Sie sind auf Seite 1von 233

SYBILLE KRÄMER

SYMBOLISCHE MASCHINEN
Die Idee der Formalisierung
in geschichtlichem Abriß

WISSENSCHAFTLICHE BUCHGESELLSCHAFT
DARMSTADT
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Krämer, Sybille:
Symbolische Maschinen: d. Idee d. Formalisierung in
geschieht!. Abriß I Sybille Krämer. - Darmstadt:
Wiss. Buchges., 1988
ISBN 3-534-03207-1

\9 Bestellnummer 03207-1

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt.


Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen,
Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in
und Verarbeitung durch elektronische Systeme.

© 1988 by Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt


Satz: Setzerei Gutowski, Weiterstadt
Druck und Einband: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt
Printed in Germany
Schrift: Linotype Times, 9.5110.5

ISBN 3-534-03207-1
INHALT

Worin besteht die Idee der Formalisierung? 1

1. Entwicklungsgeschichte arithmetischer und algebraischer Kal-


küle . 5
1.1 Die Herausbildung der Z~hlreihe . 5
1.1.1 Zahlen als Eigenschaften abzählbarer Dinge . 6
1.1.2 Die Repräsentation von Zahlen durch gegenständliche
Hilfsmengen 7
1.1.3 Der Übergang von der gegenständlichen zur symbo-
lischen Repräsentation von Anzahlen im antiken
Mesopotamien . 8
1.1.4 Die Zählreihe als fortlaufende Folge schriftlicher
Zahlzeichen 9
1.2 Arithmetik und Algebra im antiken Ägypten und Mesopo-
tamien 12
1.2.1 Altägyptische Rechentechnik 12
1.2.1.1 Die Quellenlage 12
1.2.1.2 Die hieroglyphischen Zahlzeichen 13
1.2.1.3 Die Rechenverfahren 13
1.2.2 Mesopotamische Rechentechnik 16
1.2.2.1 Das Sexagesimalsystem . 17
1.2.2.2 Babylonische Rechenverfahren 19
1.2.3 Ägyptische und babylonische Algebra 20
'
1.2.3.1 Ägyptische Gleichungslehre 20
1.2.3.2 Babylonische Gleichungslehre . 22
1.2.4 Die Algebra: ein Rezeptewissen für den Umgang mit
Zahlenverhältnissen . . 25
1.3 Die Entwicklung schematischer Zahlenoperationen im anti-
ken Griechenland . 26
1. 3.1 Die pythagoreische Rechensteinarithmetik 27
1.3.1.1 Die figurierten Zahlen 28
1.3.1.2 Die Lehre vom Geraden und Ungeraden 30
1.3.2 Die Stagnation der algebraischen Technik infolge der
Geometrisierung der Algebra . . 32
1.3.2.1 Was heißt "geometrische Algebra"? . 32
1.3.2.2 Die Entdeckung der Inkommensurabilität 33
1.3.2.3 Die Restriktionen der griechischen Algebra . 34
1.3.3 Diophant vonAlexandrien . 36
VI Inhalt

104 Algorithmisches Denken in China, Indien und bei den


Arabern 39
1.401 Numerische Algorithmen in China 40
1040101 Die "fang-cheng"-Regel 0 40
1040102 Rechenbrett und Stäbchenziffern 43
1040103 Negative Zahlen 44
10402 Indische Arithmetik und Algebra . 45
104.201 Das dezimale Stellenwertsystem 45
10402.2 Die Fortbildung der algebraischen Symbolik 48
1.403 Arabische Arithmetik und Algebra am Beispiel al-
Hwarizmis 50
105 Algorithmus und Kalkül in der neuzeitlichen Mathema-
tik 54
1.501 Die Durchsetzung des orientalischen Ziffernrechnens
inEuropa 54
10502 Die Ausbildung eines neuen Zahlbegriffes 58
10503 Die Kalkülisierung der Analy~is 59
1050301 Was heißt "Ka~külisierung"? 59
1050302 Die Entwicklung der Algebra zum Buchsta-
benrechnen 0 61
1.50303 Die analytische Geometrie Descartes' 64
1050304 Leibnizens Infinitesimalkalkül 0 68
106 Zwischenergebnis 1: Über die Entstehung der mathemati-
sehen Formel 71

20 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle 0 73


201 Zur Vorgeschichte des logischen Kalküls 0 73
20101 Formale und formalistische Elemente im logischen
Denken der Griechen 73
2010101 Aristoteles 73
2010102 Stoische Logik . 76
201.2 Scholastische Logik 79
2010201 Eine späte Rehabilitierung 79
2010202 Die "sekundären Intentionen" 79
2010203 Die Suppositionslehre 81
2010204 Die Konsequenzenlehre 0 84
20103 Weshalb können die stoische und scholastische Logik
als Vorstufen des logischen Kalküls gelten? 0 86
202 Von der Kombinatorik zur Idee des logischen Kalküls 87
20201 Die "Ars Magna" des Raimundus Lullus 88
20202 Quellen des Kalkülgedankens im 17. Jahrhundert 0 90
2020201 Berechenbarkeit als "Zeitgeist" 90
2020202 "Mathesis universalis": Rene Descartes 0 91
2020203 Denken als Rechnen: Thomas Hobbes 94
Inhalt VII

2.2.2.4 Kunstsprachliche Ansätze 95


2.2.2.5 Rechenmaschinen .· 98
2.2.3 Das Leibnizprogramm 100
2.2.3.1 Formales Denken . 100
2.2.3.2 "Scientia generalis": die Idee einer Uni ver-
salwissenschaft . 102
2.2.3.3 "Characteristica universalis": die Idee einer
universalen Kalkülsprache 104
2.2.3.4 "Calculus ratiocinator": die Idee des logi-
sehen Kalküls 108
2.2.4 Der Gedanke des logischen Kalküls in der Nachfolge
von Leibniz . 114
2.2.4.1 Gibt es eine "Nachfolge" von Leibniz? 114
2.2.4.2 Johann Heinrich Lambert 115
'2.2.4.3 Gottfried Ploucquet 117
2.2.4.4 Joseph Gergonne 118
2.3 Die Ausarbeitung logischer Kalküle in der "Algebra der
Logik" 121
2.3.1 Die Formalisierung der Algebra als Voraussetzung 121
2.3.2 George Boole 124
2.3.2.1 Die Klassenlogik 124
2.3.2.2 Die Aussagenlogik 126
2.3.3 W. Stanley J evons . 128
2.3.4 Ernst Sehröder 129
2.4 Der Kalkül in der Logistik: Gottlob Freges Begriffsschrift 131
2.4.1 Von der "Algebra der Logik" zur Logistik 131
2.4.2 Die Begriffsschrift 132
2.5 Zwischenergebnis II: Über die Entstehung formaler Systeme
in der Logik . 135

3. Grenzen und Präzisierungen kalkulatorisch-algorithmischer Ver-


fahren in der mathematisch-logischen Grundlagendiskussion des
20. Jahrhunderts . 138
3.1 Formalisierbarkeit als Mechanisierbarkeit: die Idee der uni-
versalen Denkmaschine und ihre Destruktion . 138
3.2 Unvollständigkeit und Unentscheidbarkeit formaler Sy-
steme: die Überlegungen von Gödel und Church 140
3.2.1 Das Hilbertprogramm 140
3.2.1.1 FormalisierteAxiomensysteme als Kalküle . 141
3.2.1.2 Beschreibung des Kalküls als Gegenstand
der Metamathematik . . 143
3.2.2 Die >Principia Mathematica< als Versuch vollständi-
ger Formalisierung der Arithmetik 145
3.2.3 Gödeis Beweis der Unvollständigkeit der Arithmetik 146
VIII Inhalt

3.2.3.1 Kerngedanken Gödeis 146


3.2.3.2 Die Richardsche Antinomie 147
3.2.3.3 Gödelisierung: die Arithmetisierung des Kal-
küls 149
3.2.3.4 Die Arithmetisierung der Metamathematik 150
3.2.3.5 Einzelschritte des Gödelsehen Beweises . 151
3.2.4 Churchs Nachweis der Unentscheidbarkeit des Prädi-
katenkalküls 153
3.2.5 Unvollständigkeit und Unentscheidbarkeit formali-
sierter Axiomensysteme als Begrenzungen von Re-
chenmaschinen? . 155
3.3 Präzisierungen des Algorithmenbegriffes: rekursive Funk-
tionen und Turingmaschine . 157
3.3.1 Intuitiver Algorithmenbegriff . 159
3.3.1.1 Was ist ein Algorithmus? 159
3.3.1.2 Maschinen als realisierte Algorithmen 161
3.3.1.3 Algorithmen als abstrahierte Programme 163
3.3.2 Rekursive Funktionen 165
3.3.2.1 Was bedeutet "rekursiv"? 165
3.3.2.2 Zur Entwicklung der Theorie der rekursiven
Funktionen . 166
3.3.3 Turingmaschinen . 169
3.3.3.1 Analyse eines Rechenprozesses nach Vor-
schrift 169
3.3.3.2 Bestandteile und Arbeitsweise der Turing-
maschine 172
3.3.3.3 Formale Definition der Turingmaschine . 173
3.3.3.4 Die Turingmaschine als Algorithmus . 174

4. Über die Entstehung des formalen Gebrauches von Symbolen -


Betrachtungen zum Abschluß . 176

Anmerkungen . 185

Literatur 205

Register . 225
WORIN BESTEHT DIE IDEE DER FORMALISIERUNG?

Stellen wir uns vor: Wir fragen unsere Tochter, die gerade ein halbes Jahr
zur Schule geht, wieviel fünf und drei ist. Die Tochter nimmt fünf Buntstifte,
legt sie der Reihe nach hin, fügt drei Glasmurmeln dazu, zählt die ausge-
legten Gegenstände ab und sagt: "Acht." Wir können diesen Vorgang auf un-
terschiedliche Weisen beschreiben. Zum Beispiel eine Geschichte erzählen,
wie unsere Tochter ihre erste Rechenaufgabe richtig gelöst hat. Oder wir
nehmen ein Blatt Papier und schreiben darauf den arithmetischen Ausdruck
5 + 3 = 8. Dieser Ausdruck ist eine formale Beschreibung dessen, was die
Tochter soeben getan hat.
Wir verstehen die Idee der Formalisierung, wenn wir erklären können,
warum wir mit formalen Beschreibungen keine Geschichten erzählen
können.
Die Möglichkeit, einen Vorgang formal zu beschreiben, d. h. ihn in den
Termini einer formalen Sprache ausdrücken zu können, ist an drei Bedin-
gungen gebunden: die Bedingung des schriftlichen Symbolgebrauches, die
Bedingung des schematischen Symbolgebrauches und die Bedingung des
interpretationsfreien Symbolgebrauches.
(1) Schriftlichkeit
Die erste Voraussetzung, das Lösen einer Rechenaufgabe formal darzu-
stellen, ist, Papier und Bleistift zur Hand zu nehmen. Es können auch Bild-
schirm und Tastatur eines Computers sein- jedenfalls bedarf es eines Me-
diums, welches erlaubt, eindeutig unterscheidbare, graphische Zeichen in
einer bestimmten Ordnung zu fixieren. Die Zeichen, mit denen wir be-
stimmte Zeichenkonfigurationen herstellen können, seien typographische
Symbole genannt. (In dieser Studie wird kein Unterschied zwischen einem
Zeichen bzw. einem Symbol gemacht: beide Begriffe werden äquivalent
gebraucht.)
Auch das Zahlwort 'Fünf' ist ein Zeichen. Doch von dem typographischen
Symbol '5' unterscheidet es sich dadurch, daß die Existenz des Zahlwortes
nicht an die Schriftlichkeit gebunden ist. Zahlwörter gibt es auch in schrift-
losen Kulturen. Die Ziffer '5' existiert jedoch nur als schriftliches Zeichen:
das, was wir aussprechen, wenn wir eine Ziffer lesen, ist nicht die Ziffer
selbst, sondern das ihr zugeordnete Zahlwort. In der mündlichen Wieder-
gabe wird der typographische Ausdruck 5 + 3 = 8, ein räumliches Nebenein-
ander graphischer Zeichen, in das zeitliche Nacheinander von Worten über-
setzt. Die typographischen Symbole sind - strenggenommen - unaus-
sprechbar.
Formale Beschreibungen bedürfen der typographischen Medien. In einer
2 Worin besteht die Idee der Formalisierung?

formalen Sprache können wir zwar Figuren herstellen, jedoch keinen Dis-
kurs führen, also uns verständigen.
(2) Schematisierbarkeit
Hätte die Tochter statt der fünf Buntstifte und drei Glasmurmeln fünf
Bücher und drei Teetassen abgezählt, so bliebe 5 + 3 = 8 immer noch eine
richtige formale Beschreibung dieses Additionsvorganges. Denn solche Be-
schreibungen haben den Charakter eines Schemas. Eine Handlung in der
Perspektive des Schemas, welches sie realisiert, zu beschreiben heißt: diese
Handlung konstituiert keinen Eigen-Sinn; sie gilt nicht als ein Ereignis, das
den Charakter einer Geschichte hat, sondern entlehnt ihre Bedeutung der
Einhaltung eines Schemas. Sie wird dadurch zu einem Verfahren.
Verfahren sind -im Prinzip - unbegrenzt oft reproduzierbar. Unter dem
Gesichtspunkt, ein Verfahren zu sein, können Handlungen formal be-
schrieben werden. Formale Beschreibungen setzen die unbegrenzte Wieder-
holbarkeit der zu beschreibenden Handlungsabläufe voraus.
(3) Interpretationsfreiheit
Wenn auf unserem Blatt Papier der Ausdruck 5 + drei = 8 gestanden
hätte, so wäre dies keine korrekte formale Beschreibung des entspre-
chenden Additionsvorganges gewesen. Denn 'drei' ist kein Terminus der for-
malen Sprache der Arithmetik, sondern gehört zur Sprache der Metaarith-
metik; zu der Sprache also, in der wir über die Arithmetik reden können,
wenn wir z. B. sagen: "Drei ist eine Primzahl." Formale Beschreibungen
setzen die Unterscheidung zwischen einer formalen Sprache und einer Meta-
sprache voraus, in welcher wir über die Operationen der formalen Sprache
reden können.
Die Pointe dieser Unterscheidung ist, daß wir bei Operationen innerhalb
der formalen Sprache keinen Bezug zu nehmen brauchen auf das, was ihre
Zeichen bedeuten. Über die Richtigkeit oder Falschheit eines Ausdrucks
innerhalb einer formalen Sprache läßt sich entscheiden ohne Bezugnahme
auf die Interpretation dieses Ausdruckes.
Im Anschluß an diese Überlegungen kann die erste systematische These
formuliert werden, von welcher die historische Rekonstruktion dieser
Studie ausgeht:
Ein Vorgang ist formal beschreib bar, sofern es möglich ist, diesen mit Hilfe
künstlicher Symbole so darzustellen, daß die Bedingungen des typographi-
schen, schematischen und interpretationsfreien Symbolgebrauches erfüllt
sind.
Ein Vorgang, welcher diesen Bedingungen genügt, kann auch als Opera-
tion einer symbolischen Maschine ausgeführt werden. Was ist unter einer
"symbolischen Maschine" zu verstehen? "Symbolisch" meint hier zweierlei.
Einmal: diese Maschine gibt es nicht wirklich, sondern nur symbolisch. Sie
ist kein Apparat bestimmter physikalischer, z. B. mechanischer oder elektro-
nischer Wirkungsweise, der eine bestimmte Stelle in Raum und Zeit ein-
nimmt, sondern diese Maschine existiert nur auf dem Papier. Zum anderen:
Worin besteht die Idee der Formalisierung? 3

diese Maschine macht nichts anderes, als Symbolreihen zu transformieren.


Ihre Zustände sind vollständig beschreibbar durch eine Folge von Symbol-
konfigurationen, vermittels deren eine gewisse Anfangskonfiguration in
eine gesuchte Endkonfiguration von Symbolen überführt wird.
Ein elementares Beispiel für ein Verfahren, welches als Operation einer
symbolischen Maschine aufgefaßt werden kann, ist die Durchführung der
schriftlichen Multiplikation im dezimalen Stellenwertsystem. Sind be-
stimmte Anfangswerte in Gestalt der beiden zu multiplizierenden Ziffern ge-
geben, so ist nicht nur das Ergebnis, sondern auch die Abfolge der einzelnen
Rechenschritte eindeutig festgelegt. Jedem Rechenschritt entspricht eine
spezifische Konfiguration von Zeichen, so daß der niedergeschriebenen
Abfolge der Rechenschritte die Abfolge der Zustände der "Multiplikations-
maschine" entsprechen.
Jedes Verfahren, das als Operation einer symbolischen Maschine dar-
stellbar ist, kann - im Prinzip - von einer wirklichen Maschine ausgeführt
werden. Das geschieht z. B., wenn bei der mechanischen Rechenmaschine
die Symbolkonfigurationen durch eine entsprechende Konfiguration von
Zahnradstellungen repräsentiert werden. Computer sind Maschinen, die
jede beliebige symbolische Maschine imitieren können.
Wir sind nun in der Lage, die zweite systematische These, die dieser
Studie zugrunde liegt, aufzustellen:
Jeder Vorgang, der formal beschreibbar ist, kann als Operation einersym-
bolischen Maschine dargestellt und - im Prinzip - von einer wirklichen
Maschine ausgeführt werden.
Formalisierung - im Sinne der Beschreibung in den Termini einer for-
malen Sprache - und Mechanisierung - im Sinne der Ausführung durch
maschinelle Apparate- erweisen sich als Begriffe gleicher Extension: Jede
formalisierbare Prozedur ist auch mechanisierbar.
Aus dieser Perspektive erweist sich die Geschichte der Formalisierung
zugleich als .eine Vorgeschichte der Computerisierung bzw. als eine Ge-
schichte der Softwaretechnik.

Diese Arbeit bemüht sich, die Idee der Formalisierung im Sinne der
schrittweisen Herausbildung jener Bedingungen (1)-(3), die erfüllt sein
müssen, damit ein Vorgang formalisierbar ist, zu rekonstruieren. Die Idee
der Formalisierung ist ein Resultat der neuzeitlichen Wissenschaft, welche
der Philosoph, Mathematiker und Logiker Gottfried Wilhelm Leibniz
(1646-1716) in aller Deutlichkeit gefaßt hat. Doch die Voraussetzungen
dieser Idee, die überhaupt erst den Boden bereiteten, aus dem sie er-
wachsen konnte, reichen weit zurück bis in die Anfänge eines rechnerischen
Umganges mit symbolischen Zahlenrepräsentanten. Diese Anfänge liegen
nicht in der abendländischen Kultur. Die Konstitution der Mathematik zu
einem beweisenden Lehrstück und damit zu einer Wissenschaft, die wir den
Griechen verdanken, ging vielmehr einher mit einer Rückbildung und Sta-
4 Worin besteht die Idee der Formalisierung?

gnation eben jener Umgehensweisen mit arithmetischen und algebraischen


Symbolen, welche die Technik formalen Symbolgebrauches vorbereiteten.
Ohne die Übernahme des indischen arithmetischen Kalküls, welches die
Araber nach Europa vermittelten, wäre der Aufschwung der neuzeitlichen
Mathematik, dessen Kern die Einführung kalkülisierenderVerfahren in die
Höhere Analysis ist, undenkbar. So versucht die vorliegende Studie insbe-
sondere den Anteil der außereuropäischen Kulturen an der Geschichte der
Formalisierung deutlich werden zu lassen. ,
Es kann nicht darum gehen, eine neue Geschichte der Mathematik bzw.
der Logik zu schreiben. Keine neuen Quellen werden in dieser Schrift ausge-
wertet. Vielmehr geht es darum, die Fülle des Materials, welche die Mathe-
matik-, Logik- und Philosophiegeschichte ausbreitet, in einer neuen Per-
spektive zu sichten und auszuwerten, nämlich in der Perspektive der Idee
der Formalisierung, verstanden als die Idee, mit Symbolen mechanisch ope-
rieren zu können. Damit legen wir uns zugleich Rechenschaft ab über die ge-
schichtlichen Wurzeln und Voraussetzungen dessen, was heute gerne als
vierte Kulturtechnik gekennzeichnet wird: den Gebrauch von Computern.
Bevor der Computer als wirkliche Maschine erfunden wurde, entwickelten
wir den "Computer in uns". Diese langwierige und mühevolle Geschichte
des mechanischen Symbolgebrauches, eine Geschichte, in der wir gelernt
haben, uns beim Operieren mit Zeichen so zu verhalten, als ob wir eine Ma-
schine seien, soll hier nachgezeichnet werden. Denn Computer sind nichts
anderes als Maschinen, mit deren Hilfe wir mittels der Formation und Trans-
formation von Zeichenreihen symbolische Welten aufbauen. Solche Welten
aber sind formal beschreib bar. Formal beschreibbare Welten verfügen über
keine Geschichte, sowenig wie der Ausdruck 5 + 3 = 8 die Geschichte vom
ersten richtigen Lösen einer Rechenaufgabe unseres Kindes darzustellen
vermag. Doch das Können, welches wir erwerben mußten, um formal be-
schreibbare symbolische Welten bzw. die sie erzeugenden Maschinen zu kon-
struieren, verfügt über eine spannungsvolle Historie. Zu ihrer Darstellung
wollen wir jetzt übergehen.
1. ENTWICKLUNGSGESCHICHTE ARITHMETISCHER
UND ALGEBRAISCHER KALKÜLE

1.1 Die Herausbildung der Zählreihe

Wohin reichen die Wurzeln der Idee, mit Zahlen schematisch zu ope-
rieren? Sicher ist, die Zahlen müssen sich abgelöst haben von den Dingen,
die gezählt werden. Und solche Ablösung vollzieht sich da am beharrlich-
sten, wo die Zahlen über ein eigenes Medium ihrer symbolischen Repräsen-
tation und Fortbildung verfügen: in Rechensteinen z. B. oder in Ziffern.
Der Weg, der zu solch symbolischer Zahlenrepräsentation führt, ist die
Herausbildung der Zählreihe, eine Zählreihe, die nicht meht= die abzuzäh-
lenden Dinge aneinanderreiht und durch die Länge dieser Reihe zeigt, "wie
viele es sind", sondern eine Zählreihe, in der gesprochene Zahlwörter die
Zahlen benennen und ihre Aufeinanderfolge als das grundlegende Gesetz
der Zahlbildung kundtun. Da aber, wo sich dieses Gesetz der Zahlbildung
als eine Regel erweist, die Zeichen, die die Zahlen darstellen, nach einheitli-
cher Vorschrift zu bilden, wo also die Zahlbildung nicht mehr das Abzählen
einer vorgegebenen Menge bleibt, sondern zu einer Handlung wird, schrift-
liche Zahlzeichen nach Vorschrift sukzessive zu konstruieren -da ist defini-
tiv der erste Schritt getan zur symbolischen Selbständigkeit der Zahl.
Nicht die ersten arithmetischen und algebraischen Operationen, die uns
durch überlieferte Quellen der ägyptischen und babylonischen Hochkul-
turen bezeugt sind, markieren die Schwelle zu dem Ideengebäude des for-
malen Operierens mit Zeichen, dessen historisch gewachsene Architektur
wir zu beschreiben versuchen. Die Fundamente dieses Gebäudes reichen
viel weiter zurück - hinaus noch über die Entstehung von Ackerbau und
Viehzucht ca. 5000 v. Chr. bis hin zur steinzeitliehen Jägerexistenz, wo uns
aus der Zeit um 30000 v. Chr. Knochen mit regelmäßigen Gravuren überlie-
fert sind, die vielleicht zurückschließen lassen auf die Fähigkeit, Zahlen so
zu erzeugen, daß das Abzählen gegenständlicher Hilfsmengen durch das
Bilden und Abzählen von Zahlzeichen ersetzt wird.
Die Entstehung einer symbolisch erzeugten Zählreihe weist zurück in
einen Zeitraum, dessen Dunkel durch die Überlieferung schriftlicher Zeug-
nisse nicht erhellt ist. Jede systematische ~ekonstruktion -und um eine
solche wollen wir uns hier bemühen - ist entweder angewiesen auf die Aus-
wertung des Verhaltens heute erforschbarer Naturvölker 1 oder kann versu-
chen, Schlüsse zu ziehen aus sprachgeschichtlichen Untersuchungen. 2
Drei Phasen lassen sich bei der Herausbildung der Zählreihe voneinander
unterscheiden:
6 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle

(1) Zahlen gelten als Eigenschaften abzählbarer Dinge.


(2) Zahlen werden repräsentiert durch gegenständliche Hilfsmengen.
(3) Zahlen werden erzeugt durch eine sukzessive Aneinanderreihung von
Zahlzeichen.

1.1.1 Zahlen als Eigenschaften abzählbarer Dinge

Die Sprache selbst gibt uns Hinweise auf ein Stadium, in dem die Zahlen
mit den gezählten Dingen untrennbar. verschmolzen. 10 Kokosnüsse heißen
bei den Fidschi-Insulanern 'koro'; 1000 Kokosnüsse jedoch 'saloro'. 3 Zahl-
wort und Dingwort fallen zusammen. Gerade so, wie sich in manchen Spra-
chen die Wortform der Zweizahl (Dual), der Dreizahl (Trial) oder - in
einigen ozeanischen Sprachen- der Vierzahl (Quartal) gebildet hat. 4 Das
Arabische bis ca. 700 machte sehr ausgiebigen Gebrauch von dem Dual. So
heißt arabisch: 'radjulum'- 'Mann', 'radjulani'- 'zwei Männer', 'radjalun'-
'Männer'. Das Griechische kennt noch eine alte, allerdings selten ge-
brauchte, Zweizahlform: 'ho philos' - 'der Freund', 'to philö' -'die beiden
Freunde', 'hoi philoi~- 'die Freunde'. 5
Wilhelm von Humboldt erwähnt in seiner Studie über ,den Dualis die
Sprache der Abiponen, eines paraguayischen Volksstammes, die zwei
Formen der Pluralbildung gebrauchten; eine engere Form, die sich auf zwei
oder eine geringe Anzahl von Gegenständen bezieht, und eine weitere
Form, die sich auf viele Gegenstände bezieht 6 :
Singular: ahöpegak ('Pferd')
Engerer Plural: ahöpega
Weiterer Plural: ahöpegeripi.
Was sagt uns solche Zusammenziehung des Dingwortes mit der Anzahl, in
der die benannten Dinge auftreten? Offensichtlich doch, daß hier die An-
zahl als Attribut der gezählten Dinge selber gilt. So wundert es nicht, auf
sprachliche Ausdrücke zu treffen, in denen die Anzahl in der sprachlichen
Form eines Eigenschaftswortes auftritt. Die ersten vier Zahlwörter in der in-
dogermanischen Ursprache 7 und von ihr her z. B. im Altindischen, Kelti-
schen, Griechischen und Altnordischen sind nicht nur dreigeschlechtlich,
sondern auch beugbar. 8
'Eins' hat auch bei uns noch seine Fähigkeit, dem Geschlecht und Kasus des
Hauptwortes zu folgen, bewahrt: ein-en Baum, ein-es Mannes, ein-er Frau.
Solche Sprachbeispiele zeigen: Anzahlen werden als Eigenschaften von
Gegenständen angesehen, nicht anders denn "echte" Eigenschaften.
Zahlen gelten nicht als eigenständige Gegenstände, sondern als Eigen-
schaften der gezählten Dinge. Die Entwicklung unserer natürlichen Sprache
ist über ein solches Stadium hinausgegangen. Wenn wir von einem Stilleben
sagen, es sei ein Bild von drei roten, glänzenden Äpfeln, so gebrauchen wir
das Wort 'drei' anders als die Wörter 'rot' und 'glänzend'; zumindest zeigt der
Die Herausbildung der Zählreihe 7

Verzicht auf die Deklination an, daß wir das Zahlwort nicht in der gramma-
tischen Funktion eines Eigenschaftswortes benutzen, welches der grammati-
schen Form des Dingwortes sich zu beugen hätte.

1.1.2 Die Repräsentation von Zahlen


durch gegenständliche Hilfsmengen

Wie löst sich die Zahl vom gezählten Ding? Ein wichtiger Schritt auf dem
Wege dieser Ablösung ist die Benutzung gegenständlicher Hilfsmengen zum
Zählen, z. B. Steine, Muscheln oder Stäbchen. Die Wedda, ein auf Sri Lanka
lebendes Naturvolk, zählen ihre Nüsse auf die folgende Weise 9 : Jeder Nuß
wird ein Stäbchen zugeordnet. Über Zahlworte verfügen die Wedda nicht.
Fragt man, wieviel Nüsse sie haben, so weisen sie auf die durch Zuordnung
gefundene M~nge von Stäbchen und sagen "soviel". Der römische Ge-
schichtsschreiber Livius berichtet über eine Hilfsmenge von Nägeln, mit
welcher die Jahre gezählt werden: "Es gibt ein sehr altes Gesetz, in urtümli-
chen Buchstaben und Worten geschrieben, nach dem immer der oberste
Prätor an den Iden des Septembers (dem Jahresanfang der Etrusker) einen
Nagel einschlagen soll an der rechten Seite des Jupitertempels ... Man er-
zählt, dieser Nagel sei ein Zeichen für die Zahl der Jahre gewesen, weil da-
mals Buchstaben und Zahlzeichen noch selten waren. " 10 Eine wichtige Art
Hilfsmengen zu benutzen stellt die Zuordnung der zu zählenden Dinge zu
den Körperteilen des Menschen, insbesondere seinen Fingern und seinen
Zehen, dar. Bei dem amerikanischen Indianerstamm der Dene-Dindje sind
die Bezeichnungen für Fingergesten selbst zu Zahlwörtern geworden. 11 Bei
den Römern finden wir Wendungen wie: "numerare per digitos"- "an den
Fingern abzählen" und "novi digitos tuos"- "ich kenne deine Fertigkeiten
im Rechnen".
Solche Zeugnisse legen Kunde ab von den ersten Schritten, die getan
wurden, um das Abzählen und Bilden von Zahlen in einem selbständigen
Medium zu bewerkstelligen. Der systematische Stellenwert des Gebrauches
gegenständlicher Hilfsmengen kann so charakterisiert werden:
(1) Zahl und gezähltes Ding werden getrennt. Der Mächtigkeitseindruck
von Mengen wird aufgelöst in die Vielheit diskreter, aneinandergereihter
Elemente. Solche Auflösung geschieht durch den Vorgang analogischer
Strukturübertragung, d. h., durch einfache Zuordnung zwischen einem
Ding und dem Element einer Hilfsmenge "vererbt" sich die Anzahl der
Dinge auf die Anzahl der Hilfsmenge. Die ~truktur, die dabei übertragen
wird, ist die Aneinanderreihung diskreter, homogener Einheiten. Solche
Struktur von aneinandergereiten Elementen ist eine erste Einsichtnahme in
das Bildungsgesetz natürlicher Zahlen. Ein Bildungsgesetz, das als eine
Regel beschrieben werden kann, gleichartige Elemente sukzessive aneinan-
derzureihen.
8 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle

Auf dem Wissen um dieses Bildungsgesetz beruht eine urtümliche Form


des Rechnens: das Rechnen mit Rechensteinen auf dem Rechenbrett, wel-
ches im ostasiatischen Raum nicht weniger verbreitet war als im europäi-
schen und hier erst im 14.-15. Jahrhundert durch das Rechnen mit Ziffern
auf dem Papier abgelöst wurde.
(2) Die Zuordnung von abzuzählenden Dingen und Elementen einer ge-
genständlichen Hilfsmenge ist eine "analogische", denn die Hilfsmengen
sind gegenständlich-physikalische Modelle der zu zäh~enden Menge und
bilden diese spiegelbildlich ab. Das, was die Elemente der Hilfsmengen be-
deuten, sind nicht "Zahlen", sondern Anzahlen. Anzahlen sind immer An-
zahlen von etwas. Die wirkliche Ablösung der Zahl vom gezählten Ding ist
erst dann erreicht, wenn an die Stelle gegenständlicher, analogischer Hilfs-
mengen symbolische, "digitale" Zeichen treten, wie in der schon erwähnten
Ablösung der Rechenbrettechnik durch das Ziffernrechnen.
So wundert es nicht, daß in einer Kultur, in der die alltägliche Rechen-
praxis ganz dem "analogischen Rechnen" verhaftet ist, der arithmetische
Begriff 'Zahl' sich bei genauerem Hinsehen als der Begriff 'Anzahl' er-
weist.12 Eben dies aber ist der Fall, wenn in der klassischen Periode Grie-
chenlands Euklid 'arithmos' als die aus Einheiten zusammengesetzte Menge
definiert, d. h. also Zahl als Anzahl von etwas faßt. 13

1.1.3 Der Übergang von der gegenständlichen


zur symbolischen Repräsentation von Anzahlen
im antiken Mesopotamien

Wir sind in der glücklichen Lage, über archäologische Funde zu verfügen,


die uns Zeugnis ablegen von der Umwandlung eines gegenständlichen in ein
rein symbolisches Zählzeichensystem. In den Jahren 1927-31 wurde bei Aus-
grabungen im Bereich des oberen Tigris eine mit Schriftzeichen versehene
hohle Tonkugel gefunden, in der sich 48 tönerne Steine befanden. Die Ent-
zifferung der Inschrift ergab die Auflistung einer Herde, die 48 Tiere um-
faßte. Der Assyrologe Leo Oppenheim veröffentlichte im Jahre 1959 eine
Interpretation dieses bis dahin wenig beachteten Fundstückes 14 : Die aüsge-
grabene Tonkugel stelle eine archaische Form der Buchführung dar. Man
habe wirtschaftliche Bestände durch eine entsprechende Menge von Re-
chensteinen repräsentiert, so daß Änderungen an den Beständen durch
Veränderungen an den Rechensteinen mechanisch nachvollzogen wurden.
Eingeschlossen in versiegelte Hohlkugeln, hätten die Rechensteine eine
Möglichkeit geschaffen, Informationen in einer nichtsprachlichen Form
übertragbar und dokumentierbar zu machen.
Die Archäologin Denise Schmandt-Besserat kam bei Untersuchungen
über die Einführung der Tonverarbeitung im Nahen Osten zu dem Ergebnis,
daß etwa seit dem 9. Jahrtausend v. Chr. - also seit dem Übergang zur Seß-
Die Herausbildung der Zählreihe 9

haftigkeit -solch mechanisches Buchführungssystem im gesamten mesopo-


tamischen Raume verbreitet gewesen sein muß 15 : Mit der Entstehung städti-
scher Kultur- und Wirtschaftszentren habe sich dieses System diversifiziert
und schließlich zur Ausbildung der ersten schriftlichen Zählzeichen beige-
tragen. Kettenglied in jenem Übergang von dreidimensionalen Rechen-
steinen zu zweidimensionalen schriftlichen Zeichen sind Hohlkugeln, in
deren noch weiche Oberfläche jeder Stein, vor seinem Einschluß in das In-
nere, eingedrückt wurde. Diese Abdrücke von Rechensteinen, die über die
Anzahl der eingeschlossenen Steine Rechenschaft abgeben, können als die
ältesten Spuren eines zweidimensionalen graphischen Zahlzeichensystems
gelten. Nach der Interpretation von Schmandt-Besserat sind die ersten
schriftlichen Zahlzeichen, die uns um die Wende vom 4. zum 3. Jahrtausend
v. Chr. überliefert sind, also keine voraussetzungslose Erfindung, sondern
haben in dem gegenständlichen Zählmittel der Rechensteine einen Vor-
läufer und Wegbereiter. 16

1.1.4 Die Zählreihe als fortlaufende Folge schriftlicher Zahlzeichen

Die Wurzeln der Überlieferung zweidimensionaler graphischer Zählzei-


chen reichen weiter zurück als bis zur Schwelle des 3. Jahrtausends. Uns ist
ein ca. 30000 Jahre alter Wolfsknochen überliefert, in welchen 55 Kerben zu
je fünfen gebunden eingraviert sind. 17 Bei der Interpretation dieser Gra-
vuren bleiben wir auf Spekulationen angewiesen.
Daß es sich hierbei um ein rhythmisches Hilfsmittel mit Beschwörungs-
und Deklamationscharakter handelt- wie Andre Leroi-Gourhan annimmt-,
ist nicht auszuschließen. 18 Doch die Tatsache, daß auf diesem Knochen
Kerben nicht einfach aneinandergereiht, sondern zugleich in Fünfergrup-
pen gebündelt sind, macht die Interpretation wahrscheinlich, daß hier ein
Zählvorgang . mit Hilfe schriftlicher, zweidimensionaler Zeichen festge-
halten wurde, welcher vielleicht- nicht anders als das Rechensteinsystem im
antiken Mesopotamien- buchhalterischen Zwecken diente.
Seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. sind uns Dokumente überliefert, aus
denen zu schließen ist, daß verschiedene antike Hochkulturen unabhängig
voneinander Zählreihen durch Zählzeichensysteme bildeten, in denen nicht
nur ein und dasselbe Zeichen fortlaufend aneinandergefügt, sondern Zei-
chengruppen gebildet und diese durch Individualzeichen ersetzt wurden: die
Zählreihe ist mit Hilfe von Ziffern gebildet. Frühe Ziffernsysteme sind uns
überliefert aus Persien 19 , dem Industal 20 , Kr~ta 21 und Ägypten 22 .
Ziffernsysteme bedienen sich ein_es Kunstgriffes. Diesen Kunstgriff kann
man sich deutlich machen durch die Vorstellung, was wäre, wenn jede Zahl
einen individuellen Namen trüge, so wie Menschen ihre Eigennamen haben.
Man sieht, hier wären schnell die Grenzen menschlicher Gedächtnisleistung
erschöpft. Und so besteht der Kunstgriff darin, die unbegrenzte Menge der
10 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle

Zahlen auf eine Weise überschaubar und beherrschbar zu machen, für die
das menschliche Gedächtnis nicht zur Grenze wird. Das aber ist der Fall, so-
fern wir Zahlen dadurch bilden, daß wir von einer begrenzten Menge von In-
dividualzeichen ausgehen und einer Regel, die genau vorgibt, wie aus diesen
wenigen Individualzeichen alle möglichen Zahlen gebildet werden könne~.
Wer diese Grundzeichen und ihre Verknüpfungsregel kennt, kann im Prinzip
jede Zahl bilden und lesen.
Das einfachste Prinzip solcher Ziffernschrift wäre di~ Strichliste, bei der
jede Zahl durch eine entsprechende Anzahl von Strichen angeschrieben
wird. Bündelte man dann der besseren Übersicht halber diese Striche und
führte Individualzeichen für besonders ausgezeichnete Bündel ein, z. B. für
die Zehn, die Hundert, die Tausend etc., so daß entsprechende Anzahlen
von Strichen durch die Individualzeichen für die Bündel ersetzt werden, so
ergibt sich ein Prinzip der Zählzeichenbildung, das auf Aneinanderreihung
und der Substitution beruht. Ein Prinzip, welches z. B. den altägyptischen
Hieroglyphenziffern und der römischen Zahlenschrift zugrunde liegt.

ägyptisch: römisch:

1 1111111111 Reihung Y=lllll IIIII=Y I

10
n I.
Bündelung X 10

nnnnnnnnnn Reihung L =XXXXX XXXXX=L 50 X 2

100
9
2.
Bündelung c 100

9999999999 Reihung D=CCCCC CCCCC=D 500 X 2


3.
1000
1 Bündelung Cl) 1000

1111111111 4.
Reihung «I=(IXI><Il<l >Cl> <IXIXIXI><I>=I>> 5000 X 2

10000
~ BündeJung ~~~ 10000

Abb.1: Ägyptische und römische Zahldarstellung (aus: Klix 1980).

Es beruhen solche additiven Ziffernsysteme, wenn auch durch die Indivi-


dualzeichen für die Bündelungen etwas verdeckt, darauf, Zahlen durch
Anzahlen aneinandergereihter Einheiten darzustellen. In einem solchen Sy-
stem ist die Null nicht nötig. Die Einfachheit eines derartigen Bauprinzips
hat ihren Preis. Er besteht darin, mit Hilfe solcher Ziffern nur schwerfällig
rechnen zu können. Und so wundert es nicht, daß bei den Römern die Zahl-
darstellung und das Rechnen auseinanderfielen und sich eines jeweils an-
dersgearteten Mediums bedienten: Das römische Ziffernsystem erfordert
zum Ausführen arithmetischer Grundoperationen ein Rechenbrett. 23
Dies ändert sich erst, wenn die Zahlschrift auf dem Stellenwertprinzip be-
ruht, einem Prinzip, das wir bei den altchinesischen Ziffern und beim indi-
Die Herausbildung der Zählreihe 11

sehen Ziffernsystem finden, welches durch Vermittlung der Araber schließ-


lich auch zu unserem Zahlzeichensystem wurde.
In einem Stellenwertsystem haben Zahlzeichen eine doppelte Funktion:
Sie zählen die Einer und geben die Rangstufe an, auf der die Einer "gelten".
Umgeschrieben in die indische und römische Zahlschreibweise wird die
Zahl Dreihundertvierundzwanzig in der altchinesischen Ziffernschrift so
dargestellt: 3C 2X 4. Wenn nun in der indischen Schrift nur noch 324 steht, so
heißt das, die Rangstufen werden nicht mehr eigens markiert, sondern aus
der Stelle abgeleitet, an der die Ziffer steht. Wir sehen, nur das indische Sy-
stem als reine Stellenschrift muß ein Fehlzeichen einführen, wenn auf einer
Rangstufe Einer nicht zu zählen sind, und kann so 3o4 von 34 eindeutig
unterscheiden.
Die Besonderheit des Stellenwertsystems ist es, daß die Zahldarstellung
und das Zahlenrechnen nicht mehr auseinanderfallen, sondern in ein und
demselben Medium ausgeführt werden können. Doch das Rechnen ist hier
nicht unser Thema. Uns genügt es, jetzt eine Antwort auf die Frage geben zu
können, wann sich die Zahlen von den gezählten Dingen abgelöst haben.
Die Zahlen werden unabhängig von den zu zählenden Dingen, wenn die
Zahlenreihe mit Hilfe von graphischen Zeichen so gebildet wird, daß fol-
gende zwei Bedingungen erfüllt sind:
(1) Es muß eine beschränkte, endliche Menge von Grundzeichen gegeben
setn.
(2) Es muß eine Regel gegeben sein, wie jede beliebige Zahl durch die
Kombination von Grundzeichen eindeutig dargestellt werden kann.
Sind diese Bedingungen erfüllt, so wird der Vorgang der Zahldarstellung
zu einem Vorgang der Herstellung einer Zeichenkombination. Das Gesetz
der Zahlbildung erweist sich als Regel der Zahlzeichenbildung.
Ziffernsysteme sind die geschichtlich frühesten Formen einer formalen
Sprache. Formale Sprachen aber sind Werkzeuge, mit deren Hilfe wir nicht
nur etwas darstellen, sondern auch herstellen, zum Beispiel Lösungen für
Rechenaufgaben. Und so wollen wir uns im nächsten Schritt der Genesis
"rein symbolischer Rechenverfahren" zuwenden, d. h. Problemlösungsver-
fahren, deren Regeln sich auf die Zeichenausdrücke·beziehen, mit denen
das Problem dargestellt und gelöst wird.
12 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle

1.2 Arithmetik und Algebra im antiken Ägypten und Mesopotamien,

1.2.1 Altägyptische Rechentechnik

Um die Frage nach der Genesis symbolischer Rechenverfahren zu beant-


worten, lohnt sich ein Blick zurück auf das Mittlere Reich (2000-1800
v. Chr.) des alten Ägypten. Aus dieser Zeit nämlich ist eine Rechentechnik
überliefert, die sich nicht gegenständlicher Hilfsmittel, also der Steine oder
Stäbchen bediente, sondern ausschließlich geschriebener Zeichen. Die
Rechentechnik der Ägypter ist eine "symbolische Technik": Sie ist schriftli-
ches Rechnen. Das aber bedeutet, daß uns in der altägyptischen Rechen-
kunst erstmals quellenmäßig belegt ist, daß das Rechnen mit Zahlen als ein
Formen und Umformen von schriftlichen Zeichen sich vollzieht, und zwar
nach Regeln, die unmittelbar Bezug nehmen auf die Zeichen selbst und erst
mittelbar auf die darin repräsentierten Zahlen.
Wenn es aber so ist, daß das, worauf sich die Rechenverfahren beziehen,
nicht einfach 'Zahlen', sondern Zeichen für Zahlen sind, dann könnte es
sein, daß Eigentümlichkeiten dieser Rechenverfahren sich begründen
lassen aus Eigentümlichkeiten, charakteristischen Eigenschaften eben der
Zeichen, durch die Zahlen dargestellt werden. Oskar Neugebauer hat in
seinen Studien zur altägyptischen Rechentechnik als erster eine solche
Eigentümlichkeit identifiziert: es ist dies der "additive" Charakter ägypti-
scher Rechenverfahren, darin zum Ausdruck kommend, daß alle arithmeti-
schen Grundoperationen auf die Operation des Addierens zurückgeführt
werden. 24 Peter Damerow hat nun zeigen können, daß die Dominanz der
additiven Verfahren in dem spezifischen Aufbau des altägyptischen Zahl-
zeichensystems begründet ist. 25 Die hieroglyphischen Zahlzeichen der
Ägypter erweisen sich nämlich als ein besonders konsequent aufgebautes
additives Zeichensystem.

1.2.1.1 Die Quellenlage

Über die altägyptische Arithmetik informieren uns vor allem zwei Papyri,
die beide entweder um 1800 v. Chr. - also zur Zeit des Mittleren Reiches -
geschrieben wurden oder unmittelbar auf Vorlagen aus dieser Zeit zurück-
gehen. Es ist dies der Papyrus Rhind, benannt nach dem Engländer A. H.
Rhind, der ihn in Ägypten käuflich erwarb und dem Britischen Museum ver-
machte, und der Moskauer Papyrus, den der Ägyptologe W. Golenischeff er-
warb und der in das Moskauer Museum der Schönen Künste aufgenommen
wurde. 26
Von Aristoteles ist uns eine Notiz überliefert, daß die Ägypter die mathe-
matischen Künste begründet hätten, insofern die ägyptische Priesterschaft
dazu die nötige Muße besaß. 27 Doch solches Bild einer in Muße betrie-
Im antiken Ägypten und Mesopotamien 13

benen, begründenden Mathematik läßt sich nach Kenntnisnahme der bei-


den Papyri nicht aufrechterhalten. Was wir hier finden, sind Beispiele für
eine Rechenpraxis, wie sie die ägyptischen Beamten alltäglich zu bewältigen
hatten, wenn sie den Getreidebedarf zu berechnen, Lohnsummen an Ar-
beiter zu verteilen oder Flächen und Rauminhalte zu errechnen hatten.
Van der Waerden vermutet daher, daß die Papyri als Unterrichtswerk in
einer Schule für die königlichen Beamten, die "Schreiber", eingesetzt
worden seien. 28
Nicht also um die Begründung mathematischer Sätze geht es in diesen Do-
kumenten, sondern um eine Sammlung von Rezepten, wie die aus lebens-
praktischen Situationen entstehenden Rechenprobleme gelöst werden
können.

1.2.1.2 Die,hieroglyphischen Zahlzeichen

Das Zahlzeichensystem der Ägypter ist streng additiv aufgebaut. 29 Es ist


ein Dezimalsystem. Für die dekadischen Stufen 1, 10, 100, 1000 bis 106 gibt es
Individualzeichen. Alle übrigen Zahlen werden durch Aneinanderreihung
gebildet, so daß jede Zahl unter 107 ohne Schwierigkeiten angeschrieben
werden kann (vgl. Abb.1, S.10).
Die Additivität dieses Zahlzeichensystems besteht darin, daß die aufein-
anderfolgenden Zahlzeichen das archaische Prinzip der Erzeugung einer
Zählreihe durch Aneinanderfügen von Einheiten und der Substitution der
Zehnerbündel realisieren, eines Prinzips, auf dem auch das römische Zahl-
zeichensystem basiert.

1.2.1.3 Die Rechenverfahren

Es leuchtet ein, daß in einem solchen Zeichensystem die arithmetischen


Operationen der Addition (und der Subtraktion) durch Nebeneinander-
schreiben der Zeichen und die Verzehnfachung durch Ersetzen der Zeichen
ohne weiteres durchzuführen ist. "Ohne weiteres" meint hier: Mit dieser Art
von Zeichen kann gerechnet werden durch Anfügen, Wegnehmen und Er-
setzen von Zeichen, ohne daß hierfür irgendwelche arithmetischen Kennt-
nisse erforderlich wären, wie es z. B. im Rahmen unseres Ziffernsystems in
Gestalt des kleinen Eins-und-Eins nötig ist.
Interessanter ist das Multiplikationsverfai:tren: hier wird das Multipli-
zieren zurückgeführt auf das Addieren.
Dieser Kunstgriff beruht auf der fortgesetzten Verdoppelung des einen
Faktors. Erläutern wir dies an einem Beispiel, das wir der Durchsichtigkeit
halber in unserer Ziffernschreibweise vorstellen. 21 · 12 wird so ausge-
rechnet:
14 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle

1 12
2 24
4 48
8 96
16 192

21 252
Erklärung: Zur Berechnung von 21 · 12 wird der zweite Faktor 12 fortge-
setzt verdoppelt; dann werden die Zahlen, die mit einem Strich versehen
sind und deren Summe den ersten Faktor 21 ergibt, auf beiden Seiten ad-
diert. Die Multiplikation wird also zurückgeführt auf fortgesetztes Verdop-
peln und Addieren, so daßjede Multiplikationsaufgabe durch bloßes Anein-
anderreihen der Zahlzeichen ausgeführt werden kann.
Das altägyptische Multiplikationsverfahren ist ein frühes Beispiel dafür,
ein mathematisches Problem algorithmisch zu lösen. Wobei "algorithmisch
lösen" hier nur heißt: Bei der Lösung des Problems wird eine Regel ange-
wendet, deren Vorschrift so klar ist, daß jedermann zu jeder Zeit dieses Pro-
blem auf die gleiche Art und Weise löst. Diese Art von Lösungswissen kann
als ein "Rezeptewissen" gelten, als eine Technik, die funktioniert, ohne daß
gewußt werden muß, warum sie funktioniert.
Worauf beruht der ägyptische Multiplikationsalgorithmus? Gehen wir
von unserem Beispiel aus und schreiben dies auf folgende Weise an:
1 12 = 1 . 12
2 24 = 2 . 12
4 48 = 22 • 12
8 96 = 23 • 12
16 192 = 24 • 12
21 252 = 12 + 48 + 192 = 1 . 12 + 22 • 12 + 24 • 12 =
(1 + 4 + 16) 12 = 21 . 12

Offensichtlich funktioniert dieses Verfahren, weil jede Zahl als Summe


von Zweierpotenzen darstellbar ist. 30 Das aber heißt, daß dieses Multiplika-
tionsverfahren auf der Darstellbarkeit von Zahlen durch ein duales Ziffern-
system beruht. Das Dualsystem liegt der Arbeit von Rechenmaschinen zu-
grunde. Erst der Philosoph Leibniz wird im 17. Jahrhundert die Möglichkeit
binärer Zahldarstellung begründen. Doch die Ägypter hatten offensichtlich
durch Probieren herausgefunden, daß die Darstellung einer Zahl durch
geeignete Potenzen von 2 gelingt.
Wir sehen, wie hier ein Verfahren Anwendung findet, unabhängig davon,
ob seine Allgemeingültigkeit sichergestellt werden kann. Das algorithmi-
sche Know-how macht sich unabhängig von der Beweisbarkeit. Und später
wird sich zeigen, daß die Geburt der Idee der Beweisbarkeit bei den Grie-
Im antiken Ägypten und Mesopotamien 15

eben eine Verkümmerung des arithmetisch-algebraischen Know-hows nach


sich zieht.
Subtraktion und Division (soweit sie aufging) wurden als Umkehrungen
der additiven und multiplikativen Verfahren gehandhabt. Die Division von
66 durch 6 wurde so ausgeführt:
1 6
2 12
3 18
14 I 24
15 I 30
2 + 4 +5 -. 11 66 = 12 + 24 + 30
Der additive Grundzug der altägyptischen Rechentechnik steht also in
engem Zusammenhang mit der Eigengesetzlichkeit des symbolischen Me-
diums, in welchem das Rechnen sich vollzieht. Dieses Gesetz, darin beste-
hend, Zahlen fortlaufend zu bilden durch Aneinanderreihung von Ziffern,
wird zum konstitutiven Prinzip der Zahlenoperationen, welche als Opera-
tionen an den Zahlzeichen ausgeführt werden.
Peter Damerow hat nun gezeigt, daß dieser Zusammenbang auch für die
zweite Eigentümlichkeit altägyptischer Arithmetik gilt, auf die erstmals
Neugebauer aufmerksam macht. 31 Die Ägypter stellen ihre Brüche als
Summen von Stammbrüchen dar. Unter einem Stammbruch verstehen wir
heute Brüche, deren Zähler 1 ist. Aus heutiger Sicht ist das Rechnen mit
Stammbruchsummen überaus aufwendig, doch zeigt sich, daß es unter
diesen Bedingungen möglich ist, Multiplikation und Division von Brüchen
auf ein additives Rechenverfahren zurückzuführen.
.. 1
Die Agypter notierten den Stammbruch - durch ein über n gesetztes
Zeichen C) , also n. n
Im Papyrus Rhind (Nr. 24) findet sich folgendes Beispiel einer nichtaufge-
henden Division, die mit Hilfe von Stammbrüchen durchgeführt wird: 19: 8
1 8
2 16
2 4
4 2
8 1

19 = s= 2 +4+ s <= 2 + ~ + D
Die 8 verdoppelt gibt 16. Es fehlen zur erforderlichen Summe noch 3. Die
werden so gebildet, daß 8 halbiert wird und diese Halbierung noch zweimal
angewandt wird. Das Viertel und das Achtel von 8 ergeben dann zusammen
die fehlende 3.
16 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle

Bei dem Versuch, ein Rechenverfahren zu erklären, das man auch viel ein-
facher hätte haben können und für das van der Waerden sogar den konserva-
tiven Volkscharakter der Ägypter bemüht, 32 scheint Damerows Interpreta-
tion einleuchtend: Die Ägypter konnten gar keine Darstellung der Brüche
durch Zähler und Nenner ausbilden, denn solche Darstellung ist eine multi-
plikative: Sie beruht auf der Multiplikation und Division ganzer Zahlen, 33
d. h. aber auf einer Operation, die die ägyptische Rechentechnik durch
deren Rückführung auf die Addition vermied. Die ägyptischen Rechenver-
fahren können also als algorithmische Problemlösungsverfahren interpre-
tiert werden, deren Kunstgriff darin bestand, multiplikative Problemstel-
lungen mit additiven Mitteln zu lösen. Mit Stammbruchsummen zu rechnen
heißt nichts anderes, als alles Bruchrechnen auf ein additives Operieren mit
Brüchen zurückzuführen.
Erinnern wir uns: Das ägyptische Rechnen ist schriftliches Rechnen.
Keine gegenständlichen Hilfsmittel werden benutzt, \Yie z. B. ein Rechen-
brett oder auch nur Rechensteine, sondern alles Rechnen wird im Medium
schriftlicher Zahlzeichen durchgeführt. Die Pointe solch rein symbolischer
Technik liegt darin, daß die Rechenregeln als Vorschriften gelten können,
die sich nicht auf Zahlen, sondern auf das Operieren mit Zahlzeichen be-
ziehen. Und so wundert es nicht, daß Eigentümlichkeiten dieser Vor-
schriften zurückweisen auf Eigentümlichkeiten des Mediums selbst. Das
Fehlen der Multiplikation als eigenständiger arithmetischer Grundopera-
tion, d. h. aber das Fehlen einer multiplikativen Verknüpfungsstruktur der
Zahlen überhaupt, erweist sich als Konsequenz des rein additiven Aufbau-
prinzips des Zahlzeichensystems.

1.2.2 Mesopotamische Rechentechnik

Schriftliche Quellen zur Arithmetik im mesopotamischen Kulturbereich


reichen zurück bis um das Jahr 3000 v. Chr. Die von den Mathematikhistori-
kern ausgewerteten Texte konzentrieren sich auf zwei recht scharf vonein-
ander abgrenzbare Perioden 34 : auf die altbabylonische Periode, die von
2000--1594 v. Chr. dauerte und in welcher unter dem König Hammurapi
(1792-1750) Babyion seine größte Ausdehnung erreichte, sowie auf die
seleukidische Periode, die sich über die letzten drei Jahrhunderte v. Chr. er-
streckte und somit auch als hellenistische Epoche bezeichnet werden kann.
Übereinstimmung besteht in der Forschung darin, daß die babylonische
Arithmetik, verglichen mit der altägyptischen, einen "höheren" Entwick-
lungsstand verkörpere. Friedhardt Klix drückt das mit den Worten aus, daß
die Ägypter berechneten, die Babyionier aber rechneten. 35 Die in solcher
Wortwahl behauptete Tendenz einer Verselbständigung der Zahlenopera-
tion gegenüber ihrem alltagspraktischen Zweck - am sinnfälligsten viel-
leicht da zum Ausdruck kommend, wo die für Berechnungszwecke nutzlose
Im antiken Ägypten und Mesopotamien 17

Addition einer Länge und einer Fläche durchgeführt wird - kann bezogen
werden auf den Grundgedanken, dessen Entfaltung wir hier nachzu-
zeichnen suchen: Wo das Rechnen "symbolisch" wird, also sich als ein Ope-
rieren mit Zeichen organisiert, da werden die Fertigkeiten, die solches
Rechnen zu erlangen vermag, nicht zuletzt von der "glücklichen Wahl" des
Zahlzeichensystems abhängen. Eine solche "glückliche Wahl" aber ist das
babylonische Sexagesimalsystem. 36 Zeigen möchte ich, daß die vollkomme-
nere arithmetische Technik der Babyionier in engem Zusammenhang steht
zu ihrem "vollkommeneren" Zahlzeichensystem.

1.2.2.1 Das Sexagesimalsystem

Als die Akkader große Teile Mesopotamiens eroberten und ihre Dynastie
(2340--2159) Qegründeten, verdrängten sie die sumerische Sprache und
setzten ihre eigene, die semitische, durch. Doch übernahme.n sie von den
Eroberten die Zahlsprache: das sexagesimale System. Worauf beruht die
suggestive Kraft dieser Zahlzeichensprache, durch die die Eroberer sich
erobern lassen?
Das Sexagesimalsystem ist das erste Stellenwertsystem. 37 Die Bedeu-
tung seiner Zeichen ist nicht nur durch das gegeben, was die Zeichen verein-
barungsgemäß darstellen, sondern zugleich auch abhängig von der Stelle,
die sie innerhalb der Gesamtkonfiguration der Ziffern innehaben. Ganz so,
wie bei uns die Ziffer '3' eine jeweils verschiedene Bedeutung hat in den
Konfigurationen '346', '731', '13'. Damit aber wird eine Ökonomie in der
Darstellung vonAnzahlen erreicht, die rein additiv konstruktiv aufgebauten
Zahlzeichensystemen, wie dem ägyptischen oder dem römischen, grund-
sätzlich verwehrt bleibt: große Zahlen können mit wenigen Zeichen über-
sichtlich dargestellt werden. Ein Sachverhalt, derins Auge springt, wenn wir
die in indiscben Ziffern geschriebene Jahreszahl1935 mit der in römischen
Ziffern geschriebenen MDCCCCXXXV vergleichen.
Das Funktionieren eines Stellenwertsystems bedarf der strengen Linea-
rität; eine Sequenz aus elementaren Zeichen wird aufgebaut, die nur dann
eine wohlbestimmte Bedeutung ausdrückt, wenn jedes elementare Zei-
chen einen und nur einen bestimmten Platz einnimmt. Die römische
Zahl MDCCCCXXXV ist im Prinzip auch noch lesbar, wenn sie um-
gekehrt VXXXCCCCDM angeschrieben wird oder gar als ein Haufen
.
~ ~2C Doch kehre ich 1935 um in 5391, so resultiert eine andere
Zahl.
Stellt man diese Forderung strenger Linearität in Rechnung, so lüftet sich
vielleicht der Schleier ein wenig, der über der Frage liegt, wieso es gerade
die Sumerer gewesen sind, die die Möglichkeit solchen Zahlzeichensystems
entdeckten. Denn die Sumerer waren es auch, die die Keilschrift entwik-
18 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle

kelten; das aber ist eine Schrift, die aus der Überwindung der piktographi-
schen Wortschrift hervorgeht und deren Pointe darin besteht, nicht mehr
Dinge bildlich darzustellen, sondern gesprochene Silben, so daß jetzt nicht
mehr für jedes neue Ding auch ein neues Zeichen einzuführen ist, sondern
mit einer begrenzten Menge von Grundzeichen unendlich viele Dinge ausge-
drückt werden können. Die Silben der gesprochenen Sprache aber fließen
linear. Diese Erfahrung der Leistungsfähigkeit eines linearen graphischen
Symbolsystems mag es gewesen sein, die den Boden bereitete, aus dem das
sexagesimale System erwuchs. ,.
Wie nun ist dieses System aufgebaut?
Die Basis dieses Systems ist nicht, wie bei unserem (Dezimal-)System die
Zahl10, sondern die Zahl 60. Anstelle der Individualzeichen 1 bis 9 bildeten
die Babyionier Individualzeichen für die Zahlen 1-59. Diese wiederum
wurden addititiv aus den zwei Grundzeichen, einem senkrechten Keil für die
Eins und einem Winkelhaken für die Zehn, gebildet (s. unten). So wirq es
möglich, beliebig große Zahlen durch die Verwendung von nur zwei Grund-
zeichen auf übersichtliche Weise darzustellen.
In einem wichtigen Punkt unterscheidet sich das Sexagesimalsystem von
dem modernen Dezim~lsystem: es kennt ke~n Dezimalkomma. Daraus folgt
eine grundsätzliche Mehrdeutigkeit der Zahlzeichen. So kann die Zeichen-

<y
folge

y <(
bedeuten: 1. 1,21 = 6o + 21 = 81
2. 1;21 = 1 + 21
6o
3. 1,21,0 = 6o2 + 21 · 6o = 486o
denn die Babyionier kannten keine
Null.
Die eindeutige Zahlbedeutung konnte also nur aus dem Kontext erschlos-
sen werden, innerhalb dessen die Zahlenangaben auftraten. Das Ideal einer
formalen Sprache, deren Zeichen kontextinvariant festgelegt sind, ist also
mit dem babylonischen System noch keineswegs erreicht. Daß aber mit
solch kontextabhängigen Zeichen durchaus unmißverständlich gerechnet
werden kann, zeigt unsere eigene Praxis, für ein Paar Schuhe, das im Schau-
fenster mit 98 ausgezeichnet ist, 98 Mark, nicht aber 98 Pfennig zu bezahlen.
Auf eine weitere Besonderheit des Sexagesimalsystems ist aufmerksam zu
machen: auf das Fehlen eines Zeichens für die Null. Denn die Einführung
des Nullzeichens im indischen Ziffernsystem ist der entscheidende Schritt,
durch den sich das Rechnen mit Zeichen in eine kalkülisierbare Operation
transformiert.
Im antiken Ägypten und Mesopotamien 19

Zwar finden sich in der Seleukidenzeit Keilschrifttexte, die das Symbol ~


für die Leerstelle innerhalb des Stellenwertausdruckes benutzen. 38 Doch
niemals erscheint die Null am Ende einer Ziffernreihe. Der entscheidende
Unterschied liegt darin, daß mit der Null nicht gerechnet wurde. Das
Symbol bezeichnete eine Leerstelle, nicht aber eine Zahl, wie es etwa der
Fall ist, wenn wir a - a = 0 bilden.

1.2.2.2 Babylonische Rechenverfahren

Die Vorteile, die ein solches System rechnerischen Verfahren gewährt,


liegen auf der Hand. 39 Man vergleiche nur die Multiplikation innerhalb un-
seres Ziffernsystems mit derj.enigen im römischen System. In der Aufgabe
354 ·15 rechnen wir mit Hunderten und Zehnern so, als ob sie Einer seien.
Dies ist in ein~m additiv aufgebauten Zahlzeichensystem nicht möglich. Al-
lerdings bedarf die Multiplikation in einem dezimalen Stellenwertsystem
der Beherrschung des kleinen Einmaleins, d. h. der Multiplikation der je-
weiligen Individualzeichen eines Ziffernsystems. Erfordert dies in unserem
Ziffernsystem nur die Kenntnis der Zahlen Ein mal Eins bis Neun mal Neun,
so erweitert sich dies im Sexagesimalsystem auf die Zahlen von Ein mal Eins
bis Neunundfünfzig mal Neunundfünfzig. Angesichts dieses Umstandes
wird es erklärlich, daß die Babyionier Multiplikationstafeln anlegten. 40
Überdies finden sich Reziprokentafeln, die es ermöglichen-, auch die Divi-
sion auf die multiplikative Operation zurückzuführen. 41 In unserer for-
malen Schreibweise: wenn die Division a : b gefordert wird, so wird dies um-
gewandelt zu a · b- 1• Die Division ist keine eigenständige Rechenoperation,
sondern eine Multiplikation mit dem Reziprokenwert.
Einfache Brüche können aufgrund der Basis 6o im babylonischen Zahl-
system oftmals als ganze Zahlen behandelt werden. Kein anderes Zahl-
system hat e~ne Basis mit so vielen Ausdrücken für Zahlenverhältnisse, die
ohne Rest aufgehen: 2, 3, 4, 5, 6, 1o, 12, 15, 2o, 3o sind ohne Rest in 6o
enthalten.
Überdies finden sich Tabellen zum Auflösen quadratischer Gleichungen,
Tafeln für Quadrate und Kuben, die zugleich die Quadrat- und Kubikwur-
zeln liefern. 42
Auffallend bleibt an der altbabylonischen Rechentechnik- und dies ist zu-
gleich auch der Kern ihrer Leistungsfähigkeit- ihre multiplikative Ausrich-
tung. Eine Ausrichtung, die es ermöglicht, alle Grundrechenarten nach
einem einheitlichen - eben dem multiplikativen - Regelsystem zu behan-
deln, ohne die Begrenzungen in Kaufnehmen zu müssen, aufwelche die ad-
ditive Rechentechnik der Ägypter z. B. darin stieß, das Bruchrechnen auf
das Operieren mit Stammbruchsummen zurückzuführen.
Doch so, wie der "additive Stil" der Ägypter durch das additive Aufbau-
prinzip ihrer Hieroglyphenziffern angelegt ist, so kann der "multiplikative
20 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle

Stil" der Babyionier nicht unabhängig davon gesehen werden, daß ihr Posi-
tionssystem auf einem multiplikativen Prinzip beruht: '374' lesen zu können,
heißt zu wissen, daß in dieser Anordnung '3' für '3 · 100', '7' für '7 · 10' und
'4' für '4 · 1' steht.
Da, wo das Rechnen sich mittels Symbolen vollzieht, prägt die Eigen-
struktur der Symbole die Regeln, nach welchen mit ihnen verfahren werden
kann.

1.2.3 Ägyptische und babylonische Algebra

Erst im 16. Jahrhundert begründet der Franzose Vieta mit seiner logistica
speciosa, in welcher er schematische Rechenverfahren durch den Gebrauch
von Buchstaben einführt, die als Zahlenvariablen deutbar sind, die Algebra
im modernen Sinne. "Im modernen Sinne" heißt: eine Algebra, die symbo-
lisch verfährt, so daß die Regeln, die durch diese Algebra auf allgemeingül-
tige Weise formuliert werden, sich unmittelbar auf die Symbole beziehen
und nicht auf das, was die Symbole bedeuten. Solch symbolische Algebra
verfährt also f~rmal. J?ie Entdeckung der Formel aber ist ein Resultat des
wissenschaftlichen Denkens der Neuzeit, und wo immer wir versuchen,- die
Schritte antiken mathematischen Denkens in unserer Formelsprache zu
transskribieren, so handelt es sich dabei um die Zurückprojizierung eines
Verfahrens, welches sich zu den eigenen Voraussetzungen antiken mathema-
tischen Denkens fremd verhält. Es gibt also - das sei hier schon vorweg-
genommen - in der Antike keine formale Algebra im neuzeitlichen Sinne.
Mit welcher Berechtigung wir dennoch von einem algebraischen Denken
sprechen können, das, wenn auch nicht formal verfahrend, sich doch abhebt
vom arithmetischen Tun, soll nun erkundet werden.

1.2.3.1 Ägyptische Gleichungslehre

Der Papyrus Rhind besteht aus 84 Aufgaben aus verschiedenen mathema-


tischen Gebieten. Einige Aufgaben stechen dadurch hervor, daß sie keinen
unmittelbaren Bezug zu praktischen Problemstellungen haben, sondern ge-
stellt zu sein scheinen, um Verknüpfungen und Umformungen als reine Zah-
lenoperationen durchzuführen. In diesen Aufgaben wird zum ersten Mal ein
Fachwort für eine Unbekannte eingeführt, nämlich 'aha', was soviel heißt
wie 'Haufen'. Diese Bezeichnung zeigt uns, daß hier nicht mehr nach einer
spezifischen Feldgröße, dem Umfange eines Erbteiles, der Menge von Ge-
treide, also nicht mehr nach der Größe bzw. Anzahl von Dingen, sondern
nach einer unbekannten Zahl gefragt wird. Auch in dem Symbol, mit dem
'Haufen' dargestellt wird, vollzieht sich ein Abstraktionsprozeß:
In dem Papyrus Moskau wird 'Haufen' so geschrieben 43 :
Im antiken Ägypten und Mesopotamien 21

0
III

Darin ist das Zeichen 0 für ein Sand- oder ein Getreidekorn, also für einen
konkreten Gegenstand enthalten. In dem etwas jüngeren Papyrus Rhind ist
dieses Zeichen durch die Buchrolle

ersetzt, ein Zeichen für einen abstrakten Begriff. 44 Tropfke interpretiert


diese Veränderung des Symbolismus, mit dem die Unbekannte ausgedrückt
wird, zu Recht als Übergang zu einer abstrakteren Bedeutung des Wortes für
die Unbekanrtte.
Die Ägypter behandeln lineare und rein quadratische Gleichungen mit
einer Unbekannten in der folgenden Form 45 :
(1) Lineares Beispiel, Papyrus Rhind, Nr. 31:
~
" H au1en, . 1, sein
sein . 1, sein
. 1, sein
. G anzes b etragt
.. 33 ."
3 2 7
Übertragen in unsere Schreibweise:
1 1 1
3 X + 2 X + 7 X + X = 33.
(2) Lineares Beispiel, Papyrus Rhind, Nr. 38:

"31 h"Inzu, 31 h"Inweg, blet"btu.. bng. 1o. "


Übertragen in unsere Schreibweise:

(X + ~) - ~ (X + ~X) = lo.

In der Lösung dieser Gleichungen verfuhren die Ägypter, wie wir auch
heute verfahren würden: Die Unbekannte wird zu ihren Bruchteilen ad-
diert und das konstante Glied durch den sich ergebenden Koeffizienten
dividiert.
Scheinbar bedienten sich die Ägypter auch der Methode des falschen
Ansatzes:
(3) Beispiel, Papyrus Rhind, Nr. 26:
"Ein Haufen und sein Viertel geben zusammen 15."
1
X+ 4 X= 15.
22 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle

Die ägyptische Lösung fängt so an: "Rechne mit 4, davon mußt du ein
Viertel nehmen, nämlich 1; zusammen 5." So dann wird dividiert,
15 : 5 = 3, und endlich multipliziert: 4 · 3 = 12, ihr Viertel ist 3, zu-
sammen 15.
Bei dieser Lösung wird die Regula falsi benutzt, deren Kunstgriff darin be-
steht, eine beliebige Zahl für die Unbekannte einzusetzen, in unserem Falle
4, weil man davon leicht ein Viertel berechnen kann. Vier und ein Viertel von
Vier ergeben 5. Da jedoch 15 das Ergebnis sein muß, braucht nun nur noch
mit 3 multipliziert zu werden.
(4) Ein quadratisches Beispiel aus dem Berliner Papyrus 6619:
"Ein ferneres Beispiel der Verteilung einer gegebenen Fläche auf meh-
rere Quadrate, wenn dir gesagt wird, 100 Quadratellen auf zwei unbe-

kannte Größen zu verteilen und ~ der Seite der einen Größe für die

andere zu nehmen, bitte gib mir jede der unbekannten Größen an."
In unserer Ausdrucksweise:
3 3
x + y = 100; X : y = 1 : 4; d. h. y = 4 X.
2 2

Auch diese Aufgabe wird mit Hilfe der Regula falsi gelöst. Zunächst wird für
2
x der Wert 1 angenommen. x 2 + y 2 oder x 2 + ( 3 x ) ist dann 25 = 1 +
4 16
(~) ~~ · 64 = 100, also ist x2 = 64. x =
2
• Nun ist 8, y = 6.
Was für uns hier von Interesse ist, bezieht sich weniger auf die angewendeten
Lösungsverfahren, als vielmehr auf die Art und Weise, in der diese Aufgaben
gestellt sind. Es handelt sich nicht mehr um Probleme, die der Bewältigung
technischer und organisatorischer Aufgaben dienen, sondern hier scheint
das Stellen und Lösen von Aufgaben "um ihrer selbst willen" betrieben.
"Um ihrer selbst willen" aber heißt, der Gegenstand des Interesses ist nicht
der be-rechnende Umgang mit den Dingen, sondern das Umgehen mit den
Zahlen selbst.

1.2.3.2 Babylonische Gleichungslehre

Unsere ältesten Zeugnisse babylonischer Gleichungslehre stammen aus


der gleichen Zeit, in der auch der Papyrus Rhind niedergeschrieben wurde.
Obwohl in den formalen Mitteln nicht weiter entwickelt als die Ägypter,
beherrschen die Babyionier einen größeren Bereich von Gleichungsarten:
außer den linearen und rein quadratischen Gleichungen noch Gleichungs-
systeme mit zwei Unbekannten und gemischt-quadratische Gleichungen.
Außerdem lösten sie Probleme, in denen kubische Gleichungen auftraten,
Im antiken Ägypten und Mesopotamien 23

durch Benutzung der bereits erwähnten Tabellen. Beispiele für das kunstfer-
tige Vorgehen beim Lösen von Gleichungen in diesem erweiterten Bereich
können aus vielen vorzüglichen mathematikgeschichtlichen Studien ent-
nommen werden und seien hier nicht noch einmal reproduziert. 46 Statt
dessen sei hier auf zwei Arten von Aufgaben besonders hingewiesen, in
denen sich ein echter Fortschritt der algebraischen Technik gegenüber den
Verfahren der Ägypter abzuzeichnen scheint.
Es gibt in der babylonischen Mathematik neben rein kubischen Glei-
chungen auch Probleme nur scheinbar kubischen Charakters, die durch die
geschickte Einführung neuer Unbekannter auf quadratische Probleme redu-
ziert werden. 47
In Neugebauers Mathematischen Keilschrift-Texten I, 485, Problem D 2,
finden sich folgende (transskribierte) Gleichungen:

' 31 (x + y) - 0; 1 (x - y) 2 = 15; xy = 10,0.

Dies sieht aus wie ein kubisches Problem. Werden jedoch die neuen Unbe-
kannten u, v eingeführt, gemäß dem Ansatz:
x = u + v; y = u- v,
so verwandelt sich die Aufgabe folgendermaßen:
O· 40 u - O· 4 v2 = 15
u 2' - v2 = 10,0,
' d. h. 0; 4 u2 - 0; 4v 2 = 40,
woraus die einfache quadratische Gleichung
O· 4u2 - O· 40u = 25
hervorgeht. ' '
Dieses Verfahren, Gleichungen zu vereinfachen durch das Einführen
neuer Unbekannter, interpretiert Oskar Becker als ein Zeichen echt alge-
braischen Denkens, "das sich von den konkret-anschaulichen Vorausset-
zungen einer Aufgabe lösen kann und rein im Formalen arbeitet".
Fast alle in der Literatur ausgewerteten babylonischen Aufgabentexte
arbeiten mit konkreten Zahlenbeispielen. Neuerdings ist ein von Thureau-
Dangin veröffentlichter Text, den bereits Neugebauer abdruckte, ohne mit
diesem Text "etwas anfangen zu können", von H. Freudenthai in der Weise
gedeutet worden, daß es sich bei diesem Text um einen Lehrtext handeln
müsse; 48 um einen Text also, in dem ein allgemeines Rezept ohne Nennung
spezieller Zahlen angegeben wird, zur Lösung einer mathematischen Auf-
gabe.
AO 6760 (Thureau-Dangin, Textes math. babyl. 71):
1. Die Länge und Breite sind zusammen gleich der Fläche. Du gehst so zu
Werke:
2. Den Multiplikator stellst du (d. h. schreibst du) zweimal auf;
24 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle

3. du ziehst davon 1 ab;


4. du nimmst das Reziproke;
5. mit dem Multiplikator, den du aufgestellt (aufgeschrieben) hast, multipli-
zierst du und du hast die Breite.
Deutung:
1. x + y = xy Wasisty? x: Länge, y: Breite, xy: Fläche
2. X X
3. X - 1
4. 1 : (x - 1)
5. 1 : (x - 1) · x =y
Durch das Fehlen konkreter Zahlenwerte zeigt der Text durch seine Form
an, daß er sich als ein Rezept versteht, das allgemein anzuwenden ist, ohne
allerdings sich einer symbolischen Sprache (also einer Formelsprache) zu
bedienen, in der diese Allgemeingültigkeit adäquat ausgedrückt werden
könnte. Solch ein allgemeines Rezept ist wohl zu unterscheiden von einem
mathematischen Theorem, dessen Gültigkeit durch einen Beweis erbracht
wird.
Die Problemstellung, auf welche sich das Rezept bezieht, ist - nicht an-
ders als bei jenen Rezepten, die nur aus den Beispielen konkreter Aufgaben
geschlossen werden können - bezogen auf Zahlenverhältnisse und darf
nicht als Anleitung verstanden werden, Probleme des technischen und orga-
nisatorischenAlltags zu lösen. Um diesen Sachverhalt, daß sich das algebrai-
sche Denken der Babyionier nicht mehr auf Verhältnisse von Dingen, son-
dern auf Verhältnisse von Zahlen bezieht, deutlicher hervortreten zu lassen,
sei ein letztes Beispiel erwähnt:
DerTextAO 8862 aus Senkereh, verfaßt zur Zeit der Hammurapi-Dyna-
stie, also altbabylonischer Herkunft, abgedruckt bei Neugebauer, Ma-
themat. Keilschrift-Texte II, Tafel35, beginnt so: "Länge, Breite. Länge und
Breite habe ich multipliziert und so die Fläche gemacht. Wiederum was die
Länge über die Breite hinausgeht zur Fläche habe ich addiert und (es gibt)
3,3. Wiederum Länge und Breite addiert (gibt) 27. Länge, Breite und Fläche
(ist) was?"
Van der Waerden umschreibt diesen Text mit den folgenden zwei Glei-
chungen (da die sumerischen Wörter für Länge und Breite wie algebraische
Zeichen behandelt werden, kann für dieselben x und y eingesetzt werden) 49 :
xy +X - y = 183; X + y = 27.
Wir wollen uns hier nicht dem Lösungsverfahren zuwenden, sondern
allein auf den Umstand aufmerksam machen, daß bei dieser Gleichung eine
Fläche xy und eine Strecke x - y unbedenklich addiert werden. Geome-
trisch ist dies ein un-vorstellbares Verfahren, welches die Griechen in Ge-
stalt der Homogenitätsforderung Buklids aus ihrer geometrischen Algebra
verbannen werden. Daß die Babyionier hier so unbedenklich verfahren,
Im antiken Ägypten und Mesopotamien 25

zeigt uns, daß das, womit in dieser Aufgabe operiert wird, eben keine geo-
metrischen Objekte sind, sondern Zahlen, arithmetische Objekte. Die
Wörter 'Länge' und 'Breite' ('us' und 'sag') sind nichts anderes als Versinn-
bildlichungen von Zahlen als den eigentlichen Gegenständen algebraischen
Tuns. 50

1.2.4 Die Algebra: ein Rezeptewissen


für den Umgang mit Zahlenverhältnissen

Wir können jetzt eine Antwort auf die Frage geben, wieso überhaupt sinn-
voll von einer ägyptischen und babylonischen Algebra gesprochen und wie
diese charakterisiert werden können.
(1) Es sind Aufgaben gegeben, bei denen eine oder mehrere unbekannte
Zahlen zu be.stimmen sind. Diese Aufgaben werden gelöst, indem Glei-
chungen aufgestellt und dann schrittweise umgeformt werden, bis die ge-
suchte(n) Zahl(en) errechnet ist (sind). Bei diesen Gleichungsumfor-
mungen kommen Regeln zur Anwendung (auf beiden Seiten die gleichen
Operationen durchführen, neue Unbekannte einführen etc.), die auch die
Regeln der klassischen Algebra sind. Diese Regeln- und das ist der Punkt,
der es überhaupt erlaubt, hier von einer "Algebra" zu sprechen- beziehen
sich auf das Operieren mit Zahlen, sind also nicht mehr als Anleitungen zur
Lösung praktisch-organisatorischer Probleme zu verstehen. Im Zuge dieses
Zahlenoperierens machen sich die Babyionier Einsichten in Zahlenverhält-
nisse zunutze, die wir heute mit den Formeln
(a + b )2= a2 + 2ab + b2
oder
(a + b) · (a - b) = a2 - b2
anschreiben würden.
Doch diese Einsichten in Zahlenverhältnisse finden sich nirgendwo ex-
plizit formuliert. Sie werden nur angewendet, so daß wer sich mit den
Aufgaben auseinandersetzt und diese als Beispiele für die Anwendung be-
stimmter Regeln zu interpretieren vermag, implizit das Regelwissen sich er-
schließen kann. Die Ausnahme bildet der als drittes Beispiel aufgeführte
L.ehrtext.
'Daß diese Regeln nicht als Regeln gelehrt, sondern eben nur beispielhaft
vorgeführt werden, hängt mit dem nichtformalen Charakter der antiken Al-
gebra zusammen. Mathematische Regeln auf allgemeingültige Weise zu for-
mulieren, heißt zu formalisieren. Doch die Gleichungen, um die es hier
geht, sind Wortgleichungen, die mit konkreten Zahlenangaben arbeiten.
Und wenn es auch einen Fortschritt markiert, daß es hier um Zahlen über-
haupt und nicht mehr um die Berechnung von Gegenstandmengen geht- ein
Fortschritt, der die Anwendung des Terminus 'Algebra' möglich macht-, so
streifen die ägyptische und babylonische Algebra die Schranken gleichsam
~6 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle

individueller Zahlenrätsel keineswegs ab. Dies ist erst dann der Fall, wenn
für die Zahlenkoeffizienten einer Gleichung allgemeine Zeichen eingeführt
werden, die- anders als das Zeichen für die Unbekannte- nicht mehr einen
wohlbestimmten Wert, sondern alle möglichen Zahlenwerte repräsentieren,
die für die Zeichen so eingesetzt werden können, daß die Gleichung einen
richtigen Ausdruck ergibt. Die Aufstellung eines solchen Lösungsschemas
setzt also die Entwicklung eines geeigneten Symbolismus voraus. Wobei "ge-
eignet" hier nur heißt, daß ein solches Symbol nicht :rpehr für ein wohl-
bestimmtes Objekt steht- wie bei den Zahlzeichen, wo jeder Ziffer genau
eine Zahl entspricht, oder bei dem ägyptischen Zeichen für die Unbe-
kannte, da hier die Zahl zwar noch unbekannt, doch durch die Koeffizienten
der Gleichung genau determiniert ist-, sondern ein solches Symbol stände
für "unbestimmte" Objekte, deren Gegebensein alleine dadurch verbürgt
ist, daß das Verfahren, welches mit dem Schema festgelegt wird, auf die-
selben angewendet werden kann. Eine solche Art des Symbolgebrauches
aber liegt dem mathematischen Denken der Ägypter und Babyionier fern.
Daher sei ihre Algebra in Absetzung zu der neuzeitlichen, symbolisch ver-
fahrenden Algebra "rhetorische Algebra" genannt.
(2) Diese rhetorische Algebra ist keine Wissenschaft im Sinne der '_ma-
thema' als eines beweisenden Lehrstückes. Nirgends findet sich ein Ansatz-
punkt zu dem, was wir einen Beweis nennen würden. 51 Das Lösungsverfahren
wird mit Worten wie "Tue dies, tue das" beschrieben, ohne auch nur eine Spur
der Erklärung bzw. Begründung, wieso das, was man zu tun hat, überhaupt
funktioniert. Die Algebra wird als ein Rezeptewissen praktiziert. Die erfolg-
reiche Anwendung von Rezepten beruht nicht darauf, zu wissen, warum ein
Rezept "anschlägt": Wenn ich eine zu dünne Soße mit weiterem Mehl ein-
dicken kann, so beruht der Erfolg solchen Tuns nicht auf einem Wissen um
jene chemischen Vorgänge, aus denen er resultiert. Die Algebra ist ein
Können, eine techn~, nicht aber eine deduktive, d. h. beweisende Theorie.
Damit aber finden wir in der altorientalischen Mathematik einen "Stil", der
sich als ein Know-how versteht, und in dessen Tradition später-wichtige
Neuerer des aigorithmisch-kalkulatorischen Denkens stehen werden.

1.3 Die Entwicklung schematischer Zahlenoperationen


im antiken Griechenland

In die Wissenschaftsgeschichte ist das antike Griechenland eingegangen


als die Geburtsstätte des wissenschaftlichen Denkens. Dieser Annahme
liegt eine spezifische Auffassung darüber zugrunde, was unter "Wissen-
schaft" zu verstehen sei: Nicht die hochentwickelte algebraische Technik der
Babyionier z. B. gilt danach als wissenschaftliches Wissen, da dies nur ein
Rezeptewissen ist, sondern allein ein Wissen, welches das, was es weiß, zu
begründen vermag kraft unanfechtbaren Beweises.
Schematische Zahlenoperationen im antiken Griechenland 27

Nirgendwo im babylonisch-ägyptischen Kulturraum finden sich Spuren


beweisender Argumentation. Und so blieb es den griechischen Denkern vor-
behalten, die Idee des Beweises zu fassen, auf deren Grundlage E~klid ver-
suchte, das mathematische Wissen als ein System von Sätzen aufzubauen,
deren architektonisches Prinzip die logische Deduktion aus selbstevidenten,
und also des Beweises nicht mehr bedürftigen, Axiomen ist. Dann erst
werden Kenntnisse zu einer 'mathema' im griechischen Sinne, d. h. zu einem
beweisenden Lehrstück. 52
Es gibt eine große Anzahl vorzüglicher Werke, welche die Genese der ma-
thematischen Wissenschaften bei den Griechen herausarbeiten. 53 Auf diese
Genese Bezug zu nehmen, kann unsere Aufgabe nicht sein. Wenn wir uns
mit dem mathematischen Denken der Griechen beschäftigen, so konzen-
trieren wir uns hier auf die Frage nach dem Entwicklungsgang des algorith-
misch-kalkulatorischen Denkens. Aus diesem Blickwinkel heraus drängt
sich folgende Frage auf: Wenn das altorientalische mathematische Wissen
ein Know-how, ein Rezeptewissen, gewesen ist, in welchem Verhältnis steht
diese Art von Wissen zu dem mathematischen Begründungswissen der Grie-
chen? Kann man sich dieses Verhältnis z. B. so vorstellen, daß die Griechen
an diese "Kenntnis nach Rezepten" anknüpfen und nur eben die Möglich-
keit einer allgemeinen Anwendbarkeit der Rezepte zu begründen suchen?
Sozusagen die Beweise nachlieferten?
Die Antwort auf diese Frage sei folgendermaßen plausibel gemacht: Die
Herausbildung der beweisenden, axiomatisch-deduktiv verfahrenden Ma-
thematik stellt einen Bruch mit der altorientalischen Tradition mathemati-
schen Rezeptewissens dar. Einen Bruch, der sich fortan niederschlägt in der
Differenzzweier "Stile" des mathematischen Tuns: dem "altorientalischen
Rezepte-Stil", der sich als eine 'techne' versteht und auf den die Traditions-
linie des algorithmisch-kalkulatorischen Denkens zurückgeht, und dem
"griechischen Deduktions-Stil", der sich als eine 'episteme' versteht und
von dem die Tradition des beweisenden Denkens ausgeht. Wir werden
sehen, daß sich im 16. und 17. Jahrhundert eine Synthese der beiden mathe-
matischen Denkstile vollzieht, aus welcher die Formel hervorgeht. So ent-
steht eine ganz neue Stufe des algorithmisch-kalkulatorischen Denkens, die
vom Gedanken der Formalisierbarkeit aller Operationen, bei denen wir Zei-
chen gebrauchen, ausgeht. Doch von diesem Zeitpunkt sind wir hier w~it
entfernt. Schauen wir uns genauer das "Schicksal" an, welches dem altorien-
talischen Wissen widerfuhr, als es in "Beweisnot" kam!

1.3.1 Die pythagoreische Rechensteinarithmetik



Wir haben Beispiele dafür, wie arithmetische Kenntnisse, von denen zwar
gezeigt werden konnte, wie man zu ihnen gelangt, nicht aber, warum sie
richtig sind, im Zuge der Verwissenschaftlichung der Arithmetik fallen-
28 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle

gelassen wurden. Es sind dies die Summenformeln für arithmetische


Reihen, zu denen die Pythagoreer durch den Gebrauch von Rechensteinen
gelangten.

1.3.1.1 Die figurierten Zahlen

Rechensteine ('Pf)<poL, psephoi) gehörten zur alltägli~hen Rechenpraxis


der Griechen: Im Unterschied zum schriftlichen Rechnen der Ägypter und
zur Benutzung tabellarischer Hilfsmittel bei den Babyioniern benutzten die
Griechen Rechenbretter, auf denen sie mit Hilfe von Rechensteinen, die in
markierte Spalten gelegt wurden, Zahlenoperationen durchführen konnten.
Das einzige uns erhaltene Rechenbrett ist eine Tafel aus weißem Marmor,
die Mitte des vorigen Jahrhunderts auf der Insel Salamis gefunden wurde
und heute im Nationalmuseum in Athen aufbewahrt wird. 54 Die griechische
Sprache gibt uns Aufschluß darüber, wie sehr das alltägliche Rechnen von
der Rechensteinpraxis geprägt war: 'psephizein' heißt wörtlich "steineln"
und ist zugleich der allgemeine Begriff für 'rechnen'. 55
Die Pythagoreer nun "zweckentfremdeten" dieses gegenständliche Hilfs-
mittel alltäglicher Rechenpraxis: Es diente ihnen nicht mehr zum Lösen von
Rechenaufgaben, sondern zur Demonstration rein arithmetischer Eigen-
schaften von Zahlen, indem Zahlen mit Hilfe von Rechensteinen zu figu-
rierten Anzahlen ausgelegt wurden. 56
Schauen wir uns Beispiele an:
Die Summenformel für die arithmetische Reihe der natürlichen Zahlen ist
durch die Auslegung zu Dreieckszahlen und deren Verdoppelung zu demon-
strieren. Man kann die Steine in folgender Weise anordnen:

• •• •
• •• • •• •• • •• •• •• •
1 1 + +
2 + 1+ + +2 3 1 2 3 4

Aus dieser Anordnung ergibt sich, daß zwei gleiche Dreieckszahlen zu-
sammen eine "heteromeke" Zahl in Form eines Rechteckes ergeben.

0 0 0 0


•0 . •

0

0
0
0
0
0 0
0
0
0


0
•• • •• •• • •• •• •• •
0 0 0

2 1 2 3 2 6 2 10
Schematische Zahlenoperationen im antiken Griechenland 29

Die Seiten der Rechteckzahlen differieren um einen Stein. In unserer alge-


braischen Schreibweise ausgedrückt, ist ihre Formel: n (n + 1).
Da die ursprünglichen Dreiecke die Hälfte eines Heteromeks sind, ist ihre
1
Formel: - n (n + 1).
2
Da die Dreieckszahlen zugleich die Summe der natürlichen Zahlen reprä-
sentieren, ist auch deren Formel gefunden:
1
1 + 2 + 3 + 4 + ......... + n = 2 n (n + 1).

Durch das Auslegen von figurierten Zahlen, den Dreieckszahlen, Qua-


dratzahlen, Rechteckzahlen und Fünfeckzahlen
0 0 0 0

0 0
0
•• ••
0 0
0
•• •• •• 0
0
0
1 •1 + 0
3 1 + 3 +
0
5
•1 + •3 + • + 5
0
7
12 22 32 42

gelangten die Pythagoreer zu den Summationen der folgenden einfachen


arithmetischen Reihen 57 :
1
(1) Dreieckszahlen: 1 + 2 + 3 + .... + n = 2 n (n + 1)
(2) Quadratzahlen: 1 + 3 + 5 + .... + (2n - 1) = n 2
(3) Rechteckzahlen: 2 + 4 + 6 + .... + 2n = n (n + 1)
1
(4) Fünfeckzahlen: 1 + 4 + 7 + .... + (3n- 2) = 2 n (3n -1).
Die Einsicht in die Richtigkeit solcher Erkenntnisse ist im Rahmen der
pythagoreischen Rechensteinarithmetik nicht anders zu gewinnen als durch
den praktischen Vollzug der Auslegung auf besondere Weise figurierter
Steine, die für bestimmte Anzahlen stehen. Die Richtigkeit eines arithmeti-
schen Zusammenhanges wird sichergestellt durch die erfolgreiche Anwen-
dung einer techne, deren Ergebnisse zwar zeigen können, wie sich etwas ver-
hält, nicht aber warum es sich so verhält. Daß eine Antwort auf die Frage
nach dem "Wie", nicht aber nach dem "Warum" das Fundament mathemati-
scher Gewißheit bildet, ist jener Stil der Kenntnis von Rezepten, der uns von
den Ägyptern und Babyioniern überliefert ist und der in Gestalt der pytha-
goreischen Rechensteinarithmetik auch im griechischen Kulturkreis Wur-
zeln schlug.
Iamblichos überlieferte uns, Pythagoras habe sieben Jahre in Babylonien
verbracht. 5 8 Aber auch unabhängig von der Frage, wie sich in antiken Rei-
seerzählungen Mythos und Geschichte voneinander trennen lassen, hat ins-
besondere van der Waerden nicht von der Hand zu weisende Argumente bei-
30 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle

gebracht, die einen babylonischen Einfluß auf das pythagoreische Denken


und Berührungspunkte der babylonischen und pythagoreischen Mathema-
tik erweisen. 59
In den letzten Jahren des 4. Jahrhunderts v. Chr. erschienen Euklids >Ele-
mente<. Im Anhang des Buches IX sowie in Definitionen des Buches VII
findet sich die den Pythagoreern des 5. Jahrhunderts zugeschriebene Lehre
vom Geraden und Ungeraden (LvGuU). Nach den Gesetzen arithmetischer
Reihen, zu deren Einsicht die Pythagoreer durch ihre figurierten Zahlen ge-
langten, sucht man in den Büchern Buklids vergebens.· Wolfgang Lefevre
zieht daraus den Schluß, daß es offensichtlich nicht gelungen ist, diese arith-
metischen Gesetzmäßigkeiten in einer deduktiv aufgebauten Theorie darzu-
stellen und zu beweisen. 60 Die 'techne' der figurierten Zahlen erwies sich
zwar als ein heuristisches Mittel zum Auffinden bestimmter Zahleneigen-
schaften, nicht aber als ein Mittel des Beweises von Sätzen über diese Eigen-
schaften. Eines Beweises wohlgemerkt, der nicht mehr als operativer
Vollzug, sondern als deduktive Ableitung verstanden wird.

1.3.1.2 Die Lehre vom Geraden und Ungeraden

Es gibt eine "Nahtstelle", an der dieser Übergang von der Gewißheit, die
aus operativer Bewältigung resultiert, zur Gewißheit, die allein der logi-
schen D~duzierbarkeit vertraut, für uns unmittelbar nachvollziehbar wird.
Es ist dies die bereits erwähnte LvGuU, die Euklid in seine Bücher VII-IX
-allerdings transformiert zu einer beweisenden Lehre- aufgenommen hat.
Bei dem Komödiendichter Epicharmos findet sich eine Anspielung auf diese
Lehre, die wir als Hinweis darauf werten können, daß Überlegungen über
gerade und ungerade Zahlen ursprünglich im Kontext von Operationen mit
den Rechensteinen standen: "Wenn einer zu einer geraden Zahl, meinet-
halben auch einer ungeraden, einen Stein zulegen, oder von den vorhan-
denen wegnehmen will, meinst du wohl, sie bliebe dieselbe?" 61
Oskar Becker legte 1936 eine Untersuchung vor, in welcher er die LvGuUso
rekonstruierte, daß ihre Sätze vermittels der Auslegung figurierter Zahlen ge-
funden und deren Richtigkeit operativ aufgezeigt werden konnte. 62
Schauen wir uns dazu das Beispiel eines Satzes über gerade Zahlen an, der
im IX. Buch Buklids unter der Nummer 21 steht:
Setzt man beliebig viele gerade Zahlen zusammen, so ist die Summe gerade.
Wie kann solcher Satz durch die Rechensteinarithmetik demonstriert
werden? 63 In Buch VII finden sich unter der Nr. 6 und Nr. 7 zwei Defini-
tionen für gerade und ungerade Zahlen:
VII 6: Gerade ist die Zahl, die sich halbieren läßt.
VII 7: Und ungerade die, die sich nicht halbieren läßt oder die sich um die Einheit
von einer geraden Zahl unterscheidet.
Schematische Zahlenoperationen im antiken Griechenland 31

Mit Hilfe der figurierten Zahlen kann man diese Definitionen so zum Aus-
druck bringen:

•• •• •• •• •• •• •• •• •
geradeZahl ungerade Zahl

Als schematisches Bild kann man das so darstellen:

D
Die Richtigkeit von Satz IX 21 kann nun so gezeigt werden:

Bei Euklid findet sich von einer solchen möglichen Bezugnahme auf die
Rechensteintechnik nichts mehr. Statt dessen wird ein Beweis geliefert, der
sich auf das Theorem Eiern. VII 5 stützt, das uns heute als Distributivgesetz
geläufig ist, sowie auf die Definition Eiern. VII Def. 6. Im Wortlaut:
Beliebig viele gerade Zahlen AB, BC, CD, DE seien zusammengesetzt. Ich be-
haupte, daß die SummeAE gerade ist.
Jede der Zahlen AB, BC, CD, DE hat, da sie gerade ist, einen Teil, der die Hälfte ist
(Eiern. VII Def. 6). Folglich hat auch die Summe AE einen Teil, der die Hälfte ist
(Eiern. VII 5). Gerade aber ist die Zahl, die sich halbieren läßt (Eiern. VII Def. 6).
Also istAE gerade- q. e. d.
An die Stelle der operativ durchsichtigen Erzeugung von "Zahlenbil-
dern", welche Eigenschaften von Zahlen, d. h. arithmetische Gesetzmäßig-
keiten, auf anschauliche Weise zum Ausdruck bringen, tritt der deduktive
Aufbau eines Systems von Sätzen, der es möglich macht, die Richtigkeit
eines Satzes darauf zurückzuführen, daß dieser Satz in der logischen Reihen-
folge der Sätze eine wohlbestimmte Stelle einnimmt ..
Vielleicht kann diese "Verdrängung", die hier im Übergang von der vor-
wissenschaftlichen zur wissenschaftlichen Arithmetik sich vollzieht und die
die Verdrängung nichtbeweisbarer Erkenntnisse ebenso einschließt wie die-
jenige des operativen Beweises gegenüber dem logisch-deduktiven, als
paradigmatisch gelten für das Verhältnis von altorientalischem Rezepte-
wissen und griechischem wissenschaftlichen Wissen.
32 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle

1.3.2 Die Stagnation der algebraischen Technik


infolge der Geometrisiyrung der Algebra

1.3.2.1 Was heißt "geometrische Algebra"?

Vom Standpunkt der Algebra als einer Disziplin, die vom Auflösen von
Gleichungen durch rechnerische Umformungen handelt, ist das algebrai-
sche Wissen der griechischen Mathematiker -vorsichtig ausgedrückt - kein
Fortschritt gegenüber jenen Fertigkeiten, die uns durch babylonische Texte
überliefert sind. Das Autorenkollektiv Bourbaki spricht von einer Stagna-
tion der algebraischen Technik. 64 Schauen wir, was unter der griechischen
Algebra zu verstehen ist. Der Mathematikhistoriker Zeuthen charakteri-
sierte diese als erster mit dem Terminus "geometrische Algebra". 65
Im Buch II der >Elemente< des Euklids findet man eine Reihe von Sätzen,
welche -vom Standpunkt der modernen, symbolischen Algebra aus ge-
sehen - algebraische Formeln in geometrischer Einkleidung darstellen. So
heißt es z. B. in Satz II 1:
Hat man zwei Strecken und teilt die eine von ihnen in beliebig viele Abschnitte, so ist
das Rechteck aus den beiden Strecken den Rechtecken aus der ungeteilten Strecke
und allen einzelnen Abschnitten zusammen gleich.

al'---------'---"----11
I I
b c d

Das aber entspricht der Formel 66 :


a (b + c + ... ) = ab + ac + ...
Der Satz II 7 heißt:
Teilt man eine Strecke, wie es gerade trifft, so ist das Quadrat über der ganzen Strecke
den Quadraten über den Abschnitten und zweimal dem Rechteck aus den Abschnit-
ten zusammen gleich.

Dies kann aus der folgenden Figur abgelesen werden 67

a b
und entspricht der Formel:
(a + b )2 = a2 + 2ab + b2 •
Wir sehen an diesen Beispielen, daß die Algebra quadratischer Glei-
chungen als ein System geometrischer Sätze über Flächenverwandlungen
Schematische Zahlenoperationen im antiken Griechenland 33

auftritt. Kubische Gleichungen nehmen dementsprechend in geometrischer


Einkleidung die Konstruktion und Bestimmung von Volumina an.
Nun finden sich auch in der babylonischen Algebra Ausdrücke wie daß das
Produkt von xy ein Rechteck, das Quadrat x 2 ein Viereck sei, doch ändert
das nichts an dem arithmetischen Grundzug der babylonischen Algebra, der
in der "geometrisch sinnlosen" Addition einer Fläche und einer Strecke
ebenso zum Ausdruck kommt wie darin, daß die algebraischen Operationen
nicht geometrisch, sondern als Rechenoperationen, als Multiplizieren, Wur-
zelziehen etc. gefaßt werden. 6 8
Van der Waerden vertritt die Auffassung, daß im II. Buch der >Elemente<
- welche wahrscheinlich auf pythagoreische Überlegungen zurückgehen,
wobei für die Pythagoreer gezeigt werden kann, daß sie an babylonisches
Wissen anknüpften - die babylonischen Regeln für das Lösen von Glei-
chungen geometrisch formuliert und bewiesen worden seien. 69 Offensicht-
lich ergibt sich ein enger Zusammenhang zwischen dem für griechisches
-~

mathematisches Wissen geltenden Beweiszwang und dem g~ometrischen


Charakter der griechischen Algebra.
Die Geometrisierung algebraischer Operationen durchzieht die gesamte
griechische Mathematik. Die Lehre von den regulären Polygonen und Po-
lyeder sowie die Lehre von den Kegelschnitten beruhen größtenteils auf
dieser Methode. Theaitetos im 4. Jahrhundert, Arehirnedes und Apollonius
im 3. Jahrhundert führen ihre Überlegungen zumeist als geometrische Pro-
bleme und ihre konstruktiven Lösungen durch.
Wenn es so ist, daß die Geometrisierung der Algebra mit dem bewei-
senden Charakter des mathematischen Wissens in Zusammenhang steht,
wie kann solcher Zusammenhang erklärt werden?

1.3.2.2 Die Entdeckung der Inkommensurabilität

Es ist eine der großen Leistungen der griechischen Mathematik, die In-
kommensurabilität (z. B. der Seite und Diagonale eines Quadrats) nicht nur
als Phänomen entdeckt, sondern zugleich auch den Begriff des Inkommen-
surablen gewonnen zu haben. Dabei sei unter dem Begriff "inkommensu-
rable Größe" die Möglichkeit verstanden, von einer gegebenen Größe arith-
metisch zu beweisen, daß sie irrational ist. Die Wurzel aus 2 scheint die erste
Größe zu sein, deren Irrationalität durch arithmetische Überlegungen im
Zusammenhang eines indirekten Beweises gezeigt werden konnte. Die mei-
sten Euklidkodizes überliefernamEndes des X. Buches der >Elemente<, als
Nachtrag einer späteren Hand, einen "alten Beweis", der darauf hinaus-
läuft, daß, wenn Quadratseite und -diagonale kommensurabel wären, die-
selbe Zahl zugleich gerade und ungerade wäre. Auch Aristoteles erwähnt
diesen Beweis (als Beispiel einer reductio ad absurd um), der so wiederge-
geben werden kann 7 0:
34 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle

Angenommen, das Verhältnis von Diagonale und Seite eines Quadrats sei p zu q, ausge-
drückt in den kleinsten Zahlen, die demnach relativprimzueinander sind, so daß eine
von ihnen gerade, die andere ungerade ist. Esist2 = p 2 : q2 oder2 = q2 : p 2 • Nunistent-
weder p oder q ungerade, also entweder p 2 oder q2 ungerade. Wäre p 2 ungerade, so wäre
es der geraden Zahl2q2 gleich: p wäre zugleich gerade und ungerade. Wäre q aber unge-

rade, so muß p gerade, also p 2 durch 4 teilbar sein. ~p2 ist also noch durch 2 teilbar.
Es ist aber l = ~ p 2 • Also wäre wiederum eine ungerade (q:) einer geraden Zahl
{~ p 2) gleich. Daß eine Zahl zugleich gerade und ungerade ist, ist ein logischer Wider-

spruch und also unmöglich. Es sind sich gegenseitig nicht messende Strecken konstru-
ierbar, deren Verhältnisse zueinander nicht durch das Verhältnis ganzer Zahlen aus-
drückbar ist. Es gibt keine natürliche Zahl und kein Verhältnis von Zahlen, das ein
arithmetisches Äquivalent zu diesen geometrischen Objekten sein könnte. 71

Die Entdeckung der Inkommensurabilität wird den pythagoreischen Ma-


thematikern Mitte des 5. Jahrhunderts zugeschrieben. 72 Unschwer ist vor-
stellbar, welche Ersc~ütterung von dieser Entdeckung für die pythagorei-
sche Grundidee "Alles ist Zahl" ausging. 73 Denn die Idee, alle Verhältnisse
in der Welt ließen sich als Verhältnisse ganzer Zahlen ausdrücken, wurde
hier schon für das Gebiet der Geometrie zu Fall gebracht.
Diese Einsicht in Zahlenverhältnisse, die einen logischen Widerspruch
implizieren, führte unter den Bedingungen des griechischen Zahlbegriffes
- Zahl ist immer Anzahl von etwas 74 - dazu, das Fundament der wissen-
schaftlichen Zahlenlehre in geometrische Operationen hinabreichen zu
lassen. Im Bereich der Zahlen ist die Gleichung x 2 = 2 nicht lösbar. Im Be-
reich der Strecken ist sie lösbar, nämlich durch Konstruktion der Diagonale
des Einheitsquadrates. Die geometrische Algebra gilt also auch für inkom-
mensurable Größen und ist dennoch eine Wissenschaft im Sinne einer
strengen 'mathema', eines axiomatisch-deduktiv verfahrenden, also logi-
sche Widersprüche ausschließenden Lehrstückes.
Dieser Zwang zur beweisenden Wissenschaft ist es also, der die Griechen
ihre algebraischen Überlegungen in geometrische Beziehungen einkleiden
läßt.

1.3.2.3 Die Restriktionen der griechischen Algebra

Doch diese Geometrisierung fordert ihren Preis. Stellen wir uns vor, alle
Elemente, die in Rechnungen eingehen, sowie Operationen mit diesen Ele-
menten müssen jeden Augenblick geometrisch deutbar sein. Für diese geo-
metrische Deutung aber gilt das Homogenitätsgesetz. 75 Gemäß diesem
Gesetz führt die Multiplikation zweier Strecken zu einer Fläche, die Multi-
Schematische Zahlenoperationen im antiken Griechenland 35

plikation zweier Flächen zu einem Körper. Doch Ausdrücke wie z. B. a4 , a5


sind - obwohl dieselben durch Anwendung der Multiplikationsregel exakt
gebildet sind- keine Ausdrücke, denen geometrische Objekte entsprechen;
sie werden daher aus der Algebra ausgeschlossen. Doch nicht nur der alge-
braische Gegenstandsbereich .wird infolge der geometrischen Deutung ein-
gegrenzt. Auch die algebraischen Lösungsverfahren werden, nicht weniger
als die Beweisverfahren, unübersichtlich und schwerfällig.
Gleichungen ersten und zweiten Grades lassen sich ohne weiteres in der
Sprache der Geometrie darstellen und ihre Auflösungen als geometrische
Operationen durchführen. Doch zum Auflösen von Gleichungen dritten
Grades muß man auf das umständliche Hilfsmittel der Proportionenlehre
zurückgreifen. So führte Hippakrates die Gleichung x 3 = V auf die Propor-
tion
a:x=x:y=y:b
zurück und Afchimedes die Gleichung dritten Grades
x 2 (a - x) = bc2
auf
(a - x) : b = c2 : r.
Bei Apollonius finden sich Beispiele solch proportionaler Behandlung auch
für Gleichungen 4. Grades. 76 Weiter allerdings kann man mit dieser Me-
thode nicht gelangen, eben weil Ausdrücke wie a4 keine geometrischen Ob-
jekte mehr bezeichnen können. Van der Waerden macht eine weitere Impli-
kation dieser geometrischen Technik der Algebra deutlich. Um solche
Technik beherrschen zu können, muß man ein äußerst geschickter Mathe-
matiker sein, der Proportionen anband von geometrischen Figuren um-
formen kann. Was mit unserer modernen Zeichenschrift im Prinzip jedem
möglich ist, der die algebraische Zeichenschrift und ihre Umformungsregeln
lernt, bleibt hier Domäne äußerst begabter Mathematiker.
Der Schw~rfälligkeit und Schwierigkeit solcher Lösungsverfahren steht
diejenige der Beweisverfahren nicht nach. Hier werden Strecken durch je-
weils zwei Buchstaben innerhalb umständlicher Sätze, die die griechischen
Mathematiker statt kurzer Formeln benutzen mußten, gekennzeichnet und
jeder, der den Beweis nachvollziehen möchte, ist gezwungen, in der entspre-
chenden Figur Schritt für Schritt die in Rede stehenden Strecken aufzusu-
chen. Van der Waerden weist mit Recht darauf hin, daß solche Schwierig-
keiten kompensierbar sind, solange eine mündliche Überlieferung der Ma-
thematik besteht. 77 In mündlichen Erklärungen lassen sich die Strecken mit
Fingern zeigen und auch Erläuterungen nachschieben, wie man überhaupt
zu den einzelnen Beweisen gelangt ist. Doch wo solche mündliche Überlie-
ferung von Generation zu Generation abbricht und die Lehre nur noch in
der schriftlichen Form des klassischen Lehrsatzes und seines Beweises tra-
diert wird, da wird das Verstehen der mathematischen Bücher ungemein
erschwert. Unter diesem Gesichtspunkt wird die moderne symbolische
36 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle

Algebra auch zu einer Antwort auf die Frage, welche Form die schriftliche
Überlieferung einer mathematischen Lehre anzunehmen hat, die "für sich
selber spricht".

1.3.3 Diophant von Alexandrien

Wir haben verfolgen können, wie die Etablierung der Mathematik als
einer apodeiktischen (aufzeigenden) Wissenschaft- una damit die für die
Griechen unausweichlich gewordene geometrische Interpretation von Zah-
lenverhältnissen- das rein arithmetische Problemelösen, wie es z. B. die Ba-
bylonier mit großer Kunstfertigkeit praktizierten, zum bescheidenen
Rinnsal verdünnten. In den Büchern VII-IX der >Elemente< Euklids wird
zwar die Arithmetik in ihren allgemeinen wissenschaftlichen Grundlagen be-
handelt- doch keiner dieser Sätze über Zahlen wird auch nur durch ein Zah-
lenbeispiel erläutert.
Um so augenfälliger hebt sich da die Gestalt eines Mathematikers in der
hellenistischen Epoche heraus, bei dem das rein arithmetische Denken mit
solcher Schwungkraft :vorwärtsstrebt, daß es sich aus sehr "ungriechischen"
Quellen zu speisen scheint. 78 Es ist dies der ca. 250 n. Chr.lebende Diophant
von Alexandrien, der das Operieren mit Zahlen zu einer der griechischen
Arithmetik unbekannten Blüte entfaltet. Diophant von Alexandrien ist ein
großer "Rechner". Und das heißt zuerst einmal: er bricht mit der für das klas-
sische griechische Denken konstitutiven geometrischen Deutung arithmeti-
scher Operationen. Wenn er etwa in herkömmlicher Weise von rechtwinkli-
gen Dreiecken spricht, versteht er darunter nur noch drei Zahlen g, k, h,
die in der Relation i + 1(2 = h2 stehen. Dies zeigt sich daran, daß er das
Homogenitätsgesetz außer Kraft setzt und ganz unbedenklich die Fläche
1
- gh eines solchen Dreiecks mit einer der Katheten addiert, daß er verlangt,
2
eine Kathete solle ein Kubus sein etc. 79 Überdies kommt seine arithmetische
Ausrichtung darin zum Ausdruck, daß er in seinen Aufgaben zumeist nach
bloßen Zahlen fragt, nicht mehr aber nach konkret zu berechnenden Größen
von Dingen. "Eine gegebene Zahl (100) ist in zwei Summanden zu zerlegen,
die eine gegebene Differenz haben (40). " 80 Um derartige Aufgabenstel-
lungen zu finden, müssen wir schon zurückgehen in vorgriechische Zeiten,
z. B. zu den aha-Rechnungen (Haufen-Rechnungen) der Ägypter, die Auf-
gaben stellten wie: "Ein Haufen und sein Siebtel ist 19. " 81
So ist Hankel zuzustimmen, wenn er feststellt, Diophant sei der erste ge-
wesen, der mit allgemeinen, zusammengesetzten Zahlenausdrücken nach be-
stimmten formalen Gesetzen der Addition, der Subtraktion, der Multiplika-
tion, der Division, der Potenzierung und der Radizierung operiert, d. h. ge-
rechnet habe. 82 Erst durch diese, im Verzicht auf die geometrische Re-
Schematische Zahlenoperationen im antiken Griechenland 37

präsentation ermöglichte "Rechenhaftigkeit" des mathematischen Tuns


gelangt Diophant zu dem, was wir unter einer "Gleichung" verstehen, daß
nämlich zwischen Zahlenausdrücken eine Äquivalenzrelation hergestellt
werde, die durch Umformungen auf eine Normalform zurückgeführt
werden kann, in welcher die gesuchten Werte vollständig aus den gegebenen
Werten determiniert erscheinen, so daß dann durch sukzessivesAusrechnen
die Lösung gefunden werden kann. Diophant lehrt, was der arabische Ge-
lehrte al~Hwarizmi später mit '.f\ljabr' und 'Almukabala' bezeichnen wird
und woraufunser Terminus 'Algebra' in seinen wortgeschichtlichen Wurzeln
verweist: 'Aljabr' ist das Hinüberschaffen von Minusgliedern auf die andere
Seite; 'Almukabala' ist das Wegheben gleicher Glieder auf beiden Seiten
einer Gleichung. 83 Diophant schreibt:
Wenn man bei einer Aufgabe auf eine Gleichung kommt, die auf beiden Seiten die-
selbe Potenz der Unbekannten, aber mit verschiedenen Koeffizienten enthält, so
muß man Gleichartiges von Gleichartigem abziehen, bis ein Glied einem Gliede
gleich wird. Wenn aber auf einer oder auf beiden Seiten der Gleichung einzelne
Glieder negativ sind, so muß man die negativen Glieder auf beiden Seiten addieren,
bis auf beiden Seiten alle Glieder positiv geworden sind; und dann muß man ebenfalls
Gleichartiges von Gleichartigem abziehen, bis auf jeder Seite der Gleichung ein
Glied übrig bleibt. 8 4

Dieser "rechenhafte" Vollzug algebraischer Operation ist jedoch an eine


wesentliche Voraussetzung gebunden, die zu schaffen als die eigentliche Lei-
stung Diophants angesehen werden kann. Arithmetische Umformungen
von Gleichungen, in denen eine unbekannte Größe vorkommt, sind dann
und nur dann möglich, wenn auf selbstverständliche Weise mit dieser unbe-
kannten Größe bereits gerechnet wird, noch ehe sie bestimmt ist. 85 Das aber
heißt, für die unbekannte Zahl ist ein "Platzhalter" einzuführen, ein Zei-
chen, welches zum Gegenstand arithmetischer Operationen nicht weniger
werden kann .als die konkreten Zahlenkoeffizienten, so daß eine Gleichung
lösen zu können heißt, durch Umformungen einen Ausdruck zu finden, in
welchem auf der einen Seite des Gleichheitszeichens das Zeichen für die
unbekannte Zahl, auf der anderen Seite jedoch ein berechenbarer Zahlen-
ausdruck steht. Eben dies tut Diophant, indem er ein Spezialzeichen für die
Unbei:cannte einführt'~', das vielleicht aus dem Schluß-S in 'arithmos' (Zahl)
resultiert. Allerdings führt er keine verschiedenen Zeichen für verschiedene
Unbekannte- bei uns etwa x, y, z etc.- ein. Doch gibt es Bezeichnungen für
die Potenzen der Unbekannten 86 :
0

(1) M Einheit
-
(s) ~ - Zahl
(sz) AY - Quadrat
(s3) KY - Kubus
(s4) QYQ - Dynamodynamis86a
38 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle

Des weiteren hat er Zeichen für reziproke Potenzen s- 1, s- 2 etc. Auch für die
Rechenoperationen führt er standardisierte Zeichen ein.
Auf der Grundlage dieser Zeichenschrift löst Diophant alle Typen quadra-
tischer, kubischer und biquadratischer Gleichungen. Vorbildlose, meister-
liche Könnerschaft aber entwickelt er auf dem Gebiet der "unbestjmmten
Analytik", beim Auflösen unbestimmter Gleichungen, die aus Gleichungs-
systemen mit mehr Unbekannten als Gleichungen bestehen. Als Lösungen
solcher Gleichungen läßt er keineswegs - wie der Begriff "diophantische
C(

Gleichung" suggeriert- nur ganze Zahlen zu, sondern es genügen ihm ratio-
nale Lösungen. 87 In dieser Hinsicht zumindest - nur rationale Größen als
Zahlen zuzulassen - steht Diophant ganz in der Tradition des klassischen
griechischen Denkens, die er zugleich überwindet, indem er Brüche als
Zahlen und damit als Lösungen zuläßt, nicht allerdings negative Zahlen.
Hankel feiert Diophant als "Vater der Arithmetik und Algebra", 88 van der
Waerden gibt implizit zu erkennen, daß in Diophants Algebra die Grenzen
der rein rhetorischen Algebra überschritten seien. 89 Markiert also Diophant
eine entscheidende Zäsur in der Entfaltung des arithmetisch-algebraischen
Denkens?
Ausgehend von der: Grundidee unserer geschichtlichen Rekonstruktion,
der Idee des "operativen Symbolismus", die eine allgemeingültige Formali-
sierung geistiger Operationen überhaupt erst erlaubt, läßt sich eine Antwort
auf diese Frage finden, indem wir unser Augenmerk auf den diophantischen
Gebrauch algebraischer Zeichen legen. Zwar führt Diophant Zeichen ein,
die das rechnerische Umgehen mit Gleichungen ungemein erleichtern,
indem sie es übersichtlicher gestalten. Doch - und darauf machte bereits
Moritz Ca~~or aufmerksam - diese Zeichen sind Abbreviaturen, Abkür-
zungen für etwas, das im Prinzip auch ohne den Gebrauch dieser Zeichen ge-
geben ist. 90 So etwa steht das Zeichen für die Unbekannte stets für eine
wohlbestimmte, wenn auch noch unbekannte Zahl. Dieses Zeichen wird
nicht operativ gebraucht wie die später von Yieta in die Algebra einge-
führten Buchstabenzeichen für die konkreten Zahlenkoeffizienten, die
nicht mehr für wohlbestimmte, sondern für "unbestimmte" Zahlen stehen,
d. h. aber für alle Zahlen, die in die allgemeine Form der Gleichung so einge-
setzt werden können, daß sich ein richtiger Ausdruck ergibt. Gemessen an
diesem operativen Umgang mit Symbolen, verbleibt Diophant in den
Grenzen der rhetorischen Algebra: seine Arithmetik handelt nicht von allge-
meingültigen Lösungen. Dieser Tatbestand wurde häufig vermerkt. 91 Von
Diophants Hauptwerk, den >Arithmetika<, sind uns sechs Bücher überlie-
fert, die insgesamt 189 Aufgaben mit ihren Lösungen enthalten. Doch nir-
gends findet sich eine systematische Theorie der Gleichungen. Die Methode
der Auflösung- häufig überaus gewitzt und scharfsinnig-·variiert von Fall zu
Fall, so daß, hat man die Lösungen von 150 Aufgaben nachgerechnet, kei-
neswegs klar ist, auf welche Weise die 151. Aufgabe zu lösen sei. 92
Dieser Mangel an methodischer Durchsichtigkeit, der ja nur eine Konse-
In China, Indien und bei den Arabern 39

quenz dessen ist, daß Diophant Gleichungen nicht auf allgemeingültige


Weise behandelt, wurzelt weniger darin, daß es diesem "glänzenden Talente
... an dem speculativen Sinne fehlte" , 93 sondern darin, daß die Algebra
noch nicht auf das Instrument eines formalen Gebrauches von Symbolen zu-
rückgreifen konnte, mit dessen Hilfe überhaupt erst allgemeingültige Sätze
über die Algebra formuliert werden können.
Diophants algebraisch-arithmetischen Überlegungen zielen darauf hin,
eine vorgegebene Aufgabe mit rein rechnerischen Mitteln, d. h. also ohne
Rückgriff auf geometrische Hilfsmittel, zu lösen. Die Beherrschung solch
rechnerischer Mittel ist eine Kunst, für die entscheidend allein das "Wie" des
rechnerischen Vollzugs ist, nicht aber das "Warum", welches zeigte, daß eine
Lösung notwendig richtig und d. h. wahr ist. Diophant praktizierte die
Algebra als eine Kunst, nicht aber als eine Wissenschaft.
Damit aber begegnet uns in diesem hellenistischen Mathematiker ein Stil
mathematisch~r Praxis, der uns nicht unbekannt ist: Es ist dies die altorien-
talische Tradition mathematischen Wissens als eines Know::-hows, einer
'techne'. Es könnte dies eine bloß zufällige Übereinstimmung sein. Van der
Waerden vermutet allerdings, daß diese Tradition, deren ersten griechischen
Spuren wir in der pythagoreischen Rechensteinarithmetik finden, im Zuge
der Verwissenschaftlichung der Mathematik keineswegs radikal unterbro-
chen wurde, sondern in volkstümlicher Überlieferung weiterlebte und in
Diophant dann eine spätgriechische Blüte brachte. 94 Auf das Fortbestehen
solcher Überlieferung verweist z. B., daß die Aufgaben 27-30 im ersten
Buch der >Arithmetik< eng verwandt sind mit babylonischen Normalglei-
chungen. Was auch immer von solch konkreter Überlieferung und Anknüp-
fung zu halten ist - uns genügt es, Diophant strukturell als Vertreter "alt-
orientalischen Rezeptewissens" charakterisieren zu können.

1.4 Algorithmisches Denken in China, Indien und bei den Arabern

Der Zerfall des Weströmischen Reiches markiert den politischen Ab-


schluß der Antike. Nach dem Zusammenbruch der antiken Gesellschaften
wird für einige Jahrhunderte der Orient zum Zentrum des mathematischen
Denkens, und der Aufschwung arithmetischer und algebraischer Erkennt-
nisse in der anbrechenden Neuzeit in Europa wäre ohne die sich in den öst-
lichen Ländern fortbildende Tradition einer algorithmisch verfahrenden
Mathematik undenkbar.
Für die antike, vorgriechische Mathematik stellte Neugebauer fest, sie sei
eine rein numerische Mathematik, deren Ziel in der numerischen Bestim-
mung von Lösungen, die gewisse Bedingungen erfüllen, liege. 95 Versuchte
man, die orientalische Mathematik der mittelalterlichen Epoche in einer
einheitlichen Perspektive zu charakterisieren, so kann an Neugebauers
Diktum angeknüpft werden. Auch hier geht es um eine Mathematik, die
40 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle

Problemlösungen durch Rechnen finden will. Prononcierter jedoch als z. B.


bei der babylonischen Arithmetik oder den Arbeiten Diophants werden
diese Problemlösungen algorithmisiert. "Algorithmisiert" heißt dabei nur,
daß die Rezepte, die angewendet werden, um zu einer Lösung zu gelangen,
so ausgearbeitet sind, daß jeder Lösungsschritt, sofern die Daten des Pro-
blems feststehen, vorab streng festgelegt ist. Wer immer diesen Algorithmus
auf die Ausgangsdaten anwendet, wird nicht nur zum gleichen Ergebnis
kommen, sondern zu diesem Ergebnis durch eine gleiche Folge von Opera-
tionsschritten gelangen. ~

1.4.1 Numerische Algorithmen in China

1.4.1.1 Die "fang-cheng"-Regel

Das erste uns überlieferte speziell mathematische Werk der Chinesen ist
die >Mathematik in neun Büchern< (Chiu Chang Suan Shu). 96 Entstehungs-
zeit, Quellen und Autoren dieses Werkes sind uns nicht bekannt. Die uns
überlieferte Fassung ~tammt von Liu Hui aus dem Jahre 263. Es ist anzu-
nehmen, daß die >Mathematik in neun Büchern< das Wissen der Mathema-
tiker des ersten Jahrtausends v. Chr. zusammenfaßt und kommentiert. 97 Im
Jahre 656 wird sie dem offiziell geltenden mathematischen Hauptlehrbuch
eingegliedert. Die erste uns bekannte Drucklegung stammt aus dem Jahre
1084. Dieses Buch, das die gesamte weitere Entwicklung der Mathematik in
China wie auch außerhalb Chinas beeinflußte, ist kein wissenschaftliches
Werk. Nirgendwo werden Kenntnisse, die es lehrt, bewiesen. Vielmehr geht
es um eine Zusammenstellung von Lösungsrezepten, bestimmt für Baumei-
ster, Beamte des Finanz- und Wirtschaftswesens, Kaufleute etc. Dem ent-
spricht, daß die Gliederung der Aufgaben in den neun Büchern nicht der
methodischen Gliederung der Lösungsverfahren folgt. Vielmehr werden
Aufgaben zusammengestellt, die sich zwar unterschiedlicher Lösungsver-
fahren bedienen, jedoch dadurch zusammengehalten werden, daß die
Gegenstände der Aufgaben einander ähnlich sind oder eine ähnliche Berufs-
gruppe mit diesen angesprochen wird. Es fehlt der Gedanke einer methodi-
schen Einheit von Problemstellungen, gemäß der Einheitlichkeit ihrer
Lösungsverfahren.
Bei Juschkewitsch findet sich eine ausführliche Darstellung der neun Bü-
cher, die nicht noch einmal reproduziert werden soll. Nur auf den Inhalt
eines Buches sei hier genauer Bezug genommen. In Buch VIII findet sich ein
Verfahren zur Lösung bestimmter linearer Gleichungssysteme mit mehreren
Unbekannten. Von exemplarischer Bedeutung ist dieses Verfahren, weil es
sich hierbei um einen regelrechten Algorithmus handelt. Die algorithmische
Lösung von Gleichungssystemen stellt ein Novum in der Geschichte des
mathematischen Denkens dar.
In China, Indien und bei den Arabern 41

Die Lösungsmethode, die in Buch VIII gelehrt wird, heißt "fang-cheng".


Es handelt sich dabei um einen Algorithmus zur Auflösung von n linearen
Gleichungen mit n Unbekannten. Juschkewitsch hat das Lösungsverfahren
in unsere Symbolsprache übersetzt. 98 Dieser Übersetzung folgen wir mit un-
serer Darstellung. Die "fang-cheng"-Regel wird auf die Normalform des
folgenden linearen Gleichungssystems angewandt:

aux1 + a12X2 + ... + a1Xn = b1,


a21X1 + a22X2 + ... + a2Xn = b2,
(1)

Dieses System wurde nicht angeschrieben, sondern auf dem Rechenbrett


mit Stäbchenziffern in Gestalt einerTabeile dargestellt, deren Handhabung
in gewisser Hinsicht einfacher war, da Symbole für die Unbekannten nicht
·'
eingetragen wurden. Die Tabelle war so angelegt, daß die Koeffizienten der
einzelnen Gleichungen von oben nach unten eingetragen wurden, die Glei-
chungen folgten von rechts nach links aufeinander:

an1 ... a21a11


an2 .•. a22a12
(2)
ann ..• a2na1n
bn ... b2b1.

Die Tabelle (2) bildet in unserer heutigen Ausdrucksweise die Matrix des
Systems (1). Sie wird umgeformt, indem man nacheinander die Elemente
der ersten Spalte von rechts von den Zahlen abzieht, die den entspre-
chenden, mit a 11 multiplizierten Elementen der zweiten, dritten etc. Spalten
gleich sind. Qie Subtraktion wird so lange fortgesetzt, bis die gesamte erste
Zeile mit Ausnahme des Elementes a 11 aus lauter leeren Spalten besteht.
(Die Koeffizienten in den Aufgaben der >Mathematik in neun Büchern< sind
ganze Zahlen.) Man verfährt auf diese Weise mit dem Teil der transfor-
mierten Tabelle, der im nachstehenden Schema durch die Winkellinie abge-
trennt ist:
au
an(~ ... a ~1)
2 a12

(3)
(1) s1)
ann ... an a1n
b~1) ..• b~1) b1.

Die fortgesetzte Anwendung dieses Verfahrens ergibt schließlich die fol-


gende Tabelle:
42 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle

au
a~~ aln
a~2J
I I

(4)
I
I I
(n-1)
ann
~2)
- - - - - an a~~ aln
b~n-1) _____ b~2) b~l) bl.
Diese Transformationen entsprechen einer schrittweisen Elimination der
Unbekannten und einer Aufstellung des Hilfssystems:
aux1 + a12X2 + ... + a1nXn = b1,
a~~X2 + . . . + a~~Xn = bg;
a~~3 + . . . + a~~Xn = b~ ?
2
(5)

(n -:J)
annXn = b(n-1)

Die Unbekannten Xm Xn-I, .•. , x 1 werden sodann nacheinander mit Hilfe


derTabeile (4) berechnet.
Bei der Darstellung der "fang-cheng"-Regel dürfen wir nicht vergessen,
daß es sich hierbei um eine Darstellung in der symbolischen Sprache unserer
modernen Algebra handelt, um eine Darstellung also, die sich Mittel be-
dient, welche dem chinesischen Denken völlig fremd waren. Die Chinesen
verfügen über keine formale Sprache, mit der sie diesen Algorithmus auf all-
gemeingültige Weise ausdrücken konnten. Im chinesischen Text wird die
Aufgabe in Worten dargelegt und die "fang-cheng"-Regel an einem kon-
kreten Beispiel mit drei Unbekannten vorgeführt.
Die Babyionier lösten bereits lineare Gleichungssysteme durch deren
Rückführung auf eine Normalform. Nirgends aber ist uns vor der >Mathe-
matik in neun Büchern< überliefert, daß die Lösung eines auf die Normal-
form gebrachten Systems linearer Gleichungen mit beliebig vielen Unbe-
kannten als ein algorithmisches Verfahren praktiziert wurde.
Für fast alle Aufgaben dieses Werkes lassen sich Algorithmen rekonstru-
ieren, die den jeweiligen Lösungen zugrunde liegen. Von einer hohen Kunst
der Gleichungsauflösung zeugt die Regel "tian-yuan": dieser Algorithmus
erlaubt es, numerische Gleichungen beliebig hohen Grades aufzulösen. 99
Diese wenigen Hinweise mögen genügen, den für das mathematische
Wissen der Chinesen- so wie es uns in den >Neun Büchern< überliefert ist-
charakteristischen algorithmischen Grundzug deutlich werden zu lassen.
In China, Indien und bei den Arabern 43

1.4.1.2 Rechenbrett und Stäbchenziffern

Eine Antwort auf die Frage zu geben, warum gerade in China die Algo-
rithmik erblühte, übersteigt die Möglichkeiten dieser Studie. Doch sei ein
Sachverhalt erwähnt, der vielleicht den Boden mit bereitete, aus dem das
algorithmische Problemelösen erwuchs.
Erinnern wir uns: Das von uns mit algebraischen Symbolen dargestellte
Lösungsverfahren "fang-cheng" wurde von den Chinesen mit Hilfe von
Stäbchen auf dem Rechenbrett durchgeführt. Auf diesem Rechenbrett ge-
langten die chinesischen Rechner zu hoher Virtuosität 100 : nicht nur die vier
Grundrechenarten, selbst mit großen Zahlen, konnten darauf mühelos aus-
geführt werden, sondern auch das Wurzelziehen und eben: das Auflösen von
Gleichungen. Die virtuose Handhabbarkeit des Rechenbrettes gründet in
Eigenschaften der Stäbchenziffern, mit denen die Chinesen ihre Zahlen auf
dem Brett ausl~gten. Die Stäbchenziffern bilden das älteste uns überlieferte
dezimale Stellenwertsystem. 101 Die Chinesen benutzen die Stäbchenziffern
vom 4. Jahrhundert v. Chr. bis zum 13. Jahrhundert n. Chr. Es gibt insgesamt
18 Ziffern.

1 2 3 4 5 6 7 8 9

I II 111 111111111 T lf llf Till


====j__L_L=
--- --- --- -- ~ -----~
~

10 4020 30 10 50 60 80 90
Abb. 2: Chinesische Stäbchenziffern (aus: Menninger 1979).

Die Ziffern für die Einer dienten gleichzeitig zur Darstellung der Hun-
derter, Zehntausender etc., die Ziffern für die Zehner zur Darstellung der
Tausender, Hunderttausender etc. Der chinesische Gelehrte Sun-zi (3. oder
4. Jahrhundert) formuliert das Stellenwertprinzip so:
Beim Rechnen müssen wir vor allem die Stellung der Zahlen kennen. Die Einer sind
senkrecht, die Zehner waagerecht; die Hunderter stehen, während die Tausender
liegen; somit haben die Tausender und Zehner gleiche Form, desgleichen die Zehn-
tausender und die Hunderter. 102

Das Stellenwertprinzip dieses Systems macht es möglich, Rechenopera-


tionen auf dem Rechenbrett mit Hilfe von Stäbchen auf denkbar einfache
Weise ausführen zu können. Wenn z. B. 9876 und 5647 zu addieren sind,
werden beide Zahlen mit Stäbchen nebeneinander ausgelegt (der Rechen-
gang vollzieht sich dabei von unten nach oben):
44 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle

--- --
I -- 11111 111
--
I --- 11111 - T lr
--
I --- 1111 ...L
- T -- lf
I - ...L T T --
-- llT - lf
...L
--- llT ...L
- T ---- T ..-- lf
I 5 5 z J
I 5 5 I 8 1
I 5 I; 7 8 lt- 7
I 8 7 5 7
"
!J 8 7
6'
8 5 8
4
o/- 7
Abb. 3: Addition auf dem chinesischen Rechenbrett (aus: Juschkewitsch 1964).

Die Tausender des ;zweiten Summanden werden zum ersten Summanden


hinzugezählt. Es ergibt sich die Zahl 14876. Vom zweiten Summanden
bleiben 647 übrig. Dann werden die Hunderter des zweiten Summanden zur
ersten Zwischensumme addiert etc.
Wie man sieht, wird die Addition zu einer mechanischen Übertragung von
Stäbchen und ihrem Abzählen bzw. Ersetzen durch die entsprechenden Bün-
delungsschwellen. "Mechanisch" heißt hier: der Vorgang wird Schritt für
Schritt nach einem bestimmten Schema ausgeführt, ohne daß es für die
Durchführbarkeit des Schemas eine Rolle spielte, aufwelche speziellen Ge-
genstände es angewandt wird, ob z. B. die Zahlen groß oder klein sind. Jede
Operation, bei der wir einer algorithmischen Regel folgen, ist eine "mecha-
nisch" ausgeführte Operation. Und so wundert es nicht, wenn ein Volk, wel-
ches im Gebrauch von Rechenbrett und Stäbchen seine arithmetischen
Grundoperationen vollständig mechanisierte, solche Lösungswege auch für
algebraische Zahlenoperationen einzuschlagen versucht.

1.4.1.3 Negative Zahlen

Die Rechenbrettechnik und die besondere Struktur der Stäbchenzahlen


zeitigte noch ein anderes Resultat. Die Chinesen sind die ersten, die nega-
tive Zahlen zulassen. 103 Ein Symbol vom Typ - b tritt in der chinesischen
Mathematik nicht nur als Bestandteil der Differenz a - b unter den Bedin-
gungen, daß a > b gilt auf, sondern ausdrücklich auch dann, wenn a < b gilt,
und damit als Ergebnis der Subtraktion einer größeren Menge von einer
kleineren. Aufgabe 4 des Buches VIII lautet: "5 Garben einer guten Ernte
In China, Indien und bei den Arabern 45

vermindert um 11 sind 7 Garben einer schlechten Ernte. 7 Garben einer


guten Ernte vermindert um 25 sind 5 Garben einer schlechten Ernte." In
unserer Schreibweise 1 04:
5 X - 11 = 7 y
7 X - 25 = 5 y.
Mit Hilfe der "fang-cheng"-Tabelle (2) wird das so ausgedrückt:
7 5
-5 -7
25 11
Positive und negative Koeffizienten sind durch spezielle Stäbchen unter-
schieden. Nach Liu Hui wurden die positiven mit roten, die negativen mit
schwarzen Stäbchen gelegt. Als zur Zeit der Sung-Dynastie (960-1279) der
Buchdruck aufkam, wurden positive Zahlen häufig mit roten, die negativen
mit SchwarzertFarbe gedruckt. 105
Wir sehen also, wie die Technik der Zahldarstellung und d~s Zahlenope-
rierens prägt, was überhaupt als Zahlobjekt identifiziert wird.

1.4.2 Indische Arithmetik und Algebra

1.4.2.1 Das dezimale Stellenwertsystem

Unauslöschliche Spuren hat die indische Mathematik in der abendländi-


schen Geschichte hinterlassen. Den Indern verdanken wir die Entwicklung
des dezimalen Stellenwertsystems, welches durch die Vermittlung der
Araber im Europa des ausgehenden Mittelalters Fuß faßte und von dort
einen Siegeszug in nahezu alle Nationen antrat. 106
Wir haben das Aufbauprinzip eines Stellenwertsystems bereits erläutert,
so daß wir uns hier auf einige Überlegungen, seine Entstehung betreffend,
beschränken können.
Das erste Dokument über den Gebrauch des dezimalen Stellenwert-
systems stammt aus dem Jahre 595, wo sich auf einer Tafel die J ahreszahl346
eingraviert findet. 107 Es ist davon auszugehen, daß seit dem 8. Jahrhundert
sich das dezimale Stellenwertsystem, einschließlich eines Zeichens für die
Null 108 , voll herausgebildet hat 109 . Zumindest dringen seit dieser Zeit erste
Nachrichten über die indische Zahlschreibweise in den Westen durch den
syrischen Gelehrten Severus Sebocht 662. 110
Fragt man, warum gerade Indien zum Ursprungsland dieser weittra-
genden Entdeckung wurde, könnte eine Antwort vielleicht in die folgende
Richtung weisen: Ein dezimales Stellenwertsystem ist an vier Bedingungen
der ihm·eigenen systematischen Zahlenschreibweise geknüpft. Es läßt sich
zeigen, daß diese vier Bedingungen von verschiedensten Seiten her und
unabhängig voneinander in Indien sich herausgebildet haben, so daß die
46 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle

Elemente, deren Synthesis zum dezimalen Stellenwertsystem führten,


gleichsam im kulturgeschichtlichen Raume Indiens vorlagen.
(1) Es muß eine geringe Basismenge gesonderter Zeichen für kleine
Zahlen existieren. Daher sind alphabetische Systeme (wie z. B. das griechi-
sche) mit ihren gesonderten Ziffern für 20, 30, ... , 200, 300, ... dem Über-
gang zum Stellenwertprinzip eher hinderlich. Solche Individualzeichen für
die ersten neun natürlichen Zahlen fanden sich in vielen indischen Ziffern-
systemen, zumindest seit dem 2. Jahrhundert v. Chr., besonders aber bei den
Brahmi-Ziffern, die seit alters her im gesamten indisclien Kulturraum be-
nutzt wurden. 111

Einer Ziffem -1 -2 -3 ~
4
~
5
(p
6
1
7
'l
8
;>
9

Zehner Verzifferung Cl.. ~ ,r ~ J -1 ~ (J) e


10 20 30 40 50 60 70 80 90
Hunderter
und
Tausender
Stellenschrift 7
100
I2H )f
SH
1
1000
r
4T
cn-
70T

Abb. 4: Indische Brahmi-Zahlschrift (aus: Menninger 1979).

{2) Das multiplikative Prinzip muß sich herausgebildet haben: Die Stelle,
die eine Ziffer einnimmt, ist eine multiplikative Form der Darstellung, bei
der die Stelle selbst den einen Faktor repräsentiert. So stellten die Brahmi-
Ziffern bereits die Hunderter und Tausender multiplikativ dar. 112
{3) Es muß das Stellenwertprinzip ausgebildet sein: Zeichen für die Ein-
heiten der einzelnen Zehnerpotenzen werden weggelassen. 113 Schon bei
den Babyioniern und Chinesen finden wir dieses Stellenwertprinzip. Doch
fehlte es diesen Zeichensystemen gerade an der letzten und entscheidenden
Grundlage, um ein Positionssystem voll auszubilden, nämlich:
(4) Ein Zeichen für die Null muß vorhanden sein, welches anzeigt, daß an
der betreffenden Stelle keine Potenzen vorhanden sind. Nun kannten be-
reits die Babyionier der Seleukidenzeit (2. Jh. v. Chr.) ein Zeichen für eine
Leerstelle innerhalb eines Zahlenausdrucks. 114 Doch Rechnungen mit Null
kommen bei den Babyioniern nicht vor.
Welch entscheidende Bedeutung die Einführung der Null für das indische
Ziffernsystem hat, macht ein wortgeschichtlicher Zusammenhang deutlich:
Im Indischen heißt die Null 'sunya', das bedeutet 'leer' . 115 Die Araber über-
setzten diesen Namen wörtlich in das arabische 'as-sifr' - 'die Leere'. In
Europa entstand daraus das Wort 'cifra' bzw. 'cephirum', worauf unsere
'Ziffer' zurückgeht. Das Englische unterscheidet zwischen 'cipher' und
'zero'; von 'cipher' leitet sich der englische Ausdruck 'ciphering' für 'Rech-
nen' her. 116
In China, Indien und bei den Arabern 47

Gegenüber der babylonischen Leerstelle ist die Funktion des indischen


Nullzeichens eine ganz andere: Sie steht nicht einfach für "keine Zahl", son-
dern für etwas, mit dem man rechnen kann, denn die Voraussetzung für das
Rechnen im Stellenwertsystem ist das Operieren mit der Null. So galt für die
indischen Mathematiker die Null als eine Zahl, deren Eigenschaften Sri-
dhara (zwischen 850 und 950) mit folgenden Regeln umgangssprachlich
beschreibt 117 :
a+O=a
O+a=a
a-a=O
a·O=O · a=O
0 : a = 0.
Zur Division durch Null schrieb Bhaskara II (1114--1185?), daß eine Größe
a
wie -0 mit a =t= 0 unverändert bleibt, wenn man ihr beliebig viel hinzufügt
.t

oder von ihr beliebig viel abzieht. Er löst auch Aufgaben, wie z: B. diese 118 :

(x · 0 + x~ 0) : 0 = 63.

Kürzt man durch 0, so erhält man x + ~ = 63, x = 42.

Auf der Grundlage des dezimalen Stellenwertsystems gelang es, die


Grundrechenarten in einer Weise algorithmisch zu bewältigen, daß nahezu
sämtliche Rechenverfahren später in die arabischen und europäischen Lehr-
bücher aufgenommen wurden. Diese Rechenregeln beziehen auch die nega-
tiven Zahlen mit ein. Erste Hinweise auf negative Zahlen finden sich bei
Brahmagupta (ca. 598 geb.). Bei ihm traten sämtliche Grundregeln für das
Operieren mit negativen Zahlen auf, so z. B. "Die Summezweier positiver
Zahlen ist p.ositiv, zweier negativer Zahlen negativ". 119 Bei Bhaskara II
findet sich schließlich die Formulierung: "Die Quadratwurzel aus einer posi-
tiven Zahl ist sowohl positiv als auch negativ. " 120
Die positiven Zahlen nannte man 'dhara' oder 'sva' - 'Eigentum' -,
die negativen Zahlen aber 'rina' oder 'ksaya', was soviel heißt wie 'Schuld,
Verminderung' . 121 Ein Versuch also, ein praktisches Äquivalent für
das Operieren mit den Zeichen für positive und negative Zahlen auf-
zufinden.
Eine weitere Einsicht der Inder, welche allerdings im Gebiete der Algebra
wirksam wurde, sei noch erwähnt. Erinnern wir uns, daß Diophant seine
Regeln zur Verknüpfung zusammengesetzter Ausdrücke von aller geometri-
scher Interpretation entlastet und als Regeln für das Operieren mit Zahlen
und - d. h. gemäß des griechischen Zahlbegriffes - für das Operieren mit
rationalen Größen verstanden wissen wollte. Über diese Beschränkung auf
rationale Größen gingen die Inder hinaus. Brahmagupta lehrt, wie man die
48 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle

irrationalen Größen im Nenner eines Bruches der folgenden Art auflösen


kann 122 :
V9 + V450 + v75 + \154
Vi8 + V3
Man multipliziert Zähler und Nenner mit einem geeignet gewählten Faktor,
.
Im genannten Falle mit. "'vr.;;; 3, woraus v75 + v'675 und dann 5 + "'v;;;
18- "'v;;; 3
15
folgt. Solche Auflösung setzt die Kenntnis der Regeln für<tdas Operieren mit
quadratischen Radikalen voraus. Nun tritt ein Identitätssatz wie
(Va + Vb) (Va - Vb) = a - b
auch im X. Buch der >Elemente< Euklids (Satz 54) auf, allerdings in geome-
trischer Form und in komplizierter Terminologie. Doch in der algebraischen
Anwendung dieser Sätze bei den Indern schwindet alle Schwerfälligkeit.
Damit wird es den Indern möglich, die Algebra auf geometrische Aufgaben
anzuwenden.
Die Scheidewand zwischen diskreten Zahlen und stetigen Größen, die die
griechischen Mathem~tiker im Zuge der Entdeckung der Inkommensurabi-
lität errichteten, wird hier umgangen. Das geschieht mit einer Sicherheit,
die sich aus dem arithmetisch-algebraischen Know-how speist, welches sich
im Vertrauen auf bewährte Regeln um die "logische Natur" des Gegen-
standes, mit dem operiert wird, nicht zu kümmern braucht.

1.4.2.2 Die Fortbildung der algebraischen Symbolik

Das Vermögen, kunstfertig mit Symbolen umzugehen, prägt auch die


Form der indischen Algebra: wie nirgends zuvor sehen wir hier die algebrai-
sche Sprache durchsetzt mit künstlichen Symbolen. 123 Seit dem 9. Jahrhun-
dert ist für die Algebra der Name 'bijagal).ita' gebräuchlich, was soviel heißt
wie "die Lehre von der Berechnung mit Hilfe der Analyse". Bhäskara II
führt über die 'bija' aus: "Die Analyse ist zweifellos die angeborene Ver-
nunft, die durch verschiedene Symbole (varl).a) unterstützt wird. " 124 Hier
kündigt sich eine Einsicht in die Rolle des Symbolismus für das algebraische
Denken an, für die wir einen Vorläufer weder in den babylonischen noch in
chinesischen Texten - soweit diese uns überliefert sind - finden können.
Gleichwohl bleibt der algebraische Symbolismus ganz konzentriert auf Sym-
bole für die Unbekannten. Für die Inder ist die Algebra die Lehre vom
Rechnen mit Unbekannten im Unterschied zur Arithmetik als der Lehre
vom Rechnen mit bekannten Größen. 125 Die algebraische Methode verkör-
perte das Allgemeinste in der Mathematik, der gegenüber die Arithmetik
nur ein Abgeleitetes ist. Wenn allerdings Bhäskara hervorhebt, daß die
Rechnungsformen der Algebra im Unterschied zu denjenigen der Arith-
In China, Indien und bei den Arabern 49

metik von Beweisen begleitet seien, 126 so hat man unter den "Beweisen"
lediglich die Darlegung des gebrauchten Lösungsschemas zu verstehen,
nicht aber einen auf logischer Deduktion beruhenden Beweis im griechi-
schen Sinne. Insofern steht die Mathematik der Inder, gerade auch in ihrer
stark algebraischen Komponente, ganz in der Traditjon des orientalischen
"Rezeptewissens". Werfen wir einen Blick auf den algebraischen Symbo-
lismus.
Es bildeten sich unterschiedliche Symbolsysteme aus. 127 In der Hand-
schrift von Bakhsäli gibt es Abkürzungen für die arithmetischen Opera-
tionen der Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division sowie für die
Quadratwurzeln. Für die Unbekannte gab es mehrere Namen, doch wurden
sie, ähnlich wie die Null, durch einen leeren Kreis, ein Symbol für eine leere,
unbesetzte Stelle, markiert. Die von Brahmagupta, Bhäskara II und Nä-
räyal)a angewandte Symbolik unterscheidet sich stark von der Bakhsälis. Es
gibt weniger Qperationszeichen, doch die Bezeichnungsweise für die Unbe-
kannten und deren Potenzen sind besser entwickelt. Die unbe~annte Größe
wurde bereits in den Jahrhunderten V. Chr. 'Yävat-tävat' genannt, was etwa
"Soviel-wieviel" hieß, also eine beliebige Menge bedeutete. Weitere auftre-
tende Unbekannte wurden nach verschiedenen Farben benannt, während
das absolute Glied gewöhnlich mit 'rupa', 'das Äußere', bezeichnet wurde.
Bhäskara gibt z. B. die folgenden Termini und Symbole für die ersten sechs
Unbekannten an:
Terminus Symbol Bedeutung

rupa ru Absolutes Glied


yävat-tävat yä Erste Unbekannte
kälaka (schwarz) kä Zweite Unbekannte
nikala (blau) ni Dritte Unbekannte
pitaka (gelb) pi Vierte Unbekannte
lohitak~ (rot) lo Fünfte Unbekannte
haritaka (grün) ha Sechste Unbekannte

Interessant für uns ist die Interpretation dieser Farbbenennungen


von Unbekannten. 128 Es wird angenommen, daß die Bezeichnung der
Unbekannten durch Farben darauf zurückzuführen ist, daß man sie ur-
sprünglich beim Rechnen mit verschiedenartigen Kugeln markierte.
Zugunsten dieser Hypothese spricht die Tatsache, daß Aryabhata I die
Unbekannte mit 'g likä', 'Kugel', bezeichnete. Somit erhielte sich in der
algebraischen Symbolik ein Hinweis auf ein vor-symbolisches, gegenständ-
liches Operieren mit Kugeln, vergleichbar vielleicht dem Stäbchenrechnen
der Chinesen.
Die Potenzen bildete man durch Kombinationen der Wörter 'varga'
(Quadrat), 'ghana' (Körper, Würfel) und 'ghäta' (Produkt), so daß sich fol-
gende Bezeichnungen ergaben:
50 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle

Terminus Symbol Bedeutung

varga va 2. Potenz
ghana gha 3. Potenz
varga-varga va-va 4. Potenz
varga-ghana-ghäta va-gha-ghäta 5. Potenz
varga-ghana va-gha 6. Potenz
varga-varga-ghana-ghäta va-va-gha-ghäta 7. Potenz
varga-varga-varga va-va-va 8. Potenz

Die Addition drückte man durch Nebeneinanderschreiben aus; bei der


Subtraktion setzte man über die Koeffizienten einen Punkt oder einen
kleinen Kreis. Einen fest umrissenen Terminus für die bekannten Koeffi-
zienten gab es nicht.
Dieses Fehlen eines Zeichens für die bekannten Koeffizienten sowie die
Symbolisierungen der Unbekannten und der Potenzen zeigen, daß wir es
- bei allem Fortschritt in der Anwendung einer Kunstsprache - keineswegs
mit einem formalen Symbolismus zu tun haben. Die Symbole entstanden als
Abkürzungen von - in ihrer Bedeutung allerdings mathematisch festgeleg-
ten -Termini der Umgangssprache. Nicht anders als bei Diophant blieben
sie Abbreviaturen dessen, was man auch ohne Symbole sagen kann.

1.4.3 Arabische Arithmetik und Algebra


am Beispiel al-Hwarizmis

Ende des 6. und Anfang des 7. Jahrhunderts bildete sich auf der Arabi-
schen Halbinsel eine monotheistische Religion heraus, der Islam. In den fol-
gendenJahrhundertenformierte sich ein islamisch-arabisches Großreich, in
dessen Blütezeit von ca. 750-950 in Bagdad ein bedeutendes wissenschaft-
liches Zentrum entstand. Unter den Kalifen al-Mansur (754--775) und
Harun ar-Rasid (786-809) wurde in Bagdad nach antikem Vorbild eine Art
Akademie, das "Haus der Weisheit", eingerichtet, zu dessen Aufgaben es
gehörte, systematisch überlieferte Quellen durch die Übersetzung ins Arabi-
sche zu erschließen. 129 Seit Mitte des 9. Jahrhunderts bildete sich auf der
Grundlage der erschlossenen Quellen eine eigenständige mathematische
Kultur heraus, die die Arithmetik, Geometrie, Trigonometrie und numeri-
sche Algebra umfaßte. 130 Der Grundzug dieser mathematischen Kultur ist
ihre synthetische Leistung. Durch Kenntnis der Quellen, sowohl der griechi-
schen wie der indischen, gelang es den Arabern, das zu vereinigen, was sich
in diesen beiden mathematischen Wissensrichtungen jeweils am glänzend-
sten entwickelt hatte: die Theorie der Kegelschnitte und Kurven bei den
Griechen, die Zahlenlehre und unbestimmte Analytik bei den lndern. 131
Die europäische Entwicklung der Mathematik im Anschluß an das Mittel-
alter ist ohne die Wiederaufnahme der abgebrochenen Linien griechischen
In China, Indien und bei den Arabern 51

und indischen Denkens durch die Araber und ihre Weitervermittlung nach
Europa nicht denkbar. 13 2
Wir wenden uns nun einem arabischen Gelehrten zu, der in besonders
hohem Maße die westeuropäische Mathematik des ausgehenden Mittel-
alters beeinflußte, auf dessen.Werke unsere Begriffe 'Algorithmus' und 'Al-
gebra' zurückgehen und der sich daher gerade als Mittler und Träger derje-
nigen Traditionslinie erweist, die wir uns herauszuarbeiten bemühen. Es ist
dies der aus der Bagdader Schule stammendeAbuAbdallah Muhammed ibn
Musa al-Hwarizmi al-Magusi, im folgenden kurz al-Hwarizmi genannt, der
etwa zwischen 780 und 850 lebte. Von seinen Werken sind uns fünf erhalten
geblieben. Insbesondere seine Abhandlungen über Arithmetik 133 und Al-
gebra 134 wurden vielfach kopiert, kommentiert oder Teile davon in andere
Werke aufgenommen. Dutzende von Gelehrten schulten sich daran.
Die Abhandlung al-Hwarizmis über Arithmetik war das erste arabische
Werk, in demt das dezimale Stellenwertsystem und die darauf beruhenden
Rechenoperationen erläutert wurden. Doch ist es uns nur in. Gestalt einer
lateinischen Übersetzung überliefert, einer Handschrift, die aus dem
13. Jahrhundert stammt und in der Bibliothek Cambridge aufbewahrt
wird. 135 Diese Handschrift setzt mit den Worten ein: "Dixit Algoritmi:
Iaudes deo rectori nostro atque defensori dicamus dignas"- "Algoritmi hat
gesprochen: Lob sei Gott unserem Herrn und Beschützer" . 136 Eine andere
Handschrift, die sich auf al-Hwarizmis Arithmetik bezieht und im Klo-
ster Salem aufbewahrt wird, beginnt mit den Worten: "lncipit liber algo-
rithmi ... "- "Hier beginnt das Buch des Algorithmus". 137 Der französische
Minoritenmönch Alexander de Villa Dei, der um 1240 in Paris lehrte, hat das
Rechnen mit den Ziffern in folgende Hexameter eingekleidet 138 :
Hinc incipit algorismus.
Haec algorismus ars praesens dicitur in qua
talibus indorum fruimur bis quinque figuris
0987654321
Hier beginnt der Algorismus. Diese neue Kunst heißt Algorismus, in der wir aus
diesen zweimal fünf Ziffern 0, 9 ... 1 der Inder Nutzen ziehen.

Der Eigenname al-Hwarizmis wurde also latinisiert zu "Algorismus" und


dann zu einem Namen für das indische Ziffernrechnen. 139 Über diese Ent-
stehung des Begriffes Algorithmus durch eine Verschiebung des latinisierten
Autorennamens auf das, was er in seinem Werk beschreibt, legen die Titel
zweier Bücher Zeugnis ab, die in enger Anlehnung an al-Hwarizmis Schrift
entstanden, das wahrscheinlich von Johannes von Sevilla bzw. Toledo zwi-
schen 1135 und 1153 verfaßte >Liber Algorismi de pratica arismetrice< (Buch
des Algorismus über praktische Arithmetik) 140 sowie das vermutlich von
dem Engländer Adelard of Bath, der ebenfalls der Schule von Toledo ange-
hörte, verfaßte >Liber ysagogarum Alchorismi in artem astronimicam a ma-
gistro A.< (Buch der Einführung des Algorithmus in die astronomische
52 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle

Kunst, zusammengestellt vom Magister A.) . 141 Soweit zur Herkunft unseres
Begriffes Algorithmus.
In der einzigen uns überlieferten Übersetzung von al-Hwarizmis Arith-
metik wird eingehend die Zahldarstellung im dezimalen System erläutert
und sodann werden die Rechenoperationen beschrieben. 142 Dies alles sei
hier nicht wiedergegeben. Denn die außerordentliche Bedeutung, welche
dieser Schrift für die Vermittlung der indischen Rechenkunst in den west-
europäischen Kulturraum zukommt, zeigt sich nirgends plastischer als in
ihrer begriffeprägenden Kraft. Solche Kraft übte noch ein zweites Werk al-
Hwarizmis aus, seine Algebra, auf welche unser Begriff 'Algebra' zurück-
geht.
In der Bibliothek der Universität Oxford wird eine arabische Handschrift
der Algebra aufbewahrt, die im Jahre 1342 vollendet wurde. 143 Darüber
hinaus existieren mehrere lateinische Übersetzungen dieser Schrift. 144 Von
der arabischen Handschrift wird angenommen, daß sie unmittelbar auf al-
Hwarizmis Schrift über die Algebra zurückgeht. Sie trägt den Titel >Al-kitäb
al-mukta~ar fi l).isäb al-gabr w>al-muqäbala< (Kurzes Buch über das Rechnen
der Algebra und Almukabala). Die beiden Ausdrücke 'al-gabr' und 'al-mu-
qäbala' beziehen sich a_uf die zwei einfachsten Operationen an Gleichungen:
'al-gabr' (von 'gabar' = 'herstellen', 'einrichten') bedeutet "das Ergänzen
einer Negation", d. h. das Versetzen eines negativen Gliedes einer Glei-
chung auf die andere Seite; 'al-muqäbala' (Vergleichung) bedeutet die
Vereinigung gleichartiger Glieder beider Seiten miteinander. 145 Aus
x 2 + 3x- 3 = 5x z.B. geht durch al-gabr x 2 + 3x = 5x + 3, durch al-mu-
qäbala hieraus x 2 = 2x + 3 hervor.
Im lateinischen Sprachraum wurde diese Kunst anfangs 'algebra' und 'al-
muchabala' genannt, bis allmählich nur der Name 'algebra' zurückblieb, den
Adam Ries noch gerne von dem "berumbstenn in der Zall erfarnen Alge-
bras", dem arabischen Meister, ableitete. 146 Seit dem 14. Jahrhundert wird
'Algebra' regelmäßig verwendet, um damit die Lehre vom Auflösen von
Gleichungen zu bezeichnen. 147
Al-Hwarizmi stellt an den Anfang seiner algebraischen Ausführungen
eine Klassifizierung der von ihm betrachteten sechs Typen von linearen und
quadratischen Gleichungen mit den dazugehörigen Lösungsverfahren.
Dann zeigt er an Beispielen, wie man andere Gleichungen auf eine der sechs
Normalformen zurückführt; in diesem Zusammenhang werden die beiden
wichtigsten Operationen 'al-gabr' und 'al-muqabala' erläutert. So z. B. gibt
er als 5. Normalform eine Gleichung an, die wir in unserer Symbolsprache so
anschreiben können1 4B:
ax2 + c = bx. (5. Normalform)
In einer Aufgabe, deren Bedingungen man in der Form
x2+ (10 - x) 2 = 58
oder 2x + 100 - 20x = 58
2
In China, Indien und bei den Arabern 53

darstellt, nimmt al-Hwarizmi nacheinander folgende Umformungen vor:


'a-gabr': 2x2 + 100 = 58 + 20x.
Es erfolgt eine Division durch 2 und dann die
'al-muqäbala' x2 + 21 = 10x,
womit sich eine Gleichung vom Typ der fünften Normalform ergeben hat. 149
Nach der Behandlung der Gleichungsauflösungen lehrt al-Hwarizmi das
algebraische Rechnen. Interessant ist hier, daß er die Addition und Subtrak-
tion an Strecken veranschaulicht und dabei die Homogenität fordert, die uns
aus der geometrischen Algebra der Griechen bekannt ist. Ganz "ungrie-
chisch" mutet aber seine Annahme von der Existenz irrationaler Zahlen
an, die al-Hwarizmi 'gidhr a~amm', d. h. "stumme" oder "taube" Wurzel,
nennt. 150 Juschkewitsch vermutet hierin eine Übersetzung des griechischen
'alogos' im Si9ne von 'unaussprechbar'. Gerhard von Cremona übersetzte
das Wort 'asamm' durch das lateinische 'surdus', das sich bis ins 18. J ahrhun-
dert hinein neben dem Wort irrationalis erhielt. 151 Allerdings macht al-Hwa-
rizmi von irrationalen Zahlen nur wenig Gebrauch.
Ein augenfälliges Merkmal dieser arabischen Lehre über die Algebra ist
das Fehlen jeglicher symbolischer Ausdrücke. Selbst die Zahlen werden mit
umgangssprachlichen Worten angegeben, was die Darlegungen al-Hwa-
rizmis sehr ausschweifend macht und ihn in der Perspektive der Symbolisie-
rung algebraischer Operationen weit hinter den indischen Entwicklungs-
stand fallen läßt.
Wo liegen die Quelten von al-Hwarizmis Algebra? Die Forschung hat auf
diese Fragen noch zu keinen eindeutigen Antworten gefunden. 152 Während
seine Arithmetik ganz am Vorbild der Inder orientiert ist, zeigt das Fehlen
negativer Zahlen sowie abkürzender algebraischer Zeichen, daß dies für die
algebraische Lehre nicht gilt. Es gibt Berührungspunkte mit Diophant; denn
die für al-Hwarizmis Gleichungslehre konstitutiven Operationen 'al-gabr'
und 'al-muqäbala' erscheinen auch bei Diophant an hervorragender Stelle,
nämlich in der Einleitung zu seinem arithmetischen Werk. 153 Doch gibt es
ins Auge fallende Abweichungen: Diophant fordert rationale Lösungen,
während bei al-Hwarizmi auch irrationale Zahlen zugelassen sind. Diophant
sehr fern, jedoch der geometrischen Algebra der Griechen sehr nah steht al-
Hwarizmi, wenn er quadratische Gleichungen geometrisch veranschaulicht.
Es könnte sein, daß al-Hwarizmi mit Traditionen vertraut gewesen ist, die
sich im Nahen und Mittleren Orient herausgebildet haben und Elemente so-
wohl der griechischen wie der indischen Mathematik in modifizierter Form
enthielten. 154 Sicher aber ist, daß al-Hwarizmi in seinen Werken Kenntnisse
weitergegeben hat, die bereits existierten, nicht also von ihm selbst erst
gewonnen wurden.
54 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle

1.5 Algorithmus und Kalkül in der neuzeitlichen Mathematik

1.5.1 Die Durchsetzung des orientalischen Ziffernrechnens in Europa

Ein Grundzug des Aufschwunges der höheren Mathematik im 16. und


17. Jahrhundert ist die Kalkülisierung mathematischer Operationen, wie sie
in der Übertragung der kalkülisierenden Algebra auf die Geometrie durch
Descartes oder in der Entdeckung des Infinitesimalkalküls durch Newton
und Leibniz zum Ausdruck kommt. Dieser Aufschwung "der Höheren Ana-
lysis ist nicht denkbar ohne jene Wandlungen in den "Niederungen" alltägli-
cher Rechenpraxis, die sich im Europa der anbrechenden Neuzeit dadurch
vollzogen, daß die griechisch-römische Tradition des Rechenbrettrechnens
mit Rechensteinen durch die orientalische Tradition des schriftlichen Rech-
nens mit Ziffern verdrängt wurde. Das heißt nichts anderes, als daß ein
Rechnen, welches sich abzählbarer, gegenständlicher Hilfsmittel bedient,
ersetzt wird durch ein rein symbolisches Rechnen. Dies aber ist ein
Rechnen, welches im Prinzip auch durch einen mechanischen Apparat aus-
geführt werden kann. Der Philosoph Leibniz wird als erster eine mechani-
sche Rechenmaschine .für alle vier Grundrechenarten konstruieren.
Das Fundament solcher Technisierung mathematischer Operationen aber
ist die konsequente Organisierung des Rechnens als eines Vorganges, der
sich ausschließlich im Medium von Zeichen nach mechanisch anzuwen-
denden Regeln vollzieht. Diesen Prozeß der Transformation des Rechnens
in einen Vorgang, der den Bedingungen mechanischer Symboloperation ge-
nügt, wollen. wir nun verfolgen. Es geht hier um eine Phase, die sich vom
10. Jahrhundert bis zum Aufstieg selbständiger Handelszentren des Früh-
kapitalismus im 15. und 16. Jahrhundert erstreckt. Am Ende dieser Epoche
wird sich das indische Ziffernrechnen im gesamten westeuropäischen Raum
fest eingebürgert haben.
Das Westeuropa des Mittelalters hatte von den Römern sowohl die Zahl-
darstellung mit den römischen Ziffern wie auch das Abakus-Rechnen über-
nommen.155 Wir erinnern uns, die römischen Ziffern erwiesen sich als so
schwerfällig und unübersichtlich, daß Zahlenschrift und Zahlenrechnen aus-
einanderfielen. Rechnen war unmöglich innerhalb dieses Ziffernsystems,
und so griff man auf den Abakus, ein Rechenbrett, und die Calculi, die
Rechensteine, zurück, um Rechenoperationen durchzuführen. Allerdings
findet sich beim mittelalterlichen Gebrauch des Abakus eine - für unsere
Frage nach der Herausbildung des Ziffernrechnens in Europa - nicht uner-
hebliche Differenz. 156 Die Einheiteit werden auf die Spalten des Rechen-
brettes nicht mehr "analog", sondern vermittels eines mit einer Ziffer verse-
henen Steines ausgelegt. Ein Römer mußte, um die Zahl 700 auf dem
Abakus zu legen, sieben Calculi in die Hunderterspalte legen. Auf dem mit-
telalterlichen Rechenbrett erscheint nur noch ein Stein mit der Aufschrift
'VII'. Zwar ist der Einsatz beschrifteter Calculi eine wichtige Vorform des
Algorithmus und Kalkül in der neuzeitlichen Mathematik 55

Ziffernrechnens, eine Mischform, wenn man so will, doch für den Vollzug
von Rechenoperationen auf dem Abakus brachte diese "digitale" Zahlen-
darstellung keinerlei Vorteil. Das Ausführen von Rechnungen mit diesen,
'Apices' genannten, bezifferten Rechensteinen war durc~ das dauernde Ver-
einigen und Auswechseln von Steinen mühsam und verwickelt.
Die umständlichen Verfahren des Abakus-Rechnens sind der vorliegen-
den Literatur zu entnehmen. 157 Uns genügt das Zitat eines mittelalterlichen
Schriftstellers, der uns vom "schwitzenden Abacisten" berichtet: " ... re-
gulae quae a sudantibus abacitis vix intelliguntur" (Regeln, die kaum von den
schwitzenden Ahaeisten verstanden werden). 158
Eine erste Begegnung des lateinischen Mittelalters mit der indischen
Zahlschreibweise erfolgte "auf dem Boden" des Rechenbretts. Der französi-
sche Mönch Gerbert von Aurillac, der 999 als Sylvester II. den Papstthron
besteigt, hat auf Reisen nach Spanien die von den Arabern benutzten indi-
schen Ziffern kennengelernt. Gerbert verfaßt die >Regula de abaco com-
" das Zahlenrechnen auf dem Abakus) und füprt dabei fol-
puti< (Regel über
gende Neuerung ein 159 : Auf seinem Rechenbrett erscheinen anstelle der mit
römischen Zahlzeichen versehenen Apices solche mit indischen Ziffern. Je-
doch ist die Verwendung der indischen Ziffern einschließlich der Null- auf
dem Rechenbrett bleibt die Spalte leer, eine Null ist nicht nötig- nur sinnvoll
im Zusammenhang mit schriftlichen Rechenverfahren; das heißt, also nur,
wenn man das Rechnen als ein Umformen von Zeichenreihen vollzieht.
Indem Gerbert die indischen Ziffern zur Markierung der Apices gebraucht,
verwendet er diese "sinnwidrig" und hat ihre operative Leistungskraft, die
sich erst im schriftlichen Rechnen bewährt, überhaupt nicht begriffen: Die
erste Kenntnisnahme des europäischen Mittelalters vom orientalischen
Rechnen bleibt "toter Besitz" . 160
"Sinngemäßer" Einsatz des dezimalen Stellenwertsystems im Zusammen-
hang mit schriftlichen Rechenverfahren findet sich in Buropa im Anschluß
an das Bekapntwerden der lateinischen Übersetzung von al-Hwarizmis
Arithmetik. 161 Um dieses Lehrbuch gruppieren sich eine Reihe weiterer
Werke, die die indische Zahlschreibweise und ihre Rechenverfahren erläu-
tern, so die bereits erwähnten Schriften >Buch des Algorismus über prakti-
sche Arithmetik< und >Buch der Einführung des Algorismus in die astrono-
mische Kunst zusammengestellt von Magister A.<. Um 1200 wurde ein
>Buch des Algorismus< verlaßt, dessen Handschrift lange Zeit im Kloster
Salem am Bodensee verwahrt wurde. 162 Für alle diese Werke, mit deren Ver-
breitung allmählich der latinisierte Eigenname al-Hwarizmis zum allge-
meinen Namen für die neuen schriftlichen Rechenverfahren wird, gilt, daß
sie "gelehrte Abhandlungen" darstellen, die über einen engen Kreis von
Fachleuten in den Klöstern oder Hochschulen nicht hinausdringen.
Dies ändert sich erst, als im Jahre 1202 der Italiener Leonardo Fibonacci
aus Pisa seine Schrift >Liber abaci< (Buch des Abakus) verfaßte. 163 Ganz an-
ders als sein Titel suggeriert, handelt es sich um eine Schrift, die ausführlich
56 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle

auf die Arithmetik und Algebra auf der Basis des dezimalen Stellenwert-
systems eingeht. 164 Warum kündigt sich mit dem Erscheinen dieses Buches
eine Wende an? Leonardo Fibonacci war sowohl seiner Herkunft als auch
seiner Tätigkeit nach eng mit kaufmännischen Kreisen verbunden. Dies
hatte für die Anlage seines >Liber abaci< die Folge, daß besonderer Wert
darauf gelegt wurde, die Leistungskraft der indischen Rechenverfahren für
das kaufmännische Rechnen zu demonstrieren. Der >Liber abaci< wurde
nicht nur zum Träger der Entwicklung der neueren Arithmetik, deren Auf-
gaben und Lösungsmethoden in italienische, deutsche", französische und
englische mathematische Handschriften übernommen wurden, sondern
legte überdies Zeugnis davon ab, daß die neue Arithmetik den gelehrten klö-
sterlichen und universitären Rahmen zu sprengen begann und Fuß faßte bei
solchen Schichten, deren unmittelbar berufliches Interesse auf eine Erleich-
terung und Vervollkommnung der Rechenmethode zielte.
Seit der Zeit Fibonaccis beginnt man von den "Algoristen" zu sprechen,
nachdem die latinisierten Formen von al-Hwarizmis Eigennamen nicht nur
zur Bezeichnung des indischen Rechenverfahrens, sondern auch zur Be-
zeichnung der Verfechter dieses Verfahrens genutzt wurden. Für einige Jahr-
hunderte entbrennt n~n eine Auseinandersetzung zwischen den Algoristen
und Abakisten. Die gelehrte Literatur über das schriftliche Rechnen wächst
ständig 165 - doch in der Alltagspraxis des Rechnens hält sich zäh das Rechen-
brett.166 Die allmähliche Vorherrschaft des schriftlichen Rechnens steht,
wie es sich bei Leonardo Fibonacci schon ankündigte, in engem Zusammen-
hang mit der Herausbildung frühkapitalistischer Handelszentren und dem
Bedürfnis der Kaufmannschaft nach Zahlbeherrschung. Das aufstrebende
Bürgertum der italienischen Städte wird zum Vorreiter. Kommunale Re-
chenschulen werden eingerichtet, die gegen Entgelt den Umgang mit der
neuen Zahlenschreibweise und den Rechenoperationen lehren, die damit
nicht länger Domäne der Kloster- und Domschulen sowie der Universitäten
bleiben. 167 Es bildet sich der neue Berufsstand der Rechenmeister heraus,
die ihren Lehrstoff schriftlich abfassen. 168 So gehören die "Rechenbüch-
lein" charakteristischerweise neben der Bibel, den Kalendern und politi-
schen Flugschriften zu den frühesten Druckerzeugnissen und zeigen, wie
sehr sich ein gesellschaftliches Bedürfnis nach Rechenfertigkeiten herauszu-
bilden begann. 169 Gegen Ende des 15. Jahrhunderts wirkte der Rechenmei-
ster Dirich Wagner in Nürnberg und ließ 1482 das erste deutsche Rechen-
buch drucken, in dem das Rechnen mit den Ziffern erläutert wird. 170 Der
deutsche Rechenmeister Adam Ries (1492-1559) schrieb drei Rechen-
bücher. 171 Während das erste sich noch ganz auf das Abakus-Rechnen
beschränkte, wendet er sich in den letzten beiden zunehmend dem schrift-
lichen Rechnen zu. 172 Dies signalisieren schon die Titel dieser Schriften
>Rechenung auff der linihen und federn in zal< (Rechnung auf den Linien
und auf der Feder), erschienen 1522, sowie >Rechenung nach der Ienge auf
den Linihen und Feder< (Rechnung auf der Länge nach den Linien und der
Algorithmus und Kalkül in der neuzeitlichen Mathematik 57

Feder), erschienen 1550. Der Ausdruck "auf den Linien" bezieht sich auf die
Rechenbrett-Technik, der Ausdruck "auf der Feder" auf das schriftliche
Rechnen im dezimalen Stellenwertsystem.
Die Entscheidung für das orientalische Verfahren fiel in den Handelskon-
toren, Schreib- und Rechenstuben der Kaufleute: dort nämlich trat zutage,
daß mit den indischen Ziffern nicht nur bequem gerechnet, sondern auch die
Bücher auf übersichtliche Weise geführt werden konnten. 173 Ein Blick in die
Kontobücher der Medici mag dies illustrieren: Von 1439 an erscheinen an-
stelle der römischen die indischen Ziffern in der Geld- und Effektivspalte
der Eingangsbücher, Journale, Kladden etc. Erst 1482 werden die römischen
Ziffern in der Geldkolonne der Geschäftshauptbücher aller Medici-Kauf-
leute (bis auf eine Ausnahme) abgeschafft. Ab 1494 werden nur noch die
indischen Ziffern in allen Kontobüchern der Medici verwendet. 174
Die zunehmende Ingebrauchnahme des dezimalen Stellenwertsystems
führt zu immer besserer Durchbildung und Schematisierung der schriftli-
·'
chen Rechenverfahren. Am schwierigsten erwies sich diese Scbematisierung
für die Division. Es dauerte Jahrhunderte, bis sich unser modernes Ver-
fahren des Unterwärtsdividierens durchsetzte.
Halten wir einen Moment inne, ehe wir dem Strom des historischen
Geschehens weiter folgen. Die Durchsetzung des orientalischen Ziffern-
rechnens in der alltäglichen Rechenpraxis heißt, Rechnen wird zu einem Vor-
gang, der ausschließlich im Medium von Zeichen stattfindet. Die Jahrhun-
derte währende griechisch-römische Tradition des Auseinanderfallens von
Zahlendarstellung und Zahlenrechnen ist beendet, das indische Ziffern-
system ist ein Mittel der Zahldarstellung nicht weniger als ein Instrument
des Zahlenrechnens; in dieser Doppelrolle einer darstellenden und instru-
mentellen Funktion zeigt es die Eigenschaften einer formalen Sprache;
deren Spezifik ist es, das Operieren mit Gegenständen, Begriffen, Gedan-
ken zu ersetzen durch das Operieren mit Zeichen, welche an die Stelle dieser
Gegenstände 1 Begriffe und Gedanken treten. Die Pointe eines solchen Ver-
fahrens ist es, daß die Regeln, nach denen sich die Operationen in einer for-
malen Sprache vollziehen, Bezug nehmen auf die Zeichen, nicht aber auf
das, wofür diese stehen. Wenn wir die Zahlen 16 789 und 187 453 miteinander
multiplizieren, so brauchen wir bei diesem Vorgang nicht zu versuchen, uns
vorzustellen, um welch mächtige Mengen es sich hierbei handelt. Es genügt
die Kenntnis des kleinen Einmaleins und der Multiplikationsregel, um
diesen Rechenprozeß mechanisch, und das heißt ohne daran zu denken, was
man tut, durchzuführen. Die Regel der Multiplikation im indischen Ziffern-
system ist keine Regel, um Zahlen miteinander zu multiplizieren, sondern
eine Regel, um Zeichen auf bestimmte Weis·e miteinander zu verknüpfen.
Und so wundert es nicht, daß verschiedene Zeichensysteme jeweils verschie-
dene Multiplikationsregeln erfordern, obwohl es doch immer "um Zahlen
geht": Die Multiplikation muß im ägyptischen, im indischen oder im binären
Ziffernsystem jeweils auf andere Weise vollzogen werden.
58 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle

Indem das orientalische Ziffernrechnen das Operieren mit Zahlen auf das
Operieren innerhalb einer formalen Sprache zurückführt, damit also der
"Gegenstand" Zahl konstituiert ist als "Referenzgegenstand" eines formal
zu gebrauchenden Zeichens, ist der Weg frei gemacht für ein grundsätzlich
verändertes Zahlenverständnis. Wie sieht dieses neue Zahlenverständnis
aus?

1.5 .2 Die Ausbildung eines neuen Zahlbegriffes

Der Kerngedanke des in der neuzeitlichen Mathematik sich herausbil-


denden Zahlbegriffes ist: Zahl bleibt nicht mehr Anzahl von etwas, sondern
ist das, womit gerechnet werden kann. Genauer: Zahl ist das, was durch ein
Zeichen so dargestellt wird, daß mit diesem Zeichen auf regelgerechte Weise
operiert werden kann. Sinnfälligster Ausdruck dieses Zahlenyerständnisses
ist, daß die Null sowie die negativen Größen als Zahlen gelten. Wir erinnern
uns, daß es die Inder gewesen sind, die als logische Konsequenz ihres Zif-
fernsystems dazu gelangten, die Null (und die negativen Größen) als Zahlen
anzuerkennen: Inde~ Sridhara und Äryabhata Regeln angeben, wie mit
dem Zeichen '0' zu rechnen sei, wird die Zahl Null als Referenzobjekt eines
Zeichens eingeführt, auf welches Rechenregeln angewendet werden
können.
Im europäischen Kulturraum konnte sich die Umbildung des Zahlbegrif-
fes, deren praktisches Fundament die Einführung des indischen Ziffernrech-
nens ist, nur als Bruch mit der klassischen griechischen Auffassung von
'Zahl' vollziehen. So wie die "Algoristen" ihre neuen Rechenverfahren nur
in Konkurrenz und auf Kosten der in der griechisch-römischen Tradition ste-
henden "Abakisten" durchsetzen konnten, so konnte der neue, am Ziffern-
rechnen orientierte Zahlbegriff sich nur durch radikale Abwendung vom
griechischen 'arithmos'-Begriff etablieren. Der flämische Mathematiker
Sirnon Stevin (1548-1620) hat diesen Bruch mit der abendländischen an-
tiken Tradition explizit vollzogen. 175 Schon seine Wortwahl macht dies deut-
lich. Gegen die mathematische griechische Tradition, die er als Tradition
eines «siecle barbare», eines barbarischen Zeitalters, ansieht, welches sich
von den Griechen bis heute erstrecke, spielt er die Tradition eines «siecle
säge», eines weisen Zeitalters, aus, welches durch das barbarische unter-
brochen worden sei. 176 Insbesondere in den arabischen mathematischen
Schriften vermutet Stevin ein Fortleben der Kenntnisse dieses weisen Zeit-
alters, als deren eigentliches Erbe ihm das Ziffernrechnen gilt. Wir sehen,
wie Stevin hier die orientalische Tradition mit ihrem Kern des algorithmi-
schen Rechnens mit Zeichen der griechischen entgegenstellt. Und es wun-
dert nicht, daß er Diophant, in dessen Algebra die orientalische Tradition
des arithmetischen Know-how weiterlebte, ausdrücklich von seiner Kritik
an den Griechen ausnimmt. 177 Vom Standpunkt des dezimalen Stellenwert-
Algorithmus und Kalkül in der neuzeitlichen Mathematik 59

systems unterzieht Stevin den griechischen Zahlbegriff einer grundsätzli-


chen Kritik. Einer Kritik, die davon ausgeht, daß die Griechen keine geeig-
nete Zeichenschrift für ihre Zahlen entwickelten.
Dies hätte zur Folge gehabt, daß die Griechen Punkte als Einsen ver-
standen - hier spielt Stevin offensichtlich auf die figurierten Anzahlen an -
und von daher zu einer Analogie von geometrischem Punkt und der Eins ge-
langt seien. Wie aber der Punkt das principium einer Linie, nicht aber selbst
"Linie" sei, müßte die Eins principium der Zahl, nicht aber selbst Zahl sein.
Aristoteles schrieb noch in seiner Metaphysik "Die Eins ist keine Zahl",
gemäß der Definition der Zahl als der aus Einheiten bestehenden Menge. 178
Wir brauchen Stevins weitere Argumentation gegen den griechischen Zahl-
begriff hier nicht zu verfolgen. Für uns genügt, daß die Grundlage seiner
Kritik eine veränderte Auffassung dessen ist, was unter Zahl zu verstehen sei.
Unsere Fähigkeit Zahlen zu bilden führt Stevin auf die Fähigkeit zurück, mit
Ziffern, d. h. ~flhlzeichen, zu operieren. Zahl ist, was durch ein Zeichen oder
eine Figur repräsentiert werden kann. Diese symbolische Auffassung der
Zahl führt Stevin folgerichtig dazu, die Redeweise von den "absurden" oder
"irrationalen" Zahlen fallenzulassen. Wir haben für die Zahl, die mit sich
selbst multipliziert 8 ergibt, ein Zeichen, V8, welches in Rechnungen auf-
taucht; also ist V8 eine Zahl. Stevin ist auch der erste Mathematiker, welcher
das Subtrahieren einer Zahl als Addition einer negativen Zahl versteht.
Stevins Wirken können wir mit den Worten Jacob Kleins resümieren: er
gleicht den Begriff der Zahl dem längst schon üblichen Gebrauch von
Zahlen an. 179 Und dieser Gebrauch von Zahlen läßt sich seit der Einführung
des indischen Ziffernrechnens so charakterisieren, daß "zählen können"
soviel heißt wie "sich in den Ziffern auskennen".

1. 5. 3 Die Kalkülisierung der Analysis

1.5.3.1 Was heißt "Kalkülisierung"?

Ein Grundzug der neuzeitlichen Mathematik - kulminierend in Leibni-


zens Infinitesimalkalkül - ist der Versuch, das Operieren mit mathemati-
schen Gegenständen zu kalkülisieren. Versucht wird damit das, was für die
Arithmetik der rationalen Zahlen durch das indische Ziffernrechnen auf so
vorbildliche Weise gelang- nämlich das Operieren mit Zahlen auf ein regel-
geleitetes Operieren mit Zeichen zurückzuführen-, auch auf andere Gegen-
stände der Mathematik auszudehnen.
Ein Kalkül ist eine Herstellungsvorschrift, nach welcher aus einer be-
grenzten Menge von Zeichen unbegrenzt viele Zeichenkonfigurationen
hergestellt werden können. Wir sind gewohnt, von einem Zeichen dann zu
sprechen, wenn irgendeine sinnlich wahrnehmbare Gegebenheit für etwas
anderes, sinnlich nicht unmittelbar Wahrnehmbares steht. So stehen die Zif-
60 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle

fern 'II' und '2' für die Zahl Zwei. Die Zahl aber ist ein Begriff und von
ihrem Zeichen 'II' wohl zu unterscheiden. Aussagen, die wir über den Be-
griff 'Zwei' machen, wie z. B., daß 'Zwei' eine gerade Zahl ist, sind keine
Aussagen über die Ziffern 'II' oder '2'. Zumindest die Ziffer '2' mutet von
ihrer Gestalt her sehr ungerade an! Solche Unterscheidbarkeit zwischen der
Gestalt eines Zeichens und dem, "wofür es steht", zeigt, daß dieses Zeichen
eine extrasymbolische Bedeutung hat. Wenn der Gebrauch von Zeichen mit
extrasymbolischer Bedeutung kalkülisiert wird, so heißt dies, von eben
dieser Bedeutung abzusehen. Die Zeichen haben dann nur noch eine intra-
symbolische Bedeutung. Im Kalkül operieren wir mit "interpretationsfreien
Zeichen": Das, was die Kalkülzeichen bedeuten, geht völlig auf in den
Regeln ihrer zulässigen Formation und Transformation.
Wenn sich nun die Kalkülisierung als eine grundlegende Tendenz der Ma-
thematik des 16. und 17. Jahrhunderts erweist, so setzt das einen Umbruch
voraus, die "Natur" mathematischer Zeichen und der durch diese bezeich-
neten Gegenstände betreffend.
In bezugauf die "Natur" der mathematischen Zeichen heißt dies, Zeichen
werden jetzt nicht mehr nur so gebraucht, daß sie für ihnen eineindeutig
zugeordnete Objekte.stehen, sondern so, daß sie für alle möglichen Gegen-
stände stehen, die an die Stelle der Zeichen eines formalen Zeichenaus-
drucks so gesetzt werden können, daß sich eine wahre Aussage ergibt. Sinn-
fällige Gestalt nimmt dieser Gebrauch "unbestimmter Zeichen" in der
mathematischen Formel an. Die Entstehung der mathematischen Formel im
Europa des 16. Jahrhunderts ist der konzentrierteste Ausdruck dieser völlig
neuen Art, Zeichen zu gebrauchen.
In bezug auf die "Natur" der Gegenstände, die durch die Zeichen be-
zeichnet werden, heißt dies, die Relation zwischen einem Gegenstand und
dem, wodurch dieser Gegenstand bezeichnet wird, kehrt sich um. Nicht
mehr sind einzelne wohlbestimmte Gegenstände vorgegeben - z. B. die
natürlichen Zahlen -, für welche dann geeignete Zeichensysteme gesucht
werden, die es erlauben, das Operieren mit den Gegenständen "der Einfach-
heit halber" auf das Operieren mit den Zeichen für die Gegenstände zurück-
zuführen. Vielmehr gibt es Zeichen und Regeln ihrer zulässigen Verknüp-
fung, für die wir dann "im nachhinein" mögliche Interpretationen suchen,
die eben dadurch gegeben sind, daß wir die Zeichen in formalen Zeichenaus-
drücken durch ihre Referenzobjekte so ersetzen, daß sich richtige Aussagen
ergeben. Im ersten Falle verdankt das Zeichen seine "Existenz" dem Ob-
jekt, an dessen Stelle es tritt. Im zweiten Falle verdankt das Objekt seine
"Existenz" einem Zeichen, für das es eingesetzt werden kann. Man kann das
auch die symbolische Konstitution mathematischer Gegenstände nennen.
Im Zuge dieser symbolischen Konstitution wird V=2 zu einem Zeichen-
ausdruck, der für einen mathematischen Gegenstand steht. Für einen Ge-
genstand, der uns nicht anders denn in Gestalt seiner symbolischen Reprä-
sentation gegeben ist. Doch solche Fragen, die "Natur" von Gegenständen
Algorithmus und Kalkül in der neuzeitlichen Mathematik 61

betreffend, die nur noch als Interpretationsobjekte kalkülisierten Zeichen-


gebrauches eingeführt werden, sprengen den Rahmen dieser Studie.
Wir wollen uns damit begnügen, das Eindringen des Kalkülgedankens in
die höhere Mathematik in einigen exemplarischen Bereichen herauszuar-
beiten.

1.5.3.2 Die Entwicklung der Algebra zum Buchstabenrechnen

Bis zum 16. Jahrhundert gab es in der Algebra keinen wesentlichen Schritt
über das Wissen der Griechen und Araber hinaus. 180 Doch dann gelang ita-
lienischen Mathematikern ein entscheidender Fortschritt. 181 Noch 1494
hatte Luca Pacioli in seiner >Summa de Arithmetica< betont, daß eine Lö-
sung von Gleichungen wie x 3 + mx = n, x 3 + n = mx genauso unmöglich
sei wie die Qu~dratur des Kreises. 182 Doch Mathematikern der Universität
Bologna gelang in der Mitte des 16. Jahrhunderts die Entwicklung einer
allgemeinen Lösungsmethode für Gleichungen dritten Grades. 183 Dieses
Lösungsverfahren stellte nur die Spitze eines umfassenden Aufschwunges
algebraisch-arithmetischer Verfahren dar, in der Folge der durch die feste
Etablierung des dezimalen Positionssystems eingeleiteten Algorithmisie-
rung mathematischer Operationen. Doch wollen wir unser Augenmerk
weniger auf die Fortschritte in der Gleichungslehre als vielmehr auf die Fort-
bildung der symbolischen Algebra lenken, die damit in engem Zusammen-
hang stand. Wenn auch weniger spektakulär als die neuen Methoden der
Gleichungsauflösung, bahnt sich in der sich erneuernden algebraischen Be-
zeichnungsweise eine grundlegende Wende des algebraischen Denkens an:
die Algebra bleibt nicht einfach mehr Gleichungslehre, also das Rechnen
mit unbekannten Zahlen, sondern wird konzipierbar als ein Rechnen mit
Buchstaben, d. h. mit "unbestimmten" Symbolen, die alle möglichen
Zahlen repräsentieren können, die in eine vorgegebene Gleichung so einzu-
setzen sind, daß sich ein richtiger Rechnungsausdruck ergibt. Die Algebra
bleibt nicht länger ein Rechnen mit - wenn auch noch unbekannten -
Zahlen, sondern wird zu einem Rechnen mit Symbolen: So kam die mathe-
matische Formel "auf die Welt".
Schon im 15. Jahrhundert wurden mathematische Symbole oder Kunst-
wörter beim Lösen von Gleichungen verwendet, doch nur, wenn es darum
ging, Gleichungen mit vorgegebenen Zahlenkoeffizienten aufzuschrei-
ben.184 Wollte man Regeln für das Umformen von Gleichungen lehren, so
blieben zwei Wege: entweder eine umständliche verbale Beschreibung oder
exemplarisches Vorrechnen. Denn es gab noch keine Bezeichnungen für be-
kannte, aber beliebige Größen einer Gleichung. Eben hierin bestand die we-
sentliche Neuerung des Franzosen Franc;ois Viete (1540-1603), latinisiert:
Vieta. 185 Er bezeichnete durch Buchstabensymbole nicht nur, wie bisher, un-
bekannte Zahlen, sondern auch solche Größen, denen man in einer vorlie-
62 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle

genden Aufgabe gegebene Zahlenwerte beilegte. 186 Die unbekannten


Zahlen bezeichnete er durch großgeschriebene Vokale, die bekannten Zah-
lenkoeffizienten durch großgeschriebene Konsonanten. Außerdem verwen-
dete Vieta '+'und'-' als Operationssymbole, gebrauchte den Bruchstrich
und verwendete das Wörtchen 'in' als feststehendes Kurzzeichen für die
Multiplikation; doch verwendet er noch kein Gleichungszeichen, sondern
drückte Gleichheit durch die Termini aequabitur oder aequale aus. Zusam-
mengehörige Terme schreibt er untereinander und verbindet sie mittels
geschweifter Klammer. 187 Beispielsweise würde er den Ausdruck
BA BA-BH -B
D + F -
in der Form schreiben: { }
B inA
BinA -BinH
D + F aequaleB.

Die Potenzen benennt er geometrisch und bezeichnet die DimensionszahL


A 3 wird mitA cubus,A 9 mitA cubo-cubo-cubus bezeichnet. Die Gleichung
A3 + 3BA =D
schreibt er folgendermaßen:
A cubus + B planum inA3 aequale D solido.

In dieser geometrischen Bezeichnungsweise drückt sich eine Orientie-


rung an den griechischen Mathematikern aus, die für Vietas gesamte Hal-
tung konstitutiv ist: Er fühlt sich nicht als revolutionärer Neuerer, sondern
als "Erneuerer", der sich als Wiederentdecker und Fortsetzer der antiken
Lehrmeister versteht. 188 Dies zeigt sich einerseits in seiner Anlehnung an
die antike Terminologie. So nennt er seine Lehre "ars analytice" und knüpft
damit an das analytische Verfahren des Pappus von Alexandrien sowie an die
Analysis von Diophant an, nicht aber an den schon in Gebrauch befind-
lichen Namen "Algebra". 189 Stärker noch äußert sich Vietas antike Ausrich-
tung in inhaltlichen Prämissen: Strikt hält er das Gesetz der Homogenität 190
ein und läßt als Lösungen von Gleichungen nur positive ganze Zahlen zu,
das heißt Lösungen, die im Prinzip immer auch geometrisch veranschaulicht
werden können.
Gleichwohl, mit der Einführung seiner Buchstabensymbole für die kon-
stanten Zahlenwerte einer Gleichung macht Vieta einen vorbildlosen Schritt
über jegliche Formen antiken Symbolgebrauches hinaus. Ob Diophant mit
einem Symbol für die Unbekannte rechnete, ob in der Proportionenlehre
des Eudoxos Strecken oder von Euklid geometrische Punkte mit Buch-
staben markiert wurden- stets stehen diese Buchstaben, nicht anders denn
beliebige konkrete Zahlzeichen, für wohlbestimmte durch eine Aufgabe
jeweils genau vorgegebene Größen.
Algorithmus und Kalkül in der neuzeitlichen Mathematik 63

Solange man mit solchen Buchstaben rechnet, rechnet man stets mit be-
stimmten Größen. Wenn nun Vieta für die gegebenen Zahlenkoeffizienten
einer Gleichung Buchstaben ei~führt und mit denselben rechnet, rechnet er
nicht mehr mit bestimmten, sondern unbestimmten Größen. "Unbestimmt"
heißt hier: die Buchstabensymbole stehen nicht mehr für einen wohlbe-
stimmten Wert, sondern für alle möglichen Zahlenwerte, die in eine solche
Gleichungsform eingesetzt werden können. Damit verändert sich das,
womit gerechnet wird. Vieta bringt dies mit wünschenswerter Deutlichkeit
zum Ausdruck, wenn er von einer logistica numerosa, einem Rechnen mit
Zahlen, die logistica speciosa, das Rechnen mit Figuren bzw. Zeichen unter-
scheidet. 191 Vietas "analytische Kunst" ist ein Rechnen mit den species, den
Symbolen. Dabei steht für Vieta außer Zweifel, daß im Prinzip seine Buch-
stabensymbole immer numerisch bzw. geometrisch zu deuten sind, und er
hat seine Algebra nie anders verstanden denn als Hilfswissenschaft kon-
kreter Größenberechnungen.
Gleichwohl hat er im Rahmen dieser "Hilfswissenschaft" einen unersetzba-
ren Schritt hin zum interpretationsfreien Gebrauch von Symbolen getan, wie
es für kalkülisierende Operationen konstitutiv ist. Denn wenn Vieta nun Re-
geln für das Umformen von Gleichungen auf allgemeingültige Weise formulie-
ren kann, so ist das, worauf sich diese Regeln erstrecken, zuerst einmal keine
Größe, sondern unmittelbar ein Zeichen und sonst nichts. Nun haben wir fest-
gestellt, daß auch das Rechnen im dezimalen Stellenwertsystem bereits als ein
algorithmisches Operieren mit Zeichen gelten kann. Da aber eine Ziffer stets
für eine besondere Zahl steht, also deren individueller Name ist, kann hier das
Rechnen mit konkreten Zahlen und das Rechnen mit individuellen Zahlzei-
chen noch leicht in eins gesetzt werden. Doch Buchstaben wie a undbin der
Gleichung a + b = b + a sind nicht mehr individuelle Zeichen, sondern all-
gemeine Zeichen, die für eine ganze Klasse möglicher Objekte stehen. Damit
kann ein Ausdruck wie 3 + 1 = 1 + 3, der eine Zahlengleichung repräsen-
tiert, genau unterschieden werden von dem Ausdruck a + b = b + a, der
eine Gleichung mit allgemeinen Zeichen bzw. Symbolen repräsentiert. Erst
bei der letzteren wird deutlich, daß diese Gleichung interpretierbar ist als eine
Vorschrift über die Umformung von Zeichenreihen. Und erst auf dem Hinter-
grund dieses Schemas a + b = b + a kann deutlich werden, daß auch
3 + 1 = 1 + 3 als Realisierung einer Umformungsregel für Zeichenaus-
drücke und nicht nur der Regel über die Beliebigkeit der Reihenfolge bei Zah-
lenadditionen gelten kann. Ein erster Effekt von Vietas Buchstabenalgebra ist
es, Regeln für das Auflösen von Gleichungen allgemeingültig formulieren zu
können. Der zweite- und in der Perspektive unserer historischen Rekonstruk-
tion wesentlichere- Effekt ist es, das Rechnen als ein Umformen von Zeichen-
ausdrücken durchsichtig zu machen.
Die Früchte dieser symbolsprachlichen Erneuerungen zeigen sich bei
Vieta in Fortschritten seiner arithmetischen und algebraischen Technik 192 :
Er fand \l1t auf neun Dezimalen; er entwickelte die Umformungstechniken
64 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle

von Gleichungen weiter: Auflösen, Abspalten von Faktoren, Verwandlung


unbestimmter Ausdrücke in vollständige Quadrate, Transformationen von
Gleichungen durch neu eingeführte Variablen etc. wurden von ihm kunst-
voll gehandhabt. Für uns aber ist alleine wesentlich, daß Vieta die formale
Schreibweise in die Mathematik eingeführt hat.

1.5.3.3 Die analytische Geometrie Descartes'

Aufgrund seiner Symbolik, mit der es gelang, unbestimmte, jedoch gege-


bene Zahlenwerte auszudrücken, vermochte Vieta die Regeln der Algebra
allgemeingültig auszudrücken. Die Allgemeingültigkeit algebraischer Ver-
fahren ist die unabdingbare Voraussetzung der analytischen Geometrie.
Deren Kerngedanke besteht in der Zuordnung zwischen geometrischen
Figuren und algebraischen Gleichungen. 193 Wenn auch Pierre de Fermat
(1601-1665) 1636 bereits elementare Aufgaben der analytischen Geometrie
behandelte, 194 sehen wir doch in dem rationalistischen Philosophen Rene
Descartes (1596-1650) den Begründer analytischer Verfahren der Geo-
metrie. 1637 erschien.>La Geometrie< 195 , ursprünglich als Anhang zu sei-
nem> Discours de Ia Methode<, eine Schrift, in der er den Gedanken darzu-
legen versucht, daß die Sicherheit wissenschaftlicher Erkenntnis dadurch
zu gewährleisten sei, daß wir beim wissenschaftlichen Erkennen einer ein-
heitlichen Methode folgen. Seine >Geometrie< galt ihm als ein Beispiel
dafür, wohin im Bereiche der Mathematik zu gelangen ist, wenn man das
Prinzip der methodischen Ordnung der Erkenntnis einhält. In der >Geo-
metrie< zeigte Descartes, daß die Algebra sich nicht nur- wie noch bei Vieta
konzipiert - als ein Organon des· arithmetischen Denkens, sondern ebenso
als ein Organon des geometrischen Denkens bewährt. Die "Unbestimmt-
heit" der algebraischen Symbole betreffend, geht Descartes ein Stück über
Vieta hinaus. Für Vieta blieben die Buchstaben letztlich auf unbestimmte,
jedoch gegebene numerische Werte beschränkt. Descartes bezieht die Buch-
staben nun auch auf geometrische Größen; die im Buchstaben-Symbolismus
angelegte Unabhängigkeit der methodischen Ordnung der algebraischen
Operationsschritte von spezifischen numerischen Verhältnissen erstreckt
sich jetzt auch auf die Unabhängigkeit von spezifischen geometrischen Ver-
hältnissen. Die Algebra wird damit zu einer Sprache, in der "allgemeine
Größen überhaupt" ausgedrückt werden können. 196 Seit der griechischen
Antike hatten die Relationen "gleich", "größer", "kleiner" in Arithmetik
und Geometrie je verschiedene, unvereinbare Bedeutungen. Infolge dieser
"Unübertragbarkeit" der Arten blieben die Welt der Zahlen und die Welt der
geometrischen Gebilde voneinander getrennt, so daß z. B. die allgemeine
Proportionenlehre ihre Sätze jeweils für Zahlen und geometrische Gebilde
getrennt beweisen mußte, um überhaupt als allgemeine Lehre von den Pro-
portionen zwischen Größen anerkannt zu werden. Descartes nun gelang es,
Algorithmus und Kalkül in der neuzeitlichen Mathematik 65

die Operationen der Arithmetik und die Operationen der Geometrie aufein-
ander zu beziehen, vermittels ihrer Abbildbarkeit auf algebraische Opera-
tionen.197 Die Algebra wird zu einer Art "universaler Sprache", mit der geo-
metrische und arithmetische Probleme gleichermaßen gestellt und gelöst
werden können.
Die Verallgemeinerung der algebraischen Verfahren bleibt in Descartes'
>Geometrie< allerdings bezogen auf traditionell geometrische Probleme, bei
denen es Figuren zu konstruieren gilt, die gewisse vorgegebene Bedin-
gungen erfüllen. 198 Neu ist jedoch, daß Konstruktionsprobleme durch Be-
rechnung gelöst werden und somit die Möglichkeit der Konstruierbarkeit
einer geforderten Figur zurückgeführt wird auf die Möglichkeit der Bere-
chenbarkeit einer der Figur entsprechenden Gleichung.
Doch schauen wir uns Descartes' Text selbst an:
Descartes beginnt damit zu zeigen, "wie sich der arithmetische Kalkül auf
die Operation~n der Geometrie bezieht", und führt dazu aus:
Und gleichwie sich die gesamte Arithmetik nur aus vier oder fünf Operationen zusam-
mensetzt, nämlich aus den Operationen der Addition, der Subtraktion, der Multipli-
kation, der Division und des Ausziehens von Wurzeln, das ja auch als eine Art von Di-
vision angesehen werden kann: so hat man auch in der Geometrie, um die gesuchten
Linien so umzuformen, daß sie auf Bekanntes führen, nichts anderes zu tun, als an-
dere Linien ihnen hinzuzufügen oder von ihnen abzuziehen; oder aber, wenn eine
solche gegeben ist, die ich, um sie mit den Zahlen in nähere Beziehung zu bringen, die
Einheit nennen werden, und die gewöhnlich ganz nach Belieben angenommen
werden kann, und man noch zwei andere hat, eine vierte Linie zu finden, die sich zu
einer dieser beiden verhält, wie die andere zur Einheit, was dasselbe ist, wie die Mul-
tiplikation: oder aber eine vierte Linie zu finden, die sich zu einer der beiden verhält
wie die Einheit zur anderen, was dasselbe ist wie die Division; oder endlich eine oder
zwei oder mehrere mittlere Proportionalen zu finden zwischen der Einheit und
irgendwelchen anderen Linien, was dasselbe ist wie das Ausziehen der Quadrat- oder
Kubikwurzel usw.- Und ich werde mich nicht scheuen, diese der Arithmetik entnom-
menen Ausdrücke in die Geometrie einzuführen um mich dadurch verständlicher zu
machen. 199

Descartes versucht also, geometrische Konstruktionen als Operationen


innerhalb eines Kalküls zu fassen. Das Spezifikum solcher Kalkülopera-
tionen ist es, das, womit operiert wird, als "bedeutungsloses" Zeichen zu ge-
brauchen. Für die Strecken, mit denen hier in einer den Zahlen analogen
Weise operiert wird, heißt das: Diese Strecken haben nicht mehr die Bedeu-
tung geometrischer Gebilde im Sinne von Aufbauelementen geometrischer
Figuren (so daß etwa die Multiplikation zweier Strecken notwendig eine
Fläche ergibt), sondern so, wie aus der Multiplikationzweier Zahl-Zeichen
sich im Kalkül stets ein Zahl-Zeichen ergibt, so führt die Multiplikation
zweier Strecken-Zeichen stets zu einem Strecken-Zeichen. Die Kalkülisie-
rung der geometrischen Operation führt bei Descartes zur Aufgabe des Ho-
mogenitätsprinzips, welches einzuhalten Vieta sich noch verpflichtet fühlte.
66 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle

Die Multiplikation z. B. führt Descartes so durch:


Es sei AB die Einheit und es sei BD mit BC zu multiplizieren, so habe ich nur die
Punkte A und C zu verbinden, dann DE parallel mit CA zu ziehen und BE ist das
Produkt dieser Multiplikation. 200

Sodann gibt Descartes allgemeine Regeln für die algebraische Formulierung


und Auflösung eines Problems an, in welchen er sich an dem analytischen
Verfahren des antiken Geometers Pappus sowie des Arithmetikers Dio-
phant orientiert: Man betrachte die Aufgabe als gelöst und führe Zeichen für
die darin enthaltenen bekannten und unbekannten Größen an. Sodann
nutze man diese gegebenen Zeichen, um eine und diesseihe Größe auf zwei
verschiedene Weisen auszudrücken, wodurch sich eine Gleichung ergibt. 201
Welchen Gebrauch nun macht Descartes ·von diesen Regeln? Bereits in
der Antike ist das Problem bekannt, den geometrischen Ort zu drei oder
vier fixierten Linien zu finden, so daß gewisse gegebene Bedingungen von
diesem Punkt erfüllt werden. Euklid vermochte dieses Problem für einige
Spezialfälle zu lösen. Pappus vermutete, daß für drei oder vier Linien dieser
Ort ein Kegelschnitt, für darüberliegende Anzahlen von Linien dieser Ort
aber eine Kurve beschreibe, ohne daß er diese Vermutungen hätte be-
gründen oder Eigenschaften dieser speziellen Kurve hätte angeben kön-
nen. 202 Descartes gelang es nun, die allgemeine Lösbarkeit dieses Problems
zu zeigen, durch Überlegungen, die ihn zur Entdeckung der analytischen
Geometrie führten. Wir wollen diese Überlegungen hier nicht im einzelnen
nachvollziehen, sondern nur im Ergebnis festhalten: Die Örter von
Punkten, die so bestimmt sind, daß das Produkt ihrer Entfernungen von n
Geraden zu dem Produkt ihrer Entfernungen von n oder n -1 Geraden in
einem konstanten Verhältnis steht (dies ist das "Pappus-Problem"), sind
durch Gleichungen n-ten Grades darstellbar. 203 Solche Gleichungen de-
finieren Kurven, die im Falle von 3, 4, 5 Geraden mit Zirkel und Lineal kon-
struiert werden können, im Falle von 6, 7, 8, 9 Geraden durch Kegelschnitte
und im Falle von 10, 11, 12, 13 Geraden mittels krummer Linien, die um
einen Grad zusammengesetzter sind als Kegelschnitte etc. 204 Descartes
knüpft hier also an eine Einteilung der griechischen Antike an. Dort unter-
schied man zwischen ebenen, körperlichen und linearen Problemen: die er-
steren wurden mit Lineal und Zirkel, die zweiten mittels Kegelschnitten
Algorithmus und Kalkül in der neuzeitlichen Mathematik 67

und die letzteren durch Anwendung höherer Kurven gelöst. 205 Er zeigt nun,
daß diese Klassifikation ein algebraisches "Pendant" hat. Den ebenen Pro-
blemen entsprechen in der Algebra die Gleichungen 1. und 2. Grades, den
körperlichen diejenigen des 3. und den linearen diejenigen 4. und höheren
Grades. 206 Auf der Grundlage dieser Zuordnung führt Descartes Eigen-
schaften von Kurven auf Eigenschaften algebraischer Gleichungen zurück.
Erwähnt sei noch, daß Descartes auch eine Regel für die Bestimmung von
Normalen und somit für Tangenten zu algebraischen Kurven, deren Glei-
chung wir kennen, angibt und damit eine wesentliche Voraussetzung schafft,
von der Leiboizens Untersuchungen zur Infinitesimalmethode ausgehen
werden. 207
Wir wollen auf die Inhalte der >Geometrie< nicht weiter eingehen, son-
dern versuchen, den Stellenwert zu bestimmen, der dieser Schrift für die
Entwicklung des mathematischen Denkens zukommt.
Es ist nicht der Gedanke wechselseitiger Abbildbarkeit geometrischer
und algebraischer Operation, worin die besondere Leistung Pescartes' be-
steht; denn zu diesem Gedanken gelangte auch Fermat. Vielmehr ist es der
Gebrauch, den Descartes von dieser Einsicht macht und der sich so be-
stimmen läßt, daß die Algebra nicht nur ein Instrument konkreter geometri-
scher Problemlösung wird, sondern zugleich ein Instrument, die allgemeine
Lösbarkeit von Klassen geometrischer Probleme nachzuweisen. Damit aber
bekommt die Technik rechnerischer Verfahren einen Status, der bisher den
geometrischen Verfahren vorbehalten blieb: ein begründetes Wissen zu
liefern, welches auf Beweisen beruht. Indem die Algebra der Geometrie
"hilft", die Lösbarkeit bestimmter Problemklassen auf allgemeingültige
Weise zu demonstrieren, bleibt sie nicht länger bloße 'techne', sondern er-
ringt selbst den Status einer 'episteme'. Dadurch aber schließt sich eine
Kluft, die zwischen der orientalischen algorithmisch-algebraischen Tradition
und der griechischen wissenschaftlichen Tradition bestand. Struik kenn-
zeichnet dies "als die endgültige Übernahme der algorithmisch-algebrai-
schen Tradition des Orients durch den Westen". 208 Doch solche Einschät-
zung übersieht, daß die "Übernahme" mit einer wesentlichen Transforma-
tion der algorithmisch-algebraischen Verfahren einherging; eine Transfor-
mation, die Vietas Buchstabenalgebra vorbereitete und die darin besteht,
daß diese "technischen" Verfahren in den Rang einer Wissenschaft gehoben
werden. Die Kalkülisierung der Geometrie, wie sie Descartes in >La Geo-
metrie< vollzog, diente nicht einfach der Erleichterung geometrischer Kon-
struktion, sondern Begründungsnotwendigkeiten. Hier findet sich angelegt,
woraus Leibniz später die Konsequenz ziehen wird: das Rechnen als eine
Form des Beweises aufzufassen.
Die nächste Stufe der Kalkülisierung- durch Descartes' Tangentenbestim-
mung algebraischer Kurven wohlvorbereitet-wollen wir anband von Leib-
nizens Infinitesimalkalkül herausarbeiten.
68 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle

1. 5. 3. 4 Leiboizens Infinitesimalkalkül

Was Descartes für die Analysis des Endlichen leistete, nämlich die bei sol-
chen Untersuchungen notwendigen Operationen als Rechenoperationen
durchzuführen, dies leistete der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz
(1646-1716) für die Analysis des Unendlichen. Leibniz entwickelte einen
dem arithmetischen Kalkül formal analogen Infinitesimalkalkül, der es er-
laubte, infinitesimale Untersuchungsmethoden als Rechnungen in einer
dafür geeigneten Zeichensprache durchzuführen. <(

Auch bei Leibniz standen die mathematischen Entdeckungen im engen


Zusammenhange mit philosophischen Überlegungen, der Idee nämlich
-wir werden darauf später genauer noch zu sprechen kommen-, allen wis-
senschaftlichen und philosophischen Gedanken eine Sicherheit zu ver-
leihen, wie sie den mathematischen Kenntnissen zu eigen sind. Das Modell
für diese Sicherheit mathematischer Kenntnis gewann Leibniz nicht am klas-
sischen Ideal des axiomatisch-deduktiven Theorieaufbaus, vielmehr am
Ideal der Kalkülisierung. 209 Wenn immer wir einen Ausdruck in der for-
malen Sprache eines Kalküls vorliegen haben, so können wir entscheiden,
ob dieser Ausdruck regelgemäß ableitbar ist und somit über seine Wahrheit
gemäß dem Kriterium der Richtigkeit ( = regelgemäß gebildet) entscheiden.
Solche Rückführung des Wahrheitsbeweises von Aussagen über spezielle
Gegenstandsbereiche auf Richtigkeitsnachweise setzt allerdings die Ein-
führung einer geeigneten Symbolsprache voraus, die durch eine eineindeu-
tige Abbildung der Gegenstände auf die entsprechenden Elemente einer
künstlichen Symbolsprache - die zugleich als Kalkülsprache fungiert - ge-
bildet wird. 210 So können Zusammenhänge, die zwischen den Gegen-
ständen bestehen, durch rein syntaktische Strukturen zwischen den Sym-
bolen abgebildet werden. Im Zusammenhang dieses "Leibnizprogramms"
einer universalen Kalkülisierbarkeit wissenschaftlicher Erkenntnis
schlechthin ist nun der Infinitesimalkalkül als dessen Verwirklichung in
einem Teilbereich einzuschätzen.
Untersuchungen des Infinitesimalen verfügen über eine lange Geschichte,
in die sich Namen wie Archimedes, Nicole Oresme, Galilei und Johannes
Kepler eingeschrieben haben. 211 Zu Anfang der siebziger Jahre des 17. Jahr-
hunderts gab es wichtige Fortschritte in der Ausarbeitung infinitesimaler
Verfahren der Tangenten- und Extremwertbestimmung, in der Berechnung
von Quadraturen sowie der Bestimmung von Geschwindigkeiten. Doch han-
delte es sich hierbei stets um spezielle Verfahren. Erst die Entdeckungen
Isaac Newtons (1643-1727) und Leibnizens- neuere Forschungen haben ge-
zeigt, daß beide unabhängig voneinander und auf verschiedenen Wegen zu
ihren andersgearteten Methoden der Differentiation und Integration ge-
langten- entwickelten allgemeine Lösungsverfahren. 212 Doch gibt es einen
wesentlichen Unterschied, der den Siegeszug des Leibnizschen Verfahrens
gegenüber Newtons Fluxionsmethode zu erklären vermag: Das Leibnizsche
Algorithmus und Kalkül in der neuzeitlichen Mathematik 69

Verfahren ist nicht nur allgemein, sondern hat darüber hinaus die Eigen-
schaft, eine kalkülisierte Operation zu sein. Leibniz führt also jene Art von
Rechenhaftigkeit in die Analysis des Unendlichen ein, für welche Vietas
Buchstabenalgebra paradigmatische Geltung hat und die darin besteht, mit
Symbolen nach Regeln zu verfahren, die keinen Bezug nehmen auf das, was
die Symbole bedeuten. Leibniz findet heraus, daß sich alle infinitesimalen
Probleme auf zwei Arten analytischer Berechnung zurückführen lassen.
Entweder geht es um die Berechnung von Differenzen unendlich benach-
barter Reihenglieder - für diese entwickelt er seinen calculus differentialis,
mit dem Symbol d für infinitesimale Differenzen-, oder es geht um die Be-
rechnung der Summen unendlicher Reihen, deren Glieder unendlich klein
und benachbart sind; dafür steht der calculus summatoris, den Leibniz erst
später in Absprache mit den Brüdern Bernoulli in calculus integralis umbe-
nennt, mit dem Symbol f für infinitesimale Summen. Mit Hilfe dieser Sym-
bolsprache wi,rd es möglich, auch solche Kurven einer algebraischen Be-
handlung zugänglich zu machen, die in Descartes' analytisch~r Geometrie
ausgeschlossen blieben, und die wir heute mit transzendenten Gleichungen
bezeichnen. Die Voraussetzung der Aufstellung transzendenter Gleichun-
gen lag in einer Symbolsprache, die nicht nur davon ausgeht, daß jedem
Punkt der Kurve ein exakter numerischer Wert zuzuordnen ist- dies ist auch
Descartes' Position -, sondern auch davon, daß solche Zuordnung nicht
daran gebunden bleiben darf, daß dieser numerische Wert durch anschau-
liche Linien "vor die Sinne gestellt" werden kann.
Während seines Pariser Aufenthaltes erhielt Leibniz im Jahre 1673 die
entscheidende Anregung durch das Studium des "Pascalschen Dreiecks",
indem er feststellte, daß das "charakteristische Dreieck" nicht nur für Kreis-
linien aufzustellen ist, sondern allgemein für jede Kurve gilt, sofern der
Kreisradius durch die Kurvennormale ersetzt wird. 213 Erst im Jahre 1684 ver-
öffentlichte Leibniz seine Gedanken über den Differentialkalkül unter dem
Titel >Nova m.ethodus pro maximis et minimis itemque tangentibus ... et sin-
gularepro illis calculi genus< (Neue Methode der Maxima, Minima sowie der
Tangenten ... und eine darauf bezügliche Rechnungsart). 214 In diesem Ar-
tikel gibt Leibniz eine Definition des Differentials mit Hilfe des "charakteri-
stischen Dreiecks", das gebildet wird, wenn man in einem Punkt P (xly)
einer Kurve eine Tangente zieht und nun ein rechtwinkliges Dreieck bildet,
dessen Hypotenuse auf der Kurventangente im Punkt P (xly) liegt und
dessen Katheten eben die Differentiale sind. Sodann führt Leibniz das auch
heute noch übliche Zeichen d für das Differential ein. Er gibt nun - und
hierin ist der entscheidende Fortschritt zu sehen- Rechenregeln an, wie mit
dx und dy zu rechnen ist, wenn diese als unendlich klein vorgestellt werden.
Diese Rechenregeln sind den arithmetischen Grundrechenarten analog.
Differenziert werden Summen, Differenzen, Produkte, Quotienten und
Potenzfunktionen. Den kalkulatorisch-algorithmischen Charakter dieser
Rechnungen bringt Leibniz mit folgenden Worten zum Ausdruck:
70 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle

Kennt man, wenn ich so sagen soll, den obigen Algorithmus dieses Kalküls, den ich
Differentialrechnung nenne, so lassen sich alle anderen Differentialgleichungen
durch ein gemeinsames Rechnungsverfahren finden ... So kommt es, daß man zu
jeder vorgelegten Gleichung ihre Differentialgleichung aufschreiben kann. Dies ge-
schieht, indem man für jedes Glied einfach das Differential des Gliedes einsetzt, für
eine andere Größe jedoch (die nicht selbst ein Glied ist, sondern zur Bildung eines
Gliedes beiträgt) ihr Differential anwendet, um das Differential des Gliedes selbst
zu bilden, und zwar nicht ohne weiteres, sondern nach dem oben vorgeschriebenen
Algorithmus. 215

Wir sehen, wie hier der Terminus 'Algorithmus' von Leibniz zur Kenn-
zeichnung von Rechenverfahren überhaupt, ausgeführt in einem symboli-
schen Medium, verallgemeinert wird.
In diesem Zusammenhang zwischen "Algorithmisierung einer numeri-
schen Operation" und "für die Gegenstände dieser Operation einen eigenen
Symbolismus schaffen" liegt die Pointe der Leibnizschen Erfindung. Hier
liegt die wesentliche Differenz zu Newtons Fluxionsrechnung, die ebenfalls
algorithmisch orientiert ist. Einerseits ist das Bezeichnungssystem von
Leibniz zweckmäßiger, insofern die Größe, nach der differenziert wird, un-
mittelbar im Bezeichn.ungssystem zum Ausdruck kommt. Leibniz wählt für
den ersten, zweiten und dritten Differentialquotienten die Bezeichnungen
dx d2x d3x
dy' dy2' dy3 etc.

Newton behandelt demgegenüber die Bezeichnungsfrage gleichgültig; er


hat sich jedoch angewöhnt, den ersten Differentialquotienten mit .X, den
zweiten mit i, den dritten mit x etc. zu bezeichnen. Das Wesentliche des
Leibnizschen Symbolismus ist, daß die Zeichen als Kalkülzeichen fun-
gieren, so daß mit diesen Zeichen nach Regeln operiert werden kann, die
nur auf ihre syntaktische Gestalt Bezug nehmen. Der kalkulatorische Cha-
rakter der Leibnizschen Rechnung hat eine entscheidende Implikation.
Analog den Buchstaben in Vietas logistica speciosa stehen Leibnizens Diffe-
rentiale nicht für wohlbestimmte Objekte, so wie '2' für die Zahl Zwei steht.
In diesem Falle hieße dies, daß das Differential eine aktual gegebene unend-
lich kleine Größe repräsentierte und die Differentialrechnung eine Rech-
nung mit unendlich kleinen Größen sei- eine Auffassung, die gar zu schnell
zu Kontradiktionen führt. So z. B. zu der paradoxen Formulierung, auf die
Johann Bernoulli zurückgreift, wenn er im Anschluß an Leibniz einen
Kursus über die Differentialrechnung verfaßt und darin u. a. schreibt: "Eine
Größe, die vermindert oder vermehrt wird um eine unendlich kleine Größe,
wird weder vermindert noch vermehrt. " 216 Da wundert es nicht, daß die
infinitesimalen Untersuchungsmethoden bei vielen Zeitgenossen - allen
voran der Theologe und Philosoph George Berkeley (1685-1753)- auf Un-
verständnis stieß. 217 Ein Unverständnis, das den Kalkülcharakter der Sym-
bolik, und d. h. ihre intrasymbolische Bedeutung, nicht in Rechnung stellt.
Die Entstehung der mathematischen Formel 71

In dieser Perspektive nämlich stellt das Symbol dx keine bestimmte Größe,


dy
sondern eine operative Vorschrift dar, daß jede vorgegebene Größe um eine
festgesetzte Einheit verkleinert werden kann, so etwa, wie wir zu jeder vor-
gefundenen Zahl die nächstgrößere bilden können, indem wir durch An-
fügen der dem Bildungsprinzip der Zahlenreihe zugrundeliegenden Einheit
ihren Nachfolger bilden. Der Philosoph Ernst Cassirer kennzeichnet den
operativen Charakter der Leibnizschen Differentiale so: "Das Differential
verhält sich zur Größe . . . wie eine methodische Operation zu ihrem Er-
gebnis. " 218 Der Differentialquotient ist kein Zeichen, das einen gegebenen
Zustand beschreibt, sondern eine funktionale Abhängigkeit vorschreibt.
"Unendlich zu sein" (im Sinne von unendlich klein bzw. groß) ist keine
Eigenschaft einer bestimmten Größe, sondern die Eigenschaft einer Hand-
lung, mit der wir eine bestimmte Vorschrift unbegrenzt oft auf das, kraft
dieser Vorschtift gewonnene, Resultat einer Handlung wiederanwenden
können. Das aber ist nichts anderes als die Grundidee aller Kalkülisierung:
auf der Basis eines begrenzten Zeichenvorrats und eindeutiger Herstel-
lungsvorschriften unbegrenzt viele Zeichenkonfigurationen erzeugen zu
können.

1.6 Zwischenergebnis 1:
Über die Entstehung der mathematischen Formel

(1) Bis zum Beginn der Neuzeit lassen sich in der Entwicklungsgeschichte
des mathematischen Denkens zwei Typen mathematischer Wissensbildung
unterscheiden: der Typus des "Rezeptewissens", wie er sich in der algorith-
misch-algebraischen Tradition der orientalischen Mathematik herausge-
bildet hat, upd der Typus des "Begründungswissens", wie er sich in der
wissenschaftlichen Tradition der klassischen griechischen Mathematik her-
ausgebildet hat.
(2) Das "Rezeptewissen" versteht sich als eine 'techne', als ein Know-
how, wie Probleme durch das mechanische Befolgen einer Regel gelöst
werden können. Nicht warum sich etwas so und so verhält, sondern nur, wie
man etwas macht, ist die entscheidende Frage, auf die das "Rezeptewissen"
Antwort gibt.
Das "Begründungswissen" versteht sich als eine 'episteme'. Kenntnisse
sind als wissenschaftliche Erkenntnisse nur anerkannt, insofern sie einen
Platz im axiomatisch-deduktiven Aufbau einer Theorie einnehmen. Nicht
wie man etwas macht, sondern warum sich etwas so und so verhält, ist die
entscheidende Frage, auf die das "Begründungswissen" Antwort gibt.
(3) Die Wurzeln der algorithmischen und kalkulatorischen Elemente im
mathematischen Denken reichen zurück in die orientalische Tradition des
72 Entwicklung arithmetischer und algebraischer Kalküle

"Rezeptewissens". Doch fehlte hier die Möglichkeit, die Rezepte allgemein-


gültig zu formulieren.
Algorithmisch heiße ein Problemlösungsverfahren, bei dem schematisch
einer Regel gefolgt wird, die nicht nur für ein einzelnes Problem, sondern
für eine Klasse von Problemen gilt, wobei die Problemlösung in endlich
vielen Schritten gefunden werden kann.
Kalkulatorisch heiße ein Problemlösungsverfahren, sofern die Problem-
stellung mit Hilfe einer künstlichen Zeichensprache formuliert und in dem
Medium dieser künstlichen Sprache zugleich gelöst wird.
(4) Der Aufschwung der Mathematik im 16. und 17.Jahrhundert resul-
tiert aus einer Synthese der orientalischen und griechischen Tradition mathe-
matischer Wissensbildung, durch welche die 'techne' des Rezeptewissens
den Status einer 'episteme' erringt.
Die neuzeitliche Mathematik ist orientiert am Vorbild der algorithmisch-
kalkulatorischen Verfahren. Diese Verfahren erhalten eine gegenüber den
Rezepten der orientalischen Mathematik andersgeartete Funktion: Sie
dienen nicht nur dazu, bestimmte Probleme zu lösen, sondern auch dazu,
die Allgemeingültigkeit der Lösungsverfahren zu demonstrieren. Die Bere-
chenbarkeit wird zu einem Instrument der Beweisbarkeit.
(5) An der "Schnittstelle" der orientalischen und griechischen Traditions-
linien, dort also, wo das Wissen um Verfahrensweisen in den Rang eines
wissenschaftlich begründeten Wissens gehoben wird, entsteht eine für die
neuzeitliche Wissenschaft konstitutive und vorbildlose Neuerung: die mathe-
matische Formel.
Die mathematische Formel beruht auf dem operativen Gebrauch von
Symbolen. Zeichen werden dann operativ gebraucht- und damit zu opera-
tiven Symbolen -, wenn mit ihnen nach Regeln verfahren wird, die nicht
mehr Bezug nehmen auf das, was die Zeichen bedeuten, sondern ausschließ-
lich auf ihre syntaktische Gestalt.
In diesem Falle stehen die Zeichen nicht mehr für wohlbestimmte Ob-
jekte, sondern fungieren als "unbestimmte" Symbole, die für jedes belie-
bige Objekt stehen können, das an die Stelle der Symbole in einem formalen
Ausdruck so eingesetzt werden kann, daß aus der Formel ein wahrer Satz
entsteht.
2. ENTWICKLUNGSGESCHICHTE LOGISCHER KALKÜLE

2.1 Zur Vorgeschichte des logischen Kalküls

2.1.1 Formale und formalistische Elemente im logischen Denken


der Griechen

2.1.1.1 Aristoteles

Das schematische Operieren mit Zahlen, welches z. B. in der pythagorei-


schen Rechensteinarithmetik zu den "Formeln" für die Summen von Reihen
.I

natürlicher Zahlen führte, erfuhr innerhalb der griechischen. Mathematik


mit ihrem apodeiktischen Zwang für wissenschaftlich anzuerkennende
Sätze eine Rückbildung. Die logische Sicherung dessen, was überhaupt als
eineApodeixis, als Beweis, zu gelten habe, führtAristoteles zu der Idee, mit
Termini schematisch zu operieren. 1 Eine Idee, durch deren Ausarbeitung
Aristoteles zum Schöpfer der modernen Logik wird. 2
Die logischen Hauptschriften von Aristoteles wurden von seinen Nachfol-
gern unter dem Titel >Organon< zusammengefaßt3 ; ein Titel, der anspielt auf
die Funktion der aristotelischen Logik, nicht selbst Teil der Wissenschaft,
sondern ihr Instrument zu sein. 4 Was heißt "Schöpfer der formalen Logik"?
Aristoteles geht aus von der Möglichkeit, eine methodische Ordnung in der
Abfolge von Denkschritten zu entwickeln, so daß aus wahrenAussagen mit
Notwendigkeit wieder wahre Aussagen geschlossen werden können. Diese
"Notwendigkeit" bezieht sich auf Zusammenhänge innerhalb und zwischen
Aussagen, die vom Inhalt der Aussagen unabhängig sind. Zum Schöpfer der
formalen Logik wird Aristoteles, indem er als erster- soweit dies heute über-
sehbar ist - mit Aussageformen bzw. Aussagefunktionen gearbeitet hat. 5
Also nicht mit Aussagen der Gestalt "alle Hunde sind Tiere", sondern "alle
S sind P" bzw. "P kommt allen S zu". 6 Diese Aussageformen sind selbst
keine Aussagen, also Sätze, die wahr oder falsch sind, sondern werden dies
erst durch Einsetzen konkreter Termini. Eine Aussageform "alle S sind P"
zu betrachten setzt voraus, daß eine beliebige Aussage in zwei Klassen von
Aussagebestandteilen zu unterteilen ist. Zur ersten Klasse gehören Bestand-
teile, die wir als fest und unabänderlich betrachten, in diesem Falle also die
Wörter 'alle' und 'sind'. Wir können sie als logische Konstanten bezeichnen.
Zur zweiten Klasse gehören die veränderlichen Bestandteile, in diesem
Falle 'S' und 'P', die wir als logische Variablen bezeichnen.
Die Idee der formalen Logik ist eng verknüpft mit der Einsicht, daß die
logischen Variablen Zeichen für Leerstellen repräsentieren, in die etwas ein-
74 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle

gesetzt werden kann, was für die Art der Betrachtung einer solchen Aussage-
form selbst unerheblich ist. Aristoteles symbolisiert die Variablen mit Buch-
staben; für die logischen Konstanten jedoch schafft er keine Symbole. Man
kann diese Einsicht in die Eigenschaft von Aussagebestandteilen, variabel
zu sein, nicht hoch genug schätzen. Denn hier ist der unausweichlich erste
Schritt getan hin zu einer Formalisierung schlußfolgernden Denkens. Alles
Denken bedarf einer Sprache, sei dies nun unsere natürliche oder eine
künstlich eingerichtete Sprache; ein Zusammenhang, der in die Doppelbe-
deutung des griechischen Iogos-Begriffes hineinspielt: 'Iogos' heißt die mit
dem Anspruch auf Nachprüfbarkeit verbundene Rede, aber auch das, was
mit der Rede gemeint ist, Gedanken z. B. oder Begriffe. 7 Erst aber, wenn die
Termini, mit deren Hilfe sich das Denken vollzieht, nicht mehr für eindeutig
spezifizierbare Bedeutungen, sondern für "unbestimmte", variable Bedeu-
tungen stehen, kann eine methodische Ordnung der Gedankenschritte ent-
wickelt werden, die keinen Bezug mehr nimmt auf den konkreten Inhalt der
Gedanken. Wir kennen diesen einschneidenden Schritt von der Entwick-
lung der arithmetischen Variablen in Vietas Buchstabenalgebra. Doch was
dort die späte Frucht einer langwierigen Entwicklung des algebraisch-arith-
metischen Denkens markiert, wird hier zum Ausgangspunkt.
Die Variablenzeichen behandelt Aristoteles als Stellvertreter für Terme,
nicht aber für ganze Aussagen. 8 Seine formale Logik ist somit eine Term-
logik. Aristoteles interessiert sich für die innere Struktur von Aussagen, wie
sie in der Subjekt-Prädikat-Beziehung zum Ausdruck kommt, nicht aber für
die Relation ganzer Aussagen, unabhängig von ihrer Binnenstruktur, wie es
dann in der stoischen Schule der Fall sein wird.
Der Kern des >Organons< als eines methodischen Werkzeuges begrün-
dender Wissenschaft ist das syllogistische Verfahren. 9 Unter allen möglichen
Aussageformen betrachtet Aristoteles nur solche, die den gesetzmäßigen
Zusammenhang einer Schlußfolgerung annehmen. Ein solcher Zusammen-
hang enthält zwei Prämissen der Form "alle S sind P", "einige S sind P",
"kein S ist P" und "einige S sind nicht P", eine Konklusion der gleichen logi-
schen Form und muß der Bedingung genügen, daß jedesmal, wenn beide
Prämissen wahr sind, auch die Konklusion wahr ist. Aristoteles deckt allge-
meine Gesetze des Syllogismus auf, so z. B., daß man aus den Prämissen
nicht den erforderlichen Schlußsatz erhalten kann, wenn beide negativ oder
partikular sind; oder daß in jedem Syllogismus die eine Prämisse ein all-
gemeines Urteil und die andere bejahend sein muß. 1° Für die einzelnen
Figuren des Syllogismus stellt Aristoteles spezielle Gesetze auf.
Jeder solche Schluß, sofern er gültig ist, kann als eine logische Implikation
aufgefaßt werden, etwa: "alle Hunde sind Lebewesen", "alle Lebewesen
sind sterblich" impliziert "alle Hunde sind sterblich". Es zeigt sich darin,
daß die aristotelische Syllogistik aus Gesetzen, nicht aber aus Regeln
besteht- eine Auffassung allerdings, die durchaus umstritten ist. 11 Wenn
wir unsere Beispielimplikation formal notieren, also PaQ, QaR< PaR
Zur Vorgeschichte des logischen Kalküls 75

schreiben, so zeigt sich, daß es um eine Aussageform geht, die sich bei Ein-
setzen geeigneter Variablen zu einer sinnvollen Aussage wandelt: Die Ari-
stotelische Syllogistik ist zwar formal, jedoch kein formalistisches System. 12
Dabei sei unter einem "formalistischen System" ein System verstanden, in
welchem die Richtigkeit von .Ableitungen innerhalb des Systems nachge-
prüft werden kann, ohne daß man die Bedeutungen der in den Ableitungen
benutzten Ausdrücke und Symbole in Rechnung stellen muß. Wenn Aristo-
teles auch die Unterscheidung von Wahrheit und Gültigkeit macht, 13 in dem
Sinne, daß die Prämissen wahr sind, die Konklusion aber gültig, und d. h.
kraftder Form wahr ist, läßt er doch keinen Zweifel daran, daß die Bildung
wahrer, sinnvoller Aussagen Ausgangs- und Zielpunkt seiner logischen Ana-
lyse sei. 14 Auf ein antiformalistisches Argument sei hier eigens aufmerksam
gemacht. Aristoteles setzt sich in dem Buch >Sophistische Widerlegungen<
mit trügerischen Widerlegungen auseinander und erkennt als eine ihrer Ur-
sachen den fal~chen Gebrauch von Wörtern. Dazu führt er aus:
Da man nämlich die Dinge selbst nicht in die Diskussion bringen kann, gebrauchen
wir statt ihrer Worte als Zeichen; deshalb glauben wir, daß, was für die Worte gilt,
auch von den Dingen gelten werde, wie bei den Rechensteinen der Rechnenden.
Aber es ist nicht ähnlich, denn die Worte und die Längen der Reden sind (der Zahl
nach) begrenzt, die Dinge aber sind der Zahl nach unbegrenzt. Es ist also notwendig,
daß eine Rede (daß ein Wort) vieles bedeute. 15

Interessant sind diese Ausführungen, weil Aristoteles hier den Gebrauch


von Wörtern und das Rechnen parallelisiert, um zu zeigen, daß die Analogie
von Operationen mit Wortzeichen und Zahlzeichen nicht zulässig sei, auf-
grundder Vieldeutigkeit der Wortzeichen. Diese Kritik ist richtig, soweit sie
sich auf die Umgangssprache bezieht. Doch die Geschichte der logischen
Kalkülisierung innerhalb der Geschichte der formalen Logik beginnt mit
dem Gedanken, Wörter wie "Rechensteine" benutzen zu können. Daß dies
den Übergang zur formalen Sprache voraussetzt, ist in der Besonderheit der
Umgangssprache, auf die Aristoteles hier Bezug nimmt, implizit angelegt.
Doch Aristoteles steht dem Gedanken des Kalküls und seiner formalsprach-
lichen Voraussetzungen fern- ein Gedanke, an dem sich erst Leibniz er-
probt, wenn er die aristotelische Syllogistik in ein Kalkül umzugestalten
versucht. Aristoteles' Logik bezieht sich auf Zusammenhänge, die durch Ab-
straktion aus der Umgangssprache gewonnen sind und letztlich auf diese be-
zogen bleiben. Die syntaktischen Gesetze der natürlichen Sprache sind die
Grundlage, von der aus alle antiken Logiker durch Abstraktion zu ihren Ge-
setzen und Regeln gelangen. 16 Aber mehr noch: Gleichzeitig repräsentieren
für Aristoteles Aussagen der Umgangssprache stets Zusammenhänge der
Wirklichkeit selbst. 17 Wahrheit ist für Aristoteles die Übereinstimmung von
Wirklichkeit und Gedanke; sinnvolle Aussagen sind solche, denen Dinge
oder Vorgänge der Wirklichkeit entsprechen. 18 So z. B. muß für Aristoteles
der Mittelbegriff des Syllogismus stets dem Grund der Sache entsprechen.
76 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle

Dieser extrasymbolische Bezug auf einerseits sinnvolle Wörter, denen an-


dererseits Sachverhalte der Wirklichkeit selbst entsprechen, charakterisiert
die aristotelische Logik als eine nichtformalistische.

2.1.1.2 Stoische Logik

Neben Aristoteles und seinem Schüler Theophrast von Eresos (372-287


V. Chr.)' den wir hier nicht behandeln, 19 gibt es eine zweite Gruppe antiker
Logiker, die Vertreter der durch die megarische Schule vorbereiteten stoi-
schen Logik. Rochenski faßte diese Gruppe unter dem Namen "megarisch-
stoische Schule" zusammen, doch hat Frede mit Recht darauf hingewiesen,
daß sich als einheitlicher Rahmen nur eine Chrysippos (281/78 - 208/05)
zugeschriebene Logik rekonstruieren läßt 20 : Die Quellenlage ist höchst
fragmentarisch und teilweise sind die stoischen Lehren nur aus den Wider-
legungen des Sextus Empiricus, eines ausgesprochenen Gegners dieser
Schule, wiederherzustellen. 21
Die Überlegungen der megafischen und stoischen Logiker sind für uns in
zweierlei Hinsicht be9eutend: Einmal wird hier ein von der aristotelischen
Termlogik unterschiedenes logisches System geschaffen, nämlich eine Aus-
sagenlogik; zum anderen finden sich- dies ebenfalls im Unterschied zu Ari-
stoteles - formalistische Gedanken, die die stoischen aussagenlogischen
Überlegungen als Vorläufer des Aussagenkalküls erscheinen lassen. 22
Gleich Aristoteles benutzten die stoischen Logiker Variablenzeichen.
Doch diese Variablen sind nicht zu interpretieren als Leerstellen für Terme,
sondern für ganze Aussagen. 23 Der interessierende Blickwinkel ist nicht die
innere logische Struktur einzelner unzerlegbarer Aussagen, sondern die logi-
sche Struktur von Aussagen insoweit, wie eine Aussage aus den anderen zu-
sammengesetzt ist. Der prinzipielle Unterschied zwischen den beiden an-
tiken Systemen der Logik besteht darin, daß in den stoischen Syllogismen
die Variablen Aussagenvariablen, in den aristotelischen aberTermvariablen
sind.
Dieser Sachverhalt blieb den Logikhistorikern lange verborgen, die die
stoischen Logiker "aristotelisierten" und daher die Variablen im aristoteli-
schen Sinne als Zeichen für Terme interpretierten. 24 Erst der amerikanische
Philosoph und Logiker Charles Sanders Peirce (1839-1914) bemerkte diese
Differenz, 25 und der polnische Logiker Jan Lukasiewicz (1878-1956) unter-
nahm dann 1935/36 eine umfassende aussagenlogische Deutung der mega-
risch-stoischen Fragmente. 26
Als Variablenzeichen dienen Zahlen. Chrysipp gibt eine Liste von fünf
Aussageschemata:
1. Wenn das Erste, dann das Zweite; nun aber das Erste; also das Zweite.
2. Wenn das Erste, dann das Zweite, nun aber das Zweite nicht; also auch das Erste
nicht.
Zur Vorgeschichte des logischen Kalküls 77

3. Nicht zusammen das Erste und das Zweite; nun aber das Erste; also nicht das
Zweite.
4. Entweder das Erste oder das Zweite; nun das Erste; also das Zweite nicht.
5. Entweder das Erste oder das Zweite; nun nicht das Zweite; also das Erste. 27
In solchen Aussageformen können sinnvoll nur Aussagen eingesetzt
werden. Für die erste Form lautet das entsprechende Schulbeispiel:
Wenn es Tag ist, so ist es hell; nun ist es aber Tag; also ist es hell. 28

Die stoische Logik ist eine zweiwertige Logik, die von dem Grundsatz aus-
geht, daß jede Aussage entweder wahr oder falsch ist. 29 Auf dieser Grund-
lage- und hier kommen wir zu einem für die Geschichte der Formalisierung
wesentlichen Punkt - wendet sie sich der Analyse der aussagebildenden
Funktionen bzw. der Wahrheitswertfunktionen zu. Es werden Operationen
mit Aussagen untersucht, die dadurch charakterisiert sind, daß der Wahr-
heitswert einer Aussage, die durch Anwendung einer Operation auf gewisse
andere Aussagen entsteht, nur von deren Wahrheitswerten, nicht aber von
deren Inhalt abhängt. Als Operationen können wir aus den Fragmenten die
Negation, die Implikation, die Konjunktion und die Disjunktion rekonstru-
ieren. Bachenski hat eine uns überlieferte Implikation von Phiion (ca. 300
v. Chr.) so in eine Wahrheitswertmatrix umgeschrieben 30 :

Vordersatz Nachsatz Zusammenhängender Satz


wahr wahr wahr
falsch falsch wahr
falsch wahr wahr
wahr falsch falsch

Im Unterschied zur aristotelischen ist die stoische Logik eine Regel-Logik.


Die stoischen Syllogismen haben die Bedeutung von Ableitungsregeln, sind
also nicht- wie bei Aristoteles- Gesetze. Dabei sei unter einem logischen
Gesetz eine Aussageform verstanden, die außer logischen Konstanten nur
Term- bzw. Aussagevariablen enthält und die für alle möglichen Werte der in
ihr vorkommenden Variablen wahr ist. Demgegenübet sind die Syllogismen
der megarisch-stoischen Schule Schlußformen, die die Funktion von Schluß-
regeln haben. Dabei sei unter "Schlußregel" eine Vorschrift verstanden, auf-
grundvon anerkannten Aussagen neue Aussagen abzuleiten, wobei sich die
Ableitungsregeln ausschließlich auf das syntaktische Gefüge der Ausdrücke
beziehen. 31
Wir finden bei den Stoikern ein Differenzierungsvermögen hinsichtlich
syntaktisch-semantischer Zusammenhänge, welches den "Geist" der mo-
dernen Sprachphilosophie zu atmen scheint. 32 Grundlegend ist hierfür der
Begriff des Lektons (AEX'tov), wörtlich heißt dies "das Gesagte" und leitet
sich von AEYELV 'sagen' ab; zum Ausdruck gebracht wird mit AEX't6v das, was
man meint, wenn man sinnvoll spricht. In der Stoa wird bei einem sprach-
78 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle

liehen Ausdruck dreierlei unterschieden: a) das Bedeutende (oEJ.taivov),


womit der sprachliche Laut gemeint ist, z. B. der Laut 'Dion'; b) das Ding
('tuyxavov), womit die Sache gemeint ist, auf die sich der Laut bezieht, also
'Dion' selbst. Laut und Ding sind körperliche Gegebenheiten. Davon wird
c) das Bedeutete (Oflf.tULVOf.tEVov) bzw. die bedeutete Sache oder das Lekton
abgegrenzt als etwas, das unkörperlich und entweder wahr oder falsch ist. 33
In der stoischen Differenz von Zeichen- Gegenstand- Bedeutung ist ange-
legt, daß die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks keine psychische
Entität ist- denn alles Psychische ist für den Stoiker korperlieber Natur-,
also nicht das ist, was ein Subjekt sich vorstellt, wenn es einen sprachlichen
Ausdruck versteht; vielmehr hat das Lekton objektiven Charakter, ist das
objektiv Gemeinte, etwa im Sinne des Fregeschen Terminus 'Gedanke' im
Unterschied zu 'Vorstellung'.
Erst diese genaue Unterscheidung zwischen dem Zeichen und dem
Lekton ermöglicht es den Stoikern unter der Bedingung, daß die Relation
von Zeichen und Lekton als eine eindeutige Zuordnung gefaßt wird, das
rein syntaktische Gefüge der Zeichenausdrücke zu betrachten.
Die stoische Logik versteht sich als eine wissenschaftliche Disziplin- also
nicht mehr als Instr~ment der Wissenschaft, wie noch bei Aristoteles -,
deren einziger Gegenstand die Lekta sind. 34
Alle Einsicht in die Möglichkeit der Formalisierung der Logik geht von
der Einsicht aus, daß die Logik nicht von den Gesetzen des Denkens han-
dele, also von psychischen Gegebenheiten, sondern von der Art und Weise,
wie wir mit Zeichen, die eine objektivierbare Bedeutung haben, umgehen.
Und wir werden sehen, wie jeder Fortschritt in dieser Formalisierungs-
geschichte erwächst aus einer Abgrenzung von psychologistischen Interpre-
tationen der Logik. Das ist im 4. Jahrhundert v. Chr. bei den Stoikern nicht
weniger der Fall als im 13. Jahrhundert, wenn Thomas von Aquino (1225-
1274) seine Lehre von den "zweiten Intentionen" entwickelt, sowie im
17. Jahrhundert, wenn Leibniz die Syllogismen zu kalkülisieren versucht und
endlich im 20. Jahrhundert, wenn- anknüpfend an die bahnbrechenden Lei-
stungen Gottlob Freges (1848-1925) - die moderne symbolische Logik
ansteht.
Bedenkt man, daß die stoischen Logiker die Aussagenlogik erschufen,
d. h. jene elementare Stufe der formalen Logik, auf der später die Boolesche
Algebra fußen wird und die in der Schaltalgebra ihre computerrelevante
technische Interpretation erhält; bedenkt man ferner, daß die Aussagen-
formen als Regeln zur Erzeugung neuer Aussagen aufgefaßt werden, die nur
Bezug nehmen auf das syntaktische Gefüge der Zeichen selbst, und daß
solche Differenz zwischen einem Zeichen und seiner objektivierbaren Be-
deutung eine notwendige Voraussetzung jedweder Kalkülisierung darstellt,
so erscheint es nicht unangemessen, in der stoischen Logik den für die Ge-
schichte der Formalisierung wichtigsten Anknüpfungspunkt im Rahmen der
antiken Logik zu sehen.
Zur Vorgeschichte des logischen Kalküls 79

2.1.2 Scholastische Logik

2.1.2.1 Eine späte Rehabilitierung

Lange Zeit ließ die Wissenschaftsgeschichte das scholastische Denken ein-


schließlich seiner logischen Erörterungen im dunklen Abseits bloß spitzfin-
diger und dogmatisch-spekulativer Überlegungen. Erst die Herausbildung
der,mathematischen Logik im 20.Jahrhundert lieferte Maßstäbe, die eine
geschichtliche Neubewertung des logischen Ertrages mittelalterlichen Den-
kens ermöglichte. Der polnische Logiker Lukasiewicz, der an der Ausbil-
dung der mathematischen Gestalt der Logik selbst wesentlichen Anteil trug,
eröffnete mit einem Aufsatz aus dem Jahre 1935 über die Aussagenlogik die
Etappe der Rekonstruktion des formallogischen Gehaltes scholastischer
Texte. 35
In dieser Pyrspektive, die in einer Reihe von Studien weiter ausgeführt
wurde, zeigte sich, daß die scholastische Logik mehr denn eine bloße Wie-
deraufnahme oder allenfalls Weiterführung antiker Logik leistete 36 : Seit
dem Ende des 12. Jahrhunderts bildete sich eine gegenüber der Antike völlig
andersgeartete Gestalt der Logik aus. 37 Sie ist dadurch gekennzeichnet, daß
semiotische Überlegungen zum Ausgangspunkt logischer Überlegungen
werden. 38 Diese "semiotische Fundierung" sei an zwei Punkten - denen
allerdings grundlegende Bedeutung innerhalb der scholastischen Lehr-
stücke zukommt- exemplarisch gezeigt: Der erste betrifft die Bestimmung
der logischen Disziplin als "Theorie der zweiten Intentionen"; der zweite
betrifft die "Lehre von den Eigenschaften der Termini".

2.1.2.2 Die "sekundären Intentionen"

Die schola.stische Logik kennt eine klare Unterscheidung zwischen Logik


und Ontologie. 39 Faßt man die Ontologie als Lehre von Gegenständen zu-
sammen, so wie sie als Dinge in der Wirklichkeit unmittelbar gegeben sind,
so befaßt sich - nach scholastischer Auffassung - die Logik mit den Gegen-
ständen, die uns als Referenzgegenstände sprachlicher Zeichen gegeben
sind. Dieser Unterscheidung entspricht eine Einteilung der Wissenschaften
in scientiae reales, die sich mit den vorfindliehen Gegenständen befassen, und
in scientiae sermonicales, die sich mit der Rede befassen. 40 Zu den rede-
bezogenen Wissenschaften gehören außer der Logik noch die Grammatik
und Rhetorik. 41 Von diesen aber unterscheidet sich die Logik durch ihren
Gegenstand, der in den intentiones besteht, genauer: in der intentio secunda.
Die Bedeutung dieses Begriffes ändert sich mit der Zeit. Sein Ursprung
liegt in der lateinischen Übersetzung eines arabischen Textes von Avicenna
(Ibn Sina 980--1037), in dem sich der Satz findet: "Subiectum vero logicae ...
sunt intentiones intellectae secundo" - "der Gegenstand der Logik aber sind
80 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle

wahrhaft die sekundären Gedankenintentionen". 42 Albertus Magnus (1193-


1280) nimmt Avicennas Begriff auf: Er versteht darunter das, was als Gegen-
stand sprachlicher Zeichen gegeben ist, im Unterschied zu den Gegen-
ständen, die als Dinge existieren. 43 In ähnlichem Sinne führt Thomas von
Aquino die Unterscheidung von Gedacht-sein und natürlichem Sein ein,
wobei er das, was durch das Denken entsteht, z. B. die Universalien, als
sekundäre Intentionen kennzeichnet. 44 Wir sehen, wie in der Rede-Bezo-
genheit Avicennas und in der Denk-Bezogenheit Thomas von Aquins die
Doppelbedeutungen des griechischen Iogos-Begriffes mitschwingen.
Während bei den hier genannten Autoren die Unterscheidung von pri-
mären und sekundären Intentionen zusammenfällt mit der Unterscheidung
zwischen "wirklichen" und "gedachten" bzw. "sprachlich ausgedrückten"
Gegenständen, erhält intentio danach einen immer strenger semiotisch ge-
prägten Sinn. FürWilhelm von Ockham (um 1285-1349 o. 1350) sind Inten-
tionen immer schon Zeichen, d. h. Zeichen, die wir in der Seele haben, an
die wir also denken. 45 Dabei unterscheidet er zwei Arten. Einmal Zeichen
von Sachen, die selbst nicht wieder Zeichen sind. Diese nennt Ockham pri-
märe Intentionen. Unter sekundären Intentionen versteht er Zeichen, die
selber Zeichen für pri:vtäre Intentionen sind. In dem Satz "Stein ist eine Gat-
tung" versteht Ockham 'Stein' als primäre, 'Gattung' aber als sekundäre
Intention. Ähnliches findet sich auch bei Albert von Sachsen (1316-1390):
"Terminus erster Intention" wirdjener gedachte Terminus genannt, welcher Dinge
nicht unter dem Gesichtspunkt bedeutet, unter welchem sie (selbst) Zeichen sind ...
Nämlich der gedachte Terminus 'Mensch' bedeutet Sokrates oder Platon, und zwar
nicht insofern, als Sokrates oder Platon Zeichen für andere Dinge sind ... Man nennt
aber "Terminus zweiter Intention" einen gedachten Terminus, welcher seiner Natur
nach die Dinge unter dem Gesichtspunkt bedeutet, unter welchem sie Zeichen sind,
nämlich (so), daß, wenn sie keine Zeichen für andere (Dinge) wären, er sie dann
nicht bedeuten würde; so z. B. die folgenden gedachten Termini: 'Gattung', 'Art',
'Nomen', 'Verb', 'Fall des Verbs' usw.... 46
Wenn hier von "Zeichen" gesprochen wird, so ist das im Rahmen der scho-
lastischen Zeichentheorie so zu verstehen, daß etwas für etwas anderes
steht. Wir können also sagen, daß sich für Albert von Sachsen die sekun-
dären Intentionen auf Zeichen beziehen, die wiederum für andere Zeichen
stehen. Da bei den beiden letzten Autoren intentio immer schon einen
sprachlich-intellektuell gezeugten Gegenstand meint, muß fraglich bleiben,
ob in diesem Falle die Logik immer noch auf die sekundären Intentionen zu
begrenzen ist. Im Gegenteillegt die noch zu behandelnde "Lehre von den
Eigenschaften der Termini" eher nahe, daß die Logik sowohl von den pri-
mären wie von den sekundären Intentionen handelt. Doch unabhängig
davon, wie wir diese Frage beantworten, gilt auch für diese Autoren die Tren-
nung von Logik und Ontologie.
Dies läßt sich daran ablesen - Bachenski hat hierauf hingewiesen-, daß
die logischen Sätze nicht objekt-, sondern metasprachlich ausgedrückt
Zur Vorgeschichte des logischen Kalküls 81

werden. 47 Es werden Regeln für sprachliche Ausdrücke angegeben, nicht


aber Formeln mit Variablen für objektsprachliche Ausdrücke.
Es hat einen Grund, weshalb wir hier relativ ausführlich zeigen, daß sich
im scholastischen Denken die Scheidung eines logischen und eines ontologi-
schen Satzes findet- wir könnten auch sagen: eines Satzes der scientia sermo-
nicalis und eines Satzes der scientia realis. Dieser Grund liegt darin, daß hier
die Einsicht sich vorbereitet, logische Aussagen als Aussagen über den (fol-
gerichtigen) Gebrauch von Zeichen zu verstehen. Zwar sind diese Zeichen
noch ganz als die sprachlichen Zeichen einer Umgangssprache gefaßt - in
diesem Falle des Latein - und noch nicht als die Zeichen einer formalen
Sprache, wie es dann für die mathematische Logik des 20. Jahrhunderts kon-
stitutiv ist. Gleichwohl wird mit der semiotischen Fundierung der Logik ein
Weg beschritten, der sich grundlegend von einer psychologischen Interpre-
tation derselben unterscheidet und der zumindest die Bresche schlägt, durch
die sich die m~thematische Logik dann ihren Weg bahnen kann. 48

2.1.2.3 Die Suppositionslehre

Eine der originellsten Schöpfungen der scholastischen Logik, die Lehre


von den proprietates terminorum, den Eigenschaften der Termini, die
seit dem 13. Jahrhundert allgemein anerkannt war, verdankt sich dem "se-
miotischen Blick" der scholastischen Logiker. Denn die Eigenschaften, die
in dieser Lehre spezifiziert werden, sind nichts anderes als jene semioti-
schen Funktionen, die einem Wort "zuwachsen", sobald es als Terminus
innerhalb des Ganzen eines Aussagesatzes dient. Dies sei an der Suppo-
sition, die im Zentrum der Lehre von den proprietates terminorum steht,
erläutert. 49
Ein und dasselbe Wort kann innerhalb verschiedener Aussagen unter-
schiedliches bedeuten. Betrachten wir die folgenden drei Beispiele, die sich
bei William of Shyreswood (gest. 1249) finden 5°:
(a) homo duobus syllabis constat ('Mensch' besteht auszwei Silben [homo])
(b) homo est mortalis (der 'Mensch' ist sterblich)
(c) homo est nomen ('Mensch' ist ein Nomen).

In jedem dieser Sätze bedeutet homo etwas anderes. Um näher an den


Sprachgebrauch von suppositio zu kommen (suppositio ist als Nomen abge-
leitet von supponere, das "stehen für etwas" heißt), können wir auch sagen:
In jedem dieserStätze stehthomofür etwas anderes. Das, wofür das Nomen
steht, ist abhängig vom Ganzen des Satzes bzw. vom Prädikat. Die Supposi-
tionslehre ist eine Theorie über die unterschiedlichen semiotischen Funk-
tionen, die der Subjekt-Terminus eines Aussagesatzes in Abhängigkeit vom
Prädikat-Terminus dieses Satzes hat. Die Hauptregel der Supposition lautet
daher:
82 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle

Subjectum supponit juxta exigentiam praedicati, talia sunt subjecta qualia per-
mittuntur a suis praedicatis. -Das, wofür das Subjekt steht, ist verbunden mit den Er-
fordernissen des Prädikats; die Beschaffenheit des Subjekts ist vorgegeben durch das
Prädikat (freie Übersetzung- SK). 51
An den drei Beispielsätzen können wir uns eine zentrale Unterscheidung
in bezug auf verschiedene Suppositions-Funktionen klarmachen. Shyres-
wood schreibt:
Die Supposition ist einmal material, einmal formal. Sie wird material genannt,
wenn der Ausdruck (dictio) entweder für einen isolierten Laut (vox) steht oder für
den Ausdruck, der aus dem Laut und (seiner) Bedeutung zusammengesetzt ist, z. B.
wenn wir sagen würden: homobesteht aus zwei Silben, homoist ein Nomen. (Die
Supposition) ist formal, wenn der Ausdruck für das von ihm Bedeutete steht. 52
Diese Grundunterscheidung wird nun immer feiner ausgearbeitet.
Kneale gibt folgende Zusammenstellung, die hier als "Bild" dargestellt sei,
ohne daß wir die subtilen Verästelungen genauer verfolgen (Abb. 5).
Bachenski stellte fest, daß wir für den Ausdruck suppositio keine Überset-
zung in moderne Terminologie finden können, da unter diesen Begriff ver-
schiedene semiotische Funktionen fallen, welche wir heute nicht mehr mit
einem einheitlichen T~rminus bezeichnen würden. 53 Gleichwohl ist es mög-
lich - und darauf hat Dumitriu aufmerksam gemacht -, ein gemeinsames
Band, das die unterschiedlichen Funktionen zusammenhält, auszuma-
chen. 54 Dieses gemeinsame Band ist durch die Hauptregel der Supposition
gegeben, nämlich daß das, wofür der Subjekt-Terminus steht, determiniert
sei durch den Prädikat-Terminus. Hinter solcher Regel verbirgt sich eine
zentrale semiotische Idee: Die Wörter, die als Bausteine in das Ganze eines
Aussagesatzes eingehen und damit zu einem Zeichen für etwas werden,
tragen ihre Bedeutung nicht mit sich herum wie ein Vogel sein Gefieder. Viel-
mehr entsteht die Bedeutung erst durch die logische Funktion, die ein be-
stimmtes Wort im Kontext eines Satzes innehat. Damit könnte die scholasti-
sche Suppositionslehre als eine sehr frühe Version einer Gebrauchstheorie
der Bedeutung gelten, die wir gemeinhin erst mit Gottlob Freges Idee, Be-
griffswörter als Funktionen zu begreifen, einsetzen lassen. Wichtiger aber
noch als die Frage nach der Vorläuferschaft ist eine Implikation der scholasti-
schen Suppositionsidee. Jede Formalisierung ermöglicht es, eindeutig zwi-
schen einem Satz des formalen Systems und einem Satz über das formale
System zu unterscheiden. Umgangssprachliche Ausdrücke erlauben jedoch
eine Konfundierung dieser beiden Standpunkte, von dem die logischen Pa-
radoxien beredtes Zeugnis ablegen: Ein und derselbe Satz kann zugleich
eine objektsprachliche und eine metasprachliche Funktion innehaben.
Die Suppositionslehre kann damit als ein Versuch interpretiert werden
- im "Schoße" der umgangssprachlichen Ausdrucksweise selbst -, solche
Konfundierung der Sprachebenen zu vermeiden, indem z. B. sichergestellt
wird, daß innerhalb einer Schlußfolgerung der "Typ" der Supposition nicht
gewechselt werden darf.
pro ipsa voce absolute: Homo est disyllabum
materialis
pro ipsa dictione composita ex voce et significatione: Homo est nomen
~
l pro significatio sine comparatione ad res: Homo est species
1-1

~
1-1
Suppositio (1Q
~
V,!
simplex solum cum reduplicatione speciei:. (")
:::r'
Homo est dignissima creaturarum (")

pro significatio comparato ad res



::r
f""t-
~

vaga: Piper venditur hic et Romae 0.


~
V,!
formalis
I 0
determinata: Homo currit (1Q
V,!
(")

::r
~
personalis confusa tantum: Omnis homo est animal ::s
~
~
confusa mobilis: Omnis homo est animal ~
S:::
I confusa et distributiva V ,!

limmobilis: Tantum omnis homo currit


-
Abb. 5: Suppositionsfunktionen (nach Kneale 19~2).

00
(J.l
84 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle

In dieser Perspektive erwiese sich folgender Schluß als ungültig:


Die logischen Kategorien hat Aristoteles geschaffen
Quantität ist eine logische Kategorie
Ergo: Quantität wurde von Aristoteles geschaffen.
Die Suppositionslehre versucht also, eine Funktion der Formalisierung
- nämlich die Konfundierung der Sprachebenen zu vermeiden - auf nicht-
formalistische Weise zu realisieren. Darin liegt ihre Bedeutung für die Ge-
schichte des Formalisierungsgedankens. ((
Neben der Supposition werden von den Scholastikern noch weitere Eigen-
schaften der Termini behandelt, so z. B. die ampliatio, die appellatio oder die
restrictio; doch sei darauf nicht weiter eingegangen. Für uns bleibt ein letzter
Punkt: zu zeigen, daß die von den Stoikern geschaffene Aussagenlogik in
der scholastischen Lehre der consequentiae mit einer formalistischen Inten-
tion -jedoch ohne den Gebrauch von Formalismen -weiter ausgebildet
wurde.

2.1.2.4 Die Konsequenzenlehre

Die Konsequenzenlehre ist eine Weiterführung der stoischen Aussagen-


logik. 55 In ihren geschichtlichen Wurzeln knüpft sie allerdings weniger an die
stoischen 'Iogoi' an als vielmehr an gewisse Stellen der aristotelischen Her-
meneia und Topik. Sie beginnt daher als eine Termlogik- so bei Robert Kil-
wardby (gest. 1279) -, doch spätestens seit den Logikern des 14. Jahrhun-
derts- unter ihnen Pseudo-Scotus und Ockham- erscheint sie als eine reine
Aussagenlogik, nämlich als die Lehre von den Folgerungsbeziehungen zwi-
schen zwei Aussagen. 5 6 Bei Pseudo-Scotus findet sich folgende Definition
der Konsequenz:
Die Konsequenz ist eine hypothetische Aussage (propositio hypothetica), aus
einem Vordersatz (antecedente) und einem Nachsatz (consequente) zusammenge-
setzt, mit Hilfe einer konditionalen oder rationalen Verbindung, welche bedeutet,
daß der Vordersatz und der Nachsatz zugleich gebildet werden und es daher unmög-
lich (impossibile) ist, daß der Vordersatz wahr, der Nachsatz falsch sei. " 57

Die Konsequenzen werden in zwei Kategorien eingeleitet, die consequen-


tiae formales und die consequentiae materiales. Albert von Sachsen begrün-
det diese Unterscheidung so:
Eine der Konsequenzen ist die formale, die andere ist die materiale. Formal wird
jene Konsequenz genannt, die so geartet ist, daß jede ihr in der Form ähnliche Aus-
sage, falls eine solche gebildet wird, eine richtige Konsequenz ist, z. B. diese: "Bist
A; also ist ein gewissesA B." Material ist dagegen eine Konsequenz, die so geartet ist,
daß nicht jede ihr in der Form ähnliche Aussage eine richtige Konsequenz ist, oder,
wie man gewöhnlich sagt, die nicht für alle der Form nach ähnlichen Termini gültig ist,
Zur Vorgeschichte des logischen Kalküls 85

z. B. diese: "Ein Mensch läuft, also läuft ein Lebewesen"; denn eine in der Form ähn-
liche Konsequenz mit den Termini: "Ein Mensch läuft, also läuft Holz" gilt nicht. 58
Die Pointe der Unterscheidung von formaler und materialer Konsequenz
betrifft also die Frage, worauf die Gültigkeit der Konsequenz beruht. Ist
diese Gültigkeit unabhängig von der Bedeutung der in die Aussagen einge-
henden Terme sowie von dem Wahrheitswert der Aussagen, dann handelt es
sich um eine formale Konsequenz. Ihre Gültigkeit beruht alleine auf einer
allgemeinen logisch-grammatischen Regel, deren Realisierung sie ist. In der
>Summa totius logicae< findet sich dazu bei Ockham folgende Bemerkung:
Eine Konsequenz aber, die gültig ist durch ein extrinsisches Mittel, ist eine solche,
die durch eine allgemeine Regel gültig ist, die nicht ihre eigene oder andere Worte in
Rechnung stellt (respicit). 59
Diese Idee der Gültigkeit gemäß einer Regel, die nicht Bezug nimmt auf
die (Bedeutungen der) Wörter, ist eine Idee, die in der Geschichte der For-
malisierung bahnbrechende Bedeutung hat.
Die Gültigkeit der materialen Konsequenzen beruht nicht auf einer allge-
meinen Regel, als deren Realisierung eine Konsequenz aufzufassen ist,
sondern sie hängt ab von den Wahrheitswerten der in die Konsequenz ein-
gehendenAussagen und damit auch von den Bedeutungen derTerme.
Es werden nun Regeln für Konsequenzen aufgestellt, die wir hier im ein-
zelnen nicht verfolgen wollen. Dumitriu hat diese Regeln übersichtlich
zusammengestellt. 60
Nur auf zwei Regeln sei aufmerksam gemacht, die wir heute unter dem
Namen "De Morgansche Gesetze" kennen, und die uns zeigen, wie weitge-
hend die Konsequenzenlehre eine Annäherung an Theoreme der modernen
Aussagenkalküle beinhaltet. 61 Bei Ockham findet sich folgende Regel:
"Das kontradiktorische Gegenteil einer kopulativen Aussage ist eine dis-
junktive Aussage, gebildet aus den kontradiktorischen Aussagen der Teile
der kopulativen Aussage. " 62 Dies aber ist nichts anderes als das Morgansche
Gesetz, welches besagt, daß die Negation einer logischen Konjunktion
transformierbar ist in die Disjunktion der negativen Teilaussagen der Kon-
junktion. Auch das zweite De Morgansche Gesetz nimmt Ockham vorweg,
indem er folgende Regel aufstellt: "Das kontradiktorische Gegenteil einer
disjunktiven Aussage ist eine kopulative Aussage, gebildet aus den kontra-
diktorischen Aussagen der Teile der disjunktiven Aussage. " 63 Das zweite
De Morgansche Gesetz besagt, daß die Negation einer logischen Disjunk-
tion transformierbar ist in eine logische Konjunktion, gebildet aus 9en Nega-
tionen derTeilaussagen.
86 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle

2.1.3 Weshalb können die stoische und scholastische Logik


als Vorstufen des logischen Kalküls gelten?

Der Grundgedanke eines Logikkalküls ist es, logische Folgerungen auf


rein formale Weise, d. h. ohne Bezug auf die Bedeutung der eingehenden
Ausdrücke nach rein schematischen Regeln aus einfachsten Folgerungen
herzustellen. Logisches Folgern auf das Befolgen rein syntaktischer Regeln
zurückzuführen setzt voraus, ( 1), daß "logisch zu folgern" als ein Operieren
im Medium von Zeichenausdrücken aufgefaßt wird, gemäß "' gewissen Vor-
schriften für "richtigen" Zeichengebrauch, nicht aber als ein (empirisches)
Gesetz vom "richtigen" Denken, und (2) daß zwischen einem Zeichenaus-
druck und seiner Bedeutung unterschieden wird, so daß die Gültigkeit von
Zeichenausdrücken unabhängig ist von ihrer "Sinnhaftigkeit".
Bezogen auf diese Voraussetzungen der logischen Kalkülisierung finden
sich Elemente sowohl bei den stoischen wie auch den scholastischen Logi-
kern: Die stoische Lehre von den Lekta vermag zwischen einem Zeichenaus-
druck und seiner Bedeutung wohl zu unterscheiden und begreift das Lekton
zugleich nicht als eine psychische Entität; in der stoischen Logik werden Ab-
leitungsregeln so formal gefaßt, daß darin nur noch auf den Wahrheitswert
einer Aussage, nicht mehr aber auf ihre Bedeutung Bezug genommen wird;
die Suppositionslehre unterscheidet Bedeutungs- bzw. Sprachebenen; in der
Lehre von den formalen Konsequenzen finden Regeln Verwendung, die so-
wohl von der Bedeutung der Termini wie vom Wahrheitswert der Aussagen
unabhängig sind usw.
Die Frucht solcher Voraussetzungen ist eine weitentwickelte Technik der
Aussagenlogik, im Sinne dessen, was wir heute unter der Junktorenlogik ver-
stehen, einer Logik also, die Aussagen im Hinblick auf ihre Zusammenset-
zung mit bestimmten logischen Partikeln unter Ausschluß der Quantaren be-
handelt. Sowohl die stoische wie auch die scholastische Logik formen eine
Junktorenlogik aus, ohne daß bis heute abschließend beurteilt werden kann,
ob die scholastische Aussagenlogik eine vollständige Neuschöpfung ist oder
Anknüpfung an stoische Fragmente. Da die aristotelische Syllogistik die
Junktorenlogik systematisch voraussetzt, insofern sie ihre eigene Schlüssig-
keit nicht zureichend begründen kann, wird hier eine wichtige Lücke ge-
schlossen.
Dennoch gibt es eine entscheidende Differenz, die diese "aussagenlogi-
schen Vorläufer" von der modernen kalkülisierten Aussagenlogik unter-
scheidet. Diese Differenz zeigt sich im unterschiedlichen Gebrauch von
Symbolen und ließe sich so zusammenfassen: Weder die antike noch die mit-
telalterliche Logik ist eine symbolische Logik. Wie ist das zu verstehen? Wir
finden, insbesondere bei Aristoteles und den Stoikern, in Ausnahmefällen
(formale Konsequenzen) auch bei den Scholastikern, den Gebrauch von
Zeichen, die die Funktion von Variablen haben. Doch gibt es keine entspre-
chenden Zeichen für die logischen Konstanten. Die Variablenzeichen
Von der Kombinatorik zur Idee des logischen Kalküls 87

stehen für Abstraktionsklassen möglicher Termini und Aussagen. Dieser Ab-


straktionscharakter zeigt, daß die Variablenzeichen letztlich auf extrasymbo-
lische Gegebenheiten bezogen bleiben. Diese "extrasymbolische Gegeben-
heit" aber ist das Universum der alltags- bzw. gelehrtensprachlichen Rede
und nicht- wie es dann in der symbolischen Logik der Fall sein wird- ein for-
males System künstlicher Zeichen. Bezugspunkte der hier behandelten logi-
schen Lehren bleiben die semantischen und syntaktischen Beziehungen
innerhalb einer Alltagssprache bzw. dem Latein.

2.2 Von der Kombinatorik zur Idee des logischen Kalküls

Der Gedanke einer "rechnenden Logik" ist den antiken und scholasti-
schen Logikern völlig fremd. Ein Grund dafür "liegt auf der Hand": Alles
Zahlenrechneq. muß sich im Medium semiotischer Repräsentanten für die
Zahlen vollziehen, seien dies nun gegenständliche oder rein. symbolische
Zahlenrepräsentanten. Die Repräsentation durch irgendeine Form künst-
lich geschaffener Zeichen ist also eine unabdingbare Voraussetzung des
Rechnens: Wir können nicht in unserer Umgangssprache rechnen. Dem-
gegenüber ist die bisher behandelte Gestalt der formalen Logik dadurch
charakterisiert, daß sie nicht vom Aufbau eines künstlichen Zeichensystems
ausgeht, sondern selbst da, wo Variablenzeichen benutzt werden, diese für
umgangssprachliche Ausdrücke stehen.
Doch es gibt noch einen weiteren Grund. Der Ausgangspunkt der aristo-
telischen Logik ist der Beweiszwang für Aussagen, sofern sie als wissen-
schaftliche anerkannt werden sollen. Und letztlich bleibt die ganze bisher
charakterisierte Logik eine Antwort auf die Frage, welche Schlußfolge-
rungen gültig sind, ·so daß Sätze, die wirkraftsolcher Schlußfolgerungen ge-
winnen, als bewiesene und d. h. als wahre Sätze akzeptiert werden können.
Die Logik erfiillte Beweisfunktionen.
Demgegenüber ist das Rechnen ein Vorgang, in welchem es nicht um das
Beweisen einer vorliegenden Aussage geht, vielmehr um das Lösen eines
Problems, das darin besteht, aus der Relation von zwei oder mehr Zahlen
eine neue Zahl zu gewinnen. Rechnen- zumindest im Selbstverständnis der
bisher behandelten Epoche - ist nicht Beweisen, sondern Auffinden von
etwas.
Die im folgenden zu rekonstruierende Entwicklungslinie setzt ein mit
einer Neubewertung der Funktion, die die Logik zu erfüllen habe, und die
darin besteht, daß sie primär heuristischen Zwecken diene, also eine Kunst
sei, nicht vorgegebene Sätze zu beweisen, sondern neue wahre Sätze auf-
zufinden.
In der Erfüllung dieser Funktion aber gerät sie in die Nähe des Rech-
nens, dieses verstanden als ein mechanisches Herstellen von Problem-
lösungen, das im Prinzip auch durch eine Maschine ausgeführt werden kann.
88 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle

2.2.1 Die "Ars Magna" des Raimundus Lullus

Der katalanische Dichter, Theologe und Philosoph Raimundus Lullus


(1235-1315) legte die Keime zu einer Entwicklung, in deren Folge die Logik
sich am Vorbild des Rechnens orientiert. 64 Zeitlich in die Reihe der schola-
stischen Logiker gehörig, nimmt er doch eine Sonderstellung ein, welche er-
laubt, ihn aus der Gruppe der scholastischen Logiker herauszulösen und mit
ihm eine neue Entwicklungsrichtung der Logik einsetzen zu lassen. Dieses
"Neue" besteht darin, der Logik eine andersgeartete Funktion zuzuweisen,
nämlich als Instrument einer universalen Wissenschaft zu dienen, mit dessen
Hilfe alle wahren Sätze auf mechanische Weise erzeugt werden können. Als
Inkarnation des Gedankens, logische Operationen als mechanisierbare Ver-
fahren durchzuführen, entwarf Lullus eine mechanische Vorrichtung zur
Erzeugung wahrer Sätze.
Die Sonderstellung von Lullus, die es nicht erlaubte, ihn in das gegebene
Spektrum mittelalterlicher Geistesgeschichte einzuordnen, ließ ihn in der
Logik- und Philosophiegeschichte lange im belächelten Abseits absurder
Gedanken stehen. Prantls Diktum von Lullus als einem "Halb-Narren"
kann hier durchaus .als exemplarisch gelten. 65 Zu einem nachhaltigen
Wandel im Lullus-Bild führten die Forschungen, die Yates und Rossi am War-
burg-Institut zur Geschichte der Techniken der memoria artificialis durch-
führten, lenkten diese Forschungen doch den Blick auf eben das, was als das
eigentlich Neue an Lullus' Vorhaben gelten konnte 66 : Seine Logik steht im
Zusammenhang mit der Suche nach einer clavis universaUs, einem "Univer-
salschlüssel", mit dessen Hilfe wahre Aussagen über die Realität entdeckt
werden sollten. 67 Als "Ars Magna" wird sie zu einem Instrument der
"scientia generalis", einer Universalwissenschaft, die angesichts des Zer-
falls der Wissenschaften in Einzelwissenschaften die Prinzipien aller Einzel-
wissenschaften in sich enthalte, wie das Besondere im Allgemeinen ent-
halten sei. Aufgabe dieser universalen Wissenschaft sei es, die Grundtermini
herauszufinden (inveniendi terminos principiorum), aus welchen dann eine
unendliche Zahl von Sätzen gebildet werden könnte (quibus mediantibus
possunt formari infinitae propositiones). 68 Dieses Bildungsverfahren ist ein
kombinatorisches. Der Gedanke der logischen Kombinatorik ist nicht
neu. 69 Bei Albert dem Großen finden wir ein von den Arabern übernom-
menes Verfahren, welches darin besteht, alle möglichen Modi des Syllo-
gismus kombinatorisch zu bestimmen und dann in einem zweiten Schritt die
ungültigen auszuschalten. 70 Völlig neuartig aber ist der Gebrauch, den
Lullus von der Kombinatorik macht: nämlich aus einer begrenzten Menge
von Grundtermini unbegrenzt viele Aussagen automatisch herzuleiten. Im
ersten Teil seiner >Ars Magna et Ultima< stellt er eine Liste von 54 Termen
auf, die er in neun Kolumnen zu je sechs Termini anordnet. 71 Die Kolumnen
kennzeichnet er mit Buchstaben. Diese Liste von Grundtermini nennt
Lullus "alphabetum".
Von der Kombinatorik zur Idee des logischen Kalküls 89

Ausgehend von diesen 54 Grundtermini versucht Lullus, durch Ausschöp-


fung aller mathematisch gegebenen Kombinationsmöglichkeiten Sätze zu
bilden. Bei den Satzbildungsprozeduren bedient er sich nicht der Termini
selbst, sondern abkürzender Buchstaben-Zeichen. Um die Kombinations-
verfahren zu erleichtern, setzt Lullus geometrische Figuren und Tafeln ein.
Im vierten Teil seiner >Ars Magna et Ultima< nimmt eine der geometrischen
Hilfsfiguren die Gestalt eines mechanischen Apparates an: drei Scheiben
werden zusammengefügt, deren äußerste fixiert ist, während die inneren
beiden beweglich bleiben. 72 In den Manuskripten und alten Drucklegungen
von >Ars Magna ... <sind die Scheiben tatsächlich konzentrisch zueinander
verschiebbar und nur in der Mitte verbunden. Auf den Scheiben sind Felder
graviert mit den Buchstaben für die Grundtermini, so daß es nun möglich
wird, durch Gegeneinanderverschieben der Scheiben alle möglichen Kom-
binationen der Termini mechanisch herzustellen. 73
Diese wenigen Hinweise mögen genügen, die Umrisse eines Projektes
entstehen zu lassen, welches auf den ersten Blick tatsächli~h absurd er-
scheinen mag. Worauf es hier aber alleine ankommt, ist die grundlegende
Idee, die sich in solchem Projekt- wenn auch noch so hilflos- artikuliert und
die die Weichen stellt für eine neue Epoche logischer Bemühungen. Diese
Idee birgt eine Funktions- und eine Verfahrenskomponente.
Die Funktionskomponente besteht in der neuen Aufgabenbestimmung
der Logik. Sie wird als eine ars inveniendi, als die Kunst, neue wahre Sätze
zu erzeugen, verstanden und damit explizit von der "Schul-logik" abge-
setzt, deren Funktion letztlich die einer ars demonstrandi, einer Beweis-
kunst, ist. Als ein Mittel des Auffindens neuer Sätze ist die Logik Instrument
einer universalen Wissenschaft. Es ist dieses Zusammentreffen von univer-
salwissenschaftlichem Gedankengut und dem Bestreben, logische Opera-
tionen heuristisch einzusetzen, welches die spezifische Physiognomie der
Funktionskomponente lullistischer Logik prägt und das uns später bei Des-
cartes und L~ibniz wiederbegegnen wird.
Die Verfahrenskomponente liegt in der Idee der Mechanisierbarkeit.
Dabei heißt "Mechanisierbarkeit" sowohl "formal" wie auch "technisch"
durchführbar. Der formale Aspekt liegt darin, daß das Kombinationsver-
fahren die Elemente verknüpft- ohne "Ansehen" ihres Inhalts. Die kombi-
natorischen Verknüpfungsregeln sind unabhängig von der Bedeutung der zu
verknüpfenden Termini. Der technische Aspekt liegt darin, daß solche Art
der Verknüpfungsoperation im Prinzip auch durch eine Maschine aus-
führbar ist, wovon uns der "Scheibenapparat" elementares Zeugnis ablegt.
Damit hat sich die logische Methode erstmals einer Technik angenähert, wie
sie z. B. von den Griechen in den Bereich der "praktischen Logistik" ver-
wiesen wurde, der Rechentechnik also, bei der mit Zahlenrepräsentanten
ohne Ansehen ihres Inhaltes nach schematischen Regeln operiert ~ird.
Trotz seines "Außenseiterstatus" hat Lullus in den folgenden J ahrhun-
derten viele Anhänger gefunden. 74 Lullus-Schulen formten sich in Mallorca
90 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle

(von wo Lullus stammt), Barcelona, Zaragoza und im spanischen Naples. 75


Lullus' Werke wurden nicht nur in Spanien verbreitet. Abschriften und Kom-
mentare liegen uns auch aus Paris, Lyon und Padua vor, so daß angenommen
werden kann, daß die durch Buchdruck bekannt gewordenen Schriften Lul-
lus' aus dem 16. und 17. Jahrhundert nur diejenigen des 14. und 15. Jahrhun-
derts fortsetzten. 76 Vor 1600 wurde die Lullische Kunst anscheinend an
Hochschulen gelehrt. 77 Der erste deutsche Kommentator von Lullus war
Agrippa von Nettesheim (1486-1535). 78 Ihm folgten so bekannte Autoren
wie Giordano Bruno (1548-1600), Athanasius Kireher (1o02-1680), George
Dalgarno (1626-1687) und schließlich Leibniz. 79
Damit aber sind wir schon im 17. Jahrhundert, dem wir uns jetzt zuwenden
wollen.

2.2.2 Quellen des Kalkülgedankens im 17.Jahrhundert

2.2.2.1 Berechenbarkeit als "Zeitgeist"

Die logistica specio~a Vietas, die analytische Geometrie Descartes' und


Leiboizens Infinitesimalrechnung zeigten uns, daß die Gestalt der neuzeitli-
chen Mathematik ihr entscheidendes Gepräge durch die Kalkülisierung
empfing. Wo aber liegen die Wurzeln dieser Kalkülisierung?
Die biographische Tatsache, daß die beiden letztgenannten mathemati-
schen Entdeckungen "auf das Konto" von Philosophen gehen, gibt vielleicht
einen Hinweis. Denn im Selbstverständnis dieser Autoren galten ihre mathe-
matischen Entdeckungen nicht als Erfindungen sui generis, sondern als Rea-
lisierung philosophischer Konzeptionen. Diese Vermutung wird- zumindest
im Falle von Leibniz - durch einen wirkungsgeschichtlichen Sachverhalt
gestützt.
Leibniz ist der erste Logiker gewesen, der die Idee des logischen Kalküls
klar und deutlich gefaßt und einen abstrakten- d. h. also auf verschiedene
Weise zu interpretierenden- Kalkül geschaffen hat, für den er eine extensio-
nale wie auch eine intensionale Deutung ausdrücklich festhält. Doch die
mathematische Logik und ihr Vorläufer, die logische Algebra, knüpfen kei-
neswegs an Leiboizens Arbeiten an: Die einschlägigen, zumeist fragmentari-
schen Texte von Leibniz wurden erst zu Beginn dieses Jahrhunderts durch
eine Edition des französischen Logikers und Philosophen Couturat der wis-
senschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Es gibt also keine imma-
nente Wirkungsgeschichte der Logik, innerhalb deren Leibniz einen wohl-
bestimmten Platz zwischen Vorläufern und "Anschlußdenkern" einnähme.
Drängt sich da nicht der Gedanke auf, daß die spezifische logische Leistung
Leibnizens, die in der Kalkülisierung logischer Operationen gipfelte, ihren
Nährboden nicht in einer logikinternen "Entwicklungsgesetzlichkeit" fin-
det, sondern viel eher in dem, was metaphorisch als "geistige Physiogno-
Von der Kombinatorik zur Idee des logischen Kalküls 91

mie" eines Zeitalters umschreibbar ist? Solche Physiognomie aber verdankt


in nicht unwesentlichen Teilen ihre Züge philosophischen Leitideen und Pro-
grammen.
Der "Gesichtszug", der hier exemplarisch Gestalt g~winnen soll, sei mit
dem Terminus 'Berechenbarkeit' charakterisiert.
In der Leitidee der Berechenbarkeit erlebt nun keineswegs das pythago-
reische "alles ist Zahl" seine Wiederauferstehung. Denn die Pointe derBere-
chenbarkeit bezieht sich nicht auf den (Zahlen-)Gegenstand des Rechnens,
sondern auf die Eigenart des Verfahrens selbst. "Berechnen können" heißt,
ein Problem dadurch zu lösen, daß a) die Problemstellung im Medium einer
künstlichen Symbolsprache ausgedrückt wird und b) die Problemlösung auf
Operationen innerhalb dieser Symbolsprache zurückgeführt werden kann,
wobei diese Operationen schematische Anwendungen vorab gegebener
Regeln sind.
Ein Problelll berechenbar zu machen wird also zum Synonym dafür, das
Problemlösen auf mechanische Vollzüge zurückzuführen.
Vier Proben, in denen sich der Gedanke der Berechenbarkeit auf jeweils
andere Weise artikuliert, seien hier gegeben: Descartes' Gedanke einer ma-
thesis universalis; Hobbes' Idee, das Denken auf das Rechnen zurückzu-
führen; Ansätze zu einer künstlichen Symbolsprache; sowie die Konstruk-
tion der ersten mechanischen Rechenmaschinen.

2.2.2.2 "Mathesis universalis": Rene Descartes

Auf Descartes geht der Gedanke zurück, wissenschaftliche Erkenntnis


unterscheide sich dadurch von der außerwissenschaftlichen, daß sie metho-
disch v_erfahre. Dabei versteht er unter einer Methode "zuverlässige und
leicht zu befolgende Regeln, so daß, wer sich pünktlich an sie hält, niemals
etwas Falsches für wahr unterstellt". 80 Diese Methode bezieht sich auf die
Wissenschaft unter dem Aspekt, Forschungsprozeß zu sein: "Es ist weit
besser, niemals an Forschung zu denken, als sie ohne Methode zu betreiben"
versteht sich also als ein heuristisches Instrument. 81
Die Genesis des cartesischen Methodengedankens wird rekonstruierbar
aus einem erst postum veröffentlichten Text, den >Regulae ad directionem
ingenii< 82 • Descartes gibt hier Rechenschaft über die Vorbilder seiner Me-
thode: die von Pappus von Alexandrien ausgearbeitete Methode geometri-
scher Analysis sowie Diophants Arithmetik. 83 Beide sind Verfahren, die sich
als eine Technik geometrischer bzw. arithmeti~cher Problemlösung verstehen
und diese durch den Kunstgriff zu bewältigen versuchen, das, was gesucht
wird, als bereits gegeben zu behandeln und durch Schlußfolgerungen heraus-
zufinden, ob die angenommene Größe den in der Aufgabe gestellten Bedin-
gungen genügt. 84 An eben dieses Verfahren der "analytischen Kunst" knüpft
Vieta mit seiner Buchstabenalgebra an, die er auch ars analytice nennt, und
92 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle

so wundert es nicht, daß Descartes als neuzeitlichen Vorläufer seines Metho-


dengedankens sich auf die moderne Algebra bezieht, die "das von den
Zahlen darzulegen" versucht, "was die Alten von den Figuren bewiesen" 85 .
Der wesentliche Schritt, den Descartes vollzieht, wenn er seine Methode am
algebraischen Vorbild orientiert, ist der, sie von ihrer Bindung an Zahlen-
operationen zu lösen und sie damit in den Rang einer allgemeinen Methode
zu erheben. Sie wird zum Verfahren einer mathesis universaUs, zu der all
das, "worin Ordnung oder Maß untersucht wird", gehört, "und es nicht
((

darauf ankommt, ob ein solches Maß in Zahlen, Figuren, Sternen, Tönen


oder einem anderen beliebigen Gegenstand zu suchen ist". 86 In dieser Be-
stimmung der mathesis universaUs wird deutlich, wie die Unterschiede in
den Gegenstandsgattungen unerheblich werden angesichts der Einheitlich-
keit eines methodischen Verfahrens, das diese Gegenstände ohne Ansehung
ihrer "natürlichen Unterschiede" behandelt. 87 Eine folgenreiche Umorien-
tierung des Verhältnisses von Gegenstand und Methode kündigt hier sich
an. 88 Für Aristoteles folgten die je verschiedenen wissenschaftlichen Me-
thoden der je besonderen Natur des Gegenstandes, den es zu behandeln
galt. 89 Die Gattung des Gegenstandes gab vor, welcher Erkenntnismethodik
man sich zu bedienen hatte. Descartes nun kehrt dieses Verhältnis um: Aus
der methodischen Ordnung des Verfahrens folgt, was überhaupt zum Gegen-
stand wissenschaftlicher Erkenntnis eignet: Die Einheit des Erkenntnisge-
genstandes wird verbürgt durch die Einheit des Verfahrens. Ohne eine
solche Um-orientierung wäre die Verallgemeinerung von "Berechenbar-
keit", wie sie sich in der analytischen Geometrie oder der mathematisch ver-
fahrenden Naturwissenschaft vollzieht, undenkbar.
Descartes legt die Fundamente für die Verallgemeinerung der algebrai-
schen Methode in der mathesis universaUs noch einen Schritt tiefer. Erinnern
wir uns, im operativen Symbolgebrauch den Grundzug der neuzeitlichen Al-
gebra, wie sie durch Vieta Gestalt gewann, bestimmt zu haben. Der Gegen-
stand, der solchen operativen Verfahren unterworfen werden kann, muß
dann der Bedingung genügen, als Referenzobjekt der entsprechenden Sym-
bole interpretiert werden zu können. Wenn Descartes sich in essentiellerem
Sinne diese neuzeitliche Algebra zum Vorbild nimmt, dann müßte das
Prinzip der "symbolischen Konstitution" auch für den Gegenstand der ma-
thesis universaUs gelten. Tatsächlich läßt sich eine solche "symbolische Kon-
stitution" nachweisen, und zwar in denjenigen Teilen der >Regulae<, die -wie
historisch-kritische Untersuchungen am Text zeigten - zu einem späteren
Zeitpunkt, wahrscheinlich zwischen 1626 und 1628 geschrieben wurden. 90
Zu diesem Zeitpunkt hatte Descartes eine Wahrnehmungstheorie entwik-
kelt, deren Pointe die folgende ist: Alle Differenzen von Außenweltreizen
werden auf der Oberfläche der wahrnehmenden Sinnesorgane in Gestalt
von Differenzen zweidimensionaler, ausgedehnter Figuren abgedrückt und
werden in dieser Form an die übrigen Organe des Verstandes "weiterge-
reicht". 91 Ausgedehnte Figuren nehmen also unter wahrnehmungspsycholo-
Von der Kombinatorik zur Idee des logischen Kalküls 93

giseben Gesichtspunkten eine ausgezeichnete Stelle ein. Diese Sonderstel-


lung wird für Descartes durch einen wissenschaftstheoretischen Sachverhalt
untermauert. Descartes läßt nur zwei Verstandesoperationen beim wissen-
schaftlichen Erkennen zu: Intuition und Deduktion. 92 Die Intuition aber be-
ruht auf der Fähigkeit des Verstandes, Sachverhalte unbezweifelbar klar und
deutlich vor das "geistige Auge" stellen, also ein-sehen zu können, wie sich
etwas verhält. 93 Solche Ein-sichten vermitteln - im Unterschied zur alge-
braischen Gleichung - die zweidimensionalen Bilder der Geometrie. Daß
2 + 2 = 4 wahr ist, kann ich der Gleichung nicht ansehen. 94 Wohl aber kann
ich zwei Strecken, die jeweils zwei Einheiten messen, aneinanderlegen und
sehen, daß vier Einheiten resultieren.
Diese wahrnehmungs- und wissenschaftstheoretisch untermauerte Son-
derstellung zweidimensionaler Figuren leitet Descartes zu dem Gedanken,
diese Figuren als allgemeine Symbole zu verwenden, mit deren Hilfe es mög-
lich wird, all df!S, was aufverschiedene Weise meßbar gemacht werden kann
und in den verschiedenen Größendimensionen der Länge, Ti~fe, Schwere,
Geschwindigkeit etc. gefaßt wird, auf einheitliche Weise auszudrücken. 95
Descartes zeigt nun, daß die Extensions-Symbole nicht nur als ein Dar-
stellungs-, sondern auch als ein Operationsinstrument dienen können: Die
Grundrechenarten sind allesamt zurückführbar auf Operationen, bei wel-
chen lediglich Linien und Rechtecke gezeichnet und umgeformt werden. 96
Indem die zweidimensionalen Figuren als operative Sprache dienen, lei-
stet Descartes für den Begriff der "Größe", was vor ihm Vietas Buchstaben-
algebra für den Begriff der "Zahl" erbrachte: So, wie an die Stelle des An-
zahl-Begriffes der allgemeine Begriff von Zahl überhaupt getreten ist, so
tritt an die Stelle von multitudo als zählbare Größe und magnitudo als meß-
bare Größe bei Descartes die magnitudo in genere, die Größe überhaupt. 97
Dieser allgemeine Größenbegriff bereitete erst den Boden vor, aus dem
dann die analytische Geometrie erwachsen konnte.
Halten wir, als Ergebnis fest:
Die mathesis universaUs ist am algebraischen Verfahren orientiert in den
folgenden Hinsichten:
(1) Die Verfahren der mathesis universaUs sind nicht Beweis-, sondern Pro-
blemlösungsverfahren. Ihr Kunstgriff besteht darin, ein Problem so
umzuformen, daß. das Gesuchte vollständig aus den Bedingungen des
Gegebenen ableitbar ist. 98
(2) Der Gegenstand der mathesis universaUs sind Größen überhaupt.
Dieser allgemeine Gegenstand wird eingeführt als Referenz-Gegen-
stand der künstlichen Sprache der Extensions-Symbole: Als Gegen-
stand der mathesis universaUs eignet, was mit Hilfe dieser Sprache auf
einheitliche Weise ausgedrückt werden kann. 99
(3) Die Sprache der Extensions-Symbole dient nicht nur als Darstellungs-,
sondern auch als Operationsinstrument.
94 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle

2.2.2.3 Denken als Rechnen: Thomas Hobbes

Der englische Philosoph und Staatstheoretiker Thomas Hobbes (1588-


1679) entwickelt eine Theorie rationeller Erkenntnis in strikter Analogie
zum Rechnen bzw. Berechnen. 100 Die Möglichkeit solcher Analogiebildung
liegt für Hobbes begründet in der Eigenschaft des Denkens, sich durch den
Gebrauch sprachlicher Zeichen zu artikulieren. Versuchen wir den zeichen-
und erkenntnistheoretischen Argumentationsgang von Hobbes kurz zu skiz-
zieren: Das Denken besteht in der Verknüpfung von Bewußtseinsinhalten,
die letztlich alle auf Empfindungen zurückgehen. 101 Damit die Gedanken
fixiert, das heißt im Gedächtnis festgehalten werden und anderen Menschen
mitgeteilt werden können, schaffen wir Zeichen für die einzelnen Bewußt-
seinsinhalte, die als ihre Namen oder Benennungen gelten. 102 Die allge-
meinste Funktion dieser sprachlichen Namengebung ist es, "den geistigen
Diskurs in den sprachlichen oder die Folge unserer Gedanken in eine Folge
von Worten zu übertragen" . 103 Hierbei läßt Hobbes außer acht, daß solche
Verknüpfung von Namen zu Sätzen, in welcher sich die Verknüpfung der
Bewußtseinsinhalte zum Gedanken zu reproduzieren habe, der logischen
Partikel bedarf.
Worauf es für uns aileine ankommt ist, daß Hobbes diese Verknüpfungs-
operation, die sich auf der Ebene der Bewußtseinsinhalte wie auch der
sprachlichen Zeichen vollzieht, in enger Analogie zum Rechnen sieht. Dies
legt die wortgeschichtliche Wurzel vonratiobereits nahe. Hobbes führt dazu
aus:
Mit Worten wird alles das bezeichnet, was gedacht oder in eine Rechnung eingesetzt,
d. h. zu anderem addiert oder von anderem subtrahiert werden kann. Im Lateini-
schen heißen Rechnungen rationes, die Berechnung selbst ratiocinatio; was wir in
Rechnungen die Posten nennen, heißt dort nomen. Und von daher ist das Wortratio
auf die Fähigkeit des Rechnens in allen übrigen Gebieten ausgedehnt worden. 104
Wir sehen, wie die im griechischen logos-Begriff angelegte Doppeldeutig-
keit im Übergang zum neuzeitlichen ratio-Begriff veränderte Konturen an-
nimmt. Für den griechischen Gebrauch von 'Iogos' stellt Hobbes mit Recht
fest, dies bedeute sowohl Sprache als auch Vernunft, insofern es für die
Griechen keine Vernunft ohne Sprache gegeben habe. 105
Diese Sprachgebundenheit des Denkens teilt Hobbes. Doch ihr Vorbild
ist nicht der umgangssprachliche Diskurs, sondern das Rechnen. Aus der
sprachvermittelten Vernunft wird bei Hobbes die berechnende Vernunft.
Lassen wir ihn hierzu selbst zu Wort kommen:
Unter rationeller Erkenntnis vielmehr verstehe ich Berechnung (ratiocinatio). Be-
rechnen heißt entweder die Summe von zusammengefügten Dingen finden oder den
Rest erkennen, wenn eins vom andern abgezogen wird. Also ist rationelle Erkenntnis
dasselbe wie Addieren und Subtrahieren; wenn jemand Multiplizieren und Divi-
dieren hinzufügen will, so habe ich nichts dagegen, da Multiplikation dasselbe ist wie
Addition gleicher Posten, Division dasselbe wie eine bestimmte Subtraktion gleicher
Von der Kombinatorik zur Idee des logischen Kalküls 95

Posten. Aber rationelle Erkenntnis geht jedenfalls auf zwei Geistesoperationen


zurück: Addition und Subtraktion. 106
Bachenski bezeichnet den Versuch Hobbes', das Schlußfolgern auf Be-
rechnen zurückzuführen, mit Recht als "dilettantischen Einfall"- dilettan-
tisch zumindest, wenn man darin eine Vorstufe der logischen Kalkülisie-
rung erblicken will. 107 Doch wenn es darum geht, "Berechenbarkeit" als
Grundzug des Zeitgeistes jener Epoche hervortreten zu lassen, so legt
Hobbes' Reduktion rationalen Erkennens auf Rechnen davon beredtes
Zeugnis ab. Ein Zeugnis, das deutlich werden läßt, wie sehr das Rechnen zu
einem Vorgang geworden ist, dessen Auszeichnung nicht nur darin besteht,
auf Zahlen anwendbar zu sein. Die Verallgemeinerung des Rechenverfah-
rens für Gegenstände, die nicht "Zahl" sind- dies ist der Kerngedanke von
Hobbes' Theorie rationeller Erkenntnis. Dazu führt er aus:
Man darf also nicht meinen, daß das eigentliche Rechnen nur bei Zahlen stattfindet,
als ob der Mensch von den übrigen Lebewesen (wie man nach den Berichten Pytha-
goras' angenommen hat) allein durch die Fähigkeit des Zählens unterschieden wäre;
denn auch Größen, Körper, Bewegungen, Zeiten, Qualitäten, Handlungen, Be-
griffe, Verhältnisse, Reden und Namen (worin jegliche Art Philosophie enthalten ist)
können addiert und subtrahiert werden. 108

2.2.2.4 Kunstsprachliche Ansätze

Das Rechnen bedarf eines eigenen symbolischen Mediums. Und so


scheint es nicht verwunderlich, daß in einer Epoche, in welcher Thomas
Hobbes die Idee faßte, schlußfolgerndes Denken als ein Berechnen zu orga-
nisieren, Entwürfe zur Hand sind, in denen künstliche Sprachen entwickelt
werden, die sich nicht nur als ein Kommunikationsmittel, sondern als ein In-
strument des wissenschaftlichen Denkens selbst zu bewähren hätten. 109 Auf
diese Differynz zwischen kommunikativer und instrumenteller Funktion
einer künstlichen Sprache kommt es hier an.
Von Leibniz, in dessen Schaffen die sprachtheoretischen und sprachkon-
struktiven Tendenzen der Zeit zusammenlaufen und wie im Brennglas fokus-
siert werden, ist uns die Einschätzung überliefert, daß die Bemühungen
seiner Vorgänger um eine universelle Zeichensprache stets darauf hin-
zielten, kommunikativen Austausch zu ermöglichen. Doch verfehle dies den
eigentlichen Sinn einer universalen künstlichen Sprache, der gerade darin
bestehe, Instrument des menschlichen Geistes zu sein und kraft dieser
Eigenschaft als Instrument der Entdeckung neuer Wahrheiten und der Beur-
teilung vorgelegter Sätze sowie der Aufbewahrung gefundener Wahrheiten
dienen zu können.tto
So sinnvoll die hier von Leibniz getroffene Unterscheidung der Funktionen
einer universellen künstlichen Sprache auch ist- historisch geht Leibniz hier
fehl. Keineswegs ist er der erste gewesen, der eine allgemeine "Charakteri-
96 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle

stik" ins Auge faßte, die sich als Organon der wissenschaftlichen Arbeit
versteht. Die Revision des Leibnizschen Selbstverständnisses, welches der
französische Leibnizforscher Couturat noch zu Beginn des Jahrhunderts un-
hinterfragt weitergab, geht zurück auf einen AufsatzJonathan Cohens ( 1954
in der Zeitschrift >Mind< veröffentlicht). 111 Cohen zeigte, daß das Projekt
einer universalen Symbolsprache geradezu ein intellektueller Gemeinplatz
des 17. Jahrhunderts in Westeuropa gewesen ist. Und zwar sowohl in kommu-
nikationstechnischer Perspektive, insofern man ein internationales Verstän-
digungsmittel der Gelehrten zu schaffen hoffte, wie aucb in wissenschafts-
technischer Hinsicht, insofern man eine solche Sprache als Instrument von
Entdeckung und Beweis zu gebrauchen hoffte. 112 Leibniz ging nur in einer
- allerdings entscheidenden Beziehung - über diese Ansätze hinaus: Er
schuf einen Kalkül, dessen Zeichen nur noch als Variable für Begriffe und als
logische Konstanten interpretiert wurden und nicht als "Sprachzeichen" im
Sinne wohlbestimmter semantischer Festlegungen. Darum aber handelte es
sich in allen Versuchen seiner Vorgänger, die sich in zwei Gruppen zusam-
menfassen lassen. 113 Die erste Gruppe geht aus von Francis Bacon (1561-
1626). In >The Advancement of Learning< entwickelt Bacon, er suche nach
einem System von Z~ichen (Charakteren), die weder Buchstaben noch
Wörter, sondern Dinge oder Begriffe ausdrücken. 114 Ein solches Zeichen-
system- so Bacon in >De Augmentis Scientiarum< von 1623- könne von
jedermann in der eigenen Nationalsprache gelesen werden. 115 Die Pointe
dieses Projektes liegt also darin, daß die Umgangssprachen "umgangen"
werden und die semantischen Bezüge dieser Kunstsprache sich unmittelbar
aus der Relation zwischen den Zeichen und ihren Referenzgegenständen,
seien dies Dinge oder Begriffe, ergeben. Die Idee einer Begriffsschrift kün-
digt hier sich an. Einer Sprache also, die nur noch als schriftliche Sprache
existiert. Als Vorbild solchen Symbolismus gilt das schriftliche Chinesisch,
welches sich zu Bacons Zeiten im Fernen Osten als Mittel schriftsprachlicher
Verständigung unter Menschen, deren gesprochene Sprachen weit vonein-
ander abwichen, durchgesetzt hatte.
Wir sehen, wie hier der kommunikative Aspekt sich in den Vordergrund
schiebt: Sprache ist für Bacon vehiculum cogitationum, und Cave Beck ver-
öffentlichte 1657 eine Grammatik und ein Wörterbuch einer solchen
Sprache, betitelt mit >The Universal Character, By which all the nations in
the world may understand one another's Conceptions, reading out of one
Common writing their own Mother Tongues< 116 . In den universalsprachli-
chen Versuchen, die sich an Bacon anschließen, geht der begriffsschriftliche
Charakter zunehmend verloren. In einschlägigen Studien von Becker 1661
in Frankfurt sowie von Kireher 1663 in Rom werden nur noch die Wörter der
Sprachen Französisch, Lateinisch, Deutsch etc. chiffriert mit einer Num-
mernkombination, sich anlehnend an die alphabetische Reihenfolge, die ein
Wort innerhalb seiner Sprache einnimmt. 117
Bacon selbst hat die Schwierigkeiten eines solchen Projektes in der unab-
Von der Kombinatorik zur Idee des logischen Kalküls 97

sehbaren Vielzahl der Begriffe (und also auch der Charaktere) gesehen und
es daher nicht weiter verfolgt.
Ein anderer Typus universalsprachlicher Bemühungen geht aus von Marin
Mersenne (1588-1648) und Descartes. Nicht mehr Begriffe oder die Dinge
selbst, vielmehr die Ideen bilden hier jene Referenzobjekte, die es zu sym-
bolisieren gilt. Durch Heraussonderung der grundlegenden Ideen, auf deren
Verknüpfung alle übrigen Ideen rückführbar sind, sowie einer Zuordnung
eines Zeichenalphabets zu diesen könne eine, durch Zeichenausdrücke re-
präsentierbare Ordnung der Gedankenwelt aufgebaut werden, welche der
natürlichen Ordnung der Zahlen entspreche. 118 Eine solche Sprache sei
zwar schwer zu entwickeln, doch leicht zu erlernen. Descartes hat zu Recht
betont, daß diese Ungua universaUs von der "wahren Philosophie" («la vrai
Philosophie») abhängig sei. Diese erst müsse herausfinden, welche Ideen
als die grundlegenden zu gelten haben. 119 Die Exaktheit der universalen
Sprache weist, so zurück auf die Exaktheit der philosophischen Analyse
selbst. In der Nachfolge Descartes' stehen die Autoren A. Comenius, Sir
Thomas Urquhart und F. Lodwick. 120 Gemeinsam ist ihnen, die Ungua uni-
versaUs als ein Instrument ungehinderten Erwerbs wissenschaftlichen Wis-
sens zu konzipieren. Ladwiek war überzeugt, daß sie "would much assist the
true knowledge of things which is at present much hindered". 121 In der carte-
sischen Tradition steht auch Seth Ward, Professor für Astronomie an der Uni-
versität Oxford, der eine Universalschrift projektierte, die von den Englän-
dern John Delgarno und John Wilkins ausgearbeitet wurde und mit denen
sich Leibniz dann in seinen eigenen Entwürfen kritisch auseinandersetzte.
Seth Ward nimmt in seiner Idee einer universalen Zeichenschrift unmit-
telbar Bezug auf die analytica speciosa, also das Buchstabenrechnen, so wie
es Vieta ausarbeitete. Während Bacons Projekt zu unübersehbar vielen Zei-
chen führte, würde es genügen- und hier folgt Ward Descartes -,eine be-
grenzte Menge einfacher Begriffe aufzustellen und zu symbolisieren, so daß
der innere Zq.sammenhang der komplizierteren Begriffe mit Hilfe der Sym-
bolsprache dem Auge auf durchsichtige Weise präsentiert werde. 122 Exakte
Diskurse könnten so beweisbar werden, ohne daß einAufwand nötig sei, der
über die Operationen der "analytica speciosa" hinausginge. 123
Die sich an Ward anschließenden Ausarbeitungen durch Dalgarno und
Wilkins gehen von zwei Voraussetzungen aus 124 : Erstens müsse die Menge
der Grundbegriffe aufgezählt werden, welche weder über Redundanzen
noch Lücken verfügen dürfe. Zweitens sei jeder der Begriffe so durch ein
Zeichen zu kennzeichnen, daß die Verbindungen der Zeichen die entspre-
chenden Verbindungen der Begriffe bzw. Dinge repräsentierten. 125 Wir
sehen, wie in der cartesischen Tradition der Isomorphiegedanke zwar nicht
explizit ausgedrückt, doch als implizite Voraussetzung lebendig wird. Wir
wollen den Verästelungen der Entwürfe von Dalgarno und Wilkins hier nicht
weiter folgen, sondern einen abschließenden Blick auf das Gesamtbild der
universalsprachlichen Projekte werfen:
98 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle

Universalsprachliche Entwürfe verdanken sich dem Bemühen, nicht nur


den kommunikativen Austausch von Erkenntnissen zu erleichtern, sondern
auch den Vorgang des Erkenntniserwerbs durch das Instrument einer künst-
lichen Sprache wirksamer zu gestalten. Doch die Universalsprachen be-
ruhen auf der isomorphen Abbildung von Sachverhalten, die ihrer kunst-
sprachlichen Repräsentation als gegebene vorausgesetzt sind. Sie haben
also eine extrasymbolische Bedeutung und sind daher keine Kalkülsprache.
Über einem solchen Zeichenalphabet wird kein Algorithmus einzuführen
sein, der nur auf die Strukturen der Zeichengestalten, ((nicht aber auf ihre
extrasymbolische Bedeutung Bezug nimmt.
Wenn auch erst Leibniz den Schritt zur Konstruktion einer reinen Kalkül-
sprache vollziehen wird, so bleibt es doch das Verdienst der hier rezipierten
Autoren, eine Auffassung von Sprache vorbereitet zu haben, die ihr Vorbild
nicht mehr an der Umgangssprache gewinnt, sondern an der Zahlzeichen-
sprache, wie sie z. B. in der indisch-arabischen Ziffernschrift vorliegt,
welche Zahlen nicht nur chiffriert, sondern auch mit ihnen zu rechnen
erlaubt: die Sprache wird als ein "Recheninstrument" entdeckt.

2.2.2.5 Rechenma.schinen

Die Kalkülisierung des Rechnens, wie sie durch das indische Ziffern-
system ermöglicht wurde, mit ihrem Kunstgriff, eben dieses Rechnen als das
Formieren und Transformieren von "bedeutungslosen" Zeichenketten
durchzuführen, schuf die theoretischen Voraussetzungen der praktischen
Mechanisierung dieses Vorganges.
Wilhelm Schickard (1592-1635), Professor für biblische Sprachen, Mathe-
matik und Astronomie, baute 1623 eine Rechenmaschine mit einer ein-
fachen Mechanik für Addition und Subtraktion, die einen einwandfreien
Zehnerübertrag über sechs Stellen leistete und unter Zuhilfenahme einer
Einmaleinstafel auch Multiplikation und Division ausführte. 126 Aus einem
Briefwechsel mit Kepler geht hervor, daß diese Rechenmaschine einwand-
frei funktioniert haben muß. 127
Der französische Philosoph, Mathematiker und Physiker Blaise Pascal
(1623-1662) arbeitete 1642 an der Konstruktion einer weiteren Rechenma-
schine.128 1674 entwickelte Leibniz eine Rechenmaschine, mit der alle vier
Grundrechenarten ausgeführt werden konnten und dies auf einfachere
Weise als bei Schickard und Pascal. 129 Die ersten Konstrukteure sind also
Philosophen und Theologen gewesen. Dieser biog~aphische Sachverhalt
zeigt, wie wenig die Rechenmaschinen aus den Bedürfnissen von Produk-
tion und Handel erwuchsen, vielmehr sind sie spekulative Meisterstücke
eines Jahrhunderts, welches wie keines zuvor von der Idee der Mechanisier-
barkeit "geistiger Abläufe" durchdrungen ist.
Wie diese Mechanisierung des Rechnens vor sich ging, sei exemplarisch
Von der Kombinatorik zur Idee des logischen Kalküls 99

b
Abb. 6: Mechanismus der Maschine von Pascal (a Einerrad, b Zehnerrad, c Zehner-
schaltung, d Sperrklinke, e Abdeckplatte mit Schauloch; aus: Couffignal1955).

an den Konstruktionsprinzipien der Pascalsehen Rechenmaschine erläu-


tert.130
Die Grundideee der mechanischen Rechenmaschine ist es, das Operieren
mit Ziffern auf das Operieren mit Stellungen von Zahnrädern abzubilden.
Die Räder der Maschine von Pascal tragen Serien von zehn Zähnen, auf
denen die Ziffern 0, 1, ... , 9 eingeschrieben sind. Jedes Rad ist für eine be-
stimmte dezimale Ordnung vorbehalten. Eine Sperrklinke hält es in der Stel-
lung, die der Ziffer entspricht, welche es anzeigen soll. Eine Scheibe mit
Einschnitten,, die sich über der Bezifferung dreht, erlaubt, das Rad in die ge-
wünschte Stellung zu bringen, und ein Schauloch, das nur eine Ziffer sehen
läßt, dient dazu, die Ziffern abzulesen. Zu unterscheiden sind somit ein
Zählwerk (das System der Zählräder und Sperrklinken) und ein Schreib-
werk (die Scheibe mit Einschnitten). Es gibt also Funktionen, die die in-
ternen Operationen realisieren, und solche, die der Kommunikation bzw.
der Relation von Mensch und Maschine dienen.
Das wichtigste rechnerische Problem, welches mit dieser Maschine (und
den anderen Maschinen) gelöst wurde, bestand in dem Zehnerübertrag.
Pascal fügte dem Zählwerk einen Mechanismus bei, der bei der Addition
von zwei Zahlen den Zehneraustrag auszuführen vermochte. Diese Zehner-
schaltung, welche sich aus einer Kombination von Gewichten, Sperrfedern
und Sperrklinken zusammensetzt, sowie das drehbare Zählwerk sind die
grundlegenden technischen Komponenten, mit deren Hilfe Rechenvor-
gänge maschinell realisiert wurden.
100 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle

Nehmen wir als Beispiel, daß das Zählwerk 749 anzeigt und daß man zu
dieser Zahl473 addieren möchte. Die Anwendung der Additionsregel beim
schriftlichen Rechnen läuft wie folgt ab:
(1) 9 plus 3 macht 12 (Gedächtnishandlung und Anwendung der Zähl-
regel).
(2) Ich setze 2 und merke 1 (Feststellung, daß sich die Zahl 12 mit zwei
Ziffern schreibt und Anwendung der Regel für Merkzahlen).
(3) 1 plus 4 macht 5; f(

(4) 5 plus 7 macht 12 (Gedächtnishandlung und Anwendung der Zähl-


regeln).
(5) Ich setze 12, da keine weiteren Ziffern zu addieren sind (gleiche Opera-
tionen wie bei [2]).
Pascals Maschine imitiert diesen Vorgang wie folgt: Wenn man die Ziffer 3
des zweiten Summanden auf das Rad der Einer des Zählwerkes schreibt, das
sich schon um neun Zähne gedreht hat, da es die Ziffer 9 des ersten Sum-
manden anzeigt, dreht sich das Rad nochmals um drei Zähne; es hat sich
dann im ganzen um 12 Stellungen weitergedreht und repräsentiert die Zif-
fer 2, weil der ersten Bezifferung von 0 bis 9 eine zweite, identische, folgt. In
dem Maße, wie das Rad der Einer von 0 an gedreht wird, hebt es ein Ge-
wicht, das durch eine Druckfeder in dem Moment frei wird, in dem dieses
Rad von 9 auf 0 übergeht; zurückfallend stößt das Gewicht auf die Sperr-
klinke des Rades der Zehner, was dieses um eine Stellung weiterrücken läßt;
es repräsentiert dann die Zahl5. Die Operationen (1)-(3) sind somit ausge-
führt. Das Einschreiben der Ziffer 7 des zweiten Summanden auf das Rad
der Zehner des Zählwerks setzt ein anderes Gewicht in Bewegung, das mit
dem Rad der Zehner und dem der Hunderter zusammenwirkt, und führt
den Übertrag einer Einheit in die Ordnung der Hunderter aus usw. Es ge-
nügt also, zwei Zahlen auf das Zählwerk zu schreiben, damit es die Summe
der beiden Zahlen wiedergibt.

2.2.3 Das Leibnizprogramm

2.2.3.1 Formales Denken

In Leibniz laufen zwei Entwicklungslinien zusammen: die algorithmische


Orientierung mathematischer Problemlösungsverfahren sowie die formale
Organisation logischer Schlußweisen.
Im Schnittpunkt dieser Linien entsteht die deutliche und klare Idee des
Kalküls:
Ein Kalkül oder eine Operation besteht in der Erzeugung von Beziehungen, welche
durch die Umwandlung von Formeln bewerkstelligt wird, wobei die Umwandlungen
entsprechend gewiß vorgeschriebenen Gesetzen vollzogen werden. 131
Von der Kombinatorik zur Idee des logischen Kalküls 101

Doch es ist nicht allein die Idee des Kalküls, sondern der Gebrauch, den
Leibniz von dieser Idee macht, worauf wir unser Interesse richten wollen:
Leibniz versteht die Kalkülisierung als ein Organon der philosophischen
Analyse. Die Instrumentalisierung des Kalküls zum Zwecke philosophi-
scher Erkenntnisgewinnung benennen wir heute mit dem Terminus "Leib-
nizprogramm"132. Es gliedert sich in drei miteinander zusammenhängende
Aspekte, die wir hier getrennt darstellen wollen:
1. Die Idee einer Universalwissenschaft.
2. Die Idee einer universellen Kalkülsprache.
3. Die Idee logischer Kalküle im engeren Sinne.
Zuvor jedoch gilt es eine Voraussetzung zu verdeutlichen, auf deren Basis
überhaupt erst die Idee einer Kalkülisierung philosophischer Erkenntnis er-
wachsen kann: die Einsicht, daß formale logische Schlußweisen und das
Rechnen analo,ge Prozeduren sind. Die Analogie stellt sich darüber her, daß
sowohl beim formalen Schlußfolgern wie auch beim Rechnen Wahrheits-
beweise auf Richtigkeitsnachweise zurückgeführt werden. Und dies ist nur
möglich, insoweit "wahre" Aussagen als Ausdrücke einer formalen Sprache
vorliegen, so daß die "Wahrheit" dieser Ausdrücke dadurch verbürgt ist, daß
dieselben korrekt, d. h. durch richtige Anwendung der entsprechenden For-
mations- und Transformationsregeln, gebildet worden sind. Unter formalem
Schließen ist also ein Beweisen zu verstehen, bei dem nicht die Wahrheit von
Gedanken, sondern die Wohlgeformtheit von Zeichenausdrücken demon-
striert wird: Die Bedeutung der Zeichen spielt hier keine Rolle. So ver-
standen gewinnt das Prinzip des Beweisens und Schlußfolgerns kraft der
Form eine Reichweite, die die Grenzen der aristotelischen Syllogistik weit
hinter sich läßt. Leibniz führt dazu aus:
Zwar ist diese Arbeit des Aristoteles nur ein Anfang und gleichsam das ABC, wie es
denn andere mehrere und zusammengesetzte und schwerere Formen gibt, die man
alsdann erst brauchen kann, wenn man mit Hilfe dieser ersten und leichten Formen
festgestellet, als zum Exempel die euklidischen Schlußformen, ... ja selbst Addition,
Multiplikation oder Division der Zahlen, wie man sie in den Rechenschulen lehret,
sind Beweisformen (argumenta in forma), und man kann sich darauf verlassen, weil
siekraftihrer Form beweisen. Und auf solche Weise kann man sagen, daß eine ganze
Buchhalterrechnung förmlich schließe und aus argumentis in forma bestehe. 133

Daß diese argumenta in forma dadurch charakterisiert sind, daß hier


etwas an den Zeichenausdrücken statt an den Sachen selbst gezeigt werde,
geht aus einerTextstelle hervor, in der Leibniz über den mathematischen Be-
weis ausführt, dieser fände nur auf dem Papier statt, und zwar in bezug auf
die Zeichen, die die Sache repräsentierten, nicht aber in bezug auf die Sache
selbst. Dies sei dadurch möglich, daß man Zeichen finden könne, die alle
Gedanken so eindeutig auszudrücken vermögen, wie die Arithmetik die
Zahlen ausdrücke; sodann fährt Leibniz fort: «Car toutes les recherches qui
102 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle

dependent du raisonnement se feraient par Ia transposition de ces charac-


teres et par espece de calcul. » 134
Die Analogisierung von Schlußfolgern und Rechnen impliziert nicht nur
eine formale - und das heißt auf syntaktische Richtigkeit ausgerichtete -
Konzeption schlußfolgernden Denkens, sondern auch eine formale Auffas-
sung des Rechnens selbst. Auf diesen Aspekt hat vor allem Heinrich Scholz
hingewiesen 135 : Leibniz faßt Rechenregeln als Umformungsregeln auf. Um-
geformt aber werden nicht Zahlen, sondern die schriftlichen Zeichen für die-
selben; b + a = a + b bedeutet dann, daß die Zeichenreihe a +bin jedem
Summenausdruck, in welchem sie vorkommt, nach Belieben ersetzt werden
kann durch die Zeichenreihe b + a. Bei dieser Umformung spielt die spe-
zielle Bedeutung von a + b und b + a keine Rolle. Das kommutative Gesetz
der Addition verwandelt sich in eine Vorschrift für die wechselseitige Substi-
tuierbarkeit von Zeichenausdrücken.
Formales Denken- so können wir Leiboizens Einsicht zusammenfassen-
beruht auf der Möglichkeit, das Operieren mit Gedanken zu ersetzen durch
das Operieren mit Zeichenmustern, so daß die Regeln, nach denen der
Aufbau und die Veränderung der Zeichenmuster sich vollzieht, keinen
Bezug mehr nehmen ~uf den Inhalt der Gedanken, sondern nur noch auf die
Strukturen der Muster selbst.

2.2.3.2 "Scientia generalis": die Idee einer Universalwissenschaft

Auf Raimundus Lullus geht der Gedanke einer scientia generaUs, einer
universalen Wissenschaft auf kombinatorischer Grundlage, zurück. Als In-
strument dieser Universalwissenschaft galt Lullus seine ars magna, seine
"neue Logik", die sich sowohl hinsichtlich ihrer heuristischen Funktion wie
auch in bezug auf ihre mechanisierbaren kombinatorischen Verfahrens-
weisen von der traditionellen Logik unterschied. Die Absetzung von der
traditionellen Logik wurde seit der Renaissance zum philosophischen Allge-
meingut, orientierte sich doch der für das neuzeitliche Denken konstitutive
Methodengedanken an der inventio, der Erfindungskunst, mit deren Hilfe
man neue Wahrheiten zutage zu fördern hoffte. 136 Demgegenüber diene die
traditionelle Logik lediglich der Darstellung und formalen Ableitung schon
gewonnener Erkenntnisse. Descartes urteilt abschätzig über die aristote-
lisch-scholastische Logik, jeder Knabe könne "intra paucos dies magnum
istius artis usum acquirere". 137
Die intensive Auseinandersetzung Leiboizens mit der aristotelischen Syl-
logistik führt ihn, im Unterschied zu Descartes, zu einer Anerkennung der
traditionellen Logik als eines unverzichtbaren Instrumentes der Beurtei-
lungskunst.138 Im Anknüpfen an den Gedanken der inventio einerseits und
der Rehabilitierung der demonstratio andererseits gelangte Leibniz so zu
einer doppelten Aufgabenstellung der Logik. In einem Schreiben an Gabriel
Von der Kombinatorik zur Idee des logischen Kalküls 103

Wagner führt er dazu aus, unter der "Logick oder Denck-Kunst" verstehe er
"die Kunst den Verstand zu gebrauchen, also nicht allein was fürgesteilet zu
beurtheilen, sondern auch was verborgen zu erfinden" . 139
In der Perspektive dieser zweifachen Aufgabenbestimmung, nämlich ars
iudicandi und ars inveniendi zu. sein, wird die Logik zu einem Instrument der
scientia generaUs. 140 "Die scientia generaUs besteht aus zwei Teilen", führt
Leibniz dazu aus und bestimmt den ersteren als denjenigen, der zur Befesti-
gung der Wissenschaften diene, indem beurteilt werde, was bereits gefunden
sei, den letzteren aber als denjenigen, der zur Erweiterung der Wissenschaft
diene, insofern gefunden werde, was noch fehle. 141
Diears iudicandi liefert also die Hilfsmittel, mittels deren eine hypothe-
tisch als wahr angenommene Aussage als wahr erwiesen, d. h. aus sicheren
Gründen abgeleitet werden kann. Demgegenüber dient die ars inveniendi
der Ableitung möglicher Folgerungen aus einem bereits gesicherten Bestand
als wahr erwie~ener Sätze. 142
Hans Hermes hat in einem 1969 publizierten Aufsatz versucht, die Leib-
nizsche Unterscheidung zwischen einer ars inveniendi und einer ars iudi-
candi mit Hilfe von Termini plausibel zu machen, die die moderne mathema-
tisch-logische Grundlagenforschung unseres Jahrhunderts erarbeitet hat,
nämlich der "Aufzählbarkeit" und "Entscheidbarkeit". 143 Unabhängig von
der Frage, ob solche "modernisierte" Sichtweise Leibnizens zulässig ist,
steht außer Zweifel, daß die Unterscheidung der beiden artes bei Leibniz ein
Gegenstück findet in der modernen Aussagenlogik. Die Fragestellungen der
Aussagenlogik lassen sich in zwei Gesichtspunkte gliedern, nämlich (1) ein
Verfahren zu finden, mit dessen Hilfe es möglich ist, bei einem beliebigen
endlichen Axiomensystem und einer beliebigen vorgegebenen Aussage
dieses Systems, in endlich vielen Schritten zu entscheiden, ob die Aussage
eine Folgerung aus dem Axiomensystem ist oder nicht und (2) durch syste-
matische Anwendung von Regeln aus einem gegebenen Axiomensystem alle
Folgerungen ~u finden. 144
Diese Interpretation der Verfahren einer Universalwissenschaft im Lichte
der modernen Logik kann nur plausibel werden, wenn wir den kalkulatori-
schen Charakter der Leibnizschen Universalwissenschaft in Rechnung
stellen. 145
Denn die "Wahrheiten der Vernunft" sollen "wie in der Arithmetik und
Algebra so auch in jedem anderen Bereich, in dem geschlossen wird, ge-
wißermaßen durch einen Kalkül erreicht werden können" . 146 Die scientia
generaUs wird als ein Qualitätenkalkül projektiert; als eine Wissenschaft, "in
der die Formen und Formeln der Dinge im allgemeinen behandelt werden,
d. h. die Qualität im allgemeinen oder die Ähnlichkeit und Unähnlichkeit; in
derselben Weise, daß immer neue Formeln aus den Elementen a, b, c, selbst
entstehen, wenn sie miteinander kombiniert werden (ob diese Elemente
nun Quantitäten oder irgend etwas anderes repräsentieren). Diese Kunst ist
von der gewöhnlichen Algebra verschieden, die nur von Formeln handelt,
104 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle

die sich auf die Quantität beziehen oder auf die Gleichheit und Ungleich-
heit. " 147 Leibniz knüpft also an die Algebra an in ihrer Eigenschaft, sich
eines kalkulatorisch-kombinatorischen Verfahrens zu bedienen, doch
möchte er den Interpretationsbereich der Elemente, mit denen kalkulato-
risch operiert wird, erweitern.
Frucht dieses Gedankens ist das Projekt einer characteristica universaUs,
einer universalen Kalkülsprache, mit deren Hilfe die scientia generaUs sich
als eine kalkülisierte Wissenschaft etablieren könne.

2.2.3.3 "Characteristica universalis":


die Idee einer universalen Kalkülsprache

Das wirklich Neue bei Leibniz ist, daß er sein universalwissenschaftliches


Projekt mit der Idee einer allgemeinen Kalkülsprache verknüpfte. Er führt
dazu aus:
Die Alltagssprachen, obgleich sie meistenteils für das schlußfolgernde Denken von
Nutzen sind, sind doch unzähligen Zweideutigkeiten unterworfen und können den
Dienst des Kalküls nich.t leisten, nämlich daß sie die Irrtümer der Schlußfolgerung,
aus der Bildung und Struktur der Worte, aufdecken könnten, wie Solözismen und
Barbarismen. Diesen höchst bewundernswerten Vorteil bieten bisher nur die Sym-
bole der Arithmetiker und Algebraisten, bei welchen die Schlußfolgerung allein im
Gebrauch der Charaktere besteht und ein Irrtum des Geistes und des Kalküls das-
selbe ist. 148
Für diese philosophische Kalkülsprache prägt Leibniz den Begriff characteri-
stica universaUs. Synonym verwendet er dafür auch die Begriffe characteri-
stica generaUs seu rationaUs, «specieuse universelle ou generale», combina-
toria characteristica, ars characteristica und "kombinatorische Zeichen-
kunst". 149
Noch zwei Jahre vor seinem Tode nimmt Leibniz auf dieses Projekt Bezug
und schreibt in einem Brief an Remond:
Ich wage eines hinzuzufügen, daß, wenn ich weniger beschäftigt oder jünger gewesen
wäre, oder von begabten jungen Menschen unterstützt, so hätte ich hoffen können
eine Art speciosa generalis vorzulegen, in der alle Vernunftwahrheiten auf eine Art
Kalkül zurückgeführt worden wären. Das hätte gleichzeitig eine Art von universeller
Sprache oder Schrift sein können, aber unendlich verschieden von all denen, die man
bisher entworfen hat, denn die Worte und die Zeichen selbst würden die Vernunft in
ihr führen, und die Irrtümer (außer den tatsächlichen) seien nichts als Rechenfehler.
Es würde sehr schwierig sein, diese Sprache oder Charakteristik zu formulieren oder
zu erfinden, aber sehr leicht sein, sie ohne ein Lexikon zu erlernen. 150
Wie ist das zu verstehen, daß die Worte und Zeichen selbst die Vernunft zu
führen hätten, so daß Irrtümer sich als Rechenfehler zeigten?
Leibniz vertritt eine kombinatorische Auffassung des Begriffs. 151 Die
überwiegende Mehrheit der Begriffe baue sich aus Teilbegriffen auf, als
Von der Kombinatorik zur Idee des logischen Kalküls 105

deren Kombination sie sich darstellen lassen. So etwa, wenn homo als
animal rationale bestimmt wird. Die Teilbegriffe lassen sich ihrerseits in wei-
tere Elemente zerlegen, bis man zu letzten, nicht weiter zerlegbaren
Begriffen gelange, die folglich keine gemeinsamen Bestandteile haben. Die
Gesamtheit dieser nicht weiter zerlegbaren Elementarbegriffe machen das
"Alphabet des menschlichen Gedankens" aus. 152 Aus diesen notiones irreso-
lubiles lassen sich durch Synthese sämtliche Begriffe gewinnen. 153 Die
Grundidee der ars characteristica ist es, diesen unzerlegbaren Grundbegrif-
fen Zeichen, characteres, umkehrbar eindeutig zuzuordnen, so daß die Rela-
tionen, die zwischen den Begriffen als den Elementen unserer Gedanken
bzw. Urteile bestehen, sich in den Relationen, die zwischen den Zeichen
bestehen, abgebildet werden.
Ich nenne ein sichtbares Zeichen, das einen Gedanken ausdrückt, einen Charakter.
Die ars characteristica ist die Kunst Charaktere so zu bilden und zu ordnen, daß sie
Gedanken repräsentieren in der Weise, daß sie unter sich in der gleichen Relation
stehen, in der auch die Gedanken untereinander stehen. Der Ausdruck ist eine Zu-
sammenfügung von Charakteren, welche den Gegenstand, der auszudrücken ist,
repräsentieren. Das Gesetz des Ausdrucks ist folgendes: der Ausdruck eines Gegen-
standes ist zusammengesetzt aus den Ausdrücken derjenigen Gegenstände, deren
Ideen zusammengesetzt sind aus den Ideen des gegebenen Gegenstandes. 154
Die Isomorphie, die zwischen Begriffen bzw. Gegenständen und Charak-
teren gegeben ist, verbürgt, daß so, wie zusammengesetzte Begriffe aus ein-
fachen kombiniert sind, die Zeichenausdrücke, die die zusammengesetzten
Begriffe repräsentieren, sich aus den Zeichen, die die einfachen Begriffe
repräsentieren, zusammensetzen. Die Charaktere fungieren also als Eigen-
namen für Begriffe.tss
Als Modell der kombinatorischen Zusammensetzung von Begriffen wählt
Leibniz insbesondere in Entwürfen zur ars characteristica aus dem Jahre
1679 die Zerlegung der Zahlen in Faktoren, vor allem in Primzahlen. Grund-
begriffen sol\en die Primzahlen, komplexeren Begriffen die aus den Prim-
zahlen gebildeten Zahlen entsprechen. 156
Solche Kombinatorik gegebener Begriffe zu neuen Begriffen - darauf
haben Rivaud, Gurwitsch und neuerdings auch Mittelstraß aufmerksam ge-
macht157 -ist also nicht einfach bloße Verkettung und Aneinanderreihung,
wie es etwa noch Hobbes' Konzeption nahelegte, das Denken als ein Rech-
nen im Sinne bloßer Addition und Subtraktion aufzufassen: die Begriffsver-
bindung ist nicht additiver, sondern multiplikativer Art. Sie resultiert aus der
Anwendung einer (Multiplikations-)Funktion. 158 Die Faktoren, aus denen
das Zusammengesetzte resultiert, verschwinden im Zusammengesetzten:
Wir sehen einer Zahl nicht an, aus welchen Primfaktoren sie hervorgeht,
können dies jedoch durch Analyse feststellen. Auf analoge Weise will
Leibniz die Begriffszusammensetzung verstanden wissen: Die Merkmale
eines Begriffes, wie sie durch die Definition festgelegt sind, können dem Be-
griffswort nicht "abgelesen", sondern müssen analysiert werden. Die Frucht
106 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle

solcher begriffsanalytischer und sprachkonstruktiver Bemühungen besteht


für Leibniz in der Möglichkeit, die Entscheidung über die Wahrheit oder
Falschheit eines Satzes zu erleichtern. Denn der Zeichenausdruck selbst ent-
hüllt, ob die in ihm vorliegende Verbindung von Zeichen der Leibnizschen
Definition eines wahren Satzes entspricht. Gemäß seiner analytischen Ur-
teilstheorie ist ein Satz wahr, wenn der Prädikatbegriff im Subjektbegriff
enthalten ist. 159 Solche Enthaltensein-Beziehung aber kann arithmetisch
durch die Teilbarkeitsbeziehung ausgedrückt werden. 160 Die Frage, ob ein
vorliegender Satz wahr oder falsch ist, kann so zurückgeführt werden auf die
Frage, ob die charakteristischen Zahlen für die Begriffe, die in den Satz ein-
gehen, "ohne Rest" teilbar sind. Wenn z. B. animal die Zahl2 und rationale
die Zahl3 zugeordnet wird, dann kann der Satz "homo est animal rationale"
abgebildet werden auf 2 · 3 = 6. In dieser Darstellung besagt die Wahrheit
des Satzes "AlleS sind P", daß die charakteristische Zahl fürS durch die für
P ohne Rest teilbar ist. 161 Die Idee, die Begriffsinklusion auf die Teilbar-
keitsrelation von Zahlen abzubilden, führt Leibniz für die vier kategori-
schen Urteile SaP, SiP, SeP und SoP der traditionellen Syllogistik durch.
Doch entstand hierbei die Schwierigkeit, daß alle partikulär affirmativen Ur-
teile notwendig wahr, alle universell negativen Urteile notwendig falsch
werden. Denn die Unverträglichkeit von Begriffen kann arithmetisch in
diesem System nicht ausgedrückt werden: es gibt in der Arithmetik keine
verbotenen Zahlprodukte. 162 Leibniz versuchte dieses Problem dadurch zu
lösen, daß er die Unverträglichkeit von Begriffen auf die Negation zurück-
führte: Wenn ein Begriff einen Teilbegriff affirmativ enthält, der im anderen
Begriff negiert wird, so sind die beiden Begriffe unverträglich. Gemäß
dieser Auffassung müßte jeder Begriff, statt durch eine einzige charakteristi-
sche Zahl, durch ein Paar teilerfremder natürlicher Zahlen repräsentiert
werden, von denen die erste die positiven Merkmale, die zweite die nega-
tiven Merkmale eines Begriffes charakterisieren soll. Wenn also ein Begriff
P durch das geordnete Zahlenpaar (Pt P2) repräsentiert wird, so ist Pt das
Produkt aller derjenigen Primzahlen, denen in P affirmativ vorkommende
Grundbegriffe entsprechen, und P2 das Produkt der den negiert vorkom-
menden Grundbegriffen zugeordneten Primzahlen. Die Unverträglichkeit
zweierBegriffe P und Q liegt demgemäß dann vor, wenn Pt und q 2 oder P 2
und qt einen gemeinsamen Faktor enthalten. 163 Lukasiewicz hat nun ge-
zeigt, daß ein solches Zahlenpaarmodell in der Leibnizschen Deutung ein
allen heutigen Ansprüchen genügendes, von Lukasiewicz und Slupecki an-
gegebenes Axiomensystem erfüllt. 164
Damit aber ist zumindest eine Teilaufgabe der scientia generaUs, nämlich
die ars iudicandi im Rahmen der ars characteristica in kalkülmäßig kontrol-
lierbare Ableitungsprozeduren zu überführen, auf eine Weise gelungen, die
auch vor dem Urteil der modernen Logik Bestand hat.
Doch Leibniz selber scheint die von Lukasiewicz aufgewiesene Leistungs-
kraft seines Zahlenpaarmodells nicht erkannt zu haben: Er hat später nie
Von der Kombinatorik zur Idee des logischen Kalküls 107

mehr auf dieses Modell zurückgegriffen, sondern verwendet in den >Gene-


rales Inquisitiones< von 1686 ein gegenüber dem Zahlenpaarmodell offen-
sichtlich mangelhafteres QuotientenmodelL 165
Überblicken wir die Gesamtheit aller Texte, die uns Zeugnis ablegen von
Leiboizens Bemühungen um eine characteristica universaUs, so zeigt sich:
Obwohl sich Leibniz zeitseines wissenschaftlichen Lebens um deren Ausar-
beitung bemühte, gelang es ihm nicht, eine zufriedenstellende Lösung für
eine universale Kalkülsprache zu entwickeln. Was er uns außer dem reifen
Entwurf einer arithmetischen Interpretation der Syllogistik hinterlassen
hat, sind eine Vielzahl programmatischer Schriften und Definitionstafeln,
die als Vorarbeiten für die Begriffsanalyse gedacht waren.
In der Leibniz-Literatur wird eine umfassende Ausarbeitung der logi-
schen und erkenntnistheoretischen Schwierigkeiten gegeben, in die Leib-
nizens Programm einer ars characteristica notwendig führen mußte. 166
Im Zentrum Q.ieser Schwierigkeiten steht die analytische Auffassung der
Wahrheit, die auf Begriffsinklusion zurückgeführt wird. Das analytische
Wahrheitsmodell führt schon in bezug auf die Frage nach den einfachsten
Grundbegriffen aus dem Modell hinaus: Aussagen über die Verträglichkeit
der einfachsten Grundbegriffe müssen stets synthetisch sein.
Daß die Realisierbarkeit eines solchen Systems an Voraussetzungen gebun-
den ist, die mit den Mitteln des Systems überhaupt nicht bereitzustellen sind,
kann noch in einer anderen Perspektive thematisiert werden. Die Leibnizsche
ars characteristica - und darauf hat Hans Werner Arndt nachdrücklich auf-
merksam gemacht - enthält eine petitio principii. 161 Die Konstruktion der
"charakteristischen Sprache" setzt das "Gedankenalphabet" voraus, d. h. die
Analyse sämtlicher Begriffe in ihre Grundbegriffe. Diese Aufgabe sollte die
Enzyklopädie erfüllen. 168 Eine solche Enzyklopädie aber wäre nur möglich,
wenn die Wissenschaften zu nicht mehr weiterentwickelbaren Resultaten ge-
langt wären, also abgeschlossen vorlägen. 169 Als Organon dieser Wissen-
schaften jedoch ist die ars characteristica von Leibniz konzipiert. Sie droht so
zur bloß symbolischen Darstellung von Erkenntnissen zu werden, die gerade
nicht mit den Mitteln der ars characteristica gefunden wurden.
Doch die inneren Schwierigkeiten dieses Projektes brauchen hier unser
Thema nicht zu sein. Für uns genügt es, daß Leibniz die Idee einer univer-
salen Kalkülsprache faßte, mit deren Hilfe es möglich sein sollte, daß
«toutes les recherches qui dependent du raisonnement se feraient par la
transposition de ces caracteres et par une espece de calcul». 170 Diese Hoff-
nung, das Argumentieren in ein Rechnen zu überführen, ist Leibniz zumin-
dest im arithmetischen Zahlenpaarmodell de~ Syllogistik unter der Perspek-
tive, ein Entscheidungsverfahren zu liefern, gelungen 171 : Inhaltliche Be-
weise, die Bezug nehmen auf die Bedeutung von Begriffen, werden hier
zurückgeführt auf formale Beweise von Folgerungen aus vorausgesetzten
Prämissen, die sich wiederum abbilden lassen auf mathematisch richtig ge-
bildete Abhängigkeitsbeziehungen zwischen Zahlen.
108 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle

Wenn wir das Projekt einer ars characteristica als Versuch zur Entwicklung
einer universalen Kalkülsprache charakterisieren, so darf dabei gerade
nicht vergessen werden, daß die Zeichen dieser Sprache stets für wohl-
definierte Begriffe stehen. Die kalkülisierte Operation gilt Leibniz hier als
Substitut für das Operieren mit bestimmten Begriffen und hat nur in der
Stellvertreterfunktion für dieses seinen Sinn. Die Charaktere gelten also
nicht als Variablenzeichen. Dies unterscheidet die Leibnizsche characteri-
stica universaUs von den logischen Kalkülen, in welchen die Zeichen nur
noch als Variable oder logische Konstanten dienen. Ihnen wollen wir uns
nun zuwenden.

2.2.3.4 "Calculus ratiocinator": die Idee des logischen Kalküls

Mit seinen begriffsschriftliehen Überlegungen zu einer characteristica uni-


versaUs zeigt Leibniz sich als ein Vorläufer der symbolischen Logik. Mit sei-
nen Entwürfen zu logischen Kalkülen aber erweist Leibniz sich als ein
Vorläufer der mathematischen Logik. 172 Folgen wir dieser von Bachenski
eingeführten Unterscheidung und fragen uns, worin diese Vorläuferschaft in
Hinblick auf die mathematische Logik besteht, so wird eine Antwort ganz
wesentlich davon abhängen, was unter "mathematischer Logik" zu ver-
stehen sei. Faßt man darunter den Versuch zusammen, logische Folgerungen
auf rein formale Weise zu gewinnen, also ohne Rückgriff auf die Bedeu-
tungen der auftretenden sprachlichen Ausdrücke durch Anwendung rein
schematischer Regeln, so müßten auch schon die Stoiker mit ihrer Kalküli-
sierung der klassischen Junktorenlogik als Vorläufer der mathematischen
Logik gelten. Daß wir dies nicht so sehen, hängt mit ihrer "abstraktiven"
Methode zusammen, die sie mit der aristotelischen wie der scholastischen
Logik teilen: Die logischen Sätze werden durch Abstraktion aus der natür-
lichen Sprache gebildet. Sofern Variablenzeichen eingesetzt werden, stehen
diese stets für Ausdrücke der normalen Sprache.
Der Symbolisierungsmodus der characteristica universaUs kündigte in
dieser Hinsicht bereits eine folgenreiche Wende an: Denn Leibniz bezog die
Zeichen seiner universalen Sprache nicht mehr auf die Ausdrücke der ge-
sprochenen Sprache, sondern unmittelbar aufBegriffe bzw. Ideen; das "Ge-
dankenalphabet" konnte nicht mehr ausgesprochen, sondern nur noch nie-
dergeschrieben werden. Die characteristica wurde als eine Begriffsschrift
konzipiert. 173 Doch die "Befreiung" der angeschriebenen Zeichen von der
"Vormundschaft" der natürlichen Sprache bezieht sich nicht auf eine Freiset-
zung von der Referenzfunktion überhaupt: Immer noch entleihen die Zei-
chen der characteristica ihre "Existenzberechtigung" einem vorgegebenen
Reich von "Gegenständen", auch wenn diese "Gegenstände" nicht mehr
durch das Universum der natürlichen Sprache, sondern durch das Univer-
sum der Begriffe bzw. Ideen gegeben sind.
Von der Kombinatorik zur Idee des logischen Kalküls 109

Mit seinen logischen Kalkülen verläßt Leibniz den Weg der abstraktiven
Methode, insofern die Kalkülzeichen intrasymbolische Bedeutungen ha-
ben: sie sind nicht mehr vorab Stellvertreter für vorgegebene, extrasymboli-
sche Referenzgegenstände. Es sind formale Systeme, die verschiedenen
Deutungen nicht nur zugänglich, sondern, wie Christian Thiel feststellt, "um
dieser verschiedenen Deutungsmöglichkeiten willen überhaupt aufgestellt"
sind. Sie sind nicht nur für verschiedene Interpretationen offengehalten,
"sondern einzig zu diesem Zwecke überhaupt eingeführt". 174 In dieser "kon-
struktiven" Orientierung- "konstruktiv" nur in dem Sinne, daß ein formales
System konstruiert und erst danach dasselbe zu deuten versucht wird- zeigt
sich Leibniz als ein Vorläufer der mathematischen Logik.
Diese Interpretation ist nicht unbestritten. Couturat, dessen verdienst-
volle Edition unveröffentlichter Texte erst den Blick freilegte auf die logi-
schen Leistungen Leibnizens, fällte über diese gleichwohl ein problemati-
sches Urteil. Qa für Couturat nur eine extensionale Auffassung die Logik
einer strengen, mathematischen Behandlung zugänglich macht, wirft er den
intensional geprägten Ansätzen bei Leibniz Konfusion und Vagheit vor, so
daß der Beginn der mathematischen Behandlung erst mit Booles klassen-
logischen Systemen anzusetzen sei. 175 Beim gegenwärtigen Stand der For-
schung ist dieses Urteil in zweierlei Hinsicht revisionsbedürftig. Einerseits
wurden in der Zwischenzeit verschiedene Systeme der intensionalen Logik
entwickelt. Raili Kauppi konnte in Weiterentwicklung Leibnizscher Ge-
danken vor allem aus dem Bereich der Relationenlogik zeigen, daß es logi-
sche Probleme gibt, die überhaupt nur mit Hilfe einer intensionalen Logik
lösbar sind. 176 Andererseits zeigten Untersuchungen von Rescher und
Poser, daß die Leibnizschen Logikkalküle auch extensional und modal-
logisch gedeutet werden können und ihre Konsistenz also nicht auf einer
ausschließlich intensionalen Interpretation beruht. 177
Im Schnittpunkt dieser Neuorientierung in der Interpretation der Logik-
kalküle LeibQ.izens steht ein 1954 veröffentlichter Aufsatz von Niebolas Re-
scher: >Leibniz's interpretation of his logical calculi<. Rescher analysiert logi-
sche Systeme aus drei verschiedenen Perioden und geht dabei von folgenden
Grundsätzen aus: (1) Er trennt bei jedem Kalkül streng zwischen dem
Aufbau des formalen Systems selbst und seinen Deutungen. (2) Er stellt aus-
drücklich alle Sätze jedes Systems auf, ohne zwischen Axiomen und Theo-
remen zu unterscheiden, einschließlich solcher Sätze, die bei Leibniz den
Status von Implikationen haben. Sodann prüft Rescher die Konsistenz der
Systeme, indem er ihnen verschiedene logische Deutungen gibt: eine inten-
sionale, eine extensionale sowie eine modallogische Deutung. Bei jeder
dieser Deutungen zeigt sich: Die Systeme sind konsistent.
Nach Rescher liegen den logischen Kalkülen Leiboizens folgende An-
nahmen zugrunde 17 B:
1. Mit Buchstaben bezeichnete Variablen werden gebraucht über einer
nicht näher bestimmten Menge von "Termini".
110 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle

2. Es gibt folgende ein- bzw. zweistellige termbildende Operationen:


a) IstA ein Term, so ist non-A ein Term.
b) SindA, BTerme, so ist AB ein Term.
3. Es gibt folgende zweistellige Relationen:
a) Zwischen zwei Termen besteht genau eine der zweistelligen Rela-
tionen: Gleichheit oder Ungleichheit (in Zeichen: =; =I=).
b) Zwischen zwei Termen besteht genau eine der zweistelligen Rela-
tionen: est, non est.
4. Schlußregeln:
a) Gleichheit besteht zwischen Termen genau dann, wenn sie in gültigen
Aussagen füreinander substituierbar sind.
b) In einer gültigen Aussage kann eine Termvariable durch eine Term-
variable oder durch einen Komplex von Termvariablen, welcher einen
Term bezeichnet, ersetzt werden, und die Aussage ist wieder eine gül-
tige Aussage.
c) Dermodus ponens.
Rescher rekonstruiert drei in unterschiedlichen Perioden entwickelte Kal-
küle.
Aus den Schriften >Specimen calculi universalis< und >Ad specimen calculi
universalis addenda<, die um 1679 verfaßt wurden und vielleicht aus der im
vorigen Abschnitt kurz dargestellten arithmetischen Behandlung der Syllo-
gistik erwuchsen, kann folgendes erstes System rekonstruiert werden 179 :
Leibniz benutzt kleine Buchstaben als Variablen für nicht weiter spezi-
fizierte Objekte, die wir "Terme" (termini) nennen können. Neben den
Variablenzeichen für "Terme" fungieren als Operatoren zur Erzeugung
neuer "Terme" non und die Verkettung. Relationen zwischen "Termen" sind
est, seine Negation non est, Gleichheit (eadem sunt) und Ungleichheit (di-
versa sunt).
Die gültigen Sätze dieses Systems sind:
(1) a est a.
(2) a = non-non a.
(3) a est b dann und nur dann, wenn non-b est non-a.
(4) Wenn a est b und b est c, dann a est c.
(5) a est b und b est a dann und nur dann, wenn a = b.
(6) a =F b dann und nur dann, wenn nicht a = b.
(7) a non est b dann und nur dann, wenn nicht a est b.
(8) Wenn a = b, dann b = a.
(9) Wenn a = b und b = c, dann a = c.
(10) a = aa.
(11) ab= ba.
(12) a est bc dann und nur dann, wenn a est b und a est c.
(13) Wenn a est b, dann ca est cb.
(14) Wennbest a, und c est a, dann bc est a.
( 15) Wenn a est b und c est d, dann ac est bd.
Von der Kombinatorik zur Idee des logischen Kalküls 111

(16) ab est a.
(17) ab est b.
(18) Wenn a richtig ist: a non est non-a.
(19) Wenn a richtig ist: wenn a est non-b, dann a non est b.
Obwohl Leibniz zwischen propositiones per se verae, also Axiomen, und
verae propositiones, den aus diesen abgeleiteten Theoremen, unterscheidet,
berücksichtigt die vorstehende Auflistung diese Unterscheidung nicht, da
- so Niebolas Rescher- Leibniz in den verschiedenen Entwürfen zu diesem
Kalkül jeweils die Gruppe der Axiome variiert. 180 Bei Leibniz lassen ·sich
zwei Interpretationen dieses Systems finden, eine intensionale und eine exten-
sionale. In der intensionalen Deutung stehen "Terme" für Begriffsinhalte,
also für Merkmale. Das Ergebnis der Anwendung des non-Operators auf die
Terme ist dann das Merkmal, das betreffende Merkmal nicht zu besitzen. Ver-
kettung repräsentiert die additio oder conjunctio, die Vereinigung von Merk-
malen. Die Verknüpfung zweier "Terme" durch est bedeutet, daß das erstere
Merkmal das letztere in bezug auf seinen Begriffsinhalt umfaßt.
In der extensionalen Deutung stehen "Terme" für Klassen. Das Resultat
der Anwendung des non-Operators ist die Klasse aller Gegenstände, die
nicht zu der betreffenden Klasse gehören. Das Resultat der Verkettung ist
die Klasse aller Gegenstände, die zu den beiden in Frage stehenden Klassen
gehören. Die Verknüpfung zweier "Terme" durch est bedeutet, daß die
erstere Klasse in der letzteren dem Umfang nach enthalten ist.
In bezug auf beide Deutungen zeigt sich das formale System als konsi-
stent. In jeder der beiden Deutungen auch ist es möglich, die klassische Dok-
trin der vier kategorischen Urteilsarten zu behandeln: S a P, Se P, Si P und
So P, indem diese als S est P, S est non-P, S non est non-P und S non est P
aufgefaßt werden.
Sein zweites System entwickelte Leibniz 1685/86. Rescher rekonstruiert
dieses anband der Manuskripte >Generales inquisitiones de analysi no-
tionum et veritatum>, >Principia calculi rationalis< und> Difficultates logicae<
sowie einiger anderer Skizzen. 181 Das zweite System stellt eine Ausweitung
des ersten dar, d. h., es schließt dessen Sätze ein. Doch ist die Notation ver-
ändert. Römische Großbuchstaben symbolisieren die Variablen. Est wird
durch continet ausgedrückt, die Gleichheit vonA und B durch "A oo B" oder
"A oc: B" oder "coincidunt A et B" oder "aequivalent A et B".
Doch es gibt noch eine fundamentalere Neuerung, nämlich die "Term"-
Konstante Ens oder Res. Diese wird eingeführt in Zusammenhang mit der
Richtigkeitsbedingung; Richtigkeit ist definiert als: A ist richtig dann und
nur dann, wennA non est non-Ens.
Folgende gültigen Sätze des Systems können der Liste des ersten Systems
hinzugefügt werden:

(20) WennA richtig ist: A est B dann und nur dann, wenn AB= A.
(21) WennAnonest non-Ens, dannA est Ens.
112 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle

(22) A est non-Ens dann und nur dann, wennA non est Ens.
(23) WennA richtig ist: A est B dann und nur dann, wennA non-B est non-Ens.
(24) WennA est B non-B, dannA est non-Ens.
Die Konsistenz dieses Systems zeigt sich - so Rescher- am deutlichsten
bei einer Interpretation in den Termini der modernen Klassenlogik. 182 Bei
Leibniz findet sich sowohl eine intensionale wie eine extensionale Deutung.
In beiden dieser Deutungen lassen sich die vier Urteilsarten ausdrücken.
Leibniz gibt folgende Schemata an: '(
(1) (2) (3)
a: S non-Pest non-Ens SestP SP=S
e: SP est non-Ens Sestnon-P SP =I= SP Ens
i: SPestEns S non est non-P SP=I= SP Ens
o: S non-Pest Ens SnonestP SP =I= S
Es liegt nahe, hier Ens und non-Ens mit 'etwas' und 'nichts' zu übersetzen.
Doch - darauf verwies Kneale - erlaubt Leibniz auch eine Interpretation
von Ens als etwas in "regione idearum", d. h. als Möglichkeit. 183 Raili
Kauppi hat den Kalkül aus den >Generales inquisitiones ... <, den sie "Kalkül
der Entia" nannte, al~ Kalkül der Modalitäten beschrieben. 184 Ausgangs-
punkt für den Kalkül der Entia sind bei Leibniz die drei Sätze:
I. AB est
II. AB est res
111. AB est Ens.
Poser interpretiert diese drei Sätze so, daß sie einen Weg angeben, wie
Subjekt-Prädikat-Aussagen (propositio tertii adjecti) umgewandelt werden
können in Aussagen, die aus einem Begriff und est bzw. est res zusammenge-
setzt sind (propositio secundi adjecti) . 185 Diese Umwandlung wird durch ein
Verfahren geleistet, das Poser ein Rekursionsschema nennt und das darin
besteht, vonA est B zuAB estoder AB est res überzugehen: An die Stelle der
Behandlung von Aussagen tritt so die Untersuchung zusammengesetzter
Begriffe. 186 Ens steht also für einen möglichen, d. h. widerspruchsfreien Be-
griff und darf nicht, wie es in der älteren Logikliteratur zumeist geschah, mit
existens gedeutet werden. 187
Wir können aus diesen Ausführungen schließen, daß zwar die intensionale
wie extensionale Deutung des "Entia-Kalküls" von Leibniz prinzipiell offen-
gehalten wird, aber aufgrund des engen Zusammenhanges zwischen seiner
intensionalen Ausrichtung in der Logik und der Auffassung von "Möglich-
keit" als widerspruchsfreier Kombinierbarkeit von Begriffen die extensio-
nale Interpretation für Leibniz keine weitere Bedeutung hat.
Leiboizens drittes und letztes System eines logischen Kalküls stammt aus
dem Jahre 1690. Es findet sich in der Schrift >De formae logicae comproba-
tione per linearum ductus< sowie in mehreren kurzen Skizzen, die im siebten
Band der Gerhardt-Ausgabe Leibnizscher Schriften erschienen. 188 Große
Von der Kombinatorik zur Idee des logischen Kalküls 113

lateinische Buchstaben dienen als "Term"-Variablen. N ist eine "Term"-


Konstante, non ein einstelliger "Term"-Operator; +und- sind zweistellige
"Term" -Operatoren; inest ist eine zweistellige Relation zwischen "Termen";
jedoch wirdA inest B bei Leibniz auch geschrieben als ,,A est in B" oder ~,B
enthältA". Zwei weitere zweistellige "Term"-Relationen werden eingeführt,
7\ und sein Negat A, wobei A 7\B auch geschrieben wird als "communicant
A et B" oder "compatibilia suntA et B", während beiAAB noch ein non zu
ergänzen ist.
Die gültigen Sätze des Systems sind:
Gruppe 1: Satz 1-9 des ersten Systems, wobei inest an die Stelle von estzu setzen ist.
Gruppe II:
(25) A=A+A.
(26) A+B=B+A.
(27) (A + B) + C = A + (B + C).
(28) WennA in~st Bund C inest B, dannA + C inest B.
(29) WennA inest B, dann C + A inestC + B.
(30) Wenn A inest B und C inest D, dann A + C inest B + D.
(31) A inest B dann und nur dann, wenn B + A = B.
(32) AAB dann und nur dann, wennA7\B.
(33) AAB dann und nur dann, wenn BAA.
(34) AAB dann und nur dann, wennA inest non-B.
(35) A 7\B dann und nur dann, wenn es ein C gibt, C =I= N, so daß gilt: C inest A und
C inest B.
(36) A- B = C dann und nur dann, wennA = B + C und C AB.
(37) A- BAB.
(38) A -A = N.
(39) A + N=A.
(40) N inest A.

Dieses System weist innerhalb der Entwürfe von Leibniz den höchsten
Grad an for~aler Abstraktheit auf. Leibniz möchte es als eine abstrakte
Theorie des Enthaltenseins verstanden wissen. Für ihn steht die intensionale
Deutung im Vordergrund, er denkt also an die Kombination von Merk-
malen. Doch explizit bemerkt er, daß seine Theoreme auch für die Bildung
von Klassen gelten. Häufig illustriert Leibniz die Theoreme durch Linien,
die andere Linien enthalten. 189 Dabei können die Linien als Klassen von
Punkten bestimmt werden.
Interessant ist, daß bei unterschiedlichen Interpretationen der Variablen-
zeichen der zweistellige Operator + jeweils eine andere Bedeutung erhält.
Setzt man an die Stelle der Buchstaben Merkmale, so versteht Leibniz unter
+ eine Konjunktion; setzt man an ihre Stelle Klassen, so bedeutet + eine
Disjunktion.
Mit diesem System sei unser Überblick über die Leibnizschen Logikkal-
küle abgeschlossen.
Die grundlegende Idee, die in diesen Kalkülen Gestalt annimmt und sich
114 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle

sowohl von den kalkülisierten Operationen der Infinitesimalrechnung wie


von der characteristica universaUs als allgemeiner Kalkülsprache der Wissen-
schaft unterscheidet, ist die Idee des formalen Systems bzw. der Formalität.
In einem formalen System haben die. Zeichen eine intrasymbolische Bedeu-
tung, d. h. der Aufbau des Systems ist nicht abhängig von einer extrasymbo-
lischen Interpretation der Zeichen. Diese Unabhängigkeit ermöglicht die
Variabilität der Deutungen. Und wenn auch bei Leibniz die Grenze zwi-
schen systeminterner Konstruktion und systemexterner Interpretation nicht
immer scharf gezogen ist, so zeigt sein Verweisen auf unterschiedliche Deu-
tungsmöglichkeiten doch, wie sehr er sich des Unterschiedes zwischen Kon-
struktion und Interpretation bewußt war. Dort wo dieser Unterschied sinn-
voll gemacht werden kann, entsteht ein formales System.

2.2.4 Der Gedanke des logischen Kalküls


in der Nachfolge von Leibniz

2.2.4.1 Gibt es eine "Nachfolge" von Leibniz?

Die mathematische.Logik, wie sie sich Mitte des 19. Jahrhunderts mit den
Arbeiten Booles herauszubilden begann, entstand nicht in unmittelbarer
Anknüpfung an Leibniz, dessen Entwürfe zu logischen Kalkülen erst zu Be-
ginn des 20. Jahrhunderts veröffentlicht wurden. Daher ist Blanche durch-
aus zuzustimmen, daß Leibniz nicht als «createur de Ia logistique moderne»
angesehen werden könne. 190 Gleichwohl gibt es eine Wirkungsgeschichte
der Leibnizschen Logik, die jedoch weniger eine Wirkungsgeschichte seiner
logischen Kalküle als vielmehr seiner Idee der Kalkülisierung der Logik ist.
Um mit den Worten von J0rgensen zu sprechen: Leibniz hatte das Eis gebro-
chen.191 Und die vielfältigen Versuche, die in der Folgezeit sich um eine kal-
külisierte Logik bemühen, stehen in der Nachfolge der Leibnizschen Idee,
auch wenn wir annehmen müssen, daß seine Kalküle selbst nahezu unbe-
kannt blieben. Der Kern dieser Idee besteht in der Einsicht, daß (a) logische
Operationen "rechenhaft" durchzuführen sind und daß (b) diese "Rechen-
haftigkeit" an spezifische Voraussetzungen gebunden ist, deren wichtigste
die Einführung von Zeichen mit intrasymbolischer Bedeutung sowie die
Einführung von Regeln sind, die als Formations- und Transformationsregeln
von Ketten dieser Zeichen gelten. Daher ist das Vorbild dieser Art von logi-
schem Rechnen weniger in der Arithmetik als in der Algebra, verstanden als
die logistica speciosa Vietas, zu sehen. Symptomatisch für dieses durch
Leibniz eröffnete neue Logikverständnis sind Überlegungen der Brüder
Bernoulli, die sie in ihrem Werk >Parallelismus ratiocinii logici et algebraici
••• < 1685 entwickeln. 192 Logische und algebraische Operationen werden
hier in strikter Analogie gesehen: Die Verknüpfung von Begriffen gehe nicht
anders vor sich denn die Verknüpfung von Größen. Die Übereinstimmung
Von der Kombinatorik zur Idee des logischen Kalküls 115

werde jeweils als Gleichung, die Nichtübereinstimmung logisch als Nega-


tion, mathematisch als Ungleichung formuliert. Der Schluß beruhe logisch
auf dem dieturn de omni et nullo und mathematisch auf der Proportionsregel
der Dritten(un)gleichheit. So zeige sich, daß die Algebra die wahre Logik
und zur Aufdeckung der Wahrheit geeignet ist. 193
Wir sehen, wie hier das von Leibniz aufgenommene lullistische Programm
fortwirkt, die neue, d. h. berechnend verfahrende Logik als eine Erfindungs-
kunst zu behandeln: als eine "ars inveniendi" sei sie von der "logicae vulgari"
genau zu unterscheiden. 194 Wir wollen uns jetzt drei Autoren zuwenden,
deren logische Überlegungen jenen Strom bilden, der durch das "Eis-Auf-
brechen" Leibnizens ermöglicht wurde. Es sind dies Johann Heinrich Lam-
bert (1728-1777), Gottfried Ploucquet (1716--1790) sowie der französische
Mathematiker Joseph-Diez Gergonne (1771-1859).

2.2.4.2 Johann Heinrich Lambert

Unter allen Autoren des 17. und 18. Jahrhunderts dürfte Lambert am
weitgehendsten das Leibnizprogramm einer mathesis universaUs und einer
algebraisch orientierten Logik, die sich als Instrument der Erfindung zu be-
währen habe, für sich übernommen und auf seine Konsequenzen hin durch-
dacht haben. 195 Am Vorbild der Algebra orientiert sich Lambert in zweierlei
Hinsicht: (1) Ihm gilt die Algebra als ein analytisches Verfahren, welches das
Unbekannte aus dem Bekannten zu erschließen hilft: "Die logische Ana-
lytik ist eine Kunst aus bekannten oder gegebenen Begriffen die unbe-
kannten oder gesuchten vermittelst der Identitäten herauszubringen. " 196
Dazu aber bedarf es (2) der Übernahme des symbolischen Verfahrens der
Algebra, d. h. ihrer Zeichenkunst. "Die erste Fundamentalregel der Zei-
chenkunst", so führt Lambert aus, bestehe darin, daß "man solche Zeichen
durchgehenq annehmen <müsste>, welche 1. eben die Verbindung unter sich
haben, wie die Sache selbst, 2. aus deren Combination und Permutation sich
der verschiedene Zusammenhang der Wahrheiten einsehen lasse" . 197 So ver-
standen wird die Zeichenkunst zu einem principium cognoscendi:
Die Zeichen der Begriffe und Dinge sind ferner im engeren Sinne wissenschaftlich,
wenn sie nicht nur überhaupt die Begriffe oder Dinge vorstellen, sondern auch solche
Verhältnisse anzeigen, daß die Theorie der Sache und die Theorie ihrer Zeichen mit
einander verwechselt werden können ... Die Theorie der Sachen <sei> auf die Theorie
der Zeichen zu reduciren ... 19 8

Die Möglichkeit, die Theorie der Sachen zurückzuführen auf die Theorie
der Zeichen, vermittelt sich über die Begriffslehre. Lambert geht- ähnlich
wie Leibniz- davon aus, daß die Gesamtheit der Begriffe auf elementare,
nicht weiter zerlegbare Begriffe zurückzuführen sei und die Logik von den
möglichen und notwendigen Verbindungen der Begriffe handele. Die Frage
116 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle

nach der Erkenntnisgewißheit könne daher aufgelöst werden in die Frage


nach der Richtigkeit der Zusammensetzung von Begriffen aus einfacheren
Grundbegriffen. Diese "Richtigkeit" ist für Lambert in enger Anlehnung an
die Richtigkeit von Rechenoperationen gewonnen: Er versucht, die kom-
plexen Begriffe, die gewöhnlich den Gegenstand der Logik ausmachen, als
Rechenausdrücke anzuschreiben. Ein abgeleiteter Begriff ist als Zusam-
menfügung der Merkmale seiner Gattung (y) und seiner spezifischen Diffe-
renz (ö) definiert: a = ay + aö. Mittels dieses Rechenausdruckes können
nun durch Angabe von Gattung und Differenz die zusammengesetzten Be-
griffe definiert werden mit Hilfe von Rechnungen. Wenn etwa der Begriff a
sich zusammensetzt aus der Gattung ay und der Differenz aö, dann ergibt
sich als höherer Begriff (ay + aö)n oder auch a(y + ö)n. Da ay + aö oder
a(y + ö) = a gilt, ist auch ay = a - aö. In Analogie zur algebraischen Um-
formungsregel (a + b) 2 = a 2 + 2ab + b2 schreibt Lambert: a(y + ö) 2 =
ay 2 + ayö + aöy + aöö. 199 Sodann verallgemeinert er die Formel für den
Exponenten n und kann so den Ausdruck für beliebig zusammengesetzte
Begriffe angeben.
Lambert versteht also seine Begriffsgleichungen nicht nur als eine deut-
liche Darstellungsweise begrifflicher Verknüpfungen, sondern als Aus-
drücke, mit denen man rechnen, d. h. die man algebraisch umformen kann.
Indem aber die Gattung eines Begriffes die gemeinsamen Merkmale von
Dingen angibt, fallen Begriff und Sache zusammen: denn die Gattung, der
Allgemeinbegriff, ist zugleich die Klasse der mit ihm bezeichneten Indivi-
duen. Damit ist nicht nur einsichtig geworden, wie Lamberts Programm zu
verstehen ist, die Theorie der Sachen auf die Theorie der Zeichen zu redu-
zieren, sondern die klassenlogische Bestimmung des Begriffs eröffnet Lam-
bert die Möglichkeit, die syllogistischen Satzarten in der Form von logischen
Diagrammen figürlich zu symbolisieren. 200 Lambert führt dazu aus:
Jeder allgemeine Begriff erstreckt sich auf alle lndividua, beywelchen er vorkömmt.
Er hat demnach eine gewisse Ausdehnung. Man stelle sich alle diese lndividua in
einer Reihe oder Linie vor, so wird die Länge dieser Linie die Ausdehnung des allge-
meinen Begriffes figürlich vorstellen. 201

Lambert gelangt nun zu folgenden diagrammatischen Schemata der vier


Urteilsarten 202 :
a: ... B - - b ...
A - - a ...
Die Linie des Begriffes A liegt hierbei "ganz unter" derjenigen von B.
Gemäß der von Lambert gegebenen extensionalen Deutung heißt dies, daß
die Klasse A in der Klasse B enthalten ist. Die beiden hierbei möglichen
Fälle A = B und A C B werden bei Lambert durch die Punktierung unter-
schieden: Im ersteren Falle liegt die LinieA ganz unter der vonBundist also
nach Weglassen der Punkte vertauschbar; im anderen Falle sind die Punkte
mit zu betrachten und eine Vertauschung also nicht möglich.
Von der Kombinatorik zur Idee des logischen Kalküls 117

Die übrigen Urteilsarten sind wie folgt schematisiert:


e: A a B b
i: B b
... A ...
o:B b
... A ...

Leibniz hat als erster (postum veröffentlichte) logische Kreis- und Linien-
diagramme benutzt. Die bekannten Euler-Diagramme finden sich bereits in
einer Schrift J. C. Langes aus dem Jahre 1712. 203 Alle diese Diagramme
dienen der Veranschaulichung des logischen ·Schließens, so daß es möglich
wird, die Gültigkeit von Schlußformen auf eine Weise zu überprüfen, die
sich nicht quasimechanischer Prüfverfahren als Hilfsmittel bedient. Im Un-
terschied dazu jedoch sind die Lambertschen Diagramme als ein Kalkül der
Syllogistik intendiert und als solche auch rekonstruierbar, sofern man geeig-
nete Normierungen wählt.

2.2.4.3 Gottfried Ploucquet

Im Anschluß an Lamberts im >Neuen Organon< vorgetragenen Kalküle


ergab sich ein Streit mit dem deutschen Philosophen und Logiker Gottfried
Ploucquet sowie seinem Schüler G.J. Holland (1742-1784). DieAuseinan-
dersetzung kristallisierte sich um zwei Probleme: (1) die Reichweite eines
logischen Kalküls, verstanden als allgemeines Instrument einer scientia ge-
neralis, und (2) die für Logikkalküle zu wählende Symbolsprache.
Auf die erste Frage gibt Ploucquet eine negative Antwort. Unter einem
Kalkül versteht er eine Methode, nach konstanten Regeln das Unbekannte
aus dem Bekannten herzuleiten. Doch einen allgemeinen Kalkül im Sinne
der von Leibniz erstrebten characteristica universaUs, durch welche im
Rahmen der scientia generalis alle wahren Aussagen abzuleiten und zu über-
prüfen seien, hält er nicht für möglich, weil die verschiedenen Wissenschafts-
gegenstände auch verschiedener Methoden bedürften und ein allgemeiner
Kalkül die Kenntnis aller möglichen Sachverhalte voraussetzen würde. 204
Daher können nur spezielle Kalküle in unbegrenzt vielen Gestalten entwik-
kelt werden.
Diese speziellen Kalküle aber- und hier argumentiert Ploucquet, vergli-
chen mit Leibnizens kalkülisierter characteristica universaUs, konsequent
formalistisch- sehen von den BeschaffenbeiteD der Dinge und von der Wahr-
heit der über diese gefällten Urteile ab: Der Logikkalkül operiere nur mit
den Zeichen für die Identität und Verschiedenheit, um mittels ihrer die Ver-
knüpfung der Begriffe zu Urteilen und Schlüssen zu prüfen. 205
In bezug auf die zweite Frage verwirft Ploucquet die geometrische Fas-
sung des Lambertschen syllogistischen Kalküls und bevorzugt eine alge-
braisch orientierte Symbolsprache. Lambert versteht seine symbolische
118 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle

Darstellung der syllogistischen Schlußweisen als geometrische Repräsenta-


tion der Begriffsumfänge, Ploucquet dagegen bevorzugt die arithmetische
Reihung der Zeichen. Lambert drückt dies mit den Worten aus, " ... daß
Herr Prof. Ploucquet calculire, ich aber construire und zeichne" . 206 Und
Ploucquet begründet seinen andersgearteten Symbolismus mit den Worten:
Nachdeme aber wohl sahe, daß zwar auf diese [d. h. die geometrische-S. K.] Art die
Wahrheit der Schlüsse auf einmal dargestellt, aber einige Unbequemlichkeit in Anse-
hung des Versuchens und der Abänderung der Zeichnungen in verschiedenen Fällen
damit verbunden werde: so hielte mich lieber an die Series, welche sichbeyallen
Formen von sich selbsten gaben, und ebenfalls nur ein blosses Anschauen, um von
der Richtigkeit der Schlüsse versichert zu seyn, erforderten. 207
Doch will Ploucquet diesen Gebrauch der "Series" keineswegs ·als Über-
tragung der Arithmetik auf die Logik verstanden wissen: Bei den Urteilen
und Schlüssen der Logik liege eine Verbindung von Begriffenaufgrund qua-
litativer Merkmale vor, die mit den quantitativ verfahrenden Grundrechen-
arten nicht gleichzusetzen sei. 208 Wir sehen, wie der Begriff des Rechnens,
indem er mit Hilfe des Terminus 'calculiren' bei Ploucquet gefaßt wird- so
betitelt er eine 1763 erschienene Schrift mit >Methodus calculandi in lo-
gicis<209 -, seine Bed.eutung erweitert und eben nicht mehr das Zahlen-
rechnen meint, sondern das Umformen von Zeichenreihen nach Regeln.
Ploucquet entwickelt zwei logische Kalküle - auf ihn geht die Verwen-
dung des Terminus 'logischer Kalkül' zurück -, deren Zweck es sein soll,
die Beweise der Syllogismen unmittelbar einsichtig zu machen durch Ver-
wendung schematisierter Zeichenausdrücke. In seinem ausgereifteren
zweiten Kalkül von 1763 vereinfacht er die traditionelle Logik auf die
Regel, daß in der Conclusio die Begriffe denselben Umfang haben wie in
den Prämissen. Von diesem Grundsatz ausgehend, hofft er einen ausrei-
chend starken logischen Kalkül zu schaffen, der es erlaubt, die syllogisti-
sche Logik darzustellen. 210 Dabei quantifiziert er nicht nur das Subjekt,
sondern auch das Prädikat. So wird schon in den die Begriffe repräsentie-
renden symbolischen Zeichen unterscheidbar, ob sie von allen unter ihnen
enthaltenen (Großbuchstaben) oder nur von einigen unter ihnen enthal-
tenen Individuen (Kleinbuchstaben) gelten.

2.2.4.4 Joseph Gergonne

Ein letzter Autor sei erwähnt, der die traditionelle Logik mit formalisti-
schen Mitteln darzustellen versucht. Es ist dies der französische Astronom,
Mathematiker und Logiker J oseph Gergonne, der in seinem 1816/17 erschie-
nenen >Essai dialectique rationelle< versucht, die mechanistische Konse-
quenz aus der logischen Grundidee von Aristoteles zu ziehen, daß schlüs-
siges Argumentieren zurückführbar sei auf das Einhalten von Regeln. 211
"Mechanistisch" in dem Sinne, daß dieses Regeleinhalten als ein strenges
Von der Kombinatorik zur Idee des logischen Kalküls 119

Operieren mit Symbolen ohne Bezug auf deren Bedeutung begriffen wird.
Gergonne schreibt:
Man wiederholt ständig, daß nur über Gegenstände geurteilt werden soll, von wel-
chen man eine ganz klare Idee hat; und dennoch ist oft nichts falscher als das. Denn
man urteilt mit Worten, ganz so, wie man in der Algebra mit Buchstaben kalkuliert
und wie man einen algebraischen Kalkül exakt durchführen kann, ohne auch nur eine
Ahnung zu haben von der Bedeutung der Symbole, mit denen man operiert, so kann
man auch eine Schlußfolgerung verstehen, ohne irgendwie die Bedeutung der Ter-
mini zu kennen, in welchen sie ausgedrückt wird, oder, falls man sie kennt, ohne
irgendwie daran zu denken ... Es ist ohne Zweifel unerläßlich, jene Ideen gut zu
kennen, über welche man direkt irgendein Urteil bilden will; aber dies ist keineswegs
notwendig, um ein Urteil aus mehreren anderen zu erschließen, von denen man im
übrigen weiß, daß sie richtig sind. 212

Die Mechanisierbarkeit der syllogistischen Schlüsse macht Gergonne


durch eine geometrische Repräsentation der Begriffsumfänge deutlich. Nun
ist solche Repräsentation nicht neu: Leibniz und nach ihm ve>r allem Leo-
nard Euler (1707-1783) haben, ausgehend von einer extensionalen Deutung
der syllogistischen Logik, auf geometrische Darstellungen zurückgegriffen.
Doch hatten diese- darauf macht Blanche aufmerksam- den Status geome-
trische~ Visualisierung elementarer Aussagen, so wie sie im Gebrauch der
natürlichen Sprache vorliegen. 213 Gergonne wählt demgegenüber einen
konsequent formalistischen Ausgangspunkt; er übernimmt Eulers Ansatz,
die Extensionzweier Begriffe durch zwei geschlossene Figuren, z. B. Kreise,
darzustellen, geht aber jetzt von den formalen Möglichkeiten aus, in der
zwei Kreise auf dem Papier zueinander in Relation stehen können. Es zeigt
sich, daß es dafür fünf und nur fünf Möglichkeiten gibt. Für jede dieser
Relationen führt Gergonne Buchstaben in Übereinstimmung mit dem gra-
phischen Schema auf Seite 120 ein. 214
H heißt hier «est hors de»; X heißt «s' entre-croise avec»; I heißt «est iden-
tique a»; C heißt «est contenue dans» und => «contiens». So wie die ersten
drei Buchstaben symmetrisch sind, so sind es auch die Relationen, die sie
repräsentieren.
Mit Hilfe dieses Symbolismus können die syllogistischen Schlüsse dar-
gestellt werden. Bei der aristotelischen ersten Figur z. B. mögen der Mittel-
begriff durch m, die Außenbegriffe durch a und b gekennzeichnet werden:
m ... b
a ... m

a ... b.

In der ersten Prämisse können die Terme m und b mit jedem der oben an-
gegebenen Zeichen H, X, I, C und=> verknüpft werden. Das gleiche gilt für
die zweite Prämisse und die Conclusio. So ergeben sich 5 · 5 · 5 = 125 mög-
liche Kombinationen, von denen nur 54 zulässig sind.
120 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle

8 8 aHb

@V aXb

G alb

@ aCb

@ aJb

1955 nahm J. A. Faris diese Idee wieder auf und gelangte zu neuen Ein-
sichten in Gergonnes Syllogismen. 215 In Abbildung 7 zeigt die Anwesenheit
eines Buchstabens

m..... b
A

/H X C
H H
H
T J T J
X H
X
T J T J T ~
.J
E H X I c J
d
c
H c c
T J
HJ :)
J
T cT c H
Abb. 7: Gergonnes Syllogismen (aus: Kneale 1962).

in einem der Felder an, daß eine Schlußfolgerung der Art, die durch den
Buchstaben spezifiziert wird, abgeleitet werden kann von Prämissen gemäß
den an den Seiten sich befindenden Buchstaben. Die mit einem Strich verse-
henen Buchstaben zeigen an, daß wir die Negation derjenigen Relation, die
durch den in Frage stehenden Buchstaben markiert wird, ableiten können.
Leere Felder zeigen an, daß eine Schlußfolgerung nicht möglich ist. Faris'
Die Ausarbeitung logischer Kalküle 121

tabellarische Darstellung macht deutlich, daß es 13 Gergonnische Syllo-


gismen mit positiven Schlußfolgerungen gibt und 19 mit negativen Schlußfol-
gerungen.
Indem Gergonne seine Notation H, X, I, C und J einführt, vollzieht er
einen wichtigen Schritt von einer Logik, die aus den Sätzen der natürlichen
Sprache abstrahiert ist, hin zu seiner symbolisch konstruierenden Logik.
Denn die Quantaren in der natürlichen Sprache, wie etwa 'jeder', 'irgend-
einer', werden zumeist in einem anderen Sinne gebraucht, als es durch den
Gebrauch innerhalb der vier kategorischen Urteilsarten nahegelegt wird.
Dadurch können Mißverständnisse entstehen, so wenn man etwa den Satz
"jeder Mann ist der Sohn irgendeiner Frau" im Rahmen der vier aristote-
lischen Urteilsarten zu schematisieren versuchte. 216 Dies sieht auch Ger-
gonne, der dazu ausführt:
Es gibt keine bekannte Sprache, in welcher eine Aussage genau und ausschließlich
ausdrückt, in welchem unserer fünf Fälle sich die beiden Termini befinden, aus denen
sich die Aussage zusammensetzt. Eine solche Sprache, wenn es sie gäbe, wäre viel
präziser als die unsrige; sie hätte fünf Arten von Aussagen und ihre Dialektik wäre
ganz verschieden von derjenigen unserer Sprache. 217

Indem Gergonne seine syllogistischen Strukturen strikt auf Strukturen


zwischen Begriffsumfängen zurückführt, setzt er sich in die Lage, dieselben
mit einer präzisen, künstlichen Sprache auszudrücken und Abhängigkeiten
zwischen Verknüpfungen der Begriffsumfänge als ein algorithmisches Ope-
rieren in dieser Sprache darzustellen.
Mit dieser (a) konsequent extensionalen Deutung der syllogistischen
Schlußweisen und (b) ihrer symbolsprachlichen Darstellung wird Gergonne
zu einem wichtigen Wegbereiter der mathematischen Logik, die mit der
"logischen Algebra" George Booles einsetzt und der wir uns im folgenden
Abschnitt zuwenden wollen.

2.3 Die Ausarbeitung logischer Kalküle in der "Algebra der Logik"

2.3.1 Die Formalisierung der Algebra als Voraussetzung

Die Autoren, die in der Nachfolge von Leibniz standen, versuchten die
Idee der Kalkülisierung fruchtbar werden zu lassen für die traditionelle Be-
griffs- und Urteilslogik. Die Autoren, denen wir uns jetzt zuwenden wollen,
bauten auf der Grundlage dieser Idee eine völlig neue Gestalt der Logik auf,
die "Algebra der Logik". Diese "Algebra der Logik" ist die erste Phase
dessen, was wir heute "mathematische Logik" nennen, denn sie ist nicht nur
dadurch charakterisierbar, daß sie konsequent mit Zeichen einer künstli-
chen Symbolsprache operiert- wir haben gesehen, daß dies bereits Leibniz
und seine Nachfolger praktizierten -, sondern die Operationen mit Sym-
122 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle

holen werden nach konsequent mathematischen Methoden vollzogen. Was


aber heißt hier "nach mathematischen Methoden"?
Wenn wir von einer "mathematischen Physik" sprechen, so beziehen wir
uns damit auf die Möglichkeit, physikalische Sachverhalte als quantifizier-
bare Sachverhalte zu beschreiben und daher physikalische Prozesse in den
Termini der mathematischen Symbolsprache auszudrücken. Mathematisier-
barkeit ist hier gleichzusetzen mit Quantifizierbarkeit. Der Terminus "ma-
thematische Logik" meint nun ein Umgekehrtes: Mathematische Methoden
auf die Logik anzuwenden heißt vorauszusetzen, daß die Anwendung die-
ser Methoden nicht an die Quantifizierbarkeit des Gegenstandsbereiches
gebunden bleibt. Noch Descartes verstand seine mathesis universaUs in dem
Sinne, daß alle wissenschaftlichen Problemstellungen zurückzuführen seien
auf Probleme, die Verhältnisse von Größen betreffen. Und wenn auch
Leibniz bereits die Gleichsetzung von Quantifizierbarkeit und Mathemati-
sierbarkeit aufzulösen versuchte, indem er als die Spezifik des Mathemati-
schen das "formale Operieren" und nicht das Operieren mit Größen be-
stimmte, so wurde diese Neubestimmung des Mathematischen doch erst
durch Entwicklungen innerhalb der Mathematik in der ersten Hälfte des
19. Jahrhunderts auf präzise Weise möglich. In diesem Zeitraum setzte sich
in England eine abstrakte, formale Auffassung in der Algebra durch. Berei-
tete Vietas Buchstabenalgebra die Auffassung vor, daß die Buchstaben nicht
mehr für Zahlen, sondern Größen überhaupt stehen können, so vollzieht
der MathematikerG. Peacock den Übergang zur abstrakten Algebra, indem
er deren Symbole und Operationen von ihrer Interpretation als Größen
löste. 218 Die Algebra operiere mit Symbolen und stelle Regeln der symboli-
schen Transformation auf, "was immer solche Symbole bedeuten" . 219 D. F.
Gregory, ein Freund George Booles, schrieb eine Studie >On the Real Na-
ture of Symbolical Algebra< (1838) und A. DeMorgan publizierte eine Serie
von vier Aufsätzen über >The Foundations of Algebra< zwischen 1839 und
1844. 220
Die abstrakte Behandlung der Algebra führte zu einer neuen Auffassung
über die "Natur" der algebraischen Operation: Wenn wir etwa das Assozia-
tivgesetz der Addition und Multiplikation aufstellen
(a + b) + c = a + (b + c)bzw. (ab)c = a(bc)
oder das Distributivgesetz
a(b + c) = ab + ac,
so werden sich die Definitionen von 'Addition' und 'Multiplikation' ändern
in Abhängigkeit von der Interpretation, die wir den Variablenzeichen geben.
Diese Mehrdeutigkeit aber heißt nichts anderes, als die Regeln für algebrai-
sche Operationen so aufzufassen, daß sie bestimmte logische Bedingungen
angeben, die erfüllt sein müssen, sofern die Operationen irgendeinen Kal-
küls als algebraische gelten sollen. 221
Die Ausarbeitung logischer Kalküle 123

Diese abstrakte Auffassung des algebraischen Kalküls, die sich in der


Mitte des 19. Jahrhunderts in England Durchbruch verschaffte, bereitete
den Boden vor, aus dem Booles Algebra der Logik erwachsen konnte.
Booles Ausgangspunkt ist die Einsicht, daß die symbolische Algebra als ein
formalistisches System aufzufassen sei, das aufverschiedene Weise gedeutet
werden kann. In seiner 1847 erschienenen >The Mathematical Analysis of
Logic< führt er dazu aus:
Jene, welche mit dem gegenwärtigen Stand der Theorie der Symbolischen Algebra
vertraut sind, sind sich bewußt, daß die Gültigkeit der Verfahren der Analysis nicht
von der Deutung der Symbole abhängt, die dabei gebraucht werden, sondern aus-
schließlich von den Gesetzen ihrer Kombination. Jedes System der Deutung, welches
die Wahrheit der vorausgesetzten Relationen unberührt läßt, ist gleichermaßen zu-
lässig, und es ist so, daß dasselbe Verfahren unter einem Deutungsschema die Lösung
einer Frage über die Eigenschaften der Zahlen darstellen kann, unter einem anderen
jene eines geometrischen Problems, oder unter einem dritten jene eines Problems
I

der Dynamik oder der Optik . . . .


Jedoch wurde die volle Anerkennung der Konsequenzen dieser wichtigen Lehre
durch nebensächliche Umstände in gewissem Maße verzögert. In jeder bekannten
Form der Analysis kam es vor, daß die zu bestimmenden Elemente als durch Ver-
gleich mit einer festen Norm meßbar aufgefaßt wurden. Die vorherrschende Idee war
jene der Größe, oder genauer der numerischen ratio. Das Ausdrücken von Größe,
oder von Operationen, die sich auf Größe beziehen, war der erklärte Gegenstand, für
welchen die Symbole der Analysis erfunden und für welchen ihre Gesetze erforscht
wurden. So haben die Abstraktionen der modernen Analysis, nicht weniger als die
erläuternden (ostensive) Diagramme der antiken Geometrie, die Auffassung ermu-
tigt, daß die Mathematik wesentlich, ebenso wie faktisch, die Wissenschaft der Größe
sei ...
Wir können gerade als den bestimmenden Charakterzug des Kalküls angeben, daß
er eine Methode ist, die auf dem Gebrauch von Symbolen beruht, deren Kombina-
tionsgesetze bekannt und allgemein sind und deren Ergebnisse eine widerspruchs-
freie Deutung zulassen. Daß den bestehenden Formen der Analysis eine quantitative
Deutung gegeoen wird, ist das Ergebnis der Umstände, von welchen diese Formen
bestimmt wurden, und sollte nicht zu einer allgemeinen Bedingung der Analysis ge-
macht werden. Auf der Grundlage dieses allgemeinen Prinzips beabsichtige ich den
Kalkül der Logik aufzubauen und für ihn einen Platz unter den anerkannten Formen
der mathematischen Analysis zu fordern, obwohl er in bezug auf seinen Gegenstand
und auf seine Werkzeuge jetzt noch allein stehen muß. 222

Diese Erörterungen zeigen uns George Boole als den Begründer der
mathematischen Logik. Als ein Kennzeichen der mathematischen Logik
galt uns, daß ihre Verfahren nicht aufformaler Abstraktion, sondern auffor-
maler Konstruktion beruhen: Formale Systeme werden konstruiert und erst
danach gedeutet. Indem aber Boole die Deutungsunabhängigkeit der Gel-
tung des algebraischen Kalküls anerkennt und dieselbe für den Aufbau
seines logischen Kalküls nutzen will, führt er das "konstruktive" Prinzip in
die Logik ein. Ermöglicht wurde diese Neuorientierung durch Booles Revi-
124 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle

sion der traditionellen Auffassung über das Mathematische: dessen "Natur"


sei nicht dadurch bestimmt, von Zahl und Quantität zu handeln. 223

2.3.2 George Boole

Boole hat das Programm, eine neue Logik auf algebraischer Grundlage
aufzubauen, nicht nur entworfen, sondern als erster teilweise auch durchge-
führt in den Schriften: >The Mathematical Analysis of Logic<, erschienen in
Cambridge 1854, und >An Investigation ofthe Laws ofThought<, erschienen
in London 1854.
Alle in Booles Kalkül gebrauchte Verfahren sind der einfachen Algebra
entnommen. Es gibt nur ein abweichendes Grundgesetz: xn = x. Wenn man
allerdings die Algebra auf die Zahlen 0 und 1 einschränkt, so wird auch
dieses Gesetz erfüllt und der algebraische Charakter bleibt gewahrt. Dies
führte dazu, die Bootesche Algebra der Logik auch als binäre Algebra zu
kennzeichnen. 224
Boole hat für sein formales System zwei Deutungen geliefert: als Klassen-
logik und als Aussagep.logik. In der Klassenlogik werden die Symbole 1 und
0 als 'Allklasse' und 'Nullklasse' aufgefaßt; in der Aussagenlogik aber als
'wahr' und 'falsch'.

2.3.2.1 Die Klassenlogik

Boole baut seinen klassenlogischen Kalkül in der folgenden Weise auf225 :


Alle Operationen der Sprache als eines Werkzeuges der Schlußfolge-
rungen können mit Hilfe eines Systems von Zeichen durchgeführt werden,
welches aus folgenden Elementen besteht:
1. Buchstabensymbole wie x, y, usw., die Dinge oder Gegenstände ('sub-
jects') unserer Begriffe ('conceptions') darstellen.
2. Zeichen für Operationen, wie +, -, ·, deren Funktion es ist, aus gege-
benen Begriffen neue Begriffe zu bilden.
3. Das Zeichen der Identität ist =.
Diese Zeichen unterstehen in ihrem Gebrauch Regeln, die bis zu einem
gewissen Punkt mit den Regeln der Algebra übereinstimmen.
Das Symbol1 hat die Bedeutung "universe" und repräsentiert die Klasse
aller möglichen Gegenstände, unabhängig davon, ob diese wirklich exi-
stieren. Das Symbol 0 repräsentiert "nonbeing", die Nullklasse.
x = x heißt "x ist identisch mit x". Das Produkt xy bedeutet, daß wir eine
Auswahl getroffen haben, die sich zusammensetzt aus Individuen der Klasse
X und aus Individuen der Klasse Y. Daher kann man die Symbole x, y, z auch
als "Auswahlsymbole" bezeichnen ('elective symbols') und ein Ausdruck,
in welchem sie vorkommen, als "Auswahlfunktion" ('selection-function').
Die Ausarbeitung logischer Kalküle 125

Eine Gleichung, deren Glieder Auswahlfunktionen sind, sei "Auswahlglei-


chung" genannt.
Die Gesetze dieser Auswahl sind:
1. Das Ergebnis eines Auswahlaktes ist von der Gruppierung oder Klassi-
fizierung des Gegenstandes unabhängig. - Dieses Gesetz kann mathema-
tisch durch die Gleichung
x( U + V) = XU + XV
ausgedrückt werden.
2. Die Reihenfolge, in der zwei Auswahlakte durchgeführt werden, ist
gleichgültig. -Der mathematische Ausdruck dieses Gesetzes ist
xy = yx.
3. Das Ergebnis eines gegebenen Auswahlaktes, der zweimal oder be-
liebig vielmal nacheinander ausgeführt wird, ist dem Ergebnis desselben
Aktes, der einmal durchgeführt wird, gleich. Wir haben also
XX= X
oder
x2 = x,
und vorausgesetzt, dieselbe Operation werde n-mal durchgeführt, erhalten
wtr

was der mathematische Ausdruck des obengenannten Gesetzes ist.


Als Grundlegung des Kalküls sind also die folgenden drei Gesetze ausrei-
chend:
( 1) x( U + V) = XU + XV distributives Gesetz
(2) xy = yx kommutatives Gesetz
(3) xn =X lndexgesetz.
Es zeigt sich, daß die Auswahlsymbole distributiv und kommutativ sind
und damit über Eigenschaften verfügen, die den quantitativen Symbolen
ähnlich sind. Das dritte Gesetz ist nur den Auswahlsymbolen eigentümlich.
Aus einer Interpretation dieses Systems in den Termini der Klassenlogik
kann die Geltung der folgenden Formeln abgeleitet werden 226 :
(1) xy = yx
(2) X+ y = y +X
(3) x(y + z) = xy + xz
(4) x(y - z) = xy - xz
(5) aus x = y folgt xz = yz
( 6) aus x = y folgt x + z = y + z
(7) aus x = y folgt x - z = y - z
(8) x(1 - x) = 0.

Die ersten sieben Formeln ähneln den Regeln der gewöhnlichen numeri-
schen Algebra. Worin sich das System von dieser unterscheidet, ist die achte
126 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle

Formel. Doch betont Boole, daß auch diese numerisch interpretiert werden
kann, indem man die Werte für die Variable x auf 1 oder 0 beschränkt. 227
Viele Kommentatoren haben daraus den Schluß gezogen, daß Boole eine
binäre Algebra entworfen habe. 228 Kneale hat jedoch darauf hingewiesen,
daß diese Interpretation nicht zutrifft; denn behandelt man dieses System als
ein Klassenkalkül, so ist nicht anzunehmen, daß jede der Klassen in ihrem
Umfang der Allklasse oder der Nullklasse entspricht. 229 Man kann Booles
System lediglich in eine zweiwertige Algebra verwandeln durch Hinzufü-
gung der folgenden Formel: q

(9) entweder x = 1 oder x = 0.


Der daraus resultierende Kalkül kann zwar numerisch interpretiert werden,
nicht länger jedoch mehr als ein Klassenkalkül.

2.3.2.2 Die Aussagenlogik

Boole stellt fest, daß es nur zwei Formeln des konditionellen Syllogismus
gibt230:
1. die konstruktive Formel:
WennA Bist, dann ist CD;
nun istA B, also ist CD.
2. die destruktive Formel:
WennA Bist, dann ist CD;
nun ist C nicht D, also ist A nicht B.
Die Gültigkeit des Argumentes hängt nicht von Betrachtungen ab, die
sich auf die Termini A, B, C und D als Darstellungen von Individuen und
Klassen beziehen, sondern nur von der Wahrheit der elementaren Aussagen,
welche in den Termini der hypothetischen Prämissen ausgedrückt sind. Bei
einer Aussage sind nur zwei Fälle möglich, entweder sie ist wahr oder falsch.
Da diese beiden Fälle das Universum der Aussage ausmachen, folgt, daß x
das Selektionssymbol für Wahrheit, x - 1 aber das Selektionssymbol für
Falschheit ist.
Nehmen wir an, wir haben zwei Aussagen X und Y mit den Selektionssym-
bolen x und y. Die Gesamtzahl der denkbaren Verbindungen beider kann in
folgendem Schema zum Ausdruck gebracht werden:
Fälle Auswahlausdrücke
1. X wahr, Ywahr xy
2. X wahr, Yfalsch x(1 - y)
3. X falsch, Ywahr (1 - x)y
4. X falsch, Y falsch (1 - x) (1 - y)

Nehmen wir drei Aussagen: X- es regnet; Y- es hagelt; Z- es friert. Die


möglichen Fälle sind die folgenden:
Die Ausarbeitung logischer Kalküle 127

Fälle Auswahlausdrücke
1. Es regnet, hagelt und friert xyz
2. Es regnet und hagelt, aber friert nicht xy (1 - z)
3. Es regnet und friert, aber hagelt nicht xz (1 - y)
4. Es friert und hagelt, aber regnet nicht yz (1 - x)
5. Es regnet, aber weder hagelt noch friert es x (1 - y) (1 - z)
6. Es hagelt, aber weder regnet noch friert es y (1 - x) (1 - z)
7. Es friert, aber weder hagelt noch regnet es z(1 - x) (1 - y)
8. Weder regnet noch hagelt noch friert es (1 - x) (1 - y) (1 - z)
i =Summe
Das Symbol (1 - x) drückt die Fälle aus, in denen die Aussage X falsch
ist. Wenn aber die Aussage X wahr ist, dann gibt es in ihrem hypothetischen
Universum keine solchen Fälle, also:
1-x=O
X= 1.
Eine Aussage X ist wahr, wenn x = 1, und ist falsch, wenn x = 0.
Diese Prinzipien der Aussagenlogik wendet Boole in der Praxis der Syllo-
gistik an. So wird es möglich, die formalen Beziehungen zwischen Aussagen
innerhalb syllogistischer Schlußfolgerungen in Gestalt logischer Gleichun-
gen auszudrücken. Entscheidend ist hierfür das, was Boole 'development',
Entwicklung, nennt. Nehmen wir an, x ist das Selektionssymbol, welches
eine gewisse Klasse von Individuen aus dem Universum der Dinge selek-
tiert. Betrachten wir nun als ein Beispiel die folgende logische Funktion:
f(x) = ax + b(1 - x).
Bestimmen wir nun die Koeffizienten. Dazu setzen wir sukzessive für x die
Symbole 1 und 0. (Es zeigt den formalistischen Charakter dieser Ersetzungs-
aktion an, daß Boole nicht mehr erklärt, wofür 1 und 0 hier stehen.) Wir er-
halten die Gleichungen:
f(1) = a1 + b(1 - 1) = a
f(O) = aO + b(1 - 0) = b.
Wenn wirnun f(1) für a undf(O) für b einsetzen, erhalten wir:
f(x) = f(1)x + f(O) (1 - x).

Diese Gleichung nun gibt die Entwicklung des Ausdrucks f(x) in bezugauf
xan.
Wir sehen, daß Boole mit dem Begriff 'Entwicklung' die Herstellung einer
kanonischen Normalform bezeichnet.
Hierbei hat sich gezeigt, daß Operationen mit den logischen Gleichungen
nicht mehr in jedem ihrer Schritte sinnvoll in logischen Termini interpretiert
werden können. Um mit den Worten von J0rgensen zu sprechen: Nur die
128 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle

Prämissen und Resultate der Operationen in der Booleschen logischen


Algebra repräsentieren logische Sachverhalte, der Weg aber, der von den
Prämissen zur Conclusio führt, ist jedoch- vom logischen Standpunkt her-
"meaningless nonsense". 231 Die Logik Booles ist eher eine spezielle Algebra
denn eine allgemeine Logik.
Die von Boole gegebene Gestalt einer Algebra der Logik wurde von an-
deren Logikern dieser Epoche systematisch durchgearbeitet und vervoll-
ständigt, so daß sowohl ihr extremer Mathematismus überwunden wie auch
gewisse Lücken geschlossen wurden, die Booles System aufwies (z. B. daß er
die Inklusion der Klassen nicht berücksichtigte). Zu diesen Logikern ge-
hören W. Stanley Jevons (1835-1882), Augustus de Morgan (1806-1871),
Hugh MacColl (1837-1909), der als erster Logiker die Aussagenlogik als
eine selbständige Theorie anerkannte, R. Grassmann (1815-1901), C. S.
Peirce (1839-1914), der mit Wahrheitswerten arbeitet, die Inklusion von
Klassen klärt, materiale und formale Implikation unterscheidet und die Re-
lationenlogik begründet, sowie Ernst Sehröder (1841-1902). Auf Jevons
sowie Sehröder sei genauer eingegangen.

2.3.3 W. Stanley Jevons

In zweierlei Hinsicht findet sich bei dem englischen Logiker, Wissen-


schaftstheoretikerund Nationalökonom W. Stanley Jevons eine bemerkens-
werte Fortbildung von Booles logischem Ansatz. 232
Der erste Punkt bezieht sich auf das Verhältnis von Mathematik und
Logik, welches bei Boole so zu charakterisieren ist, daß eine logische Al-
gebra als eine restringierte Form der numerischen Algebra aufgeiaßt werden
kann. Jevon ist der Auffassung, daß Boole in die Wissenschaft der Logik
Bedingungen importiert habe, die diejenigen von Zahlen sind, und so sein
System, trotzseiner bewundernswerten Resultate, keineswegs als ein logi-
sches System gelten könne. 2 33
Der numerisch-algebraische Charakter des Booteschen Systems zeigt sich
z. B. in seiner Auffassung von der logischen Addition. Boole benutzt diese
im Sinne des ausschließenden 'oder'. Diese Auffassung der additiven Ver-
knüpfung im Sinne des ausschließenden 'oder' aber hat nur Sinn in bezugauf
diskrete Elemente, wie siez. B. in Gestalt der Zahlen gegeben sind. Doch
bei einer zusammengesetzten Aussage, in der die Ausgangsaussagen durch
die logische Verbindung 'oder' verknüpft sind, kann dies eine einschließend-
disjunktive Bedeutung haben, bei welcher keines der Glieder die anderen
ausschließt. Dies entspricht dem umgangssprachlichen Gebrauch von
'oder'. Jevons möchte die logische Addition im Sinne des nichtausschlie-
ßenden 'oder' verstehen, und er sieht darin den wesentlichen Punkt, in wel-
chem sich ein logisches System von einem numerisch-algebraischen zu unter-
scheiden habe. 234
Die Ausarbeitung logischer Kalküle 129

Auf dieser Grundlage gelangt er als erster zur Begründung der logischen
Formeln
a+a=a
a +ab= a,
zwei Formeln also, in denen der logische Kalkül vom arithmetischen ent-
scheidend abweicht. Damit aber hat er einen wichtigen Beitrag zu dem gelei-
stet, was wir- im Anschluß an Bochenski- als Booles "Mathematismus" ge-
kennzeichnet haben, und verwirklicht darin doch nur die Intentionen
Booles, der- wir erinnern uns des zitierten Abschnittes über die "Natur" des
Mathematischen - gerade eine nichtquantifizierende und d. h. auch nicht-
numerische Interpretation mathematischer Operationen anstrebte.
Der zweite Punkt einer entscheidenden Fortbildung von Booles Ge-
danken bei Jevons besteht in einer Idee, mit der er die mechanistischen Im-
plikationen der Logik der Algebra zieht, die Idee nämlich, eine logische
Maschine zu b,auen. 235 Dieser Idee gehen Versuche voraus, einen logischen
Abakus zu konstruieren. Buchstaben, die zur symbolischen .Bezeichnung
von Klassen dienen, werden auf kleine, mit einem Stift versehene Holz-
stückehen gedruckt, die sich ohne Mühe auf dem Abakus befestigen lassen.
So sei ein logisches Problem schneller mit der Hand als mit dem Kopfe zu
lösen.
Die logische Maschine, welche Jevons 1870 der Royal Society in London
vorstellte und die wir heute im Oxford Museum of the History of Science
besichtigen können, ähnelt einem Klavier. Gewisse Tasten sind mit Buch-
staben versehen, die die Urteilsprädikate symbolisieren; andere "spielen"
die Rolle der Kopula im Urteil und wiederum andere die Rolle disjunktiver
Verknüpfungen. Sobald man der Maschine die Prämissen eingibt, liefert sie
den sich ergebenden Schlußsatz als Ableitung aus.
Nachdem im 17. Jahrhundert im Zuge der Kalkülisierung der Arithmetik
die ersten mechanischen Rechenmaschinen entwickelt wurden, finden wir
nun im Gefolge der Kalkülisierung der Logik die erste "mechanische Denk-
maschine". Es zeigt sich darin, daß Kalkülisierbarkeit und Mechanisierbar-
keit zwei Seiten jener Münze sind, die wir Formalisierbarkeit nennen.

2.3.4 Ernst Sehröder

Der deutsche Mathematiker Ernst Sehröder systematisierte die Resultate


Booles und hat dessen Logikkalkül in seinen Schriften >Der Operationskreis
des Logikkalküls< (1877), >Vorlesungen über Algebra der Logik< (1890-
1895) und >Abriß der Algebra der Logik< (1909 u. 1910) systematisch ausge-
baut und erweitert. Lewis sieht in Schröders >Vorlesungen< die höchste Ver-
vollkommnung, die- vom Standpunkt der mathematischen Technik- in der
algebraischen Behandlung der Logik zu erreichen ist. 236
Im Unterschied zu Boole, der seinen Kalkül maßgeblich auf der Identität
130 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle

von Klassen aufbaute, geht Sehröder von der Inklusion von Klassen aus.
Außerdem entdeckt er das Dualitätsprinzip in der Klassenlogik. Dieses
Prinzip besagt, daß aus jeder in der Logik gebildeten allgemeinen Formel
sich wieder eine richtige Formel ergibt, wenn man die Additions- und Sub-
traktionszeichen durchweg mit Multiplikations- und Divisionszeichen ver-
tauscht.
Wenn wir hier Sehröder hervorheben, so geschieht dies weniger wegen
seiner spezifischen Erweiterungen der Boaleseben Algebra als vielmehr des-
halb, weil er den formalistischen Charakter der Kalkulisierung logischer
Operationen mit wünschenswerter Deutlichkeit zum Ausdruck bringt. In
seinem >Üperationskreis< schreibt er237 :
Wenn wir uns der gebräuchlichsten Eintheilung anschliessen wonach die Lehre von
den Begriffen, den Urtheilen und Schlüssen den Vorwurf der (deduktiven) Logik
überhaupt ausmacht, so charakterisiert es insbesondere die mathematische Logik
oder den Logikkalkul, dass darin die Begriffe oder auch Urtheile allgemein durch
Buchstaben dargestellt und die Schlussfolgerungen in Gestalt von Rechnungen be-
werkstelligt werden, die man nach bestimmten einfachen Gesetzen an diesen Buch-
staben ausführt.
Einen ersten Theil des Logikkalkuls bildet demgernäss die Rechnung mit den Be-
griffen ... Der zweite Theil des Logikkalkuls umfasst das Rechnen mit den Urtheilen
... Während in beiden Theilen die Rechnung nach denselben Gesetzen vor sich geht,
ist nur die Interpretation der Formeln in jedem derselben eine andere ...
Gegenstand der logischen Operationen sind Buchstaben, welche - in dem ge-
nannten ersten Theile- als Klassensymbole zu bezeichnen sind. Unter einem Buch-
staben, wie a, verstehen wir nämlich hier stets eine Klasse oder Gattung von Ob-
jekten des Denkens. Der sprachliche Ausdruck einer solchen ist in der Regel ein
Gemeinname und gibt zugleich Veranlassung zur Bildung eines Begriffes, in welchem
wir uns die wesentlichen Merkmale, die allen zu der Gattung zugehörenden Indivi-
duen gemeinsam sind, zusammengefaßt denken. Im Gegensatz zu diesen Merk-
malen, dem sogenannten "Inhalte" des erwähnten Begriffes, stellt dann die Klasse
dessen "Umfang" vor, sodass wir in Gestalt dieser Klassensymbole in der That mit
den hinsichtlich ihres Umfanges dargestellten Begriffen rechnen werden .... Auch in
dem Kalkul der Logik gibt es, wie in der Arithmetik, 4 Species oder Grundrechen-
arten, welche jedoch, wie sich zeigen wird, endgültig auf drei verschiedenartige
Elementaroperationen reducirt werden können. Nichts hindert, jene 4 Grundopera-
tionen mit denselben Namen zu benennen und mittels derselben Rechenzeichen aus-
zudrücken, wie sie in der Arithmetik gebräuchlich sind. Ist doch der Gegenstand der
Operationen beidemal ein ganz anderer- dort sind es Zahlen, hier aber beliebige
Begriffe.
Der Kalkül in der Logistik 131

2.4 Der Kalkül in der Logistik: Gottlob Freges Begriffsschrift

2.4.1 Von der "Algebra der Logik" zur Logistik

Die Logik der Algebra galt .uns als die erste Periode der mathematischen
Logik. Dieses Urteil ist durchaus gerechtfertigt, verstehen wir den Terminus
"mathematische Logik" in dem weiteren Sinne einer mit mathematischen
Methoden arbeitenden Logik. Diese Adaption der mathematischen Me-
thode bestand in der Übernahme kalkülisierender Verfahren, so wie sie
durch die abstrakte Algebra bereitgestellt wurden. Die Logik mit ihren Ver-
knüpfungen und Schlußfolgerungen wird zu einer speziellen Interpretation
der Algebra: in der Algebra der Logik entsteht ein weiterer Zweig am Baum
der Mathematik. Damit aber gerät die Algebra der Logik - darauf machte
Blanche aufmerksam - in einen Zirkel. 238 Sie wird zu einer partikulären
mathematisch~n Theorie, die sich, wie andere auch, in deduktiver Form prä-
sentiert. Gleich diesen setzt sie die Gültigkeit der logischen Gesetze der
Deduktion voraus. Damit aber muß sie das, was sie zu begründen sucht, vor-
aussetzen. Sie bedient sich bereits der logischen Mittel, deren Angemessen-
heit und Kohärenz zu demonstrieren ihr eigentlicher Zweck ist.
Man kann die Entstehung der Logistik -um den von Couturat, Lalande
und Itelson auf dem 2. Kongreß für Philosophie in Genf 1904 eingeführten
Begriff für die neu entstehende Richtung in der mathematischen Logik zu
gebrauchen -, die mit Gottlob Freges (1848-1925) >Begriffsschrift< (1879)
einsetzte, als einen Versuch interpretieren, eben dem Zirkel der Algebra der
Logik zu entkommen. 239 Um ein Bild zu benutzen: Frege wollte nicht- wie
die algebraischen Logiker - ein weiteres Stockwerk bauen am Hause der
Mathematik, sondern die Fundamente dieses Hauses sicherstellen, indem er
zeigte, daß nicht die Logik als ein Zweig der Mathematik, sondern die Ma-
thematik als ein Zweig der Logik zu gelten habe; die Gesetze der Arithmetik
also auf diej((nigen der Logik zurückzuführen seien.
Doch so gegenläufig die Intentionen der algebraischen und logistischen
Richtung auch scheinen mögen, bewahren sie doch einen gemeinsamen
Kern. Dieser Kern ist die Darstellung logischer Verknüpfungen und
Schlüsse in Gestalt kalkülisierter Operationen mit Symbolen. Allerdings
dient die Kalkülisierung einem jeweils andersgearteten Zweck. Pointiert
gesagt: für Boole ist sie ein Mittel der Berechenbarkeit, für Frege aber ein
Mittel lückenloser Beweisbarkeit. Über das Ideal lückenloser Beweisbar-
keit führt Frege aus:
Das Ideal einer streng wissenschaftlichen Methode der Mathematik ... möchte ich so
schildern. Daß Alles bewiesen werde, kann zwar nicht verlangt werden, weil es un-
möglich ist; aber man kann fordern, daß alle Sätze, die man braucht, ohne sie zu be-
weisen, ausdrücklich als solche ausgesprochen werden, damit man deutlich erkenne,
worauf der ganze Bau beruhe. Es muß danach gestrebt werden, die Anzahl dieser Ur-
gesetze möglichst zu verringern, indem man alles beweist, was beweisbar ist. Ferner,
132 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle

und darin gehe ich über Buklid hinaus, verlange ich, daß alle Schluß- und Folgerungs-
weisen, die zur Anwendung kommen, vorher aufgeführt werden. 240
Die Kalkülisierung, die sich in diesen Worten Freges zeigt an der Möglich-
keit, genau zwischen "Sätzen" und "Schluß- und Folgerungsweisen" zu un-
terscheiden, wird also zum Instrument des strengen Aufbaus eines axiomati-
schen Systems. Als Ergebnis dieser Bemühungen entwickelt Frege in der
>Begriffsschrift< den ersten lückenlosen Logikkalkül im modernen Sinne, in
welchem er sich vollständig von der Orientierung an a!gebraischen Struk-
turen gelöst hat und mit dem ihm, ausgehend von präzisen Ausgangsbestim-
mungen und Deduktionsregeln, der axiomatische Aufbau der klassischen
Quantarenlogik gelingt.

2.4.2 Die Begriffsschrift

Mit seiner Begriffsschrift knüpft Frege an zwei Ideen Leiboizens an 241 :


(1) daß das Rechnen Beweisfunktion zu erfüllen habe:
Das Schließen geht nun in meiner Begriffsschrift nach Art einer Rechnung vor sich.
Ich meine dies nicht in .dem engen Sinne, als ob dabei ein Algorithmus herrsche,
gleich oder ähnlich dem des gewöhnlichen Addierensund Multiplizierens, sondern in
dem Sinne, daß überhaupt ein Algorithmus da ist, d. h. ein Ganzes von Regeln, die
den Übergang von einem Satze oder von zweien zu einem neuen beherrschen, so daß
nichts geschieht, was nicht diesen Regeln gemäß wäre. 242
(2) daß dies nur auf der Grundlage einer künstlichen Zeichensprache mög-
lich sei, die ideographisch verfahre, also nicht mehr gesprochene Wörter,
sondern Begriffe verschriftliche, so wie der Untertitel der >Begriffsschrift<,
"Formelsprache des reinen Denkens", es anzeigt.
Eine solche Begriffsschrift muß konstruiert werden und kann damit nicht
mehr als eine- wie auch immer vermittelte- Abstraktion aus den grammati-
sche Strukturen natürlicher Sprachen gewonnen werden. Dieser begriffs-
schriftlich-konstruierende Ansatz führt Frege erst zu Erkenntnissen wie der
Überwindung der traditionellen Subjekt-Prädikat-Struktur des Urteils zu-
gunsten seiner Analyse von Aussagen in Funktionen und Argumente oder
der Einführung von Quantoren und - damit verbunden - der Unterschei-
dung von freien und gebundenen Variablen- Erkenntnisse also, die heute
zum Grundbestand formaler Logik gehören.
Das erste spezielle Zeichen, das Frege einführt, ist das Zeichen für ein Ur-
teil ~ 243 • Es wird zur Linken desjenigen Buchstabenzeichens geschrieben,
das für den Inhalt des Urteils steht. Wird der senkrechte Strich am Beginn
des Urteilszeichens weggelassen, so steht der verbleibende horizontale
Strich lediglich für eine Vorstellung, die nicht in behauptender Absicht geäu-
ßert wird, jedoch ein prinzipiell beurteilbarer Sachverhalt sein muß.
Die meisten Logiker vor Frege vertraten die Ansicht, eine Elementar-
aussage müsse in Subjekt und Prädikat zerlegbar sein. Diese Ansicht weist
Der Kalkül in der Logistik 133

Frege zurück, da die beiden Sätze "bei Plataeae siegten die Griechen über
die Perser" und "bei Plataeae wurden die Perser von den Griechen besiegt"
in bezug auf ihren "begrifflichen Inhalt", auf den es in logischer Hinsicht
allein ankomme, dasselbe ausdrücken. 244 Auch in der mathematischen For-
melsprache, deren Beispiel Frege folgen will, sei die Subjekt-Prädikat-Un-
terscheidung nur gewaltsam zu machen. Insistiere man darauf, so könne das
Zeichen J- als gemeinsames Prädikat für alle Urteile gelten. 245 Ebenso will
Frege nicht der traditionellen Unterscheidung von kategorischen, hypotheti-
schen und disjunktiven Urteilen folgen, die eine bloß grammatische Bedeu-
tung haben. 246
Frege unterscheidet also klar zwischen der grammatischen Struktur einer
Aussage als Satz der gesprochenen Sprache und der logischen Struktur eines
Urteils als Satz seiner Begriffsschrift.
Nach dieser Revision der traditionellen Urteilstheorie geht Frege über zur
Analyse der Iq1plikation, die er "Bedingtheit" nennt, und der Negation. 247
SindA und B Urteile, so gibt es vier Möglichkeiten:
1. A wird bejaht und B wird bejaht;
2. A wird bejaht und B wird verneint;
3. A wird verneint und B wird bejaht;
4. A wird verneint und B wird verneint.
Ein weiterer Begriff bei Frege ist der der 'Function'. 248 Bereits in dem Vor-
wort schrieb Frege, er glaube, daß die "Ersetzung der Begriffe Subject und
Praedicat durch Argument und Function sich auf die Dauer bewähren
wird" . 249 Den Begriff 'Function' führt er so ein:
Wenn in einem Ausdruck, dessen Inhalt nicht beurtheilbar zu sein braucht, ein ein-
faches oder zusammengesetztes Zeichen an einer oder mehreren Stellen vorkommt,
und wir denken es an allen oder einigen dieser Stellen durch Anderes, überall aber
durch Dasselbe ersetzbar, so nennen wir den hierbei unveränderlich erscheinenden
Theil des Ausdruckes Function, den ersetzbaren ihr Argument. 250

Wenn wir etwa in der Umgangssprache den Satz bilden "Der Umstand,
daß Kohlesäuregas schwerer als Wasserstoffgas ist" und in diesem Satz das
Wort "Wasserstoffgas" z. B. durch "Sauerstoffgas" ersetzen, so sind "Wasser-
stoffgas" und "Sauerstoffgas" Argumente der Funktion "leichter als Kohle-
säuregas". Wenn wir aber "Kohlesäuregas" durch "Salzsäuregas" oder
"Ammoniakgas" ersetzt denken, so ist "Kohlesäuregas" das Argument der
Funktion "schwerer als Wasserstoffgas".
Frege gewinnt seine Terminologie von Funktion und Argument am Vor-
bild der Mathematik und orientiert an dieser seinen symbolsprachlichen
Ausdruck für diese:
Das Symbol 4> (A) bedeutet eine unbestimmte Funktion des Arguments
A. Das Symbol 'V (A, B) bedeutet eine unbestimmte Funktion der beiden
Argumente A und B.
134 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle

Man kann ~ 'P(A, B) lesen als "B steht in der 'II-Beziehung zu A". Der
Vorteil dieses Symbolismus ist es, daß er die Allgemeinheit in einer Weise
auszudrücken erlaubt, die in der Umgangssprache unerreichbar ist, doch ist
dies nur der Fall in Zusammenhang mit dem, was spätere Logiker als "ge-
bundene Variablen" kennzeichnen und die Frege mit deutschen Buchstaben
markiert. In dem Ausdruck eines Urteils kann man die rechts von ~ ste-
hende Verbindung von Zeichen immer als Funktion eines der darin vorkom-
menden Zeichen ansehen.
Setzt man an die Stelle dieses Argumentes einen deutschen Buchstaben, und giebt
man dem Inhaltsstriche eine Höhlung, in der dieser selbe Buchstabe steht, wie in
I 6 <I> (a)
so bedeutet dies das U rtheil, dass jene Function eine Thatsache sei, was man auch als
ihr Argument ansehen möge. 251
Aus einem solchen Urteil kann eine beliebige Menge weniger allgemeiner
Urteile abgeleitet werden, indem an die Stelle des deutschen Buchstabens
verschiedene andere definite Symbole gesetzt werden und die Höhlung ver-
schwindet. Mit diesem Allquantor, wie ihn Peirce und spätere Logiker be-
zeichneten, war es möglich, quantifizierende Urteile aufzuschreiben.
Keine noch so komplexe Aussage kann nicht in Freges Schrift notiert
werden. Es gelingt ihm also mit Hilfe nur dreier Zeichen, dem Urteilsstrich,\
dem Verneinungsstrich und dem Allquantor, die auf unendlich viele Weise
kombiniert werden können, Urteile beliebiger Komplexität auszudrücken.
Während alle früheren Logiker glaubten, eine vollständige Auflistung aller
möglichen Urteilsformen zu erreichen, gibt Frege mit sparsamsten Mitteln
ein unerschöpfliches Schema an.
Nach dieser Einführung in seine Formelsprache stellt Frege die Axiome
seines Systems auf, die unmittelbar einsichtig und des Beweises nicht mehr
bedürftig sind, und leitet daraus einige logische Theoreme ab. Mit der For-
melsprache hat er sich also die Grundlage geschaffen, die Logik als ein de-
duktives System aufzubauen. Von den folgenden neun, in Abb. 8 auf S.135
dargestellten, Axiomen geht er aus (nicht ohne zu betonen, daß eine andere
Ordnung im Prinzip möglich wäre).
Als Ableitungsregeln gibt Frege die Ersetzungsregel und den modus
ponens an. Kneale zeigte, daß Frege noch zwei weitere Ableitungsregeln
benutzt. 252 Zusammen mit diesen vier Regeln allerdings erweist sich das
Fregesche Axiomensystem als vollständig.
Damit aber hat Frege zum ersten Mal in der Geschichte der Logik einen
Aussagenkalkül im Sinne eines vollständigen Axiomensystems vorgelegt.
Die Entstehung formaler Systeme in der Logik 135
(2) .___.__________ a
(1)~~
a
c d
....__,r-- b b
a
b
d
c

I
(28)~~
(31) a ( 41) . , _ _ 1_ _ _ _ _ , _ _ _ _ . . . - a
'----r-r--- a -------a

(52)~ ~(d)
Lf(c)
(54) r- (c == c) (58)~/(c)

(c == d) ~/(ll)
Abb. 8: Die in Klammer gesetzten Zahlen entsprechen der Originalnotation Freges,
der in seiner Begriffsschrift 68 Formeln durchnumeriert; von diesen haben die 9
zitierten axiomatischen Charakter.

2.5 Zwischenergebnis II:


Über die Entstehung formaler Systeme in der Logik

(1) Die entscheidende Zäsur in der Entwicklungsgeschichte der formalen


Logik markiert die Herausbildung formaler logischer Systeme bzw. logi-
scher Kalküle, welche auf unterschiedliche Weise deutbar sind. Mit dieser
Zäsur entsteht die symbolische Logik.
(2) Auch die vorsymbolische formale Logik benutzte Symbole in Gestalt
von Term- bzw. Aussagevariablen, mit deren Hilfe Schemata der logischen
Form aufgestellt wurden. In diesen Schemata kommt zum Ausdruck, daß
die Geltung einer Aussage nur von der Form ihrer Zusammensetzung mit
den logischen Partikeln abhängt, nicht jedoch von der speziellen Bedeutung
der Aussagebestandteile. Doch sind die Variablen in der traditionellen
Logik stets Leerstellen für Ausdrücke der natürlichen Sprache. Die Sche-
mata sind gewonnen durch Abstraktion aus logisch äquivalenten Aussage-
zusammenhängen innerhalb der wahrheitsfähigen Rede.
(3) Die Variablen der symbolischen Logik erfüllen eine andersgeartete
Funktion:· Sie sind nicht einfach Platzhalter für normalsprachliche Aus-
drücke, sondern fungieren als Grundzeichen von Kalkülen bzw. formaler Sy-
steme. Damit werden die Variablen nicht durch Abstraktion gewonnen, son-
dern sind Resultat eines operativen Verfahrens, welches die Konstruktion
von Kalkülen zur Voraussetzung hat. Die logische Geltung von Aussage-
136 Entwicklungsgeschichte logischer Kalküle

zusammenhängen wird damit zu einer Frage ihrer Herleitbarkeit innerhalb


des formalen Systems.
(4) Leibnizens Projekt einer characteristica universalis ist der erste Ver-
such, die normale Sprache zu umgehen, indem eine Kalkülsprache konzi-
piert wird, die nicht durch Abstraktion aus der Umgangssprache, sondern
durch isomorphe Abbildung des "Gedankenalphabets" gewonnen wird.
Gleichwohl bleibt auch sie bezogen auf vorab gegebene und interpretierte
Strukturen, welche zwar nicht die Strukturen des Universums der Rede,
wohl aber des Universums der Begriffe sind. Erst mit seinen logischen Kal-
külen nach 1679 schafft Leibniz formale Systeme, die verschieden- nämlich
intensional, extensional sowie modal- gedeutet werden können.
Doch erst Freges Revision der traditionellen Analyse von Urteilen in Sub-
jekt und Prädikat durch die allgemeine Analyse einer Aussage in Argument
und Funktion und die dadurch möglich gewordene Symbolisierung der
Allgemeingültigkeit einer Aussage durch Variablen und Quantaren über-
windet die Orientierung der logischen Analyse am umgangssprachlichen
Diskurs irreversibel.
(5) Die Idee des logischen Formalismus findet sich erstmals bei Leibniz.
Bis zum 17. Jahrhun~ert haben sich die folgenden drei Voraussetzungen
-teilweise unabhängig voneinander- herausgebildet, welche den Boden der
Idee des logischen Kalküls bei Leibniz bereiten:
(5.1) Mathematische und logische Verfahren werden analogisiert. Inner-
halb der traditionellen Logik gilt die Logik als eine ars iudicandi, die über
die Richtigkeit vorgelegter Sätze zu entscheiden habe. Seit Raimundus
Lullus kündigt sich eine Funktionsverschiebung an: die logica novahabe als
eine ars inveniendi zu dienen, die neue wahre Sätze aufzufinden helfe. Diese
Funktion einer "Forschungslogik" wächst der formalen Logik zu kraft ihrer
Parallelisierung mit der Algebra: Ebenso wie die Algebra als ein mathemati-
sches Verfahren der Problemlösung zu gelten habe, das unbekannte Werte
herzuleiten gestatte, so habe sich die formale Logik als universales Ver-
fahren wissenschaftlicher Problemlösungen überhaupt zu bewähren. Petrus
Ramus wird zum Vorreiter der Algebraisierung mathematischer Verfahren
ebenso wie der "Umfunktionalisierung" der formalen Logik zur Erfindungs-
kunst, zur in ventio.
(5.2) Der formale Charakter des Rechnens wird entdeckt, nachdem in
Gestalt des indischen Stellenwertsystems ein Ziffernsystem Verbreitung
findet, welches Zahlen nicht nur darzustellen, sondern mit Hilfe der Ziffern
auch algorithmisch zu rechnen erlaubt. Spätestens seit Vietas logistica spe-
ciosa wird deutlich, daß das Rechnen kein Vorgang ist, der auf das Operieren
mit Zahlen zu beschränken ist, sondern als ein Operieren mit Zeichen nach
rein syntaktischen Regeln gelten kann: Rechnen wird zum Operieren in
einer formalen Sprache.
(5.3) Die generative Funktion formaler Sprachen wird entdeckt. Eine
Sprache gilt nicht länger nur als ein Mittel, vorgegebene Sachverhalte darzu-
Die Entstehung formaler Systeme in der Logik 137

stellen und sie der Kommunikation zugänglich zu machen, sondern wird als
ein Mittel zur Erzeugung von Sachverhalten erkannt. Dies ist immer dann
der Fall, wenn Symbole, die als Grundzeichen formaler Systeme dienen, im
Sinne eines "Stehen-für-etwas" gedeutet werden. Das, wofür solche Sym-
bole stehen, ist in gewisserWeise überhaupt nicht anders gegeben denn ver-
mittels der symbolischen Repräsentation. In diesem Zusammenhang sind
nicht nur Leiboizens Entwicklung der Sprache des Infinitesimalkalküls
wesentlich, sondern auch diejenigen Versuche zu einer lingua universaUs,
welche dieselbe nicht als Abbreviatur natürlicher Sprachen, sondern als
"Begriffssprache" analog der Zahlzeichensprache z. B. verstanden wissen
wollten.
(6) Zwar geht auf Leibniz die Idee des formalen logischen Systems zu-
rück, doch erst mit George Boole wird die symbolische Logik systematisch
ausgearbeitet, so daß jetzt von einerneuen-von der traditionellen, vorsym-
bolischen Logik wohl zu unterscheidenden - Periode der symbolischen
Logik gesprochen werden kann. Vorbereitet wird die "Algeb:.;a der Logik"
durch die Entwicklung eines konsequent formalistischen Standpunktes in
der Algebra: Die Konsistenz algebraischer Verfahren blieb nicht länger an-
gewiesen auf deren numerische Interpretation, welche Vieta immer noch
gewahrt wissen wollte, sondern wurde interpretationsfrei konzipiert.
(7) Gottlob Frege versuchte als erster - innerhalb der Logik -, den Ge-
danken des axiomatisch-deduktiven Theorienaufbaues mit der Kalkülisie-
rung zu verbinden. Die Kalkülisierung der Aussagelogik, so wie Frege sie in
der >Begriffsschrift< unternimmt, dient dazu, die Logik als ein axiomatisch-
deduktives System auf "sichere Füsse" zu stellen, ohne dabei die Mathe-
matik voraussetzen zu müssen, wie dies bei Boole und den logischen Alge-
braikern der Fall war.
3. GRENZEN UND PRÄZISIERUNGeN
KALKULATORISCH-ALGORITHMISCHER VERFAHREN
IN DER MATHEMATISCH-LOGISCHEN
GRUNDLAGENDISKUSSION DES 20. JAHRHUNDERTS

3.1 Formalisierbarkeit als Mechanisierbarkeit:


die Idee der universalen Denkmaschine und ihre Destruktion

Dem Leibnizschen Projekt einer characteristica universaUs liegt die An-


nahme zugrunde, daß wissenschaftliche Wissensbildung vollständig kalküli-
sierbar sei: Mit Hilfe der ars iudicandi könnte über jeden vorgelegten wis-
senschaftlichen Satz entschieden werden, ob er wahr oder falsch sei. Mit
Hilfe der ars inveniendi könnten alle möglichen wahren Sätze gefunden
werden. In einem solchen Wissenschaftskalkül wäre jedes Problem bere-
chenbar bzw. entsche~dbar: Für jede Klasse von Problemen existierte ein
Algorithmus, der die Lösbarkeit oder Unlösbarkeit dieser Problemklasse
bewiese.
Man kann dieses Projekt in den Zusammenhangzweier weiterer Ideen,
einer erkenntnistheoretischen und einer methodischen Idee Leiboizens
stellen. Die erkenntnistheoretische ist: Alles Denken vollzieht sich im Me-
dium von Zeichen, bedarf also einer Sprache. Diese dient nicht nur der
Kommunikation der Ergebnisse des Denkens, sondern ist das Medium, in
welchem Denken überhaupt sich vollzieht. Die Schritte des Denkens reali-
sieren sich als schrittweise Bildung und Umbildung von Zeichen. Die metho-
dische Idee ist: Alles Operieren mit Zeichen ist als Operieren innerhalb
einer formalen Sprache ausführbar. Während wir die Zeichen manipulieren,
kann die Bedeutung der Zeichen vergessen werden, denn die Operations-
regeln nehmen ausschließlich Bezug auf die syntaktische Gestalt der Zei-
chen. Syntaktische Zeichenoperationen können aber im Prinzip von einer
Maschine ausgeführt werden. Jede Denkoperation, die vollständig formali-
sierbar ist, kann also an eine Maschine delegiert werden. In dieser Perspek-
tive erweisen sich die Begriffe 'Formalisierbarkeit' und' Mechanisierbarkeif
als deckungsgleich: Ihr Begriffsumfang ist identisch. Von jeder Tätigkeit x,
für die gilt "x ist formalisierbar", gilt auch "x ist mechanisierbar".
Vor dem Hintergrund dieser beiden Ideen zeigt das Programm einer cha-
racteristica universaUs eine Implikation: Wenn alles Denken sich im Medium
von Zeichen vollzieht und alle Zeichenoperationen formalisierbar sind,
dann impliziert die Realisierbarkeit der characteristica universaUs die Kon-
struierbarkeit einer universalen Denkmaschine. 1 Die Idee von der Mechani-
sierbarkeit geistiger Operationen zieht sich wie ein roter Faden durch die
Formalisierbarkeit als Mechanisierbarkeit 139

Geschichte der Kalkülisierungsbestrebungen, angefangen mit Raimundus


Lullus' logischer Maschine. 2 Ihre geschichtlich letzte und zugleich präziseste
Gestalt erhält das Leibnizsche Projekt einer universalen Denkmaschine in
dem von David Hilbert um 1917 ausgearbeiteten Programm einer Neube-
gründung der Mathematik, allerdings in einer "schwächeren" Version. 3 Das
Hilbertprogramm- wir werden darauf detaillierter zurückkommen- impli-
ziert, wäre es realisierbar, die Konstruierbarkeit einer universalen mathema-
tischen Maschine, die alle Sätze der klassischen Mathematik aus einem vor-
gegebenen Axiomensystem abzuleiten sowie nachzuweisen erlaubte, so daß
eine Aussage A und ihr Negat aus diesem Axiomensystem niemals zugleich
deduziert werden können.
Der mathematisch-logischen Grundlagendiskussion des 20. Jahrhunderts
blieb es vorbehalten, die Unmöglichkeit der Konstruktion solch universaler
Denkmaschinen nachzuweisen. Der Mathematiker Kurt Gödel (190~1978)
konnte in sein~r epochemachenden Arbeit >Über formal unentscheidbare
Sätze der Principia Mathematica und verwandter Systeme< 1931 aufzeigen,
daß es innerhalb eines genügend reichhaltigen formalen Systems, wie z. B.
der Arithmetik, wahre Sätze gibt, die innerhalb dieses Systems nicht abzu-
leiten sind. 4 Der Mathematiker und Logiker Alonzo Church (geb. 1903)
stellt 1936 ein Theorem auf, dessen Resultat mit den Worten Stegmüllers so
auszudrücken ist: Es ist unmöglich, eine Maschine zu erbauen, die für eine
beliebige vorgelegte Aussage auf die Frage, ob diese Aussage rein logisch
gültig ist, entweder mit "ja" oder "nein" antwortet. 5
Daß eine solche universale Maschine unmöglich konstruiert werden
kann, darf nicht verstanden werden als "faktisch unmöglich", sondern als
"logisch unmöglich": Die Annahme, eine derartige Maschine könne kon-
struiert werden, führt zu einem logischen Widerspruch. 6 Diese immanenten
Grenzen formalisierter Systeme, die zugleich die Grenzen der Konstru-
ierbarkeit einer universalen Denkmaschine markieren, sind nur bestimm-
bar, wenn die These von der Äquivalenz von "Formalisierbarkeit" und "Me-
chanisierbarkeit" präzisiert wird. Diese Präzisierung macht sich fest am
Begriff des Algorithmus: denn immer, wenn eine Problemlösung formali-
sierbar ist, und immer, wenn sie mechanisierbar ist, existiert ein Algo-
rithmus, dessen Abarbeitung die Problemlösung ergibt. In verschiedenen
Richtungen wurde der Algorithmenbegriff präzisiert. Zwei dieser mathema-
tischen Ausarbeitungen, die zugleich als mathematisch exakte Fassung der
intuitiv einsichtigen These über die Äquivalenz von "formalisierbar" und
"mechanisierbar" gelten können, seien hier genauer dargestellt. Es sind dies
die Theorie der rekursiven Funktionen und die Theorie der Turingmaschine.
Zuerst aber wenden wir uns den Überlegungen von Gödel und Church zu.
140 Grenzen kalkulatorisch-algorithmischer Verfahren

3.2 Unvollständigkeit und Unentscheidbarkeit formaler Systeme:


die Überlegungen von Gödel und Church

3.2.1 Das Hilbertprogramm

Um die Tragweite der Überlegungen Kurt Gödeis ausloten zu können, sei


in einem ersten Schritt jenes Programm vorgestellt, dessen Unmöglichkeit
Kurt Gödeis Sätze aufwiesen.
Die Entdeckung von Antinomien in der Mengenlehre um die Jahrhun-
dertwende7 erschütterte das bis dahin für unerschütterlich gehaltene Funda-
ment der Mathematik. Verschiedene Richtungen und Schulen entstanden,
die durch eine Neubegründung der Fundamente die Grundlagenkrise der
Mathematik zu überwinden hofften. 8 Eine dieser Richtungen wurde in der
Folgezeit mit dem Namen "Formalismus" belegt. 9 David Hilbert stellte zu
Beginn des 20. Jahrhunderts das formalistische Programm einer Neubegrün-
dung der Mathematik auf. 10 Er hoffte, die Mathematik dadurch wieder "auf
sichere Füße" stellen zu können, daß er mathematischen Theorien die Ge-
stalt kalkülisierter Axiomensysteme verlieh. Auf diese Weise sollte es mög-
lich werden, alle waP,ren mathematischen Aussagen durch syntaktische
Operationen innerhalb dieser Kalküle zu erzeugen. Jede mathematische Be-
hauptung wäre in einem solch formalisierten System entweder zu beweise:q
oder zu widerlegen (indem ihr Negat bewiesen würde). Hilbert nahm also
an, es könnten effektive Verfahren gefunden werden, die jedes mathemati-
sche Problem zu lösen oder seine Unlösbarkeit nachzuweisen gestatteten. 11
Hilberts Programm umfaßt zwei Schritte:
1. die gesamte klassische Mathematik in Gestalt formalisierter Axiomen-
systeme, d. h. aber als Kalküle, darzustellen;
2. die Widerspruchsfreiheit dieser Kalküle durch metamathematische
Überlegungen, die sich ausschließlich finiter Methoden zu bedienen hätten,
nachzuweisen.
Jacques Herbrand (1908-1931) hat 1931 die von Hilbert nie explizit cha-
rakterisierte Finitheit durch die folgenden Forderungen genauer be-
stimmt12:

(1) Es wird stets nur eine endliche Anzahl von Gegenständen und Funktionen
betrachtet.
(2) Alle betrachteten Funktionen sind wohldefiniert in dem Sinn, daß sie die eindeu-
tige Berechnung ihres Wertes für jedes Argument gestatten.
(3) Niemals wird die Menge aller Objekte einer unendlichen Gesamtheit betrach-
tet.
(4) Die Existenz eines Objektes wird nur zugleich mit der Angabe der Mittel zu
seiner Konstruktion behauptet.
(5) Mit der Behauptung der Gültigkeit eines Arguments oder Satzes für alle x ist ge-
meint, daß man für jedes einzelne x das fragliche Argument wiederholen kann,
das somit nur einen Prototyp all dieser einzelnen Argumente darstellt.
Unvollständigkeit und Unentscheidbarkeit formaler Systeme 141

Hilbert unterscheidet also- und dies kann als die zentrale Idee seiner Be-
weistheorie angesehen werden - zwischen mathematischen Aussagen, die
innerhalb eines kalkülisierten Axiomensystems formal hergeleitet werden,
"formal" insofern, als hierbei nicht Bezug genommen wird auf die Bedeu-
tung der kalkülisierten Ausdrücke, und metamathematischen Aussagen als
Aussagen über das kalkülisierte Axiomensystem, die Bezug nehmen auf die
logische Bedeutung von Begriffen und Schlußweisen und sich finiter Me-
thoden bedienen. 13 Sehen wir uns die beiden Schritte von Hilberts Pro-
gramm genauer an.

3.2.1.1 FormalisierteAxiomensysteme als Kalküle

Die durch die Entdeckung der Antinomien erschütterten Fundamente der


Mathematik ~ieder zu sichern heißt für Hilbert, die Widerspruchsfreiheit
der klassischen mathematischen Theorien nachzuweisen, indem (1) alle
Sätze der Mathematik aus einem umfassenden Axiomensystem rein logisch
abgeleitet werden sollen und (2) nachzuweisen ist, daß aus einem solchen
Axiomensystem nicht zugleich eine Aussage sowie ihr Negat ableitbar ist.
Dies aber ist nur möglich, sofern das in Frage stehende Axiomensystem
als ein Kalkül aufgebaut wird. Wie ist das zu verstehen?
Die Grundidee des axiomatischen Aufbaus einer deduktiven Wissen-
schaft wurde in Griechenland zwischen dem 6. und 4. Jahrhundert v. Chr.
entwickelt und fand ihre frühe, klassische Realisierung in den >Elementen<
Euklids. Euklids axiomatischer Aufbau der Geometrie besteht darin (neben
den Definitionen und Postulaten), eine beschränkte Anzahl unbewiesener
Ausgangssätze an den Anfang zu stellen und daraus die übrigen 465 Theo-
reme durch logisches Schlußfolgern abzuleiten. Fast zweitausend Jahre galt
Euklids axiomatischer Aufbau der Geometrie als unerschütterliches Muster
und Ideal mathematischerTheoriebildung. Wenn auch die Geometrie bis in
die Neuzeit der einzige Zweig der Mathematik blieb, der über eine im übli-
chen Sinne gesicherte axiomatische Basis verfügte, so bestand doch still-
schweigend die Meinung, daß im Prinzip jede mathematische Theorie sich
axiomatisch fundieren ließe. Die Entdeckung nichteuklidischer Geometrien
-geometrischer Axiomensysteme, in denen das Parallelenaxiom durch ein
ihm unverträgliches anderes ersetzt wurde- sowie die Entdeckung, daß die
Axiome der Geometrie auch arithmetisch interpretiert werden können, wie
z. B. in der analytischen Geometrie, führten zu Änderungen des Sinnes von
'Axiom', ohne noch den Glauben an die prinzipiell mögliche Axiomatisier-
barkeit zu erschüttern.
Der erste Schritt dieses "Sinnwandels" besteht in der Einsicht, daß Axio-
mensysteme abstrakt sind, d. h., daß ein und dasselbe System auf unter-
schiedliche Weise interpretiert werden kann, so daß die Zusammenhänge
ganz verschiedener Objekte die Bedingungen dieses Axiomensystems er-
142 Grenzen kalkulatorisch-algorithmischer Verfahren

füllen können. Diese abstrakte Auffassung von 'Axiom' - die wir von einer
formalisierten Auffassung genau zu unterscheiden haben- entwickelt David
Hilbert 1899 in seinen >Grundlagen der Geometrie< . 14 Im Unterschied zu
Buklid verbindet Hilbert mit seinen Grundbegriffen und Axiomen keine in-
haltliche, räumliche Deutung mehr und verzichtet darauf, die Begriffe
'Punkt', 'Gerade', 'Ebene' zu definieren. "Wir denken", schreibt er, "drei
verschiedene Systeme von Dingen; die Dinge des ersten Systems nennen wir
Punkte und bezeichnen sie mit A, B, C ... ; die Dinge des zweiten Systems
nennen wir Geraden und bezeichnen sie mit a, b, c ... ; die Dinge des dritten
Systems nennen wir Ebenen und bezeichnen sie mit a, ß, y ... Punkte, Ge-
raden und Ebenen können in bestimmten Relationen zueinander stehen.
Diese Relationen werden durch die Worte 'kongruent', 'zwischen', 'liegt
auf', 'stetig' und 'parallel' bezeichnet. Die Axiome geben eine vollständige
Beschreibung dieser Relationen. " 15
Die intuitive Absicherung der Axiome, wie es bei Euklid durch das An-
knüpfen an unsere Alltagserfahrung geschieht, gibt Hilbert auf. Wenn aber
auf alle inhaltliche Deutung der Axiome verzichtet wird, so entsteht das Pro-
blem, ob die Axiome, die als Grundlage der Theorie dienen, miteinander
verträglich sind, so daß aus ihnen nicht einander widersprechende Theo-
reme deduziert werden können. Wie aber ist die Widerspruchsfreiheit ab-
strakter Axiomensysteme nachzuweisen? Zur Lösung dieses Problems
wurde eine allgemeine Methode entwickelt: es gilt für die abstrakten
Axiome ein "Modell" zu finden, so daß jedes Axiom in einen wahren Satz
über das Modell übergeht. Hilbert greift auf die Algebra als Modell der geo-
metrischen Axiome zurück: ein Vorgehen, für das Descartes' Geometrie den
Schlüssel geliefert hatte. So kann z. B. in den Axiomen der ebenen Geo-
metrie der Ausdruck 'Punkt' als Kennzeichnung eines Zahlenpaares, der
Ausdruck 'Gerade' als lineare Beziehung zwischen Zahlen in Form einer
Gleichung ersten Grades mit zwei Unbekannten etc. gefaßt werden. Der
geometrische Satz, daß eine Gerade durch zwei Punkte eindeutig bestimmt
ist, wird in den wahren algebraischen Satz übersetzt, daß zwei verschiedene
Zahlenpaare eine lineare Beziehung eindeutig bestimmen. Die Wider-
spruchsfreiheit der euklidischen Axiome und Postulate wird nachgewiesen,
indem gezeigt wird, daß sie in einem algebraischen Modell erfüllbar sind.
Doch was wird mit dieser Modellmethode zum Nachweis der Widerspruchs-
freiheit wirklich gewonnen? Denn Hilberts Beweisführung garantiert die
Widerspruchsfreiheit der Geometrie- jedoch dann und nur dann, wenn die
Algebra dies ist. 16 Damit wird das Problem nur von einem Bereich in einen
anderen verschoben.
Und noch eine Quelle von Schwierigkeiten birgt die Modellmethode.
Diese Schwierigkeiten treten auf, wenn Axiome durch Modelle mit einer
unendlichen Zahl von Elementen interpretiert werden. Die meisten Axio-
mensysteme der Mathematik lassen sich nicht durch finite Modelle interpre-
tieren. Betrachten wir z. B. das elementare arithmetische Postulat, daß jede
Unvollständigkeit und Unentscheidbarkeit formaler Systeme 143

ganze Zahl einen von jeder vorhergehenden Zahl verschiedenen, unmittel-


baren Nachfolger besitzt. Ein Modell, welches zur Prüfung eines Systems
dient, das dieses Postulat enthält, kann offenkundig nicht finit sein, sondern
muß eine infinite Zahl von Elementen enthalten. Die Wahrheit des Systems
ist nicht durch eine erschöpfende Überprüfung einer endlichen Zahl von
Elementen nachweisbar.
Wiederum war es David Hilbert, der aus dieser Sackgasse herauszuge-
langen suchte, indem er die relativen Widerspruchsfreiheitsbeweise durch
absolute Beweise zu ersetzen versuchte. Mit Hilfe dieser Beweise sollte es
möglich werden, die Widerspruchsfreiheit von Systemen zu zeigen, ohne
daß dieselbe von einem anderen System vorausgesetzt werden muß. Der
Weg dazu bestand für Hilbertin einer vollständigen Formalisierung eines de-
duktiven Systems, in dessen Folge das Axiomensystem die Gestalt eines
Kalküls annimmt.
Die Grund~lemente eines solches Systems will Hilbertals "bedeutungs-
lose" Zeichen verstanden wissen. Eine Anzahl von Regeln gi~t an, wie die
Zeichen kombiniert und umgeformt werden dürfen. Die Axiome nehmen
die Gestalt von Ketten bedeutungsloser Zeichen an. Die Ableitung von
Theoremen aus den Axiomen ist dann nichts weiter als eine Umformung von
Zeichenreihen in andere Zeichenreihen. In einem solchen System, in das
keinerlei "verschwiegene" Voraussetzungen mehr Eingang finden, treten
die logischen Beziehungen zwischen den mathematischen Sätzen in Gestalt
von Formgesetzen verschiedener Zeichenketten mit unverhüllter Klarheit
zutage: sie werden anschaulich. 17
Keine dieser Zeichenketten behauptet etwas- es sind typographische Mu-
ster. Aber über die Anordnung dieser Muster und ihre Strukturen lassen sich
sinnvolle Behauptungen aufstellen. Damit kommen wir zum zweiten Schritt
des Hilbertprogramms.

'
3.2.1.2 Beschreibung des Kalküls als Gegenstand der Metamathematik

Solch sinnvolle Behauptungen über die bedeutungslosen Zeichenketten


sind nicht mehr selbst Elemente des Kalküls, sondern gehören zu dem, was
Hilbert "Metamathematik" nennt. Metamathematische Aussagen handeln
von der Art und Anordnung der in den Kalkülen auftretenden Zeichen-
ketten- den Formeln.
Man kann sich den Unterschied zwischen Formel und metamathemati-
scher Aussage an einem einfachen Beispiel klarmachen. Der Ausdruck
1+3=4 (1)
ist ein mathematischer (arithmetischer) Ausdruck, der völlig aus arithmeti-
schen Zeichen gebildet und also eine Formel ist. Demgegenüber behauptet
der Satz ",1 + 3 = 4' ist eine arithmetische Formel" (2)
144 Grenzen kalkulatorisch-algorithmischer Verfahren

etwas über den vorstehenden Ausdruck. Er ist nicht mit den Mitteln der
arithmetischen Formelsprache gebildet, somit keine arithmetische Tatsache
und gehört der Metamathematik an, die sich einer von der arithmetischen
Formelsprache zu unterscheidenden Sprache bedient. Die im Satz (2) zi-
tierte Formel ist also nicht diese selbst, sondern nur der Name für diese
Formel.
Hilberts Idee eines absoluten Beweises geht aus von der Unterscheidung
zwischen einem formalisierten System und seiner metamathematischen Be-
schreibung. Mit dieser nämlich soll es möglich sein, die Widerspruchsfreiheit
des Kalküls durch metamathematische Überlegungen nachzuweisen. Jeder
mathematische Kalkül- so glaubte Hilbert- könne als eine Art "geometri-
sches" Muster von Formeln betrachtet werden, wobei die Formeln in einer
endlichen Zahl von strukturellen Beziehungen zueinander stehen. 18 Durch
erschöpfende Überprüfung dieser strukturellen Eigenschaften von Aus-
drücken des Systems hoffte er zeigen zu können, daß aus den Axiomen eines
gegebenen Kalküls keine formal widersprüchlichen Formeln abgeleitet
werden können, wobei die Überprüfungsverfahren sich eben jener "finitisti-
schen" Methoden zu bedienen hätten, die wir in der Gestalt von Herbrands
Forderungen präzisierten.
Ein "absoluter" Beweis der Arithmetik zum Beispiel- falls ein solcher ge-
geben werden könnte - würde mit Hilfe metamathematischer finitistischer
Verfahren zeigen, daß zwei einander widersprechende Formeln wie z. B.
0 = 0 und ihr formales Negat 0 =F 0 nicht beide unter Benutzung der Ablei-
tungsregeln aus den Axiomen deduziert werden können.
Verdeutlichen wir uns die Idee der Beweisbarkeit von Formeln durch
metamathematische Verfahren am Beispiel des Schachspiels. Das Schach-
spiel mit seinen 32 Figuren, den 64 quadratischen Spielfeldern und den
Regeln, wie die Figuren "ziehen" dürfen, repräsentiert einen Kalkül. Die
Figuren und Felder entsprechen den Elementarzeichen eines Kalküls, die
zulässigen Stellungen der Figuren auf dem Brett dessen Formeln, die An-
fangsstellung der Figuren bei Spielbeginn entspricht den Axiomen, während
die folgenden Stellungen der Figuren auf dem Brett den aus den Axiomen
ableitbaren Theoremen entsprechen. Die Spielregeln korrespondieren den
Ableitungsregeln des Kalküls.
Obwohl die Anordnungen auf dem Brett, die Figuren und Spielfelder
keine Bedeutung außerhalb des Spiels haben, in dieser Hinsicht also "bedeu-
tungsfrei" sind, können bedeutungsvolle Aussagen über diese Anordnungen
gebildet werden. Diese Sätze sind dann den metamathematischen Aussagen
analog. Ein solcher Satz des "Metaschachs" wäre z. B., daß es für Weiß genau
zwanzig Eröffnungszüge gibt. Solche Theoreme sind innerhalb des Schach-
kalküls beweisbar, insofern ihr Beweis nur eine endliche Zahl von zulässigen
Anordnungen auf dem Schachbrett erfordert. Das Theorem über die
zwanzig möglichen Eröffnungszüge von Weiß könnte also mit finiten Me-
thoden nachgewiesen werden, indem man der Reihe nach jede der endlich
Unvollständigkeit und Unentscheidbarkeit formaler Systeme 145

vielen Anordnungen untersucht, die unter den in Rede stehenden Bedin-


gungen möglich sind. In ähnlicher Weise war es das Ziel der Beweistheorie
Hilberts, die Unmöglichkeit zu beweisen, daß in einem gegebenen mathe-
matischen Kalkül widersprüchliche Formeln ableitbar sind.
Doch in der Garantie der Widerspruchsfreiheit geht das Hilbertprogramm
nicht auf. Die Kalkülisierung von Axiomensystemen sollte zugleich sichern,
daß diejenige von deren Vollständigkeit gegeben sei. 19 Dies bedeutet: von
jedem Theorem des Kalküls soll entscheidbar sein, ob dieses oder sein Negat
mit den zugelassenen Umformungsregeln gewonnen werden kann. Hilbert
ging somit von der Annahme aus, daß die Gültigkeit oder Ungültigkeit jeder
mathematischen Behauptung nachweisbar und also ein Algorithmus zur
Lösung des Entscheidungsproblems zu finden sei, sofern nur das zugrunde-
liegende Axiomensystem genügend weit formalisiert wird.

3.2.2 Die >Principia Mathematica< .


als Versuch vollständiger Formalisierung der Arithmetik

Es ist möglich, für Teilbereiche der Mathematik und Logik das Hilbert-
sche Beweisprogramm durchzuführen. So ist der Aussagenkalkül ein Bei-
spiel eines kalkülisierten Axiomensystems, bei dem die Ziele Hilberts
vollständig erreichbar sind. 20 Auch für reichhaltigere Systeme ist ein Wider-
spruchsfreiheitsbeweis durchzuführen, z. B. für das arithmetische System,
welches die Addition natürlicher Zahlen, nicht aber ihre Multiplikation er-
laubt. 21 Reicht aber Hilberts Methode aus, die Widerspruchsfreiheit eines
formalen Systems zu beweisen, dessen Symbolsprache und Formenreichtum
die gesamte Arithmetik und nicht nur ein Teilgebiet von ihr auszudrücken er-
laubt? Die >Principia Mathematica<, von Russen und Whitehead 1910 publi-
ziert, stellen einen Versuch vollständiger Formalisierung der Arithmetik dar,
indem die Atjthmetik auf die formale Logik reduziert wird: Alle arithmeti-
schen Begriffe werden mit rein logischen Mitteln definiert und alle arith-
metischen Axiome werden aus einer kleinen Zahl grundlegender Aussagen
deduziert, die als logische Wahrheiten gelten dürfen. Wenn aber die Axiome
der Arithmetik Umschreibungen logischer Theoreme sind, wird die Frage
nach der Widerspruchsfreiheit der Arithmetik nur zurückverlagert auf die
Frage nach der Widerspruchsfreiheit der formalen Logik. Was die> Principia<
für den Klärungsprozeß über die Einlösbarkeit des Hilbertprogramms so
wertvoll macht und sie zum Ausgangspunkt von Gödeis Überlegungen
werden läßt, können wir Gödel selbst sagen lassen:
Die Entwicklung der Mathematik in Richtung zu größerer Exaktheit hat bekanntlich
dazu geführt, daß weite Gebiete von ihr formalisiert wurden, in der Art, daß das
Beweisen nach einigen wenigen mechanischen Regeln vollzogen werden kann. Die
umfassendsten derzeit aufgestellten formalen Systeme sind das System der Principia
Mathematica (PM) einerseits, das Zermelo-Fraenkelsche (von J. v. Neumann weiter
146 Grenzen kalkulatorisch-algorithmischer Verfahren

ausgebildete) Axiomensystem der Mengenlehre andererseits. Diese beiden Systeme


sind so weit, daß alle heute in der Mathematik angewendeten Beweismethoden in
ihnen formalisiert, d. h. auf einige wenige Axiome und Schlußregeln zurückgeführt
sind. Es liegt daher die Vermutung nahe, daß diese Axiome und Schlußregeln dazu
ausreichen, alle mathematischen Fragen, die sich in den betreffenden Systemen über-
haupt formal ausdrücken lassen, auch zu entscheiden. 22

3.2.3 Gödeis Beweis der Unvollständigkeit der Arlt:hmetik

3.2.3.1 Kerngedanken Gödeis

Indem Gödel aufweisen konnte, daß das formalisierte System der Arith-
metik, wie es in den >Principia< entwickelt wird, den Intentionen Hilberts
nicht genügt, und indem er zugleich aufzeigen konnte, daß dies keine zu-
fällige Unzulänglichkeit des Russell-Whiteheadschen Systems ist, sondern
jedes genügend reichhaltige formalisierte System Hilberts Programm nicht
realisiert, konnte er die Unmöglichkeit dieses Programms mit allen seinen
Implikationen nachweisen. 23 Vor allem um zwei Gedanken geht es, die
Gödel mit mathematischer Präzision nachweist. 24
1. Daß die >Principia Mathematica< oder jedes andere formale System, in
dem die Arithmetik entwickelt werden kann, wesentlich unvollständig sind.
Dies bedeutet: in einem beliebigen widerspruchsfreien arithmetischen Axio-
mensystem gibt es immer wahre arithmetische Sätze, die aus diesem System
nicht abgeleitet werden können. Es drängt sich die Annahme auf, daß diese
Schwierigkeit dadurch bewältigbar sei, daß man die Axiome so erweitert,
daß die bis dahin nicht ableitbaren Theoreme im erweiterten Axiomen-
system ableitbar werden. Gödel konnte jedoch zeigen, daß sich auch in
diesem Falle das Problem unableitbar wahrer Theoreme neu stellt. Auch
wenn man das arithmetische Axiomensystem um eine unbegrenzte Anzahl
weiterer Axiome vervollständigt, wird es immer wieder wahre Formeln
geben, die innerhalb des gegebenen- wie auch immer reichhaltigen- Kal-
küls nicht ableitbar, d. h. beweisbar sind.
2. Gödel zeigte, daß zu den in einem formalistischen System unentscheid-
baren Sätzen auch die Aussage gehört, das System sei widerspruchsfrei. Ein
Beweis wäre lediglich möglich, wenn Schlußregeln benutzt werden, die von
den Umformungsregeln des Kalküls verschieden sind. Ein Widerspruchsfrei-
heitsbeweis der Arithmetik benötigt "stärkere", d. h. voraussetzungsrei-
chere Methoden als die, die innerhalb des Systems selbst formalisiert sind.
Man kann für einen solchen Beweis Methoden eines voraussetzungsstärke-
ren formalisierten Systems heranziehen. Aber für den Widerspruchsfrei-
heitsbeweis dieses stärkeren Systems müssen wiederum Methoden herange-
zogen werden, die in einem noch voraussetzungsreicheren System formali-
siert sind usw.
Unvollständigkeit und Unentscheidbarkeit formaler Systeme 147

Mit dem mathematischen Beweis dieser beiden Überlegungen war die


Unerfüllbarkeit des Hilbertprogramms nachgewiesen. Denn für Hilberts
Zielstellung war es unerläßlich, daß das intendierte formalisierte System als
Formulierung der gesamten klassischen Mathematik auch alle klassisch an-
erkannten Beweismittel enthalten mußte, deren metamathematische An-
wendung die Widerspruchsfreiheit des axiomatischen Systems zu zeigen
gestattete. Überdies kann von einer Begründung- wie Christian Thiel im
Anschluß an Skolem betont- nur die Rede sein, wenn die im Widerspruchs-
freiheits beweis benutzten Beweismittel schwächer, d. h. voraussetzungs-
ärmer wären als die des axiomatischen Systems selbst. 25

3.2.3.2 Die Richardsche Antinomie

Gödel greift in seinem Beweisgang auf eine Überlegung des Mathemati-


'
kers Richard zurück, die als "Richardsche Antinomie" bekan~t ist und zum
besseren Verständnis des Gödelsehen Beweises hier kurz vorgestellt sei. 26
Wir betrachten die Definitionen von rein arithmetischen Eigenschaften
natürlicher Zahlen in einer bestimmten natürlichen Sprache, z. B. dem
Deutschen. So kann etwa die Eigenschaft, eine Primzahl zu sein, definiert
werden als "nicht teilbar durch irgendeine ganze Zahl außer durch 1 und
durch sich selbst". Jede solcher Definitionen besteht aus einer endlichen An-
zahl von Wörtern, also auch einer endlichen Anzahl von Buchstaben. Es ist
nun möglich, eine Reihenfolge der Definitionen herzustellen der Art, daß
diese gemäß der Anzahl ihrer Buchstaben nacheinander geordnet werden.
An erster Stelle stände die Definition mit der geringsten Buchstabenzahl,
und so fort. Jeder dieser nacheinander aufgereihten Definitionen kann eine
natürliche Zahl zugeordnet werden. Der "kürzesten" Definition wird die
Zahll zugewiesen, der "zweitkürzesten" die Zahl2 usw. Zu jeder Definition
gehört also e~ndeutig eine ganze Zahl. Nun kann es vorkommen, daß eine
bestimmte Zahl gerade diejenige Eigenschaft besitzt, die in der Definition
ausgedrückt wird, der diese Zahl zugeordnet ist. Ebensogut kann es sein,
daß eine Zahl die in der ihr "zugehörigen" Definition ausgedrückte Eigen-
schaft nicht hat, z. B. wenn die Definition der Primzahl die "Platznummer"
9 bekommt. Für die Zahl9 trifft die in der Definition ausgesagte Eigenschaft
nicht zu. In diesem Falle hat die Zahl 9 die Eigenschaft, eine Richardsche
Zahl zu sein. Allgemein kann man definieren: "x ist eine Richardsche Zahl,
wenn x nicht die Eigenschaft hat, welche durch jenen definierenden Aus-
druck bezeichnet wird, der x in der Reihenfolge der Definitionen zuge-
ordnet ist."
Nun ist die Eigenschaft, "eine Richardsche Zahl zu sein", offenbar selbst
eine numerische Eigenschaft von Zahlen, der in der angeführten Reihe der
Definitionen ein bestimmter Platz zukommt. Es folgt, daß diesem Ausdruck
eine ganze Zahl zugeordnet wird. Angenommen, diese Zahl sein. Es erhebt
148 Grenzen kalkulatorisch-algorithmischer Verfahren

sich die Frage: Ist n eine Richardsche Zahl? Im Versuch, die Frage zu beant-
worten, sieht man sich in folgende Antinomie geführt: n ist dann und nur
dann eine Richardsche Zahl, wenn sie nicht die Eigenschaft besitzt, die in
der ihr zugeordneten Definition ausgedrückt wird, d. h. keine Richardsche
Zahl ist. Kurz formuliert: n ist dann und nur dann eine Richardsche Zahl,
wenn n keine Richardsche Zahl ist: Der Satz "n ist eine Richardsche Zahl"
ist zugleich wahr und falsch.
Diese Antinomie ist auflösbar durch eine genaue Unterscheidung von Ob-
jekt- und Metasprache. Der Fehler, der zu dem Paradoxon führt, liegt darin,
daß die Reihenfolge der Definitionen sich nur auf rein arithmetische Eigen-
schaften bezog. Also solche Eigenschaften, die mit Hilfe von Begriffen wie
arithmetische Addition, Multiplikation etc. formulierbar sind. Die Eigen-
schaft, "eine Richardsche Zahl zu sein", ist aber keine Eigenschaft, die mit
arithmetischen Mitteln auszudrücken ist, sondern enthält einen Bezug auf
das Beschreibungssystem, das zur Formulierung der Arithmetik benutzt
wird und gehört somit der Metasprache an, in der z_. B. die Buchstaben ge-
zählt werden, die eine arithmetische Definition enthalten. Die Paradoxie
wird also vermeidbar, wenn sorgfältig unterschieden wird zwischen den
Sätzen im System der Arithmetik (die keinen Bezug auf ein Beschreibungs-
system haben) und Sätzen über die Arithmetik.
Wenn die Konstruktion der Richardschen Antinomie auch fehlerhaft ist,
so regen Richards Überlegungen zu dem Gedanken an, ob es möglich sei,
metamathematische Überlegungen über ein formalisiertes System in diesem
System selbst abzubilden bzw. zu spiegeln. Und es ist diese Idee der Abbil-
dung metamathematischer Sätze über einen Kalkül in diesem Kalkül selbst,
mit der es Gödel gelang, einen Beweisgang zu konstruieren, der unent-
scheidbare Sätze der >Principia< offenlegen konnte. Das Wesentliche einer
Zuordnung- dies entdeckte bereits Leibniz 27 - besteht darin, daß sich durch
die umkehrbar eindeutige Zuordnung zwischen den Elementen zweier Ob-
jektbereiche die Beziehungen innerhalb des einen Objektbereiches in den
Beziehungen innerhalb des anderen Objektbereiches spiegeln. Der Begriff
der Zuordnung bzw. Abbildung ist der Schlüsselbegriff von Gödeis Argu-
mentation.
Gödel überträgt die Einsicht von der strukturerhaltenden Abbildbarkeit
eines Objektbereiches in einen anderen auf die Beziehung von Kalkül und
metamathematischem Beschreibungssystem. Wenn es möglich ist, kompli-
zierte metamathematische Sätze über ein formalisiertes arithmetisches
System in arithmetische Sätze innerhalb des Systems zu übersetzen, dann
wäre eine Vereinfachung für die Durchführung metamathematischer Be-
weise, z. B. der Ableitbarkeit eines Theorems, gewonnen. Gödel zeigt, daß
metamathematische Sätze über eine arithmetische Formel durch eine arith-
metische Formel im Kalkül repräsentiert werden können. Bei dieser "Über-
führung" metamathematischer Sätze in Sätze des Kalküls stößt er auf den
Sachverhalt, daß die arithmetische Formel, die einem metamathematischen
Unvollständigkeit und Unentscheidbarkeit formaler Systeme 149

wahren Satz entspricht, innerhalb des Kalküls nicht herleitbar ist, ebenso-
wenig wie jene arithmetische Formel, die die Verneinung des metamathema-
tisch wahren Satzes ausdrückt. Da aber eine dieser Formeln eine arithmeti-
sche Wahrheit ausdrücken muß, keine von ihnen jedoch im formalisierten
System ableitbar ist, zeigt sich das arithmetische System als unvollständig.
Aufgrund der Zuordnungsmethode ist es Gödel auch möglich, eine arithme-
tische Formel zu konstruieren, die dem metamathematischen Satz "Der
Kalkül ist widerspruchsfrei" entspricht, und er kann zeigen, daß diese
Formel ebenfalls innerhalb des Kalküls nicht herleitbar ist.

3.2.3.3 Gödelisierung: die Arithmetisierung des Kalküls

Gödel entwickelt einen arithmetischen Kalkül, welcher erlaubt, alle arith-


metischen Begriffe und Beziehungen auszudrücken. 28 Dieser Kalkül setzt
sich zusammen aus der Menge der Elementarzeichen, einem System einfa-
cher Formeln als Axiome und den Theoremen, die solche Formeln sind, die
aus den Axiomen mit Hilfe von explizit aufgestellten Umformungsregeln ab-
geleitet werden können. Gödel ordnet nun jedem Elementarzeichen, jeder
Formel und jedem Beweis (eine endliche Folge von Formeln) eine eindeu-
tige Zahl zu. Diese Zahl wird "Gödelzahl" des Zeichens, der Formel oder
des Beweises genannt. Infolgedessen entsteht eine eineindeutige Zuord-
nung zwischen den logisch-mathematischen Ausdrücken des Kalküls und
einer endlichen Folge natürlicher Zahlen. Die Etikettierung durch eine Gö-
delzahl erfolgt nicht nur für die Elementarzeichen, sondern ebenso für
ganze Beweise. Der Durchsichtigkeit halber sei als Beispiel solcher "Gödeli-
sierung" eine Methode von W. V. Quine angegeben, in der die von Gödel
vorgeschlagene Methode vereinfacht wird. 29 Nach Quine läßt sich ein arith-
metischer Kalkül, der für die reine Zahlentheorie ausreicht, mit folgenden
Zeichen durcl;lführen:
Logische Zeichen: ---- (nicht), & (und), ( ) (Klammern)
Arithmetische Zeichen: = (gleich), + (plus),· (mal), x (Variable),' (unmittelbarer
Nachfolger von)
(x) bedeutet: "für alle x ... "
x, x', x", x"' ... bezeichnen beliebig viele Variablen
('), ("), ("') ... sind Zeichen für die Zahlen 1, 2, 3 ...

Alle anderen üblicherweise verwendeten logischen und mathematischen Be-


griffe sind auf die oben genannten durch Definitionen zurückzuführen. Im
ganzen braucht man neun Zeichen und kann diese durch die neun Ziffern
der dekadischen Systeme chiffrieren, etwa in der folgenden Weise:
& ( ) + X
1 2 3 4 5 6 7 8 9
150 Grenzen kalkulatorisch-algorithmischer Verfahren

Es ist nicht schwierig, auf dieser Grundlage jedenAusdruck des Kalküls, der
mit den dem Kalkül zugehörigen Zeichen angeschrieben ist, in einer endli-
chen Folge natürlicher Zahlen zu codieren. Zum Beispiel wird die den Satz
"Für alle x gilt, daß x = x ist" ausdrückende Formel (x) (x = x) chiffriert in
38438584.
Die Einführung von Gödelzahlen gestattet es somit, jedem Ausdruck
innerhalb des Kalküls eine eineindeutige Folge von Gödelzahlen zuzuord-
nen, d. h. aber eine vollständige Arithmetisierung des formalen Kalküls
zu erreichen. Sobald ein Ausdruck des Kalküls gegeben . .ist, kann seine Gö-
delzahl eindeutig berechnet werden. Dieser Aspekt der Berechenbarkeit
wird ergänzt durch den Aspekt der Entscheidbarkeit: Von jeder gegebenen
Zahl kann festgestellt werden, ob sie eine Gödelzahl ist, ob ihr also ein arith-
metisch-logischer Ausdruck des Kalküls entspricht. Falls es sich um eine Gö-
delzahl handelt, ist der arithmetische Ausdruck, der in dieser chiffriert ist,
durch Rückübersetzung in die Ursprungsfolge von Zeichen exakt wiederher-
zustellen.
Die Gödelisierung ist also ein Verfahren, das es ermöglicht, durch eindeu-
tige Zuordnung einer natürlichen Zahl zu einem formalen Ausdruck eines
Systems formale Syst~me innerhalb der Zahlentheorie darzustellen und ab-
zuhandeln. Diese Zuordnung hat zur Folge, daß (a) jeder natürlichen Zahl
ein und nur ein Ausdruck und (b) jedem Ausdruck genau eine Zahl, seine
"Gödelnummer", entspricht.

3.2.3.4 Die Arithmetisierung der Metamathematik

Wie nun können mit Hilfe der Gödelisierung metamathematische Sätze in


arithmetische Ausdrücke umgeformt werden? Zu jedem Ausdruck im
Kalkül gehört eine GödelzahL Also läßt sich ein metamathematischer Satz
über die Ausdrücke des Kalküls auffassen als ein Satz über die entspre-
chenden Gödelzahlen und deren arithmetischen Beziehungen. So wird die
Metamathematik "arithmetisiert". Jeder metamathematische Satz kann
durch eine Formel der Arithmetik eindeutig abgebildet werden. Die logi-
schen Abhängigkeitsbeziehungen zwischen metamathematischen Sätzen
spiegeln sich vollständig in den numerischen Abhängigkeitsbeziehungen
zwischen den entsprechenden arithmetischen Formeln wider. Die Untersu-
chung der Struktureigenschaften des Kalküls als Gegenstand der Meta-
mathematik ist durchführbar als Untersuchung arithmetischer Eigen-
schaften und Relationen von Teilklassen ganzer Zahlen. Zuin Beispiel ist die
metamathematische Aussage "Die Formelfolge mit der Gödelzahl x ist ein
Beweis für die Formel mit der Gödelzahl y" im arithmetischen Kalkül durch
eine bestimmte Formel abgebildet, die eine rein arithmetische Beziehung
zwischen x und y ausdrückt. Schreiben wir diese Formel an als B (x, y). Der
metamathematische Satz "Die Formelfolge mit der Gödelzahl x ist ein Be-
Unvollständigkeit und Unentscheidbarkeit formaler Systeme 151

weis für die Formel mit der Gödelzahl y" ist also dann und nur dann wahr,
wenn die Gödelzahl des Beweises zur Gödelzahl des zu beweisenden Satzes
in der hier durch B bezeichneten arithmetischen Relation steht. Das aber
heißt: Wahrheit oder Falschheit eines Satzes ergibt sich allein aus der Frage,
ob die arithmetische Relation B zwischen den beiden Zahlen erfüllt ist. Um-
gekehrt kann auch gezeigt werden, daß die arithmetische Relation B zwi-
schen einem Zahlenpaar besteht, indem man zeigt, daß der metamathemati-
sche Satz, welcher durch diese Relation zwischen den Zahlen abgebildet
wird, wahr ist. Ähnlich wird der Satz "Die Formelfolge mit der Gödelzahl x
ist kein Beweis für die Formel mit der Gödelzahl y" durch eine bestimmte
Formel im arithmetischen System abgebildet. Diese Formel ist das formale
Gegenteil von B (x, y), nämlich ,_ B (x, y).

3.2.3.5 Einzelschritte des Gödelsehen Beweises


'

Nach diesen in das Konstruktionsprinzip des Gödelsehen Beweisganges


einführenden Bemerkungen sei der Argumentationsgang des Beweises
selbst nachgezeichnet.
(1) Gödel konstruiert eine arithmetische Formel G, welche den meta-
sprachlichen Satz "Die Formel G ist nicht beweisbar" repräsentiert. Diese
Formel sagt offensichtlich ihre eigene Unbeweisbarkeit aus. 30 Hier folgt
Gödeis Gedankenführung dem Aufbau der Richardschen Antinomie. Erin-
nern wir uns, daß der Ausdruck "Richardsche Zahl zu sein" einer be-
stimmten Zahl n zugeordnet und dann der Satz konstruiert wurde, "n ist eine
Richardsche Zahl". Bei Gödel wird der arithmetischen FormelGebenfalls
eine Zahl h zugeordnet, wobei G so konstruiert ist, daß dieser Formel der
Satz "die Formel, der die Zahl h entspricht, ist nicht beweisbar" entspricht.
(2) Im nächsten Schritt zeigt Gödel, daß die Formel G nicht formal be-
weisbar ist. Qödels Verfahren steht auch hier in "Analogie" zur Richard-
schen Antinomie, aber ohne deren fehlerhafte Vermischung zwischen
Sätzen der Arithmetik und Sätzen über die Arithmetik. Gödel zeigt auf,
daß, sofern die Formel G im Kalkül herleitbar wäre, dies dann auch für ihr
Negat ,_ G gelte. Und umgekehrt, wenn die formale Kontradiktion von G
beweisbar wäre, so auch G selbst. Es ergibt sich also: G ist dann und nur
dann beweisbar, wenn,_ G beweisbar ist. Analog jenem Richardschen Para-
doxon, daß n dann und nur dann eine Richardsche Zahl ist, wenn n keine
Richardsche Zahl ist.
Ein Axiomensystem, in welchem eine Formel sowie ihr Negat ableitbar
sind, ist widersprüchig. Dem entspricht, daß, wenn das Axiomensystem
widerspruchsfrei ist, weder G noch ,_ G formal deduziert werden können,
G also eine formal unentscheidbare Formel ist.
(3) In einem dritten Schritt beweist Gödel, daß G, obwohl formal nicht
beweisbar, dennoch eine wahre arithmetische Formel ist. Sie ist wahr in dem
152 Grenzen kalkulatorisch-algorithmischer Verfahren

Sinne, daß sie eine genau bestimmte arithmetische Eigenschaft, die exakt
definiert werden kann, allen ganzen Zahlen zuspricht.
(4) Da G zugleich wahr und formal unentscheidbar ist, sind die Axiome
der Arithmetik unvollständig. Nicht alle arithmetischen Wahrheiten können
aus den Axiomen deduziert werden.
Darüber hinaus zeigt Gödel, daß die Arithmetik im Prinzip unvollständig
ist. Auch wenn man zusätzliche Axiome annähme, die die Herleitung von G
ermöglichen würden, lassen sich wiederum wahre, aber formal unentscheid-
bare Formeln finden. ~
(5) Gödel gelangt in seinem Beweisgang zu dem metamathematischen
Satz: "Wenn die Arithmetik widerspruchsfrei ist, ist sie unvollständig."
Dieser Bedingungssatz kann in der formalisierten Arithmetik durch eine be-
weisbare Formel ausgedrückt werden. Diese Formel kann folgendermaßen
aufgestellt werden. Der Satz "Die Arithmetik ist widerspruchsfrei" zeigt
sich äquivalent dem Satz "Es gibt mindestens eine arithmetische Formel, die
nicht beweisbar ist" - beides sind metamathematische Sätze. Gödel stellt
den letzten metamathematischen Satz durch eine Formel A innerhalb des
arithmetischen Kalküls dar. Diese Formel sagt in Worten ausgedrückt: "Es
gibt mindestens eine Zahl y der Art, daß für jede Zahl x gilt: x steht nicht in
der Relation B (Beweis) zu y." Metamathematisch bedeutet diese Formel:
"Es gibt mindestens eine arithmetische Formel, für die keine Folge von For-
meln einen Beweis bildet." Die Formel A vertritt also den Vordersatz des
oben aufgestellten Bedingungssatzes.
Der Nachsatz dieser Aussage- nämlich "sie ist unvollständig" (die Arith-
metik)- folgt direkt aus "Es gibt einen wahren arithmetischen Satz, der in
der Arithmetik nicht formal beweisbar ist". Dieser metaarithmetische Satz
aber wurde im Kalkül - wie früher entwickelt - durch die Formel G ver-
treten. Dementsprechend wird der metamathematische Bedingungssatz
"wenn die Arithmetik widerspruchsfrei ist, dann ist sie unvollständig" durch
die arithmetische Formel repräsentiert: A J G (bedeutet: "wenn ... dann
... ").Es ist nun zu zeigen, daß die FormelA nicht beweisbar ist. Denn wäre
sie ableitbar, dann könnte, daA J G beweisbar ist, auch die Formel G be-
wiesen werden. Aber G ist formal unentscheidbar, außer der Kalkül wäre
nicht widerspruchsfrei. Zu welcher Einsicht führt dies?
Die Formel A vertritt den metamathematischen Satz "Die Arithmetik ist
widerspruchsfrei". Wenn dieser Satz durch irgendein Verfahren nachge-
wiesen werden könnte, indem er auf Formeln innerhalb des arithmetischen
Kalküls abgebildet wird, die einen Beweis bilden, so wäre die FormelA be-
weisbar. Eben das aber ist unmöglich, sofern die Arithmetik widerspruchs-
frei ist. Daraus kann aber keine andere als folgende weitreichende Konse-
quenz gezogen werden: Wenn die Arithmetik widerspruchsfrei ist, kann
diese Widerspruchsfreiheit nicht durch einen metamathematischen Beweis
gezeigt werden, der auf eine Formel des arithmetischen Kalküls abbildbar
wäre. Das heißt, die Widerspruchsfreiheit der Arithmetik kann nicht mit
Unvollständigkeit und Unentscheidbarkeit formaler Systeme 153

Hilfe von metamathematischen Argumentationen bewiesen werden, welche


im formalen arithmetischen Kalkül darstellbar sind, sich also ausschließlich
der Hilfsmittel der Arithmetik bedienen.
Gödeis Beweis darf nicht mißverstanden werden: Es ist nicht etwa so, daß
ein metamathematischer Beweis für die Widerspruchsfreiheit der Arith-
metik ausgeschlossen sei. Unmöglich ist lediglich ein Beweis, der auf for-
male Operationen innerhalb des arithmetischen Kalküls abgebildet werden
kann. Dies aber wäre ein Beweis, der sich nur der "systemeigenen" Mittel
bediente. Gerhard Gentzen hat 1936 einen Widerspruchsfreiheitsbeweis für
die Arithmetik vorgelegt. 31 Doch ist dieser nicht im arithmetischen Kalkül
selbst ableitbar und bedient sich nichtfinitistischer Methoden durch Rekurs
auf die Theorie der transfiniten Ordnungszahlen. Damit aber erreicht dieser
Beweis die in Hilberts Programm aufgestellte Forderung finitistischer Be-
weismethoden nicht. Gödel hat die Unrealisierbarkeit dieses Programms
-und damit ZlJgleich auch des Leibnizprogramms- gezeigt. 32

3.2.4 Churchs Nachweis der Unentscheidbarkeit des Prädikatenkalküls

Eines der Ziele, die Hilbert mit seinem Programm zu erfüllen hoffte, war
die Lösung des Entscheidungsproblems. Mit Bebmann können wir das Ent-
scheidungsproblem so fassen: "Es soll eine ganz bestimmte allgemeine Vor-
schrift angegeben werden, die über die Richtigkeit oder Falschheit einer be-
liebig vorgelegten, mit rein logischen Mitteln darstellbaren Behauptung,
nach einer endlichen Anzahl von Schritten zu entscheiden gestattet. " 33 Die
Annahme, daß für den gesamten Bereich der kalkülisierten Logik Entschei-
dungsverfahren existieren, ist gleichbedeutend mit der Annahme, daß es
einen Algorithmus gebe, der von jedem beliebigen kalkülisierten Ausdruck
zu entscheiden gestattet, ob dieser Ausdruck allgemeingültig bzw. erfüllbar
oder eine KQntradiktion ist; ob also eine einschlägige Formel im Kalkül be-
weisbar oder widerlegbar ist.
In der Aussagenlogik, deren ersten Kalkül George Boole aufstellte, gibt
es derartige Verfahren, z. B. indem Wahrheitswertmatrixen aufgestellt
werden. Enthält die Spalte der Wahrheitswertmatrix, die zum Gesamtaus-
druck gehört, nur den Wert 'wahr', so ist dieser logischeAusdruck allgemein-
gültig. Tritt in dieser Spalte der Wahrheitswert wenigstens einmal auf, so
nennt man den logischen Ausdruck erfüllbar. Ergibt sich für alle Felder der
Wahrheitswert 'falsch', so liegt eine Kontradiktion vor. Post, Lukasiewicz
und Wittgenstein haben mit dieser Methode das Entscheidungsproblem für
den Aussagenkalkül gelöst. 34
Gödel hat die Unmöglichkeit eines Algorithmus mechanischer Lösung
des Entscheidungsproblems für den arithmetischen Kalkül nachgewiesen.
Was Gödel für den Bereich des zahlentheoretischen Kalküls gelang, wies
Church 1936 für den Bereich des Prädikatenkalküls nach. 35
154 Grenzen kalkulatorisch-algorithmischer Verfahren

Church konnte aufzeigen, daß im Prädikatenkalkül erster Stufe, jenem


Teilgebiet der Logik, das erstmals von Gottlob Frege in Form eines Kalküls
entwickelt wurde, die Menge aller allgemeingültigen und damit auch der er-
füllbaren Ausdrücke nicht entscheidbar ist. Es ist nachweisbar unmöglich,
einen Entscheidungsalgorithmus dafür anzugeben, ob eine beliebige, in der
Sprache der Prädikatenlogik vorgelegte Formel aus dem Axiomensystem
des Prädikatenkalküls ableitbar ist oder nicht. Es gibt also kein mechani-
sches Verfahren, um die Zugehörigkeit einer Formel zur Klasse
...
der gültigen
Formeln der Prädikatenlogik erster Stufe zu bestimmen.
Der Nachweis dieses Theorems gelang Church durch eine Präzisierung
des intuitiven Algorithmenbegriffs mit Hilfe des formalen Begriffs der All-
gemein-Rekursivität. 36 Etwa zur gleichen Zeit gelangte A. Turing mit Hilfe
einer andersgearteten formalen Präzisierung eines Algorithmus durch das
Modell der Turingmaschine zu einem ähnlichen Ergebnis wie Church. 37
Wir werden uns mit diesen Präzisierungen des Algorithmenbegriffes noch
zu befassen haben. Hier genügen die Ergebnisse solch mathematischer "Prä-
zisionsarbeit": Beweise für die Unmöglichkeit der Lösung des allgemeinen
Entscheidungsproblems wurden möglich. 38
In jüngerer Zeit gel~ng es, die Unlösbarkeit bestimmter mathematischer
Probleme nachzuweisen, so z. B. das "Wortproblem" der Gruppentheorie.
Dieses besteht darin, einen Algorithmus zu finden, der es gestattet, bei jeder
Gruppe, welche durch endlich viele erzeugbare Mengen und endlich viele
definierende Relationen zwischen diesen Mengen gegeben ist, für beliebige
aus den erzeugbaren Mengen gebildete Wörter Wb W2 in endlich vielen
Schritten zu entscheiden, ob W1 oder W2 dasselbe Gruppenelement dar-
stellen oder nicht. 39
Es gelang auch die Unlösbarkeit des zehnten Hilbertschen Problems zu
zeigen, bei dem es sich darum handelt, eine Methode zu finden, mit deren
Hilfe man für eine beliebig vorgelegte diophantische Gleichung entscheiden
kann, ob diese lösbar ist oder nicht. 40 Doch es sind nicht diese Unlösbar-
keitsnachweise für spezielle mathematische Probleme, die uns hier zu be-
schäftigen haben, sondern die Grenzen effektiver, d. h. mechanisierbarer
Verfahren für das Operieren in formalisierten Systemen überhaupt.
Sowohl Gödeis Unvollständigkeitssatz wie auch Churchs Unentscheidbar-
keitssatz beziehen sich auf bestimmte mathematische bzw. logische Systeme.
Wäre es nicht möglich, zu Resultaten zu gelangen- analog denen von Gödel
und Church -,bei denen von konkreten Kalkülen im Sinne ihrer jeweiligen
numerischen bzw. logischen "Natur" abgesehen wird? Erst eine derartige
Abstraktion lieferte die Gewähr, daß die von Gödel und Church aufgewie-
sene Unvollständigkeit und Unentscheidbarkeit nicht Eigentümlichkeiten
jener besonderen Systeme sind und vielleicht dadurch vermieden werden
könnten, daß man die Formalisierung des logischen und mathematischen
Schließensauf andere Weise vollzieht, als dies innerhalb jener Kalküle ge-
schah. 41 Dem Mathematiker Stephen Cole Kleene gelang es, die von Gödel
Unvollständigkeit und Unentscheidbarkeit formaler Systeme 155

und Church entwickelten Theoreme auch bei der denkbar weitesten Ab-
straktion von der Gestalt konkreter Kalküle als gültig nachzuweisen. 42
Wir erinnern uns, daß Leibnizens logische Kalküle mit der Absicht entwik-
kelt wurden, wissenschaftliches Denken überhaupt berechenbaren Ver-
fahren zu unterwerfen, so daß selbst philosophische Meinungsstreitigkeiten
durch Ausrechnen beseitigt werden könnten. Hilbert nun hatte das schwä-
chere Programm aufgestellt, daß sich zumindest alle mathematischen Pro-
bleme als berechenbar erweisen sollten. Doch die mathematisch-logische
Grundlagenforschung in diesem Jahrhundert hat gezeigt, daß es mathema-
tisch-logische Probleme gibt, die nicht mit dem Rüstzeug der berechnenden
Mathematik gelöst werden können . .f>ost spricht in diesem Zusammenhang
von einem Naturgesetz über die "limitations of the mathematicing power of
Homo Sapiens". 43 Doch sollte in diesem Zusammenhang eher von den "Be-
grenzungen der Mechanisierungskraft des Homo sapiens" gesprochen
werden. Wie ist das zu verstehen?

3.2.5 Unvollständigkeit und Unentscheidbarkeit


formalisierter Axiomensysteme als Begrenzungen
von Rechenmaschinen?

Die Kalkülisierung bzw. Formalisierung eines deduktiven Systems heißt,


daß alle Operationen innerhalb dieses Systems die Form regelgeleiteter For-
mation und Transformation von Zeichenreihen annehmen. Was immer als
eine solche interne Operation durchführbar ist, das kann auch durch eine
Maschine realisiert werden, denn maschinell simulierbar ist, wofür ein Algo-
rithmus aufgestellt werden kann: Den Regeln des formalisierten Verfahrens
entspräche eine Befehlsfolge, also das Programm einer Maschine, den
"Werten", auf welche die Instruktionen anzuwenden sind, die Daten.
Könnte die gesamte Mathematik konsequent als Kalkül aufgebaut
werden, implizierte dies die Algorithmisierbarkeit aller mathematischen
Probleme. Das Hilbertprogramm verfolgte keine bescheidenere Intention:
Der mit ihm formulierte Anspruch universaler Algorithmisierbarkeit bein-
haltet- wir wiesen darauf schon hin- die logische Möglichkeit, eine univer-
sale mathematische Maschine zu konstruieren.
Doch die Ergebnisse von Gödel, Church und Kleene zeigten, daß:
(1) keine Maschine gebaut werden kann, die alle wahren Sätze eines formali-
sierten Systems mechanisch herzuleiten gestattet. Auf zwei Begriffe kommt es
hier an: "alle" und "mechanisch". Daß ein~ Maschine nicht "alle" wahren
Sätze herstellen kann, heißt nur, keine universale Maschine ist konstru-
ierbar; jedoch können unbegrenzt viele spezielle Maschinen zur Erzeugung
abgeschlossenener Klassen wahrer Sätze eingerichtet werden. Daß nicht
alle wahren Sätze "mechanisch" abgeleitet werden können, heißt nur, mit
nichtmechanischen Mitteln - welche sich zu den mechanischen verhielten
156 Grenzen kalkulatorisch-algorithmischer Verfahren

wie die metamathematischen Überlegungen zu den mathematischen Aus-


drücken -, mit Mitteln also, die nicht Bestandteile des formalisierten Sy-
stems sind, können diese nichtableitbaren wahren Sätze sehr wohl gefunden
werden.
(2) keine Maschine gebaut werden kann, die von jedem in der Sprache eines
formalisierten Systems gegebenen Ausdruck mechanisch entscheiden kann,
ob dieser Ausdruck ein wahrer Satz des Systems ist. Ebenso wie bei (1) sind
für die Geltung dieses Satzes die Wörter "jeder" und "mechanisch" von
ti'
grundlegender Bedeutung.
Maschinen sind Realisierungen formaler Systeme. Eine universale mathe-
matische Maschine zu bauen ist logisch unmöglich: Die Konstruktionsvor-
schriften einer solchen Maschine enthielten Kontradiktionen.
Wir können diese Einsicht auch so ausdrücken:
(a) Das Programm für eine universale mathematische Maschine, die alle
wahren mathematischen Sätze ableiten und von jedem vorgelegten mathe-
matischen Satz entscheiden könnte, ob er wahr oder falsch ist, enthielte eine
kontradiktorische Befehlsfolge und könnte daher nicht abgearbeitet
werden.
Der wesentliche Gewinn aller Formalisierung besteht in der Möglichkeit,
zwischen den Sätzen des formalisierten Systems und den Sätzen über das for-
malisierte System zu unterscheiden.
Ein Satz des Systems kann nicht zugleich ein Satz über das System sein:
Auf Russen geht die Einsicht zurück, daß die logischen Antinomien auf der
Nichtbeachtung dieser Vorschrift beruhen, und Hilbert nutzte diese Einsicht
für eine beweistheoretische Unterscheidung von Mathematik (Arithmetik)
und Metamathematik. In formalisierten Systemen sind selbstbezügliche
Ausdrücke nicht möglich. Wir können dies auch so ausdrücken:
(b) Ein Programm für eine spezielle mathematische Maschine kann nicht
einen Satz erzeugen, der zugleich ein Satz über dieses Programm ist.
Ein formalisiertes System kann nicht "aus sich selbst herausspringen".
Hofstadter hat richtig darauf hingewiesen, daß es zwar möglich sei, daß Pro-
gramme sich selbst modifizieren können, daß solche Modifizierung jedoch
von Anbeginn im Programm vorgesehen sein muß und damit nicht als ein
"Sprung hinaus" gelten könne. 44 Die Unterscheidung zwischen einem
Standpunkt innerhalb des formalen Systems und dem Standpunkt außer-
halb des formalen Systems ist eine vom Standpunkt des formalen Systems
her unaufhebbare Unterscheidung.
Menschliche Intelligenzleistung beruht zu nicht unwesentlichen Teilen auf
der Fähigkeit, diese Unterscheidung aufzuheben. Ein Beispiel dafür ist Gö-
dels Beweis, dessen Pointe die Ausnutzung der Selbstbezüglichkeit für die
Konstruktion des Beweises ist. Indem Gödel ein metaarithmetisches
Theorem im arithmetischen System abbildet, so daß diese arithmetische
Formel ihre eigene Unbeweisbarkeit aussagt, wird durch den Kunstgriff der
Gödelisierung Selbstreferenz hergestellt. Doch Gödelisierung setzt den
Präzisierungen des Algorithmenbegriffes 157

"Sprung aus dem System" voraus. Und so können wi~ eine dritte Version von
(a) und (b) aufstellen:
(c) Ein Programm, welches die Gödelisierung für alle möglichen formalen
Systeme durchführte, kann nicht aufgestellt werden. 45
Spätestens hier wird deutlich, daß die Frage über die Bedeutung des
Unvollständigkeits- und Unentscheidbarkeitssatzes keine Frage nach der
Begrenzung von Rechenmaschinen ist. Rechenmaschinen sind - im Unter-
schied zur "universalen mathematischen oder logischen Maschine"- spe-
zielle Maschinen, die nicht für alle, sondern für eine bestimmte Klasse von
Problemlösungen geschaffen werden. Es gibt keinen logischen Grund, in
bezug auf eine bestimmte Klasse von Problemen auszuschließen, daß es
einen Algorithmus gibt, der die Lösbarkeit bzw. Unlösbarkeit dieser Pro-
blemklasse "auszurechnen" erlaubt. Die Unlösbarkeitsbeweise selbst sind
ein Beispiel dafür, daß die Unlösbarkeit eines mathematischen Problemes
berechenbar ist.
I ••

Die Bedeutung der Uberlegungen von Gödel, Church und ~leene besteht
vielmehr darin, daß sie uns zeigen, daß das Tun des Mathematikers niemals
vollständig auf das Berechnen zurückzuführen ist. 46 Wir werden den Begriff
der Berechenbarkeit noch präziser zu fassen haben. Hier genügt uns jene in-
tuitive Erkenntnis, die wir bereits bei Leibniz finden: Berechnen heißt, ein
Problem durch rein syntaktische Operationen innerhalb eines formalisierten
Zeichensystems lösen zu können. Es ist nicht so, daß es eine absolute
Grenze gäbe, die Wahrheit eines in einer formalisierten Sprache gegebenen
Satzes festzustellen; aber es gibt eine Grenze zwischen dem mechanisier-
baren und dem unmechanisierbaren Teil an dieser Wahrheitsfeststellung.
Diese Grenze ist zwar beweglich, und was Gödel1936 mathematisch entwik-
kelte, können wir heute durch einen Computer ausführen lassen. Jede Aus-
sage, die diese Grenze an einer bestimmten Stelle festschreiben will, kann
nur falsch und also durch die Wirklichkeit einholbar sein. Doch die Grenze
selbst ist un~ufhebbar, es sei denn, wir könnten Maschinen gemäß wider-
sprüchlichen Konstruktionsvorschriften herstellen.

3.3 Präzisierungen des Algorithmenbegriffes:


rekursive Funktionen und Turingmaschine

Will man für ein Problem zeigen, daß es ein effektives Verfahren seiner
Lösbarkeit in endlich vielen Schritten gibt, so genügt, um die Existenz eines
solchen Algorithmus nachzuweisen, daß man ein die Aufgabe lösendes Ver-
fahren praktisch beschreibt. In einem solchen Falle wird ein intuitiver Be-
griff, was ein Algorithmus sei, hinreichen, um sich zu vergewissern, daß es
sich bei der Problemlösung um ein algorithmisches Verfahren handelt. Doch
ändert sich die Sachlage, sobald es nicht die Möglichkeit, sondern die Un-
möglichkeit nachzuweisen gilt, für ein Problem einen Lösungsalgorithmus
158 Grenzen kalkulatorisch-algorithmischer Verfahren

aufzufinden. Eine Behauptung der Art, daß ein wohldefinierter Problem-


kreis durch keinen Algorithmus gelöst werden kann, ist eine Aussage über
alle denkbaren Algorithmen. Will man diese Aussage beweisen, so genügt
der intuitive Begriff des Algorithmus nicht mehr. Vielmehr muß eine exakte
Definition gefunden werden, die alle Algorithmen im intuitiven Sinne um-
faßt. In den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts stellte die Präzisierung
des Algorithmenbegriffes eines der zentralen mathematischen Probleme
dar. Die im letzten Abschnitt dargestellten Überlegungen über Unvollstän-
digkeit und Unentscheidbarkeit formalisierter Systeme 'Sind zugleich Aus-
sagen über die Unmöglichkeit, für bestimmte numerische und logische Pro-
blemklassen einen Algorithmus aufzustellen. Ohne eine mathematische
Präzisierung des Algorithmenbegriffes hätten diese Aussagen nicht be-
wiesen werden können, und so wundert es nicht, daß die Autoren, die auf
die immanenten Grenzen formalisierter Systeme verwiesen, zugleich we-
sentliche Beiträge zu diesen Präzisierungen lieferten.
Nachdem wir die Ergebnisse, zu welchen diese Autoren mit Hilfe eines
mathematischen Algorithmenbegriffes gelangten, bereits vorgestellt haben,
gilt es jetzt die Darstellung des Algorithmenbegriffes nachzuholen. Dabei
wechseln wir die Perspektive, in der wir die mathematisch-logische Grund-
lagenforschung "lesen'': Nicht mehr die Unmöglichkeit, sondern die Mög-
lichkeit von Algorithmen im Sinne der Präzisierung, wann ein Prozeß prinzi-
piell algorithmisierbar ist, wird zum interessierenden Gesichtspunkt.
Mitte der dreißiger Jahre haben mehrere Mathematiker, teilweise unab-
hängig voneinander, formale Definitionen des Begriffes 'Algorithmus' im
Sinne des Begriffes der berechenbaren Funktion vorgeschlagen: Herbrand
und Gödel entwickelten das Konzept der allgemein-rekursiven Funk-
tionen4 7 ; Church und Kleene präzisierten die Berechenbarkeit mit der A-De-
finierbarkeit und Kleene führte den Begriff der partiell-rekursiven Funktion
ein 48 ; Turing entwickelte den Begriff der automatischen Maschine, heute Tu-
ringmaschine genannt. 49 In ihrem formalen Aufbau sehr verschieden, haben
sich diese unterschiedlichen Definitionen mathematisch als äquivalent er-
wiesen. 50 Später folgten noch weitere, ebenfalls mathematisch äquivalente
Präzisierungen, so z. B. von Markov, der eine Theorie der "Markovschen"
Algorithmen entwickelte; 51 Post 52 , der eine Klasse formaler Kalküle zur
Umformung endlicher Zeichenreihen, heute "Postsche Sprachen" genannt,
entwickelte, und schließlich der Begriff der programmierbaren Funktion. 5 3
Es ist möglich, die Vielzahl der Definitionen auf zwei grundlegende An-
sätze zurückzubeziehen. Der erste Definitionsansatz baut auf dem Begriff
der rekursiven Funktionen auf, der zweite auf der Klasse von Prozessen, die
man auf geeignet gebauten Maschinen vollziehen kann. Insofern seien die
Theorie der rekursiven Funktionen und die Theorie der Turingmaschine als
die geschichtlich ersten und zugleich grundlegenden Präzisierungen des Al-
gorithmenbegriffes näher dargestellt. Doch in einem ersten Schritt ist jener
Sachverhalt vorzustellen, dessen Begriff diese Studie wie ein roter Faden
Präzisierungen des Algorithmenbegriffes 159

durchzieht und den es nun zu präzisieren gilt, nämlich den intuitiven Begriff
des Algorithmus.

3.3.1 Intuitiver Algorithmenbegriff

3.3.1.1 Was ist ein Algorithmus?

Mit Hilfe von Algorithmen lösen wir Probleme. Doch nicht jedes Problem
wird algorithmisch gelöst. Von einer algorithmisierbaren Lösung sprechen
wir, wenn wir ein eindeutiges (Rechen-)Verfahren angeben können, wie die
Lösung des Problems erreicht werden kann. Wie nun sind die Merkmale
eines eindeutigen Problemlösungsverfahrens genauer zu bestimmen? 54
(1) Elementarität
Ein Algorithmus bezieht sich auf die Organisation einer Reihenfolge von
Operationen,' d. h., eine Tätigkeit wird in elementare Operationsschritte zer-
legt und die Abfolge der Schritte wird eindeutig festgelegt. Dies zeigte sich
schon bei den ersten uns begegnenden Rechenalgorithmen: dem Multiplika-
tionsverfahren im antiken Ägypten. Der komplexe Vorgang der Multipli-
kation zweier Zahlen wird zurückgeführt auf das fortgesetzte Verdoppeln
des einen Faktors und auf das Addieren. Die Zerlegung eines komplexeren
Prozesses in Grundoperationen, die selbst nicht weiter zerlegbar sind, ist
somit ein wesentliches Merkmal des Algorithmisierens, das 'Elementarität'
genannt sei.
(2) Determiniertheit
Des weiteren wird die Reihenfolge dieser Grundoperationen streng fest-
gelegt. Nach jedem ausgeführten Schritt steht eindeutig fest, welcher Schritt
als nächster zu tun ist. Ein algorithmisierter Vorgang ist völlig schematisiert;
ein Prozeß also, der als Anwendung eines Schemas zu verstehen ist und bis in
die kleinsten Einzelheiten so eindeutig vorgeschrieben ist, daß derjenige,
der das Schema anwendet, nicht zu verstehen braucht, was er dabei tut. Der-
jenige, der ein algorithmisiertes Problem löst, wird zum "Rechenknecht",
der das Problem um so besser lösen wird, je sklavischer er sich an die Anwei-
sungen hält: Das Problem wird nicht be-arbeitet, sondern ab-gearbeitet.
Dieses Merkmal sei 'Determiniertheit' genannt.
(3) Allgemeinheit
Jede Operation hat ein Objekt, auf das sie sich richtet. Sind die Objekte
algorithmisierbarer Verfahren in irgendeiner Weise ausgezeichnet? Gerade
die Geschichte der Algorithmen zeigt, daß es höchst unterschiedliche Ob-
jekte sein können, für die algorithmische Regeln ihrer Manipulation aufge-
stellt werden können. Es können dies Steinehen auf dem Rechenbrett, die
Kugeln auf dem japanischen Soroban, eine Reihe von Kondensatoren mit
ihrem Ladungszustand (aufgeladen oder entladen), der Kernspeicher eines
Computers mit seinem Magnetisierungszustand, Wörter, gebildet aus endli-
160 Grenzen kalkulatorisch -algori thmischer Verfahren

ehern Alphabet, etc. sein. Die einzige Bedingung dafür, als manipulierbare
Objekte algorithmischer Verfahren geeignet zu sein, ist, daß die betref-
fenden Objekte deutlich voneinander abgegrenzt sind, denn das Operieren
besteht darin, räumlich oder zeitlich geordnete Dinge in neue Konfigura-
tionen zu bringen. 55 Algorithmen besitzen eine gewisse Unabhängigkeit von
dem Material ihrer Objekte. Der Algorithmus der Addition im Bereich na-
türlicher Zahlen kann realisiert werden durch Anfügen von Strichen an
Strichfolgen, durch Hinzufügen oder Wegnehmen von Steinehen auf dem
Rechenbrett oder durch das Drehen der Räder der mecHanischen Rechen-
maschine.
Dieses Merkmal sei die 'Allgemeinheit' genannt. Doch erstreckt sich die
Allgemeinheit nicht nur auf die konkrete Natur der Objekte, sondern auch
darauf, daß es stets um eine Klasse möglicher Objekte geht, in bezugauf die
ein Problem zu lösen ist. Es gibt keinen Algorithmus zur Lösung nur eines
einzelnen konkreten Problems: Algorithmen gelten für Klassen von Pro-
blemen. Das Anfangssystem der Werte, die algorithmisch zu bearbeiten
sind, kann stets ausgewählt werden aus einer potentiell unendlichen Menge
von Werten.
(4) Endlichkeit
Ein Algorithmus ist ·eine Vorschrift, deren Text in einer endlichen Folge
von Buchstaben niedergeschrieben werden kann. Die Zeit, die zur Ausfüh-
rung eines einzelnen Operationsschrittes benötigt wird, darf nur endlich
sein. Das Verfahren muß nach endlich vielen Schritten zu einem Ergebnis
führen und abbrechen. Es gibt Fälle, in denen die letzte Bedingung nicht er-
füllt ist. Der euklidische Algorithmus zur Bestimmung des größten gemein-
samen Teilers zweier Zahlen bricht nach endlich vielen Schritten ab. Der
Algorithmus zur Berechnung der Quadratwurzeln aus einer in Dezimaldar-
stellung gegebenen natürlichen Zahl bricht im allgemeinen nicht ab: er ist
beliebig weit fortsetzbar, zur Berechnung von immer weiteren Dezimal-
stellen der Wurzel. Demgegenüber muß ein Algorithmus die ersten beiden
Bedingungen (Endlichkeit der Vorschrift; Endlichkeit der Operationszeit
einzelner Schritte) immer erfüllen. Sie seien das Merkmal der 'Endlichkeit'
genannt.
Jede Handlungsfolge, welche die Merkmale (1)-(4) aufweist, ist als eine
algorithmisierbare Operation beschreibbar.
Im Prinzip ist ein Algorithmus auf Manipulationen jeglicher Art von Ob-
jekten anwendbar. In der mathematischen Theorie der Algorithmen be-
schränkt man sich jedoch auf solcheArten von Algorithmen, deren Objekte
Zeichenreihen sind. 56 Unter Zeichenreihen werden endliche lineare Folgen
von Symbolen (Einzelzeichen, Buchstaben) verstanden. Es wird ange-
nommen, daß es für jeden Algorithmus eine endliche Zahl von Buchstaben
gibt, die in ihrer Gesamtheit das dem Algorithmus zugrundeliegende Alpha-
bet bilden. Mit den Buchstaben dieses Alphabets werden Wörter gebildet.
Dabei ist es sinnvoll, auch das leere Wort zuzulassen. IstA ein Alphabet und
Präzisierungen des Algorithmen begriffes 161

Wein Wort, das nur aus den Buchstaben ausA gebildet ist, so nennt man W
ein Wort über A.
Im Prinzip ist mit einem Alphabet auszukommen, welches nur einen ein-
zigen Buchstaben enthält, z. B. den Buchstaben /. Die Wörter über diesem
Alphabet sind, abgesehen von dem leeren Wort, I, II, 111 usw. Wir können
diese Wörter mit den natürlichen Zahlen 0, 1, 2, ... identifizieren. In diesem
Falle kann man die Wörter eines n-elementigen Alphabets A durch natür-
liche Zahlen G (W), d. h. durch Wörter eines einelementigen Alphabets,
charakterisieren. Eine solche Abbildung begegnete uns bereits bei Gödel,
als er seinen Ausdrücken eine natürliche Zahl, die Gödelnummer, zuord-
nete. Eine solche Abbildung G wird daher Gödelisierung und G (W) die
Gödelnummer (bezüglich G) des Wortes W genannt.
Daher ist es im Grunde unwesentlich, welches Alphabet einem Algo-
rithmus zugrunde liegt, denn zu jedem AlphabetA kann durch Gödelisie-
rung ein Alphabet A' gebildet werden, so daß ein zu dem ursprünglichen
l

Algorithmus isomorpher Algorithmus entsteht. 57 Das aber heißt: Alpha-


bete, auf die Algorithmen anwendbar sind, sind immer arithmetisierbar.
Diese Arithmetisierbarkeit weist voraus auf den engen Zusammenhang, der
zwischen einem Algorithmus und einer berechenbaren Funktion besteht:
Algorithmen sind- im Prinzip- Rechenverfahren.

3.3.1.2 Maschinen als realisierte Algorithmen

Rechenverfahren im Sinne der Formation und Transformation von Zei-


chenreihen gemäß Regeln, die die Merkmale (1)-(4) aufweisen, sind prinzi-
piell durch Maschinen realisierbar. Der präzise Sinn dieser Behauptung
erschließt sich erst, wenn wir uns mit dem Modell der Turingmaschine be-
fassen. Doch können wir uns den intuitiven Begriff eines Rechenverfahrens
bzw. eines Algorithmus verdeutlichen, wenn wir uns auf anschauliche Weise
klarzumachen versuchen, was es heißt, daß eine Maschine ein Rechenver-
fahren realisiert. Stellen wir uns vor, daß der AlgorithmusA durch eine Ma-
schine M realisierbar ist. Dabei ist es für die algorithmischen Begriffsbil-
dungen irrelevant, wie die Maschine physikalisch arbeitet, ob mechanisch,
elektrisch etc. Man kann sich Mals einen "schwarzen Kasten" vorstellen. 58
Auf diesem Kasten ist das zuA gehörende Alphabet ,,A" vermerkt. Der Ka-
sten M ist mit Eingabeschlitzen und mit einem Ausgabeschlitz versehen.
Bevor M in Gang gesetzt wird, steckt man in jeden Eingabeschlitz ein Wort
Wüber A. M wird auf diese Wörter angewendet. Das Ingangsetzen von M ge-
schieht durch die Betätigung der Starttaste. Der Kasten ist versehen mit
einem Schrittzähler, der auf einer Papierrolle nach jedem Schritt einen
Strich druckt. Mit Hilfe der Stopptaste kann man nach jedem Schritt den Re-
chenprozeß von außen anhalten. Betätigt man die Stopptaste nicht, so wird
die Maschine entweder beliebig viele Schritte vollziehen oder aber nach
162 Grenzen kalkulatorisch-algorithmischer Verfahren

endlich vielen Schritten anhalten. In diesem Fall erscheint im Ausgabe-


schlitz das von M gelieferte Ergebnis, welches ein Wort über A ist, und das
Ende der Rechnung wird durch das Aufleuchten einer Lampe angezeigt.
Schematisch läßt sich eine Maschine für einen Algorithmus so darstellen:

Algorithmus A über dem Alphabet (a, b, c)

Eingabe Start Stop Ende


1 I I 0 0 ®
2 I I
3 I I Schrittzähler Ausgabe
4 I I I I I I

Abb. 9: Schematische Darstellung einer Maschine für einen Algorithmus


(aus: Heidler, Hermes, Mahn 1977).

Eine handbetriebene Tischrechenmaschine, die zur Addition verwendet


wird, realisiert eine solche Maschine. Man gibt zwei Eingabewörter (in Dezi-
malstellung) ein. Der-Algorithmus bricht nach einem Schritt, den wir durch
die Drehung der Kurbel vollziehen, ab. Als Ergebnis erscheint die Summe.
Ein mit einem Compiler versehener Computer kann, zusammen mit
einem Programm, ebenfalls als Realisierung eines Algorithmus angesehen
werden. 59 Während allerdings bei der Maschine zuerst die Wörter einge-
geben werden und danach die Maschine in Gang gesetzt wird, verhält es sich
beim Computer umgekehrt- was allerdings ohne Bedeutung ist. Zunächst
wird der durch das Programm p instruierte Computer z. B. durch Eingabe
des Wortes 'RUN' in Gang gesetzt. Das entspricht der Betätigung der Start-
taste. Dann wird durch den Computer die Eingabeanweisung von p ausge-
führt. Sie bewirkt, daß ein Fragezeichen gedruckt wird als Zeichen dafür,
daß vom Benutzer eine Eingabe verlangt wird. Der Benutzer gibt nun r
natürliche Zahlen Xt, .•. , x, (in Dezimaldarstellung) ein. Dieser Vorgang
entspricht dem Einstecken von r Wörtern in die Eingabeschlitze. Die einge-
gebenen Zahlen Xt, ... x, werden in die in der Eingabeanweisung von p
genannten verschiedenen Register Xt, ... X, gebracht. Die Nummer der
Anweisung, die auf die Eingabeanweisung folgt, wird in das Anweisungs-
zählregister gebracht. In jedem anderen Register befindet sich nach der Ein-
gabe die Zahl 0 (dies wird allerdings nicht von allen Compilern, die in der
Praxis vorkommen, garantiert). Damit hat der Computer die Konfiguration
C (xb ... x,) gebildet.
Nach der Eingabe wird das weitere Programm durchgeführt. Zunächst
wird die Anweisung durchgeführt, welche auf die Eingabeanweisung folgt.
Die Durchführung einer von der Ausgabeanweisung verschiedenen Anwei-
sung besteht in einer Veränderung der Inhalte der Register und in der Be-
Präzisierungen des Algorithmenbegriffes 163

stimmung der als nächste auszuführenden Anweisung. Der Durchführung


jeder solchen Anweisung entspricht ein Schritt des Rechenprozesses. Wird
die Ausgabeanweisung nie erreicht, werden beliebig viele Schritte voll-
zogen. Sonst hält die Maschine an. Dann bewirkt die auszuführende Aus-
gabeanweisung, daß der Inhalt des in der Ausgabeanweisung genannten Re-
gisters (in Dezimaldarstellung) als Ergebnis gedruckt wird. Abschließend
wird noch z. B. das Wort 'DüNE' ausgedruckt. Diese Vorgänge entsprechen
der Ausgabe des Ergebnisses im Ausgabeschlitz und dem Aufleuchten der
Lampe, welche das Ende der Rechnung anzeigt. Durch eine Stopptaste
kann man den Rechenprozeß von außen anhalten. Zudem zeigt der Com-
puter fortlaufend die Zahl der Schritte an.
Diese Ausführungen machen deutlich, daß der Computer eine Maschine
ist im Sinne jenes schematisch dargestellten "schwarzen Kastens", der uns
als Realisierung eines Algorithmus galt.

3.3.1.3 Algorithmen als abstrahierte Programme

Betrachten wir einen algorithmisierbaren Vorgang unter dem Gesichts-


punkt seines Anfanges und seines Resultates, so zeigt er sich als eineindeu-
tige Umwandlung von Anfangswerten in Endwerte aufgrund von Transfor-
mationsregeln. Anfangs- und Endwerte stehen zueinander in der Relation
einer Abbildung, wobei der Algorithmus die Vorschrift ist, die den Ele-
menten der Menge A bestimmte Elemente der Menge B zuordnet. Eine
solche Zuordnungsvorschrift nennt man auch Funktion, wobei A den Argu-
mentbereich bzw. Definitionsbereich, B den Wertebereich der Funktion ver-
körpert.
Der Begriff 'Algorithmus' scheint dem Begriff 'Funktion' dann äquivalent
zu sein, wenn für eine Funktion Berechnungsregeln existieren, die es er-
lauben, für jedes Argument in endlich vielen Schritten den entsprechenden
Funktionsweit zu ermitteln. Ein Algorithmus, der die Werte einer Funktion
berechnet, stellt eine Definition dieser Funktion dar. Wenn eine solche algo-
rithmische Definition einer Funktion möglich ist, so handelt es sich um eine
berechenbare Funktion. Berechenbar sind z. B. die Funktionen x + y, xy, xY,
wobei als Argumente beliebige natürliche Zahlen angenommen werden
können.
Wenn wir hier von natürlichen Zahlen sprechen, so darf nicht vergessen
werden, daß es- darauf verwies Hermes- korrekter wäre zu sagen, daß die
Argumente (wenn wir z.B. die Dezimaldarstellung bevorzugen) Wörter
über dem Alphabet {0, 1, 2, ... , 9} seien. 60 Denn hier geht es nur um solche
Funktionen, deren Argumente und Werte Wörter sind bzw. durch Wörter
über einem Alphabet eindeutig charakterisiert werden können.
Für jede berechenbare Funktion ist ein in endlich vielen Schritten abzu-
arbeitendes Verfahren anzugeben, mit dessen Hilfe für jedes vorgelegte
164 Grenzen kalkulatorisch-algorithmischer Verfahren

Argument der zugehörige Funktionswert effektiv erzeugbar ist. Jeder be-


rechenbaren Funktion entspricht wenigstens ein Algorithmus. Daß einer
berechenbaren Funktion nicht nur ein Algorithmus, sondern unendlich viele
Algorithmen entsprechen können, geht aus folgender Überlegung hervor:
Man kann in einen Algorithmus einen "unsinnigen" Schritt einbauen wie
z. B.: "Schritt( ... ): wenn 0 > 1, halte mit dem Resultat 1." Die vom Algo-
rithmus definierte Funktion bleibt in diesem Falle unverändert. Umgekehrt
definiert jeder Algorithmus genau eine Funktion. Es gibt daher eine enge,
aber nicht eineindeutige Beziehung zwischen Algorithmus und berechen-
baren Funktionen. 61 Immer aber, wenn es zu einer Funktion einen ( abbre-
chenden) Algorithmus gibt, so handelt es sich um eine berechenbare Funk-
tion.
Berechenbare Funktionen sind programmierbar. 62 Unter einem Pro-
gramm sei eine endliche Folge von Anweisungen verstanden, die einen
Automaten in die Lage versetzt, einen gewünschten Prozeß durchzuführen.
So wie Algorithmen, sind auch Programme als Abbildung der Eingabedaten
in Ausgabedaten aufzufassen. In dieser Perspektive erweisen sich Algo-
rithmen als von der Notation der Programmiersprache abstrahierte Pro-
gramme. Präzisierte Algorithmen würden somit mathematische Modelle
darstellen, welche erlauben, Eigenschaften von Programmen unabhängig
von der verwendeten Symbolsprache zu erfassen. So zeigt sich die Algo-
rithmentheorie als eine elementare Voraussetzung der Theorie der Program-
mierung63, deren Ziel es ist, eine Methode zu entwickeln, die es ermöglicht,
Eigenschaften von Programmen- wie z. B. ihre Korrektheit- zu beweisen.
Von hier her ergibt sich auch eine Beziehung zur Automatentheorie 64 und
zur Theorie der formalen Sprachen 65 , beschäftigen sich diese doch mit einer
Teilklasse der berechenbaren (Automaten) bzw. rekursiven (formale Spra-
chen) Funktionen.
Doch hier haben wir die Grenze des intuitiven Algorithmenbegriffes er-
reicht: Wenn wir sagen, eine Funktion, zu der es einen Algorithmus gibt,
nennen wir berechenbare Funktion, berechenbare Funktionen aber sind
programmierbar, so kann diese Aussage im strengen Sinn nicht mathema-
tisch bewiesen werden, da der Begriff der berechenbaren Funktion eher ein
intuitiver, nicht aber mathematisch präzisierter Begriff ist. Ein strenger Be-
weis- den hier zu führen unsere Aufgabe nicht ist- setzt die mathematische
Präzisierung der äquivalenten Begriffe 'algorithmisierbar' und 'berechen-
bar' voraus. Eine solche Präzisierung liefern die Begriffe der rekursiven
Funktion und der Turingmaschine, denen wir uns nun zuwenden.
Präzisierungen des Algorithmenbegriffes 165

3.3.2 Rekursive Funktionen

3.3.2.1 Was bedeutet "rekursiv"?

Die Eigenschaft "rekursiv" kommt Objekten zu, sofern sie sich teilweise
selbst enthalten: Geschichten innerhalb von Geschichten; Filme innerhalb
von Filmen; russische Puppen innerhalb von russischen Puppen; Kommen-
tare in Klammern innerhalb von Klammern. 66 Ein Blick in eine Spiegel-
galerie, in der wir uns fortwährend selber spiegeln, leitet anschaulich zur
Vorstellung eines rekursiven Objektes. Im Zusammenhang des Algorith-
menbegriffes ist die Eigenschaft "rekursiv" interessant in bezug auf Opera-
tionen, durch welche gesuchte Objekte, z. B. Zahlenwerte, aus gegebenen
Ausgangsobjekten erzeugt werden. Rekursive Erzeugungsverfahren sind
dadurch gekennzeichnet, daß sie immer wieder auf sich selbst angewandt
werden, bis di~ gesuchte Größe erzeugt ist und der Prozeß abbricht. Damit
solch rekursive Konstruktion tatsächlich zum Abschluß kommt, muß sich
eine Bedingung, an deren Existenz die Wiederanwendung der rekursiven
Operation gebunden ist, bei jeder Wiederholung verändern (im Sinne eines
Kleinerwerdens), bis diese Bedingung ganz erlischt. Wenn wir eine Pro-
zedur, durch deren rekursive Anwendung ein Objekt erzeugt wird, die rekur-
sive Definition des Objektes nennen wollen, so unterscheidet sich die rekur-
sive von einer zirkulären Definition dadurch, daß eine solche Bedingung,
deren ständige Verminderung bis zum Erlöschen durch die rekursive Anwen-
dung gewährleistet wird, vorhanden ist: So ist sichergestellt, daß der Prozeß
"ausläuft". Als Beispiel einer rekursiven Prozedur mag der euklidische Al-
gorithmus zum Auffinden des größten gemeinsamen Teilers zweier positiver,
natürlicher Zahlen gelten. Dieses Verfahren funktioniert folgendermaßen:
(1) Es sind zwei natürliche Zahlenmund n gegeben. Dividiere m durch n; man erhält
den Rest r. Schaue nach, ob r 1 gleich 0 ist oder nicht. Ist r 1 gleich 0, so bricht der Prozeß
ab und n ist der gesuchte größte gemeinsame Teiler. Ist jedoch r 1 größer als 0, so muß
(2) eben dieses Verfahren auf die Werte von n und r 1 angewendet werden. Dividiere
durch r 1 und erhalte r2 • Ist r2 gleich 0, so bricht der Prozeß ab und r 1 ist die gesuchte
Zahl. Ist r2 größer als 0, so muß
(3) dieses Verfahren wiederum auf r 1 und r2 angewendet werden usw.
Da m > n > r 1 > r 2 > ... > 0, bricht dieses Verfahren auf jeden Fall nach
endlich vielen Schritten ab. Und an der Stelle, an welcher es abbricht, findet
sich der gesuchte Wert. Der euklidische Algorithmus ist eine Operations-
anleitung, die die Eigenschaft der Rekursivität besitzt. Der größte gemein-
same Teiler ist eine Funktion, die einem gegebenen Zahlenpaar, dem Argu-
ment, einen Funktionswert zuordnet. Dieser Funktionswert wird dadurch
ermittelt, daß eine bestimmte Operationsanweisung "teile m durch n und
prüfe, ob der Rest r größer oder gleich Null ist" immer wieder auf das durch
die Operation neu ermittelte Ergebnis angewendet wird, bis die Bedingung
"gleich Null" erfüllt ist. Diese Operationsanweisung bzw. Rekursionsvor-
166 Grenzen kalkulatorisch-algorithmischer Verfahren

schriftgestattet es, die Berechnung des Funktionswertes vorgegebener Ar-


gumente auf die Bestimmung des Funktionswertes von immer kleineren Ar-
gumenten zurückzuführen. Die jeweils neu gewonnenen Argumente bilden
in diesem Sinne eine zurücklaufende Kette (lat. recursare: zurückkehren),
bis eine Rekursionsanfangsbedingung erreicht wird - beim euklidischen
Algorithmus, daß r gleich 0 sein muß.
Schon an diesem einfachen Beispiel wird deutlich, daß eine rekursive
Operationsanleitung garantiert, daß die durch die Operation zu erzeu-
genden Werte berechenbar sind. Rekursive Verfahren ermöglichen es,
Neues durch Rückgriff auf Bekanntes zu erzeugen.

3.3.2.2 Zur Entwicklung der Theorie der rekursiven Funktionen

Der erste Schritt in der Entdeckung der rekursiven Funktionen führte auf
das, was wir seit Hilbert und Bernays primitiv-rekursive Funktionen
nennen. 67 Dedekind stieß erstmals 1888 auf eine solche Funktion. David
Hilbert definierte 1891 mehrere sich überlagernde Kurven, die ein Quadrat
ausfüllen, rekursiv. Es ist heute möglich, diese von Hilbert definierten
Kurven auch von einem Computer zeichnen zu lassen. Wirth hat ein rekur-
sives Programm zur Erstellung dieser Kurven durch eine Maschine entwik-
kelt. 68 Skolem versuchte 1923 als erster, den Begriff der Berechenbarkeit
mit Hilfe der "rekurrierenden Denkweise", d. h. durch die Konstruktion
arithmetischer Funktionen durch zahlentheoretische Rekursionsformeln,
zu präzisieren. 69 Seine arithmetischen Funktionen sind primitiv-rekursive
Funktionen im heutigen Sinne. Hilbert sprach 1926 die Vermutung aus, daß
jede primitiv-rekursive Funktion berechenbar sei. Was haben wir unter einer
solchen Funktion zu verstehen?
Die primitiv-rekursiven Funktionen sind eine Klasse von berechenbaren
Funktionen, die man erhält, wenn auf bestimmte Stamm- bzw. Ausgangs-
funktionen die Prozesse der Einsetzung und Rekursion angewendet wer-
den. Als Ausgangsfunktionen werden üblicherweise folgende drei Funktio-
nen benutzt, deren Berechenbarkeit intuitiv einleuchtet:
(1) Die nullsteilige Konstanzfunktion C8: mit dem Wert 0. (Unter n-stelliger
Funktion sei eine Funktion verstanden, deren Werte von n Argumenten ab-
hängen. Eine nullsteilige Funktion ist somit eine Funktion, deren Werte von
keinem Argument abhängen: sie kann nur eine Konstante sein. Hier wird als
Ausgangsfunktion die spezielle nullsteilige Funktion Null gewählt: der Zähl-
anfang.)
(2) Die Nachfolgerfunktion N: N(x) def x + 1
Diese Funktion führt in die Definitionen den Begriff des Zählens ein.
(3) Die Identitätsfunktion U~:
U~ (Xt, X2, •.. , Xn) = xi mit 1 ~ i ~ n
def
Präzisierungen des Algorithmenbegriffes 167

Kämmerer bezeichnet diese Funktion auch alsAusblendfunktion, da sie aus


dem Variablentupel (xh ... , Xn) eine Variable ausblendet. Sie dient dazu,
eine Variable in formaler Weise als n-stellige Funktion darzustellen, um so
u. U. eine homogene Schreibweise zu ermöglichen. 70
Auf diese berechenbare Ausgangsfunktionen können zwei Operationen
angewendet werden, deren Schemata so angegeben werden können 71 :
(1) Die Operation der Einsetzung definiert folgende Funktion:
Ausgehend von der p-stelligen Funktion
g (. '. ' ... , . )

p Argumentstellen
und den n-stelligen Funktionen
ht ( . ' . ' . ' ... ' . )
hz ( · , · , · , . . . , · )

hp ( . '
.
'
.
' ••• '
.)

n Argumentstellen
wird durch "Einsetzung" die n-stellige Funktion
J (. ' . ' . ' ... , . )

n Argumentstellen
definiert.
f (xh Xz, ... , Xn) def g [ht (xh ... , Xn), hz (xh ... , Xn) .. ., hp (xh ... , Xn)]
(2) Die Operation der primitiven Rekursion definiert folgende Funktion:
Ausgehend von der n-stelligen Funktion
g ( . ' . ' ... , . )
n Argumentstellen
und der (n + 2)-stelligen Funktion
h (. ' . ' ... , . )
n + 2 Argumentstellen
wird rekursiv über y die (n + 1)-stellige Funktion
f (. ' . ' ... , . )
n + 1 Argumentstellen
definiert.
f (xh Xz, · · ·' X, Y) def
f (xh Xz, ... , Xn, 0) = g (xh Xz, ... , Xn)
{ f (xh Xz, ... Xm N(y)) = h [xt,Xz, .. . , Xm y, f(xb Xz, .. . , Xm y)].
Eine Funktion heißt primitiv-rekursiv, wenn sie eine der genannten Aus-
1~8 Grenzen kalkulatorisch-algorithmischer Verfahren

gangsfunktionen ist oder wenn sie aus diesen Ausgangsfunktionen durch


endlichmalige Anwendung der Operationen (1) und (2) erhalten werden
kann. 72 Viele numerische Funktionen gehören zur Klasse der primitiv-rekur-
siven Funktionen, so z. B. die Summenfunktion S (x, y) = x + y, die Pro-
duktfunktion P (x, y) = x · y und die Potenzfunktion Pot (x, y) = xY.
So verwundert es nicht, daß Hilbert vermutete, mit der Schaffung der
Klasse der rekursiv-primitiven Funktionen zugleich die Klasse der berechen-
baren Funktionen zu erfassen. Doch zeigte Ackermann 1928 anhand eines
Beispieles, daß es berechenbare Funktionen gibt, die nicht primitiv-rekursiv
sind. 73 Die grundlegende Idee von Ackermanns Beweis bestand darin, eine
berechenbare Funktion zu definieren, welche in einem gewissen Sinne
schneller wächst als alle primitiv-rekursiven Funktionen. Dieaufgrund die-
ser Überlegung von Ackermann konstruierte Funktion zeigte, daß die Er-
zeugungsprinzipien der Einsetzung und der Rekursion nicht ausreichen, um
alle berechenbaren Funktionen zu erhalten. Will man die berechenbaren
Funktionen im ganzen erfassen, ist es nötig, zu einer erweiterten Klasse
überzugehen, zur Klasse der allgemein-rekursiven Funktionen. Man spricht
auch von ~-rekursiven Funktionen, da die angestrebte Klasse entsteht,
indem man, ausgehep.d von den drei Ausgangsfunktionen und den beiden
Operationen, der Einsetzung und der primitiven Rekursion, noch einen
Operator, den ~-Operator, hinzunimmt. \
~-Operatoren können auf Prädikate angewendet werden und verwandeln
diese in Funktionen. 74 Der durch die Anwendung des ~-Operators bezüglich
einer bestimmten Variablen ausgelöste Prozeß ist aufzufassen als Durch-
musterung von Listen nach dem erstmaligen Auftreten eines bestimmten
Merkmals. 75 Im Rahmen eines Tupels von n Variablen, die ihre Werte aus
dem Bereich der natürlichen Zahlen entnehmen, wird ein Merkmal -man
spricht von einem n-stelligen Prädikat - durch die Angabe einer Relation
zwischen den Variablen definiert. Man sagt, das n-stellige Prädikat trifft auf
ein spezielles Zahlentupel genau dann zu, wenn die definierende Relation
für dieses Zahlentupel erfüllt ist. So etwa ist das Prädikat "größer oder
gleich" ein zweistelliges Prädikat, das beispielsweise auf die Paare (5, 4) und
(7, 7) zutrifft, nicht aber auf (5, 7).
Eine Funktion heißt ~-rekursiv, wenn sie, ausgehend von den drei ge-
nannten Ausgangsfunktionen, durch endlichmalige Anwendung der Ope-
rationen der Einsetzung, primitiven Rekursion und der Anwendung des
~-Operators gewonnen werden kann. Die von Ackermann gefundene nicht
primitiv-rekursive Funktion erweist sich als ~-rekursiv.
Was Hilbert für den Zusammenhang von Berechenbarkeit und primitiv-
rekursiven Funktionen vermutete, trifft in bezugauf die ~-rekursiven Funk-
tionen zu. Alle bisher bekannten berechenbaren Funktionen sind ~-rekursiv,
und es besteht daher die begründete Vermutung, daß alle ~-rekursiven
Funktionen berechenbar sind.
Zu Beginn der dreißiger Jahre entwickelten die Autoren Herbrand, Gödel
Präzi~ierungen des Algorithmenbegriffes 169

und Kleene eine andersgeartete Präzisierung des Begriffes 'Berechenbar-


keif mit Hilfe der allgemein-rekursiven Funktionen, die durch Gleichungs-
systeme definiert werden. 76 Da aber jede rekursive Funktion durch Glei-
chungssysteme definiert werden kann, ist es möglich zu zeigen, daß die
allgemein-rekursiven mit den ~-t-rekursiven Funktionen übereinstimmen.
Als dann 1936 Church und Kleene eine völlig andere Präzisierung des Bere-
chenbarkeitsbegriffes mittels der J...- Definierbarkeit fanden und sie in Zu-
sammenarbeit mit Rosser die Äquivalenz dieses Begriffes mit dem von Her-
brand und Gödel nachweisen konnten 77, sprach Church seine unter dem
Namen "Churchsche These" bekannt gewordene Meinung aus: Der intuitiv
gegebene, allgemeingebräuchliche Begriff der berechenbaren arithmeti-
schen Funktion ist identisch mit dem exakt definierten Begriff der allge-
mein-rekursiven Funktion. Church setzt also- und darin besteht die beson-
dere Leistung seiner These- den intuitiven Begriff der Berechenbarkeit und
des Algorith~us mit einem bestimmten, exakt definierten Begriff gleich. 78
Diese Behauptung kann nicht bewiesen werden, da sie den vagen, intuitiven
Begriff der Berechenbarkeit enthält. Doch wird sie durch unsere Erfahrung
gleichsam "experimentell" bestätigt: Jede bisher bekannte berechenbare
Funktion erwies sich als allgemein-rekursiv.
Insofern nun jeder berechenbaren Funktion mindestens ein Algorithmus
entspricht, stellt- gemäß der These von Church- die Theorie der rekursiven
Funktionen eine Präzisierung des Algorithmenbegriffes dar. 79
Die meisten Logiker anerkennen die These von Church. Doch ist sie kei-
neswegs unbestritten. Kalmar kritisiert sie in der Hinsicht, daß nicht jede im
intuitiven Sinne berechenbare Funktion im Churchschen Sinne berechenbar
sei. 80 Nach Peter sei umgekehrt nicht jede im Churchschen Sinne berechen-
bare Funktion auch intuitiv berechenbar. 81
Der nächste entscheidende Schritt in der Präzisierung des Begriffes der
Berechenbarkeit ist die Arbeit von Turing, in welcher er den fundamentalen
Begriff der a,utomatischen Maschine, heute Turingmaschine genannt, ent-
wickelte. 82 Dieser Begriff ermöglicht einen sehr plausiblen und einfachen
Zugang zu einer exakten Definition der berechenbaren Funktion und des
Algorithmus.

3.3.3 Turingmaschinen

3.3.3.1 Analyse eines Rechenprozesses nach Vorschrift

Die Stärke des Modells der Turingmaschine liegt darin, daß sie unserer
Vorstellung über das, was wir tun, wenn wir streng einer Rechenvorschrift
bzw. einem Algorithmus folgen, am weitesten entgegenkommt. Turing ge-
langte zu seinem Modell durch die Analyse des Verhaltens eines mensch-
lichen Rechners.
170 Grenzen kalkulatorisch-algorithmischer Verfahren

Diesem Rechner sei die Aufgabe gestellt, nach einer genauen vorlie-
genden Vorschrift den Wert einer Funktion für ein gegebenes Argument zu
berechnen. Der Rechner verwendet für die Rechnung ein Blatt Papier (oder
mehrere Blätter). Dieses Blatt kann in Quadrate geteilt werden, in welche
der Rechner jeweils ein Symbol eintragen darf. Er kann alle Symbole aus
einem endlichen AlphabetA = (ab ... , an) verwenden. In diesen Symbolen
wird zu Beginn der Rechnung das Argument auf das Blatt notiert. Da es im
Prinzip nicht nötig ist, das Blatt Papier in seinen beiden Dimensionen für das
Rechnen zu benutzen, kann man sich die Quadrate zu einem Rechenband
angeordnet denken, welches in eine lineare Folge von Feldern aufgeteilt ist.
Es müssen genügend Felder vorhanden sein, so daß das Rechenband beider-
seits unendlich fortsetzbar ist. Das Band kann mit einer Richtung versehen
werden: links {Anfang) bzw. rechts (Ende). Mit Ausnahme der Felder, in die
ein Symbol eingeschrieben wird, sind die Felder leer. Die Gesamtheit
dessen, was auf dem Band steht, sei Inschrift genannt.
Die Rechnung selbst verläuft nach einer endlichen Vorschrift. Jede Rech-
nung läßt sich in Teilschritte zerlegen, z. B. das Beschriften eines leeren
Feldes. Ein Rechenschritt führt von einer bestimmten Ausgangssituation
bzw. Ausgangskonfigu_ration zu einer neuen Situation bzw. Konfiguration,
welche ihrerseits Ausgangskonfiguration für den nächsten Schritt ist. Tritt
das letztere nicht ein, so ist die Rechnung beendet und der gesuchte Wert
berechnet.
Wie vollzieht sich ein einzelner Rechenschritt? Die Inschrift des Bandes
kann verändert werden, wobei es möglich ist, eine größere Änderung in die
elementare Änderung nur eines einzelnen Feldes zu zerlegen. Solche ele-
mentare Änderung kann in der Beschriftung oder dem Löschen eines Feldes
bestehen. Der Einfachheit halber sei angenommen, daß das Einschreiben
eines Symboles zugleich ein Auslöschen des eventuell im Feld bereits nieder-
geschriebenen Symboles ist. Bei jedem Rechenschritt wird genau ein Feld
bearbeitet, das Arbeitsfeld. Dies muß im Laufe der Rechnung wechseln,
wobei man sich alle Übergänge auf neue Arbeitsfelder in den elementaren
Schritt zerlegt vorstellen kann, der darin besteht, das nächste Arbeitsfeld
rechts oder links des alten Arbeitsfeldes zu wählen.
Damit sind bereits alle verschiedenen Arten von Rechenschritten aufge-
zählt, die überhaupt in Betracht kommen:
ak: Das Beschriften des Arbeitsfeldes durch das Symbol ak ( k = 0, ... , n).
r: Das Nach-rechts-Gehen.
/: Das Nach-links-Gehen.
s: Das Stoppen.
Die Zahl der Rechenschritte, die notwendig sind, um für eine berechen-
bare Funktion einen Funktionswert f (n) zu bestimmen, wird mit wach-
sendem n zunehmen; immer aber hat die Rechenvorschrift eine endliche
Länge. Bei Berechnung vonf (n) für genügend großen wird die Vorschrift in
Präzisierungen des Algorithmen begriffes 171

mehrere Teilvorschriften zerfallen, die gegebenenfalls wiederholt angewen-


det werden müssen.
Man kann sich eine Rechenvorschrift so in Teilvorschriften zerlegt
denken, daß jede Teilvorschrift zusammen mit der Bandinschrift und dem
jeweiligen Arbeitsfeld nur einen Rechenschritt bestimmt. In diesem Fall
braucht die Teilvorschrift nur zu enthalten, welcher Rechenschritt durchzu-
führen ist- unter Berücksichtigung des Inhalts des Arbeitsfeldes- und nach
welcher Teilvorschrift fortzufahren ist.
Werden nun die Teilvorschriften fortlaufend numeriert, wobei die nullte
Teilvorschrift diejenige ist, von der die Rechnung ausgeht, und verwenden
wir das Symbol v, um das Verhalten zu kennzeichnen ( v steht also für l, r, s,
oder a0 , ••• , an), so lautet die k-teTeilvorschrift:
Trägt das Arbeitsfeld das Symbol a0 , so führe v0 aus und verfahre weiter nach der Teilvorschrift k 0 •
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .a., ...... v 1• • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • k 1•

. . . . . . . . . . . . . '. . . . . . . . . an, . . . . . . Vn- •• • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • kn.

Statt von der k-ten Teilvorschrift kann man auch von dem k-ten Zustand
sprechen. Da alle Zeilen dasselbe Schema haben, kann die Teilvorschrift
auch durch eine Tafel wiedergegeben werden, nämlich durch:
k ao Vo ko
k a1 Vt kt

Werden die Tafeln aller Teilvorschriften untereinandergesetzt, wobei mit


der nullten Teilvorschrift zu beginnen ist, so ergibt sich die normierte Form
einer Rechenvorschrift, welche die Abfolge aller einzelnen Rechenschritte
enthält, die ein Rechner ausführen muß, um den gesuchten Funktionswert
berechnen zu können. Diese Rechenschritte in Form aufeinanderfolgender
schematischerTafeln sind so normiert, daß sie auch von einer Maschine aus-
geführt werden können. Man nennt sie Turingtafel oder Maschinentafel.
Eine solche Maschinentafel wollen wir eine symbolische Maschine
nennen. "Maschine" deshalb, insofern Rechnungen, die in Form von Turing-
tafeln aufgeschrieben werden, im Prinzip von einer Maschine realisiert
werden können; "symbolisch", insofern die Folge der internen Zustände der
Maschine, die durch die Tafeln festgehalten werden, nicht die Zustände
einer konkret arbeitenden Apparatur sind, sondern Zeichenkonfigura-
tionen: Diese Maschine nimmt keinen bestimmten Ort in Raum und Zeit
ein, sondern steht nur auf dem Papier.
Eine Turingmaschine ist nun nichts anderes als eine Turingtafel. 83
172 Grenzen kalkulatorisch-algorithmischer Verfahren

3.3.3.2 Bestandteile und Arbeitsweise der Turingmaschine

Die Hauptbestandteile einer Turingmaschine sind: das Rechen band, der


innere Speicher, der Lese- und Schreibkopf und ein mechanischer Apparat.
Für das Rechenband gilt das im vorigen Abschnitt Entwickelte: Es ist in
Felder eingeteilt und kann beidseitig unbegrenzt verlängert werden; es hat
eine Richtung; auf jedem Feld kann genau ein Zeichen aus dem endlichen
Alphabet A = (ab ... , an) eingetragen sein; leere Felder sind mit dem
Symbol a0 markiert; jeweils nur endlich viele Felder enthalten ein von a0 ver-
schiedenes Symbol. Hat das Band zu irgendeinem Zeitpunkt r Felder und
besteht das Alphabet aus den Symbolen (a 0 , ab ... , an), so wird der Zustand
des Bandes vollständig durch die Zeichenreihe bzw. das Wort aih ai2 , ••• aik,
... ai, beschrieben, wobei ai1 der Zustand des ersten Feldes von links ist, ai2
der Zustand des zweiten usw.
Des weiteren muß eine Turingmaschine über einen Lese- und Schreibkopf
verfügen. Dieser steht zu jedem Zeitpunkt über genau einem Feld des
Rechenbandes und kann das Zeichen, das sich im Feld befindet, lesen.
Außerdem kann er ein neues Zeichen in ein Feld eintragen; dabei löscht er
durch "Überschreibe~" das Zeichen, das sich eventuell zuvor dort befand.
Schließlich kann sich der Lese- und Schreibkopf nach rechts und links zum
nächsten Rechenfeld bewegen.
Das innere Gedächtnis bzw. der interne Speicher kann die endlich vielen
Zustände q0 , qt, ... , qn annehmen. Das Alphabet, mit dem diese Zustände
bezeichnet werden, muß sich vom Alphabet, mit dem das Rechenband be-
schrieben wird, unterscheiden. Eine besondere Rolle spielen der Ausgangs-
zustand q 1 und der Endzustand bzw. Stopzustand q0 •
Eine Turingmaschine muß außerdem über einen mechanischen Apparat
verfügen. Dieser Mechanismus kann in Abhängigkeit vom Zustand des be-
trachteten Feldes und dem Zustand des internen Speichers den Zustand
dieses Speichers verändern und gleichzeitig entweder den Zustand des be-
trachteten Feldes verändern oder den Lese- und Schreibkopf in das linke
oder rechte Nachbarfeld verschieben. Kommt zu einem Zeitpunkt das
innere Gedächtnis der Maschine in den Endzustand q0 , so sagt man, die
Maschine stoppt.
Die Turingmaschine arbeitet in diskreten Schritten nach Befehlen, die
eine der drei folgenden Formen haben:
a) q;ajqsar
b) q;ajqsR
c) q;ajqsL.
Ein solcher Befehl wird genau dann ausgeführt, wenn bei dem betref-
fenden Rechenschritt der interne Speicher im Zustand q; ist und in dem vom
Lese- und Schreibkopf betrachteten Arbeitsfeld sich der Buchstabe ai
befindet. Der Schreibbefehl a) bewirkt, daß in das betrachtete Arbeitsfeld
Präzisierungen des Algorithmenbegriffes 173

an die Stelle des gelesenen Buchstabens aj der Buchstabe ar eingeschrieben


wird und der Lese- und Schreibkopf seine Lage nicht verändert. Der interne
Speicher geht in den Zustand qs über. Die Transportbefehle b) oder c) be-
wirken keine Veränderung der Buchstaben auf den betrachteten Rechenfel-
dern, sondern eine Bewegung. des Lese- und Schreibkopfes nach rechts (b))
oder links (c)). Auch in diesen beiden Fällen geht der innere Speicher in den
Zustand qs über.
Die Ausführung eines Rechenschrittes führt von einer bestimmten Aus-
gangssituation bzw. Ausgangskonfiguration zu einer neuen Konfiguration.
Eine solche Konfiguration der Turingmaschine (ihr "Zustand") ist voll-
ständig beschreibbar durch die Folge der Zustände der Bandfelder ail ... aik
... aij' wobei der Lese- und Schreibkopf das k-te Band betrachtet. Befindet
sich der Speicher im Zustand qi, so heißt das die Konfiguration beschrei-
bende Wort:
)

Durch Anwendung des Befehls qiaikqsX geht Kin eine der folgenden Kon-
figurationen über: a)
K' = aij . . . aik-zqsar . . . aib
falls X= ar
b) K' = ail ... aik-laikqsaik+l ... aib
falls X= R
c) K' = ail ... qik-2qsaik-laik ... aib
falls X= L.

3.3.3.3 Formale Definition der Turingmaschine

Als Turingmaschine über dem Alphabet A' = {a~, ... , am} mit den Zu-
ständen q0 , ••• , qn bezeichnet man eine Folge von (m + 1) n Befehlen der
Form:
qlaoqwbw, q1a1qubu, ... , qlamqtmbtm, ... ,
qnaoqnobno, qnalqnlbnh · · ·, qnamqnmbnm'
in der die qij Zustände und die bij Elemente aus der Menge {a0 , a~, ... , am,
R, L,} sind, und in der zu jedem qiajmit i = 1 undj = 0, ... , m genau ein Be-
fehl vorkommt, der mit qiaj beginnt. Diese Befehle können in der folgenden
Turingtafel angeschrieben werden:

mit welcher eine Turingmaschine identifiziert werden kann.


174 Grenzen kalkulatorisch-algorithmischer Verfahren

3.3.3.4 Die Turingmaschine als Algorithmus

Durch die Turingmaschine ist der Begriff der berechenbaren Funktion


präzisiert. 84 Eine Funktion ist berechenbar, wenn es einen abbrechenden
Algorithmus gibt, der durch eine Turingtafel beschrieben werden kann.
Die Identität zwischen einer Turingtafel und einer Turingmaschine zeigt,
daß der tatsächliche Mechanismus der Turingmaschine für das mathemati-
sche Modell unerheblich ist. Das einzige, was interessiert, ist die Struktur
der Folge von Konfigurationen bzw. Maschinenwörterri, die die Zustände
beschreiben, welche die Maschine sukzessive annimmt und die in derTuring-
tafel angeschrieben sind. Vom mathematischen Standpunkt aus gesehen
repräsentiert die Turingmaschine einen wohlbestimmten Algorithmus zur
Verarbeitung, d. h. schrittweisen Transformation von Maschinenwörtern. Da
die Methode dieser Verarbeitung mit dem Programm bekannt ist, kann man
von einer Turingmaschine sprechen, wenn das Alphabet zur Rechenband-
beschriftung, das Alphabet zur Kennzeichnung der Speicherzustände und
das Programm gegeben sind und außerdem bekannt ist, welche Symbole ein
leeres Feld und den Endzustand bezeichnen.
Eine Turingmaschit~e erfüllt jene Bedingungen, die wir als grundlegend
für einen Algorithmus ansahen. Die Bedingung der Elementarität ist damit
erfüllt, daß eine Turingmaschine Berechnungen mit Hilfe von nur vier
grundlegenden Operationen durchzuführen gestattet: dem Beschriften,
dem Nach-links-Gehen, dem Nach-rechts-Gehen und dem Stoppen. Die
Determiniertheit liegt darin, daß dann, wenn eine Turingmaschine über
einem bestimmten Symbolalphabet mit bestimmten Speicherzuständen ge-
geben ist sowie eine Anfangskonfiguration durch ein Maschinenwort be-
schreibbar ist, eindeutig eine Folge von Konfigurationen festgelegt wird.
Eine solche Maschine ist zu jedem Zeitpunkt ihrer Tätigkeit vollständig be-
schreibbar. Die Allgemeinheit der Turingmaschine kommt darin zum Aus-
druck, daß sie so viele Arten von Objekten zu bearbeiten vermag, wie unter-
schiedliche Symbolalphabete konstruierbar sind. Ihre Endlichkeit erfüllt
sich darin, daß in jedem Arbeitstakt der Maschine nur endlich viele Felder
des Rechenbandes eine vom Leersymbol verschiedene Bezeichnung tragen.
Daß also eine Turingmaschine einen Algorithmus darstellt, ist unschwer
einsehbar. Turing stellt nun eine These auf, die in Umkehrung dazu sagt, daß
jede durch einen Algorithmus definierbare Funktion auch von einer Turing-
maschine berechnet werden könne. 85 Diese These ist sowenig wie die von
Church beweisbar, geht es hier doch um die Verbindung zwischen einem
mathematisch präzisen und einem intuitiven Begriff. Die Plausibilität der
These von Turing wird durch folgende Erfahrungen unterstützt: Maschinen,
die weniger elementar sind als die Turingmaschine, haben sich nicht als
"mächtiger" erwiesen. Solche Maschinen, die z. B. über mehrere Rechen-
bänder und Lese- und Schreibköpfe verfügen, können ebenfalls nur be-
rechenbare Funktionen definieren. 86 Bemerkenswert ist zudem, daß
Präzisierungen des Algorithmenbegriffes 175

alle anderen Formalisierungen des Algorithmenbegriffes, z. B. die rekur-


siven Funktionen, sich mit der Turingmaschine mathematisch als äquiva-
lent erwiesen haben. Außerdem ist bis heute noch kein Gegenbeispiel
in Form eines von der Turingmaschine nicht berechenbaren Algorithmus
gefunden worden.
4. ÜBER DIE ENTSTEHUNG
DES FORMALEN GEBRAUCHES VON SYMBOLEN -
BETRACHTUNGEN ZUM ABSCHLUSS

(1) Der Scheitelpunkt in der Geschichte der Formalisierung ist die Her-
ausbildung der Idee des operativen Symbolgebrauches. In der Geschichte
der Mathematik ist dieser Punkt erreicht mit der Erfindung der Buchstaben-
algebra durch Vieta, in der Geschichte der Logik mit dem Aufbau logischer
Kalküle durch Leibniz, die auf verschiedene Weise (intensional, extensional
und modal) interpretierbar sind. Der Kerngedanke des operativen Symbo-
lismus ist der schematische, interpretationsfreie Umgang mit schriftlichen
Symbolen: Während ich Muster von Zeichenreihen durch schematische An-
wendung vorgegebener Regeln bilde und umbilde, brauche ich nicht daran
zu denken, was diese Zeichenreihen eigentlich bedeuten.
Die Grundidee der Formalisierung besteht darin, das Manipulieren von
Symbolreihen von ihrer Interpretation abzutrennen. Solches Vorgehen ist
ein Kunstgriff, eine 'techne', die zum Ziel hat, den Verstand zu entlasten von
den Mühen der Interpretation. Doch solche Entlastung hat ihren Preis, wel-
cher zutage tritt, sobald wir uns Rechenschaft ablegen über jene Bedin-
gungen, die erfüllt sein müssen, damit Handlungen des Verstandes als for-
male Operationen durchführbar werden. Die nun folgende abschließende
Rekonstruktion der Entstehung und Präzisierung der Idee des operativen
Symbolismus versucht diese Kosten sichtbar werden zu lassen.
(2) Formales Operieren ist gebunden an den schriftlichen, genauer: typo-
graphischen Gebrauch von Symbolen. Dieser setzt die Linearisierung bzw.
eindimensionale Ausrichtung der Wahrnehmung voraus.
Zwei markante Stufen sind in der Herausbildung des typographischen
Symbolgebrauches identifizierbar: die Ausbildung des Stellenwertprinzips
bei der Zahlendarstellung sowie des Prinzips der Begriffsschrift in der for-
mallogischen Darstellung von Urteilen.
(2.1) Die Ausbildung von Zahlzeichensystemen, die auf dem Stellenwert-
system beruhen, spielt für den mathematischen Symbolismus eine ähnlich
entscheidende Rolle wie die Ausbildung der phonetischen, d. h. alphabeti-
schen Schrift für die Verschriftlichung der Umgangssprachen. Diese Rolle
betrifft die Durchsetzung der strengen Linearität in der symbolischen Re-
präsentation.
Mündliche Zählreihen können Zahlen nicht anders als in sukzessiver Auf-
einanderfolge darstellen. Doch schreibt man eine Zahl im altägyptischen
oder römischen Zahlzeichensystem an, so ist die Einhaltung streng linearer
Darstellung nicht zur zweifelsfreien Identifikation der Ziffern erforderlich.
Die Entstehung des formalen Gebrauches von Symbolen 177

Die römische Zahl MDCCCCXXXV kann auch in umgekehrter Reihen-


folge angeschrieben werden: VXXXCCCCDM und bleibt immer noch- im
Prinzip - als dieselbe Zahl lesbar. Dies hängt mit dem additiven Charakter
des Zahlzeichensystems zusammen, in welchem es gleichgültig ist, an wel-
cher Stelle die einzelnen Ziffern auftreten, da dieselben nur zu addieren
sind. Dies ändert sich mit der Einführung eines Stellenwertsystems. Die Be-
deutung, die eine Ziffer für den Aufbau der durch Ziffern dargestellten Zahl
hat, wird nun abhängig von der Stelle, die eine Ziffer im ganzen der Ziffern-
folge annimmt. Daraus folgt, daß Ziffernsysteme, die auf dem Stellenwert-
prinzip beruhen, nur eine bestimmte Schreib- und Leserichtung zulassen
können. Die Zahl1935 rückwärts geschrieben ergibt die neue Zahl5391. Be-
reits vor dem indischen Dezimalsystem gab es Stellenwertsysteme: z. B. das
babylonische Sexagesimalsystem und die chinesischen Stäbchenziffern. Die
außerordentliche Bedeutung des indischen Ziffernsystems beruht darauf,
daß das indisshe System das schriftliche Rechnen erlaubt und damit die
Funktionen einer formalen Sprache vollgültig realisiert. Inde~ im Buropa
des 14. und 15. Jahrhunderts die Praxis des Rechenbrettrechnens durch das
schriftliche Rechnen mit den indischen Ziffern verdrängt wird, der Ge-
brauch dieser formalen Sprache allmählich in den Alltag eingeht, wird die
strenge Linearität der Wahrnehmung zu einem Erfordernis in der Bewälti-
gung der alltäglichen Rechenpraxis.
(2.2) Die Spezifik der Zahlzeichensysteme im Unterschied zu den
Schriftsystemen der Umgangssprachen liegt darin, daß der mit Ziffern ange-
schriebenen Zahl anzusehen ist, woraus sie sich zusammensetzt. Das Sieht-
barmachen des Bildungsprinzips läßt die Zahlzeichensysteme zum Vorbild
der Leibnizschen Idee einer Begriffsschrift werden: unter Umgehung der
umgangssprachlichen Formulierungen müßte es - nach Leibniz - möglich
sein, die Begriffe bzw. Ideen selbst mit Hilfe ideographischer Symbole so
darzustellen, daß die Zusammensetzung der Begriffe aus einfacheren
Begriffen un,mittelbar einsehbar würde. Durch seine Zuordnung von
Zahlen zu Begriffen hofft Leibniz, Eigenschaften von Begriffen als arithme-
tische Eigenschaften ausdrücken zu können, und nimmt damit- in gewisser
Weise - die Gödelisierung vorweg. Dies aber heißt die strikte Linearisie-
rung, die bei der phonetischen Schrift nur die syntaktische Darstellung der
Wörter der Umgangssprachen erlaßt, nun auch auf die Bedeutungen selbst
auszudehnen.
Diese Linearisierung der logischen Semantik tritt in Freges begriffsschrift-
liebem Aufbau der Quantarenlogik unverhüllt zutage: Die rigorose Ausrich-
tung des Wahrnehmungsaktes ist ihr notwendiges Pendant. Wir können
Freges Formel

l
l'üs;m
L--.
- - - - g(b)
178 Die Entstehung des formalen Gebrauches von Symbolen

nur dann als das logische Schema beispielsweise des Urteils "wenn dieser
Strauß ein Vogel ist und nicht fliegen kann, so ist daraus zu schließen, daß
einige Vögel nicht fliegen können" (gemäß: b bedeutet einen Vogel Strauß
als ein einzelnes zur Gattung gehörendes Tier; g (a) bedeutet: a ist ein Vogel;
f (a) bedeutet: a kann fliegen) identifizieren, wenn wir Freges Formel genau
in der vorgeschriebenen Richtung, nämlich von unten nach oben, lesen.
Die Exaktheit formaler Sprachen setzt den streng linearen Gebrauch von
Symbolen voraus. Solche Symbole können nur gelesen und verstanden
werden, wenn der Akt der Wahrnehmung selbst monolinear geworden ist.
Der Wechsel der Perspektive, in der wir etwas sehen können, ist ausge-
schlossen; die eindimensionale Zurichtung des Blickes vorausgesetzt.
Könnte es einen Zusammenhang geben zwischen der Herausbildung der
Zentralperspektive als konstitutivem Bildprinzip neuzeitlicher Malerei und
der Herausbildung der formalen Symbolik in der Mathematik und ihrer
Verallgemeinerung zur alltäglichen Rechenpraxis der Neuzeit?
(3) Formales Operieren ist gebunden an den schematischen Gebrauch
von Symbolen. Während wir Zeichenreihen bilden und umbilden, müssen
wir uns dabei verhalten, als ob wir eine Maschine wären.
In der Entwicklung des schematischen Zeichengebrauches lassen sich vier
markante Stufen voneinander absetzen: die algorithmische Tradition des
orientalischen Rezeptewissens, das Leibnizprogramm einer algorithmi-
schen Erzeugung und Beurteilung wissenschaftlicher Sätze, das Hilbertpro-
gramm der Berechenbarkeit und Entscheidbarkeit aller mathematischen
Probleme sowie die Turingmaschine als Präzisierung der Berechenbarkeit
und algorithmischen Lösbarkeit.
(3.1) In der antiken (Ägypten, Mesopotamien) und mittelalterlichen
orientalischen (Indien, China) Tradition mathematischer Wissensbildung
wird die algorithmische Problemlösung zum prägenden Grundzug des arith-
metischen und algebraischen Tuns. Nicht der Beweis für die Allgemeingül-
tigkeit, sondern allein das Know-how eines Problemlösungsverfahrens ist
das Fundament der mathematischen Technik, dem auch dann noch zu trauen
sei, wenn die Resultate, zu denen solche Verfahren führen, "ontologisch"
ungesichert bzw. nicht zu veranschaulichen sind. Die negativen Zahlen
werden in China eingeführt, um den Algorithmus zur Auflösung linearer
Gleichungen formal auf beliebige entsprechende Aufgaben erweitern zu
können.
Die Ägypter benutzen ein Additionsverfahren, welches sie durch Pro-
bieren herausgefunden haben. Sein Funktionieren beruht auf der Möglich-
keit, jede Zahl als Summe von Zweierpotenzen darzustellen; doch von
diesem Wissen findet sich keine Spur.
Das mathematische Wissen ist ein Regelwissen, das seine Sicherheit da-
durch gewinnt, daß eine mathematische Handlung als starres Einhalten und
praktischer Vollzug eines überkommenen Schemas gilt. Könnte es hier einen
Zusammenhang geben zum traditionalen, ritualisierten Grundzug dieser
Die Entstehung des formalen Gebrauches von Symbolen 179

Gesellschaften, in denen sozialer Sinn von Handlungen gestiftet wird durch


die Einhaltung vorgegebener Schemata?
Das apodeiktische, also beweisend verfahrende Wissen der Griechen hat
nicht mehr auf die Sicherheit durch die Einhaltung von Handlungsschemata
gebaut. Dies zeigt das "Schicksal" der frühen Rechensteinarithmetik der
Pythagoreer: Die Richtigkeit dieser Arithmetik war demonstrierbar allein
durch den praktischen Vollzug von Handlungen, mit denen die entspre-
chenden Zahlen mit Hilfe von Rechensteinen auf fest vorgeschriebene
Weise ausgelegt wurden. Die Ergebnisse dieser Rechensteinarithmetik
werden von Euklid nicht aufgenommen: Als einziger Garant des wissen-
schaftlichen Status von Sätzen gilt nun ihr Platz, den sie innerhalb eines
deduktiven Systems innehaben. Die technische Handlungsrationalität wird
durch eine epistemische Systemrationalität verdrängt.
(3.2) Das Leibnizprogramm ist der erste Versuch, die epistemische Sy-
stemrationalität
, des axiomatisch-deduktiven Theorienaufbaus mit der tech-
nischen Handlungsrationalität algorithmischer Erzeugungsp~ozeduren zu
verbinden. Durch den Aufbau einer ars characteristica, einer universalen
Kalkülsprache der Wissenschaft, die beliebige Sachverhalte und ihre Bezie-
hungen formal auszudrücken gestattet, und einen calculus ratiocinator, der
die Folgerungsbeziehungen zwischen den Aussagen der ars characteristica
als Formations- und Transformationsregeln eines Kalküls faßt, soll es mög-
lich werden, alle wahren Sätze automatisch herzuleiten sowie über die
Wahrheit jedes vorgelegten Satzes zu entscheiden. Solche Einbeziehung
algorithmischer Erzeugungsprozeduren in den Kanon wissenschaftlicher
Wissensbildung geschieht nicht voraussetzungslos:
Die durch die Buchstabenalgebra eingeleitete Entdeckung der mathema-
tischen Formel ermöglichte es, die Schemata arithmetisch-algebraischer
Problemlösungsverfahren allgemeingültig zu formulieren und damit ihre
Geltung begründbar zu machen. Mit Descartes' analytischer Geometrie
und Leibnize,ns Infinitesimalkalkül drangen kalkülisierte Verfahren, wie sie
mit dem indischen Ziffernrechnen für die alltägliche Rechenpraxis charakte-
ristisch waren, in die Höhere Analysis ein. Die Logik wurde von ihrer Be-
schränkung auf eine Beurteilungskunst für vorgelegte Sätze gelöst und
durch Raimundus Lullus und seine Anhänger als eine ars inveniendi, eine
Erfindungskunst, d. h. als eine Forschungslogik konzipiert, die neue wahre
Sätze aufzufinden habe. Der Gedanke der wissenschaftlichen Methode, von
Descartes ursprünglich am Vorbild algebraischer Lösungsverfahren ge-
wonnen, blieb nicht länger begrenzt auf die Methode der wissenschaftlichen
Darstellung einer Theorie durch ihren axiomatisch-deduktiven System-
aufbau, sondern wird zu einer Methode des wissenschaftlichen Handelns,
welches darin besteht, neue Wahrheiten aufzufinden.
Universalsprachliche Konzepte verstanden formale Sprachen der Wissen-
schaft nicht nur als Mittel internationaler Kommunikation, sondern als
Werkzeuge, richtige Sätze auf formale Weise erzeugen zu können.
180 Die Entstehung des formalen Gebrauches von Symbolen

Um all dies zusammenzufassen: Verfahrensweisen, die die Eigenschaft


einer 'techne', einer 'ars' besaßen, erhielten den Status einer 'episteme'.
Und das heißt zugleich: die maschinenmäßig ablaufende Prozedur wurde
wissenschaftsfähig. Im Leibnizprogramm wird die maschinenmäßige Er-
zeugbarkeit eines wissenschaftlichen Satzes zum Kriterium seiner Wahrheit.
(3.3) Das Hilbertprogramm ist eine präzisierte und auf einen Teilbereich
beschränkte Version des Leibnizprogramms. Für jedes mathematische Pro-
blem existiere ein Algorithmus, der entweder dieses Problem zu lösen oder
seine Unlösbarkeit zu beweisen gestatte. Die Kalkülisierung wird explizit in
den Dienst der Begründung gestellt und führt zur Hilbertschen Idee, mathe-
matische Theorien in Gestalt formalisierter Systeme darstellen zu können,
deren Widerspruchsfreiheit durch metamathematische, d. h. nichtformale
Überlegungen nachgewiesen werde, die sich keiner anderen Schlußweisen
bedienten als den im formalisierten System angewendeten.
Wäre ein solches mathematisches System tatsächlich widerspruchsfrei,
vollständig und entscheidbar, so könnte eine Maschine konstruiert werden,
die alle wahren Sätze dieses Systems automatisch herzuleiten und von jedem
vorgelegten Satz zu entscheiden gestattet, ob dieser Satz oder sein Negat ein
Satz des Systems sei.
(3.4) Der maschinenmäßige Charakter jeglicher algorithmischer Pro-
zedur wird im Rahmen der mathematisch-logischen Grundlagendiskussion
dieses Jahrhunderts mit mathematischer Präzision nachgewiesen. Zwar gab
es verschiedene Präzisierungen des intuitiven Begriffes der Algorithmisier-
barkeit: die allgemein-rekursiven Funktionen, Postsehe Systeme, Markov-
Algorithmen und eben die Turingmaschine; doch erwiesen sich diese unter-
einander als mathematisch äquivalent. Das aber heißt: Jede algorithmi-
sierbare Operation mit Symbolen ist als Turingmaschine darstellbar. Eine
Turingmaschine ist vollständig beschrieben durch eine lineare, endliche
Folge von Symbolkonfigurationen in einem typographischen Medium: sie
ist eine symbolische Maschine. Im Prinzip imitieren Computer eine Turing-
maschine. Die Regeln für die Durchführung eines effektiven Problem-
lösungsverfahrens sind immer auch als Computerprogramm beschreib bar.
Die Sätze über Unvollständigkeit (Gödel) und Unentscheidbarkeit
(Church) formalisierter Systeme zeigten, daß es logisch unmöglich ist, eine
Maschine zu konstruieren, die alle wahren Sätze einer Theorie herzuleiten
und über die Ableitbarkeit jedes vorgelegten Satzes zu entscheiden erlaubt.
Schon der Beweis der Widerspruchsfreiheit eines genügend reichhaltigen,
z. B. die Arithmetik formalisierenden Systems macht es notwendig, aus dem
System "herauszutreten", z. B. im Sinne der Benutzung voraussetzungsstär-
kerer Ableitungsregeln. Maschinen sind Systeme, die nicht aus sich heraus-
treten können: Ein Satz, den eine Maschine produziert, kann nicht zugleich
ein Satz über die Maschine sein. Zwar können Modifikationen des Maschi-
nenprogramms unbegrenzt eingegeben werden, doch diese Modifikationen
bleiben immer noch im Programm angelegt.
Die Entstehung des formalen Gebrauches von Symbolen 181

Die Fähigkeit, aus Systemen herauszutreten, Programme zu verlassen,


können wir auch "Phantasie" nennen.
Die Pointe der Gödelsehen Beweisführung, die darin besteht, einen Satz
über das formalisierte System innerhalb des Systems abzubilden, so daß
dieser Satz seine eigene Unbeweisbarkeit behauptet, ohne dabei in die logi-
sch~n Fehler der Richardschen Antinomie zu verfallen, setzt Phantasie
voraus. Die Programme von Leibniz und Hilbert - und damit alle Pro-
gramme einer vollständigen Formalisierbarkeit geistiger Operationen -
können interpretiert werden als Versuche, die Arbeit des Verstandes so zu or-
ganisieren, daß auf Phantasie nicht zurückgegriffen werden muß. Gödel hat
gezeigt, daß dies noch nicht einmal für die Beweis-Arbeit des Mathemati-
kers zutrifft: Es gibt keine universale Maschine, die alle mathematischen
Beweise automatisch herleitet.
Die Grenzen der Formalisierbarkeit sind die Grenzen eines mechanisch
verfahrenden,, phantasielosen Verstandes. Die Auszeichnung unserer Ver-
nunft liegt nicht nur darin, einer Regel folgen, sondern auc)l darin, eine
Regel gegebenenfalls außer Kraft setzen zu können. Ohne diese Fähigkeit
zur Außerkraftsetzung könnten die Bedingungen, die erfüllt sein müssen,
damit wir formalisierte Systeme aufbauen können, überhaupt nicht erfüllt
werden.
(4) Formales Operieren ist gebunden an den interpretationsfreien Ge-
brauch von Symbolen. Während wir mit den Symbolen operieren, können
wir vergessen, was die Symbole eigentlich bedeuten.
Drei Stufen sind unterscheidbar: die Symbole stehen für wohlbestimmte
Objekte; die Symbole gelten als Variablen, die für unspezifizierte Objekte
eines bestimmten Interpretationsbereiches stehen; die Symbole gelten als
Kalkülzeichen, die auf prinzipiell verschiedene Weise interpretiert werden
können.
(4.1) In dem ältesten uns bekannten rechnerischen Symbolsystem, den
babylonischep. Rechensteinen, die als Medium vorschriftlicher Buchhaltung
dienten, wird eine bestimmte Anzahl von Schafen durch eine analoge An-
zahl von Rechensteinen repräsentiert, so daß Veränderungen an der Herde
durch entsprechende Veränderungen an der Menge der Rechensteine doku-
mentierbar werden. In den ägyptischen Papyri sind uns spezielle Zeichen für
eine unbekannte Größe, die in einer algebraischen Aufgabe zu lösen ist,
überliefert. In beiden Fällen stehen die Symbole jeweils für wohlbestimmte
Objekte. Sie sind "Platzhalter" für dieselben. Das zeigt auf besonders deut-
liche Weise Diophants einschneidende algebraische Neuerung, die unbe-
kannte Größe in einer algebraischen Gleichung nicht nur mit einem beson-
deren Symbol zu kennzeichnen, sondern ·mit diesem Symbol auch zu
rechnen: das Symbol steht für einen Wert, mit welchem deshalb operiert
werden kann, als ob er schon bekannt sei, weil er durch die in der Gleichung
gegebenen Bedingungen vollständig definiert ist.
Diese Symbole sind Stellvertreter für Objekte, die vor und unabhängig
182 Die Entstehung des formalen Gebrauches von Symbolen

von ihrer symbolischen Repräsentation gegeben sind: Sie haben eine extra-
symbolische Bedeutung.
(4.2) Eine andersgeartete Funktion erfüllt der Gebrauch von Variablen:
Die Variablenzeichen stehen nicht mehr für ein einzelnes Objekt, sondern
für unspezifizierte Objekte eines wohlbestimmten Variabilitätsbereiches.
Aristoteles und die stoischen Logiker führten die Variablen in die Logik,
Vieta und Descartes führten sie in die Mathematik ein, auf Frege geht der
Gebrauch der gebundenen Variablen zurück.
Auch Variablen sind Platzhalter, Leerstellen für wohlbestimmte Objekte,
die an die Stelle der Variablen so eingesetzt werden, daß sich aus dem for-
malen Ausdruck ein wahrer Satz ergibt. Diese Objekte selbst können nur
noch Zeichen sein. Symbole, die als Variable dienen, sind Zeichen für Zei-
chen.
Wieweit der für die stoische Logik konstitutive Gebrauch von Aussage-
variablen die Reflexion über die Logik charakterisiert, kann ihrer Diskus-
sion über die Lekta abgelesen werden: Die semantische Funktion sprachli-
cher Zeichen besteht nicht etwa darin, für Gegenstände zu stehen, sondern
ergibt sich aus der "unkörperlichen" logischen Funktion, die diese Zeichen
in der assertorischen Rede innehaben.
(4.3) Sofern Variablen die Funktion von Kalkülzeichen haben, d. h. als
die Grundzeichen einer formalisierten Sprache dienen, ist die Stufe des deu-
tungsfreien Symbolgebrauches erreicht. Diese Symbole haben eine intra-
symbolische Bedeutung. Die Regeln, vermittels deren die symbolischen
Ausdrücke gebildet und umgebildet werden, nehmen keinen Bezug auf die
Bedeutung der Symbole. Das hat zur Folge, daß der Interpretationsbereich
prinzipiell nicht festgelegt ist: Für diese Kalküle können verschiedene
Modelle gefunden werden.
Leibniz hat mit seinen logischen Kalkülen von 1679 an als erster formali-
sierte Systeme entwickelt, die auf unterschiedliche Weise zu deuten sind und
von ihm auch gedeutet wurden.
Die Grenzen zwischen den hier auseinandergehaltenen Stufen sind im
historischen Prozeß fließend. Vieta hat die Variablen seiner Buchstaben-
algebra auf numerische Werte begrenzt. Gleichwohl ist damit der erste
Schritt getan hin zu einem Rechnen mit deutungsfreien Zeichen, wie es
Boole dann in seiner logischen Algebra praktiziert. Im Unterschied zu den
aristotelischen Termvariablen können die stoischen Aussagenvariablen
bereits als kalkülisierte Zeichen gelten.
(4.4) Der kalkülisierte Gebrauch von Symbolen ist ein Verfahren, eine
neue Gattung von Gegenständen zu erzeugen. Gegenstände nämlich, die
uns nicht anders gegeben sind denn als Referenz-Gegenstände einer for-
malen Sprache. Exemplarisch zeigt dies die Entwicklung der Null zur Zahl.
Schon bei den Babyioniern findet sich ein Zeichen für die Null als Leerstelle,
die ein unmißverständliches Lesen einer Zahl im Positionssystem, bei wel-
cher eine Position "nicht besetzt ist", erlaubt. Im indischen Ziffernsystem je-
Die Entstehung des formalen Gebrauches von Symbolen 183

doch wird die Null zu einem Grundzeichen des Kalküls. Zu einem Zeichen
also, auf welches sich die Regeln der Formation und Transformation, also
die Rechenregeln, nicht weniger beziehen denn auf die übrigen Grundzei-
chen. Damit wird die Null zu einem Symbol, mit dem gerechnet werden
kann. Das aber heißt: sie wird .zur Zahl.
Was sich hier exemplarisch zeigt, ist: Sobald Symbole, die als Grundzei-
chen eines Kalküls, also als Elemente einer formalen Sprache fungieren und
eine intrasymbolische Bedeutung haben, extrasymbolisch gedeutet werden
im Sinne des "Für-etwas-Stehen", so ist das, wofür sie stehen, Bestandteil
einer symbolischen Realität. Durch die Erweiterung des Zahlenraumes
über den Bereich der natürlichen Zahlen hinaus, über jenen Bereich also, in
dem uns die Zahlen als Anzahlen abzählbarer Dinge lebensweltlich faßbar
sind, werden die Zahlen zu Elementen einer symbolischen Realität. Die
"Existenz" solcher Elemente ist allein verbürgt durch die Möglichkeit, im
Rahmen forma,lisierter Systeme widerspruchsfrei mit Symbolen intrasymbo-
lischer Bedeutung operieren und dieselben auch extrasymbolis.ch deuten zu
können. Da formalisierte Systeme als symbolische Maschinen zu behandeln
sind, können wir über die Gegenstände dieser symbolischen Realitäten auch
sagen: Die Gattung dieser Gegenstände ist dadurch ausgezeichnet, daß
diese durch Operationen symbolischer Maschinen erzeugbar sind.
Formale Sprachen sprechen nie über die wirkliche Welt im Sinne einer
vorfindliehen empirischen Realität, sondern über symbolische Welten: Die
Ausdrücke formaler Sprachen können sich immer nur wieder auf Zeichen-
(ausdrücke) beziehen.
ANMERKUNGEN

Anmerkungen zu Kapitell
1 Vgl. Wertheimer (1912); Schmidl (1915); Fettweis (1927); Thurnwald (1929);
Struik (1948); Ascher (1972); Zaslavsky (1973).
2 Vgl. Pott (1869); Villiers (1923); Nehring (1929); Gouda (1953); Hartner

(1968).
3 ~enninger(1979),1,22.
4 Hartner (1968), 67f.
5 ~enninger(1979),1,23.
6 Humboldt (1979), 130f.
1 Nehring (1929).
8 Vgl. folgende Formen für 'zwei' und 'drei':
griechisch lateinisch gotisch
dyo duo, -ae, -o twai, twos, twa
dyoin duorum, -arum twaddje
dyoin duobus, -abus twaim
dyo duos, -as, -o twans, twos, twa
treis, tria tres, tria preis, prija
trion tri um prije
trisi tribus prim
treis, tria tres, tria prins, prija
Zit. n. ~enninger (1979), I, 30.
9 lbid. 43.
10 lbid.
11 Sie haben folgende Zählreihe aufgebaut:

eins: "das Ende ist ungebeugt" (Kleiner Finger)


zwei: "es ist wieder gebeugt" (Ringfinger)
drei: "die ~itte ist gebeugt" (~ittelfinger)
vier: "es ist einer übrig" (Zeigefinger)
fünf: "an meiner Hand ist es fertig" (Daumen)
12 Zum griechischen arithmos-Begriff: Klein (1936), 53--64.
13 Euklid (1933--37), VII, Def. 6, 7.
14 Oppenheim (1959).
15 Schmandt-Besserat (1978); dies. (1979).
16 Schmandt-Besserat (1978), 38.
11 Klix (1980), 190.
18 Leroi-Gourhan (1980), 238f.
186 Anmerkungen
19 Ghirshman (1934), 116.
2o Hartner (1968), 102.
21 Vgl. Sarton (1935), 378; Furumark (1954), 116; Vogel (1958), I, 17ff.
22 Vgl. Gardiner (1957); Sethe (1916).

23 Zum römischen Rechenbrett: Friedlein (1869); Nagl (1914); Kretzschmer/Hein-

sius (1952).
24 Neugebauer (1931), 325 ff.; ders. (1957), 71 ff.
25 Damerow (1981), 25ff.
26 Papyrus Rhind (1877); Papyrus Moskau (1930). ~
27 "Deshalb bildeten sich in Ägypten zuerst die mathematischen Künste aus, weil

dort dem Stande der Priester Muße gelassen war." Aristoteles, Metaphysik, I, 1-2,
981b.
28 Van derWaerden (1956), 26f.
29 Zum ägyptischen Zahlzeichensystem vgl.: Sethe (1916); Gillings (1972);

Tropfke (1980).
30 Lorenzen (1960), 23; Meschkowski (1979), I, 33.
31 Damerow (1981), 15f.; Neugebauer (1926), 20ff.; ders. (1934), 147f.
32 Van derWaerden (1956), 38.

33 Damerow (1981), 25f.


34 Neugebauer (1935/1937); Neugebauer/Sachs (1945); Sachs (1946/1952).

35 Klix (1980), 210.


36 Neugebauer vergleicht die Bedeutung des Stellenwertsystems mit derjenigen

des Alphabets. Neugebauer (1945), 12.


37 Zum babylonischen Zahlzeichensystem vgl.: Lewy (1949); Tropfke (1980),

26ff.
38 Neugebauer (1935/37), II, Tafelt.
39 Zur babylonischen Rechentechnik vgl.: Neugebauer (1934); Sachs (1946); van

derWaerden (1956); Bruins (1971); Damerow (1981).


4° Neugebauer (1934), I, 32-67.
41 Vgl. Bruins (1973).

4 2 Vgl. Vogel (1933); ders. (1936).


43 Papyrus Moskau (1930), 110ff.

44 Papyrus Rhind (1977), Aufg. 24 ff.


45 Zit. n. Becker (1954), 7f.
46 Exemplarisch: van der Waerden (1956), 101 ff.

47 Zit. n. Becker (1954), 16.

48
Van der Waerden (1956), 118 f.
49
lbid.' 102f.
50 Gericke (1970), 18 weist daraufhin, daß bei den Babyioniern nicht nur Längen,

Flächen und Volumina addiert werden, sondern gelegentlich auch Menschen und
Tage. Vgl. auch: Damerow (1981), 104.
51 Fritz (1955), 13 f.; Szab6 (1978), 185 ff.

5 2 Mittelstraß (1974), 29.


53 Vgl. Heath (1912); ders. (1931); Reidemeister (1949); van derWaerden (1956);

Lorenzen (1960); Becker (1965); Unguru (1975).


54 Menninger (1979), II, 104ff.
55 Tropfke (1980), 168.- Noch im 14. Jahrhundert nennt der Byzantiner Maximus
Anmerkungen zu Kapitel 1 187

Planudes sein Lehrbuch für das indische Ziffernrechnen >Psephoria kat'Indous<


(Steinlegung nach indischer Weise). So tief verwurzelt ist der auf den Gebrauch des
Rechenbrettes zurückgehende Begriff des Rechnens. Zit. n. Menninger (1979), II,
107.
56 Lefevre ( 1981), 135.
57 Summenformeln entnommen: Wussing (1979), 55.
5 8 Van der Waerden (1956), 155.
59 Vgl. ibid. 151 ff.; ders. (1952); Rostagni (1924).

6o Lefevre ( 1981), 137.


6 1 Diels/Kranz (1959), 23 B 2.
62 Becker (1936).

63 Lefevre ( 1981), 138 ff.


64 Bourbaki ( 1971), 66.
6 5 Zeuthen ( 1896), 44 ff.

6 6 Van derWaerden (1956), 194.


67 lbid.

68 lbid. 195.
69 lbid. 203.
70 Aristoteles weist in seiner Ersten Analytik, I, 23 auf diesen Beweis hin. Für den

Beweis selbst vgl. Heath (1955), 111, 2.


71 Vgl. Becker ( 1957), 71 ff. ; Struik ( 1980), 55.
72 Fritz (1945).
73 Hinsichtlich dieser "Grundlagenkrisis" gibt es unterschiedliche Auffassungen

in der Forschung, vgl.: Tannery (1887), 217-261; HasseiSeholz (1929); van der Waer-
den (1940/41); Freudenthai (1966).
74 Klein (1936), 53ff.
75 Vgl. Euklid (1933-37), V, Def. 3, wonach ein Verhältnis nur zwischen homo-

genen Größen bestehen könne.


76
Van derWaerden (1956), 439.
77 lbid. 441.
78 Eine Fortbildung der ägyptischen Tradition bei Diophant sehen: Cantor (1907),

74ff.; Heath (1910), 112f.; ders. (1912), II, 440ff.- In den Zusammenhang der baby-
lonischen Tradition stellen Diophant: Hankel(1874), 157ff.; Neugebauer (1933), 564;
van derWaerden (1956), 460. Demgegenüber betont Klein (1936), 129ff. die Verwur-
zelung Diophants im griechischen Denken.
79 Hanke I ( 1874), 159.
80 Diophant (1893/95), Aufg.1, zit. n. Gericke (1970), 18.
81 Papyrus Rhind (1877), Aufg. 24.

s2 HankeI ( 1874), 158.


83 Van derWaerden (1956), 463.

s4 Diophant (1893), I, 15.


85 Diophant scheint der erste gewesen zu sein, der die Unbekannte nicht nur durch

ein Symbol kennzeichnete, sondern auch mit ihr rechnete. Vgl. Tropfke (1980), 378.
86 Van derWaerden (1956), 462.
86a Van der Waerden (1956, 463) gibt die 4. Potenz mit 'Kubokubus' wieder. Doch

nach Sesiano (1982, 42) spricht Diophant von der 4. Potenz als 'Dynamodynamis'.
Diesen Hinweis verdanke ich Herrn ProfessorW Schaal, Marburg.
188 Anmerkungen

87 Hankel (1874), 163.


88 lbid. 158.
89 Van derWaerden (1956), 463.

90 Zeuthen (1896), 247.


9 1 Vgl. exemplarisch: Klein (1936), 139.
9 2 Hankel (1874), 165.
93 lbid.

9 4 Van der Waerden ( 1956), 461.


95 Neugebauer (1969), 45.
96 Chiu Chang Suan Shu (1968).
97 Die nachfolgenden Darlegungen stützen sich im wesentlichen auf Juschke-

witsch (1964). Vgl. außerdem: Needham (1959), Bd. 3; Mikami (1962); Juschke-
witsch/Rosenfeld (1966).
98 Juschkewitsch (1960), 32ff.

99 lbid. 66. -In Europaschlug im Jahre 1600 Vieta eine dem chinesischen Ver-

fahren. analoge Methode vor. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde diese Methode
nahezu gleichzeitig von P. Ruffi (1804/1813) und W. Horner (1819) neu entdeckt. Die
"tiang-yuang"-Methode wurde im 13. Jahrhundert, der Blütezeit der chinesischen
Algebra, entwickelt. Zu dieser Epoche der chinesischen Mathematik vgl. Libbrecht
(1973).
100 Zum chinesischen Rechenbrett: Vissiere (1892); Rohrberg (1936).
101 Zu den Stäbchenziffern: Needham (1959), 111, 14ff.; Menninger (1979), II,

183ff.
102 Zit. n. Juschkewitsch (1964), 14.
103 Juschkewitsch weist auf den interessanten Tatbestand hin, daß die negativen

Zahlen in China eingeführt wurden, um den Algorithmus zur Auflösung linearer


Gleichungen formal auf beliebige entsprechende Aufgaben erweitern zu können.-
lbid.' 39.
104 Zit. n. Gericke (1970), 52.
1o5 Juschkewitsch (1964), 37.
106 Zum indischen Zahlzeichensystem: Smith/Karpinski (1911); Kaye (1915);

Datta!Singh (1962); Gokkale (1966); Bose (1971).


1 0 7 Bose (1971), 177; Datta!Singh (1962), 118.
108 Eine Null in Kreisform erscheint zuerst im Jahre 870 in den Gwalior-In-

schriften. In Punktform tritt sie früher auf. Vgl. Bose ibid. und Datta!Singh ibid.
1o9 Tropfke (1980), 44.
110 Nau (1910), 225-227; Datta!Singh (1962), 96; Szegin (1974), 20.

1 11 Menninger ( 1979), II, 208 ff.


11 2 Juschkewitsch (1964), 104.
113 Ein solches frühes indisches Positionssystem ist das sogenannte Katapayadi-

System, bei dem nach einem bestimmten Schema die Ziffern 1-9 und 0 Konsonanten
zugeordnet werden, vgl. Tropfke (1980), 42.
114 Gericke ( 1970), 46 ff.
115 Tropfke (1980), 16.
1 16 Menninger (1979), II, 213ff.
11 7 Zit. n. Juschkewitsch (1964), 112.
118 Gericke (1970), 48.
Anmerkungen zu Kapitel 1 189

119 Juschkewitsch (1964), 126.


120 lbid. 127.
121 lbid. 126.
122 lbid. 127.
123 Zur indischen Algebra: Colebrooke (1927); Datta/Singh (1962), II; Juschke-

witsch (1964), 122ff.


124 Datta/Singh (1962), II, 1.
125 Dementsprechend gilt die Algebra als "avyakta-gaQita", d. h. als Lehre vom

Rechnen mit Unbekannten, und die Arithmetik als "Vyakta-gaQita", d. h. als die
Lehre vom Rechnen mit bekannten Größen ('vyakta' bedeutet das Bekannte, 'avy-
akta' das Unbekannte). Vgl. Juschkewitsch (1964), 122.
126 Datta/Singh (1962), II, 3.
127 Zur algebraischen Symbolik: Juschkewitsch (1964), 123ff.

128 Datta/Singh (1962), II, 20.


1 2 9 Vgl. Gandz (1936); Winter (1953).
130 Vgl. Suter (1900); Luckey (1948).

131 Hankel (l874), 227.


132 Vgl. Mieli (1938).

133 Al-Hwarizmi (1963); ders. (1857).


134 Ders. (1915); ders. (1831).
135 Vgl. Allard (1976).
1 36 Menninger (1979), II, 226.
137 lbid. 227.
138 lbid. 227.
139 Der Orientalist J. T. R~inaud hat nachgewiesen, daß die Termini 'Algo-

rithmus', 'Algorismus', 'Alchoarismus', 'Alkauresmus', 'Alchocharithmus' latinisierte


Formen des Eigennamens al-Hwarizmi darstellen. Reinaud (1849).
1 4 0 Zit. n. Juschkewitsch (1964), 187.
141 Zit. n. ibid., vgl. auch Ruska (1917).

1
42 Vgl. dazu Juschkewitsch (1964), 187ff.

143 Al-H warizmi ( 1831).


144 Ders. (1915).

145 Hankel (1874), 259f.


146 lbid. 260.
147 Ruska vermutet allerdings, daß dieser Terminus schon um 1000 verwendet

wurde. Ruska (1917), 13.


1 48 Juschkewitsch (1964), 205.
149 lbid.
150 lbid. 209.
151 lbid.
152 lbid. 211 ff.
153 Diophant von Alexandria (1575), lntroductio XI.
154 Hankel (1874), 263.- Juschkewitsch (1964),212f.
155 Menninger (1979), II, 128ff.; vgl. dazu auch: Friedlein (1869); Steck (1952).

1 56 Menninger (1979), II, 151 ff.


157 Tropfke (1980), 178ff.
1 58 Zit. n. Menninger (1979), II, 137.
190 Anmerkungen
159 Zit. n. Juschkewitsch (1964), 339; vgl. auch: Friedlein (1864a); Nagl
(1888).
16o Menninger (1979), II, 135.
161 Vgl. Friedlein (1864b); Nagl (1889); Hili (1915).
162 Vgl. Cantor (1865); Nagl (1889); Curtze (1898).

1 6 3 Zit. n. Juschkewitsch (1964), 371.


164 Menninger (1979), II, 242ff.
165 Vgl. Eneström (1906); ders. (1908); ders. (1913); Karpinski (1910/11); ders.

(1920/21); ders. (1929); Beaujouan (1954). ~


166 Noch im 18. Jahrhundert gehörte die Kenntnis des Brettrechnens zur Mitgift

einer heiratsfähigen Tochter, vgl. Menninger (1979), II, 143. Moliere läßt seinen «ma-
lade imaginaire» die Apothekerrechnung überprüfen:« ... ayant un table devant lui
comptant avec des jetons», zit. n. Menninger (1979), II, 250. Wie unbekannt in man-
chen Winkeln Europas das Ziffernrechnen blieb, zeigt die Erzählung >Der grüne
Heinrich< von Gottfried Keller, der eine schweizerische Handelsfrau am Anfang des
19. Jahrhunderts noch nach "alter Art" rechnen läßt (I. Teil, Kap. 6).
167 Im Jahre 1338 bestanden in Florenz sechs solcher Schulen, vgl. Juschkewitsch

(1964), 155.
168 Vgl. Günther (1887); Unger (1888).
169 Vgl. Bernhard (1888); Villius (1897); Grasse (1901); Smith (1908); ders.

(1924).
170 Vogel (1949/50).
171 Adam Ries (1892).

172 Menninger (1979), II, 254ff.


173 Vgl. Brown (1905); Penndorf (1905); Schirmer (1925); Sarton (1933); Vogel

(1954).
174 Zit. n. Struik (1980), 95; vgl. auch: Edler (1934).
175 Die mathematischen Schriften Stevins sind abgedruckt in: Struik (1958), II;

vgl. auch: Sarton (1934); Dijksterhuis (1970).


176 Zit. n. Klein (1936), 196. Die folgenden Darlegungen beziehen sich im wesent-

lichen auf Klein ibid.


177 « ... car Diophante est moderne», zit. n. Klein ibid. 197.
178 "Denn das Eine bezeichnet das Maß einer Vielheit, und die Zahl bezeichnet

eine gemessene Vielheit und eine Vielheit von Maßen. Darum ist auch notwendig das
Eine nicht Zahl, so wenig wie das Maß eine Mehrheit von Maßen ist, sondern das
Maß und das Eine ist Prinzip." Aristoteles (1982), II, 341 (Metaphysik, XIV, 1,
1088a).
179 Klein (1936), 205.
180 Struik (1980), 98.
181 Vgl. Rose (1975).
182 Struik (1980), 99.
183 Cardano (1539); ders. (1545); Tartaglia (1556--60); vgl. auch: Harig (1935).

184 Zentben (1903), 93 ff.


185 Eine immer noch lesenswerte Biographie über Vieta: Ritter (1895).
186 In der Verwendung von Buchstaben für Unbekannte hat Vieta einen Vorläufer

in Job. Buteo, >Logistica, quae et Arithmetica vulgo dicitur< (1555) sowie in Paolo
Bonasoni, >Algebra Geometrica< (1574 o. 1587 [?]), zit. n. Klein (1936), 174 u. 180.
Anmerkungen zu Kapitel 1 191
187 Die algebraische Symbolik wird entwickelt in: Vieta, In artem analyticem Isa-
goge, Tours 1591, in: Viete (1646), 1-12.
188 Klein (1936), 157.
189 Zum Anknüpfen an Pappus und Diophant vgl. Klein (1936), 158 ff.

19o Viete (1646), 1-12, Cap. III, § 1.


191 Ibid. 5.

192 Struik (1980), 102.


193 Diese "Zuordnung" wird allerdings unterschiedlich interpretiert. Danzig

(1967), 178 u. 196 sieht darin eine Reduktion geometrischer Probleme auf algebrai-
sche; Quine (1963), 80-82 eine Ableitbarkeit einer formalen Theorie der Geometrie
aus einer formalen Theorie der Algebra. Grosholz (1980) spricht von einer Vereini-
gungzweier Problemlösungsverfahren von zwei unterscheidbaren, aber strukturell
verbundenen Feldern.
194 Fermat (1923); zu dieser Einschätzung: Becker (1954), 139; außerdem: Ma-

honey (1973).
195 Descartes (1902).

196 Descartes (1908), 440.


197 Mahoney (1980), 144.
198 Grosholz (1980), 163.
199 Descartes (1902), zit. n. dtsch. Übersetzung v. Schlesinger (1923), 1 f.
200 Ibid. 2.
201 lbid. 4.
2 0 2 Zeuthen (1896), 237; Boyer (1956), 37ff.

2o3 Zeuthen (1903), 208f.


204 Ibid. 209.
205 Descartes (1902), zit. n. dtsch. Übers. Schlesinger (1923), 19.
206 lbid. 23f.
207 Ibid. 43 ff.

208 Struik (1980), 113.


209 Scholz (1942); ders. (1969); Hermes (1969).
210 Zu dieser Symbolsprache der ars characteristica vgl. Trendelenburg (1857);

Cohen (1954); Risse (1969), II, 170-252; Arndt (1971 a), 99-118; Reinekamp (1975);
Mittelstraß/Schroeder-Heister ( 1976).
211 Vgl. Toeplitz (1949); Boyer (1959); Baron (1969).
212 Vgl. Scriba (1964/65); Fleckenstein (1956).
213 Vgl. Gerhardt (1855); Mahnke (1926); ders. (1932); Hofmann (1949).
214 Leibniz (1684).
215 Ibid.

216 Bernoulli (1924), 11.


21 7 Berkeley (1901), 111, 1 ff.
218 Cassirer (1902), 178.
192 Anmerkungen

Anmerkungen zu Kapite/2
1
Reidemeister (1949), 67ff.
Eine Auswahl moderner Deutungen zur aristotelischen Logik geben Menne/
2

Öffenberger (1982); vgl. außerdem: Maier (1896-1900); Husic (1906); Henle (1935);
Lukasiewicz (1935); Miller (1938); Bochenski (1951); ders. (1956); Heitzmann
(1954); Viano (1955); Patzig (1963).
3 Aristoteles (1920--25).- Die überlieferten Werke von Aristoteles wurden durch

Andronikos von Rhodos im 1. Jh. v. Chr. geordnet und herausgegeben. Dieses


"Corpus Aristotelicum" enthielt an logischen Werken vor allem das später so ge-
nannte "Organon", nämlich:
1. Die Kategorien
2. Die Hermeneia
3. Die Ersten Analytiken
4. Die Zweiten Analytiken
5. Die Topik
6. Die Sophistischen Widerlegungen.
Seit ca. 1500 werden- zuerst in den lateinischen Ausgaben- die logischen Schriften
des Aristoteles unter dem Titel >Organon< zusammengefaßt, vgl. Mielach (1838);
Solmsen (1944). - Zu literaturhistorischen Fragen des >Organon< vgl.: Brandis
(1833); Stocks (1933); Solmsen (1936); Ross (1939).
4 Dies von den Aristoteles-Kommentatoren, z. B. Alexander von Aphrodisias,

in Absetzung zum stoischen Verständnis der Logik als Teil- und nicht als Instru-
ment- der Wissenschaft intendiert. Kurt v. Fritz betont, daß die aristotelische Logik
als Ganzes nicht aus dem Studium der Mathematik und der Beweismethoden her-
vorgegangen sei, sondern aus der Analyse der sogenannten Dialektik. Fritz (1971),
210.
5 Scholz (1959), 3.

6 Lukasiewicz (1951), 3 hat als erster darauf hingewiesen, daß eine korrekte Re-

konstruktion der aristotelischen Schlußformen nicht auszugehen hat von "alle S sind
P", sondern von "P kommt allen S zu". Vgl. auch: Patzig (1963), 23f.
7 Vgl. Aall (1896/99); Heinze (1872); Schütze (1972).
8 Dieser Unterschied entging z. B. Prantl (1927), I, worauf erstmals Lukasiewicz

(1935) aufmerksam machte.


9 Vgl. Aristoteles, Erste Analytik, 1. Buch, Kap.1-25; dazu vgl. Lukasiewicz

(1951); Patzig (1963).


1 o Erste Analytik, 1. Buch, 24. Kap.

11 Lukasiewicz (1935) vertrat erstmals die These von der Gesetzeslogik, die

Bochenski (1956) teilt. -Es geht dabei um die Frage, ob der Syllogismus ein zusam-
mengesetzter "wenn ... so"-Satz, also eine Implikation sei, oder eine Regel bzw. eine
BeweisregeL Patzig (1963) möchte die Auffassung von Lukasiewicz beschränken auf
die Kapitel A1-7 der >Ersten Analytik< von Aristoteles.- Die Interpretation der ari-
stotelischen Syllogistik als Regellogik vertreten: Öffenberger (1971); Sainati (1982a);
vgl. auch: Iverson (1964); Wieland (1966); Corcoran (1973).
12 Vgl. die Unterscheidung von "formal" und "formalistisch" bei Lukasiewicz

(1951), § 6 u. § 7.
Anmerkungen zu Kapitel 2 193
13 Erste Analytik, 1. Buch, 4. Kap., 25b.
14 Bachenski (1956), 55.
15 Sophistische Widerlegungen, 1. Kap., 165 a.

16 Bachenski (1956), 15.


17 "Die aristotelische Logik versteht sich als eine Theorie der Sprache, die sich auf

das Sein bezieht." Sainati (1982 b), 49.


18 Alexander von Aphrodisias äußert sich gelegentlich dahin gehend, daß das

Wesen des Syllogismus nicht in den Wörtern liege, sondern darin, was diese Wörter
bedeuten. Alexander (1883), 372.
19 Zu Theophrast: Bachenski (1947).
20 Bachenski (1956), 121ff.; Frede (1974), 19-23.
21 Sextus Empiricus (1912-14); dazu vgl. Mates (1949). Sammlungen stoischer

Fragmente: Arnim (1903-1924); Hülser (1982).


22 Zur stoischen Logik vgl.: Lukasiewicz (1935); Hurst (1935); Bachenski (1956);

Scholz (1959); Mates (1953); Mau (1957); Kneale (1962); Watson (1966); Gould
(1970); Frede (1974).
23
"Aussage'l im aristotelischen Sinne als etwas, das entweder wahr oder falsch ist.
24 Dies gilt für alle älteren Logik-Geschichten, z. B. Prantl (1885); II.

25 Bachenski (1956), 124.


2 6 Lukasiewicz ( 1935).
27 Kneale (1962), 160; Lukasiewicz (1935), 117.

2s Bachenski (1956), 133.


29 Scholz (1959), 34.
3o Bachenski ( 1956), 135.
3 1 Lukasiewicz (1935), 114.
32
Vgl. Kneale (1962), 139ff.; Schmidt (1979); Hülser (1979); Egli (1983).
33 Kneale (1962), 140.
34 lbid. 139.
35 Lukasiewicz (1935); eine Schlüsselstellung für die Neuerforschung der mittel-

alterlichen Logik kommt auch zu: Moody (1935); Salamucha (1950).


36 Vgl. Dürr (1938); Bachenski (1938); Britzelmeyer (1947); Bendiek (1949);

Boehner (1952); Moody (1953); Bachenski (1955); Moody (1966).


37
Die mittelalterliche Logik läßt sich in zwei Epochen einteilen: (1) die im wesent-
lichen kommentierende logica antiqua (ab 1150), (2) die eigenständige logica mo-
derna (ab 1250).- Pinborg (1972), 13f. unterscheidet für den Zeitraum nach 1240
noch einmal die Hochscholastik (1240-1300) von der Spätscholastik (1300-1450).
38 Vgl. Pinborg (1967); ders. (1972); Enders (1975).

39 Bachenski (1956), 179.


40 So z. B. Vincent von Beauvais (gest. 1264), Albertus Magnus; vgl. Dumitriu

(1977), II, 52.


41 lbid. 53.
42 Zit. n. Dumitriu (1977), II, 53.
43 lbid. 53.

44 Bachenski (1956), 177.


45 Zit. n. ibid. 177f.
46 Zit. n. ibid. 178 f.
47 lbid. 179.
194 Anmerkungen
48
Gleichwohl entsteht die mathematische Logik historisch nicht im Anknüpfen
an die mittelalterliche.
49 Zur Suppositionslehre vgl. Arnold (1952); Bachenski (1956), 186f.; Kneale

(1962), 246ff.; Bob (1966); Dumitriu (1977), II, 131 ff.


50 William of Shyreswood (1937), zit. n. Dumitriu (1977), II, 130.
51 Lat. Text zit. n. Dumitriu (1977), II, 134.
52 Zit. n. Bachenski (1956), 188.

53 lbid. 199.

54 Dumitriu (1977), II, 141. ~


55 Seit Lukasiewicz (1935) bildet die Konsequenzenlehre den bestuntersuchten

Bereich scholastischer Logik; vgl.: Lukasiewicz (1935); Dürr (1938); Bachenski


(1938); Moody (1953); Bachenski (1956), 219ff.; Bird (1961); Kneale (1962); Ash-
worth (1973); ders. (1974); Dumitriu (1977), II, 151ff.
56 Bachenski (1956), 219 ff.
57 Zit. n. Dumitriu (1977), II, 153.
58 Zit. n. Bachenski (1956), 223.
59 Zit. n. Dumitriu (1977), II, 153.
60 lbid. 155 ff.

6t Lukasiewicz (1935), 122.


6 2 Zit. n. Dumitriu (1977), 157.
63 lbid. 157.
64 Raimundus Lullus, Opera (1741--42); zu Lullus vgl.: Prantl (1867), 111, 145 ff.;

Platzeck (1952); Gates (1960); Colomer (1961); Platzeck (1962/64); Llinares (1963);
Lohr (1967); Peers (1969); Hillgarth (1971).
65 Prantl (1867), 111, 156, Anm. 77.
66 Yates (1954); dies. (1960); Rossi (1960).
67
Indem diese Logik Sätze über die Welt zu finden habe, wird sie nicht, wie die tra-
ditionelle, als secunda intentio aufgefaßt; vgl. Prantl (1867), 111, 149.
68 lbid.
69 Dies im Unterschied zu Burkhardt (1980), 275.
7 0 Bachenski (1956), 254.

71 Prantl (1867), 157.


72 lbid. 158ff.
73
Vgl. auch: Gardner (1968), 9ff.
74 Die Geschichte der lullistischen Bewegung ist noch ungenügend erforscht. Hin-

weise geben: Jacoby (1962), 100f.; Bailori (1953); Risse (1964/70), I, 534ff.; Dumi-
triu (1977), 240f.
7 5 Risse (1964/70), 535.

' 6 Dumitriu (1977), II, 244 f.


11 Klaiber (1935), 222.
78 Risse (1964/70), I, 537f.
79 lbid.
80 "Per methodum autem intelligo regulas certas et faciles, quas quicumque exacte

servaverit, nihil unquam falsumpro verso supponet ... " Descartes (1908), 372. -
Deutsche Übers. zit. n. Descartes (1972), 13.
81 ,,Atqui Longe satius est, de nullius rei veritate quaerenda unquam cogitare, quam

idfacere absque methodo." lbid. 371. Deutsche Übers. zit. n. Descartes (1972), 13.
Anmerkungen zu Kapitel 2 195
82 Descartes (1908): <Euvres, X, 359-488.
83 Reg. IV, <Euvres, X, 376.
84 Zur geometrischen Genesis des Verfahrens der Analysis vgl. Hintikka/Remes

(1974).
85 Reg. IV, <Euvres, X, 373.
86 Ibid. 378.
87 Der Begriff der Mathesis universalis wird von den Autoren unterschiedlich in-

terpretiert. Einen Überblick über die verschiedenen Positionen in der französischen


und englischen Literatur gibt: Schuster (1980), 80, Anm.1; einen Überblick über die
deutsche Literatur gibt: Arndt (1971 a), 30ff.; vgl. außerdem: Mittelstraß (1978);
ders. (1979).
88 Cassirer (1902), Kap.l.
89 Aristoteles (Zweite Analytik, 1. Buch, 7. Kap., 75 a; 10. Kap. 76 a, 76 b) argu-

mentiert hier beweistheoretisch: Beweise innerhalb einzelner Wissenschaften mit


spezifischen Gegenstandsgattungen sind nicht übertragbar.
90 Vgl. Weber (1964); Schuster (1980).

9 1 Reg. XII, tEuvres, X, 413f.


9 2 Reg. 111, <Euvres, X, 365ff.
93 ZurMetaphervom "geistigen Auge" (acies mentis) vgl. Reg. V, <Euvres, X, 379.

9 4 Reg. XVIII, <Euvres, X, 464f.


95 Reg. XIV, <Euvres, X, 439ff.
96 Reg. XVIII, <Euvres, X, 462ff.
97 Reg. XIII, <Euvres, X, 431; Reg. XIV, <Euvres, X, 440.

98 Reg. XVII, <Euvres, X, 460.


9 9 Schuster (1980), 64ff.
100 Zu Hobbes' Erkenntnistheorie vgl. Fiebig (1973); Weiß (1978).
101 Hobbes (1651), 8.
102 lbid. 13.
103 "The general Use of Speech, is to transferre our Mental Discourse into Verbal;

or the Trayne of ourThoughts, into a Trayne ofWords." lbid. 14.


104 "Subjects to Names, is whatoever can enter into, be considered in an account;

and be added one to another to make a summe; or substracted one from another, and
leave a remainder. The Latines calles Accounts of mony Rationes, and accounting,
Ratiocinatio; and that which we in bills or books of account call ltems they call No-
mina; that is Namesand thence it seems to proceed, that they extended the word
Ratio, to the faculty of Reckoning in all other things." lbid. 18.
105 lbid. 18.
106 "Per ratiocinationem autem intelligo computationem. Computare vero est plu-

rium rerum simul additarum summam colligere vel una re ab alia detracta, cognoscere
residuum. Ratiocinari igitur idem est quod addere et subtrahere, vel si quis adjungat his
multiplicare et dividere, non abnuam, cum multiplicatio idem sit quod aequalium ad-
ditio, divisio quod aequalium quoties fiere potest substractio. Recidit itaque ratioci-
natio omnis ad duas operationes animi, additionem et subtractionem." Hobbes, De
corpore (1655), I, 1, § 2, 3.
1o1 Bochetiski (1956), 320.
108 Hobbes, De corpore (1655), I, 1, § 2, 5.
109 Einen Überblick über die universal- und kunstsprachlichen Bestrebungen im
196 Anmerkungen

17.Jahrhundert geben: Cohen (1954); Arndt (1967); Mittelstraß (1970), 425ff.;


Knowlson (1975); Mates (1979); Burkhardt (1980).
110 Vgl. Cohen (1954), 50; Arndt (1967).
111 Die Annahme, daß Leibniz der erste gewesen sei, der das Projekt einer künst-

lichen Universalsprache im Sinne eines Instrumentes wissenschaftlicher Forschung


formuliert habe, wurde von Lewis (1918), 5, auf der Grundlage von Couturat (1901)
entwickelt und von vielen Autoren unhinterfragt tradiert. Zur Revision dieser Auffas-
sung: Cohen (1954).
112 Im Zusammenhang einer Lingua universaUs unterscheidet~Mittelstraß (1970),

419f. vier Programme:


( 1) Rekonstruktion einer Ursprache
(2) Organisation einer allgemeinen Gelehrtensprache
(3) Erstellung einer allgemeinen Grammatik
(4) Konstruktion einer Kunstsprache als Instrument der Forschung.
113 Cohen (1954), 51 ff.
114 Zit. n. Cohen ibid. 51; vgl. auch: Bacon (1605), 654: "Non Analogiam ver-

horum ad invicem, des Analogiam inter verba et res, sive rationem."


115 Zit. n. Cohen (1954), 51.
116 Beck (1657).
117 Becker (1661); Kireher (1663).
118 Einem Schreiben Mersennes, in welchem dieser auf das Projekt einer Univer-

salsprache Bezug nimmt, antwortet Descartes: «je trouve qu'on pourrait ajouter a
ceci une invention, tant pour composer les mots primitifs de cette Iangue que pour
leur characteres; en sorte qu'elle pourrait etre enseignee en fort peu de temps, et ce
par le moyen de l'ordre c'est-a-dire, etablissement un ordre entre toutes les pensees
qui peuvent entrer en l'esprit humain, de meme qu'il y en a un naturellement etabli
entre les nombres.» Descartes (1629), CEeuvres, I, 80.
119 Descartes (1897), CEuvres, I, 80.
120 Lodwick (1647); ders. (1652); Comenius (1651); Urquhart (1652).
121 Notiz von Lodwick, zit. n. Cohen (1954), 54.
122 lbid. 56.
123 ". • • and exact discourses may be made demonstratively without any other

pains than is used in the operations of specious analytics." Ward (1654), 21.
1 24 Dalgamo (1661); Wilkins (1668).
125 Vgl. Couturat (1901), 544; Couturat/Leau (1903), 15ff.; Mittelstraß (1970),

432,Anm.38.
126 Freytag-Löringhoff (1957); ders. (1958); Hammer (1958).
127 Zu Keplers Aufzeichnungen vgl. Freytag-Löringhoff (1957).
128 Beauclair (1958).
129 Jordan (1892).

130 Couffignal (1955), 19 ff.


131 Leibniz, GP VII, 206.
132 Zum Leibnizprogramm vgl.: Scholz (1942); ders. (1961); Mittelstraß (1970),

435--452; Finkeistein (1977).


13 3 Leibniz, GP VII, 519; FS 8.
134 Leibniz, COF, 155.
1 35 Scholz (1969), 141 f.
Anmerkungen zu Kapitel 2 197
136 Vgl. Heimsoeth (1912/14), 202f.; Arndt (1971 b), 208f.
137 Descartes, CEuvres VIII;48.
138 Leibniz, GP IV, 425. - Zu Leibnizens Stellung zu Aristoteles vgl. Burkhardt

(1980), 23ff. u. 379ff.


139 Leibniz, GP VII, 516, vgl. auch: Ak VI, II, 408.
140 ZurTradition der scientia generalis vgl. Mittelstraß (1979), 593ff.
141 "Scientia generalis duas continet partes, quarum prior pertinet ad instaura-

tionem scientiarum, judicandumque de jam inventis, ne praejudiciis decipiamur; poste-


rior destinatur ad augendas scientias, inveniendaque, quae nobis desunt." Leibniz,
E,85.
142 Vgl. Arndt (1971 b), 211.
143 Hermes (1969).
144 Hilbert/Ackermann (1972), 15-25; Hermes (1963), 32; Arndt (1971 b), 206.
145 In dieser kalkülisierenden Tendenz unterscheidet sich die leibnizsche von der

cartesischen Konzeption einer Universalwissenschaft, vgl. Mittelstraß/Schroeder-


Heister (1986), 397,.
1 4 6 Leibniz, GP VII, 32.
14 7 Leibniz, GP VII, 297.
148
"Linguae vulgares etsi plurimum prosint ad ratiocinandum, attamen innumeris
aequivocationibus sunt obnoxiae, nec officium calculi facere possunt, nempe ut errores
ratiocinationis ex ipsa vocabulorum formatione et constructione detegi possint, tan-
quam soloecismi et barbarismi. Quod sane admirabile beneficium hactenus solae
praestant notae Arithmeticarum et Algebraicarum, ubi ratiocinatio omnis in usu cha-
racterum consistit et idem est error animi qui calculi. Leibniz, GP VII, 205.
H

149 Den Ausdruck 'Charakteristik' verwendet Leibniz erstmals 1669: COF 168.

Weitere Belegstellen: Ak II, I, 229, 339; COF98f.; GP 111, 605; GPVII, 4. Vgl. auch:
Burkhardt (1980), 188f.; Widmaier (1983), 9.
150 GP 111, 605, dtsch. Übers. n. Burkhardt (1980), 189.
151 Die prägnanteste Formulierung findet die kombinatorische Begriffsauffassung

in >De analysi et synthesi universali<; P VII, 292ff.- Zur Begriffskombinatorik vgl.


Dalbiez (1937); Krüger (1969), 14ff.
152 ,,Alphabetu_m cogitatiorum humanarum est catalogus eorum quae per se conci-

piuntur, et quorum combinatione caeterae ideae nostrae exurgunt. Leibniz, COF 430.
H

153 "Literarum hujus Alphabeti combinatione ... omnia inveniri et dijudicari pos-

sent. Leibniz, GPVII, 185.


H

154 ,,Ars characteristica est ars ita formandi atque ordinandi characteres, ut referant

cogitationes, seu ut eam inter se habeant relationem, quam cogitationes inter se habent.
Expressio est aggregatum characterum rem quae exprimitur repraesentatium. Lex ex-
pressionem haec est: ut ex quarum rerum ideis componitur rei experimendae idea, ex
illarum rerum characteribus componatur rei expressio. Leibniz, B, 80f.
H

155 Arndt (1971 a), 110.


156 COF, 42-92.
157 Riveaud (1950), 111, 480f.; Gurwitsch (1974), 55f.; Mittelstraß/Schroeder-Hei-

ster ( 1986), 400.


158 Mittelstraß/Schroeder-Heister (1986), 400.
159 "Praedicatum subjecto inesse." Leibniz COF, 16f.
16° Krüger (1969), 16.
198 Anmerkungen

161 Gurwitsch (1974), 55.


162 Krüger (1969), 19.
163 lbid. 20.

164 Lukasiewicz (1957), 126ff.


165 Leibniz, COF, 356--399.
166 Krüger (1969), 21 ff.; Arndt (1971 a), 110ff.; Poser (1979).

167 Arndt (1971 a), 112.


168 Zur Enzyklopädie als Voraussetzung der Charakteristik: GP VII 40, 221; GM

IV, 211; COF 122f., 137.


169 Reinekamp (1975), 266.
11o Leibniz, COF, 154.
171 Zur Lösung von Streitfragen durch das calculemus vgl.: COF 156; GPVII, 26,

65, 125,200.
112 Bochenski (1956), 322.
173 Für die Leibnizsche Charakteristik hat als erster Trendelenburg den Terminus

'Begriffsschrift' gebraucht. Trendelenburg (1857).


174 Thiel (1975), 33f.
175 Zur Kritik an Leibnizens intentionalem Standpunkt vgl. Couturat (1901), 23f.;

diesem Urteil folgt J0rgensen (1931), I, 80f.


176 Kauppi (1960).

1 77 Rescher (1954); Poser (1969).


178 Rescher (1954), 2f.
179 GP VII 218-221, 221-227.
180 Rescher (1954), 8.

181 COF356-399, 229-231; GPVII 211-217.


182 Rescher (1954), 8.

183 Kneale (1962), 339.


184 Kauppi (1960), 181 ff.
185 Poser (1969), 44.
186 lbid.
187 lbid.
188 COF267-270, 292-321; GPVII, 208-210,228-235,236--247.
189 COF, 383f.

19o Blanche (1970), 190.


1 91 J0rgensen (1931), I, 82.

192 Zit. n. Dumitriu (1977), 111, 160.


193 ,,Algebra est vera logica, ad detengendam veritatem ... "- Jacob Bernoulli,

Opera Genevae, 1733, I, 218, zit. n. Risse (1964/70), II, 258, Anm.1015.
194 lbid.
1 9 5 Arndt (1971 a), 149; Risse (1970), II, 269.
19 6 Lambert (1782), I, 79f., zit. n. Risse (1964/70), II, 208.
197 lbid.
198 Lambert (1764), II, 16, zit. n. Risse ibid. 272, Anm.1070.
199 Lambert (1782), I, 6; vgl. auch: Risse (1964/70), II, 270f.; Blanche (1970), 227.
200 Dies im Unterschied zu Mittelstraß (1970), 449, der von einer rein intensio-

nalen Deutung der Kalküle Lamberts ausgeht.


201 Lambert (1764), I, 35, zit. n. Risse (1964/70), II, 271, Anm.1069.
Anmerkungen zu Kapitel 2 199
202 Lambert (1764), I, 112ff.; vgl. auch: Wolters (1980a), 120--177.
203 Langes (1712) zit. n. Wolters (1980b ).
204 "Calculus sensu genera.lissimo acceptus est methodus secundum regulas con-

stantes incognita e cognitis determinandi. Pro diversitate obiectorum diverseae nascun-


tur methodi ... Ita calculi variant in infinitum ... " Ploucquet (1766), 31, zit. n. Risse
(1964/70), II, 277.
205 "Calculi enim characteribus usi abstrahunt a qualitatibus rerum et ipsis veri-

tatibus obiectivis. Cuiusmodi est, quem trado, calculus logicus signis tantummodo
identitatis et diversitatis utens, foecundus tarnen, ut syllogismos eorumdemque con ca-
tenationes facillima opera inveniat et demonstret, nec ullos admittat errores, nisi per in
advertentiam calculatoris." lbid 46f., zit. n. Risse (1964/70), II, 278.
206 Lambert, in: Ploucquet (1766), 151, zit. n. Risse (1964/70), II, 277.

20 7 Ploucquet (1766), 159.


208 "Es ist schlechterdings unmöglich, daß der arithmetische Calcul auf die Logik

als ein Objekt von verschiedener Art appliciret werde ... " Ploucquet ibid. 264.
209 Ploucquet (1763), zit. n. Risse (1964/70), II, 277.

210 Risse (1964/'lO), II, 281 f.


211 Gergonne (1816/17).
212 «On repete sans cesse qu'il ne faut raisonner que sur des objets dont on a une

idee bien nette; et cependant rien n' est plus faux. On raisonne en effet avec des mots,
tout comme en algebre on calcule avec des lettres; et, de meme qu'on peut executer
avec exactitude un calcul algebrique sans se douter seulement de Ia signification des
symboles sur lesquels on opere, on peut paraeiilement suivre un raisonnementsans
connaitre aucunement Ia signification des termes dans lesquels il est exprime, ou sans
y songer aucunement, so on la connait ... II est sans doute indispensable de bien con-
naitre des idees sur lesqueiles on veut immediatement former quelque jugemant;
mais cela n'est point necessaire pour conclure un jugement de plusieurs autres.» Ger-
gonne (1816/17), 211, note.
213 Blanche (1970), 238.
214 Gergonne (1816/17), 193ff.
215 Paris (1955).

216 Vgl. Kneale (1962), 352.


217 «II n'est aucune Iangue dans laquelle une proposition exprime precisemant et

exclusivement dans lequel de nos cinq cas se trouvent les deux termes qui la compo-
sent; uneteile Iangue, si eile existait, serait bienplus precise que les nötres; eile aurait
cinq sortes de propositions; et sa dialectique serait toute differente de celle de nos
langues.» Gergonne (1816/17), 199, note.
21 8 Peacock (1834); vgl. dazu: Dubbey (1977).

219 Peacock ibid. 198.


220 Zit. n. Kneale (1962), 398f.
221 Vgl. Kneale (1962), 398.
222 Boole (1847), 3f.
223 Ders. (1854), 12.

224 So HerkalKreiser (1983), 23.


225 Boole (1847), 34f.
226 Kneale (1962), 412.
227 "Let us conceive, then, of an Algebra in which the symbols x, y, z etc. admit in-
200 Anmerkungen

differently of the values 0 and 1, and of these values alone. The laws, the axioms, and
the processes of such an Algebra will be identical in their whole extent with the laws,
the axioms, and the processes of an Algebra of Logic. Differences of the interpreta-
tion will alone divide them. Upon this principle the method of the following work is
established." Boole (1854), 37-38.
228 Z. B. Berka/Kreiser (1983), 23.
229 Kneale ( 1962), 413.
230 Zum Folgenden: Boole (1847), 48f.
2 3 1 J0rgensen (1931), I, 116.
232 Jevons' wichtigste logische Literatur: Jevons (1864); ders. (1869); ders. (1874).
233 Ders. (1864), 70.

234 Ders. (1874), 70f.


235 Ders. (1870); vgl. Gardner (1968), 91-103; Mays (1951); ders./Henry (1953).
236 Lewis (1918), 4.

237 Sehröder (1877), 1 f.


238 Blanche (1970), 301 ff.
239 Lorenz ( 1983).

24o Frege (1893/1903), I, VI.


241 Vgl. auch: Thiel (1965), 5ff.
242 Frege (1896), 364f.
243 Ders. (1879), 1 f., dazu vgl. Hoppe (1976).
244 Ders. (1879), 3.
245 Ibid. 4.
246 Ibid. 4.
247 Ibid. 5ff.
248 Ibid. 15 ff.
249 Ibid. VII.
250 Ibid. 16.
251 Ibid. 19.

252 Kneale (1962), 489.

Anmerkungen zu Kapitel 3
1 Krämer-Friedrich (1988).
2 Vgl. Gardner (1968).
3 Hilbert (1922).
4 Gödel (1931).

5 Stegmüller (1973), 44.


6 Ibid. 44.
7 Vgl. Zermelo (1908a); ders. (1908b); Russen (1906a); ders. (1906b); ders.

(1906c); Stenius (1949), 21ff.; Thiel (1972), 82ff.


8 Neben dem Formalismus Hilberts und dem Logizismus Freges und Russells vor

allem der Intuitionismus Brouwers.


9 Kurt Gödel sprach als erster von einer formalistischen Auffassung Hilberts:

Gödel (1931/32), 147. Kreisel hat die Kennzeichnung "formalistisch" für die Hilbert-
schen Schriften in Frage gestellt: Kreisel (1964), 157, zit. n. Thiel (1972), 120. Zur
Kritik an Kreisel: Thiel (1972), 120ff.
Anmerkungen zu Kapitel 3 201
10 Hilbert (1922); Hilbert/Bernays (1934).
11 Zum Hilbertprogramm vgl.: Bernays (1930/31); Neumann (1931); Nagel/
Newman (1964), Kap. II u.-111; Fraenkel/Bar-Hillel/Levy (1973).
12 Herbrand (1931); vgl. Thiel (1984), 104.
13 "Der Grundgedanke meiner Beweistheorie ist folgender: Alles, was im bishe-

rigen Sinne die Mathematik ausmacht, wird streng formalisiert, so daß die eigentliche
Mathematik oder die Mathematik im engeren Sinne zu einem Bestand an Formeln
wird . . . Zu der eigentlichen so formalisierten Mathematik kommt eine gewisser-
maßen neue Mathematik, eine Metamathematik, die zur Sicherung jener notwendig
ist, inder-im Gegensatz zu den rein formalen Schlußweisen der eigentlichen Mathe-
matik- das inhaltliche Schließen zur Anwendung kommt, aber lediglich zum Nach-
weis der Widerspruchsfreiheit der Axiome. In dieser Metamathematik wird mit den
Beweisen der eigentlichen Mathematik operiert, und diese letzteren bilden selbst den
Gegenstand der inhaltlichen Untersuchung." Hilbert (1922), 152f.
1 4 Freudenthai (1961).
15 Hilbert (1899), zit. n. 7., erw. Aufl., Leipzig-Berlin 1930, 2.
16 "In der Geometrie gelingt der Nachweis der Widerspruchslosigkeit der Axiome

dadurch, daß man einen geeigneten Bereich von Zahlen konstruiert, derart, daß den
geometrischen Axiomen analoge Beziehungen zwischen den Zahlen dieses Bereiches
entsprechen, und daß demnach jeder Widerspruch in den Folgerungen aus den geo-
metrischen Axiomen auch in der Arithmetik jenes Zahlenbereiches erkennbar sein
müßte. Auf diese Weise wird also der gewünschte Nachweis für die Widerspruchs-
losigkeit der geometrischen Axiome auf den Satz von der Widerspruchslosigkeit der
arithmetischen Axiome zurückgeführt." Hilbert (1900), zit. n. Gesammelte Abhand-
lungen 1935, 111, 300.
17 Zur "Anschaulichkeit" des Formalismus vgl. Hilbert (1923), 152: "Ein Beweis

ist eine Figur, die uns als solche anschaulich vorliegen muß."
18 Nagel/Newman (1964), 37.
19 Schon 1899 regte Hilbert an, daß für die Auswahl von Axiomen ganz allgemein

die Erfüllung folgender Bedingungen zu fordern sei: die Widerspruchsfreiheit, die


Vollständigkeit und die Unabhängigkeit des Axiomensystems.
20 Den ersten (absoluten) Widerspruchsfreiheitsbeweis in der Logik lieferte Post

(1921) für den in'den >Principia Mathematica< formulierten AussagenkalküL Ähn-


liche Beweise stammen von Hilbert/Ackermann (1928), 29ff. und Lukasiewicz
(1931). Die Widerspruchsfreiheit der Prädikatenlogik erster Stufe haben Hilbert/
Ackermann (1928), 65ff. bewiesen.
21 Fitch bewies die Widerspruchsfreiheit der verzweigten Typentheorie: Fitch

(1938).
22 Gödel (1931), 173.
23 Dies haben die Logiker Ch. Perelman (1936) sowie Barzin (1940) zu bestreiten

versucht.
24 Nichtformale Darstellungen des Gödelsehen Beweises finden sich bei: Rosser

(1939); Findlay (1942); Ladriere (1949); Hanson (1961); Dummet (1963); Nagel/
Newman (1964).- Wir folgen hier im wesentlichen Nagel/Newman (1964).
25 Skolem (1950), 701; Thiel (1972), 124f.

26 Vor Gödel hatte bereits Finsler (1926) methodologisch die Antinomie von Ri-

chard (in: Richard 1905) ausgenutzt, um zu zeigen, daß in einem genügend ausdrucks-
202 Anmerkungen

reichen Formalismus deduktiv unentscheidbare Ausdrücke konstruierbar sind. Doch


ist Finslers Beweis nicht hinreichend, da er nicht formalisiert ist und nicht zwischen
System und Metasystem unterscheidet und überdies nicht den Nachweis leistet, daß
die unentscheidbaren Aussagen wirklich zum System gehören.
27 Leibniz z. B. GP V, 118.

28 Stegmüller (1973), 36ff.


2 9 Quine (1950), 245f.
30 Gödel führt dazu aus: "Wir haben also einen Satz vor uns, der seine eigene On-

beweisbarkeit behauptet" und ergänzt in einer Anmerkung: "Ein &Plcher Satz hat ent-
gegen dem Anschein nichts Zirkelhaftes an sich, denn er behauptet zunächst nur die
Unbeweisbarkeit einer ganz bestimmten Formel ... und erst nachträglich (gewisser-
maßen zufällig) stellt sich heraus, daß diese Formel gerade die ist, in der er selbst
ausgedrückt wurde." Gödel (1931), 176.
31 Gentzen (1936).
32 Das Leibnizprogramm, wie Scholz (1942) es spezifiziert hat.

33 Bebmann (1922), 166; vgl. auch die Formulierung bei Ackermann (1954), 23.
34 Post (1921); t.ukasiewicz (1921); Wittgenstein (1922); vgl. auch: Harrop (1958);

Cook (1971).
35 Church (1936a); ders. (1936b).
36 Rosser (1936) verallgemeinerte das Theorem von Church wie auch das von

Gödel.
37 Turing (1936/37).
38 Vgl. J aniczak (1953); Rogers (1956); Putnam (1957); Davis (1958); Shoenfield

(1960/61).
39 Vgl. Boone (1957); ders. (1959); Britton (1958).
40 Vgl. Hilbert (1900); Davis (1953); Davis/Putnam (1985); dies. (1959); Hermes

(1971), 201 ff.


4t Stegmüller (1973), 58.
42
Kleene (1952), 276--278; dazu: Stegmüller (1973), 58ff.
43 Zit. n. Hermes (1971), VI.

4 4 Hofstadter (1985), 509.


45 lbid. 509.

46 Christian (1981).
47 Gödel (1931); Herbrand (1931); ders. (1932); auch: Kleene (1936a).
48 Church (1936a); ders. (1936b); ders. (1941); Kleene (1936b).
4 9 Turing (1936/37).
50 Rosser (1936); Turing (1937).
51 Markov (1951); ders. (1954); ders. (1967).- Der Markovsche Begriff des Algo-

rithmus ist eine Präzisierung der Tatsache, daß sich jeder Algorithmus in der Mathe-
matik als eine Vorschrift zur Veränderung von Zeichenreihen auffassen läßt.
52 Post (1943).- Post zieht die Konsequenz aus einer Einsicht, die Markovs Algo-

rithmen zugrunde liegt: nämlich, daß mathematische und logische Ausdrücke end-
liche Folgen von Zeichen aus einer endlichen Menge von Zeichen sind; d. h., daß
mathematische Beweise, Rechnungen, Umformungen und logische Folgerungen
darin bestehen, Zeichenreihen in neue Zeichenreihen umzuformen. Post entwickelte
eine Klasse formaler Kalküle zur Umformung endlicher Zeichenreihen.
53 Heidler/Hermes/Mahn ( 1977), 187 ff.
Anmerkungen zu Kapitel 3 203
54 In der Literatur werden die Merkmale des intuitiven Algorithmenbegriffes un-
terschiedlich bestimmt. Z. B. nennen: Loeckx (1976): Endlichkeit, Determiniertheit,
Effektivität; Kämmerer (1969): Determiniertheit, Anwendungsbreite, Effektivität;
Hermes (1971): Allgemeinheit, Endlichkeit, Eindeutigkeit.
5 5 Hermes (1971), 3.
56 Hermes (1938).

5 7 Hermes (1971), 4.
58 Heidler/Hermes/Mahn (1977), 8ff.
59 Ibid. 199ff.

6o Hermes (1971), 9.
61 Loeckx (1976), 9.
62 Heidler/Hermes/Mahn (1977), 187 ff.
63 ZurTheorie der Programmierung vgl. Müller (1969); Manno (1974).
64 Zur Automatentheorie vgl. Kobrinski/Trachtenbrot (1967); Arbib (1969).
65 Zur Theorie der formalen Sprachen vgl. Kurki-Suonio (1971); Becker/Wolter

(1977); Jones (197~).


66 Hofstadter (1985), 137.
67
Hilbert/Bernays (1934), I, 326.
68 Wirth (1979), 183ff.
69 Skolem (1923).
70
Diese Ausgangsfunktionen gab erstmals Gödel (1931) vollständig an.
71 Kämmerer (1969), 28f.

7 2 Hermes (1971), 67.


73 Ackermann (1928).
74 Hermes (1971), 75.
75 Kämmerer (1969), 30.
76 Herbrand (1932); Gödel (1931); Kleene (1936a).
77
Church (1936b); Kleene (1936b); Rosser (1936).
78 Ähnliche Thesen stellten Turing (1936/37) und Post (1936) auf.

79 ZurTheorie der rekursiven Funktionen vgl. Peter (1957); Asser (1960); Rogers

(1967); Brauer/Indermark (1968); Shoenfield (1971); Malcev (1974); Brainderd/


Landweber (1974); Heidler/Hermes/Mahn (1977).
8
° Kalmar (19S9).
81 Peter (1953).
82
Turing (1936/37); vgl. auch: Wang (1957).
83 Zur folgenden formalen Darstellung vgl. Hermes (1971), 18 ff.
84 Zur Theorie der Turingmaschine vgl. Kleene (1952); Shannon (1956); Minsky

(1967); Trachtenbrot (1966); Mahn (1970).


85 Turing (1936/37).
86 Wang (1957).
LITERATUR

Aall, A. (1896/1899): Der Logos. Geschichte seiner Entwicklung in der griechischen


Philosophie und der christlichen Literatur, Leipzig I-II (repr. Frankfurt a. M.
1968).
Ackermann, W. (1928): Zum Hilbertschen Aufbau der reellen Zahlen, Math.
Ann. 99, 118-133.
- (1954): Solvable Cases of the Decision Problem, Amsterdam.
Alexander Aphrodisiensis (1883): .In Aristotelis Analyticorum Priorum Librum I
Commentarium, ed. M. Wallies, Berolini.
Allard, A. (1976): Ouverture et resistance au calcul indien, in: Colloque d'histoire des
sciences: Resist~nce et ouverture aux decouvertes, Leuven. .
Arbib, M.A. (1969): Theories ofAbstractAutomata, Englewood Cliffs.
Aristoteles (1920--1925): Organon, übers. u. erläut. v. Eugen Rolfes, Leipzig, Phil.
Bibi. Bd. 8-13 (Neuauflage 1948).
Aristoteles (1982): Metaphysik, übers. v. H. Bonitz, hrsg. v. H. Seidl, Hamburg,
2Bde., 2. Aufl.
Arndt, H. W. (1967): Die Entwicklungsstufen von Leibniz' Begriff einer Lingua Uni-
versalis, in: H.-G. Gadamer (Hrsg.), Das Problem der Sprache (8. Dtsch. Kongr.
f. Phil., Heidelberg 1966), München, 71-79.
- (1971 a): Methodo scientifica pertractatum. Mos geometricus und Kalkülbegriff in
der philosophischen Theorienbildung des 17. und 18. Jahrhunderts, Berlin-New
York.
- (1971 b): Der Zusammenhang von ars inveniendi und ars iudicandi in der Logik
von Leibniz, Stud. Leibniz. 111, 3, 205-213.
Arnim, J. v. (ed.) (1903-1924): Stoicorum veterum fragmenta I-IV, Leipzig (repr.
Stuttgart 1964).
Arnold, E. (1952): Zur Geschichte der Suppositionstheorie, Symposium 3, Mün-
chen, 1-134.
Ascher, M. u. R. (1972): Numbers and Relations from Ancient Andean Quipus,
Arch. Hist. Exact Sei. 8, 288ff.
Ashworth, E. J. (1973): The Theory of Consequences in the Late Fifteenth and Early
Sixteenth Centuries, Notre Dame Journ. Form. Logic 14,289-316.
- (1974): Language and Logic in the Post Medieval Period, Dordrecht-Bos-
ton.
Asser, G. (1960): Rekursive Wortfunktionen, Z. f. Math. Logik u. Grundl. d.
Math. 6, 258ff.
Bacon, F. (1605): De Dignitate et Augmentis Scientiarum, in: The Work of Francis
Bacon, I-XIV, ed. J. Spedding, R. L. Ellis, D. D. Heath, London 1858-1874; Vol. I
1858, 425-837.
Ballori, M. (1953): Le Lullisme de Ia Renaissance et du Baroque, in: Congr. Intern.
de Philos. XI, Bd.13, Amsterdam.
206 Literatur

Barnard, F. P. (1916):The Casting-Counter and the Counting-Board. AChapterin the


History of Numismatics and Early Arithmetic, Oxford.
Baron, M. E. (1969): The Origins of the infinitesimal calculus, New York.
Barzin, M. (1940): Sur Ia portee du theoreme deM. Gödel, Acad. Roy. Belg. Bull. Cl.
Sei., Ser.5, 26,230-239.
Bauer, W., K. Indermark (1968): Algorithmen, rekursive Funktionen und formale
Sprachen, Mannheim-Zürich.
Beauclair, W. de (1958): Von der mechanischen Rechenmaschine bis zum Relais-
rechner, VDI-Nachrichten, Düsseldorf, 6, 9 u. 10. tl

Beaujouan, G. (1948): Etude paleographique sur Ia notationdes chiffres und l'emploi


des apices du Xe au XIIe siecle, Revue d'Histoire des Scienc. et de leur Applic. 1.
- (1954): L'enseignement de l'arithmetique elementaire a l'universite de Paris aux
XIIIe et XIV siecle, in: Homenaje a Millas-Vallicrosa, vol. I, Barcelona.
Beck, C. (1657): The Universal Character, By which all the nations in the world may
understand one another's Conceptions, reading out of one Common writing their
own MotherTongues, Ipswich.
Becker, H., H. Wolter (1977): Formale Sprachen, Braunschweig.
Becker, J. J. (1661): Character, pro notitia linguarum universali, Frankfurt a. M.
Becker, 0. (1936): Die Lehre vom Geraden und Ungeraden im IX. Buch der Euklidi-
schen Elemente, Quellen und Studien zur Gesch. d. Math., Astr. u. Phys., Abt. B.,
Bd. III, 533-553.
- (1954): Grundlagen der Mathematik in geschichtlicher Entwicklung, Freiburg
i. Br.-München.
- (1957): Das mathematische Denken der Antike, Göttingen.
- (1965): Zur Geschichte der griechischen Mathematik, Darmstadt.
Behmann, H. (1922): Beiträge zur Algebra der Logik, insbesondere zum Entschei-
dungsproblem, Math. Ann. 86, 163-229.
Bendiek, J. (1949): Scholastische und mathematische Logik, Pranz. Stud. 31,
13-48.
Berka, K., L. Kreiser (1983): Logik-Texte. Kommentierte Auswahl zur Geschichte
der modernen Logik, Berlin, 2. Auft.
Berkeley, G. (1901): The Analyst (Dublin-London 1734), in: Complete Works, ed.
A. C. Frazer, Vol. III, 1--60.
Bernays, P. (1930/31): Die Philosophie der Mathematik und die Hilbertsche Beweis-
theorie, BI. dt. Phil. 4, 326-367 (repr. in: Bernays, Abhandlungen zur Philosophie
der Mathematik, Darmstadt 1976, 17-61).
Bernhard (1888): Das älteste deutsche Rechenbuch, übers. u. hrsg. v. F. Unger,
Z. Math. Phys.33, 125-145.
Bernoulli, Joh. (1924): Die Differentialrechnung von Johann Bernoulli aus dem
Jahre 1691/92, übers. v. P. Schafheitlin, Leipzig.
Bird, 0. (1961): Topic and Consequence in Ockham's Logic, Notre Dame Journ.
Form. Logic 2, 65-79.
Blanche, R. (1970): La Logique et son histoire d'Aristote aRussell, Paris.
Bochenski, J. M. (1938): De consequentiis Scholasticorum earumque origine, Ange-
licum 15, 1-18.
- (1947): La logique de Theophraste, Fribourg.
- (1951): Non-analyticallaws and rules in Aristotle, Methodos 3, 70-80.
Literatur 207

- (1955): Communications sur Ia logique medievale, Journ. Symb. Log. 20, 90ff.
- (1956): Formale Logik, Freiburg i. Br.-München, 3. Aufl. 1970.
Boehner, P. (1952): Medieval Logic. An Outline of lts Development from 1250 to
1400, Chicago-Manchester.
Bob, I. (1966): Propositional Connectives, Supposition and Consequences in Paul of
Pergula, Notre Dame Journ. Form. Log. 7, 109-127.
Boole, G. (1847): The Mathematical Analysis of Logic. Being an Essay Towards a
Calculus of Deductive Reasoning, Cambridge (repr. Oxford 1948, 1951, New York
1965).
- (1854): An Investigation of the Laws ofThought on which are Founded the Ma-
thematical Theories of Logic and Probabilities, London (repr. New York o. J.
[1951]).
Boone, W. W. (1957): Certain Simple, Unsolvable Problems of Group Theory,
V. Proc. Kon. Nederl. Akad. (A) 60, 22-27.
- (1959): The Word Problem, Ann. Math. 70, 207-265.
Bortolotti, E. (19~5): I.:algebra nella scuola matematica bolognese del seculo XVI,
Periodico di Mathem., ser. 4, 5, 147-184. .
Bose, D. M. et al. (1971): A Concise History of Science in India, New Delhi.
Bourbaki, N. (1971): Elemente der Mathematikgeschichte, Göttingen.
Boyer, C. B. (1944): Zero: the Symbol, the Concept, the Number, Nat. Math. Mag.,
18, 323-330.
- (1956): History of Analytic Geometry, New York.
- (1959): The History of the Calculus, New York.
Brainderd, W. S., L. H. Landweber (1974): Theory of Computation, New York-
London-Sidney-Toronto.
Brandis, C. (1833): Über die Reihenfolge der Bücher des aristotelischen Organons,
Abh. d. Berl. Akad., Berlin.
Britton, J. L. (1958): The Word Problem for Groups, Proc. London ath. Soc. 8, 493-
506.
Britzelmeyer, W. (1947): Über die älteste formale Logik in deutscher Sprache, Z. f.
Phil. Forsch. 1, 46ff.
Brown, R. (1905): A History of Accounting and Accountants, Edinburgh.
Bruins, E. M. (1971): Computation in the Old Babylonian Period, Janus 58, 222ff.
- (1973): Tables of Reciprocals with Irregular Entries, Centaurus 17, 177ff.
Burkhardt, H. (1980): Logik und Semiotik in der Philosophie von Leibniz, Mün-
chen.
Cantor, M. (1865): Über einen Codex des Klosters Salem, Z. f. Math. u. Phys.10,
1-16.
- (1900--1908): Vorlesungen über Geschichte der Mathematik, Leipzig, Bd. 1,
3. Aufl. 1907, Bd. 2, 2. Aufl. 1900, Bd. 3, 2. Aufl. 1901, Bd. 4, 1908.
Cardano, G. (1539): Practica arithmetica generalis, Mailand.
- (1545): Ars magna sive de regulis algebraicis, Nürnberg.
Cassirer, E. (1902): Leibniz' System in seinen wissenschaftlichen Grundlagen, Mar-
burg (repr. Hildesheim, Darmstadt 1962).
Chiu Chang Suan Shu (1968): Neun Bücher arithmetischer Technik. Ein chinesisches
Rechenbuch für den praktischen Gebrauch aus der frühen Hanzeit, ed. K. Vogel,
Braunschweig.
208 Literatur

Christian, C. (1981): Das Rekursive Inaccessibilitätstheorem und der Gödelsehe


Unvollständigkeitssatz in seiner Bedeutung für die Informatik, in: H. Schauer,
M. Tauber (Hrsg.), Informatik und Philosophie, Wien-München 1981, 152-
169.
Church, A. (1936a): A Note on the Entscheidungsproblem, Journ. Symb. Logic 1,
40-41, 101-102.
- (1936b): An Unsolvable Problem of Elementary NumberTheory, Americ. Journ.
Math.58,345-363.
- (1941): The Calculi of Lambda-Conversion, Ann. Math. Stud~, 6, Princeton, N. J.
(2. Aufl. 1951).
Cohen, J. (1954): On the Project of a Universal Character, Mind 63, 49-63.
Colebrooke, H. T. (1927): Algebra, with Arithmetic and Mensuration from the Sans-
krit of Brahmagupta und Bhäscara (London 1817), bearb. v. H. C. Banerji, Cal-
cutta, 2. Aufl.
Colomer, E. (1961): Nikolaus von Kues und Raimund Llull. Aus Handschriften der
Kueser Bibliothek, Berlin.
Comenius, J. A. (1651): A Pattern of Universal Knowledge, transl. J. Collier,
London.
Cook, S. A. (1971): The Complexity ofTheorem Proving Procedures, in: Proc. 3rd.
Annual ACM Symp. on Theory of Computing, 151-158.
Corcoran, I. (1973): A Mathematical Model of Aristotle's Syllogistic, Archiv f. Gesch.
d. Phil. 55.
Couffignal, L. (1955): Denkmaschinen, Stuttgart.
Couturat, L. (1901): La Logique de Leibniz d'apres des documents inedites, Paris
(repr. Bildesheim 1961, 1969).
- (1961): O.puscules et fragments inedits de Leibniz, Paris 1903 (repr. Hildesheim,
zit. als: COF).
Couturat, L., L. Leau (1903): Histoire de Ia Iangue universelle, Paris.
Curtze, M. (1898): Über eine Algorismushandschrift des 12. Jahrhunderts, Abh.
Gesch. d. Math. 8, 1-27.
Dalbiez, R. (1937): ~idee fondamentale de Ia combinatoire leibnizienne, in: Travaux
du XIe Cong. Intern. de Phil. VI, Paris.
Dalgarno, G. (1661): Ars Signorum, vulgo Character Universalis et Lingua Philoso-
phica, London.
Damerow, P. (1981): Die Entstehung des arithmetischen Denkens, in: P. Damerow,
W Lefevre (Hrsg.), Rechenstein, Experiment, Sprache, Stuttgart, 11-114.
Danzig, T. (1967): Number, The Language of Science, NewYork.
Datta, B., A. N. Singh (1962): History of Hindu Mathematics. A Source Book,
2 Bde., Labore 1935-1938 (2. Aufl. Bombay).
Davis, M. (1953): Arithmetical Problemsand Recursively Enumerable Predicates,
Journ. Symb. Logic 18, 33--41.
- (1958): Computability and Unsolvability, New York-Toronto--London.
Davis, M., H. Putnam (1958): Reductions of Hilbert's Tenth Problem, Journ. Symb.
Logic 23, 183-187.
- (1959): Research on Hilbert's Tenth Problem, Rennelaer Polytechnic Institute,
Troy, N. Y., 3-1 bis 3-31.
Descartes, R. (1902): La Geometrie (Leiden 1637), in: CEuvres I-XII, ed. C. Adam,
Literatur 209

P. Tannery, Paris 1897-1913, Bd. 6, 367-486; dtsch. Übers. v. L. Schlesinger,


2. Aufl., Leipzig 1923 (repr. Darmstadt 1981).
Descartes, R. (1908): Regulae ad directionem ingenii, CEuvres I-XII, ed. C. Adam,
P. Tannery, Paris 1897-1913, Bd. 10; dtsch. Übers. v. L. Gäbe, Harnburg 1972,
1979.
- (1897): Brief an Mersenne v. 20. Nov.1629, in: CEuvres I-XII, ed. C. Adam, P. Tan-
nery, Paris 1897-1979, Bd.1, 76ff.
Diels, H., W.Kranz (1959): Fragmente der Vorsokratiker, 9.Aufl., Berlin.
Dijksterhuis, E.J. (1943): Sirnon Stevin, 's-Gravenhage (engl. The Hague 1970).
Diophant vonAlexandrien (1575): Diophanti arithmetica, übers. v. Xylander, Basel.
Diophant (1893/1895): Diophanti Alexandrini opera omnia cum graeci commenta-
riis, ed. P. Tannery, I u. II, Leipzig.
Dubbey, J. M. (1977): Babbage, Peacock and Modern Algebra, Hist. Math. 4, 295 ff.
Dürr, K. (1938): Aussagenlogik im Mittelalter, Erkenntnis 7, 160-168.
Dumitriu, A. (1977): History of Logic, Bd. I-IV (Bukarest 1975), Tunbridge
WeHs. 1

Dummet, M. A. E. (1963): Die philosophische Bedeutung von Göd~ls Theorem,


Ratio ( Oxford) 5, 124-137.
Ebbinghaus, K. (1964): Ein formales Modell der Syllogistik des Aristoteles, Göt-
tingen.
Edler, F. (1934): Glossary of Medieval Terms of Business, Cambridge, Mass.
Egli, U. (1983): The Stoic Theory of Arguments, in: R. Bäuerle, C. Schwarze, A. v.
Stechow (eds.), Meaning, Use and Interpretation of Language, Berlin-New York,
79-96.
Enders, H. W. (1975): Sprachlogische Traktate des Mittelalters und der Semantik-
begriff. Ein historisch-systematischer Beitrag zur Frage der semantischen Grund-
legung formaler Systeme, München-Paderborn.
Eneström, G. (1906): Über die Demonstration Jordani de algorithmo, Bibliotheca
mathematica, 3. Folge, 7.
- (1908): Über eine dem Jordanus Nemorius zugeschriebene kurze Algorismus-
schrift, Bibliotheca mathematica, 3. Folge, 8.
- (1913): Der Algorismus de integris des Meisters Gernaidus, Bibliotheca mathema-
tica, 3. Folge, 13.
Euklid (1933-1937): Die Elemente, dtsch. v. C. Thaer, Bd. I-XIII, Leipzig (repr. in:
1. Bd. Darmstadt 1962).
Faris, J. A. (1955): The Gergonne Relations, Journ. Symb. Logic, 20, 207-231.
Fermat, P. de (1923): Einführung in die ebenen und körperlichen Örter, Leipzig.
Fettweis, E. (1927): Das Rechnen der Naturvölker, Leipzig.
Fiebig, H. (1973): Erkenntnis und technische Erzeugung, Hobbes' operative Philoso-
phie der Wissenschaft, Meisenheim am Glan.
Findlay, J. N. (1942): Gödelian sentences: a non-numerical approach, Mind. 51,259-
265.
Finkelstein, D. (1977): The Leibniz Project, Journ. Phil. Logic, 6, 425-439.
Finsler, P. (1926): Formale Beweise und die Entscheidbarkeit, Math. Zeitschr. 25,
676-682.
Fitch, F. B. (1938): The Consistency of the ramified Principia, Journ. Symb. Logic 3,
140-149.
210 Literatur

Fleckenstein, J 0Oo (1956): Der Prioritätenstreit zwischen Leibniz und Newton,


Basel-Stuttgarto
Fraenkel, Ao Ao, Mo Bar-Hillel, Ao Levy (1973): Foundation of Set Theory, Am-
sterdam-Londono
Frede, Mo (1974): Die stoische Logik, Göttingeno
Frege, G 0 (1879): Begriffsschrift, eine der arithmetischen nachgebildete Formel-
sprache des reinen Denkens, Halle ao do So (repro in: Go Frege, Begriffsschrift und
andere Aufsätze, edo Jo Angelelli, 30 Aufto 1977, Hildesheim, 1-87)0
- (1893/1903): Grundgesetze der Arithmetik, Begriffsschriftlich abgeleitet, 1-11,
Jena (repr. Darmstadt u. Bildesheim 1962).
- (1896): Über die Begriffsschrift des Herrn Peano und meine eigene, Berichte über
die Verhandl. d. Königl. Sächs. Gesell. d. Wiss. in Leipzig, math.-phys. Classe, 48,
361-378.
Freudenthal, H. (1961): Die Grundlagen der Geometrie und die Wende des 190Jahr-
hunderts, Math.-Phys. Sem. Ber. 7, 2ff.
- (1966): Y avait-il une crise des fondaments des mathematiques dans l'Antiquite?,
Bull. Soc. math. Belgique 18, 43-55.
Freytag-Löringhoff, B. v. (1957): Eine Tübinger Rechenmaschine aus dem Jahre
1623, Heimatkundliehe Blätter für den Kreis Tübingen 11, 25-28.
- (1958): Über die erste Rechenmaschine, Phys. Blätter 14, 361-365.
Friedlein, G. (1864a): Gerberts Regeln der Division, Zeitschr. f. Math. u. Phys. 9.
- (1864 b): Zur Geschichte der Zahlzeichen und unseres Ziffernsystems, Zeitschr. f.
Math. u. Phys. 9.
- (1869): Die Zahlzeichen und das elementare Rechnen der Griechen und Römer
und des christlichen Abendlandes vom 70-13. Jahrhundert, Erlangen.
Fritz, S. K. v. (1945): The Discovery of lncommensurability by Hippasus of Meta-
portum, Ann. of Math. 48, 242-264.
- (1955): Die aex.aC in der griechischen Mathematik, Archiv für Begriffsgeschichte
1, 13-1030
- (1971): Grundprobleme der Geschichte der antiken Wissenschaft, Berlin-New
York.
Furumark, A. (1954): Ägaische Texte in griechischer Sprache, Eranos 52, 18ff.
Gabriel, G. (1980): Logistik, Hist. Wb. Phil. V, 482-483.
Gandz, S. (1926): The Origin of the Term ''Algebra", Amer. math. mon. 33, 437ff.
- (1936): The Sources of Al-Khwarizmi's Algebra, in: Osiris 1, 263ff.
Gardiner, A. H. (1957): Egyptian grammar, London, 3. Aufl.
Gardner, Mo (1968): Logic Machines, Diagrammsand BooleanAlgebra, NewYork.
Gentzen, G. (1936): Die Widerspruchsfreiheit der reinen Zahlentheorie, Math.
Ann.112, 493-565.
Gergonne, J. D. (1816/17): Essai de dialectique rationelle, Ann. math. pures et appl.
7, 189-228.
Gerhardt, C. J. (1855): Die Entdeckung der höheren Analysis, Halle a. d. So
Gericke, H. (1970): Geschichte des Zahlbegriffs, Mannheim-Wien-Zürich.
Ghirshman, R. (1934): Unetablette protoelamite du plateau iranien, Revue d'assyro-
logie 31, 115-119.
Gillings, R. J. (1972): Mathematics in the time of the Pharaohs, Cambridge, M.ass.-
London.
Literatur 211

Gödel, K. (1931): Über formal unentscheidbare Sätze der Principia Mathematica und
verwandter Systeme I, Monatsh. f. Math. u. Phys. 38, 173-198.
- (1931-32): Diskussion zur Grundlegung der Mathematik, Erkenntnis 2, 147-148.
Gokkale, S. L. (1966): Indian Numerals, Poona.
Gouda, J. (1953): Reftections on the numerals "one" and "two" in ancient Indo-
European language, Utrecht.
Gould, J. B. (1970): The Philosophy of Chrysippus, Leiden.
Grasse, H. (1901): Historische Rechenbücher des 16. und 17. Jahrhunderts, Leip-
zig.
Grosholz, E. R. (1980): Descartes' Unification ofAlgebra and Geometry, in: S. Grau-
koger (ed.), Descartes, Philosophy, Mathematics and Physics, New Jersey, 156--
168.
Günther, S. (1887): Geschichte des mathematischen Unterrichts im deutschen Mittel-
alter bis zum Jahre 1525 (Monumenta Germaniae paedagogica 3), Berlin.
Gurwitsch, A. (1974): Leibniz. Philosophie des Panlogismus, Berlin-New York.
Hammer (1958): Nicht Pascal, sondern Schickard erfand die Rechenmaschine,
I

Büromarkt 20, 1023-1025. .


Hankel, H. (1874): Zur Geschichte der Mathematik im Altertum und Mittelalter,
Leipzig (repr. Hildesheim 1965).
Hanson, N. R. (1961): The Gödel Theorem. An Informal Exposition, Notre Dame
Journ. of Formal Logic 2, 94-110.
Harig, G. E. (1935): Cardans und Tartaglias Streit um die kubischen Gleichungen und
seine gesellschaftlichen Grundlagen, Arch. Hist. Sei. Techn. 7, 67-104.
Harrop, R. (1958): On the Existence of Finit Modelsand Decisionprocedures for Pro-
positional Calculi, Proc. Cambr. Phil. Soc. 54, 1-13.
Hartner, W. (1968): Zahlen und Zahlensysteme bei Primitiv- und Hochkulturvölkern
(Paideuma. Mitteilungen zur Kulturkunde 2, 6/7, 1943), in: W Hartner, Oriens,
occidens, Ausgewählte Schriften zur Wissenschafts- und Kulturgeschichte, Bildes-
heim, 57-116.
Hasse, H., H. Scholz (1929): Die Grundlagenkrise der griechischen Mathematik,
Berlin-Charlottenburg.
Heath, Th. (1910): Diophantus of Alexandria, Cambridge, 2. Auft.
- (1912): A History of Greek Mathematics, 2 Bde., Cambridge.
- (1931): A Manual of Greek Mathematics, Oxford.
- (1955): The Thirteen Books of Euclid's Elements, 3 Bde., Cambridge 1908 (repr.
NewYork).
Heidler, K., H. Hermes, F. K. Mahn (1977): Rekursive Funktionen, Mannheim-
Wien.
Heimsoeth, H. (1912/14): Die Methode der Erkenntnis bei Descartes und Leibniz,
1-11, Gießen.
Heinekamp, A. (1975): Natürliche Sprache und Allgemeine Charakteristik bei
Leibniz (Akten des II. Internationalen Leibniz-Kongresses Hannover, 17.-22. Juli
1972, Bd. IV), in: Studia Leibnit., Suppl. XV, Wiesbaden, 257-286.
Heinze, M. (1872): Die Lehre vom Logos in der griechischen Philosophie, Oldenburg
(repr. Aalen 1961).
Heitzmann, M. W. (1954): The Philosophical Foundation of Aristotelian Logic and
the Origin of the Syllogism, Proc. Amer. Cath. Phil. Ass., 131-142.
212 Literatur

Henle, P. (1935): ANote on the Validity ofAristotelian Logic, Phil. ofScience 2, 111-
113.
Herbrand, J. (1931): Sur Ia problerne fondamental de Ia logique mathematique, in:
Comptes Rendus des Seances de Ia Societe des Seiences et des Lettres de Varsovie,
Cl. 111, 24, 12-56.
- (1932): Sur Ia non-contradiction de l'Arithmetique, Journ. reine u. angew. Math.
166, 1-8.
Hermes, H. (1938): Semiotik. Eine Theorie der Zeichengestalten als Grundlage für
Untersuchungen von formalisierten Sprachen, Forschungen zqr Logik und Grund-
legung der exakten Wissenschaften, Leipzig 5.
- (1963): Einführung in die mathematische Logik, Stuttgart.
- (1969): Ideen von Leibniz zur Grundlagenforschung. Diears inveniendi und die
ars iudicandi, in: Studia Leibnit., Suppl. 111, Wiesbaden, 92-102.
- (1971): Aufzählbarkeit, Entscheidbarkeit, Berechenbarkeit. Einführung in die
Theorie der rekursiven Funktionen, New York-Heidelberg-Berlin, 2. Auft.
Hilbert, D. (1899): Grundlagen der Geometrie, Leipzig (Stuttgart, 12. Auflage
1977).
- (1922): Neubegründung der Mathematik. Erste Mitteilung, Abh. aus d. Math.
Sem. d. Hambg. Univers. 1, 157-177 (repr. in: D. Hilbert, Gesammelte Abhand-
lungen 111, Berlin 1935, Berlin-New York 1970, und in: D. Hilbert, Hilbertiana,
Fünf Aufsätze, Darmstadt 1964, 12-32).
- (1900): Mathematische Probleme, in: Nachr. Ges. Wiss., Göttingen, Math. Phys.
Kl., 253-297 (repr. in: ders.: Gesammelte Abhandlungen, 1935,111 290-329).
Hilbert, D., W. Ackermann (1972): Grundzüge der theoretischen Logik, Berlin 1928
(6. Auft., Berlin-Göttingen-Heidelberg 1972).
Hilbert, D., P. Bernays (1934): Grundlagen der Mathematik I, Berlin (2. Auft.,
Berlin-Heidelberg-New York 1968).
Hili, G. F. (1915): The Development ofArabic Numerals in Europe, Oxford.
Hillgarth, J. N. (1971): Rarnon Lull and Lullism in Fourteenth-Century France,
Oxford.
Hintikka, J., V. Remes (1974): The method of analysis. lts geometrical origin and its
general significance, Dordrecht.
Hobbes, Th. (1651): Leviathan or the Matter, Forme & Power of A Commonwealth,
Ecclesiastical and Civil, ed. A. R. Waller, Cambridge 1904.
- (1655): De Corpore I, Concerning body, Elements ofPhilosophy, the First Section,
written in Latin, ed. W. Molesworth, London 1839.
Hofmann, J. (1949): Die Entwicklungsgeschichte der Leibnizschen Mathematik wäh-
rend des Aufenthaltes in Paris (1672-1676), München.
Hofstadter, D. R. (1985): Gödel, Escher, Bach. Ein endloses geflochtenes Band,
Stuttgart, 5. Auft.
Hoppe, H. U. (1976): Vom "Inhaltsstrich" zum "Waagerechten". Ein Beitrag zur
Entwicklung der Fregeschen Urteilstheorie, in: M. Schirn (Hrsg.), Studien zu
Frege I, Logik und Philosophie der Mathematik, Stuttgart-Bad Cannstatt, 87-
103.
Hülser, K. (1979): Expression and Content in Stoic LinguisticTheory, in: R. Bäuerle,
U. Egli, A. v. Stechow (eds.), Semantics from Different Points ofView, Berlin-Hei-
delberg-NewYork, 284-303.
Literatur 213

- (1982): Die Fragmente zur Dialektik der Stoiker- zusammengestellt, ins Deutsche
übersetzt und teilweise kommentiert, Fase. 1-8, Konstanz.
Humboldt, W. v. (1979): Über den Dualis (Abhandlungen der Berliner Akademie der
Wissenschaften 1827), in: W. v. Humboldt, Schriften zur Sprachphilosophie, Darm-
stadt, 5. Aufl., 113-143.
Hume, J. (1636): Algebre de Viete d'une methode nouvelle, claire et facile, Paris.
Hurst, M. (1935): lmplication in the 4th Century, Mind 44, 484--495.
Husic, J. (1906): Aristotle on the Law of Contradiction and the Basis of Syllogism,
Mind 15, 95-102.
al-Hwarizmi (1831):TheAlgebraofMohamm~d benMusa, arab. Textmitengl. Über-
setzung, ed. F. Rosen, London. ,
- (1857): Algorithmi de numero lndorum, Rom ( = Trattati d'arithmetica, ed.
B. Boncompagni, 1).
- (1915): Robert of Chester's Latin translation of the Algebra of al-Khowarizmi, mit
engl. Übers., ed. L. Ch. Karpinski, New York.
- (1963): Mohammed ibn MusaAlchwarizmi'sAlgorismus. Nach der einzigen (lateini-
' in Paks. mit Transkription und Kommentar, ed. K. yogel, Aalen.
sehen) Handschrift
lfrah, G. (1986): Universalgeschichte der Zahlen, Frankfurt a. M.
lverson, S. (1964): "Reduction of the Aristotelian Syllogism", a master's Thesis in
Philosophy, Buffalo.
Jacoby, G. (1962): Die Ansprüche der Logistiker auf die Logik und ihre Geschichts-
schreibung, Stuttgart.
Janiczak, A. (1953): Undecidability of some simple formalized theories, Fundamenta
Mathematicae 40, 131-139.
Jevons, W. S. (1864): Pure Logic. On the Logic of Quality apart from Quantity. With
Remarks on Boole's System, and on the Relation of Logic and Mathematics,
London.
- (1869): The substitution of similars, the true principle of reasoning, derived from a
Modification of Aristotle's Dictum, London.
- (1870): On the Mechanical Performance of Logical lnference, Phil. Transact.
Royal Soc. 160, 497-518.
- (1874): The Principles of Science. A Treatise on Logic and Scientific Method, 1-11,
London.
J0rgensen, J. (1931): A treatise of formallogic, 3 vol., Copenhagen-London (repr.
NewYork 1962).
Jones, N.D. (1973): ComputabilityTheory, NewYork.
Jordan, W. (1892): Zur Geschichte der Leibniz'schen Rechenmaschine, Zeitschr. f.
Vermessungswesen 21, 545-551.
Juschekewitsch, A. P. (1964): Geschichte der Mathematik im Mittelalter, Moskau
1961; dtsch. v. V. Ziegler, Leipzig.
Juschekewitsch, A. P., B. A. Rosenfeld (1960): Die Mathematik der Länder des
Ostens im Mittelalter, in: G. Harig (Hrsg.), Beiträge zur Gesch. d. Naturwiss.,
Berlin.
Kämmerer, W. (1969): Digitale Automaten. Theorie. Struktur. Technik. Program-
mieren, Berlin.
Kalmar, L. (1959): An Argument against the Plausibility of Church's Thesis, in:
A. Heyting (ed.), Constructivity in Mathematics, Amsterdam, 72-80.
214 Literatur

Karpinski, L. C. (1910/11): An Italian Algebra of the Fifteenth Century, Bibi. math.


11,209-219.
- (1920/21): TwoTwelfth Century Algorisms, Isis 3, 396-413.
- (1929): The Italian Arithmetic and Algebra of Master J acob of Florence, Archaion
11.
Kauppi, R. (1960): Über die Leibnizsche Logik. Mit besonderer Berücksichtigung
des Problems der Intension und Extension (Acta Philosophia Fennica, XII, 1960),
Helsinki.
Kaye, G. R. (1915): Indian mathematics, Kalkutta. ~
Kircher, A. (1663): Polygraphia nova et universalis ex combinatoria arte detecta,
Rom.
Klaiber, L. (1935): Rarnon Lull und Deutschland, in: Spanische Forschungen der
Görresgesellschaft I.
Kleene, St. C. (1936a): General Recursive Functions of Natural Numbers, Math.
Ann. 112, 727-742.
- (1936 b ): Definability and Recursiveness, Duke Math. Journ. 2, 340--353.
- (1952): Introduction to Metamathematics, Amsterdam, 4. Aufl. 1964.
Klein, J. (1936): Die griechische Logistik und die Entstehung der Algebra, Quell. u.
Stud.z. Gesch. d. Math.,Astr. u. Phys.,Bd.3, 1, 18-105,Bd.3,2, 122-235,Berlin.
Klix, F. (1980): Erwachendes Denken, Berlin.
Kneale, W. u. M. (1962): The Development ofLogic, Oxford.
Knowlson, J. (1975): Universal Langnage Schemes in England and France 1600--
1800, Toronto-Buffalo.
Kobrinski, N.E., B.A. Trachtenbrot (1967): Einführung in die Theorie endlicher
Automaten, Berlin.
Krämer-Friedrich, S. (1988): "Universal Thinking Machine"- or on the Genesis of
schematized Reasoning in the 17th Century, in: Hronsky, I., M. Feber, Scientific
Knowledge Socialized (sei. Proc. 5th Joint Int. Conf. Hist. Phil. Sei. 1984), Boston
Sturlies in the Philosophy of Science, No. 108, Reidel, Dordrecht.
Kreisel, G. (1964): Hilbert'sProgramme (Dialectica 12,1958, 346--372), rev. Nachdr.:
Paul Benaceraf, H. Putnam (eds.), Philosophy of Mathematics, Se Ieeted
Readings, Englewood Cliffs, N. J., 156--180.
Kretzschmer, F., E. Heinsius (1952): Über einige Darstellungen altrömischer Rechen-
bretter, Trierer Zeitschrift z. Gesch. und Kunst des Trierer Landes.
Krüger, L.-(1969): Rationalismus und Entwurf einer universalen Logik bei Leibniz,
Frankfurt a. M. (Wissenschaft und Gegenwart, Heft 42).
Kurki-Suonio, R. (1971): Computability and Formal Language, Princeton.
Ladriere, J. (1949): La röle du theoreme de Gödel dans le developpement de Ia
theorie de Ia demonstration, Rev. Phil. de Louvain 47,469-492.
Lambert, J. H. (1764): Neues Organon oder Gedanken über die Erforschung und Be-
zeichnung des Wahren, Leipzig (Phil. Schriften, ed. H. W. Arndt, Bildesheim
1965, Vol. I u. II).
- (1782): Logische und Philosophische Abhandlungen, Berlin (Phil. Schriften, ed.
H. W. Arndt, Bildesheim 1965, vol. VI).
- (1902): Lamberts Abhandlungen zur Bahnbestimmung der Kometen, Leipzig
(Ostwald's Klassiker der exakten Wissenschaften, 1902).
Langes, J. C. (1712): Nucleus logicae Weisianae, Gießen.
Literatur 215

Lefevre, W. (1981): Rechensteine und Sprache, in: P. Damerow, W. Lefevre (Hrsg.),


Rechenstein, Experiment, Sprache, Stuttgart, 115-170.
Leibniz, G. W. (1923f.): Sämtliche Schriften und Briefe, hrsg. v. d. Deutschen Aka-
demie der Wissenschaften zu Berlin, Darmstadt 1923 f., Leipzig 1938 f., Berlin
1950f., zit. als: Ak.
- (1875f.): Die philosophischen Schriften I-VII, ed. C.l. Gerhardt, Berlin-Leipzig
1875-1890 (repr. Bildesheim 1960--61, 1978), zit. als: GP.
- (1849f.): Mathematische Schriften I-VII, ed. C.l. Gerhardt, Berlin-Halle a. d. S.
1849-1863 (repr. Hildesheim 1962), zit. als: GM.
- (1960): Fragmente zur Logik, ausgew., übers. u. erläutert v. F. Schmidt, Berlin, zit.
als: FS.
Leroi-Gourhan, A. (1980): Hand und Wort. Die Evolution von Technik, Sprache und
Kunst, Frankfurt a. M.
Lewis, C.l. (1918): Survey of Symbolic Logic, Berkeley.
Lewy, Hildegard (1949): Origin and development of the Sexagesimalsystem of numera-
tion, Journ. Am,eric. Orient. Soc. 69, 1-11.
Libbrecht, U. (1973): Chinese Mathematics in the Thirteenth Century,. Cambridge,
Mass.
Llineares, A. (1963): Raymond Lulle. Philosophe de l'action, Paris.
Lodwick, F. (1647): A Common Writing whereby two, although not understanding
one the öther's language yet by the help thereof may communicate their minds one
to another, London.
- (1652): The Groundwork, or foundation laid (or so intended) for the framing of a
new perfect language and an universal or common writing, London.
Loeckx, J. (1976): Algorithmentheorie, Berlin-Heidelberg-New York.
Lohr, C.H. (1967): Raimundus Lullus Compendium Logicae Algazelis. Quellen,
Lehre und Stellung in der Geschichte der Logik, Diss. Freiburg i. Br.
Lorenz, K. (1983): 'Logistik', in: Enzyklopädie Philosophie und Wissenschafts-
theorie 2, hrsg. v. J. Mittelstraß, Mannheim-Wien-Zürich, 703.
Lorenzen, P. (1960): Die Entstehung der exakten Wissenschaften, Berlin-Heidel-
berg-New York.
Luckey, P. (1948): Zur islamischen Rechenkunst und Algebra des Mittelalters, For-
schungen und Fortschritte 24, 17-18.
Lukasiewicz, J. (1921): Logika dwuwartosciowa, Przeglad filozoficzny 23, 189-205.
- (1931): Ein Vollständigkeitsbeweis des zweiwertigen Aussagekalküls, CR Var-
sovie, Cl. 111, 24, 153-183.
- (1935): Zur Geschichte der Aussagenlogik, Erkenntnis 5, 111-131.
- (1951): Aristotle's syllogistic from the standpoint of modern formallogic, Oxford.
- (1963): Elements of mathematical Logic, Warszawa, 3. Aufl.
Mahn, F. K. (1970):Turing-Maschinen und berechenbare Funktionen II, in: K. Jacobs
(ed.), Selecta Mathematica II, Berlin-Heidelberg-NewYork, 21-54.
Mahnke, D. (1962): Neue Einsichten in die Entdeckungsgeschichte der höheren Ana-
lysis, Abhandlung. Preuß. Akad. d. Wiss., Jg.1925, Math. Nat. Kl. Nr.1, Berlin.
- (1932): Zur Keimesgeschichte der Leibnizschen Differentialrechnung, Ber. d.
Ges. z. Beförd. d. ges. Naturw. zu Marburg, Bd. 67, Berlin.
Mahoney, M. S. (1973): The Mathematical Career of Pierre de Fermat, Prince-
ton.
216 Literatur

Mahoney, M. S. (1980): The Beginnings of Algebraic Thought in the Seventeenth


Century, in: S. Gaukroger (ed.), Descartes, Philosophy, Mathematics and Physics,
New Jersey, 141-155.
Maier, H. (1896-1900): Die Syllogistik des Aristoteles, 1-111, Tübingen (Leipzig,
2.Aufl. 1936, repr. Hildesheim-NewYork 1969-1970).
Malcev, A.J. (1974): Algorithmen und rekursive Funktionen, Braunschweig.
Manno, Z. (1974): Mathematical Theory of Computation, New York.
Markov, A. A. (1951): Teorija algorifmov, Trudy Math. Inst. Steklov 38, 176-189.
- (1954): Teorija algorifmov, Moskva. tl

- (1967): An Approach to Constructive Logic, Moskva.


Mates, B. (1949): Stoic logic and the textofSextusEmpiricus,Americ. Journ. ofPhil.
70, 290-298.
- (1953): Stoic Logic, Los Angeles.
- (1979): The Lingua Philosophica, in: A. Heinekamp, F. Schupp (Hrsg.), Die inten-
sionale Logik bei Leibniz und in der Gegenwart, Wiesbaden, 59-66.
Mau, J. (1957): Stoische Logik. Ihre Stellung gegenüber der Aristotelischen Syllo-
gistik und dem modernen Aussagenkalkül, Hermes 85, 147-158.
Mays, W. (1951): Mechanized Reasoning, Electronic Engineering 23, 278ff.
Mays, W., D. P. Henry (1953): Jevons and Logic, Mind 62, 484-505.
Menne, A., N. Öffenberger (Hrsg.) (1982): Zur modernen Deutung der aristoteli-
schen Logik, I u. II, Hildesheim-NewYork.
Menninger, K. (1979): Zahlwort und Ziffer. Eine Kulturgeschichte der Zahl, 2 Bde.,
Göttingen, 3. Aufl.
Meschkowski, H. (1979): Problemgeschichte der Mathematik I, Mannheim-Wien-
Zürich.
Mielach, 0. ·(1838): De nomine organi Aristotelia, Diss. Augsburg.
Mieli, A. (1938): La science arabe et son röle dans l'evolution scientifique mondial,
Leiden.
Mikami, Y. (1913): The Development of Mathematics in China and Japan, Leipzig
(repr. NewYork 1962).
Miller, J. W. (1938): The structure of Aristotle's Logic, London.
Minsky, M. (1967): Computation: Finite and infinite machines, Englewood Cliffs,
N.J.
Mittelstraß, J. (1970): Neuzeit und Aufklärung. Studien zur Entstehung der Neuzeit-
lichen Wissenschaft und Philosophie, Berlin-New York.
- (1974): Die Möglichkeit von Wissenschaft, Frankfurt a. M.
- (1978): Die Idee einer Mathesis universalis bei Descartes, Persp. Philos. Neues
Jahrbuch 4, 177-192.
- (1979): The Philosopher's Conception of Mathesis Universalis from Descartes to
Leibniz, Ann. of Science 36, 593-610.
Mittelstraß, J., P. Schroeder-Heister (1986): Zeichen- Kalkül- Wahrscheinlichkeit.
Elemente einer Mathesis Universalis bei Leibniz, in: H. Stachowiak (Hrsg.), Prag-
matik. Handbuch des pragmatischen Denkens I, Hamburg, 392-414.
Moody, E. A. (1953): Truth and Consequence in Medieval Logic, Amsterdam.
- (1965): The Logic ofWilliam of Ockham, NewYork.
- (1966): Medieval Contribution to Logic, Stud. Gen.19, 443-452.
Müller, D. (1969): Programmierung elektronischer Rechenanlagen, Mannheim.
Literatur 217

Nagel, E., J. R. Newman (1964): Der Gödelsehe Beweis, Wien-München.


Nagl, A. (1888): Gerbert und die Rechenkunst des 10. Jahrhunderts, Sitzungsber. d.
kaiserl. Akad. d. Wiss. phil. bist. Klasse 116, Wien.
- (1889): Über eine Algorismus-Schrift des 12. Jahrhunderts und über die Verbrei-
tung der indisch-arabischen Rechenkunst und Zahlzeichen im christlichen Abend-
lande, Zeitschr. f. Math. u. Phys. 34, 129-146 u. 161-170.
- (1914): Die Rechentafel der Alten, Sitzungsber. d. kaiserl. Akad. d. Wiss. phil.
bist. Kl. 177, Wien.
Nau, F. (1910): Notes d'astronomie syrienne, Journ. asiat. 16, 209-228.
Needham, J. (1959): Science and Civilization in China, Vol. 111, Cambridge.
Nehring, A. (1929): Zahlwort und Zahlbegriff im Indogermanischen, in: Wörter und
Sachen, 12.
Neugebauer, 0. (1926): Die Grundlagen der ägyptischen Bruchrechnung, Berlin.
- (1931): Arithmetik und Rechentechnik der Ägypter, Quellen u. Studien zur
Gesch. d. Math., Astr. u. Phys., B, 1, 3, 301-380.
- (1933): Besprechung von: Tropfke, Geschichte der Elementarmathematik, Bd. II,
I

in: Die Naturwissenschaften 30, 564.


- (1934): Vorlesungen über Geschichte der antiken mathematischen Wissen-
schaften, Bd. 1: Vorgriechische Mathematik, Berlin.
- (1935/1937): Mathematische Keilschrift-Texte. Teil 1-111, Berlin (repr. Berlin
1973).
- (1945): The History ofAncientAstronomy, Journ. ofNear Bastern Sturlies 4, 12ff.
- (1969): The Exact Seiences in Antiquity, New York, 3. Auft.
Neugebauer, 0., A. Sachs (1945): Mathematical Cuneiform Texts, New Haven.
Neumann, J. v. (1931): Die formalistische Grundlegung der Mathematik, Erkenntnis
2, 11~121.
Öffenberger, N. (1971): Zur modernen Deutung der aristotelischen Syllogistik, Arch.
f. Gesch. d. Phil. 53, 76ff.
Oppenheim, A. L. (1959): On an Operational Device in Mesopotamian Bureaucracy,
Journ. of Near Eastern Stud. 18, 121 ff.
Papyrus Moskau (1930), hrsg. v. W. W. Struve, Mat. Papyrus des Staatlichen Mu-
seums der Schönen Künste in Moskau, Berlin.
Papyrus Rhind (1877), Erste Ausgabe A. Eisenlohr, Leipzig.
Patzig, G. (1963): Die Aristotelische Syllogistik, Göttingen, 2. Auft.
Peacock, G. (1834): Report on the Recent Progress and Present State of Certain
Branches of Analysis, in: Brit. Ass. f. Adv. of Science, Report 3, 185-352.
Peers, E. A. (1929): Rarnon Lull. A Bibliography, London-New York-Toronto (repr.
NewYork 1969).
Penndorf, B. (1905): Geschichte der Buchhaltung in Deutschland, Leipzig.
Perelman, Ch. (1936): Vantinomie deM. Gödel, Acad. Roy. Belg. Bull, Cl. Sei., Ser.
5, 22, 730-736.
Peter, R. (1959): Rekursivität und Konstruktivität, in: A. Heyting (ed.), Construc-
tivity in Mathematics, Amsterdam, 228-233.
- (1957): Rekursive Funktionen, Budapest.
Pinborg, J. (1967): Die Entwicklung der Sprachtheorie im Mittelalter, Münster-
Kopenhagen.
- (1972): Logik und Semantik im Mittelalter, Stuttgart-Bad Cannstatt.
218 Literatur

Platzeck, E. W. (1952): Die Lullsche Kombinatorik, Pranz. Stud. 34, 32-{)0.


- (1962): Raimund Lull. Sein Leben, seine Werke, die Grundlagen seines Denkens
(Prinzipienlehre) I-II, Düsseldorf.
Ploucquet, G. (1763): Methodus calculandi in logicis, Tübingae.
- (1766): Sammlung der Schriften, welche den logischen Calcul Herrn Prof. Plouc-
quets betreffen, Frankfurt a. M.-Leipzig (repr. Stuttgart-Bad Cannstatt 1970).
Poser, H. (1969): Zur Theorie der Modalbegriffe bei G. W. Leibniz, in: Studia
Leibnit., Supptementa Vol. VI, Wiesbaden.
- (1979): Erfahrung und Essenz. Zur Stellung der kontingenten Wahrheiten in
Leibniz' Ars characteristica, in: Studia Leibnit., Supptementa 8, 67-81.
Post, E. L. (1921): Introduction to a General Theory of Elementary Propositions,
Americ. Journ. Math.43, 163-185.
- (1936): Finite combinatoryprocesses, formulation I, Journ. Sym. Log. 1, 103-105.
- (1943): Formal reductions of the general combinatorical decision problem,
Americ. Journ. Math.65, 197-225.
Pott, F. A. (1868): Die Sprachverschiedenheit in Buropa an den Zahlwörtern nachge-
wiesen, Halle a. d. S.
Prantl, C. (1927): GeschichtederLogikimAbendlande, 4Bde., Leipzig 1855-1870.
Putnam, H. (1957): Decidability and Essential Undecidability, Journ. Symb. Log. 22,
39-54.
Quine, W. V. (1950): Methods ofLogic, NewYork 1950.
- (1963): From a Logical Point ofView, NewYork.
Raimundus Lullus (1741/42): Opera I-VI, IX-X (VII-VIII nicht erschienen), ed.
J. Salzinger, Mainz (repr. ed. F. Stegmüller, Frankfurt a. M. 1905).
Reidemeister, K. (1939): Die Arithmetik der Griechen, Hamb. Math. Sem. (Einzel-
schriften) 26.
- (1949): Das exakte Denken der Griechen, Harnburg 1949.
Reinaud, J. T. (1849): Memoire geographique, historique et scientifique sur l'Inde an-
terieurement aux milieu du XIe siecle de l'etre chretienne, Paris.
Rescher, N. (1954): Leibniz's interpretation of his logical calculi, Journ. Symb. Log.
19, 1-13.
Richard, I. (1905): Les principes des mathematiques et le problerne des ensembles,
Revue gener. d. sciences pures et appliquees 16, 541-543.
Ries, A. (1892): Adam Riese, sein Leben, seine Rechenbücher und seine Art zu
rechnen. Die Coß von Adam Riese, ed. B. Beriet, Leipzig-Frankfurt a. M.
Risse, W. (1964/1970): Logik der Neuzeit, 2 Bde., Stuttgart-Bad Cannstatt.
- (1969): Die characteristica universalis bei Leibniz, Stud. intern. filos. 1, 107-110.
Ritter, F. (1895): Francois Viete, inventeur de l'algebre moderne 1540-1603. Essai sur
sa vie et son reuvre, in: La revue occident. phil., soc. et polit., Second serie, Tome
X, 239-246.
Rivaud, A. (1950): Histoire de Ia philosophie, Paris.
Rogers, H. Jr. (1956): Certain logical reductions and decision problems, Ann. Math.
64, 264-284.
- (1967): Theory of Recursive Functions and Effective Computability, New York-
St. Louis-San Francisco-Toronto-London-Sidney.
Rohrberg, A. (1936): Das Rechnen auf dem chinesischen Rechenbrett, Unter-
richtsbl. f. Math. u. Naturw. 42.
Literatur 219

Rose, L. (1968): Aristotle's Syllogistic, St. Illinois.


Rose, P. L. (1975): The Italian Renaissance ofmathematics. Studies on humanists and
mathematicians from Petrarch to Galileo, Geneva.
Ross, W. D. (1939): The discovery of the syllogism, Phil. Rev. 48, 251-272.
- (1939/40): Some thoughts on Aristotle's logic, Proc. of the Arist. Soc., 40, I-
XVIII.
Rosser, J. B. (1936): Extensions of Some Theorems of Gödel and Church, Journ.
Symb. Log. 1, 87-91.
- (1939): An informal exposition of proof of Gödel's theorem and Church's theorem,
Journ. Symb. Log. 4, 53-60.
Rossi, P. (1960): Clavis universalis. Arti mnemoniche e Logica combinatoria da Lullo
a Leibniz, Milano.
Rostagni, A. (1924): 11 verbo di Pilagora, Turin.
Ruska, J. (1917): Zur ältesten arabischen Algebra und Rechenkunst, Sitzungsber. d.
Heidelb. Akad. d. Wissenschaften, phil.-hist. Kl.
Russell, B. (1906a): Les paradoxes de Ia logique, Rev. met. mor. 14, 627-650.
- (1906b): On some Difficulties in theTheory ofTransfinite Nurober of OrderTypes,
in: Proc. London Math. Soc., Ser. 2, 4, 29-53 (repr. in: Essays in Analysis, 135-
164).
- (1906c): On the Substitutional Theory of Classes and Relations, in: Essays in Ana-
lysis, 165-189.
Russell, B., A.N. Whitehead (1910-13): Principia Mathematica, Cambridge.
Sachs, A. J. (1946): Notes on Fractional Expressions in Old Babylonian Mathematical
Texts, Journ. of Near Bastern Studies 5, 203ff.
- (1949/1952): Babylonian MathematicalTexts, part 1-111, Journ. Cuneiform Studies
1, 219ff.' u. 6.' 151 ff.
Sainati, V. (1982a): Das historische Problem des aristotelischen "Formalismus", in:
A. Menne, N. Öffenberger (Hrsg.), Zur modernen Deutung der aristotelischen
Logik 1982, Bd. I, 111-127 (Übers. aus: ders.: Storia dell'Organon Aristotelico,
Firenze 1968, 5-26).
- (1982b): Die "Kategorien" und die Theorie der Prädikation, in: A. Menne, N. Öf-
fenberger (eds.) (1982), Bd. II, 26-79 (Übers. aus: Storia dell'Organon Aristote-
lico, Firenze 1968, 146-198).
Salamucha, J. (1950): Die Aussagenlogik bei Wilhelm v. Ockham, Franziskaner-
studien 32, 97-134.
Sarton, G. (1933): Arabic "commercial" Arithmetics, Isis 20.
- (1934): Sirnon Stevin of Bruges, Isis 21, 241-303.
- (1935): Minoan mathematics, Isis 24, 375-381.
Schirmer, A. (1925): Vom Werden der deutschen Kaufmannssprache, Sprach- und
handelsgeschichtliche Betrachtungen, Leipzig.
Schmandt-Besserat (1978): The Barliest Precursor of Writing, Scient. Americ. 238,
38ff.
- (1979): An Arehaie Recording System in the Uruk-Jemdet Nasr Period, Americ.
Journ. of Archeol. 83, 19ff.
Schmidl, M. (1915): Zahl und Zählen in Afrika, Mitteil. d. Anthropolog. Gesell. in
Wien, Wien.
Schmidt, R. T. (1979): Die Grammatik der Stoiker, Braunschweig-Wiesbaden.
220 Literatur

Scholz, H. (1942): Leibniz und die mathematische Grundlagenforschung, Jahresber.


d. Dtsch. Math. Ver. 52, 217-244.
- (1959): Abriß der Geschichte der Logik, Freiburg i. Br.-München.
- (1969): Leibniz, in: Mathesis Universalis, ed. H. Hermes, F. Kambartel, J. Ritter,
Basel-Stuttgart-Darmstadt, 2. Auft., 128-151. (Jb. Kaiser Wilhelm Ges. Förde-
rungWiss., 1942, 205-249).
Schröder, E. (1877): Der Operationskreis des Logikkalküls, Leipzig (repr. Darmstadt
1966).
- (189~1905): Vorlesungen über die Algebra der Logik, Leipzi&Bd. I 1890, Bd. 11/1
1891, Bd. 111 1895, Bd. 11/2 1905.
Schütze, A. (1972): Die Kategorien des Aristoteles und der Logos, Stuttgart.
Schuster, J. A. (1980): Descartes' Mathesis Universalis 1619-28, in: S. Gaukroger
(ed.}, Descartes, Philosophy, Mathematics and Physics, Brighton, 41-96.
Scriba, C. J. (1964/65): TheInverse Method ofTangents. ADialogue between Leibniz
and Newton 1675-1677, Arch. Hist. Exact Sei. 2, 113ff.
Sesiano, J. (1982): Books IV to VII of Diophantus' Arithmetica in the arabic trans-
lation attributed to Qustä ibn Lüqä, New York-Heidelberg-Berlin.
Sethe, K. (1916): Von Zahlen und Zahlworten bei den alten Ägyptern, Straßburg
(=Schriften Wiss. Ges. Straßburg 25).
Sextus Empiricus (1912-14): Opera, ed. H. Mutschmann, I, II, Lipsiae.
Sezgin, F. (1974): Geschichte des arabischen Schrifttums, Bd. 5: Mathematik bis
ca. 430, Leiden.
Shannon, C. (1956): A universal Turing machine with two internal states, Automata
Sturlies, Princeton.
Shoenfield, J. R. (1960/61): Undecidable and creative theories, Fundamenta Mathe-
maticae 49, 171-179.
- (1971): Degrees of Unsolvability, Amsterdam-London.
Skolem, T. (1923): Begründung der elementaren Arithmetik durch die rekurrierende
Denkweise ohne Anwendung scheinbarer Veränderlicher mit unendlichem Aus-
dehnungsbereich, Vid. Skr. I, Math. Nat. Kl. 6, 3-38.
- (1950): Some Remarks on the Foundation of Set Theory, in: Proc. Int. Congr. of
Math. vol.2, Cambridge, Mass., 695-704.
Smith, D. E. (1924): The first printed ArithmeticTreviso 1478, Isis, 6.
- (1908): Rara Arithmetica, Boston-London.
Smith, D. E., L. Ch. Karpinski (1911): The Hindu-arabic Numerals, Boston-London.
Solmsen, F. (1936): Die Entwicklung der aristotelischen Logik und Rhetorik, Berlin.
- (1944): Boethius and the history of the Organon, Americ. Journ. of Phil. 65, 69-
74.
Steck, F. (1952): Die Dinkelsbühler Rechentische, in: Alt-Dinkelsbühl, Beilage zur
Fränkischen Landeszeitung 4.
Stegmüller, W. (1973): Unvollständigkeit und Unentscheidbarkeit. Die metamathe-
matischen Resultate von Gödel, Church, Kleene, Rosserund ihre erkenntnistheo-
retische Bedeutung, Wien-New York, 3. Auft.
Stenius, E. (1949): Das Problem der logischen Antinomien, Helsingfors.
Stocks, J. (1933): The composition of Aristotle's logical works, Class. Quart., 115-
124.
Struik, D. J. (1948): Stone Age Mathematics, Scientif. Americ. 179, 44 ff.
Literatur 221

- (ed.) (1958): The Principal works of Sirnon Stevin, Bd. 2: Mathematics, Am-
sterdam.
- (1980): Abriß der Geschichte der Mathematik, Berlin.
Suter, H. (1900): Die Mathematiker und Astronomen der Araber und ihre Werke,
Leipzig.
Swiniarski, J. (1970): A new Presentation of Ockham's Theory of Supposition, Fran-
ciscan Sturlies 30, 131-140.
Szab6, A. (1978): The Beginnings of Greek Mathematics, Dordrecht-Boston.
Tannery P. (1887): La geometrie grecque, Paris.
Tartaglia, N. (1556-1560): General tretto di numeri et misure, Bd.1-3, Venedig.
Thiel, Ch. (1965): Sinn und Bedeutung in der Logik Gottlob Freges, Meisenheim am
Glan.
- (1972): Grundlagenkrise und Grundlagenstreit, Meisenheim am Glan.
- (1975): Zur Beurteilung der intensionalen Logik bei Leibniz und Castillon, in:
Akten des II. intern. Leibn.-Kongr., Mann., 17-22. Juli 1972, Bd. IV, Wiesbaden
1975 ( = Studia Leibnitiana Supplementa Bd. XV).
- (1984): Hilbertprogramm, in: Enzyklop. Phil. u. Wiss.-Theorie, hrsg. v. J. Mittel-
straß, Bd.2, Mannheim-Wien-Zürich, 103-105.
Thurnwald, R. (1929): Zählen, in: Eberts Reallexikon der Vorgeschichte 14.
Toeplitz, 0. (1949): Die Entwicklung der Infinitesimalrechnung I, Berlin-Göt-
tingen-Heidelberg (repr. Darmstadt 1972).
Trachtenbrot, B. A. (1966): Algorithmen und die maschinelle Lösung von Pro-
blemen, Moskau.
Trendelenburg, F. A. (1857): Über Leibnizens Entwurf einer allgemeinen Charak-
teristik, in: Abh. Königl. Akad. Wiss., B, Berlin, 37-69 (auch separat: Berlin
1856).
Tropfke, E. (1980): Geschichte der Elementarmathematik, Bd.1, Berlin-NewYork,
4.Auft.
Turing,A. M. (1937): Computability andÄ-definability, Journ. Symb. Logic2, 153-163.
- (1936/37): On Computable Numbers, with an Application to the Entscheidungs-
problem, in: Proc. London Math. Soc., Ser. 2, 42/43, 544-546.
Unger, F. (1888): Die Methode der praktischen Arithmetik in historischer Entwick-
lung vom Ausgang des Mittelalters bis auf die Gegenwart, Leipzig.
Unguru, S. (1975): On the Need to rewrite the History of Greek Mathematics, Arch.
Hist. Exact Scienc. 15, 67ff.
Urquhart, T. (1652): Introduction to the Universal Language, in: Eskybalawron.
Van derWaerden, B. L. (1940/41): Zenon und die Grundlagenkrise der griechischen
Mathematik, Math. Annal. 117, 141-161.
- (1949): Die Arithmetik der Pythagoreer, Math. Annal. 120.
- (1952): Das große Jahr und die ewige Wiederkehr, Hermes 80.
- (1956): Erwachende Wissenschaft, Basel-Stuttgart.
- (1985): A History of Algebra, Berlin.
Viano, C. A. (1955): La logica di Aristotele, Torino.
Viete, F. (1646): Opera mathematica, ed. F. v. Schooten, Leiden (repr. Bildesheim
1970).
Villiers, M. de (1923): The numeral words, London.
Villius, F. (1897): Geschichte der Rechenkunst, Wien, 3. Aufl.
222 Literatur

Vissiere, A. (1892): Recherehes sur l'origine de l'abaque chinois, Paris.


Vogel, K. (1933): Zur Berechnung der quadratischen Gleichungen bei den Babylo-
niern, Unterrichtsblätter f. Math. u. Naturw. 39, 76ff.
- (1936): Bemerkungen zu den quadratischen Gleichungen der babylonischen
Mathematik, Osiris 1, 703 ff.
- (1949/50): Das älteste deutsche gedruckte Rechenbuch 1482, in: Festschrift des
Maximilian-Gymnasium, München.
- (1954): Die Practica des Algorismus Ratisbonensis. Ein Rechenbuch des Benedik-
tinerklosters Skt. Emmeram aus der Mitte des 15.Jahrhundert&, München.
- (1958/59): Vorgriechische Mathematik I u. II, Hannover-Paderborn.
Wang, H. (1957): A Variant to Turing's Theory of Computing Machines, Journ. Ass.
Comput. Mach. 4, 63-92.
Ward, S. (1654): Vindiciae Acaden miarum, Oxford.
Watanabe, C. (1964): 5-symbol 8-state and 5-symbol 6-state universal Turing-
machines, Journ. Ass. Comput. Mach. 8, 476ff.
Watson, G. (1966): The stoicTheory of Knowledge, Belfast.
Weber, J. P. (1964): La constitution du texte des Regulae, Paris.
Weiß, U. (1978): Hobbes' Rationalismus. Aspekte der neuerendeutschen Hobbes-
Rezeption, Phil. Jb. 85, 167-196.
Wertheimer, M. (1912): Über das Denken der Naturvölker 1: Zahlen und Zahl-
gebilde, in: Schuhmanns.Zeitschr. f. Psych. 60.
Widmaier, R. (1983): Die Rolle der chinesischen Schrift in Leibniz' Zeichentheorie,
Wiesbaden ( = Studia Leibnit., Supplementa, Bd. XXIV).
Wieland, W. (1966): Zur Deutung der aristotelischen Logik, Phil. Rundschau, Sept.,
1ff.
Wilkins, J. (1668): Essays towards a real Character and a Philosophical Language,
London.
William of Shyreswood (1937): Introductiones in Logicam, ed. M. Grabmann, Sit-
zungsber. Bayr. Akad. Wiss., Phil. bist. Abt., 10.
Winter, H. J. (1953): Formative Inftuences in Islamic Sciences, Arch. Intern. d'Hist.
d. Scienc. 6.
Wirth, N. (1979): Algorithmen und Datenstrukturen, Stuttgart.
Wittgenstein, L. (1922): Tractatus logico-philosophicus, London (Neudr. in: Schriften
von Ludwig Wittgenstein, Bd. I, Frankfurt a. M. 1960).
Wolters, G. (1980a): Basis und Deduktion. Studien zur Entstehung und Bedeutung
der Theorie der axiomatischen Methode bei J. H. Lambert (1728/1777), Berlin-
NewYork.
- (1980b): Diagramme, logische, in: Enzykl. Phil. u. Wiss.-Theor., hrsg. v. J. Mittel-
straß, Mannheim-Wien-Zürich.
Wußing, H. (1974): Zur Grundlagenkrisis der griechischen Mathematik, in: E. C.
Welskopf (Hrsg.), Hellenische Poleis, Berlin, Bd. IV, 1972ff.
- (1979): Vorlesungen zur Geschichte der Mathematik, Berlin (DDR).
Yates, F. A. (1954): The Art of Rarnon Lull. An Approach to it through Lull's Theory
of Elements, Journ. Warburg and Courtauld lnst. 17, 115-173.
- (1960): Rarnon Lull and John Scotus Erigena, Journ. Warburg and Courtauld Inst.
23, 1-44.
Zaslavsky, C. (1973): Africa Counts, Boston.
Literatur 223

Zermelo, E. (1908a): Neuer Beweis für die Möglichkeit einer Wohlordnung, Math.
Ann. 65, 107ff.
- (1908b): Untersuchungen über die Grundlagen der Mengenlehre I, Math. Ann.
65, 261ff.
Zeuthen, H. G. (1896): Geschichte der Mathematik im Altertum und Mittelalter,
Kopenhagen.
- (1903): Geschichte der Mathematik im XIV. und XVII. Jahrhundert, Leipzig.
REGISTER

Abbildung 8. 65. 67f. 97f. 105f. 137. Deduktion 27. 30f. 49. 71. 93. 141. 179
148. 161. 163f. Denken 20.26f. 73. 79.94f. 102
Algebra 20. 25f. 37f. 42. 47f. 51ff. 56. -, algebraisches 24. 38. 48. 61
58. 61. 67. 92. 122. 124 ff. 128 -, algorithmisch-kalkulatorisches 27. 39
-, Bootesche 78. 124ff. -, schlußfolgerndes 74. 95. 102
Buchstaben- 63. 69. 176. 179 Disjunktion 77. 85. 113
-, logische 90. 115ff. 121ff. 131. 136f. 182
-, rhetorische 26. 38 Endlichkeit, Finitheit 140. 160. 174
-, symbolische 20'" 35. 61. 123 Entscheidbarkeit, Entscheidungsverfah-
Algorithmus 14. 40ff. 51. 55. 61. 70. 98. ren 103. 107. 138. 140ff. 145. 150.
132. 139. 145. 153ff. 157ff. 161ff. 165. 153f. 156ff. 178. 180
169.189.202 episteme 17. 67. 71 f. 180
Allgemeingültigkeit 14. 20. 24f. 38. 63f.
67. 72. 153. 178 Formalisierung, Formalisierbarkeit 1 ff.
Analytische Geometrie 64. 69. 90. 93. 25f.27f.38. 74. 77f.82.84f. 129.136.
141. 179 138. 143. 155f. 178
ars inveniendi 89. 103. 115ff. 136ff. 179 Formel 20. 25. 27. 29. 32. 60f. 71ff. 103.
ars iudicandi, ars demonstrandi 89. 103. 116. 125. 129f. 143ff. 146. 150ff. 156.
106. 136ff. 138 178f.
Aussagekalkül, Aussagelogik 76. 85f. Funktion 11. 77. 89. 99. 102. 105. 127.
103. 124ff. 134. 137. 153. 201 133f. 140. 163. 165
Axiom 27. 106. 109ff. 134. 141f. 144. -, berechenbare 158. 163f. 168ff. 174f.
149 -, rekursive 139. 158. 164ff. 168
Axiomensystem 103. 106. 134. 139ff.
143. 145ff. 151.154.201 Gleichung 25. 32. 37f. 52. 61f. 63ff.
67f. 125. 127. 181
Bedeutung, intrasymbolische/extrasym- -, diophantische 38. 154
bolische 60. 70. 98. 109. 114. 182f. -, kubische 22
Begriffsschrift 96. 108. 131 ff. 137. 176ff. -, lineare 21 f. 41. 52. 178
198 -, quadratische 19. 21 f. 52
Berechenbarkeit 65. 72. 91f. 95. 131. Gleichungssystem 22. 38. 40ff. 169
138. 150. 157. 164. 166. 169. 174. 178 Grundlagendiskussion, mathematisch-
Beweis 26f. 30f. 33. 35. 40. 49. 67. 73. logische 139. 180
87. 93. 96. 101. 107. 118. 144ff. 150f. Gültigkeit 24. 75. 85ff. 117. 123. 131.
154. 156. 178. 181 140. 145
Beweisbarkeit 14. 72. 131. 144
Hilbertprogramm 139f. 143ff. 153. 155.
characteristica universalis 104. 107f. 114. 178. 180f.
117. 136. 138. 179 Homogenitätsgesetz/-prinzip 24. 34. 36.
Computer 3f. 162. 166. 180 53. 62. 65
226 Register

Implikation 74. 77. 109. 128. 133. 146 Metamathematik 143f. 150
Infinitesimalrechnung/-kalkül 54. 59. Modell 68. 107. 142. 169. 174. 182
68ff. 137. 179
Inkommensurabilität 33 f. 48 Negation 77. 85. 100. 110. 115 .
Null 10. 18. 45 ff. 55. 58. 166. 182
Kalkül 95f. 61. 65. 69f. 73. 75. 86. 90.
96f. 100. 103. 108ff. 117. 119. 123. 134. Problemlösungsverfahren 11. 14. 16. 26.
140. 144. 145. 149. 153f. 176 35."40. 43. 52. 61. 67f. 72. 87. 91. 100.
Kalkülisierung 54. 59f. 65. 67f. 71. 75. 136. 139. 178 tl

78. 86. 90. 95. 98. 137f. Programm 156f. 162ff. 174. 180
Klasse 111. 113. 116. 124. 127. 129f. 160
Know-how 14. 27. 39. 48. 58. 71. 178 ()uantoren 86. 121. 132. 136
Kombir~atorik 88. 105. 139
Konjunktion 77. 85. 113 Rechenbrett, Abakus· 8. 10. 16. 28. 41.
Konsistenz 109. 112. 137 43f. 54ff. 177. 186
Konstante, logische 73. 86. 96. 108 Rechensteine 5. 8f. 16. 28. 31. 75. 179.
181
Leibnizprogramm 86. 100ff. 115. 153. Rechensteinarithmetik 29 f. 39. 73. 179.
178ff. 180ff. 196 181
Lösbarkeit/Unlösbarkeit 67. 138. 157 Rechentechnik 12. 15f. 19. 89
Logik Rechnen 8. 11. 18. 28. 54. 57f. 63. 67.
-, aristotelische 73. 75f. 77. 108 75. 10~ 114. 118. 132. 136. 145. 149.
-,formale 73. 75. 78. 87. 135. 145 15.3
Klassenlogik 109. 112. 124. 130 -, algorithmisches 58
-, mathematische 79. 81. 90. 108f. 121. - mit Buchstaben 61. 97
130 -, schriftliches 12. 28. 54ff. 177
-, scholastische 79. 86. 108 Regel 5. 8. 10f. 12. 14. 16. 19. 25. 33.
-, stoische 76f. 86 40ff. 44. 54. 69. 72. 74. 77. 85ff. 102ff.
-, symbolische .78. 86. 108 118. 122. 145f. 181. 192
-, traditionelle 102. 118 Ableitungsregel 77. 134. 144
logistica speciosa, analytica speciosa 20. Formations-!fransformationsregel
61.63. 70.90.97. 114.136 60. 101f.114. 122.145.161.179.187
Rechenregel 47. 57f. 69. 102. 183
Maschine 2ff. 87. 89. 138f. 155f. 161ff. Relation 110. 119. 123. 142. 151
166. 174. 178. 180 Repräsentation 1. 37. 87. 98. 119
-, automatische 158. 169 -, symbolische 137. 176
Denkmaschine 129. 138f. Richtigkeit 29 ff. 68. 75. 101 f. 111. 116.
-, logische 129. 157 136. 153. 179
-, mathematische 139. 155ff.
Rechenmaschin~ 3.14. 54. 91. 98ff.157 scientia generalis 102ff. 106. 117. 197
-, symbolische 1ff. 171. 180. 183 Sprache
Turingmaschine 139. 158. 164. 169ff. -, formale 2ff. 11. 18. 24. 42. 57f. 68.
174f. 178. 180 75. 81. 136. 138. 157f. 164. 177f. 179.
-, universale 139. 155 ff. 181 f. 182
mathesis universalis 91 ff. 115. 122. 195 Kalkülsprache 68. 98. 101. 104. 107 f.
Mechanisierbarkeit/Mechanisierung 3. 114f.
44. 54. 89. 98. 119. 129. 138ff. -, künstliche 72. 93. 95f.
Register 227

-, normale, natürliche, Umgangssprache Variablen 73f. 76f. 81. 86. 96. 108f. 122.
6. 75. 81. 87. 96. 108. 119f. 133. 135 f. 132. 135 ff. 168. 182
177 Aussagenvariable 76f. 182
Symbolsprache 68. 91. 96. 117. 121 Termvariable 76f. 110
-, universale 65. 101. 104. 108. 196 Verfahren 2. 26. 112. 140. 144. 154. 157.
Stellenwertprinzip 10. 14. 17. 43. 176f. 159. 161. 163. 179
Stellenwertsystem Vernunft 94. 103. 181
dezimal 13. 18f. 43. 45ff. 51f. 55ff. Vollständigkeit/Unvollständigkeit 134.
58.· 61. 63. 136 140ff. 145f. 149. 152. 157f. 180
sexagesimal 17 ff.
Syllogismus, Syllogistik 74f. 77. 86. 88. Wahrheit 68. 75. 78. 101f. 106f. 115.
101 f. 106f. 110. 116f. 120. 126ff. 192 126. 143. 145. 180
Symbole 1. 4. 20. 26. 38f. 41. 49f. 61 ff. Wahrheitswert 77. 85f. 128. 153
69. 72. 74f. 86.93. 104.160.174.178. Widerspruchsfreiheit 142. 144 ff. 152f.
181 180. 201
-, operative 72. Q2. 176ff. Wissen 25ff. 32f. 42
Symbolismus 38. 49. 50. 64. 118f. 134 Begründungswissen 27~ 31. 67. 71.
System 32. 76. 132. 134 178f.
-, formales 114. 123. 135f. 150. 156 Rezeptewissen 14f. 25ff. 31. 39. 49.
-, formalisiertes 146f. 154f. 180. 182 71f. 178
-, formalistisches 75. 123. 146 Wissenschaft 3. 26. 31. 34. 36. 39. 67. 74.
-, logisches 76. 109. 128 89. 91. 101. 103. 107. 141.. 179

techne 26f.29f.39.67. 71f. 176.180 Zahl


Technik 4. 12. 14. 16. 31f. 35. 67. 86. 88f. -, figurierte 28ff. 59
91 -, irrationale 33f. 53. 59
-, algebraische 23. 32. 35. 63 -,natürliche 28. 34. 46. 60. 73. 106. 149.
-, mathematische 129. 178 165
Rechentechnik 12. 15ff. 19. 44 -, negative 44. 47. 53. 58. 178
Terme, Termini 74. 76. 80. 87ff. 109f. -, positive 47. 62
119 -, rationale 38. 47. 99
Theorem 24. 31. 109ff. 113. 134. 141 ff. Zahlbegriff 8. 34. 47. 58f. 93. 184
145ff. 154f. Zahlzeichen 5 f. 8 f. 13 ff. 17. 26
Ziffern 5. 9f. 11. 13. 17. 19. 26. 43. 54.
Urteile 105. 117. 119. 129f. 132f. 134. 59f. 63. 99. 177
176 -, römische 10. 17. 54. 57
Urteilsarten 106. 116. 121. 133. 137 -, indische 55. 57. 98. 177. 187

Das könnte Ihnen auch gefallen