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SYMBOLISCHE MASCHINEN
Die Idee der Formalisierung
in geschichtlichem Abriß
WISSENSCHAFTLICHE BUCHGESELLSCHAFT
DARMSTADT
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Krämer, Sybille:
Symbolische Maschinen: d. Idee d. Formalisierung in
geschieht!. Abriß I Sybille Krämer. - Darmstadt:
Wiss. Buchges., 1988
ISBN 3-534-03207-1
\9 Bestellnummer 03207-1
ISBN 3-534-03207-1
INHALT
Anmerkungen . 185
Literatur 205
Register . 225
WORIN BESTEHT DIE IDEE DER FORMALISIERUNG?
Stellen wir uns vor: Wir fragen unsere Tochter, die gerade ein halbes Jahr
zur Schule geht, wieviel fünf und drei ist. Die Tochter nimmt fünf Buntstifte,
legt sie der Reihe nach hin, fügt drei Glasmurmeln dazu, zählt die ausge-
legten Gegenstände ab und sagt: "Acht." Wir können diesen Vorgang auf un-
terschiedliche Weisen beschreiben. Zum Beispiel eine Geschichte erzählen,
wie unsere Tochter ihre erste Rechenaufgabe richtig gelöst hat. Oder wir
nehmen ein Blatt Papier und schreiben darauf den arithmetischen Ausdruck
5 + 3 = 8. Dieser Ausdruck ist eine formale Beschreibung dessen, was die
Tochter soeben getan hat.
Wir verstehen die Idee der Formalisierung, wenn wir erklären können,
warum wir mit formalen Beschreibungen keine Geschichten erzählen
können.
Die Möglichkeit, einen Vorgang formal zu beschreiben, d. h. ihn in den
Termini einer formalen Sprache ausdrücken zu können, ist an drei Bedin-
gungen gebunden: die Bedingung des schriftlichen Symbolgebrauches, die
Bedingung des schematischen Symbolgebrauches und die Bedingung des
interpretationsfreien Symbolgebrauches.
(1) Schriftlichkeit
Die erste Voraussetzung, das Lösen einer Rechenaufgabe formal darzu-
stellen, ist, Papier und Bleistift zur Hand zu nehmen. Es können auch Bild-
schirm und Tastatur eines Computers sein- jedenfalls bedarf es eines Me-
diums, welches erlaubt, eindeutig unterscheidbare, graphische Zeichen in
einer bestimmten Ordnung zu fixieren. Die Zeichen, mit denen wir be-
stimmte Zeichenkonfigurationen herstellen können, seien typographische
Symbole genannt. (In dieser Studie wird kein Unterschied zwischen einem
Zeichen bzw. einem Symbol gemacht: beide Begriffe werden äquivalent
gebraucht.)
Auch das Zahlwort 'Fünf' ist ein Zeichen. Doch von dem typographischen
Symbol '5' unterscheidet es sich dadurch, daß die Existenz des Zahlwortes
nicht an die Schriftlichkeit gebunden ist. Zahlwörter gibt es auch in schrift-
losen Kulturen. Die Ziffer '5' existiert jedoch nur als schriftliches Zeichen:
das, was wir aussprechen, wenn wir eine Ziffer lesen, ist nicht die Ziffer
selbst, sondern das ihr zugeordnete Zahlwort. In der mündlichen Wieder-
gabe wird der typographische Ausdruck 5 + 3 = 8, ein räumliches Nebenein-
ander graphischer Zeichen, in das zeitliche Nacheinander von Worten über-
setzt. Die typographischen Symbole sind - strenggenommen - unaus-
sprechbar.
Formale Beschreibungen bedürfen der typographischen Medien. In einer
2 Worin besteht die Idee der Formalisierung?
formalen Sprache können wir zwar Figuren herstellen, jedoch keinen Dis-
kurs führen, also uns verständigen.
(2) Schematisierbarkeit
Hätte die Tochter statt der fünf Buntstifte und drei Glasmurmeln fünf
Bücher und drei Teetassen abgezählt, so bliebe 5 + 3 = 8 immer noch eine
richtige formale Beschreibung dieses Additionsvorganges. Denn solche Be-
schreibungen haben den Charakter eines Schemas. Eine Handlung in der
Perspektive des Schemas, welches sie realisiert, zu beschreiben heißt: diese
Handlung konstituiert keinen Eigen-Sinn; sie gilt nicht als ein Ereignis, das
den Charakter einer Geschichte hat, sondern entlehnt ihre Bedeutung der
Einhaltung eines Schemas. Sie wird dadurch zu einem Verfahren.
Verfahren sind -im Prinzip - unbegrenzt oft reproduzierbar. Unter dem
Gesichtspunkt, ein Verfahren zu sein, können Handlungen formal be-
schrieben werden. Formale Beschreibungen setzen die unbegrenzte Wieder-
holbarkeit der zu beschreibenden Handlungsabläufe voraus.
(3) Interpretationsfreiheit
Wenn auf unserem Blatt Papier der Ausdruck 5 + drei = 8 gestanden
hätte, so wäre dies keine korrekte formale Beschreibung des entspre-
chenden Additionsvorganges gewesen. Denn 'drei' ist kein Terminus der for-
malen Sprache der Arithmetik, sondern gehört zur Sprache der Metaarith-
metik; zu der Sprache also, in der wir über die Arithmetik reden können,
wenn wir z. B. sagen: "Drei ist eine Primzahl." Formale Beschreibungen
setzen die Unterscheidung zwischen einer formalen Sprache und einer Meta-
sprache voraus, in welcher wir über die Operationen der formalen Sprache
reden können.
Die Pointe dieser Unterscheidung ist, daß wir bei Operationen innerhalb
der formalen Sprache keinen Bezug zu nehmen brauchen auf das, was ihre
Zeichen bedeuten. Über die Richtigkeit oder Falschheit eines Ausdrucks
innerhalb einer formalen Sprache läßt sich entscheiden ohne Bezugnahme
auf die Interpretation dieses Ausdruckes.
Im Anschluß an diese Überlegungen kann die erste systematische These
formuliert werden, von welcher die historische Rekonstruktion dieser
Studie ausgeht:
Ein Vorgang ist formal beschreib bar, sofern es möglich ist, diesen mit Hilfe
künstlicher Symbole so darzustellen, daß die Bedingungen des typographi-
schen, schematischen und interpretationsfreien Symbolgebrauches erfüllt
sind.
Ein Vorgang, welcher diesen Bedingungen genügt, kann auch als Opera-
tion einer symbolischen Maschine ausgeführt werden. Was ist unter einer
"symbolischen Maschine" zu verstehen? "Symbolisch" meint hier zweierlei.
Einmal: diese Maschine gibt es nicht wirklich, sondern nur symbolisch. Sie
ist kein Apparat bestimmter physikalischer, z. B. mechanischer oder elektro-
nischer Wirkungsweise, der eine bestimmte Stelle in Raum und Zeit ein-
nimmt, sondern diese Maschine existiert nur auf dem Papier. Zum anderen:
Worin besteht die Idee der Formalisierung? 3
Diese Arbeit bemüht sich, die Idee der Formalisierung im Sinne der
schrittweisen Herausbildung jener Bedingungen (1)-(3), die erfüllt sein
müssen, damit ein Vorgang formalisierbar ist, zu rekonstruieren. Die Idee
der Formalisierung ist ein Resultat der neuzeitlichen Wissenschaft, welche
der Philosoph, Mathematiker und Logiker Gottfried Wilhelm Leibniz
(1646-1716) in aller Deutlichkeit gefaßt hat. Doch die Voraussetzungen
dieser Idee, die überhaupt erst den Boden bereiteten, aus dem sie er-
wachsen konnte, reichen weit zurück bis in die Anfänge eines rechnerischen
Umganges mit symbolischen Zahlenrepräsentanten. Diese Anfänge liegen
nicht in der abendländischen Kultur. Die Konstitution der Mathematik zu
einem beweisenden Lehrstück und damit zu einer Wissenschaft, die wir den
Griechen verdanken, ging vielmehr einher mit einer Rückbildung und Sta-
4 Worin besteht die Idee der Formalisierung?
Wohin reichen die Wurzeln der Idee, mit Zahlen schematisch zu ope-
rieren? Sicher ist, die Zahlen müssen sich abgelöst haben von den Dingen,
die gezählt werden. Und solche Ablösung vollzieht sich da am beharrlich-
sten, wo die Zahlen über ein eigenes Medium ihrer symbolischen Repräsen-
tation und Fortbildung verfügen: in Rechensteinen z. B. oder in Ziffern.
Der Weg, der zu solch symbolischer Zahlenrepräsentation führt, ist die
Herausbildung der Zählreihe, eine Zählreihe, die nicht meht= die abzuzäh-
lenden Dinge aneinanderreiht und durch die Länge dieser Reihe zeigt, "wie
viele es sind", sondern eine Zählreihe, in der gesprochene Zahlwörter die
Zahlen benennen und ihre Aufeinanderfolge als das grundlegende Gesetz
der Zahlbildung kundtun. Da aber, wo sich dieses Gesetz der Zahlbildung
als eine Regel erweist, die Zeichen, die die Zahlen darstellen, nach einheitli-
cher Vorschrift zu bilden, wo also die Zahlbildung nicht mehr das Abzählen
einer vorgegebenen Menge bleibt, sondern zu einer Handlung wird, schrift-
liche Zahlzeichen nach Vorschrift sukzessive zu konstruieren -da ist defini-
tiv der erste Schritt getan zur symbolischen Selbständigkeit der Zahl.
Nicht die ersten arithmetischen und algebraischen Operationen, die uns
durch überlieferte Quellen der ägyptischen und babylonischen Hochkul-
turen bezeugt sind, markieren die Schwelle zu dem Ideengebäude des for-
malen Operierens mit Zeichen, dessen historisch gewachsene Architektur
wir zu beschreiben versuchen. Die Fundamente dieses Gebäudes reichen
viel weiter zurück - hinaus noch über die Entstehung von Ackerbau und
Viehzucht ca. 5000 v. Chr. bis hin zur steinzeitliehen Jägerexistenz, wo uns
aus der Zeit um 30000 v. Chr. Knochen mit regelmäßigen Gravuren überlie-
fert sind, die vielleicht zurückschließen lassen auf die Fähigkeit, Zahlen so
zu erzeugen, daß das Abzählen gegenständlicher Hilfsmengen durch das
Bilden und Abzählen von Zahlzeichen ersetzt wird.
Die Entstehung einer symbolisch erzeugten Zählreihe weist zurück in
einen Zeitraum, dessen Dunkel durch die Überlieferung schriftlicher Zeug-
nisse nicht erhellt ist. Jede systematische ~ekonstruktion -und um eine
solche wollen wir uns hier bemühen - ist entweder angewiesen auf die Aus-
wertung des Verhaltens heute erforschbarer Naturvölker 1 oder kann versu-
chen, Schlüsse zu ziehen aus sprachgeschichtlichen Untersuchungen. 2
Drei Phasen lassen sich bei der Herausbildung der Zählreihe voneinander
unterscheiden:
6 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle
Die Sprache selbst gibt uns Hinweise auf ein Stadium, in dem die Zahlen
mit den gezählten Dingen untrennbar. verschmolzen. 10 Kokosnüsse heißen
bei den Fidschi-Insulanern 'koro'; 1000 Kokosnüsse jedoch 'saloro'. 3 Zahl-
wort und Dingwort fallen zusammen. Gerade so, wie sich in manchen Spra-
chen die Wortform der Zweizahl (Dual), der Dreizahl (Trial) oder - in
einigen ozeanischen Sprachen- der Vierzahl (Quartal) gebildet hat. 4 Das
Arabische bis ca. 700 machte sehr ausgiebigen Gebrauch von dem Dual. So
heißt arabisch: 'radjulum'- 'Mann', 'radjulani'- 'zwei Männer', 'radjalun'-
'Männer'. Das Griechische kennt noch eine alte, allerdings selten ge-
brauchte, Zweizahlform: 'ho philos' - 'der Freund', 'to philö' -'die beiden
Freunde', 'hoi philoi~- 'die Freunde'. 5
Wilhelm von Humboldt erwähnt in seiner Studie über ,den Dualis die
Sprache der Abiponen, eines paraguayischen Volksstammes, die zwei
Formen der Pluralbildung gebrauchten; eine engere Form, die sich auf zwei
oder eine geringe Anzahl von Gegenständen bezieht, und eine weitere
Form, die sich auf viele Gegenstände bezieht 6 :
Singular: ahöpegak ('Pferd')
Engerer Plural: ahöpega
Weiterer Plural: ahöpegeripi.
Was sagt uns solche Zusammenziehung des Dingwortes mit der Anzahl, in
der die benannten Dinge auftreten? Offensichtlich doch, daß hier die An-
zahl als Attribut der gezählten Dinge selber gilt. So wundert es nicht, auf
sprachliche Ausdrücke zu treffen, in denen die Anzahl in der sprachlichen
Form eines Eigenschaftswortes auftritt. Die ersten vier Zahlwörter in der in-
dogermanischen Ursprache 7 und von ihr her z. B. im Altindischen, Kelti-
schen, Griechischen und Altnordischen sind nicht nur dreigeschlechtlich,
sondern auch beugbar. 8
'Eins' hat auch bei uns noch seine Fähigkeit, dem Geschlecht und Kasus des
Hauptwortes zu folgen, bewahrt: ein-en Baum, ein-es Mannes, ein-er Frau.
Solche Sprachbeispiele zeigen: Anzahlen werden als Eigenschaften von
Gegenständen angesehen, nicht anders denn "echte" Eigenschaften.
Zahlen gelten nicht als eigenständige Gegenstände, sondern als Eigen-
schaften der gezählten Dinge. Die Entwicklung unserer natürlichen Sprache
ist über ein solches Stadium hinausgegangen. Wenn wir von einem Stilleben
sagen, es sei ein Bild von drei roten, glänzenden Äpfeln, so gebrauchen wir
das Wort 'drei' anders als die Wörter 'rot' und 'glänzend'; zumindest zeigt der
Die Herausbildung der Zählreihe 7
Verzicht auf die Deklination an, daß wir das Zahlwort nicht in der gramma-
tischen Funktion eines Eigenschaftswortes benutzen, welches der grammati-
schen Form des Dingwortes sich zu beugen hätte.
Wie löst sich die Zahl vom gezählten Ding? Ein wichtiger Schritt auf dem
Wege dieser Ablösung ist die Benutzung gegenständlicher Hilfsmengen zum
Zählen, z. B. Steine, Muscheln oder Stäbchen. Die Wedda, ein auf Sri Lanka
lebendes Naturvolk, zählen ihre Nüsse auf die folgende Weise 9 : Jeder Nuß
wird ein Stäbchen zugeordnet. Über Zahlworte verfügen die Wedda nicht.
Fragt man, wieviel Nüsse sie haben, so weisen sie auf die durch Zuordnung
gefundene M~nge von Stäbchen und sagen "soviel". Der römische Ge-
schichtsschreiber Livius berichtet über eine Hilfsmenge von Nägeln, mit
welcher die Jahre gezählt werden: "Es gibt ein sehr altes Gesetz, in urtümli-
chen Buchstaben und Worten geschrieben, nach dem immer der oberste
Prätor an den Iden des Septembers (dem Jahresanfang der Etrusker) einen
Nagel einschlagen soll an der rechten Seite des Jupitertempels ... Man er-
zählt, dieser Nagel sei ein Zeichen für die Zahl der Jahre gewesen, weil da-
mals Buchstaben und Zahlzeichen noch selten waren. " 10 Eine wichtige Art
Hilfsmengen zu benutzen stellt die Zuordnung der zu zählenden Dinge zu
den Körperteilen des Menschen, insbesondere seinen Fingern und seinen
Zehen, dar. Bei dem amerikanischen Indianerstamm der Dene-Dindje sind
die Bezeichnungen für Fingergesten selbst zu Zahlwörtern geworden. 11 Bei
den Römern finden wir Wendungen wie: "numerare per digitos"- "an den
Fingern abzählen" und "novi digitos tuos"- "ich kenne deine Fertigkeiten
im Rechnen".
Solche Zeugnisse legen Kunde ab von den ersten Schritten, die getan
wurden, um das Abzählen und Bilden von Zahlen in einem selbständigen
Medium zu bewerkstelligen. Der systematische Stellenwert des Gebrauches
gegenständlicher Hilfsmengen kann so charakterisiert werden:
(1) Zahl und gezähltes Ding werden getrennt. Der Mächtigkeitseindruck
von Mengen wird aufgelöst in die Vielheit diskreter, aneinandergereihter
Elemente. Solche Auflösung geschieht durch den Vorgang analogischer
Strukturübertragung, d. h., durch einfache Zuordnung zwischen einem
Ding und dem Element einer Hilfsmenge "vererbt" sich die Anzahl der
Dinge auf die Anzahl der Hilfsmenge. Die ~truktur, die dabei übertragen
wird, ist die Aneinanderreihung diskreter, homogener Einheiten. Solche
Struktur von aneinandergereiten Elementen ist eine erste Einsichtnahme in
das Bildungsgesetz natürlicher Zahlen. Ein Bildungsgesetz, das als eine
Regel beschrieben werden kann, gleichartige Elemente sukzessive aneinan-
derzureihen.
8 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle
Zahlen auf eine Weise überschaubar und beherrschbar zu machen, für die
das menschliche Gedächtnis nicht zur Grenze wird. Das aber ist der Fall, so-
fern wir Zahlen dadurch bilden, daß wir von einer begrenzten Menge von In-
dividualzeichen ausgehen und einer Regel, die genau vorgibt, wie aus diesen
wenigen Individualzeichen alle möglichen Zahlen gebildet werden könne~.
Wer diese Grundzeichen und ihre Verknüpfungsregel kennt, kann im Prinzip
jede Zahl bilden und lesen.
Das einfachste Prinzip solcher Ziffernschrift wäre di~ Strichliste, bei der
jede Zahl durch eine entsprechende Anzahl von Strichen angeschrieben
wird. Bündelte man dann der besseren Übersicht halber diese Striche und
führte Individualzeichen für besonders ausgezeichnete Bündel ein, z. B. für
die Zehn, die Hundert, die Tausend etc., so daß entsprechende Anzahlen
von Strichen durch die Individualzeichen für die Bündel ersetzt werden, so
ergibt sich ein Prinzip der Zählzeichenbildung, das auf Aneinanderreihung
und der Substitution beruht. Ein Prinzip, welches z. B. den altägyptischen
Hieroglyphenziffern und der römischen Zahlenschrift zugrunde liegt.
ägyptisch: römisch:
10
n I.
Bündelung X 10
100
9
2.
Bündelung c 100
1111111111 4.
Reihung «I=(IXI><Il<l >Cl> <IXIXIXI><I>=I>> 5000 X 2
10000
~ BündeJung ~~~ 10000
Über die altägyptische Arithmetik informieren uns vor allem zwei Papyri,
die beide entweder um 1800 v. Chr. - also zur Zeit des Mittleren Reiches -
geschrieben wurden oder unmittelbar auf Vorlagen aus dieser Zeit zurück-
gehen. Es ist dies der Papyrus Rhind, benannt nach dem Engländer A. H.
Rhind, der ihn in Ägypten käuflich erwarb und dem Britischen Museum ver-
machte, und der Moskauer Papyrus, den der Ägyptologe W. Golenischeff er-
warb und der in das Moskauer Museum der Schönen Künste aufgenommen
wurde. 26
Von Aristoteles ist uns eine Notiz überliefert, daß die Ägypter die mathe-
matischen Künste begründet hätten, insofern die ägyptische Priesterschaft
dazu die nötige Muße besaß. 27 Doch solches Bild einer in Muße betrie-
Im antiken Ägypten und Mesopotamien 13
1 12
2 24
4 48
8 96
16 192
21 252
Erklärung: Zur Berechnung von 21 · 12 wird der zweite Faktor 12 fortge-
setzt verdoppelt; dann werden die Zahlen, die mit einem Strich versehen
sind und deren Summe den ersten Faktor 21 ergibt, auf beiden Seiten ad-
diert. Die Multiplikation wird also zurückgeführt auf fortgesetztes Verdop-
peln und Addieren, so daßjede Multiplikationsaufgabe durch bloßes Anein-
anderreihen der Zahlzeichen ausgeführt werden kann.
Das altägyptische Multiplikationsverfahren ist ein frühes Beispiel dafür,
ein mathematisches Problem algorithmisch zu lösen. Wobei "algorithmisch
lösen" hier nur heißt: Bei der Lösung des Problems wird eine Regel ange-
wendet, deren Vorschrift so klar ist, daß jedermann zu jeder Zeit dieses Pro-
blem auf die gleiche Art und Weise löst. Diese Art von Lösungswissen kann
als ein "Rezeptewissen" gelten, als eine Technik, die funktioniert, ohne daß
gewußt werden muß, warum sie funktioniert.
Worauf beruht der ägyptische Multiplikationsalgorithmus? Gehen wir
von unserem Beispiel aus und schreiben dies auf folgende Weise an:
1 12 = 1 . 12
2 24 = 2 . 12
4 48 = 22 • 12
8 96 = 23 • 12
16 192 = 24 • 12
21 252 = 12 + 48 + 192 = 1 . 12 + 22 • 12 + 24 • 12 =
(1 + 4 + 16) 12 = 21 . 12
19 = s= 2 +4+ s <= 2 + ~ + D
Die 8 verdoppelt gibt 16. Es fehlen zur erforderlichen Summe noch 3. Die
werden so gebildet, daß 8 halbiert wird und diese Halbierung noch zweimal
angewandt wird. Das Viertel und das Achtel von 8 ergeben dann zusammen
die fehlende 3.
16 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle
Bei dem Versuch, ein Rechenverfahren zu erklären, das man auch viel ein-
facher hätte haben können und für das van der Waerden sogar den konserva-
tiven Volkscharakter der Ägypter bemüht, 32 scheint Damerows Interpreta-
tion einleuchtend: Die Ägypter konnten gar keine Darstellung der Brüche
durch Zähler und Nenner ausbilden, denn solche Darstellung ist eine multi-
plikative: Sie beruht auf der Multiplikation und Division ganzer Zahlen, 33
d. h. aber auf einer Operation, die die ägyptische Rechentechnik durch
deren Rückführung auf die Addition vermied. Die ägyptischen Rechenver-
fahren können also als algorithmische Problemlösungsverfahren interpre-
tiert werden, deren Kunstgriff darin bestand, multiplikative Problemstel-
lungen mit additiven Mitteln zu lösen. Mit Stammbruchsummen zu rechnen
heißt nichts anderes, als alles Bruchrechnen auf ein additives Operieren mit
Brüchen zurückzuführen.
Erinnern wir uns: Das ägyptische Rechnen ist schriftliches Rechnen.
Keine gegenständlichen Hilfsmittel werden benutzt, \Yie z. B. ein Rechen-
brett oder auch nur Rechensteine, sondern alles Rechnen wird im Medium
schriftlicher Zahlzeichen durchgeführt. Die Pointe solch rein symbolischer
Technik liegt darin, daß die Rechenregeln als Vorschriften gelten können,
die sich nicht auf Zahlen, sondern auf das Operieren mit Zahlzeichen be-
ziehen. Und so wundert es nicht, daß Eigentümlichkeiten dieser Vor-
schriften zurückweisen auf Eigentümlichkeiten des Mediums selbst. Das
Fehlen der Multiplikation als eigenständiger arithmetischer Grundopera-
tion, d. h. aber das Fehlen einer multiplikativen Verknüpfungsstruktur der
Zahlen überhaupt, erweist sich als Konsequenz des rein additiven Aufbau-
prinzips des Zahlzeichensystems.
Addition einer Länge und einer Fläche durchgeführt wird - kann bezogen
werden auf den Grundgedanken, dessen Entfaltung wir hier nachzu-
zeichnen suchen: Wo das Rechnen "symbolisch" wird, also sich als ein Ope-
rieren mit Zeichen organisiert, da werden die Fertigkeiten, die solches
Rechnen zu erlangen vermag, nicht zuletzt von der "glücklichen Wahl" des
Zahlzeichensystems abhängen. Eine solche "glückliche Wahl" aber ist das
babylonische Sexagesimalsystem. 36 Zeigen möchte ich, daß die vollkomme-
nere arithmetische Technik der Babyionier in engem Zusammenhang steht
zu ihrem "vollkommeneren" Zahlzeichensystem.
Als die Akkader große Teile Mesopotamiens eroberten und ihre Dynastie
(2340--2159) Qegründeten, verdrängten sie die sumerische Sprache und
setzten ihre eigene, die semitische, durch. Doch übernahme.n sie von den
Eroberten die Zahlsprache: das sexagesimale System. Worauf beruht die
suggestive Kraft dieser Zahlzeichensprache, durch die die Eroberer sich
erobern lassen?
Das Sexagesimalsystem ist das erste Stellenwertsystem. 37 Die Bedeu-
tung seiner Zeichen ist nicht nur durch das gegeben, was die Zeichen verein-
barungsgemäß darstellen, sondern zugleich auch abhängig von der Stelle,
die sie innerhalb der Gesamtkonfiguration der Ziffern innehaben. Ganz so,
wie bei uns die Ziffer '3' eine jeweils verschiedene Bedeutung hat in den
Konfigurationen '346', '731', '13'. Damit aber wird eine Ökonomie in der
Darstellung vonAnzahlen erreicht, die rein additiv konstruktiv aufgebauten
Zahlzeichensystemen, wie dem ägyptischen oder dem römischen, grund-
sätzlich verwehrt bleibt: große Zahlen können mit wenigen Zeichen über-
sichtlich dargestellt werden. Ein Sachverhalt, derins Auge springt, wenn wir
die in indiscben Ziffern geschriebene Jahreszahl1935 mit der in römischen
Ziffern geschriebenen MDCCCCXXXV vergleichen.
Das Funktionieren eines Stellenwertsystems bedarf der strengen Linea-
rität; eine Sequenz aus elementaren Zeichen wird aufgebaut, die nur dann
eine wohlbestimmte Bedeutung ausdrückt, wenn jedes elementare Zei-
chen einen und nur einen bestimmten Platz einnimmt. Die römische
Zahl MDCCCCXXXV ist im Prinzip auch noch lesbar, wenn sie um-
gekehrt VXXXCCCCDM angeschrieben wird oder gar als ein Haufen
.
~ ~2C Doch kehre ich 1935 um in 5391, so resultiert eine andere
Zahl.
Stellt man diese Forderung strenger Linearität in Rechnung, so lüftet sich
vielleicht der Schleier ein wenig, der über der Frage liegt, wieso es gerade
die Sumerer gewesen sind, die die Möglichkeit solchen Zahlzeichensystems
entdeckten. Denn die Sumerer waren es auch, die die Keilschrift entwik-
18 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle
kelten; das aber ist eine Schrift, die aus der Überwindung der piktographi-
schen Wortschrift hervorgeht und deren Pointe darin besteht, nicht mehr
Dinge bildlich darzustellen, sondern gesprochene Silben, so daß jetzt nicht
mehr für jedes neue Ding auch ein neues Zeichen einzuführen ist, sondern
mit einer begrenzten Menge von Grundzeichen unendlich viele Dinge ausge-
drückt werden können. Die Silben der gesprochenen Sprache aber fließen
linear. Diese Erfahrung der Leistungsfähigkeit eines linearen graphischen
Symbolsystems mag es gewesen sein, die den Boden bereitete, aus dem das
sexagesimale System erwuchs. ,.
Wie nun ist dieses System aufgebaut?
Die Basis dieses Systems ist nicht, wie bei unserem (Dezimal-)System die
Zahl10, sondern die Zahl 60. Anstelle der Individualzeichen 1 bis 9 bildeten
die Babyionier Individualzeichen für die Zahlen 1-59. Diese wiederum
wurden addititiv aus den zwei Grundzeichen, einem senkrechten Keil für die
Eins und einem Winkelhaken für die Zehn, gebildet (s. unten). So wirq es
möglich, beliebig große Zahlen durch die Verwendung von nur zwei Grund-
zeichen auf übersichtliche Weise darzustellen.
In einem wichtigen Punkt unterscheidet sich das Sexagesimalsystem von
dem modernen Dezim~lsystem: es kennt ke~n Dezimalkomma. Daraus folgt
eine grundsätzliche Mehrdeutigkeit der Zahlzeichen. So kann die Zeichen-
<y
folge
y <(
bedeuten: 1. 1,21 = 6o + 21 = 81
2. 1;21 = 1 + 21
6o
3. 1,21,0 = 6o2 + 21 · 6o = 486o
denn die Babyionier kannten keine
Null.
Die eindeutige Zahlbedeutung konnte also nur aus dem Kontext erschlos-
sen werden, innerhalb dessen die Zahlenangaben auftraten. Das Ideal einer
formalen Sprache, deren Zeichen kontextinvariant festgelegt sind, ist also
mit dem babylonischen System noch keineswegs erreicht. Daß aber mit
solch kontextabhängigen Zeichen durchaus unmißverständlich gerechnet
werden kann, zeigt unsere eigene Praxis, für ein Paar Schuhe, das im Schau-
fenster mit 98 ausgezeichnet ist, 98 Mark, nicht aber 98 Pfennig zu bezahlen.
Auf eine weitere Besonderheit des Sexagesimalsystems ist aufmerksam zu
machen: auf das Fehlen eines Zeichens für die Null. Denn die Einführung
des Nullzeichens im indischen Ziffernsystem ist der entscheidende Schritt,
durch den sich das Rechnen mit Zeichen in eine kalkülisierbare Operation
transformiert.
Im antiken Ägypten und Mesopotamien 19
Stil" der Babyionier nicht unabhängig davon gesehen werden, daß ihr Posi-
tionssystem auf einem multiplikativen Prinzip beruht: '374' lesen zu können,
heißt zu wissen, daß in dieser Anordnung '3' für '3 · 100', '7' für '7 · 10' und
'4' für '4 · 1' steht.
Da, wo das Rechnen sich mittels Symbolen vollzieht, prägt die Eigen-
struktur der Symbole die Regeln, nach welchen mit ihnen verfahren werden
kann.
Erst im 16. Jahrhundert begründet der Franzose Vieta mit seiner logistica
speciosa, in welcher er schematische Rechenverfahren durch den Gebrauch
von Buchstaben einführt, die als Zahlenvariablen deutbar sind, die Algebra
im modernen Sinne. "Im modernen Sinne" heißt: eine Algebra, die symbo-
lisch verfährt, so daß die Regeln, die durch diese Algebra auf allgemeingül-
tige Weise formuliert werden, sich unmittelbar auf die Symbole beziehen
und nicht auf das, was die Symbole bedeuten. Solch symbolische Algebra
verfährt also f~rmal. J?ie Entdeckung der Formel aber ist ein Resultat des
wissenschaftlichen Denkens der Neuzeit, und wo immer wir versuchen,- die
Schritte antiken mathematischen Denkens in unserer Formelsprache zu
transskribieren, so handelt es sich dabei um die Zurückprojizierung eines
Verfahrens, welches sich zu den eigenen Voraussetzungen antiken mathema-
tischen Denkens fremd verhält. Es gibt also - das sei hier schon vorweg-
genommen - in der Antike keine formale Algebra im neuzeitlichen Sinne.
Mit welcher Berechtigung wir dennoch von einem algebraischen Denken
sprechen können, das, wenn auch nicht formal verfahrend, sich doch abhebt
vom arithmetischen Tun, soll nun erkundet werden.
0
III
Darin ist das Zeichen 0 für ein Sand- oder ein Getreidekorn, also für einen
konkreten Gegenstand enthalten. In dem etwas jüngeren Papyrus Rhind ist
dieses Zeichen durch die Buchrolle
(X + ~) - ~ (X + ~X) = lo.
In der Lösung dieser Gleichungen verfuhren die Ägypter, wie wir auch
heute verfahren würden: Die Unbekannte wird zu ihren Bruchteilen ad-
diert und das konstante Glied durch den sich ergebenden Koeffizienten
dividiert.
Scheinbar bedienten sich die Ägypter auch der Methode des falschen
Ansatzes:
(3) Beispiel, Papyrus Rhind, Nr. 26:
"Ein Haufen und sein Viertel geben zusammen 15."
1
X+ 4 X= 15.
22 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle
Die ägyptische Lösung fängt so an: "Rechne mit 4, davon mußt du ein
Viertel nehmen, nämlich 1; zusammen 5." So dann wird dividiert,
15 : 5 = 3, und endlich multipliziert: 4 · 3 = 12, ihr Viertel ist 3, zu-
sammen 15.
Bei dieser Lösung wird die Regula falsi benutzt, deren Kunstgriff darin be-
steht, eine beliebige Zahl für die Unbekannte einzusetzen, in unserem Falle
4, weil man davon leicht ein Viertel berechnen kann. Vier und ein Viertel von
Vier ergeben 5. Da jedoch 15 das Ergebnis sein muß, braucht nun nur noch
mit 3 multipliziert zu werden.
(4) Ein quadratisches Beispiel aus dem Berliner Papyrus 6619:
"Ein ferneres Beispiel der Verteilung einer gegebenen Fläche auf meh-
rere Quadrate, wenn dir gesagt wird, 100 Quadratellen auf zwei unbe-
kannte Größen zu verteilen und ~ der Seite der einen Größe für die
andere zu nehmen, bitte gib mir jede der unbekannten Größen an."
In unserer Ausdrucksweise:
3 3
x + y = 100; X : y = 1 : 4; d. h. y = 4 X.
2 2
Auch diese Aufgabe wird mit Hilfe der Regula falsi gelöst. Zunächst wird für
2
x der Wert 1 angenommen. x 2 + y 2 oder x 2 + ( 3 x ) ist dann 25 = 1 +
4 16
(~) ~~ · 64 = 100, also ist x2 = 64. x =
2
• Nun ist 8, y = 6.
Was für uns hier von Interesse ist, bezieht sich weniger auf die angewendeten
Lösungsverfahren, als vielmehr auf die Art und Weise, in der diese Aufgaben
gestellt sind. Es handelt sich nicht mehr um Probleme, die der Bewältigung
technischer und organisatorischer Aufgaben dienen, sondern hier scheint
das Stellen und Lösen von Aufgaben "um ihrer selbst willen" betrieben.
"Um ihrer selbst willen" aber heißt, der Gegenstand des Interesses ist nicht
der be-rechnende Umgang mit den Dingen, sondern das Umgehen mit den
Zahlen selbst.
durch Benutzung der bereits erwähnten Tabellen. Beispiele für das kunstfer-
tige Vorgehen beim Lösen von Gleichungen in diesem erweiterten Bereich
können aus vielen vorzüglichen mathematikgeschichtlichen Studien ent-
nommen werden und seien hier nicht noch einmal reproduziert. 46 Statt
dessen sei hier auf zwei Arten von Aufgaben besonders hingewiesen, in
denen sich ein echter Fortschritt der algebraischen Technik gegenüber den
Verfahren der Ägypter abzuzeichnen scheint.
Es gibt in der babylonischen Mathematik neben rein kubischen Glei-
chungen auch Probleme nur scheinbar kubischen Charakters, die durch die
geschickte Einführung neuer Unbekannter auf quadratische Probleme redu-
ziert werden. 47
In Neugebauers Mathematischen Keilschrift-Texten I, 485, Problem D 2,
finden sich folgende (transskribierte) Gleichungen:
Dies sieht aus wie ein kubisches Problem. Werden jedoch die neuen Unbe-
kannten u, v eingeführt, gemäß dem Ansatz:
x = u + v; y = u- v,
so verwandelt sich die Aufgabe folgendermaßen:
O· 40 u - O· 4 v2 = 15
u 2' - v2 = 10,0,
' d. h. 0; 4 u2 - 0; 4v 2 = 40,
woraus die einfache quadratische Gleichung
O· 4u2 - O· 40u = 25
hervorgeht. ' '
Dieses Verfahren, Gleichungen zu vereinfachen durch das Einführen
neuer Unbekannter, interpretiert Oskar Becker als ein Zeichen echt alge-
braischen Denkens, "das sich von den konkret-anschaulichen Vorausset-
zungen einer Aufgabe lösen kann und rein im Formalen arbeitet".
Fast alle in der Literatur ausgewerteten babylonischen Aufgabentexte
arbeiten mit konkreten Zahlenbeispielen. Neuerdings ist ein von Thureau-
Dangin veröffentlichter Text, den bereits Neugebauer abdruckte, ohne mit
diesem Text "etwas anfangen zu können", von H. Freudenthai in der Weise
gedeutet worden, daß es sich bei diesem Text um einen Lehrtext handeln
müsse; 48 um einen Text also, in dem ein allgemeines Rezept ohne Nennung
spezieller Zahlen angegeben wird, zur Lösung einer mathematischen Auf-
gabe.
AO 6760 (Thureau-Dangin, Textes math. babyl. 71):
1. Die Länge und Breite sind zusammen gleich der Fläche. Du gehst so zu
Werke:
2. Den Multiplikator stellst du (d. h. schreibst du) zweimal auf;
24 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle
zeigt uns, daß das, womit in dieser Aufgabe operiert wird, eben keine geo-
metrischen Objekte sind, sondern Zahlen, arithmetische Objekte. Die
Wörter 'Länge' und 'Breite' ('us' und 'sag') sind nichts anderes als Versinn-
bildlichungen von Zahlen als den eigentlichen Gegenständen algebraischen
Tuns. 50
Wir können jetzt eine Antwort auf die Frage geben, wieso überhaupt sinn-
voll von einer ägyptischen und babylonischen Algebra gesprochen und wie
diese charakterisiert werden können.
(1) Es sind Aufgaben gegeben, bei denen eine oder mehrere unbekannte
Zahlen zu be.stimmen sind. Diese Aufgaben werden gelöst, indem Glei-
chungen aufgestellt und dann schrittweise umgeformt werden, bis die ge-
suchte(n) Zahl(en) errechnet ist (sind). Bei diesen Gleichungsumfor-
mungen kommen Regeln zur Anwendung (auf beiden Seiten die gleichen
Operationen durchführen, neue Unbekannte einführen etc.), die auch die
Regeln der klassischen Algebra sind. Diese Regeln- und das ist der Punkt,
der es überhaupt erlaubt, hier von einer "Algebra" zu sprechen- beziehen
sich auf das Operieren mit Zahlen, sind also nicht mehr als Anleitungen zur
Lösung praktisch-organisatorischer Probleme zu verstehen. Im Zuge dieses
Zahlenoperierens machen sich die Babyionier Einsichten in Zahlenverhält-
nisse zunutze, die wir heute mit den Formeln
(a + b )2= a2 + 2ab + b2
oder
(a + b) · (a - b) = a2 - b2
anschreiben würden.
Doch diese Einsichten in Zahlenverhältnisse finden sich nirgendwo ex-
plizit formuliert. Sie werden nur angewendet, so daß wer sich mit den
Aufgaben auseinandersetzt und diese als Beispiele für die Anwendung be-
stimmter Regeln zu interpretieren vermag, implizit das Regelwissen sich er-
schließen kann. Die Ausnahme bildet der als drittes Beispiel aufgeführte
L.ehrtext.
'Daß diese Regeln nicht als Regeln gelehrt, sondern eben nur beispielhaft
vorgeführt werden, hängt mit dem nichtformalen Charakter der antiken Al-
gebra zusammen. Mathematische Regeln auf allgemeingültige Weise zu for-
mulieren, heißt zu formalisieren. Doch die Gleichungen, um die es hier
geht, sind Wortgleichungen, die mit konkreten Zahlenangaben arbeiten.
Und wenn es auch einen Fortschritt markiert, daß es hier um Zahlen über-
haupt und nicht mehr um die Berechnung von Gegenstandmengen geht- ein
Fortschritt, der die Anwendung des Terminus 'Algebra' möglich macht-, so
streifen die ägyptische und babylonische Algebra die Schranken gleichsam
~6 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle
individueller Zahlenrätsel keineswegs ab. Dies ist erst dann der Fall, wenn
für die Zahlenkoeffizienten einer Gleichung allgemeine Zeichen eingeführt
werden, die- anders als das Zeichen für die Unbekannte- nicht mehr einen
wohlbestimmten Wert, sondern alle möglichen Zahlenwerte repräsentieren,
die für die Zeichen so eingesetzt werden können, daß die Gleichung einen
richtigen Ausdruck ergibt. Die Aufstellung eines solchen Lösungsschemas
setzt also die Entwicklung eines geeigneten Symbolismus voraus. Wobei "ge-
eignet" hier nur heißt, daß ein solches Symbol nicht :rpehr für ein wohl-
bestimmtes Objekt steht- wie bei den Zahlzeichen, wo jeder Ziffer genau
eine Zahl entspricht, oder bei dem ägyptischen Zeichen für die Unbe-
kannte, da hier die Zahl zwar noch unbekannt, doch durch die Koeffizienten
der Gleichung genau determiniert ist-, sondern ein solches Symbol stände
für "unbestimmte" Objekte, deren Gegebensein alleine dadurch verbürgt
ist, daß das Verfahren, welches mit dem Schema festgelegt wird, auf die-
selben angewendet werden kann. Eine solche Art des Symbolgebrauches
aber liegt dem mathematischen Denken der Ägypter und Babyionier fern.
Daher sei ihre Algebra in Absetzung zu der neuzeitlichen, symbolisch ver-
fahrenden Algebra "rhetorische Algebra" genannt.
(2) Diese rhetorische Algebra ist keine Wissenschaft im Sinne der '_ma-
thema' als eines beweisenden Lehrstückes. Nirgends findet sich ein Ansatz-
punkt zu dem, was wir einen Beweis nennen würden. 51 Das Lösungsverfahren
wird mit Worten wie "Tue dies, tue das" beschrieben, ohne auch nur eine Spur
der Erklärung bzw. Begründung, wieso das, was man zu tun hat, überhaupt
funktioniert. Die Algebra wird als ein Rezeptewissen praktiziert. Die erfolg-
reiche Anwendung von Rezepten beruht nicht darauf, zu wissen, warum ein
Rezept "anschlägt": Wenn ich eine zu dünne Soße mit weiterem Mehl ein-
dicken kann, so beruht der Erfolg solchen Tuns nicht auf einem Wissen um
jene chemischen Vorgänge, aus denen er resultiert. Die Algebra ist ein
Können, eine techn~, nicht aber eine deduktive, d. h. beweisende Theorie.
Damit aber finden wir in der altorientalischen Mathematik einen "Stil", der
sich als ein Know-how versteht, und in dessen Tradition später-wichtige
Neuerer des aigorithmisch-kalkulatorischen Denkens stehen werden.
• •• •
• •• • •• •• • •• •• •• •
1 1 + +
2 + 1+ + +2 3 1 2 3 4
Aus dieser Anordnung ergibt sich, daß zwei gleiche Dreieckszahlen zu-
sammen eine "heteromeke" Zahl in Form eines Rechteckes ergeben.
0 0 0 0
o·
•0 . •
•
0
•
0
0
0
0
0 0
0
0
0
•
0
•• • •• •• • •• •• •• •
0 0 0
2 1 2 3 2 6 2 10
Schematische Zahlenoperationen im antiken Griechenland 29
Es gibt eine "Nahtstelle", an der dieser Übergang von der Gewißheit, die
aus operativer Bewältigung resultiert, zur Gewißheit, die allein der logi-
schen D~duzierbarkeit vertraut, für uns unmittelbar nachvollziehbar wird.
Es ist dies die bereits erwähnte LvGuU, die Euklid in seine Bücher VII-IX
-allerdings transformiert zu einer beweisenden Lehre- aufgenommen hat.
Bei dem Komödiendichter Epicharmos findet sich eine Anspielung auf diese
Lehre, die wir als Hinweis darauf werten können, daß Überlegungen über
gerade und ungerade Zahlen ursprünglich im Kontext von Operationen mit
den Rechensteinen standen: "Wenn einer zu einer geraden Zahl, meinet-
halben auch einer ungeraden, einen Stein zulegen, oder von den vorhan-
denen wegnehmen will, meinst du wohl, sie bliebe dieselbe?" 61
Oskar Becker legte 1936 eine Untersuchung vor, in welcher er die LvGuUso
rekonstruierte, daß ihre Sätze vermittels der Auslegung figurierter Zahlen ge-
funden und deren Richtigkeit operativ aufgezeigt werden konnte. 62
Schauen wir uns dazu das Beispiel eines Satzes über gerade Zahlen an, der
im IX. Buch Buklids unter der Nummer 21 steht:
Setzt man beliebig viele gerade Zahlen zusammen, so ist die Summe gerade.
Wie kann solcher Satz durch die Rechensteinarithmetik demonstriert
werden? 63 In Buch VII finden sich unter der Nr. 6 und Nr. 7 zwei Defini-
tionen für gerade und ungerade Zahlen:
VII 6: Gerade ist die Zahl, die sich halbieren läßt.
VII 7: Und ungerade die, die sich nicht halbieren läßt oder die sich um die Einheit
von einer geraden Zahl unterscheidet.
Schematische Zahlenoperationen im antiken Griechenland 31
Mit Hilfe der figurierten Zahlen kann man diese Definitionen so zum Aus-
druck bringen:
•• •• •• •• •• •• •• •• •
geradeZahl ungerade Zahl
D
Die Richtigkeit von Satz IX 21 kann nun so gezeigt werden:
Bei Euklid findet sich von einer solchen möglichen Bezugnahme auf die
Rechensteintechnik nichts mehr. Statt dessen wird ein Beweis geliefert, der
sich auf das Theorem Eiern. VII 5 stützt, das uns heute als Distributivgesetz
geläufig ist, sowie auf die Definition Eiern. VII Def. 6. Im Wortlaut:
Beliebig viele gerade Zahlen AB, BC, CD, DE seien zusammengesetzt. Ich be-
haupte, daß die SummeAE gerade ist.
Jede der Zahlen AB, BC, CD, DE hat, da sie gerade ist, einen Teil, der die Hälfte ist
(Eiern. VII Def. 6). Folglich hat auch die Summe AE einen Teil, der die Hälfte ist
(Eiern. VII 5). Gerade aber ist die Zahl, die sich halbieren läßt (Eiern. VII Def. 6).
Also istAE gerade- q. e. d.
An die Stelle der operativ durchsichtigen Erzeugung von "Zahlenbil-
dern", welche Eigenschaften von Zahlen, d. h. arithmetische Gesetzmäßig-
keiten, auf anschauliche Weise zum Ausdruck bringen, tritt der deduktive
Aufbau eines Systems von Sätzen, der es möglich macht, die Richtigkeit
eines Satzes darauf zurückzuführen, daß dieser Satz in der logischen Reihen-
folge der Sätze eine wohlbestimmte Stelle einnimmt ..
Vielleicht kann diese "Verdrängung", die hier im Übergang von der vor-
wissenschaftlichen zur wissenschaftlichen Arithmetik sich vollzieht und die
die Verdrängung nichtbeweisbarer Erkenntnisse ebenso einschließt wie die-
jenige des operativen Beweises gegenüber dem logisch-deduktiven, als
paradigmatisch gelten für das Verhältnis von altorientalischem Rezepte-
wissen und griechischem wissenschaftlichen Wissen.
32 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle
Vom Standpunkt der Algebra als einer Disziplin, die vom Auflösen von
Gleichungen durch rechnerische Umformungen handelt, ist das algebrai-
sche Wissen der griechischen Mathematiker -vorsichtig ausgedrückt - kein
Fortschritt gegenüber jenen Fertigkeiten, die uns durch babylonische Texte
überliefert sind. Das Autorenkollektiv Bourbaki spricht von einer Stagna-
tion der algebraischen Technik. 64 Schauen wir, was unter der griechischen
Algebra zu verstehen ist. Der Mathematikhistoriker Zeuthen charakteri-
sierte diese als erster mit dem Terminus "geometrische Algebra". 65
Im Buch II der >Elemente< des Euklids findet man eine Reihe von Sätzen,
welche -vom Standpunkt der modernen, symbolischen Algebra aus ge-
sehen - algebraische Formeln in geometrischer Einkleidung darstellen. So
heißt es z. B. in Satz II 1:
Hat man zwei Strecken und teilt die eine von ihnen in beliebig viele Abschnitte, so ist
das Rechteck aus den beiden Strecken den Rechtecken aus der ungeteilten Strecke
und allen einzelnen Abschnitten zusammen gleich.
al'---------'---"----11
I I
b c d
a b
und entspricht der Formel:
(a + b )2 = a2 + 2ab + b2 •
Wir sehen an diesen Beispielen, daß die Algebra quadratischer Glei-
chungen als ein System geometrischer Sätze über Flächenverwandlungen
Schematische Zahlenoperationen im antiken Griechenland 33
Es ist eine der großen Leistungen der griechischen Mathematik, die In-
kommensurabilität (z. B. der Seite und Diagonale eines Quadrats) nicht nur
als Phänomen entdeckt, sondern zugleich auch den Begriff des Inkommen-
surablen gewonnen zu haben. Dabei sei unter dem Begriff "inkommensu-
rable Größe" die Möglichkeit verstanden, von einer gegebenen Größe arith-
metisch zu beweisen, daß sie irrational ist. Die Wurzel aus 2 scheint die erste
Größe zu sein, deren Irrationalität durch arithmetische Überlegungen im
Zusammenhang eines indirekten Beweises gezeigt werden konnte. Die mei-
sten Euklidkodizes überliefernamEndes des X. Buches der >Elemente<, als
Nachtrag einer späteren Hand, einen "alten Beweis", der darauf hinaus-
läuft, daß, wenn Quadratseite und -diagonale kommensurabel wären, die-
selbe Zahl zugleich gerade und ungerade wäre. Auch Aristoteles erwähnt
diesen Beweis (als Beispiel einer reductio ad absurd um), der so wiederge-
geben werden kann 7 0:
34 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle
Angenommen, das Verhältnis von Diagonale und Seite eines Quadrats sei p zu q, ausge-
drückt in den kleinsten Zahlen, die demnach relativprimzueinander sind, so daß eine
von ihnen gerade, die andere ungerade ist. Esist2 = p 2 : q2 oder2 = q2 : p 2 • Nunistent-
weder p oder q ungerade, also entweder p 2 oder q2 ungerade. Wäre p 2 ungerade, so wäre
es der geraden Zahl2q2 gleich: p wäre zugleich gerade und ungerade. Wäre q aber unge-
rade, so muß p gerade, also p 2 durch 4 teilbar sein. ~p2 ist also noch durch 2 teilbar.
Es ist aber l = ~ p 2 • Also wäre wiederum eine ungerade (q:) einer geraden Zahl
{~ p 2) gleich. Daß eine Zahl zugleich gerade und ungerade ist, ist ein logischer Wider-
spruch und also unmöglich. Es sind sich gegenseitig nicht messende Strecken konstru-
ierbar, deren Verhältnisse zueinander nicht durch das Verhältnis ganzer Zahlen aus-
drückbar ist. Es gibt keine natürliche Zahl und kein Verhältnis von Zahlen, das ein
arithmetisches Äquivalent zu diesen geometrischen Objekten sein könnte. 71
Doch diese Geometrisierung fordert ihren Preis. Stellen wir uns vor, alle
Elemente, die in Rechnungen eingehen, sowie Operationen mit diesen Ele-
menten müssen jeden Augenblick geometrisch deutbar sein. Für diese geo-
metrische Deutung aber gilt das Homogenitätsgesetz. 75 Gemäß diesem
Gesetz führt die Multiplikation zweier Strecken zu einer Fläche, die Multi-
Schematische Zahlenoperationen im antiken Griechenland 35
Algebra auch zu einer Antwort auf die Frage, welche Form die schriftliche
Überlieferung einer mathematischen Lehre anzunehmen hat, die "für sich
selber spricht".
Wir haben verfolgen können, wie die Etablierung der Mathematik als
einer apodeiktischen (aufzeigenden) Wissenschaft- una damit die für die
Griechen unausweichlich gewordene geometrische Interpretation von Zah-
lenverhältnissen- das rein arithmetische Problemelösen, wie es z. B. die Ba-
bylonier mit großer Kunstfertigkeit praktizierten, zum bescheidenen
Rinnsal verdünnten. In den Büchern VII-IX der >Elemente< Euklids wird
zwar die Arithmetik in ihren allgemeinen wissenschaftlichen Grundlagen be-
handelt- doch keiner dieser Sätze über Zahlen wird auch nur durch ein Zah-
lenbeispiel erläutert.
Um so augenfälliger hebt sich da die Gestalt eines Mathematikers in der
hellenistischen Epoche heraus, bei dem das rein arithmetische Denken mit
solcher Schwungkraft :vorwärtsstrebt, daß es sich aus sehr "ungriechischen"
Quellen zu speisen scheint. 78 Es ist dies der ca. 250 n. Chr.lebende Diophant
von Alexandrien, der das Operieren mit Zahlen zu einer der griechischen
Arithmetik unbekannten Blüte entfaltet. Diophant von Alexandrien ist ein
großer "Rechner". Und das heißt zuerst einmal: er bricht mit der für das klas-
sische griechische Denken konstitutiven geometrischen Deutung arithmeti-
scher Operationen. Wenn er etwa in herkömmlicher Weise von rechtwinkli-
gen Dreiecken spricht, versteht er darunter nur noch drei Zahlen g, k, h,
die in der Relation i + 1(2 = h2 stehen. Dies zeigt sich daran, daß er das
Homogenitätsgesetz außer Kraft setzt und ganz unbedenklich die Fläche
1
- gh eines solchen Dreiecks mit einer der Katheten addiert, daß er verlangt,
2
eine Kathete solle ein Kubus sein etc. 79 Überdies kommt seine arithmetische
Ausrichtung darin zum Ausdruck, daß er in seinen Aufgaben zumeist nach
bloßen Zahlen fragt, nicht mehr aber nach konkret zu berechnenden Größen
von Dingen. "Eine gegebene Zahl (100) ist in zwei Summanden zu zerlegen,
die eine gegebene Differenz haben (40). " 80 Um derartige Aufgabenstel-
lungen zu finden, müssen wir schon zurückgehen in vorgriechische Zeiten,
z. B. zu den aha-Rechnungen (Haufen-Rechnungen) der Ägypter, die Auf-
gaben stellten wie: "Ein Haufen und sein Siebtel ist 19. " 81
So ist Hankel zuzustimmen, wenn er feststellt, Diophant sei der erste ge-
wesen, der mit allgemeinen, zusammengesetzten Zahlenausdrücken nach be-
stimmten formalen Gesetzen der Addition, der Subtraktion, der Multiplika-
tion, der Division, der Potenzierung und der Radizierung operiert, d. h. ge-
rechnet habe. 82 Erst durch diese, im Verzicht auf die geometrische Re-
Schematische Zahlenoperationen im antiken Griechenland 37
(1) M Einheit
-
(s) ~ - Zahl
(sz) AY - Quadrat
(s3) KY - Kubus
(s4) QYQ - Dynamodynamis86a
38 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle
Des weiteren hat er Zeichen für reziproke Potenzen s- 1, s- 2 etc. Auch für die
Rechenoperationen führt er standardisierte Zeichen ein.
Auf der Grundlage dieser Zeichenschrift löst Diophant alle Typen quadra-
tischer, kubischer und biquadratischer Gleichungen. Vorbildlose, meister-
liche Könnerschaft aber entwickelt er auf dem Gebiet der "unbestjmmten
Analytik", beim Auflösen unbestimmter Gleichungen, die aus Gleichungs-
systemen mit mehr Unbekannten als Gleichungen bestehen. Als Lösungen
solcher Gleichungen läßt er keineswegs - wie der Begriff "diophantische
C(
Gleichung" suggeriert- nur ganze Zahlen zu, sondern es genügen ihm ratio-
nale Lösungen. 87 In dieser Hinsicht zumindest - nur rationale Größen als
Zahlen zuzulassen - steht Diophant ganz in der Tradition des klassischen
griechischen Denkens, die er zugleich überwindet, indem er Brüche als
Zahlen und damit als Lösungen zuläßt, nicht allerdings negative Zahlen.
Hankel feiert Diophant als "Vater der Arithmetik und Algebra", 88 van der
Waerden gibt implizit zu erkennen, daß in Diophants Algebra die Grenzen
der rein rhetorischen Algebra überschritten seien. 89 Markiert also Diophant
eine entscheidende Zäsur in der Entfaltung des arithmetisch-algebraischen
Denkens?
Ausgehend von der: Grundidee unserer geschichtlichen Rekonstruktion,
der Idee des "operativen Symbolismus", die eine allgemeingültige Formali-
sierung geistiger Operationen überhaupt erst erlaubt, läßt sich eine Antwort
auf diese Frage finden, indem wir unser Augenmerk auf den diophantischen
Gebrauch algebraischer Zeichen legen. Zwar führt Diophant Zeichen ein,
die das rechnerische Umgehen mit Gleichungen ungemein erleichtern,
indem sie es übersichtlicher gestalten. Doch - und darauf machte bereits
Moritz Ca~~or aufmerksam - diese Zeichen sind Abbreviaturen, Abkür-
zungen für etwas, das im Prinzip auch ohne den Gebrauch dieser Zeichen ge-
geben ist. 90 So etwa steht das Zeichen für die Unbekannte stets für eine
wohlbestimmte, wenn auch noch unbekannte Zahl. Dieses Zeichen wird
nicht operativ gebraucht wie die später von Yieta in die Algebra einge-
führten Buchstabenzeichen für die konkreten Zahlenkoeffizienten, die
nicht mehr für wohlbestimmte, sondern für "unbestimmte" Zahlen stehen,
d. h. aber für alle Zahlen, die in die allgemeine Form der Gleichung so einge-
setzt werden können, daß sich ein richtiger Ausdruck ergibt. Gemessen an
diesem operativen Umgang mit Symbolen, verbleibt Diophant in den
Grenzen der rhetorischen Algebra: seine Arithmetik handelt nicht von allge-
meingültigen Lösungen. Dieser Tatbestand wurde häufig vermerkt. 91 Von
Diophants Hauptwerk, den >Arithmetika<, sind uns sechs Bücher überlie-
fert, die insgesamt 189 Aufgaben mit ihren Lösungen enthalten. Doch nir-
gends findet sich eine systematische Theorie der Gleichungen. Die Methode
der Auflösung- häufig überaus gewitzt und scharfsinnig-·variiert von Fall zu
Fall, so daß, hat man die Lösungen von 150 Aufgaben nachgerechnet, kei-
neswegs klar ist, auf welche Weise die 151. Aufgabe zu lösen sei. 92
Dieser Mangel an methodischer Durchsichtigkeit, der ja nur eine Konse-
In China, Indien und bei den Arabern 39
Das erste uns überlieferte speziell mathematische Werk der Chinesen ist
die >Mathematik in neun Büchern< (Chiu Chang Suan Shu). 96 Entstehungs-
zeit, Quellen und Autoren dieses Werkes sind uns nicht bekannt. Die uns
überlieferte Fassung ~tammt von Liu Hui aus dem Jahre 263. Es ist anzu-
nehmen, daß die >Mathematik in neun Büchern< das Wissen der Mathema-
tiker des ersten Jahrtausends v. Chr. zusammenfaßt und kommentiert. 97 Im
Jahre 656 wird sie dem offiziell geltenden mathematischen Hauptlehrbuch
eingegliedert. Die erste uns bekannte Drucklegung stammt aus dem Jahre
1084. Dieses Buch, das die gesamte weitere Entwicklung der Mathematik in
China wie auch außerhalb Chinas beeinflußte, ist kein wissenschaftliches
Werk. Nirgendwo werden Kenntnisse, die es lehrt, bewiesen. Vielmehr geht
es um eine Zusammenstellung von Lösungsrezepten, bestimmt für Baumei-
ster, Beamte des Finanz- und Wirtschaftswesens, Kaufleute etc. Dem ent-
spricht, daß die Gliederung der Aufgaben in den neun Büchern nicht der
methodischen Gliederung der Lösungsverfahren folgt. Vielmehr werden
Aufgaben zusammengestellt, die sich zwar unterschiedlicher Lösungsver-
fahren bedienen, jedoch dadurch zusammengehalten werden, daß die
Gegenstände der Aufgaben einander ähnlich sind oder eine ähnliche Berufs-
gruppe mit diesen angesprochen wird. Es fehlt der Gedanke einer methodi-
schen Einheit von Problemstellungen, gemäß der Einheitlichkeit ihrer
Lösungsverfahren.
Bei Juschkewitsch findet sich eine ausführliche Darstellung der neun Bü-
cher, die nicht noch einmal reproduziert werden soll. Nur auf den Inhalt
eines Buches sei hier genauer Bezug genommen. In Buch VIII findet sich ein
Verfahren zur Lösung bestimmter linearer Gleichungssysteme mit mehreren
Unbekannten. Von exemplarischer Bedeutung ist dieses Verfahren, weil es
sich hierbei um einen regelrechten Algorithmus handelt. Die algorithmische
Lösung von Gleichungssystemen stellt ein Novum in der Geschichte des
mathematischen Denkens dar.
In China, Indien und bei den Arabern 41
Die Tabelle (2) bildet in unserer heutigen Ausdrucksweise die Matrix des
Systems (1). Sie wird umgeformt, indem man nacheinander die Elemente
der ersten Spalte von rechts von den Zahlen abzieht, die den entspre-
chenden, mit a 11 multiplizierten Elementen der zweiten, dritten etc. Spalten
gleich sind. Qie Subtraktion wird so lange fortgesetzt, bis die gesamte erste
Zeile mit Ausnahme des Elementes a 11 aus lauter leeren Spalten besteht.
(Die Koeffizienten in den Aufgaben der >Mathematik in neun Büchern< sind
ganze Zahlen.) Man verfährt auf diese Weise mit dem Teil der transfor-
mierten Tabelle, der im nachstehenden Schema durch die Winkellinie abge-
trennt ist:
au
an(~ ... a ~1)
2 a12
(3)
(1) s1)
ann ... an a1n
b~1) ..• b~1) b1.
au
a~~ aln
a~2J
I I
(4)
I
I I
(n-1)
ann
~2)
- - - - - an a~~ aln
b~n-1) _____ b~2) b~l) bl.
Diese Transformationen entsprechen einer schrittweisen Elimination der
Unbekannten und einer Aufstellung des Hilfssystems:
aux1 + a12X2 + ... + a1nXn = b1,
a~~X2 + . . . + a~~Xn = bg;
a~~3 + . . . + a~~Xn = b~ ?
2
(5)
(n -:J)
annXn = b(n-1)
n·
Eine Antwort auf die Frage zu geben, warum gerade in China die Algo-
rithmik erblühte, übersteigt die Möglichkeiten dieser Studie. Doch sei ein
Sachverhalt erwähnt, der vielleicht den Boden mit bereitete, aus dem das
algorithmische Problemelösen erwuchs.
Erinnern wir uns: Das von uns mit algebraischen Symbolen dargestellte
Lösungsverfahren "fang-cheng" wurde von den Chinesen mit Hilfe von
Stäbchen auf dem Rechenbrett durchgeführt. Auf diesem Rechenbrett ge-
langten die chinesischen Rechner zu hoher Virtuosität 100 : nicht nur die vier
Grundrechenarten, selbst mit großen Zahlen, konnten darauf mühelos aus-
geführt werden, sondern auch das Wurzelziehen und eben: das Auflösen von
Gleichungen. Die virtuose Handhabbarkeit des Rechenbrettes gründet in
Eigenschaften der Stäbchenziffern, mit denen die Chinesen ihre Zahlen auf
dem Brett ausl~gten. Die Stäbchenziffern bilden das älteste uns überlieferte
dezimale Stellenwertsystem. 101 Die Chinesen benutzen die Stäbchenziffern
vom 4. Jahrhundert v. Chr. bis zum 13. Jahrhundert n. Chr. Es gibt insgesamt
18 Ziffern.
1 2 3 4 5 6 7 8 9
10 4020 30 10 50 60 80 90
Abb. 2: Chinesische Stäbchenziffern (aus: Menninger 1979).
Die Ziffern für die Einer dienten gleichzeitig zur Darstellung der Hun-
derter, Zehntausender etc., die Ziffern für die Zehner zur Darstellung der
Tausender, Hunderttausender etc. Der chinesische Gelehrte Sun-zi (3. oder
4. Jahrhundert) formuliert das Stellenwertprinzip so:
Beim Rechnen müssen wir vor allem die Stellung der Zahlen kennen. Die Einer sind
senkrecht, die Zehner waagerecht; die Hunderter stehen, während die Tausender
liegen; somit haben die Tausender und Zehner gleiche Form, desgleichen die Zehn-
tausender und die Hunderter. 102
--- --
I -- 11111 111
--
I --- 11111 - T lr
--
I --- 1111 ...L
- T -- lf
I - ...L T T --
-- llT - lf
...L
--- llT ...L
- T ---- T ..-- lf
I 5 5 z J
I 5 5 I 8 1
I 5 I; 7 8 lt- 7
I 8 7 5 7
"
!J 8 7
6'
8 5 8
4
o/- 7
Abb. 3: Addition auf dem chinesischen Rechenbrett (aus: Juschkewitsch 1964).
Einer Ziffem -1 -2 -3 ~
4
~
5
(p
6
1
7
'l
8
;>
9
{2) Das multiplikative Prinzip muß sich herausgebildet haben: Die Stelle,
die eine Ziffer einnimmt, ist eine multiplikative Form der Darstellung, bei
der die Stelle selbst den einen Faktor repräsentiert. So stellten die Brahmi-
Ziffern bereits die Hunderter und Tausender multiplikativ dar. 112
{3) Es muß das Stellenwertprinzip ausgebildet sein: Zeichen für die Ein-
heiten der einzelnen Zehnerpotenzen werden weggelassen. 113 Schon bei
den Babyioniern und Chinesen finden wir dieses Stellenwertprinzip. Doch
fehlte es diesen Zeichensystemen gerade an der letzten und entscheidenden
Grundlage, um ein Positionssystem voll auszubilden, nämlich:
(4) Ein Zeichen für die Null muß vorhanden sein, welches anzeigt, daß an
der betreffenden Stelle keine Potenzen vorhanden sind. Nun kannten be-
reits die Babyionier der Seleukidenzeit (2. Jh. v. Chr.) ein Zeichen für eine
Leerstelle innerhalb eines Zahlenausdrucks. 114 Doch Rechnungen mit Null
kommen bei den Babyioniern nicht vor.
Welch entscheidende Bedeutung die Einführung der Null für das indische
Ziffernsystem hat, macht ein wortgeschichtlicher Zusammenhang deutlich:
Im Indischen heißt die Null 'sunya', das bedeutet 'leer' . 115 Die Araber über-
setzten diesen Namen wörtlich in das arabische 'as-sifr' - 'die Leere'. In
Europa entstand daraus das Wort 'cifra' bzw. 'cephirum', worauf unsere
'Ziffer' zurückgeht. Das Englische unterscheidet zwischen 'cipher' und
'zero'; von 'cipher' leitet sich der englische Ausdruck 'ciphering' für 'Rech-
nen' her. 116
In China, Indien und bei den Arabern 47
oder von ihr beliebig viel abzieht. Er löst auch Aufgaben, wie z: B. diese 118 :
(x · 0 + x~ 0) : 0 = 63.
metik von Beweisen begleitet seien, 126 so hat man unter den "Beweisen"
lediglich die Darlegung des gebrauchten Lösungsschemas zu verstehen,
nicht aber einen auf logischer Deduktion beruhenden Beweis im griechi-
schen Sinne. Insofern steht die Mathematik der Inder, gerade auch in ihrer
stark algebraischen Komponente, ganz in der Traditjon des orientalischen
"Rezeptewissens". Werfen wir einen Blick auf den algebraischen Symbo-
lismus.
Es bildeten sich unterschiedliche Symbolsysteme aus. 127 In der Hand-
schrift von Bakhsäli gibt es Abkürzungen für die arithmetischen Opera-
tionen der Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division sowie für die
Quadratwurzeln. Für die Unbekannte gab es mehrere Namen, doch wurden
sie, ähnlich wie die Null, durch einen leeren Kreis, ein Symbol für eine leere,
unbesetzte Stelle, markiert. Die von Brahmagupta, Bhäskara II und Nä-
räyal)a angewandte Symbolik unterscheidet sich stark von der Bakhsälis. Es
gibt weniger Qperationszeichen, doch die Bezeichnungsweise für die Unbe-
kannten und deren Potenzen sind besser entwickelt. Die unbe~annte Größe
wurde bereits in den Jahrhunderten V. Chr. 'Yävat-tävat' genannt, was etwa
"Soviel-wieviel" hieß, also eine beliebige Menge bedeutete. Weitere auftre-
tende Unbekannte wurden nach verschiedenen Farben benannt, während
das absolute Glied gewöhnlich mit 'rupa', 'das Äußere', bezeichnet wurde.
Bhäskara gibt z. B. die folgenden Termini und Symbole für die ersten sechs
Unbekannten an:
Terminus Symbol Bedeutung
varga va 2. Potenz
ghana gha 3. Potenz
varga-varga va-va 4. Potenz
varga-ghana-ghäta va-gha-ghäta 5. Potenz
varga-ghana va-gha 6. Potenz
varga-varga-ghana-ghäta va-va-gha-ghäta 7. Potenz
varga-varga-varga va-va-va 8. Potenz
Ende des 6. und Anfang des 7. Jahrhunderts bildete sich auf der Arabi-
schen Halbinsel eine monotheistische Religion heraus, der Islam. In den fol-
gendenJahrhundertenformierte sich ein islamisch-arabisches Großreich, in
dessen Blütezeit von ca. 750-950 in Bagdad ein bedeutendes wissenschaft-
liches Zentrum entstand. Unter den Kalifen al-Mansur (754--775) und
Harun ar-Rasid (786-809) wurde in Bagdad nach antikem Vorbild eine Art
Akademie, das "Haus der Weisheit", eingerichtet, zu dessen Aufgaben es
gehörte, systematisch überlieferte Quellen durch die Übersetzung ins Arabi-
sche zu erschließen. 129 Seit Mitte des 9. Jahrhunderts bildete sich auf der
Grundlage der erschlossenen Quellen eine eigenständige mathematische
Kultur heraus, die die Arithmetik, Geometrie, Trigonometrie und numeri-
sche Algebra umfaßte. 130 Der Grundzug dieser mathematischen Kultur ist
ihre synthetische Leistung. Durch Kenntnis der Quellen, sowohl der griechi-
schen wie der indischen, gelang es den Arabern, das zu vereinigen, was sich
in diesen beiden mathematischen Wissensrichtungen jeweils am glänzend-
sten entwickelt hatte: die Theorie der Kegelschnitte und Kurven bei den
Griechen, die Zahlenlehre und unbestimmte Analytik bei den lndern. 131
Die europäische Entwicklung der Mathematik im Anschluß an das Mittel-
alter ist ohne die Wiederaufnahme der abgebrochenen Linien griechischen
In China, Indien und bei den Arabern 51
und indischen Denkens durch die Araber und ihre Weitervermittlung nach
Europa nicht denkbar. 13 2
Wir wenden uns nun einem arabischen Gelehrten zu, der in besonders
hohem Maße die westeuropäische Mathematik des ausgehenden Mittel-
alters beeinflußte, auf dessen.Werke unsere Begriffe 'Algorithmus' und 'Al-
gebra' zurückgehen und der sich daher gerade als Mittler und Träger derje-
nigen Traditionslinie erweist, die wir uns herauszuarbeiten bemühen. Es ist
dies der aus der Bagdader Schule stammendeAbuAbdallah Muhammed ibn
Musa al-Hwarizmi al-Magusi, im folgenden kurz al-Hwarizmi genannt, der
etwa zwischen 780 und 850 lebte. Von seinen Werken sind uns fünf erhalten
geblieben. Insbesondere seine Abhandlungen über Arithmetik 133 und Al-
gebra 134 wurden vielfach kopiert, kommentiert oder Teile davon in andere
Werke aufgenommen. Dutzende von Gelehrten schulten sich daran.
Die Abhandlung al-Hwarizmis über Arithmetik war das erste arabische
Werk, in demt das dezimale Stellenwertsystem und die darauf beruhenden
Rechenoperationen erläutert wurden. Doch ist es uns nur in. Gestalt einer
lateinischen Übersetzung überliefert, einer Handschrift, die aus dem
13. Jahrhundert stammt und in der Bibliothek Cambridge aufbewahrt
wird. 135 Diese Handschrift setzt mit den Worten ein: "Dixit Algoritmi:
Iaudes deo rectori nostro atque defensori dicamus dignas"- "Algoritmi hat
gesprochen: Lob sei Gott unserem Herrn und Beschützer" . 136 Eine andere
Handschrift, die sich auf al-Hwarizmis Arithmetik bezieht und im Klo-
ster Salem aufbewahrt wird, beginnt mit den Worten: "lncipit liber algo-
rithmi ... "- "Hier beginnt das Buch des Algorithmus". 137 Der französische
Minoritenmönch Alexander de Villa Dei, der um 1240 in Paris lehrte, hat das
Rechnen mit den Ziffern in folgende Hexameter eingekleidet 138 :
Hinc incipit algorismus.
Haec algorismus ars praesens dicitur in qua
talibus indorum fruimur bis quinque figuris
0987654321
Hier beginnt der Algorismus. Diese neue Kunst heißt Algorismus, in der wir aus
diesen zweimal fünf Ziffern 0, 9 ... 1 der Inder Nutzen ziehen.
Kunst, zusammengestellt vom Magister A.) . 141 Soweit zur Herkunft unseres
Begriffes Algorithmus.
In der einzigen uns überlieferten Übersetzung von al-Hwarizmis Arith-
metik wird eingehend die Zahldarstellung im dezimalen System erläutert
und sodann werden die Rechenoperationen beschrieben. 142 Dies alles sei
hier nicht wiedergegeben. Denn die außerordentliche Bedeutung, welche
dieser Schrift für die Vermittlung der indischen Rechenkunst in den west-
europäischen Kulturraum zukommt, zeigt sich nirgends plastischer als in
ihrer begriffeprägenden Kraft. Solche Kraft übte noch ein zweites Werk al-
Hwarizmis aus, seine Algebra, auf welche unser Begriff 'Algebra' zurück-
geht.
In der Bibliothek der Universität Oxford wird eine arabische Handschrift
der Algebra aufbewahrt, die im Jahre 1342 vollendet wurde. 143 Darüber
hinaus existieren mehrere lateinische Übersetzungen dieser Schrift. 144 Von
der arabischen Handschrift wird angenommen, daß sie unmittelbar auf al-
Hwarizmis Schrift über die Algebra zurückgeht. Sie trägt den Titel >Al-kitäb
al-mukta~ar fi l).isäb al-gabr w>al-muqäbala< (Kurzes Buch über das Rechnen
der Algebra und Almukabala). Die beiden Ausdrücke 'al-gabr' und 'al-mu-
qäbala' beziehen sich a_uf die zwei einfachsten Operationen an Gleichungen:
'al-gabr' (von 'gabar' = 'herstellen', 'einrichten') bedeutet "das Ergänzen
einer Negation", d. h. das Versetzen eines negativen Gliedes einer Glei-
chung auf die andere Seite; 'al-muqäbala' (Vergleichung) bedeutet die
Vereinigung gleichartiger Glieder beider Seiten miteinander. 145 Aus
x 2 + 3x- 3 = 5x z.B. geht durch al-gabr x 2 + 3x = 5x + 3, durch al-mu-
qäbala hieraus x 2 = 2x + 3 hervor.
Im lateinischen Sprachraum wurde diese Kunst anfangs 'algebra' und 'al-
muchabala' genannt, bis allmählich nur der Name 'algebra' zurückblieb, den
Adam Ries noch gerne von dem "berumbstenn in der Zall erfarnen Alge-
bras", dem arabischen Meister, ableitete. 146 Seit dem 14. Jahrhundert wird
'Algebra' regelmäßig verwendet, um damit die Lehre vom Auflösen von
Gleichungen zu bezeichnen. 147
Al-Hwarizmi stellt an den Anfang seiner algebraischen Ausführungen
eine Klassifizierung der von ihm betrachteten sechs Typen von linearen und
quadratischen Gleichungen mit den dazugehörigen Lösungsverfahren.
Dann zeigt er an Beispielen, wie man andere Gleichungen auf eine der sechs
Normalformen zurückführt; in diesem Zusammenhang werden die beiden
wichtigsten Operationen 'al-gabr' und 'al-muqabala' erläutert. So z. B. gibt
er als 5. Normalform eine Gleichung an, die wir in unserer Symbolsprache so
anschreiben können1 4B:
ax2 + c = bx. (5. Normalform)
In einer Aufgabe, deren Bedingungen man in der Form
x2+ (10 - x) 2 = 58
oder 2x + 100 - 20x = 58
2
In China, Indien und bei den Arabern 53
Ziffernrechnens, eine Mischform, wenn man so will, doch für den Vollzug
von Rechenoperationen auf dem Abakus brachte diese "digitale" Zahlen-
darstellung keinerlei Vorteil. Das Ausführen von Rechnungen mit diesen,
'Apices' genannten, bezifferten Rechensteinen war durc~ das dauernde Ver-
einigen und Auswechseln von Steinen mühsam und verwickelt.
Die umständlichen Verfahren des Abakus-Rechnens sind der vorliegen-
den Literatur zu entnehmen. 157 Uns genügt das Zitat eines mittelalterlichen
Schriftstellers, der uns vom "schwitzenden Abacisten" berichtet: " ... re-
gulae quae a sudantibus abacitis vix intelliguntur" (Regeln, die kaum von den
schwitzenden Ahaeisten verstanden werden). 158
Eine erste Begegnung des lateinischen Mittelalters mit der indischen
Zahlschreibweise erfolgte "auf dem Boden" des Rechenbretts. Der französi-
sche Mönch Gerbert von Aurillac, der 999 als Sylvester II. den Papstthron
besteigt, hat auf Reisen nach Spanien die von den Arabern benutzten indi-
schen Ziffern kennengelernt. Gerbert verfaßt die >Regula de abaco com-
" das Zahlenrechnen auf dem Abakus) und füprt dabei fol-
puti< (Regel über
gende Neuerung ein 159 : Auf seinem Rechenbrett erscheinen anstelle der mit
römischen Zahlzeichen versehenen Apices solche mit indischen Ziffern. Je-
doch ist die Verwendung der indischen Ziffern einschließlich der Null- auf
dem Rechenbrett bleibt die Spalte leer, eine Null ist nicht nötig- nur sinnvoll
im Zusammenhang mit schriftlichen Rechenverfahren; das heißt, also nur,
wenn man das Rechnen als ein Umformen von Zeichenreihen vollzieht.
Indem Gerbert die indischen Ziffern zur Markierung der Apices gebraucht,
verwendet er diese "sinnwidrig" und hat ihre operative Leistungskraft, die
sich erst im schriftlichen Rechnen bewährt, überhaupt nicht begriffen: Die
erste Kenntnisnahme des europäischen Mittelalters vom orientalischen
Rechnen bleibt "toter Besitz" . 160
"Sinngemäßer" Einsatz des dezimalen Stellenwertsystems im Zusammen-
hang mit schriftlichen Rechenverfahren findet sich in Buropa im Anschluß
an das Bekapntwerden der lateinischen Übersetzung von al-Hwarizmis
Arithmetik. 161 Um dieses Lehrbuch gruppieren sich eine Reihe weiterer
Werke, die die indische Zahlschreibweise und ihre Rechenverfahren erläu-
tern, so die bereits erwähnten Schriften >Buch des Algorismus über prakti-
sche Arithmetik< und >Buch der Einführung des Algorismus in die astrono-
mische Kunst zusammengestellt von Magister A.<. Um 1200 wurde ein
>Buch des Algorismus< verlaßt, dessen Handschrift lange Zeit im Kloster
Salem am Bodensee verwahrt wurde. 162 Für alle diese Werke, mit deren Ver-
breitung allmählich der latinisierte Eigenname al-Hwarizmis zum allge-
meinen Namen für die neuen schriftlichen Rechenverfahren wird, gilt, daß
sie "gelehrte Abhandlungen" darstellen, die über einen engen Kreis von
Fachleuten in den Klöstern oder Hochschulen nicht hinausdringen.
Dies ändert sich erst, als im Jahre 1202 der Italiener Leonardo Fibonacci
aus Pisa seine Schrift >Liber abaci< (Buch des Abakus) verfaßte. 163 Ganz an-
ders als sein Titel suggeriert, handelt es sich um eine Schrift, die ausführlich
56 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle
auf die Arithmetik und Algebra auf der Basis des dezimalen Stellenwert-
systems eingeht. 164 Warum kündigt sich mit dem Erscheinen dieses Buches
eine Wende an? Leonardo Fibonacci war sowohl seiner Herkunft als auch
seiner Tätigkeit nach eng mit kaufmännischen Kreisen verbunden. Dies
hatte für die Anlage seines >Liber abaci< die Folge, daß besonderer Wert
darauf gelegt wurde, die Leistungskraft der indischen Rechenverfahren für
das kaufmännische Rechnen zu demonstrieren. Der >Liber abaci< wurde
nicht nur zum Träger der Entwicklung der neueren Arithmetik, deren Auf-
gaben und Lösungsmethoden in italienische, deutsche", französische und
englische mathematische Handschriften übernommen wurden, sondern
legte überdies Zeugnis davon ab, daß die neue Arithmetik den gelehrten klö-
sterlichen und universitären Rahmen zu sprengen begann und Fuß faßte bei
solchen Schichten, deren unmittelbar berufliches Interesse auf eine Erleich-
terung und Vervollkommnung der Rechenmethode zielte.
Seit der Zeit Fibonaccis beginnt man von den "Algoristen" zu sprechen,
nachdem die latinisierten Formen von al-Hwarizmis Eigennamen nicht nur
zur Bezeichnung des indischen Rechenverfahrens, sondern auch zur Be-
zeichnung der Verfechter dieses Verfahrens genutzt wurden. Für einige Jahr-
hunderte entbrennt n~n eine Auseinandersetzung zwischen den Algoristen
und Abakisten. Die gelehrte Literatur über das schriftliche Rechnen wächst
ständig 165 - doch in der Alltagspraxis des Rechnens hält sich zäh das Rechen-
brett.166 Die allmähliche Vorherrschaft des schriftlichen Rechnens steht,
wie es sich bei Leonardo Fibonacci schon ankündigte, in engem Zusammen-
hang mit der Herausbildung frühkapitalistischer Handelszentren und dem
Bedürfnis der Kaufmannschaft nach Zahlbeherrschung. Das aufstrebende
Bürgertum der italienischen Städte wird zum Vorreiter. Kommunale Re-
chenschulen werden eingerichtet, die gegen Entgelt den Umgang mit der
neuen Zahlenschreibweise und den Rechenoperationen lehren, die damit
nicht länger Domäne der Kloster- und Domschulen sowie der Universitäten
bleiben. 167 Es bildet sich der neue Berufsstand der Rechenmeister heraus,
die ihren Lehrstoff schriftlich abfassen. 168 So gehören die "Rechenbüch-
lein" charakteristischerweise neben der Bibel, den Kalendern und politi-
schen Flugschriften zu den frühesten Druckerzeugnissen und zeigen, wie
sehr sich ein gesellschaftliches Bedürfnis nach Rechenfertigkeiten herauszu-
bilden begann. 169 Gegen Ende des 15. Jahrhunderts wirkte der Rechenmei-
ster Dirich Wagner in Nürnberg und ließ 1482 das erste deutsche Rechen-
buch drucken, in dem das Rechnen mit den Ziffern erläutert wird. 170 Der
deutsche Rechenmeister Adam Ries (1492-1559) schrieb drei Rechen-
bücher. 171 Während das erste sich noch ganz auf das Abakus-Rechnen
beschränkte, wendet er sich in den letzten beiden zunehmend dem schrift-
lichen Rechnen zu. 172 Dies signalisieren schon die Titel dieser Schriften
>Rechenung auff der linihen und federn in zal< (Rechnung auf den Linien
und auf der Feder), erschienen 1522, sowie >Rechenung nach der Ienge auf
den Linihen und Feder< (Rechnung auf der Länge nach den Linien und der
Algorithmus und Kalkül in der neuzeitlichen Mathematik 57
Feder), erschienen 1550. Der Ausdruck "auf den Linien" bezieht sich auf die
Rechenbrett-Technik, der Ausdruck "auf der Feder" auf das schriftliche
Rechnen im dezimalen Stellenwertsystem.
Die Entscheidung für das orientalische Verfahren fiel in den Handelskon-
toren, Schreib- und Rechenstuben der Kaufleute: dort nämlich trat zutage,
daß mit den indischen Ziffern nicht nur bequem gerechnet, sondern auch die
Bücher auf übersichtliche Weise geführt werden konnten. 173 Ein Blick in die
Kontobücher der Medici mag dies illustrieren: Von 1439 an erscheinen an-
stelle der römischen die indischen Ziffern in der Geld- und Effektivspalte
der Eingangsbücher, Journale, Kladden etc. Erst 1482 werden die römischen
Ziffern in der Geldkolonne der Geschäftshauptbücher aller Medici-Kauf-
leute (bis auf eine Ausnahme) abgeschafft. Ab 1494 werden nur noch die
indischen Ziffern in allen Kontobüchern der Medici verwendet. 174
Die zunehmende Ingebrauchnahme des dezimalen Stellenwertsystems
führt zu immer besserer Durchbildung und Schematisierung der schriftli-
·'
chen Rechenverfahren. Am schwierigsten erwies sich diese Scbematisierung
für die Division. Es dauerte Jahrhunderte, bis sich unser modernes Ver-
fahren des Unterwärtsdividierens durchsetzte.
Halten wir einen Moment inne, ehe wir dem Strom des historischen
Geschehens weiter folgen. Die Durchsetzung des orientalischen Ziffern-
rechnens in der alltäglichen Rechenpraxis heißt, Rechnen wird zu einem Vor-
gang, der ausschließlich im Medium von Zeichen stattfindet. Die Jahrhun-
derte währende griechisch-römische Tradition des Auseinanderfallens von
Zahlendarstellung und Zahlenrechnen ist beendet, das indische Ziffern-
system ist ein Mittel der Zahldarstellung nicht weniger als ein Instrument
des Zahlenrechnens; in dieser Doppelrolle einer darstellenden und instru-
mentellen Funktion zeigt es die Eigenschaften einer formalen Sprache;
deren Spezifik ist es, das Operieren mit Gegenständen, Begriffen, Gedan-
ken zu ersetzen durch das Operieren mit Zeichen, welche an die Stelle dieser
Gegenstände 1 Begriffe und Gedanken treten. Die Pointe eines solchen Ver-
fahrens ist es, daß die Regeln, nach denen sich die Operationen in einer for-
malen Sprache vollziehen, Bezug nehmen auf die Zeichen, nicht aber auf
das, wofür diese stehen. Wenn wir die Zahlen 16 789 und 187 453 miteinander
multiplizieren, so brauchen wir bei diesem Vorgang nicht zu versuchen, uns
vorzustellen, um welch mächtige Mengen es sich hierbei handelt. Es genügt
die Kenntnis des kleinen Einmaleins und der Multiplikationsregel, um
diesen Rechenprozeß mechanisch, und das heißt ohne daran zu denken, was
man tut, durchzuführen. Die Regel der Multiplikation im indischen Ziffern-
system ist keine Regel, um Zahlen miteinander zu multiplizieren, sondern
eine Regel, um Zeichen auf bestimmte Weis·e miteinander zu verknüpfen.
Und so wundert es nicht, daß verschiedene Zeichensysteme jeweils verschie-
dene Multiplikationsregeln erfordern, obwohl es doch immer "um Zahlen
geht": Die Multiplikation muß im ägyptischen, im indischen oder im binären
Ziffernsystem jeweils auf andere Weise vollzogen werden.
58 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle
Indem das orientalische Ziffernrechnen das Operieren mit Zahlen auf das
Operieren innerhalb einer formalen Sprache zurückführt, damit also der
"Gegenstand" Zahl konstituiert ist als "Referenzgegenstand" eines formal
zu gebrauchenden Zeichens, ist der Weg frei gemacht für ein grundsätzlich
verändertes Zahlenverständnis. Wie sieht dieses neue Zahlenverständnis
aus?
fern 'II' und '2' für die Zahl Zwei. Die Zahl aber ist ein Begriff und von
ihrem Zeichen 'II' wohl zu unterscheiden. Aussagen, die wir über den Be-
griff 'Zwei' machen, wie z. B., daß 'Zwei' eine gerade Zahl ist, sind keine
Aussagen über die Ziffern 'II' oder '2'. Zumindest die Ziffer '2' mutet von
ihrer Gestalt her sehr ungerade an! Solche Unterscheidbarkeit zwischen der
Gestalt eines Zeichens und dem, "wofür es steht", zeigt, daß dieses Zeichen
eine extrasymbolische Bedeutung hat. Wenn der Gebrauch von Zeichen mit
extrasymbolischer Bedeutung kalkülisiert wird, so heißt dies, von eben
dieser Bedeutung abzusehen. Die Zeichen haben dann nur noch eine intra-
symbolische Bedeutung. Im Kalkül operieren wir mit "interpretationsfreien
Zeichen": Das, was die Kalkülzeichen bedeuten, geht völlig auf in den
Regeln ihrer zulässigen Formation und Transformation.
Wenn sich nun die Kalkülisierung als eine grundlegende Tendenz der Ma-
thematik des 16. und 17. Jahrhunderts erweist, so setzt das einen Umbruch
voraus, die "Natur" mathematischer Zeichen und der durch diese bezeich-
neten Gegenstände betreffend.
In bezugauf die "Natur" der mathematischen Zeichen heißt dies, Zeichen
werden jetzt nicht mehr nur so gebraucht, daß sie für ihnen eineindeutig
zugeordnete Objekte.stehen, sondern so, daß sie für alle möglichen Gegen-
stände stehen, die an die Stelle der Zeichen eines formalen Zeichenaus-
drucks so gesetzt werden können, daß sich eine wahre Aussage ergibt. Sinn-
fällige Gestalt nimmt dieser Gebrauch "unbestimmter Zeichen" in der
mathematischen Formel an. Die Entstehung der mathematischen Formel im
Europa des 16. Jahrhunderts ist der konzentrierteste Ausdruck dieser völlig
neuen Art, Zeichen zu gebrauchen.
In bezug auf die "Natur" der Gegenstände, die durch die Zeichen be-
zeichnet werden, heißt dies, die Relation zwischen einem Gegenstand und
dem, wodurch dieser Gegenstand bezeichnet wird, kehrt sich um. Nicht
mehr sind einzelne wohlbestimmte Gegenstände vorgegeben - z. B. die
natürlichen Zahlen -, für welche dann geeignete Zeichensysteme gesucht
werden, die es erlauben, das Operieren mit den Gegenständen "der Einfach-
heit halber" auf das Operieren mit den Zeichen für die Gegenstände zurück-
zuführen. Vielmehr gibt es Zeichen und Regeln ihrer zulässigen Verknüp-
fung, für die wir dann "im nachhinein" mögliche Interpretationen suchen,
die eben dadurch gegeben sind, daß wir die Zeichen in formalen Zeichenaus-
drücken durch ihre Referenzobjekte so ersetzen, daß sich richtige Aussagen
ergeben. Im ersten Falle verdankt das Zeichen seine "Existenz" dem Ob-
jekt, an dessen Stelle es tritt. Im zweiten Falle verdankt das Objekt seine
"Existenz" einem Zeichen, für das es eingesetzt werden kann. Man kann das
auch die symbolische Konstitution mathematischer Gegenstände nennen.
Im Zuge dieser symbolischen Konstitution wird V=2 zu einem Zeichen-
ausdruck, der für einen mathematischen Gegenstand steht. Für einen Ge-
genstand, der uns nicht anders denn in Gestalt seiner symbolischen Reprä-
sentation gegeben ist. Doch solche Fragen, die "Natur" von Gegenständen
Algorithmus und Kalkül in der neuzeitlichen Mathematik 61
Bis zum 16. Jahrhundert gab es in der Algebra keinen wesentlichen Schritt
über das Wissen der Griechen und Araber hinaus. 180 Doch dann gelang ita-
lienischen Mathematikern ein entscheidender Fortschritt. 181 Noch 1494
hatte Luca Pacioli in seiner >Summa de Arithmetica< betont, daß eine Lö-
sung von Gleichungen wie x 3 + mx = n, x 3 + n = mx genauso unmöglich
sei wie die Qu~dratur des Kreises. 182 Doch Mathematikern der Universität
Bologna gelang in der Mitte des 16. Jahrhunderts die Entwicklung einer
allgemeinen Lösungsmethode für Gleichungen dritten Grades. 183 Dieses
Lösungsverfahren stellte nur die Spitze eines umfassenden Aufschwunges
algebraisch-arithmetischer Verfahren dar, in der Folge der durch die feste
Etablierung des dezimalen Positionssystems eingeleiteten Algorithmisie-
rung mathematischer Operationen. Doch wollen wir unser Augenmerk
weniger auf die Fortschritte in der Gleichungslehre als vielmehr auf die Fort-
bildung der symbolischen Algebra lenken, die damit in engem Zusammen-
hang stand. Wenn auch weniger spektakulär als die neuen Methoden der
Gleichungsauflösung, bahnt sich in der sich erneuernden algebraischen Be-
zeichnungsweise eine grundlegende Wende des algebraischen Denkens an:
die Algebra bleibt nicht einfach mehr Gleichungslehre, also das Rechnen
mit unbekannten Zahlen, sondern wird konzipierbar als ein Rechnen mit
Buchstaben, d. h. mit "unbestimmten" Symbolen, die alle möglichen
Zahlen repräsentieren können, die in eine vorgegebene Gleichung so einzu-
setzen sind, daß sich ein richtiger Rechnungsausdruck ergibt. Die Algebra
bleibt nicht länger ein Rechnen mit - wenn auch noch unbekannten -
Zahlen, sondern wird zu einem Rechnen mit Symbolen: So kam die mathe-
matische Formel "auf die Welt".
Schon im 15. Jahrhundert wurden mathematische Symbole oder Kunst-
wörter beim Lösen von Gleichungen verwendet, doch nur, wenn es darum
ging, Gleichungen mit vorgegebenen Zahlenkoeffizienten aufzuschrei-
ben.184 Wollte man Regeln für das Umformen von Gleichungen lehren, so
blieben zwei Wege: entweder eine umständliche verbale Beschreibung oder
exemplarisches Vorrechnen. Denn es gab noch keine Bezeichnungen für be-
kannte, aber beliebige Größen einer Gleichung. Eben hierin bestand die we-
sentliche Neuerung des Franzosen Franc;ois Viete (1540-1603), latinisiert:
Vieta. 185 Er bezeichnete durch Buchstabensymbole nicht nur, wie bisher, un-
bekannte Zahlen, sondern auch solche Größen, denen man in einer vorlie-
62 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle
Solange man mit solchen Buchstaben rechnet, rechnet man stets mit be-
stimmten Größen. Wenn nun Vieta für die gegebenen Zahlenkoeffizienten
einer Gleichung Buchstaben ei~führt und mit denselben rechnet, rechnet er
nicht mehr mit bestimmten, sondern unbestimmten Größen. "Unbestimmt"
heißt hier: die Buchstabensymbole stehen nicht mehr für einen wohlbe-
stimmten Wert, sondern für alle möglichen Zahlenwerte, die in eine solche
Gleichungsform eingesetzt werden können. Damit verändert sich das,
womit gerechnet wird. Vieta bringt dies mit wünschenswerter Deutlichkeit
zum Ausdruck, wenn er von einer logistica numerosa, einem Rechnen mit
Zahlen, die logistica speciosa, das Rechnen mit Figuren bzw. Zeichen unter-
scheidet. 191 Vietas "analytische Kunst" ist ein Rechnen mit den species, den
Symbolen. Dabei steht für Vieta außer Zweifel, daß im Prinzip seine Buch-
stabensymbole immer numerisch bzw. geometrisch zu deuten sind, und er
hat seine Algebra nie anders verstanden denn als Hilfswissenschaft kon-
kreter Größenberechnungen.
Gleichwohl hat er im Rahmen dieser "Hilfswissenschaft" einen unersetzba-
ren Schritt hin zum interpretationsfreien Gebrauch von Symbolen getan, wie
es für kalkülisierende Operationen konstitutiv ist. Denn wenn Vieta nun Re-
geln für das Umformen von Gleichungen auf allgemeingültige Weise formulie-
ren kann, so ist das, worauf sich diese Regeln erstrecken, zuerst einmal keine
Größe, sondern unmittelbar ein Zeichen und sonst nichts. Nun haben wir fest-
gestellt, daß auch das Rechnen im dezimalen Stellenwertsystem bereits als ein
algorithmisches Operieren mit Zeichen gelten kann. Da aber eine Ziffer stets
für eine besondere Zahl steht, also deren individueller Name ist, kann hier das
Rechnen mit konkreten Zahlen und das Rechnen mit individuellen Zahlzei-
chen noch leicht in eins gesetzt werden. Doch Buchstaben wie a undbin der
Gleichung a + b = b + a sind nicht mehr individuelle Zeichen, sondern all-
gemeine Zeichen, die für eine ganze Klasse möglicher Objekte stehen. Damit
kann ein Ausdruck wie 3 + 1 = 1 + 3, der eine Zahlengleichung repräsen-
tiert, genau unterschieden werden von dem Ausdruck a + b = b + a, der
eine Gleichung mit allgemeinen Zeichen bzw. Symbolen repräsentiert. Erst
bei der letzteren wird deutlich, daß diese Gleichung interpretierbar ist als eine
Vorschrift über die Umformung von Zeichenreihen. Und erst auf dem Hinter-
grund dieses Schemas a + b = b + a kann deutlich werden, daß auch
3 + 1 = 1 + 3 als Realisierung einer Umformungsregel für Zeichenaus-
drücke und nicht nur der Regel über die Beliebigkeit der Reihenfolge bei Zah-
lenadditionen gelten kann. Ein erster Effekt von Vietas Buchstabenalgebra ist
es, Regeln für das Auflösen von Gleichungen allgemeingültig formulieren zu
können. Der zweite- und in der Perspektive unserer historischen Rekonstruk-
tion wesentlichere- Effekt ist es, das Rechnen als ein Umformen von Zeichen-
ausdrücken durchsichtig zu machen.
Die Früchte dieser symbolsprachlichen Erneuerungen zeigen sich bei
Vieta in Fortschritten seiner arithmetischen und algebraischen Technik 192 :
Er fand \l1t auf neun Dezimalen; er entwickelte die Umformungstechniken
64 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle
die Operationen der Arithmetik und die Operationen der Geometrie aufein-
ander zu beziehen, vermittels ihrer Abbildbarkeit auf algebraische Opera-
tionen.197 Die Algebra wird zu einer Art "universaler Sprache", mit der geo-
metrische und arithmetische Probleme gleichermaßen gestellt und gelöst
werden können.
Die Verallgemeinerung der algebraischen Verfahren bleibt in Descartes'
>Geometrie< allerdings bezogen auf traditionell geometrische Probleme, bei
denen es Figuren zu konstruieren gilt, die gewisse vorgegebene Bedin-
gungen erfüllen. 198 Neu ist jedoch, daß Konstruktionsprobleme durch Be-
rechnung gelöst werden und somit die Möglichkeit der Konstruierbarkeit
einer geforderten Figur zurückgeführt wird auf die Möglichkeit der Bere-
chenbarkeit einer der Figur entsprechenden Gleichung.
Doch schauen wir uns Descartes' Text selbst an:
Descartes beginnt damit zu zeigen, "wie sich der arithmetische Kalkül auf
die Operation~n der Geometrie bezieht", und führt dazu aus:
Und gleichwie sich die gesamte Arithmetik nur aus vier oder fünf Operationen zusam-
mensetzt, nämlich aus den Operationen der Addition, der Subtraktion, der Multipli-
kation, der Division und des Ausziehens von Wurzeln, das ja auch als eine Art von Di-
vision angesehen werden kann: so hat man auch in der Geometrie, um die gesuchten
Linien so umzuformen, daß sie auf Bekanntes führen, nichts anderes zu tun, als an-
dere Linien ihnen hinzuzufügen oder von ihnen abzuziehen; oder aber, wenn eine
solche gegeben ist, die ich, um sie mit den Zahlen in nähere Beziehung zu bringen, die
Einheit nennen werden, und die gewöhnlich ganz nach Belieben angenommen
werden kann, und man noch zwei andere hat, eine vierte Linie zu finden, die sich zu
einer dieser beiden verhält, wie die andere zur Einheit, was dasselbe ist, wie die Mul-
tiplikation: oder aber eine vierte Linie zu finden, die sich zu einer der beiden verhält
wie die Einheit zur anderen, was dasselbe ist wie die Division; oder endlich eine oder
zwei oder mehrere mittlere Proportionalen zu finden zwischen der Einheit und
irgendwelchen anderen Linien, was dasselbe ist wie das Ausziehen der Quadrat- oder
Kubikwurzel usw.- Und ich werde mich nicht scheuen, diese der Arithmetik entnom-
menen Ausdrücke in die Geometrie einzuführen um mich dadurch verständlicher zu
machen. 199
und die letzteren durch Anwendung höherer Kurven gelöst. 205 Er zeigt nun,
daß diese Klassifikation ein algebraisches "Pendant" hat. Den ebenen Pro-
blemen entsprechen in der Algebra die Gleichungen 1. und 2. Grades, den
körperlichen diejenigen des 3. und den linearen diejenigen 4. und höheren
Grades. 206 Auf der Grundlage dieser Zuordnung führt Descartes Eigen-
schaften von Kurven auf Eigenschaften algebraischer Gleichungen zurück.
Erwähnt sei noch, daß Descartes auch eine Regel für die Bestimmung von
Normalen und somit für Tangenten zu algebraischen Kurven, deren Glei-
chung wir kennen, angibt und damit eine wesentliche Voraussetzung schafft,
von der Leiboizens Untersuchungen zur Infinitesimalmethode ausgehen
werden. 207
Wir wollen auf die Inhalte der >Geometrie< nicht weiter eingehen, son-
dern versuchen, den Stellenwert zu bestimmen, der dieser Schrift für die
Entwicklung des mathematischen Denkens zukommt.
Es ist nicht der Gedanke wechselseitiger Abbildbarkeit geometrischer
und algebraischer Operation, worin die besondere Leistung Pescartes' be-
steht; denn zu diesem Gedanken gelangte auch Fermat. Vielmehr ist es der
Gebrauch, den Descartes von dieser Einsicht macht und der sich so be-
stimmen läßt, daß die Algebra nicht nur ein Instrument konkreter geometri-
scher Problemlösung wird, sondern zugleich ein Instrument, die allgemeine
Lösbarkeit von Klassen geometrischer Probleme nachzuweisen. Damit aber
bekommt die Technik rechnerischer Verfahren einen Status, der bisher den
geometrischen Verfahren vorbehalten blieb: ein begründetes Wissen zu
liefern, welches auf Beweisen beruht. Indem die Algebra der Geometrie
"hilft", die Lösbarkeit bestimmter Problemklassen auf allgemeingültige
Weise zu demonstrieren, bleibt sie nicht länger bloße 'techne', sondern er-
ringt selbst den Status einer 'episteme'. Dadurch aber schließt sich eine
Kluft, die zwischen der orientalischen algorithmisch-algebraischen Tradition
und der griechischen wissenschaftlichen Tradition bestand. Struik kenn-
zeichnet dies "als die endgültige Übernahme der algorithmisch-algebrai-
schen Tradition des Orients durch den Westen". 208 Doch solche Einschät-
zung übersieht, daß die "Übernahme" mit einer wesentlichen Transforma-
tion der algorithmisch-algebraischen Verfahren einherging; eine Transfor-
mation, die Vietas Buchstabenalgebra vorbereitete und die darin besteht,
daß diese "technischen" Verfahren in den Rang einer Wissenschaft gehoben
werden. Die Kalkülisierung der Geometrie, wie sie Descartes in >La Geo-
metrie< vollzog, diente nicht einfach der Erleichterung geometrischer Kon-
struktion, sondern Begründungsnotwendigkeiten. Hier findet sich angelegt,
woraus Leibniz später die Konsequenz ziehen wird: das Rechnen als eine
Form des Beweises aufzufassen.
Die nächste Stufe der Kalkülisierung- durch Descartes' Tangentenbestim-
mung algebraischer Kurven wohlvorbereitet-wollen wir anband von Leib-
nizens Infinitesimalkalkül herausarbeiten.
68 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle
1. 5. 3. 4 Leiboizens Infinitesimalkalkül
Was Descartes für die Analysis des Endlichen leistete, nämlich die bei sol-
chen Untersuchungen notwendigen Operationen als Rechenoperationen
durchzuführen, dies leistete der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz
(1646-1716) für die Analysis des Unendlichen. Leibniz entwickelte einen
dem arithmetischen Kalkül formal analogen Infinitesimalkalkül, der es er-
laubte, infinitesimale Untersuchungsmethoden als Rechnungen in einer
dafür geeigneten Zeichensprache durchzuführen. <(
Verfahren ist nicht nur allgemein, sondern hat darüber hinaus die Eigen-
schaft, eine kalkülisierte Operation zu sein. Leibniz führt also jene Art von
Rechenhaftigkeit in die Analysis des Unendlichen ein, für welche Vietas
Buchstabenalgebra paradigmatische Geltung hat und die darin besteht, mit
Symbolen nach Regeln zu verfahren, die keinen Bezug nehmen auf das, was
die Symbole bedeuten. Leibniz findet heraus, daß sich alle infinitesimalen
Probleme auf zwei Arten analytischer Berechnung zurückführen lassen.
Entweder geht es um die Berechnung von Differenzen unendlich benach-
barter Reihenglieder - für diese entwickelt er seinen calculus differentialis,
mit dem Symbol d für infinitesimale Differenzen-, oder es geht um die Be-
rechnung der Summen unendlicher Reihen, deren Glieder unendlich klein
und benachbart sind; dafür steht der calculus summatoris, den Leibniz erst
später in Absprache mit den Brüdern Bernoulli in calculus integralis umbe-
nennt, mit dem Symbol f für infinitesimale Summen. Mit Hilfe dieser Sym-
bolsprache wi,rd es möglich, auch solche Kurven einer algebraischen Be-
handlung zugänglich zu machen, die in Descartes' analytisch~r Geometrie
ausgeschlossen blieben, und die wir heute mit transzendenten Gleichungen
bezeichnen. Die Voraussetzung der Aufstellung transzendenter Gleichun-
gen lag in einer Symbolsprache, die nicht nur davon ausgeht, daß jedem
Punkt der Kurve ein exakter numerischer Wert zuzuordnen ist- dies ist auch
Descartes' Position -, sondern auch davon, daß solche Zuordnung nicht
daran gebunden bleiben darf, daß dieser numerische Wert durch anschau-
liche Linien "vor die Sinne gestellt" werden kann.
Während seines Pariser Aufenthaltes erhielt Leibniz im Jahre 1673 die
entscheidende Anregung durch das Studium des "Pascalschen Dreiecks",
indem er feststellte, daß das "charakteristische Dreieck" nicht nur für Kreis-
linien aufzustellen ist, sondern allgemein für jede Kurve gilt, sofern der
Kreisradius durch die Kurvennormale ersetzt wird. 213 Erst im Jahre 1684 ver-
öffentlichte Leibniz seine Gedanken über den Differentialkalkül unter dem
Titel >Nova m.ethodus pro maximis et minimis itemque tangentibus ... et sin-
gularepro illis calculi genus< (Neue Methode der Maxima, Minima sowie der
Tangenten ... und eine darauf bezügliche Rechnungsart). 214 In diesem Ar-
tikel gibt Leibniz eine Definition des Differentials mit Hilfe des "charakteri-
stischen Dreiecks", das gebildet wird, wenn man in einem Punkt P (xly)
einer Kurve eine Tangente zieht und nun ein rechtwinkliges Dreieck bildet,
dessen Hypotenuse auf der Kurventangente im Punkt P (xly) liegt und
dessen Katheten eben die Differentiale sind. Sodann führt Leibniz das auch
heute noch übliche Zeichen d für das Differential ein. Er gibt nun - und
hierin ist der entscheidende Fortschritt zu sehen- Rechenregeln an, wie mit
dx und dy zu rechnen ist, wenn diese als unendlich klein vorgestellt werden.
Diese Rechenregeln sind den arithmetischen Grundrechenarten analog.
Differenziert werden Summen, Differenzen, Produkte, Quotienten und
Potenzfunktionen. Den kalkulatorisch-algorithmischen Charakter dieser
Rechnungen bringt Leibniz mit folgenden Worten zum Ausdruck:
70 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle
Kennt man, wenn ich so sagen soll, den obigen Algorithmus dieses Kalküls, den ich
Differentialrechnung nenne, so lassen sich alle anderen Differentialgleichungen
durch ein gemeinsames Rechnungsverfahren finden ... So kommt es, daß man zu
jeder vorgelegten Gleichung ihre Differentialgleichung aufschreiben kann. Dies ge-
schieht, indem man für jedes Glied einfach das Differential des Gliedes einsetzt, für
eine andere Größe jedoch (die nicht selbst ein Glied ist, sondern zur Bildung eines
Gliedes beiträgt) ihr Differential anwendet, um das Differential des Gliedes selbst
zu bilden, und zwar nicht ohne weiteres, sondern nach dem oben vorgeschriebenen
Algorithmus. 215
Wir sehen, wie hier der Terminus 'Algorithmus' von Leibniz zur Kenn-
zeichnung von Rechenverfahren überhaupt, ausgeführt in einem symboli-
schen Medium, verallgemeinert wird.
In diesem Zusammenhang zwischen "Algorithmisierung einer numeri-
schen Operation" und "für die Gegenstände dieser Operation einen eigenen
Symbolismus schaffen" liegt die Pointe der Leibnizschen Erfindung. Hier
liegt die wesentliche Differenz zu Newtons Fluxionsrechnung, die ebenfalls
algorithmisch orientiert ist. Einerseits ist das Bezeichnungssystem von
Leibniz zweckmäßiger, insofern die Größe, nach der differenziert wird, un-
mittelbar im Bezeichn.ungssystem zum Ausdruck kommt. Leibniz wählt für
den ersten, zweiten und dritten Differentialquotienten die Bezeichnungen
dx d2x d3x
dy' dy2' dy3 etc.
1.6 Zwischenergebnis 1:
Über die Entstehung der mathematischen Formel
(1) Bis zum Beginn der Neuzeit lassen sich in der Entwicklungsgeschichte
des mathematischen Denkens zwei Typen mathematischer Wissensbildung
unterscheiden: der Typus des "Rezeptewissens", wie er sich in der algorith-
misch-algebraischen Tradition der orientalischen Mathematik herausge-
bildet hat, upd der Typus des "Begründungswissens", wie er sich in der
wissenschaftlichen Tradition der klassischen griechischen Mathematik her-
ausgebildet hat.
(2) Das "Rezeptewissen" versteht sich als eine 'techne', als ein Know-
how, wie Probleme durch das mechanische Befolgen einer Regel gelöst
werden können. Nicht warum sich etwas so und so verhält, sondern nur, wie
man etwas macht, ist die entscheidende Frage, auf die das "Rezeptewissen"
Antwort gibt.
Das "Begründungswissen" versteht sich als eine 'episteme'. Kenntnisse
sind als wissenschaftliche Erkenntnisse nur anerkannt, insofern sie einen
Platz im axiomatisch-deduktiven Aufbau einer Theorie einnehmen. Nicht
wie man etwas macht, sondern warum sich etwas so und so verhält, ist die
entscheidende Frage, auf die das "Begründungswissen" Antwort gibt.
(3) Die Wurzeln der algorithmischen und kalkulatorischen Elemente im
mathematischen Denken reichen zurück in die orientalische Tradition des
72 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle
2.1.1.1 Aristoteles
gesetzt werden kann, was für die Art der Betrachtung einer solchen Aussage-
form selbst unerheblich ist. Aristoteles symbolisiert die Variablen mit Buch-
staben; für die logischen Konstanten jedoch schafft er keine Symbole. Man
kann diese Einsicht in die Eigenschaft von Aussagebestandteilen, variabel
zu sein, nicht hoch genug schätzen. Denn hier ist der unausweichlich erste
Schritt getan hin zu einer Formalisierung schlußfolgernden Denkens. Alles
Denken bedarf einer Sprache, sei dies nun unsere natürliche oder eine
künstlich eingerichtete Sprache; ein Zusammenhang, der in die Doppelbe-
deutung des griechischen Iogos-Begriffes hineinspielt: 'Iogos' heißt die mit
dem Anspruch auf Nachprüfbarkeit verbundene Rede, aber auch das, was
mit der Rede gemeint ist, Gedanken z. B. oder Begriffe. 7 Erst aber, wenn die
Termini, mit deren Hilfe sich das Denken vollzieht, nicht mehr für eindeutig
spezifizierbare Bedeutungen, sondern für "unbestimmte", variable Bedeu-
tungen stehen, kann eine methodische Ordnung der Gedankenschritte ent-
wickelt werden, die keinen Bezug mehr nimmt auf den konkreten Inhalt der
Gedanken. Wir kennen diesen einschneidenden Schritt von der Entwick-
lung der arithmetischen Variablen in Vietas Buchstabenalgebra. Doch was
dort die späte Frucht einer langwierigen Entwicklung des algebraisch-arith-
metischen Denkens markiert, wird hier zum Ausgangspunkt.
Die Variablenzeichen behandelt Aristoteles als Stellvertreter für Terme,
nicht aber für ganze Aussagen. 8 Seine formale Logik ist somit eine Term-
logik. Aristoteles interessiert sich für die innere Struktur von Aussagen, wie
sie in der Subjekt-Prädikat-Beziehung zum Ausdruck kommt, nicht aber für
die Relation ganzer Aussagen, unabhängig von ihrer Binnenstruktur, wie es
dann in der stoischen Schule der Fall sein wird.
Der Kern des >Organons< als eines methodischen Werkzeuges begrün-
dender Wissenschaft ist das syllogistische Verfahren. 9 Unter allen möglichen
Aussageformen betrachtet Aristoteles nur solche, die den gesetzmäßigen
Zusammenhang einer Schlußfolgerung annehmen. Ein solcher Zusammen-
hang enthält zwei Prämissen der Form "alle S sind P", "einige S sind P",
"kein S ist P" und "einige S sind nicht P", eine Konklusion der gleichen logi-
schen Form und muß der Bedingung genügen, daß jedesmal, wenn beide
Prämissen wahr sind, auch die Konklusion wahr ist. Aristoteles deckt allge-
meine Gesetze des Syllogismus auf, so z. B., daß man aus den Prämissen
nicht den erforderlichen Schlußsatz erhalten kann, wenn beide negativ oder
partikular sind; oder daß in jedem Syllogismus die eine Prämisse ein all-
gemeines Urteil und die andere bejahend sein muß. 1° Für die einzelnen
Figuren des Syllogismus stellt Aristoteles spezielle Gesetze auf.
Jeder solche Schluß, sofern er gültig ist, kann als eine logische Implikation
aufgefaßt werden, etwa: "alle Hunde sind Lebewesen", "alle Lebewesen
sind sterblich" impliziert "alle Hunde sind sterblich". Es zeigt sich darin,
daß die aristotelische Syllogistik aus Gesetzen, nicht aber aus Regeln
besteht- eine Auffassung allerdings, die durchaus umstritten ist. 11 Wenn
wir unsere Beispielimplikation formal notieren, also PaQ, QaR< PaR
Zur Vorgeschichte des logischen Kalküls 75
schreiben, so zeigt sich, daß es um eine Aussageform geht, die sich bei Ein-
setzen geeigneter Variablen zu einer sinnvollen Aussage wandelt: Die Ari-
stotelische Syllogistik ist zwar formal, jedoch kein formalistisches System. 12
Dabei sei unter einem "formalistischen System" ein System verstanden, in
welchem die Richtigkeit von .Ableitungen innerhalb des Systems nachge-
prüft werden kann, ohne daß man die Bedeutungen der in den Ableitungen
benutzten Ausdrücke und Symbole in Rechnung stellen muß. Wenn Aristo-
teles auch die Unterscheidung von Wahrheit und Gültigkeit macht, 13 in dem
Sinne, daß die Prämissen wahr sind, die Konklusion aber gültig, und d. h.
kraftder Form wahr ist, läßt er doch keinen Zweifel daran, daß die Bildung
wahrer, sinnvoller Aussagen Ausgangs- und Zielpunkt seiner logischen Ana-
lyse sei. 14 Auf ein antiformalistisches Argument sei hier eigens aufmerksam
gemacht. Aristoteles setzt sich in dem Buch >Sophistische Widerlegungen<
mit trügerischen Widerlegungen auseinander und erkennt als eine ihrer Ur-
sachen den fal~chen Gebrauch von Wörtern. Dazu führt er aus:
Da man nämlich die Dinge selbst nicht in die Diskussion bringen kann, gebrauchen
wir statt ihrer Worte als Zeichen; deshalb glauben wir, daß, was für die Worte gilt,
auch von den Dingen gelten werde, wie bei den Rechensteinen der Rechnenden.
Aber es ist nicht ähnlich, denn die Worte und die Längen der Reden sind (der Zahl
nach) begrenzt, die Dinge aber sind der Zahl nach unbegrenzt. Es ist also notwendig,
daß eine Rede (daß ein Wort) vieles bedeute. 15
3. Nicht zusammen das Erste und das Zweite; nun aber das Erste; also nicht das
Zweite.
4. Entweder das Erste oder das Zweite; nun das Erste; also das Zweite nicht.
5. Entweder das Erste oder das Zweite; nun nicht das Zweite; also das Erste. 27
In solchen Aussageformen können sinnvoll nur Aussagen eingesetzt
werden. Für die erste Form lautet das entsprechende Schulbeispiel:
Wenn es Tag ist, so ist es hell; nun ist es aber Tag; also ist es hell. 28
Die stoische Logik ist eine zweiwertige Logik, die von dem Grundsatz aus-
geht, daß jede Aussage entweder wahr oder falsch ist. 29 Auf dieser Grund-
lage- und hier kommen wir zu einem für die Geschichte der Formalisierung
wesentlichen Punkt - wendet sie sich der Analyse der aussagebildenden
Funktionen bzw. der Wahrheitswertfunktionen zu. Es werden Operationen
mit Aussagen untersucht, die dadurch charakterisiert sind, daß der Wahr-
heitswert einer Aussage, die durch Anwendung einer Operation auf gewisse
andere Aussagen entsteht, nur von deren Wahrheitswerten, nicht aber von
deren Inhalt abhängt. Als Operationen können wir aus den Fragmenten die
Negation, die Implikation, die Konjunktion und die Disjunktion rekonstru-
ieren. Bachenski hat eine uns überlieferte Implikation von Phiion (ca. 300
v. Chr.) so in eine Wahrheitswertmatrix umgeschrieben 30 :
Subjectum supponit juxta exigentiam praedicati, talia sunt subjecta qualia per-
mittuntur a suis praedicatis. -Das, wofür das Subjekt steht, ist verbunden mit den Er-
fordernissen des Prädikats; die Beschaffenheit des Subjekts ist vorgegeben durch das
Prädikat (freie Übersetzung- SK). 51
An den drei Beispielsätzen können wir uns eine zentrale Unterscheidung
in bezug auf verschiedene Suppositions-Funktionen klarmachen. Shyres-
wood schreibt:
Die Supposition ist einmal material, einmal formal. Sie wird material genannt,
wenn der Ausdruck (dictio) entweder für einen isolierten Laut (vox) steht oder für
den Ausdruck, der aus dem Laut und (seiner) Bedeutung zusammengesetzt ist, z. B.
wenn wir sagen würden: homobesteht aus zwei Silben, homoist ein Nomen. (Die
Supposition) ist formal, wenn der Ausdruck für das von ihm Bedeutete steht. 52
Diese Grundunterscheidung wird nun immer feiner ausgearbeitet.
Kneale gibt folgende Zusammenstellung, die hier als "Bild" dargestellt sei,
ohne daß wir die subtilen Verästelungen genauer verfolgen (Abb. 5).
Bachenski stellte fest, daß wir für den Ausdruck suppositio keine Überset-
zung in moderne Terminologie finden können, da unter diesen Begriff ver-
schiedene semiotische Funktionen fallen, welche wir heute nicht mehr mit
einem einheitlichen T~rminus bezeichnen würden. 53 Gleichwohl ist es mög-
lich - und darauf hat Dumitriu aufmerksam gemacht -, ein gemeinsames
Band, das die unterschiedlichen Funktionen zusammenhält, auszuma-
chen. 54 Dieses gemeinsame Band ist durch die Hauptregel der Supposition
gegeben, nämlich daß das, wofür der Subjekt-Terminus steht, determiniert
sei durch den Prädikat-Terminus. Hinter solcher Regel verbirgt sich eine
zentrale semiotische Idee: Die Wörter, die als Bausteine in das Ganze eines
Aussagesatzes eingehen und damit zu einem Zeichen für etwas werden,
tragen ihre Bedeutung nicht mit sich herum wie ein Vogel sein Gefieder. Viel-
mehr entsteht die Bedeutung erst durch die logische Funktion, die ein be-
stimmtes Wort im Kontext eines Satzes innehat. Damit könnte die scholasti-
sche Suppositionslehre als eine sehr frühe Version einer Gebrauchstheorie
der Bedeutung gelten, die wir gemeinhin erst mit Gottlob Freges Idee, Be-
griffswörter als Funktionen zu begreifen, einsetzen lassen. Wichtiger aber
noch als die Frage nach der Vorläuferschaft ist eine Implikation der scholasti-
schen Suppositionsidee. Jede Formalisierung ermöglicht es, eindeutig zwi-
schen einem Satz des formalen Systems und einem Satz über das formale
System zu unterscheiden. Umgangssprachliche Ausdrücke erlauben jedoch
eine Konfundierung dieser beiden Standpunkte, von dem die logischen Pa-
radoxien beredtes Zeugnis ablegen: Ein und derselbe Satz kann zugleich
eine objektsprachliche und eine metasprachliche Funktion innehaben.
Die Suppositionslehre kann damit als ein Versuch interpretiert werden
- im "Schoße" der umgangssprachlichen Ausdrucksweise selbst -, solche
Konfundierung der Sprachebenen zu vermeiden, indem z. B. sichergestellt
wird, daß innerhalb einer Schlußfolgerung der "Typ" der Supposition nicht
gewechselt werden darf.
pro ipsa voce absolute: Homo est disyllabum
materialis
pro ipsa dictione composita ex voce et significatione: Homo est nomen
~
l pro significatio sine comparatione ad res: Homo est species
1-1
~
1-1
Suppositio (1Q
~
V,!
simplex solum cum reduplicatione speciei:. (")
:::r'
Homo est dignissima creaturarum (")
00
(J.l
84 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle
z. B. diese: "Ein Mensch läuft, also läuft ein Lebewesen"; denn eine in der Form ähn-
liche Konsequenz mit den Termini: "Ein Mensch läuft, also läuft Holz" gilt nicht. 58
Die Pointe der Unterscheidung von formaler und materialer Konsequenz
betrifft also die Frage, worauf die Gültigkeit der Konsequenz beruht. Ist
diese Gültigkeit unabhängig von der Bedeutung der in die Aussagen einge-
henden Terme sowie von dem Wahrheitswert der Aussagen, dann handelt es
sich um eine formale Konsequenz. Ihre Gültigkeit beruht alleine auf einer
allgemeinen logisch-grammatischen Regel, deren Realisierung sie ist. In der
>Summa totius logicae< findet sich dazu bei Ockham folgende Bemerkung:
Eine Konsequenz aber, die gültig ist durch ein extrinsisches Mittel, ist eine solche,
die durch eine allgemeine Regel gültig ist, die nicht ihre eigene oder andere Worte in
Rechnung stellt (respicit). 59
Diese Idee der Gültigkeit gemäß einer Regel, die nicht Bezug nimmt auf
die (Bedeutungen der) Wörter, ist eine Idee, die in der Geschichte der For-
malisierung bahnbrechende Bedeutung hat.
Die Gültigkeit der materialen Konsequenzen beruht nicht auf einer allge-
meinen Regel, als deren Realisierung eine Konsequenz aufzufassen ist,
sondern sie hängt ab von den Wahrheitswerten der in die Konsequenz ein-
gehendenAussagen und damit auch von den Bedeutungen derTerme.
Es werden nun Regeln für Konsequenzen aufgestellt, die wir hier im ein-
zelnen nicht verfolgen wollen. Dumitriu hat diese Regeln übersichtlich
zusammengestellt. 60
Nur auf zwei Regeln sei aufmerksam gemacht, die wir heute unter dem
Namen "De Morgansche Gesetze" kennen, und die uns zeigen, wie weitge-
hend die Konsequenzenlehre eine Annäherung an Theoreme der modernen
Aussagenkalküle beinhaltet. 61 Bei Ockham findet sich folgende Regel:
"Das kontradiktorische Gegenteil einer kopulativen Aussage ist eine dis-
junktive Aussage, gebildet aus den kontradiktorischen Aussagen der Teile
der kopulativen Aussage. " 62 Dies aber ist nichts anderes als das Morgansche
Gesetz, welches besagt, daß die Negation einer logischen Konjunktion
transformierbar ist in die Disjunktion der negativen Teilaussagen der Kon-
junktion. Auch das zweite De Morgansche Gesetz nimmt Ockham vorweg,
indem er folgende Regel aufstellt: "Das kontradiktorische Gegenteil einer
disjunktiven Aussage ist eine kopulative Aussage, gebildet aus den kontra-
diktorischen Aussagen der Teile der disjunktiven Aussage. " 63 Das zweite
De Morgansche Gesetz besagt, daß die Negation einer logischen Disjunk-
tion transformierbar ist in eine logische Konjunktion, gebildet aus 9en Nega-
tionen derTeilaussagen.
86 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle
Der Gedanke einer "rechnenden Logik" ist den antiken und scholasti-
schen Logikern völlig fremd. Ein Grund dafür "liegt auf der Hand": Alles
Zahlenrechneq. muß sich im Medium semiotischer Repräsentanten für die
Zahlen vollziehen, seien dies nun gegenständliche oder rein. symbolische
Zahlenrepräsentanten. Die Repräsentation durch irgendeine Form künst-
lich geschaffener Zeichen ist also eine unabdingbare Voraussetzung des
Rechnens: Wir können nicht in unserer Umgangssprache rechnen. Dem-
gegenüber ist die bisher behandelte Gestalt der formalen Logik dadurch
charakterisiert, daß sie nicht vom Aufbau eines künstlichen Zeichensystems
ausgeht, sondern selbst da, wo Variablenzeichen benutzt werden, diese für
umgangssprachliche Ausdrücke stehen.
Doch es gibt noch einen weiteren Grund. Der Ausgangspunkt der aristo-
telischen Logik ist der Beweiszwang für Aussagen, sofern sie als wissen-
schaftliche anerkannt werden sollen. Und letztlich bleibt die ganze bisher
charakterisierte Logik eine Antwort auf die Frage, welche Schlußfolge-
rungen gültig sind, ·so daß Sätze, die wirkraftsolcher Schlußfolgerungen ge-
winnen, als bewiesene und d. h. als wahre Sätze akzeptiert werden können.
Die Logik erfiillte Beweisfunktionen.
Demgegenüber ist das Rechnen ein Vorgang, in welchem es nicht um das
Beweisen einer vorliegenden Aussage geht, vielmehr um das Lösen eines
Problems, das darin besteht, aus der Relation von zwei oder mehr Zahlen
eine neue Zahl zu gewinnen. Rechnen- zumindest im Selbstverständnis der
bisher behandelten Epoche - ist nicht Beweisen, sondern Auffinden von
etwas.
Die im folgenden zu rekonstruierende Entwicklungslinie setzt ein mit
einer Neubewertung der Funktion, die die Logik zu erfüllen habe, und die
darin besteht, daß sie primär heuristischen Zwecken diene, also eine Kunst
sei, nicht vorgegebene Sätze zu beweisen, sondern neue wahre Sätze auf-
zufinden.
In der Erfüllung dieser Funktion aber gerät sie in die Nähe des Rech-
nens, dieses verstanden als ein mechanisches Herstellen von Problem-
lösungen, das im Prinzip auch durch eine Maschine ausgeführt werden kann.
88 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle
stik" ins Auge faßte, die sich als Organon der wissenschaftlichen Arbeit
versteht. Die Revision des Leibnizschen Selbstverständnisses, welches der
französische Leibnizforscher Couturat noch zu Beginn des Jahrhunderts un-
hinterfragt weitergab, geht zurück auf einen AufsatzJonathan Cohens ( 1954
in der Zeitschrift >Mind< veröffentlicht). 111 Cohen zeigte, daß das Projekt
einer universalen Symbolsprache geradezu ein intellektueller Gemeinplatz
des 17. Jahrhunderts in Westeuropa gewesen ist. Und zwar sowohl in kommu-
nikationstechnischer Perspektive, insofern man ein internationales Verstän-
digungsmittel der Gelehrten zu schaffen hoffte, wie aucb in wissenschafts-
technischer Hinsicht, insofern man eine solche Sprache als Instrument von
Entdeckung und Beweis zu gebrauchen hoffte. 112 Leibniz ging nur in einer
- allerdings entscheidenden Beziehung - über diese Ansätze hinaus: Er
schuf einen Kalkül, dessen Zeichen nur noch als Variable für Begriffe und als
logische Konstanten interpretiert wurden und nicht als "Sprachzeichen" im
Sinne wohlbestimmter semantischer Festlegungen. Darum aber handelte es
sich in allen Versuchen seiner Vorgänger, die sich in zwei Gruppen zusam-
menfassen lassen. 113 Die erste Gruppe geht aus von Francis Bacon (1561-
1626). In >The Advancement of Learning< entwickelt Bacon, er suche nach
einem System von Z~ichen (Charakteren), die weder Buchstaben noch
Wörter, sondern Dinge oder Begriffe ausdrücken. 114 Ein solches Zeichen-
system- so Bacon in >De Augmentis Scientiarum< von 1623- könne von
jedermann in der eigenen Nationalsprache gelesen werden. 115 Die Pointe
dieses Projektes liegt also darin, daß die Umgangssprachen "umgangen"
werden und die semantischen Bezüge dieser Kunstsprache sich unmittelbar
aus der Relation zwischen den Zeichen und ihren Referenzgegenständen,
seien dies Dinge oder Begriffe, ergeben. Die Idee einer Begriffsschrift kün-
digt hier sich an. Einer Sprache also, die nur noch als schriftliche Sprache
existiert. Als Vorbild solchen Symbolismus gilt das schriftliche Chinesisch,
welches sich zu Bacons Zeiten im Fernen Osten als Mittel schriftsprachlicher
Verständigung unter Menschen, deren gesprochene Sprachen weit vonein-
ander abwichen, durchgesetzt hatte.
Wir sehen, wie hier der kommunikative Aspekt sich in den Vordergrund
schiebt: Sprache ist für Bacon vehiculum cogitationum, und Cave Beck ver-
öffentlichte 1657 eine Grammatik und ein Wörterbuch einer solchen
Sprache, betitelt mit >The Universal Character, By which all the nations in
the world may understand one another's Conceptions, reading out of one
Common writing their own Mother Tongues< 116 . In den universalsprachli-
chen Versuchen, die sich an Bacon anschließen, geht der begriffsschriftliche
Charakter zunehmend verloren. In einschlägigen Studien von Becker 1661
in Frankfurt sowie von Kireher 1663 in Rom werden nur noch die Wörter der
Sprachen Französisch, Lateinisch, Deutsch etc. chiffriert mit einer Num-
mernkombination, sich anlehnend an die alphabetische Reihenfolge, die ein
Wort innerhalb seiner Sprache einnimmt. 117
Bacon selbst hat die Schwierigkeiten eines solchen Projektes in der unab-
Von der Kombinatorik zur Idee des logischen Kalküls 97
sehbaren Vielzahl der Begriffe (und also auch der Charaktere) gesehen und
es daher nicht weiter verfolgt.
Ein anderer Typus universalsprachlicher Bemühungen geht aus von Marin
Mersenne (1588-1648) und Descartes. Nicht mehr Begriffe oder die Dinge
selbst, vielmehr die Ideen bilden hier jene Referenzobjekte, die es zu sym-
bolisieren gilt. Durch Heraussonderung der grundlegenden Ideen, auf deren
Verknüpfung alle übrigen Ideen rückführbar sind, sowie einer Zuordnung
eines Zeichenalphabets zu diesen könne eine, durch Zeichenausdrücke re-
präsentierbare Ordnung der Gedankenwelt aufgebaut werden, welche der
natürlichen Ordnung der Zahlen entspreche. 118 Eine solche Sprache sei
zwar schwer zu entwickeln, doch leicht zu erlernen. Descartes hat zu Recht
betont, daß diese Ungua universaUs von der "wahren Philosophie" («la vrai
Philosophie») abhängig sei. Diese erst müsse herausfinden, welche Ideen
als die grundlegenden zu gelten haben. 119 Die Exaktheit der universalen
Sprache weist, so zurück auf die Exaktheit der philosophischen Analyse
selbst. In der Nachfolge Descartes' stehen die Autoren A. Comenius, Sir
Thomas Urquhart und F. Lodwick. 120 Gemeinsam ist ihnen, die Ungua uni-
versaUs als ein Instrument ungehinderten Erwerbs wissenschaftlichen Wis-
sens zu konzipieren. Ladwiek war überzeugt, daß sie "would much assist the
true knowledge of things which is at present much hindered". 121 In der carte-
sischen Tradition steht auch Seth Ward, Professor für Astronomie an der Uni-
versität Oxford, der eine Universalschrift projektierte, die von den Englän-
dern John Delgarno und John Wilkins ausgearbeitet wurde und mit denen
sich Leibniz dann in seinen eigenen Entwürfen kritisch auseinandersetzte.
Seth Ward nimmt in seiner Idee einer universalen Zeichenschrift unmit-
telbar Bezug auf die analytica speciosa, also das Buchstabenrechnen, so wie
es Vieta ausarbeitete. Während Bacons Projekt zu unübersehbar vielen Zei-
chen führte, würde es genügen- und hier folgt Ward Descartes -,eine be-
grenzte Menge einfacher Begriffe aufzustellen und zu symbolisieren, so daß
der innere Zq.sammenhang der komplizierteren Begriffe mit Hilfe der Sym-
bolsprache dem Auge auf durchsichtige Weise präsentiert werde. 122 Exakte
Diskurse könnten so beweisbar werden, ohne daß einAufwand nötig sei, der
über die Operationen der "analytica speciosa" hinausginge. 123
Die sich an Ward anschließenden Ausarbeitungen durch Dalgarno und
Wilkins gehen von zwei Voraussetzungen aus 124 : Erstens müsse die Menge
der Grundbegriffe aufgezählt werden, welche weder über Redundanzen
noch Lücken verfügen dürfe. Zweitens sei jeder der Begriffe so durch ein
Zeichen zu kennzeichnen, daß die Verbindungen der Zeichen die entspre-
chenden Verbindungen der Begriffe bzw. Dinge repräsentierten. 125 Wir
sehen, wie in der cartesischen Tradition der Isomorphiegedanke zwar nicht
explizit ausgedrückt, doch als implizite Voraussetzung lebendig wird. Wir
wollen den Verästelungen der Entwürfe von Dalgarno und Wilkins hier nicht
weiter folgen, sondern einen abschließenden Blick auf das Gesamtbild der
universalsprachlichen Projekte werfen:
98 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle
2.2.2.5 Rechenma.schinen
Die Kalkülisierung des Rechnens, wie sie durch das indische Ziffern-
system ermöglicht wurde, mit ihrem Kunstgriff, eben dieses Rechnen als das
Formieren und Transformieren von "bedeutungslosen" Zeichenketten
durchzuführen, schuf die theoretischen Voraussetzungen der praktischen
Mechanisierung dieses Vorganges.
Wilhelm Schickard (1592-1635), Professor für biblische Sprachen, Mathe-
matik und Astronomie, baute 1623 eine Rechenmaschine mit einer ein-
fachen Mechanik für Addition und Subtraktion, die einen einwandfreien
Zehnerübertrag über sechs Stellen leistete und unter Zuhilfenahme einer
Einmaleinstafel auch Multiplikation und Division ausführte. 126 Aus einem
Briefwechsel mit Kepler geht hervor, daß diese Rechenmaschine einwand-
frei funktioniert haben muß. 127
Der französische Philosoph, Mathematiker und Physiker Blaise Pascal
(1623-1662) arbeitete 1642 an der Konstruktion einer weiteren Rechenma-
schine.128 1674 entwickelte Leibniz eine Rechenmaschine, mit der alle vier
Grundrechenarten ausgeführt werden konnten und dies auf einfachere
Weise als bei Schickard und Pascal. 129 Die ersten Konstrukteure sind also
Philosophen und Theologen gewesen. Dieser biog~aphische Sachverhalt
zeigt, wie wenig die Rechenmaschinen aus den Bedürfnissen von Produk-
tion und Handel erwuchsen, vielmehr sind sie spekulative Meisterstücke
eines Jahrhunderts, welches wie keines zuvor von der Idee der Mechanisier-
barkeit "geistiger Abläufe" durchdrungen ist.
Wie diese Mechanisierung des Rechnens vor sich ging, sei exemplarisch
Von der Kombinatorik zur Idee des logischen Kalküls 99
b
Abb. 6: Mechanismus der Maschine von Pascal (a Einerrad, b Zehnerrad, c Zehner-
schaltung, d Sperrklinke, e Abdeckplatte mit Schauloch; aus: Couffignal1955).
Nehmen wir als Beispiel, daß das Zählwerk 749 anzeigt und daß man zu
dieser Zahl473 addieren möchte. Die Anwendung der Additionsregel beim
schriftlichen Rechnen läuft wie folgt ab:
(1) 9 plus 3 macht 12 (Gedächtnishandlung und Anwendung der Zähl-
regel).
(2) Ich setze 2 und merke 1 (Feststellung, daß sich die Zahl 12 mit zwei
Ziffern schreibt und Anwendung der Regel für Merkzahlen).
(3) 1 plus 4 macht 5; f(
Doch es ist nicht allein die Idee des Kalküls, sondern der Gebrauch, den
Leibniz von dieser Idee macht, worauf wir unser Interesse richten wollen:
Leibniz versteht die Kalkülisierung als ein Organon der philosophischen
Analyse. Die Instrumentalisierung des Kalküls zum Zwecke philosophi-
scher Erkenntnisgewinnung benennen wir heute mit dem Terminus "Leib-
nizprogramm"132. Es gliedert sich in drei miteinander zusammenhängende
Aspekte, die wir hier getrennt darstellen wollen:
1. Die Idee einer Universalwissenschaft.
2. Die Idee einer universellen Kalkülsprache.
3. Die Idee logischer Kalküle im engeren Sinne.
Zuvor jedoch gilt es eine Voraussetzung zu verdeutlichen, auf deren Basis
überhaupt erst die Idee einer Kalkülisierung philosophischer Erkenntnis er-
wachsen kann: die Einsicht, daß formale logische Schlußweisen und das
Rechnen analo,ge Prozeduren sind. Die Analogie stellt sich darüber her, daß
sowohl beim formalen Schlußfolgern wie auch beim Rechnen Wahrheits-
beweise auf Richtigkeitsnachweise zurückgeführt werden. Und dies ist nur
möglich, insoweit "wahre" Aussagen als Ausdrücke einer formalen Sprache
vorliegen, so daß die "Wahrheit" dieser Ausdrücke dadurch verbürgt ist, daß
dieselben korrekt, d. h. durch richtige Anwendung der entsprechenden For-
mations- und Transformationsregeln, gebildet worden sind. Unter formalem
Schließen ist also ein Beweisen zu verstehen, bei dem nicht die Wahrheit von
Gedanken, sondern die Wohlgeformtheit von Zeichenausdrücken demon-
striert wird: Die Bedeutung der Zeichen spielt hier keine Rolle. So ver-
standen gewinnt das Prinzip des Beweisens und Schlußfolgerns kraft der
Form eine Reichweite, die die Grenzen der aristotelischen Syllogistik weit
hinter sich läßt. Leibniz führt dazu aus:
Zwar ist diese Arbeit des Aristoteles nur ein Anfang und gleichsam das ABC, wie es
denn andere mehrere und zusammengesetzte und schwerere Formen gibt, die man
alsdann erst brauchen kann, wenn man mit Hilfe dieser ersten und leichten Formen
festgestellet, als zum Exempel die euklidischen Schlußformen, ... ja selbst Addition,
Multiplikation oder Division der Zahlen, wie man sie in den Rechenschulen lehret,
sind Beweisformen (argumenta in forma), und man kann sich darauf verlassen, weil
siekraftihrer Form beweisen. Und auf solche Weise kann man sagen, daß eine ganze
Buchhalterrechnung förmlich schließe und aus argumentis in forma bestehe. 133
Auf Raimundus Lullus geht der Gedanke einer scientia generaUs, einer
universalen Wissenschaft auf kombinatorischer Grundlage, zurück. Als In-
strument dieser Universalwissenschaft galt Lullus seine ars magna, seine
"neue Logik", die sich sowohl hinsichtlich ihrer heuristischen Funktion wie
auch in bezug auf ihre mechanisierbaren kombinatorischen Verfahrens-
weisen von der traditionellen Logik unterschied. Die Absetzung von der
traditionellen Logik wurde seit der Renaissance zum philosophischen Allge-
meingut, orientierte sich doch der für das neuzeitliche Denken konstitutive
Methodengedanken an der inventio, der Erfindungskunst, mit deren Hilfe
man neue Wahrheiten zutage zu fördern hoffte. 136 Demgegenüber diene die
traditionelle Logik lediglich der Darstellung und formalen Ableitung schon
gewonnener Erkenntnisse. Descartes urteilt abschätzig über die aristote-
lisch-scholastische Logik, jeder Knabe könne "intra paucos dies magnum
istius artis usum acquirere". 137
Die intensive Auseinandersetzung Leiboizens mit der aristotelischen Syl-
logistik führt ihn, im Unterschied zu Descartes, zu einer Anerkennung der
traditionellen Logik als eines unverzichtbaren Instrumentes der Beurtei-
lungskunst.138 Im Anknüpfen an den Gedanken der inventio einerseits und
der Rehabilitierung der demonstratio andererseits gelangte Leibniz so zu
einer doppelten Aufgabenstellung der Logik. In einem Schreiben an Gabriel
Von der Kombinatorik zur Idee des logischen Kalküls 103
Wagner führt er dazu aus, unter der "Logick oder Denck-Kunst" verstehe er
"die Kunst den Verstand zu gebrauchen, also nicht allein was fürgesteilet zu
beurtheilen, sondern auch was verborgen zu erfinden" . 139
In der Perspektive dieser zweifachen Aufgabenbestimmung, nämlich ars
iudicandi und ars inveniendi zu. sein, wird die Logik zu einem Instrument der
scientia generaUs. 140 "Die scientia generaUs besteht aus zwei Teilen", führt
Leibniz dazu aus und bestimmt den ersteren als denjenigen, der zur Befesti-
gung der Wissenschaften diene, indem beurteilt werde, was bereits gefunden
sei, den letzteren aber als denjenigen, der zur Erweiterung der Wissenschaft
diene, insofern gefunden werde, was noch fehle. 141
Diears iudicandi liefert also die Hilfsmittel, mittels deren eine hypothe-
tisch als wahr angenommene Aussage als wahr erwiesen, d. h. aus sicheren
Gründen abgeleitet werden kann. Demgegenüber dient die ars inveniendi
der Ableitung möglicher Folgerungen aus einem bereits gesicherten Bestand
als wahr erwie~ener Sätze. 142
Hans Hermes hat in einem 1969 publizierten Aufsatz versucht, die Leib-
nizsche Unterscheidung zwischen einer ars inveniendi und einer ars iudi-
candi mit Hilfe von Termini plausibel zu machen, die die moderne mathema-
tisch-logische Grundlagenforschung unseres Jahrhunderts erarbeitet hat,
nämlich der "Aufzählbarkeit" und "Entscheidbarkeit". 143 Unabhängig von
der Frage, ob solche "modernisierte" Sichtweise Leibnizens zulässig ist,
steht außer Zweifel, daß die Unterscheidung der beiden artes bei Leibniz ein
Gegenstück findet in der modernen Aussagenlogik. Die Fragestellungen der
Aussagenlogik lassen sich in zwei Gesichtspunkte gliedern, nämlich (1) ein
Verfahren zu finden, mit dessen Hilfe es möglich ist, bei einem beliebigen
endlichen Axiomensystem und einer beliebigen vorgegebenen Aussage
dieses Systems, in endlich vielen Schritten zu entscheiden, ob die Aussage
eine Folgerung aus dem Axiomensystem ist oder nicht und (2) durch syste-
matische Anwendung von Regeln aus einem gegebenen Axiomensystem alle
Folgerungen ~u finden. 144
Diese Interpretation der Verfahren einer Universalwissenschaft im Lichte
der modernen Logik kann nur plausibel werden, wenn wir den kalkulatori-
schen Charakter der Leibnizschen Universalwissenschaft in Rechnung
stellen. 145
Denn die "Wahrheiten der Vernunft" sollen "wie in der Arithmetik und
Algebra so auch in jedem anderen Bereich, in dem geschlossen wird, ge-
wißermaßen durch einen Kalkül erreicht werden können" . 146 Die scientia
generaUs wird als ein Qualitätenkalkül projektiert; als eine Wissenschaft, "in
der die Formen und Formeln der Dinge im allgemeinen behandelt werden,
d. h. die Qualität im allgemeinen oder die Ähnlichkeit und Unähnlichkeit; in
derselben Weise, daß immer neue Formeln aus den Elementen a, b, c, selbst
entstehen, wenn sie miteinander kombiniert werden (ob diese Elemente
nun Quantitäten oder irgend etwas anderes repräsentieren). Diese Kunst ist
von der gewöhnlichen Algebra verschieden, die nur von Formeln handelt,
104 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle
die sich auf die Quantität beziehen oder auf die Gleichheit und Ungleich-
heit. " 147 Leibniz knüpft also an die Algebra an in ihrer Eigenschaft, sich
eines kalkulatorisch-kombinatorischen Verfahrens zu bedienen, doch
möchte er den Interpretationsbereich der Elemente, mit denen kalkulato-
risch operiert wird, erweitern.
Frucht dieses Gedankens ist das Projekt einer characteristica universaUs,
einer universalen Kalkülsprache, mit deren Hilfe die scientia generaUs sich
als eine kalkülisierte Wissenschaft etablieren könne.
deren Kombination sie sich darstellen lassen. So etwa, wenn homo als
animal rationale bestimmt wird. Die Teilbegriffe lassen sich ihrerseits in wei-
tere Elemente zerlegen, bis man zu letzten, nicht weiter zerlegbaren
Begriffen gelange, die folglich keine gemeinsamen Bestandteile haben. Die
Gesamtheit dieser nicht weiter zerlegbaren Elementarbegriffe machen das
"Alphabet des menschlichen Gedankens" aus. 152 Aus diesen notiones irreso-
lubiles lassen sich durch Synthese sämtliche Begriffe gewinnen. 153 Die
Grundidee der ars characteristica ist es, diesen unzerlegbaren Grundbegrif-
fen Zeichen, characteres, umkehrbar eindeutig zuzuordnen, so daß die Rela-
tionen, die zwischen den Begriffen als den Elementen unserer Gedanken
bzw. Urteile bestehen, sich in den Relationen, die zwischen den Zeichen
bestehen, abgebildet werden.
Ich nenne ein sichtbares Zeichen, das einen Gedanken ausdrückt, einen Charakter.
Die ars characteristica ist die Kunst Charaktere so zu bilden und zu ordnen, daß sie
Gedanken repräsentieren in der Weise, daß sie unter sich in der gleichen Relation
stehen, in der auch die Gedanken untereinander stehen. Der Ausdruck ist eine Zu-
sammenfügung von Charakteren, welche den Gegenstand, der auszudrücken ist,
repräsentieren. Das Gesetz des Ausdrucks ist folgendes: der Ausdruck eines Gegen-
standes ist zusammengesetzt aus den Ausdrücken derjenigen Gegenstände, deren
Ideen zusammengesetzt sind aus den Ideen des gegebenen Gegenstandes. 154
Die Isomorphie, die zwischen Begriffen bzw. Gegenständen und Charak-
teren gegeben ist, verbürgt, daß so, wie zusammengesetzte Begriffe aus ein-
fachen kombiniert sind, die Zeichenausdrücke, die die zusammengesetzten
Begriffe repräsentieren, sich aus den Zeichen, die die einfachen Begriffe
repräsentieren, zusammensetzen. Die Charaktere fungieren also als Eigen-
namen für Begriffe.tss
Als Modell der kombinatorischen Zusammensetzung von Begriffen wählt
Leibniz insbesondere in Entwürfen zur ars characteristica aus dem Jahre
1679 die Zerlegung der Zahlen in Faktoren, vor allem in Primzahlen. Grund-
begriffen sol\en die Primzahlen, komplexeren Begriffen die aus den Prim-
zahlen gebildeten Zahlen entsprechen. 156
Solche Kombinatorik gegebener Begriffe zu neuen Begriffen - darauf
haben Rivaud, Gurwitsch und neuerdings auch Mittelstraß aufmerksam ge-
macht157 -ist also nicht einfach bloße Verkettung und Aneinanderreihung,
wie es etwa noch Hobbes' Konzeption nahelegte, das Denken als ein Rech-
nen im Sinne bloßer Addition und Subtraktion aufzufassen: die Begriffsver-
bindung ist nicht additiver, sondern multiplikativer Art. Sie resultiert aus der
Anwendung einer (Multiplikations-)Funktion. 158 Die Faktoren, aus denen
das Zusammengesetzte resultiert, verschwinden im Zusammengesetzten:
Wir sehen einer Zahl nicht an, aus welchen Primfaktoren sie hervorgeht,
können dies jedoch durch Analyse feststellen. Auf analoge Weise will
Leibniz die Begriffszusammensetzung verstanden wissen: Die Merkmale
eines Begriffes, wie sie durch die Definition festgelegt sind, können dem Be-
griffswort nicht "abgelesen", sondern müssen analysiert werden. Die Frucht
106 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle
Wenn wir das Projekt einer ars characteristica als Versuch zur Entwicklung
einer universalen Kalkülsprache charakterisieren, so darf dabei gerade
nicht vergessen werden, daß die Zeichen dieser Sprache stets für wohl-
definierte Begriffe stehen. Die kalkülisierte Operation gilt Leibniz hier als
Substitut für das Operieren mit bestimmten Begriffen und hat nur in der
Stellvertreterfunktion für dieses seinen Sinn. Die Charaktere gelten also
nicht als Variablenzeichen. Dies unterscheidet die Leibnizsche characteri-
stica universaUs von den logischen Kalkülen, in welchen die Zeichen nur
noch als Variable oder logische Konstanten dienen. Ihnen wollen wir uns
nun zuwenden.
Mit seinen logischen Kalkülen verläßt Leibniz den Weg der abstraktiven
Methode, insofern die Kalkülzeichen intrasymbolische Bedeutungen ha-
ben: sie sind nicht mehr vorab Stellvertreter für vorgegebene, extrasymboli-
sche Referenzgegenstände. Es sind formale Systeme, die verschiedenen
Deutungen nicht nur zugänglich, sondern, wie Christian Thiel feststellt, "um
dieser verschiedenen Deutungsmöglichkeiten willen überhaupt aufgestellt"
sind. Sie sind nicht nur für verschiedene Interpretationen offengehalten,
"sondern einzig zu diesem Zwecke überhaupt eingeführt". 174 In dieser "kon-
struktiven" Orientierung- "konstruktiv" nur in dem Sinne, daß ein formales
System konstruiert und erst danach dasselbe zu deuten versucht wird- zeigt
sich Leibniz als ein Vorläufer der mathematischen Logik.
Diese Interpretation ist nicht unbestritten. Couturat, dessen verdienst-
volle Edition unveröffentlichter Texte erst den Blick freilegte auf die logi-
schen Leistungen Leibnizens, fällte über diese gleichwohl ein problemati-
sches Urteil. Qa für Couturat nur eine extensionale Auffassung die Logik
einer strengen, mathematischen Behandlung zugänglich macht, wirft er den
intensional geprägten Ansätzen bei Leibniz Konfusion und Vagheit vor, so
daß der Beginn der mathematischen Behandlung erst mit Booles klassen-
logischen Systemen anzusetzen sei. 175 Beim gegenwärtigen Stand der For-
schung ist dieses Urteil in zweierlei Hinsicht revisionsbedürftig. Einerseits
wurden in der Zwischenzeit verschiedene Systeme der intensionalen Logik
entwickelt. Raili Kauppi konnte in Weiterentwicklung Leibnizscher Ge-
danken vor allem aus dem Bereich der Relationenlogik zeigen, daß es logi-
sche Probleme gibt, die überhaupt nur mit Hilfe einer intensionalen Logik
lösbar sind. 176 Andererseits zeigten Untersuchungen von Rescher und
Poser, daß die Leibnizschen Logikkalküle auch extensional und modal-
logisch gedeutet werden können und ihre Konsistenz also nicht auf einer
ausschließlich intensionalen Interpretation beruht. 177
Im Schnittpunkt dieser Neuorientierung in der Interpretation der Logik-
kalküle LeibQ.izens steht ein 1954 veröffentlichter Aufsatz von Niebolas Re-
scher: >Leibniz's interpretation of his logical calculi<. Rescher analysiert logi-
sche Systeme aus drei verschiedenen Perioden und geht dabei von folgenden
Grundsätzen aus: (1) Er trennt bei jedem Kalkül streng zwischen dem
Aufbau des formalen Systems selbst und seinen Deutungen. (2) Er stellt aus-
drücklich alle Sätze jedes Systems auf, ohne zwischen Axiomen und Theo-
remen zu unterscheiden, einschließlich solcher Sätze, die bei Leibniz den
Status von Implikationen haben. Sodann prüft Rescher die Konsistenz der
Systeme, indem er ihnen verschiedene logische Deutungen gibt: eine inten-
sionale, eine extensionale sowie eine modallogische Deutung. Bei jeder
dieser Deutungen zeigt sich: Die Systeme sind konsistent.
Nach Rescher liegen den logischen Kalkülen Leiboizens folgende An-
nahmen zugrunde 17 B:
1. Mit Buchstaben bezeichnete Variablen werden gebraucht über einer
nicht näher bestimmten Menge von "Termini".
110 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle
(16) ab est a.
(17) ab est b.
(18) Wenn a richtig ist: a non est non-a.
(19) Wenn a richtig ist: wenn a est non-b, dann a non est b.
Obwohl Leibniz zwischen propositiones per se verae, also Axiomen, und
verae propositiones, den aus diesen abgeleiteten Theoremen, unterscheidet,
berücksichtigt die vorstehende Auflistung diese Unterscheidung nicht, da
- so Niebolas Rescher- Leibniz in den verschiedenen Entwürfen zu diesem
Kalkül jeweils die Gruppe der Axiome variiert. 180 Bei Leibniz lassen ·sich
zwei Interpretationen dieses Systems finden, eine intensionale und eine exten-
sionale. In der intensionalen Deutung stehen "Terme" für Begriffsinhalte,
also für Merkmale. Das Ergebnis der Anwendung des non-Operators auf die
Terme ist dann das Merkmal, das betreffende Merkmal nicht zu besitzen. Ver-
kettung repräsentiert die additio oder conjunctio, die Vereinigung von Merk-
malen. Die Verknüpfung zweier "Terme" durch est bedeutet, daß das erstere
Merkmal das letztere in bezug auf seinen Begriffsinhalt umfaßt.
In der extensionalen Deutung stehen "Terme" für Klassen. Das Resultat
der Anwendung des non-Operators ist die Klasse aller Gegenstände, die
nicht zu der betreffenden Klasse gehören. Das Resultat der Verkettung ist
die Klasse aller Gegenstände, die zu den beiden in Frage stehenden Klassen
gehören. Die Verknüpfung zweier "Terme" durch est bedeutet, daß die
erstere Klasse in der letzteren dem Umfang nach enthalten ist.
In bezug auf beide Deutungen zeigt sich das formale System als konsi-
stent. In jeder der beiden Deutungen auch ist es möglich, die klassische Dok-
trin der vier kategorischen Urteilsarten zu behandeln: S a P, Se P, Si P und
So P, indem diese als S est P, S est non-P, S non est non-P und S non est P
aufgefaßt werden.
Sein zweites System entwickelte Leibniz 1685/86. Rescher rekonstruiert
dieses anband der Manuskripte >Generales inquisitiones de analysi no-
tionum et veritatum>, >Principia calculi rationalis< und> Difficultates logicae<
sowie einiger anderer Skizzen. 181 Das zweite System stellt eine Ausweitung
des ersten dar, d. h., es schließt dessen Sätze ein. Doch ist die Notation ver-
ändert. Römische Großbuchstaben symbolisieren die Variablen. Est wird
durch continet ausgedrückt, die Gleichheit vonA und B durch "A oo B" oder
"A oc: B" oder "coincidunt A et B" oder "aequivalent A et B".
Doch es gibt noch eine fundamentalere Neuerung, nämlich die "Term"-
Konstante Ens oder Res. Diese wird eingeführt in Zusammenhang mit der
Richtigkeitsbedingung; Richtigkeit ist definiert als: A ist richtig dann und
nur dann, wennA non est non-Ens.
Folgende gültigen Sätze des Systems können der Liste des ersten Systems
hinzugefügt werden:
(20) WennA richtig ist: A est B dann und nur dann, wenn AB= A.
(21) WennAnonest non-Ens, dannA est Ens.
112 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle
(22) A est non-Ens dann und nur dann, wennA non est Ens.
(23) WennA richtig ist: A est B dann und nur dann, wennA non-B est non-Ens.
(24) WennA est B non-B, dannA est non-Ens.
Die Konsistenz dieses Systems zeigt sich - so Rescher- am deutlichsten
bei einer Interpretation in den Termini der modernen Klassenlogik. 182 Bei
Leibniz findet sich sowohl eine intensionale wie eine extensionale Deutung.
In beiden dieser Deutungen lassen sich die vier Urteilsarten ausdrücken.
Leibniz gibt folgende Schemata an: '(
(1) (2) (3)
a: S non-Pest non-Ens SestP SP=S
e: SP est non-Ens Sestnon-P SP =I= SP Ens
i: SPestEns S non est non-P SP=I= SP Ens
o: S non-Pest Ens SnonestP SP =I= S
Es liegt nahe, hier Ens und non-Ens mit 'etwas' und 'nichts' zu übersetzen.
Doch - darauf verwies Kneale - erlaubt Leibniz auch eine Interpretation
von Ens als etwas in "regione idearum", d. h. als Möglichkeit. 183 Raili
Kauppi hat den Kalkül aus den >Generales inquisitiones ... <, den sie "Kalkül
der Entia" nannte, al~ Kalkül der Modalitäten beschrieben. 184 Ausgangs-
punkt für den Kalkül der Entia sind bei Leibniz die drei Sätze:
I. AB est
II. AB est res
111. AB est Ens.
Poser interpretiert diese drei Sätze so, daß sie einen Weg angeben, wie
Subjekt-Prädikat-Aussagen (propositio tertii adjecti) umgewandelt werden
können in Aussagen, die aus einem Begriff und est bzw. est res zusammenge-
setzt sind (propositio secundi adjecti) . 185 Diese Umwandlung wird durch ein
Verfahren geleistet, das Poser ein Rekursionsschema nennt und das darin
besteht, vonA est B zuAB estoder AB est res überzugehen: An die Stelle der
Behandlung von Aussagen tritt so die Untersuchung zusammengesetzter
Begriffe. 186 Ens steht also für einen möglichen, d. h. widerspruchsfreien Be-
griff und darf nicht, wie es in der älteren Logikliteratur zumeist geschah, mit
existens gedeutet werden. 187
Wir können aus diesen Ausführungen schließen, daß zwar die intensionale
wie extensionale Deutung des "Entia-Kalküls" von Leibniz prinzipiell offen-
gehalten wird, aber aufgrund des engen Zusammenhanges zwischen seiner
intensionalen Ausrichtung in der Logik und der Auffassung von "Möglich-
keit" als widerspruchsfreier Kombinierbarkeit von Begriffen die extensio-
nale Interpretation für Leibniz keine weitere Bedeutung hat.
Leiboizens drittes und letztes System eines logischen Kalküls stammt aus
dem Jahre 1690. Es findet sich in der Schrift >De formae logicae comproba-
tione per linearum ductus< sowie in mehreren kurzen Skizzen, die im siebten
Band der Gerhardt-Ausgabe Leibnizscher Schriften erschienen. 188 Große
Von der Kombinatorik zur Idee des logischen Kalküls 113
Dieses System weist innerhalb der Entwürfe von Leibniz den höchsten
Grad an for~aler Abstraktheit auf. Leibniz möchte es als eine abstrakte
Theorie des Enthaltenseins verstanden wissen. Für ihn steht die intensionale
Deutung im Vordergrund, er denkt also an die Kombination von Merk-
malen. Doch explizit bemerkt er, daß seine Theoreme auch für die Bildung
von Klassen gelten. Häufig illustriert Leibniz die Theoreme durch Linien,
die andere Linien enthalten. 189 Dabei können die Linien als Klassen von
Punkten bestimmt werden.
Interessant ist, daß bei unterschiedlichen Interpretationen der Variablen-
zeichen der zweistellige Operator + jeweils eine andere Bedeutung erhält.
Setzt man an die Stelle der Buchstaben Merkmale, so versteht Leibniz unter
+ eine Konjunktion; setzt man an ihre Stelle Klassen, so bedeutet + eine
Disjunktion.
Mit diesem System sei unser Überblick über die Leibnizschen Logikkal-
küle abgeschlossen.
Die grundlegende Idee, die in diesen Kalkülen Gestalt annimmt und sich
114 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle
Die mathematische.Logik, wie sie sich Mitte des 19. Jahrhunderts mit den
Arbeiten Booles herauszubilden begann, entstand nicht in unmittelbarer
Anknüpfung an Leibniz, dessen Entwürfe zu logischen Kalkülen erst zu Be-
ginn des 20. Jahrhunderts veröffentlicht wurden. Daher ist Blanche durch-
aus zuzustimmen, daß Leibniz nicht als «createur de Ia logistique moderne»
angesehen werden könne. 190 Gleichwohl gibt es eine Wirkungsgeschichte
der Leibnizschen Logik, die jedoch weniger eine Wirkungsgeschichte seiner
logischen Kalküle als vielmehr seiner Idee der Kalkülisierung der Logik ist.
Um mit den Worten von J0rgensen zu sprechen: Leibniz hatte das Eis gebro-
chen.191 Und die vielfältigen Versuche, die in der Folgezeit sich um eine kal-
külisierte Logik bemühen, stehen in der Nachfolge der Leibnizschen Idee,
auch wenn wir annehmen müssen, daß seine Kalküle selbst nahezu unbe-
kannt blieben. Der Kern dieser Idee besteht in der Einsicht, daß (a) logische
Operationen "rechenhaft" durchzuführen sind und daß (b) diese "Rechen-
haftigkeit" an spezifische Voraussetzungen gebunden ist, deren wichtigste
die Einführung von Zeichen mit intrasymbolischer Bedeutung sowie die
Einführung von Regeln sind, die als Formations- und Transformationsregeln
von Ketten dieser Zeichen gelten. Daher ist das Vorbild dieser Art von logi-
schem Rechnen weniger in der Arithmetik als in der Algebra, verstanden als
die logistica speciosa Vietas, zu sehen. Symptomatisch für dieses durch
Leibniz eröffnete neue Logikverständnis sind Überlegungen der Brüder
Bernoulli, die sie in ihrem Werk >Parallelismus ratiocinii logici et algebraici
••• < 1685 entwickeln. 192 Logische und algebraische Operationen werden
hier in strikter Analogie gesehen: Die Verknüpfung von Begriffen gehe nicht
anders vor sich denn die Verknüpfung von Größen. Die Übereinstimmung
Von der Kombinatorik zur Idee des logischen Kalküls 115
Unter allen Autoren des 17. und 18. Jahrhunderts dürfte Lambert am
weitgehendsten das Leibnizprogramm einer mathesis universaUs und einer
algebraisch orientierten Logik, die sich als Instrument der Erfindung zu be-
währen habe, für sich übernommen und auf seine Konsequenzen hin durch-
dacht haben. 195 Am Vorbild der Algebra orientiert sich Lambert in zweierlei
Hinsicht: (1) Ihm gilt die Algebra als ein analytisches Verfahren, welches das
Unbekannte aus dem Bekannten zu erschließen hilft: "Die logische Ana-
lytik ist eine Kunst aus bekannten oder gegebenen Begriffen die unbe-
kannten oder gesuchten vermittelst der Identitäten herauszubringen. " 196
Dazu aber bedarf es (2) der Übernahme des symbolischen Verfahrens der
Algebra, d. h. ihrer Zeichenkunst. "Die erste Fundamentalregel der Zei-
chenkunst", so führt Lambert aus, bestehe darin, daß "man solche Zeichen
durchgehenq annehmen <müsste>, welche 1. eben die Verbindung unter sich
haben, wie die Sache selbst, 2. aus deren Combination und Permutation sich
der verschiedene Zusammenhang der Wahrheiten einsehen lasse" . 197 So ver-
standen wird die Zeichenkunst zu einem principium cognoscendi:
Die Zeichen der Begriffe und Dinge sind ferner im engeren Sinne wissenschaftlich,
wenn sie nicht nur überhaupt die Begriffe oder Dinge vorstellen, sondern auch solche
Verhältnisse anzeigen, daß die Theorie der Sache und die Theorie ihrer Zeichen mit
einander verwechselt werden können ... Die Theorie der Sachen <sei> auf die Theorie
der Zeichen zu reduciren ... 19 8
Die Möglichkeit, die Theorie der Sachen zurückzuführen auf die Theorie
der Zeichen, vermittelt sich über die Begriffslehre. Lambert geht- ähnlich
wie Leibniz- davon aus, daß die Gesamtheit der Begriffe auf elementare,
nicht weiter zerlegbare Begriffe zurückzuführen sei und die Logik von den
möglichen und notwendigen Verbindungen der Begriffe handele. Die Frage
116 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle
Leibniz hat als erster (postum veröffentlichte) logische Kreis- und Linien-
diagramme benutzt. Die bekannten Euler-Diagramme finden sich bereits in
einer Schrift J. C. Langes aus dem Jahre 1712. 203 Alle diese Diagramme
dienen der Veranschaulichung des logischen ·Schließens, so daß es möglich
wird, die Gültigkeit von Schlußformen auf eine Weise zu überprüfen, die
sich nicht quasimechanischer Prüfverfahren als Hilfsmittel bedient. Im Un-
terschied dazu jedoch sind die Lambertschen Diagramme als ein Kalkül der
Syllogistik intendiert und als solche auch rekonstruierbar, sofern man geeig-
nete Normierungen wählt.
Ein letzter Autor sei erwähnt, der die traditionelle Logik mit formalisti-
schen Mitteln darzustellen versucht. Es ist dies der französische Astronom,
Mathematiker und Logiker J oseph Gergonne, der in seinem 1816/17 erschie-
nenen >Essai dialectique rationelle< versucht, die mechanistische Konse-
quenz aus der logischen Grundidee von Aristoteles zu ziehen, daß schlüs-
siges Argumentieren zurückführbar sei auf das Einhalten von Regeln. 211
"Mechanistisch" in dem Sinne, daß dieses Regeleinhalten als ein strenges
Von der Kombinatorik zur Idee des logischen Kalküls 119
Operieren mit Symbolen ohne Bezug auf deren Bedeutung begriffen wird.
Gergonne schreibt:
Man wiederholt ständig, daß nur über Gegenstände geurteilt werden soll, von wel-
chen man eine ganz klare Idee hat; und dennoch ist oft nichts falscher als das. Denn
man urteilt mit Worten, ganz so, wie man in der Algebra mit Buchstaben kalkuliert
und wie man einen algebraischen Kalkül exakt durchführen kann, ohne auch nur eine
Ahnung zu haben von der Bedeutung der Symbole, mit denen man operiert, so kann
man auch eine Schlußfolgerung verstehen, ohne irgendwie die Bedeutung der Ter-
mini zu kennen, in welchen sie ausgedrückt wird, oder, falls man sie kennt, ohne
irgendwie daran zu denken ... Es ist ohne Zweifel unerläßlich, jene Ideen gut zu
kennen, über welche man direkt irgendein Urteil bilden will; aber dies ist keineswegs
notwendig, um ein Urteil aus mehreren anderen zu erschließen, von denen man im
übrigen weiß, daß sie richtig sind. 212
a ... b.
In der ersten Prämisse können die Terme m und b mit jedem der oben an-
gegebenen Zeichen H, X, I, C und=> verknüpft werden. Das gleiche gilt für
die zweite Prämisse und die Conclusio. So ergeben sich 5 · 5 · 5 = 125 mög-
liche Kombinationen, von denen nur 54 zulässig sind.
120 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle
8 8 aHb
@V aXb
G alb
@ aCb
@ aJb
1955 nahm J. A. Faris diese Idee wieder auf und gelangte zu neuen Ein-
sichten in Gergonnes Syllogismen. 215 In Abbildung 7 zeigt die Anwesenheit
eines Buchstabens
m..... b
A
/H X C
H H
H
T J T J
X H
X
T J T J T ~
.J
E H X I c J
d
c
H c c
T J
HJ :)
J
T cT c H
Abb. 7: Gergonnes Syllogismen (aus: Kneale 1962).
in einem der Felder an, daß eine Schlußfolgerung der Art, die durch den
Buchstaben spezifiziert wird, abgeleitet werden kann von Prämissen gemäß
den an den Seiten sich befindenden Buchstaben. Die mit einem Strich verse-
henen Buchstaben zeigen an, daß wir die Negation derjenigen Relation, die
durch den in Frage stehenden Buchstaben markiert wird, ableiten können.
Leere Felder zeigen an, daß eine Schlußfolgerung nicht möglich ist. Faris'
Die Ausarbeitung logischer Kalküle 121
Die Autoren, die in der Nachfolge von Leibniz standen, versuchten die
Idee der Kalkülisierung fruchtbar werden zu lassen für die traditionelle Be-
griffs- und Urteilslogik. Die Autoren, denen wir uns jetzt zuwenden wollen,
bauten auf der Grundlage dieser Idee eine völlig neue Gestalt der Logik auf,
die "Algebra der Logik". Diese "Algebra der Logik" ist die erste Phase
dessen, was wir heute "mathematische Logik" nennen, denn sie ist nicht nur
dadurch charakterisierbar, daß sie konsequent mit Zeichen einer künstli-
chen Symbolsprache operiert- wir haben gesehen, daß dies bereits Leibniz
und seine Nachfolger praktizierten -, sondern die Operationen mit Sym-
122 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle
Diese Erörterungen zeigen uns George Boole als den Begründer der
mathematischen Logik. Als ein Kennzeichen der mathematischen Logik
galt uns, daß ihre Verfahren nicht aufformaler Abstraktion, sondern auffor-
maler Konstruktion beruhen: Formale Systeme werden konstruiert und erst
danach gedeutet. Indem aber Boole die Deutungsunabhängigkeit der Gel-
tung des algebraischen Kalküls anerkennt und dieselbe für den Aufbau
seines logischen Kalküls nutzen will, führt er das "konstruktive" Prinzip in
die Logik ein. Ermöglicht wurde diese Neuorientierung durch Booles Revi-
124 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle
Boole hat das Programm, eine neue Logik auf algebraischer Grundlage
aufzubauen, nicht nur entworfen, sondern als erster teilweise auch durchge-
führt in den Schriften: >The Mathematical Analysis of Logic<, erschienen in
Cambridge 1854, und >An Investigation ofthe Laws ofThought<, erschienen
in London 1854.
Alle in Booles Kalkül gebrauchte Verfahren sind der einfachen Algebra
entnommen. Es gibt nur ein abweichendes Grundgesetz: xn = x. Wenn man
allerdings die Algebra auf die Zahlen 0 und 1 einschränkt, so wird auch
dieses Gesetz erfüllt und der algebraische Charakter bleibt gewahrt. Dies
führte dazu, die Bootesche Algebra der Logik auch als binäre Algebra zu
kennzeichnen. 224
Boole hat für sein formales System zwei Deutungen geliefert: als Klassen-
logik und als Aussagep.logik. In der Klassenlogik werden die Symbole 1 und
0 als 'Allklasse' und 'Nullklasse' aufgefaßt; in der Aussagenlogik aber als
'wahr' und 'falsch'.
Die ersten sieben Formeln ähneln den Regeln der gewöhnlichen numeri-
schen Algebra. Worin sich das System von dieser unterscheidet, ist die achte
126 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle
Formel. Doch betont Boole, daß auch diese numerisch interpretiert werden
kann, indem man die Werte für die Variable x auf 1 oder 0 beschränkt. 227
Viele Kommentatoren haben daraus den Schluß gezogen, daß Boole eine
binäre Algebra entworfen habe. 228 Kneale hat jedoch darauf hingewiesen,
daß diese Interpretation nicht zutrifft; denn behandelt man dieses System als
ein Klassenkalkül, so ist nicht anzunehmen, daß jede der Klassen in ihrem
Umfang der Allklasse oder der Nullklasse entspricht. 229 Man kann Booles
System lediglich in eine zweiwertige Algebra verwandeln durch Hinzufü-
gung der folgenden Formel: q
Boole stellt fest, daß es nur zwei Formeln des konditionellen Syllogismus
gibt230:
1. die konstruktive Formel:
WennA Bist, dann ist CD;
nun istA B, also ist CD.
2. die destruktive Formel:
WennA Bist, dann ist CD;
nun ist C nicht D, also ist A nicht B.
Die Gültigkeit des Argumentes hängt nicht von Betrachtungen ab, die
sich auf die Termini A, B, C und D als Darstellungen von Individuen und
Klassen beziehen, sondern nur von der Wahrheit der elementaren Aussagen,
welche in den Termini der hypothetischen Prämissen ausgedrückt sind. Bei
einer Aussage sind nur zwei Fälle möglich, entweder sie ist wahr oder falsch.
Da diese beiden Fälle das Universum der Aussage ausmachen, folgt, daß x
das Selektionssymbol für Wahrheit, x - 1 aber das Selektionssymbol für
Falschheit ist.
Nehmen wir an, wir haben zwei Aussagen X und Y mit den Selektionssym-
bolen x und y. Die Gesamtzahl der denkbaren Verbindungen beider kann in
folgendem Schema zum Ausdruck gebracht werden:
Fälle Auswahlausdrücke
1. X wahr, Ywahr xy
2. X wahr, Yfalsch x(1 - y)
3. X falsch, Ywahr (1 - x)y
4. X falsch, Y falsch (1 - x) (1 - y)
Fälle Auswahlausdrücke
1. Es regnet, hagelt und friert xyz
2. Es regnet und hagelt, aber friert nicht xy (1 - z)
3. Es regnet und friert, aber hagelt nicht xz (1 - y)
4. Es friert und hagelt, aber regnet nicht yz (1 - x)
5. Es regnet, aber weder hagelt noch friert es x (1 - y) (1 - z)
6. Es hagelt, aber weder regnet noch friert es y (1 - x) (1 - z)
7. Es friert, aber weder hagelt noch regnet es z(1 - x) (1 - y)
8. Weder regnet noch hagelt noch friert es (1 - x) (1 - y) (1 - z)
i =Summe
Das Symbol (1 - x) drückt die Fälle aus, in denen die Aussage X falsch
ist. Wenn aber die Aussage X wahr ist, dann gibt es in ihrem hypothetischen
Universum keine solchen Fälle, also:
1-x=O
X= 1.
Eine Aussage X ist wahr, wenn x = 1, und ist falsch, wenn x = 0.
Diese Prinzipien der Aussagenlogik wendet Boole in der Praxis der Syllo-
gistik an. So wird es möglich, die formalen Beziehungen zwischen Aussagen
innerhalb syllogistischer Schlußfolgerungen in Gestalt logischer Gleichun-
gen auszudrücken. Entscheidend ist hierfür das, was Boole 'development',
Entwicklung, nennt. Nehmen wir an, x ist das Selektionssymbol, welches
eine gewisse Klasse von Individuen aus dem Universum der Dinge selek-
tiert. Betrachten wir nun als ein Beispiel die folgende logische Funktion:
f(x) = ax + b(1 - x).
Bestimmen wir nun die Koeffizienten. Dazu setzen wir sukzessive für x die
Symbole 1 und 0. (Es zeigt den formalistischen Charakter dieser Ersetzungs-
aktion an, daß Boole nicht mehr erklärt, wofür 1 und 0 hier stehen.) Wir er-
halten die Gleichungen:
f(1) = a1 + b(1 - 1) = a
f(O) = aO + b(1 - 0) = b.
Wenn wirnun f(1) für a undf(O) für b einsetzen, erhalten wir:
f(x) = f(1)x + f(O) (1 - x).
Diese Gleichung nun gibt die Entwicklung des Ausdrucks f(x) in bezugauf
xan.
Wir sehen, daß Boole mit dem Begriff 'Entwicklung' die Herstellung einer
kanonischen Normalform bezeichnet.
Hierbei hat sich gezeigt, daß Operationen mit den logischen Gleichungen
nicht mehr in jedem ihrer Schritte sinnvoll in logischen Termini interpretiert
werden können. Um mit den Worten von J0rgensen zu sprechen: Nur die
128 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle
Auf dieser Grundlage gelangt er als erster zur Begründung der logischen
Formeln
a+a=a
a +ab= a,
zwei Formeln also, in denen der logische Kalkül vom arithmetischen ent-
scheidend abweicht. Damit aber hat er einen wichtigen Beitrag zu dem gelei-
stet, was wir- im Anschluß an Bochenski- als Booles "Mathematismus" ge-
kennzeichnet haben, und verwirklicht darin doch nur die Intentionen
Booles, der- wir erinnern uns des zitierten Abschnittes über die "Natur" des
Mathematischen - gerade eine nichtquantifizierende und d. h. auch nicht-
numerische Interpretation mathematischer Operationen anstrebte.
Der zweite Punkt einer entscheidenden Fortbildung von Booles Ge-
danken bei Jevons besteht in einer Idee, mit der er die mechanistischen Im-
plikationen der Logik der Algebra zieht, die Idee nämlich, eine logische
Maschine zu b,auen. 235 Dieser Idee gehen Versuche voraus, einen logischen
Abakus zu konstruieren. Buchstaben, die zur symbolischen .Bezeichnung
von Klassen dienen, werden auf kleine, mit einem Stift versehene Holz-
stückehen gedruckt, die sich ohne Mühe auf dem Abakus befestigen lassen.
So sei ein logisches Problem schneller mit der Hand als mit dem Kopfe zu
lösen.
Die logische Maschine, welche Jevons 1870 der Royal Society in London
vorstellte und die wir heute im Oxford Museum of the History of Science
besichtigen können, ähnelt einem Klavier. Gewisse Tasten sind mit Buch-
staben versehen, die die Urteilsprädikate symbolisieren; andere "spielen"
die Rolle der Kopula im Urteil und wiederum andere die Rolle disjunktiver
Verknüpfungen. Sobald man der Maschine die Prämissen eingibt, liefert sie
den sich ergebenden Schlußsatz als Ableitung aus.
Nachdem im 17. Jahrhundert im Zuge der Kalkülisierung der Arithmetik
die ersten mechanischen Rechenmaschinen entwickelt wurden, finden wir
nun im Gefolge der Kalkülisierung der Logik die erste "mechanische Denk-
maschine". Es zeigt sich darin, daß Kalkülisierbarkeit und Mechanisierbar-
keit zwei Seiten jener Münze sind, die wir Formalisierbarkeit nennen.
von Klassen aufbaute, geht Sehröder von der Inklusion von Klassen aus.
Außerdem entdeckt er das Dualitätsprinzip in der Klassenlogik. Dieses
Prinzip besagt, daß aus jeder in der Logik gebildeten allgemeinen Formel
sich wieder eine richtige Formel ergibt, wenn man die Additions- und Sub-
traktionszeichen durchweg mit Multiplikations- und Divisionszeichen ver-
tauscht.
Wenn wir hier Sehröder hervorheben, so geschieht dies weniger wegen
seiner spezifischen Erweiterungen der Boaleseben Algebra als vielmehr des-
halb, weil er den formalistischen Charakter der Kalkulisierung logischer
Operationen mit wünschenswerter Deutlichkeit zum Ausdruck bringt. In
seinem >Üperationskreis< schreibt er237 :
Wenn wir uns der gebräuchlichsten Eintheilung anschliessen wonach die Lehre von
den Begriffen, den Urtheilen und Schlüssen den Vorwurf der (deduktiven) Logik
überhaupt ausmacht, so charakterisiert es insbesondere die mathematische Logik
oder den Logikkalkul, dass darin die Begriffe oder auch Urtheile allgemein durch
Buchstaben dargestellt und die Schlussfolgerungen in Gestalt von Rechnungen be-
werkstelligt werden, die man nach bestimmten einfachen Gesetzen an diesen Buch-
staben ausführt.
Einen ersten Theil des Logikkalkuls bildet demgernäss die Rechnung mit den Be-
griffen ... Der zweite Theil des Logikkalkuls umfasst das Rechnen mit den Urtheilen
... Während in beiden Theilen die Rechnung nach denselben Gesetzen vor sich geht,
ist nur die Interpretation der Formeln in jedem derselben eine andere ...
Gegenstand der logischen Operationen sind Buchstaben, welche - in dem ge-
nannten ersten Theile- als Klassensymbole zu bezeichnen sind. Unter einem Buch-
staben, wie a, verstehen wir nämlich hier stets eine Klasse oder Gattung von Ob-
jekten des Denkens. Der sprachliche Ausdruck einer solchen ist in der Regel ein
Gemeinname und gibt zugleich Veranlassung zur Bildung eines Begriffes, in welchem
wir uns die wesentlichen Merkmale, die allen zu der Gattung zugehörenden Indivi-
duen gemeinsam sind, zusammengefaßt denken. Im Gegensatz zu diesen Merk-
malen, dem sogenannten "Inhalte" des erwähnten Begriffes, stellt dann die Klasse
dessen "Umfang" vor, sodass wir in Gestalt dieser Klassensymbole in der That mit
den hinsichtlich ihres Umfanges dargestellten Begriffen rechnen werden .... Auch in
dem Kalkul der Logik gibt es, wie in der Arithmetik, 4 Species oder Grundrechen-
arten, welche jedoch, wie sich zeigen wird, endgültig auf drei verschiedenartige
Elementaroperationen reducirt werden können. Nichts hindert, jene 4 Grundopera-
tionen mit denselben Namen zu benennen und mittels derselben Rechenzeichen aus-
zudrücken, wie sie in der Arithmetik gebräuchlich sind. Ist doch der Gegenstand der
Operationen beidemal ein ganz anderer- dort sind es Zahlen, hier aber beliebige
Begriffe.
Der Kalkül in der Logistik 131
Die Logik der Algebra galt .uns als die erste Periode der mathematischen
Logik. Dieses Urteil ist durchaus gerechtfertigt, verstehen wir den Terminus
"mathematische Logik" in dem weiteren Sinne einer mit mathematischen
Methoden arbeitenden Logik. Diese Adaption der mathematischen Me-
thode bestand in der Übernahme kalkülisierender Verfahren, so wie sie
durch die abstrakte Algebra bereitgestellt wurden. Die Logik mit ihren Ver-
knüpfungen und Schlußfolgerungen wird zu einer speziellen Interpretation
der Algebra: in der Algebra der Logik entsteht ein weiterer Zweig am Baum
der Mathematik. Damit aber gerät die Algebra der Logik - darauf machte
Blanche aufmerksam - in einen Zirkel. 238 Sie wird zu einer partikulären
mathematisch~n Theorie, die sich, wie andere auch, in deduktiver Form prä-
sentiert. Gleich diesen setzt sie die Gültigkeit der logischen Gesetze der
Deduktion voraus. Damit aber muß sie das, was sie zu begründen sucht, vor-
aussetzen. Sie bedient sich bereits der logischen Mittel, deren Angemessen-
heit und Kohärenz zu demonstrieren ihr eigentlicher Zweck ist.
Man kann die Entstehung der Logistik -um den von Couturat, Lalande
und Itelson auf dem 2. Kongreß für Philosophie in Genf 1904 eingeführten
Begriff für die neu entstehende Richtung in der mathematischen Logik zu
gebrauchen -, die mit Gottlob Freges (1848-1925) >Begriffsschrift< (1879)
einsetzte, als einen Versuch interpretieren, eben dem Zirkel der Algebra der
Logik zu entkommen. 239 Um ein Bild zu benutzen: Frege wollte nicht- wie
die algebraischen Logiker - ein weiteres Stockwerk bauen am Hause der
Mathematik, sondern die Fundamente dieses Hauses sicherstellen, indem er
zeigte, daß nicht die Logik als ein Zweig der Mathematik, sondern die Ma-
thematik als ein Zweig der Logik zu gelten habe; die Gesetze der Arithmetik
also auf diej((nigen der Logik zurückzuführen seien.
Doch so gegenläufig die Intentionen der algebraischen und logistischen
Richtung auch scheinen mögen, bewahren sie doch einen gemeinsamen
Kern. Dieser Kern ist die Darstellung logischer Verknüpfungen und
Schlüsse in Gestalt kalkülisierter Operationen mit Symbolen. Allerdings
dient die Kalkülisierung einem jeweils andersgearteten Zweck. Pointiert
gesagt: für Boole ist sie ein Mittel der Berechenbarkeit, für Frege aber ein
Mittel lückenloser Beweisbarkeit. Über das Ideal lückenloser Beweisbar-
keit führt Frege aus:
Das Ideal einer streng wissenschaftlichen Methode der Mathematik ... möchte ich so
schildern. Daß Alles bewiesen werde, kann zwar nicht verlangt werden, weil es un-
möglich ist; aber man kann fordern, daß alle Sätze, die man braucht, ohne sie zu be-
weisen, ausdrücklich als solche ausgesprochen werden, damit man deutlich erkenne,
worauf der ganze Bau beruhe. Es muß danach gestrebt werden, die Anzahl dieser Ur-
gesetze möglichst zu verringern, indem man alles beweist, was beweisbar ist. Ferner,
132 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle
und darin gehe ich über Buklid hinaus, verlange ich, daß alle Schluß- und Folgerungs-
weisen, die zur Anwendung kommen, vorher aufgeführt werden. 240
Die Kalkülisierung, die sich in diesen Worten Freges zeigt an der Möglich-
keit, genau zwischen "Sätzen" und "Schluß- und Folgerungsweisen" zu un-
terscheiden, wird also zum Instrument des strengen Aufbaus eines axiomati-
schen Systems. Als Ergebnis dieser Bemühungen entwickelt Frege in der
>Begriffsschrift< den ersten lückenlosen Logikkalkül im modernen Sinne, in
welchem er sich vollständig von der Orientierung an a!gebraischen Struk-
turen gelöst hat und mit dem ihm, ausgehend von präzisen Ausgangsbestim-
mungen und Deduktionsregeln, der axiomatische Aufbau der klassischen
Quantarenlogik gelingt.
Frege zurück, da die beiden Sätze "bei Plataeae siegten die Griechen über
die Perser" und "bei Plataeae wurden die Perser von den Griechen besiegt"
in bezug auf ihren "begrifflichen Inhalt", auf den es in logischer Hinsicht
allein ankomme, dasselbe ausdrücken. 244 Auch in der mathematischen For-
melsprache, deren Beispiel Frege folgen will, sei die Subjekt-Prädikat-Un-
terscheidung nur gewaltsam zu machen. Insistiere man darauf, so könne das
Zeichen J- als gemeinsames Prädikat für alle Urteile gelten. 245 Ebenso will
Frege nicht der traditionellen Unterscheidung von kategorischen, hypotheti-
schen und disjunktiven Urteilen folgen, die eine bloß grammatische Bedeu-
tung haben. 246
Frege unterscheidet also klar zwischen der grammatischen Struktur einer
Aussage als Satz der gesprochenen Sprache und der logischen Struktur eines
Urteils als Satz seiner Begriffsschrift.
Nach dieser Revision der traditionellen Urteilstheorie geht Frege über zur
Analyse der Iq1plikation, die er "Bedingtheit" nennt, und der Negation. 247
SindA und B Urteile, so gibt es vier Möglichkeiten:
1. A wird bejaht und B wird bejaht;
2. A wird bejaht und B wird verneint;
3. A wird verneint und B wird bejaht;
4. A wird verneint und B wird verneint.
Ein weiterer Begriff bei Frege ist der der 'Function'. 248 Bereits in dem Vor-
wort schrieb Frege, er glaube, daß die "Ersetzung der Begriffe Subject und
Praedicat durch Argument und Function sich auf die Dauer bewähren
wird" . 249 Den Begriff 'Function' führt er so ein:
Wenn in einem Ausdruck, dessen Inhalt nicht beurtheilbar zu sein braucht, ein ein-
faches oder zusammengesetztes Zeichen an einer oder mehreren Stellen vorkommt,
und wir denken es an allen oder einigen dieser Stellen durch Anderes, überall aber
durch Dasselbe ersetzbar, so nennen wir den hierbei unveränderlich erscheinenden
Theil des Ausdruckes Function, den ersetzbaren ihr Argument. 250
Wenn wir etwa in der Umgangssprache den Satz bilden "Der Umstand,
daß Kohlesäuregas schwerer als Wasserstoffgas ist" und in diesem Satz das
Wort "Wasserstoffgas" z. B. durch "Sauerstoffgas" ersetzen, so sind "Wasser-
stoffgas" und "Sauerstoffgas" Argumente der Funktion "leichter als Kohle-
säuregas". Wenn wir aber "Kohlesäuregas" durch "Salzsäuregas" oder
"Ammoniakgas" ersetzt denken, so ist "Kohlesäuregas" das Argument der
Funktion "schwerer als Wasserstoffgas".
Frege gewinnt seine Terminologie von Funktion und Argument am Vor-
bild der Mathematik und orientiert an dieser seinen symbolsprachlichen
Ausdruck für diese:
Das Symbol 4> (A) bedeutet eine unbestimmte Funktion des Arguments
A. Das Symbol 'V (A, B) bedeutet eine unbestimmte Funktion der beiden
Argumente A und B.
134 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle
Man kann ~ 'P(A, B) lesen als "B steht in der 'II-Beziehung zu A". Der
Vorteil dieses Symbolismus ist es, daß er die Allgemeinheit in einer Weise
auszudrücken erlaubt, die in der Umgangssprache unerreichbar ist, doch ist
dies nur der Fall in Zusammenhang mit dem, was spätere Logiker als "ge-
bundene Variablen" kennzeichnen und die Frege mit deutschen Buchstaben
markiert. In dem Ausdruck eines Urteils kann man die rechts von ~ ste-
hende Verbindung von Zeichen immer als Funktion eines der darin vorkom-
menden Zeichen ansehen.
Setzt man an die Stelle dieses Argumentes einen deutschen Buchstaben, und giebt
man dem Inhaltsstriche eine Höhlung, in der dieser selbe Buchstabe steht, wie in
I 6 <I> (a)
so bedeutet dies das U rtheil, dass jene Function eine Thatsache sei, was man auch als
ihr Argument ansehen möge. 251
Aus einem solchen Urteil kann eine beliebige Menge weniger allgemeiner
Urteile abgeleitet werden, indem an die Stelle des deutschen Buchstabens
verschiedene andere definite Symbole gesetzt werden und die Höhlung ver-
schwindet. Mit diesem Allquantor, wie ihn Peirce und spätere Logiker be-
zeichneten, war es möglich, quantifizierende Urteile aufzuschreiben.
Keine noch so komplexe Aussage kann nicht in Freges Schrift notiert
werden. Es gelingt ihm also mit Hilfe nur dreier Zeichen, dem Urteilsstrich,\
dem Verneinungsstrich und dem Allquantor, die auf unendlich viele Weise
kombiniert werden können, Urteile beliebiger Komplexität auszudrücken.
Während alle früheren Logiker glaubten, eine vollständige Auflistung aller
möglichen Urteilsformen zu erreichen, gibt Frege mit sparsamsten Mitteln
ein unerschöpfliches Schema an.
Nach dieser Einführung in seine Formelsprache stellt Frege die Axiome
seines Systems auf, die unmittelbar einsichtig und des Beweises nicht mehr
bedürftig sind, und leitet daraus einige logische Theoreme ab. Mit der For-
melsprache hat er sich also die Grundlage geschaffen, die Logik als ein de-
duktives System aufzubauen. Von den folgenden neun, in Abb. 8 auf S.135
dargestellten, Axiomen geht er aus (nicht ohne zu betonen, daß eine andere
Ordnung im Prinzip möglich wäre).
Als Ableitungsregeln gibt Frege die Ersetzungsregel und den modus
ponens an. Kneale zeigte, daß Frege noch zwei weitere Ableitungsregeln
benutzt. 252 Zusammen mit diesen vier Regeln allerdings erweist sich das
Fregesche Axiomensystem als vollständig.
Damit aber hat Frege zum ersten Mal in der Geschichte der Logik einen
Aussagenkalkül im Sinne eines vollständigen Axiomensystems vorgelegt.
Die Entstehung formaler Systeme in der Logik 135
(2) .___.__________ a
(1)~~
a
c d
....__,r-- b b
a
b
d
c
I
(28)~~
(31) a ( 41) . , _ _ 1_ _ _ _ _ , _ _ _ _ . . . - a
'----r-r--- a -------a
(52)~ ~(d)
Lf(c)
(54) r- (c == c) (58)~/(c)
(c == d) ~/(ll)
Abb. 8: Die in Klammer gesetzten Zahlen entsprechen der Originalnotation Freges,
der in seiner Begriffsschrift 68 Formeln durchnumeriert; von diesen haben die 9
zitierten axiomatischen Charakter.
stellen und sie der Kommunikation zugänglich zu machen, sondern wird als
ein Mittel zur Erzeugung von Sachverhalten erkannt. Dies ist immer dann
der Fall, wenn Symbole, die als Grundzeichen formaler Systeme dienen, im
Sinne eines "Stehen-für-etwas" gedeutet werden. Das, wofür solche Sym-
bole stehen, ist in gewisserWeise überhaupt nicht anders gegeben denn ver-
mittels der symbolischen Repräsentation. In diesem Zusammenhang sind
nicht nur Leiboizens Entwicklung der Sprache des Infinitesimalkalküls
wesentlich, sondern auch diejenigen Versuche zu einer lingua universaUs,
welche dieselbe nicht als Abbreviatur natürlicher Sprachen, sondern als
"Begriffssprache" analog der Zahlzeichensprache z. B. verstanden wissen
wollten.
(6) Zwar geht auf Leibniz die Idee des formalen logischen Systems zu-
rück, doch erst mit George Boole wird die symbolische Logik systematisch
ausgearbeitet, so daß jetzt von einerneuen-von der traditionellen, vorsym-
bolischen Logik wohl zu unterscheidenden - Periode der symbolischen
Logik gesprochen werden kann. Vorbereitet wird die "Algeb:.;a der Logik"
durch die Entwicklung eines konsequent formalistischen Standpunktes in
der Algebra: Die Konsistenz algebraischer Verfahren blieb nicht länger an-
gewiesen auf deren numerische Interpretation, welche Vieta immer noch
gewahrt wissen wollte, sondern wurde interpretationsfrei konzipiert.
(7) Gottlob Frege versuchte als erster - innerhalb der Logik -, den Ge-
danken des axiomatisch-deduktiven Theorienaufbaues mit der Kalkülisie-
rung zu verbinden. Die Kalkülisierung der Aussagelogik, so wie Frege sie in
der >Begriffsschrift< unternimmt, dient dazu, die Logik als ein axiomatisch-
deduktives System auf "sichere Füsse" zu stellen, ohne dabei die Mathe-
matik voraussetzen zu müssen, wie dies bei Boole und den logischen Alge-
braikern der Fall war.
3. GRENZEN UND PRÄZISIERUNGeN
KALKULATORISCH-ALGORITHMISCHER VERFAHREN
IN DER MATHEMATISCH-LOGISCHEN
GRUNDLAGENDISKUSSION DES 20. JAHRHUNDERTS
(1) Es wird stets nur eine endliche Anzahl von Gegenständen und Funktionen
betrachtet.
(2) Alle betrachteten Funktionen sind wohldefiniert in dem Sinn, daß sie die eindeu-
tige Berechnung ihres Wertes für jedes Argument gestatten.
(3) Niemals wird die Menge aller Objekte einer unendlichen Gesamtheit betrach-
tet.
(4) Die Existenz eines Objektes wird nur zugleich mit der Angabe der Mittel zu
seiner Konstruktion behauptet.
(5) Mit der Behauptung der Gültigkeit eines Arguments oder Satzes für alle x ist ge-
meint, daß man für jedes einzelne x das fragliche Argument wiederholen kann,
das somit nur einen Prototyp all dieser einzelnen Argumente darstellt.
Unvollständigkeit und Unentscheidbarkeit formaler Systeme 141
Hilbert unterscheidet also- und dies kann als die zentrale Idee seiner Be-
weistheorie angesehen werden - zwischen mathematischen Aussagen, die
innerhalb eines kalkülisierten Axiomensystems formal hergeleitet werden,
"formal" insofern, als hierbei nicht Bezug genommen wird auf die Bedeu-
tung der kalkülisierten Ausdrücke, und metamathematischen Aussagen als
Aussagen über das kalkülisierte Axiomensystem, die Bezug nehmen auf die
logische Bedeutung von Begriffen und Schlußweisen und sich finiter Me-
thoden bedienen. 13 Sehen wir uns die beiden Schritte von Hilberts Pro-
gramm genauer an.
füllen können. Diese abstrakte Auffassung von 'Axiom' - die wir von einer
formalisierten Auffassung genau zu unterscheiden haben- entwickelt David
Hilbert 1899 in seinen >Grundlagen der Geometrie< . 14 Im Unterschied zu
Buklid verbindet Hilbert mit seinen Grundbegriffen und Axiomen keine in-
haltliche, räumliche Deutung mehr und verzichtet darauf, die Begriffe
'Punkt', 'Gerade', 'Ebene' zu definieren. "Wir denken", schreibt er, "drei
verschiedene Systeme von Dingen; die Dinge des ersten Systems nennen wir
Punkte und bezeichnen sie mit A, B, C ... ; die Dinge des zweiten Systems
nennen wir Geraden und bezeichnen sie mit a, b, c ... ; die Dinge des dritten
Systems nennen wir Ebenen und bezeichnen sie mit a, ß, y ... Punkte, Ge-
raden und Ebenen können in bestimmten Relationen zueinander stehen.
Diese Relationen werden durch die Worte 'kongruent', 'zwischen', 'liegt
auf', 'stetig' und 'parallel' bezeichnet. Die Axiome geben eine vollständige
Beschreibung dieser Relationen. " 15
Die intuitive Absicherung der Axiome, wie es bei Euklid durch das An-
knüpfen an unsere Alltagserfahrung geschieht, gibt Hilbert auf. Wenn aber
auf alle inhaltliche Deutung der Axiome verzichtet wird, so entsteht das Pro-
blem, ob die Axiome, die als Grundlage der Theorie dienen, miteinander
verträglich sind, so daß aus ihnen nicht einander widersprechende Theo-
reme deduziert werden können. Wie aber ist die Widerspruchsfreiheit ab-
strakter Axiomensysteme nachzuweisen? Zur Lösung dieses Problems
wurde eine allgemeine Methode entwickelt: es gilt für die abstrakten
Axiome ein "Modell" zu finden, so daß jedes Axiom in einen wahren Satz
über das Modell übergeht. Hilbert greift auf die Algebra als Modell der geo-
metrischen Axiome zurück: ein Vorgehen, für das Descartes' Geometrie den
Schlüssel geliefert hatte. So kann z. B. in den Axiomen der ebenen Geo-
metrie der Ausdruck 'Punkt' als Kennzeichnung eines Zahlenpaares, der
Ausdruck 'Gerade' als lineare Beziehung zwischen Zahlen in Form einer
Gleichung ersten Grades mit zwei Unbekannten etc. gefaßt werden. Der
geometrische Satz, daß eine Gerade durch zwei Punkte eindeutig bestimmt
ist, wird in den wahren algebraischen Satz übersetzt, daß zwei verschiedene
Zahlenpaare eine lineare Beziehung eindeutig bestimmen. Die Wider-
spruchsfreiheit der euklidischen Axiome und Postulate wird nachgewiesen,
indem gezeigt wird, daß sie in einem algebraischen Modell erfüllbar sind.
Doch was wird mit dieser Modellmethode zum Nachweis der Widerspruchs-
freiheit wirklich gewonnen? Denn Hilberts Beweisführung garantiert die
Widerspruchsfreiheit der Geometrie- jedoch dann und nur dann, wenn die
Algebra dies ist. 16 Damit wird das Problem nur von einem Bereich in einen
anderen verschoben.
Und noch eine Quelle von Schwierigkeiten birgt die Modellmethode.
Diese Schwierigkeiten treten auf, wenn Axiome durch Modelle mit einer
unendlichen Zahl von Elementen interpretiert werden. Die meisten Axio-
mensysteme der Mathematik lassen sich nicht durch finite Modelle interpre-
tieren. Betrachten wir z. B. das elementare arithmetische Postulat, daß jede
Unvollständigkeit und Unentscheidbarkeit formaler Systeme 143
'
3.2.1.2 Beschreibung des Kalküls als Gegenstand der Metamathematik
etwas über den vorstehenden Ausdruck. Er ist nicht mit den Mitteln der
arithmetischen Formelsprache gebildet, somit keine arithmetische Tatsache
und gehört der Metamathematik an, die sich einer von der arithmetischen
Formelsprache zu unterscheidenden Sprache bedient. Die im Satz (2) zi-
tierte Formel ist also nicht diese selbst, sondern nur der Name für diese
Formel.
Hilberts Idee eines absoluten Beweises geht aus von der Unterscheidung
zwischen einem formalisierten System und seiner metamathematischen Be-
schreibung. Mit dieser nämlich soll es möglich sein, die Widerspruchsfreiheit
des Kalküls durch metamathematische Überlegungen nachzuweisen. Jeder
mathematische Kalkül- so glaubte Hilbert- könne als eine Art "geometri-
sches" Muster von Formeln betrachtet werden, wobei die Formeln in einer
endlichen Zahl von strukturellen Beziehungen zueinander stehen. 18 Durch
erschöpfende Überprüfung dieser strukturellen Eigenschaften von Aus-
drücken des Systems hoffte er zeigen zu können, daß aus den Axiomen eines
gegebenen Kalküls keine formal widersprüchlichen Formeln abgeleitet
werden können, wobei die Überprüfungsverfahren sich eben jener "finitisti-
schen" Methoden zu bedienen hätten, die wir in der Gestalt von Herbrands
Forderungen präzisierten.
Ein "absoluter" Beweis der Arithmetik zum Beispiel- falls ein solcher ge-
geben werden könnte - würde mit Hilfe metamathematischer finitistischer
Verfahren zeigen, daß zwei einander widersprechende Formeln wie z. B.
0 = 0 und ihr formales Negat 0 =F 0 nicht beide unter Benutzung der Ablei-
tungsregeln aus den Axiomen deduziert werden können.
Verdeutlichen wir uns die Idee der Beweisbarkeit von Formeln durch
metamathematische Verfahren am Beispiel des Schachspiels. Das Schach-
spiel mit seinen 32 Figuren, den 64 quadratischen Spielfeldern und den
Regeln, wie die Figuren "ziehen" dürfen, repräsentiert einen Kalkül. Die
Figuren und Felder entsprechen den Elementarzeichen eines Kalküls, die
zulässigen Stellungen der Figuren auf dem Brett dessen Formeln, die An-
fangsstellung der Figuren bei Spielbeginn entspricht den Axiomen, während
die folgenden Stellungen der Figuren auf dem Brett den aus den Axiomen
ableitbaren Theoremen entsprechen. Die Spielregeln korrespondieren den
Ableitungsregeln des Kalküls.
Obwohl die Anordnungen auf dem Brett, die Figuren und Spielfelder
keine Bedeutung außerhalb des Spiels haben, in dieser Hinsicht also "bedeu-
tungsfrei" sind, können bedeutungsvolle Aussagen über diese Anordnungen
gebildet werden. Diese Sätze sind dann den metamathematischen Aussagen
analog. Ein solcher Satz des "Metaschachs" wäre z. B., daß es für Weiß genau
zwanzig Eröffnungszüge gibt. Solche Theoreme sind innerhalb des Schach-
kalküls beweisbar, insofern ihr Beweis nur eine endliche Zahl von zulässigen
Anordnungen auf dem Schachbrett erfordert. Das Theorem über die
zwanzig möglichen Eröffnungszüge von Weiß könnte also mit finiten Me-
thoden nachgewiesen werden, indem man der Reihe nach jede der endlich
Unvollständigkeit und Unentscheidbarkeit formaler Systeme 145
Es ist möglich, für Teilbereiche der Mathematik und Logik das Hilbert-
sche Beweisprogramm durchzuführen. So ist der Aussagenkalkül ein Bei-
spiel eines kalkülisierten Axiomensystems, bei dem die Ziele Hilberts
vollständig erreichbar sind. 20 Auch für reichhaltigere Systeme ist ein Wider-
spruchsfreiheitsbeweis durchzuführen, z. B. für das arithmetische System,
welches die Addition natürlicher Zahlen, nicht aber ihre Multiplikation er-
laubt. 21 Reicht aber Hilberts Methode aus, die Widerspruchsfreiheit eines
formalen Systems zu beweisen, dessen Symbolsprache und Formenreichtum
die gesamte Arithmetik und nicht nur ein Teilgebiet von ihr auszudrücken er-
laubt? Die >Principia Mathematica<, von Russen und Whitehead 1910 publi-
ziert, stellen einen Versuch vollständiger Formalisierung der Arithmetik dar,
indem die Atjthmetik auf die formale Logik reduziert wird: Alle arithmeti-
schen Begriffe werden mit rein logischen Mitteln definiert und alle arith-
metischen Axiome werden aus einer kleinen Zahl grundlegender Aussagen
deduziert, die als logische Wahrheiten gelten dürfen. Wenn aber die Axiome
der Arithmetik Umschreibungen logischer Theoreme sind, wird die Frage
nach der Widerspruchsfreiheit der Arithmetik nur zurückverlagert auf die
Frage nach der Widerspruchsfreiheit der formalen Logik. Was die> Principia<
für den Klärungsprozeß über die Einlösbarkeit des Hilbertprogramms so
wertvoll macht und sie zum Ausgangspunkt von Gödeis Überlegungen
werden läßt, können wir Gödel selbst sagen lassen:
Die Entwicklung der Mathematik in Richtung zu größerer Exaktheit hat bekanntlich
dazu geführt, daß weite Gebiete von ihr formalisiert wurden, in der Art, daß das
Beweisen nach einigen wenigen mechanischen Regeln vollzogen werden kann. Die
umfassendsten derzeit aufgestellten formalen Systeme sind das System der Principia
Mathematica (PM) einerseits, das Zermelo-Fraenkelsche (von J. v. Neumann weiter
146 Grenzen kalkulatorisch-algorithmischer Verfahren
Indem Gödel aufweisen konnte, daß das formalisierte System der Arith-
metik, wie es in den >Principia< entwickelt wird, den Intentionen Hilberts
nicht genügt, und indem er zugleich aufzeigen konnte, daß dies keine zu-
fällige Unzulänglichkeit des Russell-Whiteheadschen Systems ist, sondern
jedes genügend reichhaltige formalisierte System Hilberts Programm nicht
realisiert, konnte er die Unmöglichkeit dieses Programms mit allen seinen
Implikationen nachweisen. 23 Vor allem um zwei Gedanken geht es, die
Gödel mit mathematischer Präzision nachweist. 24
1. Daß die >Principia Mathematica< oder jedes andere formale System, in
dem die Arithmetik entwickelt werden kann, wesentlich unvollständig sind.
Dies bedeutet: in einem beliebigen widerspruchsfreien arithmetischen Axio-
mensystem gibt es immer wahre arithmetische Sätze, die aus diesem System
nicht abgeleitet werden können. Es drängt sich die Annahme auf, daß diese
Schwierigkeit dadurch bewältigbar sei, daß man die Axiome so erweitert,
daß die bis dahin nicht ableitbaren Theoreme im erweiterten Axiomen-
system ableitbar werden. Gödel konnte jedoch zeigen, daß sich auch in
diesem Falle das Problem unableitbar wahrer Theoreme neu stellt. Auch
wenn man das arithmetische Axiomensystem um eine unbegrenzte Anzahl
weiterer Axiome vervollständigt, wird es immer wieder wahre Formeln
geben, die innerhalb des gegebenen- wie auch immer reichhaltigen- Kal-
küls nicht ableitbar, d. h. beweisbar sind.
2. Gödel zeigte, daß zu den in einem formalistischen System unentscheid-
baren Sätzen auch die Aussage gehört, das System sei widerspruchsfrei. Ein
Beweis wäre lediglich möglich, wenn Schlußregeln benutzt werden, die von
den Umformungsregeln des Kalküls verschieden sind. Ein Widerspruchsfrei-
heitsbeweis der Arithmetik benötigt "stärkere", d. h. voraussetzungsrei-
chere Methoden als die, die innerhalb des Systems selbst formalisiert sind.
Man kann für einen solchen Beweis Methoden eines voraussetzungsstärke-
ren formalisierten Systems heranziehen. Aber für den Widerspruchsfrei-
heitsbeweis dieses stärkeren Systems müssen wiederum Methoden herange-
zogen werden, die in einem noch voraussetzungsreicheren System formali-
siert sind usw.
Unvollständigkeit und Unentscheidbarkeit formaler Systeme 147
sich die Frage: Ist n eine Richardsche Zahl? Im Versuch, die Frage zu beant-
worten, sieht man sich in folgende Antinomie geführt: n ist dann und nur
dann eine Richardsche Zahl, wenn sie nicht die Eigenschaft besitzt, die in
der ihr zugeordneten Definition ausgedrückt wird, d. h. keine Richardsche
Zahl ist. Kurz formuliert: n ist dann und nur dann eine Richardsche Zahl,
wenn n keine Richardsche Zahl ist: Der Satz "n ist eine Richardsche Zahl"
ist zugleich wahr und falsch.
Diese Antinomie ist auflösbar durch eine genaue Unterscheidung von Ob-
jekt- und Metasprache. Der Fehler, der zu dem Paradoxon führt, liegt darin,
daß die Reihenfolge der Definitionen sich nur auf rein arithmetische Eigen-
schaften bezog. Also solche Eigenschaften, die mit Hilfe von Begriffen wie
arithmetische Addition, Multiplikation etc. formulierbar sind. Die Eigen-
schaft, "eine Richardsche Zahl zu sein", ist aber keine Eigenschaft, die mit
arithmetischen Mitteln auszudrücken ist, sondern enthält einen Bezug auf
das Beschreibungssystem, das zur Formulierung der Arithmetik benutzt
wird und gehört somit der Metasprache an, in der z_. B. die Buchstaben ge-
zählt werden, die eine arithmetische Definition enthalten. Die Paradoxie
wird also vermeidbar, wenn sorgfältig unterschieden wird zwischen den
Sätzen im System der Arithmetik (die keinen Bezug auf ein Beschreibungs-
system haben) und Sätzen über die Arithmetik.
Wenn die Konstruktion der Richardschen Antinomie auch fehlerhaft ist,
so regen Richards Überlegungen zu dem Gedanken an, ob es möglich sei,
metamathematische Überlegungen über ein formalisiertes System in diesem
System selbst abzubilden bzw. zu spiegeln. Und es ist diese Idee der Abbil-
dung metamathematischer Sätze über einen Kalkül in diesem Kalkül selbst,
mit der es Gödel gelang, einen Beweisgang zu konstruieren, der unent-
scheidbare Sätze der >Principia< offenlegen konnte. Das Wesentliche einer
Zuordnung- dies entdeckte bereits Leibniz 27 - besteht darin, daß sich durch
die umkehrbar eindeutige Zuordnung zwischen den Elementen zweier Ob-
jektbereiche die Beziehungen innerhalb des einen Objektbereiches in den
Beziehungen innerhalb des anderen Objektbereiches spiegeln. Der Begriff
der Zuordnung bzw. Abbildung ist der Schlüsselbegriff von Gödeis Argu-
mentation.
Gödel überträgt die Einsicht von der strukturerhaltenden Abbildbarkeit
eines Objektbereiches in einen anderen auf die Beziehung von Kalkül und
metamathematischem Beschreibungssystem. Wenn es möglich ist, kompli-
zierte metamathematische Sätze über ein formalisiertes arithmetisches
System in arithmetische Sätze innerhalb des Systems zu übersetzen, dann
wäre eine Vereinfachung für die Durchführung metamathematischer Be-
weise, z. B. der Ableitbarkeit eines Theorems, gewonnen. Gödel zeigt, daß
metamathematische Sätze über eine arithmetische Formel durch eine arith-
metische Formel im Kalkül repräsentiert werden können. Bei dieser "Über-
führung" metamathematischer Sätze in Sätze des Kalküls stößt er auf den
Sachverhalt, daß die arithmetische Formel, die einem metamathematischen
Unvollständigkeit und Unentscheidbarkeit formaler Systeme 149
wahren Satz entspricht, innerhalb des Kalküls nicht herleitbar ist, ebenso-
wenig wie jene arithmetische Formel, die die Verneinung des metamathema-
tisch wahren Satzes ausdrückt. Da aber eine dieser Formeln eine arithmeti-
sche Wahrheit ausdrücken muß, keine von ihnen jedoch im formalisierten
System ableitbar ist, zeigt sich das arithmetische System als unvollständig.
Aufgrund der Zuordnungsmethode ist es Gödel auch möglich, eine arithme-
tische Formel zu konstruieren, die dem metamathematischen Satz "Der
Kalkül ist widerspruchsfrei" entspricht, und er kann zeigen, daß diese
Formel ebenfalls innerhalb des Kalküls nicht herleitbar ist.
Es ist nicht schwierig, auf dieser Grundlage jedenAusdruck des Kalküls, der
mit den dem Kalkül zugehörigen Zeichen angeschrieben ist, in einer endli-
chen Folge natürlicher Zahlen zu codieren. Zum Beispiel wird die den Satz
"Für alle x gilt, daß x = x ist" ausdrückende Formel (x) (x = x) chiffriert in
38438584.
Die Einführung von Gödelzahlen gestattet es somit, jedem Ausdruck
innerhalb des Kalküls eine eineindeutige Folge von Gödelzahlen zuzuord-
nen, d. h. aber eine vollständige Arithmetisierung des formalen Kalküls
zu erreichen. Sobald ein Ausdruck des Kalküls gegeben . .ist, kann seine Gö-
delzahl eindeutig berechnet werden. Dieser Aspekt der Berechenbarkeit
wird ergänzt durch den Aspekt der Entscheidbarkeit: Von jeder gegebenen
Zahl kann festgestellt werden, ob sie eine Gödelzahl ist, ob ihr also ein arith-
metisch-logischer Ausdruck des Kalküls entspricht. Falls es sich um eine Gö-
delzahl handelt, ist der arithmetische Ausdruck, der in dieser chiffriert ist,
durch Rückübersetzung in die Ursprungsfolge von Zeichen exakt wiederher-
zustellen.
Die Gödelisierung ist also ein Verfahren, das es ermöglicht, durch eindeu-
tige Zuordnung einer natürlichen Zahl zu einem formalen Ausdruck eines
Systems formale Syst~me innerhalb der Zahlentheorie darzustellen und ab-
zuhandeln. Diese Zuordnung hat zur Folge, daß (a) jeder natürlichen Zahl
ein und nur ein Ausdruck und (b) jedem Ausdruck genau eine Zahl, seine
"Gödelnummer", entspricht.
weis für die Formel mit der Gödelzahl y" ist also dann und nur dann wahr,
wenn die Gödelzahl des Beweises zur Gödelzahl des zu beweisenden Satzes
in der hier durch B bezeichneten arithmetischen Relation steht. Das aber
heißt: Wahrheit oder Falschheit eines Satzes ergibt sich allein aus der Frage,
ob die arithmetische Relation B zwischen den beiden Zahlen erfüllt ist. Um-
gekehrt kann auch gezeigt werden, daß die arithmetische Relation B zwi-
schen einem Zahlenpaar besteht, indem man zeigt, daß der metamathemati-
sche Satz, welcher durch diese Relation zwischen den Zahlen abgebildet
wird, wahr ist. Ähnlich wird der Satz "Die Formelfolge mit der Gödelzahl x
ist kein Beweis für die Formel mit der Gödelzahl y" durch eine bestimmte
Formel im arithmetischen System abgebildet. Diese Formel ist das formale
Gegenteil von B (x, y), nämlich ,_ B (x, y).
Sinne, daß sie eine genau bestimmte arithmetische Eigenschaft, die exakt
definiert werden kann, allen ganzen Zahlen zuspricht.
(4) Da G zugleich wahr und formal unentscheidbar ist, sind die Axiome
der Arithmetik unvollständig. Nicht alle arithmetischen Wahrheiten können
aus den Axiomen deduziert werden.
Darüber hinaus zeigt Gödel, daß die Arithmetik im Prinzip unvollständig
ist. Auch wenn man zusätzliche Axiome annähme, die die Herleitung von G
ermöglichen würden, lassen sich wiederum wahre, aber formal unentscheid-
bare Formeln finden. ~
(5) Gödel gelangt in seinem Beweisgang zu dem metamathematischen
Satz: "Wenn die Arithmetik widerspruchsfrei ist, ist sie unvollständig."
Dieser Bedingungssatz kann in der formalisierten Arithmetik durch eine be-
weisbare Formel ausgedrückt werden. Diese Formel kann folgendermaßen
aufgestellt werden. Der Satz "Die Arithmetik ist widerspruchsfrei" zeigt
sich äquivalent dem Satz "Es gibt mindestens eine arithmetische Formel, die
nicht beweisbar ist" - beides sind metamathematische Sätze. Gödel stellt
den letzten metamathematischen Satz durch eine Formel A innerhalb des
arithmetischen Kalküls dar. Diese Formel sagt in Worten ausgedrückt: "Es
gibt mindestens eine Zahl y der Art, daß für jede Zahl x gilt: x steht nicht in
der Relation B (Beweis) zu y." Metamathematisch bedeutet diese Formel:
"Es gibt mindestens eine arithmetische Formel, für die keine Folge von For-
meln einen Beweis bildet." Die Formel A vertritt also den Vordersatz des
oben aufgestellten Bedingungssatzes.
Der Nachsatz dieser Aussage- nämlich "sie ist unvollständig" (die Arith-
metik)- folgt direkt aus "Es gibt einen wahren arithmetischen Satz, der in
der Arithmetik nicht formal beweisbar ist". Dieser metaarithmetische Satz
aber wurde im Kalkül - wie früher entwickelt - durch die Formel G ver-
treten. Dementsprechend wird der metamathematische Bedingungssatz
"wenn die Arithmetik widerspruchsfrei ist, dann ist sie unvollständig" durch
die arithmetische Formel repräsentiert: A J G (bedeutet: "wenn ... dann
... ").Es ist nun zu zeigen, daß die FormelA nicht beweisbar ist. Denn wäre
sie ableitbar, dann könnte, daA J G beweisbar ist, auch die Formel G be-
wiesen werden. Aber G ist formal unentscheidbar, außer der Kalkül wäre
nicht widerspruchsfrei. Zu welcher Einsicht führt dies?
Die Formel A vertritt den metamathematischen Satz "Die Arithmetik ist
widerspruchsfrei". Wenn dieser Satz durch irgendein Verfahren nachge-
wiesen werden könnte, indem er auf Formeln innerhalb des arithmetischen
Kalküls abgebildet wird, die einen Beweis bilden, so wäre die FormelA be-
weisbar. Eben das aber ist unmöglich, sofern die Arithmetik widerspruchs-
frei ist. Daraus kann aber keine andere als folgende weitreichende Konse-
quenz gezogen werden: Wenn die Arithmetik widerspruchsfrei ist, kann
diese Widerspruchsfreiheit nicht durch einen metamathematischen Beweis
gezeigt werden, der auf eine Formel des arithmetischen Kalküls abbildbar
wäre. Das heißt, die Widerspruchsfreiheit der Arithmetik kann nicht mit
Unvollständigkeit und Unentscheidbarkeit formaler Systeme 153
Eines der Ziele, die Hilbert mit seinem Programm zu erfüllen hoffte, war
die Lösung des Entscheidungsproblems. Mit Bebmann können wir das Ent-
scheidungsproblem so fassen: "Es soll eine ganz bestimmte allgemeine Vor-
schrift angegeben werden, die über die Richtigkeit oder Falschheit einer be-
liebig vorgelegten, mit rein logischen Mitteln darstellbaren Behauptung,
nach einer endlichen Anzahl von Schritten zu entscheiden gestattet. " 33 Die
Annahme, daß für den gesamten Bereich der kalkülisierten Logik Entschei-
dungsverfahren existieren, ist gleichbedeutend mit der Annahme, daß es
einen Algorithmus gebe, der von jedem beliebigen kalkülisierten Ausdruck
zu entscheiden gestattet, ob dieser Ausdruck allgemeingültig bzw. erfüllbar
oder eine KQntradiktion ist; ob also eine einschlägige Formel im Kalkül be-
weisbar oder widerlegbar ist.
In der Aussagenlogik, deren ersten Kalkül George Boole aufstellte, gibt
es derartige Verfahren, z. B. indem Wahrheitswertmatrixen aufgestellt
werden. Enthält die Spalte der Wahrheitswertmatrix, die zum Gesamtaus-
druck gehört, nur den Wert 'wahr', so ist dieser logischeAusdruck allgemein-
gültig. Tritt in dieser Spalte der Wahrheitswert wenigstens einmal auf, so
nennt man den logischen Ausdruck erfüllbar. Ergibt sich für alle Felder der
Wahrheitswert 'falsch', so liegt eine Kontradiktion vor. Post, Lukasiewicz
und Wittgenstein haben mit dieser Methode das Entscheidungsproblem für
den Aussagenkalkül gelöst. 34
Gödel hat die Unmöglichkeit eines Algorithmus mechanischer Lösung
des Entscheidungsproblems für den arithmetischen Kalkül nachgewiesen.
Was Gödel für den Bereich des zahlentheoretischen Kalküls gelang, wies
Church 1936 für den Bereich des Prädikatenkalküls nach. 35
154 Grenzen kalkulatorisch-algorithmischer Verfahren
und Church entwickelten Theoreme auch bei der denkbar weitesten Ab-
straktion von der Gestalt konkreter Kalküle als gültig nachzuweisen. 42
Wir erinnern uns, daß Leibnizens logische Kalküle mit der Absicht entwik-
kelt wurden, wissenschaftliches Denken überhaupt berechenbaren Ver-
fahren zu unterwerfen, so daß selbst philosophische Meinungsstreitigkeiten
durch Ausrechnen beseitigt werden könnten. Hilbert nun hatte das schwä-
chere Programm aufgestellt, daß sich zumindest alle mathematischen Pro-
bleme als berechenbar erweisen sollten. Doch die mathematisch-logische
Grundlagenforschung in diesem Jahrhundert hat gezeigt, daß es mathema-
tisch-logische Probleme gibt, die nicht mit dem Rüstzeug der berechnenden
Mathematik gelöst werden können . .f>ost spricht in diesem Zusammenhang
von einem Naturgesetz über die "limitations of the mathematicing power of
Homo Sapiens". 43 Doch sollte in diesem Zusammenhang eher von den "Be-
grenzungen der Mechanisierungskraft des Homo sapiens" gesprochen
werden. Wie ist das zu verstehen?
"Sprung aus dem System" voraus. Und so können wi~ eine dritte Version von
(a) und (b) aufstellen:
(c) Ein Programm, welches die Gödelisierung für alle möglichen formalen
Systeme durchführte, kann nicht aufgestellt werden. 45
Spätestens hier wird deutlich, daß die Frage über die Bedeutung des
Unvollständigkeits- und Unentscheidbarkeitssatzes keine Frage nach der
Begrenzung von Rechenmaschinen ist. Rechenmaschinen sind - im Unter-
schied zur "universalen mathematischen oder logischen Maschine"- spe-
zielle Maschinen, die nicht für alle, sondern für eine bestimmte Klasse von
Problemlösungen geschaffen werden. Es gibt keinen logischen Grund, in
bezug auf eine bestimmte Klasse von Problemen auszuschließen, daß es
einen Algorithmus gibt, der die Lösbarkeit bzw. Unlösbarkeit dieser Pro-
blemklasse "auszurechnen" erlaubt. Die Unlösbarkeitsbeweise selbst sind
ein Beispiel dafür, daß die Unlösbarkeit eines mathematischen Problemes
berechenbar ist.
I ••
Die Bedeutung der Uberlegungen von Gödel, Church und ~leene besteht
vielmehr darin, daß sie uns zeigen, daß das Tun des Mathematikers niemals
vollständig auf das Berechnen zurückzuführen ist. 46 Wir werden den Begriff
der Berechenbarkeit noch präziser zu fassen haben. Hier genügt uns jene in-
tuitive Erkenntnis, die wir bereits bei Leibniz finden: Berechnen heißt, ein
Problem durch rein syntaktische Operationen innerhalb eines formalisierten
Zeichensystems lösen zu können. Es ist nicht so, daß es eine absolute
Grenze gäbe, die Wahrheit eines in einer formalisierten Sprache gegebenen
Satzes festzustellen; aber es gibt eine Grenze zwischen dem mechanisier-
baren und dem unmechanisierbaren Teil an dieser Wahrheitsfeststellung.
Diese Grenze ist zwar beweglich, und was Gödel1936 mathematisch entwik-
kelte, können wir heute durch einen Computer ausführen lassen. Jede Aus-
sage, die diese Grenze an einer bestimmten Stelle festschreiben will, kann
nur falsch und also durch die Wirklichkeit einholbar sein. Doch die Grenze
selbst ist un~ufhebbar, es sei denn, wir könnten Maschinen gemäß wider-
sprüchlichen Konstruktionsvorschriften herstellen.
Will man für ein Problem zeigen, daß es ein effektives Verfahren seiner
Lösbarkeit in endlich vielen Schritten gibt, so genügt, um die Existenz eines
solchen Algorithmus nachzuweisen, daß man ein die Aufgabe lösendes Ver-
fahren praktisch beschreibt. In einem solchen Falle wird ein intuitiver Be-
griff, was ein Algorithmus sei, hinreichen, um sich zu vergewissern, daß es
sich bei der Problemlösung um ein algorithmisches Verfahren handelt. Doch
ändert sich die Sachlage, sobald es nicht die Möglichkeit, sondern die Un-
möglichkeit nachzuweisen gilt, für ein Problem einen Lösungsalgorithmus
158 Grenzen kalkulatorisch-algorithmischer Verfahren
durchzieht und den es nun zu präzisieren gilt, nämlich den intuitiven Begriff
des Algorithmus.
Mit Hilfe von Algorithmen lösen wir Probleme. Doch nicht jedes Problem
wird algorithmisch gelöst. Von einer algorithmisierbaren Lösung sprechen
wir, wenn wir ein eindeutiges (Rechen-)Verfahren angeben können, wie die
Lösung des Problems erreicht werden kann. Wie nun sind die Merkmale
eines eindeutigen Problemlösungsverfahrens genauer zu bestimmen? 54
(1) Elementarität
Ein Algorithmus bezieht sich auf die Organisation einer Reihenfolge von
Operationen,' d. h., eine Tätigkeit wird in elementare Operationsschritte zer-
legt und die Abfolge der Schritte wird eindeutig festgelegt. Dies zeigte sich
schon bei den ersten uns begegnenden Rechenalgorithmen: dem Multiplika-
tionsverfahren im antiken Ägypten. Der komplexe Vorgang der Multipli-
kation zweier Zahlen wird zurückgeführt auf das fortgesetzte Verdoppeln
des einen Faktors und auf das Addieren. Die Zerlegung eines komplexeren
Prozesses in Grundoperationen, die selbst nicht weiter zerlegbar sind, ist
somit ein wesentliches Merkmal des Algorithmisierens, das 'Elementarität'
genannt sei.
(2) Determiniertheit
Des weiteren wird die Reihenfolge dieser Grundoperationen streng fest-
gelegt. Nach jedem ausgeführten Schritt steht eindeutig fest, welcher Schritt
als nächster zu tun ist. Ein algorithmisierter Vorgang ist völlig schematisiert;
ein Prozeß also, der als Anwendung eines Schemas zu verstehen ist und bis in
die kleinsten Einzelheiten so eindeutig vorgeschrieben ist, daß derjenige,
der das Schema anwendet, nicht zu verstehen braucht, was er dabei tut. Der-
jenige, der ein algorithmisiertes Problem löst, wird zum "Rechenknecht",
der das Problem um so besser lösen wird, je sklavischer er sich an die Anwei-
sungen hält: Das Problem wird nicht be-arbeitet, sondern ab-gearbeitet.
Dieses Merkmal sei 'Determiniertheit' genannt.
(3) Allgemeinheit
Jede Operation hat ein Objekt, auf das sie sich richtet. Sind die Objekte
algorithmisierbarer Verfahren in irgendeiner Weise ausgezeichnet? Gerade
die Geschichte der Algorithmen zeigt, daß es höchst unterschiedliche Ob-
jekte sein können, für die algorithmische Regeln ihrer Manipulation aufge-
stellt werden können. Es können dies Steinehen auf dem Rechenbrett, die
Kugeln auf dem japanischen Soroban, eine Reihe von Kondensatoren mit
ihrem Ladungszustand (aufgeladen oder entladen), der Kernspeicher eines
Computers mit seinem Magnetisierungszustand, Wörter, gebildet aus endli-
160 Grenzen kalkulatorisch -algori thmischer Verfahren
ehern Alphabet, etc. sein. Die einzige Bedingung dafür, als manipulierbare
Objekte algorithmischer Verfahren geeignet zu sein, ist, daß die betref-
fenden Objekte deutlich voneinander abgegrenzt sind, denn das Operieren
besteht darin, räumlich oder zeitlich geordnete Dinge in neue Konfigura-
tionen zu bringen. 55 Algorithmen besitzen eine gewisse Unabhängigkeit von
dem Material ihrer Objekte. Der Algorithmus der Addition im Bereich na-
türlicher Zahlen kann realisiert werden durch Anfügen von Strichen an
Strichfolgen, durch Hinzufügen oder Wegnehmen von Steinehen auf dem
Rechenbrett oder durch das Drehen der Räder der mecHanischen Rechen-
maschine.
Dieses Merkmal sei die 'Allgemeinheit' genannt. Doch erstreckt sich die
Allgemeinheit nicht nur auf die konkrete Natur der Objekte, sondern auch
darauf, daß es stets um eine Klasse möglicher Objekte geht, in bezugauf die
ein Problem zu lösen ist. Es gibt keinen Algorithmus zur Lösung nur eines
einzelnen konkreten Problems: Algorithmen gelten für Klassen von Pro-
blemen. Das Anfangssystem der Werte, die algorithmisch zu bearbeiten
sind, kann stets ausgewählt werden aus einer potentiell unendlichen Menge
von Werten.
(4) Endlichkeit
Ein Algorithmus ist ·eine Vorschrift, deren Text in einer endlichen Folge
von Buchstaben niedergeschrieben werden kann. Die Zeit, die zur Ausfüh-
rung eines einzelnen Operationsschrittes benötigt wird, darf nur endlich
sein. Das Verfahren muß nach endlich vielen Schritten zu einem Ergebnis
führen und abbrechen. Es gibt Fälle, in denen die letzte Bedingung nicht er-
füllt ist. Der euklidische Algorithmus zur Bestimmung des größten gemein-
samen Teilers zweier Zahlen bricht nach endlich vielen Schritten ab. Der
Algorithmus zur Berechnung der Quadratwurzeln aus einer in Dezimaldar-
stellung gegebenen natürlichen Zahl bricht im allgemeinen nicht ab: er ist
beliebig weit fortsetzbar, zur Berechnung von immer weiteren Dezimal-
stellen der Wurzel. Demgegenüber muß ein Algorithmus die ersten beiden
Bedingungen (Endlichkeit der Vorschrift; Endlichkeit der Operationszeit
einzelner Schritte) immer erfüllen. Sie seien das Merkmal der 'Endlichkeit'
genannt.
Jede Handlungsfolge, welche die Merkmale (1)-(4) aufweist, ist als eine
algorithmisierbare Operation beschreibbar.
Im Prinzip ist ein Algorithmus auf Manipulationen jeglicher Art von Ob-
jekten anwendbar. In der mathematischen Theorie der Algorithmen be-
schränkt man sich jedoch auf solcheArten von Algorithmen, deren Objekte
Zeichenreihen sind. 56 Unter Zeichenreihen werden endliche lineare Folgen
von Symbolen (Einzelzeichen, Buchstaben) verstanden. Es wird ange-
nommen, daß es für jeden Algorithmus eine endliche Zahl von Buchstaben
gibt, die in ihrer Gesamtheit das dem Algorithmus zugrundeliegende Alpha-
bet bilden. Mit den Buchstaben dieses Alphabets werden Wörter gebildet.
Dabei ist es sinnvoll, auch das leere Wort zuzulassen. IstA ein Alphabet und
Präzisierungen des Algorithmen begriffes 161
Wein Wort, das nur aus den Buchstaben ausA gebildet ist, so nennt man W
ein Wort über A.
Im Prinzip ist mit einem Alphabet auszukommen, welches nur einen ein-
zigen Buchstaben enthält, z. B. den Buchstaben /. Die Wörter über diesem
Alphabet sind, abgesehen von dem leeren Wort, I, II, 111 usw. Wir können
diese Wörter mit den natürlichen Zahlen 0, 1, 2, ... identifizieren. In diesem
Falle kann man die Wörter eines n-elementigen Alphabets A durch natür-
liche Zahlen G (W), d. h. durch Wörter eines einelementigen Alphabets,
charakterisieren. Eine solche Abbildung begegnete uns bereits bei Gödel,
als er seinen Ausdrücken eine natürliche Zahl, die Gödelnummer, zuord-
nete. Eine solche Abbildung G wird daher Gödelisierung und G (W) die
Gödelnummer (bezüglich G) des Wortes W genannt.
Daher ist es im Grunde unwesentlich, welches Alphabet einem Algo-
rithmus zugrunde liegt, denn zu jedem AlphabetA kann durch Gödelisie-
rung ein Alphabet A' gebildet werden, so daß ein zu dem ursprünglichen
l
Die Eigenschaft "rekursiv" kommt Objekten zu, sofern sie sich teilweise
selbst enthalten: Geschichten innerhalb von Geschichten; Filme innerhalb
von Filmen; russische Puppen innerhalb von russischen Puppen; Kommen-
tare in Klammern innerhalb von Klammern. 66 Ein Blick in eine Spiegel-
galerie, in der wir uns fortwährend selber spiegeln, leitet anschaulich zur
Vorstellung eines rekursiven Objektes. Im Zusammenhang des Algorith-
menbegriffes ist die Eigenschaft "rekursiv" interessant in bezug auf Opera-
tionen, durch welche gesuchte Objekte, z. B. Zahlenwerte, aus gegebenen
Ausgangsobjekten erzeugt werden. Rekursive Erzeugungsverfahren sind
dadurch gekennzeichnet, daß sie immer wieder auf sich selbst angewandt
werden, bis di~ gesuchte Größe erzeugt ist und der Prozeß abbricht. Damit
solch rekursive Konstruktion tatsächlich zum Abschluß kommt, muß sich
eine Bedingung, an deren Existenz die Wiederanwendung der rekursiven
Operation gebunden ist, bei jeder Wiederholung verändern (im Sinne eines
Kleinerwerdens), bis diese Bedingung ganz erlischt. Wenn wir eine Pro-
zedur, durch deren rekursive Anwendung ein Objekt erzeugt wird, die rekur-
sive Definition des Objektes nennen wollen, so unterscheidet sich die rekur-
sive von einer zirkulären Definition dadurch, daß eine solche Bedingung,
deren ständige Verminderung bis zum Erlöschen durch die rekursive Anwen-
dung gewährleistet wird, vorhanden ist: So ist sichergestellt, daß der Prozeß
"ausläuft". Als Beispiel einer rekursiven Prozedur mag der euklidische Al-
gorithmus zum Auffinden des größten gemeinsamen Teilers zweier positiver,
natürlicher Zahlen gelten. Dieses Verfahren funktioniert folgendermaßen:
(1) Es sind zwei natürliche Zahlenmund n gegeben. Dividiere m durch n; man erhält
den Rest r. Schaue nach, ob r 1 gleich 0 ist oder nicht. Ist r 1 gleich 0, so bricht der Prozeß
ab und n ist der gesuchte größte gemeinsame Teiler. Ist jedoch r 1 größer als 0, so muß
(2) eben dieses Verfahren auf die Werte von n und r 1 angewendet werden. Dividiere
durch r 1 und erhalte r2 • Ist r2 gleich 0, so bricht der Prozeß ab und r 1 ist die gesuchte
Zahl. Ist r2 größer als 0, so muß
(3) dieses Verfahren wiederum auf r 1 und r2 angewendet werden usw.
Da m > n > r 1 > r 2 > ... > 0, bricht dieses Verfahren auf jeden Fall nach
endlich vielen Schritten ab. Und an der Stelle, an welcher es abbricht, findet
sich der gesuchte Wert. Der euklidische Algorithmus ist eine Operations-
anleitung, die die Eigenschaft der Rekursivität besitzt. Der größte gemein-
same Teiler ist eine Funktion, die einem gegebenen Zahlenpaar, dem Argu-
ment, einen Funktionswert zuordnet. Dieser Funktionswert wird dadurch
ermittelt, daß eine bestimmte Operationsanweisung "teile m durch n und
prüfe, ob der Rest r größer oder gleich Null ist" immer wieder auf das durch
die Operation neu ermittelte Ergebnis angewendet wird, bis die Bedingung
"gleich Null" erfüllt ist. Diese Operationsanweisung bzw. Rekursionsvor-
166 Grenzen kalkulatorisch-algorithmischer Verfahren
Der erste Schritt in der Entdeckung der rekursiven Funktionen führte auf
das, was wir seit Hilbert und Bernays primitiv-rekursive Funktionen
nennen. 67 Dedekind stieß erstmals 1888 auf eine solche Funktion. David
Hilbert definierte 1891 mehrere sich überlagernde Kurven, die ein Quadrat
ausfüllen, rekursiv. Es ist heute möglich, diese von Hilbert definierten
Kurven auch von einem Computer zeichnen zu lassen. Wirth hat ein rekur-
sives Programm zur Erstellung dieser Kurven durch eine Maschine entwik-
kelt. 68 Skolem versuchte 1923 als erster, den Begriff der Berechenbarkeit
mit Hilfe der "rekurrierenden Denkweise", d. h. durch die Konstruktion
arithmetischer Funktionen durch zahlentheoretische Rekursionsformeln,
zu präzisieren. 69 Seine arithmetischen Funktionen sind primitiv-rekursive
Funktionen im heutigen Sinne. Hilbert sprach 1926 die Vermutung aus, daß
jede primitiv-rekursive Funktion berechenbar sei. Was haben wir unter einer
solchen Funktion zu verstehen?
Die primitiv-rekursiven Funktionen sind eine Klasse von berechenbaren
Funktionen, die man erhält, wenn auf bestimmte Stamm- bzw. Ausgangs-
funktionen die Prozesse der Einsetzung und Rekursion angewendet wer-
den. Als Ausgangsfunktionen werden üblicherweise folgende drei Funktio-
nen benutzt, deren Berechenbarkeit intuitiv einleuchtet:
(1) Die nullsteilige Konstanzfunktion C8: mit dem Wert 0. (Unter n-stelliger
Funktion sei eine Funktion verstanden, deren Werte von n Argumenten ab-
hängen. Eine nullsteilige Funktion ist somit eine Funktion, deren Werte von
keinem Argument abhängen: sie kann nur eine Konstante sein. Hier wird als
Ausgangsfunktion die spezielle nullsteilige Funktion Null gewählt: der Zähl-
anfang.)
(2) Die Nachfolgerfunktion N: N(x) def x + 1
Diese Funktion führt in die Definitionen den Begriff des Zählens ein.
(3) Die Identitätsfunktion U~:
U~ (Xt, X2, •.. , Xn) = xi mit 1 ~ i ~ n
def
Präzisierungen des Algorithmenbegriffes 167
p Argumentstellen
und den n-stelligen Funktionen
ht ( . ' . ' . ' ... ' . )
hz ( · , · , · , . . . , · )
hp ( . '
.
'
.
' ••• '
.)
n Argumentstellen
wird durch "Einsetzung" die n-stellige Funktion
J (. ' . ' . ' ... , . )
n Argumentstellen
definiert.
f (xh Xz, ... , Xn) def g [ht (xh ... , Xn), hz (xh ... , Xn) .. ., hp (xh ... , Xn)]
(2) Die Operation der primitiven Rekursion definiert folgende Funktion:
Ausgehend von der n-stelligen Funktion
g ( . ' . ' ... , . )
n Argumentstellen
und der (n + 2)-stelligen Funktion
h (. ' . ' ... , . )
n + 2 Argumentstellen
wird rekursiv über y die (n + 1)-stellige Funktion
f (. ' . ' ... , . )
n + 1 Argumentstellen
definiert.
f (xh Xz, · · ·' X, Y) def
f (xh Xz, ... , Xn, 0) = g (xh Xz, ... , Xn)
{ f (xh Xz, ... Xm N(y)) = h [xt,Xz, .. . , Xm y, f(xb Xz, .. . , Xm y)].
Eine Funktion heißt primitiv-rekursiv, wenn sie eine der genannten Aus-
1~8 Grenzen kalkulatorisch-algorithmischer Verfahren
3.3.3 Turingmaschinen
Die Stärke des Modells der Turingmaschine liegt darin, daß sie unserer
Vorstellung über das, was wir tun, wenn wir streng einer Rechenvorschrift
bzw. einem Algorithmus folgen, am weitesten entgegenkommt. Turing ge-
langte zu seinem Modell durch die Analyse des Verhaltens eines mensch-
lichen Rechners.
170 Grenzen kalkulatorisch-algorithmischer Verfahren
Diesem Rechner sei die Aufgabe gestellt, nach einer genauen vorlie-
genden Vorschrift den Wert einer Funktion für ein gegebenes Argument zu
berechnen. Der Rechner verwendet für die Rechnung ein Blatt Papier (oder
mehrere Blätter). Dieses Blatt kann in Quadrate geteilt werden, in welche
der Rechner jeweils ein Symbol eintragen darf. Er kann alle Symbole aus
einem endlichen AlphabetA = (ab ... , an) verwenden. In diesen Symbolen
wird zu Beginn der Rechnung das Argument auf das Blatt notiert. Da es im
Prinzip nicht nötig ist, das Blatt Papier in seinen beiden Dimensionen für das
Rechnen zu benutzen, kann man sich die Quadrate zu einem Rechenband
angeordnet denken, welches in eine lineare Folge von Feldern aufgeteilt ist.
Es müssen genügend Felder vorhanden sein, so daß das Rechenband beider-
seits unendlich fortsetzbar ist. Das Band kann mit einer Richtung versehen
werden: links {Anfang) bzw. rechts (Ende). Mit Ausnahme der Felder, in die
ein Symbol eingeschrieben wird, sind die Felder leer. Die Gesamtheit
dessen, was auf dem Band steht, sei Inschrift genannt.
Die Rechnung selbst verläuft nach einer endlichen Vorschrift. Jede Rech-
nung läßt sich in Teilschritte zerlegen, z. B. das Beschriften eines leeren
Feldes. Ein Rechenschritt führt von einer bestimmten Ausgangssituation
bzw. Ausgangskonfigu_ration zu einer neuen Situation bzw. Konfiguration,
welche ihrerseits Ausgangskonfiguration für den nächsten Schritt ist. Tritt
das letztere nicht ein, so ist die Rechnung beendet und der gesuchte Wert
berechnet.
Wie vollzieht sich ein einzelner Rechenschritt? Die Inschrift des Bandes
kann verändert werden, wobei es möglich ist, eine größere Änderung in die
elementare Änderung nur eines einzelnen Feldes zu zerlegen. Solche ele-
mentare Änderung kann in der Beschriftung oder dem Löschen eines Feldes
bestehen. Der Einfachheit halber sei angenommen, daß das Einschreiben
eines Symboles zugleich ein Auslöschen des eventuell im Feld bereits nieder-
geschriebenen Symboles ist. Bei jedem Rechenschritt wird genau ein Feld
bearbeitet, das Arbeitsfeld. Dies muß im Laufe der Rechnung wechseln,
wobei man sich alle Übergänge auf neue Arbeitsfelder in den elementaren
Schritt zerlegt vorstellen kann, der darin besteht, das nächste Arbeitsfeld
rechts oder links des alten Arbeitsfeldes zu wählen.
Damit sind bereits alle verschiedenen Arten von Rechenschritten aufge-
zählt, die überhaupt in Betracht kommen:
ak: Das Beschriften des Arbeitsfeldes durch das Symbol ak ( k = 0, ... , n).
r: Das Nach-rechts-Gehen.
/: Das Nach-links-Gehen.
s: Das Stoppen.
Die Zahl der Rechenschritte, die notwendig sind, um für eine berechen-
bare Funktion einen Funktionswert f (n) zu bestimmen, wird mit wach-
sendem n zunehmen; immer aber hat die Rechenvorschrift eine endliche
Länge. Bei Berechnung vonf (n) für genügend großen wird die Vorschrift in
Präzisierungen des Algorithmen begriffes 171
Statt von der k-ten Teilvorschrift kann man auch von dem k-ten Zustand
sprechen. Da alle Zeilen dasselbe Schema haben, kann die Teilvorschrift
auch durch eine Tafel wiedergegeben werden, nämlich durch:
k ao Vo ko
k a1 Vt kt
Durch Anwendung des Befehls qiaikqsX geht Kin eine der folgenden Kon-
figurationen über: a)
K' = aij . . . aik-zqsar . . . aib
falls X= ar
b) K' = ail ... aik-laikqsaik+l ... aib
falls X= R
c) K' = ail ... qik-2qsaik-laik ... aib
falls X= L.
Als Turingmaschine über dem Alphabet A' = {a~, ... , am} mit den Zu-
ständen q0 , ••• , qn bezeichnet man eine Folge von (m + 1) n Befehlen der
Form:
qlaoqwbw, q1a1qubu, ... , qlamqtmbtm, ... ,
qnaoqnobno, qnalqnlbnh · · ·, qnamqnmbnm'
in der die qij Zustände und die bij Elemente aus der Menge {a0 , a~, ... , am,
R, L,} sind, und in der zu jedem qiajmit i = 1 undj = 0, ... , m genau ein Be-
fehl vorkommt, der mit qiaj beginnt. Diese Befehle können in der folgenden
Turingtafel angeschrieben werden:
(1) Der Scheitelpunkt in der Geschichte der Formalisierung ist die Her-
ausbildung der Idee des operativen Symbolgebrauches. In der Geschichte
der Mathematik ist dieser Punkt erreicht mit der Erfindung der Buchstaben-
algebra durch Vieta, in der Geschichte der Logik mit dem Aufbau logischer
Kalküle durch Leibniz, die auf verschiedene Weise (intensional, extensional
und modal) interpretierbar sind. Der Kerngedanke des operativen Symbo-
lismus ist der schematische, interpretationsfreie Umgang mit schriftlichen
Symbolen: Während ich Muster von Zeichenreihen durch schematische An-
wendung vorgegebener Regeln bilde und umbilde, brauche ich nicht daran
zu denken, was diese Zeichenreihen eigentlich bedeuten.
Die Grundidee der Formalisierung besteht darin, das Manipulieren von
Symbolreihen von ihrer Interpretation abzutrennen. Solches Vorgehen ist
ein Kunstgriff, eine 'techne', die zum Ziel hat, den Verstand zu entlasten von
den Mühen der Interpretation. Doch solche Entlastung hat ihren Preis, wel-
cher zutage tritt, sobald wir uns Rechenschaft ablegen über jene Bedin-
gungen, die erfüllt sein müssen, damit Handlungen des Verstandes als for-
male Operationen durchführbar werden. Die nun folgende abschließende
Rekonstruktion der Entstehung und Präzisierung der Idee des operativen
Symbolismus versucht diese Kosten sichtbar werden zu lassen.
(2) Formales Operieren ist gebunden an den schriftlichen, genauer: typo-
graphischen Gebrauch von Symbolen. Dieser setzt die Linearisierung bzw.
eindimensionale Ausrichtung der Wahrnehmung voraus.
Zwei markante Stufen sind in der Herausbildung des typographischen
Symbolgebrauches identifizierbar: die Ausbildung des Stellenwertprinzips
bei der Zahlendarstellung sowie des Prinzips der Begriffsschrift in der for-
mallogischen Darstellung von Urteilen.
(2.1) Die Ausbildung von Zahlzeichensystemen, die auf dem Stellenwert-
system beruhen, spielt für den mathematischen Symbolismus eine ähnlich
entscheidende Rolle wie die Ausbildung der phonetischen, d. h. alphabeti-
schen Schrift für die Verschriftlichung der Umgangssprachen. Diese Rolle
betrifft die Durchsetzung der strengen Linearität in der symbolischen Re-
präsentation.
Mündliche Zählreihen können Zahlen nicht anders als in sukzessiver Auf-
einanderfolge darstellen. Doch schreibt man eine Zahl im altägyptischen
oder römischen Zahlzeichensystem an, so ist die Einhaltung streng linearer
Darstellung nicht zur zweifelsfreien Identifikation der Ziffern erforderlich.
Die Entstehung des formalen Gebrauches von Symbolen 177
l
l'üs;m
L--.
- - - - g(b)
178 Die Entstehung des formalen Gebrauches von Symbolen
nur dann als das logische Schema beispielsweise des Urteils "wenn dieser
Strauß ein Vogel ist und nicht fliegen kann, so ist daraus zu schließen, daß
einige Vögel nicht fliegen können" (gemäß: b bedeutet einen Vogel Strauß
als ein einzelnes zur Gattung gehörendes Tier; g (a) bedeutet: a ist ein Vogel;
f (a) bedeutet: a kann fliegen) identifizieren, wenn wir Freges Formel genau
in der vorgeschriebenen Richtung, nämlich von unten nach oben, lesen.
Die Exaktheit formaler Sprachen setzt den streng linearen Gebrauch von
Symbolen voraus. Solche Symbole können nur gelesen und verstanden
werden, wenn der Akt der Wahrnehmung selbst monolinear geworden ist.
Der Wechsel der Perspektive, in der wir etwas sehen können, ist ausge-
schlossen; die eindimensionale Zurichtung des Blickes vorausgesetzt.
Könnte es einen Zusammenhang geben zwischen der Herausbildung der
Zentralperspektive als konstitutivem Bildprinzip neuzeitlicher Malerei und
der Herausbildung der formalen Symbolik in der Mathematik und ihrer
Verallgemeinerung zur alltäglichen Rechenpraxis der Neuzeit?
(3) Formales Operieren ist gebunden an den schematischen Gebrauch
von Symbolen. Während wir Zeichenreihen bilden und umbilden, müssen
wir uns dabei verhalten, als ob wir eine Maschine wären.
In der Entwicklung des schematischen Zeichengebrauches lassen sich vier
markante Stufen voneinander absetzen: die algorithmische Tradition des
orientalischen Rezeptewissens, das Leibnizprogramm einer algorithmi-
schen Erzeugung und Beurteilung wissenschaftlicher Sätze, das Hilbertpro-
gramm der Berechenbarkeit und Entscheidbarkeit aller mathematischen
Probleme sowie die Turingmaschine als Präzisierung der Berechenbarkeit
und algorithmischen Lösbarkeit.
(3.1) In der antiken (Ägypten, Mesopotamien) und mittelalterlichen
orientalischen (Indien, China) Tradition mathematischer Wissensbildung
wird die algorithmische Problemlösung zum prägenden Grundzug des arith-
metischen und algebraischen Tuns. Nicht der Beweis für die Allgemeingül-
tigkeit, sondern allein das Know-how eines Problemlösungsverfahrens ist
das Fundament der mathematischen Technik, dem auch dann noch zu trauen
sei, wenn die Resultate, zu denen solche Verfahren führen, "ontologisch"
ungesichert bzw. nicht zu veranschaulichen sind. Die negativen Zahlen
werden in China eingeführt, um den Algorithmus zur Auflösung linearer
Gleichungen formal auf beliebige entsprechende Aufgaben erweitern zu
können.
Die Ägypter benutzen ein Additionsverfahren, welches sie durch Pro-
bieren herausgefunden haben. Sein Funktionieren beruht auf der Möglich-
keit, jede Zahl als Summe von Zweierpotenzen darzustellen; doch von
diesem Wissen findet sich keine Spur.
Das mathematische Wissen ist ein Regelwissen, das seine Sicherheit da-
durch gewinnt, daß eine mathematische Handlung als starres Einhalten und
praktischer Vollzug eines überkommenen Schemas gilt. Könnte es hier einen
Zusammenhang geben zum traditionalen, ritualisierten Grundzug dieser
Die Entstehung des formalen Gebrauches von Symbolen 179
von ihrer symbolischen Repräsentation gegeben sind: Sie haben eine extra-
symbolische Bedeutung.
(4.2) Eine andersgeartete Funktion erfüllt der Gebrauch von Variablen:
Die Variablenzeichen stehen nicht mehr für ein einzelnes Objekt, sondern
für unspezifizierte Objekte eines wohlbestimmten Variabilitätsbereiches.
Aristoteles und die stoischen Logiker führten die Variablen in die Logik,
Vieta und Descartes führten sie in die Mathematik ein, auf Frege geht der
Gebrauch der gebundenen Variablen zurück.
Auch Variablen sind Platzhalter, Leerstellen für wohlbestimmte Objekte,
die an die Stelle der Variablen so eingesetzt werden, daß sich aus dem for-
malen Ausdruck ein wahrer Satz ergibt. Diese Objekte selbst können nur
noch Zeichen sein. Symbole, die als Variable dienen, sind Zeichen für Zei-
chen.
Wieweit der für die stoische Logik konstitutive Gebrauch von Aussage-
variablen die Reflexion über die Logik charakterisiert, kann ihrer Diskus-
sion über die Lekta abgelesen werden: Die semantische Funktion sprachli-
cher Zeichen besteht nicht etwa darin, für Gegenstände zu stehen, sondern
ergibt sich aus der "unkörperlichen" logischen Funktion, die diese Zeichen
in der assertorischen Rede innehaben.
(4.3) Sofern Variablen die Funktion von Kalkülzeichen haben, d. h. als
die Grundzeichen einer formalisierten Sprache dienen, ist die Stufe des deu-
tungsfreien Symbolgebrauches erreicht. Diese Symbole haben eine intra-
symbolische Bedeutung. Die Regeln, vermittels deren die symbolischen
Ausdrücke gebildet und umgebildet werden, nehmen keinen Bezug auf die
Bedeutung der Symbole. Das hat zur Folge, daß der Interpretationsbereich
prinzipiell nicht festgelegt ist: Für diese Kalküle können verschiedene
Modelle gefunden werden.
Leibniz hat mit seinen logischen Kalkülen von 1679 an als erster formali-
sierte Systeme entwickelt, die auf unterschiedliche Weise zu deuten sind und
von ihm auch gedeutet wurden.
Die Grenzen zwischen den hier auseinandergehaltenen Stufen sind im
historischen Prozeß fließend. Vieta hat die Variablen seiner Buchstaben-
algebra auf numerische Werte begrenzt. Gleichwohl ist damit der erste
Schritt getan hin zu einem Rechnen mit deutungsfreien Zeichen, wie es
Boole dann in seiner logischen Algebra praktiziert. Im Unterschied zu den
aristotelischen Termvariablen können die stoischen Aussagenvariablen
bereits als kalkülisierte Zeichen gelten.
(4.4) Der kalkülisierte Gebrauch von Symbolen ist ein Verfahren, eine
neue Gattung von Gegenständen zu erzeugen. Gegenstände nämlich, die
uns nicht anders gegeben sind denn als Referenz-Gegenstände einer for-
malen Sprache. Exemplarisch zeigt dies die Entwicklung der Null zur Zahl.
Schon bei den Babyioniern findet sich ein Zeichen für die Null als Leerstelle,
die ein unmißverständliches Lesen einer Zahl im Positionssystem, bei wel-
cher eine Position "nicht besetzt ist", erlaubt. Im indischen Ziffernsystem je-
Die Entstehung des formalen Gebrauches von Symbolen 183
doch wird die Null zu einem Grundzeichen des Kalküls. Zu einem Zeichen
also, auf welches sich die Regeln der Formation und Transformation, also
die Rechenregeln, nicht weniger beziehen denn auf die übrigen Grundzei-
chen. Damit wird die Null zu einem Symbol, mit dem gerechnet werden
kann. Das aber heißt: sie wird .zur Zahl.
Was sich hier exemplarisch zeigt, ist: Sobald Symbole, die als Grundzei-
chen eines Kalküls, also als Elemente einer formalen Sprache fungieren und
eine intrasymbolische Bedeutung haben, extrasymbolisch gedeutet werden
im Sinne des "Für-etwas-Stehen", so ist das, wofür sie stehen, Bestandteil
einer symbolischen Realität. Durch die Erweiterung des Zahlenraumes
über den Bereich der natürlichen Zahlen hinaus, über jenen Bereich also, in
dem uns die Zahlen als Anzahlen abzählbarer Dinge lebensweltlich faßbar
sind, werden die Zahlen zu Elementen einer symbolischen Realität. Die
"Existenz" solcher Elemente ist allein verbürgt durch die Möglichkeit, im
Rahmen forma,lisierter Systeme widerspruchsfrei mit Symbolen intrasymbo-
lischer Bedeutung operieren und dieselben auch extrasymbolis.ch deuten zu
können. Da formalisierte Systeme als symbolische Maschinen zu behandeln
sind, können wir über die Gegenstände dieser symbolischen Realitäten auch
sagen: Die Gattung dieser Gegenstände ist dadurch ausgezeichnet, daß
diese durch Operationen symbolischer Maschinen erzeugbar sind.
Formale Sprachen sprechen nie über die wirkliche Welt im Sinne einer
vorfindliehen empirischen Realität, sondern über symbolische Welten: Die
Ausdrücke formaler Sprachen können sich immer nur wieder auf Zeichen-
(ausdrücke) beziehen.
ANMERKUNGEN
Anmerkungen zu Kapitell
1 Vgl. Wertheimer (1912); Schmidl (1915); Fettweis (1927); Thurnwald (1929);
Struik (1948); Ascher (1972); Zaslavsky (1973).
2 Vgl. Pott (1869); Villiers (1923); Nehring (1929); Gouda (1953); Hartner
(1968).
3 ~enninger(1979),1,22.
4 Hartner (1968), 67f.
5 ~enninger(1979),1,23.
6 Humboldt (1979), 130f.
1 Nehring (1929).
8 Vgl. folgende Formen für 'zwei' und 'drei':
griechisch lateinisch gotisch
dyo duo, -ae, -o twai, twos, twa
dyoin duorum, -arum twaddje
dyoin duobus, -abus twaim
dyo duos, -as, -o twans, twos, twa
treis, tria tres, tria preis, prija
trion tri um prije
trisi tribus prim
treis, tria tres, tria prins, prija
Zit. n. ~enninger (1979), I, 30.
9 lbid. 43.
10 lbid.
11 Sie haben folgende Zählreihe aufgebaut:
sius (1952).
24 Neugebauer (1931), 325 ff.; ders. (1957), 71 ff.
25 Damerow (1981), 25ff.
26 Papyrus Rhind (1877); Papyrus Moskau (1930). ~
27 "Deshalb bildeten sich in Ägypten zuerst die mathematischen Künste aus, weil
dort dem Stande der Priester Muße gelassen war." Aristoteles, Metaphysik, I, 1-2,
981b.
28 Van derWaerden (1956), 26f.
29 Zum ägyptischen Zahlzeichensystem vgl.: Sethe (1916); Gillings (1972);
Tropfke (1980).
30 Lorenzen (1960), 23; Meschkowski (1979), I, 33.
31 Damerow (1981), 15f.; Neugebauer (1926), 20ff.; ders. (1934), 147f.
32 Van derWaerden (1956), 38.
26ff.
38 Neugebauer (1935/37), II, Tafelt.
39 Zur babylonischen Rechentechnik vgl.: Neugebauer (1934); Sachs (1946); van
48
Van der Waerden (1956), 118 f.
49
lbid.' 102f.
50 Gericke (1970), 18 weist daraufhin, daß bei den Babyioniern nicht nur Längen,
Flächen und Volumina addiert werden, sondern gelegentlich auch Menschen und
Tage. Vgl. auch: Damerow (1981), 104.
51 Fritz (1955), 13 f.; Szab6 (1978), 185 ff.
68 lbid. 195.
69 lbid. 203.
70 Aristoteles weist in seiner Ersten Analytik, I, 23 auf diesen Beweis hin. Für den
in der Forschung, vgl.: Tannery (1887), 217-261; HasseiSeholz (1929); van der Waer-
den (1940/41); Freudenthai (1966).
74 Klein (1936), 53ff.
75 Vgl. Euklid (1933-37), V, Def. 3, wonach ein Verhältnis nur zwischen homo-
74ff.; Heath (1910), 112f.; ders. (1912), II, 440ff.- In den Zusammenhang der baby-
lonischen Tradition stellen Diophant: Hankel(1874), 157ff.; Neugebauer (1933), 564;
van derWaerden (1956), 460. Demgegenüber betont Klein (1936), 129ff. die Verwur-
zelung Diophants im griechischen Denken.
79 Hanke I ( 1874), 159.
80 Diophant (1893/95), Aufg.1, zit. n. Gericke (1970), 18.
81 Papyrus Rhind (1877), Aufg. 24.
ein Symbol kennzeichnete, sondern auch mit ihr rechnete. Vgl. Tropfke (1980), 378.
86 Van derWaerden (1956), 462.
86a Van der Waerden (1956, 463) gibt die 4. Potenz mit 'Kubokubus' wieder. Doch
nach Sesiano (1982, 42) spricht Diophant von der 4. Potenz als 'Dynamodynamis'.
Diesen Hinweis verdanke ich Herrn ProfessorW Schaal, Marburg.
188 Anmerkungen
witsch (1964). Vgl. außerdem: Needham (1959), Bd. 3; Mikami (1962); Juschke-
witsch/Rosenfeld (1966).
98 Juschkewitsch (1960), 32ff.
99 lbid. 66. -In Europaschlug im Jahre 1600 Vieta eine dem chinesischen Ver-
fahren. analoge Methode vor. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde diese Methode
nahezu gleichzeitig von P. Ruffi (1804/1813) und W. Horner (1819) neu entdeckt. Die
"tiang-yuang"-Methode wurde im 13. Jahrhundert, der Blütezeit der chinesischen
Algebra, entwickelt. Zu dieser Epoche der chinesischen Mathematik vgl. Libbrecht
(1973).
100 Zum chinesischen Rechenbrett: Vissiere (1892); Rohrberg (1936).
101 Zu den Stäbchenziffern: Needham (1959), 111, 14ff.; Menninger (1979), II,
183ff.
102 Zit. n. Juschkewitsch (1964), 14.
103 Juschkewitsch weist auf den interessanten Tatbestand hin, daß die negativen
schriften. In Punktform tritt sie früher auf. Vgl. Bose ibid. und Datta!Singh ibid.
1o9 Tropfke (1980), 44.
110 Nau (1910), 225-227; Datta!Singh (1962), 96; Szegin (1974), 20.
System, bei dem nach einem bestimmten Schema die Ziffern 1-9 und 0 Konsonanten
zugeordnet werden, vgl. Tropfke (1980), 42.
114 Gericke ( 1970), 46 ff.
115 Tropfke (1980), 16.
1 16 Menninger (1979), II, 213ff.
11 7 Zit. n. Juschkewitsch (1964), 112.
118 Gericke (1970), 48.
Anmerkungen zu Kapitel 1 189
Rechnen mit Unbekannten, und die Arithmetik als "Vyakta-gaQita", d. h. als die
Lehre vom Rechnen mit bekannten Größen ('vyakta' bedeutet das Bekannte, 'avy-
akta' das Unbekannte). Vgl. Juschkewitsch (1964), 122.
126 Datta/Singh (1962), II, 3.
127 Zur algebraischen Symbolik: Juschkewitsch (1964), 123ff.
1
42 Vgl. dazu Juschkewitsch (1964), 187ff.
einer heiratsfähigen Tochter, vgl. Menninger (1979), II, 143. Moliere läßt seinen «ma-
lade imaginaire» die Apothekerrechnung überprüfen:« ... ayant un table devant lui
comptant avec des jetons», zit. n. Menninger (1979), II, 250. Wie unbekannt in man-
chen Winkeln Europas das Ziffernrechnen blieb, zeigt die Erzählung >Der grüne
Heinrich< von Gottfried Keller, der eine schweizerische Handelsfrau am Anfang des
19. Jahrhunderts noch nach "alter Art" rechnen läßt (I. Teil, Kap. 6).
167 Im Jahre 1338 bestanden in Florenz sechs solcher Schulen, vgl. Juschkewitsch
(1964), 155.
168 Vgl. Günther (1887); Unger (1888).
169 Vgl. Bernhard (1888); Villius (1897); Grasse (1901); Smith (1908); ders.
(1924).
170 Vogel (1949/50).
171 Adam Ries (1892).
(1954).
174 Zit. n. Struik (1980), 95; vgl. auch: Edler (1934).
175 Die mathematischen Schriften Stevins sind abgedruckt in: Struik (1958), II;
eine gemessene Vielheit und eine Vielheit von Maßen. Darum ist auch notwendig das
Eine nicht Zahl, so wenig wie das Maß eine Mehrheit von Maßen ist, sondern das
Maß und das Eine ist Prinzip." Aristoteles (1982), II, 341 (Metaphysik, XIV, 1,
1088a).
179 Klein (1936), 205.
180 Struik (1980), 98.
181 Vgl. Rose (1975).
182 Struik (1980), 99.
183 Cardano (1539); ders. (1545); Tartaglia (1556--60); vgl. auch: Harig (1935).
in Job. Buteo, >Logistica, quae et Arithmetica vulgo dicitur< (1555) sowie in Paolo
Bonasoni, >Algebra Geometrica< (1574 o. 1587 [?]), zit. n. Klein (1936), 174 u. 180.
Anmerkungen zu Kapitel 1 191
187 Die algebraische Symbolik wird entwickelt in: Vieta, In artem analyticem Isa-
goge, Tours 1591, in: Viete (1646), 1-12.
188 Klein (1936), 157.
189 Zum Anknüpfen an Pappus und Diophant vgl. Klein (1936), 158 ff.
(1967), 178 u. 196 sieht darin eine Reduktion geometrischer Probleme auf algebrai-
sche; Quine (1963), 80-82 eine Ableitbarkeit einer formalen Theorie der Geometrie
aus einer formalen Theorie der Algebra. Grosholz (1980) spricht von einer Vereini-
gungzweier Problemlösungsverfahren von zwei unterscheidbaren, aber strukturell
verbundenen Feldern.
194 Fermat (1923); zu dieser Einschätzung: Becker (1954), 139; außerdem: Ma-
honey (1973).
195 Descartes (1902).
Cohen (1954); Risse (1969), II, 170-252; Arndt (1971 a), 99-118; Reinekamp (1975);
Mittelstraß/Schroeder-Heister ( 1976).
211 Vgl. Toeplitz (1949); Boyer (1959); Baron (1969).
212 Vgl. Scriba (1964/65); Fleckenstein (1956).
213 Vgl. Gerhardt (1855); Mahnke (1926); ders. (1932); Hofmann (1949).
214 Leibniz (1684).
215 Ibid.
Anmerkungen zu Kapite/2
1
Reidemeister (1949), 67ff.
Eine Auswahl moderner Deutungen zur aristotelischen Logik geben Menne/
2
Öffenberger (1982); vgl. außerdem: Maier (1896-1900); Husic (1906); Henle (1935);
Lukasiewicz (1935); Miller (1938); Bochenski (1951); ders. (1956); Heitzmann
(1954); Viano (1955); Patzig (1963).
3 Aristoteles (1920--25).- Die überlieferten Werke von Aristoteles wurden durch
in Absetzung zum stoischen Verständnis der Logik als Teil- und nicht als Instru-
ment- der Wissenschaft intendiert. Kurt v. Fritz betont, daß die aristotelische Logik
als Ganzes nicht aus dem Studium der Mathematik und der Beweismethoden her-
vorgegangen sei, sondern aus der Analyse der sogenannten Dialektik. Fritz (1971),
210.
5 Scholz (1959), 3.
6 Lukasiewicz (1951), 3 hat als erster darauf hingewiesen, daß eine korrekte Re-
konstruktion der aristotelischen Schlußformen nicht auszugehen hat von "alle S sind
P", sondern von "P kommt allen S zu". Vgl. auch: Patzig (1963), 23f.
7 Vgl. Aall (1896/99); Heinze (1872); Schütze (1972).
8 Dieser Unterschied entging z. B. Prantl (1927), I, worauf erstmals Lukasiewicz
11 Lukasiewicz (1935) vertrat erstmals die These von der Gesetzeslogik, die
Bochenski (1956) teilt. -Es geht dabei um die Frage, ob der Syllogismus ein zusam-
mengesetzter "wenn ... so"-Satz, also eine Implikation sei, oder eine Regel bzw. eine
BeweisregeL Patzig (1963) möchte die Auffassung von Lukasiewicz beschränken auf
die Kapitel A1-7 der >Ersten Analytik< von Aristoteles.- Die Interpretation der ari-
stotelischen Syllogistik als Regellogik vertreten: Öffenberger (1971); Sainati (1982a);
vgl. auch: Iverson (1964); Wieland (1966); Corcoran (1973).
12 Vgl. die Unterscheidung von "formal" und "formalistisch" bei Lukasiewicz
(1951), § 6 u. § 7.
Anmerkungen zu Kapitel 2 193
13 Erste Analytik, 1. Buch, 4. Kap., 25b.
14 Bachenski (1956), 55.
15 Sophistische Widerlegungen, 1. Kap., 165 a.
Wesen des Syllogismus nicht in den Wörtern liege, sondern darin, was diese Wörter
bedeuten. Alexander (1883), 372.
19 Zu Theophrast: Bachenski (1947).
20 Bachenski (1956), 121ff.; Frede (1974), 19-23.
21 Sextus Empiricus (1912-14); dazu vgl. Mates (1949). Sammlungen stoischer
Scholz (1959); Mates (1953); Mau (1957); Kneale (1962); Watson (1966); Gould
(1970); Frede (1974).
23
"Aussage'l im aristotelischen Sinne als etwas, das entweder wahr oder falsch ist.
24 Dies gilt für alle älteren Logik-Geschichten, z. B. Prantl (1885); II.
53 lbid. 199.
Platzeck (1952); Gates (1960); Colomer (1961); Platzeck (1962/64); Llinares (1963);
Lohr (1967); Peers (1969); Hillgarth (1971).
65 Prantl (1867), 111, 156, Anm. 77.
66 Yates (1954); dies. (1960); Rossi (1960).
67
Indem diese Logik Sätze über die Welt zu finden habe, wird sie nicht, wie die tra-
ditionelle, als secunda intentio aufgefaßt; vgl. Prantl (1867), 111, 149.
68 lbid.
69 Dies im Unterschied zu Burkhardt (1980), 275.
7 0 Bachenski (1956), 254.
weise geben: Jacoby (1962), 100f.; Bailori (1953); Risse (1964/70), I, 534ff.; Dumi-
triu (1977), 240f.
7 5 Risse (1964/70), 535.
servaverit, nihil unquam falsumpro verso supponet ... " Descartes (1908), 372. -
Deutsche Übers. zit. n. Descartes (1972), 13.
81 ,,Atqui Longe satius est, de nullius rei veritate quaerenda unquam cogitare, quam
idfacere absque methodo." lbid. 371. Deutsche Übers. zit. n. Descartes (1972), 13.
Anmerkungen zu Kapitel 2 195
82 Descartes (1908): <Euvres, X, 359-488.
83 Reg. IV, <Euvres, X, 376.
84 Zur geometrischen Genesis des Verfahrens der Analysis vgl. Hintikka/Remes
(1974).
85 Reg. IV, <Euvres, X, 373.
86 Ibid. 378.
87 Der Begriff der Mathesis universalis wird von den Autoren unterschiedlich in-
and be added one to another to make a summe; or substracted one from another, and
leave a remainder. The Latines calles Accounts of mony Rationes, and accounting,
Ratiocinatio; and that which we in bills or books of account call ltems they call No-
mina; that is Namesand thence it seems to proceed, that they extended the word
Ratio, to the faculty of Reckoning in all other things." lbid. 18.
105 lbid. 18.
106 "Per ratiocinationem autem intelligo computationem. Computare vero est plu-
rium rerum simul additarum summam colligere vel una re ab alia detracta, cognoscere
residuum. Ratiocinari igitur idem est quod addere et subtrahere, vel si quis adjungat his
multiplicare et dividere, non abnuam, cum multiplicatio idem sit quod aequalium ad-
ditio, divisio quod aequalium quoties fiere potest substractio. Recidit itaque ratioci-
natio omnis ad duas operationes animi, additionem et subtractionem." Hobbes, De
corpore (1655), I, 1, § 2, 3.
1o1 Bochetiski (1956), 320.
108 Hobbes, De corpore (1655), I, 1, § 2, 5.
109 Einen Überblick über die universal- und kunstsprachlichen Bestrebungen im
196 Anmerkungen
salsprache Bezug nimmt, antwortet Descartes: «je trouve qu'on pourrait ajouter a
ceci une invention, tant pour composer les mots primitifs de cette Iangue que pour
leur characteres; en sorte qu'elle pourrait etre enseignee en fort peu de temps, et ce
par le moyen de l'ordre c'est-a-dire, etablissement un ordre entre toutes les pensees
qui peuvent entrer en l'esprit humain, de meme qu'il y en a un naturellement etabli
entre les nombres.» Descartes (1629), CEeuvres, I, 80.
119 Descartes (1897), CEuvres, I, 80.
120 Lodwick (1647); ders. (1652); Comenius (1651); Urquhart (1652).
121 Notiz von Lodwick, zit. n. Cohen (1954), 54.
122 lbid. 56.
123 ". • • and exact discourses may be made demonstratively without any other
pains than is used in the operations of specious analytics." Ward (1654), 21.
1 24 Dalgamo (1661); Wilkins (1668).
125 Vgl. Couturat (1901), 544; Couturat/Leau (1903), 15ff.; Mittelstraß (1970),
432,Anm.38.
126 Freytag-Löringhoff (1957); ders. (1958); Hammer (1958).
127 Zu Keplers Aufzeichnungen vgl. Freytag-Löringhoff (1957).
128 Beauclair (1958).
129 Jordan (1892).
149 Den Ausdruck 'Charakteristik' verwendet Leibniz erstmals 1669: COF 168.
Weitere Belegstellen: Ak II, I, 229, 339; COF98f.; GP 111, 605; GPVII, 4. Vgl. auch:
Burkhardt (1980), 188f.; Widmaier (1983), 9.
150 GP 111, 605, dtsch. Übers. n. Burkhardt (1980), 189.
151 Die prägnanteste Formulierung findet die kombinatorische Begriffsauffassung
piuntur, et quorum combinatione caeterae ideae nostrae exurgunt. Leibniz, COF 430.
H
153 "Literarum hujus Alphabeti combinatione ... omnia inveniri et dijudicari pos-
154 ,,Ars characteristica est ars ita formandi atque ordinandi characteres, ut referant
cogitationes, seu ut eam inter se habeant relationem, quam cogitationes inter se habent.
Expressio est aggregatum characterum rem quae exprimitur repraesentatium. Lex ex-
pressionem haec est: ut ex quarum rerum ideis componitur rei experimendae idea, ex
illarum rerum characteribus componatur rei expressio. Leibniz, B, 80f.
H
65, 125,200.
112 Bochenski (1956), 322.
173 Für die Leibnizsche Charakteristik hat als erster Trendelenburg den Terminus
Opera Genevae, 1733, I, 218, zit. n. Risse (1964/70), II, 258, Anm.1015.
194 lbid.
1 9 5 Arndt (1971 a), 149; Risse (1970), II, 269.
19 6 Lambert (1782), I, 79f., zit. n. Risse (1964/70), II, 208.
197 lbid.
198 Lambert (1764), II, 16, zit. n. Risse ibid. 272, Anm.1070.
199 Lambert (1782), I, 6; vgl. auch: Risse (1964/70), II, 270f.; Blanche (1970), 227.
200 Dies im Unterschied zu Mittelstraß (1970), 449, der von einer rein intensio-
tatibus obiectivis. Cuiusmodi est, quem trado, calculus logicus signis tantummodo
identitatis et diversitatis utens, foecundus tarnen, ut syllogismos eorumdemque con ca-
tenationes facillima opera inveniat et demonstret, nec ullos admittat errores, nisi per in
advertentiam calculatoris." lbid 46f., zit. n. Risse (1964/70), II, 278.
206 Lambert, in: Ploucquet (1766), 151, zit. n. Risse (1964/70), II, 277.
als ein Objekt von verschiedener Art appliciret werde ... " Ploucquet ibid. 264.
209 Ploucquet (1763), zit. n. Risse (1964/70), II, 277.
idee bien nette; et cependant rien n' est plus faux. On raisonne en effet avec des mots,
tout comme en algebre on calcule avec des lettres; et, de meme qu'on peut executer
avec exactitude un calcul algebrique sans se douter seulement de Ia signification des
symboles sur lesquels on opere, on peut paraeiilement suivre un raisonnementsans
connaitre aucunement Ia signification des termes dans lesquels il est exprime, ou sans
y songer aucunement, so on la connait ... II est sans doute indispensable de bien con-
naitre des idees sur lesqueiles on veut immediatement former quelque jugemant;
mais cela n'est point necessaire pour conclure un jugement de plusieurs autres.» Ger-
gonne (1816/17), 211, note.
213 Blanche (1970), 238.
214 Gergonne (1816/17), 193ff.
215 Paris (1955).
exclusivement dans lequel de nos cinq cas se trouvent les deux termes qui la compo-
sent; uneteile Iangue, si eile existait, serait bienplus precise que les nötres; eile aurait
cinq sortes de propositions; et sa dialectique serait toute differente de celle de nos
langues.» Gergonne (1816/17), 199, note.
21 8 Peacock (1834); vgl. dazu: Dubbey (1977).
differently of the values 0 and 1, and of these values alone. The laws, the axioms, and
the processes of such an Algebra will be identical in their whole extent with the laws,
the axioms, and the processes of an Algebra of Logic. Differences of the interpreta-
tion will alone divide them. Upon this principle the method of the following work is
established." Boole (1854), 37-38.
228 Z. B. Berka/Kreiser (1983), 23.
229 Kneale ( 1962), 413.
230 Zum Folgenden: Boole (1847), 48f.
2 3 1 J0rgensen (1931), I, 116.
232 Jevons' wichtigste logische Literatur: Jevons (1864); ders. (1869); ders. (1874).
233 Ders. (1864), 70.
Anmerkungen zu Kapitel 3
1 Krämer-Friedrich (1988).
2 Vgl. Gardner (1968).
3 Hilbert (1922).
4 Gödel (1931).
Gödel (1931/32), 147. Kreisel hat die Kennzeichnung "formalistisch" für die Hilbert-
schen Schriften in Frage gestellt: Kreisel (1964), 157, zit. n. Thiel (1972), 120. Zur
Kritik an Kreisel: Thiel (1972), 120ff.
Anmerkungen zu Kapitel 3 201
10 Hilbert (1922); Hilbert/Bernays (1934).
11 Zum Hilbertprogramm vgl.: Bernays (1930/31); Neumann (1931); Nagel/
Newman (1964), Kap. II u.-111; Fraenkel/Bar-Hillel/Levy (1973).
12 Herbrand (1931); vgl. Thiel (1984), 104.
13 "Der Grundgedanke meiner Beweistheorie ist folgender: Alles, was im bishe-
rigen Sinne die Mathematik ausmacht, wird streng formalisiert, so daß die eigentliche
Mathematik oder die Mathematik im engeren Sinne zu einem Bestand an Formeln
wird . . . Zu der eigentlichen so formalisierten Mathematik kommt eine gewisser-
maßen neue Mathematik, eine Metamathematik, die zur Sicherung jener notwendig
ist, inder-im Gegensatz zu den rein formalen Schlußweisen der eigentlichen Mathe-
matik- das inhaltliche Schließen zur Anwendung kommt, aber lediglich zum Nach-
weis der Widerspruchsfreiheit der Axiome. In dieser Metamathematik wird mit den
Beweisen der eigentlichen Mathematik operiert, und diese letzteren bilden selbst den
Gegenstand der inhaltlichen Untersuchung." Hilbert (1922), 152f.
1 4 Freudenthai (1961).
15 Hilbert (1899), zit. n. 7., erw. Aufl., Leipzig-Berlin 1930, 2.
16 "In der Geometrie gelingt der Nachweis der Widerspruchslosigkeit der Axiome
dadurch, daß man einen geeigneten Bereich von Zahlen konstruiert, derart, daß den
geometrischen Axiomen analoge Beziehungen zwischen den Zahlen dieses Bereiches
entsprechen, und daß demnach jeder Widerspruch in den Folgerungen aus den geo-
metrischen Axiomen auch in der Arithmetik jenes Zahlenbereiches erkennbar sein
müßte. Auf diese Weise wird also der gewünschte Nachweis für die Widerspruchs-
losigkeit der geometrischen Axiome auf den Satz von der Widerspruchslosigkeit der
arithmetischen Axiome zurückgeführt." Hilbert (1900), zit. n. Gesammelte Abhand-
lungen 1935, 111, 300.
17 Zur "Anschaulichkeit" des Formalismus vgl. Hilbert (1923), 152: "Ein Beweis
ist eine Figur, die uns als solche anschaulich vorliegen muß."
18 Nagel/Newman (1964), 37.
19 Schon 1899 regte Hilbert an, daß für die Auswahl von Axiomen ganz allgemein
(1938).
22 Gödel (1931), 173.
23 Dies haben die Logiker Ch. Perelman (1936) sowie Barzin (1940) zu bestreiten
versucht.
24 Nichtformale Darstellungen des Gödelsehen Beweises finden sich bei: Rosser
(1939); Findlay (1942); Ladriere (1949); Hanson (1961); Dummet (1963); Nagel/
Newman (1964).- Wir folgen hier im wesentlichen Nagel/Newman (1964).
25 Skolem (1950), 701; Thiel (1972), 124f.
26 Vor Gödel hatte bereits Finsler (1926) methodologisch die Antinomie von Ri-
chard (in: Richard 1905) ausgenutzt, um zu zeigen, daß in einem genügend ausdrucks-
202 Anmerkungen
beweisbarkeit behauptet" und ergänzt in einer Anmerkung: "Ein &Plcher Satz hat ent-
gegen dem Anschein nichts Zirkelhaftes an sich, denn er behauptet zunächst nur die
Unbeweisbarkeit einer ganz bestimmten Formel ... und erst nachträglich (gewisser-
maßen zufällig) stellt sich heraus, daß diese Formel gerade die ist, in der er selbst
ausgedrückt wurde." Gödel (1931), 176.
31 Gentzen (1936).
32 Das Leibnizprogramm, wie Scholz (1942) es spezifiziert hat.
33 Bebmann (1922), 166; vgl. auch die Formulierung bei Ackermann (1954), 23.
34 Post (1921); t.ukasiewicz (1921); Wittgenstein (1922); vgl. auch: Harrop (1958);
Cook (1971).
35 Church (1936a); ders. (1936b).
36 Rosser (1936) verallgemeinerte das Theorem von Church wie auch das von
Gödel.
37 Turing (1936/37).
38 Vgl. J aniczak (1953); Rogers (1956); Putnam (1957); Davis (1958); Shoenfield
(1960/61).
39 Vgl. Boone (1957); ders. (1959); Britton (1958).
40 Vgl. Hilbert (1900); Davis (1953); Davis/Putnam (1985); dies. (1959); Hermes
46 Christian (1981).
47 Gödel (1931); Herbrand (1931); ders. (1932); auch: Kleene (1936a).
48 Church (1936a); ders. (1936b); ders. (1941); Kleene (1936b).
4 9 Turing (1936/37).
50 Rosser (1936); Turing (1937).
51 Markov (1951); ders. (1954); ders. (1967).- Der Markovsche Begriff des Algo-
rithmus ist eine Präzisierung der Tatsache, daß sich jeder Algorithmus in der Mathe-
matik als eine Vorschrift zur Veränderung von Zeichenreihen auffassen läßt.
52 Post (1943).- Post zieht die Konsequenz aus einer Einsicht, die Markovs Algo-
rithmen zugrunde liegt: nämlich, daß mathematische und logische Ausdrücke end-
liche Folgen von Zeichen aus einer endlichen Menge von Zeichen sind; d. h., daß
mathematische Beweise, Rechnungen, Umformungen und logische Folgerungen
darin bestehen, Zeichenreihen in neue Zeichenreihen umzuformen. Post entwickelte
eine Klasse formaler Kalküle zur Umformung endlicher Zeichenreihen.
53 Heidler/Hermes/Mahn ( 1977), 187 ff.
Anmerkungen zu Kapitel 3 203
54 In der Literatur werden die Merkmale des intuitiven Algorithmenbegriffes un-
terschiedlich bestimmt. Z. B. nennen: Loeckx (1976): Endlichkeit, Determiniertheit,
Effektivität; Kämmerer (1969): Determiniertheit, Anwendungsbreite, Effektivität;
Hermes (1971): Allgemeinheit, Endlichkeit, Eindeutigkeit.
5 5 Hermes (1971), 3.
56 Hermes (1938).
5 7 Hermes (1971), 4.
58 Heidler/Hermes/Mahn (1977), 8ff.
59 Ibid. 199ff.
6o Hermes (1971), 9.
61 Loeckx (1976), 9.
62 Heidler/Hermes/Mahn (1977), 187 ff.
63 ZurTheorie der Programmierung vgl. Müller (1969); Manno (1974).
64 Zur Automatentheorie vgl. Kobrinski/Trachtenbrot (1967); Arbib (1969).
65 Zur Theorie der formalen Sprachen vgl. Kurki-Suonio (1971); Becker/Wolter
79 ZurTheorie der rekursiven Funktionen vgl. Peter (1957); Asser (1960); Rogers
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REGISTER
Abbildung 8. 65. 67f. 97f. 105f. 137. Deduktion 27. 30f. 49. 71. 93. 141. 179
148. 161. 163f. Denken 20.26f. 73. 79.94f. 102
Algebra 20. 25f. 37f. 42. 47f. 51ff. 56. -, algebraisches 24. 38. 48. 61
58. 61. 67. 92. 122. 124 ff. 128 -, algorithmisch-kalkulatorisches 27. 39
-, Bootesche 78. 124ff. -, schlußfolgerndes 74. 95. 102
Buchstaben- 63. 69. 176. 179 Disjunktion 77. 85. 113
-, logische 90. 115ff. 121ff. 131. 136f. 182
-, rhetorische 26. 38 Endlichkeit, Finitheit 140. 160. 174
-, symbolische 20'" 35. 61. 123 Entscheidbarkeit, Entscheidungsverfah-
Algorithmus 14. 40ff. 51. 55. 61. 70. 98. ren 103. 107. 138. 140ff. 145. 150.
132. 139. 145. 153ff. 157ff. 161ff. 165. 153f. 156ff. 178. 180
169.189.202 episteme 17. 67. 71 f. 180
Allgemeingültigkeit 14. 20. 24f. 38. 63f.
67. 72. 153. 178 Formalisierung, Formalisierbarkeit 1 ff.
Analytische Geometrie 64. 69. 90. 93. 25f.27f.38. 74. 77f.82.84f. 129.136.
141. 179 138. 143. 155f. 178
ars inveniendi 89. 103. 115ff. 136ff. 179 Formel 20. 25. 27. 29. 32. 60f. 71ff. 103.
ars iudicandi, ars demonstrandi 89. 103. 116. 125. 129f. 143ff. 146. 150ff. 156.
106. 136ff. 138 178f.
Aussagekalkül, Aussagelogik 76. 85f. Funktion 11. 77. 89. 99. 102. 105. 127.
103. 124ff. 134. 137. 153. 201 133f. 140. 163. 165
Axiom 27. 106. 109ff. 134. 141f. 144. -, berechenbare 158. 163f. 168ff. 174f.
149 -, rekursive 139. 158. 164ff. 168
Axiomensystem 103. 106. 134. 139ff.
143. 145ff. 151.154.201 Gleichung 25. 32. 37f. 52. 61f. 63ff.
67f. 125. 127. 181
Bedeutung, intrasymbolische/extrasym- -, diophantische 38. 154
bolische 60. 70. 98. 109. 114. 182f. -, kubische 22
Begriffsschrift 96. 108. 131 ff. 137. 176ff. -, lineare 21 f. 41. 52. 178
198 -, quadratische 19. 21 f. 52
Berechenbarkeit 65. 72. 91f. 95. 131. Gleichungssystem 22. 38. 40ff. 169
138. 150. 157. 164. 166. 169. 174. 178 Grundlagendiskussion, mathematisch-
Beweis 26f. 30f. 33. 35. 40. 49. 67. 73. logische 139. 180
87. 93. 96. 101. 107. 118. 144ff. 150f. Gültigkeit 24. 75. 85ff. 117. 123. 131.
154. 156. 178. 181 140. 145
Beweisbarkeit 14. 72. 131. 144
Hilbertprogramm 139f. 143ff. 153. 155.
characteristica universalis 104. 107f. 114. 178. 180f.
117. 136. 138. 179 Homogenitätsgesetz/-prinzip 24. 34. 36.
Computer 3f. 162. 166. 180 53. 62. 65
226 Register
Implikation 74. 77. 109. 128. 133. 146 Metamathematik 143f. 150
Infinitesimalrechnung/-kalkül 54. 59. Modell 68. 107. 142. 169. 174. 182
68ff. 137. 179
Inkommensurabilität 33 f. 48 Negation 77. 85. 100. 110. 115 .
Null 10. 18. 45 ff. 55. 58. 166. 182
Kalkül 95f. 61. 65. 69f. 73. 75. 86. 90.
96f. 100. 103. 108ff. 117. 119. 123. 134. Problemlösungsverfahren 11. 14. 16. 26.
140. 144. 145. 149. 153f. 176 35."40. 43. 52. 61. 67f. 72. 87. 91. 100.
Kalkülisierung 54. 59f. 65. 67f. 71. 75. 136. 139. 178 tl
78. 86. 90. 95. 98. 137f. Programm 156f. 162ff. 174. 180
Klasse 111. 113. 116. 124. 127. 129f. 160
Know-how 14. 27. 39. 48. 58. 71. 178 ()uantoren 86. 121. 132. 136
Kombir~atorik 88. 105. 139
Konjunktion 77. 85. 113 Rechenbrett, Abakus· 8. 10. 16. 28. 41.
Konsistenz 109. 112. 137 43f. 54ff. 177. 186
Konstante, logische 73. 86. 96. 108 Rechensteine 5. 8f. 16. 28. 31. 75. 179.
181
Leibnizprogramm 86. 100ff. 115. 153. Rechensteinarithmetik 29 f. 39. 73. 179.
178ff. 180ff. 196 181
Lösbarkeit/Unlösbarkeit 67. 138. 157 Rechentechnik 12. 15f. 19. 89
Logik Rechnen 8. 11. 18. 28. 54. 57f. 63. 67.
-, aristotelische 73. 75f. 77. 108 75. 10~ 114. 118. 132. 136. 145. 149.
-,formale 73. 75. 78. 87. 135. 145 15.3
Klassenlogik 109. 112. 124. 130 -, algorithmisches 58
-, mathematische 79. 81. 90. 108f. 121. - mit Buchstaben 61. 97
130 -, schriftliches 12. 28. 54ff. 177
-, scholastische 79. 86. 108 Regel 5. 8. 10f. 12. 14. 16. 19. 25. 33.
-, stoische 76f. 86 40ff. 44. 54. 69. 72. 74. 77. 85ff. 102ff.
-, symbolische .78. 86. 108 118. 122. 145f. 181. 192
-, traditionelle 102. 118 Ableitungsregel 77. 134. 144
logistica speciosa, analytica speciosa 20. Formations-!fransformationsregel
61.63. 70.90.97. 114.136 60. 101f.114. 122.145.161.179.187
Rechenregel 47. 57f. 69. 102. 183
Maschine 2ff. 87. 89. 138f. 155f. 161ff. Relation 110. 119. 123. 142. 151
166. 174. 178. 180 Repräsentation 1. 37. 87. 98. 119
-, automatische 158. 169 -, symbolische 137. 176
Denkmaschine 129. 138f. Richtigkeit 29 ff. 68. 75. 101 f. 111. 116.
-, logische 129. 157 136. 153. 179
-, mathematische 139. 155ff.
Rechenmaschin~ 3.14. 54. 91. 98ff.157 scientia generalis 102ff. 106. 117. 197
-, symbolische 1ff. 171. 180. 183 Sprache
Turingmaschine 139. 158. 164. 169ff. -, formale 2ff. 11. 18. 24. 42. 57f. 68.
174f. 178. 180 75. 81. 136. 138. 157f. 164. 177f. 179.
-, universale 139. 155 ff. 181 f. 182
mathesis universalis 91 ff. 115. 122. 195 Kalkülsprache 68. 98. 101. 104. 107 f.
Mechanisierbarkeit/Mechanisierung 3. 114f.
44. 54. 89. 98. 119. 129. 138ff. -, künstliche 72. 93. 95f.
Register 227
-, normale, natürliche, Umgangssprache Variablen 73f. 76f. 81. 86. 96. 108f. 122.
6. 75. 81. 87. 96. 108. 119f. 133. 135 f. 132. 135 ff. 168. 182
177 Aussagenvariable 76f. 182
Symbolsprache 68. 91. 96. 117. 121 Termvariable 76f. 110
-, universale 65. 101. 104. 108. 196 Verfahren 2. 26. 112. 140. 144. 154. 157.
Stellenwertprinzip 10. 14. 17. 43. 176f. 159. 161. 163. 179
Stellenwertsystem Vernunft 94. 103. 181
dezimal 13. 18f. 43. 45ff. 51f. 55ff. Vollständigkeit/Unvollständigkeit 134.
58.· 61. 63. 136 140ff. 145f. 149. 152. 157f. 180
sexagesimal 17 ff.
Syllogismus, Syllogistik 74f. 77. 86. 88. Wahrheit 68. 75. 78. 101f. 106f. 115.
101 f. 106f. 110. 116f. 120. 126ff. 192 126. 143. 145. 180
Symbole 1. 4. 20. 26. 38f. 41. 49f. 61 ff. Wahrheitswert 77. 85f. 128. 153
69. 72. 74f. 86.93. 104.160.174.178. Widerspruchsfreiheit 142. 144 ff. 152f.
181 180. 201
-, operative 72. Q2. 176ff. Wissen 25ff. 32f. 42
Symbolismus 38. 49. 50. 64. 118f. 134 Begründungswissen 27~ 31. 67. 71.
System 32. 76. 132. 134 178f.
-, formales 114. 123. 135f. 150. 156 Rezeptewissen 14f. 25ff. 31. 39. 49.
-, formalisiertes 146f. 154f. 180. 182 71f. 178
-, formalistisches 75. 123. 146 Wissenschaft 3. 26. 31. 34. 36. 39. 67. 74.
-, logisches 76. 109. 128 89. 91. 101. 103. 107. 141.. 179