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Theodor W. Adorno
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Der Vers »Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst« beschließt den
Prolog zu Schillers Wallenstein. Er ist einer Wendung aus den
Tristien des Ovid nachgebildet: Vita verecunda est, Musa jocosa
mihi. Man wird dem anmutig durchtriebenen antiken Dichter dabei
eine Absicht unterschieben dürfen. Er, dessen Leben so heiter war,
daß es dem Augusteischen Establishment untragbar dünkte, mochte
seinen Gönnern zublinzeln, indem er seine Munterkeit in die
literarische der Ars amandi zurückdichtete und reuig des Lebens
ernstes Führen als Haltung seiner Person durchblicken ließ. Ihm
ging es um Begnadigung. Von solcher lateinischen Schlauheit
wollte der Hofpoet des deutschen Idealismus nichts wissen. Seine
Sentenz hebt zweckfrei den Zeigefinger. Dadurch wird sie vollends
ideologisch, einverleibt dem bürgerlichen Hausschatz, bei
passendem Anlaß zitierfähig. Denn sie bestätigt die verfestigte und
allbeliebte Zweiteilung zwischen Beruf und Freizeit. Was auf die
Qual prosaisch unfreier Arbeit und den im übrigen keineswegs
unberechtigten Abscheu vor ihr zurückgeht, sei ein ewiges Gesetz
der beiden reinlich getrennten Sphären. Keine soll mit der anderen
vermischt werden. Gerade durch ihre erbauliche Unverbindlichkeit
wird die Kunst dem bürgerlichen Leben als dessen ihm
widersprechende Ergänzung eingefügt und unterworfen. Schon ist
die Freizeitgestaltung abzusehen, die einmal daraus wird. Sie ist der
Garten Elysium, wo die himmlischen Rosen wachsen, welche die
Frauen ins irdische Leben flechten sollen, das so abscheulich ist.
Dem Idealisten verdeckt sich die Möglichkeit, es könne real einmal
anders werden. Er hat dabei die Wirkung der Kunst im Auge. Bei
aller Noblesse der Gebärde nimmt er insgeheim jenen Zustand
vorweg, der in der Kulturindustrie Kunst als Vitaminspritze für
müde Geschäftsleute verordnet. Hegel war, auf der Paßhöhe des
Idealismus, der erste, der wie gegen die auf das achtzehnte
Jahrhundert, Kant eingeschlossen, zurückdatierende
Wirkungsästhetik so auch gegen jene Ansicht von der Kunst
Einspruch erhob mit dem Satz, diese sei kein horazisch angenehmes
oder nützliches Spielwerk.
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Dennoch kommt der Platitude von der Heiterkeit der Kunst ihr Maß
an Wahrheit zu. Wäre sie nicht, wie immer auch vermittelt, für die
Menschen eine Quelle von Lust, so hätte sie in dem bloßen Dasein,
dem sie widerspricht und widersteht, nicht sich erhalten können.
Das aber ist ihr nichts Äußerliches sondern ein Stück ihrer eigenen
Bestimmung. Die Kantische Formel von der Zweckmäßigkeit ohne
Zweck spielt, obgleich sie die Gesellschaft nicht nennt, darauf an.
Das Ohne Zweck der Kunst ist ihr Entronnensein aus den Zwängen
von Selbsterhaltung. Sie verkörpert etwas wie Freiheit inmitten der
Unfreiheit. Daß sie, durch ihr bloßes Dasein, aus dem herrschenden
Bann heraustritt, gesellt sie einem Glücksversprechen, das sie irgend
selbst mit dem Ausdruck von Verzweiflung ausdrückt. Noch vor
den Spielen Becketts hebt sich der Vorhang wie vor dem
weihnachtlichen Zimmer. Vergebens arbeitet die Kunst, im
Bestreben, ihres Scheinhaften sich zu entäußern, daran sich ab, jenes
Restes von Beseligendem ledig zu werden, in dem sie den Verrat
wittert an die Jasagerei. Die These von der Heiterkeit der Kunst ist
indessen sehr genau zu nehmen. Sie gilt für die Kunst als ganze,
nicht für die einzelnen Werke. Diesen mag Heiterkeit gründlich
abgehen, nach dem Maß des Schreckens der Realität. Das Heitere an
der Kunst ist, wenn man so will, das Gegenteil dessen, als was man
es leicht vermutet, nicht ihr Gehalt sondern ihr Verhalten, das
Abstrakte, daß sie überhaupt Kunst ist, aufgeht über dem, von
dessen Gewalt sie zugleich zeugt. Darin bestätigt sich der Gedanke
des Philosophen Schiller, der die Heiterkeit der Kunst in ihrem
Wesen als Spiel erkannte und nicht in dem, was sie, auch jenseits
des Idealismus, an Geistigem ausspricht. Kunst ist a priori, vor ihren
Werken, Kritik des tierischen Ernstes, welchen die Realität über die
Menschen verhängt. Indem sie das Verhängnis nennt, glaubt sie es
zu lockern. Das ist ihr Heiteres; freilich ebenso, als Veränderung des
jeweils bestehenden Bewußtseins, ihr Ernst.
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Aber die Kunst, die gleich der Erkenntnis all ihr Material und am
Ende ihre Formen von der Realität, und zwar der gesellschaftlichen,
empfängt, um sie zu verwandeln, ist dadurch verstrickt in ihre
unversöhnlichen Widersprüche. Ihre Tiefe mißt sich danach, ob sie
durch die Versöhnung, die ihr Formgesetz den Widersprüchen
bereitet, deren reale Unversöhntheit erst recht hervorhebt. In ihren
entlegensten Vermittlungen zittert der Widerspruch nach wie im
äußersten Pianissimo der Musik das Dröhnen des Schrecklichen.
Wo der Kulturglaube ihr eitel Harmonie nachrühmt, wie bei Mozart,
bekundet diese die Dissonanz zum Dissonierenden und hat es zur
Substanz. Das ist Mozarts Trauer. Nur durch die Verwandlung des
gleichwohl als negativ Erhaltenen, Widersprüchlichen vollbringt
Kunst, was verleumdet wird, sobald man es zu einem Sein jenseits
des Seienden verklärt, unabhängig von seinem Gegenteil. Pflegen
die Versuche, Kitsch zu definieren, zu scheitern, so wäre jedenfalls
der nicht der schlechteste, der zum Kriterium von Kitsch macht, ob
ein Kunstprodukt, und wäre es durch den Nachdruck des
Gegensatzes zur Realität, das Bewußtsein des Widerspruchs
ausprägt oder darüber betrügt. Unter solchem Aspekt ist von
jeglichem Kunstwerk sein Ernst zu fordern. Kunst vibriert zwischen
ihm und der Heiterkeit als der Realität Entronnenes und gleichwohl
von ihr Durchdrungenes. Allein solche Spannung macht Kunst aus.
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Was es mit der widerspruchsvollen Bewegung von Heiterkeit und
Ernst in der Kunst – ihrer Dialektik – auf sich hat, dürfte einfach
sich erläutern durch zwei Distichen Hölderlins, die der Dichter wohl
mit Absicht nahe zusammenrückte. Das erste, ›Sophokles‹ betitelt,
lautet: »Viele versuchten umsonst das Freudigste freudig zu sagen /
Hier spricht endlich es mir, hier in der Trauer sich aus.« Die
Heiterkeit des Tragikers wird nicht im mythischen Inhalt seiner
Stücke aufzusuchen sein, vielleicht nicht einmal in der Versöhnung,
die er den Mythen angedeihen läßt, sondern darin, daß er es sagt,
daß es sich ausspricht; beide Ausdrücke werden in Hölderlins
Versen mit Emphase verwandt. Das Glück ist bei der Sprache, die
über das bloß Seiende hinausweist. – Das zweite Distichon trägt die
Überschrift ›Die Scherzhaften‹: »Immer spielt ihr und scherzt? ihr
müßt! o Freunde! mir geht diß / In die Seele, denn diß müssen
Verzweifelte nur.« Wo Kunst von sich aus heiter sein will, und
damit zu jenem Gebrauch sich schickt, zu dem Hölderlin zufolge
nichts Heil'ges mehr taugt, wird sie eingeebnet aufs Bedürfnis der
Menschen und ihr Wahrheitsgehalt verraten. Ihre verordnete
Munterkeit paßt in den Betrieb. Sie bekräftigt die Menschen darin,
ihn weiter über sich ergehen zu lassen, mitzutun. Das ist die Gestalt
objektiver Verzweiflung. Nimmt man das Distichon schwer genug,
so richtet es alles affirmative Wesen von Kunst. Es hat seitdem,
unter dem Diktat der Kulturindustrie, zur Allgegenwart, der Scherz
zur grinsenden Fratze von Reklame schlechthin sich entwickelt.
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Denn das Verhältnis des Ernsten und Heiteren von Kunst unterliegt
einer historischen Dynamik. Was irgend heiter an ihr genannt
werden darf, ist ein Entsprungenes, undenkbar in archaischen
Werken oder solchen strikt theologischen Ortes. Das Heitere an
Kunstwerken setzt etwas wie städtische Freiheit voraus, nicht erst
im frühen Bürgertum wie Boccaccio, Chaucer, Rabelais, der Don
Quixote, sondern bereits als das, was späteren Epochen klassisch
hieß, von der Archaik sich sondert. Womit Kunst dem
finster-ausweglosen Mythos sich entringt, das ist wesentlich Prozeß,
keine unveränderlich zugrunde liegende Wahl zwischen ernst und
heiter. Im Heiteren der Kunst wird Subjektivität ihrer selbst inne
und bewußt. Durch Heiterkeit zieht sie aus dem Verstrickten sich
auf sich selbst zurück. Das Heitere hat etwas von bürgerlicher
Freizügigkeit, gerät allerdings damit auch in die geschichtliche
Fatalität des Bürgertums. Was einmal Komik war, stumpft
unwiederbringlich sich ab; die spätere ist verderbt zum schmatzend
einverstandenen Behagen. Am Ende wird sie unerträglich. Wer
jedoch könnte danach noch über den Don Quixote lachen und den
sadistischen Spott über den, welcher vorm bürgerlichen
Realitätsprinzip versagt? Was gar an den heute wie damals genialen
Komödien des Aristophanes komisch sein soll, ist zum Rätsel
geworden, die Gleichsetzung des Derben mit dem Komischen nur
noch in der Provinz nachzufühlen. Je gründlicher die Gesellschaft
jene Versöhnung schuldig bleibt, die der bürgerliche Geist als
Aufklärung des Mythos versprach, um so unwiderstehlicher wird
Komik in den Orkus gerissen, Lachen, einst Bild von Humanität,
zum Rückfall in die Unmenschlichkeit.
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Seitdem die Kunst von der Kulturindustrie an die Kandare
genommen wird und unter die Konsumgüter sich einreiht, ist ihre
Heiterkeit synthetisch, falsch, verhext. Nichts Heiteres ist vereinbar
mit dem willkürlich Angedrehten. Das befriedete Verhältnis der
Heiterkeit zur Natur schließt aus, was diese manipuliert und
kalkuliert. Der Unterschied, den die Sprache zwischen Witz und
Witzelei macht, legt davon recht präzise Rechenschaft ab. Wo
Heiterkeit heute auftritt, ist sie entstellt als anbefohlene, bis in das
ominöse Jedennoch jener Tragik hinein, die damit sich tröstet, daß
das Leben nun einmal so sei. Kunst, die anders als reflektiert gar
nicht mehr möglich ist, muß von sich aus auf Heiterkeit verzichten.
Dazu nötigt sie vor allem anderen, was jüngst geschah. Der Satz,
nach Auschwitz lasse kein Gedicht mehr sich schreiben, gilt nicht
blank, gewiß aber, daß danach, weil es möglich war und bis ins
Unabsehbare möglich bleibt, keine heitere Kunst mehr vorgestellt
werden kann. Objektiv artet sie in Zynismus aus, mag immer sie die
Güte menschlichen Verstehens sich erborgen. Übrigens ist solche
Unmöglichkeit von der großen Dichtung, zuerst wohl bei
Baudelaire, fast ein Jahrhundert vor der europäischen Katastrophe
gespürt worden, dann auch bei Nietzsche und in der Absage der
George-Schule an den Humor. Dieser ist übergegangen an die
polemische Parodie. Dort findet er temporäre Zuflucht, solange, wie
er unversöhnlich verharrt, ohne Rücksicht auf den Begriff der
Versöhnung, der einst an den Begriff Humor sich heftete.
Nachgerade ist die polemische Gestalt des Humors ebenfalls
fragwürdig geworden. Sie darf nicht mehr mit solchen rechnen, die
sie verstünden, und wenn irgendeine künstlerische Form, vermag
Polemik nicht ins Leere zu zielen. Vor einigen Jahren gab es eine
Debatte darüber, ob der Faschismus komisch oder parodistisch
dargestellt werden dürfe ohne Frevel an den Opfern. Unverkennbar
das Läppische, Schmierenkomödiantische, Subalterne, die
Wahlverwandtschaft Hitlers und der Seinen mit
Revolverjournalismus und Spitzeltum. Lachen läßt darüber sich
nicht. Die blutige Realität war nicht jener Geist oder Ungeist, dessen
der Geist zu spotten vermöchte. Das waren noch gute Zeiten, mit
Schlupfwinkeln und Schlamperei mitten im System des Grauens, als
Hasek den Schwejk schrieb. Komödien über den Faschismus aber
machten sich zu Komplizen jener törichten Denkgewohnheit, die ihn
vorweg für geschlagen hält, weil die stärkeren Bataillone der
Weltgeschichte gegen ihn stünden. Die Stellung des Siegers zu
beziehen, ziemt am letzten den Gegnern der Faschisten, welche die
Pflicht haben, in nichts denen zu gleichen, die in jener Stellung sich
verschanzen. Die geschichtlichen Kräfte, welche das Grauen
hervorbrachten, stammen aus der Gesellschaftsstruktur an sich. Es
sind keine der Oberfläche und viel zu mächtig, als daß es
irgendeinem zustünde, sie zu behandeln, als hätte er die
Weltgeschichte hinter sich, und die Führer wären tatsächlich die
Clowns, deren Gedalber ihre Mordreden nachträglich erst ähnlich
wurden.
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Weil indessen das Moment von Heiterkeit in der Freiheit der Kunst
vom bloßen Dasein besteht, die noch die desperaten Werke, und sie
erst recht, bewähren, wird das Moment von Heiterkeit oder Komik
geschichtlich nicht einfach aus ihnen ausgetrieben. Es überlebt in
ihrer Selbstkritik, als Komik der Komik. Die Züge des kunstvoll
Sinnlosen und Albernen, die an den gegenwärtigen radikalen
Kunstwerken den Positiven soviel Ärgernis geben, sind weniger
Rückbildung der Kunst auf ein infantiles Stadium als ihr komisches
Gericht über die Komik. Wedekinds Schlüsselstück gegen den
Verleger des Simplizissimus führt den Untertitel: Die Satire der
Satire. Verwandtes enthält Kafka, dessen Schockprosa manche
seiner Deuter, auch Thomas Mann, als Humor empfanden und
dessen Verhältnis zu Hasek slowakische Autoren erforschen.
Vollends vor Becketts Stücken überantwortet die Kategorie des
Tragischen ebenso sich dem Gelächter, wie sie allen
einverstandenen Humor abschneiden. Sie bezeugen einen
Bewußtseinsstand, der die gesamte Alternative Ernst und Heiter
nicht mehr zuläßt und auch nicht das Gemisch Tragikomik. Tragik
zergeht vermöge der offenbaren Nichtigkeit des Anspruchs der
Subjektivität, die da tragisch sein sollte. Anstelle von Lachen tritt
das tränenlose, verdorrte Weinen. Die Klage ist zu der von hohlen,
leeren Augen geworden. Gerettet wird der Humor in Becketts
Stücken, weil sie anstecken mit dem Lachen über die Lächerlichkeit
des Lachens und über die Verzweiflung. Dieser Prozeß verbindet
sich mit dem der künstlerischen Reduktion, einer Bahn zum
Existenzminimum als dem Minimum von Existenz, das übrig ist.
Dies Minimum diskontiert, vielleicht um sie zu überleben, die
geschichtliche Katastrophe.
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In der zeitgenössischen Kunst zeichnet ein Absterben der
Alternative von Heiterkeit und Ernst, von Tragik und Komik,
beinahe von Leben und Tod sich ab. Kunst verneint damit ihre
gesamte Vergangenheit, darum wohl, weil die gewohnte Alternative
einen zwischen dem Glück des fortdauernden Lebens und dem
Unheil gespaltenen Zustand ausdrückt, welches das Medium seiner
Fortdauer bildet. Kunst jenseits von Heiterkeit und Ernst mag
ebenso Chiffre von Versöhnung wie von Entsetzen sein kraft der
vollendeten Entzauberung der Welt. Solche Kunst entspricht sowohl
dem Ekel vor der Allgegenwart offener und verkappter Reklame
fürs Dasein wie dem Widerstreben gegen den Kothurn, der durch
die Überhöhung des Leidens abermals Partei für seine
Unabänderlichkeit ergreift. So wenig Kunst mehr heiter ist, so
wenig mehr ist sie, angesichts des Jüngstvergangenen, ganz ernst.
Zweifel werden wach, ob sie je so ernst war, wie die Kultur den
Menschen es einredet. Sie darf nicht mehr, wie Hölderlins Dichtung,
die mit dem Weltgeist sich fühlte, das Sagen der Trauer dem
Freudigsten gleichsetzen. Der Wahrheitsgehalt der Freude scheint
unerreichbar geworden. Daß die Gattungen sich verfransen, daß die
tragische Gebärde komisch dünkt und die Komik trübselig, hängt
damit zusammen. Tragik verwest, weil sie Anspruch auf den
positiven Sinn von Negativität erhebt, jenen, den die Philosophie
positive Negation nannte. Er ist nicht einzulösen. Die Kunst ins
Unbekannte hinein, die einzig noch mögliche, ist weder heiter noch
ernst; das Dritte aber zugehängt, so, als wäre es dem Nichts
eingesenkt, dessen Figuren die fortgeschrittenen Kunstwerke
beschreiben.
Anhang
Expressionismus und künstlerische Wahrhaftigkeit
Zur Kritik neuer Dichtung
Primär als Ausdruck eines in Bildung begriffenen neuen Seelentums
einerseits, Ergebnis wurzellos gewordener Stilgebundenheit
andererseits, Schöpfung zugleich und Reaktion, setzt der
Expressionismus das Ich absolut, fordert den reinen Ausschrei.
Verrückt werden die gerosteten Drahtzäune zwischen Leben und
Kunst; beide sind eines als Wirkung des großen Erlebnisses der Zeit,
– verrückt scheinen den Trägen die Hirne derer, die Zäune
verrücken, um Bau zu türmen. In neue und fremde Formen
gewiesen, ist der Expressionismus erklärter Kampf. Alle
überkommenen Formen, die er durchtobt, werden zu
Reibungsflächen, an denen er sich zur Fackelglut entflammt. Kräfte
ausschleudernd gegen ungezählte Widerstände, findet er nie
Richtung ins Selbst, richtet das Selbst wider die Welt.
Beschaulichkeit, Selbstbesinnung sind ihm fremd; wo er den Mut
besitzt, klug zu sein, braucht er seine Klugheit nur, um die konträren
Formen zu zersetzen. Die eigenen Voraussetzungen scheinen ihm
endgültig, erhaben über den Zweifel.
So tobt die neue Kunst einer Krise entgegen.
Bedeutet Kunst schließlich das Auflösen des Ich in eine höhere
Einheit, muß sie als Katharsis die ganze Tiefe des Ich umfassen, so
hat sie dann erst Geltungsrecht, wenn sie wahrhaftig ist. Nicht etwa:
einen Zustand, einen Vorgang, eine Seele spiegelt aus der
Wirklichkeit von deren Umwelt, sondern: in ihr Blickfeld nur das
einbezieht, was adäquat ist dem Erlebnisuntergrund, über dem die
Kunst aufwächst. Die Wahrhaftigkeit des Erlebnisses ist das erste
Gesetz der Gestaltung. Diese Wahrhaftigkeit aber ist zweifach – wie
Kunst in Werden, Form, Wirkung zweifach ist. Ihre Komponenten
sind Welt und Ich – ausgedrückt durch typisches und individuales
Erlebnis. Die Wahrhaftigkeit des Icherlebnisses ist notwendig, das
Werk aus dem Chaos der Seele zur Reinheit eines gesonderten
Willens emporzuzwingen. Die Katharsis erfordert Wahrhaftigkeit
des Welterlebnisses. Dann nur vermag die Dichtung das Ich in die
überzeitliche Gesetzlichkeit der Menschheit überzuführen, wenn sie
das Bild dieser Menschheit – bedeute sie nun noch Feind oder schon
Ziel – nach ihrer typischen gemeinsamen Eignung entrollt. Nur eine
wahre, aus dem typischen Erlebnis hervorquellende Menschheit
vermag Ziel zu sein. Ist die individuale Wahrhaftigkeit Gebot in
jeder Lebensform, so prägt der Gedanke der Katharsis die typische
zum spezifisch künstlerischen Gebot.
War der vorexpressionistischen Kunst die individuale (und
damit freilich auch die typische, insofern nämlich sie die
Menschheitsschöpfung gar nicht mehr einbezog, die Katharsis
überwunden glaubte!) Wahrhaftigkeit verloren gegangen, so droht
der Expressionismus die typische zu verlieren.
Das dem Ich-Abbild entgegengesetzte Weltbild bleibt Abbild
des auf die Welt projizierten Ich, nicht Abbild der typischen
Erlebnisinhalte. Soweit expressionistischer Wille aus einem Pol
Kraft zu saugen versucht, lyrisch bleibt, ergibt die Welt
schimmernden Spiegelsaal der Seele, durchflutet von einem
unbezweifelbaren Licht. Wo jedoch der Strom des Schaffens
Induktion sucht durch eine Vielheit, sich ballt zur Zweiheit
kämpfenden Willens, Drama anstrebt – nimmt der Expressionismus
den Weg über eine Lüge, die, geschickt verdeckt, ethisch
wohlverbrämt an irgendeiner Stelle doch den Wert vernichtet. Der
Künstler, unfähig oder nicht willens, die Vielheit der Welt aus ihrer
Totalität heraus zum Typus zu gestalten, setzt das individuale und
im letzten zufällige Eindruckserlebnis zum Abbild der Welt, damit
die Seele der Totalität, die zu gestalten er sich vorgenommen,
einfach unterschlagend. Daß er dies eingesteht, erklärt aus der
Notwendigkeit seiner Zeit, zum Programm erhebt, beweist nur die
Unfähigkeit der Gestaltung. Die Freiheit des Ich ist dem
Expressionisten noch nicht Gesetz geworden. Symptom für die
letzte Unwahrhaftigkeit ist das Zersetzen der Wirklichkeiten – die
ihrer Eigengesetzlichkeit beraubte Welt wird Spielzeug in der Hand
dessen, der sie ergreift nur um der Zweiheit willen, nicht, um aus
der Zweiheit ihren Sinn zu ergründen. Das Drama wird
Scheinvorgang, Aufprall von Doppelgängern; die von ihm
übergangene Welt bleibt gleichgültig an ihm. Das Drama wird
sinnlos. Und der Schöpfer verfällt einer Unehrfürchtigkeit, die ihn
an irgendeinem Punkte lieblos macht und steril.
Um die Gefahr der Unwahrhaftigkeit an einem der ersten und
richtungweisenden expressionistischen Dramen aufzuzeigen: es ist
kein Zweifel, daß Reinhard Sorges ›Bettler‹ individual restlos
ehrlich durchlebt wurde. Aber aus der Tatsache, daß eines Dichters
Vater ein wahnsinniger Architekt ist (ohne daß die Wurzeln seines
Wahnsinns irgendwie bloßgelegt würden!), folgt nicht das Recht,
den »Vater« als typisches Erlebnis nun zum wahnsinnigen
Architekten werden zu lassen. Ebenso gut könnte er besoffener
Spießer sein. Das große typische Erlebnis von Vater und Sohn,
weltgegensätzlich aufwachsend an der tragischen Antithese vom
Werden und Vergehen, wird verzufälligt zum Kampf Irgendwelcher.
Die Wahrheit der Welt wird zur Fratze verengt wie nur in
irgendeinem naturalistischen Schmarren der neunziger Jahre. Die
eherne Notdurft dramatischen Wuchses im Tiegel eines ganz nur
ichhaften tout comprendre eingeschmolzen. Die ethische Geltung
verschwindet – wo sie Forderung bleibt, ist sie unwahr geworden. –
Daß über den nicht welthaften Zufall die Decke einer mystisch
ungreifbaren Gesetzlichkeit gebreitet ist, mag man gelten lassen
vielleicht als lyrisches Stilmittel spätlingsromantischer Form –
nimmer aber als dramatischen Faktor.
Die Kunst der Zeit steht vor der Frage nach ihrem Bestand. Ihre
Notwendigkeit droht zum Schein zu verblassen, und, wo sie
ausgeschrien wird, zur Lüge herabzusinken. Ichhaft
Zufälliggewordenes bleibt ichhaft zufällig auch in seiner Wirkung.
Wir alle drohen Schuldige zu werden am Geiste. Es ist an der Zeit,
das zu erkennen. Die kommenden Tage, in die wir gebannt unsern
Blick eingesenkt halten, werden uns künden, ob der neue Wille neue
Wahrhaftigkeit zu gebären die Kraft in sich trägt.
›Platz‹
Zu Fritz von Unruhs Spiel
Es handelt sich nicht um irgendeinen. Der Dichter Fritz von Unruh
war während fast eines Dezenniums, zu einer Zeit unerhörter
Kräfteanspannung, des deutschen Volkes große dramatische
Hoffnung. Offen und erklärtermaßen mit dem ein Jahrhundert
umspannenden Blick von Weimar bis Wedekind. Die Vielen
witterten etwas vom Schillerkragen und Lorbeerkranz und fingen
an, um ihre tiefste Sehnsucht zu wissen. Vielleicht hatten sie recht.
Eine bekenntnisdick mit roter Tinte unterstrichene Linie – die
Unterstreichung mag einstmals blau gewesen sein – wurde in ihrer
Betonung erkannt und gedeutet. Man flüsterte den Namen, der ein
Programm war: Heinrich von Kleist. Und man flüsterte ihn nicht nur
...
Da der Dichter Fritz von Unruh nun in dreieinhalb
Theaterstunden seine Gestalten von allen Problemen reden läßt, die
der Gegenwart wesentlich sind oder scheinen: so ist es nicht mehr
an der Zeit, von Begabung zu sprechen und Qualitäten abzuwägen
wider einander. Es handelt sich nicht um irgendeinen. Hier will ein
Künstler mit dem Anspruch der Reife in seiner Ganzheit verstanden
und gewertet sein. Es gibt nur einen Maßstab: den der absoluten
schöpferischen Leistung. Wollte der Dichter den erstrebten
Dimensionen seines Spiels treu bleiben, er müßte jede andere
Einstellung als nicht immanent zurückweisen.
Das Ziel war: den Weg zu einer neuen Menschheit aufzuzeigen.
Es ist öfter und nackter ausgesprochen, als es die Schamhaftigkeit
dieser unmittelbarsten und darum zu einer selbst mit Härte nur
durch die distanzierte Eigenkraft wirkenden Vornehmheit
gezwungenen Form gerechtfertigt erscheinen läßt. Es wird am
Schluß als Vorhang über das Stück gebreitet; es werden alle
Gestalten auf der Bühne und die Gläubigen und die Zynischen im
Parkett, den wacker schwitzenden Beleuchtungsmeister nicht zu
vergessen, darin eingehüllt, daß sie allesamt – wieder einmal –
wissen: der Mensch ist gut. Da heißt es:
Ich sehe
tief in das Herz der Welt, da deine Kraft
aus neuer Liebe neue Menschen schafft. 1
Und darunter steht »Ende« – gesperrt gedruckt.
Vorher aber vernimmt man von einem Oberherrn, der,
verrotteter Vertreter einer verrotteten Zeit, rotbärtig eines
symbolischen Scheintodes stirbt; von seinen zwei wunderschönen
Töchtern, deren eine eine Edelhure und deren andere ein geistiger
Mensch ist; von einem Kulturschieber namens Schleich, der in
eroticis einige Erfahrung besitzt und überdies Sternheim gelesen hat
– wie in sarkastischer Parenthese der Dichter blinzäugelt. Von
einem schlagwortgepanzerten Militaristen; von einem
homosexuellen Greis. Dann von einem jugendlichen Helden namens
Dietrich, der auch einer von denen ist, die Kronen weiterschleppen
sollen; der schon im ›Geschlecht‹ vorkam und von dort eine
Erbschaft an Gefühlen und seinen feigen Bruder mitbringt; der mit
der Byrongeste seinen Schmerz hinträumt und von Venedig spricht,
die geistige Tochter zweimal rein und einmal unrein liebt und
dazwischen die Edelhure in der entsprechenden Weise küßt. Der
zeitweise Führer aufständischen Volkes ist. Dessen letztes Wort ein
Schrei und ein Frauenname. Dieser Frauenname aber lautet: Irene.
Das ist ein griechisch Wort und bedeutet: Friede. Und es ist
nichts unwesentlich in diesem Spiel – also auch kein Name.
Demnach Grund vorhanden zur Annahme, daß er uns lehren soll,
wie durch die Synthese mit dem geistigen Weibe schließlich der
gute Mensch in seinem dunklen Drange sich löse zur Reinheit seiner
prästabilierten Harmonie. Man könnte es auch bürgerlicher
verstehen, aber man denke an die neue Menschheit. Dann wird es
notwendig das Ewig -Weibliche, das Dietrich hinanzieht, und nicht
das Weibliche schlechthin. Auch wenn er etwas von Weininger
weiß oder dem bösen Prinzip.
Die Frage lautet denn also: ob der Weg gewiesen ist, ob die
postulierte eirhnh eine Wahrheit, ob das Spiel eine Wahrheit
bedeutet. Darauf allein kommt es an, von diesem Zentrum aus ist
das Stück in seinen künstlerischen Möglichkeiten zu erfassen. Der
Beweis – oder Gegenbeweis – läßt sich nicht absolut führen, weil
der Dichter Fritz von Unruh nicht eine philosophische Dissertation
als bühnenfähig dramatisiert hat. Sondern die Frage nach eines
Kunstwerks Wahrhaftigkeit ist immer zugleich die nach seiner
künstlerischen Wahrhaftigkeit.
Der Sinn des Dramas ist: eine Zweiheit in eine höhere Einheit
überzuführen. Wenn überhaupt man aus einem Glauben an geistige
Werte heraus die Vielheit der Erscheinungen nach einer Zweiheit
sondert. Man halte mir nicht Kokoschka entgegen, dessen Dramen
in die Zeit gewachsene Bilder sind, deren Zweiheit als die von
Raum und Zeit nur in der Transzendenz zu erleben ist, und die
darum als Dramen in gültigem Sinne mit den gültigen
Voraussetzungen sich nicht ansehen lassen. Die Schreihälse des
Expressionismus aber, die in der Absolutsetzung ihres Ich, die eine
Flucht war, eine Einheit zu schaffen meinten, haben sich heute
schon ausgeschrien und kommen ernsthaft nicht mehr in Betracht.
Die paar Wesentlichen aber und Unruh nehmen in ihrem Werk die
dramatische Voraussetzung an. Noch im ›Geschlecht‹ ist sie in der
Tragik des Ältesten Sohnes, über die hinaus die Bejahung des
Jüngsten Sohnes wächst, deutlich wirkend.
Anders in ›Platz‹. In der verwirrenden Fülle von Gestaltbildern
überwuchern die Symbole ungezählter Gesetze und Zweiheiten
dergestalt, daß ihr Sinn: die Gesetze, die Zweiheiten selbst nicht
erkennbar sind. Nirgendwo wird die dramatische Zweiheit aus sich
selbst heraus ganz explicit. Das Ziel ist die neue Menschheit. Die
tragische Problematik müßte als Endergebnis dieser Menschheit
Schöpfung hervorquellen lassen. Doch der Dichter Fritz von Unruh
fühlt sich nicht gebunden an sein Ziel. Wohl ist in Dietrich – in
dessen das ganze Stück umspannender Wesensentwicklung die
Wendepunkte der dramatischen Kurve zu suchen sind – die
Problematik von Ichgefühl und Menschheitsgefühl spürbar gemacht.
Von seiner Befreiungsaufgabe inmitten einer Welt geschichtlich
bedingter Tatsächlichkeiten reißt ihn gewaltsam ein naturhaft
eruptives Ichgefühl zu Irene weg – das freilich, gelöst aus dem
Bereiche kosmischer Schwärmerei, ethisch unendlich vieldeutig ist.
– Aber die Linie wird sogleich umgebogen, und eine Entscheidung
vollzieht sich expositionslos, ehe die Kräfte entwickelt sind. –
Gewiß ist nicht eine künstlerisch schließlich destruktive psychische
Analysis im Sinne Ibsens etwa zu fordern. Aber jede Entscheidung
muß doch aus dem dramatischen Prozeß als notwendig
hervorspringen, darf nicht aus der Willkür einer szenischen
Situation einzig und unvollkommen sich erklären. Die wirkliche
Entscheidung vollzieht sich bereits mit dem Blick, der Dietrich und
Irene aneinander kettet. Dieser Blick liegt vor dem Drama. Da
außerhalb des Dramas gleichsam Unruh Dietrich zur Liebe eines
Einzelwesens sich entscheiden läßt, erst viel später wieder das erste
Problem aufgreift und unter ganz anderer Schau: so ist es ihm wohl
nicht – o Reichtum dramatischer Bewegung! – zentral gewesen.
Es wäre denn zentral: wie das Liebesgefühl Dietrichs in seiner
Wandlung wächst.
Und da zeigt sich ein Erstaunliches: es wächst überhaupt nicht.
Aus dem Bereich naturhaft polarer Anziehung bis zur Vereinung mit
Irene geführt, sinkt es in einer höchst nachträglichen,
psychologisierenden Linie zur absoluten Negation des Geistigen, die
sich in verzweifelter Nur-Körperlichkeit ausdrückt, herab, um dann
mühselig an einer Opernmelodie wiederum sich emporzuranken zu
einem Ja.
Dies aber ist zutiefst undramatisch. Erfülltes Drama ist immer
hart, wenn auch eine umspannende Güte es gezeugt. Hier jedoch
strahlt eine unerklärliche Milde des Dichters, die fast nach Mitleid
aussieht, auf seine ohne eingeborenes Gesetz dahintaumelnden
Gestalten und schmilzt sie um also, daß sie schließlich so klug und
vor allem: so gut dastehen als wie zuvor. Keine Welt wird verbrannt
und nur eine äußere fällt zusammen.
Denn auch das positive Ergebnis, der Wechsel der Erosformen,
ist nicht dramatisch. Die sprachlichen Opernentgleisungen,
Wagnerei schlimmster Art, sind symptomatisch dafür, wie sehr das
Verhaftetsein im Ich, das Nicht-bedingt-werden durch den Aufprall,
Unruh zwingt, in lyrischer Dichtform ungestaltete Monologe zu
umschreiben. Andererseits spiegelt sich der dramatische Verlauf nur
in realen Geschehnissen, und die psychische Wandlung bleibt
diesseits des dramatischen Prozesses romanhaft stehen. ›Platz‹ ist
kein Drama: weil alle Entscheidungen unter dem Zwange der
apodiktischen Gegebenheiten Lehrsätze sind, deren Auflösung in
Bühnengeschehnisse durchaus zufällig unter dem Einfluß von außen
an den dramatischen Prozeß herangetragener Zeiterkenntnisse sich
vollzieht.
Mehr noch. Der Weg, den Dietrich durchmißt, hat mit dem
Wege der Menschheit nichts zu tun. In seiner Vergeistigung selbst
führt er lediglich durch seelisches Land, das so sehr nur einem
raumzeitlich eng umgrenzten Ich angehört, daß es den Mutterboden
für den Wuchs typischer Gestalten nie und nimmer bedeuten kann.
Denn wieder ist hier das Erotische zum alleinigen Träger der
Ichentwicklung geworden, das ohne Schöpfung einer geistigen
Totalität der Persönlichkeit immer untypisch bleibt. Und was liegt
uns, die wir von ›Madame Bovary‹ über ›Hedda Gabler‹ bis
Strindberg alle Formen erotischer Komplizierung erfahren haben,
heute noch am erotischen Spezialfall? Der mag den Biologen oder
den Mediziner interessieren. Wir haben nach dem Weg zur
Menschheit gefragt; und als Antwort gibt uns der Dichter Fritz von
Unruh das Irgendwie eines Eros, dessen modale Einzelschichten
weder künstlerisch tragfähig noch auch menschlich zwingend sind.
Hier die Wurzel einer anderen Schwäche. Der Dichter sagt:
»Das Spiel ist an kein Zeitkostüm gebunden«; und sichtlich erblickt
er in der »Zeitlosigkeit« seines Stückes eine Stärke. Sie ist das
Gegenteil. Der ›Platz‹ liegt nicht jenseits der Zeiten, sondern
diesseits – wie alles, was hier Unendlichkeit bedeuten möchte, nur
formlose Diesseitigkeit ist. Weil der Dichter zu schwach ist, aus
seiner selbstischen Erosgebundenheit den Helden zum Träger eines
geschichtlichen Vorganges zu prägen, weil er befürchten muß, die
Kleinheit seiner Inhalte möchte ihn vor den scharf
herausgemeißelten Formen eines irgendwie historisch sich
gliedernden Hintergrundes unwesentlich und banal erscheinen
lassen, deshalb läßt er das Drama verwehen im Nebel
wirklichkeitsfremder Ironie, damit alle seine Gestalten entwurzelnd
und ihre Menschlichkeit zu hysterischer Gespensterei zersetzend.
›Platz‹ ist ein romantisches Stück im verwerflichsten Sinne: weil
eine Flucht, eine Notdurft, eine Feigheit ihm den Boden wegzieht
unter den Füßen, und nicht eine ethisch unmittelbare Zeugungskraft
es aufreißt zum Fluge.
Denn – und das soll mit aller Deutlichkeit ausgesprochen
werden – die postulierte Vergeistigung des Eros ist in der Formung,
welche sie hier erfährt, eine große Lüge. Soll in ihr die Stufe der
Natur mit der Gebärde ethischen Wissens überwunden werden, dann
ist sie eine unbegrenzte, ganz und gar unschöpferische Negierung,
krank, selbst pervers. Soll sie aber eine Synthese auf höherer Ebene
bedeuten, dann widerspricht ihr der dramatische Verlauf. Denn im
letzten ist es eine allenfalls verderbte, doch in ihren Wurzeln höchst
primitive Nur-Geschlechtlichkeit, die immer und immer wieder den
Personen ihre Worte in den Mund und ihre Taten in die Hand gibt.
Die Vergeistigung ist dann ungestaltetes Programm geblieben. Des
Dichters Kraft hat nicht ausgereicht.
Und diese Schwäche, die nichts anderes ist als die Schwäche,
Menschheit zu gestalten, sie zeigt sich auch in der Form des
Dramas. Es ist die gleiche Erscheinung wie einst bei Grabbe: im
Willen zur Umfassung verliert der Dichter die Bilder der Dinge aus
dem Bereich seines Blickes. Die Idee, wegen ihrer Engung im
Erotischen von Anbeginn nicht mitzwingend, verzettelt sich in
Aperçus bis zu einer Zeitkritik von erstaunlich engem Horizont. So
sehr, daß mehr und mehr in mir der Verdacht Gewißheit wurde, es
habe das Stück überhaupt keine Idee. So fehlt dem Drama jede
Kristallisationsmöglichkeit: es springt keine künstlerisch
überzeugende Form hervor. So werden auch die oft klobig genug
aufgesetzten Schatten nicht wirksam; ein trübes Grau überdeckt alle
Gestalten. Darum wirken die vielen kritisch gemeinten
Allzugeschlechtlichkeiten wie Zoten. Oder vielmehr: sind Zoten,
weil sie nicht von der luftdurchwehten Gesundheit dramatischen
Willens getragen sind, sondern als Dokumentierung einer nur sich
selbst ausschreienden sittlichen Freiheit hervorgestoßen werden in
toller Parabase einer Komödie, die als Drama sinnlos ist.
Es ließe sich kein treffenderes Symbol finden für die geistige
Situation dieses Dichters, als jenes von ihm selbst nahegelegte: der
Inzest. Von einer vielleicht einmal im Antrieb starken Bewegung
ausgehend, bleibt sein Werk verhaftet in der Enge der einander
widerstreitenden Bedingtheiten des Schöpfers; inzestisch sucht es
aus seinem monomanischen Kreisen um das Eigenerlebnis einer
halbbejahten Geschlechtlichkeit eine höhere Welt zu gebären, die
doch immer wieder mit allen Mängeln und Sünden des eben erst
verdammten Alten behaftet sein muß. So bewegt sich Unruhs Werk
in konzentrischen Kreisen: immer wieder rückläufig zu den
Ausgangspunkten zurückkehrend. Damit aber unschöpferisch. Und
mit der ethischen Geste und dem Pharisäismus eines
Sich-für-wahrhaltens den Wirbel seines Kreisens für Schöpfung
auszugeben, ist eine Lüge. Jeder Kompromiß vor dieser Tatsache
bedeutet: selbst zum Lügner werden an der Zeit: zum Lügner am
Geiste.
Es handelt sich nicht um irgendeinen.
Daß ›Platz‹ bei seinen tausend Unzulänglichkeiten doch höchst
gekonnte Bühne ist, versteht sich. Beweist überdies nur: daß der
Vorwurf der Unwahrhaftigkeit in mehr als einer Hinsicht
gerechtfertigt ist. Denn nur Ungeschick, gläubige Täppischkeit
vermöchte zu überzeugen, daß hinter diesem Chaos halbethischer
Stufungen doch ein Wertevermögen von großer Linie steht.
Ebensowenig ist darüber zu reden, daß eine heimliche lyrische
Glut zittert durch das Stück, vor allem den zweiten Teil, und
manchmal fackelhell auflodert. Daß einige sehr tief gehörte und
geformte Verse darin stehen. Solche Feststellungen betonen, hieße:
das Niveau verschieben.
Bei dem furchtbaren Ernst aber, mit dem nach diesem Werk die
Position Unruhs zu betrachten ist, wird man Konsequenzen zu
ziehen haben. Unzulänglichkeit ist entschuldbar – Lüge niemals.
Man wird sich fragen müssen: ob als Künstler Fritz von Unruh
weiterhin in Betracht kommt. Daran ändert auch dies nichts, daß die
Darstellerin der Irene bei der Frankfurter Uraufführung, Fritta Brod,
an einer unsagbar reinen Glut zur flammenden Säule emporwuchs;
daß man sie in Zukunft zu den großen deutschen Schauspielerinnen
zu zählen hat. Auch dies ändert nichts an der Tatsache: daß in
zermürbtem Schrei eine große Hoffnung zerbrach.
Fußnoten
1 Fritz von Unruh, Platz. Ein Spiel. Zweiter Teil der Trilogie Ein
Geschlecht, München 1920, S. 159.
Ein Bildungsroman
Victor Meyer-Eckhardts Buch »Die Möbel des Herrn Berthélemy«
(Diederichs, Jena) ist ein Bildungsroman in doppeltem Sinne: als
Versuch, die Entwicklung eines verantwortungslosen Zuschauers
zum realen Menschen darzustellen, und als Erzeugnis, das selbst aus
der Bildung kommt, gesättigt mit Bildungsstoff im
Gegenständlichen wie im Formgebaren; ungewollt wird die humane
Bildung des Helden zur Apologie der gebildeten Humanität, die den
Roman hervorbrachte. Diese Apologie entfaltet sich an der
Geschichte, auf deren Zeichen der Gebildete deutend vertraut, der
Geschichte, die – so scheint es – Bildung aus sich einläßt. Dem
gebildeten Bildner indessen bringt es Gefahr, der Geschichte zu
vertrauen, in ihr sich zu spiegeln; Bildung nur, die sich selbst genügt
und der Frage vergißt, mag sich selbst als Ziel der Geschichte
verstehen. Solcher genügsamen Bildung aber versperrt sich die
offene Innerlichkeit; unversehens wird die geschichtliche Bildung,
die da ist, zum schlechten Ersatz für die Bildungsgeschichte, die von
der bloßen Bildung seine Gestalt empfängt.
Der Archivar Jacques-Albert Berthélemy, drapiert mit allen
wohlfeilen Emblemen landläufiger Dekadenzvorstellung, findet sich
ausgeliefert an die französische Revolution, um an ihr ins Konkrete
zu wachsen; und die Revolution ist im Roman womöglich noch
unkonkreter geblieben als der unkonkrete Aesthet gemeint ist, den
sie ästhetisch züchtigen soll.
Denn des Autors Bildung versichert ihn der Geschichte als eines
Vorgeformten, auf das er sich beziehen kann, um geborgen darin
sein Wesen nachzuformen. Sogleich desavouiert ihn die Geschichte:
sie ist nicht vorgeformt, und wie er sie als ruhigen Besitz hinnimmt,
anstatt sie aufzulösen mit der Kraft des dichterischen Ich, zergeht sie
ihm unter den Händen, löst sich selber auf, nur freilich nicht in die
Wirklichkeit von Menschen, die ringen um einander, sondern in ein
System von Allgemeinbegriffen, freischwebend über Figuranten, du
vergebens trachten, von ihm ihren Sinn sich zu erborgen. Ja die
Konkretheit sogar und personhafte Fülle, der Bildung und Gebilde
zustreben, leitet sich vom Allgemeinbegrifflichen her; die hohlen
Bezugskörper der Bildungsidee werden nachträglich gleichsam mit
individueller Substanz gespeist, weil es die Bildungsidee fordert.
Anstelle zerfasernder Psychologie will greifbar eindeutig die
Situation treten: und wird doch nur sauber konstruierte Staffage,
hinter der eine Psychologie versteckt liegt, die allerdings nicht
zerfasert, sondern gepflegt sich in der Konvention hält. Die Helden
wollen aus dem Zeitgeist sprechen: und sprechen doch nur über den
Zeitgeist, orakeln eine platte und nachträgliche
Geschichtsphilosophie.
Ein Mädchen, Aristokratin von Geblüt, in der Not des
Augenblicks zur Demokratin gereift, soll den Archivar-Aestheten
als lebendiges Vorbild zur Humanität führen: und redet doch so
altklug und bescheiden-pharisäisch, daß der »ebenso gebildete wie
ermüdete Spätling einer zerfallenden Kultur« – Meyer-Eckhardt
benennt ihn offenherzig – mit gutem Grunde ihre aufdringliche
Vollkommenheit ironisieren dürfte.
Schließlich aber, und das entscheidet, wird die Wandlung des
angeblichen Spätlings zum angeblichen Repräsentanten tätiger
Menschenliebe nicht entfernt glaubhaft. Wie vermöchte sie es auch,
da der Spätling schon als Spätling kein Mensch ist, sondern eine
kulturhistorische Marionette, die am Draht des humanen
Geschichsprogramms zappelt! Konsequent genug wird dem
Archivar der Zutritt zur tragischen Sphäre verwehrt und die positive
Hingabe an eine Sache; er kann sich nicht töten und nichts tun.
Allein die Humanität erheischt ihr Recht; ihr zu Gefallen muß der
Aermste bei einer Kanonade spazieren gehen und die Kugel
erwarten, die ihn mitnimmt. Die trifft auch ein und läßt ihm gefällig
sein Leben, ihn der Humanität zuspielend; Vorsehung gleichsam,
braucht Humanität den Zufall als Vehikel. Aus dem Aestheten, der
keiner ist, macht Selbstmord, der keiner ist, ein offenkundiges
Nichts; das Surrogat menschlichen Handelns, das Herrn Berthélemy
zugemutet wird, entwertet seine Bekehrung zur Farce, und am Ende
behält man mehr Sympathie für des Archivars schnöde Ignoranz in
Dingen der Revolution als für seine Wendung zur Idee, die noch
größere Ignoranz bezeugt, und denkt wohl gar, die Spätlinge seien
doch bessere Menschen, solange sie Spätlinge bleiben.
Es ist leicht, die Attitude des alten Goethe, des Stifter und der
Tradition großer deutscher Prosa anzunehmen, wenn man die
Konflikte im allgemeinen beläßt und allenfalls behaglich auf den
Stoff projiziert, anstatt ernst zu machen in ihm. Mehr als epigonale
Literatur kommt dabei nicht zuwege, mag man sprachlich wie
immer bemüht sein um genaue Sorgfalt und breite Gediegenheit.
1925
Frank Wedekind und sein Sittengemälde ›Musik‹
Es ist leicht, für die literarische Physiognomie dieses
außerordentlichen Menschen Formeln zu finden, die in schlagender
Metapher das Augenfällige seines Wesens einbegreifen. Seine
Werke sind, gegeneinander sowohl wie in sich, mit Extremen
übersättigt; und groß ist für den Betrachter die Versuchung, die
tragische Grimasse, die aus dem Helldunkel seines psychischen
Hintergrundes plastisch vorzuspringen scheint (sie scheint es
wirklich!), als menschlich und stilgesetzlich statuierendes Prinzip
anzuerkennen und zu deuten. Es ist leicht, Formeln zu finden: aber
es ist schwer, den im Bewußtsein oberflächlicher Gegenwart fast
schon erstarrten Dichter Frank Wedekind als einen Lebendigen zu
begreifen. Denn das heißt: auf all den Reichtum extensiver
Äußerungen, in denen eng mit der Zeit verwachsene Gefühls und
Ideenkomplexe einleuchtend verkörpert scheinen, verzichten, zu
suchen die Intensität seiner Seele, die sich offenbart sowohl im
Zwang des historischen Verlaufes, in den der Dichter gestellt wurde,
wie in der Einmaligkeit, die ihn der Zeit gegenüber exponiert.
Und solcher Verzicht ist unbequem. Wie einfach war es nicht,
auf Grund von Dramen, die als des Dichters Monologe auch dem
ungeistigsten Zuschauer einsichtig sind, diesen so erfreulich
offenherzigen Dichter als tragischen Clown, närrischen König,
antimoralischen Philister oder Zwergriesen je nach Geschmack zu
verfluchen, zu preisen oder zu bedauern! Aber man muß sich klar
sein, daß diese Formulierungen, auch soweit Wedekind selbst für sie
verantwortlich zu machen ist, irgendwie schon Fälschungen sind.
Abgesehen davon, daß sie zumeist aus der Stofflichkeit seines
Werkes sich herleiten und wie alle künstlerische Stofflichkeit nur
tiefere, dem Ablauf realer Bühnengeschehnisse unmittelbar versagte
Inhalte widerspiegeln sollen, abgesehen auch davon, daß sie mehr
aus der äußeren Lebensgestaltung des Dichters denn aus der Wurzel
seines Wesens entspringen: es ist ein schöpferischer Mensch stets
weiter und tiefer, als ein Paradoxon, sei es noch so geistreich. Denn
es bezieht das Paradoxon um der zwingenden Bildwirkung willen
die dem Schöpfermenschen immanente Antithese nur auf eine Seite
seines Wesens; der Strom lebendigen Gegensatzes jedoch, der
Werk, der Dramen zeugt, durchflutet den Menschen in seiner
Ganzheit und ist nie ganz im Sinnlichen und Anschaulichen
einzufangen. Darum ist das Paradoxon als kritisches
Charakteristikum unzulänglich und bewirkt feuilletonistische
Verengung. Bei Wedekind aber, dessen fundamentale Kraft die
Fülle sehnsüchtig ergriffener Gegenständlichkeit ist, bedeutet jede
Verengung schon Fälschung: hat er doch, indem er sich selbst
verengte, sich selbst verfälscht.
Es soll nicht gesagt sein, daß jene tagesüblichen Formulierungen
durchaus unrichtig sind. Sie haben symptomatische Bedeutung. Und
sofern sie tiefer fundiert sind als im szenischen Verlauf, werden sie
auch einer ernsthaften Betrachtung wiederum aufstoßen. Nur scheint
es mir der heute gerade bei Wedekind durchweg nachweisbaren
literarischen Einstellung gegenüber (er war ja selbst vielfach
»Literat«) notwendig, deutliche Grenzen zu ziehen.
Der Dramatiker Wedekind ersteht an der Grenze der Zeiten. Die
ihres Sinnes in Jahrhunderten beraubte Kultur verliert den letzten
Halt in der Idee im platonischen Sinn: das Prinzip des
Individualismus gipfelt im für sich seienden Ich. Der Eros flieht aus
der Welt. Die Kultur wird zur Zivilisation, ihre Wertungen verlieren
ihre Bezogenheit auf ein überpersonales Prinzip und werden relativ
auf die Bezugssysteme der verschiedenen in den leeren Raum
hinaustretenden Individuen. Das Ich wird entselbstet zur Zahl in der
zwecklos und mechanisch ablaufenden Transformation des
Lebensvorganges. Denn es hat den Eros verloren. Und nur der Eros
gibt ihm feste Gestalt und Haltung in der Welt des Äußeren. Jede
Zeit aber stellt mit ihrer Kunst die Frage nach der Stellung des Ich
zur Welt. Während in einer sinngebundenen Kultur – bei Dante etwa
– diese Grundfrage sich ausdrückt in der Frage nach der Haltung des
gotterfüllten Ich zu geistiger und sinnlicher Welt, zu Metaphysis
und Physis, bedeutet sie in unserer sinnentleerten Welt geradezu die
Frage nach der Existenz des Geistigen schlechthin. Geht dies
Problem ins dramatische Kunstwerk ein, so wird es zum Problem
der Liebe, denn Liebe ist im weitesten Sinn die einzig vorstellbare
Form des Göttlichen zwischen Ich und Du. – Der Künstler aber trägt
selbst an seiner Zeit, auch sein Ich ist dem Atomisierungsvorgang
irgendwie verfallen. Er hat nicht den Gott, sondern sucht ihn; er hat
nicht die Liebe, sondern sucht sie und sieht sie darum in der Enge
seiner willenhaften Gebundenheit. Und vor allem: der kosmische
Bereich der Liebe zerfällt ihm, weil nicht vom Sinn gebunden, wird
in sich selbst problematisch und der Tummelplatz notentborener
Verkörperungen von Geist und Ungeist. So wird Venus und
Elisabeth, so wird die in sinngebundener Epoche naturhaft
notwendige Liebe von Mann zu Weib doppeldeutig und also unrein.
So wird die Kunst Wagners und Strindbergs.
Hier beginnt Wedekind. Es ist nicht so, daß er wie Hebbel die
ganze tragische Weite unseres entgeisteten Daseins umfaßte. Er hat
nicht das Wissen um die letzten metaphysischen Zusammenhänge,
er, der wahrscheinlich nie ein philosophisches Buch gelesen und
allenfalls wie die ganze Generation seinen Nietzsche mißverstanden
hat. Aber er hat ein Anderes, das ihn weit aus der Zeit herausstellt.
Der Bohémien, der in kompakten Bühnenbildern der bourgeoisen
Epoche vielbestaunte Pervertiertheiten zuschrie, ist als einziger
vielleicht naiv. Daß er nicht mehr weiß, als Zeitungen oder
Straßenmädchen, daß seine historische Erkenntnis nicht über das
Lexikon hinausreicht, gibt ihm etwas, was seit dem jungen Schiller
nicht da war. Er ist wieder ein Anfang. Denn er hat schon den
großen Atem. Seine Dramatik ist abenteuerlich wie die Prosa
Dostojewskijs, das Spielmäßige der Handlung sitzt nicht artistisch,
sondern akrobatisch, er ist unerhört wagemutig, er pocht an jedes
Gefühl und kriecht in jeden Instinkt, er schreit, er plakatiert. Er geht
ins Große. Er ist gar kein Psychologe, er sah nie, wie die Menschen
wurden, sondern nur, wie sie sind und auch das nur mit einem Auge.
Er war der Zeit staunenswert voraus, weil er so weit hinter ihr
zurück war. In seinem ersten Laut überschrie sich der Naturalismus.
Und als er wuchs, wuchs er in eine Fülle des Gegenständlichen mit
seinem schamlos empfangenden Leben, wie sie in Deutschland
lange nicht da war. So suchte er nach der Liebe. Er hatte das
Problem in den Fingerspitzen.
Er hatte es auch im Rückenmark. Er erlebte die Liebelosigkeit
der Epoche in der krassesten Exemplifizierung auf seine empirische
Individualität. Er erlebte die Liebe als Widersinn: als Verführung
und Hurerei. Man kann das als Faktum nehmen oder sich freuen
über die schöne Unanständigkeit, mit der er der gottlosen Zeit ihre
Götzen zerstampfte, auch wenn er den Weg zum Gott ihr nicht
weisen konnte. Aber es ist nicht dies allein. Es ist in ihm die Liebe
selbst dialektisch geworden. Die Liebe, des Geistes gültigste Form,
erscheint ihm losgetrennt vom Geiste, widergeistig. Und weil sie
ihre Herkunft vom Göttlichen auch im Kot noch gebietend
verkündet, wird sie zum Fleischgeist. Träger der Liebesidee ist ihm
nicht – wie dem von gleicher Sehnsucht getragenen Tolstoi – das
reine Naturwesen, sondern als höchst zivilisatorischer Protest die
animalische und schöne Dirne. Der Geist zieht als Liebe wider sich
selbst zu Felde. Dies ist die letzte Wesensantinomie: aus ihr
entspringen mittelbar alle Formeln ethischer und ästhetischer
Paradoxie.
Diese Wesensantinomie hat aber ihre Wurzeln nicht im
historischen Prozeß, sondern in der Einmaligkeit des Dichters
Wedekind. Die tragische Entscheidung, aus der die Liebe lebendig
aufwachsen könnte, hat in ihm noch nicht in ihrer Reinheit sich
vollzogen. Seine Stärke ist seine Schwäche: ein letztlich naiver
Künstler wird die Probleme einer späten und gänzlich bewußten
Epoche nicht bewältigen. Wedekind war schließlich ungebildet. Das
will sagen: daß ihn die Kulturinhalte, deren Gestaltung ihm Aufgabe
war, nicht entscheidend formten, daß Zeitliches und Überzeitliches
in ihm nicht durch das bewußte Eingehen in den Kulturvorgang
geschieden wurden. Und ohne solche Scheidung ist keine
Entscheidung. Er ergreift die Probleme mit dem Instinktwissen um
die Idee, aber der Weg zur Bindung und Kulturwerdung der Idee
bleibt ihm versagt.
Und darum auch die Synthese: darum bleibt die eingeborene und
durchaus schöpferische Antinomie seines Wesens paradox: sie kann
nicht zur höheren Geistform umgeschaffen werden. Sie läßt ihn
nicht zur reinen Gestaltung gelangen. Er ist nicht tragisch, wie er
eitel genug war zu glauben: er ist ein Grenzfall. Als Ich in der
Donquixoterie seines Geistprotestes wider den Geist und auch im
Werke. Denn auch in seinem Werke wird eine reine Entscheidung
nicht vollzogen. Unter dem Zwang der Fleischgeist-Ethik werden
seine Gestalten sittlich doppeldeutig und sind zugleich berufen,
Träger der Idee zu sein. Daß dies möglich werde, macht er einen
Akrobatensprung und verschiebt die Welt ganz mathematisch, bis er
seine »Helden« zum Koordinatenursprung machen kann, sei es auch
um den Preis, jeweils neue Moralen ad hoc zu konstruieren. Dieser
Mut ist eine große Sache und Nietzsches nicht ganz unwürdig. Aber
die Welt, die von Dichters Gnaden wird, taumelt von Relation zu
Relation und ist die Welt der Tragikomödie. Sie ist stilgesetzlich
unrein und bleibt deshalb ästhetisch unzulänglich. Wedekind hat ja
auch keine Sprache. Der Zwang, konträre geistige Welten
ineinander zu transformieren, ließ sein Ich keine feste Position
gewinnen. Sein Ich muß sich selber transformieren und redet
journalistisch. Nur dort, wo der sittliche und ästhetische
Transformierungsprozeß selbst in den Mittelpunkt des Geschehens
gerückt wird, gewinnt er in epigrammatischer Prägung (die immer
tiefer sich prägt als etwa bei Wilde) zwangsläufigen Ausdruck
seiner epigrammatisch zerfetzten Wesenheit: im ›Marquis von
Keith‹, in manchen Gedichten. – Und manchmal, freilich, ist die
lyrische Flamme da, aus der der Brand des Dramas wird, und brennt
sich eine unverwechselbare Form, in Stellen von ›Frühlings
Erwachen‹ und von ›Erdgeist‹.
Man muß sich über das Kernproblem Wedekinds klar sein, um
zu dem »Sittengemälde« ›Musik‹ die rechte Einstellung zu finden.
Denn dies Stück liegt an der Peripherie von Wedekinds
dichterischem Umkreis. Losgelöst aus dem Zusammenhang der
Werke, ist es geeignet, vom Wesen des Künstlers Wedekind ganz
schiefe Vorstellungen zu geben. Es ist nicht vollbürtig, es ist eine
Auch-Äußerung.
Schon der Untertitel »Sittengemälde« ist bedenklich. Wenn
gesagt wurde, daß Wedekind an jeden Instinkt sich wende, so fällt
darunter auch – leider! – der Volksstückinstinkt. Er wirkte nicht nur
auf Unterleib, Zwerchfell, Grimasse. Er kannte auch die
Tränendrüsen, und das ist keines Künstlers würdig. Sittengemälde
pflegen Öldrucke zu sein, und das ist schlimm. Immerhin:
Wedekind hat vielleicht an Hogarth gedacht. ›Musik‹ klingt nach
Komödie. Wedekind gibt sich hier überzeugt tragisch. ›Musik‹, das
bedeutete ein Milieu, süddeutsches Konservatorium mit
schwärmenden Schülerinnen und viel sexuellem Sprengstoff, und
darüber hinaus das Leid der Liebe oder, mit Wedekind zu reden:
wenn einer ein Lied singen kann. Denn das ist die Idee des Ganzen.
Es ist nur eigentlich keine Idee, sondern eine Tendenz. Ein
Musikprofessor ist verheiratet und hat ein Verhältnis mit einer
Schülerin, die ganz hebbelsch und sicher nicht ohne Absicht den
Vornamen Klara hat und den ironisch-pervers gemeinten Zunamen
Hühnerwadel. Sie hat sich ein Kind abtreiben lassen, die Sache
kommt heraus, der Professor benimmt sich schofel und die Gattin
mit einer teils gütigen, teils hysterischen, teils trotteligen
Weitherzigkeit. Man sieht: dies Stück stammt vom Naturalismus
her. Die arme Klara kommt durch des Professors Schuld ins
Gefängnis und gibt dem Dichter Anlaß, der Obrigkeit einige
Schläge zu versetzen. Else, die Gattin, befreit sie, und die Sache
geht wieder von vorne an. Es wäre alles ganz gut, wenn nicht ein
Literat Franz Lindekuh, der Stellvertreter Wedekinds auf – dieser –
Erden, ganz nach berühmten Mustern moralisch-amoralisch die
Sache in die Luft zu sprengen drohte und dabei sich von Josef, dem
Professor, mit Beweismaterial dartun lassen müßte, daß Klara das
edelste, anständigste Menschenkind sei, das er je kennen gelernt
habe. Das Unglück wird gestoppt und es zeigt sich, daß Klara
wieder ein Kind erwartet. Diesmal bringt sie es zur Welt, aber es
stirbt (die Doktoren bekommen eins ab im Stil von ›Frühlings
Erwachen‹) und Klara wird wahnsinnig, wenigstens temporär. Denn
Wedekind gibt sich hier überzeugt tragisch. Da er sich jedoch zur
psychischen Paradoxie verpflichtet glaubt, so nennt er das letzte
Bild »der Fluch der Lächerlichkeit« und begründet diesen Titel
damit, daß er Klara von diesem Fluch verzweifelt reden läßt, ohne
daß ein Anlaß dazu evident würde.
Kein Zweifel: Klara ist eigentlich nur ein Abbild der Klara aus
›Maria Magdalene‹, und spezifisch wedekindisch ist nur die
verkrampfte Sehnsucht nach Keuschheit, die durch diese Gestalt
zittert. Diese Sehnsucht, so menschlich ergreifend sie wirkt, bleibt
in ›Musik‹ irgendwie rückschauend – romantisch, und schließlich ist
es doch so, daß Klara an der blauen Haarschleife ihrer verlorenen
Mädchenheit sentimentalisch sich aufhängt. Vor hundertundfünfzig
Jahren war das gefallene Mädchen als dichterische Gestalt eine
Entdeckung und konnte die revolutionäre Ethik tragen. Heute ist
diese Figur in die Oberfläche der Zeit getreten und nimmt willig die
Ergüsse derer auf, die auf der Oberfläche der Zeit bleiben wollen, ist
recht eigentlich zur Domäne der Sudermänner geworden. Es gehört
schon die dichterische Kraft von ›Frühlings Erwachen‹ dazu, einen
mehr und mehr ins Sensationelle gerutschten Typus zum
dramatischen Individuum neu zu schaffen. Aber die mangelnde
Psychologie wäre noch kein Einwand, höchstens im Sinne
Wedekinds, der hier ein naturalistisches Drama schreiben wollte.
Der ›König Nicolo‹ ist höchst unpsychologisch, und doch wird jede
Figur so stark von der Idee gezeugt, daß im Rahmen der
bilderbogenhaften Stilisierung starke Dramatik zustande kommt. So
stark ist das in ›Musik‹ nicht der Fall. Das Milieu wirkt in seiner
nackten Stofflichkeit, ohne zum Stilprinzip verdichtet zu werden. Es
ist nicht die strömende Fülle spezifisch geschauter Menschen da wie
etwa im ›Marquis von Keith‹. Und die Idee? In ›Lulu‹, im
›Hetmann‹ und in den Spätwerken ist eine Idee spürbar, die, mag
man noch so sehr ihre Grenzen im Individuum Wedekind erkennen,
aus diesem Individuum organisch hervorwächst. Und vor allem: dort
handelt es sich um eine künstlerische Idee, am reinsten wohl im
›Hetmann‹, wo der Dichter Wedekind den Kulturpolitiker Wedekind
aus sich herausstellt und in seiner menschlichen Problematik
objektiviert. ›Musik‹ hingegen ist geradezu ein kulturpolitisches
Manifest. Die Zielstellung dieses Dramas ist nicht künstlerisch
absolut, sondern zeitlich zweckhaft. Es handelt sich um das Recht
der freien Liebe, und das ist letztlich keine künstlerische
Angelegenheit.
Aber es ist bei alldem nicht Tendenz im Sinne etwa von Ibsens
Gesellschaftsdramen. Der Hauch des Menschlichen weht darin, die
Glut eines Paränetikers, der an den Dingen brennt, für die er redet.
Der zuckende Jammer des Erlebnisses zerstörter Jugend, der dem
Menschen Wedekind im Blute tief saß, brüllt doch über die
Lattenzäune landläufiger Tendenzbezirke hinaus in gültigere
Bereiche. Dazu kommt, daß dies Stück, der flüchtigen Diktion nach
sehr rasch hingeworfen, die stachelnde, sichere Kolportagetechnik
des gehetzten Dichters in den drei ersten Bildern zeigt, freilich um
im letzten Bild hart am melodramatischen Kitsch zu landen. Allein
die menschliche Ehrlichkeit dieses doch mit jedem Atemzug
gelebten Dramas hebt es weit über den Durchschnitt der heute schon
schulmäßigen und darum zu jeder Sünde wider den Geist bereiten
Ausschrei-Produktion hinaus.
Über den Nachlaß Frank Wedekinds
Meine Damen und Herren, wenn ich es unternehme, mit einigen
Worten und ohne allen Anspruch auf Deutung Sie auf den
literarischen Nachlaß Frank Wedekinds aufmerksam zu machen,
soweit er im achten und neunten Band der Gesamtausgabe des
Georg Müller Verlages vorliegt 1 , so leitet mich dabei die
unbestimmte Hoffnung, es möchten Trümmer und Bruchstücke an
die Ganzheit eines literarischen Werkes erinnern, während die
Ganzheit des Werkes selber, die in Erscheinung trat, fürs öffentliche
Bewußtsein in Trümmer und Bruchstücke zerfiel. Es kann nicht
geleugnet werden, daß Wedekinds Dramatik, vor zwölf Jahren noch
mit Strindberg Trägerin aller bewegenden Impulse des deutschen
Theaters, seitdem nicht bloß wenig mehr gespielt wird, sondern
geradezu vergessen oder verdrängt ist: ein Vorgang, der um so
ernster zu denken geben sollte, als an keiner Stelle die
Wedekindsche Problematik aufgenommen oder zu neueren,
verbindlicheren Lösungen gebracht wurde, sondern einfach am
Wege liegen blieb, als sei mit einem Mal den Menschen gänzlich
gleichgültig, worum sie zuvor zitterten und wo sie ihre ganze
Existenz angegriffen fühlten. Der einmal der Klassiker aller
Expressionisten war, den hat die neue Sachlichkeit mit anderen
Klassikern in die Rumpelkammer gesperrt, so ungebärdig auch seine
Marionetten wider ihr Begräbnis erster Klasse gestikulieren
mochten. Von seinen Konstruktionen, von seinen kubistischen und
schräg überschnittenen Dialogen, der Szene des Marquis von Keith
mit Scholtz, der Dialektik zwischen Lulu und dem Doktor Schön
haben Kaiser und Sternheim die ihren gelernt; die Psychologie der
Geschlechter, erhitzt bis zur Grenze, wo das Ich aufhört, es selber
und unteilbar zu sein: diese Psychologie schlug in ihr Gegenteil um,
und für die dramatische Form schien eine Leistung gelungen, die bei
völlig anders gelagerter Stoffschicht der malerischen des Cézanne
ähnlich genug dünkte; hier wurde die Probe auf den Individualismus
gemacht, der bis zum äußersten sich behauptete, und das Gegenteil
ging aus ihm hervor: wie dort aus den Farbflecken der Augenwelt
ein neuer Farbraum sich komponierte, so ließen hier die
Menschentriebe die Menschen hinter sich zurück, die von ihnen
getrieben waren, setzten über ihren Köpfen sich durch und begannen
zu spielen; aus dem Theater der Seelen wurde eines der Leiber und
schließlich ein entfesseltes als Zirkus. Davon ist nun heute nichts
mehr zurückgeblieben; heute, wo die literarische Mode es liebt, die
Wirklichkeit hinzustellen, als sei sie nie von der Subjektivität
angegriffen und geformt worden, während sie erst aus dem Angriff
der Subjektivität, aus dem Angriff des frei formenden Künstlers als
eigentliche Wirklichkeit, als gedeutete und gerichtete, wieder
hervorgehen könnte. Es ist keine Übertreibung, wenn man sagt,
Wedekind scheine nur darum überholt, weil seine Fragestellung, die
der dichterischen Form nämlich und nicht die der bloßen
Stofftendenzen, überhaupt noch nicht erreicht und eingeholt ist. Der
Vorwurf des Überholtseins richtet sich bei Wedekind allemal gegen
seine Stoffe. Frauenemanzipation und Körperkultur, freie Liebe und
rhythmische Gymnastik, die privaten Nöte von Primanern und
Weltverbesserern, Glanz und Elend aller Kurtisanen, das seien keine
Sorgen für die Gesellschaft, die mit alldem längst auf ihre Weise,
gut oder schlecht, fertig geworden sei und deren Fragen heute
unmittelbar auf die Möglichkeit des Weiterlebens gingen.
Wedekinds Probleme sollen aus der Perspektive von 1933 aussehen
wie private Schrullen; so wie die ganze Privatwelt, in der sie
möglich waren. Es ist nun ohne Umstände zuzugeben, daß am
Fleischgeist und am schönen Tier, auch an den unpolitischen
Reformversuchen und Beutezügen der Wedekindschen Akrobaten
als an Stoffen nichts gelegen ist; daß also, um das ominöse Wort zu
gebrauchen, diese Stoffe tatsächlich für »zeitbedingt« gelten mögen.
Aber es scheint mir, als müsse man den Begriff der Zeitbedingtheit,
den wir von einer klassizistischen Ästhetik als Schimpfnamen
geerbt haben, etwas vorsichtig gebrauchen. Denn es ist den
bedeutenden Dichtwerken eigentümlich, daß sie in der Zeit nicht die
gleichen bleiben, sondern sich verändern. Diese Veränderung wird
aber um so besser und tiefer geraten, je besser und tiefer die
Stoffschicht der Werke der ihrer Zeit eingesenkt ist. Während
Werke minderen Ranges verfallen, indem sie nicht die Macht
besitzen, in Geschichte ihre Stofflichkeit zu beherrschen und in ihrer
Stoffschicht untergehen, vermögen es die großen, durch ihre
Geschichte den Stoff selbst durchsichtig zu machen, in dem sie
ruhen, weil sie ihn vollständig ergriffen haben und nun gleichsam in
eine geschichtliche Bewegung mitreißen, durch welche er gedeutet
wird. So ist aber die Zeitgebundenheit Wedekinds einzig zu
verstehen. Seine Dichtungen schauen ihren Stoff, die Bürgerwelt der
letzten Vorkriegsjahrzehnte, mit so starren, fremden, gleichsam
hohlen Augen an, daß sie heute als vom gleichen Blick gedeutete
sich kundgibt, die er vordem nur als erstarrende Fratze zu bannen
schien. Heute erscheinen alle jene vorgeblichen »Tendenzen«
Wedekinds weit eher zur Deutung beschworen als von ihm selber
vertreten, und es ist schwerlich Zufall, daß das Drama, das die
schärfsten Formulierungen der sogenannten Tendenzen enthält,
›Hidalla oder Karl Hetmann der Zwergriese‹, zugleich diese
Tendenzen objektiv darstellt und deutet, indem Wedekind sie ad
absurdum demonstriert.
Ich sagte, das Element der Deutung des Zeitstoffes durch
Wedekind sei erst durch die Zeit selber offenbar geworden, die
Werke und Stoffe gleichermaßen veränderte. Aber es ist eine Stütze
dieser Auffassung, mit der ich die gegenwärtige Aktualität
Wedekinds begründen möchte, daß Wedekind selber den
Tatbestand, wenn schon nicht durchreflektierte, so doch fraglos in
der Praxis seiner Darstellungsprobleme gewahrte. Das kommt an
seinem Verhältnis eben zum »Stoff« zutage und wird nirgendwo
besser bezeugt als im Nachlaß. Während er – so etwa läßt sich das
fruchtbare Spannungsverhältnis Wedekinds zum Stoff formulieren
–, während er einerseits das Recht auf Formung mit dem Pathos des
Excentrics vertritt, den Naturalismus verfehmt, bestreitet, jemals auf
Tendenz auszugehen, und alle die vermeintlichen Tendenzen als
bloße Anlässe zum in sich geschlossenen Gebilde genommen haben
will, hat er andererseits den Willen, überall dort den Stoff zu
akzentuieren, wo er der Form sich nicht einfügt und wider die Form
seinen Einspruch anmeldet, unterhalb deren er gelegen ist: Stoff als
Schein und Kolportage und Kitsch. Hier, in jenen eigenmächtigen
Stoffschichten, ist der Ort der Deutung. Die Stoffe werden um so
durchsichtiger, je dichter sie in sich zusammenschießen, je härter sie
sich gegen den Zugriff der Dichtung wehren. Der Dichter lohnt es
ihnen, indem er sie verteidigt gegenüber den im herkömmlichen
Sinn »dichterischen«, fügsamen Stoffen. Von den scheinhaftesten,
grellsten, geschmacklosesten Stoffen wird er überwältigt und findet
seine Form gerade dort, wo er verzichtet, sie in scheinbarer Freiheit
von sich aus zu setzen, sondern wo er sie aus den Figuren der
Stofflichkeit heraus liest. Der Umschlag in Objektivität betrifft
darum nicht bloß die Wedekindsche Form, sondern ebenso seine
Stoffe, die gleichen Stoffe, die man heute überholt und, als
subjektiv, veraltet schilt. In einem offenbar frühen Gedicht, das der
erste Nachlaßband bringt, formuliert er sehr scharf: »An einen
Dichter. – Dein Schaffen war wie Gold so echt, / Solang du
Modekram geschaffen. / Du gabst dem menschlichen Geschlecht /
Urechten Plunder zu begaffen. / Doch seit ein reineres Idol / Dein
ruhmbedürftig Herz begeistert, / Wie ward dein Schaffen falsch und
hohl, / Aus eitel Phrasenschwulst gekleistert.« Das Problem des
urechten Plunders ist Wedekinds eigentliches: der abgeworfenen,
niedrigen, von der Form und von der Gesellschaft verlassenen
Dinge, die die einzig scheinlosen sind, und denen er die Wahrheit
abzuzwingen hofft, die allen anderen versagt ist. Der urechte
Plunder: das ist das gleiche, was die ästhetische Sprache unserer
Tage Kitsch nennt, ohne jemals zu einer so schlagenden Definition
zu gelangen wie Wedekind. Es existiert noch aus der reifen Zeit ein
großes dramatisches Fragment von ihm, im zweiten Nachlaßband
veröffentlicht, das ›Kitsch‹ heißt und bewußt darauf ausgeht, seine
Kompositionselemente gleichsam dem Schutthaufen der Ästhetik zu
entnehmen. Da ist kein Zug der Handlung, keine Figur, die nicht
vom Geschmack verpönt wäre. Wedekind notiert dazu: »Höchstes
Leben und gemeinster Kitsch berühren sich.« Und dann, noch
kühner, als »Ideen des Kunstgelehrten«, der zugleich Held des
Stückes sein soll, so wie sonst der Liebestheoretiker Wedekind
Hauptclown seiner Stücke ist: »Kitsch ist die heutige Form von
Gotisch, Rokoko, Barock. Höchste Schönheit und Kitsch. Gottheit
und Porzellanpuppe.« In solchen Worten springt die Erkenntnis auf,
daß gerade die verworfenen Stoffe die sind, aus denen die echten
Bedeutungen einmal aufsteigen. Es sind aber gerade die, welche
heute zeitbedingt gescholten werden: Wedekind überholt zu nennen
und seine Stoffe Kitsch ist das gleiche. Allein er war nicht nur den
neusachlichen Kritikern, sondern sich selber voraus, indem er die
Durchsichtigkeit der formverlassenen Stofflichkeit, des Kitschs,
gewahr wurde zu einer Zeit, als er noch ganz in sich verschlossen
war. Erst heute, da der Surrealismus die Deutung aller
Kitschornamente des neunzehnten Jahrhunderts im Entsetzen
begonnen hat, läßt sich recht verstehen, was Wedekind meinte
eigentlich, der wahrhaft eher ein Ahnherr der Surrealisten als der
Expressionisten ist, die ihn einmal reklamierten, und der neben den
französischen Nationalheiligen des Surrealismus, Rimbaud und
Apollinaire, keine schlechte Figur machen wird. Der surrealistische
Wedekind aber – und auf ihn aufmerksam zu machen ist die
eigentliche Absicht meiner Worte – enthüllt sich im Nachlaß; hier,
an dieser Stelle, wird die oft bemerkte und kaum je in ihrer
Tragweite verstandene Verbindung von Wedekind mit Brecht
begreiflich, mit Brecht, der gleich Wedekind, anstatt in der
Oberwelt der ästhetischen Formen zu reden, die Unterwelt der
bloßen Stoffe selber zum Reden bringt und damit deutet. Die
Beziehung Wedekinds zum Surrealismus, wie sie in allen
Chokmomenten seines Werkes, in den aufgesprengten Träumen aus
dem neunzehnten Jahrhundert ruht, in jenen Elementen, die Walter
Benjamin einmal beim Problem des Surrealismus in der Formel
»Traumkitsch« zusammengestellt hat – diese Beziehung ist noch
genauer bestimmbar. Es scheint mir die eigentlich großartige
Leistung Wedekinds, daß er die Form, die diese Stoffschichten zur
Deutung bringt, aus ihnen selber herausgeholt hat: der Kitsch-Stoff
wird in der Kitsch-Form beredt. Die engen biographischen und
literarischen Beziehungen Wedekinds zur Welt des Cirkus sind
bekannt. Man weiß, daß Wedekinds Menschen stets fast verlarvte
Clowns, Akrobaten und Seiltänzerinnen sind, und der Auftritt des
Zirkusdirektors Cotrelly am Ende von ›Karl Hetmann‹ hat weniger
die Geste des Umschlags ins Maskenspiel, als welche sie sich gibt,
als der Demaskierung. Man kennt auch die Zirkussituationen bei
Wedekind, selbst dort, wo es am tragischesten hergeht, wie in jenem
Augenblick des ›Erdgeists‹, wo die ertappten Liebhaber der Lulu als
ein Excentricensemble in allen Dimensionen des Raumes
gleichzeitig erscheinen. Aber solche Situationen sind nicht beliebige
Übernahmen aus der Welt des Cirkus, ein beliebiges Umschlagen
aus der innermenschlichen Tragik ins unmenschliche Spiel der
Groteske. Sondern sie bilden Wedekinds wahre Form, die einzige,
in welcher er die Stoffe bewältigt, die vom sinngebenden Menschen
sich losgerissen haben. Es ist die Form des Tableaus. Des
Zirkustableaus: eine Interpretation von Wedekinds Dichtung hätte
darum von seinen Balletten, den ›Flöhen‹, der ›Kaiserin von
Neufundland‹ dem Mückenprinzen aus ›Mine-Haha‹ und dem
Ballett ›Bethel‹ des zweiten Nachlaßbandes auszugehen, die
allesamt in Tableaus, in Bildern gedacht sind. Wir erinnern uns aus
unserer Kindheit an die »Großartige Schlußapotheose«, die die
Cirkusrevue »Golo, der Seeräuber und Mädchenhändler« glorreich
beendete. Ihre Form ist keine andere, als daß alles, was im Stück
vorkam, ohne Rücksicht auf Handlungszusammenhang und Form,
zusammentritt, eine Gruppe bildet und für einen Augenblick ganz
stillhält; und dieser Augenblick genügt, daß das Tableau
zusammenschießt. Daß alles Historische, Bunte und Stoffliche, was
darin erscheint, zur Ewigkeit erstarrt, aus der es kam. Die Tableaus
sind die Urbilder aller Montage. Was Kitsch war und hier vereint
stillhält, das stellt als Bild vollständig und schlagend sich dar, und
die Epoche versammelt sich im Tableau, das sie in sich hineinzieht
und aufsaugt: »Kitsch ist die heutige Form von Gotisch, Rokoko,
Barock«, meint Wedekind, und im Tableau erkennt sich der Kitsch
als Stil. Solange er darin stillhält, gleicht er der Gotik, dem Barock,
dem Rokoko und gleicht ihm um so besser, je zeitlicher und
verfallener er war, bis der gestaute Zeitstrom die Dämme des
Tableaus überflutet und die ahnungsvolle Gleichheit versinkt.
Tiefsinnig läßt Wedekind die Tableaus von ›Bethel‹ von einem
Photographen begleiten, der sie festhält und dabei in die seltsamsten
Traumabenteuer gerät; in seinen Momentaufnahmen will der Kitsch
erkannt werden und beim Namen gerufen, und alles Ungemach, das
dem Photographen Samtleben widerfährt, rührt nur daher, daß der
Kitsch gegen solche Benennung im Tableau zappelnd sich sträubt
wie nur das Kind beim Photographen. Die Geste, mit der Wedekind
den Kitsch deutet, ist die von »Bitte recht freundlich« und ihr
gehorchen die Dinge, die keinem beseelten Menschenwort mehr
gefügig wären.
Meine Damen und Herren, nicht deuten wollte ich, sondern bloß
erinnern. Denn in den Stücken, an die ich Sie erinnern durfte, liegt
die Deutung beschlossen. Es ist aber ihre Größe, daß sie die
Deutung nicht als Symbole verbergen, sondern daß sie dergestalt als
Tableaus gestellt sind, daß mit ihnen die Deutung unmittelbar
erscheint. Wedekinds Dichtungen sind heute wie Chiffren ihrer
selbst. Sie anzuschauen und sie verstehen ist eigentlich das gleiche.
Darum taugen sie zur Erinnerung: die lautlose Bilderschrift des
Jüngstvergangenen.
Fußnoten
1 Vgl. Frank Wedekind, Gesammelte Werke, Bd. 8: Lyrik,
Versepik, Erzählende Prosa, München 1920; Bd. 9: Dramen,
Entwürfe, Aufsätze aus dem Nachlaß, München 1921.
Physiologische Romantik
Karl Kraus gibt im Verlag Anton Schroll, Wien, eine Auswahl aus
den Büchern von Peter Altenberg heraus 1 , die enthält, was heute
für den Toten verbindlich zeugt. Sein Blick streift Altenbergs Prosa
mit der tiefsinnigen Zärtlichkeit des Tyrannen: es ist Hamlets Blick
über Yoricks Schädel. »Ein Narr verließ die Welt, und sie blieb
dumm«, sagt er im großen Einleitungsgedicht, und der Unerbittliche
läßt dem verschiedenen Freunde die Freiheit des Narren. Der darf
von der »Künstler-Seele« reden, von einer Frau sagen, daß sie
»direkt edelste Menschenfreundlichkeit überallhin ausstrahlte«,
ohne daß dafür das strafende Zitat ihn träfe, und den Sperrdruck, bei
Kraus das schauerlichste Mittel der Vernichtung, darf er
gebrauchen, einzig um Gedanken hervorzuheben, deren Zartheit,
wäre sie was sie beansprucht, gerade den Sperrdruck verwehrte. Die
beiden, Kraus und Altenberg, stellen ihre Figur auf der Szene
Shakespeares, die wie für Kraus so für Altenberg als Landschaft den
Umkreis des Wirklichen umschreibt. Bei Altenberg heißt es: »Sein
eigenes Leben nicht ernster nehmen als ein Stück von Shakespeare!
Aber auch nicht minder ernst! Sich von dem Leben in Besitz
nehmen lassen wie im Theater. Das Theater des Lebens. Der ideale
Zuschauer seiner selbst sein! Ganz drin sein und dennoch aus den
facheusen Komplikationen herauskommen können in die frische
Nachtluft; erlebt haben, was man nicht erlebt hat, nicht erlebt haben,
was man erlebt hat!« Die landläufige Meinung möchte hier die
Phrase vom Ästheten und Impressionisten Altenberg anschließen,
dem alle Erfahrung nur feines sinnliches Spiel geblieben sei, das mit
ihm verfiel: den Gedanken an den neuromantischen Bettler im
Vorkriegs-Wien. Aber so wenig jener Satz vom Theater und der
frischen Nachtluft draußen, der realen also, in Wahrheit dem
neuromantischen Wesen zuzählt; so wenig nur die Zitate bei Karl
Kraus mit der zitierenden Dramatik Hofmannsthals zu tun haben, so
wenig darf Altenberg selber romantisch heißen.
Das kommt an seinem eigenen Begriff von Romantik zutage.
»Mein Buch: ein erster Versuch einer physiologischen Romantik. «
Das ist aber eine solche der Nerven, die ihren unendlichen Anspruch
nicht bloß anmelden sondern durchführen. Als impressionistische
Künstler-Nerven melden sie; was sie durchführen aber gehört nicht
mehr der einsamen Seele und ihren Bildern sondern dem Leib und
seinen Funktionen. Ihr Recht liegt nicht in der Stimmung sondern
im Bedürfnis; sie geben Signale zukünftiger Gebrauchswerte. Ihr
Amt ist weniger, die positive Fülle der Reize zu verarbeiten, als
negativ alle die fernzuhalten, die nicht mit genauen Bedürfnissen
korrespondieren: sie werden gleich schlechten Ornamenten
abgeschlagen. So wollen es die Sätze: »Die tragischen
Schwächungen: Essen, wenn man nicht hungrig ist. Sich bewegen,
wenn man ruhebedürftig ist. Sich begatten, wenn man liebelos ist.«
Mit solcher Kritik schlagen bei Altenberg Ästhetentum,
Impressionismus und Dekadenz um in eine subjektive Technik zur
Vorwegnahme besserer gesellschaftlicher Zustände. Das Recht der
Dekadenz im Umschlag, sein bestes, hat er selbst erkannt:
»Pferde-Mißhandlung. Sie wird aufhören, bis die Passanten so
irritabel dekadent sein werden, daß sie, ihrer selbst nicht mächtig, in
solchen Fällen tobsüchtig und verzweifelt Verbrechen begehen
werden und den hündisch-feigen Kutscher niederschießen werden –
Pferde-Mißhandlung nicht mehr mit ansehen zu können, ist die Tat
des nervenschwachen Zukunfts-Menschen! Bisher haben sie eben
noch die armselige Kraft gehabt, sich um solche fremde
Angelegenheiten nicht zu kümmern.« Die ironische Sprache klärt
den Willen auf, sich »fremder« Angelegenheiten anzunehmen, die
einen nichts angehen. Der politische Wille manifestiert sich in der
Sprache des Privaten und bricht die private Romantik.
Wenn Walter Benjamin im Kraus-Essay der ›Frankfurter
Zeitung‹ die privaten Forderungen von Kraus, die Forderungen an
ein wahrhaft »ungestörtes« Privatleben, gerettet hat als exakte
Antezipationen gesellschaftlicher Forderungen aus der Sicht des
Individuums, dann gebührt die gleiche Rettung, zusamt dem
vorgeblich individualistisch-übersteigerten Ausdruckswillen
Schönbergs und den Plänen von Loos, auch dem seligen Hofnarren
eben des künstlerischen Bereiches, dem man sonst
wirkungslos-tragische Einsamkeit zu attestieren nicht müde wird.
Das Geheimnis auch jenes um- und überschlagenden
Individualismus war Altenberg vertraut: »Der › Einzige ‹ sein ist
wertlos, eine armselige Spielerei des Schicksals mit einem
Individuum. Der › Erste ‹ sein ist alles!« Oder extremer und mit
scharfer Spitze gegen jene fatale Natur, in welcher sonst Bohémiens
sich wohlsein lassen: » Wahre Individualität ist, das im voraus allein
zu sein, was später alle, alle werden müssen! Falsche Individualität
ist, ein zufälliges Spiel der Natur sein wie ein weißes Reh oder ein
Kalb mit zwei Köpfen.« Das Echtheitssiegel dieser Konzeption vom
Individuum als Modell aber ist Bewußtsein, woran »Krimskrams«
und Ornament zerfällt und woran das isolierte, vorwegnehmende,
darum närrische Individuum seine Richtung findet: » Nur die sehnen
sich nach dem Unbewußten zurück, denen das Bewußtsein nur die
Erkenntnis gebracht hat, daß sie Esel waren und geblieben sind!«
Aphorisma, Impression und Skizze stehen bei Altenberg mit
allem Schein des Privaten und allem privaten, auch ästhetischen
Schein als leibhafter, harter, gar nicht zarter Entwurf der Zukunft.
Dies Werk wird in der Zeit bis ins Innerste sich verändern. Was wir
heute als falsche Zartheit daran fühlen, wird von der echten Härte
als Narrenmaske abfallen; die Nuance wird sich in genaue
Erkenntnis umsetzen; die Pose wird sich als parodische Ahnung
wirklicher Gesten erweisen, und der Sperrdruck, der geschmacklose
Sperrdruck, der den Seelenkünstler desavouiert, wird lesbar werden
als das grelle Plakat, das den monologischen Text des Dichters
wohltätig durchbricht.
Fußnoten
1 Vgl. Peter Altenberg, Auswahl aus seinen Büchern. Von Karl
Kraus, Wien 1932.
Wirtschaftskrise als Idyll
Daß das rechte Idyll einzig vom Hintergrund der welthistorischen
Katastrophe wirksam sich abhebe, ist seit ›Hermann und Dorothea‹
die verbreitete, obschon keineswegs sichergestellte Meinung. Wenn
aber die Katastrophe sich nicht mehr im Hintergrund bannen läßt,
sondern ungestüm die gesamte Szenerie einnimmt, dann bleibt der
Idylle keine andere Wahl, als die Katastrophe selber mit ihrem
Formgesetz einzuspinnen, wofern sie es nicht vorzieht zu
verschwinden. Der Roman ›Engelgasse‹ von J.B. Priestley, vom
Fischer-Verlag in einer fleißigen Übertragung von Paul Baudisch
ediert 1 , gestaltet die Wirtschaftskrise als Idyll oder wenigstens
Vorgänge, deren wahren Horizont die Wirtschaftskrise bildet. Der
Waschzettel-Vergleich mit Dickens, als Kompliment gemeint, findet
sich bestätigt für eine kritische Betrachtung, die erkennt, daß der
Untergang einer Londoner Furnierholzhandlung im
Konkurrenzkampf sich eben nicht »voll gelassener Freundschaft zu
allem Leben« darstellen läßt – einer Freundschaft, deren
Allgemeinheitsanspruch übrigens Dickens kaum sich unterworfen
hätte, der in den Partien seines Werkes, die die Industriekrise zum
Gegenstand haben, allen versöhnenden Humor tiefsinnig vergißt
und das Grauen benennt, wie es aufsteigt. Nun ist es um den
Dickens bei Priestley nicht eindeutig bestellt. Die Ausführlichkeit,
mit der jede Person, die am Schicksal der Firma Twigg &
Dersingham beteiligt ist, nicht bloß durch ihr dichtes und
personenreiches Milieu, sondern auch durch all die gedrängten
Augenblicke ihrer täglichen Existenz geleitet wird – diese zuweilen
grausam getönte Ausführlichkeit scheint weniger der zärtlichen
Liebe des Marionettenspielers zu seinen Figuren zu entspringen, die
er dort noch beherrscht, wo sie vollständig dem natürlichen Leben
verstrickt scheinen, als dem Drang, die blinde Zufälligkeit eines
sinnleeren, verdinglichten Lebens dort gerade festzuhalten, wo das
Leben am zufälligsten sich gibt; einem Drang, der freilich nicht tief
genug treibt, um die Deutung der Zufälligkeit selber zu erzwingen.
Man schwankt, ob man die Ausführlichkeit und Detailfreude des
Buches dem leibhaftigen Dickens oder dem leibhaftigen Joyce
zuschreiben soll. Liest man dann freilich: »... und das wollte etwas
besagen, denn obgleich unser alter Worrellier ...« (S. 91), so
verscheucht die zutrauliche Rede jeden Gedanken an die harte
Auskonstruktion des zufälligen Lebens. Und es fallen, selten genug
und gewiß gegen den Willen des Autors, Sätze, in denen die
Haltung dessen, der hier so unerbittlich den Mechanismus der City
betrachten möchte, als kleinbürgerlich-harmlos kennbar wird: »Der
Norden Londons gehört nicht zu jener kleinen Treibhauswelt, in der
ein braver Ehemann oder eine brave Ehefrau als ein langweiliges
Übel, ja vielleicht sogar als ein Hindernis auf dem Wege zur freien
Entwicklung des andern Partners betrachtet wird.« (S. 61) Dem
geheimen kleinbürgerlichen Standpunkt des Autors entspricht der
offene Gang der Handlung: Aufschwung und Untergang von Twigg
und Dersingham wird nicht von der Konjunktur, nicht einmal von
faßlichen ökonomischen Produktivkräften bestimmt, sondern einzig
privat: durch einen Abenteurer und Gauner, der das Geschäft
»ankurbelt«, um Geld einzuheimsen, und der verschwindet und die
Firma auffliegen läßt, sobald seine Absicht erfüllt ist und nicht
weiter ebenso sich realisieren läßt; so daß das Schicksal der Firma
nicht eigentlich in den Wirtschaftsprozeß eingeschaltet ist, sondern
isoliert bleibt, obwohl es nach allen Seiten hin von der objektiven
wirtschaftlichen Situation abgegrenzt wird: denn denen, die hier aus
dem Produktionsmechanismus, in dem sie streng genommen
niemals wirkten, herausgeschleudert werden, droht Arbeitslosigkeit.
Wie es nicht anders sein kann, konzentriert in dieser nicht gänzlich
durchrationalisierten Romanwelt der abenteuerliche Gauner als
Vitalphänomen alles Licht auf sich – zumal das erotische. – So hält
das Buch im Zentrum nicht stand. Was aber um die leere Mitte an
angeschauter Wirklichkeit sich ankristallisiert, ist nicht wenig. In
der falsch-genrehaften Ausführlichkeit, die noch die Fremdheit
unserer Dingwelt zu einem besitzesfrohen Inventar aller Dinge
verarbeitet, lebt noch etwas von der echten Sicherheit eines Volkes,
dem die prasselnden Scheite der Götterdämmerung gut genug sind,
seinen großen Kachelofen zu heizen und daran sich zu erwärmen.
Nicht umsonst stellen die gegenwärtigen Dinge, die das Inventar
rettet, sogleich als vergangen sich dar, ein Warenlager, »das
vielleicht aus einem Banjofutteral, zwei rosaroten, geschliffenen
Vasen, einem Seil und einem Unterrock, einer großen Photographie
des Generals Buller, fünf schmutzigen Tennisbällen, einer Zither, an
der die meisten Saiten fehlten, und dem Briefwechsel Charley
Kingsleys bestand« (S. 134). Hat man das Buch einmal aufgeteilt, so
läßt sich gut davon leben; es ist lang wie ein nebliger Herbstabend
vom Zimmer aus und nahrhaft wie ein Roastbeef. Manchmal kann
man weinen darüber, wie wenn einem bei gutem Essen die Tränen
in die Augen steigen. Etwa bei jener Beschreibung einer Tür am
Anfang: »Diese Tür trägt keinen Namen, und niemand, nicht einmal
T. Benenden, hat sie jemals offen gesehen oder weiß, was hinter ihr
steckt. Sie ist einfach da, eine Tür, tut weiter nichts als Staub und
Spinnweben sammeln und läßt ab und zu eine neue Flocke
vertrockneter Farbe auf die abgetretene Stufe hinunterfallen.
Vielleicht führt sie in eine andere Welt. Vielleicht wird sie sich
eines Tages öffnen und einen Engel herauslassen, der, nachdem er
einen Augenblick lang durch das kleine Gäßchen hin und her
geblickt hat, plötzlich die Posaune des Jüngsten Gerichtes zu blasen
beginnt.« (S. 19) Nach diesen Sätzen trägt das Buch seinen Namen.
Fußnoten
1 Vgl. John Boynton Priestley, Engelgasse. Roman, übertr. von Paul
Baudisch, Berlin 1931.
Über den Gebrauch von Fremdwörtern
Einer entschlossenen Verteidigung des Gebrauchs von
Fremdwörtern kann es nicht obliegen, die bekannten Argumente
zusammenzustellen oder die traditionelle Auseinandersetzung durch
neue Ausflüchte am schlechten Leben zu erhalten. Sie gilt einzig,
wofern sie auf die Entscheidung hinarbeitet. Damit überschreitet sie
das Bereich von Verteidigung selber: nicht die Harmlosigkeit der
Fremdwörter hat sie darzutun sondern ihre Sprengkraft zu
entbinden; deren Fremdes nicht zu leugnen sondern zu nutzen.
Der Kampf wider den Purismus in der Sprachlehre mag so alt
sein wie der Purismus selber. Wann immer die Einsicht in die
geschichtliche Bestimmtheit des Geistes und seiner objektiven
Formen vorherrschte, fand das Fremdwort seine Apologeten. Liberal
wird der Unterschied zwischen fremden und eigenständigen
Wörtern geleugnet. Sie sollen bloß verschiedene Stufen des einigen
historischen Prozesses abgeben oder gar, in einer Sprachgeschichte,
die unterm Bilde des Stromes angeschaut wird, kontinuierlich
fließend ineinander übergehen. Lehnworte, denen man den fremden
Ursprung nicht mehr anhört; eingebürgerte, die nach dem Gesetz der
herrschenden Sprache sich modelten, gelten als geschichtliche
Vermittlungen. Die ältesten erreichbaren Sprachen sogar werden
samt ihrer Reinheit verstört durch die Urverwandtschaften; in
dämmernder Vorzeit spielen sie ineinander, und die archaischen
Trübungen des Sprachspiegels lassen die Umrisse der kreatürlichen
Ursprache verschwimmen, deren Entwurf als posthume romantische
Wunschidee sich entzaubert. Einmal später – das liegt im Zuge jener
Anschauungen – soll die historische Kontinuität auch die
eigentlichen Fremdwörter erfassen; einmal sollen »Symbol«,
»Komplex«, »Initiative« ohne Naht und Narbe dem Sprachleib sich
einfügen wie nur »Bank«, »Siegel« und selbst »Acker«. Die
Vorstellung der Sprache als eines Organischen hat die landläufige
Verteidigung der Fremdwörter mit dem Purismus gemein, mag sie
immer das Leben der Sprache nach anderen Zählzeiten messen. Den
Rhythmus selber hat bewußt erstmals das neunzehnte Jahrhundert
synkopisch durchbrochen unterm Zwang des Individuums und
seines souveränen Ausdrucks. Wenn dem sprachformenden Subjekt
die Sprache als ein Objektives gegenübersteht, dann setzt das
Subjekt den eigenen Drang wider die Sprache durch vermöge jener
Wörter, die ihr nicht untertan sind und die es wider die sprachliche
Konvention mobilisiert, wie starr konventionell sie auch selber im
sprachlichen Alltag begegnen. Die Fremdwörter werden Träger
subjektiver Gehalte: der Nuancen. Wohl entsprechen den
Bedeutungen der fremden Wörter jeweils die eigener; aber sie lassen
nicht beliebig durch diese sich ersetzen, weil der Ausdruck der
Subjektivität in Bedeutung nicht rein aufgelöst werden kann.
Stimmung, Atmosphäre, Sprach-Musik, alle Postulate der
Verlaineschen art poétique, wie sie dem Differentialprinzip der
Nuance unterstehen, wollen den Anspruch des Individuums auf
seine rationale Unauflöslichkeit in der Sprache erhärten, indem sie
ihn an der Unübersetzbarkeit demonstrieren. Wörter wie Attitude
und Cachet, deutsch nicht eindeutig wiederzugeben, erweisen
drastisch diese Funktion, und nicht zufällig hat Simmel als
Philosoph der Nuance, des Individuums und der Irrationalität sie in
die philosophische Kunstsprache aufgenommen. Er erhob damit
lediglich Intentionen zum theoretischen Selbstbewußtsein, die seit
den lateinischen Zitaten in Baudelaires Gedichten die Lyrik
durchdrangen, auch die deutsche: beim jungen George noch der
Mystik des Erlesenen zuliebe, beim Rilke der ›Neuen Gedichte‹
dann, um gerade die abgeworfenen, verblichenen, erstarrten Dinge
beim Eigennamen zu rufen und jäh im Echo zu erwecken, das sie
zurücksenden: »Du schnell vergehendes Daguerreotyp / in meinen
langsamer vergehenden Händen.« Solche Lyrik hat allen
sprachlichen Purismus in die Provinz gescheucht.
Nicht aber ihn radikal widerlegt. Weder läßt sich mehr auf ein
Sprach-Wachstum vertrauen, das stetig die Fremdwörter
assimilierte; noch kann über die Dignität sprachlicher Leistungen ihr
Nuancen-Gehalt entscheiden, da längst die Funktion der
Sprachnuance sich wandelte, die heute durchweg verhüllender Art
ist; schon beginnen Nuancen-Fremdwörter wie »Geste« oder
»mondän« selber in die Provinz abzuwandern. Was im Rahmen der
Assimilation oder des bloßen Nuancen-Gegensatzes beharrt, bleibt
vereinbar zudem mit den Prämissen des Purismus. Die
Sprachgeschichte selber würden Puristen nicht leugnen; könnte sich
auch mit Wörtern abfinden, die der Sprache sich einfügen oder
durch Reiz und Verfeinerung sie bestätigen, indem sie sich
scheinbar ihr in den Weg stellen. Wie aber verhält es sich mit den
harten, künstlichen, unnachgiebigen Fremdwörtern, deren Leben nur
für Augenblicke die Sphäre der Nuancen schneidet; die nicht
verschmelzen, nicht einmal schon den Ausdruck der eigenen
Vergangenheit tragen? Müßten sie fallen, behielte der Purismus
recht trotz Georges Malachit- und Alabasterkrügen und trotz Rilkes
Daguerreotyp; er müßte vielleicht auf die Idee des reinen Uridioms
verzichten, dürfte aber festhalten an der Konzeption einer in sich
zweckvoll geschlossenen, sich immanent entfaltenden Sprache,
deren Gleichnis das Wachstum bliebe; die fremden Wörter würde
sie verdauen oder ausscheiden, nicht aber als eiserne Male, als
wandernde Geschoßkugeln dulden bei sich. Um dies Ideal der
immanent-geschlossenen, organischen Sprache geht schließlich die
Diskussion. Nicht ist vor dem Purismus zurückzuweichen, indem
man ihm den organischen Charakter der Sprache zugesteht und bloß
die Fremdwörter in lebendige Zellen magisch umdeutet, weil sie
auch ihre Schicksale haben und lyrisch klingen können. Man muß
sie verteidigen, wo sie im Sinne des Purismus am schlimmsten sind:
wo sie als Fremdkörper den Sprachleib bedrängen.
Sie legitimieren sich erst einer veränderten Auffassung von der
Sprache. So wenig je deren transpersonales Leben als das Gesetz
bestritten werden darf, nach welchem die Worte zur Wahrheit
zusammentreten, so wenig ist dies Leben strengen Sinnes organisch.
Denn wohl sind die Menschen unter den Sternhimmel der ziehenden
Worte gestellt, wohl sind Sprache und Kreatur je und je aufeinander
verwiesen, aber doch nicht anders als der Weg der Sterne und das
Schicksal von Menschen einander gelten. Die reine kreatürliche
Sprache ist den Menschen verborgen oder verloren, weil ihr
Inbegriff nichts anderes wäre als der der dargestellten Wahrheit.
Darum verläuft das Leben der Sprache nicht mit dem teleologischen
Atem des kreatürlichen, mit Geburt, Wachstum und Tod, sondern
mit Benennung als dem rätselvollen Urphänomen zwischen
ergreifendem Denken und erscheinender Wahrheit, mit
Kristallisation und Zerfall. Die wahren Worte, Bruchstücke der
Wahrheit, sind nicht die verschütteten und mythisch beschworenen
Urworte. Es sind die gefundenen, getanen, künstlichen –
schlechtweg die gemachten Worte; wie nach dem Bericht der
Genesis Gott dem Menschen nicht die Namen der Dinge offenbarte,
es sei denn, sie wären ihm kund geworden, als dieser menschlich sie
benannte: im Akt der Benennung selber. Jedes neu gesetzte
Fremdwort aber feiert im Augenblick seines Erscheinens profan
nochmals die wahre urgeschichtliche Benennung. Und in jedem
entringt aufs neue sich der Genius dem mythischen Verfallensein an
den Zusammenhang bloß natürlichen Lebens.
Darum sind historisch die Fremdwörter Einbruchstellen
erkennenden Bewußtseins und erhellter Wahrheit im
ungeschiedenen Wuchse dessen, was bloß Natur ist an der Sprache:
Einbruch von Freiheit. Über ihr Recht und Unrecht läßt sich nicht
danach entscheiden, ob sie sich einfügen, sondern bloß
gesellschaftlich. Je fremder in der Gesellschaft den Menschen ihre
Dinge wurden, um so fremder müssen die Worte dafür stehen, sie zu
erreichen und allegorisch zu mahnen, daß die Dinge heimgebracht
werden. Je tiefer die Gesellschaft vom Widerspruch zwischen ihrem
naturwüchsigen und ihrem rationalen Wesen durchfurcht wird, um
so isolierter müssen notwendig die Fremdwörter im Sprachraum
beharren, unverständlich dem einen Teil der Menschen, bedrohlich
dem anderen; und haben dennoch ihr Recht als Ausdruck der
Entfremdung selbst, auch als die durchsichtigen Kristalle, die
einmal, vielleicht, die dumpfe Gefangenschaft des Menschen in der
vorgedachten Sprache zersprengen. Freilich nicht von sich aus: das
Esperanto ist das Widerspiel jeglichen echten Fremdwortes. Aber
wären die Sachen an ihrer rechten Stelle, folgten ihnen vor anderen
Worten die fremden am ehesten dahin nach; wäre es auch im Zerfall
der historisch-organischen Sprachen.
Der Purismus sieht die Fremdwörter besser als die laxe
Verteidigung: sie stehen fremd zur Sprache. Seit der ersten
gewalttätigen Emanzipation der ratio von der naturwüchsigen
Gesellschaft in neuerer Zeit, dem Humanismus, haben sie
tatsächlich dem saugenden Sprachleib sich entzogen. Sie sind übrig
geblieben in Kraft des gesellschaftlichen Widerspruchs zwischen
der Bildungsschicht und der Schicht der Ungebildeten, der weder
mehr die unreflektierte, »volksetymologische« Sprachentwicklung
gestattete noch schon die Durchkonstruktion der Sprache erlaubt
hätte, weil die freie Verfügung über die Sprachkräfte einzig der wie
den anderen so sich selbst entfremdeten Bildungsschicht
vorbehalten blieb. Die arbeitsteilige Ausformung besonderer
wissenschaftlicher Terminologien, die das lateinische und
griechische Erbe zerstückten, hat vollends den Fremdwörtern ihren
verdinglichten Zug verliehen: jenen unmenschlichen, fetischhaften
Warencharakter, an dem der Purist mit Recht Anstoß nimmt. Nur
zielt seine Kritik zu kurz. Die Isolierung der Fremdwörter könnte
nicht durch die Restitution einer integralen Sprache, sondern bloß
von der Gesellschaft aus beseitigt werden, die mit den Dingen sich
selber benennt. Dann aber wird nicht das Fremdwort, der todmüde
Bote aus dem zukünftigen Sprachreich, durchs naturwüchsige,
historisch unangemessene Wort ersetzt werden, sondern die
Spannung zwischen den beiden Sprachsphären, in der wir heute
existieren, kann sich produktiv zeigen, und im Gebrauch einer
prompten, gebrauchsfähigen Terminologie können beide sich
aufeinander zu bewegen. Nicht als Bildungsprivileg sind die
Fremdwörter zu hüten. Tatsächlich ist bereits heute ihre Anwendung
durch Bildung und Bildungsanspruch nicht mehr definiert. Es wäre
kein verächtliches Anliegen volkskundlicher Bemühung, zu prüfen,
was unterhalb der Bildungssphäre, doch ohne mit dem Sprachleib zu
verschmelzen, Fremdwörter treiben; auf dem tiefsten Grunde der
Sprache, im politischen Jargon, im Rotwelsch der Liebe und in einer
Alltagsredeweise, die vom Standpunkt organischer Sprache und
Sprach-Reinheit aus verderbt heißen muß, in der sich aber die
Konturen einer kommenden abzeichnen mögen, die so wenig nach
der Idee des Organischen wie der der Bildung zu verstehen ist.
So weit hält der Schriftsteller noch nicht. Er gebraucht das echte,
nicht-organische Fremdwort durchwegs als Zitat: aus den
besonderen Bereichen von Philosophie, von Wissenschaften, von
Kunst, von Technik, deren Selbständigkeit vom totalen
Lebensprozeß der Gesellschaft her nicht mehr mit adäquaten
Worten getroffen wird. Damit dienen die Fremdwörter in der Hand
des Schriftstellers scheinbar dem Bildungsideal, und nicht kann
geleugnet werden, daß unter den gegenwärtigen Verhältnissen ihr
Verständnis jeweils kleinen Gruppen vorbehalten ist. Aber dieser
Bildungs-Gebrauch verschließt seine Dialektik in sich. Wohl
verfährt der Schriftsteller so, wie Walter Benjamin in der
›Einbahnstraße‹ es dargestellt hat, indem er den Literaten einem
Chirurgen vergleicht, der mit dem Gedanken schwierige
Operationen vollführt und ihm dabei die »silberne Rippe eines
Fremdwortes« einfügt. Aber die silberne Rippe hilft dem Patienten
Gedanke weiterzuleben, während er an der organischen krankte.
Solcher Art ist die Dialektik des Fremdwortes. Es stößt ab vom
organischen Sprachwesen, wofern dieses nicht mehr zureicht,
Gedanken zu fassen. Über seine richtige Verwendung entscheidet
wahrhaft nicht Bildung sondern Erkenntnis. Im Fremdwort wird der
Sprachfluß vom Strahl der ratio getroffen, unter dem er schmerzlich
erglänzt. In ihm wird die Nuance gerettet und vernichtet in eins.
Vernichtet: weil das Fremdwort nicht mehr das Irrationale, flüchtig
Individuelle, Stimmungsmäßige scheinhaft bannt, sondern gerade
den Umriß der Erkenntnis hart, eindeutig aus der Sprachmasse
heraustreibt. Gerettet: weil die kleinsten Differenzen der
Gegenstände, die vordem von den Fremdwörtern als Nuancen
beschworen wurden und schwebend enteilten, als Unterschiede der
Erkenntnis wägbar wiederkehren. Fremdwörter sind Zitate. Aber
während der Schriftsteller allemal noch meint, er zitiere aus seiner
Bildung und dem spezialen Wissen, zitiert er aus einer verborgenen,
positiv unbekannten Sprache, die jäh die bestehende ereilt,
überblendet, verklärt, als schicke sie sich an, selber in die zukünftige
umzuschlagen. Dann gleichen die alten organischen Worte
Gaslaternen in einer Straße, in der das violette Licht einer autogenen
Schweißanlage aufflammt; so trostlos vergangen, so
vorzeitlich-mythologisch schauen sie drein. Die Macht einer
unbekannten, eigentlichen Sprache, die keinem Kalkul sich eröffnet,
die einzig stückhaft aus dem Zerfall der bestehenden sich erhebt:
diese negative, gefährliche und gleichwohl sicher versprochene
Macht ist die wahre Rechtfertigung der Fremdwörter.
Theses Upon Art and Religion Today
I. The lost unity between art and religion, be it regarded as
wholesome or as hampering, cannot be regained at will. This unity
was not a matter of purposeful cooperation, but resulted from the
whole objective structure of society during certain phases of history,
so the break is objectively conditioned and irreversible. Unity of art
and religion is not simply due to subjective convictions and
decisions but to the underlying social reality and its objective trend.
Such a unity exists, in principle, only in non-individualistic,
hierarchical, closed societies – even in Greek antiquity it did not
prevail during those phases when the individual had emancipated
himself economically and politically. The present crisis involving
individuality and the collectivistic tendencies in our society does not
justify any retrogression of art to a stage which comes earlier than
the individualistic era, any attempt to subject art arbitrarily once
more to bonds of a religious nature. Such a reversion would
necessarily bear the hallmarks of the individualistic age itself: it
would be essentially rationalistic. The individual might still be
capable of having religious experiences. But positive religion has
lost its character of objective, all-comprising validity, its
supra-individual binding force. It is no longer an unproblematic, a
priori medium within which each person exists without questioning.
Hence the desire for a reconstruction of that much praised unity
amounts to wishful thinking, even if it be deeply rooted in the
sincere desire for something which gives »sense« to a culture
threatened by emptiness and universal alienation.
II. The exalted unity of art and religion is, and always was,
highly problematic in itself. Actually it is largely a romantic
projection into the past of the desire for organic, non-alienated
relations between men, for doing away with the universal division of
labor. Probably no such unity ever existed in periods where we
might speak of art in the proper sense of freedom of human
expression as distinct from the symbols of ritual which are works of
art only accidentally. It is characteristic that the idea of that unity
has been conceived during the romantic age. The notion that art has
broken away from religion only during a late phase of
enlightenment and secularization is erroneous. Both objectified
religion and art are from a very early age equally the product of the
dissolution of the archaic unity between imagery and concept. Since
both spheres have been established, their relation was one of
tension. Even during periods which are supposed to have secured
the utmost integration of religion and art, such as the Greek classical
century, or medieval culture at its height, this unity was largely
superimposed upon art and was to a certain degree of a repressive
character. This is testified by Plato's diatribes against poetry no less
than, conversely, by those devil heads and grotesque figures which
adorn the Gothic Cathedrals; these last, though part and parcel of the
Catholic ordo, plainly express impulses of resistance of the rising
individual against this very same ordo. In other words, art, and
so-called classical art no less than its more anarchical expressions,
always was, and is, a force of protest of the humane against the
pressure of domineering institutions, religious and others, no less
than it reflects their objective substance. Hence there is reason for
the suspicion that wherever the battle cry is raised that art should go
back to its religious sources there also prevails the wish that art
should exercise a disciplinary, repressive function.
III. Any attempts to add spiritual meaning and thus greater
objective validity to art by the re-introduction of religious content,
for artistic treatment, are futile. Thus religion if treated in modern
poetry and with the unavoidable means of modern poetical
technique assumes an aspect of the »ornamental,« of the decorative.
It becomes a metaphorical circumscription for mundane, mostly
psychological experiences of the individual. Religious symbolism
deteriorates into an unctuous expression of a substance which is
actually of this world. A good example for this deterioration of
religious symbols into mere embellishment is provided by the
pseudomysticism of Rainer Maria Rilke. With certain more
advanced works of a supposedly religious content, such as
Stravinsky's Symphonie des Psaumes, the religious attitude assumes
the air of an externally enforced and ultimately arbitrary community
manipulated by individualistic devices behind which there is
nothing of the collective power which they pretend. And I must
refer to the best-seller kind of religious novel of which we had some
unpleasant examples during the last few years. This kind of
literature has done away with any pretension to the ultimate validity
of its religious theses. It glorifies religion because it would be so
nice if one could believe again. Religion is on sale, as it were. It is
cheaply marketed in order to provide one more so-called irrational
stimulus among many others by which the members of a calculating
society are calculatingly made to forget the calculation under which
they suffer. This consumer's art is movie religion even before that
industry takes hold of it. Against this sort of thing, art can keep faith
to its true affinity with religion, the relationship with truth, only by
an almost ascetic abstinence from any religious claim or any
touching upon religious subject matter. Religious art today is
nothing but blasphemy.
IV. It is equally futile to borrow religious forms of the past, such
as the mystery play or the oratorio, while abstracting from the
religious contents with which these artistic forms were bound up.
Today, the obsolescence of individualistic art and its replacement by
collectivism are taken for granted. It is this formula which
engenders the most passionate attempts to mobilize once again the
artistic forms of past religious ages. It is highly characteristic,
however, that none of the attempts made in this direction has as its
basis a true and concrete reconciliation between subject and object,
between individual and collectivity, but that they reach their
collective character only at the expense of the individual whose
freedom of expression is more or less curtailed. This is closely
connected with totalitarian tendencies in our society which I cannot
discuss in these brief remarks. Conversely, it should be
acknowledged, however, that there is no way back to individualistic
art in the traditional sense either. In its relationship with collectivism
and individualism art today faces a deadlock which we might try to
overcome concretely but which certainly cannot be mastered by any
general recipe and even less by »synthesis,« by selecting the middle
road. This deadlock is a faithful expression of the crisis of our
present society itself.
V. In an era such as ours, torn asunder by group antagonisms
and all kinds of social discrimination, an era in which positive
religion as well as traditional philosophy has lost a great deal of its
mass appeal, to many the idea sounds alluring that the integrating
force of those realms should have passed on to art. Art should, as the
word goes, »convey a message« of human solidarity, brotherly love,
all-comprising universality. It seems to me that the value of these
ideas can only consist in their inherent truth, not in their social
applicability, and even less in the way they are effectively
propagated by art. In other words, to cope with them as such
remains a matter of autonomous philosophical thinking. To make
today those ideas the subject matter of works of art would be little
better than modernistic mural paintings of Saints or novels about
dubious miracles – the ultimate ideas of philosophy would be
distorted into a species of election slogans. If we are told that art,
religion, and philosophy are, in the last analysis, identical, this does
not suffice to justify the view that art should translate philosophical
ideas into sensuous imagery. For the supposed identity of art,
religion, and philosophy, even if it be true, is so utterly abstract that
it virtually amounts to nothing and remains almost as thin as the
truisms pronounced in Sunday Schools and Philharmonic
Committee meetings. What seems to be high- idealism actually
presupposes the complete emasculation of all the contents in
question, religious, philosophical, and artistic. They all become
identical, or at least reconcilable with each other, as »cultural
goods« which are no longer taken quite seriously by anybody. They
are rendered harmless and impotent. It is the reduction towards
something generally acceptable within the conformist pattern of
given culture which produces the illusory appearance of spiritual
identity. The apparently humanistic emphasis on it has turned into a
mere ideology. Art that wants to fulfill its humane destination
should not peep at the humane, nor proclaim humanistic phrases.
VI. I have stressed so far the sharp distinction between art and
religion as well as between art and philosophy as it was brought
about historically. This should not blind us, however, to the intimate
relationship which existed originally between them and which led
again and again to productive interaction. Every work of art still
bears the imprint of its magical origin. We may even concede that, if
the magic element should be extirpated from art altogether, the
decline of art itself will have been reached. This, however, has to be
properly understood. First, the surviving magic trends of art are
something utterly different from its manifest contents or forms.
They are rather to be found in traits, such as the spell cast by any
true work of art, the halo of its uniqueness, its inherent claim to
represent something absolute. This magic character cannot be
conjured up by the desire to keep the flame alive. The actual
relationship may be expressed paradoxically. Artistic production
cannot escape the universal tendency of Enlightenment – of
progressive domination of nature. Throughout the course of history
the artist becomes more and more consciously and freely the master
of his material and his forms and thus works against the magic spell
of his own product. But it is only his incessant endeavor towards
achieving this conscious control and constructive power, only the
attack of artistic autonomy on the magic element from which this
selfsame element draws the strength to survive and to make itself
felt in new and more adequate forms. The powers of rational
construction brought to bear upon this irrational element seem to
increase its inner resistance rather than to eliminate it, as our
irrationalist philosophers want to make us believe. Thus the only
possible way to save the »spell« of art is the denial of this spell by
art itself. Today it is only the hit composer and the best seller writer
who prate about the irrationality and inspiration of their products.
Those who create works which are truly concrete and indissoluble,
truly antagonistic to the sway of culture industry and calculative
manipulation, are those who think most severely and intransigently
in terms of technical consistency.
VII. I am fully aware of how unsatisfactory these fragmentary
theses are. I am particularly conscious of one objection which will
certainly be raised and which I have to accept. You will say that art,
in spite of everything, is related to the universal; that one must not
hypostatize the division of labor by regarding art as a self-sufficient
tightly closed realm of its own. You may even suspect me of
attempting to revive good old aestheticism, the idea of l'art pour
l'art which has now been pronounced dead so many times. Nothing
of this sort is my aim. As firmly as I am convinced that the
dichotomy between art and religion is irreversible, as firmly do I
believe that it cannot be naively regarded as something final and
ultimate. But the relationship between the work of art and the
universal concept is not a direct one. If I should have to express it
boldly, I should borrow a metaphor famous from the history of
philosophy. I should compare the work of art to the monad.
According to Leibniz each monad »represents« the universe, but it
has no windows; it represents the universal within its own walls.
That is to say, its own structure is objectively the same as that of the
universal. It may be conscious of this in different degrees. But it has
no immediate access to universality, it does not look at it, as it were.
No matter what we think about the logical or metaphysical merits of
this conception, it seems to me to express the nature of the work of
art most adequately. Art cannot make concepts its »theme.« The
relationship of the work and the universal becomes the more
profound the less the work copes explicitly with universalities, the
more it becomes infatuated with its own detached world, its
material, its problems, its consistency, its way of expression. Only
by reaching the acme of genuine individualization, only by
obstinately following up the desiderata of its concretion, does the
work become truly the bearer of the universal. I will call the name
of an artist of our time who has followed this axiom to an extreme,
who as many believe made a spleen of concretion, but thus achieved
a degree of universality which I think unsurpassed in modern
literature. I am thinking of the work of Marcel Proust. His glance at
men and things is so close that even the identity of the individual,
his »character,« is dissolved. Yet it is his obsession with the
concrete and the unique, with the taste of a madeleine or the color of
the shoes of a lady worn at a certain party, which becomes
instrumental with regard to the materialization of a truly theological
idea, that of immortality. For it is this concentration upon opaque
and quasi-blind details through which Proust achieves that
Remembrance of Things Past by which his novel undertook to brave
death by breaking the power of oblivion engulfing every individual
life. It is he who, in a non-religious world, took the phrase of
immortality literally and tried to salvage life, as an image, from the
throes of death. But he did so by giving himself up to the most
futile, the most insignificant, the most fugitive traces of memory. By
concentrating upon the utterly mortal, he converted his novel,
blamed today for self-indulgence and decadence, into a hieroglyph
of »O death, where is thy sting? O grave, where is thy victory?«
Ein Titel
Rowohlt hat, in seiner billigen Buchreihe 1 , den ›Professor Unrat‹
von Heinrich Mann neu herausgebracht, und dafür soll man ihm
dankbar sein. Der Roman fluoresziert desto bedrohlicher, je
veralteter die stofflichen Voraussetzungen, die muffige
Gymnasialstube mit dem »Kabuff«, der kindisch-sadistische
Professor, das Laster von Biercabaret und anrüchiger Vorstadtvilla,
die provinzielle Halbweltdame scheinen: es ist, als hätte die
kleinbürgerliche Beschränktheit dieses Lübecker Alltags sich kraft
der Verve der Darstellung verdichtet zum grell Ungeheuren des
Wesens. Der Sexus schlägt in die Atmosphäre, und die Bürger samt
ihrem Anhang werfen die Maske des Normalen ab und zeigen
Dämonenfratzen. Zugleich aber auch das hilflos Preisgegebene, das
von der Ordnung ihres Daseins sonst fortgebannt wird. An Kraft
aufklärender Verzauberung ist der Roman einzig Wedekinds
›Frühlings Erwachen‹ zu vergleichen; manchmal liest er sich, als
wäre die bizarr übertreibende Ähnlichkeit Daumierscher
Karikaturen in Sprachgesten aufgelöst. Die Beschreibung des auf
der Variétébühne vor einem tobenden Publikum zelebrierten
Flaggenliedes offenbart mehr von der Ontologie des neudeutschen
Nationalismus, als historische Traktate umständlich zu entfalten
vermöchten. Heinrich Mann hat von den Franzosen das Schneidende
des unumwölkten Blicks, die polemische Kraft der Kälte gelernt und
sich freigehalten von jenem selbstgerecht versöhnenden Humor, der
in Deutschland so hoch im Kurs steht. Er hat bewährt, was sonst
dem deutschen Roman abgeht, sobald er sich mit den Bildern der
Enge einläßt: fruchtbaren Haß. Dem verdankt er die unbeirrte
gesellschaftliche Physiognomik. Stilgeschichtlich bezeichnet der
Roman den Umschlag der ins Extrem gesteigerten naturalistischen
Mittel in den expressionistischen Ausbruch. So nah rückt er den
bürgerlichen Urbildern auf den Leib, daß die Darstellung die
bürgerliche Ausdruckskonvention durchbricht und den Menschen
zitiert in Gestalt zappelnder Unmenschen. Sätze wie der letzte: »Er
sprudelte Wasser, empfing von hinten einen Stoß, stolperte das
Trittbrett hinan und gelangte kopfüber auf das Polster neben der
Künstlerin Fröhlich und ins Dunkel«, sind im Deutschen ohne
Beispiel gewesen und haben ihre Spur hinterlassen weit über den
Umkreis dessen hinaus, was die Literaturgeschichte »Einfluß«
nennt. Etwas vom gedrängten Pathos dieses Gefüges lebt in jedem
Satz, der seitdem Dichtern in Prosa gelang.
Dies Gebilde können nun wieder Gymnasiasten lesen wie vor
dreißig Jahren im Feuilleton einer sozialdemokratischen Zeitung,
und vielleicht finden sich sogar noch einige, die sich in die
Künstlerin Fröhlich verlieben und am Ende des Tyrannen
berauschen, ohne sich das Pubertätsglück des Romans sogleich
abzuschneiden, indem sie sich dessen versichern, daß so etwas doch
heutzutage schlechterdings unmöglich, daß kein Studienrat, gewiß
kein Gymnasiast mehr so naiv sei. Wahrscheinlicher aber stellen die
Leser von 1952 einen Vergleich mit dem Film an und ziehen den
Komfort des Fertigfabrikats der Anstrengung der Phantasie vor.
Daran jedoch macht die Neuausgabe sich mitschuldig. Sie
versteckt den Titel des Romans in eine Notiz und nennt sich: Der
Blaue Engel, vermutlich um den Absatz zu steigern. Es werden
Leser angezogen, die den Film kennen, ohne von Heinrich Mann
etwas zu wissen, und auf diese Weise soll der Erfolg des Absuds
dem primären Kunstwerk zugute kommen. Solche List könnte
unschuldig genug scheinen, wäre der Titel gleichgültig. Aber er ist
es keineswegs und war es schon für die nicht, welche ihn seinerzeit
änderten. Man kann sich das aus Filmschaffenden mit dem Herzen
auf dem rechten Fleck und ihren Wirtschaftsführern
zusammengesetzte Gremium vorstellen, das da einmal in einer
wichtigen Konferenz, bei der jede Störung verboten war, über die
Frage befand. »Professor Unrat? Kommt überhaupt nicht in Frage.
In so was geht kein Mensch herein. Außerdem kann man den
Professorentitel nicht öffentlich herabwürdigen. Tonfilm ist ja schön
und gut, aber Gestank kauft sich keiner. Der Blaue Engel, das ist
was ganz andres. Da stellt sich jeder gleich was mit Mädchen
drunter vor. Wir kennen ja schließlich unser Publikum. So was
zieht. Uns machen sie nichts vor. Film ist keine Literatur.« Ob
Heinrich Mann an dieser Sitzung, die stattfand, auch wenn sie nicht
stattfand, teilnehmen durfte, weiß ich so wenig, wie ob etwa der
Todkranke die Änderung des Romantitels noch sanktionierte;
sicherlich aber drang er, der etwas von der Sache verstand, gegen
soviel Sachverständige nicht durch. So hat man denn die prustende
Fanfare des Titels, die klingt, als würden vier gedämpfte Trompeten
fortissimo angeblasen, durch ein mattes und unaggressives Cliché
ersetzt. Der Konformismus fuhr seinerzeit dem Kunstwerk in die
Parade. Nicht in Hollywood, sondern in Neubabelsberg. Wird nun
der Roman danach umgetauft, so macht der Verleger das Diktat des
Konformismus nochmals sich zu eigen.
In der Tat des Konformismus. Denn der Film, der heute für eine
Großtat gilt, hat vor Hitler und ohne daß eine Zensurbehörde sich
erst hätte bemühen brauchen, freiwillig bereits jene Gesinnung
bekundet, die unterdessen zur Institution ward, und nur die schönen
Beine der Marlene Dietrich haben darüber getäuscht. Vor lauter
Entzücken über den sorgfältig dosierten Sex appeal übersieht man,
daß das Gremium jeden gesellschaftlichen Stachel entfernte, aus
dem Spießerdämon eine rührselige Lustspielfigur bereitete. Bei
Heinrich Mann endet Unrat im Gefängniswagen. Größe gewinnt er,
als Verkommener, durch die Obsession der Rache an einer Welt, die
sich ihm aus unbotmäßigen Schülern zusammensetzt. Er behält
Recht gegen die Gesellschaft, sobald er aus der absurden
Konsequenz ihres eigenen Autoritätsprinzips heraus mit ihr den
Kampf aufnimmt. Der Held des Films aber schleppt sich, weil sein
pädagogischer Eros es schon gar nicht mehr aushält, mit
gebrochenem Herzen in seine Klasse und stirbt dort eines verklärten
Todes. Die Frau vollends, die ihn zugrunde richtet, wird zu einem
prächtigen Geschöpf, das an dem Alten eher Sozialfürsorge übt, als
daß es ihm die Zuhälterei angewöhnte. Der ehrwürdige Spitzenfilm
ist schon eines jener abscheulich verlogenen, übrigens von den
berühmten Beinen abgesehen, auch ziemlich langweiligen Produkte,
die den Griff ins volle Menschenleben gerade nur noch zum
Kundenfang benutzen, den Blick auf den Gegenstand jedoch schon
sorgfältig filtrieren durch die Verstellungen, welche die Herren
ihren Zuschauern zuschreiben, um sie diesen um so wirksamer
aufzwingen zu können. Die Humanität, deren ›Der Blaue Engel‹
sich durch seine mildernden Retuschen befleißigt, die zum
angeblich allzu Menschlichen schmunzelnde Güte, hat keinen
anderen Zweck, als die Denunziation des Inhumanen zum
Schweigen zu bringen, die Heinrich Manns Roman vollbrachte und
die dessen Nutznießern noch nach zwanzig Jahren unerträglich war,
als sie auf der Jagd nach ihrem Glück ein Drehbuch daraus
zusammenstümperten.
Wäre nicht unterdessen das Verdikt des Betriebs ungefragt als
entscheidende Instanz anerkannt, so müßte dem verunstalteten Werk
wieder zu seiner Ehre verholfen werden, indem der Verleger das
Symbol der Anpassung, den falschen Titel, tilgt und den echten
wieder herstellt, der da einmal die Schmach des Offiziellen
hinausschrie.
Fußnoten
1 Vgl. Heinrich Mann, Der blaue Engel, Hamburg 1951
(rororo-Taschenbuch 35).
Unrat und Engel
Auf meinen Aufsatz wegen der Änderung des Titels von Heinrich
Manns Roman ›Professor Unrat‹ hat der Rowohlt-Verlag
geantwortet, er teile grundsätzlich meine Auffassung. Gegen die
Übernahme des Filmtitels hätte er zuerst Bedenken gehabt und
zugestimmt nur, nachdem der Autor – wie ich es als möglich
unterstellte – die Titeländerung sanktionierte. Gerechtfertigt sei die
Änderung mit eben dem Motiv, das ich vermutete: daß durch die
Erinnerung an den ›Blauen Engel‹ die Verbreitung des Buches in
der billigen Auflage gefördert würde.
Die Änderung selbst übrigens rührte nicht von Rowohlt her,
sondern von dem Originalverleger, dem ostdeutschen
Aufbau-Verlag, Berlin. Die Gleichschaltung des Kunstwerkes an die
Kulturindustrie ist also dort akzeptiert worden, wo der Ausdruck
»Hollywood-Kitsch« zum Repertoire gehört. Offenbar ist unter
jenen hierarchischen Verwaltungen, die sich selbst
volksdemokratisch nennen, der Respekt vor dem Anerkannten, dem
Offiziellen, besonders aber dem Erfolg so groß, daß man, um nur ja
nicht in den Verdacht der Volksfremdheit zu geraten, dem
Richterspruch derer sich beugt, die erst dem Volk die Binde über die
Augen und dann das Fell über die Ohren ziehen. Vielleicht klingt
ihnen auch der Titel ›Professor Unrat‹ zu dekadent oder subversiv.
Kurz, es herrschen da unübersichtliche Verhältnisse.
Aber es geht im Augenblick nicht um die Einheitsfront von
Moskau und Neubabelsberg. Denn dem Material zufolge, das
Rowohlt mir sandte, sind eigentlich alle gegen die Titeländerung
gewesen. Rowohlt selber hat im Verlag seine Bedenken »mehrfach
leidenschaftlich zum Ausdruck gebracht«. Heinrich Mann hat sich
gefügt, aber, wie ein Brief des Aufbau-Verlages meldet, »im Herzen
am alten Titel gehangen«. Der Aufbau-Verlag selber erklärt, ihm sei
ebenfalls der alte Titel lieber. Wenn es gelänge, des Gremiums
habhaft zu werden, das ich erfand, so würde sich vermutlich
herausstellen, daß jeder Einzelne den Titel ›Der Blaue Engel‹ schon
damals mit Entrüstung von sich wies, und daß er von einer Mehrheit
beschlossen ward, die aus Nullen bestand.
Keiner ist es gewesen – am Ende wirklich keiner. Das Unwesen
der Kulturindustrie liegt gerade darin, daß in ihr, wie früher so kraß
nur in der Wirtschaft, sich Tendenzen über den Köpfen der
Menschen hinweg durchsetzen, und soweit die Beteiligten
Intellektuelle sind, gegen ihren Willen. Während die positivistische
Wissenschaft den Begriff des objektiven Geistes als Metaphysik mit
Entrüstung von sich weist, wird dieser Begriff immer
handgreiflicher. Das Bewußtsein der Vertreter der Kulturindustrie
ist gespalten in das, was sie selber für richtig halten, und das, wovon
sie glauben, daß es dem Schema der Branche, auf die sie selber
schimpfen, entspreche; und sie zögern nicht, das Entsprechende zu
wählen. Ihr objektiver Geist erspart es bereits den
Wirtschaftsführern, mit der Kündigung zu drohen. Das Ganze aber
hat den Vorteil, daß, wenn man einmal dem Unrat an einem
konkreten Fall wie dem jenes Titels zu Leibe rückt, nichts sich
greifen läßt und die vom Weltungeist befohlene Machination sich
ausnimmt, als wäre sie ein beklagenswerter, doch unabänderlicher
Unfall. Alle sind Engel.
Das jedoch steht wiederum ein für einen viel grundsätzlicheren
Sachverhalt: die Verflüchtigung der Schuld. Nicht nur erlaubt es der
Übergang des Lebens an die Verwaltung, alle möglichen
Abscheulichkeiten zu begehen, ohne sich selber als Täter zu fühlen,
sondern macht es obendrein möglich, daß, wenn wirklich einmal ein
Einzelner zur Verantwortung gezogen werden soll, er mit guten
Gründen und voller subjektiver Ehrlichkeit sein Alibi beweisen
kann. Diese Verflüchtigung reicht von scheinbaren Lappalien wie
der, daß der Titel eines guten Romans in den eines schlechten Films
verbogen wird, bis zum Ungeheuerlichen; bei den Lappalien kann
man den Finger darauf legen, bei dem Ungeheuerlichen kaum mehr.
Je weniger die Verantwortung sich fixieren läßt, um so grausiger
wächst die Dimension der verdinglichten, allem Menschlichen
inkommensurablen Schuld selber an.
Früher war es Potentaten und Staatsmännern vorbehalten, »ich
habe es nicht gewollt« zu sagen, wenn sie einen Krieg angezettelt
hatten. Heute beruft sich schon jeder Filmschreiber und jeder
Lagerblockwart darauf und braucht nicht einmal mehr zu lügen.
Jeder ist sich selbst ein Würstchen. Unverantwortlichkeit ist kein
Privileg mehr. Das Unheil ward total.
Zur Krisis der Literaturkritik
Wer nach langen Emigrationsjahren wieder in Deutschland sich
befindet, spürt den Verfall der literarischen Kritik. Es mag dabei
Selbsttäuschung im Spiel sein. Der Vertriebene neigt dazu, den
geistigen Zustand in Deutschland in der Zeit vor Hitler zu verklären
und den Gedanken an all das zu verdrängen, was damals schon die
faschistische Barbarei teleologisch in sich trug. Erinnert man sich an
den Kampf, den Karl Kraus gegen die literaturkritischen
Prominenzen führte, an den von ihm unerbittlich erbrachten
Nachweis ihres Konformismus, ihrer Inkompetenz, ihrer
Schlamperei, Wichtigmacherei und Unverantwortlichkeit, so wird
man sich aller Illusionen über den damaligen kritischen Großbetrieb
entschlagen. Aber gerade Karl Kraus hat im Negativen zwischen
Dummheit und Gemeinheit, zwischen Mittelmaß und Inferiorität,
zwischen dem Schmock und dem Kaffern zu unterscheiden gewußt.
Es liegt im Sinne solcher Unterscheidung, daß man den heutigen
Zustand, in dem der Geist kritischer Freiheit und Autonomie in
Deutschland zu fehlen scheint, abhebt von einer Periode, in der die
Kritik sich mag aufgebläht haben, aber wenigstens noch dem
sogenannten geistigen Leben gegenüber ein Element von
Unabhängigkeit bewahrte.
Längst ist es meine Absicht gewesen, die Krisis der
Literaturkritik, die mir weit ernstere Aspekte zu bieten scheint als
den, daß es keinen Alfred Kerr mehr gibt, eingehender zu
behandeln. Einiges Prinzipielle habe ich in der Abhandlung
›Kulturkritik und Gesellschaft‹ zu formulieren versucht, die in der
Festschrift zu Leopold von Wieses 75. Geburtstag, ›Soziologische
Forschung in unserer Zeit‹, erschienen ist 1 . Heute möchte ich mich
darauf beschränken, einige Momente anzudeuten, die mir für die
gegenwärtige Lage charakteristisch erscheinen. Die Literaturkritik,
so wie wir sie aus unserer Jugend kennen, ist ein Produkt des
liberalen Zeitalters. Sie hatte ihre Stätte vorab in liberalen Blättern
wie der ›Frankfurter Zeitung‹ und dem ›Berliner Tageblatts‹. Sie
setzte nicht nur das Recht auf freie Meinungsäußerung und das
Vertrauen auf das ungebunden urteilende Individuum voraus,
sondern auch eine bestimmte Autorität der Presse, die mit der
Bedeutung der Sphäre von Kommerz und Zirkulation
zusammenhing. Die Nationalsozialisten haben diesen
Zusammenhang brutal erkannt, die Literaturkritik als ein wesentlich
liberales Medium abgeschafft und durch ihre Art Kunstbetrachtung
ersetzt. Heute, nach dem Sturz der Diktatur, sind nun aber die
gesellschaftlichen Voraussetzungen der Literaturkritik durch den
bloßen Wechsel des politischen Systems nicht wieder hergestellt.
Weder gibt es jenen Typus des Publikums, der die liberalen
Zeitungen las, noch die Menschen, die ihrer eigenen Beschaffenheit
nach als autonom und begründet über Dichtungen Urteilende
aufzutreten vermöchten. Die faschistische Autorität ist zergangen,
aber übrig geblieben ist von ihr der Respekt vor einem jeglichen
Bestehenden, Anerkannten und sich als bedeutsam Aufspreizenden.
Ironie, geistige Beweglichkeit, Skepsis gegen das, was nun einmal
da ist, hat nie in Deutschland hoch im Kurs gestanden. Solche
geistigen Verhaltensweisen wurden auch während des liberalen
Zeitalters mit schlechtem Gewissen, als eine Art illegitimer Reiz
genossen. Sie galten für unsolid: stets mißtrauten das Feuilleton und
das Akademische einander. Das Element der produktiven
Negativität geht nun offenbar der heute in Deutschland Kritik
übenden Generation weithin ab. Entweder man traut sich nicht, oder
der Versuch bleibt hilflos. Polemiken wie etwa die, welche vor
einiger Zeit Alfred Polgar im ›Monat‹ dem Opus des Herrn von
Salomon widmete, sind seltene Ausnahmen. Wird negativ geurteilt,
so geschieht es eher im Sinne des autoritären Dekrets als dem des
Eindringens in die Sache. Die Ablehnung hat stets noch die Form
dessen, was im Jargon des Dritten Reiches »abschießen« hieß. Meist
aber beschränkt sich die Kritik aus Mangel an Freiheit, Distanz und
vor allem wirklicher Kenntnis der sachlichen Probleme, in deren
Bewältigung künstlerische Arbeit wesentlich besteht, auf eine Art
gehobener Information. Oft fällt es schwer, den Kritiker vom
Waschzettelschreiber zu unterscheiden, wie ich mir umgekehrt habe
erzählen lassen, daß jüngst ein Literaturkritiker, anstatt sich mit dem
ihm vorliegenden Buch zu befassen, sich auf die Kritik des
Waschzettels beschränkte. Der Zerfall der Bildung, insbesondere
auch die sprachliche Verwahrlosung spielen dabei überall hinein.
Die Neigung, mit fertig bezogenen Sprachclichés zu operieren,
anstatt den angemessenen Ausdruck des Gemeinten zu suchen,
findet sich zusammen mit der Unfähigkeit, das Phänomen selber
ursprünglich zu erfahren. Es ist, als würde alles schon durch ein
Schema erstarrter Phrasen hindurch wahrgenommen. Vor der
Negativität hat man Angst, als könnte sie ans allzu Negative des
Lebens gemahnen, an das man sich um keinen Preis erinnern lassen
möchte. Vorwürfe wie der des Zersetzenden, des Überspitzten, des
Outrierten und Esoterischen und Ähnliches sind so beliebt, als wäre
nichts geschehen.
Die Krisis der Literaturkritik und übrigens wohl der gesamten
künstlerischen Kritik, besonders auch der musikalischen, ist keine
bloße Sache der Unzulänglichkeit von Spezialisten. Sie weist auf die
gegenwärtige Gesamtverfassung des Daseins zurück. Einerseits ist
jede bestätigte Macht der Tradition zerfallen, an der Kritik, wenn
auch im Widerspruch, sich bilden könnte. Andererseits lähmt das
herrschende Gefühl der Ohnmacht der Individuen jene Impulse, die
der Kritik ihre Energie verleihen könnten. Große Kritik ist denkbar
nur als integrales Moment geistiger Strömungen, denen sie sei's
hilft, sei's widerspricht, und die selber ihre Kraft aus
gesellschaftlichen Tendenzen ziehen. Angesichts eines zugleich
desorganisierten und epigonalen Bewußtseinsstandes fehlt es der
Kritik an der objektiven Möglichkeit des Ansatzes. Der Mangel an
Authentizität, das Ausgehöhlte, an dem alle literarischen Produkte,
wie sie sich auch anstrengen mögen, heute leiden; die Ahnung von
der Gleichgültigkeit dessen, was heute unter dem Namen Kultur
weiter betrieben wird, im Schatten der realen Mächte der
Geschichte, lassen jenen Ernst nicht aufkommen, dessen die
Literaturkritik bedarf. Gewalt hat sie nur, wofern ihr jeder
gelungene oder mißratene Satz etwas mit dem Schicksal der
Menschheit zu tun hat. Als Lessings helle Rationalität den
äthetischen Rationalismus durchschaute, Heine die zum Genrehaften
und Reaktionären verkommene Romantik angriff, als Nietzsche die
Sprache des Bildungsphilisters bloßstellte, trug sie alle die Teilhabe
am objektiven Geist. Selbst Karl Kraus, der den Expressionismus
der Baller und Steiler bekämpfte, aber Georg Trakl entdeckte, wäre
ohne jene geistige Bewegung nicht vorstellbar gewesen. Daß es
heute eine damit irgend vergleichbare Tendenz des objektiven
Geistes kaum gibt, und daß, was etwa noch an avantgardistischen
Intentionen sich vorwagt, sofort in Gefahr steht, zur Spezialität zu
verkümmern, reduziert Kritik zur beliebigen, unverbindlichen
Meinungsäußerung.
Noch die Aussage, daß an der Sterilität der Kritik die Sterilität
der Produktion Schuld trage, griffe zu kurz. Der wahre Grund ist die
Neutralisierung der Kultur, die weiter weist wie zufällig von den
Bomben verschonte Häuser, und an deren Substantialität keiner
mehr recht glaubt. In solcher Kultur wird der Kritiker, der sie nicht
selber beim Namen nennt, notwendig zum Mitmacher und verfällt
der Gleichgültigkeit seiner Objekte, in denen die geschichtlichen
Kräfte des Zeitalters zwar stofflich erscheinen, kaum je aber das
Gestaltete selber tragen. Die Aufgabe der Literaturkritiker scheint an
weiter und tiefer greifende Besinnungen übergegangen, weil die
ganze Gattung Literatur heute nicht mehr die Dignität beanspruchen
kann, die ihr noch vor dreißig Jahren zukam. Nur der
Literaturkritiker würde seiner Aufgabe noch gerecht, der über diese
Aufgabe hinausginge und etwas von der Erschütterung in seinen
Gedanken registrierte, die dem Boden widerfuhr, auf dem er sich
bewegt. Das könnte aber nur gelingen, wenn er zugleich in voller
Freiheit und Verantwortlichkeit, ohne alle Rücksicht auf öffentliche
Geltung und Machtkonstellationen und zugleich mit der genauesten
artistisch-technischen Erfahrung sich in die Gegenstände versenkte,
die ihm vorkommen, und den Anspruch aufs Absolute, der noch
dem erbärmlichsten Kunstwerk verzerrt innewohnt, so schwer
nähme, als wäre es das, wofür es sich gibt.
Fußnoten
1 Vgl. jetzt Theodor W. Adorno, Prismen. Kulturkritik und
Gesellschaft, 3. Aufl., Frankfurt a.M. 1969, S. 7ff. [GS 10.1, s. S.
11ff.]
Bei Gelegenheit von Wilhelm Lehmanns