der Erkenntnis.
Die Mehrheit derer, die diese Stufe erreicht haben, gibt ange-
sichts der Unmöglichkeit, eingreifend zu denken, das Denken
(das nur spielerische Denken) auf.
Klassik ist keineswegs, wie sich dies für den nachherigen Be-
trachter darstellt, eine besonders hohe Stufe der Vervoll-
kommnung innerhalb einer eigengesetzlichen Kunstgattung
oder der lediglich reflektierte Ausdruck einer in sich geschlos-
senen, eben »klassischen Epoche«, also ein Resultat, sondern
etwas viel Absichtsvolleres (wenn auch nicht unbedingt be-
wußt Gemachtes), und zwar gingen die Absichten auf gesell-
schaftliche Zustände. Der Versuch, bestimmte Vorschläge ethi-
scher und ästhetischer Art dauerhaft zu gestalten und ihnen
etwas Endgültiges, Abschließendes zu verleihen, also klassisch
zu arbeiten, ist der Versuch einer Klasse, sich Dauer und ihren
Vorschlägen den Anschein von Endgültigkeit zu geben.
[Richtiges Denken]
Wenngleich das Denken auf vielen Gebieten große Ergebnisse
gezeitigt hat und immerfort zeitigt, wenngleich unsere Be-
rechnungen uns den Magen füllen, die Kälte abhalten, die
Nächte erhellen, uns von einem Ort zum andern mit großer
Schnelligkeit bringen und so weiter, so ist doch unser Handeln
in wichtigsten und gefährlichsten Angelegenheiten weniger
von Berechnungen als von ziemlich trüben, ungenauen, ja
widerspruchsvollen Beweggründen geleitet. Es ist uns nicht
schwer, wenn wir gehandelt haben, triftige Beweggründe in be-
liebiger Menge zu nennen, aber vorher, wenn wir uns zum
Handeln anschicken, haben wir keineswegs diese schöne Über-
sicht. In den meisten Fällen berechnen wir nicht, sondern raten.
5
Die Gesetze vom Verhalten der sozialen Elemente eine Dialek-
tik.
Die Lehre von den Klassen.
Die Lehre von der menschlichen Entwicklung als einer Ent-
wicklung der Produktionsweise.
Die Lehre vom wissenschaftlichen Sozialismus.
3
Das Sich-Ausdrücken.
Man kann also die Dinge nur deswegen erkennen, daß sie sich,
und nur dort, wo sie sidi verändern. Alles Seiende kommt
zum Bewußtsein, indem es sich dagegen wehrt, nicht zu sein,
ein Bestreben, das es in sich wahrnimmt und das zugleich das
Bestreben ist, andere Verbindungen einzugehen.
Auf den Tafeln müssen sie ergänzt werden durch andere Sätze,
die sie benötigen, mit denen vereint sie auftreten. Es müssen
die Tangenten zu politischen Sätzen gezogen werden. Dies
nennt man »das B zum A suchen«. Aufzusuchen sind also die
Strukturen von Satzkonglomeraten, Ganzheiten. Dies nennt
man »das Konstruieren eines axiomatischen Feldes«.
4
Zu lernen ist: Wann greift ein Satz ein?
174 Zur Politik und Gesellschaft
seine Kunden Geld auf die Sparkasse tragen können und der
dafür im Bewußtsein, seine Pflicht getan zu haben, gefaßt und
heiter den Gerichtsvollzieher erwartet und so weiter. Kurz:
»Idealismus« meint hier Opferwille.
Hieße der Satz Das wirtschaftliche Denken ist der Tod jedes
Idealismus, so wäre er natürlich sinnlos, denn er wäre dann
nur eine primitive Auslegung oder Umschreibung des Wortes
»Idealismus« selbst. Er könnte dann nur bedeuten: »Idealis-
mus ist, wenn man nicht materiell denkt«, also: »Wenn man
materiell denkt, ist man kein Idealist.« Das Wort »völkisch«
gibt dem Satz seinen Sinn. Er meint: Durch ein hauptsächlich
auf Materielles gerichtetes Verhalten wird jener Idealismus
(Opfersinn) vernichtet, der auf die Erhaltung des Völkischen
ausgeht.
Unpolitische Briefe
Nach mancherlei Enttäuschungen, die ihnen innere und äu-
ßere Feinde bereitet hatten, entschlossen sich die Kleinbür-
ger meiner Heimat, die sehr zahlreiche Kaste der Klein-
gewerbetreibenden, Schullehrer, Ladenbesitzer, Subaltern-
offiziere, Anstreicher, Studenten und so weiter, nunmehr
große Taten zu verrichten. Einige ihrer Leute hatten ihnen
klargemacht, daß ihre elende Lage - sie waren alle mehr oder
weniger bankrott - von einer allzu materialistischen Ein-
stellung dem Leben gegenüber herrühre, und so hofften sie
jetzt durch einen kräftigen Idealismus, das heißt durch unbe-
grenzten Opfersinn, eine menschenwürdigere Existenz auf-
bauen zu können. Sie zweifelten nicht, daß dabei für den ein-
zelnen manches abfallen würde. Sie erkannten, daß sie ohne
Führung nur eine Herde von Schafen waren. »Wenn man uns
nicht tüchtig schurigelt, anbrüllt und in die Fresse haut, blei-
ben wir elende Jammerlappen«, sagten sie, »so können wir
uns unmöglich weiter herumlaufen lassen.« Ein Führer fand
sich glücklicherweise, und die Macht wurde ihm übergeben.
Aller Erwartung richtete sich auf das, was er nun mit ihnen
zu tun gedächte. Der Führer hatte sein Programm zunächst
nur andeutungsweise erwähnt, teils deshalb, weil es ihm sonst
von Unwürdigen gestohlen hätte werden können, teils aus
anderen Gründen. Seine Anhänger hatten ihn danach nicht
gefragt, einerseits, weil dies dem Führergedanken gescha-
det hätte, andererseits, weil sie sich sagten: »Was nützt das
schönste Programm, wenn man nicht die Macht hat, es durch-
zuführen!« Sobald der Führer die Macht hatte, gab er sein
Programm bekannt: Es stellte sich als ein sehr festliches Pro-
gramm heraus. Es bestand zu einem großen, sehr großen Teil
aus Festlichkeiten und Feiern, aber auch aus anderen Veran-
staltungen, vornehmlich zweierlei Art: Vor allem sollte die
Einigkeit des Volkes hergestellt werden. Diese Einigkeit hatte
einige Jahrzehnte oder genauer einige Jahrhunderte lang zu
Aufsätze über den Faschismus 183
Ich möchte jedoch nicht, daß man aus meiner, vielleicht un-
glücklichen Schilderung bei mir auf eine Verachtung dieser Leute
schließt. Ich weiß sehr gut, daß ihre Untätigkeit nicht viel ge-
gen sie beweist, und mehr kann man ihnen, wie ich glaube,
nicht vorwerfen. Die Gesellschaft, in der sie leben, macht ihnen
eine wesentlich nützlichere Betätigung unmöglich. Sollen sie
als Richter über arme Teufel zu Gericht sitzen, die aus Hunger
einen Laib Brot stehlen oder als Ärzte Rezepte aufschreiben,
die wirkungslos (wenn auch billig) sind, oder als Architekten
Häuser bauen, in denen irgendeine menschliche Hyäne in 16
Zimmern haust, oder solche, in denen, zu zwölf! in einer
Küche, jene hocken, die ihr das bezahlen? Manche derer, die
hier sitzen und Ansichten sammeln, mögen wohl jene Gebre-
chen haben, die zur Bekleidung öffentlicher Ämter nötig sind,
und bereit sein, die Geschäfte zu vollführen, die verlangt wer-
den, Unwichtiges mag sie daran hindern, aber andere hier sind
bessere Leute trotz allem, und auch die Erwähnten wurden
wenigstens durch ein gütiges Geschick davor behütet, wirklich
Schandtaten zu begehen. Was ich an ihrem Denken aussetzte,
war, kurz gesagt, seine Aussichtslosigkeit. Die Bilder, die diese
guten Leute von der Wirklichkeit entwarfen, mochten unge-
fälscht sein, aber sie halfen nicht weiter. Man konnte das Auf-
treten der neuen Herren barbarisch nennen, und was sie dazu
veranlaßte: einen dunklen Trieb, aber was war durch solche
Erklärungen gewonnen? Solche Erklärungen genügten viel-
leicht dazu, gewisse melancholische Gefühle zu erregen, aber
kaum dazu, die erklärten Zustände beherrschen zu lehren.
Denke man von mir, wie man wolle, ich vermißte mehr und
mehr bei diesem Denken der Vertriebenen und Bedrohten eine
einschneidende Überlegenheit über jenes der Vertreiber und
Bedroher. Gut, das eine war die rohe Stimme der Barbarei,
sie war roh und dumm, das andere war die Stimme der Kul-
tur, sie war wohltönend, aber auch dumm. Die einen hatten
viele Waffen und benutzten sie, die andern hatten nur den Ver-
stand als Waffe und benutzten ihn nicht. Ich fuhr nieder-
18 8 Zur Politik und Gesellschaft
gedrückter weg aus dem Land der Kultur, als ich dort ange-
kommen war - aus dem Land der Barbarei.
[Über Wahrheit]
Kommentar
Wenn man die Rede und die Wiederherstellung der Wahr-
heit, von links nach rechts lesend, überflogen hat, vergegen-
wärtige man sich, daß es für den Nationalsozialisten galt, das
Winterhilfswerk zu loben, und zwar angesichts der riesigen
Schwierigkeiten, die auf der rechten Seite (in der Wieder-
herstellung) ihren Ausdruck finden. Nunmehr kann man, von
der rechten Seite zur linken Seite hinüberlesend, studieren,
wie der Mensch sich seiner Aufgabe entledigte. Dann sieht
man, was für eine Art Mensch es ist, welcher Klasse er ange-
hört, welche Aufgabe sie zu lösen übernommen hat und wie
sie sie löst.
1934
Aufsätze über den Fasdiismus 199
dürfen. Allein diese Rechnung zeigt, daß sein Kampf ein sieg-
reicher war.
Sollte der Führer wirklich kein Bankkonto besitzen, nicht ein-
mal ohne es zu wissen, und sein Geld zu Hause aufbewahren —
er hat nämlich tatsächlich ein Zuhause, so überraschend das
ist, ein Palais in Berlin und einen Landsitz in Bayern —, so wäre
das eine große Unvorsichtigkeit von ihm, denn es könnten trotz
seiner Gestapo eines Tages allerhand Leute zu ihm kommen
und nach seinen Sparstrümpfen suchen, und von was wird er
dann leben? Denn seinen Posten kann er auch nicht immer be-
halten in diesen unruhigen Zeiten.
[Über Ehrlichkeit]
Es hat wenig Sinn, über die Ehrlichkeit (das »Fairplay«) an sich
zu sprechen, ohne ihre Rolle in der Gesellschaft zu untersuchen,
ihre rasch wechselnde Rolle. H. G. Wells spricht von der Ehr-
lichkeit, die die Rothschilds in die moderne Finanzwirtschaft
eingeführt haben. Sie hielten sich an ihre Verpflichtungen und
unterschlugen sowenig wie möglich. Was wichtiger ist: Sie
zwangen sogar die Regierungen zur Ehrlichkeit. Wells sagt
durchaus richtig, daß diese Bankiers dadurch der Weltwirtschaft
einen bedeutenden Dienst erwiesen haben. Leider schimmert
durch diese Feststellung die gefährliche Ansicht durch, Ehrlich-
keit mache sich bezahlt, könne dadurch als Prinzip erreicht
werden und bleibe dann womöglich auch noch in der Welt, wenn
Ehrlichbleiben ein Draufzahlen verlangt. Man darf doch nicht
einfach bei der Betrachtung und Einschätzung der Ehrlichkeit
unterschlagen, von welcher Art sie ist. Die Ehrlichkeit der
Rothschilds bestand, was Wells weiß, etwa darin, daß der Land-
graf von Hessen Menschenhandel trieb und der alte Rothschild
dieses Geschäft »sauber« abwickelte, das heißt dafür sorgte, daß
die Betrüger wenigstens sich selber nicht gegenseitig im kleinen
auch noch betrogen. Der Menschenhandel scheint auf dem
204 Zur Politik und Gesellsdiaft
VORWORT
Es sprechen:
der Zeuge Göring;
der Zeuge Goebbels;
der Reichskanzler Hitler;
die nationalsozialistische Parteipresse;
der Amtliche Preußische Pressedienst;
der Untersuchungsrichter beim Reichsgericht, Vogt;
Die Horst-Wessel-Legende
Am 11. April 193$ wurden die Kommunisten Sally Epstein
und Hans Ziegler wegen angeblicher Beteiligung an der Er-
mordung des Horst Wessel in Berlin-Plötzensee hingerich-
tet.
Bei der Suche nach einem Helden, der wirklich paßt, so daß
man, an ihn denkend, sogleich an die Bewegung, und an die
Bewegung denkend, sogleich an ihn denken mußte, entschied
sich die nationalsozialistische Bewegung, sicher nach langem
Schwanken, für einen Zuhälter.
Es ist natürlich nicht so, daß man fragte: Wo ist ein Zuhälter?
Man fragte: Wo ist Sex-Appeal, Redegewandtheit, Mangel an
Kenntnissen, Brutalität? Darauf meldete sich der Zuhälter.
Daß der Besitzer so verwendbarer Eigenschaften Zuhälter war,
210 Zur Politik und Gesellsdiaft
i Die Arbeit der Jännicke war unehrlich. Nicht die das Stück Brot hat-
ten und es ihr hinhielten gegen einen Beischlaf waren unehrlich, sondern
sie war es, die das Stück Brot nicht hatte und es nahm. Nicht, die die Lust
kauften und verspürten, waren unzüchtig, sondern sie war es, die die Lust
verkaufte und nicht verspürte. Handelte es sich nicht um leichte Mädchen?
Ihr Leichtsinn bestand darin, daß sie nicht, wie andere Mädchen ihrer
Klasse, an Tuberkulose in den Kellerwohnungen sterben wollten - son-
dern an Syphilis in der Charite*. Sie wollten sich nicht an Fabriktoren
anstellen, wo schon so viele anstanden, sondern es war soviel angenehmer,
die Liebesfledderer über sich zu haben, an denen übrigens ebenfalls Man-
gel war.
Aufsätze über den Faschismus 213
Aus einer Reihe dunkler Punkte war eine Reihe ebenso vieler
heller Punkte geworden. Das eben ist Propaganda.
Es ist nicht kommunistische Propaganda, es hat nichts zu tun
mit dieser niedrigen, an der Erde klebenden, materialistischen
Propaganda der Kommune, die eine so selbstlose Handlungs-
weise wie die des Wessel überhaupt nicht versteht, wie sie auch
lieber Butter fürs Volk verlangt als Kanonen auf den leeren
Magen.
Aber diese Kommunisten waren es ja auch gewesen, die den
jungen Helden ermordeten. Sie taten das, weil sie ihn fürch-
teten. Schon die Zimmerwirtin fürchtete ihn, weil er immer mit
dem Revolver herumfuchtelte, wenn sie die Miete verlangte.
Aber die Kommunisten fürchteten ihn noch viel mehr, weil
er immer mehr Bewohnern der Großen Frankfurter Straße die
Augen öffnete. Immer mehr Prostituierte erkannten klar, daß
auch für sie Kanonen wichtiger seien als Butter, und sogar
richtige Arbeiter erkannten, daß es besser sei, die Franzosen zu
besiegen als, wie sie bisher geglaubt hatten, die Fabrikanten.
Die Kommunisten leugneten zwar, daß er aus politischen
Gründen ermordet worden sei, sie sagten: er sei von einem an-
zeit von 120 Jahren, und unter jenen, deren Leben schwerer geworden
ist, befinden sich die bürgerlichen Propagandisten. Man macht sich kaum
eine richtige Vorstellung davon, wieviel schwieriger es heute ist, einen
halbwegs gängigen Heldentypus auf die Beine zu stellen, als es im Jahre
1813 war. Nicht als ob die Ansprüche des kleinbürgerlichen Publikums,
für das die Propaganda gemacht wird, größer geworden wären: Dieses
Publikum zeichnet sich nach wie vor durch Anspruchslosigkeit aus. Aber
die anzupreisende Ware hat so bedenklich in der Qualität nachgelassen.
Der Tod des jungen Mannes machte den Legendenschreibern besonders
viel Mühe. Alles war eben viel schwerer, als es vor 120 Jahren gewesen
war. Körner war in der Schlacht gefallen, das war einfach und verwend-
bar. Aber Wessel fiel in einer Privataffäre. Auch Körners Tod wäre eine
harte Nuß für die Legendenschreiber gewesen, wenn er zum Beispiel im
Duell mit einem andern Offizier gefallen wäre, sagen wir, weil er dem
eine Frau weggenommen hatte.
Sie hätten eine ganze Schlacht zwischen Deutschen und Franzosen aus
dem Ärmel schütteln müssen.
Aufsätze über den Fasdiismus 215
nunft besessen ist! Dieser Teufel redet ihm Tag und Nacht die
allerselbstverständlichsten Dinge ein, und er glaubt sie! Viel-
leicht könnte das, wenn man allen Hochmut zusammennähme,
zur Not ertragen werden, aber schlimmer ist es, beschuldigt
zu werden, nicht mit dem Volk fühlen zu können, kein Ge-
meinschaftsgefühl aufzubringen.
Es gibt ja auch immer einige, die tiefer sehen, und die stellen
für gewöhnlich recht schnell die Diagnose: Er muß von ir-
gendwoher bezahlt sein. Wie könnte er sonst, allen Beweisen
der Regierung entgegen, immer noch behaupten, daß zwei mal
zwei gleich vier ist? Ein ausgemachter Judas!
Der Satz Gemeinnutz geht vor Eigennutz soll jetzt auf die
großen Geldscheine gekommen sein. Es ist das ein Gerücht un-
ter dem Volk. Natürlich weiß niemand darüber etwas Sicheres.
Niemand hat je einen großen Geldschein zu Gesicht bekommen,
so ist vielleicht das Ganze nur eine Volkssage. Wenn es aller-
dings wahr wäre, wäre es eine große Ehrung für diesen Satz.
Es ist einer der populärsten Sätze der Nationalsozialisten, eine
wahre Ohrenweide. Viele halten ihn sogar für einen wirklich
sozialistischen Satz.
Briefe um Deutschland
Auf das Frühjahr der Feste folgte ein Sommer der Feste, und
als beim Herannahen des Herbstes immer noch nichts am elen-
den Zustand des Landes sich gebessert hatte, beschloß man, den
Triumph des Regimes in einem alle bisherigen Feste in Schat-
ten stellenden Fest, einem gewaltigen Parteitag, zu feiern. Da
genügend Feuerwerk vorhanden war, fehlte nichts zu einer
solchen Veranstaltung.
Die Veranstaltung fand im Beisein von etwa . . . Menschen
statt und bestand aus einem heitern und einem ernsten Teil.
Um sofort auf das Feuerwerk zu kommen: Die tiefe Liebe des
Kleinbürgertums zu pyrotechnischen Veranstaltungen wird von
vielen nicht genug ernst genommen. Diese künstlichen Feuer-
gebilde mit ihren übernatürlichen Farben, ihrem mächtigen und
doch harmlosen Geprassel und ihrer kindlichen Symbolik schei-
nen ihnen keine soliden Leistungen einer Regierung zu sein. Sie
weisen darauf hin, daß die Phantome schnell vergehen, keinen
Nutzen haben und das Publikum von ernsten, das heißt sor-
genvollen Betrachtungen materieller Art ablenken. Solche Be-
denken hört man leider besonders häufig von Schriftstellern
und Künstlern, deren sonstige Auffassung von Kunst diesen
Bedenken eigentlich widerspricht: Sie halten es sonst für ba-
nausenhaft, von Kunstwerken Nutzen zu verlangen, und nen-
nen es das eigentliche Verdienst der Kunst, die Menschen zu
Höherem abzulenken. Nur auf das Moment der Vergänglich-
keit verzichten sie; sie wollen unvergängliches Feuerwerk.
Sie vergessen auch, daß auch durch solche Feuerwerke Geld
unter die Leute kommt, nämlich das Geld der Leute. Diese
ökonomische Überlegung der Nazis, in vielen Zeitungen zu
lesen, entspricht einem Stand der ökonomischen Kenntnisse, in
den sich unsere Künstler und Schriftsteller mit den Nazis tei-
len.
Einen (kleinen) Teil des Geldes, das für dieses Feuerwerk ver-
wandt wurde, steuerten überdies gerade unsere Liberalen bei,
Aufsätze über den Fasdiismus 235
Einer solchen Auswahl der Schicht, die für die Interessen aller
mobilisiert werden kann, könnte widersprochen werden, da sie
nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten erfolgt. Man könnte die
Auswahl nach andern Gesichtspunkten vornehmen wollen, so,
daß diese Kampfgruppe sich aus allen sozialen Schichten re-
krutierte. Vorgeschlagen wurde zum Beispiel das Unterschei-
dungsmerkmal barbarisch und human. Wir lehnen dieses Un-
terscheidungsmerkmal ab, weil es keine organisierende Kraft
hat. Wir ziehen vor, anzunehmen, daß sowohl das Barbarische
als auch das Humane etwas von Menschen Erzeugbares, Orga-
nisierbares ist. Wäre dies nicht der Fall, dann könnte ja nur
die Ausrottung (körperliche Vernichtung) ganzer Volksteile die
Aufsätze über den Faschismus 237
7
Mit vollem Recht bezeichnet Hitler als den Feind des national-
sozialistischen Versuchs der Einigung den Marxismus, jenen an-
deren tiefergreifenden Versuch einer Einigung aller. Aber
selbstverständlich ist nicht diese Lehre der Grund der Uneinig-
keit, sondern die Ursache dieser Lehre: ein ökonomisch-politi-
sches System, das den Mangel der vielen zum Vorteil der we-
nigen macht; denn der Kapitalismus hält sich nicht etwa trotz
des Mangels der vielen, sondern durch diesen Mangel; er würde
durch eine allgemeine Wohlfahrt nicht etwa verbessert, son-
dern vernichtet.
240 Zur Politik und Gesellschaft
Nach Angabe der Linken läßt sich die bürgerliche Welt ohne
Faschismus und also ohne Aufgabe der bürgerlichen Kultur,
etwa durch Reformen, konservieren. In Wirklichkeit ist die
bürgerliche Welt nur unter Aufgabe der bürgerlichen Kultur
zu retten.
[Kulturelle Forderungen]
Die Ideologen des linken Bürgertums sind desinteressiert an
der Nennung der Bedingungen, unter denen allein sich ihre
kulturellen Forderungen realisieren lassen, weil das Namhaft-
machen dieser realen Bedingungen jene Forderungen als faschi-
stische enthüllen würde.
Aufsätze über den Faschismus 243
Mit einiger Verwunderung las ich die letzte Rede Herrn Bald-
wins. Seiner Majestät Premierminister hatte die schwächliche
Politik in der abessinischen und deutschen Frage zu verteidi-
gen. Er beklagte es, daß man von Herrn Mussolini kein Ent-
gegenkommen erwarten könne, wenn man nicht bereit sei, Ge-
walt anzuwenden. In der salbungsvollen Rede schwang ein
nicht zu überhörender Unterton von »Was habe ich immer
gesagt« mit, den ich mir nicht erklären konnte, bis ich erfuhr,
daß Herr Baldwin Stahlfabrikant ist. Am Schluß seiner Rede
sagte er, der Horizont sei düster, er sehe aber nun einige Licht-
blicke . . .
gegenüber, es sei denn, sie erklärten sie ebenfalls als eine Bar-
barei, die von der Barbarei kommt. Dieser Staat mag nach
ihnen ein gewöhnlicher Staat sein, der in eine Ausnahmelage
gekommen ist und Ausnahmemittel benötigt, aber die Art
dieser Mittel müssen sie doch erschrecken.
Die Ausnahmemittel haben nämlich deutlich etwas von Aus-
wüchsen an sich. Sie werden nicht restlos durch die Ausnahme-
lage erklärt.
So ist diesen Leuten etwa die Judenverfolgung gerade deswe-
gen so ärgerlich, weil sie eine »überflüssige« Ausschreitung
scheint. Sie ist ihnen etwas Äußerliches, nicht zur Sache Ge-
hörendes. Sie haben den Eindruck, daß Pogrome für die
Eroberung von Märkten und RohstofFlagern nicht nötig sind,
also unterbleiben können.
Sie erklären sich die Barbarei in Deutschland nicht als die
Folge von Klassenkämpfen; so begreifen sie nicht die Parole
des Faschismus, daß die Klassenkämpfe in Rassenkämpfe
verwandelt werden müssen. Sie selber brauchen ihre eigenen
Klassenkämpfe noch nicht in Rassenkämpfe zu verwandeln.
Sie können noch Parlamente haben, da sie die Mehrheit in den
Parlamenten haben.
Aber die bürgerliche Welt hat ein tiefes Grauen davor, zuzu-
sehen, zu welchen Ausnahmemitteln ein Staat greift, um Aus-
nahmelagen zu beherrschen; gibt es doch kaum Regeln, die
nicht einmal Ausnahmen waren. Kann es wirklich sein, daß
die Kultur zum Ballast werden könnte, den man über Bord
werfen muß, um diesen Ballon zum Steigen zu bringen?
Der mächtige englische Staatsmann, der die Überwertung des
Staates bei den Deutschen beklagte, verlieh dem Grauen Aus-
druck, als er von Zuständen sprach, in denen zu leben sich
nicht mehr lohnen würde. Ahnt er, daß auch in »natürli-
chen« Staaten Menschen leben, für die das Leben sich nicht
lohnt?
Deutschland, unsere Heimat, hat sich in ein Volk von 2 Mil-
lionen Spitzeln und 80 Millionen Bespitzelten verwandelt.
Aufsätze über den Faschismus 249
Wenn ich hier sage, daß die Vernunft für die Auf rechterhaltung
der bestehenden Zustände nötig sein muß, damit man ihr
einige Chancen geben kann, so ist das wohlüberlegt. Ich sage
aus guten Gründen nicht, sie müsse nötig sein für die Umge-
staltung der bestehenden Zustände. Nur deshalb, weil Ver-
nunft nötig ist, die bestehenden sehr schlechten Zustände zu
bessern, darf man meiner Meinung nach nämlich nicht darauf
hoffen, es werde Vernunft aufgebracht werden. Schlechte Zu-
stände können unglaublich lang dauern. Man kann eher sa-
gen: Je schlechter die Zustände, desto weniger gibt es Ver-
nunft, als: Je schlechter die Zustände, desto mehr Vernunft
wird produziert.
Jedoch glaube ich, wie gesagt, daß so viel Vernunft produziert
wird, als zur Aufrechterhaltung der bestehenden Zustände
nötig ist. Es ist also die Frage, wieviel Vernunft das ist. Denn,
noch einmal, wenn wir fragen, wieviel Vernunft produziert
werden wird in nächster Zeit, so müssen wir fragen, wieviel
davon wird nötig sein, die bestehenden Zustände aufrechtzu-
erhalten.
Es ist kaum eine Frage, daß die Zustände in den faschistischen
Ländern sehr schlecht sind. Der Lebensstandard sinkt in ihnen,
und sie brauchen samt und sonders Kriege, um sich zu halten.
Man darf aber nicht annehmen, daß zur Aufrechterhaltung so
schlechter Zustände besonders wenig Vernunft nötig ist. Die
Vernunft, die hier angewendet werden muß, die ständig produ-
ziert'werden muß und die nicht lange abgedrosselt werden
kann, ist nicht gering, wenn sie auch von besonderer Beschaf-
fenheit ist.
Man kann es so ausdrücken: Sie muß verkrüppelt sein. Es muß
eine regulierbare, jeweils mehr oder weniger mechanisch ver-
größer- oder verkleinerbare Vernunft sein. Sie muß weit und
schnell laufen können, aber zurückpfeifbar sein. Sie muß im-
stande sein, sich selber zurückzupfeifen, gegen sich selber
einzuschreiten, sich selber zu destruieren.
Untersuchen wir die Art der Vernunft, die hier benötigt wird.
254 Zur Politik und Gesellschaft
Der Physiker muß imstande sein, für den Krieg optische Ap-
parate zu konstruieren, die eine sehr weite Sicht gewähren,
zugleich muß er imstande sein, Vorgänge für ihn gefährlich-
ster Art in seiner nächsten Nähe, sagen wir an seiner Univer-
sität, nicht zu sehen. Er hat Schutzvorrichtungen zu konstru-
ieren gegen die Angriffe fremder Nationen, aber er darf nicht
darüber nachdenken, was zu machen ist gegen die Angriffe auf
ihn von Seiten der eigenen Behörden. Der Arzt in seiner Kli-
nik sucht ein Mittel gegen den Krebs, der seinen Patienten
bedroht; aber er darf nicht das Mittel suchen gegen das Gelb-
kreuzgas und die Fliegerbomben, die ihn selbst in seiner Kli-
nik bedrohen. Denn das einzige Mittel gegen die Vergasung
wäre ein Mittel gegen den Krieg. Die Kopfarbeiter müssen
ihre logischen Fähigkeiten ständig ausbilden, um ihre Einzel-
gebiete bearbeiten zu können, aber sie müssen fähig sein, diese
logischen Fähigkeiten nicht an Hauptgebiete heranzubringen.
Sie haben zu sorgen, daß der Krieg schrecklich wird, aber die
Entscheidung Krieg oder Frieden haben sie Leuten von of-
fensichtlich geringer Intelligenz zu überlassen. Auf diesen
Hauptgebieten sehen sie Methoden und Theorien am Werk,
die, angewendet auf ihre Wissensgebiete wie die Physik oder
die Medizin, mittelalterlich wären.
Die Quantität der Vernunft, welche die herrschenden Schichten
benötigen, um die laufenden Geschäfte zu führen, hängt nicht
von ihrem freien Beschluß ab; in einem modernen Staats-
wesen ist sie beträchtlich, und sie wird beträchtlicher, wenn
diese Geschäfte mit anderen Mitteln fortgeführt werden müs-
sen, nämlich im Krieg. Der moderne Krieg verschlingt enorm
viel Vernunft.
Die Einführung der modernen Volksschule erfolgte nicht, weil
die damals herrschenden Schichten aus idealen Beweggrün-
den der Vernunft einen Dienst erweisen wollten, sondern weil
die Intelligenz der breitesten Bevölkerungsschichten gehoben
werden mußte, damit die moderne Industrie bedient werden
konnte. Würde man die Intelligenz der Werktätigen jetzt allzu-
Aufsätze über den Faschismus 255
Bankkapitals (das von den Juden gesäubert ist) denn je, und es
ist eine reine Frage der Zeit, wenn die Hand wieder freigege-
ben werden muß — zum endgültigen Zugriff. Und es ist eben
keine Frage des »Willens des Führers«.
Kein Zweifel, der Bauer fühlt sich bedrückt und will die Frei-
heit. Was will er aber damit?
Wohlverstanden, hier ist vom Erbhofbauern die Rede, nicht
vom kleinen Bauern, nicht vom Landarbeiter. Er ist noch
nicht vom Hof gejagt, er kann noch »unter harten Opfern«
seinen Schuldverpflichtungen nachkommen (wo er es nicht
kann, erliegt er noch härteren Bedingungen, v/eil er keinen
Kredit mehr bekommen kann), aber im großen »Aufbau-
werk des Vier-Jahresplans« ist er schon der Untüchtige, der,
wie ein großer Teil der Handwerker, »technisch oder wirt-
schaftlich den Anforderungen einer selbständigen Betriebsfüh-
rung nicht gewachsen« ist. Diese Handwerker fallen der »Aus-
kämmung« zum Opfer und sinken in das Fabrikproletariat
ab. Die Hand, die sie hielt, ist dem endgültigen Zugriff schon
freigegeben worden.
Vor i oo Jahren hat Engels vorausgesagt, was das Kleinbürger-
tum von einer Revolution erhofft. Zum Beispiel: »Beseitigung
des Drucks des großen Kapitals auf das kleine durch öffent-
liche Kreditinstitute und Gesetze gegen den Wucher, wodurch
es ihnen und den Bauern möglich wird, Vorschüsse vom Staat
statt von den Kapitalisten zu günstigen Bedingungen zu er-
halten.« In dieser Richtung ist viel geschehen, aber jetzt muß
in Deutschland für private Kredite io bis 12 Prozent bezahlt
werden, das Vielfache von den westeuropäischen Ländern.
Der Staat »unterstützt« also, er flickt und arbeitet unratio-
nell. Wie lange, wie gesagt, eine Frage der Zeit.
Etwa 1939
Aufsätze über den Faschismus 259
[Notizen]
Sollen sie unter eine neue Diktatur kommen? Ist für sie eine
neue Unfreiheit vorgesehen?
Sie sollen unter keine neue Diktatur kommen, es ist für sie
Aufsätze über den Fasdiismus 261
Die Arbeiterklasse ist die Klasse, die nicht nur einen Plan hat,
der für eine Klasse (die Arbeiter) gut ist oder nur für ein
Volk (das deutsche). Es ist falsch, zu sagen, daß das faschisti-
sche Deutschland keinen Krieg benötigt, so richtig es ist, daß
262 Zur Politik und Gesellsdiaft
Interview
Nein, ich bin kein Jude. Von den Schriftstellern, deren Bü-
cher nicht mehr verkauft werden sollen, sind nur etwa... Ju-
den. Die Liste der Verbotenen ist einfach die Liste der deut-
schen Literatur. Es fehlen vielleicht einige Schriftsteller, aber
die meisten sind da. Als Grund für das Verbot wurde ange-
geben, diese Schriftsteller verträten einen undeutschen Geist?
Die deutsche Literatur vertritt also einen undeutschen Geist.
Ist das gemeint?
Hitler tut alles, seine Bewegung als eine wirkliche Volksbe-
wegung hinzustellen. Sie ist es aber nur in einem ganz bestimm-
ten Sinn. Sie ist ebenso eine Volksbewegung wie eine Gläu-
bigerversammlung eine Volksversammlung genannt werden
kann, wenn sie nur groß genug ist. - Und tatsächlich gibt es
jetzt eine riesige Menge Menschen in Deutschland, die über-
Aufsätze über den Fasdiismus 263
zeugt sind oder überzeugt wurden, daß der Staat ihnen etwas
schulde.
Der Entschluß, hinfort »deutsch zu sein«, gliche einem Ent-
schluß, hinfort »blauäugig« zu sein, wenn nicht mehr dahin-
ter steckte oder weniger, wie man es nimmt. Da nämlich, wel-
che Schichten immer jetzt in Deutschland etwas Besonderes
für sich erwarten, sie dies nur von andern Schichten, die eben-
falls deutsch sind, erwarten können, ist der plötzliche Ent-
schluß, deutsch zu sein, ein Entschluß, deutscher zu sein, das
heißt deutscher als andere Deutsche.
Jene Schichten nun, die, wie man gefunden hat, weniger
deutsch sind als die eben deutscheren, sind merkwürdiger-
weise gerade die Schichten, denen man, wie man glaubt, noch
etwas wegnehmen kann, die Arbeiter. Sie sind zwar auch
deutsch, wissen es aber noch nicht, da »deutsch sein« bei ihnen
»opferbereit sein« hieße. Und in diesem Sinne »deutsch« sein,
das müßten sie wirklich, wenn die Träume der andern Schich-
ten in Erfüllung gehen sollen.
Ein Beispiel: Selbst wenn man, im Interesse der Siedler, den
Großgrundbesitz aufzuteilen versuchen sollte, so muß ja ir-
gendwer die Aufmachung der vielen kleinen Wirtschaften be-
zahlen, und zwar zuerst das dazu nötige Grundkapital für die
Höfe, die Geräte, den Unterhalt der Siedelnden und selbst-
verständlich auch den Boden selber, für den die Junker ja
wohl entschädigt werden dürften. Zumindest muß dann, in der
Form erhöhter Lebensmittelpreise, das, was die kleinen Wirt-
schaften herstellen können werden, bezahlt werden, denn sol-
che kleinen Wirtschaften können schon jetzt nicht leben und
nicht sterben, und es gibt davon eher zuviel als zuwenig. Wer
aber muß das zahlen? Wenn man den Arbeitern jetzt Schmei-
cheleien sagt, während man ihnen zu gleicher Zeit ihre Ver-
tretungen und ihre Machtmittel wegnimmt, so sind das eigen-
tümliche Schmeicheleien: Es ist, als wenn man Kühe lobt, weil
sie so viel Milch und Kälber, weil sie so gutes Fleisch lie-
fern.
264 Zur Politik und Gesellschaft
[Volksgemeinschaft]
Über die Greuel wissen sie wenig, was sie davon erfahren,
wird ihnen als unvermeidbar dargestellt; gelegentliche Härte,
die man zu zeigen hat, wird als ein notwendiges Aufopfern
zarterer Regungen betrachtet: Der Bluthund hat die schlech-
teste aller Pflichten auferlegt bekommen. Im übrigen geht alles
zu schnell. Eben waren es noch die Hochburgen für den neuen
Rasseadel, und schon sind es Vergasungsläger. Die Auswahl
der Besten wird zur Auswahl der Bestien. Und dann haben
die Sieger aus den französischen Schlachten schon um warme
Unterhosen für den russischen Winter zu betteln, und es geht
ein Gerücht, daß es dort noch Gefährlicheres gäbe als den
Schnee. In diesen Breitegraden scheint die Volksgemeinschaft,
diese strahlende Idee, verwirklicht. Es wird ernst mit dem
Satz »Der Stärkere siegt.«
andern, sähe ich in dem Mann, auf den ich mit dem Messer auf
dem Gewehr zulaufe, leider keinen Feind, sondern einen armen
Teufel. Ich würde nicht imstande sein, zu glauben, er habe vor,
mir irgendwelche Erzgruben oder Kohlenbergwerke zu rau-
ben, schon weil ich selber keine besitze.
Die Gasmaske aufstülpend, würde ich, verlassen von allem
wohltätigen Patriotismus, vielleicht an die Ramschware den-
ken, die man mir schon im Frieden oft aufgehängt hat. Ich
würde an der Selbstlosigkeit derer zweifeln, die an all den
Kriegsgeräten verdienen und an dem Verantwortungsgefühl
der Staatsmänner und Generale, nur weil sie selber, dazu be-
nötigt, Schlächtereien zu organisieren, nicht die Zeit und die
Muße finden, sich daran persönlich zu beteiligen . . .
Mit welchem Neid würde ich auf alle sehen, die, in Stachel-
drahtverhauen hängend, unter der Einwirkung der Mikrobe
fest glauben, dies sei notwendig und unvermeidbar!
Das waren die Befürchtungen, die mich bei der Lektüre des
französischen Buches befielen.
dagar efterat künde man i tidningarna läsa, att man pa nytt miste sla den
pa flykten vid Markajärvi, som ligger mycket längre in i Finland.
Om finnarna har ryssarna de märkvärdigaste förestallningar. De tror
exempelvis, att de torterar och skjuter sina fangar. Detta kommer sig
antagligen därav, att de inte begriper, att fältmarskalken i dag be-
handlar sina ryska fängar mera humant an han pa sin tid behandlade
sina finska fangar. Om ryssarna märker, att de inte skall skjutas utan
endast fotograferas, sa tar de med synbar lättnad emot den cigarret
fotografen bjuder dem och uttalar en önskan, att även deras anhöriga
kunnat fa vara med och ha det bra, röka cigaretter och bli fotograferade.
Det enda ryssarna i stora kvantiteter medför fran sitt hemland är
smuts. Det rapporteras, att finnarna ofta tror, att de ryska soldaterna
har svarta handskar pa sig. Det är emellertid endast smuts. Som bekant
var ocksa avsikten med den tredje femärsplanen endast att framställa
smuts, men naturligtvis misslyckades den som allt i socialismens land
misslyckas. I dag är den ryske arbetarens daglön sa lag, att han endast
kan skaffa sig smuts i otillräckliga mängder.
Den ryske Soldaten är totalt obildad. Han vet inte ens, att det finns
en Gud, som skapade världen pa sex dagar. Om man fragar honom
efter bekanta antifascister, kan han inte ens nämna mr. Chamberlain.
Om det paradisiska tillstandet i Amerika, England och Frankrike har
han aldrig hört nagot. Han har ytterst märkvärdiga förestallningar
om civilisationen.
Naturligtvis vet inte heller den rode Soldaten, varför han kämpar. Han
lever i den föreställningen, att de finska godsägarna och kapitalisterna
har nagot emot socialismen och att de - därest ögonblicket varit gynn-
samt - gärna skulle utlämnat sitt land som uppmarschomrade för främ-
mande makter. Han vet inte ens, att fältmarskalken är demokrat. Han
har, kort sagt, inte en aning om politik. Han stär med uppspärrad mun,
när krigskorrespondenterna förklarar allting för honom.
Därtill kommer, att den ryske Soldaten är i dalig fysisk kondition. I
Sovjetunionen finns det inga privatföretagare som i Finland och andra
länder och därför kan det heller inte dar finnas nagot välständ. Objektiva
iakttagare slar fast, att ryssarna försvagas av varaktiga nervsammanbrott
och förkylningar. Detta är en följd av bolsjevikernas skräckherravälde.
Ryssarna är fullständigt förslavade. Med höjda revolvrar tvingar kommis-
sarierna dem att ideligen sjunga Internationalen. Ett sadant tillstand vore
naturligtvis otänkbart i Finland. Dar är det nämligen helt enkelt förbjudet
att sjunga Internationalen. Finland är ett demokratiskt land.
Det antas allmänt, att bristen pa demokrati är huvudorsaken till den
ryska armens sammanbrott. Den är viktigare an allt annat. Utrustnin-
gen lär nämligen delvis vara förträfflig. Ryssarna vet bara inte, vad
Notizen über die Zeit 2 81
de ska göra med den. När de är goda soldater - sägs det pä summa hall
- är utrustningen eländig. Sa fattas det alltid nagot. Visserligen gör
ryssarna framstötar pa nagra punkter. Men dar star det bättre trupper.
Sannolikt kommer de fran provinser, dar det finns mera demokrati.
Pa det heia taget är den ryska arme*n - om man far tro krigskorresponden-
terna pa civilisationens sida - säkerligen beundransvärd. Ständigt forin-
tade av finnarna, ständigt inför det slutliga sammanbrottet, barfota,
uthungrade, sumtsiga, utan sympatier i de civiliserade länderna och utan
befälhavare som fältmarskalken, tränger dessa trupper vidare framat, sä
att ingen segerrapport fran finnarna anländer utan en bifogad bön till
grannar och vänner, att de skyndsamt skall sända hjälp.
1940
[Komplizierte Lage]
In Gesprächen mit Tschechen, die zur tschechischen Exils-
regierung gehören, wurde mir bewußt, wie kompliziert
unsere Lage ist. In dem ganzen Fragenkomplex (Bekämpfung
des Vansittartismus, Bekämpfung des sozialdemokratischen
Chauvinismus, Gebietsabtretungen, Wiedergutmachung, Ab-
urteilung der Nazis und so weiter) müssen wir absolut reali-
stisch sein, was nicht opportunistisch sein bedeutet. Als er-
klärte Hitlergegner können wir die Verantwortung für die
Hitlerpolitik ohne weiteres ablehnen, schwerer schon die
Verantwortung für die Machtergreifung Hitlers (wenngleich
hier die Position einiger von uns besser ist als die der Sozial-
demokraten, die übrigens auch mit Goebbels sich in die Ver-
dienste um die antirussische Propaganda zu teilen haben);
aber in dem Augenblick, wo wir für Deutschland schlechthin
reden, können wir das nicht mehr, "welche Sicherheiten zum
Beispiel können wir im Augenblick anbieten für einen Nicht-
wieder-Aufbau der imperialistischen deutschen Kriegsmaschi-
nerie nach einer Hitlerniederlage? Woher wissen wir, daß wir
keinerlei Hilfe in Deutschland von außen brauchen werden,
um mit den besiegten Nazis wirklich fertig zu werden? Die
Frage Ostpreußen stellt sich anders, wenn die dortigen Jun-
282 Zur Politik und Gesellschaft
gen würde, könnte es reden. Wir sagen, daß Hitler und seine
Hintermänner nicht Deutschland sind, was immer sie behaup-
ten mögen. Daß sie Deutschland sind, das ist die erste ihrer
unverschämten Lügen. In Wahrheit haben sie die Deutschen
unterworfen, wie sie die Tschechen oder die Franzosen unter-
worfen haben. Sie haben das deutsche Volk unterworfen mit
Polizeigewalt und Propaganda, wie sie die fremden Volker
mit Militärgewalt und falschen Versprechungen unterworfen
haben. Sie haben Franzosen und Engländer und Tschechen
eingefangen mit Propaganda, wie sie Deutsche eingefangen
haben. Diese Eingefangenen werden aufwachen. Sie werden
aufwachen oder untergehen. Sie werden überzeugt werden
können oder beseitigt werden müssen. An dem endgültigen
Sieg über Hitler und seine Hintermänner in Militär, Di-
plomatie und Finanz wird das deutsche Volk einen gewaltigen
Anteil haben.
Wir sind keine Defaitisten. Wir sind bereit zu kämpfen, für
ein großes freies deutsches Volk, Herr im eigenen Hause und
Freund aller andern Volker.
Etwa 1943
In the days when the great powers were not yet fighting Hitler and not
a few voices from abroad - some not silent even today - gave him
encouragement, the world well knew that he was being fought from
within and his enemies were called: the other Germany. Refugees, many
of them known throughout the world, and foreign correspondents on
furlough, reported that this other Germany really existed. At no time
were even half the votes cast for the Hitler regime and the existence of
the most frightful Instruments of oppression and the most frightful police
force which the world has ever known, proved that the opponents of
the regime were not inactive. Hitler ravaged his own country before he
ravaged other countries; and the plight of Poland, Greece, or Norway is
scarcely worse than that of Germany. He made prisoners of war in his
284 Zur Politik und Gesellschaft
The Hitler regime, it was said, had had to keep two countries in the dark
about the invasion to the very last minute, the Russians and the Germans.
That proves, does it not, that the regime was embarrassed by the whole
afTair? Investigations of Nazi labor policy during their five years of pre-
paration for war were a more serious matter. Already in the last year of
the Weimar Republic the Situation of the working class was catastrophic.
Rationalisation of industry had created unemployment; the world crisis,
which Struck Germany with particular force, turned unemployment into
a national catastrophe. Competition among the workers themselves be-
came a very war. The German working class was already divided into
parties; the parties were now divided against themselves. This legacy
was taken over by the great and, as many think, legitimate heir of the
Weimar Republic: the Third Reich. Unemployment was done away with
in short order. Indeed the speed and scope of the abolition were so ex-
traordinary that it seemed like a revolution. The factories had been ta-
ken over by force. The Fourth Estate stormed the Bastille . . . only to
remain there in captivity. At the same time the political organisations
of the working class were dissolved and decimated by the police. In this
manner this class was transformed into an amorphous mob without will
or political awareness. From now on the State did not have to deal with
organisations, only with individuals. Napoleon had maintained that one
need only be stronger at a given point at a given time; Hitler put this
strategy to brilliant use. His policies need no longer be approved by these
»private persons«. But that is not all. Peaceful industry, which produces
commodities, does not require that the workers take pleasure in their
work; modern mechanised war, which is simply the industry of destruc-
tion, does not require that the workers take pleasure in war. Destruction
is the commodity they deal in. Such is the technical-economic side of a
social System which degrades the common man to the Status of a tool
politically as well as economically.
Such explanations are more illuminating than those of philosophers of
history who in foolish and demagogical resortment cry that the German
people are by nature bellicose, that their desire to conquer is only equal-
led by their willingness to obey - and so forth. But these explanations
are not the whole truth. They show how the working classes came to be
slavishly dependent upon the ruling classes; they do not show how the
workers have come to be dependent on the success of their rulers in
war. (Emil) Ludwig and Vansittart complain that the German people
at least put up with Hitler's war. The truth is that they had to put up
with the war because they put up with a System that demands — among
other things-wars.
To complain that the German people allows its government to wage a
286 Zur Politik und Gesellschaft
One thing is certain. If the German people cannot throw off their rulers,
if on the contrary these rulers manage to play a »Frederickian Varia-
tion,« that is, manage to keep the war going until disagreement among
the allies presents an opportunity for a negotiated peace; or, alternati-
vely, if the rulers of Germany are beaten militarily but left in power
economically, a pacification of Europe is unthinkable. In the latter case
military occupation by the allies would certainly not help. It is hard
enough to control India in these days by violent colonization; it would
be quite impossible to control Central Europe. Should the allies take up
arms not only against the harrassed regime but also against the whole
people, they would need immense forces; the Nazis needed more than
half a million SS men, the largest police force in history, and a fanatical
block-warden in every block in every town; they also had to hold out
a hope of a successful war of conquest without which both the police and
the population would starve. The foreign soldier with a gun in one hand
and a bottle of milk in the other would only be regarded as a friend
worthy of the great democracies that sent him if the milk were for the
people and the gun for use against the regime.
The idea of forcibly educating a whole people is absurd. What the Ger-
man people have not learned when this war is over from bloody
defeats, bombings, impoverishment, and from the bestialities of its leaders
inside and outside Germany, it will never learn from history books.
Peoples can only educate themselves; and they will establish populär
government not when they grasp it with their minds but when they
grasp it with their hands.
1943
[Der Reichstagsbrandprozeß]
Vor nunmehr 10 Jahren lenkte das Naziregime durdi einen
unvorsichtigen Prozeß das Auge der Welt auf das erste der von
ihm unterworfenen Volker, das deutsche Volk.
Das neue Naziregime, eines der viehischsten, das die Ge-
schichte kennt, hatte von Anfang an begeisterte Freunde in
Ländern, benachbart Deutschland oder sogar weit entfernt ge-
legen, über Ozeanen, und diese Freunde und Bewunderer hat-
ten schon angefangen, zu verkünden, daß dieses Regime vom
ganzen deutschen Volk geliebt und enthusiastisch unterstützt
werde.
Da passierte dieser denkwürdige Prozeß, der sogenannte
Reichstagsbrandprozeß.
Unter den Bajonetten und Stahlruten der Nazis, vor den
gekauften oder eingeschüchterten höchsten Richtern der ge-
stürzten Republik, mit halbtot geprügelten Zeugen, enthüllte
sich plötzlich zum Entsetzen der Welt das wahre Bild: Ein gro-
ßes und zivilisiertes Volk war unter Ausnützung demokrati-
scher Freiheiten von bewaffneten Banden, gedungen von intri-
gierenden Industrialisten und Militärs, aller seiner Freiheiten
beraubt und zu Boden geschlagen worden. Die Angeklagten
des Prozesses verwandelten sich in Ankläger, und der große
Kämpfer Dimitroff wurde zum Sprecher des deutschen Vol-
kes, das seiner Sprache beraubt worden war.
Heute steht dieses Regime, nachdem es Elend über Deutsch-
land und die halbe "Welt gebracht hat, vor seinem Sturz. Um
ihre eigene Freiheit zu verteidigen, ist die zivilisierte Welt ge-
zwungen, die Hitlerbanden zu besiegen und das deutsche Volk
zu befreien. Wieder erheben sich nun aber die Stimmen von
Leuten, die daran interessiert sind, daß das Hitlerregime und
Deutschland völlig gleichgesetzt werden.
Diese Leute lieben es nicht, von einem möglichen Unterschied
zwischen Volkern und ihren Regierungen zu hören. Der Ge-
danke, dem deutschen Volk zu helfen, sich seiner Bedrücker
Notizen über die Zeit 293
3 Zwei Wissenschaften
Das nationale Ideal, die große Planlosigkeit, welche erzeugt
wird durch die mannigfachen und heftigen Pläne vieler ein-
zelner, die einander im Dunkeln lassen, wirft die Bevölkerung
in eine beispiellose Unsicherheit. Zwei Fakultäten, die Astro-
logie und die Psychoanalyse, nehmen sich der Nation da an.
Beide operieren, da es hier verlangt wird, auf wissenschaft-
licher Grundlage, die erstere übrigens mehr, die letztere we-
niger. Die Preise in der Astrologie sind abgestuft, es gibt teure
und billige Ratschläge, die ersteren von den Wohlhabenden, die
letzteren von den Ärmlichen gesucht. Kleinere Millionäre, heißt
es, tun keinen Schritt ohne astrologische Belehrung, größere
bewegen nicht einmal einen Finger oder runzeln ohne Zurät
die Stirn. Ich höre aus guter Quelle, daß die Gestirne für
ärmere Leute ungünstiger stehen; jedoch erfahren sie es nicht
immer, da die Armenastrologen schlechter sind. Die Astro-
logie ist die einzige Wissenschaft, die auch auf dem Gebiet der
Politik Voraussagen macht. Josef Stalin hat, wenn er nur auf
seine Nieren aufpaßt, ein vorteilhaftes Jahr vor sich, auch
Roosevelt hätte ein solches vorteilhaftes Jahr vor sich, wenn
er nicht gestorben wäre. Mitunter tauschen Leute die Führung
durch den Astrologen mit der Führung des Psychoanalytikers,
oder umgekehrt; es ist jedoch selten, daß ein und derselbe
Patient beide Erwerbszweige patronisiert. Es ist dies nicht
nur der Kosten wegen, es ist auch, weil man nicht gut zwei
Führern folgen kann. Beide sind recht absolutistisch und legen
ihren Gefolgschaften Aufgaben auf, die sie voll ausfüllen. Es
gibt da keinen Achtstundentag. Um zu den Psychoanalytikern
Notizen über die Zeit 301
Arbeit hat, in eine Kasse einzahlte, aus der er, wenn er arbeits-
los wird, eine Behandlung finanziert bekäme. Und daß er
immer einmal wieder arbeitslos werden wird, kann ihm jeder
Astrologe bestätigen, es steht in seinen Sternen.
Etwa 1946
[Potsdamer Beschlüsse]
Die Potsdamer Beschlüsse scheinen mir eine absolut mögliche
Basis für Deutschland zu bauen. (Einheit des Reichs, Abseh-
barkeit der Okkupationsdauer, Niederwerfung der ökono-
mischen Kommandohöhen der Industriellen, Schaffung de-
mokratischer Institutionen von unten auf. Und ich glaube
nicht, daß es dazu kommen wird, die Berliner Metallarbeiter
zu Schafshirten zu machen.)
Notizen über die Zeit 3°3
Die Steine, die immer noch nicht reden, und die Käfer, die
immer noch auf den Leim kriechen.
Nein, ich verstehe euch jungen Leute nicht, mit mir könnt
ihr ruhig reden.
Es ist, als sähet ihr euch um nach einem, der euch wieder ge-
brauchen könnte. Ihr wünscht, er möge euch diesmal nicht
mißbrauchen? Aber warum wünscht ihr, es möge euch einer
gebrauchen?
Für ein großes Ziel? Aber ihr wißt keines? Schön, die eins
wissen, werden euch gebrauchen. Vielleicht ist es tatsächlich
besser, wie ihr nun eben gestimmt seid, w^nn ihr nichts gegen
Diktatur habt, sondern euch damit zufriedengebt, nach
einem großen Ziel zu fragen. Nur ist auch das nicht etwa
leicht. Wirklich, ihr seid gefährliche Brüder.
Ich fühle mich versucht zu sagen: Selbst ich möchte euch nicht
den Gefühlen aussetzen, die kämen, wenn ihr verstündet.
Nein, ich bin kein Nihilist, danke. Aber wo das Nichts ist,
ist nichts.
Vorschläge für den Frieden 311
Sollen wir uns befehlen lassen, wie wir schreiben, malen und
musizieren sollen? — Was würdet ihr dafür geben, wenn ich
es euch sagte?
Ich denke, ich könnte darüber reden: Ich habe das alles nit
miterlebt.
Vorschläge für den Frieden 313
»Es ist bestimmt die größte Niederlage, die je ein Volk erlitten
hat, das tiefste Elend, das bitterste Leiden.« Und die schimpf-
lichste Eitelkeit.
Reden wir eine Zeitlang nicht mehr vom Volk. Reden wir
von der Bevölkerung.
Das Bürgertum, nicht nur das deutsche, spricht jetzt von die-
sen Sondermaßnahmen als von Exzessen der Nazis. Ein fre-
cher Undank! Wachstum hingestellt als Auswuchs! Man be-
stellte ein Filet, und der Unmensch von Metzger ermordete
ein Kalb!
Aber der 14. Juli! Der geplante Streik der Generale als Er-
satz des Generalstreiks. Die einzige Möglichkeit, den Krieg
mit einiger Aussicht auf Erfolg fortzuführen, indem man die
Vorsdiläge für den Frieden 315
Allianz der Feinde sprengte und sich dem einen Feind gegen
den andern anbot. Die Wiederholung des Nazistreichs zu
Beginn des Krieges. Ein Plagiat!
Die Kirche scheint sich nicht auf einen Tod in Schönheit vor-
zubereiten, eher auf einen Tod in Wohlstand. Ein hoher gei-
stiger Würdenträger - welch ein Wort! - deutete neulich an,
es bestünden finstere Pläne, Leute wie ihn ebenso ans Kreuz
zu schlagen wie jenen Jesus von Nazareth. Freilich hätte er
noch am Kreuz eine Brieftasche in der Hand.
Wollt ihr wirklich behaupten, daß es mehr Leute gibt, die ihr
Geld erarbeitet als ererbt haben? Oder daß es für die Söhne
der Mittellosen nicht schwieriger ist, verkaufbare Bildung
einzukaufen?
Die Religion gibt einen Halt. Aber das Pferd ist nicht gut zu
sprechen auf den Halt, den der Sattel dem Reiter gibt.
Das Beispiel hinkt, wie ich fühle. Es sind nicht die Reiter, die
gemeinhin religiös sind, sondern die Pferde.
Richtig, bei uns bekämpft man den Jazz. Und das Kokain.
[Zwei Gesellschaftsordnungen]
Wenn sich durch besondere Umstände in einem Teil eines Lan-
des eine neue Gesellschaftsordnung bildet, während der andere
in der alten verharrt, muß eine scharfe Feindschaft dieser bei-
den Teile des Landes erwartet werden. Beide werden sich be-
droht fühlen, und sie werden einander barbarisch nennen.
Im Osten Deutschlands hat sich nach einem schrecklichen Krieg
ein Arbeiter - und - Bauernstaat gebildet, der Politik und
Wirtschaft nach völlig neuen Grundsätzen behandelt. Eigen-
tums- und Produktionsverhältnisse sind gründlich geändert
worden und die öffentlichen Geschäfte sowie die Meinungs-
bildung der Bevölkerung folgen bisher unerhörten Methoden.
Wie man weiß, hat das Unerhörte keinen guten Klang, was
noch nie gehört wurde, gilt als ungehörig. So bedürfen die
neuen Grundsätze und Methoden der Erläuterung, während
die alten für »selbstverständlich« gehalten werden.
Der Westen Deutschlands ist unter der Herrschaft der großen
bürgerlichen Eigentümer und damit der bürgerlichen Ideen ge-
blieben. Es gibt Arbeitsgeber und Arbeitsnehmer, und die
einen können völlig frei Arbeit geben oder nicht geben, die
andern Arbeit nehmen oder nicht nehmen. Allerdings verhun-
gern die Arbeitsgeber nicht, wenn sie Arbeit nicht geben, wäh-
rend die Arbeitsnehmer verhungern, wenn sie nicht Arbeit
nehmen.
Dieses Haus soll sich für niemanden lohnen als für seine Be-
wohner. Zu ihrem Behagen und zum Wohlgefallen der Pas-
santen wurde es errichtet. Mit ihm begann der Neuaufbau
der deutschen Hauptstadt.
Wien 1952
Das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden ist er-
staunlich kurz. Ihre Vorstellungsgabe für kommende Leiden
ist fast noch geringer. Die Beschreibungen, die der New Yor-
ker von den Greueln der Atombombe erhielt, schreckten ihn
anscheinend nur wenig. Der Hamburger ist noch umringt von
Ruinen, und doch zögert er, die Hand gegen einen neuen
Krieg zu erheben. Die weltweiten Schrecken der vierziger
Vorschläge für den Frieden 323
Der Krieg
Wenige wollen ihn, viele doch fürchten ihn, aber sie alle kom-
men hinein.
Ich habe am Morgen des 17. Juni, als es klar wurde, daß die
Demonstrationen der Arbeiter zu kriegerischen Zwecken
mißbraucht wurden, meine Verbundenheit mit der Soziali-
stischen Einheitspartei Deutschlands ausgedrückt. Ich hoffe
jetzt, daß die Provokateure isoliert und ihre Verbindungsnetze
zerstört werden, die Arbeiter aber, die in berechtigter Unzu-
friedenheit demonstriert haben, nicht mit den Provokateuren
auf eine Stufe gestellt werden, damit nicht die so nötige
große Aussprache über die allseitig gemachten Fehler von vorn-
herein gestört wird.
Vor dem 17. Juni und in den Volksdemokratien nach dem XX.
Parteitag erlebten wir Unzufriedenheit bei vielen Arbeitern
und zugleich hauptsächlich bei den Künstlern. Diese Stim-
mungen kamen aus einer und derselben Quelle. Die Arbeiter
drängte man, die Produktion zu steigern, die Künstler, dies
schmackhaft zu machen. Man gewährte den Künstlern einen
hohen Lebensstandard und versprach ihn den Arbeitern. Die
Produktion der Künstler wie die der Arbeiter hatte den
328 Zur Politik und Gesellschaft
Freie Wahlen
Es ist der älteste Trick der Bourgeoisie, den Wähler frei seine
Unfreiheit wählen zu lassen, indem man ihm das Wissen um
seine Lage vorenthält.
Das, was jemand braucht, um seinen Weg wählen zu können,
ist Wissen. Was kommt dabei heraus, wenn man einen Mann,
der weder Notenlesen noch Klavierspielen lernen durfte, vor
ein Klavier stellt und ihm die freie Wahl über die Tasten
läßt?
22. Februar 1954
Die Volkskammer
Vielleicht machen wir zuwenig aus unserer Volkskammer. Sie
arbeitet, wie ich höre, in ihren Ausschüssen, aber das geht
33° Zur Politik und Gesellschaft
Gedächtnisstätte Buchenwald
Gegenüber dem einstigen Konzentrationslager Buchenwald,
auf dem Abhang Weimar zu, soll ein Denkmal, zusammen
mit einer würdigen Gedächtnisstätte gebaut werden. Eine
steinerne Gruppe überlebensgroßer Figuren auf einem ein-
fachen Sockel überblicken ein Amphitheater in edlen Linien.
Es sind die Standbilder befreiter Häftlinge, alle nach Süd-
westen blickend. Auf dem Sockel steht: Hier fing die Freiheit
an, wann wird frei sein jedermann?
In dem Amphitheater ihnen zu Füßen sollen alljährlich zum
Gedächtnis der Häftlinge Festspiele in ihrem Sinn veranstaltet
werden. Gedacht ist an große Appelle an ganz Deutschland,
übertragen durch den Rundfunk, in denen alle Deutschen
aufgerufen werden, für den Frieden und den sozialen Fort-
schritt zu kämpfen. Diese Appelle bestehen aus chorischen
und Einzelgesängen, Verlesungen und politischen Reden. Ein
Beispiel dafür ist das Werk »Appell« von Dessau und Skupin.
Der Satz: Das Ziel eines Menschen ist, sich zu vergnügen ist
deshalb schlecht, weil es dem guten Satz: Das Ziel der Mensch-
heit ist, sich zu vergnügen ins Gesicht schlägt.
[Widerspruchsvoller Prozeß]
Der Prozeß des Lernens bei uns ist ein allseitiger, verwickel-
ter, widerspruchsvoller Prozeß. Wir können häufig nicht mit
dem Elementarsten beginnen, wenn wir auch nicht versäumen
dürfen, es jeweils nachzuholen. Außerordentlich fortgeschrit-
tene Ideen, welche uns ermöglichen, verwickelte gesellschaft-
liche Umwälzungen zu dirigieren, treffen wir oft in ganz pri-
mitiver Form an. Wir müssen alle alles gleichzeitig lernen, das
Schwierige und das Leichte, das Alte, das Neue. Die Bücher
sind unvollständig, oft irreführend, und wir können ihrer doch
nicht entraten. Die Weisheit des Volks muß in allem das letzte
Wort sprechen und doch ist sie vermengt mit Aberglaube.
Irgendwo müssen wir anfangen, nirgends dürfen wir auf-
hören.
[Neue Schulen]
Ein chinesischer Philosoph hat gesagt: Wenn man wissen will,
was der Frühling ist, muß man an den Winter denken. Er
meinte: Sich erinnernd an die dunklen, leeren Äste im Winter,
sieht man den blühenden Apfelbaum mit noch mehr Freude.
So geht es mir, wenn ich eine der guten neuen Schulen sehe,
Vorsdiläge für den Frieden 333
eine der guten, denn es sind noch lange nicht alle gut. Aber
die guten unserer neuen Schulen sind so viel besser als die
besten alten zu meiner Zeit.
Als ich in eurem Alter war und in die Schule ging, waren
die Lehrer unsere Feinde.
[Dialektische Betrachtungen]
Der Satz: Ein Bauer ist ein Bauer muß zugegeben werden und
muß geleugnet werden.
Der Bauer ist ein Bauer, wenn man an einen Städter denkt.
Wenn man nicht an einen Städter denkt und ihn von diesem
unterscheiden will, wird der Satz gefährlich. Es war Lenin
möglich, eine sehr erfolgreiche Politik ins Werk zu setzen,
indem er, Marx folgend, den armen Bauern vom Mittelbauern
und diesen vom Großbauern unterschied und die Gegensätze
zwischen ihnen allen manipulierte. Bei zunehmender Indu-
Vorschläge für den Frieden 335
[Widerspruch im Proletariat]
Im Proletariat bildet sich mit der Zeit ein immer stärker
werdender Widerspruch heraus. Ein Teil der Arbeiter, in ge-
wissen Ländern ein sehr großer Teil, sogar die Mehrheit, hält
fest an der bestehenden »Ordnung« und findet sich ab mit
der Ausbeutung, zumindest solang der Lebensstandard halb-
wegs erträglich oder verbesserbar erscheint. Ein Umsturz ist
mit großen Mühen, Gefahren, Änderungen aller Gewohnhei-
ten und so weiter verknüpft. Vor allem müssen sich die Arbei-
ter, die ihn anstreben, in kriegerische Handlungen gegen die
Bourgeoisie einlassen und sich unter eine strikte strenge Dis-
ziplin stellen, um den sehr harten Kampf führen zu können.
So unfrei sie im Kapitalismus sind, schrecken sie doch vor
dieser Disziplin zurück und empfinden die Unterordnung
unter eiserne Planung, unter Kommandos, ohne welche ein
Kampf um die Freiheit keine Aussicht bietet, als eine Unfrei-
heit, die ihnen schlimmer vorkommt, da sie neu und unge-
wohnt ist. Deshalb unterstützen sie die Bourgeoisie, ihre
Ausbeuterin, in deren Kampf gegen den andern Teil der Ar-
beiterschaft und geraten in Kampf mit diesem.
Dieser Widerspruch im Proletariat entwickelt sich in jedem
Land natürlich anders. In gewissen Ländern ist der Teil des
Proletariats, der mit der Bourgeoisie geht - wenn auch in
Kämpfen mit der Bourgeoisie - , größer als in anderen. Zum
Beispiel da, wo sich große Produktivkräfte ungehindert ent-
wickeln können wie in den USA, da hier die Bourgeoisie in
ihren Konkurrenzkämpfen den Lebensstandard der Massen
eine Zeitlang immerzu erhöhen muß. Oder in Ländern, die
wie England oder andere Kolonialländer ihre Arbeiterschaft
dazu brauchen, die Kolonien auszubeuten.
3 3 8 Zur Politik und Gesellschaft
[Mahnung]
Bedenkt, was es bedeuten würde, wenn jetzt, wo es Wasser-
stoffbomben, möglicherweise sogar Kobaltbomben gibt, ein
Krieg ausbräche. Sei es durch Deutschland oder wegen Deutsch-
land!
Auch mit Kobaltbomben kann man Ideen nicht ausrotten,
aber Deutschland kann man so treffen, daß es für lange Zeit
unbewohnbar wird.
[Für Verhandlungen]
Es ist verbrecherische Torheit, wenn Deutschlands Nachbarn
den einen Teil Deutschlands gegen den andern aufrüsten, an-
statt ihn zu dem andern an den Verhandlungstisch zu bringen.
Diejenigen Deutschen, die nicht zu verhandeln brauchen, wer-
den schießen. Und am Himmel Europas wird dann der Große
Pilz erscheinen.
348 Zur Politik und Gesellschaft
Eine Einigung
Die friedliche Einigung Europas kann nur darin bestehen,
daß die Staaten Europas sich darüber einigen, ihre verschie-
denen wirtschaftlichen Systeme nebeneinander bestehenzulas-
sen. Im Augenblick gibt es für den Frieden Europas keine
größere Gefahr als die Wiederbewaffnung Westdeutschlands,
das ohne Zweifel diese Waffen früher oder später zu einer
Auseinandersetzung mit dem östlichen Teil Deutschlands ein-
setzen würde.
[Kollektive Arbeitsweise]
In der Phase, wo die Politik aus einer »Kunst« eine Wis-
senschaft wird, kann und muß sie zur kollektiven Arbeits-
weise übergehen.
Sehn Se, een Idealist, det isn Mensch, der sich um nischt küm-
mert, schnurz is ihm det Materielle, wenn bloß seine Ideen . . .
Der Klara ihr Mann . . . also von lauterstem Wasser . . . wissen
Se, der erfindet! Dabei is er ja Tapzierer, aber ick sag immer:
Klara, du kannstet ihm nich übelnehm, der Mann hat Ideen,
wat soller schon machen. Ick sag, natürlich kostet det, eenmal
is et een Zahnrad, denn is et ne Battrie, wat weeß ick, jeden-
falls, wenn sie'n Hut braucht, is nischt da. Die Batterie kann
se sich uffsetzen, aber zu seine Ideen paßt der Hut nich, machen
Se een perpetum mobile ausn Hut . . . Der Mann is wie'n
Kind, die jutmütigste Seele von de Welt, der würde seine Kin-
derchen schlachten wejen seine Ideen, und allens für die
Menschheit. Wat heest da: Ihre Erfindung jeht nich. Et kann
nich allns jehn, wat erfunden wird, den Führer seine Ideen
jehn vielleicht ooch nich, und der Mann is doch, da könn Se
nu sagen wat Se wolln, wenn det keene Karriere nich is,
da sagen se zu Albert, wat Klaras Mann is, wissen Se, der Er-
finder, is schon allet erfunden! 1880! Woher soll ern det wis-
sen. Jebildet is er nich, sehr ruhijer stiller Mensch, ehm Idea-
list, wat wolln Se den übelnehm?
Mies und Medc 357
Der Spitzel
Mitn Kind müssen Se sich heute ooch in acht nehm. Det wird
ja heute jradeso von Seiten des Staates erfaßt wie der Abfall.
Wat Se da sehn, wenn Se ihr Kind ansehn, sagen wir, an de
Familjentafel, det is ja keen Kind nich! Det is Hitlerjugend!
Als solche is et Amtsperson. Der Bengel vertritt int Haus
jradezu Hitlern selber. Wenn Se den den Asch versohlen, so
is et, wie wenn Se den Führer selber . . . Se kenn nich, Se
müssen zu ihm uffschaun, in Respekt und Dankbarkeit, det
er'n Auge zudrückt, wenn Se ma, und meckern. Er hat'n
dienstlichen Uff trag, det müssen Se nie aust Ooje verliern, det
er uffpaßt, ob Se meckern. Und da könn Se nich einfach von
Spitzel reden! Der Führer selber hat anjefangen als, wie er
so kleen anjefangen hat. Det wissen Se nich? In München.
"Wenn Se, und det Kind merkt det, denn sind Se een Reaktjo-
när. Wat wolln Se machen, wenn der Ihn boykottiert? Er jibt
Ihn kaltblütig sozusagen een Ehrndolchstoß von hinten. Det is
übrijens Lästerung. Wat denn Lästerung! Hab ick janz anders
jemeint! Wenn Sie det falsch verstehn, is det böser Wille, und
ick pack ma aus, wat Sie so allns . . . Ja, die junge Jeneratjon,
det is een janz neuer Menschenschlag, wat uns da sozusagen
ausn Schoß seiner Mutter entjejentritt. Det is herrschende Ras-
se! Klara ihrer hat ihn jlatt verboten, det se sonnabends zu-
sammen sind, weil er da immer een hinter die Binde. Det jibt
keen Vollarier, hat er jesagt, und strikt verboten! Und die
Meiern von Kolonjalladen darf nich mehr in de Beichte, ihr
Junge sagt ihr int Jesicht: Der Kaplan is ma verdächtig! Det
sind Sexualvabrecher. Int Schlesische soll een Vater verhungert
sin, weil een Junge uff HJ-Fahrt mußte und hat verJessen,
ihm zu sagen, det er die Hände von de Hosennaht nehm kann.
Det is een Jreuelmärchen, 4 Jahre Jefängnis!
35 8 Zur Politik und Gesellsdiaft
Über Treue
Treue is doch det Mark der Ehre! Det sagte schon der olle
Hindenburg, und der mußte det doch wissen! Denn wen war
der nich allet treu! Den Kaiser Willem und de Republik und
denn den Führer ooch noch. Deshalb hieß er ooch der Jetreue
Eckard des deutschen Volkes. Wir warn ihm ooch treu, nach-
dem er den Weltkrieg verlorn hat, ham wa ihn zum Präsiden-
ten jewählt. Treue is ehm eine Eijenschaft, die sich um den
matrejellen Vorteil nich kümmert. Der Führer is ooch! Der
wird wild, wenn se ihn die Treue brechen. Weil det is un-
deutsch, und da is er kitzlig! Den Röhm hat er det nie ver-
ziehn, Seite an Seite ham se jestanden, so ville Jahre, uff du
sind se jewesen, und denn heest et: een Revolver uffn Früh-
stücksteller, weil ihn der Mann die Treue jebrochen hat. Und
wat der Hermann Jöring is, der is treu bis übern Tod hinaus.
Det is een Charakterzug von ihn, da kann er ja nischt ma-
chen! Seine verstorbene Frau hat er een Jedächtnistempel
hinjestellt, ne halbe Milljon soll det . . . und det war billig,
denn vor den ham se bange, vor den eisernen Hermann! Da
schreim se Rechnungen mitn kleenet »r«. Eisern is der. Drum
hat ihn der Führer ooch die janze deutsche Wirtschaft anver-
traut, det sind Summen! Zu treuen Händen. Bein andern müß-
ten se da lange nachprüfen mit weesjott wat fürn Beamten-
apparat. Ham Se jehört, det neue Luftfahrtministerium?
Zweetausend Beamte ham da Platz, die verjehm Uffträje, det
is ne Verantwortung, die der Mann trägt, und da brauchen se
nich jeden Pfennig nachkontrolliern oder jede Milljon, die
neue Umrüstung soll ja schon 20 Milljarden verschlungen
haben, weil der . . . treu wie Jold is er.
Mies und Meck 359
[Die Aufrüstung]
Ham Se jehört; wir sind fertig! - Sagen Se det nich so laut!
- Warum soll ick det nich laut sagen, det wir fertig in Deutsch-
land sind, total fertig. Mit die Aufrüstung. Det hat een schön
Batzen jekostet. Milljarden. Und nu sind wir fertig. Total.
Wo wir jetzt hinschlagen, da wächst keen Gras mehr. Nich, daß
wir hinschlagen, wo keen Gras mehr wächst, is Österreich etwa
keen schönes Land nich, was wir . . . haben? Redn Se mir nich
von Jewalt. - Wenn Se so kräftig uff die Brust sind, det keener
wagt und beleidigt Se, denn könn Se wieder janz freundlich
sin. Und denn sind Se sojar beliebt, sind Se jradezu. — Ick kann
Se sagen, wo zum Beispiel Willem, der Dreher aus de Panko-
wer Allee, mitwar, wenn die mal, der mit die zwee Fäuste wie
360 Zur Politik und Gesellsdiaft
[Der Pakt]
Haben Se jeheert die Fiehrerrede und daß wa nich valorn
sind? Noch is Polen nich verlorn, wies im Lied heißt. Wir ham
uns die Russen jesichert. Das is een Schachzug is das. Der Rib-
bendropp, soll der Führer jeäußert haben, is noch größer wie
Bismarck, als Staatsmann betrachtet. Der Junge is im Wein-
handel jroß jewordn und hat janz neue Methoden in de Diplo-
matie injeführt, neues Blut in alte Schläuche sozusagen, sowat
Wendiges, Jewandtes, wissen Se, Nee, nich Windiges! Wen-
diges. Die Sache mit eenen Zweifrontenkrieg soll auf Spitz
und Knopf jestanden sein, weil ursprünglich war et jeplant,
daß Polen ohne Krieg uns zufallen sollte, friedlich. Und det
war jejangen, wenn nich de Polen Krieg jemacht hättn, weil
de Engländer se ufjehetzt ham, aber wat tut Ribbendropp?
Setzt sich in den Zug und fährt nach Moskau, hier bin ick.
Und jetzt ham wa Stalin un die Bolschewiken, und solang
sind wa nich verlorn, und selbst wenn Mussolini nich zieht,
Mies und Medt 361
faula Kunde, immer gesacht, Emilie ooch, das muß ick zujebn.
Mussolini, hat se jesagt, trau ick nich, der is keen echta Freund,
das sind von dem nur Schachzüje, hat se recht jehabt. Un wat
kann er schon liefern. Eisen hat er nich, Benzin hat er nich, aber
die Russen ham. Noch un noch, kollossal, was die ham, wenn
erst mal deutscha Fleiß un Inscheniöre an Ural herumfunken
mit die richtige Initiative und ihnen die Eisenbahnen ausbaun,
daß sie liefern könn, Eisenbahn müssen se ham, wem wa ihn
baun, der Todt macht das, und dann ham se die Eisenbahn,
und dann liefern se ooch, da sichert uns der Freundschafts-
vertrag, da birgt Stalin persönlich dem Führer, se ham andre
Ideen, aber warum nich, das sin kluge Köpfe sind das, wie se
gleich in Polen einmarschiert sind un im Baltikum, wie? Und
so ham wa jetzt und sin und mit die Russen und auch ohne
Mussolini, und so könn wa uns vertrauensvoll jejen Westen
wenden, in Rücken jestützt auf die Russen, wo nur aufn Mo-
ment warten, bis sie einjreifen, wie? Soll zuerst ne Menge
Opposition jehabt ham, der Ribbentropp, in Industriekrei-
sen un so, wo sagten, man kann die Russen doch nich traun,
aber er hat jetraut, warum, ne andre Wahl ham wa überhaupt
nich jehabt, lauta Feinde ringsum, weil wa verhaßt sin wegen
Versai. Der Führer hats jesacht, der Russenpakt, das is über-
haupt nich die Folje der deutschen Politik, sondern der Va-
nunft, janz vaschiedene Dinge, fein ausjedrickt, ick sa ooch, die
Vanunft sacht uns, wa müssen uns auf die Russen stützen un
nich auf Mussolini, wo nich zieht, wenn nichts für ihn heraus-
schaut, Freundschaft kennt der nich, nur Politik, und da sin
ihm die Russen über, un wa brauchen das Benzin und Getreide
und sie hams. Ham Se das Bild jesehn in der Illustrierten?
Scheintn janz umgänglicher Mann, der Stalin, nich? Janz ein-
nehmndes Lächeln, wie? Un so könn wa den Krieg jejen Eng-
land bejinn, den se uns uff jezwungen ham, un wenn det Je-
ringste passiert, greift er ein, det sa ick Ihnen.
Anmerkungen
Aus Notizbüchern
S. 3 Aus Notizbüchern. Die hier gesammelten Texte sind den
frühen Notizbüchern aus den Jahren 1919 bis 1926 entnommen. Fast
alle Texte wurden von Handschriften transkribiert. Einige Beiträge
aus späteren Notizbüchern sind innerhalb der folgenden drei Kapitel
untergebracht.
Marxistische Studien
S. 46 Als ich schon jahrelang ein namhafter Schriftsteller war . . .
Der Text ist einem Manuskript entnommen, das Brecht vermutlich
als Vorrede für eine Rezitation einiger seiner Gedichte in der Emi-
gration geschrieben hat.
5. 47 Studium des Marxismus. Nach den Tagebuchnotizen von
Elisabeth Hauptmann besorgte sich Brecht für das Studium des Ma-
terials zum Stück »Joe Fleischhacker« im Juli 1926 ökonomische
Schriften. Im Oktober 1926 beschaffte er sich Arbeiten über den
Sozialismus und den Marxismus. In einem Brief schrieb Brecht: »Ich
Anmerkungen 5 *
stehe acht Schuh tief im >Kapital<. Ich muß das jetzt genau wis-
sen .. .« Siehe dazu auch die Notiz »Als ich >Das Kapital< von Marx
las .. .« ,die unter der Überschrift »Der einzige Zuschauer für meine
Stücke«in den »Schriften zum Theater«, S. 129, abgedruckt ist.
5. 60 Notizen über Individuum und Masse. Die teilweise hand-
schriftlichen, teilweise maschinengeschriebenen Notizen sind verschie-
denen Mappen entnommen und vom Herausgeber in dieser Reihen-
folge zusammengestellt. Der Titel »Individuum und Masse«steht
bei Brecht über dem ersten Text.
S. 6$ Über meinen Lehrer. Brecht diskutierte während seiner mar-
xistischen Studien mit Philosophen, Ökonomen und Soziologen. So
wurde besonders sein Schriftwechsel mit Fritz Sternberg bekannt
(s. Brechts Brief »Sollten wir nicht die Ästhetik liquidieren?« in
»Schriften zum Theater«, S. 126 ff. Brecht besuchte die Marxistische
Arbeiterschule (MASCH) in Neukölln und beriet sich häufig mit
den Dozenten. Durch den Besuch der Schule kam es zu einer Ver-
bindung mit dem Philosophen Karl Korsch, dem der vorliegende
Aufsatz gewidmet ist. Korsch (1886—1961) wurde 1919 Professor
an der Universität Jena. Als Mitglied der USP, später der KPD war
er eine Zeitlang Mitglied des Thüringischen Landtages und Justiz-
minister der sozialdemokratisch-kommunistischen Koalitionsregie-
rung in Weimar und bis 1928 Mitglied des Reichstags. Brecht be-
suchte Vorträge, die Korsch (seit 1924) in Berlin hielt. Korsch schrieb
verschiedene Bücher über Fragen des Marxismus. Er wurde 1926 aus
der KPD ausgeschlossen.
S. 68 Brechtisierung. Dieser Text ist ein Versuch Brechts, Leninsche
Gedanken in seinen Worten darzulegen. Brecht wurde dazu wahr-
scheinlich durch ein ähnliches Experiment Karl Korschs angeregt, in
dem er Überlegungen von Marx und Lenin in der Form von Sorel
niederschrieb (»Thesen über aktivistischen Materialismus«, »Klassen-
charakter und Parteilichkeit der Wissenschaft« 1932/33); Korsch be-
zeichnete sein Vorgehen als »Sorelisierung«.
S. 7/ Ableitung der drei Sätze in Korschs »Why I am a Marxist«.
Karl Korsch war 1933 nach Dänemark emigriert und traf, insbeson-
dere nach seinem Londoner Aufenthalt, in den Jahren 1935 und
1936 oft mit Brecht zusammen. Der Aufsatz »Why I am a Marxist«,
1934 geschrieben, erschien 1935 in »Modern Monthly«, IX, 2. Eine
deutsche Übersetzung des (gekürzten) Aufsatzes ist in der Zeitschrift
6 * Anmerkungen
Besonders fiel mir auf, wie stark das Wort die Massen ergriffen hat,
wie es durch Losungen, Zitate, Bücher, Zeitungen, Versammlungen
in ihr Bewußtsein gedrungen ist. Ich möchte es die Literarisierung
der Massen nennen. Es sind aber keineswegs nur Worte, denn ihnen
folgt ständig die Erkenntnis, die Tat.
Die Sowjetunion ist ein wunderbares Land für Lyriker. Die histo-
risch berichtende Lyrik tritt noch zuwenig in den Vordergrund. In
jeder Metrostation sollte in Stein gemeißelt ein literarischer Bericht
über die Geschichte des Baues und über seine Helden zu lesen sein.
Die Eindrücke, die ich gewonnen habe, werde ich, wie in dem von
der DZZ veröffentlichten Metrogedicht, noch in einer Reihe von
Gedichten wiedergeben und Euch senden. Überdies arbeite ich an
einer Komödie, in der ich darstelle, wie die bürgerlichen Ideologen
auf ihrem Markt der Ansichten die jeweils von der Bourgeoisie ge-
wünschte Ideologie verkaufen. Hanns Eisler schreibt die Musik
dazu. Dieses Thema werde ich auch in einem satirischen Roman be-
handeln.«
S. 104 Über die Freiheit in der Sowjetunion. Vergleiche dazu die
Beiträge »Über die Unfreiheit der Schriftsteller in der Sowjetunion«
und »Meinungsfreiheit« in »Schriften zur Literatur und Kunst«,
S. 438 ff.
S. 10$ Die ungleichen Einkommen. Die Ausführungen Brechts wur-
den durch Andre Gides Buch »Retour de PU.R.S.S.« angeregt, das
1936 im Verlag Gallimard, Paris, und in deutscher Übersetzung
(von Ferdinand Hardekopf) unter dem Titel »Zurück aus Sowjet-
Rußland« im Jean-Christophe-Verlag, Zürich, erschienen war. Eine
direkte Auseinandersetzung mit Gides Buch ist unter dem Titel
»Kraft und Schwäche der Utopie« in den »Schriften zur Literatur
und Kunst«, S. 434 ff., enthalten. In den hier abgedruckten Texten
untersucht Brecht Probleme, für die Gides Meinungen lediglich den
Anlaß gaben. Die einzelnen Abschnitte sind vom Herausgeber zu-
sammengestellt.
S. in Über die Moskauer Prozesse. Brechts Versuche einer mög-
lichen Argumentation entstanden während der Moskauer Prozesse
1936—1937. Sie sind sowohl zu verstehen als Selbstverständigung wie
auch als Polemik gegen die sozialdemokratischen Intellektuellen in
Skandinavien. Die Texte wurden vom Herausgeber in dieser Ab-
folge zusammengestellt. Der als Vorspann gedruckte Text ist einem
8 * Anmerkungen
werden konnte, hatte Brecht einen Beitrag Ȇber das Denken als
ein Verhalten« angekündigt.
S. 1)8 Wer braucht eine Weltanschauung? Brechts verstreute Noti-
zen zu diesem Thema wurden vom Herausgeber in dieser Reihen-
folge zusammengestellt.
S. 178 Durchbrechung von Prinzipien. Vergleiche dazu den Text
»Sommerurlaub in Buckow«, in »Gedichte«.
gen. Sie glauben zum Beispiel, daß sie ihre Gefangenen foltern und
erschießen. Das kommt wahrscheinlich daher, weil sie nicht be-
greifen, daß der Feldmarschall heute seine russischen Gefangenen
humaner behandelt als seinerzeit seine finnischen Gefangenen. Wenn
die Russen merken, daß sie nicht erschossen, sondern nur photo-
graphiert werden sollen, so nehmen sie die Zigarette, die ihnen der
Photograph anbietet, mit sichtlicher Erleichterung an und äußern
den Wunsch, daß auch ihre Angehörigen dabeisein und es so gut
haben, Zigaretten rauchen und photographiert werden könnten.
Das einzige, was die Russen in großen Mengen aus ihrem Heimat-
land mit sich führen, ist Schmutz. Es wird berichtet, die Finnen
glaubten oft, die russischen Soldaten hätten schwarze Handschuhe
an. Dabei handelt es sich jedoch nur um Schmutz. Wie bekannt, war
mit dem dritten Fünfjahrplan auch nur beabsichtigt, Schmutz herzu-
stellen, was natürlich mißlang, wie alles im Land des Sozialismus
mißlingt. Heutigentags ist der Tagelohn eines russischen Arbeiters
so niedrig, daß er sich nur Schmutz in unzureichenden Mengen
leisten kann.
Der russische Soldat ist total ungebildet. Er weiß noch nicht einmal,
daß es einen Gott gibt, der die Welt in sechs Tagen erschuf. Wenn
man ihn nach bekannten Antifaschisten fragt, kann er nicht einmal
Mr. Chamberlain nennen. Von dem paradiesischen Zustand in
Amerika, England und Frankreich hat er niemals etwas gehört. Er
hat äußerst merkwürdige Vorstellungen von der Zivilisation.
Natürlich weiß der rote Soldat auch nicht, wofür er kämpft. Er
lebt in der Vorstellung, die finnischen Gutsbesitzer und Kapita-
listen hätten etwas gegen den Sozialismus, und daß sie — wenn der
Augenblick günstig gewesen wäre — ihr Land gerne fremden Mächten
als Aufmarschgebiet ausgeliefert hätten. Er weiß nicht einmal, daß
der Feldmarschall Demokrat ist. Er hat, kurz gesagt, keine Ahnung
von Politik. Er steht mit aufgerissenem Mund da, wenn ihm die
Kriegskorrespondenten alles erklären.
Dazu kommt, daß der russische Soldat in schlechter physischer Ver-
fassung ist. In der Sowjetunion gibt es keine Privatunternehmer wie
in Finnland und in anderen Ländern, und deshalb kann es dort
auch gar keinen Wohlstand geben. Objektive Beobachter stellen
fest, daß die Russen durch dauernde Nervenzusammenbrüche und
Erkältungen geschwächt werden. Das ist eine Folge der bolsche-
Anmerkungen I J *
Krieg dulden mußte, weil es ein System duldete, das — neben ande-
ren Dingen — Kriege braucht.
Wenn man beklagt, das deutsche Volk lasse zu, daß seine Regierung
einen schrecklichen Angriffskrieg führt, dann beklagt man in Wahr-
heit, daß das deutsche Volk keine gesellschaftliche Revolution durch-
führt. Für wessen Interessen wird der Krieg geführt? Eben für die
Interessen jener, die nur durch eine gesellschaftliche Revolution
gigantischen Ausmaßes aus ihren hohen Stellungen entfernt werden
können. Die Interessen der Industriellen und der Junker mögen
manchmal voneinander abweichen, beide aber brauchen den Krieg.
Sie mögen über die Kriegsführung streiten; aber sie sind gleicher-
weise überzeugt, daß er geführt werden soll. Bedeutende englische
Zeitschriften haben beschrieben, wie die Junker im Kriegsmi-
nisterium die Konkurrenz zwischen den Trusts anheizen und wie
wirkungsvoll die Trusts darum kämpfen, Einfluß auf die Kriegs-
führung zu gewinnen. Keine Gruppe, die irgend etwas besitzt, ist
gegen den Krieg. Wenn der Krieg aussichtslos wird, dann werden
die Trusts vielleicht versuchen, die Hitlerbande oder sogar die
Generäle um des Friedens willen loszuwerden; aber sie werden nur
Frieden schließen, um später wieder Krieg mit allen möglichen zu
führen. Für sie ist es natürlich wichtig, das zu behalten, was sie
besitzen; wirtschaftliche Macht nämlich, ohne die sie niemals hoffen
können, die politische Macht wiederzuerlangen, die sie brauchen,
um Krieg zu führen. Französische Minister haben beschrieben — und
General de Gaulle hat ihre Beschreibung bestätigt —, daß die
französischen Industriellen vor ihrem eigenen Volk solche Angst
hatten, daß sie sich vor ihren deutschen Unterdrückern gar nicht
schnell genug in den Staub werfen konnten. Sie glaubten, die
deutschen Bajonette seien notwendig zur Erhaltung ihres Besitzes.
Eines Tages werden die deutschen Industriellen versuchen, Bajonette
zu finden (gleichgültig woher) in der Hoffnung, der Verlust ihrer
politischen Macht werde nur vorübergehend sein, wenn ihre wirt-
schaftliche Macht gerettet werden kann. Ist das klar?
Aber wie steht es mit dem Rest des deutschen Volkes, den neun-
undneunzig Prozent? Liegt der Krieg auch in ihrem Interesse?
Brauchen sie Krieg? Wohlmeinende Leute sind allzu voreilig, wenn
sie zuversichtlich antworten: Nein. Eine tröstliche Antwort, aber
keine richtige. Die Wahrheit ist, daß der Krieg in ihrem Interesse
20 * Anmerkungen
liegt, solange sie nicht das System, unter dem sie leben, abschütteln
können oder wollen. Als Hitler an die Macht kam, standen sieben
Millionen Familien, das ist ein Drittel der Bevölkerung, vor dem
Hungertod. Das System konnte keine Arbeit für sie finden, es
konnte ihnen nicht einmal hinreichende Wohlfahrtsunterstützung
gewähren. Als dann Arbeit für sie gefunden wurde, bestand sie
nur in industriellen Kriegsvorbereitungen. Inzwischen war der
sogenannte Mittelstand ruiniert und in die Munitionsfabriken
getrieben worden. Hunderttausende von Geschäften und Werk-
stätten wurden geschlossen, und zwar für immer: Man schmolz
die Registrierkassen ein. Auch die Bauern wurden ruiniert, sie sind
jetzt reine Pächter, die auf Befehl handeln. Sie können ihr Land
nur noch durch billigste Sklavenarbeit bestellen, durch die Arbeit
von Kriegsgefangenen. Sogar die kleinsten Fabriken sind für
immer ruiniert und ihre Besitzer müssen Anstellungen in der Ver-
waltung suchen, die sie aber nur finden können, wenn der Staat
gesiegt und Gebiete erobert hat, über die er verfügen kann. So
haben sie alle ein Interesse am Krieg.
Alle. Ist das klar?
Irgendwo muß ein schrecklicher Rechenfehler liegen, auch das ist
klar, und es wird um so klarer werden, je schlimmer der Krieg wird.
In den bombardierten Städten hocken Menschen in den Kellern
brennender Häuser, geschüttelt von tierischer Angst, und beginnen
zu lernen. Vermutlich beginnen die im Süden und Osten zurück-
weichenden Armeen ebenfalls zu lernen. Wo liegt der Rechenfehler?
Irgendwo in der Nähe von Smolensk richtet ein sdilesischer Soldat
sein Gewehr auf einen russischen Panzer, der ihn zermalmt, wenn
er nicht angehalten wird. Es bleibt kaum Zeit um zu erkennen, daß
das, worauf er sein Gewehr richtet, die Arbeitslosigkeit ist. Und
wenn er es erkennt, wie wenig ist damit gewonnen! Ein Ingenieur
bemüht sich um eine Verbesserung in der Konstruktion schneller
Jagdflugzeuge. Er hat kaum Zeit zu überlegen, was er in einem
verarmten Deutschland, das den Krieg verloren hat, anfangen wird.
Aber bestimmt ist tief in seinem Innern, wenn auch noch so uner-
klärlich, etwas in Bewegung geraten; vielleicht ahnt er, daß irgend-
wo ein Rechenfehler stecken muß. Hamburg brennt, und eine
Menschenmenge versucht, aus der Stadt herauszukommen; ein SS-
Mann schlägt sie nach Hause zurück. Seine Eltern besaßen ein
Anmerkungen 21 *
wenn die Ordnung, unter der sie bisher lebten, sich in unbezweifel-
bare und unerträgliche Unordnung verwandelt, wagt das Volk —
und auch dann nur furchtsam, unsicher, immer wieder aus Angst
zurückschreckend —, die Situation zu ändern. Eine Welt, die vom
deutschen Volk erwartet, es werde revoltieren und sich in eine
friedliche Nation verwandeln, erwartet viel. Sie erwartet vom
deutschen Volk Mut, Entschlossenheit und neue Opfer. Wenn unser
anderes Deutschland siegen soll, dann muß es seine Lektion gelernt
haben.
Der letzte Krieg hatte, in der Niederlage endend, das deutsche
Volk für einige Zeit von seinen politischen Fesseln befreit. In den
Jahren nach dem Krieg bemühte sich das ganze Volk, eine Regierung
für das Volk und durch das Volk zu schaffen. Riesige Arbeiter-
parteien und kleine bürgerliche Parteien, zum Teil unter katho-
lischem Einfluß, verdammten den Krieg und jede Politik, die zum
Krieg führt. Es schien, als ob der Krieg für Generationen in Verruf
gebracht worden wäre. Die Künste, Musik, Malerei, Literatur und
Theater blühten auf.
Das dauerte nicht lange. Das Volk hatte versäumt, die Schlüssel-
positionen in der Volkswirtschaft zu besetzen. Jene, die es gewohnt
waren, Befehle zu erteilen, boten ihre Dienste als Spezialisten der
Ordnung an, und ihre Dienste wurden angenommen. Die viel-
gepriesene Ordnung, die sie bewahrten, war die Ordnung von an-
greifenden Bataillonen; das vielzitierte Chaos, das sie verhinderten,
war die Besetzung der Schlüsselstellungen in der Wirtschaft durch
das Volk. Und nach einem oder zwei Jahren, in denen ihre wirt-
schaftlichen Stellungen nicht einmal angezweifelt worden waren,
übernahmen sie wieder die politischen Stellungen, und die Vor-
bereitung des nächsten Krieges begann.
Wird all das noch einmal geschehen?
Um diese Fragen zu verneinen, muß man eben jene Tatsache günstig
interpretieren können, die zunächst die Fragestellung unsinnig
erscheinen läßt, nämlich die vielzitierte »unerschütterliche Moral
Hitlerdeutschlands«.
Die Tatsache, daß auf die Entbehrungen und Niederlagen Nazi-
deutschlands keine rasche Reaktion erfolgte, ist zugegebenermaßen
störend. Man muß jedoch fähig sein zu erkennen, daß gerade diese
Verzögerung anzeigt, wie tief und umfassend die Reaktion sein
Anmerkungen 23 *
S. 291 Verhalten der Physiker. Der Text wurde zuerst in dem Band
»Materialien zu Brechts >Leben. des Galilei<«, edition suhrkamp,
1963, veröffentlicht. Vergleiche dazu auch die »Anmerkungen >Leben
des Galilei<«, in den »Schriften zum Theater«, S. 1101 ff.
S. 292 Der Reichstagsbrandprozeß. Vergleiche dazu die Texte auf
den Seiten 205 ff. - Brecht arbeitete im amerikanischen Exil in
verschiedenen antifaschistischen Gruppierungen. Nach vorliegenden
Sitzungsprotokollen nahm er an vielen Zusammenkünften des
»Council for a Democratic Germany« teil, der sich in New York
unter dem Vorsitz des Theologieprofessors Paul Tillich gebildet
hatte. In dem ersten Bulletin des Councils sind als Mitglieder
außer Brecht u. a. genannt: Friedrich Baerwald, Felix Boenheim,
Hermann Budzislawski, Paul Hagen, Hans J. Hirschfeld, Julius E.
Lips, Maximilian Scheer, Albert H. Schreiner, Walther Victor, Jakob
Walcher. In einem »Statement«, das Paul Tillich in der gleichen
Ausgabe des Bulletins veröffentlichte, wird über die Mitglieder
des »Council for a Democratic Germany« u. a. gesagt: »All mem-
bers of the Council for a Democratic Germany are refugees from
Hitler Germany. Some of them have become American Citizens,
some are in the process of becoming, some are not, as they are
looking forward to a return to a liberated Germany. They all fought
against Nazism and its militaristic, feudal, monopolistic and intel-
lectual supporters long before the democratic nations even realized
the danger they meant for all humanity. They are shocked more
than anybody of non-German descent could be, by the horrible
manifestation of everything that is evil in man in the atrocities
comitted by Germans all over Europe. They understand that the
increase of these atrocities and the introduction of new inhuman
methods of warfare in the last, desperate phase of Nazi resistance
must tremendously increase the bitterness against the German
people and the will to use the most extreme measures to prevent
Anmerkungen 25 *
S. 325 Zum Tod Stalins. Die Zeitschrift »Sinn und Form« veröf-
fentlichte in Heft 2, 1953, zahlreiche Beiträge von Mitgliedern der
Deutschen Akademie der Künste zum Tod Stalins, darunter auch
die Stellungnahme Brechts.
S. 325 Über die Kritik an Stalin. Auf dem XX. Parteitag der
KPdSU im Februar 1956 wurde die Arbeit Stalins scharf kritisiert.
Der Parteitag beauftragte das Zentralkomitee, Maßnahmen zur
Überwindung des Personenkults zu ergreifen. — Brecht schrieb den
Text im Sommer 1956.
S. 326 Zum IJ. Juni 1953. Brecht kam, als er von Unruhen hörte,
am Vorabend des 17. Juni aus Buckow nach Berlin und rief seine
Mitarbeiter zusammen, um mit ihnen gemeinsam auf verschiedene
Weise den Kampf gegen die Provokateure zu unterstützen. Von den
Briefen, die Brecht am 17. Juni an verschiedene Persönlichkeiten
des politischen Lebens schrieb, wurde einer, der an den Ersten
Sekretär der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Walter
Ulbricht, am 21. Juni auszugsweise im »Neuen Deutschland« ver-
öffentlicht. - Von den Beiträgen, die vom Herausgeber in dieser
Reihenfolge angeordnet wurden, ist der Text »Ich habe am Mor-
gen des 17. Juni . . .« am 23. Juni 1953 ^m »Neuen Deutschland«
veröffentlicht worden.
S. 329 Die Volkskammer. Auf dem Typoskript ist ein Zeitungsaus-
schnitt aus dem Rundfunkprogramm des 23. Juli 1954 aufgeklebt
mit einer handschriftlichen Notiz Brechts: »Dieses Programm ist
typisch!« Die Programme des Deutschlandsenders und des 1. Pro-
gramms von Radio Berlin sahen durchweg unverbindliche Sendun-
gen mit Titeln vor wie »Klingende Kurzweil«, »Frohe Menschen -
frohes Land«, »Rhythmus und Schwung bringen gute Laune«, »Be-
schwingt und heiter geht es weiter«, »Musik erfreut des Men-
schen Herz«. Brecht hatte sich schon Ende der zwanziger Jahre dar-
um bemüht, den Rundfunk zu einem nützlichen Kommunika-
tionsapparat zu machen. Siehe dazu die Beiträge des Kapitels
»Radiotheorie« in den »Schriften zur Literatur und Kunst«,
S. 117 ff.
S. 331 Gedächtnisstätte Buchenwald. Zum Gedenken der antifaschi-
stischen Kämpfer, die von den Nazis in Konzentrationslagern ein-
gekerkert oder umgebracht wurden, ist inzwischen auf dem Gelände
des ehemaligen KZ Buchenwald bei Weimar am 14. 9. 1958 die von
28 * Anmerkungen
Stücke
Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui 1176—1180
Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny 348,441,472,474,476—477,
478,495, 1004—1016
Die Ausnahme und die Regel 1034
Baal 51, 62, 64, 6% 133, 140, 163, 218-219, 452, 472, 947-948,
954-956
Das Badener Lehrstück vom Einverständnis 239, 482, 1024, 1027—
1028, 1034
David 51
Im Dickicht der Städte 62, 6yy 69, 75, 160, 197, 209, 940, 948—950,
969-972
Die Dreigroschenoper 184, 276, 288, 293, 348, 352, 441, 472, 473 bis
474, 889,989-1003, 1144
Der Flug der Lindberghs s. Der Ozeanflug
Furcht und Elend des Dritten Reiches 314—315, 348, 602—603, 1099
Die Gesichte der Simone Machard 1180—1185
Die Gewehre der Frau Carrar 314, 316, 348, 370, 414—417, 608 bis
609, 736, 890—891, 916, 1100—1102, 1215—1216
Der gute Mensch von Sezuan 1157—1161
Hannibal 110
Die heilige Johanna der Schlachthöfe 238, 314, 354,1017—1021,1146
Herr Puntila und sein Knecht Matti 756,758,863, 1162—1175
Die Horatier und die Kuriatier 1024, 1034, 1097—1098
Der Jasager und Der Neinsager 239, 482, 1034
Der kaukasische Kreidekreis 635, 693, 697, 889—890, 905, 928,
1197—1210
Leben des Galilei 683—684, 690—692, 697, 698, 753, 903, 1103—1133
Leben Eduards des Zweiten von England 69, 110, 181, 195, 348,
352,472,599,940,951
Mann ist Mann 57, 64—67, 69^ 144—145, 150, 155, 238, 348, 352,
365, 449, 472, 475, 495, 611, 951, 973-988
Die Maßnahme 236, 239, 348, 482, 1029—1035
32 * Register »Schriften zum Theater«
Die Mutter 235, 239, 355, 361, 441, 472, 478—480, 607—608, 736,
744, 764—768, 904, 918, 1036—1081, 1215—1216
Mutter Courage und ihre Kinder 606, 636, 711, 712—716, 718, 735,
754» 769> 7gi> 854, 856, 863, 895-896, 904, 917, 918, 926,
1134—1150
Der Ozeanflug 239
Die Rundköpfe und die Spitzköpfe 238, .314—315, 348, 440, 445,
472, 480, 1082—1096
Schweyk im Zweiten Weltkrieg 1186—1196
Trommeln in der Nacht 69, 146, 155, 319, 348, 472, 940, 945 bis
947> 957-S>68
Die Verurteilung des Lukullus 1151—1156
Der Weizen 225
Bearbeitungen
Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk (von Jaroslav Hasek)
237, 290, 348, 354, 440, 441, 594, 598, 621, 895
Die Antigone des Sophokles 1211—1220
Biberpelz und Roter Hahn (von Gerhard Hauptmann) 758, 1269
bis 1274
Coriolan (von William Shakespeare) 1252—1254
Don Juan (von Moliere) 1257—1262
Der Hofmeister (von Jacob Michael Reinhold Lenz) 758, 760, 769,
933,1221-1251
Pauken und Trompeten (von George Farquhar) 1263—1264
Der Prozeß der Jeanne d'Arc zu Rouen 1431 (von Anna Seghers)
727, 851—852,1255—1256
Register »Schriften zum Theater« 33:
Gluck, Christoph Willibald Hartl, Kurt 5, 11, 21, 22, 25, 26, 30
Orpheus und Eurydike 1151 Hase, Annemarie 1173
Gnass, Friedrich 780, 800, 807, 838 Hasek, Jaroslaw
Goering, Reinhard 34 Die Abenteuer des braven Solda-
Goethe, Johann Wolf gang 178 bis ten Scbwejk
179, 182, 250, 268, 334, 465, 684, s. Brecht, Bearbeitungen
729, 905, 939, 1213, 1260 Hasenclever, Walter 45
Der Bürger general 939 Ein besserer Herr 145
Egmont 365, 485, 809, 855—858, Ehen werden im Himmel ge-
1081 schlossen 150 / Der Sohn 44
Faust 14, 51, 70, 106, 107, 182 bis Hauff, Wilhelm
183, 263, 274, 286, 332-333, 635, Die Bettlerin vom Pont des Arts 6
693-694, 704-706, 717, 740, 741 Hauptmann, Elisabeth
bis 742, 764, 781, 905—906, 924, Happy End 1019
933, 939, 1081, 1151 Hauptmann, Gerhart 46, 94, 151,
Urfaust 1275—1286 183,288,358, 515,937
Götz von Berlichingen 729, 741, Der Biberpelz 635, 712
933, 1081, 1144, 1145 Biberpelz und Roter Hahn s.
Iphigenie 729, 939 Brecht, Bearbeitungen
Torquato Tasso 19—20, 21, 32 Einsame Menschen 936
Gogol, Nicolai 1081 Fuhrmann Henschel 146, 149
Der Revisor 1250 Hanneles Himmelfahrt 485
Goll, Ivan 35 Michael Kramer 80
Gorelik, Mordecai 441, 467—471, Rose Bernd 18—19, 23"~24> 32>
1037-1093 173-174, 905-906
Gorki, Maxim 288, 718, 936, 937, Die Weber 173, 201—202, 332,
1052, 1071, 1080 576, 677, 711, 780, 936
Die Mutter s. Brecht, Die Mutter Häusler, Carl 12—14, I9"~2O> 2 3
Wassa Schelesnowa 936, 1265 bis Hay, Julius
1268 Haben 325—326
Gortschakow, Nicolai 769, 846 Hayneccius, Martinus
Gottsched, Johann Christoph 899 Meister Pfriem oder Kühnheit
bis 900 zahlt sich aus 1287—1288
Gozzi, Carlo 1219 Heartfield, John 445, 698
Granach, Alexander 59, 1030 Hebbel, Friedrich 46, 49—50, 118,
el Greco 55, 256 197
Green, Millicent 1052 Her ödes und Mariamne 104, 106
Grieg, Nordahl 288 Judith 37—38
Groß 16 Maria Magdalene 14, 905—906
Grosz, George 237, 291, 440, 441, Nibelungen-Trilogie 70
598, 944, 960-962 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich
Grünewald, Matthias 367 277, 298, 906
Heinrich VIII. 534
Halbe, Max 323 Henry, Helen 1052
Halse 1114 Heydrich, Reinhard 1233
Händel, Georg Friedrich 990 Hindemith, Paul 239, 477, 482,
Hardt, Ernst (146) 496, 1027, 1029—1030, 1177
Register »Schriften zum Theater«
Die Räuber 21—23, 27—28, 30, 33, 683, 698, 715, 906, 924, 1119
69, 112, 178, 605, 908, 933, 936, Die lustigen Weiber von Windsor
939» 948 1127
Wallenstein 21, 26, 106, 109, 332, Macbeth 109, 115—119, 130, 149,
333, S3I-53*, 677, 741-742,809, 332-333, 39i, 444, 586, 587, 588,
908, 939 590, 632-633
Wilhelm Teil 182, 741, 939 Maß für Maß 1091
Schmidtbonn, Wilhelm Othello 146, 149, 575, 587, 623,
Der Graf von Gleichen 7—8 677, 711, 847-848, 899, 918, 949,
Schönherr, Karl 1145
Kindertragödie 38 Richard III. 109, i n , 121, 149,
Schünemann, Georg 1029—1030 189, 194, 332-333, 334-335, 575,
Schwaen, Georg 1287 586, 587, 590, 693, 764, 801,
Seghers, Anna 1125
Der Prozeß der Jeanne d: Are zu Romeo und Julia 317, 333, 391,
Rouen 1431 590, 1095
s. Brecht, Bearbeitungen Ein Sommernachtstraum 268, 587
Seneca 585 Der Sturm 764, 1119
Shakespeare, William 76, 80, 113, Timon von Athen 575
114, 119—120, 121, 127, 131, 147, Troilus und Cressida 63 5
148—149, 162, 174, 179, 250, 252, Shaw, George Bernard 96—101, 288,
256, 287, 310, 327, 332-336, 365> 3i7, 937
585-594, 634, 666, 667, 677, 717, Pygmalion 24—26, 32
747, 757, 779, 821, 847, 908, 924, Sinclair, Upton
939» 95 1 , 1068, 1081, 1119, 1120, Der Sumpf 9—11
1123, 1206, 1221, 1240, 1253, Sokrates 954
1259—1260, 1279 Sophokles 666
Antonius und Kleopatra 49, 77, Antigone 521 s. auch Brecht, Be-
149, 333-334, 575, 587 arbeitungen
Coriolan 120, 133, 134, 149, 181, Elektra 899
809, 869—888 ödipus 146, 184—186, 190—191,
s. auch Brecht, Bearbeitungen 236, 298, 476, 677, 712
Hamlet 51, 121, 274, 287, 333, Sorel 1117
334» 335, 409, 5O5, 521, 575, 587, Stanislawski, Konstantin 285—286,
588, 589, 590, 635, 695-696, 741, 288, 303, 350, 380—388, 392, 489,
753, 893, 9ii, 1117, ii45 505, 515—517, 518, 522—523,
Heinrich IV. 928 553, 623, 625, 728, 737, 769,
Heinrich V. 1259—1260 841—866, 887
Julius Cäsar 149, 181, 256, 287, Steckel, Leonhard 1174
354, 575, 582 Steinrück, Albert 742
Der Kaufmann von Venedig 77, Sternberg, Fritz 126—129, (147 bis
585, 834,1167 153), 181
König Johann 1145 Sternheim, Carl 45
König Lear 147, 149, 299—302, Stetten, Georg 28
315, 332, 333, 343, 354, 3^3, 391, Stoff, Magdalena 5
Strauß, Richard 1153
418, 422, 445, 522, 575, 581, 583, Elektra 1013
$87, 588, 591, 614, 615—616, 623,
4O * Register »Schriften zum Theater«
Stücke
Das Badener Lehrstück vom Einverständnis 131, 148
Die Dreigroschenoper 79, 100, 139—209 (Dreigroschenprozeß), 330
Furcht und Elend des Dritten Reiches 299
Die Gewehre der Frau Carrar 252
Im Dickicht der Städte 396
Der Flug der Lindberghs s. Der Ozeanflug
Der Jasager und Der Neinsager 148
Der kaukasische Kreidekreis 506
Leben Eduards des Zweiten von England 78, 396—397
Mann ist Mann 107—108, 499
Die Maßnahme 148
Die Mutter 514
Der Ozeanflug 124—127, 131
Die Tage der Commune 498
Turandot oder Der Kongreß der Weißwäscher 463
Filme
Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt? 210—216
Prosa
Der Dreigroschenprozeß 139—209, 210
Die Geschäfte des Herrn Julius Cäsar 299—301
Geschichten vom Herrn Keuner 148—149
42 * Register »Schriften zur Literatur und Kunst«
Stücke
Die Dreigroschenoper 303
Joe Fleischhacker 46
Die Mutter 79, 175
Register »Schriften zur Politik und Gesellschaft« 49 :
Zur Zusammenstellung:
Leider konnte ein großer Teil der Schriften nicht exakt datiert wer-
den. Aus diesem Grunde war eine konsequent chronologische An-
54 * Zur Ausgabe der Schriften
Ordnung der Texte, wie sie der Herausgeber bevorzugt hätte, nicht
möglich. Aber auch eine Zusammenstellung nach Sachkomplexen
bot wenig Vorteile: Die einzelnen Gebiete konnten nicht eindeutig
voneinander abgegrenzt werden; außerdem verwischt eine solche
Gliederung die Entwicklung Brechts, die Bezogenheit der Arbeiten
auf bestimmte historische Ereignisse und Zusammenhänge. Auf je-
den Fall sollte die Chronologie für die großen Zeiträume gesichert
bleiben; »Einschnitte« mußten dort entstehen, wo sie sich aus dem
vorliegenden Material »ergaben«. Im großen waren drei Perioden
zu unterscheiden: die zwanziger Jahre bis 1933, das Exil und die
letzten Jahre in Berlin unter veränderten gesellschaftlichen Bedin-
gungen. Innerhalb dieser Perioden gab es Texte verschiedener the-
matischer Gebiete, aber nicht für jedes Gebiet lagen ausreichend
Texte vor, die eine gleichgeordnete Unterteilung gestatteten. Eine
Kapiteleinteilung wurde nur vorgenommen, wo sie von den vor-
liegenden Texten her möglich war. Die Aufgliederung nach The-
menkomplexen innerhalb gewiesser Zeiträume schien eine für diese
Ausgabe geeignete Form zu sein.
Dabei ergaben sich in den einzelnen Abteilungen unterschiedliche
Probleme. Über Fragen des Theaters hat sich Brecht in außerordent-
lich vielen Arbeiten geäußert. So konnten hier in den meisten Fäl-
len in sich abgeschlossene Kapitel zusammengestellt werden. Ver-
gleichsweise waren die Texte über Literatur und Kunst sowie über
Politik und Gesellschaft weniger zahlreich. Das Auffinden von
Kapiteln für diese Abteilungen war deshalb schwieriger. So wurden
nun solche Themenkomplexe zum Kapitel, die innerhalb bestimmter
Zeiträume dominierten. Über bildende Kunst schrieb Brecht bei-
spielsweise die meisten Arbeiten in den ersten Jahren des Exils.
Diese Arbeiten wurden zum Kapitel »Bemerkungen zur bildenden
Kunst 1935—1939« zusammengefaßt. Damit wird gekennzeichnet,
daß in diesem Kapitel keine Texte über bildende Kunst zu finden
sind, die vorher oder danach geschrieben wurden. Diese Lösung hat
den Vorzug, daß die wenigen anderen Beiträge zur bildenden
Kunst neben den Arbeiten stehen, die gleichzeitig entstanden sind.
Dadurch können Rückschlüsse auf die in dieser Zeit geführten Dis-
kussionen angeregt werden, die weit über die Problematik der bil-
denden Kunst hinausgehen. So gehören etwa die Anfang der fünf-
ziger Jahre geschriebenen Texte über bildende Kunst direkt zur da-
Zur Ausgabe der Schriften 5 5 *
Zu den Texten:
Im Falle mehrerer vorhandener Textfassungen wurde jeweils die
letzte benutzt; wenn Brecht später größere Passagen eines Textes
gestrichen hat, wird darauf in der jeweiligen Anmerkung verwiesen.
Die von Brecht nicht zum Druck vorbereiteten und durchgesehenen
Texte enthielten teilweise Schreibfehler, die sinnentsprechend korri-
giert wurden. Alle vom Herausgeber hinzugefügten Wörter sind in
eckige Klammern gesetzt, alle Streichungen von offensichtlich nicht
zugehörigen Wörtern oder nicht zu Ende geführten Sätzen wurden
mit drei Punkten in eckigen Klammern gekennzeichnet. Gleichfalls
stammen Überschriften in eckigen Klammern vom Herausgeber. Am
Ende jedes Bandes finden sich detaillierte Angaben über erforschte
nachweisbare Anlässe der Entstehung der Texte. Die Anmerkungen
zu den »Schriften zum Theater« konnten wesentlich erweitert und
ergänzt werden.
Xu den Registern:
Für die Ausgabe wurden Brecht-Titel-Register sowie Namen- und
Titel-Register hergestellt. Die Brecht-Titel-Register enthalten die
im Textteil der »Schriften« vorkommenden Verweise auf Arbeiten
Brechts in alphabetischer Reihenfolge. In den Namen- und Titel-
Register sind die von Brecht erwähnten Personen und deren Werke
zusammengestellt. Die Werke wurden in alphabetischer Reihenfolge
der Titel unter den Namen der Verfasser angeordnet.
Zur Ausgabe der Schriften 57 *
Stücke 1
Baal
Trommeln in der Nadit
Im Dickicht der Städte
Leben Eduards des Zweiten
Mann ist Mann
Stücke 2
Die Dreigroschenoper
Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny
Der Ozeanflug
Das Badener Lehrstück vom Einverständnis
Der Jasager/Der Neinsager
Die Maßnahme
Die heilige Johanna der Schlachthöfe
Die Ausnahme und die Regel
Die Mutter
3
Stücke 3
Die Rundköpfe und die Spitzköpfe
Die Horatier und die Kuriatier
Furcht und Elend des Dritten Reiches
Die Gewehre der Frau Carrar
Leben des Galilei
60 * Inhaltsübersidit
4
Stücke 4
Mutter Courage und ihre Kinder
Das Verhör des Lukullus
Der gute Mensch von Sezuan
Herr Puntila und sein Knecht Matti
Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui
5
Stücke f
Die Gesichte der Simone Machard
Schweyk im Zweiten Weltkrieg
Der kaukasische Kreidekreis
Die Tage der Commune
Turandot oder Der Kongreß der Weißwäscher
6
Stücke 6
Bearbeitungen
Antigone
Der Hofmeister
Coriolan
Der Prozeß der Jeanne d'Arc zu Rouen
Don Juan
Pauken und Trompeten
7
Stücke 7
Einakter 1919
Die Kleinbürgerhochzeit
Der Bettler oder Der tote Hund
Inhaltsübersicht 61 *
8
Gedichte 1
Gedichte 1913-1926
Bertolt Brechts Hauspostille
Gedichte 1926-193 3
Gedichte 2
Lieder, Gedichte, Chöre
Gedichte 193 3-193 8
Svendborger Gedichte
Gedichte 193 8-1941
6z * Inhaltsübersicht
10
Gedichte j
Gedichte 1941-1947
Gedichte 1947-19 5 6
Anhang: Die Kriegsfibel
Übersetzungen, Bearbeitungen, Nachdichtungen
11
Prosa 1
Gesammelte Geschichten
Bargan läßt es sein
Der Tod des Cesare Malatesta
Brief über eine Dogge
Der Kinnhaken
Der Lebenslauf des Boxers Samson-Körner
Müllers natürliche Haltung
Die Bestie
Safety first
Der Arbeitsplatz oder Im Schweiße deines Angesichts sollst
du kein Brot essen
Der Soldat von La Ciotat
Gaumer und Irk
Die Geschichte des Giacomo Ui
Das Experiment
Der Mantel des Ketzers
Der verwundete Sokrates
Die Trophäen des Lukullus
Die unwürdige Greisin
Der Augsburger Kreidekreis
Cäsar und sein Legionär
Die zwei Söhne
u.a.
Inhaltsübersidit 63 *
12
Prosa 2
Geschichten vom Herrn Keuner
Me-ti / Buch der Wendungen
Lai-tu-Geschichten
Der Tuiroman
13
Prosa 3
Dreigroschenroman
Prosa 4
Die Geschäfte des Herrn Julius Cäsar
Flüchtlingsgespräche
15
Schriften zum Theater 1
Augsburger Theaterkritiken 1918—1922
Aus Notizbüchern 1920-1926
Über den Untergang des alten Theaters 1924-1928
Der Weg zum zeitgenössischen Theater 1927-1931
Über eine nichtaristotelische Dramatik 1933—1941
Neue Technik der Schauspielkunst 1935—1941
Über den Beruf des Schauspielers 1935—1941
Über Bühnenbau und Musik des epischen Theaters 193 5-1942
16
Schriften zum Theater 2
Der Messingkauf 1937—1951
64 * Inhaltsübersicht
17
Schriflen zum Theater 3
Anmerkungen zu Stücken und Aufführungen 1918—1956
18
Schriflen zur Literatur und Kunst 1
Aus Notizbüchern 1920-1929
Über alte und neue Kunst
Über Kritik 1924—1931
Radiotheorie 1927—1932
Über Film 1922—1933
Kunst und Politik 1933-1938
Bemerkungen zur Bildenden Kunst 1935—1939
19
Schriften zur Literatur und Kunst 2
Über den Realismus 1937-1941
Anmerkungen zur literarischen Arbeit 1935-1941
Aufsätze zur Literatur 1934—1946
Die Künste in der Umwälzung 1948—1956
20
1920
Patriotismus 8
Aufruf zum Streik 8
Keine Hilfe 9
Der freie Wille 10
Notizen ohne Titel 10
Etwa 1926
Mein Appetit ist zu schwach 15
Alles Unglück der Welt 15
Die Ansichten trügen 16
Über den Sozialismus 16
Der Lernende . . . 46
Über Freiheit 5 6
Über die Freiheit 5 7
Reiner Geist? 58
Perversionen (Verkehrtheiten) bei fixiertem K 5 9
Notizen über Individuum und Masse 60
Betrachtungen großer Ingenien 63
Typus des intellektuellen Revolutionärs 64
Über die beste Art, die Menschen von ihren
Klassenvorurteilen zu befreien 64
Über meinen Lehrer 65
Über den Staat 66
Brechtisierung 68
Objektivismus und Materialismus bei Lenin 69
Welche Sätze der Dialektik praktiziert Lenin bei der
Kritik des Objektivismus-Subjektivismus? 70
Ableitung der drei Sätze in Korschs »Why I am a
Marxist« aus der Dialektik 71
Marx an die Proletarier 71
Bekämpfung des Reformismus 72
Beurteilung von Sittenschilderern yz
Grund für Verworfenheit 73
Marx-Beschreibungen 74
Thesen zur Theorie des Überbaus j6
Pädagogik 78
Aus: Ist der Kommunismus exklusiv? jy
Unterschied 81
Im Auftrag der Vernunft 81
P r o l e t a r i a t und Ausbeutung
Erschwernisse der Auseinandersetzung 82
Über den Anbruch gesegneter Jahrhunderte 82
Sklaverei 83
Die Zähne des Kapitalismus 83
Schlechte Ordnung 8 3
70 * Inhalt
Über r e v o l u t i o n ä r e n Kampf
Aus einem Traktat über die Mängel unserer Sprache im
Kampf gegen den Faschismus 96
In den Zeiten der Schwäche 97
Fragen nach einer Niederlage 97
Die Partei 98
Die praktischere Form 99
Über die Beziehung der internationalen
Arbeiterparteien zur KPdSU 99
Notiz über den Versuch demokratischer Institutionen
in der UdSSR 101
Über die Diktaturen einzelner Menschen 1 o 1
Über die Freiheit in der Sowjetunion 104
Die ungleichen Einkommen 105
Über die Moskauer Prozesse 111
Voraussetzungen für die erfolgreiche Führung einer auf
soziale Umgestaltung gerichteten Bewegung 116
Über ein Modell R als auslösendes Moment der
proletarischen Diktatur 118
Masse und Revolution 119
Doppelakt der Befreiung 120
Über die Beamten 121
Die Rechte der Gewerkschaftsmitglieder 121
Auffassungen über Tatbestände 122
Lösung von der Basis aus 122
Inhalt 71
Über D i a l e k t i k
Betreffend: Eine Organisation der Dialektiker 146
Ziele der Gesellschaft der Dialektiker 147
Grundlinie für eine Gesellschaft für Dialektik 149
Die proletarische Dialektik 150
Dialektik 151
Dialektische Kritik 153
Was ist schön? 154
Notizen über Dialektik 154
Anmerkungen 1*
Register >Schriften zum Theater< 31*
Register >Schriften zur Literatur und Kunst< 41*
Register >Schriften zur Politik und Gesellschaft 48*
Zur Ausgabe der Schriften 51*
IM EINVERNEHMEN MIT
HELENE WEIGEL FÜR DIE ERBEN BERTOLT BRECHTS
Bertolt Brecht
sein Werk im Suhrkamp Verlag
Gesammelte Werke
Band i Stücke 1
Band 2 Stücke 2
Band 3 Stücke 3
Band 4 Gedichte
Band 5 Prosa 1
Band 6 Prosa 2
Band 7 Schriften 1
Band 8 Schriften 2
Die Ausgabe ist in einem größeren Schriftgrad als die Werkausgabe
gedruckt: Garamond 10 Punkt.
Die Dünndruckausgabe wird ebenfalls nur geschlossen abgegeben.
Sie ist auf Persia S Bibeldruckpapier gedruckt und in flexibles
Feingewebe gebunden. Die acht Bände befinden sich in einer mit
Leinen überzogenen Kassette. Die Ausgabe hat einen Subskriptions-
preis bis einschließlich 10. Februar 1968.
Die Dünndruckausgabe wird auch in Leder gebunden. Als Einband-
material wurde rotes ostasiatisches Ziegenleder gewählt; der Buch-
rücken ist mit echt Gold geprägt. Jedem der Bände liegt ein Fak-
simile bei (z. B. handschriftliche Korrekturen, Varianten Brechts).
Die Ausgabe wird nur auf Bestellung angefertigt.
Einzelausgaben
Versuche.
Heft 1—4, 5—8 und 9—14. Kt.
Theaterarbeit.
1962. 462 S., mit zahlreichen Fotos. Ln.
Bibliothek Suhrkamp
Bertolt Brechts Hauspostille. Gedichte.
1951. 41. Tsd. 1966. 164 S. mit Gesangsnoten.
Flüchtlingsgespräche.
1961. 35. Tsd.1965.165 S.
Geschichten.
1962. 35. Tsd. 1966. 205 S.
edition suhrkamp
Leben des Galilei.
1963. 220. Tsd.1966. 163 S.
Über Lyrik.
1964. 146 S.
Der gute Mensch von Sezuan.
1964. 150. Tsd.1966.144 S.
Ausgewählte Gedichte.
1964.112 S.
Schallplatte
Bertolt Brecht singt.
Materialien
Materialien zu Brechts >Leben des Galilei<.
Erstausgabe. 1963. 22. Tsd. 1966. es 44. 200 S.
Die Rezeption eines literarischen Werkes ist ein Bestandteil seiner
Geschichte, seines Fortlebens in der Zeit. Der Band mit Materialien
zu Brechts Stück Leben des Galilei ist unter diesem Gesichtspunkt
zusammengestellt worden; er sammelt Kommentare, Analysen und
Selbstauskünfte des Autors. Neben Äußerungen Brechts, darunter
Aufbau einer Rolle und Anmerkungen zu >Leben des Galilei<, stehen
Arbeiten von Kritikern und Wissenschaftlern, die das Theaterstück
untersucht und seine Struktur und Dramaturgie beschrieben haben.
Materialien zu Brechts >Mutter Courage und ihre Kinder<.
Erstausgabe. 1964. 32. Tsd. 1966. es 50. 181 S.
Aus dem Inhalt:
Brecht über >Mutter Courage und ihre Kinder < (Das Modellbuch zur
Aufführung 1949, Anmerkungen zur >Courage<)
Die Benutzung von Modellen (mit Beiträgen von Bertolt Brecht,
Ruth Berlau u. a.)
Die Arbeit an der Aufführung (mit Beiträgen von Paul Dessau und
Angelika Hurwicz)
Über die Aufführung von >Mutter Courage und ihre Kinder< (mit
Beiträgen von Paul Wiegler, Käthe Rülicke u. a.)
Aufsätze über >Mutter Courage und ihre Kinder< (mit Beiträgen von
F. N. Mennemeier, Hans Mayer u. a.)
Anhang (Sekundärliteratur, Aufführungs- und Besetzungslisten,
Theaterrezensionen)
Materialien zu Brechts >Der kaukasische Kreidekreis<.
Erstausgabe, es 155. 194 S.
Der Band Materialien zu Brechts >Der kaukasische Kreidekreis< ent-
hält Kommentare, Analysen und Selbstauskünfte des Autors. Frühe
Fassungen einzelner Szenen werden erstmals veröffentlicht; Ton-
bandaufzeichnungen und Notate der Proben vermitteln einen Ein-
druck von Brechts Arbeitsweise. Der Komponist Paul Dessau und
der Bühnenbildner Karl von Appen berichten über ihre Mitarbeit an
der Inszenierung.
Schriften über Bertolt Brecht
Walter Benjamin
Versuche über Brecht. Hrsg. und mit einem Nachwort versehen von
Rolf Tiedemann. 1966. es 172. 157 S.
Hans Mayer
Anmerkungen zu Brecht. 1965. es 143. 106 S.
es 248. >Baal. Der Böse Baal der Asozialem Texte, Varianten, Ma-
terialien. Erstausgabe. Ediert und kommentiert von Dieter Schmidt.
Aus dem Inhalt: Die vollständige dritte Fassung des >Baal<; Das
Fragment >Der böse Baal der Asoziale<; Lesarten; Rezensionen
wichtiger Aufführungen von 1923 bis 1965; Äußerungen Brechts
zum Stück; Bibliographie; Nachwort.