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Herausgegeben von
Kurt Flasch – Ruedi Imbach
Burkhard Mojsisch – Olaf Pluta
Band 53
HEINZ-HELMUT MÖLLMANN
HEINZ-HELMUT MÖLLMANN
Ruhr-Universität Bochum
Ich danke Herrn Professor Dr. Burkhard Mojsisch, Ruhr-Universität Bochum und
Herrn Professor Dr. Ruedi Imbach, Paris (Sorbonne) und Fribourg für die bereitwilli-
ge Aufnahme meiner Arbeit in die „Bochumer Studien zur Philosophie“.
Herrn Professor Mojsisch danke ich zudem für seine freundliche Anteilnahme
an dem Projekt. Er hat die Phase der Überarbeitung des Manuskripts für die Druckle-
gung mit seinem beständigen Zuspruch begleitet und überhaupt die Veröffentlichung
in die Wege geleitet.
Herrn Professor Dr. Helmut Pulte, Ruhr-Universität Bochum schulde ich Dank
für Kritik und Ratschläge.
Herr Dr. Olaf Pluta, Ruhr-Universität Bochum hat mir bei der Fertigstellung des
Manuskripts noch wertvolle Hinweise gegeben. Auch ihm möchte ich danken.
Meiner Frau Elke danke ich für ihre umfassende technische Hilfe bei der Herstel-
lung des Manuskripts. Ihr widme ich dieses Buch.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung 1
kapitel 1
Das Verhältnis der Begriffe bei Ockham 35
kapitel 2
Suppositionslogische Identität und Kontingenz 77
kapitel 3
Zum Verhältnis der Satzformen 121
kapitel 4
Fides et scientia 167
kapitel 5
Aus dem Innern Gottes 211
kapitel 6
Theologie und Logikbegriff 261
kapitel 7
Formbegriff und reale Wahrheit 311
kapitel 8
Glaube und Welt. Im Vorhof der Naturphilosophie 367
kapitel 9
Ontologie und Induktion 419
kapitel 10
Beweis, Satz, Akt 465
Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
kapitel 11
Abstraktion und scholastischer Beweiszweck 507
kapitel 12
Verflechtung und Abgrenzung der Akte 551
kapitel 13
Naturgrund und Realerkenntnis 593
kapitel 14
Widerspruch und accidens 635
Nachwort 681
Literaturverzeichnis 705
Unter dem Titel Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham stelle ich Ock-
hams Philosophie im Spiegel seiner Argumentationen dar: Induktion, reprobatio (re-
ductio ad absurdum) und persuasio, charakterisiere diese noch im Besonderen für
Ockham. Ich will zeigen, dass alle Doktrinen und Meinungen Ockhams in diese Ar-
gumentationsweisen eingebettet sind und aus ihnen entfaltet werden.
Ich lege für Ockham dies als eine besondere methodologische Struktur dar und
verteidige sie als in sich abgeschlossen (kompakt) und in besonderer Weise leistungs-
fähig. Sie bedingt Revisionen gegenüber dem scholastischen Schlussfolgern und
die Verlagerung auf das ‘Entscheiden’ der Gültigkeit von Sätzen und consequentiae.
Vereinbarkeit wird wichtiger als Widerspruchsfreiheit. Sätze und Folgerungen wer-
den nicht mehr so ‘vollzogen’, wie man das in der philosophischen Deduktion des
Mittelalters (Duns Scotus) oder der Neuzeit (Spinoza) wenigstens der Absicht nach
und näherungsweise, dann aber wieder im 19. Jahrhundert in der mathematischen
Deduktion (Mengenlehre, Analysis) kennt, sondern nach von Ockham festgelegten
Kriterien der Zulässigkeit beurteilt. Seine Induktionen richten sich hier nicht auf au
ßersubjektive Tatsachen, sondern auf die im Verstand durch Abstraktion gegebenen
Akte: die notitiae, die Satz- und Begriffsformen. Falsche Deutungen des Sinns von
Satz- und Begriffstypen, wie Ockham sie der mittelalterlichen Scholastik entnimmt,
werden von ihm reprobiert. Darunter sind die ontologischen Auslegungen des Be-
griffssinns (ontologischer Realismus).
Ockham begründet seine nominalistischen Auffassungen dann mit Überredungs-
beweisen (persuasiones) und Induktionen, in denen auf der Basis nicht voll verall-
gemeinerter (kasualer) Bestimmungen hypothetische Lehrentscheidungen entstehen.
Theoretisch handelt es sich nach heutiger Terminologie um einen Mentalismus.
. Mit ‘Ockham’ bedingungslos einen Herkunftsort bezeichnet zu sehen legen Ph. Boehner,
1944 (Introductory), W. Kölmel, 1962, V. Hirvonen, 2004 u. a. nicht zwingend nahe. M. McCord
Adams, William Ockham, 1987 wählt diese Schreibung, obwohl sie einen „wahrscheinlichen“
Geburtsort gleichen Namens angibt. A. Pelzer, Etudes d’histoire littéraire sur la scolastique médi
évale, 1964 sagt überall Guillaume Occam, Guillaume und Guillelmus Ockham, cf. pp. 508–
519: Les 51 articles de Guillaume Occam censurés, en Avignon, en 1326 (1922). Die Einträge von
Ockhams Zeitgenossen in G. Gál, William of Ockham Died „Impenitent“ in April 1347, Fr St 42
1982 lauten ausnahmslos ‘Guilelmus (Guillelmus) Okam’ oder ‘G. Occham’ (darauf wies mich
O. Pluta, Bochum hin). Ich möchte den rationalen Charakter in Ockhams Argumenten und Be
weistechnik, den ich behandle, durch keinerlei ‘Anonymisierung’ verstellt sehen.
Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Diese Einleitung soll nicht sagen, dass sich in diesem Buch eine Deutung
Ockhams finde, die besser sei als andere oder alle Interpretationen, die er bisher er-
fahren habe. Sie soll vielmehr einzig mitteilen wie meine Deutung aussieht. Die ist
allerdings bisher noch nirgendwo versucht worden. In ihr werden von Ockham ge
führte Beweise mit der Fragestellung untersucht, ob sich darin ein bestimmter und
auch eigenständiger Beweistypus (ein Muster) erkennen lasse. Es soll insgesamt ge-
zeigt werden, was Ockham beweistheoretisch geleistet und im allgemeinsten Sinne
beigetragen habe. Die praktisch von Ockham geführten Beweise, die von ihm zum
Beweisen (Beweismöglichkeiten) direkt vertretenen Anschauungen, die noch für die
se Anschauungen selbst wieder geführten Beweise werden behandelt werden.
Dabei verdient der Gesichtspunkt Beachtung, dass Ockham seine allgemeinen
Meinungen vielfach geäußert, sie an den einzelnen Textstellen vornehmlich, ja fast
ausnahmslos beweisförmig vorgetragen und sie so im Beweis begründet hat. Des-
halb müssen Beweise, die darin zutage tretenden Beweisformen und dazu noch alle
hier kompatiblen oder zweckdienlichen Anschauungen ihrer Struktur nach so weit
bezeichnet werden, dass sie nicht nur letzthin einsichtig werden, sondern auch ihre
Übereinstimmung zu erkennen geben. An den genannten allgemeinen Anschauun-
gen Ockhams wird, wo er sie äußert, auch die Satzstruktur sichtbar, die die Erkennt-
nis trägt. Auf sie sind Ockhams Darlegungen bezogen, an ihr arbeiten sie, sie geht in
die Beweisanlagen ein, die durch diese Übereinstimmung charakterisiert sind.
. Ockham hat Interesse gefunden als mittelalterlicher Rebell, der (a) den ontologischen Rea-
lismus in der Universalienlehre verworfen, (b) mit erkenntnistheoretisch fragwürdigen Be-
hauptungen skeptizistischer Art dem natürlichen Glauben an die menschliche Erkenntniskraft
widersprochen, (c) mit theologischen Sonderlehren das Ein- und Gemeinverständnis der Scho-
lastik gesprengt, (d) mit kirchenpolitischen Kampfschriften, ursprünglich vom franziskanischen
Armutsstreit ausgehend, gegen Papsttum und Kirche aufgetreten sei, schließlich (e) als angebli
cher Vorläufer wissenschaftstheoretischer Neuerungen mit starker Prägung in logischer Tech-
nik. In den Punkten (a) und (b) hat es viele Beschwichtigungen gegeben, in Sonderheit auch von
Vertretern des Franziskanerordens. Sie werden sogar in der vom Orden editierten Ausgabe der
Werke Ockhams als probate oder obligate Auslegung angeführt. Die in (c) benannten letztlich
nur scheinbaren Sondermeinungen interessieren vor allem den protestantischen Theologen,
wobei ihre eigentliche technische Begründung übersehen wird. Diese Begründung steht auch
im Gegensatz zu der vermeintlichen logischen Ausrichtung Ockhams (e), deren Ertrag von vie
len bestritten, von anderen gleichsam nur im Aperçu unterstellt und noch vor jeder Evidenz
behauptet wird. Dem Punkt (d) werden wir im Verhältnis zu den anderen am wenigsten Au-
genmerk widmen. Zur Ockham in der älteren Literatur bedingt zugestandenen wissenschaft-
lichen Geltung s. z. B. W. & M. Kneale, The Development of Logic, 1962, 1966 J. Pinborg, Logik
und Semantik im Mittelalter, 1972. In neueren Beiträgen (D. Perler, M. Kaufmann, J. F. Boler,
M. Liske, A. Goddù u. v. a) wird Ockham unter Teilaspekten moderner Wissenschaft und
Erkenntnistheorie problematisiert und meist bei der Aporie stehen gelassen. Die Autoren stel-
len für gewöhnlich fest, dass eine Gesamterschließung Ockhams nach den eingesetzten Mitteln
oder Fragestellungen nicht möglich erscheine und halten dann Ockhams Konzeptionen für
fragmentarisch und undurchdacht.
Einleitung
Ockham setzt sich vom scholastischen Milieu ab. In ihm hat er sich grundsätzlich
und weitgehend als Kritiker verhalten, in herausragendem Maß gegenüber Johannes
Duns Scotus, der dabei als Vorgänger wie Antipode angesehen werden kann. Das
muss also beweistheoretisch zum Ausdruck kommen oder wenigstens ablesbar sein.
Es geht also auch darum zu zeigen, dass Ockham nicht irgendwelche in irgendeiner
noch unbestimmten Weise ‘begründete’ Meinungen, Sondermeinungen etwa, vertre-
ten habe, sondern eben dies in der (seiner) Bindung an die Beweiselaboration und
Technik (seine Technik schlechthin) vorgenommen und vollzogen habe und darin
integrierte Standpunkte (Meinungen. ‘Lehrmeinungen’, Problemlösungen) vertreten
und vorgelegt habe, die diese technische Fixierung nicht überschreiten. Dies alles lässt
sich unter dem Aspekt seines Mentalismus zusammenfassen, der damit als von ihm
argumentativ begründet und verteidigt sich ausnimmt.
Ockhams Beweispraxis und seine Ansichten zu Beweis und Beweisbarkeit sol-
len dann auch im weitergehenden philosophiegeschichtlichen Rahmen verglichen
werden. Doch gilt die Arbeit vorab der Darstellung des technischen Charakters
. Die Differenz von Duns Scotus und Ockham stellt sich hier so dar, dass sie unter metho-
dologischen Gesichtspunkten, d. h. über bloße Doxographie hinaus, (nur) von Ockhams Er
örterungen und Beweisgängen, Argumente und Beweistechniken her sich angeben und dar
stellen lässt. Wenn da die in Ockhams Behandlungen der Fragen enthaltenen Elemente das
‘Maß’ des Vergleichs abgeben, muss deren inhaltliche und mentale (mentalistische) Qualität in
irgendeiner Hinsicht wenigstens auf ein autonomes Denken zielen, dessen Momente für sich
absolut sein müssen. Die Elemente der Erörterungen Ockhams müssen daher je Kritik (etwa
die an Duns Scotus) als absolute und im Sinne der Elemente selbst absolute und positive ent-
halten. Diese Elemente müssen ihre Positivität positiv bedeuten: i.e. alles was Ockham rechtferti
gen will, was die Intelligibilität seiner Position oder Positionen bedeutet und die Kritik an Duns
Scotus (z. B.) unmittelbar besagt. Das gilt dann für Termini wie Abstraktion, significatio, con-
sequentia, subiectum, passio, etc. pp. Alle solchen Elemente bekommen einen mentalistischen
Charakter oder Referenzwert. Das gilt auch für significatio. Das Antipodentum des Duns Scotus
wird dabei nach dem Vergleich mit Ockham erst und nur eine Folgerung sein. Sie definieren so
die Berufungsgrößen, von denen her zugleich Ockhams Erörterung und ihre Bewertung aufge
baut wird. Damit kann dann natürlich bezüglich dieser ‘Antipodenrolle’ des Duns Scotus für
Ockham kein historischer Erklärungsgrund gemeint sein. Es gibt so gesehen keine Motivation
‘in’ Ockham selbst, welche mit seiner Differenz zu Duns Scotus in der Form von Operationen
und deren Zerlegbarkeit und Bedingungen zusammenhängen oder zusammenfallen könnte.
‘Motivation’ gibt es vermutlich überhaupt nur derart, dass die Elemente (Minimierungen), die
in Ockhams Operationen vorhanden sein müssen, mit ihr zusammenfallen.
. Es wird sich dabei zeigen, dass weitgehend jene Stand- und Gesichtspunkte entfallen müs
sen, die, sei es nebenher und unter anderem, sei es hauptsächlich, weltanschaulich gedeutet
werden können und so auch Ockham selbst eigentlich als weltanschauliche Meinung unterstellt
werden müssten oder auch nur könnten, sei es dass man glaubt, er habe hier eine Absicht ge-
hegt, sei es dass man unterstellt, er habe sie nicht wahrhaft oder effektiv ausschließen können.
Es würde dies wohl immer bedeuten, dass man ihn aus inhaltlichen Gründen, am Ende welt
anschaulich, widerlegen könne. Verfasser glaubt, dass Ockhams Methode und Argumentation
Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
ihrer Art nach so konzipiert sei, dass sie das ausschließe: was außerhalb ihrer liegen müs-
ste, kann bei der im Wesentlichen induktiven Verfahrensart Ockhams nicht gleichermaßen
wirksam geltend gemacht oder sogar nicht einmal erwogen werden.
. Die Arbeit stützt sich also im wesentlichen auf den Kommentar Ockhams (SK) zu den
Sentenzen des Petrus Lombardus, das sind näher die sogenannte Ordinatio, eine wahrschein-
lich redigierte und autorisierte Fassung der entsprechenden Vorlesungen Ockhams, die nur das
erste Buch dieses Sentenzenkommentars umfasst, die sogenannte Reportatio, das sind knappe
Mitschriften dieser Vorlesungen, die Bücher II–IV des SK angehend, sein zusammenfassendes
Kompendium zur Logik, das unter dem Titel „Summa (Totius) Logicae“ bekannt ist und die
„Quodlibeta“, die wie üblich ausgewählte Fragen betreffen. Dazu kommt der Sentenzenkom
mentar des persönlichen Schülers Adam Wodham. Daraus werden zur Illustration nominali-
stischer Ansichten bzw. der Verarbeitung von Ockhams Anregungen Buch I–III herangezogen.
Wodham ist die „Summa logicae“ (SL) dediziert. Wie wenig Ockhams Methode von diesem
Schüler und von anderen Spätscholastikern, die mehr oder weniger als Ockhams authentische
Anhänger angesehen werden, genuin übernommen wurde, lässt sich in Anbetracht ihrer Beson
derheit und ihrer herausragenden Anlehnung an die Argumentationsweise zeigen. Denn sie
trägt die Lehre, die sich nicht von der Struktur der Erörterung löst, so dass die Diskrepanzen
etwa zu Johannes von Mirecourt, Nikolaus von Autrecourt und auch Gabriel Byel derart beste-
hen, dass jeder Gesichtspunkt der Lehre außerhalb der in der Argumentation hervorgebrach-
ten Struktur und ihrer Effekte und Wertigkeiten gar nicht Bestand haben kann. Das gilt von der
Seite Ockhams aus für ihn und für seine „Anhänger“ oder Opponenten.
Einleitung
Aussagen, Verwendbarkeit, Eigenart und Tragweite von Begriffen als solchen mittels
Induktion, persuasio und reprobatio aufgestellt, oftmals Bestreitungen, vielfach re-
duktive Behauptungen. Die Induktion gelangt oft zur persuasio, die sich in einen Syl
logismus eingliedern kann. Als dessen Umkehrung könnte nun die Induktion selbst
erscheinen. Es würde dann auf den Obersatz (Major) geschlossen, nicht aus Major
und Minor auf die conclusio. So einfach liegen die Dinge im Falle Ockhams aber
nicht. Da die Maximen, die Ockham verwendet und eben auch beweist oder be-
gründet und jene Beweise, die er dazu gebraucht, den reellen Effekt einer Erkenntnis
oder Kenntnis der res extra animam in se nicht ergeben, bzw. ihn nicht zulassen, kann
die Induktion als Teil oder Element dieser Beweise nicht auf einer ideellen Setzung
dieser res extra animam in se und ihrer Bestandteile beruhen bzw. auch nicht auf sie
zurückzuführen sein. Das muss zugleich bedeuten, dass Widerlegungen solche ideelle
Setzung ausschließen und mehr noch davon ihren Charakter daraus erhalten, dass sie
es tun. Das bedeutet auch, dass analytische Beweisführungen mit dem tertium non
datur zur Ermittlung von Behauptungen nach Beweisen ex negativo ausgeschlossen
(= unmöglich) seien. Auf dieser Unmöglichkeit beruht die Induktion; sie nimmt sie
auf, sie berücksichtigt sie, sie setzt sie um in eben jene Maximen, die als reduktive An-
sichten (opiniones) oder solutiones Ockhams dann auftreten, wenn der intensionale
Charakter von Begriffen und Aussagen bestimmt wird, bei denen eben das Verhält-
nis der Begriffe und Begriffsarten oder auch der Aussagen und Aussagentypen eben-
falls nicht als analytisches oder im Beweis analytisch begründetes erscheint, sondern
in diesem Sinne abgelehnt, i.e. reprobiert wird. Dabei werden dann jene Maximen
anderer Scholastiker, etwa des Duns Scotus oder der Ockham zeitgenössischen Oxfor-
der Gelehrten, die nur in etwa einen analytischen Charakter haben können oder im Be-
weismodus voraussetzen, abgelehnt, oft auch durch den Gegenbeweis in einer instan-
tia: das ist ein Beispiel, das in sich kontingent, eben eine Allgemeinheitsbehauptung
zurückzuweisen gestattet oder verlangt. Diese Allgemeinheitsbehauptung (oder all-
gemeine Behauptung) kann dann zugleich keinen (definiten!) intensionalen oder men
talistischen Wert besitzen. Ihn konstruiert Ockham mit seinen Beweisen, in seinen
Definitionen und deren Verteidigung durch persuasiones, Induktionen etc.
Bei Ockham ist die Induktion jeweils an ein in sich inhaltlich negatives Moment
gebunden, mit dem eine Erfüllung des reflexiven, auf mentalia bezüglichen Aus-
drucks implizit ‘ausgesetzt’, also nicht strikt angenommen oder eingeschlossen wird.
Darauf erhebt sich dann eine Aussage oder Behauptung, die auch nur beschränkt gilt,
. Da die Kontingenz hier mentale ‘Fakten’ oder actus mentales (mentalia), eben Begriffsarten
und Satztypen, betrifft, muss die mit ihnen umgehende Induktion unbedingt voraussetzen,
dass analytische Operationen im Verhältnis der Begriffe, der Satzarten und schließlich auch für
(die) separaten Beweise untereinander mit einer Anordnung ihrer Begriffe nicht existieren. Es
gibt so im Prinzip nur separate Beweise und deren multiple Verfügbarkeit in allen Disziplinen
und an allen möglichen denkbaren Stellen. Diese Beweise erstellen ja wie gesagt auch die Ma-
ximen, die ihrerseits vielverwendbar, allerorten oder durchgängig ‘berufbar’ sein müssen. Den
Beweis, dass durchgängige Begriffsordnungen nicht existieren, hat Ockham öfter geführt: es ist
ein Widerlegungsbeweis, der sich auf kontingente Abweichungen beruft, also auf sogenannte
instantiae. (Die) Begriffe können damit auch in keine Struktur eingehen, bei der sie im Verhält-
nis solcher Anordnung, wie sie Ockham bestreitet, selbst in ihrem gleichsam realen, i.e. inten-
tional extramentalen Gehalt und so auch in ihrem Sinn, sogleich und eventuell ausschließlich
verstanden, also mit extramentalem Bezug, Beweise liefern könnten, so wie sie bei Duns Scotus
und Spinoza etwa vorlägen, wenn sie hier denn für gültige Beweise denn sollen gehalten wer
den. Hierbei wäre dann noch gesondert zu erörtern, ob da in den Beweisen resp. Beweisketten,
als welche sie betrachtet werden müssten und offenbar nach der Meinung der Urheber auch
betrachtet werden können sollen, bei durchweg und voraussetzungslos extramentaler Geltung
noch (rein) intensionale Einsprengesel (Inseln gewissermaßen) möglich oder unentbehrlich
wären. Bei Betrachtung der Scotischen Beweisausgestaltungen könnte man solche Einspreng-
sel in der Form im Beweisgang dann neuer ontologischer Prinzipien, ad hoc Anleihen bei
Aristoteles gegeben sehen. Man müsste also sehen, ob sie statthaft seien und ob sie korrekt in
den Beweisgang eingeschleust würden. Nach Ockhams Abstraktionslehre ist es zu bezweifeln.
Die im Grunde semantische Ordnung der Begriffe, die für solche Beweise à la Duns Scotus
und eben auch Spinoza erfordert ist, sogar wohl postuliert wird, und namentlich bei Walter
Chatton, Ockhams Kritiker, das A und O bildete, müsste überhaupt nach aristotelisch-onto
logischen Prinzipien unerfasst erscheinen, so dass demgemäß auch der intensionale Charakter
(in der deduktiven Verwendung solcher Prinzipen) streitig zu werden hätte. Ockham indes
korrigiert den de facto extramental und realistisch ausgerichteten Aristoteles mentalistisch,
intensional, i.e. auf die mentale Struktur und Klassifikation der Begriffe und Sätze bezogen und
er revoziert den bei Aristoteles postulierten oder meistens unterstellten Notwendigkeitsgehalt
in Richtung auf den Kontingenzcharakter, worin Begriffe bzw. Sätze und Gegenstände extra
mentem bei Ockham sich begegnen.
Einleitung
eine persuasio bedeutet, oder gar negativ formuliert ist: Nicht alle (Fälle von) x haben
y oder: Nicht immer wenn ‘x’. gilt auch ‘y’. u. ä. Wenn bei Aristoteles die Induktion auf
die sinnliche Erfahrung sich stützt, so bei Daten oder Akten, die in den intellectus ra-
gen oder ihm zugrunde liegen, lässt bei Ockham die Induktion sich noch einmal und
anders begründen: die Intention auf die Realität wird ohne strikteste Erfüllung bzw.
Erfüllung als einem notwendigen Bestandteil der Forderung für die Geltung dieser
Intention gedacht. Auch die notitia intuitiva, die nominell die empirische Erfahrung
besagt und sie funktional vertritt, wird nicht als a parte rei zu denken notwendig
erfüllt betrachtet, so dass mit der Benennung einer solchen empirischen Erkenntnis
deren ‘Existenz’ behauptet werden könne. Nach ihrer definitio kann sie im Sinne ihrer
ratio von allen akzidentellen Referenzen getrennt und für eine Vielzahl von casus,
die heterogene Verursachungssituationen bedeuten, als nicht auf die extramentale
Gegenstandsgegebenheit bezogen verstanden. Auch sie wird so in eine kontingent
gedachte Weltordnung einbezogen. Das accidens, über das sogar vorrangig die Er
fahrung der Welt gedacht wird, ist in sich leer, das heißt: formell nicht (notwendig)
als real erfüllbar und gegenständlich betreffbar gedacht. Die Induktion muss von
. Da es für Ockham keinen Begriff von Erfahrung in sich geben kann, kann es auch keinen
Bezug des Begriffs auf Erfahrung im Sinne von Wahrheit geben, einmal ganz abgesehen davon,
dass man von Wahrheit vielleicht ausschließlich bei Sätzen sprechen möchte. Indessen werden
bei Ockham vermöge der notitia intuitiva Begriffe (Prädikationen) bestätigt, nicht Sätze. Wo
die Sätze Zustimmung (assensus, assensio) erhalten, geschieht es innerhalb geeigneter Syllogis-
men und dabei entfällt der Wahrheitsbezug via Realitätsbezug (oder Objektbezug) ebenso wie
die (getrennte) Wahrnehmung der Begriffe als notitia incomplexa. Diese notitia incomplexa
ist aber Voraussetzung für die notitia intuitiva, so wie sie kausalgenetisch dieser sich schon
verdankt. Der Satz, dem wir qua syllogistischer Beweisführung zustimmen, liegt uns im ac-
tus apprehensivus als notitia complexa vor; er wird selbst complexum genannt. Doch gesteht
Ockham die immanente Präsenz der notitia incomplexa auch beim Syllogismus zu. Sie ist dann
möglich, wird aber nicht (gleichzeitig) wahrgenommen. Die distinctio realis zwischen notitia
incomplexa und notitia complexa wird nicht in den actus apprehensivus (notitia abstractiva!)
des Satzes übertragen, der damit unabhängig und induktiv möglich wird; er kann per casum
induziert werden. Wir haben Sätze ohne den einzelbegrifflich bestimmten Realbezug und eben
damit überhaupt Sätze, die davon unabhängig sind; wir werden die unbedingte Identität oder
Verwechselbarkeit von notitia intuitiva und notitia abstractiva nur so vermeiden können, da
sie bezüglich der Begriffe selbst beide möglich sind und aufeinander folgen können. Erst ihr
fallweise disparates Auftreten sichert ihre Identität und damit den Begriff. Dabei ist (s. o.) er
kennbar, dass diese Disparatheit zwar empirisch gestützt erscheint, aber in der Argumentation
nicht in der ausschließlichen Parallelität mit empirischen Daten verbleibt: denn wir erkennen
die notitia incomplexa der Begriffe in der notitia incomplexa propositionum nicht oder (ad
libitum) nicht mehr notwendig. Daher die Möglichkeit der Trennung schlechthin.
. Das accidens, das nicht im Sinne der inhaerentia passionis in subiecto im Satz als diesem
notwendig verbunden gedacht werden kann, ist auch im Sinn der ratio oder forma eines Be
griffs oder einer Erscheinung, auch eines actus oder einer notitia, wenn auf diese bezogen,
nicht deren notwendiger Bestandteil. So werden auch nicht die referentiae der notitiae Teile
Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Akzidenzien, das heißt von den von substantiae oder formae getrennt gedachten, i.e.
mit ihnen nicht notwendig verbundenen Beziehungen ausgehen. Da sie in sich leer
oder empirisch nicht erfüllt sind, kann ihnen eine Negation zugesprochen werden. Von
ihr gehen Ockhams induktive Operationen, persuasiones, Schlüsse a fortiori aus. Die
Vereinigung des accidens mit dem subiectum im Sinne der realistisch ontologischen
Inhärenz kann nicht gegründet werden; sie wird reprobiert. Diese reprobatio (Wider
legung, indirekter Beweis, reductio ad absurdum) aber beschränkt sich auf die Ab-
weisung (refutatio) von Thesen, Meinungen, Maximen oder Begriffsverwendungen,
sie begründet nicht wie bei Duns Scotus ‘analytisch’ dann positiv gemeinte Ansichten.
Diese in ihrer inhaltlichen Begrenzung, reduktiven Bedeutung, liefern die an die re
probatio angefügten vorgenannten Induktionen und persuasiones.10 Beider Identität
oder wenigstens Nähe zueinander soll beschrieben werden.11
Für Ockham kann angenommen werden, dass bei ihm weltanschauliche Aspek-
te, wenn sie in irgendeiner Spur vorliegen sollten, doch immer an den technischen
Charakter der Argumentation gebunden bleiben, als deren Umsetzungen erscheinen
und so dem Willen Ockhams entsprechen, der sich in der Argumentation manife-
stiere und den durch diese erzeugten oder mitgegeben Strukturen, bzw. Bewertun-
gen.12 Alle Fragen werden in der Fixierung auf die Argumentation vorgetragen und
ihrer Inhaltsbestimmung, ratio usw. Sie liegen akzidentell außerhalb derselben und stören
daher in bestimmten kontingenten Anordnungen, casus des Vorkommens oder der Wirksam
keit solcher notitiae nicht; sie bedingen keine Widersprüche. Infolgedessen verliert das Wider
spruchsprinzip seine regulative Kraft oder Bedeutung.
10. Widerlegungen tendieren hier zu einer Ersetzung des Widerspruchsprinzips. Denn in ihnen
wird bei Ockham im Sinn der Induktion, eine empirische Funktion oder Relevanz greifbar.
11. Bei Ockham wird für das accidens keine Ausgestaltungsqualität hinsichtlich der substantia,
forma, des subiectum angenommen. Es bedeutet so keinen Gehalt einer passio in Bezug auf
die substantia, das subiectum etc. Das gilt dann auch für theologische Sätze. Cf. einen sogar
extremen Fall Kap. 2 p. 91ff.
12. J. Zuidema, De Philosophie van Occam in zijn Commentaar op de Sententién, vol. I, 1936
sah bei Ockham Gnostizismus ohne wirkliche Vermittlung (Austausch) zwischen schlechter
irdisch-menschlicher Welt und irrelevantem Gott (cf. ab p. 205); die Texte verweisen in der Tat
auf einen beinahe entschiedenen Nestorianismus. Cf. z. B. Ord. d. 2 q. 7 TO II 2 p. 260 lin. 18–21:
„dico quod inter naturam et suppositum aliquando est distinctio realis sicut inter suppositum
et naturam assumptam.“ In irdischen Verhältnissen gilt das nicht eigentlich: „aliquando autem
penitus nulla est distinctio a parte rei.“ Nach Rep. IV q. 6 OT VII p. 99 lin. 7–9 ist die unio
zwischen Verbum (= filius) und natura assumpta eine „unio … accidentis ad subiectum.“ Da
dann das Verbum divinum unbegrenzt (illimitatum) und anderswo als die natura assumpta,
nämlich Christus hienieden, sein kann, kann es überall sein (ib. lin. 20) „secundum potentiam
divinam et non virtute potentia propria.“ Das ist eine induktive Verallgemeinerung via Om
nipotenzprinzip. Diese tritt der Unterschiedenheit des verbum (lin. 21) „secundum quid“ von
dessen akzidenteller Vereinigung mit dem corpus humanum bei. Die potentia divina wirkt
oder fungiert selbst hier noch bezüglich der divinitas selbst im Sinne einer abstrakten Unter
Einleitung
in dieser Weise quasi noch einmal versachlicht und, gegenüber dem scholastischen
Meinungsstreit mit seiner Pluralität von opiniones, gewissermaßen in sich neutrali
siert. Dass bei Ockham Meinungsäußerungen, in Streitfragen seine solutiones, mit
der argumentativen technischen Form verschweißt sind, in der sie vorgetragen und
begründet werden, wobei ihnen der Weg argumentativ durch reprobationes und re
futationes bereitet wird, soll hier insofern bewiesen werden, als Ockhams Argumen
tationen und Operationen in dieser Weise beschrieben und womöglich vollständig
gedeutet werden.13
Die Argumentation Ockhams überdeckt dessen Erörterungen, so dass seine Dok-
trin in etwa weniger interessant erscheint. Einmal sind seine Standpunkte, wo man
sie für kategorisch halten möchte, in Argumentationen eingebettet, also gebunden.
Das Dezisive liegt so bei der Argumentation. Dann wieder sind innerhalb der – for-
mal gleichbleibenden – Argumentation, wie diese erscheint, inhaltliche Aspekte mit
mehr Konzilianz und Variabilität vorgetragen worden, als erwartbar wäre, wenn sie
im Denken Ockhams vorrangig wären. Der inhaltliche Aspekt wird zudem, weil die
Methode und Argumentation Ockhams selbst pragmatisch oder intensional ist, i.e.
wesentlich auf die Akte des Verstandes, die Sätze, Satz- und Begriffsarten usw. sich
bezieht, die intramentale Spezifikation des Denkens betreffend, in der Methode, also
der Argumentation mitgegeben sein. Die einzelnen Argumente oder Argumentations
weisen werden, wenn und wo sie erscheinen, als in einer freien Systematik auftretend
sich ausnehmen, wobei sie immer mit exkludierender Eigenschaft wirken. Sie werden
gleichmäßig wiederholt. Sie bilden ein Gerüst, in welchem der methodologische As-
pekt erscheint.
Wichtig ist, dass Ockham per Induktion nicht etwa naturwissenschaftliche
Fakten erhebt, sondern psychologische und erkenntnistheoretische: er arbeitet
mit der Induktion an der Klassifikation von Satzformen und Satzarten, die er nach
Bestimmungen gibt. Diese, intramental auf das Subjekt des denkenden Menschen be-
zogen, spezifizieren dessen Vermögen und Kompetenz und schränken sie ein. Tech-
nisch und inhaltlich wird hier wesentlich nicht das generelle Gesetz oder die generelle
scheidung von der Empirie, ohne diese Empirie für sich infrage zu stellen. Das Ganze gemahnt
an eine gewisse pagane Anschauung: Gott bleibt Gott in sich. Sie bestärkt in der Annahme,
dass die Erlösung durch den Sohn im Mittelalter ein unassimilierter Fremdkörper hinsichtlich
des Christentums von jeher war und blieb, daher sogar bei Ockham in der Form der (Revision
der) Scholastik auftreten konnte und, wie wir meinen, an ihr ursächlich mitgewirkt haben mag.
Hier geht es um die Bewältigung eines Mythos, der nicht in die Form und die tenue scholasti
scher Sprache eingehen oder gar sie völlig bestimmen und deformieren konnte. Ockham zeigt
sich rekalzitrant. Ockham sprengt die Scholastik mittels der Abstraktion, die auch gegen die
Ontologie greift und durchgreift.
13. Vollständig ist dabei als terminus technicus derart zu sehen, dass inhaltliche Vorstellungen
und begriffliche Auffassungen so ausgelegt und berücksichtigt werden, dass gegen sie (inhalt
liche) Einwände, sei es von seiten der Sache, i.e. der Logik, der Operationen selbst, oder nach
Textbelegstellen vorderhand nicht leicht möglich sind bzw. entfallen (können).
10 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Behauptung erhoben, sondern das begrenzte ‘Auch noch Mögliche’ (zusätzlich Denk-
bare), die kompatible Möglichkeit extra sensum communem, die Nochmöglichkeit
einer Erkenntnis, die dann materiell etwa bezüglich der divina essentia zur Ausschlie
ßung der faktisch nicht möglichen Erkenntnis neben der hypothetisch noch zulässi-
gen führt. Ockham prüft Sätze (Satzarten) nach ihrer Struktur, klassifiziert Begriffsty-
pen, klärt Begriffsdefinitionen, um danach deren Zulässigkeit oder Zweckmäßigkeit
unter Revision oder Tilgung eines allgemeinen Folgerungsbegriffs (und zwar in An-
passung an die Induktion) darzustellen.
Dabei bleibt der Begriffsrahmen, von dem Ockham ausgeht und den er strikt ein-
hält, begrenzt: es sind die notitiae (notitia intuitiva und notitia abstractiva), die actus
(actus apprehensivus in Sonderheit), die Formeln ‘de potentia divina absoluta’ (ge-
meinhin unbeachtet: in zwei Varianten14), das Ökonomieprinzip (Ockhams „Rasier-
messer“), ‘non est inconveniens quod’, ‘non est maior ratio quod (non)’, etc. die alle
der Induktion sich bedienen oder angenähert sind und zu den „Überredungsbewei-
sen“ (persuasiones) führen: ‘Non est impossibile’ u. ä. Dabei ergibt sich die Analyse
von Trugschlüssen (fallaciae). Sie ist nicht antezedent, wie man nach einer förmlichen
und starren Anwendung von Regeln und Erläuterungen einer kanonischen mittelal-
terlichen Logik erwarten könnte.15
14. Hier sind Entzerrungen bei den Charakterisierungsdetails unerlässlich. So kann der fol
genden von D. Perler, Nikolaus von Autrecourt, Briefe, 1988, p. 97 kaum zugestimmt werden:
„Gott kann einerseits mit der „potestas ordinata“ gemäß den natürlichen Ursachen auf überna
türliche Weise wirken, andererseits aber auch unter Missachtung der natürlichen Ordnung über
natürlich-kontingent handeln.“ Perler will derart mit Verweis auf K. Bannach, Die Lehre von der
doppelten Macht Gottes bei Wilhelm von Ockham, 1975 das ganze 14. Jahrhundert bezeichnet se
hen. Es gilt jedoch für Ockham, dass die potentia divina absoluta nicht der potentia dei ordinata
gleich ist, sondern von dieser abgegrenzt wird und sie für Ausnahmen übersteigt. Gott wirkt
auch nicht mit ‘natürlichen Ursachen auf übernatürliche Weise’, sondern er kann hypothetisch
die natürliche Ursachenkette, soweit und weil in ihr die distinctio realis zwischen Ursache und
Wirkung besteht, insofern überspringen, als er selbst sich zur Ursache anstelle der Ursache set-
zen könnte. Er „handelt“ aber nicht einmal dann ‘unter Missachtung der natürlichen Ordnung
übernatürlich-kontingent’; beide Fälle wären so nicht recht unterscheidbar, wie denn auch das
Wirken mit ‘natürlichen Ursachen auf übernatürliche Weise’ womöglich nicht feststellbar ist, also
zu einem unbemerkbaren Wunder zu rechnen wäre, wobei es denn als ‘Wunder’ nach der Inter
pretation von H. Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, 1966 zu deuten wäre, gar dazu noch
als ‘unmerkliches’. Die Texte, i.e. das scholastische Material, sagen aber: Gott kann dann in der
Tat sogar noch ein zweites Mal qua potentia divina absoluta wirken, nun aber qua potentia divi
na absoluta supranaturaliter loquendo. Dann ist aber auf den empirischen Bezug anders als bei
der potentia divina absoluta naturaliter loquendo Verzicht geleistet worden. An Perlers zitierter
Charakterisierung des Nominalismus ist nicht ein Minimum verifizierbar: das Material zeigt für
keinen darin genannten Faktor oder Charakterzug eine explizite Verwendung im Sinne der von
Perler sogleich hyperbolisch gesuchten Ausgriffe bzw. allgemeinen Bezugsstiftungen.
15. H. Schröcker, Das Verhältnis der Allmacht Gottes zum Kontradiktionsprinzip nach Wil-
helm von Ockham, 2003 will das Omnipotenzprinzip (oder dessen Gebrauch) bei Ockham
Einleitung 11
Der actus apprehensivus bezeichnet die Grundposition einer nicht mehr per An-
schauung16 oder über die species, den eigens konzipierten Begriffsgehalt, bestimmten
Erkenntnis, sondern eine Position, bei der der Intellekt mit menschlichen Begriffen
(conceptus als Besonderheit des terminus) in einer von allem, obiecta extra men-
tem, sensus, species, essentia, natura usw. unterschiedenen Sphäre arbeitet. Mit dieser
steht er, mittelbar oder unmittelbar, auch unterhalb der Sphäre Gottes. Erkenntnis,
die Gott, die Engel, die Seligen haben können, wird von Ockham im Vergleich über
die Erkenntnis, die der Mensch hat, moduliert und daneben von den Beweismög-
lichkeiten her bestimmt, welche diese menschlichen Akte selbst inhaltlich vermöge
ihrer Definitionen nach den hier angemessenen Beweisoperationen (Induktion, per
suasio, Syllogismus) bieten und zulassen; unangemessne Folgerungen werden durch
durch das Widerspruchsprinzip begrenzt sehen. Das ist eine bezweifelbare Ansicht, weil der
Widerspruchsatz bei Ockham einerseits in der Begrenzung von Inhalten und danach deren
Realgeltung nicht auftritt, andererseits das Allmachtsprinzip selbst über kontingenten Inhalten,
Sachverhalten und Sätzen operiert, welche ihrerseits dem Kontradiktionsprinzip schon in sich
nicht Raum geben und auf ihm nicht aufgebaut sind. Sie und ihre Inhalte können daher nicht
über das Kontradiktionsprinzip begrenzt und reguliert werden; es geht vielmehr darum, dass
allgemeine oder zu allgemeine Annahmen (Maximen) von Ockham durch instantiae aufge
brochen und widerlegt werden, wonach dann das Omnipotenzprinzip als Induktor einer Ge
genannahme ins Spiel kommt (potentia divina absoluta naturaliter loquendo), wenn wir nicht
mit der potentia divina absoluta supranaturaliter loquendo oberhalb empirischer Annahmen
und Sätze und einem entsprechenden Bezug des Begriffsgebrauchs auf unsere uns empirisch be
kannte Wirklichkeit operieren (bei den Sätzen die divina essentia betreffend). Wir haben dann
hier den Widerspruch und die Freiheit vermöge des Allmachtsprinzips (als Modus modo com-
posito gebraucht) dort. Wir müssen prinzipiell, um zu Begriffen und Begriffsverwendungen
zu kommen, die Gott betreffen, (etwa bei Relationsbegriffen für die Beziehung zwischen den
personae divinae) die Empirie übersteigen. Das heißt: wo wir hier auf Widersprüche stoßen,
müssen wir die Begriffsverwendungen oder das Satzverständnis korrigieren oder aber, nach
einem naturalen Verständnis unserer selbst, den dogmatischen Lehrgehalt angreifen und strei-
chen. Auch das tut Ockham vermöge der Akzidentalität, die bei unseren actus in anima gilt.
Auch beim accidens, wie bei der ihr verwandten Kontingenz (kontingenter Satz) greift nicht
das Widerspruchsprinzip, das leniter adiunctum zwar „‘gilt’“, doch keine konstitutive Funktion
hat. Für die intensionale Konstitution der Sätze und der Begriffe spielt es keine Rolle. Es wird
sodann durch die distinctio realis und die Zweiheit von Identität und Nichtidentität (etwa in
der reductio ad absurdum und bei der Widerlegung der Annahmen des ontologischen Rea-
lismus usf.) ersetzt. Zu weiterer Kritik s. Kap. 13 Anm. 78 Nach Ockham muss man an den
Widerspruchssatz eigens glauben, wenn man danach Seinsunmöglichkeit = Absurdität (Impos-
sibilität) begründet sehen will, cf. Kap. 5 Anm. 138.
16. Vorstellungsbilder, wie sie etwa bei den Modistae, bevor der Aristotelismus siegreich
wurde, zwischen Denken, sprachlichem Ausdruck, Begriff und Begriffsform einerseits und
extramentaler Realität andererseits vermittelt hatten, spielen keine Rolle mehr. Zu diesen s.
zunächst H. Roos, Die Modi signficandi des Martinus von Dacien, Forschungen zur Geschichte
der Sprachlogik im Mittelalter, 1952, dann J. Pinborg, Die Entwicklung der Sprachtheorie im
Mittelalter, 1967.
12 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
17. Ockham erhält den förmlichen empirischen, also kontingenten Satz für die Theologie auf-
recht und verlangt, dass aus ihm nicht geschlossen werde. So versteht er ihn abstrakt. Wir un-
terstellen einen strukturell (formal) für kontingent gehaltenen Satz, folgern aber aus ihm nicht,
was der Auslegung seiner termini entspräche (Ord. d. 1 q. 5 OT I p. 460 lin. 25 – p. 461 lin. 8):
„frequenter propter solam variationem terminorum potest una propositio esse nota et alia ig-
nota, quantumcumque termini pro eisdem simpliciter supponant, et per consequens significa
tum unius termini non plus cognosceretur quam significatum alterius. Et ita in proposito, quod
divina essentia et etiam divina persona cognoscitur a philosophis /§ secundum tales conceptus
qui conveniunt essentiae et personae, §/ quamvis omnem propositionem ignoraverint in qua
praedicatur aliquid de hoc termino ‘persona divina’.“ Dazu die Abgrenzung zur consequentia
formalis ib. lin. 18f. Da die distinctio realis zwischen pater und filius angenommen wird, kann
keine distinctio formalis zwischen den Termini folgerbar sein und auf dem Widerspruchsprin
zip beruhen oder aus ihm folgen. Für pater und filius wird die distinctio formalis auf der ab
strakten Stufe hinwiederum angenommen (ib. lin. 13–15): „quamvis Pater et Filius distinguan-
tur realiter, tamen una res simplicissima est Pater et Filius, scilicet divina essentia.“) Es darf
nichts angenommen werden, was einer analytischen Definition oder Folgerbarkeit der Termini
im (kontingenten) Satz entspräche. Es gibt keine Folgerbarkeit aus termini. Eine Folgerung aus
einem abstrakt genommenen kontingenten Satz eben würde die significatio enthalten oder
bedeuten. Der empirische ‘kontingente Satz’ repräsentiert das Denken, den actus apprehensi
vus schlechthin, aber eben damit wiederum nicht die Genesis der Begriffe ex natura. Cf. Ord.
d. 2 q. 7 OT II p. 261 lin. 13–20 „dico quod natura occulte operatur in universalibus, non quia
producat ipsa universalitas extra animam tamquam alia realia, sed quia producendo cognitio
nem suam in anima, quasi occulte saltem immediate vel mediate producit illo modo quo nata
sunt produci. Et ideo omnis communitas isto modo est naturalis, et a singularitate procedit nec
oportet illud quod isto modo fit a natura isto esse extra animam: sed potest esse in anima.“ Wir
müssen also keine Verallgemeinerung der Begriffe akzeptieren, die ihrer determinatio unter
Hinzufügung von Inhalt entspräche und zwar auf der abstrakten Ebene; denn dass der pater
Einleitung 13
passio (oder dem accidens) nicht möglich ist, nämlich ein Ausdruck (der Notwen-
digkeit) ihres Verhältnisses mit einem realen Anspruch in der Realität extra animam
wie/oder in der Verstandeswirklichkeit, wird in die Argumentation Ockhams umge-
setzt und darin gleichsam kompensiert: als Negation der Verbindung qua Implikation
ausgedrückt als Nicht-Folgerbarkeit. Dafür kann indessen induktiv argumentiert wer
den. Die Beweise Ockhams enthalten und statuieren dies als Tatsachenfeststellung
und Tatbestand im Sinne von Maximen, die Negationen oder reduzierte (begrenzte)
Verallgemeinerungen enthalten: ‘Nicht immer…’, ‘Nicht alle…’ etc. Die Implikation
besagt so negativ die Verbindung zwischen s (= subiectum im Satz, aber auch realiter
unmittelbar für Objekte gebraucht, womit das obiectum als substantia gemeint ist)
und P (= passio, praedicatum im Satz und accidens in der Deutung des Inhalts mit
Bezug auf die Erfahrung). Die Implikation wird darin selbst negativ, d.h. meint die sig
nificatio als Zielmoment dieser Verbindung. Die significatio ist die res extra animam
als die Bedeutung der Begriffe (s und P). Sie werden auch als substantia und qualitas
verstanden. Das accidens kann nie in das subiectum als dessen informatio eingehen.
Das gilt für den Elementarsatz, d. i. der kontingente Satz, der ein ebensolches Faktum
festhält. Es gilt für die Deutung des Elementarsatzes, die Ockham mit der Bestim
mung der s und P in ihrem (wie gesagt nur negativ auszusprechenden) Verhältnis
mit der generatio zu tun habe, kann ja anerkannt werden. Wir kämen damit formell zur Empi
rie zurück, auf deren Stufe wir aber nicht mehr denken, wenn wir die die divina essentia den
ken; freilich müssen wir dazu die kontingente Satzstruktur unbedingt anerkennen. Doch wir
hätten keinen kontingenten Satz, wenn wir aus dessen termini beliebig, im Sinne ihrer Ausle
gung folgern könnten; wir hätten dann nur die Analogie oder Identität von Folgerung und
Inhaltlichkeit. Das ließe das Folgern paradox erscheinen. Es wäre nicht mehr absolut definiert.
Ockham umgeht Aporien durch die Anerkennung des kontingenten Satzes als Grundstruktur
des Denkens. Das ist etwas anderes als dass Ockham grundsätzlich nur Kontingenz in reali
anerkannt habe. Es „‘folgt’“ vielmehr erst induktiv aus diesem. Damit erläutert Ockham die
Grundeigenschaft aller Philosophie und ihren Fehler: die Gleichheit von Inhalt und Folgerung.
Die Folgerung entspricht dem Inhalt und erläutert und begründet ihn. So typisch im deutschen
Idealismus und mit der Nebenfolge, dass Reden über das Denken und in eins damit über die
Welt sogleich auch Reden über Gott ist. Das gilt auch für alle Kritik am Idealismus und ebenso
seine Erklärung, wenn man dessen Anspruch oder ‘Verfahren’ als ‘Dialektik’ betrachtet oder
„konsequenzenlogisch“ ersetzt oder ergänzt und Sachlichkeit und Begründung aus den Eigen
schaften der Vermögen des Denkens sucht. Was uns die sacra scriptura und die sacra ecclesia
lehren, sind in dem Sinne keine Fakten, die ‘secundum sensum intrinsecum alicuius obiecti
ipsius’ zu denken wären. Eben das ist auch ausgeschlossen (Ord. d. 1 q. 5 OT I p. 460 lin. 22f):
„nullo modo – etiam a fideli – potest cognosci paternitas nisi cognoscatur eodem modo ge-
neratio activa…“ erscheinen etiam (om. W 1495) und die zusätzliche Heraushebung durch
Parenthese unbegründet. Was Ockham sagt, gilt für den fidelis; doch unabhängig davon wird
die Erkenntnis qua Dignität der Satzstruktur erörtert. Und zwar einzig. Das gilt auch, wenn die
Schrift und die Kirche für sakrosankt wenigstens erklärt und die sancti (beatus Augustinus)
herangezogen werden, wie es ib. p. 461 lin. 22 – p. 462 lin. 9 geschieht. Wie Augustin als ‘Zeuge’
herangezogen wird, widerspricht er bei Ockham weder den Erkenntnisstrukturen noch der
Erkenntnispsychologie.
14 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
vornimmt und zwar auch für die Satztypen, die darüber hinaus im Anschluss an die-
sen kontingenten Satz noch exponiert werden können. Dann gilt es schließlich für
jene Argumentationen Ockhams, bei denen zwar forma oder substantia und accidens
(oder wandelbarer empirischer Inhalt, wechselnde und fortschreitende Wahrneh-
mung) aufeinander bezogen werden können, aber kein Satzinhalt selbst mehr katego
riell bestimmt werden muss, wie das für das Verhältnis von s und P (und ungefähr,
aber nicht ganz und gar gleichwertig deren Akte = notitiae) geschieht. Gleichwohl wer
den auch hier die Sachverhalte, die zur Naturphilosophie gehören und mit Messung,
Dauer, Zeit, Veränderung usw. zu tun haben, immer noch in Sätzen von dem grund
legenden Typus (dem kontingenten Satz) ausgesprochen werden. Aber das Verhält-
nis von Subjektinhalt (substantia, forma) und accidens (wechselnde Wahrnehmung)
wird jetzt, wenn die informatio des accidens im subiectum verneint und bestritten
wird, über Widerlegungen ausgelegt, die nicht mehr die Satznatur oder s und P als
konstitutive oder konstruktive Teile des wesentlich kontingenten Satzes betreffen. Das
accidens, das niemals und in keiner Weise im subiectum anhängig sein kann, ist im-
mer negativ bestimmt in seinem Verhältnis zum subiectum; es kann niemals und in
nichts in sich als darin anhängig ausgedrückt werden. Zugleich aber ist das subiectum
oder die substantia bzw. die forma von sich aus gesehen in ihrem Verhältnis zum ac-
cidens ‘negativ’ akzentuiert. Diese negative Akzentuierung bezeichnet aber die Nega-
tion der Implikation genau im Sinne einer Negation der Realität oder des Bezugs der
Sätze und Begriffe auf die Realität. Es bezeichnet die Modalisierung der Sätze. Auch
der Elementarsatz ist natürlich als propositio contingens ein modaler Satz. Das aber
hat eine Konsequenz: die Begriffe (conceptus), die in diesen Sätzen verwandt werden,
können mit ihrem implizit negativen Charakter (negativ nach der Bestimmung ih-
res Gehalts oder Inhalts, auch ihrer empirischen Wahrnehmbarkeit ex parte rei) als
bloße und wie leere Zeichen erscheinen: terminus. Sie müssen nach diesen beiden
in sich kompatiblen Auslegungen betrachtet werden (können). Aber die Erklärung
des Erkennens über die Aktlehre (mit notitia intuitiva und notitia abstractiva, der
diesen jeweils zukommenden ratio) kann unter Einverwendung der theologischen,
naturphilosophischen und psychologischen Erkenntnisse, Aussagen und der diese
betreffenden Beweise nur mit dem conceptus zu tun haben: nur hier können Widerle
gung und Induktion den ‘außerhalb’ Verlautbarungen in den Sätzen und ihren Begrif-
fen liegenden Bezugsmomente und ‘Sachverhalte’ betreffen. Das Beweisen Ockhams,
wo es inhaltlicher Natur ist, muss mit dem Begriff als conceptus zu tun haben, nicht
mit dem bloßem signum und ihm angenähert terminus.18
In die von der Argumentation hergestellte und dann gewahrte und fortgesetzte
Abstraktion (via notitia intuitiva und notitia abstractiva) geht für Begriffe und Sätze
ein negatives Moment ein. Es bestimmt die Inhaltlichkeit (Inhalt der Begriffe und
Sätze) und damit auch die mentalistische oder intensionale (pragmatische, modale)
Struktur der Beweise, Sätze (Aussagen) und Begriffe und eben auch der kategorial
verwandten ontologischen Begriffe wie forma, substantia, essentia, natura, species,
quidditas, accidens und schließlich auch der Begriffsartenbezeichnungen wie quid-
ditativum für das subiectum und connotativum, denominativum, negativum etc. für
die passio. Dieses negative Moment widerstreitet mentalistisch also der in der rea
listischen Ontologie noch des Duns Scotus angenommenen natura communis oder
species als universale in re. Dass sie für Duns Scotus auch konzeptualistisch gedeutet
wurde, soll hier außer Betracht bleiben. Ockham verwendet oder benötigt keine rea-
listische oder konzeptualistische Deutung der universalia. Für ihn sind universalia die
Begriffe. Damit steht er aber außerhalb der logischen Begründung oder Verteidigung
der universalia oder Begriffe, außerhalb der inhaltlichen Definition der Begriffsge-
halte und deren logischer Verwendung in einem Deduktionsprozess, die indes auch
nicht möglich (definit) ist. In Ockhams Konzept können für dieses selbst genuin logi
sche Konsequenzen nicht gezogen werden können; sie entfallen konstitutiv. Sie kön
nen auch für in den Sätzen gemeinte Sachverhalte nicht gezogen werden. Es zeigt sich,
dass die Satze falsch werden bzw. unangängig sich ausnehmen, wenn sie im Sinne der
Auslegung des in Sätzen und Begriffen Gemeinten in der Realität verwendet werden
sollen, so dass was in ihnen gesagt oder niedergelegt ist, in der Realität, i.e. im Sinne
einer faktischen Interpretation, mit einer strukturalen Entsprechung wiedergefunden
werden soll. Hier sehe man insbesondere theologische Aussagen, wenn es z. B. um
Gott als den Schöpfer oder die divina essentia im Verhältnis zu den Relationen (Per-
sonen) gehen soll.19
Mit Ockham bietet sich das Mittelalter exemplarisch in einer Form dar, die von
der Seite des modernen oder neuzeitlichen Denkens her verdunkelt wird. Überall sind
es die Partikel, die an das thematische Subjekt und dann auch an den Satz angefügt
werden müssen, die den Ausgriff auf die Realität extra animam in keinem irgendwie
selbst relevanten und wieder bestimmbaren und dann auch bestimmenden Sinn noch
erlauben werden. In der Darlegung dieses in sich negativen Zusammenhangs besteht
und repetiert sich Ockhams Philosophie. Sie bietet förmliche transzendentale Kompo-
nenten, die transzendenter Dignität entbehren. Der partikelgemäße Ausdruck erlaubt
die Transzendenz in reali und realibus nicht. Es gibt keine transzendente Geltung in
rebus. Das besagt nicht schon, dass die Existenz der res ausgeschlossen sei. Ockham
19. Die regelrechte inhaltliche Betrachtung theologischer Aussagen oder aber die inhaltliche
Betrachtung dogmatischer Fragen ist bei Ockham ausgeschlossen; bezüglich der Erkenntnis
vermögen und ihres Verhältnisses zum Glauben als einem hypothetischen (Erkenntnis-)Ver
mögen unter ihnen (nicht eigentlich logisch) von ihm angegangen, bleibt eine Glaubensaussage
kompatibel, solange sie nicht zu einem Widerspruch führt, der ihren Sinn löscht. Das ist nicht
mehr des Duns Scotus Denkweise, der Glaubensaussagen für gültig erklärt, weil sie noch nie
zu einem Widerspruch geführt hätten. Da steht für Ockham der Beweis aus. Für Ockham geht
es darum, die Validität des sprachlichen Ausdrucks zu beurteilen. Er nimmt nicht Gegenstand
und Begriff als vorab zusammen gültig und allgemeingültig an, sondern untersucht den Aus-
druck auf potentielle ‘Erfüllung’ hin.
16 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
kann auch nicht transzendentalphilosophisch in Zweifel gezogen oder vor die Schran
ken gefordert werden.20 Zu den Partikeln zählen schon Satzprädikat (passio), Implika
tion, accidens, jede Referenz. So schließt die Differenz dieses mittelalterlichen Gegen
stands (Ockhams Philosophie) zu unseren kommunen Vorstellungen aus, dass wir
ihn je kennten, solange wir ihn nach diesen Vorstellungen korrigieren, gleichsam ‘be-
lehren’ wollen.21 Logische Elemente, die genuin Logik zu besagen oder auszudrücken
hätten, werden in Bezug auf eine projektive oder projektierte Gegenständlichkeit un-
ter einem Vorbehalt stehen, bzw. gar einem Gesetz zu weichen haben: Thematisierende
Ausdrücke können nie zu referentiellen22 werden.23 Erkenntnisverlangen, das sich da
20. Cf. D. Perler, Ockhams Transformation der Transzendentalien, in: Miscellanea Mediaevalia
Bd. 30: Die Logik des Transzendentalen, 2003 pp. 304–319, id. Direkte und indirekte Bezeich-
nung: Die metaphysischen Hintergründe einer semantischen Debatte im Spätmittelalter, Bochu-
mer Jahrb. f. Antike und Mittelalter. 1999 (4) pp. 125–152. Das klingt vorkantisch, wobei es auch
darum gehen könnte mit den Transzendentalien auf der Grenze von Subjekt und Objekt eine
vermeintliche Realitätserkenntnis zu sichern, also ein A priori zu installieren. Ockham ist we
der Kantianer noch Vorkantianer (wie G. Martin, Wilhelm von Ockham, 1949 meint) oder Anti
kantianer. Weder Metaphysiker noch Rationalist. Er ist empiristischer Agnostizist und menta
listischer Konstruktivist. Der Vergleich mit Kant ist schwierig, weil Ockham über Akte nicht
über Vermögen operiert. Kants Fixierung auf Vermögen ist nach F. Nietzsche, Jenseits von Gut
und Böse, 1886 § 11 obsessiv. Kant definiert sogar Vermögen, die er nie wieder benötigt noch
erwähnt, s. W. Bartuschat, Zum systematischen Ort von Kants Kritik der Urteilskraft, 1972. Ein
Vergleich Ockhams mit Maimon liegt näher, weil beide vom (Elementar)Satz ausgehen. Die
Suppositionslogik ist dabei Lehre von der suppositionslogischen Identität, die Perler unwichtig
ist. Cf. Kap. 2: Suppositionslogische Identität und Kontingenz.
21. Die thematischen (inhaltlichen) Momente (opiniones, solutiones) dependieren bei
Ockham aus strukturalen, welche die eine Argumentation methodisch (= reprobationsresi-
stent, erfüllungsaffin) aufspannen muss.
22. Hier haben die connotativa die Interpreten angezogen. Cf. A. Goddù, Connotative Con-
cepts and Mathematics in Ockham’s Natural Philosophy, Vivarium XXXI, 1 1993 und Y. Zheng,
Ockham’s Connotation Theory and Ontological Elimination, Journal of Philosophical Research
26, 2001. Connotativa sind Prädikatterme (grammatikalisch bei Ockham praedicatum oder
passio genannt), die für das Satzsubjekt (subiectum) eine Beziehung angeben, die auf ein sup-
positum verweist, das nicht mit dem im subiectum genannten identisch ist, aber nur für das
selbe obiectum supponieren kann wie das subiectum: creator meint die creatura mit, gilt aber
nur von Gott. Nicht von der creatura, die denn auch nicht schafft. Das ist Gott vorbehalten,
wie in der christlichen Lehre geläufig und bereits sprachlich im Hebräischen vorbereitet. In
Ockhams Naturphilosophie (Physik) wird nun die Relation, wie sie für viele Phänomene an-
fällt, beim Licht, bei der magnetischen Anziehung, der Gravitation usw. ausdrücklich nicht als
materielle Verbindung zwischen zwei res gedeutet. Damit gleicht sich die Naturphilosophie der
Theologie, der Demonstrationslehre usw. an.
23. Ob die Sprache so verfasst sein kann, dass sie solche Operationen oder Ausdeutungen nicht
zulasse oder/und nicht erfordere, wissen wir nicht. Wir können es den berühmten Arbeiten
zum menschlichen Sprachbau und sprachlich geprägtem Denken nicht entnehmen, wie etwa
Einleitung 17
auf fest gegebene Erkenntnismittel bezöge, wäre stets verfehlt. Wir hätten gewisse phi
losophische Erkenntnis weder in actu noch reflexiv historisch gedacht in potentia.24
Ockham stiftet auch einmal die Vernunft: wie von einem archaischen Deside-
rat her definiert er sie, so dass damit auch sie für die Scholastik zuständig in einem
Umfang sich findet, der nicht einzig einem engeren scholastischen Vorsatz, laut mit-
telalterlichem Bedürfnis, bei dem Religion (Credo) und Vernunft, Christentum und
Wissenschaft sich zu decken hätten, mehr dient, während es intentionell, gemäß dem
mittelalterlichen Interesse, bloß hätte überfasst werden können. Er definiert eine Ver-
nunft, die den Menschen appelliert, aber er tut es mit den Mitteln, die er gestaltend
einsetzt: im mentalistischen Konzeptrahmen konstruktiv wirkende Definitionen.25
Die Schrumpfung des Gehalts auf den Begriff, der selbst keinen trägt, bedeutet, dass
der Begriff als Akt mit seinen Verflechtungen zusammen keinen (weitergehenden)
Sinn haben kann. Das schlägt zur Reduktion der consequentiae und Ablehnungen
der in falschen und reprobierten consequentiae vorliegenden Sätze aus.26 Da in den
W. v. Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaus und ihren Einfluss auf die
geistige Entwicklung des Menschengeschlechts, posth. 1836, E. Sapir, Language, 1922 B. L. Whorf,
Sprache, Denken, Wirklichkeit, dt. 1963, H. G. Gadamer, Wahrheit und Methode, 1960, auch
nicht W. O. V. Quine, From a Logical Point of View, 1961 bzw. schon Logic and the Reification of
Universalia, 1953 oder den theoretisch-philosophischen Entwürfen von L. Wittgenstein, Tracta-
tus logico-philosophicus, 1921 und R. Carnap, Einführung in die symbolische Logik, 1954 u. 1960.
24. Der hiermit ausgesprochene Agnostizismus bedeutet gerade, dass Satz und Argument eine
(Art) Vermittlung des Satzsubjekts in das Satzprädikat nicht erlauben. Das hatte Ockham so
zum Prinzip gemacht, für den kontingenten Satz bewiesen und in der Form seiner Argumen
tationen beweisend sei es ermittelt sei es durch Gegenbeispiele, also casus, die instantiae bilden
sollen, widerlegt. S. zunächst Kap. 1: Das Verhältnis der Begriffe.
25. Da der Bogen des Beweisens (nur) bis zur Sprachform gespannt wird und in ihr aufhört,
andererseits die Sprache mit der Formung (Abstraktion) des Begriffs als abstractum, als univer
sale, das bloß Begriff (ein mentaler Akt) ist, eine Reduktion der Erkenntnis bedeutet und diese
Erkenntnis auch veranlasst, aber in den rebus extra mentem nur eine Bedingung hat, die die Be
dingung des Erkennens in einem unbegrenzten Begriff der Realität aufhebt und abweist, muss
das Erkennen dort aufhören, wo der Begriff oder ein mit ihm verbundener Inhalt (Satz) an eine
denkbare Implikation (consequentia) stößt, so dass eben diese implizit ersetzt wird. Wir zeigen,
dass sie immer (je nach verschiedenen Fällen) aufgehoben, negiert, relegiert, umgekehrt oder
reduziert wird.
26. Die Genesis der Begriffe, die im Mittelalter von der Logik verlangt werden musste, kann
schließlich im Sinn der Logik nicht mehr verteidigt werden. Das zeigt Ockham, indem er die
Logik abspaltet und nicht mehr verwendet. Dazu tritt der Begriff als abstractum mentale und
ist darin als universale dreimal zu negieren: es gibt keinen projektiven realen Gehaltes in der
res extra mentem, keine im Geist abstrakt verfügbare (wieder findbare) = operativ intelligible
Universalität des einen eigenen festen Inhalts, als Enthaltensein anderer Inhalte (Begriffe) und
dann eines Geflechts, womit wir zur erkenntnisartigen Bestimmung der Auffassung des Satzes
kommen könnten. Wir haben derart die Sätze nicht. Kein funktioneller Satztypus (etwa das
18 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Sätzen ‘Sachverhalte’ genannt werden, werden diese negiert und die Intention auf
diese bestritten, i.e. aus der Erkenntnis gestrichen. So wird der (kontingente) Satz
im Zusammenhang und Zusammenklang mit seinen Weiterungen und Folgerungen
gewissermaßen reduziert, bestritten, negiert und darin quasi umgekehrt. Wir wissen
weniger und nicht mehr als in einem kontingenten Satz enthalten, bzw. intendiert ist,
gemeint sein kann. Es gibt konstitutionell so etwas wie den gegen-analytischen Satz
im Sinne des kontingenten. Es gibt darin eine Reduktion des Sprachmusters (aller
Sprachen), da ja die konstitutionelle Begrenzung, die hier für die Sprache vorliegt,
von keiner einzelnen anderen überwunden werden könnte. Die Sprachen sind so
mehr als alle Logik. Die Ockhams reduziert den Bedingungscharakter, der zu einer
anderen und höheren Abstraktion führen könnte, in der das Analytische oder eine
sonstige Allgemeinheit oder Apriorität stattfinden könnte. An die Stelle des ontolo-
gischen Prinzips oder einer erkenntnistheoretischen Maxime,27 die einen beweislo-
gischen Gedankengang enthalten (können) soll, aber den Beweis als solchen als Prä-
misse auch immer gleichsam vorwegnimmt, i.e. nicht zur Ausführung kommen lässt,
tritt bei Ockham der Block der je gleichen Argumente, die ein corpus bilden.28 Diese
je gleichen Elemente, deren Kontinuität selbst nicht bewiesen werden kann, verweist
auf die Induktion und kommt ihr gleich: die Elemente müssen dann jeweils induktiv
bewiesen werden zumal wenn sie intensionalen Wert haben sollen.29
principium im Syllogismus) kann verstanden werden, wie wenn die Begriffsarten im Verhältnis
einer Inklusion stünden und auf dieser beruhten.
27. Beides findet sich bei Duns Scotus. Das erkenntnistheoretische Prinzip muss damit inner-
halb der Scotischen Deduktion aber logisch ein ontologisches werden. Das erkenntnistheoreti-
sche Prinzip kann logisch gesehen nur in einer ontologischen Maxime gründen, i.e. muss von
einer solchen abhängen, wenn und weil das ontologische Prinzip ja sonst ohne Implikation
(Folge) wäre und nicht bestehen könnte. Also muss es im erkenntnistheoretischen Prinzip seine
Konsistenz finden oder seinen Konsistenzausdruck haben, bzw. sein Konsistenzprinzip. Duns
Scotus könnte ohne die Einheit insgesamt nicht bewiesen haben. Im Gegensatz zu dieser Kon-
sistenz und der Einheitlichkeit ist Duns Scotus damit schon auf eine Diskontinuität hin verwie-
sen, hat eine innere latente Tendenz zu dieser, die Ockham de facto realisiert und implizit mit
dem Gegenkonzept ausdrückt und saniert.
28. Die Antizipation des Beweisens, des Beweises, der nicht ausgeführt wird, stellt aber lo-
gisch-inhaltlich eine fallacia dar, die Ockham im Prinzip durch seine Modalisierungen auflöst
und aufhebt, die die Definitheit approximieren, also auf sie abzielen, einholen, einstellen, er
reichen können sie sie nicht. Die Modalisierung aber muss immer der Fragmentierung korres
pondieren: die Elemente eines Beweisganges insgesamt oder einer fortgesetzten Überlegung
werden damit je zerspalten, nicht in irgendeinem Sinne vereinheitlicht. Die Definitheit kann
nicht durch irgendeine für kontinuierlich gehaltene Operation (Operationenfolge) ersetzt, er
langt werden. Wir müssten sie für sie immer ja voraussetzen.
29. Das Zirkulieren in dem corpus, in welchem die Gedankengänge Ockhams sich organisieren,
schließt aus, dass Realität (als Realität) in se gemeint werden könne. Es schließt also nicht nur
den Rückgriff auf das ontologische Prinzip aus oder den erkenntnistheoretischen Grundsatz
Einleitung 19
Die Nähe der Genesis zum Akt ist derartig und bleibt darin vorderhand proble-
matisch, dass der Akt der Definition nach und entsprechend vollkommen darin ein-
geschlossen mit dem Gehalt (= ratio) per argumentationem d. h. rational oder per
Beweis: persuasio, Induktion begründet werden muss, auch dass seine Anschlüsse
und genetisch nicht unerlässlichen Bedingungen (Umstände, causae) per instantiae
und per reprobationem ausgeschlossen, i.e. in Frage gestellt werden können. Es wer-
den dann referentiae, i.e. passiones als nicht notwendig zugehörig relegiert, d. h. als
akzidentell erklärt, so dass sie nicht ohne Täuschung (fallacia) dem subiectum nach
dessen essentia zugerechnet werden können.30 Mit Ockhams Philosophie findet auch
eine Begradigung statt: diverse strukturale und u. a. ontologische Momente oder Fra
gen werden auf einen Kern zurückgeführt. Was in der Scholastik von Anfang an und
z. T. tastend und ungeschickt erst erörtert werden musste und undurchdacht wirken
konnte, wird nun ineinandergedrängt und mit einem Schlag beantwortet oder ausge
schieden und reduziert.
Wenn wir nun Ockhams Philosophie betrachten, haben wir einmal ein Bild, bei
welchem die Struktur des Konzepts, nämlich das universale als Begriff (und sonst
nichts), der Begriff als abstractum in mente, aus oder gemäß der Realität extra ani-
mam im Sinne (wenigstens unter dem Titel) der ‘Erfahrung’, repräsentiert durch die
notitia intuitiva, gewonnen, dann mit anderen Begriffen im Sinne solcher Satzstruk-
turen ‘einher-’ oder zusammengeht, dass dieser Zusammenhang nicht unbegründ-
bare Erkenntnisbedeutungen im Satz meinen darf, oder gar als fallacia indizierbare.
Zum anderen aber geht es um argumentative Zusammenhänge und Bedingungen,
welche dieselbe ‘Lehre’ „noch einmal“, i.e. ein zweites Mal besagen, indem auch durch
die Struktur der Maximen und die Argumentationen, die sie begründen, keine Ge
genstruktur gegen diese Lehre entfaltet wird, d. h. deren Definitheit nicht zweifel-
haft wird. Es ist die Definitheit der Strukturen oder Lösungen, Meinungen, ihrer Be-
standteile und deren Charakteristika, den Begriffsarten, den Satzformen, die bestehen
im Sinne einer Beweisersetzung derart, dass dieser nicht selbst aliquomodo bewiesen werden
müsse. Auch die Realität in se direkt oder per Proklamation wird nicht gemeint sein können.
Das aber bedeutet die Modalisierung, die bei Ockham stattfindet. Sie aber kann sich nur auf
Fragmente beziehen, die, soweit die Argumentation (der Beweisgang) für Ockham sich nicht
vereinheitlichen lässt, damit immer selbst begründbar sein müssen: unter Kappung und Aus-
schließung der Implikation als Begründungs- und Verbindungsmodus. Aus der Implikation
wird per Aufhebung (Satz-)Modalität.
30. Eine christliche Theologie, die bloß auf Sein zielte, aber nicht mit den Akten grundlegend
beginnen oder rechnen wollte, wäre logisch in Bezug auf das menschliche Instrumentarium
immer verfehlt. Das Mittelalter hat dies natürlicherweise berücksichtigt, i.e. fühlte sich hier
ursprünglich im Dilemma und hat die Transformation, die bei einer scheinbar souveränen
Begrifflichkeit endete, in Wahrheit nicht störungsfrei und niemals in der Freiheit von allen
Zweifeln erreichen können. Cf. auch Kap. 6 Anm. 56.
20 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
(bleiben) muss, wenn Ockhams Ideen überhaupt signifikant erscheinen sollen;31 die
Konsistenz ist weniger erklärbar. Sie kann so wenig demonstriert werden wie das
Konsistenzprinzip in den Beweisen eine funktionale Bedeutung haben kann. Konsi-
stenz und Wahrheit hören auf Richtgrößen zu sein.32
Ein Letztes ist, dass die Implikation die significatio wiedergibt, ihr entspricht und
nur sie meinen kann. Das bedeutet auch, dass sie keine Funktion zwischen subiec
tum und passio (oder Sätzen) im gleichen Sinn ausdrücke und meine. Damit wird die
Einheit der Implikation,33 die Einhelligkeit der Implikation in allen Verwendungen
ausgesprochen ebenso wie des Konsistenzbegriffs.34 Wir können danach immer Be-
griffe so kombinieren, dass ihre Verwendung als Träger (denkbarer) sinnlicher Da-
ten, also als durch die Erfahrung (notitia intuitiva) erlangt, auch über ihre Verwen-
dung entscheidet, also auch diese einschließt.35 Der Begriff als Zeichen (gedacht) ist
31. Die beiden Erscheinungsbilder der Ockhamschen Erörterungen, die genannt worden sind,
müssen einander decken; sie müssen zusammengeführt werden können. Besser: sie müssen
voneinander Licht erhalten. Es kann nur eine Begründung des einen aus dem anderen geben,
bei welchem dieses die Signifikanz von jenem angeben könne. Das bedeutet dann, dass sie
keine analytische Form haben könne bzw. von einer Formation überfasst werden könne, wel
che sie als analytische meinen könnte, das heißt: eine analytische immerhin noch zuließe. Sie
wird ausgeschlossen. Die Beweisform muss also die analytische negativ meinen können, i.e. die
analytische Beweisform oder Definition der Wahrheit bzw. Geltung im Sinne der Signifikanz
negieren oder leugnen, dass Signifikanz und Analytizität definit zusammenfielen.
32. Da es keine analytische (und) semantische Wahrheit für Sätze und Folgerungen (geben
kann), kann auch das ‘andere’ Bild von den universalia nicht (logisch) begründet werden. Die
Gestalt der Argumentation ist derart, dass die analytisch-semantische Begründung nicht be
gründet werden könne und nicht begründend sei. Es darf keine Argumentation geben, bei wel
cher gleichsam ex negativo nur der Wert analytischer Operationen, deren Voraussetzungslosig
keit oder scheinbare Unentbehrlichkeit in Rede stünde. Und dies vielleicht sogar nur implizit
und verborgen, indem eben Theorien, Konzepte wie die ontologisch-realistischen, wenn auch
nur vielleicht dem Schein nach, analytisch auslegbar wären. Duns Scotus hat diese so in die De
duktion eingeführt.
33. Sie wird als Reflex auf die significatio diese so meinen als sei die significatio ein Umgekehr
tes und die Implikation wieder das Umgekehrte davon. Also das Inverse eines Inversen. Die
Implikation meint so aber die significatio.
34. Dieser widerstreitet also in Sonderheit nicht (dem Begriff) der Definitheit. Das legitimiert
auch die consequentia naturalis.
35. Es ist so erkennbar, dass der Empirismus John Lockes in der Ferne oder Nähe durch
Ockham mitgegeben, durch ihn inauguriert gedacht werden kann. Doch setzt es voraus, dass
man den Folgerungsbegriff selbst tilgt, wie das ja denn auch bei Hume weitgehend geschehen
ist und im Mittelalter durch Nikolaus von Autrecourt geschieht. Die Implikation, die definit
über den naturalen Grund und darin sogar extramental, das heißt: jenseits der Differenz von
Subjekt und Objekt, begründet werden kann, kann nicht sogleich wieder „für“ ein solches Ver
hältnis eingeführt und auch gewissermaßen dagegen in Anschlag gebracht werden, so dass
Einleitung 21
demnach leer, so dass er gegenüber der res extra animam auch in keiner Form von ei
genen sinnlichen Daten in Betracht komme und gedacht werden müsse. Das Zeichen
(der Begriff als terminus) und der conceptus als universale solum in mente haben dies
gemeinsam, dass sie keine sinnlichen Daten als aus der res übertragene und keine
eigenen quasi in der Entsprechung zur res eigens aufbauen, wenn dies denn unter-
schieden werden kann. Die Nähe des Begriffs oder actus zur Naturalität des Men-
schen denkt Ockham freilich;36 er nimmt sie nur nicht als Eigenschaft des conceptus
usw. an und sucht eine Eigenschaft nicht in Bezug des conceptus auf die Naturalität.
Die Implikation aber kann, wenn sie begründet sein soll und zugleich Inbegriff der
Konsistenz nie den Ausdruck der Folgemäßigkeit in irgendeinem begründeten Sinn
abgeben, eben auch nicht in dem der Begriffe und der aus ihnen gebildeten Sätze. Das
führt bei Ockham dazu, dass sein Denkkonzept oder seine diversen partiellen Kon
zepte von Relationen oder Aussagenverhältnissen auf der Vermeidung (gar Ausschlie
ßung) der Implikation als integralem Moment dieser Relationen und Aussagenverhält
nisse beruhen müssen.37
wir, wie Autrecourt es will, einmal kriteriologisch von ihr Gebrauch machen könnten und
sodann kritisch feststellen, dass sie nicht sein könne, dass es mithin diese Relationen, die sie
logisch ausdrücken soll, gar nicht (i.e. definit) geben könne. Die Relation hätte sich dabei als
ein Momentum zu umfassen, in welchem sie noch nicht Relation gewesen wäre. Nach Au-
trecourt soll so die Differenz von intellectus und res extra animam intellektiv im Sinne der
Implikation nie überbrückt werden können. Das ist seine Kritik. Ockham hat in einem Wider
legungsbeweis einen solchen generativen Rückgriff einer Größe auf sich selbst abgelehnt. Dabei
wird der Beweismodus selbst als jeder Art von Größen (individua, universalia, Klassen, species,
genus usw.) gegenüber indifferent erscheinen und also ihnen übergeordnet. Ockham sagt nicht,
dass die Implikation nicht bestehe, nicht begründet sei oder nicht gelte. Doch er begründet
sie weder als Regulativ noch gebraucht er sie als solches Regulativ, als welches Autrecourt sie
voraussetzt. Das Atom, das bei Autrecourt wandelbar die Welt trägt, aber nicht bis in unsere
mentale cognitio gelangt, ist individuum und species. Seinetwegen gibt es nach Autrecourt die
autonome Folgerung nach abstrakten Begriffen und für ontologische Ausdrücke nicht. Das in-
dividuum als res liegt nur für Ockham unterhalb der Abstraktion und der Argumentation, die
an sie anknüpft. Das Allgemeine, genus und species, substantia usw. sind so als bloße Begriffe
gesichert. Ein Verdikt gegen die ontologischen Begriffe ist unbegründet oder sinnlos. Die Wi
derlegung (reprobatio) ist als Möglichkeit dadurch definiert und begründet, dass species und
genus gegenüber der Implikation als dem Identifikat der significatio (und ihrer Teile) angesetzt
werden können. Die scholastischen Begriffe sind so noch in der Realität gegründet und mit der
Abstraktion zulässig. Die Suppositionsarten der Suppositionslogik treten dann nur an die Stelle
von Begriffen wie genus, species usw. Bei ihnen wird unisono die Implikation an sich negiert
(und bestritten); sie werden rein in reprobationes gebraucht.
36. Cf. dazu Kap. 10 Abstraktion und scholastischer Beweiszweck und Kap. 12 dort bes. auch
Anm. 85.
37. Damit hebt er sich von Duns Scotus und Nikolaus von Autrecourt ab. Dessen Thesen wer-
den am Konzept Ockhams falsifiziert werden können.
22 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
38. Ockham hat zu Duns Scotus gefragt, wie die notitia unius conceptus als solche die notitia
alterius conceptus enthalten könne, so dass die eine notitia die des/eines anderen sei, d. h. die
Erkenntnis des einen Begriffs auch die mit dem anderen ‘gegebne’ sei es logisch, sei es prak-
tisch (tatsächlich) enthalte, so dass Enthaltensein auch faktische Gleichheit, Identität, Gleich-
zeitigkeit, Koinzidenz bedeuten könne. Das schließt eine Frage nach der Definitheit bereits ein.
Die Antwort enthält die Negation oder Ausscheidung der Implikation. In der Fragestellung
sind weitere nach den klassischen universalientheoretischen Begriffsauffassungen und ihren
Differenzen, sc. ontologischer Realismus, erkenntnispsychologischer Konzeptualismus und ter
ministischer Nominalismus, bereits eingeschlossen oder neutralisiert. Cf. Kap. 1: Das Verhält
nis der Begriffe bei Ockham.
39. Ockhams Kritiker W. Chatton schlägt solche Differenzierung aus oder kennt sie nicht. Das
ist, wo alles auf (die) Argumentation sich gründet, dasselbe. Chatton als Opponent Ockhams
wird von Adam Wodham als wortreich unkonzis bezeichnet: K. H. Tachau, Vision and Certitu
de in the Age of Ockham, 1988 p. 184 Anm. 14.
40. Der Syllogismus ist eine allgemeine leistungsfähige mathematische Darstellungsform nach
H. Wang, A Survey of Mathematical Logic, 1963, ch. I § 1; Der Syllogismus erscheint bei Wang
als Alternative. Ockham bezieht die Syllogistik, besonders in der Annäherung an die von ihm
so genannte demonstratio potissima selbst schon auf die Mathematik und ihre Beweise, von
denen er sagt Ord. Prol. q. 5 OT I p. 167 lin. 1–5: „Et quia illae obtinent primum locum in
demonstrationibus seu inter demonstrationes, ideo Philosophus multas condiciones freqenter
attribuit demonstrationi quae semper competunt demonstrationibus mathematicis vel semper
vel pro maiori parte.“ Das klingt nicht so entschieden, dass nicht Eigenart und Eigenständigkeit
Einleitung 23
Satz als kontingenter und die kontingenten Erkenntnisse tragender auch suppositi-
onslogisch definiert wurde,41 steht die Suppositionslogik (mit den verschiedenen Sup-
positiosarten) u. a. für die Widerlegung (reprobatio) zur Verfügung. Es kann dann
bewiesen werden, dass Sätze nach intensionalem Verständnis keinen Sinn haben. Sie
sind in dem Sinne nicht definit.
Grundsätzlich gilt, dass die für Ockham in kontingenten Gegenständen (res,
obiecta) vorliegende Realität in se von ihm nicht als solche selbst ausgeschöpft oder
erforscht (auskultiert) wird, sondern dass seine Behandlungsweise vielmehr in der
Abstraktheit, sc.in der abstrakten (reflexiven) Betrachtung und Bewertung der Sätze,
die der menschliche Verstand bildet, terminiert ist; res und realitas extra animam
kommen für den Verstand danach nur noch im Sinne einer weitgehend reduzierten
Folgerbarkeit in Betracht, für die nach Ockhams Verfahren ganz und gar argumen-
tiert werden kann.42
Ich werde im Anschluss Ockhams Entscheidungen, da die Wissenschaftlichkeit
oder auch nur Rationalität der Disziplinen, die das Mittelalter kennt, auch der Theo-
logie, auf die so schon charakterisierten Formen bezogen ist, über das darin enthal-
tene Verhältnis von fides und scientia darstellen und es in seinem Sinn begründen.43
Über die reelle Lösungskompetenz seines Modell wird man streiten müssen.44 Dabei
von Ockhams syllogistischer Beweislehre ein eigenes Thema mit womöglich eigenem Ergebnis
werden dürfte. Cf. hier Kap. 3: Zum Verhältnis der Satzformen.
41. Hierzu s. die Darstellung Kap. 2: Suppositionslogische Identität und Kontingenz.
42. Wenn R. Dedekind, Was sind und was sollen die Zahlen, 1887 (Vorwort) annimt, dass „für
einen großen Teil der Wissenschaft vom Raume die Stetigkeit seiner Gebilde (in Euklids Ele-
menten) gar nicht einmal eine notwendige Voraussetzung ist“, sondern über einem unstetigen
Raum entwickelt werden kann, dann indiziert er Abstraktheit anstelle nicht auszuschöpfender
Konkretheit. Auch Ockham ‘schuf ’ für seine Argumentationen abstrakte Begriffe, die nebst ein
paar ontologischen Grundbegriffen wie substantia, accidens, forma, qualitas, quantitas, habi-
tus, dazu subiectum und passio, das Feld des rational von der Philosophie Behandelten abdeck
en.
43. Kap. 4: Fides et scientia, Kap. 5: Aus dem Inneren Gottes, Kap. 6: Theologie und Logikbe
griff.
44. Alles hängt hier davon ab, ob man von einer gemeinscholastischen, gemeinchristlichen, ge-
meintheologischen Problematik ausgehen will oder kann, zu der Ockham eine Lösung gegeben
habe oder eben nicht. Wenn nicht, so ist zu fragen, wozu Ockhams Philosophie eine oder die
Lösung sei. Zum Modell s. hier einmal Anm. 38 zur notitia conceptuum. Es ist die Erfndung
der Abstraktion, wie Ockham sie gibt und verfolgt, durchführt, an die wir uns halten müssen;
sie überspringt das in se Reale, das als Kontinuum Gefasste. Darin wird man an das in Anm. 42
Gesagte erinnert Noch einmal R. Dedekind, op. cit. (Vorwort): „Die größten und fruchtbars
ten Fortschritte in der Mathematik und anderen Wissenschaften sind vorzugsweise durch die
Schöpfung neuer Begriffe gemacht (sic!), nachdem die häufige Wiederkehr zusammengesetz-
ter Erscheinungen, welche von den alten Begriffe nur mühsam beherrscht werden, dazu ge
drängt hat.“ R. Dedekind bezieht sich u. a. auf seine ‘Entdeckung’, dass in der mathematischen
24 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
drängt sich aber ein anderes Problem auf: für die Verteidigung und Begründung des
christlichen Glaubens besteht eine gewisse Differenz zwischen dem I. und dem II. Ar-
tikel des Confiteor.45 Ockhams Naturphilosophie, die er über seine Entscheidungen
(solutiones und opiniones) darlegt, weicht von seinen theologischen Deutungen nicht
ab, bzw. sie widersprechen sich nicht; sie haben eine gemeinsame Struktur.46
Wir sehen in der Struktur, die Ockhams Modell darstellt oder hat, komprimiert
die Antwort, die Ockham auf alle Fragen bereit hielt, nicht nur auf die universalien-
theoretischen Fragestellungen, die darin mehr oder weniger verschwinden.47 In die-
sen weiteren Betrachtungen48 wird sich zeigen, dass die fortgesetzte induktive Beweis-
führung und ‘Verknüpfung’ (Vernetzung) der einzelnen Entscheidungen Ockhams in
Analysis der Begriff der „Stetigkeit“ aus den Grundkonzepten sich nicht definieren lasse.
Ockhams Entdeckung wäre die Bestimmung der Formalität unter Negation eines Teils der Ele-
mente oder Bestimmungsmerkmale von Operation. Mit T. S. Kuhn, The Structure of Scientific
Revolutions, 1962 dt. 1967 hier die Stiftung eines Paradigmas zu sehen, hieße Ockhams Modell
unterbestimmen, das abstrakt einen expositorischen Charakter hinsichtlich seiner Elemente
(Grundlagen): Begriffsgewinnung, Satzbildung, Implikation, Negation (Übergehen) des Wi-
derspruchsprinzips usw. besitzt. Es hat keine naturwissenschaftliche Problemlösungskraft.
Es müsste der natürlichen Vernunft zugezählt werden, die Kuhn nicht als Verstandslosigkeit
abwertet, obwohl sie vorparadigmatisch bleibt. Im Paradigma ist für Kuhn die Erkenntnis
innerhalb einer wissenschaftlichen Disziplin auf bestimmte Zeit gegeben und befangen. Er
apostrophiert sodann für die Wissenschaft (welchen Umfangs, als Kobination von wieviel Dis-
ziplinen?) eine nicht abreißbare Kette von Induktionen. Die Frage, ob realempirische und psy-
chologisch-mentalistische vergleichbar seien, impliziert einen unbekannten Maßstab.
45. Cf. W. Dilthey, Die Jugendgeschichte Hegels, 1906 GS Bd. IV, p. 9: „Wie kam in den Gott, des-
sen unveränderliches unendliches Wesen in den Naturgesetzen sich manifestierte, die dunk-
le Unruhe des Strafwillens und dann die Umwandlung zur Versöhnung.“ S. dort auch p. 29:
Klopstock, Herder und Hegel seien der Ansicht gewesen, dass die Christianierung die germa-
nische Art verdorben, sie zum Untergang gebracht habe. Auch Nietzsche war dieser Meinung
(Der Antichrist, 1888/1889).
46. Kap. 7: Formbegriff und reale Wahrheit u. Kap. 8: Glaube und Welt. Im Vorhof der Naur
philosophie.
47. Viele Autoren hielten es für ausreichend, erkenntnistheoretische bzw. ontologische Fra-
gen zu Ockham zu stellen, bei denen sich ihnen dann erwies, dass Ockham sie gar nicht oder
unbefriedigend, wenn nicht unzulänglich beantwortete. W. & M. Kneale, The Development of
Logic, 1962 u. 1966 verspotten seinen angeblichen gegen seinen Willen bestehenden Quasi-
Realismus, wo er doch den ontologischen Realismus verneint habe. Andere versuchen einen
‘realistischen Konzeptualismus’ für ihn zu retten oder ihn für diesen; Duns Scotus firmiert als
‘konzeptualistischer Realis’. Die Erklärung zu Ockhams Philosophie wird lauten müssen: Was
in den Begriffen ist, kann auch in der Wirklichkeit sein und umgekehrt; es gibt keinen Grund
(ratio) dagegen, aber es ist nicht vermöge des Widerspruchsprinzips gegeben oder beweisbar.
48. Kap. 9: Ontologie und Induktion Kap. 10: Beweis, Satz, Akt Kap. 11: Abstraktion und
scholastischer Beweiszweck, Kap. 12: Verflechtung und Abgrenzung der Akte.
Einleitung 25
den partikularen Fragen, die in seinen Erörterungen und beim Gebrauch einer Ter-
minologie entstehen, eine bestimmte Form der Lückenlosigkeit besitzen. Sie spielen
sämtlich auf einer Ebene, in der die Begriffe (Begriffsakte) von reflexiven Begriffen,
den notitiae, eben notitia intuitiva und notitia abstractiva, erfaßt und überfasst wer-
den.49 Entscheidungen über ihre Bedeutungen, die sukzessive über die Ermittlungen
hinsichtlich ihrer Reichweite erweitert und abgesteckt werden, geschehen mittels des
Begriffs der ratio, der eine ‘jede’ Reichweite und Verfügbarkeit, auch die der Begrif-
fe als subiectum oder passio eines Satzes, des obiectum extra animam, der res usw.
‘affizieren’ kann.50 Argumentation und Konzeption können am Ende gleichgesetzt
werden. Sie sind niemals äquivalent den Sachen; sie werden absolut im Verstand ge-
wonnen = angenommen. Aber sie können vermöge des mentalen Ausdrucks Sachen
nach ihrer Eigenheit und Begrenzung meinen. Es ist dann noch möglich den bereits
49. Dieselbe Lückenlosigkeit bestimmt für Ockham den Einsatz der Syllogistik in den wis-
senschaftlichen Disziplinen nicht. Die Syllogistik liefert den Disziplinen keine geschlossenen
Deduktionsgesamtheiten, in denen die Syllogismen ihren unverbrüchlich festen Platz besäßen.
Prol. Ord. q. 1 OT I p. 10 lin. 9–14: „Potest etiam eadem veritas esse principium in una scien-
tia et conclusio in alia, et hoc maxime quando aliquid de quo determinatur in aliqua scien
tia continetur sicut inferius sub aliquo de quo determinatur in alia scientia, sicut de ente, de
quo determinat metaphysicus et de Deo, de quo determinat theologus.“ Damit wird aber das
‘determinatur’ ein Element, mit dem eine ununterbrochene Folge (Kette) von Beweisen oder
‘Folgerungen’ nicht auftreten kann. Determinatio als terminus technicus erscheint ohne Bezug
auf eine Implikation oder Implikation des Implikationsbegriffs. Cf. zur Bestätigung ib. p. 11
lin. 6–17. Dass das abstrakte Moment nicht als auch individuelles wirken dürfe, sagt Ockham
ib. p. 13 lin. 22–24: „non est concedendum quod homo est populus vel exercitus, nec domus
est civitas vel villa, ita habitus ille nec est metaphysica nec theologia.“ Aus einem habitus kann
nicht eine ganze scientia als darin impliziert entwickelt werden. Ed. nennt zu dieser Replik
Ockhams keinen scholastischen Adressaten. Er müsste ex uno conceptu seu complexo die gan-
ze scientia schlussfolgernd entwickeln wollen. Duns Scotus käme dafür infrage. Da Ockham
eine geschlossene Ordnung der Prädikate in den syllogistisch verwandten Sätzen nachdrück-
lich ausschließt, gibt es die komplexe Einheit in wesentlich syllogistisch ausgeführten scientiae
nicht. Hier könnte sich die Grenze für Mathematisierungen von Äußerungen oder Teilaspekten
bei Ockham abzeichnen. St. Wolfl, Combinations of Tense and Modality for Predicate Logic,
Journal of Philosophical Logic. Ag. 99. 28 (4), pp. 371–398 bezieht sich auf Ockham als Stich-
wortgeber einer Idee von ‘Sonderwelten’ mit je eigener Zeit. P. Garcia & F. Esteva, On Ockham
Algebras: Concurrence Lattices and Subdirectly Irreducible Algebras, Studia Logica: an Internati
onal Journal for Symb. Logic. S 95. 55(2), 1995 pp. 319–346 fassen die syllogistisch relevante
Algebra (Logik) G. Booles und A. De Morgans unter eine Ockham-Algebra.
50. Damit wird je die Inhaltlichkeit (Intensionalität, Mentalität) der Akte, Begriffe usw. so ge
fasst, dass nur eine Ausschließung, i.e. eine Negation von dem/etwas was als accidentell ihnen
gegenüber gelten muss, nicht mehr ihnen zugehören kann, ausgedrückt wird. Das Akzidentelle
appelliert dabei aber die Beziehung, so dass, da sie negiert wird, durch ratio so etwas wie eine
in sich leere Intensioanlität, der abstrakt oder abstraktiv gemeinte Identitätsfaktor angegeben
oder angesprochen wird. Da alle Negationen formell zusammenfallen (können), bezeichnet
oder bedeutet ratio schließlich einen terminus.
26 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
in der Form des Satzes gegebenen Begriffen und Inhalten eine ratio zuzuschreiben,
die sie interpretiert. Das geschieht häufig in der Theologie.51 Kein abstrakter Begriff
lässt die Zuordnung oder Zuschreibung des realempirischen Gehaltes per Folgerung
zu, so dass danach eine existente mentale Gegebenheit, ein Akt oder Ausdruck fol-
gerbar oder unterstellbar res oder Realität extra animam sein könnte/zu sein hätte.52
51. Diese ratio, als ratio assignata (Ord. d. 30 q. 1 OT IV p. 290 lin. 1–3) bezeichnet, wird nicht aus
‘per experientiam’ Gewusstem und nicht als ‘per se notum’ gewonnen und sie erschließt letztere
auch nicht. Propositio contingens, propositio immediata, propositio per se nota repräsentie
ren die Genese unseres Wissens und unserer Begriffsbildung, aber sie sind unentfaltet. Die
Satzarten selbst können ihre Bestimmungen (nur) durch sie qualifizierende Argumentationen
erhalten, die bezüglich und vermöge der notitiae erfolgen können, wobei die notitiae als ac-
tus hypothetische Größen sind und ursprünglich verschiedene Definitionen erhalten können.
Sie werden intensional weiter erkundet, indem von ihrer ratio aus fortgesetzt die akzidentel-
len Umstände abgeschieden werden. Daneben bedeutet ratio auch Argument (Grund) oder
Verstand. Die allgemeinen ontologischen Begriffe wie essentia, forma, accidens, qualitas etc.
werden von Ockham erkenntnistheoretisch verwandt. Überall muss er mit rationes arbeiten,
denen nicht Sätze entsprechen, die ihrerseits scitum per experientiam oder notum per se sind.
Generell muss er das Verhältnis von Begriffen auf eine(r) „Beziehung“ zwischen ihnen gründen,
die nicht der Implikation entsprechen kann, sondern der Inhibition, Umkehrung, Aufhebung,
Negation solcher Implikation. Die Begriffe in ihrem Verhältnis oder (intensional) äquivalent
einem solchen dürfen sich nicht ‘enthalten’, i.e. logisch oder semantisch implizieren. Damit un-
terscheidet er sich von Zeitengenossen: denn W. Chatton nahm es an. Nikolaus von Autrecourt
forderte es und sah es für unerfüllbar an. Ein einiger Begriff, welcher als empirisch generierbar
angesehen und eben nicht im Sinne des ontologischen Realismus intensional interpretierbar
sein (können) soll, darf in keinem anderen enthalten sein bzw. nicht identisch einen weiteren
und von ihm verschiedenen enthalten. Denn entweder wären so zwei unterschiedene Begriffe in
einem einzigen enthalten oder umgekehrt ein einziger Begriff in zwei sowohl inhaltlich wie fak-
tisch oder extensional zerlegbar. Ockham hat auch so argumentiert. Chatton und Autrecourt
dagegen gingen von einer Gleichheit von intensional und extensional aus. Ockham akzeptierte
sie nicht, sondern schloss sie per argumentum aus.
52. Es scheint, dass gerade Ockhams Schüler Wodham dieses besondere Moment der Deter-
minatheit der Ausdrücke in mente, aus dem je nicht auf die Realität, i.e. eine in se ausgedehnte
und durchlaufbare ‘Gestalt’ gefolgert werden kann (nach Ockhams Argumentationen gefolgert
werden können soll) nicht beachtet. Hier zeigt sich, dass am Ende, wie das Folgern überhaupt
suspendiert werden muss, auch die Universalienproblematik ausgeschieden werden kann. Für
Ockham hing sie von nicht zu gebenden Begründungen ab, was er mit reprobationes (reduc-
tiones ad absurdum) aufwies. Summa: die ‘Lehre’ Ockhams dependiert aus Argumentationen,
i.e. Beweisen mit einem reflexiven (= intensionalen) Charakter. Wir betrachten ihn als pragma-
tisch subjektivistischen. Das eigentlich neuzeitliche Zerfallen in Subjekt- und Objektmoment
respektive Naturmoment findet sich bei dem argumentativen Charakter des Ockhamschen
Denkens nicht. Der Subjektstandpunkt, besser noch der mentalistische Standpunkt, ergibt sich
aus Notwendigkeiten, die die Argumentation reflexiv als ihre eigenen zeigen möchte, wenn
sie zwischen Abstraktion (Beweis, Beweismöglichkeit) und Empirie (weltlicher Genese un
serer Begriffe und Sätze) abwägt und vermittelt. Aber eben auch deutlich trennt. Freilich ist
Einleitung 27
Am Ende kann Ockham auf der Basis der von ihm philosophisch mit Hilfe der ontolo
gischen, hier aber nicht mehr realontologischen Konzepte redigierten Wirklichkeits-
auffassung auch dogmatischen Fragen, z. B. der conceptio immaculata und dem pec-
catum originale, begegnen und sie gleichsam naturalisieren = über die Aussparung
von Einwänden neutralisieren. Er wird ein moderner Denker, soweit er, im Gewande
des mittelalterlichen Begriffsapparates, vor allem die mentale (die mentalistisch be-
stimmte) Verfassung des Geistes sichert.53
Ockhams Besonderheit ist: Argumentation und Meinung fallen hier einmal
gänzlich und ausschließlich und damit auch historisch zusammen, und historisch ist
Ockham mit der Form eines Modells, worin jede Antwort, die er geben konnte, ent-
halten ist.54 Es soll überlegt werden, in welcher Weise Ockham historisch hat wirken
können, gerade dann, wenn zuzugeben ist, dass seine ‘Lösungen’ empirisch in den
Bereich der Scholastik, deren Terminologie er pro forma übernimmt, (ausschließ-
lich) fallen.55 Ausgangspunkt sind auch da ‘Begriff ’ und ‘Satz’ bzw. die typologisch
der ‘Übergang’ in die Realität qua Argumentation verlegt, die eben keinem ‘logischen A priori’,
keiner apriorischen Logik entsprechen kann. Der ‘Schnitt’ beruht hier auf deren Negation.
53. Das wird noch einmal in Kap. 13: Naturgrund und Realerkenntnis und Kap. 14: Wider
spruch und accidens gezeigt werden.
54. Wieweit Ockham historisch für seine Zeitgenossen eine reelle ‘Problemlösung’ schaffen
konnte, die deren Problembewusstsein entsprochen hätte, wird gerade angesichts Ockhams
Modell, dessen Ausdehnung und Reichweite, schwer zu sagen sein. Hätte es einen generellen
Verdacht der Scholastiker gegen das gesamte Mittelalter realisieren oder bei diesem bedingte
(reduktive) Lösungen bieten können und wie, für sie intelligibel, eines im anderen? Anzeichen
dafür treten erst in Ockhams Gefolge auf, wenn man die Averroisten des 12. Jahrhunderts nicht
für Gegner des aristotelisch-scholastischen Systems halten will wie Nikolaus von Autrecourt
es war. Aber dieses ‘Problem’ wäre erst Ockhams Erörterungen der Strukturen zu entnehmen,
in denen es explizit mit Bezug auf die Strukturen auch nicht genannt wird. Derart wäre die
Problemlösung ohne antezedentes Problem erfolgt. Ockhams Modell wird in seinen Finessen
aber von niemandem übernommen. Eine Sonderfrage gilt Ockhams eigenem bewussten oder
unbewusstem ‘Problem’, sei es dass es Motiv gewesen wäre, sei es dass noch ein besonderes
(beinahe undenkbares) Motiv bestanden hätte, das jedem Problem vorausgegangen wäre. Beide
wären wahrscheinlich ununterscheidbar und nicht rational. Die theoretische Ausdrucksform
(Lösung) könnten ihnen wohl nie nachweislich entsprechen. Das Konzept des Historismus,
worin Motiv und ‘Problemformulierung’ äquivalent sind, ist – wenigstens für das Beispiel
Ockham – nicht zu halten.
55. Der Einfluss Ockhams auf Luther, Ockhams diesbezügliche Vorläufer- oder Wegbereiter-
schaft sind angesprochen und behauptet worden. Sie werden von Ockhams Seite nicht inhalt-
lich, von der Luthers nicht strukturell bestätigt werden können. Luther zeigt eine Besonderheit.
Cf. W. Dilthey, 1906 p. 10: „Die lutherische Dogmatik beruht auf der Paulinischen Verbin-
dung des Alten Testaments mit dem Evangelium Christi vermittels der Begriffe der Strafgerech
tigkeit, Opfer und Versöhnung.“ Diese Besonderheit mag auf einer ‘Vermittlung beruhen’, die
durch das Mittelalter hindurch, insofern dieses hier (bloß) durchlässig war, ihn erreicht hat. Es
28 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
erfassbaren Sätze und Begriffe zusammen mit der Kausalität, die sie nach ihren
Umgebungen in Übereinstimmung mit ihren Erscheinungsformen meinen und
besitzen können.56 Ob von ihr eine Ausstrahlung auf die Form der späteren theolo
gischen Aussage bestehen konnte, muss gefragt werden.57 Denn es sind bei ihm immer
wäre hier bloß eigentümlich unaffiziert geblieben. Das kann genetisch den Ausdruck und die
Formationen Ockhams ausgemacht, bewirkt oder beeinflusst haben. S. außerdem P. Vignaux,
Luther commentateur des Sentences, 1935.
56. M. Kaufmann, Begriffe, Sätze, Dinge: Referenz und Wahrheit bei Wilhelm von Ockham,
1994 (cf. H. Junghans, Ockham im Lichte der neueren Forschung. Referenz und Wahrheit bei
Wilhelm von Ockham, 1968 !) diskutiert Ockham nach Detailproblemen – in denen er sich
ihm ausschließlich darstellt – unter beständig unmittelbarem Bezug auf heutige sprachanaly-
tisch vermittelte Wissenschaftstheorie und Philosophie. Die Diskussionen werden konjektural
geführt und bleiben offen; unbestimmte punktuelle Annahmen werden gleichberechtigt wie
Wissensfaktoren geführt. Von da und den beigefügten fragmentarischen Konklusionen, die sie
erhalten, gehen Extrapolationen zur grundsätzlichen Verfasstheit von Ockhams Denken aus, so
dass es deren viele gibt. Sie bleiben auch offen. Zu den solcherart wesenlosen Detailproblemen
gehört der Topos ‘oratio mentalis’; sie wird technisch in Beweisen, Widerlegungen und Induk
tionen herangezogen. Sie kann womöglich fallweise induktiv begründet werden. Ihre häufige
Hervorhebung in der Literatur sieht auch J. Boler, Ockham on Difference in Category, Fr St 56,
1998 pp. 97–113 p. 104 Anm. 27 mit Vorbehalt. M. Lenz, Mentale Sätze. Wilhelm von Ockhams
Thesen zur Sprachlichkeit des Denkens. 2001 macht mit ‘mentale Sätze’ einen Aspekt thematisch,
der in der Parallelität von gesprochener, geschriebener und gedachter Sprache benannt eine
direkte oder leitende Funktion nicht hat. So Lenz selbst p. 148. Auch der Aspekt ‘Semantik’ den
J. Pinborg, 1972 hervorhebt, ist in der modal = intensional = pragmatisch = mentalistisch zu
sehenden Umgebung von Ockhams Operationen künstlich. D. Perler, Semantische und episte
mologische Aspekte in Ockhams Satztheorie, Vivarium XXIX, 2, 1991 pp. 85–103, id. Theorien
der Intentionalität im Mittelalter, 2002 führt sie im Titel. Intentio(n) ist, auf die ältere impositio
folgend, ein gemeinscholastischer Begriff. Ihn für Ockham auf die extramentale Sachmeinung
beziehen heißt von dessen Argumentation zur vorgreiflichen Wertung übergehen. Zur histori-
schen Entwicklung s. C. Knudsen, Intentions and Impositions, 1982, doch cf. vorab: L. Baudry,
Lexique philosophique de Guillaume d’Ockham. Étude des notions fondamentales, 1958, G. Leff,
William of Ockham, The Metamorphosis of scholastic discourse, 1975, pp. 128–131, J. Swiniarski,
A New Presentation of Ockham’s Theory of Supposition, Fr. St 30, 1970 pp. 181–217 und Ockham
Ord. d. 22 q. unica OT IV p. 48 lin. 5 – p. 49 lin. 5 u. SL I c. 11.
57. Eine ihre Funktionen ist ihre Beweisbarkeit. Hier ist Ockham als Verneiner für Luther
wichtig gewesen. Nach M. Lenz, Himmlische Sätze: Die Beweisbarkeit von Glaubenssätzen nach
Wilhelm von Ockham. Bochumer Philos. Jahrb. f. Antike und Mittelalter, 1998, 3 pp. 99–120
ist bei Ockham Beweisabsicht die Darlegung der Beweisbarkeit transzendenter theologischer
Sätze, ob de potentia oder in actu bleibt unerörtert; diese beweisbaren Sätze, die Sätze und ihre
Beweisbarkeit könnten also existieren oder nicht. Es bleibt zu zeigen, ob das der Auffassung
Ockhams, dem was er sagt und der Art (und der Schärfe) seiner Beweisführungen Ord. Prol.
q. 1 (und dem Anschluss von q. 2) entspricht (oder nicht). Lenz arbeitet mit einem unbestimm-
ten Begriff von theologischer Aussage oder Satz. Es fragt sich eher, ob es sie nach Ockham über-
haupt eindeutig geben kann und dies ein sinnvoller terminus in Bezug auf seine Darlegungen
Einleitung 29
a parte mentis humanae besser intellectus humani zu denkende Aussagen. Für letzte
ren werden sie im Sinn der Intellektivität (Erkenntnisförmigkeit), nicht der Beweis-
barkeit bestimmt konstruiert. Der kontingente Satz steht im Mittelpunkt; er ist zah-
lenmäßig häufiger als der der natürlichen Theologie angehörige eventuell beweisbare
Satz. Die als kontingent klassifizierten Glaubenssätze können nur geglaubt werden.
Daneben werden viele theologische Sätze von Ockham als kontingente strukturiert,
doch dabei der Empiriewertigkeit nachhaltig entzogen, und dies in erstaunlichem
Ausmaß.58 Es ist da eine Frage, ob Luther direkt von Ockhams technischem Verfah
ren geprägt werden konnte.59 Die hermeneutische Aneignung von Philosophie, auch
und Erörterungen ist. Im Text geht es um folgendes: wo für den viator keine Erkenntnis der
divina essentia und des von ihr Dependenten Theologischen, wie es den ordo salutis betrifft,
angenommen werden kann, die bloß in der visio beatifica (inclusive der genannten weiteren
theologischen Aussagen) gegeben sind, kann der beatus, der diese evidente (intuitive) Erkennt-
nis von Gott etc. haben kann, per divinam potentiam absolutam auch die notitia abstractiva
des viator von demselben Satz, der hier ein Glaubenssatz ist (und fides gilt ganz naturalistisch
und untheologisch allem, was man nicht weiß) haben oder auf sie schließen und sie beweisen.
Gott schafft ihm neben der Erkenntnis von sich ‘Gott’, die quasi in der res simultan als Er-
kenntnismittel besteht, noch die weitere abstraktiv in einem anderen Medium. Also kann Gott
uns die notitia abstractiva von solchen Sätzen geben. Denn sie existiert (de potentia divinam
absolutam) als der Erkenntnis des Menschen (und des Seligen) kompatibel zu denkende Er-
kenntnis. Das ist die These. Sie enthält eine induktiv begründete Abstraktion. So Ockhams Ge-
dankengang. Die Struktur dieser Sätze lässt Ockham weg. Es ist daher sinnlos, sie grosso modo
als Parallelität himmlischer und irdischer Sätze insgeheim (implizit) zu unterstellen. Ockham
lässt offen, welche dogmatischen Wahrheiten über Gott hinaus der beatus erkenne.
58. Überhaupt operiert Ockham induktiv immer gegen diese Empiriewertigkeit. Hier gilt zu-
nächst, dass wir die a parte rei bestimmte wirkliche (im Vorlauf klare) Erkenntnis der res extra
animam gar nicht haben (Ord. Prol. q. 1 OT I p. 68 lin. 1–21): „Intellectus autem noster pro statu
isto nihil cognoscit intuitive clare et perfecte, et ideo non potest discernere illud a quolibet alio.
Et propter hoc non potest discernere inter actum rectum et reflexum, et sic de aliis, quamvis
possit (sic!) discernere ab aliquibus aliis.“ Aber Ockham induziert direkt aus der Ungewissheit
der notitia intuitiva auf die ‘Existenz’ der notitia abstractiva (ib. p. 36 lin. 17 – p. 37 lin. 3): „nulla
res est, saltem in istis inferioribus, nec alia ratio sibi propria (i.e. eine Bestimmung, die solcher
res formell zugewiesen würde) sub qua potest res intuitive cognosci quin illa cognita ab intel-
lectu possit intellectus dubitare utrum sit vel non sit, et per consequens possit (sic!) cognosci
abstractive.“ Auch hier also wird auf die Existenz der notitia abstractiva wieder besonders in-
duziert (s. o. Anm. 58). „Igitur omne idem et sub eadem ratione quod est obiectum intuitivae
notitiae potest esse obiectum abstractivae. Et manifestum est quod quidquid reale potest cog
nosci abstractive, potest etiam cognosci intuitive.“ Denn die notitia abstractiva folgt ‘mit’ der
notitia intuitiva.
59. Hierzu s. K. Bannach, Relationen: Ihre Theorie in der spätmittelalterlichen Theologie und bei
Luther, Freiburger Zeitschr. f. Philos. und Theol. 47(1–2) 2000, pp. 101–126. Dabei ist a parte
Ockham wichtig, dass die Relationen, die für die sacra theologia und divina essentia gleich-
sam aus dem empirischen Bereich (i.e. aus unserer Erfahrung) übernommen werden, wie es
30 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Ockham prinzipiell für (s)eine Theologie der menschlichen Verständlichkeit postuliert, em-
pirische „Erdenreste“ abgestreift werden können. Sie würden zu Ungereimtheiten (‘Kontra
diktionen’, fehlgeleiteter Kausation u. ä.) führen. Auf der Ebene Gottes kann dann u. a. mit
dem Begriff ‘forma’ operiert werden. Aber es hapert mit der ‘Beweisbarkeit’. Darin ward der
Erdenrest nicht abgetan.
60. Inaugurator einer besonderen Auffassung von Hermeneutik war H. G. Gadamer, 1960. In
ihr wirkt Heideggers Lebensphilosophie mit ihrer reduktiven Anthropologie (im Vorrang gegen
das Wissenschaftsideal) weiter. Hermeneutisch versuchen ‘wir’ Bewusstsein selbst unmittelbar
‘Bewusstsein’ berühren zu lassen. Wir schweben über den geschichtlichen Phänomenen und
möchten doch glauben sie zu berühren. Es erinnert an die Praktiken in antiken, spätantiken,
vielleicht schon archaischen Mysterienkulten. Dass sie mit christlichen (schon jüdischen) Auf
fassungen vergleichbar seien, haben A. Schweitzer, Die Mystik des Apostels Paulus, 1930 und
D. Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, 1951 p. 226f (Brief vom 27.6.1944) bestritten: „Die
christliche Auferstehungshoffnung unterscheidet sich von der mythologischen darin, dass sie
den Menschen in ganz neuer und gegenüber dem Alten Testament noch verschärfter Weise an
sein Leben auf der Erde verweist … Darin bleiben Neues und Altes Testament verbunden. Erlö
sungsmythen entstehen aus den menschlichen Grenzerfahrungen.“ Doch wird das Geschehen
um ‘Christus’, den ‘Erlöser’, wie Bonhoeffer es beschreibt, allegorisch verstanden: Es wird ‘über
nommen’. Ihm wird ‘nachgelebt’. Damit werden wir aber in das Bewusstsein verwiesen und in
ihm, wie es neuzeitlich zu sein hat, begrenzt bzw. gefangen gehalten. Dabei muss das Bewusst
sein alles was es ergreift (ergreifen will) als Gestalt außerhalb seiner selbst sehen und derart es
immerfort setzen, um es, damit es ‘bestehe’, in sich hineinzuholen, wenn denn das geht. Her
meneutik à la Gadamer wurde offenbar möglich und ‘legitim’, weil da ein Abstand empfunden
wurde. Die besonderen Phänomene (Gegenstände) des Geistes ‘in se’, die Bewusstsein sind,
müssen für den Epigonen in solches überführt werden. Er erwirbt darüber eine Lebensform
und wird Adept. Er bedarf da nicht der Methode, sondern der Haltung. Nur ist es gerade der
eigene besondere Gegenstand, den die Hermeneutik sich über im Grunde freie und mit wie im
mer anthropologischen Anleihen, also mit dem was sie als ‘menschengemäß’ setzt, nochmals
konstituiert. Dabei werden ihr Universalia aus allen Gegenstands- und Erfahrungsbereichen
unentbehrlich, die den Gegenstand eben jeweils verstellen. Die Hermeneutik, die Gadamer
initiierte, hält sich über Allgemeinheitsverständnisse in Gang und ist darum auf universalia
aus. Das ist disparat zur genuin spezifischen Verstehensintention. Dilthey, den Gadamer mit
der Verengung auf eine Alternative von immediater menschlicher Wahrheit und äußerlicher
szientischer Methode verstellte, um sich von ihm spiegelfechterisch abzusetzen, verfügte über
ein Wissen, worin semantisch seiner argumentativen Darstellung ‘vorgearbeitet’ war, um mit
der tendenziell ‘engsten’ Verknüpfung von antecedens und consequens an jedem Punkt der ar
gumentativen Darstellung erst und sogleich den weitesten Aspekt zu eröffnen. Darin tritt die
Absicht induktiven Fortschreitens zutage, gegen das Gadamer Sturm lief. Cf. W. Dilthey, 1906.
Einleitung 31
61. Das bleibt in vielen Arbeiten offen: D. Perler, Analytische Zugänge zu Ockham, Philos.
Rundschau, XL, 2 1995 (Rez. u. a. zu M. Kaufmann, 1994). ‘Analytisch’ hier ist ein Verlegen-
heitswort wie ‘semantisch’. Deren Gebrauch setzt voraus, dass Ockham eine Wissenschaft
betrieb, die man schon kenne, anerkenne und nun analysieren will. Man würde sie damit
trotz womöglich äußeren Abbildungsansatzes ‘aus sich’ klären und besser ‘verstehen’ wollen.
Ockham müsste als Analytiker und im eigenen Medium Entdecker weiterhin unabhängig sein
dürfen. Cf. noch D. Brown, Analyticity: An Ockhamist Approach, 1997. Näherungsweise analy
tische Sätze betrachtet Ockham mit Vorbehalt: sie sind bedingt empirieunabhängig und nicht
ganz beweiseffizient.
62. Hier ist die Konkurrenz der exakten Wissenschaften zunächst nur eine bedingte. St.
C. Kleene, Introduction to Metamathematics, 1952 pp. 59–65 bezeichnete formale Systeme und
metasprachliche Beweistheorien als der Interpretation durch nichtformale oder semiformale
Theorien bedürftig, sollen sie überhaupt als mathematische Systeme gelten können. Diese ‘Ver-
dopplung’ betrifft auch metaphysische oder (vermeintlich) andere Grundvoraussetzungen for
maler Systeme, z. B. Wahrheit, Apriorität usw. und lässt sie zwischen ‘formal’ und ‘nichtformal’
stehen. Wahrheit und Apriorität leiten Ockham nicht. Wenn die Rationalität, die Ockham in
seinen Operationen vorträgt und bezüglich dieser Operationen begründet, propagiert und sy-
stematisiert, religiöse Wahrheiten oder Dogmen tilgt, beim ordo salutis etwa oder hinsichtlich
des mythischen Grundes der Religion, z. B. bei peccatum originale und Sündenbegriff in gene-
re, bleibt die Frage nach seinem Motiv notwendig unbeantwortet.
63. Bei Ockham wären das in jedem Fall auch christlich-theologische, damit in einem weite-
ren Sinn religiöse, die wir potentiell als psychologische ansehen könnten. Sie müssten dann
in einer objektiven Technik behandelt werden (behandelt worden sein), während wir für die
Themen selbst vielleicht einen höchstens subjektiven, einen vielleicht sogar (es sei trotz des
‘hölzernen Eisens’ gesagt) irrationalen Sinn annehmen müssten. Ihm stünde die objektive
Technik als absolute gegenüber; sie hätte das Irrationale wegzulassen bzw. zu exterminieren.
Ockhams Identifikation des wie immer religiösen oder auch psychologischen bzw. ethnolo
gisch-psychologischen Problems, z. B. des peccatum originale und des peccatum mit dem
accidens, das selbst den Widerspruch verkörpert, eliminiert dieses Problem gleichsam a limi
ne technisch und löscht seine innersubjektiv psychologische Fixierung. Dabei fragt sich, ob
Ockham auf einen Wahrheitsbegriff überhaupt noch bezogen werden kann. Wahrheit müsste
im gegebenen Fall des peccatum in Anbetracht der innerpsychischen Identifizierung des ‘Pro
blems’ und seiner Beziehung auf das accidens und erst recht nach der darauf negativ gegebenen
Antwort ausgeschlossen sein; die semantische Auslegung wird desavouiert, für eine formale
entfällt sie. M. Kaufmann, Ockham und Davidson über die Wahrheit, in: G. Meggle/U. Wessels
(eds.), Analyomen 1, 1994, pp. 453–463 bezeichnet da keine absolute Fragestellung. Es fragt
sich, ob es außerhalb der theologischen Fragestellungen einen objektiven Wahrheitsmaßstab
in realempirischen ‘physikalischen’ Daten oder auch nur ‘Problemen’ geben könne. Er wird mit
ganz der gleichen Technik von Ockham ausgeschlossen. In der jüngeren Forschung gibt es oft
32 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
einmal davon absieht, dass die ‘Forschung’ zu Ockham jederzeit punktuelle, parti-
elle und tangentielle Vergleiche zu moderner Wissenschaftstheorie und gar Theorie
bildung einführen und anstellen kann, würde es schon denkbar sein, Ockham selbst
einmal gegen ‘vergleichbare’ Thesen und Erörterungen zu isolieren und seinen Wert
davon abhängig zu machen, dass hier Befunde möglich wären, die danach (erst) den
Vergleich zuließen, bzw. legitimierten. Dabei muss auch nicht ein dann für affin oder
konträr gehaltenes Comparatum den absoluten Maßstab abgeben.64 Die exakten
Wissenschaften, die dieses Problem der Absolutheit, der Vollkommenheit (technisch
oder ideell) bereits für ihre Systeme sich stellen, sei es innerhalb fortlaufender Arbeit,
sei es bei geschichtlichem Rückblick, haben uns nicht affirmativ beschieden.65 Es wird
aber bei Ockhams Rationalität, wie bei allen Wissenschaften und deren rationaler
Formation, den wissenschaftlichen oder philosophischen Sprach- und Ausdrucksana
lysen, eine Frage sein, wie sie sich zur Ethik verhalte.66
Erörterungen, die wie sie eingeleitet werden, ihres Ertrags nicht sicher sein können; es sei denn
man sähe ihn in den fast stets dubitativen Erwägungen selbst. Zur analogen Behandlung von
Religion und ‘Physik’ cf. auch Kap. 7: Formbegriff und reale Wahrheit, Kap. 8: Glaube und
Welt. Im Vorhof der Naturphilosophie.
64. Ockhams Operationen selbst können, wenn sie systematisiert und vereinheitlicht wurden,
nicht durch den innerscholastischen Vergleich ihren absoluten oder idealen Charakter gewin
nen oder verlieren, wie wenn sich so eine Klärung über den absoluten oder bedingt absoluten
Wert von Argumenten, Beweisgängen usw. gewinnen ließe. Ockhams Argumentationsart wird
passim in dessen nach Ord. d. 4–8 darzustellenden Refutationen der Erklärungen, die Thomas
von Aquin und Duns Scotus den grundlegenden christlichen Glaubenssätzen, die essentia di-
vina und den darin anzutreffenden Beziehungen der göttlichen personae, gewidmet haben,
in Bezug auf ihren scholastischen Kern und die Referenz zur Ontologie deutlich werden. In
manchen Arbeiten wird der scholastische, methodologische, philosophische oder einfach ra-
tionale oder intellektuelle Vorteil oft nicht bei Ockham, sondern bei anderen Scholastikern
gesehen: z. B. E. Karger, William of Ockham, Walter Chatton and Adam Wodeham on the Ob-
jects of Knowledge and Belief, in Vivarium 33,2, 1995 pp. 171–196. Mit demselben scholastischen
Personal M. Lenz in der Arbeit Anm. 58. F. Amerini, What is Real? A Reply to Ockham’s Ontolo
gical Program, in Vivarium 43,1, 2005 pp. 187–212 spricht von einem „reduced realism“ (p. 210),
E. Karger, Mental Sentences According to Burleigh and to the Early Ockham, in Vivarium 34,2,
1996, pp. 187–212 sieht Burleighs ‘natura communis’ und Ockhams universale als ‘fictum’ als
verwandt an und letzteres für die ‘Konzeption’ oder Idee von mental sentence stehen.
65. T. S. Kuhn, 1962 dt. 1967 verneint die Möglichkeit. H. Wang, Skolem and Gödel, Nordic
Journal of Philosophical Logic Vol. 1, No. 2, 1933 pp. 119–132 rekurriert auf „begründete“ Par
tikularlösungen.
66. D. Perler, Emotions and Cognitions. Fourteenth-Century Discussions on the Passions of
the Soul, in: Vivarium XL,2 2005 pp. 250–274 will den mittelalterlichen Menschen direkt und
insgesamt und bezieht sich exemplarisch auf Ockham und Wodham; er referiert für ersteren
gewiss nichts, was dieser technisch unabhängig von seinen Argumentationen vortrüge, also
gerade nicht als unvorgreifliche Anthropologie. Ob mittelalterlich obligate oder individuelle
Einleitung 33
Meinungen in seine Beweisdiskurse eingehen, ist zu fragen und ob, gäbe es sie, die Beweis
form, davon affiziert, letztlich definit oder absolut bestünde. G. J. Etzkorn, Ockham’s View
of the Human Passions in the Light of his Philosophical Anthropology, in: W. Vossenkuhl u.
R. Schönberger (eds.), Die Gegenwart Ockhams, 1990 pp. 265–287 zielt hypothetisch auch auf
Ockhams Wesensart und Neigungen. Im Übrigen handelt er von den beiden Sphären des sen-
sus und des intellectus. Wo Ockham die Argumentation kennzeichnet, ist der Verstand betrof-
fen. An Etzkorn knüpft an V. Hirvonen, Passions in William Ockham’s Psychology, 2004. Von
einer tiefen Verflochtenheit von Ockhams Intellektualität und Gesinnung ging seinerzeit aus
J. Miethke, Ockhams Weg zur Sozialphilosophie, 1969.
kapitel 1
Denkt man über das Verhältnis der Begriffe im Satz oder in Sätzen nach, sei es um
diese zu klassifizieren, sei es um Erkenntnisarten (deren Legitimation) zu beschrei-
ben, so kommt man nicht umhin, dieses Verhältnis der Begriffe in ‘Parallelität’ zum
Satz zu setzen, ja es als dessen Struktur autonom zu machen oder doch wenigstens
partiell so zu verstehen: man macht was man in die Struktur verlegt förmlich zum
Inhalt des speziellen Satzes. Es ist dann für diesen Satz zu beweisen oder abzulehnen,
was der Satz und mit ihm das Denken, wenn es denn darin stattfinden soll, sein und
vorstellen können soll. Ockham jedenfalls hat einem solchen Prinzip gehorcht und in
Johannes Duns Scotus ein Vorbild oder einen Vorgänger gehabt, der indes, unbewusst
oder programmatisch, Erkenntnis weidlich als deduktive verstand und hier in der
Form des analytischen Satzes ausprägte, bei dem der Subjektterm, gleichsam das Prä
dikat ‘enthält’ und beide inhaltlich quasi übereinstimmen oder voneinander abhängig
sind: das eine wie das andere gewissermaßen in Übereinstimmung miteinander.
Ockham hat dazu unter anderem wie folgt negativ, i.e. bestreitend, Stellung bezo-
gen: „… cum dicitur quod subiectum primum continet propositiones immediatas,
quia subiectum earum continet praedicatum, dico, sicut probatum est prius, quod nec
subiectum continet primo praedicatum nec notitia subiecti continet primo notitiam
praedicati, secundum quod ipse exponit ‘primo continere’, quia ad ista habenda re-
quiruntur distinctae rationes cognoscendi, secundum istum Doctorem.“ Gemeint ist
. Cf. G. Patzig, Bemerkungen über den Begriff der Form, Archiv für Philosophie, 9/1–2, Stutt
gart 1959. pp. 93–111. Patzig (p. 94) zitiert Kant „von dem der Satz stammt, das Formale in
unserer Erkenntnis sei das hauptsächlichste Geschäft der Philosophie.“ Doch soll Ockham in
dieser Arbeit von keinen anderen Philosophen her angegangen werden, weder von Kant noch
von Aristoteles oder Thomas von Aquin oder Duns Scotus her. Auch nicht von irgendwie oder
sogenannt allgemeinen Fragestellungen der mittelalterlichen Philosophie her.
. E. Gilson, La philosophie au moyen âge, De Scot Érigène à G. Occam, Paris 1925 p. 228 sagt,
Duns Scotus halte am syllogistischen Beweis fest. Im Traktat „De primo principio“ (ed. et comm.
W. Kluxen, 1974) steht die aussagenlogische Beweisart jedoch im Vordergrund. Im Gesamtver-
folg seines Beweisvorhabens nimmt Duns Scotus schon geführte Beweise je auf (integriert sie
also) und verknüpft sie so miteinander. Ob dabei das Scotische Beweisvorhaben wirklich ganz
einheitlich sein könne, muss diskutiert werden.
. Ord. Prol. q. 9 OT I 1 p. 262 lin. 5–16.
. Zur Natur der propositio immediata s. Kap. 3: Zum Verhältnis der Satzformen.
36 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Duns Scotus. „Similiter, aliquando praedicatum est perfectius quam subiectum, sicut
declaratum est, ideo etc.“ Ein praedicatum, z. B. beatificabilis kann ‘nobilior’ sein als
das subiectum, z. B. homo in dem Satz ‘homo est beatificabilis.’ Das Prädikat kann
damit auch nicht aus dem Subjekt deduziert werden. Auch der potentiell empirische
Sachverhalt ist ebenfalls nicht, im Sinne des Begriffsgebrauchs, also förmlich empi
risch, deduzierbar. „Dico etiam, sicut declaratum est, quod non semper termini con-
tinent virtualiter notitiam principii immediati, quia declaratum est prius quod aliqua
principia immediata non cognoscuntur ex terminis cognitis.“ Diese principia sind
also nicht die sogenannten propositiones per se notae, bei denen mit der Kenntnis der
termini auch der Satz selbst einsehbar und eben sein Sachverhalt verstanden werden
kann. Anders wäre der Begriff in seinem vollen Sinn gleichsam ‘ausgedehnt’ im Sinn
des Sachverhalts Basis der Induktion, die quasi auf den Satz nach Form und Inhalt
zu führen hätte. Der Sachverhalt fällt so bei Ockham nicht mit dem Satz zusammen,
wenngleich der Satz als obiectum scientiae seu cognitionis zu denken ist. Der Satz
muss, wenn er keine Folgerung (Folge) in sich zulässt oder enthält, für den Sach-
verhalt stehen, indem er eben diese Folgerung oder Folge nicht enthält. Das ist die
Grundlage der Urteile Ockhams über kontingente Sätze, die empirische Bedeutun-
gen haben und solche, die per Abstraktion über diese Stufe hinausreichen, z. B. die
theologischen, selbst wenn viele dieser Sätze formell als kontingente erscheinen: ‘Fili-
us est incarnatus’ etc. Hier werden sie suppositionslogisch – im Sinne der Abschnei-
dung und Bestreitung von Folgerungen erscheinen, welche, weil sie implizit einer
Abstraktion über die Empirie (Kontingenz) hinaus entsprechen, einen allgemeinen
Gehalt über die Natur Christi im Sinn der Inhärenz beinhalten könnten.
Da Ockham für die Satztypen, die er behandelt und für die er seine Aussagen
macht, beweisend operiert, müssen seine Beweisgründe (rationes) für den Zusam-
menhang sowohl wie seinen Gegenstand, i.e. die Sätze, die nach ihrer Art bewertet
werden sollen, synthetische Qualität haben. Die Klassifikation bedarf also des Be-
weises und dieser muss somit effektiv oder quod est idem definit hinsichtlich seiner
Termini sein, das bedeutet: er muss realiter oder näherungsweise induktiv und dar-
in ausschließend sein; es kann nicht neben ihm eine andere und darin kompatible
Meinung geben. Dies macht der Text auch deutlich.10 Der Subjektbegriff eines Satzes
kann virtualiter den Prädikatsbegriff enthalten, denn dieser kann ja zu jenem treten;
damit ist aber eine Zwangsläufigkeit des Hervortretens und Hinzutretens der passio
zum subiectum – noch – nicht gegeben. Die Beweisart Ockhams muss die Induktion
sein: denn er muss den Inhalt im Verhältnis zu einem anderen Inhalt, Begriff oder
‘Gegenstand’ anschließen, ohne diesen aus jenem aufzuschließen.11 „Subiectum conti-
nere virtualiter notitiam passionis non est aliud quam subiectum continere virtualiter
passionem. Sed subiectum potest continere virtualiter passionem, quamvis non possit
causare notitiam passionis. Ergo etc.“12
Ockham macht deutlich, dass die empirische Wahrnehmung nicht gleich (gleich-
wertig) der abstrakten ist:13 „Tertio, dico quod etiam non semper notitia distincta
subiecti et notitia distincta passionis immediate continent virtualiter notitiam illius
propositionis immediatae. Quia, secundum istum Doctorem14 ista est immediata: ca-
lor est calefactivus. Nec est quaerenda alia causa quare calor est calefactivus nisi quia
calor est calor. Et tamen potest cognosci subiectum distincte et similiter passio distinc
te et non ista propositio: calor est calefactivus. Ergo etc.“ Das Ganze wird gleichsam
in doppelter Ausführung gegeben. Denn es folgt dort:15 „Assumptum patet: quia si
aliquis videret calorem intuitive per intellectum et cognosceret quod sol calefaceret
ista inferiora, si numquam cognosceret per experientiam quod calor produceret calo
rem, quia nullum calefactibile esset sibi approximatum, talis non plus cognosceret
evidenter quod calor est calefactivus quam quod albedo est productiva albedinis. Et
ita notitia distincta subiecti et passionis non sufficiunt ad notitiam talis propositionis
immediatae.“16
12. Die Stelle findet sich Ord. Prol. q. 9 OT I p. 244 lin. 16–20. Ein völlig induktiver Beweis
ib. p. 244, lin. 22 – p. 245, lin. 2: „Secundo dico quod subiectum non continet semper virtua-
liter passionem, quia frequenter passiones sunt quidam conceptus respectivi, secundum ali-
quos (Joannes de Reading, zuvor zit. p. 131, lin. 2–19.) vel connotativi, secundum alios, (Ed. ib.
Anm. 1: Ut ipse Ockham, supra p. 139, lin. 5–12; cf. Etiam Petrus Aureoli, Scriptum, I, I, d. 88,
Sect. 23, nn. 189–195 – ed. E. Buytaert, II, 1025–1129.) et important aliqua quae non continentur
virtualiter in subiecto; et ita nec illi conceptus continetur virtualiter in subiecto.“
13. Ord. Prol. q. 9 OT I 1 p. 245, lin. 4–10.
14. Duns Scotus, Quaestiones in Metaph. Aristot., I, q. 4, n. 18 – ed. Wadding, IV, 534.
15. Ord. Prol. q. 9 OT I 1 p. 245, lin. 11–18.
16. Mit dem abstrahierten Begriff kann nicht die Idee von Kausalität als realer in Bezug auf das
was das Satzprädikat nennt oder konnotiert, was also mit ihm zusammen auftreten kann, ver-
bunden werden. Es wird so auch keine Kausalität als in re geschöpfte ausgedrückt. Aber vermö-
ge zusätzlicher empirischer Erfahrungen, die mithin als hinzutretende immerhin möglich(e)
sind, kann Kausalität unterstellt, zugestanden werden. Das gilt für jeden abstrahierten Begriff,
für calor wie für die hier vergleichend genannte albedo. Die Vorstellung, sie bewirke Kausa
lität oder wirke kausal, kann nur als absurd betrachtet werden. An diesen Fall wird also die
Tatsache, dass auch die calor es nicht könne (bzw. die diesbezügliche oder die negierte Tat-
sachenbehauptung) herangebracht. Beide (calor und albedo) sind natürlich Relationsbegriffe
und die Absurdität ist ein Komplement der Kontingenz. Denn wir können für sie oder ihre
Gegenstände nichts ausdrücken, was als abstractum ihnen konkret gleich wäre. Das ist die
Bedingung der Abstraktion bei Ockham. Es erklärt Widerlegungen und consequentiae falsae,
fallaciae etc. Die Absurdität, die Nikolaus von Autrecourt den scholastischen Sätzen, mit der
Meinung, sie dadurch diskreditieren zu können, unterstellt oder nachweisen möchte, ist also in
Wahrheit diesen nach ihrer Genesis bereits einbeschrieben und nahe: sie ‘entspricht’ ihnen be-
reits in ihrer rudimentären suppositionslogischen Charakterisierung mit Hilfe des Begriffes als
Kapitel 1. Das Verhältnis der Begriffe bei Ockham 39
Die notitia-Ebene bezeichnet nun diejenige, in welcher die Begriffe gemäß ihrer
Zusammenfügung (compositio, complexio) gewertet werden können. Wenn Einsich-
ten (Erkenntnisse) deklariert werden können sollen, welche mit ihrem Wert genea-
logisch und seiner Dependenz aus der notitia intuitiva festgelegte empirische oder
natürliche Erkenntnis übersteigen können sollen, entweder ‘inhaltlich’ (thematisch
im Sinn ihres Gegenstands, z. B. Gott) oder in dem Sinne pragmatisch, dass sie einen
natürlichen Status des Menschen nicht mehr entsprächen, etwa nach der visio beati-
fica, dann beziehen sie sich auf die Ausgangs- oder Grundlage der Erkenntnis in der
Empirie (notitia intuitiva) bloß noch so, dass sie, wenn die Begriffe unter sich eine
grundlegende Differenz enthalten und begründen, ihrerseits inhaltlich in ihrem Ver
hältnis zueinander durch Induktion begründet werden können.17
Dass aus einem Begriff nicht auf einen anderen gefolgert werden könne, ist bei
Ockham stehende Ansicht, etwa wie folgt ausgesprochen:18 „dico quod non est de ra-
tione subiecti continere virtualiter passiones, sicut declaratum est.“ Ebenso sind auch
nicht die conclusiones der Syllogismen, die mit dem Aristotelischen Ausdruck ‘scien-
tia’ (ἐπιστήμη) heißen, Teil und ‘Folge’ des subiectum secundum suam rationem. Für
Ockham schließt die virtuelle Kenntnis eines Prädikats aus dem Subjekt nicht dessen
wirkliche ein. Dieses gehört folglich auch nicht zur ratio subiecti. Sollte das Subjekt
terminus, i.e. wenn wir sie als den res gleich oder nahestehend denken. Die Absurdität steht am
Ende bei der der Schlussfolgerung, die für Ockham ja bei den contingentia nicht kategorisch
ausgeschlossen ist, d. h. für den kontingenten Satz in diesem Sinn nicht ausgeschlossen werden
muss; sie steht beim consequens überhaupt. Denn das consequens ist nicht ohne weiteres oder
gut folgerbar. Das zeigt schon die Konstruktion der demonstratio potissima durch Ockham:
sie ist die am ehesten und meisten intellektive intensionale Gestalt des syllogistisch verfassten
Beweisens.
17. Die Argumentation geht vom Status einer Diminution aus, die sie mit einer Behauptung
ausgleicht und induktiv optimiert. Es wird eine förmliche (verborgene) Abschwächung, an
deren Stelle man eine unangreifbare Position gesehen haben mag, die aber nicht auskultiert
war, durch eine Optimierung ersetzt und ausgeglichen. Indem diese zugleich ein Ideal aufstellt,
gleicht sie eine Erkenntnis nach ihrem Mittel ab; sie setzt dieses als definit und behauptet sie
auch nach ihrem bloßen Charakter des Mittels. Mit diesem gewinnt sie ihren Vorteil. Sie ver
mag also etwas auf den Mittelcharakter, dessen Wert ergebend, zu reduzieren. Eine solche Statu
ierung des Mittels, den Begriff, den Satz oder neutraler, den actus apprehensivus betreffend,
bietet Ockham. Den Nominalismus bezeichnet dann nicht die Singularität der Erkenntnisda-
ten in sich (wie U. Eco glaubt). Dort liegt die Minderung (Abschwächung). Auch die notitia
intuitiva bei Ockham bezeichnet bereits die im Sinn des Realbezugs nicht vollkommene Adap-
tation, ist also Reduktion. Darüber erhebt sich kompensierend die notitia abstractiva, während
die notitia intuitiva als Minderung das Minimum kriterienartig angibt, das nicht unterschritten
werden darf; sie vertritt die Inkonsistenz. Wo die notitia intuitiva nicht unterstellt werden kann,
wurden die menschlich empirischen Begriffe nicht signifikant verwendet, jene, die an der von
Gott geschaffenen Welt zu gewinnen waren.
18. Cf. Ord. Prol. q. 9 OT I 1 p. 246 lin. 5ff (Ib. lin. 4: Quid est de ratione primi subiecti?).
40 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
das Prädikat oder mehr noch die conclusio seu scientia de facto und real einschließen
können, weil es virtuell zugestanden wird, dann müsste das Virtuelle das ja wohl in
Einheit mit dem Widerspruchssatz tun, formell also nach dessen Geltung real sein
und reales Enthaltensein bedeuten, das wir an der Realität messen könnten. Wir hät
ten niemals das Reale (oder reale Enthaltensein). Wir reflektieren aber gar nicht auf
das – formelle – Enthaltensein der Begriffe ineinander und stützen uns auch nicht
darauf:19 „Nec est de ratione subiecti quod eius notitia principaliter intendatur in
scientia, quia principaliter intenditur notitia totius propositionis. Similiter, aliquan-
do subiectum aeque perfecte praecognoscitur, sicut luna non perfectius cognoscitur
quia scitur quod eclipsatur, sed aliquid aliud cognoscitur de ea quod prius non co
gnoscebatur.“20 Ockham muss, wenn unmittelbares Enthaltensein der Begriffe (oder
auch Sätze) ineinander von ihm nicht angenommen wird, für deren Charakter wie
Bestimmung „Relationen“ ansetzen, die alsdann, weil sie Bezüge (im Prinzip Inhalte,
Effekte, deren Belang usw.) nicht auf gleicher Ebene bedeuten können, von diesen
Bezügen in einer gewissen Weise getrennt werden müssen. Diese werden gemeint,
indem sie nicht aus ihnen (als Relationen) entwickelt werden können.21 Die Art der
Verknüpfung zwischen den verschiedenen Ebenen, also Relationen und die ‘Gegen-
stände’, Elemente, singularia, items usw. auf die sie verweisen, könnte die Induktion
sein. Dazu müssen aber die Folgeinhalte der unteren Stufe in der Art präpariert er-
scheinen, dass die Induktion darauf sich als Abstraktion erheben kann: sie müssen
eine Negation, eine Beschneidung, eine Diminution etc. enthalten. In diesem Sinn
hätten sie als wahr zu gelten.22
In der Induktion wird die Extrapolation auf die Major vorgenommen. Es muss
für sie aber auch unterstellt werden, dass die Sätze des Syllogismus, die zur Extrapo-
lation der Major führen, auf Begriffen fußen, die hinsichtlich ihres Inhaltes unwandel
bar sind und einen bzw. ihren Gegenstand treffen (können). Sie ‘betreffen’ ihn damit
gänzlich und vollständig. Ist das nicht der Fall, so ändert sich die opinio, die über den
Wert und notwendigen Charakter einer das Verhältnis der Begriffe in einem Satz an-
zunehmenden opinio zu lauten hat. Das gibt den Gegenstand von Ockhams Disputen
und Widerlegungen bezüglich der opiniones anderer Scholastiker ab, eben auch des
Duns Scotus. Es muss sich natürlich dabei um Sätze eines reflexiven Gehalts (oder
Inhalts) handeln, die wiederum Sätze einer unteren Kategorie von praktisch empiri-
schem Gehalt oder Inhalt betreffen und sie kategorisieren oder klassifizieren, freilich
in der Form des Prinzips und eben per Beweis zu verteidigen oder anzugreifen. Es
muss allerdings auch bedeuten, dass dann die Begriffe der Sätze der unteren Ordnung
nach ihrer Art zumindest, wenn nicht reell nach ihrem direkten Inhalt, irgendein Ver-
hältnis besitzen, nämlich dasjenige, das in dem Satz höherer Ordnung für sie reflexiv
ausgesagt wird. Das bedeutet, dass nominalistisch kein Widerspruch zwischen den
Stufen respektive den ihnen zugehörigen Sätzen und Satzarten sein darf.23 Induktive
Schlüsse sind jedoch unabhängig von dem realiter faktisch gesetzten Inhalt.24 Es geht
subiecto seu substantia u. ä., so wäre man unmittelbar auf einer Stufe der Begriffe und Sätze
und ihres Verhältnisses, bei der was über sie in einem unechten Sinne formal gesagt würde,
auch empirisch in se wahr wäre. Das lehnt Ockham ab.
23. Dabei gibt es indes eine Strukturgleichheit zwischen den beiden Sätzen. Die Satztypen
sind prinzipiell gleich. (Ockham muss schon von der Gleichwertigkeit aller Sätze (Satztypen)
ausgehen, weil die Begriffe selbst in sich über ihren Zeichencharakter hinaus, in welchem sie
Definitheit haben sollen, keinen Sinn haben können.) Die Aussagen der oberen Stufe sind struk
turell gleich mit denen der unteren, die sie intendieren, sei es direkt, etwa wenn Begriffe wie
causa z. B. verwandt werden, sei es so, dass sie reflexiv Begriffe für das gebrauchen, was die
Begriffe der unteren Stufe zu sein haben, etwa connotativa, subiectum, passio etc. Der Begriff
subiectum bezeichnet damit nur eine mentale Erscheinung, einen actus mentalis o. ä. Er meint
abstractive nichts anderes, er meint es abstractive. Die Differenz tritt dabei nur so auf, dass
die unteren Sätze als instantiae der in den oberen getroffenen Verallgemeinerungen auftreten
(können). Dann ist eine Widerlegung der Maxime getroffen worden. Das ist nun oft der Fall.
Damit ist das Verhältnis der Begriffe (auch der unteren Stufe) negativ im Sinne der Exklusion
einer Verallgemeinerung, die nicht gelten soll, gegeben, respektive auch im Sinne eines ausge
schlossenen Schlusses – eines Schlusses auf die Empirie. Bzw. eines Schlusses auf die Gege
benheit der empirischen Wahrheit. Wie solche Wahrheit nicht angenommen werden kann, ist
am Ende das ‘Schließen’ überhaupt in der Äquivalenz mit der Wahrheit unbegründbar. Das
begrenzt auch den Wert von Ontologie. Cf. auch Anm. 44.
24. Cf. Ord. Prol. q. 9 OT I p. 246 lin. 12–18. „Similiter, nobilior est scientia qua scio quod ani-
ma intellectiva est beatificabilis, supposito quod hoc sciretur evidenter, quam illa qua scio quod
anima intellectiva est peccabilis, posito etiam quod haec esset scita scientia proprie dicta.“ D. h.
in einer conclusio, die einen unbedingten Charakter als scientia hat, mithin de facto abgeleitet
werden kann, ohne noch in etwa(s) empirisch gestützt oder auch nur empirisch denkbar zu
42 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
allein darum, dass im Verhältnis der Teile eine Negation derart vorhanden (enthalten)
ist, dass sie intensional den Wert des einen Teils (subiectum) begrenzt oder beschnei-
det. Ihn also mindert. Damit tritt man an die Stelle der materiellen Implikation.25 In
genau dieser Weise ‘folgt’ nichts aus dem subiectum als dem einen Begriff oder dem
was wir an seine Stelle setzen: ratio.26
Mit der an sich negativen Feststellung, dass das Subjekt „virtualiter“ seine passio
enthalten könne, ist nicht auf der nächsthöheren abstrakten Stufe auch eine weitere
schon gegeben:27 „Non est de ratione subiecti continere virtualiter passiones“, was aber
eben nicht bedeutet, dass nicht das „subiectum contineat virtualiter passionem“.28 Das
sein. Für den weitgehend fiktiven Fall hat Ockham hypothetisch „scientia proprie dicta“ an
genommen: den Fall des am meisten beweisenden Syllogismus. Hier kann es sich nicht mehr
um rein empirische Sätze handeln. Aber auch da ist die empirische Geltung nicht ausgeschlos
sen; sie ist nur nicht notwendig eingeschlossen. Sie ist in dem Sinne nicht eingeschlossen, wie
die notitia abstractiva, d. i. der actus apprehensivus, in welchem der Satz (oder der Syllogismus)
vollzogen wird, seinerseits von der empirischen Wahrnehmung (notitia intuitiva), in welcher
die Begriffe gewonnen und verifiziert werden, unabhängig ist. S. Kap. 3.
25. Da hier überall Exklusionen gewirkt werden, muss eine analytische Qualität im Denken
Ockhams angenommen werden (sie ist nicht ausgeschlossen). Indes eine mit synthetischem
Effekt. Cf. auch Thesenzusammenfassung am Ende des Kapitels und ebd. Anm. 115: wir haben
eine an einen Schnitt gebundene Exklusion.
26. Dass die Identifikation der ratio subiecti mit dem subiectum zu Fehlschlüssen führe (es
werden darin aber keine extensionalen Elemente übernommen, die per accidens zukämen und
erst zu fallaciae führen), oder, wie C. Knudsen, Walter Chattons Kritik an Ockhams Wissen-
schaftslehre, 1976, meint, ‘Wissen’ vertue, das der Auffassung des Satzes oder der Begründung
der durch den Satz zu leistenden oder gegeben ‘Erkenntnis’ entspreche, kann schlussbezogen
nicht behauptet und unterhalten werden. Indem ein Begriff, in Sonderheit einer, der selbst ‘Be-
griffliches’ meint, wie subiectum, durch eine Bestimmung, z. B. ratio oder notitia, redupliziert
werden kann, sind Induktionen möglich, die de facto einen unbedingten Ausschlusscharakter
haben, wie P. Vignaux, Nominalisme au XIVe siècle, 1958 zu notitia intuitiva und notitia ab-
stractiva feststellte. Es geht bei allen ‘Operationen’ Ockhams darum, dass der oder ein Ein-
wand nicht möglich ist; er wird so ausgeschlossen, das entspricht der mit der Abstraktion zu
(gewähr)leistenden Eindeutigkeit. Fehlte es an dieser, so wären andere Auffassungen ‘möglich’
(für Ockham nicht wirklich); Ockham sucht die zu widerlegen (reprobare) und abzuweisen
(refutare). Man steigt vom Begriff zur opinio über Sätze auf. Die sind nicht als solche in sich
gedachte Sätze. Die pseudo-möglichen falschen Auffassungen entlarvt Ockham argumentativ
als pseudo-empirisch. Cf. auch Anm. 36.
27. Ib. p. 246 lin. 5–12.
28. Wir verallgemeinern nicht von einer unteren Stufe im Sinne von deren ‘Negation’ hier ‘vir
tualiter’ (als Modus notwendig modo diviso verwandt, da wie der Satz mit ihm zusammen
empirisch wahr) derart, dass wir ‘virtualiter’ auf der höheren Stufe übernehmen könnten, wo
‘virtualiter’ modo composito verwandt weder induktiv noch analytisch sein kann oder muss.
Die notitiae enthalten sich nicht, wie induktiv über Beispielen klar ist.
Kapitel 1. Das Verhältnis der Begriffe bei Ockham 43
Subjekt bestimmt intensional auch nicht die ‘scientia’:29 „Nec etiam quod ab ipso de-
terminetur et specificetur scientia, quia subiectum potest esse simpliciter idem re et
ratione et tamen scientiae esse distinctae propter distinctionem passionum.“ Ebenso:
„Nec est de ratione subiecti quod a subiecto scientia habeat suam dignitatem, quia
subiecto exsistente eodem, propter maiorem nobilitatem unius passionis quam alte-
rius potest una scientia esse nobilior30 quam alia.“31 Wir müssten, wenn wir mit dem
Modus ‘virtualiter’ gleichbleibend von der einen Stufe auf die andere gehen wollten,
eine fallacia ausführen: wir haben was potentiell essentiell gelten müsste, faktisch als
accidens (relational) gesetzt.32 Das accidens übersteigt hier die essentia.33 Wir haben
also mit Ockhams Vorgehen nicht zwangsläufig die Stufen verwischt und vermischt.34
Der Modus, der modo diviso in einem Satz auftritt, kann dessen Wahrheit in se nicht
besagen, so wie es für diesen keine Wahrheit per essentiam und in der Entsprechung
zu essentia gibt. So sind ja die kontingenten Sätze bei Ockham ausgelegt und verstan-
den worden. Der Modus modo diviso verstanden ist wie der kontingente Satz nach
dem Suppositionspräskript wahr, indem die s und P deiktisch (demonstrando idem pro
quo extrema supponunt) dasselbe obiectum meinen. Virtualiter hat nun in sich einen
negativen Akzent. Wir wissen nicht, was ‘continere virtualiter’ heißen kann, können
29. Scientia = syllogistica conclusio. Ein Satz (!) Er trägt als actus apprehensivus das Wissen.
30. Der Ausdruck ‘nobilitas’, ‘nobilior’ hat eine relationale Komponente, welche die beweisfähi
ge (induktive) Wahrheit in der Empirie übersteigt und daher nicht innerhalb dieser ausgewie
sen werden muss. Er ist rein appellativ. Der Beweis damit persuasiv. Die Theologie als (Wissen
und Wissenschaft) ist nie empirisch, immer nobilior! Das ‘nobilior’ gilt immer, gleichgültig ob
die Ordnung der scientiae faktisch wäre, etwa ob es hier eine Stufung geben könne oder nicht.
Der Begriff ‘nobilior’ muss nicht ausgewiesen werden. Wir können es nicht! Damit ist er in ei-
nem gewissen Sinn analytisch definiert worden! (Wir müssen ihn ja auch nicht ex empiricis re-
bus schöpfen oder erzeugen, definieren, synthetisch präsentieren und gewährleisten können).
31. Cf. Ord. Prol. q. 9 OT I 1 p. 236 lin. 17–19.
32. Wir hätten dann entgegen der Abstraktion eine größere Reichweite gesetzt. Es ist nicht un
wahrscheinlich, dass Duns Scotus in dieser Weise seine ‘Abstraktionen’, Konzepte und Komple
xe stiftet. Sie sind dann ebenso ontologisch wie diffus erkenntnistheoretisch statuiert worden.
33. Mit der forma accidentis nimmt Ockham einen solchen Fall an. Cf. Ord. d. 17 q. 5 OT III
p. 491 lin. 11ff.
34. Wir kommen daher auch nicht notwendig zu Paradoxien (Aporien). Die vermeidet
Ockham mit seinem Nominalismus und zwar schon hinsichtlich der Fragestellung. Bei Wod
ham kommen wir ihnen (in einem Falle) nahe. Wir haben in Aporien, Antinomien, Paradoxien
keine besonders tiefe Einsicht. H. Blumenberg, 1966 machte sie nach dem Widerspiel von la
tenter Irritation und scheinbar offenem Irrsinn zum Schlüssel der philosophischen Gegenstän
de und begriff Philosophie und Geistesgeschichte als Bekundung von Vexation, da besonders
Ockhams Nominalismus. Dieselbe Stellung der Aporie bei Th. W. Adorno, Zur Metakritik der
Erkenntnistheorie. Studien über Husserl und die phänomenologischen Antinomien. 1956, id
Negative Dialektik, 1966.
44 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
35. Anders: die materielle Implikation muss nicht mehr (die) Analytizität oder deren Wahrheit
bedingen oder besagen können. Ockham kennt natürlich weiterhin die bona et valida conse-
quentia.
36. Für die Sätze a se kommen beide ‘modi’ infrage. Cf. hier Ockhams Exerzitien bezüglich der
Syllogismen in der SL. Anders wären denn auch Sätze und Begriffe nicht definit. Die mentalia
sind da aber nicht realia. Cf. Anm. 26 o.
Kapitel 1. Das Verhältnis der Begriffe bei Ockham 45
in sich negative Signifikanz und Empirie und setzt ihr die davon absehende abstrakte
Deutung entgegen, die aber dann gar keine Grundlage mehr hat. Das Postulat be-
ruht auf der Ausrede. Das argumentum ad hoc ist von der Verallgemeinerung nicht
geschieden. Die Synthesis der Begriffe und Ansichten ist damit, wie Kant das nann-
te, ‘erschlichen’. Bei den Intermittenzen werden Ontologie und die ad hoc beweisthe
oretische Klärung ineinander geschoben (vermengt). In der Scotischen Beweispraxis
herrscht zugleich inhaltlich die extensionale Intention vor, wenn er seinen „Gottesbe
weis“ in „De primo principii“ unternimmt und mit der Wahl geeigneter Begriffe, die
er im Fortgang der Deduktion in einer Ausgestaltung des Bereichs der Prädikate dann
fortführt, hinreichend grundgelegt zu haben meint.37
Aristoteles hat man dafür gerühmt, dass er die Theorie der Syllogismen, also
die Syllogistik, in Richtung auf die Aussagenlogik überschreite, jene durch diese er
weitere.38 In den Analytiken würden die Charaktere der Syllogismen aussagenlogisch
‘bewiesen’. Ockham (SL) scheidet ungültige Syllogismen durch Evidenz aus. Die logi-
sche Verbindung wird dann bestritten, nicht selbst behandelt. In Ordinationis Prologus
geht es darum, dass ein Prototyp des Syllogismus, der sich nur inhaltlich auszeichnen
lässt und somit unterscheidet, die sogenannte demonstratio potissima, gegen ande
re, für weniger beweiskräftig gehaltene Syllogismen desselben grundlegenden Typs
herausgearbeitet wird. Dabei ist das Verfahren dies, dass erst einmal (drei) Bestim
mungen, die die demonstratio potissima charakterisieren sollen, gegeben werden, wo
raufhin die Sätze und Begriffsarten hinsichtlich der Erfüllung dieser Bestimmungen
und zwar in ihrer Gesamtheit verglichen werden.39 Der Syllogismus, der demonstratio
potissima heißen soll, wird so behandelt, dass er als unabhängig von der realen Erfül-
lung und der empirischen Wahrnehmung erscheinen soll oder kann, was bedeutet,
dass er aus anderen Syllogismen nicht durch Steigerung oder Abänderung abgeleitet
werden kann.40 Unbedingt kann der Charakter einer Syllogismusart rein analytisch
37. Ockham erörtert reflexiv die Beweismöglichkeiten bezüglich rein intensional verstande
ner Begriffe; sie werden so gesehen, wie sie dem Verstand angehören sollen. Daneben will
Ockham inhaltlich die einzelnen Beweise mit ihrem sachlichen Gehalt dann nicht notwendig
einer einzigen Disziplin zurechnen, sondern wie sie, secundum syllogismum eben, vereinzelte
sind, über die Disziplinen hinweg multipel verwendbar sehen. Cf. A. Zimmermann, Metaphy-
sik oder Ontologie, 1965. Ockham verneint, dass ein Beweis, der in einem ‘Gefüge’ stehe, nur
dort und damit in einer bestimmten Wissenschaft allein seinen Platz habe. Damit kann er auch,
wenn er das, etwa induktiv, beweisen kann, nochmals quasi a fortiori (induktiv!) folgern (po-
stulieren), dass wir uns was die scientia streng und strikt angehe, nur mit scientiae = conclusio-
nes im Syllogismus beschäftigen können.
38. Z. B. J. Lukasiewicz, „The Logic of Aristotle“, Oxford 11951.
39. Cf. Kap. 3: Zum Verhältnis der Satzformen.
40. Dabei findet auch nicht einmal eine eigentliche Widerlegung statt. Nach Ph. Boehner, Me-
dieval Logic. 1952 p. 82f leitet Ockham Syllogismusarten qua consequentiae auseinander ab.
Ord. Prol OT I nimmt er in der Tendenz den Weg über die notitiae (intuitiva und abstractiva
46 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
damit gar nicht getroffen worden sein. Aristoteles selbst hatte dabei ja eigentlich eine
Trennung zwischen direktem und indirektem Beweis gemacht41 und jenen für stärker,
für eigentlich konstruktiv, d.h. die Sache secundum quid gebend gehalten.42 In der
im Vergleich) und kann keine analytischen Funktionen, Definitionen und Operationen gel-
tend machen. Der rein intensionale Charakter der demonstratio potissima als solcher kann mit
seinem Unterschied zu anderen, bloß extensional auslegbaren oder wenigstens nicht explizit
nicht bloß extensional auslegbaren Satz- und Schlussformen (hier Syllogismen) nicht dargetan
werden, nicht für Ockham im Kontext und wahrscheinlich überhaupt nicht. Es sei denn man
wollte Paradoxien in Kauf nehmen.
41. Zum indirekten Beweis s. zunächst Aristoteles, Analyt. Poster. I, 26. 87 a 6. und Analyt. Pr. I
23. 41 a 23 (nach der Übers. von E. Rolfes): „Immer, wenn man etwas durch die Unmöglichkeit
erhärtet, schließt man zwar auf Falsches, weist aber damit das, was ursprünglich zur Erörterung
steht, aus der Voraussetzung nach, wenn bei Annahme seines kontradiktorischen Gegenteils
etwas Unmögliches folgt.“ Der direkte Beweis hat jedoch Vorrang s. z. B.: Analyt. Poster. I, 25.
86 b 33. Indes muss auch oder gerade unter der Voraussetzung, dass der direkte Beweis das ti
esti beweise, gefragt werden, ob dann der – konstruktive – Beweis, der ja zeigt, dass die Sache
de facto ist und diese darin aufweist (herstellt), nicht bereits notwendig anderen als den bloß
logischen Charakter habe. Bezüglich Ockhams ‘Konstruktion’ der demonstratio potissima, die
ebenfalls an die definitio quid rei angeschlossen ist, lässt sich zeigen, dass sie von Ockham nicht
logisch abgeleitet wird (cf. Kap. 3) In der Bewertung der Sätze weicht Ockham ohnehin von
Aristoteles ab, auch hinsichtlich der Prämissen im Syllogismus (I. Figur). Ockham anerkennt
Aristoteles als Leitformat und übernimmt doch nicht dessen qualitative Beweishaltungen. Er
suszipiert ihn über die Abstraktion. Er korrigiert oder adaptiert aristotelische Lehren (Maxi
men), indem er sie auf Kontingenz und den kontingenten Satz bezieht, wo Aristoteles die Not-
wendigkeit unterstellt oder postuliert. Er ist mehr als Duns Scotus die Quelle der Lösungen und
Entscheidungen Ockhams. Philosophen finden Lehren, indem sie schon existierende Antwor
ten als Fragen wiederholen. Cf. C. J. Burckhardt, Richelieu Bd. 3, 1966 p. 139, dass Kants „trans
zendentale Dialektik in der Kritik der reinen Vernunft in einem ganz bestimmten Sinn noch das
Programm des (sic!) pars specialis der Metaphysik des Suarez wiedergibt.“ Suárez’ Distinktion
zwischen metaphysica generalis und metaphysica specialis tritt schon im 14 Jahrhundert auf:
A. Zimmermann, Allgemeine Metaphysik und Teilmetaphysik nach einem anonymen Kommen-
tar zur aristotelischen Ersten Philosophie aus dem 14. Jahrhundert. Arch. f. Gesch. d. Philos. Bd.
48 H. 2, 1966 pp. 190–206. Danach (p. 191) leitet seinen Anonymus nicht „der Wissenschafts
begriff Ockhams.“ Zu diesem Wissenschaftsbegriff s. A. Zimmermann, 1965. Nach E. A. Moo
dy, The Logic of William of Ockham, 1935 folgt Ockham Aristoteles getreulich und hebt ihn
keineswegs auf. Ein methodologisches Bewertungsproblem.
42. Man sieht in intensionaler oder mentalistischer Form oder Auslegung ein konstruktives
Verfahren bei Ockham. Wenngleich es über Definitionen vonstatten geht. Die Präferenz für
die definitio secundum quid tritt dann auch bei Ockham in der Auszeichnung der demonstra
tio potissima noch einmal auf. Sie findet sich formell auch bei Hobbes oder Leibniz. Nur wird
bei ihnen der Ausgriff auf die Realität extra animam für konstitutiv gehalten und eben für
zwingend mitgegeben und eingelöst ausgegeben. Es ist der Gedanke der Einlösung, der bei
Ockham fehlt. Er würde seine Argumentationsschemata sprengen und prinzipiell widerlegt
Kapitel 1. Das Verhältnis der Begriffe bei Ockham 47
Aussagenlogik sind die Formeln, die den indirekten Beweis (reductio ad absurdum)
tragen, Teil des einen Kanons, in dem die Ableitung möglich ist.43
Man könnte überdies, die aristotelische Differenzierung und Stufung von di-
rektem und indirektem Beweis beibehaltend, sagen, dass der indirekte Beweis, in-
dem er eine Nichtzugehörigkeit und Nichtidentität ermittelt und feststellt, ein aus
der substantia ausgeschiedenes Akzidenz, gewissermaßen vermöge des Beweisens a
posteriori, für die Zone der essentia und ihre Eigenschaften durch den Beweis selbst
aufgibt. Das könnte wieder als intensionales Moment auch des normalen indirekten
Beweises oder reductio ad absurdum verstanden werden.44 Für Ockham gilt: Das Ak-
zidenz steht der Wahrnehmung und Kenntnis formell näher; es enthält die mit der
Wahrnehmung des subiectum nicht gegebenen ‘Eigenschaften’, die wir in Sätzen von
ihm aussagen:45 „Passiones importantes accidentia sunt notiores ipsis subiectis, et fere
universaliter actus et operationes ex quibus sumuntur passiones sunt notiores quam
subiecta. Similiter, forma quae importatur per passionem materiae est perfectior ipsa
materia. Et ex hoc sequitur quod non est de ratione subiecti quod sit primum movens,
nec quod sit prima ratio movendi intellectum ad omnem notitiam ad quam inclinat
talis habitus.“46
werden können. Beides ist äquivalent und begründet Ockhams einheitlich mentalistische, auf
die Abstraktion und die Intensionalität ausgerichtete und in ihr begrenzte Methode.
43. Hier siehe den Streit zwischen logischen Formalisten (Frege, Whitehead-Russell, Hilbert)
und konstruktivistischen Intuitionisten (Brouwer), in welchem letztere das tertium non datur
nicht anwenden wollen. P. Lorenzen will ihn durch die operative Begründung von Kalkülen
entschärfen. Cf. K. Ebbinghaus, Ein formales Modell der Syllogistik des Aristoteles, 1964.
44. Aristoteles arbeitet gegen die antike Atomlehre mit ‘ontologisch abgefassten’ Widerle
gungen. Ontologie wird so nicht begründet werden können. Darf sie vorausgesetzt werden?
Laut H. G. Gadamer, Antike Atomtheorie, Z. f. d. ges. Naturwissenschaft 1, 1935, pp. 81–95 hat
Aristoteles vermöge seiner besser begründeten Ontologie eine zeitweilige (sic!) Überlegenheit
über Demokrit besessen. Das heißt der Ontologie zusätzlich eine praktische Bedeutung zuspre
chen, was Äquivokation und petitio principii bedeutet. E. Schrödinger, Nature and the Greeks,
1954, dt. 1955 p. 151 betont Demokrits fundamentale erkenntnistheoretische Problemlösung
und hebt zudem auf den begrenzten und letztlich zweifelhaften Beweiswert bei antiken und
modernen naturphilosophischen und physikalischen Ansichten oder Erkenntnissen, ja Na
turgesetzen ab. Wahrheit bilde das Interesse wissenschaftlicher Bemühung, die doch, wie die
philosophischen Lehren, oft, gar meist, in Aporien münde.
45. Ord. Prol. q. 9 OT I 1 p. 246 lin. 23 – p. 247 lin. 5.
46. Hiermit wird auch der Bereich der empirischen Erkenntnisse (auch in der Naturphiloso-
phie) umschrieben. Gegen ihn wird der Begriff der forma in dem Sinne postiert, wie darin die
per se empirische Erkenntnis (auch im Sinn der Fragmentierung (augmentatio) von qualita-
tes (accidentia), die präzise nicht möglich ist, sich übersteigen lässt. Mit der forma wird eine
abstractio bezeichnet, in der die spezifisch beinahe ungreifbare akzidentelle Wandelbarkeit der
Erscheinungen auf der höheren Stufe nicht mehr Gegenstand ist. Die „Nahtstelle“ zwischen
substantia und accidens sei nicht erkennbar, sagt schon Duns Scotus, wie Ockham belegt (ib.
48 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Nun muss die Ebene der Empirie und damit auch der Begriffsbildung, die durch
die notitia intuitiva erfolgte, in Richtung auf die höhere Stufe der Abstraktion über-
stiegen werden und damit gelangt man auch notwendig zu notitia und ratio, die die
Charaktere der Satzarten und die in diesen liegenden und inhärenten Erkenntnisse
betreffen:47 „dico quod in fine discursus statur ad unum complexum quod fit notum
per discursum et prius erat ignotum, cuius tamen omnes termini prius erant noti
notitia incomplexa. Unde cum discursus sit praecise inter complexa et nullo modo
adquiritur inter incomplexa, per discursum nullo modo adquiritur notitia incom
plexa cuiuscumque termini, quia quaelibet talis praesupponitur ad finem discursus.
Nec etiam notitia apprehensiva complexi adquiritur, quia illa potest praehaberi; sed
praecise per discursum adquiritur notitia iudicativa. Verbi gratia qui vult discurrere
a creaturis ad Deum – secundum eorum (sc. Scotus und Skotisten) modum loquen-
di – praesupponit notitiam incomplexam et Dei et creaturae, puta: quid significatur
per utrumque terminum.“ Dass die notitia incomplexa potest praehaberi bedeutet
nicht, dass sie besessen werden muss. Das heißt: dass die Induktion des Begriffs aus
der Erfahrung in Ansehung äußerer Gegenstände erfolgte. So ist die eingeschränk-
te allgemeine Formulierung möglich, die durch das Beispiel kreditiert wird. Es wird
bloß eine Fundierung des actus apprehensivus, wie er hier als complexum, das heißt:
satzförmig bzw. auf Sätze sich stützend, gesucht; sie geht nicht aus der notitia incom
plexa, das heißt: der Wahrnehmung und Kenntnis der Begriffe (incomplexa) hervor.
„Potest etiam quaelibet complexio formari ante discursum, et ita omnis notitia in-
complexa et etiam omnis actus apprehensivus potest praecedere, et non adquiritur.“
Nämlich nicht durch den discursus, das heißt: den wissenschaftlichen Beweisvollzug
(discursus scientificus). „Sed adquiritur notitia qua assentitur huic complexo ‘Deus est
ens infinitum’, vel ‘aliquid est ens summum’, vel alicui tali.“48
Die fides, die mit den hier vielfach zitierten Sätzen zu tun hat, ist eine opinio.
Eine Meinung also. Sie ist in dem Sinn ein Dafürhalten:49 „Ista opinio est fides, et non
est opinio secundum quod distinguitur contra fidem.“ Der Inbegriff des (höchsten)
p. 236 lin. 11–14): „Praeterea, ista accidentia, secundum istum, distincte cognoscuntur a nobis
pro statu isto, et tamen dependentia sui ad substantiam non potest cognosci in particulari, sicut
nec substantia ipsa a qua dependet, secundum istum Doctorem“ (Stelle bei Scotus: Quaestiones
in Metaph. Aristot. VII, q. 3 (ed. Wadding, IV, 677s)).
47. Ord. Prol. q. 7 OT I p. 202 lin. 15 – p. 203 lin. 8.
48. Die Beispiele, die Ockham unter der Hand gibt, müssen nicht strictissime als Beispiele
für dasjenige genommen werden, was stringent erst auf der Höhe des Ideals, dieses unbedingt
erfüllend, gelten kann (könnte). Evtl. lassen sich solche Beispiele überhaupt schwer, nur in sel
tener Anzahl oder potentiell bzw. de facto gar nicht geben. Sie müssen der Oberlinie des Idea
len nicht so entsprechend, dass sie dessen Sinn dem Begriff nach völlig erfüllten und wiedergä
ben; gleichwohl ist die Induktion als Ausschluss einer unvorgängigen allgemeinen Annahme
möglich.
49. Ord. Prol. q. 7 OT I p. 206 lin. 21–22.
Kapitel 1. Das Verhältnis der Begriffe bei Ockham 49
menschlichen Erkennens ist nicht die fides.50 Die fides bezeichnet kein Wissen und
entspricht dem menschengerechten Wissen und Erkennen nicht, wie Ockham eben-
da ganz deutlich sagt:51 sie zeugt nicht für die Wahrheit. Es gibt so auch keine Dignität
des Theologen qua Wissen. Wohl weiß der Theologe in der Gesamtbetrachtung der
theologischen Materie(n) mehr als der Laie, der dennoch im Einzelfall, bezüglich ge-
wisser credibilia, mehr wissen mag.52 Die fides begründet auch hier keinen (und gar
einen höheren) Wissensbegriff;53 der Theologe und der Laie beziehen sich auf die cre
dibilia mit einem habitus iudicativus. Es gilt:54 „rationes aliquando generant ipsam (fi
dem).“ Es handelt sich aber nur um die fides adquisita, und die „rationes sunt rationes
probabiles adductae pro credibilibus“. Hier mag Ockham fides durch opinio, credere
durch opinari wiedergeben, wobei er den Aristotelischen Satz „Quidam enim credunt
nihil minus quibus opinantur, quam alteri quibus sciunt“ (Nikomachische Ethik, VII,
c. 5) in diesem, sc. seinem Sinne strafft: „aliqui ita firmiter quandocumque opininatur
sicut alii qui sciunt.“55 Damit steht das Wissen nicht ganz auf der höchsten Stufe.56 Es
bringt per se da, wo es den Gegenstand in den credibilia hat, noch keinen Vorteil;57
erst wo es ihnen entgegensteht. Zuletzt geht es Ockham um Begrenzung falscher Aus
legung qua Argumentation.58
Die evidente Kenntnisnahme von actus apprehensivi oder actus mentales kann
diese bloß in se betreffen und so, dass deren Auslegung und ihre Bestätigung, bzw. die
Bekräftigung einer Ansicht sie betreffend einzig induktiv erfolgen kann. Sie kann nie-
mals aus inhaltlichen Begriffen deduktiv erfolgen. Wir gehen auf die Empirie zu erst
vermöge der Induktion; wir vertreten nicht von vornherein skeptizistische Sätze des
Nichtdafürhaltens oder Zweifels. Die notitia subiecti als die notitia passionis (omnium
passionum) einschließend würde zugleich bedeuten, dass die notitia praemissarum
die notitia conclusionis einschlösse. Ockham führt also keinen ‘Widerlegungsbeweis’,
in welchem gezeigt würde, dass dies (wenn einmal angenommen, dann doch) nicht
sein könnte. Ockham muss auch in genau solch einem Sinn nicht auf die Vorstellung
oder Mutmaßung eingehen, dass das subiectum – als Begriff – die passio als Begriff
in irgendeinem Sinne kausal enthalten könnte:62 „Et quando dicitur quod subiectum
est causa efficiens suae passionis, hoc ostendetur postea esse falsum.“ Auch in diesem
Sinn muss er nur empirisch und induktiv dagegenhalten. Denn die veränderliche pas
sio kann im Sinne des kontingenten Vorkommens ohne das subiectum sein, wie das
accidens ohne die substantia. Es gibt ja den kontingenten Satz.63 Dieser kann nicht
aus dem subiectum (oder dem Inhalt des entsprechenden Begriffs) in Richtung auf
die passio fortgeführt, erklärt und erweitert werden.
Ockhams Standpunkt gegenüber dem Scotischen lässt sich mit Allgemeinheits
wert in der unmittelbaren Zitation des Duns Scotus durch Ockham und seiner Ant-
wort darauf bestimmen.64 „Si dicatur, sicut dicit iste Doctor,65 quod anima vel potentia
intellectiva non est nobis naturaliter cognoscibilis ‘sub illa ratione propria et speciali
sub qua ad talem finem et sub qua est capax gratiae consummatae’ et sic de aliis.
Abstraktion verhindert und verbietet, die wir ontologisch vornähmen und für die wir logische
Grundlagen haben müssten. Mit den ‘logischen Grundlagen’ wäre ein abstractum gemeint, das
zugleich empirisch zu gelten hätte.
62. Ib. p. 235 lin. 1–2.
63. Der Satz kann insbesondere nicht über die auf der höheren Stufe angesetzten notitiae (sub
iecti et passionis) bewiesen werden, die dabei notitiae causae und notitia effectus würden. Cf.
ib. p. 252 lin. 18 – p. 253 lin. 3. und ib. das Résumé p. 253 lin. 1–3: „Et ideo non obstante quod
entitas unius esset causa entitatis alterius, non tamen non oporteret quod notitia esset causa
notitiae.“ Die satzförmig ausgedrückte Erkenntnis/Wahrnehmung (notitia complexa) des Effek
tes müsste für eine Verbindung zwischen causa und effectus als Teil der Begriffe oder Sachen
intelligibel sein können. Nach p. 252 lin. 18–21 wird die causa so Voraussetzung ihrer selbst.
Das ist ein Fall von ‘Selbstimplikation’. Die empirische kontingente Erkenntnis von causa und
effectus begründet keine Implikation. Solange wir „Selbstimplikationen“ haben, ist Ontologie
noch nicht ausgeschlossen. Die Implikation bezeichnet so negativ die Ontologie. Die Supposi
tionslogik richtet sich gegen diese „Selbstimplikationen“. Sie hat entsprechend ihr Recht durch
Widerlegungen, wie man bei der Deutung der Inhärenz, zur forma usw. sieht.
64. Ib. p. 235 lin. 20 – p. 336 lin. 7.
65. Scotus, Ordinatio, I, Prol. q. 1, q. unica, n. 28 (ed. Vaticana, I, 17).
52 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
‘Non enim cognoscitur a nobis anima nec natura nostra pro statu isto nisi sub ratione
aliqua generali, abstrahibili a sensibilibus’, sub qua non ordinatur ad beatudinem nec
ad visionem divinae essentiae. Et ideo istae passiones non possunt a nobis cognosci
virtute notitiae subiecti nobis possibilis /§ pro statu isto. Contra: anima nostra sub
illa ratione est naturaliter cognoscibilis vel a se vel ab aliqua natura intellectuali, et
tamen ille finis a nulla natura intellectuali est naturaliter cognoscibilis.§/“66 Ockham
hat damit gegenüber Scotus eingewandt, dass das Verhältnis von subiectum (substan
tia) und passio oder accidens ‘per se’ nicht im Sinne einer zwangsläufigen Relation
einsehbar sei, unabhängig davon, ob und wieweit die substantia aus empirischer
Wahrnehmung’ abstrahiert werden könne oder nicht. Ockham macht für Begriffe
und Aussagen die Induktionsvoraussetzung geltend. Diese Induktionsvoraussetzung
war schon in der Ablehnung der Übertragung der Relation von causa und effectus auf
die Relation von notitia causae und notitia effectus mitgedacht worden: Die Relation
kann nicht auf der höheren Stufe, i.e. als Relation, selbst schlüssig gedacht werden.67
Dabei hat Duns Scotus, wie Ockhams Zitat zeigt, das subiectum für nicht empirisch
gesichert gehalten. Er setzt aber mit solchen Begriffen (entweder) in der Deduktion
an oder wird sie à la fin nicht aus der Deduktion ausschließen wollen. Ockham will
diese Deduktion nicht machen. Sie entscheidet also nicht über unser Wissen und be
stimmt nicht unser Erkennen. Duns Scotus, der einen abstrakten Wissenszugewinn
sucht oder zulässt, kann, nach Ockham, diesen nicht sichern. Dies wird über die an-
dere Methode Ockhams substantiiert.68
Der Syllogismus wird von Ockham nicht bloß im Sinne des formellen logischen
Vollzugs verstanden, sondern es wird eine besondere intensionale und intellektive
Komponente in ihn eingeschlossen, die eigens angegeben wird.69 Das ist potentiell ge-
gen die förmliche Syllogistik des Aristoteles.70 „Ad argumentum principale dico quod
Philosophus ibi extendit demonstrationem ad omnem syllogismum ex necessariis et
prioribus. Sed non omnis talis syllogismus est demonstratio quia si conclusio non sit
dubitabilis non est demonstratio. Sicut enim numquam est demonstratio mihi nisi
quando scio conclusionem per praemissas, – aliter enim scirem demonstrare multa
quae credo esse falsa, – ita numquam est demonstratio simpliciter nisi quando scio
conclusionem per praemissas; et ideo dicit Philosophus71 quod est ex causis conclusio
nis.“ Der Beweis erfolgt also aus den Prämissen, die die causae conclusionis sind. „Et
ideo si praemissae fuerint verae et primae et immediatae et notiores et priores, et ta
men non fuerint causae conclusionis, – hoc est notitia praemissarum non fuerit causa
notitiae conclusionis –, non erit demonstratio.“ Nämlich in dem Beweis, in welchem
69. Ockham fasst den species-Begriff intensional auf und akzeptiert ihn derart erst einmal oder
unumwunden. Aber über seine Zulässigkeit alias Notwendigkeit/Entbehrlichkeit wird reflexiv,
relational und im Vergleich entschieden. Cf. Rep. II q. 12–13 OT V p. 309f. Da erscheint die spe-
cies als Größe oder Begriff als geringer als die notitia intuitiva sensitiva und die notitia intuitiva
intellectualis. Im Verhältnis oder Zusammenhang beider erscheint sie entbehrlich (ib. p. 309
lin. 17f): „utraque cognitio est ita perfecta similitudo obiecti et perfectior quam species.“ Sie
kann nicht gleichmächtig sein. Dass die cognitio intuitiva sensualis die similitudo obiecto be-
sitze oder beanspruchen könne, erscheint plausibel. Sie grenzt an sie. Dass die cognitio intuitiva
intellectualis, wenn sie auf der cognitio intuitiva sensualis fußt und von ihr abstammt, genauso
vollkommen sei, ist nicht unbedingt bestreitbar; dass die species vollkommener als die cognitio
intuitiva intellectualis sei, ist nicht behauptbar. Benötigen wir sie? Wir benötigen sie nicht für
den habitus, der in intellectu der notitia intuitiva folgen muss (ib. lin. 19–21): „sed intellectus
est omnia intelligibilia tam per actualem quam per habitualem. Unde habitus ita perfecte est
similitudo rei sicut species vel actus.“ Der sensus kennt dagegen nur aktuale Erkenntnis, sc.
dasjenige betreffend, was er wahrnimmt. Was wäre es was eigens an der species wahrgenom-
men (= erkannt) werden könnte oder müsste? Ockham führt einen induktiven Beweis, bei dem
species nicht in eine Relation (in Relationen) entwickelt werden kann und daher keine Identität
(Existenz) haben soll. Ein solcher Beweis ist ebenso widerlegender Beweis. Es wird gezeigt, dass
die Relation, die die Entität als ihr innerer Anteil zu bestimmen hätte, nicht existieren kann. Da
bei analytischen Beweisen das Widerspruchsmoment außerhalb der zu ermittelnden Identität
(Entität) angesetzt erscheint (= es ist nicht Teil des Inhalts), wird Ockhams Beweis sogar als den
normalen indirekten Beweis (reductio ad absurdum) überdeckend und ihn negativ charakteri-
sierend angesehen werden können. Die Frage, ob mit der species als Inbegriff der Inhaltlichkeit
nicht unbedingt bereits Notwendigkeit und Allgemeinheit gegeben sein müssten, erörtern wir
hier nicht, zumal ja auch die Syllogistik vom Satztypus erst einmal absehen kann. Das universa-
le ist bei Duns Scotus species oder in der Deduktion natura communis. S. S. Day, 1947. Zu zwei
Theorien des Duns Scotus vom universale s. L. Baudry, 1958 p. 278ff.
70. Ord. Prol. q. 6 OT I p. 182 lin. 11–23.
71. Aristoteles, Analyt. Poster. I. c. 2 t. 9 (71 b 22).
54 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
der actus iudicativus auf das Schließen im Syllogismus verlagert ist: ‘Ich’ zweifle an der
conclusio; habe aber dann und unabhängig davon die praemissae. Danach kann ich
per Vollzug der conclusio zustimmen. Die propositio per se (primo modo oder secun-
do modo), eine im Grund empirische Aussage, bildet nicht den Maßstab für die De-
duktion, die selbst evident mache, weder hinsichtlich der Prämissen noch hinsichtlich
der conclusio.72 Auf der Ebene der Sätze kann die ‘notitia unius propositionis die causa
notitiae alicuius aliae propositionis’ sehr wohl sein. Die (Kausal-) Relation, die hier für
die notitiae zweier Sätze besteht (ausdrücklich: der notitiae complexae), kann wieder
empirisch abgestützt werden. Sie ist nach Ockham von der notitia (incomplexa) der
in den Sätzen gegebenen Begriffe unabhängig, bzw. (real) verschieden.
Erkennbar kann eine übernatürliche Erkenntnis Gottes für den Menschen weder
sinnbildlich noch maßstäblich geltend gemacht werden. Sie kann natürlich gesehen
und induktiv begründet nur so angenommen werden, dass die menschlichen und
weltlich-empirischen Bedingungen des Erkennens, d. h. im Grunde der Welt, hier
nicht mehr stören dürfen: induktiv gesehen nicht mehr störend sind. Das ist etwa
bei den Aussagen, die divina essentia betreffen, nachweislich nicht mehr der Fall. Die
potentia Dei absoluta als Regel kann als ein Bestimmungsmerkmal gesehen werden,
das, hypothetisch eingeschoben, den Effekt an den Menschen ‘vermittelbarer’ Er-
kenntnisse und Erkenntnisarten eruieren und begrenzen hilft. Die potentia Dei ab-
soluta als eine Macht (Position), von der aus tatsächlich eine überweltliche (wissen
schaftliche!) Erkenntnis denkbar wäre, ohne für den Menschen natürlich möglich zu
sein, wird von Ockham abgelehnt.73 Ockham widerlegt die These, indem er Evidenz
als auf die propositio per se nota oder auf die notitia intuitiva gegründet beschreibt.
Die propositio per se nota lässt sich ebenso abstrakt wie intuitiv einsehen.74 Die per
72. Ockhams Erörterungen können nicht auf den Widerspruch und das Widerspruchsprinzip
auslaufen oder ihn bzw. es in Dienst nehmen. Denn bereits in den beiden unterschiedenen
Satzarten propositio per se primo modo und propositio per se secundo modo werden, wie dar-
in – in beiden – Erfahrungen festgehalten werden, kontingente Sätze gesehen. Dies wird von
Ockham zum Teil gegen Aristoteles geltend gemacht. (Zur Diskussion der aristotelischen Auf-
fassungen von den Sätzen, s. Lukasiewicz, 1951 loc cit.) Der kontingente Satz kann aber nicht
den Widerspruch verkörpern oder kodifizieren. Überdies: Die propositio per se primo modo
und propositio per se secundo modo werden von Ockham negativ für den Beweis verwandt, wie
der mit der definiten Bestimmung der scientia proprie dicta oder der Formel scita per scientia
proprie dicta zu verbindende Satz auszusehen habe. Propositio per se primo modo und propo-
sitio per se secundo modo bezeichnen Minima, die, wie sie Eigenschaften für eine ganz gewisse
Satzbestimmtheit zusammenzufügen hätten, nicht genügen können. Er setzt sie ebenso in der
Refutation ontologischer Auslegungen der sacra theologia ein: Ord. d. 5 q. 1 OT III.
73. Ord. Prol. q. 7 OT I p. 187 lin. 16 – p. 188 lin. 9.
74. Dadurch ist sie definiert oder beschrieben. Notitia intuitiva und notitia abstractiva, die
zweite aus der ersten zwangsläufig hervorgehend und argumentativ, unter anderem durch
das Omnipotenzprinzip von ihr trennbar, womit Kompatibilitäten erzeugt werden, nicht aber
Inkonsistenzen entstehen, sind menschliche Erkenntnisweisen. Sie garantieren die für den
Kapitel 1. Das Verhältnis der Begriffe bei Ockham 55
Menschen pro statu isto garantierte Erkenntnis und daneben „Ideen“ bezüglich einer den via-
tor übersteigenden Erkenntnisweise; das modellhaft ins se erkennbare Wesen Gottes geht dann
aber nicht in für uns faktische Erkenntnis ein.
75. Das sieht anders M. Lenz, Himmlische Sätze, 1998, Cf. Einleitung Anm. 58. Ockham eta-
bliert nicht in der Nähe zu Thomas von Aquin, den er dem Punkt widerlegt (cf. Kap. 4), eine
unbedingte potestas wissenschaftlicher Einsicht in Gott bzw. theologischer Aussagen, wenn er
die notitia abstractiva theologischer Einsichten des beatus neben den intuitiven, die er in der
seligen Gottschau hat, für möglich hält (secundum potentiam divinam absolutam), also für
kompatibel mit der visio beatifica erklärt. Welche Erkenntnisse und wie viele danach der viator
per potentiam divinam absolutam über sein jetziges Wissen hinaus qua notitia abstractiva erhal-
ten könnte, erscheint Ockham ungewiss. Einige nur kann Gott „forte“ mitteilen, andere „forte“
nicht; ebenso ist unklar, ob wir dieselben propositiones per notitiam abstractivam wirklich hät
ten. Es kann nach dem Omnipotenzprinzip suggeriert (persuadiert) werden. Wir hätten aber
nach Ockham immer noch unsere per notitia abstractiva erworbene notitia incomplexorum
(terminorum). Dafür, dass dann nicht dieselbe propositio (notitia complexi) entstünde, lässt
sich nach Ockham nur schwer eine Begründung geben. Cf. Ord. Prol. q. 1 OT I p. 74 lin. 22 –
p. 75 lin. 5. Die Frage, welche der „per potentiam divinam“ uns zugänglich gemachten ‘vielen
theologischen Wahrheiten’ (i.e. ihre notitia) im eigentlichen Sinn „sit (sic) scientia proprie dic-
ta“ stellt sich dann überdies noch. Cf. Einleitung zu Ord. Prol. q. 2 OT I p. 75 lin. 9–12.
76. Daneben schafft Ockham mittels des Omnipotenzprinzips neue abstrakte ‘Bedeutungen’
empirisch ausgewiesener Begriffe zu Zwecken der Theologie. Das Omnipotenzprinzip wirkt
hier im Verein mit einer Ersetzung des Widerspruchssatzes durch ein empirisches Äquivalent,
das in se unangängig erscheint. Er hebt den Begriff so mit seiner modifizierten Bedeutung in
die Theologie, in der er nur so bestehen kann. Er operiert intensional, nicht für eine entitas oder
einen conceptus oder actus mentalis. Er hat auch hier eine gewisse Trennung oder Spaltung in
re benutzt, wie sie ja der Widerspruchssatz voraussetzt oder appelliert. Das tut er auch bereits,
wenn er die in die Macht Gottes gelegte conservatio anberaumt. Er geht von empirischen Ge-
halten aus, um Verhältnisse der sacra theologia in deren Auslegung menschengemäß zu stüt-
zen; aber er verlässt diese streng empirische Ebene, in der die empirischen Vorstellungsfixa an
sich prekär werden. Dort leisten sie auch nichts mehr für die Theologie.
56 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
das Ergebnis, wenn sie einträte, wäre dennoch inkompatibel. Sie würde auf ein per se
falsches consequens führen.77 Es ist damit klar, dass die Abstraktion, zu deren Sphäre
die potentia Dei absoluta gehört, indem sie darin weitere Kompatibilitäten schafft,
aber eben nicht Annahmen, die identisch Empirie bedeuten, wenngleich mit der Em-
pirie verträglich, nicht auf der Einheit mit der significatio der termini in sensu reali be
ruhen kann. Eine solche significatio wird dann auch nicht für den Bereich Gottes, das
Verhältnis der relationes der essentia divina ad extra et ad creaturas angenommen.
Wenn das Omnipotenzprinzip falsche Schlüsse ausschließen hilft, die der Empirie
zugeordnet bleiben, kann es mit der Empirie selbst nicht in Widerspruch stehen. Das
gilt mehr als dass es dem Widerspruchsprinzip nicht widerstreiten dürfe.
Ockham kann oder könnte jedenfalls auch für die divina potentia absoluta in-
duktiv feststellen, i.e. ermitteln, dass von ihr der Bereich der Empirie und einer em-
pirischen Erfülltheit in se fernzuhalten sei. Gott könnte, als essentia, im Sinn (s)einer
äußeren Wirkung immer nur über eine relatio, die ihn faktisch überschritte und von
accidentia her ‘definierte’, verstanden werden. Es „schlösse“ die Empirie ein und müs-
ste zu einer fallacia führen. Im Kern ist es hier u. a. bereits der Begriff der causa,
der als kategoriell der Empirie zugehörig oder zuzuweisen zu einer fallacia geführt
hat, die unten angeführt werden wird.78 Das Beispiel ist aber nicht auf die divina es-
sentia oder die potentia Dei absoluta beschränkt. Entscheidend ist, dass die Beweis
kapazität nicht aus der causa oder Kausalität geschöpft werden kann.79 An der ange
gebenen Stelle heißt es bei Ockham: „Et ideo in multis argumentis est fallacia figurae
dictionis, sub nomine simpliciter absoluto accipiendo nomen connotativum. Sicut
sic arguendo: quidquid potest Deus mediante causa secunda, potest immediate per
se; sed actum meritorium potest producere mediante actu voluntatis; ergo sine ea“.
Dieser Trugschluss kommt nach Art und Form oft vor, wie Ockham sagt: „in mul
tis argumentis“. Er muss nicht bloß in Anbetracht der Allmacht vorkommen oder
in die Theologie fallen. „Et sic de aliis multis, in quibus semper est fallacia figurae
77. Die consequentia kann da nicht in der aussagenlogischen Auffassung zugrundegelegt wer-
den. Denn offenbar wird nicht aus den Begriffen inhaltlich gefolgert, um zu einem falschen
Ergebnis zu kommen, sondern es wird eine Hypothese aufgestellt, die dann nach Ockhams Re-
geln, die zugleich die empirischen Bedingungen des Erkennens für das consequens statuieren,
falsch ist. Siehe die beiden Beispiele Anm. 59 und Anm. 60.
78. Ord. Prol. q. 3 OT I p. 141 lin. 7–14.
79. Sie ist den Beweisen Spinozas fest eingefügt, integraler Bestandteil davon. Autrecourt und
Hume sehen Kausalität als in der empirischen Realität nicht distinkt wahrnehmbar an. Das
Verlangen, dass es anders sein solle, kommt jedoch einer petitio principii gleich, mit der man
jedem Beweis davon vorgriffe. Der könnte also nicht sinnvoll verstanden worden sein. Eine
Aporie: er wird womöglich gar nicht verstanden. Mit und ohne Kausalinteresse nicht. Der Be
weis würde „leisten“ (liefern), was nach realer Wahrnehmung, die dabei empirisch einem ab
strakt Gegebenen vorgriffe, gar nicht existieren kann oder könnte, i.e. so nicht definit wäre. Bei
Autrecourt widersprechen sich mithin seine beiden Gebote: empirische Wahrnehmbarkeit und
gediegene Beweisbarkeit.
Kapitel 1. Das Verhältnis der Begriffe bei Ockham 57
dictionis, quia commutatur ‘quid’ in ‘ad aliquid’, secundum unum modum loquendi,
vel in connotativum, secundum alium modum loquendi“.80
Es gibt einen Überredungsbeweis dafür, dass die notitia intuitiva im Umkreis em-
pirischer und akzidenteller, kontingenter, also auch wechselnder Verhältnisse sowohl
bezüglich der res existens wie der res non existens zu einem actus iudicativus und
damit einem actus assentiendi bezüglich eines kontingenten Satzes führen kann:81 „Et
quando dicitur quod illa (sc. notitia intuitiva) habet causare effectum oppositum si
res sit, potest dici quod non est inconveniens quod aliqua causa cum alia causa par-
tiali causet aliquem effectum et tamen quod illa sola sine alia causa partiali causet
oppositum effectum.“ Ockham hat also zwei bzw. drei Fälle unterschiedlicher Ver-
ursachung unter Beibehaltung wenigstens einer causa partialis, nämlich der notitia
intuitiva, genannt, wobei diese causa in der res extra animam selbst auch eine causa
partialis hat (neben dem intellectus als anderer), ohne dass diese causae untereinan-
der intensional – und das hieße hier extensional – in die definitiones oder rationes,
die von ihnen einzeln gegeben werden, einzudringen hätten. Nur einen der drei Fälle
muss Ockham für den Beweiszweck verfolgen: notitia intuitiva sola sine alia causa
partiali causet oppositum effectum. Die gegenteilige causa, bzw. identisch die Nichte-
xistenz der causa, bewirken den gegenteiligen Effekt, bzw. lassen ihn zu; man wird
sagen können, dass die Bestimmtheit des terminus notitia intuitiva angesichts einer
Nichtexistenz der causa partialis gewahrt bleibt und zugleich äquivalent der Existenz
und der Nichtexistenz bestehen kann, also im Sinne eines Gegensatzes in der res oder
Empirie, was bedeuten muss, dass der Einwand, auf den Ockham antwortet, nicht gilt.
„Et ideo notitia intuitiva rei et ipsa res causant iudicium quod res est, quando autem
ipsa res non est tunc ipsa notitia intuitiva sine illa re causabit oppositum iudicium.“
Die damit stattfindende Induktion besagt also, dass auf der Basis der Nichtexistenz ei-
ner res extra animam sehr wohl (noch) eine notitia intuitiva bestehen kann; sie hängt
ja auch definitorisch nicht von der existentia res extra animam ab. „Et ideo concedo
quod non est eadem causa illorum iudiciorum, quia unius causa est notitia intuitiva
est notitia sine re, alterius causa est notitia cum re tamquam cum causa partiali.“
Die notitia intuitiva ist natürlich überhaupt unabhängig von ihrer causa, die real von
80. Ockhams Analyse der fallacia secundum figuram dictionis hatte ‘grundsätzlich’ und zwar
für beide, comparans und comparatum, die falsch kommutiert wurden, so dass die fallacia
entstand, gezeigt, dass (die) Kausalität (causa) im Sinn der Kombination von subiectum und
passio in (empirischen oder kontingenten) Sätzen keine Kondition hatte. (Der) Satz muss induk
tiv immer als der empirische oder kontingente Satz gedeutet werden, und der empirische oder
kontingente Satz ist hier wie öfter bei Ockham als der prototypische überhaupt zu nehmen, in
welchem Sinne auch die propositio per se nota noch einbezogen werden kann, wie einige Be-
weise Ockhams mit ihrer induktiven refutativen Komponente zeigen werden. Der kontingente
Satz bildet dann in der nominalistischen Stammlinie oder Keimbahn das Modell: er wird später
oft als Kriterium negativer Erkenntniskritik gewendet und verwendet (Nikolaus von Autre-
court, Berkeley, Hume).
81. Ord. Prol. q. 1 OT I p. 70 lin. 24 – p. 71 lin. 9.
58 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
ihr unterschieden (realiter distincta) ist: insofern gehört es zu ihrer intensional be-
stimmten Reichweite, dass sie von einem nicht existenten Objekt existieren könnte,
wie wenn dieses existierte – es ist als rein kompatible Möglichkeit intensional nicht
ausgeschlossen –, was aber natürlich dann einen in dieser Art unaufklärbaren Fehler
besagen müsste.82 Ebenso aber kann sie der Feststellung der Nichtexistenz oder Nicht
präsenz eines Objekts dienen. Beide Fälle sind zu unterscheiden, wie sie rein in der
extramentalen Empirie auftreten und außerhalb des menschlichen Subjekts.83
82. Kausalität, wie sie im Bereich der Empirie empirischen Erfahrung) sich findet, kann nur als
zu einem kleinen Teile, an der Stelle von Sachverhalten, als gleichsam bloß mitwirkend verstan
den werden. Sie hat aber nicht als real aus den Sachen erfasst zu gelten. So geht ihr Gebrauch
als Prinzip a priori bei Ockham in der Argumentation unter: in der Betrachtung kontingenter
Fälle besteht eine bleibende oder ‘durchgängige’ kausale Verbindung zwischen zwei Faktoren ge
wöhnlich nicht. Die Induktion sichert nicht mehr als den Einzel- oder einen gar nur denkbaren
Eventualfall als empirisch in sich bestimmt. Zwei Faktoren werden nur im Sinne eines begrenzt
geltenden abstrakten Prinzips zusammengebracht. Derart ist die Kausalität nicht wirklich (voll-
ständig) in der Realität enthalten; sie steht nur förmlich und hypothetisch für die geringste
Spanne zwischen zwei Faktoren; sie ersetzt so den Sachverhalt und wird ihrerseits abstrakt und
intensional gefasst. Man kann sie aber nicht einlösen. Mit dem Einzelfall gelangt man nicht bis
zum Rang einer generell geltenden Hypothese. Stellen wir einen solchen in sich begrenzten
Fall dar, so haben wir eine Annäherung an den extramentalen Gegenstand (significatio), aber
kein Moment, das ausschließend zu wirken und zu gelten vermöchte, weder in reali noch in
abstractis.
83. Ein solcher Beweis schließt noch nicht ein, dass und wie die notitia intuitiva dabei selbst,
wenn sie doch von der res extra als causa partialis verursacht wurde, ohne diese causa partia
lis fortdauern und bewahrt werden konnte. Conservatio und causatio werden dann von
Ockham nach ihrem logischen Grund getrennt: Conservatio ist bloß supranaturaliter möglich,
die causatio geschieht naturaliter. Denn es ist ja klar, dass die Momente und Elemente der con
servatio nicht und niemals aus der causatio, sprich deren Voraussetzungen, gewonnen oder
übernommen werden können, zumal wenn sie vergänglich sind, also nicht bestehen bleiben.
Sie fluktuieren im Sinne einer akzidentellen Bestimmung zu einer essentia, und würden nur
mit dem Wert einer petitio principii oder mit dem Effekt einer fallacia geltend gemacht werden
können. Es ist klar, dass damit in Richtung auf die conservatio und eben deren intensional zu se
henden Gehalt eine Induktion stattfindet oder: unentbehrlich ist. Sie steht gegen die Folgerung,
die für einen Gehalt in analytischer Auslegung eines Satzes oder Begriffs nur einen scheinbaren
Wert haben kann. Die notitia intuitiva (perfecta), die von Gott bewahrt werden muss, damit
auch die Nichtexistenz einer res festgestellt werden kann, steht als notitia intellectus in einer
Differenz zu jener notitia intuitiva, die von einer notitia intuitiva sensitiva begleitet wird, in der
das extramentale obiectum ‘wahrgenommen’ wird. Cf. Ord. Prol. q. 1 OT I p. 31 lin. 9–16: „Sed
(notitia intuitiva et notitia abstractiva) distinguuntur per istum modum: quia notitia intuitiva
rei est talis notitia virtute cuius potest scire res sit vel non, ita quod si res sit, statim iudicat eam
esse et evidenter cognoscit eam esse, nisi forte impediatur propter imperfectionem illius no
titiae. Et eodem modo si esset perfecta talis notitia per potentiam divinam conservata de re non
existente, virtute illius notitiae incomplexae evidenter cognosceret illam rem non esse.“
Kapitel 1. Das Verhältnis der Begriffe bei Ockham 59
Ockham argumentiert für unsere Begriffe:84 „Arguo primo quod attributa non
possunt de Deo demonstrari propter quid, et hoc de Deo distincte cognito, quomo-
do loquitur Doctor iste (nämlich Duns Scotus). Quia nullus conceptus communis
quidditativus potest demonstrari demonstratione propter quid de illo quod immedi
ate continetur sub eo, quia talis propositio est immediata, secundum Philosophum I
Posteriorum,85 et per consequens illa non est altera prior.“ Dabei gilt, dass Gott auch
im Begriff soll deutlich erkannt werden können, wie angenommen wird, weil die
Transposition der Erkenntnis einer Sache mittels eines dabei gebildeten Begriffs in die
Erkenntnis durch den Begriff, ohne Präsenz der Sache, den Begriff selbst nicht ver-
ändert. Damit, so lässt sich sagen, ist die Erkenntnis als potentialiter abstrakte auf die
Induktion hin präpariert. Dabei wird von Ockham vorausgesetzt, dass der quidditati
ve Begriff Gott und dem Menschen zugehört.86 Induktiv schließt Ockham, dass die
Attribute (Gottes) durch quidditative Begriffe bezeichnet werden: „Et est conceptus
quidditativus, quia suppono ad praesens, et postea probabitur,87 quod inter divinam
essentiam et divinum intellectum vel voluntatem nulla est distinctio, nec realis nec
rationis. Igitur conceptus bonitatis vel quicumque talis est quidditativus, et per con
sequens nullus talis potest de Deo demonstrari.“88 Dabei soll der conceptus denomi
nativus als ein aus der Sache begründbarer und von dem conceptus quidditativus zu
unterscheidender ausfallen.89 Das wird induktiv geschlossen und erschlossen. Der
Unterschied zwischen Begriffsarten müsste immer a parte rei gemacht werden.90 Der
Bezug auf eine Relation für etwas, was außerhalb der divina essentia läge, scheidet
auch aus, weil es keine Beweismöglichkeit gibt: „quia conceptus ad extra non po-
test demonstrari de divina essentia, quia nihil est tale medium etc.“91 Desgleichen
kann nichts über und für Begriffe bewiesen werden, die Gott und dem Geschaffenen
gemeinsam angehören. Es verlangte eine Induktion, die auf eine Gemeinsamkeit in
der Sache (in re) ginge (und zurückginge).92
Wo eine Induktion ausgeführt wird, wie es vielfach geschieht, wenn Ockham die
Prädikation von Eigenschaften und Begriffen, besser Begriffsarten beschreibt oder
eruiert, beruht das immer darauf, dass förmlich ein Außenbezug auf die res extra
(oder stellvertretend eine distinctio in re) vorgenommen wird, der in se negativ ist
oder bleibt, also die significatio als nicht kooptierbar erweist. Die Induktion ist darin
terminiert und versieht damit eine abstractio. Es wird gewissermaßen eine Relation
(oder Referenz) in die Sache (res extra) hinein nicht gestattet, sondern abgeblockt.93
Wenn die notitia und die ratio mit ihrem Füllglied, z. B. dem Begriff nach seiner Satz-
stellung (z. B. subiectum), induktiv keine Folge im Sinne der Kausalität haben müssen,
welche identisch das Glied ergäbe, welches aus ihm zu folgen hätte, wiewohl es virtuell
vielleicht mitgegeben ist, so gilt dasselbe nicht vom habitus. Der habitus in se erlaubt
den actus oder habitus eines Folgegliedes.94 „Probatio istius: quia posito quod aliquis
adquirat habitum ex actibus circa principium tantum et post simul cum altero prin-
cipio, quod erat altera praemissa, applicet ad conclusionem, sciet ipsam evidenter, et
non sine habitu principii. Ergo habitus ille est aliquomodo causa notitiae conclusionis,
mediata vel immediata, per se vel per accidens.“ Die strenge Unterscheidung ist für die
Induktion entbehrlich. Dabei darf darauf hingewiesen werden, dass die causa niemals
aus sich, d. i. inhaltlich, den effectus erschließt. Wie der habitus selbst dem actus zu-
geordnet ist, ist offen, insofern die actus oder dasjenige, dem sie gelten oder aus dem
sie entstehen, de facto nicht im Sinn der Komposition oder dieser folgend erkannt
werden kann. So gilt denn auch, dass es von Prinzip und conclusio gemeinschaftlich
einen habitus geben kann:95 „dico quod principiorum aliquorum et conclusionum
93. So kann Ockham etwa Duns Scotus antworten (ib. p. 103 lin. 16 – p. 104 lin. 2): „Si dicatur
quod de omnino eadem re, sine omni distinctione, possunt esse plures conceptus (gemeint:
Begriffsarten!), scilicet quidditativus et denominativus,“ – nach Ed. p. 103 Anm. 4 Reportatio
Paris., I, Prol. q. 1, n. 50 (ed. Wadding, XI-1,14) gesagt –, „contra: ‘non est magis ratio quod
(non)’ quandocumque quidquid omnino a parte rei exprimitur per unum conceptum et per
alium, non est maior ratio quod unus sit quidditativus quam alius.“ Die Formel ‘non est maior
ratio quod (non)’ leitet die darauf folgende induktive Abschöpfung einer in sich begrenzten all
gemeinen und negativen Ansicht intensionalen Charakters ein: „Sed si nulla penitus sit distinc-
tio a parte rei inter divinam essentiam et intellectum et actum intelligendi, nihil imaginabile
potest exprimi per unum conceptum (magis) quam per alium, igitur uterque erit quidditativus
vel neuter.“ Man kann sagen, dass über die Sache noch nicht entschieden ist. Aber kann Duns
Scotus, der formell von ihr her denken will, seine opinio stützen? Die beiden Begriffe oder
rationes ‘quidditativum’ und ‘denominativum’ erlöschen hier. Die Konstruktion ist hier rein
negativ; sie bestimmt sich beschränkt intensional.
94. Ord. Prol. q. 8 OT I p. 217 lin. 21ff: „dico primo quod habitus adquisitus ex actu circa princi
pium tantum est alius ab habitu conclusionis. Primo, quia semper causa distinguitur a suo ef
fectu.“ Das Argument ist induktiv und synthetisch, indem es von einem Ende her operiert, das
nicht mehr effektiv oder spezifisch benannt werden muss. So setzt Ockham denn hinzu: „sive
sit causa per se sive causa per accidens; sed aliquo istorum modorum habitus principii est causa
respectu habitus conclusionis.“ Ockham hat also nicht konstatiert, welche. Damit ist aber natur
gemäß noch nicht die Kausalität in facto bewiesen. Wird eine solche Kausalität angenommen,
so ergibt sich, dass induktiv und synthetisch der habitus conclusionis nicht aus dem habitus
principii (kausal) folgen kann. Die verschiedenen ‘Beweise’ sind so sehr subtil voneinander
abgesetzt, i.e. in Feinschnitten getrennt.
95. Ib. p. 218 lin. 20 – p. 219 lin. 2.
Kapitel 1. Das Verhältnis der Begriffe bei Ockham 61
potest esse idem habitus. Hoc probatur: respectu quorumcumque est natus esse unus
actus, respectu eorundem potest esse unus habitus, quia non repugnat96 syllogismo
composito ex multis propositionibus intelligi uno actu quam propositioni compositae
ex multis terminis, sed propositio intelligitur uno actu; ergo etc.“97
Gott kann die natürliche causa ersetzen und eine Verursachung oder Verände-
rung vornehmen, wenn es in den Verhältnissen der Schöpfung kein Hindernis gibt,
er kann es also nicht absolut. Er kann es bloß auf der Basis einer distinctio realis, die
bereits zwischen den res in der Schöpfung besteht, womit, induktiv einsehbar, diese
distinctio realis das Widerspruchsprinzip selbst vertritt oder ersetzt. Gott kann die
calor unmittelbar bewirken, die sonst, mit gleicher Stärke, von ignis oder sol ausgehen
mag. Sie durfte aber nirgendwo die Realordnung der Dinge verletzen oder ‘umschmel
zen’. Sie wird auch nur hypothetisch auf der Basis der distinctio realis oder im Bezug
auf sie apostrophiert, i.e. nicht um eine reale Annahme zu machen oder aufzuheben.
Das ist evident: denn sonst würde auch mit (den) definiten Begriffen nicht mehr ge
arbeitet, eben jenen, welche, specie distincti, von den Gegenständen der Welt erhoben
werden.98 Ockhams Thesen oder Einreden, was Gott kraft seiner Omnipotenz auf der
Basis der distinctio realis und mit ihr korreliert vermöge, i.e. secundum potentiam
divinam absolutam naturaliter loquendo, besagen nicht, dass Gott regellos handle.
96. Die Überredung und Induktion sind wieder mit einer Formel verbunden, die Kompatibili-
tät (Vereinbarkeit) besagt: ‘non repugnat’: „es widerstreitet (sich) nicht“.
97. Oft wird der Bezug auf die res extra in dem Sinn negiert wie Ockham das Subjekt akzen
tuiert (ib. p. 219 lin. 7–12): „habitus non respicit obiectum nec in ratione obiecti nec in ratione
causae nisi mediante actu. Quod non in ratione obiecti patet, quia non aliter inclinat ad obiec
tum nisi quia inclinat ad actum; nec causatur ab obiecto nisi mediante actu. Ergo ex identitate
obiecti vel diversitate non debet argui diversitas vel identitas habitus nisi mediante diversitate
vel identitate actus; ergo habitus et actus in diversitate et identitate semper proportionantur.“
Dabei werden der Begriff des habitus und der der notitia in Bezug auf die Inhalte bzw. Begriffe,
deren ‘Wahrnehmung’ sie besagen, im Sinn dieses Nominalismus der Sekundärbegriffe sich
schlecht nur unterscheiden lassen (p. 218 lin. 11–19): „Secundo, dico quod distinctarum con-
clusionum sunt distincti habitus: tum quia demonstratio universalis et particularis differunt
specie, I Posteriorum (Aristot., Anal. Poster. I, c. 24, tt. 160–170 (85° 13 – 86° 30); ergo oportet
quod vel notitia praemissarum distinguatur specie vel notitia conclusionum. Sed sive sic sive
sic, habetur propositum, quia oportet quod vel habitus principiorum distinguatur specie vel
conclusionum. Et non est maior ratio quare habitus principiorum distinguatur specie quam
conclusionum. Ergo semper notitiae conclusionum distinguuntur specie.“
98. Es gibt auch keine Erkenntnis von Gott, die uns erlauben würde, zu behaupten, dass er die
unmittelbare Ursache dieser Wirkung sein könne. Es gibt hier keine empirische Basis; aber man
geht von einer solchen formell für die Hypothese der ‘Andersmöglichkeit’ aus. Diese wird da-
mit nicht real und nicht realmöglich. Den Schluss gibt es nicht; man unterbindet vielmehr das
Schließen auf eine strikte Realempirie überhaupt, für die man die Mittel und Voraussetzungen
nicht hat und in Bezug auf die man ‘Folgerung’ generell kappt. In dem Sinne hat man keine
Einsicht in das Verhältnis von substantia und accidentia an deren Nahtstelle.
62 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Er handelt nicht wider den ordo huius mundi, wie sie secundum legem communem
besteht. Die Omnipotenz als Argument wird zu einem medium, bezeichnet also in-
haltlich einen nachgeordneten Sinn, der reprobativ und refutativ wirkt. Dies ist in der
Form der Induktion natürlich ebenso wie syllogistisch ausdrückbar: Quidquid Deus
potest cum causa secunda, potest sine ea. Sed obiectum est causa secunda notitiae intui-
tivae intellectivae. Ergo potest facere notitiam intuitivam intellectivam sine obiecto. Dies
ist ein abstraktes Überredungsargument.99 Die divina potentia absoluta aber ist kein
Faktor, der analytisch erklärt, ausgelegt oder abgegrenzt werden könnte.100
99. Hier ist immer auch zu sehen, dass wir im Verhältnis von causa und effectus keine wirkli
che Einsicht haben, i.e. den effectus nicht aus der causa und als darin niedergelegt ablesen kön
nen. Cf. auch Anm. 79 und 80. Cf. auch Anm. 97.
100. Wenn Gott ohne eine causa secunda der von ihm geschaffenen Welt durch sich selbst in
Ersetzung dieser causa secunda dasselbe wie mit der causa secunda bewirken (hervorbringen)
kann, hebt man die Welt auf, wie sie nach unseren Begriffen (nicht nach den res) erklärt ist. Es
ist induktiv erklärbar und eingegrenzt, dass man damit in eine Welt übergehe, die nicht mehr
nach der lex communis definiert wäre, für die wir dann auch keine Begriffe mehr haben kön
nten. Für Ockham ist aber unbeweisbar, dass Gott alles außerhalb seiner selbst oder auch nur
etwas außerhalb seiner selbst verursache(n könne), also ist Kausalität als Gottes Qualität nicht
beweisbar. Dass Gott causator sei, wobei wir nach empirischen Begriffen zu urteilen hätten,
bei denen wir indes Kausalität strikt nicht erfahren, ist nicht vergleichbar der Feststellung, dass
er allvermögend sei, die die Gottesvorstellung definiert. ‘Deus est omnipotens’ ist für Ockham
eine propositio immediata. Wir sind hier, in diesem Fall quasi, der empirischen Erfahrung
für die Begriffs- und Satzbildung enthoben, weil wir mit omnipotens unsere natürliche Got
tesvorstellung beschreiben. Das gilt induktiv. Haben wir sie, gilt der Satz quasi empirisch. Sonst
gewähren die propositiones immediatae, da auf die Erfahrung verwiesen, keine unbedingten
Erkenntnisse: es gäbe womöglich nach einer anderen Welt als der für uns erfahrbar gegebenen
und mit Mitteln, die nicht mehr unseren Begriffen entsprächen, eine bessere Sacheinsicht. Da
Ockham die reale Kausalitätsverbindung in der Welt nach der lex communis nicht zugestanden
hat, kann die analytische Folgerung nicht gezogen werden, dass Gott gleichsam ex accidente,
wie es zu geschehen hätte, die Welt ändern könne; er kann es absolut, secundum formam. Er
kann formae praeter accidentia ändern oder austauschen. Gott kann auch in der Welt an einer
für diese etablierten causa secunda vorbei konservieren. Mit der conservatio sind wir deutlich
im transfiniten göttlichen Bereich. Das Akzidenz oder das Akzidentelle kann bezüglich (in) der
Induktion immer nur eines meinen: dass es bei/in den realia eine bedingte Negation gebe, die
eine empirische Verallgemeinerung aufhebt, eine ‘begrenzte’ abstrakte oder abstraktive aber
erlaubt. Wir sehen im ‘accidens’ eine genuine ontologische Funktion nicht mehr. Das Akzidenz
bleibt secundum sensum communem unbeschadet, insoweit als es argumentativ gebraucht in
Induktion und Widerlegung eingeht und für die Interpretation von Begriffen in Richtung auf
die res extra zusammen mit dem Substanzbegriff (vermöge der Disjunktion beider) widerle-
gend gebraucht werden kann. J. F. Boler, Accidents in Ockham’s Ontological Project, Fr. St. 54,
1994–1997 pp. 79–94 gibt für Ockham eine Tendenz an, die dieser präparativ ausschließt oder
nicht benötigt. Ihm geht es um die Geltung oder gar Definitheit der Begriffe, die natürlich
weiterhin von ihm nach substantia und accidens klassifiziert und unterschieden werden, z. B.
Kapitel 1. Das Verhältnis der Begriffe bei Ockham 63
So kann Gott eine notitia intuitiva intellectiva, in der definitionsgemäß, die Exi-
stenz oder Präsenz eines tatsächlichen und vorhandenen Objekts erkannt wird, i.e.
eines kontingenten Objekts, der in einer ebenso kontingenten notitia oder Erkenntnis
erkannt wird, ohne dass diese res extra existiert oder präsent ist.101 Das bedeutet dann
keinen Widerspruch, sondern im Gegenteil, dass aus der Definition nicht(s) gefolgert
wird, was nicht aus ihr gefolgert werden kann, wenn sie selbst von dem obiectum
extra animam real geschieden ist. Dass die Nonexistenz ausgeschlossen sei, gehört
nicht in die Definition, die keinen Truismus besagt oder abgibt. Jedoch kann Gott
keine notitia intuitiva sensitiva ohne Objekt bewirken, die zwar natürlicherweise die
causa (besser: neben dem intellectus eine causa!) der notitia intuitiva intellectiva ist,
aber selbst auf der Affizierung der Sinne im Verhältnis zur res extra beruht.102 Was
wir physiologisch oder physisch annehmen müssten, um die These ‘empirisch’ (sic!)
zu stützen, steht dahin. Es muss nicht in die Struktur von Ockhams Raisonnements
eingehen, also darin keine Rolle spielen. Wir haben keine Grundlage um einen hypo
thetischen Fall einer Einwirkung Gottes entgegen der Schöpfungsordnung und ihrer
gesetzmäßigen Verläufe zu statuieren.103 Wir haben aber auch keine Möglichkeit, ohne
um Bewertungen von Sätzen vorzunehmen, bzw. solche oder einen ordo passionum in der
Syllogistik zu bestreiten.
101. Ockham geht via notitia intuitiva (und seine Aktlehre überhaupt) nur mittelbar von der
res aus. Schon das Wort ‘res’, ebenso das für Ockham problematische ‘ens’, wäre hier schwer
zu definieren. A. Zimmermann, 1966 p. 197 bemerkt: „‘Ding’ … in dem Sinn gebraucht, der
sich im Anschluss an Avicenna bei den mittelalterlichen Denkern herausgebildet hat … meint
soviel wie Seiendes, insofern ihm ein Was zukommt, insofern es möglicher Inhalt eines Be
griffes ist.“ Dazu Verweis auf E. Gilson, dt. 1959 p. 89ff. Die verschlungene Definition oder Des
kription mag Scotus´ schwierigem Bemühen sehr entsprechen. Es wäre am Ende die Frage, ob
das ‘Ding’ einen konsolidierten Begriff haben kann, dem es entspräche. Das ist nominalistisch
gefragt. Ockham trennt ‘Was’ (es liegt im Begriff) und res. Es ist somit schwer eine realistische
Definition von quidditas, realitas usw. zu geben. ‘Res’ wird ein Moment ‘unerreichbarer’ Erfül
lung in Ockhams reprobationes Kap. 9 u. 10.
102. Wenn man nicht glauben will, i.e. wenn bestritten werden (können) sollte, dass Gott nicht
ein obiectum als causa der notitia intuitiva sensitiva aufheben, sprich ersetzen könne, so dass
er also auch hier, wie H. Blumenberg, 1966, generell unterstellte, im Sinn des Wunders und
der Stiftung von Verwirrung, also der Zerstörung und Aufhebung der Basis der Erkenntnis
eintreten könnte, dann gäbe es auch keine Induktion und so keine ‘Folgerung’, welche von
der consequentia materialis (der formalen aussagenlogischen Schlussweise) unabhängig wäre,
nicht für Ockham und generell auch nicht. Somit hat Ockham die Induktion sogar methodisch
begründet. Er sichert Erkenntnis durch Einklammerung absoluter göttlicher Eingriffe wie Des
cartes. Schon Pierre Duhem vergleicht beide da. Cf. Kap. 4: Fides et scientia, Anm. 52.
103. Ockham verteidigt übrigens noch nicht einmal eine Existenz der notitia intuitiva intellec
tiva, wenn die sinnliche Wahrnehmung des äußeren Objekts aufgehört hat, sondern er vertei-
digt mit einem Überredungsargument gerade, dass jene dann ebenfalls aufhöre, wenn diese
erlischt. Er ist also gar nicht, ad minus quoad argumentum, daran interessiert, dass die notitia
64 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
intuitiva in einer willkürlichen oder wahllosen Absolutheit ohne res extra bestehen könne. Das
beweist a fortiori, dass er dann, wenn er per potentiam divinam absolutam die notitia intuitiva
sine obiecto sich vorstellt oder ansetzt, es auch da secundum argumentum tue. Cf. Ord. Prol.
q. 1 OT I p. 27 lin. 19 – p. 28 lin. 3: „Si dicatur quod notitia intuitiva intellectiva non destruitur ad
cessationem alicuius sensationis exterioris, et ita per consequens posset aliqua veritas contin-
gens esse evidenter nota de aliquo sensibili sine sensatione illius sensibilis, dico quod sicut non
est inconveniens ad aliquam transmutationem corporalem, puta infirmitatem vel somnum, ces
sare omnem actum intellectus, ita non est inconveniens ad cessationem alicuius sensationis
sensus exterioris cessare notitiam intellectivam.“ Ockhams sämtliche Beweise lauten auf die
Negation dessen, was im Sinne von Abstraktheit (Abstraktion) als significatio betrachtet wür-
de: weder bezeichnet die notitia intuitiva abstrakt, sofern sie per divinam potentiam absolutam
ohne die Objektgegebenheit zu denken sein soll, das Objekt in se noch ist sie genetisch oder
kausalmechanisch mit dem Objekt, von dem sie ausgeht und dabei neben dem Verstand als der
anderen notwendigen Ursache der notitia intuitiva gefordert wird, strikt verbunden; so gesehen
zeugt sie denn nicht für es.
104. Einwendungen gegen Ockham bei seinem Gebrauch des Omnipotenzprinzips und sol-
che Deutungen, die ihn auch lediglich über Einwendungen ‘explizieren’ möchten, i.e. im Sin-
ne der Unangängigkeit, Unverständlichkeit oder Absurdität, was eben logisch kaum möglich
erscheint, weil es zu bedeuten hätte, dass er seine Begriffe oder deren Definitionen schlecht
gefasst habe, zumindest nicht anders als dass Logik als Ingrediens der Semantik darin möglich
oder unentbehrlich wäre, müssen gleichsam immer in die Sphäre der sinnlichen (physischen)
Vorbedingungen des Erkennens (der actus und notitiae) ‘hinabsteigen’, was bereits den genu-
in und unabhängig logischen Austrag infragestellt. Ockham aber fängt die sensuelle Sphäre
(Vorphase) der Erkenntnis als Tätigkeit des Verstandes (der anima!) argumentativ ab. Nennen
wir diese Argumentation intensional, muss sie in dem Sinn vorderhand als pragmatisch oder
modal betrachtet werden.
105. Kausalität besteht zwischen den mentalen Akten in eben der Weise wie zwischen den res
extramentales und wird unisono operational und kategorial behandelt. Ockham nimmt eine
unerlässliche causa an, die die immediat reale ist und da nicht fehlen darf, und im Grunde nicht
fehlt. Es gibt eine weitere causa, nicht gleichermaßen wirksam (unmittelbar) wirkmächtig. Es
gibt da die Erfahrung nicht, worin sie nicht gegeben wäre, nicht (abstrakt) unterstellt werden
könnte. Sie wirkt nicht immediat. Wir brauchen etwa für einen Akt ein Vermögen, das aber den
Akt nicht so bewirkt, wie etwa ein anderer Akt, der als unerlässlich vorausgesetzt werden muss,
oder auch das obiectum extra mentem. Ein weiterer Unterschied tritt hinzu: die causa (oder
ratio) sufficiens. Sie gehört rein in die Abstraktion, z. B. beim ordo salutis, betrifft aber alle Akte
und habitus. So ist die notitia intuitiva sensitiva causa sufficiens der notitia intuitiva intellectiva,
nicht das obiectum, obwohl es causa efficiens der notitia intuitiva (intellectiva) ist. Dies sind
Unterschiede, die mit Ockhams Argumentationen sich ergeben und ihnen immanent (bewei-
simmanent) sind. Sie werden nicht metaphysisch postuliert. Kausalität wird von Ockham zur
Abwehr sinnwidriger Vorstellungen, eben auch kausaler, benutzt. Dabei ist die Kausalität, die
Kapitel 1. Das Verhältnis der Begriffe bei Ockham 65
Man wird fragen, wie denn der oben für den Gebrauch des Omnipotenzprinzips
bezeichnete Syllogismus, der induktiv hinsichtlich des Ergebnisses in der conclusio
(‘Deus potest facere notitiam intuitivam intellectivam videns obiectum sine obiecto exi-
stente vel praesente’) ist, weil ja darin die Minderung des Gehalts gegenüber der De-
finition (und doch) aus dieser folgend, d. h. bezüglich des Signifikanzwertes, der leer
bleibt und negativ ist, auch induktiv hinsichtlich des Gewinnens der Major ist. Darauf
ist zu antworten, dass die Major als Abstraktion und Regel über der distinctio realis
gewonnen die Notwendigkeit des Zusammenhangs von causa secunda und effectus
bereits nicht zur Voraussetzung haben kann. Es gibt also eine empirische Erfahrung,
die, mittels des Omnipotenzprinzips abstrakt aufgefasst und ausgedrückt, doch über
diese, sofern sie ein Verhältnis per accidens meint, nicht hinausgeht. Es gilt dabei
aber, dass die ‘Abstraktion’, wie bereits nach dem Zielpunkt der Definitheit erforder-
lich, über die empirische Ebene der res, der singularia, hinausgeht. ‘Folgern’ als starrer
Operationsmodus und in die Inhalte integrierbar, ist für den Nominalismus mutmaß-
lich nicht denkbar.106
Ockham zulässt oder zugesteht, in einfachster Weise induktiv ermittelt. Einwände gegen diese
Ermittlungen führen dann zu impliziter Ablehnung der Kausalität überhaupt. Es gibt so kein
vorherrschendes Interesse Ockhams an ihr. Cf. Ord. d. 6. q. unica OT III p. 92 lin. 14–17: „omne
absolutum, necessario secundum cursum naturae praesuppositum effectui, est causa illius in
aliquo genere; sed ista volitio necessario praesupponitur effectui secundum cursum naturae;
igitur est causa in aliquo genere causae.“ So gegen den Einwand (ib. lin. 12f), „quod volitio non
est principium eliciendi actum exteriorem.“ Ockham übersteigt die Realebene und benutzt sie
zur Abwehr für die Abstraktion sinnwidriger Vorstellungen, also in dem Sinne falscher Vor
stellungen, die auf der abstrakten Ebene als indefinit sich herausstellen müssten. Die gemäß
der causa anzusetzende productio oder Bewirkung bleibt beliebig: Cf. ib. p. 94 lin. 15: „voluntas
facit unam rem realem“ und ist dabei nicht über eine forma substantialis oder accidentalis spe-
zifiziert. P. 95 lin. 1 „potest recipere principia diversa agendi.“ Wir werden bei Ockham keine
aus sich einsichtigen analytischen Sätze gewinnen und werden sie nicht durch die Einflechtung
(Intermediation) scholastischer termini gewinnen – cf. ib. lin. 10–14 –, wie das nach Thomas
von Aquin angenommen werden könnte, den Ockham d. 6 q. unica behandelt und widerlegt.
Cf. auch Kap. 2.
106. J. Pinborg, 1972 sucht einen Operationsgrund für Ockhams Denken in der grammati
schen Grundlage der Sprache, die er nach Chomskys TG verstehen will. Er zitiert dazu die
vergleichende Studie R. G. Godfrey, Word 21 (1965) pp. 251–256. Pinborg deutet Chomskys
ausdrücklich so genannte syntaktische Struktur der TG vorgreiflich semantisch. Bei Ockham
entscheidet aber eine eigene Argumentation über den intensionalen Belang der Ausdrücke.
Deren Bedeutung will Pinborg explizit extensional fixiert sehen. Dies mit dem Argument, dass
significatio als Bezugs- und Appellmoment nicht ausgeschlossen wird. In Anbetracht dessen,
dass Ockham einzig Realerkenntnis nicht ausschließt und die res singularis significatio nennt,
ist das unbegründet. Die Sprachstruktur wird bei Ockham eigens induktiv ausgelegt. Rein se
mantisch (noch ohne Strukturbetrachtung + praeter argumentum!) wählt Ockham u. U. un
ter antezedenten scholastischen terminologischen (!) Wortbedeutungen aus. In der TG wurde
66 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
In der Induktion ist, wie oben gesagt wurde, ein inhaltlich ‘negatives’ Moment
Basis der Operation: sie stellt damit eine Art Abstraktion dar oder führt jedenfalls in
diese.107 Weitere Belegfälle dafür sind:108 „Praeterea, non est maior ratio quod neces-
saria credibilia sint scita scientia proprie dicta quam quod veritates contingentes cre-
dibiles sint evidenter notae modo suo. Sed istae non sunt evidenter notae; tunc enim
posset quilibet scire se esse in caritate, quod corpus Christi est in altari, quae videntur
simpliciter falsa. Igitur necessaria theologica non sunt scita scientia proprie dicta.“
Hier werden wir von der Basis der notitia intuitiva, i.e. der empirischen Erkenntnis
oder Gewinnung von Begriffen einschließlich des darin enthaltenen actus iudicativus,
vermöge dessen wir über die ‘Wahrheit’ eines kontingenten Satzes entscheiden,109 im
Schluss – einem a fortiori Schluss – zu der ‘Annahme’ geführt, dass auch notwendige
Sätze, von denen wir eine empirische Evidenz nicht mehr haben können, keine scien
tia proprie dicta sein können, weil wir deren Begriffe für die Evidenz niemals aus
der Empirie entnehmen und gewinnen können.110 Ein weiterer Beleg folgt: „arguo
contra hoc quod dicunt quod fides praesupponitur isti scientiae.“ Denn: „nunquam
duo habitus iudicativi circa idem obiectum sic ordinantur quod unus necessario prae
supponit alium, – patet inductive –, quamvis respectu unius obiecti praesupponat ha-
bitum respectu alterius obiecti. Sed ista fides et ista scientia forent circa idem obiec-
tum, secundum opiniones duas ultimas. Igitur…“: Wir haben in fides und scientia,
welche aristotelisch als (zwei) habitus gewertet werden, nicht denselben Gegenstand,
das ist: denselben Satz.111 Die negative112 Operationsbasis, aus der wir die in sich be
grenzte negative Annahme elizitieren, muss nicht mehr mit dem Nachweis der de
facto Erfüllung belegt werden.113 Mithin besteht hier die Nähe zur persuasio.114
Es lassen sich einige Thesen festhalten, die hier als Schlussfolgerungen oder auch
nur als Behauptungen zu sehen sind und wenn sie bewiesen (belegt) werden sollen,
fallweise so weit zu entwickeln sind, dass sie alles Material so für sich behalten (auf
ihrer Seite haben), dass ihnen nicht mehr definit widersprochen werden könne (was
wiederum dem unten für die Abstraktion im Verhältnis zur selbst nicht mehr fassba-
ren Empirie angesetzten Schnitt115 entspricht):
1. Über den actus apprehensivus hinaus kann ein transzendentaler oder tran-
szendenter Gehalt nicht gedacht werden. Gott oder Gottesbegriff, mit dem ac-
tus apprehensivus vereinbar, übersteigen diesen nicht und sie füllen ihn nicht.
Gott steht nicht in einer ‘metaphysischen’ Qualität über dem (‘jenseits’ des) ac-
tus apprehensivus. Ockham macht keine Anleihen für opiniones und solutiones
bei einem solchen Gottesbegriff. Die Satzstrukturen werden unwandelbar fest
zugrundegelegt, so dass was über Gott geäußert wird, nach deren Charakter ge
mäß der sie betreffenden Erörterung (Diskussion) und intensional bezogenen
Beweisführung gilt, nicht darüber hinaus.116 Das Omnipotenzprinzip setzt keine
111. Für Ockham ist das obiectum der syllogistischen intellectio express die conclusio.
Ockham betont: Prämissen und conclusio haben unterschiedene habitus. Sie heißen schon bei
Aristoteles ‘sapientia’ und ‘scientia’.
112. Cf. (unter Verweis auf Kolmogorov) Anm. 22.
113. Cf. schon Einleitung Anm. 59.
114. Zur Verbindung von persuasio und Induktion s. bes. Kap. 7: Formbegriff und reale
Wahrheit.
115. In der Punktmengenlehre ist beim Schnitt eine ‘Hälfte’ kompakt, die andere offen. Kompakt
heißt: die Grenzpunkte gehören zur „Menge“. Die Empirie ist nicht secundum veritatem und
secundum rem in sich erforschbar. Ihre Grenzen zum Verstand sind nicht bestimmt. Ockhams
Theorie (Argumente) sind per Abstraktion kompakt. Seine Beweise setzen abstrakt immer wie-
der im Verstand die Grenze zur Empirie. Nach Ockham dringt die extramentale reale Welt
unbekannt in das menschliche Subjekt ein und zwar noch vor der sinnlichen Wahrnehmung
(notitia), mit der sie dann vom Menschen erstmals wahrgenommen und ausgedrückt wird.
Wieweit menschliches Subjekt und extramentale reale Welt sich durchdringen (können), i.e.
auch das menschliche Subjekt in die extramentale reale Welt eindringe und damit womöglich
ihr ‘imponiere’, ist wohl eine andere Frage und zwar eine, die für Ockham in jedem Fall a parte
subiecti theoretisch entschieden werden müsste. Ockham weiß wenig über die Prozesse praeter
intellectum. Die extramentale Sache erhält ihren Ausdruck im subjektiven menschlichen Be-
griff: wie I. quidditativum, connotativum, II. actus, notitia, III. forma, ratio etc.
116. Ockham löst das Problem, wie Begriffe, die den Satz bilden, wenn sie substantia und
accidens im Verhältnis zueinander ausdrücken (können) sollen und es wahrscheinlich nicht
68 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
können, auch über eine Negation eines unmittelbaren Verhältnisses noch in einem Verhältnis
begründet sein können. Im Sinn ihres so beschaffenen Verhältnisses müssen sie operativ (argu-
mentativ) begründet werden (können). Substanz und Akzidenz sind sprachlich (grammatisch)
repräsentiert von als quidditativum und connotativum bezeichneten Begriffsarten. Das conno
tativum supponiert für dasselbe obiectum wie das quidditativum. Sein Gehalt ist der des acci
dens, über welches wir die res zwar primär apperzipieren, das aber nicht selbst in substantia rei
perzipiert werden kann. Substantia und accidens sind nicht Kategorien, nach denen Erkenntnis
zwangsläufig und unmittelbar bestünde. Insofern haben wir keine transzendentalphilosophi-
sche Komponente, die doch bei Kant und Maimon noch gemeint ist. Erst per argumentum,
wenn wir substantia mit dem Bestehenden, seien es res, Mensch, anima, oder Vermögen, iden-
tifizieren und die Veränderung (naturphilosophisch motus, augmentatio) mit dem accidens,
ergibt sich über deren Trennung und mutuelle Nichtübertragbarkeit die solutio bzw. opinio
Ockhams. Das gilt auch für die Theologie. So ist denn auch unser Sündenstand nicht real er
kennbar; aber die connotativa enthalten bereits die relatio, über welche die res und auch wir
als Menschen bezogen und verfügt werden, wobei eben realempirische Inkonsistenzen und
natürliche Kausalitätsvermutungen überstiegen werden müssen. Mit Bezug auf Gott sind wir
Sünder, weil Gott auf Handlungen (actus), deren Sündenträchtigkeit secundum formam et in
substantia nicht einsehbar ist, nach seinem freien Willen als Sünden besteht. Gott instituiert so
unsere Sündhaftigkeit; unsere Akte sind nicht an für sich böse oder sündhaft. Das erledigt am
Ende den Mythos vom Sündenfall. Gegen das peccatum originale argumentiert Ockham induk
tiv (und entschieden): keine Spur einer in sich akzidentell bleibenden Sündentat kann in uns
gefunden werden; keine solche hinterlässt einen habitus in uns. Der habitus bezöge sich auf
den Akt, der per se nichtsündig ist. Gott kann auch keine besseren Begründungen für unseren
Sünderstatus haben, die er in pectore bewahrte und uns vorenthielte. Sie würden nur unseren
begrifflichen Möglichkeiten widersprechen. Die bessere sprich Notwendigkeitserkenntnis bei
physikalischen Phänomenen wie ‘Sonnenfinsternis’ oder ‘Blitz und Donner’ erscheint Ockham
aber möglich. Hier fehlt es uns an Erkenntnismitteln. Cf. z. B. Ord. Prol. q. 4 OT I p. 156 lin. 1–10.
Solche, die Gott per divinam potentiam suam schaffen oder – hypothetisch – uns kommunizie-
ren könnte, wären als Mittel keine eigentlichen von uns naturaliter erworbenen Begriffe mehr.
Für die Theologie wird solche Notwendigkeit nicht unisono unterstellt, während sie bedingt
nach Satztypen einmal anfallen kann. Dazu müssen die Begriffe in dem Satz determiniert (de
terminat) sein; doch muss der Theologe an seinem Verständnis der Begriffe als dem natürli
chen Begreifen des Menschen entstammend festhalten.
117. Das Omnipotenzprinzip übersteigt nie einen mit dem kontingenten Satz gegebenen Rah-
men. Und zwar weder formal, noch inhaltlich oder gar gegenständlich. Was im kontingen-
ten Satz für unseren Verstand präsent ist, etwa nach substantia und accidens zu bezeichnen
und unterschieden, vermag Gott mittels seiner Allmacht zu trennen. Ebenso alles, was nach
Kapitel 1. Das Verhältnis der Begriffe bei Ockham 69
2. Für das Induzieren kann keine analytische und damit auch keine bloß indirekt
beweisende, i.e. widerlegende Form des Operierens vorbereitend und damit
‘maßgebend’ sein. Es treten bei Ockham Widerlegungen auf, z. T. auch fingierte,
die keine positive Meinung nach dem tertium non datur begründen. Sie heben
nicht auf einen affirmativen Gehalt ab. Das bedeutet, dass dieser im Sinn der
Realität in sich, der res strictissime singularis nicht angenommen werde und dass
unterhalb der Abstraktion kein Sinn sei. Significatio, die die res extra, das singulä
re obiectum extra animam in se meint, ist kein konstitutives Moment der Darle-
gungen in und von Beweisen und zwar nach allen Beweisformen.
3. Die Induktionsmethode fängt die Transzendenz oder auch ‘Metaphysik’ ab, wie
sie selbst Aristoteles nicht gescheut hatte. Es gibt aber die Übertragung von Be-
griffen empirischer Erkenntnislehre und Psychologie auf Gott, Engel, die Seli-
gen.118
4. Das Omnipotenzprinzip wirkt nicht über von der Induktion begrenzba-
re pro-empirische Verhältnisse hinaus.119 Andere Prinzipien (Regeln) wie das
subiectum und passio förmlich getrennt bezeichnet wird oder ihnen getrennt zugeordnet wer-
den kann, etwa die forma (motus) dem subiectum oder sich bewegenden Gegenstand (res)
und die akzidentell von ihm, im Sinne der Messung oder Vergleichsskala, getrennte Referenz.
Ebenso diese in sich wandelbare Referenz überhaupt: man kann die Vergleichsskala der Zeit-
messung (Tagesumlauf der ‘Sonne’/ Erde, die Jahresbahn der Sonne, die Bewegungen des Fix-
sternhimmels) zweckhaft in Ausehung der Genauigkeit wechseln.
118. Ebenso kann für einen Begriff (Größe) wie notitia intuitiva nach verschiedenen kausati-
ven Zusammenhängen, die als kontingente erhoben werden, induktiv ein einheitlicher abstrak-
ter Sinn verteidigt oder gestiftet werden. Dazu s. bes. Kap. 12: Verflechtung und Abgrenzung
der Akte.
119. Für Ockham werden aber z. B. Kausalvorstellungen, wie sie auch für die Akte (notitiae)
relevant sind, die damit gleichsam in der Welt gehalten werden wie normale extramentale res
(distinkte Dinge oder absoluta), des unumwunden realen Sinnes entkleidet, wenn sie in Ab-
straktionen und persuasiones eingehen. Darin werden sie dem Gebrauch ontologischer Vor-
stellungen und Termini gleich. Diese vermischen sich mit auch mit den Kausalvorstellungen.
Ein Beispiel, das wiederum Ockhams induktive Beweisart erläutert (cf. Einleitung Anm. 58
und 59) findet sich in Ockham Beweis für seine Behauptung (Ord. Prol. q. 1 OT I p. 61 lin. 3f):
(notitia intuitiva und notitia abstractiva) „seipsis distinguuntur formaliter“ das Lemma (ib. lin.
18–20): „agens potest esse unum et materia una et tamen effectus plures specifice distincti.“
Der Beweis lautet (ib. lin. 4–17): „causaliter tamen distinguuntur (notitia intuitiva und notitia
abstractiva) – neben dem, dass sie formal unterschieden seien – a suis causis essentialibus a qui-
bus habent esse. Non tamen sic quod necessario requirant (sic!) distinctas causas essentiales,
quia ab eadem causa simpliciter possunt fieri plura, puta a Deo, et ideo dependent essentialiter
ab alio quam a potentia et obiecto. (D. h. abstraktiv wird keine Dependenz ex causis essentia-
libus betrachtet!) Tamen naturaliter loquendo istae notitiae habent distinctas causas effectivas,
quia causa effectiva (immediata add W 1495) notitiae intuitivae est ipsa res nota, causa autem
effectiva notitiae abstractivae est ipsamet notitia intuitiva vel aliquis habitus inclinans ad noti
tiam abstractivam. (Die mechanistische Kausalvorstellung, bei der mit der gegebenen causa
70 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
„Ökonomieprinzip“,120 die Formeln ‘non est inconveniens’, ‘non repugnat’ (‘non est
repugnans’), ‘non est magis (maior) ratio quod (non)’ stehen im selben Verhältnis
zur Empirie und bedeuten im Sinn der daran anknüpfenden Abstraktion eine
Ausweitung ins Reich der Kompatibilität (Vereinbarkeit). Sie dienen der persua-
sio, die den förmlich strengen Beweis ersetzt, oder, da dieser entfällt und unmög
lich oder gar unbegründbar ist, ‘Beweis’ schlechthin ist.121 Das Omnipotenzprin-
zip steht mit der Induktionsmethode an der Stelle (Schnitt), wo die Abstraktion
gegenüber dem freien und nicht mehr spezifizierbaren empirischen Gehalt nicht
in Folgerungen übergehen kann. Folgerung erscheint hypothetisch als Aufhebung
im Gegensinn zu jeder analytischen und zwangsläufigen natürlichen Folgerung.
Sie wird bei Ockham durch diesen Gegensinn zu künstlicher und sekundärer Fol-
gerung. Das bedeutet dann nochmals die Annäherung der Empirie (unter dem
Zeichen von Kontingenz) an die Abstraktion (abstrakten Sachverhalte).122
immediata der Effekt zwangsläufig eintritt, wird auf potentia und obiectum nicht übertragen:)
Similiter, posito quod ita esset quod actus non dependeret (nicht: causatur!) essentialiter nisi a
potentia et obiecto (was er nicht tut!), adhuc possent illi actus distingui specifice quia non est
inconveniens quod idem agens totaliter illimitatum simpliciter vel secundum quid producat
in eodem passo effectus specifice distinctos.“ Das obiectum und die potentia liefern keine Be
griffe, aus denen wir etwas folgern könnten; diese Folgerung existiert nicht. Sie wird persuasiv
aufgehoben. Das agens totaliter illimitatum ist nicht Gott; es wäre nur außerhalb unseres ordo
mundi setzbar, worin die Kausalmechanik empirisch ist (‘calor calefacit’), aber nicht begrifflich
(analytisch) im Sinne der Erkenntnisse in der Form der propositio immediata absolut erschlos
sen. Mit der distinctio secundum formam der notitiae sind wir nicht mehr auf der strikt em-
pirischen Ebene wie bei den causae essentiales. Für die Unterscheidung der beiden notitiae
wird die Empirie nicht festgehalten; sondern sie werden per persuasionem transempirisch un
terschieden; wir verlassen die Stufe des empirischen Gebrauchs der Begriffe, bei dem sie nicht
gefüllt und verbunden werden können. Wir kennen die Kausalität in se nicht empirisch und
ineins mit der Erfahrung oder sie reflektierend, sondern nur per potentiam divinam absolu
tam – supranaturaliter loquendo.
120. Für das Ökonomieprinzip besteht eine Beweisfunktion vorab in Bezug auf die Vermei-
dung von fallaciae, mit der empirische Befunde oder empirische (kontingente) Sätze festgehal-
ten werden.
121. Doch Ockham unterscheidet: ‘non potest probari, sed potest persuaderi’. Cf. Kap. 10: Ab
straktion und scholastischer Beweiszweck.
122. ‘Realempirische’ oder ‘kausalanalytische’ Erkenntnisvorstellungen begründen hier keinen
ausreichenden Einwand: K. Jaspers, Nikolaus Cusanus, 1968 p. 213f sah in der modernen ‘Krisis
der Wissenschaften’ eine Befreiung von metaphysischem Ballast inclusive Kausalitätsprinzip.
Für G. Frege, Begriffschrift, 1879 fielen Notwendigkeit und Implikation nicht zusammen, für
G. E. Moore nicht physikalische Kausalität und Implikation oder Notwendigkeit. Cf. R. R. Am-
merman, Classics of Analytical Philosophy, 1965 (zu G. E. Moore): „physics and psychology are
subject to psychological causal laws; but physical causal laws, at least in traditional physics,
can only be stated in terms of matter, which is both inferred and constructed, never a datum.“
Kapitel 1. Das Verhältnis der Begriffe bei Ockham 71
5. Die Beweislehre bleibt bei Ockham syllogistisch fixiert.125 Der Syllogismus nimmt
Sätze (Maior und Minor) auf, die induktiv und persuasiv begründet werden. Die
Ontologie ist kein Regulativ und Prinzip der Erkenntnissicherung. Bei H. Blumenberg, 1966
soll sie es für das Mittelalter sein und darum hermeneutisch das Argument der Wahl gegen
Ockham.
123. Einmal eben in der Form, dass er für einen vorübergehenden Selbstverlust des Menschen
im Mittelalter und der daran obligat sich anschließenden Selbstwiedergewinnung vermöge ei-
ner Reaktion auf diesen Tiefpunkt verantwortlich bzw. nützlich gewesen sei: H. Blumenberg,
Die Vorbereitung der Neuzeit, in: Philos. Rundschau 9, 1961 pp. 81–133 zuerst und dann in id.
1966. Blumenberg überfasste A. Maiers Bücher zur mittelalterlichen Naturphilosophie und
‘Physik’ und ging über zur Denunziation Ockhams als eines unter den Wahn von der Allmacht
und Willkür Gottes gebeugten Zerstörers des menschlichen Glaubens an sich selbst und seine
Vernunft. Gott wie Ockham werden – indiscernibel – Zielscheibe. Einer vermöge des anderen.
K. Bannach, A. Goddù, J. Beckmann, W. Vossenkuhl u. a. äußerten sich zu seinen Thesen un-
gläubig. Uns geht es um den strukturellen Stellenwert des Omnipotenzprinzips in Ockhams
Argumentationen. Das ist zuerst Sache von Beobachtungen, dann der Beschreibung, zuletzt
der Analyse der Argumentationszüge Ockhams.
124. Wir sehen in Ockhams Suppositionslogik eine Beitragsfunktion zur Widerlegung und
Entsprechung der Begrenzung der Themen und Auslegungen. Wir teilen daher nicht das pri-
mordiale Interesse, das ihr die Autoren im Sinne eines fundamentalen Einstiegs in Ockhams
Lehre zumessen, z. B. M. Kaufmann, 1994. G. Martin, Wilhelm von Ockham, 1949 p. v sah im
SK Beiträge zur Ontologie, die er in der SL vermisste.
125. Ein und derselbe Folgesatz (conclusio) kann syllogistisch durch verschiedene Media be-
wiesen werden (Prol. Ord. q. 1 OT I p. 10 lin. 5f): „eadem conclusio in distinctis scientiis per
distincta media potest evidenter probari“, wobei der Ausgang von verschiedenen Wissenschaf-
ten genommen werden muss, denn sonst gäbe es in je zweien ein und dieselbe Ordnung der Be
griffe, vermöge deren sie auch nur eine Wissenschaft wären. Das besagt, dass ein syllogistischer
Beweis je einer (ein intensional bestimmter) dadurch wird, dass in ihm die media ‘unmittelbar
zum Beweis sind’. Das können die Begriffe des zu beweisenden Satzes subiectum und passio
nicht sein, die sonst eben so in einem unmittelbaren Verhältnis stünden, dass ein Beweis nicht
nötig wäre. Was als conclusio des Beweises bedarf, um eingesehen oder gebilligt zu werden, be-
darf seiner als principium nicht. Wenn dann die conclusio wieder Prämisse wird, tritt folglich
72 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Lehre von den consequentiae (ihren Abarten) hat nicht vorrangig Beweisfunkti-
on.126 Sie dient der Erläuterung und kann so Ausschließungen bewirken, Extra-
polationen zurücknehmen, Extensionen begrenzen, also eigentlich reprobationes
bewirken und fundieren.127 Die Beweispraxis ruht auf der Induktion und der per-
suasio. Beweisnormen selbst können induktiv begründet werden. Dann müssen
andere Annahmen zuvor durch Gegenbeispiele (instantiae) diskreditiert worden
sein. Es macht Ockhams Logik aus, dass die logischen Regeln in die Beweisfüh
rung intermittierte Exempel sind. Außerhalb der Widerlegung haben sie keine
Funktion.128
ein anderer ordo auf, der zweier Wissenschaften, die nicht eine sein können (ib. p. 12 lin. 8–11):
Metaphysik und Theologie „considerant multa sive (besser W 1495 tam) subiectum sive (W
1495 quam, in Ed. unerwähnt ) passiones non habentia ordinem determinatum (besser W 1495
debitum) requisitum ad unitatem scientiae (der Ausgang ist von diesem ordo!), tales non faciunt
unam scientiam“. (Beispiel ib. p. 12 lin. 11–13): „theologia considerat multa tam (sic!) subiecta
quam (!) passiones quae non pertinent ad metaphysicam.“ Wollte man mithin die Metaphysik
für die Theologie ansetzen, so würde die eine womöglich die andere nicht erschöpfen, so dass
auch der Beweis für ihre Einheit entfiele. Wir blickten auch nicht auf (ib. lin. 8) „debito (sic!)
modo ordinatas“. Auch die grundlegende Definitheit der Begriffe (ihr Gehalt quasi) wäre nicht
notwendig gesichert. In Bezug auf die extensionale Gesamtgeltung der Begriffe gäbe es einen
Agnostizismus, der den Aspekt der Extensionalität auszuscheiden u. U. verlangt. Bei Ockhams
Unterscheidung von probatio und persuasio gilt ebenso agnostizistisch Vorsicht: Begriffe, die
persuasiv verwandt werden, sind empirisch und ungesichert, solche, die für die probatio zu
verlangen wären, hätten absolut zu sein; sie könnten nicht der Schöpfungsordnung, die wir de
facto haben, entstammen. Der Syllogismus bestimmt so nicht den Begriffsinhalt und impliziert
ihn nicht. Das ist nicht unwichtig mit Bezug auf die consequentia formalis.
126. Die pragmatische Operationsstruktur, die wir behandeln, wird nicht durch Ockhams mo-
dale Satzlogik und Syllogistik (cf. W. Lenzen, Ockhams modale Aussagenlogik, Arch. f. Gesch.
d. Philos. 75,2, 1993 pp. 125–159) ausgeschöpft oder initiiert. Ockhams Modallogik erschien
W. & M. Kneale, The Development of Logic, 1966 bei ihren sonst durchgängigen Vorbehalten
gegenüber Ockham einigermaßen bemerkenswert. Da wir Ockham keinen analytisch-seman-
tischen Erörterungs- oder Beweisführungsmodus unterstellen können, muss alles was einem
solchen zugeordnet werden könnte, mit Bezug auf Ockham funktional in einer bloßen Widerle
gung untergehen; es kann die im Wesentlichen konstruktiven Ermittlungen Ockhams nie lei
ten. Der modalen Aussagenlogik entspricht nach modernem Verständnis die ‘strict implication’
der mathematischen Intuitionisten (Brouwer und seine Schule). Cf. hier M. McCord Adams,
Did Ockham know of material and strict implication? Fr. St. 33, 1973 pp. 5–37. Beide Folgerungsar
ten sind, auf Kalküle gebracht, algebraisch aufeinander abbildbar und äquivalent, jedoch in
Ockhams Beweisoperationen funktionslos; sie erscheinen so ‘inexistent’.
127. Ockham sichert die Erkenntnis, indem er Annahmen argumentativ negieren kann, worin
sie falsch ausgelegt (gedeutet) wurde. Ihre Formen sind danach sekundär unproblematisch. Das
ist offenbar Ockhams ‘Ziel’.
128. Dabei hat die syllogistische Folgerung Vorrang vor der nicht syllogistischen. cf. Tractatus
de praedestinatione et de praescientia dei et de futuris contingentibus OP II, p. 522 lin. 60–71. Der
Kapitel 1. Das Verhältnis der Begriffe bei Ockham 73
Ockhams Operationen erscheinen als Methode und vereinigen sich zu einem Ge
samtmodell, worin seine Problemlösungen Platz finden.129 Es bezieht sich auf die
antezedente Scholastik, wie es scheint bewusst, als Revision. Erkenntniskritik lei-
tet in die Methodologie über.130 Eine methodische Bindung des Arguments gibt es
schon z. T. bei Duns Scotus.131 Dessen Argumentieren ist wo es in ausgebreiteter Form
Syllogismus hat eine klärende Funktion (ib. 523 lin. 91–93): „Unde mirum non est si ex praemis-
sis incompossibilibus sequitur conclusio impossibilis, quia in syllogismo ex oppositis sequitur
conclusio impossibilis.“ Diese conclusio kann dann ib. lin. 97 ein impossibile sein ‘Deus fallitur’.
Das ist aber ein Faktum praeter syllogismum. Für einen solchen Satz können die Verwendung
des Modus modo composito und die modo diviso gleichermaßen entfallen. Die Syllogistik der
SL zielt auf Zulässigkeit von im Verhältnis modal aufzufassender Sätze, nicht etwa auf Not
wendigkeit im Verhältnis von Inhalten und danach Erkenntnis. Fundamental sind propositio
contingens und notitia intuitiva Erkenntnis.
129. Hier werden die wissenschaftlichen und gesellschaftspraktischen Regulative der Neu-
zeit wie ‘Richtigkeit’ und ‘Verbindlichkeit’ nicht eigentlich kreditiert werden können. Cf. E. v.
Savigny, Die Philosophie der normalen Sprache, 1969 p. 9 sah die neuzeitliche Philosophie un-
mittelbar von der Absicht bestimmt für das Erkennen nicht nur ‘Richtigkeit’, sondern sogar
(und mehr) die ‘Verbindlichkeit’ zu sichern. Doch Ockham wahrt das Moment technischer Ver
standestätigkeit auch noch, wo vergleichbar L. Wittgenstein, Logische Untersuchungen (1947–
1949) und der ‘Philosophie der normalen Sprache’ dem von unwillkürlichen irrationalen naiven
Sprachverständnissen irregeführten „Individuum“ ‘Richtigkeit’ und ‘Verbindlichkeit’ letztlich
eher entwunden werden. Das Individuum noch einmal wie frühneuzeitlich von Vorurteilen
missleitet, die nun die nur geheim regulierte Sprache als Irrtümer, unabdingbares und unent-
wegtes ‘Sich Verrennen’ ihm auferlegt, soll naiv-unwillkürliche i.e. philosophische Annahmen
korrigieren, taucht aber nur in eine selbst unstabile, oft in Aporien mündende Kritik ein.
130. Wenn diese Methodologie in die Kompendien zur Logik (Summa Logicae, u. a.) eingeht,
erscheint sie nicht eigentlich konstruktiv. Dass Ockham mit der Logik die realistische Onto
logie eliminieren wollte, kann man behaupten, weil er es tat. Schwerer dürfte es sein, sie als
konstitutiven Bestandteil oder pars integralis seiner erkenntnistheoretischen oder theologi
schen Lösungen zu beschreiben, außer man sieht ihren Widerlegungscharakter, etwa bei der
Suppositionslehre. Sie u. a. suspendiert das Widerspruchsprinzip.
131. Das Verfahren des Duns Scotus lässt sich kompakt und anschaulich studieren in
W. Kluxen (ed. Transl. und comm.), Johannes Duns Scotus Abhandlung über das erste Prin-
zip, 1974 (De Primo Principio). Hier greifen die deduktiven Beweise, bedingt oder vermeintlich
in logischer Form verfasst, ineinander und nehmen aufeinander integrativ Bezug. Wenn das
Beweisen (potentiell damit auch die Anwendung der Logik) resp. der Gottesbeweis program-
matisch und konzeptuell auf eine unerwartete, indes nur scheinbare ‘Höhe’ gebracht wird,
kann das gleichwohl von Ockham praktisch nicht anerkannt werden. Das dependiert nicht aus
Ockhams Ablehnung des ontologischen Realismus, die man gern als Signum mittelalterlichen
Verfalls sieht. So noch H. Blumenberg, 1966. Ockhams Kritik am Scotischen Konzept der scien
tia betrifft nicht konstitutionell den Universalienrealismus; ihn nur soweit wie er in Ockhams
Argumentation für Begriffs- und Satzfolgen oder -zusammenhänge analoge Aktwertigkeiten
zu meinen hätte. Ockham greift in der ‘Sache’ Scotische Behauptungen, Thesen, Beweise auf,
74 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
auftritt naiv.132 Ockham kann weder alle thematischen Gegenstände noch alle begriff-
lichen Hilfsmittel der Scotischen Operationen und Lösungen direkt legitimieren; er
sichert nicht die Ontologie (ontologische Begriffe), nicht Gott und dessen Allmacht, es
sei denn man will Ockhams Operationen in toto für einen integralen Gottesbeweis
halten. Inclusive des faktischen Gottesbeweises, den Ockham in der Emendation des
Scotischen gibt, lassen sich alle seine Operationen (in toto und einzeln) ihrer wis-
senschaftlichen Relevanz nach als eine ‘Grenze’ (terminus inclusivus) bezeichnen, die
das menschliche Subjekt nach seiner vermögendlichen Aktuation statuiert und Gott
als den terminus exclusivus dieser Welt ‘beibehält’. Gott steht zu dieser Welt dort und
genau im Sinne von Kompatibilität (mit ihr und für sie gegebenen begrifflich nach der
Erfahrung bestimmten Kundgaben), wo wir den Begriffen und ihren Kompositionen
einen semantischen Sinn nicht geben können.133 Ockham weigert sich der Apologie
wie der Inkulpation. Er lässt sich auch nicht hermeneutisch inkriminieren. Er ist kein
deren denkbare Reichweite damit angefochten, aber nicht explizit erörtert wird. Wenn die ‘Be
griffe’ dabei ohne ein „intentionales Moment“ zu verstehen sind (cf. M. T. Liske, Veranlasste die
Universalienlehre Ockham, die Prädikation zuletzt ohne ein intentionales Moment zu verstehen?
Theologie und Philosophie, Vjschr. 69, 1994 pp. 511–536), dann weil die Verbindung von Begriff
zu Begriff und von Satz zu Satz, im Syllogismus und außerhalb, ohne das logische Moment der
Implikation und so nicht-semantisch zu verstehen ist.
132. Sein Mangel besteht letztlich in der inakkuraten Bindung der (wenn denn) logischen
Operation oder Argumentationsform an den begrifflichen Faktor mit dem impliziten empiri-
schen (also ‘naiven’) Geltungsanspruch. Man muss hier ‘empirisch’ und ‘deduktiv’ gleichsetzen;
und das nochmals wenn er über das logische Operieren disponiert, so wenn er das (bisherige)
Fehlen von Widerspruchserweisen als ‘Beweis’ wertet. Ockham geißelt fast dieses Argument,
das zugleich eine These oder eine Maxime (ein Postulat) ist, nicht anders als das andere, das
Duns Scotus mit Thomas von Aquin teilt, dass die Erkenntnis, die ein höheres Wesen anders
als wir von Gott hat, per Postulat unseren Mangel kompensiere und daher prävalent ‘für’ unsere
Erkenntnis genommen werden dürfe (stehe). Solche Kritik aber muss natürlich schon dem Sco-
tischen Gebrauch der Adäquatheitshypothese gelten, die ebenfalls in Appellform vorgebracht
wird. Ockham refutiert das Adäquatheitsprinzip. Auch sie wird von Duns Scotus per petitio
principii ad hoc in den Deduktionsverlauf eingebracht (eingeschleust) und gilt hier hypothe-
tisch abstrakt und empirisch zugleich. Hier ist die Scotische Deduktionsart nach dem Paradox
von Löwenheim und Skolem zu kritisieren. Was beweisintern gelten ‘können’ soll, fungiert
doch beweisextern.
133. Hier wirken die beiden Aktbegriffe notitia intuitiva und notitia abstractiva kompensierend.
M. Renemann, Gedanken als Wirkursachen. Francisco Suárez zur geistigen Hervorbringung.
2010 p. 52 hebt die formell geringe Differenz von notitia intuitiva und notitia abstractiva her-
vor. Sie ist Ockham bewusst. Denn dagegen begründet er ihre distinctio secundum formam
seu speciem. cf. Anm. 119 o. Erst funktionell, sc. in der Reichweite, entfalten die (Definitionen
beider) notitiae ihre Qualität.
Kapitel 1. Das Verhältnis der Begriffe bei Ockham 75
134. H. Blumenberg, Die Vorbereitung der Neuzeit, in: Philos. Rundschau 9, 1961 pp. 81–133
will eine solche Wende mit Tendenz gegen Ockham mit Johannes von Mirecourt beginnen
lassen. Er schreibt ihm p. 104 einen Zwiespalt zwischen hyperbolischer Auslegung der Weltge-
setze secundum potentiam divinam absolutam und reduktiver positivistischer Welterkenntnis
secundum potentiam humanam zu mitsamt einer furchtvollen Tendenz, von jener zu dieser
sich zu bewegen. Id. 1966 p. 164 weist zu Johannes von Mirecourt darauf hin, dass er die pu
tativ-skeptizistische Behauptung, es könne eine notitia intuitiva ohne Objekt geben als opinio
communis seiner Epoche bezeichnet habe. Wenn Johannes von Mirecourt sie nicht teilte, so
hätte seine angebliche Furcht womöglich auf die gezielt, die sie, die selbst für ketzerisch galt,
vertraten: potentiell die nominales von Paris (cf. ib. p. 164 Anm. 98). Für Ockham selbst gab es
keinen Widerspruch, sondern nur eine intensionale Divergenz zwischen dem ‘puta a Deo’ und
dem ‘secundum cursum naturalem’. Johannes von Mirecourt hätte, als Opponent Ockhams,
gesagt (Blumenberg, 1961 ib.) „quod nullam actionem causae secundae posset deus agere se so
lo“, was zu bedeuten hätte, dass die actio causae secundae den Inbegriff des Widerspruchssatzes
darzustellen vermöchte, den Blumenberg (1966 p. 164) Mirecourt als Notanker gegen Ockhams
nach dem Omnipotenzprinzip waltenden Willkürgott unwillkürlich entdecken lässt: Gott kön
ne zuletzt wenigstens nicht das Geschehene ungeschehen machen. Die Ansicht ist Ockham
bekannt: cf. K. Bannach, Relationen. Ihre Theorie in der spätmittelalterlichen Theologie und bei
Luther, Freiburger Zeitschr. f. Philos. und Theol. 2000 (47) pp. 101–126, p. 116 Anm. 45 zitiert
Ockham Tractatus de praedestinatione et de praescientia Dei respectu futurorum contingentium
OP II p. 507 lin. 11f: „secundum Philosophum, VI Ethicorum: ‘Hoc solo privatur Deus, ingenita
facere quae facta sunt’.“ Ebenso Ockham, Quaestiones in Libros Physicorum Aristotelis q. 32 OP
VI p. 476 lin. 3f: „VI Ethicorum dicitur quod hoc solo privatur Deus: ingenita facere facta sunt.’“
Cf. auch Ord. d. 30 q. 2 OT IV p. 323 lin. 17ff: „Si haec sit semel ‘Sortes est’, haec erit postea neces-
saria ‘Sortes fuit’; ita quod etiam secundum theologos Deus non potest facere eam esse falsam.“
Ockham richtet sich implizit gegen den per se theologischen Gebrauch des Omnipotenzprin-
zips. Wir stehen außerhalb der Anwendung des Omnipotenzprinzips, das Ockham den Rai-
sonnements des Aristoteles öfter entgegensetzt. Cf. Quaestiones in Libros Physicorum Aristotelis
q. 32 OP VI p. 480 lin. 103ff: (Deus) „non potest facere quin praeteritum sit praeteritum et quin
illud quod est praeteritum aliquando fuerit.“ Zu Ockhams allgemeiner Haltung zu Aristoteles
cf. Bannach ib. p. 118. Die Wirkung einer bestimmten obschon existenten causa hält Ockham
nun für unbeweisbar – wie er mittels des Omnipotenzprinzips dartut. In diesem Beweis erlischt
auch das Widerspruchsprinzip, wie oft wenn Ockham ähnliche Beweise führt; selbst wo er sagt:
‘non est contradictio’ etc. Mirecourt könnte Ockham nach dessen Präventionen gar nicht die
vermeinte Tendenzbekundung sachlich inadäquat zuschreiben.
kapitel 2
Suppositionslogische Identität
und Kontingenz
Allgemeine Aussagen lassen sich schwer charakterisieren. Wenn man zudem da-
von ausgeht, dass die beiden Begriffe, die (elementare) Aussagen, wesentlich bilden,
verschiedenen Begriffsarten angehören, kann nicht einer der Begriffe (subiectum) in
den Aussagen ausgelegt werden. Das besagt deren Kontingenz. Es gibt für Ockham
kein Wissen, das nicht (einzig) diesen Begriffen und Aussagen angehörte. Ockham
ermittelt über die Begriffs- und Satzstruktur und betrachtet sie selbst als vorgangs
los, wenigstens was die Bestimmung, Existenz (Gegebenheit) oder Gewissheit der Er
kenntnis angeht. Er geht von der Kontingenz der Sachen extra mentem ebenso wie
von Kontingenz als intensionaler Eigentümlichkeit der Sätze (kontingenten Sätzen)
aus. Kontingente Fälle, zu denen kontingente Sätze gehören, entscheiden über all-
gemeine Maximen, wenn diese ontologische Auslegungen zu in kontingenten Sätzen
ausgesprochenen Satzgehalten sind. Die allgemeinen Maximen werden so notwendig
. Cf. J. Lukasiewicz, The Logic of Aristotle, 11951, p. 149: „(Aristotle) apparently regards is
as obvious that the proposition ‘Man is an animal’ or better ‘Every man is an animal’ so that
the predicate ‘animal’ is contained in the subject ‘man’. Propositions in which the predicate is
contained in the subject are called ‘analytic’, and we shall probably be right in supposing that
Aristotle would have regarded all analytic propositions based on definitions as apodeictic, since
he says in the Posterior Analytics that essential predicates belong to things necessarily, and es-
sential predicates result from definitions.“ Nach Erwägungen ib. p. 151: „We are compelled to
assume that no analytic proposition is necessary.“ Cf. auch P. Lorenzen, Normative Logic and
Ethics, 1969.
. Nach Lukasiewicz, op. cit. loc. cit. sollen wir zwischen der Beziehung unter terms und der
zwischen propositions unterscheiden. Das müssen wir, wenn wir Ockham gestatten wollen,
mittels der Induktion oder sie einschließend, reprobativ Beweise zu führen. Ockham operiert
nicht über den Wahrheitswert verschiedener Sätze, seien es kontingente oder ‘notwendige’ oder
essentielle Aussagen, sondern über den Erkenntnischarakter (und somit deren Wert) von Aus
sagen. Er vermengt oder verwechselt also nicht Erkenntniswert und Wahrheitswert. Entschei
dend ist die Argumentation: ohne Diskussion über vorausgesetzte (‘gedachte’) Eigenschaften
von Sätzen. Es werden Widerlegungen auch mit nicht unbedingt oder explizit bestimmten,
nicht bis in die letzte Konsequenz unterscheidbaren Sätzen möglich. S. Beispiel propositio per se
nota und das Beispiel ‘substantia animae est intellectus’.
78 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
. Deren Nähe zur Ontologie kann wahrscheinlich überhaupt nicht bestritten werden. Hier-
mit ist dann grundgelegt, dass wir immer weiter, auch in Ockhams Philosophie, vorab aristote
lische ontologische Grundbegriffe benötigen und gebrauchen wie causa finalis usw. usw. On
tologie und Widerlegung werden insofern Gegensätze bilden, als Widerlegung, wenn sie auch
ontologische Auslegungen und Grundsätze betrifft, mit der Begründung von Ontologie durch
indirekte Beweise im Gegensatz stehen muss. Das heißt: die Widerlegung hat am Ende mehr Af
finität zur Induktion als zur Aussagenlogik. Das bedingt die besondere Form, den Einsatz der
Widerlegung in der Suppositionslogik. Der ontologische Grundbegriff kann aber wiederum
seinem Gebrauch nach induktiv begründet werden und durch Induktionen funktionale Bestä-
tigung (qua Einschränkung) erhalten. Er ist so per se und somit überhaupt nicht widerlegbar.
In Widerlegungen wird aber seine reale ‘Erfülltheit’ negiert.
. Wir haben so notwendig keine oder nicht notwendig Sachgehalte oder Inhalte, die den
Sätzen (als actus apprehensivi) vorausliegen könnten. Sie werden durch die Induktion ausge
schlossen. Keine Induktion begründet sie. Sie müssten die Basis von Induktionen sein, was
ausgeschlossen ist.
. Für die Bestimmung der Erkenntnis stehen dann die Akte notitia intuitiva und notitia ab
stractiva. Diese beiden notitiae werden, wenn sie die Kontingenz erfassen sollen, voneinander
dadurch unterschieden, dass sie grosso modo zunächst den Realbezug divergent und different
geben oder ausdrücken. Die eine (notitia intuitiva) bezeichnet den unmittelbaren (= förmlich
erfüllten) Realitätsbezug (auf die res extra), die andere (notitia abstractiva) abstrahiert von
ihm und suspendiert ihn. Dass dann die notitia intuitiva ebenfalls eine reelle Erfüllung nicht
bedingungslos besitzen können muss, ‘folgt’ aus deren rein mentaler oder intensionaler Defini
tion, in welcher sie als res absoluta von dem obiectum extra animam (der res extra mentem)
im Sinn der sogenannten distinctio realis unterschieden und faktisch getrennt ist. Ockham
definiert (und operiert) nicht aus dem Status der per se und extensional gedachten Erfüllung.
(Auch der Begriff ‘folgt’ muss hier mit einem negativen Akzent gedacht werden, welcher be
sagt, dass die consequentia, welche die reelle Erfüllung zu gebieten hätte, negiert werden und
de facto nicht gezogen werden kann; in diesem intensionalen (negativen) Sinn oder Akzent
nimmt sich Folgerung wie andere Größen aus, die auch nicht faktisch schon erfüllt gedacht
werden müssen. So etwa accidens (in Sonderheit bei naturphilosophischen Sätzen), der Modus,
der einem (kontingenten!) Satz modo composito beitritt (cf. Kap. 1, dort zur Bestimmung der
Induktionsbasis s. auch Anm. 11) Beide notitiae zusammen erfassen den gesamten Begriffsge-
brauch der kontingenten Sätze, i.e. innerhalb kontingenter Sätzen, und sie „egalisieren“ so als
intensionale Größen die Wirklichkeit. („Egalisieren“ muss aber so bereits a parte intellectus
verstanden werden). Die Eindringung in die Wirklichkeit in se wird also aufgegeben (i.e. die
Bestimmung und die Fiktion eines Denkens ex parte rei). Indessen wird intentionaliter pro re
in se gedacht. Beide notitiae aber lassen sich auch noch anders unterscheiden (Rep. II q. 13–14,
OT V p. 257 lin. 12–15): „nec formatio complexi nec actus assentiendi complexo est cognitio
intuitiva. Quia utraque cognitio est cognitio complexa, et cognitio intuitiva est incomplexa“:
Der Begriff der notitia intuitiva ist damit gleichsam rekursiv verwandt worden, insofern er
Kapitel 2. Suppositionslogische Identität und Kontingenz 79
Form und Bestimmung für unverwechselbar hält. Wir müssen uns aber doch fra-
gen, wie weit dabei eine näherhin sinnliche Vorstellung in der Auslegung der Begriffe
beteiligt ist und sie für die Definition der Begriffe, der Sätze und schließlich der Er
kenntnis, wie Ockham sie handhabt, relevant ist. Wieweit sie noch mitwirkt, weil
sie nicht getilgt oder ausgeschlossen sei. Hier tritt bei Ockham komplementär der
Zeichenbegriff in sein Recht. Dieser erscheint für die Begriffe (und Sätze) bereits,
förmlich in seiner Gesamtheit intensional ebenso partikular wie allgemein verwandt worden
ist. Jeder nicht zusammengesetzte Akt wird in Bezug auf die Definitheit und Nähe zu ihr notitia
intuitiva genannt und e converso. Das erlaubt die Induktion, womit dann das Argument in der
Nähe zur Widerlegung und Ausschließung steht. Die notitia intuitiva umfasst actus apprehensi
vus und actus iudicativus, wie die notitia abstractiva damit auch über die Kontingenz und die
Legitimation durch die notitia intuitiva approbierte Sätze und Erkenntnisse erlaubt.
. Ockham suggeriert (Rep. II q. 14 OT V p. 351 lin. 3–12), dass der Körper, mit der anima ver
bunden, für gewisse ihrer Leistungen Mitwirkungscharakter habe, ohne dass die causa präzise
angegeben werden könne. Der Körper wirkt nicht in einem genauer kennbaren Sinn von causa
auf unsere anima ein, denn er ist nicht von dieser unterschieden wahrnehmbar wie die causa in
der äußeren Empirie. Von dieser muss also abgesehen werden, obwohl Erfahrung doch leitend
ist. Die Erfahrung ist aber nie mit einer Dingidentität identisch. Insofern ist die Konsistenz
gewahrt. Eine Singularität ist nach Ockham sowohl nach forma wie materia gegen eine andere
Singularität differenziert. Aber die materia wird logisch per formam modifiziert. Wir haben es
mit einer Stufenverschiedenheit zu tun. Nicht mit einem Widerspruch infolgedessen. Wenn wir
die Stufen vermengen, bekommen wir einen Widerspruch. Es sind solche Widersprüche, die
aus der Stufenvermengung stammen, die Ockham mit seinen Reflexionen für seine solutiones
bereinigt. Das affiziert den Begriff der Folgerung (Implikation). Die Argumentation, die wir
vorführen, tritt an deren Stelle.
. Der actus apprehensivus nimmt die Begriffe und die Sätze auf, wie sie im Verstande sind.
Hierin werden sie nach Eigenschaften und Verschiedenheiten per Induktion charakterisiert.
Die Induktion greift dabei implizit über die Mentalsphäre hinaus und bezieht sich auf die Reali
tät extra mentem, i.e. wie die Begriffe reale Bedeutung haben können und das bedeutet grund-
sätzlich die res als singulare und significatio. Daneben wird nichts Inhaltliches in diese actus,
die selbst Relationen bedeuten, aufgenommen. Die Frage, die offen bleibt, ist die nach dem
Wissen. Hier haben die Zeitgenossen und spätere Historiker Auffassungsschwierigkeiten be-
kundet. Bei Ockham gibt es ein Wissen gleichsam nur alles betreffend, was in actus apprehensi
vi im Verstand vorhanden ist und ihm auch selbst dargeboten. Wenn was in diesen actus appre
hensivi manifestiert ist, durch species und zusätzliche entia inhaltlich (und das wäre es) ergänzt
werden sollte, würden wir immer zu Paradoxien, Ungereimtheiten, fallaciae, consequentiae
falsae et simpliciter falsae kommen. Hier ankert Ockham methodologisch.
. Die SL beginnt bereits mit der Erklärung bzw. Appellation des Zeichenbegriffs. Der reicht
bis in die Erörterungen zur Bestimmung des Begriffs als mentaler Erscheinung. Ockham wider-
spricht der ur-nominalistischen These Roscellins aus dem 12. Jahrhundert (Ord. d. 2 q. 8 OT II
p. 271 lin. 1f): „posset esse opinio: quod nihil est universale ex natura sua, sed tantum ex instituti
one, illo modo quo vox est universalis“, wenn er sagt (ib. lin. 9–12): „Sed haec non videtur vera,
quia tunc nihil ex natura sua esset species vel genus nec econverso, et tunc aequaliter posset
80 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
wenn Ockham den kontingenten Satz definiert und ihn als erkennenden über die
suppositionslogische Identität der Begriffe im (kontingenten) Satz und allein über die
se bestimmt und erörtert, dann aber schließlich auch in den Widerlegungsbeweisen
mittels der ‘Suppositionslogik’ den kontingenten Satz, die suppositionslogische Iden
tität, ja noch Abstraktion und Induktion bewerkstelligt. Damit wird die Erkenntnis
in einer Art formalisiert, welche sie von der normalen philosophischen Erörterung,
gerade auch reflexiv in Erkenntnisfragen, und zwar der des Mittelalters wie der Neu-
zeit trennt und unterscheidet.10
In der Suppositionslogik11 müssen, wenn subiectum und passio (praedicatum)
übereinstimmend mit der Bestimmung dieser ‘Begriffe’ inhaltliche (intensionale)
Deus et substantia extra animam esse universale sicut quicquid quod est in anima, quod non
videtur verum.“ Ockham will aber zur Abstraktion im Verstande gelangen, die den Unterschied
zwischen Verstand und Realität besagen soll (ib. lin. 14 – p. 272 lin. 3): „Ideo potest aliter dici
probabiliter: quod universale non est aliquid reale habens esse subiectivum, nec in anima, nec
extra animam. sed tantum habet esse obiectivum in anima, et est quoddam fictum habens esse
tale in esse obiectivo quale habet res extra in esse subiectivo. Et hoc per istum modum quod
intellectus videns aliquam rem extra animam; fingit consimilem rem in mente.“ Und deutlich
(ib. lin. 17–19): „Et ita isto modo universale non est per generationem sed per abstractionem,
quae non est nisi fictio quaedam.“ Der Verstand ‘bricht’ mit der Abstraktion die unbedingte
naturale Obligation, nach der Begriff und Begriffsbildung von der res extra animam auszuge-
hen hätten. Cf. ib. q. 7 p. 261 lin. 13–20: „dico quod natura occulte operatur in universalibus,
non quod producat ipsa universalia extra animam tamquam aliqua realia, sed quia producendo
cognitionem suam in anima, quasi occulte – saltem /§ immediate vel §/ mediate – producit illa
universalia, illo modo quo nata sunt produci. Et ideo omnis communitas isto modo est natura-
lis, et a singularitate procedit, nec oporteret illud quod isto modo fit a natura esse extra animam,
sed potest esse in anima.“ Nach Ockham (ib. lin. 7–10) meint auch Boethius nicht, dass der
Begriff als species „sit totum esse individuorum, sed quod dicit totum esse individuorum, sicut
quodammodo signum quod non est signatum (sic! Cf. o.).“ Doch: ‘universale’ est species.
. Doch bleibt die Formalisierung (Formalität) eine innere des Begriffs und des Satzes.
10. Ockham muss gewisse inhaltliche Fragen nicht mehr beantworten, Probleme inhaltlich
nicht mehr stellen. Sie werden nach seiner Technik nicht als inhaltliche erscheinen können.
Dabei s. auch Anm. 6 o. Auch hier wird ja sichtbar, dass die relatio inter sensus (corpus) und
anima (intellectus), selbst wo angenommen, nicht distinkt ins Bewusstsein trete, so dass die
Methode sie nicht greifen kann; sie ist nicht präzise bekannt. Aber sie erhebt sich über der Er-
fahrung, der sie nicht widerspricht, wenngleich sie sie nicht ausführt. Das gehört zur Abstrak-
tion, zu den Relationen und schließlich noch zur supranaturalen Deutung solcher Begriffe, die
dem empirischen Verständnis entstammen, das Ockham ausdrücklich für seine Erläuterungen
in der sacra theologia verwendet, um sie expressis verbis menschennah zu halten. Es scheint
ihm dies ein Vorzug zu sein, weil sonst etwa die Verhältnisse zwischen den personae, die der
Erfahrung und Konkretion entzogen sind, unverständlich blieben. Wir werden zeigen müssen,
wie die Abstraktion da vonstatten geht.
11. Die Suppositionslogik erklärt den ‘kontingenten’ Satz. Wäre es anders, müssten alle mögli
chen Logiken miteinander verglichen und ins Gleichgewicht gesetzt werden; dass die Supposi
Kapitel 2. Suppositionslogische Identität und Kontingenz 81
Qualität haben sollen, die Folgerungen wegfallen, die das zu begründen hätten:12 so
mit können nur Folgerungen zugelassen werden, die eine solche Begründung nicht
enthalten.13 Sie haben dann, im Grunde induktiv, eine Bedeutung für die Begründung
der Aussagen und die Auffassungen der inhaltlichen Spezifität der Begriffe. Beispiel:14
„Quamvis in ista ‘Sortes est homo’, ly homo supponat pro Sorte, non tamen praecise
pro Sorte, quia potentialiter – secundum modum loquendi Logicorum – supponit pro
quolibet homine, quia infertur ex quolibet, et terminus semper in talibus supponit pro
eisdem, quia de omnibus de quibus verificatur. Non tamen verificatur ista ‘Sortes est
homo’, nisi pro Sorte, et ideo non est idem dicere: ‘Sortes est homo’ et ‘Sortes est Sor-
tes’.“ Für Ockham supponiert der Allgemeinbegriff ‘homo’, der für alle Menschen (als
individua) gleichermaßen gilt, nicht vermöge der Qualität des Menschseins, derart
‘ex natura humanitatis in Socrate’ erschließbar,15 sondern „pro quolibet homine, quia
infertur ex quolibet“. Er kann also angesichts eines jeden beliebigen Menschen gleich
gebildet und erworben werden. Er wird dann auf Sokrates angewandt, weil er auf alle
Menschen angewandt wird oder werden kann. Es gibt keinen Grund dafür, ihn nicht
tionslogik mit der aussagenlogischen consequentia materialis vereinbar ist, erweist sich, wenn
Ockham unter Gebrauch der suppositionslogischen Funktionen suppositio simplex und sup-
positio personalis widerlegend verfährt: allgemeine Sätze werden als absurde (simpliciter fal-
sae) erwiesen, was bedeutet, dass sie keine Erfüllung haben können. In dem Sinn kommt man
zur Kontingenz, die, wie schon die Begründung der Suppositionslogik zeigt, Absurdität aus
schließt.
12. Wollten wir es anders ansetzen, so wären je die Begriffe + Bestimmung als Erweiterung des
Inhalts der Begriffe zu denken. Am Ende hätte man den zusätzlichen Inhalt (der Begriffe alias
Bestimmungen) fiktiv als Folgerung und deren Geltung oder Anberaumung in Äquivalenz mit
diesem Inhalt. Logik und Ontologie wären eines. Cf. auch Kap. 3 Anm. 83.
13. Es entscheidet dies, wie leicht ersichtlich, über die Lehre von den Folgerungen und deren
Diversität; man kann sagen: die verschiedenen Folgerungen werden nach ihrer Differenz in
duktiv eingesetzt und begründet. Mit dem geänderten Fall wird je eine neue Folgerungsart
denkbar und intensional, i.e. für den Akt des Verstandes insoweit gerechtfertigt. Mehr muss für
die Suppositonslogik nicht geleistet werden und infolgedessen kann wiederum von ihr mehr
nicht geleistet werden, so dass sie denn auch philosophisch für die Beantwortung aller Fra
gen nicht ausreicht. Diejenigen Autoren, die in Ockhams Suppositionslogik alle seine Leistun
gen, Meinungen, Begründungen usw. ebenso wohl induziert wie begrenzt und überhaupt be
schlossen sehen, implizieren den Folgerungsbegriff, der auf dem Felde der Suppositionslogik
Ockhams schon gerade von ihm exterminiert wird.
14. Ord. d. 2 q. 7 OT II p. 257 lin. 3–9.
15. Cf. ib. p. 256 lin. 9f „nihil a parte rei est univocum quibuscumque individuis.“ Univozität
wird von Begriffen ausgesagt, nicht kraft einer universalitas in re (oder rebus) „et tamen est
aliquid praedicabile in quid de individuis.“ Fragt man nach der Begründung, ist die Antwort:
durch abgelehnte Folgerungen und entsprechend zulässige. S. Anm. 13 Eine zulässige Konse-
quenz stützt quasi akzidentell die Abstraktion (Allgemeinheit), eine unzulässige ist insignifi
kant im Sinne der der Abstraktion widerstreitenden Individualität. S. auch Anm. 18.
82 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
auf diesen anzuwenden.16 Nie kann nach dieser Sachlage, besonders insofern auch die
intensionale Bestimmung eines Satzes nicht per Folgerung oder eine Folgerung ent
sprechend Teil dieses Satzes sein kann,17 Absurdität im Bereich der mit kontingenten
Aussagen befassten Suppositionslogik ausgedrückt, i.e. als Teil und (oder) als Gegen
stand der Bestimmungen von Elementen mit intensionaler Qualität aufgefasst oder
bezeichnet werden. So ist die Kontingenz selbst, wie sie denn für Sätze grundlegend
festgestellt wird, Gegenteil der Absurdität, die nicht für den Satz apostrophiert und
nicht als modaliter in ihn eingeschlossen gesehen werden kann. Es gibt somit wie
derum für den Satz, i.e. für den im Kern kontingenten Satz und weitere Sätze, die hier
denkbar anknüpfen, keine Folgerung, die positiv oder negativ etwas in ihm ermittelte;
so auch nicht über die Absurdität. Absurdität ist darum erst mit consequentiae verbun
den (gegeben) = ermittelbar.18 Nicht aber mit dem Satz in sich.19 Die Folgerung kann
nie zur empirisch fundierten Erkenntnis gehören (stimmen).
16. Es ist evident, dass ein Schluss wie dieser: ‘Socrates est homo’, ergo ‘Socrates est Socrates’
nicht zugelassen werden kann. Damit wird aber auch über die Grundlegungsqualität von Fol
gerungen in Sachfragen einschließlich eben bezüglich der Folgerungen selbst entschieden. Was
u. a. bewiesen wird dadurch, dass der umgekehrte Schluss ‘Socrates est Socrates’ ergo ‘Socrates
est homo’ überhaupt gar nicht zulässig wäre. Wir haben überhaupt keinen Folgerungsbegriff,
der dem entspräche, wenn wir denn ‘Socrates est Socrates’ als Satz akzeptiert haben. Eben das
sollen wir aber nach Ockham nicht tun. Ockhams Konsequenz beruht also auf einer Kon-
sistenz, welche die Reflexion auf (die) Folgerung oder deren Begriff einschließt. Dabei kann
natürlich der Einzelfall einer abgelehnten Folgerung, entsprechend einer zugelassenen anderen,
immer als Beispiel und im Sinne einer allgemeinen Begründungsqualität gelten; dass die Folge-
rungen untereinander eine (‘ihre’) Folge und Reihenfolge besitzen müssten, ist bereits im Sinn
der multiplen Folgerungsarten (bei Ockham) ausgeschlossen, die sonst nicht möglich wäre;
zugleich gilt, dass ja (für Ockham) Sätze immer multipel, beliebig und damit untereinander am
Ende independent verwendbar sein müssen. Folglich liegt die Definitheit außerhalb der Sätze
nicht ‘in’ ihnen.
17. Dies hat insbesondere zu bedeuten, dass die modalen Bestimmungen eines Satzes modo
composito, deren Einsetzung und Möglichkeit damit erklärt wird, eine Konsequenz bedeuten
und auf einer beruhen. Die modale Bestimmung eines Satzes modo diviso gilt von dem Satz
ganz im Sinn der Bestimmung des kontingenten Satzes, für den in dem Sinne dann auch die
Folgerung als in ihm angelegte Eigenschaft ausscheidet.
18. Autrecourt sah Kontingenz der Erkenntnis oder wahrheitsfähigen Aussage und Absurdität
(als Widerlegbarkeit = generelle Bezweifelbarkeit) nebeneinander bestehen.
19. Die mit den Bedingungen der Gewinnung der Begriffe genannte Suspension der Folgerun
gen (von mehreren Folgerungen) muss immer bedeuten, dass in Übereinstimmung mit der
Definitheit, welchem dem terminus zukommen sollte, ja auch zugesprochen werden kann,
keine Folgerung (Logik) überhaupt existieren möge. Das wird hier induktiv geschlossen, weil
die Begründung der termini, wie sie der Erfahrung entstammen soll, die Folgerung nicht
voraussetzt und vielfach nicht zulässt. Auch ist erkennbar, dass Autrecourt sie gar nicht bezüg-
lich der als empirisch und abstrakt zu sichernden Erkenntnis verlangen konnte: die Folgerung
Kapitel 2. Suppositionslogische Identität und Kontingenz 83
Es gibt den Einschluss des einen Elements in dem anderen nicht, der sie zusam
menbände:20 „Et ideo in ista propositione: ‘Sorti inest albedo’, melius est dicere quod
copula (significat) significet illam inhaerentiam (actualem) accidentalem. Et tunc to-
tum complexum habebit esse extra animam, quia tam extrema quam copula. Vel si
complexum habet tantum esse obiective quod copula habet conceptum absolutum
per unionem et non per praedicationem, licet ille conceptus significet respectum (re-
alem) realis inhaerentiae.“21 Die suppositionslogische Identität kann weder für die
ontologische Deutung der Sätze secundum inhaerentiam accidentis in substantia
noch natürlich für die in der reductio ad absurdum greifbare Trennung zweier ab-
strakter Faktoren geltend gemacht werden. Im Grunde muss das inesse diese Bedin-
gung der Absurdität bezeichnen; das gilt für dessen abstrakte Deutung, die bejaht und
zugelassen wird, wie für die näherhin ontologische Auslegung, die Ockham repro
biert. Das bedeutet auch, dass das accidens nicht im Sinn der Implikation inhäriert.
Die Ablehnung beruht also auch darauf, dass eine Implikation so nicht angenommen
werden soll. Dass eben hierbei eine Widerlegung (reductio ad absurdum) möglich
ist, bedeutet, dass das inesse nicht exakt ausgelegt werden könne, i.e. pro reali. Es gilt
zugleich, dass eine Implikation nicht bestehen könne.22
konnte mit einer schon empirisch gesicherten Erkenntnis oder Begriffsgewinnung gar nicht
übereinkommen. Die Folgerung konnte keine Bedeutung als Kriterium haben. Auch der Syl-
logismus hat sie nur indirekt. Cf. Summula philosophiae naturalis. Praeambula. OP VI p. 149
311–313. Danach kann die Logik sogar scientia practica heißen.
20. Rep. II q. 1 OT V p. 22 lin. 21 – p. 23 lin. 5 Wir folgen W 1495 (Rep. II q. 1 M) für die fett ge
druckten Varianten. Sie drücken aus, dass der Satz keine ontologisch fixierte Wahrheit bezeich-
net. ‘albedo’ ist ein accidens; den Zusammenhang bezeichnet der Konjunktiv! Die inhaerentia
ist de facto real, nicht förmlich reflexiv.
21. Dem accidens in den elementaren Sätzen entspricht grammatisch die passio (SL I c. 37
OP I p. 104 lin. 3 – p. 105 lin. 11: „(passio) multipliciter accipi potest … tamen secundum quod
logicus utitur ‘passione’, passio non est aliqua res extra animam inhaerens illi, cuius dicitur
passio, sed passio est quoddam praedicabile mentale vel vocale vel scriptum, praedicabile per
se secundo modo de subiecto cuius dicitur passio.“ Wenngleich die vox oder das geschriebene
Zeichen sich auf das praedicabile mentale beziehen, was natürlich ebenso für das subiectum
(mit Bezug auf das obiectum als Substanz) gilt, sollen sie vom rein mentalistischen Faktum des
Begriffs unterschieden werden: „proprie et stricte loquendo passio non sit nisi tale praedicabile
mentale, et non vocale neque scriptum, secundario tamen et improprie vox vel scriptum potest
dici passio.“
22. Wenn Autrecourt die scholastischen Gehalte generell ablehnte und für absurd ausgab und
für widerlegbar hielt, mussten alle diese abzulehnenden Gehalte damit immer im Sinne des
‘inesse’ abgelehnt werden. Bei Ockham dagegen wird der Kriterienwert des Folgerns im Sinne
der Abstraktion bezweifelt. Die Abstraktion entsteht und steht bei Ockham auf der Basis der
Kontingenz, die dann im Sinn der ratio etwa der actus und notitiae im Sinne von Folgerung
nicht mehr zugelassen, vielmehr kupiert oder ausgeschlossen wird. Ein Beispiel: die notitia
intuitiva, wenn die Gegebenheit (existentia, praesentia) des obiectum (res extra animam), die
84 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Dass Ockham diese Bedingung verwirft, bedeutet, dass er eine andere Wissen
schaft betreibt. Darin gibt es keinen Grund im Abgelehnten und nach dem Sinn der
Ablehnung oder abgelehnten Annahme. Der Weg der Abstraktion(en), den Ockham
beschreitet, muss ja auch besagen, dass die Basis, auf der diese sich erhebt (erheben),
wesentlich negativ und positiv gedeutet werden muss, also doppeldeutig ist und ja
und nein besagt, damit aber eine Ablehnung (Exklusion) von Exklusivität besagt. Die
Abstraktion und die Kritik der ontologischen Deutung der inhaerentia des accidens
in substantia (denn darum handelt es sich) entsprechen sich nicht; sie werden nicht
innerhalb derselben kontinenten Menge von Operationen begründet bzw. verworfen.
Refutation und Abstraktion decken sich nicht. Ockham muss damit eine Ausschlie
ßung per argumentum, die er im Sinne der reductio ad absurdum betreibt, als gegenläu
fig zur Abstraktion ansehen, wenn denn diese mit Definitheit zu tun haben können
soll. Widerlegung, reductio ad absurdum, Abstraktion und Induktion haben alle nur
einen positiven Wert. Sie können also nicht aus sich und als solche, sei es ontologisch,
sei es anthropologisch (quasi psychologisch) interpretiert und begründet werden. Da
mit gehören sie noch einem nominalistischen Zeichen- oder Begriffsverständnis an
oder stehen ihm nahe. Argumentationsformen überhaupt noch einmal auf einen sol-
chen oder irgendeinen Zeichenbegriff zu beziehen, hieße, dass Zeichen, Inhalt, Logik,
Deduktion zusammengesehen werden könnten.23 Bei Ockham ist das nicht der Fall.
Schließlich kann auch die qualitative Bestimmung von Akten und notitiae nicht im
Sinn von Referenzen und Effekten kausal, kausalanalytisch oder logisch nach irgend
einer ontologischen Deckungsgleichheit von substantia und accidens ausgelegt wer
den.24 Auch hier ist nicht Deduktion im Sinn von Folgemäßigkeit möglich.
in die inhaltliche Definition der notitia intuitiva eingegangen ist, mit dem extensionalen An
spruch faktischer Gegebenheit nicht gleichlautend sein müssen soll. Widerlegung ist da, wo ‘In-
dividualität’ nicht Abstraktion (Allgemeinheit) sein oder stützen kann. Cf. Anm. 13, 15 und 18.
23. Ockham erörtert die verschiedenen Auslegungen der Begriffsnatur, die oben anklangen,
im Sinne der reductio ad absurdum, was bedeutet, dass man diese Auslegungen nicht absolut
nehmen muss oder kann. W. Chatton, Rep. sup. Sent. Bd. 1 p. 212 lin. 14 sqq. versucht ebenfalls
Widerlegungen: „Item accipio articulum fidei istum in mente ‘Deus est trinus et unus’ sub-
iectum huius aut immediate rem extra animam, et hoc est propositum, quia nulla alia res est
trina et una nisi Deus; aut significat fictum, quale frequenter ponis, saltem sub disjunctione,
et aliquando tenuisti absolute, et tunc illud fictum esset trinum et unum, et alia multa absurda
sequerentur.“ Bei Ockham ist aber das intramentale Verständnis des Satzes, wie der viator ihn
habe, bestimmend.
24. Diese Bestimmungen, i.e. reflexive Aussagen über Begriffe und elementare Sätze, also kon
tingente Sätze und ihnen noch verwandte und naheliegende, denen sie selbst nicht angehören,
bleiben dabei der Kontingenz verpflichtet und auf der abstrakten Ebene auf sie bezogen. Die
Kontingenz bezieht sich hier auf die im Sinne verschiedener kausale Referenzen mögliche un
terschiedliche Fälle des Vorkommens, des Eintretens und des Bedingtseins der notitiae und ac
tus, die man bestimmt und nach ihrer Reichweite und multiplen Funktionsweise reflektiert.
Kapitel 2. Suppositionslogische Identität und Kontingenz 85
Ockham egalisiert den Begriff vom Begriff (universale) und den Begriff von der
res extra; mithin einem Begriff von Sachen:25 „Nulla una res non variata nec multipli-
cata est in pluribus vel singularibus. Nec etiam quibuscumque individuis creatis simul
et semel. Sed talis res si poneretur esset una numero.“ So ist denn auch das universale
nicht Teil der essentia der Dinge: „Ergo non esset in pluribus singularibus nec de es-
sentia illorum…“ Dabei fragte Ockham: Utrum aliquid reale possit distingui secundum
rationem ab aliquo reali. Für die Sache im Sinn der res extra animam gilt dann, dass
eine Abstraktion nicht möglich ist, in welcher diese Sache gleichsam verdoppelt wer-
den, so dass Abstraktion von ihr verschieden sei und ihr angehöre:26 „si eadem res
a se ipsa vel ab alia re differret ratione, hoc non esset nisi propter diversas rationes
fabricatas circa eandem rem vel easdem res, vel quia aliter concipitur easdem res ab
intellectu. Sed primum non sufficit quia sicut intellectus potest formare diversas ratio
nes realiter distinctas circa eandem rem, ita causa realis potest formare diversas res
realiter distinctas circa eandem rem; sed non obstante quod circa eandem rem et in
eadem re fiant res diversae realiter distinctae nunquam dicetur quod illa res realiter
distinguitur a se ipsa vel (W 1495 statt sed Ed. ) quod illae res factae vel aggregatae
ex illa una et duabus rebus factis distinguitur realiter.“ Dabei ist die Abstraktion als
Produktion gewissermaßen real (oder vergleichsweise) mit der Verursachung gleich
gesetzt worden. Auch Verstand und Vermögen werden, was die Kausalität angeht und
für die Induktion, mit normalen res extra animam gleichgesetzt und von anderen res
getrennt.27 Diese Beweisführung begründet Ockhams These:28 „ad quaestionem res
pondeo … quod nihil reale potest distingui nec esse idem ratione cum aliquo reali ita
quod sic distinctio rationis et identitas rationis se habent ad etiam realia et hoc forte
non excludendo distinctionem formalem et identitatem ubi debent poni. Ideo dico
quod nulla res nec a se ipsa nec a quacumque alia poterit distingui vel esse eadem
ratione.“ Erkennbar ist so auch die distinctio formalis (neben der identitas formalis)
von der bloßen Abstraktion getrennt, wie es der Modus überhaupt sein muss.29 Dabei
kann die distinctio formalis, wie Ockham gegen Duns Scotus zeigt, nicht eine Diver-
sität von quidditativum (subiectum) und denominativum (als passio) begründen und
so (per Ergebnis oder laut Postulat) Gleichwertigkeit mit der distinctio realis haben
und noch die Suppositionsidentität im kontingenten Satz wahren.30
Es gilt dabei, dass das universale keine res extra animam sei:31 „subiectum (propo-
sitionis) non est aliqua res extra animam sed est quidam conceptus mentis supponens
praecise pro ipsis hominibus singularibus.“ Dabei kann auch nicht das universale
express als einem Realding bzw. als einem realen Ding (extra animam) vergleich-
bar gedacht werden:32 „nec requiritur quod praedicetur de aliqua re universali quia
tunc numquam talis universalis possit sufficienter induci ex suis singularibus quod
est contra veram logicam.“ Denn dann wäre der Beweis, der oben geführt wurde, un-
gültig. Aber zugleich wäre die wahre Logik (vera logica), welche das absurdum formal
(innerhalb der refutatio) zwar anerkennt, aber nicht real setzen darf, ausgeschlossen
und verlassen worden. Die formale Distinktion bzw. die formale Identität, welche von
Duns Scotus vor allem bekannt sind, sind nicht im Sinne der Realität und der induc-
tio ex realibus schon ausgeschlossen worden, wenn (und wann immer) ‘Identität’ und
„Diversität“ in den Sachen, bzw. zwischen ihnen die Beweise Ockhams konstituieren
und so auch wie sie Kausalität zulassen (einschließen) und damit effektive Ansichten
und definite (verlässliche) Konzepte ergeben oder verwenden. Das ‘Verwenden’ und
das ‘Ergeben’ sind nach Ockhams Methode konvertibel, da über die Begriffe und ihre
Zulässigkeit ganz im Sinne der Feststellung derjenigen opiniones befunden wird, in
denen sie vorkommen. Das Verfahren ist also implikativ. Die Begriffe werden nicht
gegenüber den Ansichten oder opiniones, bzw. den Sachverhalten, die sie betreffen
sollen, ‘ungebunden’ gebraucht. Wir können dabei extramentale (empirische) Sach
verhalte denken und zugleich Fest- und Richtigstellungen über den Gebrauch von
conceptus mit der Formulierung von dieserart dann intensionalen Sachverhalten vor-
nehmen.33
Ockham muss für seine Beweise keine Begriffe oder Inhalte mehr spalten, wie
das Duns Scotus tut, denn einmal operiert er ja intensional sich reflexiv auf eine Stu-
fe beziehend, auf der Begriffe in Bezug auf die Bezeichnens- und Deutungskapazi-
tät des Denkens angenommen und reflektiert werden und zum anderen ist bei der
unmittelbaren Gegebenheit der Objekte und des Objekts im Sinne der verwendeten
reflexiven Begriffe, wie identitas rei, distinctio, distinctio realis, distinctio rationis etc.
‘jeder denkbare reale Gegenstand, Begriff, Begriffsgeltung’, auf die man sich beziehen
könnte, potentiell mitgegeben, i.e. eindeutig nicht ausgeschlossen, somit indirekt
gegenwärtig. Also auch Gott als Gegenstand. Es lässt sich sagen: ‘Non est magis ratio
quod non sit aliqua res intenta etiam existens vel praesens ut intenta est’. Das bedeutet,
dass die Widerlegung nach dieser Anlage quasi ausgeschlossen ist. Duns Scotus dage-
gen operiert intentionell in einem größeren Abstand von der res extra, aber mit dem
Anspruch unmittelbar gemäß der ontologischen Aufschließung der Dinge oder nach
der Geltung seiner Prinzipien bei der Realität extra animam nach deren innerstem
Grund zu sein, nicht bloß nach deren Erscheinung. Seine Prinzipien gelten ihm real
(realissime), sobald sie verwandt oder ‘begründet’ (eventuell seiner Meinung nach
„bewiesen“) werden. Dass die Begründungen, Beweise, Prinzipien und Sätze nicht
‘gelten’, wenigstens nicht uneingeschränkt oder unbedingt, zeigt Ockham dann mit
seinen Beweisen, resp. Widerlegungen.
In einem oben zitierten Satz wird die Vorstellung bzw. Hypothese angeführt, dass
der actus mentalis bloß ein obiectivum esse in mente habe; sie bedeutet nach Ockham,
dass der Satz nicht mehr im Sinne der Prädikation gebildet erscheine, also entstanden
sei. Inesse ist ein conceptus absolutus, der mit den Extrema, also s und P, vereinigt
wurde, aber nicht mehr im Sinne der Einsicht oder Wahrnehmung. Seinen realen
Sinn aber behält er nach dem Wortlaut. Dagegen kann es keinen Einwand geben.
Die Hypothese vom obiectivum esse des Satzes oder actus apprehensivus entspricht
also mehr dem Charakter der notitia abstractiva, in welcher der Satz schließlich auch
erscheinen oder angenommen werden muss. Grundsätzlich sind actus mentalis oder
actus apprehensivus und res voneinander (real) verschieden. Alle Differentia (Dif
ferenzierungen) können keine Schlüsse begründen. Ockham arbeitet ja stets bei der
Verteidigung seiner Ansichten oder bei der reprobatio aliarum opinionum mit der
Aufhebung von für zwangsläufig gehaltenen Schlüssen und Folgerungen und ersetzt
sie durch die instantiae, Gegenfälle etc. Sie begründen dann andere Behauptungen.34
Die Annahme, dass der actus apprehensivus, wie er in mente35 ist, Ausdruck
oder Inbegriff bzw. Gegenstand des Erkennens sei, mit der notitia abstractiva als
überfassendem Begriff identisch, hat darin ihre Grenze, dass der äußere Gegenstand
des Erkennens, wenn er de facto nicht mehr empirisch ist oder empirisch grund-
gelegt werden kann, wie es bei Gott selbstredend der Fall ist, nicht durch a priori
34. Auch bezüglich der Quantifizierung und dem Verhältnis von abstrakten und konkreten
Begriffen durchkreuzen sich logische mit universalientheoretischen bzw. ontologischen Fragen.
Cf. SL I c. 4 O P I p. 15 lin. 17–19: „Unde hoc syncategorema ‘omnis’ non habet aliquod certum
significatum, sed additum ‘homini’ facit ipsum stare seu supponere actualiter sive confuse et
distributive pro omnibus hominibus.“ Ib. cap. 5 p. 16 lin. 14 – p. 17 lin. 2: „Quandoque enim
concretum aliquam rem significat vel connotat sive importat seu dat intelligere, pro qua etiam
supponit, quam abstractum nullo modo significat, nec per consequens aliquo modo supponit
pro eadem.“ Ähnlich zur Differenz konkreter und abstrakter nomina ib. c. 5 – c. 9. De concretis
et abstractis. Sie werden beschrieben c. 5, lin. 4–11, bes. lin. 5–6: Quod concretum et abstractum
sunt nomina consimile principium secundum vocem habentia, sed non consimiliter terminan-
tur.“ Beispiel: album und albedo. Dazu lin. 8–10: „Et semper vel frequenter abstractum habet
plures syllabas quam concretum, sicut in praedictis exemplis apparet.“ „Concretum supponit
pro subiecto pro cui realiter inhaerente forma quacumque vel accidente abstractum supponit.“
35. Cf. Ord. Prol. q. 3 OT I p. 134 lin. 16: „propositio habet triplex esse sc. in mente, in voce, et
in scripto.“ u. Ord. d. 2 q. 4 OT II p. 134 lin. 11.
88 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
verstandene actus apprehensivi ersetzt werden kann.36 Eher müssen wir den Satz ab-
solut setzen und dann durch Bewertungen von Schlüssen bestimmen. Damit ist aber
noch nicht die res extra animam Objekt der Erkenntnis oder der Wissenschaft (sci-
entia), wie denn auch für die notwendigen Erkenntnisse in syllogistischer Form die
kontingenten Aussagen ausgeschlossen werden mussten. Das Objekt der Erkenntnis
ist für Ockham der Satz, nicht das durch das Satzsubjekt bezeichnete Objekt extra
animam. Der Satz seinerseits entspricht in nichts der res extra. Indem gewisse Schlüs-
se nicht gezogen werden (können sollen), werden accidentia gekappt und auf dieser
Basis Induktionen möglich, was wieder bedeutet, dass Kontingenzen einbegriffen
werden und über diesen Abstraktionen ausgeführt werden. Diese konkludieren mit
den rationes. Die rationes aber bezeichnen die species und in anderen Fällen (in der
Naturphilosophie) die forma.37
Ockham hat bestritten, dass a limine eine Korrespondenz von Erkenntnis und
realgegenständlicher Gegebenheit bestehe, also von notitia intuitiva und res extra
oder ens. Dabei ist festzuhalten, dass ens, res und substantia oder quidditas sich
begrifflich entsprechen. „Non potest a nobis evidenter cognosci quod omne ens est
a nobis cognoscibile intuitive.“38 Die entsprechende Ansicht des Duns Scotus, der
Ockham hier widerspricht, setzt abstraktive Kennbarkeit aliquomodo, also unbe-
stimmt und unableitbar, der intuitiven gleich. Indem hier die Ableitbarkeit fehlt, also
am Ende die intuitive Wahrnehmung noch nicht in eine verallgemeinernde fortgesetzt
und übersetzt werden kann, gibt es den allgemeinen Charakter einer Erkenntnis, die
von jedem ens gälte, nicht. Duns Scotus hatte das für seine Wissenschaft und Wis
senschaftslehre in Anspruch genommen; sie war de facto auf Allgemeinbegriffe ge
gründet, die, in der Analogie zur notitia intuitiva, beliebig gebildet und angenommen
36. Ockham muss nicht Chattons angeblichen Widerlegungsbeweis (cf. Anm. 23) führen; es
reicht für ihn festzustellen, dass für uns Begriff, Satz oder Ausdruck von Gott, den wir nicht
empirisch wahrnehmen, nicht im Sinne realer Erkenntnis gelten können. Er wird auch nicht
menschliche Erkenntnis, wenn Gott eine solche notitia abstractiva dem beato neben dessen
visio beatifica erzeugte. Das ist nach Ockham per possibile denkbar.
37. Y. Zheng, 2001 untersucht das Verhältnis der incomplexa zu den complexa und problema-
tisiert es im Sinne von Inkongruenzen, die die inhaltliche Erkenntnisidentität aporetisch (pa-
radox) erscheinen lassen. Das ist an eine semantische Adäquatheitsregel gebunden, in Bezug
auf die Indefinitheiten festgestellt werden. Damit werden Widersprüche maßgeblich und als
hinderlich ausgegeben, die Ockham argumentativ und konstruktiv für den actus apprehensivus
abwehrt. Er ist (auch als Satz) eine ‘imaginäre’ Größe, die keine semantische und analytisch-
logische Bindung haben kann. Innerhalb des actus apprehensivus werden complexum und in-
complexum und ebenso außerhalb der oratio mentalis, die Zheng maßgeblich und problema-
tisch macht, vereinigt – per Induktion.
38. Ord. Prol. q. 9 OT I p. 237 lin. 18–20 Ockham zitiert Duns Scotus mit gleicher Meinung ib.
lin. 20: „etiam secundum istum Doctorem“, der sich damit äußerlich widerspricht.
Kapitel 2. Suppositionslogische Identität und Kontingenz 89
werden konnten.39 Ockhams Behauptung kommt einer Exklusion gleich. Die Scotische
Behauptung ‘widerspricht’ dem was beweisbar ist. Die notitia muss, grundsätzlich, re-
alen empirischen oder kontingenten Gegenständen gelten. Wenn das nicht gesichert
ist, kann eine Beweisbarkeit für Sachverhalte des Erkennens oder aber Beweisens
und Denkens nicht angenommen (behauptet) werden. Es gibt daher eine allgemeine
‘Beweisbarkeit’ (Idee davon), welche besagte, dass der ‘Begriff ’ oder die reflexive
39. Die sog. „‘Schlüsselbegriffe’ der Spätscholastik“ notitia intuitiva und notitia abstractiva wur
den terminologisch wechselnd gebraucht. Ockham selbst Ord. Prol. Ib. p. 30 lin. 6-11: „dico
ergo quantum ad illum articulum: quod incomplexi est/potest esse duplex notitia, quarum
una potest esse/vocari notitia intuitiva et alia abstractiva. Utrum tamen alii velint vocare ta-
lem notitiam intuitivam non curo: quia hoc solum intendo (principaliter) probare quod de
eadem re intellectus potest habere duplicem notitiam incomplexam specie distinctam.“ (Im
Zitat stellen wir den Wiegendruck 1495 neben die Ed.) Ockham betont implizit, dass Argu
mentation (oder das Beweisen) für das Ermitteln der im Grunde intensionalen ‘Sachverhalte’
und Bezüge bei ihm Vorrang hat und die Bewiese daher auch nicht notwendig von ihren blo
ßen Definitionen abhängen können. Ein „in verbis simus faciles.“ Vordergründig entspricht es
einem wechselnden terminologischen Gebrauch derselben Ausdrücke bei den verschiedenen
Autoren: Duns Scotus, Durandus, Johannes von Neapel, Petrus Aureoli, Franciscus von Mayro,
Adam Wodham, Gregor von Rimini, Marsilius von Inghen, Peter von Ailly, Alfonsus Vargas
Toledanus, u. a. Cf. S. Day, A. Pelzer, P. Vignaux. Variabel (nicht festgefügt) ist oder scheint zu
nächst auch Ockhams Umgang mit diesen beiden Vokabeln: es gibt neben der notitia abstrac-
tiva incomplexa von einem conceptus auch die notitia abstractiva von einem Satz (complexum).
Ockham spricht von notitia abstractiva prima und notitia abstractiva secunda; er definiert eine
notitia abstractiva von termini und complexa im übertragenen Sinn, die nicht wie menschlich
empirisch von der antezedenten notitia intuitiva abhängen. Aber das ist dann wieder Angele
genheit der Argumentation (persuasio usw.) Es gibt eine notitia intuitiva imperfecta, die In-
terpreten wie Boehner Schwierigkeiten bereitete: Sie betrifft die intuitive Wahrnehmung von
kontingenten Sachverhalten, die der Vergangenheit angehören: ‘murus erat albus’. Hier ist die
Verifikation, an sich die Domäne der notitia intuitiva, insofern nicht mehr möglich, als der
Gegenstand der Wahrnehmung nicht mehr präsent ist. Man ist auf die Erinnerung (recordatio)
verwiesen. Als solche notitia intuitiva imperfecta ist dann u. a. von Ockham auch die notitia
abstractiva gesehen worden; mit der propositio contingens im Sinne der notitia abstractiva,
die einen solchen Satz durch recordatio bewahrt und der propositio per se nota ist man in der
Zone der Abstraktion. Sie setzt Data des Verstandes, im Verstande. Ockham setzt einen gewis-
sen gemeinspätscholastischen Wortgebrauch voraus und behandelt diesen relativ konziliant,
wenn er auch vielleicht bloß eine bestimmte Lesart oder per definitionem gegebene Bedeutung
als tauglich oder rational, d. h. definit oder von instantiae befreit ansehen will und auswählt.
Die eine inhaltlich reale Bedeutung eines Terminus wie notitia intuitiva (oder notitia abstrac
tiva) wird dann doch durch die multifungible hypothetische Verwendung gleichsam ersetzt.
Dabei werden die Begriffe dieser notitiae über verschiedene casus, mit denen sie zu zerfallen
und widersprüchlich oder widrig zu werden scheinen, hinweg durch persuasiones gehalten
und gestützt, also widerspruchsfrei gemacht. Sie werden fortlaufend weiter begründet. Dabei
werden Maximen reduziert, gar verworfen, die dawider zu sein schienen: Ockham findet Ver-
gleichsfälle auf, die die Reduktion, Verwerfung, Bestreitung der in den Einwendungen generell
verneinend gebrauchten Maximen zulassen. Dazu nochmals bes. Kap. 12.
90 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Annahme über Begriffe empirisch sein müsse (oder: formell auf Empirie ausgerichtet
zu gelten habe). Es gibt also auch keine Theologie oder theologische Wissenschaft, die
das beliebig überschreiten könnte.40 Es war die Idee des Duns Scotus. Das Verhältnis
der notitiae (abstractiva und intuitiva) zu Begriffen und Aussagen, welche sie überfas
sen, erlaubt und ergibt niemals (die) Allgemeinheit, nach der Aussagen und ihnen ge-
mäß die Erkenntnisse (notitiae) allgemein wären. Immer werden Vergleichsfälle (in-
stantiae) und persuasiones – unter Einbezug von Differenzierungen, die Modifikation
von Kausalrelationen besagen – die inhaltliche Begrenzung der so bloß intermediären
Hypothesen ergeben können, so dass eine Allgemeinheitsbehauptung unterlaufen
und bestritten werden kann, i.e. am Ende ausgeschlossen werden muss. Damit ist
aber (unbedingt oder bedingt) auch die Logik ausgeschlossen.41 Das Folgern ist nicht
mehr die regierende Operation.42 Die Abstraktion tritt an die Stelle.43
40. Die Leitfunktion des Beweisens ist bei Ockham syllogistisch verfasst, wie sich stets zeigt.
Cf. Prol. Ord. q. 1 OT I p. 73 lin. 22 – p. 74 lin. 3: „Et quando probatur quod ista ‘Deus est trinus
et unus’ non potest fieri nota per aliquam propositionem priorem et notiorem, dico quod sic,
quia illud praedicatum prius competit Deo in se vel alicui intentioni impossibili intellectui via-
toris quam isti conceptui quem de facto habemus et qui est subiectum in propositione habita
de communi lege.“ Damit wird abstrakt eine Möglichkeit zugelassen, die einfach rein persuasiv
nicht ausgeschlossen ist, da wir die termini oder intentiones, die zur Einsicht nötig und eben
auch möglich wäre, de facto nicht haben (ib. q. 2 p. 117 lin. 14–18): „Quod omnia praedicabilia
de Deo in se, quae sunt dubitabilia de conceptu composito proprio Deo quam nos habemus de
facto, sunt de illo conceptu demonstrabilia per divinam essentiam in se tamquam per medium,
vel per cognitionem distinctam deitatis.“ Hiermit wird darauf angespielt, dass eine Erkennt-
nis direkt am Gegenstand ‘Gott’, mit diesem als terminus, erfolgen könne. Diese Erkenntnis
hat der viator nicht; sie kann nach Ockham nicht zur Ableitung humaner Erkenntnis benutzt
werden, die mit menschlichen Begriffen erfolgen muss, welche niemals an einem Gegenstand
Gott gebildet werden konnten. Doch können unsere Begriffe von Gott, vor allem in zusammen
gesetzter Form, benutzt werden, weil darin die Einzigkeit Gottes gewahrt bleibt und faktisch
nicht ausgeschlossen werden kann, dass es dieses Wesen gebe; sonst überschritten wir unsere
Schlusskompetenz. Davor macht unsere ‘Logik’ mit Ockham Halt.
41. Es ist so die Frage, in welcher Weise das aristotelische Schema des Operierens, soweit es
sich bei Ockham findet, mit der Einführung von instantiae, dem indirekten Beweis usw. als
logisch gebundenes betrachtet werden könne.
42. Es geht mehr um Bewertung von Schlüssen.
43. Die Allgemeinheit, die mit einer der notitiae etwa veranschlagt werden können sollte,
wenn man das meint, müsste im Grunde immer einen Relationsbegriff substantial erfüllen, i.e.
eine Erfüllung bedeuten, die substantial zu gelten hätte. Das ist gegen die Induktion gerichtet,
die denn selbst solche Grundlagen nicht hat. Die notitia kann nicht in Begriffe (als Akte) oder
Sätze ‘hinein’ entwickelt werden derart, dass daraus die Bestimmung (Bestimmtheit) der noti
tia sich ergäbe. Es gibt so keine essentielle Qualität (substantia + accidens, proprium). Man
kann sagen, dass in dieser Weise förmlich und künstlich, aber unbegründbar, Duns Scotus
seine Deduktionstechnik angesetzt habe. Bei Ockham wird die ratio notitiae, aber auch die
ratio eines anderen Funktionsbegriffs, etwa subiectum (propositionis), niemals als Ausdruck
Kapitel 2. Suppositionslogische Identität und Kontingenz 91
auch in sich oder als solches intelligibel wäre. Derart ist eine Erkenntnis qua Struktur
nicht gewährleistet. Äquivalent ist eine ‘empirische’ Erkenntnis, die pseudo-empirisch
Erkenntnis wäre von dem was der Empirie und der Erkenntnis zugrunde läge, und
von dem was sie ‘ausmachen’ (oder vermitteln) könnte, nicht gegeben. Es gibt keine
Ableitung der qualitas aus der substantia, entsprechend keine Begründung für sie in
einer logischen Operation.48 Es gibt hiermit eine Folge, bei der der Engel wirklich die
Nahrung zum Schein nehmen kann, die er gleichwohl als reelle nicht benötigt. Denn
auch die reelle Qualität ist schon nicht erkennbar in der substantia gebunden.49 Der
48. Autrecourt besitzt also zunächst scheinbar jeden Klagegrund. Ockham gegenüber indes
nur, wenn dieser aus diesem Manko die falschen Konsequenzen gezogen hätte, bzw. wenn
Autrecourt es korrekt, determinat und widerspruchsfrei exponiert hätte. Ockham kann aber
hier induktive Folgerungen ziehen, die auf einem Mangel an Erkenntnis beruhen, den Autre
court als entscheidenden Mangel unseres Erkennens und Beleg für die Unwertigkeit des scho
lastischen Denkens und womöglich auch Beweisens geltend machen will. Das geht nur, falls
Autrecourt, indem er eine analytische Erkenntnisweise und Folgerung zwischen den Begriffen
(zudem als einzig legitim) ansieht und fordert, diese aber auch zugleich als synthetische denkt
oder unterstellt; denn die Begriffe und ichre Klassifikationen (nach substantia und qualitas)
sind ja schon gegeben. Ist das der Fall, so besteht Autrecourts Forderung nicht mehr ohne
Selbstwiderspruch. Es werden vielmehr nur noch Operationen erlaubt sein, die auf einen sol-
chen empirischen Beleg nicht mehr rekurrieren, sondern ihn vermieden. Sie hat Ockham ausge
führt und konzipiert. Es geht um eine Aporienvermeidung, bei der die Operationen an die
Stelle der Aporie zu treten haben, die sie dann als (‘einzig’) legitime Erkenntnisweisen auch
übertreffen. Diese Aporie wird hier über das nicht ineinander auflösbare Verhältnis von sub
stantia und qualitas ebenso bezeichnet, wie vermöge der nicht vermiedenen Gleichheit von
analytisch und empirisch, die jede, auch die scholastische Erkenntnis- und Wissenschaftstheo
rie desavouieren muss. Der Gegeneinwand, dass substantia und qualitas, also die scholastische
Terminologie, ja erst begründet und in ihrer legitimen Intellektivität belegt zu werden hätte,
zieht nicht, da dies a limine Angelegenheit der Argumentation ist (oder sein kann). Schon der
immediate Gebrauch könnte mit Argumentation indistinkt zusammenfallen oder ihr angenä-
hert erscheinen. Wir könnten die falsche Setzung nicht angreifen, ohne die darin enthaltenen
Operationen zu kennen. Ockham begründet aber keine, ohne die Vereinigung von substantia
und qualitas (bzw. der primären Begriffe, die kategoriell mit ihnen erfasst werden) selbst als mit
der immediaten Einsicht in rebus unvereinbar darzustellen: es gibt die Identität der kontingen-
ten und der analytischen oder universalen, der konkreten und der abstrakten Erkenntnis nicht.
eben deshalb gibt es die rektifizierten abstrakten Aussagen oder Maximen. Letztere werden auf
die induktiven Feststellungen gegründet. Eine solche leitet noch die Urteile zu dem, was der
Engel approximativ gegen den Bereich der Empirie wie außerhalb seiner verbleibend vermöge,
was ihm zugebilligt werden dürfe, was sein könne: nämlich dass er nicht in den Bereich des
accidens oder der qualitas als eine für sich seienden Entität oder ‘Realität’ eintreten und von ihr
dependent werden müsse, womit ja eben auch faktisch und kategorial identisch werden, also
konkret (in casu) und allgemein zusammenfallen müssten und das also logisch, analytisch für
die Begriffe, eben in/mit analytischen Sätzen.
49. Die Relationsbegriffe lassen sich nicht per se im Sinne ihrer akzidentellen – Zugehörigkeit
zur substantia oder essentia werten. Einer von ihnen ist duratio. Die Dauer ist nicht ein –
Kapitel 2. Suppositionslogische Identität und Kontingenz 93
Engel ist zudem einfach, d. h. unzerlegbar, wie accidens, forma substantialis und for
ma materialis.50
Wir sind mit der Geschichte vom Engel des Tobias in der Sphäre des Glaubens.
Das gilt auch von der fruitio essentiae divinae als Zustand der visio beatifica:51 „de
facto talis fruitio est ponenda. Sed hoc tantum est creditum et non per rationem na-
turalem notum est.“ Es gilt für Ockham auch generell:52 „non est mirabile si non po-
test demonstrari quod aliquid sit causa.“ So ist53 nach Ockham nicht beweisbar „ex
puris naturalibus“, „quod voluntas Dei sicut et essentia est causa immediata omnium
eorum quae fiunt“, „hoc tamen persuaderi potest…“, was Ockham dann versucht.
Für den „actus fruitionis essentiae divinae“ gilt nach Ockham, dass er perfectissimus
sei und zwar naturaliter loquendo (!), i.e. nach Maßgabe der begrifflichen Fixierung
dieses Begriffs. Vermöge der potentia dei absoluta „forte … possit compati tristitiam
et anxietatem.“ Denn die Eigenschaften oder actus gehen nicht auseinander hervor,
sie sind in dem Sinne nicht logisch gebunden und verbunden. Ockham hat also einen
völlig hypothetischen Fall, den wir ex fide annehmen, wie er sagt, – er expliziert ihn
definites – Element oder pars integralis der essentia, etwa der des Engels. Ob mit der pars inte
gralis der Anspruch der Definitheit verbunden werden könne, lassen wir hier offen. Ockham
(Rep. II q. 8 OT V p. 160 lin. 13–16) sagt: „dico quod Deus potest destruere unum angelum
et eius durationem, et unum sine alio, quia in definitione exprimente quid nominis duratio-
nis angeli ponitur aliquid distinctum ab angelo, et ideo potest utrumque vel unum sine alio
destruere.“ Die forma (durationis) kann empirisch und gegenständlich nirgendwo – induk-
tiv – verankert werden. Die Destruierbarkeit des einen ohne das andere folgt der modalen Be-
stimmung der Substanz oder des subiectum, die nicht empirisch begründet sein und praktisch,
im Sinn der Behandlung der Naturphilosophie bei Ockham nicht begründet werden soll (cf.
die Kapitel 7 und 8). Die divina potentia absoluta muss entsprechend supranaturaliter loquendo
verstanden werden. Die Messung der Dauer tritt akzidentell zur Dauer hinzu; das bezieht diese
auf empirische Konstellationen, die in sich wandelbar sind, i.e. keineswegs feststehend und
von Ewigkeitswert. Es gibt für diesen die Zeitmessung überhaupt nicht (Rep. II q. 11 ib. p. 236
lin. 18–20): „sed loquendo de mensura durationis dico quod angeli mensurantur per tempus
et non per aevum. quia aevum nihil est.“ Das aevum ist somit kein definiter Begriff, i.e. für
menschliche Verhältnisse nicht zu brauchen. Ockham argumentiert in dieser quaestio Utrum
tempus sit mensura angelorum (ib. pp. 232–250) gegen Aegidius Romanus.
50. Ontologische Begriffe begründen noch keine Realität in se. Zur Engelwelt cf. R. M. Rilke,
Duineser Elegien, 1923 II. El. „Wohin sind die Tage Tobiae, /da der Strahlendsten einer stand an
der einfachen Haustür, /zur Reise ein wenig verkleidet und schon nicht mehr furchtbar; /(Jüng
ling dem Jüngling, wie er neugierig hinaussah).“ Der angelus Tobiae wird auch erwähnt: Rep.
II q. 3–4 OT V p. 73 lin. 5–8: „Unde per nullum effectum potest probari quod aliquis sit homo,
maxime per nullum effectum qui apparet in nobis, quia omnia quae videmus in homine potest
angelus incorporatus facere, sicut comedere, bibere, etc. Patet de angelo Tobiae.“
51. Cf. Ord. d. 1 q. 4 OT I p. 439 lin. 9–11.
52. Rep. II q. 3–4, OT V p. 73 lin. 8f.
53. Ord. d. 45 q. unica OT IV 4 p. 668 lin. 8–10.
94 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
aber mit natürlichen Begriffen naturaliter loquendo, und gestaltet ihn mit Varianten
aus, von denen er sagt, dass sie „forte de potentia dei absoluta“ eintreten können;
sie können aber nach dem Schema der Beweismöglichkeiten, die Ockham ansetzt
und zulässt, eintreten, wobei diese (in sich zweifellos auch negative oder destruktive)
Struktur die Konsistenz darstellt und sichert.54
In welchem Maß dies alles grundsätzlich gilt, zeigen verschiedene ausdrückliche
Stellungnahmen Ockhams. So ist die Eigenschaft vom Subjekt trennbar (separabilis)
und damit auch per potentiam divinam absolutam getrennt vom Subjekt affizierbar:55
„esset dicendum ad quaestionem quod si charitas non sit separabilis a subiecto quod
potest fieri tanta quod deus non potest facere maiorem. Si autem sit separabilis sicut
est albedo, non potest fieri tanta quin possit fieri (maiorem).“ Die albedo (oder albus)
ist eine Eigenschaft, die dem subiectum oder der substantia (die selbst gleich sind!)
bloß kontingent zukommen können: ‘non debeo esse albus, possum esse niger’. Es
ist dann die Frage, wie sollen wir es mit der Eigenschaft charitas in Anbetracht der
substantia halten, und hier erwägt Ockham die beiden Möglichkeiten und greift nicht
sofort zu der einen oder der anderen Option. Infolgedessen trifft er keine Entschei
dung, was eben zu besagen hat, dass die Eigenschaft keinesfalls notwendig aus der
substantia dependiert. Eben solches gilt in etwas anderer Weise von der Unterschei-
dung und entsprechend dem Zusammenhang der qualitates, von dem der substantiae
(über ein Verhältnis der qualitates56) zu schweigen. So siehe denn:57 „unde sciendum
quod proprie loquendo nihil distinguitur ab alio nisi per se ipsum vel per aliquid sibi
intrinsecum, quia sicut unumquodque se ipso est unum et non per aliquid sibi addi-
tum, nec per aliquid sibi extrinsecum, ita unumquodque se ipso vel sibi intrinsecum
distinguitur a quocumque distinguitur. Tamen aliquid dicitur distingui per aliquid ab
aliquo quando illud est proprium uni et non potest competere alteri, ita scilicet quod
ex distinctione aliquorum contingit inferre distinctionem aliorum. Sicut sequitur
‘qualitas corporalis et spiritualis distinguuntur, igitur subiecta earum distinguuntur’,
ita non sequitur ‘albedo et dulcedo distinguuntur, ergo subiecta earum distinguuntur’.
54. Vergleichbar und doch verschieden hält Ockham es auch für möglich (Ord. Prol. q. 1 OT
I p. 49 lin. 10–13), „quod Deus de potentia sua absoluta potest causare notitiam evidentem in
intellectu viatoris aliquarum veritatum theologiae“, die der viator also nicht „ex puris natu-
ralibus“ haben könne, und er setzt hinzu „et forte aliquarum non.“ Die Struktur, von der die
Entscheidung abhängig ist, wird aber immer eine (die) geschaffene sein. Andernfalls würde die
Erörterung sinnlos. Das heißt, dass die Struktur die Bedingung und so auch die Konsistenz der
Erörterung sichert, und auch dass ‘Bedingung’ mit ‘Konsistenz’ schon gleichnamig sein muss.
55. Ord. d. 17 q. 8 OT III p. 557 lin. 20–23. (Utrum sit dare summam caritatem cui repugnet
augmentari).
56. Über die qualitates gehen oben genannte ‘deductiones’, die nach der von Ockham darge
legten Auffassung nicht so möglich sind. Es müsste eine Deduktion per materielle Implikation
o. ä. geben, die es doch vermöchte und kompensierte.
57. Ord. Prol. q. 11 OT I p. 322 lin. 17 – p. 323 lin. 7.
Kapitel 2. Suppositionslogische Identität und Kontingenz 95
Et ita improprie potest dici quod substantia spiritualis distinguitur a substantia cor-
porea per qualitatem suam et tamen lac non distinguitur a cigno per albedinem.“58
Ockham sagt, dass wenn es ein universale respektive genus oder species in rebus
gäbe, auch Gott als ein solches genus oder universale gedacht werden könnte. Damit
verweist er auf einen, auf den Gegenstand von absoluter Einzigkeit. Für ihn dürfte da-
mit kein Begriff mehr gebraucht werden (können). Hier liegt die Überredungsqualität
darin, dass ja von Gott generell ein Begriff gebraucht werden können müsse; jedenfalls
ist es nicht ausgeschlossen, und von Gott muss in einer Gesamtheit von Begriffen
gesprochen werden. Würde also in einem Kontext von Begriffen allein von Gott nicht
in einem solchen gesprochen werden, würde entweder überhaupt nicht von Gott ge-
sprochen oder eine Gesamtheit von Begriffen stünde nicht in signifikativer Form zur
Verfügung. Wir kämen zur allgemeinen Sinnleere von ‘Begriffen’ oder Wörtern. Um-
gekehrt müssen wir schließen, dass eine wissenschaftliche oder erkennende Theologie
möglich sei. Das muss Ockham aber ohnehin annehmen, nicht nur aus suppositions
logischen Gründen, weil er sonst Sätze hätte, bei denen die suppositionslogischen
Bedingungen erfüllt sind, nämlich dass die Zeichen oder termini für denselben Gegen
stand stehen (supponieren), der Satz also wahr sein können muss (wie ‘deus est crea-
tor’), Ockham sie aber gleichwohl auszuscheiden hätte, sondern auch weil die Begrif-
fe, die wir neben dem Begriff Gott verwenden, empirisch bedingt möglich sind. Wir
müssten sonst viele gewisse Sätze als nicht sinnvolle ausschließen, etwa solche, die die
creatura betreffen, hätten dann aber dafür auch kein Kriterium. Ihr Erkenntniswert
ist damit noch nicht gesichert.59 Gott ist auch und vor allem oder gar nur ein Begriff.
58. Die Gegenstände werden von Ockham im Verhältnis ‘unmittelbar’ dort angesetzt, wo die
Deduktion vermöge der qualitates über die substantiae hinweggehen können müsste, um para
doxerweise sie zu ‘verbinden’, i.e. ohne den Abstand und die Dichte der Prädikate bestimmen zu
können. Ockham gibt dabei den Aspekt der Wahrheit preis, der sonst etwa bei Duns Scotus fik-
tiv mitgedacht und unterstellt werden müsste, vielleicht sogar oft zirkelförmig durch bestimmte
ontologische Maximen unter Renormierungen wiederholt. Die im obigen Text nebeneinander
und wie parallel genannten Bestimmungen oder Beschreibungen, z. B. ‘per se ipsum’ ‘per aliquid
sibi intrinsecum’ und dann dagegengesetzt ‘per aliquid sibi additum’, ‘per aliquid sibi extrinsecum’
erschließen per se den ‘Gegenstand’, den sie benennen, nicht. Sie schließen ihn nicht ‘auf ’. Sie
nennen ihn nur. Der syllogistische Beweis muss hier keine genetisch-genealogische Bedeutung
der qualitas erschließen. Cf. etwa SL III-2 c. 38 OP I pp. 577ff ebenso c. 39 ib. p. 580: Quomodo
per omnes causas contingit demonstrare (ib. lin. 3: hoc est per nomina vel signa omnium cau
sarum). Es sind nicht (lin. 20f „verae demonstrationes, sed gratia exempli tantum“, in welchem
wir unsere Vorkenntnisse, nicht genuin gegründete Kenntnisse (Erkenntnisse) haben.
59. Neben dem hier zu skizzierenden und auszuwertenden ‘Beweis’ gilt auch der andere, dass
genus nicht im Sinn der Erkenntnisgewinnung und Begriffsbildung definit als ein die Erkennt-
nis dann leitender und bestimmender Begriff gewonnen werden könne: wir müssten sonst
neben dem Vorgang auch dessen Reflexion identisch damit besitzen können. Ockhams Er-
kenntnislehre mit notitia intuitiva und notitia abstractiva ist aber gerade aufgestellt worden,
um dieses, was nach den Beweismodi, die Ockham hat, paradoxe ontologische Verständnis des
Erkennens auszuschalten: (Ord. d. 2 q. 7 OT II p. 257 lin. 10–12): „dico et concedo … quod res
96 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Man ist damit dann nicht ‘bei Gott’, wie man es intentionell in anderen scholastischen
Systemen (Thomas Aquinas, Duns Scotus) sein will, aber man reicht intentionell auf
der Ebene des Satzes (des actus apprehensivus) weit an Gott heran.60
potest intelligi non tantum confuse, sed etiam perfecte et distincte, nullo superiori intellecto.“
‘Superius’ meint den höheren (übergeordneten) Begriff (genus). Wir erkennen homo und canis
ohne animal erkannt zu haben. Wir beziehen uns dabei nur auf ‘Begriffe’. Aber genus enthält
den Gegenstand auch (Ord. d. 8 q. 4 OT III p. 227 lin. 5–7): „Dico quod genus importat totam
rem. Et ideo quia importat totam rem, praedicatur simpliciter in quid de re, quia dicit totam
quidditatem rei.“ Wenn Ockham sagt (Ord. d. 2 q. 9 OT II p. 314 lin. 12–14): „nihil potest co-
gnosci a nobis ex puris naturalibus in conceptu simplici sibi proprio (um den handelt es sich),
nisi ipsum in se praecognoscitur“, negiert und reprobiert er doch die ontologisch bestimmte
Natur des ‘universale in rebus’. Es wird bei dem Widerspruchsbeweis als res gesehen, die mit
der substantia, als anderer res, nicht identisch, definit vereinigt werden kann. Der Widerspruch
enthält die res extra in der Form des universale in re fiktiv und wird darin negiert, i.e. als signifi
catio intensional bestritten.
60. Natürlich ist es weiterhin so, dass die apologetische Begründung der Dogmatik damit noch
aussteht und ausgespart bleibt und eventuell für Ockham eine neue Begründung der zum
Heil notwendigen Wahrheiten Desiderat bleibt und zugleich unspezifisch erscheint, wenn sie
den Seelengrund, auf den sie bezogen sein müssen, weglässt oder: in psychologischen Über
legungen auflöst. Dafür gibt es Beispiele (beim peccatum u. a.) Es gibt bei Ockham die empiri-
sche Seele nicht, für die die notwendigen Heilswahrheiten gedacht wären und zwar eben auch
so, dass sie den Hiat zwischen diesseitigem Leben (via) und jenseitigem (patria) wirklich über
sprängen und nicht bloß an einer Notwendigkeit ‘abgenommen’ würden, die als ratio sufficiens
(oder causa sufficiens) bezüglich herkömmlicher Vorstellungen reduktiv auftritt, und eben der
conditio necessaria in den meisten Verhältnisbestimmungen auch der Heilslehre eine conditio
sufficiens gleichsam substituiert. Diese genügt dann und kappt damit den weiter gespannten
Kanon der in der Heilslehre herkömmlich aufgeführten Größen. Es gibt bei Ockham also eine
andere Rationalisierungsform in der Heilslehre. Wer soll dann das glauben, was er so ‘erkennt’?
Die Frage bleibt offen. Wo die Theologie nicht mehr exquisit betrieben werden kann, wird doch
in einer besonderen rationalen Form- unter Reflexion und mit Einschränkungen bezüglich
dessen was als ratio gelten können soll bzw. hinsichtlich der in ihr ihrer zulässigen Formen
-eben gerade doch nur Theologie getrieben. Die Theologie kann weder mit ihren kontingenten
noch mit ihren notwendigen Sätzen, Aussagen oder Wahrheiten wissenschaftliche Evidenz be
anspruchen, und zwar, wie Ockham argumentiert, mit den notwendigen nicht, weil mit den
kontingenten nicht Ord. Prol. q. 7 OT I p. 188 lin. 10–15: „Praeterea, non est maior ratio quod
necessaria credibilia sint scita scientia proprie dicta quam quod veritates contingentes credibi-
les sint evidenter notae modo suo. Sed istae non sunt evidenter notae; tunc enim posset quilibet
scire se esse in caritate, quod corpus Christi est in altari, quae videntur simpliciter falsa. Igitur
necessaria theologica non sunt scita scientia proprie dicta.“ Der Schluss ist ein Schluss a fortio
ri und damit induktiv. Vignaux’ Behauptung, Ockham suche, in echt christlicher (damit auch
apologetischer) Intention, die Sicherung der Notwendigkeit in den Sätzen, bedarf so der Ein
schränkung. Auch die „necessaria theologica“ können rational emendiert werden. Sie werden
dann z. B. auf eine causa oder ratio sufficiens reduziert. So werden ‘Glaubenssätze’ korrigiert,
die ihrerseits natürlich scholastischer oder patristischer Auslegung entstammen können.
Kapitel 2. Suppositionslogische Identität und Kontingenz 97
Der Begriff, der von Gott gebraucht wird, bleibt bei Ockham ein an der Erfah-
rung zu messender und danach werden auch die Beweismöglichkeiten in der Theolo-
gie abgeschätzt, etwa bezüglich der Erschaffung der Welt. Man geht also nicht einen
Weg über die Abstraktion und beurteilt danach die Begriffe. Man gibt ihnen auch kei-
nen Sinn, den sie apologetisch durch Definition oder abstrakte Sinnänderung jenseits
der Erfahrung bekommen könnten. Ein streng menschlicher Kontext des Erkennens
wird eingehalten und gesucht.61 So sagt Ockham:62 „Nec credo quod per rationem
posset hoc probari quod prima causa contingenter causat.“ Die empirische Bindung
dieser Behauptung oder Einwendung geht aus dem Text hervor:63 „Primo, quia non
sufficienter probatur quod qui perfecte cognoscit aliquam virtutem perfecte cognoscit
omnia ad quae illa virtus se extendit. Nam quia probatum est prius quod illud quod
est causa potest perfecte cognosci nullo effectu cognito. Quia probatum est quod ex
notitia incomplexa unius rei non habetur sufficienter notitiam incomplexam alterius
rei. Patet etiam de sensu quod perfecte cognoscit suum obiectum et per consequens
virtutem eius. Quia suum obiectum et virtus illius obiecti nullo modo differunt, et
tamen non oportet sensum cognoscere aliquid ad quod se extendit illa virtus.“ Der
sensus und der Verstand mit dem Begriff kennen nicht die Reichweite der empiri-
schen Verwendung, wenn sie die empirische Verwendung (virtus) kennen; sie kennen
damit natürlich auch nicht das medium, das für einen Beweis hinreichend wäre; denn
sie können die Definition und die Zugehörigkeit einer passio oder eines effectus nicht
bündig benennen. Gleichwohl gibt Ockham damit bereits auch intensionale Wertun
gen der Beweismöglichkeit, nicht bloß empirische Kriterien.64
61. Natürlich ließe sich dann immer sagen, dass damit der empirische Erkenntnisvorgang oder
Erkenntnisstand und -wert zum Kriterium gemacht werde, was in sich unsinnig und unange
messen sei, weil der Gegenstand (sc. Gott und seine Schöpfungstat usw.) nicht empirisch sei
und nur durch rationale Überlegungen (neben dem Glaubensbekenntnis) erschlossen werde.
Dagegen lässt sich wieder einwenden, dass dann, wenn man sie auch ändern könne, nicht er
wiesenermaßen definite Begriffe gebraucht würden: es könnten Inkonsistenzen auftreten, die
dann auch dem Scholastiker auffallen müssten und eventuell nicht mehr ausgeräumt werden
könnten. Emendationen und Hypothesen ad hoc wären die Folge. Das wiederum ließe sich
nicht durch die gänzlich hypothetische Voraussetzung vermeiden, dass die Begriffe natürlicher
weise in der Vernunft immer gleichmäßig gebraucht würden. Sie wäre ein oktroyiertes Krite-
rium, das im Übrigen von der Erfahrung (heterogener und inkonsistenter Begriffsgebrauch!)
desavouiert werden könnte.
62. Ord. d. 35 q. 2 OT IV p. 440 lin. 8f.
63. Ib. p. 436 lin. 17 – p. 437 lin. 6. Die Stelle ist eine Einlassung gegen Thomas von Aquin.
64. Wir sind im Erkennen nie bei der materia. Anders würden wir aus der Empirie bei übli-
chem Begriffsgebrauch gar nie zur Theologie aufsteigen können. Der Begriff ist so verfasst (de-
finiert), dass er nicht Implikation (Atom) sein kann. Er entspringt so. Das bedingt, dass substan-
tia und accidens für alle Begriffe, für alle Gegenstände verwandt werden können. Die Begriffe
können im abstrakten Sinn gelten, wenngleich sie selbst auch durch andere ‘Erkenntnismittel’
ersetzt werden könn(t)en. Ihre Ersetzbarkeit entspricht ihrer eigentlichen abstrakten Wertung,
98 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Auch die weiteren Einwände und Vorbehalte Ockhams gehen auf die Reichweite
von Vorstellungen, aber, wenn man so will, intensional hinsichtlich der schon – u. a.
in Beweisen gebrauchten – Begriffe und Aussagen.65 Thomas hatte die menschliche
Erkenntnisfähigkeit ferner appellativ ‘begründet’, indem er die göttliche virtus und
ihr unbegrenztes Ausmaß identisch mit einer Erkenntnisfähigkeit annahm, also auch
der unseren. Ockham reportiert ihn:66 „‘Sed virtus divina se extendit ad omnia’“ mit
dem Zusatz secundum mentem Thomae:67 „Et Deus perfecte cognoscit se ipsum, igi-
tur perfecte cognoscit omnia.“ Ockham geht nicht auf die Verflechtung mit der mens
divina und deren ‘Ideenleben’ ein, sondern entgegnet:68 „est insufficiens quia non est
sufficienter probatum quod Deus est causa omnium, nec potest sufficienter probari,
maxime quod sit causa efficiens.“ Nach Ockham ist auch nicht genügend beweisbar,
dass jedes ens sich im Kausalkettengeflecht (als efficiens oder effectus) finde:69 „non
probatur sufficienter quod omne ens est efficiens vel effectus alicuius efficientis.“70 Es
die ja auch bereits mit der Überleitung in eine übersinnliche Eingriffsdimension kompatibel
ist. Wir müssen für Theologie und Empirie kein Dilemma ansetzen; denn wir haben die De
duktion (Argumentationsform) nicht, die es begründen und bewirken könnte. Wir erkennen
keine Dinge in sich (Ord. d. q. 3 OT II p. 412 lin. 19f): „Nulla substantia corporea exterior potest
a nobis in se naturaliter cognosci.“ Wir erkennen auch nicht die divina essentia, nicht ihre Ei
genschaften: „nihil aliud concurrat in ratione obiecti.“ (ib. p. 413 lin. 1f). Daneben s. Argumen
tationen gegen Duns Scotus, die von der Satzstruktur ausgehen, cf. Ord. Prol. q. 2 OT I p. 103
lin. 1–16. Generell gilt: Gott, der die Materie geschaffen hat, wie die Welt insgesamt, aber eben
doch die Materie vorab, kann nicht an der Welt und nicht an der Materie gemessen werden;
letzteres vorab muss ausscheiden. Das ist ein Dilemma. Es wird vom menschlichen Denken ab-
und vielleicht ausgeglichen, das Gott nicht eingibt und das nicht seines ist. Das ist das Mysteri-
um ‘Mittelalter’, das nicht aus der Antike stammt. Das begriffliche Denken ist untadelig ebenso
wie ungegründet. Damit steht der Nominalismus kardinal für das Mittelalter; er erneuert und
standardisiert dessen Genese.
65. Auch die gerade zitierten Einwendungen Ockhams bezogen sich auf schon geführte Be
weise, müssen also in dem Sinne als intensionale gelten, was sie selbst und was die in ihnen
verwendeten Begriffe angeht.
66. Ord. d. 35 q. 2 OT IV p. 436 lin. 13 f.
67. Ib. lin. 14f.
68. Ib. p. 437 lin. 6–9.
69. Ib. p. 439 lin. 14–16.
70. Da auch persuasio und Induktion auf der Empirie fußen, kann Ockhams Bestreitung der
Beweisbarkeit hier als kategorisch und ausschließlich gelten. Nicht einmal eine persuasio kann
es hier geben. Das bedeutet aber auch, dass Induktion und persuasio für suffizient gehalten
werden müssen; es müssten sonst insuffiziente Beweise zugelassen werden. Der Terminus suf-
fizient wäre nicht definit. Es muss im Grunde festgestellt werden, dass die persuasio so gesehen
kein schwacher Beweis mehr sein kann. Auch wenn sie der einzig mögliche wäre, müsste nach
der der intensionalen Kennzeichnung des Denkens, der Wertung des Materials innerhalb der
Kapitel 2. Suppositionslogische Identität und Kontingenz 99
Strukturen gesucht werden. Man sagt allgemein, innerhalb der Spätscholastik sei Beweisen nur
in der Form der persuasio „noch“ für möglich gehalten worden: so bei Peter von Ailly, s. Häg-
glund, 1955 und Vignaux, 1948. Id. ebenso zu Johannes Gerson. Cf. aber zur Nähe von probatio
und persuasio Ockhams Wortlaut Ord. Prol q. 7 OT I p. 170 lin. 20 (potest persuaderi) und
faktisch inhaltlich dasselbe betreffend ib. p. 171 lin. 4 (potest probari). Die probatio zielt auf eine
induktive Allgemeinheit, während die persuasio mit einer Worterklärung zu tun hat, die damit
in sich noch unsicher (indefinit) ist: sie kann nicht per se auf alle Anwendungsfälle bezogen
werden, was den Unterschied ausmachen dürfte. Beide Beweisarten werden noch nach Ord. d.
1 q. 6 OT I pp. 486–507 verglichen werden, insbesondere die Conclusiones (pp. 503–507).
71. Cf. G. Leff, 1957 zum Verhältnis von Glaube und ratio bei Ockham und seinen Zeitge
nossen. Wir nehmen, anders als Leff, bei Ockham keinen latenten oder wenigstens denkbaren
Konflikt zwischen unanfechtbarer Glaubenshaltung (mit oder ohne Rationalitätseinschläge)
und rationalem Vorbehalt in Gestalt der Thesen zur Nichtbeweisbarkeit von Glaubenswahrhei-
ten an. Die Spannung (Unterscheidung) von Glaube und Rationalität, supernatural vs. natural,
sieht G. Leff als grundlegend in der Spätscholastik an (p. 20): „They were not simply ceasing to
argue along traditional lines … Theirs was a conflict in which the speculations of reason were
countered by the assertions of dogma, involving assumptions, methods and topics radically
different from the preceding era … (One) was refusing to combine the natural with the super
natural, and, as a result, scholasticism was in the melting-pot.“
72. Anomalität der Struktur im rein technischen Sinn könnte wegen der Kassation der Folge
rung (des Folgerungsmoments) gesehen werden. Sie erwüchse aus Ockhams empiristischem
Fundament. Doch enthielte sie genügend allgemeine Einsichten gegenüber anderen Kon
zeptionen und wäre mit ihnen stets kompatibel. D. h. bei ihnen gäbe es Begründungsmängel.
Zur vermeintlichen Pathologie in Ockhams Denken s. H. Blumenberg, 1966.
73. Doctor Subtilis lb. II d. 3 q. prima (n. A. Pelzer). Zum Text cf. G. Sondag (ed. Übers. comm.),
Joh. Duns Scotus De principio individuationis, 1992, (Réédition) 2005, p. 94. s. auch den Kom-
mentar ib. p. 95 Anm. 1 und 2.
100 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Identität oder unitas in re bestreiten können soll. Ohne diesen Zweck würde es oder
die Beschreibung aber keinen Sinn machen können. Im Grunde beschreibt oder for-
dert Duns Scotus die Abstraktion. Abstraktion aber muss nach Ockham außerhalb
der Realität der Dinge in se, praeter rem singularem, wie es sich extra mentem findet,
angenommen werden; sie setzt so erst ein. Es macht vorab keinen Sinn, die Abstrakti-
on ohne Not imprädikativ zu definieren oder anzusetzen usw. So bekommt man denn
auch keine distinkten Größen, auf deren Basis Ockhams Argumentation weitgehend
ruht. Das Argument ‘hoc est hoc’ aber wird bei Ockham nicht akzeptiert, nicht für
den kontingenten empirischen Satz und in Sonderheit nicht für die Abstraktion, der
art etwa, dass eine ‘non-distinctio formalis’ auf dieser Ebene als eine solche (i.e. Iden
tität) auf der empirischen Ebene ausgelegt werden könnte. Das wird von Ockham mit
einem Schluss ‘a fortiori’ abgewiesen. Die Annahme des Duns Scotus entbehrt also
schlechthin jeder Grundlage. Sie ist wie wir hier sagen: nicht definit. Der Ausdruck
‘Definitheit’ aber bezieht sich auf den Satz, wenn er genügend auf Begriffe – als deren
Elemente – sich beziehen kann. Die Abstraktion – das wird somit, gleichsam über
redend, bewiesen –, kann nur auf einem in sich leeren Ding- oder Gegenstandsver-
ständnis beruhen.74 Für die Deduktion greift Duns Scotus nun auf die Vorstellung der
natura communis zurück.75 Ockham indessen wird nicht die unabsehbare Kette von
74. Hier hat Ricardus Campsalis sogar eine suppositio angenommen, die sich auf Teile des Ge
genstands, als res extra extensa verstanden, beziehen können soll und in Analogie dazu in der
Gotteslehre eine Trennung realer Eigenschaften in Gott angenommen und so als würden sie
real in der Intention des Verstandes gefasst. Gegen diese Auffassung argumentiert Wodham.
75. Die Vorstellung, dass Duns Scotus mit einer metaphysischen Konzeption, eine scientia de
Deo (W. Kluxen, 1966) habe ermöglichen können, die mit der Streichung der natura commu-
nis, wie auch P. Vignaux, 1938 und 1948 meinte, unmöglich geworden sei, wird bei Ockham
indiskutabel. Ihm geht es um die Möglichkeit der Verknüpfung von s und P und damit um
ein Verhältnis, das intensional den Begriff im Sinne einer Notwendigkeit zu verknüpfen, alias
verknüpft zu sehen hätte, die bei Scotus dann auch die formell äußere Notwendigkeit zu sein
hätte, und bei Ockham, da dies beweisförmig nicht dargestellt werden kann, auch im Sinne der
inneren Auslegung der Sätze, also ontologisch nach dem Scotischen Muster, nicht zugestanden
werden kann. Eine andere Sache ist es, dass Scotus daneben stets noch für die „‘Deduktion’“
ontologische Prinzipien deduktiv benötigt, die er dann zwischen Abstraktion und Empirie ka
sual spaltet, um sie zugleich dann im Sinne beider Felder zu meinen, die Verknüpfung und
den intentionalen Gleichlaut zwischen ihnen aber gerade aufzuheben. Ockham revidiert aristo
telische Maximen, und wenn er sie kasual spaltet, werden es wirklich heterogene Fälle und:
unterschiedene Aussage- oder Satztypen. Bei Vignaux dies eben anders op. cit. p. 181 und zuvor
p. 155. Auch die These von der Univozität der Begriffe gilt bei Ockham nicht im Sinn einer vor
greiflichen Erkenntnis, wie bei Duns Scotus, (Ord. d. 1 q. 5 OT I p. 458 lin. 25 – p. 459 lin. 3):
„philosophi non habuerunt cognitionem de divina essentia nisi habendo aliquos conceptus
simplices communes Deo et creaturos, vel compositos proprios et negativos, vel connotativos
proprios.“ Ockhams Ansatz kann auch so gedeutet werden, dass eine Deduktion à la Duns
Scotus genau nach diesem Ansatz und unter dem Aspekt der Definitheit nicht gut zugelas
sen werden kann. Ockhams Ansatz ist also mit dem Scotischen Verfahren konsistent, was
Kapitel 2. Suppositionslogische Identität und Kontingenz 101
zumindest bedeutet, dass er zu dessen Bewertung tauglich ist. Er widerlegt es unter dem Aspekt
der reinen Inhaltlichkeit (Intensionalität), für die Scotus’ Ontologie (Metaphysik) unnötig ist,
abgesehen davon, dass diese widerlegt werden kann.
76. Damit hat Adam Wodham Schwierigkeiten. Cf. Kap. 6: Theologie und Logikbegriff.
77. Ord. d. 1 q. 5 OT I p. 456, lin. 4–8.
78. Ib. p. 457 lin. 4–8.
102 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
darin formulierten Satz (Aussage) als eine, welche im Gesamtsinn der Erörterungen
Konsistenz bedeutet und für ihre Elemente (Bestandteile, Begriffe) Definitheit. Definit
erscheinen der Begriff der notitia abstractiva, also abstractio, divina essentia, persona,
distinctio formalis, distinctio realis etc.
Die Philosophie Ockhams ist auf eine Konsistenz hin an- oder ausgelegt, wel-
che mit den Bestandteilen der Erörterungen in den Fragen (quaestiones), also mit
den actus, welche ja als solche (actus apprehensivus) gewahrt werden, nicht mehr
zusammenfällt. Die Identität des actus apprehensivus als Meinungsträger (Erkennt
nissubstrat) und die Suprastruktur der Erörterung fallen nicht zusammen. Die auf
wenige Elemente gegründete und bezogene Struktur der Erörterung macht bei
Ockham ganz die Erörterung aus und bestimmt sie durchgängig.79
Denken wir uns aber nun einen normalen scholastischen Satz, wie etwa den80
„quod intellectus sit realiter ipsa substantia animae“. Er gibt einen bedeutenden Lehr-
punkt wieder. Er spiegelt eine christliche Einstellung.81 Der Satz zielt auf einen syn-
thetische Qualität oder Begründung (a est realiter b), damit auf die Kontingenz und
die Suppositionslogik und so wie diese wesentlich mit der Widerlegung affin ist, auf
eine reprobatio. So sagt denn Ockham: „(sicut) posito quod intellectus sit realiter ipsa
substantia animae, … tunc impossibile est quod substantia animae cognoscatur nisi
intellectus cognoscatur. Quia impossibile est quod idem de eodem vere affirmetur
et vere negetur ab eodem. Ergo non potest cognosci substantia animae nisi eodem
modo cognoscatur intellectus.“ Derart müsste der Satz tautologisch sein können.
Ockham aber bezieht ihn einstweilen nur auf eine empirische Qualität, bei der das
Wahrheitsmoment gilt und eben durch das suppositionslogische Wahrheitspräskript
sei es ersetzt, sei es egalisiert wird. Der Satz kann also seine abstrakte Höhe nicht
gewinnen. Damit fällt die Lehre (ihre Begründbarkeit). So denn die Nähe zur Wi-
derlegung, welche in dem bloßen Beispielcharakter (sicut) bereits von Ockham an-
geschlagen wird. Die in sich negativ verbleibende Abstraktion wird beschrieben und
tendiert zur Widerlegung und Ablehnung: „Et tamen multis ista propositio est nota
‘substantia animae est substantia’.“ Der Satz ist denn auch per se unbestreitbar. Er ist
auch auf abstrakter Ebene einsichtig, aber, fährt Ockham fort: „et haec (propositio!)
ignota ‘intellectus est substantia’.“ Wir kennen nämlich nichts vom intellectus per se.
79. Das heißt: an allen Stellen. Die dann je anfallende Erörterung ersetzt Folgemäßigkeit durch
Kompatibilität und fasst so förmlich Abstraktion und Empirie zusammen. Wir wiederholten
je an der Stelle eine Synthesis der Begriffe, aber wir vollziehen sie über eine Ableitung, in der
Konsequenz(en) suspendiert werden. Wir approximieren so die Definitheit und übergehen die
Konsequenz.
80. Cf. Ord. d 1 q. 5 OT I p. 464 lin. 16. Ockham ‘widerlegt’ quasi induktiv ( p. 464 lin. 15 – p. 465
lin. 14) mit Tendenz gegen Duns Scotus die Annahme, dass dieser Satz naturaliter erkannt wer-
den könne.
81. Cf. Anm. 27 dass der intellectus nach Ockham logisch immaterialis sei und der causalitas
unterliege.
Kapitel 2. Suppositionslogische Identität und Kontingenz 103
Wir kennen die actus intellectionis. Ockham gibt die Begründung empirisch: „Et ra
tio est quia nescitur a tali pro quo supponit iste terminus ‘intellectus’.“ Es wird also ein
scholastischer Glaubenssatz, scheinbar gut begründet, abgelehnt, nicht weil er nicht
deduzierbar wäre oder aber nicht empirisch verifizierbar wäre,82 sondern weil er nach
dem suppositionslogischen Kriterium für Wahrheit hinfällig ist. Er gelangt nicht bis
zur Abstraktion. Ockham zeigt: der Satz ist als abstrakter nicht gültig, weil er nicht
empirisch begründbar ist.83
Das Verhältnis intuitiver und abstraktiver Wahrnehmung bzw. Bildung von Sät-
zen oder von deren Begriffen jedoch lässt sich für Ockham anhand der Texte hinrei-
chend klären und angeben. Die Begriffe für das Satzverständnis werden grundsätzlich
und zunächst durch die notitia intuitiva erworben:84 „quia quando perfecte apprehen-
do aliqua extrema intuitive, statim possum formare complexum quod ipsa extrema
uniuntur vel non uniuntur; assentire vel dissentire … Et hoc virtute cognitionis intui-
tivae quam habet (intellectus)85 de extremis.“86 Aber die Kapazität des Verstandes ist
82. Das sind die beiden Kriterien, die Nikolaus von Autrecourt für die aristotelisch-scholasti
sche Erkenntnis lanciert; beide werden aber von ihm eigentümlich verschränkt.
83. Der abstrakte Satz ist im Sinne der Induktion hier nicht begründbar, wenn er als auf dem
empirischen beruhend ausgedrückt werden können soll. Wir haben keine Begründung der
passio für ein Verhältnis zum subiectum und daher auch keinen abstrakten Satz, der davon,
i.e. von dem kontingenten Verhältnis der extrema s und P, unabhängig wäre. Für einen rein
abstrakten Satz ist der Begriff intellectus an sich selbst nicht begründbar. Denn wir müssten
ja annehmen, dass die substantia animae aus oder in sich selbst zum intellectus überzugehen
vermöchte. Ein solcher Übergang ist für die theologischen Sätze, die die divina essentia determi
nieren, begründbar, aber nicht für das naturale Verhältnis in der anima bzw. im menschlichen
Geist. Wir können hier die empirischen Grundbedingungen nicht verlassen, sondern bleiben
im Bereich der elementaren Begriffsgenese(n); wir haben keinen Grund dafür in den empiri
schen Bedingungen, den wir aber bezüglich der divina essentia haben, so dass wir die abstrac
tio vollziehen und gegen die Empirie gerichtete Satzerklärungen geben können. Dort ist eine
empirische „‘Erfüllung’“ nicht denkbar. Sie ist also auch nicht empiristisches Kriterium; das
würde auch den Aspekt der Definitheit vorwegnehmen. Für rein theologische Sätze wird es
denn auch nicht angenommen. Es lässt sich mithin sogar sagen, dass der behandelte Satz eben
damit als nicht unabdingbar theologischer oder den Glaubenssätzen zuzurechnender erschei
nen mag. Es ist natürlich eine andere Sache, ob man ihn zu den Lemmata rechnen und hier für
unentbehrlich halten will. Würde man aber hier nun Anstände gegen Ockham suchen wollen,
so müsste man umgekehrt klar machen, dass der Satz im Sinne theologischer Deutungen und
Lehren nach dem Menschenbild der christlichen Kirche unverzichtbar sei. Dessen Stelle über
nimmt Ockhams Methodologie.
84. Rep. II, q. 12–13 OT V p. 256 lin. 14 – p. 257 lin. 5.
85. Der intellectus ist dabei schon eingelassen.
86. Hiermit wird bloß eine Bestimmung oder auch Worterklärung empirisch begründet.
104 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
unabhängig von dieser kausalgenetischen Bedingung des Erwerbs der Begriffe:87 „Sed
respectu cognitionis apprehensivae per quam formo complexum, non est cognitio in-
tuitiva – nec sensitiva nec intellectiva – causa partialis quia sine ipsis potest formari
omne complexum quod potest formari cum ipsis.“ Damit wird eine differentia specifi
ca der Akte (oder notitiae) schon festgehalten. Es gilt grundsätzlich:88 Die notitia ab
stractiva, die mit der notitia intuitiva ‘zugleich’ („simul“) eintritt, wobei die notitia
intuitiva ‘Begriffe’ (incomplexa) betrifft, ermöglicht die Wahrnehmung und Bildung
von complexa, also Sätzen, die von der notitia intuitiva unabhängig sind: diese Sätze
haben in der notitia intuitiva oder der empirischen Erkenntnis nach kontingenten
Sätzen kein unbedingtes Kriterium. Der entstehende Satz muss nicht mehr unbedingt
als kontingenter verstanden werden.89
Ein Bereich näherungsweise tautologischer Sätze aber bleibt erhalten, etwa wenn
Ockham sagt:90 „Tamen haec tunc erit vera per se ‘habitus speculativus est in intellectu
speculativo’ non per se primo modo nec secundo, de quibus loquitur Philosophus I
Posteriorum, sed dicetur(!) necessaria quia nihil hic ponitur quod significet aliquid quod
non est subiectum nec accidens receptum in subiecto illo. Sed ista erit per accidens ‘ha-
bitus practicus est in intellectu speculativo’.“91 Bedenkt man, dass hier eine praktische
Religiosität auch immer aus dem Bereich der Einsichten schlechthin in den Bereich
der Handlungen, beispielsweise der Kultausübung oder tätigen Nächstenliebe, des Er-
werbs von merita usw. ‘Überträge’ würde erfordern können müssen, so liegt es nahe,
dass hier Ockham nichts beitragen konnte, was aber vielleicht aus dem Stande des
Mittelalters selbst auch nicht zu erwarten und möglich war.92 Das Wahrheitspräskript
muss akzentuieren und skandieren, dass der kontingente alias empirische Satz (Witt-
gensteins Elementarsatz) kein analytischer sein kann. Mit Ockhams Wahrheitspräs
kript entfällt für den Elementarsatz die homoiousis, die Wittgenstein dafür angenom-
men hat. Ockham will keine Wahrheitswerte, welche Wittgenstein für analytische und
empirische Aussagen gleichermaßen annahm. Er nimmt auch nicht die adaequatio in-
tellectus ad rem an.93 Dabei war, wie festzuhalten ist, zwischen supponere (suppositio)
und significare (significatio) zu unterscheiden:94 „Est etiam sciendum quod semper
passio supponit pro illo eodem pro quo subiectum supponit, quamvis aliquid aliud ab
illo significet aliquo modo, scilicet in recto et in obliquo, vel affirmative vel negative.“
Die suppositio gibt die Stufe der (intensionalen) Bestimmbarkeit des Begriffs in se,
92. Es erhellt, dass jene Heilswahrheiten, die die ‘Erlösung’ des Menschen, seine Verdienste, die
Gnade, die Glorie usw. betreffen, wie sie aus Gott dependieren, aber den Menschen betreffen,
de facto, was ihren Ausdruck angeht, nicht dem Maßstab der Kontingenz unterstehen, aber
eben auch die Verhältnisse der divina essentia in se überschreiten. Die Heilswahrheiten be
zeichnen also womöglich ein eigenes Feld. Es versteht sich, dass ein interner Handlungsraum
des Menschen, wie er seelisch-psychologisch bei Luther oder Kierkegaard bezeichnet werden
konnte, scholastisch nicht in Rede steht. Wenn es dafür im Mittelalter Vorbereitungen gibt,
in den Sekten und in den Kongregationen, die Heilswahrheiten der besonderen Aneignung
für bedürftig, ja auch für dieser konform zu halten, so bleibt doch die Erörterung Ockhams
selbst davon unberührt. Diese Tendenz gehört zunächst der mystischen Richtung an. Wie es
bei dem späten Ockhamisten Gabriel Byel (Biel) sei, kann hier nicht erörtert werden. Er ist
schon von der Windesheimer Kongregation beeinflusst. In ihr wurden auch Nikolaus Cusanus
und Erasmus erzogen. Wieweit der nach dem Abschluss seines SK in den franziskanischen
Armutsstreit eingelassene Ockham Frömmigkeitsideale teilte, die sich bei Nikolaus von Autre-
court durchaus finden, steht dahin. Eine solche Parteinahme bzw. Einstellung wird aus dem
Text des SK vorderhand nicht abgeleitet werden können. Autrecourt stellt die Frömmigkeit der
nach seiner Ansicht gescheiterten aristotelisch-scholastischen Wissenschaft entgegen. Das ist
bei Ockham so nicht erkennbar. Es sei denn man will das Zugeständnis einer rational unbeweis
baren, ja nicht einmal rational behandelbaren opinio resp. auch nur (das bleibt unentschieden)
Verlautbarung in fide, einer kirchlichen Auslegung usw. dazu zählen, bei denen, wie Ockham
geradezu feststellt, oft nicht der Widerspruchssatz in Anschlag gebracht werden könne. Doch
damit wird die Glaubensaussage dann zugleich dem ‘ad libitum’ nahegerückt. Willentlich oder
unversehens.
93. K. Lorenz, Elemente der Sprachkritik, 1970 rechnet Wittgenstein die Adäquatheitshypothese
positiv an.
94. SL I c 37 OP I p. 105 lin. 38 – p. 106 lin. 40. Daher gibt es ‘passiones positivae et passiones
negativae’ (ib.).
106 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
i.e. als etwas Mentales vor und an.95 Die significatio besteht eindeutig nur im Objekt:
significatio = obiectum, was zu bedeuten hat, dass die passio etwas am Objekt oder
in ihm bedeutet oder bezeichnet, was unterhalb der Suppositionsidentität, die das
Wahrheitspräskript benennt und vorschreibt, nur nicht in dieser, vorkommt und da-
her für die suppositio und gemäß dieser auch nicht in einer Auslegung der Realdinge
in se geltend gemacht werden kann. In diesem Sinn würde die Definitheit der Begriffe
verletzt werden, wenngleich sie in se nicht erreicht werden kann. Wir sind mit ihr
auch unterhalb des Widerspruchsmoments, das bei der reprobatio falscher Ansichten
zur inhaerentia der passio oder des accidens in subiecto ja noch greift. Dass bei und
von Ockham eine intensionale Ebene betrachtet und behandelt wird, ist klar:96 „immo
ad hoc quod homo sit asinus vel non sit asinus, nihil facit intellectus. Sed quod haec
propositio: homo non est asinus, sit vera, non sufficit quod homo non sit asinus. Sed
requiritur quod ista propositio: homo non est asinus, sit.“ Eine Erkenntnis ‘homo est
asinus’, könnte qua Einsicht (notitia intuitiva) nicht formiert werden. Doch es gibt den
Satz. Dieser Satz wird dann per notitiam intuitivam beurteilt werden. Er müsste so im
Grund als allgemeiner Satz verstanden werden. Damit werden auch elementare Sätze
allgemein.97
Dies scheint aber ein Dilemma bei vielen Erörterungen Ockhams zu Typus und
Charakter von Sätzen zu sein, dass Allgemeinheit und Konkretion (Empirie) am Ende
nicht trennscharf bestehen bleiben können,98 so dass eine Voraussetzung, die mit den
Unterscheidungen von notitia abstractiva und notitia intuitiva an bis zu denen der
Satztypen hin, die hierauf aufbauen oder damit vereinbar erscheinen, gemacht worden
ist, nicht mehr (so ganz) festgehalten werden könne, so scheint es wenigstens. Das aber
hätte dann zu besagen, dass die Verlässlichkeit (Eindeutigkeit) der Begriffe, die mit der
notitia intuitiva oder empirischen Wahrnehmung und Gewinnung veranschlagt und
95. Cf. SL I c. 37 OP I p. 104 lin. 3 – p. 105 lin. 11 (Text s. Anm. 21: „(passio) multipliciter accipi
etc. etc.“
96. Ord. d. 24 q. 1. O. Wir folgen W 1485. Ed. nennt die Textvarianten im Apparat. Text Ed.
Ord. d. 24 q. 1 OT IV p. 88 lin. 17–23 ist nicht so schlüssig: „Similiter, si nullus intellectus esset,
adhuc homo non esset lapis, et tamen haec non esset vera tunc ‘homo non est lapis’ (sic!), quia
nulla propositio esset tunc (!!). Et huius ratio est quia ex re dependet veritas propositionis,
quamvis non e converso, immo ad hoc quod homo sit asinus vel non sit asinus, nihil facit intel-
lectus. Et ita quod haec propositio ‘homo non est asinus’ sit vera vel non sit vera, nihil facit ad
hoc quod homo non sit asinus.“ ‘Wahr’ als Bestimmung des Satzes ist nicht nur Bestimmung
des Satzes a parte rei. D. Perler, Ockhams Transformation der Transzendentalien, in: Miscellanea
Mediaevalia Bd. 30, 2003 pp. 304–319 sieht verum bloß als a parte rei bestimmt an. ‘Verum’
bekommt bei Ockham einen modalen Wert.
97. Dabei tritt die ontologische Bedeutung von Sätzen nicht auf, wie die Folgerung empirisch
keinen Platz hat. In diesem Sinn hat Autrecourt recht. Die Folgerung kann nur kein Regulativ
sein. Das nimmt er aber doch an.
98. Cf. etwa zur propositio per se nota Kap. 3: Zum Verhältnis der Satzformen.
Kapitel 2. Suppositionslogische Identität und Kontingenz 107
99. Ord. Prol. q. 4 OT I p. 157 lin. 6–8 nimmt Ockham eine Notwendigkeit secundum intentio-
nem Aristotelis an, die de facto bloß Kontingenz (‘contingens’) bedeuten kann. Diese Tendenz
zur Empirie (Kontingenz, zum kontingenten Satz ) bestimmt dann auch die Widerlegungen
Ockhams. Dieses Moment der Kontingenz kann auch in der Darstellung und Feststellung der
fallaciae niemals überwunden oder überstiegen werden.
100. Dabei gilt, dass die Widerlegung in der Form des indirekten Beweises nicht eine Tech-
nik des Aufweisens bei Ockham ist oder diese erübrigen könnte. Reprobatio, refutatio oder
auch eine confutatio (i.e. eine mehrfache Widerlegung oder Infragestellung) stellen nicht be
reits Ockhams eigene opinio dar oder auch nur vor. Die wird durch die persuasio (Analogie,
108 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Ockham in quaestio 1 des Prologs zur Ordinatio feststellt: „non intelligo quaestionem
(nach der Evidenz) praecise de notitia evidenti scientifica.“101
Die abstractio durch einen Begriff wie genus, i.e. durch genus als ontologischen
Begriff zu kennzeichnen, wäre schwierig und sinnwidrig bzw. zweckwidrig. D. h. so
als ob der abstraktive Begriff in sich ein Moment des genus, also der Ordnung der
Begriffe oder Gegenstände untereinander enthalten könnte. Ockham zeigt es im Ord.
Prol. Es gibt keine Parallelität von notitia abstractiva (abstractio)102 und durch das ge-
nus und dessen Begriff bezeichneter Allgemeinheit. Nicht diese wird gemeint, wenn
abstrahiert wird. Nur so ist genus als Prädikat verwendbar (‘animal est genus’). Das
gilt auch für species (‘homo est species’).103 Danach kann der Begriff ‘genus’ nicht ab-
strahiert oder mit abstrahiert werden, also die entsprechende Eigenschaft auch nicht.
Die essentielle Prädikation ist unmöglich. Die Prädikation ist, soweit es um Empirie
sich handelt, wegen der Kontingenz oder, formell bzw. intensional, übereinstimmend
mit ihr, von der Zeit nicht unabhängig. Sätze wie ‘Socrates sedet’ oder ‘Petrus est re
probatus’ sind kontingente Sätze und der Inhalt der passio inhäriert nicht abstrakt in
dem Subjektterm. Der Subjektterm und das Prädikat müssen aber beide auf dasselbe
äußere Objekt verweisen, wenn der Satz suppositionslogisch als wahr gelten können
soll, dann wenn es um die supposito personalis geht. Die suppositio simplex ‘homo
Vergleich), Induktion (mit dem den negativen Fundierungszusammenhang, bei dem ein akzi-
denteller Umstand negiert wird, also keinen Schluss zulässt) bestimmt.
101. Ord. Prol. q. 1 OT I p. 15 lin. 5–11. Dabei kann Ockham denn auch sagen, dass notitia
intuitiva und notitia abstractiva sich nach ihrem formalen Entstehungsgrund gar nicht unter-
schieden. Cf. ib. p. 34 lin. 6–12: „Nec differunt per rationes motivas formales, quod scilicet in
cognitione intuitiva res in propria existentia est motiva per se obiective; in cognitione abstrac-
tiva est aliquid motivum in quo res habet esse cognoscibile, sive sit causa virtualiter continens
rem ut cognoscibilem, sive sit effectus, puta species vel similitudo repraesentati continens ip-
sam rem cuius est similitudo. Sicut dicit idem (sc. Scotus) Quodlibet, quaestione 13“. Es gibt
also nicht jenen Argumentationsgrund, nach dem Erkenntnis (Akt) und Wahrheit voneinander
unterschieden oder aneinander gebunden wären. Für den Akt steht nicht die Wirklichkeit und
diese kommt nur nach dem Akt in Betracht. Ein bestimmtes empirisches Entstehungsmoment
wird also nicht für die ratio der beiden notitiae und ihre Unterscheidung angenommen. Auch
sonst können nach Ockham nicht Unterscheidungen gemacht oder aufrechterhalten werden,
welche mit der Definition in einem extensionalen Sinn, i.e. strictissime a parte rei gesehen,
übereinstimmten.
102. Das muss bedeuten, dass Ockham zur Abstraktion (notitia abstractiva) übergeht und dass
er eine Wahlmöglichkeit habe. Es muss einen actus apprehensivus geben, der unabhängig von
der notitia intuitiva sei.
103. Auch bei Duns Scotus ist der actus apprehensivus bereits zentral; er wird indes ontolo-
gisch dimensioniert. Dies geschieht, nicht um Gott denken oder mitdenken zu können, son
dern um den Begriff, aus dem gedacht werden können soll, zu schaffen. Es ist dies die Stelle, an
der der die Kommentatoren des Duns Scotus mit ihren Erläuterungen eingesetzt haben, die da
auch unentbehrlich waren. Z. B. zu ‘species’. Cf. S. Day, 1947.
Kapitel 2. Suppositionslogische Identität und Kontingenz 109
est species’ oder ‘animal est genus’, bei der subiectum und passio gemeinsam für einen
‘Begriff ’ (natürlich denselben) supponieren, bezieht sich eben nicht mehr auf eine res
extra mentem, die per notitiam intuitivam empirice wahrgenommen und bestätigt
werden kann.104 Gäbe es eine essentielle Prädikation, gäbe es nur ein und denselben
Begriff. Ockham lässt aber eine solche Prädikation eins zu eins nicht zu. In ihr wären
in jedem Fall formell empirische Begriffe verwandt worden.
Ockham hat dann in manchen Fällen widerlegt, indem er zeigt, dass gewisse
kontingente Sätze, die von abstrakten Aussagen überfasst werden, dieselbe Suppo
sitionsart in subiectum und passio nicht haben – können. Der abstrakte Satz wird
so widerlegt. Doch wird er nicht durch eine ‘gegenteilige’ Aussage ersetzt, die damit
als durch indirekten Beweis gleichsam ermittelt zu gelten hätte. Denn wo derart von
Ockham widerlegt wird, soll eben nur ‘widerlegt’ werden; es wird dann eine abstrakte
Aussage nach ihrem intensionalen Gehalt abgewiesen. Das Ergebnis dieser Wider-
legung lautet: „simpliciter falsum“ = absurdum.105 Die persuasio ist dabei als eigens
abstrahiert zu denken.106 Die Abstraktion, mit der und innerhalb deren Duns Scotus
‘deduktiv’„operiert“, erscheint, selbst wo sie mit überweltlichen Tatbeständen oder
Bezügen befasst ist, als zugleich ungeschieden von jeder empirischen Ansicht und
eben auch Vorstellung.107 Während bei Duns Scotus die abstraktive Behandlung der
104. Es ist klar, dass wenn genus Teil der Abstraktion oder sie bestimmend wäre, dann müs-
sten Sätze, die Sätze betreffen, diese Sätze identisch auffassen, i.e. diese Sätze aliquomodo sein.
So könnten sie nicht der Stufe nach verschieden sein. Es gäbe die erste Stufe der Wahrnehmung
extramentaler res und der kontingenten Sätze nicht. Umgekehrt kann genus selbst nicht abstra-
hiert werden. Es ‘kann’ und darf kein empirischer oder empiristischer Terminus sein. Er meint
aber wie alle ontologischen Begriffe eine widerlegungsprobate Intention auf die realitas.
105. So wie Ockham hier beweist, widerlegt er Duns Scotus nicht und begreift dessen Konzep
tionen faktisch nicht ein. So sind beider Konzeptionen nicht gegeneinander ausgeschlossen.
Sie bleiben mithin kompatibel. Ockham geht allein nicht auf die significatio qua intensionaler
Bestimmung der suppositio und ihrer Bezüge im Sprachmaterial zurück und er beweist nicht
von ihr her oder auf sie hin. Von ihr aus zu operieren würde bedeuten, heterogene Konzepte
gegeneinander setzen zu können, so dass etwa eines ausgeschlossen und das andere zugelas
sen werden könnte oder müsste. Es wird genau das nicht den spätscholastischen Austrag hier
ausmachen oder auch nur wiedergeben (‘malen’) können. Wir erkennen, dass was wir zu den
Akten (notitiae) gesagt haben, nicht die Logik abgibt, eine significatio für die Abstraktion zum
Regulativ zu machen. Das wird mit den Ontologien angenommen. Sie müssen im Prinzip Ope-
rationen enthalten oder freistellen, welche auf Definitheit nicht einzugehen oder sie zu sichern
hätten. Ockham sichert die Definitheit und schließt die Logik aus.
106. Die persuasio beruht nicht auf dem ‘tertium non datur’. Es kann zwei oder drei persuasio
nes nebeneinander geben. Es gibt also einmal keine empirische Grundlage im Sinne des ‘terti
um non datur’; dann aber gibt es auch keine analytischen Auflösbarkeit einer persuasio, wie es
ja denn auch keine solche bei den rationes gibt, wie wir gezeigt haben.
107. Nach Ockham Rep. II, q. 12–13 OT V pp. 253 – p. 310 kann die species für den actus in-
telligendi gesetzt werden, muss es aber nicht (p. 269 lin. 13–15): „Nunc autem sine omni specie
110 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
ad praesentiam obiecti cum intellectu sequitur actus intelligendi ita bene sicut cum illa specie.“
Kann das als Vorhalt gelten, so gibt Ockham auch noch ein Widerlegungsargument, wenn die
species für unerlässlich gehalten wird (ib. lin. 16–19): „Item si species ponatur necessario re
quiri ad cognitionem intuitivam, sicut causa efficiens, tunc, cum illa species possit conservari
in absentia obiecti, possit causare naturaliter cognitionem intuitivam in absentia rei, quod est
falsum et contra experientiam.“ Damit wird naturaliter implizit negativ mit mechanisch gleich
gesetzt; die omnipotentia kann nicht diese mechanische und naturale Erfolgung der Erkenntnis
meinen und nicht dort eintreten, wo die experientia angeführt werden kann. Die conservatio
notitiae intuitivae in absentia obiecti muss also einen anderen Fall darstellen und ebenso die
mechanistische Auslegung des Erkenntnisvorgangs mit seinen Faktoren ausschließen. Ockham
geht von der Existenz der Verstandesoperationen und deren abstraktiver Unabhängigkeit aus.
Die Potenz des Verstandes muss nicht eigens gesichert, erklärt oder begründet werden. Wenn
sie erklärt wird, geschieht es induktiv, d. h. durch den praktischen Hinweis auf Existenz und
Gegebenheit. Sie wird nicht durch das ontologisch realistisch als species gefasste universale er-
klärt oder gesichert. Zur Anfechtung der These von der ‘species’ s. auch schon Kap. 1 Anm. 69.
Der dortige Beweis, der derselben quaestio entstammt, schließt die reprobatio, die oben unver-
hohlen gegeben wurde, gleichsam in eine persuasio ein. Dabei wird dort das Beweisen selbst
intensional angegangen und auch selbst gewissermaßen geschildert. Beide beziehen aber die
species auf eine Relation (notwendig oben und perfectius dort), die in der Sachenwelt ‘gegen-
ständlich’ also nicht grundgelegt alias nicht sichtbar ist. Wir überschreiten intensional (und
eben im Beweisen) diese Gegenstandswelt, wie es denn ja auch mit der conservatio der notitia
intuitiva, dem habitus, dem Omnipotenzprinzip und seiner Funktion bei der ‘Ordnung’ der
Akte oder notitiae schon geschieht, wenn die multiple Anordnungsfunktion der Akte eben
auch für die Abstraktion an die Kontingenz gebunden bleibt, die Gott mit seiner Macht (con-
servatio) und dann auch Allmacht disponibel hält. Beide sind prima facie an die nicht mecha-
nistisch gebundenen absoluta der konkreten Welt der Schöpfung (lex communis) geknüpft, für
die sie die Kausalität nach dem Verhältnis von conditio (ratio) necessaria und effectus sichern,
indem sie sie in Richtung auf Gottes Macht und Allmacht hypothetisch (wie immer erkennbar
ist) in eine ratio sufficiens überführen und ausweiten, so dass danach Kausalverhältnisse unme-
chanistisch erklärt werden können.
108. Determinative Zusätze des Scotus verwirft Ockham gerade mit Bezug auf die Empirie
suppositionslogisch.
109. Gemeint sein muss die Realität in se.
Kapitel 2. Suppositionslogische Identität und Kontingenz 111
110. Cf. dazu auch Kap. 4: Fides et scientia und Kap. 9: Induktion und Ontologie.
111. Hier gibt es auch den Fall, dass die significatio in/als Folge bzw. Folgerung tatsächlich
(i.e. erkennbar) nicht präsentiert werden kann, während wir sonst nur unterstellten, dass es
nicht gefolgert (indes auch nicht ausgeschlossen) werden könne. Modalität bezeichnet Sätze
bloß in dem Sinne wie Signifikanz mit der Aufhebung von Folgerung zusammenfällt. Das wie
der macht den Charakter der Abstraktion aus, die somit allgemein nach ihrem Wesen durch
Modalität ausgesprochen und gekennzeichnet wird.
112. Für den Inhalt bzw. Begriffe und Sätze wird die unmittelbare Geltung ohne eine jede
Prämisse, welche dann allein immer transzendentalphilosophisch zu begründen, scheinbar zu
eruieren wäre, festgestellt. Ockhams intramentale Begriffswissenschaft gelangt nicht bis zu Des
cartes’ extrovertierter Wissenschaft. Aber auch bei Descartes ist die introspektive Komponente
der Evidenzbildung unverkennbar, die er als methodische Vergewisserung des Sinns von Wor-
ten usw. in der Theologie kennen gelernt hatte.
113. Betont man den Zeichencharakter, kommt man für den Sinn von Aussagen (außerhalb
des Suppositionspräskripts) zu den in diesen gelegenen unbegründbaren Verbindungen. Die
muss dann die Implikation mit ihrem wesentlich bestreitbaren (negativen Sinn) übernehmen.
Die Folgerung muss in dem Sinn ‘bestehen’, dass sie nicht vollzogen (performiert, aktuiert)
werden kann, i.e. nicht analytisch ist. sie muss implizit synthetisch sein. Das lässt Alternativen
zu: Lehre von den notitiae und actus in ihrem reinen oder weitgehenden ad libitum. Ockham
hat wo er mit dem conceptus hantiert, den Folgerungscharakter zwischen den Sätzen verändert
112 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
den wir dann die Akte und die Abstraktion einführen und verhandeln, i.e. in eine
mentalistische Theorienbildung eintreten. Die theologischen Inhalte können nicht
über die Zeichenlehre und die Lehre von den Konsequenzen erfasst werden.114 Eher
sind hier über sie, wie man gesehen hat, Begrenzungen auszudrücken. Darin bleibt
diese Logik mit Ockhams theologischer Deutungspraxis jedoch notwendigerweise
vereinbar. Sie darf und kann indes auch gegen diese keine Einwände besagen oder
ausdrücken.115 Sie ist natürlich nicht in der Theologie ‘fundiert’. Zwischen der
und umgekehrt, auch reduziert, etwa wenn es darum geht, den Operationsbegriff mit dem
Finis und dessen Kenntnis in dazu eigenen Sätzen zu verknüpfen. Auch hier ist die direkte
empirische Erkenntnis bzw. Fundierung das Problem.
114. Die eigene Rationalität des Theologischen kann nur dadurch begründet sein und darauf
sich gründen, dass was die significatio verkörpern könnte, nämlich das Zeichen, suppositions
logisch eingefasst mit Einrahmung in die consequentiae, nicht im Widerspruch dazu steht. Das
sichert sehr allgemein die Definitheit. Indem die Suppositionslogik die Konsistenz verkörpert,
sichert sie die Determinatheit der theologischen Inhalte, gerade indem sie sie nicht fundiert
und nicht in sie eindringt. Der Zeichenbegriff darf so leer und nichtig bleiben. Er verkörpert
die significatio leer, inhaltslos ja ohnehin. Die theologischen Inhalte, Begriffe oder Sätze dür-
fen daher über ihn (und d. h. suppositionslogisch) nur nicht widerlegt werden können. Die
Suppositionslogik steht mit der Widerlegung außerhalb der Rationalität der Theologie. Die
Suppositionslogik begrenzt sich quasi mit der Widerlegung, die sie in sich selbst erfährt. Sie
verkörpert und sichert die Definitheit. Diese bleibt implizit an das Zeichenmoment gebunden.
Die Begriffswertigkeit kann als aus ihm induktiv sich erhebend gedacht werden.
115. Diese ‘Logik’ steht also den individua nahe, als die wir die Objekte (res extra animam)
fassen. Nach Quine, From a Logical Point of View, 1961 oder N. Goodman, The Structure of
Appearance, 1951 und Fact, Fiction and Forecast, 1955 denken wir so genuin nominalistisch. Um
1800 hat C. G. Bardili, zu dessen Lehre K. L. Reinhold von der Kants abfiel, die Logik auf rein
individuelle Momente gründen wollen. Auch Quine bezieht sich auf die Dinge als absolute Sin-
gularitäten; er sieht sie als kontingente Gegebenheiten, die kein von den Ausdrucksstrukturen
abzubildendes Geflecht bilden oder enthalten. Die hier als sprachliche betrachteten Strukturen,
für die Quine alle Sprachtypen heranzieht (s. die Klassifikationen bei E. Sapir, Language, 1922)
geben also die Kontingenz und die Singularität wieder. Dafür treten bei Ockham die von ihm
appretierten Argumentationsstrukturen ein, mit denen quasi noch eine Auswahl der Realge-
sichtspunkte erfolgt. Dabei soll der Begriff (universale), der die res singularis in se ipsa nach
einem Begriff (Begriffsverhältnis) nicht betrifft, sofern dieses darin beweisbar gegeben zu sein
hätte, sie aber immerhin doch betrifft, sie im Sinne der Negation des Betreffens der res ipsa in
se doch positiv betreffen, d. h. im Sinne einer intensional negierten Negation. Alle ontologi
sche Allgemeinheit, sofern sie in der res selbst vorhanden sein sollte, wird per reprobationem
negiert und ausgeschieden. Damit gilt aber der Begriff nicht etwa nicht, wie die ontologischen
Realisten es postulierten, wobei sie eventuell das tertium non datur für sich in Anspruch neh-
men können (aber sie setzen bereits Ontologie als unumstößlich wahr voraus und beweisen
sie sei es zusätzlich sei es einzig, indem sie deren Ablehnung widerlegen), sondern der Begriff
als universale gilt, weil die ontologische Präsupposition negiert werden muss und ausscheidet,
sofern er gilt, nämlich gültig gebraucht wird, und die Ontologie eben nicht gilt. Der Nomina-
lismus versteht sich dabei als positiv und als Lösung, wo Nikolaus von Autrecourt ein Dilemma
Kapitel 2. Suppositionslogische Identität und Kontingenz 113
empirischen Welt (nach der lex communis) und der jenseitigen essentia divina bzw.
der jenseitigen Welt mit Gott, Engeln und beati muss weiterhin so argumentativ
vermittelt werden, dass, mittels dieser Argumentation methodisch geregelt, Begriffe
auch für sie gebraucht werden können.116 Deren eher empirischen Bezug drücken noti
tia intuitiva und Suppositionslogik nach der Version des kontingenten Satzes aus, den
sie (einzig) zulassen und begründen helfen.117 Ihr abstrakter (abstraktiver) Charakter
oder Gebrauch drückt sich darin aus, dass der empirische Bezug, indem er nicht aus-
geschlossen ist, sondern herangezogen wird, die negativen (modalen) Bezeichnun-
gen des Satzes liefert. Diese besagen Nichtintention der significatio.118 Der empirische
kontingente Satz ist in Ockhams System Basis aller Bedeutungsanalysen des in der
humanen Erkenntnis für denkbar = möglich Gehaltenen. Was nicht für den kontin
genten Satz gesagt werden kann, kann auch nicht in ihn hineingelegt werden, d. h.
als Eigenschaft intensional in ihm enthalten sein. Das gilt vorab für die ontologischen
Anschauungen, für die er als primärer Repräsentant oder Träger von Erkenntnis in
Frage kommt.119 Die intensionalen Eigenschaften des kontingenten Satzes (und dann
gesehen hat. Der Nominalismus erwächst daraus, dass man Vorstellungen und Erwartungen
verneint, die auch Nikolaus von Autrecourt noch geteilt hat, wo er sie für unerfüllbar hält. Der
Nominalismus hält sie aus Argumentationsgründen für irrational. Er betrachtet sie nicht mehr
als sachhaft. Quine geht so von der Semantik zur Pragmatik über. Sie entspricht der Vernei
nung von Ansichten, die er für irrational = unbegründbar hält. Aber die Lösung muss da die
Negation des Negierten implizieren. Es wird das accidens der Lösung als postulierter Substanz.
Darin ist eine Verschiebung per argumentum.
116. Diese Begriffe (ebenso wie sie betreffende weitere Begriffe und Maximen) können im
Sinn der Suppositionslogik nach dem Suppositionspräskript in der Form von Widerlegungen
behandelt und bestritten werden. Das geschieht auch im SK. Aber es treten in dem Sinn nicht
Abstraktion und Induktion auf. Diese Induktion ist der inferentia aus Sätzen übergeordnet, s.
Ockham SL III – 3. cap. 31–36 OP I pp. 707–721. Zu einer qualitativ veranschlagten ‘quantitativen’
Induktion s. als Beispiel SL I c. 38 lin. 11–32 OT I p. 106f.
117. In mehreren oben analysierten Beispielen war denn auch nur ermittelt oder erhärtet wor-
den, dass ein Satz, der der abstrakten theologischen Erkenntnis angehören müsste, nicht empi-
risch fundiert und daher nicht einsichtig werden kann.
118. Darin ist in seinem besonderen bzw. insgleichen allgemeinen abstrakten (abstraktiven)
Charakter schon der Begriff bezeichnet, wenn bei der Begriffsbildung die notitia abstractiva
aus der notitia intuitiva zwangsläufig sich ergibt. Derart ist auch die ‘empirische’ Logik, wenn
neben der abstrakten (abstraktiven) Begriffsverwendung herangezogen, mit dieser kompati
bel.
119. Ein Ausdruck wie ‘ratio conceptus universalis’ für die natura communis steht wie suppo-
sitio simplex auf einer höheren Stufe als die universalia selbst. Die Frage nach der Legitimität
des Universalienproblems wird implizit von Ockhams Argumentation auf dieser Stufe aufge-
griffen. Auf ihr äußert sich nicht Franciscus Suárez (Disp. Met. D 6 s. 9 n. 7): (Nominales)
„omnino negant haec universalia in rebus reperiri. Vix autem credibile est opinionem hanc in
mente alicuius philosophi venisse.“ Dabei handelt es sich an der Stelle gar noch um ‘genus’ und
114 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
aller anderen Sätze) sind negative; sie stützen sich auf den realempirischen Bezug,
den sie als solchen indes nicht ausdrücken und danach auch nicht verkörpern sollen.
Intensional bedeutet allein auf das Subjekt bezogen (= pragmatisch, mentalistisch)
und eben auch modal.120 Aus dem actus apprehensivus kann nicht auf die Geltung,
i.e. die significatio alias res singularis geschlossen werden.121 Ein actus, der aus sich
‘differentia specifica’, hier als universalia bezeichnet. Sie könnten nach Ockham auf Begriffe, i.e.
nach deren abstractio bezogen, diese Begriffe nur in einer suppositio simplex betreffen, also in
keinem Sinne realer oder empirischer Immediatheit. Ockham hat aber seiner Ablehnung des
ontologischen Realismus eine Gestalt gegeben, in welcher Operationen (Argumentationen als
Operationen) systematisch dessen Unmöglichkeit enthalten, soweit und in Identität damit dass
bestimmte Annahmen und Konzeptionen nicht möglich seien; dies ergibt sich in der Form
denkbarer Konzepte und Auslegungen logischer und ontologischer Termini, wie Unmöglich
keit usw. selbst. Für sie gibt es also Kontrafakturen; indes argumentations- und beweisstruktu-
rimmanent.
120. Ausgeschlossen ist der Bezug auf den Sinn definierende Extensionen und für sie eintre-
tende fiktive ‘ontologische’ Repräsentanten zwischen Subjekt und Objektwelt. Etwa mit ratio
(natura) communis und intentio intellectus bei Thomas von Aquin: „Primum est in rebus, se-
cundum est obiective in intellectu.“ Ockham bestimmt den Begriff im (kontingenten) Satz und
diesen ebenso wie weitere Satztypen intensional (= modal); damit treten diese Sätze kraft ihrer
Bestimmung an die Stelle von widerlegten ontologischen (und erkenntnistheoretischen) Aus
drücken, die widerlegt werden (können), etwa dass das accidens existens in substantia, forma,
subiectum etc, sei, dass es ein universale in re gebe. Die Widerlegung wird intensional den ef-
fektiven Bestimmungen äquivalent, wenngleich diese nicht per tertium non datur unmittelbar
angeschlossen (= gefolgert), sondern eigens induziert werden. Der kontingente Satz steht an
der Stelle des per Absurdität reprobierten, i.e. unangängigen ‘Sachverhalts’, der abstrakt ver-
möge der Ontologie nicht ausgedrückt werden kann. So besagt die reprobatio. Der kontingente
Satz gibt ‘Wahrheit’ als in ihm modal enthaltene.
121. Das Folgern steht außerhalb des (wie immer gedacht) inhaltlichen Kerns. Das bedingt
zugleich die Konsistenz innerhalb Ockhams ‘System’; sie ist unabhängig von einer zugleich
kontinuierlichen Realentsprechung zu denken. Die argumentative Einzellösung, opinio oder
solutio im gleichsam technischen Sinn, muss an ein Konzept gebunden sein, wenn es generell
dem Denkvermögen verbunden sein soll, dieses bindend definieren. Es müssen jene Teile, die
mit dem Konzept wirklich ausgearbeitet sind, stringente Obligationen formal für alles Denken
besagen und dann inhaltlich bei dessen Anwendung und Übertragung auf andere Konzepte
und Theorien. Es werden Mittel in der Kooptierung der Signifikanz definit bezeichnet sein
müssen. Für Ockham wurden Objekt seines Denkens diese Mittel. Kennzeichen ist, dass alle
denkbaren Einwände je mit der ‘Implikation’ und dann deren Negation oder Reduktion in Rich
tung auf die significatio zusammenfallen. Mit diesem ihrem freien Bezug auf die significatio ist
die nominalistische Konzeption (auch geschichtlich) unvorhersehbar gewesen. Sie konnte auch
keine rationale (philosophische) Präformation haben, die sie hätte veranlassen können. Wir
müssen einen Willen Ockhams uns denken, der in seiner Form des Urteilens und der Struk
tur- oder Konzeptbildung bei sich ankommend hätte Wille sein wollen. Der Wille will sich na-
türlich selbst. Bei Ockham ist Wille = Verstand. ‘Der Wille als der Verstand’: hätte in Ockhams
doxa sein Exempel gefunden.
Kapitel 2. Suppositionslogische Identität und Kontingenz 115
einen Schluss auf einen anderen Akt erlaubte, wäre identisch mit der Implikation des
accidens in der substantia,122 die definit nicht bewiesen werden kann, sondern einer
reprobatio (reductio ad absurdum) anheimfällt.123
Ockham bezeichnet und begründet für die demonstratio einen Schnitt gegen
über der empirischen Welt und den daraus gewonnenen Begriffen. ‘Beweisbarkeit’
122. Entsprechend wäre der Gehalt des accidens, das accidens seinem Gehalt nach oder als
Gehalt aus der substantia ableitbar (derivierbar). Das Verfahren der Folgerung von accidentia
aus der substantia war aber, in der Neuzeit zumal, untilgbar. Spinoza praktizierte es, Chr. Wolff
sah in der Entdeckung des praedicatum im subiectum das Zeichen des besonderen Scharfsinns.
Hier liegt aber auch eine Brücke zu barocker Poetik und Ästhetik: der Dichter stiftet acumine
Metaphern, also durch Beobachtung letztlich. Cf. R. Lachmann, Rhetorik und acumen-Lehre als
Beschreibung poetischer Verfahren, Slav. Stud. z. VII. Int. Slavistenkongreß 1973 pp. 331–335.
123. Ockham hat ‘seine‘ mittelalterliche Aufgabe vielleicht wenig gelöst. Die theologischen
Aussagen strukturiert er wenig (Ord. Prol. q. 1 OT I p. 7 lin. 12–14): „aliquae veritates naturali
ter notae seu cognoscibiles sunt theologicales, sicut quod deus est, quod deus est sapiens, quod
deus est bonus cum (W et was besser ist) illae sunt necessariae ad salutem.“ Die Frage ist, ob sie
auch notwendig notwendige Wahrheiten sind. Dafür gibt es Anhaltspunkte beim ersten Satz: er
erfüllt Ockhams Definition der Notwendigkeit, sc. dass er, wenn er gedacht wird, unmittelbar
bereits nicht mehr falsch sein könne. Es müsste für die anderen Sätze ebenfalls gelten, insofern
sie unbeweisbare Prämissen sind. Wir können ebenso von Gott proprie (ausschließlich) zukom
menden zusammengesetzten Begriffen sagen, dass wir, da wir sie ja haben, ihre Legitimität oder
ihr Zustandekommen nicht mehr diskutieren müssen. Daneben nennt Ockham eine Reihe von
Sätzen (ib. lin. 14f): „aliquae (W reliquae hat mehr Logik) sunt supranaturaliter cognitae sicut
deus est trinus et incarnatus et huiusmodi.“, die er anderswo als kontingente klassifiziert hat-
te. Generell sagt er (ib. p. 11 lin. 2–5): „Eadem veritas potest pertinere ad aliquam scientiam
proprie dictam et ad aliquam (W aliam ergibt mehr Sinn) scientiam large dictam pro firma
adhaesione, cuiusmodi est theologia pro maxima sua parte.“ Den genannten kontingenten Sät
zen müssten wir danach nur „fide“ ‘anhängen’. Sie wären nicht notwendig und sie wären nicht
zum Heil notwendig. Es müsste wissenschaftliche (rationale) Dogmatik betrieben werden, um
notwendige zum Heil notwendige Wahrheiten zu erkennen. Zugleich soll der schlichte Gläubi
ge, die vetula („Holzweiblein“), auch eine Kenntnis und Erkenntnis von theologischen Wahr
heiten haben können, wenn auch nicht eine so genaue wie der theologus. Sind propositiones
contingentes oder propositiones necessariae gemeint? Über letztere konnte Ockham Diskurse
führen. Zugleich mag in die Diskussion die andere bezüglich der Natur des Begriffs ‘in anima‘
hineinspielen. Cf. Ord. d. 3 q. 5 OT II p. 389 lin. 7–22: „Omnis res, si cognoscatur, vel cognosci
tur in se /§vel cognitione propria sibi vel aequivalenti, §/ vel in aliquo conceptu. Sed Deus non
cognoscitur a nobis pro statu isto: tum quia Deus non cognoscitur a nobis in particulari et in
natura propria; tum quia omnis notitia rei in se abstractiva naturaliter acquisita praesupponit
intuitivam./§ Ista argumenta procedunt secundum opinionem quae ponit quod conceptus men
tis distinguitur ab intellectione. Si autem ponatur conceptus mentis seu intentio animae esse
realiter intellectio, tunc debet probari quod deus non cognoscitur cognitione propria sibi nec
aequivalenti, et hoc … quia tunc non posset dubitare deum esse … Si autem Deus cognoscatur
in aliquo conceptu distincto ab intellectu, ergo ille conceptus est primum obiectum illius cogni
tionis et per consequens … erit primum obiectum primitate generationis. §/“
116 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
steht, affirmativ und negativ, gegen Ableitbarkeit, die nicht gegeben ist. Wollten wir
wie Duns Scotus Ableitbarkeit zum Tenor der demonstratio erheben, so müssten wir
determinate Größen, Begriffe und Aussagen haben, aus denen unmittelbar gefolgert
werden könnte, d. h. intensional anknüpfend.124 Hier hat Ockham sein anderes Ver-
fahren (inductio, persuasio, intensionale reductio ad absurdum, die aber nur persua-
siv sein kann). Wenn Ockham bestreitet, dass innere Eigenschaften der divina essen
tia für diese bewiesen werden könnten, wobei unsere Begriffe ja ohne Realerkenntnis
de essentia divina in se sind, führt er einen persuasiven Beweis: potest persuaderi.
Er widerlegt also zugleich die gegenteilige Behauptung, indem er sich auf die actus
mentales bezieht, hinter die nicht zurückgegangen werden kann, zumal wir von Gott
keine Erkenntnis in se, sondern nur die Begriffe haben. Die dubitatio kann sich nur
auf unsere cognitio in actu beziehen. Auch dubitabilis tritt per accidens dem actus
apprehensivus bei und ist ex eo nicht ableitbar, also im Sinn der Induktion nur po-
tentiell, nicht immer gegeben. Auch bei einem pro statu isto beweisbaren Satz, für
den Ockham als eine konstruktive Bedingung u. a. angibt, dass er bezweifelbar sei,
soll das nicht bedeuten, dass er de facto bezweifelt werde(n müsse) bzw. je bezweifelt
wurde, sondern dass es jemanden geben könne, der an ihm zweifle. Auch die notitiae
werden im Sinne der rationes auf accidentia bezogen, die in Bezug auf sie bestehen
und nicht in sie eindringen; es wird gezeigt, dass sie es nicht können und/oder dass
sie kooptiert werden können.125 Ein anderer Punkt ist, dass Duns Scotus wie Spinoza
124. Es kann nicht gemeint sein, dass die Scotischen Korrekturen (Reduktionen und Emen-
dationen) ontologischer Prinzipien falsch oder irrational seien. Sie sind nur nicht deduktiv
verwendbar und sie dürfen nicht Deduktion übernehmen, d. h. als determinat ausgegeben wer-
den. In dem Sinne sind sie nicht begründbar. Die Begründbarkeit, die bei Ockham im Zentrum
steht, ist also das eigentlich Relevante. Generell lässt sich z. B. eine Notwendigkeitsannahme
durchaus kontingent abändern, ergänzen oder außer Kraft setzen. E.g.: Die Windstärke spie
gelt sich in der Stärke der Schwellung der Segel des Segelboots. Doch wenn der Spinnaker sich
bläht, lässt es nicht auf guten Wind schließen; denn der Segler setzt ihn, wenn der Wind gering
ist, um noch diesen zu nutzen. Oder: ‘Mündliche Rede’ scheint ein pleonastischer Ausdruck zu
sein, der aber sekundär durch die literarische Fiktion von Reden und ihre Stilisierung in der
Geschichtsschreibung (z. B. die von Thukydides überlieferte ‘Rede des Perikles auf die Gefalle-
nen’) gerechtfertigt werden kann. Item: Was der species als integraler Bestandteil zukommt,
findet sich ausgeprägt eventuell nicht bei allen Individuen. ‘Begreifen’ („Anfassen“) mit dem
Ziel des Kennenlernens manifestiert sich eher bei den kleinen Buben als bei Mädchen. Zen-
traler Aspekt ist: Duns Scotus arbeitet noch an der internscholastischen Ausrichtung auf die
christliche Ideologie hin, wo bei Ockham die bloß technische Erörterung nicht mehr bis dahin
gelangt. Dabei naturalisieren sich die Inhalte. Hier muss sich sein Motiv mit der geschichtli
chen Kraft berühren, die während der Epoche nicht abwandelbar in der christlichen Ära mit
‘Erlösung durch Jesus Christus’ benannt nicht plausibel geklärt werden kann und zum ersten
Artikel des Confiteor disparat bleibt. Hierzu musste die Intellektualität kompensierend sich ver
halten. Sie definiert das Verständnis Gottes secundum intellectum humanum.
125. Dass ein Satz bezweifelbar ist, bedeutet auch, dass ein ‘Beweis’, der aus einer definitio
quid nominis folgt, ungültig sei: Ord. Prol. q. 2 OT I p. 116 lin. 14 – p. 117 lin. 10. Der aus einer
Kapitel 2. Suppositionslogische Identität und Kontingenz 117
später die causa oder causalitas als formell im Sinne einer realitas extra nos bzw. eine
Äquivalenz mit einer solchen realitas extra nos implizit mitdenken oder explizit de-
monstrieren wollen.126
definitio quid nominis sich ergebende Satz, dessen praedicatum dabei definiert würde, könnte
der definitio quid nominis zufolge nicht bezweifelt werden, auch nicht bewiesen: Der Beweis
entspräche einer petitio principii: ib. p. 117 lin. 10–13. Ockham zitiert Aristoteles: ‘a definitione
ad definitum est fallacia petitionis principii’. Da die definitio quid nominis sich aufs praedica
tum bezieht, nicht aufs subiectum, müsste der Beweis, wie bei Duns Scotus und Spinoza, auf
andere praedicata sich beziehen und analytisch sein. Zu den Begriffen, die für Ockham ein
zig Gott zukommen und für Ockham sogar inhaltlich unmittelbar mit dem Verständnis des
Gottesbegriffs übereinstimmen und daher nicht beweisbar sind, gehören: esse creativum, esse
omnipotens, esse aeternum, infinitum, immortale u. a. Sie stehen für Ockham in kontingenten
Aussagen. Diese können nicht aus allgemeinen und notwendigen Aussagen bewiesen werden.
Sie kommen keinem anderen Wesen zu als Gott. Für die Beweise des Duns Scotus und Spinozas
müsste reklamiert werden, dass analytische Beweise sein dürften und wo notwendig auch gültig
sind. Sonst wäre nicht bewiesen worden. Wir haben so eine petitio principii. Mit Duns Scotus
und Spinoza definieren wir dann immer weitere Prädikate, ohne je zeigen zu können, dass das
in ihnen Gemeinte existieren könne. Bereits für den Begriff des ‘Möglichen’ („possibilis esse
post non esse“), von dem Duns Scotus beim Gottesbeweis im Traktat De Primo Principio, III.
Kapitel, Prima conclusio (ed. Kluxen, p. 32) ausgeht, und der (ib.)zugleich ‘contingens’ (sic!)
meinen soll, fehlt der induktive Beweis (Beleg). Ockham sagt, dass der Beweis verlange, dass
das medium demonstrationis eine definitio subiecti sei und nicht passionis. Das praedicatum
wird von der Seite der mentalia und der Sprache her passio genannt. Als Begriff ist die passio
nicht identisch mit dem subiectum als anderer Begriff. Dafür aber wird der Beweis eigens ge-
führt: sie müssten sonst als Begriffe identisch sein, was inhaltlich nicht der Fall ist. Die passio
als connotativum sagt etwas anderes als das subiectum als quidditativum; sie bezieht eine Refe-
renz mit ein, bei ‘creator’ oder ‘creativus’ die creatura usw. Sie wird zur Allusion.
126. Ockham sagt (Ord. Prol q. 5 OT I p. 166 lin. 17–22): „dico quando medium est definitio
debet exprimere causam et aliquid necessario requisitum ad hoc quod passio praedicetur de
subiecto. Sed tale est definitio subiecti quia exprimit partes subiecti sine quibus impossibile
esset passionem illi subiecto competere.“ Die passio kann inhaltlich nicht aus dem subiectum
folgen und nicht in diesem Sinne mit ihm zugleich gegeben sein. Gleichwohl bewirkt das sub
iectum die ‘praedicatio passionis’, nämlich im Syllogismus und vermöge seiner. Ockham eruiert
und artikuliert partikulare Bestimmungen der demonstratio a priori und propter quid usw. Sie
erstellt er. Deren Gesamtsinn bzw. Kontext wird und darf natürlich nicht in einem intensiona-
len Zusammenhang bestehen; denn für diesen hätten wir dann keine Methode, der auch die
Definitheit der dabei verwandten Termini zu bewahren vermöchte. Dass die partikularen Be
stimmungen der damit einzelnen demonstrationes und Demonstrationsarten von abgestufter
Effizienz ein gebrochenes Gesamtbild der humanen potentia demonstrativa besagen, die nicht
mehr den Menschen definiert, versteht sich. Gleichwohl wird dessen Kapazität unausgesetzt er-
örtert, explizit funktional per methodum gewonnen. Die einzelnen Demonstrationen in ihrer
Struktureigenart werden Beweisteile bei der Widerlegung solcher Losungen, die den Menschen
grosso modo oder generell nach einer maximierten geschlossenen Kapazität besagen können
sollten. Dass eben diese immer angenommen wird oder unterstellt werden kann, wo wir einen
118 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Ontologie bezeichnet bei Ockham keine unbedingt empirische und keine unbe-
dingt weltliche Auslegung und ist rein rational entsprechend auf die Engel anwend-
bar. Von Gott (und den ihn betreffenden Aussagen) können da nur Begriffsklassifika-
tionen gelten und wirken, vom Menschen, insofern er ja eine empirische Gegebenheit
ist, bezüglich seines Verhältnisses zur Welt Klassifikationen, in denen die Tatbestände
(als solche seiner Existenz) erklärend je Dissoziationen und Aufhebungen (Bestrei-
tungen, Negationen) besagen.127 Nie wird die Identität des allgemeinen Tatbestandes
und der Existenz angestrebt oder ausgesagt. In dem Sinne werden keine Größen ge-
schaffen, so sehr wir intensional bestimmte doch haben. Die ontologischen Prinzipi-
en des Aristoteles indes gelten für Ockham, sofern sie die Identität von Allgemeinheit
und Singularität der res und ihrer Existenz nicht faktisch bedeuten müssen/sollen.128
Begriff oder Inbegriff von ihr gar nicht haben, setzt Ockham reprobativ argumentierend einer
sonst doch eher auf Ermöglichung ausgerichteten Scholastik entgegen. Sie weiß damit aber
weniger vom Menschen, kann dessen Verstandes- und Beweiselemente als partikulare nicht
bewerten und kombinieren. Sie zerfallen dann auch bei Ockham wieder zu funktionaler Lo-
gik. Die Beweiselemente können damit nur widerlegend fungieren. An einem solchen Element
selbst kann indes keine Induktion mehr ansetzen. So sagt Ockham ib. (p. 174 lin. 6–9): „omnes
per demonstrationes intelligunt syllogismum facientem scire. Sed hoc non potest fieri nisi per
propositiones necessarias etc. Et ideo demonstratur quod demonstratio est syllogismus ex veris
etc.“ Um dann einzuschränken (ib. lin. 10–24): dass eine Demonstration nicht vollkommen
und allgemeingültig sein könne, wenn in ihr das quid nominis implizit als quid rei ausgege-
ben oder angesetzt werden müsse. Er beruft sich (ib. lin. 23f) auf Aristoteles: „impossibile est
cognoscere ‘quid est‘ nisi cognoscendo ‘si est’.“ Bekanntlich verweist die definitio realis auf die
Erzeugung des Gegenstandes; es gibt also ein ‘propter quid’ wie Ockham p. 176 lin. 12–2 betont.
Wenn wir nun einen „defectus“ kausal erklären, erhalten wir in dem Zusammenhang noch kei
nen vollkommenen Beweis. Er bleibt empirisch (propositio immediata). Wieder stellt sich eine
Erläuterung Ockhams als bloß partikulare und fragmentierte heraus. Die definitio nominalis
erklärt lediglich den Namen. Mit der Induktion setzen wir bei der Realität an, die auch dort, wo
wir die Eigenart mentaler Akte bestimmen, einen realen Bezugspunkt einbeziehen. Wo immer
wir aber auf zu minimierende Faktoren in Ockhams Erörterungen stoßen, eben auch bei den
mentalen Strukturen, neigen wir Widerlegungen zu; in deren Namen schränken wir Behauptun
gen ein und nehmen diesen den vermeintlichen Allgemeinheitscharakter. Die Verwendung des
philosophischen Materials dient wesentlich solcher Widerlegung (Einschränkung) und mini-
miert es ut accidens.
127. Zur „differentia essentialis“ wie zur „quidditas hominis“ (Ord. d. 8 q. 4 OT III p. 223
lin. 1–5): „est de quidditate hominis ipsa materia sicut forma, et ita distinguitur homo ab ali
quibus per materiam sicut per formam.“
128. Gregor von Rimini bestritt das Prinzip ex nihilo nihil fit (G. Leff, 1961, p. 130): „All
Aristotle’s arguments, says Gregory, are founded upon four untenable assumptions.“ Nr: „40:
That nothing can come from nothing.“ Das Prinzip gilt bei Ockham für den Schöpfungsakt
wie innerhalb der Schöpfung. Er wahrt deren ontologisch-logische Gliederung noch, wenn
er seine positive Theologie bis zum ordo salutis ausdehnt, z. B. Gott zugesteht, den actus meri
torius anders festzusetzen, als er es getan. Was Gott ändern könnte, fiele ins accidens cf. Rep. II
Kapitel 2. Suppositionslogische Identität und Kontingenz 119
Eben das ist bei Duns Scotus ja schon mit der Definition partikularer Konzepte, se
mantischer Vorverständnisse vor der Deduktion und dann der Deduktion selbst un-
terstellt und angestrebt.129 Ockham hebt in der SK die rationale Leistung über die
funktionelle Logik hinaus; die SL als ein damit übereinstimmendes Kompendium der
Logik ist als Appendix hinsichtlich des Begriffs der Folgerung (inferentia, implicatio)
zu verstehen; er sucht den rein funktionellen Charakter und hat ihn nur bedingt der
strategischen Durchdringung wissenschaftstheoretischer und theologischer Themen
zugeführt.130
q. 15 OT V p. 352 lin. 3 – p. 353 lin. 2. Gott würde leicht andere Gebote unter die lex communis
einbegreifen können. Leff (ib. p. 124) zu scharf: „The unchanging and unchangeable nature of
the universe (was) thrown into question.“ Abänderbar ist aber ‘nur’ die akzidentelle Relation;
über das accidens selbst hat Gott keine Macht. Es stellt so eine geminderte, nicht voll bedeu-
tende Identität in der Welt dar; wenn ihr Verhältnis in den Dingen der Welt, also mit Bezug auf
die substantiae und subiecta wandelbar ist, sind es die Sätze in Bezug auf ihre Relevanz, indes
noch nicht Wahrheit; denn sie bestehen ja fürs erste in der Welt. In einer secundum voluntatem
Dei gewandelten Welt, worin die Sünde nicht mehr Sünde wäre, würde sie nicht mehr so hei-
ßen. Jetzt ist sie Sünde nach ihr akzidenteller Referenz: Gott will sie nicht. Wollte Gott die von
Ockham gern genannten Sünden furtum, mendacium und adulterium billigen, indem er ihre
frei gesetzte Verwerfung (im Sittengesetz) aufhöbe, würden sie nach Ockham andere Namen
tragen. Sein Nominalismus ist die Theorie des nicht völlig gesicherten (festen) Begriffs (no
men); er ist ebensowohl und gleichwohl die Theorie der einstweilig sichernden Argumentation.
Sie hat die Funktion, die anderswo neben Operation allgemein an ‘Satzstruktur’, Begleitbe-
wusstsein, Logik fällt.
129. Duns Scotus erklärt so bereits das Realverständnis aller seiner Konzeptionen und Inau-
gurationen, dann aber auch der theologischen Wahrheiten in ihrer unbestrittenen oder noch
nicht widerlegten logisch-deduktiven Wahrheit. Sie freilich müsste er immer in der Form der
Ableitung geben können. Es müsste also ihre Ableitbarkeit vorausgesetzt werden (können),
etwa in Einheit mit der Ontologie oder sie vertretend bzw. ersetzend. Wir wüssten also gar
nicht, ob wir Ontologie wollten oder Logik/Deduktion. Das müsste am Ende bedeuten, dass
wir innerhalb der oder für sie deduzierten, ohne sie vorausgeben zu können, also zu haben.
Wir hätten für die Ontologie deduziert, ohne sie in etwa oder als etwas zu haben (besitzen).
Deduktion müsste einer petitio principii entsprechen oder sie benutzen.
130. Ockham muss hier Argumentationsformeln nennen und auf ihre Einhaltung drängen,
um Fehler auszuschließen, letztlich also fallaciae, die mit dem unmittelbaren Verhältnis der
Begriffe, das den Sinn der Sätze ausmacht und einzig konstituiert, wie er sie im SK behandelt,
(noch) nichts zu tun haben, vielmehr als bloß logische mit diesen in Ableitungszusammenhän-
gen zu tun haben müssten, die Ockham im SK und ebenso in der SL gar nicht untersucht, doch
gleichermaßen bei seinen Problemlösungen (solutiones) benötigt. Er muss sie vielmehr express
beiseitelassen. Zu den Formeln gehören das ‘Ökonomieprinzip’, das ‘Omnipotenzprinzip’ und
solche wie ‘non est maior ratio quod (non)’ etc., die Induktion und persuasio begleiten und er-
möglichen. Das tertium non datur begrenzt bei Ockham nicht die Zahl von Thesen oder Bewei
sen, denn sie werden nicht durch einen zugrundeliegenden Aussagensinn festgelegt, der der
120 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
einzige zu bleiben hätte und dem Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten folgen oder entsprechen
müsste, damit die Gesamtfolge aller Beweise definit wäre.
kapitel 3
Ockham denkt sich die Bildung oder Entstehung der Begriffe über die notitia in-
tuitiva und die notitia abstractiva, wobei erstere den actus apprehensivus und den
actus iudicativus umfasst, letztere bloß im actus apprehensivus ohne actus iudicativus
besteht. Dieser wiederum enthält den actus apprehensivus und den actus assentien-
di. Die notitia abstractiva, die zwangsläufig aus der notitia intuitiva entsteht und aus
ihr erfolgt, kann „als“ eine zweite notitia abstractiva gewissermaßen aus dem habitus
verursacht entstehen; weil sich mit jedem actus ein habitus bildet, ist dies wiederum
zwangsläufig. In dieser notitia abstractiva können complexa, also Sätze, angenom-
men werden, die dann unabhängig von der Genese der Begriffe und dem Zerfall der
Sätze (propositiones) in Begriffe, unterschieden und bewertet werden können. Der
Satz, der nach Ockham faktisch die Erkenntnis trägt, ist, modellhaft bloß als aus
. Da der habitus anders als ein actus empirisch nicht wahrnehmbar ist, könnte Gott (Ord.
Prol. q. 1 OT I p. 69 lin. 10f) ihn von uns unbemerkt verursachen; erkennbar ist, dass wir mit
dem habitus bereits förmlich der transempirischen Sphäre nahestehen und zugleich auf ein
anhand der empirischen Welt und nur hier relevantes Widerspruchsmoment nicht stoßen
werden. Mögliches Widerspruchsverhältnis und Welt sind formell gleich, wenn auch, was kon
tradiktorisch erscheint, in der geschaffenen Welt keinen Platz haben kann. Was secundum le
gem communem nicht möglich ist, aber doch widerspruchsfrei, könnte per potentiam divinam
absolutam eintreten; es gibt in der Welt keinen Anhaltspunkt, es – im Sinn eines allgemeinen
Urteils in der Sache – zu bestreiten.
. Ihn mit L. Wittgensteins, 1921 ‘Elementarsatz’ gleichzusetzen, verbietet sich insofern als in
Ockhams Rudimentärsatz subiectum und passio über Bestimmungen aneinander vermittelt
werden müssen, wobei eine ‘Induktion’ fungiert, die den Satz und seine Bestandteile intensional
so „ermittelt“, dass man von der Realität extra mentem ausgehend, doch die Realität in se nicht
wieder erreicht: s und P können nie als zwangsläufig auseinander hervorgehend, i.e. folgend
und folgerbar, angesehen werden. Niemals ist die passio im Sinn ihres akzidentellen Gehalts
inhaltlich der im subiectum genannten substantia gleich und gleichwertig. Suppositionslogische
Identität setzt Ockham freilich. W. Kamlah u. P. Lorenzen, Logische Propädeutik, 1967 definie
ren mit ihrer Hilfe den von ihnen deiktisch genannten Satz. Ockhams Ausgangssatz ist der
kontingente Satz. W. Van Orman Quine, 1953, betont die Kontingenz aller Erkenntnisse oder
Sachverhalte und bezüglich der Realität in se einen nominalistischen Agnostizismus. Er will
zudem andere Sprachtypen als den indoeuropäischen Sprachtypus für gleich erkenntnisträch
tig halten. Die Typen entdeckten F. v. Schlegel, Über die Sprache und Weisheit der Indier, 1808
und W. v. Humboldt, 1836: flektierend, agglutinierend, holophrastisch. cf. E. Sapir, Language,
1922 und B. L. Whorf, Language, Thought and Reality, 1956, dt. 1963. Humboldt glaubt an die
122 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
s und P bestehender gedacht, jedoch dann bereits differenzierbar. Dabei treten Pro
bleme auf.
Bei der propositio per se nota stellt sich ein Problem dann so, dass die Begrif-
fe, die den Satz bilden müssen, wenn sie definitionsgemäß die Einsicht dieses durch
sich selbst einsichtigen Satzes ebenso intuitive wie abstractive gewährleisten sollen,
d. h. gleichsam spontan im Sinne des äußeren Augenscheins wie bei bloßer Kenntnis
der Begriffe, die ja de communi lege vermöge einer intuitiven (und kontingenten)
Erkenntnis generiert werden, aus einer Zwischenstufe zwischen abstrakt und intui-
tiv, zwischen fictum (esse) und intellectio (esse), zwischen species und obiectum
extramentale nicht befreit werden können; es ist dies ein Moment, an dem aber die
Induktion auch notwendig wird. Anders gesagt, die Definition der propositio per se
nota ist noch nicht – an sich selbst – einsehbar. So muss (auch) gefragt werden, ob
oder wie die Begriffe in der propositio per se nota zusammenhängen. Wenn ja, d. h.
wenn sie unter sich zusammenhängen, so ist die Beziehung wenigstens fiktiv eine
analytische; keiner der Begriffe kann ohne den anderen sein: Infolgedessen würde
eine analytische oder notwendige Aussage intuitiv und kontingent wahrgenommen
werden können oder müssen. Wenn ‘müssen’, dann gibt es ein Problem: die Nähe der
Notwendigkeit und der Wahrheit zur falsitas würde nicht leicht aufgehoben (negiert)
werden können; sie muss der intensionalen Begründung dieser Aussage entsprechen.
Ockham kann Probleme wie dieses hier nur durch eher partikulare Bestimmungen
der Sätze, ihrer Differenzierungen gegeneinander und schließlich Modulationen des
Verhältnisses der Begriffe, subiectum und passio, in Bezug auf den Satztypus lösen.
Überlegenheit des Sprachtypus der flektierenden Sprachen, reflektiert dann aber dessen Eigen
heiten praktisch mittels immanenter Verschiebungen in Richtung auf die anderen Sprachtypen,
die ihm die Kategorien liefern. Dieselbe Tendenz dann u. a. auch bei E. Lewy, Zur Sprache des
alten Goethe, 1913. Sapir hält die Klassifikationen angesichts der wirklichen Erscheinungsarten
der Sprachen für approximativ, nicht für strikt greifend.
. Sie müssen über induktives ‘Schließen’ behoben werden.
. Beispielsatz: „totum maius est sua parte“.
. Ockham räumt ebenso ein, dass die species gesetzt werden könne, wenn man es denn wol
le, was dann aber bedeutet, dass sie in seine Argumentation eingehen und in dieser aufgehen
müsse, beispielsweise im Zusammenhang mit Aristoteles, pro et contra, oder Aristoteles mit
Einschränkungen und Kautelen legitimierend, wie Ockham denn auch einmal die Fiktion oder
Konzeption der species mit Hilfe des Ökonomieprinzips desavouiert. Daneben hat species eine
negative immanente Beweisfunktion. Cf. Kap. 10: Beweis, Satz, Akt.
. Die Induktion, so könnte man sagen, wiederholt die Begriffsbildung: die Definition der pro
positio per se nota fasst und umfasst dann nicht qua Generalität alle ihre (einzelnen) Fälle; das
gilt analog für die propositio immediata auch. In dem Sinne wird durch Sätze nicht Realität er
kannt, nicht per se oder beweistechnisch begründbar und keinesfalls abschließend erkennbar.
Cf. aber auch die Definition in Gestalt einer ‘Funktion’ in Anm. 7.
Kapitel 3. Zum Verhältnis der Satzformen 123
Zur propositio per se nota sagt Duns Scotus: „dicitur communiter quod propositio
dicitur per se nota. Non tamen omnis sed ea quae ex notitia suorum terminorum est
nota. Unde dicunt aliqui hoc magis declarantes quod ly per se notum non excludit
terminos propositionis, nulla enim propositio est nota exclusa notitia terminorum
quia principia prima cognoscimus inquantum terminos cognoscimus. Sed excluditur
quaecumque causa et ratio quae est extra per se conceptum terminorum propositio-
nis per se notae. Dicitur igitur propositio per se nota quae ex terminis propriis quae
sunt aliquid eius et non per aliquid aliud quod sit extra terminos propositionis habet
veritatem evidentem. Addunt tamen aliqui quod simul cum notitia terminorum requi
ritur formatio propositionis ex illis terminis.“ Das ist fast Ockhams Ansicht.
. V. Richter, Studien zum literarischen Werk von Johannes Duns Scotus, 1988, p. 47 Anm. 51+52.
Bei Ockham Ord. Prol. q. 1 OT I p. 6 lin. 15–17: „propositio per se nota est illa quae scitur evi-
denter ex notitia incomplexa terminorum ipsius propositionis, sive abstractiva sive intuitiva.“
und ib. q. 2 p. 81 lin. 20–22: „propositio per se nota praecise cognoscitur ex notitia terminorum:
aliter enim non esset per se nota. Igitur notitia propositionis per se nota non est nata causari ex
notitia praemissarum.“ Daher ist die propositio per se nota nicht beweisbar und nicht wißbar
scientia proprie dicta.“ Cf. ib. p. 82 lin. 1f. und pp. 86–87. Der Bezugspunkt ist immer der syllo
gistische Beweis. Darin wird ein Satz, der bezweifelbar ist oder es unter bestimmten Umständen
sein könnte, evident gemacht und bestätigt vermöge der notitia praemissarum. Der Syllogismus
übt die Funktion des actus iudicativus unter den Bedingungen der bloßen notitia abstractiva,
des actus apprehensivus aus. Der Syllogismus mithin wird nicht schematisch angewandt. Der
durch ihn evident gemachte Satz muss de facto bezweifelt worden sein oder bezweifelbar sein;
er trägt die Bestimmung ‘bezweifelbar’ hypothetisch und intensional in Bezug auf Erkennende
(= Erkenntnisträger, auch fiktive). In einem unbestimmten Sinn von demonstratio („large et
improprie“) kann jeder Satz, auch eine propositio per se nota, syllogistisch bewiesen werden.
cf. ib. p. 81 lin. 10–12. Eingehend zur p. p. s. n. s. Ord. d. 3 q. 4 OT II p. 438 lin. 12 – p. 439 lin. 25.
Dazu vgl. Anm. 8.
. Die Kenntnis der termini durch notitia intuitiva und/oder notitia abstractiva macht die
Definition aus, mit der die propositio per se nota quasi konstruiert wird. Nach Ord. d. 3 q. 4
OT II p. 438 lin. 15–19 genügt eine beliebige Kenntnis der termini, um mit der formatio pro
positionis, die ebenso wie der Wille sie zu bilden vorausgesetzt werden (der Wille als mittelba
re Ursache, um die propositio per se nota zu haben: „sed cum notitia terminorum requiritur
formatio propositionis ex illis terminis et ita cum (.) notitia propositionis non possit fieri nisi
mediante voluntate, ad notitiam propositionis per se notae requiritur ipsa voluntas tamquam
efficiens causa saltem mediata … (ib. p. 439 lin. 5–9) oportet quaecumque notitia terminorum,
sive sit perfecta sive imperfecta, sive confusa sive distincta – dummodo illi idem termini qui
prius apprehenduntur et non alii, sive intuitive sive abstractive, sit sufficiens cum formatione
propositionis ad causandum notitiam evidentem propositionis.“ Es genügt für die propositio
per se nota nicht die notitia incomplexa terminorum, die wir (auch) mit der notitia intuitiva
haben. Mit der notitia incomplexa terminorum und der formatio propositionis allein hätten
wir auch die propositio immediata, die rein empirisch bleibt und im Vergleich mit der propo-
sitio per se nota von der empirischen Erkenntnis abhängt und auf sie beschränkt ist (ib. p. 438
lin. 19 – p. 439 lin. 1): „Non tamen universaliter quando notitia incomplexa terminorum et
formatio propositionis sufficiunt ad notitiam evidentem talis propositionis est illa propositio
124 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
In der propositio immediata ist anders als in der propositio per se nota eine prak-
tische Sach- oder Realitätsnähe gemeint oder sogar gegeben. Es ist aber so, dass der
Schluss aus der Intention auf die Erfüllung ausdrücklich nach Ockham selbst nicht
gegeben sein soll. Das bedeutet, dass in diesem Satz das Prädikat gegenüber dem Satz
subjekt problematisch sich darstellt. Man muss fragen, wie in oder neben dem Satzsub
jekt jemals der Prädikatsausdruck als wirklich wahrgenommen und eingesehen er-
scheinen könne. In der propositio immediata kann faktisch aus dem Subjekt des
Satzes in dessen Prädikat ‘übergegangen’ werden.10 Die propositio per se nota wäre (in
‘irgendeinem’, i.e. unbestimmtem Sinn) eine unwillkürliche allgemeine Erkenntnis,
die per se nicht bestritten werden könnte, weil deren Verneinung immer den Wider
spruch einschlösse, was intensional gesehen sinnlos sein muss: die Aussage würde
widersprüchlich durch ihre Verneinung.11 Das hieße, es gäbe eine ‘zweite’ analytische
Aussage, die zusätzlich auch noch falsch sein könnte. Die Definition der propositio
per se nota.“ Die Aussonderung der Fälle, die nicht unter die Definition fallen, bekräftigt diese.
Die notitia incomplexa terminorum wird ausdrücklich nicht (die) causa sufficiens der proposi
tio per se nota genannt (ib. p. 438 lin. 13f): „per ly ‘per se’ non excluditur notitia terminorum,
nec notitia terminorum est causa sufficiens respectu talis notitiae.“ Es gibt auch in der notitia
abstractiva eine notitia incomplexa terminorum. Es ist infolgedessen die komplexe Definition
der propositio per se nota, die ins Gewicht fällt. Sie wird mittels der Definition konstruiert. Die
bei Ockham ebenfalls rein intramental gesehene Natur des Begriffs (universale) bleibt bei der
Erörterung der Satzarten weitgehend, nicht gänzlich allerdings, außer Betracht. Auch für einen
anderen intramentalen Faktor, assensus, statuiert Ockham bloß induktiv für alle Satzarten die
Notwendigkeit auf die notitia incomplexa terminorum zurückzugreifen: Quaestiones Variae,
q. 5 OT VIII p. 170 pp. 170 lin. 291–299.
. Beispielsatz: „calor calefacit“. Nach Ockham wissen wir das (nur) durch die Erfahrung.
10. Cf. auch Anm. 69 und 71.
11. Ockham selbst sagt Ord. Prol. q. 2 OT I p. 111 lin. 10–14: „impossibile est quod aliqua sint
idem realiter, et intuitiva vel abstractive – distincte tamen – intelligantur et quod dubitetur de
identitate eorum.“ Die consequentia beginnt hier nach zwei Voraussetzungen bei „et quod“.
„Quia si aliqua propositio sit per se nota illa erit maxime in qua praedicatur idem realiter de
eodem.“ Der reale Bezug wird also mitgedacht und unterstellt und doch sind wir bloß auf
der Stufe der Begriffe (termini), die als solche gefasst werden. Wir haben in der propositio
per se nota keinen kontingenten Satz und keine kontingente (empirische) Erfahrung, wie von
Ockham ausführlich und mit Bezug auf die nach dieser Erfahrung geltende Abstraktion gezeigt
wird. (Ord. Prol. q. 2 OT I p. 86 lin. 20 – p. 87 lin. 12). Bei der propositio per se nota ist die Ab-
straktion intern im Sinne der Abgrenzung gegen die Erfahrung (notitia intuitiva) nicht nötig.
Die Begriffe könnten der Bestimmung der propositio per se nota nach auch durch die notitia
abstractiva gefasst sein; insofern sind die notitiae bezüglich ihrer formell ungeschieden. Für
den kontingenten Satz besteht eine Äquivalenz mit dem inesse der passio oder des accidens im
subiectum oder der von ihm realiter gemeinten substantia: cf. ib. p. 83 lin. 1–4. Inesse bedeutet
inhaerentia. Cf. hier auch u. Anm. 83.
Kapitel 3. Zum Verhältnis der Satzformen 125
per se nota gäbe es de facto gar nicht. Sie wäre selbst per falsum definiert worden.12 Es
kann keine Erkenntnis geben, die auf dem falsum unmittelbar aufbaute.13
Wenn die propositio immediata soll gedacht werden können, so muss vorab bei
seite gesetzt werden, dass sie analytisch sein könne und damit eine Idee enthalte oder
empfangen könne, welche sie leitete, so dass sie ein Kriterium für sich selbst enthielte.
So steht sie an der Stelle, wo über einen Einschub Veränderungen und neue Kon-
zeptionen der Wirklichkeit möglich erscheinen. Entsprechend gibt es die Induktion;
denn die propositio immediata ist in einem gewissen Sinn unerschaffen. Es ‘gibt’ sie
nicht. Sie müsste sonst auf der der Kausalität beruhen und sie ausdrücken. Dieser
unmittelbare Ausdruck der Kausalität wird bei Ockham faktisch, per se und beweis-
funktional, ausgeschlossen.14 Von Ockham wird das Verhältnis der Inhalte anstelle
des Satzes über das von substantia und accidens ausgedrückt oder ersetzt.
Für Ockham treten substantia und accidens abstrakt für die Begriffe ein, die als
Inhalte dem Satz angehören oder ihn ergeben müssen. Sie betreffen die Begriffe, sind
aber nicht mit diesen identisch, weder nach dem extramentalen Sachgehalt, noch
12. Ockham arbeitet damit, dass der terminus, wenn er apprehendiert wird, also ‘gekannt’ wird,
noch nicht erkannt sein muss. Ebenso muss mit seiner Hilfe noch nicht erkannt werden. Cf.
Ord. Prol. q. 1 OT I p. 70 lin. 3–14. Folgt: er kann in Bezug auf die Realität keine Konsequenzen
haben. Jede Konzeption, die das einschlösse, wird ausgeschlossen. Das bezeichnet den Nomi
nalismus Ockhams auch gerade auf der Stufe der mit ihm inaugurierten Abstraktion. Hier gibt
es eine Generalisierung: Es darf keine zwangsläufige Verbindung eines terminus mit einem an-
deren geben, derart, dass aus der notitia von ersterem die notitia des letzteren flösse; eben dies
ist auf das Konzept der notitiae überhaupt übertragen worden und bestimmt deren Abstrakti-
on, bestimmt die Abstraktion. Cf. Kap. 1. Im Sinn der Abstraktion gibt es dann notwendig die
Induktion. Es gibt, wie es sie formell einzig geben kann, die Definitheit der Begriffe. Es ‘gibt’
sogar notitiae, weil es den vorgenannten Fluss nicht gibt, nicht geben kann. Die notitiae erschei
nen dabei in einer ersten Approximation leer, eben abstrakt. Sie werden dann widerspruchsfrei
auf jenseitsweltliche Bereiche oder Personen übertragen und angewandt. Hier gelten sie nicht
mehr von oder mit Begriffen, die menschlich-empirisch gewonnen wurden. Diese bestimmen
und ermöglichen die propositio per se nota nicht per se, eben nicht als ‘a priori’, sondern „nur“
‘cum generali influentia Dei’: die Erkenntnis des Begriffs und im Begriff wird von dessen Erfül
lung in reali getrennt. Sie ist nicht constituens. Es fehlt die Determination des Begriffs und des
Satzes durch die ‘Implikation’ hin zur realen Erfüllung.
13. Die Definitheit muss gefordert werden, wo das falsum als beziehungs- und bezeichnungslos
erscheint, das verum in se aber nicht integraler Bestandteil (intensionaler Faktor) sein kann.
14. Dabei treten dann substantia und accidens als ‘Kategorien’ auf. Mittels Induktion wird be
wiesen, dass im Sinne des Verhältnisses von substantia und accidens ‘intensionale’ Bestimmun
gen der Begriffe und Aussagen möglich sind, i.e. dass ein ‘potest persuaderi’, ein ‘non potest
(sufficienter) probari’, ‘non est inconveniens quod’ oder ein ‘per potentiam divinam absolutam
supranaturaliter loquendo’, ein ‘non est maior ratio quod (non)’, o. ä. „bestehen“ oder bestehen
mögen. Damit wird jeweils bewiesen, bzw. daran angeknüpft, dass eine Integration eines rein
indexikalischen Gehalts (quoad accidens) in einen ikonischen (quoad substantiam) nicht mög-
lich sei oder: unbeweisbar.
126 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
intensional oder intramental gesehen. Sie ermöglichen die Argumentation und die
Stipulation derjenigen Formel oder des Prinzips, das einen realen Zusammenhang
ergibt oder nennt, nicht aber als analytischen oder per indirekten Beweis ausdrückt.15
Es ist so für Ockham möglich, dass die Begriffe in ihrem Realsein (im Verstande)
gemeint sind, zugleich aber keine Realität als solche intendiert wird, weder die des
im Begriffsinhalt (als solchem) zu Meinenden16 noch eine etwaig identische Realität
zweier Begriffe: das Verhältnis von substantia und accidens, die die Begriffe nach ih
ren Inhalten meinen, wird nicht zu dem der Begriffe untereinander und nicht im
Sinne einer Realität extra mentem.17 Es bleibt auf die Argumentation bezogen, die
selbst einen abstraktiven Charakter annimmt, der durch Widerlegung oder Indukti-
on bestimmt und gestützt wird. Damit wird auch die Realgeltung von substantia und
accidens illusorisch.18
15. Die betreffenden Formeln oder Prinzipien sind Anm. 14 noch einmal genannt worden.
16. Das eröffnet wieder den Ausblick auf den Begriff als bloßes Zeichen. Er ist dies, wird aber
von Ockham nach seiner mentalen Natur erörtert und wechselnd bestimmt.
17. Das ist anders bei Maimon, 1990 p. 189, der ‘behauptet’, „dass die Kategorien als reine
Verstandesbegriffe, ohne eine Bedingung der Anschauung“, womit er sich von Kant abhebt, „er-
klärt werden können und müssen, sie betreffen die Denkbarkeit der Dinge, die Wirklichkeit der-
selben und ihre Bedingungen ist ihnen bloß zufällig.“ Eine solche „Denkbarkeit“ und gar „der
Dinge“ spricht Ockham nicht an und aus; sie sind in sich nicht erkennbar und dann auch weder
erkennbar oder nicht erkennbar nach irgendeiner Ähnlichkeit oder Vergleichbarkeit mit dem
Denken und einer Organisation in diesem. Man könnte meinen, Maimon sei hier, innerhalb
oder bezüglich eines Agnostizismus wieder ungenau. Ockham hat die abstrahierten Begriffe
(universalia), die res extra mentem quae est singularis, die kategoriell gebrauchten Begriffe wie
substantia, accidens, aber auch forma, ratio u. a. m. den intellectus, die actus, die notitiae, die
Argumentationen. Das ist insofern noch bemerkenswert, als Maimon selbst, anders als Kant,
von den bereits in der Wissenschaft geläufigen Operationen und Rechentechniken ausgeht, sie
als per se gegeben und ohne Erklärung überzeugend annimmt und sie kategoriell ‘bestimmen’
und allenfalls so aristotelisierend erklären will, zum Beispiel die Infinitesimalrechnung, aber
dann auch die mathematische Induktion, für die er den zeitgenössischen Mathematiker A. G.
Kästner zitiert. Jene Induktion, die später z. B. R. Dedekind für wesentlich hält und G. Peano
als fünftes seiner Axiome für die Arithmetik aufführt.
18. Nach E. Hochstetter, 1927 pp. 139–143 hält Ockham für beide an einer realen Geltung in
se fest. Nach p. 140 interpretiert Ockham Rep. IV q. 9 OT VII p. 154 lin. 11 – p. 155 lin. 2 die
Relation von Substanz und accidens rein kausal. Ockham sagt nur (p. 154 lin. 17): „accidens
dependet a subiecto sicut a causa extrinseca.“ Das heißt wie stets: das accidens dringt nicht als
res oder qualitas in die Substanz ein. Diese Kausalität aber kann Gott suspendieren. Gott kann
dann qualitas und quantitas, als Prädikamente gleich, unabhängig von der substantia machen,
abstrakt und qua Allmacht. Wo ist die Kausalität geblieben? „Substantia includit accidens“ ist
nach Ockham p. 156 lin. 6–10 ein „falsum“ – i.e. mehr als ein falscher Satz. Substantia und acci
dens können danach keinen unbedingten realen Sinn haben. Dass wir die substantia nicht in
se, sondern bloß per accidens (accidentia) wahrnehmen, rettet nichts. Die göttliche Allmacht
und empirische Erkenntnis ziehen gleich. Hochstetter versuchte die Grenzziehung: Nach p. 17
Kapitel 3. Zum Verhältnis der Satzformen 127
Während neuzeitlich Empirismus und Idealismus mit den Posten der subjek-
tiven Erkenntnisleistung (oder ihrer Voraussetzung) Kriterien und Legitimationen
zu gewinnen suchten, nennt Ockham als Faktoren Vermögen (voluntas, intellectus),
actus usw., die als solche, qua Begründung in der Argumentation, mithin in den Be
weisen, Teile dieser Argumentationen (probatio und persuasio) bleiben. Oft sagt er:
sie genügten, an sich oder in Verbindungen, etwa als causae partiales. Darin liegt
dann förmlich ein Hinweis, ebenso wie dann wenn eines der Prinzipien angewandt
wird, z. B. das Omnipotenzprinzip (dies explizit wenn es naturaliter loquendo auf die
distinctio realis bezogen wird), das Ökonomieprinzip etc. etc., dies auch dann wenn
eine Relevanz über die Empirie hinaus angemerkt wird.19 Die dabei anfallende Subjek
tivität, die auch benannt wird, ist dann einzig diejenige, die in der Argumentation
sich spiegelt und zugleich überhaupt fasst, was das Argumentieren auf dem Felde
der Erörterungen Ockham sein könne, für ihn und seiner mutmaßlichen Meinung
nach sogar schlechthin.20 Es gibt eine hypothetische Vermittlung an die significatio,
an die Geltung pro rebus, die nach Ockhams Intention jedoch offenbar schlüssig (de-
terminat) sein soll. Was von den Dingen her (a parte rei) zur Subjektivität gesagt
werden könnte, bleibt außer Betracht; es wird auch nicht angenommen, dass dann
zu dem, was mental existiert, wenn es Reales meint oder wiedergibt, mit der Realität,
(man müsste ja wohl sagen, in der Form der Realität) nur noch21 etwas Zufälliges
zur Idee, zum Gedanken, zur ‘Gedankenform’, zur Struktur der Kategorien mit ihrer
Disjunktion „hinzutreten“ könne. Das ist in Ockhams Praxis des Argumentierens nicht
hat Ockham Notwendigkeit über die Negation eines inneren Widerspruchs angenommen. Ist
da ein begrifflicher Widerspruch gemeint, also der analytische Satz? Die analytischen Urteile
sollen dem göttlichen Machtbereich entzogen sein (ib.). Nach p. 18 gibt es die „Erweiterung der
göttlichen Machtsphäre vermittelst strengerer Interpretation des Kontradiktionsprinzips.“ Also
neben den analytischen Sätzen, die doch Gottes Macht begrenzten?
19. Siehe hierzu besonders das Kap. 7: Formbegriff und reale Wahrheit.
20. Dies ist so zu verstehen, dass die verwandten Elemente (Bausteine), also Begriff, Satz und
Syllogismus, gar keine andere Verarbeitung zuließen als die Ockhams; das ist so zu verstehen,
dass diese Elemente als formale erscheinen und so inhaltsleer in einer negativen Form Folge-
rung verkörpern, die tatsächlich den Inhalt nicht hinzugefügt werden kann; das bezeichnet
die Determinatheit. Ph. Boehner, 1952 p. 82 fand die Partes der Summa Logicae im Verhält-
nis zueinander disproportioniert und irrelevant; sie begründeten einander nicht. Das hätte be
deutet: inhaltlich. Doch sie stehen in keinem Ableitungsverhältnis zueinander; sie fundieren
nicht Ableitung, die Boehner schmerzlich bei Ockham vermisst. Doch dieser verwendet nie ein
Element als Äquivalent von Folgerung. Ableitung gibt es überhaupt nicht. Ockhams Beweisin-
teresse ist je ein begrenztes und (induktiv) eingelöst nur insoweit von Interesse für ein anderes
als nominelle Aspekte aneinander vorbeigeführt werden, mithin nicht sich stören sollen. So
werden induktiv (und persuasiv) Einwände abgewehrt. cf. bes. Kap. 12.
21. Für dieses ‘noch’ könnte dann ja wohl nicht mehr argumentiert werden, nicht ableitend
und nicht induktiv. Vielleicht verweist das auf ein Problem der Definitheit.
128 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
enthalten. Es würde auf eine quasi realitätsnahe Ableitungsform hinauslaufen, die wir
bei Ockham nicht haben.22 Die grundsätzliche Frage gilt der Subjektivität.23
Diese Subjektivität soll nun auch, quasi abstraktiv, Erkenntnis der divina essen-
tia besagen (enthalten), im Sinne der Definitheit ex facie divinae essentiae sprechen.
Ockham setzt da den Fall, dass die divina essentia als res selbst die Erkenntnis abzu-
geben und auszumachen hat:24 „Totum quod dicitur de praedicatione rei in divinis
debet intelligi secundum illam opinionem quae ponit quod intellectio non est sub-
iectum nec praedicatum propositionis sed obiectum intellectionis, quam opinionem
reputo probabilem.“ Das wird eingeschränkt. „Secundum aliam opinionem, quam
etiam reputo probabilem, scilicet quod omne subiectum propositionis in mente est
intellectio vel aliqua qualitas inhaerens menti, debet dici quod propositio illa quam
format intellectus de deitatate distincte non componitur ex re sed ex intellectione dis
tincta deitatis quae non est nobis possibilis. Et secundum hoc proportionaliter dicen-
dum est de illa propositione sicut dicitur de propositione si componatur ex re.“25 Hier
muss nämlich der Blick auf die divina essentia ebenfalls nicht verstellt sein. Das wäre
bei der Auffassung des Begriffs als fictum oder obiectivum esse der Fall. Auch diese
Hypothese ist nach Ockham opinio probabilis. Für ihren Vorrang kann, wie gezeigt,
sogar von der Hypothese her, der Begriff sei intellectio, gerade in Anbetracht der Be-
ziehung auf die divina essentia induktiv argumentiert werden. Bei der Hypothese, der
Begriff sei intellectio, lässt sich ebenfalls denken, er erfasse eine res simplex. Damit ist
aber die Zahl der Einschränkungen nicht ausgeschöpft: „hoc debet intelligi quando
illa res est simplex et nulla alia, propter unam opinionem quam probabilem reputo.
Illud tamen hic dicitur secundum aliam opinionem.“26 Die Anzahl der opiniones ist
nicht durch Oppositionen (Gegensatzpaare) bestimmt und festgelegt.27
22. Selbst die consequentia naturalis meint eine solche Ableitungsform nicht.
23. Sie wird bei Ockham technisch behandelt. Damit wird sie weder zum Inhalt, noch ist sie
postuliert Ort der Erkenntnis. Sie steht nicht für den Topos des Erkennens. Zuletzt wird mit
allen Argumenten nicht für sie, i.e. im Sinn einer Formation gearbeitet, die dann definit wäre
oder zu sein hätte.
24. Wenn wir die Erkenntnis Gottes (der divina essentia) nicht als Sonderfall anerkennen, ha
ben wir dort, wo wir eine empirische Erkenntnis nicht ohne weiteres mehr annehmen können,
überhaupt keine Erkenntnis; d. h. wir hätten eine Lücke bzw. einen Widerspruch, da wir die
Begriffe und ihre Anwendung ja haben. Wo wir nicht induzieren können, können wir den dies
bezüglichen Mangel, d. h. die Gegebenheit eines möglichen Widerspruchs, nicht aufheben.
25. Ord. Prol. q. 2 OT I p. 110 lin. 19 – p. 111 lin. 4.
26. Ib. p. 113 lin. 18–25.
27. Denn die Formulierungen der verschiedenen opiniones sind nicht miteinander durch ihre
Gliederung und ihren Aufbau verbunden. Sie können ja im Sinne der Anders- oder Nochmög-
lichkeit qua unterstellter Negativität der anderen formuliert werden. Was in diesen nicht gesagt
und nicht verneint worden ist, ist neben ihnen dann fraglos möglich. So eben ‘quod aliqua
res quae est Deus praedicatur oder potest praedicari a Deo sive deitate – si est possibile.’ Dass
Kapitel 3. Zum Verhältnis der Satzformen 129
Ockham die Hypothese des universale als fictum esse vorgezogen habe, ist insofern nicht an
zunehmen, als er neben ihr die andere Hypothese des Begriffs als intellectio stets weiterhin zur
Diskussion stellte, z. B. SL I c. 12 und Ord. d. 2. q. 8 OT II p. 289 lin. 12–15: „Cui non placet ista
opinio de talibus fictis in esse obiectivo, potest tenere, quod conceptus et aliquod universale est
aliqua qualitas existens subiective in mente, quae ex natura sua est signum rei extra.“ Dabei sah
Ockham hier noch Differenzierungsmöglichkeiten (ib. p. 291 lin. 7–15: „Verumtamen ista opi-
nio possit diversimode poni: Uno modo quod ipsa qualitas existens subiective in anima esset
ipsamet intellectio … Aliter possit poni, quod ista qualitas esset aliquid aliud ab intellectione et
posterius ipsa intellectione…“ Ockham hatte den Begriff als signum („ex natura sua est signum
rei extra“) mit der vox (dem sprachlichen Wortzeichen) verglichen: „sicut vox est signum ad
placitum instituentis.“ Das ist einsichtig: ein und dasselbe wird in den verschiedenen Sprachen
mit unterschiedlichen Lauten bezeichnet: Mensch, homo, anthropos etc. Nun fragt Ockham
(SL I c. 12 OP I p. 42 lin. 29 – p. 43 lin. 39): „Sed quid est in anima (sic) id quod est tale signum
(sc. rei extra). Dicendum quod circa istum articulum diversae sunt opiniones. Aliqui dicunt
quod non est nisi quoddam fictum per animam (wir sind also ‘in’ der anima!). Alii, quod est
quaedam qualitas subiective exsistens in anima, distincta ab actu intelligendi. Alii dicunt, quod
est ipse actus intelligendi.“ Für sie führt Ockham das Ökonomieprinzip als ratio an: „Et pro
istis est ratio illa, ‘quod frustra fit per plura quod potest fieri per pauciora’. Omnia autem quae
salvantur ponendo aliquid distinctum ab actu intelligendi, possunt salvari sine tali distincto,
eo quod supponere pro alio et significare aliud ita potest competere actui intelligendi sicut alii
signo. Igitur praeter actum intelligendi non oportet ponere aliquid aliud.“ Der actus aber ist na
türlich akzidentell in der Seele. Auch der Begriff als subiectivum esse ist qualitas und actus der
substantia ‘intellectus’ und also accidens. Aber das fictum ist es auch. Die akzidentelle relatio
in mente (für Akte) ist auch die des Bezugs zur Realwelt extra nos; sie fällt mit den nomina an
und entspricht der Abstraktion, die er für die rein intramentalen Verhältnisse benötigt.
28. Ord. Prol. q. 2 OT I p. 118 lin. 1–12. Das beruht darauf, dass zwischen den Sätzen, wie im-
mer gedacht, eine (materielle) Implikation nicht angenommen werden muss, wie sie denn bei
Ockham für die Verbindung der Gedanken (und Definitionen) in deren intensionaler Quali-
tätsbestimmtheit keine Rolle haben kann; sie müssten auf der Stufe der Reflexion wie auf der
Stufe, auf die diese sich bezog, gleich sein. Ph. Boehner, 1952 meinte p. 82f, dass Ockham zwar
die Aussagenlogik bei Beweisen zur Logik des Syllogismus gebrauche, sie aber diesem nicht
überordne, was Boehner als Versäumnis sieht. J. Lukasiewicz, 11951 p. 49 bemerkte das auch
zu Aristoteles. Auch was Ockham verschiedener Weise, inhaltlich und logisch, als medium ex-
trinsecum benannte, bezeichnet für Ockham keinen effizienten Beweis. In seiner Herleitung
bzw. Bestimmung der syllogistischen demonstratio potissima kritisiert er die Annahme, deren
medium könne darin medium extrinsecum sein. Seine Lösung lautet: medium intrinsecum.
Aristoteles bereits will Ableitung und indirekten Beweis qualitativ nicht auf eine Stufe stellen.
Die Widerlegung kann eher und vielleicht einzig der Sicherung intensionaler Bestimmungen
dienen; dem dient auch die Syllogistik. Auch sie wird reprobativ bei Zwischenschritten der
Argumentation mit erkenntnistheoretischer Note. Hier treten syllogistische Formen (Anord
nungsmöglichkeiten) in Gegenstellung zu Einwänden auf ebenso wie sie ihrerseits u. U. noch
130 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
immer angenommen werden kann, aber eben auch nur hypothetisch, wenn die Annah
me definit bleiben können soll, „postea potest Deus causare notitiam intuitivam vel
abstractivam in illo intellectu. Isto posito, iste poterit facere syllogismum demonstra-
tivum in quo erit ista conclusio ‘Deus est’, quam primo dubitavit, ita quod in maiori
praedicatum istius propositionis quam de facto habemus praedicabitur de ista divina
essentia in se §/ vel de cognitione distincta essentiae divinae /§ et in secunda ipsa di-
vina essentia in se praedicabitur de isto subiecto istius conclusionis, ac si argueretur
sic: ‘essentia divina est’, ‘deus est essentia divina’, ergo ‘Deus est’“. Ockham fügt hin
zu: „Verumtamen illae duae praemissae non sunt nobis possibiles, sed tantum possunt
apprehendi ab intuitive vel abstractive intelligente ipsam deitatem in se.“ Gott kann
also eine Erkenntnis bewirken, die wir doch faktisch, von der empirischen Basis un-
seres Erkennens ausgehend, nicht haben; das ist entweder widersprüchlich oder reine
Kompatibilität. Diese von Gott praeter communem legem oder potentiam ordinatam
zu verursachende Erkenntnis ist (bloß) kompatibel mit unserem tatsächlichen Er
kenntnisstand. Sie ist also möglich oder nicht ausgeschlossen. Das praedicatum würde
aber auch von der cognitio distincta essentia divina in se prädiziert werden können,
wenn die Erkenntnis der divina essentia intuitiv wäre oder gar mit der res als sub-
iectum erfolgte. In diesem Fall freilich müsste auch eingesehen werden können, dass
die essentia divina ‘ist’. Das überschreitet den Fall der cognitio simplex. Und den der
notitia intuitiva auch; denn sie kann ja nach der res als Erkenntnismittel anstelle des
conceptus nicht mehr einen actus iudicativus oder actus assentiendi beinhalten. Damit
würden wir nämlich wieder zur notitia abstractiva gelangen. Es müsste, so gesehen,
wenn der Begriff der notitia intuitiva auch für den Fall beibehalten werden soll, dass
anstelle des menschlichen conceptus eine res stehe, neben der notitia intuitiva zwangs-
läufig auch eine notitia abstractiva entstehen können, mittels deren wir dann auch den
actus iudicativus hätten.29 Aber damit ist die Reihe der Fälle, die sich zueinander kom
patibel verhalten, noch nicht abgeschlossen, so dass gleichsam ein weiterer Fall immer
inhaltlich von einem anderen, den wir schon kennen, Grenzen und impedimenta, er-
halten hätte.30 Die notitia abstractiva deitatis ‘kann’ ohne eine vorhergehende notitia
intuitiva sein:31 „Tamen Deus potest causare notitiam abstractivam deitatis et aliarum
refutiert werden. Ockham kann grundsätzlich nicht die Aussagenlogik zur Herleitung von
‘Qualitäten’ in intensionaler Bestimmung (sic!) verwenden. Auch nicht die Syllogistik.
29. Es besteht also (eine) Konsistenz für den gesamten Gedankengang Ockhams, wie umfas
send und lang auch immer, dann (oder dadurch), wenn (oder dass) deren Fraktionen determi
nat sind vermöge dessen, dass die Implikation abgestreift, also ausgeschlossen worden ist.
30. Für einen neuen Fall treten neue Ursachen (oder Ursachenreduktionen) ins Spiel, für die
mit Formeln wie ‘non est maior ratio quod (non)’, ‘non est inconveniens’, Omnipotenz- und
Ökonomieprinzip in Form von Induktionen plädiert werden kann. Dabei bleibt die notitia
intensional gleich bei variierten reellen (empirisch kontingenten) Umständen. Das wird bewie-
sen. Das ist Beweisziel. Cf. Kap. 12: Verflechtung und Abgrenzung der Akte.
31. Ord. Prol. q. 1 OT I p. 72 lin. 9–11.
Kapitel 3. Zum Verhältnis der Satzformen 131
rerum sine notitia intuitiva praevia, et ita notitia abstractiva est communicabilis viato
ri.“ Es ist also zunächst nichts davon gesagt, dass diese notitia abstractiva de facto dem
viator verursacht werde; es ist somit unbekannt, ob sie je schon von Gott unabhängig
von einer vorangegangenen notitia intuitiva verursacht worden ist. Die Ordnung der
Dinge, in welcher die notitia abstractiva der notitia intuitiva folgt, gehört der potentia
ordinata an. Pro statu isto ist so eine abstraktive Erkenntnis von Gott möglich, die
des Erfahrungsfundaments, sowohl in via wie in patria entbehrt.32 Die Konklusion
ist somit: Es gibt von vornherein keinen Grund, für den Menschen eine theologische
Erkenntnis auszuschließen, weil sie nicht auf Erfahrung beruhen könne.33 „Dico quod
notitia distincta deitatis sub propria ratione deitatis est possibilis intellectui viatoris.“
Gegen diese Erkenntnis kann nicht gesagt werden, sie erkenne nicht ihren Gegenstand,
sie ist als distinkte möglich. Gleichwohl ist sie keine empirische und keine visio bea
tifica: „Ista (notitia) tamen non est beatifica.“ Die visio beatifica ist eine notitia intui
tiva. Nicht jede notitia von Gott, die da möglich ist, ist daher seligmachend, z. B. nicht
die notitia abstractiva, die auch in patria möglich ist: „Nec omnis notitia obiecti infi
niti beatifici sub ratione beatifica est beatifica, sed tantum intuitiva quae non est in
tellectui viatoris possibilis.“34 Für diese hypothetische notitia abstractiva war induktiv
operiert worden.
Mit allen diesen Modi heterogener Erkenntnisse, die sich in die divina essentia
bezüglich deren Erkenntnis durch einen Erkennenden, der selber nicht Gott ist, ver-
32. Grundsätzlich gilt (ib. p. 48 lin. 2–5): „dico quod Deus, de potentia Dei absoluta, potest
tali duplici notitia cognosci, ita quod una sit intuitiva et alia abstractiva.“ Dies ist aber ebenso
wenig ‘gewiss’ wie alles was bloß hypothetisch im Verhältnis der Möglichkeiten nebeneinander
besteht. „Tamen difficile est hoc probare. Potest tamen persuaderi.“ Damit ist jene Beweisart
bezeichnet, die das Abstrakte und Hypothetische ohnehin näher bezeichnet und einfängt. Was
hier also als bloß ‘per persuasionem „beweisbar“’ angesehen wird, ist somit zugleich dasjenige
oder etwas, was förmlich im Sinne einer anderen Möglichkeit oder Kompatibilität und wieder
per potentiam divinam absolutam auch als möglich anzusehen, durchbrochen und suspendiert
werden kann.
33. Ib. p. 72 lin. 13–17 (inclusive der beiden folgenden Zitate).
34. Von notitia intuitiva und notitia abstractiva werden von Ockham einige Konsequenzen
als ihnen angehörig und damit im Sinne einer in ihnen anzutreffenden Wesenseigenschaft be
stritten. Wesenseigenschaft und Konsequenz rücken so noch einmal, wenn auch in negativer
Weise, aneinander. Natürlich kann von den beiden notitiae keine quidditative Definition ge
geben werden. Was darin proprium oder accidens wäre, betrifft bereits den Bezug der notitiae,
der formell ein Bezug nach außen ist. Die Vielzahl der Fälle, in denen die notitiae scheinbar
Referenz und Charakter wechseln, folgt dem, dass sie weder quidditativ definiert sind noch per
Konsequenz bestimmt noch überhaupt anders als so für sich identisch in den verschiedenen
Kausalverhältnissen gedacht werden können. Über diese alle definieren und bekräftigen sie
sich. Sie werden für eine Art complexum significabile eingebracht und wirksam. Die Wirksam-
keit hat ihre Reichweite nach verschiedenen und unterteilbaren Kausalrelationen; diese erge
ben sie, wie sie ihrerseits diese wieder spiegeln und überdecken. Cf. auch Anm. 50.
132 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
schieben (wenn man will, vor sie schieben), stellen sich alle erkenntnistheoretischen
Probleme der zunächst praktisch empirischen Erkenntnis secundum legem commu-
nem, d. h. so wie sie der ordo creatus oder die potentia Dei ordinata uns auferleg-
ten, noch einmal, so dass die lex communis etc. nicht definit ist. Sie ist in Bezug auf
die Gehalte nicht festgelegt, was heißen muss, dass die Induktion die Methode ist,
welche die dann bloß bedingten Meinungen einzelner Thesen hervorbringt, wie sie
hier vorkamen. Sie alle sind in dem Sinne dann konsistent, wie sie auseinander nicht
ableitbar waren. Die Kompatibilität der einzelnen Fälle sprengt also von sich aus die
Ableitbarkeit. Das bedeutet nicht nur eine neue Objektivität, sondern daneben noch,
dass die normale Ableitung in se als mit indefiniten Bausteinen behaftet erscheint.35
Es ging Ockham darum, welche Wahrheiten von Gott syllogistisch bewiesen werden
können, ohne dass noch ein allgemeiner Begriff (aliquod commune) vorläge, der Gott
und creaturae gemeinsam wäre. „Et ideo soli tali (sc. alicui beato) sunt illae conclu
siones in se demonstrabiles a priori quae non possunt demonstrari de Deo per ali-
quod commune tamquam per medium.“36 Das Fazit ist: dort, wo man mit Ockham
einen praktischen und empirischen Begriff von Gott nicht haben kann, der in einen
Beweis einginge und darin zu dienen hätte, hat man hypothetisch notitiae,37 welche
35. Zum beweistheoretischen Grundbegriff ‘definit’ s. Thoralf Skolem, Einige Bemerkungen zur
axiomatischen Begründung der Mengenlehre, 1923, auf beliebige Kalküle bezogen P. Lorenzen,
Einführung in die operative Logik und Mathematik, 1955 u. K. Ebbinghaus, Ein formales Modell
des Aristoteles der Syllogistik, 1964 p. 14.
36. So Ord. Prol. q. 2 OT I p. 118 lin. 12–15. Der Ausdruck ‘a priori’ bezieht sich nach der aristo-
telischen Bezeichnungsweise auf die Schlussart, nicht auf erkenntnistheoretischen Erkenntnis-
wert. Die syllogistische Komponente der Beweisführung ist bei Ockham unübersehbar, sowohl
methodisch (argumentativ) wie darin dass der Syllogismus Gegenstand der Erkundung und
Begründung der Standards des Erkennens ist. Der Gebrauch des Syllogismus als forma integralis
der Beweisführungen, die an der Basis der Begründung von Major oder Minor der Induktion
sich bedienen und am Ende oft bloß überredend sein können, insgesamt und im einzelnen,
sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Beweisinhalt selbst über die Syllogistik hinaus-
geht, wie die Bedeutung von notitia intuitiva und notitia abstractiva und deren ‘unausgesetz
te’ Differenzierung mit immer neuen Kompatibilitätsoptionen lehrt und eben darin auch der
Gebrauch der Prinzipien, die hier helfend eintreten, allen voran das Omnipotenzprinzip mit
seinen beiden Auslegungen. Dabei tritt auch der Fall auf, dass die etablierte und begründete,
etwa die syllogistische Erkenntnisweise, dann die notitia abstractiva beispielsweise, sachlich
und praktisch kaum gefüllt werden können. Die Erkenntnisse sind dann möglich, also rein
hypothetisch nicht gänzlich ausgeschlossen, sie werden aber kaum präsentiert werden können.
Sie werden lediglich skizziert.
37. Mit den notitiae schafft Ockham also eine Grunddistinktion und setzt sie förmlich über
die anstelle von inhaltlichen Qualifikationen und Entwicklungen der den notitiae verliehenen
kompatiblen abstrakten Funktionen fort. Davon ist oben eine Illustration gegeben worden. Cf.
A. Combes u. P. Vignaux. Jean de Ripa, Quaestio de gradu supremo, 1964 p. 95: „Nous savons,
notamment par l’exemple d’Occam, l’importance de la théorie des distinctions au XIVe siècle“,
zugleich (Anm. 223) Verweis auf DTC, art. Nominalisme, col. 742–745.
Kapitel 3. Zum Verhältnis der Satzformen 133
potentielle Beweise ermöglichten. Es ist also das Faktum solcher Beweise bloß nicht
ausgeschlossen. Ockham macht eine scharfe Disjunktion: aliquod commune (concep
tus) vs. notitia im Sinne nur abstrakt verstandener actus apprehensivi.38
Ockhams Beweisart an dieser Stelle besteht insgesamt in einer sukzessiv erfolgen-
den Reihe von Ausschließungen, mit denen an einer Stelle jeweils die Negation einer
‘Folgerung’, die der darin unterstellten Signifikanz, vorgenommen wird; so ist die Fol-
ge der Negationen sprich Ausschließungen schließlich der Induktion einer gänzlich hy-
pothetischen Annahme gleich. Diese hat mit ihren Bezeichnungen (wie sie als notitia
oder ‘notitiae’ erfolgen) den menschlichen und empirischen Begriffsrahmen überstie-
gen. Hierin sollte man eine Eigenart Ockhams sehen. Sie besteht in der Argumentati-
on.39 Gott wird formell in sie einbezogen, aber weder so dass sie objektiv darin wirkt
und ihn konkret spezifiziert, etwa im Sinn der Idee einer Intervention, noch ihm eine
Majorisierung unserer Erkenntnisvermögen zuschriebe.40 Er bleibt vielleicht doch
unerreicht, wie er es im Mittelalter immer war und sein konnte. Es ist mutmaßlich
nicht ganz der Blick Gottes selbst; wir urteilen mit Ockham nicht de apice deitatis.
Aber wir haben unseren Blick so erweitert, dass wir nicht bloß Begriffe benutzen,
aber auch nicht, so ganz eine Wissenschaft zwischen Offenbarung und Erfahrung
(= menschlichem Begriff) hätten. Wir haben eine argumentativ-methodische und
38. Ockham erschließt die notitia abstractiva nicht für Gott in Person. Er nimmt keine dis
kursive Erkenntnis in Gott an. Gott erkennt bloß per notitiam intuitivam. Cf. zum Vergleich
P. Vignaux, 1962 p. 269: „Il y a en Dieu, pour Francois de Meyronnes, des vérités médiates: en
ce sens, tout l’élément discursif n’est pas exclu de sa connaissance intuitive, ni de celle des bien-
heureux: sic videtur veritas in se demonstrabilis (denn: Anm. 30: intuitiva notitia est discursiva
vel potest esse) … beati possunt dici aliqualiter discurrere.“ Für Ockham bedürfen die höheren
Intelligenzen (Gott, Engel) des discursus (scientificus) nicht. Ockham beschränkt seine Aspek
te auf den Menschen und überträgt sie bloß vergleichsweise im so angenommenen Gehalt dann
auf Gott, Engel, beati.
39. Deren Bewertung wird gern in einem Motiv gesucht, das in inhaltlicher Einkleidung an
Ockhams Verfahren heranreichen und meist, in nuce oder kompakt, seine Argumentati-
onsweise kriteriologisch signalisieren sollen. Die Abbreviatur geht meistens nicht auf: Nach
Vignaux soll einmal eine Zwischenschicht des menschlichen Denkens zwischen Offenbarung
und menschlich-empirischer Erkenntnis gedacht werden, bei welcher zunächst Duns Scotus
Ockham zu praeludieren hätte. Cf. Nominalisme au XIVe siècle, 1958 p. 14f: „Entre l’intuition
de l’au-delà, don suprême, et la Révélation, condition de l’adhésion de foi à des propositions
composées de termes naturellement accessibles Duns Scot avait discerné la possibilité de dons
intermédiaires. Il avait transposé une question classique depuis l’invasion aristotélicienne: „la
theologie est-elle une science?“ en cette autre, plus radicale: Dieu comme tel – Deus sub ratione
Deitatis – est-il un objet possible de science?“ Dann aber soll die Einsicht de potentia Dei
absoluta bedeuten (p. 96): „en les pensant soumises à une potentia absoluta, il (sc. Ockham)
juge les choses comme Dieu les voit.“ Vielleicht gibt es hier so etwas wie eine ‘Determinante’
(ib.): „ce nominalisme est l’univers d’un théologien que la Révélation a introduit au point de
vue divin.“
40. Selbst diese Idee wird von Ockham augenfällig weggelassen.
134 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
41. Nach M. de Gandillac, Nikolaus von Cues, 1953, p. 63 Anm. 4 soll sich das von den Nomina
listen, der via moderna genannten Bewegung in der Spätscholastik ‘immer betonte’ „probabile“,
dem der strengste Beweiswert fehlt, stets auch gegen jeden „protervus“ richten lassen, „der sich
anmaßte, einen anderen Status für die potentia absoluta geltend zu machen“. Das ist sicher eine
entscheidende Einschränkung gegenüber jeder unbegrenzten und dabei rein spekulativen, im
Grund allegorischen Deutung und Indienstnahme des Omnipotenzprinzips. Es steht dem ‘po-
test persuaderi tantum’ Ockhams nahe, für das es ja direkt gebraucht wird. Es ist hierin mit der
mit potentia ordinata verflochten und nähert sich „an die an sich unerfassbare Wirklichkeit“,
wie de Gandillac sagt, bloß an. Tatsächlich versucht Ockham auch nicht, wie de Gandillac sagt
(p. 63), „auf abstraktivem Wege Formen zu erfassen, die wirklichen göttlichen Ideen entspre-
chen“. Gottes Allmacht führt Ockham dabei auch nicht einmal zur Idee einer drohenden Auf-
hebung der kontingenten Weltordnung. Cf. K. H. Tachau, 1988, p. 269.
42. Wenn Ch. S. Peirce bestritt (1868), dass es „eine intuitive Erkenntnis“, i.e. eine notitia intui-
tiva von einer notitia intuitiva nach unverbundenen sinnlichen Eindrücken geben könne, so
handelt es sich dabei denn vergleichsweise auch nur um Ockhams notitia intuitiva sensitiva.
Das gilt auch dann, wenn man annimmt, dass bereits die elementare sinnliche Wahrnehmung,
wenn sie auf ein Kontinuum (Beispiel etwa der Vogelflug) sich richtet, nur mittels integraler
Schlussakte des Verstandes hergestellt ‘werde, mit denen wir uns der Identität des beobachteten
und wahrgenommenen Gegenstands (des Vogels) versichern.
43. Ockhams ‘Betonung’ und Verwendung der notitia abstractiva erinnert hier an nachidea
listische (atheistische) Metaphysiken von McTaggart und Bradley, denen Ockham ‘auch’ ent-
spricht, wenn er den überweltlichen Aspekt nicht richtiggehend „füllt“. Cf. F. G. Bradley (ed.
J. W. Allard und G. Stock), Writings on Logic and Metaphysics, 1994, J. M. E. Mc Taggart (ed.
S. V. Keeling), Philosophical Studies, 1934.
44. Für die im Syllogismus verwendete Major nimmt auch Ockham gelegentlich an, dass es
zu ihrer begrifflichen Erstellung nach der Erfahrung (notitia intuitiva) vieler Akte und eben
auch Schlüsse bedürfen könne. Diese Schlüsse sind damit Teil der Präparation dieser Prämisse
(Ord. Prol. q. 2 OT I p. 87 lin. 1–12). So wird dieser Syllogismus im Grunde auf die Stufe empi-
rischer Erkenntnisse festgelegt. Er ist dann abstrakt nur bezüglich der Bildung der Begriffe, die
kraft der notitiae erfolgt. Aber die notitiae sind nach Ord. Prol. q. 1 OT I pp. 74 lin. 22 – p. 75
lin. 5 noch nicht notwendig per se (= specie) distinkt vermöge der ‘notitiae complexi causatae
ab illis.’
Kapitel 3. Zum Verhältnis der Satzformen 135
Ockham hat von der scientia stricte als conclusio eines Syllogismus verstanden
folgende Beschreibung gegeben:45 „dico quod propositio scibilis scientia proprie dicta
est propositio necessaria, dubitabilis, nata fieri evidens per propositiones necessarias
evidentes per discursum syllogisticum applicatas ad ipsum.“ Der Syllogismus soll
nicht bloß äußerlich angewandt werden. Er ist zwingend nötig, um die Evidenz zu er-
halten.46 Die Beschreibung ist die dritte, die Ockham gibt; nur sie hält er für vollstän-
dig.47 Wenn man nach der ‘Notwendigkeit’ der Prämissen fragt, welche die conclusio
per syllogismum gewiss und intelligibel machen sollen, so kann sie faktisch nicht in
der Abhängigkeit der passio von dem subiectum bestehen, da diese in diesem weder
enthalten noch nicht enthalten sein darf. Es muss sich also um eine Eigenschaft in der
passio handeln, die per definitionem formalem von diesem Subjekt gegeben wird, eben
distinktiv, um deren Charakter zu bestätigen, gegeben werden kann. Die Bestimmung
muss so absolut inhaltlicher Natur sein. Damit werden die Sätze in dem Syllogismus,
der die scientia proprie dicta trägt, noch einmal abstraktiv gegeben oder: abstrahiert.
Die Prämissen sind also, wenn sie eingesehen werden, i.e. evident sind, auch notwen
dig, und umgekehrt. Damit sind sie abstraktiv und intensional gefasst, sonst wären sie
kontingent. Es gibt somit einen insgesamt klaren Aufbau bei Ockham.48
Die Argumente, die Ockham gibt, werden, insofern sie die Grundbedingungen
eröffnen, ihre Konsequenzen bezüglich und vermöge der Beziehung auf die Realität
haben. Im Gefolge davon darüber hinaus nicht mehr. Das muss mit der Abstraktion
zusammenfallen, da diese (die) ‘Notwendigkeit’ mit enthalten muss, nicht unbedingt
vermöge (der) Folgerung, aber hinsichtlich ihrer: es darf keine Widerlegungen oder
Indefinitheit geben. Nun hat für die demonstratio potissima, die die Erkenntnis der
scientia proprie dicta facta evidens per syllogismum liefert und sichert, die bereits
erwähnte definitio formalis die entsprechende Funktion, rein im Bereich intensio-
nal zu definierender Begriffe die Abstraktion fortzuführen, nicht anders als anderswo
die distinctio formalis, die distinctio ratione usf. So auch:49 „Ad illam declarationem
quod definitio formalis est medium demonstrandi, dico quod verum est: quando
definitio est medium in demonstratione universali tunc definitio formalis subiecti est
medium. Sed ista definitio non includit praecise formam rei, sed dicitur formalis quia
includit principia essentialia rei … definitio aliquando datur per principia essentialia,
vel per declarantia principia essentialia, et illa est formalis. Aliquando autem datur
per principia alicuius rei extrinseca, et illa est materialis. Prima definitio non potest
competere nisi substantiae compositae, et hoc strictissime accipiendo definitionem
formalem. Large tamen accipiendo potest competere alicui habenti distinctas partes
eiusdem rationis; et tali definitione definiuntur multa mathematica, sicut triangulus,
48. Man könnte meinen, dass Duns Scotus bei seinen Beweisen des medium extrinsecum sich
bediene und damit den Rahmen des scholastischen Syllogismus als obligater Beweisart spren-
ge. Unterstellt man, dass Duns Scotus dabei korrekt, ungebrochen und ununterbrochen der
heute mathematisch kodifizierten Aussagenlogik sich bedient habe, und dass solches einmal
von ihm geschehen sei und, was beinahe mehr ist, technisch auch tatsächlich geschehen konnte,
dann muss man wahrscheinlich die Frage unbehandelt lassen, wie Ockham ‘ohne Willkür’ und
mit welchem Recht Duns Scotus ‘widerlegen’ „konnte“. Wenn man denn glauben und nicht
vielmehr ausschließen will, dass er es de facto konnte. Ockham, der nach Kneale& Kneale und
Pinborg allenfalls einige aussagenlogische Regeln kannte, müsste, da er sie noch als Beweisen
cum medio extrinseco einstufte, sich selbst im Wege gestanden haben, wenn es nicht wenigstens
implizit die Möglichkeit gab, die Stützung des Beweisens auf das medium extrinsecum als nicht
zwingend zu erweisen: Satzwertigkeiten und Begriffseinstufungen mussten anders gesehen
werden können. In Bezug auf sie hat Ockham anders ermittelt und bewiesen. Daneben s. bei
Scotus den problematischen Gebrauch aristotelischer Prinzipien in seinen ‘Beweisen’, worin
sie zunächst prototypisch empirisch gedeutet, dann abstrakt durch bloße Kautelen zur (selekti-
ven) Allgemeingültigkeit gewendet werden. Vielleicht werden in De Primo Principio auch noch
Satztypen unkontrolliert gemischt. Dann wäre auch von daher die Einheit des Beweisens und
der Zusammenhang der Prädikate noch problematisch.
49. Ord. Prol. q. 5 OT I p. 169 lin. 22 – p. 170 lin. 19. NB. die definitio formalis ‘gibt’ keine forma
rei!
Kapitel 3. Zum Verhältnis der Satzformen 137
quadrupulus et sic de aliis. Unde triangulus definitur quod est ‘figura tribus lineis
contenta’ etc. Istae lineae non sunt alterius rationis inter se. Et sic large intelligit Philo
sophus definitionem formalem. Aliae autem definitiones, datae per alias causas, sunt
definitiones materiales; et hoc quia – ut frequenter – dantur tales definitiones per
materiam, extendendo materiam ad omne receptivum.“50 Es ist unschwer erkennbar,
dass damit die Definitionen, Beschreibungen, Sätze und Erklärungen der philosophia
naturalis weidlich einbezogen sind. Dabei ist denn auch an ein physisches Medium zu
denken, das eine Wirkung empfängt oder förmlich an sich ‘herstellt’ oder erscheinen
lässt. In diesem Sinne aber ist an res im umgrenzten, determinaten Sinn noch nicht zu
denken. Man denkt nur an die Aussagen. „Et istae definitiones – ut in pluribus – sunt
definitiones exprimentes quid nominis, non exprimentes quid rei.“ Die definitio for-
malis ist eine definitio quid rei. Nach ihr kann erkannt werden, wie die Sache wirklich
aussieht und wie sie hergestellt werden kann. Die Unterscheidung tritt in der Neu
zeit bei Hobbes und ihm folgend Leibniz auf. Für die philosophia naturalis ist die
propositio immediata zuständig. Die propositio immediata ist bloß necessaria und
dubitabilis, was heißt, dass sie nicht per notitiam abstractivam abstrakt durch den
Syllogismus vergewissert werden kann. Sie bleibt auf die notitia intuitiva verwiesen.51
50. In gleicher Weise Ord. Prol. q. 2 OT I p. 157 lin. 18 – p. 158 lin. 7: „patet quod est maior
ratio quod una passio sit demonstrabilis quam alia, quia aliqua passio praesupponit subiectum
suum habere partes realiter distincta sine quibus nullo modo posset sibi competere, et per di-
stinctam notitiam illarum partium devenitur in notitiam passionis de subiecto, et ideo illa est
demonstrabilis per definitionem exprimentem illas partes tamquam per medium. (Dieses ist
dann kein medium extrinsecum!) Aliqua autem passio, quantum est ex se, nullam praesupponit
distinctionem partium quin simpliciter potest poni quacumque illarum partium circumscripta,
et ideo nihil est exprimens quaecumque intrinseca suo subiecto cui prius vel notius convenit
quam subiecto et ideo talis non est demonstrabilis.“ Diese Antwort oder solutio, so wie sie sich
gibt, ist auch bloß ‘ad hoc’. Sie muss nicht in extenso oder geballt das Problem der Prädika-
tionen lösen. Sie bezieht sich auf ein Vergleichscharakteristikum und erhebt es bedingt zum
Kriterium.
51. Ib. q. 1 p. 78 lin. 1–12. „Verbi gratia, ista propositio ‘calor est calefactivus’ est necessaria et
dubitabilis, quia aliquis intellectus apprehenderet calorem intuitive solum per intellectum et
nunquam videret nec sentiret calorem calefacere, puta, si nullum calefactibile esset alicui calori
intuitive cognito approximatum, ita posset dubitare an calor posset producere calorem sicut
dubitat an albedo possit producere albedinem, et per consequens est propositio est dubitabilis.
Et (.) ista propositio per nullas propositiones necessarias, applicabiles ad ipsam per discursum
syllogisticum, potest de non evidente fieri evidens, sed tantum fit evidens per experientiam
sumptam ex notitia intuitiva, et ideo non est scibilis proprie dicta.“ Dabei wäre auch albedo
in jedem Sinn, auch im modernen naturwissenschaftlichen, als relatio aufzufassen. Die albedo
ist in keiner Weise ‘im’ Gegenstand extra mentem. Im übrigen aber sind notitia intuitiva und
notitia abstractiva für die propositio immediata einander in einem Maß nahegerückt, dass wir
den Schluss selbst von calor zu calefacere nicht definit machen können (oder müssen).
138 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Damit ist die wissenschaftliche Basis des Denkens und Erkennens selbstverständlich
sehr reduziert worden.52
Es wurde gesagt, dass die kompatibel gesetzten und entworfenen Nebenmöglich-
keiten der Erkenntnis, welche womöglich die Begrifflichkeit des Menschen überschrei-
ten, als abstrakter und dabei wahrscheinlich induktiv begründbare, nicht notwendig
gefüllt werden können müssen; dennoch bleiben sie determinat. Die ihnen beigege-
benen Folgen erscheinen dann – als förmliche Folgerungen – negativ, indem sie eine
Verneinung gegenüber einem unbegrenzten Bereich von Erfüllungen besagen und
aussprechen und diesen damit eingrenzen. Dies bedeutet nicht, dass sie damit eine
positive Möglichkeit aussprächen. Genau in diesem Sinn werden sie induktiv oder
persuasiv begründet, i.e. bewiesen.53 Sie sind negativ gegenüber einem unbestimmten
und nicht eingrenzten Bereich von termini, die in eine bestimmte schematische Struk
tur wie den Syllogismus nach Ockhams Kritik nicht beliebig einrücken dürfen, wo die
Verfertigung von Syllogismen mit kontingenten Aussagen nicht sinnvoll erscheint.
Die berühmte humanistische und neuzeitliche Kritik (Erasmus von Rotterdam, Des
cartes), der scholastische Syllogismus repetiere bloß, was man ohnehin wisse, ent
behrt, an dieser Stelle wenigstens, der Grundlage: Nicht ausreichend charakterisierte
Sätze dürfen bei Ockham nicht als syllogistisch bewahrheitende akzeptiert werden.
Dafür ein weiteres Beispiel.54 Ein Satz, bei dem aliquid intrinsecum Deo de divina
essentia bewiesen werden solle, kann nach Ockham nicht wirklich beweisbar heißen.
Von dieser nun tatsächlich begrenzten und in sich intensional55 negativen56 These (im
Text: „haec conclusio“) sagt Ockham: ‘potest persuaderi’. Wie folgt: wenn eine unbe-
dingte Identität von s (subjectum) und P (passio) bei einem solchen Satz bestünde,
wie es bei der propositio per se nota der Fall ist, könnte der Satz nicht bezweifelt und
52. M. de Gandillac, Nikolaus von Cues, 1953 p. 61 nennt die via moderna einen „Komplex von
Geisteshaltungen, deren eigentlich wissenschaftlicher Gehalt hie und da überschätzt worden
ist, die in mancher Hinsicht aber die Voraussetzungen einer methodologischen Revolution in
sich schließen“. Er meint wohl mehr die Pariser nominales (Buridan) mit naturwissenschaftli
chen Hypothesen als Ockhams methodologisch exakten Mentalismus.
53. Damit haben sie dann oft einen modalen Charakter.
54. Ord. Prol. q. 2 OT I p. 111 lin. 6–21. cf. auch noch Anm. 105.
55. Intensional bedeutet schon allein auf Inhalte und die mentale Faktur des Satzes bezogen.
Die These geht über den Inhalt des Satzes, dessen Beweisbarkeit in Rede steht, hinaus.
56. Sie erscheint, indem sie in sich (intensional) negativ ist, begrenzt oder nur von begrenzter
Reichweite zu sein. Indem sie sagt und (mit dem Beweis) besagt, was nicht ist, gibt sie natürlich
keine genauere tatsächliche Explikation von Aussagen, die eine wissenschaftliche theologische
Erkenntnisbedingung erfüllen könnten und auch nicht ob es solche theologischen Sätze denn
de facto gebe. Dabei war die Struktur wissenschaftlicher Sätze, der scientia proprie dicta bereits
zuvor expliziert worden. Es wird also eine Synthesis der tatsächlich vorhandenen Sätze durch
diese negativen Thesen gegeben, wobei der Beweis für die Thesen induktiv oder persuasiv er-
folgt, wie auch hier.
Kapitel 3. Zum Verhältnis der Satzformen 139
sodann durch den syllogistischen Beweis ‘eingesehen’ und bestätigt werden. Es gibt
aber keine engere Verbindung von s und P (identitas realis) als bei der propositio per
se nota.57 Die propositio per se nota kann aber definitionsgemäß nicht für den Syllogis
mus taugen, i.e. darin ex notitia praemissarum eingesehen und bestätigt (per actum
iudicativum adveniens ad aliquem actum apprehensivum) werden. Denn für sie gilt
cognita (sive intellecta) est ex notitia terminorum tantum – vel intuitive vel abstracti-
ve. Ebenso wird sie nicht beweisend als Prämisse oder eine der beiden Prämissen im
Syllogismus verwendbar sein.58
Für Ockhams Argumentationen gilt als Bilanz: jeder Satz, als in sich kompakte
oder determinate Satzart, ist bestimmt äquivalent dem, dass in ihr und mit ihr eine
andere intensional nicht übereinstimmen könne. Das heißt: letztere, wie sie von no-
titia intuitiva und notitia abstractiva, oder auch anderen Schrittmacherargumenten,
Regeln, Prinzipien usw. bestimmt wird, entspricht nicht nur jener gemeinten neuen
nicht, sondern sie besagt auch mit sich eine Leerstelle, ein Vakuum. An dieser Stelle
liegt eine Defizienz vor, ein Mangel an realem Gehalt, intensional ausgedrückt. Keine
Satzart besagt das genuine Erreichen der res extra.59 Dieser Mangel wird somit intensi
onal ausgesprochen. So kann etwa die propositio immediata nach ihrer Erkennbarkeit
vermöge der notitia intuitiva und notitia abstractiva nicht definit bestimmt werden.60
Sie dient dann bei der Bestimmung der scientia = conclusio in der genuinen syllogis
tischen Demonstration, der demonstratio potissima, als Negativform, die eben auch
die Implikation bedeutet, die von der demonstratio potissima bzw. deren scientia seu
conclusio aus, nicht erreicht werden kann. Sie ist Repräsentation jenes Akzidentellen,
das in die forma der determinaten Bestimmung oder Erscheinung des Satzes nicht
mehr eingeht. Sie steht so als Negativform der Widerlegung (Bezeichnung von Nicht
erfüllung) und der Induktion nahe. Die Sätze als solche bestimmen sich als Approxi
mation an die in se nicht de facto erreichte empirische Realität danach, mit einer dar-
aus hervorgehenden Modifikation (Negation) der Implikation, und zwar gegenüber
dem verglichenen Satztypus, wie an sich, wenn diese beigezogene und für untauglich
befundene heterogene Satzart problematisiert werden kann. Die seltsame Form der
Gesamtdarlegung gehört Ockhams in sich gebrochener Weise des Argumentierens
alias Konstruierens an. Dessen Struktur trägt den Inhalt vollständig.61
Hier sind auch die verschiedenen Disziplinen theoretisch einbegriffen. Ockham
bezieht geometrische Sätze oder Sachverhalte in seine demonstratio potissima nach
deren endgültiger und schließlich erreichter Definition ein. Diese wird in Etappen
nach der geschilderten Argumentationsart gewonnen: das jeweils Auszuschließen-
de wird intensional durch einen Satztypus verkörpert, der die die gesuchte Bestim-
mung nicht tragen kann. Der muss darin den Widerspruch verkörpern. Es gibt da den
Satztypus der propositio immediata mit impliziter relatio, die praktisch und sachlich
nicht – empirisch – gefüllt werden kann.62
einer Erscheinung als kompatible entfaltet werden konnte. Da trat nämlich der Fall ein, dass
eine bestehende kausale Brücke gesprengt, aufgehoben, negiert werden konnte. Die Geltungs
funktion der beiden notitiae nimmt sich also anders im Bereich der forma als in dem des acci
dens aus. Sie können die Determinatheit fundieren und die Signifikanz einklammern und förm
lich negieren.
61. Ockham merkt gelegentlich an, er halte die dort genannten Thesen des Duns Scotus für
richtig, nicht aber die dafür gegebenen Gründe; deshalb wolle er die besseren Argumente lie
fern. Das muss bedeuten, dass er die Thesen selbst als Prinzipien verstehen und ins Licht setzen
möchte, und damit sowohl deren Abstraktion und wie die Synthesis ihrer Elemente nachliefern
werde. Sie hätten bisher nur falsche Folgen gehabt, über die sie zu bestreiten wären. Es ergibt
sich damit auch die Bestärkung des intensionalen gegenüber dem extensionalen Aspekt.
62. Implikation und sachlicher Kern entfallen hier gemeinsam. Das ist heute in der Quanten-
theorie genauso: die significatio, das ‘Ding’ oder gar Ding an sich und eine reduktive Bewertung
der Implikation rücken negativ zusammen. Ockham kann also auch a posteriori nicht verpflich
tet sein, zwischen Theologie oder Offenbarung und Empirie oder rationalem Weltverhalten
und natürlicher Weisheitslehre eine Wahl zu treffen oder die Vermittlung zu suchen. Oder nach
neuzeitlichem Vergleichszwang zwischen den Alternativen von Idealismus (oder Apriorismus)
und Empirismus (auch Skeptizismus). Hier kann niemand verpflichtet sein. H. Freudenthal,
Dialectica 12,1 1958, p. 7–32 meint p. 8, „dass die mathematische Geometrie weder der Erfahrung
als Ideal vorangeht noch aus der Erfahrung induktiv entspringt, sondern dass sie die Erfahrung
idealisiert.“ Und ebd. p. 10: „Wenn es jemals gelingen sollte, Anwendungen der Mathematik
Kapitel 3. Zum Verhältnis der Satzformen 141
Ockham hat die propositio proprie scibilis, die in ihrer Unterscheidung gegen
die propositio immediata, für die die reale Ausschöpfbarkeit der Relation, die mit
dem Prädikat angesprochen ist, nicht gilt, und die propositio per se nota, von ihm
angesetzt, verteidigt und begründet wurde, indes auch noch rein intensional in sich
bestimmt. „Non est intelligendum quod necesse sit propositionem proprie scibilem
esse primo dubiam vel apparere falsam cuicumque addiscenti eam, sed possibile est
quod sit dubitabilis ab addiscenti vel quod possit ab aliquo dubitari vel apparere fal
sa.“63 Ockham gibt an anderer Stelle64 diese Erörterung mit Bezug auf die ‘Bestim-
mung’ / Bestimmtheit (‘ratio’) der propositio proprie scibilis: „dico quod de ratione
propositionis scibilis est quod eius notitia possit causari ex notitia principiorum, et ita
quod habeat rationem dubitabilis. … illo modo quo est scibilis, est dubitabilis. Quia si
ideo dicatur scibilis ‘quia si non sufficeret notitia terminorum tunc posset causari eius
notitia ex praemissis’, ita dicetur dubitabilis ‘quia si notitia terminorum non sufficeret,
possit dubitari de ea’, puta: si propositio illa apprehenderetur sine propositionibus ex
quibus deberet sciri.“ Auch hier ist das Faktum des Zweifels in die formelle (hypothe-
tische) Unterstellung der Möglichkeit, die damit mit einer Negation oder Negativität
behaftet ist, wieder festzustellen.65
logisch zu bearbeiten, wird man noch in viel höherem Maße in mathematischen Axiomen-
systemen undefinierte Grundbegriffe zulassen müssen, die voneinander logisch nicht unab
hängig sind.“ Grundbegriffe sind bei Ockham über Induktionen kontinuierlich voneinander
abhängig.
63. Ord. Prol. q. 2 OT I p. 77 lin. 11–14. Der Aspekt Ockhams ist insofern an die Induktion an-
gelehnt, dass er auf empirische Erfüllung (in mente oder extra mentem) nicht setzt, vielmehr
auf eine in sich negative Bestimmung.
64. Ib. p. 82 lin. 18–26.
65. Vergleichbar damit ist die folgende Stelle, mit Bezug auf die Theologie (Ord. d. 3 q. 4 OT II
p. 441 lin. 1–19): „per alteram istarum propositionum est illa propositio quam nos habemus de
facto demonstrabilis, praedicando in prima propositione illud praedicatum quod nos habemus
de ipsa essentia divina in se; secundo, praedicando de illo subiecto quod nos habemus ipsam
divinam essentiam in se, et ex his propositionibus concludendo praedicatum quod non habe-
mus de subiecto quod nos habemus. Et si quaeratur: cui est ista propositio demonstrabilis, dico
quod est demonstrabilis vel ipsi videnti essentiam divinam in se vel cognoscenti abstractive
ipsam divinam essentiam in se. Et si dicatur quod talis propositio non est sibi dubitabilis, dico
quod talis manens talis non posset illam propositionem dubitare, tamen est demonstrabilis,
quia ad hoc quod aliqua propositio sit demonstrabilis, sufficit quod possit dubitari a quocum-
que, et postea per syllogismum accipientem propositiones necessarias possit fieri nota. Et ita
est in proposito, quia aliquis potest istam propositionem dubitare; et si postea si videat divinam
essentiam potest eandem formare quam prius, et virtute notitiae praemissarum eam evidenter
cognoscere.“ Wie man sieht, spielt hier der andere Fall hinein, dass wir im Bereich über-
natürlicher Erkenntnisse, fiktive und persuasiv auf die notitia abstractiva überspielbare
Einsichten haben könnten, die wir noch nicht haben.
142 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Ockham erörtert aber auch noch, dass die Verbindung der Begriffe (conceptus),
wie sie im Satz in subiectum und passio zerfallen, keine per se reale Bedeutung be-
inhalten oder implizieren muss, die dem Inhalt der Begriffe zu entsprechen hätte.66
„Patet enim quod non est dicendum quod eadem res sub uno conceptu est subiectum
et sub alio conceptu est passio, quia ipsa res nec sub uno conceptu nec sub alio est pas-
sio, sed ipse conceptus est passio.“ Wir sind also bloß auf der Ebene der actus mentalis
und haben es hier mit einem Prädikat (passio) zu tun.67
Ockham kennt wie viele Philosophen die Unterscheidung von ‘notwendigen Sät-
zen’ und ‘kontingenten Sätzen’. Er untersucht diese Unterscheidung und will sie durch
Definitionen sichern, deren Einhaltung dann zu ‘Entscheidungen’ über den Status
und Charakter von bestimmten Aussagen und Aussageinhalten zu führen hat und
damit über den Erkenntniswert und den Wahrheitswert befinden lässt. Dabei kann
grundsätzlich festgestellt werden: soll die sogenannte analytische Performanz der Er-
kenntnis (oder der Sätze), welche als notwendige bestimmt sein sollen, darin aber
ein besonderes oder ausgesuchtes Verhältnis der dabei verwandten Begriff, nicht an-
genommen werden, d. i. für nicht bestehend erklärt werden, dann muss die Bestim-
mung derjenigen Sätze, welche nun die notwendigen zu heißen hätten, wenn sie denn
noch einen Realbezug (förmlich ‘unmittelbar’) „ausdrückt“, dadurch dass sie dies in
tensional (also über die Begriffe und damit Begriffsarten) tut, damit aber nur die Sätze
meint, einmal induktiv bestimmt sein, zum anderen aber die Bestimmungsfaktoren,
die sie verwendet, von der direkten Stufe oder Ordnung des Realempirischen abzie
hen. Beispielsweise kann der Faktor der distinctio realis, der für die Kontingenz und
die kontingenten Einsichten steht, nur negiert sein. Darin ist dann – jeweils – die
induktive Ausgangsbasis gegeben. Es kann selbstverständlich so viele Verneinungen
und Bestreitungen geben, wie der Gewinnung und Austarierung dessen, was sich
determinat als notwendiger (und dann womöglich noch beweisbarer) Satz ergeben
soll, entspricht. Wir haben dann immer eine induktive Basis für die jeweils gesuch-
ten Bestimmungen des gesuchten Satztyps (hier der notwendigen Aussage oder Er-
kenntnis), wobei diese Bestimmungen von Ockham oftmals an Beispielen verifiziert
werden, aber eben auch im Wesentlichen negativ, das heißt widerlegend. Auch umge-
kehrt gilt: ist eine Induktionsbasis gegeben, so ist auch – intensional – die nicht mehr
analytische Qualität des notwendigen Satzes gegeben.
So lautet Ockhams zusammenfassende und grundlegende Erklärung:68 „dico
quod non oportet quod praedicatum distinguatur a subiecto69 nec quod sit effectus
realis subiecti, sed sufficit quod sit causa alicuius quod importatur per praedicatum.
Et, ut communius vel semper, quando propositio est vere affirmativa et praedicatio
propria et per se secundo modo, subiectum vel aliquid importatum per subiectum est
causa alicuius importati per praedicatum. Et hoc extendo causam ad partes integra-
les,70 quae aliquo modo dicuntur causae totius.“71 Damit ist die notwendige Aussage
als propositio per se secundo modo erklärt. Sie unterscheidet sich von der propositio
contingens als der propositio per se primo.72 Es ist letztere, auf deren Ebene sich die
fallaciae ergeben. Man könnte bei diesen somit auch von einer falschen Abstraktion
sprechen: Es wird etwas unter das subiectum gefasst, was in dieses streng und nach
Aristotelis Schematik nicht gefasst werden darf. Das in der propositio per se secundo
modo unter das subiectum als Begriff Begriffene und damit das subiectum selbst
sind causa und als causa pars integralis des im praedicatum Benannten, welches an
dem(selben) Gegenstand, den das subiectum benannte, im weitesten Sinn als Rela-
tion, nicht aber bloß akzidentell auftritt. Was die demonstratio potissima angeht, so
wird sie als definitio formalis und über sie mitgegeben. Sonst aber gilt als Bestim-
mung der propositio necessaria, dass sie auch wahr ist, wenn sie (momentan) nicht
durch Erfahrung bestätigt wird oder bestätigt werden kann. Beispielsätze sind: ‘luna
est eclipsabilis’, ‘homo est risibilis’,‘homo est susceptibilis disciplinae’.73
gilt auch nicht die Alternative distincti realiter – non realiter distincti. Ib. p. 143. Die Negation
der subiectivum esse in der Bestimmung des Begriffs dient verschiedentlich als Induktions
basis. Zugleich aber erklärt Ockham dies genauer als seinen Grund für die Entscheidung ib.
p. 136 lin. 11 – p. 137 lin. 8, wo es auch um die propositio necessaria im Unterschied zur propos
itio contingens geht. Für diese wird dass inesse angenommen und erklärt. Das bezieht sich auf
accidens als paedicatum (passio) des subiectum: „nulla propositio pure de inesse et de prae
senti est simpliciter necessaria“ (ib. p. 137 lin. 7–8). Ockham unterscheidet zwischen propositio
necessaria und propositio simpliciter necessaria.
70. Die pars integralis gehört weder der Wesensbestimmung an noch aber ist sie bloß akziden
tell. Doch ist sie grundsätzlich von Vorteil oder gar eine Bedingung. Eine Hand zu haben gehört
nicht zur Wesensbestimmung des Menschseins, ist aber eine Bedingung seines persönlichen
Selbsterhalts in der Welt oder für die primäre Zugänglichkeit von Erfahrungen.
71. Man hätte so die Bedingungen der propositio immediata und der propositio per se nota
gleichsam natural. Der Verstand und seine Elemente wie Bedingungen werden erst auf der
Stufe des Subjekts Problem und sind ‘nullo modo ex parte rei’ zu denken. Auch nicht fiktiv im
Sinne einer Geltung der mentalistischen Befunde pro rebus. Weder determinieren die realia die
mentalia noch umgekehrt.
72. Zur Unterscheidung zwischen propositio per se primo und propositio per se secundo modo
ausführlich Ord. Prol. q. 6 OT I p. 180 lin. 3 – p. 181 lin. 8.
73. Auch in die propositio immediata sind Momente der Bewegung (= Veränderbarkeit) und
der Kausalität eingeschlossen, die doch dafür oder daraus nicht expliziert und ebenso für sie
nicht empirisch eruiert werden können. Die analytische Folgerbarkeit müsste nach Ockham
die zwischen subiectum und passio sein, derart, dass das subiectum (bzw. seine notitia) die
passio (bzw. deren notitia) enthielte oder ergäbe. Das hätte zu bedeuten, dass diese analytische
144 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Damit ist hier aber nicht, im Sinne der Kausalität, das reale Wirkverhältnis
ausgedrückt worden, wie wir es in der propositio immediata finden; für diese Kau-
salität im Sinne der empirischen Erfahrung in sich gibt es dann keine Wahrneh-
mung, gleichwohl eine formelle Zuordnung zu substantia und accidens. Hierzu sagt
Ockham: „quod substantia est frequenter principium immediatum effectivum actio-
nis et etiam accidens aliquando. Sed quando est et quando non: recurrendum est ut
credo ad experientiam.“74 Man kann davon ausgehen, dass, wenn die extramentale re-
ale Materie in se bei dem Gebrauch der propositio immediata erkannt werden könnte,
d. h. wenn solches behauptet werden (können) sollte, so würden damit die Sätze als
Ebene der Erkenntnis, deren intensionale oder Mentalität bzw. Qualität ersetzt wer-
den können. Das scheidet für den Nominalismus aus und gibt ihm sein Recht. Es gäbe
die Beweise Ockhams nicht und damit auch müssten Annahmen unterhalten werden,
die er eben mit Grund zurückweisen kann: in ihnen hat die Absurdität ihre Rolle als
Faktor (Moment) einer völligen Haltlosigkeit pro re oder ex parte rei. Damit muss die
Folgerbarkeit auch empirisch zu gelten hätte und empirisch gelten könnte. Das wiederum wür
de eine Ununterscheidbarkeit der propositio immediata von der propositio per se nota besagen,
wie Ockham mehrfach widerlegend ausgeführt hat. Es gäbe dann die propositio immediata
nach ihrer Bestimmung nicht einmal. Entsprechend wird die propositio immediata determinat,
wenn die Folgerung bezüglich der Referenz (auf entia, die nicht im subiectum benannt werden)
und der Kausalität, die mitgegeben sind, von Ockham also zugestanden werden, nicht ausge-
schlossen sind; andernfalls müssten in dem Sinn fallaciae auftreten. Die notwendige Aussage
kann nicht notwendig als solche erklärt werden; das kann wiederum nur bedeuten, dass die Im
plikation nicht regulativ und bezüglich der Definitheit nicht signifikant und definit sein kann.
Zur Erörterung der propositio immediata bei Ockham s. zunächst den Ord. Prol. q. 4 und 5,
dann später die naturphilosophischen Themenstellungen in der Reportatio. Wenn Ockham sagt,
dass die propositio immediata ohne die notitia intuitiva nicht gewiss sein könne, schließt das
natürlich ein, dass mit ihr zugleich eine notitia abstractiva gegeben sei. Das ist zunächst nach
dem Erkenntnisaufbau bei Ockham zwangsläufig, daneben aber wäre Ockhams Formulierung
nicht schlüssig, wenn nicht auch die notitia abstractiva mitgegeben wäre. Aber zugleich muss
damit die notitia abstractiva als akzidenteller Aspekt (= Fallaspekt) der propositio immediata
einmal verifiziert werden können. D. h. es muss den Fall geben, wo die propositio immediata im
Sinn der notitia abstractiva partiell auszulegen ist. Cf. hierzu Ord. Prol. q. 5 OT I p. 175f, insbes.
p. 175 lin. 15–17. Dazu dies: Verifikationen entstehen in jedem Sinn über akzidentelle Aspekte.
Die Wahrnehmung eines Gegenstands, einer substantia, eines Gegenwertes zum subiectum pro
positionis, entsteht nicht als die dieses Gegenstands direkt und in sich selbst, sondern vermöge
der accidentia. Das gilt auch auf der Ebene der durch Definition gegebenen ‘Gegenstände’, der
actus, notitiae usw. Nur muss hier der nur argumentativ zu vertretende Fall als Fall gesehen wer
den, bei dem das accidens erst noch zu exponieren ist. Dies geschieht vermöge der Argumenta-
tion, welche nicht Folgemäßigkeit behaupten darf oder kann, die zugleich empirisch wäre oder
empirisch zu gelten hätte; da treten die instantiae auf. Sie folgen da auch einer Struktur, die
ontologische Begriffe oder erkenntnistheoretische Konzepte intensional verwendet, aber damit
immer auch „Faktoren“ ‘abbinden’ kann.
74. Rep. II, q. 23 OT V p. 414 lin. 14–16.
Kapitel 3. Zum Verhältnis der Satzformen 145
Absurdität als das Pendant der Intensionalität verstanden werden. Mit den intensio-
nalen Konzeptionen und deren Verdichtungen durch Argumentation / ‘Beweis’ wird
der Sinn gegen die Absurdität verteidigt. Er koinzidiert mit dem actus apprehensivus,
dem actus intelligendi, der notitia abstractiva, dem actus iudicativus, etc. und mit der
Weise, wie sie förmlich alle ineinander fallen und zusammenrücken können: per ac
tum arguendi, per Induktion, si potest persuaderi.75
Natürlich kann gefragt werden, ob ein Vergleich der Klassifikation der Satzarten
bei Ockham und entsprechend auch von deren Begründung, in Sonderheit dann hier
der notwendigen Sätze (vor dem Hintergrund der kontingenten zumal), mit deren Be-
deutung und Begründung in anderen Philosophien sich anstellen lasse.76 In besonde-
rem Maße scheint ein Aspekt menschlicher Subjektivität im Denken Ockhams, dem
Anschein nach aber mit der Willkür Gottes als deren vermeintlichem realen Gegen-
wert qua Fiktion verbunden, in dem Gebrauch des sogenannten Omnipotenzprinzips
zu bestehen: Gott, vermöge seiner potentia divina absoluta naturaliter loquendo, kann
eine notitia intuitiva, die ja secundum legem communem oder de potentia Dei ordi-
nata von einem obiectum extra animam als ihrer causa partialis ausgeht, auch ohne
dass dieses Objekt existent (präsent) gewesen wäre verursachen; denn Gott vermag
als causa prima ohne eine causa secunda was er mit dieser, die zu ihm sich akziden-
tell verhält, vermag. Zwischen der notitia intuitiva und der res extra, welche als res
75. Man muss Nikolaus von Autrecourts unentwegte Unterstellung von Absurdität für scho
lastisch-aristotelische Thesen nicht tiefgründig und exakt finden. Ob er als Gegner Ockhams
begriffen werden muss (J. Klein, RGG, Bd. 4 1960, art. Ockham, col. 1556–1562, col. 1561: „So
war Nikolaus von Autrecourt ein Gegner des Ockham, das wahrscheinlich gegen ihn gerichte
te Dekret der Pariser Universität von 1340 trat für Ockhams Lehre ein.“), ist zweifelhaft. Un
entschieden gibt sich D. Perler Nikolaus von Autrecourt, Briefe, 1988. Einl. L Anm. 79. Bei
H. Blumenberg heißt er der ‘radikalste Nominalist’, Buridan der ‘kühnste’. Da spricht der ‘Me-
taphorologe’. F. Bottin, 1990 in: W. Vossenkuhl und R. Schönberger (eds), 1990 pp. 51–62 p. 55
sieht Autrecourt als treuen und bekennenden Schüler Ockhams, kann es p. 61 aber eingestan-
denermaßen nicht ganz überzeugend machen.
76. Ockham begründet kein ‘A priori’. Die Verschränkung der analytischen Aussage nach ih
rem inhaltlichen (begrifflichen) Wesen und der Logik kann für Kant, Leibniz und Hobbes wohl
angenommen werden. L. Wittgenstein, 1921 identifiziert das ‘A priori’ als ‘Aussagenlogik’, wie
G. Frege, Begriffsschrift, 1879 sie schuf. In K. Gödel, Russell‘s Mathematical Logic, 1944 sieht
man nicht, ob der Diskurs nicht auf eine ‘philosophische’ Lösung mit deren Kriterien und aus
gewiesenen und gewerteten Mitteln zustrebt. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, 1781 u. Prolego
mena, 1783 verhielt sich hinsichtlich des Ranges der von ihm sogenannten analytischen Sätze
a priori und ihres Gegensatzes zu synthetischen Sätzen (a priori und a posteriori) unklar und
methodisch fragwürdig. Für seine Erörterungen und die Satztypen, sofern er sie an den Satz
vom Widerspruch binden will (P. Mittelstedt, Philosophische Probleme der modernen Physik,
³1968, p. 52), mag man annehmen, sie seien analytisch, rein intensional verstanden auch für
die Reichweite der Vermögen mit Auswirkung auf Ethik und Psychologie grundlegend. Der
logische Positivismus trennt analytische Aussagen (a priori) und synthetische Aussagen (a pos
teriori).
146 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
absolutae als voneinander auch res realiter distinctae sind, besteht kein unwandel-
barer Bedingungszusammenhang, obwohl natürlich nach der Ordnung der geschaf-
fenen Welt hier gemeinhin der Zusammenhang besteht und bestehen bleibt, dem
entsprechend wir denn auch die notitia intuitiva als aus der Wahrnehmung der res
extra entstehend betrachten. Daß der Bedingungszusammenhang nicht unerlässlich
ist, ergibt sich induktiv (patet inductive). Denn ohne ihre zweite causa partialis kann
die notitia intuitiva im Menschen nicht entstehen: diese zweite notwendige Ursache
ist der intellectus, i.e. das Vermögen. So gesehen gibt es de communi lege keine causa
sufficiens für die notitia intuitiva, wobei festzustellen ist, dass die causa (auch ratio)
sufficiens als solche formell einer empirischen Weltordnung ohnehin kaum angehö
ren kann. Sie greift vielmehr abstrakt auf einer Stufe, auf der der actus apprehensivus
(oder die notitia abstractiva, diese als die notitia abstractiva secunda begriffen), dem
unmittelbaren empirischen Verhältnis je entzogen ist, so dass hier Sätze so verstanden
und gegliedert, apostrophiert und begründet werden können, dass damit, auch im
Sinne der Notwendigkeit oder der ‘Nichtunerlässlichkeit’, Entbehrlichkeit interpretiert
werden kann, (was unter Umständen sogar Eingriffe/Korrekturen an dogmatischen
Lehrsätzen und Verständnissen ergibt). Damit kommt man bereits bei der zweiten
Auslegung der potentia Dei absoluta in Bezug auf die notitia intuitiva an.77
Denn Ockham nimmt daneben noch einen weiteren Fall an: Gott kann und
muss, vermöge seiner potentia Dei absoluta supranaturaliter loquendo eine notitia
intuitiva erhalten (konservieren), obwohl das Objekt nicht mehr besteht, von dem sie
ausgegangen ist. Hier lässt er sie jenseits unserer Erfahrung bestehen. Notitia intui-
tiva und res extra animam verlieren ihre empirischen Konnex. Sie erweisen sich als
formaliter distinctae, wonach sie formell einfach nur nicht aufeinander einwirken
können. Die notitia intuitiva, die formal, sc. nach ihrer Definition über Präsenz und
77. Ord. Prol. q. 1 OT I p. 33 lin. 16–19: „notitia intuitiva et abstractiva non differunt quia ab-
stractiva potest indifferenter esse exsistentis et non exsistentis, praesentis et non praesentis,
intuitiva autem tantum exsistentis et praesentis realiter.“ Die notitiae differieren vielmehr nach
den verschiednen Funktionen, die sie erhalten können, indes gemäß der grundsätzlichen Kau-
salordnung secundum legem communem erhalten; in diese verschiedenen Funktionen rücken
sie schon vermöge der Abstraktion ein. Ihretwegen können gewisse Folgerungen ausgeschlos
sen werden, weil sie nicht als zwingend erscheinen; sie definieren damit noch keine Konsistenz
für den intensionalen Betrag der notitia. Damit erscheinen gewisse Weiterungen als möglich
(kompatibel). Sie verbleiben damit innerhalb der Abstraktion als immer noch inhaltlich rele-
vant. Sie bestimmen den Begriff der notitia mit; für diesen wird die akzidentelle Komponente
in Richtung der Dinge, der res extra ausgeschlossen. Die Verwendung weiterer, frei gebrauchter
Terminologien, wie sie für die Scholastik verfügbar waren, wird damit aber nicht zwingend
notwendig oder zulässig. Cf. etwa J. Kürzinger, 1930 p. 125 Anm. 52 mit Landulfus Caracciolo:
„Habens notitiam intuitivam alicujus objecti potest cognoscere illud objectum actu reflexo ab
stractive.“ Der actus reflexus, der sich auf einen actus rectus bezieht, wird nicht notwendig ei
ner notitia abstractiva entsprechen, die bloß ein actus apprehensivus ist. Die Frage, ob hier auch
zu gelten hätte: „duo actus essent simul in voluntate“ (Ord. d. 1. q. 1 OT I p. 371 lin. 13f) braucht
dazu dann nicht mehr erörtert zu werden.
Kapitel 3. Zum Verhältnis der Satzformen 147
Nichtpräsenz oder existentia oder non-existentia rei extra animam entscheidet, ist se-
cundam formam nicht von einem akzidentellen oder ihr äußerlichen Umstand abhän
gig, der, wenn er ihr angehörte, sie aufhöbe. Sie muss abstrakt gesehen überhaupt
von diesem Umstand unabhängig sein. Er höbe sie nämlich sonst auf; laut ihrer De-
finition und als forma muss sie notwendig auf der Abstraktionsebene liegen und von
der Empirie und dem Bezug auf sie independent sein. Die notitia intuitiva formaliter
distincte a suo obiecto entspricht somit eine Bestimmtheit der notitia intuitiva, bei
der sie, abstrakt gefasst, einen empirischen Bezug nicht in sich einschließt.78 Dabei
ist darauf zu verweisen, dass die notitia intuitiva unius rei extra mentem durch Got-
tes Allmacht, supranaturaliter loquendo, bewahrt werden muss, damit überhaupt eine
Feststellung hinsichtlich der non-existentia unius rei getroffen werden könne, das wir
vormals als existens und praesens erkannt haben; die notitia intuitiva per deum con-
servata hat also eine Stellung wie sie in Ockhams Erkenntnislehre der habitus ähn-
lich hat. Sie wird hypothetisch als überweltlich angesetzt.79 Entsprechend wird von
78. Der Begriff der notitia intuitiva schließt auch in diesem Sinn die res extra, bzw. deren exis
tentia, nicht ein. Es kann daher operiert werden, d. h. in einer intensionalen Auffassung, ohne
dass das äußere Objekt gegeben und darin bedingender Teil der notitia intuitiva und so auch je-
ner Aussagen wäre, bei welchen die notitia intuitiva leitend ist, sc. den kontingenten. Die notitia
intuitiva besteht hier formell gesehen allein ihrer forma, dem Begriff, der auf abstrakter Ebene
reflexiv von ihr gegeben, also ihr zugeteilt werden kann. Diese Zuteilung und die Anwendung
des Begriffs (bzw. Funktionalbegriffs) forma sind gleich und gleichwertig. Sie rechtfertigt sich
in der Abstraktion, in welcher die Argumentation (Beweisführung) endet.
79. Bei Ockhams Äußerungen zur notitia intuitiva haben die Avigneser Zensoren eingegrif-
fen. H. Blumenberg, 1966 p. 156f (Anm. 92) nennt den Satz der Irrtumsliste ‘notitia intuitiva
secundum se et necessario non plus est existentis quam non-existentis nec plus respicit existentiam
quam non-existentiam’ die „vorsichtigste Formulierung“ der These Ockhams, die „nur auf das
Fortbestehen einer einmal am realen Objekt gewonnenen Vorstellung nach dessen Vernich-
tung abgestellt ist.“ Er ist schlechthin die intensionale Definition von notitia intuitiva. Als no-
titia in intellectu ist sie danach als absolutum real distinkt vom obiectum extra mentem und so
von ihm unabhängig; dieses kann daher inexistent sein oder aber nicht mehr existent. Da die
notitia intuitiva per Deum bewahrt wird, können wir im zweiten Fall per notitiam intuitivam
‘urteilen’, dass es eine res extra animam nicht gibt. Die conservatio ist eine transzendente Bedin
gung ohne Rekurs auf Gottes Allmacht oder Willkür für die notitia intuitiva der Nichtpräsenz
einer res. Gott bewahrt die notitia intuitiva viatoris ‘wie’ die Welt. Nach Ockham besteht alles
Verursachte (es wird konserviert), solange wie nichts auf es zerstörend einwirkt. Die res extra
vermag das bei der notitia intuitiva nicht. Sie reicht nicht bis zur abstractio in intellectu, der
neben der res extra causa sine qua non der notitia intuitiva ist. Dann ib. p. 164: „Die uns schon
bekannte Ausgangsthese, dass die äußere Wahrnehmung durch die Macht Gottes auch ohne
ihr Objekt erzeugt und erhalten werden könne, bezeichnet Johannes von Mirecourt als allge
meine Ansicht (opinio quae communiter tenetur).“ Zwei separate casus werden da zu einem.
Cf. Kap. 1 Anm. 134: da hatte Mirecourt nur die These, dass Gott eine notitia intuitiva sine exi
stentia rei extra bewirken könne als allgemein akzeptiert ausgegeben. Für Blumenberg gaben
die Zensoren Ockhams Thesen öfter in ‘vorsichtigeren Formulierungen’, d. h. Ockham wäre
148 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Ockham mit dem Begriff der forma und auf ihn hin, auch argumentiert, unter Ein-
bezug der Induktion und eben persuasiones erreichend.80 Forma wird ein Begriff wie
ratio, substantia, essentia etc. von denen das accidens formell als andere Kategorie per
argumentum ‘abgespalten’ wird.81
Als accidens oder als ein äußerer Bezugsteil, der erlöschen kann, darf die res ex-
tra bezüglich der notitia intuitiva nicht ein proprium der notitia intuitiva sein und
sie darf nicht in deren Definition hineingelassen werden. Andernfalls stieße man auf
Widersprüche, welche die distinctio realis und die distinctio formalis, letztere modo
unvorsichtig nach Zensorenmeinung und folglich, wenn das Prozedere Sinn machen soll, a
fortiori zu missbilligen. Nach p. 165 Anm. 99 verwerfen sie, „quod probabiliter potest sustineri“
dass anima und potentiae (voluntas, intellectus) identisch seien. Anima und actus sind es nicht.
Die Zensoren beanstanden die Formel ‘potest – tantum – persuaderi’ (!!). Sie gilt potentiae!!
Die unsichtbare Identität von anima und potentia ist nicht beweisbar; so kann für sie nur eine
persuasio eintreten. Anima und actus sind dagegen realiter distinkt. Wodham negiert diese
distinctio realis (K. H. Tachau, 1988 p. 281). Blumenbergs Exegese beruht auf der Kommutation
von actus und potentia und ist sinnlos.
80. Der fiktive Tatbestand einer notitia intuitiva, die fortbesteht, während ihr Objekt vernich-
tet worden ist, kann dann nur angenommen werden, quia potest persuaderi. Dies vermöge
des Begriffs der forma, mit der sie identifiziert wird. In gewisser Weise wird, mit Induktion
und persuasio in einem solchen Falle die Abstraktion wiederholt. Würde man die notitia in-
tuitiva von Umstand, accidens und Objekt abhängig machen, so hätte man keine forma. Also
kann diese unabhängig von dem Objekt bestehen, selbst wenn sie förmlich sich auf das Objekt
bezieht und secundum potentiam divinam ordinatam oder legem communem nicht ohne es
vorkommt, was aber noch einen Sonderfall, wenigstens als problema ad disputationem aptum,
zulässt: die notitia intuitiva stellt eine falsitas fest. D. h. es ist wenigstens eine negative Aussage
gegeben, die damit bestätigt wird: ‘hic murus non est albus’. Aber diese elementare Aussage
kann intuitiv gar nicht gemacht werden. (Es ist nur unbestreitbar, dass wir den Satz haben
und ihn eben bilden können.) Es bedeutet dies aber nur und damit erhält Ockhams Denken
seine Konsistenz, dass mit der notitia intuitiva kein Schlussfolgern verbunden sein kann. Bzw.
kann das Schlussfolgern auch nicht integraler Bestandteil der notitia intuitiva sein. Wenn aber
nicht integraler Bestandteil davon, so kann die notitia intuitiva noch keinen determinaten Satz
bzw. keine determinaten Sätze ergeben und enthalten. Infolgedessen kann es solche – in Bezug
auf die significatio – überhaupt nicht geben. Wir müssen zuletzt die Schlussfolgerung selbst
ausschließen. So aber erlangen wir definite Sätze. (Mit der Ausschließung der Schlussfolgerung
muss auch das Widerspruchsprinzip aufhören leitend zu sein.) Die notitia intuitiva kann in
nichts von der Erfüllung her gedacht werden. Sie ist damit in nichts von der Erfüllung her auch
nur ‘bestimmt’. Mit Definition und Logik ist auch das Faktum bereits gesetzt. Derart gibt es
einen Mentalismus bei Ockham. Die Akte gehören der eigenen Sphäre des Verstandes oder der
anima an. Sie bilden sie (machen sie aus).
81. Im Verhältnis von distinctio realis und distinctio formalis erscheint Ockhams Argumenta
tion diskontinuierlich. Die potentia divina absoluta naturaliter loquendo und die potentia di-
vina absoluta supranaturaliter loquendo haben denselben Abstand wie distinctio realis und di-
stinctio formalis, denen sie entsprechen.
Kapitel 3. Zum Verhältnis der Satzformen 149
composito als Modus eines Satzes prädiziert, gerade vermeiden helfen.82 Der Wider-
spruch ist zugleich externer ‘Bestandteil’ der forma oder der Bestimmung, die auf sie
zielt. Denn der Widerspruch gehört hier im Nominalismus zugleich dem Bestimm-
ten, das in Bezug auf Widersprüche untersucht und abgesichert werden muss, nicht
an. Es wird zugleich der Begriff der inhaerentia (passionis in subiecto) revidiert wer-
den müssen. Auch das betrifft den kontingenten Satz.83 Daß die notitia intuitiva die
kontingenten Aussagen betrifft, bezüglich deren sie die Präsenz oder Existenz des
Objekts bzw. die Nichtpräsenz oder non-existentia feststellt, ist gesagt worden.84
82. Die Modi sind in den Kontexten und Beweisen bezüglich der Sätze nötig. Nicht ganz ver
ständlich W. & M. Kneale, 1966 p. 369 Anm. 2: „For although medieval logicians always defin
ed propositions as complex signs of a certain sort, they commonly applied to them adjectives
such as necessaria and impossibilis which are appropriate only to propositional contexts.“ Der
Satz hat bei Ockham mit seiner Bestimmung Funktion und Funktionsbezeichnung in Bezug
auf Kontexte, welche die Argumentationen (Beweise) darstellen und herstellen (= intensional
aufzeigen); so hat die propositio per se nota die Funktion, intensional die Identität von s und
P bezüglich der res extra zu bedeuten. Sie legitimiert damit auch andere Sätze, die gleich ihr
notwendig, aber von ihr noch unterschieden sind. Cf. Ockham bei der Kritik an Thomas Ord.
Prol. q. 7 OT I p. 187 lin. 16 – p. 188 lin. 2.
83. Ockham korrigiert den ‘metaphysischen’ oder ontologischen Gebrauch des Wortes ‘ines
se’ durch Beweise, zuerst (Ord. Prol. q. 3 OT I p. 137 lin. 9–18): „Quando accipitur quod ‘illud
quod scitur necessario inesse alicui subiecto, ita quod oppositum includit contradictionem,
est realiter idem cum illo subiecto’, dico quod ista propositio est distinguenda. Quia ‘inesse’
uno modo idem est quod inhaerere realiter, sicut accidens inest subiecto et forma materiae;
alio modo idem est quod praedicari. Primo modo est propositio impossibilis propter falsam
implicationem, quia implicatur aliquid tale inesse sic alicui subiecto necessario, et tamen quod
sit idem realiter, quae formaliter repugnant; quia ex hoc quod sic inest, distinguitur realiter ab
illo.“ Der determinate Satz kann keine Folgerung haben, die ihn selbst besagt. Das gilt real- und
(ib. lin. 18 – p. 138 lin. 4) mental. Denn da kann die passio nicht im subiectum sein, ohne dass
beide identisch wären. Bzw. nehmen wir eine empirische Identität an, was wir beim empiri-
schen Satz tun, darf es reflexiv (auf höherer Stufe) keine suppositionslogische (= formale) Ver
schiedenheit für die Begriffe (ihre Inhalte nach substantia und accidens) geben; das begründet
die Induktion.
84. Gabriel Byel hat in der notitia intuitiva, sofern sie ein falsum feststelle, ein Problem gese
hen. Es gibt dann das Objekt; die notitia intuitiva sieht dann ein, dass es der Aussage nicht
entspreche. Als was ist sie im Verhältnis zu den anderen Fällen, welche ja der Definition selbst
nach deren intensionalem Charakter beitreten, d. h. als nicht auszuschließende, indem sie den
abstrakten Charakter der Definition der notitia intuitiva wiederholen und bekräftigen, zu se-
hen? Die notitia intuitiva besteht in Byels Fall schon. Ihre Eigenschaften oder das ihnen Fol
gegemäße wird per Induktion oder durch ein Prinzip, das Kompatibilität besagt (z. B. ‘non
est inconveniens quod’ u. a.) festgestellt und bedingt eine aktuale, strukturelle Zweistufigkeit.
Gabriel Byel hat so nicht etwa den genetisch blinden Fleck oder den toten Winkel bei Ockhams
Erkenntniskonzept ausfindig gemacht. ‘Impossibilitas unius notitiae intuitivae alicuius obiecti
inadaequati’ würde einen ‘Widerspruch’ verlauten. Nicht ‘den’ Widerspruch per se. Den lässt
150 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Die res extra kann die notitia intuitiva beim ersten Fall nicht nezessitieren. Das
wird mittels der potentia divina absoluta naturaliter loquendo, deren Basis die di-
stinctio realis ist, demonstriert.85 Man kann aber auch abstrakt nicht auf eine solche
zwangsläufige Hervorbringung zurückgreifen. Das ermöglicht dann im zweiten Fall
die Anwendung der potentia Dei absoluta supranaturaliter loquendo,86 deren Ergebnis
oder Äquivalent die distinctio formalis zwischen notitia intuitiva und res extra ani-
mam im Sinn der rein abstraktiv verstandenen Definition ist: hier wird der Sachbe-
zug, wie er formell in der Definition enthalten ist, formaliter von der formellen empi
rischen Basis oder Geltung gelöst. Hier ist dann hypothetisch die Schöpfungsordnung
verlassen oder gesprengt worden.87 Zwei Dinge, die in ihr zwangsläufig zusammenge
Autrecourt im Faksimile der nach seinem Atomismus a limine für unmöglich erklärten notitia
intuitiva verkörpert sein. Zugleich fordert er sie auch wieder für die wahre (= empirische) Er-
kenntnis.
85. Die distinctio realis überformt und überdeckt den Widerspruchssatz (Ord. d. 8, q. 6 OT III
p. 257 lin. 9–16): „Si esset possibile animam intellectivam informare immediate materiam pri-
mam vel formam corporeitatis sine anima sensitiva, sicut potest esse separata sine anima sen-
sitiva, non esset contradictio quod aliquid esset compositum et rationale, et tamen quod non
esset sensibile.“ Folglich gilt: „Nec tunc ordinarentur taliter differentiae illae nisi secundum
cursum communem naturae“, in welchem sc. beim Menschen intellectus und sensus nicht ohne
einander vorkommen. „et quamvis (Ed. hat quod und nennt Var. quamvis des W 1495 im App.)
naturaliter non posset aliter esse, non tamen repugnaret divinae potentiae aliter facere.“ Die
distinctio realis wird hier sogar nur hypothetisch angenommen; es wird nicht einmal behaup
tet, dass sie pro lege communi in der zitierten Weise vorkomme. A fortiori gilt die These. Die
logische Wurzel der Argumentationen Ockhams in der genannten quaestio OT III pp. 251–261
ist, dass nicht (ib. p. 256 lin. 18–20) „omne per se inferius includit essentialiter suum superius et
additum sibi.“ Dieser Einschluss kann nicht begründet werden. Auch die Widerspruchsfreiheit
kann nicht per se begründet werden; die distinctio realis will Ockham aber beweisen. Sie ergibt
den Nicht-Widerspruch induktiv oder persuasiv.
86. Wenn für Ockham die Erkenntnis der Nicht-Existenz von res, die faktisch der realen Welt
kontingenter Dinge zugehören, nur vermöge der potentia Dei absoluta supranaturaliter loquen-
do konservierten notitia intuitiva möglich sein kann, so dass Gott hier nolens volens handelt,
also auch die der potentia Dei absoluta supranaturaliter loquendo hier zwangsläufig und strikt
benötigt wird, so kann es nicht gut angehen, dass vermöge der potentia Dei absoluta naturaliter
loquendo Willkürakte desselben Gottes und derselben potentia Dei absoluta eintreten können,
bei denen notorisch die Inexistenz unius rei in reali in eine Existenzwahrnehmung eiusdem rei
in anima viatoris umgefälscht würde. Beide Modi der Allmacht müssten sich widersprechen,
wo sie sich nur unterscheiden und je verschieden induktiv begründet werden bzw. analytische
Folgerungen unterbinden.
87. Gelegentlich wird diese hypothetische Funktion beim Gebrauch des Omnipotenzprin-
zips durch Ockham anerkannt oder wenigstens vermutet, resp. nicht ausgeschlossen. So bei
H. Junghans, 1968 p. 238: „Allerdings muss ich einschränkend vorausschicken, dass die Bei
spiele, die mir in Ockhams Schriften begegneten, nur die Heilsordnung betrafen. Erst eine spe
zielle Untersuchung, die das gesamte Werk Ockhams danach untersuchte, könnte feststellen, ob
Kapitel 3. Zum Verhältnis der Satzformen 151
Ockham auch an eine tatsächliche Änderung der Ordnung der materiellen Dinge dachte oder
ob das „Deus potest“ immer nur als hypothetisches Argument benutzte, um die Metaphysik
auf ganz sichere Grundlagen stellen zu können.“ Die Metaphysik müsste da wohl in abstrakter
Form subjektivistisch sein, jedoch wieder ihren Beweisgrund in sich selber haben, was schwierig
ist. Abailards rudimentäres prooemium zum Mittelalter: „Haec autem est dialectica, cui qui-
dem omnis veritatis seu falsitatis discretio ita subiecta est ut omnis philosophiae principatum
dux universae doctrinae atque regimen possideat.“ (cf. L. M. de Rijk (ed.) P. A. Dialectica, 1956
p. 470) nennt ein Leistungsgebot, dem Ockham nur noch in hypothetischer Weise entspricht.
88. Ein Beweis nach analytischer Beweisart auf aussagenlogischer Basis, wie sie bei Duns
Scotus vermutet werden könnte, ist natürlich immer an die Regel geknüpft, dass erst wenn ein
Beweis geführt wurde (i.e. existiert), gewusst werden kann, ob es ihn gebe. Bevor er nicht ge
funden wurde, weiß man das nicht; gleichwohl kann er dann als falsch kritisiert und abgelehnt
werden. Er existiert dann und existiert nicht. Über ein Entscheidungsverfahren wird eine ein
deutige Existenz festgelegt. Es ist dann zweifelhaft, ob sie noch logischer Natur sein könne. Man
hätte auch hier vielleicht einen gleichsam übernatürlichen ‘Begriff ’ vom Beweisen und müsste
bezweifeln, ob es dieses per se und definit überhaupt gegeben habe. Nicht nur Begriffe wie die
notitia intuitiva (als notitia intuitiva conservata) und habitus wandern so ins Supranaturale
(Jenseitsweltliche) ab, auch der Beweisbegriff täte es, wie denn auch Ockham einmal sagt, er
fühle sich ‘insufficiens’ einen bestimmten Beweis zu führen, und das Beweisen selbst überhaupt
für ihn einer antiempirischen Absolutheit zugehört oder wenigstens zuneigt.
89. Ockham kritisiert von der von ihm eruierten Gestaltbasis der Sätze her die Scotischen Ma
ximen zur Deduktionstheorie und zur Erkenntnislehre und verwirft sie. Nach dem Paradox
von Löwenheim und Skolem kann keine mathematische Logik jenseits der Mathematik sinn-
voll Anwendung finden. Die in De Primo Principio verwendete Aussagenlogik entfällt daher
für die Beweisabsicht. Duns Scotus potenziert das Paradox intermittierend ausdrücklich noch
einmal zusätzlich, wenn er in ontologische Maximen des Aristoteles von ihrem umfänglichen
auch empirischen Sinn abstrahierend reinigt, um sie speziell und in solcher Rechtfertigung und
Begrenzung verallgemeinert gelten zu lassen. Postulation und Emendation fallen zusammen.
‘Inhalt’ wird unbegründbar.
152 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
rationis90 (oder ratione) kennt, hat sie des metaphysischen oder ontologischen An-
spruchs entkleidet; er bezieht sie auf Sachgehalte, die abstrahierend der empirischen
Relevanz und Bezugnahme entzogen werden können.91 Nach Vignaux soll dann die
distinctio formalis „auch“ bei Francisus Mayronis und Johannes von Ripa mit der
Apriorität verbunden sein.92
Auch die Auffassung Ockhams von der cognitio supernaturalis bestimmt sich
nicht faktisch von einer ‘realen Geltung’ des göttlichen Eingriffs vermöge seiner po-
tentia divina absoluta supranaturaliter loquendo, sondern bloß technisch:93 „cognitio
supernaturalis dupliciter accipitur. Uno modo, quia non potest naturaliter adquiri, et
isto modo nulla cognitio supernaturalis de communi lege, praeter fidem infusam, est
nobis necessaria. Alio modo dicitur cognitio supernaturalis, quia est de veritatibus
quae non ex puris naturalibus sed supernaturaliter possunt evidenter cognosci; et isto
modo cognitio supernaturalis est nobis necessaria praeter fidem.“ In der zweiten Art
ist die cognitio supernaturalis nicht (notwendig) tatsächlich gegeben, aber notwendig
wegen des in ihr ausgedrückten Sachverhaltes. Er wird außerhalb des Glaubens
(praeter fidem infusam) erfasst, kann aber derart nicht auf die natürlichen empiri
schen Begriffe sich stützen. Gleichwohl sind sie als Erkenntnisse uns unerlässlich.94
90. Hierbei wird davon ausgegangen, dass die verschiedenen Begriffe nach ihrem Inhalt und
Gehalt, wie und weil empirisch unterschieden gegründet, in jedem Gebrauch unterschieden blei
ben müssen, auch wenn eine Suppositionsidentität unterstellt werden muss oder soll. So denn
in der nichtempirischen Anwendung der termini auf Gott, der pro statu isto nicht anders denn
in den Begriffen, die der viator secundum legem communem habe, erkannt werden könne. Cf.
unsere Darstellung eines entsprechenden Überredungsbeweises mit dem Argument ‘non est
inconveniens quod’.
91. Ockham gebraucht die distinctio formalis in den Dingen der sacra theologia (Ord. d. 2 q. 1
OT I p. 364 lin. 8–10): „Est aliquis modus nonidentitatis inter naturam divinam et suppositum,
et potest dici secundum bonum intellectum quod distinguuntur formaliter, quamvis non di-
stinguuntur realiter.“ Der Filius Dei nimmt die menschliche Gestalt im Sinne dieser distinc-
tio formalis an. Er ist Gott und Mensch. Der Gebrauch der distinctio formalis entspricht für
Ockham vernünftigem Verständnis (bonus intellectus). Realempirisch ist sie nicht.
92. Die Charakterisierung entspricht Vignaux‘ Neigung, in einer gewissen Abstraktheit ge-
nannte und unvermittelt auftretende allgemeine Prinzipien bei den Scholastikern für a priori
oder analytisch, ‘notwendig per se’ usw. zu erklären. D. h. ihnen einen intensionalen Vorrang
vor jeder extensionalen Erklärung ihres Belangs einzuräumen. Ockhams Bedeutung und Be-
sonderheit besteht darin, Erklärungen genuin, i.e. konstruierend vorzunehmen. Konstruieren
muss besagen, dass die Elemente, bevor sie in einen Rahmen von Operationen, die sie erklären
und präsentieren, eingefügt worden sind, nicht als bekannt und charakterisierend oder zwin
gend gelten können.
93. Ord. Prol. q. 7 OT I p. 197 lin. 25ff.
94. Ockham verneint, dass es außerhalb des Glaubens keine übernatürliche Erkenntnis geben
könne. Sie darf dann nur nicht mit der fides amalgamisiert sein, weil (ib. lin. 21) „sine fide
nullus potest assentire veritatibus credibilibus.“ Das ist Kirchenlehre und per se einsichtig (ib.
Kapitel 3. Zum Verhältnis der Satzformen 153
Aber wie werden sie gewonnen? Durch eine Abstraktion beispielsweise, die das Sach
verhaltliche selbst reduzieren kann, wenn sie die causa oder ratio sufficiens angibt
und somit nicht bei der ratio oder causa necessaria empirischer Sachverhalte bleibt.
Daneben aber auch bezüglich der scientia proprie dicta, wenigstens formell:95 „Alia
est opinio quae ponit quod quamvis credibilia possint evidenter sciri, non tamen a
nobis pro statu isto de communi lege. Et ideo theologia, secundum quod communiter
addiscimus eam, non est scientia proprie dicta respectu talium credibilium, quamvis
respectu aliquorum possit esse scientia. Et istam opinionem reputo veram.“ Die An
sicht wird dem Lehrer des Duns Scotus Guilelmus a Guarra zugeschrieben.96 Dies
alles wird bekräftigt:97 „scientia ultra fidem dicit multos alios habitus qui non sunt ha
bitus fidei, ut dictum est.“ Die Bestätigung theologischer Wahrheiten kann in großem
Umfang weder empirisch (secundum conceptos quos habemus naturaliter pro statu
isto de communi lege) noch per discursum erfolgen:98 „habitus veridicus inevidens
potest esse fides, et talis est theologia pro magna sua parte. Similiter, respectu talis
veritatis est aliquis habitus qui non est proprie veridicus, quia non est iudicativus sed
tantum apprehensivus, et talis est theologia pro aliqua sui parte.“ Damit kann der
Akzent in Ockhams Erörterungen nicht notwendig auf der Theologie im Sinne der
vorrangigen Glaubensgewissheit liegen.99 Sie kann daher auch nicht die Leitidee der
lin. 20f). Doch solche cognitio supernaturalis praeter fidem muss konstruiert werden können =
in bestimmter eigener Weise als ‘menschliche’ definiert sein.
95. Ib. p. 193, lin. 5–15.
96. Cf. ib. p. 193 Anm. 3.
97. Ib. p. 205 lin. 22–23.
98. Ib. p. 206 lin. 4–8.
99. Gilson hat bei Ockham bloßen Religionspositivismus sehen wollen. Das wäre dann viel
leicht noch von Fideismus zu unterscheiden. Cf. Junghans, 1969 p. 212: „Da Ockham in dem
… Sinne (einer ontischen Analogie) univoke Konzepte kannte, die Schöpfer und Geschöpf
umfassten, kann er nicht als Agnostiker bezeichnet werden, der sich aus Verzweiflung in die
Arme des Fideismus warf.“ Dabei werden die Momente der Konstruktion übersehen, z. B. die
vermöge der notitiae intuitiva und abstractiva und der Beweise, die auch auf die Engel über
tragen werden (cf. Rep. II, q. 16 OT V p. 319 lin. 6–22). Analog und univok werden gemeinhin
vergleichend gegeneinandergestellt. Hie analogia entis (sc. Thomas Aquinas) – da univocitas
conceptus (Duns Scotus). Ockham grundsätzlich (Ord. d. 2. q. 9 OT II p. 335 lin. 23 – p. 336
lin. 3): „dico quod Deo et creaturae non est aliquid univocum sic quod aliquid essentiale crea-
turae vel accidentale habeat perfectam similitudinem cum aliquo quod est realiter in deo. Et
talem univocationem negant omnes sancti respectu deo et creaturae.“ Analogie? Univozität?
(cf. aber Kap. 4 Anm. 60). Ockham überträgt Begriffe und Vorstellungen nach menschlichem
(Vor-)Verständnis auf Gott und überweltliche Verhältnisse, um die Relationsbegriffe oft eigens
zu präparieren. Schon in den Elementarsätzen gibt es ‘conceptus Deo propri’. Sie werden Thema
in der Beweislehre.
154 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Interpretation oder historischen Einordnung Ockhams bilden, schon gar nicht die
einer ihm zuzuschreibenden antirationalistischen Vormeinung.100
Der Ontologie kann keine Vermittlung zwischen sozusagen theologischer Meta-
physik und Empirie entnommen werden, weil ihre Inhalte nicht (i.e. nirgendwo) nach
dem Verhältnis von subiectum und passio, bzw. deren Klassifikationen als bündig,
einzig notwendig dargestellt werden kann, das heißt dann vereinheitlichend notwen-
dig und damit nicht in Bezug auf die einzelnen Satzarten differenzierbar.101 Da genus
oder species nicht eigentlich abstrahiert werden können,102 während sie Leitbegriffe
bleiben und eine Ordnung von Sätzen erlauben ebenso wie sie für die Allgemeinheit
von Aussagen garantieren, wird eine sichere (i.e. gewährleistete) Deduktion in ihrem
Namen entfallen. Natürlich löst Ockham argumentativ jede ontologisch verfasste oder
signierte Notwendigkeit auf.103 Doch können empirische Mutmaßungen syllogistisch
100. Da bei Ockham die divina potentia absoluta durch die distinctio realis empirisch be-
grenzt und so an den res absolutae der Erfahrung zu messen ist, ist Gott auf ein Wesen fest-
gelegt, das er nicht auf den Menschen hin überschreitet, von dem er auch nicht ausgeht. Nach
H. Blumenberg, 1966 würde Gott durch mechanistische Handlungszwänge enteignet wie zuvor
der Mensch durch Gottes Omnipotenzwillkür. Ockhams (Rep. II, q. 15 OT V p. 343 lin. 20–22)
„Deus autem nulli tenetur nec obligatur tamquam debitor, et ideo non potest facere quid non
debet facere nec potest non facere quod debet facere“ gilt vorab dem ordo salutis und nicht der
Physik: da Gott niemandem verpflichtet ist, ist er als essentia menschlich-weltlichen Bedingun
gen erst einmal so enthoben, dass diese nicht in seinen Begriff eingehen müssen. Dann freilich
muss (kann) er tun, was ihm secundum legem communem nicht widerspricht. Er kann nicht
den, dem er die Gnade gewährt hat, verdammen. Doch kann/muss er ein meritum nicht aner
kennen: Die acceptio ist ‘logisch’ charitas creata und meritum übergeordnet. Cf. Ord. d. 17 q. 3.
Soll Gott aber die Erwählung ex puris naturalibus in Verwerfung ändern können, müsste die
Inkonsistenz als Äquivalent der inexistenten Realität für den Satzausdruck negiert werden, um
diesen möglich erscheinen zu lassen. Er geht dann induktiv in dessen Abstraktion nicht ein. Cf.
Quaestiones variae, q. 6 art. 3 OT VIII.
101. W. Chatton, Ockhams Nachfolger in der Oxforder lectura sententiarum und sein Kritiker
hat sich mit Hilfe der Postulation ontologischer Korrektheit solcher Vereinheitlichung beflis
sen. In ihr versagen die Argumentationsstandards. Nicht nur der Kodex Ockhams.
102. J. Pinborg, 1972 p. 131 glaubt, dass Ockham keine Basis für den Allgemeinheitswert des
universale gelegt habe. Doch Allgemeinheit und Begriff müssen nur einfachhin erläuterungs
weise zusammenfallen. Es muss nicht eine genetische Erklärung gegeben werden, die ebenso
eine funktionale zu sein hätte. Wir verlassen uns damit auf die Erfahrung: die Funktion ist mit
dem praktischen Gebrauch genug erschlossen. Dann muss und kann nicht Ontologie sein. Die
Abstraktion der Begriffe liefert die universalia. Da species und genus nicht (mit einem Satz) für
einen Satz abstrahiert werden können, können sie nicht mit dem Wert von Begriffen als univer-
salia definit zusammenstimmen.
103. Damit kann nicht mehr für Ontologie argumentiert werden. Von Ockhams Seite nicht,
sodann überhaupt nicht. Es ergibt sich aber auch, dass eine formal neutrale Argumentation
entfallen muss; sie würde der Determinatheit von Annahmen nicht entsprechen. Die ontologi
schen Annahmen (Maximen) besitzen sie also schwerlich.
Kapitel 3. Zum Verhältnis der Satzformen 155
angestellt werden.104 Ockham hat dies behandelt.105 Es gilt aber auch: Konsequenzen,
denen keine Abstraktion von genus und species entspricht, sind unzulässig (falsch),
während jene, welche suppositionslogisch gerechtfertigt an die Stelle treten, jeden Be
griff oder Satz enthalten (einschließen) können, welche überhaupt Geltung haben. Sie
sind aber in der Scotischen Deduktion nicht erfasst und nicht zu verarbeiten. Damit
erkennt man noch einmal, wie der Begriff der Definitheit unerlässlich ist.106 Damit
ist aber noch nicht gesagt, dass die Scotische Deduktion unzulässig sei. Sie wird es,
weil sie keine vernünftige (zulässige) Abstraktion voraussetzt107 und weil reguläre
Abstraktion dann seinen aussagenlogischen Implikationsmodus nicht gestattet. Da-
neben arbeitet Duns Scotus innerhalb seiner Deduktionsketten auch mit Syllogismen,
kann aber mit diesen keinen regulären (gültigen) Abstraktionsmodus geltend ma
chen. Duns Scotus, De Primo Principio, hat die Abstraktion entweder mit den ersten
Lehrsätzen (‘propositiones’ bzw. ‘conclusiones’ genannt) vorausgeschickt oder inter
mediär mit dem auxiliären Gebrauch von aristotelischen Maximen (ontologischen
Prinzipien oder Auslegungen), die er mittels Postulationen von prekärer empirischer
Relevanz befreit, nachgeholt. Ockhams zulässiger Abstraktion ist seine Suppositionslo
gik mit allen von ihm approbierten consequentiae konform. Sie stimmt nicht mit der
allgemeinen Logik überein. Ockham verwirft aber nicht den ontologischen Sprachge
brauch.108 Deren oberste Begriffe, wie Ockham sie verwendet, sind substantia und
104. Die syllogistisch auszuarbeitende Ontologie, die dann für ihre nachgeordneten Diszipli-
nen leitend wäre, könnte mit vernünftigen media nicht ausgeführt und substantiiert werden.
Wir können keine Beweismöglichkeiten in den nachgeordneten Disziplinen schöpfen. Wir
müssten die Argumente aus der Ontologie entlehnen können. Ockham schätzt Beweise nicht,
die mechanisch geführt werden können: z. B. mit Gott als causa extrinseca omnium rerum. Sie
erscheinen ihm nicht intellektiv.
105. Ockham unterschied essentiell nicht zwischen empirischen und theologischen Sätzen.
Cf. Ord. Prol. q. 2 OT I p. 111 lin. 6–21. Danach ist auch beider technische Behandlung a fortiori
möglich und erst schlüssig.
106. Der Begriff der Definitheit ist konform damit, dass consequentiae, wie und weil sie for-
miert worden sind, nicht automatisch gelten. Folglich gibt es auch keine Ablösung der aristo
telisch-scholastischen Ontologie durch ‘Logik’ (Suppositionslogik à la Ockham). Wir definieren
durch diese nicht Definitheit. Die setzen wir voraus. Mit der formatio propositionis ist nicht
deren Geltung alias Definitheit gegeben. Cf. dieses Kap. zur propositio per se nota (am An-
fang) und Anm. 8 und 11. Es gibt bei Ockham keine Determinatheit der notitiae über die reale
Erfüllung in re. Andernfalls wäre nicht einmal die propositio per se nota widerspruchsfrei zu
definieren.
107. Wo Abstraktion ist, kann kein integriert inhaltlich-logischer Beweis sein.
108. Ockhams Suppositionslogik und die in dieser und für sie erst zu erstellenden (i.e. noch zu
begründenden) Geltung muss induktiv gesichert werden. Ist sie so, mitsamt der für sie und ihn
ihr zulässigen consequentiae, erstellt, so sind diese wie ihre Sätze definit. Die Definitheit wird
156 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
accidens, dann noch forma. Was die Akte (notitiae) angeht, setzt Ockham die notitia
abstractiva als zentral an.109
Wir erfahren auf dem Wege und im Sinne der accidentia nichts, was deren An-
hängigkeit und Bedeutung oder Geltung (Existenz) in der essentia oder substantia ent-
spräche und somit ihrer substantialen Bedeutung, also auch einen Anteil in der forma
zu meinen hätte; diese Verbindung entspricht also keiner Erfahrung und Wahrneh
mung. Zwar erfahren wir zuerst die accidentia und somit die res oder substantiae
über die accidentia. Aber wir erfahren nichts in den accidentia und so auch eben nicht
diese. Sie definieren damit auch nicht die Erfahrung im Sinne der Homologie mit
dem Verstand. Denn sie drücken die substantia nicht aus. Wir erfahren nicht die res
(singularis) in se. Wir müssen annehmen, dass sich die substantia und das subiectum
quasi abstraktiv im Verstande bilden.110 Wir haben somit eine Erfahrung, die sich aus
der sinnlichen Wahrnehmung über diese hinaus fortsetzt hat und erst dort zuende
kommt, wo wir den im Verstand gebildeten Begriff haben. Das gilt dann noch einmal
für die sekundären Begriffe substantia, species, genus usw. selbst. Das hat Einfluss auf
die Deduktions- und Beweislehre bei Ockham: zunächst einmal so, dass die ontologi-
schen Begriffe oder Verständnisse bzw. Regeln nicht selbst bewiesen werden können
und auch kaum in Beweisen eingesetzt werden können. Wo immer sie von Ockham
discutando und zum Zwecke der refutatio angeführt werden, kann ihre nicht unwan-
delbare, i.e. bloß kontingente und somit von der Erfahrung abhängige Bedeutung und
also nicht für einen Kalkül angenommen und nicht über einen solchen gesichert oder gewon
nen.
109. Rep. II, q. 12–13 OT V p. 257 lin. 15–20: „Et tunc, si duo ista, abstractivum et intuitivum,
dividant omnem cognitionem tam complexam quam incomplexam, tunc istae cognitiones di-
cerentur cognitiones abstractivae; et omnis cognitio complexa (diceretur) abstractiva, sive sit
in praesentia rei stante cognitione intuitiva extremorum sive in absentia rei, et non stante co-
gnitione intuitiva.“ Eine Synthesis der Begriffe (im Verhältnis zueinander) kann danach auf der
Stufe der notitia abstractiva (logisch) nicht mehr angenommen (‘angesetzt’) werden.
110. Damit können diese Begriffe nicht im Sinn der Abstraktion, die sie ja zu meinen haben,
mit der Erfahrung direkt konvertibel sein und diese meinen oder begründen. Ockham hat so
konsequent auch die Abstraktion über die notitia abstractiva, i.e. eine eigene notitia, ausge
drückt und sie nicht in die genannten Begriffe verlegt, die eben im Sinn der Abstraktion neben
dem Inhalt doppelt aufzufassen wären. Ockham hat auch nicht die Abstraktion oder notitia
abstractiva im Sinn dieser ontologischen Begriffe angereichert oder bestimmt. Sie meinen nicht
diese direkt oder konkomitant. Es kann so vorab dasjenige Argument nicht geben, dass die
ontologischen Begriffe (oder ontologische Begriffe überhaupt) nicht sinnvoll seien (sein könn-
ten), dass sie vielmehr – gar nachweislich – absurd seien. Nicht nur kann dies nicht bewiesen
werden. Der Beweis oder das Beweisinteresse sind durch die Problemlage, die zur Abstraktion
führt, bereits überholt. Danach fungieren die ontologischen Begriffe reprobativ. Damit wird
die implicatio negiert, die die extensionale Geltung in einer res per se resp. in multis rebus zu
bedeuten hätte. Cf. Kap. 9–11.
Kapitel 3. Zum Verhältnis der Satzformen 157
Geltung ins Feld geführt werden.111 Wenn Ockham nun auch annimmt, dass Beweise
im Syllogismus per media intrinseca gelten, also zunächst inhaltlich und erst dann
im weiteren Sinne, i.e. non immediate, per media extrinseca,112 also nach logischen
Regeln, hat er einfach eine Selbstverständlichkeit bezüglich des Beweisens formuliert:
nämlich, dass Beweise, wenn sie denn definierte Beweise sind, nicht falsch werden
können.113 Deren notwendige oder mögliche Struktur kennen wir nicht. Ob sie eine
Folgerung enthalten, mit ihr behaftet seien, ist daher notwendig nachrangig. Wir kön-
nen also nicht bei den media extrinseca anfangen. Wir wüssten da noch nicht, was ein
Beweis ist. Wir wissen es überhaupt nicht notwendig vorab.114
Nach dem was ein Beweis sei, der im Sinne der Abstraktion der termini von
der realen Geltungsdimension in der Erfahrung angenommen werden könne, fragt
Ockham ganz deutlich im Prolog der Ordinatio. Er fragt damit nach einem Beweis in
der abstrakten Geltung seiner Elemente, der Begriffe und der Sätze und zwar auch in
der Hinsicht, dass die notitia terminorum und die notitia propositionum außerhalb
und neben deren notitia innerhalb des Beweises und Beweisens anfallen könne: sie ist
dann empirisch oder kontingent außerhalb dieser zu denken, ohne doch im Beweis
eben im Sinn der notitia intuitiva und abstractiva definiert zu sein. Also kann auch
der Beweiszug selbst, die Folgerung, die der Syllogismus darstellt, induktiv gesehen,
111. Nämlich gerade von der Seite der Erfüllung her. Diese, die ja ontologisch und semantisch
supponiert (präsumiert) wird, würde es dann im Beweis oder mit ihm nicht geben.
112. Cf. W. & M. Kneale 1966 p. 289.
113. Sie dürfen dann nicht derart über die Implikation markiert sein, dass sie falsch sein könn-
ten oder qua Falschheit noch aliquomodo korrigierbar. In dem Sinne sucht Ockham dann kon-
struierend den absoluten Beweis. Er heißt im Vollsinn demonstratio potissima und stellt darin
ein Modell dar.
114. Will man aber die weitläufigere Beweisart, die Ockham somit zwar zuließe, aber noch
nicht in Händen hätte oder präsentierte, auch nur einen Augenblick semantisch oder ontolo
gisch denken (i.e. in dieser Weise begründet denken), so müsste damit auch für jeden Sach
verhalt und schließlich das Beweisen schlechthin ontologischer oder semantischer Natur sein.
Sein in dem Sinne sachlicher, sachgerechter und realer (extramentaler) Gehalt, selbst seine
Wahrheit stünden damit gerade, entgegen der Absicht und grundlagentheoretischen Meinung
und Vormeinung, noch dahin. Anders: die ganze Anlage der Erörterung (Theorie) müsste zir
kulärer Art sein. Sie entspricht so nicht den Intentionen Ockhams. Er hat eine solche Verfah
rensart und Begründung, wie man jetzt erkennt, mit Grund ausgeschlossen und vermieden
(umgangen). Müssten wir aber erst ontologische Beweise führen, wie Duns Scotus das versucht
oder semantische Grundlagen postulieren wie Walter Chatton, so hätten wir zwar eine Synthe-
sis der begrifflichen und logischen Erkenntnismittel versucht, sie aber noch nicht erlangt. Es ist
allerdings auffällig, dass W. & M Kneale sich um diese ontologischen und dann weiterhin die
semantischen Basislegungen der Logik und Deduktionstheorie besonders kümmern und hier
eine Plausibilität suchen, die für den engeren und definiten Beweisbegriff nichts zur Sache tut.
Ockham versagt dann für sie vorab auf diesem vorderhand isolierten Felde, das, wie man sieht,
in negativer Weise relevant ist.
158 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
nicht über diese quasi empirischen actus der Begriffe und Sätze definiert sein und
dabei die Implikation bzw. die Geltung meinen. Insofern ist die empirische Geltung
darin nicht gemeint und kann sie nicht gemeint sein, i.e. auch nicht im Sinne oder
nach dem Verständnis von Notwendigkeit.115
Ockham geht die Beweistheorie dort konstruierend an. Er geht sie rein mentalis
tisch für die actus intellectus an. Er schließt so das falsum aus. Im falsum gibt es keine
significatio. Ockham tut für den Aufbau der Scholastik, sie sichernd, was Autrecourt
als für sie zu fordern, aber nicht zu erfüllen angesehen hat. Aber Ockhams Lehre geht
mit der Emendation, die kritisch und im Rahmen der Kritik, die sie enthält, doch
Autrecourts separierte Standpunkte nicht zulässt, sondern sie selbst als absurd er-
weist oder exreguliert, den für epatant gehaltenen Thesen Autrecourts zeitlich voran.
Sollte Autrecourt seine wenigen scheinbar radikalen, in jedem Fall aber auch isolier-
ten und in nur wenig Diskussion gekleidete kategorischen Verlautbarungen Ockham
entnommen haben und sie von mehr als vom Hörensagen kennen, so bestünde doch
der Widerspruch, dass er sie nicht wie Ockham in dem Geflecht der Erörterungen
und solutiones präsentiert, in welchem sie, wenn sie sich der Abstraktion verdanken
(wie die These zur notitia intuitiva, die ohne das Objekt, dessen praesentia sie doch
definitionsgemäß wahrnimmt, sein könne u. a.) und eben dadurch den Widerspruch
ausschließen (i.e. nicht enthalten), den ihnen die Interpreten gerne zuschreiben,116
Durchgangsstationen (casus117) innerhalb der Argumentation sind und eben nicht
jene scheinbar „kritischen“, schneidenden Befindungen, als welche sie bei Autrecourt
auftreten und erratisch werden.118
115. So gesehen kann sich auch die Implikation nicht abstrahierend (abstraktiv) über der Em-
pirie erheben oder in der Abstraktion enthalten sein.
116. P. Vignaux, 1958 ist eine Ausnahme.
117. Belegfälle für nicht erlaubte consequentiae, die man für zwangsläufig halten möchte, die
aber nach Ockham abzuwehren sind. Wenn sie abgewiesen werden, führen sie nicht auf weitere
consequentiae, die man als Widersprüche zu erachten hätte. Das zeigt Ockham oft im Splitting
von casus. Bei diesen treten die Kausalreferenzen und Kausalbedingungen als empirisch mo-
difiziert, als mit kontingenter neuer Ausgangslage veränderliche auf. Das lässt sich dann aber
empirisch aufweisen und induktiv begründen oder verwenden.
118. Ockham hat rational gebunden Kriterien aufgestellt und berücksichtigt, die Autrecourt
in ungebundener Form provokativ wiederholt und für unerfüllbar ausgibt. So erschien ihm das
scholastische Erkenntnisstreben wertlos. Er scheint radikaler als Ockham vermöge der in weni
gen Thesen sich erschöpfenden Diskussion. Also radikaler, sofern man denken will, er knüpfe
an Ockham an und tue es zugleich nicht, i.e. per Äquivokation. Er vertritt eine Absurdität, die
auszuschließen Ockham bestrebt sein muss. Sie könnte aber nur auftreten, in Kontradiktion
mit dem Beweisen selbst, wenn sie aus irgendwelchen besonderen, allgemeingültigen und um
fassenden Termini folgte. Also beweisbar wäre. Sie müsste so mit diesen Termini identisch sein.
Danach wäre es sinnlos, Beweise zu fordern, weil bezüglich dieser Sophismen zu gelten hätten.
Das hätte Autrecourt Kritik einen anderen Charakter zu geben. Sie könnte gattungstheore-
tisch nicht mehr als natürliche Skepsis angesehen werden. Über Sophismen und Logik darin
Kapitel 3. Zum Verhältnis der Satzformen 159
Dass Ockham die Strukturen hat, die die Argumentation ausmachen und von ihr
erzeugt werden und damit implizit die Implikation als internes oder äußeres Merkmal
der Sätze, der Konstruktionen usw. ausschließt, hat eine bedeutende Folge: Wenn für
eine Anzahl oder alle Klassifikationen von Sätzen und ihre Rollen im (syllogistischen)
Beweis mit Ockham gelten soll, dass sie nicht von der Implikation abhängen (sie auch
erkenntnistheoretisch nicht gewinnen), dann werden diese Fälle für sich determinat
und untereinander konsistent erscheinen. Beides wird identisch. Aber als in se konsis
tent ist Ockhams Konzept gegen den Vorwurf gesichert, die Scholastik stelle vermöge
der Absurdität ihrer Begriffe und ihrer Sätze eine sinnlose Beschäftigung dar.119 So gilt
der Folgerungsbegriff indirekt doch: im Sinn der Determinatheit, in Bezug auf die er
zu besagen hat, dass die Folgerungen nicht gezogen werden können sollen, die nicht
induktiv bezüglich der Realität und Empirizität oder vermöge ihrer begründet wer
den können.120 Es ist so aber auch erkennbar, dass die Implikation bei der Konstrukti-
on der demonstratio potissima nicht leitend bzw. unabdingbar sein kann.121 Die fides
müssten wir neu und separat nachdenken. Ein solcher Begriff ist Ockhams notitia intuitiva
nun gerade nicht; er könnte es gar nicht sein. Mit ihm muss eine andere Anlage angenommen
werden: dass empirische Wahrnehmung (+ Begriffsbildung) in der notitia intuitiva, dann die
kontingente Aussage in der notitia abstractiva, endlich was Beweisfähigkeit ausmacht und von
empirischer Erkenntnis unterscheidet, ihre media bestimmt, auf der Differenz von intensiona
ler Einsicht (Argument) und primärer Evidenz beruht.
119. Damit werden die Begriffsarten und Begriffsklassifikationen noch einmal zur Entschei-
dung der Frage, über Sinn und Unsinn (Absurdität) relevant werden können (oder müssen).
Das bereits macht die Position Autrecourts äquivokativ. Die Entscheidung hängt nicht von
den Termini substantia und accidens, deren Trennung oder Begründung bzw. gar immediaten
empirischen Evidenz ab, sondern davon, in welchen begrifflichen Formen sie realisiert würde
und begründet sein könnte. Hier operiert Ockham mit Induktionen, die dadurch in besonderer
Weise empirisch fixiert sind, dass sie mit Hilfe einer Negation bezüglich ihrer Basis keine un
bedingte Realwertigkeit mehr meinen; diese wird damit intensional und intentionell reduziert,
aber natürlich nicht bestritten. Es wird nur die unterlegte significatio nicht ausgedrückt oder als
in dem Ausdruck enthaltene unterstellt. Auch die Nichterklärbarkeit des conceptus als Zeichen
bzw. der fehlende Aufweis eines empirischen (realen) Gegenwerts, würde die Scholastik und
Ockham noch nicht in Misskredit bringen können, sondern wiederum nur besagen, dass die
Philosophie vielleicht zuerst sich mit der Fassung und Erklärung von ihr für zuträglich und hin
länglich tauglicher Begriffe und Sätze zu befassen hätte. Wollte man sagen, dass Ockham nur
dies und quasi bloß in Gestalt von Präliminarien getan habe, so ist zu entgegnen, einmal die
Frage sei prinzipiell und überepochal von Bedeutung, wie mit Begriffen begründet Erkenntnis
verbunden sein könne, dann dass dies historisch in der Zeit Ockhams und Autrecourts zu den
scholastischen Begriffsbildungen oder Terminologien gefragt wurde.
120. Die Implikation bezeichnet so die Determinatheit: Denn bei ihr entfallen mehrheitlich
Folgerungen.
121. Argumentationstheoretisch tritt mit Ockham eine Verschärfung hinsichtlich der Bewer-
tung von Argumentation ein: Wo Argumentation ist, kann nicht mehr veritas sein. Verum und
160 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
christiana aber kann nicht verteidigt werden.122 Doch stehen fides und scientia oder
doctrina christiana und ratio nicht wirklich in Opposition. Sie werden genau in dem
Sinn vermittelt und abgegrenzt, wie das scholastische Mittel der Rationalität, das Ari-
stoteles’ Philosophie entnommen wird, Eingriffe und Reduzierungen erfährt. Im No-
minalismus Ockhams wird die Scholastik, die zu Notwendigkeit und Allgemeinheit
streben musste, wenigstens wenn sie Argumente auftat und erfand, durch Ableitungen
ersetzt, die zur Kontingenz zurückführen. In ihr werden Welt und Subjekt vermit
telt. Doch sie verschmelzen nicht und können einander auch nicht substituiert wer-
den. Natürlich wissen wir auch nichts über die divina essentia.123 Wir nähern uns mit
falsum rücken aneinander; der Wechsel zwischen ihnen muss kontingent sein. Daher kann
aber auch nicht theoretisch oder kritisch und weltanschaulich auf ihn abgehoben werden. Er
muss a parte argumentationis statuiert werden. Die bei Gödels „Unableitbarkeitstheorem“ (1931)
für axiomatisierte mathematische Systeme gemachten Voraussetzungen: (1) Wahrheit = Wider
spruchsfreiheit, (2) dass das System, dessen Wahrheit alias Widerspruchsfreiheit darin unbe
weisbar (unableitbar) ist, widerspruchsfrei (wahr) sei, (3) dass die Aussagenlogik das ‘a priori’
vorstelle und (4) die mathematische Induktion die Deduktion legitimiere (ω-Konsistenz!), teilt
Ockham nicht. Seine Erörterungen zeigen dann, dass er es nicht tun muss. Seinem Verfah-
ren kommt ‘logisch’ die höhere Allgemeinheit und entscheidende Überordnung zu. Denn er
‘beweist’ auf einem engeren Raum grundlegend bezüglich der Partikel und Ingredienzien des
Beweisens und der Satzbildung. Seine formierten Satz- und Beweistypen absurdisieren die
Meinung, es müsse uns quasi anthropologisch bei Argumenten unabdingbar um ‘Wahrheit’
gehen.
122. Für Ockham ist nur die Frage, ob die theologischen Aussagen oder die sie begleitenden
oder beinhaltenden Akte bzw. habitus selbst als rationale zu klassifizieren sind oder in dieser
Hinsicht vorab ausscheiden. Sie können auch im ersteren Fall nie als wahr bewiesen werden.
Die klassifizierte ratio arguendi (= Beweis) bedeutet, dass eine intellectio in den Akten und
vermöge ihrer mit den Begriffen und Sätzen, in der formatio complexorum bezüglich ihrer
stattfinden kann. Auch das ist denkbarerweise bezüglich ihrer nur hypothetisch vorzustellen,
gar bei einem Wechsel über das menschliche medium in Begriffen und aus ihnen gebildeten
Sätzen hinaus. Auch da denken wir in potentia, nicht in actu. Also nicht im Sinne einer de
facto unterstellten Wahrheit. Es ist ein mit dem menschlichen Denken und seiner genetischen
Grundlage im empirisch gewonnenen Begriff kompatibler hypothetischer ‘Fall’. Der dieserart
fiktiv empirische, rational keineswegs suspendierte, jedoch beim Verstandesakt uneingelöste
und entfallende Wahrheitsmaßstab bestimmt dann auch nicht mehr Luthers Verständnis von
der fides nach Inhalt und Funktion. Sie kann denn Wahrheit in einem rationalen Sinn nicht
mehr sein. Was dann?
123. Ockham geht nicht an die Seiendheit Gottes in se wirklich heran. Cf. Ord. d. 7 q. 2 OT III
p. 142 lin. 3: „aliquid in Deo possit sic et aliter accipi“; das betrifft nicht die (ib lin. 4): „distinctio
praedicabilium de Deo, quae non sunt Deus.“ Alle Begriffe müssen an Gott (die essentia divina)
erst herangebracht werden. Das stellt die logischen Probleme, die nach Ockham in der beweis-
theoretischen Überformung alles Logischen, bei denen das Logische wie das Ontologische, das
Erkenntnistheoretische und das Erkenntnispsychologische je nur in Dienst genommen wer-
den, i.e. in genau dem Sinne wieder ausgeschieden oder relativiert, als bedingt erscheint und
Kapitel 3. Zum Verhältnis der Satzformen 161
Ockhams Methode den Aussagen, die die divina essentia betreffen, so an, dass sie
noch einem bonus intellectus (einer verständigen Auffassung) entsprechen. Wir kön
nen die Strukturbestimmungen der Sätze in die divina essentia hineintragen und z. B.
über die Beweisbarkeit/Nichtbeweisbarkeit der Aussagen entscheiden, selbst wieder
beweisend, etwa mittels der persuasio.124 Denn sie bewahrt den von der Implikation
freien Strukturgesichtspunkt. So entfällt die Implikation noch dort wo die Ableitung
in die Kontingenz erfolgt.125 Hier mag die superbia rationis bei Ockham persönlich
kulminieren; objektiv ist sie hinfällig, da die Methode sie zwar aufbaut doch zugleich
einkreist. Denn gelangen wir mit Ockham bis zu einem jenseitsweltlichen Raum, so
müssen wir ihn als Auslöschung der ‘consequentia’ erfahren, an deren Ort wir nicht
mehr begründen und das heißt dann auch: nicht mehr induzieren konnten.126
Ockham hat, wie wir sahen, die übernatürliche Erkenntnis von Gott als für uns
bedingt notwendig betrachtet. Er hat unsere Einsicht in Gottes Wesen, sofern dar-
in die tatsächliche Evidenz enthalten wäre, bestritten oder ausgeschlossen. Er zeigt,
dass wir eine faktische Erkenntnis von Gott nicht erwerben können evtl. aber schon
haben, wenn wir die Begriffe, die wir von Gott haben, ausgestalten, etwa über die
induktive Begründung der distinctio rationis für die göttlichen Personen und Re-
lationen sichern. Wir können von Gott propositiones per se notae haben, die darin
gleichwertig empirisch gelten (müssen): ‘pater prior filio est’. Es kann da keinen Ge-
gengrund geben. Der Satz, als solcher nicht über das Widerspruchsprinzip bestimmt
und gestaltbar, unterliegt ihm auch nicht.127 Er müsste damit auf Dogmen stoßen,
sogar dafür erklärt wird, indem es reprobatio und refutatio gewährleistete. Cf. Kap. 2: Supposi
tionslogische Identität und Kontingenz (zu Ord. d. 4–8).
124. Einen solchen Fall haben wir im in den Anmn. 11, 25,50 insgesamt genannten Text. Cf.
Anm. 126. cf. auch Ord. Prol. q. 2 OT I p. 75 lin. 9–12.
125. Die Widerspruchsfreiheit hört auf ein Maßstab zu sein. Der Widerspruchssatz entfällt
genau in dem Sinne, wie Empirie und empiriefreie Abstraktion zusammengebracht werden
(müssen). In dieser Form (der Verlagerung) von Notwendigkeit vollendet und destruiert sich
die Scholastik, eben ohne apologetisch zu sein.
126. Könnten wir Ockham oder irgendeinen Philosophen, der von Gott spricht oder Theo-
logie treibt, auf den Widerspruchssatz festlegen, so hätten wir in genau dem Sinn formell die
Unterscheidung von abstrakt und konkret, allgemeingültig und kontingent, aufgehoben: wir
hätten dort, wo Ockham, etwa qua distinctio realis, wenigstens die oder eine empirische Opti-
on festhält, diese weggelassen; wir wären über sie hinweggegangen.
127. Ockham zeigt, dass reine Zeichenformationen, welche in dem Sinne signifikativ zu sein
hätten, nicht per Implikation behandelt und entwickelt werden können; das ist der Sinn der
SL. Entsprechend kann intensionale Qualität von Ausdrücken, weder unmittelbar (recte) noch
reflexive, per reductionem ad absurdum ‘begründet’ werden. Der reductio ad absurdum würde
die fallacia entsprechen. Kein Sinn im Verhältnis (i.e. nach der Kombination) von Begriffen
kann, gleichsam über diese hinausgreifend, reflexiv per argumentum für sie begründet wer-
den. So müssen Begriff und Inhalt identisch sein. Das ist Ockhams Formalisierung. Sinnleere
162 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
(Absurdität) entspricht der fallacia und kann also auch reflexiv für Primärsätze begründet wer-
den; sie verlieren da ihren Sinn (Intension). Dabei greifen die verschiedenen Stufen der appre-
hensio ineinander: Ockham kann so widerlegen (Ord. d. 35, q. 2 OT IV p. 441 lin. 3–11), dass es
„de ratione intellectionis est dependere ex suo obiecto.“ Gott als Beweger des Himmels sei da
kein (wegen Gottes Unabhängigkeit gar selbstwidersprüchliches) Gegenargument, denn: „hoc
non valet, quia non potest probari quod omnis intellectio intelligentiae moventis coelum depen
det a coelo, et tamen movet coelum.“ Es gilt dann: „in nobis non semper intellectio causatur ab
obiecto, sed aliquando causatur ab obiecto aliquando non.“ Ähnlich beim Überredungsbeweis
(Rep. II, 4–5 OT IV p. 55 lin. 16 – p. 56 lin. 5) „quod deus sit causa libera respectu omnium.“
Ockham bekräftigt „tenendum est tamquam creditum quia non potest demonstrari (sic!) per
aliquam rationem ad quam non responderet unus infidelis.“ Aliquis nicht omnis! Aber: „persua
deri tamen potest“. Hier entfaltet Ockham den Satz, dass Gott alle Dinge, die er hervorbringen
könne, mit einem Male (aeque primo) überblickt (respicit). Dabei muss er, wenn er welche
hervorbringt, frei wählen, also eine freie Ursache (causa libera) sein, während die causa con-
tingens nicht frei sei. Auch hier verbindet Ockham zwei Ebenen und lässt sie gegeneinander
durchgreifen. Es gibt also mehr Beweise als Autrecourt glaubte, aber sie beruhen darauf, dass
der Widerspruchssatz nicht im Sinne der unteren (konkreten) für die obere (abstrakte) gültig
oder definiert sein kann. Ockham kämpft mit seinem formalen Konstrukt dafür, dass Begriffe
(und Sätze) nicht sinnleer (absurd) seien. Das nahm Autrecourt in seiner Kritik an, der die
Scholastik als Modellbereich törichter Sätze und vergeblicher Erkenntnisbemühungen ansah.
128. Quine hat bestritten, dass die materielle Implikation einen sprachlichen intellektualen
Ausdruck organisieren und zugleich natürlich kategorial leiten und bestimmen könne, der ab-
solute Erkenntnis zu besagen vermöchte. Auch das muss gegen die Intentionen Autrecourts
sprechen.
129. Er widerlegt (Ord. Prol. q. 7 OT I p. 184 lin. 7–12): „quod habita fide primorum princi-
piorum theologiae, respectu quorum non est scientia proprie dicta nec cognitio evidens in
nobis, adquiritur scientia conclusionum sequentium ex illis principiis, ita quod conclusiones
sciuntur scientia proprie dicta, quamvis principia non sint evidenter nota.“ Er erweitert die
These (ib. p. 187 lin. 17 – lin. 20) „de potentia Dei posset esse scientia proprie dicta de veritatibus
theologicis, et forte in aliquibus ita sit de facto quantum ad aliquas veritates.“ Dann zeigt er in-
duktiv (ib. p. 187 lin. 20 – p. 188 lin. 15), dass da keine definite Beweisführung bestehen könnte.
Der Zusatz verstärkt (erweitert) die Induktion und setzt die selbst unexplizierte empirische Ba
sis gegen die potentia Dei (sic!). Doch das Verhältnis von ‘propositio contingens’ und ‘propositio
per se nota’ zur res extra animam bleibt unerforscht.
130. Ib. lin. 20.
Kapitel 3. Zum Verhältnis der Satzformen 163
gemeiner Weltlauf sind hier wie immer zu unterscheiden. Über letzteren erhebt sich
die Erkenntnis, die sei es dem abstrakten Begriff vertraut, der von Gott und creatura
univok gebraucht werden kann, sei es mit formalen Anordnungen arbeitet, die ein
fach nicht ausgeschlossen werden können und damit einen neuen Typus der Standar-
disierung setzen, der einen „herkömmlichen“ Deduktionsmodus der Scholastik wie
der Neuzeit ersetzen bzw. kompensieren. Ihn finden wir (gebrochen) bei Duns Scotus,
(problematisch) bei Spinoza, (programmatisch) in der „mathematischen Analysis“.131
Letzterer konnte via Konsistenzprinzip die absolute philosophische Erkenntnisform
nicht attestiert werden.132 Ockham bezeichnet eine Struktur, in der sich Jenseitswelt
und Diesseitigkeit im Sinne der Argumentation und der für sie benutzten Formeln
und Floskeln weiter durchdringen.133 Seine Philosophie ist mit neuzeitlicher nicht per
se vergleichbar.134 Die Kontingenz extra animam wird von Ockham nicht zur Crux
des Denkens gemacht.135 Sie ist inhärentes Moment seiner Operationen, Argumente
und Beweise.136 Beweisbarkeit steht dabei soweit infrage, dass sie schließlich nur noch
reflexiv per reprobationem für den scholastischen ‘Kategorienbegriff ’ auftritt und ihn
vermittelst einer Negation auf die significatio bezieht137 und zu einer eigentümlichen
Begrenzung auf ein je partikulares Beweisziel von Beweis zu Beweis führt. Die dar-
in anhängigen intensional geringen Absichten werden von den Argumentationsfor-
men Induktion, persuasio reprobatio getragen und realisiert, wie sie auch mit ihren
sein logisches Operieren aufheben müssen. Von intellectus und voluntas als Vermögen spricht
Ockham bei Gott und beim Menschen.
135. Nach Autrecourt ist die Kontingenz (und unabsehbare Wandelbarkeit) in rebus, fiktiv ex
conditionibus rerum, der Grund, dass die Geltung der ontologischen Konzepte zweifelhaft sei,
die so für ihn Gleichbleibendheit, Dauer, Stabilität und mentale Voraussetzung von Erkennt-
nisadäquatheit indizieren. Für Ockham dagegen gestaltet sich die Widerlegbarkeit über den
in sich nicht auszuschöpfenden kontingenten Satz, der dem consequens als falsa implicatio
gleichkommen kann. Nach Ockham ist ausgeschlossen, dass Folgerungen an Begriffe u. dgl.
anschließen und ihr constituens sein könnten. Es steht gegen eine Grundannahme des Duns
Scotus, die bei Autrecourt zwittrig zu seiner atomistischen Vorstellung tritt. Mit dieser aber
sollen sichere empirische Wahrnehmungen und eine an sie anknüpfende Implikation nach
Autrecourt wenigstens forderungsweise vereinbar sein. Ein ‘A priori’ bleibt so und wird ari-
stotelisch behauptet. Es stünde gegen Autrecourts Meinung von der realiter atomistischen und
nicht verlässlichen ‘Natur der Dinge’. Man hat hier aber auch noch anders über ihn geurteilt: Er
sei ein Vertreter der Konzeption des ‘significatum totale’, das wir hauptsächlich mit Gregor von
Rimini verbinden. Den Begriff des complexe significabile im Sinn der Satzentität und Satziden-
tität schuf nach K. H. Tachau, 1988 p. 278 Adam Wodham. Dann pp. 303–308. Tachau glaubt
p. 354, dass Autrecourts provokante Thesen sich auf diese Wodhamsche Idee des complexe
significabile wenigstens zum Teil stützten, so dass Autrecourt ontologischen Begriffen die Be-
deutung absprach, weil er sie als unanwendbar auf das complexe significabile ansah bzw. auch
ohne complexe significabile seiend. „Therein lies the real significance of Autrecourt’s recanted
positions.“ Und eine petitio principii (Autrecourts und/oder Tachaus). Tachau hält ihre Deu-
tung p. 355 nicht durch.
136. Dies soweit, dass etwa die Satzarten einen schwankenden Wert bekommen und nicht
vollständig und definit begründet werden können. Darin stehen sie gegeneinander und erfah-
ren, wie sich in diesem Kapitel zeigte, aneinander gleichsam intensional Subtraktionen. Wie
aber die Begriffe nicht ineinander übergeleitet werden können, so auch nicht die Sätze und
Satzarten (d. h. die Sätze nach ihrer Bestimmung). (Ord. Prol. q. 2 OT I p. 83 lin. 11): „non
semper complexum necessarium posterius potest demonstrari per principium primum, etiam
si ex ipso posset inferri syllogistice, sed cum hoc requiritur quod notitia principii possit cau-
sare notitiam posterioris.“ Aber auch in der notitia sind Begriff und Satz nicht in se angefasst,
erkannt oder gegenständlich, und zwar weder gegenständlich qua gemeinter res extra noch was
den Begriff, Inhalt usw. selbst förmlich in sich angeht.
137. Cf. Kap. 10: Beweis, Satz, Akt.
Kapitel 3. Zum Verhältnis der Satzformen 165
138. Er selbst kann in sich nicht wirklich und abschließend begründet werden, gleichsam ar-
gumentativ extrahiert werden. Seine Begriffe haben dieses bestimmte Verhältnis nicht; so gese-
hen hat er den festen funktionalen Wert gegenüber anderen Satztypen nicht.
139. Es betrifft auch Begriff, ‘Sache’ und Sachbezug von scientia, cf. Anm. 133. Anders B.
Hägglund, 1955 p. 25: „Unter ‘scientia’ verstehen die Nominalisten nur die durch Syllogismen
beweisbare Erkenntnis sowie diejenigen Prämissen, die die Vernunft unmittelbar als wahr
erkennt.“ Scientia meint bei Ockham natürlich auch, nach dem Vorgang des Aristoteles, die
conclusio im Syllogismus. Gleichwohl sagt auch folgendes nicht allzu viel (ib.): „Es ist … der
streng aristotelische Wissenschaftsbegriff, der den Occamismus zwingt, zwischen Theologie
und Wissenschaft genau zu unterscheiden und daher auch die Wissenschaftlichkeit der Theolo
gie zu verneinen.“
140. Hierin liegt eine individuelle Form des Denkens wie der Weltaneignung vor. S. P. Valéry,
Léonard et les Philosophes (1929), Variété III, 1936 p. 149f: „À mon avis, toute philosophie est une
affaire de forme. Elle est la forme la plus compréhensive qu’un certain individu puisse donner à
l’ensemble des ses expériences internes ou autres – et ceci indépendamment des connaissances
que peut posséder cet homme.“ Und: „Plus il approchera dans la recherche de cette forme d’une
expression plus individuelle et plus convenable pour lui, plus l’acte et plus l’ouvrage d’autrui lui
seront-ils étranges.“ Valéry, der so die Erfahrungen des Individuums als Grundlage der Reaktio
nen und Entwicklungen in der Form der Gedanken des Individuums ansieht, schließt davon
formell die Kenntnisse aus, die das Individuum haben kann. Dass alle Kenntnisse zusammenzu
schießen hätten, damit überhaupt eine Kenntnis oder Erkenntnis sei und schließlich die Welt
in toto ‘bündig’ erkannt worden sein müsse, und eben die Bündigkeit mit dieser Erkenntnis
besitzend und stiftend, wird hier nicht reklamiert. Sie ist auch nicht die wissenschaftliche. Wir
wissen nicht, ob die Welt intelligent angelegt ist und dürfen es nicht qua Gewitztheit kompen
sieren. Valéry jedenfalls kann Partikularvarianten als autonome Denkweisen denken.
141. K. Werner, Die nominalisierende Psychologie der Scholastik des späteren Mittelalters, 1881
Ndr. 1964 stellt p. 89 fest, dass für Ockham „sich das intellektive Wesen der Seele in das Dun-
kel einer unerforschbaren Verborgenheit zurückzieht“, aus der sich dann die Akte und nach
Werner ib. auch die Tugenden ‘blitzartig’ erheben. Ockham gehe averroistisch beeinflusst von
einem „empiristischen Naturalismus“ aus. Ockhams Argumentation ist in der Tat nur möglich,
wenn diese Voraussetzung gemacht wird. Sie kann ohne sie nicht bestehen.
kapitel 4
Fides et scientia
Thomas von Aquin hatte eine wissenschaftliche Theologie für möglich gehalten, die,
wie Ockham es ausdrückt, mit einem Schluss (jeweils) de facto dem Muster der sci-
entia proprie dicta entspreche: das muss bedeuten, dass diese scientia, als existent
zunächst nur für die Aktebene beurteilt und hier auch nur nach dem Konzept der
scientia proprie dicta zu bewerten, bloß per inductionem begründet werden konnte.
Von vornherein muss damit gelten, dass wenn Thomas das nicht auch tut, er nur
widerlegt werden kann; also für seine scientia falsche Prämissen haben wird. Nach
Ockham hat er diese falschen Prämissen, indem er für einen Akt der scientia proprie
dicta geoffenbarte Prämissen annimmt, mithin solche, die in der natürlichen Ver-
nunft per se noch keinen Erkenntnisstatus haben oder: nach der notitia abstractiva oh
ne einen actus iudicativus bleiben, der sie als wahr beurteilt. Sie müssten, gäbe es hier
die scientia proprie dicta, per syllogistischen Beweis als richtig und wahr beurteilt wer
den. Das ist nicht ohne Widerspruch möglich. Sie wären dann einem Beweis zufolge
als wahr und richtig eingesehen, während die Prämissen in sich so nicht eingesehen
werden könnten. Diese wären dann auch als falsche möglich, während sie doch unbe
dingt legitimiert und legitimierend sein können sollten. Man käme aus einer Sphäre
nicht genetisch menschlicher Akte und Begriffe zu einer Sphäre genuin menschlicher
Akte und Begriffe, die so nicht signifikant gefasst und begründet sein kann: derartig
kann es auch keinen exakten logischen Schluss gegeben haben.
Ockham stellt die opinio Thomae dar: „Quidam dicunt quod habita fide primo
rum principiorum theologiae, respectu quorum non est scientia proprie dicta nec
cognitio evidens in nobis, adquiritur scientia conclusionum sequentium ex illis pri
mis principiis, ita quod conclusiones sciuntur scientia proprie dicta, quamvis prin-
cipia non sint evidenter nota“. Thomas hat für diese These Analogien angeführt: die
Geometrie liefert Kenntnisse für die Kenntnis der Perspektive, die Arithmetik für
die Kenntnis der Musik. Die Theologie kenne so Prinzipien, die Gott und die Seligen
. Dass wir so auch genau eine scientia proprie dicta zu haben hätten, wie Ockham sie defi
nierte (s. Kap. 3), hätte auch zu bedeuten, dass sie, wie Ockham sie sehr einschränkend angibt,
induktiv, d. h. den Wahrheitswert übernehmend und einbeziehend, für alle scientia zu gelten
hätte. Das schließt wieder aus, dass Wahrheit in se und sensu extramentali eine Rolle habe. Es
geht bei Ockham um menschliche Akte und deren explizite und verlässliche Bestimmung. Die
Frage „Utrum theologia sit scientia“ stellte zuerst Alexander von Hales.
. Ord. Prol. q. 7 OT I p. 184 lin. 7–12. Dazu s. Ockham mit Bezug auf das Omnipotenzprinzip
Kap. 3 Anm. 129.
168 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
kennten; dabei handelt es sich aber faktisch um denselben Inhalt, also nicht etwa um
einen mit dem menschlichen Denkvermögen kongruierenden Unterschied von ante
cedens und consequens in der Folgerung oder beim Syllogismus.
Es ist nun die Frage, wieweit Ockham gegen diese These des Thomas von Aquin
ganz aus dem Stande schon gediegen terminologisch, zum Beispiel bezüglich und
mittels der scientia proprie dicta als Konstrukt und Terminus operieren will. Er
beschränkt sich zunächst auf den Gebrauch der Induktion, die die Stufendifferenz
zwischen Abstraktion und Empirie wahrt und eben auch herstellt. In diesem Rah-
men und in diesem Sinn treten seine eigenen Meinungen auf. Die Lehraussage des
Thomas bedeutet, dass Theologie und Wissenschaft (oder natürliche Erkenntnis, was
hier noch gleich ist) im Aktbegriff nicht einhellig und schlüssig seien. Dies wird von
Ockham deutlich ausgesprochen. „arguo contra hoc quod dicunt quod fides praesup
ponitur isti scientiae. Primo sic: numquam duo habitus iudicativi circa idem obiec-
tum sic ordinantur quod unus necessario praesupponit alium, – patet inductive –,
quamvis habitus respectu unius obiecti praesupponat habitum alterius obiecti. Sed
ista fides et ista scientia forent circa idem obiectum secundum opiniones duas ulti-
mas. Igitur etc.“ Die Induktion besagt, dass der (ein) ‘habitus iudicativus’ hinsichtlich
bestimmter Akte, hier Sätze, nicht einen anderen habitus iudicativus ‘einschließen’
könne, wenn beide demselben Objekt (das ist der Satz, complexum) gelten. Die Iden-
tität der actus oder Sätze wäre dann de facto nicht gegeben oder gewährleistet. Das
steht induktiv fest. Es bedeutet zugleich, dass die Induktion förmlich einen Realbezug
als ihre Basis appelliert oder hat. Fides und scientia sind habitus iudicativi bezüglich
der Sätze, die als ‘geglaubt’ oder ‘gewusst’ klassifiziert werden. Die Bezeichnung ‘habi
tus iudicativus’ ist bei diesem Beweis und in dieser Erörterung als Funktionsbegriff
verwendet worden. Mit ihrer Hilfe gelingt die Induktion, insofern es möglich ist, von
ihrer Stufe förmlich auf die einer realen Geltung oder Identität hinabzusteigen. Ein
solcher Funktionsbegriff ist auch ratio: „Confirmatur: quia qua ratione unus habitus
respectu unius obiecti praesupponeret alium habitum respectu eiusdem obiecti, ea-
dem ratione ita esset de omnibus aliis; quod non est verum.“ Das ist kein eigentlicher
Widerspruchsbeweis.
Thomas will einen theologischen, i.e. transempirischen Gehalt oder Charakter der
Aussage in einen wissenschaftlich gewussten umgewandelt sehen, indem der zweite
aus dem ersten gefolgert werde. Die Umwandlung müsste also durch die Folgerung,
das ‘Folgern’ in actu, geschehen. Das widerlegt Ockham. Er bestreitet also zumindest,
dass die ‘Folgerung’ schon einer Synthesis von Aussagen und Genesis von Begriffen
vorgreifen könne, bzw. sogar deren Modus einschlösse. In diesem Sinne könnte man
dann wohl auch nicht die Ontologie oder realistische Auffassung in der Universali-
enlehre mit der auf die materielle Implikation zugeschnittenen Logik gleichsetzen.
Generell könnte man auch nicht eine empirische Erkenntnis in eine theologische und
transempirische umwandeln.
Zuvor aber widerlegt Ockham auch in anderer Form: Dabei hat die propositio
per se nota in diesem Beweis eine Stellung und Bedeutung, die ihrer Funktion in den
Widerlegungen und Refutationen in der Wissenschaftslehre Ockhams überhaupt
entspricht. Die propositio per se nota stellt die Art von Satz dar, der mit seiner Akt-
qualität unentschieden zwischen notitia intuitiva (empirischer Wahrnehmung qua
Gewinnung der Begriffe und Bestätigung kontingenter Aussagen nach der Wahr-
nehmung der Begriffe, die ihn bilden) und der notitia abstractiva (mit Absehen von
der empirischen Wahrnehmung und Wahrung des reinen actus apprehensivus der
Begriffe ohne actus iudicativus bezüglich ihrer Richtigkeit und Wahrnehmung einer
res extra mentem) oszillieren darf. Die propositio per se nota ist einsichtig rein aus
Ebene der Realgeltungen in se nicht (mehr) adaptiert; man operiert auch nicht beweisend ex
negativo, man bleibt aber mit der empirischen Geltung im Einklang, ohne sie direkt in An
schlag zu bringen. Man macht sie auch nicht per appellationem geltend, so dass man sie denn
immer noch meinte, ohne sie dem Satztypus nach zu aktuieren. Wir sind auf einer höheren
Stufe, auf der, wie der Beweis Ockhams es nahelegt und enthält, der actus iudicativus und ha
bitus über die intellectio des Satzes entscheiden muss und nicht die unmittelbare Evidenz, die
der beatus usw. haben mag. (Zur Stellung der Funktionsbegriffe im Argument s. besonders auch
Kap. 7, Duns Scotus, volitio und Affekte betreffend.)
. Die realistische Auffassung in der Universalienfrage ‘widerlegt’ Ockham, indem er sie als
(bloß) sprachlichen Ausdruck aufgreift und dann dessen Absurdität im Sinne der Abbildung
auf Realverhältnisse betrachtet: zwei real unterschiedene res (substantia und accidens) können
nicht eines werden usw. Damit ist auch eine Grundlage des Widerlegungsbeweises selbst ge
streift und insofern unbegrifflich das Widerspruchsprinzip ersetzt worden.
. Die verschiedenen Folgerungsarten, die Ockham annimmt, beruhen stets darauf, dass re
ale Beziehungen gedacht werden können, die nicht aus einer einsehbaren Eigenart im Realen
geschöpft werden können, sondern klassifizierend bloß ein Verhältnis im Äußeren feststellen,
etwa zeitlicher Natur usw. W. & M. Kneale und Pinborg haben ihr Unverständnis geäußert, in
sofern Ockham da nicht die materielle Implikation der Aussagenlogik in den Blick genommen
und zum Zentrum gemacht habe. Sie würde, wie hier erkennbar ist, seine Beweisarten und
Eruierungen nicht tragen können.
. Ib. p. 187 lin. 16 – p. 188 lin. 2. Darauf wird zum Teil schon verwiesen in Kap. 3 p. 112
Anm. 129.
170 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
der Wahrnehmung der Begriffe, wenn man sie erfährt, gleichgültig wie sie denn für
uns in unserem Bewusstsein und Verstand sich gebildet haben, nämlich ursprünglich
durch notitia intuitiva. Die propositio per se nota ist aber auch unmittelbar einsichtig
im Sinn der Wahrnehmung von Realverhältnissen. Also etwa, dass das Ganze größer
ist als der Teil. Das gilt in der empirischen Wahrnehmung wie aus dem Verständnis
der Begriffe. Ob dabei für die abstrakte Einsicht des Satzes bereits Schlüsse nötig sind,
wenn sie wirklich abstrakt sein soll, wird von Ockham nicht erörtert. Die propositio
per se nota strebt im Prinzip einem Gebrauch innerhalb von Widerlegungen zu, sie
fixiert nirgendwo den Aktstandpunkt. Sie gibt auch in anderen Fällen das Negativ
zentrum einer Argumentation ab, in welchem die Bestimmung von Satzcharakteren
usw. de facto nicht abgeschlossen werden kann. Es ist also nirgendwo gesagt, was der
Status einer propositio sei, wenn sie implizit und induktiv noch mit einer propositio
per se nota vertauscht oder ‘verwechselt’ werden kann, das heißt von dieser ungeschie
den und ununterscheidbar bleibt. Die propositio per se nota ist per se offen, i.e. unabge
schlossen nach ihrer Bestimmtheit und entsprechend erscheinen die Sätze, die mit
ihr verglichen werden können, i.e. womöglich noch ‘propositio per se nota’ sind, weil
von ihr de facto ununterscheidbar, ebenfalls als unabgeschlossen und selbst ebenso
wie ihre Termini (subiectum und passio) indefinit. Ockham erforscht dann an dieser
Stelle nicht Genesis und Synthesis der Begriffe oder des Satzes. Das bedeutet unter
anderem, dass dieser ‘noch’ nicht auf der Stufe sich befindet, auf der Satzwert und
‘Wahrheit’ fixiert werden könnten: u. U. als widersprüchlich, als die modale Bestim-
mung falsum tragend, gar die Bestimmung ‘simpliciter falsum’ (= absurdum).10
Ockham betrachtet also ausschließlich den Status der Begriffe und Aussagen,11
i.e. deren Charakter nach den Bestimmungen, die er ihnen nach der synthetischen
Funktion seiner Erörterungen gibt.12 Er erörtert oder bestimmt nicht Inhalte außer-
. Z. B. wenn Ockham beweist, welche Aussagen oder Begriffstypen bezüglich der divina es-
sentia in einem bestimmten Fall nicht beweisbar seien. (Es handelt sich dann nur um eine Kate-
gorie solcher Begriffe. Der Beweis ist also wirklich auf einen casus ausgerichtet.)
10. Ockham kann also den Satzcharakter und die Wahrheit (bei Begriffen) grosso modo unbe
stimmt (sein) lassen: er nähert sich dann der Unbestimmtheit schlechthin an, der Absurdität,
der Nichtigkeit überhaupt, die mit ihnen vereinigt gesehen werden kann oder könnte. Struktu
ren der Sätze, die gelten und das heißt: klassifiziert sein sollen, werden „über“ dieser Nichtig
keit etabliert, erfunden und ‘ermittelt’ – per inductionem, wenn nicht Widerlegungen vorausge
hen, die die Unqualifiziertheit, falsitas usw. ergeben. Gegenbeispiele haben dieselbe Funktion:
patet per experimentum. Die Induktion vermeidet so Nichtigkeit, Falschheit, Absurdität.
11. Dass über Aussagen, Begriffe (nach einer Bestimmtheit), actus-Begriffe usw. wie über ex
tramentale Objekte operiert (= „bewiesen“) werden kann, verweist darauf und beruht darauf,
dass etwa die Absurdität (oder Indefinitheit), i.e. die Unerfüllbarkeit und die Unbestimmtheit
als intensionale, modale oder pragmatische Kategorien oder Konzepte bereitstehen.
12. Cf. G. Leff, Gregory of Rimini, 1961 p. 236: „With Ockham, his logic was that of supposi
tio; and it brought to the testing of a syllogism the same stringency, insisting in opposition to
Duns that both a subject and its properties must be verified independently.“ Das bezeichnet
Kapitel 4. Fides et scientia 171
halb bzw. ohne diese auf die Struktur bezogene synthetische Komponente der Bestim-
mungen. Nur auf sie beziehen sich die Induktionen, die darin mit Ausschließungen
und Widerlegungen gleichziehen. Damit gilt auch für ihn, was hier für Duns Scotus
zuvor und nunmehr für Thomas von Aquin dargelegt und behauptet wird: dass die
historische Erscheinungsform einer Lehre nach dieser Argumentationsform für die
Scholastiker sich als defiziente analytische Form der Aussage oder Beweisführung
wiedergeben lässt. Auch Thomas von Aquin hängt erkennbar einem analytischen
Konzept der Darstellung und Begründung an, hier für die scientia selbst, bei welchem
die Folgerung tragende Säule und zugleich, wie Ockham zeigt, uneinlösbar ist. Denn
die Folgerung kann nicht bestehen, wie die Induktion zeigt, die sie reflexiv aufgreift.
Sie greift auch auf die significatio unterhalb der Aktebene zurück, wenn Ockham sagt,
„inductive patet“ dass ein habitus nicht identisch mit einem anderen und anders be-
zeichneten sein kann, der dann noch für dieselben Akte (propositiones = complexa)
gelten können, also ‘judicativ’ (seinen) Gehalt geltend machen können soll.13 Man
könnte auch sagen, dass Ockham immer bei diesem actus apprehensivus stehen blei-
ben müsse, so dass er dies hier sogar noch a fortiori und express zu beweisen hätte.
Dem actus apprehensivus schließt sich der habitus unmittelbar an und zwar für die
Begriffe sowohl wie für die Sätze (und beides dabei nicht identisch).
Der Übertrag aus der außer- und übermenschlichen Intelligenz oder intellec-
tio, sei es Gottes oder des Engels, auf die menschliche ist damit auszuschließen.14
Ockhams Beweise erlauben ihn nicht. Andernfalls wäre Verlässlichkeit der Aussa-
gen oder Bestimmungen usw. nicht gegeben. Sie wären potentiell absurd.15 Auch in
kein durchgängiges und nicht Ockhams einziges Verfahren, wenngleich ein nach strukturellen
Kontexten, die so definiert werden, explizit wiederholbares. Er widerspricht allerdings der Sco-
tischen Auffassung, Begriffe (subiectum und passio) könnten einander ‘enthalten’.
13. Der habitus iudicativus aber gilt einzig hinsichtlich von complexa, während der actus iu
dicativus incomplexa auffassen kann, etwa innerhalb der notitia intuitiva, die aus einem actus
apprehensivus und einem actus iudicativus besteht oder zusammengesetzt ist, also besagt, dass
neben der apprehensio eines Begriffs, etwa ‘puella’, festgestellt werden, dass der Begriff in Anwe
senheit eines Mädchens gebraucht, demonstrando istam, zutreffend, die Wahrnehmung ‘haec
est puella’ also richtig oder wahr sei.
14. Das schließt nicht aus, es schließt es vielmehr ‘ein’, dass dieselben Abstraktionsbegriffe, die
für alle Erkenntnisse, eben so weit wie wir sie uns vermitteln können, auch für Gott und Engel
verwandt werden können und müssen: notitia intuitiva und notitia abstractiva. Dasselbe gilt
für alle Aktbegriffe, volitio, intellectio etc. in genere. Den Begriff der causa etwa ebenso.
15. Das schließt nicht aus, dass in der umgekehrten Richtung per Abstraktion und Induktion
für Ockham die Sehrwohlmöglichkeit (Kompatibilität) von Erkenntnissen angenommen wer
den kann, die wir nicht haben, die aber auf der Basis derselben Grundbegriffe wie notitia intu
itiva und notitia abstractiva gedacht werden sollen, bei denen etwa die divina essentia als ‘res’
das Erkenntnismittel des beatus usw. infrage komme oder ein sonstiger terminus, den wir pro
statu isto nicht haben. Davon zu unterscheiden der conceptus, den wir als menschlichen termi
nus quasi haben.
172 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
keinem ordo compossibilis, i.e. in einer von der unseren verschiedenen aber ihr noch
vergleichbaren Welt, könnte diese Einsicht, weder für uns noch für andere Wesen,
gegründet werden.16 Wir könnten aus dieser anderen Welt keine begriffliche causa
immediata für die unsere entnehmen. Die eine über unseren Teil der Welt, also über
die weltliche Welt hinausgehende andere überweltliche Welt kann entsprechend dem
Verfahren, das mit Abstraktion und Induktion arbeitet, i.e. wegen dieses Verfahren
von Abstraktion und Induktion selbst, abgetrennt werden. Werden vor diesen Mitteln
der Abstraktion und der Induktion, die ja von der empirischen Basis ausgeht, keine
Beziehungen zur Jenseitswelt angenommen, so werden auch die Ausgriffe, die danach
möglich sind, nicht als Vorgriffe auf unsere Welt verstanden werden können, die eben
diese im Sinn der Definitheit und der Empirie zu betreffen, zu beschädigen, außer
Kraft zu setzen hätten. In diesem Sinne können Prinzipien wie ‘non est magis ratio
quod’ und das Omnipotenzprinzip in die Debatte eintreten. So gilt:17 „non est maior
ratio quod necessaria credibilia sint scita scientia proprie dicta quam quod veritates
contingentes credibiles sint evidenter notae modo suo. Sed istae non sunt evidenter
notae; tunc enim posset quilibet scire se esse in caritate, quod corpus christi est in al
tare, quae videntur simpliciter falsa. Igitur necessaria theologica non sunt scita scien-
tia proprie dicta.“ Auch Wahrheiten, von denen Ockham zugibt, dass sie notwendige
Wahrheiten seien, werden als in keiner Weise in unsere Welt übertragbar angesehen,
damit offenbar aber auch nicht als dem Menschen einzupflanzende.
Auch das Omnipotenzprinzip, nominell doch eine erklärte Formel mit Bezug auf
die Überweltlichkeit, wird von Ockham hier noch gegen Thomas von Aquin gewandt,
wie dieser die Parallelität der Dies- und der Jenseitigkeit, im Sinne einer Folgerung
und Fortsetzbarkeit zugleich, behauptet. Es wird derart gegen Thomas gerichtet,
dass für die Überweltlichkeit gemachte Annahmen, bzw. Ideen und Erkenntnisse,
Gewissheiten usw., die im Geist Gottes z. B. anzusiedeln wären, per Folgerung und
Fortsetzung, zu Schlüssen für den Menschen zu führen hätten, mit denen dieser eine
in sich, i.e. weltlich bestimmte Gewissheit und Erkenntnis gewönne, so wie ihm die
Gewissheit kraft der höheren Deszendenz für die Prämissen oder Prinzipien auch ga
rantiert sei. Eine solche Argumentationsstruktur bereits steht der Induktion entgegen
und kann faktisch von Ockham daher nicht akzeptiert werden. Sie wäre gleichsam
noch nicht begrifflich. Wir können uns mit Ockham auf reine Begriffe stützen oder
uns auf sie ausrichten, nicht auf bloße Vorstellungen. Insofern natürlich auch Duns
Scotus in der Tendenz wenigstens Begriffe benötigt und gebraucht, und Thomas zwei-
fellos rational und somit auch begrifflich denkt, stellt Ockhams Einspruch wesent-
lich nur eine formative Analyse dar und ist damit rein intensional. Sie beantwortet
die Frage: wie können wir Begriffe rational und methodisch definit gebrauchen?18
Das Omnipotenzprinzip stellt dabei einen Funktionsbegriff dar, der nicht gegen die
natürliche Erkenntnis greift und nicht in sie eingreift:19 „quod quantumcumque de
potentia Dei absoluta posset esse scientia proprie dicta de veritatibus theologicis, et
forte in aliquibus ita sit de facto quantum ad aliquas veritates, tamen quod non sit
secundum communem cursum, arguo primo sic: omne quod est evidenter notum
aut est per se notum; aut notificatum per per se nota; aut per experientiam mediante
notitia intuitiva, et hoc mediate vel immediate. Sed nullo istorum modorum possunt
ista credibilia esse nota. Quia non sunt per se nota, manifestum est; tunc enim essent
nota infidelibus. Nec notificantur per per se nota, quia tunc quicumque infidelis in
terrogatus de eis assentiret, secundum beatum Augustinum I Retractionum cap. 8.“
Es gäbe mithin hier eine Befragungsmethode, die dann aber de facto logischen
Charakter haben können müsste, und da den propositiones per se notae gälte, und
hier mit dem Aufbau und Erwerb der propositiones zu tun haben müsste. Die Befra-
gungsmethode müsste vorab schon nach einem logischen Charakter geordnet sein.
Also kann der Status der propositiones per se notae in sich auch nicht ganz geklärt
sein. Man müsste in diesen eingreifen und in ihm angesiedelt die Erstellung der Aus-
sage oder Erkenntnis betreiben können. ‘Daher’ unterscheiden sich diese Aussagen
auch von denen, die per notitiam intuitivam allein gelten können: „Nec sunt nota per
experientiam notitia intuitiva mediante, quia omnem notitiam intuitivam quam ha-
bet fidelis habet infidelis; et per consequens quidquid potest fidelis scire evidenter
mediante notitia intuitiva, et infidelis, et ita infidelis posset evidenter scire ista cre
dibilia.“ Der infidelis kann aber auch nur nicht im Sinne der Ausgangsvoraussetzung
(Prämisse) dieselbe Erkenntnis haben wie der fidelis ex fide. Ockhams Beweisführung
gilt also im Sinn der Voraussetzung bereits und nur induktiv. Ockham gebraucht da-
bei das Omnipotenzprinzip indes bloß partikular, nicht im Sinne eines Durchgriffs,
des octrois ante omnem circumstantiam. Die Umstände, speziell in der distinctio
realis dargelegt, hatten immer zur weltlichen und innerweltlichen Begrenzung die
ses doch formell überweltlichen Prinzips geführt. Auch hier an unserer Stelle hatte
Ockham das Omnipotenzprinzip bloß partikular verwandt oder in Anschlag ge-
bracht; es reicht nicht weiter als dass es die Definitheit sichert: diese muss Thomas
bestritten werden. Der Übertrag zwischen den beiden Weltbereichen wird gekappt. Oh
nehin kann die Kausalität mittels des Omnipotenzprinzips bloß derartig gesichert
werden, dass induktiv (für die Induktion) von der causa necessaria zur causa sufficiens
fortgeschritten wird. Die causa sufficiens enthält gleichsam eine innere consequentia,
die dann deren Verhältnis angibt oder darstellt. Die Notwendigkeit wird dann so sta-
tuiert, dass sie nicht mehr zugleich eine empirische ist.20 Die empirische Kausalität ist
aber für Ockham keine der unbedingten und unmittelbaren Angrenzung von causa
und effectus, wobei die causa als eine einzige und definit unmittelbare die Wirkung
auslösende, also mechanische, gedacht wäre. Causa und effectus sind nicht im Bilde
voneinander darstellbar. Wir finden keine inneren Merkzeichen des effectus in der
causa (und umgekehrt), so dass sie einander zugeordnet sein könnten.21 So greift die
Allmacht Gottes nach einer kontingenten Ordnung ein, nicht nach einer notwendi
gen im Sinne wesenhaft verbundener Erscheinungen.22 Als generelle conclusio quoad
nominales kann aber gelten: indem die Induktion mit der Stufendifferenz zwischen
Abstraktion und Empirie zu tun hat, dieses Gefälle wahrt und argumentativ herstellt,
wie hier erkennbar auch die opinio Ockhams selbst, kann sie die Abstraktion über die
Empirie hinausheben und diese Empirie zugleich im Blick behalten, wie denn wenigs
tens förmlich hier auch geschieht. Denn fidelis und infidelis sind ja auch praktisch
und empirisch geschieden, weil die opinio beide Stufen oder Ebenen nicht vermischt.
Am Ende reduzieren sich darauf, wie man nach dieser Darstellung vermuten darf, die
Differenz und der Gegensatz Ockhams zu Thomas.
Was die Differenz zwischen Duns Scotus und Ockham angeht, so soll generell
vermutet werden, dass eine analytische Funktion zwischen Aussagenteilen in den The
sen des Duns Scotus als improbat zurückgewiesen werden kann und entsprechend
‘logisch’ und ‘illogisch’ einander naherücken. Wie die Differenz zwischen Ockham
und Duns Scotus sich ausnimmt, lässt sich leicht zeigen. „Quod autem theologia sit
oder Auslegung mehr nötig haben soll; dies wird negiert. Somit wird eine Abstraktion auch
hier vermöge der Argumentation, die die causa oder ratio sufficiens statuiert, vorgenommen.
21. Ockham hätte, wenn er den Weltbegriff mittels des hemmungslosen Gebrauchs des Omni
potenzprinzips erkenntnistheoretisch zu verunsichern vorhätte, konsequent auch die Psycho
logie der Akte und Affekte destabilisieren müssen, die u. a. die Glaubenslehre und Erläuterun
gen des evangelischen Gesetzes zu tragen haben: dieser Teil des Christentums könnte dann
nicht mehr ausgelegt und adaptiert, i.e. nicht mehr vermittelt werden. Es gäbe gleich keinen
Maßstab mehr für ihn. Der Vater und der Sohn würden im Widerspruch stehen. Wir haben
jedoch in der Psychologie bei Ockham nachweislich einen besonders festen Teil der Empirie,
der indes, weil hier Kausalverhältnisse, Kontingenz, Relationsbegriffe vorliegen, bezüglich ir
gendwelcher scheinbaren Notwendigkeitsverhältnisse mittels der Argumentation Ockhams
revidiert werden kann: Kein Begriff enthält faktisch einen anderen, keine causa ihren effectus
in einer die Auslegung dominierenden Weise. Das unterwirft auch die Christenlehre der Ratio
nalität. Es fragt sich, ob in einem prägnanten Sinn auch der Rationalisierung. (Der neuzeitliche
Rationalismus ist thematisch vorab auf den Schöpfergott festgelegt.)
22. Cf. den Gottesbeweis des Duns Scotus, der eine solche Wesensordnung, zuvor beweisför
mig dargelegt, zum Ausgang für den Aufstieg zu Gott nimmt. Die potentia divina absoluta
wird von Ockham allein loquendo naturaliter für kontingente und empirische Sachverhalte
eingeführt. Das beweist bereits, dass sie diese nicht grundsätzlich stören soll. Loquendo supra-
naturaliter wird die potentia divina absoluta dann modales Prädikat von (modalen) Sätzen, die,
der empirischen Obligation entzogen, diesen Modus dann modo composito empfangen, also
nicht mehr dem suppositionslogischen Wahrheitspräskript für kontingente Sätze unterliegend.
Da könnte sie nur modo diviso gelten.
Kapitel 4. Fides et scientia 175
scientia, probatur, quia illud potest sciri de quo scitur quod ad ipsum non sequitur
impossibile. Sed de quolibet theologico potest sciri quod ad ipsum non sequitur im-
possibile, quia vel erit peccatum in forma et potest solvi, vel in materia et potest ne-
gari, quia ex hoc ipso quod est falsa, non est per se nota.“23 Wenn Duns Scotus sagt,
dass was per se notum sei, nicht falsch sein könne, dann rechtfertigt er, was dem
actus apprehensivus – und sei es per notitiam intuitivam – angehört, durch einen
metaphysisch zu verstehenden Wahrheitswert; das enthält oder fordert wohl einen
gewissen Zirkelschluss: das per se notum müsste zusätzlich durch die Bestimmung,
dass es nicht falsch sein könne, definiert oder ergänzt werden. Die opinio sequens
aliquid per se notum, hieße das womöglich auch, non potest esse sine actibus conclu-
dendis. Es müsste etwas gegen die falsitas gesichert sein. Wie denn? Das per se notum
müsste so ‘allgemein’ für das Erkennen stehen können, worin es nicht ausgewiesen
ist. Bei dem Widerlegungsbeweis Ockhams gegen Thomas steht es sogar umgekehrt
beschränkt und sehr speziell, nicht für das Erkennen allgemein. Nach Duns Scotus’
oben zitierter opinio müsste Wahrheit forderungsweise durch Schließen gesichert
werden können, ohne notwendig durch Schließen bestätigt werden zu müssen. Es
hieße, dass das logische Folgern potentiell, wie Ockham bei Erörterung des Verhält-
nisses und Unterschieds von medium intrinsecum und medium extrinsecum zeigt,
„auch“ außerhalb des Operierens steht. Dieses kann damit logisch sein oder nicht; es
tut nichts zur Sache.24
Für die Lehre von der demonstratio (im Syllogismus) gilt, dass die notitia praemis
sarum causa notitiae conclusionis sei. Nicht aber die praemissae (als Sätze oder Akte)
causa der conclusio. Ockham beruft sich dazu auf Aristoteles, der indessen nicht ganz
dasselbe sagt. Die necessaria sind necessaria nicht notwendig bereits durch den logi-
schen Schluss im Syllogismus, derart, dass sie damit auch scientia proprie dicta und
„scita scientia proprie dicta“25 wären. Würde die Notwendigkeit aus Syllogismus oder
consequentia geschaffen, gäbe es die Induktion nicht, die, wie man sieht, jede Deduk-
tion oder Nichtdeduktion überfassen kann, bzw. eine Deduktion auch als scheinbare
entlarven. Die Scholastik war gezwungen, Notwendigkeiten zu schaffen und sie schei-
terte daran. Bedenkt man, dass damit contingentia als Notwendigkeiten erscheinen
und ausgegeben werden könnten, so wäre die Anstrengung überflüssig und sinnlos;
man könnte aus contingentia Sätze folgern, „quae videntur simpliciter falsa“.26 Es gibt
keine Möglichkeit, kontingente Aussagen so als propositiones per se notae zu denken,
dass damit, wie sie strukturiert sind, Aussagen als wahre ‘folgen’ könnten – nämlich
23. Ib. p. 186 lin. 8–13 (Bei Duns Scotus Reportatio Paris., I, Prol. q. 2 nn, 6–12 ed. Wadding,
XI-1, 15b–19b).
24. Duns Scotus’ Programm oder Konzept bzw. Theorie, wie wir es aus seiner Deduktions-
bzw. Beweispraxis kennen, wird hier nicht beachtet. Es erweist sich ‘bezüglich dieser Stelle’ als
gebrochen oder diskontinuierlich
25. Ib. p. 188 lin. 15. Gesamter Textabschnitt s. Angabe Anm. 8.
26. Ib. p. 188 lin. 14. Gesamter Textabschnitt s. Angabe Anm. 8.
176 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
im Sinne des logischen Schlusses –, während aus ihrer Verneinung absurde Aussagen
zu folgen hätten, die aber nirgendwo aufträten. (Wenn ja, so könnten sie als fallaciae
erkannt und emendiert werden.) Im Grunde hat Scotus, mit seiner These, dass credi-
bilia, indem sie ‘non ad impossibile ducunt’, ‘wahr’ und ‘wissenschaftlich’ erkennbar
seien, versucht zu zeigen, dass sie propositiones per se notae seien. Das hat Ockham
mit diesem Argument faktisch zurückgewiesen. Ob Scotus damit – auch – auf den
Syllogismus rekurrieren wollte,27 oder ob er das Beweismittel im Beweis nicht viel-
mehr offen ließ, soll ebenso unerörtert bleiben wie die Frage, ob nicht Duns Scotus
bereits mit einer großen Menge für nicht beweisbar erklärter Glaubenssätze in gewis
sem Gegensatz zu der zitierten Stelle stünde. Beide Ansichten des Duns Scotus könn
ten auch kompatibel sein. Duns Scotus ‘beweist’ aber selbst wenig effizient, eigentlich
kaum.
Eine weitere Ansicht, die Scotus näherungsweise behandelt und zurückgewiesen
hat,28 lautet in Ockhams Zitierung: „quod theologia est vera scientia non solum quan-
tum ad conclusiones sed quantum ad principia, ita quod habita fide principiorum,
virtute illius fidei et luminis intellectus agentis adquiritur scientia illorum eorun-
dem.“29 Wieweit damit vereinbar bzw. konsistent noch die andere Meinung gelten
kann, dass theologische Glaubenssätze mangels für sie beweisbarer Ungereimtheit
(Falschheit, Absurdität), also wegen dieser Unbewiesenheit oder ‘Unbeweisbarkeit’,
zu gelten hätten, wie das oben wenigstens als partielle Scotische Meinung sich ergab,
muss unerörtert bleiben: es müsste dazu generell gezeigt werden können, dass (eine)
Folgerung in Bezug auf die Signifikativität bei Duns Scotus wirklich gegeben ist, was
u. a. besagte, dass Signifikanz Definitheit sei. Das müsste, wie Ockhams Beweis für die
Geschaffenheit der Welt lehrt, bedeuten, dass determinatio implicatio30 sei oder mit
beinhalte. Eine explizite Meinung im Sonderfall wäre also die allgemeine, die theore-
tisch strukturierte. Allgemeinheit und Besonderheit fielen so zusammen, wie es denn
bei Scotus immer der Fall ist und schließlich dessen Differenz zu Ockham ausmacht.
Denn für Ockham ist Folgerung Sache der Definitheit. Könnten die opiniones oder
27. Der Syllogismus hat (wenigstens) für Ockham methodisch Vorrang. Das medium extrin
secum, das Ockham dem Syllogismus bei der consequentia formalis alternativ attachiert, wird
keine Sonderstellung erlangen können, weil dort, wo der für Ockham beweistheoretisch ent
scheidende Syllogismus unmöglich ist, keine consequentia ihn formal oder inhaltlich begrün-
den kann. Der Syllogismus hat immer ehestens empirischen Kredit.
28. Bei Duns Scotus Reportatio Paris., I, Prol. q. 2 nn, 6–12 ed. Wadding, XI-1, 15b–19b.
29. Ib. p. 185 lin. 14–18.
30. Ockham lässt hier Quaestiones variae q. 3 OT VIII pp. 59–97 zu, dass Gott widerspruchsfrei
eine ewige Welt habe schaffen können, aber (p. 67 lin. 141) nicht ab aeterno die creatura. Die
Widerspruchsfreiheit wird hier für einmal dem Begriff angeschlossen, was bedeuten muss, dass
eine Folgerung entfalle; für einen identisch signifikativen Begriff kann sie dann nicht unterstellt
(angenommen) werden, was bedeuten muss, dass der Gottesbeweis des Duns Scotus entfallen
muss und nicht zum theologischen Lehrgut gehören kann. Cf. auch Anm. 43.
Kapitel 4. Fides et scientia 177
argumenta Scoti nicht strukturiert werden, so wären sie bloß insignifikant und mit
denen Ockhams – auch struktural – inkompatibel, und so wäre über sie mit dem hier
Gesagten negativ entschieden. Es wäre nicht nötig, das explizit auszuführen: Die Skiz-
ze bereits entscheidet über den Fall. Wer historisch die zuletzt zitierte Meinung, die
Duns Scotus verwarf, vertreten hat, ist nicht klar.31
Für Ockhams Stellung zwischen Averroismus und Thomismus bzw. die Abhän-
gigkeit und Beeinflussung durch einen von beiden (mit Vorrang) oder durch beide
lässt sich eine Stelle anführen, deren Wortlaut zumindest die Tendenz gegen Tho-
mas und Duns Scotus bekräftigt: „Quidam, sicut philosophi, tenent quod ad omnem
scientiam nobis possibilem possumus naturaliter attingere, et ideo nihil est credibile
mere nisi quod potest sciri evidenter.“ Das hieße, dass der Bereich der bloßen cre-
dibilia, der nicht der Vernunft zugänglich sei, für den Menschen keinen Sinn ma-
che. Das ist die averroistische Ansicht, die dann im 12. Jahrhundert an der Pariser
Universität nach dem Bekanntwerden der vollständigen Werke des Aristoteles als die
Meinung des Averroes denn auch adoptiert worden ist. Der berühmteste Vertreter
dieser damals nicht kleinen Bewegung war Siger von Brabant. „Sed ista opinio“, sagt
Ockham, „non potest improbari per rationes naturales sed tantum per auctoritates,
sicut alias patebit.“32 Der Schluss ‘non scibile (per intellectum naturalem), ergo –
tantum – credibile’ soll also, so muss man entnehmen, nicht gezogen werden. Das
wäre auch gegen jeden korrekten Abstraktionsmodus.33 Als weitere opinio wird von
Ockham anschließend zitiert: „quod quamvis credibilia possunt evidenter sciri, non
tamen a nobis pro statu isto de communi lege. Et ideo theologia, secundum quod
communiter addiscimus eam, non est scientia proprie dicta respectu talium credibi
lium, quamvis respectu aliquorum posset esse scientia.“34 Von dieser Lehrmeinung
sagt Ockham:35 „Et istam opinionem reputo veram“.36 Es ist also die seine. Es ist dann
die Frage, wieweit es sich, wenn die credibilia beweisfähig werden, noch um reine
credibilia handeln könne. Man kann sogar sagen, die opinio Ockhams bewahre für
die gesamte Scholastik eine gewisse Diskordanz und betrachte deren Unterfangen als
gescheitert. Es enthalte hinsichtlich des Materials der theologischen Untersuchun-
gen insgesamt einen Widerspruch, der allerdings zu bedeuten hätte, dass Ockhams
Untersuchungen doch geführt werden könnten (geführt werden müssten). Jedenfalls
wären die Untersuchungen, die Ockham vornimmt, nicht vorab, unter der Vorga-
be, sie seien unzulässig und sinnlos, auszuschließen. Als schlechthin notwendig und
legitim sind sie damit nicht eigentlich bewiesen.37 Es ist aber festzuhalten, dass als
Basis in der Induktion Momente inhaltlicher Natur auftreten, die als von dem Wider
spruchsmoment nachweislich oder denkbarerweise ebenso frei sind wie ein Wider
spruch für sie nicht erwiesen werden kann: sie sind oder gelten als Elemente oder
Aussagen, bzw. Erfahrungen oder Wahrnehmungen von absoluter praktischer Natur.
Der Widerspruchssatz oder das Widerspruchsmoment entfallen als Regulativ ebenso
wie als Basis der Induktionen und der Begründung der Sätze, die etwa modaliter als
‘potest persuaderi’ apostrophiert würden usw. Es muss auch nicht angenommen wer-
den, dass das Widerspruchsprinzip über die Wertigkeit der Glaubenseinsichten oder
aber der Differenz und Distinktion von Glauben und Wissen entscheide. Ockham
sagt, dass die Akzeptanz (determinatio) von Glaubensaussagen nicht von erwiesener
oder mutmaßlicher Widerspruchsfreiheit abhänge bzw. dass sie nicht trotz eines Wi
derspruchs gegeben sei. Es ist nicht das Widerspruchsprinzip, das über die Akzeptanz
von Strukturen (Formen) und schließlich Inhalten entschiede. Die Inhalte können
mit den oder ohne die Strukturen gebilligt werden; organisch spielt darin nur das
Widerspruchsprinzip keine Rolle.
Nun ist die Basis des Erkennens bei Ockham die Empirie, sc. das obiectum oder
res singularis extra mentem, deutlicher noch die notitia intuitiva38 und schließlich
(p. 442 lin. 19f „sicut motores corporis“) außerhalb des Menschen sein. Ib. lin. 21f: „(Commenta
tor) in hoc negandus est a christianis.“ Ockham nennt (lin. 24) intellectus agens und intellectus
possibilis „omnino idem re et ratione“, so dass gelte (lin. 23) „non est ponenda pluralitas sine
necessitate“ (Ökonomieprinzip). Doch (lin. 25 – p. 443 lin. 3): „Tamen ista nomina vel concep-
tus bene connotant diversa: quia intellectus agens significat animam connotando intellectio
nem procedentem a anima active. Possibilis autem significat eandem animam connotando
intellectionem receptam in anima. Sed idem omnino est efficiens et recipiens intellectionem.“
37. Noch einmal wird damit nachgewiesen, dass Ockhams Verfahren (und Anlage der scien-
tia) nicht einem logisch-analytischen Deduktionsmodus entsprechen kann, weder theoretisch
(in der Fragestellung) noch praktisch (in der Beantwortung der Frage). Zwischen credibilia
und scibilia muss kein ‘Widerspruch’ existieren. Ockham tendiert ohnehin zu compatibilia, er
stützt solche Entscheidungen aber durch strukturale Exegesen ab. Hier ist der Folgerungsmo
dus nicht eminent und leitend. Eben auch nicht für die Relation der compatibilia selbst.
38. Es ist erkennbar, dass Determinatheit unabhängig von Definitheit gesichert werden kön-
nen muss und entsprechend keine entbehrliche topologische Grundgröße ist: die notitia intuiti-
va bezüglich der Feststellung der Nichtexistenz und Nichtpräsenz muss, um gegenüber einem
Kapitel 4. Fides et scientia 179
obiectum extra mentem unanhängig (vor-)gegeben sein zu können, wo sie nicht verursacht
sein kann, weil das obiectum ja nicht existiert, dem der Urteilsakt mit der negativen Feststel
lung entsprechen soll, nach der Erzeugung angesichts eines empirischen Objekt außerhalb des
Subjekts für diesen Urteilsakt bewahrt (konserviert) werden sein. Conservator praeter omnem
causationem aber ist Gott. Er ist, wo er hervorbringt, in seiner Weise also schafft, stets auch der
conservator und umgekehrt. Er „erhält“ (= bewahrt) eine notitia intuitiva, die damit als solche
definit bleibt. Sie bleibt – nur so – jene Instanz, die secundum definitionem über Präsenz (oder
existentia) und Nichtpräsenz des kontingenten Objekts entscheidet. Es gibt also eine einge-
schränkte Vergleichbarkeit mit der Erkenntnislehre Berkeleys, der zufolge Gott selbst in uns die
empirische Erkenntnis bewirken muss, freilich die des dabei geforderten realen Gegenstands,
der von existentia, nicht von Nichtexistenz, was bei Berkeley ja geradezu widersinnig zu sein
hätte.
39. Vignaux meinte, für uns als Betrachter müsse es gleichsam natürlicherweise naheliegen,
mit der notitia abstractiva dann die Notwendigkeitswertigkeit von Sätzen zusammenzulegen,
also zu vermuten, dass die notitia abstractiva notwendig und einzig solche notwendigen Sätzen
Raum zu geben und sie zu tragen habe. Doch ist erkennbar, dass die Qualifikation von Sätzen,
auch die notwendiger Sätze ebenso wie die derjenigen Sätze, die aus der propositio contingens
sich ergeben, allein aus der Betrachtung des Verhältnisses von s und P entwickelt wird: per ar-
gumentationem ad locum. Sie sichert die Signifikanz, die nicht absolut ist und nicht per se der
Abstraktion angehört, der sie nur durch petitio principii zugeschlagen würde.
40. „dico quamquam…tamen (= gleichwohl)…“ oder „Nego istam consequentiam“ sagt
Ockham dann wohl. Eine consequentia negiert auch Duns Scotus: „Sed nonne sequitur, a et b
non sunt idem formaliter, ergo sunt formaliter distincta? Respondeo quod non oportet sequi,
quia formalitas in antecedente negatur, et in consequente affirmatur“ (nach L. Honnefelder,
1979 p. 378). Sollte er das tertium non datur damit bestritten oder negiert haben (wollen), hätte
er es über die Ablehnung einer consequentia getan. Das ist kompliziert: Diese Negation muss
damit zugleich die distinctio formalis (formalitas) definieren, wenn diese Allgemeinheitswert
haben = allgemeingültig sein können soll. Die distinctio formalis könnte dann kaum mit Fug in
eine Deduktion eintreten, wie wir sie Scotus zuschreiben; nach H. Scholz, Abriss der Geschichte
180 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
der Logik, 1931 p. 20 in Anm. 26 liegt sie idealtypisch bei Spinoza vor. Scholz berücksichtigt
noch nicht das Paradox von Löwenheim und Skolem.
41. Hier scheiden die Tautologien aus, in deren Nähe Vignaux Ockham bei seinen Exegesen
gesehen hat. Die persuasio kreiert die strikt nicht-tautologische Aussage (die eingegrenzt gülti
ge Devise) oder Struktur. Dazu insbes. Kap. 7.
42. Damit wird bis in die Struktur und Auflösung der fallaciae hinein der Unterschied von
substantia und accidens wirksam. Es ist insbesondere auch noch zu zeigen, wie die Unterschei
dung für die Erörterungen der Naturphilosophie gilt und hier zur Duplizität von forma und
akzidentell bestimmter Veränderlichkeit und eben Unbestimmtheit bei physischen Vorgängen
führt und darin zur Beweisform der persuasio, um den Begriffsgehalt festzustellen und eben
bezüglich einer gewissen Einheitlichkeit zu klären, was stets der Abstraktion gleichkommt.
43. Auch hier ist die (negierte) Folgerung Teil des Inhalts. Das bestimmt die Determinatheit.
Z. B.: Gott kann medium cognitionis in einer notitia beatorum sein, es kann eine notitia ab
stractiva sine notitia intuitiva praecedenti geben und schließlich noch eine notitia abstractiva,
die ein eigenes Medium hätte und neben der notitia intuitiva in der visio beatifica, die notitia
intuitiva ist, anfiele.
44. Könnte es geschehen, so gäbe es vermutlich ein Problem der Definitheit. Denn es könnten
nicht dieselben elementaren Bestandteile oder Richtgrößen, wie etwa die notitiae, aber auch
alle Argumentformeln und -begriffe, wie etwa forma, ratio, usw. auftreten. Argumentformeln
und Argumentbestandteile hätten keine vergleichbaren ‘Gegenstände’ und Bezüge, womit jede
Argumentationsart à la Ockham entfiele. Man müsste a parte praedicati vorgehen und ana
lytisch operieren (begründen) = Tautologien oder Trivialitäten angeben; man wüsste nicht, wie
es bei Ockham der Fall ist, ob die strukturell verwendeten reflexiven Begriffe gefasst hätten.
45. P. Vignaux, 1938 und 1948 p. 185. Vignaux’ Interpretationen besagen immer, dass notorische
Implikationsbestandteile bei Abstraktionen wegfallen können sollen und sollten, weil dies zu
deren methodologischer Technik gehöre. Nicht nur bei Ockham. Auch bei der Methode der
Kapitel 4. Fides et scientia 181
longuitudines oder latitudines. Es wird der Anschein einer „per se“ bestehenden Plausibilität
darin appelliert.
46. Akzentuierungen, die den äußeren Anschein zum Ausgang nehmen, verfehlen die Sache,
z. B. bei Vignaux die wenigstens partielle Deutung des Omnipotenzprinzips als theologisch aus
zulegender Inspiration. Das Omnipotenzprinzip hilft nur dabei, die intensionale (inhaltliche)
Qualität der notitiae zu stützen und, sodann, deren argumentative Referenz und Relevanz zu
sichern, ihre Mächtigkeit und ihre Begründung zugleich festzulegen. Auch liegt in Ockhams
Gebrauch des Omnipotenzprinzips nicht bloß eine abstrakte Sicherung der Notwendigkeit und
Befestigung gegen die empirische Akzidentalität vor: weder das dem Wortlaut nach theologisch
angehauchte Prinzip noch der natürlich empirische Erkenntnisstand haben andere als funktion
ale und integrative Bedeutung vermittelst der Argumentation. Das begrenzt und bestimmt die
Art der Argumentation bei Ockham. Die Empirie kann aber abstraktiv überschritten werden;
Abstraktion und Empirie sind dann miteinander kompatibel.
47. Die bloß technische Behandlung geht bis zum Begriff der creatio: wobei erörtert wird, nach
welchen als korrekt zuzulassenden Sätzen ein Verhältnis von substantia (divina essentia) und
göttlichem actus bzw. der creatura als Produkt seines Handelns und wie zu deuten angenom
men werden kann. Cf. Kap. 5 Aus dem Innern Gottes.
48. Das Urteil gilt auch, wenn man mit R. De Guelluy, 1947 p. 14 urteilt: „sa théorie de la con
naissance … paraît bien l’apport le plus originel et le plus décisif de son œuvre“.
49. Cf. Ord. d. 3 q. 4 OT II p. 440 lin. 8–10: „aliquis alius terminus (ein anderer terminus als
jene, der in der intuitiven Erkenntnis des beatus vorliegt, der in der visio beatifica per notiti-
am intuitivam als res quae est ipsa Deus auftritt) est in illa propositione quam potest talis (sc.
182 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
beatus) formare paedicando illud idem quod nos praedicamus de aliqua essentia.“ Denn wir
haben eine notitia abstractiva auch von der divina essentia. Aber wir haben damit nicht jene
notitia abstractiva, die der beatus neben seiner visio beatifica seu notitia intuitiva deitatis hat,
wenn in dem entsprechenden Satz, deus ut res supponit pro seipso. Cf. ib. lin. 10–15: „ita quod
sint ibi (sc. in patria) duae propositiones ad minus possibiles quae nobis non sunt possibiles.
Secundum hoc dico: quod illa propositio quam de facto habemus, non est per se nota. Sed
propositio utraque quam format beatus, sive paedicando esse quod est deus de divina essentia,
sive illud quod nos praedicamus, est per se nota.“ Der Satz, der in der notitia abstractiva des
beatus propositio per se nota wäre, ist es nicht in der auf den menschlichen Begriff gestützten
notitia abstractiva ‘mit demselben Inhalt’. Es handelt sich also um reine Vereinbarkeiten auf der
Aktebene.
50. Cf. SL I c 37 lin. 13–14: „res extra animam non est signum praedicabile.“ Das spricht gegen
Hochstetters Behauptung, Ockham habe nicht nur für den Begriff ‘terminus’ die Bedeutung res
zugelassen, sondern auch anfänglich für die Natur des menschlichen conceptus eine Deutung
als res veranschlagt. E. Hochstetter, 1927 p. 80f nennt die Konzeption und Bestimmung des con
ceptus als ‘res’ als ältere und später aufgegebene Vorstellung bei Ockham. Das ist unbegründ-
bar: zwar bemerkt Ockham Ord. d. 23 q. unica OT IV p. 65 lin. 4f: „intentio prima vocatur
res realiter exsistens“, aber sein Text ib. lin. 5 – p. 67 lin. 6 geht nicht im Sinn einer Auffassung
des Begriffs (prima intentio) als realiter existens extra animam fort. Cf. p. 65 lin. 15–19: „Quia
logicus praecise habet dicere quod in ista propositione ‘homo est species’ subiectum supponit
pro uno communi et non pro aliquo significato suo.“ ‘Significatum’ muss zunächst auf beide,
intentio prima und intentio secunda, bezogen sein. Also auch auf homo als intentio prima. Das
‘commune’ fiele also mit dem Begriff zusammenfallen, sofern oder wenn ‘species’ prädiziert
wird: „Utrum autem illud commune sit aliquid reale vel non sit reale, nihil ad eum, sed ad me
taphysicum.“ In der suppositio simplex wird der Begriff aber nicht bezeichnet; er ist da kein
significatum. Als solches käme ihm die suppositio personalis zu. Ein ‘Zeichen’ kann nicht als
conceptus und als res benannt werden. So denn ganz klar (ib. lin. 5–7): „Intentio autem secun-
da vocatur aliquid in anima rebus applicabile, praedicabile de nominibus rerum quando non
habent suppositionem personalem, sed simplicem.“
51. Es ist klar, dass die propositio ad minus possibilis in nichts eine propositio, die uns nicht
möglich ist, einschließen (implizieren, in welcher Form nach welchem Konzept von Implikati-
on auch immer) kann. Gerade das soll sie aber bei Thomas von Aquin tun, wenn man sie denn
nicht, wie sie den beatus zukommt, nicht bloß als möglich, sondern als real zu betrachten hat.
Insofern hat Ockham eine ganz andere Intention als Thomas. Cf. Einleitung Anm. 58, Kap. 1:
Kapitel 4. Fides et scientia 183
Das Verhältnis der Begriffe bei Ockham Anm. 75 und Kap. 7: Formbegriff und reale Wahrheit
Anm. 116.
52. Für Ockham hatte Gott dem menschlichen Geist kein Hindernis entgegensetzt, wenn der
Mensch dachte. Das heißt: in seinem Medium blieb. Das ist ein Moment menschlicher Freiheit
im Rahmen und Namen des Mittelalters. Duhem sieht eine Vergleichbarkeit von Ockham mit
Descartes. Etudes II, p. 193.
53. Zum Wunder im antiken Glauben cf. F. Rosenzweig, Der Stern der Erlösung, 1921.
54. Cf. Ord. d. 26 q. 1 OT IV p. 157 lin. 21–23: „Nec ponenda sunt plura miracula quae videntur
rationi naturali repugnare, sine auctoritate Scripturae vel Sanctorum.“ Ockham tastet weder die
psychische noch die intellektuelle Basis der Vernunft an. Das tun erst auf ihn projizierend die
Deuter. Ockham beruft sich auch hier auf das Ökonomieprinzip (ib. lin. 20f). Es soll also nicht
mehr Wunder geben als ‘nötig’. Nötig sind die geoffenbarten und die von den Kirchenvätern
angenommenen. Cf. auch noch einmal Nachwort Anm. 73.
184 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
indem wir die distinctio formalis55 einführen oder die distinctio rationis erklären bzw.
die distinctio realis negierend gebrauchen, erlangt wurde, indem es mit der Negati
on eines solchen Schlusses übereinkommt, der für eine Abstraktion die significatio
falsch, unzulässig oder unerwünscht ergäbe, dann gleich direkt: nämlich die Aus-
merzung eines falschen Bezugs. Wir steigen damit auch gerade nicht in die Sphäre
den Menschen nach dem Objekt oder dem Subjekt der Erkenntnis übertreffender
Aktdeutungen auf, für die wir mit unseren Begriffen und Akten nur noch Analogien
kennen, womit wir das Univozitätsprinzip für Begriffe nicht mehr streng bindend
ansehen können. Wir treffen da auf termini, die wir de facto nicht haben, die aber
den conceptus, die wir pro statu isto besitzen, analog sind.56 Ockham reguliert das
Sprechen auch unmittelbar mit Hilfe der Feststellung von fallaciae, die er dabei als
häufig auftretende bezeichnet.57 „Et ideo in multis argumentis est fallacia figurae dic
tionis, sub nomine simpliciter absoluto accipiendo nomen connotativum. Sicut sic
arguendo: quidquid potest Deus mediante causa secunda, potest immediate per se;
sed actum meritorium potest producere mediante actu voluntatis, ergo sine ea. Et sic
de aliis multis, in quibus semper est fallacia figurae dictionis, quia commutatur ‘quid’
in ‘ad aliquid’, secundum unum modum loquendi, vel in connotativum, secundum
alium modum loquendi.“58 Die Grundstruktur des Arguments ist, wie man sieht, syl-
logistisch.59 Wahrscheinlich ist es die aller Argumente, wenn man unterstellt, dass
55. Hierzu Rep. II, q. 2 OT V p. 41 lin. 13: „Non pono distinctionem formalem in creaturis.“
Dazu auch: Quaestiones variae q. 6 art. 3 OT VIII p. 222 lin. 37f: „creatio dicit causam creantem
et effectum creatam et connotat negationem immediate praecedentem.“ Die Negation wäre die
Stütze der Relation. Die fällt mit der creatio als actio zusammen. Diese ist inhaltlich nicht ex
creaturis bestimmt.
56. Cf. auch Kap. 3 Anm. 99.
57. Ord. Prol. q. 3 OT I p. 141 lin. 6–14. Deutungen also, die, hermeneutisch als Erkenntnisse
gemeint, auf einen willkürlichen oder beliebigen Zusatz gegründet sind, gehören zu dem, was
Ockham als fallacia secundum figuram dictionis erklärt. Man kann auch sagen, man mengt so
das accidens in die substantia ein.
58. H. Blumenberg, 1966 p. 164 sieht das Allmachtsprinzip devaluiert, weil ‘Gott nicht einen
nicht zurechenbaren Akt schaffen könne’. ‘Zurechenbar’ innerhalb des Aktes ergäbe eine falla-
cia. ‘Zurechenbar’ außerhalb des Aktes wäre eine Relation, die ihre eigene ‘Logik’ mitbrächte,
so dass auf die Identität oder Widerspruchsfreiheit des Aktes weder unmittelbar geschlossen
noch von ihr folgernd ausgegangen werden könnte. Dabei wird ib. p. 165 Anm. 99 schon proble-
matisch genug der Unterschied von actus und potentia bei Ockham verkannt. Er hält auch den
actus als accidens in der anima (substantia) habituell für nicht zurechenbar. Siehe die Sünden
lehre (sic!).
59. Das Omnipotenzprinzip selbst liegt abstrakt oberhalb der propositio per se primo modo
und der fallacia. Es ist auch ausgeschlossen, dass Gott per Omnipotenz in sich selbst ver
bleibend – doch – aus sich herausträte. Cf. Ord. Prol. q. 3 OT I p. 141 lin. 7–14. Ockham schreibt
Gott nicht mittels des Omnipotenzprinzips gegen den empirischen Sachverhalt (den kontin
Kapitel 4. Fides et scientia 185
allein eine consequentia, wenn sie widerlegt wird, inhaltlich betrachtet, keine syllogi-
stische Form haben kann, sonst aber mit der consequentia formalis übereinkommt.
In diesem Sinne lässt sich die Struktur des Ockhamschen Denkens stark vereinfachen
und im Vergleich mit diesem als Koordinate alles scholastische Denken.
Wenn Ockham von Gott spricht und damit die menschlichen Begriffe von ihm
gebraucht, in denen allein von Gott gesprochen werden und in denen einzig er für uns
zu verstehen ist, so muss doch ein Unterschied gemacht werden: es muss immer etwas
weggenommen werden, damit die Rede Gott faktisch betreffe.60 In derselben Weise
negiert Ockham ‘Schlüsse’, in denen Gott gleichsam auf diese Identität mit Weltver-
hältnissen kategorial zurückgeführt werden würde.61 Es heißt dies aber nichts anderes
genten Sachverhalt, von dem wir auszugehen haben!) eine schlechthinnige Überlegenheit und
unbeschränkte mechanische Eingriffsqualität + Berechtigung dazu, zu. Das wäre, wie Ockham
sagte (!), gegen die vera und bona logica gewesen und desgleichen (sic!) gegen die wahre und
vernünftige Theologie. Die absolute Überlegenheit oder Verfügungsgewalt Gottes kann in An-
betracht der realen Welt (potentia ordinata, lex communis), in Angrenzung an die sie förmlich
geäußert wird, praktisch und ohne Widerspruch, der so mit der Welt identisch wird, gar nicht
auftreten. Gottes Allmacht könnte als Begriff (Vorstellung) nicht bestehen. Die „bohrenden
Allmachtsspekulationen“, die H. Blumenberg, 1966 p. 542 unterstellt, zeigt Ockham nicht.
60. Paradoxerweise für Ockham (Ord. d. 2 q. 9 OT II p. 333 lin. 3–16) Gott und creatura, bei
denen (ib. lin. 6f) „nihil quod est in creatura habet paritatem cum aliquo quod est in Deo“, (ib.
lin. 9) „in aliquo parificantur“, für das doch (ib. lin. 10) etwas „non est intrinsecum Deo nec
creaturae.“ Das wird vergleichweise (ib. lin. 11f) auf einen sprachlichen Begriff (vox) bezogen:
„sicut non est inconveniens Deum et creaturam parificari in aliqua voce quae aeque primo
Deum et creaturam significante“ und von da nochmals (lin. 13–15) auf den Begriff (als ‘con-
ceptus univocus’): „ita non est inconveniens Deum et creaturam parificari in aliquo conceptu
univoco.“ Das gilt (lin. 13) „quia illa vox non est aliquid de essentia Dei vel creaturae“ und
(lin. 15f) „quia ille conceptus univocus nec est de essentia Dei nec creaturae.“ Ockham spricht
eine ‘direkte Geltung’ indirekt aus; er rechtfertigt das, indem er die unbestimmt direkte Geltung
ablehnt und ausschließt. Ebenso ib. p. 335 lin. 23 – p. 336 lin. 5: „dico quod deo et creaturae non
est aliquid univocum sic quod aliquid essentialer creaturae vel accidentale habeat perfectam
similitudinem cum aliquo quod est realiter in Deo.“ Das verneinen auch die Kirchenväter, die
gleichwohl die „univocatio (.) conceptus praedicabilis … in quid et per primo modo“ zugeste-
hen (lin. 3f: „non … negant“). Ockham betont (p. 336 lin. 11–15) mit Aristoteles, dass bei der
Abstraktion „ab omnibus de quibus dicitur illud nomen (sic!)“ keine „definitio proprie dicta“
zugrunde liege, so auch schon nicht bei ‘ens’. Naive Ontologie scheidet so aus. Cf. Kap. 10 Anm.
135. Univozität und praedicatio in quid und per se primo modo werden nicht nur auf Gott und
die creaturae bezogen, sondern ebenso (cf. ib. d. 2 q. 7 OT II p. 256 lin. 9f): „nihil a parte rei est
univocum quibuscumque individuis, et tamen est aliquid praedicabile in quid de individuis.“
61. Cf. Ord. d. 20 q. unica: Utrum personae divinae sint secundum magnitudinem perfecte
aequales OT IV pp. 3–38. Ib. p. 35 lin. 16 – p. 36 lin. 3: „Et si dicatur quod secundum beatum
Augustinum, si Pater non potest generare Filium sibi aequalem, igitur est impotens, igitur pos-
se generare est simpliciter posse (was man ja denn wohl noch einen indirekten Beweis nen-
nen könnte), dico quod consequentia est bona quod ‘si Pater non potest generare Filium sibi
186 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
als den Begriff wie er als Zeichen instituiert ist durch die negierte Konsequenz deter-
minieren.62 Ockham vermeidet so Äquivokationen. Denn wenn wir von Gott nach
einem Begriff sprechen, der in dem Vergleich zwischen creatura und Gott, als Brücke
zwischen ihnen gebraucht, kategorial würde, wäre er simpliciter verstanden äquivok
gebraucht worden. Eben das vermeidet Ockham durch die Negation der implicatio,
die den Begriff aber zum Zeichen ‘senkt’ (herabsetzt).63 In derselben Weise verwenden
aequalem, est impotens’ (freilich impotens im kategorialen Sinn), sed ex hoc non sequitur quod
posse generare est posse, sicut modo loquimur (es ist also nur eine Redeweise, die nicht streng
begrifflich ist). Sicut bene sequitur ‘Pater non est Deus, igitur est impotens’, vel ‘igitur non est
omnipotens’ (was gemeint ist!) et tamen ex hoc non sequitur quod Deus est quoddam posse.“
Dabei auch der bezeichnende Hinweis, dass Gott mit seiner omnipotentia und sie definierend
und durch sie Gott selbst, denn ‘Deus est omnipotens’ ist ein Satz der natürlichen Theologie,
mit dem wir angeben oder in dem enthalten ist, was wir unter Gott verstehen, wobei der Satz
von Ockham als propositio immediata klassifiziert wird, nicht Einhalt am Widerspruchsprin-
zip geboten werde, wie frenetisch gesagt wurde (H. Blumenberg, 1966, H. Schröcker 2003) cf.
ib. p. 36 lin. 4–10. Dort auch (lin. 8ff): Gottes Allmacht werde begrenzt dadurch, dass er nicht
ein „aliud a Deo“ schaffen können, das einen Widerspruch einschließe. Potentia divina abso-
luta und potentia divina ordinata werden so gleichnamig oder jedenfalls konsistent. Dazu sehr
einleuchtend (Hinweis Ed. Anm. 1) L. Baudry, Le Tractatus De Principiis Theologiae attribué à
G. Occam, Études de Philosophie Médiévale XXIII, 1936 mit dem Textbeleg, dass der Satz ‘ip
sum fit, non sequitur contradictionem’ zu gelten habe. So begrenzt sich die Allmacht Gottes:
es scheidet wie im Text erläutert, ein falscher Satz oder Schluss aus. Kein Faktum. Ein solches
meint der Widerspruch oder Widerspruchssatz weder affirmativ, indem es mittels seiner ermit-
telt zu werden hätte, noch negativ, indem er es ausschlösse. Es ist ohnehin ungeklärt, wie beides
zusammenzugehen hätte und wie wir logisch durch Folgerung oder Ableitung von einem zu
anderen kommen könnten. In dem Sinn hat Ockham sowohl das Beweisführen ersetzt wie die
Bestimmung des Wahrheitswertes. Er erscheint als kontingenter Satz, als distinctio realis u. ä.
62. Siehe diesen Ausdruck bei Ockham in genau diesem Sinn. Ein Begriff, der in Bezug auf
zwei andere (‘vorausgehende’) negativ wird, determiniert diese. Sie können in seinem Sinne
nicht empirisch und logisch ausgelegt werden. Genau im Sinn dieser Negation, d. h. der als
realempirisch folgerungsweise eventuell behaupteten und zu widerlegenden Verbindung gelten
sie dann in einem indirekten und intensionalen Sinn doch von der Realität. So bleiben die on-
tologischen termini im Gebrauch, förmlich auch in Geltung, wenngleich sie nicht a parte rei zu
bestimmende Geltung besagen können sollen; ihr Gebrauch in Induktion und Widerlegung ist
unangefochten. Auf sie hin kann induziert werden, in derselben Weise wie sie in Widerlegun-
gen eingehen können, mit denen die Definitheit von Termini und Sätzen, auf die sie angewandt
werden, bestritten werden kann. So gesehen steht die Determinatheit gegen die Definitheit.
Diese darf nicht beschädigt und aufgehoben, jene kann erreicht und sanktioniert werden. So
lässt sich Ockhams Beweisverfahren schildern.
63. Wir haben das als eigentliche Tendenz der SL dargestellt, nicht dass sie die realistische
Ontologie vermeiden wolle. Wollte man die realistische Ontologie in der Logik verwenden und
bestehen lasse oder sogar, wie Duns Scotus nach E. A. Moody, 1935, für sie express als Funda-
ment instituieren, so hätte man fallaciae und Äquivokationen geschaffen. Man hätte in Wahr-
heit den Schluss nicht so sehr negiert wie getilgt. Bei Ockham wird er nur intensional negiert.
Kapitel 4. Fides et scientia 187
wir aber auch die Suppositionslogik in Bezug auf die Bestimmungen der Begriffsna
tur:64 wir vermeiden die Äquivokation. Wir könnten den Begriff ‘ens’ nicht von Gott
verwenden, wenn wir den Begriff, alle Begriffe, wenn als intellectio oder intentio ipsa
verstanden, nicht auch als ens betrachteten; dann wird dieser Begriff in die suppositio
simplex versetzt werden müssen, nicht in die suppositio personalis. Dann entstände
eine falsa implicatio; wir induzieren den (univoken) Gebrauch des Begriffes ens von
Gott. Wir müssen umgekehrt aber auch alle Begriffe, die wir von Gott (ebenfalls)
gebrauchen wollen, der empirischen Fundierung entziehen;65 das heißt aber fordern,
dass alle Begriffe, die von Gott gebraucht werden, in diesem Gebrauch und für ihn
induktiv fundiert seien und in diesem Sinn von Gott und creatura oder Welt univok,
nämlich im Sinn der Negation der implicatio, nicht aber äquivokativ, d. h. im Sinne
ihrer Nichtnegation, gebraucht werden. Auch in diesem Sinne gibt es also keine Spra-
che oder Erkenntnis, die aus der höheren Einsicht der beati oder angeli usw. abgeleitet
werden könnte. Aber sie kann auch nicht im Sinne eines freien, i.e. ungebundenen Ge
brauchs der Ontologie verstanden und interpretiert werden, also im Sinne einer Ver-
wendung, bei denen die ontologischen Termini nicht bloß in der Argumentation (und
somit ausschließlich in deren Sinn und durch sie gebunden definit) gebraucht würden
und das bedingte: für Widerlegungen und reprobationes. Aber dabei verlieren diese
ontologischen Termini in einem zweiten Zug auch noch jede Bedeutung im Sinne
der significatio (res); sie werden in diesem Sinne negiert; denn sie wären indefinit.
Ockham ficht beweisend ihre empirische Geltung (durch instantiae) an; er bestreitet
ihre empirische Fundierung.66 Dies ist an Ockhams Auseinandersetzung wieder mit
Der Satzausdruck wird modalisiert und dem Geltungsbereich eines bei analytischer Satzform
anzunehmenden Widerspruchssatzes entzogen.
64. Ord. d. 3 q. 8 OT II pp. 524–542: Utrum ens commune sit obiectum primum et adaequatum
intellectus nostri. Dort s. p. 533 lin. 15 – p. 534 lin. 9 besonders p. 234 lin. 8ff: „in propositionibus
in quibus passiones supponunt simpliciter vere praedicatur ens de eis per se primo modo, non
quando supponunt personaliter.“ Der Satz ist ein notwendiger Satz. Er begründet aber nicht die
Notwendigkeit der Ontologie oder irgendwelche ontologischen Implikationen von ens. So gilt
auch noch (ib. p. 535 lin. 15–22), dass die „entia rationis sunt per se intelligibilia, immo tantum
sunt per se intelligibilia quod non est impossibile ipsa intelligi nullo ente reali intellecto, et tunc
erit actus cognoscendi realis, et tamen nullum obiectum habebit praeter ens rationis, igitur ens
rationis erit per se cognoscibile illo actu. (Aber das ist rein hypothetisch.) Sed hoc non potest
fieri naturaliter, vel saltem non potest fieri naturaliter nisi mediante habitu post apprehensio-
nem alicuius entis realis.“
65. Cf. Anm. 62.
66. Die perseitas des Empirischen kann nicht ontologisch ausgedrückt werden, so wie die
Ontologie angesichts der res singularis keine perseitas a priori oder simpliciter meinen kann.
Was hier ontologisch zu bezeichnen wäre, würde per suppositionem simplicem nicht ausge-
drückt werden können; also wird es widerlegt und refutiert. Das eigentlich Erstaunliche ist,
dass eine solche Anschauung beweisförmig ausgedrückt i.e. weiterverfolgt werden kann. Sie
wird so quasi exekutiert und a posteriori auch begründet. Das ‘sine significatione’ ist oder gilt
188 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Thomas von Aquin und Duns Scotus bezüglich der Auslegung von Glaubenssätzen zu
zeigen, die das Verhältnis der göttlichen Personen der divina essentia betreffen.67
Die Trennung des accidens von der substantia (insgleichen des connotativum
vom quidditativum) – und umgekehrt der substantia vom accidens – vermeidet (um-
geht) den Widerspruch, der mit ihrer beider Identifikation einherginge. Also entsteht
eine widerspruchsfreie Annahme, die in diesem Sinne einem Satz entspricht und
danach Definitheit besitzt. Dieser Satz ist damit analytisch; aber er wurde induziert,
nämlich insofern die Bedingungen, die ihn verhindert hätten, ausgeräumt wurden.
Sie gelten auch für die Theologie: Christus kann per potentiam divinam absolutam an
verschiedenen Orten sein, aber er ist dabei eben nicht von den verschiedenen Orten
als den Inbegriffen der Existenz oder Präsenz abhängig, wie sie für uns als creaturae
logisch. Die Identifikation des ontologischen Ausdrucks mit der significatio entfällt und dies
eben auch für die Naturphilosophie. Auch in der Naturphilosophie kann dann gleichnamig
damit, dass die Phänomene ontologisch nicht schließen, Kausalität nicht ausgedrückt werden.
In der nicht glückenden Auslegung der theologischen Sätze betreffend die divina essentia und
die Verhältnisse der göttlichen Personen (in der Erläuterung ihrer Relationen), die Ockham
Thomas von Aquin und Duns Scotus streitig macht, kann was nach Ockhams Beweisen für
den ontologischen Ausdruck in Bezug auf die dogmatischen Sätze nicht angeht, dann auch
in Bezug auf die Empirie, in welcher die Ontologie gestürzt und begründet sein sollte, nicht
gelten. Darin ist die Kausalität betroffen; sie wird in den instantiae kassiert, mit denen Ockham
die ontologischen Maximen und Vorstellungen ‘an sich’ refutiert, d. h. um ihre grundsätzliche
und absolute Akzeptanz (Geltung) zu bringen bemüht ist. Es geht dabei immer darum, dass das
accidens nicht in die substantia gebracht werden kann und dass eben das durch die reprobatio
oder instantiae beweisbar ist. ‘Perseitas’ ist ein Ausdruck Ockhams. Cf. Ord. d. 7 q. 2 OT III 3
p. 143f.
67. Hierbei sind bei Duns Scotus die universalientheoretischen Grundsätze in und außerhalb
der Deduktion gleich; sie können nur noch als Argumente direkt in seine Ableitungen einge-
hen. Sie werden nicht qua Argumentation bestimmt wie bei Ockham. Duns Scotus hat auch ein-
fachhin abstrakt und konkret (empirisch) zusammengeschoben und ineinander verschränkt,
um stipulativ über Gott raisonnieren zu können; was er beweisend dann vortragen will, soll
abstrakt im Sinne der Zergliederung und Komposition der essentia bzw. ihrer Teile sein, kon
kret aber im Sinne des vom Faktum und Gegenstand (singulare) her bestimmten Wahrheitsa-
spekt. So gibt Ockham Duns Scotus mit Bezug auf die Behauptung (Ord. d. 3 q. 7 OT II p. 521
lin. 16–18) „quod notitia distincta singularis non requirit notitiam distinctam necessario cui-
uscumque universali“ so wieder, dass dieser direkt wieder in die Postulation eines unabdingbar
Allgemeinen einschwenke (ib. p. 522 lin. 2–7): die von Ockham postulierte Erkenntnis („quia
si sic“) könne nicht sein („hoc non esset“) „nisi quia quidlibet potest distincte cognosci sine
illo quod non est de eius essentia; sed omne tale distincte cognitum est comprehensum si nihil
rei lateat quod requiritur ad notitiam ipsius distinctam; igitur Deus posset comprehendi ab
intellectu creato.“ Um diese Erkenntnis geht es schließlich in abstracto und als abstrakte Er-
kenntnis. Die in Ed. ib. Anm. 1 angegebene Textstelle aus Duns Scotus Theoremata, theorema
VIII, n. 4: „Omne illud, et solum illud, perfecte concipitur, cuius nihil latet.“ (ed. Wadding, III,
273) scheint mir Ockhams Referat der ‘Scotischen Denkweise’ nicht abzudecken.
Kapitel 4. Fides et scientia 189
gelten.68 Die Widerspruchsfreiheit ist also Charakter (oder ‘Gehalt’) der Annahme,
der Aussage selbst, sie kommt ihr nicht zusätzlich (akzidentell) zu, was nicht gin-
ge und einen Widerspruch darstellte. Genau in diesem Sinne ist die Erkenntnislehre
schon konstruiert. Man sieht also wie die Widerspruchsfreiheit bei Ockham angelegt
ist und wie sie eben nicht einem Aufbau aus einer naturalistisch ausgelegten Erkennt-
nis entsprechen kann, wie das in der neuzeitlichen Philosophie der Fall wäre. Das ist
das eine. Das andere, dass keine Apologie betrieben wird, bei der der Inhalt auf eine
Stufe gehoben würde, bei der er mangels Fixierung (Kennzeichnung) einer Struktur
nicht mehr in irgendeinem Sinn dauerhaft und unangreifbar bestehen könnte, son-
dern gleichsam unwirklich sich ausnehmen müsste: er wäre in einer Sphäre relevant
und gültig, in welcher wir als Erdenpilger eben nicht leben oder Erkenntnis vollzie
hen. So wenn wir gleichsam eine forma oder species einsähen.69
Dabei bestehen für Ockham religiöse oder erkenntnistheoretische Zweifel inso-
fern nicht, als er die falsche Strukturierung der dogmatischen Aussagen nach ihrer
sprachbezogenen Auslegung ablehnen kann. So ausdrücklich bei Behandlung der
quaestio Utrum haec sit concedenda ‘Deus generat Deum’.70 Es geht darum, ob die-
se Aussage als propositio zuzulassen sei; ihr Inhalt oder Gehalt wird eindeutig von
Ockham zugestanden:71 „In ista quaestione supponenda est veritas, quod sunt tres
personae in una essentia quae est realiter eadem cum qualibet earum personarum, et
quod Pater vere generat Filium. Sed difficultas, quantum ad istam quaestionem, est
de proprietate locutionis, an sicut ista conceditur de virtute sermonis ‘Pater generat
Filium’,72 ita sit haec concedenda de virtute sermonis ‘Deus generat Deum’. Et est diffi-
cultas de suppositione istius termini ‘Deus’.“73 Natürlich kann man sagen, das Dogma
sei von Ockham mit der Ausdrucksform akzeptiert worden, die er der christlichen
68. Die Erörterung findet sich Rep. IV, q. 6 OT VII p. 97 lin. 7 – p. 98 lin. 9.
69. Das lehnt Ockham mittels seiner Suppositionslehre ab, die er in der Form darlegt, dass er
für sie Schlüsse ablehnt, die er als gegen ihre Konstitution gerichtet betrachtet. Zu dem Verfah-
ren cf. ib. p. 7 lin. 11 – p. 13 lin. 13.
70. Ord. d. 4, q. 1 OT III pp. 4–17.
71. Ib. p. 4 lin. 10–16.
72. Was übrigens einen natürlichen empirischen Satz darstellt, wie man zugeben wird, ebenso
wie ‘pater prior filio’ eine propositio per se nota ist, die wir abstrakt (per notitiam abstractivam)
und konkret (per notitiam intuitivam) einsehen. Ihre Gewinnung mag gleichwohl „schlusslo
gisch“ problematisch und ‘unbekannt’ sein.
73. Der Satz ‘Deus est Deus’, den man ja auch noch einer originären Bekundung, wenngleich
in archaischer Emphase und vielleicht Ekstase, in der der Mensch sich selbst noch nicht, schon
gar nicht rational, ergriffen hätte, zurechnen möchte, würde von Ockham ‘suppositionslogisch’
abgelehnt werden. Solche Selbstbekundungen möchte aber E. Gilson noch für die Scholastik,
genauer für Duns Scotus, geltend machen und W. Kluxen (ed.), 1974, p. 136 folgt ihm hier.
Der Scholastiker sähe sich im Emblem einer Irrationalität und althebräischen Formel:‘ Ich bin
der ich bin.’ Der darin beschlossene und auch eingeschlossene Gott wäre unerkundbar, was er
190 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Grundlehre hier gebe, die er vielleicht bloß nach dieser und damit ausweichend und
in ihrer dürren Förmlichkeit verstehe; es wäre dies aber eine petitio principii des Deu-
ters und sie würde den Selbstbekundungen anderer Nominalisten74 widersprechen,
bzw. zu ihnen disparat sein, dass eben das Dogma nach seiner positiven Gestalt in fide
zu akzeptieren sei; denn jetzt hätte ein Nominalist, sc. Ockham, mit seiner eigenen po-
sitiven Formulierung des ‘Dogmas’ dessen positiven Gehalt (erst und zugleich schon)
etabliert. All dies aber hieße, Quisquilien in Umlauf bringen, zumal damit, wie es bei
Ockham einen Standard ausmacht, Dogma und Rationalität identisch wären, d. h. un
unterscheidbar geworden wären.75 Ockham erscheint keineswegs als jemand oder der
jenige schlechthin, der die Glaubensstücke als irrational und eben nur zu glauben aus
der rationalen Erörterung bzw. Darlegung ausgeschieden hätte.76 Er kritisiert Thomas
von Aquin aber suppositionslogisch und macht gegen ihn den Grundsatz geltend:77
„quando aliquid supponit pro aliquo praecise ratione adiuncti, non supponit pro eo
ex modo suo significandi.“ Nach dieser Beschreibung könnten subiectum und passio,
i.e. Deus in der Funktion als essentia (subiectum) und Deus als relatio oder persona
nicht secundum suppositionem personalem identisch für dasselbe äußere (extramen-
tale) Objekt stehen (supponere). Diese res ist hier Gott. Er unterscheidet sich da von
keiner anderen res, auf die wir uns mit unseren Aussagen beziehen können. Ockham
hält Thomas einen Widerspruch vor.78 Denn Thomas hatte nach Ockham mit der For-
mel79 „Quidam dixerunt quod hoc nomen ‘Deus’ et similia proprie secundum suam
secundum Duns Scotum vermöge der Deduktion nicht sein soll, mit Ockham aber qua Ver-
werfung eben dieser Erkundungsform wieder wird.
74. Wie etwa des Petrus von Alliaco, cf. Kap. 2 Anm. 70 zu B. Hägglund, 1955.
75. Er würde sich vom neuzeitlichen theologischen Rationalismus der altlutherischen Ortho-
doxie, deren Bedeutung Kierkegaard hervorhob, dadurch unterscheiden, dass er in der christli-
chen Lehre nicht gleichsam einen rationalen Kern hervorzuheben, zu entwickeln, abzugrenzen
und zu verteidigen suchte, der dann auch allein innerhalb der christlichen Apologie verbliebe
und damit (‘ausschließlich’) dem christlich-theologischen Selbstverständnis zu dienen hätte
und einzig ihm dienen könnte. Kierkegaards eigene Strategie, dem Christentum einen wenig-
stens approximativen rationalen Charakter oder Zugang zu eröffnen, wäre da noch nicht legi-
timiert.
76. Ockham (ib. p. 6f) wirft indessen Thomas von Aquin vor, bei der Erörterung unserer quae-
stio, soweit es um dessen Auslegung des Dogmas nach der Deutung von Formeln geht, die
Ockham wiederum suppositionslogisch aufnimmt, Quisquilien zu treiben: „Et ita dicta sua
vana sunt, nullam penitus habentia apparentiam“.
77. Ord. d. 4 q. 1 OT III p. 5 lin. 12f.
78. Ib. p. 5 lin. 16f: „Et ita in eadem quaestione idem concedit et negat.“ Der Widerspruch be-
deutet, dass Thomas die suppositionslogische Identität des einen terminus ‘Deus’ durch zwei
Auslegungen aufhebt. Derselbe Vorwurf nochmals p. 6 lin. 3f: „Ecce quam manifeste idem ne-
gat et concedit.“
79. Ib. p. 5 lin. 19–22.
Kapitel 4. Fides et scientia 191
Widerspruchsprinzip durch das Identitätsprinzip und die Logik durch die Suppositionslogik
ersetzt. Das kennzeichnet Ockhams Beweis gegen Thomas, eben dessen Widerlegung. Sonst
müsste ein analytischer Beweis für die Identität oder gegen sie geführt werden. Das ersparen wir
uns mit Ockham. Wir operieren immer noch oder nur ex identitate rei; die setzen wir ebenso
wie die res extra mentem voraus. Das mag man für (auch) eine ontologische Voraussetzung
halten. Doch kann das nur gelten, weil man die realistische Ontologie zuvor abgelehnt hat. Also
per additamentum.
86. Und zwar wieder gegen Thomas von Aquin und Duns Scotus.
87. Ord. Prol. q. 1 OT I pp. 3–75 und Rep. II, q. 12–13 OT V pp. 251–310.
88. In der Quantentheorie wird das nicht mehr wirklich vorhersehbare Ereignis oder Ergebnis
auch nicht mehr gefolgert werden können.
89. Cf. dazu bereits die Einleitung.
90. Wenn Ockham sagt (Rep. II, q. 12–13, OT V p. 309 lin. 19f): „Sed intellectus est omnia in-
telligibilia tam per actualem quam per habitualem“, hat er auch den Bereich der per se empi-
rischen Erkenntnis verlassen (überstiegen). Denn der habitus ist in der empirischen Welt und
in der Referenz auf sie nicht mehr greifbar. So müssen denn auch die Begriffe ‘einheitlich’ auf
empirische und jenseitsweltliche (also die divina essentia und Verwandtes betreffende Sach-
verhalte bezogen werden können; hiermit aber kann das iudicium über die Rechtmäßigkeit
oder Akzeptabilität eines Satzes nicht mehr empirischer Wahrnehmung verdankt werden oder
auf sie bezogen sein. Es erfolgt in Demonstrationen. Wo wir nicht deduzieren können, z. B. in
der Syllogistik selbst (cf. Ord. Prol.), ziehen wir ‘habitus’ zur ‘Herleitung’ und Widerlegung der
Kapitel 4. Fides et scientia 193
Ebene der Aktlehre haben wir eine doppelte Wahrnehmung der Aussagen, sc. durch
notitia abstractiva und notitia intuitiva, wobei etwa die propositiones per se primo modo
necessariae und propositiones per se secundo modo necessariae auch der empirischen
Wahrnehmung angehören.91 Die Satzinhalte aber werden nach den Begriffsfunktio
nen oder Begriffsarten in Bezug auf die hypothetische Beseitigung eines potentiellen
Widerspruchsmoments auch suppositionslogisch bewertet. Die Sätze haben so keine
analytische Qualität, wie sie denn auch prototypisch nur empirische sind.92
Für die consequentia formalis gibt Ockham zwei Beschreibungen oder Definitio-
nen: einmal setzt er sie mit jedem gültigen Syllogismus gleich, zum anderen definiert
er sie aus dem Zusammenstehen der Begriffe.93 Indem er sie für die Theologie tauglich
macht, benutzt er sie als Gegengewicht gegen jede Art von Widerspruch, demgemäß
Syllogismen nicht angehen oder bestehen können. Der Widerspruch liegt also außer-
halb der consequentiae (beider Arten von consequentia formalis94). Sofern wir einen
tantum, – et quia subiectum est summa abstractione abstractum, non potest stare pro aliquo
qualitercumque alio a se sed praecise pro se formaliter, et ideo oporteret quod sua ratio praecise
formaliter esset idem illi praedicato, quod non posset nisi ista ratio praecise includeret illud
praedicatum.“ Es soll auf der abstrakten Ebene von Begriffen und Sätzen eine identitas formalis
die Inhärenz oder Implikation (der Begriffe des Satzes) einschließen, also wiederum ein abstrak
ter Satz analog ein empirischer sein. Ockham hatte für die Bestimmung des Verhältnisses von
Begriffen im kontingenten Satz (!) die identitas formalis generell abgelehnt und sie noch einmal
speziell gegen Duns Scotus bei dessen Begründung eines immediaten Verhältnisses von sub
iectum und denominativum im Satz verworfen. Das Scotische analytische Beweisen ist immer
dasselbe: ein abstrakter Gehalt im Satz wird über ‘immanente’ kategorielle Bestimmungen und
anteilige (für wesentlich erklärte) Ingredienzien zum empiriewertigen, postulativ wahren und
zugleich nur analytisch unumstößlichen erklärt. Duns Scotus argumentiert in einer supralo
gischen Form. Ockham begegnet dem suppositionslogisch und induzierend und reprobativ.
93. Ord. d. 4. q. 1 OT III p. 15 lin. 1–20: „consequentia formalis est duplex. Aliquando tenet ra-
tione complexorum, et talis consequentia est syllogismus“ Alle gültigen Syllogismen ‘tenent’ da-
nach consequentia formali. „Et talis syllogismus tenet in omnibus terminis “ Aber (lin. 8–20):
„Aliquando consequentia est formalis praecise ratione terminorum, quia scilicet termini ipsi se
habent sic ad invicem vel sic. Et isto modo ab universali ad singularem est bona consequentia,
non ad quamcumque, sed quia terminus unus continetur sub alio. Unde bene sequitur ‘omnis
homo currit, igitur iste homo currit’, demonstrando Sortem qui vere est homo.“ Damit ist der
Satz empirisch und die consequentia auf empirische Sätze fixiert. „Sed non sequitur ‘omnis
homo currit, igitur iste homo currit’, demonstrando asinum. Et ratio est quia omnis consequen-
tia tenet per medium unum intrinsecum in quo unus terminus verificatur vel negatur ab alio.
Et ideo quando talis propositio per quam consequentia deberet reduci in syllogismum est vera,
tunc est bona consequentia, et quando non est vera, non valet.“
94. Beide Arten der consequentia formalis sind so auf den Syllogismus bezogen. Technisch
wird für die zweite Art der consequentia formalis (oder deren Erklärung) zur Syllogistik eine
weitere Regel hinzugenommen; will man sie für konsistent oder kompatibel mit der traditio-
nellen Syllogistik halten, muss man annehmen, dass sie allein noch nicht intellektiv oder definit
sei. Wir gehen mit Ockham tatsächlich davon aus, dass von ihr aus über die theologischen
Aussagen und transzendenten Wahrheiten (noch) nicht entschieden werden kann. Es kann in
folgedessen über ihre Wahrheit überhaupt nicht entschieden werden, wie sich auch daran zeigt,
dass wir peccata ex materia und ex forma haben können, über die wir nur ex fide befinden.
Wir müssen ja von der Einheit der Begriffe ausgehen und haben insofern eine rationale Basis,
nicht für die (analytische) Deduktion der dogmatischen Wahrheiten oder Aussagen, sondern
für deren Bewertung. Paradoxerweise ist es die Bewertung ihrer intensionalen Qualität. Das
bedeutet die Ausschließung einer Implikation, die äquivalent empirisch gelten könnte. Die Sup
positionslogik soll dort eintreten, wo sie angenommen werden müsste und nicht angenommen
Kapitel 4. Fides et scientia 195
werden kann. Des Nikolaus von Autrecourt hyperbolische Programmatik bzw. Kritik ist daher
beweislogisch sinnlos. An anderen Stellen beziehen wir uns via Ockham auf seine Expertisen
erkenntnistheoretisch bzw. mittels der Aktlehre. Die empirische Erkenntnis hatte Ockham im-
mer vorausgesetzt. Sie wird nur nicht ex parte rei bestimmt.
95. Die Idealisten der Neuzeit haben eine menschliche Form des Erkennens, die wir einzig
für uns zu reklamieren hätten, sei es beschrieben, sei es gesucht. Ockham gibt ein Erkennen
von äußerster und absoluter Allgemeinheit, das nicht spezifisch das des Menschen ist, obwohl
es von ihm in Sonderheit zwar ermittelt und unterhalten wird. Es muss aber nicht die Spuren
dieses Menschen tragen. In der Weise wie es seine Richtigkeit ermittelt und vorträgt, wie es
Richtigkeit überhaupt über seine Form hinaus anstrebt, ist es nach Intention und Einlösung
nicht mehr nur menschlich, das heißt nicht mit dem Vorzeichen versehen, dass es menschlich
sei und den Menschen entweder in den Rang Gottes hebe oder zu seinem erklärten Gegner ma-
chen könnte, der davon das Mal an der Stirn trüge. Es ist logisch qua Feststellung des Verhält-
nisses von Implikation und intensionalem Gehalt. Darin hebt es die Ontologie auf. cf. Kap. 9:
Ontologie und Induktion
96. Das bedeutet aber auch, dass das Erkennen nach seiner Qualität oder seiner Effizienz (evtl.
eines im anderen, wenn denn das möglich ist, was unwahrscheinlich ist), nicht durch indirekte
Beweise ermittelt und festgesetzt werden kann. Effizienz und Qualität können aber mutmaß-
lich nicht zugleich oder neben- bzw. nacheinander festgesetzt und durch indirekte Beweise
ermittelt werden, weil sie dazu, als Begriffe nicht auf derselben Stufe angesiedelt doch zugleich
so angesetzt werden muss, bzw. die Erkenntnis schon definiert und gewonnen noch einmal (als
dieselbe?) ermittelt werden müsste. Man müsste zu minderen Bedingungen (Erfüllungen) des
Begriffs hinuntersteigen (können), die womöglich doch noch nicht die Erkenntnis ‘sind’ und
beinhalten; wie dann können sie sie fundieren?
97. Hier kann aber auch das Gegenteil nicht bewiesen werden und es gibt keine Reklamation
von Beweisen, die als solche, wenn sie auch nur gefordert werden, noch als ex se gültige er-
scheinen könnten. Damit gibt es letztlich keine Basis für die Vorstellungen des Nikolaus von
Autrecourt, worin wenigstens idealiter der Begriff seiner Identität nach soll unterstellt werden
können. Ockham geht von Begriffen aus und er substantiiert diese; aber er kann die Implika-
tion als internes oder immanentes Ingrediens im Medium der Sätze und Schlüsse nicht halten;
er kann derartig auch keine weiteren Kategorien oder Satzpartikel wie distinctio formalis oder
identitas formalis zulassen, wenn denn noch Beweise geführt werden können sollen.
196 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
ihrem fernen98 Ort treffen Duns Scotus und Ockham als Protagonisten aufeinander
und treten als Antagonisten zusammen: sie zeigen vereint, dass ‘Begriffe’ nach ihrer
wesentlich abstrakten Bedeutung99 wesentlich theologisch verwendbare Begriffe sein
können müssen. Mit Ockham ist dieses nicht ausgeschlossen, weil die Implikation aus
der ‘Verknüpfung’ der Begriffe und Sätze weggenommen werden muss. Dass viele
Wahrheiten über Gott nicht zu beweisen sind, ist gemeinsam das Ergebnis von Duns
Scotus und Ockham. Aber Ockham gewinnt es in einem theoretischen Widerstand
gegen das ihm vorliegende scholastische Beweisen, das er aus dem Grund und zwar
wie aus dem naturalen Grund, der vor und von unterhalb der Begriffe liegt, für die
Begriffe als naturale Phänomene gewinnt. Gleichwohl sind sie dabei wie bei Duns
Scotus (wenigstens pro forma) in intellectu und in der anima intellectiva.100 In der
Suppositionslogik aber wird das Zeichen101 seiner selbst inhaltlich (intensional) und
98. Man denke an den berühmten Buchtitel von B. Tuchman, Der ferne Spiegel, 1980, bei dem
wir uns selbst quasi wie in einer Verkleinerung und dennoch deswegen präziser sollen an-
schauen dürfen.
99. Auch Duns Scotus nimmt oder gibt diese mit seinen Formeln – cf. Text Anm. 92 p. 28
lin. 18: „subiectum sua abstractum ultimata abstractione“ und p. 29 lin. 10 „in substantiis est
tantum una abstractio“ (quidditatis, wie Ockham ergänzt) und p. 30 lin. 10f: „subiectum est
summa abstractione abstractum“ und sagt p. 30 lin. 13–16: (‘ideo’ wie Ockham ergänzt) „illud
ut sic conceptum, est praecise ipsum, quia cuilibet alii extraneum, – sicut dicit Avicenna V Me-
taphysicae“ quod ‘equinitas est tantum equinitas’ et nihil aliud.“ Das ist der berühmte Scotische
Ausgang von Avicenna mit eben der berühmten Formel des Avicenna selbst.
100. Hier hat Ockham entweder kein Motiv gehabt um gegen Duns Scotus anzutreten oder
eben das der Naturalität an sich und ohne Bezug auf Duns Scotus. Aus ihr wäre das mythische
Material des Christentums nicht abzuleiten: die Gottessohnschaft, usw. Ein mythisches Motiv,
nach M. Eliade, Le mythe de l’éternel retour: Archétypes et répétitions, 1949, Kap. I aus Ritualen
entwickelt, um ein unbewältigtes historisches oder ein Bewusstseinsfaktum zu verhüllen, muss
Realitätswahrnehmung anerkennen und übertünchen. Es kann zu sich selbst nichts sagen und
spricht nur von sich selbst. Solcher Charakter ist am Nominalismus in Ockhams Strukturen ab
lesbar. Er hätte damit anerkannt, dass die Naturalität sich bis zum Dogma zu entwickeln hätte
und dann den Rückgriff auf sie gestoppt. Er gibt das Denken, ohne dass dieses sich selbst als das
Erkennen (vollständig) erklären könnte. Es besitzt kein projektives Selbstverhältnis, wie das der
Neuzeit es kannte.
101. Ockham ist in der SL vom Zeichen (und von der vox als Zeichen) in erster Vorerklärung
zum Begriff ausgegangen; er nennt Ord. d. 4 q. 1 OT III p. 8 lin. 17–19 in seiner Entgegnung
auf Walter Burleigh, die korrekte Auffassung der Suppositionslogik betreffend, den conceptus
oder den terminus Zeichen (signum): „Quia tamen conceptus est prius signum, ideo ratione
adiuncti potest supponere pro ipso conceptu.“ Damit ist die suppositio simplex angesprochen,
wie Ockham sie versteht. Das Zeichen kann in sich keinen Folge- und Folgerungsmodus mehr
zulassen; die Widerlegung in der Auseinandersetzung über die korrekte, einzig richtige Form
der Suppositionslogik hebt die Widerlegung als analytischen Modus auf. Damit ist über die
richtige (Form der) Suppositionslogik induktiv entschieden. In nuce lautet die Suppositionslo-
gik ib. p. 7 lin. 17 – p. 8 lin. 5: „dividitur suppositio in suppositionem simplicem, personalem et
Kapitel 4. Fides et scientia 197
intellektiv nicht ansichtig; in dem Sinne wird es sich nicht gegenständlich, wie das ja
auch in der Bezeichnung signum induktiv ausgedrückt worden ist. Das Zeichen oder
was ihm vorausginge kann für das Zeichen selbst nicht analytisch entwickelt wer-
den; die Suppositionslogik (die suppositionslogische Identität) ist eine Primär- oder
Stammformel. Indem mittels des Begriffs als Zeichen die Äquivalenz des contingens
mit dem absurdum, sei es als Satz, sei es als Sache verstanden, auftritt (möglich ist),
erscheint die Suppositionslogik wesentlich oder ausschließlich als Widerlegungsfor-
mel oder -symbol.102 Sie diente intentionell der Widerlegung. Die in der Suppositi-
onslogik ausgedrückte und mit ihrem Gebrauch nachweisbare Widersprüchlichkeit
wird als eine des unrechtmäßigen Gebrauchs von Begriffen in Sätzen, die damit abge-
lehnt werden, erscheinen. Es wird darin nochmals sichtbar, dass suppositionslogisch
keine Auslegung der Begriffe in analytischer Hinsicht erfolgen soll.103 Die Sätze wer
den damit als potentiell analytische abgelehnt und das muss bedeuten, dass die suppo
sitionslogischen Beweise (Widerlegungen) nicht Systemteil eines Systems analytischer
Sätze oder Demonstrationen resp. Deduktionen sind.104 Die Suppositionslogik drückt
kein Widerspruchsmoment für ein solches System aus.
Wenn aber, wie natürlich, die Kausalität in der generatio des Sohnes durch den
Vater, sei es mitgedacht werden kann oder muss, sei es wenigstens nicht ausgeschlos-
sen werden kann, tritt sie als additamentum in jeden elementaren Ausdruck des Ver-
hältnisses des Vaters mit dem Sohn nach der Idee der ‘generatio’ ein; sie kann nicht
als mit dem Ausdruck wesensgleich verstanden sein. Die Kausalität gehört zu dessen
Erläuterungen; es müsste eine Induktion der Kausalität – qua reprobatio (indirek-
tem Beweis), nach welcher sie nicht nicht sein könnte – zu denjenigen ontologischen
Ausdrücken, Formeln, Termini und Terminologien geben (können), in denen bzw.
mit deren Hilfe die generatio allein ausgedrückt/ausgelegt werden; denn sie kann
materialem. Suppositio simplex est quando terminus supponit pro conceptu, sicut hic ‘homo
est species’. Materialis, quando supponit pro ipsomet termino, sicut hic ‘homo est nomen’. Per
sonalis est quando supponit pro aliquo supposito, hoc est de aliqua re de qua vere praedicatur.
/§ Immo, generaliter, suppositio personalis est quando terminus supponit pro suo significato,§/
sicut hic ‘homo est animal’.“ ‘Mensch’ und ‘Lebewesen’ werden von demselben Gegenstand
ausgesagt.
102. Das wird an Ockhams Entgegnung auf Thomas von Aquin und in seiner descriptio oder
definitio der consequentia formalis der zweiten Art deutlich.
103. Das ließ Ockham auch bei seiner oben behandelten Kritik an der Argumentation des
Duns Scotus bezüglich des Satzes ‘Deus generat’ erkennen. Cf. Anm. 92.
104. Die Suppositionslogik ermöglicht und definiert keinen Widerspruchsbeweis, der schon
erfolgten Beweisen folgen könnten. Sie ist nicht Teil eines analytischen Deduktionssystems
oder Teil seiner Logik; sie ist auch nicht über die Syllogistik, für die Ockham mittels der Sup-
positionslogik gültige Sätze und Syllogismen feststellt, Teil eines solchen Systems. Dabei ist
festzustellen, dass eine Folgerung, die per Syllogismus erfolgt, für Ockham höher rangiert als
eine, die in einer consequentia in nicht syllogistischer Form auftritt.
198 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
105. Ockham betreibt dabei letztlich eine Idealisierung der termini, die damit zusammenhängt
und daraus hervorgeht, dass er die scholastische (oft elementare ‘ontologische’) Terminologie
in Bezug auf die elementaren Tatsachen der Wirklichkeit als nicht beweiskräftig darstellt, d. h.
solche Behauptungen oder aber Beweise, die sich ihrer bedienen, refutiert, bei Thomas von
Aquin (und ebenso Duns Scotus) nicht selten, indem er auf Widersprüche in deren Äußerun
gen verweist, daneben aber auch selbst die Nichtschlüssigkeit ihrer Vorstellungen als Divergenz
von Aussage (Behauptung, aufgestelltem Prinzip) und Realität angibt: wenn man die Realität
hinzunimmt, entfallen die scholastisch üblichen ‘Kategorien’ nach dem für sie angenommenen
Verhältnis bzw. ihrer Differenzierung. Erst in der Abstraktion werden sie von Ockham salviert:
so forma als forma substantialis und forma accidentalis, so die distinctio ratione gegenüber
der distinctio realis, die er je Thomas von Aquin für dessen Erklärung von Sachverhalten und
Bestimmung von Sätzen bezüglich der Kausalität nicht zugibt. Cf. Ord. d. 6. q. unica OT III
pp. 84–92. Für Ockham entfällt die physikalische Sachverhaltlichkeit ineins mit theologischen
Befindungen oder Explikationen seines Kontrahenten Thomas, die folglich zusammen negativ
entschieden werden. Die Realvorstellungen, die Ockham (naturphilosophisch) bestreitet, sol-
len auch nicht in der sacra theologia bezüglich der divinitas angewandt werden (können). So
gesehen gibt es natürlich bei Ockham keine Option für die Theologie oder die Physik zuungun
sten der anderen Disziplin und natürlich keine Option gegen eine der beiden. Das ist es, was
wir betonen wollen: die immer abstrakte Fassung des Denkens als Beweisen, das das Erkennen
als relativ absolutes statuiert. Erst wo die theologischen Aspekte für Ockham naturale werden
(peccatum, peccatum originale!), kann er (vermöge desselben begrifflichen Instrumentariums!)
opponieren.
106. Die consequentia naturalis drückt den Zusammenhang von Begriffen nach einer natural-
genetischen Bedeutungskomponente aus oder sie statuiert bzw. realisiert ihn erst. Der Mensch
ist als Individuum Element einer species (noch Brouwer hat species für Menge gebraucht) und
gehört mit dieser in das genus ‘animal’; die relational unumkehrbare (eineindeutige) conse-
quentia, die das ausdrückt „Sors est homo, igitur est animal“ heißt bei Ockham consequentia
naturalis. Die Eineindeutigkeit ist ihr Bestimmungsmerkmal. Cf. Ord. d. 8 q. 4 OT III p. 240
lin. 15–20: Ockham hatte sich p. 229 lin. 22f auf Boethius, libro Divisionum (PL 64, 879 B)
bezogen und ihn zitiert: „Omne genus naturaliter prius est propriis speciebus“ und dafür in-
duktiv argumentiert (ib. lin. 23 – p. 230 lin. 4): „Tunc arguo: nihil est prius naturaliter aliquo
composito nisi causae suae extrinsecae et partes eius intrinsecae. Si ergo genus prius natu-
ra sit speciebus ipsis, oportet quod dicat aliquam causam extrinsecam, – quod est manifeste
falsum – vel aliquam causam intrinsecam, et per consequens partem.“ Ockham argumentiert
Kapitel 4. Fides et scientia 199
Hier kann Ockham die empirische Bedeutung für die Begriffe per se bestreiten,
ihre abstrakte intensionale (nominelle) aber behalten. Auf diese Weise kann er – we-
nigstens pro forma – die scholastische Bewegung festhalten und fortsetzen, wenn-
gleich er sie vielleicht implizit schon abbricht und in eine geschichtlich gesamtheitlich
andere Entwicklung überleitet. Wie das historisch möglich sei, kann nur vermutet wer-
den. Ockham vermag nichts gegen das christliche Dogma. Er muss es übernehmen,
aber er kann es subkutan von dessen Anfängen her gesehen sprengen. D. h. dort, wo
das Anfängliche uranfänglich zeichnet, z. B. im Sündenfall.107 Die Scholastiker hat-
ten in der Erbsünde nur eine akzidentelle Beeinträchtigung des Menschen gesehen;
Ockham betrachtet sie – vermöge des accidens – als inexistent.108 Natürlich kann man
ihm dann ebenso Missachtung des Dogmas wie der Ontologie vorwerfen. Ockham
lässt, wenn er die mangelnde Perfektion scholastischer Erklärungen und Konstruk
tionen erkennbar macht, mit seinen Refutationen eine strukturell bedingte eigene,
nunmehr zu den Stoffen extern sich verhaltende Künstlichkeit sehen, die gegen die
interne seiner Kontrahenten steht, die als bloße Ungeschicktheit erscheint.109 Sie wird
nach seiner Weise induktiv, nicht vermöge irgendeiner irgendwie möglichen und greifbaren
Sachausschöpfung. Er ergreift nicht die materia in se oder ex se. Das lässt sich zusätzlich be-
legen: Denn Ockham verweist auf Boethius und zitiert ihn mit den Worten „Genus speciebus
materia est. Nam sicut aes accepta forma transit in statuam, ita genus accepta differentia transit
in species“, um kommentierend hinzuzufügen: „Igitur secundum intentionem eius, genus vel
est materia simpliciter et realiter, vel dicitur materia quia importat materiam.“ Ockham ist deut
lich hinsichtlich des (begrenzten) Realwertes von genus und materia (ib. p. 241 lin. 1–10): „dico
quod genus dicitur materia sicut dicitur pars. Et ideo sicut proprie loquendo genus est pars
definitionis et non est pars rei, ita est materia aliquo modo in definitione et non est materia rei.
Unde sicut materia a parte rei vere praesupponitur formae, et recipiens formam facit cum for-
ma unum totum, ita genus primo ponitur in definitione et postea, addita sibi differentia, facit
cum illa differentia unam definitionem. Nec est aliquo modo materia, nec aliquo modo pars. Et
isto modo genus, recepta differentia, transit in species, hoc est, facit definitiones essentiales et
convertibiles cum speciebus.“ Cf. auch Kap. 13: Naturgrund und Realerkenntnis.
107. E. Gilson, 1948 p. 217f sieht hier das christliche Denken in Diskrepanz zum aristotelischen
Denken.
108. Er kann zeigen, dass überall, wo das accidens herrscht, die abstrakte Sinnbestimmung der
forma nicht greift, weder in der Physik noch in der Theologie.
109. Dabei können die Realitäts- und die Mentalitätsaspekte von ihnen nicht durchgehalten
werden. Wenn Ockham in seiner Widerlegung des Duns Scotus die abstractio als abstractio
ultima (cf. Anm. 92) für diesen immanent angibt (‘Abstractio ultima quod sit in substantiis
et accidentibus secundum opinionem Scoti lb. I, d. V, q. 1 D’), muss abstractio ebenso von
Grund auf gemeint sein, wie sie In Met. VII, q. 18, n. 9 (IV 724 a, Wa) von Scotus definiert, be
schrieben oder erklärt wird: „Abstractio obiecti non est aliqua actio realis, sed causatur species
intelligibilis a phantasmate et intellectu agente simul, qua causata in intellectu possibili forma
liter, simul causatur obiectum abstractum ibi non formaliter, sed obiective.“ Die reprobativ
und induktiv aufgebaute Aktlehre überdeckt bei Ockham die Universalienproblematik. In das
200 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
für jede Funktionalität ausgeschlossen, die selbst so als intensionale oder pragmati-
sche erscheint. Diese Funktionalität tritt praktisch (und in praktischer Hinsicht) an die
Stelle der formell extensional (extramental) zu verstehenden gemeinscholastischen
Annahmen (Maximen, Sentenzen usw.). Mit denen hat es ‘funktional’ in Ockhams
Beweismethode (und durch sie) ein Ende. So ist sie prinzipiell zu sehen110 Ob sie über
die Scholastik hinaus Geltung haben könne, bleibe unerörtert.111
Wenn Ockham in Ord. distinctio 8 in sieben Quästionen ontologische Themen
abhandelt, stehen sie analytisch in der Funktion eines Zusatzes zum Thema der sacra
theologia. Sie müssen potentiell selbst widerlegt und ausgeschieden werden, wenn
denn die divina essentia eben eine essentia sein (können) soll. Folglich wird auf diese
hin induziert. D. h. in einem bestimmten Sinn sind die ontologischen Fragen und
termini substanzlos.112 Sie erhalten einen Hintergrund, wenn sie auf der Ebene des
Verhältnis der Akte, das damit ein logisches wird, schiebt sich das der Sätze und vor allem
Begriffe ein. Damit sind die Sätze nach dem in ihnen enthaltenen Begriffsgebrauch selber Lo-
gik. Die den Akten entsprechende und sie genetisch hervorbringende Logik. Damit ergibt sich
keine analytische Darstellung Ockhams, sondern die Aufkündigung der Analytizität als Prin
zip des Beweisens und der Sätze; beides aber fällt für das Scotischen Beweisen ineinander, so
in Sonderheit nach dem Beispiel in Anm. 92, dann auch generell bei den im Traktat De Primo
Principio exponierten Beweisen. Die SL hat darum ihren Ort darin, dass sie die Ersetzung oder
Tilgung der Folgerung aus dem Zusammenhang der Intensionen, i.e. der Termini oder concep
tus, beschreibt oder ‘instituiert’. Zur Widerlegung oder Eingrenzung der Scotischen species als
Basis und Erstprodukt der Akte s. Ockham Rep. II q. 12–13 OT V pp. 251–310.
110. Die Ontologie bleibt mit der Unterscheidung von substantia und accidens für Ockham
wie über ihn hinaus in Geltung. So sehr das die Beweistheorie bei Ockham noch bestimmt, so
wenig kann ontologische Geltung selbst bewiesen werden. Ockham widerlegt denn auch deren
realistisch-ontologische Auslegung gerade im Sinn der reductio ad absurdum, die wieder Aris
toteles methodisch an ihren Platz gesetzt hatte. Sie ist damit gleichmächtig mit der Ontologie.
Denn es wird ja nur die Auslegung widerlegt und bewiesen, dass die Ontologie nicht per Beweis
als gültig ausgelegt werden kann. Aristoteles hatte das implizit gegen Demokrits Atomismus ver
sucht. H. G. Gadamer, 1935 sieht Aristoteles mit der Ontologie für die antike Periode gegenüber
dem Atomismus im Recht. Aristoteles widerlegt diesen mittels der reductio ad absurdum. Das
bedeutete: die Atomlehre steht dort, wo das accidens steht. Das nicht selbstmächtig Seiende.
Das tangiert den Folgerungsbegriff. Er muss vom accidens her definiert werden. Was wiede
rum bedeutet, die Ontologie sei nicht begründbar. Ist es dann der Beweis?
111. Th. W. Adorno, 1966, p. 8 will sein Motiv „stringent über die offizielle Trennung von rei
ner Philosophie und Sachhaltigem oder Formalwissenschaftlichem hinauszugelangen“ „mit
konsequenzlogischen Mitteln“ verfolgen. Der Kritiker des Positivismus spezifiziert indes keine
Schlusstechnik neben der von ihm gepriesenen Dialektik. Diese sollte, mit bewussten Brechun-
gen und Verzichten, ja der Wahrheit vorzugsweise teilhaftig sein. Einen Glauben an das Kon
glomerat von Dialektik und Wahrheit gegen die Logik bekundete H. G. Gadamer, 1957.
112. O T III pp. 155–261. Es sind q. 1: Utrum simplicitati divinae repugnat esse in aliquo genere
praedicamentali (kurz: Utrum Deus sit in genere). pp. 155–182. q. 2: Utrum aliquod simpliciter
simplex possit esse in genere. pp. 182–199. q. 3: Utrum omne genus dividatur in suas species per
Kapitel 4. Fides et scientia 201
differentias constitutivas specierum et divisas ipsius. pp. 200–220. q. 4: Utrum genus et differentia
importent eandem rem primo. pp. 220–248. q. 5: Utrum Deus possit definiri definitione non data
per additamentum. pp. 248–251. q. 6: Utrum in omni definitione competissima debeant poni om-
nes differentiae essentiales cum genere primo generalissimo. pp. 251–258. q. 7: Utrum solus Deus
sit immutabilis. pp. 258–261.
113. Hier unterscheidet Ockham zwischen ‘importare’ und ‘supponere’ (cf. ib. q. 4 p. 228
lin. 6–17), womit sich ergibt, dass für den Satz eine perscrutatio ex rei realitate nicht möglich
ist oder nicht angenommen wird.
114. Die ontologische Terminologie gilt nicht in reali pro re secundum argumentationem, also
dort wo Schlüsse aus der Abstraktion auf die Empirie hin zu vermitteln hätten, i.e. sie postulativ
pro abstracto bedeuten müssten.
115. Hier gilt eine tiefliegende Feststellung: Wenn von der divina essentia her zur Ontolo-
gie (hin) gefolgert werden können soll (sollte), wäre die Ontologie zwar (allererst) legitimiert,
zugleich aber bezüglich der Welt (noch) unausgewiesen (indefinit). (Dieser Schluss aber, so
zeigt sich, kann nicht gezogen werden.) Die Ontologie und die sacra theologia können gar
nicht zusammengehen. Also muss auch die Logik abgewiesen werden. Wenn Ockham in der
q. 7 von der immutabilitas Gottes spricht, kann keine Ontologie in Gott eintreten oder geltend
werden, ebenso aber kein Beweis in Anschlag gebracht werden. Schließlich fallen die Widerle-
gung und die Unspezifität jeder ontologischen Auszeichnung im ens immutabilis zusammen;
denn es kann sogar eine creatura immutabilis geben. ‘Es gibt eine creatura immutabilis’. Das
kann induziert werden, weil es sonst zu einem processus in infinitum käme, d. h. zur Unterstel
lung indefiniter Begriffe: creatura, immutabilis etc. Wir können immutabilis aber von Gott
gebrauchen. Wir müssen die Ontologie schließlich von den creaturae annehmen, von denen
wir sie nicht beweisen können. Auch das bedeutet, dass wir die Logik (eine Logik) nicht haben
(können).
116. Ib. p. 207 lin. 3–8: „minus exceditur in perfectione accidens a subiecto quam substantia
a Deo. Et tamen, non obstante imperfectione substantiae, potest definiri sine Deo, quia habet
genus et differentiam essentialem. Igitur eodem modo, si accidens haberet genus et differenti-
am essentialem, posset complete definiri sine subiecto.“ Ein Überredungsargument und: das
accidens ist der Wahrnehmung näher als die substantia. Wir erkennen überhaupt nicht die
substantia in se, das heißt als abstrakte Entität oder als eine Entität, die (nur) abstrakt werden
könnte. Das besondere Interesse Autrecourts ist gar nicht recht verständlich: die substantia
202 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
(als Begriff oder als res) ist nicht einsehbar. Wie sollte es wohl geschehen, so dass es bestritten
werden könnte? Es müsste im Begriff der substantia (bereits) die Implikation eingeschlossen
sein. Bei Ockham ist es umgekehrt: die Implikation wird ausgeschlossen, negiert. Beim obigen
Beweis wird allein die Dependenz des accidens vom subiectum (substantia) bestritten: „Si di-
catur quod accidens non potest complete definiri sine subiecto propter suam imperfectionem.“
Cf. dazu p. 206 lin. 23ff: „accidens potest complete esse sine subiecto, ergo et intelligi.“
117. Die logische Folgerung zwischen antecedens und consequens gilt in diesen Untersuchun-
gen der distinctio octava nicht, weil je was von Gott nicht gültig oder schlüssig, nach ontolo-
gischen oder verwandten Vorstellungen und Begriffen, ausgesagt werden kann, in der Realität
auch nicht gelten kann: Deus non est mutabilis. Eine empirische res ist es auch nicht; es gibt
eine res immutabilis auch secundum experientiam, wo wir sie erfahrbar nicht haben. Das ge-
rade zeigt der Beweis (p. 260 lin. 21 – p. 261 lin. 4). Der intensionale Wert des Begriffs steht ge-
gen die ‘Erfüllbarkeit’. Ockham unterstellt zwei ‘empirienahe’ Auffassungen von mutari (p. 259
lin. 9ff): „Primo modo dicitur aliquid mutari quando recipit aliquid quod prius non habuit, vel
non habet aliquid quod prius habuit.“ Beispiel: die materia empfängt die forma, die ihr wieder
genommen werden kann (cf. ib. lin. 111–116). Die zweite Auffassung lautet (ib. lin. 17–20): „Se
cundo modo dicitur aliquid mutari quando aliquid manens secundum suam essentiam, habet
aliquid in se informans (i.e. ihm eine Form verleihend) quod prius non habuit vel e converso,
ita quod subiectum manens prius est sub forma et postea sub privatione vel e converso.“ Hier
stellt nun Ockham den Satz auf (ib. p. 260 lin. 18–21): „aliqua creatura est immutabilis, quia ali
qua creatura est quae nullius potest esse receptivum, sed tantum potest recipi in alio.“ Mutabilis
ist ein irrealer Begriff, der auch in der Empirie nicht gelten kann. Er kann induktiv von Gott
nicht gebraucht werden. Dass „Deus non mutatur“ quia „est in loco in quo prius non fuit per
novam productionem loci“ stellt Ockham (ib. p. 261 lin. 6–8) fest. Ausdrücklich (ib. lin. 8) Die
gegenteilige „maior generaliter accepta est falsa“. U. Eco s. Kap. 14 Anm. 21 erhält so eine Ant-
wort. Ein dem subiectum Äußeres kann nichts lt./in der essentia subiecti bedeuten (ändern).
Kapitel 4. Fides et scientia 203
„ex natura rei substantia est definibilis.“ Ockham fügt hinzu, dass diese (eine solche)
Definition vielleicht nicht von uns gegeben werden könne.118 Man hätte es also bei
Ockham mit einer Intention (oder Intentionalität) ohne Erfüllung zu tun. Ockham
kann nur widerlegen, wenn er in das, was dabei (als ‘consequens’) abgestoßen wird,
verlegen kann, was im Sinn der Realität negativ, i.e. inexistent ist. In dem Sinn gibt es
keine significatio.119
Damit berühren wir die Naturphilosophie, die Theologie und die Beweislehre.
Hier ist immer das accidens das erweislich mit der essentia, nun aber forma, nicht zu
vereinigende Moment oder Element. Es muss den Widerspruch in der Weise verkör-
pern, dass die Empirie in sich selbst nicht (definit) erfahrbar ist. Der Widerspruch
selbst kann nicht aus der Aussage (einer Aussage) per Ableitung oder Deduktion elizi-
tiert werden.120 Von Ockham wird der Wahrheitsbegriff in der Theologie aufgegeben.
118. Cf. ib. q. 3 p. 206 lin. 6–16: „Sicut differentiae accidentium sunt nobis ignotae, secum
istos, ita secundum eosdem et secundum veritatem, differentiae substantiarum sunt nobis ig-
notae, immo magis sunt nobis ignotae quam accidentia, cum nobis non innotescant (sic) nisi
per accidentia. Igitur non possumus plus definire substantias per differentias essentiales quam
accidentia. Et tamen P h i l o s o p h u s dicit quod definitio proprie est substantialis et non
accidentium. Igitur non intelligit per respectum ad nos, sed quod ex rei natura substantia est
definibilis, quamvis non a nobis forte. Et accidens ex natura rei non est definibile nisi per addit-
amentum, ergo non habet genus et differentiam.“ Damit dürfte die Auffassung des Aristoteles
von der hypóstasis gut wiedergegeben sein. Cf. Metaphysik VII. c. 4, t. 16 (1030b 5–7). Mit
‘istos’ und ‘eosdem’ bezieht sich Ockham sich auf ‘aliqui moderni’, die er nicht angibt (ib. p. 200
lin. 16–20): „Ad istam quaestionem (sc. q. 3) est communis modernorum quod omnis species
componitur ex genere et differentia, et quod omne genus dividitur per differentias in suas spe-
cies. Pro ista opinione non vidi multas rationes, quia ab omnibus supponitur tamquam certa.“
Dieses Geschäft übernimmt Ockham und stellt fest, dass die res simplex damit nicht erfasst
werde (p. 207 lin. 10 – p. 220 lin. 12).
119. Das lehrt die Suppositionslogik.
120. Ockhams Beweis ist zuoberst syllogistischer Beweis. Die anderen ‘Beweise’, die wir bei
ihm sehen, sind gegen das Folgern im Implikationssinn gerichtet und sichern die Determinat-
heit, nicht nur von Sätzen, sondern auch von Auffassungen (Deutungen) zu sprachlichen Aus-
drücken, Begriffen oder Sätzen. Die Möglichkeit von syllogistischen Beweisen in einer Kette
aber hängt von der Ordnung der Prädikate ab. Propositiones per se notae, worin das Prädikat
dem subiectum besonders nahesteht, sind Einzelsätze. Eine Verbindung untereinander müsste
intensional oder extensional die der Begriffe (von Begriffen) besagen. Die Syllogistik liefert ock-
hamistisch den Disziplinen keine geschlossenen Deduktionsgesamtheiten, worin die Syllogis-
men ihren unverbrüchlich festen Platz besäßen. Da eine solche Kette nicht besteht, erscheinen
heterogene induktive Hilfsermittlungen nötig und möglich; sie stehen gegen eine syllogistisch
ermittelte oder repräsentierte Konsistenz, sei es durch eine Kette von Syllogismen insgesamt
garantiert oder durch einen einzelnen Syllogismus ausgedrückt zu denken. Eine mit einem
algebraisierten System der Syllogistik identifizierte Konsistenz wäre belanglos. Die Syllogismen
einzeln und insgesamt implizieren keinen Aspekt der significatio und keine significatio. Sie im-
plizieren auch keine Allgemeinheit, weder eine der Begriffe noch eine von deren Verbindung,
204 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
was schließlich dasselbe sein müsste. Auch kann kein Syllogismus quasi empirisch Allgemein
heit besitzen. Das sichert hypothetisch die Begriffsdefinitheit, den potentiellen Bezug auf die
res singularis, sowie die Autonomie des Syllogismus und seine regulative Kompetenz.
121. Ockham verfährt nicht über den Wahrheitswert als pars integralis der Operationen. Er
operiert vielmehr nach der Kontingenz der ‘Inhalte’, dann der Aussagen und endlich der Ver
hältnisse von Sätzen und Größen. Von dieser Basis her findet er Beweise und Beweismittel. Er
hat eventuell hier sein Motiv gehabt. Es wäre ein Motiv, das die grundlegende psychische Beein
flussung überdecken und verbergen könnte. Also so etwas wie ein sekundäres Motiv, das ihm
zeitlich nach und mit seinen Widerlegungen und Beweishandlungen erst entstanden wäre. Es
müsste damit immer noch selbst erklärt werden (können).
122. Die Materie wird bei Ockham nicht formell Eingang in die anima (den intellectus) finden;
er wird nicht sie in sich erkennen; er wird deren Begriff berücksichtigen. (Ockham erkennt,
kennt und anerkennt den intellectus als fraglos existierendes Vermögen.) Die Materie wird
ein limbus des Gedankens bleiben, aber kein respektabler Ausgangspunkt werden. Ockham
wird nicht aus der Vergangenheit, etwa der Antike, aufsteigen und nicht derart in die Zukunft
reichen, dass er von der Materie Aufhebens machte. Er sucht in der Materie nicht den An
fangspunkt des Erkennens und nicht den Grund des peccatum. Da die Materie über accidentia
erkannt wird, selbst insgesamt als accidens sich verhält (gegenüber der forma) und schließlich
noch die Erbsünde scholastisch auch akzidentell (nicht aber essentiell) uns zukommt, kann sie
für Ockham potentiell entfallen. Dass das ‘Fleisch’ Träger der Sündhaftigkeit sei, sagt Paulus,
Brief an die Römer, Kap. 7 v. 5, der hinzufügt, gerade die Moralvorschrift, das ‘Gesetz’, errege die
Sünde. Letzteres nochmals v. 16. Wie weit solche Vorstellungen in die ontologische Sprache der
Scholastik eintreten können, wird nicht entschieden, wenn man sagt (Gilson), der naturale =
mythische Offenbarungsgrund sei der Ontologie und Welterklärung des Aristoteles von Grund
auf fremd (heterogen). Bei Ockham wird das noch von der Suspendierung des Widerspruchs
satzes affiziert, der für die medievale Apologie konstitutiv war: er musste zurückgedrängt wer-
den, weil die Begriffsbildungen raisonnierend nicht zu halten waren; sie waren für Ockham erst
noch einmal vermöge und bezüglich der Argumentation zu begründen. Mit der materia wie
mit dem accidens, die sich entsprechen, wird eine Defizienz gegenüber dem Erkennen mar-
kiert. Das rühmte Nietzsche später als positivum der deutschen Philosophie von Leibniz an.
Kapitel 4. Fides et scientia 205
usw., ohne dass Ockham daraus wiederum die explizite Geltung folgerte, schwankt.123
Angesichts seiner Methode konnte das Religiöse hier nicht mehr ungezwungen, ohne
eine prekäre Note zu haben sich ausnehmen.124 Bei allem mag man für Ockham im-
mer eine nominalistische Auffassung erkennen oder sie vermissen; wir meinen, dass
Ockhams Strukturen insgesamt nominalistisch sind, aber nicht universalientheore-
tisch definiert werden dürfen.125 Ebenso wenig wie über die oratio mentalis126 und
123. Es soll so keine feste Reihenfolge = starre Reigenschritte benannt sein. Die ‘quamquam’,
‘tamen’, ‘potest dici’, ‘sed non potest concludi’, ‘si etiam’, ‘nihilo minus (non), quia’ etc. sind aber
auffällig und allgegenwärtig.
124. In der Scholastik bekommt das Religiöse einen symbolischen Wert in rationaler Form.
Ockham zeigt nun, dass dieser der ontologischen Sprache oder Terminologie so ganz oder
gleichwertig mit dem Credo nicht entnommen werden kann. Wir können der Ontologie nicht
den symbolischen Wert geben, den das Credo hat; doch es ist der Beweis (argumentatio), der
die Ontologie abtrennte. Sofern die Ontologie den Wahrheitswert zu gewährleisten und zu ver
körpern gehabt hätte, entfällt sie mit (den) Widerlegungen, direkt oder indirekt.
125. Auch M. Lenz, 1998 gebraucht hier den Ausdruck ‘Intensionalismus’. C. Knudsen, 1976
p. 91 und passim lehnt ihn ab: „Ockham, der keine Intensionen anerkennt, sondern alle Begrif-
fe, so auch den Definitionsbegriff, extensional auffasst …“ Ockham hat keine ‘Inhalte’ (Inten-
sionen), da sie in seinen pragmatischen = intensionalen Operationsstrukturen formaliter (und
folgerbar!) nicht vorkommen, und er erkennt keine extensionale Bestimmung von Intensio-
nen an, wie sie Chatton unausgesetzt per ‘Beweis’ = petitio principii gibt. Schon J. Pinborg,
1972 hatte in Bezug auf Ockham den Gebrauch des Begriffs ‘Intension’ für inevident erklärt.
Ockham ist aber kein empirischer Realist, nur weil er extramentale Geltung nicht bestreitet
(= nicht ausschließt) und sich unter ‘homo’, ‘asinus’ usw. etwas vorstellt.
126. Hier kann die Konzeption der oratio mentalis zu induktiven Entscheidungen führen
cf. Ord. d. 1 q. 9 OT II p. 308: „Et ideo in illa propositione quae est in mente non invenitur
aliqua praedicatio analoga quando conceptus abstractus ab illis quibus est communis praedi-
catur.“ Die syncategorema gehören nicht den res extra an. Für die oratio mentalis muss und
kann induktiv operiert werden, um etwas auszuschließen, was de facto für eine Äquivalenz
von abstrakter Aussage und Realität nicht soll angenommen werden (können). Nach H. Roos,
1952, p. 110 hat Priscian den Begriff der ‘syncategoremata’ in die lateinische Sprache eingeführt.
Grundsätzlich gilt (Ord. d. 2 q. 8 OT II 2 p. 287 lin. 23 – p. 288 lin. 4): „potest concedi quod ali
qua propositio est vera in voce quamvis non sit signum alicuius propositionis in mente; de facto
tamen quaelibet potest esse signum propositionis in mente. Et eodem modo concedo quod
quaelibet vox quae est genus vel species potest esse signum generis vel speciei in mente, et est
etiam signum ordinatum cuiuslibet talis de facto.“ Die Differenzierung gilt immer (cf. ib. p. 283
lin. 12–15) „‘Quidquid est, est substantia vel accidens’, illud est verum quod quidquid est extra
animam est substantia vel accidens, non tamen quidquid est in anima obiective est substantia
vel accidens.“ D. h. der Begriff als obiectivum esse oder fictum ist nicht substantia vel accidens.
Für diese Hypothese von der intramentalen Natur des universale und gleichsam strictissime
intramental wird von Ockham hypothetisch von der Hypothese vom Begriff als intellectio aus-
gehend argumentiert (ib. lin. 8–15): „aliqua sunt entia rationis quae nullum esse subiectivum
habent nec habere possunt. (Nun folgt ein echter Induktionsschluss: Ockham geht von einem
206 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
dergleichen.127 Die direkte Geltungsaussage gilt bei Ockham indirekt: das bedeutet
einmal, dass sie im Sinne einer intensionalen Negation gilt, mit der die direkte Gel-
tung (die Annahme der Erfüllung, die als in se gegenständliche und darin ontologisch
zu betrachten wäre) ebenso wie deren Bestreitung (denn es gibt keine negative oder
imaginäre significatio) negiert wird.128 In dem Sinn wird der Unterschied von abstrakt
und empirisch stets eingehalten und ebenso nicht was empirisch gelten sollte, noch
als Element und determinativ auch für den unmittelbaren empirischen kontingenten
Satz äquivalent mit dessen Bedeutung, die eine abstrakte würde, angenommen.129
casus aus, der ein Negationsmoment enthält und durchaus fiktiv sein kann, und geht zu einem
anderen casus über, von dem wir in se nichts wissen). Sicut enim ante creationem creaturae
nullum esse habebant subiectivum et tamen fuerunt cognitae a Deo, ita enim a intellectu creato
potest aliqui fingi quod nullum esse habet subiectivum.“ Also fictum oder obiectivum esse.
Dem entspricht aber die oratio mentalis, die den realen Wert in re nicht ausschließt, wohl aber
die Forderung/Notwendigkeit einer Korrespondenz von Verstand und realitas. Für sie argu-
mentiert Duns Scotus a limine. Cf. Ockham Ord. d. 2 q. 8 OT II pp. 266–292: Utrum universale
univocum sit aliquid reale exsistens alicubi subiective, q. 9 pp. 292–336: Utrum aliquod universale
sit univocum Deo et creaturae und ib. q. 10: Utrum tantum sit unus Deus pp. 337–357 besonders
zum Begriff ens.
127. Eine Induktion auf die fictum-Hypothese via ens rationis (oratio mentalis) s. Ord. d. 2 q. 8
t. 2 p. 274 lin. 9–12: „omnes quasi distinguunt intentiones secundas ab intentionibus primis /§
non vocando intentiones secundas aliquas qualitates reales in anima; igitur cum non sint reali
ter extra, non poterunt esse nisi obiective in anima §/“.
128. Der Begriff ‘consequentia formalis’ kann hier herangezogen werden, denn Ockham sagt
Ord. d. 2 q. 10 OT II 344 lin. 15–20: „si haec sit vera ‘calidum per se calefacit’, haec erit etiam vera
‘album per se calefacit’, si idem sit calidum et album. Et tamen ex hoc non sequitur consequen-
tia formali quod si haec sit per se ‘calidum calefacit’ haec erit per se ‘album calefacit’. Nec credo
aliter istum Doctorem sensisse propter magnam notitiam quam habuit de logica.“ und ib. d. 3
q. 7 OT II p. 523 lin. 12–21: „dico quod haec potest distingui ‘impossibile est intelligere hominem
non intelligendo animal’, quia si uterque terminus stat pro re et personaliter sic est vera, nam
isto modo haec est vera ‘impossibile est videre oculo corporali albedinem non videndo ens’,
quia ista consequentia est formalis ‘albedo videtur, igitur ens videtur’, si ens in consequente stet
personaliter; sed accipiendo utrumque terminum simpliciter vel alterum, non est verum quin
possit intelligi homo non intellecto animali, sicut color videtur et tamen hoc commune ‘ens’
non videtur; et tamen necessario si color videtur aliquod ens videtur.“ Es sollen zwei Sätze (sic)
unterschieden werden („potest distingui“), bei denen in dem einen die suppositio personalis
herrscht, im anderen die suppositio simplex wechselnd veranschlagt wird. Die consequentia
formalis gilt nur für die Sätze, die in der Nähe zur empirischen notitia gedacht werden.
129. So hat Ockham Ord. d. 3 q. 8 OT II 2 p. 539 lin. 15 – p. 540 lin. 5 bestritten, dass Duns
Scotus mit Recht glaube (ib. lin. 12f) „quod ens univocum esset primum obiectum adaequa-
tum intellectus“, indem er an diese Ansicht einen Satz anschließt, den er für falsch hält; ens
müsse dann (lin. 15) „naturaliter attingibile“ sein. Ockham wendet aber ein (lin. 15–18) „Esse
tamen naturaliter attingibile non praedicaretur primo de illo ente quod est obiectum adaequa-
tum, de quo tamen primo praedicaretur esse obiectum potentiae, ad quod potentia naturali
Kapitel 4. Fides et scientia 207
Die direkten Begründungen werden der Induktion überlassen.130 Was empirisch gilt,
muss nicht ebenso (i.e. definit) abstrakt gelten.131 Das zeigt Ockham, indem er betont,
ter ordinatur“, wie Duns Scotus selbst gesagt habe. Während es (p. 532 lin. 8–12) empirisch
schon möglich sei, dass ex notitia secundum potentiam ordinatam dessen „primum obiectum
adaequatum“ per accidens geschlossen werden könne, so doch nicht allgemein und für eine
pars essentialis. Die allgemeine probatio sei hier nicht gegeben. Was Ockham empirisch (das
abstrakte Schließen einbegreifend) nicht zulassen will, fordert Duns Scotus per se für die De-
duktion und Ockham bestreitet es ihm: (p. 538 lin. 22–25): „dico quod posito quod ens esset
obiectum adaequatum intellectus, adhuc obiectum adaequatum intellectus posset naturaliter
attingi, non tamen quod oportet omne contentum posset naturaliter attingi.“ Denn Ockham
glaubt im Sinn eines Induktionsschlusses, dass auch, was unter das obiectum adaequatum einer
potentia falle, etwa des intellectus oder des sensus, damit noch nicht das obiectum adaequatum
selbst zu erkennen gebe, enthalte oder eben schließen lasse. Das hatte Ockham p. 532 lin. 8–12
demonstriert: wir steigen nicht ex concreto ad abstractum auf. Nehmen wir aber dieses in je
nem wahr, so nicht quasi ex parte rei ipsius. Wir erkennen so nicht das Ding in sich.
130. Der Induktionsschluss wie wir ihn für Ockham beschreiben, findet sich explizit Ord. d. 2
q. 9 OT II p. 314 lin. 11 – p. 315 lin. 1: Wir können einen Gegenstand nicht in einem ihm speziell
zukommenden Begriff „in conceptu simplici sibi proprio“ kennen, „nisi ipsum (obiectum) in se
praecognoscatur. Ista patet inductive; aliter enim posset dici quod color posset cognosci a caeco
a nativitate in conceptu sibi proprio coloribus, quia non est maior ratio quod Deus cognoscatur
in conceptu sibi proprio sine praecognitione ipsius in se quam color …; sed manifestum est
quod a tali non potest concipi color in conceptu sibi proprio; igitur nec Deus.“ ‘Non est maior
ratio quod …’ schließt an einen in sich negativen casus an: der von Geburt an Blinde kann
keine Farben kennen. In anderen Fällen gibt es keinen Induktionsgrund (cf. Ord. d. 3 q. 8 OT
II p. 530 lin. 20 – p. 531 lin. 3): „ens rationis et respectus rationis sunt per se intelligibiles et in-
tentiones secundae, et tamen ens neutram primitatem habet respectu talium. Quod non habeat
primitatem communitatis patet, quia nihil est univocum enti reali et enti rationis. Quod non
primitatem virtutis patet, quia illa primitas non est nisi respectu entium realium.“ Duns Scotus
möchte seine Deduktionen aus ens als (lin. 19) „primum obiectum et adaequatum“ entfalten
können (wie auch nach Ord. Prol. aus einem habitus). Ockham zitiert die ganze Meinung des
Scotus (ib. p. 529 lin. 13–20).
131. Alle Induktion bei Ockham geht immer auch über Namen und zwar in dem Nebensinn,
dass es sich um Begriffe nicht ganz und gar, d. h. nicht unbedingt handeln kann und muss.
Daneben kann diese Induktion auch auf Namen direkt gehen und es wäre da die Frage, ob sie
dann auch Begriffe seien, und zwar in jedem Sinn, auch in der Dependenz von der natürlichen
Sprache, die wir begrenzt als unsere sprechen, z. B. Lateinisch. Das betrifft beide Fälle, die wir
nun anführen werden. Die erste der beiden Induktionen (Ord. d. 2. q. 9 OT II 2 p. 334 – p. 335
lin. 2) geht auf einen Namen, der nicht gefunden oder ausgesprochen werden kann: „potest dici
quod forte in lingua Graeca hoc nomen ‘ens’ dicebatur de praedicamentis sicut ‘sanum’ dicitur
de sanis, nec forte fuit aliud nomen impositum; et tunc non fuit aliquod nomen univocum de-
cem praedicamentis propter penuriam nominum, quamvis omnia /§ importata per de decem
praedicamenta §/ in uno conceptu convenirent.“ Ähnlich daselbst (ib. p. 333 lin. 17 – p. 334
lin. 7), wenn wir das quantum (quantitas) nicht als (p. 334 lin. 2f) „aliquam substantiam esse
extensam vel coexsistentem pluribus“ verstehen wollen, bleibt uns nur ein (ib. lin. 4–7) „quid
208 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
dass selbst wenn im Sinn der normalen Abstraktion die Erkenntnis des allgemeinen
adäquaten Objekts des Vermögens über einem individuale oder casus, der unter es
falle, erkannt worden wäre, würde dies nicht zu Erkenntnis eines anderen und näch
sten führen, also im Sinne der empirischen Erkenntnis. So würden nicht alle contenta
unter das obiectum primum adaequatum fallen; das würde also empirisch gelten.132
Damit ist freilich die aristotelische Logik oder ‘Metaphysik’ nicht mehr Gegenstand
der Erörterung oder der Kritik133 Aber Ockham erreichte nicht per se die kommende
Zeit.134
nominis quanti in quo poneretur ipsa substantia quae primo significatur per ens. Et eodem
modo potest dici de relatione et de quibusdam aliis praedicamentis.“ Dabei fragt es sich, ob es
sich da noch um eine oder dieselbe substantia handeln kann oder muss. Eventuell kann es nicht
das nicht, eventuell muss es das nicht. Den realen empirischen ‘Wert’ für ens und substantia
geben wir aber in beiden Fällen nicht auf. Ockham erkennt bloß die Trennung von substan-
tia und qualitas an; die anderen Prädikamente fallen für ihn in die qualitas. Das liegt beiden
Induktionen zugrunde (cf. p. 333 lin. 17–19): „si opinio illa esset vera quae ponit quod aliqua
praedicamenta non dicunt alias res a substantia et qualitate“, dann würde ens substantia und
qualitas bezeichnen (significare), doch wenn von der quantitas gebraucht (p. 334 lin. 1: „quando
autem dicitur de quantitate“, immer noch die substantia mitbezeichnen (connotare). Das nega-
tive Moment der Induktion ist also: non est ens in praedicamentis. Ens gehört prädikativ der
Realwelt zu; induktiv kann es einen fiktiv-nominellen Status zugesprochen erhalten. Ens muss
überhaupt durch eine persuasio als transcendentale begründet (postuliert) werden und gilt
dann hypothetisch. Das wird auch SL I c. 38 OP I p. 106f. lin. 11–32 (s. Kap. 10 Anm. 135).
132. Ord. d. 3 q. 8 OT II p. 538 lin. 25 – p. 539 lin. 11. Die Suppositionslogik verbleibt unterhalb
der Schwelle der Abstraktion, deren Verfehlung angesichts oder mittels falscher Implikationen
sie zeigen kann. Dies aber sehr grundsätzlich. Zur Suppositionslogik vergleiche wenn Sätze wie
Petrus est Petrus nicht anerkannt werden. Cf. Ord. d. 2 q. 7 OT II p. 256 lin. 21 – p. 257 lin. 9.
Die beiden Sätze ‘Sortes est Sortes’ und ‘Sortes est homo’ sind für Ockham nicht äquivalent (ib.
p. 239 lin. 2f): „non est eadem propositio“, weil beide nicht dasselbe Prädikat haben. Sortes ist
als Prädikat nicht identisch mit homo; in dem Satz ‘Sortes est homo’ supponieren ‘Sortes’ und
‘homo’ lediglich für die Person Sortes (ib. lin. 3–8): „quamvis in ista ‘Sortes est homo’ ly homo
supponat pro Sorte, non tamen praecise pro Sorte, quia potentialiter – secundum modum
loquendi Logicorum – supponit pro quolibet homine, quia infertur ex quolibet, et terminus
semper in talibus supponit pro eisdem, quia pro omnibus de quibus verificatur.“ Also in einem
intensionalen Sinn, bei dem die extensionale Gleichheit (nur) vorausgesetzt werden kann, wie
sie nicht zu bestreiten ist, ode rnur bestritten werden könnte, wenn wir nicht schon die Abstrak
tion hätten.
133. Cf. dazu generell K. Bannach, 2000, 47(1–2), pp. 101–126, p. 118: „Wo Ockham freilich
diese Kritik (sc. an Aristoteles) meist in einer Umdeutung des Aristoteles vorträgt oder gar sich
ohne ein weiteres Wort der Erläuterung von ihm distanziert, vertieft Luther diese Kritik ins
Grundsätzliche – über die bloße Polemik hinaus – zur Frage von dem Verhältnis von Glaube
und Vernunft.“
134. Cf. K. H. Tachau, 1988 p. 281: Ockham sei im 14. Jahrhundert ohne reellen Einfluss. p. 310:
„as Wodeham’s medieval readers recognized, he accepted little from Ockham in the realm of
Kapitel 4. Fides et scientia 209
epistemology and psychology.“ Tachau bindet die von ihr behauptete Irrelevanz Ockhams für
physikalische Anschauungen seiner Zeit an seine Negation der species. Cf. dazu auch Kap. 13
Anm. 118; A. Goddù, 1984 misst Ockhams Begriff von causa, wie zuvor schon A. Maier, an
physikalisch „realer“ Kausalität und beurteilt ihn als verfehlt. Id. William of Ockham’s Di
stinction between “Real“ Efficient Causes and Strictly ‘Sine qua Non Causes’, in: Monist 79,3,
1996 pp. 357–367 nennt p. 357 folgende „Begriffe“ von causa als unterschiedene causae bei
Ockham: cause, immediate cause, exclusive total sufficient cause, essential cause, accidental
cause, and prior cause. Und: „Ockham held the principle of action at a distance in order to
save the causal account of some phenomena.“ Doch sind es Kausalbewandtnisse oder Modi
fikationen (Erscheinungsweisen) der einen bei sich unbekannten causa. Es sind Benennun-
gen einer Wirkungsweise, die im Aufblick zwischen subjektiver Wahrnehmung und äußer-
licher Sache zu Fragmenten zerfällt und zur argumentativen Anfechtung von ontologisch
verwandten Relationen führen. Wir müssen Ockhams Verständnis von species und causa in
seine Beweismethode (Beweisarten) integrieren. Der Hintergrund der reprobationes ist, dass
forma (substantia) und accidens ‘logisch’ nicht vermittelbar sind. Das tritt mit Ockhams Ar
gumentation zutage und gilt naturwissenschaftlich bis heute. Es gilt beim significatum tota-
le in Rep. II q. 7 und q. 10 OT V. Der Begriff der causa per se (Ord. d. 2 q. 10 OT II p. 345
lin. 15–18) begreift alle Kausalitätswahrnehmungen ein, die mit ihr förmlich zu gelten haben;
sie können nicht entbehrt werden. Zum Verhältnis von causa per se und causa totalis s. da-
bei L. Baudry, 1958, pp. 34–43. Die(se) causa ist nicht in einem positiven Sinn argumenten
tauglich; sie geht in Widerlegungen ein, bei denen z. B. nicht auf die Minderung in Form der
causa per accidens ausgewichen werden kann, um den Topos von causalitas gesamtinhaltlich
(für Thomas und Duns Scotus) induktiv zu retten. Diese Kausalität im negativen Sinn um-
fasst Gott und die Welt. Die causa sine qua non als negiertes impedimentum will Goddù von
Ockham speziell für die Sakramentenlehre gewählt wissen, weil realiter wirksame causae hier
nicht infrage kämen. Sie würden freilich erst von daher nicht infrage kommen sollen. Indes
kann die ‘causa sine qua non’ nach Ockham ‘sein’ (Rep. IV q. 1 OT VII p. 14 lin. 15–17): „in
naturalibus non contingit dare aliquam causam sine qua non, sed in voluntariis bene potest
esse talis causa.“ Unsicher ist, ob Gott vermöge der Sakramente wirklich handelt. Sicher ist:
Ockham Rep. IV q. 2 OT VII bezieht ein induktiv gewonnenes Zeichen (signum), auch cha-
racter (Mal) genannt, auf die Taufe, deren reelle Wirkung strittig bleibt, gar bestritten wird. Da
gilt auch, dass das sacramentum selbst nicht eigentlich auf die anima wirkt (Rep. IV q. 1 OT
VII p. 17 lin. 17–22): „dico quod sensibile non potest agere in animam mediante aliquo ipsius
animae, puta mediante cognitione. Et ideo cum non sit notum per Scripturam Sacram nec per
experientiam nec per rationem deductam ex per se notis (= consequentia formali) quod potest
aliter agere in animam quam modo dicto, ideo concedo quod nullo alio modo potest agere in
animam.“ Gott ist indes der jenseitige Raum, wo die für unser Erkennen und seine Mittel nicht
unbedingt (= vollständig) begründete Geltung postuliert werden kann (= nicht ausgeschlossen,
also möglich ist). Das gilt für die reelle causalitas, deren Unbeweisbarkeit Ockham über die
induktiv begründete divina potentia persuadiert. Der Kontakt von causa und effectus ist invisi-
bel und darin negativ. Hier gründet denn auch keine Folgerbarkeit.
kapitel 5
Ockham behandelt die Frage Utrum Deum esse sit per se et naturaliter notum, und
verneint sie schlussendlich, indem er feststellt: „quod in ista propositione ‘deitas
est’ non praedicatur idem de se, quia hic praedicatur unum commune ad Deum et
ad alia.“ Das klingt nach einer petitio principii. Ockhams Argumentation lautet: Der
Begriff esse oder ens oder est ist Gott inhaltlich übergeordnet. Damit ist Gott ein ‘in-
ferius’, aber: „nullum commune est idem cum suo inferiori…“ ebenso wie nicht:
„nec etiam in aliquo casu inferius includit suum superius“. Esse ist kein Bestandteil
der deitas. Das aber impliziert überhaupt die Frage, über der der Verdacht der petitio
principii oben entsteht, ob die deitas ohne Faktor oder Begriff esse oder Seiendheit
überhaupt gedacht werden könne, oder anders, ob die Frage, wie oder ob uns Gott
bekannt sei, unter Einbezug des Satzes, den die quaestio behandelt, gestellt werden
dürfe oder notwendig müsse. Darauf nur gibt die quaestio ihre negative Antwort,
und zwar in der Art, dass sie implizit verneint, dass die significatio in der Gestalt der
Folgerung bestimmt, egalisiert und ermittelt werden könne. Das gibt und präpariert
die Definitheit der termini auf dem Grunde des Folgerns und von ihm hervorzuho-
len, i.e. in dem Sinne zu gewährleisten. Für Ockham ist der Satz ein zu beweisender
Satz und zwar für den viator und ein nicht beweisbarer. Der beatus kann zwei Sätze
bilden, die die divina essentia zum Gegenstand haben, einen per notitiam intuiti-
vam, einen zweiten, danach erfolgend, per notitiam abstractivam, wobei die ratio die
ser notitia abstractiva unbestimmt bleibt: „abstractive quaecumque sit ratio istius
dicti“. Beide sind für ihn propositiones per se notae. Daher kann er nicht an ihnen
zweifeln. Für den viator ist der Satz, den er nur per notitiam abstractivam hat, eine
propositio dubitabilis. Bezweifelbarkeit ist eine der drei Bedingungen dafür, dass ein
Satz propositio demonstrabilis sei. Beweisbarkeit ist ihre hypothetische, nicht eine
in irgendetwas reale Eigenschaft. Es reicht aus, dass irgendjemand ihn bezweifelt/
bezweifeln kann: „ad hoc quod aliqua propositio sit demonstrabilis sufficit quod pos-
sit dubitari a quocumque, et quod postea per syllogismum accipientem propositiones
necessarias possit fieri nota. Et ita est in proposito, quia aliquis potest istam proposi-
tionem dubitare; et si postea videat divinam essentiam potest eandem formare quam
prius, et virtute notitiae praemissarum eam evidenter cognoscere.“ Dabei vollzieht
den in Rede stehenden Beweis der beatus (sic!): „Et si quaeratur cui est ista proposi
tio demonstrabilis, dico quod est demonstrabilis ipsi videnti divinam essentiam vel
cognoscenti abstractive ipsam divinam essentiam in se.“ Der viator kann den Beweis
nur später führen. Demonstrabilis und dubitabilis stehen also sachlich und zeitlich
weit auseinander. Der Satz, den wir später per visionem beatificum bildeten, wäre per
se eine propositio necessaria. Damit zeigt sich, dass Ockham die obligate Syllogistik
nicht per implicationem beweisen könnte: Da er die Sätze kaum gliedert, zeigt sich,
dass ein Beweis von der effektiven Leistung und Einsetzbarkeit des Syllogismus nicht
analytisch (semantisch) erfolgen kann. Der beatus, der Gott schaut, muss überdies
nicht alle theologischen Fragen lösen können, in Sonderheit solche nicht, bei denen
wir nach unsern ontologischen und empirischen Voraussetzungen Zweifel haben:
beim sacramentum altaris usw. Woher aber hat der viator seinen Satz oder Begriff?
Den Begriff kann er schließlich der natürlichen Theologie entnehmen, zusammen mit
den Beschreibungen, die wir Gott geben. Warum wird dann nach seiner Existenz als
integralem Bestandteil seiner essentia gefragt, um sie als quasi Externes, i.e. empirisch
Zukommendes zu verneinen und zwar über die Beweislehre, in dem hier die Existenz
einer consequentia formalis verneint wird? Denn das geschieht. Das geschieht auch
gegenüber den Auslegungen des Thomas von Aquin und des Duns Scotus von einer
quasi rationalistischen Theologie.10
Ockham refutiert bei der Behandlung der quaestio 4 Scotus, weil dieser Existenz
als Einschlussmoment versteht und bei Gott von dem nicht trennt, dem es zukom-
men soll. Ockham lehnt nicht die abstrakte Kompatibilität von existentia und no-
titia abstractiva ab. Er widerspricht der Annahme, die notitia abstractiva sei nicht
Erkenntnis, da von ihr existentia nicht erkannt werden könne. Daraus, dass die notitia
abstractiva über ‘ihre’ Irrespektivität gegenüber Existenz und Nicht-Existenz der res
determiniert ist, folgt nicht, dass sie auch vermöge der Nichterkenntnis (die darin
äquivokativ erscheint) von ‘Existenz’ terminiert wäre; es müsste das Folgerung erset-
zen und Logizität in genere bedeuten. Äquivokation und Folgerbarkeit würden gleich,
und letztere würde qua supponierter Definitheit trotz der Äquivokation beibehalten
(fortgesetzt). Ockham leistet vermöge der notitia abstractiva angesichts Duns Scotus’
die einzig gegründete Kritik von Ontologie. Scotus fügt wie gewöhnlich eine Bestim-
mung ein, die wie eine Prävention gegen Bestreitungen sich ausnimmt und unaus-
führbare Folgerungen insinuiert. Ockham dagegen blockt Folgerungen ab. Ockham
gibt Beispiele für Scotus’ Verfahren, Probleme durch Zusatzbestimmungen zu lösen,
bei denen implizit und explizit gleich sind. Es entstehen Hypothesen ad hoc (petitio
principii). Ein genereller Regelkanon für das Denken wie bei Ockham existiert nicht.
10. Cf. M. Lenz, Himmlische Sätze: Die Beweisbarkeit von Glaubenssätzen nach Wilhelm von
Ockham. Bochumer Philos. Jahrb. F. Antike und Mittelalter, 1998, 3 pp. 99–120 (p. 116): „Wil-
helms Satzanalyse besteht also nicht in einem Regelwerk, sondern in einer jeweils problemori
entierten ‘Anwendung’ der Satzanalyse.“ Das will Lenz nun gerade in einem Fall annehmen, in
dem Ockham im Prol. Ord. die Satztypik wenig ausführt, also pauschal darüber hinweg und
mit Kautelen operiert, besser: wo nichts was er sagt, über Einschlüsse (Implikationen) behaup-
tet oder demonstriert wird. Doch gäbe es das Regelwerk, stünde es nicht notwendig „einer je-
weils problemorientierten ‘Anwendung’“ im Wege. Ockhams wiederkehrende gleiche Formeln
in Begründung und Widerlegung können nur gelten, i.e. ihren Satzgegenstand treffen, wenn
sie ihn jeweils für sich nach immergleichen Qualitäten angehen. Derart bedeuten sie Ablei
tungen und sind miteinander konsistent. Sie sind das Regelwerk. Um dem zu widersprechen,
müsste man ein nicht satzidentisches Satz-Inneres unterstellen, aus welchem heraus sie mit
Intentionen zu tun hätten, ähnlich Duns Scotus, der seine Bestimmungen immer aliquomodo
von dem unterscheidet, was sie betreffen. Für Ockham und nach der Voraussetzung von Lenz
gibt es nur die Sätze, denen die Erkenntnis gilt. Ockham führt (Ord. d. 3 q. 4 OT I pp. 432–442)
den Beweis, dass ‘existentia’ kein Element des abstrakten Begriffs ist, auch nicht des Begriffs
‘Deus’. Von dem nimmt Duns Scotus es an. ‘Gott als das höchste Seiende oder summe existen
tiam habens’ muss unserem natürlichen Begriff von ens widerstreiten und ihn äquivokativ ma-
chen. Duns Scotus entdeckt einen Widerspruch im Charakter der Zusatzbestimmungen nach
ihrem Verhältnis zu dem, dem sie gilt, erst dann, wenn zwei von der Art zusammentreffen: cf.
Ockham Rep. II, q. 2 OT V p. 46 in der Editorenanmerkung 4 (Zitat) und Ockhams Referat ib.
p. 30 lin. 10f.
214 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Persuaderi tamen potest sic: omnis causa non impedibilis aequaliter respiciens multa sive infi
nita si agat unum illorum in aliquo instanti et non aliud, est causa contingens et libera. Quia
ex quo non est impedibilis et aequaliter respicit omnia et aeque primo, non videtur ratio quare
plus producit unum quam aliud nisi propter libertatem suam. Sed Deus est huiusmodi causa
respectu omnium producibilium ab eo ab aeterno.“ Ockham Überredungsbeweis besagt: wo
eine Freiheit der Wahl bestehen soll, muss zur gleichen Zeit eines neben einem anderen gleich
möglich (i.e. eben wählbar) sein, und ohne dass in der Sache selbst ein Präjudiz dafür bestan-
den haben darf, so dass allein der Wille entschieden habe. Die causa selbst darf dabei nicht
aufzuhalten sein (impedibilis). Das heißt natürlich in keine Inhaltlichkeit von Begriffen einge
hen, gleichwohl aber sie so auslegen wie sie significando zu betrachten sind. Im Grunde sind
die Bestimmungen negativ gegenüber denkbaren inhaltlichen Auffassungen von den Begriffen,
die sich eben nicht definieren lassen. Das rechtfertigt die persuasio: wir können keine absoluten
und rationalen (beweisfähigen) Begriffe aus der Empirie erheben. Dafür im Grunde geben wir
Begründungen. Es wird gerade einmal der Begriff der libertas inhaltlich induziert. Er kann
aber nicht eigentlich bestimmt werden, weil wir gar nicht wissen, ob es ihn oder sie gibt. Das
bedeutet es auch, dass ihm (ihr) eine gewisse transzendente Bedeutung zukommen muss. Sie
ist nicht anders als die forma sine subiecto sive fundamento zu bewerten. Cf. ib. p. 66 lin. 13–18
und anderswo. Die Grundlinie empirischen Operierens und Erkennens bei Ockham kann im
natürlichen (menschlichen) Erkennen soweit zu inhaltlichen Problemlösungen umgewandelt
werden und in Rechnung gestellt sein, wie der Basisbegriff des Erkennens als eigentlicher noch
die Antworten bestimmt.
18. Dass hier ein bestimmter intensionaler Sinn mit reeller empirischer (i.e. extramentaler)
Bedeutung nicht angenommen werden kann, bezeichnet Ockham Denken und Methode. De
facto ist das Willensmoment nicht Teil der divina essentia in einem für die divina essentia
auszusagenden Sinn. Man erkennt, dass eine deduktive Methode, die das will und sucht, eben
ihrer Art nach als förmlich notwendige, unerlässliche, überragende und wenigstens unantast
bare angesehen werden müsste. Man wird es ihr bestreiten. Aus mehreren Gründen. Hier ist
für Ockham zu unterstreichen, dass es intensional (modal) aus dem Satz herauszulesen sei: was
dieser nicht enthält (also: aussagt) ist auch nicht in dessen Sinn als problema zu erkennen, so
dass es gleichsam außerhalb oder an sich bestehe und erörtert werden könne, bzw. müsse. Wir
haben quasi die Begriffe nicht, in deren Namen sich das Problem (zugleich) für sich stellte. In
dem Sinne noch einmal ausführlich Anm. 24.
216 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
von uns ja grundsätzlich untersucht und festgestellt wird, gerade nicht geben.19 Der
Begriff voluntas, der hier außerhalb der divina essentia steht, wird mithin zugleich
der Begriff, der überhaupt erst exponiert wird und damit intensional als solcher wie
bezüglich seines Zukommens thematisiert wird: hinsichtlich des Gegenstands, der
Gott ist, aber damit bezüglich der Frage des Zukommens ebenso speziell auftritt wie
das Zukommen danach allgemein thematisiert werden können muss. Würde es nicht
allgemein thematisiert werden können, hätten wir vielleicht keinen Begriff: d. i. Be-
griffe überhaupt oder/und nicht diesen Begriff voluntas. Wir können auch noch fra-
gen, was er bezüglich des Gegenstands bedeuten kann. Dann aber haben wir schon
Ockhams Disposition akzeptiert. Man erkennt folglich auch, dass der Begriff nur ein
accidens meinen könne, damit aber begrifflich festgelegt sei, nämlich nach seiner
Wortart, die in die mentale Sphäre hinein verfolgt induktive Befindungen und Bestim
mungen zum Inhalt nach bloß formaler Qualität zulässt. Sie implizieren Ockhams
‘Lehrentscheidungen’, besser: seine opiniones oder solutiones, die von den Begriffen
alias Wortarten ausgehend nur diese zum Inhalt, Thema, Gegenstand (wie man will)
haben (können).
So werden bei Ockham immer nur Verhältnisse geklärt, welche den Begriffen
entsprechen; die Verhältnisse und die Begriffe gelten, indem letztere auf einen Be-
tragswert reduziert werden. Er besagt den Begriff nach einem Inhalt, mit welchem er
kommensurabel auf einen anderen bezogen werden kann. Bedingt erlischt deren Sinn,
sofern er nur noch nach der Abstraktion, die mit der Feststellung eines unbedingt ein-
tretenden und für den Zusammenhang haltbaren Verhältnisses zusammenfällt und
zusammenhängt, beurteilt werden kann. Dabei kann aber mit der neuen Ordnung
trotz der Reduktion der Begriffe deren empirische Vergleichbarkeit und ursprüng
liche Bedeutung in empirisch-weltlichen Bewandtnissen gewahrt werden.20 Diese
19. Die Argumentation mithin überschreitet niemals den Satz, auf den sie bezogen sein muss.
Das ist auch so zu verstehen, dass consequentiae, wenn sie abgelehnt werden, i.e. nicht beste
hen – können (sollen), de facto (= intensional) einen negativen Beweiswert haben müssen. Wo
die consequentia nicht bestehen kann, ist mit dem Nachweis, dass es so sei, der Beweis geführt
worden, dass ein Beweis nicht existiere. Solch ein Beweis wird für Sätze somit auf der Ebe-
ne der Entscheidung der Gültigkeit und consequentiae geführt. (Die Nichtgeltung von Sätzen
kann suppositionslogisch erklärt werden.) Der Beweis geht dann aber nicht über die Abstraktion
hinaus. (Dass wenn in die determinatio eine implicatio eingeschlossen ist, ein Beweis gelten
müsse, ist dann zwangsläufig. So wenn Ockham die Notwendigkeit der Schöpfung erweist.)
20. Insofern tritt kein Widerspruch auf, der sonst für die Begriffe, also deren Inhalte, bestünde.
Wollte man hierbei den Widerspruchssatz strikt zugrunde legen, so würde er äquivokativ und
in dem Sinne müsste zwischen inhaltlichem Widerspruch und realempirischem, den es so gar
nicht geben kann (er wird nur im Beweis fingiert), eine Verbindung bestehen. Sie aber wird
bei Ockham abgelehnt. Gerade hier wird mit der Ablehnung einer consequentia in sachlicher
Hinsicht die consequentia in technischer Hinsicht suspendiert. Derart können die logischen
Zeichen (inclusive die Implikation) keine reale Bedeutung haben und nicht über eine solche
abgestützt sein.
Kapitel 5. Aus dem Innern Gottes 217
müssen also nicht für theologische Erörterungen und Feststellungen suspendiert wer
den.21 Sie werden vielmehr beibehalten und haben eine regulative Bedeutung oder
Kompetenz. Das entspricht insgesamt einer induktiven Operation bei der Begrün-
dung.22 In deren Namen und Rahmen wird immer eine Abscheidung und Exklu-
sion, also potentiell, wenn man einen formell anderen oder informellen Begriff in
anderen scholastischen Äußerungen heranzieht, eine Widerlegung möglich.23 Dabei
werden vorderhand im Sinne eines Sachverhalts oder suggerierten Tatbestands zwei
Begriffe im Spiele sein.24 Ockhams Verfahren in genere besteht darin, dass er essentia
und accidens, wie sie Inhaltsformen denkbarerweise kategorial zu fassen vermögen,
21. Bei den theologica treten abstrakte Reduktionen im Begriffssinn auf. Mit ihnen, auch bei
den Fragen zum ordo salutis, wird die logische Stringenz von den Bedingungen der empiri
schen Wahrnehmung vor der Abstraktion und von der Kausalität abgekoppelt. Das liegt im
Rahmen der Induktion. Wir hätten einen Widerspruch, wenn wir den empirischen Gebrauch
der Begriffe auf die die essentia divina und damit auch den ordo salutis betreffenden ‘Aussagen’
ausdehnen wollten. Der Widerspruch liegt nicht in dem theologischen Gebrauch. Man mag das
für eine bodenlose ‘Subtilität’ oder apologetische Finte halten. Doch im System der Argumen
tationen Ockhams widerlegt das ‘consequens’ nicht die Prämisse, sondern die Auffassung von
deren Bedeutungen (die Deutung der darin gebrauchten Begriffe und implizit deren Kombina
tion). Cf. die folgende Anmerkung.
22. Die Induktion, die dann eintritt, verändert bedingt den Sinn des Begriffs oder terminus,
wie sie ihn in ein (neues) Verhältnis stellt. Sie sieht von empirischen oder akzidentellen, i.e.
konditionalen oder kontingenten Bestandteilen oder Referenzen ab. Sie besorgt die Definitheit
des Begriffs, dessen Abstraktion etwas gereinigt oder bereinigt wird, insofern für diesen Sinn
bestimmte Kausalwirkungen als unwesentlich betrachtet werden können oder werden sollen.
23. Die Widerlegung relegiert den empirischen Sinn, wenn er abstrakt gesetzt wird. Er gilt
dann eben nicht als allgemeiner, und es ist kein definiter Sinn gebraucht worden. Das ist ein
Prinzip für die theologischen Erklärungen Ockhams. Der Satz ist der Inhalt. Er bleibt kontin-
gent, auch wenn er nicht empirisch ist. Es gilt für ihn, dass eine Auslegung der Begriffe nach
dem Verhältnis, den Satz begründend, nicht gesucht wird und eben mit Ockhams Methode, sie
begründend, nicht gesucht werden kann.
24. Das heißt: für sie kann der Zusammenhang nicht zwingend sein. Hier wird dann auch
nicht gut eine consequentia oder ein Syllogismus angenommen werden können. Denn die Be-
griffe erscheinen weder empirisch noch logisch als definit verbindlich und verbunden. Es ist
erkennbar, dass die logischen Verbindungen nach den empirischen insofern erscheinen und
‘bestehen’, als der empirische Satz, i.e. derjenige, der einen empirischen ‘Sachverhalt’ fasst, in
allen Ausdrucksformen regulativ ist. Wird er exreguliert, so tritt ein modaler Zusammenhang
der Begriffe auf, wie für die divina essentia und die relationes mittels der distinctio formalis (in
Ockhams Gebrauch), der empirisch nicht ist, aber den empirischen Sinn in einer allgemeinen
und dabei widersprüchlichen Verwendung ausscheidet. Der Widerspruch wird ausgeschieden;
also kann er nicht leitend sein. Die Abstraktion umgeht ihn und scheidet ihn aus. Wir wissen
ja auch von den empirischen, i.e. aber kontingenten Aussagen nicht, dass sie widerspruchsfrei
seien. Denn wir operieren nicht an ihnen Widerspruchsfreiheit erkennend.
218 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
konditional scharf trennt.25 Die Abstraktion ‘enthält’ das akzidentelle Moment aber
überhaupt so, dass von diesem die Induktion aus der Sachebene zum Begriff und
zur Feststellung der Satzart, ihre Wertigkeit, Reichweite, Geltung usw. ausgeht. Die
divina essentia ist bei Ockham mithin wirklich und erst gesicherte substantia. Mit der
Existenz (Gegebenheit) der Begriffe ebenso wie mit deren Verwendung und Behan-
delbarkeit besteht noch keine Intellektion. Sie muss also nicht für den Satz und die
Deduktion oder eine consequentia unterstellt werden, wenn diese nur genannt oder
aufgestellt wird. Wenn sie refutiert, i.e. als falsa implicatio abgelehnt werden kann,
gab es keine Signifikanz des Satzes (der in der consequentia ‘verbundenen’ Sätze) und
keine significatio der Begriffe. Sie haben ihre significatio im gemeinten Objekt, einer
res extra animam. Auch der abstrahierte Begriff verbleibt in einer konkreten Verwen-
dung, also in der Beziehung auf formell singuläre res.
Dieser feste Bezug auf die significatio gründet praktisch darauf, dass aus dem
Begriff, wenn er abstrahiert ist oder als abstrakt gelten kann, nicht deduziert wer-
den kann, besser: nicht abgeleitet werden kann. (Deduktion und Ableitung sind nicht
dasselbe: Duns Scotus leitet wenigstens intentionell oder wenn man seine Metho-
de in der Idee vollkommen nennen will, eher ab, wenngleich nicht unbedingt, da er
ontologische Zusatzannahmen einsprengt, die er sodann splittet (modifiziert, diffe-
renziert): zwischen dem was er dabei abscheidet und dem was er behält will, also
postuliert, kann es dann keine logische Konsistenz oder Konsequenz geben.) Es kann
nichts aus den Begriffen gewonnen werden, was dann in derselben Weise wie sie auch
significatio hätte oder bedeutete. Der bei Ockham wesentlich kontingente Satz beruht
mit dem Verhältnis von quidditativum (subiectum) und connotativum (passio) dar-
auf, dass für die passio keine significatio aus dem subiectum zu folgern sei.
Die theologischen Fragen von Prädestination und Reprobation (Verwerfung der
Menschen, die in Ewigkeit verdammt sein sollen, also von Gott nicht erwählt wer-
den) betreffen und verlangen keine Erörterung bezüglich der divina essentia, son-
dern (bloß) – gewisse – Bedingungen des Handelns der divina essentia nach außen,
und zwar insofern diese Bedingungen formell als noch unbekannte aufgefasst werden
müssen.26 Aushilfsweise werden hier Momente oder Leitbegriffe wie causa angewandt.
Sie leiten dann aber gerade nicht aus der divina essentia in die Sphäre extra divinam
essentiam, wobei sie denn eben die Relationsbegriffe zu verdoppeln hätten; damit wür
den aber diese wieder aus der Konditionalität zur Essentialität deformiert. Die Über
tragung des reellen Kausalmoments auf das Folgeverhältnis von Sätzen im Beweis
secundum consequentiam wird von Ockham abgelehnt. Die adaequatio intellectus ad
25. Dabei kann funktionell und intensional das Vorsatzmoment der forma auftreten, das der
ratio des terminus in inhaltlicher Funktion entspricht, nicht einem Satz, und es erlaubt, diese
forma, die die essentia mithin vertritt, vom accidens und kontingenten Umständen abzuheben,
was, da die Abstraktion generell den Strukturen gilt, nicht den Inhalten, hier ersatzweise zur
persuasio führen muss. Dann lautet die Auskunft: ‘potest persuaderi’.
26. Sie stellen empirische Bedingungen und Fälle pro forma da.
Kapitel 5. Aus dem Innern Gottes 219
rem hat so für Ockham eine Grenze, sie hat diese Grenze, wie Erörterungen im Ord.
Prol. zeigen. Ebenso wiederum von der empirischen Sphäre her (oder der der kontin
genten Fälle, die einen Widerspruch gegen eine Verallgemeinerung begründen) stellt
er fest, dass eine consequentia als von der Wirkung des antecedens auf das consequens
her gedacht, wenn jenes cum grano salis als causa von diesem aufgefasst werden soll,
„verumtamen hoc vel numquam vel raro contingit nisi quia in re aliquid est causa
alterius vel potest esse vel fuit.“27 Wo Gott selbst handelt und dabei was er tut, explizit
und kompakt auf seine essentia beschränkt ist, gibt es keine derartige Unterscheidbar-
keit der essentia und des Relationsbegriffs, welche seine Tauglichkeit für die essentia
erweisbar machte:28 „dico quod praedestinatio non est aliquid imaginabile in Deo
distinctum quocumque modo a Deo et personis et deitate, ita quod non est aliquis
actus secundus adveniens deitati, sed importat ipsum Deum qui est daturus alicui vi
tam aeternam, et ita importat ipsum et vitam aeternam quae dabitur alicui. Et eodem
modo est de reprobatione quod importat Deum daturum alicui poenam aeternam
et nihil adveniens Deo.“29 Das heißt auch, dass für die Relationsbegriffe Ordnung
und Verhältnisse separat erforscht werden müssen, wobei sie methodisch unter die
Induktion fallen.30
Nach Ockham prädestiniert Gott nicht unbedingt (notwendig) zu Verdammnis
oder ewiger Seligkeit, weil er logisch und empirisch zunächst die Mittel wollen mus-
ste, welche zu diesem Zweck und Ziel zu führen hatten.31 Für Gott ist (daher) die
menschlich-empirische Ordnung, nach der der finis den anderen causae vorauszuge-
hen hätte, außer Kraft gesetzt.32 Dies heißt nur, dass Gott nicht nach Maßgabe mensch-
lich angewandter Begriffe handeln muss oder zu beurteilen ist, bei denen ja in diesem
Falle das spezifische Mittel ‘ad hoc’ und das allgemeine der begrifflichen Abstraktion
zusammenzufallen hätten, was nicht sein kann: es würde alle möglichen Fehler mit
sich bringen, z. B. auf instantiae oder fallaciae führen müssen. Ockham muss also auf
eine Abstraktion setzen, bei der Gott gar nicht aus sich herausgeht und es zugleich in
diesem Sinn für das Faktum oder Geschehen der Prädestination keine Realität gibt.
Das heißt aber: Prädestination ist kein reelles bzw. von seiten der empirischen Realität
secundum legem communem definierbares oder definiertes Problem. Seine Definition
ist eine Angelegenheit reiner sprachlicher Regulation. Das entspricht einer Abstrakti
on, die parallel zu einer kontingenten Aussage verläuft, in der ja schließlich der Be-
fund festgehalten wird: ‘Petrus est damnatus (reprobatus)’ ‘Petrus est praedestinatus’.
In Bezug auf diese Sätze ist die logische Konsistenz zu definieren, nicht in Bezug auf
einen Sachverhalt in sich (den wir als empirischen in se nicht ermitteln können: wir
müssten dazu außer Acht lassen, dass das Faktum nach Voraussetzung selbst kontin
gent sein soll, und dies auch in Bezug auf die Wahlfreiheit Gottes. Sie eben gehört
nicht der Welt an). Aus der psychischen Realität oder Verfassung lässt sich somit kei
ne Begründung für Verwerfung oder Erwählung schöpfen.33
32. Cf. ib. d. 41 p. 609 lin. 14–20: „Nunc autem beatitudo, respectu cuius est praedestinatio, non
est finis Dei praedestinantis, sed est finis praedestinati. Et ideo oportet quod praedestinatus
volens finem et ea quae sunt ad finem, prius velit propriam beatitudinem quam aliquid quod
est ad illum finem. Non tamen oportet quod Deus primo velit illum finem praedestinati quam
velit ea quae sunt ad finem.“ Zur Erläuterung s. auch Anmerkung 33.
33. Für Ockham auch ist die poena unabhängig von der culpa, mithin eben unabhängig von
ihr möglich, cf. Rep. II, q. 15 OT V p. 358 lin. 12–18: „Deus de potentia sua absoluta potest
alicui infligere poenam sine culpa praecedente, sed illa poena tunc non potest dici punitio,
quia istud nomen connotat peccatum praecedens. Sic enim in brutis est poena sine pecca-
to praevio. Tamen de facto, de potentia ordinate Deus non infligit poenam sine culpa prae
cedente, vel in punito ut est in nobis, vel in alio ut in Christo cui poena fuit inflicta propter
peccata nostra.“ Das ist schlüssig: denn wäre die poena von der culpa abhängig, so könnte sie
ihr gar nicht zugemessen sein. Sie wäre nicht poena dieser culpa. Folgerichtig, i.e. im Sinn des
so angelegten Verhältnisses der Begriffe, das sie ermitteln hilft und ausdrückt, kann Gott per
potentiam divinam absolutam die poena unabhängig von der Schuld, i.e. ohne dass eine Schuld
bestünde, verhängen. Mithilfe der potentia divina absoluta werden implizit primär empirische
Begriffe etabliert, wobei ausgeschlossen wird, dass die empirische Geltung unmittelbar aus
der Abstraktion gefolgert werden könne. Von der potentia divina absoluta aus veranschlagte
Ockham auch die Auslöschung bzw. Ersetzung von Begriffen oder Sätzen, wobei das Festhalten
an unseren herkömmlichen Begriffen fest mit der persuasio verknüpft erschien, während ein
grundsätzliches absolutes Beweisen darüber hinausginge und dann mit der Ersetzung der Be
griffe korrespondierte; diese Ersetzung war in unbedingt faktischer Weise gar nicht möglich:
wir wären auf Begriffe verwiesen gewesen, die wir de facto nicht haben. Wir könnten für sie
nicht von der Erfahrung, von der Kontingenz ausgehen. Betrachten wir von der persuasio aus
Kapitel 5. Aus dem Innern Gottes 221
Das bedeutet dann auch, dass die ‘Mittel’ selbst abstrakt derart gesetzt und va-
riiert werden können, dass eine nach herkömmlicher Heilsordnung angenommene
Reihenfolge von Faktoren nicht logisch zwingend ist und suspendiert werden kann:
es mag eine causa oder ratio sufficiens geben, derentwegen die Vermittlung mehrerer
Faktoren als in einem bloß kontingenten Bedingungsverhältnis stehende überflüssig
erscheint, und das heißt dann, dass sie nicht logisch ist. Nur in Gott können die Fak-
toren überhaupt gesetzt werden, was ja plausibel ist, wenn man bedenkt, dass Gott
der Handelnde und dabei Meinende und Denkende sein soll. Wir müssen die ‘Erfas
sung’ oder auch Stipulation Gottes mit der Abstraktion oder der Abstraktionsstufe
und beziehen wir uns auf sie, so erhellt nachdrücklich, dass die direkte empirische Erforschung
der Welt a parte rei gesehen nicht möglich ist. Ockham hat sie nicht angenommen. Mit der
persuasio sind nur weltinterne und kontingente Verhältnisse adoptiert worden. Bei allem ist
schließlich dies der Grund, dass die Kenntnis der termini völlig ausreiche, um eine kontingente
Erkenntnis zu haben und (umgekehrt) aus einem necessarium nicht ein contingens folgen kön-
ne. Ockham grundsätzlich Ord. Prol. q. 1 OT I p. 23 lin. 22 – p. 24 lin. 7: „Nec valet dicere quod
notitia incomplexa istorum terminorum non sufficit ad notitiam evidentem illius veritatis con-
tingentis, sed requiritur aliqua alia notitia, quia manifestum est quod ista propositio ‘ista albedo
est’, non dependet nec praesupponit aliquam aliam mihi notiorem, virtute cuius possum scire is
tam. Quia illa ante esset necessaria aut contingens; non necessaria, quia ex necessario non sequi
tur contingens. Non contingens, quia eadem ratione illa dependeret ex sola notitia terminorum
vel esset processus in infinitum. (Der recesssus ad infinitum qua „infinitas in accidentalibus“
bildet bei Duns Scotus und Ockham eine Formel der Widerlegung und wird entsprechend in
sich selbst abgelehnt.) Et ita oportet dare quod respectu alicuius veritatis contingentis sufficit
sola notitia incomplexa alicuius vel aliquorum terminorum.“ Intensional ausreichend = sufficit.
Wir können Syllogismen aus kontingenten Sätzen bilden. Die Angemessenheit der poena an
die culpa würden wir syllogistisch zu beweisen haben. Wo es den Syllogismus nicht gibt, ist
damit so etwas wie eine Widerlegung ausgesprochen. Damit fehlt zugleich eine consequentia
formalis; sie betrifft hier negativ Inhalt und Form zugleich. Wären Syllogismen in der Form der
consequentia ableitbar (qua Ableitung begründbar), so dürfte es diese negative Identität von
Inhalt und Form für die consequentia nicht geben, wie sie unterstellt werden muss, wenn die
consequentia – bei Nichtgegebenheit des Syllogismus – fehlt. Die Existenz der notitia abstracti
va neben der notitia intuitiva schließt oder erschließt Ockham ib. p. 24 lin. 7–10 induktiv: „Et
tamen manifestum est, quod de eadem potest haberi notitia incomplexa et tamen veritas illa
ignorari; ergo respectu illorum terminorum est duplex notitia specie distincta.“ Die Inexistenz
der consequentia identisch mit der Nichtschlüssigkeit eines Syllogismus s. bereits beim Beispiel
‘haec herba est sanativa’. Auch in der Theologie bezüglich der vita aeterna, der beatificatio,
der reprobatio usw. bleiben wir in kontingenten Verhältnissen nach empirisch gebildeten Be
griffen, deren abstrakte (abstraktive) Verwendung die kontingenten Verhältnisse noch einmal,
aber nun argumentativ in Bezug auf Sätze und bezüglich Folgerungen zu statuieren erlaubt: wir
sistieren hier Folgerungen oder stellen das Fehlen der consequentia formalis fest. In beiden Fäl
len haben wir dann die kontingente Andersmöglichkeit oder Nichtschlüssigkeit. Die Sistierung
der Folgerung und das Entfallen des Syllogismus führen die Sache und darin auch die Ursache
von der Abstraktheitsebene zur Kontingenz zurück. Hiermit gelten auch die aus der Erfahrung
zu schöpfenden Vergleiche und Beispiele, wie Ockham sie so zahlreich gibt.
222 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
gleichsetzen. Was dann in Gott fällt, wird für diesen und die Sache überhaupt, nämlich
ein Verhältnis von essentia und relatio(oder effectus), erklärt. Es gilt dann was derart
für gegeben erklärt wird sogar im Sinn der potentiellen Revision des Heilskanons. Die
neuen Varianten in der Kombination oder Auslassung der Faktoren mögen als Emen
dationen einer bloß positiven Auffassung des Dogmas zuführen, wenn nicht das Dog-
ma schon von vornherein ausschließlich in einem nur positiven Religionscharakter
verstanden worden ist.34 Ein Existenzbeweis für die Prädestination ist damit weder
geführt noch versucht worden. Es gibt Prädestination damit noch nicht. Welche Wer-
tigkeit kann hier der Gottesbegriff haben? Soll er an der Prädestination festgemacht
werden, etwa weil diese funktionell einen Übergang zwischen Gott und Mensch in
einer den Menschen nach der Heilsordnung berührenden Frage angehe, während wir
ja sonst bloß erst von der Schöpfung, dem Deus creator zu sprechen hätten: denn wir
nehmen ja mit der Prädestination ein Moment des Heils hinzu. ‘Prädestination’ stellt
einen ‘Begriff ’ dar, mit dem wir bloß die reale Welt und empirische Weltträchtigkeit
übersteigen. Einen Begriff, den wir faktisch als einen in der Welt und für sie kom
munizierbaren nicht bewahren können. Zugleich wird die religiöse Empfindung tan
giert und schwierig. Was soll geglaubt werden und nur geglaubt? Sowohl dogmatisch
oder im Sinne praktischer Seelenfrömmigkeit? Im Sinne beider nebeneinander oder
ohneeinander?35 Für Ockham lässt sich sagen: Inhaltlich bedeutet erkennbar nicht ge
genständlich.36 Ockhams opiniones und solutiones tendieren zur Abstraktion, wobei
34. Ockham musste Dogmen bzw. deren formelle rationale Reduktion durch ihn selbst mit-
tels Induktion begründen, womit er sich über die Empirie schon erhob, ihr die Begriffe zum
Teil entwand. Er kann so Einwände konzipieren und für Begriffsverbindungen Widerlegungen
intendieren; darin wird ein abstrakter Bezug als präsumtiv ‘konkreter’ verneint, indem die Im-
plikation durch Ockhams technische Mittel als Partikel ersetzt wird.
35. Rationale, dogmatische, potentiell empirische Faktoren (Bezüge) durchkreuzen sich in ge-
wissen Fällen, wenn im Grunde schöpferische Erklärungen oder auch Begründungen gegeben
werden müssen, so z. B. Ord. d. 27 q. 3 OT IV p. 260 lin. 12f: „Verbum divinum est persona
genita de scientia, quae est Dei et omnium creaturarum tamquam obiectorum.“ Nach lin. 10–19
eine definitio quid nominis von ‘Verbum’, worin die creatura konnotiert wird.
36. Ockham schließt ganz allgemein nicht aus der Tatsache, dass man Begriffe und Sätze habe,
mit denen man erkenne und also auch schon eine Wahrnehmung verbinde, dass etwas sei,
was diesen Sätzen entspräche. Er sieht hierin eine falsa implicatio. Cf. Ord. d. 1 q. 5 OT I p. 463
lin. 12 – p. 464 lin. 2 beginnend mit der von Ockham so abgewiesenen (widerlegten) These: „Si
dicatur quod aliquis potest credere eam (= divina essentia, logisch wäre nach dem Text p. 462
lin. 11 – p. 463 lin. 2 neben divina essentia auch relatio möglich) esse in una persona tantum et
tamen potest frui ea, ergo talis fruetur ea ut est in una persona tantum“, also in völlig abstrak
ten nur die divina essentia betreffenden Aussagen, „respondeo negando consequentiam etc.“
Mithin widerlegt Ockham fallaciae, obwohl wir hier in abstrakten überweltlichen Materien
uns befinden sind, allein nach der Gleichheit von Modalität (credere! i.e. credere bezüglich
des Satzes) und mentaler Existenz der Aussage. Aus ihr folgt keine Existenz extra animam. Es
folgt vielmehr, dass die Definitheit der Aussagen bzw. Begriffe nur bestehe, wenn sie nicht extra
Kapitel 5. Aus dem Innern Gottes 223
Implikation als regulatives Prinzip oder Moment ausgeschaltet wird.37 Es ist bezüglich
der significatio nach Ockham ungesichert oder schwankend zu denken. Hatte Duns
Scotus je einen Bezug auf die Realität, der zugleich dabei als förmlicher Bezugspunkt
extra mentem kategorial verstanden und obligatorisch gemacht wurde, für Begriffe
und Vorstellungen, auch die Gott betreffenden, angesetzt, so wird der Realitätsbezug
induktiv als praktischer bei Ockham anerkannt und benutzt, als kategorialer Aspekt
ausgeschlossen. Auch hierin greift eine Ökonomie; ein Mentalismus wird über die
Stufe bei Duns Scotus hinaus strikter verfertigt, ja gewissermaßen der Form nach erst
erstellt.
Ockhams Denken schließt sich systematisch gegen den unmittelbaren Wahrheits-
aspekt ab: ein jeder ‘Inhalt’, also ein Satz, der mit dem Inhalt identisch diesen fak-
tisch „enthält“, und quasi definitorisch vertritt, so auch die causa oder ratio sufficiens,
kann einer ‘Folgerung’ nur „entsprechen“ und in eine solche nur überleiten, wenn die
animam und de facto a parte rei unterstellt werden könne. Nach Ockham sollen wir divina
essentia und persona (relatio) der Sache nach für identisch, sie de ratione aber für unterschie
den halten: denn wir haben hier verschiedene Begriffe. Deren Definitheit wäre gefährdet oder
aufgehoben, wenn wir eine sogenannte formallogische Konsequenz ‘secundum tertium non da
tur’ vorschreiben wollten. Ockham sagt hier nicht wie bei gewissen Syllogismen, wir hätten die
fallacia bloß secundum fidem et cognitionem nobis pro statu isto non possibilem.
37. Hier ist denn auch eine Dimension des Rechts im Verhältnis zur Logik zu sehen. Platon
versuchte beweisförmig einen inhaltlich gefassten Zweck vom sozietären Impakt her zu se-
hen und als logisch gesichert darzustellen. E. Kapp, 1942 dt. 1965 p. 22 fand, die Logik sei seit
Aristoteles zu sehr mit Psychologie untermengt. Neuzeitlich liegt der (sozietäre) Zweck poten-
tiell außerhalb des wissenschaftlichen Systems. Es ist eine Disparatheit möglich, die entweder
Unglaubwürdigkeit oder Desinteresse bedeutet. Für N. Luhmann, Rechtssoziologie, 1972 Bd. I
p. 98 Anm. 116 ist „die Funktion der Logik erkennbar, Regeln für eindeutige sachliche Kom
bination und intersubjektive Übertragbarkeit zugleich zu entdecken, also Kongruenz zwischen
sachlicher und sozialer Dimension des Welterlebens sicherzustellen. Darin liegt die funktionale
Affinität der Logik zum Recht begründet.“ Zu Rechtslogik parallel mit der philosophischen
Behandlung theologischer Probleme s. L. M. De Rijk, 1967 Vol. II, Part I, p. 129: „The inter
pretation rules dressed up by Abailard in the prologue of Sic et Non are nothing but a codifica
tion of the concordances given by a whole series of scholars before him, with the purpose to
reconcile seemingly contradictory Canon Law Texts.“ De Rijk unterstreicht (ib.): „De Ghellinck
rightly stressed the peculiar function of the rationes necessariae in the thoughts and arguments
of Anselm of Canterbury.“ Ockham sucht rationes sufficientes. Sie unterschreiten nicht die
Aussagenebene (actus apprehensivus), die durch die Induktion gestützt, z. T. nur persuasiones
begründen muss oder in modalen Aussagen aufgefangen wird. Persuasio und modale Aussage
stehen anstelle formell mit der Realität gleichwertiger Aussagen und Behauptungen. Die Re
alität in se kann ja nicht erforscht werden und ist auch nicht definit bei der consequentia forma
lis mit deren ‘unmittelbarer’ Kombination von Begriffen, die dieserart empirisch (begründet)
gelten darf, gegeben. Dabei wird der Satz, den der Syllogismus bietet, notwendig, wie es eine
Wahrheit (Erkenntnis) in einem medium, das wir pro statu isto nicht haben, pro nobis in via
nicht werden kann.
224 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
immediate empirische Referenz und mit ihr die Implikation ausgeschlossen ist. Das
menschliche Denken kann inhaltlich (abstrakt) auch mit Gott, insofern dieser dessen
Gegenstand ist, übereinstimmen. Die Korrektur der Mittel unseres Denkens bedeutet
auch deren formale Beschränkung (‘Reduktion’). Dies geschieht absolut, insofern die
Verlässlichkeit und Eindeutigkeit der Begriffe (Definitheit) garantiert ist. Auch die
Naturphilosophie wird hier einbezogen und steht nicht in Dependenz von theologi
schen Aussagen.38 Das gilt auch für das Mittel ‘logischer’ Konsequenzen. Wenn
Ockham mit dem Gebrauch des Omnipotenzprinzips auf der Stufe der Abstrakti-
on steht, muss sie die significatio enthalten (besser: sie zulassen, i.e. sie nicht aus
schließen), doch immer jene Folgerung (solche Folgerungen) ausschließen, welche
die Induktion nicht zuließen. Hier ist das Verhältnis von consequentia und Induktion
zu erklären.
Kein Folgendes, das im Sinn der Abfolge die Konsequenz zu bedeuten hätte,
kann diese Folge oder Konsequenz sein (und so auch die significatio besagen, i.e. mit
beinhalten). Das ist das Prinzip der Induktion, in deren Form Ockham beweist. So
wenn er zeigt, dass das subiectum conclusionis = innerhalb des Syllogismus das sub-
iectum scientiae (der conclusio als habitus nach Aristoteles), von dem der Prämisse
als sapientia sich unterscheidet.39 Für das subiectum gilt seine Unterscheidung zu den
38. Cf. K. Bannach, 1975 p. 24: „Weder bei Scotus noch bei Ockham hat die Unterscheidung
von potentia absoluta und ordinata den Sinn, die faktische Schöpfungs- und Heilsordnung in
Frage zu stellen. Vielmehr ist das Gegenteil richtig. Doch ist der Ausgangspunkt der theologi
schen Argumentation nicht mehr das göttliche Wesen, von dem aus die Ordnung des Seins und
der Sinn des Ablaufs der Heilsgeschichte erschlossen werden könnte, sondern vielmehr stellt
die Erfahrung der Mannigfaltigkeit des Seins und der widersprüchlichen Heilsgeschichte das
theologische Denken vor die Aufgabe, gerade die Variabilität des von Gott Geschaffenen mit
der Unveränderlichkeit seines Wesens in Einklang zu bringen.“ Das empiristische Erfahrungs
potential, das Bannach zurecht betont – mit dem die dann bereits methodologische Wertung
der Akzeptanz von Ansichten und Optionen übereinstimmt, kraft deren auch theologische Prä-
ferenzen abgelehnt werden können, bei Scotus, dann aber auch diesem gegenüber noch einmal
von Ockham –, kann durchaus zu einer Pression geführt haben, bei der der Gottesbezug nicht
mehr konkret und das Verständnis von der divina essentia nicht mehr gegenstandsähnlich
blieben. Dass über Gott mehr indirekt gesprochen wurde, mochte nach den scholastischen
Bedingungen durchaus zum Vorteil gereichen. Auch so hat Bannach hier recht. Durandus sieht
einen Gegensatz von potentia divina absoluta und potentia ordinata. (III Sent. d. 2 q. 1, f. 242
H.): „Utrum persona divina possit assumere naturam irrationalem.“ f. 243 C: „Dicendum est
ergo aliter ad quaestionem. Primo quod Deus de potentia absoluta naturam irrationalem potuit
assumere. Secundo quod de potentia ordinata hoc non decuit.“ Ockham definiert Konsistenz
über die distinctio realis. Das gilt auch bei der reductio ad absurdum und somit über sie hin-
aus: Wo eine reductio ad absurdum auftritt, stößt sie sich an der distinctio realis. (Durandus zit.
nach F. Hoffmann, 1941 p. 107 Anm. 34 u.)
39. Ord. Prol. q. 9 OT I p. 249 lin. 1 – p. 250 lin. 3.
Kapitel 5. Aus dem Innern Gottes 225
Argumentation der Bezug auf die Realität nicht mehr bis zur förmlich bezeichneten
res extra animam geht, sondern bloß bis zum actus mentalis oder apprehensivus.
Nach dem Verhältnis von Glauben (fides) und Wissen (scientia oder auch cogni-
tio) bei und für Ockham ist oft gefragt worden. Hägglund45 zitiert46 Ockham47 „isto
modo cognitio supernaturalis est necessaria nobis preter fidem“. Wird eine cognitio
supernaturalis angenommen, deren Inhalte dem Glauben nicht zugänglich wären,
bzw. im Glauben zunächst nicht bekräftigt werden könnten, so wäre die fides funk-
tionslos, wenn diese cognito supernaturalis einen Schluss auf dann von uns anzuneh
mende Aussagen erlauben soll. Ockham hatte diese Konstruktion verworfen. Hägg-
lund sagt aber: „Der Occamismus zeigt im großen und ganzen einen ungebrochenen
Glauben an die Vernünftigkeit der Theologie.“48 Welcher Theologie? Derjenigen, die
dann mit den rationalen Mitteln Ockhams selbst erst erstellt wurde? Wie weit hat
Ockham die ihm denkbaren Prospekte wirklich ganz und gar ausgezogen? War es
sein Interesse oder begrenzte sich dies auf einen Teil der Aspekte, etwa den Sinn und
die Sinnfestlegung der Sätze, die damit als kontingente etwa nur bedingt erschließbar
sein können, weil die Methode der Schlussfolgerung oder der Gebrauch der Implika-
tion nicht gestattet werden oder als trugschlüssig klassifiziert und charakterisiert wer-
den, so etwa wenn man mit Duns Scotus aus der Tatsache, dass Widersprüche nicht
gefunden wurde, auf die Rationalität und Bewiesenheit der Glaubenssätze schließen
will? Welche Rationalität kann dann der kontingente Satz beanspruchen, etwa der
Satz ‘Deus est omnipotens’, der allenfalls modal charakterisiert und erweitert werden
kann? Was wird aus der Erklärung der Glaubenswahrheiten durch die Vernunft, wenn
die fides nicht alle Inhalte umfasst? Solche Erklärung wird von Ockham weder direkt
noch à la longue sehr in Betracht gezogen. Die regulative Funktion und Kraft der fides
gibt es für Ockham gar nicht; bei Abweichungen der Vernunft oder Wissenschaft von
aufgehoben, muss der Begriff, wenn sein Gebrauch mit seiner Korrektur definitiv gesichert
erscheinen soll, ohne analytische Definition konsistent erscheinen. Der funktionale Gebrauch
wird durch Oppositionen fixiert. Das ist eine allgemeine wissenschaftliche Methode. Sie findet
sich also bei Ockham. Nach solcher ‘Definition’ müssen sie ein Gebiet allgemein überdecken
und wesentlich ausschöpfen können. Das Verfahren der Ermittlung wird nicht mehr strikt lo-
gisch heißen müssen.
45. B. Hägglund, 1955. Dieses Buch stellt keine Untersuchung zur Struktur Ockhamscher Argu
mentationen, Thesen und Problemlösungen dar. Ockham, Peter von Ailly, Holkot und Gabri
el Biel werden unbestimmt zum einen Gesamtphänomen ‘Nominalismus’ zusammengezogen.
Mehr als partielle beiläufige Übereinstimmungen ergeben sich nicht. In extenso gibt es da keine
Verifikation. Die grundlegenden Urteile des Autors mit unsrigen überlappen sich, decken sich
aber nicht ganz.
46. Ibid. p. 40.
47. Sent. Qu. 7 Prologi – bei Hägglund zitiert nach R. de Guelluy, 1947 (da p. 242f.).
48. Ib. p. 42.
Kapitel 5. Aus dem Innern Gottes 227
ihr wird ihr eine hypothetische Geltung zugestanden oder belassen.49 Wo die sacra
49. Ord. Prol. q. 1 OT I p. 7 lin. 12–15: „aliquae veritates naturaliter notae seu cognoscibiles
sunt theologicae, sicut quod Deus est, Deus est sapiens, bonus etc., cum sint necessariae ad
salutem; aliquae autem sunt supranaturaliter cognoscibiles, sicut: Deus est trinus, incarnatus
et huiusmodi.“ Es ist daraus zu folgern, dass die sogenannten Glaubenswahrheiten für Ock-
ham nicht denselben natürlichen Rang haben wie die vermöge der natürlichen Vernunft einseh
baren Wahrheiten, die die Vernunft auch erst erschließt. Dabei gilt eben gleichsam konklusiv
auch (ib. p. 11 lin. 2–5): „eadem veritas potest pertinere ad aliquam scientiam proprie dictam
et aliquam scientiam large dictam pro firma adhaesione, cuiusmodi est theologia pro maxi
ma sui parte.“ Zu den theologischen Erkenntnissen, die die Vernunft eruiert, gehört, was das
Verhältnis Gottes zum Menschen darstellt, z. B. Rep. II, q. 15 OT V p. 260 lin. 20–22 „Deus
autem nulli tenetur nec obligatur tamquam debitor, et ideo non potest facere quod non de
bet facere nec potest non facere quod debet facere.“ (s. Kap. 3 Anm. 99) Die Dimension der
Vergewisserung, die später im Mittelalter und dann mit Luther und in der Gegenreformation
innerlich und seelisch wichtig geworden ist, bleibt hier dem Verstande, sc. der cognitio in se,
vorbehalten, wobei denn auch hinzugesetzt werden muss, dass in facto eine emotionale Basis
für die Vorbereitung der rein rationalen Erkenntnis ockhamistisch nicht gegeben sein kann: die
Begriffe werden nicht so emotional oder sinnlich präkonzipiert wie sie dann theologisch und
rational zu gelten haben. Folglich gelten sie nicht für diese tiefere Ebene. Die Vergewisserung
muss dem Verstande zukommen. Nach G. Leff, 1957 trennt Ockham zwischen Glauben und
Verstand, Übernatürlichem und Natürlichem. Aber vermöge der Abstraktion wird diese Unter-
scheidung problematisch. Und einen freien, nicht konstruktiv und strukturell erfassten Inhalt,
bezüglich dessen die Klassifikation gelten könnte, gibt es nicht. Ihn zu suchen wäre auch sinn
los, an sich und bezüglich der Scholastik nochmals. Also schlechthin überhaupt sinnlos. Dabei
sind womöglich die Formen von Aussagen, die Erkenntnis tragen oder besagen müssen, von
Ockham schwankend und unsicher klassifiziert worden, etwa Elementarium Logicae lb. VII c. 6
OP VIII p. 194 lin. 52–55: „Ex istis patet quod idem syllogismus potest esse uni demonstratio
et alteri etiam habenti et formanti ipsum potest esse non demonstratio. Quia illi qui per prae
missas evidenter notas acquirit notitiam evidentem conclusionis, erit demonstratio, qui sibi erit
‘syllogismus faciens scire’.“ Der Ausdruck ‘syllogismus faciens scire’ bezeichnet intensional die
Eigenschaft des Syllogismus, wenn er intellektiv ist, i.e. erkennen(d) macht. Dass der Verstand
des Menschen die res singularis erkennt, beweist Ockham durch einen Induktionsschluß (Ord.
d. 3 q. 5 OT II p. 474 lin. 13–18): „Praeterea, in potentiis ordinatis in quodcumque obiectum pot
est potentia inferior, in idem potest, et sub eadem ratione potentia superior. Patet de intellectu
et voluntate et de potentiis sensitivis interioribus et exterioribus. Igitur in omne obiectum in
quod potest sensus, intellectus potest in illud idem; sed sensus potest primo in singulare, igitur
et intellectus.“ Der sensus steht den Objekten näher und vermag ‘(etwas) über sie’. Es gibt kei-
nen Einwand dagegen, dass der intellectus es nicht ebenso vermöchte. Dieselbe „ratio“, unter
der der intellectus die res singularis erkennt und bezüglich deren er sie erfasst, ist bereits ver
möge des sensus negativ bestimmt: wir wissen nicht wie in se der Gegenstand extra animam
darin erfasst wird. In derselben Weise werden offenbar intellectus und voluntas geschieden
bzw. ‘unterschieden’. Der Wille ist die untere, in sich bezüglich des Gegenstandes oder Zieles
dunklere Kraft. Die Vermögen werden geordnet genannt, indem sie aufeinander aufbauen oder
vice versa einander nicht stören, i.e. vom Gegenstand her gedacht „eadem ratione“ fungieren
oder operieren. Das „sub eadem ratione“ implantiert sich in die Abstraktion, welche es ja nicht
228 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
scriptura oder die kirchliche Auslegung gegen die Vernunft stehen, diese also dieser
art nichts vermag und damit auch nicht zum Tragen kommen soll, entscheiden sie
und ergeben wenigstens, dass die Glaubenssätze positiv verstanden werden oder auch
Fideismus. Beides ist denn Ockham auch vorgeworfen worden.50
Zum Artikel 105 der gegen Ockham gerichteten Irrtumsliste aus der Hand des
John Lutterell bemerkt F. Hoffmann:51 „Das nächste Argument geht vom Willen des
Geschöpfes aus und ist wohl darum in eigentlicher Weise gegen Ockham gerichtet,
der ja an anderer Stelle das Wesen von Verdienst und Nichtverdienst in den Willen
des Menschen legt. Ist nun dieser Wille nach dem Willen Gottes ausgerichtet, so kann
ihn Gott nicht verdammen, weil er sonst dasselbe annähme und verdammte. Ist aber
der Wille eines Menschen gegen den Willen Gottes gerichtet, dann würde Gott ja in
dem Menschen, ja in dem Menschenwillen, selbst den Grund der Verdammung, d. i.
der Sünde finden. Darum ist entweder im Menschen die Sünde, so dass ihn Gott ver-
dammt, oder Gott kann ihn nicht verdammen.“ Ockham fragt aber nicht nach dem
Wesen des meritum oder des Willens, was wenig Sinn macht. Er fragt nach der Funk
tion des Willens, nach welcher dieser zureichend in Bezug auf von ihm zu bewirkende
Effekte erscheinen – können – soll. Es wird also gefragt oder entschieden, wie und ob
der Wille eine ratio sufficiens ad aliquem effectum, die gratia, die gloria etc. bedeuten
könne. Ein einfacher Widerspruch ist dann auch nicht von einer ‘mehr grundlegen
den’ Bedeutung als ein solcher Bescheid. Natürlich haben Theologie und Philosophie
aufhebt, sondern steuert: die Gleichheit der Bedingungen, i.e. deren Unwandelbarkeit, sichert
erst die Abstraktion, welche sich über gleichbleibenden und in sich unbestimmten Grundlagen
erhebt. Immer gilt bezüglich der unteren Vermögensart in Bezug auf ein Objekt, was Ockham
schon zur Bildung der Universalien sagt, die ja auch abstrahiert in mente existieren (Ord. d. 2
q. 7 OT II p. 261 lin. 13–20): „dico quod natura occulte operatur in universalibus, non quod
producat ipsa universalia extra animam tamquam aliqua realia, sed quia producendo cognitio
nem suam in anima, quasi occulte – saltem /§ immediate vel §/ mediate – producit illa univer-
salia, illo modo quo nata sunt produci. Et ideo omnis communitas isto modo est naturalis, et
a singularitate procedit, nec oportet illud quod isto modo fit a natura, esse extra animam, sed
potest esse in anima.“ Es macht dann wenig Sinn, die Motivation Ockham für seine Behaup-
tungen und Erörterungen erst noch einmal in der im Grunde dabei kollektiven sogenannten
epochentypischen Psyche zu suchen, der sie sich gerade entfernten.
50. So von Gilson. Er wirft Ockham damit mangelnde rationale Durchdringung vor. Andere,
wie F. Hoffmann, 1941 und K. Michalski, 1969 halten ihm vor, an den Grundlagen der mensch
lichen Vernunft, den ontologischen wie den logischen, die das Dogma zu erläutern gemacht
seien, nicht festgehalten zu haben. Ockham strukturiert die als menschliche von ihm heraus-
gehobenen Vernunftmittel. Das sind grundsätzlich Begriff, kontingenter Satz, die in der noti-
tia intuitiva und der notitia abstractiva erfassten Vernunftfähigkeiten. Beim ordo salutis greift
Ockham dann entschiedener ein. Er reduziert über ‘rationes sufficientes’. Die Gliederung der
Inhalte nach substantia und accidens gilt auch für die Psychologie und hiernach für Erläute-
rungen zum ordo salutis, das Verhältnis von anima und peccatum, meritum etc.
51. F. Hoffmann, 1941 p. 124 (unter Verweis auf p. 132ff ebd.).
Kapitel 5. Aus dem Innern Gottes 229
immer mit Rationalismen gearbeitet, die simpel auf dem ‘begrifflichen’ Widerspruch
beruhten. Er kann nicht die Philosophie Ockhams begründen oder: beschließen, wie
hier immer zu zeigen versucht wird.52
Am Ende ist es fraglich, ob Ockham durch Lehre und Argumentationspraxis das
Christentum bewahren konnte. Wenn man im Bereich der christlich geprägten Kul-
tur im scholastischen Begriffsdenken einen Fortschritt erblicken will, der das Glau-
bensbekenntnis gestützt und es aus der Zone des bloßen Symboldenkens, der Bild-
lichkeit oder Emblemstruktur ins Denken gehoben habe, dann hat Ockham mit der
Zerstörung des Begriffs und dem partiellen Überstieg über den Begriff, wie er mit
Abstraktionen sich ergibt, die kompatibel mit dem menschlichen actus apprehensivus
(oder notitia abstractiva53) erscheinen, aber nicht mehr menschliches Erkennen sen-
su stricto betreffen, christliche Rationalität außer Kraft gesetzt.54 Er hat den Bereich
der noch menschlichen Fiktionen zum Bereich verschoben, der göttlicher Wesenheit
angestammt war. Auch damit ist das Erdachte natürlich nicht mehr real, ja es ist von
52. Ockham ist anscheinend mit dem Gottesaspekt rational umgegangen, was wohl gerade hei
ßen muss: ohne Über-Ich, Ich, Selbst und Es erkennbar oder konfliktträchtig gegeneinander in
Stellung zu bringen. Es ist nicht zu erkennen, dass er gegen Gott mit Aggression reagiert hätte
oder Gott selbst Aggressionen fiktiv und bildlich (symbolisch) gegen den Menschen zuschrieb.
Gegen das Papsttum freilich hat Ockham aggressiv reagiert. Ockham hat mutmaßlich Gott
aus dem Feld aggressiver Haltungen herausgenommen. Dass es nur unecht geschehen sei, weil
es nur unecht geschehen konnte und könne, ist ad libitum. Ockham hatte die Allmacht argu
mentativ integriert und dabei neutralisiert. Daher ist, inhaltlich wie technisch, kein Anlass,
Gott, wie Ockham die Lehrgehalte der Prädestination, der Gnadenlehre usw. fasst, in Verdächte
zu ziehen oder ihn mit H. Blumenberg, 1966 angesichts der geschichtlichen Folgezeit wegen
angeblich vorangegangener Selbstfesselung des denkenden Menschen durch Ockham zu de-
nunzieren und ihn intellektuell abzuwerten. N. Luhmann, 1972 I p. 197f will im spätmittelalterli
chen Gebrauch des Omnipotenzprinzips den Vorlauf auf eine theoretisch-wissenschaftliche
Vernunft erkennen, die sich durch die Erfindung von Hypothesen einen Erkenntnisfreiraum
schaffe und von vermeintlichen Realitätsobligationen befreie. Damit wäre sie von dem ei
gentlichen Realitätsbezug gleichsam probeweise entpflichtet gewesen, um dann leichter zu ihm
zu finden. Ockham hat solutiones oder opiniones über mentale Fakten und Faktoren in der
Form der Abstraktion und mittels der Induktion ermittelt, wobei er sich ausdrücklich dagegen
verwahrt, den Bezug auf die Realität von dem inhaltlichen Ausdruck zu trennen. Bei Ockham
wird mit dem Gebrauch des Omnipotenzprinzips Gott weder durch eine Übersteigerung seiner
Machtbefugnis contra legem communem (i.e. seine Schöpfung) gerechtfertigt noch inkulpiert.
Ockham kupiert und lockert mit Hilfe des Omnipotenzprinzips als Modus die Verbindung
zwischen Termini; er schafft damit keine neuen Sachbezüge. Luhmann müsste a limine eine
Parallelität oder gar Koinzidenz von Abstraktion und Sachverhaltsfiktion denken.
53. Ockham hat die notitia abstractiva in eine größere Reichweite versetzt als andere Scholas
tiker. Man sehe etwa, dass Robert Holkot sie bloß auf die Negativität des aktual bestätigten
Befunds der non-existentia von Objekten in einem Augenblick beziehen will.
54. Die Seele verliert ihre Relevanz, da sie sich anthropologisch auf das Erkenntnisvermögen
nicht mehr stützt und ihm nicht mehr korreliert ist.
230 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Ockham selbst sogar als ausdrücklich von dem menschlichen Betreff getrennt an
gesehen worden. Es erscheint nach Kompatibilitäten55 in einem nicht mehr logischen
Sinn.56 Es ist unerkennbar, wie da die kritische oder rationale Auskunft ihrem eige
nen Werte nach verstandesimmanent oder auch weltimmanent bleiben soll. Abailards
‘Intelligo ut credam’ wird funktionslos, Anselms ‘Credo ut intelligam’ verliert seine
Folgemäßigkeit. Die theologische Qualität von Vernunftkritik erscheint als nicht
mehr faktisch in der Welt geltend angesetzt.57
Ockhams Ausführungen enthalten oder bedeuten Korrekturen oder Einschrän-
kungen selbst des Dogmas. Der Mensch wirkt zwar noch einmal am Dogma mit, wie
er es in Patristik und Scholastik zweifellos mit Erklärungen schon getan hatte. Aber
die Art, wie es hier von Ockham geschieht, definiert die Vernunft (oder die ratio) nach
Formen, die, wenn sie Standards sein sollen, nicht mehr bloß inhaltlich bestimm-
te Entscheidungen mit allenfalls immanenten formalen Prinzipien sind. Es gibt eine
Formalität, die den Inhalt (Intensionen) wiedergibt, sie aber von der extensional ge-
fassten Realität trennt. Man könnte sagen: kategorial trennt. Aber dann hat man keine
Definition(en) für dies Kategoriale. Indessen hat man kasual differenzierte Kriterien
für die Anerkenntnis von Sätzen, Reichweite und Bestimmung von Akten usw.
Ockham gibt auf die Frage:58 „Utrum creatio actio qua Deus denominatur for-
maliter creans differat ex natura rei a creatore?“ die Antwort: Qua Potenz bleibt die
creatio bei Gott:59 „creatio actio non dicit respectum rationis, nec respectum realem.“
So gibt es nicht einmal einen begrifflichen Verweis auf etwas anderes als Gott, wenn
von creatio, creans und creare gesprochen wird. Die begriffliche Bestimmtheit des
Begriffs ist nicht für eine extensive und ungeregelte Verwendung freigegeben:60 „Aut
est differens realiter ab essentia aut formaliter.“ Eine distinctio realis zwischen der
divina essentia und der creatio scheidet nach Ockham aus, weil dann creatio als et-
was Eigenes und Neues zur essentia hinzuträte, so wie das accidens in die essentia
eintreten müsste, wenn man die inhaerentia als extra mentem real interpretieren woll
te.61 Die formale Unterscheidung des Begriffe creare und creans von Gott bezieht sich
damit auf einen Satz, in welchem distincte formaliter Modus modo composito be
deutet, eine Implikation der realitas in se vel in mundo gerade nicht eingeschlossen
ist.62 Das ‘idem formaliter’ als Modus modo composito von einem Satz prädiziert,
ist ebenfalls ausgeschlossen:63 „Nec formaliter, quia sic denominaret Deum ab aeter-
no sicut quodcumque attributum et per consequens Deus esset creans ab aeterno,
et sic creatura esset ab aeterno.“ Der Vergleich mit empirischen Verhältnisse bleibt
gewahrt:64 „relatio realis nihil aliud positivum dicit reale nisi extrema relata ….“
Ockham gibt als Beispiel, dass es keine Beziehung der Ähnlichkeit in sich gebe, wel
che in irgendeiner Weise neben und mit den Dingen, die ähnlich heißen, bestehen
könnte:65 „Exemplum: similitudo non dicit aliud nisi duo alba vel significat unam
albedinem connotando aliam … Deus non potest facere duo alba nisi sunt similia,
quia similitudo est ipsa duo alba.“ Das Akzidenz wird nicht Teil der somit determina
ten Sache: es kann ihr nicht realiter hinzugefügt werden und es fügt ihr nichts realiter
hinzu. Das erst bedeutet, dass die relatio als reale bestehen kann. Sie ist oder bedeutet
Modifikation ex accidenti. Gott kann nicht kraft seiner Allmacht eine Verbindung
schaffen, welche dann, neben den Dingen, realiter oder essentialiter, aber nicht mehr
akzidentell, „in“ den Dingen wäre, praktisch die Dinge hierin selbst ausmachte. Entwe
der ist die relatio die Dinge oder die Dinge selbst sind. ‘Aut essentia aut accidens – ter-
tium non datur.’66 Die ontologische Unterscheidung zwischen essentia und accidens
62. Boehner, 1958 p. 368f stellt fest, Ockham glaube nicht, dass die distinctio formalis etwas
erkläre. Vignaux betont dagegen, dass Ockham sie jedoch nicht ablehne und gibt ihr einen
psychologischen Wert und eine Stützungsfunktion in der Logik (Ockham, Duns Scotus). Die
distinctio formalis ist nicht kanonische Logik. F. Ehrle, 1925 p. 94f sieht Lehrunterschiede bei
Duns Scotus und Ockham. Und: „supra infinita deitatis substantia sunt rationes variae ex natu-
ra rei formaliter differentes.“ Bei Ockham ist die distinctio formalis ein Modus modo composi
to auf Sätze anwendbar. Auch die Omnipotenz gehört zum Verband der Modi.
63. Ib. lin. 3–6.
64. Ib. lin. 8f.
65. Ib. lin. 10–13.
66. An sich könnten wir natürlich sagen: Das tertium non datur gilt a priori. Nach Brouwer
stellt dieser Satz als Satz a priori ein Paradox hinsichtlich des Terminus a priori dar: Das a priori
ist nicht notwendig a priori. So lässt das tertium non datur auch die Kontingenz zu, in deren
Bereich Ockham u. a. seine induktive Argumentation schöpft. Brouwer war der Ansicht, dass
das tertium non datur anwendbar sei allein, wenn es eine empirische Verifikationsmöglichkeit
gäbe, die zuletzt durch eine scharfe Disjunktion bestimmt (fundiert) wäre. Die hätte man hier
mit der ontologischen Unterscheidung von substantia und accidens, also scheinbar a priori.
Aber Ockham wendet die beiden für schlechthin disjunkt erklärten ontologischen Begriffe auf
Begriffe an, solche, die subiecta (substantia) und accidentia betreffen oder angeben und gele-
gentlich, wenn sie beide per Beweis (Widerlegung) als unanwendbar sich herausstellen, keine
Realität mehr betreffen und keine scharfe Disjunktion mehr besagen können, sondern nur ein
falsum oder absurdum. Hier bemüht sich Ockham bei einer propositio, die dem Typus nach
232 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
bleibt gewahrt und sie trägt die Abstraktion der Begriffe, auch der relatio, und dar-
über hinaus die Argumentation. Das tertium non datur „trägt“ die Empirie – in einer
quasi empirischen Funktion, welche es „vertritt“; dagegen kann auch die omnipo-
tentia divina nicht einschreiten oder: soll es nicht tun. Wir haben es ja mit einem
intensionalen (auf Inhalte bezüglichen) Argumentationsgebaren zu tun: Es fungiert
induktiv. Die relatio rationis dagegen bezieht sich noch auf keinen Zusammenhang
der extrema (Deus und creatio):67 „Eodem modo ipsa relatio rationis nihil dicit ni
si ipsa extrema relata praecise.“ Hier(in) wird noch keine ‘Dinghaftigkeit’ gesetzt; es
wird in der relatio rationis bloß auf den heterogenen Sprachgebrauch verwiesen, der
dann wie Ockham ausdrücklich gezeigt hat, bedingt, dass mit der Kenntnis (notitia)
des einen conceptus noch nicht die des anderen gegeben sei.68
Ockham kann allgemein sagen:69 „Ideo creatio actio nihil dicit vel significat nisi
essentiam divinam, connotando vel dando intelligere exsistentiam creaturae.“ Dies
meint eine „(creatura) quae nullo modo potest esse nisi posita divina essentia.“ So ist
natürlich eine empirische Referenz mitgegeben, aber:70 „illud nomen ‘creatio actio’ vel
conceptus significaret divinam essentiam connotando creaturam sine omni respectu
de mundo.“ Die Konnotation der creatura besagt einzig und einfach deren Existenz
(Gegebenheit), geht aber in keinem Sinne inhaltlich darüber hinaus. Die Frage muss
dem Grad oder Charakter der Abstraktion gelten:71 „Si quaeras in quo est creatio actio,
dico, sicut supra dictum est de veritate, quod quando est aliquod nomen significans
plura realia, non est quaerendum in quo est illud nomen vel conceptus sic significans.“
Damit ist auch eine realistische Universalienkonzeption als Basis einer Abstraktion
und zwar einer jeden, auch der des terminus creatio pro deo solo abgelehnt worden.72
der propositio immediata nahe kommt (‘Deus est omnipotens’ ist eine!) mittels der ontologi
schen Begriffe eine Entleerung von empirischem Sinn zu erreichen. Das führt zu einem nicht
ganz echten Satz der natürlichen Theologie. Zum Satzinhalt kommen wir potentiell nur durch
den Glauben, aber evtl. nicht zwingend. Der infidelis kann manches, was wir nur durch den
Glauben kennen mögen, zumal wenn es nicht bewiesen werden kann, aus dem Gegenstand
zugeneigter Bemühung doch kennen oder glauben.
67. Ib. lin. 13f.
68. Zur Analyse der distinctio ratione s. im Kapitel u. Mit der distinctio ratione wird abstrakt
(‘zeitlich’ vorgreifend) aus der Negation einer ‘unbegründbaren’ Folgerung induziert. Wir ge-
hen vom Besitz der termini aus.
69. Ib. lin. 16–18.
70. Ib. lin. 20–22.
71. Ib. p. 9 lin. 23 – p. 10 lin. 2.
72. Es gilt also auch nicht was G. Ritter, 1921 für die notwendige metaphysische Basis der uni
versalia in rebus festgestellt (postuliert) hatte, nämlich dass die Abstraktion hier ein gemein-
sames ontologisches Fundament voraussetze. Man könnte dann einzig einwenden, dass eine
Abstraktion hier nicht den creaturae gegolten habe, sondern dem Begriff creatio. Dann gilt
Kapitel 5. Aus dem Innern Gottes 233
Damit noch einmal prinzipiell und zusammenfassend die Frage:73 „Sed quaerendum
est quod denominatur ab illo. Et dico quod divina essentia principaliter et creatura
secundario et connotative, ita quod hoc nomen duo significat quantum ad significa-
tum totale, licet unum principaliter et aliud connotative sine omni respectu medio
rei vel rationis. Et ista via vitat multa inconvenientia quae oportet ponere secundum
ponentes relationes distinctas a fundamentis.“ Creatio bedeutet also die creatura ver
mittelst einer Hauptbedeutung in Gott (significatum principale), aber nicht direkt
und in se nach einer darin gelegenen Eigenschaft oder einem fundamentum, bzw. der
Ähnlichkeitsrelation unter ‘verglichenen’ Gegenständen, realia, singularia. Es geht um
einen determinaten Begriff ‘creatio’, mehr noch determinaten Satz, der allein Gott be-
trifft. Der Satz hat also förmlich einen eigenen, i.e. nicht aus den Begriffen ableitbaren
Sinn. Der wird derart significatum totale oder complexum significabile genannt.74
Alles was inhaltlich determinat dann mit dem Verhältnis Gottes zum Menschen
oder zur creatura zusammenhängt und damit überhaupt nur dem begrifflichen Ver-
ständnis entsprechen und in ein solches eingehen kann, zugleich aber von Seiten der
Empirie legitimierbar, d. h. unanfechtbar bleibt, also nicht auf einen Widerspruch
stoßen kann und somit den Begriffen definit entspricht, wird im Sinne von forma
festgestellt werden müssen. Sie ist dann gegen den Widerspruch abgesichert. So mus-
ste Ockham sich wohl fragen, ob die Tätigkeit Gottes, wenn er hervorbringt, denn
auch eine praktische (oder praxis) heißen könne oder müsse. Es ist zwar gewiss, i.e.
es kann vorausgesetzt werden, dass Gott dabei erkenne, also notitiae habe, ebenso
auch, dass er seinen Willen einsetzen muss, um wirken oder schaffen zu können, was
heißt, tätig werde, nachdem er es zuvor nicht war, bzw. ja dasjenige, was er erkannt
habe, als damit schaffensmöglich, auch erst zu wollen habe; aber die genaue Vorstel-
lung dieser Tätigkeit im materiellen Sinn und von der Seite des Produzierten her ist
damit natürlich noch nicht umrissen. Das ist aber unerlässlich; denn sonst wäre ja die
Bestimmtheit des Produzierten selbst im Sinne des göttlichen Verstandes oder Will
ens gar nicht gegeben. Das Produzierte wäre nicht definit gedacht. So sagt Ockham:75
unser Einwand gegen Ritter immer noch gegen dessen Auffassung vom Fundament der uni-
versalia in einer außermentalen Realität welcher Art immer, und die Abstraktion selbst, die des
Wortes creatio nämlich, würde erwiesenermaßen keine realia in se und kein universale extra
mentem erfordern, sondern wiederum als Abstraktion davon absehen. Zugleich würde sie auf
ihrer Stufe aber realia und singularia förmlich übersteigen. In dem Sinn nur betrifft sie Gott
unbedingt.
73. Ib. lin. 2–8.
74. Ockham gebraucht den Terminus öfter, z. B. bezüglich der mensuratio temporis, die letzt-
lich von der Bewegung der Fixsterne abhängt, aber zu einem Mischbegriff tempus führt. Des-
sen Sinn wird als complexum significabile bezeichnet. Der Terminus wird zentral bei Gregor
von Rimini und dessen Schülern, z. B. Marsilius von Inghen, und verallgemeinert zur Satzbe-
deutung (bei einem jeden Satz gleich welchen Typs). Cf. H. Élie, 1937.
75. Ord. d. 35 q. 6 OT IV p. 512 lin. 15 – p. 513 lin. 2.
234 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
76. Die Feststellung erfolgt von seiten Ockham im Tone eines ‘ad libitum’. Darin kann man den
Hinweis erblicken, dass Ockhams Interesse eher bei den Strukturen liege, die mit seinen Lösun-
gen vermittelst der Abstraktion, der Induktion, der persuasio, alle diese ergebend, gewonnen
werden. In Summa: per Argumentation.
77. Der Begriff ist dann schließlich vorhanden. Es macht daher wenig Sinn, wie J. Pinborg,
1972, das Denken Ockham über den kontingenten Satz unter Zuhilfenahme einer angeblich
analogen Auffassung in Chomskys TG erklären zu wollen.
Kapitel 5. Aus dem Innern Gottes 235
weitergeführt.78 So ‘wissen’ wir denn schließlich auch noch welche Erkenntnisse der
beatus (in patria) vermöge der notitia intuitiva oder notitia abstractiva haben mag,
die dem viator (pro statu isto) verschlossen sind.
Was wir mit dem Satz, der Gott, die divina essentia, betrifft in der Sache für in
sich notwendig halten, kann niemals im Sinne einer Implikation mit etwas verbunden
sein, was de facto, als obiectum oder mit dem conceptus, der ihm zukommt, nur für
kontingent zu halten wäre. Es gibt analog natürlich auch keine Verbindung zwischen
einem Begriff, der einem oder dem Notwendigen, generell der Sphäre der Notwen-
digkeit zuzuteilen wäre, mit einem anderen Begriff, etwa eigenschaftlicher Natur, der
bloß kontingent erfüllt werden kann.79 Indem es einen solchen Satz nicht gibt, gibt
es auch keinen anderen, der das Verhältnis des Notwendigen zum Kontingenten ver-
mittelst eines hier vermittelnden Begriffs, der eine proprietas des Notwendigen dar-
stellt (creator, voluntas), im Sinne der Realität (= realen Erfüllung) bedeuten könnte.
So kommt es zu den modalen (modallogischen) Sätzen, die ‘distinctio formalis’ als
Modus, modo composito, des Satzes verwenden. Realität und Implikation können
nicht – wechselseitig – aufeinander bezogen werden. Ein solcher modallogischer
Satz, bei dem der modus modo composito appliziert sein soll, ist dann abstrakt der
78. Dabei gehört die erkenntnistheoretische Klärung mittels der Begriffe notitia intuitiva und
notitia abstractiva in den Sentenzenkommentar. Die SL eröffnet über einen Zeichenbegriff, der
‘außerhalb’ des im SK für den menschlichen Begriff gedachten Begriffs des conceptus steht, der
neben dem allgemeineren terminus gesetzt wird. Der Folgerungsbegriff wird gleichbleibend
reduktiv verwandt.
79. Nach dem Satz von Löwenheim und Skolem ist die mathematische Aussagenlogik auf philo
sophische, i.e. nicht mathematisierte Inhalte, nicht anzuwenden. Ferner ist zu bemerken, dass
bei Scotus oft zusätzlich Abstraktionen eintreten und eingeschleust werden, für welche und
implizit mit welchen der ontologische Gehalt (z. B. nach einem übernommenen aristotelischen
Prinzip) dann von der allgemeinen und eben auch anschaulichen empirischen Basis für einen
speziellen Gegenstand oder Bereich (etwa Gott) durch eine spezielle Einwendung expreß ab-
getrennt wird. Es werden förmliche empirische oder kontingente Allgemeinheit und spezielle
Abtrennung gleichzeitig intendiert, also Abstraktion nachgereicht und sekundär vollzogen.
Ockham, der die Begriffe und die Aussagen mit dem Inhalt gleichsetzt und darüber hinaus
keinen Inhalt annimmt (cf. so auch Hoffmann, 1941 p. 41f), hat nicht die zwangsläufige Verbin
dung (Verkettung) der Begriffe und Aussagen mit einer daraus zu folgernden conclusio ange
nommen. cf. Ord. Prol. q. 12 OT I p. 361 lin. 25 – p. 362 lin. 6: „habitus principiorum ordinantur
aliquo modo ad notitiam conclusionum et tamen propter talem ordinationem non dicitur sci-
entia. Ergo quantumcumque aliqua practica ordinetur ad speculationem, non propter hoc dice-
tur speculativa nec e converso. Ideo dico quod ordinari ad aliam notitiam vel non ordinari nihil
facit, sed considerandum est obiectum et totale et partiale et secundum hoc dicenda est notitia
speculativa vel practica.“ Die Zuordnung der principia (über deren notitia oder habitus!) ist
also keineswegs die logische und enthält keine solche. Bei Duns Scotus werden Zuordnungen
zumindest versuchsweise über den logischen Beweisakt (Beweisvollzug), dessen ontologische
usw. Voraussetzungen gesichert. Das wird bei Ockham suspendiert. Inclusive der distinctio for-
malis. Cf. Anm. 80.
236 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
unmittelbaren empirischen Geltung entzogen. Für die ‘Begriffe’ muss die Differenz
zwischen göttlichem Gegenstand und menschlicher Genesis – dann – nicht gemacht
werden.80
Wo der Modus formaliter bezeichnend für einen Begriff diesem beitritt und da-
mit eine Relation essentiell macht, da gibt er eine Implikation an, aber so, dass alle
weiteren Folgerungen und eben Wahrheitswerte und Modi ersetzt werden. ‘Forma-
liter modo composito’ bezeichnet den Satz, der de facto nicht in Bezug auf die Em-
pirie, auf die Gültigkeit von Modi und eben die Implikationen (Konsequenzen) hin
ausgelegt werden kann, die weitere Ansichten und Auslegungen zu begründen hätten,
welche forderungsweise mit dem so affizierten Begriff (und Inhalt) zu vereinbaren
wären und ihn, womöglich dubitationes aussetzen könnten. Solche dubia schneidet
Ockham damit ab. Formaliter bezeichnet und kappt Schlüsse (consequentiae, und
dies damit folgerichtig auch technisch, formal), die nicht gezogen werden können:
in dem Sinne nicht existieren. Formell müssen sie daher falsch sein. Sie können die
Begriffe nicht definit enthalten oder gebrauchen. Dass die Schlüsse nicht existieren,
bedeutet, dass sie, wie sie in die Klassen von Schlüssen nicht passen, die Ockham
angibt, in einer falschen Klasse förmlich nur als inexistente Schlüsse auftreten. In-
sofern ist das Gesamtklassement seiner Funktion nach exklusiv gemeint. Es schließt
wirklich Schlüsse aus, die mit nicht mehr signifikanten Begriffen zu arbeiten hätten.
Die Gesamtfunktion (oder Bilanz) ist also analytisch. Determinatio besagt, dass die
Begriffe nicht – i.e. nicht kontingent – definierbar seien.81 Das kann natürlich nach
dem Begriffsverständnis von determinat schon vorausgesetzt werden.
80. Ockham setzt die distinctio formalis nicht für Begriffe an, wie sie ununterschieden im Be-
reich der Schöpfung und der divina essentia gebraucht werden sollen. Rep. II, q. 2 OT V p. 41
lin. 13, „non pono distinctionem formalem in creaturis.“ Duns Scotus hatte (s)einen „Gebrauch“
der distinctio formalis wie oftmals ontologisch im empirischen ‘Bereich’ begründet, um ihn
dann im Bereich der divina essentia „‘fruchtbar’“ zu machen, genau in dem Sinne, in dem für
die divina essentia noch weitere Relationen anzusetzen wären, wie etwa voluntas, was bedeutet,
dass er diese formell auch über die göttliche Entität hinausheben muss oder kann. Ockham hat
Gott in seiner Seiendheit als die voluntas bezeichnet oder betrachtet und mit dem absolutum
gleichgesetzt, das Gott für ihn ist, d. h. gegenständlich betrachtet sein muss. Duns Scotus über-
geht so ein regelrechtes legitimierendes und fundiertes Abstraktionsverfahren. Ockham stützt
Entscheidungen über Satzwertigkeiten darauf (Quaest. var. q. 6 art. 3 OT VIII p. 222 lin. 37f):
„creatio dicit causam creantem et effectum creatam et connotat negationem immediate praece
dentem.“ Die Negation wird auch hier zur Stütze einer Relation: creatio (als actio). Wie stets
bezeichnet die Negation in se significatio unterm Aspekt der Nichtexistenz. Indem die formell
identisch mit der res (oder den res) gesetzt werden kann, ist die Relation als Verfügung einer
Beziehung auf sie hin möglich, in die diese res nicht mehr eingeht (eingehen), vielmehr wie
akzidentell ausgeschieden (beiseitegesetzt) wurden. Denn es geht um keine reelle Einsicht im
Sinne der (intensional) gedachten Relation. Sie ist nicht faktisch, sondern gesetzt und mit der
Abstraktion abgehoben und gegenüber dem Regelaspekt der Faktizität neutralisiert.
81. Spinoza suchte determinate Begriffe und fasst sie dennoch inhaltlich nach der Empirie, also
kontingent und akzidentisch. Bei Ockham tritt nicht der akzidentische Inhalt oder Gehalt in
Kapitel 5. Aus dem Innern Gottes 237
Es geht Ockham darum, den Begriff der creatio überhaupt zu gewinnen, d. h.
einen determinaten Begriff zu haben:82 „nomen vel conceptus creationis est ad aliud,
non quod significet aliquem respectum, sed quia ipsum nomen non importat prae-
cise unum sed cum hoc quod significat unum, connotat aliud. Et inter illa significata
sive importata per illud nomen est distinctio sicut absolutorum non sicut relativo
rum.“ Das würde so von allen jenen Begriffen gelten, die ebenso eine Relation mei-
nen müssen oder bedingen, die an den oder zwischen den relata nicht mehr sichtbar
sein oder gemacht werden kann:83 „actio non differt a producente quantum ad suum
significatum principale, tamen quantum ad connotativum bene differt.“ Wenn die
Strukturanalyse Ockhams sinnvoll und richtig ist, gibt es analog die Verbindung zwi-
schen essentiae als Grundlage der Deduktion und eben eine Deduktion, die formell,
zwischen dann reell verstandenen essentiae Verbindungen inhaltlicher Natur zöge,
nicht.84 Der determinate Hauptbegriff setzt aber immer eine Implikation (mit), wie
aus Ockhams Stellungnahme hervorgeht, so dass er danach beweisbar sei:85 „potest
aliquis habere appellationem relativam rationis sine omni respectu rationis. Et ideo
omnia argumenta quae probant quod ibi est relatio rationis quia Deus est guberna-
tor, conservator, creator etcetera alia, concedo, quia Deus dicitur talibus nominibus
secundum appellationem relativam. Et hoc est sic intelligendum quod Deus est deno
minabilis ab istis nominibus quae significant principaliter Deum et connotant exsis
tentiam creaturae in effectu vel dant intelligere. Et ideo vocantur appellatio relativa,
quia non intelligo tantum Deum, sed aliud, puta connotatum. Sed propter hoc non
oportet ponere aliquem respectum realem vel rationis. Tamen talis appellatio non po-
test competere sine nomine significante unum connotando aliud.“ Wissenschaft und
Philosophie sind hier nicht mehr an der Theologie orientiert, wenngleich sie keines
wegs als falsch ausgeschlossen wird.86
die substantia oder die forma ein, was sowohl bei den Analysen der Satzformen und Satzgehal
te (etwa in der Demonstrationslehre) zutage tritt wie bei den Argumentationsweisen und der
Induktion geradezu zugrunde liegt.
82. Rep. II, q. 1 OT V p. 13 lin. 18–23.
83. Ib. p. 26 lin. 8–10.
84. Ockham hält die These für zitationswürdig, dass eine Deduktion (de Deo), die a priori er
folge, praktisch ohne den Charakter der demonstratio potissima zu haben, möglich sei, wobei
als negatives Moment oder Kriterium eingefügt wird, dass diese Deduktion nicht per causam
realem sei. Mit Ideen, die Momente besagen sollen, die in Gott fallen, verbleiben wir natürlich
auch innerhalb Gottes essentia. Wenigstens förmlich. Das lässt sich noch per persuasionem
begründen. W. Chatton sieht in die Sätze Kausalmomente eingeschlossen. Und zwar im Sinne
der Sätze (Satzakte) untereinander wie mit ontologischer Pointe reallogisch.
85. Rep. II, q. 1 OT V p. 13 lin. 5–17.
86. Ockham betreibt eine Trennung des (funktionslosen) Glaubens und seiner dogmatischen
Inhalte von der Rationalität, indem er die Partikel des Denkens zu Trägern und spiegeln dieser
238 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Von Thomas Buckingham allerdings ist eine waghalsige und abundante Verwen
dung des Omnipotenzprinzips angeführt worden.87 Dass eine vorgreifliche vernunft-
feindliche Verwendung nicht Ockhams Sache war, wird überdies dadurch bewiesen,
dass Ockham hier eine fallacia figurae dictionis sah, wenn man von dem Bereich der
göttlichen Majestät unmittelbar in den der geschaffenen Dinge übergehen wollte, also
Empirie und göttliche Autonomie so verbinden wollte und „vermittelte“, dass man sie
gemeinsam in einen Syllogismus einbrachte und sie dabei für kommutierbar hielt:88
„Et ideo in multis argumentis est fallacia figurae dictionis, sub nomine simpliciter
accipiendo nomen connotativum. Sicut sic arguendo: quidquid potest Deus mediante
causa secunda, potest immediate per se; sed actum meritorium potest producere me
diante actu voluntatis, ergo sine ea.“ Es darf also nicht aus der essentia auf das acci-
dens resp. die accidentia geschlossen werden und nicht aus ersterer zum zweiten über
geschritten werden.89 Ein Prinzip wie das berühmte ‘pluralitas non est ponenda sine
necessitate’, das noch in verschiedenen anderen Versionen vorliegt, wie beispielsweise:
‘frustra fit per plura quod potest fieri per pauciora’ oder ‘entia non sunt multiplicanda
praeter necessitatem’ beschränkt auch diese vermeintlichen Beweismöglichkei-
ten, das heißt sie „rasieren“ sie im Hinblick auf die freie Erfindung von „rationes“,
die beweislogisch über Operationen verteidigt (eingeführt) werden müssten,90 die
Trennung macht. Er schließt hier das Omnipotenzprinzip ein, dessen a-rationale und mecha-
nische Anwendung er ablehnt.
87. Nach G. Leff, 1957 p. 257f will Thomas Buckingham eben diese Trennung mittels des kon-
trapunktisch eingesetzten Omnipotenzprinzips erreichen. Das sieht für den technischen Ge-
sichtspunkt nach petitio principii aus. Leff sagt denn auch: „his scepticism seems even more
pronounced than that of Holcot.“ Nach p. 190f stellten die Avigneser Zensoren häufiger fest,
was Ockham angeblich mit der potentia absoluta zu erklären versuche, ließe sich auch ohne
diese behaupten. Sie hätten die religiöse Wertigkeit der Formel schützen wollen. Damit wäre
freilich die Irrationalität Ockhams beim Gebrauch des Omnipotenzprinzips erwiesen, wenn-
gleich auch, dass er möglicherweise es konform einer menschlichen und empirisch orientierten
Vernunft gebraucht habe. Deren Verteidigung wäre so Anliegen der Zensoren gewesen – kühl
und papal gegen den schwärmerischen Exzess. G. Leff ist fast bei H. Blumenberg, 1966. Cf.
Kap. 3 Anm. 79. Nach G. Leff, 1975 p. 15 und p. 450 ordnet Ockham aber mittels des Omnipo-
tenzprinzips im Sinn göttlicher Ökonomie (sic!) die Theologie der Logik über.
88. Ord. Prol. q. 3 OT I p. 141 lin. 9–11.
89. Duns Scotus und Spinoza gebrauchen bei ihren Beweisen logische Formen und beweisen
vielfach indirekt. Sie gehen von Definitionen der Prädikate aus. Diese Definitionen sind oder
enthalten die media für den Beweis, von Ockham ebenso wie gewisse logische Formeln (For-
men) media extrinseca genannt.
90. Wo eine Operation auftritt, muss sie also immer von derselben Weise auf die significatio
bezogen sein, i.e. mit der Eklipsis der consequentia in der Verteidigung ihrer selbst als Opera
tion zu tun haben. Alle Operationen erscheinen also als Abstraktionen und werden wie diese
auf die significatio bezogen sein. Sie schließen sie nicht aus, beinhalten sie aber auch nicht. In
Kapitel 5. Aus dem Innern Gottes 239
Ockham nicht zulässt, wie die Analyse der fallaciae zeigt oder aber beweistechnisch
für nebensächlich hält (media extrinseca).91
Es gibt nach Duns Scotus wie nach Ockham auf der Ebene der in se kontingenten
Ursachen und in der Kausalkette der Dinge, die dabei als singularia in Frage kommen,
keinen Ausschluss der Unendlichkeit. Duns Scotus hatte daneben einmal argumen-
tiert, indem er sagte: „Es gibt nicht Aktualunendliches“. Es ist eine Ausschließungs-
oder Widerlegungsformel.92 Ockham hat dann gegen den Scotischen Gottesbeweis
dem Sinne ist die implicatio, die sie einschlösse, fehlerhaft. Sie ist es nicht nur in Bezug auf das
accidens, i.e. den kontingenten Inhalt.
91. Man denke den Fall, dass Ockham (Rep. II, q. 16 OT V p. 379 lin. 15–21) sagt, es kön-
ne nicht gewusst werden, ob eine notitia intuitiva wirklich von einer äußeren Erscheinung,
dem obiectum als res singularis herrühre: „non scio evidenter quod haec cognitio intuitiva
causatur als hoc singulari. Ista autem non possum scire nisi per multos discursus, vel saltem
per unum discursum, et ideo licet cognoscam intuitive cognitionem alicuius singularis, tamen
non cognosco intuitive illud singulare cuius est, sed vel non cognosco vel solum cognosco per
discursum.“ Der scheinbare oder reelle Skeptizismus Ockham beruht ausschließlich darauf,
dass Schlüsse (oder Rückschlüsse) auf die Realität, auf die Gegebenheit, die Existenz wesent-
lich, wenn etwas als forma, essentia oder ratio gefasst werden soll (Ockham gibt rationes der
notitiae an), nicht gezogen werden ‘können’ sollen = nicht gelten. Das bedingt die Induktion,
weil an dieser Stelle bezüglich des Faktischen und assoziiert mit ihm eine Einschränkung oder
Negation gelten können soll. So entfallen die Merkmale, die im Empirischen oder bezüglich
der Kausation akzidentell sind, zumindest eine Vermittlung zwischen Ding (substantia) und
Umstand oder Wirkung nicht zulassen. Cf. analog Ord. Prol. q. 1 OT I p. 38 lin. 15 – p. 39 lin. 6
und hier besonders: „Sicut si videam intuitive stellam exsistentem in caelo, illa visio intuitiva,
sive sit sensitiva sive intellectiva, distinguitur loco et subiecto ab obiecto viso; igitur ista visio
potest manere stella destructa; igitur etc.“ (So schon ibidem p. 12) Wenn hier das erste igitur
auf die induktive Möglichkeit einer visio sine obiecto praesente zielt, so das zweite darauf, dass
deshalb (sic!) auch Gott per divinam potentiam absolutam eine notitia intuitiva sine re existente
bewirken könne: eine reine persuasio. Es greift also nicht die unumwundene Allmacht krude in
die empirisch-weltlichen Verhältnisse ein, um sie willkürlich außer Kraft zu setzen, wie gerne
behauptet wird. Ockham bestritt damit aber nicht, dass Erkenntnis dem real existierende ob
iectum extra animam gelte, i.e. dass es de facto erkannt werde. Im ersten der beiden Beispiele
Rep. II, q. 16 OT V p. 379 lin. 11–15 wird Gott als causa totalis einer notitia intuitiva genannt,
ohne dass eine res singularis als deren Ursache gewiss sein könne oder müsse. Indes handelt
es sich hier um eine „notitia intuitiva in angelo“ und es wäre nötig „oportet quod sciam quod
nullam aliud simile sit ita approximatum angelo in quo est illa cognitio intuitive. Nec sit a deo
sicut a causa totali.“ Dafür wird ein empirisches Beispiel gegeben ib. lin. 6f: „si sint duo ignes et
appareat fumus causatus, non plus scio quod iste fumus causatur ab isto igne quam ab alio.“ Es
liegt also auch hier bloß eine „Überredung“ (persuasio) vor.
92. Georg Cantors Feststellung bei der Begründung der Mengenlehre: „Es gibt Aktualunendli
ches“ ist hier noch fern. In dem zugehörigen berühmten Beweis stellt Cantor Aktualunendlich
keit als Überabzählbarkeit dar. Cantor selbst will damit dem Philosophen oder dem Theologen
widersprechen. Aristoteles’ Idee vom infinitum potentiale gilt bis zu Kant und Gauß. Cf. C. F. v.
Weizsäcker, 1967.
240 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
eingewandt, dass darin eine unendliche Reihe von kontingenten Ursachen – in der
Welt, und damit für sie! – nicht ausgeschlossen werden könne: alle Väter haben ih-
rerseits schon Väter gehabt oder haben sie haben können. Wir müssten nicht Gott
als prima causa annehmen, wenn wir auf der Ebene der res, der realia, der singularia
und kontingenten Dinge bleiben. Daneben schließt Ockham auch jene Kausalität als
faktisch logisch nicht erklärbare aus, die zwischen den singularia empirisch angenom
men werden kann; er wird also auch nicht eine von Gott verliehen Wirkfähigkeit
und Verursachenskraft faktisch annehmen, die Duns Scotus bei seinem Gottesbeweis
unmittelbar mit dem Postulat einer höheren und ersten Ursache annehmen möchte.
Ockham setzt causalitas auf einer höheren Ebene an, während er die Welt, mit ihrer
möglicherweise unendlichen, aber eben nicht aktualunendlichen Reihe von kontingen
ten Gegenständen für den Gottesbeweis zunächst kompakt setzt, indem er efficientia
mundi und conservatio mundi gleichsetzt. Conservatio est efficientia et vice versa. Das
entspricht der Auffassung der causalitas, die nicht in die Dinge so verlegt werden darf,
dass daraus signifikant deren Zusammenhang hervorginge.93 Aktualunendlichkeit
93. ‘Aktualunendlichkeit’ ist, wo sie auftritt oder nicht bündig abgewiesen werden kann,
Widerlegungsformel. Dieses Aktualunendliche mit Gott gleichzusetzen oder dies, dass es ge
schehe, für die scholastische, sei es ausdrückliche oder ihr zu unterstellende geheime Idee zu
halten, ist unsinnig (so aber Blumenberg, 1966 p. 122); es heißt das potentiell Unendliche, das
man immerhin nacheinander durchlaufen könnte, ohne allerdings mit ihm fertig zu werden,
mit dem Aktualunendlichen zu verwechseln, das man nicht durchlaufen kann, weil an jeder avi
sierten Stelle eine unendliche Menge von Einzeldingen hinzukäme. So auch Adam Wodham,
IS lb. III, d. 14 q. 11, fol. 135 col. 4 (cf. Kap. 7 Anm. 151) Duns Scotus sagt De Primo Principio (ed.
Kluxen p. 34) cap. III, conclusio secunda (Beweis) undeutlich bloß „Infinitas est impossibilis
ascendendo“. Als beweistechnische Reprobationsformel tritt das Aktualunendliche bzw. seine
Negation auch in Ockhams Gottesbeweis auf, hilft also bei der Ausführung einer reductio ad ab
surdum. Das infinitum actuale betrifft ein Verhältnis von Akzidenzen. Sagt Scotus (Ord. I d. 2,
p. 1 q. 1–2 Ed. Vat. pp. 159s n. 54): „quod infinitas in accidentalibus sit impossibilis nisi ponatur
status essentialiter ordinatorum“ und (De Primo Principio, ed. cit. p. 38): „infinitas accidentalis,
si ponatur, hoc non est simul, patet, sed successive tantum, est alterum post alterum, ita quod
secundum aliquomodo fuerit ex priore, tamen non dependet ab ipso in causando, potest enim
causare illo non existente sicut illo existente“, erklärt Ockham verschärfend, efficientia und con
servatio seien realiter dasselbe (Quaestiones in Lib. I Physicorum q. 136, OPh VI) und sowohl
die akzidentelle Ordnung der causae wie die essentielle könnten nicht zu einem zureichenden
(definiten) Beweis der Erstursache führen (ib. p. 769 lin. 47–49): „per solam primam produc
tionem non potest sufficienter probari, quod non sit processus in infinitum, saltem in causis
accidentaliter ordinatis nec formaliter in causis ordinatis.“ Ockham sagt allgemein und speziell
zum Scotischen Gottesbeweis (Ord. d. 2, q. 10 OT II p. 354 lin. 18 – p. 355 lin. 3): „Videtur tamen
quod evidentius posset probari primitas efficientis per conservationem rei a sua causa quam
per productionem secundum quod dicit rem accipere esse immediate post non-esse.“ Er sagt
hier nichts zur Struktur Scotischen Beweisens, nur (ib. p. 354 lin. 16–18): „Dico igitur quantum
ad primum articulum, quod ratio probans primitatem efficientis est sufficiens. Et est ratio omni
um philosophorum.“ Doch hält er Duns Scotus entgegen (Quaestiones in Libros Physicorum
q. 136 OP VI p. 768 lin. 25–27): „quamvis posset poni processus in infinitum in productionibus
Kapitel 5. Aus dem Innern Gottes 241
hingegen bedeutet, dass immer wenn und wo in einem noch so kleinen Bereich Zäh
lung und Abzählung vorgenommen werden, unendlich viele Elemente auftreten, die
damit nicht erfasst worden sind und infolgedessen nicht erfasst werden können. Das
ist zu unterscheiden von jener – potentiell – unendlichen series von Dingen oder auch
Ursachen, die man zählend durchlaufen kann, ohne jedoch an ein Ende kommen zu
können.94 Die Idee der Unendlichkeit (infinitas) Gottes wurde im späten Mittelalter
sine infinitate actuali, non potest tamen poni processus in infinitum in conservantibus sine
infinitate actuali.“ Duns Scotus’ Beweis (s.o.) ist da noch unklar.
94. Ockham hebt den Unterschied zwischen ‘Aktualunendlichkeit’ und potentieller Unend
lichkeit auch Quaestiones in Libros Physicorum q. 135 OP VI express hervor und sagt p. 767
lin. 136–139 „quod per primam productionem non potest sufficienter probari quin sit processus
in infinitum in causis efficientibus, quarum una causatur successive ab alia; sed ex hoc non
sequitur aliqua infinitas actualis.“ Dabei wird die unendliche Reihe – das Aktualunendliche
bildet keine Reihe, sondern sprengt und trifft sie an jedem Orte, sic est nomen! – (ib. ad septi
mum) eindeutig eine „infinitas in accidentaliter ordinatis“ genannt (wie auch bei Duns Scotus
im Gottesbeweis De Primo Principio. Diese infinitas (ib. p. 766 lin. 113–116) „potest salvari sine
aliqua natura infinite durante a qua tota successio dependet, quia non potest probari sufficien
ter per productionem, quod unus homo non possit produci ab alio sicut a causa totalis et tunc
diceretur quod unus homo totaliter dependeret ab alio et ille ab alio, et sic in infinitum et non
aliqua re in infinitum durante; nec potest probari oppositum per productionem, licet per con
servationem possit.“ Dass der Vater Gottes Beistand benötige, um einen Sohn zu zeugen, kann
nicht bewiesen werden; er hat ihn ohnehin: ex concursu generali divino – per conservationem
(sic!). Ockham will den Scotischen Beweis sichern oder verbessern, indem er die conservatio
heranzieht, weil bei ihr die Ursachen, die zu Erschaffung der abhängigen Welt erforderlich
seien, gleichzeitig gegeben (simultaneae causae) sein müssen. Danach wird dann conservatio
mit efficientia gleichgesetzt. Wir urteilen intensional = nach je zu veranschlagenden Begriffen,
die in Bezug auf je unliebsame und so zu negierende Konsequenzen beurteilt werden und so
mit vermöge ihrer. Ähnlich bei Ockhams Beweis von der Schöpfungsnotwendigkeit für die
Welt, bei der determinatio und implicatio gleichgesetzt werden: Ewigkeit der Welt ist immer
hin denkbar, Ewigkeit der creatura nicht. Zu seinem ‘Gottesbeweis’ dann ebenso Ord. d. 2 q. 10
OT II p. 355 lin. 22 – p. 356 lin. 4: „Sed non est processus in infinitum in conservantibus; quia
tunc aliqua infinita essent in actu, quod est impossibile.“ (Das Aktualunendliche ist an sich
unmöglich und bedeutet daher Absurdität für alles, dem es angeheftet werden müsste.) Hier
sind die rationes, u. a. des Aristoteles, „satis rationabiles. Sic igitur videtur per istam rationem
quod oportet dare primum conservans et per consequens primum efficiens.“ Denn (ib. p. 356
lin. 9–12): „quamvis posset poni processus in infinito in producentibus sine infinitate actuali,
non tamen in conservantibus cum (W 1495)/sine (Ed.) infinitate actuali.“ Das Aktualunend
liche lässt sich nicht durchlaufen. Sein proprium. Bei der conservatio gäbe es das Aktualunend
liche, wenn es nicht Gott gäbe, der alle conservatio in sich zusammenfasste. Bei der productio
kann es die sukzessive unendliche Reihe geben. Sie kann man durchlaufen, wenn man auch an
kein Ende kommen wird. Beim Aktualunendlichen kommt man nicht einmal an einen Anfang,
denn zwischen einem item und dem nächsten liegen schon ‘unendlich’ viele. Die Reihe ist ‘über
abzählbar’ Freilich muss man an die conservatio mundi glauben, und eben, dass die Welt sie
242 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
dann auch noch durch den theologischen Gebrauch der Methode der sogenannten
calculatores vertreten.95
Gott der „Schöpfer“ ist Gott der „Erhalter“. Wenn Gottes „Tätigkeit“ gegenüber
der Welt die Erhaltung ist, wobei conservatio efficientia (Hervorbringung) ist, rücken
wir mit dieser conservatio von der Innervation in die Welt und von der Bestimm-
barkeit der Handlung ‘gegenüber’ der Welt und förmlich „aus“ der Welt mehr ab, als
wenn wir ihn lediglich die causa efficiens der Welt nennen wollten, gemäß welcher er
auf causa finalis, causa formalis, causa materialis insgleichen angewiesen wäre. Alle
diese causae müssten sogar in ihn fallen und womöglich zusammenfallen.96 Der Got-
tesbeweis muss im Grunde aus einer ontologisch geordneten Welt, innerhalb deren
benötige. Das gilt bis zur Neuzeit (Spinoza). Zur Beziehung von Gottesbeweis und Induktion s.
Kap. 9: Ontologie und Induktion.
95. Cf. grundsätzlich A. P. Juschkewitsch, 1961, dt. 1964. Die Methode der „latitudines“ und
der „longuitudines“, die die „mertonenses“ gepflegt haben, stellt ein qualitatives begriffliches
Verfahren dar, das bis in die Terminologie hinein (äußere und innere ‘Randpunkte’ = „ter-
minus exclusivus“ und „terminus inclusivus“) der modernen mathematischen Topologie, als
sogenannte Punktmengenlehre eingeführt, nahe kommt. Die mathematische Topologie, der
die calculatores praeludieren, hat nichts mit empirischer Raummessung zu tun. Sie ist quali-
tativ bestimmt, nicht quantitativ. Eine theologische Verwendung dieser mittelalterlichen Met
hode s. A. Combes et P. Vignaux, 1964. Ihr Vergleich mit neuzeitlicher Wissenschaft gerät pro
blematisch, wenn Juschkewitsch (mit Bezug auf Swineshead) p. 203 sagt: „Die Intensität der
Form tritt als veränderliche Intensität einer Eigenschaft auf … Diese Analyse ist rein abstrakter
Natur, und weder die Voraussetzungen noch die Ergebnisse werden mit realen quantitativen
Messungen oder mit experimentellen Daten oder Beobachtungen verknüpft.“ H. Blumenberg,
1966 p. 344 überbietet da noch: „Man besaß eine Art von logischer und physikalischer Kasu
istik, in der höchst komplizierte Vorgänge konstruiert wurden, aber die eingesetzten Größen
waren immer rein spekulativ und nicht empirischer Herkunft.“ Blumenberg bescheidet uns
dann, dass in der Wissenschaft des 14. Jahrhunderts ‘einfach noch nicht die notwendigen Zwi
schenschritte getan gewesen seien’, um zu den Anforderungen der neuzeitlichen Wissenschaft
kommen zu können. Diese fiktiven „Zwischenschritte“ bleiben naturgemäß unbelegt. Nach
Juschkewitsch ist zugleich die logische und ‘analytische’ Qualität in den Entwürfen der calcula
tores nicht überzeugend. Zur physikalischen Ausrichtung der ‘Methode’: W. Curtis, 1960. Mes
sung und Experiment mögen Standards der neuzeitlichen Wissenschaft sein. Der ausschließli
che Bezug auf sie ist widersinnig. Zum Gebrauch des Omnipotenzprinzips und der Methode
der ‘longuitudines’ und der ‘latitudines’ s. M. de Gandillac in: A. Forest et al. 1956, p. 451: „La
potentia absoluta exclut l’élimination du contingent par le calcul algébrique de minimis et de
maximis. En fait le recours à la toute-puissance est … opposé à toute argumentation qui con
fondrait le fait et le droit, l’habituel et le nécessaire.“ Die Topologie der Längen bzw. Breiten’
nivelliert nach ihrer Anlage die Differenz von notwendigem und unendlichem Sein Gottes und
kontingenter Welt.
96. Das ist zugleich ein Moment der Spekulation. Cf. Gershom Scholem, Die jüdische Mystik.
1957 und 1967, p. 285 und öfter: Nach Isaak Lurias Kabbala muss Gott sich erst in sich zurück-
ziehen (zimzum), um für die zu erschaffende Welt Platz zu machen. Nach Scholem löst Luria
Kapitel 5. Aus dem Innern Gottes 243
der Aristotelismus die Begriffe mit einer synthetischen Option sichert, zu Gott auf-
steigen, der ihr nicht mehr angehören kann. Damit ist eine Paradoxie gegeben, mit
der die Satz- und Wahrheitsqualitäten modifiziert erscheinen: besteht diese Wahrheit
auch, wenn sie niemand gedacht hat? Wird sie wenn sie gedacht wird, damit nicht
auch sogleich notwendig und ist damit in jedem Fall als induziert zu bewerten?97
Dass die notitia intuitiva von Gott konserviert werden kann und auch konser-
viert werden muss, wenn ein negativer Befund (eine Falsifikation in kontingenten
Urteilen) erfolgen können soll, birgt ein Problem: notitia (intuitiva) selbst und der
Satz, den sie betrifft, rücken in die Nähe analytischer oder notwendiger Sätze, bei wel-
cher man sich ohnehin befindet, wenn und weil die notitia intuitiva hier mittels der
conservatio in Gott anhängig ist, d. h. auch notwendigerweise nur von ihm bewahrt
werden kann: Notwendigkeit in Gott und Dependenz aus Gott liegen beieinander.
Die notitia kann notwendigerweise nur von ihm bewahrt werden und auch Gott wird
offenbar genötigt zu bewahren. Er müsste sonst etwas geradezu aus der Schöpfung
herausfallen und es ‘wegfallen’ lassen. Es würde wenigstens eine Lücke entstehen;
sie hätte zu besagen, dass die notitia intuitiva kein objektives Urteil mehr besagen
könnte, da die Freiheit zur Negation (Falsifikation) nicht mehr bestünde. Das wieder
entkleidet den Begriff der notitia intuitiva seiner absoluten Kontingenz in Bezug auf
seinen Wert als ‘Größe’ und setzt ihn auf die Bedingung einer analytischen Definition
fest, die aber nirgendwo gegeben wird und gegeben werden kann. Alle Erörterung
Ockhams mit ihrer besonderen Aktsetzung im kontingenten Charakter der Größen,
die damit res absolutae sind, wird aufgehoben und von der Seite der Notwendigkeit
her negiert oder suspendiert. Beweisqualität wird danach auf eine Identität von Inhalt
und Folgerung festgelegt. Gottes Allmacht, der Formel nach vom Widerspruchssatz
begrenzt, erweist sich hiernach in der Form, dass Widerspruch, mit unerfindlicher
(Ding-) Realität identisch, an dieser entfallen wird.
Es kommt noch etwas anderes hinzu: es handelt sich bei der notitia intuitiva,
einem Akt, der aus actus apprehensivus und actus iudicativus, in diesem aber aus
actus apprehensivus und actus assentiendi zusammengesetzt ist, ebenso wie bei dem
kontingenten Satz, der per notitia intuitiva beurteilt wird, und seinen Begriffen (ex-
trema = s und P), um ‘mentalia’. Sie alle sind als ‘Erscheinungen’ (= Gegebenheiten)
kontingent, werden aber über Bestimmungen eingeordnet, mittels deren sie, per per-
suasio und Induktionen, in vielen Fällen aus der empirischen Ebene konkreter Ob-
jekte abgetrennt und entfernt werden. Das bezeichnete Ockhams nominalistische
ältere einfachere Konzeptionen der Kabbala ab, bei denen Gott aus sich heraustreten kann um
zu schaffen.
97. Hier hat Duns Scotus die terminologische (und ebenso sachlich ontologische) Explikation
der causae (ihre Ordnung betreffend) seinem Gottesbeweis vorangestellt, insofern er mit ihnen
arbeiten will. Nikolaus von Autrecourts Zweifel gegenüber solcher scholastischen Terminologie
verkennt, dass diese immer nur in beigeschlossener logischer Funktion erscheinen kann. Wollte
oder könnte man auf sie verzichten, käme man zu absoluten Beweisen. Die implicatio würde
der determinatio gleich. Dies ist dann bei Ockham auch so der Fall.
244 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Denkweise und Verfahrensart. Wir kommen an die Stelle, an der Bestimmung und
Faktum identisch werden, damit aber auch förmlich als durcheinander vermittelt er
scheinen werden. Duns Scotus hatte argumentativ so auch bereits verfahren, aber
darin Gott unterschiedslos zum Teil der Welt gemacht; er konnte ihn innerhalb des
Arguments nicht von ihr trennen, es sei denn er ließ sich auf Zirkel bzw. Nachgriffs-
postulate ein. Das vermied Ockham. Seine Gottesbeweise bezeichnet es nun überdies
in der Tat, dass er die determinatio der Relationsbegriffe (etwa generatio) mit einer
Implikation gleichsetzt, kraft deren sie in ihrer unausdrücklichen Beziehung zu dem
stehen sollen, was aus ihnen erfolgt.
Wir werden uns die conservatio als eine Fernwirkung zu erklären haben. Gott
wird darin in keinem Fall von den Gegenständen in se und der Welt im Ganzen fak-
tisch tangiert und von ihnen her begrifflich bestimmt sein können. Das wäre gleich-
sam widersprüchlich in sich.98 So geht es um eine Widerspruchsvermeidung, bei
der die Elemente der Welt nicht Bestimmungsmerkmale dessen liefern können und
dürfen, was von ihnen unterschieden eine Wirkung und Auswirkung auf sie haben
können soll: Gott. Zumindest als Beispiel kann hier dienen: Gott kann materia und
forma sine extensione, also Gravitation, in der Realität erhalten. Gott kann eine Wir-
kung ausüben, die der empirischen Mittel und Substrate sich entschlägt. Sie muss der
98. Auch die Ideen (ideae) Gottes fallen in Gott und sie reichen, wie sie die creaturae betreffen,
wenigstens formell und inhaltlich über ihn hinaus; sie gehören nur Gott und können nicht
entitates in Deo oder Teile in Gott angeben. Ord. d. 35 q. 5 OT IV p. 504 lin. 22 – p. 505 lin. 2
„de virtute sermonis debet concedi quod ideae oriuntur et intereunt, quia ideae sunt ipsaemet
creaturae quae oriuntur et intereunt.“ Denn (ib. p. 503 lin. 2f): „omnium rerum sunt ideae in
Deo, hoc est quod Deus est omnium causa effectiva.“ Und ib. p. 488 lin. 5–18: „Ostendo quod ip
sa creatura est idea primo: quia sibi competunt omnes particulae praedictae descriptionis. Nam
ipsa est cognita ab intellectu activo, et Deus aspicit ut rationaliter producat … (ib. lin. 21 – p. 489
lin. 3) Ergo ipsam creaturam producibilem vere aspicit et ipsam aspiciendo potest eam produ-
cere. Praeterea, illud quo praecognito potest cognoscens rationabiliter producere, – etiam omni
alio per impossibile non praecognito –, et quo non praecognito – etiam quocumque alio cogni-
to – non potest rationabiliter producere, est vere idea et exemplar.“ Idea und exemplar werden
so gleichgesetzt. Das ebenso ib. p. 490 lin. 5–10: „Ex praedictis patet quid est idea. Quia non
est nisi aliquid cognitum ad agens aspicit in producendo, ut secundum ipsum aliquid simile
vel ipsummet producat in esse reali. Sicut una domus potest vere esse idea et exemplar alterius
domus, quia scilicet aliquis artifex illam domum cognoscendo, potest per hoc aliam fabricare.“
Damit müsste aber die idea praktisch schon von einem existens, nämlich dem exemplar aus
gehen oder eben dieses mangels Unterscheidbarkeit verkörpern, also in der Abstraktion vor
liegen. Erst so bestünde Konsistenz innerhalb des Ockhamschen Schematismus. Grundsätzlich
ib. p. 486 lin. 1–4: „(idea) habet tantum quid nominis (nicht: quid rei) et potest sic describi: idea
est aliquid cognitum a principio effectivo intellectuali ad quod activum aspiciens potest aliquid
in esse reali producere.“ Die Ideenlehre Ockhams hat einen praktischen „realistischen“ Sinn:
die idea trägt die causa formalis. In Gott können die Ideen keine ratio cognoscendi sein (cf. ib.
p. 491 lin. 14–25), da mit der Zahl der Individuen identisch und vermehrbar. Die idea ist hier
die creatura cf. p. 489 lin. 8 und p. 490 lin. 1–4.
Kapitel 5. Aus dem Innern Gottes 245
Abstraktion verdankt werden.99 Materie und forma sind empirisch bestimmt gar
nicht zu definieren; sie haben keinen definiten in sich bestimmten Begriff, der in der
Realwelt als begrenzter Erscheinung aufgehen könnte. Da sie von ihr abstrahiert wer-
den können, können sie, wenn sie denn sein können sollen, auch von Gott unabhän-
gig von ihrer ‘Erscheinungsweise’ qua Extension aufgefasst werden; es käme sonst zu
keiner begrifflichen Vermittelbarkeit und Übereinstimmung oder Konsistenz. Es gibt
sie also, insofern sie an ‘den’ Erscheinungen sind, ohne in ihnen sie selbst zu sein. Das
ist die Bedingung ihrer konsistenten Vorkommensmöglichkeit zum einen und konsi-
stenten begrifflichen Verwendung zum anderen.100
Auch die Erwählung (praedestinatio) und die Verwerfung (reprobatio) liegen
akzidentell tatsächlich außerhalb der Essenz Gottes. Gott ist so de facto im Sinn der
Wahlfreiheit erkennbar, er unterliegt nicht mechanistischer Dependenz. Die Freiheit
Gottes ist eine funktionelle der dazu festgestellten Ordnung der Faktoren ohne den
mechanistischen Zwangscharakter. Es gibt im stringenten Verhältnis der Faktoren
zwei termini exclusivi, Gott extra mundum und die im Inneren der Welt materiell
99. Ockhams ‘Theorie’ der Erkenntnis (inclusive Begriffsbildung) setzt die in sich unerschlosse
ne Empirie fort und überschreitet sie förmlich nicht. Das geht bis zum strukturellen (‘argumen
tativen’) Ausgriff über die Erfahrung hinaus, die niemals negiert wird und das nie strukturierte
Widerspruchsmoment vertritt. Der abstrakte Überstieg über die Empirie und die ihr verdankte
Begriffsbildung und Erkenntnisgarantie führt zum nominellen Gott, der nicht der in sich uner
schlossenen Welt entgegengesetzt werden kann. Das definiert uns pro statu isto. Ockhams Erör-
terungen (selbst über den menschlichen Begriff hinaus!) reflektieren direkt beweistheoretisch
auf die in se unbegründbare Empirie. Cf. Kap. 9 Ontologie und Induktion.
100. Natürlich muss die Bestimmung einer solchen Möglichkeit formaliter oder de potentia
divina absoluta supranaturaliter loquendo gelten. Forma und ratio sind die Leitbegriffe der
Rationalisierung; so lässt sich von einer ratio secundum speciem sprechen, etwa bei der notitia
abstractiva Ordnung innerhalb der Vernunft. Ratio bedeutet, dass wo eine distinctio realis ist,
der Begriff nicht über diese usw. Sie wird nicht über die accidentia bestimmt, die als Umstände
außerhalb ihrer liegen. Sie bedeutet damit abstrakt oder intensional Notwendigkeit. Es treten
die Formeln auf, die der Abstraktion, der Induktion und der persuasio entsprechen: ‘non est
magis (maior) ratio quod (non)’, ‘non est inconveniens’. Wir haben also in der distinctio realis
einen Hiat, der eine Begriffsreichweite negativ festlegt. In der forma nehmen wir einen Inhalt
von den Schwankungen und Unbestimmtheiten des Akzidentellen aus. Dieses Akzidentelle
grenzt an den abstrakten Begriff (relatio), wobei dieser wie mit der Pipette aus dem allenfalls
noch durch die termini (i.e. Anfang und Ende) ‘bestimmten’ unbestimmten empirischen Pro-
zess herausgehoben werden. Wir sind – wenigstens tendenziell – im Bereich der Naturphiloso-
phie (philosophia naturalis). Die ‘forma’ trennt einen abstrakten Inhalt von den Schwankungen
und Unbestimmtheiten des Akzidentellen, die ratio von Abhängigkeiten, die im Sinne eines
Rückschlusses auf die causa, die Existenz, die Gegebenheit, gewohnte Umstände (der essen-
tia) verstanden werden müssen – und so denn ontologischen Fundierungen entsprächen. Diese
Fundierungen entfallen bei Ockham, nicht der Gebrauch ontologischer Begriffe, die dann kon-
struktiv im Sinne der Argumentation (Beweisführung) integriert werden, ohne selbst darin
oder überhaupt bewiesen werden zu können.
246 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
wirkende Verursachung, die wie die innere Dingqualität nicht erforscht werden kann.
Zwischen diesen beiden termini erstreckt sich eine Ordnung, die faktisch, wie wir
sie haben, immer nur eine begriffliche oder eine terminologische sein kann, die wir
als begriffliche so mittels der Erörterung denn auch zu erstellen genötigt und befä-
higt sind. Indem wir die Begriffe nach ihren Verhältnissen füllen, werden die Begriffe
auch Terminologie. So geht die Argumentation der Einsicht des ‘Begriffs’ voraus und
betrifft seinen Inhalt.101 Für Begriffe wie „volitio“ und „intellectio“, die am ehesten
ja der Psychologie oder der Erkenntnislehre anzugehören scheinen und metaphy-
sisch dadurch Belang haben können, dass sie für heterogenes Seiendes, nämlich Gott
und creatura gleichermaßen in Betracht kommen, gilt mithin was für (übergeord-
nete) Relationsbegriffe immer gilt: sie werden nicht von ihrem Bezug her, das heißt
vom realen, von dem wohin sie in der Welt und in die Welt ausfließen, bestimmt:
ihr induktionsnaher praktischer Bezug bedeutet, dass eine recta ratio ihres Inhalts
widerspruchsfrei ohne Inanspruchnahme eines formell realen oder akzidentellen Be
zugs oder Effekts bestehe:102 „voluntas debet hoc velle. Sed eo ipso quod voluntas
divina hoc vult, ratio recta dictat quod est volendum.“ Es gibt so in der Sache keinen
Rechtfertigungs- oder Anforderungsgrund. Damit ist im Grunde das metaphysische
Mandat ausgeschlossen.103
Wenn Ockham die Verhältnisse zu behandeln und zu entscheiden hat, die mit den
Problemen der Heilslehre sich ergeben, ordnet er sie nach dem Verhältnis von essentia
(divina essentia) und Handlungsumständen, in die der Mensch einbezogen ist. Das ist
hier insofern logisch, als dabei der Handelnde Gott sein muss und bezüglich seiner
substantia Motive, Willensentscheidungen und Veranlassungen und Verursachun-
gen anfallen müssen. Weniger kann es um direkte oder ausgemachte Eigenschaften
Gottes gehen; denn sie werden bezüglich der bloßen Auswirkungen nur vorgreiflich
sich ausnehmen können und bezüglich der virtuellen oder vielfachen akzidentellen
Fälle bzw. Abwandlungen rein ideologisch erscheinen, etwa wenn man zu erörtern
tendiert, was der an sich doch gute Gott nicht könne, tun müsse, zulasse oder was er,
weil er darin im Widerspruch mit sich oder dem was er schon wolle oder getan habe,
sich befinden müsste, nicht tun könne oder werde usw. Man hat damit vom Terminus
(Endpunkt) der realen Welt aus keine angemessene oder denkbarerweise empirische
101. Es ist anders als bei der Deduktion des Duns Scotus: Hier wird der Begriff qua Definition
inhaltlich oder inhaltsähnlich vorgegeben, um dann im Sinne der Beziehung Zwangsläufigkeit
durch die Beweisführung zu ermitteln. Damit muss die Beziehung qua Zwangsläufigkeit auch
Kausalverhältnis besagen. Ockham disponiert aber über die Kausalbeziehungen und erörtert
sie, bezüglich der Zwangsläufigkeit i.e. engen Bindung oder aber der bloß fakultativen; dann
kann es sein, dass eine Beziehung oder ein Verursachungsverhältnis bestehe oder aber in be-
stimmten Fällen entfallen könne.
102. Ord. q. 41 OT IV p. 610 3–5.
103. Ockham setzt auch keinen Vorrang des Willens vor dem Verstand, etwa in der divina
essentia wie Scotus.
Kapitel 5. Aus dem Innern Gottes 247
Entscheidung gefällt.104 So hat die Differenz (und Distinktion) von essentia und acci-
dens auch hier in der Theologie eine ordnende Funktion oder Kraft. Sie ist dann nicht
mehr logisch, vermag aber einer Auffächerung der verschiedenen Größen oder Stich-
punkte zu dienen: salvatio, damnatio, praescientia, praedestinatio, gratia, caritas, pec-
catum, opus meritorium und meritum. Eben letzteres kann noch als induktive Basis
einer salvatio dienen, wie im Folgenden sichtbar werden wird.105 Ockham erörtert:106
„Utrum sit possibile aliquem praedestinatum damnari et praescitum salvari.“ Derjeni-
ge, der kein opus meritorium begeht und kein meritum aufweist, könnte also immer
verworfen werden, obwohl das die Frage nach praedestinatio und praescientia in se ja
nicht vorab berührt: Gott würde inbegrifflich des meritum prädestinieren und eben
auch vorauswissen, ob der Mensch es erwerbe. Aber das müsste in sich den Terminus
praedestinatio ebenso wie den Terminus praescientia affizieren. Sie würden ja immer
vom meritum gesteuert und so von ihm abhängen. Sie würden quasi von einem Wider
spruch abhängen oder mit ihm definiert sein. Der Widerspruch wird also bei Ockham
von einer empirischen Basis her aufgegriffen und eben auch beseitigt und aufgelöst.
104. Dieser Maßstab ist unerlässlich. Man hätte sonst vorderhand keine realitätshaltigen Begrif
fe, nach denen ja am Ende immer, auch theologisch zu urteilen wäre; denn was nicht sein kann,
kann nicht der Macht, Realität, Vernunft usw. Gottes entsprechen, der, wie schon die ersten
Scholastiker, die den Unterschied von potentia absoluta und potentia ordinata gebrauchten,
zum Beispiel Alexander von Hales, keinen Konflikt zwischen diesen beiden Vermögen suchten,
sondern sagten, Gott könne nur ordinate handeln, d. h. so wie es seiner Schöpfung entspreche.
Cf. A. Funkenstein, 1986. Auch das Verhältnis von conservatio und efficientia kann hier sub-
sumiert werden: Gott hat die Welt geschaffen und gegen ihn lässt sich nicht wirken. Cf. Rep.
II, q. 15 OT V p. 346 lin. 5–10: „quando agens conservans effectum est fortius in conservando
quam agens effectum contrarium in causando, non potest secundum agens causare effectum
contrarium effectui conservato a primo agente. Sed Deus est agens fortissimum conservans ac
tum beatificum. Igitur quamdiu agens conservat istum actum non potest voluntas creata elicere
actum contrarium.“ Wollten wir der creatura eine Wirkungskraft zuschreiben, die sich gegen
die lex communis der Welt zu richten vermöchte, müssten wir ihr auch eine mit den innersten
Sachverhalten der Welt gegebene Erkenntnis und eine so ausgebreitete Kenntnis der Weltver-
hältnisse zutrauen, dass sie ggf. danach die Weltordnung abgeändert sehen könnte. Formell
wird eine solche Änderungskraft Gott im Sinn der potentia divina absoluta (und auch nur
bedingt) zugeschrieben. Gott ist aber auch causa immediata aller Dinge und das steht vorab
gegen die ex parte hominis seu creaturae gedachte Veränderbarkeit der Welt. So gilt auch (ib.
lin. 10–12): „Et sic patet quod angelus bonus est impeccabilis ex sola voluntate Dei causante
actum beatificum et conservante, et non ex natura sua.“
105. Anders müsste man immer auf formelle oder analytische Ausschließungen, reelle oder
vermeintliche Tautologien, Truismen usw., zurückgreifen. Die propositio per se nota und die pro
positio immediata stehen hier als Satztypen der menschlichen Erkenntnis nicht zur Verfügung.
Ob überhaupt eine Erkenntnis gleich welchen Trägers oder Zustandes hierzu möglich sei, muss
von der menschlichen Basis aus entschieden werden, womöglich im Sinne danach möglicher
Kompatibilitäten im Raum der Abstraktion.
106. Ord. q. 40 OT IV p. 592 lin. 19f. Die quaestio dort von pp. 592–597.
248 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Die Frage ist also, ob derjenige, den Gott prädestiniert zum Heil habe, doch noch
verworfen werden und ob jener, von dem er vorauswisse, dass er verdammt werden
werde, dennoch errettet werden könne. Dazu antwortet Ockham: Derjenige, der er-
wählt ist, ist zufällig, nicht aber notwendig, erwählt. In diesem Sinne gibt es keine
mit einem inhaltlichen Vorgriff bestehende Erwählung. Danach kann der Mensch in
der Sache ebenso wohl erwählt werden wie verworfen. Empirisch sind die beiden
Möglichkeiten gleich gegeben. Die Errettung hängt vom göttlichen Willen ab, der
notwendig in kontingenter Weise verursacht. Er statuiert seine Akte ja nicht zwangs-
läufig oder mechanistisch. Aber, so fügt Ockham hinzu, dem Erwachsenen wird das
ewige Leben nur zuteil, wenn er verdienstlich gehandelt hat. Insofern hängt der Er
werb des ewigen Lebens vom Vermögen des Erwachsenen ab, ist also in sein Ermes-
sen – seine Entscheidung – gestellt.107 Jemand kann also entscheiden, kein Verdienst
zu erwerben, dann wird er nicht errettet werden.108 Der Text enthält gewisse dogma-
tische Entscheidungen nicht, auch nicht die nicht nach dem Grad der Mitwirkung des
freien Willens oder des meritum:109 „Circa primum tenendum est quod quicumque
est praedestinatus, est contingenter praedestinatus, ita quod potest non praedestinari,
et per consequens potest damnari quia potest non salvari. Hoc patet, quia cuiuslibet
salvatio dependet a voluntate divina contingenter causante. Igitur in potestate Dei
est conferre cuicumque vitam aeternam vel non conferre. Igitur quicumque potest
non salvari. Praeterea, nulli adulto confertur vita aeterna nisi propter aliquod opus
meritorium; sed omne opus meritorium est in potestate merentis; igitur talis potest
non mereri et per consequens potest non salvari.“ Der Text enthält keine Verwahrung
gegen Luthers Position des „sola fide“ und keine Parteinahme zugunsten Luthers.110
Das malum bezeichnet eine Referenz, die kontingent zum actus hinzutritt, es ist
nicht in dessen ratio enthalten:111 „malum autem in quantum tale est privativum et
107. Die Willensfreiheit steht hier nicht an; sie würde nicht gegen praedestinatio und prae
scientia verrechnet werden müssen.
108. Insofern greift eine Induktion, die nicht jedes Problem löst; sie erlaubt bedingte Feststellun
gen mit einem negativen intensionalen Faktor auf einer in sich negativ bestimmten empiri
schen Basis.
109. Ord. d. 40 q. unica OT IV p. 593 lin. 17 – p. 594 lin. 3.
110. Die geschichtliche Fernwirkung Ockhams auf Luther qua methodischer Präferenzen
erscheint unbestimmt. Luthers Neigung zur via moderna Ockham, den er als seinen „magis
ter meus“ liebt, weil der die scholastische Dogmatik, in Luthers Augen bedünkungsreich und
hochmütig und trugschlüssig, zerstört habe, ist bekannt. Eine Parallele zwischen Ockham und
Luther findet sich, wenn Luther im Glauben und den zugehörigen Heilstatsachen ein strikt
menschenbezogenes quasi nur positives Setzen Gottes sieht, wo Ockham strukturell menschli-
ches Denken an die Stelle des christlichen Lehrgehalts setzt. Für ihn war bezüglich der vorgän-
gigen Heilswahrheiten vorab Verstandesmühsal geboten, nicht Glaube. Denkerisches Urteilen
wird menschenbezogen bedingt absolut.
111. Ord. d. 1 q. 3 OT I p. 414 lin. 13f.
Kapitel 5. Aus dem Innern Gottes 249
actus est aliquid positivum.“ Es ist eindeutig, dass das malum nicht Teil des actus sein
kann, der in diesen determinat eingeschlossen wäre. So kann die Referenz kontingent
hinzukommen und ausgewechselt werden. Wenn das Entwenden eines Gegenstandes
einen Raub darstellt, so ist es mit einem malum verbunden. Mit keinem malum ist es
verbunden, wenn dabei eine Rückaneignung eines zuvor selbst entwendeten Objekts
geschieht bzw. eine Präventivmaßnahme vorliegt. Das malum kann also dem actus in-
haltlich nicht angehören. Beide treten in ein ‘Verhältnis’ vermöge ihrer Struktur oder
der des Satzes. Diese Erklärung schließt eine andere – gerade im Sinn von Definit
heit – nicht aus. Sie ist mit ersterer kompatibel:112 „Hic tamen est advertendum quod
quandocunque terminus ex se, hoc est ex institutione instituentis et ex natura institu
tionis habet supponere pro aliquo et ratione adiuncti pro alio, ubicunque ponitur ille
terminus, semper habet supponere pro primo, sed ratione adiuncti potest supponere
pro secundo praecise.“ Offenbar besteht immer ein Verhältnis von kontingenten Sät
zen oder Erklärungen (Bestimmungen) zu Sätzen, welches die Kontingenz abbildet.
Die Sätze folgen weder als solche noch nach den Bestimmungen auseinander. Die da-
mit gegebene Erklärung definiert entweder selbst die Kompatibilität oder beruht auf
ihr. Sie definiert die Verhältnisse, sofern sie über die Betrachtung der Sätze erfolgen
und nicht als Sachen in sich, und nicht die Konsistenz tut es. Auch hier wird übrigens
erkennbar, dass die Sünde (Verfehlung) nicht prägend sein muss, kann oder darf.
Man käme sonst zu Widersprüchen (Absurditäten). Wäre nämlich die Sünde Teil des
actus und prägte (bestimmte) ihn, so dass er determinat als Sünde anzusehen wäre,
dann könnte er als solcher niemals Sünde werden (als solche klassifiziert werden):
wir hätten eine fallacia accidentis. Der actus könnte niemals in Bezug darauf, dass er
eine Sünde würde, sc. nach den Umständen, die ihn dazu machen, verübt werden. Es
gäbe vielleicht keinen freien Willen, den wir für die Begehung der Sünde als solcher
ja auch voraussetzen.113
Gott und Mensch werden also bei Ockham geschieden und ihre Differenz ent-
spricht der Unterschiedenheit von substantia und accidens und deren in einer gewis-
sen Weise negativen Verhältnis.114 Wir haben aber damit bei Ockham Erkenntnisse,
mit denen der Mensch pro statu isto ‘relativ absolute’ Positionen erreicht. Er erreicht
nicht eine schlechthin absolute im Sinn der dogmatischen Lehren und ebenso nicht
im Sinne der Erkenntnistheorie, wie er denn nicht mit Johannes von Mirecourt sagt:
„probabiliter potest sustineri cognitionem vel volitionem (die auch für Ockham iden
tisch sind) non esse distinctam ab anima, immo quod est ipsa anima. Et sic sustinens
non cogeretur negare propositionem per se notam nec negare aliquid, auctoritatem
admittendo.“115 Es gibt für Ockham Strukturen (Begründungen von Strukturen), die
gegen die Idee, jede Erkenntnis beruhe und bestehe in einer propositio per se nota,
möglich sind. Sie müssen den eher akzidentellen Charakter des actus in anima un
terstellen. Sie begründen den oder die actus aus der empirischen Kausation.
F. Hoffmann schreibt:116 „Weil die sündige Handlung den Habitus der Seele nicht ver
ändert, kann Gott einem Todsünder ohne Eingießung der Gnade das ewige Leben
schenken und umgekehrt einen Gerechten, der sich im Stande der Gnade befindet, ver
dammen.“ Da bedeutet die Einfügung des Faktors habitus eine Suspendierung der ge-
wohnten Größen der Heilsordnung, ohne dass die damit denkbarerweise verbundene
verschiedenen materiellen Partien des Leibes, die sie invadiert und von denen her sie als for-
ma nicht affiziert und bestimmt werden kann. Diese partes werden nicht aus sich, d. h. gegen
die formae oder über sie ansichtig (ib. p. 138 lin. 10–12: „ex quo omnes istae partes eiusdem
rationis et eiusdem formae non videtur quod potest uni parti competere quod non possit et
alteri.“ Das gilt auch bei den Naturerscheinungen: So sei das accidens bei der prismatischen
Farberzeugung keine Qualität eines Gegenstands, sondern der umgebenden Luft, wie Ockham
(ib. p. 140 lin. 2–4) sagt. Ähnlich (ib. lin. 6–14) die Ausbildung des Magnetfeldes. Beide Bei-
spiele sind für Ockham Analogiebeispiele, um eine actio auf Distanz als möglich zu erweisen.
Die Nichtverwendung der ontologischen Begriffe forma und accidens und ihre Unterschei-
dung erbrächte letztlich keine andere naturwissenschaftliche Erkenntnis. Ockham induziert
für diese Begriffe. Für ihn verhalten sich causa und effectus (Rep. II, q. 2 OT V p. 35 lin. 11)
„sine aliqua relatione media.“ Er ordnet mittels der Unterscheidung und Trennung nach sub
stantia und accidens die Binnenverhältnisse der Welt und Gottes Verhältnis zur Welt. Gott und
Welt treten nicht in Widerspruch. Die Welt wird festgehalten; der Widerspruchssatz erlischt ‘in
ihr’. Erkenntnisse der materia (res) in se haben wir nicht. Forma bezeichnet einen reflexiven
Leitbegriff, der gleichermaßen erkenntnistheoretisch, theologisch wie naturphilosophisch ver
wandt werden kann, affin den gedachten Variationen der Schöpfungsverhältnisse, mit denen wir
nach Ockham falsche Schlüsse und Generalisierungen abfangen (negieren). Cf. Kap. 7 und 8.
115. Die Formulierung findet sich als Artikel 28 in der gegen Johannes von Mirecourt gerich
teten Irrtumsliste. Cf. F. Stegmüller, Die zwei Apologien des Jean de Mirecourt, Recherches de
Théologie ancienne et médiévale 5, 1933, pp. 192–204. Dieselbe These bei Adam Wodham, cf.
Kap. 3 Anm. 79.
116. Cf. F. Hoffmann, 1941 p. 123. Ockham fächert Sätze typologisch auf, vereinheitlicht nicht
zur einen propositio per se nota. So gibt es bedingte Erkenntnisvarianten, mit denen der Mensch
innerhalb der Abstraktion im Sinn von Kompatibilitäten in einen Raum ihm denkmöglicher
Erkenntnisse, die dem viator pro statu isto noch nicht gegeben sind, aufsteigt. Darin mögen Ver
zicht und Selbstbekräftigung liegen. Das „Widerspruchsprinzip“ hat hier keine Rolle (anders
H. Blumenberg, 1966 p. 165f), denn es definiert nicht in absoluter Form Inhalte.
Kapitel 5. Aus dem Innern Gottes 251
117. Die sündige Handlung bestimmt (definiert) nicht den habitus ‘inhaltlich’ (oder gegenständ
lich): ‘Dass ich gesündigt habe, bestimmt meine Neigung (habitus, inclinatio) wieder zu sündi
gen, nicht mich nach meinem Wesen (essentia oder substantia).’ Mein habitus (eine Relation)
bedingt nicht (streng kausal) die künftige sündige Handlung, an der er indes beteiligt ist.
118. Daß Ockham das Kausalitätsprinzip geleugnet habe, genau wie das ‘tertium non datur’,
wurde von K. Michalski behauptet. F. Hoffmann, 1941 lässt immer durchblicken, dass Ock-
ham Lehren und Äußerungen sträflich das Widerspruchsprinzip nicht zu berücksichtigen
pflegen. Für Ockham ist causa eine Komponente oder Kategorie, die in empirischen Bezügen
erhoben und erwogen werden kann, also dort mitwirkt, nicht aber a priori den Verhältnissen
bestimmend zugeteilt werden kann, so dass sie denn förmlich selbst um jeden Preis ordnend
und leitend eingesetzt werden könnte; sie hätte damit ja je auch nicht mehr als den Rang eines
Postulats. Für Ockham kann Kausalität empirischen Verhältnissen nicht inhaltlich entnommen
werden, wie denn, wie er es ausdrückt, die causa ihren effectus nicht erkennen lässt. Damit ist
schon die variable Kontingenz der Verhältnisse grundsätzlich denkbar. Dass dann a fortiori
auch die Kausalität in der Übertragung auf die Heilsordnung nicht leitend wirksam werden und
maßstäblich sein kann, ist beinahe evident. Sie ist nicht einmal empirisch.
119. Die Kausalität muss im Sinne der Kontingenz suspendiert werden, weil eine inhaltliche
Überformung der Faktoren oder Größen ganz und gar undenkbar sein müsste, die das Reale
(die res) im Sinn der Dependenz aus Verhältnissen ausschlösse. Damit wäre relatio = res. Cf.
hierzu auch Kap. 9 Ontologie und Induktion.
120. Dass für Ockham Gott als divina essentia außerhalb der Welt stehend gedacht werden soll,
kann immer bewiesen oder suggeriert (persuadiert) werden (Rep. II, q. 11, OT V p. 173 lin. 15):
„licet deus non ponatur mensura aliorum quo ad nos pro statu isto“, mithin nach den empiri
schen Bedingungen menschlichen Verstandes. Cf. Ord. Prol. OT I p. 32 lin. 22 – p. 33. lin. 2:
„(est) universaliter ille qui potest accipere de aliqua veritate contingente (-i) experimentum et
mediante illa de veritate necessaria habet aliquam notitiam incomplexam de aliquo termino(,)
/§vel (de) re§/(,) quam non habet ille qui non potest sic experiri.“, so kann doch Gott als Maß
der Vollkommenheit gesetzt werden (ib. lin. 17f): „tamen aliquo modo potest poni mensura
perfectionis, sicut post dicetur“, d. h. aliquo modo im Sinn der damit noch nicht bestimmten
252 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Ausnahme, wie denn Ockham auch fortfährt: (ib. lin. 18f) „et tunc dicetur mensura per es-
sentiam suam, quia per illam distinguitur realiter ab omnibus aliis.“ Gott steht also durch eine
distinctio realis außerhalb der Welt und zwar im Sinn seiner damit noch nicht bestimmten
essentia. Derart stieg Ockham auch nicht mit der Bestimmung der Einzigkeit in die Wesenheit
Gottes ein. Duns Scotus ‘beweist’ unitas als qualitas der essentia des höchsten Seienden. Nicht
so Ockham. Cf. J. Klein, 1960 col. 1558: „Für den Erweis der Existenz Gottes ging er zumal
wegen der Schwierigkeit des regressus in infinitum von der Notwendigkeit der Erhaltung der
Welt aus. Nicht zu beweisen ist nach ihm die Einzigkeit des Erhalters und damit auch die Ein-
zigkeit Gottes.“ Ockham beweist aber die creatio, wobei nach ihm determinatio und implica-
tio zusammenfallen. Im Text p. 32f o. im Fettdruck die nicht angegebenen Abweichungen des
W 1495. Nach K. Michalski, (K. Flasch ed.) 1969 p. 17 hält Johannes von Polliaco die creatio für
nicht beweisbar.
121. Die Welt, die eine geschaffene ist, soll doch nicht im Sinne Gottes in diesem anhängig
sein. Das scheidet nach der Definition der Begriffe (der Begriffsarten) aus und bedeutet, dass
das medium des Syllogismus und der consequentia formalis entfällt. Die Abstraktion der Be-
griffe entsteht aus reinen Verhältnisvorgaben, ohne dass sie damit auch schon inhaltlich in der
Weise eindeutig sein könnte, dass sie einem realen Gegenstand zu entspräche und durch ihn
erfüllt würde. In genau diesem Sinn ist ja die Induktion als Verfahren bestimmt und gegründet.
(Rep. II, q. 1 OT V p. 26 lin. 11–14): „dico quod sic oritur iste denominatio ‘Deus est creans’ ex
natura rei: quod quando deus coexistit creaturae, tunc habet istam denominationem sine omni
operatione intellectus et omni relatione reali. Et quando non sic coexistit, tunc non oritur.“ Die
denominatio entsteht also aus der natura rei ohne doch im Sinn realer Erfüllung, quasi Gegen
ständlichkeit der Relation zu ‘bestehen’. Die im Menschen existierende Abstraktion besagt nicht,
dass etwas wirklich in der Welt ‘gegeben’ sein müsse. Aber es ist für den Verstand legitimiert
nach den Bedingungen der Urteilsbildung, die unabhängig vom Menschen sich vorfindet und
dabei dem Glauben entnommen wird (Ord. d. 8 q. 7 OT III p. 260 lin. 15–17): „sed hoc est sola
fide tenendum: quia Deus in principio creationis mundi omnia produxit, ita quod nihil ante
fuit in rerum natura praeter Deum.“ Fides und scientia oder ratio widersprechen sich nicht.
Die Abstraktion kann den Gesichtspunkt der fides aufgreifen. Der hierbei vermiedene Wider
spruch (denn die Abstraktion stößt an keinen Widerspruch), steht an der Stelle der Wirklich
keit. Formell geht die Abstraktion ihm und der Wirklichkeit voran. Sie ist im Sinn unantastba
rer, aber gerade nicht als erfüllt (= per se erfüllt) zu beweisender Relationen begründet.
Kapitel 5. Aus dem Innern Gottes 253
damit verschiedene res voraussetzt. Die impositio terminorum (ein alter grammatik
theoretisch-logischer Begriff) ist hier für einmal unabhängig von der Erfahrung.122
Die menschliche Erkenntnis, die Ockham mit Satzgebrauch und Begriffsverständ-
nis weiterführt, folgt da ihren Wegen mit einer Ausdehnung ins Unanfechtbare. Die
Abstraktion lässt bei Ockham den Widerspruchssatz hinter sich, der keinen Einwand
liefern soll und tatsächlich nicht liefert. Wie sehr es sich hier nur um eine Steigerung
und Ausweitung handelt, zeigt Ockham durch den Vergleich:123 „dico … quod via-
tor potest imponere nomen ad distincte significandum Deum vel divinam essentiam.
Hoc patet quia quicunque potest vere intelligere aliquid esse distinctum ab alio, potest
instituere nomen ad illud distincte significandum. Sed viator potest vere intelligere et
scire Deum esse distinctum ab omni alio.“ Ockham gibt also einen Induktionsbeweis
mit einer nur auf der Negation von Identität beruhenden Unterscheidung von Gegen
ständen. Gott, wie öfter gesagt, ist dem Menschen nicht vor Augen. Der Begriff Gottes
kann nicht empirisch per notitiam intuitivam erworben werden. Aber dessen Konzep
tion ist gleichwohl nicht ausgeschlossen; sie ist faktisch gegeben, was NB. dasselbe ist.
Wir haben die Bedingung der Unterscheidung in abstractis festgehalten. Die relatio
rationis ist immer schon in der abstractio enthalten, wie Ockham klarmacht,124 indem
er sie gegen die relatio realis absetzt. Sie ist demnach logisch früher. Denn die rela
tio realis kann den Widerspruchssatz nicht mehr voraussetzen.125 Unanfechtbarkeit
122. Es gilt mit Einschränkung J. Klein, 1960 col. 1560: „Die Offenbarung suppliert die mehr
oder weniger wahrscheinlichen Theorien des philosophierenden Menschen“, was Klein so auch
„auf die Möglichkeit der Erkenntnis der ethischen Gebote und den Gottesbeweis“ bezieht. Bei
der distinctio ratione handelt es sich um eine Abstraktion, die nicht die Offenbarung aufnimmt
oder ihr entspricht, sondern nur Kirchenlehre. Hierin also Auslegung ist. Wenn Ockham (Ord.
d. 2 q. 11 OT II p. 363 lin. 5 – p. 36 lin. 4 mit Scotus) sagt, essentia (divina) und relatio (perso-
na) seien identisch, nicht aber in jeder Hinsicht (modus), weshalb sie einen gewissen modus
nonidentitatis aufwiesen oder besäßen, der zur Annahme der distinctio realis zwischen ihnen
berechtige oder genüge, dann wird eine Induktion durchgeführt, deren Ergebnis den theologi-
schen Sätzen zugesprochene Modalität ohne realempirische Referenz oder Geltung ist. Diese
soll ja ausgeschlossen werden und nicht nötig sein. Ähnlich hat Ockham für die distinctio ratio
ne (tantum) von induktiv argumentiert: mit der identitas realis wird die Negation verbunden,
in der sie nicht empirisch mehr gilt: Die empirische Vergleichbarkeit wird ausgeschlossen. In
rebus gilt nicht die distinctio formalis, die in abstrakten Sätzen Begriffe (Inhalte) ‘verbindet’ –
wie nicht Inhärenz usw.
123. Ord. q. 22, OT IV p. 55 lin. 4–9.
124. Ord. d. 30, q. 5 OT IV p. 385 lin. 16 – p. 386 lin. 20.
125. Der Widerspruchssatz wird dabei von Ockham in vielen Worterklärungen oder Be-
griffsumprägungen zu theologischen Zwecken, wobei sich beides a limine entsprechen muss,
durch im Prinzip unangängige empirische Äquivalente ersetzt. Danach werden dann theolo-
gische Aussagen möglich bzw. auch die Verwendung metaphysischer Begriffe wie forma (und
materia) in Verbindung mit dem Omnipotenzprinzip, wobei die materia in den Gegensatz zur
forma tritt, wie sie ja das Akzidentelle selbst schon ‘verkörpert’, u. a. bezüglich der menschlichen
254 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Wahrnehmung. Nach Ockham soll der Widerspruchssatz auch in der Theologie eine regulative
Bedeutung haben können, um doch gegenüber sacra scriptura und determinatio ecclesiae zu-
rückgezogen werden zu müssen. Aber er entfällt auch oft schon, i.e. wird in sich nichtig, wenn
die theologischen Auslegungen von einem Begriffsmaterial ausgehen, das empirisch bestimmt
ist. Zwar will Ockham das empirisch-menschliche Verständnis bewahren (festhalten). Es indes
kann nicht auf den Widerspruchssatz sich stützen. Er vielmehr wird oft durch empirische Vor-
stellungen ersetzt, die sich analog als unangängig erweisen. So büßt er objektiv Wert ein.
126. Zur notitia intuitiva verhält sich die res extra als accidens und wird bei der Abstraktion,
die auch die notitia intuitiva erfasst und umgreift, nicht aufgenommen. Das bestimmt dann
auch die Ausweitung unserer Erkenntnisse zur notitia intuitiva, wie sie per Induktion erfolgen
kann. cf. dazu nochmals Kap. 12 Verflechtung und Abgrenzung der Akte.
127. Hier treten dann oft die die Kontingenz beschwörenden Gegenbeispiele Ockham auf. Da
bei wird oft die Nicht-Folgerbarkeit betont, auf fallaciae verwiesen. Beides durchdringt sich.
128. Die Argumentation reicht dann bis zu Gott, den Engeln, der visio beatifica, bis zu einer
Erkenntnis der divina essentia, in der Gott nicht mehr medium cognitionis sei, wie in der visio
beatifica: es ist eine notitia abstractiva in patria, die nicht derjenigen in via entspricht, in der
der empirisch gebildete conceptus medium ist und die notitia intuitiva notwendig voranging.
129. Wenn diese Argumentation bis hin zu in Anm. 126 erwähnten Fällen fortgesetzt werden
kann, dann ist dabei nicht aus den Begriffen wie notitia intuitiva und ihrer Definition gefolgert
worden. Die Induktion von weiteren kompatiblen Fällen widerspricht geradezu der Möglich
keit der Folgerung und einem mit einer Folgerung verbundenen Anspruch von significatio.
Die Definitionen von notitia intuitiva und notitia abstractiva (z. B.) schließen die kompatiblen
Fälle ja nicht ein. Das wäre auch unter dem Gesichtspunkt nicht folgerichtig und nicht sinnvoll,
dass ja dann wieder aus einer oberen uns versagten Erkenntnis auf unsere ‘gleichlautende’’ sie
legitimierend geschlossen werden könnte. Hier schließt Ockham auch die Folgerung wieder
mit aus. Für sie gibt es die Kondition der consequentia formalis nicht.
Kapitel 5. Aus dem Innern Gottes 255
130. Ockhams Methode definiert sich über die Satzbestimmung als Ablehnung von conse-
quentiae derart, dass falsche consequentiae als dem Satzsinn nicht entsprechend abgelehnt
werden. So in der großen Responsio ad argumenta Scoti Ord. d. 1 q. 5 OT I p. 462 lin. 10 – p. 474
lin. 22. Das betrifft die Funktionsbegriffe wie distinctio ratione, d. realis, d. formalis etc. in
eins mit ‘elementaren Sätzen’ wie ‘essentia (divina) est relatio (persona)’. Daneben ‘dazwischen’
angesiedelte Sätze wie ‘(omne) aut essentia aut accidens’, wobei für Ockham Sach- und Wort
wesen stets mitsamt gemeint sein können. Cf. Rep. II, q. 1 OT V p. 9 lin. 20f: „illud nomen
creatio actio vel conceptus“. Wo Duns Scotus die Abstraktion für die Deduktion mit Konzepten
wie distinctio formalis, natura communis, species als abstrakten Inbegriff einer realen Geltung
usw. versäumt, gilt, dass Abstraktion von der realen Geltung getrennt werden muss und jene
nicht diese ausdrücken kann. In dem Sinn ist keine Deduktion (per Folgerung oder auch syllo-
gistisch) möglich. Ockham Beweisbasis ist der kontingente Satz sqq.
131. Schließlich muss hier in Betracht gezogen werden, dass die Erkundungen und Begriffs-
oder Inhaltssetzungen Ockhams – in der Theologie, aber auch erkenntnistheoretisch, gleich
sam immer für eine scientia supranaturalis – einen abstrakten imaginären Begriffswert an-
nehmen können, wobei über die Legitimität oder Illegitimität noch nicht entschieden ist. Nur
wird an dem Entscheid eine zu dem Zweck integral oder auch schlechthin kanonisch werdende
Argumentation mitwirken. ‘Gibt’ es ihn denn dann?
132. Der Widerspruchssatz ist wie Gott terminus exclusivus in Ockham Betrachtungen und
Argumentationen. Quasi der andere. cf. Ord. d. 2, q. 9 OT II p. 313 lin. 13–17 „hoc est evidenter
notum quod nunquam concipitur aliquid includens contradictionem sine pluribus obiectis
conceptis, igitur concipiens tantum unam rem sine pluralitate obiectorum non potest dubitare
illam rem includere contradictionem.“ Der Widerspruch reicht nicht in die Welt und das Sub-
jekt nicht bis zu ihm. Cf. hierzu nochmals deutlich u. Anm. 134.
133. Auch bei der conservatio notitiae intuitivae, so sehr sie supranaturaliter erfolge, gibt es
eine naturale Komponente wie bei der causatio notitiae intuitivae ausschließlich. Sie ist bei
256 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Gegensatz zum Widerspruchsprinzip stehen. Dabei kann auch nicht die Singularität
der res extra mentem in se ipsa als Stützpunkt des Widerspruchsprinzips oder gar
als supponierter Ausgangspunkt einer Gewinnung menschlichen Selbstbewusstseins
gegen Gott und Kirchenlehre exegetisch gesichert werden.134 Wenn Ockham insge-
beiden, conservatio und causatio, unerlässlich. Sie lautet (Rep. II, q. 12–13 OT V p. 259 lin. 15f):
„obiectum sit debito modo approximatum, in certa distantia existens.“ Auch für den Fall der
conservatio gilt so noch die Voraussetzung, dass naturaliter die Nähe des obiectum nach Zeit
und Ort anzunehmen sei. Daraus kann induktiv geschlossen werden: (ib. lin. 16–18): „ideo
non possum iudicare illud quod cognoscitur naturaliter intuitive nisi obiectum sit praesens.“
Wenn Gott mir per potentiam suam supranaturaliter loquendo die Kenntnis eines maxime re-
motum obiectum verursacht (ib. p. 258 lin. 20–23): „puta si deus causaret in me cognitionem de
aliquo obiecto existente Romae“), gilt ebenfalls noch (!), dass ich über die existentia (praesen-
tia) des sehr entfernten Gegenstandes urteile (ib.) „sicut si illa cognitio haberetur naturaliter.“
Die „notitia intuitiva intellectiva sufficit ad iudicium tamquam causa proxima.“ So Ord. Prol.
q. 1 p. 27 lin. 5f. Das gilt pro forma cognitionis. Die Definition der notitia intuitiva ist es, die
vom göttlichen Eingriff her, der nur ex accidenti verfügend zu denken ist, wenn die Definition
oder ihr ‘Gegenstand’, die notitia intuitiva intellectiva nämlich, selbstredend nicht angetastet
werden kann. Auch die Wirksamkeit des habitus in intellectu hebt nicht die naturale kausale
Relation zu dem, was der intellectus erkennt, auf. Ockham spricht von notitia intuitiva intellecti
va; nicht von sinnlicher Wahrnehmung, nicht von Entrückung (raptus), nicht von Täuschung,
nicht von irgendeiner Absicht Gottes, nicht vom Deus fallax, nicht von Durchbrechung der lex
communis, nicht von Wunder. Er sagt lediglich: die notitia intuitiva intellectiva, aus sich selbst
verstanden, ist mit Urteilen kompatibel, die res extra nos gelten, doch deren Existenz als reale
nicht enthalten. Es gibt gar keinen Grund sie zu fordern. Begrifflich gesehen ‘est nulla ratio ut
res sit in facto’. Noch Gottes supranaturaler Eingriff kommt dem naturaliter Erlebbaren gleich:
dem secundum legem communem Erfahrbaren. Der Begriff notitia intuitiva intellectiva ist se
cundum argumentum definit. Ohne argumentum ist er inhaltlich unverstanden; der natural
entstandene oder belegte (reflexive) Begriff kann nur als durch seine ratio in seiner Identität
bestimmter verwendet werden. Hier muss und kann er nie als im Sinn der naturalen Genesis er
klärbar zugrundegelegt werden. Im Nominalismus müssen die Akte, darunter Begriffe, die res
bezeichnen, wie sie bereits vorgegeben sind, doch nochmals für und durch die Argumentation
gesetzt werden, die auch wieder von Erfahrungen zeugt und sie einbegreift. In der Ed. Rep. II,
q. 12–13 OT V p. 259 lin. 19 – p. 260 lin. 25 noch der andere Fall, dass der viator per notitiam
intuitivam erkennt (iudicat), dass ein Objekt nicht gegeben sei, wozu die notitia intuitiva per
Deum supranaturaliter konserviert worden sein muss. Es ist aber die natural bewirkte notitia
intuitiva.
134. Die Singularität einer menschlichen Einzelperson und die singularitas rei extra animam
könnten für Ockham nicht Modelle oder Anhaltspunkte in dem Sinne sein, dass sie gemein-
sam Widerständigkeit oder Unabhängigkeit von intentionaler Vereinheitlichung wären und
ein Motiv in Ockhams Denken abgäben. Es könnte nur als phantasma in Ockham gegriffen
haben und dann nichts besagen. Wir sind nicht ausnehmend Dinge. Wir haben einen Ver-
stand und eine anima, die von der Seite der Materie und der Natur aus nicht absolut = absolut
nicht erreichbar sind. Ockham instituiert eine Vernunft, die zwar als generell menschliche zu
gelten hat, aber nicht kenntlich aus der menschlichen Natur des Individuums erklärt werden
Kapitel 5. Aus dem Innern Gottes 257
samt auf dem Wege zu einer natürlichen Theologie ist, so auch in dem erweiterten
Sinne, dass was theologisch auf Grund der ‘denktheoretisch’ angewandten Prinzipien
gilt, analog auch bezüglich der Natur zu gelten hat.135 Es ist natürlich eine Frage, ob
dann wenn eine Deduktion im quasi noch naiven Sinn à la Scotus unsere Wissen-
schaft von Gott ermitteln und darstellen können sollte, überhaupt von einer natür-
lichen Theologie zu sprechen wäre. Denn letzten Endes wäre die Deduktion selbst,
wenn sie denn so angenommen werden können soll,136 gegenüber Inhalten neutral.
kann; dazu ist sie zu sehr methodisch verfasst und erst zu erwerben. Das stellt einen gewissen
Widerspruch dar. Diesen Widerspruch muss die Methode selbst überwinden (desavouieren).
Vom intellectus aus können wir den absoluten Anspruch und dessen absolute Stelle begrün
den, nicht seine Differenz (Distanz) zu Natur und Materie angeben. In der Neuzeit wird das
mit dem anderen genealogischen Aufbau anders gesehen und behauptet, aber mutmaßlich nie
ausgewiesen.
135. Das Omnipotenzprinzip wird hier selbst naturalisierend in den Bereichen der Trinität
angewandt, etwa was die assumptio naturae humane angeht Rep. II, q. 1 OT V p. 15 lin. 3–8; aber
das gilt ebenso für andere Prinzipien, wie z. B. dieses ib. p. 14 lin. 20 – p. 15 lin. 3: „Sed necesse
est ponere aliquos respectus qui formaliter non pertinent ad aliquod genus. Cuius ratio est quia
impossibile est quod extrema alicuius contradictionis successive verificentur de aliquo, nisi
propter mutationem alicuius positivi, absoluti vel respectivi (grammatisch-logische Deutungen
vorbehalten).“ Dann aber eben auch in den Bereichen physischer Erfahrung, der Naturlehre.
Das ist insofern schlüssig, als Ockham, wie nicht zuletzt in Kap. 4: Fides et scientia gezeigt,
anhand und bezüglich der Empirie für die Theologie (bei Ockham die Bestimmung der theolo-
gischen Sätze), die ontologischen bzw. mit den ontologischen Terminologien aufgebauten Sätze
korrigiert. Überdies kann eine consequentia, deren antecedens Gott betrifft, deren consequens
aber innerweltlich gelten muss (etwa dass ‘ich’ exklusiv ‘hienieden’ sündige!), im Sinne der cau-
satio consequentis (des Satzes wohlgemerkt), von Gott zur creatura übergehen und beide so
verbinden. Gott betrifft meine Sünde nicht, außer dass er per Gebot und Verbot sie zur Sünde
deklarierte; sonst bindet sie ihn nicht. Sie geht ihn also inhaltlich im Sinne eines determinat
auf ihn anwendbaren Satzes gar nichts an. Analog auch nicht in persona. Wie andere, Anselm
von Canterbury oder Luther, den Betreff ‘meiner’ Sünde in Gott wirklich denken wollen, steht
dahin. Dass Gott davon (in seiner Ehre!) ‘verletzt’ oder ‘erzürnt’ worden sei, erklärt nichts und
folgt menschlichen sozietären Mustern. Die unbekannte Genese der Empfindung in Gott ist
der unbekannten Genese des religiösen Empfindens im Menschen ‘korreliert’, seiner Bedürf-
tigkeit und Bereitschaft, Gott die Ehre zu geben. Dass er das tun müsse, ist in der zivilisierteren
Welt eigentlich unbegreiflich, in die hinein Luther seine Reformation vollstreckt. Das Religiöse,
von der Kosmogonie gelöst, gewann niemals mehr Verständlichkeit.
136. Das eben ist nach den berühmten grundlagentheoretischen Ergebnissen von Löwenheim
und Skolem (Paradox von L. und S.) so wie Gödel schon zweifelhaft. Wenn die theologischen
Aussagen, an sich oder vermischt mit anderen, ableitbar wären, wie es bei Duns Scotus der
Fall sein soll, würde die Bestimmung der Teile dieser Aussagen schwierig, entsprechend auch
die Bestimmung der Wahrheit und Geltung nach diesen Teilen; über sie aber geht Ockham
vor. Je übernimmt (und erhält) ein charakterisierbares (abhängiges) Element den Wider
spruchscharakter. Das Wunder ist, dass hier noch bewiesen (argumentiert) werden kann. Es
bedeutet äquivalent, dass die Argumentation eine Synthese der Ausdrucksformen nach deren
258 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Bestimmung erlaubt (‘enthält’). ‘Definitheit’ für Begriffe und für Sätze ist damit zugleich einge-
schlossen. ‘Definitheit’ wurde zuerst für Sätze in Axiomensystemen von E. Zermelo, Über die
Grundlagen der Mengenlehre, Mathematische Annalen lxv, 1908 gebraucht. Hiernach hat Th.
Skolem, Einige Bemerkungen zur axiomatischen Begründung der Mengenlehre, 1923, Abdr. in
Th. Skolem, Selected Works on Logik (ed. J. E. Fenstad), 1970 grundlegend das oben genannte
Paradox gewonnen.
137. So wie Ockham auch eine andere Welt denken kann als unsere secundum legem com-
munem. Ob sie einen besseren Aufstieg zu Gott böte oder gar keinen, muss dahinstehen. Gott
könnte ‘uns’ mit dieser anderen Welt andere Begriffe gegeben haben (bzw. gar keine oder ein
anderes Medium!); sie müssten dann auch jene Welt einsichtig machen können, bzw. einsich-
tiger als es die unsere ist; aber auch das ist damit noch nicht sicher. Cf. A. Goddù, 1984 mit be-
sonderem Bezug auf die Frage, ob Gott dann die species und die ordines habe ändern können
oder nicht; die Frage scheint nicht umfassend genug gestellt zu sein. Denn selbstverständlich
müssten species und ordo als Begriffe dann aus unseren Kontexten secundum legem commu
nem herausgelöst werden. Das geschieht aber bei Ockham nach dessen Beweismodi im Sinne
des Erlöschens der ‘normalen’ Logik. Bei Ockham liegt keinerlei semantisches Interesse vor,
weder analog dem Begriff der species, noch in dessen Sinn oder aliquomodo bezüglich seiner;
dasselbe gälte für den Begriff ‘ordo’, den Scotus ja über die ‘species’ aufbaute.
138. Mit insgesamt negativer Bewertung Ockhams W. Dettloff, 1963. Er wirft Ockham rein
logisches Verfahren ohne tieferes theologisches Sachinteresse und unschöpferische Wieder-
holung schon bekannter Ansichten vor. Aber Ockhams auxiliärer Gebrauch ontologischer Be-
griffe, die formell mit negativen Beweisverfahren verbunden sind, führt zum Erlöschen der
normalen oder formalen Logik, wie wir sie kennen.
139. Duns Scotus und Spinoza hätten operiert (zu operieren begonnen), ohne ihn zu haben.
Ockham zweifelt sogar oder gesteht den Zweifel zu, dass mit der notitia incomplexa von Gott,
d. h. dem entsprechenden Begriff oder Namen (sic!) Gottes, noch keine Gewissheit von seiner
Existenz verbunden sei: jemand könnte zweifeln, dass Gott möglich oder existent sei, weil der
Begriff so einen Widerspruch einzuschließen vermöchte. Er weiß er es nicht durch irgendeine
Deduktion. Ord. d. 2. q. 9 OT II p. 313 lin. 8–12: „Sed viator intelligens Deum notitia incom
plexa, quantum est possibile viatori, potest dubitare an includat contradictionem, quia potest
dubitare an includat contradictionem Deum esse, etiam quod firmiter credat quod nihil est
impossibile esse nisi includens contradictionem.“ Dies muss nach Ockham zusätzlich und ei-
gens geglaubt (sic!)werden! Ockham hat aber in der notitia intuitiva ein determinates Prinzip
der empirischen Erkenntnis (ihrer Relevanz) angenommen. Aus ihr kann entsprechend nicht
gefolgert werden und ebenso reflexiv nicht für sie (und gegen sie!).
Kapitel 5. Aus dem Innern Gottes 259
erheben sich leicht und legitim ‘Evidenzen’ (assensus), die weniger gesichert sind,
und über allen entstehen und erheben sich wieder habitus.140
140. Quaestiones variae q. 5 O T VIII p. 188 lin. 681 – p. 189 lin. 693: „evidentia non est nisi
notitia causata aliquo praedictorum trium modorum: vel ex terminis quocumque modo co-
gnitis sicut in propositione per se nota, vel ex terminis intuitive cognitis sicut in propositione
contingente evidenter nota, vel ex notitia praemissae vel praemissarum evidenter notarum, vel
aliquo alia modo consimili. Et in omnibus istis patet quod evidentia in actu assentiendi non
distinguitur ab ipso actu, sed distinguitur sicut superius et inferius. Quia sequitur ‘evidenter as-
sentit, igitur assentit’ sed non e converso, quia aliquis potest naturaliter firmiter et certitudina-
liter assentire alicui complexo sine omni evidentia.“ So kann eine conclusio bewiesen werden.
Es bestehe dann eine ‘Evidenz’ und Glaube an die Wahrheit der bewiesenen conclusio. Dabei
entstehe (p. 190 lin. 2f) „forte aliquis habitus iudicativus quo evidenter cognoscit se scivisse
demonstrare eam quando demonstravit.“ Die Argumentation indes hat keinen geschlossenen
formalen Charakter; sie ‘ermittelt’ nicht, sie verlangt inhaltliche Vorwegnahmen und mutet so
bloß behauptend an. Verfuhr der Ord. Prol. konstruierend, müssen nun dessen Ergebnisse in
haltlich mitgedacht werden. Der „Schluss“ ‘evidenter assentit, igitur assentit’, wird durch Appell
(„sicut superius et inferius“) „gestützt“; das antecedens cum determinatione soll allgemeiner
und zudem empirisch besser gegründet sein als der Folgesatz. Der unauthentische Diskurs läuft
auf eine petitio principii hinaus: der assensus sei evidentia. Wie nur?
kapitel 6
Ockham fasst die res extra animam strictissime als res singularis auf. Sie muss da-
her in sich aus förmlich gleichen Teilen bestehen (quasi indistinkt zusammengesetzt
sein), in Sonderheit auch soweit die Abstraktion der Begriffe, in denen das Denken
vonstatten geht, stattfinden soll. Die Abstraktion setzt bei jedem in sich allgemein
heitsfähigen Bestandteil ein und an: „Si dicas quod unum individuum per se in gene-
re non potest componi ex pluribus exsistentibus per se in genere, respondeo: verum
est ex pluribus totaliter distinctis non facientibus per se unum.“ Es wird so bereits die
distinctio realis vorausgesetzt. „Sed si faciant per se unum, et sint eiusdem rationis,
tunc est falsum, quia ita potest conceptus generis abstrahi et praedicari de toto com
posito ex illis individuis pluribus sicut de qualibet parte.“ Die Abstraktion findet über
per se individuellen Gegenständen (singularia) statt. „Quando aliqua sunt eiusdem
rationis, si unum est factibile per se per potentiam divinam, et aliud. Et istae realitates
sunt huiusmodi, et prima est factibilis per se sine alia, tamen per Deum sed non per
naturam.“ Auch müsste beachtet werden, dass was in der Natur gemacht ist, also in
der Realität auftritt, nicht anders sein kann, weil es damit der gesetzten Schöpfung
. Das unterscheidet res extra animam und universale (= conceptus) cf. Ord. d. 2, q. 6 OT II
p. 179 lin. 25 – p. 180 lin. 3 „igitur nulla res est realiter communis pluribus; igitur nulla res est
universalis quocumque modo (Sache und universale). … quia per hoc distinguitur universale
a singulari, quod singulare est determinatum ad unum, universale autem est indifferens ad mul
ta, illo modo quo est universale.“ Die reale Verwendung des universale für die ‘vielen Dinge’
ist dabei nicht ausgeschlossen. Cf. p. 179 lin. 24: „/§ vel saltem potest esse realiter commune
pluribus §/, freilich nicht: ‘in pluribus’. Damit kann für das universale nicht gelten, was für das
reale extra animam gilt (cf. W 1495 ib. F): „realiter non est aliqua unitas nisi unitas singularis“
(entfällt kommentarlos Ed.).
. Ockham sagt SL I c. 19 OP I p. 66 lin. 6–9: „Et est sciendum primo quod apud logicos ista
nomina convertibilia sunt: ‘individuum’, ‘singulare’, ‘suppositum’ quamvis apud theologos ‘indiv
iduum’ et ‘suppositum’ non convertuntur, quia apud eos suppositum non est nisi substantia,
accidens autem est individuum.“
. Rep. III, q. 8 OT VI p. 239 lin. 16–22.
. Ib. p. 239 lin. 24 – p. 240 lin. 4. NB. Text geändert und markiert nach W 1495!
. Die Abstraktion setzt quasi einen Mengenbegriff voraus; dieser ist aber nicht derjenige,
der mit der Abstraktion selbst oder deren Ergebnis, sc. dem Begriff (universale) zusammenfie-
le oder identisch wäre. Das ist es, was gegen den vermeintlichen Extensionalismus Ockhams
262 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
widerspräche, die ja bereits aus der Hand Gottes hervorgegangen ist. Was innerhalb
dieser Schöpfung anders zu sein hätte, würde mit den aus dieser Schöpfung entnom-
menen Begriffen logisch gar nicht entwickelt werden können. „Igitur Deus potest
facere secundam sine prima.“ Gott macht es nicht innerhalb der Kausalordnung und
Kontingenz. Er macht es per potentiam divinam absolutam supranaturaliter loquen
do; dafür kann dann auch gesagt werden per argumentationem. Es entspricht der
distinctio formalis: „Ideo teneo opinionem quam prius tenui quam iste (P. Aureoli)
tenet, licet eam improbet, quod sunt duae realitates eiusdem rationis facientes per se
unum quarum una potest esse et intelligi sine altera etc. Si dicas quod ista distinctio
non intelligitur nisi per argumentationem, dico quod licet de facto non potest perci-
pi nec discerni distinctio illarum realitatum nisi per argumentationem, tamen Deus
potest facere quod una realitas intuitive videatur sine alia.“ Es müsste also sein, dass
die reale intuitive Erkenntnis neben und unterhalb der abstraktiven möglich sei. Die
Abstraktion und die notitia intuitiva widersprechen sich aber in diesem Sinne. Es gibt
damit auch keinen Beweis bzw. kein Argument, das auf der Stufe der Abstraktion,
i.e. der direkten Fassung der Inhalte im actus apprehensivus die reale Geltung – ein-
deutig- behaupten könnte. Damit ist diese Eindeutigkeit (Definitheit) der Zielpunkt,
nicht die reale Geltung – in se. In der analytischen Argumentationsart des Duns
Scotus muss identisch beides angenommen und unterstellt werden. Ockham, der mit
(seiner Theorie) der Abstraktion deren Begründung über eine Vielzahl von Argu-
mentationen und Argumenten (reprobationes), also in der Weise wie er sie einführt
+/= handhabt, anders „löst“ bzw. vermeidet, gewinnt eindeutigere Positionen mit den
von ihm eingeführten nur ‘abstrakten’ Größen: actus, actus apprehensivus usw.
spricht (cf. J. Pinborg, 1972) spricht, der also von Ockham ex operatione sive ex fundamento
argumenti ausgeschlossen wird.
. Es gilt also auch: „adveniens potest fieri per deum – sed non per naturam.“ Damit zeigt
sich, dass die Abstraktion aliquomodo über dem accidens stattfindet, das ein negatives Moment
gegenüber der Realität (oder – ontologisch – in ihr) bezeichnet und mit der distinctio realis
eigentlich das Fundament bietet. Die res sind somit auch vermöge oder über die accidentia
nicht eigentlich verbindbar (relatae); an dieser Stelle findet dann auch die potentielle Abän-
derung der Weltwirklichkeit oder ihrer Wahrnehmbarkeit per potentiam divinam absolutam
statt, besser noch secundum potentiam divinam absolutam supranaturaliter loquendo; denn
mit der distinctio realis unter essentiae oder res absolutae respektive absoluta wird die Welt
per potentiam divinam absolutam nicht eigentlich verändert, sondern gerade einmal partiell
unterdrückt, suspendiert. So sagt Ockham denn: secundum potentiam divinam absolutam na-
turaliter loquendo.
. Ib. p. 242 lin. 9–17.
. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Synthesis der Aktbegriffe quasi nie vollendet ist,
vielmehr mit weiteren Argumentationen, worin Zweifelsfälle (Einwände) ausgeräumt werden,
vollendet werden muss. s. Kap. 12.
Kapitel 6. Theologie und Logikbegriff 263
Insgesamt aber bleibt die Zahl der Akte, die durch die Überformung mit weiteren
Bestimmungen, die darin Nochmöglichkeiten, i.e. Nebenmöglichkeiten, Kompatibi-
litäten, bezeichnen, in sich begrenzt; aber die der Kompatibilitäten, die sich ergeben
können, ist formell, je von der Induktion abhängig, nicht so begrenzbar. Ebenso wer-
den die Lösungen, die Ockham für die Gültigkeit von Sätzen veranschlagt, wenn man
nicht grundsätzliche Typen annimmt, die dann wiederum formell durch Induktion
für die Inhaltlichkeit und in deren Namen gesichert werden können, diskontinuier-
lich erscheinen. Von der Stufe der Abstraktion aus kommt man nicht wieder zu einer
in se als realistisch in realitate zu denkenden Konkretion. Die einzelnen Erkenntnisak
te, sofern sie ausgezeichnet sind, schaffen nicht Kontinuität in einer Gesamtheit von
Erkenntnissen, so dass sie sie auch begründen könnten. Indes betreffen sie reflexiv
selbst Erkenntnis. Gehen wir aber von der Ebene oder Stufe der Akte und den Zutei-
lungen, die sie nach Subjekten (Gott, Mensch, Engel, beatus) erfahren können, über
zu den Inhalten strictissime verstanden, so nähern wir uns den mittelalterlichen Mo-
tiven in dem Sinne, dass deren Schnittpunkt theologisch das Verhältnis des Schöp
fergottes zu dem Erlösergott sein musste – im Sinne eines Bruches der Logik und
inhaltlich nicht einheitlich, nicht glatt.10 Ein solches Motiv mag dann dem inhaltli-
chen Ausdruck in der scholastischen Theologie und Theorie – bis zum Grade der Pa-
radoxie – immer fern stehen.11 Man musste über die Theorie hinaus in deren Struktur,
in die Gesamtheit der Konstellation dessen was argumentativ und in der Erörterung
möglich war, vordringen können.12
. Während das Ökonomieprinzip von Ockham eingesetzt wird, um die multiplicatio entium
oder entitatum aufzuhalten, werden hier zahlreiche untereinander kompatible Erkenntnisar
ten und womöglich zuzugestehende Einsichten denkbar. Sie werden aber nicht ‘abgeleitet’, son
dern induktiv oder per persuasio präsentiert. De Gandillac glaubt, dass das Ökonomieprinzip
argumentativ dem Omnipotenzprinzip beitrete, indes zur Bestätigung oder Vermehrung der
Wunder. Das Omnipotenzprinzip steht aber eher auf der Seite der persuasio. Potest persuaderi
per potentiam divinam ist ausdrücklich als Formel vorfindlich. Also ist dieses Prinzip darin be
grenzt und verhilft zu determinaten Annahmen und Aussagen etc.
10. Widerspruch, Kontingenz und Weltgeschehen oder Weltauslegung, bzw. Christologie (und
Trinitätslehre), fallen erst an dieser Stelle – problematisch – zusammen.
11. Bei Anselm von Canterbury sind Welt und Mittel in der Welt kontingent, die Rationalität,
die aber für Gott gefordert und implizit a parte Dei gedacht wird, soll formell durch Notwen
digkeit bestimmt sein; in dem Sinne sollen die rationes (Gottes) als inhaltlich zulängliche iden-
tifiziert werden können; erst dann schließen sie.
12. Hier kann fast jeder beliebige Text zum Beleg dienen. Cf. etwa H. Theissing, 1970 p. 310
lin. 17–22 mit der dort von Robert Cowton wiedergegebenen opinio: „Probo conclusionem,
quia supposito huius significato, sequitur statim, quod Deus est, et ultra, si Deus est, sum-
me est, et si summe, omne aliud est participatione sui esse. Ex quibus concludimus eum ultra
esse trinum et unum, quae in propria ratione sui non includunt aliquam rationem practicam,
sed pure speculativam. Falsum est ergo, quod de ipso non possit haberi notitia speculativa.“
Es wird eine Art Induktion auf der Basis des analytischen Argumentierens und Beweisens
264 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Ockham lässt ‘methodologisch’ die Fixierung von Sätzen zu, die von Gott und
seinem Handeln gelten können oder sollen, er lässt auch eine Erkenntnis Gottes, der
divina essentia, zu, in der die beati oder die angeli womöglich ihre eigenen media
cognitionis haben, aber vermengt die Stufen oder Ebenen nicht.13 Allenfalls nähert
er sich methodologisch Gott an, aber mit Bezug auf den Menschen, und in der aus
schließlichen Bindung an diesen. Er tut es im Rahmen möglicher Induktionen, mit
denen er sein Leitmedium, den actus apprehensivus, schafft bzw. bezüglich der dar-
in vorfindlichen actus oder notitiae ausgestaltet. Er begrenzt sich auch beim Blick
punkt auf ‘Gott’ auf den faktischen Menschenstandpunkt. Der Standpunkt Gott (oder
Gottes) wird von Ockham nicht absolut genommen; er wird es auch nicht faktisch
nach einem Inhalt, den Gott dächte; er wird nicht secundum potentiam Dei einge
nommen; er wird nur als ein äußerer Zielpunkt in Richtung oder Bezug auf die Ar
gumentation gesetzt.14 Die actus oder notitiae, die induktiv in ihren Verhältnissen
qua Negation allgemeiner, vereinheitlichender, auch lehrmäßig apologetischer An-
sichten zerteilt und zerstückelt werden, sind damit immer nur apprehensiv, nur in-
tensional gefasst. Es gibt keine vereinheitlichten (durchgängige) kausale Strukturen,
sondern nur casus mit Betonung der Kontingenz und mit diesen casus de facto im
Wortsinn ‘Zerfällungen’. Das Omnipotenzprinzip fungiert als Modus zwischen Not
wendigkeit und Kontingenz, nicht nur in Fragen der realen Kausalität, sie benutzend
und auf sie zielend, wobei mentale Erscheinungen und psychologische Verhältnisse
(bei den Akten) einbezogen werden, sondern auch bezüglich der Wertung von Sät
zen (und deren Begriffen) in intensionaler Hinsicht, so in dem folgenden Beispiel:15
„Et ista (propositio) est necessaria secundum intentionem Philosophi (nämlich der
Satz: ‘luna deficit quando sic opponitur soli’), quamvis non secundum veritatem,
vorgenommen. Der analytische Beweis schließt etwas aus, was die Grundlage der Abstraktion
wird. Der Text entfernt express, will man ihn billigen oder nicht, Gott und Theologie aus der
Sphäre des Menschen. Denn mit ihm sind wir zwangsläufig und unbestreitbar auf der Ebene
der Abstraktion.
13. Daher ist es auch immer noch möglich, dass Gott Sätze, die wir haben, nicht hat; das ist
dann kein Mangel im Sinne eines Vergleichs, sondern logisch im Sinne der Sätze, die wir im
Stande der Unterlegenheit pro statu isto haben. Wir haben unsere Sätze und in ihnen bezüglich
ihrer unsere Erkenntnisse; was wir von Gott sagen, ist dann mit ihnen vereinbar.
14. Wir können von Gott nicht wissen, was wir von der Welt nicht wissen können. Gott kann,
wo wir unser Nichtwissen bezeichnen, nicht handeln; doch wo wir Möglichkeiten annehmen,
die wir nicht wirklich ausfüllen können, kann er sehr wohl handeln, er hat hier fiktiv Freiräu
me. Wir können hier sein Handeln nicht durch unsere Erkenntnis erschließen, vielleicht nicht
einmal richtiggehend approximieren. Induktiv eröffnete Möglichkeiten können nicht sachlich
oder gesetzmäßig gegen die Welt durchgesetzt werden und somit auch nicht dieser eine Not
wendigkeit oktroyieren, wo diese Welt in der Kontingenz zu verharren hätte. Notwendigkeit
wäre so Gegenkontingenz. Was jede logische Gültigkeit und Signifikanz ausschlösse. Es gibt
Gott und den Menschen, zwischen denen zu vermitteln ist.
15. Prol. Ord. q. 4 OT I p. 157 lin. 6–8.
Kapitel 6. Theologie und Logikbegriff 265
16. Veritas und omnipotentia gehen also – wenigstens hier – zusammen, was der Vermutung,
Ockham habe theologische Spekulation gegen allgemeinen Weltsinn geltend machen wollen,
konträr ist. Wir operieren aber mit dem Omnipotenzprinzip selbst abstrakt, jedoch nicht aus-
nehmend empirisch und nicht im Sinne vorgegebener Ontologie, es sei denn, um sie erst be-
treffende falsche Auslegungen bezüglich ihrer, also eigentliche Erläuterungen, aufzuheben.
17. Um ‘Folgern’ in einem ausgewiesenen Sinne handelt es sich dann auch nicht mehr. Konse
quenterweise: denn der Folgerungs- oder Notwendigkeitsbezug muss vor der Abstraktion aus
geschieden und ausgeschlossen werden; sonst ginge er notwendig mit in die Abstraktion ein
und abstrakt und kontingent oder empirisch wären ununterscheidbar.
18. Cf. so auch Ord. Prol. q. 4 OT I p. 155 lin. 20 – p. 156 lin. 10: Man ‘könnte’ einen Begriff den-
ken, der die Erleuchtung des Mondes bedeutete und ‘determinate connotando solem’ keinen
anderen Planeten oder etwas anderes zu meinen hätte. „Tale praedicabile bene posset de luna
demonstrari“.
19. Wenn die Abstraktion für die Begriffe (deren Sätze mit einbeziehend) eingetreten ist – (die)
Abstraktion ist dabei ihrem Range nach als einhellige, generalisierte zu werten –, dann muss
grundlegend für sie und die Begriffe ein eigener Modus der Deduktion angesetzt werden, der
auch nicht mehr Verbindung oder Folgerungsbezug im Sinne der empirisch genommenen
Begriffe bedeuten darf. Ockham hatte hier bestimmte consequentiae als der Empirie genuin
entsprechend definiert und war dafür als Logiker von wenig Geblüt gescholten worden. Keinen
Unterschied zwischen Abstraktion und Empirie hinsichtlich der Erklärung der Begriffe, die
einen jeden davon auf die relatio zu anderen stützt, macht Walter Chatton, der nach Ockham
in Oxford die Sentenzen liest.
20. Bei Ockham dependiert alles (opinio, Beweisstruktur) aus der Emendierungspotenz der
Kontingenz.
266 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Disziplin hervorgehen ließen.21 Aber eben auch keine genuinen oder formierten
Schlüsse im Einzelnen. Alle genuinen Schlüsse wären dabei formierte. Ihre Erklärung
(qua Definition wie qua Begründung) kongruiert dabei mit dem Ausschluss (Negati-
on) falscher Schlüsse, die falsche Begründungen für sie zu enthalten hätten. Danach
sind die Sätze und die Schlüsse determinat.
Fälle empirischer Schlussweisen, die nicht vollgültig im abstrakten oder im all-
gemeinen Sinne sind, charakterisiert Ockham als demonstratio per causam extrin
secam22 und demonstratio particularis.23 Die demonstratio per causam extrinsecam
ergibt keinen vollgültigen Schluss „quia causa extrinseca rei24 est tantum causa rei in
esse in effectu; igitur non potest esse medium demonstrandi nisi concludendo ali-
quam differentiam temporis.“ Damit sind wir auf die Kontingenz verwiesen, ebenso
auf die Erfahrung.25 Ockham gibt als Vergleichsbeispiel: wenn man Gott als medium
in Beweisen einsetze, wo er doch causa extrinseca aller Dinge sei, ergebe das keinen
vollgültigen Schluss:26 „Similiter, aliter possent omnia demonstrari per Deum tam
quam per medium, quia est causa extrinseca tam efficiens quam finalis omnium. Sed
hoc est inconveniens.“ Die als demonstratio particularis (im Gegensatz zur demon-
stratio universalis) bestimmten Syllogismen sind in derselben Weise auf contingentia
21. Ockham, der Ord. Prol q. 1 OT I p. 9 lin. 13–15 Aristoteles zitiert und kommentiert: „et
Metaphysicae III (dicitur) ‘Posteriorum investigatio priorum est solutio dubitatorum’. Sic etiam
accipitur scientia quando dicitur liber Metaphysicae vel liber Physicorum esse una scientia“,
kann diese eine und einheitliche Wissenschaft nicht herstellen. Er betont die entsprechende
aristotelische Absicht. Ockham zerlegt ein solches Konzept in Teilaspekte, die er ad integrum
nicht mehr zusammenfügt. Kausalmechanische Deutungen lässt er weder im Verstand noch in
realitate zu; er löst Vorstellungen auf, worin beide parallel liefen. Sie gehörten einer Weltauffas-
sung an, für die sich Beweise nicht konzipieren und Maximen nicht verteidigen ließen. Danach
wäre sie falsch. Falsch hieße nicht beweisbar. Hier entsteht die Definitheit für die fraktionierten
Ansichten und ihre Bestandteile.
22. Prol. Ord. q. 4 OT I p. 155 lin. 11–14.
23. Ib. p. 154 lin. 7–19.
24. Entsprechend gelten die Forderungen nicht, die Autrecourt scholastischer Denkweise
und Beweistechnik entgegenhielt: nämlich eine absolute Wandelbarkeit aller Weltverhältnisse
quasi zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang in Rechnung zu stellen und implizit Au
trecourts Atomismus zum Maßstab zu machen. Der wäre damit als Gegenposition zum No
minalismus der Begriffe anzunehmen. Autrecourt ‘übernimmt’ abstrakte Begriffe und will zei
gen, dass sie leer seien. Derart müssen sie zugleich überempirisch sein. Die Funktionsbegriffe
Ockhams sind es. Sie korrespondieren Autrecourts Kritik und lösen sie auf.
25. Die Wirkung mag von der substantia oder vom accidens ausgehen, was, wie Ockham sagt,
per experientiam entschieden werde. Also, so kann man folgern, kann die experientia in se
nicht entschlüsselt werden: es kann nicht gesagt werden, was in se sie ausmache.
26. Prol. Ord. q. 4 OT I p. 155 lin. 14–16.
Kapitel 6. Theologie und Logikbegriff 267
bezogen.27 In ihnen wird für die conclusio kein ‘semper inesse praedicati in subiecto’
gefolgert, sondern dieses „inesse“, das Ockham bei der Beschreibung der contingentia
(propositiones contingentes) angibt, aber von ontologischen Ausdeutungen in betont
realistischer Manier erklärtermaßen freihält, gilt nur „pro aliquo tempore determina-
to“.28 Es gilt dann wieder, dass die Erfahrung über die Einsicht und den Wahrheits-
gewinn entscheidet, nicht absolut die demonstratio:29 „per nullam demonstrationem
concluditur quod luna est eclipsabilis, quia ista (propositio) non potest sciri nisi per
experientiam, sicut non potest sciri nisi per experientiam quod luna est illuminabilis
a sole. Sed postquam ista est scita per experientiam, demonstratur quod tale tempore
vel tali eclipsabatur, sic arguendo: quandocumque terra interponitur inter solem et
lunam tunc luna eclipsabatur; sed quandocumque sol est in tali situ et luna in tali tunc
terra interponitur inter solem et lunam; ergo tunc luna eclipsabatur.“ Gewiss liegt
auch hier im Obersatz (Major) eine Verallgemeinerung vor und doch führt sie nicht
aus sich zu einem ungebrochen allgemeinen Befund in der conclusio. Es ist davon
abhängig, dass die Aussage und dann der Syllogismus nicht kategorisch ist, sondern
hypothetisch. Er enthält eine ‘determinatio conditionalis vel temporalis’. So denn auch
Ockham:30 „Et communiter tales demonstrationes, si sint (sic!) ex simpliciter necessa
riis, sicut hypotheticae, condicionales vel temporales, non categoricae.“31
Dass Ockham kein ‘a priori’ aufbaut oder auch nur voraussetzt, kann bewiesen
werden, da er das ‘a priori’ mit dem ‘principium per se notum’ identifiziert,32 die-
se Erkenntnis aber nicht für die einzige anerkannte und legitime hält und seine Er
kenntnistheorie generell nicht über die propositio per se nota aufbaut. Sie hat eher
eine Randexistenz.33 Deutlich:34 „Non sunt idem… ‘principia prima’ et ‘principia per
se nota’.“ Dabei gibt Ockham zu, dass (eine) scientia, die aus einer anderen notitia
complexa entstehen muss, unvollkommen sei. Sie sei weniger vollkommen als die
notitia intuitiva, die auch Gott einzig habe:35 „concedo quod intellectus divinus non
habet scientiam sic stricte sumptam“ – nämlich eine scientia, die aus einem Beweis
hervorgehend gewiss geworden sei, nachdem sie zuvor bezweifelt wurde. „Nec ista sci
entia dicit perfectionem simpliciter sed includit imperfectionem, scilicet quod sit nata
produci ab alia notitia complexa.“ Sie geht also aus einem anderen Satz hervor. Über
diesen Satz in sich wird damit noch nichts gesagt. Gott kann natürlich immer nur eine
in actu vollkommene Erkenntnis haben und muss daher schon und ausschließlich
eine notitia intuitiva haben.
Aber auch die notitia intuitiva ist damit noch nicht in sich als vollkommen aus-
gegeben. Ein terminus, der wie notitia intuitiva, nicht analytisch ausgelegt werden
kann, sondern vielmehr dem entgegen durch seine ‘ratio’ bestimmt wird, kann auch
nur partikular per inductionem angewandt, d. h. in Funktion gesetzt werden. Diese
überstreicht abstrakt Fälle, die im Sinne einer implicatio dann negativ, i.e. als nicht
widersprechend dargestellt und integriert werden müssen. Eine solche Abstraktion,
die im Sinne einer ‘ratio’ kodifiziert wird, setzt keine essentialistische Tautologie, wie
das Vignaux glauben wollte, sondern sie wird im Sinne von Nichtwidersprechendheit
ausgelegt und eben damit entwickelt oder „expliziert“. Äquivalent gilt dann auch
eine persuasio eingeleitet mit: ‘non est maior ratio’, ‘non est inconveniens’ und weitere
Autrecourts Skeptizismus, der zum anderen Teil für ihn auch auf dem Zweifel an der wirklichen
Gewissheit der scheinbar evidenten Ansichten und Annahmen beruht. Er kennt und anerkennt
damit aber keine Induktion. Insofern er an dem Wert sowohl des sinnlichen wie eines jeden
geistigen (intellektualen) Datums zweifelt, könnte für ihn der Vergleich mit Hume angenom-
men werden; insofern Hume gerade an die Induktion als Vermittlung haltbarer ‘Erkenntnisse’
glaubte, weniger. Autrecourt zweifelt an jeder Evidenz, wie sie im Bewusstsein vorkommen
könnte.
32. Ord. Prol. q. 2 OT I p. 84 lin. 7–11.
33. In dem Sinne beweist er ja mit Hilfe der propositio per se nota gegen Thomas von Aquin, in
dem er der propositio per se nota die Funktion eines defizienten „Restgliedes“ zuweist, mit dem
eine affinempirische, aber nicht ‘erfüllte’ (bewiesene) Qualität behauptet wird. Es wird was hier
für die propositio per se nota gesetzt wird, die Identität und Nähe der s und P, weil und wie es
nicht bewiesen werden kann, für keinen anderen Satztypus (mehr) übernommen. So induziert
Ockham.
34. Ord. Prol. q. 2 OT I p. 87 lin. 17f.
35. Ib. p. 83 lin. 13–16.
Kapitel 6. Theologie und Logikbegriff 269
zusammen. Das ist laut dem Gebot der Definitheit unmöglich. Es könnte stets falla-
ciae geben und zwar auf der Stufe der empirischen Aussagen wie der reflexiven der
Erkenntnistheorie, Wissenschaftslehre und bei den Konsequenzen. Unterschiedene
casus stellen da implizit abgefasste Modi in der Bezeichnung der Begriffe entspre
chend der Integration in den Satz und mit Bezug auf die Realität extra animam dar.
Diese Modi können sich nicht widersprechen. Modalisierung überhaupt bedeutet bei
Ockham: Vermeidung oder Umgehung des Widerspruchs, anders: Widersprüche qua
Rekognoszierung der Inhalte entfallen. Da die Modi differentiell in der Induktion
elaboriert wurden, können sie auch aus diesem zweiten Grund sich nicht widerspre
chen. Die Verbindung der Modi zur Induktion aber beruht darauf, dass wir in dieser
den Widerspruch auch aktiv ausschalten.
Ockhams Erörterungen zeigen: Die Kontingenz kann die Notwendigkeit nicht
in sich enthalten und eben auch nicht über das Medium der Begriffe, Sätze, Be
weisführungen etc. Ebenso kann (die) Notwendigkeit nicht in diese eingehen oder
eindringen, indem sie über (höhere, übergeordnete) ‘Begriffe’ bestimmt würde oder
bestimmt wäre, so dass sie dann für die Sätze, Begriffe, Schlussfolgerungen allgemein
sich ergäbe. Also in der Reflexion auf die Erkenntnis- und Satzformen des menschli-
chen Verstandes. Förmlich muss diese Erörterung immer das analytische Schlussfol-
gern ausschließen, weil darin die Folgerung auch über individua, singulär fixierten
accidentia gelten müsste.38
über accidentia wahrnehmen. Die notitia intuitiva kann ‘abstraktiv’ bezüglich der significatio
abgetrennt werden (Prol. Ord. q. 1 OT I p. 70 lin. 16–18): „forte non est inconveniens quod res
intuitive videtur et tamen quod intellectus iste credat rem non esse, quamvis naturaliter hoc
non potest fieri.“ Die res extra ist definitorisch nicht in der ratio der notitia intuitiva mitge
geben (= intensional eingeschlossen) (cf. ib. 18–20). Die notitia intuitiva und die res trennt eine
distinctio realis. Die notitia intuitiva steht für die notitia abstractiva als Index, der die Implika
tion ersetzt. Das Verhältnis von notitia abstractiva und notitia intuitiva entspricht der Umkeh
rung der Folgerung, wie wir sie auch beim Verhältnis von Erkenntnis und praxis usw. finden.
Die Vermischung von notitia abstractiva und notitia intuitiva bei Duns Scotus, Nikolaus von
Autrecourt, Chatton, Gregor von Rimini ist nicht zwingend zu begründen und widerlogisch.
Auch Relationsbegriffe sind nicht identisch mit quidditativen zu begründen oder zu verstehen.
Die scholastische Keimbahn bezeichnet sich in der Identifizierung der Akte mit dem Vermö-
gen, was a limine eine Distanzierung des aristotelischen Adäquatheitsprinzips bedeutet; doch
ward es reklamiert. Als ‘Definition von Wahrheit’ (A. Tarski) übersteht es nicht den Abbau von
Logik und Ontologie. Es gibt dann nurmehr keinen zureichenden Grund gegen die Wahrheits-
geltung. Ein Einwand ist solange unmöglich, wie er anscheinend nicht konzipiert werden kann.
Das ist natürlich kein Beweis.
38. Das behandelt Ockham in Sonderheit an der oben zuletzt zitierten Stelle.
Kapitel 6. Theologie und Logikbegriff 271
haben wir auch nicht vermöge eines übernatürlichen Eingriffs eine Abänderung zu
erfahren. Deren Idee gehört der Abstraktion an. So lauten Ockhams Thesen. Seine
Untersuchungen sind möglich, indem es nie um Wahrheit als Leitidee oder begleitend
eingeschlossenen (= eingeschlossenen) Faktor geht. Es kann hier nicht den analyti
schen Folgerungsmodus als leitenden geben.43 Wie Ockham diese Struktur fand oder
erfand, lässt sich nicht leicht sagen.44 Duns Scotus und Ockham deuteten die Potenz
Elementes in etwas zu deuten, das (intensional oder extensional) ein Größeres oder Ganzes zu
vertreten hätte. Dem widerspricht die Suppositionslogik und dagegen tritt technisch und dem
Begriff nach Supposition auf. (Die) Evidenz tritt weder in Form der notitia intuitiva noch des
kontingenten Satzes oder in der einer Erfahrungsmaxime bei Ockham als in sich erfüllt auf. So
auch dort, wo das obiectum extra animam für die praxis als deren Gegenstand steht und ihr
Zweck oder ‘Ziel’ (finis) das opus ist, so dass es, nicht außerhalb der ontologischen Terminolo-
gie gesehen, nicht als in se erreichbar oder spezifizierbar angegeben wird. Natürlich gibt es den
Erfahrungswert. Er steht für sich: Es kann ihm nicht widersprochen werden. Er wird nur nicht
aus sich und allgemein erklärt. Die notitia speculativa intendiert dann kein opus. Wir haben
auch hier wieder die Paarung von Termini oder Größen, bei deren einer die Erfüllung suspen
diert wird, wie bei der notitia abstractiva, und der anderen die die Erfüllung ausdrückt (notitia
intuitiva), ohne dass diese selbst damit auch als fraglos selbst bekräftigt, strictissime „‘erfüllt’“
anzusehen wäre. Implikation kann nur wie folgt akzeptiert werden (Prol. Ord. q. 7 OT I p. 201
lin. 18f): „dico quod illud scitur evidenter de quo scitur evidenter quod ad ipsum non sequitur
impossibile.“ (Wenn wir evident wissen, dass auf etwas nicht ein impossibile (absurdum) folgt,
wissen wir es evident. Nikolaus von Autrecourt behauptete, dass wir es nie wissen.) Wir bezie
hen uns aber auf die Abstraktion. Wenn wir nicht die Abstraktion, den actus apprehensivus
akzeptieren und voraussetzen, können wir Ockhams Aussprüche nicht akzeptieren, z. B. auch
(Prol. Ord. q. 7 OT I p. 201 lin. 7–9): „Ad omnes istos actus, praeter credere, sufficiunt habitus
apprehensivi cum notitia consequentiarum, sicut per experientiam patet.“ So kommen wir aus
einer eigenen menschlich autonomen Position zum vollwertigen menschlichen Erkennen. In-
klusive der empirischen Erkenntnis als Basis alles Erkennens.
43. Nicht jeder Hinweis zur Logik des Mittelalters erschließt etwas. Cf. E. A. Moody, Truth and
Consequence in Mediaeval Logic, 1953 p. 8: „Buridan’s Consequentiae is one of the most interest-
ing works of mediaeval logic because it undertakes an axiomatic derivation of the laws valid
deduction, and in so doing takes the laws of propositional logic as the basis and elementary part
of the theory of deduction. This is apparently the first attempt in the history of logic to give a
deductive derivation of the laws of deduction. Buridan states in his preface that most although
others had treated the “consequences” in a posteriori manner he proposes to investigate the
“cause” of the validity of these laws of inference.“ Buridan unterscheidet und vereinigt asser-
torische und modale Sätze und untersucht für sie consequentiae und schließlich syllogistische
consequentiae.
44. Nicht die Theologie, nicht die Grammatik, nicht die Logik bestimmten Ockham ausneh
mend oder vorrangig. De Rijk, 1967 II, Part I, p. 126f nennt auch das Recht als eine Quelle im
Aufbau des scholastischen Denkens, näherhin der Logik. Ockham hat gegen das scholastische
System empiristisch mittels seiner instantiae, durch reprobationes und die Aufdeckung von fal-
laciae opponiert. Als Aufdecker von Trugschlüssen beeindruckt er Luther. Das hat aber nicht
seinem ‘beweiskritisch’ erstellten System Wirkformat verschafft.
Kapitel 6. Theologie und Logikbegriff 273
des menschlichen Erkennens als auf dessen Rechnung gehend und nicht unter dem
Aspekt der Reduplikation im göttlichen Erkennen anzusetzende. Abstrakte Evidenz
galt beiden als möglich.45 Sie begrenzten sich auf das menschliche Subjekt.46
Es ist der Beweis, der jeweils zu den (konstitutiven) Einzelheiten eines Ausdrucks,
einer Erkenntnis, eines complexum (auch notitia complexa) zurückkommt, und sie
quasi negativ im Sinne ihrer Bedeutung affiziert oder approximiert:47 „Probatio isti-
us: quia posito quod aliquis adquirat habitum ex actibus circa principium tantum et
post simul cum altero principio, quod erat altera praemissa, applicet ad conclusionem,
sciet ipsam evidenter, et non sine habitu principii. Ergo habitus ille est aliquomodo
causa notitiae conclusionis, mediate vel immediate, per se vel per accidens.“ Die Un-
terscheidungen (mediate, immediate; per se, per accidens) werden also erst einmal
nicht konkretisiert und in dieser Weise auch nicht weiter inhaltlich in die induktiv
vollzogenen Überlegungen aufgenommen. Die strenge Unterscheidung von ‘für die
Induktion’ und ‘in der Induktion’ entfällt also. Indem der actus iudicativus durch die
Schlussfolgerung in der demonstratio syllogistica statthat, gibt es eine Erkenntnis, die
dieserart bloß der Ableitung der conclusio aus (den) Prämissen entspricht. Der ac-
tus iudicativus bedeutet so Erkenntnis (intellectio – nicht im Sinn der Bestimmung
der Natur des Begriffs). In dem Sinn kann er natürlich als Einzelheit oder internes
(verborgenes) Faktum des gesamten Erkenntnisvorgangs bloß erscheinen. Auch der
actus apprehensivus ist typisches Beispiel eines unspezifiziert zu denkenden Aktes.
Ebenfalls der actus iudicativus, der natürlich auch immer als ein gewähltes Moment
innerhalb der Reihe der Erkenntnisbestandteile zu denken ist, die alle induktiv zu
bestätigen und zu bestimmen, so ja überhaupt erst zu gewinnen sind. Man denke
insgleichen an den actus volitionis, der verborgen und nur partikular, gewissermaßen
hilfsweise Mitträger eines Gesamtvorgangs des Erkennens ist, der wiederum ja mit
der Bildung des actus apprehensivus nicht aufhört. Er geht weiter zur consequentia,
zum actus iudicativus, zur Elizitierung und Bestätigung eines consequens, die einer
propositio contingens gleichkommt. Die propositio contingens ist dabei in einem sol-
chen Fall dann nicht mehr aktuell gebildet (gerade erst per notitiam intuitivam gewon
nen) worden. Der Beweis macht die Größe zum existentiell anfallenden Moment. Er
45. Ockham ist ein später Methodologe der Scholastik. Cf. A. Ritschl, Critical History of the
Christian doctrine of Justification and Reconciliation, Engl. Transl. Edinburgh, 1872 p. 262f:
„On its purely logical, its purely intellectual side, Ockhamism represents the culmination of all
scholastic thought … Ockham’s philosophy is that of centuries later.“ Ockham schließt den
Empirismus nicht aus, der nach R. Guardini, 1950 p. 30f. ursächlich für die im 14. Jahrhundert
erfolgende geschichtliche Wende zur glaubenslosen Neuzeit gewesen sein soll.
46. Sie blieben darin auf ihre Methode(n) beschränkt. Zu Duns Scotus schon A. Ritschl, op. cit.
p. 258: „Scotus has divined the great secret of modern idealism, the reality of mental relations
and the part which those relation play in the constitution of the world which we know.“ So auch
W. Kluxen, 1974 p. 257. Ritschl kritisch p. 260: „in his mode of meeting doubt there is retrogres
sion as well as progress.“ Das gelte intellektuell und religiös.
47. Ord. Prol. q. 8 OT I p. 218 lin. 2–8.
274 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
reduziert sie dergestalt von der Inhaltlichkeit zur Existenz. Aus dieser entfaltet sie ihre
induktive Bedeutung. Ebenso in anderen Fällen. Der Verstand hat nur einen zusam-
mengesetzten Begriff von Gott48 „qui non est realiter Deus“, also nicht einer Erkennt
nissituation entspricht, in welcher der Mensch mit Gott zugleich Gott als medium
cognitionis wahrnehmen könnte. Dies ist bei Ockham ein besonderer (nicht ausge
schlossener) Fall von Erkenntnis, die mit unserer nicht gegeben ist und nicht mit ihr
übereinstimmt, aber mit ihr kompatibel bleibt. Ockham fragt: „quare tunc Deus plus
intelligitur quam ante?“ Nämlich dann wenn wir den actus assentiendi mittels des
Syllogismus, diesen also judicativ vollziehen. Er antwortet: „Respondeo quod tunc
Deus intelligitur quia habet unus conceptus proprius natus pro solo Deo supponere.“
Dessen Erkenntnis muss der Syllogismus leisten. Er muss darauf zuführen. Der Be-
griff ist also schon da. Er wird aber nicht in se inhaltlich abgeleitet, sondern förmlich
bloß im Sinn seiner Existenz und des Enthaltenseins in einem Satz, der innerhalb
des Syllogismus auftritt bzw. sich vorfindet.49 Die Theologie, in der Form des actus
apprehensivus gegeben, auch wenn wir ihn der fides entnehmen, bedarf des actus
oder habitus iudicativus:50 „theologia ad omnem habitum iudicativum est scientia, vel
fides etc.“ Wir müssen so, um die Wahrheit des im Glauben inhaltlich Gemeinten un
terstellen zu können, habitus apprehensivi mit einer notitia consequentiae, die nicht
ein impossibile51 bedeutet, annehmen. Für die propositio credibilis ist die Evidenz,
dass aus ihr kein impossibile folge, naturaliter nicht gegeben, vielmehr nur ex fide.52
Der actus des ‘credere’ selbst liegt außerhalb des Tableaus der in der Erkenntnislehre
zu behandelnden Sätze und Operationen bzw. ihrer Verhältnisse. Der Nominalismus
kommt qua Argumentation so zu jenem Moment (der Existenz) zurück, von dem er
vermöge der Abstraktion und eben mit der Argumentation (Beweisführung) stricte
sich entfernt zu haben scheint: er verwirft also nicht Existenz kraft bloß fingierter In-
halte, sondern er reduzierte noch jede ad hoc und (quasi) induktiv gewählte Größe auf
eine bloße Stellenfunktion alias Existenz im Geflecht der Größen, causae etc.53 Dabei
tritt zwischen Syllogismus, empirischer Begründung und Beweis in generali kein Ge
gensatz auf. Denkbare Beweisformen rücken aneinander.54 Die consequentia formalis
ist der Ausdruck einer zugleich empirisch angesetzten und verfassten Begründung
von Zusammenhang, die auch mit der Struktur des Syllogismus affin ist.55 Tatsächlich
muss es eine Synthesis geben können, die außerhalb jeder und vor jeder als a priori
anzusetzenden Deduktion zu denken ist. Eine solche Basis des Denkens kann nie-
mals ausgeschlossen werden. Sie schließt (die) Folgerung womöglich ein. Setzt man
sie aber empirisch (an), so muss sie auch ohne das Denken a priori denkbar sein.
Also „gibt“ es sie. Das Logische ist dann außerhalb dieser Empirie (Genesis) mit ihr
nur kompatibel. So erscheinen Abstraktion und Empirie (alias empirische Geltung)
bei Ockham; consequentia formalis und consequentia naturalis grenzen so ‘aneinan
der’. Die Abstraktion darf keine consequentia enthalten, die direkt auf das Empirische
ginge und es einschlösse, vielmehr nicht bloß es in einer bestimmten oder unbestimm
ten Formation lediglich nicht ausschlösse.56 Wir hätten die Mittel des Denkens sonst
53. Hier gibt es demnach keinen Gegensatz. Weder für die Größen noch die casus, in denen
sie anfallen und nur scheinbar heterogen sein können. Die Argumentation verschränkt hier
Abstraktion und Kontingenz, Kausalität und Negation usw.
54. Das galt ja bereits in dem besonderen Sinn, dass für den Syllogismus die einzelnen Sätze,
Maior und Minor, bewiesen werden, bevor sie in den Syllogismus integriert werden. Konse-
quentermaßen ist dann die Wahrheit weder beim Syllogismus in toto noch bei den Vorder-
sätzen des Syllogismus Dieser macht, wie Ockham darlegte, allein der conclusio zustimmen.
Einsicht als dem Verhältnis ihrer Begriffe entsprechende und dies Verhältnis aufnehmende,
so die Begriffe irgendwie als solche einsehende, wird ohnehin nicht geboten. Doch wurden die
Vordersätze durch Induktion und persuasio eigens ‘bewahrheitet’. Nur gibt es nicht Wahrheit
in se, die nicht den Maßstab abgibt. Es gibt keine Erkenntnis der realitas in se. Auch nicht die
(neuzeitlich) fiktive.
55. Kap. 11 zeigt, wie die Begründung von Sätzen schließlich wieder dem empirischen Stand
punkt sich nähert, ohne in diesem Sinne logisch gegliedert sein zu können. Mit der Suppositi
onslogik war gleichsam darauf verzichtet worden. Weder das A priori ist bei Ockhams
Beweiszügen leitend noch sticht als Argument strikte empirische Geltung in se. Es gibt aber
einen latenten Widerpart des Naturalen zum Mentalen.
56. Diese Formation bezeichnet die Welt, die den Gegenbegriff zur begrifflichen Abstraktion
bedeutet und eben potentielle Widersprüche und Ausschließungen dieser gegenüber. Die Ab-
straktion zeigt, wie die Welt aus sich (empirisch) nicht sein kann. Das mag theologisch nach
Apologie aussehen, soweit die Begriffe, als Gegenbegriffe gegen Welt und Mythos, die Rede
über Gott ermöglichen sollen. So noch D. Bonhoeffer, Akt und Sein, 1930 im Kontrast zur deut-
schen idealistischen Philosophie. Cf. Ockhams analogen antischolastischen Impuls.
276 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
per fallaciam begründet. Abstrakt kann das Reale als das extramental Empirische per
se57 nicht mehr begrifflich aufgeschlossen werden. Folgerung bekommt (wenigstens
virtuell) einen reduzierten Wert.58 Hinsichtlich und vermöge dieses Mangels kann
57. Es wird von der Definitheit verkörpert, die keine interne Eigenschaft der Inhalte oder des
sen was sie trägt, sein kann. Definitheit ist identische inhaltslose Allgemeinheit des Sinns.
58. Folgerung kann so nicht wirklich grundgelegt werden und in kein Konzept autonom oder
absolut eingeschlossen sein. (Die) Folgerung kann und darf genauso wenig begründet werden
können, wie die sachliche (empirische) oder begriffliche (inhaltliche) Bedeutung des univer
sale. Das begründet den Inhalt und die Stellung der Definitheit. Wenn ein reflexiv zu gebrau-
chender Allgemeinbegriff wie species oder forma mit der Implikation zusammengesehen, i.e.
kontrahiert wird, meinen sie im Verein significatio, Existenz oder Naturalität. Das gilt auch
dann, wenn – über mehrere ‘Schlüsse’ wie Ockham ausführt, – Beweise (Syllogismen) aufge-
stellt werden, die von der Erfahrung nicht unabhängig sind, also nicht einen actus iudicandi
per demonstrationem bedeuten können. Dass Folgerung und Empirie oder res so zusammen-
treten können, kann gerade zum Beweis für die Vereinigung von Existenz und Implikation
gelten. Auch bei der consequentia formalis rücken sie aufeinander. Eben sie kann deshalb bei
naturphilosophischen Erkenntnissen, Erfahrungen usw. nicht angenommen werden. Denn
sie können nicht zusammen abstrahiert werden. Das gilt absolut nicht und es ist anhand der
naturphilosophischen Feststellungen des Verhältnisses von substantia und Bezug, darin auch
causa, ein zweites Mal evident. So kann denn species (etwa) nicht Evidenz meinen (oder sein)
und sie nicht per implicationem enthalten. Wenn Autrecourt das aber mit seiner Forderung
meint (= sie darin besteht), ist sie per se absurd. In quasi tautologischer Weise kann seine For-
derung nur ungültig sein. Das zeigt Ockhams Philosophie. Ockham zeigt dadurch mehr als bei
Hume in Rede steht oder verhandelt wird. Wo bei Ockham der actus iudicandi per demonstra
tionem angenommen wird, werden die Begriffe, die dann in dem Syllogismus vorliegen, nicht
mehr in Bezug auf die Realität, die res extra, bezüglich deren sie per notitia intuitiva erkannt
und erworben wurden und in einer notitia incomplexa weiterhin bewahrt und gedacht werden
können, in keiner Weise nach einem Verhältnis füreinander ausgelegt, also per implicationem
erscheinen oder eingesehen können. Sie erscheinen also in dem Syllogismus nicht nach einem
Verhältnis im Sinne der Implikation bestimmt, ausgelegt, enthalten. Der actus demonstrandi
wird intellektiv und judicativ unabhängig von einer Realeinsicht sein, die dazu noch über eine
Implikation gestützt werden könnte, in welcher die Begriffe ihr Verhältnis mit ihrer Bedeu-
tung wie Evidenz zugleich abstraktiv besitzen könnten. Das verlangt Autrecourt, bzw. ist es in
seine Forderungen eingeschlossen. Die Abstraktion wie die an sie angeschlossenen Beweise
können also eine Implikation weder enthalten noch auf sie gegründet sein. Entsprechend ist
auch niemals ein im Grunde empirischer (kontingenter) Satz mit dem Verhältnis von substan-
tia und accidens in irgendeiner Weise als notwendiger auszulegen oder in einen solchen zu
verwandeln. Das würde zu fallaciae führen und zur ‘notwendigen’ Vermehrung der ontologi-
schen oder der empirischen (kausalen) Größen usw., welche Ockham dem Ökonomieprinzip
abschneidet. Der kontingente Satz entspricht dem Ökonomieprinzip. Die multiplicatio entium
impliziert eine unbegründbare Notwendigkeit. Die forderte Autrecourt, um die scholastische
Wissenschaft anerkennen zu können. Er bestritt zugleich, dass sie a parte rei gegeben sein oder
im Verhältnis von extramentaler materia und subjektiver menschlicher Erkenntnis resp. Wahr
nehmung gesichert sein könne. Wollte er hier im Namen der Folgerung erst ‘fordern’ und dann
Kapitel 6. Theologie und Logikbegriff 277
es direkt begründete und geltende analytische Aussagen nicht geben; sie können für
Ockham daher auch nicht leitend sein und müssen nicht von ihm gesucht werden.59
Ockhams Scholastikkritik bildet in sich ein kompaktes Modell. In ihm werden die
Mittel oder Elemente intensional mittels einer Reduktion wiedergegeben: sie werden
darin ebenso wohl definiert wie negiert. Sie werden bezüglich einer Tauglichkeit be
trachtet, Realität und res extra mentem wiederzugeben und zu erreichen; Geltung
wird kein intensionaler Ausdruck: sie tritt nicht in ein Prädikat für äquivalent intensi
onal betrachtete thematisierende Ausdrücke und Denkgehalte ein.60 Anders als Scotus
bestreiten, so beruhte das auf Trugschlüssen bezüglich der Implikation. Die Implikation kann
nicht zugleich mit der existentia zusammenfallen oder zusammengehen, bzw. aus ihr hervor-
gehen und der Abstraktion angehören. So kommt Ockham Empirismus (Naturalismus) zum
Mentalismus. Für ihn ist aber die materia der quantitas gleich. Cf. J. Weisheipl, 1984 p. 631.
59. Die absolute Fixierung des Denkens, die Ockham betreibt, bezeichnet keine im Sinne der
Apriorität zu verstehenden Akte (Sätze oder Begriffe), d. h. Akte, die mit ihrer Konzeption oder
Auffassung im Verstande (Subjekt) auch sogleich als extramental ‘wahr’ gelten sollen. Duns
Scotus hat eine solche Apriorität angestrebt oder unterstellt, selbst wo er mit der Abstraktion
begann, bzw. wo er ontologische Prinzipien einführte, die er unter Berufung auf Aristoteles
heranzog und dann dabei ‘differenzierte’, das hieß: sie auf der freien Deduktionsstrecke mit der
Begrenzung ihrer Geltung über die Spaltung in casus im Grunde noch einmal neu abstrahierte
und implizit „verbesserte“. Dagegen wird bei Ockham eine Teilmaxime für den Sonderfall
durch die Induktion begründet. In Ockhams Argumentationen kann nun auch der Wider-
spruchssatz nicht im Sinne einer empirischen Begründung für die Denkakte ‘a priori’ gelten, so
dass er danach auch deren reale Geltung extra mentem meinen könnte. Dass ‘Kausalität’ und
‘Notwendigkeit’ nicht als „Elemente des ‘A priori’ im Verstande“ gegen Ockham angeführt wer-
den können, ergibt sich schon daraus, dass sie als eigene Inhalte (Partikel) in der Physik nicht
vorkommen oder in der mathematischen Logik die materielle Implikation nicht ‘mitdefinieren’
(Frege). Ockhams Argumente mit ihrer eigenen Struktur stützen eine solche Annahme inhalt-
lich nicht. Sie lassen sie nicht zu. T. Hirano, Die kontradiktorische Logik, 1934 zeigt zudem, dass
nicht der Wahrheitswert die ‘Tautologie’ in der Logik und insoweit deren Apriorität begründet.
Ockham nun baut wesentlich die Scotischen Regulative ab, verneint und ersetzt sie, wo sie
Geltung a parte rei (Wahrheit) und zwar dann, wenn sie direkt in einem Prinzip reklamiert
werden meinen oder aus einem solchen folgen sollen; er negiert ontologische Annahmen und
verwendet ontologische Begriffe reprobativ, wobei sie auf Nichterfüllung qua res direkt oder
nach einem suppositionslogisch klassifizierten Satz stoßen; die reprobative Beweisart ist der
Struktur nach nicht-analytisch. Ockham verneint also stets auch die Implikation als untaugli-
ches Koregulativ mit.
60. Analog meint bereits die passio im (kontingenten) Elementarsatz, der für uns Wirklichkeit
wiedergibt und Ausgangspunkt der Überlegungen Ockhams ist, keine Realität, obwohl sie auf
sie bezogen ist. In genau diesem i.e. in einem äquivalenten Sinn entfällt Folgerung als Mittel
des Ausdrucks der Realität extra nos sie als solche unanfechtbar mitmeinend, als Ermittlungs-
instrument. Kein Satz kann in eine Folgerung oder Folge hinein entwickelt werden. Satz, Akt
(durch ‘notitia’ bezeichnet) und Folgerung oder auch Syllogismus bleiben einander heterogen
und können theoretisch nicht miteinander verschmolzen werden.
278 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
kleidet Ockham das Subjekt nicht eigentlich aus. Scotus meint dabei stets explizite
Geltung. Erkennbar hat sie zur Bedingung eine bei ihm pseudologische Implikation.61
Bei Ockham regiert nicht fiktiv das Widerspruchsprinzip. Die Konsistenzforderung
erlischt in der Kompatibilität.
Ockham kleidete indes den intellectus weder substanziell aus noch nahm er sub
stantia und accidens als schon mit den Denkvorstellungen (im Subjekt) verbundene
Wahrnehmungsgehalte an; er geht aber mit ihnen und ihrer Differenz ad rem extra
animam über. Das bedeutete Argumentation, jedoch Logik nur, sofern diese selbst
erkundet und reduziert werden kann. Der Gegenstand und Ausgangspunkt dieser
Logik (ihrer Betrachtung) ist der kontingente Satz, was die Zurückdrängung der
Folgerung bedeutet. Ockham untersucht, was das Subjekt in objektiver Tendenz lei-
sten kann, er thematisiert es reflexiv. Sein Mentalismus ist nicht ein im Subjekt gefan
gener Subjektivismus, sondern per argumentum ein objektivistischer.62 Das gilt auch
beim reduziert empiristischen Wert theologischer Aussagen und Vorstellungen.63 Bei
61. Bei Duns Scotus müssen eigens reklamierte Funktionen des Denkens dessen Effizienz in
der Realgeltung immer sogleich mitmeinen, sie fraglos bedeuten. Vor denkbarem Einwand
müssen sie im Vorgriff geschützt werden: im Verein mit ihrer Definition, die oft innerhalb der
Deduktion eintritt, um diese zu ermöglichen oder zu begründen, werden ontologische Prin-
zipien durch zusätzliche Differenzierungen zu Lemmata gestaltet. Die sind zugleich Lemmata
und Definitionen. Scotus differenziert bei ontologischen Prinzipien vor dem Schluss, um ihn
zu ermöglichen: cf. W. Hoeres, 1962 p. 107: „Das allgemeine ontologische Prinzip, dass Notwen
digkeit vollkommener sei als Kontingenz, ist zu abstrakt, um für jeden Fall zu gelten. Es muss
sich daher aufgrund der Betrachtung der verschiedenen Inhalte eine Differenzierung gefallen
lassen, d. h. es kann nicht unvermittelt angewandt werden, sondern nur in Abstimmung mit
den betreffenden Inhalten.“ Im Zuge solcher Differenzierung (p. 106) „erwidert der Doctor
subtilis zunächst, dass die Bestimmung der Notwendigkeit nur dann vollkommener sei, wenn
sie mit dem Wesen des betreffenden Seienden vereinbar sei. Das sei aber nicht der Fall, wenn
es um die Beziehung eines Seienden zu etwas gehe, das ihm nachgeordnet sei (posterius).“ Ib.
p. 111: „Scotus wird nicht müde, den Gedanken einzuschärfen, dass Kontingentes immer auf
eine kontingent wirkende Ursache zurückweise. Der einzige Grund, dass es kontingente Dinge
gebe, liege in der kontingenten Wirksamkeit einer Ursache. Diese aber könne nur der Wille
sein.“ Ockham argumentiert hier erst induktiv für Gottes Wahlfreiheit.
62. Es tendiert daher zur Naturalität, in der es erlischt. Wenn Ockham sagt, was naturaliter
existiere, existiere auch realiter, so hat er lediglich den Widerspruchssatz ausgeschlossen. Denn
was soll es bedeuten, dass etwas naturaliter existiere, wenn es realiter existiert, als dass es in
seiner realen Fügung keine Bestimmung besitzen kann, die gegen die naturale Fügung stünde.
Ein ähnliches Gefälle s. Ord. Prol. q. 1 OT I p. 221 lin. 15f.
63. Nach Ockham muss beim Beweis für die Begriffe empirische Relevanz vorausgesetzt wer-
den; jedenfalls darf deren Erweis nicht primär fehlen. Beweisen ist als menschliche Tätigkeit
zu bewerten, wobei die empirisch, in Gott und visio beatifica gegebene notitia intuitiva als
Träger der Beweiserkenntnis ausscheidet. So mögen z. B. Prädikate in Gott einen ordo haben,
ohne dass Beweise, die einen solchen ordo transempirisch in Anspruch nehmen könnten, zu
konzipieren sind. Ockham geht es für einen Fall im Einzelnen durch: Ord. Prol. q. 2 OT I
Kapitel 6. Theologie und Logikbegriff 279
p. 126 lin. 1–21. Ockham betont, dass der ordo conceptuum auch nicht rein secundum rationem
angenommen werden könne, ohne dass dazu die realempirische Identität in re unterstellt wür
de; er nennt eine solche Prämisse (p. 121 lin. 1–7) „simpliciter impossibilis“. Das sei sie „propter
falsam implicationem“, die besage, dass die Begriffe ihre Ordnung auch dann behielten, wenn
sie nicht in der Einheit der res zusammengefasst erschienen. Solche Folgerung müsste besagen,
dass (‘abstrakt’) sich deduzieren lasse, auch wenn die sachliche Einheit nicht gegeben sei oder
gar nicht nachweisbar wäre. Ockham kann die Prämisse so generell fassen (ib. lin. 7–11), dass er
die correspondentia von ordo rerum und ordo conceptuum hypothetisch annimmt (cf. lin. 10):
wenn er sie dann bestreitet, gelangt er an die Grenze zur Empirie. Der Gebrauch reflexiver
Begriffe (subiectum, accidens, potentia, actus) kann Ockham jedoch im Grunde nur (bis) zur
persuasiven Bestreitung führen. Dabei er gibt ontologischen Begriffen eine nur fiktive Bedeu-
tung. (eindeutig p. 122 lin. 10: inter res non est ordo superioris et inferioris.) Dazu s. umfänglich
Ord. d. 2 qq. 1–11 OT II pp. 3–379. S. Kap. 4 Fides et scientia.
64. Die Vermögen können keine Vorprägung in Richtung auf andere, sowohl historisch wie
für ein Subjekt (oder das Subjekt), nachkommende Vermögen bedeuten. Aber damit ist eben
auch nicht ein einzelnes (bestimmtes) Vermögen begründbar (legitimiert). Es gibt nicht die
Präformation eines Vermögens in einem anderen oder die Fundierung eines Vermögens in
einem schon besessenen. Es gibt nicht was R. Jakobson, Studies on Child Language and Apha-
sia, 1971 für Laute beschrieb, im oder für das Verhältnis von Vermögen, weder genetisch für
Individuen und genealogisch für die Menschheit noch inhaltlich. Das besagt noch ein Kritik
moment gegenüber N. Chomskys Transformationsgrammatik und deren philosophischer Be-
gründung über Leibniz-Descartes’ „ideae innatae“ und ein apriorisches Vermögen des Geistes,
das diesen auszumachen und zu definieren hätte. Wir wären bereits mit Ockham Empiristen
und begründeten die Verstandesformen, indem wir zeigen, wie Folgerungen unangängig sei-
en. Wir kommen zu Relationen, ohne sie wie Leibniz der Logik anzuvertrauen. Wir haben
Inhalte zu Relationen nicht in den Elementarsätzen oder daraus abgewandelten allgemeinen
oder notwendigen Sätzen. Wir können in Elementarsätzen – für die Theologie – unangängige
Inhalte (Aussagen) erhalten und müssen dann die Relationen umdeuten. Das geschieht auch
mit ontologischen Begriffen, die hier nur Funktionsbegriffe sind. Die Relation wird so logisch
konklusiv. D. h. abstrakt und unantastbar.
65. So können wir auch womöglich über das mittelalterlich ererbte Christentum Schlüssiges
nicht mehr sagen.
280 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
von selbst aus dem Kontext der neuzeitlichen Gesamtepoche sich lösen lassen; denn
aus ihrer genetisch-historischen Verankerung lassen sie sich nicht befreien.66
Ockham kann die Christologie auf der Stufe der Allgemeinheit nur behandeln,
wenn er sie durch die Intention auf die Sache mindert oder aufhebt. Dabei muss
grundsätzlich zwischen Tatsache und ratio (= Grund, Argument) unterschieden wer-
den. Ockham tut es und wiederholt damit die Differenzierung zwischen Abstraktion
und res singularis. Er braucht dazu bloß von der Stufe der propositio auszugehen und
deren Geltung nach dem intensionalen Charakter auszuloten. Indem er beides nicht
verwechselt und vertauscht, ergeben sich seine Lösungen, als Vermeidungen von Wi-
dersprüchen (contradictiones) und Trugschlüssen (fallaciae) etc. I.e. es handelt sich
um die Regulation von Sprachgebrauch, wie ihn die Grammatiktheorie des Mittelal
ters und dann die Logik (oder Dialektik) immer betrieben haben. Damit begegneten
sie genuin dem Christentum. Daneben war mit diesen Disziplinen ein Bildungsin
teresse verbunden, dessen Funktion gegenüber dem Christentum unklar war, blieb
oder wurde, weil ja die Verstandesform aus sich selbst bereits nicht nur reinweg apo
logetisch erscheinen konnte – es nicht durfte. So gab es einen inneren Widerspruch,
eine Paradoxie, eine Aporie, da sich nur schlecht behaupten ließ, das Christentum
habe durch eine verquere Aufgabe den Intellekt gefördert.67 Anselm von Canterbury
66. Ockham und Duns Scotus sichern den Gebrauch des Begriffs (der Begriffe) von Gott. Das
tut oder versucht Duns Scotus mit einem förmlich gleichbleibenden menschlichen Begriff, den
er mit Bestimmungen in Richtung auf Vermögen und in Gestalt postulierter, aber nicht voll-
zogener Akte überformt, also im Sinne der petitio principii inhaltlich reklamiert, Ockham,
indem er diese Bestimmungen im Sinn einer Folgerung und der Negation von Folgerung ab-
baut und in die Sphäre Gottes hinauf- und hineinhebt, in welcher er gewissermaßen aufhört (re
gulärer) menschlicher Begriff zu sein und einen imaginären Gehalt empfängt; darin wird von
Gott gesprochen und darin insgleichen „‘wirkt’“ Gott; beides bleibt sich inhaltlich (intensional)
„‘gleich’“. Gott wird nicht mit einer Erkennbarkeit in se ‘ausgestattet’, die a parte viatoris gültig
wäre. Gottes Funktion erlischt im menschlichen Argument; dieses wird durch die reprobatio
falscher Auslegungen der Glaubensartikel mittels der Ontologie gestärkt ebenso wie die Er-
kenntnisfähigkeit des Menschen durch die argumentative Zurückweisung der falschen Dekla
ration des Erkennens, die a parte rei und mittels ontologischer Beiwörter erfolgt, umgrenzt
oder begrenzt wird. In der Neuzeit wird ein philosophischer Gebrauch unserer Begriffe von
und für Gott zugestanden; aber die Methodologie, die das menschliche Erkennen allgemein
sichern soll, hat Schwierigkeiten mit der Genese der Begriffe. Insofern blieb eine Aporie ge-
schichtlich bestehen, der gegenüber alles romantische und postromantische Geschichtsdenken
infruktuos sich ausnimmt. Zur Problematisierung des Verhältnisses von Vernunftkritik und
Religionsdenken für die Genese der Verstandesakte (hier Vernunft genannt) und der religiös-
mythischen Einbildungskraft s. M. Frank, 1982 pp. 123–152. Die Frage ist natürlich, wie Bedeu
tungen entstehen und, da sie in Operationen des Verstandes oder des Gemüts gewahrt werden
können müssen, reglementierbar sind. Damit geben wir den Anspruch auf zu wissen, was et
was (Begriff oder Sache) an sich selbst sei.
67. Nietzsche: die Intelligenz, da die europäische Menschheit Lüge und Doppeldeutigkeit lern
te.
Kapitel 6. Theologie und Logikbegriff 281
mit seiner berühmten Formel ‘credo ut intelligam’ hat es versucht (unterstellt), wäh-
rend Abailard mit der Umkehrung ‘intelligo ut credam’ bereits das rationalistische Di-
lemma beschreibt. Für Ockham ergibt sich ein neues Problem: die Erkenntnis muss
mit dem besser entwickelten philosophischen Mittel beschrieben und gegebenenfalls
auch neu gestiftet (definiert, nacherzeugt) werden.68 Das Bedürfnis scheint bei Duns
Scotus trotz intern im Milieu der christlichen Lehre in Anschlag gebrachter techni-
scher Kunstgriffe und terminologischer Erfindungen nur innerhalb seiner subjekti-
ven Ingeniosität geherrscht zu haben.69
Ockham muss, indem er wie Duns Scotus die Tradition aufnimmt und soweit
es um Thematisierung geht, nicht von ihr abweichen kann, mit deren Behandlung
zwangsläufig, wenn er überhaupt nur die traditionellen Themenstellungen und Pro-
bleme erfassen und einholen will, bereits zu einer Abwandlung und Veränderung
gelangen. Diese jedoch wird, wie sie eben auch unweigerlich eintritt, den Charakter
der Auslegung modifizieren.70 Diese Modifikation ist hier in ihrem technischen Sinn
inhaltlich.71 Der Status der Form, mit welcher am Ende einer langen scholastischen
68. An die Stelle der Erkenntnis, der Gottes zumal, die mittels der scholastischen Argumen
tationen erschlossen zu werden hatte und dann in Aussagen eine emblematische Gestalt erhielt,
treten die Aussagen selbst und deren aktbestimmte Erklärung. Das ist kaum als Wissensabbau
und subjektives Misstrauen in die Vernunft zu betrachten.
69. Die Virtuosität des Duns Scotus war schon im Mittelalter bemerkt worden. So rühmt ihn
Wilhelm von Alnwick: „fratris Johannis Scoti qui inter omnes subtiliter noverat naturas conse
quentiarum.“ (A. Pelzer, 1964 p. 415) Ockham hat Scotus’ Fertigkeiten, den er mehr als andere
scharfsinnig (plus quam alii subtilis) nennt, anerkannt. Er findet aber, dass es bei den Konse
quenzen hapert oder bezüglich der consequentiae vermöge der instantiae, die er widerlegend
anführt. Es wäre sogar denkbar, dass er danach den Begriff der consequentia überhaupt als
noch begründungsbedürftig betrachtete. Für oder nach Ockham gibt es gediegener das Pro
blem der Konsequenz nach deren Einsatz im Verhältnis zur Abstraktion. Ockham sah prak
tisch nicht einmal den Begriff der Konsequenz vergleichbar als begründet und tauglich an:
der verhielt sich heterogen zur Begründung und der Geltung der Abstraktion gegenüber der
empirischen Sphäre, von der Abstraktion auszugehen hatte.
70. Hat Yorck von Wartenburg, 1956 vielleicht innerpsychische Prozesse in Individuen oder für
Individuen in Epochen mit geschichtlicher Relevanz gültig beschrieben, so eben doch nur er-
kenntnistheoretisch orientiert oder fixiert. Aber bei Ockham nimmt ein theoretischer Duktus
den erkenntnistheoretischen auf und absorbiert ihn.
71. Ockhams technische Form des Denken inclusive seiner Kritik an Duns Scotus stieß statt auf
Verständnis eher auf Befremden und Sarkasmen, cf. F. Ehrle, Petrus von Candia, 1925 p. 61: „Si
licet ista (des Duns Scotus) videantur pulchre dicta, tamen in auribus Ockham non generant pul
chram melodiam. Cum dicit quod natura in creaturis non dicit actualitatem nec unitatem nec
incommunicabilitatem, quero de qua natura loquitur, aut de creata aut de increata. Si de increata
falsum est, quia ipsa est summe actualis, si vero de creata ista est vel substantia vel accidens et
quodcumque istorum detur sequitur quod est una et singularis et actualis.“ Ockham hatte sich
nur auf die creatura bezogen. An ihr wird unser Begriff gebildet. Ockham nähert sich mit ihm
282 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Entwicklung ein Bewusstsein von dieser Entwicklung aufgefangen, aber nicht mehr
wahrhaft ausgetragen und erweitert, nur noch theoretisch gespiegelt und dabei redu-
ziert werden kann,72 enthält jede inhaltliche Qualität und eben auch die Kappung der
Folgerung als Auslegungs- und Austragsweise.73 Die Rettung der Scholastik, wenn sie
auch Gott in seiner essentia. Er gestaltet nicht die divina essentia von ihr her aus Ord. d. 2. q. 1
OT II p. 17 lin. 9–12: „Sapientia divina omnibus modis est eadem essentiae divinae quibus essen
tia divina est eadem essentiae divinae, et sic de bonitate divina et iustitia; nec est ibi penitus ali
qua distinctio ex natura rei vel etiam non identitatis.“ (ib. p. 25 lin. 13ff) „Perfectiones attributales
nullo modo ex natura rei distinguuntur ab essentia divina.“ Ockham, von der Zensur angeklagt,
für die essentia divina keine distinctio (non-identitas) zwischen Deus und perfectiones anzu-
merken, verteidigt sich signifikanterweise mit dem Verweis auf Schwierigkeiten beim Beweis
(ib. p. 17 lin. 13 – p. 19 lin. 2) und bleibt so beim kontingenten Satz, den er in seinen reprobatio-
nes bezüglich der sacra theologia implizit und nicht kanonisch-logisch vertritt. Ein Beweis für
die göttliche Trinität wäre gleichwertig auch für eine in creaturis möglich. Analog könnten die
perfectiones bewiesen werden. Die distinctio formalis, nach Scotischem Vorbild veranschlagt,
entspräche für Ockham (ib. p. 19 lin. 10–15) ausdrücklich nur einem „quid nominis“.
72. Man kann auch sagen, dass Ockham nur einen Teilbereich des menschlichen Interesses,
das bis zur theologischen Auslegung aliquo modo ja doch gehen muss, substantiell themati
siert, nämlich Erkenntnis und Erkenntnisgewinn. Aber er kann dann quasi nicht mehr anders
als die theologische Erkenntnis selbst ihrem Prinzip nach für indiscernibel von (der) Erkennt
nis zu halten. Es ist das menschliche Erkennen. Aber es objektiviert nicht fiktiv seinen theolo
gischen Gegenstand, etwa die divina essentia und den ordo salutis. Es muss ihn dann auch
nicht apologetisch vertreten, was ja (ebenfalls oder ausschließlich) heißt: die nicht explizite
Denkform verteidigen. Logisch geschieht hier bloß die Übertragung menschlicher Erkenntnis
zustände auf Gott, Engel und die Seligen, indes mit Einschränkungen, die Abstufungen sind. cf.
z. B. für Gott Ord. d. 39 q. unica OT IV p. 592 lin. 5–7: „omnia enuntiabilia cognoscit Deus sine
omni compositione et divisione, quia unica cognitione simplicissima cognoscit omnia.“ Die
menschliche Abstraktion der Begriffe und ihre klassifizierte Verwendung in Sätzen entfällt für
Gott (ib. p. 592 lin. 9–16): Gott weiß danach, dass etwas Kontingentes wahr ist, wenn es wahr ist,
nicht aus irgendeiner Kennntnis von Sätzen, die dem vorausginge; es ist klar, dass eine andere
Auffassung für uns logische Widersprüche ergäbe! Enuntiatio (und allgemein enuntiabile) war
früh im Gebrauch für propositio.
73. Ockham schließt allgemein nicht aus der Tatsache, dass man Begriffe und Sätze habe, mit
denen man erkenne und also auch schon eine Wahrnehmung verbinde, dass etwas sei, was
diesen Sätzen entspräche. Er sieht hierin eine falsa implicatio. Cf. p. 463 lin. 12 – p. 464 lin. 2 be-
ginnend mit der von Ockham so abgewiesenen i.e. widerlegten These: „Si dicatur quod aliquis
potest credere eam (= divina essentia, logisch wäre nach p. 462 lin. 11 – p. 463 lin. 2 neben divina
essentia auch relatio möglich) esse in una persona tantum et tamen potest frui ea, ergo talis fru-
etur ea ut est in una persona tantum“, also in völlig abstrakten nur die divina essentia betreffen
den Aussagen, „respondeo negando consequentiam etc.“ Mithin widerlegt Ockham fallaciae,
obwohl wir in abstrakten überweltlichen Materien uns befinden, allein nach der Gleichheit von
Modalität (credere! i.e. credere bezüglich des Satzes) und mentaler Existenz der Aussage. Aus
ihr folgt keine Existenz extra animam. Es folgt vielmehr, dass die Definitheit der Aussagen bzw.
Begriffe nur bestehe, wenn sie nicht extra animam und de facto a parte rei unterstellt werden
Kapitel 6. Theologie und Logikbegriff 283
denn Ockhams Interesse gebildet haben sollte, wird brüchig im Sinne der Einheit von
Inhalt und Technik.74
Ockham „folgt“ einem traditionellen Schema, wenn er metaphysische Aussagen
für nicht unbedingt wahr, i.e. für nicht beweisbar halten will.75 Er kann zu und ge-
gen Aristoteles nur eine Hypothese der Entstehung aller Erkenntnis hinzufügen und
von ihr her muss zu gewinnen sein was denn (bedingt) wahr sollte heißen können.
Die absolute Wahrheit war im Mittelalter immer unter Bedingungen angenommen
worden, nie unbedingt; in diesem Sinn war sie insgeheim oder offen immer strittig
gewesen, und zwischen ‘insgeheim’ und ‘offen’ spielte die Mentalität des Mittelalters.76
Diese war darin eine geschichtliche ‘geistige’ Verfasstheit auf der Suche nach ihrem
könne. Nach Ockham sollen wir divina essentia und persona (oder relatio) der Sache nach für
identisch, de ratione aber für unterschieden halten: denn wir haben hier verschiedene Begriffe
bzw. sogar nur ‘Namen’ (Benennungen). Deren Definitheit wäre gefährdet oder aufgehoben,
wenn wir eine sogenannte formallogische Konsequenz secundum tertium non datur vorschrei-
ben wollten. Er spricht hier nicht einmal davon, dass wir die fallacia bloß secundum fidem et
cognitionem nobis pro statu isto non possibilem hätten, wie Ockham bei gewissen Syllogismen
annimmt: wir können da nur ex fide wissen, dass eine Aussage oder ein Syllogismus falsch sei.
Es ist die Frage, ob die numerische Identität da noch eine Geltung hat.
74. Wollte man annehmen, dass solche Einheit, die ohne Grund ist, weil sie immer erst hätte
hergestellt werden müssen, forderungsweise vorauszusetzen war, so zeigt Ockham (a), dass sie
nicht erreicht werden kann und (b), dass die Technik, wie sie Kriterien birgt und setzt, gegen
den Inhalt steht. Wenn man aber nicht mehr annehmen will (in der Theologie oder sonst wo
oder in irgendeiner Disziplin), dass Inhalt und Kriterium identisch seien oder zusammenfielen,
so entstehen in der Theologie die Glaubensprobleme Kierkegaards und in der Wissenschaft der
Agnostizismus.
75. Nach J. Pinborg, 1967 p. 79 will Boethius von Dacien „nicht von der Konstanz oder Ewig-
keit der species ausgehen, weil diese weder von der Physik noch von der Metaphysik bewiesen
werden kann. Deshalb ist die Wahrheit der Physik nicht ‘simpliciter’ wahr, sondern nur ‘secun
dum quid’, d. h. als Folge der ersten Prinzipien der Physik.“ Nach apologetischer Stoßrichtung:
die Welt wird abgewertet. Cf. hierzu Th. Kobusch, 2011 p. 186.
76. H. Blumenberg, 1965 p. 38 sichert ihm Wahrheit durch petitio principii, Zirkelschluss
oder Anakoluth: „Die Voraussetzung der aristotelischen Metaphysik, dass die der Zeit ihr Fun
dament gebende Himmelsbewegung nur durch unmittelbare Abhängigkeit von der reinen
Energie der Gottheit verbürgt sein könne, musste auf die kalendarischen Grundbewegungen
der Erde anwendbar bleiben, solange das physikalisch-kosmologische System auf ein konstant
bleibendes metaphysisches System zuordnungsfähig sein musste.“ Der Nominalismus insze-
niert danach a-metaphysisch den Bruch: „Wiederum hat Buridan das neue Prinzip der mögli
chen Unmittelbarkeit jeder Wirkung zur ersten Ursache mit klar erkennbarer Wendung gegen
die Vorstellung der actio subordinata formuliert, indem er jede innerweltliche Notwendigkeit
eines Ordnungsverhältnisses der Ursachen leugnet zugunsten der ausschließlichen Zuordnung
aller Wirkungen zur ersten göttlichen Ursache: nos teneremus quod nulla est simpliciter neces
saria subordinatio agentium nisi ad ipsum deum.“ Ockham zeigte, dass feste kausale Relatio
nen nicht angenommen werden können, weil sie nur im akzidentellen Umfeld der substantiae
284 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
aspekts im Widerspruch nur noch die verfehlte empirische Deutung aufweisen; sie
ist für die Genese der Begriffe bindend und für die Erklärung des Erkennens maßge-
bend.80 Die Abstraktion muss sie integrieren.
Ockham hebt den Ausdruck compositus eigentlich auf, wenn er von der Verei-
nigung der zwei Naturen in Christus spricht. Er lässt ihn einen abstrakt essentiel-
len Sinn annehmen. Vom Standpunkt der Akzidentalität und Eigenschaftlichkeit aus
kann er nicht mehr (nicht mehr eindeutig) gefüllt werden. Es gibt keine empirische
induktive Relevanz in Bezug auf ihn, nur den empirischen Vergleich. Den Übertrag
aus der Essentialität (Substantialität) in die Akzidentalität gibt es faktisch nicht. So-
mit haben wir eine Art Ausschließungsverfahren nahe der Widerlegung.81 Die lo-
gische Ausgangslage für die Prädikation im Satz ‘Deus est homo’ ist:82 „Licet enim
80. Gott denkt nicht in dem Satz, den wir denken (und einzig haben); er hat und denkt nicht
diesen Satz. Cf. Anm. 72 zur Stelle Ord. d. 39 q. unica OT IV p. 592 lin. 5–7. Daher müssen wir,
die wir diesen (oder irgendeinen) Satz haben, der kontingente Fakten aufnimmt (wiedergibt),
von dem Nichtberichteten und Nichtgewissen, für uns insbesondere auch Nichterfahrbaren,
trennen. Die Abstraktion, mit der wir es zu tun haben, kann so bereits rein sprachlich nicht
einbeziehen, was wir nicht wissen. Ohne diese Unterscheidung diskutiert man für Ockham
Scheinprobleme und erörtert Monstrositäten oder vermeintliche, definit nicht zu begründende
Kühnheiten, die er nicht aufweist. Wir entscheiden Sätze in dem Sinn, dass sie keine Sätze in
Gott sind und für ihn als diese konsequentermaßen auch nicht relevant. In dem Sinn bergen sie
entsprechend sie nicht Probleme für uns: es wären solche, die mit unserer Abstraktion entfallen
müssen. Bereits Prol. Ord. betont die Abstraktion bei unseren Sätzen und dass Gott derart keine
Sätze habe; die dortige Disjunktion wird hier bekräftigt ebenso die grundlegende Bedeutung
jenes Prologs. Wir haben kein Wissen, in dem wir uns mit dem Gottes vermischen müßten;
wir teilen mit Gott bereits nicht die Mittel. Daneben löst Ockham das Problem begrifflich als
Impossibilität oder Aporie: Rep. II, q. 3–4 OT V p. 71 lin. 19 – p. 72 lin. 2: „dico quod Deus non
scit necessario aliquid futurum esse producendum, quia nec omne futurum est producendum
necessario; nec Deus scit necessario omne futurum producendum, quia primum est contin-
gens, quia omnis productio posset cessare.“ Anders D. Perler, 1988 u. Ph. Boehner, 1945.
81. Ockham gebraucht den terminus ‘compositus’ für die Vereinigung der beiden Naturen im
Sinne einer untrennbaren Einheit. Das compositum kann abstrakt ohne unio sein cf. Ord. d. 30
q. 1 OT IV p. 318 lin. 1–9. Die empirische Erfahrung lässt unio als ‘Gemenge’ zu. Wir haben es
bei den zwei Naturen vorab mit qualitates zu tun. cf. Ord. d. 17 q. 7 OT III p. 539 lin. 14–19: „dico
quod quantum ad aliquid est simile in augmentatione qualitatis et quantitatis, et quantum ad
aliquid est dissimile. Est enim in hoc dissimile quod in augmentatione qualitatis est aliqua res
absoluta, secundum se totam nova, faciens per se unum cum prima. Non sic in augmentatione
quantitatis.“ Die unio hat nicht den abstrakten Mehrwert oder Vorteil, den compositum bie-
tet, cf. Rep. III, q. 1 OT VI p. 8 lin. 3–15. Cf. auch Quaestiones variae q. 6 art. 2 OT VIII, p. 129
lin. 288–294 und Rep. II, q. 13 OT V p. 249 lin. 19f: „Nunc autem beatitudo quae est in genere
qualitatis est perfectior omni quantitate.“ Ferner Rep. II, q. 9 OT V p. 180 lin. 5f: „intendit Com-
mentator quod materia et forma sunt naturae perfectius quam compositum, et tamen composi-
tum est perfectius materia et forma.“
82. Rep. III, q. 10 OT VI p. 321 lin. 24 – p. 322 lin. 2.
286 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
homo connotet suppositum divinum, tamen principaliter significat naturam illam as
sumptam realiter distinctam.“ Das führt zu einer suppositionslogischen Erweiterung
bei Ockham, worin im Prädikat humanitas als vom suppositum divinum realiter di
stinkt auftritt. Es fragt sich, ob diese Lösung konsistent ist. Humanitas bezieht sich in
der Sache nicht mehr auf ‘homo’ oder natura humana, sondern qua suppositio sim-
plex auf filius oder verbum. Die Aussage wird, indem sie aus dem Essentiellen, in wel
chem sie im Sinn der Inhärenz nicht festmachen und gelten soll, in das Akzidentelle
übergeleitet wird, um den Geltungsbetrag was das Christologische angeht, entleert,
vernichtet i.e. imaginär. Die noch gelten könnende oder gelten sollende Sprachrege
lung enthält keinen sachlichen Verständniskern mehr.83
Der modale Ausdruck als Apostrophierung von Sätzen, die rein intensional ist,
mit der dabei verwandten Unterscheidung von modo composito und modo diviso, dient
dem Sachverhalt, dass keine Integration der qualitas oder des accidens in die forma
stattfinden kann und dies auch nicht über Beweise reglementiert werden kann und
bedeutet am Ende, dass eine Induktion stattzuhaben hat (analog auch ausgespart sein
kann), bei der jeder Sinngehalt empirisch abgestützt werden muss. Ockham muss so
für intensionale Qualitäten, was die Bestimmung von Sätzen, die Charakterisierung
(= Qualifizierung) von actus mentales, Satzbestandteilen etc., die eben nach Qualitä-
ten und als Qualitäten aufgefasst werden, angeht, seine Argumentationen aufwenden,
die eben wesentlich induktiv sich ausnehmen müssen. Es entfallen Argumentationen,
auf die Ockham stößt oder die er im Gegensinn zu seinen Auslegungen auch fingie
ren mag. Ein Beispiel:84 „Ad primum principale: nego istam consequentiam ‘demon
strabile de aliquo non est idem realiter cum eo, ergo distinguitur realiter ab eo’. Pa
tet instantia, quia ens rationis non est idem realiter cum re nec distinguitur realiter.
/§ Et hoc secundum opinionem quae ponit entia rationis obiective in anima. §/“85
Hier ist ein Schluss nach dem tertium non datur suspendiert oder zurückgewiesen
worden. Dies freilich im Sinne einer intensional zu verstehenden Begriffsdeutung
83. Hier ließe sich die adverbielle Bestimmung eines Adjektivs oder einer Qualität denken. Das
muss eine Negation genau im Sinn eines Ausschlusses der Realität (significatio) in sich und
ebenso eine modale Satzbestimmung besagen, bei der nach dem realen Satzgehalt (Satzwert)
nicht mehr gefragt werden kann; modale Satzbestimmungen heben einen Satz auf. Das nutzt
Wodham bei den Sätzen der Christologie. Sie werden alle als Elementarsätze gehalten. Die
Modalität tritt ein, wenn die essentia, das Essentielle, faktisch nicht im Sinne des Akzidentellen
aufzufangen ist und damit der Sinn (cf. Ockhams Induktion) zum Nichtsein, zur Negation der
res in se gelangt.
84. Prol. Ord. q. 3 OT I p. 143 lin. 9–13.
85. Eine andere Handschrift setzt hinzu: „secundum aliam est aliter dicendum“ s. p. 143, Appa
rat: (add. B.) Die Bestimmung des menschlichen Begriffes (= conceptus), die Ockham hier
setzt, voraussetzt und verwendet, ist die Hypothese, der Begriff in mente sei ein fictum esse, auf
das der actus intelligendi erst sich beziehe, nicht aber eine intellectio oder ein subiectivum esse,
welche bereits die Erkenntnis darstelle.
Kapitel 6. Theologie und Logikbegriff 287
(Hypothese). Der Ausgriff a parte conceptus oder actus apprehensivi respektive actus
mentalis auf die Realität ex se oder in se ist obsolet.86
So bekommen die solutiones, die eine Erörterung abschließen, bei Ockham fol
gende Struktur: eine empirische Induktionsbasis, die nur rein intensional gefasst sein
kann, und den Auslegungs- oder Bestimmungscharakter, der sich auf das intramen
tale ens bezieht, und gegen eine formell analytische Auffassung oder gar einen Tru-
ismus sich erklären und absetzen. Im obigen Beispiel ist die Auslegung des Begriffs
(universale) als fictum (esse), obiectivum esse bzw. obiective esse die Grundlage dafür,
dass die scharfe Disjunktion zwischen distinctio realis und identitas realis negiert (ge-
leugnet) wird: ein formell apriorischer Gesichtspunkt, für den aber Logik und Inhalt
miteinander verschliffen erscheinen, wird aufgegeben; nur so kann die Negation einer
anderen Annahme oder Meinung entgegengesetzt werden.87 Die Induktion (oder die
Abstraktion) eines Urteils beruht hier darauf, dass das ens mentale des Begriffs als ob
iectivum esse und nicht dinggleich als subiectivum esse verstanden wird. Diese Lehre
oder Position Ockhams zum universale, die er anfänglich und dann wieder als end-
gültige akzeptierte, ist damit ebenfalls induktiv erhärtet worden; für den Begriff nach
der Bestimmung als subiectum esse würde die Dingidentität gelten und eben damit
auch, dass es als res absoluta anzusehen wäre und damit von jedem anderen Ding, i.e.
jeder anderen Sache verschieden, da es als res keine andere res enthalten kann. Das
schafft für Lehre und Auslegung von Sätzen eine Problematik: Begriffe haben darin
ja einen ‘Wesenszusammenhang’, zumindest muss den Sätzen nach ihrem Typus eine
genuine Verbindung ihrer Begriffe, s und P, zugeschrieben werden; sie könnten sonst
nicht charakterisiert (typisch unterschieden) werden. Die Widerlegung der Vorstel-
lung von Inklusion ist zugleich die Aufhebung der Implikation.88
Da die Sätze mit ihrer Struktur und diese bedingend, nicht analytisch verfasst
sein können, also keine analytische gebundenen und verbundenen termini besitzen
können, können (müssen) sie gegeneinander, im Sinn von Verhältnissen bestimmt
werden, die eine Deduktion ergeben oder einer entsprechen, die nicht die analyti-
sche ist und die die Kompatibilität mehr als die Konsistenz betont, vielleicht sogar
definit ergibt. Eine solche Struktur, wenn sie besteht, fasst Inhalte, die nach Haupt-
begriffen thematisch gegeben werden, analog den ihnen untergeordneten Aussagen,
die, determinat gesehen, den Inhalt nicht enthalten, den sie über ihren Stellenwert
86. Dabei gibt es Gott und es gibt die Welt. Beide werden nicht nach einerlei Maß betrachtet
und verbunden werden können, schon weil es dieses Maß secundum logicam und in der Form
eines denkbaren Deduktion, für die dann der Syllogismus stünde, nicht gibt. In der Syllogistik
können deduktive Kontinuität und Konsistenz der Beweisakte nicht dargestellt werden.
87. Dieser Fall ist bereits im Rahmen der Analyse der Bestimmungen heterogener theologi
scher Erkenntnisformen gegenüber dem Gegenstand ‘divina essentia’ selbst erörtert worden,
wo er ganz gleich vorkommt.
88. Hier begründet sich die Form von reprobatio mit Gewicht für ontologische Begriffe wie
forma usw. S. Kap. 9.
288 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
identifizieren: Gott ist oder wird was die Satztypen, ihm zugeordnet, über ihn aussa
gen (bzw. zulassen); Gott wird auch was von ihm veranlasst werden kann. Der kontin-
gente Satz ‘folgt’ aus dem notwendigen, insofern sie beide nicht ‘analytisch’ sind oder
sein sollen. Gott ist Schöpfergott und Erlösergott. Gott wird nach dem notwendigen
Satz identifiziert, der die Heilsordnung, somit die Heilswahrheit, angibt, und durch
den Satz, der den Erlösergott beschreibt, den Erlöser. Das Verhältnis der Sätze und
Satztypen ersetzt die Gegenständlichkeit, hier den Gegenstand ‘Gott’. Beide Satzarten
im Verhältnis zueinander nivellieren oder suspendieren das erkenntnistheoretische
Dilemma, das man für Ockham als Vertreter der Spätscholastik immer sehen will.
Gott und Wahrheit sind die beiden äußeren Randpunkte, die bei Ockham, wenn er
das erkennende Vermögen des Menschen in der Form der Sätze oder deren Beurtei-
lung festlegt, nicht mehr de facto erreicht und affiziert werden. An der Stelle der Rea
lität, die in se nicht erreicht wird, stehen die kontingenten Sätze, die über sie ausgesagt
werden. An die Stelle Gottes treten die Akte, deren Bestimmtheiten Erkenntnisse be-
züglich Gott formal oder formell beschreiben und als mit der empirischen Erkennt-
nisbasis des Menschen kompatibel konzedieren. Es fragt sich, ob die beiden ersten
Artikel des Credo89 gleichwertig erfasst wurden und infolgedessen, ob das Christen-
tum denn bewältigt wurde.90
Klar ist, dass die Vereinigung oder Zusammensetzung der zwei Naturen in Chri-
sto menschliches Denken vor Probleme stellt:91 „dico quod nihil est compositum sine
89. H. Blumenberg, 1966 p. 544 Anm. 27 nennt die Unterscheidung zwischen creatio und ge
neratio eine der dunkelsten der Dogmengeschichte. Eine Begründung gibt er nicht. Creatio
gilt der Welt, insofern Gott sie geschaffen habe, generatio hier dem innergöttlichen Bereich
der Trinität, nur diese betreffend. Für Ockham Ord. d. 1 q. 1 OT I p. 385 lin. 1–3 bringt der
Wille „secundum omnes“ den Hl. Geist „necessario“, „creaturam“ aber „contingenter“ hervor.
Ockham betont generatio als menschengemäßen Begriff (Ord. d. 13 q. unica OT III p. 423
lin. 11–13): „respondeo quod non est possibile assignare rationem sufficientem quare productio
Spiritus Sancti non dicatur generatio, et hoc pro statu isto. Tamen hoc est credendum.“ (indes
auch das mit rationes! Cf. ib. lin. 13f: „aliqualis ratio!“) Dann grundsätzlich (ib. lin. 15–18): „Et
assurgendo a creaturis, non debemus creaturam omnino excludere, quin aliquomodo propor-
tionaliter dicamus in deo sicut videmus in creaturis.“ Cf. ib. p. 422 lin. 11f und 17f: generatio =
spiratio! Ein Beweisgrund für eine Unterschiedenheit würde auf der/einer distinctio realis be-
ruhen und also induktiv gegeben werden können. Cf. ib. p. 422 lin. 13–16: „Et ad probationem
dico quod non tantum relationis oppositio inter correlativa sufficit ad distinctionem realem in
divinis, sed etiam incompossibilitas in eadem persona sufficit ad distinctionem realem.“ Sie
wird also gesucht oder benötigt.
90. Die größere Bewältigungsmenge liegt technisch bei der Christologie und ihr entsprechend
in der Konzeption des dreieinigen Gottes. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Scho
lastik mit ihren terminologischen Mitteln einen Teil der Probleme integral erst erzeugte und
danach zwingend auch integrativ zu beantworten hatte.
91. Ord. d. 30 q. 1 OT IV p. 318 lin. 1–9 Der empirische Sinn eines Satzes meint kein (absolutes)
inhaltliches Verhältnis der Begriffe zueinander. Die syncathegoremata, die hier nichts zum Satz
Kapitel 6. Theologie und Logikbegriff 289
unione partium componibilium, accipiendo unionem pro ipsis partibus unitis, quia
sic valet ista(m) ‘nihil est compositum sine partibus realiter unitis et non distantibus’.
Si autem ibi ly unione supponat pro conceptu exprimente rem sicut est, sic conceden-
dum est quod potest esse compositum sine unione partium componibilium … sed
primus sensus est magis usitatus apud auctores.“ Es gibt also ein compositum sine
unione. Es bedeutet (die) Nähe der Teile in der Zusammensetzung, sie müssen de fac-
to sich berühren, wie evident ist, aber sie müssen nicht sich durchdringen. Das erlaubt
die Induktion, welche mit einem Status per Abstraktion zusammengeht. Danach ist
die unio sine compositione möglich. Erst das würde den definiten Begriffsgebrauch
und eben auf einer Induktionsbasis sichern. Erst danach ist ein Schluss möglich; dass
er nicht apologetischer Natur ist, ist klar. Das Schließen kann mit der Apologie nichts
zu tun haben. Diese arbeitet im Prinzip auch mit Zirkelschlüssen. Es wird sogar klar,
dass Ockham immer mit abgeschlossenen, i.e. begrenzten, prinzipiell also elemen
taren Sätzen arbeiten muss, wenn die (Approximation an) Wahrheit ausgedrückt oder
verhandelt werden soll. Duns Scotus hat sicher eher apologetisch operiert als Ockham.
Der tut es der hier geschilderten Methode der Abstraktion nach nicht. Man kann die
Methode Ockhams im Vergleich mit ‘der’ des Duns Scotus auch so verstehen, dass
man sagt: Ockham operiert abschließend mit Elementen, die bei Duns Scotus auxiliär
und präparativ sein konnten. Aber Ockham operiert so, dass das Akzidentelle nicht
in das Substanzielle eindringe: er sichert strikt und ausdrücklich diese Abstraktion.
Duns Scotus hatte sie in der noch unabdingbaren Argumentation wieder offengelas
sen bzw. eigentlich aufgehoben, sie entweder kasual unterteilt oder nur noch auf ei-
nen von zwei casus (Empirie versus Abstraktion, Empirie versus Metaphysik oder
göttliche Transzendenz) bezogen. Duns Scotus muss dabei die Geltung, den Vorrang
usw. im Grund extern und extra zum Wortlaut seiner einzelnen speziellen Ausfüh
rung behaupten oder unterstellen; natürlich auch für alle und am einzelnen Ort für
eine einzelne Unterscheidung. Geltung oder Vorrang sind nicht methodisch jeweils
eingeschlossen. Bei Ockham erübrigt die klarere Gestaltung bzw. die durchgängige
Konzeption zum einen Teil das spezielle Argumentationswesen des Duns Scotus, zum
anderen aber jedes annähernd analytische Begründen und Beweisen überhaupt, bei
dem vorderhand Logik und Ontologie irgendwie, am Ende aber nur unbestimmt zu
sammengenommen und zusammengezogen werden könnten. Ockham geht mit dem
induktiven Verfahren von der Geltung aus, die aber in sich von ihrer Basis her fak-
tisch begrenzt ist (i.e. Negationen einschließt) und es im abstrakten Ergebnis bleibt.
Auch hier ist der Ausdruck ein förmlich begrenzter, in den sprachlich eine Negation
eingeschlossen ist. Mit einer in dieser Art begründeten persuasio wird der Anspruch
der reellen ausgedehnten Geltung nicht erhoben, die Auswechselbarkeit der Begriffe
sogar erwogen, unterstellt oder zugelassen.
Nur in kontingenten Aussagen hatte Ockham die Christologie auffangen kön-
nen; die übergreifende Vorstellung heilsnotwendiger Sätze musste bedeuten, dass die
nach dem realen Sinn hinzufügen (cf. loc. cit. lin. 7: „omnis homo est risibilis sine hoc signo
distributivo ‘omnis’“), haben auch nichts mit der abstraktiv verstandenen qualitas zu tun.
290 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
92. Darin besteht die Übereinstimmung mit Luther, dem anscheinend Ockhams Erörterungen
auch intellektuell nicht widerstanden. Cf. NACHWORT Anm. 74.
93. Diese besondere Seelenwertigkeit ist dann proprium der spätmittelalterlichen und auch
der neuzeitlichen Denkweise und Religiosität, bei Luther wie im Katholizismus, und wenn
nicht im Rationalismus und der protestantischen Orthodoxie, so doch im Pietismus und bei
Kierkegaard, der das Mittelalter religiös lobt und genuin in ihm gräbt: Don Juan Motiv. Er ist
der historischen Abkunft des Motivs als eines mittelalterlichen sich bewusst.
94. Mit Ockhams Verfahren aber, der Haltung, die damit einhergeht, wird, immer anstelle ei
ner Kausalität in actu, die Induktion (mit) angesprochen. Die Induktion leistet und übernimmt,
was für die Bestimmungen der Sätze, der kontingenten zumal, nicht gesichert werden kann:
dass das Prädikat eine kausale Funktion und inhaltliche Integrität gegenüber dem subiectum
aufweisen könnte. Mit der Induktion wird sie insoweit erlangt, als für die Empirie, von ihr
ausgehend, aber nicht auf ihr, das Akzidentelle und in seiner empirischen Dimension Kontin
gente, dem subiectum beigeschlossen, als in dieses förmlich nicht eintretend bewiesen werden
kann. Es besitzt dann einen referentiellen oder indexikalischen Charakter. Es wird eine kon
tingente oder akzidenteller Wertigkeit beibehalten, die wird aber nicht inhaltlich und nicht re
flexiv ausgedrückt oder ausschlaggebend. Sie geht in die Bestimmungen der Substanzbegriffe,
mittels forma eingeführt, nicht ein; diese mithin sind intensional in jedem Sinne des Wortes
zu verstehen: inhaltlich, modal, pragmatisch, auf den Denkenden als Subjekt und nach seinem
Vermögen bezogen. Modal verstanden werden können auch Apostrophierungen von Beweisen
wie ‘potest persuaderi’. Cf. wie das subiectum causa praedicati propositionis ist: Ord. Prol. q. 3
OT I p. 142 lin. 23 – p. 143 lin. 6.
95. Hobbes, Leibniz, Spinoza, Hume stützen wie definieren dieses Verhältnis über den Wider
spruchsatz. Ockham trennt abstrakte Aussagen und eventuell Notwendigkeit und empirischen
Sachverhalt, i.e. akzidenteller Gehalt und kontingenten Sachverhalt so, dass dies auch eine
Revision der Beweistheorie bedingt. Gegen Spinoza erhebt W. Cramer, 1959 p. 11 Einwände:
„Wir hören nichts darüber, warum sich die Substanz in vieles auseinanderlegt, warum sie Modi
hat…“ (ebenso p. 13). Dann p. 18: Spinoza sei „vorzuhalten, dass er nur versichert, wo er hätte
begründen müssen.“ Methodologisch ist es die Frage, ob er mit der Definition von passio-
nes, also Prädikaten, faktisch nach dem Sinn von accidentia, vorgehen konnte, um beweisend
mit der ‘consequentia’ Notwendigkeit darzutun. Konnte es die Notwendigkeit der subiecta, des
in ihnen Dargelegten, ihrer Verhältnisse sein oder musste dies alles wesentlich per Induktion
Kapitel 6. Theologie und Logikbegriff 291
es vielleicht und gibt, wenn sie vom empirischen zum abstrakten Begriffsgebrauch
fortschreitet, via Argumentation zunächst nur Begründungen für die Bedeutung der
Vermögen. Sie werden zu Rivalen des Christentums. Die Christologie verbleibt als ein
Relikt im neuzeitlichen Denken.96
Indem die theologischen Wahrheiten, die die Heilsordnung betreffen, wozu die
christologischen Aussagen nicht sichtbar oder notwendig gehören können, vorran-
gig für den Glauben sind und potentiell notwendige Wahrheiten, können sie mit den
kontingenten christologischen Aussagen (Zweinaturenlehre) nicht ableitbar überein-
stimmen, da die kontingenten Aussagen aus ihnen nicht abgeleitet werden können;
sie können daher mit ihnen nur kompatibel sein. Letztere werden ersteren auch nicht
widersprechen oder einen bzw. den Widerspruch für sie formulieren. Aber sie können
auch nicht als Aussagen Bedingungen für den Glauben darstellen, den sie zugleich
auszudrücken hätten. Gibt es eine absolute Verlässlichkeit in den Bezeichnungen, so
können den Glauben nur solche Aussagen wiedergeben und zugleich abgeben (= ver
körpern), die mit ihrer rationalen Form von einer bloßen sachlichen Aussage, wie sie
die Christologie bietet, sich unterscheiden: sie können daher kategoriell überhaupt
nicht mehr dem Glauben, sondern bloß noch der Rationalität oder dem Wissen, wenn
es denn gestiftet werden kann, angehören. Es muss also (Wissen oder) Erkenntnis ge-
ben, die wenn sie bloß geäußert wird, schon ‘ist’. Was hier allgemein gefordert werden
muss, löst der Nominalismus ein. Er gehört wesentlich somit sogar der mittelalterli-
chen Welt an. Die Rationalität in der christlichen Welt kann keine gegenstandsverhaf-
tete sein. Deshalb war die Christologie weltlich denkbar und rational untauglich und
unerheblich.97 Dass irgendeine spätere Philosophie das Dilemma be- und aufheben
erhoben und erwogen werden? Spinoza macht das alte aristotelische Prinzip der adaequatio
intellectus ad rem geltend und schließt die Kausalität darin ein. Gilt dies (alles)? Oder sagen
wir mit Ockham: Sunt falsae opiniones, operationes, argumentationes sive consequentiae. D. h.
Falsche Ansichten im Verhältnis zu Beweis, Argument und Ontologie. Nicht absolut, nur relativ
absolut.
96. Duns Scotus und Ockham haben beide in einer anderen Stellung sich befunden: sie haben
(die) Absolutheit – von Thesen wie Beweisverfahren und sei ein solches wie bei Duns Scotus
auch nur vermeintlich – an (die) Vorgangslosigkeit geknüpft, letztere implizit innerhalb der Ar-
gumentation und eben konstruktiv herzustellen unternommen. Ockham bewertet Ausdrücke,
Begriffe und Sätze ebenso wie consequentiae und stellt sie nicht durch Deduktion dar wie Duns
Scotus. Wenn Ockham beweist, widerlegt er die Annahme, dass bestimmte Ausdrücke, Sätze
und consequentiae gültig seien. Er zeigt, dass sie auf fallaciae beruhen usw. Ockhams Beweisen
richtet sich damit auf die Intensionalität: er widerlegt und induziert oder persuadiert mit Bezug
auf den actus mentalis. Den lernen wir inhaltlich (inhaltsbezogen) als actus apprehensivus
kennen.
97. Ockhams Frage (Ord. d. 17 q. 3 OT III p. 475 lin. 13f): „Utrum de facto omni actui meritorio
caritas creata praesupponatur“ impliziert, dass der actus meritorius zu seiner Akzeptanz der
dem Menschen möglichen (gegebenen) natürlichen caritas (Menschenliebe) als seines Motivs
bedürfen könnte. Denn er richtet sich ausschließlich auf den Menschen. Er ist immer sittlich
292 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
bestimmt, er hängt damit von der Ethik ab. Damit hat er intensional gesehen keine Grundlage.
Er ist von etwas abhängig, was nicht sicher gegeben ist: eine ethische Erklärung oder die ihr ent
sprechende, d. h. sie wirklich ergreifende Motivation. Das gilt, nicht weil die ethischen Prinzi
pien als Setzungen abgeändert werden könnten, etwa secundum divinam voluntatem liberam,
sondern weil es keine Prämissen gibt (geben kann), von denen her sie Substanz bezögen. So
kann die ethische Maßregel oder Pflicht induktiv gesehen keinen actus meritorius dem Begriffe
nach begründen. Sein Begriff wäre so unhaltbar. Wir können so auch in der ethisch begründe
ten Pflicht keine Motivation besitzen, die ausreichend seiendlich begründet wäre; sie ist bloß
akzidentell denkbar. Wir hätten ein Widerspruchsmoment; wir könnten nie einen actus merito
rius vollführen. Gott kann also verwerfen, wiewohl der actus meritorius und entsprechend die
caritas creata beim Menschen vorhanden waren (ib. p. 477 lin. 18 – p. 478 lin. 2): „caritas aliqua
(sic!) creata – qua tamen posita non includit contradictionem habentem non esse carum deo
ut sibi praeparetur vita aeterna – praesupponitur omni actu meritorio. Nec aliquis de facto
actum meritorium elicit sine tali caritate formaliter informante. Et hoc est tenendum propter
auctoritatem Sanctorum.“ Der Väterlehre entspricht eine Beweisüberlegung, der keinerlei ein
seitiger Extremismus anhaftet, wie er mit der Prädestinationslehre u. a. gegeben wäre. Solche
Extremlehren sind mit Ockhams Argumentationshabitus nicht gegeben. Das Motiv muss also
nicht für jeden actus meritorius gefordert werden und implizit für keinen überhaupt. Das ist
ausgeschlossen, wie jedes Widerspruchsmoment und was es vertritt, für einen Begriff oder eine
Relation ausscheidet. Auch hier werden Induktionsmangel und Widerlegung gleich. Da nicht
a limine theologischer Inhalt (Gehalt) eines ‘Begriffes’ mit einer empirischen Referenz koinzi
diert bzw. so auch nicht seine empirische Fundierung in Richtung auf ‘andere’ theologische
Größen im ordo salutis gewahrt werden kann, muss bedingt der theologische Begriff außer-
halb der empirisch-praktischen Welt des Menschen stehen. Die charitas creata hat also keinen
festen Bezug auf den actus meritorius. Deren notwendiger inhaltlicher Teil ist also bereits die
implizite Akzeptanz bei Gott. Die bereits widersprüchlich oder akzidentelle bestimmte Empirie
(Schöpfungswirklichkeit) bedingt, dass der von Ockham argumentativ erreichte und gereinigte
theologische Begriffssinn nicht mehr unbedingt als menschenbezogener und unserer Wirk-
lichkeit entsprechend anzusehen ist. (Das ist praktisch induktiv begründet!) Wir haben entspre
chend die feste Wirklichkeit auch im Innern nicht: wir können sie nicht in anima erkennend
registrieren. Was diese Wirklichkeit in unserer Seele außerhalb des Erkennens wäre, steht da-
hin. Wir haben theologische Begriffe, die per Induktion mit ihrem abstrakten Inhalt überhaupt
erstmals Bedeutung erwarben. Psychologisch gesehen bleiben sie leer. Ihr theologischer Gehalt
müsste unerwiesen, dessen empirische Erschließung unmöglich sein. Das gemahnt an Kierke
gaard. Die abstrakt leeren i.e. negativ intensional gefassten Begriffe, die als solche überhaupt
nur abstrakt Sinn haben und intentional kaum Wirklichkeit meinen können (auch keine feste
in Gott), bedingen gewiss, dass sich der Mensch empirisch (auch als empirischer Mensch) in
Hinsicht auf den Glauben in keiner Weise zu fassen vermag. Von der Erkenntnistheorie auf-
steigend zur sacra theologia, zu den in der visio beatifica gedachten Erkenntnisfunktionen, mit
habitus und conservatio notitiae intuitivae ad cognitionem rei non existentis bis hin zu solchen
theologischen Begriffen wie spiratio, die relational die Dreifaltigkeitslehre zu umrahmen ha
ben. Das gilt auch für jeden Begriff aus dem ordo salutis. Wir kommen so zu einer eigentüm
lichen scientia supranaturalis. Die damit gegebenen Grundsätze oder Gewissheiten resp. Evi-
denzen parallelisieren sich vielleicht Luther oder Boehme. Die Idee des christlichen Glaubens
könnte auch an die negativen Metaphysiken von Bradley und McTaggart verloren gehen. Gott
Kapitel 6. Theologie und Logikbegriff 293
konnte, war nicht denkbar. Die christologischen Wahrheiten können daher die Kon-
sistenz für die Heilslehre bedeuten, der sie selbst dabei nicht angehören, indem sie
die Wahrheit in keiner Weise förmlich selbst existentiell darstellen; sie bedeuten die
Minderung des Existenz- und Konsistenzmoments in se. Folglich müssen die kontin
genten Aussagen auch eine Struktur haben, mit der sie die Kontingenz in se nicht
mehr meinen können, weder in sich selbst als Aussagen, i.e. intensional, noch die
Kontingenz extra nos, mithin extensional.98 Ockham kann in der Christologie den
sprachlichen Ausdruck suppositionslogisch salvieren; der dogmatische Wortlaut er-
fährt keine inhaltliche Apologie.99
Ockham hält in allen Fragen, den theologischen wie den naturphilosophischen,
den einen bestimmten Rahmen, der für die Argumentation gilt, ein; er schöpft aus ihm
keine Erkenntnis der „Realität in sich“, wenngleich er diese dabei nicht ausschließt,
sondern sie gleichsam suspendiert (= hintanhält). Das, a parte argumentationis, be-
schreibt und bezeichnet seinen Nominalismus; es macht ihn praktisch aus. Metho-
disch ist der Inhaltsbegriff bei Ockham generell nicht bereits mit dem Begriff, der
seiner Verwendung nach, hypothetisch auf reale Gegenstände extra animam bezogen
einheitlich zu sein hat, gegeben, sondern erst mit jenen Bestimmungen, die über die
erste Abstraktion, die aus der notitia intuitiva nach Ockham zwangsläufig erwächst
(i.e. förmlich mitgeht, d. h. noch akzidentell ist), hinausgehen. Sie sind nach der
und Welt sind bei Ockham implizit geschieden. Die Welt ist natürlich die von Gott geschaffene
Welt. Ihre Gesetze gelten als lex communis. Aber sie können in der scientia supranaturalis nur
Folie sein. Die externe Welt ist nicht kohärent in die intellektive anima eingewandert. Diese
versammelt die theologische Wahrheit, sucht die ratio sufficiens für sie, leitet sie aber nicht
zur Frömmigkeit weiter, die spätmittelalterlich so bedeutsam wird. Fides und fiducia blieben
disparat. Wie Glaubenssatz und Beweisbarkeit. Zu acceptio, caritas creata, meritum s. a. Kap. 3
Anm. 100.
98. Die Christologie wird in die Nähe der in se empirischen unerfahrbaren Realität gerückt.
Wenn die Christologie der empirischen und damit geschöpflichen Realität nahekommt, wobei
diese nach ihrem sprachlich-grammatischen Ausdruck nicht als Realität in se fixiert werden
kann, erhält sie ihren induktiven Grund in den Sprachregeln selbst. (Diese müssen freilich
selbst eigens standardisiert werden, da sie für die Induktion ein Moment der herabgesetzten,
der reduzierten, der eingeschränkten Realität als Induktionsbasis erst durch Präparation erhal
ten können; andernfalls wären sie in sich zu allgemein und unbestimmt, so dass keine definite
Folgerung oder Postulation erlaubten.) Das ist eine sehr einfache Folge, welche damit überein
stimmt, dass Folgerungen schließlich überhaupt nicht ‘a parte abstractionis ad rem empiricam
seu singularem’ gezogen werden können. Die Induktion ersetzt Folgerungen im praktischen
Interesse der Wissenschaft (J. St. Mill, Peirce). Ihr präludiert Ockham so.
99. Da das Christentum, seine Substanz betreffend, ungesichert ist, ihm aber, im Mittelalter ins
besondere und es eigentlich fundierend, verpflichtend die Apologie beigetreten ist, die jedoch
dabei nur akzidentell sich ausnehmen konnte, kann man wesentlich und aus der Tiefe nicht auf
das Christentum verpflichtet sein, und die Apologie ihrerseits kann misslingen oder freiwillig
aufgegeben werden.
294 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
100. Beide erwähnten Abstraktionen oder internen Abstraktionsstufen heißen bei Ockham no
titia abstractiva. Jene, die dem Begriff gleichsam entspricht, ist die notitia abstractiva secunda,
die mit der bloßen Begriffserzeugung, die darin quasi dinglich, wenn auch im Verstande statt
findend ist, denn auch noch nicht gegeben ist. Indem sie für den Verstand und in ihm rein in
haltlich stattfindet und auffindbar ist, besteht die Verbindung zur Realität (oder Empirie) rein
induktiv und vollzieht sich über die Induktion. Das heißt: rationes und notitia, species usw. als
Vermittlungsbegriffe statuieren die Bedeutung von Begriffen, Sätzen als formell inhaltliche; ka
suale Geflechte der actus liegen außerhalb von deren inhaltlichem Begriffsverständnis.
101. Autrecourt unterstellt eine Atomlehre um den Sinn der scholastischen Terminologie und
Prinzipien ‘semantisch’ zu bestreiten (i.e. sie fiktiv oder formell zu widerlegen). Sie definiert für
ihn die Wirklichkeit, die zugleich in sich schwindende Ungreifbarkeit besagen soll. Die Atom-
lehre besagt eine entzogene Weltwirklichkeit, die er nur unterstellen kann. Ob er damit irgend-
welche Termini oder Prinzipien retten oder definieren wolle, sagt er nicht. Nach Ockham stellt
sich natürlich die Sache anders dar: Da es für Ockham keinen Ausdruck gibt, der in die Realität
extra animam direkt hineinginge und sie ex se darstellen könnte, kann es auch eigentlich kei-
nen indirekten Beweis geben, der ein positives Ergebnis nach dem tertium non datur besagen
zu besagen hätte, i.e. in dessen Sinn Eindeutigkeit herstellte oder in Anspruch nehmen könnte.
Wir würden damit in der Tat der Abstraktion aus dem Verlauf der Argumentation Konkurrenz
machen. Das hätte den Widerspruch zu bedeuten, i.e. die Widerspruchsmöglichkeit, dass im
Verlauf und Erfolgen der heterogenen Argumentationen und Beweise diese sich nicht deckten.
Bei Ockhams Argumentation(en) mit Hilfe der Induktion ist das ausgeschlossen: hier werden
nicht deckungsgleiche casus ja gerade entzerrt. Vgl. auch Kap. 8 Anm. 115: Die Induktion fasst
die Wirklichkeit in sich widerspruchsfrei auf (Peirce). Das muss auch bedeuten, dass reproba-
tio und Induktion nicht völlig sich entsprechen und nicht sich widersprechen. Cf. auch noch
Kap. 11 Anm. 54. Zur Einführung des Atomismus in die Kopernikanische Theorie (durch De-
scartes, 1644) s. T. S. Kuhn, The Copernican Revolution, Planetary Astronomy in the Develop-
ment of Western Thought, 1957, 1985, pp. 238–242, p. 258f.
Kapitel 6. Theologie und Logikbegriff 295
Zeichen.102 Ebenso kann der Begriff hypothetisch fictum oder obiectivum esse heißen,
bzw. letzteres ‘haben’.103 Als res bezeichnet wäre der Begriff funktionell unterwertig
102. Species als Formation, die die notitia intuitiva und die notitia abstractiva begleitend ent-
stehe oder gar die Natur des Begriffs bezeichne, wird von Ockham ad libitum zugestanden,
nicht aber gefordert. Anders bei seinem ‘Schüler’ Adam Wodham, in dessen SK lb. III d. 14 q. 11
Folio 135 col. 1. Bei Duns Scotus geht sie in die Beschreibung der Erkenntnis ein. Cf. etwa bei
Duns Scotus zur abstractio ultima (s. Kap. 2).
103. Cf. G. Gál, 1967. Walter Chatton behauptete, Ockham habe sich im SK für die fictum-
ypothese entschieden. Das überzeichnet die Präferenz. Chatton selbst erwähnt (Lectura
H
I, d. 3 a), dass Ockham am Ende seiner quaestio über die Natur des Begriffs dem Leser die
Wahl zwischen fictum-Hypothese und intellectio-Hypothese überlasse, sagt aber (Gál, p. 201
Anm. 22): „Licet enim isti (sc. Ockham) de secunda opinione in fine aliquorum dictorum
suorum de ente ficto addunt ultimam particulam, tamen processus quaestionum suarum de
conceptu totaliter est exaratus in Primo suo super Sententias ad declarandum quod conceptus
communis sit tale ens fictum objectivum, nec penes aliam est aliqua quaestio de conceptu com-
muni vel pertractata.“ Das ist eine Tendenzbemerkung mit Schluss ex negativo, wie er stets ad
libitum ist. Chatton nennt Ockhams Prol. SK I, d. 1, 2, 3 zum Beleg und verweist auf die Fälle
von Ockhams Behandlungen der theologischen Wahrheiten ‘de productione Verbi et Spiritus
Sancti et ubicumque pertractat de cognitione Dei vel creaturarum in conceptibus communibus’.
Chatton behandelt nun (Lectura I, d. 3, a 2 nach Gál, p. 203) die fictum-Hypothese Ockhams
so, als trete damit ein weiteres ens zu intellectio, res extra und eben auch species und habitus
ins Spiel. Für Ockham soll das fictum dem actus apprehensivus entsprechen. Als intellectio
verstanden „quodlibet universale et genus generalissimum est vere res singularis“ und steht
dennoch nicht „pro se sed pro rebus quas significat.“ (Ord. d. 2 q. 8 OT II p. 290 lin. 15). Chatton
bringt gegen Ockham vor (Gál, p. 202): „Non plus dependet actus intelligendi ab esse ficto vel
ab ente ficto et obiectivo quam ((a)) rebus realiter et subiective existentibus. Sed per potentiam
Dei sine rebus subiective existentibus potest fieri actus intelligendi, igitur sine ficto.“ „Nulla
apparet contradictio quod remaneat intellectio sine tali ficto sicut et sine rebus et subiective
existentibus extra. Et tamen contradictio est quod ponatur intellectio quia aliquid intelligatur,
puta terminus ipse.“ (p. 201) „Alia est opinio: quia non intelligo quod conceptus universalis vel
particularis sit aliud quam ipse actus intelligendi.“ Doch für Ockham ist der intellectus nicht
erweislich causa (effectiva) cognitionis, während er die causa des Begriffs (universale) in anima
sehr wohl ist, sc. cum obiecto extra mentem. (Ord. d. 1 q. 3 OT I p. 418 lin. 7–9): „non potest
sufficienter probari quod intellectus est causa effectiva cognitionis, sed sufficit ad salvandum
omnia quod sit subiectum cognitionis.“ Ockham begibt sich auf die argumentativ konstruierte
Ebene des actus apprehensivus nicht um von dessen Warte aus die reale Erkenntnis reell zu
elizitieren; Chatton will das und reduziert die Zahl der Größen im Erkenntnisaufbau durch
vorgreiflich exzessive Behauptung von Geltung und Erfüllung. Er sucht Kontraktionen, weil
Ockhams Beweise überhaupt entfallen sollen. Er wirft Ockham vor, eine ars sermocinalis zu
betreiben („Dico quod non oportet ubique uniformiter referre ad qualitatem logicalem sermo
nis.“) Das ist zwar der Vorwurf des Realisten gegen die Terministen, Ockham zog indes für
seine solutiones Satzstrukturen nach Wortarten heran, um sie induktiv zu verwenden. Diese
Beweise sind nicht mehr genuin logischer Natur. Sie arbeiten, auch auf dem Feld der actus
mentales, mit reduktiven Kausalreferenzen und führen nur zu solchen. Die Faktoren haben
296 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Die ingressio ad materiam seu realitatem in se aber ist bei Ockham selbst ein
Gang ad absurdum, ad falsum, ad inexistens.107 Das gilt in Theologie, in Naturphilo
sophie, in den Explikationen der Wissenschaftslehre. Den actus mentalis (oder actus
apprehensivus) also formell sinngefüllt zu denken, ist unzweckmäßig und bedenklich.
Es entspricht nicht den konstruktiven Grundlagen der Vollzüge (dem Aufbau) bei
Ockham. So lässt denn Ockham auch sehen, dass er dort, wo der Satz eine förmliche
Wahrnehmungseinheit auch für ihn108 beinhaltet, wo er sie voraussetzt oder sie für ihn
unbestreitbar ist, dennoch, im Sinne und im Zuge seiner Argumentationen und der
mittels ihrer gegeben Erläuterungen faktisch die Trennung von s und P nach deren
notitia behauptet und induziert. Damit sind wir aber auf der eigentlichen abstrakti
ven und eigenen inhaltlichen Ebene.109 „Et quando dicitur quod ‘subiectum cadit in
definitione praedicati’, concedatur, communiter accipiendo definitionem ad quid rei
et quid nominis. Sed definitio non tantum dependet ab una parte sed etiam ab alia.
Ergo ad notitiam praedicati non debet sufficere subiectum, quod non est nisi pars
definitionis, sed potest requiri alia pars; et ita notitia subiecti non est sufficiens.“110
Das Problem im Nominalismus Ockhams ist, nicht dass es Realerkenntnis nicht gebe,
etwa weil der Universalienrealismus ausscheiden soll, sondern dass die Begriffe keine
identische intentionelle ‘significatio’ als Inhalte haben.111
In den Quodlibeta fragt Ockham: Utrum eadem veritas theologica specie vel nu-
mero possit probari in theologia et in scientia naturali112 und sagt: „dico … quod ea-
dem conclusio specie theologica non potest probari in theologia et scientia naturali
der Vorstellung des Schönen’ (Zitat Schiller) „durch Induktion und auf psychologischem Wege
zu erweisen“. „Denn freilich lässt sich weder aus dem Begriff der Freiheit, noch aus dem der Er
scheinung ein solches Gefühl analytisch herausziehen, und eine Synthesis apriori ist es ebenso
wenig; man ist also hierin durchaus auf empirische Beweise eingeschränkt.“
107. Das ist so noch in der Form der Widerlegung gegenwärtig, etwa wenn die forma die res
nicht erreicht.
108. Als besondere Vertreter der Ansicht, dass es einen Satzsinn gebe und er vor den Begriffen
und deren Bedeutungssinn rangiere, s. Gregor von Rimini („significatum totale“) und Walter
Chatton.
109. Ord. Prol. q. 9 OT I p. 265 lin. 6–11. Cf. Scotus ib. p. 228 lin. 18f: „subiectum cadit in defi-
nitione praedicati.“
110. Beide Arten der Definition, definitio quid rei und definitio quid nominis, also jene, die
den realen Tatbestand (und im Prinzip, cf. Hobbes und Leibniz, auch die Herstellbarkeit) an-
gibt und jene, die die Worterklärung besagt, werden von Ockham zusammengenommen, um
festzustellen, dass die notitia subiecti nicht die notitia praedicati schon enthalte, mit sich führe
oder ‘ergebe’. Es gibt somit zwischen ihnen auch kein Band der Konsequenz.
111. Dies kompensieren in theoretischer Form die methodischen Problemlösungen und der
Erkenntnisaufbau.
112. Quodlibeta V q. 1 OT IX pp. 475–480.
298 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
primo modo acceptis“. Das erscheint zunächst bereits evident. Denn es müssten in
dem Beweis – i.e. in den beiden verschiedenen Beweisen, die für sich je der einen
Disziplin und nicht der anderen angehören könnten, wenn denn beide Disziplinen an
dieser Stelle oder überhaupt getrennt sein können sollen – ein und derselbe Satz nach
verschiedenen Begriffen in den Prämissen aufgefasst und abgeleitet werden können,
was zu bedeuten hätte, dass sie implizit bereits einen unterschiedlichen Kontext vor
dem Beweisen und gegen den jeweiligen Beweis besäßen. Ockham gibt einen ‘Beweis’,
den man als Überredungsbeweis ansehen kann: „quia pluralitas non est ponenda sine
necessitate, ita eadem conclusio non potest probari in diversis scientiis.“ Der einzelne
Satz kann nicht in seiner Inhaltlichkeit oder auf Grund seiner Inhaltlichkeit multipli
ziert werden. Der Inhalt müsste sonst, wie er ein Verhältnis der Bestandteile, die ihn
ausmachen, gibt und hat, i.e. aus diesem und auf Grund dieses Verhältnisses besteht,
mehrfach kombiniert oder bewiesen werden können, danach aber auch mehr als einer
sein und mehr als einen Inhalt bedeuten und angeben. Auch ein und derselbe Realbe-
zug kann nicht multipliziert werden; er ist aber Teil der Bestimmtheit des Satzes, wie
gezeigt wurde.113 Es müssen dann aber nicht materiell verschiedene Wissenschaften
gesetzt werden, damit unterschiedene Wissenschaften sein können. Wo dieselben Sät
ze bewiesen werden, da werden die Grenzen der einzelnen Disziplinen gegeneinander
aufgehoben, wie auch die Ordnung der Sätze. Dass Sätze aus verschiedenen Wissen-
schaften ineinander übernommen werden können, hatte Ockham zugestanden und
damit die Grenzen der Disziplinen aufgehoben.114 Die persuasio, wie sie hier statthat,
versteht das Ökonomieprinzip als einen Ausdruck, der Abstraktionen mehr fassen
kann als konkrete Dinge. Für die obiecta muss sich das Ökonomieprinzip erübrigen,
da mit der distinctio realis und den Dingen, wie sie sinnlich wahrnehmbar vorliegen,
deren Zahl nicht reduzierbar erscheint. Nur wo abstracta als concreta behandelt wer
den, macht es Sinn, so wie das Omnipotenzprinzip vergleichbar nur zu wirken und
eingesetzt zu werden vermag, wenn reale Dinge, real unterschieden, benachbart, i.e.
zusammen vorkommend, im Sinne ihrer Kontingenz in der Welt nicht als unbedingt,
i.e. als notwendig verbunden angenommen werden sollen oder müssen. Doch besteht
zwischen sensitiven und intellektiven Akten ebenfalls eine distinctio realis, wie sich
induktiv und somit empirisch ergibt.115
Dabei wird von Ockham beatificabilis nur die anima intellectiva genannt.116 Na-
türlich ist die anima intellectiva als forma immaterialis et incorruptibilis nicht per
rationem naturalem beweisbar. „Solum experimur intellectionem et volitionem et
consimilia.“ Also die Akte und die Vermögen. Wenn diese beiden in die anima in
tellectiva fallen, gleichwohl diese aber aus der Erfahrung, der der Vermögen und Akte
mithin, nicht bewiesen werden kann, so heißt dies offenbar, dass die Induktion, mit
der die Vermögen und die Akte als bestimmt und existent suggeriert werden, nicht
bis zu dem oder einem materiellen Beweisgrund für die anima intellectiva reichen. Da
Letzteres auch Ockham sagt, lässt sich folgern, dass die Induktion im Zentrum seiner
Beweise etc. stehe, i.e. seine Meinungen und solutiones wesentlich von der Induktion ge
tragen werden. Alles außerhalb der genannten Beweisart oder ihr verwandten stehen
de ist dann akzidentelle Meinungskundgabe, mithin von Ockham nicht für zwingend
gehalten worden:117 „dico quod intelligendo per animam intellectivam formam im
materialem et incorruptibilem, quae tota est in toto corpore et tota in qualibet parte,
non potest evidenter scire per rationem vel per experientiam, quod talis forma sit in
nobis, nec quod intelligere talis substantiae proprium sit in nobis, nec quod talis anima
sit forma corporis.“ Es werden also ratio und experientia gleich oder gleichwertig
gesetzt, was auch auf die Induktion verweist, die beide vereinigt; es wird vom ‘intelli
gere’ (die genannte forma oder substantia betreffend) als einem Akt oder Vermögen
gesprochen, der, wenn er beweiswertige materielle Gründe vorweisen könnte, in der
Tat die Erfahrung und deren genetisches Potential überstiege. Denn wir können hier
keine empirischen Begriffe oder Anhaltspunkte haben. Von den genannten weder er-
fahrbaren noch beweisbaren Meinungen oder ‘Wahrheiten’ sagt Ockham: „sed ista
tria solum credimus. Quod autem non possit demonstrari patet, quia omnis ratio
probans ista accipit dubia homini sequenti rationem naturalem, nec per experienti-
am probantur, weil, wie schon gesagt, solum experimur intellectionem et volitionem.“
von diesen Voraussetzungen her mit Hilfe der nominalistisch-terministischen Logik zu einer
überaus bedeutsamen Neuerung fortgeschritten ist.“ Die übersinnliche Welt wird pro statu isto
durch Begriffe und die mit dem empirischen Gebrauch begründeten notitiae, den wir induktiv
feststellen können, repräsentiert. Auf derselben empirischen Basis, nach der wir die notitiae (in
tuitiva und abstractiva) gewinnen, ergibt sich für uns auch deren kompatible Reichweite in den
Bereich einer uns gegenwärtig nicht zugänglichen Erfahrung, die wir erst in patria haben könn-
ten, als denkbar weil nicht auszuschließen. Wenngleich wir annehmen müssen, dass wir Gott
schauen und so denn terminologisch und sachlich eine notitia intuitiva einräumen dürfen, wird
eine notitia abstractiva, die wir in patria hätten, ohne dass ihr anders als in unseren gegenwär
tigen irdischen Verhältnissen eine notitia intuitiva desselben Gegenstands vorausgegangen
wären, als eine schlechthin mit unseren empirischen Gegebenheiten kompatible Möglichkeit
ebenfalls noch genannt: sie kann von diesen Gegebenheiten her nicht ausgeschlossen werden.
Die notitia intuitiva präjudiziert einfach nicht die notitia abstractiva. Die Anschauung (o.) ist
nicht faktisch. Das konzeptuelle ‘Wissen’ ist hypothetisch: die veritas nicht ausgeschlossen.
116. Cf. Ord. Prol. q. 9 OT I p. 246 lin. 17–18.
117. Quodlibeta I, q. 10 OT IX p. 63 lin. 39 – p. 64 lin. 51.
300 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Diese Begriffe sind natürlich Relationsbegriffe; sie begreifen damit den induktiven
Bezug auf die Realität quasi notwendig ein. Die mit ihnen stattfindende induktive
oder empirische Bezugnahme ist faktisch eine den oder einen essentiellen Gehalt ak-
zidentell abstützende. Gleichwohl ist die Verallgemeinerung auf eine Seelenqualität
oder forma nicht möglich. Das sagt Ockhams Stellungnahme. Er stößt damit aber
auch auf Lehren des Aristoteles, welche er an der Stelle ausdrücklich beiseitelässt. 118
Dabei können wir mit Ockham durchaus quasi analytische Wahrheiten ansetzen, die
aber in diesem Sinne auch nie aliquomodo empirische Erkenntnisse sein können, wie
es bei den propositiones per se primo modo et propositiones per se secundo modo
immerhin der Fall ist:119 „Tamen haec tunc erit vera per se ‘habitus speculativus est in
intellectu speculativo’, non per se primo modo nec secundo, de quibus loquitur Phi-
losophus I Posteriorum,120 quia non est necessaria, sed dicuntur quia nihil hic ponitur
quod significet aliquid quod nec est subiectum nec accidens receptum in illo subiec-
to.“ Dabei waren die propositiones per se primo modo et per se secundo modo neben
der empirischen Wahrnehmbarkeit notwendige Sätze, die als unvorgängige Sätze Prä-
missen im Syllogismus sein konnten.121
118. Ib. p. 64 lin. 45f: „Quidquid de hoc senserit Philosophus, non curo ad praesens.“ Metho-
dologisch kann es sich bei Differenz oder auch Opposition zu Aristoteles für Ockham immer
nur um die mittels Induktion, Abstraktion, persuasio gegebene eigene ‘Lehre’ handeln. Seine
reprobationes geben Vorbehalte und stellen Unangängigkeiten heraus. Ockham bewertet Ar-
gumentationen und stellt sie her, nicht Wahrheitselaborate. Nur die notitia intuitiva verkörpert
Wahrheit a parte rei und ist eine notitia incomplexa. Zur Thematik cf. O. Pluta, Kritiker der
Unsterblichkeitsdoktrin in Mittelalter und Renaissance, 1986 Kap. 4.
119. Ord. Prol. q. 12 OT I p. 353 lin. 16–21.
120. Aristoteles, Anal. Poster. I, c. 4, tt. 30–33 (73a 34 – 73b 10).
121. Cf. aber ib. lin. 21f: „Sed ista erit per accidens ‘habitus practicus est in intellectu specula-
tivo’.“ Die notitia speculativa fällt nicht in die notitia practica, kann aber deren „causa effectiva“
sein. Ib. lin. 22 – p. 354 lin. 5.
Kapitel 6. Theologie und Logikbegriff 301
122. Zu einseitig und mit apologetischer Note sieht P. Vignaux, 1948 p. 25 was als notwendiger
Satz bei Ockham möglich sein soll: „Comment formera-t-il avec ces termes une de ces propo-
sitions toujours vraies qui restent l’idéal d’un logicien même croyant? Il lui suffira de passer
au mode hypothétique: si homo est, homo est homo. Voici atteint le nécessaire, l’universel.“
Hier wird eine Aussageart zum Typus höherer oder allgemeiner Ordnung erhoben, der alles
einbegreifen, retten und alles vertreten und bedeuten soll. Die Suche nach dem A priori bei
Ockham müsste schwierig sein. Persuasio, Induktion und Abstraktion tragen es nicht notwen-
dig. Ph. Boehner, 1958 p. 327 versucht Ockhams Ausführungen zu den consequentiae dahin zu
deuten, er habe die materielle Implikation festgehalten und eben mit dem Aspekt unbedingter
semantischer Wahrheit verbunden. Boehner sieht so auch noch den Impetus zum philosophi-
schen Realismus bei Ockham enthalten oder gewahrt und die gewünschte kanonische Auffas-
sung bezüglich der Universalien. Ob eine bestimmte Form von consequentia bei Ockham das
Wahrheitsmoment näher tragen soll, ist zu untersuchen.
123. Cf. Ord. Prol. q. 9 OT I p. 270 lin. 16 – p. 271 lin. 5.
124. ‘Inest’ und ‘inesse’ ist façon de parler, ohne ontologisch realistische Bedeutung, wie
Ockham Summa Totius Logicae und ebenso in der Ordinatio expreß klarmacht.
125. Cf. da z. B. die Bemerkung Ph. Boehners, 1958 p. 368f in Ockhams Gebrauch habe die di-
stinctio formalis ‘nichts mehr zu erklären’. Sie definiert nur den Gebrauch von Termini oder Sät
zen. Zu Duns Scotus ib. p. 265f. Nach Boehner will Ockham durch die d. f. den in Anbetracht
der sacra theologia bedrohten Widerspruchssatz retten, ein sacrificium intellectus. P. Vignaux,
1938 und 1948 p. 183 dramatisiert Ockhams Vorbehalte.
302 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
bestimmend und prävalent mehr ein.126 Absolute methodologische Elemente sind bei
Ockham die Abstraktion und die Induktion; sie schaffen und sichern gemeinsam die
persuasio d. h. den Überredungsbeweis. Daneben die Modalisierung von Aussagen.
Zu den Modalisierungen gehören auch die Apostrophierungen ‘non potest probari’,
‘potest persuaderi’, die distinctio formalis, die berühmten Prinzipien (Omnipotenzprin
zip mit seinen verschiedenen Auslegungen, das Ökonomieprinzip), die Formeln ‘non
est maior (oder maius) ratio’, ‘non est inconveniens’ etc.127
Adam Wodham gilt neben dem sehr späten Gabriel Byel (auch „der letzte Scho-
lastiker“ genannt) als der getreueste Schüler Ockhams. Dabei ist zu sehen, dass das
genuine Interesse Ockhams, die intensionale Satzanalyse, nicht beibehalten worden
ist; das bloße oder auch nur fingierte Sachinteresse setzt sich bei Wodham förmlich
durch und kappt damit das methodische Verfahren. Wodham kritisiert Ockham
auch.128 Ob die Identität der divina essentia und der personae, relationes, bzw. pro-
126. Ph. Boehner, 1958 p. 371 verweist auf Adam Wodham, der in I Sent. d. 33 q. 1 als 8. con
clusio habe: „Deitas non est formaliter vel per se primo modo aliqua Persona divina.“ Damit
kann in einem modalen und nicht empirischen Sinn eine distinctio formalis angenommen
werden. Sie steht dann in abstraktem Bezug auf den Satz, von dem der Modus nach Ockham
ohnehin prädiziert wird, und wird ihm, wie Ockham sagt, modo composito zugeschrieben sein.
Es gibt dann keine empirische deiktische Qualität und Bedeutung des Satzes. Boehner hält ib.
fest, Gregor von Rimini sei Verneiner der distinctio formalis gewesen. Cf. zu Adam Wode-
ham (Wodham), Super quattuor libros Sententiarum: Abbreviatio Henrici Trotting de Oyta (ed.
J. Major), Paris 1512. Aus diesem Druck wird im folgenden zitiert werden.
127. Die Argumentationen verlangen, wenn sie richtig betrachtet werden können sollen, eine
konstruktive Sicherung und Gewährleistung der Inhaltlichkeit gegenüber der extensiven em
pirischen (oder extensional verstandenen) Geltung. In der Art schon Ph. Boehner, 1958 p. 386,
dass das dictum, welches aus einem ergänzten unvollständigen Ausdruck besteht (etwa: ‘homi-
nem esse animal’, ‘hominem ese album’) und so in einem modalen Satz erscheint, „can be un-
derstood to have simple supposition“. Die suppositio simplex entspricht nach Ockhams Termi-
nologie der intentio secunda. Damit auch der Abstraktion, die mehr als empirischen Sinngehalt
besitzt.
128. lb. I d. 33 q. 1 Fo. 77 col. 1. Wodhams Auslegung in der Lehre von der divina essentia ist
zunächst rein wortgetreu apologetisch. „Ex hoc patet quod est falsa responsio okam … dicentis
quod quamvis suppositum creatum non possit multiplicari nisi naturaliter multiplicetur prop
ter omnimodam identitatem inter naturam et suppositum divinum tamen natura divina inter
quam et suppositum divinum est aliquis modus non identitatis non multiplicatur quamvis sup-
positum multiplicetur haec ille.“ Bei Ockham ist suppositum ein Funktionsbegriff, der mit der
natura numero vereinigt und in einem Satz modo composito prädiziert und verstanden werden
kann, also unempirisch. Er gilt dann nicht in einem Satz, worin er modo diviso zu verstehen
wäre (Quodlibetum IV q. 7 OT IX pp. 328–331 lin. 11 – 27, lin. 41–45, lin. 56–58). Übereinstim-
mung mit Ockham zeigt Wodham in der Physik und bezüglich des Begriffs der forma, der
von akzidentell bestimmten Beimengungen freigehalten wird. Cf. lb. II, d. 1 q. 1 Fo. 92 col 3f:
„probatur quod non sit augmentatio formae per depurationem a suo contrario.“ Er verweist
auf Ockham: „arguit okam tunc nulla esset augmentatio vera formae sed solum secundum
Kapitel 6. Theologie und Logikbegriff 303
prietates anders als durch einen Kunstgriff oder eine fallacia direkt ‘bewiesen’ werden
könne, stehe denn auch dahin.129 Ockham sagt deutlich:130 „Quamvis relatio non sit
de intellectu essentiae, quia non praedicatur formaliter de divina essentia, est tamen
eadem realiter cum divina essentia et ideo non potest intelligi divina essentia non
intellecta persona.“ Ockham behauptet also eine distinctio formalis zwischen divina
essentia und relatio oder persona; sie muss denn auch modo composito von dem Satz
prädiziert werden, der besagt, dass die divina essentia und die relatio formaliter nicht
identisch seien. Daraus folgt dann nicht, dass sie nicht realiter identisch seien. Im
Sinne dieser förmlich empirischen Geltung sind sie identisch; diese aber wird nicht
ermittelt werden können. Damit zeigt sich wiederum, dass eine bestimmte Folgerung
mit realer Bedeutung, in Präsumtion einer signifikativ bestimmten Relevanz nicht
gezogen werden können soll. Formell setzt das die Realität wie sie ist oder angenom-
men werden kann, das heißt nicht ausgeschlossen ist, aber nicht per Folgerung ausge-
drückt und vor allem nicht ‘ausgeschöpft’, i.e. nicht voll umfangen werden kann. Nach
diesem Muster kann ein Satz determinat genannt werden. Was zu ihm real gemeint
werden – können – soll, kann nicht im Sinne einer Folgerung, die aus der Abstraktion
auf die Konkretion in reali ausginge, ‘abgeleitet’ werden. Neben distinctio realis und
distinctio formalis ist die distinctio rationis induktiv möglich: es kann definitermaßen
eine distinctio rationis für die (Begriffe) der divina essentia und der relationes oder
personae angenommen werden, weil abstractive gesehen diese verschiedenen Begriffe
im menschlichen Verstand vorkommen und gekannt werden können, ohne dass der
jeweils andere daraus elizitiert werden muss (musste). Wir lehnen uns an die Empi
rie (die Schöpfung der Begriffe in der notitia intuitiva) an, ohne sie verpflichtend zu
machen: wir unterstellen sie nicht für den faktischen Begriffsgebrauch131 und mit ihm
identisch.132
apparentiam quia solum appareret quam prius propter absentiam sui contrarii.“ Die Abstrakti
on wird durchgehalten.
129. Cf. dazu Anm. 71. Wodham gebraucht den Ausdruck acceptio für Bedeutung lb. I d. 33
q. 1 Fol. 74 col. 1 „secundum communem acceptionem termini“, bezogen auf distinguere und
distinctio. Gemeint ist aber distinctio realis. Ib.: „Dico primo quod divina essentia non distin-
guitur realiter a persona ita quod essentia non sit persona vel non sit res quae sit persona vel
econtra.“
130. Cf. Ord. d. 1 q. 5 OT I p. 457 lin. 4–8.
131. Wir könnten es nicht ohne logischen Widerspruch tun.
132. Determinatheit ist praktisch dadurch bestimmt, dass eine Folgerung für eine Abstraktion,
die somit erst gesichert wird, in Richtung auf deren reale Bedeutung nicht gezogen werden
können soll. Ockham führt in der Weise noch seinen Gottesbeweis, indem er den Scotischen
verbessert; er beweist, dass die ‘Welt geschaffen’ sei, wobei er determinatio und Implikation
gleichsetzt (sic!), mit anderen Worten: die Implikation in die Aussage intensional hineinholt. Sie
wird dann nicht beigefügt. Autrecourt hat, wie er namens der Folgerung auf die Realität in se,
Existenz quasi gleichnamig mit essentia und Geltung einer Abstraktion in der scholastischen,
304 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Ockham hatte die Glaubenseinsichten, welche wir de facto, auf der Basis unserer
empirisch gewonnenen Begriffe, nicht haben können, konstitutiv aus der Erkennt-
nis- und Beweislehre herausgenommen. Wodham macht einen solchen Unterschied
‘nicht mehr’ und kehrt so zur Apologetik zurück. Ockhams Feststellungen gingen
nicht in die seiner ‘Parteigänger’ gestaltend ein: Wodham, Autrecourt, Mirecourt, Bu-
ridan, Johannes Gerson, Peter von Ailly, Gregor von Rimini, Marsilius von Inghen,
Gabriel Byel. Der Grund muss sein, dass Ockhams Fixierung seiner Standpunkte, sc.
der Abstraktion gegenüber der Empirie, von ihnen nicht exakt übernommen werden
konnte, selbst wenn der Tenor der opinio Ockhams de facto doch direkt angeeignet
werden konnte, ihnen also eingegangen war.133 Sie ging dann paradoxerweise oder
auch verständlich nicht in den Ausdruck über.134 Die Empirie ist bei Ockham konsti
tutiver Teil der Argumentation, ohne doch, wenn relevant, mit der Abstraktion im
Ganzen gleich oder gleichwertig erschienen zu dürfen. Die Empirie, wenn als Ziel
punkt der Argumentation fungierend, kann doch gerade nicht ihren apologetischen
Erfüllungs- oder Geltungsaspekt integral darin verkörpern. Es ist aber wesentlich,
dass dieser empirische Begleitkontext wirklich gestaltet wird. Dies lässt Wodham
nach Ockham selbst sehen:135 „Aliter respondet okam li. I dist. 2, qu. ultima quod
contradictio est via potissima ad probandum distinctionem realem quoniam ibi est
aristotelisch bestimmten Terminologie Zugriff wünscht, von Ockhams Methode nichts über
nommen.
133. Auch das Bedürfnis zur alten Tradition zurückzukehren und den Versuch zu machen,
sie noch einmal zu halten, nachdem sie sichtbar oder, wie vielleicht auch zu befürchten stand,
grundsätzlich durchbrochen worden war, mag dabei wirksam gewesen sein. Eine Tradition zu
bewahren, die in Gefahr scheint, mag verständlich erscheinen, und kann wahrscheinlich nie
mals mehr mit den stärksten Mitteln und den nur im Ursprung umfänglichsten Eingebungen
gerettet werden. Eine andere Frage ist natürlich, ob eine andere als politische Erschütterung
wirklich zu einer geistigen oder im Namen der Philosophie technisch-wissenschaftlichen Re
formation führen konnte und wie die äußere Einwirkung für Ockhams Zeit denn ausgesehen
habe. Es sieht aber so aus, als habe Wodham gleichsam nur den Buchstabensinn noch einmal
hervorgeholt und seine SK sich darauf beschränkt, dies zu tun. Die Verbindung von der res sin-
gularis zum Individualbewusstsein ist spekulativ. Sie widerspricht gerade dem reich entfalteten
technischen Bewusstsein Ockhams, der ja diese res singularis extra mentem damit überdeckt
und ausschaltet oder wenigstens einklammert. Dies wird auch an dieser Stelle hier im Verhält-
nis zur distinctio realis und zur empirischen Geltung überhaupt noch einmal hervorgehoben.
Wodham will die Perversion des theologischen Gedankens durch den vergleichbar empirischen
ausschalten, indem er die Pluralität von divina essentia, göttlichen Personen, Eigenschaften
und Relationen gegen die numerische Konkretion abschirmt.
134. Die Sache ist gleichsam so zu sehen, dass Schüler und Nachfolger Ockhams Lehre, indem
sie sie akzeptieren und explizieren, diese, weil sie sie sich selbst zu vermitteln gehabt hätten, in
toto noch einmal abzuleiten gehabt hätten. Das konnte so wenig gelingen wie eine Widerlegung
(zu letzterem siehe Kap. 12).
135. Ib. I d. 33 q. 1 Fo. 76 col. 4.
Kapitel 6. Theologie und Logikbegriff 305
negatio simpliciter ita quod per nullam circumlocutionem potest alterum contradic
toriorum verificari de illo a quo negatur reliquum et sic non est in proposito quia licet
essentia est communicabilis et non tamen pater est ista res quae est communicabilis et
sic de similibus.“136 Wodham arbeitet wesentlich mit der distinctio realis. So auch:137
„Si essentia et relatio distinguuntur realiter haec (propositio) esset simpliciter falsa
‘pater, filius et spiritus sanctus sunt unus deus’ quia quaero pro quo staret iste termi-
nus deus aut pro essentia aut pro persona aut proprietate sive relatione. Si pro essentia
igitur cum tunc pater non est essentia igitur falsa esset ista propositio ‘pater et filius
et spiritus sanctus unus deus una essentia.’ Nec pro persona nec proprietate ut patet
de se.“ Am Ende trägt Wodham bloß dem Wortlaut des Confiteor und den hier her-
kömmlichen Wortverständnissen und apologetischen Präventionen Rechnung. Mit
Hilfe der distinctio realis weist er solche Auslegungen als absurd zurück, welche diese
Konventionen als rationale in Frage stellten könnten. Er verbleibt damit im Rahmen
des internen christlichen Selbstverständnisses. Es ist grundsätzlich festzuhalten, dass
die distinctio realis nicht einfach die oder eine Folgerung tragen kann, und, da dies
nicht der Fall ist, kann nicht mir ihrer Hilfe in der Form einer Widerlegung gleich
sam, eine These ex negativo gestützt werden. In dem Sinn würde für die empiriege
stützten Begriffe, die man ja immer verwendet und die man denn auch ontologisch
mit essentia, relatio, proprietas usw. bezeichnet, nur die Eindeutigkeit verloren gehen
und man erreicht argumentativ überhaupt nichts.138 Denn man liegt ja faktisch noch
der Abstraktion139 voraus.140
136. Die distinctio realis liegt aber selbst eigentlich dem Widerspruchssatz zugrunde, der so
intensional aufgefasst, integriert und auch negiert und suspendiert werden kann: res, die per
distinctionem realem geschieden sind, lassen nicht zu, dass das real unterschiedene Andere
von dem verifiziert werde, von dem sein Gegenpart verneint werde.
137. Ib. I d. 33 q. 1 Folio. 74 col. 3.
138. Die distinctio realis steht dann formell auch für die Ebene der extramentalen Empirie
überhaupt.
139. Die Differenz, mit der man vom empirischen Begriffsgebrauch zur abstractio und der
Bezeichnung der Erkenntnis übergeht, wie wir es für Ockham bestimmt haben, lässt sich mit
Wodham lb. I, d. 1 q. 12 Folio 14 col. 4 angeben: „dicendum quod signari primo sumitur pro re-
praesentari menti formaliter et sic idem est ut cognosci. Alio modo pro supponere.“ Supponere
bezeichnet also eine intensionale Qualität, die vom ‘Bezeichnen’ verschieden ist und eben vom
‘Bezeichnet werden’ der Sache und von dieser her gedacht.
140. Daß die distinctio realis auch „per se“ einen negativen Akzent hat, ist festzuhalten. Sie
bezeichnet ja nicht die Dinge aus sich oder in sich, sondern wie sie untereinander empirisch
in keiner sie übergreifenden oder abstrakten relatio gefasst werden. Sie tritt, wo Ockham sie
als Induktionsbasis gebraucht, immer mit diesem eingrenzenden Akzent auf, wie das bei der
Induktion, wie sie hier in Rede steht, immer sein muss, da diese auf mentale Strukturen und ih-
nen zugewiesenen Charaktere und zu ermittelnden Eigenschaften sich bezieht; Ockham wür-
de mit unumgrenzten Begriffen seine Erkenntnisse, die das Mentale betreffen und nicht ein
306 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Die Differenz von mental und extramental, die Wodham konstitutiv nicht macht,
holt er nach durch den Gebrauch der Modi: ‘per se’, ‘formaliter’ etc. und eben die
Differenz von modo composito und modo diviso bei der Bestimmung der Sätze, wie
kurz zu zeigen ist. Wodham sagt so beispielsweise141 von den proprietates personales
und der essentia: „possint distingui formaliter quin sint distinctae formalitates.“ Folg-
lich soll keine distinctio realis zwischen ihnen angenommen werden. Das ‘non idem
formaliter’ wird also dem Satz modo composito als Modus zugeschrieben werden
können, nicht modo diviso, i.e. empirisch. Es gibt dann zwischen beiden Auslegun-
gen keine consequentia, ‘esset consequentia invalida’, ‘esset conclusio falsa’. U. dgl. m.
Derart tritt Wodham der Abstraktionslehre Ockhams und seiner Theorie der Folge
rungen implizit noch bei.142 Adams Reportata143 zeigen nicht die besonderen Beweis
formen, die in Ockhams Ordinatio ausgebaut wurden.
Für die Trinitätslehre stellt Ockham die besondere Ausnahme vor, dass in der
visio beatifica die divina essentia direkt eingesehen werden kann, also intelligiert
wird, daneben aber auch die Erkenntnis noch möglich ist, die wir haben, die weder
empirisch sei noch per se nota.144 „Talis enim propositio propter identitatem realem
personarum cum divina essentia omni apprehendenti in se illos terminos esset per
se nota, nec posset de ea plus dubitare quam de ista ‘deitas est deitas’. Praeter istam
propositionem posset ille intellectus formare illam eandem propositionem quam nos
de facto habemus, dicendo ‘deitas est tres personae’, quae esset sibi evidenter nota, et
tamen non per se nota sed per primam propositionem, de qua dictum est, quae foret
sibi per se nota, et hoc quia ista secunda formaliter sequitur ex prima.“ Auch hier wird
nicht die Herleitungsbeziehung oder die rationale Gleichheit zwischen fides und ratio
oder Erkenntnis in patria und Erkenntnis in via betont. Aber auch hier wird die (for-
male) Qualität des menschlichen Denkens am Ende auf die Erkenntnis in patria über-
tragen. Es muss nicht angenommen werden, dass der terminus, der für die Erkenntnis
in patria gebraucht wird, einem menschlichen terminus gleich sei. „Quod autem istae
unbestimmt Tatsächliches in der physischen Realität, nicht gewinnen können. Die Deter
minatheit der Prinzipien usw. ist mit einer Negation korreliert, welche einen integralen Be-
standteil abgibt, nicht den äußeren, der durch ‘deduktive’ („analytische“) Operationen vermit-
telt wird, wie bei Spinoza, der fundamental annimmt: determinatio est negatio.
141. Ib. I d. 33 q. 1 Folio 74 col. 4.
142. Ockham hatte auch von einem auf der Abstraktionsebene angesetzten ‘formaliter idem’
nicht auf das empirische und individua betreffende ‘hoc est hoc’ folgern wollen: ausdrücklich
und wieder direkt im Zusammenhang mit dem Gedanken der Abstraktion, eben in der Entge
gensetzung gegen das empirische deiktische Moment in kontingenten Aussagen. So wenn er
die Beweisbarkeit von ‘Deus est omnipotens’ erörtert.
143. Wahrscheinlich um eine Vorlesungsmitschrift wie Ockhams Reportatio, die Adam gefer-
tigt haben soll.
144. Die folgenden Zitate gehen ineinander über in Ord. Prol. q. 1 OT I p. 73 lin. 1–10, ib.
lin. 11–16, ib. lin. 17–21.
Kapitel 6. Theologie und Logikbegriff 307
145. Der menschliche Begriff erreicht nicht den geschaffenen Gegenstand und nicht den gött-
lichen; er müsste dann sofort im Verein mit den Sätzen, in die er eingehen soll und die er bilden
hilft, diesen Gegenstand in se und ex se erschließen können. Der Begriff könnte so gar nicht
gebildet werden. Der Satz soll aber intellektiv sein.
146. Zwischen allgemein philosophischen Prinzipien und ethischen besteht bei Ockham
der Unterschied, dass jene aus dem Aufbau der Erkenntnis gewonnen werden (müssen), also
eigentlich die Begriffsstruktur durchsichtig machen (durchsichtig enthalten), diese aber aus
Dispositionen hervorgehen, bei denen die praktische Induktion Begriffe ‘brechen’ muss. Die
propositio per se nota wird im zweiten Fall eine hypothetische Größe sein, weil wir sie der
Erfahrung, der sie gleich zu kommen hätte, ja wiederum nicht gleichsetzen können: die Be
griffe der propositio per se nota oder des principium per se notum sind in sich ganz und gar
unbestimmter Herkunft, wir haben den Begriff nicht, aus dem wir a priori folgern könnten: oh-
nehin abwegig, weil die notitia intuitiva im Sinne des Begriffserwerbs der propositio per se nota
fakultativ mitwirkt und die Rolle mit weiteren fakultativen Bestimmungen der hier möglichen
begrifflichen Einsicht (des Begriffserwerbs) wie cognitio diffusa usw. teilt. Die propositio per
se nota (das principium per se nota) soll nach J. Miethke, 1969 pp. 325–330 eine abstrakte Struk
tureffizienz für deduktive Systeme haben. Ockham suggeriert Ord. Prol. q. 2 OT I p. 84 lin. 7–23
ein Kettensystem von propositiones per se nota; er sagt nicht, dass es deduktiv zu durchlaufen
und zu vollziehen sei oder ‘existiere’; er schließt (ib. p. 84 lin. 26 – p. 85 lin. 3) einzig aus, dass,
gäbe es dies System, experientia zu ihm führe.
147. Die propositio per se nota ist die Aussage, die am nächsten bei der Natur (Realität) extra
animam ist, so sehr, dass dieser gegenüber und für den Satz selbst subiectum und passio pro-
positionis kaum sich scheiden lassen. In der propositio per se nota erscheinen Begriffe inhalt-
lich kaum gegeneinander differenziert. Gegen diesen Satztypus erst lassen sich notitia intuitiva
und notitia abstractiva einführen und als ex opposito bestimmte notitiae festhalten. Indem wir
einen gewissen Abstand zur res extra nos für die Begriffsklassen (subiectum und passio als
quidditativum und connotativum), deren Definitionen, dann auch die der Sätze setzen und
308 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
per se nota ist, wenngleich wir sie empirisch erfahren und damit erfahren, dass es sie
gibt, hypothetisch darin bestimmt, dass ihr letzter Rückhalt in der Bedingung liegt,
dass wir nur diese Begriffe, die sie bilden (= in ihr vorkommen), haben und keine
anderen.148
ihn vorausgeben, können wir die Induktionen vollziehen, die die Differenzierungen der actus
mentales begründen und solutiones bei einzelnen Fragen anbahnen. Infolgedessen kann die
propositio per se nota zu Widerlegungen dienen, nämlich wenn die Qualität und Leistungskraft
anderer von ihr zu unterscheidender Satztypen ermittelt wird: ein Satz wäre eine propositio per
se nota, wenn…. Ockham beansprucht nicht die realitas in se (die reelle Gestalt wirklicher Na
turzusammenhänge) zu geben. Etwa für causa und effectus, die in der ‘Natur’ der Dinge wirk-
lich zusammenstoßen. Aber wir heben es nicht zur Stufe der Begriffe und der mit ihnen eigens
definierten und dabei hypothetisch angenommenen Erkenntnis (cognitio, evtl. notitia, actus).
Man weiß nicht, ob Ockham sich für die Naturzusammenhänge in reali überhaupt interessierte:
es gibt für sie keinen Maßstab. Sie konnten nicht gut gedacht werden. Ockham erkennt geo-
metrische Konstruktionen und die definitio quid rei an. Wie Aristoteles, De Caelo, 279, b 33
Cf. Dazu F. M. Cornford, Plato’s Cosmology. (Der „Timaeus“ engl übers. u. komm.) 1937 p. 26.
Ockham entwickelte über konzedierter Empirie und in sich unerfahrbarer Realität (ontologi-
sche Implemente lehnte er ab) seine Operationsbewertungen. Dabei bleibt die Bedingungsfunk
tion (Bedingungsstruktur) des kontingenten Satzes für die Erkenntnis erhalten (Ord. d. 1 q. 5
OT I p. 460 lin. 20–23): „paternitas in divinis nullo modo distinguitur a generatione activa et
per consequens nullo modo a fideli potest cognosci paternitas, nisi cognoscatur eodem modo
generatio activa.“ Das gilt schon abstrakt; denn der Satz enthält und erlaubt nicht Schlüsse (ib.
lin. 23–25): „et tamen multi credunt istam esse veram ‘paternitas constituit divinam personam’
et non istam ‘generatio constituit personam’.“ Der ‘Schluss’ würde so quasi empirisch desavou
iert. Der Satz ist aber wahr, er gilt „secundum veritatem rei“, i.e. genau in der Weise wie er als
‘kontingenter’ wahr nach der Suppositionsidentität von s und P ist. Der auch in der sacra theolo
gia noch geltende Satz ‘Pater prior filio est’ aber ist eine propositio per se nota. Darin hebt man
sich nicht vollständig von empirischer Wahrnehmung ab. Wie erkennbar gilt er ja auch in un-
serer irdischen Welt. Aus ihr haben wir ihn. Haben wir aber die Begriffe, so ist er ebenfalls nach
diesen einsehbar. Es gibt bei Ockham den inneren Gegensatz ‘Mentalismus vs. Empirismus’, der
die Erdung aller seiner Operationen ist. Zu ‘generatio’ s. a. o. Anm. 89.
148. So können denn ‘Begriffe’ oder besser termini, die nur der beatus in der visio beatifica
hat, hypothetisch eine propositio per se nota ergeben, ohne dass daraus eine Erkenntnis für
uns in via abgeleitet werden könnte. In dem Sinne gibt es also keine Folgerung und kann ‘Fol-
gerung’ auch nicht selbst begründet werden, etwa für die Theologie, die gleichsam der erste Ort
dieser Begründung sein können müsste. Theologie und Logik fielen aliquomodo zusammen.
Es ist erkennbar, dass Ockham faktisch so etwas getan hat bzw. eben das Omnipotenzprinzip
in einem überweltlichen Sinn und doch nicht in der Interferenz mit der Welt oder Schöpfung
einsetzte. Es ist auch erkennbar, dass Ockham nicht bloß termini, die nicht unseren conceptus
gleich sind oder entsprechen, für hypothetisch möglich hält, sondern auch ‘Begriffe’, die einer
anderen Schöpfung entsprächen als der gegenwärtigen und so einen jetzt entbehrten kausalen
Aufschluss über die Phänomene (unsere gegenwärtigen propositiones immediatae betreffend)
enthielten. Der beatus, der nach Ockham in anderen termini als unseren menschlichen con-
ceptus die Erkenntnis Gottes hätte, könnte mit dieser Erkenntnis oder Kenntnis nicht Aussagen
Kapitel 6. Theologie und Logikbegriff 309
Wodham stellt die Frage:149 „propositio ab aeterno vera secundum legem commu
nem an potest esse falsa de potentia dei absoluta.“ Sie reicht aus, um das Verfahren
Ockhams aus der Kehre der ‘quaestio absurda’ deutlich zu machen. Denn der Satz,
der gemäß der Schöpfung immer wahr ist, wenn diese denn Ewigkeit definieren
kann, kann nicht, solange diese Maßstab und Vergleichsfolie bleibt, falsch werden.
Es müssten am Ende neue ‘Begriffe’ oder dergleichen geschaffen werden, und es ist
erkennbar, dass Ockham faktisch so etwas getan hat, bzw. eben das Omnipotenzprin-
zip in einem überweltlichen Sinn und doch nicht in der Interferenz mit der Welt oder
Schöpfung einsetzte. Folglich müsste das Logische für die Omnipotenzidee neu defi-
niert werden (können) oder entfallen (dürfen). Wir halten nur Letzteres für möglich:
von seiten der (heutigen) Logik wie von seiten der Scholastik.150 Dasselbe gilt für alle
Funktionsbegriffe Ockhams.151 In der Theologie verwendet Ockham als einen solchen
Funktionsbegriff ‘suppositum’. Er definiert ihn gleich so, i.e. rein negativ, so dass er fak
tisch bloß Ausschließungen erlaubt152 und insofern auch Aporien und unerwünschte
in der Form unserer conceptus beweisen, indem er diese andere höhere Erkenntnis für Prämis-
sen verwendete, wenn er nicht zuvor unsere Aussage pro statu isto bezweifelte; er kann also
nicht direkt oder in logischer Form aus dem einen medium ins andere „transponieren“. Diese
in se negative Feststellung ist gegeben. Wenigstens sie.
149. Folio 67 col. 3. Siehe tabula materiarum.
150. Ockham hat in einem solchen Falle den Satz, der die Weltwirklichkeit nach dem verän-
derten Modus wiederzugeben und zu bedeuten hätte, über die z. B. temporale Modifikation
des Prädikats dieses Satzes außerhalb der Welt und ihrer schöpfungsbedingten Kontinuität zu
setzen gesucht. Da in Wodhams Frage Sophisma und Methode gegeneinander stehen, kann es
eine determinat ‘logische’ Lösung bei dem Dilemma nicht geben; denn Omnipotenz und reale
Schöpfung kommen in einem einwandfreien Sinn ja nicht überein. Es kann nicht behauptet
werden, dass sie es nicht täten oder tun sollten. Die Frage ist nicht sinnvoll und kann so u.
a. auch kein problema der Selbstidentifikation von Akten oder die Akte denkenden Subjekte
besagen (enthalten) bzw. Aporien, im Namen derer Th. W. Adorno, 1966 über die Geschichte
richtet und H. Blumenberg, 1966 ihr Ausblicke eröffnet.
151. Zu ihnen zählen: notitia intuitiva, notitia abstractiva, propositio per se nota, forma, spe-
cies, substantia, accidens, subiectum, ratio, das Ökonomieprinzip etc. Sie haben die Eigen-
schaft, Begriffe, die die Sätze bilden, im Sinne des Ausschlusses (der Stornierung) von Fol-
gerungen, mit denen nach dem Ausdruck für realwertig ausgegeben werden, zu überfassen
und den Vorausgriff präventiv auszuschließen; sie führen zur hypothetischen Identifikation
der Begriffsakte und Sätze ohne diese fiktiv realwertige Konsequenz oder eine entsprechende
typologische Füllung nach Begriffsarten oder Satzarten. Beides ist gleichermaßen oder ineins
ausgeschlossen. Jeder solchermaßen verwehrte ‘Inhalt’ (= Geltungswert) wäre als consequens
bereits einer consequentia gleich und müsste eine fallacia oder Aporie bedingen.
152. Ord. d. 23 q. unica OT IV p. 61 lin. 14 – p. 62 lin. 4: „‘suppositum est ens completum, non
constituens aliquod ens unum, non natum alteri inhaerere, nec ab aliquo sustentificari’. Per
primam particulam excluditur quaelibet entitas partialis, – sive actualiter componat sive non –,
quia nihil quod potest esse pars est ens completum sed tantum ens partiale. Et ita excluditur
310 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
anima separata et quaelibet forma substantialis et etiam materia. Per secundam particulam
excluditur divina essentia, quia quamvis sit ens completum, tamen constituit unum ens, scilicet
Patrem et Filium et Spiritum Sanctum. Et propter idem excluditur quaelibet relatio et unum
constitutum ex essentia et spiratio activa. Per tertiam particulam excluditur quodlibet accidens,
quia quodlibet accidens, – sive inhaereat sive non, natum est inhaerere. Per quartam particu-
lam excluditur natura assumpta a Verbo, quia illa est a Verbo sustentificata.“ (Dasselbe knapper
ausgedrückt Quodlibet IV q. 7 OT IX p. 328 lin. 11–21).
153. Ib. p. 61 lin. 11–14: „dico quod suppositum non habet quid rei, sed tantum quid nominis;
nec habet definitionem quid rei, sed tantum definitionem exprimentem quid nominis. Defini
tio autem exprimens quid nominis potest esse ista“, und es folgt die in der vorigen Anmerkung
gegebene ‘Beschreibung’.
154. Man denke an zahlentheoretische Funktionen und Symbolbegriffe wie etwa die Möbius-
Funktion u. a. Cf. I. M. Winogradow, Elemente der Zahlentheorie, dt. 1956 Kap. II. pp. 15–19 und
andere Werke.
155. Cf. Anm. 126.
156. Cf. R. Wood, 1982 p. 218: „Ockham opposed the view that it was the business of theolo-
gians to establish scientifically the truths of the faith in virtue of abstract knowledge of God.“
Da müsste die notitia abstractiva strukturiert werden. Ob Ockham das tut oder gar nicht tun
könnte, ist offen. Die notitia abstractiva lässt begrifflich eine solche Möglichkeit nicht erschei-
nen. Ockham erforscht und bestimmt aber im Rahmen seiner argumentativen Möglichkeiten
die Struktur der Sätze und bezieht wissenschaftliche Sätze und potentiell wissenschaftliche
theologische Sätze ein. Die notitia abstractiva hat argumentativ nicht unbedingt die notitia
intuitiva zur Voraussetzung. Genealogisch indes immer. Das etwa auch schon bei Durandus,
cf. J. Koch, 1927 p. 75.
kapitel 7
. Die Bedeutung erscheint überhaupt nicht identisch mit der empirischen Bedeutung. Wollte
man das annehmen, so hätte man vorab eine ontologische Qualität: sie wäre überall, wo sie ein
gesetzt würde, jeweils in toto vorauszusetzen und vorausgesetzt worden. Diese Voraussetzung
macht die Scotische Verfahrensweise in „De Primo Principio“ aus und diskreditiert sie.
. Gegenstand und Wirklichkeit sind schließlich identisch; sie werden über das accidens wahr
genommen (erfahren) werden, wenigstens zunächst über es. Dass es exklusiv über es geschehe,
kann nicht gesagt oder eben, wie das notwendig wäre, geschlossen werden.
. Rep. III, q. 8 OT VI p. 231 lin. 5–9.
. Ib. lin. 9–10.
. Dabei gilt ib. p. 230 (lin. 2–5): „dico quod differentiae non suscipiunt magis et minus,
sed hoc est speciale qualitatibus quod per additionem possunt suscipere magis et minus, et
312 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
quantitati. Sed non convenit differentiae substantiali … (lin. 8–12) Quando enim differentia
unius est dissimilis differentiae alterius, tunc in illis differentia formalis est specifica sicut patet
de bove et asino. Sed quando est similis et non dissimilis, tunc et differentia formalis non est
specifica.“
. Es lässt sich im Verhältnis von einem gradus zum ‘nächsten’, i.e. den einzelnen Punkten, Ge
schwindigkeitsphasen usw. einer Bewegung (motus, augmentatio, intensio usw.), die ihrerseits
infinitesimal sein können oder müssen, kein erklärter „Widerspruch“ annehmen.
. Aus der ‘Tatsache’, dass Ockham um die Existenz des instans als res oder secundum rem
zu untersuchen und darüber negativ zu befinden, i.e. sie zu bestreiten, die Unterscheidung von
substantia und accidens (im Sinne einer exhaustiven Disjunktion – Distinktion) verwendet,
folgt nicht, dass das accidens an ihm selbst Existenz hat; also kann Ockham hier nicht den Wi-
derspruchssatz zugrundegelegt haben. Es gibt neben der Unterscheidung zwischen substantia
und accidens im rein förmlichen (logischen) Sinn die Frage nach ihrem Realitätsgehalt, also die
ontologische Fragestellung zu ontologischen Termini und infolgedessen die Abhängigkeit von
einer Argumentation, die wieder nicht (rein) logischer Natur sein kann, weil sie dann auch in
deren Sinn geordnet sein müsste und nicht kontinuierlich im Sinne einer schrittförmig erfol-
genden Induktion mit in sich negativ bestimmten Realgehalten erfolgen könnte. Hier erst ruht
der Schlussgehalt. Er fällt mit dem negativen Befund zusammen. cf. zu instans L. Baudry, 1958
Art. Instans pp. 126–128. Dass die Induktionsschritte voneinander unabhängig und so absolut
sind, kann vorausgesetzt werden.
. Das Omnipotenzprinzip belässt oder setzt das accidens als nicht zur forma oder species
gehörig außerhalb der mit dem Ding oder Gegenstand gesetzten Absolutheit. Zugleich wird
damit im Sinn der Abstraktion die von elementaren Verhältnissen, wie sie kontingente empiri
sche Satz meint, ausgehende Allgemeinheit (Verallgemeinerung) angesprochen. Eine solche
‘Allgemeinheit’ gab es analog schon bei den die divina essentia betreffenden Sätzen, welche so
mit dem Modus ‘formaliter non idem’ modo composito verbunden werden konnten. Der für
die divina essentia verwandte Satz ist mit seinen termini intensional von höherer Allgemeinheit
als die bloß Konkretes meinende empirische Aussage.
. Rep. III, q. 8 OT VI p. 232 lin. 5–11.
10. W 1495 hat (neuer Satz) Sed. Als höherstufiger Zusatz, besser begründet als die Einschrän-
kung mit licet im selben Satz, wie wenn dieser nicht vollständig wäre. Der Gedanke ist es
nicht.
Kapitel 7. Formbegriff und reale Wahrheit 313
existere in eodem subiecto.“ Wiederum wird der Bereich, in den das Omnipotenz-
prinzip eingreifen kann, empirisch begrenzt.11 Dann gilt aber doch:12 „Dico quod
distinguuntur numero non sicut duo tota distincta loco et subiecto, sed duae partes
facientes per se unum.“ Es gibt hier mithin keine distinctio realis per se, wie es ja auch
keine res absolutae gibt, die in diesem Sinn empirisch getrennt wären. Die nun supra
naturaliter wirkende Omnipotenz bleibt aber empirisch derartig begrenzt, dass sie das
weltliche oder in der Schöpfung gegebene Verhältnis nicht wirklich umstürzt. Wenn
zwei accidentia nicht real (nach der geschaffenen Welt) miteinander vereinigt sein
können, wird die Einwirkung Gottes per potentiam divinam ohne gehörigen Anlass
scheinen; sie tritt demgemäß auch nicht auf. Sie wäre in Anbetracht der Realität oder
Schöpfung bezugslos. Sie würde an etwas ansetzen, was nicht ist. Wir haben die Wahl
zwischen Induktion und petitio principii. Mit letzterer widerstreiten wir auch dem
Wortlaut Ockhams. Damit schiede aber zugleich die empirische Geltung aus, wie sie
es nach Ockhams Analysen bei jeder fallacia tut. Auch das Omnipotenzprinzip darf
nicht als eine Relation (anstelle einer Relation) erscheinen, die als Vorgriff gegenüber
der Empirie und Kausalität sich ausnähme, wenn eine fallacia vermieden sein soll.
Die Untauglichkeit (Insuffizienz) des Widerspruchsprinzips für die Bestimmung
des Denkens als Urteilen, gleichsam von der Seite der Geltung her gedacht und die
Genese betreffend, erscheint hier unter dem Aspekt der sinnlichen Wahrnehmung
der Objekte, über die Sätze lauten werden. In Ockhams Darlegungen zeigt es sich
so, dass der forma-Begriff, bzw. sein Inhalt, nicht empirisch begründet werden und
nicht begründet werden können. Damit wird wieder die Abstraktion thematisiert:13
11. Die distinctio realis, die Ockham auch zwischen substantia und accidens ansetzt, ersetzt
auch da den Widerspruchssatz. Ebenso gilt er dann nicht für das Omnipotenzprinzip und be
grenzt nicht dessen Anwendung. Natürlich ist die distinctio realis empirisch orientiert; sie gibt
aber keine Realität oder Empirie ex se, die es überhaupt definit nicht gibt, insofern sie nicht
angegeben werden kann. Wir gehen mit der Induktion von einer in se negierten Realität aus,
was eine unmittelbare Berührung mit der significatio besagt. Das accidens betrifft diese Reali-
tät oder significatio.
12. Ib. p. 231 lin. 23 – p. 232 lin. 2.
13. Der Widerspruchssatz begründete nicht den abstrakten Gebrauch elementarer (kontingen-
ter) Sätze für den überempirischen ‘Bereich’ (Gegenstand) der divina essentia. Die Abstraktion
wahrte ihren Bezug auf die Kontingenz. Forma meint den von Akzidenz und Kontingenz freien
Bestand. Da das accidens an die substantia (essentia) als forma logisch nicht vermittelt werden
kann, muss es selbst alle Logik mit sich wegnehmen und in einen Status der Diminution ver-
setzen. Danach können (die a se kontingenten) Sätze nur als modal bestimmte gesehen werden:
eine andere Auslegung ist für sie nicht möglich. Andererseits entspricht auch die Widerlegung
dem accidens in seiner falschen Annäherung an die substantia/forma/essentia. Sie fasst das
gesamte Verhältnis des accidens zur substantia noch einmal. Die substantia kann danach in
einer gewissen Weise nicht ein/das accidens enthalten und: nicht an es übertragen werden.
Was Autrecourt verlangte, war die Unmöglichkeit (Absurdität) schlechthin. Sie wollte er ma
teriell (inhaltlich, stofflich) in der Scholastik entdecken und in der Methode des Aristoteles
314 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Das Verhältnis von forma substantialis und forma accidentalis bedeutet, dass das Ak-
zidentelle in das Substantielle nicht zwingend eingefügt werden könne, und eben dies
mit Notwendigkeit die Notwendigkeit ersetzt und aufhebt, die sonst falsch konzipiert
worden wäre, ja sogar den Grund der Falschheit (fallacia) abgäbe.14 In bestimmtem
Sinn kann es die Wahrheit damit gar nicht ‘geben’.15 Das Verhältnis von forma sub
stantialis und forma accidentalis muss immer auch besagen, dass eine Abstraktion a
parte rei nicht möglich ist; es muss wenigstens immer eine Zwischenstufe geben, die
wie die notitia intuitiva die notitia abstractiva, diese in jedem Sinne genommen, erst
hervorgehen lässt. Die notitia intuitiva ist damit nicht nur Induktionsbasis, sondern
auch Rechtfertigungsgrund der Induktion: sie bedeutet, dass, förmlich und in weite-
stem Maße, mit der Analyse von Aussagen auch deren Wertigkeit induziert werden
kann. Ja, sogar induziert werden muss. Mit dem ‘instans’, dem ‘per se’ wandelbaren
(= ersetzbaren) passageren momentum, tritt man ‘begrifflich’ zum Imaginären im
Reich noch wahrnehmbarer Realität über:16 „…‘instans’ non potest dare esse parti
praeteritae nec futurae, et de praesenti nihil est nisi instans, igitur nullo modo potest
dare esse.“17 Hier steht nach Ockham kein Widerspruch an: das instans, das für die
Gegenwart im engsten Sinn steht, kann selbst in keiner Weise mehr in der Welt ausge
dehnt erscheinen. Wie das dann für das momentum temporis selbst auch gilt. Mit
dem instans ‘unterschreitet’ man faktisch und ‘überschreitet’ man abstraktiv gesehen
den kontingenten Satz, für den es kein Wahrheitsmoment besagen kann, so wie dieser
bereits nicht nach dem Widerspruchsmoment definiert werden kann. Erst weil eine
solche Definition nicht möglich ist, können fallaciae aufgelöst werden, deren Korrek-
tur von kontingenten Sätzen übernommen wird. Auch die Defizienz in der fallacia
verweist auf Kontingenz. Kontingente Sätze gehören einer gegenüber derjenigen, auf
der die allgemeinen Aussagen liegen, untergeordneten Stufe an.18
vorgebahnt finden. Aristoteles hatte aber nur das contingens inhaltlich unbegründet angese
hen. Das Akzidentelle per se kann keinen Inhalt bedingen. Das hat Ockham methodisch mo-
difiziert.
14. So erscheint die Wahrheit als Leerstelle alias falsum.
15. Es wird aber näherhin an dieser Stelle Ockhams Notwendigkeit tangiert und gestrichen,
welche ganz aus dem Akzidenz hervorkommen (stammen) müsste. Wie weit das bei Aristoteles
vermieden werden konnte, ist die Frage.
16. Rep. II, q. 10 OT V p. 208 lin. 12–14.
17. Ebenso siehe ib. p. 209 lin. 14f: „pars praeterita et futura ratione instantis praesentis non
componunt nec faciunt aliquod unum per se.“
18. Wie und ob aus infinitesimal oder imaginär gedachten Größen Kausalität entstehen kön-
ne, ist eine andere Frage. Damit verschiebt sich das Kausalmoment zu Relation und Abstrak
tion und kann im Sinne des Widerspruchsprinzips nicht einmal mehr gefasst werden. Nach
Ockhams naturphilosophischen Erörterungen wird Kausalität empirisch nicht wahrgenom-
men; sie hat damit keine begriffliche oder intentionale Funktion.
Kapitel 7. Formbegriff und reale Wahrheit 315
Wenn Ockham sich auf Aristoteles bezieht, reduziert er dessen Aussagen oder
Prinzipien, für gewöhnlich auf die Kontingenz der Erscheinungen und kontingen-
te Sätze. Dieser Bezugspunkt erfordert oft Korrekturen, so dass Ockham Aristoteles
nur nach Maßgabe solcher Einschränkungen überhaupt zulässt und approbiert. Was
bei Aristoteles auf eine Allgemeinheitsbedeutung des Satzes, diesen qualifizierend,
hinauszulaufen hätte und eventuell einen zwangsläufigen Einschluss von Kausalität
beinhalten müsste, wird auf Kontingenz und kontingente Aussagen eingeschränkt
und enthält damit eine halbe, intensional bestimmte Widerlegung.19 Prinzipielle Aus-
sagen, die einen unbedingten allgemeingültigen und analytischen Charakter nicht
haben können, sind danach nicht umweglos oder unumgänglich wahr.20 Die Scho-
lastik war so jedoch förmlich nie anders als im kontingenten Satz zentriert. Wenn
Ockham ihn zum systembildenden Ausgangspunkt wählt21 und inhaltlich ausschlag-
gebend macht und andere Deduktion danach noch zensurieren kann, nimmt es sich
somit auch aus, als habe die Scholastik nie anders als mit einem immer quasi auf die
19. Hier muss auch die unterschiedene Argumentationsart bei Ockham beachtet werden. Es
muss für ihn zwischen hypothetischer Konjektur und Ableitung unterschieden werden. Cf.
Ord. Prol. q. 1 OT I p. 33 lin. 15: „Ex istis sequuntur aliquae conclusiones.“ Im W 1495 Prol. Ord.
q. 1 AA): „Ex istis possunt sequi aliquae conclusiones.“ Diese im Apparat nicht vermerkte Vari-
ante ist vorzuziehen, wenn man bedenkt, dass Ockham die Terminologie (die notitia intuitiva
und notitia abstractiva) für ad libitum wählbar und in dem Sinne für hypothetisch hält. Cf. ib.
p. 30 lin. 6–11. Danach müssen die conclusiones nur versuchsweise gezogen werden: die Sätze
(Theoreme, Lehrsätze) müssen hypothetisch sein. Sie sind also eher persuadiert. Denn wir ha
ben die termini nicht, die in einem absoluten Sinne gelten können; wir haben nur solche, die
aliquomodo aus der Erfahrung gewonnen und bestätigt worden sind. Derart sind sie kontin
gent. Sie sind bestätigt, sofern wir die Erfahrung mit der Argumentation (Induktion) verbinden
können.
20. Wo eine induktive Begründung eintritt, da ist allerdings auch immer eine intensional be
stimmte Implikation im Sinn der Auslegung eines Satzes oder der Geltung eines Satzes gemäß
dessen Typus möglich. Insofern besteht zwischen Deduktion und Induktion kein unbeding-
ter Gegensatz. Es war allerdings die Implikation eines Terminus oder Begriffstypus in einem
anderen abgelehnt oder eben durch Gegenbeispiele induktiv ‘widerlegt’ worden. Ein Beweis
Ockhams ist immer ein begrenzter Beweis; er ist kein direkter und kein unlimitiert gültig ge
dachter: er beweist, indem er anderes nicht beweist (= ‘ausgegrenzt’). Daraus folgt Entschei
dendes: die Gesamtheit der Beweisbedingungen überhaupt ist in jeden Beweis eingeschlossen
und latent vorhanden. Beweisbedingungen überhaupt und Einzelbeweis sind miteinander kon
sistent. Das könnte für ein Muster der Analytizität + Definitheit gehalten werden.
21. Dass es so ist, ist eindeutig. Ockham trennt immer die notitia conceptus im Satz, auf den
wir uns mit einer notitia complexa beziehen, von der notitia incomplexa terminorum. Durch
erstere kennen wir nicht die Wahrheit. Wenn wir notwendige Sätze haben, sind uns auch deren
Begriffe aus der notitia intuitiva als einer notitia incomplexa und nach den kontingenten Sät-
zen, zu der diese unmittelbar (zwangsläufig) führt, bekannt geworden. Wir erkennen in einem
notwendigen Satz nicht die Wahrheit, wiewohl dieser Satz, sobald wir ihn gebildet haben, nicht
mehr falsch sein kann.
316 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
kontingente Aussage festgelegten Aristoteles operieren und kämpfen können, wie ex-
press post festum über Ockhams Analyse festgestellt werden könne.22 Das tangiert
Nikolaus von Autrecourts Scholastikkritik. Bei ihm steht seine eigenen Behauptung,
es könne nur kontingente Sätze und ‘Erkenntnisse’ geben, gegen die ihn leitende
Forderung nach (analytischer) Allgemeingültigkeit bei scholastisch-aristotelischen
Prinzipien und damit deren Begriffen (wie etwa substantia) und dem dubium, dass
es diese Allgemeinheit nicht geben könne, dass seinen Gedanken die Kohärenz und
Konsistenz, i.e. die Bündigkeit fehlen muss: wenn der kontingente Satz entschieden
Medium und Basis der Erkenntnis ist, kann es keine sinnvolle Forderung sein, dass
Erkenntnisse (Sätze) notwendig, allgemeingültig und allgemein seien. Ockham denkt
jeweils das Verhältnis von Begriffen als Elementen, das, wenn diese inhaltlich gefasst
werden können sollen, eben weil dies Verhältnis nicht selbst ontologisch erklärt wer-
den kann, mit Begründungen gestützt sein muss. Induktion und persuasio haben
hier ihre Rolle.23 Man sehe eine Induktion, die zur bloß wahrscheinlichen Ansicht
führt:24 „Patet per Philosophum III, De anima,25 ubi dividit operationem intellectus
in operationem simplicium“, für die Ockham dann sagen will: incomplexa, aber auch
propositio, „et compositorum“ für die Ockham dann auch sagt complexa, aber auch
„consequentia“ sc. die notitia conclusionis ex notitia principii. „Ergo si divisio sit
propria, ita erit intellectio complexi sicut incomplexi.“ Es liegt vermöge der Abstrak
tion eine Weiterung vor, indem man von incomplexum zum Satz und von Satz zu
22. Verschiedene empirische Fälle begründen die semi-abstrakte Aussage, die mittels der For
mel ‘non est inconveniens quod (non)’ gemacht werden kann. Cf. Ord. Prol. q. 1 OT I p. 70
lin. 21 – p. 71 lin. 1–4: Ad septimum dubium: „potest dici quod non est inconveniens quod aliqua
causa cum alia causa partiali causet aliquem effectum et quod illa sola sine alia causa partiali
causet oppositum effectum.“ Sie ist natürlich auch induktiv einsehbar und kann mittels der
Formel persuasiones begründen. Die Allgemeinheit müsste also bezüglich einer Kontingenz
behauptet und ausgesagt werden und doch dabei eine Nichtausschließlichkeit benennen. Wir
fassen damit Kontingenz bedingt abstrakt, wobei ja anzunehmen ist, dass die Kontingenz selbst
mit der darin vorliegenden distinctio realis Vereinbarkeit schon bedeutet, jedenfalls Nicht-
vereinbarkeit ausschließt; denn für diese gibt es da keine Grundlage. Der Ausdruck ‘non est
inconveniens quod (non)’ könnte nicht gebraucht werden, wenn der Sachverhalt, den er zu
benennen hat, selbst abstrakt aus den gebrauchten termini hervorginge oder entwickelt werden
können sollte. Duns Scotus hat versucht über der Kontingenz als dem der Welt angemessenen
Gesichtspunkt Notwendigkeit als logisch begründbare (implizit aber auch zur Logik/Deduk-
tion führende) inhaltliche Qualität zu fixieren oder zu präsumieren. Das Essentielle bietet sich
sub signo relationis. Das gilt auch bei Ockham für das Substanzielle, aber nicht prima vista.
23. Die Elemente bleiben dabei mit ihrem Verhältnis grundsätzlich kontingente. Sie bleiben
das a parte rei; denn es kann ja, wie Ockham zu zeigen sich bemüht, nie aus der Art oder Stel
lung eines Begriffs als subiectum ‘gefolgert’ werden, welches Prädikat ihm im Sinne der dann
notwendigen oder einzigen Folge, gleichsam gleichwertig zugehören könne oder müsse.
24. Ord. d. 1 q. 1 OT I p. 382 lin. 11–14.
25. Aristot. De anima III, c. 6 tt. 21–25 (430 a 26 – b 21).
Kapitel 7. Formbegriff und reale Wahrheit 317
‘consequentia’ geht oder übergeht. Das macht den Argumentationszug potentiell unge
genständlich. Es gibt keinen festen ‘gegenständlichen’ Bezug mehr: Ockham steigt aus
dem expliziten oder immanenten Vergleich zur Abstraktion oder persuasio auf. Der
allgemeine Satz, der gewonnen wird, lautet:26 „videtur probabile quod possunt esse
duo actus, et quod possunt esse unus actus.“ Nämlich incomplexa (conceptus) neben
dem complexum (Satz) und complexa neben der consequentia. Der gesamte hier in
Rede stehende Text27 bedeutet oder beinhaltet eine persuasio, die wie folgt formuliert
wird:28 „non minus potest voluntas super obiecta sua quam intellectus super obiecta
sua.“ Der Willensakt bzw. worauf er sich bezieht, ist weniger gegenständlich als der
Verstandesakt und worauf er sich bezieht. Die persuasio fußt auf einer Induktion.
Wenn intellectus und voluntas ununterscheidbar sind, muss oder kann was für den
einen gilt auch von der anderen gesagt werden. Hinsichtlich des intellectus haben wir
konkrete Akte (bzw. Empirie). Zu diesem allgemeinen Satz wird gesagt:29 „Hoc potest
declarari, quia sicut intellectus se habet ad principia et conclusiones, ita voluntas se
habet ad finem et ad ea quae sunt ad finem. Sed intellectus potest scire conclusionem
distincto actu ab actu quo cognoscitur principium, et potest unico actu cognoscere
utrumque, ergo eodem modo voluntas potest habere distinctos actus respectu finis et
illius quod est ad finem, et unum actum respectu utriusque.“ Dabei muss was bei den
Willensakten unsichtbar ist (= direkt nicht gegeben erscheint), analog vom Verstand
und dessen Akten geschlossen werden. Mehr wissen wir zunächst einmal nicht. Na
türlich können Willensakte selbst auch induktiv durch Erfahrung erschlossen werden
bzw. in Erfahrungszusammenhängen different erscheinen, so dass auch neue (weitere)
Induktionen von allgemeinen reflexiven Aussagen möglich sind, bzw. die induktive
Begrenzung und Kontestation vermeintlich unumstößlicher Prinzipien möglich ist.
Bei allen Fallunterscheidungen wirkt die Differenz von Substanz und akziden
tellem Appendix mit.30 Es gilt:31 „quod convenit alicui naturaliter, convenit sibi rea
liter.“ Mit den privativen und den negativen Begriffen treten wir auch nur in den
Bereich des accidens (oder des Akzidentellen) ein32 und können eine identische oder
notwendige Beziehung nicht mehr annehmen:33 „Non est sic de negativo et privativo:
sed conveniret sibi realiter nisi agens extrinsecum impediret.“34 Das von außen wir-
kende agens extrinsecum tritt also auch inhaltlich nicht in einen Zusammenhang mit
einem Objekt, derart dass inhaltlich und logisch eine gemeinsame Wirkungsweise
oder irgendeine Beeinflussung und Dependenz angenommen werden könnte. In der
physikalischen Welt ist die Referenzgröße realiter immer außerhalb der im Satzsubjekt
genannten Essenz. Sie meinen dann zusammen kein reales Verhältnis mehr, soweit es
um die Begriffe und deren Determination geht. Die Wahrnehmung ist da nicht (etwa
bei Licht- und Spiegelungseffekten) ausgeschlossen; sie kann aber nicht begifflich
qualifiziert werden. Damit gibt es keine Erklärungspotenz des Autors.35 Mit den Be
griffen, die damit auch einen Status qua actus apprehensivus haben, aber nicht einen
30. Das Akzidenz ist inhaltlich leer, insofern eine Vergegenständlichung und eine gemeinsa-
me Abstraktion aus dem Akzidentellen und über ihm für das Substanzielle nicht möglich ist.
In dem Sinn dependiert auch keine verifizierbare Kausalität aus dem Substanziellen. Anders
als Nikolaus von Autrecourt meinte, muss es sie nicht geben. Prinzipien, die Ockham verwen
det/aufstellt, wirken nicht organsierend in den Bereich des Akzidenz hinein. Sie haben keinen
Gehalt, der das Akzidentelle ‘ergäbe’, gäbe oder beinhaltete, bzw. ausdeutete. Das Reale ist eher
das Akzidentelle als etwas Substanzartiges. Abstraktionen, Induktionen, persuasiones werden
aus dem Akzidentellen empirisch begründet. Formeln (‘non est inconveniens’, ‘non est major ra-
tio’) ordnen das Akzidentelle auch unter dem Aspekt kasualer Abwandlung gegen die Substanz
an. Bewiesen aber wird das Referentielle, das dem accidens zugehört. Ihm gegenüber wird der
substanzielle Begriff bloß identisch und definit gehalten.
31. Quaestiones variae q. 3 OT VIII p. 67 lin. 137 f. Es ist eine Bewegung vom Begriff (natura!)
zur Sache (res!), die aber umgekehrt schon induktiv begründet ist, wie Ockham unterstreicht
(lin. 138): „patet inductive.“
32. Cf. Ord. d. 1 q. 1 OT I p. 386 lin. 19–20: „Ponit philosophus privationem esse principium
per accidens. Und ib. q. 3 p. 414 lin. 12–14: „privativum in quantum tale non est causa positivi,
malum autem in quantum tale est privativum et actus est aliquid positivum.“
33. Quaestiones variae q. 3 OT VIII p. 93 lin. 632 – p. 94 lin. 1.
34. Die Argumentation bereits bei Plotin, Woher kommt das Böse? 51 (78): „Indessen die aller
Form entgegengesetzte Wesenheit ist ‘Beraubung’; Beraubung aber ist immer an etwas ande-
rem und hat an sich selber kein Dasein: liegt also das Böse in der Beraubung, so wird es nur an
einem Ding auftreten, welches aller Form beraubt ist, und wird mithin nicht an und für sich
dasein.“ Das accidens selbst ‘ist’ extra formam. Der Hiat von substantia und accidens ist der
methodische Kern, wenn Plotin die Argumentationsformeln des Aristoteles gebraucht.
35. Auch mit dem Begriff des obiectum partiale tritt man zum Bereich des Akzidentellen über.
Cf. Ord. d. 1 q. 1 OT I p. 386 lin. 5–8: „concedo quod voluntas potest simul habere duos actus
Kapitel 7. Formbegriff und reale Wahrheit 319
projektiven Inhalt enthalten, ist keine rein abstrakte oder abstraktive Erklärungssuffi
zienz verbunden. Die Begriffe in sich, qua actus intellectivus, haben abstrakt mit den
beigeschlossenen Inhalten keine physikalische Erklärungssuffizienz. Hier triumphiert
verborgen die intellectio-Hypothese in der Bestimmung des Begriffs über die fictum-
Hypothese: Wir erkennen insofern wir den Begriff haben.36 Das ergibt eine quasi
tautologische Position. Sie muss wieder der Abstraktion entsprechen. Die Abstrakti
on, wie Ockham sie fasst, integriert Teile des Argumentierens an der Stelle der im
elementaren Satz vorhandenen Elemente wie subiectum und passio. Indem diese nicht
ineinander übergeführt werden können, sondern disparat bleiben, erscheint es mög-
lich, den Ausschluss, sc. die Exklusion, durch Operationen zu ersetzen, deren Ergeb-
nis oder Effekt die Definitheit ist: sie wird zugelassen, eingeschlossen, jedenfalls nicht
ausgeschlossen. Die Abstraktion, mit ihren inneren Verhältnissen, die äußere sind,
tritt an die Stelle des elementaren Satzes, der übergewichtet werden musste, sofern er
allgemein sein sollte. Duns Scotus fällt Entscheidungen, indem er Fälle definitorisch
sondert und danach seine Entscheidungen ausdrückt und begründet.37 Die Ansicht
wird mitgeteilt:38 „dilectio et delectatio sunt a diversis causis efficientibus, quia dilec-
tio est effective a voluntate sed delectatio effective ab obiecto, quia sicut sensibile est
causa delectationis in appetitu sensitivo ita obiectum intelligibile est causa delectati
onis in appetitu intellectivo“39 Dazu sagt Ockham:40 „Sed haec opinio non est vera,
quia quando aliquid aequaliter potest esse sine alio sicut cum alio, et illo posito non
potest esse nisi aliud ponatur, non est causa effectiva ipsius. Sed posito actu voluntatis
aequaliter potest esse delectatio sine obiecto sicut cum obiecto, ita ipso obiecto posito,
destructo actu voluntatis, nullo modo potest esse delectatio; ergo videtur obiectum
non est causa delectationis saltem immediata.“ Und ebenso:41 „respectu multorum est
delectatio quae non sunt.“
perfectos respectu eiusdem obiecti, maxime quando illud obiectum est obiectum totale respec-
tu unius actus et partiale tantum respectu alterius.“
36. Bei der fictum-Hypothese müssten wir hier auf den Begriff als obiectum intellectionis
schauen, dem dann jedoch nichts entspräche: Begriff, Akt und Vermögen sind nämlich an sich
und im Verhältnis ohne significatio.
37. Ord. d. 1 q. 2: Utrum fruitio sit qualitas realiter distincta a delectatione. OT I p. 203 lin. 13 –
p. 428 lin. 21. Der hier insgesamt behandelte Text erstreckt sich zunächst p. 413 lin. 18 – p. 420
lin. 16.
38. Ib. p. 413 lin. 18 – p. 414 lin. 3. Cf. die Stelle Duns Scotus Reportatio Paris., I, d. 1, q. 3, n. 6
(ed. Wadding, XI-1, 27). Ockham operiert gegen diese opinio Scoti mit einer induktiv gebun
denen Fallunterscheidung.
39. Zuletzt handelt es sich hier bloß um eine Analogie oder einen Analogieschluss und eine
Überredung. Cf. aber auch Anmerkung 22.
40. Ib. p. 414 lin. 23 – p. 415 lin. 4.
41. Ib. p. 415 lin. 9f.
320 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Ockham hat es bei Duns Scotus mit Ansichten und der Art wie sie verteidigt wer-
den (zugleich ‘begründet’) zu tun, oft mit notwendig nicht zwingenden Argumentati
onen: Duns Scotus arbeitet da, um refutationes vorzunehmen, mit dem Argument der
non-repugnantia (Vereinbarkeit): non est repugnans.42 Duns Scotus steigt notwendig,
indem er eine non-repugnantia feststellt, auf die Ebene der Empirie hinab und zeigt
(sagt) bloß, dass sie nicht in einer Abstraktion enthalten sei.43 Das ist weder bezüg
lich der empirischen Gehalte zwingend (und definit) noch bezüglich der Abstraktion
überzeugend. Ockham muss im Prinzip diese Argumente und Argumentationen,
schon wenn er sie durchdringen will, auflösen: er muss den praktischen empirischen
Teil vom abstrakten trennen, ohne, im Sinne von Folgerung, bloß eine Kompatibili
tät festzustellen. Er kann dann seinerseits bloß eine Fallunterscheidung vornehmen,
welche aber zu bedeuten haben muss, dass verschiedene Abstraktionen, Prinzipien
oder Aussagen bezüglich dem (formell empirischen) Anwendungs- und Bezugsfall zu
unterscheiden und zu trennen seien. Denn bei Ockham liegt eine ‘Entschichtung’ vor:
er trennt zwischen abstrakter Ebene, für die argumentativ auch Omnipotenzprinzip,
Ökonomieprinzip etc. eintreten und empirischen Referenzfall und schließt analog in
dem Verhältnis die Folgerung aus:44 es kann dafür nur die Induktion eintreten.45 Die
Folgerung gilt weder pro noch contra. Mit der Induktion aber verbindet sich die per
suasio, weil grundsätzlich der empirische Gehalt weder direkt (unmittelbar) noch in
einer abgeleiteten und übertragenen Weise an- oder aufgenommen werden kann. So
erscheinen rein hypothetische Stellungnahmen und Erwägungen. Ockham sagt gegen
Duns Scotus wie wiederholt in dieser Passage:46 „Ideo dico … quod obiectum non
est causa immediata delectationis, sed causa immediata delectationis est ipse actus
voluntatis. Et ratio est quia posito actu voluntatis aequali – sive obiectum sit sive non
sit – sequitur aequalis delectatio, et sine actu voluntatis nullo modo potest sequi delec
tatio. Ergo solus actus voluntatis erit causa immediata.“ Es geht also nur um die causa
immediata. Mit ihr verbindet sich die Vorstellung, dass sie seiend (gegeben) sei. Es ist
tatsächlich die Frage, wieweit hier die experientia der Introspection in ein Verhältnis
der causa immediata, in das von Akten usw. entspricht und nicht vielmehr Erfahrung
Wahrnehmung aus Erfahrung, d. h. Induktion oder jedenfalls Argumentation sein
muss. Man kann Ockhams Argumentation als Induktion über dem Terminus causa
immediata ansehen, bzw. als Induktion, bei der der Inhalt, faktisch und empirisch,
mit diesem Terminus zusammengenommen wird.47
Wie Ockham solche Introspection und Aufladung der Begriffe (Größen) vermei-
det, zeigt:48 „(Ex isto sequitur quod) non potest sufficienter probari quod intellectus
est causa effectiva cognitionis, sed sufficit ad salvandum omnia quod sit subiectum
cognitionis.“49 A limine wird die Konzeption vermieden, aus der intensional als
zwangsläufig sich ergeben müsste, was einer immediaten ‘sachlichen’ Verbindung der
Begriffe oder Größen entspräche. Nach Ockham erschließt die causa nicht inhaltlich
‘unmittelbar’ den effectus. Sie bleiben als Sachen oder res getrennt.50 An die Stelle tritt
die Argumentation; sie aber trennt und erreicht dies auf dem Wege der Refutation der
opinio anderer Autoren oder induktiv.51 Ockham widerlegt mittels des fiktiven Argu-
mentes, das er dann zurückweist:52 „Si dicatur (sic!) quod ista ratio non sufficit, quia
eiusdem effectus possunt plures causae quarum quaelibet sit sufficiens, ergo quantum
cumque volitio sit causa sufficiens delectationis, ex hoc non sequitur quod obiectum
non sit causa.“ Damit wird eine reine Kompatibilität fingiert: sie greift formell auf den
empirischen Bereich aus und benennt hier eine conditio oder causa realis. Sie müsste
eine causa oder conditio necessaria sein. Ockham fingiert53 ein Beispiel, das er mit
einem Zitat des Duns Scotus unterlegt, das aber eine rein akzidentelle Kausalordnung
(Kausaldependenz) als wiederum akzidentelles Beispiel darstellt und so nicht bis zu je
ner Abstraktion erhoben wird, aus der die Folgerung folgen konnte. Ockham weist das
nie als in diesem Sinne im subiectum anhängig angesetzt – i.e. keine passio wurde von ihm so
verstanden. Die Vielzahl der actus oder Sätze, die hier möglich sind, erreicht einfach niemals
die consequentia, mit der oder in der sie sistiert und in eine feste Ordnung gebracht wären. Die
Erstreckung solcher Sätze in die Wirklichkeit muss gleich mit ihrer nicht abschätzbaren Zahl
also unlimitiert und unbegrenzt sein. So ersetzen sie in sich die Folgerung. Jede Folgerung
und Kette von Folgerungen. Die kontingenten Sätze müssen sein, weil niemals eine bestimmte
Grenze im Erkennen ex parte rei analog oder äquivalent mit dem actus intelligendi angegeben,
i.e. eben abgeleitet werden kann. Es ist klar, dass es dann keine Sätze (keinen Satz) geben kann,
in welchem forma (ein allgemeines Subjekt) und ein kontingentes (rein empirisches) Prädi-
kat zusammengefasst werden können. Dieser Mangel wird durch die Maximen ausgeglichen,
welche der Induktion verdankt werden. Anders: eine erste und eine zweite Stufe der intellectio
sind niemals identisch, weder in actu noch durch die Begründung. Im Falle des forma-Begriffs
zeigt sich, dass Abstraktion als Fassung des Inhalts bei einem Begriff oder diesem gleichwertig,
keinen Schluss auf die passio erlaubt und dass umgekehrt die Abstraktion eintreten muss, weil
die passio – als accidens oder einen akzidentellen Gehalt überdeckend – nicht, weder inhaltlich
noch extensional, aus dem subiectum gefolgert werden kann, um dann in diesem Sinn ihren
Inhalt und ihren Zusammenhang mit dem subiectum oder der substantia oder essentia zuha-
ben. Was als Konzept etwa Duns Scotus unterstellt werden kann, im Wesentlichen das Schema
von species und accidens (oder proprium), erhält derart bei Ockham eine Emenda-tion.
50. Ockham schließt nie in einen Begriff (dessen Definition) ein (sieht nie als darin eingeschlos
sen), was dessen Verbindungen, sachlich zudem, bezüglich einer mit einem andern Begriff (in
anderer Bezeichnung) notierten ‘Größe’ entspräche. Dies ist neben dem, dass die Inhaltserklä-
rung bei der Argumentationsform liegt, nominalistisches Signum.
51. Aus der Kritik bzw. refutatio opinionis alicuius alterius kann die solutio propria auctoris,
i.e. Ockhams, erwachsen.
52. Ord. d. 1 q. 3 OT I p. 415 lin. 23–26.
53. Ib. p. 415 lin. 27 – p. 416 lin. 17.
Kapitel 7. Formbegriff und reale Wahrheit 323
54. Erkennbar ist das Ökonomieprinzip je an die Erfahrung oder an den Verweis auf sie ge-
bunden. So auch hier ib. p. 415 lin.5f: „pluralitas non est ponenda sine necessitate vel certa expe
rientia“ und ebenso p. 416 lin. 12–15: „quamvis respectu eiusdem effectus possint plures causae,
hoc tamen non est ponendum sine necessitate, puta: nisi per experientiam possit convinci.“
Neben den Varianten des Ökonomieprinzips, die M. H. Carré, Realists and Nominalists, 1946,
1967 p. 107 und W. & M. Kneale, 1966 p. 243 nennen, nämlich: „Entia non sunt multiplicanda
praeter necessitatem (oder sine necessitate),“ „pluralitas non est ponenda sine necessitate“, „Fru
stra fit per plura quod potest fieri per pauciora“ und (bei W. & M. Kneale erwähnt) „Numquam
ponenda est pluralitas sine necessitate“ (s. Ord. d. 27 q. 2 OT IV p. 205 lin. 15f) findet sich also
als weitere p. 415 lin. 5f: „pluralitas non est ponenda sine necessitate vel certa experientia“. Die
gesamte Stelle ebd. lin. 5–10 ist instruktiv. Sie zeigt, dass die Abstraktion im Sinne der Geltung
nicht mehr gerechtfertigt oder noch einmal begründet werden muss. „Praeterea, pluralitas non
est ponenda sine necessitate vel certa experientia; sed posito actu voluntatis solo videtur haberi
causa sufficiens delectationis; ergo videtur obiectum superfluere. Praeterea, illud quod non est,
non est causa positiva alicuius; sed obiectum potest esse non-ens; unde respectu multorum
est delectatio quae non sunt.“ Das Verhältnis der Abstraktion zur significatio (obiectum oder
res singularis als Bedeutung) muss immer bedeuten, dass ein Inhalt, wo es um Relation geht,
diese Beziehung außerhalb der pragmatischen Definition des Inhalts als Gegenstand hat. Das
Ökonomieprinzip verweist jedoch nicht auf Abstraktion, die außerhalb der Empirie stünde
oder gar ihr widerspräche: es muss deshalb auch keine Argumentation geben, die, außerhalb
der Empirie stehend, ihr widerspräche. Dies bestimmt sogar die Analyse der fallaciae mittels
des Ökonomieprinzips.
55. I. Kant, De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis, Diss. 1770 (Sectio V, § 30)
spricht in Bezug auf das Ökonomieprinzip von dem „favor unitatis philosophico ingenio pro-
prius, a quo pervulgatus iste canon profluxit: principia non esse multiplicanda praeter summam
necessitatem, cui suffragamur, non ideo, quia causalem in mundo unitatem vel ratione vel expe-
rientia perspiciamus, sed illam ipsam indagimus impulsu intellectus, quia tantundem in expli-
catione phaenomenorum profecisse videtur, quantum ab eodem principio ad plurima rationata
descendere ipsi concessum est.“ Es gibt also nach Kant eine Vernunftregel (canon), die wir auch
rein in der Vernunft entdecken oder aus der wir schöpfen, nämlich bei der Deduktion nicht
von vielen Grundsätzen (principia) auszugehen, sondern von wie es scheint sogar nur einem
einzigen. Nicht aber geht es bei Kant um Größen, Begriffe, entia oder res wie bei Ockham.
Zur ‘Deduktion’ selbst denke man an den modus compositivus oder modus resolutivus nach
Thomas von Aquin, des Duns Scotus, Zabarellas, in der Deduktion more geometrico bei Spino
za, Pufendorf usw., die ohne Erweiterungen bei den Prädikaten nicht auskommen.
324 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
als Bedingungsmoment gestrichen wurde:56 „Si posset probari quod posita notitia
intuitiva per divinam potentiam sine obiecto non sequeretur tanta delectatio quanta
obiecto realiter existente, tunc posset probari quod obiectum esset causa illius delec-
tationis, vel saltem volitionis praecedentis delectationem.“ Die Größe volitio oder
ihre Notwendigkeit würde gleichsam noch nicht ausgesetzt oder getilgt. Man gewinnt
gewissermaßen einen a fortiori Grund dafür, dass die existentia obiecti nicht förmlich
(definit) schon entbehrlich sei, (nur) weil Gott per divinam potentiam interveniert
hätte. Das a fortiori Argument (alias das Argument als a fortiori Argument) lässt sich
modal deuten. A fortiori bedeutet dabei, dass die Stufe der Empirie entschieden über-
stiegen wird: divina potentia lässt sich supranaturaliter loquendo verstehen, womit die
empirische Abstützung in der realen Weltordnung zunächst überstiegen wird. Doch
wird diese von Ockham festgehalten und letztlich für bestimmend gehalten: ein ef-
fectus ist reallogisch gesetzt, indem für ein Wirkursächliches gilt:57 „quod ipso posito,
alio destructo, sequitur ille effectus, vel quod ipso non posito, quocumque alio posito,
non sequitur effectus“. Das muss natürlich sowohl allgemein wie speziell gelten. Ein a
fortiori Argument hebt das nicht auf, es bekräftigt es vielmehr: selbst wenn die divina
potentia interveniert, so gilt doch eben gerade, nur nicht im Sinne des analytischen
Beweisargumentes ex negativo, die reallogische Ordnung; das Argument mit der di
vina potentia hat sie abstrakt und potentiell, förmlich und hypothetisch überstiegen.
So denn:58 „respondeo quod si posset probari per potentiam divinam unum esset
separabile ab alio et non e converso (so die delectatio nicht von dem actus volen-
di), posset forte probari causalitas in uno respectu alterius et non e converso.“ Wenn
also per potentiam divinam bewiesen werden könnte, dass der actus volendi von der
delectatio getrennt werden kann, nicht aber gleichermaßen die delectatio ohne den
actus volendi sein kann, dann könnte vielleicht bewiesen werden, dass dasjenige, das
abgetrennt werden kann, Ursache des anderen sei, nicht aber umgekehrt. So gilt:59 „Et
ita si non posset esse delectatio sine actu volendi – cum sit probatum prius quod potest
esse actus volendi sine delectatione –, sequetur quod actus sit causa.“ Sc. für die in sich
hypothetische Beweislage, i.e. die abstrakte Handhabung. Daneben gilt aber empi-
risch oder induktiv:60 „Tamen dico quod naturaliter sunt separabiles, ita quod actus
volendi potest esse sine delectatione et non e converso.“ Dagegen gilt am Ende:61 „con-
cedo quod non potest sufficienter probari quod delectatio est effective a voluntate.“ Es
wird allenfalls bewiesen, dass der „actus volendi causa delectationis“ sei. Dies wird als
argumentum verstanden:62 „Et tenet tale argumentum per talem propositionem quod
‘quaecumque res absoluta requiritur in esse reali ad esse alicuius est causa illius in ali-
quo genere causae’.“ Und:63 „‘omne illud quo posito sequitur aliud, est causa illius’.“64
Es war nur einmal angenommen worden, dass die volitio praecedens delectationem
sei. Voluntas, bzw. volitio, actus volendi, delectatio stehen also als Begriffe oder Grö
ßen notwendig nebeneinander; das obiectum als causa – welcher Art auch immer –
für die delectatio steht akzidentell außerhalb dieses abstrakt vertretbaren Bereichs.65
Vorrangig klärt Ockham also die formelle (abstrakte) Argumentationsstruktur. Doch
ist die Erkenntnis nicht sine experientia dabei. Dies ist nicht immer der Fall:66 „Aliter
aliquid esse causam alterius potest probari sine tali experientia per rationem. Et isto
modo probatur quod voluntas est causa effectiva actus sui, quia omnis potentia libera
quae non potest necessitari est causa effectiva actus sui. Et forte ista ratio sola est con-
vincens voluntatem esse causam effectivam alicuius actus sui.“ Dieses Argument wird
von anderen unterschieden, die nicht streng beweisend seien:67 „Aliae autem rationes
… es werden drei genannt … magis sunt persuasiones quam rationes demonstrativae
vel necessario convincentes.“68
„ad secundum quod non oportet de necessitate ad actum meritorium quod tota lex actualiter
impleatur sed quod aliquod mandatum impleatur, et contra nullum fiat transgressio.“ Der Held
der spätmittelalterlichen Volksballade von „Robin Hood“, der ‘um der Gerechtigkeit willen’
den Reichen nimmt und den Armen gibt, würde somit noch keinerlei verdienstlichen Akt be-
gehen.
69. Ord. d. 1 q. 3 OT I p. 407 lin. 13–15.
70. Ib. p. 407 lin. 17 – p. 408 lin. 2.
71. Secundum editores ibidem: Summa logicae pars III – 3, c. 30 (ed. Venetiis 1508, ff 88vb –
89rb).
72. Ord. d. 1 q. 3 OT I p. 409 lin. 17–18.
73. Ib. p. 408 lin. 13ff: „hoc confirmatur…“.
Kapitel 7. Formbegriff und reale Wahrheit 327
gebraucht werden. Diese Voraussetzung ist ganz selbstverständlich. Das bedeutet kei-
nen circulus vitiosus. Der Beweisgang ist insgesamt konklusiv.74
Ockham hat eindeutig klargemacht, dass er zwischen substantia und quantitas
eine Koexistenz sieht, die nicht förmlich im Sinn der inhaltlichen Identifikation des
einen durch das andere bestimmt oder aufgelöst werden könne. Analog erfolgen seine
Induktionen auch in theologischen Fragen, wenn er die Koexistenz (bzw. Kompati-
bilität) von Transsubstantiation und Brot, von Gnade und ursprünglicher Gerech-
tigkeit, ebenso die Gnade mit der Sünde, die einen aktuellen Zustand vermöge ver-
gangener strafenswürdiger Handlung besagt, worin Ockham die Koexistenz von zwei
habitus sieht, die ihrerseits als Relationen verstanden werden können.75 Der habitus
verweist auch erkenntnistheoretisch, im Umkreis von actus, notitia usw. erläutert,
auf eine Relation. Insofern liegt auch eine Geschlossenheit der Argumentation und
Problemlösungen bei Ockham vor, mit der die Konsistenz in der Induktion zentriert
ist: Ockham verweist letztlich auf die Koexistenz von substantia und quantitas als
jene Differenz, angesichts deren die forma76 sich induktiv über der Menge von vielen
gleichen, nicht eigens distinkt zu durchlaufenden, nicht unterscheidbaren Partikeln,
Ingredienzien oder Infinitesimalen erhebt. Das gilt im Sinn der Abstraktion, von der
immer gesprochen wurde, weil es sich ja um die Differenz von Stufen handelt, wobei
erst auf der höheren Stufe die Begriffswertigkeit existiert; sie nimmt Ockham auch
apologetisch in den theologischen Sachfragen in Anspruch.77 Dass aber Ockham
schließlich die qualitas auf die quantitas reduziert, sofern es um die Kategorien geht,
ist insofern konsequent, als er, wenn er der qualitas ein von der substantia getrenntes
Sein zubilligen wollte, die qualitas als im Sinn der quantitas ‘zerlegbar’ und bestimmt
denken müsste; er könnte es nicht ausschließen und hätte damit eine Realität (oder
74. Zu Ockhams Beurteilung des Petrus Aureoli in toto cf. Ph. Boehner, 1958 pp. 121–123 und
p. 122f.
75. Rep. IV, q. 6 OT VII p. 139 lin. 14f u. p. 140 lin. 5: Christi Leib und die alia quantitas panis
sind kompatibel.
76. Entsprechend setzt denn auch Ockham die Gnade als forma (absolute Form), als qualitas,
als relatio, als habitus an, ebenso Gerechtigkeit, Sünde, Schuld usw. Es bestätigt sich, dass die
Abstraktion die Stufe der Kompatibilitäten schlechthin ist. Mit diesen wird eine mögliche Koe
xistenz, i.e. Nichtwidersprüchlichkeit, hinreichend, i.e. nicht exklusiv dargetan.
77. Gewiss hat Ockhams Gegner John Lutterell in seiner Anklageschrift gegen Ockham ei
nen logischen Fehler gemacht, wenn er die Frage der Koexistenzen und Kompatibilitäten auf
die Frage der Koexistenz im Zeichen der Existenz in se und ausschließlich sie erniedrigt, von
der sie durch die Abstraktion getrennt ist, und ebenso im Sinne der Induktion als Begrün
dungsverfahren. F. Hoffmann, 1941 p. 149 löst diese Unstimmigkeit nicht auf, wenn er zu Lut
terell zustimmend sagt, dass mit ‘Gnade’ und ‘Schuld’ (Sünde) nicht zwei habitus konträrer
oder inkonsistenter Zuwendung zu Gott im Menschen nebeneinander bestehen könnten. Es
ist für Ockham nicht mehr eine Frage secundum existentiam schlechthin; es ist auch keine des
Wahrheitsmaßstabes, sondern einer der in sich noch konsistenten Argumentationen. Deren
Verbund ist induktiv gesichert: wir erheben uns immer über der Empirie über diese hinaus.
328 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
78. Wenn, wie F. Hoffmann p. 62f sagt, Ockham mit seiner Lehre von der suppositio (Suppositi
onslogik) die ontologische Deutung der Prädikamentenlehre abfange, so schließt dieser auch
für die Suppositionslogik und die Lehre von den Prädikamenten, anders als Hoffmann glaubt,
rechtmäßig die Geltung des Widerspruchsmoments aus: an dessen Stelle tritt die Induktion.
Man kann sogar zeigen (cf. o. und im Kap. 4), wie sehr die Induktion mit der Neutralisierung
von formell kontradiktorischen Elementen in der Realität arbeite und: sich über solche kontra
diktorischen Elemente in der Realität erhebe.
79. Die Quantitäten entziehen in se sich der Wahrnehmung. Cf. etwa Ord. d. 27 q. 3 OT IV
4 p. lin. 15 „nec aliquis motus quicunque apparet sensui. “ Bei Ockhams Widerlegungen geht es
um die Definitheit intensionaler ‘Größen’. Sie werden nicht ‘a priori’ gedacht, während sie die
empirische Bindung behalten. Es gilt für sie (etwa die notitia intuitiva), was ihre Gehalte auch
besagen sollen: die per notitiam intuitivam empirische Begründung der Begriffe. Eine solche
wird auch für die relationes in ihren abstrakten Inhalten festgehalten.
80. Rep. II, q. 14 OT V p. 316 lin. 5–7.
81. Die mit dem Univozitätsprinzip zu unterlegende Konsistenz kann nicht mehr auf der mate
riellen Implikation beruhen, die Boehner, 1958 p. 327 als spiritus rector Ockhamscher Logik
bzw. syllogistischen Demonstrationslehre, bei deren Erstellung und als Garanten einer seman-
tisch verstandenen Wahrheitsauffassung sieht.
82. Rep. II, q. 14 OT V p. 317 lin. 5f.
83. Ib. lin. 18f. Dann der ‘Beweis’: ib. lin. 19–23.
Kapitel 7. Formbegriff und reale Wahrheit 329
qui cognoscit extrema (also s und P) alicuius complexi contingentis intuitive statim
potest, mediante cognitione intuitiva et abstractiva eorundem, quae simul est cum
intuitiva, formare complexum: et virtute illius cognitionis assentire vel dissentire.“84
Das menschliche Schema des Erkenntnisgewinns und der Erkenntnisgrundlegung
bleibt also bestehen. Allerdings wird die phantasia, die notitia sensitiva für den
‘leiblosen’ Engel und die erkennende anima post separationem von Leib und Seele
von Ockham ausgeschlossen:85 „anima separata quae non habet phantasiam (wie die
Seele „pro statu isto“) potest cognoscere rem intuitive et respectu illius cognitionis est
res materialis et corporalis causa partialis sine phantasia.“ Auch „pro statu isto“ wird
nicht die phantasia als causa partialis im Erkenntnisaufbau gefordert und angenom-
men.86 Ockham restituiert also regelmäßig ein und dasselbe philosophische Schema
bei allen Fragen und Lösungen.87 Ockham beweist und ‘widerlegt’, doch nicht indem
er aus Begriffen formal begriffsinhaltlich begründete Konsequenzen zöge, sondern
84. Cf. generell Ord. Prol. q. 1 OT I p. 21 lin. 6–9: „omnis actus iudicativus praesupponit in
eadem potentia notitiam incomplexam terminorum: quia praesupponit actum apprehensivum;
et actus apprehensivus respectu alicuius complexi praesupponit notitiam incomplexam ter-
minorum.“ Dabei ist für Ockham der mediante notitia intuitiva etc. empirisch gebildete Be
griff in beliebigen Satztypen verwendbar: scientia, intellectus, sapientia, d. h. auf verschiedene
habitus (p. 6 lin. 8f: „quos ponit philosophus“) bezogen. Auch für die ‘propositio contingens’
gilt (ib. lin. 7): „potest evidenter cognosci“ und damit ist sie allgemein subsumierbar unter die
Beschreibung (ib. p. 5 lin. 19–21): „notitia evidens est cognitio alicuius veri complexi, ex notitia
terminorum incomplexa immediate vel mediate vel immediate nata sufficienter causari.“ Die
„propositio aliqua contingens“ ist also nicht von analytischen und über sie hinausgehenden
Bedingungen her – erst – zu definieren.
85. Rep. II, q. 14 OT V p. 326 lin. 1–3.
86. Cf. die schon behandelte Aristoteles-Stelle.
87. Anders Luther: „omnia vocabula fiunt nova, quando transferuntur e philosophia in theo
logiam, sicut homo, voluntas, ratio“. (zit. nach B. Hägglund, 1955 p. 100.) Man sieht, dass
Ockham Luther wohl stimulieren, nicht aber genauestens festlegen konnte. Ockham erkennt
lediglich an, dass es strukturlogische Fragen gebe: „quae magis pertinent ad logicam quam ad
theologiam“. So wird sachlich nichts über die Theologie entschieden, sei es dass sie thematisch
nicht betroffen ist oder auf einer anderen Option beruht oder ruht. Natürlich kann der Begriff
‘deus’ nicht empirisch gewonnen werden. Bereits die Begriffe secundae intentionis bzw. die
Relationsbegriffe, wie etwa auch creatio, aber alle anderen der Klasse auch, können nicht mehr
sensu stricto als empirischer Wahrnehmung entstammend betrachtet werden. Die Abstraktion,
die im Sinne der Kausalität und bei naturphilosophischen Fragen denn auch nicht mehr zu
einem empirischen Betreff, der de facto real bekräftigt wäre, führen kann, überschreitet ganz
leicht die Empirie und zwar so, dass diese negativ formuliert werden kann (Ord. d. 23, q. uni
ca OT IV p. 60 lin. 2–5): „Quandocunque aliquod nomen non significat aliquid per modum
possibilis et significatum suum competit rei non per operationem intellectus, illud est nomen
primae intentionis.“
330 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
speciei; non apparent plura impedientia istum modum ponendi. Sed primum non
impedit: quia partes eiusdem rationis possunt facere unam qualitatem – patet de al-
bedine. Aliter lignum habens unam superficiem non posset esse album una albedine,
cuius oppositum dicunt. Similiter: duae partes aquae distinctae faciunt unam aquam.
Nec secundum impedit, quia non repugnat plus (Wortstellung W. 1495) qualitati sus
cipere magis et minus, sive habere plures (W. 1495 statt multas Ed.) partes sine exten-
sione, quam formae substantiali sive (W. 1495 statt vel Ed.) materiae. Sed Deus potest
conservare materiam et formam (W. 1495 statt tam … quam Ed.) sine quantitate et
omni extensione, et tamen tunc haberent partes realiter distinctas licet non extensas.
Igitur eodem modo potest qualitas habere plures (W. 1495 statt multas Ed.) partes
sine omni extensione. Nec tertium impedit, quia non repugnat formis accidentalibus
non facientibus per se unum informare idem subiectum; igitur nec repugnat formis
accidentalibus eiusdem rationis facientibus per se unum informare idem subiectum.
Consequentia patet de se. Antecedens probatur.“94 Ockham operiert (beweist) also
nicht aus einem mit dem species-Begriff abstrakt gleichgesetzten Inhalt, aus dem er
Schlüsse zöge und seien es solche, die der reductio ad absurdum entsprächen und
dann per tertium non datur für einen positiven oder absoluten ‘Sachverhalt’ gehalten
werden können sollen.95
Duns Scotus „beweist“, indem er auf die species als Begriff, Topos, Ideal o. ä. sich
bezieht und diese sichert; empirische ‘Gehalte’ können dann abgeschieden werden.
Sie werden als Nichtanteile und Nichtbedingungen des Gehaltes des Topos ausge
geben. Es wird erklärt, dass sie nicht als direktive Bestandteile anzusehen seien, selbst
wenn man darin empirische Geltungsanteile erkennen möchte, die das Prinzip si-
chern möchten. Der Topos gilt, indem sie nicht in ihn eingelassen oder für ihn inten-
94. Der Ausdruck ‘non repugnat’ bedeutet: „es ist nicht unvereinbar“. Es wird also nicht auf Ab
leitung reflektiert. Dies gilt, wenn auch hier zum Schluss eine consequentia an- und eingeführt
wird. Auch hier wird eher eine Folgerung a fortiori gezogen. Die aber stellt eine Induktion dar.
Die im Bereich der ‘Akzidentalität’ „‘liegenden’“ Verhältnisse werden in keiner Essenz oder
forma qualitatis seu accidentis anhängig gemacht.
95. Zur Non-repugnantia cf. Rep. II, q. 15 OT V p. 345 lin. 2–4: „sed respectu aliorum quae non
sequuntur necessario ex primis actibus nec repugnant, sed sunt indifferentes, habent (sc. die
Engel) libertatem et indifferentiam. Huiusmodi autem est tentare hominem in malo angelo et
custodire in bono (angelo).“ Was nicht (notwendig) aus einem anderen folgt, ihm aber auch
nicht widerspricht, ist mit ihm vereinbar: es ist davon unabhängig (ihm gegenüber indifferent).
Der somit insgesamt kontingente ordo der Akte ist gleich dem ordo der Aktwertungen. Ein
Beweis, dass non-repugnantia besteht, erfolgt per persuasionem und a posteriori, ist somit
nicht stringent. Daher ist ein Beweis, dass Inkonsistenz nicht bestehe (unmöglich sei), nicht zu
führen. Denn wir müssten ihn bezüglich nicht enthaltener Akte führen, wobei ein Akt einen
anderen überhaupt nicht derart enthalten kann, dass der eine Akt, wenn er gesetzt ist, den zwei
ten mitenthalte: sie wären dann ein einziger. Soll ein Akt einen anderen enthalten, so kann dies
folglich nur über Wertungen geschehen. So muss man aber Freiheit, Indifferenz, Zusammen
gehörigkeit empirisch voraussetzen. Etwa (Ord. Prol. q. 1 OT I p. 51 lin. 23f): „intelligens di-
stincte albedinem scit quod albedo est calor vel qualitas.“
Kapitel 7. Formbegriff und reale Wahrheit 333
sional zugelassen werden. Verfährt Ockham bezüglich des forma-Begriffs, direkt oder
indirekt, analog? Dann würde sich als Unterschied am Ende ausweisen, dass er in
Richtung auf die significatio (obiecta extra mentem, gradus usw.) operiere, sie aber als
Teil der Begriffssicherung (abstractio!) ausschließe, nicht, wie Scotus, der Begriffsgel
tung. Empirische Elemente werden nicht in den Begriff hineingelassen, nicht daraus
bloß kasual ausgeschlossen. Ockham synthetisiert Begriffe.96 Die Begriffe, die so ge-
wonnen werden, sind empirische. Sie können nicht durch einen göttlichen Eingriff
suspendiert oder verändert werden; sie werden ja mit Hilfe des Omnipotenzprinzips
gewonnen. Allenfalls könnten auch mit Hilfe des Omnipotenzprinzips neue Begriffe
gewonnen werden, die rein abstrakt (förmlich abstrakt) den Sachverhalt überdecken
müssten, den wir konkret, i.e. empirisch kennen. Ockham unterstellt so per divinam
potentiam absolutam andere Begriffe als die per propositio immediata jetzt uns em-
pirisch bekannten.97
96. Die species wird bei Duns Scotus in dem Rahmen „inhaltlich“ gesichert, in welchem sie
von empirischen Elementen nicht getrennt worden sein soll, für die sie inhaltlich doch nicht
eintreten darf. Ockham führt eine Abstraktion aus, in die er solche Elemente als faktische nicht
aufnimmt. Duns Scotus muss die Abstraktion, die bei Ockham terminologisch ungeklärt bleibt,
voraussetzen. Duns Scotus spricht reflexiv über empirische Elemente, ohne dass diese aufge-
wiesen würden. Die Ontologie als Implikat im species-Begriff entpuppt sich als Folgerbarkeit
aus einer Folgerung. So werden Verteidigung des species-Begriffs und Ontologie äquivalent.
Wenn man die Verteidigung der Ontologie in Identität mit der Ontologie anerkennen will, gibt
es Ontologie und Logik absolut gar nicht mehr. Hier(in) setzt sich bereits die Abstraktion als
absolut durch. Die Ontologie kann nicht (definit) interpretiert werden, wenn sie eben wie sie
verteidigt werden soll und muss, erst begründet wird. Ihre Anschauungen sind widerlegbar, wie
Ockham durch indirekte Beweise (reductio ad absurdum) zeigt. Auch wenn man ihre Termini
als solche, nicht als reelle Größen fiktiv gedacht, versteht, kann sie nicht begründet werden.
Das zeigt Ockham am Ende persuasiv im vorangegangenen Text, worin drei Möglichkeiten der
widerspruchsgestützten Kontestation fallweise nacheinander als nicht notwendig (nicht zwin
gend) ausgeschlossen werden, ohne dass danach mehr als die Auch-noch-Möglichkeit des An-
deren „praeter ‘tertium non datur’“ beweisbar sein soll. Sie wird persuadiert. Ockham beweist
damit anti-ontologisch anders als Duns Scotus.
97. Motus steht zur res mota im Verhältnis des accidens zur substantia. Beim motus augmentatio
nis alias ‘Beschleunigung’ sind wir bei der Veränderung, der Steigerung des motus. Dazu sagt
Ockham (Rep. II, q. 7 OT V p. 104 lin. 1–8): „motus augmentationis non distinguitur realiter
a rebus permanentibus. Quia si sic, aut ille motus est in genere quantitatis aut qualitatis. Non
qualitatis, quia potest aliquid adquirere quantitatem sine omni qualitate, saltem per potentiam
Dei.“ Aus der qualitas kann nicht die quantitas folgen, in dem Sinne entfällt auch die Folge-
rung. Abstraktion, Induktion und Widerlegung fallen zusammen. Der Modus ‘per potentiam
Dei’ drückt das aus und bedeutet so die Definitheit der Begriffe ‘qualitas’ und ‘quantitas’. Die
qualitas kann nicht in der quantitas gegründet (= bestimmt) sein. Die quantitas kann auch
in umgekehrtem Sinn nicht in die qualitas über oder an sie herangeführt werden. Sie kann
nämlich hier nicht kompaktifiziert werden. Denn Ockham fährt fort: „Si in genere quantitatis,
igitur est idem cum quantitate quae terminat, quia si esset quantitas discreta, non posset Deus
334 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Gott kann nicht genötigt sein einen nicht notwendigen Zusammenhang als un
ausweichlichen oder überhaupt zu beachten. Als eine überweltliche Instanz wäre er
dann von der lex communis der Schöpfung tangiert und gar bestimmt.98 Dies muss
dem Begriff Gottes nach jeder Auslegung und entsprechend, auch empirisch und
induktiv gesehen, widersprechen. Der Rückgriff auf die Allmacht ist vermöge der In-
duktion konsistent mit gewohnten weltlichen Tatbeständen, also mit Erfahrungen.
Weil hier Konsistenz besteht, kann die Induktion eintreten, die dann zu Syllogismen
führt, die oft nur persuasiones darstellen. Die persuasio enthält keine Nötigung, we
der des Menschen noch Gottes. Sie ‘abstrahiert’ über der Erfahrung und bleibt mit ihr,
der sie nicht widerspricht, konform, eigentlich kompatibel: eben soweit die Induktion
dazwischentreten kann und möglich ist.99 Abstraktion und Kontingenz stehen in dem
Verhältnis, dass das Abstrahierte nicht inhaltlich im Sinne einer Folgerung ausgelegt
werden kann. Kontingenz kann aber doppelt aufgefasst werden:100 „distinctio est de
contingenti: quod dupliciter accipitur – ad praesens – frui aliquo sicut est producere
aliquid contingenter. Uno modo quod simpliciter potest frui et non-frui, vel produce
re et non producere. Et isto modo quidquid producit quemcumque effectum, producit
contingenter, quia deus potest facere quod non producat.“ Da beispielsweise obiectum
(res extra) und die notitia intuitiva zwei verschiedene res absolutae und infolgedessen
realiter distinctae sind, kann Gott machen, dass dem Menschen das Ding vor Augen
facere unum individuum quantitatis sine alio, quod est falsum.“ Die Bewegung der zweiten
Stufe kann nur kontinuierlich sein, also eine quantitas non discreta (continua), die Ockham ne
ben der quantitas discreta kennt, darstellen. Sie wäre in se unbegrenzt = in se unabschließbar.
Abgeschlossen ‘existierte’ sie nicht, sie wäre erloschen sein, so dass man sie dem Begriff nach
nicht hätte. An der quantitas discreta gäbe keinen Ansatz für eine Widerspruchsoperation, die
die potentia Dei begrenzen könnte. Die quantitas discreta kann nicht herangezogen werden.
Ockham argumentiert also abstrakt. Cf. hier auch Kap. 8 Anm. 153.
98. Das Natürliche und natürlich Zukommende ist das der Schöpfung Entsprechende. Es ist
dies nicht das argumentativ Erschlossene. Die Argumentation mit ihrer Struktur, in der die
distinctio realis eine Körnung der Welt bewirkt, legt die reale Welt aus, nicht aber die im Sinn
der Erfahrung primäre Welt. Die argumentative Operation und Beweisart, also die Indukti-
on usw. erschließen die Welt. Sie werden nicht durch die consequentia naturalis legitimiert.
Was argumentativ erschlossen wird, ist nicht in dem Sinne wahr und unumstößlich, dass es
die Dinge in se und nach ihrer Struktur gäbe. Das eben ist gerade nicht möglich. Es gäbe die
Argumentationsart nicht, wenn es die Erschließung (Synthesis) der Dinge in sich gäbe. Es gibt
sie im Nominalismus nicht. ‘Deshalb’ gerade gibt es die Argumentation, die an ihnen äußerlich
ansetzt, ihren Wandel durch Kombination und bezüglich der allenfalls in diesem Sinn konkre-
ten Kausalität gibt und angibt. Dieser Argumentation tritt das Omnipotenzprinzip bei. Es hat
argumentativ so auch nie mit der natürlichen Welt zu tun, sachlich schon: es hebt sie nicht auf.
99. Die Induktion erweist sich in facto durch sich selbst. Ihre Existenz kann nicht vorausgesagt
werden. Ockhams Operationen, Beweise, Meinungen, consequentiae etc. insgesamt widerspre
chen einander zwangsläufig nicht. Sie enthalten in sich dafür keinen Grund.
100. Ord. d. 1 q. 6 OT I p. 501 lin. 1–7.
Kapitel 7. Formbegriff und reale Wahrheit 335
ist und er es doch nicht sieht, so dass die kontingente Aussage ‘hoc est hoc’ u. ä. m.
von ihm falsch beurteilt wird. Es gibt keine notwendige Verbindung zwischen der
res extra und der notitia intuitiva etc. Die notitia intuitiva, die über die existentia ob
iecti praesentis befindet, schließt intensional nicht die existentia als faktisch gegebene
ein.101 Zum Kontingenten heißt es dann weiter102 „Alio modo accipitur pro illo quod
producit aliquem effectum, et nullo variato ex parte sua nec ex parte cuiuscumque
alterius habet in potestate sua ita non producere sicut producere, ita quod ex natura
sua ad neutrum determinatur. Et eodem modo dicendum est de contingenter frui. Et
isto secundo modo intelligitur quaestio.“ Frui kann daneben für Ockham auch einen
unbeschränkten empirischen Sinn haben, es bezieht sich damit nicht nur auf die di
vina essentia und die beatitudo, die dem Erdenpilger verwehrt ist. Frui wird auch
wieder auf eine übernatürliche (transempirische) Ebene des ‘Daseins’ versetzt, wo Zu-
sammenhang und Zwang nicht ‘empirisch’ reguliert und gewertet werden können,
aber dem Effekt nach ebenfalls nicht notwendig erscheinen müssen. Die Kontingenz
bleibt regulär bestehen, wiewohl die Empirie nicht mehr aufgewiesen wird. Im zwei-
ten Fall wird die Kontingenz so bestimmt, dass ein ens de facto oder abstrakt nicht(s)
enthalte, was sie in eine Wirkungsbeziehung zu setzen vermag. Im ersten Fall werden
empirische Wirkungsverhältnisse angesetzt:103 „Item, aliter non potest salvari modus
augmentationis nec continuitatis in motu sine tali additione, quia si sit augmentatio
et pars prior non corrumpatur, oportet necessario quod per illam augmentationem
aliquid adveniat de novo, faciens unum cum priori. Aut igitur illud adveniens est
eiusdem rationis et in eadem specie cum priori, aut alterius. Si sit eiusdem rationis
et in eadem specie cum priori, aut per se auf per reductionem. Si per se … habetur
propositum. Si per reductionem tunc est essentiale speciei et tunc est actus vel poten-
tia quod nullus ponit.“ Es darf also keine Veränderung an der species oder essentia
in se geben, so dass die Veränderung in deren Bereich fiele.104 Gleichwohl findet ja
eine Veränderung statt. Diese muss also über Supra- oder Leitbegriffe wie ratio oder
101. Die Frage erübrigt sich nicht gleichsam im Sinn der Abstraktion, wie Vignaux meint, so
als sei, wie er sogar sagt, logisch die existentia darin mitgegeben. Man käme so durch Abstrakti
on beim Truismus an, indes reflexiv und indirekt: dass was ‘ich’ als gegeben oder existent ansehe
oder denken, nicht von mir als nicht existent gedacht oder gewollt werden könne.
102. Ib. lin. 7–12.
103. Rep. III, q. 7 OT VI p. 228 lin. 9–18.
104. Cf. Rep. II, q. 6, OT V p. 91 lin. 1f: „agens naturale potest conservare grave sursum contra
suam inclinationem.“ Das ist eine Andeutung des Trägheitsprinzips, das, ins rein Akzidentelle
verlegt, keine Auslegung a parte essentiae erlaubt. Das Trägheitsprinzip wird nicht postuliert
(Spinoza), sondern induktiv zugelassen. Gegen es, nicht mit ihm oder ihm zufolge, müssten
Behauptungen aufgestellt werden können. Doch realiter hat das grave eine Widerlegungsfunkti
on und ist, in se unerkennbar, nach infinitesimalen Anteilen zu beschreiben. „Item quaero ut
rum inter primum gradum et secundum sit distinctio vel non … in illa forma sunt plura eius
dem rationis realiter distincta.“ Die subtilitas nominalium stützt nicht H. Blumenberg, Die
336 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
‘modus’ statuiert werden, ohne dass eine Konstitution ex parte reali prätendiert wür
de und prätendiert werden könnte. Das eben wird ausgeschlossen. Man gelangt also
nicht bis zur significatio in se:105 „Si sit alterius rationis et in alia specie per se, tunc per
illud non est augmentatio quia individuum speciei unius non augmentatur per indi-
viduum alterius specie sicut patet.“ Damit ist man, rein negativ, auf der Ebene der sig
nificatio. Man gelangt zur Definitheit des terminus augmentatio, aber man kann ihn
nicht in einer empirischen Realität in se suchen, wie wenn diese konstituierbar wäre.
Die Methoden des Beweisens, rein im scholastischen Medium, schließen es aus.106
Die Beschränkung der Omnipotenz durch das Widerspruchsprinzip wird für den
Nominalismus Ockhams schon lange hervorgehoben.107 Gott kann vermöge seiner
divina potentia absoluta alles Machbare machen.108 Er macht alles Machbare, sofern
es auf der distinctio realis beruht. Gott kann quasi in der Welt die Welt gegenüber
der geschaffenen verändern, weil er, was, im Sinne einer distinctio realis, in ihr (de
communi lege) vorfindbar ist, trennen könnte, so dass es nicht mehr zusammen vor-
käme; für eine weitere Annahme fehlt die induktive alias empirische Basis. Fazit: die
distinctio realis ersetzt das Widerspruchsprinzip. Gott kann daneben eine für uns re-
ale oder nach der Kirchenlehre bezüglich der gegebenen Kausalfolge hypothetische
Verbindung von Faktoren, die für die Erlösung oder beatificatio notwendig zu sein
scheint, überspringen oder verkürzen.109
Während für Ockham der Gegenstand, i.e. die res extra animam durchaus und
unmittelbar erkannt werden kann und zwar dessen essentia, also die res oder das
obiectum extra in seiner essentia, ist es das Problem, dass nicht und wie nicht aus der
essentia zum accidens übergegangen werden kann. Weil und wie es nicht geschehen
kann, werden seine Beweise, seine Induktionen, seine Widerlegungen möglich, bei
denen über Bestimmungen sukzessiv entfaltet wird, was im Verhältnis zueinander
subiectum und passio verschiedentlich (noch) bedeuten (können). Ockham hatte es-
sentia mit existentia gleichgesetzt. Sie waren für ihn gleichnamig. Infolgedessen gibt
es keinen Grund anzunehmen, das Objekt werde nicht in seiner Essenz erkannt, wenn
es als existent erkannt wird (oder werde), eben mittels der notitia intuitiva, dann aber
auch in der notitia abstractiva, die den Begriff, der aus der notitia intuitiva entstanden
kopernikanische Wende, 1965, p. 34 mit Anm. 12 (p. 165f), der im „Trägheitsprinzip“ den Indika-
tor für den transitus vom Mittelalter zur Neuzeit sieht.
105. Rep. III, q. 7 OT VI p. 228 lin. 18–20.
106. Es ist die in diesem Medium mögliche reductio ad absurdum, die die Synthesis des termi
nus in abstracto, wie sie allein möglich ist, gewährleistet.
107. E. Hochstetter, 1927 p. 16 Anm. 3. Cf. aber auch unsere Kritik Kap. 3 Anm. 18.
108. So hatte Ockham ausdrücklich selbst gesagt.
109. Aber pro mente hominis oder secundum mentem hominis. Das Omnipotenzprinzip ge-
winnt unter diesen Bedingungen Nähe zum Ökonomieprinzip. Bei diesem muss der Rekurs auf
die empirische Basis einer speziellen Erkenntnis nur bedingt stattfinden.
Kapitel 7. Formbegriff und reale Wahrheit 337
ist, weiter wahrt und bewahrt und auf den sich nach Ockhams bevorzugter, wenn
auch nicht durchgängig festgehaltener Anschauung der actus intelligendi in mente
bezieht.110 Fielen essentia und existentia nicht zusammen, wären also nicht dasselbe,
müssten aus dem subiectum, das ein obiectum bezeichnet, passiones entwickelt wer
den können.111 Gott kann pro statu isto nicht in re und nicht in sua natura erkannt
werden. ‘Begriffe’ können auf ihn angewandt werden, aber nur bedingt:112 „omnis res,
si cognoscatur, vel cognoscitur in se /§ vel cognitione propria sibi vel aequivalenti §/
vel in aliquo conceptu. Sed Deus non cognoscitur primo in se a nobis in particulari
et in natura propria; tum quia omnis notitia rei in se abstractiva naturaliter adquisita
praesupponit intuitivam. /§ Ista argumenta procedunt secundum opinionem quae po
nit quod conceptus mentis distinguitur ab intellectione.“ Damit ist der Begriff wieder
als fictum esse oder obiectivum esse bestimmt. Auch im Bereich der divina essentia
erfahren wir nicht aus der essentia das Akzidentelle und damit über Gott Hinausge-
hende.113
Die Kenntnis oder Erkenntnis der Sache in se ist mit der abstraktiven Erkenntnis
im bloßen Begriff, der aus der äußeren Wahrnehmung des Objekts mittels der notitia
intuitiva entstanden ist, nicht aufgehoben, wenn und weil dieser in sich natürlicher
110. Ockham spricht (Rep. II, q. 14 OT V p. 317 lin. 2–5) von „habitus, qui … generatur ex
actibus qui immediate accipiuntur a re sicut a causa partiali, quia a cognitione abstractiva ma-
nente cum intuitiva.“ Das ist (ib. lin. 10f) gemeint „(intellectus) potest accipere a rebus notitiam
universalium quia potest abstrahere a singularibus.“ Ähnlich siehe Rep. II, q. 12–13 OT V p. 302
lin. 15–17: „Ad notitiam primam abstractivam, quae stat cum intuitiva, sufficit notitia intuitiva
cum intellectu, sed ad secundum abstractivam requiritur habitus.“ Aus der notitia intuitiva
entsteht die notitia abstractiva, aus dieser ein habitus, der die zweite notitia abstractiva hervor
bringt. Dabei sind die Begriffe (universalia) schon bekannt. Derart werden die ‘ontologischen’
Begriffe nicht hervorgebracht. Der Begriff ‘genus’ u. a. wird nicht per notitia intuitiva und nicht
per notitia abstractiva gewonnen. Wir haben so auch, nach Ockham, mit der Wahrnehmung
eines Gegenstands nicht die Wahrnehmung eines anderen von ihm verschiedenen. Wir können
den Begriff ‘genus’ nicht im Sinne der suppositio personalis prädizieren. ‘Genus’ kann nur im
Sinne der suppositio simplex in den elementaren Sätzen gelten.
111. Wenn Erkenntnis sein können soll. Deren „Zugehörigkeit“ oder ‘Verhältnis’ zum subiec-
tum werden induktiv, eben über Negationen und Ausschließungen dargelegt.
112. Ord. d. 3 q. 1 OT II p. 389 lin. 7–13.
113. Was Ockham pragmatisch thematisiert hat und mit allen Einzelmeinungen bzw. Einzel
entscheidungen technisch (also im Gebrauch seiner Terminologie und seiner Argumentations
formen und -formeln) beweist, ist, dass aus der essentia nicht das accidens folgen können und
entsprechend oder umgekehrt das accidens nicht förmlich in die essentia eingeführt werden
könne. Alles Beweisen Ockhams erscheint hier technisch im Sinne der Aufhebung dieses einen
konstitutiven Zusammenhangs von essentia und accidens. Alle seine Formeln können darauf
zurückgeführt werden, dass ein solcher genannter konstitutiver Zusammenhang nicht erlaubt
oder beweisbar sei, also widerlegbar. Man kann ihn wahrscheinlich nicht einmal ontologisch
nennen.
338 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
weise erworben ist; darin besteht zugleich wie gezeigt eine Induktionsbasis. Bereits
damit wird der Vorzug der fictum-Hypothese, d. h. der, dass der Begriff als obiec-
tivum esse dem actus intelligendi in mente zugrunde liege, indirekt dargetan. Dass
der Vorzug der Hypothese des Begriffs als fictum esse gilt, belegt dann nochmals die
Textfortsetzung:114 „Si autem ponatur conceptus seu intentio esse realiter intellectio,
tunc debet probari quod deus non cognoscitur cognitione propria sibi nec aequiva
lenti, et hoc sicut probatum est prius, quia tunc non posset talis dubitare deum esse,
sicut alibi ostensum est.“ Wer also Gott in se, mithin als res, wahrnähme, könnte
an dessen Existenz nicht zweifeln. Ebenso wenn er ein Äquivalent einer solchen Er
kenntnis besäße. Beides ist aber dem viator verwehrt.115 Dann aber kehrt Ockham zur
eigentlichen Basis seiner Erörterungen mit der Prädilektion der fictum-Hypothese
für den Begriff zurück116 „Si autem deus cognoscatur in aliquo conceptu distincto
ab intellectione, igitur ille conceptus est primum obiectum illius cognitionis, et per
consequens Deus non erit primum obiectum primitate generationis. §/“ Gleichwohl
wird damit noch Gott in se erkannt; es kann einfach nicht ausgeschlossen werden, zu-
mal ihm dabei zusammengesetzte Ausdrücke zukommen, die nur für ihn gebraucht
werden. Das ist schon eine von Ockham gebrauchte Argumentationsart, nach der
was nicht notwendig ausgeschlossen ist, möglich ist. Sie steht der persuasio nahe
oder ist eine.117 Dabei wird die notitia abstractiva immer doppelt gefasst als ‘notitia
abstractiva quae semper sequitur notitiam intuitivam aut illa quae habetur post corrup
tionem intuitivae.’ In ersterer können wir die notitia abstractiva imperfecta sehen, so
dass es am Ende vielleicht um eine terminologische Verschiedenheit (und Doppel-
heit) sich handelt, welche indes von der Erfahrung ausginge.118
die schon in der Einleitung Anm. 58 und in Kap. 1 Das Verhältnis der Begriffe bei Ockham
Anm. 75 geäußerten Einwände. Außerdem: Wenn Ockham einen Begriff akzeptieren wollte,
der auch Sache wäre oder einer solchen äquivalent (parallel) aufträte, dann wäre ‘dieser’ „Be
griff “, obwohl per notitiam intuitivam geschöpft, in der Lage einen anderen zu enthalten; d. h.
eine analytische Erkenntnis (oder Aussage) darzustellen. Die unverknüpfte Erkenntnis, von
der M. Lenz spricht, kann nicht existieren; sie hätte keine Logik, d. h. eine, die den Begriff
definieren könnte, wie das D. Brown, Analyticity: An Ockhamist Approach. Am. Philos. Quar
terly, vol. 34 No. 4, 1997 pp. 441–455 erörtert und schließlich als für Ockham nicht anzunehmen
ansieht. Wir müssten analytische Erkenntnisse oder Wahrheiten für Ockham zulassen oder
annehmen, die er nirgendwo ins Spiel gebracht hat. Er muss daher auch den Syllogismus, an-
ders als Aristoteles, unabhängig von ihnen halten. Dass Ockham an das ‘aliquid’ in Gott, das so
oder so ‘accipi potest’ nicht wirklich heran will, sei noch einmal bemerkt. Er hätte also, sei es
als res (alias conceptus quem non habemus), sei es res in Deo cognita per beatum et possibiliter
per angelum, angenommen was in Gott nach seinen Annahmen theoretisch gar nicht fallen
kann. Das müssten wir nach Lenz’ Interpretation für Begriffe und Sätze ansetzen, die wir gar
nicht haben. Das stellt eine Absurdität dar. Der Widerspruch widerspricht exakt der Beweisart
Ockhams. Er müsste hier die Funktion haben, Ockhams Meinung oder ‘Absicht’ anzugeben
oder darzustellen. Das Analytische (per se Wahre) wäre identisch das Widersprüchliche (per se
Falsche). Das hätte im Namen des von Ockham in seiner Erörterung de facto hier verwandten
Omnipotenzprinzips zu gelten, das doch nach der opinio communis der Ausleger vom Wider-
spruchssatz begrenzt sein soll.
118. Dafür dass der menschliche Geist anlässlich der Wahrnehmung eines Objekts (res) extra
animam mittels der notitia intuitiva das universale als fictum bilden könne, für das dann eine
Ähnlichkeit oder wenigstens Entsprechung mit diesem extramentalen Objekt angenommen
werden könne, argumentiert Ockham unter Verweis auf Augustinus mit einem Überredungs
beweis (Ord. d. 2, q. 8 OT II p. 277 lin. 3–10): „ex ista auctoritate potest argui sic: non minus
potest intellectus ex aliquo viso aliquid totaliter consimile fingere quam ex visis aliquid con
simile prius non viso; sed aliquis ex multis faciebus visis potest fingere aliquid consimile faciei
Apostoli vel Christi vel alicuius alterius quem nunquam vidit; igitur non est inconveniens quin
de aliquo individuo viso vel intuitive cognito fingat animus aliquid consimile, et illud sic fictum
non erit ens reale, sed tantum cognitum.“ Bezugspunkt ist dabei die intramentale Identität
dieses fictum. Nicht die relatio ad extra. Über diese kann ja in facto nichts gewusst werden. Die
Bestimmung des fictum alias universale ist determinat und beruht auf der Ausschaltung eines
Widerspruchs ex parte rei extra animam. Der Begriff beruht auf actus qui immediate accipiun
tur a re sicut a causa partiali. Die zweite causa partialis, die hier nötig ist, ist der intellectus. Es
gilt natürlich ebenfalls Ord. Prol. q. 1 OT I p. 27 lin. 10–12: „veritates contingentes non possunt
sciri de istis sensibilibus nisi quin sunt sub sensu.“ Es wird nie die reale Erkennbarkeit de facto
ausgeschlossen. Darüber hinaus ist für Ockham die Bestätigung eines universale im weiteren
Gebrauch mittels der notitia intuitiva problemlos. Die notitia intuitiva umfasst einen actus iudi
cativus und schließt einen actus assentiendi ein.
340 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
nicht wahl- und schrankenlos, sondern dosiert.125 Solche ‘Induktionen’ von Einsichten
in den menschlichen Verstand wären unmöglich, die nicht von ihm konzipierbaren
begrifflichen Formen entsprächen.126 Sie geben die empirische Basis und ersetzen so-
gar das Widerspruchsprinzip. Beide dürfen nicht ignoriert oder verletzt werden. Gott
würde, gegen die Weltordnung stehend, die er erlassen hat, nichts bewirken können.
Die Grenze des Widerspruchsgesetzes wird durch die Ersetzung hinausgeschoben.127
Es wird auch nicht ‘schlussfolgernd’ vollzogen.
125. Eine abstraktive Erkenntnis theologischer Wahrheiten, die überhaupt keiner notitia intui-
tiva entsprächen, wie sie auch für den beatus entfielen, kann auch Gott nicht bewirken: Darauf
bezieht sich das ‘forte aliquarum non’.
126. Beide Abschätzungen, sc. dass Gott gewisse theologische Wahrheiten so kraft seiner All
macht dem viator pro statu isto ohne vorgängige Erfahrung der divina essentia und entspre
chende Begriffsbildung eingeben könne, gewisse andere aber nicht, sind hypothetisch. Sie wer
den persuadiert. Sie müssen konzediert werden, da sie effektiv nicht sich ausschließen lassen.
Dabei ist, im Sinne der Konsistenz gewissermaßen, hinzuzufügen, dass wenn der beatus Gott
schaut, eine Begriffsbildung nicht mehr nötig ist und jedenfalls nicht notwendig erfolgt. Dass
ein zweites Medium nach der seligen Gottschau gebildet werde, gleichsam in Analogie zur no-
titia abstractiva, die der notitia intuitiva folgt, ist nun auch nicht ausgeschlossen. Man hat also
eine Reihe von Schlüssen bei Ockham, die entweder in seinem Material, den Begriffen und den
Bezugsgegenständen der Erkenntnis mittels der Begriffe und damit zentral für den Menschen,
vorgebildet sind oder aber es nur begleiten. Indem sie es nur begleiten, werden die Begriffsbil-
dungslehre oder Universalientheorie und die Logik schwierig. Die Universalientheorie kann
nicht mehr zentral sein. Cf. G. Ritter, 1921 p. 280: „Die Passivität des erkennenden Verstandes
bei Ockham schließt jede Umschreibung seiner Universalienlehre aus, die den Ton auf einen
vom Menschen gebildeten Begriff legen will. Indem Ockham die aktive Mitwirkung des Intel
lekts bei der Erkenntnis leugnete, zeigte er geradezu eine antinominalistische Tendenz.“ Es ist
allerdings einzuwenden, dass Ockham (nur) drei empirische Größen im Erkenntnisaufbau an-
nimmt, die zugleich auch eine kausale Komponente haben, i.e. damit argumentative Bedeutung
und Integrationskraft erhalten (Ord. Prol. q. 1 OT I p. 56 lin. 12f): „potentia intellectiva, notitia
intuitiva rei, res intuitive nota.“ Erkenntnis, die so innerhalb des Erkenntnisaufbaus bestimmt
wird, existiert, und das bedeutet, dass der Verstand in der Form seiner Akte entweder doch
aktiv ist oder aber hinsichtlich der Kategorien aktiv und passiv keine regelrechte Unterschei
dung mehr zulässt. Der Verstand wählt die Akte jedoch nicht mehr distinkt aus. Der Verstand
ist humaner Verstand und bestimmt, umgrenzt, kurz determiniert, wenn er die Grenzen des
Verstandes vermöge der Auslegung seines Aufbaus, secundum rationem, darlegt. Das Humane
liegt auch in diesem Selbstbezug. Gegenüber dem bloß Logischen zeigt sich so etwas wie eine
reduktive operationale Struktur. Darin sind Gott und Mensch gleichermaßen umfasst, indem
die Form des menschlichen Denkens dem Gegenstand nach formell ‘auch’ noch auf Gott lautet.
Gottes eigenes Denken ist, wie es scheint, nur noch unentfaltet mit eingeschlossen und um-
fasst.
127. Gott kommt mit seinen Eingriffsmöglichkeiten secundum suam potentiam absolutam em
pirisch eher an Grenzen als außerempirisch. Cf.Rep. II, q. 11 OT V p. 249 lin. 8–10: „potest
concedi quod Deus potest facere angelum ita simplicem quod non potest facere simpliciorem,
sicut forte Deus non potest facere motum primo motu magis regularem.“ Beim empirischen
342 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Die notitia intuitiva128 geht von der essentia rei aus:129 „dico … loquendo de cog
nitione intuitiva naturali, quod angelus, et intellectus noster, intelligit alia a se non per
species eorum nec per essentiam propriam, sed per essentias rerum intellectarum. Et
hoc prout ly per dicit circumstantiam causae efficientis, ita quod ratio intelligendi, ut
distinguitur a potentia, est ipsa essentia rei cognitae.“ Das obiectum fungiert als causa
efficiens im Zusammenwirken mit dem intellectus, der damit daneben ebenfalls als
causa wirkt. Es ist nicht der sensus, der dem Objekt nach dessen Erkenntnis (in seiner
essentia) zugeordnet ist, wie es auch kein universale gibt, in dem Vermittlungsanteile
in Richtung auf das Objekt, etwa durch Ausbildung einer species etc. noch denkbar
Begriffsverständnis ist das Widerspruchsmoment damit nicht mehr bloß abstrakt geblieben. In
der abstrakten transempirischen Welt dagegen wird die ‘Macht’ Gottes von der begrifflichen
Beweisform der reductio ad absurdum begrenzt, wie ib. lin. 4f zeigt: „dico quod Deus posset
facere angelum perfectiorem omni angelo facto, et ille non esset Deus.“ In der abstrakten trans
empirischen Welt wird die Macht Gottes vom Widerspruchssatz begrenzt, dort mithin, wo Gott
nicht prima vista mit offenkundiger Willkür Eingriffe zu statuieren hätte. In dieser abstrakten
transempirischen Welt sind die ebenfalls und noch mehr begrifflichen Optionen nicht reale.
Der Begriff der perfectio und der ihrer mensuratio ist komplex. Cf. Rep. II q. 10 OT V p. 218
lin. 22 – p. 219 lin. 5: „si ex cognitione dei intuitiva et cognitione aliarum rerum (Ed. ergänzt
ohne Angabe aus W. 1495: potest cognosci quod una creatura est perfectior alia). Non ex sola
cognitione Dei, quia mensura et mensuratum necessario prius cognoscuntur secundum suas
essentias quam ut sunt mensurae. Nec sufficit ad cognoscendum quantitatem mensurati solum
cognoscere mensuram.“ Gott ist aber das Maß der perfectio. (ib. lin. 6–11). Maß kann ‘vielfältig’
verstanden werden, cf. Rep. lb. II, q. 11 OT V p. 232 lin. 3–7: „Dico quod quadruplex est men
sura: extensionis, multitudinis, durationis, et perfectionis (sicut deus respectu creaturarum).
Extensionis in continuis, sicut ulna panni. Multitudinis, sicut unitas numeri. Durationis, si-
cut tempus mensurat motum. Perfectionis, sicut deus respectu creaturarum et albedo respectu
colorum.“ Eine Auffassung der mensura wie die letzte auf den unendlichen Gott bezogene,
in welchem alle Eigenschaften selbst schon unendlich vorliegen, wäre bloß abstrakt gedacht
und zwar gegenüber der Erkenntnis, die wir empirisch an den creaturae wirklich hätten; diese
Auffassung ähnelt der der calculatores, die so in qualitativer Form das Maß einsetzten. Sie ver-
wandten es ebenso theologisch wie physikalisch.
128. Notitia intuitiva und notitia abstractiva sind die Grundpfeiler der Erkenntnislehre
Ockhams. Sie sind so gegeneinander geordnet, dass die eine, notitia intuitiva, im Sinn von Gel
tung definiert ist, der für die andere, notitia abstractiva entfällt (entfallen kann). Dabei kann
selbst für den Geltungsausdruck die Einlösung (faktische Geltung) nicht bewiesen werden. Es
sind zwei Größen gegeben, von denen eine in die andere hineinwirkt, die zweite aber im Sinne
des ‘Widerstandes’ ebenso passiv ist wie die erste fiktiv. So treten essentia und accidens, noti
tia abstractiva (= actus apprehensivus) und notitia intuitiva (= Erfahrung) gegeneinander. Exi
stenz ist nicht zwangsläufig mit dem accidens oder mit der notitia intuitiva adjungiert. Sie liegt
eher beim actus mentalis. Die notitia intuitiva bezeichnet die Realität intentionell, was bei der
notitia abstractiva gar ausgeklammert wird.
129. Rep. II, q. 12–13 OT V p. 276 lin. 13–19.
Kapitel 7. Formbegriff und reale Wahrheit 343
oder begleitend enthalten wären. Die ratio intelligendi130 muss von der potentia un-
terschieden werden.
Falls wir die Stufe des actus apprehensivus, wie er in der notitia abstractiva ge-
kennzeichnet wird, gewonnen haben, lassen sich die Fragen regeln, welche der Gel-
tung der notitiae incomplexae im Verhältnis zueinander Rechnung tragen und zwar
in der Allgemeinheit, welche dem allgemeinen Zeichenbegriff entspricht, und so-
mit über den conceptus hinaus, den der viator de facto hat. Hier greift denn auch
Ockhams Gebrauch von der distinctio formalis, welche Begriffe oder Inhalte betrifft,
die nicht mehr einem empirischen Sinn entsprechen können:131 „Nunc autem ita est
quod quamvis relatio non sit de intellectu essentiae divinae, quia non praedicatur
formaliter de divina essentia, est tamen eadem realiter cum divina essentia, et ideo
non potest intelligi divina essentia non intellecta persona.“ Zwischen divina essentia
und personae divinae wird nach Ockham auf der begrifflichen Ausdrucksebene eine
distinctio formalis angenommen werden können. Diese von Duns Scotus bekannte
Unterscheidungsart ist bei Ockham rein funktionell weniger bedeutend als die di-
stinctio realis. Die hat einen empirischen Grund. Sie entspricht der Differenz von
res absolutae, die als solche in der realen Welt nach dem Charakter der Schöpfung
unabhängig voneinander vorkommen können. An dieser distinctio realis setzt die po
tentia divina absoluta naturaliter loquendo an, wenn sie nach Ockham hypothetisch
Dinge, die voneinander real getrennt sind, wie sie etwa ihre causatio ausüben, auch
faktisch ohneeinander in Wirkung setzt.132 Sie werden dann nur in einem begrifflich
analytischen Zusammenhang, in einer Zwangsläufigkeit, die generellen Aussagen ent-
spräche, bestritten. Die potentia divina absoluta supranaturaliter loquendo aber ist in
die Nähe der distinctio formalis gerückt.133
130. Autrecourt legt Beweise, an die er nicht glaubt, bzw. sie auf die Folgemäßigkeit aus kon-
tingenten und empirischen Wahrnehmungen fest, was heißen muss: gemäß der notitia intuiti-
va. Das consequens soll nach ihm bereits durch kontingente Erscheinungen widerlegbar sein.
Es müsste zuvörderst in einer notitia intuitiva enthalten sein oder aus ihr erfolgen können. Die
notitia intuitiva wäre so doch auch notitia abstractiva, wie Gregor von Rimini annahm. Akte
wie Begriffe enthalten einander bei Ockham nicht. Notitia intuitiva und abstractiva müssten
sonst identisch sein. Nach Autrecourt Schema oder Ideen würde gar nicht erst mit definiten
Bezeichnungen, Sätzen und Beweisen operiert. Ockhams Beweis- oder Begründungsverfahren
für Aussagen(-charaktere) und Begriffsarten könnte es nicht geben. Alle werden bei Ockham
durch ihre ratio = ratio intelligendi bestimmt.
131. Ord. d. 1 q. 5 OT I p. 457 lin. 4–8. Cf. lin. 12f: „Non tamen potest intelligi essentia sine re-
latione propter identitatem realem inter essentiam et relationem.“ Es ist aber keine empirische
oder empiriewertige Erkenntnis. Cf. p. 462 lin. 11–20. Der viator spricht aber von divina essentia
+ relatio „non in se sed in aliquo conceptu aliquo communi vel proprio.“ Cf. Anm. 119.
132. Zu solchen real distinkten Größen (res) gehören auch die notitiae selbst (notitia intuitiva
und abstractiva), die notitiae complexorum, die notitiae incomplexorum, die potentiae.
133. In einem analogen Sinn kann auch die ‘identitas formalis’ modal prädiziert werden. Auch
da wird der Modus dem Satz zugesprochen; der Modus gilt dann wie im obigen Beispiel auch
344 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Generell ist die Abstraktion in ihrer Abhängigkeit von der – doch die Begriffe
hervorbringenden Erfahrung – beschränkt. Das beweist die folgende Stelle:134 „dico
quod posito quod subiectum contineret virtualiter passionem adhuc notitia subiecti
non contineret virtualiter notitiam passionis. Et quando dicitur ‘sicut aliquid est ad
entitatem’ etc, dico quod quantum ad aliquid est simile et quantum ad aliquid non.
Quantum enim ad hoc est simile quod sicut entitas unius est nobilior cognoscibilitate
alterius et notitia unius est nobilior notitia alterius. Quantum autem ad causalita-
tem non est sic, quia si ita esset, tunc sicut notitia effectus, saltem complexa, potest
esse causa notitiae complexae ipsius causae, ita ipse effectus potest esse causa ipsius
causae, quod falsum est.135 /§ Similiter, sol est causa vermis et causa caloris, et tamen
notitia incomplexa solis non est causa notitiae incomplexa vermis et caloris. §/136 Et
modo composito, d. h. es erfolgt oder besteht kein formeller Durchgriff auf die Erfahrungse
bene, wo wir sagen können (monstrando obiectum vel rem) ‘hoc est hoc’, ‘Petrus est albus’
etc. etc. Dann muss der Modus modo diviso angewandt werden: ‘Petrus possibiliter est albus’
(monstrando Petrum). Ein Satz wie ‘Petrus est Petrus’ ist dann nach Ockham dubitabilis, weil
gezweifelt werden könne, „an sint extrema“. Es kann so natürlich auch keine unterschiedenen
notitiae geben, die subiectum und passio zu gelten hätten. Cf. Ord. Prol. q. 2 OT I p. 113 lin. 2f:
„(Propositio) in qua praedicatur idem de se, est dubitabilis.“ Es ist also ein auf die Intension
selbst bezogener Zweifel. Es ist so auch klar, dass der Modus ‘dubitabilis’ dem Satz gilt. Nicht
dem Sachverhalt. Für diesen in sich gibt es keinen Maßstab. Es wird auch nicht auf ihn hin
vermittelt. ‘Gewusst’ oder ‘eingesehen’ werden nach Ockham immer nur propositiones, nicht
res oder relationes inter res. Denn sie können nicht vom accidens her wahrgenommen werden.
In dem Sinne tritt eine Grenze des Erkennens auf, die bei Ockham auch auf den Gebrauch der
Logik, bzw. auf diese nach Form und Geltung reduktiv wirkt. Logik (bona logica) stellt sich in
der Analyse her, sie antezediert ihr nicht und wird ihr nicht als starre und unabweisbare Form
übergestülpt.
134. Ord. Prol. q. 9 OT I p. 252 lin. 11 – p. 253 lin. 3.
135. Zum Beweis: Die notitia complexa, die einen effectus betrifft und benennt, könnte allein
ihn als den effectus einer bestimmten causa benennen, die damit ebenfalls in Form einer notitia
complexa benannt würde. Wenn Abstraktions- oder Erkenntnisebene und Realität – strikt –
parallel liefen, also im Sinne der Aristotelischen homoiousis oder adaequatio intellectus ad
rem, müsste der effectus causa suae causae sein können. Diese Bedingung der Realerkenntnis
wird also nicht angenommen. Man erkennt, dass die Induktion im Gegensinn verläuft und
demgemäß wo zwei Stufen existieren und Empirie und Abstraktionsebene so organisiert sind,
dass sie zwei heterogenen Stufen bilden. Überdies kann die Abstraktionsebene (actus apprehen
sivus) so gestaltet werden, dass sie mehrere Erkenntnismittelarten zulässt (Begriffe und andere,
res, mehr als Begriffe, und womöglich weitere Stufen. Dahinein kann sich die Abstraktionsebe-
ne selbst widerspruchsfrei entfalten. ‘Non est aliqua contradictio.’).
136. Aus der Bemerkung kann nicht ein Glaube an die „Urzeugung“ geschlossen werden. Ein-
deutig negiert wird sie in Quaestiones in Libros Physicorum q. 134 OP VI p. 762 lin. 66–72. Sie
wäre per omnipotentiam divinam möglich, sagt Ockham, was die Idee widersinnig macht und
dem Omnipotenzprinzip einen negativen Akzent verleiht: der nach dieser Stelle nicht identisch
nach propagatio und putrefactio mögliche effectus ist überhaupt nicht möglich, wenn nicht die
Kapitel 7. Formbegriff und reale Wahrheit 345
ideo non obstante quod entitas unius esset causa entitatis alterius, non tamen oportet
quod notitia esset causa notitiae.“ Die Einschließung ist begrifflich weder für die no
titia complexa noch für die notitia incomplexa gegeben, wenn ein reales oder kausa-
les Verhältnis extra animam gegeben ist oder gegeben sein soll und dies auch dann
nicht, wenn ein Begriff als ‘subiectum’ virtualiter einen anderen als ‘passio’ „enthalten“
können soll, was ja zu bedeuten hätte, dass sie beide induktiv137 miteinander einseh-
bar wären. Ockham sagt:138 „Solae propositiones sciuntur.“139 Andernfalls müsste die
res singularis in ihrer Singularität selbst erkannt werden können.140 Der Modus eines
geordneten Verhältnisse der Welt eingehalten werden, „licet per potentiam Dei posset aliter fie-
ri.“ D. h. der secundum potentiam Dei supranaturaliter loquendo mögliche Alternativeffekt kor
respondiert einer numerischen Identität, die durch ihn gar nicht erreicht werden kann, folglich
auch nicht aus dem Omnipotenzprinzip gefolgert sein/werden kann. R. Wood, 1990 pp. 25–50
p. 25 nimmt den Glauben an die „Urzeugung“ für Ockham (wie für Scotus) an. Gegen Woods
pauschale Behauptung steht Ockhams Wortlaut.
137. Andernfalls könnte der ganze Beweis Ockhams nicht funktionieren. ‘Subiectum’ und
‘passio’ wurden so weit möglich aneinander gerückt. Selbst dann soll die Übertragung auf die
Stufe der notitiae terminorum nicht generell stattfinden und also zwangsläufig sein können.
Der Beweis nimmt verschiedene Bezugs- und Vergleichsfälle zusammen und reduziert die Ma-
xime, die keine allgemeine mehr sein kann.
138. Ord. d. 2 q. 4 OT II p. 134 lin. 9.
139. Dass wir nur Sätze haben, muss ‘umgekehrt’ auch der skeptizistischen Annahme Autre-
courts entgegenstehen, dass wir in oder mit ihnen Erkenntnis nicht haben können müssten,
i.e. am Ende gar keine Erkenntnis besäßen. Denn es müsste in den Sätzen selbst, bzw. der Be-
stimmung ihrer Teile (ratione terminorum) gefolgert werden können, bzw. den Modi, die dem
eher widerstreiten. ‘Deus est’ ist ein notwendiger Satz, der nicht mehr falsch sein kann, wenn
er gedacht oder geäußert worden ist. Wir müssen also gar keine Erkenntnis ex visu Dei (per
notitiam intuitivam) haben. Der Satz „‘Deum non esse’“ opinabilis est, steht in keinem Wider-
spruch zu „haec est necessaria ‘Deus est’.“ Es gibt Evidenz für letzteren nicht. Beide modalen
Sätze (modo composito) fußen in nichts auf dem Widerspruchssatz. Autrecourt bezweifelt gene-
rell die Geltung auch kontingenter Sätze, daneben die Geltung ontologischer Begriffe und den
reellen Grund von Implikationen, es sei denn, sie könnten an die notitia intuitiva anschließen.
Nach Ockham muss dazu syllogistisch ein notwendiger Satz beigefügt werden, der mit einer
sehr eingeschränkten, indes spezifisch ontologisch zu formulierenden Bedingung, angesichts
der notitia intuitiva (einer Einzelerkenntnis) gebildet werden könnte.
140. Für Ockham ist, wenn ein universale im Verstand gebildet worden ist, dessen Bestätigung
in jedem weiteren Gebrauch des Begriffs in der notitia intuitiva angesichts der gleichartigen
Dinge, auf die er, erkennend und bestätigend, dann angewandt wird, zwangsläufig und eben
kein logisches Problem mehr. Die notitia intuitiva umfasst dabei einen actus iudicativus, der aus
actus apprehensivus und actus assentiendi besteht. Der Begriff bewegt sich natürlich, äußerlich
oder immanent, auf die Abstraktion zu. In dieser ist er allgemein. Es muss nicht erklärt werden
(können), wie er allgemein sein könne. Chatton und Campsalis fassen die notitia intuitiva so,
dass sie den Bezug zwischen res realis und res formalis angebe.
346 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
141. S. SL-II c. 1 OP I p. 242 lin. 44 – p. 243 lin. 57: „circa quod est sciendum quod propo-
sitio dicitur modalis propter modum additum in propositione. Sed non quicumque modus
sufficit ad faciendum propositionem modalem, sed oportet quod sit modus praedicabilis de
tota propositione et ideo dicitur proprie modus propositionis tamquam verificabilis de ipsamet
propositione.“ Wird der Modus als von der Aussage verifizierbar angesehen, wie Ockham sagt,
so ergibt sich doch, dass eben damit der Rückgriff auf die Realität oder Empirie nicht nötig ist
oder nicht nötig sein darf, vielmehr der Modus bezüglich der Aussage im Sinne von deren Ab
straktheit verstanden werden muss, weshalb ja dann auch Modi wie ‘distinctio formalis’, ‘iden
titas formalis’ bzw. ‘distincte formaliter’, ‘idem formaliter’ oder gar ‘idem (bzw. distinctum) per
potentiam divinam absolutam supranaturaliter loquendo’ möglich werden. Die Modi können
von Verben oder Adverbien abgeleitet werden. Denn Ockham sagt: „Et a tali modo vel adverbio
talis praedicabilis, si adverbium habeat, vel verbo dicitur propositio modalis.“ Dabei vermehrt
sich die Anzahl der denkbaren Modi und modalen Sätze. „Sed talis tales modi plures sunt quam
quatuor praedicti.“ Das sind die vier aus Aristoteles’ Modallogik bekannten Modi ‘notwendig’,
möglich’, ‘unmöglich’, ‘zufällig’ (cf. J. Lukasiewicz, 1951) Diese nennt auch Ockham zunächst:
„Nam sicut propositio alia est necessaria, alia impossibilis, alia possibilis, alia contingens, ita
alia propositio est vera, alia falsa, alia scita, alia ignota, alia prolata, alia scripta, alia concepta,
alia credita, alia opinata, alia dubitata et sic de aliis.“ Ockham nennt also die Wahrheitswerte
„wahr“ und „falsch“ auch Modi. Das ist konsequent, wenn er unter die Ebene des actus men
talis nicht hinabsteigen will. Lukasiewicz p. 140 bezweifelt eine bloß intensionale Bedeutung
der modalen Ausdrücke: „as functions whose truth-values do not depend solely on the truth-
values of their arguments. But what in this case the necessary and the possible would mean, is
for me a mystery as yet“.) Pinborg legt Logik und Satzlehre Ockhams auf die rein extensionale
Bedeutung fest, die mit dem Datum der res extra animam als Ausgangspunkt und ihrem Nicht-
Ausschluss in der Erkenntnis deren intensionale Bedingung en bei Ockham nicht löscht. Mit
Berufung auf Pinborg und Boehner U. Eco, (dt.) Kant und das Schnabeltier, 2000, pp. 476–481.
Ockham vermehrt die Zahl der Modi und definiert mit Bezug darauf die propositio modalis:
„Et ideo sicut propositio dicitur modalis in qua ponitur iste modus ‘possibile’ ‘necessarium’.
‘contingens’ vel ‘impossibile’ vel adverbium alicuius istorum (also „possibiliter“, „necessario“,
„contingenter“ und andere, auch „absurde“ etc.), ita potest dici aeque rationabiliter propositio
modalis in qua ponitur aliquid praedictorum.“ Ockham bringt den modalen Satz (+ Syllogis-
mus) via Unterscheidung von modo compositionis und modo divisionis zu einem eigenen in-
tensionalen Gehalt und setzt ihn von der Existenz (Existenzaussage) ab. Es bedeutet Exklusion.
Die Existenzaussage wird auf Singularitäten bezogen und als insuffizient gegenüber dem ab-
strakten Erkenntniswert ausgegeben. Die Modi fungieren wie die Suppositionslogik überhaupt
intensional. W. & M. Kneale positionieren gegen Ockham einen Pseudo-Scotus mit derselben
Vielfalt von Modi (p. 243) und einer besseren Konsequenzenlehre (p. 288). Da Ockham sie nicht
kenne, soll der Pseudo-Scotus später sein. Was Ockham macht, sehen sie nicht.
142. Ord. Prol. q. 1 OT I p. 41 lin. 4f.
Kapitel 7. Formbegriff und reale Wahrheit 347
ein.143 Wir stützen uns in der notitia intuitiva auf die den termini geltende notitia
incomplexa, mit der die Wahrnehmung der res extra animam verbunden ist. Man
hat bloß die notitia von terminus zu terminus, um den actus iudicandi auszufüh-
ren. Erst der davon verschiedene actus assentiendi bezieht sich auf den ganzen Satz,
der aus s und P besteht: den kontingenten Satz, da nur dieser der Verifikation (bzw.
Falsifikation) offensteht. 144Weder übernatürlich noch natürlich ist die Realität nach
Qualität und Quantität im Sinn des Widerspruchsprinzips aufgewiesen:145 „posset eti-
am probabiliter teneri quod Deus non posset facere tantam caritatem in anima quin
posset facere in eadem maiorem.“146 Gott ist in seinem Handeln nicht explizit durch
den Widerspruchssatz begrenzt, der an quanta und qualia nicht ausgeführt werden
kann.147 Für successio und motus (in der Naturphilosophie) gilt ebenso, dass die con-
tradicitio akzidentell erheblich ist, aber nicht nach einer eigenen Gestalt greift. Sie
tritt nicht mit einer solchen an die Stelle der Realität, des factum in se etc.148 Hier gilt
denn auch die Ähnlichkeit mit Theologie, Psychologie etc.149 Grundsätzlich muss die
143. Die experientia in se kann nicht erfahren werden, so wenig wie die res singularis extra ani
mam. Erst mit der Annahme des actus mentalis können induktiv die Begründungen der reflexi
ven Aussagen über das Erkennen in Typen von actus, Sätzen, conceptus gegeben werden.
144. Wir können zur induktiven Begründung von reflexiven Aussagen keinen Satztypus heran
ziehen, der der empirischen Verifikation überhaupt widerspräche, sie ausschlösse.
145. Ord. d. 17 q. 8 OT III p. 557 lin. 25 – p. 558 lin. 1.
146. Ockham persuadiert den Satz (ib. p. 558 lin. 2–8): „quando aliquae formae eiusdem rati
onis possunt esse in eodem subiecto primo, non est contradictio quascumque formas eiusdem
speciei esse in eodem subiecto. Sed aliquae caritates partiales possunt esse in eodem subiecto.
Igitur, quibuscumque datis, non est contradictio illas esse in eodem subiecto primo. Et ita
quacumque caritate data, non est contradictio quin Deus, faciendo unam caritatem novam,
augmentet priorem.“ Wir steigen hier von einer abstrakten Ebene zu einer konkreten ab und
extrapolieren auf dieser wieder. Der Widerspruchssatz ist terminus exclusivus. Die ‘persuasio’
schließt ihn aus. Der Index des Spekulativen, das H. Blumenberg, 1966 p. 344 der Spätscholastik
vorhielt, ist darum bei Ockhams ‘persuasio’ schlecht angebracht.
147. Ebenso Rep. II q. 11 OT V p. 248 lin. 6–10: „dico quod nulla creatura magis necessario
habet esse quam alia nisi forte quia una potest corrumpi a pluribus causis: et alia a paucioribus,
quia una potest corrumpi ab agente creato et increato, et alia ab increato solum. Et illud non
ponit maiorem vel minorem necessitatem.“ Diese causae und ihre im Vergleich unterschiedli
che Anzahl werden nicht präsentiert. Sonst gilt für sie die conservatio. Bezüglich dieser sind
also causae corruptionis subtrahierend zu denken.
148. S. z. B. Rep. II, q. 8 OT V, p. 151 lin. 6-9 „dico quod non est successio in motu nisi ratione
contradictionis; nec est distinctio inter successivum et permanens nisi ratione contradicitionis,
quia omnia positiva in motu possunt manere.“ Sc. de potentia divina absoluta. Im natürlichen
motus betrifft die contradicitio das accidens.
149. Etwa beim Engel. S. Rep. II, q. 8 OT V p. 159 lin. 14–17: „dico quod duratio angeli non est
tota simul, quia duratio angeli connotat successionem cuius partes non sunt omnes simul, quia
348 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
successio als außerhalb des Substanzbereichs liegend angesetzt werden:150 „dico quod
potentia, successio, immediatio non dicunt aliquid positivum absolutum vel respec-
tivum ultra partes formae, sed connotant affirmationes et negationes. Quia potentia
significat posse habere formam, et connotat carentiam eius; successio et immediatio
dicunt aliquid habere unam partem contradicitionis post aliam vel aliquid haberi
quod prius non habebatur.“151 Die ‘notitia intuitiva’ muss nicht einem realen Gegen
stand außerhalb des Subjekts entsprechen bzw. keine wirkliche Objektgegebenheit
dem Akt der notitia intuitiva (i.e. den beiden Akten, actus apprehensivus und actus
iudicativus, die sie in sich vereinigt). Darum kann Gott eine ‘notitia intuitiva’ ohne
Objektpräsenz statuieren oder auch im Menschen bewahren, wiewohl diese Objekt-
präsenz besagt: denn notitia intuitiva und Objekt sind als res absolutae per distinctio-
nem realem getrennt. So kann Gott ohne Widerspruch über die eine getrennt von der
anderen verfügen. Damit ist weder ein Faktum ausgesprochen noch dass es je dieses
Faktum gegeben habe.152 Sollen die Sätze153 „obiectum autem notitiae intuitivae potest
tunc successio esset simul, quod includit contradictionem.“ Doch (ib. p. 160 lin. 5f): „duratio
Dei est tota simul, quia Deus sic durat quod non potest non durare.“ So ist er mit allen Teilen
seiner schon durchmessenen Zeit gleichzeitig (cf. ib. lin. 6–9).
150. Rep. II q. 8 OT V 5 p. 134 lin. 11–17.
151. Im Sinne der Aktualunendlichkeit kann Gott nicht handeln oder operieren, weil er dazu
accidentia oder Veränderungen im Akzidentellen durchlaufen und so eine Bedingung für die
forma oder substantia zu erfüllen hätte, die mit deren verläßlichem Begriffe nicht übereinstim
men könnte. Eine solche Bestimmung, die im Grunde einen Zusatz darstellt, lehnt Ockham aus
drücklich ab. Nicht anders als Duns Scotus. Das Aktualunendliche so auch bei Wodham in der
bezeichneten negativen Bedeutung, die argumentativ eine Exklusion (oder Unmöglichkeit) be-
deuten will. Wodham IS lb. III d. 14 q. 11 fol. 135 col. 4: „non contingit infinita pertransire sicut
arguebat Zenon. Nam si tot sunt partes secundum longum in isto spatio finito quot sunt futurae
cognitiones angelorum sicut oportet dicere nisi detur ad individibilia cum contradictio sit om-
nes futuras cognitiones angelorum possibiles esse pertransitas igitur et in proposito est simile
impossibile“, nämlich wo es darum geht auch die kleinsten Teile der Akzidentien zu durchlau-
fen. Ein Übertrag aus der Empirie in den Bereich der Theologie bzw. Psychologie (theologischen
Psycholgie) findet wie bei Ockham statt. Zu H. Blumenbergs Deutung der Aktualunendlichkeit
als Gottes infinitas. cf. Kap. 5 Anm. 93.
152. Ockhams Omnipotenzprinzip wird technisch den „rationes“ angefügt und schneidet ac
cidentia ab, wo diese „fälschlich“ zum wesentlichen (notwendigen) Bestandteil einer essentia
oder forma gemacht worden wären. Damit tritt man gewöhnlich unangemessen aus dem Be
reich der Subjektivität in die Realität hinaus und macht sie fiktiv zur Basis der Erkenntnisakte
und ihrer Bestimmungen. Bei Ockhams Widerlegungen wird erkennbar, dass notwendige Zu
sammenhänge (Bestimmungen) nicht durch kontingente Aussagen (Bezüge) definiert werden
können. Die Abstraktion vermeidet diesen Fehlgriff.
153. Ord. Prol. q. 1, OT I p. 37 lin. 12f. Die notitia intuitiva ist dabei „per potentiam divinam
conservata“ Cf. ib. p. 31 lin. 14f.
Kapitel 7. Formbegriff und reale Wahrheit 349
esse non-ens.“ und154 „ad notitiam intuitivam non requiritur quod res sit praesens in
propria existentia“ als negative Ausführungen (Zusatzbestimmungen mit Folgerakter)
zusammenstimmen, kann es nicht a parte rei sein: das non ens ist nicht generell eine
res non praesens in propria existentia und die res non praesens in propria existentia
noch kein non-ens. Es müssen also ‘Fälle’ sein, die in den Bereich des Akzidentel
len gehören und so nicht in die essentia der notitia intuitiva fallen, doch mit deren
ratio übereinstimmen. Sie können empirisch (induktiv) für den Formbegriff eruiert
werden: sie sind nicht zu exkludieren. Sie fallen in die ratio der notitia intuitiva. Als
akzidentelle Umstände inhaltlich nicht ausgeschlossen sind sie als extensionale Grün-
de der Definition (ratio) der notitia intuitiva ohne Belang. Andernfalls wäre man in
haltlich bei falschen Erweiterungen des Begriffs und: bei fallaciae.155
Auch das significatum totale156 bleibt der Spaltung zwischen forma und accidens
unterworfen. Es kann nur mit einer oder der forma identifiziert werden, nicht aber
einem akzidentellen Augenblick:157 „dico quod motus quantum ad suum significatum
totale non potest esse in instanti etiam per potestam divinam, quia Deus non potest
facere quod duo contradictoria sint vera in eodem instanti. Nunc autem motus for-
maliter includit multas contradictiones.“ Der Moment (instans) hat kein reales Sein
neben den res und von ihnen getrennt:158 „dico quod instans non dicit aliquod abso
lutum distinctum a rebus permanentibus, quia si sic, non posset Deus conservare ali-
quem effectum per aliquod tempus nisi corrumpendo infinita absoluta. Quod videtur
inconveniens satis.“ Gott müsste eine unendliche Reihe von Zuständen durchlaufend
sie zerstören, damit, was gar nicht mit diesen identisch ist, nämlich die res permanens
oder der effectus conservandus, bestehen könnten: das bezeichnet den Widerspruch
qua Stufendifferenz, mit deren Existenz oder Bewahrung die divina potentia absoluta
154. Ib. p. 38 lin. 1f. Es gibt dafür eine Induktion (ib. p. 36 lin. 15 – p. 37 lin. 3): „idem totaliter
et sub eadem ratione a parte obiecti est obiectum intuitivae et abstractivae. Hoc patet quia nulla
res est, saltem in istis inferioribus (auf Erden), nec aliqua ratio sibi propria sub qua potest res
intuitive cognosci quin illa cognita ab intellectu possit intellectus dubitare utrum sit vel non sit,
et per consequens quin possit cognosci abstractive … Et manifestum est quod quidquid reale
potest cognosci abstractive, potest etiam cognosci intuitive; igitur etc.“
155. Es gibt natürlich auch eine ratio obiecti, gemäß welcher Induktionen ausgeschlossen
(nicht möglich) sind, die ihrerseits die vorgreifliche Identität von obiectum und notitia zu besa-
gen oder gar zu bewirken hätten.
156. G. Leff, 1961 p. 16 spricht von einem negativen Verständnis des complexum significabile
bei Nikolaus von Autrecourt: „The complex significabile … although he (Gregory) did not use
it in the negative manner attributed to Nicholas (s. Elie).“ Cf. H. Elie, Le complexe significabile,
1937.
157. Cf. Rep. II, q. 7 OT V p. 134 lin. 18–22.
158. Cf. Rep. II, q. 10 OT V p. 212 lin. 14–17.
350 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
zu tun hat.159 Eine Disjunktion tritt zwischen substantia (forma) und accidens ein,
welche sogar die Wahrnehmung (verificatio) berührt:160 „possunt multa verificari de
instanti quae non possunt verificari de re permanente.“ Auch die Zeitmessung liegt
für die res außerhalb ihrer selbst:161 „dico quod non quaelibet res mensuratur tempore
vel instanti, sed solum quae habent durationes.“ Damit sind wir in einer physischen
159. Freilich wahrt Ockham die Freiheit des Formbegriffs vor der Realität. Cf. Quaestiones
variae q. 3 OT VIII 8, p. 78 lin. 336 – p. 79 lin. 341: „dico quod non est dare minimum naturale
quin semper posset dividi in partes minores in infinitum, retenta eadem forma naturali. Sicut
patet de carne quod non est dare minimam carnem, quae non possit dividi in minorem, quia
omnis caro quantumcumque parva potest dividi in minorem in infinitum saltem per potentiam
divinam.“ Gott bewahrt die forma noch in der Nähe zur quantitativen und akzidentellen Aufhe
bung der Erscheinung. Dabei grenzt Ockham sich gegen Aristoteles ab (ib. p. 79 lin. 341–348):
„Et ad Philosophum dico quod intelligit quod est dare minimum naturale et minimam carnem
quae potest naturaliter exsistere per se et resistere agenti extrinseco corrumpenti, – puta frigido
et calido etc. et aeri vel aquae etc. – ita quod si esset minor caro non posset naturaliter resistere
agentibus exterioribus, sed statim propter defectum potentiae resistendi cederet in corrumpens
sic quod corrumperetur forma carnis et induceretur forma nova alicuius alterius.“ Danach gibt
es die Möglichkeit die forma aus den Umständen der Natur aufzuheben. Man gelangt dahin,
dass die Materie oder deren letzte Ingredienzien nicht mehr die qualitas oder forma carnis
bewahren müssen. Gott aber kann diese Zersetzung (‘Vernichtung’) hemmen bzw. aufheben
(ib. lin. 349–352): „Sed posset Deus suspendere actiones agentium extrinsecorum et conserva
re a corruptione, et semper divideretur in partes minores et minores in infinitum, ita quod
numquam stabit divisio ad minimam partem carnis.“ Gott steht auf der Seite der forma, die
vom accidens her nicht angefochten werden kann. Die forma ist so des Widerspruchsmoments
und entsprechender Definitionen ‘ex accidenti’ enthoben. Auch die transmutatio qualitatum
müsste davon unabhängig sein.
160. Rep. II, q. 10 OT V p. 215 lin. 13f.
161. Rep. II, q. 10 OT V p. 229 lin. 17f.
Kapitel 7. Formbegriff und reale Wahrheit 351
Welt; Gott verhält sich parallel zu ihr.162 Für ihn wird in der abstractio die distinctio
formalis erklärt und die distinctio ratione induktiv begründet.163
Wir können hier, wo Physik und Theologie, Erkenntnistheorie und Psycho-
logie gleichermaßen in Betracht stehen, aber auch förmlich abgedeckt werden, zu
Ockham sagen: Erkennen ist insgesamt zu ‘Denken’ nach der Form der Erklärung sei-
ner Bestandteile und Bedingungen geworden; es wird mit der Bewertung von Akten
gleich(wertig). Das ist die sehr generelle „‘Lösung’“ eines ganz speziellen Problems:
Ob ‘dieser’ Akt, ‘diese’ Aussage, ‘diese’ Operation oder Schlussform (eventuell nur
162. Es gibt keine perfekte Ähnlichkeit (Univozität der Begriffe) bezüglich Gott und creatura
(cf. Ord. d. 2, q. 9 OT II p. 335 lin. 23 – p. 336 lin. 5). Beweisfähigkeit bloß im Sinn einer abstrac-
tio, die quasi förmlich überempirische Begriffe verwendet, in dem Sinn die propositio per se
nota (cf. Ord. d. 1 q. 5 OT I p. 461 lin. 15–19): „Et ideo quidquid competit uni personae competit
alteri ubi non obviat relationis oppositio vel ubi non declaratum est contrarium in Scriptura
Sacra vel ab Ecclesia vel sequitur formaliter ex talibus saltem mediantibus propositionibus per
se notis.“ (Zu diesem Satz cf. auch Nachwort) Nichts was essentiell oder auch akzidentell im
Menschen ist oder von ihm ausgesagt wird, kann unmittelbar, im Sinne einer absoluten Ent-
sprechung, auf Gott übertragen werden. Die Begriffe stehen in sich nicht wirklich fest. Auch
so gilt (Ord. Prol. q. 1 OT I p. 10 lin. 5f): „eadem conclusio in distinctis scientiis per distincta
media potest evidenter probari“, wobei Ockham die engere Beweisart (etwa demonstratio po-
tissima und andere, weniger strikte) außer Acht lässt. Auch metaphysica und theologia können
diese scientiae distinctae sein.
163. Der Beweis, der eine bloß logische Struktur hätte, nach Ockham medium extrinsecum,
wird verneint. Als medium extrinsecum kann auch ein mehr inhaltliches Prinzip, eine Regel
bezeichnet werden, wie die folgende (Ord. Prol. q. 2 OT I p. 92 lin. 1f): „omnia agentia eiusdem
species specialissimae sunt effectiva effectuum eiusdem rationis.“ Ein Heilkraut in seiner äu-
ßersten Spezifität betrachtet muss immer denselben Heileffekt hervorbringen. Zumindest kann
es per consequentiam formalem behauptet werden, mit der dieses Prinzip also zusammengeht
cf. ib. p. 91 lin. 18–23: „Per notitiam tamen evidentem alicuius contingentis et notitiam unius
veritatis necessariae, non ordinatas in modo et figura (also in einen vernünftigen Syllogismus
gekleidet und eingebracht), potest accipi notitia evidens conclusionis per modus declaratum“
((dieser Modus war ib. lin. 2–4, dass die notitia im Sinne einer einmaligen Wirksamkeit dieses
Heilkrauts nicht streng auf den erfahrenen Einzelfall beschränkt sei, vielmehr bedingt zum ge-
nerelleren Beweis tauge, der weitere Fälle abdeckt: „ista notitia non sufficit – zum Beweis- nisi
evidenter sciatur quod omnia individua eiusdem rationis sunt nata habere effectus eiusdem
rationis in passo eiusdem rationis et aequaliter disposito.“ Es muss also viel identisch sein,
z. B. der Kranke (passus) in der äußersten Spezifität seines Leidens: passus eiusdem rationis
et aequaliter disposito)). Aber der Beweis könne angenommen werden, „quia scilicet scietur
evidenter conclusio necessaria per unam contingentem evidenter notam, ex qua contingente
sequitur formaliter conclusio illa demonstrabilis.“ Der Beweis besteht qua Abstraktion aus ei-
nem einzigen (evidenten) Fall oder nach ib. p. 87 lin. 8 als „experimentum de singulari.“ Der
Beweis und die Abstraktion (identisch, wie sie ja im Grunde immer sein müssen, zumal ein
Subjekt neben den Akten von Ockham nicht angegeben oder konstruiert wird) sind Erzeugung
der Notwendigkeit aus dem Einzelfall, aber nicht im strengsten Sinn bindend. Die Einschrän
kung hält den Vorbehalt fest und trägt über ihn hinaus.
352 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
gerade noch), ob ‘diese’ oder mehr ‘jene’ Begründung für Akte usw. suffizient sein kön-
nen.164 Man kann aber wie sie geschichtlich nur einmal und einzigartig aufgetreten
ist, entgegnen, dass ‘alle’ anderen praktischen und eben spezielleren Intentionen un
behandelte Reste von ‘Allgemeinheit’ und Fragwürdigkeit besitzen, die zum Teil bei
der Diskussion der entsprechenden Philosophien, wenn sie interpretiert und erläutert
werden sollen, nicht einmal bemerkt worden sind. An dem Vergleichsmodell, das wir
Ockhams Erörterungen entnehmen, können sie erkannt werden. Sie werden als Feh-
ler, sogar Fehlhaltungen, implizit überzogene Erwartungen mit explizit schiefer Ein-
lösung diagnostiziert.165 So aber ist auch seine immediate Wirkung im geschichtlichen
164. Ein Satz trägt da auch nicht per se Einsicht. Der Satz ‘Deus est infinitus’ (‘Deus est ens
infinitum’) etwa kann klassifiziert werden und erhält damit seinen Erkenntnisrang. Auch seine
Verwendbarkeit (z. B. im Beweis, Syllogismus) kann man taxieren. Entgegen H. Blumenberg,
1966 p. 56, der hierzu bei Hobbes Kredit aufnimmt, ist Vorstellbarkeit (Vorstellung) kein Maß
stab für einen Satz, um über seinen ‘Sinn’ zu entscheiden und zu verneinen, dass er einen habe.
Denkbarkeit ist nicht Vorstellbarkeit, so dass es zu verurteilen sein könnte (p. 57), „dass mehr
ausgesprochen wird als im Denken vollzogen werden kann.“ Wenn wir in auch nur irgendeiner
Weise formale Bestimmungen haben, überschreiten diese je Vorstellen in Richtung auf Unwi
derlegbarkeit und Unwidersprechbarkeit. Das bezeichnet übrigens einen a limine scholastisch
mitgegebenen Raum, in dem Ockham frei operieren konnte und seinen Vorteil durch gehäufte
Widerspruchsvermeidung gewann oder anstrebte. Von Vollziehen ist bei Ockham nicht die Re
de, weder qua Idee noch in der Praxis, selbst da nicht, wo der Syllogismus den actus iudicativus
für einen Satz liefern soll. Noch die notitiae, wie Ockham sie verwendet, beschließen in sich
nicht dem Subjekt im Sinne des Vermögens zukommende ‘in actu Einsichten’. Weder notitia
intuitiva, bestehend aus notitia abstractiva (actus apprehensivus) und actus iudicativus, noch
diese einzelnen oder die erstaunlicherweise dann noch von der notitia intuitiva geschiedene no
titia abstractiva tun das. Und nicht scientia und fides. Alle haben keine Qualität von Einsicht an
sich. Sie sind relationes, d. h. dem was sie erfüllen soll, übergeordnet. Für sie sind Induktionen
möglich. Und zwar bei der Definition, bei ihrer primären Unterscheidung und bei den kausal
relevanten Fallunterscheidungen, mittels derer sie nochmals getrennt werden.
165. Im mittelalterlichen Kontext verwirft Ockham die realistische Ontologie. Ihre Be-
hauptungen erscheinen als absurde = widerlegbare. Sie taugen ihm nicht zu Begründungen.
Ockham bestreitet die Wahrnehmbarkeit abstrakter allgemeiner Größen in re singulari; die res
selbst sind nicht in se wahrnehmbar (erkennbar). Er bestreitet nicht, dass diese Größen prädi
zierbar seien: Cf. Ord. d. 2 q. 7 OT II p. 264 lin. 4f. Aber: ib. lin. 9–11: „philosophus (Aristoteles)
et commentator (Averroes) per quidditatem substantiarum intelligunt formam quae est altera
pars compositi (neben der materia)“ und ib lin. 13: „Et sic concedo quod quidditates substan-
tiarum sunt substantiae, quia istae quidditates sunt particulares partes particularium.“ Ockham
gebraucht die ontologischen Termini reflexiv. Sie helfen einfassen, was wir erkennen können
und ausschließen, was nicht. Noch die conservatio mundi per Deum wahrt das Verhältnis der
ontologischen Paargrößen (forma und materia, substantia und accidens) und erscheint so er
klärbar und rational. Die conservatio mundi garantiert unsere Erkenntnis und zwar inhaltlich
wie formal. Man denke nur an die conservatio notitiae intuitivae. Wir haben Erkenntnis ratione
terminorum secundum generales conditiones cogitandi. Rationes und conditiones gewinnen
wir per Abstraktion und induktiv. Ockham hat die ‘Ontologie’ also, nicht a parte rei, sondern a
Kapitel 7. Formbegriff und reale Wahrheit 353
parte actus mentalis gebraucht. Wo man sie für Bestimmungen a parte rei verwenden will, stößt
man auf Ockhams reprobationes, die sich unter die anderen erstellenden Beweise einreihen
und noch keine Behauptung secundum ‘tertium non datur’ liefern, sondern ausschließlich eine
Negation. Somit behalten sie eine lediglich intensionale Qualität.
166. Die Urteile Ockhams zu Vermögen, Satztypen, usw. sollte hier aber mit den Formen ver
glichen werden, die die Philosophen in der Neuzeit gebrauchen und die als Veranlagungen des
Geistes die Bilder abgeben, mit denen die Theologen der Neuzeit sinnstiftend ihre Theoreme
entfalteten. Denn die philosophischen Spiegelbilder des Geistes sind die theologischen Sinnbil-
der, so dass die Theologen gar nichts anderes als ihren Stoff ausmachen als darin gegeben oder
vorgegeben ist. Es ist auch so unsinnig, gegen Descartes, der hier eine idea innata gesehen hat,
die Idee vom ‘ens infinitum’ auf geistiges ‘Unvermögen’ (Hobbes) oder ‘Dummheit’ (Voltaire)
zurückzuführen. Cf. H. Blumenberg, 1966 p. 56. Für Ockham stimmen in ‘deus est ens infi
nitum’ die beiden Begriffe zusammen wie in ‘deus est creator’ und ‘deus est omnipotens’ usw.
Hier gibt es so noch keine Kritik: erst bezüglich der Verwendbarkeit in Syllogismen usw.
167. Die Relationen erhalten absolute Beweise, aber es werden nicht in ihnen absolute Fakten
bewiesen, die selbst ja auch nicht nach Relationen auseinander- oder zerlegt werden können.
Doch ist die essentia relatio. Die relatio ist für Ockham nicht ‘in’ der essentia. Wollte man es
annehmen, so müsste sie, vom obiectum unterschieden, zugleich im obiectum sein. Er weist es
von der relatio ab, wie er es von der species oder vom universale abweist. Die reprobatio ver-
weist auf ein absurdum im Sinne der Identität. F. H. Bradley wollte den Relationsbegriff durch
das Aktualunendliche widerlegen. Cf. J. L. Borges, GW Essays 1932–1936, dt. 1981 p. 126f mit
Verweis auf Bradleys Appearance and Reality, 1997 pp. 19–34. Für Ockham ergibt sich, unter
scheidet man die relatio a fundamento, das infinitum actuale: die These wird so widerlegt (Rep.
II, q. 2 OT V p. 32ff. Ib. p. 34 lin. 8f): „continuum … est infinitum in potentia propter partes
infinitas, quae tamen faciunt unum totum.“ Forma, bei Ockham relatio nahestehend, wird zu
deren intensionalem significatum totale, i.e. wird nicht reell und akzidentell zergliedert; sie wird
nicht daran, i.e. einer (nur) formellen empirischen Erscheinung, mehr gemessen. Das gilt im-
mer (cf. Ord. Prol. q. 4 OT I p. 158 lin. 2–7): „Aliqua autem passio, quantum est ex se, nullam
praesupponit distinctionem partium quin simpliciter potest poni quacumque illarum partium
circumscripta, et ideo nihil est exprimens quacumque intrinseca suo subiecto cui prius vel no-
tius convenit quam subiecto, et ideo talis non est demonstrabilis.“ Relatio, nicht im obiectum
fundiert und eigens, sc. gegen die Empirie bewiesen, i.e. mit einer ratio versehen, die für sie
Reichweite, Bewandtnis, Distinktion, Bezüge und Verbindungen besagt, kann außerempirisch,
so metaphysisch oder jenseitsweltlich gedeutet sein. Sie ist damit von dem obiectum entfernt
worden, dessen empirische und sogar dem Widerspruch affine Bedeutungen und Bewandt
nisse Elementarsätze ausdrücken, die von der Relation und ihrer Deutung überstiegen werden.
Interessant Borges, op. cit. p. 127: „Bradley (schaltet) die periodischen Abgründe Zenons (al
so das Aktualunendliche) … zwischen dem Subjekt und dem Prädikat, sofern nicht zwischen
dem Subjekt und den Attributen (ein).“ Das tut Ockham nicht. Wir befinden wir uns bei ihm
mit relatio alias forma und sei es die forma propositionis nicht mehr auf einer identisch (oder
354 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Die Beziehung Gottes zur geschaffenen Welt aber wird, was ihn selbst angeht,
durch Kontingenz bestimmt. Zugleich müssen die relationes, die wir für Gott, etwa
mit dem Begriff der spiratio u. ä., also in Gott annehmen, von allem Empirischen ge-
schieden werden. Sonst können sie nicht verstanden werden. Sie werden im Sinne der
Empirie inkonsistent, absurd etc.168 Im Bereich der Schöpfung aber tangieren Beweise
bereits immer die Sphäre Gottes, u. a. mittels des Omnipotenzprinzips, der persuasio
und mittels der Induktion.169 Hierin wird jedoch die Kontingenz für die Schöpfung
implizit) empirischen Stufe. Ähnlich, nur zur Realität der Zeit, J. E. McTaggart, The Unreality of
Time, in: Mind, A Quarterly Review of Psychology and Philosophy 17, 1908, pp. 456–473. Borges
erwähnt ferner Lotze und Lewis Carroll.
168. Wir sind da in einer Sphäre des Beweisens, für die empirische Bedingungen stricte und
vielfältig darstellbar nicht gelten können.
169. Wo das Omnipotenzprinzip, wenigstens in Relation zu empirischen Verhältnissen, ein-
tritt, kann die empirische Bedingung des Beweisens, die in sich schon nicht vollgültig ist, als
Basis für den Induktionsschluss angesetzt werden (Ord. Prol. q. 1 OT I p. 48 lin. 24 – p. 49
lin. 3): „Si abstractiva non posset esse sine intuitiva Dei, igitur intuitiva (W 1495 erg. Dei !) esset
causa essentialis respectu abstractivae, sed non nisi extrinseca: et quidquid potest Deus mediate
causa extrinseca potest immediate per se. Igitur potest (W 1495:) haberi (statt Ed. unpassend
facere) abstractiva sine intuitiva et e converso.“ (Umkehrungsformel fehlt z. T. Mss, auch im
W 1495/ den App. om). Dass Gott eine notitia intuitiva ohne notitia abstractiva mache, wider
spricht empirischen Bedingungen, da die notitia abstractiva necessario mit der notitia intuitiva
entsteht. Der Satz p. 48 lin. 2–4 „dico quod Deus, de potentia Dei absoluta, potest tali duplici
notitia cognosci, ita quod una sit intuitiva et alia abstractiva,“ bezieht die potentia Dei absoluta
bereits ein. Ockham sagt lin. 4f: „Tamen difficile est hoc probare. Potest tamen persuaderi.“ Die
persuasio erfolgt, indem denkbare Einwände dagegen ausgeräumt werden. Es wird also unana
lytisch ohne tertium non datur ‘bewiesen’: ib. lin. 5–19. Das im Bereich überweltlicher Verhält-
nisse induktiv ermittelte possibile gilt pro statu isto. Cf. p. 49 lin. 4–8 Die notitia intuitiva bleibt
aber auch hier causa essentialis und causa extrinseca notitiae abstractivae. Indem Gott in patria
kraft seiner Allmacht von dieser Bedingung absehen kann, kann es eine hypothetische Geltung
der notitia abstractiva auch pro statu isto geben. Notitiae intuitiva und abstractiva bleiben be
grifflich definit, wie es Ockham u. a. mit dem Univozitätsprinzip fordert (Ord. d. 2 q. 9 OT II 2
lin. 336 lin. 17–19): „patet quod quantumcumque Deus et creatura sint realiter distincta, tamen
possunt habere aliquem conceptum univocum praedicabilem de eis.“ Cf. p. 48 lin. 23 f. Dass
Gott die (Ord. d. 45 q. unica OT IV p. 668 lin. 9) „causa immediata omnium eorum quae fiunt“
sei, (ib. lin. 10) „demonstrari non possit ex puris naturalibus“. Da aber (ib. lin. 10f) „Hoc tamen
persuaderi potest“, ist die Begriffswertigkeit nicht ‘mehr’ gesichert. Beweisgrund ist, dass jede
causa secunda des concursus immediatus der causa prima, also Gottes, bedürfe. Keine causa
kann in se ihre Bedingungen causandi enthalten; wäre es so, hätten wir eine Parallelität von
Beweis- und Realwelt und bedürften bloß jener um zu erkennen. Die Mittel dazu lassen sich
praeter experientiam aber nicht herleiten und begründen.
Kapitel 7. Formbegriff und reale Wahrheit 355
gewahrt.170 Indes wird der Begriff immer gegen sie zu retten getrachtet.171 Das be-
deutet, dass der Begriff ideell und praktisch mit der Intellektion zusammenstimmt,
solange nur nicht Folgerungswertigkeit Element oder Kriterium der Aussagen, i.e.
170. Alles Verursachte ist kontingent. So auch wenn die notitia conclusionis durch die notitia
praemissarum (im Syllogismus) verursacht wird. Cf. Ord. Prol. q. 8 OT I p. 222 lin. 14–16:
„concedo quod potest poni notitia praemissarum sine notitia conclusionis; et idea notitia con-
clusionis est contingens quia est causat, quamvis sit de obiecto necessario.“ Gleichwohl ist die
conclusio notwendig (ib. lin. 10–13): „Tamen quomodo est conclusio necessaria? Non est in
telligendum quod sic sit necessaria quia semper actualiter illo modo quo nata est esse in actu
sit semper vera, nisi forte in intellectu divino; sed est necessaria quia est vera, et numquam
potest esse falsa.“ Es ist klar und die Grundlage (bei allem und in jeder Bestimmung, auch
technischen Definition von Sätzen etc.), dass ein Begriff oder Begriffsakt bzw. die (reflexive)
notitia dieses Begriffs keinen anderen enthalten und in dieser Weise des Enthaltens und Ent-
haltensseins mit sich führen kann; so muss noch die Kausalität in mente ebenso wie in reali
von der Implikation geschieden werden. Die Implikation kann so weder vorausgesetzt und
verwandt, noch, was etwas andere wäre, begründet werden. Auch die notitia unius conceptus
kann nicht die eines anderen ‘enthalten’. Das ist die Voraussetzung der Definitheit, weil sonst
ein Begriff nach einem anderen, also nicht a se (und mit sich selbst) identisch wäre. Daraus
folgt, dass die Notwendigkeit von Sätzen unabhängig von der Gewinnung oder Schöpfung der
Begriffe bzw. Sätze ex reali, mithin der Erfahrung, ist. Wo das der Fall ist, auch beim Syllogis-
mus, haben wir notwendige Sätze, bzw. (deren) Determinatheit. Wir können aber auch aus
diesen Sätzen nicht(s) folgern; täten oder könnten wir es, würden wir die Erkenntnis im Satz
(vermöge des Satzes) koinzidierend mit der der Begriffe haben. Wir erkennten die Begriffe und
erkennten oder billigten den Satz übereinstimmend damit. Wir hätten die propositio per se nota.
Für Ockham können wir aber außerhalb dieser einen besonderen Satzart lediglich den actus
apprehensivus des Satzes bilden, i.e. diesen formieren, aber nichts in ihm und bezüglich seiner
erkennen und keinen assensus statuieren. Wo die propositio per se nota erscheint, können wir
die consequentia formalis unterstellen. Zwischen den Sätzen des Syllogismus, die nicht diesem
Satztypus angehören, kann es keine Implikation geben. Das Verursachen der notitia conclusio-
nis im Syllogismus liegt außerhalb der Implikation; die conclusio selbst wird nicht verursacht;
denn hier kann der actus apprehensivus gebildet werden, wenn die termini (conceptus) be-
kannt sind; aber sie ist dann noch nicht eingesehen oder gebilligt. Die conclusio kann vor dem
Syllogismus bereits gekannt werden.
171. Hierfür tritt sogar noch die Unterscheidung von persuasio und demonstratio ein. Cf.
schon Kap. 1 u. passim. J. L. Borges, op. cit. p. 61 f. rühmt die Kabbalisten der Kontingenz
widerstanden zu haben. G. Scholem nennt sie naturfern. Beides bezeichnet weder zu Ockham
noch zum gesamten Mittelalter eine wirkliche Differenz.
356 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
ihrer Elemente unter sich, ist172 oder aber die res extra als Wahrheitsmoment ihnen
beigeschlagen wird oder gleichsam wie intensional einverleibt erscheint.173
Ockham ordnet Beweislehre und Theologie praktisch gleich und verleiht ihnen
eine weltliche Natur. Sie kann nicht für die Seele ausgelegt werden etwa in Bezug auf
deren Eigenschaften und Bestandteile, die, als Bereich oder Element mit der Neuzeit
aufkommt, aber für deren Verständnis und Selbstverständnis und das der neuzeitli
chen Subjekte nichts tun kann. Das Mittelalter bereitet die Neuzeit so denn nicht vor.
Über den Nominalismus, der aufs Zeichen hin angelegt und selbst über es darzustellen
ist, lässt sich diese Einsicht oder Charakteristik erreichen.174 Ockham hat einige For
meln der Aussagenlogik ebenso media extrinseca genannt wie das medium extrinse
cum, das eine causa extrinseca enthält. Nach Ockham175 kann die divina essentia ratio
cognoscendi und medium im Syllogismus sowohl in re wie nach dem humanen ac
tus apprehensivus sein. Der Syllogismus mag dem Menschen eignen und doch eine
172. Es ist z. B. nach Ockham Ord. Prol. q. 1 OT I p. 49 lin. 10 – p. 51 lin. 6 unklar (dubium),
ob derjenige, der die divina essentia intuitiv erkennt, also in der visio beatifica, ihr zufolge jene
theologischen Wahrheiten erkennen könne, die pro statu isto als kontingente und unerkennbare
Wahrheiten einzustufen wären. Für sie müsste ja die definierte Ableitbarkeit fehlen. Solche
Wahrheiten wären p. 50 lin. 5 „‘Deus est incarnatus’“, p. 50 lin. 22 – p. 51 lin. 2 „‘resurrectio mor-
tuorum est futura’, ‘anima beata perpetuo beatificabitur’ et huiusmodi veritates contingentes de
futuro“.
173. Seine Verneinungen (Bestreitungen) belegt Ockham durch Induktionen. Cf. ib. p. 38
lin. 15 – p. 41 lin. 8.
174. Wenn Ockham (Ord. d. 35 q. unica OT IV p. 474 lin. 6 – p. 475 lin. 24) besonders erörtert,
ob der Satz ‘Deus intellexit creaturam’ ante creationem mundi wahr gewesen sei (sein könne),
hat er drei Bezüge: die divina essentia, die für ihn de facto ab aeterno intelligens war (ist), die Be
griffstauglichkeit des signum ‘intelligens’ bezüglich der Sache’, hier Gott, und den menschlichen
Satz, der an das Erscheinen des Menschen in der creatio gebunden ist. Aus der Tatsächlichkeit
der Intelligenz Gottes kann weder auf die Qualität des Zeichens ‘intelligere’ geschlossen werden
noch auf die Wahrheit der Aussage quoad nos; sie sind auch nicht Bedingungen der Sache (res),
wenn wir nämlich von Gott sagen wollen, er sei ens intelligens. Erkennbar hält Ockham an der
Zeichenhaftigkeit des Begriffs fest, den er damit nicht per se nach einer inneren Verfassung
oder Qualität für erkennend hält. Wieder ist auch erkennbar, dass der menschliche Begriff
angesichts Gottes (per se) nicht notwendig eine Erfüllung hat (und der Satz, der damit gebildet
wird, ebenso nicht) und dass der Begriff eben damit Zeichen heißen muss; er muss dann formal
reguliert werden, damit wir überhaupt von Erkenntnis sprechen können. Die Logik ist als eine
negative in das Verhältnis von Gott, Mensch, Erkennen und Erkenntnismittel eingeschlossen
und produziert sich daraus. Alle andere Logik ist danach bedingt oder unbedingt nebensäch-
lich, wie Ockham in der quaestio erkennen lässt, wenn er sie bagatellisierend behandelt, indem
er ihre Problemvorwürfe als für die Sache nicht ergiebig abtut und darum oder eben überhaupt
nicht behandelt und beantwortet.
175. S. Ord. Prol. passim. Eine ratio cognoscendi kann nicht die ‘idea’ sein (Ord. d. 35 q. 5 OT
IV4 p. 507 lin. 2f).
Kapitel 7. Formbegriff und reale Wahrheit 357
formell unbestimmte Reichweite haben. Die visio beatifica bedeutet da keine Grenze.
Aber die mit dem medium im Syllogismus verbundene Beweisführung muss den für
die ontologische Klassifikation der Begriffe relevanten Aufhebungen der significatio
alias singularia (= res singulares) entsprechen.176 Boolesche Algebra und Aussagen-
logik können die Beweisnorm wahrscheinlich nicht mehr abgeben.177 Ockhams Be-
weisverständnis ist so tiefliegend, dass bereits in der Tendenz das Scotische Beweisen
abgelehnt werden musste.178
176. Vom determinaten Satz darf nichts ausgehen, was auf die Realität der singularia ginge; es
ist dies womit die Folgerung negiert ist. Es bedeutet auch, dass Folgerung intensional möglich
ist, aber sie darf dann keinen von den Inhalten getrennten Sinn haben. Die als Logik von den
Inhalten getrennte Beweisart kann es letztlich nicht geben. In den Kapiteln 9–11 wird dies be
züglich der reprobatio behandelt.
177. Cf. dazu L. Wittgenstein, 1921, 6.031: „Die Theorie der Klassen ist in der Mathematik ganz
überflüssig,“ da „die Allgemeinheit, die wir in der Mathematik brauchen, nicht die zufällige
ist.“ Er sieht offenbar beim ‘aussagenlogischen Kalkül’ (G. Frege) Notwendigkeit, bei der ‘Alge-
bra der Logik’ (E. Schröder) Kontingenz.
178. Hier sind denn elementare Entscheidungen über theologische Gehalte, Vorstellungen,
Begriffe usw. schon unterhalb der hohen Beweisform des Syllogismus und der in seinem Sinne
äquivalenten Erörterungsformen möglich. Sie nennen die Kernkompetenz des Begriffs. Anders
als F. Hoffmann, 1941 meinte z. B. p. 123 „So wären… gegenüber Ockham die Ausführungen
Lutterells über den Schuldcharakter der Sünde bedeutungslos, weil diese den inneren Wert
oder Unwert einer sittlichen Handlung als solcher anerkennen, während Ockham alle sittli-
che Ordnung allein auf eine willkürliche Anordnung Gottes zurückführt.“ Ockham nimmt so
keinen mythischen Schuldcharakter in der Sünde an; sie ist Verfehlung qua Widersetzlichkeit
gegen Gottes positive Gebote. Es bleibt von ihr nichts in der Seele zurück außer vielleicht ein
habitus. Der aber kann keine inhaltliche Bedeutung haben, an sich nicht und weil diese allem
Denken und Meinen oder Wollen Gottes selbst widerstünde, da so etwas Sünde außerhalb von
Gottes Willen zu sein hätte und gegen Gott als accidens Widerspruchscharakter besitzen dürf-
te: in der Welt und zugleich auch außerhalb der Welt. Cf. Rep. IV, q. 3–4 OT VII p. 52 lin. 16ff:
„non videtur verisimile quod Deus infundat unum habitum nisi expellat habitum contrarium.“
Essentielle Verderbtheit infolge des Sündenfalls nimmt Ockham nicht an (ib. p. 54 lin. 8f):
„adulto non potest remitti peccatum originale nisi etiam remittatur peccatum actuale.“ Da (ib.
p. 52 lin. 10f) auch die „virtutes morales natae acquiri ex actibus non infunduntur“ per De
um „in baptismo“, ist der kultische Taufakt inhaltlich bedeutungslos. Ockham gleicht zwischen
Gott und der Welt aus. Beide werden als topologische Randpunkte der menschlichen Existenz
nicht begrifflich gefüllt und erschöpfen ihre Funktion als Randpunkte. Cf. hierzu auch ib. p. 55
lin. 17f: „deus nullius est debitor.“ (Cf. Kap. 3 Anm. 100 und Kap. 5 Anm. 49) Ockham kommt
nur bis zu einer positiven und summarischen Auslegung des Erlösungsakts (ib. lin. 19–21): „Ex
hoc quod deus facit aliquid, iuste factum est. Exemplum: Christus nunquam peccavit et tamen
fuit punitus gravissime usque ad mortem.“ Die Begriffe, die der scholastischen Regulation aller
Materien dienten und entstammten, werden das Dogma am Ende zwangsläufig ebenso destru
ieren wie sie selbst überhaupt destruiert werden und bei diesem Thema so wie bei vielen oder
allen, sich aufheben, i.e. obsolet erscheinen: der Aspekt der significatio lässt wie immer nicht zu
dem der Abstraktion sich heben; kardinale Ordnungsbegriffe nähern sich einem topologischen
358 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Randpunkt wie dem Widerspruchssatz, der bei Ockham die unbedingte Relevanz einbüßte.
Ockham reicht mit seinem in sich reduktiv gehandhabten scholastischen Werkzeug nicht in
den mythischen Bereich des ‘Erlösungsfaktums’ hinein, wie nicht in den der materiellen Welt.
Beide haben und bewahren die Affinität, die sie wohl immer gehabt haben. Gott wirkt hier
auch keine Wunder. Gott wird von ihnen getrennt. Auch so ist er niemands Schuldner und
ist der alttestamentarische Gott, den E. Gilson Duns Scotus zuschrieb. Zur Formel Gott sei
niemandem verpflichtet s. auch Quaestiones variae q. 1 OT VIII p. 26 lin. 578 Für Ockham ist
eine Handlung Sünde nicht wegen der (ib. q. 7 art. 4 p. 386 lin. 4–7) „difformitas in actu vel
peccatum in actu non est carentia rectitudinis debitae inesse actui“ wie er gegen Duns Scotus
festhält, sondern wegen „carentia rectitudinis debitae inesse voluntati.“ Der Wille unterlässt ei
nen durch Gott aus freiem Willen gebotenen Akt. Damit wird die Natur freigegeben. Ockham
gebraucht peccare für Gott und den Menschen gemäß den Regeln und Beweisen, die er gibt.
Die Natur ist auch so frei, dass der Kultakt keinen Wandel bewirken kann (Rep. IV, q. 3–5 OT
VII p. 45 lin. 3f): „tantum creditum est omnem culpam dimitti in baptismo. Nec potest hoc os
tendi ratione naturali.“ So müsste von einer vergangenen Verfehlung (actus peccati) ein habitus
geblieben sein, der im Taufakt getilgt werden könnte. Es muss den habitus nicht geben: Der
actus peccati mag keinen habitus zurückgelassen haben. So muss die allgemeine Aussage bestrit-
ten werden. Dies heißt, dass credere und probare einander erheblich entgegenstehen; es kann
am Ende überhaupt nicht gesagt werden, was geglaubt werden solle, so wie nicht gesagt werden
kann, wie die Tilgung der Sünden geschähe. Die ratio gibt, so weit wie es ihr möglich ist, die
Lehre, statuiert sie. Nichtbeweisbarkeit liegt mit Bezug auf formell allgemeine Begriffe wie u. a.
habitus und actus vor, wenn die empirische Bestätigung erkennbar entfällt. Dass es gezeigt
werden kann, bedeutet stets: (die) significatio kann nicht in abstractio übersetzt werden. Das ist
abstrakt beweisbar und allgemein. Konnten wir mit Ockham zeigen, warum ein bestimmter Be
weis ausgeschlossen ist, ist die entsprechende Aussage widerlegt. Doch nicht analytisch durch
indirekten Beweis: die neopositivistische Dichotomie von analytisch und empirisch ist so nicht
zwingend.
179. Cf. Ord. d. 17 q. 8 OT III p. 567 lin. 6–8: „non est contradictio quod esset aliqua caritas
maior caritate Christi, quia non est contradictio quod Deus faceret aequalem caritatem caritati
Christi et illam uniret caritati Christi. Verumtamen de potentia Dei ordinata non potest esse
aliqua caritas maior caritate Christi.“ Ockham erörtert ib. d. 17 q. 1, ob nach der Todsünde
(oder wegen der ‘Erbsünde’) in der Seele eine forma zurückbleibe, derentwegen Gott den viator
vom ewigen Leben auszuschließen habe oder ob es eine solche nicht gebe. Er schließt sie aus.
Er zieht das Widerspruchsprinzip hypothetisch heran. So ib. p. 455 lin. 12 – p. 256 lin. 1: „Ego
autem pono quod nulla forma, nec naturalis nec supranaturalis, potest Deum necessitare quin
non includat contradictionem quod talis forma quaecumque praevia beatitudini sit in anima,
et tamen quod Deus numquam velit sibi conferre vitam aeternam. Immo ex mera gratia sua
liberaliter dabit cuicumque dabit, quamvis de potentia ordinata aliter non possit facere propter
leges voluntarie et contingenter a Deo ordinatas. Et sic loquuntur Sancti in ista materia.“ Er
Kapitel 7. Formbegriff und reale Wahrheit 359
die Naturphilosophie nicht ineinander auf, so werden sie in der Theologie der Erstel-
lung determinater Aussagen quasi nur durch die Abscheidung von Aporien dienen,
indem sie den in sich physischen Bestandteil unseres Lebens, die nicht ausschließbare
Referenz darauf, nicht für einen Aufbau verwenden, der nach dem Verhältnis von
forma und accidens nicht angeht, d. h. nicht schlüssig ist, zu indefiniten Begriffen
(Begriffsverständnissen) führt.180 Auch die Bindung des Begriffs der Moral, der Tu
gend, der Sünde an das positive Gebot Gottes ist rational. Anders müssten in der
äußeren Handlung das accidens oder accidentia über die substantia entscheiden oder
die substantia auf accidentia einwirken; beides ist irrational. Es unterwürfe Hand-
lungen Wertigkeitsschwankungen.181 Den sancti freilich spricht Ockham eine höhere
verwahrt sich gegen Pelagius, (ib. p. 456 lin. 2ff) „qui ponit Deum … posse necessitari et non gra
tuitam et liberalem Dei acceptationem esse necessarium.“ (ib. p. 455 lin. 7ff:) Wohl könne nichts
auf Erden Gott nötigen, das ewige Leben zu gewähren, doch gelte „aliquam supranaturalem
formam creatam a Deo necessitare Deum.“ Nach Ockham indes kann Gott qua Widerspruch
sprinzip laut der potentia ordinata gezwungen werden = gemäß unserem empirisch bedingten
Verständnis. Der in sich negative (nicht sachgleiche) Widerspruch affiziert nicht Gott.
180. Die augmentatio gratiae (oder caritatis) fällt in die forma accidentalis und kann so „in
infinitum“ gesteigert werden. Sie hängt da aber vom subiectum ab. Christus hatte die (Rep.
III, q. 8 OT VI p. 261 lin. 21–23) größtmögliche gratia „de potentia Dei ordinata (also nach
den Bedingungen der lex communis), non absoluta“. Auch Gott ist hier zunächst gebunden
(ib. p. 262 lin. 18–20). Man kann auch sagen Gott vermöge was die Natur vermag (ib. p. 253
lin. 225 lin. 11 – p. 261 lin. 2) Das gilt dann in beiden Richtungen. Eine andere Ansicht steht nach
Ockham (ib. p. 262 lin. 7f) dem frei „cui non tamen placet iste modus dicendi propter reveren-
tiam Christi.“ Diese kann also für Ockham nicht die erste Rolle spielen. Sie geht also nicht in
eine rationale Auffassung ein, die ihrerseits wieder für Theologie und Physik gleichermaßen
gilt. Ockham unterscheidet für unser Denken nicht streng zwischen Jenseitswelt und Erdenre
alität, ja überhaupt nicht, cf. Ord. Prol. q. 12 OT I p. 345 lin. 3–5 „et ideo sive Deus ponatur a
aparte subiecti sive a parte praedicati, talis veritas erit theologica, maxime cum possit haberi
naturaliter.“ So bleibt er in der Mitte zwischen Gott und Welt (Empirie) stehen. Die physische
Wirklichkeit unterhalb der psychischen kennt keinen Aufbau; sie ist nur Bewegung. Sie lässt
gar keinen Aufbau zu. Philosophische Wahrheit oder Erkenntnis kann physisch nicht Relevanz
haben. Cf. Giordano Bruno.
181. Cf. Quaestiones variae q. 7 OT VIII pp. 323–407. Ockham widerlegt mittels der Aktualun
endlichkeit. Er spricht (Rep. III, q. 11 OT VI p. 427 lin. 8) z. B. „de actibus interioribus qui pro-
prie et intrinsece sunt virtuosi.“ Sie könnten nicht den realen äußeren Wert in sich aufnehmen,
den es gar nicht gibt. Auf Gottes positives Gebot ausgerichtet sind Handlung, Bewusstsein und
Wille nur bestimmte zu ihm sich akzidentell verhaltende Größen. Das bedeutet eine gesicherte
logische Relevanz: es entfällt die vorlogisch defizitäre Nichtstruktur, bei der es auch keine Argu
mentation geben kann. Der actus virtuosus ist dann nicht mehr vitiosus (Q. v q. 7 p. 328 lin. 128
„stante praecepto divino.“ Ockham hatte allen anderen Scholastikern vorhalten können oder
müssen, solch eine gediegene (bestandsfähige) Argumentation nicht auszuführen. Gott kann
die praecepta aber auch nicht willkürlich abändern. Ockham kommt Kants ‘kategorischem Im
perativ’ nahe: er nennt Rep. III q. 11 OT VI p. 425 lin. 6f für die Verbindung der Tugenden als
360 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Erkenntnisfähigkeit als dem Gemeinmenschen zu.182 Wie sie ausgestattet wären, ist
allerdings zu fragen. Den Sancti als den Menschen mit besonderem Wandel könnte
höhere geistliche Einsicht hinsichtlich der disciplina christiana zugesprochen werden;
es könnte auch daran gedacht werden, dass ihnen in der Auslegung späterer Zeiten ei
ne überlegene Erkenntnisqualität zuwuchs. Eine überragende Rolle gibt ihnen Niko-
laus von Autrecourt, mit der sie dem aristotelisch-scholastischen Erkenntnisstreben
überlegen seien. Das wird zur allgemeinen theologischen Haltung (Jean Gerson). Sie
muss mit der eigentümlichen Leistung Ockhams, Theologie und rationale Erkenntnis
(scientia) miteinander auszugleichen (sie gleichnamig zu machen), nur noch in dem
bedingten Sinne übereinstimmen, dass auch später von der Theologie der genuine
Vernunftstatus nicht abgetrennt werden konnte. Dabei ist bei Ockham die Struktur
des Denkens ontologisch affiziert.183 Aber er beginnt argumentativ auf seiner Basis als
‘principium’: „omne dictatum a ratione propter debitum finem, et sic de aliis circumstantiis
esse faciendum, est faciendum.“ Ockham zieht eine Folgerung (ib. p. 426 lin. 20): „Ex istis patet
nulla virtus moralis repugnat alteri.“ (cf. auch: wenn der finis nicht gewollt werde, werde die
Sache nicht gewollt. Ebenso zum ‘guten Willen’ (Q. v q. 7 p. 329 lin. 139–141): „secundum Sanc-
tos nullus actus est laudabilis … nisi propter intentionem bonam.“) Die verdienstlichen Akte
können einander nicht widersprechen: eine Tat ist nicht gut, wenn sie andere Gebote verletzt.
Cf. o. Anm. 68. Die partielle Nähe der moralischen Maximenerkenntnis zur ‘propositio per se
nota’ nach Ockham (cf. Q. v q. 7 p 330 lin. 6–9) kann uns ins Bewusstsein heben, dass die auf
Kant folgende Transzendentalphilosophie (Reinhold, Fichte) sich doch ziemlich auf Aussagen
dieses Typus stütze, und daher unmittelbare Evidenz und subjektive Autonomie (Independenz)
quasi einen altbekannten Grund haben mögen und allgemeine Erkenntnis zum Subjekt und
seinen Vermögen wie schon bei Kant nicht sehr von der Moral getrennt zu halten imstande
ist. Dass die propositio per se nota auch in der theologia ihren Platz habe, sei erwähnt: ‘Pater
prior filio’. Der Akt ist als innerer Akt in Bezug auf die Moral Akt des Willens (Q. v q. 7) und so
denn auch mit der intentio bona aut mala verbunden, die quasi mehr sein ‘Gegenstand’ ist als
irgendein äußeres Tatmoment, das Wertungen bloß sekundär unterliegt. Das ist verständlich:
‘eine Grube zu graben ist noch nicht schlimm’. Böse ist es nur (ib. p. 329 lin. 134ff) „secundario et
per quandam denominationem extrinsecam, … conformiter actui voluntatis“: wir wollen, dass
jemand hineinfalle und richten es ein.
182. Ord. d. 35 q. 5 OT IV p. 502 lin. 15–17: „multa sunt cognoscibilia a Sanctis, quae ab aliis
propter defectum exercitii et experientiae cognosci non possunt.“
183. Dass im Umkreis der substantia, die causatio erleidet oder ausübt, alles accidens sein
muss, soll sie nicht durch Wirkungen aufgehoben werden, ist einsichtig. So wirkt der Leib (cor-
pus) auf den Geist (spiritus) nur akzidentell ein (Rep. II, q. 14 OT V p. 326 lin. 21f) „potest
tamen agere in spiritum partialiter aliquem effectum accidentalem“ und vermittelst des Leibes
gilt auch vom Fegefeuer (ib. lin. 23f): „Certum est quod ignis infernalis vel purgatorius sic agit
et affligit spiritum.“ Der Geist wird mithin nicht bis ins Wesen „bekümmert“: seine ‘Läuterung’
geschähe nicht als Einwirkung, die Mutation wäre. Ockham hält Größen für ein denkbares Welt
bild fest, das durch die Theologie hindurch auch physikalisch gilt et vice versa. Zur Wirkung
von accidens und Kontingenz im Urteilen cf. noch Chr. Marlowe, Faust, I, 4: „Hat meine Formel
dich nicht hergezogen? Sprich!/ Die Ursach war sie, doch per accidens.“ Da aus der substantia
Kapitel 7. Formbegriff und reale Wahrheit 361
der menschlichen Begriffe, auf die alle Argumente hinauslaufen und für die sie gelten.
Das gilt auch für die Theologie und bezieht Realwissenschaft lediglich ein, indes so,
dass Theologie und Realwissenschaft keinen Gegensatz bilden müssen.184 Für diese
ein accidens nicht abgeleitet werden kann und weder im accidens noch in der essentia dafür
ein Ansatz, vorliegt, muss das accidens (praedicatum) jeden Inhalt im Sinne einer Relation
besagen und diese als für die substantia (subiectum) nicht ableitbar erscheinen. Das gilt auch
für die divina essentia: cf. Ord. Prol. q. 2 OT I p. 111 lin. 6–10. Alle ib. p. 117 lin. 14–24 genann-
ten beweisbaren passiones müssen neben der Tatsache, dass sie in unserem Geist apprehensiv
gebildet werden können, bloß bezweifelbar sein. Für die p. 111 lin. 6–9 genannte „conclusio …
quod nihil intrinsecum Deo potest de divina essentia divina demonstrari“ gilt bei Ockham ib.
lin. 10: „potest persuaderi“. Beim „Beweis“ (ib. lin. 10–21) rekurriert Ockham u. a. (lin. 17–21)
auf eine Erkenntnis der divina essentia bzw. Dei, in der nur relatio oder persona enthalten sein
könnten. Das muss u. a. bedeuten, dass bezüglich der divina essentia für Sätze, die sie betreffen
(Sätze, die determinat sein sollen), die Anwendung der ontologischen Grundbegriffe forma,
relatio, causa, accidens, res, materia usw. von Beweisen dependiert, die als reprobationes mit
häufigem Einsatz von und Bezug auf die Suppositonslogik nicht über ein Verhältnis von relatio
und essentia aufgebaut sein können; deshalb gibt es da die reprobatio. Die reprobatio ist dann
ontologiebezogen als Beweis positiv. Cf. dazu Kap. 4 u. Kap. 9–11.
184. Ockham kennt allerdings formell immer ein über conceptus hinausgehendes Zeichen,
das noch Erkenntnismittel wäre (Ord Prol. q. 9 OT I p. 266 lin. 5–8): „In ista propositione
‘omnis homo est risibilis’ illud quod supponit est aliquod commune ad omnes homines sive sit
conceptus sive non. Sed illud pro quo supponitur est aliquid singulare.“ Supponens (Begriff,
universale) und singulare (res) werden real unterschieden (realiter distincta). Intramental und
extramental, via Abstraktion getrennt, behandelt er argumentativ uniform. Dabei bleibt für un-
sere theologische Erkenntnis Maßstab der Begriff, den wir in facto et pro statu isto haben, wie
Ockham durch einen interessanten induktiven Schluss ermittelt (cf. p. 268 lin. 19 – p. 369 lin. 5):
„respondeo ad formam quaestionis (nämlich der q. 9 Prol. Ord. ‘Utrum Deus sub propria ratio-
ne deitatis sit subiectum theologiae’). Et dico primo, quod accipiendo subiectum pro illo quod
supponit, quod Deus sub ratione deitatis non est subiectum theologiae nostra. Hoc patet, quia
subiectum isto modo dictum est terminus conclusionis.“ Bezugsmaßstab ist hier das subiectum
in der syllogistischen conclusio, auf das (die) wir in jedem Fall rekurrieren müssen; denn alle
unsere theologischen Sätze müssen mit denen übereinstimmen (konform sein), die wir syl-
logistisch einsehen und bestätigen, zumal wir keine anderen haben, denen wir so zustimmen
können. Infolgedessen hat der Begriff, das subiectum, in anderen theologischen Sätzen nur eine
untergeordnete Bedeutung. Ockham fährt fort: „Sed Deus non est terminus conclusionis, quia
illud est terminus conclusionis quod immediate terminat actum intelligendi (sc. der Begriff
nach der Auslegung als fictum oder obiectivum esse) /§ vel est actus intelligendi §/ (nach der
Auffassung des Begriffs als intellectio bzw. subiectivum esse und benachbart intentio ipsa). Sed
Deus in se non immediate terminat actum intelligendi sed mediante aliquo conceptu proprio
/§ nec est conceptus §/. Igitur ille conceptus, non Deus, erit subiectum theologiae nostrae.“ Nur
als induktiver Schluss ist die Beweisführung möglich und interessant. Als formale analytische
wäre sie unmöglich: es hätte vorausgesetzt sein müssen, was gefolgert wird. Der Text enthält
dann den zusätzlichen Hinweis (p. 268 lin. 6–16), dass wir wenn wir von Gott als subiectum
theologischer Aussagen sprechen, uneigentlich sprechen („improprie loquendo“). Das soll den
362 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
vorgängigen Beweis (cf. ib. lin. 16) „Igitur etc.“ stützen. In Ed. ist „improprie loquendo“ als
Zusatz /§ … §/ kollationiert. Der Zusatz widerspricht dem Text lediglich nicht. Im Weiteren ib.
lin. 17–22 sagt Ockham, dass die theologischen Sätze nicht ein einiges subiectum haben, was
ja im Beweis auch keineswegs vorausgesetzt war. Und auch nicht aus einem habitus entwickelt
werden, was ja auch klar und mit vorauszusetzen war. Es war sogar von Ockham per argumen
tum bestritten worden. Die theologia versteht Ockham p. 270 lin. 16–22 nicht bloß als theolo
gia necessariorum sondern auch als theologia contingentium. P. 269 lin. 23 – p. 270 vergleicht
Ockham theologia beatorum und theologia nostra und stellt fest, dass in ersterer Gott in der
Tat (p. 270 lin. 1) „respectu aliquarum veritatum“ subiectum sei; hier werde Gott ib. lin. 2 „non
tantum in aliquo conceptu“ erkannt („intelligitur“), sondern hier könne Gott lin. 3 „utroque
modo“ „esse subiectum“ (lin. 3) „quia et supponet et pro se ipso supponet.“ Das kann ein Indiz
für die strikte Menschenbezogenheit auch der Suppositionslogik sein; transhumane Bedingun
gen in Gott sind dazu dann nur kompatibel.
185. In Prol. Ord. q. 9 (cf. Anm. 184) erörtert Ockham, wieweit die menschlichen Begriffe (in
Sonderheit auch die zusammengesetzten), die wir von Natur aus haben, und unser darauf fu-
ßender Verstand in der Darstellung Gottes und Bildung theologischer Aussagen gelangen. Die
Inseität Gottes betrachtet Ockham, soweit er sie parallel zum menschlichen Begriff und zu unse
rem Vermögen der Formation von Sätzen denken kann. Gott hat ein anderes Denkvermögen,
das wir hypothetisch anberaumen können, insofern also zulassen und erreichen. Darüber hin
aus ist sie weder Gegenstand noch Maßstab. Cf. ib. p. 268 lin. 12–17: „Sexto, distinguo de theo-
logia nostra pro statu isto et de theologia /§ possibili per divinam potentiam §/ in intellectu via-
toris. Et illa potest accipi dupliciter: vel quod sit totaliter respectu eorundem respectu quorum
est theologia nostra, vel quod sit respectu veritatum in quibus Deus in se subicitur vel Pater
etc. /§ vel cognitio simplex propria Deo §/. Die verschiedenen Auffassungen von der Natur des
Begriffs in anima, die Ockham erwog und proponierte, erbringen dabei verschiedene Lösun
gen, deren fiktive Reichweite über unsere natürlichen Erkenntnismöglichkeiten hinausgehen
kann. Damit werden sie argumentativ eingegrenzt. Hierzu s. etwa ib. p. 270 lin. 8–15. Doch
das Verhältnis von Begriff und Sache in genere lässt sich analog auf das von Gott und creatura
übertragen. cf. Rep. II q. 10 OT V p. 197 lin. 5–19: Wenn beim significatum totale der Zeit nach
Ockham der Gesamtbegriff von Zeit bloß in anima ist, während Zeit realiter gemessen auch in
reali sein kann, gibt es für ihn doch kein compositum aus existens in re und existens in anima,
so wenig wie es in der creatio, die ein Akt Gottes ist, ein compositum von Deus und creatura,
dem Produkt der creatio, vorliegen könne. Das ist kein bloß metaphorischer Vergleich; davon
ließe sich erst sprechen, wenn nicht Ockhams Argumentationen dem entgegenstünden.
Kapitel 7. Formbegriff und reale Wahrheit 363
Der Begriff, bei dem bei Ockham alles festgemacht ist, insofern er durch negative
Bestimmungen, signifikativ (i.e. in Richtung auf die significatio) fixiert, abgegrenzt
und komponiert (verfügt) werden kann, hat keinen ‘Inhalt’; er hat eine Funktion. Da-
mit gibt es nicht Erkenntnis vermöge des Begriffs, im Begriff, bezüglich des Begriffs.
Es gibt keine Zustimmungen zu den Sätzen, die ‘darin’ in se ‘Erkenntnisse’ (mit der
Ausrichtung auf die Realität/Objektwelt) wären. In dem Sinne gibt es dann ‘nulla ve-
ritas secundum cognitionem’, aber natürlich die propositio vera, so wie es die propo-
sitio contingens und die propositio necessaria, die propositio per se primo modo und
secundo modo gibt.186 Es gibt jedoch keine Begründung für Sätze oder Begriffe nach
Begriffskonzeptionen187 oder Begriffskonzepten,188 mit denen sie vermeintlich paral-
lel zu ihrem Sinn oder wenigstens Wortlaut eben diesen noch einmal, eben durch
die Begründung erhielte, auf deren Ebene dann zwangsläufig argumentiert worden
sein müsste, wenn denn eben das möglich ist bzw. wäre. Ockham zeigt, dass gerad
das nicht möglich ist.189 Die kontinuierliche Widerlegung des Duns Scotus durch
186. Hier tritt die propositio necessaria per accidens als Unikum ein (Prol. Ord. q. 6 OT p. 178
lin. 1–12): „omnis propositio necessaria est per se primo modo vel secundo. Hoc patet, quia om-
nis simpliciter necessaria. Quod dico propter propositiones necessarias per accidens, cuiusmo-
di sunt propositiones multae de praeterito. Et sunt necessariae per accidens, quia contingens
fuit quod essent necessariae, nec semper fuerunt necessariae. Omnis alia propositio necessaria
potest evidenter nota, et per consequens est aliquis habitus veridicus respectu cuiuslibet pro
positionis simpliciter necessariae. Sed nullus talis habitus respectu necessarii est nisi respectu
propositionis per se, quia tam principium quam conclusio est per se.“ Von Ockham als ‘Abwei-
chung’ betrachtet, kann diese propositio offenbar weder einem syllogistischen Beweis beitre-
ten noch ‘per se’ evidenter nota sein. Sie scheint die Aktlehre zu sprengen. Nach M. McCord
Adams, 1973 pp. 5–37 p. 12 Anm. 17 kommt sie nur einmal vor.
187. Man denke hier an die Scotischen, wie etwa die perfectio simpliciter u. a.
188. Man denke an manche ontologische Remedur des Duns Scotus, die seine Beweisgänge zu
salvieren hat.
189. Hier bieten Ord. d. 1 q. 4 OT I p. 436 lin. 15 – p. 437 lin.3 und Ord. d. 2 und d. 3 OT II
Stoff. Ockham hält aber immer den Bezug zur Empirie und empirischen Grundlage des Erken-
nens fest, auch für die Deduktion. Ord. d. 3 q. 8 OT II p. 540 lin. 6 – p. 541 lin. 1: „dico quod
obiectum motivum intellectus est praecise singulare. Et dico quod omne singulare est motivum
intellectus, quia omne singulare potest intelligi notitia intuitiva, quantum est ex natura animae
et intellectus nostri. Sed ad notitiam intuitivam requiritur quod ipsa res cognita intuitive cau
set intellectionem, quia aliter non posset illa res naturaliter cognosci intuitive, igitur quodlibet
singulare est motivum ipsius intellectus ad sui ipsius notitiam intuitivam. Et ideo isto modo lo-
quendo de obiecto motivo intellectus, dico quod ens univocum communissimum est primum
obiectum intellectus, non propter talem duplicem primitatem, sed propter primitatem com-
munitatis, quia est praedicabile in quid et commune univocum ad omnia motiva intellectus, et
tamen ipsummet non potest movere intellectum, nec causare quocumque modo intellectionem
… Unde de ente tali, sumpto personaliter, praedicatur esse motivum intellectus, et tamen de se
ipso, sumpto simpliciter, non praedicatur esse motivum intellectus. Unde haec est primo vera
364 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Ockham betrifft nun die Prädikation im Sinne der Implikation, im Grunde die Glei-
chung ‘Implikation = Prädikation’, bei der, wie Duns Scotus die Sache handhabt, die
Implikation alias Beweisführung (Argumentation) den Vorrang erhält, aber hier per
reprobatio von Ockham immerzu refutiert werden kann und wird.190 Die Folgerung
aber, als consequentia formalis, trennt Ockham vom Vollzug.191 Die reprobatio indes,
die die Implikation nicht gebraucht, negiert und suspendiert sie auch im Zeichen der
Definitheit qua förmlich negierter significatio (als im Sinne von Allgemeinheit inexi-
stens192). Dabei bezeichnet der kontingente Satz den letzten Posten vor (oberhalb) der
‘omne ens est motivum intellectus’, et tamen haec est simpliciter falsa ‘ens commune ad omnia
motiva intellectus est motivum’.“ Ed. führt einen Einschub an, den nicht alle Mss. haben und
der einen Verweis auf die Hypothese vom Begriff als fictum oder obiectivum esse besagen soll.
Er kann so verstanden werden, dass der Gedankengang auch und ganz sicher nach dieser Auf-
fassung vom Begriff zu gelten habe, nicht ausschließlich. Denn wollte man annehmen, dass er
bei der Hypothese des universale als intellectio nicht zu gelten hätte, müssten ens primum reale
und ens commune (darin) identisch sein, was Ockham in jedem Fall ablehnte. Das universale
ist nicht in re.
190. Duns Scotus hatte seine Begriffskonzeptionen und Definitionen so angelegt, dass sie
analytische Argumentation sei es behaupteten sei es zu erfordern gehabt hätten; beides aber
verfällt Ockhams Widerlegung(en). Er entzieht dem pro abstractis und in abstractis die Ba-
sis, zum Beispiel durch suppositionslogisch inszenierte Widerlegungen oder solche, die am
Ende in die Standardisierung durch die suppositionslogisch erklärte oder drapierte propositio
contingens münden. Cf. Kap. 9 u. 10 Ockham, der dabei den Begriff forma bewahrt und eben
auch bewahrt, kann die Begriffe, wenn sie es denn noch sein sollen, für die sacra theologia von
der empirischen Basis trennen, den Satz mit dem Modus formaliter versehen, i.e. diesen vom
Satz prädizieren, indes Begriffe überhaupt auf forma (s. dieses Kapitel) und formaliter bezie-
hen. ‘Formaliter’ wird syncategorematisch gebraucht Cf. Rep. II, q. 1 OT V p. 22 lin. 19–21. Es
bezeichnet so nichts, was (den) Inhalten gleichkäme oder gleich wäre, sondern eine Relation,
die für die Begriffe realiter und definit nie ausgedrückt werden kann, sondern immer nur per
argumentum, d. h. intensional. Dieses Intensionale ist formal, also nicht durch Realbezug ab
gestützt.
191. Zur consequentia formalis s. auch Quodlibeta II, q. 4 OT IX p. 125 lin. 64 – p. 126 lin. 66:
„sic est consequentia formalis quocumque demonstrato: hoc non est sapientia, igitur hoc non
est sapiens; quia sic concretum et abstractum convertuntur.“ Die consequentia formalis be-
deutet nicht Operationsvollzug (ratiocinatio) und nicht deren Ersparung, indem man ohne
Vollzug einen Zusammenhang annimmt; Ockham setzt einen Beweis voraus: ‘quocumque de
monstrato’. Also ‘beliebig bewiesen’. Anders W. Chatton (cf. Kap. 14 Anm. 43).
192. Ockham negiert in der Form von Widerlegungen (etwa von Duns Scotus) behauptete
Beziehungen, die selbst einer Beweisform und möglichen Beweisausführung, die ganz qua De-
finitheit zu gelten hätte; indem er sie negiert, werden die darin enthaltenen entia als intendierte
significata zugleich allgemeine Größen sein. Negiert entfallen der Beweis sowohl wie die in
ihm verbunden gedachten ‘Größen’ (Faktoren). Beweis, Größen, entia, Relationen der Faktoren
(Größen) hatten einen sie miteinander bedingenden deklarativen ontologischen Wert. Für die
Kapitel 7. Formbegriff und reale Wahrheit 365
gleichwertig mit der Prädikation nicht erscheinenden res und realitas.193 Nirgendwo
kann er im Sinne der Realitätsgeltung übertroffen werden.194
Die Aussagen, die die Christologie oder die Erlösung betreffen, werden von Ockham
als kontingente klassifiziert: „Veritates contingentes cognoscuntur in theologia, sicut
Deus est incarnatus, Deus beatificat animam, et sic de aliis.“ Diese (kontingenten)
Aussagen können natürlich nicht durch empirische Erfahrung bestätigt werden. Sie
können aber auch nicht aus anderen kontingenten Aussagen abgeleitet werden: Da
Ockham eine ganz und gar feste Ordnung der Begriffe oder Sätze nicht annimmt,
kann er eine solche auch nicht für Beweise im Sinn der Widerlegung verwenden. Die
Widerlegung ist integraler Bestandteil der scientia – im Modus ihrer lockeren Fügung.
Aber die Widerlegung müsste schließlich die Stiftung des Gesamtzusammenhangs im
Sinne der Abfolge der Sätze und über sie der Ordnung der Begriffe übernehmen (kön-
nen), und zwar in actu, d. h. im konkreten und thematischen Einzelfall, wie reflexiv,
also für die gesamte scientia (Disziplin), wenn denn diese Ordnung bestünde oder zu
bestehen hätte.
Ockhams Beweisform ist vorab die Induktion, welche auf den empirischen Tat-
bestand sich stützt, nicht den inhaltlichen, der einer dann empirischen oder kontin-
genten Aussage entspräche, sondern denjenigen Tatbestand, der in der Form der bloß
. Ockham hat sowohl im Sinn wie in der Ersetzung der Widerspruchsfreiheit seine Struktur
entfaltet. An die Stelle der Widerspruchsfreiheit tritt der kontingente Satz und unter ihm ver
borgen das kontingente Faktum. Es kann etwa auch causa und causalitas bedeuten, dann aber
reduziert auf Fälle. Nicht aber Kausalität nach einem grundsätzlichen Begriff, der dann im Sinn
der Deduktion oder der Ontologie und beides verschränkt oder vermittelt sehend ausgelegt
werden könnte. Ockham hat diejenigen scholastischen Autoren, die eine solche Auslegung und
ein ontologisches Fundament für sie und die Deduktion reklamierten, im einzelnen jeweils mit
Argumentationen angegriffen, worin solche Möglichkeit in toto und für die einzelnen Fällen
bestritten und abgewiesen wird.
. Wir verweisen auf ein Textstück Ord. d. 1 q. 3 OT I p. 414ff in der impugnatio Scoti.
. Was auch z. B. den Gebrauch des Omnipotenzprinzips, den des Ökonomieprinzips ohne-
hin, fixiert und sistiert.
10. Die Induktion beruht immer auf (‘einer’) Negation, in der ein Nichtsein verborgen ist, so
weit dass sie immer auf das Nichtsein (bis an es) führt. Damit berührt (und kreuzt) es sich mit
dem accidens. Es wird im accidens (oder ihm äquivalent) eine Abspaltung und Ausscheidung
vorgenommen, die nicht selbst aktuiert wird.
11. Petri Abaelardi, Glossae super Peri Hermeneias (ed. K. Jacobi u. C. Strub), 2010 p. 411
lin. 503 – p. 412 lin. 1 „‘Inferentiam’ autem ubicumque accipimus in naturali concomitatione,
quia scilicet ita adjunctae sunt propositiones ut non possit evenire ita ut una dicit quin etiam
contingat ita ut alia proponit. Si enim secundum consequentiam inferentias pensaremus, for-
tassis falleretur, cum videlicet una propositio alterius in se sententiam non contineat.“ Wo nach
Abailard der Verzicht auf eine logische Schlussfolgerung die fallacia bedingte, wäre der Inhalt
der fallacia und des versäumten Schlusses auch akzidenteller Gehalt der logischen Schlussform.
Das ist absurd. Ockham, der die Formen der Aussagen als Erkenntnismittel bzw. -ausdruck
nicht ableitet und nicht zu Ableitungen verwendet, kann damit die Form der Aussagenlogik
nicht übernehmen oder zur Kalkülform seine erkenntnistheoretischen oder wissenschafts
theoretischen Explikationen machen; hier eben steht die Induktion.
Kapitel 8. Glaube und Welt. Im Vorhof der Naturphilosophie 369
deren Organisation) vorab müsste eingreifen können, d. h. ein ‘a priori’ ergäbe oder
ihm sogar noch vorgriffe.12 Abailard müsste auch (wie Duns Scotus) den abstrakten
und den empirischen Begriffsmodus gleichsetzen.13
Die vorherrschende Organisationsform des Beweisens in der Darlegung von
Zusammenhängen ist bei Ockham der Syllogismus: er kann die Induktion aufneh-
men, er kann die persuasio integrieren. Er ist das Modell, wenn Ockham erörtert, wel-
che Funktion Sätze bei Beweisen füreinander haben oder eben nicht haben. Man wird
annehmen können, dass die einzelnen Aussagen, die den Syllogismus bilden, in Son
derheit wenn sie Wahrscheinlichkeiten besagen (u. U. Nichtunwahrscheinlichkeiten),
einen eigentlichen Sachverhalt nicht besagen können, weil dieser aus der Realität
selbst geschöpft werden müsste: die Zusammenhänge, die wir greifen können, sind
aber, als Erfahrungen, bereits in Sätzen ausgedrückt, wobei der actus apprehensivus,
der damit entstanden ist, nicht mehr unterschritten werden kann. Entsprechend kann
eine Zusammenstellung (oder analytische intensionale Erklärung) von Begriffen,
gleichsam ex statu realitatis, auch nicht plausibel erkannt oder begründet werden.14
Sie kann auch nicht für die Legitimierung der Aussagen eigens erkennbar sein. Wir
haben die Möglichkeit nicht, eine Komposition von Begriffen zwingend und definit
zu begründen, weder an sich noch für einen bestimmten Typus von Aussage (alias
Satz), etwa den kontingenten Satz. Auch das ist ausgreifend in der Spätscholastik,
in unmittelbarer zeitlicher Umgebung Ockhams in Oxford15 versucht worden, wobei
denn bezeichnenderweise die Sätze (Satztypen) nicht vom Autor wirklich unterschie-
den werden können und ebenso auch die Argumentation lediglich so vonstatten ging,
dass eine Behauptung (Ockhams) über Leitbegriffe (etwa scientia, obiectum scientia
usw.) angegriffen mit Plausibilitätsargumenten überschüttet wurde, die je auf eine
12. Die Zwangsläufigkeit des Schlusses, der unabweisbar gezogen werden müsste, gilt so für
Ockham nicht; er approbiert zulässige inferentiae und verwirft unzulässige. Sie müssen damit
aber nicht aktual und notwendig, mithin müssen sie nicht notwendig und mechanisch gezogen
werden. Das Ziehen von Schlüssen steht nicht mehr im Vordergrund; es weicht dem Bewerten.
Ob gemeinscholastisch eine andere Auffassung gilt, muss offen bleiben: s. Anselms „Cur Deus
homo“ mit seinen rationes necessariae, die sich über einer doch kontingenten Welt erheben
und für sie (über ihr) die Notwendigkeit statuieren. Abailard denkt also womöglich ebenso.
Kontingenz ist da noch nicht der kardinale, technisch relevante und theoretisch zu begründen-
de Gesichtspunkt.
13. Sei es in bestimmter Form oder unbestimmt. Cf. auch W. & M. Kneale, 1966 pp. 640–644
zu A. Tarski.
14. Es kann nur die Zulässigkeit eines einzelnen und dabei von den anderen unterschiedenen
Typus von passio induktiv begründet werden: das immer im signifikant negativen Verhältnis
zur Realität, i.e. den res extra mentem oder singularia.
15. Von Walter Chatton. Siehe später in diesem Kapitel.
370 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
16. Da der Satz wie Ockham als Akt ihn fasst, in keiner Weise differenziert oder auch nur als
solcher distinkt aktuiert werden und danach in das Bewusstsein eingehen kann, werden die
Begriffe selbständig in Bezug auf den Satz nicht ausgelegt werden können; ja sie sind in diesem
nach Ockham im oder neben dem Satz erkennbar in keinem eigenen Akt greifbar. Das führt
uns dazu, allen Wertungen (und Bewertungen) der Begriffe und Aussagen, sofern sie sich un-
terscheiden sollen, lediglich a-logisch anzusehen.
17. Man erkennt wie Definitheit und Empirie maßgeblich bleiben. Actus bzw. habitus principii
und actus bzw. habitus conclusionis sind daher real distinkt, d. h. „specie“ distincti. Die speci
es, auch den Sätzen nach ihrer Wertigkeit im Syllogismus zugesprochen, definiert den Begriff
hinsichtlich der Empirie. Species, ein ontologischer Begriff bleibt in Geltung, wie und wo die
Logik in dem Sinne eine unbedingte oder gar auch apriorische Form oder Geltung nicht besit
zen kann. Ockham zitiert (Ord. Prol. q. 3 OT I p. 129 lin. 19) Aristoteles: „Substantiae non est
demonstratio.“ Es kann also nicht aus der essentia oder substantia, bzw. dem Begriff, der für sie
zu stehen hätte (subiectum), auf das accidens oder das proprium im Sinne eines analytischen
Beweises gefolgert werden, so wie z. B. Spinoza und Duns Scotus ihre thematischen Begriffe
im Laufe der Deduktion ‘anreichern’, implizit also erweitern. Ockham dagegen (cf. ib. lin. 9ff):
„Ergo demonstrabile de aliquo non est idem realiter cum eo. Ergo distinguitur ab eo realiter.“
Das bedeutet aber: specie distinctum. Subiectum und passio sind realiter (sive specie) distinkt
und wie sie es mental mit ihrem Inhalt sind, indem sie nicht unweigerlich verbunden und ein
heitlich gegeben sind, so auch eben real im Sinne extramentaler Wirklichkeit nicht, so dass sie
nach dem Verständnis einer außersubjektiven Wirklichkeit, Verbundenheit und „Einheit“ ih-
ren Sinn erhielten und nach Aussagen, in denen sie vorkommen (kombiniert) werden, gedeutet
werden könnten. Die Universalität der Begriffe und die Singularität der res extra animam kön-
nen nicht aufeinander zurückgeführt und aneinander vermittelt werden. Wer es aliquomodo
versuchen wollte, würde bei Ockham gegen die vera logica verstoßen und ihn sowohl realia
und mentalia betreffend nicht treffen oder widerlegen können, wie W. Chatton und J. Lutterell
bereits im Mittelalter es versuchten. Die distinctio specie als distinctio realis betrifft also (auch)
Begriffe als actus und dabei in Einheit mit ihrem Inhalt, der bloß pragmatisch (= intensional)
verstanden werden kann, nicht aber extensional oder nach einer ontologischen Deutung der
Universalien.
Kapitel 8. Glaube und Welt. Im Vorhof der Naturphilosophie 371
diesen Folgesatz ἐπιστήμη (= Wissenschaft) nennt, bei Ockham auch scientia heißt.
Auf diese Aussagen (Sätze), nämlich praemissae und conclusio, richtet sich deren no
titia im Verstande, wobei die causa des Satzes der habitus und nicht mehr das reale
Objekt außerhalb des Verstandes ist. Dieses war causa der notitia intuitiva, die zusam
men mit dem Verstand die notitia abstractiva, die notitia abstractiva prima genannt
wird, hervorbringt. Daneben gibt es eine notitia abstractiva secunda, welche den actus
apprehensivus des Satzes bedeutet. Sie entsteht mit und neben der notitia abstractiva
prima.18 Beim Gebrauch des Syllogismus ist der Satz und mit ihm die darin enthalte-
nen Begriffe nur noch in der Form dieser zweiten notitia abstractiva gegeben. Deren
causa ist der habitus, der unmittelbar mit der Bildung des actus apprehensivus oder
der notitia abstractiva secunda entsteht, so wie er jeden Akt im Verstande begleitet,
bzw. daraus hervorgeht und bedeutet, dass zukünftig der Akt leichter ausgeführt wer
den könne. Der habitus verstärkt sich durch häufige Wiederholung des Aktes und
nimmt ab wenn er weniger häufig ausgeführt wird. Der habitus bezüglich der Prämis
se ist dann nach Ockham nur causa der causa der conclusio; die direkte causa der
conclusio aber ist die Prämisse.19
Der Syllogismus kann also eine conclusio generieren. Damit entsteht ein actus
und nach diesem (ex illo) der habitus. Ockhams Beweisführung betrifft empiri-
sche Anordnungen, i.e. der Empirie zugängliche Anordnungen, die sie voraussetzt
und aufnimmt. In Bezug auf sie ordnet sie dann den induktiven Beweisschritt an.
Der kann sie daher nur bestätigen. In bestimmtem Sinn müssen danach auch die
Beschreibungsbegriffe ad libitum sein. D. h. erzeugend (oder konstruktiv) ist die
18. Cf. Rep. II, q. 12–13 OT V p. 302 lin. 15–17. So etwa: „Et ad notitiam primam abstractivam,
quae stat cum intuitiva, sufficit notitia intuitiva cum intellectu, sed ad secundam abstractivam
requiritur habitus.“ Ockham grenzt sich dann von der Lehre ab, dass zur Erkenntnis auch die
Vorstellung (= phantasia) gehöre und mit ihr das Vorstellungsbild: phantasma. Das ist die Leh-
re des Aristoteles. Ockham geht es bloß um die Verstandeskapazität im reinen und strengsten
Sinne, die dann über die menschliche Begriffsqualität hinaus moduliert werden kann: hier wer-
den Erkenntnismittel denkbar, die der Mensch „pro statu isto“ gar nicht hat, etwa Gott als res in
der visio beatifica. (Dabei wäre auch hier noch eine notitia neben der diesbezüglichen notitia
intuitiva auf Gott möglich, bzw. der Gebrauch verschiedener Medien des Erkennens, so dass
nicht einzig Gott als res Erkenntnismittel gedacht werden muss. Es sind hier für den Menschen
und seine Denkmöglichkeiten einfach nicht vorab gewisse Ausschließungen zwingend oder
möglich.) So ist denn nach Ockham die Vorstellung im Denkprozess begleitend möglich, nicht
aber hierin notwendig zu denken (ib. lin. 17 – p. 303 lin. 2): „Nec phantasma simpliciter facit ali
quid necessario ad cognitionem intuitivam vel abstractivam, sed tantum per accidens pro statu
isto. Nam anima separata potest intuitive videre res sibi praesentes sine omni phantasmate. Sed
philosophus (= Aristoteles) non vidit nisi res et cursus earum pro statu isto, ideo quantum est
pro statu isto, bene dicit quod requiritur phantasma.“ Ockham rechtfertigt den Aristoteles, wo
er ihm nicht beitritt.
19. Vgl. die Lehre vom „habit“ bei C. S. Peirce, der hier sogar direkt aus scholastischer Quelle
geschöpft hat. Indes eher mit Bezug auf Duns Scotus, den er wegen seiner Universalienlehre
schätzte. Cf. J. v. Kempsky, 1952.
372 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Argumentation, und dies so, dass sie formell qua synthetische Abgeschlossenheit si-
gnifikativ ist. Wenn dann der Widerspruchssatz in nichts eine Funktion haben kann,
wo (die) Kontingenz in Rede steht, muss die Kontingenz an seine Stelle treten. Dann
ist die Kontingenz auch Grundlage derjenigen (= aller jener) Überlegungen, die ohne
das Widerspruchsprinzip auskommen. Damit wird das Prinzip (der Grundsatz) der
Induktion angegeben. Wir bekommen eine Induktion dort, wo wir unbedingt mit der
Kontingenz zu tun haben.20
Das andere, was aus diesem Prinzip ablesbar ist, ist damit auch grundsätzlich
gegeben: es kann nicht unter die Stufe des actus mentalis, der Sätze, gleich welcher
Art und Charakteristik, hinabgestiegen werden. Wir reden in Wirklichkeit immer
von einem Satz: das ist so etwas wie eine Induktionsbasis.21 Wir reden nie von etwas,
in dem nicht die Struktur der Aussage primär wäre; wir stoßen nie auf eine Basis oder
Basisstruktur in der Realität, mithin dessen, was unterhalb des actus mentalis sich
findet oder befindet.22 Die actio intellectus ist dabei, ganz wie notitia intuitiva und
notitia abstractiva usw. als real und, auch im Sinne der Verursachungen, als unter-
einander und im Verhältnis zur Realwelt extra animam, realiter distinkt zu werten:23
„Ideo dico quod actio intellectus est realis: quia determinatur ad cognitionem realem
intuitivam vel abstractivam modo praedicto.“ Damit sind die Akte des menschlichen
Subjekts nicht denen der Welt extra animam nach einem von diesen her zu definieren-
den Sinn gleich, wohl aber empirisch und ebenso kontingent und kontingent ange-
ordnet wie die äußeren Dinge. Diese indes werden subjektiv im Sinne der Intention
auf sie vom Subjekt her bewertet. Die reale Erkenntnis der äußeren Dinge zu bestrei-
ten gibt es danach keinen Grund.24 Es geht um den humanen Status des Menschen,
20. Die Induktion verbindet zwei Stufen. Die untere repräsentiert einen kontingenten casus. In
ihm zeigt sich das Kontingente als nicht logisch einsichtig. Das wird im induzierten (oberen)
‘allgemeineren’ Satz „kompensiert“.
21. Auch das enthält mithin ein negatives Moment. Cf. Anm. 8.
22. Erst durch die Differenzierung der consequentiae wird die Realität wieder gewonnen.
23. Rep. II, q. 12–13 OT V p. 304 lin. 21–23.
24. Für Ockham gilt, dass es keinen Grund gebe, dass die res extra animam nicht erkannt wer-
den könne. Will man eine solche Formel direkt für eine „ratio“ oder das Argument halten, wo-
mit Ockham die Frage der Erkenntnis von extramentalen Gegenständen entscheide, so muss
man entgegen der apodiktischen Form darin die Aufhebung (‘Negation’) von Konsequenzen
verborgen sehen, also eine persuasio. Die Entscheidung vermittelst eines solchen bloßen Argu
ments entspricht dem Gebrauch des Ökonomieprinzips oder des Omnipotenzprinzips: letzte
res bezeichnet, auf der distinctio realis ruhend und beruhend, den Fall, dass eine Abänderung
des in der Weltordnung Vorfindlichen gedacht werden könne, weil mit den Faktoren nach der
gegebenen gegenwärtigen Schöpfung und Kombinationen in der Welt noch nicht jene notwen-
dige Kombination der sie ausdrückenden Begriffe gegeben sein muss, welche ihrerseits wieder
die damit benannten Erscheinungen als ausschließlich in der einen Weise denkbar machte.
Hierzu müsste die Abstraktion zur Notwendigkeit geführt haben; das aber ist nach Ockham
Kapitel 8. Glaube und Welt. Im Vorhof der Naturphilosophie 373
eine Subjektivität, welche, als die des Menschen, förmlich erst definiert, ermittelt und
in diesem Sinne hergestellt werden muss.25 Dabei steht denn, wie auch weiterhin in
der Neuzeit, zunächst prototypisch als Erkenntnisträger der relativ knappe oder ele
mentare Satz im Zentrum der Bewertungen und Klassifikationen.26 Um diesen Akt
des elementaren Satzes herum gibt es bei Ockham eine Vielzahl von Bestimmungen
des Denkens, entsprechend Akte, die zu dessen Hervorbringung nötig sind oder in
Variationen sie begleiten.27 Sie werden alle geordnet durch die Kausalverhältnisse,
in denen sie stehen und in denen sie auch induktiv begründet werden können. Ihr
Gesamtverhältnis muss danach aber nicht mehr angesehen werden, es widersetzt sich
den Spezifikationen und eventuell mit einer freien terminologischen Wahl gegebenen
klassifizierenden Verfügung:28 „intelligere et velle habent esse per productionem suae
causae et conservationem. Et quamdiu conservantur tamdiu habent esse, ita quod una
intellectio potest, quantum est ex natura sua, per magnum tempus durare, et volitio
nicht der Fall, und es ist auch bei der empirischen Ausgangslage nicht zu erwarten. Denn diese
muss ja prinzipiell festgehalten werden, so weit jedenfalls, wie Induktion und Abstraktion da-
mit begründet werden (sollen).
25. S. prinzipiell (Rep. II, q. 12–13 OT V p. 289 lin. 14f): „quaelibet intentio creaturae causa-
ta a deo potest a creatura causari partialiter, licet non causetur de facto.“ Göttliches Handeln
und menschliches Vermögen widersprechen sich nicht. An der Stelle begegnet Ockham dem
Einwand, dass wenn Gott die intentio unius creaturae singularis rei bewirkt haben sollte, da-
mit noch nicht die Erkenntnis einer anderen ihr ähnlichen verursacht sei: der auf ein singula-
re bezügliche Begriff sei noch nicht bezüglich anderer ähnlicher res – definit- bewirkt. Nach
Ockham wäre die Identität des Begriffs im Sinne der Abstraktion weder bedroht noch aufgeho-
ben. Die Einwirkung Gottes, die argumentativ oder real der Abstraktion des Begriffs entspräche
bzw. sie fortsetzte, kann die naturale Entstehung des Begriffs weder ein- noch ausschließen. Die
Abstraktion steht so gegen die Implikation. Der Einwand kann nicht schlüssig sein. Abstrak-
tion und Allmacht sind kompatibel. Letztere wird auch nicht durch das Widerspruchsprinzip
begrenzt.
26. Das ist besonders entschieden und methodisch direkt gegen Kant gerichtet bei Maimon der
Fall, der mit seinen Operationen, Auslegungen und Deutungen sich eng an den elementaren
Aussagesatz anschließt und ihn so vollwertig als Operation und Erkenntnis ansieht wie auch
schon die Infinitesimalrechnung; sie erklärt er vergleichend nach aristotelischen Kategorienbe-
griffen.
27. Cf. z. B. Rep. II, q. 12–13 OT V p. 257 lin. 12–15 E. „nec formatio complexi nec actus assenti-
endi complexo est cognitio intuitiva. Quia utraque cognitio est complexa cognitio intuitiva est
incomplexa.“ Natürlich kann auch die notitia abstractiva eine notitia incomplexa sein, daneben
aber auch eine notitia complexa. Sie ist in dem Sinne actus apprehensivus. Die notitia intuitiva
umfasst actus apprehensivus und actus iudicativus: für Begriffe, d. i. incomplexa.
28. Rep. II, q. 20 OT V p. 430 lin. 14–19.
374 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
similiter. Et similiter, sicut angelus vel lapis totus similis et semel producitur et manet
et non pars post partem, ita intellectio et volitio per omnia.“29
Wenn die Gesamtstruktur des Denkens und die einzelnen Faktoren (Größen
o. ä.) darin, kausal geordnet, immer bloß durch Kontingenz (oder Kontingenzen) be-
stimmt ist, können die internen Beziehungen der Faktoren nicht im zwangsläufigen
Erfolgen (so dass sie auftreten müssten) des je zweiten ens verstanden werden, sobald
ein bestimmtes anderes als erstes gegeben ist. Et vice versa. Es lässt sich auch nicht
denken, dass ihr Verhältnis anders als das der substantia oder essentia zum accidens
sich ausnimmt. Es gibt bei einem solchen Verhältnis weder elementare noch reflexi-
ve Aussagen, die unbedingt als notwendige zu begreifen wären.30 Das Verhältnis der
Größen wird dann jeweils induktiv bestätigt werden können oder müssen. Dabei wird
die Feststellung oft bloß mit einem ‘probabile est’, einem ‘potest persuaderi’, einem ‘non
est inconveniens’ einem ‘non est magis ratio quod (non)’, einem ‘ad istud est ratio suf-
ficiens’ oder einem ‘non potest esse quin’ eingeleitet.31 Dabei gilt im einzelnen unter
29. Auch R. Descartes, Gespräch mit Burman. Zur Ersten Meditation. 1982, pp. 10–11 hat dem
Verstandesakt eine Dauer zugeschrieben.
30. Wenn Duns Scotus oder Spinoza more geometrico deduzieren, formal gesehen also analy
tisch, indes mit dem Unterschied von modus compositivus (Scotus) vs. modus resolutivus
(Spinoza), soll auch nach der Absicht beider die inhaltliche Ergänzung oder Beziehung der Ter-
mini vermöge der Deduktion selbst für notwendig gehalten werden – an und für sich vor der
Deduktion und zugleich wie nicht empirisch über sie entschieden werden könne. Modus com
positivus und modus resolutivus werden dann auch synthetisch und analytisch genannt. Den
Unterschied macht Thomas von Aquin, in der Neuzeit bei Galileis Lehrer Zabarella, cf. W. &
M. Kneale, 1966 p. 306, die hinzufügen (p. 307) „it can hardly be said that he has indicates a
new programme for scientific advance.“ Und (ib.): „he does not consider how we may acquire
the major premiss from effect to cause.“ Nach K. Vorländer, Geschichte der Philosophie, III, 1965
p. 33 nennt er die Induktion (neben der Deduktion) als entscheidendes Erkenntnisverfahren.
Spinozas sog. ‘mathematische’ Beweisform stieß bei Goethe auf Enthusiasmus, bei Bismarck
auf Skepsis, bei Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, § 5 auf eine Invektive: er hat Spinoza die Be
strebung zur strengen ‘mathematischen’ Form als Panzer und Maskerade ausgelegt, mit der ein
‘Schüchterner’ habe erschrecken und die ‘unüberwindliche Athene’ nachahmen wollen. G. W.
Leibniz, Kleinere philosophische Schriften, 1883 p. 229 in den ‘Betrachtungen über die Lehre
von einem allgemeinem Geiste’ (1702) nennt Spinozas Beweise ‘„kläglich“ oder „unverständ-
lich“’. Spinozas Beweise folgen im Verhältnis von subiectum und praedicatum im Satz, bei viel-
leicht unbestimmter Satzart mit dem zusätzlichen Tenor von Causalitas einer Reihe sukzessiv
eintretender definitiones passionum im Verlauf der deduktiven Darlegungen; es wird implizit
Kausalität untersucht und bewertet. Ist es ‘einerlei’ Kausalität und wie steht sie technisch zur
Deduktion?
31. Das Ökonomieprinzip unterbindet ebenfalls den Rückgriff auf die (fiktive) Realität im Sinn
einer präsumtiven ‘Notwendigkeit’ und zwar da, wo keine Erfahrung von ihnen gegeben ist
und kein Argument Verbindungsgrößen als unentbehrlich sichert. Der Verweis auf das Ökono-
mieprinzip kann wegfallen, cf. Rep. II, q. 12–13 OT V p. 295 lin. 13 – p. 296 lin.: „Ad aliud dico
quod non requiritur ante actum intelligendo aliqua assimilatio praevia quae fit per speciem.
Kapitel 8. Glaube und Welt. Im Vorhof der Naturphilosophie 375
allen Faktoren oder Größen immer eine feste und eindeutige Ordnung und entspre-
chend auch die ratio sufficiens (oder causa sufficiens) für die Existenz eines jeden:32
„Omnis effectus naturaliter producibilis ex natura sua determinat sibi quod produ
catur ab una causa efficiente et non ab alia, sicut determinat sibi quod producatur
in una materia et non in alia.“ Dem Objekt sind causa efficiens und causa materialis
eindeutig und unverwechselbar zugeordnet. Von causa formalis und causa finalis ist
nicht die Rede. Das deutet eine Modernität an. Denn es herrscht Einverständnis darü
ber, dass in der modernen Wissenschaft von den vier aristotelischen causae bloß die
causa efficiens als Bewusstseinsgröße erhalten geblieben sei.33
Bei den Relationsbegriffen, wie creatio, volitio, intellectio etc. tritt der Fall auf,
dass eine Substanz vermöge der Akte, die sie selbst tätigt und dieserart bewirkt,
an die Sphäre dessen, was in Bezug auf sie bloß akzidentell sein und ihr nicht
(innerlich)angehören kann, vermittelt wird.34 Die ‘duratio’ ist nicht ein bestimm-
tes Element einer essentia, etwa der des Engels:35 „dico quod Deus potest destruere
unum angelum et eius durationem, et unum sine alio, quia in diffinitione exprimente
quid nominis durationis angeli ponitur aliquid distinctum ab angelo, et ideo potest
utrumque vel unum sine alio destruere.“36 Messungen der Dauer beziehen sich auf
empirische Konstellationen, die in sich wandelbar sind und keineswegs von Ewigkeits
wert. Für Ockham gibt es Messung der Zeit in ihr selbst nicht:37 „Sed loquendo de
Sed sufficit assimilatio quae fit per actum intelligendi quae est similitudo rei cognitae.“ Zur spe-
cies bei Aristoteles s. ib. p. 291 lin. 19 – p. 292 lin. 6): „ad omnes auctoritates philosophi (Aristote
les) dico quod accipit speciem pro actu vel habitu. Hoc patet quia commentator (Averroes)
nunquam nominat speciem. Sed semper ubi philosophus dicit speciem, ipse nominat formam
et accipit formam pro intellectione vel habitu.“ Das soll so weit gehen, dass forma überhaupt
das Vermögen des Menschen besage (ib.): „Et quando dicit quod est locus specierum, verum
est, quia subiectum intellectionum et habituum.“
32. Rep. II, q. 12–13 OT V p. 288 lin. 8–11.
33. N. Luhmann, 1968, 1973 p. 9 forderte einen Rückgriff auf die alte Metaphysik: die alten
Terminologien seien nur vorübergehend außer Geltung gewesen. Der wissenschaftliche Fort-
schritt setze sie wieder in ihr Recht ein.
34. Relationsbegriffe per se sollen nicht vorab sich im Sinne der engeren Zugehörigkeit zu ei-
ner substantia oder essentia werten lassen; es bedarf der Deutung oder des Arguments um die
‘Verankerung’ in der substantia (essentia) zu erklären; sie kann eben auch abgewiesen werden.
Dabei können ‘forma’, ‘res’, ‘causa’ etc. mitspielen.
35. Rep. II, q. 8 OT V p. 160.
36. Man sieht, wie Ockham mit der potentia divina absoluta supranaturaliter loquendo sich
auf eine ‘Nominaldefinition’ bezieht. Diese galt hier dem accidens und subtrahiert so von der
essentia oder substantia, in deren Sinn sie keine Realdefinition gibt. Es geht also insgesamt um
eine Ausschlussoperation.
37. Rep. II, q. 11 OT V p. 236 lin. 18–20.
376 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
mensura durationis, sic dico quod angeli mensurantur per tempus et non per aevum,
quia aevum nihil est.“
Wenn die notitia und die ratio mit ihrem Füllglied, etwa dem Begriff, nach sei-
ner Satzstellung (z. B. subiectum, etc.) induktiv keine Folge im Sinne der Kausalität
haben müssen, die identisch das Glied ergäbe, das aus diesem Begriff zu folgen hätte,
wiewohl dieses Glied virtuell mitgegeben ist, so gilt dasselbe nicht vom habitus. Der
habitus in se erlaubt den actus oder habitus eines Folgegliedes:38 „dico primo quod
habitus adquisitus ex actu circa principium tantum est alius ab habitu conclusionis.
Primo, quia semper causa distinguitur a suo effectu.“ Das Argument ist induktiv und
synthetisch, indem es von einem Ende her operiert, das nicht mehr effektiv oder spe-
zifisch benannt werden muss. So setzt Ockham denn hinzu:39 „sive sit causa per se
sive causa per accidens; sed aliquo istorum modorum habitus principii est causa res
pectu habitus conclusionis.“ Ockham hat also nicht konstatiert, welche. Damit ist aber
naturgemäß noch nicht die Kausalität in facto bewiesen. Wird eine solche Kausali
tät angenommen, so ergibt sich, dass der habitus conclusionis nicht aus dem habitus
principii (kausal) folgen kann. Die verschiedenen ‘Beweise’ sind hier voneinander ab-
gesetzt. Dass sich da verschiedene Beweise inhaltlich, begrifflich und sprachlich nicht
ins Gehege kommen, womit sie notfalls sich widersprächen, muss dem entsprechen,
dass sie mit sich die Begriffe und Beziehungen definit definieren. Auch in dem Sinn
ist ein einzelner Beweis negativ. Seine Konsequenz gegenüber anderen Beweisen ist
negativ und umgekehrt sie gegenüber ihm.
Mit der causa oder conditio per accidens muss die Vorstellung verbunden wer-
den, dass sie bloß causa oder conditio sine qua non resp. necessaria ist. Sie ist damit
causa oder conditio des Umstands (Begleitumstands). In diese causa per accidens
oder ihre Materialität hinein verläuft eine das Materielle niemals abstrakt oder be-
grifflich fassende reine Anordnung oder Folge von causae o. ä. Der induktive Beweis
oder Beweisgrund operiert wieder aus der Erfahrung oder lehnt sich, sei es förmlich
oder fiktiv, an sie an. Die Entscheidung darüber ist unerheblich, ja sogar in dem Sin-
ne hinfällig, als die Fixierung und Aufgliederung des Empirischen nicht in logischer
Form unter Zuhilfenahme von Junktoren erfolgen kann.40 „Probatio istius: quia posi
to quod aliquis adquirat habitum ex actibus circa principium tantum et post simul
cum altero principio, quod erat altera praemissa, applicet ad conclusionem, sciet ip-
sam evidenter, et non sine habitu principii. Ergo habitus ille est aliquomodo causa
notitiae conclusionis, mediata vel immediata, per se vel per accidens.“ Die strenge
Unterscheidung für die Induktion und in der Induktion entfällt also. Die causa er-
schließt niemals aus sich, d. i. inhaltlich, den effectus. Daher ist auch der Rückschluss
ex effectu ad causam noch nicht gegeben.
Wie der habitus selbst dem actus zugeordnet ist, ist die Frage, insofern die actus
oder dasjenige, dem sie gelten oder aus dem sie entstehen, de facto nicht im Sinn der
Komposition oder dieser folgend erkannt werden können. So gilt denn auch, dass es
von Prinzip und conclusio gemeinschaftlich einen habitus geben kann:41 „dico quod
principiorum aliquorum et conclusionum potest esse idem habitus. Hoc probatur:
respectu quorumcumque est natus esse unus actus, respectu eorundem potest esse
unus habitus, quia non repugnat syllogismo composito ex multis propositionibus
intelligi uno actu quam propositioni compositae ex multis terminis, sed proposi-
tio intelligitur uno actu; ergo etc.“ Die Deckbegriffe wie notitia, habitus, actus, ratio
etc. haben eine ‘faktische’ Bedeutung hinsichtlich der Induktion, bzw. der Synthesis
und deren Pendant, dem Widerspruchsbeweis, sonst keine. Auf der Stufe der Sekun
därbegriffe geht der Nominalist Ockham nicht von einem unbedingten Sinn der
Begriffe aus, zielt auf die significatio, wenn es darum geht, ihnen nach und mit Induk
tionen vergleichsweise, also im argumentativen Gebrauch, diesem immanent, einen
insofern beschränkten ‘Sinn’ einzuräumen.42 Er argumentiert damit aber auch nicht
bloß persuasiv, wie er es für feste theologische Thesen anstrebt, und eventuell einzig
möglich hält, sondern er hat implizit in der Induktion den Sinn der Begriffe auch
immer aufgelöst und kennt daher jeweils mehrere Thesen, die mit voneinander sehr
subtil getrennten Beweisen einhergehen müssen. Sie ‘widersprechen’ einander auch
nicht nach irgendeinem faktischen Begriff von Widerspruch. Die Begriffe sind weder
a priori noch a posteriori auseinander herleitbar. Die These, die widerlegt wird, der
also widersprochen wird, erhält mit ihrer Auflösung formell synthetisierte Begriffe zu
gewiesen. Es kann auch immer angenommen werden, dass den reprobierten Thesen
eine Konsequenz entspricht, in welcher mit einer logischen Ordnung auch eine ge-
nealogische der Begriffe für ihren Gebrauch unterstellt wird. Induktion bedeutet im-
mer auch ‘Widerlegung’ nach einer Kompaktheit von Sinn, der negativ ist und nicht
in sich widersprüchlich.43
In vielen Fällen aber wird der Bezug auf die res extra in dem Sinne negiert oder
abgeblockt, als die scholastische Terminologie, die Ockham gebraucht, eine eige-
ne multiplicitas bedeutet, mit der man in das Subjekt steigt:44 „habitus non respicit
obiectum nec in ratione obiecti nec in ratione causae nisi mediante actu. Quod non in
ratione obiecti patet, quia non aliter inclinat ad obiectum nisi quia inclinat ad actum;
nec causatur ab obiecto nisi mediante actu. Ergo ex identitate obiecti vel diversitate
non debet argui diversitas vel identitas habitus nisi mediante diversitate vel identitate
einen konsistenten Zusammenhang nicht haben können, der zugleich in facto als em-
pirischer sich ausnähme. Sie würden indefinit erscheinen. Damit steht er gegen die
theologische Überhöhung und befestigt die Annahme, dass es eine Erkenntnis Gottes
in se für uns nicht geben könne. Das hatte so schon Duns Scotus gesagt,49 wenn auch
unabhängig von jeder in die Darstellung selbst eingebetteten Schlüssigkeit: „Theolo
gia nostra est habitus non habens evidentiam ex objecto; et etiam illa quae est in nobis
de theologicis necessariis non magis, ut in nobis, habet evidentiam ex objecto co-
gnito quam illa quae est de contingentibus. Igitur theologiae nostrae, ut nostra est,
non oportet dare nisi objectum primum notum, de quo noto immediate cognoscantur
primae veritates.“ Dies kann derart natürlich nur sein oder gelten, wenn wir mit der
logischen Beweisführung, an sich oder fiktiv genommen, keine Größen zu ersinnen
oder zu finden hätten, die ‘definitermaßen’ die Stufe unserer Begriffe, seien sie nun em
pirisch oder abstrakt, überstiegen. Insofern wollen alle Scotischen Erläuterungen, die
Kontingenz und Abstraktion nebeneinander- oder einander entgegensetzen, nicht zu
viel besagen:50 „Illud primum est ens infinitum, quia iste est conceptus perfectissimus
quem possumus habere de illo quod est in se subjectum primum, quod tamen … non
continet virtualiter habitum nostrum in se nec multo magis ut nobis continet ipsum
habitum. Usw.“ Der entscheidende Unterschied ist für Duns Scotus, dass trotz der
Gleichheit der theologia in se und der theologia ut nobis nota, letztere nicht evidens
quoad objectum ist.51 Die Begründungen des Duns Scotus stellen ‘Folgerungen’ dar
(= bestehen aus ihnen), bei denen ein Mangel (= Ungefülltheit) im Sinne einer Unwi
dersprechbarkeit sich beglaubigen lassen können soll.52 Duns Scotus sagt hier eindeu
tig, dass der Begriff (von Gott) nicht den habitus – virtualiter – enthalte, den wir de
facto bezüglich des Begriffs haben, so dass wir mit ihm nicht Gott denken können.
Das aber wiederum wäre eine Annahme, zu der uns a limine nichts vermögen soll-
te. Ockham trennt habitus und Gegenstand (Gott); aber er reflektiert nur noch den
habitus, bzw. den ihm zugehörigen actus apprehensivus und kann so noch von der
erkenntnistheoretischen Fragestellung allgemeiner wieder sich lösen. Duns Scotus
will aber an dem Aspekt einer in sich gewissen theologischen Erkenntnis festhalten.
Dieser Gesichtspunkt entfällt bei Ockham: es gibt nur noch den Gesichtspunkt einer
in sich nicht notwendig zweifelhaften, i.e. rundherum – per abstractionem, so wie wir
sie schildern, – hypothetischen ‘Erkenntnis’. Hier gelten die Formeln: ‘potest persua-
deri’, ‘non est inconveniens’, ‘non est magis ratio quod non’ etc. Da mag man Apologie
sehen: wegen der eindeutig intensionalen Fixierung weit mehr apologetisch als bei
Duns Scotus, der einen extensionalen Wert akzeptiert. Doch ist die technische Form,
worin Ockham sich präsentiert, prima vista des Apologetischen entkleidet. Diese Sa-
che lässt sich grundsätzlich klären oder bestimmen.
Denn der habitus erst ist oder hat bei Ockham die Allgemeinheit des ‘Begriffs’
und zwar ohne dass eine Implikation von ihm zu irgendetwas führte. Indem es diese
Implikation nicht gibt, bezieht sich der Begriff auf die Definitheit. Der habitus – i.e.
der Begriff vermöge des habitus – bezeichnet (die) Allgemeinheit, welche – qua ab-
stractio – den Begriff an die Stelle der Inhalte setzt, die sich denken ließen. Er ist die
Größe, die unabhängig von ihnen ist und entsprechend ‘induzierbar’. Zwischen Duns
Scotus und Ockham kehren sich daher fast zwangsläufig die Stellung und der Rang
des Begriffes im Allgemeinen und des habitus um. Ist dieser noch bei Duns Scotus,
wie oben ablesbar, ein Hilfsbegriff, wird er bei Ockham der Gewichtung nach Haupt-
begriff; war es bei Duns Scotus wegen der Rolle des Begriffs habitus als Hilfsterm
ganz unklar, ob mit seiner Hilfe, wie er nämlich in der Form einer Implikation auf
trat, überhaupt etwas sich ermitteln lassen würde, wird er bei Ockham inhaltlich wie
eine relatio gefasst, unabhängig von Implikation; er tritt in seiner abstrakten (abstrak
tiven) Bedeutung gegenüber kontingenten Umständen und in der Abhängigkeit von
Induktionen in Funktion.
Wenn jedoch, wie angedeutet, die Beschreibungsbegriffe für den Erkenntnisakt
und die Menge der möglichen Erkenntnisse in anima und ihre Verteilung und Zu-
ordnung ad libitum sind, also Begriffe wie notitia abstractiva, actus apprehensivus,
notitia intuitiva, habitus, actus assentiendi und actus iudicativus formell auch aus-
getauscht und anders definiert werden können, mithin über ihre Reichweite nicht
entschieden ist, in welcher je der akzidentelle Belang potentiell variabel wird wenn
Fixierungen quasi empiriewertig als fallaciae nachweisbar sind, die zur Umgestaltung
des Ganzen bewegen, weil nur so missliebige Folgerungen abgewehrt werden kön
nen), so entsteht mit dem darin immanenten Bezug auf die Realität, der indes rein
negativ ist, das Logische, i.e. das genuin logische Interesse Ockhams, als Ausschlie-
ßung von Realbezügen. Die Logik reguliert nicht den Realbezug; sie vermeidet ihn
nach bestimmten Vorzeichen: Er fällt mit der Exklusion zusammen und danach kann
es eine wirkliche Logik des Schlussfolgerns nicht mehr geben. So gesehen kann bloß
der Bereich des Akzidentellen nicht gestaltet werden. Für ihn gibt es dann auch kei-
ne suppositionslogische Erschließung und Regulation.53 Deren Aufgabe kann bloß
die Festlegung der Determinatheit sein. In diese Aufgabe werden so gesehen auch
die erkenntnistheoretischen Fixierungen einbezogen. Der Einbezug der Induktion in
die Verfahren der Erstellung und Sicherung der Ansichten, auch die Formen und
dies im Umkreis von Widerlegung, persuasio, instantiae (empirischen Charakters)
53. Ockham gibt etwa mit „modo compositionis“ und „modo divisionis“ keine differente Klas-
sifikation von Sätzen (bzw. der Begriffe darin) im Sinn von Bedeutung. Die Unterscheidung
reflektiert den Ausschluss der Bedeutung im Sinne der formellen Identität mit der significatio.
Die Differenz ist keine realiter bezogene oder abgestützte; sie definiert intensionale Satzbewer-
tungen. Ockham identifiziert zuletzt beide als ununterscheidbar.
Kapitel 8. Glaube und Welt. Im Vorhof der Naturphilosophie 381
macht keinen relevanten Begriff normativer Logik sichtbar. Wo eine solche tenden-
ziell bei Ockham angestrebt wird, rückt sie in die Nähe der Ausschließungsverfahren
und die Absicht Definitheiten herzustellen.54 Die Begrenzung des Willens bzw. der
Schöpferkraft Gottes im Widerspruchssatz aber muss absolut oder inhaltlich gesehen
besagen, dass im Sinne einer Folgerung über den Widerspruchssatz oder ein Wider
spruchsmoment, das dann inhaltlich noch nicht ausgewiesen wäre55 und bezüglich
seiner Anhaltspunkte im Realen unbestimmt, festgestellt werden könnte, dass eine
gewisse Folgerbarkeit alias Konsistenz nicht bestehe.56
54. Für Ockham ist jede Nichtidentität, die als solche der Begriffe, das heißt: intensional, erschei
nen können soll, notwendig Nichtidentität a parte rei. Letztere muss aber nicht ex se angegeben
und bestimmt werden. Es ist klar, dass er damit von den Realisten usw. sich unterscheidet, die
immer nur mit der förmlichen ‘Übereinstimmung’ des intensionalen oder auch ‘modalen’ Be-
stimmungsfaktors und der realen Zielkomponente einer Klassifikation in rebus extra oder pro
rebus extra zu operieren vermochten: Cf. W. Chatton, Rep. I, d. 3 q. 2 ed. G. Gál, Fr. St. 27, 1967,
pp. 199–212, p. 200: „Sed nihil per idem quo convenit cum aliquo differt ab eodem, aliter non
esset via investigandi differentiam inter esse genus et differentiam, et tunc Deus sine composi-
tione posset esse in genere.“ Dagegen Ockham Ord. Prol. q. 2 OT I p. 103 lin. 21 – p. 104 lin. 2:
„Sed si nulla penitus sit distinctio inter divinam essentiam et intellectum et actum intelligendi,
nihil imaginabile potest exprimi per unum conceptum (magis) quam per alium, igitur uterque
erit quidditativus vel neuter.“ Auch essentia und Attribut können so nicht geschieden werden.
Sie müssen beide denselben Gegenstand ganz abdecken, indes über eine Referenz geschieden (ib.
p. 104 lin. 2–5): „Si dicatur quod exprimit idem non eodem modo, contra: non potest assignari
talis diversitas modorum nisi aliquo modo propter aliquam non-identitatem a parte rei.” Die Ar
gumente seiner Kontrahenten müssen daher in irgendeinem Sinn explizit falsch oder indefinit
sein. Erst indem sie dies sind – was Ockham beweist –, entsteht mit den Beweisen, die er führt,
seine Konzeption, die auf den Beweisen beruht und sie kanonisiert. Die Beweise selbst stehen
den Abstraktionen nah und gehen in sie ein und umgekehrt.
55. Wenn wir von Gott sprechen, müssen wir miteinander übereinstimmend den Aspekt Got
tes in Gott (i.e. Handeln und Denken im Verein) und unseren Aufblick darauf geben können.
56. Dabei muss Gott nicht notwendig mechanistischen Zwängen unterliegend gedacht werden,
wie H. Blumenberg, 1966 im Glauben unterstellt, erst damit der logischen Folgemäßigkeit Rech
nung zu tragen. Gott ist gerade im Sinn von Ockhams Abstraktion und wie diese gegen Kon-
sistenz und abirrende Folgerungen gesichert wird, von der analytischen Zwanghaftigkeit nach
Aussagen, die ihm gelten, freigehalten worden. Es entspricht dem Abstraktionsmodus, mit dem
Ockham alle Aussagen, Begriffe und schließlich auch die erkenntnistheoretischen Leitbegriffe
wie notitia intuitiva, notitia abstractiva usw. konstituiert. Eine andere Frage ist, ob Kausalität
in logische Aussagen eingeschlossen gedacht werden kann. Wenn das nicht der Fall ist, und bei
Ockham ist es nicht der Fall, gibt es keinen Grund, die Zwangsmäßigkeit göttlichen Handelns
als aus begrifflichen Annahmen folgend zu unterstellen. Ockham nimmt sie nicht einmal bei
der scientia futurorum contingentium an.
382 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Das Geflecht der Faktoren, die psychogenetisch die Erkenntnis aufbauen und die
kausale Beziehung zwischen ihnen einbeziehen, umfasst auch die res extra animam
und diese ist nach Ockham strikt singularis. Sie heißt singulare:57 „dico quod obiectum
motivum intellectus est praecise singulare. Et dico quod omne singulare est motivum
intellectus, quia omne singulare potest intelligi notitia intuitiva, quantum est ex natura
animae et intellectus nostri.“ Es muss aber das singulare sein, das in der notitia intui-
tiva die Erkenntnis verursacht und über sie der intellectio nahegebracht wird.58 „Sed
ad notitiam intuitivam requiritur quod ipsa res cognita intuitive causet intellectionem,
quia aliter non posset illa res naturaliter cognosci intuitive, igitur quodlibet singulare
est motivum ipsius intellectus ad sui ipsius notitiam intuitivam.“ Damit ist natürlich
auch die Unterschiedenheit verschiedener notitiae intuitivae unterschiedener singu
laria gegeben und folglich auch die Wiederholbarkeit der notitia intuitiva von gleich
artigen res singulares, also einander ähnlichen Objekten, für die im Sinne der notitia
intuitiva, die einen actus apprehensivus und einen actus iudicativus59 umfasst und so
bei kontingenten (empirischen) Sätzen die Verifikation vornimmt, kein Widerspruch
besteht.60
Die res singularis wird durch die notitia intuitiva an den Intellekt vermittelt, der
wie Ockham gemeinhin sagt, zur intellectio die species erübrigt. Die Erkenntnis findet
rein im Medium des Verstandes statt und keineswegs in dem des sensus. Der Intellekt
als Vermögen und seine intellectio sind durch die Abstraktion bestimmt und in ihm
gibt es eine notitia intuitiva, die von der notitia intuitiva sensitiva zu unterscheiden
und zu trennen ist, die eben nicht ‘erkennt’.61 Dabei bleiben intellectus oder anima
und res extra getrennt:62 „dico quod res extra non est mensura actus intelligendi sed
veritas in intellectu mensuratur veritate quae est in re, quia in ‘eo quod res est vel non
est’ etc. et non est res mensura actus assentiendi secundum substantiam suam, sed
solum quod denominatur a veritate cui assentit: et veritas in re distinguitur a veri
tate in intellectu sicut res a ratione.“ Zwischen res und ratio wird also eine distinctio
realis angenommen. Das bedeutet, dass jene Akte, die in den Verstand fallen, also
actus intelligendi, actus assentiendi, die habitus usw. von der Sphäre der res extra ani-
mam immer verschieden sind, und weder durch Bestimmungen noch in der Form
der Beweise kann sie in die Verstandessphäre eintreten. Würde das geschehen, würde
alle Induktion aufhören et vice versa: bei Trennung beider Sphären muss die Indukti-
on als Beweisverfahren zwangsläufig werden, bzw. immer inhärent erscheinen. Wenn
wir mit Ockham vom Objekt (extra animam) als einer causa (partialis) der Erkennt
nis (intellectio) sprechen, so soll diese doch nicht ex obiecto konditioniert werden,
derart, dass der Gehalt der Erkenntnis praktisch, diese definierend, als Element im
Objekt wiedergefunden werden könne.63 Das wäre die realistische Position (in der
61. Cf. Rep. II, q. 12–13 OT V p. 285 lin. 21–23: „et sensus non potest cognoscere materiam.
Mirabile enim esset ex quo materia est res aliqua positiva, si non posset apprehendi ab aliqua
potentia.“ Dabei wäre eben der sensus bloß mit der res singularis, also vielen singularia befasst,
die er ja in irgendeiner Weise bei der Wahrnehmung in irgendeiner Weise körperlich ‘berührt’.
(ib. lin. 13–15): „intellectus abstrahit a conditionibus materialibus quia intellectio est subiective
in intellectu (was der Begriff als universale noch nicht ist, wenn er als fictum oder obiectivum
esse, ‘Gegenstand’ der intellectio ist, es sei denn er werde hypothetisch selbst intellectio und
subiectivum esse genannt) non extensive in aliquo composito sicut organo corporali.“ Diese
Abstraktion findet allein im Verstand und mit der intellectio statt (ib. lin. 15–17): „Et potest
sic intelligi dictum commune de abstractione a conditionibus materialibus quod ‘intellectus
abstrahit’ etc.“ Der Verstand setzt aber die sinnliche Wahrnehmung voraus (ib. lin. 4–6): „natu-
raliter nihil intuetur intellectus nisi mediante sensu existente in actu suo.“ Jedoch gilt eindeutig
(ib. p. 286 lin. 4–5): „nihil potest intelligere nisi abstractum a materia, sic quod non indiget
organo corporali ad intelligendum.“
62. Rep. II, q. 9 OT V p. 176 lin. 7–12.
63. Derart ist die ratio intellectionis denn auch unabhängig von der res extra, der sie doch gilt
und von der als causa partialis sie abhängt. Es ist zu betonen, dass dies die Induktion als Met
hode und entscheidendes methodisches Bindeglied begründet. (Ord. d. 35 q. 2 OT IV p. 441
lin. 8–11): „praeterea in nobis non semper intellectio causatur ab obiecto, sed aliquando causa-
tur aliquando non. Ergo non est de ratione intellectionis causari vel dependere ab obiecto. Ergo
poterit esse intellectio quamvis non dependeat ab obiecto.“ ‘Ratio’ gehört in die Abstraktion.
384 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Universalienlehre). Nun kann aber so auch nicht die oder eine logische Begründung
für die Erkenntnis derartig aus dem Objekt geschöpft werden. Das Objekt ist in seiner
Rolle für die Erkenntnis beschränkt auf eine bloße Erscheinung ohne eigene Erschlie-
ßung. Die Erkenntnis erstreckt sich vielmehr nur auf das Verhältnis der Verstandes-
dimension zur Gegenstandswelt und ist mit dieser Erstreckung methodisch durch
die Begründung bestimmt und ‘ausgeschöpft’, die sich dafür geben lässt. Es wird also
induktiv oder in der Form der persuasio immer nur dieses Verhältnis genannt und
begründet und indem es als formelles besteht, besteht es (nach der Induktion und
der persuasio) formell auch inhaltlich. Was darin entfällt, ist sachlich erkenntnisirrele
vant.64 Dafür gibt die Naturphilosophie Ockhams dann noch einen eigenen Beleg ab.
Der ordo conceptuum (oder besser: ein ordo conceptuum) kann damit nach
Ockham nicht mehr von Interesse oder nicht mehr möglich sein. Er wird für die
Demonstrationslehre von Ockham nicht angenommen und diesbezüglich innerhalb
der von uns behandelten Argumentation nicht hergestellt. Für die Deduktionsweise
des Duns Scotus muss gleichsam das „A priori“ einer Ordnung der Begriffe immer
unterstellt werden, derart, dass sie dann durch die Deduktion und Beweisführung
wahrgenommen und eingelöst würde. Es wäre damit eine Ordnung, die durch die
Deduktion erst erlangt würde und zu Bewusstsein käme, gleichwohl aber den ‘Ak-
ten’ des Bewusstseins vorausläge, ohne dass dessen „‘A priori’“ selbst damit schon
genannt würde bzw. als an diese Ordnung vermittelt und angeschmolzen erschiene.
64. Zugleich gibt es ein Reich der Erweiterungen. Sie werden dann ebenso induktiv wie persua-
siv sei es ‘bewiesen’, sei es entschieden. Dabei entfallen im Sinn der persuasio scharfe Disjunk-
tionen, und dies sowohl ex parte rei (obiecti) wie bezüglich der intensionalen Formulierung
und Bestimmung der intellectio. So gelten nebeneinander (ib. p. 440 lin. 12f): „dico quod nullo
modo potest per rationem probari quod deus nihil aliud a se intelligat.“ Diese These ist relevant
in Bezug auf die Unterstellung, dass Gott überhaupt nichts erkenne, was außerhalb seiner sei,
weil er damit von etwa anderem als ihm selbst abhängig sei (cf. ib. p. 441 lin. 4): „sed omnis de
pendentia repugnat deo.“ Was, wollte man es als Einwand verstehen, weil es eine Beschränkung
Gottes bedeute, für Gott seinerseits zu bedeuten hätte, dass er von einer realen Nötigung ex
parte rei abhängen können müsse, die Ockham schon für den Menschen ausschließt und in ge-
nerali für unbeweisbar hält (ib. p. 441 lin. 6ff): „non potest probari quod omnis intellectio intel-
ligentiae moventis caelum dependet a caelo, et tamen illa intelligentia movet caelum.“ Wir sind
an einer Grenze scholastischen Erkennenwollens, -müssens und -könnens. Denn wir wollten
in scholastischer Immanenz ja Glaubenslehren unserm Verstand angleichen und vermitteln.
Das war seit den Zeiten Abailards und Anselms von Canterbury klar. Ockham sagt daneben
ib. p. 440 lin. 14f: „secundo quod non potest probari per rationem quod (Gott) intelligit omnia
alia se.“ Es folgt also nicht die weiteste Erstreckung aus der maximal begrenzten und formell
negativen Behauptung (oben), dass Gott nicht ‘etwas’ außerhalb seiner selbst Gegebenes nicht
erkennen könne. Aus dieser formell negativen und äußerst begrenzten oder bloß indirekten
Behauptung ‘folgt’ für Ockham nicht einmal direkt: „quod intelligit aliquid aliud a se.“ Es wird
vielmehr eigens persuadiert ib. lin. 15f: „Tertio (dico) quod potest probaliter probari quod intel-
ligit aliquid aliud a se.“ Das ‘potest persuaderi’ liegt auf der höheren, abstrakten Ebene, nicht auf
der gegenstandsgebundnen primären.
Kapitel 8. Glaube und Welt. Im Vorhof der Naturphilosophie 385
Es wäre damit auch unbekannt wer da und darin erkennte. Ockham argumentiert
allein für die Ordnung der Begriffe (im besonderen also gegen die Annahme eines
starren Gerüstes und einer inhaerentia, mutuellen informatio zwischen ihnen) nach
der Maßgabe des menschlichen Erkennens, wie es für den Verstand und in ihm ange-
nommen werden könne. Die Ordnung der Begriffe, die Ockham feststellt, besteht mit
deren Bewertung in Bezug auf Sätze. Deren Verhältnis aber bedingt nicht Vereinheit-
lichung, nicht Gleichartigkeit, nicht Zusammenhang, sondern Trennung und Dispa-
ratheit. Er ermittelt unter Verweis auf die tatsächlich in diesem Verstand vorliegenden
Sätze, nach deren Typus, und mit den wieder für diese Typen induktiv feststellbaren
Charakteristiken, dass es diesen ordo, über einzelne Sätze hinausgehend, nicht geben
könne. Damit ‘gibt’ es auch nicht die Deduktion. Es müsste, ist zu folgern, in der Scoti
schen immer einen Fehler geben, wenigstens ‘denjenigen’, den Ockham angibt: dieser
würde aus der Kenntnis der im actus mentalis bestehenden Tätigkeit des Verstandes
folgen. Dieser Beweis könnte in intensionalem Sinn für konstruktiv gehalten werden.
Man kann aber die Scotische Deduktionsart auch aus anderen Gründen bestreiten.65
Daneben ließen sich eventuell weitere intermediäre Fehler, Fallacien womöglich, auf-
finden.66 W. Chatton setzt einen solchen ordo conceptuum rein semantisch an, er
glaubt ihn beweisen zu können. Das versucht er in der Form von Widerlegung.67 Die
Frage ist, ob Ockham auf solcher Basis widerlegt werden könne.68 Daneben ist es die
65. Etwa wegen des Satzes von Löwenheim und Skolem s. Kap.3 Anm. 89, Kap. 5 Anm. 79,
Kap. 12 Anm. 56.
66. Zu unterscheiden von denen die Ockham als mangelnde Begründung eines intensionalen
Zusammenhangs der Begriffsarten bei Duns Scotus u. anderen Scholastikern anführt.
67. Z. B.: „((ad hoc, quod unus conceptus cadat in formali descriptione alicuius,)) non sufficit
quod de facto eadem res significetur per utrumque terminum, quia tunc haec esset ita per se
‘Deus est sapiens’, sicut ista ‘Deus est Deus’; et haec ‘Deus est pater’ esset summe per se, quia in
ter deitatem et paternitatem est summa identitas realis. Igitur praeter identitatem rei requiritur
ordo conceptuum, sicut quod sint conceptus eiusdem coordinationis praedicabilium vel quod
veritas praedicationis requirat per se, quod res significata per praedicatum sit quidditas vel pars
quidditatis rei significatae per subiectum, sed istae condiciones non accidunt, si illi termini
sic se habent inter se respectu compositorum, quod unus non cadit in formali descriptione al
terius. Igitur etc.“ Chatton, Reportatio et Lectura super Sententias. Librum Primum et Prologus,
ed. J. C. Wey 1989 p. 185 lin. 75 – p. 186 lin. 85.
68. Nimmt man beim Text aus Anm. 66 den eingeklammerten Teil hinzu, so könnte man den
Text für einen Beweis ex negativo halten, also für die Widerlegung der Behauptung, dass für
die genannte ‘descriptio formalis’ die Suppositionsvorschrift Ockhams genügen könne: eine
ziemlich absurde These, da das Suppositionspräskript gerade ohne eine Verbindung und Bezie
hung der Begriffe auskommt und nur auf den empirischen Fall einer sogenannten deiktischen
Identität (W. Kamlah/P. Lorenzen, Logische Propädeutik, 1967, p. 27, p. 39) rekurriert. Lässt man
den eingeklammerten Text aber weg, so kommt man allenfalls zu einer persuasio, und deren
Basis wäre, dass das Suppositionspräskript nicht genüge, weil es nicht die Wahrheit gebe oder
nicht auf sie rekurriere, was auch absurd ist, weil es sie gerade ersetzt, nicht anders als das
386 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Frage, wie weit semantische Grundlegungen des scholastischen Erkennens und der
scholastischen Sprachtheorie tragen können. Pinborg69 bemüht eine solche semanti-
sche Grundlegung für Ockham und überträgt Chomskys Transformationsgrammatik
unmittelbar auf Ockhams Erklärung elementarer Sätze.70
Man hat versucht, die Geburt der modernen Naturwissenschaft, nicht ohne sie
zum Fetisch zu machen, als mitverursacht von einer apokryphen Theologie auszu-
geben, die in ihrer Form als nominalistische Depravation alles Denkens zu dieser
modernen Wissenschaft einen katalytischen Zwischenzustand abgegeben habe.71 In
dieser nominalistischen Zwischenphase werden göttliches und menschliches Subjekt
mit- und aneinander entwertet, wobei der Deuter in der Projektion auf den Nomina-
listen ausgibt, was dieser auf Gott projiziert habe, um daraufhin psychisch, im Sinn
seiner verängstigten mittelalterlichen Befindlichkeit, heilsame Schlüsse zu ziehen und
in Ermattung und Entmutigung Ausfalltore sich zu eröffnen:72 „‘Die Welt ist nicht so
vollkommen geschaffen, dass Gott bei ihrer Erschaffung alles gemacht hätte, was er
machen konnte, obwohl sie wiederum so vollkommen gemacht ist, wie sie werden
konnte … Aber das Werdenkönnen dessen, was gemacht worden ist, ist nicht das
absolute Machenkönnen selbst des allmächtigen Gottes.’ Man kann greifen, dass dies
ein verzweifelter Versuch ist, die Faktizität als rationales Ärgernis zu beheben und
Widerspruchsmoment, das so auch nicht in Anspruch genommen werden könnte, so dass man
das Gegenteil erst noch zu beweisen hätte, was einen Zirkel ergibt, nicht anders als die Unter
stellung der Erforderlichkeit von ‘Wahrheit an sich und in rebus’.
69. J. Pinborg, 1972.
70. Dabei gibt es Schwierigkeiten auch bereits von der Seite des bemühten Vergleichsmodells:
Chomskys TG ist evtl. semantisch affiziert, der Form nach syntaktisch. Cf. N. Chomsky, As-
pekte der Syntax-Theorie, dt. 1969 p. 103: „Ich nehme durchweg an, dass die semantische Kom
ponente einer generativen Grammatik, ebenso wie die phonologische, rein interpretativ ist.
Daraus folgt, dass sämtliche in der semantischen Interpretation verwendete Information in der
syntaktischen Komponente der Grammatik dargeboten werden muss.“ Der Kalkül der Post
schen Sprachen muss zudem das ‘A priori’ der Vernunft oder des Verstandes, im Sinne der
Lehre von den ideae innatae, auch fiktiv und bildlich oder gleichsam in organischer cerebraler
Bedeutung darstellen (i.e. wiedergeben): denn während die Postschen Sprachen mathematisch
mit einer ganzen Anzahl von Kalkülen oder Algorithmen äquivalent sind, z. B. den Markoff
schen Ketten, sollen diese, wie J. J. Katz, Philosophie der Sprache, dt. 1969 p. 108f erklärt, nicht
zur Realisation des Chomskyschen Konzepts sich eignen, es also nicht darstellen. Es hat aber
kein generatives System, das für eine bestimmte Sprache vorgeschlagen wurde, bisher alle Sätze
dieser Sprache erzeugen können. Chomskys Modell ist daher höchstens in genere in einem
unbestimmten oder unbekannten Sinn effektiv. J. Hintikka und H. Putnam vermissten den se
mantischen Begriff von meaning in der TG, den Pinborg ihr gleichwohl entnommen hat.
71. H. Blumenberg, 1966.
72. Ib. p. 546f Das Zitat zwischen den einteiligen Anführungszeichen (Auslassung durch uns)
ist von Cusanus.
Kapitel 8. Glaube und Welt. Im Vorhof der Naturphilosophie 387
gleichzeitig die Personalität Gottes zu retten; aber gerade die Angestrengtheit dieses
Versuchs markiert den Weg, der statt auf die als unmöglich erscheinende Lösung des
Problems auf seine Eliminierung führt.“ Gott kann, wenn er die Welt schafft, bloß
etwas Zweitrangiges erschaffen; erstrangig ist er selbst. Das Problem kann nur um
den Preis einer petitio principii überhaupt aufgeworfen werden. Die gerade sucht
Ockham durch die in sich zweistufig angelegte und auf das menschliche Denken
selbst bezogene Abstraktion zu vermeiden. ‘Sich selbst’ kann Gott sinnvoll nicht er-
schaffen. Nicht er ist dabei – von einem Widerspruch – limitiert.73 ‘Unser’ Denken ist
es. Die Aussage, dass Gott sich selbst erschaffen könne, ist nicht determinat, und der
Widerspruch, den Gott als geschaffenes und absolutes Wesen ‘verkörpern’ müsste,
i.e. nicht sein könnend, koinzidiert damit, dass der Satz ‘Gott kann sich selbst nicht
schaffen’, sinnlos ist. Wir müssten den Satz aufstellen im Sinn einer Konsequenz, die
keine Prämisse hätte. Als Widerspruch so wenig ableitbar wie als sinnloser Satz. Zu
dem liegt eine petitio principii – innerhalb des Begriffs der Vollkommenheit – darin,
dass der Autor aus (einer Vielzahl von) quantitativen Momenten (nämlich vom mehr
oder weniger zum ganz und gar) zur Qualität aufsteigen müsste, die er als scheinbar
determinate gegenüber anderen Qualitäten an- und zugleich abzusetzen hätte, wäh-
rend die Quantitäten vermitteln und Zwischenzustände schaffen:74 der Scholastiker
Ockham kann eine Vielzahl von partiellen causae, und mithin casus, einführen, die
jede einheitliche Kausalrelation negieren und diese somit auch in ihrer vermeintli
chen Fragwürdigkeit suspendieren. Kontingente casus und wechselnde Zuordnungen
(Kombinationen) von causae heben alle Ableitungen und ‘Ausdeutungen’ auf Basis
mechanistischer Anschauungen auf. Für sie hat es dem Nominalismus nach keine Le
gitimation gegeben.75 Neuzeitlich aber war Kausalität als Verhältnis oder Unterschei
dung von qualitas und quantitas nicht zu klären.
73. Wenn Gott nicht einen zweiten Gott schaffen kann, gilt für Ockham der Widerspruchssatz
gerade nicht.
74. Mit dem infinitum actuale als Widerspruchsformativ denken wir qualitativ und abstrakt.
Die davon abgesetzte quantitative Steigerung kann, zumal via Gottes Allmacht, in infinitum
fortgesetzt gedacht werden.
75. Der Mechanismus kann nach Ockham ‘logice’ nicht fundiert werden. Neuzeitlich nicht in
der exakten Wissenschaft. Es ist sinnlos, je spezielle Standards wie „Kausalitätsdenken“ für
das Mittelalter, „Thomistische Ontologie“ für den Nominalismus und (Gadamer, 1935) „Aris
totelische Ontologie“ für den (antiken) Atomismus zu postulieren. Aristoteles war für seine
Ontologie gegen den Atomismus übrigens mit – mehreren – ihm sonst weniger genehmen
indirekten Beweisen vorgegangen. Das impliziert die Indefinitheit der ontologischen Termi-
ni. Allenfalls sie wären damit begründet (postuliert) worden, – neben dem Atomismus, den
Demokrit postulierte.
388 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Bei Ockham schließen sich die Begriffe gegen die Unmöglichkeit ab. Sie tun es
im Verein mit akzidentellen Bezügen und Bewandtnissen auf einer unterhalb ihrer
liegenden Stufe, welche sie in ihrer Abstraktheit nicht affiziert, sondern ihren empi-
rischen Gehalt per Bestimmung der Nichtwidersprüchlichkeit anschließt. Wir haben
ein intensionales Verhältnis, das auch die Empirie noch mit umfasst und sie innerhalb
des Bewusstseins hält. Es gibt keinen Ausgriff ad rem extra.76 Das gilt dann ebenso
für die naturwissenschaftlichen quaestiones wie für die theologischen Themen. Die
Struktur bei Ockham hebt den (unmittelbaren) Schluss auf die Realität oder Existenz
auf. Sie enthält ihn in diesem Sinne nicht, was bedeuten muss, dass Folgerung selbst
einem Widerspruch äquivalent ist, den wir genau im Sinn der mentalen und intensi
onalen Struktur oder Auffassung der Aussagen, aber auch der Schlüsse, mit Ockham
nicht anerkennen. Das gilt schließlich auch für den Begriff bzw. die Formel von der
Omnipotenz Gottes, welche in empirische Verhältnisse, gegen diese, in einem intensi
onalen Sinn gesehen, eingreifen könne: Gott kann immer nur was möglich ist:77 „om
nipotens idem est quod potens facere omnia factibilia.“ Das Machbare geht nicht aus
einem ‘Begriff ’ hervor, der die reale Welt überschritte und ihr gegenüber ‘über sie
hinausgehend’ ausschöpfend erschiene. Entsprechend kann nicht der Widerspruch
oder Widerspruchssatz determinans des Denkbaren sein. Auch Gott setzt nicht mit
seiner Omnipotenz die Machbarkeit oder ihre Grenzen. Es macht nicht Sinn, eben sie
selbst noch durch den Widerspruch und Widerspruchssatz determinieren zu wollen.
Gott macht einfach nicht, was einen Widerspruch einschließt. Das bedeutet gerade
nicht, dass durch eine Beweisführung, die einen Widerspruch ergäbe und erhöbe, hin
sichtlich gewisser Begriffe oder Aussagen auf die Unmöglichkeit für Gott geschlossen
werden könnte. Diese (oder die Widersprüchlichkeit) müsste mit der Definitheit der
Begriffe oder Aussagen zusammenfallen. Ockham gebraucht das Omnipotenzprinzip
gar nicht erst, wo ein ‘Widerspruch’ statuiert werden könnte, was immer das sei: ‘Deus
potest facere quod non includit contradictionem.’ Die Widerspruchsfreiheit determi
niert nicht die Omnipotenz nach deren intensionalem Verständnis:78 „omnipotens
non potest efficere omne illud quod non includit contradictionem, quia non potest
efficere deum.“79 Der Widerspruchssatz ist nicht terminus exclusivus der göttlichen
76. Dabei gilt für Ockham immer, dass der in sich abstrakte oder abstraktive Charakter des Be
griffs alias universale nicht die reale Geltung extra intellectum hominis ausschließt. Vgl. Ord.
d. 27 q. OT III p. 254 lin. 22: „Hoc tamen non assero quod non est de rebus extra.“ In der Seele
selbst, die wir bei der Begriffsbildung bis zum Verstand durchlaufen, worin der Begriff schließ-
lich ‘existiert’, wie auch immer bestimmt, schöpfen wir nicht alles was darin ist oder sein mag,
zu Begriffen und Aussagen. Was uns unbekannt bleibt, wird auch nicht Maßstab.
77. Ord. d. 20 q. unica OT I p. 36 lin. 17f (ib. p. 37 lin. 1: „factibile et factibilia distribuuntur et
non potentia“!).
78. Ib. p. 36 lin. 6f.
79. Dass es bei Ockham um intensionale Positionen geht, soll im Vergleich mit der opinio
seines Kritikers Walter Chatton kurz bewiesen werden. Ockham hatte als obiectum scientiae,
Kapitel 8. Glaube und Welt. Im Vorhof der Naturphilosophie 389
Allmacht, die er somit zu begrenzen hätte.80 Auch wenn die Größen des Heilsgesche-
hens einbezogen werden, gilt die Begrenzung dessen was Gott möglich sei durch die
distinctio realis (daran angeschlossen den Widerspruchssatz):81 „omnipotens tamen
potest efficere omne factibile quod non includit contradictionem et omne aliud a deo
quod non includit contradictionem.“ Der Widerspruchssatz realisiert die fehlende di-
stinctio realis. Bzw. deren Nichtberücksichtigung.82 Oder den Mangel einer distinctio
a parte rei.83 In einem solchen Fall ist dann die Widerlegung (reductio ad absurdum)
möglich, die aber an den Satz intensional angreift.
also des Wissens in der Demonstrationslehre, wo scientia = conclusio (im Syllogismus) ist, den
Satz selbst genannt. Chatton widerspricht (Sent I Prol. q. 5, ed. C. Knudsen, 25–24–27): „quia
conclusio non est obiectum scitum, sed res significata per eam, nec propositiones, syllogismi,
demonstrationes ((non)) significant conclusionem vel partem conclusionis, sed rem extra, ergo
res extra magis deberet dici subiectum scientiae.“ Das widerspräche Ockhams mentalistischer
Einstellung.
80. Bei der laxen Formulierung (Quodl. VI, 6, OT IX p. 604 lin. 13–15): „Quodlibet est divinae
potentiae attribuendum quod non includit manifestam contradictionem“ ist vorauszusetzen,
dass die Prädikation bereits erfolgte und sodann nur noch überprüft wird. Dann wird aber
die Implikation zwischen subiectum und praedicatum (im Beweis: notitia subiecti und notitia
passionis) wieder nicht angenommen werden können.
81. Ord. d. 20 q. unica OT IV p. 36 lin. 7–10.
82. Ockham sagt so (Ord. Prol. q. 1 OT I p. 71 lin. 10–12): „quod contradictio est Deum non
esse et tamen notitiam intuitivam Dei esse“, und fügt entsprechend an: „et ideo non est mirum
si sequatur inconveniens.“ Die Wirkung der potentia Dei absoluta bei der intuitiven Wahrneh-
mung von Objekten, die nicht existieren, muss nicht notwendig in der Erzeugung eines Scheins
von Gegebenheit ohne Ursache bestehen, sondern sie kann auch akzidentell darin bestehen,
dass Gott die Wirkung des Objekts unterbindet(Rep. III, q. 2 OT V p. 55 lin. 22 – p. 56 lin. 2):
„obiectum distans ab angelo et a me potest intuitive videri ab angelo et a me, etiam si per po-
tentiam divinam obiectum nihil causet in me, nec speciem nec cognitionem.“ Das obiectum
ist dann ein terminus der Wahrnehmung. Diese ist eben eine Relation. Auch das universale ist
von Ockham als qualitas bezeichnet worden, und auch dann wenn es hypothetisch als existens
subiective in anima betrachtet wird, womit es synonym als intellectio bezeichnet werden kann.
Der Akt, der mit dem Begriff verbunden ist, ist dann intellectio = Erkenntnis.
83. Die Heilsordnung ist, begrifflich gesehen, nicht empirisch ausgewiesen. Ihre Größen (Fak
toren) können, soweit sie auf den Menschen bezogen werden, in dem sie Effekt und Relevanz
haben sollen, i.e. soweit also diese empirisch supponiert werden können, nach der distinctio
realis geordnet und verstanden werden. Dann erscheinen sie kontingent. Für die divina essen
tia aber wird die distinctio formalis angenommen, die dabei modal auf einen ‘Satz’ bezogen
wird, also für diesen als Modus modo composito verstanden werden soll; sie ist dann wie die
Begriffe, denen sie gilt oder ‘intermittiert’ wird, der Empirie enthoben. So wird empirisch von
Gott gesprochen oder eben auch nicht gesprochen. Dass Gott am Ende völlig aus der Welt
ausgeklammert wird, bezeichnet ihn und diese Begriffe als ‘Gegenstände’ eigens noch zu
390 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Die notitia abstractiva secunda überschreitet darin die notitia abstractiva prima,
die der notitia intuitiva unweigerlich ‘folgt’. Duns Scotus möchte den Begriff im Sinne
einer Allgemeinheit festhalten und daraus de facto auch das Kontingente oder das
Faktum der Kontingenz ‘ableiten’ können. Er will beide für ‘vereinbar’ (nicht inkon-
sistent) halten. Wieweit Ockham nun die sogenannte materielle Implikation zugrun-
delegt oder ‘wahrt’,84 ist die Frage hier wie dort, wo sie schon in Anbetracht der Stu-
fendifferenz zwischen abstraktem Inhalt der Theologie und empirischer Grundlage
unserer Begriffe reduziert erscheint – ebenfalls in einer Stellung und Wendung gegen
Duns Scotus.85 Dabei ist zu betonen, dass Ockham in den naturwissenschaftlichen
Erörterungen von consequentia formalis spricht.86 Hoeres87 sieht bei „bei Scotus die
Überzeugung, … dass nämlich alles diskursive Denken nur eine umschreibende
Entfaltung dessen ist, was mich der Akt des schlichten Versenkens lehrte.“ Das lässt
notitia intuitiva und notitia abstractiva für Duns Scotus aneinanderrücken; Ockham
dagegen88 sagt: „Notitia abstractiva potest accipi dupliciter: uno modo quia est res
pectu alicuius abstracti a multis singularibus; et sic cognito abstractiva non est aliud
quam cognitio alicuius universalis abstrahibilis a multis … /§ Et si universale sit vera
qualitas existens subiective in anima, sicut potest teneri probabiliter, concedendum
esset quod illud universale potest intuitive videri, et quod eadem notitia est intuitiva
et abstractiva, isto modo accipiendo notitiam abstractivam: et sic non distinguuntur
ex opposito. §/“ Die von uns dargestellte Unterscheidung von notitia intuitiva und no
titia abstractiva ruht auf der Basis des Begriffs als obiectivum esse seu fictum. Dann
gibt es eine – erste – notitia abstractiva, die nichts als die abstractio des Begriffs als
universale ex uno singulari oder ex multis singularibus darstellt. Die vielen gleichen
anderen Fälle können mitgedacht oder aber logisch angeschlossen werden. Diese
begründender ‘Wahrheiten’, Einsichten + eigener Regeln, Annahmen etc. Hier mag Ockham
sogar theologisch legitimierend gewirkt haben.
84. Für die consequentia formalis wird Ockham die Äquivalenz mit der materiellen Implika
tion nicht wahren können oder wollen und daher, dies erweist sich hier, sie auch überhaupt
nicht prävalent setzen können. Cf. eindeutig: Ord. d. 35 q. 1 OT IV p. 428 lin. 5–8: „Quia quan-
documque ab una propositione ad aliam formali consequentia – et e converso non est conse-
quentia –, ibi potest esse aliquo modo probatio a priori (im aristotelischen Sinn).“ Das gilt dann
auch für die Theologie: ib. lin. 8-12. Die consequentia formalis kann aber sehr wohl ‘umgekehrt’
werden: cf. Ord. Prol. q. 5 OT I p. 171 lin. 4–6.
85. Ord. d. 30 q. 3 OT IV p. 360 lin. 133ff: „Ad intentionem Philosophi sufficit quod haec non
sit consequentia formalis ‘scibile, igitur scientia’.“
86. Das ist evident (Ord. d. 36 q. unica OT IV p. 566 lin. 18f): „intelligendo quod sit consequen-
tia formalis ‘hoc agit in hoc, ergo hoc est in hoc vel ad praesens huic’.“
87. W. Hoeres, 1965 p. 19.
88. Ord. Prol. q. 1 OT I p. 30 lin. 12 – p. 31 lin. 3. In der zweiten Auffassung von notitia abstrac-
tiva wird von Existenz und Nichtexistenz und anderen kontingenten Bedingungen der Prädi-
kation abstrahiert (ib. p. 31 lin. 4–16).
Kapitel 8. Glaube und Welt. Im Vorhof der Naturphilosophie 391
89. Gleichwohl und eben auch übereinstimmend damit ist sie selbst wieder empirisch durch
die Induktion usw. begründet. Das kann geschehen, selbst wenn die Begriffe wie notitia intu
itiva und notitia abstractiva, von Autor zu Autor oder innerhalb der Schriften eines Autors
verschiedene Gebrauchsweisen haben oder, wie bei Ockham, bewusst und überlegt erhalten.
90. Wenn die consequentia formalis bei suppositionslogischer Andersinterpretation der Ter-
mini gleichwohl grundsätzlich bestehen bleibt, kann diese ‘Doppeldeutigkeit’ keinem seman-
tischen Grundwert vorab mehr dienen. Und auch keinem semantisch-analytischen Verfahren
wie die Belegung der Termini mit der suppositio simplex zeigt. Denn die Impossibilitas, die
nach Ockham Ord. d. 3 q. 7 OT II p. 523 lin. 12–21 weiter zu prädizieren ist, wenn ein Terminus
des Satzes oder beide suppositio simplex statt suppositio personalis annehmen, und zunächst
per consequentiam formalem behauptet wird, besteht nach dem Klassifikationswechsel fort;
die consequentia formalis wird nun negiert. Zusammen mit der Suppositionslogik und deren
variablen Klassifikationen dient sie, eine intensional nicht adaptationsfähige Reflexion auf die
Realität auszuschließen; die physische Realität wird ineins mit einer reflexiven (intensionalen)
Behauptung als indefinit negiert. Cf. die Anmerkungen 53, 84 ob., 157 u.
392 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Ockham muss den Charakter der consequentia (Folgerung), wenn sie, wo sie mit
den Inhalten zu tun hat, auch noch begründend sein soll, als den akzidentellen Ver-
hältnissen folgend von diesen insofern fernhalten, als diese den reellen Wert ihnen
übergeordneter Begriffe nicht tangieren dürfen. Folgende These des Johannes von
Mirecourt mag dabei logisch nicht scharf genug ausgezogen, i.e. begründet sein:91 „Si
dicatur fides est ad oppositum, igitur non est probabile, dico: illa consequentia non est
bona; licet enim sequatur fides est ad oppositum, igitur hoc non est verum, tamen non
sequitur, quin oppositum sit probabile, immo aliquorum articulorum opposita sunt
nobis probabilia magis quam ipsi articuli.“ Mirecourt unterhält also, dass das Wah-
re nicht wahrscheinlich sein müsse. So muss man vermuten, wenn denn auch man
nur eine Konsistenz zwischen seinen beiden consequentiae, der konzedierten und
der zurückgewiesenen annehmen will. Wenn aber das Wahre nicht wahrscheinlich
sein (können) soll, dann kann das Wahrscheinliche nicht empirisch verstanden wer-
den und das Wahre nicht mit Begriffen koordiniert sein. Insofern ist die Ansicht des
Johannes von Mirecourt keine kritische oder gar besonders radikale, sondern sie ist
bloß unsinnig, und Ockham, der das Wahre als nicht ganz Auszudeutendes betrach-
tet, das im kontingenten Satz vorliegt, hält konsequent das Wahrscheinliche neben
dem Wahren und ihm jeweils folgend für ebenso möglich im Sinn der Abstraktion.
So kann die persuasio an die in sich kontingente Erfahrung anknüpfen. Damit steigt
die Wahrscheinlichkeit aus der Wahrheit auf, nicht im Sinn der Folgerung (Folge),
sondern in dem von Abstraktion, Induktion, mit dem Werte der persuasio.92
Man erkennt bei Ockham, dass das Sachverhaltliche in das accidens gerückt wird
und dort eben auch de facto, was eine reelle Extension angeht, verschwindet (erlischt).
Es wird nicht als real im Sinne der Realität betrachtet:93 „permanens non mensuratur
nisi quantum ad suam durationem.“ Die duratio, die Relation, ist mit dem Gegen
stand, der essentia, unidentisch, für sich selbst genommen nicht gegenständlich. Es
muss aber die Dauer ‘Faktum’ sein und in diesem Sinn gilt alles ‘Physikalische’ als Mo
ment von Wirkung und Affizierung eines Gegenstands durch Wirkung. Indem diese
statthat, ist es ein physikalisches Phänomen. Wir kommen auf eine Wirkung, in der
das Medium den Sachverhalt bestimmen muss. Das Medium aber ist inexistent nach
91. I Sent. q. 19. Cf. K. Michalski, 1969 p. 327. Zur Stellung der q. 19 bei Mirecourt s. F. Stegmül-
ler, 1933.
92. Zugleich werden theologisch-dogmatische ‘Wahrheiten’ für Ockham mutable Wahrhei
ten, sofern sie Reduktionen zulassen: So kann eine Größe als causa oder ratio sufficiens ge-
genüber einer ganzen Kette von Faktoren aus der herkömmlichen Heilsordnung auftreten, so
dass diese bisher für notwendig gehaltene Folge suspendiert werden kann. Diese Größe, als
causa oder ratio sufficiens, bedeutet dann ein probabile (oder non improbabile), das jedoch
noch nicht verum genannt wird. Sein Vorzug ruht allein in der Argumentation, etwa mittels
des Omnipotenzprinzips, das auch nur eine empirisch zulässige, aber nicht direkt empirische
Wahrscheinlichkeit begründen kann. Das Wahrscheinliche oder Auchmögliche ist dann inten-
sional (reflexiv) begründet.
93. Rep. II, q. 1 OT V p. 229 lin. 18f.
Kapitel 8. Glaube und Welt. Im Vorhof der Naturphilosophie 393
einem Vergleich mit der Realität außerhalb des Subjekts. Es stellt nicht den Sachver-
halt dar und nicht die Relation. Es stellt oder bezeichnet und bestimmt einzig den
Satz nach einem Bezug auf die Realität. Media aber, auch die notitia intuitiva ist eines,
verlangen eine Induktion, werden nicht definit im Sinne der Existenz (von Existenz)
erscheinen können. Damit wird das Logische im Sinne von Wahrheitsmoment oder
-wert aufgehoben. So sind wir beim schon erworbenen Begriff. So sind wir im Bereich
der consequentia formalis.94 Die consequentia naturalis erscheint, indem zwei Optio-
nen der Wahrnehmung, welche die Halbteile der Folgerung dann ausmachen, im
Sinne der unmittelbaren Verknüpfung auch unvermittelt erscheinen können sollen.
Sie treten zusammen auf; über die Tatsache hinaus wird nichts gesagt. Die Suppositi
onslogik entsteht mit Sätzen, deren Elemente termini oder conceptus heißen können.
Conceptus sind Begriffe ohne Inhalt, die aber inhaltlich verstanden werden können.
Inhaltlich bedeutet dann nicht mehr extensional bezogen.95 Inhaltlich bedeutet, dass
94. Die consequentia formalis kann immer mit dem Syllogismus zusammengedacht werden;
das zeigen die beiden Varianten der Auslegung, die Ockham Ord. d. 4 q. 1 OT III p. 15 lin. 1–20
anführt.
95. Ockham beschreibt die consequentia naturalis als ein Verhältnis von antecedens und conse
quens, das kausalen Inhalt oder Charakter habe und bei dem antecedens und consequens beide
wahr sind. Der Ausdruck wie die Sache sind nach demselben Verhältnis denkbar. Ph. Boehner,
(ed.), The Tractatus de praedestinatione et de praescientia Dei et de futuris contingentibus of
William Ockham, 1945, p. 47 setzt die consequentia naturalis von der consequentia formalis
und der consequentia materialis ab; die consequentia naturalis soll diese beiden umfassen. Sie
sollen in ihr mitgegeben werden. Das ist dann aber noch unerklärt. Die consequentia naturalis
kann wie die consequentia formalis und die consequentia materialis falsch sein. ‘Omnis homo
peccat, quia est liberi arbitrii’ ist ein Beispiel. Das verweist auf ein Paradox, das ebenfalls erklärt
werden muss. Anders als bei Petrus Abailard muss die consequentia nicht vollzogen oder voll-
zogen gedacht werden, um zu gelten. Man kann auch sagen: eine consequentia, nicht geltend,
kann mit dem Falschheitswert nur belegt werden. Darin könnte man nun in der Tat einen
dritten Wert neben ‘wahr’ und ‘falsch’ sehen, quasi:‘ nichtanerkannt’. Er wäre für den Bereich
der theologischen Aussagen relevant. Er würde nur für consequentiae gelten. Sätze wären wahr
oder falsch. Zu ihnen tritt die consequentia als Mittel ihrer Koordination oder Erforschung,
nicht als Vollzug. Die consequentia naturalis hat nun eine naturale (Komponente der) Verbin-
dung ihrer Teile, die invisibel ist oder negiert erscheint, um damit dennoch zu bestehen und
zu gelten. So gesehen bestätigt und umfasst die consequentia naturalis jede Deutung, die wir
bezüglich irgendeiner consequentia wie auch mit dem Entfallen (Bestreiten) von Folgerungen
bei Ockham gegeben haben. Auch diejenige reprobatio, die in Kap. 10 technisch zu schildern
ist, erscheint als eine Negation der Konjunktion und Ersetzung der Konjunktion quasi durch
die Negation, die junktorenfrei erscheint. Auch diese reprobatio ist so ein Ableger der conse
quentia naturalis. Erstaunlich ist, dass sie über den Bereich der Empirie hinausgehend auch
fiktive heilstheoretische Tatsachen fassen und verbinden kann; diese erscheinen damit wie Su
perfetationen der Natur, aber nicht wie Abstraktionen. Zu fragen bleibt, ob die in sich negative
(negierte) Folgerung, die sehr wohl noch einen formellen realen Zusammenhang meinen kann,
mit einem negativen ‘Seinsfaktor’ verwandt wäre. cf. B. Mojsisch, Das Verschiedene als Nicht-
394 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
die Begriffe als actus abstrakt sind und auf keine Bedeutung und Kombination mit
anderen Begriffen (Begriffsarten) hin noch logisch ausgelegt werden können.96
Dass Wörter oder Begriffe gleichwertig mit Gegenständen (res) werden, ist Mo-
ment, ja Wesensmoment des Nominalismus, auch die consequentia naturalis ist so zu
verstehen. Ockhams Begriff, auch der gegenüber Gott gebrauchte, ist schlechthin ein
menschlicher:97 „dico quod non est inconveniens aliquid esse prius deo prioritate prae
dicationis. Isto enim modo ‘ens’ quod est commune univocum Deo et creaturae est
prius Deo. quia est eo communius.“ Der Begriff ‘ens’ ist also inhaltlich allgemeiner als
der ‘Begriff ’ Gott. Dann ist Gott natürlich auch nicht in irgendeinem Sinn Systemträ-
ger oder Kalkülinbegriff der Ontologie. Ockham betreibt die Gliederung der Begriffe
in der Übereinstimmung mit deren Sinnbestimmung respektive Sinnreduktion durch
die Anordnung, die wir allgemein charakterisierten, bis in die Theologie hinein. Auch
dort wird die Akzentuierung des menschlichen Begriffswertes vorgenommen oder
bewahrt, und dies auch dann, wenn das Omnipotenzprinzip im Sinn der Synthesis
eingesetzt wird: die ist auch gegeben, wenn Begriffe (wenigstens ein Begriff), quasi
kasual, aus einer vermuteten Anordnung zu einer Kadenz führen, worin der ‘expo
nierte’ Begriff akzidentell verwendet und damit nur noch persuasiv adoptiert wird.
Er wird rein funktionell. Beispiel:98 „Quinta conclusio est quod talis videns divinam
essentiam, carens per potentiam divinam absolutam dilectione Dei – de quo patebit
in quarto –, potest nolle Deum.“ Die selige Gottschau (visio beatifica) bedingt nicht,
dass die anima in patria auch Gott, den sie sieht und damit die divina essentia, die
Seiendes in Platons Sophistes, 2001, pp. 1–9. Ockham charakterisiert ‘Bewegung’, die generell
eine mutatio ist, nach Nichtseinsmomenten und derart Widersprüchen, aber nicht über die
Wahrnehmungsbestimmungen hinaus. Er hat sie so von der forma und in dem Sinne auch vom
Folgerungsbegriff ferngehalten. Cf. dazu Kap. 7: Formbegriff und reale Wahrheit.
96. Wenn wir zur Materialität gelangen, die wir als Personen natürlich teilen, ohne über sie
intelligierend verfügen zu können – wir bilden z. B. die Begriffe, bzw. entstehen sie uns, indem
wir den Bereich des sensus in der Wahrnehmung der Objekte extra animam passieren, ohne
dass wir diesen Weg nach Ockham genau verfolgen könnten –, so kommen wir zur conse-
quentia naturalis. Sie bezeichnet ‘Sachverhalte’, die als solche, reziprok zum Intellektionsbegriff,
eine reale Bedingung qua Angrenzung der Faktoren besagen. Die consequentia naturalis ist
dadurch bestimmt, dass eine Gestaltung der mentalen Akte gegenüber der extramentalen Rea-
lität nicht stattfinde und daher beinahe auch keine Trennung der Faktoren: die consequentia
naturalis selbst steht für eine Relation oder an deren Stelle. Wir sind damit unterhalb der Sphä-
re der Erkenntnis, soweit wie sie nominalistisch, d. h. überhaupt gültig, bestimmt werden kann.
Wir haben die Induktionsbasis darin, dass eine nicht mentale Realität (auch bezüglich oder
vermöge der kontingenten Sätze) existiert.
97. Ord. d. 35 q. 3 OT IV p. 462 lin. 8–11.
98. Ord. d. 1 q. 6 OT 1 p. 505.
Kapitel 8. Glaube und Welt. Im Vorhof der Naturphilosophie 395
sie genießt,99 vermöge dieser seligen Gottschau auch schon liebe. Das Gegenteil hätte
man vielleicht für geboten gehalten: die Seele, die das höchste Gut schaue und es als
solche unabdingbar erkenne, müsse es auch lieben. Nach Ockham ist eine solche Kon
sequenz nicht geboten.100 Empirischer Gebrauch, irdisches Fundament und distinctio
realis und Omnipotenzprinzip schließen es aus. Dabei kommt nicht mehr als eine
persuasio zustande. Wir haben gegenwärtig den Status der seligen Gottschau nicht
und nicht was sie an Evidenzen, eventuell in unsere Begriffe definit umsetzbar, ent-
hält. Wir müssen mit Ockham Begriffe verwenden, die der Mensch de facto hat = em
pirisch gegründete. Deren abstrakte Verwendung in dem entlegenen Gebrauchsfeld
der Theologie nötigt ihn zur persuasio ‘anstelle’ einer analytischen Aussage. So ist ein
Teil der polemischen Ausfälle Autrecourts unbegründet,101 da von einer Beweis- oder
Satzform ausgehend, die nicht gegeben ist: sc. dass Begriffe inhaltlich untereinander
nach der materiellen Implikation alias consequentia verbunden sein müssten.102 Auch
99. Das frui Deo ist dieser ‘Wahrnehmung’ in der visio beatifica vorbehalten: dennoch ist ‘frui’
nach menschlichem (irdischem) Gebrauch und Verständnis und sogar darauf begrenzbar mög
lich, und der Mensch kann etwas anderes genießen als Gott (und daran festhalten wollen).
100. Per potentia divina absoluta supranaturaliter loquendo, was eben bedeutet, dass Gott vom
Widerspruchssatz frei ist. Der Widerspruchssatz gründet also gar nicht in Gott; deshalb kann
er nicht durch ihn gebunden werden: dies Prinzip kann ihn nicht in einem bestimmten Sinn
ihn begrenzen und ihm (fiktiven) Einhalt tun. Wenn uns die Natur Gottes in se entzogen ist,
können wir auch nicht wissen, wie der Widerspruchssatz in ihr gründe, bzw. sie bezüglich ihrer
Handlungen, die ihrerseits in die Welt hinausreichen und also in dieser ablesbar sein werden,
begrenzen könnte. Der Widerspruch gehört also Gott gar nicht an und der Welt in Bezug auf
Gott nur insoweit als wir damit von der Welt aus zu Gott begrifflich oder argumentativ auf-
steigen können. Wenn wir also in Bezug auf Gott zwei Bestimmungen annehmen wollen, die
von ihm ausgehen und Sätze verbinden sollen, die ihn betreffen, als unsere Sätze, die über Gott
sprechen und ihn beinhalten und von ihm ausgehen unser Vermögen über ihn gültig zu spre-
chen bzw. ihn zu ‘erkennen’, dann muss, sollen solche Bestimmungen miteinander konsistent
erscheinen, Widerspruchsfreiheit bedeuten, dass nicht zwei Stufen der Argumentation, Gott
und Welt, divina essentia und Schöpfung, gleichgesetzt, i.e. vermengt werden.
101. Man kann dann auch sagen: nominalistisch via Ockham gesehen unbegründet.
102. Ockham setzt anders als Nikolaus von Autrecourt, der den Terminus gebraucht, die con-
sequentia formalis nicht für äquivalent empirische Erkenntnisse an, bei denen die Wahrneh-
mung mitgedacht wird: cf. Ord. Prol. q. 5 OT I p. 171 lin. 4–17. Das ergäbe einen Widerspruch,
den Ockham funktional mittels der potentia divina ermittelt: Da Gott mit seiner potentia abso
luta empirische Kausalverbindungen zwischen causa extrinseca seu materialis sprengen (aus-
setzen) kann, kann die consequentia formalis nur gelten, wenn wir die Begriffe nicht antasten
(cf. die persuasio ib. p. 170 lin. 20 – p. 171 lin. 1), was beweist, dass mittels des Omnipotenzprin-
zips funktionale Schlüssigkeit bewiesen wird. Ihr kann das Omnipotenzprinzip nicht wider-
sprechen. Bei einer definitio quid rei kann die consequentia formalis zwischen definitio und
definitum nicht bezweifelt werden: verstehen wir aber eine definitio quid nominis als definitio
quid rei tritt eine fallacia auf, die wir über die potentia divina absoluta per Induktion beweisen
396 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Autrecourt kennt indes die consequentia formalis; er setzt sie als pflichtige Relation
zwischen empirischen Daten an, die formell dadurch beide als intellectiones (noti-
tiae) gestützt und gerechtfertigt sein sollen (quasi legitimiert103).
Bei Ockham drückt die consequentia a limine einen unvollkommenen Modus
des Erkennens aus und ist so dem Syllogismus unterlegen; sie fungiert entsprechend,
einen Syllogismus secundum formam als unvollständig, quasi nicht vollständig in-
tellektiv (= nicht zwingend) anzugeben. Er wird damit als imperfekt begründet. Die
consequentia bedeutet so für (in) sich Unableitbarkeit und für den Syllogismus inten-
sionale Unvollkommenheit. Und eben auch, dass ein per se akzidenteller Bezug nicht
der ratio essendi = ratio efficiendi beitreten kann. Die consequentia gilt implizit ‘gegen’
sich selbst. Sie ist im Selbstverhältnis negativ. Autrecourts Kritik und Programmatik
ist ungegründet und indefinit.104 Die ratio essendi wird für (die) accidentia angege-
ben, die ihr nicht per informationem zugehören; so kann sie intensional thematisiert
(persuadieren). Die definitio quid rei stellt die res im Sinne der causa intrinseca et essentialis
her, nicht im Sinne der causa extrinseca seu materialis. Wir sichern darin Begriffe, die noch
vor dem Übertritt zur Realität sistiert werden. Das geschieht kraft ontologischer Begriffe, die
nicht die realitas in se meinen müssen oder sollen. Wo die consequentia formalis negiert wird,
wird der ‘unbedingte’ Realbezug negiert, i.e. die Realgeltung der Sätze wird wegen indefiniter
Begriffe negiert. Das bedeutet eine modale Negation der Sätze. Ihr muss die funktionale Logik
entsprechen, die Ockham in der SL ausführt. Es bedeutet, dass die Logik die significatio negativ
ausführt. Cf. hierzu auch Kap. 7 Anm. 140. In der consequentia formalis ist die Kombination
der Begriffe tatsächlich immediat empirisch wie in der propositio per se nota gegeben.
103. Diese Legitimation muss im Grunde, zumal ihr nach Autrecourt kaum entsprochen wird,
über das Gebiet der Logik hinausgehen. Für Ockham ist in einer notitia nicht eine andere – wie
auch immer – enthalten. Ein Bewusstsein von virtus sehr wohl.
104. Da die Folgerung des accidens aus dem subiectum, i.e. der substantia, nicht möglich ist,
gibt es keine Spiegelung des Inhaltlichen (von Inhaltlichem) für den Satz im Satz, wie es im
Grund Duns Scotus implizit und explizit und zwar mittels ontologischen oder quasi transzen
dentaler Supra- oder Richtgrößen des Gedankens anstrebt. Es muss von Ockham erst für den
Satz argumentiert werden, i.e. von der significatio her und mit deren Erstellung. Das bezeichnet
den Unterschied zu Chatton. Bei diesem muss die significatio äquivalent dem intensionalen
Gehalt sein. W. & M. Kneale, J. Pinborg, G. Leff, U. Eco u. a. erörtern abstrakt die Frage, ob sup-
positio oder significatio in der Suppositionslogik primordial und danach leitend gewesen seien.
Für Ockham ist zu sagen, dass sie a) nicht entschieden und b) nicht sinnvoll sei. Die extensio-
nale significatio ist von der intensionalen suppositio aus nicht genuin zu approximieren, und
eben nicht ausgeschlossen, sondern implizit mitgemeint. Es ist nicht das eine auf das andere
projizierbar oder durch es ersetzbar. Der Syllogismus kann dann für eine grundsätzlich kontin
gente und durch die accidentia bestimmte Welt die Notwendigkeit besagen, übernehmen oder
kopieren, ohne dass sie damit faktisch in se gegeben oder ausgelegt werden können müsste. Sie
bleibt problematisch und würde nur besagen können (und mit ihr der Syllogismus), was über
die copula des kontingenten Satzes und um sie herum nicht ausgesprochen werden könnte.
Duns Scotus hält ideell an der eigentlich qualitätslosen Bedeutung der Notwendigkeit nach
der Verbindung der Satzelemente fest. Form und Inhalt des Syllogismus koinzidieren quoad
Kapitel 8. Glaube und Welt. Im Vorhof der Naturphilosophie 397
werden, wie es während der vielen Erörterungen Ockhams denn geschieht, wenn ein-
zelne und verschiedene casus in Verwendungen der Beziehung, der Abwandlung, der
Nichtausschließung, trotz gewisser, aber eben nur kontingenter Grundannahmen,
kompatibel nebeneinander stehen. Die accidentia bezeichnen die Bezüge der ratio
(essendi) oder forma, welche Existenz meinen oder sie ideell gewährleisten, nämlich
als das in der forma Gesagte oder Benannte. Hier ist dann der qualitative Einfluss
der Omnipotenz auf die forma ohne Veränderung oder Beeinflussung der numeri
schen Größenverhältnisse, die potentia divina absoluta supranaturaliter loquendi
verstanden, denkbar: i.e. eben nur nicht ausgeschlossen.105 So funktioniert Ockhams
Naturphilosophie. Die intensionalen Bestimmungen erhalten einen qualitativen to-
pologischen Charakter nicht weit entfernt von der methodus calculatorum.106 Nach
Ockham soweit wie die formalen Elemente selbst begründungsfest ontologisch angegeben wer-
den können.
105. Die Wirkung der potentia divina absoluta bei der intuitiven Wahrnehmung von Objek-
ten, die nicht existieren, muss nicht notwendig in der Erzeugung eines Scheins von Gegeben-
heit ohne Ursache bestehen, sondern sie kann auch akzidentell darin bestehen, dass Gott die
Wirkung des Objekts unterbindet (Rep. III, q. 2 OT VI p. 55 lin. 22 – p. 56 lin. 2): „obiectum
distans ab angelo et a me potest intuitive videri ab angelo et a me etiam si per potentiam divi
nam obiectum nihil causet in me: nec speciem, nec cognitionem.“ (cf. Anm. 81) Das obiectum
ist dann ein terminus der Wahrnehmung. Diese ist eben eine Relation. Eine pro facto erschlos-
sene „Gegebenheit“ ist nicht Element oder Bedingung der Definition (i.e. ihrer Geltung), wenn
sie denn intensional ist. Das ist sie damit. ‘Patet inductive’. Ockham gebraucht das Beispiel des
Magneten, der wirke oder eben ‘verursache’, ohne dass eine Wirkkraft in einem Medium zwi-
schen ihm und dem Eisen oder im Eisen anzunehmen sei. Cf. ib. p. 53 lin. 3-6: „de magnete, qui,
secundum Commentatorem, commento 9 trahit ferrum distans ab eo localiter; trahit, dico, im
mediate, et non virtute aliqua existente in medio vel in ferro.“ Erkennbar ist das Medium (die
Feldeigenschaft) nicht Gegenstand in Ockhams Wahrnehmung, Erkenntnis oder Erörterung.
Sie muss es gar nicht sein, weil wiederum ‘nur’ ein absolutes Verhältnis von causa und Relation,
auf der einen Seite, und affiziertem Objekt, an welchem der Effekt bewirkt wird, hier in Rede
stehen kann. Ockham subsumiert unter eine Prämisse (ib. p. 48 lin. 16–18): „probo quod non
semper movens immediatum est simul cum moto, sed quod potest distare“ Es ist klar, dass
selbst wenn die Feldlinien durch Eisenfeilspäne demonstriert worden wären, die grundlegende
logische Annahme Ockhams Bestand behielte. Insofern ging es bei seiner Induktion um Logik,
die durch Induktion nach Beispielen (etwa ausführlich zum Licht ib. p. 48 lin. 18 – p. 53 lin. 2)
bekräftigt und festgehalten wurde. Es soll nur grundsätzlich eine Wirkung oder Verursachung
angenommen werden, eben: möglich sein.
106. Die quantitas hat für Ockham keine separate Existenz (De quantitate q. 3 a. 1 OT X p. 52
lin. 3f): „quantitas non est alia res absoluta distincta realiter a substantia et a qualitate.“ Die
quantitas umfasst nicht in Bezug auf die substantia die qualitas. Die qualitas kommt nicht eher
der quantitas als der substantia zu; die qualitas umfasst vielmehr die quantitas mit (Expositio
in Librum Praedicamentorum Aristotelis OP II § 11 p. 198 lin. 15 – p. 199 lin. 23): „fuit opinio
Aristotelis quantitatem non esse aliam rem a substantia et qualitate, quasi esset primo recepta
in substantia et immediate in ea reciperetur aliae qualitates corporales; sicut multi imaginantur
398 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
dem Muster hat Ockham auch die Erkenntnislehre mit notitiae und actus, habitus
etc. gestaltet. Hier gibt es dann die praktische Vergleichbarkeit auch hinsichtlich der
causatio, auch was einen kontingenten Fall angeht, der nicht als solcher essentiell aus-
gedrückt werden kann.107
Empirische Geltung und die entsprechende genetische Funktionsbasis für Be
griffe und Erkenntnismittel dürfen nach Ockham nicht de facto ausgeschlossen sein.
De jure müssen sie nicht in die Abstraktion eingehen.108 Geltung bzw. Erfüllung
quod color est immediate in quantitate et mediante quantitate est in substantia. Hoc patet, nam
si hoc esset verum, quantitas vere esset susceptiva contrariorum secundum sui mutationem,
nam eadem quantitas numero esset primo alba et postea nigra, et per consequens ista proprie-
tas ita competeret alii a substantia sicut substantiae.“
107. Ockham setzt das Omnipotenzprinzip gegen die Quantifizierung ein (Ord. I, d. 17 q. 4
OT III p. 484 lin. 6–9): „si deus augmentaret aliquam formam separatam ab omni subiecto, ibi
esset augmentatio, et tamen non esset ibi motus, quia nihil ibi mutaretur nec moveretur.“ Die
Quantitäten oder die Bewegungen, i.e. Veränderungen können oft als infinitesimale angesehen
werden. (Rep. II, q. 7 OT V p. 109 lin. 8–11): „quia non semper est terminus a quo quando motus
est. Nec habet terminum ad quem, quia ille aliquando est purum nihil et pura negatio; patet
hoc in motu deperditivo, puta diminutione.“ Der Beginn einer Veränderung oder ‘Bewegung’
(motus) oder ihr Endpunkt können nicht immer unbedingt festgestellt werden. Sie sind dann
nicht genau anzugeben, nicht in einem definiten Sinne da. Man nimmt so ‘Zwischenzustände’
einer nicht diskontinuierlichen Bewegung an.
108. Eine ontologische Basis für die Beweistheorie entfällt. Das gilt auch für das Verhältnis von
subiectum und passio im Satz: Ockham sagt (Ord. Prol. q 3 OT I p. 133 lin. 20f) zu der These
„nihil est passio nisi aliquod accidens vel forma alicui inhaerens realiter tamquam subiecto“
deutlich (lin. 21f): „sed isto modo non accipitur passio communiter in scientiis“, sei es subjek-
tiv apud auctores sei es objektiv quoad rem. Ockham trennt auch zwischen Begriff und Sache
grundsätzlich (ib. p. 134 lin. 1) „universaliter conceptus non est idem realiter cum illo cuius est.“
Das gilt natürlich auch für Begriffe wie ‘omnipotens’ etc. die als Begriffe anzusehen sind, die
genuin Gott betreffen. Damit handelt es sich um ‘propositiones immediatae’, die ohne Empirie
nicht wirklich eingesehen werden. Die Begriffe müssen per notitia intuitiva erkannt werden.
Dabei gilt, dass sie einem anderen noch nicht spezifizierten medium cognitionis beweisfähig
eingesehen werden könnten. Freilich ist bei den hier vorliegenden theologischen nicht natur-
wissenschaftlichen Sätzen eine Doppelung von nur hypothetischer (möglicher) empirischer
Einsicht und bloß inhaltlicher Gegebenheit der termini in abstractis nicht ganz einsichtig: der
art noch nicht schlüssig wie die notitia abstractiva induktiv zu begründen wäre. Man sieht, wie
schwer Ockham am und im Material arbeiten muss. So wird die Implikation egalisiert und
ersetzt. Sätze, die als propositio immediata einer reinen Umschreibung Gottes entsprechen,
können weder begründbar, noch beweisbar, noch pro statu isto (unmittelbar) empirisch ein-
sehbar sein noch schließlich nach unseren geschöpflichen Gegebenheiten nach notwendig; ihre
Konzeption selbst ist unproblematisch und dem Heiden ebenso wie dem Christen gegeben.
Sie entspricht natürlicher ‘Erkenntnis’. Wir könnten jedoch gar nicht regelrecht von Gott spre-
chen, wenn wir nicht noch anders von ihm, darüber hinausgehend, angeben wollten: so spre-
chen wir mit Ockham von Gottes Omnipotenz, bringen das Omnipotenzprinzip in Anschlag
und benennen die divina essentia mit den drei Personen, sprechen von seiner Einwirkung und
Kapitel 8. Glaube und Welt. Im Vorhof der Naturphilosophie 399
werden nicht als ein integraler Bestandteil explizit in die Abstraktion eingeschlossen.
Sie sollen nicht darin ‘mitgedacht’ werden, wie es bei Duns Scotus der Fall ist. Die
empirische Geltung fungiert bei Ockham darin, das Denkmittel des menschlichen
Begriffs und vergleichbare Mittel (wie etwa Gott selbst in der visio beatifica) in Bezug
auf die damit kompatible empirische Genese der Denkmittel (vergleichsweise auch der
pro statu isto uns nicht zur Verfügung stehenden) zu legitimieren. Dies sollte so ver-
standen werden, dass wenn die Erkenntnis des beatus oder sanctus und des angelus
für die menschliche Erkenntnis des viator pro statu isto nicht legitimierend und nicht
einmal verpflichtend sein kann, die Legitimation aller menschlichen Begriffe durch
deren empirische Genese gleichwohl die höhere und unmittelbare Erkenntnis Gottes
ganz nach denselben Prinzipien oder Akten, notitia intuitiva und notitia abstractiva,
zulässt.
Diese notitia intuitiva und notitia abstractiva vereinheitlichen und binden
Ockhams Denken. Die Legitimation nach empirischer Genese ist wichtig, die Ab
straktion, die über dies Fundament hinausgehen kann, wesentlich und zentral.109 Es
wäre hier übertrieben, faktische reale Erfüllung zum spiritus rector der Erkenntnistä
tigkeit machen zu wollen. Solche Erfüllung kann nicht bewiesen werden. Vermeintli-
che Beweise werden sie nur fallaciam intendieren. Der Begriff oder Satz als mentales
Faktum kann nicht über einen Betrag seiner realen extramentalen Geltung ‘erweitert’
werden. Direkte ontologische Deutungen der inhaerentia passionis (sive accidentis)
in subiecto können dann ad absurdum geführt werden.110 Der Begriff als Zeichen
kann für den Nominalismus und nach Ockhams Beweisergebnissen in Sätzen mit
anderen Begriffen nur über Bestimmungen und nur dann signifikant verbunden sein,
wenn die Bestimmungen keine Konsequenzen bedeuten (oder verdecken) und darin
nicht Realwertigkeit (mit-)gemeint ist, für die dann logische Operationen als Aus-
druck quasi von Zeichenumwandlungen (Transformationen) nicht auszuschließen
wären. Die Konsequenz ist damit ein Moment oder Äquivalent von fallacia. D. h. der
Stellung in Bezug auf das menschliche Heil. Wir gelangen nicht von der Abstraktion in die
Empirie (zurück). Insofern haben wir eine theologische Erkenntnis, die ebenso rational wie su-
pranatural ist; keines ist sie eindeutig (distinkt). Damit bezeichnet Ockham eine Entscheidung,
die eine zuvor geschichtlich gegebene Dichotomie und Gegensätzlichkeit so wenig beibehält wie
eine dem logischen Mittel nach indistinkte Verwischung. Der Mensch wird damit weniger auf
eine Wahl, ein Bekenntnis verpflichtet. So gilt auch die Scotische Maxime (Bekundung oder
Meinung) (cf. E. Gilson, 1959 p. 674) nicht: „scientia et fides non possunt simul esse in eodem et
hoc respectu eiusdem.“ Für Ockham sind ‘scientia et fides’ formaliter secundum actum mentis
indiscernibel. In beiden kann die consequentia formalis gebraucht werden.
109. Zwischen beidem tritt die consequentia formalis auf. Sie muss voraussetzen, dass der Pro-
zess der Erkenntnisbildung nach notitia intuitiva und notitia abstractive durchlaufen worden
ist. Von ihm her können Schlussfolgerungen, die die consequentia formalis kanonisch bedeu-
tet, nicht gestört werden.
110. Das gilt auch bei den Sätzen per se primo et secundo modo, die Inhärenz, Möglichkeit
und Kausalität meinen oder einbegreifen.
400 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
111. Die Induktion hat hier damit zu tun, dass eine Beweisführung ex negativo nicht möglich
ist.
112. M. Lenz, Adam de Wodeham und die Entdeckung des Sachverhalts, in: K. Kahnert und
B. Mojsisch, Umbrüche, etc. 2001, pp. 99–116 sieht in Ockhams ‘dictum propositionis’, die
Präformation des Sachverhaltsbegriffs, den dessen Schüler Wodham (Wodeham), indem er
Ockhams complexum (‘Satz’) als dictum propositionis mit dem significabile verbinde, aus dem
Dilemma löse, das W. Chatton gegen Ockhams These, einziges scibile sei der Satz, geltend zu
machen bemüht war. Die Interpretation ist nicht zwingend, da Ockham den Ausdruck mit
der Modalisierung des Satzes, gleichnamig mit dem Modus modo composito (sic), verbindet;
der Modus wird dann vom Satz prädiziert. Das geschieht nicht, wenn der Modus modo diviso
verwandt wird und so den kontingenten Satz, den wir natürlich genau so wissen wie jeden an-
deren denkbaren, unverändert lässt: es gilt das Suppositionspräskript. ‘Dictum propositionis’
kann daher nur reflexiv, von der Seite der Abstraktion her gebraucht werden. Abstraktion steht
aber res und Sachverhalt denkbar fern. So sagt Ockham, Expositio in Librum Perihermenias
Aristotelis Lib. II cap. 5 OP II p. 465 lin. 155f: „In sensu composito denotatur quod iste modus
expressus verificatur de tota propositione cuius dictum ibi exprimitur.“ Er gilt dann secundum
dictum propositionis. Doch (ib. lin. 161–163): „In sensu autem divisionis aequivalet uni modali
in qua accipitur verbum vel adverbium sine dicto propositionis.“ Hier gilt (lin. 167–170): „idem
est iudicium de eis quantum ad oppositionem et modum arguendi quale est modalibus modo
verbiali vel adverbiali. Sed quando accipiuntur in sensu composito secus est.“ Der Modus, der
in sensu divisionis sine dicto propositionis gilt oder eingesehen wird, gilt von der res und nur
hier. Den Unterschied betont Ockham ib. passim. Darüber hinaus wird man sich fragen, ob
nicht der Gebrauch des Ausdrucks ‘dictum propositionis’ in der Frühscholastik mit dem Inter-
esse an einer Vermittlung an res und realitas bereits jene Tendenz vollkommen enthalten soll,
Kapitel 8. Glaube und Welt. Im Vorhof der Naturphilosophie 401
Scotus vorausgesetzt, weniger freilich erkennbar eingesetzt. Ockham ging aus Duns
Scotus hervor und stieg von ihm her empor, indem er den Begriff (das universale),
wo und wie dieser stricte intensional nicht fassbar war, so nämlich, dass er zugleich
extensionale Bedeutung gefasst und verkörpert hätte, als Begriff schlechthin gar nicht
mehr fasste und auffasste. Den Begriff gibt es außerhalb der Bestimmungen und Er
örterungen dessen, was er sei (fictum esse, intellectio esse etc.) nicht. Ockham sieht
und traktiert die Möglichkeit der Erkenntnis in deren actus, wie sie darin nicht mehr
(weiter) gefasst werden könne. Er spricht weder beim actus noch beim Begriff oder
Satz von Washeit. Das nicht im Sinn eines projektiven Realismus mit eigenen onto-
logischen Größen extra animam oder inter intellectus et res extra animam noch im
Sinne konzeptualistischer Wesenbestimmungen des Begriffs oder seiner Akte, bzw.
irgendwelcher Akte. Da die Begriffe nach ihrer Geltung im Einzelnen und für einen
Gesamtgebrauch (die hier identisch werden), nicht miteinander verbunden werden
können113 (im Sinne von Ockhams Beweisdarlegungen: nicht identisch werden kön
nen114), muss Geltung, da sie nicht auf der Abstraktion beruhen kann, modal auf-
gefasst oder zugesprochen werden: sie gilt dem Satz, während die Abstraktion, die
mit dem Begriff verbunden wird, in den Satz überführt wird, indem und weil qua
Verzicht auf die Implikation statuiert werden kann, was gemeint sei.115 In Ockhams
reprobationes der determinationes des elementaren Satzausdrucks in dogmatischen
welche der Verfasser als Entdeckung Adam Wodham zuschrieb. Cf. L. M. De Rijk, 1967 vol. II,
Part II (nach Index p. 808).
113. Ein significatum totale für den Satz, in welchem die Begriffe s und P im Satz einen neuen
gemeinsamen Sinn haben können, zu diesem verschliffen seien, wird von Ockham nicht, wie
von Gregor von Rimini, Marsilius von Inghen u. a. angenommen. Zum significatum totale cf.
Gregor von Rimini, SK I, d. 2 q. I Ockham macht von diesem Ausdruck naturphilosophischen
Gebrauch, wenn er heterogene Auslegung eines Begriffs in einem ‘geheimen’ Sinn zusammen-
gefasst sieht. Ein significatum totale der Zeit fasst danach die verschiedenen mensurae tem
poris cf Rep. II, q. 10 OT V p. 191 lin. 12 – p. 195 lin. 11. Wir entnehmen sie den Himmelsbewe
gungen. Die untere Geschwindigkeit wird je von der oberen ableitend gemessen. Wir kennen
das Maß der unteren über die Kenntnis des Maßes der oberen. Daneben nimmt Ockham das
obiectivum esse eines rein im Subjekt (in anima) existierenden beinahe autonomen Zeitablaufs
an (ib.). Die Struktur der Argumentation und der Begründung der Erkenntnis, wie wir sie bei
Ockham finden, bleibt erhalten (ib. p. 192 lin. 7–9): „viso motu in re, certificamur statim per mo
tum in anima de quantitate eius, ad motum quo artifex expertus per quantitatem imaginatam
cognoscit statim quantitatem rei extra (wie nach ib. 9f auch Duns Scotus sage: wir bilden das
subjektive Maß der Zeit nach der Erfahrung und können es wieder auf diese anwenden).“
114. Cf. Ord. d. 3 q. 3 OT II p. 425 lin. 5–8: „Eiusdem rei possunt esse plures conceptus simpli-
ces denominativi, et hoc propter diviersitatem connotatorum; sed quidditativi simplices non
possunt esse plures.“
115. Die Implikation kann so wenig wie die Ontologie vorausgesetzt werden. Peirce versuchte
die Logik empirisch zu begründen. Cf. J. v. Kempski, 1952 pp. 74–77 s. p. 76: nach Peirce „invol-
viere das induktive Denken ‘die Widerspruchsfreiheit der Welt (Uniformität der Natur)’.“
402 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Verhältnissen der Trinität, bei den göttlichen Personen, bei deren Eigenschaften, usw.
wird sichtbar, wie die Scholastiker ihre ‘Ausdrucksmittel’ mit ontologischen Zusät-
zen116 als absolute quasi setzen wollten. Diese sollten explikativ wirken = der Verbin-
dung der Termini dienen, die an sich und per se oder nur für Gott oder gemischt für
Gott und Welt gebraucht sein und gelten können sollten.117 So waren Abstraktion und
Folgerung gemeinsam enthalten.
Die ontologischen Begriffe bleiben erhalten, wenngleich sie nicht durch Be-
weis bestätigt werden und ihr empirischer Wert niemals zu kreditieren ist. Sie kön-
nen danach auch niemals bewiesen werden. Der Versuch wird nicht unternommen.
Vielmehr werden sie auf einer abstrakten Stufe gebraucht und bleiben sogar immun
gegenüber dem denkbaren überweltlichen Eingriff, der wiederum ihnen gemäß abge-
wiesen wird.118 Auf dieser Stufe, auf der auch die potentia divina absoluta nicht rabiat
116. Es sind Postulate, die Ockham über die Kritik an den Kernbegriffen, ihre Definitionen
und in Bezug auf ihr empirisches Vorkommen nach kausalen Umständen angreift.
117. Das enthält insofern einen Widerspruch, als dann die Termini in sich nicht der Erklä-
rung, Explikation, der Rechtfertigung, der Zusammenleitung bedürften. Indem sie argumen-
tativ oder förmlich argumentativ, d. h. Beweis, Verteidigung etc. erfordern, wird ein indirekter
Beweis angestrebt und insofern zum Schein analytisch operiert. Zum Schein, weil die analyti-
sche Auslegung direkt nicht möglich war. Insofern aber so zum Schein, sind die nach dessen
eigener Methode anderen reprobationes, die Ockham hat, indispensabel. Cf. Kap. 4: Fides et
scientia und Kap. 10: Beweis, Satz, Akt.
118. Rep. II, q. 7 OT V p. 128 lin. 9 – p. 129 lin. 5: „ad salvandum velocitatem et tarditatem in
motu est advertendum quod non est dare primam partem formae adquisitae per motum nec
secundam nec tertiam distincte nec ultimam. Et si aliqua pars formae sit acquisita per motum,
non est dare primam aliquam partem immediate sequentem istam partem iam adquisitam
propter duo. Tum quia tunc motus componeretur ex indivisibilibus, quia illa pars immediate
adquisita esset indivisibilis eadem ratione et alia. et sic omnes partes motus essent indivisi-
biles, et tunc motus componeretur ex indivisibilibus. Tum quia si esset dare primam partem
adquirendam post istam adquisitam sequeretur quod illud mobile cui adquiritur ista forma
non moveretur. Probatur consequentia in motu locali ubi est magis manifestum. Quia quan
do unum corpus exsistit in eodem ‘ubi’ de facto – non ponendo miraculum per potentiam
divinam – dum duo contradictoria extrinseca succedant sibi continue, ita quod unum ‘ubi’
coexsistit duobus contradictoriis succedentibus, tunc corpus exsistens in tali ‘ubi’ non movetur
sed quiescit, sicut patet per praedicta. Sed si esset dare primum ‘ubi’ adquirendum post ‘ubi’
iam adquisitum, hoc sequeretur, igitur etc.“ So gibt es die Lösung (ib. p. 130 lin. 14–16): „immo
quaecumque pars adquiritur per motum est divisibilis in infinitum, ita quod ante istam par
tem datam fuit alia prior, et sic in infinitum.“ Der Begriff der forma ist unangetastet von den
indivisiblen Teile der augmentatio oder remissio, eben der Veränderung (motus). Dabei wird
dem ‘miraculum per divinam potentiam’ eine Absage erteilt. Das Wunder verträgt sich nicht
mit der natürlichen Veränderung (Bewegung): weder besteht sie aus einer unendlichen Menge
von Wundern noch treten die Wunder so auf, dass die formae (unverändert oder gewandelt)
einander zu folgen hätten. Die forma bleibt als abstrakte Größe intangibel gegenüber den indi
visiblen Veränderungen, die eine Bewegung ausmachen müssen.
Kapitel 8. Glaube und Welt. Im Vorhof der Naturphilosophie 403
einbrechen kann oder gar muss, etwa um das Wunder zu erklären,119 bedeutet sie nie-
mals, dass wir es mit einem beweisbaren Satz zu tun haben und nicht, dass wir nicht
beweisfähige Sätze nicht mit unseren Beweisformen (i.e. Sätzen) übersteigen könnten.
Hier nun kann der Beweis nicht aus einer Feststellung, dass etwas per divinam po-
tentiam absolutam (doch) möglich sein, was de facto empirisch nicht (nicht definit)
gegeben sei, fließen, noch kann er danach ausgeschlossen werden: er muss allein die
unmittelbar empirische Fasson (Bedingung) des Erkennens übersteigen (überschrei-
ten). Ockham zeigt es, wenn er sagt:120 „probabilius est dicere quod delectatio sit
subiective in voluntate, non in actu voluntatis.“ Von ihm sagt Ockham zunächst, dass
er ihn unterhalte121 „quamvis forte hoc sufficienter probari non possit quin rationes
possent evadi.“ Doch stellt er in einem nachträglichen Einschub fest, der Satz könne
doch bewiesen werden und führt den Beweis:122 „/§ Dico tamen quod per principia
Aristotelis potest hoc probari sufficienter. Nam sicut patet in libro Praedicamentorum
substantiae maxime proprium est quod est susceptiva contrariorum, ita quod nulli alii
potest hoc competere. Ergo cum delectatio et tristitia sint contraria, erunt immediate
in aliqua substantia, et per consequens neutrum immediate erit in aliquo accidente.
Et ita neutrum erit subiective in actu voluntatis sed in ipsa voluntate, quae est ipsa
anima rationalis … §/“ Das ist ein persuasiver Beweis. Er benutzt die ontologische
Unterscheidung von substantia und accidens, die aber selbst nicht kreditiert und
bewiesen wird. Die Legitimität der beiden ontologischen Begriffe kann nicht darge
tan werden. Sie entspricht dem Gebrauch auf der abstrakten Stufe. Beweisbar ist da-
nach ‘quod delectatio sit subiective in voluntate’. Das heißt als subiectivum esse, nicht
als obiectivum esse, auf das man zu blicken hätte oder vermöchte. Abgelehnt wird
der Satz ‘delectatio est in actu voluntatis’. Aber delectatio ist ein empirischer Begriff;
Ockham lässt generell die notitia intuitiva bezüglich psychischer Akte zu. Wir können
es innerlich wahrnehmen, wenn wir uns freuen. Es gibt die innere Wahrnehmung
unserer Akte oder Empfindungen qua notitia intuitiva. Wir erkennen auch, dass wir
glauben, denken usw. Es wird hier keine Vermeintlichkeit unterstellt. Der Akt wird
nicht gegen seinen Inhalt abgespalten, derart, dass er dann bezüglich oder vermö-
ge dieses Inhaltes bezweifelt werden könnte, i.e. eine substantia ohne accidens oder
Eigenschaften wäre.123 Es gäbe so eine Aporie, die zur Grundlage der Negation oder
119. Wie H. Blumenberg, 1966 glaubte. C. Schultz, 2001, pp. 155–166 spricht kaum von Blumen
bergs Sachforschung; sie existiert nicht. Cf. J. Goldstein, 2004. Die Verfasserin glaubt (p. 162f),
Blumenberg habe die Omnipotenzidee als manifesten Ausdruck (Endprodukt) latenter spät
mittelalterlicher Unsicherheit, nicht als Inbegriff des Urteilens verstanden. Die Interferenz von
Ausdruck und Urteil impliziert, so oder so, bloß ‘Insignifikanz’.
120. Ord. d. 1 q. 3 OT I p. 424 lin. 26 f.
121. Ib. p. 424 lin. 27 – p. 425 lin. 1.
122. Ib. p. 425 lin. 1–9.
123. Freilich kann oder könnte gezweifelt werden, dass ‘ich’ eine notitia intuitiva hatte.
404 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
eines Zweifels gemacht würde oder mit Zweifel und Negation gleichwertig wäre. Es ist
aber unsinnig von Aporien überhaupt auszugehen.124 So trennt denn Ockham zwar
den actus (die notitia intuitiva) von dem darin wahrgenommenen Gegenstand extra
nos; aber er denkt nicht, dass wir darin nicht einen Gegenstand denken, somit also die
notitia intuitiva leer sei. Ockham begradigt die Erkenntnistheorie, indem er für die
Erkenntnis unius rei extra nos von dem Akt ausgeht, in welchem sie wahrgenommen
worden und von uns für uns vergegenwärtigt erscheine.
Wir beweisen nach Ockham aber in Abstraktheit eine Qualität oder deren Zu-
ordnung (zur substantia). Wir lehnen uns dann nicht mehr mit den Akten des Bewei-
ses an die Erfahrung an und nehmen auch nicht die Erfahrung darin auf.125 Wenn wir
in dieser die Prämissen gebildet sehen, ist der Beweis noch nicht unbedingt schlüssig,
sondern bleibt der Erfahrung nahe, wie Ockham am Beispiel ‘haec herba est sana-
tiva’ usw. gezeigt hat.126 Die Bedingungen, die für die notitia intuitiva gelten, gelten
ganz gleich auch für die notitia abstractiva und das Erkennen im Beweis oder Folge-
rungsakt.127 Ockham denkt also konsequent, wenn er im Sinne des probabilius die
124. Eine Aporie entsteht, wenn eine fiktive reale oder empirische Wahrheit, die bedingungs-
los eine solche sein soll, zugleich zu einer abstrakten mentalen erhoben werden (können) und
damit einem apriorischen Vermögen entsprechen oder verdankt sein soll. Das war bereits
kritisch anlässlich zu einer Frage angemerkt worden, die Adam Wodham aufgeworfen hat.
S. Kap. 6. Im Rahmen unserer Interpretation zeigt sich aber, dass auch der Widerspruchssatz
zu den quasi empirischen Bedingungen zählt, nach denen die Geltung der abstrakten menta-
len ‘Wahrheiten’ nicht angenommen werden kann, die vielmehr induktiv begründet werden
müssen und dann reflexiv das Denken, eben die Akte des Verstandes betreffen. Bezüglich der
notitia intuitiva würde der Widerspruch damit eintreten und darin bestehen, dass wir eine
Erkenntnis (Erkenntnisidentität/-gegebenheit) in die res extra animam setzten, also in die res
singularis ipsa (= darin aliquomodo definiert sähen), statt sie streng und in actu auf der da-
von unterschiedenen und getrennten mentalen Ebene des Subjekts, in ihm inkorporiert zu
denken.
125. Ockham hat ausgeschlossen, dass auf der Ebene oder in der Dignität (Identität) der in
sich singulären res extra mentem an eine Kombination von Eigenschaften gedacht werden kön
ne. Hier tritt sofort die Abstraktion als Moment der Begriffsbildung und der Wertung nach der
Erfahrung auf. Wir könnten entweder Teile abstrahieren oder aber wir müssen sie als unter
einem allgemeinen (abstrahierten) Begriff, der uns in der Erfahrung entstanden ist, mitgefasst
denken.
126. Ockham schafft eine Brücke, indem er in diesem Falle eine gewisse Häufung von Erfah
rungen annimmt, bevor die nicht eine in ihrer Abstraktion auch autonome Prämisse, bzw. das
entsprechende Medium im Syllogismus gebildet werden könne oder anders bei dieser Erkennt
nis (noch!) nicht eine völlige Evidenz oder Sicherheit herrsche. Das Bestreben geht also eindeu-
tig dahin, eine qua Abstraktion autonome Erkenntnis im Beweis zu besitzen. Das ist in diesem
Textabschnitt ebenso erkennbar.
127. ‘Probabilius’ ist ein Modus und enthält eine (ungetilgte) Negation; damit muss der Modus
mit dem modalen Satz, dem er angehört, empirisch gelten, soll die Feststellung widerspruchs
Kapitel 8. Glaube und Welt. Im Vorhof der Naturphilosophie 405
Bezweifelbarkeit gleichsam qua noch nicht getilgter Empirizität der Sätze oder Media
beim Beweisen annimmt oder unterstellt.128 Wenn er dann die Beweisbarkeit nach
den Prinzipien des Aristoteles (unter Gebrauch der ontologischen Termini substantia
und accidens) doch annimmt und vorführt, ist er bei einer Abstraktion, in deren Sinn
er die persuasio statuiert.129
Auch der Satz130 „‘quidquid absolutum stat cum uno contrariorum, stat cum re-
liquo’“ wird von Ockham modalisiert. Sein Modus lautet:131 saltem de potentia Dei
absoluta. Er gilt damit nicht faktisch empirisch. Danach nimmt Ockham an:132 „Qui
autem vult concedere illam propositionem quod ‘quidquid absolutum stat cum uno
contrariorum, stat cum reliquo’, saltem de potentia Dei absoluta; et concedit cum hoc
quod ‘unum uni est contrarium’, habet dicere consequenter quod de potentia Dei
frei (aporienfrei) sein. Er gilt nicht absolut (in Bezug auf die Abstraktionsebene in ihr selbst).
Dann wäre nämlich die Bestreitung oder Bezweiflung der Beweisbarkeit sinnlos. Sie wird also
dort negiert oder bestritten, wo qua Empirizität der Beweis nicht erwartet werden kann. Auch
‘beweisbar’ ist ein Modus. ‘Unbeweisbar’ auch. Indem er modo diviso gilt, betrifft er den Satz
definit nach seiner kontingenten Qualität und der Eigenschaft seiner Begriffe, nicht inhaltlich
über den empirischen Begriffsgebrauch hinauszugehen. Andernfalls wären die empirischen
oder kontingenten Sätze in sich nicht definit (widerspruchsfrei) bestimmt und wie sie ange-
nommen würden, wären sie zugleich als falsae propositiones analytisch. So übernehmen aber
auch die kontingenten Sätze pro forma Wahrheit als Modus. Sie kann nicht bewiesen werden.
Sie wird konsistent = in Übereinstimmung mit dem Akt als Akt und dann auch der Beweis
barkeit als Modus der Akte und der beweisbaren Sätze nicht bewiesen werden können: die Akte
und Begriffe usw. im Beweis wären nicht definit, wenn die Beweisbarkeit oder die Wahrheit,
Beweisbarkeit als Wahrheit usw. (definit) bewiesen werden könnte. Wenn Abailard die fallacia
darauf gegründet sah, dass die wahren oder richtigen Schlüsse nicht gezogen würden, kann das
nicht angehen. Cf. o. Anm. 11.
128. Ord. d. 1 q. 3 OT I p. 417 lin. 1–15 nennt Ockham solche ‘Beweisgründe’, in denen die Em-
pirizität wesentlich noch nicht getilgt ist: ibidem lin. 1f: „‘quaecumque res absoluta requiritur
in esse reali ad esse alicuius, est causa illius in aliquo genere causae’“ und lin. 3f: „‘omne illud
quo posito sequitur aliud, est causa illius’“ und sagt indirekt lin. 4f: dass hier nicht „‘sine … ex-
perientia“ „bewiesen“ werde. Ebenso ib. lin. 9: „Aliae autem rationes, puta fundatae super talia
media: ‘quod competit naturae inferiori non debet sine necessitate negari a superiori’; ‘causa
universalis secunda concurrit partialiter immediate ad producendum effectum causae particu
laris, ergo causa prima simpliciter’; similiter, ‘corpus non est causa totalis alicuius spiritualis’ et
huiusmodi, magis sunt persuasiones quam rationes demonstrativae vel necessario convincen
tes.“
129. Der Satz „‘probabilius est dicere quod delectatio sit subiective in voluntate, non in actu
voluntatis.’“ kann konsequenterweise auch nicht bewiesen werden.
130. Ib. p. 424 lin. 20f.
131. Ib. p. 424 lin. 21.
132. Ib. p. 424 lin. 20–24.
406 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
absoluta actus amoris potest stare cum tristitia.“ Das gilt auf der Stufe der formae.133
Es ist keine empirische Aussage. Es ist sogar direkt eine theologische Aussage ohne
empirische Basis. Wir zielen nämlich auf den actus amoris Dei, der nicht unter die
Bedingungen unseres status iste in via fällt und auch nicht unter dessen Erkenntnis
bedingungen, weder recte noch reflexive – i.e. wenn wir die Erkenntnisbedingungen
behandeln und unser Denken und Erkennen nach Ockham immer für den fernen
Gegenstand unserer Erkenntnis und Wahrnehmung und unserer Zustände in patria
ebenso wohl mit reflektieren wie wir die Erkenntnisvermögen pro statu isto dabei
konstatieren und sie konsistent betrachten müssen. Beides sc. das Erkennen in patria
und das Erkennen auch jenes uns fernen Zustand der Erkenntnis in patria, soweit uns
gegenwärtig möglich, also reflexiv bezüglich jener Zustände und der Mittel nach den
gegenwärtigen uns in via möglichen widersprechen sich bei Ockham eben nicht. Sie
sollen es nicht. Das ist das Herz seiner Erkenntnistheorie und Vermögenslehre usw.
Damit wird aber implizit die Konsistenz insgesamt neu definiert. Eine Verbindung
per implicationem existiert nicht und keine inferentia ex cognitione beati in patria ad
cognitionem nostram pro statu isto.
Auf der Stufe der theologischen, der abstrakten Aussagen, die die theologische
einzig ist, bestehen actus amoris Dei und tristitia als kompatible Faktoren nebenein-
ander. Für ihre empirische Koinzidenz gibt es keine Begründung. Für ihre theologi
sche und abstrakte wird die hypothetische oder fälschliche Identifikation der qualitas
mit dem actus voluntatis seu intellectus entfernt, bei welcher die kontingente Erschei
nung als solche auch noch im Bewusstsein oder in der anima vorhanden wäre. Wir
könnten auf sie blicken, was wir eben nicht tun sollen. Die qualitas soll nicht immedia
te in aliquo accidente sein, also im actus, der ein accidens substantiae voluntatis oder
animae wäre. Das hat Ockham auch eigens bei diesem Artikel134 (De subiecto delec
tationis) erklärt:135 „est difficultas: an delectatio sit subiective in ipsa voluntate vel in
ipso actu voluntatis. Et dico quod est subiective in ipsa voluntate. Cuius ratio est quia
omne subiectum receptivum alicuius contrarii, ergo si actus volendi esset receptivus
delectationis, idem actus esset receptivus tristitiae sibi contrariae. Sed hoc est incon-
veniens, et forte impossibile, quod aliquis summe diligat aliquid et tamen tristetur de
illo, nisi forte propter aliquem actum suum.“ Das nun ist empirisch unmittelbar einzu
sehen: dass jemand einen anderen im höchsten Maß liebt und dennoch seinetwegen
133. Rein empirisch kann natürlich gelten (ib. p. 424 lin. 16–19): „respondeo quod illa tristitia
quae est de timore amissionis boni amati et quaecumque alia non opponitur delectationi quae
est in illo obiecto, et ideo poterit actus amoris stare cum tali tristitia.“ Es handelt sich um ein
akzidentelles Hinzutreten außerhalb der Formbestimmtheit. Diese Differenzierung wird auch
ib. p. 416 lin. 24 – p. 417 lin. 15 festgehalten. Auch hier geht es um Verhältnisse in der kontingen
ten Welt. In der jenseitigen Welt im Stande der visio beatifica werden wir diesen timor oder
seine Berechtigung prima vista nicht unterstellen wollen.
134. Ib. p. 422 lin. 17.
135. Ib. p. 422 lin. 18–25.
Kapitel 8. Glaube und Welt. Im Vorhof der Naturphilosophie 407
sich betrübe, sc. wegen irgendeiner von dessen Handlungen. Dass aber die delectatio
oder der amor als solche in sich mit der tristitia einhergehe, ist nicht einsehbar. Derart
sind sie inkompatibel. Ockham begründet ihre dennoch denkbare Kompatibilität ab-
strakt (persuasiv), indem er die empirischen Bedingungen, die zugleich auch für ihre
unmögliche Koinzidenz überhaupt zu gelten haben, einmal beiseite setzt.
Wenn wir aber so die Begriffe wesentlich aus der Zone immediater empirischer
Erkenntnis und Erfahrung entfernen können, so bedeutet dies doch eben nicht abso-
lute Erkenntnis im Sinne der Begriffe respektive nach einer dieser zugeschriebenen
Unwandelbarkeit. Die Inhalte ergeben und gestatten auf der Ebene der abstrakten
Begriffe bzw. Sätze keine aus sich unwandelbaren Begriffskompositionen. Das muss
Eingriffe oder Reduktionen bei der Beweislehre bedingen. Ockham zeigt das u. a. zur
Ableitung der demonstratio potissima und bei Bewertungen einzelner consequentiae.
Eine auf der Ebene der res singularis gewandelte Welt wäre eine undenkbare Welt
und eine per potentiam divinam absolutam auf der Ebene der abstrakten Begriffe ge-
wandelte Welt wäre eine die einem anderen ordo mundi entspräche. Er ist nur per
potentiam divinam absolutam supranaturaliter loquendo zu denken. Dieser Ausdruck
ist hier ein Modus und kann nur modo composito gebraucht, d. h. so dass er nicht
empirisch relevant, bezogen oder abgestützt ist. Das kann nicht anders ein. Denn der
ordo einer anderen Welt als der unseren secundum legem communem lässt sich, wie
einsichtig, nicht aus dem ordo der gegenwärtigen Welt begründen. Es wäre dies eine
Welt, welche in sehr prekärer Weise aus der gegenwärtigen und deren res singula-
res im Sinne der abstrakten (begrifflichen) Andersartigkeit begründet und gewon-
nen sein müsste. Das ist unmöglich. Ockham hat die menschlichen Begriffe auf die
überweltlichen ‘Verhältnisse’ übertragen, beide indes nicht analytisch ausgelegt. Er
hat bei dieser Übertragung dort Halt gemacht, wo die Komposition der Begriffe selbst
als absolute oder als unwandelbare in Rede stünde.136 So beweisen wir mit Ockham
Wahrheiten nicht mehr, für die nur aliquomodo argumentiert werden könnte oder
scholastisch eben auch argumentiert worden ist.137 Ockhams ‘Erkenntnisse’ enthalten
136. Annahmen, die z. B. von den Engeln gemacht werden, gelten als nach menschlichen Be-
dingungen gemacht bloß de possibili zu akzeptierende (Rep. II, q. 14 OT V p. 319 lin. 20–22):
„Sed prius dicta omnia de cognitione angelorum loquuntur de possibili: si angelus esset relictus
in puris naturalibus.“ Nach ib. q. 12–13 p. 277 lin. 14f kann nicht „ratione naturali“ bewiesen
werden, dass es im Engel einen habitus gebe. Nur per analogiam, wenn es in ihm schon (wie bei
uns) notitia intuitiva und notitia abstractiva gebe, kann es geschlossen werden (ib. lin. 16–19).
Nach ib. q. 14 p. 331 lin. 3–12 bedürften induktiv gesehen auch im Engel gewisse Erkenntnislei-
stungen der Mitwirkung des Körpers: „potest habere aliquam perfectionem posito corpore“; sie
fehlt „destructo corpore.“
137. Z. B. Gott weiß nicht aus der Sache, dass etwas Künftiges notwendig sein muss oder wird
(Ord. d. 38 q. unica OT IV p. 587 lin. 16): „sic intelligendo Deum habere scientiam necessa-
rio de futuris contingentibus, quod Deus necessario sciat hoc futurum contingens, sic non est
concedendum quod habeat scientiam necessariam (die eben auch dadurch gar nicht bestimmt
sein kann). Quia sicut ipsum contingenter erit, ita Deus contingenter scit ipsum fore.“ Das
408 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
bereits den Vergleich von überweltlicher und weltlicher Dimension und beschränken
sich auf diesen Vergleich. Sie überschreiten ihn nicht. Sie thematisieren ihn inhaltlich.
Die Beweise Ockhams bedeuten struktural das so Thematisierte.138 Wo man vielleicht
noch scholastische Übersteigerung wahrnehmen will und vielleicht eine signifikante
und damit nicht überzeugende Gesuchtheit und die apologetische Evasion manifest
heißt: Gott weiß nichts in der Sache und aus dieser heraus. Hier ist das primum datum der kon
tingente Satz. Er weiß indes anders aus seiner divina essentia (cf. ib. lin. 5–15). Analog gilt ib.
p. 386 lin. 17f: „In sensu divisionis denotatur quod Deus volens a fore, potest non velle a fore, et
hoc est verum.“ In sensu compositionis würde (cf. ib. lin. 15ff) es unmöglich sein, weil es einen
Widerspruch einschlösse. Der Widerspruch bezeichnet etwas außerhalb der göttlichen Natur
Liegendes, das in diese nicht gehört. Andernfalls müsste der modale Satz in sensu composi-
tionis verstanden ein analytischer Satz sein; derart wissen wir aber nach Ockhams Bekenntnis
(ib. p. 583 lin. 23 – p. 584 lin. 2) gar nichts von Gott und können es auch nicht beweisen. Derart
müssen wir zwingend von der propositio contingens als primum datum cognitionis, oder ihm
entsprechend, ausgehen. Ockham hat diese ‘analytischen’ und die Kenntnis der divina essentia
einschließenden oder besagenden Sätze nicht (ib. p. 584 lin. 21 – p. 585 lin. 1): „modum exprime
re nescio“, nämlich für das göttliche Vorauswissen in der divina essentia selbst. Ein analytischer
Beweis wäre hier gänzlich sinnlos, aporetisch und Nicht-Wissen.
138. Ockham spricht da z. B. von induktiv gesicherter „ratio probabilis“ Ord. d. 2 q. 10 OT II
p. 356 lin. 14 – p. 357 lin. 9): wenn es neben Gott einen zweiten Gott gäbe (geben könnte), der
specie von Gott sich unterschiede, so wäre wahrscheinlich die eine species vollkommener als
die andere. Aber die Zahl der Götter wäre unbegrenzbar; wenn es einer wäre, der „solo numero“
vom ersten unterschieden wäre: dann wäre auch die unendliche Anzahl möglich: quia „non vi-
detur includere contradictionem quin sint plura quam duo.“ Die Nichtwidersprüchlichkeit ‘be
gründet’ die Möglichkeit (Behauptung der Möglichkeit), dass nur ein Gott sei, aber keinen zwin
genden Grund: entsprechend tut es auch nicht die Widerspruchsfreiheit. Das gilt auch nicht,
wenn scheinbarer Widerspruch (als Einwand vorgetragen) zurückgewiesen und ausgeräumt
wird. Diese ratio sagt Ockham ausdrücklich „non demonstret (sic) sufficienter“. Sie wäre pro
forma empirisch. Wir müssten eine Stufe der transempirischen Abstraktion erreichen, auf der
die eigentliche Konklusivität des Beweisens mit rational unabhängigen Prinzipien anzunehmen
wäre. Wir müssen nach Ockham (SL III-3 c. 1 OP I p. 589 lin. 55–57) „praecise ratione termino
rum et non ratione alicuius medii extrinseci non respicientis praecise generales conditiones pro
positionum“ beweisen. Auch Gottes Existenz muss im Sinn der „scientia supranaturalis“ bewie
sen werden (Ord. Prol. q. 1 OT I p. 10 lin. 16 – p. 11 lin. 5), die nicht mehr bloß Naturphilosophie
oder Theologie sein kann. Scotische ‘Metaphysik als Wissenschaft von Gott’ (W. Kluxen) und
Scotische ‘Logik als Metaphysik’ (E. A. Moody) ergäben Logik als Wissenschaft von Gott. Das
ist unmöglich. Supranaturale Einwirkungen, die von Gott ausgehen, wie die conservatio mundi
oder auch die denkbare corruptio animae intellectivae (cf. Rep. II, q. 18 OT V p. 407 lin. 17f),
die nur „ab agente increato, puta Deo“ erfolgen können, werden nicht von Erfahrungsgegenstän
den her (secundum legem communem) gemessen und konstatiert oder beschrieben werden
können. Doch sind sie kompatibel mit Weltwissenschaft und so hinreichend überzeugend (lo
gisch). Sie sind nicht pro statu isto evident. Folgerbarkeit ist nicht kategoriell (äquivalent) empiri
sch. Sie ist den rationes nahe. Auch nicht experimentelle scientia gehorcht der ratio (= scientia).
Abstraktion geschieht nicht Begriff für Begriff mit immediater Folgerbarkeit.
Kapitel 8. Glaube und Welt. Im Vorhof der Naturphilosophie 409
erscheint, wird der humane Standpunkt139 gewahrt und theoretisch integriert. Die
Freiheit des Denkens, die Ockham bezeichnet, ist nicht eine des neuzeitlichen Indivi-
duums, die weitgehend fiktiv ist;140 es ist in der Gewinnung mittelalterlicher Integrität
gelegene Freiheit.141 Sie ist wahrscheinlich neutral gegenüber einem denkbaren oder
im Mittelalter wirklich, bei den Averroisten des 13. Jahrhunderts, angefallenen Gegen-
satz von Glauben und Wissen; bei potentieller Gleichheit oder und auch strukturell
betonter Gleichgewichtigkeit der theologischen und der philosophischen Aussagen
ohne apologetische Note (sie ginge in der technischen Gestaltung unter) kann die
Skepsis als kaum urteilsförmiger Vorbehalt nicht bis zur intellektualen Organisation
139. Diese menschliche Komponente, die insbesondere Nikolaus von Autrecourt gegen die
Scholastik in Stellung brachte, doch Ockham indirekt (bedingt) noch in den scholastischen
Ausdruck kleidete, wird man als neutral gegenüber den geschichtlichen Wertungen mit positiv
(affirmativ) und negativ (bestreitend) ansetzen können. In dieser Weise gerade ist Ockham ge
schichtlich positioniert und handelt geschichtlich.
140. Individuelle Singularität ist hier nicht mit gesellschaftlicher Freiheit zu verwechseln. Cf.
F. Borkenau, Drei Abhandlungen zur deutschen Geschichte, 1947 p. 72: „Die Freiheit des Westens
ist nicht die Freiheit eines die Gesellschaft in seinem Inneren verachtenden … Individuums.“
Derart tritt das Individuum nur wo es zum Symbol wird in Erscheinung, sc. im Kunstwerk,
worin die Dilemmata der Neuzeitgenese brüchig gespiegelt sind. Der Kontakt zur Antike nach
Weltwahrnehmung (K. Löwith) und Selbstempfindung (G. Lukacs) geht verloren.
141. M. L. De Rijk, vol. II Part I, 1967 p. 128 sieht das scholastische Denkens von der Ausbildung
des Rechts beeinflusst: „remarkable testimonies found in the documents extant of the Investitu
re Contest.“ Er betont den „mixed character of the scientific method found in in nearly all these
writings: … a mixture of grammatical and dialectical rules.“ Wir können indes fragen, wie viel
Rationalität bzw. Durchdringung des Verstandes selbst wir in der Feststellung des Anselm von
Canterbury Cur Deus homo, 1109 finden: „Nichts ist in der Ordnung der Welt weniger zu ertra
gen, als dass das Geschöpf dem Schöpfer die schuldige Ehre nimmt und nicht abzahlt, was es
nimmt.“ Die Dependenz vom Herrschaftsgedanken erschwert die Vernunftbegründung kraft
rationaler Technik. Hinzu kommt das christliche Dogma. Cf. E. Gilson, 1948 p. 63: „Pendant
le moyen âge, la philosophie ne s’est introduite qu’en contrebande.“ p. 65: „penser, du point de
vue d’un esprit religieux c’est exercer une activité irréligieuse, hérétique.“ Gleichwohl verteidigt
Gilson für Duns Scotus (z. B.) im Anschluss an dessen Maxime „ad scientiam proprie dictam
requiritur evidentia obiecti.“ laut Rep. Par. n. 22 (457 b) eine rationale Form. Die nun äquivoka-
tiv (ausgedrückt) erscheint, weil sie ontologische Postulate einschließt, die per petitio principii
anzubringen wären. Nach E. Gilson, 1959 p. 673 differenziert Duns Scotus über Thomas von
Aquin hinausgehend Wissen (Vernunft) und Glauben, „denn er lehnt es ab, dass unsere Theolo
gie der Theologie der Seligen und unsere Philosophie unserer Theologie untergeordnet sei, so
dass man in einer unterordnenden Wissenschaft glauben kann, was man in einer anderen für
Wissen hält … er verwirft diese Ansicht im Namen der Unterscheidung der Wissenschaften, so
wie er sie versteht.“ Doch Duns Scotus kann nicht begründen, dass er eine scientia oder (darin)
evidentia habe. Er greift dann etwa zu Maximen wie der, dass wo ein Gegenbeweis (noch) nicht
aufgetreten sei (gefunden wurde), Geltung (Evidenz?) zu postulieren sei oder als erwiesen zu
gelten habe.
410 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
142. O. Pluta, Atheismus im Mittelalter, in: K. Kahnert und B. Mojsisch, Umbrüche, etc. 2001,
pp. 117–130 erörtert, ob unausdrückliche Negationen und Bezweiflungen der Existenz Gottes
im Mittelalter als atheistisch beurteilt werden können. Er stellt sie der obligat positiven Ein-
stellung der Scholastiker zur christlichen Religion entgegen, die noch heute von Forschern wie
E. Gilson als rational angängig betrachtet werde. Ockhams Weigerung eine unbedingte rati
onale Traktation vieler Fragen, die er als beweisresistent betrachtet, zuzugestehen, könnte noch
als Weigerung und verkappte Renitenz eines Ungläubigen verstanden werden; aber das halten
wir für noch nicht einsichtig und nicht beweisbar. Wenn Pluta feststellt p. 121: „Nicht jeder
Denker, der persönlich von der Nicht-Existenz Gottes überzeugt ist, ist auch an einer philoso-
phischen Argumentation interessiert,“ lässt sich das so applizieren, dass Ockham an der phi-
losophischen Argumentation interessiert ist, aber sobald sie nicht effektiv ist, dann auch nicht.
Damit ist die Frage zunächst unentschieden (unentscheidbar); sie ist aber auch letztlich und
überhaupt unentschieden, wie die Argumentation, wie er sie darstellt, aus sich die Elemente
der Nicht-Beweisbarkeit genügend erhellt und eben bezüglich der Prämissen, die wir bilden
können und bezüglich aller conclusiones, die daraus hervorgehen können. Dieses Interesse
Ockhams mag man dann für kein ‘philosophisches’ halten. Das indes impliziert die absolute
Frage, in welcher Form von Argumentation das philosophische Denken seine Erfüllung suche.
Hier ist aber Ockhams Motiv unergründbar.
143. Cf. Aristoteles, Analyt. Post. 87 a 1: „Da aber der bejahende Beweis besser ist als der ver-
neinende, so ist er offenbar auch besser als der auf das Unmögliche führende Beweis.“ Man mag
fragen, ob man das für die formale Logik akzeptieren will oder wenn die reductio ad absurdum
ein konstruktives Moment enthalte, z. B. wenn man beweist, dass die Menge der Primzahlen
unendlich ist. Denn ausgehend von dem Produkt aller angenommenen Primzahlern ausge-
hend gelangt man durch Addition von 1 zu eine neuen Primzahl. Die Induktion beweist nach
Aristoteles nicht, sie kann nicht zeigen oder enthalten, dass etwas immer ‘so’ ist. (Analyt.
Post. 91 b 15 und 35). Sie sei ohne sinnliche Wahrnehmung nicht möglich; diese gehe auf das
Einzelne. Doch entstehe keine Erkenntnis, die durch Allgemeinheit bestimmt sei und auf sie
gehe. Denn (Analyt. Post. I 31. 87 b 28): „Man kann nicht durch sinnliche Wahrnehmung al-
lein erkennen und wissen. Was aber allgemein ist und in allem, das ist als solches unmöglich
wahrzunehmen. Denn es ist kein räumliches Einzelnes und Jetzt; denn dann wäre es nicht
allgemein. Was immer ist und allenthalben, nennen wir allgemein. Wenn wir daher z. B. auch
(während einer Mondfinsternis) auf dem Mond wären und die Erde das Sonnenlicht versper-
ren sähen, so würden wir doch nicht die Ursache der Mondfinsternis wissen; denn wir würden
nur wahrnehmen, dass der Mond sich jetzt verfinstert, aber nicht warum überhaupt; denn es
gab keine Wahrnehmung des Allgemeinen.“ Mit Ockham aber betrachten wir solch Allgemei-
nes mentalistisch auf der Stufe des actus apprehensivus, der intensional und formal als Akte
des Verstandes identifizierten Aussagen und Begriffe. Er zitiert das Beispiel ‘eclipsis lunae’ als
aristotelisches. Zur ‘demonstratio a priori’ cf. Ord. Prol. q. 2 OT I p. 126 lin. 22–24: „omnis
Kapitel 8. Glaube und Welt. Im Vorhof der Naturphilosophie 411
zu tun, die wir produzieren. Es stellt eine parsimonia dar, dass wir so auch mit dem
Satz beginnen können. Auch der Satz stellt so etwas wie eine Primärentität dar.144
Auch hier gilt das Ökonomieprinzip. Doch das wissen Wollen, was die res sei bzw. ob
sie wie und wieweit erkannt werde, ist konkomitante Spielregel.145 Das Erkennen in
der scientia (Wissenschaft) wie das Erkennen der res extra im subjektiven Verstand
sind wesentlich unproblematisch, mit keinem Argument anfechtbar.146 Auch hier
demonstratio quae est per prius est a priori, dico quod non sufficit quaecumque prioritas, sed
prioritas subiecti requiritur.“ Hier geht es thematisch um ein lineares und ununterbrochenes,
i.e. stetiges Fortschreitens beim Beweisen, worin man die Beweise in einer fest eingehaltenen
Ordnung und Folge aneinander anzuschließen hätte und keiner die Ordnung durchbräche. Sie
wird von Ockham als nicht ausnahmslos existierend oder herstellbar angesehen. Notwendig
keit und Kontingenz sind so gesehen ununterscheidbar – wie um 1900 wieder bei R. Dedekind
und G. E. Moore.
144. Das scire gilt dem Satz cf. Ord. d. 2 q. 4 OT II p. 137 lin. 16 -18: „nihil scitur nisi comple-
xum. Complexum autem non est extra animam, nisi in voce vel in consimili signo.“ Denn (ib.
d. 27 q. 3 OT IV p. 253 lin. 5f): „Intelligibilia esse in intellectu nihil aliud est quam ipsa intelligi
vel cognosci.“ Zum Begriff cf. ib. d. 2 q. 4 OT II p. 134 lin. 20: „omnis intellectio potest esse pars
propositionis in mente.“ Zu den Äquivalenzen bzw. Varianten in der Bezeichnung des Begriffs
in anima ib. lin. 17–19: „propositio concepta tantum componitur ex intellectionibus (vel) con-
ceptibus (seu) intentionibus animae.“
145. Das ‘esse obiectivum’ schließt nicht das esse in re oder, beim Satz, etwa ‘Socrati inest
albedo’, das inesse in re (oder reali) aus, das Ockham mit der significatio verbindet, nicht mit
der praedicatio allein. Cf. Rep. II, q. 1 OT V p. 22 lin. 17 – p. 23 lin. 5. Eine Hypothese, die bei
Ockham dem actus in mente gilt, wird nicht vermittelst der Geltung in re ausgedrückt. Es ist
die Argumentation, die die Unterscheidung der Ebenen ebenso leistet wie verlangt. Die entia
rationis oder die distinctio ratione können nicht effektiv auf die entia realia oder die distinctio
realis zurückgeführt werden, umgekehrt auch nicht. Dennoch kann Ockham sagen (Ord. d. 35
q. 5 OT IV p. 492 lin. 5f): „Convenientius poneretur (sic!) quod entia realia essent rationes co-
gnoscendi entia rationis quam econverso.“ Denn vom ens reale wird der entschiedene Ausgang
genommen, aber er wird nicht im Sinn der Erzeugung des ens rationis verfolgt werden kön-
nen. Für Begriff ‘intellectio’, ‘conceptus’, ‘intentio animae’ wahlweise nebeneinander Ord. d. 2
q. 4 OT II p. 134. Grundsätzlich erscheinen, schon bei der praedicatio in einfachen Sätzen wie
‘homo est animal’ Realwelt und Verstandesausdruck nicht durcheinander vermittelbar, cf. Rep.
II, q. 1 OT V p. 19 lin. 14–16: „unio in re (nach der copula ‘est’) necessario dicit respectum rea
lem, sed in ratione non oportet quod dicat respectum realem nec rationis.“ Und ib. lin. 9–12: „si
quaeras (sic!) quomodo conceptus copulae est communis, dico quod non per praedicationem
sicut est conceptus extremi, sed est communis per unionem, quia scilicet unit duo extrema ad
invicem.“
146. Ockham sagt Ord. Prol. q. 2 OT I p. 79 lin. 12–14: „scientia proprie dicta nullam imperfec-
tionem ponit, igitur hoc non debet negari a divino intellectu“. Es ist nicht gemeint, dass der divi-
nus intellectus eine perfectio erfordere. Sondern: da die scientia proprie dicta keine imperfectio
besage bzw. keine mit ihr gesetzt sei, könne sie auf den divinus intellectus übertragen werden,
der maxime cognoscens ist. Die Induktion ist auf jeden Intellekt, den menschlichen und den
412 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
kann die Induktion im einen Medium des Begriffs oder des Satzes Gott und Welt glei
chermaßen umfassen und eben in actu auch beweisend auf einander beziehen. Der
menschliche Begriff ist dessen Gebrauch für Gott generativ übergeordnet:147 „notitia
actualis creaturarum est prior aliqua prioritate qualibet persona divina et qualibet
relatione“, was argumentativ nicht gilt:148 „dico quod concessa illa propositione quod
omne absolutum creatum potest esse sine quocumque alio per potentiam divinam,
nihil est prius natura alia absoluta simpliciter et absolute loquendo nisi solus Deus.“
Unter Gebrauch des Omnipotenzprinzips schließen, induzieren oder persuadieren
wir was den Begriff der ‘res’ allein nach dem Sinn von Negationen überschreitet. Die
Begriffe aber bleiben in der Physik wie in der Theologie gleich. Die Begriffe, auch die
in der sacra theologia gebrauchten, sind womöglich lediglich „prioritate consequen
tiae“ geordnet:149 Die „essentia divina et intellectio divina et volitio … idem sunt totali
ter.“ Aber vermittelst der divina essentia als medium können bezüglich der personae
et relationes divinae Beweise ausgeführt werden.150 Im Sinn der Abstraktion, also
wenn wir das Datum der im Grunde empirischen res überschreiten, unterstehen wir
der Ordnung der Sätze. Für sie argumentieren wir; da es induktiv geschieht, geschieht
es immer mit einem Bezug auf die res (also deren ‘Identität’), damit auf die Empirie.
Es gilt auch für die Begriffe der Theologie, weil wir stets eine Induktion ausführen
können, wo die Negation eines Datums – mit einer Überschreitung gleich – dessen
Verhältnis zur significatio und darin deren Verallgemeinerung zu besagen hätte. Eine
Negation wird negiert; für diesen Ausschluss können wir argumentieren (operieren),
also einen Beweis führen, wenn das accidens (Akzidentelles) – etwas schon Negiertes,
Negatives – nicht entitative in der substantia oder forma sein können soll.
göttlichen unterschiedslos, übertragbar. Kein intellectus in sich kann bezüglich seiner Akte,
eines actus apprehensivus, ein dubium enthalten, von der propositio per se nota angefangen.
Da ist keine Unterschiedenheit der Intellekte. Dubitabilis propositio heißt: ‘aliquis possit de ea
dubitare, non: quod de ea vere dubitat’. Dubium, das der Beweis apprehensiv aufhebt, ist kein
Inhaltselement des Satzes. Da die Abstraktion im Begriff ‘intellectus’ bis zu Gott reicht, kann
sie argumentativ auch von ihm aus überredend beginnen. Analog kann etwa der Gedanke alias
Beweis, dass kein Ding ein anderes sein könne, wie auch kein sibi additum es zu einem solchen
einigen oder einfachen machen könne, von Gott her beginnen, der das ens simplicissimum ist:
Ord. d. 24 q. 1 OT IV p. 86 lin. 13–19 Es kommt einer res, um von einer anderen distincta zu
sein, d. h. unidentisch, nicht einmal die negatio zu, dass sie dieses (andere) nicht sei; sie ist es
schlechthin in sich selbst nicht, das heißt als sie selbst. Das wird vom Begriff Gottes her erläu-
tert: ib. p. 82 lin. 22 – p. 83 lin. 5.
147. Ord. d. 9 q. 3 OT III 3 p. 305 lin. 16–18.
148. Ib. p. 310 lin. 7–10.
149. Ib. p. 305 lin. 11–14.
150. Cf. dazu auch ib. p. 312 lin. 11–16: Es gibt hier einen ordo realis, aber keine relatio realis.
Kapitel 8. Glaube und Welt. Im Vorhof der Naturphilosophie 413
151. Ockham hat in der Ordinatio die Sprach- und Satzformen herangezogen, um die hypo-
thetisch gemeinte Erkenntnis abzuschätzen, in der Reportatio mehr die Akte behandelt. Er
ordnet diesen da wohl Sätze zu, um die actus (oder habitus) inhaltlich fixiert voneinander zu
segregieren. Er untersucht diese Sätze jedoch weniger genetisch (genealogisch) und danach
typologisch. Dabei sehe man, dass Duns Scotus Satzeinheiten vorgibt, die postulativ präpariert
und darin mutiert der gesamten Deduktionsleistung entsprechen sollen. Und das, obwohl sie
sie unterbrachen. Der Nachweis, dass dies angehe, fehlt. Er entfällt mit den Beweisstrukturen
Ockhams.
152. Gott ist hier ein terminus exclusivus der Welt, ebenso wie der Widerspruch. Gott wird
vom menschlichen Subjekt ‘gedacht’, aber nicht so, dass sich das Subjekt in Gott hineinfüllen
könnte oder vice versa Gott in das Subjekt. Ockham führt öfter Beweise bezüglich des Den-
kens, indem er zunächst von Gott etwas pro forma annimmt, weil das widerspruchsfrei sei,
um es a fortiori zu generalisieren (Ord. d. 35 q. 1 OT IV p. 426 lin. 13–16): „Deus est maxime
cognoscens et tamen non est natus habere formam cuiuscumque alterius nec species rei est in
Deo. Ergo per hoc non cognoscens non distinguitur a cognoscente.“ Das ist ein Induktions
schluss. Darin ist so viel wahr, dass wenn wir Mittel und/oder Bedingungen des Erkennens
(der Erkenntnis) haben (wollen), diese auch für Gott gelten müssen; sonst müssten wir denken
(wollen), Gott existiere nicht. Soweit werden wir nicht gehen wollen, zumindest nicht an dieser
Stelle. Folglich gilt (ib. p. 427 lin. 11f) „nec potest aliqua ratione generaliter dari quare aliquid est
cognitivum“. Wir wissen induktiv nicht, wodurch aliquid zum Erkennenden (cognoscens) wird
und sich damit vom Nichterkennenden unterscheidet. Andernfalls müssten auch Mittel und
Bedingung identisch werden. Ein Beweis ließe sich da schwerlich führen. Generell müssen wir
nicht einmal an eine Person denken: aliquid! Das menschliche Subjekt ist bei Ockham „eine
Grenze der Welt“ (Wittgenstein, 1921, 5.632), indes nur wie Ockham für es inhaltlich und funkti
onal argumentiert: es argumentiert nicht durch sich selbst, sondern durch Ockham vertreten.
Es „gehört nicht zur Welt“ (Wittgenstein ib.), wenigstens nicht, insofern der intellectus nach
414 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
des Wahrheitsfaktors auf und eben auch, wenn Gott hypothetisch über unser theolo-
gisches Erkennen in der Gestalt ‘unserer’ grundsätzlichen Akte notitia intuitiva und
notitia abstractiva ‘für uns’ verfügt.153 Seine Struktur steht gegen die semantische Fol
gerung, ohne die sie auskommt. Sie bedeutet keine Identifikation von Empirie und ex
Ockham nicht Teil der physischen Welt ist, der er mit seinen ‘Akten’ doch wieder anzugehören
scheint. Der Verstand (intellectus), in den die verschiedenen und eben auch essentialiter, spe-
cie, formaliter und causaliter unterschiedenen Akte fallen (cf. Ord. Prol. q. 1 OT I p. 57 lin. 20 –
p. 61 lin. 20), ist außerhalb der actus und dann habitus, die für ihn benannt werden können,
selbst ungreifbar und nur noch durch den Begriff der potentia repräsentiert: in sie fallen die
actus, die wir sehen, also wahrnehmen, während das bei den habitus nicht der Fall ist. Dabei
können die verschiedenen Akte, die nacheinander anfallen können, nebeneinander bestehen;
sie löschen einander nicht aus cf. ib. p. 59 lin. 24 – p. 60 lin. 7. cf. auch p. 19 lin. 13f: „concedo
quod in eodem intellectu sunt plures actus intelligendi.“ Die distinctio realis, mit der distinctio
specie gleich, bedingt die empirisch wahrnehmbare Unabhängigkeit der actus voneinander.
Hier liegt ja die Basis der Induktion, die im Gegensatz zur contradictio steht cf. p. 59 lin. 14–24.
Zugleich kumulieren sich die actus in derselben potentia (cf. ib. p. 21 lin. 6–10): „omnis actus
iudicativus praesupponit in eadem potentia notitiam incomplexorum quia praesupponit actum
apprehensivum et actus apprehensivus respectu alicuius complexi praesupponit notitiam in
complexorum terminorum.“ Die notitia intuitiva, die actus apprehensivus und actus iudicati-
vus umfasst (zusammennimmt), bezieht oder gewinnt die termini (conceptus) anhand der res
in Form der notitia incomplexa. Cf. dazu nachdrücklich ib. p. 60 lin. 8–19. Die argumentativ
beigezogene potentia Dei absoluta (naturaliter loquendo) folgt wie stets der distinctio realis (cf.
ib. lin. 11–14) und gibt eine persuasio, die an die Empirie sich bindet und sie bestätigt. Argumen
tatio, die wie stets alles stützt, ergibt per persuasionem imaginäre Identitäten und distinctiones.
Die Umwandlung der realen distinkten Größen in hypothetische oder imaginäre (reelle) hält
(an) deren Funktion fest, instrumentalisiert sie weiter oder sichert sie überhaupt erst (Cf. bes.
p. 57 lin. 20 – p. 58 lin. 4). Wir gelangen jedoch nur bis zur persuasio (abstractio). Über die Welt
hinaus und bis in Gott hinein gehen wir so nicht.
153. Ausdrücklich stellt Ockham (ib. p. 60 lin. 11–14) dies für das Omnipotenzprinzip oder
dessen Gebrauch fest, indem er die empirische Basis der Operationen betont, die die distinctio
realis beinhaltet und das Omnipotenzprinzip mit umfasst: „Quidquid autem sit de potentia Dei
absoluta, dico quod naturaliter primum actum est separabile a duobus sequentibus et secundum
a tertio.“ A parte Dei und vermöge der Idee der omnipotentia erfolgt also kein Einspruch. Cf.
die Akzentuierung mittels naturaliter. Daraus folgt die distinctio realis. Das bedeutet nicht,
dass in actu apprehensivo propositionis es irgendeine (aliqua) notitia distincta terminorum ge
ben (können) müsse. Soweit gestaltet sich die naturale Basis des Denkens in anima quasi nicht
aus. Wir verlieren die actus terminorum nicht; wir löschen sie nicht. Aber wir apperzipieren sie
nicht (mehr). Damit wissen wir von etwas Bestimmtem in der anima nichts (mehr) und eru-
ieren es nicht mehr in der substantia animae seu in intellectu ut potentia. Das nicht Gewusste
alias Nichtwahrgenommene leiht sich dann (auch) nicht mehr den Operationen (Argumenten)
und tritt insofern nicht in Ockhams solutiones oder opiniones ein.
Kapitel 8. Glaube und Welt. Im Vorhof der Naturphilosophie 415
se zu erkennender Wahrheit. So wird die Frage nach seinem eigensten Motiv bereits
materiell schwierig.154
An der Differenz des Scotischen Beweisverfahrens zum Beweisverfahren Ock-
hams lässt sich ablesen, dass die Denkart des ersten notwendig, indem sie ihre Se-
mantik kategorienartig fasst, auf den Gebrauch der materiellen Implikation hinaus-
läuft und gleichsam von ihr her gesteuert wird. Das muss bedeuten, dass Ockhams
Widerlegungen des Duns Scotus, wenn sie nicht auf die instantia, das praktisch-em-
pirische Gegenbeispiel, sich beschränken sollen,155 die Implikation am Ende selbst
154. Der Begriff ‘Motiv’ wird zudem äquivokativ, wenn er an ganz und gar technische Mo-
mente geknüpft werden (können) soll. Das gilt bereits wenn individua die empirische Basis des
Erkennens und der Erkenntnisbegründung sind, u. a. für die dabei bei Ockham noch zulässige
Relation. Die relatio wird für Ockham durch deren extrema determiniert (Rep. II, q. 2 OT V
p. 38 lin. 4): „Igitur (relatio) nihil est praeter extrema.“ Wenn Gott niemals in die geschöpfliche
Ordnung eingreifen kann, so weil er nicht die Relationen aufheben kann, die mit den Fakten
oder Dingen gegeben sind. Cf. ib. p. 48 lin. 23 – p. 49 lin. 4: „potest Deus eundem hominem
quem Petrus generet (Konjunktiv!) creare, et tamen ille homo sic creatus non esset filius Petri
quia numquam eum genuit, sed posito (sic!) quod eum generet, tunc sequitur quod semper
stabit ipsa relatio. Die hypothetische creatio kann nie mit der realen Ordnung der Dinge in
terferieren.“ Cf. ib. lin. 4–7: „Tamen bene potest dici quod positis extremis naturaliter (sic!),
necessario oritur relatio, et per hoc excluditur obiectio de creatione.“ Die relatio ist auch lo
gisch eine abstrakte Größe, die nicht empirisch aufgehoben werden kann und daher auch nicht
von der Stufe der Abstraktion aus; von ihr her wird ihre Identität nicht angefochten werden
können. Das hat Folgen: Der Engel, der eine Operation im Sinne einer relatio ausführt (und
zwar grundsätzlich empirisch a parte rei begründet cf. ib. p. 34 lin. 15–17), bezieht sich damit
notwendig (unausweichlich) auf ein empirisches Datum im Sinn der Unaustauschbarkeit oder
Diszernibilität, die somit abstrakt besteht (ib. p. 34 lin. 10–13): „nam angelus, qui est simpliciter
simplex, habet relationem diversitatis ad quamlibet partem continui. Cum igitur in continuo
sint infinitae partes, erunt infinitae relationes in angelo.“ Und ebenso ib. lin. 23–26. Das Kon-
tinuum ist keine Relation. Cf. ib. p. 32 lin. 14f: „in nulla res sunt infinitae res in actu.“ Die empi
rische Fundierung über individua lässt die Relation bloß als Abstraktion zu. Hiermit wird eine
logische Basis angesprochen, wie vergleichbar (oder konsistent) auch sonst bei Ockham: Da
für das (ein) Verhältnis von substantia und accidens nicht argumentiert werden kann, ist dies
das Prinzip der Logik, wenn es mit (u. a. logischen) Beweisen übereinstimmt. Das heißt: wenn
diese Beweise darin zugelassen werden, ohne dass das zur Ermittlung beider, der substantia
und des accidens oder der Notwendigkeit ihrer Trennung (Scheidung) führt. Beide können
per potentiam divinam absolutum (supranaturaliter loquendo!) getrennt werden. In dem Sinne
gibt es für sie eine distinctio realis, die die Basis der Induktionen ist. Freilich auch die solcher
transempirischer Lösungen mit theologischer Referenz oder Relevanz, die etwas Nichtempiri-
sches betreffen, das doch nicht auszuschließen sei, also keinen Widerspruch bedeute. Dieser ist
auf der Basis der Induktion ausgeschlossen, und eben diese Basis wird per divinam potentiam
absolutam, auch supranaturaliter loquendo, erreicht. Das bedeutet, dass die Induktion de facto
Widerspruchsfreiheit besage.
155. Das ist eben auch tatsächlich nicht der Fall; Ockham hat ja nicht nur die consequentia
formalis für einen fiktiven Beweiszusammenhang bestritten, wie etwa wenn Duns Scotus die
416 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
negativ aufzurollen haben: Ockham wird implizit auch zeigen müssen, dass die Impli-
kation kein externes Moment einer Aussage oder ihrer determinatio durch Zusätze,
also nicht Teil der determinatio sein kann. Denn wäre die Implikation mit einem sol
chen Zusatz gleich, so wäre dieser absolut und als kategorielle Bestimmung unanfecht
bar. Damit muss Ockham im Grunde zeigen, dass kontingente Bedingungen nicht all
gemein gültig sind; er legt den Schnitt zwischen Notwendigkeit (Allgemeingütigkeit)
und Kontingenz (Postulation ad hoc, Emendation); hier liegt ein Scotisches Problem,
das zugleich zeigt, wie sehr Duns Scotus mit einer unzureichenden Deduktionsart in
die Neuzeit hineinwirkt, die mangels besserer Kenntnis nolens volens (unwillkürlich)
in seinem Sinne hat verfahren müssen. Spinoza ist ein Beispiel. Man erledigt analog
die Frage (und sie stellt sich für Spinoza), ob zusätzlich oder im Verlauf der Dedukti-
on definierte Prädikate und Prädikatserweiterungen die Deduktion ausmachen und
bestimmen dürfen und ob, wenn das der Fall ist, nicht der Mangel des Scotischen
Deduzierens insgesamt gegeben ist. Ockhams Deduktion, gleichsam das Ableiten in
clusive zu reprobierender Beweiszüge des Duns Scotus, integriert sich in die Abstrak
tion oder wiederholt sie. Darin wird die significatio als Element (Inhaltselement) oder
Gleichwert (Äquivalent) des Beweisens entfallen müssen.156 Alle Strukturen Ockhams
scientia beatorum auf die scientia hominis abtragen oder ein Fehlen von Widerlegungen ad
nunc zum Ausweis der generellen Widerspruchsfreiheit erhebt, also einen Generalisierung weit
über die Gegenwart und alle zukünftigen Traktationen der Theologie betreibt und quasi als
mittelalterlicher Insider in die künftigen Epochen hinein extrapoliert. Zur consequentia forma
lis s. auch Quodlibeta II, q. 4 OT IX p. 125 lin. 64 – p. 126 lin. 66: „sic est consequentia formalis
quocumque demonstrato: hoc non est sapientia, igitur hoc non est sapiens; quia sic concretum
et abstractum convertuntur.“ Die consequentia formalis bedeutet nicht Operationsvollzug (ra-
tiocinatio) und nicht deren Ersparung, indem man ohne Vollzug einen Zusammenhang an-
nimmt; Ockham setzt einen ‘tatsächlichen’ Beweis voraus: ‘quocumque demonstrato’. Anders
W. Chatton (cf. Kap. 14 Anm. 42). Doch ist bei Ockham der tatsächliche’ Beweis fiktiv; er gilt
als erbracht. Aber er kann zwangsläufig nicht demonstriert werden. Er ist ein synthetisches
Element der consequentia formalis. Denn wäre es anders, so gäbe es in einem bestimmten
(definiten) Sinn die consequentia formalis gar nicht; sie wäre in diesem anderen ‘konstruktiven’
Beweis erloschen oder mit ihm identisch.
156. Wenn wir in den Kapiteln 9-11 Ontologie und Induktion; Beweis, Satz, Akt; Abstraktion
und scholastischer Beweiszweck demonstrieren, wie die res fiktiv als res singularis genom-
men, über die species vermittelt, die damit den Implikationsfaktor übernimmt, nicht die forma
aufnehmen kann, zeigen wir, wie schon in Kap. 7: Formbegriff und reale Wahrheit bei den
naturwissenschaftlichen Fragen, dass (die) forma zur Realwelt zurückkehrend, in dieser nicht
gegründet und bestätigt wird; sie ist absolut oder abstrakt. Es wird aber in Kap. 9–11 beweisin-
tegral gezeigt und nicht wie in Kapitel 7 nur mehr praktisch-empirisch, damit im Grunde wie-
der an instantiae: wenn Ockham zeigt, das ‘instans’ (von instantia zu unterscheiden, nämlich
das augenblickliche Zeit- oder Bewegungsmoment, analog einer momentanen Wahrnehmung,
nicht die forma bestimmen, verändern oder aufheben könne. Nach Kap. 9–11 ergibt sich, dass
auch die species nicht abstrahiert, i.e. aus der Empirie gehoben, allgemeingültig sein kann.
Intensional wird sie von Ockham verwandt; sie ist beweisintern ein Negativfaktor, mit dessen
Kapitel 8. Glaube und Welt. Im Vorhof der Naturphilosophie 417
prägt es, dass das entweder sorgfältig in der Methode oder in unmittelbarer präventi-
ver Erklärung ausgeschlossen wird. Beide erscheinen so gleichförmig und in der Wei-
se gleichsam geplant und überlegt, wie darin Folgerung nicht das medium probans
sein kann.157 Alles bettet sich aber in Beweisverhältnisse ein, mit denen die reflexive
Beweiswertigkeit158 schließlich über alle Faktoren159 mit entscheidet und die Beweis-
theorie selbst quasi negativ einen Bezug zur significatio erhält, sc. in der Form ab-
gelehnter (reprobierter) Beweise, Relationsketten, Folgerungen und der Implikation
überhaupt.160
Hilfe Indefinitheit bewiesen werden kann, wie mit der Paarung von forma (substantia) und ac
cidens auch. Die ontologischen Begriffe werden von Ockham in dieser Weise appliziert.
157. Es zeigt sich, dass jede Struktur Ockhams nicht nur intensional bestimmt wird, sondern
zusätzlich, was in Bezug auf sie ausgeschlossen werden soll, so dass sie darin nicht zu gelten
habe, für sie nochmals regelrecht negiert wird. Es wird als Folgerung ausgeschlossen wird. Die
Struktur ist derart doppelt intensional gesehen und sowohl auf das Argument bezogen, das sie
synthetisiert, wie über die negierte Konsequenz reflexiv als wahr bestimmt.
158. Darüber soll in den folgenden Kapiteln 9–11 nochmals näher gehandelt werden.
159. U. a. die Universalienlehre. Dass sie wahrscheinlich bei einer Vielzahl von Scholastikern
nicht das Zentrum ihrer Ideen bildete, vermutete bereits J. Koch, 1927 p. 2.
160. Bei Ockham versinkt die Logik im Gesamtbegriff der Beweisbarkeit. Der moderne (intui-
tionistische) Logiker denkt anders cf. E. W. Beth, Semantic entailment and formal derivability,
Mededeelingen der Koninklijke Nederlandsche Akademie van Wetenschappen (Amsterdam),
Afd. Letterkunde 1955 n.s. 18, No. 13, 1955, pp. 309–342 p. 326: „We wish to establish a logical
theory which is adapted to such situations as may present themselves in scientific argument“.
kapitel 9
. Dies ist nach dem Paradox von Löwenheim und Skolem anzunehmen.
. Der Widerspruchssatz (der Widerspruch nach dem Widerspruchssatz) hat keinen unbe-
dingten extensionalen Charakter. Cf. P. Lorenzen, Metamathematik, 1962 pp. 130ff zur Differenz
von Gödels Unvollständigkeitssatz und Gödels Unableitbarkeitssatz, bes. p. 133: danach „ist
der Unableitbarkeitssatz, wie S. Feferman bemerkt hat, nicht extensional: er ist nicht invariant
gegenüber Ersetzungen der in ihm vorkommenden Formeln durch andere Formeln.“ Der Wi
derspruch muss daher auch nicht zur Erforschung von Wahrheit in der Form der Verneinung
von Widersprüchen dienen.
. Für Ockham bedeutet das Omnipotenzprinzip keine Negation von Wahrheits- oder Er-
kenntnisanspruch, wobei mit seiner Hilfe der Erkenntnisanspruch eben dem Wahrheitsan-
spruch übergeordnet wird. Das gilt oberhalb grammatischer und logischer (sic!) Satzerklärun-
gen, die Ockham hier als lediglich evasiv ansieht, in theologischen und ontologischen Fragen
cf. Rep. II, q. 2 OT V p. 14 lin. 20 – p. 16 lin. 2 insbes. p. 15 lin. 21ff. Das Omnipotenzprinzip
steht dem intellectus nahe: „si nullus intellectus esset, nec aliquis modus grammaticalis vel
logicalis.“ Wenn Ockham gegen Duns Scotus (ihn widerlegend) beweist (ib. p. 16 lin. 21 – p. 17
lin. 15), dass (p. 16 lin. 23–25) die Maxime „inhaerentia accidentis non significat ipsum accidens
absolute sed ut est in subiecto“ nicht gelte, nimmt er intermediär (p. 17 lin. 7f) an, „Deus se-
paret accidens a subiecto et utrumque conservaret.“ Ockham will zeigen, dass nicht, wie Duns
Scotus meint, die determinatio ‘ut est in subiecto’ unbeschadet und verändernd zum Satz oder
seiner Bestimmung hinzutreten könne und gar noch einen empirischen Belang besitze. Cf.
p. 17 lin. 10f: „quid addit ‘accidens ut in subiecto’ super accidens acceptum absolute? Aut nihil
aut aliquid.“ Das accidens war aber hypothetisch mittels der divina potentia absoluta suprana
turaliter loquendo vom subiecto getrennt worden; folglich kann es ihm nicht in empirischer
tenue wieder beigefügt werden. Eine solche ‘induktive’ Annahme ist ausgeschlossen worden.
Wir argumentieren secundum legem communem, i.e. wir bleiben in Gottes aktualer Schöpfung
und transgredieren nicht zu einer anderen; damit ginge die Definitheit verloren und überhaupt
420 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
nicht die Negation der Aktualunendlichkeit sein, ohne dass ein Zirkel vorläge. Wird
dies aber angestrebt, muss der Restausdruck (ohne Ausdruck der direkten oder indi-
rekten Wahrheitsgeltung, also abstrakt) eine ontologische Qualität haben und in die
sem Sinn zirkelförmig eingesetzt sein und zwar mit Hilfe der Kooption des Ausdrucks
der Wahrheitsgeltung; es muss dann aber nur der Restausdruck widerlegt werden.
Es würde ein abstrakter Ausdruck als Ausdruck oder Inbegriff von Beweis und Be-
weisbarkeit widerlegt werden. Ockham drückt immer, wo er etwas ermittelt (d. h. ei-
nen Sachverhalt, reflexiv oder intensional hinsichtlich oder vermöge der Begriffe und
keine Entscheidung der Fragen wäre mehr möglich. Das alles gilt für alle Erörterungen Ock
hams, auch in der Ethik. Ph. Boehner, Ockham, Philosophical Writings. A selection, 1957. Intro
duction p. XLIX bemerkt, Gott könne, per suam potentiam absolutam, dem Menschen, dem
Gott zu lieben und darum seine Gebote zu befolgen, aufgetragen sei, gebieten ihn zu hassen
und hält das für eine Aporie. Dieses Gebot wäre aber ein transzendent die Welt übersteigendes
und könnte vom Menschen nicht erfüllt werden. Der Mensch hätte in einer transzendenten
Befolgung eines singulären Gebotes Gottes Gott generell zu hassen; das ist logisch oder theore
tisch unmöglich, nicht bloß sittlich und praktisch, wie Boehner glaubt. Cf. Kap. 11 Anm. 128
unter Bezug auf S. Müller, 2000.
. Wenn Ockham behauptet (beweist), dass mit essentialiter geordneten causae noch keine Hi-
nordnung auf eine oberste causa, die (noch) nicht Element der Menge (multitudo) der „causae
essentialiter ordinatae” sei, bestehe und dies prinzipiell vermöge einer reprobatio mittels der
auch hier immer noch möglichen infinitas actualis, dann beweist er (damit) aber auch, dass
keine „multitudo causarum essentialiter ordinatarum“ bestehen könne, aus der die infinitas ac-
tualis zu folgern wäre. Die infinitas actualis kann nicht gefolgert werden; sie stellt das Nichtsein
oder Nichtseiende (real oder symbolisch) dar. Damit ist auch bewiesen, dass so die Implikation
nicht begründet worden ist, und ebenso, dass sie nach den beteiligten Termini (causae, forma-
liter etc.) nicht begründet werden kann. Das stellt einen allgemeinen Aspekt hinsichtlich der
Welt dar (Definitheit). Beweis und Behauptung fallen im Sinne der Determinatheit ineinander.
Von W. Chatton wird Ockhams Argumentation nicht anerkannt, cf. F. Amerini, 2007, pp. 5–
31, p. 25 Anm. 42 mit Verweis auf Ockhams Wiedergabe in Quaestiones in libros Physicorum,
OP VI p. 768 lin. 29 – p. 769 lin. 45. Chatton kehrt einfach zum Scotischen Wortlaut zurück.
Amerini, der Ockhams Gesichtspunkte gegenüber Duns Scotus in der Sache des Gottesbewei-
ses und seine Analysen hinsichtlich des infinitum actuale nicht anerkennt, untersucht nicht
Ockhams Beweisführungen in Ord. d. 2 und 3 gegen Duns Scotus und führt selbst als Grund
an, Ockham unterscheide nicht zwischen species und individuum (deren unterschiedenen
Ebenen). Er wirft also Ockham die mangelnde Definitheit vor. Definitheit fehlt in der infinitas
actualis. Für die reprobatio rücken species und individuum zusammen.
. Diese Widerlegung, die den ontologischen Annahmen gilt und mit ontologischem Material
erfolgt, kann nicht mehr logisch erfolgen, also nicht mehr logisch sein. Ockham führt ontolo-
gisch auszudrückende abstrakte Sachverhalte, die er ermittelt hat, an und ein. Er muss dazu
rektifizierte ontologische Termini verwenden, i.e. wenigstens solche, deren Bedeutung nicht
im Amalgam von Logik und Ontologie erst eingeführt, gerechtfertigt oder modifiziert werden;
Ockham beschränkt sich auf die strenge Disjunktion von substantia und accidens, die für Ter-
mini und deren Verhältnisse in Richtung auf die Realitätsgeltung in Anschlag gebracht werden;
so entstehen die Widerlegungsbeweise in Ord. d. 2 und d. 3.
Kapitel 9. Ontologie und Induktion 421
ihrer Verbindung, feststellt), etwas Allgemeines aus, das nicht mehr bestritten werden
kann, weil es nicht mehr von einer unumschränkten und darin unbestimmbaren und
ungegliederten Realität her aufgefasst werden darf. Eben das wird in der Argumen
tation negiert, i.e. aufgewiesen, und damit gerade erscheinen diese Argumentation
und ihr Ergebnis (als Ausdruck) einen nur reduktiven Gehalt zu besitzen. So sehe
man als Beispiel etwa: „quod obiectum non est causa immediata delectationis, sed
causa immediata delectationis est ipse actus voluntatis (also auch nicht volitio oder
voluntas). Et ratio est quia posito actu voluntatis aequali – sive obiectum sit sive non
sit – sequitur aequalis delectatio, et sine actu voluntatis nullo modo potest sequi delec
tatio. Ergo solus actus voluntatis erit causa immediata.“ Es gibt eine ratio (s. o.), mit
der von der Objektbeschaffenheit und -gegebenheit abgesehen wird. Im Verhältnis
der Begriffe aber ist eine Negation enthalten (mitgegeben), welche genau der Funkti
on des Widerspruchssatzes entspräche, könnte dieser das Verhältnis der Begriffe und
secundum istam conditionem die Begriffe erschließen. Dabei wird für Ockham der
Begriff der relatio wichtig, bleibt erkenntnistheoretisch aber empirisch bezogen. Mit
relatio und ratio wird von Ockham ein besonderer Abstraktionsmodus ins Werk ge-
setzt.10 Seine technischen Voraussetzungen sind sachlich und historisch unbekannt
geblieben; so entfiel eine praktische Vermittlungsfunktion.11 Das koinzidiert mit der
Unerkennbarkeit (Unbeweisbarkeit) erscheint als potentielle individuelle. Das gibt den Ort an,
wo die Suppositionslogik als Instrument (und Maßstab) eintritt; sie versichtbart Unerkennbar-
keiten. Sie verschiebt die Unerkennbarkeit (Unbeweisbarkeit) zur relatio, vom Begriff zur res;
bestimmte reprobationes heben darauf ab und münden dahin, dass sie für forma und relatio
(pro conceptu) Nichterfüllung in res und suppositionslogisch korrektem Satz ergeben.
. Die Relation wird einer Operation gleichgesetzt Rep. II, q. 2 OT V p. 34 lin. 15, sofern es
um Wahrnehmung geht. Für das continuum gibt es keine solche Wahrnehmung. Es ist kein
finitum, sondern ein infinitum; aber es ist damit kein infinitum actuale. Es kann laut continu-
um den unendlichen Regress geben. Der unendliche Regress hat keine Beweiskraft, stellt aber
keinen Widerspruch dar. Bei seiner Emendation des Scotischen Gottesbeweises mittels des Ter
minus conservatio, den er dem Terminus efficientia gleichsetzt, operiert Ockham persuasiv,
indem er vermöge der ‘conservatio’ eine Aktualunendlichkeit der Ursachen annimmt, wenn
nicht eine causa prima postuliert werde, die alle conservatio und damit efficientia zusammen-
fasse. Es ist eine Induktion über einem Terminus ‘conservatio mundi’ und dessen Defizienz.
Die Induktion erscheint Ockham über dem Terminus efficientia inevident. Ph. Boehner, 1957
pp. XLIII + XLIV bemängelt und bedauert, dass Ockham seinen Gottesbeweis nicht „in detail“
ausgeführt und in Sonderheit „did not connect the idea of conservation with that of the essen
tial temporality in every creature“; das ist aber in Ockham Gottesbeweis gar nicht angelegt.
Das Maß ist Boehner „the proof advanced by Duns Scotus, which in our opinion is the most
powerful and the most developed proof of this kind elaborated by any scholastic in the Mid-
dle Ages.“ Er bedarf indes der Kritik selbst unter dem Aspekt evtl. korrekt angewandter Logik.
Unter diesem Aspekt hat Ockham seine Kritik daran nicht einmal geübt. Boehner beklagt auch
(ib. p. XLV), dass Ockham im Gefolge der Beweise zu Gottes Attributen ebenso wenig eine
Ausweitung (‘enlargement’) der Prädikate vornehme wie beim Beweis von Gottes Existenz. Er
hält es für möglich, dass Ockham dies in seiner geplanten, aber ungeschriebenen Auslegung
der aristotelischen Metaphysik habe unternehmen wollen. Unser Buch beruht darauf, dass es
nicht möglich sein kann.
10. Dabei ist bei Ockham alle Gestaltung der Rationalität Gestaltung einer Materialität, die
nicht als solche wirklich gegeben werden kann. Im Begriff der species gehen wir am ehesten auf
diese Materialität ein; aber argumentativ. Cf. Ord. d. 2 q. 6 und q. 10 OT II. Der grundsätzliche
Gedanke ist, dass wir das Akzidentelle nie in forma überführen können. Jede Argumentation
beruht darauf. Sie hat so ihre Dichotomien und reprobationes. Zur Unterscheidung von poten
tia absoluta et potentia ordinata s. nochmals Quodlibetum VI, q. 1 OT IX art. 1 pp. 585–586.
11. Das führt dazu, dass etwa Ph. Boehner Ockhams eminente Stellung in der Spätscholastik
und seinen kritischen Scharfsinn hervorhob, aber für beides nie einen Beleg gab. Er trat statt-
dessen als Apologet Ockhams gegen den Vorwurf des Ketzertums auf. Ockhams Heranziehung
von Gottes Allmacht gilt ihm als Beleg von Glaubenstreue, wobei etwa der funktionelle Unter
schied von potentia divina absoluta supranaturaliter loquendo und naturaliter loquendo nicht
mehr gemacht werden kann oder nicht mehr einsichtig ist. cf. Ph. Boehner, 1957 Introduction
Kapitel 9. Ontologie und Induktion 423
Besonderheit, dass für Ockham der Begriff nur Zeichen ist und derart nie unbedingt
Erkenntnis, auch wenn er als intellectio bestimmt wird; aber es ist möglich in den Satz
und den Begriff, je nach deren Typus, quasi hineinzublicken und damit diese in actu
secundum potentiam intellectionis zu beschreiben und zu bestimmen. Damit wird
eine Verlegenheit und Notwendigkeit bzw. ein unwillkürliches Verfahren der Neuzeit
in den philosophischen, theologischen und geisteswissenschaftlichen Materien vor
gebildet. Sie wird dort dann nur anthropologisch vindiziert und reklamiert.12 Dabei
gelten auch hier für Ockham Regeln.13 Es sind diejenigen, die bei ihm die Gehalte aus
prägen, ohne dass eine nominell reale Erkenntnis damit verbunden wäre.14
Ockham beweist auf der Stufe von Relationen, doch nicht qua Intention auf die
res singularis in se ipsa, die sich ontologisch nicht definit ausdrücken ließe, schon
weil die ontologischen Begriffe so Allgemeinheit secundum rem zu besagen hätten.15
Er schließt nur die reale Geltung pro rebus in keiner Weise aus.16 Was hier naturaliter
p. XVII ff und p. XXV f. Auch die immer als zentral betonte Suppositionslogik ist nicht als
für Beweis (reprobatio und persuasio) konstitutiv gezeigt worden. Dabei erreicht hier die Kon
tingenz eine beweisintegrale Rolle.
12. Das führt dann auch zur Restitution und Fiktion des ontologischen Anspruchs, cf. Hegel.
Wir erhalten eine ontologische Qualität qua anthropologischer und verteidigen diese herme-
neutisch mit barockscholastischen Residualformeln.
13. Ockham definiert die Bedingung(en) der Beurteilung von Sätzen, die intensional darauf
hin abgeschätzt werden, inwieweit/ob sie reale (extensionale) Relevanz (‘Erfüllungen’) haben
können. Das ist auch bei der vergleichend semantischen Deutung von Termini durch Ockham
das Ziel, wenn er die Termini nach ihrer Zweckdienlichkeit (Tauglichkeit), respektive Wider-
spruchsfreiheit abschätzt. Ockham definiert keinen Kalkül, und er definiert nicht eine oder
mehrere operative Verhaltensnormen wie P. Lorenzen, Einführung in die operative Logik und
Mathematik, 1955, Metamathematik, 1962 u. a. Ockham thematisiert auch kein denkendes Ich
im sonst durchaus reflexiven Erkenntnisaufbau. Er erwartet einzig eine Befreiung von nicht
technisch regulierten und legitimierten Ausdrucks- und Begriffsnormen.
14. Sie müsste die der res im Sinne der Ontologie sein. Die ontologische Nomenklatur reicht
für Ockham nicht bis zu diesem Effekt – via argumenti stoßen wir da auf instantiae, i.e. abwei-
chende casus auf der Basis der Kontingenz (dieser Welt).
15. Anzumerken ist, dass auch naturwissenschaftliche Erkenntnis auf der Basis der Induktion
keine Verbindung von Grund- oder Stamminhalten, wenn solche denn in Zeichen oder Begri-
ffen angenommen werden soll, gewährleistet i.e. vollzieht, vielmehr ohne diese auskommt und
auskommen muss. Anders als es bei H. G. Gadamer, 1960 (mit Wendung gegen Helmholtz,
Dilthey u. a.) erscheint, ist im 19. Jahrhundert die Induktion kein reines Dogma, sondern tech-
nisch-methodologisch zu legitimieren gewesen. Um dessen methodologische Suffizienz wird
gekämpft. Cf. C. G. Jacobi, Vorlesungen über Analytische Mechanik, 1847/1848 ed. von H. Pulte,
1996.
16. Sie wird auch mit der fallacia sowie dem Ökonomieprinzip bekräftigt. Beide betreffen real-
empirische Relationen im Sinn der causa immediata. In dem Sinn werden auch die Beweise
immer gelten, d. h. nicht ungültig sein dürfen. Werden sie ungültig sein können? (Es würde sich
424 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
ist, ist auch realiter. Was naturaliter sein kann, kann auch realiter sein. Es ist dann die
Frage, ob wir was wir als natural erkennen oder ‘erfahren’ = voraussetzen, wirklich
in irgendeiner Weise (abstrakt) überschreiten können.17 Das Naturale müsste das im
Sinn der (aktualen) Weltschöpfung Unumgängliche sein und so alle Beweisführung
auf der Basis oder in der Kompatibilität mit der Abstraktion ‘in sich’ aufnehmen (kön-
nen).18 Im Verhältnis von Relation und Einzelding (res ipsissima singularis) überging
Ockham argumentativ eine Differenz, die neuzeitliche Methodologie intentional we-
der gewahren noch aufheben oder markieren konnte.
Ockham übertrug sie in den Begriff der species, als welche zunächst das uni-
versale erscheint, dann aber auch attributiv das Verhältnis der Relation zur Gegen-
standswelt. Im Namen der species destruierte Ockham den Scotischen Gottesbeweis,
indem er den allgemeinen, auf einer oberen Stufe liegenden Inhaltsbegriff, der auf
causa (causalitas) lautete, gerade als in Gestalt der species nicht beziehbar und über-
tragbar erwies.19 Er trennte so causa und species (oder deren Begriffe) und zwar alo-
gisch mit Hilfe der ontologischen Begriffe substantia (subiectum) und accidens und
fragen, aus welchem Grund und mit welcher Bestimmtheit der Aussagen und ihrer Teile? Könn-
te es demnach überhaupt ungültige bzw. der Form nach inexistente Beweise geben? Beweise, die
nicht Beweise wären?) Könnte es in Beweisen eine Vielzahl von Faktoren geben, die das Ökono-
mieprinzip überschritten? Ist auch das nicht schon ein Ungedanke? Woran sollten sie gemessen
werden? Somit hat das Ökonomieprinzip eine analytische Bestimmensfunktion hinsichtlich des
Beweisens zumindest und eine andere Referenz kann es für es nicht geben. So ist eine aprio-
rische Funktion im Denken oder im Beweisen ersetzt worden. Dass Ockham analytisch nicht
beweist und derart auch nicht die Ontologie benutzt haben wir deutlich gemacht. Das Beweisen
bekommt unterhalb oder entgegen apriorischer Erkenntnis einen absoluten Charakter.
17. Wenn wir eine andere Schöpfung denken als diejenige, die wir kennen, könnte sie nicht
nach einem Naturalitätsbegriff, den wir damit festhielten oder ändern könnten, bestimmt wer-
den. Das Omnipotenzprinzip reicht nicht bis zu dieser Region. Das Omnipotenzprinzip kann
dabei an sich und gegenüber dem Wissen oder der Erfahrung keinen Glaubensbezug erhalten,
weil dieser bezüglich des Wissens zwiespältig sein müsste; denn es drückt einen solchen Bezug
immerhin aus.
18. Damit muss die Argumentation, wie sie nicht in realibus gründen kann, nicht ihr eigenen
Verhältnis betreffen; es müssen Ausschlussformeln ausgeschlossen werden. Es ist ohne weiteres
zu sehen, dass bei Ockham auch die Ethik dem Kodex, wie er ihn formuliert, angeschmolzen
wird. Man sehe hier die Suppositionslogik, die er selbst hervorhebt. Sie delegiert ontologische,
moralische, theologische und kirchenrechtliche Fragen an den Verstand zurück, der selbst
hierin nicht mehr der Seele verantwortlich ist. Entsprechend muss auch die apologetische Auf-
gabestellung geringer werden, die Duns Scotus noch frei in sein theoretisches Gebaren und
‘deduktives’ Traktieren übernommen hat.
19. (Der Begriff) species kann also nicht inhaltlich ausgelegt werden, was so nach Art eines
induktiven Beweises behauptet werden kann. Duns Scotus hatte ihn dort fundo inhaltlich
und gestaltlich, wo Ockham ihn funktional in reprobativen Beweisen verwendet und implizit
mindert.
Kapitel 9. Ontologie und Induktion 425
forma.20 Die forma ist nicht zugleich nach deren vollständiger Disjunktion in die bei-
den substantia und accidens übertragbar. Diese erhalten (haben) so kein Verhältnis,
das auch als ontologisches zählen könnte.21 Diese Ontologie gibt es nicht; auch nicht
für Ockham. Er aber benutzte seine diesbezüglichen Beweise um den Scotischen Got-
tesbeweis22 zu inhibieren. Mit Ockham können wir nicht in die Realität in se ingre-
dieren. Das gilt für einen jeglichen Beweis und bestimmt ihn; ein jeder Beweis in
diesem Umkreis, die Existenz Gottes u. dgl. betreffend oder aber mit der Widerlegung
von Vorbereitungen zu einem solchen Beweis befasst, ist dadurch bestimmt, einmal
dass ein Appendix von Bestimmungen und Begriffen suspendiert werden muss,23
20. Species bezeichnet die Determinatheit (von Faktoren wie causa, ordo essentialis usw.) im
Sinn einer negativ zu sehenden Beziehung, welche einen akzidentellen Akzent hat und die Im-
plikation ersetzt. Species wird funktionell – im Sinn von reprobatio – Akzidentalität, so wie das
Omnipotenzprinzip persuasiv sich auf sie bezieht. Der Topos ‘ratio’ setzt die Akzidentalität als
extrasubstantial voraus. Er meint intensionale Identität. Ihretwegen wird die Akzidentalität in
sich (oder intensional) negativ. Sie nähert sich der Inexistenz an. Damit bezeichnen wir einen
Hintergrund der Widerlegung: fiktionale Inexistenz. Sie bezeichnete auch ein Neben- oder Ge-
genstück innerhalb des zahlreiche Wörter oder Begriffe ontologisch ‘drapierenden’ Skotismus.
21. Anders J. Beckmann, 1977, pp. 1-14. Das von ihm auf Johannes Damascenus als Einflus-
squelle zurückgeführte Schema der extrema in Ockhams Explikation des Elementarsatzes be-
gründet keine Logik und keine Metaphysik, wie es das nach Beckmann soll, weil es für die
Bestimmung der Satzarten induktiv behandelt, variiert und aufgelöst wird. Metaphysik und
Logik verwendet Ockham reflexiv, um reprobativ opiniones, Sätze, Syllogismen zu halten oder
zu verwerfen und so etwa dem Meinungsgegner, Kontrahenten und Rivalen entgegenzutreten.
22. In ihm war die Gewissheit und Selbstgewißheit der menschlichen Leistungskraft konzen-
triert und dokumentiert worden. Das geht bei Ockham an die Inhibition des Gottesbeweises
über mit der besonderen Note, dass Gott zum terminus exclusivus der Welt (secundum legem
communem) wird und der intellectus mittels der Formel ‘de potentia divina absoluta’ die Reich-
weite menschlich-empirischer Begriffe ausschöpfen und ebenso begrenzen kann. Er kann sie
oder ontologische Bestimmungen und Formeln funktionell ‘de potentia divina absoluta’ auch
negieren. Aber die potentia divina absoluta kann nicht selbst negiert oder (über Inzidenzien)
begrenzt werden. Sie lägen nicht auf ihrer Stufe. Das gilt selbst für den Widerspruchssatz (Rep.
II, q. 7 OT V lin. 18–22): „dico quod motus inquantum ad suum significatum totale non potest
esse in instanti etiam per potentiam divinam, quia Deus non potest facere quod duo contra-
dictoria sint vera in eodem instanti. Nunc autem motus formaliter includit multas contradic-
tiones.“ Cf. geistreich Ph. Boehner, 1957 p. XLVI: ‘Gott sei einzig durch den Widerspruchssatz
gebunden, wenn denn das bedeute, gebunden zu sein.’ Dabei zum Widerspruchssatz durchaus
auch in konventioneller Lesart p. XXVI. Der Satz ‘Deus est omnipotens’ ist nach Ockham eine
propositio immediata und für Ockham nur durch wahrscheinliche (persuasive) Argumente
abzustützen. Wir können diese nicht eigens als empirische per se angeben. Wir hätten da mehr
Wissen als wir haben (können).
23. Cf. Ph. Boehner, 1957 p. XLVII: „Ockham thinks that the beginning of the world in time
cannot be demonstrated.“ Das ist zunächst grundlegend von der Äquivokation zu befreien,
die der Ausdruck cum determinatione (in time) hat. Sie hebt den Sinn von Schöpfung oder
426 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
zum anderen, dass unter der fiktiven Voraussetzung, dass eine Deduktion existiere,
deren Beweisbarkeit oder Unbeweisbarkeit mit modalen Werten kongruieren muss.
In dem Sinn beweisen wir mit Ockham reflexiv in Bezug auf die Bemühungen des
Duns Scotus, dass Beweise nicht existieren. Entsprechend haben ontologische Be
griffe einen wohl begrenzten Wert, sind aber keineswegs von vornherein untauglich
oder erklärtermaßen nicht intellektiv. Wohl sind sie nicht intellektiv im Sinne demon
strierbarer unmittelbarer Sachnähe oder auch nur Sachbezogenheit. Damit werden
sie gleichwohl auch nicht verworfen.24
Wenn Ockham die Frage erörtert25 „an tale ens primum (= Gott) sit praecise
unum sine talium pluralitate“, kommt er zu dem Schluss26 „est tantum unum ens
simpliciter primum, quamvis contra protervientes sit difficile hoc probare.“ Wenn es
gegen den Frechling, der eben traditionell rationale Gründe verlangt, verteidigt wer-
den soll, bleibt nur eine persuasio oder eine ratio probabilis.27 Bei dieser ratio unter-
scheidet Ockham zur Annahme, es gebe nicht bloß einen Gott, sondern zwei, dass sie
entweder hinsichtlich der species sich unterscheiden mögen oder bloß hinsichtlich
der Zahl, also per speciem identisch sein könnten. Dabei wird die Unterscheidung
(aut specie aut numero) von Ockham nicht wirklich beibehalten; darin besagt die dis
Erschaffung auf und macht den Ausdruck bedeutungslos. Insofern kann die Erschaffung der
Welt bewiesen werden darin, dass determinatio (die des Begriffs ‘Erschaffung’) und implicatio
gleich sein müssen. Es gäbe keine Welt, wenn sie nicht erschaffen wäre. Sie wird gegen die Zeit
erschaffen. Es kann somit gegen Aristoteles argumentiert werden, nur nicht damit, dass die
Schöpfung in der Zeit geschehe. Wenn Aristoteles diese Meinung unterstellt wird, wird er un-
aufhebbar im Sinne einer Äquivokation verstanden; das heißt: seine Ansicht ist intensional in
sich sinnlos. Man könnte gegen ihn eingestellt sein, ihn aber nie widerlegen. In Wahrheit aber
kann man auch mit Ockham nicht indirekt und unter Annahme und Geltung des tertium non
datur gegen ihn bewiesen haben.
24. Das ist also gänzlich anders als bei Nikolaus von Autrecourt.
25. Ord. d. 2 q. 10 OT II 337 lin. 18.
26. Ib. p. 356 lin. 14–16.
27. Cf. Ib. p. 356 lin 16 – p. 357 lin. 9, angeblich vollständig nach Duns Scotus, wie Ph. Boehner,
1957 p. XLV betont, wenngleich Ed. ib. p. 356 Anm 5 feststellt: „sed nec verba nec forma argu
menti sunt Scoti“ (laut Scotus, Ordinatio, I, d. 2, p. 1, q. 3, n. 76 (ed. Vaticana, II, 232). Ockhams
Beweis lautet: „Adduco tamen unam rationem istius Doctoris ad istam conclusionem: quia
quando est aliquod commune habens plura contenta, aut illa contenta distinguuntur specie,
aut solo numero, et ita si essent duo dii sic distinguerentur. Sed non specie, quia tunc esset ve
risimile quod unus deus esset perfectior alio, et per consequens ille non esset Deus.“ Das ist ein
Wahrscheinlichkeitsgrund. „Si autem distinguerentur solo numero, hoc non videtur probabile,
quia quando sunt plura individua distincta solo numero non videtur includere contradictionem
quin sint plura quam duo, nec potest dari certus numerus talium individuorum, et per conse-
quens posset esse plures dii quam sint cum non sint infiniti, et per consequens essent plures
quam sint, quia nihil potest esse Deus quin necessario sit Deus.“ Das reicht aber in den Begriff
der species hinein. „/§ Haec ratio videtur probabilis, quamvis non demonstret sufficienter. §/“
Kapitel 9. Ontologie und Induktion 427
tinctio specie den Bezug vom Begriff auf die realitas und die species eine Implikation
im Sinne einer Minderung.28 Denn natürlich kann die Annahme, dass die Individua
nach der species identisch seien, nur auf die Argumentation bezogen sein, nicht auf
die oder eine Sache. Es bedeutet, dass die Argumentation überall und an jeder Stelle
widerlegend sei.29 Da hier die Widerlegung nur die zuvor vorausgesetzte Beweiskraft
betrifft und für diese Inadäquatheit (so denn erst und intensional ‘Falschheit’) fest-
stellt, kann nicht mehr die significatio in Rede stehen.30 Dabei zeigt sich das Beweisen
Ockhams, hier aber als halb reflexives31 Inhibieren der Scotischen Beweisprämissen32
als ein nochmalig anderes, das wiederum über die innere Struktur der Reprobation
selbst bestimmt werden kann.33 Jetzt wird das Inhibieren Scotischer Beweisprämissen
28. Neben der „infinitas in actu“, die eine Impossibilitas bedeuten müsste, nimmt Ockham ib.
p. 357 lin. 15–17 an: „non autem si poneretur alius processus in infinitum oporteret ponere infi-
nitatem actualem, quia una species posset esset sine alia.“ Hier besteht eine distinctio realis =
distinctio specie. Cf. auch Rep. II, q. 17 OT V p. 391 lin. 17 – p. 392 lin. 3.
29. Argumentationsbezüglich (innerargumentativ) kann bei Ockham zwischen Notwendigkeit
und Kontingenz nie unterschieden werden, und es ist die Leistung und Eigentümlichkeit, dass
er auf dieser Basis der Unentschiedenheit (‘dennoch’) eine Argumentation zustande bringt, die
von der Differenz zwischen Notwendigkeit und Kontingenz nicht Argumente empfängt und
vernichtet wird, sondern sie noch aktiv ausschaltet.
30. Auf diese bezieht man sich gewöhnlich, wenn man die Suppositionslogik in antiontologis-
cher Funktion hervorheben, cf. M. Kaufmann, 1994, U. Eco, Kant und das Schnabeltier (1997)
dt. 2000 p. 467 u. pp. 477–485 u. v. a. und von ihr her Ockhams Philosophie ordnen und be
gründen will. Ebenso Ph. Boehner, 1957 p. XXXIV: „The meaning of the term ‘suppositio’ is in-
timately connected with the term ‘signification’” Die besondere, eigentlich vorrangige Funktion
der Suppositionslogik beim Reprobieren ist nicht gesehen worden. Cf. dazu Kap. 4 Fides et
scientia.
31. Halb reflexiv heiße es, weil es die Scotische Terminologie selbst nicht aufnimmt und sie so
nicht etwa in Bezug auf den angängigen terminologischen Gehalt oder aber die Möglichkeit
sachlicher Erfüllung reflektiert, besser: bestimmt.
32. Da Duns Scotus prinzipiell oder wenigstens implizit mit den Beweisprämissen (deren ‘ge-
eigneter’ Aufstellung) den Beweis geleistet wähnt, die Beweisleistung also suggeriert, muss,
wenn Ockham sich gegen diese Prämissen wendet und sie widerlegt, eben jene Implikation, die
bei Duns Scotus eingeschlossen ist, auch entfallen oder ‘widerlegt’ sein. Das bedeutet aber, dass
die Implikation suspendiert ist, ja womöglich refutiert erscheinen muss: Ihr Einsatz erscheint
indefinit = mit der Definitheit der Begriffe in den Aussagen und der der Aussagen nicht ver-
einbar. So lässt sich behaupten, dass das Beweisen, wenigstens dem Thema gemäß im Gottes-
beweis auf einem anderen Wege gesucht müsse. Es ist danach auch wenigstens oder notwendig
das (‘dasjenige’) reflexive Beweisen (alias Reprobieren) gesichert, das Ockham vornimmt und
das, wie hiermit zugleich induktiv sich bestätigt, qua ‘Negation’ der Implikation.
33. Wir hatten hier drei Etappen des ‘Beweisens’ bei Ockham, das in der ersten Etappe Ermit-
teln von Begriffen (der notitiae und der Begriffs- und Satzstrukturen) war, wie es in Sonderheit
im Prol. Ord. sich zeigt. Hier ist die reprobatio Ausschaltung der in sich womöglich diffusen
428 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
oder ungeordnet vielgestaltigen Wirklichkeit zugunsten der ratio der intensionalen Größen
oder antiontologischen Faktoren. Sodann hatte Ockham auf dem Gebiet der Auseinanderset
zung von fides und scientia die Ontologie an der Empirie revidiert und ihren Bezug zur Ab-
straktion, soweit es um theologische Sätze ging, die die divina essentia betrafen reduziert; so
gesehen konnten Ontologie und ‘Metaphysik’ nicht mehr gleich (äquivalent) sein. Das hatte
Duns Scotus über die Beweismethode zu sichern oder herzustellen versucht; Ockham aber
bezog sich hier, in der Auslegung der Sätze zur divina essentia und dem Verhältnis der drei
Personen (Relationen) auf die (weitgehend, inclusive des Begriffs der causa) ontologisch ge-
schöpften Explikationsmodi. Dass das Deduktionsverfahren des Duns Scotus nicht Bestand
haben könne, erhellt bereits aus den Erörterungen des Ord. Prol. Nun aber gibt es noch eine
dritte, die Scotische Beweisvorbereitungen betreffende Widerlegungsart.
34. Duns Scotus selbst muss gleichsam unterstellen, dass Ontologie und Logik äquivalent sei-
en. Das steht in Diskrepanz zu seiner methodischen Ausrichtung auf die Metaphysik, bei der
er (die) Logik ‘nur’ in Dienst nehmen will, indes doch wahrscheinlich im gediegenen und aus-
gesucht scharfsinnigen Beweis einen gleichsam auch metaphysischen Garanten der Erkenntnis
und/oder der Wahrheit besitzen möchte. Doch zeigt sich bei näherem Hinsehen, dass seine Aus
führungen beweisintern stark zum vorgreiflichen Kaptivieren des Beweises selbst tendieren.
Dem begegnet Ockham unbeirrbar und eben mit der Ersetzung dessen was bei Duns Scotus
unter multiplen Formen scheinbar als Beweisen gilt.
35. Wobei sie bei Ockham diesbezüglich die Vermittlung von Begriffen nach Inhalten (als In-
halte) an die Realität betroffen hatten und dabei widerlegend eingesetzt worden waren: es gab
für sie keine Definitheit oder Konstatierung der significatio, also Realwertigkeit. Die ontologi-
schen Begriffe bleiben dabei unangetastet.
36. Jetzt werden die ontologischen Begriffe wie die Scotische Beweisprämisse als falsum oder
simpliciter falsum herausgestellt werden soll, negativ. Sie determinieren diese negativ; zugleich
muss danach noch einmal das Verhältnis von substantia und accidens als im Sinn der Implika-
tion unausdrückbar herausgestellt; das Verhältnis von substantia und accidens kann auch nicht
innerhalb der Reprobation als eine sachlich, extensional,. extramental, intensional die Basis der
Reprobation stiftende angesehen werden. Mit der negativen Bedeutung werden die ontologi-
schen Begriffe nicht als faktisch irreal dargestellt; aber es wird gezeigt, dass die Explikationen
(Prämissen, Regeln) des Duns Scotus es seien, die Ockham kritisieren und aufheben will. Sie
werden dann nicht mehr nur emendiert.
37. Ord. d. 3 q. 8 OT II p. 539 lin. 15 – p. 540 lin. 5.
Kapitel 9. Ontologie und Induktion 429
attingibile non praedicaretur primo de illo ente quod est illud obiectum adaequatum
(intellectus)“, wiewohl er dem Duns Scotus, gegen den die Feststellung sich richtet,
zugibt: „omne ens est illud ad cuius intellectionem intellectus naturaliter ordinatur.“38
Die ‘Metaphysik’, sogar „‘wahre Metaphysik’“ würde ‘logisch’ aufgehoben werden
können, i.e. im Sinne einer Induktion.39 Zwischen der realen Erscheinung, von der
der intellectus in Bewegung gesetzt wird40 und dem allgemeinen Begriff, der der Ge-
genstand des intellectus ist, steht die Abstraktion. Von ihr aus gibt es keinen Weg und
keine Mitkenntnis (alles) dessen, was mit dem abstractum verbunden sein könnte, sei
es dass wir dieses daran gewonnen hätten, sei es dass wir es nur damit verbinden, so
wie wir sensualiter die einzelne Farbe mit dem Begriff Farbe überhaupt ‘verbinden’. So
gesehen macht die Ontologie keinen Sinn und Metaphysik als implizite Wissenschaft
auch nicht. Der Begriff, eben auch der reflexive, ist ein abstractum im Verstande.41
38. Es darf hier nicht verkannt werden, dass der modale Ausdruck, das ‘ens’ betreffend, bezüg-
lich der Gewinnung der Begriffe oder des obiectum adaequatum cognitionis ausgesprochen
wird und hier eine Implikation ausspricht, eben jene, die wir mit der Negation einer Implika-
tion verbinden, nämlich, dass von einer Erkenntnis zu einander anderen, bzw. dem einen was
unter sie gefasst wird zu einem anderen ebenso unter sie gefassten übergangen werden könne;
so eben kann im Sinn der Abstraktion dann nicht gefolgert werden. Cf. ib. p. 539 lin. 22 – p. 540
lin. 2. Für Ockham ist aber auch ens als Begriff dasjenige, was Ord. d. 2 q. 9 OT II p. 306
lin. 15 „quibuscumque exsistentibus quomodocumque extra animam“ als „aliquid commune
univocum“ zukommt. Dass dieses „aliquid commune univocum“ ein conceptus sein müsse,
wird induktiv beweisen (persuadiert) ib. p. 317 lin. 15 – p. 318 lin. 4; dabei wird auch exhaustiv
dargetan, dass es ein conceptus simplex communis sein müsse. Dabei ist die ratio, mittels deren
die persuasio durchgeführt wird, (cf. ib. lin. 15–18) diejenige „quae est realiter ratio negantium
univocationem ad differentias ultimas – quia certum est quod differentiae ultimae aliquo modo
cognoscuntur a nobis.“ Ockham bestreitet die Ansicht des Duns Scotus (cf. p. 298 lin. 11–13)
„quod ens aliquibus est commune univocum et non omnibus /§ exsistentibus §/ a parte rei.“
Doch Duns Scotus müsste ‘über’ diesen eliminierten realia deduktiv operieren, freilich auch in
ihrem Sinn Geltung beanspruchen, etwa wenn er nach Ockham ib. p. 299 lin. 16–18 mit dem
‘conceptus simplex proprius unius obiecti’ das ‘essentielle’ oder virtuelle Enthaltensein des ‘con-
ceptus simplex proprius alterius obiecti’ verbindet. Zu des Duns Scotus eigener Ansicht s. hier
ib. p. 294 lin. 25 – p. 295 lin. 6. Cf. Kap. 1 Das Verhältnis der Begriffe bei Ockham.
39. Metaphysik und Logik müssen Widersprüche werden (können). Anders J. Beckmann, 1977.
Die wahre Bestimmung unserer Vermögen (potentia) schließt nicht aus, dass was der falschen
widerspricht, eintrete: cf. Ord. d. 3 q. 8 OT II p. 538 lin. 21 – p. 539 lin. 11. Es kann also aus der
wahren Bestimmung nichts oder nichts ebenso – vollständig – Wahres gefolgert werden. D. h.
es gibt keine vorab relevante Verbindung zwischen Bestimmung und Faktum, welche die In-
duktion gänzlich entbehrlich machen könnte. Erfahrung inclusive ‘Abstraktion’ erbringt nicht
Logik + Ontologie. Cf. auch ib. p. 532 lin. 8–14.
40. Cf. ib. p. 540 lin. 6f: „obiectum motivum intellectus est praecise singulare“.
41. Ockham antwortet auf alle dubia, welche mit einer Gegenvorstellung ex parte rei operie-
ren, allein im Sinne von Abstraktion und Induktion; d. h. er nimmt gar nicht an, dass i n re
die Qualitäten existieren und vorgeprägt sein könnten, die mit den Akten im Verstande von
430 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Keine Maxime, die implizit eine species erklären soll (müsste), kann vor der Ver-
nunft bestehen; aber jede argumentative Entwicklung (Erörterung) geht explizit auf
eine species, die den negativen Betrag, die Intension des Begriffs, der eine Größe sein
soll, angibt. Darin erlangt diese Determinatheit.42 In allem wird vor jedem geschicht-
lichem Weitergang in die Neuzeit hinein eine Struktur angegeben, in der Logik und
Nicht-Logik (Empirie) sich durchdringen. Species ist dabei ein sehr allgemeiner Be-
griff;43 er hat eine Funktion und einen Inhalt. Beide verschränken sich beim Bewei
sen. Ockham kann mit dem Verhältnis von substantia und accidens die Kontingenz
ausdrücken und die Wahrheit negieren, den Wahrheitsbegriff einklammern.44
ihm verbunden werden. So werden genus und species von den universalia prädiziert, ohne in
se eine Eigenschaft secundum rem zu besitzen; sie werden also secundum rem und in re nicht
unterschieden werden können. Umgekehrt kann der habitus bloß actus hervorbringen, keine
Gegenstände, cf. Ord. d. 2 q. 8 OT II p. 281 lin. 16–18: „Non sic autem (intellectus) mediante
habitu potest facere corpora extra in esse convenienti sibi, quia esse sibi conveniens est esse re-
ale.“ Das esse reale kann kein immanentes Element der Argumentation werden. Die Satz- und
Beweiselemente (letztlich Begriffe) haben keine distinkte Bedeutung und Existenz. Cf. p. 273
lin. 19–22: „propositiones, syllogismi et huiusmodi, de quibus est logica, non habent esse sub-
iectivum, igitur tantum habent esse obiectivum, ita quod eorum esse est eorum cognosci, igitur
sunt talia entia habentia tantum esse obiectivum.“
42. Es wird also nicht von einer species her, sondern auf eine hin argumentiert; das schließt
ein, dass Ockham empirische Erläuterungsgründe oder wenigstens Vergleichbeispiele benut-
zen muss. Er tut das ja weidlich auch bei den rein theologischen Problemen der Vereinigung
von menschlicher und göttlicher Natur in Jesus Christus, bezüglich des Begriffs der unio, unire,
uniri usw. Hier ist das allgemeine Verfahren dies, dass vom Begriff als Thema ein Prozess zum
Begriff als species abläuft. Die Logik bedeutet hier, dass alle jeweilig oder insgesamt benutzten
Argumente zusammen den (einen) argumentativen Grund haben können, in dieser Weise eine
species gewonnen wird.
43. Die allgemeinen Begriffe (mit katalogisierender Funktion) ‘begleiten’ immer die Wahrneh-
mung der res singularis: es gibt also keine Sekundärbildung nach dieser ‘primären’ Wahrneh-
mung, auch nicht für die höheren reflexiven Begriffe wie habitus, species, essentia rei praesen-
tis, etc. cf. Ord. d. 3 q. 5 OT II p. 452 lin. 17 – p. 453 lin. 7. NB. Wenn Duns Scotus unter Berufung
auf Aristoteles, Metaphysik cap. VIII erklärt, dass (cf. Ord. d. 2 q. 10 OT II p. 341 lin. 16) „species
se habent sicut numeri“, antwortet Ockham, dass dieses Argument von Duns Scotus nicht so
falsch aufgefasst sei wie anderes, aber (p. 354 lin. 5–7) „tamen oporteret probare quod omnes
formae se habent sicut numeri, ita scilicet quod semper una esset perfectior et alia imperfectior,
quod non est sufficienter probatum.“ Duns Scotus will auch (cf. ib. p. 342 lin. 8–16) den Begriff
der Abhängigkeit aufgehoben sehen, wenn zwei Götter (necesse esse) die Welt terminierten.
Von dieser Maxime sagt Ockham (ib. p. 354 lin. 13): „non est universaliter vera.“ Damit ist sie
logisch nicht wahr und illogisch.
44. Duns Scotus vereinigt über den Begriff (als intensionalen Akt) hinaus Begriffe, i.e. in einer
Allgemeinheit und Notwendigkeit, die ihnen dann ex parte rei zukommen soll; diese kann
Ockham vermöge des Begriffsstandpunkt widerlegen. Damit kommt der Syllogismus jedem
anderen Beweistypus nahe. Wo Ockham für die Begriffe und ‘über’ ihnen beweist, ist immer
Kapitel 9. Ontologie und Induktion 431
Auch in der Erörterung der Natur alias Bestimmung der Begriffe in mente (ani-
ma) setzt Ockham die Ontologie mit negativer Beweiswertigkeit und daher nicht
selbst legitimierbar ein; die Ontologie kann daher zur Genesis des Begriffs aus der
Natur oder auch Sinnlichkeit nicht dienen. Es gibt so gesehen keine primäre Legiti-
mation der Ontologie wie sie selbst keiner primären Legitimation dienen kann.45 In
dem Sinn geht sie in Ockhams Beweistechniken ein.
Nach Ockham46 ist der Begriff als fictum oder obiectivum esse keine qualitas
oder ein accidens informans animam: „faciam aliqua argumenta ad probandum quod
est aliquid habens tantum esse obiectivum sine esse subiectivo. Hoc primo patet, quia
secundum philosophos ens primaria divisione dividitur in ens in anima et ens extra
animam, et ens extra animam dividitur in decem praedicamenta. Tunc quaero, quo-
modo hic ens in anima: aut pro illo quod tantum habet esse obiectivum, et habetur
propositum; aut pro illo quod habet esse subiectivum, et hoc non est possibile, quia il-
lud quod habet esse subiectivum in anima continetur sub ente quod praecise dividitur
in decem praedicamenta, quia sub qualitate. Intellectio enim, et universaliter omne
accidens informans animam, est vera qualitas sicut calor vel albedo, et ita non conti-
netur sub illo membro quod dividitur contra ens quod dividitur in decem praedica-
menta.“ Qualitas bezeichnet für Ockham einen abstrakten Gehalt, das accidens keine
Realität in se, es hat sie nicht. Gott kann substantia und accidens trennen, secundum
potentiam suam absolutam supranaturaliter loquendo. Qualitas ist bei diesem Indukti
onsschluss negativ bestimmt. Der Eintritt des conceptus in die Seele wird nicht re-
flektiert. Der conceptus wird wahrhaft in anima fingiert (gebildet). Zum conceptus
als qualitas geht Ockham später versuchsweise über.47 Dabei wird die qualitas nicht
mehr genetisch und negativ begrenzt:48 „Nec talia argumenta valent contra istam
opinionem quod qualitas non praedicatur de substantia, et unum praedicamentum
removetur ab omni contento sub alio praedicamento; nam tales replicae, et multae
aliae quae possent adduci veritatem habent quando termini supponunt personaliter,
sicut haec est vera ‘substantia non est qualitas’, si termini supponant personaliter; et
tamen si subiectum supponat simpliciter et praedicatum personaliter ipsa est conce
denda secundum istam opinionem. Et ita multa talia contra opinionem non valent.“
auch der Syllogismus eingeschlossen, einmal weil er aus in der Erörterung betroffenen Begriffe
gebildet werden kann und zum anderen, das Denken so betreffend, dass dessen Einschränkun-
gen reflexiv mitbetroffen sind, nämlich so, dass Maior und Minor erst persuasiv gesichert (ge-
wonnen) wurden. Duns Scotus hat den Syllogismus (wenigstens einmal) anders erklärt: durch
die Widerspruchsfreiheit der Begriffe des medium. Es fragt sich, ob er das vorher beweisen will
oder einmal hypothetisch und ad hoc unterstellen will.
45. Damit kann die Ontologie nie Definitheit besagen.
46. Ord. d. 1 q. 8 OT II p. 273 lin. 1–14.
47. P. 289 lin. 11 – p. 292 lin. 2.
48. Ib. p. 290 lin. 23 – p. 291 lin. 6.
432 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Danach ist der ontologische Grundsatz ‘substantia non est qualitas’ suppositionslogisch
zu halten; Ontologie und Suppositionslogik sind also für Ockham nicht gegensätz-
lich.49 Der ontologische Satz wird suppositionslogisch in Bezug auf diese opinio nicht
widerlegt und somit insoweit auch nicht die opinio durch den ontologischen Satz; alles
ist also kompatibel miteinander, mehr nicht. Eine Konsistenz kann nicht erwiesen
werden. Dass die Ontologie nicht die Genese der actus animae aus der Naturalität
besagen oder fingieren kann, wird aus Ockhams ‘Beweisen’ klar und ebenso aus der
Lehre von den notitiae. Auch hier ist aber die Ontologie nicht ausgeschlossen.50 Die
Ontologie kann zu Generation und Genesis nichts sagen.51 In derselben Weise konn-
te sie für die spätere wissenschaftliche Erkenntnis der Welt nichts tun. Bei Ockham
wird sie mit jener Argumentation und als Suppositionslogik konzipierten ‘Logik’ ver
bunden, die nicht mehr die Notwendigkeit eruiert oder voraussetzt, sondern mit der
49. Anders H. Blumenberg, 1966. Es kann logisch nicht einmal behauptet werden, dass die
Suppositionslogik die Ontologie ersetzt habe. Ockham filtriert u. a. die Ontologie suppositions
logisch. Er lehrt sie nicht mehr explizit, er verwendet sie bei der ‘Projektion’ von Termini in
Richtung auf die Realität. Er schöpft die Termini aus Aristoteles und versteht dessen Maximen
als beweistaugliche Worterklärungen zu inkonsistenten oder inkompatiblen Zusätzen (oder fal
schen Annahmen) in nach Ockham elementaren Sätzen z. B. der sacra theologia. Er widerlegt
die determinationes.
50. Dass dabei die Genesis des Begriffs aus der Naturalität ein verstecktes Thema bei Ockham
ist, macht seine Bemerkung deutlich, dass die qualitas (also der Begriff als qualitas) auch nach
der intellectio angesetzt werden könne. Das veranschlagt er als eigene opinio zur Natur oder
Bestimmung, die er dabei eine Variante der opinio ansieht, nach der der conceptus subiectivum
esse sei oder habe (ib. p. 291 lin. 7–15): „Verumtamen ista opinio posset diversimode poni: uno
modo quod ista qualitas exsistens subiective in anima esset ipsamet intellectio … Aliter posset
poni quod ista qualitas esset aliquid aliud ab intellectione et posterius ipsa intellectione. Et tunc
posset responderi ad motiva pro opinione illa de fictis in esse sicut tactum est alibi, ubi magis ex-
pressi istam opinionem de intentione animae seu conceptu, ponendo quod sit qualitas mentis.“
Ockham Expositio in librum Perihermeneias Aristotelis § 6 OP I p. 351 nennt ‘actus intelligendi’
als seine Vorzugsdeutung des Begriffs, wenn er als qualitas ein subiectivum esse hat. Über die
Natur des Begriffs als subiectivum esse Opera Philosophica: „opinio probabilior inter opiniones
ponentes conceptus esse qualitates: passio animae est ipse actus intelligendi.“ Die opinio wird
dort dem Duns Scotus mit dem Textzitat „verbum est ipse actus intelligendi“ zugeschrieben.
51. Dabei ist der Topos informatio animae generalisierbar. Auch die gratia ist nach Rep. IV,
q. 10–11 OT VII p. 213 lin. 8f eine „qualitas absoluta informans animam“, wobei einmal die
gratia dem Begriff nach und (ib. lin. 12) mittels des Ökonomieprinzips von vielen Auslegungen
freigehalten wird, die alle weder durch (ib. lin. 15) „auctoritas nec ratio nec experientia“, den
Adjuvantien des Ökonomieprinzips, legitimiert würden. Hier ist es die eine grata, die Ockham
gegen Thomas nicht von der caritas unterscheidet, die „cum fide et spe“ „sufficit ad meritorie
operandum.“ Daneben steht (ib. p. 215 lin. 14–21) das Sakrament, das den Menschen von Schuld
und Strafe befreit. Letztere (ib. p. 215 lin. 15f), die „ex pactione divina aliquid efficit“ in ani-
ma,“ beruht auf Gottes Willen, worin dem Menschen keine caritas secundum se erteilt wird.
Ockham lässt jede genuin geschichtliche Dimension außer Betracht.
Kapitel 9. Ontologie und Induktion 433
Kontingenz zu tun hat.52 Wenn hier auf die Impossibilität erkannt oder geschlossen
wird, ist immer auch klar, dass zur Kontingenz, wie sie für Weltverhältnisse angesetzt
wird, nichts eruiert werden kann.53 Hier erforschen wir nichts, und wo wir nichts
erforschen, stellt sich dieses Bild von der Impossibilität ein. Man sollte es nicht dog-
matisch machen; es kann nicht logisch sein und begründet werden. Hier ist die Lehre
des Nikolaus von Autrecourt ohne Rückhalt.54 Denn die Akte des Denkens müssen
52. Diese ‘Kontingenz’ ist zum Losungswort einer die Neuzeit exegetisch behandelnden Ge-
schichtsschreibung geworden. Sie knüpft für den Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit häufig
an Ockham an, aber nicht immer. K. Löwith, 1956 unterstellt, dass die Existenz- und Befind-
lichkeitskrise des modernen Menschen nicht geschichtlich und nicht politisch bewirkt wor-
den sei, sondern durch die umwälzenden wissenschaftlichen Entdeckungen am Anfang der
Neuzeit. Durch sie erschreckt befinde sich der Mensch nun in unaufhebbarer Wahrnehmung
seiner Kontingenz in der Welt. Somit musste längst gewirkt und sich durchgesetzt haben, was
H. Blumenberg, 1966, 1979, 1986 sukzessiv und mit gewandelten Gesichtspunkten erst noch zu
bearbeiten und uns anzueignen uns empfahl. Ockham zeigte ante festum, dass die Kontingenz,
wenn sie für die Welt bzw. unser Verhältnis zur lex communis angenommen werden kann, in
die Subjektivität einwandern könne oder müsse. Die Notwendigkeit gestaltet sich neben der
Kontingenz in der Form der Beweise aus; dabei muss auch die Suppositionslogik mit kontin
genten Fakten arbeiten. Sie hat hier ihre Beweisfunktion, cf. Ord. d. 2 q. 10 OT II p.344 lin. 8f:
„subiectum contingenter supponit pro illo pro quo supponit.“ Das gilt immer. Cf. Rep. III, q. 1
OT VI p. 30 lin. 23 – p. 31 lin. 7: „Dico tamen quod licet haec est vera in creaturis ‘humanitas est
homo’, tamen non est necessaria, sed contingens.“ Für die göttliche Person würde sie nicht gel
ten. „Et ideo licet nunc de facto sit propositio vera, – quando sustentificatur in persona creata –,
tamen potest esse falsa,“ wenn humanitas für Christus supponit, „et ideo est contingens.“ Auch
Duns Scotus thematisiert die Kontingenz, baut sie aber nicht beweistheoretisch ein. Der Ein
bau bedingt, dass über Begriffe operiert wird und nicht über deren Auslegung secundum rem
und im Zeichen von Allgemeinheit und Notwendigkeit; sie werden nicht analytisch ausgelegt.
53. Das wird exemplarisch deutlich, wenn Ockham beim Gottesbeweis, den er für Duns Scotus
verbessern will, vom processus in infinitum zum infinitum actuale übergeht. Cf. Ord. d. 2 q. 10
OT II p. 355 lin. 23 – p. 356 lin. 1 und p. 356 lin. 9–14: „Et ideo quamvis posset poni processus in
infinitum in producentibus sine infinitate actuali, non tamen potest poni processus in infini-
tum in conservantibus sine infinitate actuali.“
54. Sei es bei Ockham sei es überhaupt. Das gilt trotz der generellen Anlage von Ockhams
Denken. Wenngleich er für einen Verstand beweist, der der Naturalität im Einzelnen und für
alles Einzelne fernsteht, bleibt eine Obligation an die Naturalität insgesamt bestehen: beim ha-
bitus z. B., dessen Erwerb für natürliche und irdische Verhältnisse an den Körper gebunden
ist; denn wir erwerben die Begriffe und alle Akte überhaupt aus der sinnlichen Erfahrung und
zudem unter Einsatz unserer körperlichen Kraft muss nicht für die anima separata bestehen
bleiben. Hier sagt Ockham, wir können die gegenteilige Ansicht nicht beweisen, weil wir keine
Erfahrung haben. Er trennt nicht, wie Ed. OT VII p. 282 Anm. 2 probare und per experientiam;
er sagt vielmehr ib. = Rep. IV q. 14 OT VII p. 282 lin. 3f: „non potest evidenter probari nisi per
experientiam“, was nahezu das Gegenteil des von den Ed. Behaupteten ist. Gleichlautend p. 281
lin. 3f. Doch reicht zur gegenteiligen Meinung (ib. p. 282 lin. 9): „potest tamen probabiliter
dici“, dass eben der intellectus (ib. lin. 15) „ponitur causa sufficiens generativa tam actus quam
434 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
habitus.“ In der Weise würden auch die habitus der anima separata im reinen Intellekt erworben
werden. Für uns aber hat Gott die Bindung an „conditiones corporales“ angeordnet (ib. p. 283
lin. 3f) „forte hoc propter peccatum primum“ So gilt zweierlei (p. 281 lin. 15f): „Sed habitus ad
quisiti in corpore composito, habitus dico intellectuales, causantur mediante dispositione, sicut
et actus.“ Die Ähnlichkeit der irdischen und der postirdischen Verhältnisse bezüglich der rei-
nen Intellektualität des intellectus und somit des habitus und des actus (cf. ib. p. 290 lin. 9–12)
mag Ockham dazu bringen, zuzugestehen (ib. p. 285 lin. 19f): „quod ipsa (= anima separata)
potest uti habitu prius adquisito in corpore et remanente in anima separata.“ Kirchenvätermei
nungen (cf. p. 282 lin. 18–21) stützen diese Auslegung. Dabei ist auch darauf hinzuweisen, dass
die notitia abstractiva und die aus Begriffen gebildeten complexa nicht in dem Sinne erkennbar
sind, d. h. nicht der notitia intuitiva und der allein auf dieser fußenden recordatio unterliegen.
Das sagt auch Duns Scotus (cf. ib. p. 287 lin. 13 – p. 289 lin. 16).
55. Wenn Ockham (Ord. d. 2. q. 8 OT II Utrum universale univocum sit aliquid reale exsistens
alicubi subiective p. 273 lin. 19–22) bei der Bestimmung der Verstandesakte, nicht nur des Be-
griffs, sondern auch der „propositiones, syllogismi et huiusmodi, de quibus est logica“, sagt
„non habent esse subiectivum, igitur tantum habent esse obiectivum, ita quod eorum esse est
eorum cognosci“, bleibt der auf sie gerichtete actus intelligendi frei. Ockham schließt nochmals
und bekräftigt: „igitur sunt talia entia habentia tantum esse obiectivum.“
56. Cf. Rep. IV q. 14 OT VII p. 309 lin. 15 – p. 310 lin. 2: „dico quod naturaliter loquendo actus
recordandi necessario praesupponit actum recordantis, licet aliter fieri possit per potentiam
divinam, quia actus recordandi est respectu actus recordantis praeteriti, sicut obiecti partialis.
Et ideo actus recordandi non potest naturaliter esse simpliciter primus actus.“ Zu den supposi
tionslogischen Vorbehalten s. o. zur natura conceptus.
57. Dass Gott (Rep. II, q. 3–4 OT V p. 72 lin. 18–20) „non agit in qualibet actione secundum
totam potentiam suam“ gilt, weil Gott die causae secundae mitwirken lässt. Es gilt aber ib.
lin. 18f. „Ipse (= Deus) est causa immediata omnium quando agit cum causis secundis sicut
quando agit sine aliis“ (statt aillis). Und ib. lin. 3–6: „dico quod licet Deus agat mediantibus
causis secundis vel magis cum eis, non dicitur Deus mediate agere, nec secundae causae frustra,
cum sit agens voluntarium, non necessarium.“ Um mit den secundae causae angeglichen zu
handeln, müsste Gott mechanistisch zwangsläufig handeln. Er wäre zugleich nicht Gott. Der
Begriff Gottes als eines überweltlichen Gottes verlangt, dass die Welt nicht Teil Gottes sei und
Gott nicht Teil der Welt; es bedingt, dass von Gott und Welt verschiedene Sätze gelten, die nicht
aufeinander übertragbar sind (und daher aliquomodo identisch wären, wofür es keinen Begriff,
kein Maß und keinen Grund gibt) und wenn nicht die Begriffe verschieden sind, die in ihnen
Kapitel 9. Ontologie und Induktion 435
Es bedeutet zugleich, dass wir Gott weder aus per se (wesentlich) noch aus per acci-
dens (beiläufig) geordneten Ursachen beweisen werden können, da beide Ordnungen
ebenso wie die causa per se und die causa per accidens in der Welt eine begründbare
dependentia nicht hergeben.58 Dabei kann die Suppositionslogik als Ausdruck nicht
angängiger Auslegungen von Sätzen auftreten,59 wo die Begriffe respektive subiec-
tum und praedicatum in diesen Sätzen selbst nicht als mit ihrer Struktur gleichnamig
gebraucht werden, was nicht anders sein kann, müssen gewisse Argumente existieren, die sie
und die Sätze trennen. Es muss also unbedingt argumentiert werden. Gäbe es eine Differenz
zwischen dem begründbaren Kausalbegriff (oder Verursachungsarten) und anderen ebenso
begründbaren Begriffen der Welterklärung, so müsste deren Verhältnis definit die Logik sein
(und die causa ausschließen/ausschalten) oder diese anderen Begriffe wären nicht vermittelbar
und dann nicht determinat.
58. Duns Scotus gebraucht dependentia als determinatio unius termini sive conceptus vel pro-
positionis, um zu beweisen, dass nur ein Gott sein könne. Ockham zitiert Duns Scotus Ord. d. 2
q. 10 OT II p. 342 lin. 8–16: „nulla duo terminantia possunt terminare totaliter dependentiam
alicuius unius et eiusdem, quia tunc illud terminaret dependentiam quo subtracto nihil minus
terminaretur illa dependentia, et ita non esset dependentia ad illud. Sed ad efficiens et eminens et
ad finem dependent alia essentialiter. Igitur nullae duae naturae possunt esse primo terminantia
alia entia secundum istam triplicem dependentiam praecise. Igitur est aliqua una natura termi-
nans entia secundum illam triplicem dependentiam, et ita habens istam triplicem primitatem.“
Duns Scotus führt einen ähnlichen Beweis (cf. ib. p. 341 lin. 20 – p. 342 lin. 6) ohne den terminus
dependentia zu verwenden. Ockham (p. 354 lin. 8–14) fasst sie beide als einander ähnliche (und
ähnlich mit weiteren) zusammen, reduziert sie beide auf den Terminus dependentia und mehr
noch auf den einen Satz (ib. lin. 12f) „nulla duo possunt esse totaliter terminantia dependentia
alicuius unius“, den er (ib. lin. 11f) „una propositio, quae accipitur in istis duabus rationibus“
nennt (obwohl er nur in dem einen wirklich und wörtlich vorkommt) und lehnt diesen Satz
(und damit die Beweise) ab (ib. lin. 13f): „non est universaliter vera, sicut alias ostendetur, et
ideo transeo modo.“ Diese (ib. lin. 8–11) „duae rationes, et similiter aliquae aliae quas in alio
loco (Duns Scotus) facit ad probandum unitatem Dei sunt probabiles, quamvis posset aliquis
contra eas protervire, quas protervias difficile esset improbare.“ Die proterviae könnten also
der improbatio der Scotischen rationes nahestehen. Die Editoren verweisen hierzu auf Rep. III,
q. 1 OT VI p. 36 lin. 20 – p. 38 lin. 2. Hier aber, im Bereich der Erörterungen der Trinität, lehnt
Ockham lediglich den terminus dependentia als determinatio der natura ab (p. 37 lin. 25 – p. 38
lin. 2): „Personalitas autem ultra naturam addit solam negationem dependentiae. Ideo natura
non plus inclinatur ad propriam personalitatem quam affirmatio inclinatur ad negationem.“
Wir haben so in der dependentia keine Beweisqualität. Dependenz impliziert distinctio realis
(cf. ib. p. 31 lin. 8–22). Den Übertrag der dependentia auf die Trinität (Aneignung der natura hu
mana durch den Sohn) hatte freilich schon Duns Scotus betrieben, indem er diese Aneignung
unterm Aspekt der causalitas als dependentia deutete (cf. ib. p. 17 lin. 18 – p. 14). Hier widerlegt
Ockham ebenso (ib. p. 19 lin. 16 – p. 21 lin. 8): eine Sache kann zwei essentiell gleich vollstän-
dige Ursachen haben (causa totalis), bezüglich der causa finalis ebenso wie bezüglich der causa
efficiens. Dependentia kann so nicht die absolute Richtgröße sein.
59. Sie hat so eine Widerlegungsfunktion oder reiht sich in eine solche ein. In diesem letzteren
Sinn trägt sie zur Abstraktion der Begriffe bei, die so etwa für die Trinitätslehre tauglich werden
436 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
oder, was intensional gleichwertig ist, tauglich gehalten werden. Die Abstraktion der Begriffe
löst sich in der Suppositionsidentität nicht auf.
60. Was hier als empirisch tituliert wird, wird doch ontologisch expliziert (ib. p. 9 lin. 9 – p. 11
lin. 1): „Tamen ad intelligendum istam unionem (von göttlicher und menschlicher Natur in
Christo) possumus manuduci per alias uniones, puta materiae et formae, substantiae et acci-
dentis. Nam in unione materiae cum forma, forma et materia remanent distinctae secundum
suas entitates sicut prius, et hoc non obstante propter unionem unius ad alteram, materia de-
nominatur a proprietatibus formae et e converso. Ita in proposito, natura divina et humana
remanent distinctae post unionem sicut ante, nec faciunt per se unum sicut materia et forma
sed potius unum quasi per accidens sicut substantia et accidens…“
61. Denn Ockham schränkt bezüglich der Vereinigung von substantia und accidens als Bei-
spiel der unio in Christo ein (ib. p. 11 lin. 1f): „licet non ita vere per accidens quia non dicunt res
diversorum generum,“. Dabei soll ein Austausch bei den Eigenschaften beider Naturen möglich
sein wie bei forma und materia. Ockham summiert (ib. p. 11 lin. 5–7): „Sicut ergo unio materiae
et formae, substantiae et accidentis est possibilis, ita ista unio in proposito.“ Es ist dann am
Ende die Suppositionslogik, die die auf der Basis mangelnder real-empirischer Begründung
(Konditionierung) nicht vollständig konklusive (definite) Ontologie übergeht oder abfängt.
62. Ockham sieht hier Glaubenswahrheiten, die unbeweisbar seien (ib. p. 10 lin. 8f): „dico quod
haec unio non potest demonstrari, sed solum per fidem teneri.“ Es gibt auch keine persuasio
nes, die abstrakte Beziehungen treffen könnten, die empirisch gestützt, über die Empirie hin-
ausgingen. Ockham sichert nur die Rationalität einer bereits bestehenden oder technisch etwas
Kapitel 9. Ontologie und Induktion 437
handelt und mit denen er sein Thema abhandelt, (nur) positive Bedeutung haben und
in dem Sinne das von subiectum und praedicatum in re Gemeinte deckungsgleich sei.
Im Sinne der distinctio realis ist dann eine Differenz möglich. Er geht also nicht da-
von aus, dass Begriffe, die irgendwo das Erkennen meinen, hier in der Theologie der
Trinität, und damit überhaupt Erkennen besagen, sowohl gewonnen wie hinsichtlich
ihrer Kapazität ausgelegt werden können (sollen) und zwar per Postulat je das eine
im anderen.63 Ockham trennt diese beiden Funktionen; aber es sieht so aus, als träte
die Suppositionslogik quasi hinter der Front des Kampfes zwischen Glauben und Wis
sen apologetisch und nicht mehr anthropologisch für die Glaubensposition ein. Das
stimmt nicht, da Ockhams Suppositionslogik ja erst konstituiert werden musste. Sie ist
nicht anthropologisch gegeben. Sie kanonisiert die sprachlichen Möglichkeiten, wenn
sie argumentativ gestützt worden sind, also Ermittlungen über Verhältnisse nach
Begriffen vorausgegangen sind. Ockham greift dabei nicht auf die Vorstellungsseite
zurück und muss eben das auch nicht tun. So werden am Ende auch suppositionslo-
gische Sätze in der Theologie als korrekt (concedenda) anerkannt.64
ergänzten Terminologie nach der Beziehung der termini. Sie wird argumentativ erkundet und
dabei auf die Suppositionslogik umgelegt. Für Sätze wird nur noch Wahrheit gesucht, behaup-
tet oder bestritten, nicht Konsistenz. Die Wahrheit der religiösen Sätze oder Gehalte wird nicht
dargetan; um sie darzulegen wäre womöglich Bedarf an neuen Begriffen oder eines anderen
Verstandes, die wir nicht haben. Ob wir sie secundum fidem benötigen, bleibt offen. Ockham
bringt bei der Rationalisierung der theologischen Aussagen, evtl. unter Einfügung einiger
neuer Konstituenten Glauben und Ratio zum Ein- oder Gleichstand. Es wird hier nicht der
sprachliche dogmatische Ausdruck widerspruchsfrei gemacht, wie dort wo Ockham im Sinne
der consequentia formalis Konsistenz zur determinativen Grundkomponente des Denkens in
der Theologie erhebt und es wird auch nicht die einwandfreie philosophische Erklärung un
bestrittener theologischer Sätze verfochten – in der Hauptsache gegen Thomas von Aquin und
Duns Scotus, wie in Kap. 4 Fides et scientia demonstriert. Der Einstand jetzt bleibt ohne vor-
gängige Wesenserklärungen für fides und ratio (oder scientia). Aber es ist wieder die Frage, wie
der eigentliche Glaubensgehalt aussehen kann, wenn für ihn neue Begriffe erfunden werden
müssten, ob es ihn pro statu isto gebe. Es ist ferner die Frage, welchen Bezug er zum Menschen
nach dessen restlichen Seelenkräften haben könne.
63. Es handelt sich auch nicht um theologisch bestimmte Korrekturen von logischen Gesetzen
oder physikalischen Vorstellungen durch Ockham. Ersteres nimmt z. B. H. Schröcker, 2003
an, letzteres z. B. H. Blumenberg, 1966. Ockham schließt über attributive Strukturen falsche
(= widerlegbare) realdinglich orientierte Geltungspräsumtionen aus.
64. Der Satz wird akzeptiert, soweit er eine empiriewertige Bedeutung oder Deutung aufweist.
Ockhams probabilistische Entscheidung beruht auf einem suppositionslogisch akzeptablen
Satz. Dabei wird die distinctio realis der Vertreter der Empirie und der Garant der Geltung
des rein theologischen Satzes, der dann nicht mehr notwendig über- oder außerempirisch er-
scheint. Die distinctio realis wird für den immer ja kontingenten Satz umschrieben so dass
das praedicatum (ib. p. 29 lin. 4f) „tamquam aliquo distincto realiter ab illo pro quo subiec-
tum supponit“ zu werten sei. Es folgt die Anwendung und eben auch noch einmal die empiri-
sche Stützung (ib. lin. 5–19): „Sed sic habet tantum unam singularem veram, puta in persona
438 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Wenn Ockham (angebliche) Beweise des Duns Scotus als nicht konklusiv (ungül-
tig) erweist, indem er die darin benutzten (enthaltenen) – ontologischen- Prinzipien
(‘Regeln’) empirisch als nicht unbedingt gültig (‘non est universaliter vera’) vorführt,
kann er, wenn seine Belege für einen minderen Rang dieser Prinzipien schlüssig sind
(also nicht bloß induktiv erschlossen oder persuasiv aufbereitet sich ausnehmen),
behaupten, a fortiori seien die Beweise des Duns Scotus auch ungültig. Andernfalls
könnten die Begriffe in den ontologischen Prinzipien neu definiert werden und für
abstrakt geführte Beweise stehen, die genau an der Stelle der alten stünden = mit
ihnen identisch (ununterscheidbar) wären; sie könnten dann auch die Logik erset-
zen.65 Auch dies schlösse die materielle Implikation als Regulativ und Indiz aus.66 In
Christi, quia ibi ly homo supponit pro supposito Filii Dei sustentificantis naturam humanam, et
humanitas pro natura humana sustentificata, et ista distinguuntur realiter in Christo tamquam
quod et quo. Et ideo potest concedi quod ille homo, qui est Christus, est homo humanitate
tamquam aliquo distincto realiter ab eo pro quo subiectum supponit. Et sub isto sensu, haec est
universaliter vera ‘album est album albedine’, ita quod ly album, quando habet suppositionem
personalem, semper supponit pro subiecto sustentificante quod est suppositum in genere sub
stantiae. Et albedo supponit pro ipsa forma albedinis inhaerente tali subiecto, et ista universa-
liter distinguuntur realiter tamquam quod et quo.“ Zuvor (ib. lin. 1–5) lehnt Ockham den Satz
‘homo est homo humanitate’, als Träger der realistischen Ontologie gegen Thomas von Aquin
ab: „haec (propositio) non est universaliter vera.“ Er ist demgemäß auch nicht empirisch.
65. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Duns Scotus eine solche Intention hatte. Damit wäre auch
die Abhängigkeit von Ockhams Konzeption der notitia abstractiva in statu beatifico per po-
tentiam divinam absolutam, die nicht auf den viator in der empirischen Bedingtheit seines
Erkennens nach der Bedingung seiner Begriffsbildung übertragen werden kann, denkbar; erst
kraft seiner Argumentationsmethode kann Ockham dagegen einschreiten und die Unterbin-
dung bewirken. Es gäbe dann auf der Stufe ganz unbestimmter Erkenntnismittel keine Relation
für das menschliche Erkennen und auf es hin, worin zugleich die Relevanz der materiellen Im-
plikation bestritten und die consequentia formalis suspendiert erscheinen muss. Aber zugleich
wäre der Ausgriff auf eine transempirische Bezugsebene mittels des Omnipotenzprinzips bei
Ockham immer durch Duns Scotus induziert; Ockham hat angesichts der propositio imme-
diata einen solchen Ausgriff in ein anderes, nicht mehr menschliches begriffliches Medium
auch für Dinge, die wir aus unserer Welt und Erfahrung kennen, aber kausal auch nur in dem
Sinne erklären können, dass damit bloß eine Variabilität (Verteilung) von causae gegeben ist,
für denkbar gehalten; andererseits haben wir nach Ockham diese Vielheit von causae offenbar
secundum legem communem, wie sie denn auch hier die Einwürfe gegen Duns Scotus liefert.
Mit der neuzeitlichen Wissenschaft verbinden wir keine solche überempirische Qualität. Cf.
aber immerhin F. Borkenau, op. cit. p. 148–151 und auch Yorck von Wartenburg, Bewusstseins-
stellung und Geschichte, 1956.
66. Sie stünde bei der consequentia formalis und beim Syllogismus, vorausgesetzt, diese kann
intensional bestimmt werden, was die Beweismöglichkeiten wieder einschränkt und auf die
Stufe der menschlich-empirischen Konditionen zurückbringt. Darüber hat Ockham implizit
im Prol. Ord. gehandelt.
Kapitel 9. Ontologie und Induktion 439
Ockhams Erklärungen, die sich gegen Duns Scotus wenden, wird der Begriff ‘causa’67
vielleicht semantisch vorausgesetzt, aber durch die Aufhebung syntaktisch tangiert.
Das erst widerlegt Duns Scotus (vollständig).68
Causalitas im Vorlauf auf den Gottesbeweis wird von Ockham vorab in zwei Quä-
stionen behandelt: Utrum sit tantum unus Deus69 und Utrum Deus sit prima causa et
immediata omnium.70 Dabei ist es das Erstaunliche, dass causa und causalitas von
Ockham mit Hilfe terminologisch und praktisch an die Ontologie angelehnter Bewei-
se bestritten, in dem Sinne negiert und widerlegt werden, dass eben genauestens die
(semantische) Fundierung des Kausalen in re und rebus, auch für den Kontakt und
die Vermittlung der absoluta untereinander als unmöglich sich ausnimmt, d. h. nach
67. Die moderne Wissenschaft spricht die Kausalität direkt nicht aus. Wie es zwingend ge
schehen könnte, ist offen.
68. Gott als causa prima Bezeichnung einer syntaktischen Figur kann nicht zugleich ganz glatt
(unumwunden) semantisch in den Gottesbeweis fallen. Dieser muss daher eine induktive Basis
haben. Daran scheitert der Scotische Gottesbeweis. Ockham sichert ihn mit der Gleichsetzung
von efficientia und conservatio; sie wird zur Induktionsbasis. Wenn Gott mit einem (seman-
tisch angelegten) Beweis erst als existent dargestellt (ermittelt) werden muss, kann er nicht
zugleich eine syntaktische Funktion in der Welt unter den causae secundae erfüllen, die er
dabei zu ordnen hätte (um überhaupt unter ihnen anwesend zu sein, zu zählen). So muss der
Gottesbeweis auf einem Zirkel beruhen oder einen solchen darstellen; denn in jedem Fall muss
ja der als existent zu erweisende Gott unter den cause secundae seinen Platz einnehmen; er
wird ja gegen diese bewiesen, als für sie notwendig ermittelt oder postuliert. NB. Duns Scotus
hat nun zuerst die Existenz Gottes beweisen wollen und dann, zusätzlich, dessen Eigenschaften,
i.e. seine Essenz auszulegen versucht. Dies alles aber nach dem einen (semantisch bestimmten)
Beweisverfahren. Dieses müsste in seinen späteren Partien die Existenz voraussetzen und aus
dem erfolgten Existenzbeweis seine Ableitungen vornehmen. Es ist die Frage, ob das möglich
ist, ob die späterhin verwendeten Prinzipien, Regeln und Definitionen gelten können. Oder
ob sie dann wieder – im Hinblick auf die Empirie – zweifelhaft (indefinit) sein können. S. ver-
gleichend Ockhams Einwendungen und Rejektionen gegen Auslegungen bei Thomas Aquinas
und Duns Scotus bezüglich der Sätze, die die Beziehungen zwischen den göttlichen Personen
angehen, cf. Kap. 4 Fides et scientia. Die Induktion kann übrigens keine (eventuell sogar not-
wendigen) Relationen zwischen Begriffen auf einer rein (primär) empirischen Ebene stiften.
Cf. z. B. Ord. d. 24 q. 2 OT IV p. 98 lin. 14ff: „numquam ex aliquibus resultat forma absoluta
alterius rationis ab aliquo istorum (die vereinigt werden sollen), nisi unum istorum sit actus et
reliquum potentia, sicut patet inductive.“ Hier bleibt die ontologische Sprache erhalten gerade
weil für sie fundo argumentiert werden kann; d. h. genau so wie wenn bei Ockham mittels der
Unterscheidung von substantia und accidens (als vollständiger Disjunktion) widerlegt wird,
wird der Bezug auf die Realität argumentativ erst ausgelegt, nicht aber gestiftet oder vorausge-
setzt. Freilich alles „‘ist’“ entweder ‘substantia’ oder ‘accidens’. Das ist eben kein Widerspruch.
Wäre es einer, müsste (der) Widerspruch ontologisch definiert werden können. Vorausgesetzt,
es gibt Ontologie, wovon wir nicht ausgehen müssen.
69. Ord. d. 10 q. 10 OT II pp. 337–357.
70. Rep. II, q. 3+4 OT V pp. 50–79.
440 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
der dazu erforderlichen Logik und sei es eine irgendwie für kommun gehaltene Logik
nicht begründet werden kann; es muss also auch eine ‘bestimmte’ Logik für unmög-
lich oder unbegründet gehalten werden. Es ist letztlich die Logik, in der die reproba-
tio über den Takt der Aussagenlogik mit Einschluss des tertium non datur bestimmt
wäre und damit immerzu ein Verband von semantisch zu verstehenden Termen und
logisch ausgedrückten Beziehungen und Verkettungen vorausgesetzt würde, letztlich
denn eine Annahme, die weiterhin nach der alten Ontologie gewertet und verstanden
werden könnte.71
Das Problem bezüglich des Kausalitätsbegriffs, der causae, ist, dass sie überall
als ein abstrakter Begriff ausgelegt werde, aber empirisch und konkret, mit Bezug
auf (die) Kontingenz gehandhabt werden können müsse, so dass allem Dafürhalten
nach eben jene Auslegung erforderlich wäre, die zugleich die logische wäre und die
Logik beinhaltete. Das kann aber nicht gelingen, da dann die Logik im Sinn der Vor-
formulierung der Auslegung oder des Zusammenhangs der Begriffe auftreten kön-
nen müsste. Da aber zeigt Ockham zwangsläufig, dass dieser Gang nicht möglich, i.e.
die Logik nicht zweimal und darin übereinstimmend angewandt werden kann.72 In
eben dem Sinne werden impossibilia möglich; sie werden bei den reprobationes mit
technischem und physikalischem Hintergrund gehandhabt – sc. so dass ‘abstrakte’
Begriffe in Bezug auf die Realität dort als unerfüllbar erscheinen müssen, wo eben
ihr wahrer Bezug als Implikation anzusetzen ist. Das ist dort der Fall, wo sie über den
Begriff der ‘species’ als Einheit von Abstraktion und Individualität gedacht werden
können. Dann, so zeigt Ockham, ist ihre ‘Erfüllung’ in der Identität der res nicht
möglich, weil eine Art relatio darüber hinausreicht, i.e. mit dem gedachten Ding nicht
deckungsgleich ist. Das aber betrifft eine in dem Sinne nicht logische Ableitung.73 Für
71. So hat es auch A. Tarski mit seiner semantischen Wahrheitsdefinition alias aristotelischen
Hypothese von der adaequatio intellectus ad rem getan, die bei Duns Scotus gilt und bei
Ockham gegenstandslos ist. Ockham beweist nicht mit der reprobatio eine Gegenthese ex ne-
gativo; er beweist gerade einmal die Nichtgeltung einer These, die er somit intensional verneint.
Es ist das Verhältnis der Begriffe oder Größen, das damit bestritten wird, in unbestimmter
inhaltlicher (definitorischer) Form ebenso wie eine eventuell denkbare implizite Kausalität an-
gehend. Sie wäre womöglich erst noch zu konstruieren und dann auch empirisch nicht aufge-
funden worden, wenigstens vorab nicht nach Ockhams Beweis, der mithin diese Möglichkeit
intentional verneint. Zu Tarski cf. mit Resonanz E. Tugendhat, 1960 pp. 131–159.
72. In dem Sinne tritt beweisend und widerlegend eben die Suppositionslogik ein. Sie wird
gegen das ungefähre Deduzieren in Stellung gebracht.
73. Was hier argumentativ als unangängig ermittelt und dargestellt wird, nämlich, dass ein
relationaler Begriff nicht in Bezug auf eine Gesamtmenge von individua definit sein könne,
also significationes und singularia betreffe, entspricht genau der konzeptualistischen Auffas-
sung vom universale, das Ord. d. 2 q. 4 OT II p. 100 lin. 17 – p. 101 lin. 11 von Ockham referiert
wird (nach der Edition (ib. p. 100 Anm. 3 lt. Ockham Duns Scotus zugeschrieben): „est una
opinio quod quodlibet universale univocum est quaedam res exsistens extra animam realiter
in quolibet singulari et de essentia cuiuslibet singularis, distincta realiter a quolibet singulari
et a quolibet alio universali, ita quod homo universalis est una vera res extra animam exsistens
Kapitel 9. Ontologie und Induktion 441
die causa ergibt sich, dass sie weder durch andere Hilfsbegriffe aufgefüllt werden kann
noch selbst zur Auffüllung dienen kann. Damit dass eines oder beides verlangt wird
erst wird Kausalität zum Schlüsselbegriff des Gottesbeweises. Doch ist darin wahr-
scheinlich mit Notwendigkeit ein Vorgriff auf die Folgerung (Implikation) enthalten.
Diesen baut Ockham mit seinem Ableitungsverfahren ab. Das Verfahren kann daher
nicht logisch aufgebaut sein.74 Es muss gegen das Logische oder es untertunnelnd ge
handelt werden.75
Ockham zeigt, dass (der Begriff) causa keinen Bezug auf die/eine res in actu hat,
die er so nicht erreicht. Damit hat sie/dieser Begriff überhaupt keinen realen abstrak-
ten oder essentiellen Wert. Das gilt, gleichgültig ob wir von causa essentialiter oder
causa per accidens sprechen. Diese werden unterschieden, um dann im Effekt keinen
Unterschied zu machen, so dass a parte rei gesehen keinen Geltung oder Egalität von
Begriff und res erreicht werden kann. Mit der causa per accidens könnten sie viel-
leicht eher möglich scheinen, um dann die Diskussion a fortiori abzuschließen: die
relatio (implicatio) ist unmöglich, mit der wir auf die res uns bezögen, die dann for-
mell für uns den empirischen Wahrheitswert abgeben könnte.76 Duns Scotus aber,
gegen den Ockhams reprobationes sich richten, wollte in einer semantischen De
duktion, in der die abgeschlossene (vollendete) Kausalkette (= Gesamtheit von cau-
sae) ein77 Argument lieferte, Gottes Existenz beweisen.78 Ockham aber geht, wenn
er hier Duns Scotus widerlegt, von kontingenten Sätzen aus und gelangt von diesen
direkt zur Impossibilität.79 Auch Duns Scotus hatte die Unterscheidung causa per se
und causa per accidens gebraucht.80
76. Wir erreichen weder mit der causa essentialiter noch mit der causa per accidens beweis-
wertig eine abschließbare (abgeschlossene) Kausalkette und keine intentionaliter außerhalb ih-
rer gelegene (anzusiedelnde, postulierte causa prima.
77. Und tatsächlich nur eines, so dass es alle anderen einzuschließen gehabt hätte oder darin
eingeschlossen (folgerbar) gewesen wäre. Es wird also von Ockham mehr bewiesen als dass die-
ses eine Argument nicht zu gelten habe. Das Beweisverlangen selbst ist unangängig (unsinnig).
78. Duns Scotus glaubte (cf. Ord. d. 2 q. 10 OT II p. 339 lin. 21 – p. 340 lin. 3), dass eine Ge-
samtheit von causae essentialiter ordinatae niemals unendlich sein könne. Sie müsse immer
abgeschlossen sein; das besagt eigentlich eine petitio principii und bedeutet daneben, dass
abstrakte Begriffe (etwa ontologische) Schlüsse mit realem und definitem Sinn erlauben kön-
nen, also enthielten. Das kann nach Ockhams Beweismethode mittels der Suppositionslogik
und dann in seiner Opposition gegen die causa (als Sache wie Begriff) nicht bewiesen werden.
Es ist klar, dass dann die Sätze, welche Kausalität beinhalten oder beschreiben, entweder kon-
tingente sind (bzw. auch als kontingente gewertet werden können) oder aber mit kontingenten
Sätzen kombiniert (werden können und dann) gewisse (analytische) Schlüsse nicht erlauben.
Deren Ablehnung dient ohnehin die Suppositionslogik, so sehr, dass sogar die implicatio in
ihrem Rahmen nicht anders definiert ist und verstanden werden kann. Das bedeutet auch, das
eine operative Begründung sei es der Logik sei es des Operierens nicht sinnvoll erscheint. Es
begrenzt den eigentlichen Wert (die Geltung) des Zeichenbegriffs im Nominalismus. Er er-
lischt im conceptus, der als ex re abstrahiert zu gelten hat. Er bedeutet da Inhaltlichkeit, die in
Ockhams Kombinationen der Begriffe nicht mehr sichtbar ist, aber soweit besteht, dass ein
Satz als signum intensional nach seinem Realbezug ‘potest denotari’. Bzw. kann es eben auch
heißen: ‘non potest denotari’. Cf. Ockham zum Ausdruck ‘propositio dicendi per se’, die er mit
Aristoteles secundum „duos modos“ kennt, etwa ib. p. 346 lin. 5–24.
79. Er gelangt zu einer Aussage, die dieselben Begriffe enthält oder benutzt wie die kontin-
gente, aber nicht denselben Modus haben kann, bzw. auch nicht dieselbe Konjunktion zweier
Modi, etwa per se und possibilis, wie der kontingente Satz. Der ist kontingenter Satz, indem
seine empirische Genesis festgehalten werden kann; wird diese verneint oder übergangen, also
quasi stillschweigend fälschlich, im Sinne der Äquivokation oder fallacia in Anspruch genom-
men, so entsteht die unmögliche Aussage. Die Abstraktion hat sich auch hier von der Begriffs-
gewinnung zur Satzbildung verschoben; Nikolaus von Autrecourt hatte sie bei seinen Zweifeln
relativ indistinkt gehalten.
80. Cf. Ockhams Wiedergabe ib. p. 338 lin. 1–6: causa per se „tantum est comparatio unius ad
unum, causae videlicet ad effectum; et est causa per se quae secundum naturam propriam et
Kapitel 9. Ontologie und Induktion 443
Ockham setzt dafür die Sätze ein:81 „Sed contra praedicta sunt aliqua dubia: Pri-
mum, quod dicitur de causa per se et causa per accidens. Si enim intelligat (!), sicut
communiter intelligitur, quod haec sit vera ‘calidum per se calefacit’ et haec non ‘al-
bum per se calefacit’, sed quod haec sit vera ‘album per accidens calefacit’, hoc non est
verum, quia quandocumque aliquod praedicatum inest illi pro quo subiectum sup-
ponit /§ vel pronomini demonstranti praecise illud pro quo subiectum supponit, §/
et tali modo quod denotatur sibi inesse, illa propositio est simpliciter vera; sed in istis
duabus propositionibus ‘album per se calefacit’ et ‘calidum per se calefacit’, si idem
sit album et calidum, subiecta supponunt pro eodem; igitur si una sit vera, reliqua
erit vera.“ Nämlich auf der Stufe und Ebene kontingenter Aussagen. Von hier aus er-
gibt sich, dass Duns Scotus eigentlich eine fallacia begeht: er geht von unter anderem
empirisch, konkret oder kontingent verwendbaren Begriffen aus und legt sie dann
unversehens auf einer höheren Stufe analytisch als sie selbst aus.82 Dabei gebraucht
non secundum aliquid sibi accidens causat, et causa per accidens e converso; in secundo autem
est comparatio duarum causarum inter se in quantum ab eis est causatum.“ Dabei ist die reale
Möglichkeit beider causae neben- und gegeneinander vielleicht noch offen. Es wäre somit zu
fragen, wie beide Arten von causa in einem Weltbild neben- und gegeneinander existieren und
angesetzt werden können und damit aber auch, wie die Argumentation beschaffen sein müsste
oder könnte, die an ihnen ansetzte. Das ist dann von deren Existenz oder Frage danach ver-
schiedene Frage. Die Relevanz dieser Argumentation könnte als absolute so bestehen, dass die
Realität der causa oder beider Arten von causa nicht vergleichbar (nicht vergleichbar absolut)
mehr sich stellen ließe; sie könnte induktiv bewiesen werden und dann eben auch in Affinität
zur Widerlegung eines absoluten Begriffs von causa in reali bestehen. Ockham geht diesen
Weg. S. o. Text nach Ord. d. 2 q. 10 OT II p. 343 lin. 10 – p. 344 lin. 20.
81. Ib. p. 342 lin. 18 – p. 343 lin. 9.
82. In Wahrheit oder in facto tut er es natürlich nicht; er setzt eine solche Auslegung nur als ad
libitum und determinate zur Verfügung steht voraus; er sieht so diese Auslegung als gebotene
oder zur Verfügung stehende als Teil des damit indes abstrakt verstandenen Begriffs album
oder auch logisch der beiden Begriffe album und calidum; er postuliert Folgerbarkeit oder
notwendig sogar Nicht-Folgerbarkeit als Anteile der Begriffe oder als im Verhältnis zu ihnen
beliebig zur Verfügung stehend und für irgendeinen Zweck, muss man sagen; ja in Wahrheit
muss er sogar Falschheit und Wahrheit als sich deckend setzen. Ockham operiert also nicht mit
einer subtilitas superflua. Er deckt eine fallacia als falsche, implizite oder ungenaue, je nur ad
hoc und diffuse verwandte Abstraktion auf. Franciscus Mayronis, dem magister abstractionum,
macht Ockham dagegen SL-III-1 c. 4 OP I p. 367 lin. 35–40 eine fallacia streitig.
444 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Ockham die kontingenten Sätze (ebenso wie die Suppositionslogik) in einer katalyti
schen Beweisfunktion.83 Eine solche ist bei Ockham nicht selten.84
Ockham gibt seine Lösung in einem Vergleich, der insofern probat ist, als wir
obenhin bei empirischen Aussagen sind, bzw. diese formativ einbeziehen:85 „per istam
propositionem ‘album potest esse nigrum’ non denotatur nisi quod propositio in qua
praedicatum praedicatur de illo pro quo subiectum supponit /§ sit possibilis, et non
denotatur86 quod propositio in qua praedicatur hoc praedicatum de isto subiecto sit
83. Er gelangt damit sogar bis zur aristotelischen Definition und Unterscheidung der beiden
propositiones dicendi per se Cf. ib. p. 346 lin. 20f: „distinguit Philosophus, I Posteriorum duos
modos dicendi per se.“ Ockham übersetzt den Unterschied letztlich in den des Modusge-
brauchs ‘modo composito’ und ‘modo diviso’, die auf in se gleiche Begriffe sich beziehen (ib.
p. 346 lin. 21–24): „/§ Nunc autem ita est quod ista stant simul ‘album per se calefacit’, et haec
est per accidens ‘album calefacit’; ista stant simul ‘album potest esse nigrum’ et haec est impos-
sibilis, et haec est impossibilis ‘album est nigrum’ … (ib. p. 347 lin. 7) §/. ‘Per se’ ist also wie ‘per
accidens’ und ‘potest’ und ‘impossibilis’ als Modus gebraucht worden; ‘per se’ kann modo diviso
in einem Satz gebraucht werden, ohne modo composito vom selben Satz prädizierbar zu sein
(ib. p. 343 lin.12): „consequentia non valet.“ ‘Per se’ kann modo diviso (ib. lin. 13f) „cum nota
possibilitatis“, also im Sinne der faktischen (kontingenten) Möglichkeit, ein praedicatum, ganz
mit dem Sinn von (ib.) „inesse“ dem subiectum propositionis beitreten, so dass subiectum und
paedicatum für dasselbe supponieren, und doch gilt für dieselben Begriffe intensional (i.e. ab-
solut oder für deren eigenes Verhältnis, doch a parte rei gedacht), dass (ib. p. 344 lin. 2–4) „non
denotatur quod propositio in qua praedicatur hoc praedicatum de isto subiecto sit possibilis.“
Wenn hiermit der Aufstieg vom kontingenten Begriffsgebrauch zum allgemeinen mit implizi-
ter Folgerbarkeit, wie Autrecourt verzweifelt ihn forderte, logisch entfällt, muss damit zugleich
das Logische generell begründet worden sein.
84. Bei dieser katalytischen Beweisanlage reduziert Ockham vorderhand die Beweisanforde-
rung, um alsdann im Sinn eines ‘a fortiori’ zum Gesamtergebnis zu gelangen. Darin versieht er
den Aspekt der Definitheit mit. Kausale analytische Beweisbedürfnisse werden in unserem Fall
über die propositio contingens approximiert.
85. Ib. p. 345 lin. 22 – p. 344 lin. 14.
86. Denotatur bezieht sich auf den Satz, supponere auf dessen einzelne Begriffe. U. Eco, Kant
und das Schnabeltier, 1997, dt. 2000 sieht denotari und supponere in einer strikten Relation,
wobei er p. 478 „die wiederholte Verwendung des Passivs“ für sinnspezifisch hält. Sie „deutet
an, dass ein Satz einen Sachverhalt nicht denotiert: Vielmehr wird mittels eines Satzes ein Sach-
verhalt denotiert.“ Dabei soll potentiell nicht ein Sachverhalt in reali oder faktisch denotiert
werden, sondern auch als angenommener. „Durch einen Satz wird etwas denotiert, auch wenn
dieses Etwas nichts supponiert.“ Bei problematischer Ausdrucksweise muss die Bemerkung
doch bedeuten, dass ein Sachverhalt auch angenommen werden könne, wenn er nicht existiert.
Ockham würde den Satz impossibilis nennen s. Zitat im Text. Eco findet, „dass der Satz (.)
wahrscheinlich nicht notwendig seinen Wahrheitswert denotiert.“ ‘Wahrscheinlich nicht not
wendig’ ist unvollziehbar. p. 479: „Mittels des Satzes wird ein significatum denotiert, und dieses
significatum ist ein realer Sachverhalt.“ Die res wäre also ein Sachverhalt. ‘Sachverhalt’ bezieht
Eco auf Wahrheitswerte, nicht Modi, daneben auf die conclusio eines Syllogismus.“ (Kursives
von Eco). Der Satz als signum denotiert nur nie, dass das Verhältnis der extrema Wahrheit
Kapitel 9. Ontologie und Induktion 445
possibilis. Et bene stant simul quod propositio in qua praedicatur hoc praedicatum de
subiecto sit impossibilis, et tamen quod propositio in qua praedicatur idem praedica
tum de illo pro quo hoc subiectum supponit, /§ vel de pronomine demonstrante illud,
§/ sit possibilis. Et ratio est quia in ista propositione ‘album potest esse nigrum’ subiec-
tum supponit pro Sorte, si Sortes sit albus; si autem fiat niger, tunc hoc subiectum non
supponit pro Sorte, quia hoc subiectum ‘album’ non supponit /§ in propositione mere
de inesse et mere de praesenti §/ nisi pro illis quae sunt alba, et praecise dum sunt
alba.“87 Es handelt sich also um kontingente Sätze und in ihnen um eine kontingente
Supposition.88 Damit werden aber analytische oder quasi analytische Sätze nicht ganz
ausgeschlossen:89 „Et isto modo ipsa anima intellectiva per se causat intellectionem et
volitionem, quia non per aliud, nisi secundum quod ly per notat circumstantiam cau-
sae partialis concurrentis.“ Wir würden also gewisse naturale Umstände und Gründe
ausschließen müssen oder können, was insofern zulässig und miteinander kompati-
bel ist, als wir den Begriff intellectus seu anima intellectiva aus ihnen nicht folgern
oder produziert bzw. mitgegeben ansehen können.90 Mit diesem Verstand aber ist die
oder einen Modus besage. Das beweist Ockham aber dann. Doch nur die propositio denotiert,
nicht die suppositio. Eco zitiert Ockham: „Terminus supponit pro illo, de quo vel de pronomine
demonstrare ipsum, per propositionem denotatur praedicatum praedicari, si suppones (suppo
nens) sit subiectum.“ (SL I, 72). Eco: „die Supposition denotiert, dass das Prädikat sein Prädikat
ist.“ Nein, dass das Satzsubjekt im kontingenten Satz dies Prädikat hat.
87. Wir kommen von der Kontingenz zur Unmöglichkeit, wenn wir für die propositio contin-
gens ein Verhältnis ihrer Begriffe und zwar als Aussage und Inhalt dieser propositio contingens
annehmen.
88. Aus ihr ergibt sich eine bestimmte consequentia formalis nicht, die womöglich Nikolaus
von Autrecourt programmatisch gefordert hat. Ockham wendet das gegen Duns Scotus ib.
p. 344 lin. 15– 0: „si haec sit vera ‘calidum per se calefacit’, haec erit etiam vera ‘album per se
calefacit’, si idem sit calidum et album (was nur kontingent und für kontingente Sätze der Fall
sein kann, wozu dann auch der Satz ‘calidum per se calefacit’ halb oder ganz gerechnet werden
muss, wie ja auch die propositio dicendi per se primo modo). Et tamen ex hoc non sequitur
consequentia formali quod si haec sit (!) per se (also im Sinne eines modus ‘per se’ modo com-
posito), quod haec erit per se ‘album calefacit’.“ Er schließt süffisant an: „Nec credo aliter istum
Doctorem sensisse, propter magnam notitiam quam habuit de logica.“ Er lässt es offen, ob
Duns Scotus damit Ockhams Prinzip oder Argument nicht gekannt oder nur übersehen habe.
89. Cf. ib. p. 345 lin. 21–24.
90. Dabei ist der Begriff bei Ockham nicht so sehr und ausschließlich Zeichen, wie man gerne
annimmt, z. B. U. Eco, op. cit. p. 211. Mit der notitia intuitiva sensitiva et intellectiva entsteht
ein Begriff, dessen Relevanz als Zeichen negativ gegenüber der Universalienproblematik auf-
tritt. Für den Begriff tritt eine Problematik vermöge seiner Kombination innerhalb von Sätzen
auf, die nichts mit der „Dialektik von Allgemeinem und Besonderem“ zu tun hat, „wenn man
auf andere Individuen trifft, die man mit demselben Begriff bezeichnen kann“. Eco empfindet
Ockhams Lösung „nicht als definitiv überzeugend.“ Nur führt er für Ockham kaum so etwas
wie eine Lösung aus. Für Ockham erweitert oder festigt sich der Begriff, nachdem er intuitiv
446 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
gebildet worden ist, durch sukzessive ähnliche Akte, Wahrnehmungen und Urteile. Unter Vor
gabe der Universalienproblematik und wenn man Ockham, sei es mittelalterlich sei es für alle
Weltalter, darauf verpflichten will, ist es vielleicht ein Problem. Doch ist der Verstand, den wir ja
anscheinend haben, auch für Ockham nicht auf die Handhabung empirischer Urteile begrenzt,
und er kann und muss secundum Ockham auf sie nicht einmal immer zurückgreifen; doch
damit dürfen sie nicht als inkompatibel ausgeschlossen werden. So kann aber das Problem
nun wohl auch nicht aussehen, das Eco behandeln möchte. Die reale empirische notitia ist für
Ockham auch kompatibel mit jedem abstrakten Akt und Urteil, der nicht darauf zurückgreift.
Ein solcher gerade kann induktiv insinuiert werden. Im Übrigen geht es für die Akte (Begrif-
fe, Aussagen, Schlüsse) nicht darum wie sie vollzogen werden, ob etwa mit Anschauung oder
nicht, sondern mit welcher Geltung. Für diese muss und kann nur argumentiert werden, etwa
induktiv, z. B. wenn Ockham fragt, ob in der notitia complexi eine notitia incomplexorum im
plizit oder explizit mitgegeben sei: er räumt das Erste ein oder hält es für nicht auszuschließen,
das Zweite verneint er. Das aber indiziert, dass Vollzug nur im Sinne dieser Geltung angenom
men wird und werden kann, hier und wahrscheinlich überall, nicht außerhalb. Sodann fragen
wir uns: was wenn wir die Universalien haben ist mit den ontologischen Begriffen, mit denen
zwangsläufig über sie gesprochen wird (forma, species, natura communis, quidditas, natura,
essentia, accidens etc.). Haben wir da zu warten, bis Eco ‘sein’ universalientheoretisches Pro
blem gelöst hätte oder dürfen wir uns andere Probleme für die Scholastiker und alle Semiotik
suchen? Das Zweite ist offenbar vorzuziehen, denn Eco hat womöglich bloß seine in se nicht
ganz stichhaltigen ‘problemata’. Jedenfalls nicht a limine in Ockham gegründete!
91. Ord. d. 24 q. 2 OT IV pp. 90–121.
92. Ib. p. 98 lin. 19 – p. 99 lin. 2.
93. Ib. p. 121 lin. 13ff.
94. Ib. p. 92 lin. 2 – p. 93 lin. 4.
95. Ib. p. 117 lin. 11–17.
Kapitel 9. Ontologie und Induktion 447
habet accidentia formaliter inhaerentia formaliter est aliquid reale. Illud tamen quod
habet aliqua praedicabilia contingenter et accidentaliter non oportet semper esse ali
quid reale, sed poterit esse conceptus. Est huiusmodi est numerus, quia proprietates et
passiones habet de eo demonstrabiles, et forte aliqua accidentia, non tamen sequitur
quod sit aliquid reale.“96
Ockham gebraucht forma argumentativ für Relationen und Qualitäten als Leit-
begriff, der im wesentlichen je auf reprobationes führt, die Exhaustionsbeweise sind.
Dabei wird die Impossibilität mit dem Gegenstand identifiziert: am Gegenstand kann
die Relation nicht auftreten. Sie tritt in eine Divergenz (Zweiheit) mit der res ein. Das
bezeichnet den Widerspruch („impossibile est“). Damit ist die Relation dann nicht
definit. Sie muss da überhaupt entfallen. Das gilt u. a. für naturphilosophische Begrif
fe wie motus (augmentatio). Ockham führt sogar Zweiheiten künstlich mittels der
göttlichen Allmacht ein, um sodann (sogar dann) eine solche Indefinitheit zu ermit
teln; er gibt also die Definitheit außerlogisch vor. Selbst dann kann sie nicht dauerhaft
bestehen bleiben. Die Argumentation (reprobatio) besitzt also keinen absoluten oder
gar hypostatischen Wert. Falls es sich um ontologische Konzepte handelt, besitzen
diese keinen logischen Charakter. Es geht nicht thematisch um die Zweiheit von re-
latio und absolutum, sondern sie ist ein beiläufiges Ergebnis, wo eine Identität oder
Definition der Sache durch die Relation angenommen oder behauptet wurde und nun
von Ockham widerlegt wird. Dieses Ergebnis wird dementsprechend aber zu einem
hauptsächlichen. Nämlich im Sinne der Ontologie ausschließlich, deren Relationen
(Behauptungen) negiert werden; zugleich können deren Termini nicht definit sein.
Die forma führt innerhalb dieser Untersuchungen die ontologischen Begriffe.97
Ockham nennt,98 mit Wendung gegen Thomas von Aquin, dessen These oder
conclusio er zu billigen vorgibt, einige consequentiae formales: „Quamvis conclu-
sio sit vera, tamen iste modus ponendi accipit aliqua falsa. Primo enim falsum est
quod accipit quod communis ratio generis non est in Deo, quamvis sit ibi propria
ratio speciei. Cuius ratio est quia impossibile est rationem speciei de aliquo verificari
nisi ratio generis de eodem verificetur. Quia quando termini non supponunt pro se
sed pro suis inferioribus semper affirmative pure et sine distributione ‘ab inferiori ad
96. Dazu cf. ib. p. 96 lin. 14f: „Et ostendo quod numerus non est aliqua res una absoluta per
se in genere distincta realiter a rebus numeratis.“ Wenn Zahlen und species grosso modo par-
allelisiert werden (ib. p. 115 lin. 6–15): „posset dici quod formae se habent sicut numeri, hoc
est definitiones, quia sicut per additionem et subtractionem variatur species numeri – large
accipiendo speciem – ita est de definitionibus. Et hoc non sequitur quod numerus habet sub se
multas species quarum quaelibet significat res unas realiter distinctas ab aliis, sed sufficit quod
sit species modo praedicto“, so gilt doch (p. 103 lin. 18): „numeri non distinguuntur specie.“
Und (p. 102 lin. 4): „omnes numeri sunt eiusdem rationis“. Die forma numeri hat keine species
als ihren Gehalt.
97. Auch theologische cf. Ord. d. 19 q. 1 OT IV p. 20 lin. 22f: „spiratio et paternitas non sunt
plures relationes, quamvis non sunt idem formaliter.“
98. Ord. d. 19 q. 1 OT IV p. 5 lin. 4 – p. 6 lin. 7.
448 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
superius est bona consequentia’. Sicut sequitur formaliter ‘a est homo, igitur a est ani-
mal’, si homo et animal supponant personaliter et pro rebus. Igitur si species qualitatis
et quantitatis verificetur de Deo, cum non possit verificari de Deo nisi stet pro re et
non pro conceptu vel voce, sequitur necessario quae genus est et similiter quanti-
tas, verificabitur de Deo. Et ita erit formalis consequentia ‘Deus est magnitudo, igi
tur Deus est quantitas’, si magnitudo in antecedente sit species quantitatis; et eodem
modo ‘Deus est sapientia, igitur Deus est qualitas’, si sapientia sit species qualitatis.
Unde ponens istam positionem, logicam ignoravit.“99 Ockham fährt fort: „Quia om-
nibus scientibus logicam istae regulae sunt notae: ab inferiori ad superius affirmative
et sine distributione est formalis consequentia; de quocumque praedicatur species de
eodem praedicatur genus; a quocumque negatur genus ab eodem negatur quaelibet
eius species; a superiori ad inferius cum distributione est bona consequentia; et mul
tae aliae tales quae omnes per praedictam positionem negantur, quae tamen omnibus
scientibus logicam sunt manifestae.“100 Ockham widerlegt Thomas eigens mit einer
weiteren reprobatio; das steht von seiner Behauptung ab, Thomas’ conclusio sei wahr;
dessen These wird durch Ockhams consequentiae formales nicht bewiesen. Seine re
probatio gegen Thomas mündet so:101 „Quia sicut ratione unius extremi – quod est
ratio (nämlich ein Begriff als bloßer Begriff) – differunt ratione (in rein begrifflicher,
nicht realer Unterschiedenheit), ita eadem ratione, ratione alterius extremi – quod est
res – debent differre realiter.“ Sollen also Begriff und Sache (Gott) in rein begrifflicher
Unterschiedenheit sich verhalten, i.e. nach der „Art“ des einen, des Begriffs, so müs
sen sie doch, in eben derselben Unterschiedenheit, für die „Art“ des anderen, nämlich
der res, eine reale Unterschiedenheit bedeuten; denn die ratio rei kann nur ‘res’ sein,
nicht aber ratio rationis. Der Schluss, der in die Induktion mündet, bedeutet auch,
dass aus der ratio rationis nicht die ratio rei definit gefolgert werden kann.102 Es kann
99. Die Editoren protestieren zugunsten des hl. Thomas (ib. Anm. 1): Dieser habe die logischen
Regeln durchaus gekannt; sie verweisen auf die Definition der species durch genus und diffe-
rentia specialis, die Thomas „klar“ gegeben habe.
100. Von der zitierten definitio speciei hatte Thomas von Aquin (ib. p. 4 lin. 11 – p. 5 lin. 2) sich
distanziert. Das legitimiert eventuell Ockhams Einwendungen. Ihre wirkliche Anknüpfung an
Thomas’ Wortlaut ist so noch nicht begründet.
101. Ib. p. 7 lin. 6–9.
102. NB. Die ratio conceptus ist conceptus; die ratio rei ist res, die ratio subiectum proposi-
tionis ist subiectum etc. Diese Konzepte stehen bereits gegen die Ontologie und lassen Folge-
rungen zwischen ihnen (i.e. zugunsten der Ontologie) nicht zu. Ockham selbst hat eine ein-
fache, elementare Lösung, die keine Ontologie mehr benutzt: Die Prädikate ‘idem’, ‘aequalis’
und ‘similis’ werden von der divina essentia nicht unterschieden, sie sind nicht synonym und
werden nur vermöge unseres empirischen Gebrauchs unterschieden. Magnitudo als „species
cuiuscumque praedicamenti“ wird von Gott nicht prädiziert; sie dient nicht dem Vergleich der
personae untereinander. Das impliziert das Problem der Anwendung ontologischer Prädikate
auf Gott. Für dieses Problem steht die reprobatio ein.
Kapitel 9. Ontologie und Induktion 449
also nicht aus dem Begriff auf res hin ‘extrapoliert’ (gefolgert) werden, somit auch
nicht auf die Extension (Vielheit) hin; das bestimmt die Induktion.
In Ockhams reprobationes haben die Elemente in der Beweiscoda keinen Zusam-
menhang. Sie stellen keinen Sachverhalt dar. Er müsste anders als in der Argumentati
on erkennbar hergestellt werden; dabei wird die Definitheit ein innerer intensionaler
Faktor. Sie wird in der reprobatio ausgeschlossen. Den Sachverhalt als abstrakten gibt
es nicht; das ergibt die reprobatio. Da das absolutum an dieser Stelle nicht durch qua-
litates, relationes etc. erweitert werden kann, gibt es keinen Sachverhalt. Es ist das
absolutum an dieser Stelle, in dieser Position, mit diesem negativen Effekt Moment
in Ockhams Weltsicht. Individualität (Dingidentität) ist in der species inkludiert,
wenn über diese reflexiv im Sinn ontologischer Relationsbezeichnungen reprobativ
ermittelt, i.e. Sachverhaltlichkeit qua Überschreitung der res per Relation bestritten
wird. Das geschieht vorab auf dem Feld der theologia sacra mit formell empirischen
Beweisen (reprobationes), bei denen die ontologischen Termini qua Anwendung auf
die Erfahrung als indefinit erwiesen werden, also als die Erfahrung nicht gänzlich
aufschließend sich erweisen; damit ergibt die Ontologie keine universellen Wahrhei
ten. Das ist ein implikatives Ergebnis der technischen Argumentation Ockhams in
der reprobatio. Deren Charakter muss also antiontologischer Natur sein. Die Ontolo-
gie wird darin mit einem negativen Ergebnis auf die Empirie bezogen. Die Ontologie
selbst ist auf keinen bestimmten Sprachstand gerichtet; es gibt derart faktisch kein „de
virtute sermonis“. Für die sacra theologia macht es noch keinen Sinn, empirisch nach
Erweis der Indefinitheit nicht mehr.103
Wir haben in der reprobativen Argumentation Ockhams die Reduktion der for-
ma auf die species, welch letztere in dem Sinne negativ ist, dass diese Reduktion selbst
negativ wird und jenseits der significatio statthat: wir sind mit ihr außerhalb der Ge-
genständlichkeit und wiederholen in der Art die Abstraktion der termini und Sätze
(wir haben keine ontologischen Maximen mehr) und verdoppeln sie; wir entgegen-
ständlichen sie; sie können formell keinen empirischen Bezug mehr haben, der doch
noch in der Argumentation impliziert sein muss. Die species ist reprobativ gesehen
das negative Gegenstück der forma: – species. Die ontologische Grundlage wird for
mell zunächst anerkannt.104 Die reprobationes besagen, dass die forma auf die species
nicht übertragen werden könne. In actu (im Einzelfall) nicht und im Grunde über-
haupt nicht; denn die forma hat und meint keine significatio. Im Durchlauf durch
Divisionen (fortlaufende divisio casuum) wird das im Einzelnen je wieder ermittelt.
Im Fall der zitierten Widerlegung des Thomas von Aquin ist die forma in der ratio
(rationis oder rationum) zu sehen, die species in der ratio rei. Diese ist die res. Die re
probatio ist zuende, wenn eine relatio mit einer res als nicht deckungsgleich (absurd)
oder als deckungsgleich (überflüssig) sich erweist, also nicht existieren kann oder exi-
stieren muss. Wir sind jenseits der suppositionslogischen Identität. Zwei Prädikate
sind gleichartig oder aber sie haben keine identische Supposition. Nicht sich deckend
verweist auf die Induktion, deckungsgleich auf die persuasio, die hier nicht mehr in-
einander übergehen. Ockham bettet nun seine reprobativen Beweise in die Ontologie
ein, die genau in dem Sinne nicht mehr schließt, wie mit der Indefinitheit der ontologi
schen termini auch keine Logik mehr gegeben ist; es sei denn man will in der divi-
sio casuum einen ordo casuum erkennen, den man aber nicht erweist. Er wird bei
Ockham den Maximen entnommen, die er schon hat (sich vorgibt); Ockham kann
aber so Thesen beweisen, die er mit niemandem teilt.105 Alle sind nämlich anderer
Ansicht:106 „Contra istas opiniones arguo. Primo in generali contra conclusionem
communem in qua omnes homines concordant communiter. Et ostendo quod nume
rus non est aliqua res una absoluta per se genere distincta realiter a numeratis.“ Wir
erhalten hier immer empirische Relevanzen ohne indizierte empirische Qualität. Sei
ne generelle These beweist Ockham zunächst induktiv, indem er zeigt, dass die Zahl
3 bei drei unterschiedenen Quantitäten a, b, c schon besteht, wenn man nur diese
Quantitäten sieht: „Sed non possunt esse tres quantitates sine numero ternario. Igitur
istis, puta a, b, c, positis, omni alio circumscripto, vere ponitur numerus. Ergo etc.“ Es
kann aber nicht verkannt werden, dass damit die Zahl 3 über die Dreiheit als seiend
und nach Ockhams Meinung mit der Dreiheit von Dingen gar Quantitäten identisch
bewiesen worden ist.107 Daraus darf nun nach Ockham nicht der Schluss gezogen
werden, dass die die Zahl ‘aliquid reale’ sei. Die forma addita kann auch nicht der
unitas und nicht über sie den Dingen oder Quantitäten (‘Mengen’) beigefügt wer-
den. „Igitur multo magis duae unitates poterunt esse sine tali forma resultante et sine
numero, quod est impossibile, videlicet quod sint duae sine dualitate.“ Es gibt keine
forma dualitatis; aber die dualitas gibt es. Auch hier haben wir einen ordo casuum,
der nur im Beweis (reprobatio) existiert, nicht extra oder praeter probationem.
Ockham beweist keine Relationen, was ja auch hätte heißen müssen, sie in logi-
scher Form inhaltlich auffüllen, d. h. ‘Beweis’ und implizit inhaltliche Kombinatio-
nen108 vereinigen zu können. Dagegen setzt Ockham die Reduktion der Relationen
105. In Ord. d. 24 q. 2 OT IV pp. 90–121 gegen die opiniones von Thomas Aquinas, Heinrich
von Gent und Duns Scotus.
106. Ib. p. 96 lin. 12–15. Dann ib. lin. 16–20, dann p. 98 lin. 11–13.
107. Ähnlich wird die Menge der Permutationen von 6 Gegenständen P(6), etwa nummeriert
mit 1, …, 6, errechnet, indem man sich denkt, dass jeder Gegenstand (jede Zahl) einmal an
erster Stelle stehe, während die übrigen permutiert würden, damit hat man 6 P(5) usw. Die
Zahlen mögen qualitativ voneinander gebraucht worden sein; sie ergeben doch ein ‘einfaches’
quantitatives Produkt, das seiner Seinsart nach aliquomodo untergeordnet erscheinen mag.
108. Die inhaltliche Kombination müsste immer implizit erfolgen bzw. gelten, während die lo-
gische Form, die beim Vollzug der Kombination(en) als deren eigentliche Realisation anstünde
und notwendig wäre, mithin deren Synthesis abgäbe, dazu sich noch äußerlich verhielte. Die
logische Form wäre inhaltlich noch nicht mitgegeben. Sie kann aber so noch nicht a limine
als ‘a priori’ gelten. Ockham kann seinen, womöglich alogischen Beweisen, einen prä-existen-
ten Wahrheitswert natürlich schlecht geben. Was er für geboten hält, ruht im Argument. Es
Kapitel 9. Ontologie und Induktion 451
auf Identitäten, mit denen er die ratio derjenigen ‘Gegenstände’ ausspricht, die in
der Form der mentalen Deputate vorliegen. Diese stehen als solche auf der Seite der
Widerlegungsmomente. Die res selbst ist Äquivalent oder Repräsentant der Impossi
bilität,109 nicht anders als die propositio contingens, welche keinen Ableitungscharakter
haben kann. Gelegentlich wird damit eine Ableitung oder Widerlegung ergänzt, ver-
vollkommnet, abgeschlossen, aufgefangen oder auch recht eigentlich sistiert.110 Die
‘existiert’ so nicht, was im Argument erst unterbreitet, i.e. negiert oder bestritten wird. ‘Beweise’
existieren so zwangsläufig erst, wie Wittgenstein meinte, wenn sie geführt und in der Weise
realisiert (‘geschaffen’) worden sind. Ockham operiert für den Menschen – u. a. mithilfe des
Omnipotenzprinzips. Eine auf Notwendigkeit festgelegte Logik kann dabei nicht einmal das
Thema sein, wenn es um Ockhams Beweise geht und zwar inhaltlich und formal, wie alle Bele-
ge in diesem Kapitel erweisen. Eine platonische Existenz (Präexistenz) oder Ideenschau macht
bei Ockhams Beweisen und für Ockham überhaupt nicht Sinn, da sie Negationen darbieten
oder enthalten bzw. Möglichkeiten oder Kompatibilitäten. Ockham würde hier widerlegen
können (müssen). Auch Gott kann nicht der Hort dieser Beweise sein, weil das Beweisen, auf
das Ockham fraglos den Akzent legt, so dass es regulativ ist, in dem Sinne Gott nicht enthalten
und umfassen kann und auch ein Satz, dass Gott etwas notwendig enthalte, was nicht er selbst
sei, für Ockham grundlegend keinen Sinn macht. So gelten kontingente Sätze als Satztypen
für Aussagen über Gott und gilt eben das Omnipotenzprinzip nicht inhaltlich, wie ja noch
hier Ockhams reprobationes zeigen. Ein Beweis, der in Gott notwendig wäre, im Menschen
Ockham aber Züge der Kontingenz bis in die Erfindung hineintrüge, wäre ein unicum und
absurd in einem.
109. Immer im Sinne von Beweisbarkeit, stärker noch Nichtbeweisbarkeit. So ist nicht beweis-
bar, dass wir keine reale Erkenntnis extramentaler res besäßen und nicht beweisbar, dass wir
alle existierenden res extra mentem erkennten. In letzterem Fall wäre der positive gegenteilige
Glaube, dass wir alles Existierende extra nos erkennen könnten, wobei wir ja wohl die res un-
ter species zu subsumieren oder auch mit ihnen identifizierbare relationes anzusetzen hätten,
notwendig schon auf deduktive Erkenntnisverfahren umzulegen, die selbst wieder förmlich
mit empirischen Grunderkenntnissen oder Standardaussagen gleichzusetzen oder zu ‘vermi-
schen’ wären. Das kann nach dem Modus von Ockhams Beweisführungen, deren Ergebnissen
sowohl wie seinen Grundannahmen nicht unterstellt werden. Für Duns Scotus ist es immer
anzunehmen oder jedenfalls nicht auszuschließen; es ist auch nicht auszuschließen, dass in alle
Interpretationen, bei denen Duns Scotus insbesondere glorios erscheinen soll, solche Verquic-
kung entweder nicht berücksichtigt und bereinigt wurde oder gerade den eigentlichen Grund
der Deutung ausmacht, die damit quasi als petitio principii erscheinen muss oder als auf einer
solchen aufbauend und beruhend.
110. In der sacra theologia haben wir im Bereich der Personen, ihrer Unterscheidungen oder
Verhältnisse wesentlich kontingente Aussagen; um sie scharen sich bei Ockham in den entspre-
chenden theologischen Erörterungen ‘Deduktionen’; zur Deduktion im Sinne der Notwendi-
gkeit gelangen wir nicht. Nur der Sohn schließt sich nach Ockham die natura humana an, nicht
die divina essentia in toto. Ockham führt dafür das Ökonomieprinzip an (Rep. III, q. 1 OT VI
p. 17 lin. 7–10): „pluralitas non est ponenda sine necessitate; sed omnia possunt aequaliter sal-
vari per solam unionem ad proprietatem sine illa unione essentiae sicut cum illa; igitur super-
fluum est ponere illa.“ Ockham gibt den Beweis (ib. p. 16 lin. 9–21): „Quia sicut una proprietas
452 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Relation gelangt nicht bis zur res. Das ist das Geheimnis des Nominalismus. Nicht ist
es dessen genuine Natur, dass die res nicht adaequat aufgefasst werden könne. Dass
es im Sinne der Konzeption von Argumentation und Beweis nicht auszuschließen sei,
sofern res und relatio oder andere ontologische Konzepte als zweite und doppelte Na-
tur der res identifiziert würden, ist nominalistische Quintessenz.111 In derselben Weise
ist die Kausalität nicht beweisbar112 und dies eben auch nicht im Bereich der Mentali-
est in una persona et non in alia, ita si illa proprietas terminet unionem, persona illa cuius est
proprietas dicitur unita et non alia. Quod autem proprietas sit ratio terminandi istam unionem
et non essentia, probatur: quia quandocumque in aliquo supposito perfecto et independenti est
aliqua ratio terminandi unionem quae est ad illud suppositum et non ad alterum, si illud sup-
positum sit unitum et non alterum, illa ratio terminabit illam unionem. Sicut enim ratio agendi
non potest esse in supposito agente actionem sibi propriam nisi suppositum agat per illam ra
tionem, ista ratio terminandi unionem aliquam non potest esse in supposito terminante, – ita
quod non aliud terminet –, nisi per illam rationem suppositum terminet.“ Das wird dann im
Grunde nur begrifflich auf den Sohn übertragen (cf. ib. p. 16 lin. 21 – p. 17 lin. 6). Der eigentli-
che Grund ist aber, dass die ratio (agendi oder terminandi) auf einer höheren Stufe angesiedelt
als das suppositum, doch förmlich mit dem suppositum identifiziert werden und übereinstim
men muss; so erscheint die Argumentation als eine induktive. Sie lässt den termini, die wir für
die divina essentia und ihrer personae und eben auch deren proprietates, keinen anderen und
weiteren logischen Raum. So wie denn auch die divina potentia absoluta diesen angibt und
definiert. Der Raum von denkbaren Widerlegungen wird hier wie dort abgeschnitten. Ockham
operiert im Sinne von Präventionen.
111. Dies macht ja die Kritik Autrecourts so wesenlos. Er fordert praktisch empirische (empi-
riewertige) Beweise mit ontologisch formulierten Ausweisen, wo es interner Inhalt und Gehalt
in Ockhams Beweisen ist, dass dies nicht möglich sei. Er forderte diese Erkenntnisse als unum-
wunden evidente; die vermisst er. Ockham hatte (argumentativ gebunden!) Unmöglichkeiten
oder Zulässigkeiten mangels Gegenbeweis oder Widerlegung oder qua höherer Wahrschein
lichkeit und Plausibilität dargetan.
112. Es kann für Ockham (Rep. II, q. 3–4 OT V p. 72 lin. 21 – p. 72 lin. 22) auch nicht bewiesen
werden, dass eine Wirkung von einer causa secunda hervorgerufen werde; das wiederum
beweist Ockham. Allgemeinheit der Nichtbeweisbarkeit oder Nichtbeweisbarkeit, dass etwas
(aliquid) keine causa in Bezug auf etwas anderes (einen effectus) sei, fallen aber beweistheore-
tisch zusammen, wie sich am Wortlaut zeigt und für den Beweis (persuasio) wohl evident ist,
wenn er aus akzidentellen Umständen im Sinne der Nichtschließbarkeit in deren Zusammen
hang geltend macht, dass die causa prima und die causa secunda, wenn in reali benachbart
hinsichtlich ihrer Wirkung nicht getrennt oder nicht getrennt ausgemacht werden können. „Ex
hoc sequitur (nämlich daraus, dass die causae secundae nicht überflüssig seien, weil Gott nicht
immer oder überall – in qualibet actione – gemäß seiner ganzen Macht agiere) quod non potest
demonstrari quod aliquis effectus producitur a causa secunda.“ Denn wo sich das Feuer etwas
Brennbarem nähert, kann es vorkommen, dass es nach Gottes Willen doch nicht das Feuer
ist, dass das combustibile in Flammen setze: „cum hoc tamen potest stare quod ignis non sit
causa eius. Quia Deus potuit ordinasse (Vergangenheit!) quod semper ad praesentiam ignis (!)
passo approximato ipse solus causaret combustionem.“ Das Feuer ist also nahe, entflammt aber
doch nicht. Ebenso kann Gott angeordnet haben „quod ad prolationem certorum verborum
Kapitel 9. Ontologie und Induktion 453
tät (mentalen Akte) zwischen deren notitiae. Dabei kann bei Ockham auch noch die
Kausalität als Verhältnis zwischen Sätzen mit einer unbestimmten Referenz auf eine
causa in Sachen und Individuen verbunden werden, die eine Verbindung zwischen
verschiedenen Gegenständen oder Personen (Gott und Mensch) besagen können soll.
Dabei kann der Begriff der causa (ebenso wie der der Empirie) nicht weiter als geklärt
vorausgesetzt werden, als er bis jetzt geklärt wurde.113
causaretur gratia in anima.“ Es ist also offenbar so, dass die Bedingungen einer Wirkung ni-
cht ‘in aliqua re’ mit Relationen bestünden, die in rebus vorfindlich, über sie doch auch hin-
ausgegriffen und vermeintlich Interaktionen auslösen könnten. „Ideo non est mirabile si non
posset demonstrari quod aliquid sit causa.“ Das gilt aber wie und weil Gott „dicitur (!) age-
re mediantibus causis secundis quia coagit (!) cum illis vel producat illud quod producunt
causae secundae, et ita immediate sicut causae secundae.“ Damit gibt es im Grunde eine/die
Ununterscheidbarkeit von causa prima und causa secunda in actione reali aliqua, welche den
effectus hervorbringt und die Nichtbeweisbarkeit der Nichtalleinwirksamheit der causae se-
cundae, die ja alle concursu Dei wirken und dies im Sinne der Bewahrung der Welt (also nach
der Definitheit ihrer Gesetze secundum legem communem). Eben diese Bewahrung der Welt
legitimiert schließlich die Induktion. Sie aber liefert (unterhält) damit den Gottesbeweis. So gilt
ib. p. 73 lin. 16–18: „Et secunda dependet a prima, non tantum quia accipit esse a prima, sed quia
conservatur ab ea, et non potest secunda producere nisi prima producat (!).“ Das gilt begrifflich
nicht bloß von Gott und causae secundae, sondern (ib. lin. 18–21) von allen ‘causae essentialiter
ordinatae’. Gott ist bei seinen ‘Verquickungen’ mit einer causa secunda nicht eine causa totalis.
Cf. ib. p. 63 lin. 19–25: „causa totalis est illa qua posita, omni alio circumscripto, ponitur effectus
si sit totalis causa de facto, vel potest poni si sit causa totalis de possibili. Nunc autem quando
Deus concurrit cum causa secunda, licet posset producere effectum sine causa secunda, et per
consequens potest esse causa totalis, tamen de facto non producit sine causa secunda. Et per
consequens de facto non sit causa totalis.“
113. Ockham setzt von der consequentia formalis die consequentia naturalis ab. L. Baudry,
1958 p. 54 sucht nach der genauen Definition oder Beschreibung für sie bei Ockham und schlägt
conséquence nécessaire vor. Ockham freilich sagt Ord. d. 41 q. unica OT IV 4 pp. 597–610,
wo er nach den in der creatura gelegenen Ursachen (causae) für die göttliche praedestinatio
oder reprobatio fragt (p. 605 lin. 17 – p. 606 lin. 6): „Alio modo accipitur causa, non pro re
aliqua (welche causa sein könnte, wenn mit ihrer Gegebenheit etwas anderes gegeben sei, das
nicht gegeben wäre, wenn nicht jene gegeben wäre) respectu alterius rei, sed magis denotat
quamdam prioritatem unius propositionis ad aliam secundum consequentiam. Sicut si dica
mus quod causa quare ignis non calefacit est quia non habet calorem vel quia non est appro
ximatus passo.“ Auch die Beispiele zeigen, dass es wohl nicht um reelle Ursachen sich handle,
allenfalls um ‘unbekannte’; Ockham fährt fort „Et sic dicitur frequenter quod antecedens est
causa consequentis, et tamen non est proprie nec causa efficiens nec materialis nec formalis
nec finalis. Unde quando ab una propositione ad aliam est consequentia naturalis et non e
converso, tunc potest aliquo modo dici quod antecedens est causa consequentis et non e con
verso. Verumtamen hoc vel raro vel nunquam contingit nisi quia in re aliquid est causa alterius,
vel potest esse vel fuit.“ Doch soll offenbar nicht die notitia unius propositionis oder notitia
antecedentis für die consequentia und/= Kausalverbindung relevant sein. Ockham kommt da
rauf zurück, wenn er in der Schlussantwort auf die quaestio (wie schon p. 598 lin. 12–15) den
454 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Ockham befreit die ‘Rationalität’ oder „Logik“, die seit Aristoteles der Auslegung
der Sprache folgten und lässt Dogmen zu, soweit sie widerspruchsfrei ausgedrückt
werden können, i.e. soweit wie für Beweisführungen das Widerspruchsmoment selbst
grundlegend beseitigt werden kann. Dazu wird die unableitbare propositio contin
gens benötigt. Sie verkörpert das Widerspruchsfreiheitsmoment inhaltlich und, in
Bezug auf Geltung unausgelegt, Impossibilität. Im suppositionslogisch inakzeptablen
Satz wird die Impossibilität direkt ausgedrückt. Das Dogma verliert jede Übereinset
zung mit der Rationalität und ist so unbestimmt. Hier tut Ockham auch den Schritt
über Aristoteles und alle Scholastik hinaus. Ockham bestimmt etwa die causa (i.e. das
‘Verhältnis’ von causa und effectus) vom effectus her114 und überträgt das auf Gott,
wenn er den Satz ‘Deus est creans’ bzw. ‘Deus est creator’ untersucht. Sie haben ihre
Rechtmäßigkeit (Zulässigkeit) aus der empirischen Auffassung von diesem ‘Verhält-
nis’ von causa und effectus, dem sie lediglich nicht widerstreiten können, solange die
grundsätzlichen Begriffsverständnisse festgehalten werden (können). Sollte dies nicht
mehr möglich sein, ergeben sich Widersprüche. Wenn sich Widersprüche ergeben,
werden diese dadurch ausgeräumt (beseitigt), dass beweisförmig Nebenbestimmun-
gen im Satz als Bestimmungen (Kategorien) der Elemente dieses Satzes in Bezug auf
die Realität mit dieser (einer res) nicht sich deckend erwiesen werden können. Das
ergibt einen Widerspruch und eine Differenz zu Aristoteles, die darin bestehen, dass
Beweis und Realwertigkeit nicht gänzlich und von vornherein gleichgesetzt werden
können; wir können die Prinzipien von der Realität trennen und wenn sie auf diese
angewandt werden können, haben wir einen Induktionsgrund auch für die Anwen
dung der menschlichen termini und Verständnisse auf Gott, der zugleich logisch gilt.
Wo die Abstraktion nicht mehr – wie bei der Induktion – empirisch gilt, kann sie
gleichsam überweltlichen Bezug der termini praedestinatio und reprobatio gegen die darin nur
konnotierte creatura festhält (cf. ib. p. 610 lin. 7–14): „dicendum est quod nullum temporale
est causa alterius aeterni, et ideo reprobatio non est aliqua una res aeterna quae habeat cau-
sam in creatura. Sed ista propositio ‘Deus reprobat istum’, quae est ab aeterno vera, bene habet
causam, illo modo quo dicitur quod antecedens est causa consequentis. Et illud antecedens est
ita aeternum sicut consequens. Quia antecedens est istud ‘iste peccabit finaliter’ et ista fuit ab
aeterno vera, sicut ista ‘Deus reprobat istum’.“ Ockham sieht den Bezug zur Naturphilosophie
mit analogen Sätzen. Auch da soll „aliquid in re causa alterius“ sein; auch da bleibt die causa
oder species causae unumschrieben. Die Ursache wird als bloß denkbare oder einmal gewesene
zugelassen. Offen ist, ob res ut causa oder aliquid in re ad causationem necessarium verglichen
werden können oder in actu unvergleichbar sein sollen. Negative (ausbleibende) Faktoren sind
schlecht als causae von effectus auszumachen, die je auch wieder nur negativ umschrieben wer
den: dass eine Erwärmung nicht eintrete oder eine Nichterwählung creaturae a parte Dei. Es
geht offenbar nicht um die empirisch verstandenen causa per accidens und causa essentialis.
114. Rep. II, q. 1 OT V p. 25 lin. 11–15: „effectus est fundamentum vel terminus cuiuslibet re-
spectus qui est inter effectum et causam, quia est fundamentum effectus ad causam, et est ter-
minus respectus causae ad effectum.“ Dabei gilt der Satz (Prinzip) ib. lin. 8f: „respectus est
posterior suo fundamento et termino.“ Daraus folgt (ib. lin. 19f: „Sed effectus est prior respectu
fundato in eo, igitur est prior respectu fundato in causa.“
Kapitel 9. Ontologie und Induktion 455
115. Ockham verlässt nur nie die Ebene sprachlicher Auslegung von Sätzen, bei der, was diese
im Bezug auf die res besagen können (sollen), ontologisch soweit ausgedeutet werden können
muss, wie Widersprüche entfallen; sie fallen beweistheoretisch nach den ontologischen Aus-
drücken zuerst auf. Das bedeutet es zugleich, dass Prinzipien eine logische Funktion haben
können und gegen den expliziten semantischen (Wahrheits-)Wert stehen.
116. Eine solche Gliederung alias ‘Identität’ mit gleichzeitiger empirischer Geltung bei Annah-
me ontologischer Maximen, die er postulativ kreditieren will, nimmt W. Chatton an, mit jedem
Satz, der ihm vorkommt.
117. Dazu gehört auch noch die propositio immediata mit Sätzen der natürlichen Theologie
bzw. Sätzen, die zum Heil nötig sind, wie ‘Deus est sapiens’; sie unterhalten das Heilssystem,
begründen den ordo salutis etc. Sie können nicht per potentiam divinam absolutam suspendiert
werden. Aber ihre begrifflichen Elemente könnten per potentiam divinam absolutam ersetzt
werden. Sie können in Syllogismen eingeordnet werden und sind so wie empirische Sätze per
consequentiam formalem gehalten oder gerechtfertigt. Wenn nach Ockham die causa in se nach
‘ihren’ empirischen Bedingungen nicht erkennbar ist, causalitas an sich nicht aufgeschlüsselt
und erkannt werden kann und so denn auch subiectum und praedicatum nach ihrem Verhältnis
nicht Gegenstand der Erkenntnis sein können, die Form der Erkenntnis nicht den Satz nach
seinen Teilen aufnimmt, um ihn als den Zusammenhang dieser Elemente zu erkennen (womit,
wie Ockham erkennt, der Satz redupliziert würde), so ist für Ockham in einem anderen Me-
dium oder bei einem anderen ordo mundi als der den wir kennen, ein solcher Aufschluss, die
Erkenntnis von causae, etwa bei der Bildung des Donners, und somit wahrscheinlich eine Wahr-
nehmung der causalitas in se sehr wohl denkbar, d. h. wohl nicht ausgeschlossen und neben den
Vorstellungen (Begriffen, Sätzen) unserer Erkenntnis (und deren Klassifikationen) möglich.
118. Rep. II, q. 1 OT V p. 26 lin. 5–14.
119. Ib. lin. 11–14.
120. Ordinatio, I, d. 31 q. unica, n. 6 ed. Vaticana, VI, 204 (laut Ed. ib. p. 3 Anmerkung 1).
456 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
prinzipiell aber nicht an dieser Stelle an.121 Sie wird hier nicht eingesehen und kann
hier nicht begründet werden. Hier werden die extrema nicht in ihrem Verhältnis di-
rekt oder den Satz begleitend eingesehen, so wie Ockham es ablehnt, dass dann, wenn
die ratio unius termini bestehe und angenommen wird, der terminus auch, gleichsam
zwangsläufig, sub ratione istius termini apprehendiert oder eingesehen werde.122 Die-
sen unbedingten Unterschied kann Duns Scotus gerade auch logisch nicht machen,
weder hinsichtlich der von ihm ontologisierten Logik noch hinsichtlich der von ihm
praktizierten Deduktionsart, deren Eigentümlichkeit die Verbindung der Prädikate
im Sinne der Vorgabe und des Vollzuges ist. Man kann die Prädikate mittels der po-
tentia divina absoluta nach Trennung und Vereinigung beider anordnen. Das bedeutet
für subiectum und praedicatum, forma und materia, substantia und accidens und
schließlich suppositum divinum und natura humana in Christo eine distinctio rea-
lis.123 Sie wird nicht Teil des Satzes und nicht Zielpunkt seiner realempirischen Ausle
gung und Wahrheitsdeutung. Sie wird zur Fiktion des in ihr reallogisch Ausgeschlos-
senen.124 So ist sie denn auch auf die potentia divina absoluta beziehbar.125 Gott u. a.
kann sie schaffen und sie wird Voraussetzung des ‘Satzes’, in dem sie nicht vorkommt
oder enthalten ist und der danach, wiewohl (dem Typus nach) kontingent, absolut
gelten könne, i.e. nicht zu beanstanden, sondern einzuräumen sei.126 Das wird er-
reicht, indem ontologische Bestimmungen, die dem Satz zuerst beigefügt werden, per
argumentum als für ihn und seine Erklärung nicht tauglich dann entfernt werden,
so dass damit die Definitheit der Begriffe (bei Vorgegebenheit der Sätze), indem die
ontologischen Bestimmungen intensional beiseite getan werden, das Ergebnis ist; die
Begriffe können derartig keine Implikation der Begriffe ineinander (d. d. des einen im
anderen) ‘besagen’.127 Damit können aber auch keine Ermittlungen (Bestätigungen)
betrachtet seine ‘exempla’ als gleichwertig. Alles weist darauf, dass Ockham eine grundlegen-
de beweistheoretische oder logische Qualität für seine Argumentation annimmt und mit ihr
zugleich eine Begründung in der Sache ansetzt: Verifikation auch bei einem hypothetischen
Modus und abstrakter Darlegung per potentiam divinam absolutam, ein gewisser Vorgriff auf
den intellectus und dann erst sprechen die grammatische und logische Ordnung. Sie stören
nicht seine abstrakte Begründung.
124. Wir müssen zwischen abstrakter Erörterung (Beweis im Allgemeinen) und der proposi-
tio contingens, die für die Realität (‘Wahrheit’) nochmal im Besonderen steht, eine Trennlinie
ziehen. So kann die abstrakte natura assumpta in einer distinctio realis zur substantia oder zum
suppositum divinum gesehen werden. Hier sagt Ockham (ib. p. 15 lin. 2 – p. 16 lin. 2): „si Deus
dimitteret naturam assumptam et post acciperet eam, tunc non diceretur Filius Dei unitus natu
rae et post diceretur unitus; et similiter de natura assumpta.” In dem Sinne muss sie wie das ac-
cidens im Verhältnis zur substantia gesehen werden, die auch abstrakt betrachtet werden kann.
Danach kann dann auch die inhaerentia betrachtet werden; insofern gibt es keinen logischen
Grund die potentia divina absoluta supranaturaliter loquendo als Schöpferin der distinctio rea-
lis zwischen substantia und accidens, essentia und natura assumpta nicht zuzulassen (sie auszu
schließen) oder sie für unvereinbar mit dem kontingenten Satz zu halten, der ja auch die Sätze
der sacra theologia tragen kann und soll (muss) und über jene inhaerentia bezeichnet wird,
die nicht als Klammer der Begriffe qua direkter (intensionaler, modaler) Bestimmung der unio
extremorum in der propositio contingens auftreten (= in Erscheinung treten) darf. Ein Satz
darf nie die Prädikation einer realen Bedeutung erhalten, die dann auch von ihm unmittelbar
in reali, also ‘erfüllt’ zu sein hätte (sein soll). Der kontingente Satz gilt (steht) ganz strikt für die
Realität extra mentem.
125. Im Sinne der grundlegend und unbedingt als unumgänglich anzusehenden Abstraktion.
126. In der Realwelt ist die distinctio realis per se gegeben, etwa wenn wir das Feuer dem Was-
ser annähern (ib. p. 15 lin. 19): „Igitur necessario approximatio erit respectus realis.“ Cf. aber
auch p. 24 lin. 6. Das kann nicht unbedingt auf den Satz übertragen werden. cf. ib. p. 24 lin. 6.
127. Ockham ermittelt über Sätze; er ermittelt Sätze und zwar nicht für res, von denen sie dann
erwiesenermaßen zu gelten hätten, sondern nach einer in se dann nicht mehr zu beanstanden-
den Annäherung an die res. Diese Annäherung ist nötig und wird durch die Sätze geleistet oder
repräsentiert und in dem Sinne treten bei Ockham solche, im Grunde, d. h. dem Typus nach
kontingenten Sätze, selbst noch nach langwierigen Erörterungen explizit in Funktion. Selbst
458 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
des Satzes per argumentum ex negativo erfolgen und keine indirekten Beweise für die
angewandten ontologischen Begriffe in ihrem Verhältnis eintreten, so dass dieses Ver
hältnis als Gesamtmeinung des complexum bewiesen worden wäre.128 Die zukünftige
neuzeitliche Spekulation hielt diese methodische Grenze nur bedingt ein und blieb
dadurch pseudologisch in der Nähe von Theologie und Ontologie, und vor allem
blieb sie vermöge eines beständigen ‘qui pro quo’ Interpretation.129
Ockham nahm reale Erkenntnis (Erkennbarkeit) der res extra nos an und bestritt
sie nicht nur nicht; aber er drückt sie nicht nach Elementen der Ontologie im Sinn
einer reduplizierten Faktur oder Spiegelung der res aus, auch nicht im Sinne einer
quasi autonomen und absoluten Bestimmung der Sätze und ihrer Bestandteile) neben
der res und gegen sie. Es gibt derart keine Bestimmung der Begriffe, mit der sie ihr
Verhältnis im Satz hätten, also die res extra darin ausdrücken (abbilden, wiederholen)
könnten.130 Wenn mit dem kontingenten Satz qua interner intensionaler Bestimmung
ein Beweis oder eine reprobatio ergeben damit noch nicht den in ihnen denkbar vorliegenden
Sachverhalt; sondern in dessen Sinn kann Ockham sich auf einen suppositionslogisch akzep-
tablen Satz berufen.
128. Wir haben kein intensionales Verhältnis der Begriffe zueinander (ausgedrückt mit dem
Terminus ‘respectus rationis’ medio zwischen subiectum und praedicatum, selbst wenn wir mit
den Begriffen einen Sinn und einen praktische Erfahrung verbinden können. cf. p. 17 lin. 16 –
p. 18 lin. 2. aber auch p. 24 lin. 6. Dasselbe gilt auch für das Verhältnis von subiectum und ac
cidens, welche subiectum und praedicatum im Satz beschreiben: p. 17 lin. 1–15.
129. Man sehe Kants Bestimmung des Raumes (Kritik d. r. V., Transz. Anal. II. Buch, II. Haupt-
stück, II. Abschn.), der nicht würde sein können (nicht sein können soll!), wenn er nicht etwas
‘in’ uns wäre. Von dem wir gleichwohl abhängig sind, wenn wir als Erkennende, als Denkende,
als Wahrnehmende „‘sein’“ können sollen. Wir haben eine abstrakte Realität, die sich in uns
neben uns befindet und darin reagiert, agiert oder ‘konsultiert’ wird. Wir haben das zudem erst
„‘ermittelt’“. Es verkörpert einen Negativwert und soll ‘Realität’ sein. Im objektiven Sinn ist hier
‘etwas’ unvollziehbar; denn ein Faktum in der Rivalität mit uns selbst und auch in Parallelität
und Rivalität zum nicht perfekt ‘integrierten’ Cartesischen Protagonisten des Discours de la
méthode, 1637, bedeutet einen Rekurs auf etwas, was Regel und Sache, Form und Wirklichkeit
in einem wird. Ein anthropologisches Selbstverständnis wird angebahnt und reklamiert, bei
dem der Begriff ‘anthropologisch’ filtriert erscheint und über partielle Abwertung naturaler
Vorverständnisse vergewissert mit neuen Interpretamenten die Rolle des Faktums für uns zu
tragen hat.
130. Cf. auch Rep. II, q. 1 OT V pp. 3–26: Utrum creatio actio qua Deus denominatur formaliter
creans differat ex natura rei a creatore. Hier, wo der kontingente Satz zentral betrachtet wird, cf.
p. 17lin. 16 – p. 18 lin. 2: „Sed redeo ad propositum et dico quod illud quod est subiectum potest
absolute intelligi et illud quod est praedicatum similiter. Et tamen unum non habet rationem
subiecti, nec aliud praedicati, sed hoc non est propter defectum alicuius respectus rationis, sed
propter defectum alicuius conceptus absoluti, puta conceptus importati per copulam. Exem-
plum: homo potest intelligi et animal similiter. Et tamen non oportet quod homo sit subiectum
et animal praedicatum, quia deficit conceptus quidam absolutus importatus per hoc verbum
‘est’. Sed habito isto conceptu cum conceptu hominis et animalis, sive intelligantur unico actu
Kapitel 9. Ontologie und Induktion 459
die inhaerentia accidentis in substantia nicht verbunden werden kann, können logisch
und abstrakt per potentiam divinam absolutam supranaturaliter loquendo subiectum
und accidens trennbar sein.131 Gleichwohl sind wir damit in einer höheren Welt oder
einer, die wir nach der lex communis nicht kennen. Es ist diese andere höhere Welt,
in die wir in der Neuzeit ideell immer ausgreifen, um unsere Methode zu sichern.132
Das geschieht bei Ockham nicht.133
sive distinctis, necesse est homo sit subiectum et animal praedicatum, sine omni respectu ratio
nis medio.“ Der Satz folge also ohne Widerspruchsmöglichkeit aus subiectum, praedicatum und
copula, was nichts anderes heißt als dass in ihm nichts anzunehmen sei, was in der Parallele
zur Realwelt extra mentem qua Konstitution nach der Realwelt extra mentem gedacht werden
müsste, könnte oder soll. Das gilt auch für den respectus rationis in Bezug auf den respectus
realis. Der Satz ‘homo est animal’ ist natürlich qua realer Gegebenheit und Wahrnehmung un
bestreitbar oder zwangsläufig; es ist seine Erklärung, die es nicht ist. Auch wenn wir bezüglich
der ‘intentiones secundae’ einen respectus rationis für die Satzbegriffe (extrema) annehmen, ist
er nicht real fundiert. Cf. ib. p. 14 lin. 14–19: „dico universaliter quod nullus respectus rationis
est ponendus in Deo nec in creatura nisi sit propter istas intentiones secundas: genus, species,
subiectum et praedicatum. Et ideo vel nullibi sunt ponendae vel solum ibi; nec relationes de
genere relationis distinctae ab extremis (Ed. ergänzt nach W 1495 sunt ibi ponendae).
131. Nach ib. p. 15 lin. 14f gilt „schlüssig“, dass für die zwei Naturen in Christus, für subiectum
und accidens, für forma und materia, wenn sie mittels der potentia absoluta supranaturaliter
loquendo getrennt werden, „per consequens oportet necessario ponere respectum unionis et
inhaerentia distinctum a fundamentis et terminis.“ Das ist vereinbar mit den kontingenten
empirischen Aussagen. cf. p. 17 lin. 2–9: „aut inhaerentia significat praecise accidens absolutum
aut significat accidens absolutum connotando subiectum, aut significat respectum aliquem.
Non primo modo et secundo, quia tunc quandocumque exsisteret accidens absolutum et su-
biectum, praedicaretur inhaerentia de accidente (wie es für empirische Sätze nicht möglich
ist), sicut est in aliis de similitudine; quod est manifeste falsum, si Deus separet a subiecto
et utrumque conservaret. Igitur relinquetur tertium.“ Die potentia divina absoluta konzediert
(lanciert), was keiner Widerlegung entsprechen kann; das ist etwas anderes als dass sie vom
Widerspruchsprinzip beschränkt werde. Die Behauptung der inhaerentia für kontingente Sätze
wie ‘Sors est albus’ müsste auf einem Induktionsschluss beruhen, den wir nicht haben.
132. Es ist eben ein kruder Ausgriff, beweistheoretisch wenig geschmeidig.
133. Es sind, anders als H. Blumenberg, 1966 dachte, die ontologischen Mittel und Termini, die
mittels des Allmachtsprinzips gerade gewahrt werden. Trotzdem vermittelt die Ontologie nicht
zwischen menschlichem und göttlichem Verstand und nicht zwischen menschlichem Verstand
und extramentaler Sachwelt. Dagegen steht nicht eine heillose, von einem Willkürgott verfügte
Kontingenz aller Dinge und vor allem noch denkbaren Erscheinungen, sondern lediglich der
kontingente Satz, der in Bezug auf die Realität logisch nicht erklärt werden kann und doch und
gerade deshalb von ihr gelten kann. Was als Paradoxie erscheint, beruht methodisch auf deren
Vermeidung. Was bezüglich der Realwelt nach dem kontingenten Satz nicht erlangt werden
kann, nämlich eine Begründung der ontologischen Terminologie, die hier nur vorausgesetzt
werden kann und reprobativ verwandt wird, kann quasi induktiv auf der Basis dieser Unmög
lichkeit (sc. dass sie für den kontingenten Satz und er nach ihr expliziert werden kann) für ihre
jenseitsweltliche Rettung verwandt werden. Cf. die beiden vorausgehenden Anmerkungen.
460 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Ockham, der die Begriffe als Inhalte oder Vertreter von Inhalten fasst, kann für
deren strukturellen Zusammenhang deren Inhaltlichkeit doch nicht bestehen lassen
(festhalten).134 So treten die Argumentationen für die intensionalen Wertigkeiten in
Form der Bestimmung der Sätze ein.135 Es liegt darin eine Organisation des Denkens
vor, die die Singularität des historischen Phänomens seiner Philosophie, besser seiner
philosophischen Entscheidungen ausmacht.136 Doch besetzt diese Singularität für den
geschichtlichen Strom der Ereignisse und Doktrinen einen nur imaginären Ort; sie
nimmt keinen distinkten Platz ein mit einem derart umrissenen Charakter, dass sie
danach hätte wirken können.137 Da Ockhams Denken sich argumentativ bestimmt,
Hier also wird die empirische Basis überstiegen. S. p. 23 lin. 17 – p. 24 lin. 2: „dico quod respec-
tus realis magis in re in effectu quam respectus rationis in re cognita. Quia primum est neces-
sario ponere, maxime in illis ubi extrema absoluta omnino possunt esse eadem, modo separata
et iam unita, sine aliqua mutatione vel motu ad formam et sine motu locali, sicut in unione
naturae humanae ad suppositum divinum, formae cum materiae, accidentis cum subiecto. Si
Deus posset separare materiam a forma et accidens a subiecto et illa in esse conservare et in
eodem loco totaliter et post reunire, tunc oportet necessario in illis ponere actualem respec-
tum unionis.“ Das aber gilt nicht in empirischen Beispielen (ib. p. 24 lin. 2–4): „Sed nunquam
ubi manent eadem absoluta et est motus localis inter illa, oportet ponere tales respectus, sed
omnia possunt salvari per negationes.“ In diesen empirischen Verhältnisse messen wir auch
Geschwindigkeiten, Beschleunigungen etc.
134. Das spricht dagegen Ockhams Behandlung der Begriffe als semantisch zu betrachten.
135. Natürlich werden die Begriffsarten einbezogen oder bilden den Ausgangspunkt. Doch
bestimmen sie nicht schon das Endurteil. Cf. z. B. o. zur propositio contingens im Verhältnis zu
relatio realis und respectus realis. Ebenso zur propositio immediata, zur propositio per se nota
und alle im Verhältnis zum Syllogismus und zur consequentia formalis.
136. Und darin auch theologischer Entscheidungen. Diese theologischen solutiones aber ge-
winnen nur einen quasi konzeptualistischen Charakter. Sie stehen nicht für die Theologie (also
Gott und divina essentia usw.) in re, in der Sache, und sie stehen nicht für den intellectus in
oder als potentia. So ist es anders als bei Kant, der das Vermögen (die Vermögen!) auf die Stufe
der Akte hinabzieht und dort identifiziert (festmacht) und den Akt nur als vermögendlichen re
gulieren und konzedieren will. Bei Ockham werden die Leistungen der Vernunft und des Ver-
standes über die notitiae intuitiva und abstractiva, habitus usw. abgecheckt und argumentativ
erstellt und zwar argumentativ sogar soweit, dass diese notitiae usw. damit sogleich auch ihre
Bandbreite (oder Reichweite, Amplitude) zugesprochen erhalten können. Sie bleiben damit
identisch, wie es im Begriff der ratio unius notitiae, dann aber auch ratio subiecti, ratio praedi-
cati, usw. ausgesprochen wird. Sie haben keine entitas, sondern eine identitas. Sie werden in
keine Ontologie eingeordnet und bestimmen keine. Cf. Kap. 12: Verflechtung und Abgrenzung
der Akte.
137. Ockham hat auch über Verwendung und Interpretation des Aristoteles kein Beispiel in
der scholastischen Mit- und Nachwelt gegeben. Allenfalls war er mit opiniones zitierbar, was
aber nur zu bedeuten hat, dass diese nicht fundo mit ihrem technischen Charakter Eingang in
ein eben solches Denken anderer, das sie weitergebracht hätten, fanden.
Kapitel 9. Ontologie und Induktion 461
müsste eine genuine Kritik, im scholastischen Rahmen wie später, der adaequaten
Anknüpfung halber, am Ende beweistheoretisch erfolgen. Das erscheint technisch
schwer möglich und danach eben auch nicht inhaltlich; der Begriff des Inhaltlichen
macht da fast keinen Sinn mehr. Es macht keinen Sinn auf externe Bewertungsaspekte
auszuweichen und nur solche finden sich angesichts Ockhams am Ende.138
Wo das Dogma kraft Ockhams Korrekturen der Rationalität und Logik nur noch
künstlich und im Sinn des ‘non liquet’ anderer Auslegung desselben dogmatischen
Ausdrucks, seiner Ergänzungen durch falsche Bestimmungen und inakzeptable lo-
gische Schlussformen, die also auf fallaciae führen, gehalten werden kann, sind
Ockhams korrektive Formen induktiv begründet. Dann gibt es für diese anderen
Auffassungen und die Einwände, die Ockham gegen sich selbst anführt oder fin-
giert, keine absoluten semantischen Begründungen. Ockham verteidigt und verwirft
Ausdrücke (Sätze). Er muss in ihnen wie mit seinen Beweisen, auch reprobationes,
syntaktische Dignität beanspruchen. Die propositio contingens kann sich solchen Be-
weisen anschließen, ja deren induktive Real-wertigkeit hypothetisch absichern. Das
Mythisch-Dogmatische erscheint logisch nach Maßgabe eines künstlichen Satzver
ständnisses von ihm, dessen Bezug auf es unspezifiziert bleibt. Dieser Ausdruck ist
als er selbst ‘non aporetisch’, wenn er per se nicht auf Wahrheit geht bzw. keine sol-
che Basierung beansprucht (simuliert). Ockham muss, wenn er sich in seinen Bewei
sen (Induktionen, Widerlegungen) ontologischer Formeln, Maximen und Begriffe
bedient, darauf achten, dass diese nicht realwertig erscheinen. Andernfalls müsste
er einen Widerspruchsfreiheitsbeweis für sie führen oder er hätte nichts erklärt. In-
sofern haben wir mit der Ontologie (in deren hochscholastischer Adaption) keine
Vorhand. Ockham muss, wenn er seine Thesen kreditieren will, vermeintliche Real
wertigkeiten ausschließen, i.e. per Beweis universelle Gültigkeit für Annahmen oder
Gegenthesen verneinen, entweder durch Beispiel (instantia) oder durch eine förmli
che Beweisführung (u. a. Exhaustionsbeweise). So etwa Einwände gegen Ockhams
138. Es macht z. B. nicht Sinn, Ockham an empiristischen oder modernen physikalischen Kau-
salvorstellungen zu messen (A. Maier, H. Blumenberg, A. Goddù), um festzustellen, dass er sie
alle gleich verfehlte oder nicht verstand, oder einen analogen Tadel bezüglich Ockhams Nega-
tion der Ontologie auszusprechen (F. Hoffmann, H. Blumenberg), zugleich noch die Destruk-
tion der Logik quoad Widerspruchssatz und tertium non datur anzumerken (K. Michalski,
F. Hoffmann). Kritik an Ockhams Logikverständnis (W. & M. Kneale, J. Pinborg) kann zum fait
divers angesichts seiner Beweishandhabung werden. Wo M. Kaufmann, Begriffe, Sätze, Dinge:
Referenz und Wahrheit bei Wilhelm von Ockham, 1994 diese immer wieder überraschend und
unvorhersehbar, aber auch ‘bodenständig’ findet, wird man ihre Einheit und Gleichförmigkeit
qua Negation von Referenz und Wahrheit finden und zwar hinsichtlich irgendwelcher in den
Satz intern zu intergrierender Modi ebenso wie für die ebenfalls beweistheoretisch elaborierte
Reduktion der Geltung von Sätzen a limine. Ockhams Beweisinventionen ordnen sich metho-
disch als Thematisierungen des actus (der actus) gegen die mit einer Konsequenz nicht ge-
gebene ‘significatio’. Von ihr her kann der Einspruch erfolgen, der den Beweis ausmacht. Im
consequens ist die significatio negiert (negativ) enthalten.
462 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
These:139 „dico universaliter quod omnis forma quae potest produci per potentiam
Dei sine subiecto simpliciter creatur de Deo de facto.“ Eine These mit ideell überwelt-
lichem Anteil. Er widerlegt als dazu ‘antithetisch’ und in se negativ die Annahme:140
„quod non est in potentia naturali materiae (eine forma aufzunehmen = zu empfan-
gen)“, indem er überlegt,141 welcher Art diese potentia naturalis materiae überhaupt
sein könnte und durch Exhaustionsbeweis die Possibilität ausschließt, dass danach
nicht jede forma geschaffen würde.142 Gott schafft so auch die forma als causa secun
da, wenn ein schwerer Gegenstand ‘sursum moveatur’. Das ‘grave materiae’ ist keine
Eigenschaft, die in sich absolut wäre.
Ockham separiert semantische Konzepte, die er derart widerlegt.143 Er zeigt, dass
sie beweistheoretisch nicht fungibel seien und so an sich nicht wahr sein können oder
müssen.144 Sie sind nicht definit gegenüber Ockhams Thesen. Dabei sind Begriffe
(Konzepte), die Ockham widerlegt bzw. für Zusammenhänge zurückweist, auch nicht
insoweit anerkannt, als sie zuvor ‘abgeleitet’ würden. Das gilt für Sätze und für andere
Ausdrücke.145 Könnten sie aliquomodo abgeleitet (nach irgendwelchen schon bestehen-
den Vorgaben kombiniert) werden, so könnten sie auch nur innerhalb schon bestehen-
der Satzverhältnisse (Zusammenhänge) negativ spezifiziert und kritisiert werden. Der
Zusammenhang wäre als kausaler denkbar.146 Wie es entfällt, werden sie implizit nur
als kontingente Aussagen reprobiert und rejiziert, d. h. als Aussagen, die als abstrakte
verstanden unangängig seien. Entsprechend (konsequent) wird dann auch nicht per
reprobationem ihr Gegenteil bewiesen (nach dem tertium non datur postuliert). Ock-
ham bleibt bei reiner Negation stehen; sie wird zur Negation des Zusammenhangs
bewiesen, dass das Aktualunendliche ‘de facto’ ausgeschlossen werden kann, während es de
iure ohnehin nicht gelten soll oder darf. Es darf so auch in keiner Weise aus Gottes Existenz
oder Essenz gefolgert werden können; infolgedessen kann es in der Welt, die Gott geschaffen
hat, nicht existieren. Wenn es aber verwandt wird, um Gottes Existenz zu beweisen, kann es
auch nicht als aus Gott (nach Begriff, Sein und Wesen) ableitbar gedacht werden; d. h. dass Got
tes Existenz argumentativ anders bewiesen werden muss als mit einer analytischen Folgerung,
etwa in der Form eines indirekten Beweises. Gott kann die mit dem Aktualunendlichen iden-
tische Unmöglichkeit nicht schaffen; er schüfe eine Gegenwelt. Aber es ist natürlich die Frage,
was mit der Idee des Aktualunendlichen ist, die Duns Scotus, Ockham, Wodham, Cantor ja
doch hegen oder ventilieren, ablehnen oder bejahen. Diese Idee betrifft Gott nicht wie sie uns
nicht betrifft, wenn wir secundum Ockham Gott beweisen (denken).
146. Da im Spektrum der spätscholastischen Philosophie der Faktor ‘Kausalität’ von dem der
Logik und Beweisführung gemeinhin ungeschieden bleibt, könnte Ockhams Vermögen, eben
dies in Richtung auf die Bestimmung des Beweisverfahrens zu tun, für seine Zeitgenossen un-
vermittelbar gewesen sein, zumal damit das natürliche Sachinteresse nur schlecht noch sich
halten ließ. G. Mensching, Hat Nikolaus von Autrecourt Aristoteles widerlegt? in: J. Aertsen,
M. Pickavé (Hrs), 2004 pp. 57–71 skizziert für Autrecourt mit allerdings nur wenigen Aristote
lischen Prinzipien eine ‘subjektivistische Ontologie’ mit anschließender atomistischer Replik
gegen Aristoteles. Autrecourt trug seinen skeptizistischen Aspekt rational nicht durch. Cf. ib.
p. 66: „Nullus intellectus, cui est certum et evidens aliquam rem esse pro tempore aliquo, pro
tempore posteriori, potest sub certo dicere illam rem non esse nisi habeat aliquod medium vir-
tualiter inferens notitiam illius negativae propositionis qua dicit rem non esse quae fuit prius.“
(Exigit Ordo (nt. 29) 198) Das heißt, dass eine Aussage, die die Nichtexistenz einer res enthält,
nicht virtualiter in einer anderen gegenteiligen vorherigen Aussage anhängig sein könne, die
die Existenz dieser selben res ausgedrückt hatte. Ockham bewies, dass die notitia unius rei
nicht die notitia alicuius alterius rei einschließen könne; eine notitia intuitiva enthält nicht eine
andere. Sie ist eine notitia incomplexa. Bei Autrecourt müsste der Schluss (inferens/inferentia)
mit einem Satz (medium) identisch sein; den müsste man erst einmal generieren können. Das
ist eine petitio principii: Um Unmöglichkeit zu beweisen, muss Unmögliches vorausgesetzt
werden. Für Ockham bedarf die notitia intuitiva bezüglich der Nichtpräsenz oder Nichtexis
tenz einer res der supranaturalen conservatio der notitia intuitiva huius rei praesentis per poten
tiam divinam absolutam; das hat zumindest zu bedeuten, dass die Annahme der Folgerbarkeit
der non-existentia aus der existentia zu entfallen hat; sie wäre der Widerspruch, den Ockham
qua Omnipotenzprinzip ausscheidet. Der Widerspruch und die Implikation entfallen gemein
sam. Damit wird die Definitheit der Termini gesichert. Auch Mensching stellt eine Diskrepanz
von Autrecourt zu Ockham unter Verweis auf R. Paqué, 1970 mit Bezugnahme auf Exigit Ordo
(nt. 23) 179sqq. fest.
464 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
oder Ausdrucks. Das bedeutet auch Vereinbarkeit mit den kontingenten Sätzen, in die
die demonstratio in der Form des suppositionslogisch erklärten kontingenten Satzes
dabei mündet. Die Ontologie wird darin von der reprobatio aufgefangen.147
147. Es ergibt sich dass die Implikation, gleich wie gesehen, vorausgesetzt und überformt, nicht
der Modus der reflexiven Beweisführung hinsichtlich des Beweisens selbst und dem angelagert,
der empirischen Standardisierung der Erkenntnis oder ihrer Relevanz sein kann. Damit ent-
fallen zwei Hauptaspekte der Forderung und der entschiedenen Kritik Autrecourts gegenüber
der scholastischen Philosophie. Die res ist ein Bezugspunkt, aber niemals in se auslegungsfähig
und eben nicht mittels des ontologischen Werkzeugs der Scholastik, mit dessen Einsatz diese
Prätention ebenso dem Bewusstsein nach fiktiv wie unmittelbar verbunden wird. Es entfällt
aber auch die Möglichkeit, Ockhams Philosophie als ‘integriertes Gegenmodell’ „normaler“
Beweistheorie oder Deduktionstheorie zu betrachten. Cf. E. W. Beth, Semantic Entailment and
Formal Derivability, 1955 p. 311 Anm. 2. Abstraktion und empirische Sicherung, den Akten nach
getrennt, gelten parallel (Ord. Prol. q. 4 OT I p. 182 lin. 4–9): „forte numquam scitur propositio
evidenter in qua praedicatur genus subalternativum de genere subalternato nisi cognoscantur
(conj!) omnes species contentae sub genere inferiori. Sicut forte non potest haberi conceptus
per se et simplex nisi cognoscantur (conj!) omnes species; et tunc nulla propositio talis posset
demonstrari.“ Die Empirie ist nicht abschließbar und entsprechend ist auch die Abstraktion
nicht bezeichenbar (nicht definit); danach ist dieser Satz nicht im Syllogismus beweisbar und
der Syllogismus erweist sich nicht als ihn legitimierend. Der in Rede stehende Satz soll nicht
beweisend gebraucht werden; doch wird der Syllogismus kreditierend gebraucht. Vorausgesetzt
wird auch die bekannte Parallelität von empirischer notitia und abstrakter notitia und syllogi-
stischer Beweisbarkeit ein und desselben Satzes als conclusio im Syllogismus. Eine Parallele von
bedingter Beweistauglichkeit als Prämisse und begrenzter Empirie ib. p. 155 lin. 11–15. Dabei
induziert Ockham (ib. p. 156 lin. 1–10) eine vollständigere Empirie, die eine rein gedachte ist und
auf hypothetische, ad hoc inexistente Begriffsbildung verweist (ib. lin. 1–3: „aliquod nomen“,
also noch kein regelrechter, effektiver Begriff, dessen Bildung wir nur insinuieren, aber nicht in
facto = definit vorwegnehmen können), mit deren Idee sein Standpunkt persuadiert wird. Die
Argumentation verlässt so implizit den extensionalen Bezugs- oder Ausgangspunkt.
kapitel 10
Ockhams Beweisleistungen gehen nicht so weit, dass sie einen Satztypus oder einen
Satz enthielten oder aus sich entließen. Die Satztypen können nicht in die Deduktion
(Argumentation) und in die Akte übersetzt werden; indem hier ein Hiatus besteht,
differieren substantia und accidens. Die Klassifikation der Grundentscheidungen
Ockhams (seine Entscheidungen sind induktiv gesehen, die Induktion bedingend
und begründend, Grundentscheidungen) ist je unvorhersehbar; dies ist die Voraus-
setzung ihrer Konsistenz untereinander. Ockham trennte zwei Dinge (Momente), von
denen wahrscheinlich nicht geglaubt worden war, dass sie getrennt werden könnten.
Niemand war darauf gekommen. Für diese Trennung bedurfte es des Grundes – eines
Grundes, der mit Ockhams Verfahren nicht identisch wäre: er besagte, dass nichts was
im Verstande war, in der Natur gespiegelt werden konnte. Die Natur bildete nicht den
Verstand ab. Die Natur war hier taub; wenigstens konnte sie so gedacht werden. Bis
hin zu Duns Scotus war undenkbar gewesen, dass Erkenntnis, die nach ihren Akten
je näherungsweise spezifisch bestimmt wurde (was immer unvorgreiflich in hypothe
tischer Form passierte), nicht eines Responses nicht bedürfte. Jetzt wurde ein solcher
. Satztypus und Satz müssten hier in abstrakter Form gleich sein; der Satz ist wahr oder
gilt (nur), indem er seinem Typus nach beschrieben (angegeben) werden kann. Der Satztypus
beschreibt die Reichweite eines Satzes seiner Art in Richtung auf die significatio (und damit
Signifikanz). Dabei wird was der Satz signifikativ in reali meinen (können) soll, ihm nicht de-
terminat, d. h. abstrakt zugeschrieben; es ist nicht seine intensionale Bestimmung. Es ist nicht
in ihm enthalten. Es kann also auch nicht, was es sonst eventuell könnte, aus ihm gefolgert
werden; er ist kein analytischer Satz. Insofern wahrt er, oder besitzen seine termini die Definit-
heit.
. Ockham kann hier die Kontingenz wahren, indem er sie mit dem Akt als notitia abstrakt
noch einmal verbindet. Duns Scotus konnte Abstraktion und Kontingenz, significatio und All-
gemeinheit entscheidend, i.e. methodisch nicht trennen; er konnte es nach seinem Forschungs-
interesse, sofern seine Intention auf Beweisführungen überging, überhaupt nicht. Das machte
ihn widerlegbar. Dass der Verstand nicht die Natur abbildete, war da – für Ockham – nur noch
eine Konsequenz.
. Diesen Eindruck äußern übereinstimmend M. Kaufmann, Begriffe, Sätze, Dinge: Referenz
und Wahrheit bei Wilhelm von Ockham, 1994 und M. Lenz, Himmlische Sätze: Die Beweisbarkeit
von Glaubenssätzen nach Wilhelm von Ockham, Bochumer Philos. Jahrb. f. Antike und Mittel
alter, 1998, 3 pp. 99–120 p. 116.
466 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Respons verweigert (= bestritten). Dies wird auch am Verhältnis von conceptus und
res (oder realitas) deutlich.
Zwischen res und conceptus kann im Sinn des letzteren als Akt nicht unterschie-
den werden. Hier ist die Unterscheidung (distinctio) nicht präzise bezeichenbar.
Ockham sagt, sie könne weder als distinctio rationis noch als distinctio realis be-
zeichnet werden: denn sie ist im Sinne der Folgerbarkeit aus dem einen ins andere
nicht darstellbar. Der Akt enthält und gewährleistet keine Folgerung. Im ens reale ist
kein ens rationis enthalten. Wie ja die die abstrakten ontologischen Begriffe (species,
genus, forma etc.) gerade hier – induktiv – entspringen. Indem im ens reale kein
Merkmal enthalten (aufweisbar) ist, das auf die species etc. verwiese, wonach es diese
geben müsse, ‘gibt’ es die species, ist homo species. Der Begriff ‘homo’ kann auf eine
Vielzahl von Objekten: Socrates, Plato, etc. angewandt werden. Es ist also ‘logisch’ so,
dass die Merkmallosigkeit den ontologischen Begriff von species hervorbringt, indem
dieser Begriff an Socrates, Plato etc. unterschiedslos gewonnen werden kann. Logisch
ist also die mangelnde Differenz oder Unterscheidbarkeit von distinctio rationis und
distinctio realis, wenn es um die Distinktion zwischen res und conceptus geht, der
Grund, dass die species gesetzt werden kann: denn gäbe es in Socrates einen Grund
dafür, dass der Begriff homo gebildet werden kann, so gäbe es ihn so, dass er nicht an
Plato (gleichermaßen) gewonnen werden kann. Es ist also der Grund seiner Existenz,
dass er an allen Individuen, auf die er angewandt werden kann, gleichermaßen ge-
wonnen werden kann. Die conceptus können, indem sie Dinge nicht sind, auch wie
. Die Negation, die auf der Stufe der Argumentation erfolgt oder ausgesprochen wird, setzt
bereits voraus, dass die Abbildung nicht erfolgen könne oder nicht bestehe. Sie (wie die Argu-
mentation auch) entspricht der nominalistischen Erkenntnislehre oder ergibt sie. Es macht also
ganz wenig Sinn, sie für sich zu erörtern (bzw. zu werten) oder zu verwerfen. Es wird darum
auch in dieser Arbeit nur die Argumentation erörtert und dargestellt.
. Cf. Ord. d. 2. q. 3 OT II 2 p. 78 lin. 12–19 „Vel distinguitur sicut ens reale ab ente rationis vel e
converso. Et illa distinctio stricte et proprie nec est realis nec rationis, sicut et ipsa distincta nec
sunt entia realia nec entia rationis, sed est quasi media, quia unum extremum est ens reale et
aliud ens rationis. Qualiter autem debet vocari non curo ad praesens, quia hoc est in voluntate
loquentium.“ L. Baudry, 1958 p. 87 gibt als Stelle des Textes IS d. 2. q. 11 J an und verweist ib.
Anm. 1 auf P. Vignaux, M. de Wulf und Ph. Boehner.
. Ockham sagt eindeutig, dass die beiden res, die sich realiter unterscheiden, nicht in einem
aliquid unterschieden sind, das die eine hätte und die andere nicht; dagegen können sie in
aliquibus zusammenkommen (Ord. d. 2 q. 11 OT II p. 370 lin. 2–13): „respondeo quod proprie
loquendo de convenientibus non debet concedi quod conveniunt in aliquo, sicut nec proprie
dicitur quod distincta distinguuntur in aliquo, sed distinguuntur aliquibus. Unde sicut omnia
distincta distinguuntur vel se ipsis vel aliquibus sibi intrinsecis, ita omnia convenientia in qui
bus non est aliquid idem omnibus modis vel conveniunt se ipsis vel aliquibus sibi intrinsecis.
Unde Sortes et Plato conveniunt se ipsis specie, et se ipsis distinguuntur numero, et non debet
proprie concedi quod conveniunt in aliquo, sed aliquibus, quia se ipsis. Ita in proposito, essen-
tia et relatio conveniunt se ipsis, et sunt realiter se ipsis, et se ipsis distinguuntur formaliter.“
Kapitel 10. Beweis, Satz, Akt 467
solche behandelt werden. Das ist gleichsam ein Induktionsschluss. Ein solcher führt
auch zur distinctio formalis und begründet sie.
Eine logische Formel, die die Realität angibt, i.e. nicht ausschließt, begründet
einen Schluss, der mit seinem Inhalt übereinstimmt. Danach kann ein bestimmtes
anderes als realitätsgleich (realitätsgleichwertig) nicht zwingend mehr geschlossen
werden; es muss als inhaltlich irrelevant abgewiesen werden. Es ist eine Überset-
zungsformel, die Induktion gewährleistet. Zuoberst aber gilt hier die Maxime, was
naturaliter ‘ist’ (= gilt), ist (gilt) auch realiter; es kann zumindest für den Begriff (für
Begriffe) nicht mehr angefochten werden; für diese ist damit eine induktive Begrün-
dung erfolgt. Der Verstand bildet die Natur nicht ab; auf den Verstand bezogen ist
die Annahme unmöglich. Daraus, dass Ockham sie fallen ließ, ein erkenntnistheoreti
sches Dilemma oder gar anthropologisch-moralisches Problem zu machen, heißt je-
der grundlegenden logischen Maßregel widersprechen. Die logische Formel gilt auch,
wenn Ockham die Trinitätslehre mit Hilfe der distinctio formalis sichert. Sie wird
gleichsam persuadiert. Dabei begründet sich diese Form der non-identitas darauf,
dass falsche Sätze „propter diversitatem modorum grammaticalium vel logicalium“
entstanden sind und diese sprachlich-logischen Auslegungen weggeräumt werden
können. Entsprechend operieren wir nicht mehr strictissime empirisch. Das wird ei
gens gezeigt insgesamt und insbesondere vermöge eines Widerlegungsbeweises:10
„confirmatur, quia quando aliqua nomina significant idem omnibus modis, ita quod
in significato nulla penitus sit distinctio vel non-identitas, et habent omnes consimiles
modos significandi, vere sunt synonyma, quia aliter non posset assignari qualiter ali-
qua nomina sunt synonyma.“ Das ist gleichsam die Induktionsregel für Synonymität.
Nach der so erstellten Synonymität nur kann dann widerlegt werden; die sich danach
ergebende distinctio formalis ist dann hypothetisch und gilt nur für den Ausdruck;
sie gilt nicht aliquomodo in reali. „Igitur si ista nomina ‘essentia’, ‘paternitas’ signi
ficent (conj.) idem omnibus modis ex natura rei, et habent omnes consimiles modos
significandi“, was immer nur hypothetisch sein kann, wie sich unmittelbar ergibt: „vel
si non habent – quod tamen non potest assignari –, volo quod habeant omnes mo-
dos consignificandi consimiles, et per consequens vere erunt synonyma. Tunc arguo:
. Ord. d. 2 OT II p. 370 lin. 18 – p. 371 lin. 3: „dico quod aliqua est distinctio quae stricte nec
est realis nec rationis, sicut quando res distinguitur a ratione. Tamen quantum ad propositum
dico quod distinctio realis est duplex: una quae est distinctio rerum; alia est distinctio qua
unum, puta b, non est formaliter a, et dicitur realis quia est ex natura rei, sed primo modo non
est realis. Ideo nego istam consequentiam: omnis res est ens reale vel ens rationis, igitur omnis
distinctio vel est realis vel rationis. Est enim distinctio media, quamvis inter ens reale et ens
rationis non sit medium.“ Die distinctio formalis kann also nicht empirisch generiert werden
und in eben dem Sinne zwischen essentia divina und persona ‘vermitteln’.
. Cf. Ord. d. 2 q. 11 OT II p. 364 lin. 7–22.
. Ib. p. 365 lin. 1 – p. 366 lin. 4.
10. Ib. p. 365 lin. 18 – p. 366 lin. 4.
468 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
P, negiert wird. Wenn dann von essentia, die vom subiectum thematisiert wird, von
passio, causa subiecti, causa passionis, continere, contineri, per se primo modo und
per se secundo modo gesprochen wird, haben wir den Bezug der (für uns) begriff-
lich verfassten Aussage auf das Erkennen, aus dessen Gliederung bezüglich der Mittel
(Teile) die Geltung von Schlüssen, Aussagen, ja auch sprachlichen und grammatika
lischen Ausdruckformen14 zu entnehmen.15 Von der propositio negativa gilt:16 „pro
positio negativa est per se primo modo, et tamen nec praedicatum dicit essentiam
subiecti, nec est causa subiecti; sicut haec est per se: nullus homo est asinus.“17 Die
differentiellen intensionalen Bestimmtheiten und Bestimmungen werden, wenn ihre
Elemente unterschieden werden können (und darin konsistent und konsequent sich
ausnehmen), zu allgemeinen und allgemeingültigen. Das erhellt aus den Argumenta
tionen. Die Argumentationen nehmen die Differenzierungen der Elemente vor,
setzen sie mithin gegeneinander ab. Die Argumentationen definieren also – in
14. Es gilt dabei, dass sprachliche Ausdrucksweisen, die durchaus in Gebrauch waren, von
Ockham abgelehnt (= verworfen) werden. Solche „reiectio“ gilt dann Ausdrucksweisen, die im
Sinne einer realistischen Universalientheorie ontologisch gedeutet werden können und etwa
der inhaerentia eine präsumtiv faktische Bedeutung in existentia rei geben können, in dem Sin
ne damit essentialistisch gedeutet sein müssen. Existentia und essentia werden von Ockham
entsprechend folgerichtig gleichgesetzt.
15. Dabei sind, anders als Pinborg, 1972 meinte, nicht semantische Sprachformen oder Begriffs
geltungen primär. Erkenntnisbestimmung erfolgt bei Ockham nicht semantisch wie sie auch
nicht universalientheoretisch orientiert, gar zentriert ist. Ockham beschreibt und bestimmt
‘Erkenntnis’ unter Benutzung ontologischer Termini. Wichtig ist die Negation des Schlusses in
Äquivalenz mit doch noch angenommenen (ausgesparten) Schlussgeltungen. Das gilt so bei der
Behandlung der notitiae wie bei der der Satz- und Begriffsqualitäten. Geltung und Erweiterung
ihrer Bedeutung wird dann induktiv angegeben. Mit der Induktion als Ermittlungs- oder Be
gründungskomponente sind wir nur noch bedingt ‘bei der Realität’. Die fallacia wird ausge
schlossen. Für deren Kennzeichnung und Auflösung können ontologische Begriffe (substantia
und accidens) gebraucht werden. Beweisbarkeit als Wahrheit oder Wahrheitsbehauptung ent
fällt. Die bona et valida consequentia besagt nicht sie. Die Kontingenz tritt unbedingt an die
Stelle von Wahrheit (auch vermöge der Erörterung über die notitiae). ‘Wahrheit’ ist nur noch
Kontingenz. Die Schlussfolgerung ist überall nicht mehr sinntragend. Der actus assentiendi, so
fern er der Folgerung (Syllogismus) übertragen wird, bewahrheitet eine logische Ordnung, bei
der der Widerspruch als Problem auftritt, nicht als Ingrediens der Lösung. Die fällt nicht mit
den Widerlegungen zusammen. Sie gelten oftmals der Abwehr von Einreden, zum Schein mit
falscher Ontologie begründet, so denn auch deren Abwehr.
16. Prol. Ord. q. 6 OT I p. 181 lin. 5.
17. Subiectum und passio hängen also in diesem Fall nicht zusammen. Es ist die Frage, ob
dann nicht die Begriffsebene schon notwendig per Abstraktion, der notitia abstractiva secunda,
überschritten werden müsse, so dass wir, um diesen Satz bilden zu können, vom actus apprehen
sivus auszugehen haben oder ob hier irgendein Paradox droht.
470 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
18. Cf. Rep. II q. 1 OT V p. 23 lin. 16f „dico quod respectus realis magis fundatur in re in effectu
quam respectus rationis in re cognita“. Cf. hierzu schon im 3. Kap.
19. Der respectus realis ist besser gegründet (fundatur!). Rep. II q. 1 OT V p. 23 lin. 18 – 21:
„quia primum est necessarium ponere maxime in illis ubi extrema absoluta omnino possunt
esse eodem modo separata et postea unita sine aliqua mutatione vel motu ad formam vel sine
motu locali.“ Diese Unterschiedenheit in re begründet die Möglichkeit Gottes einzugreifen, zu
trennen und wieder zusammenzusetzen. (ib.) „oportet igitur in illos necessario ponere respec-
tum unionis accidentalem.“ Sie sind also nur kontingent zusammengefügt. Das bedeutet aber
nicht, dass sie auch faktisch getrennt erschienen: „Sed nunquam ubi manent eadem absoluta et
est motus localis, oportet ponere inter illa tales respectus: sed omnia possunt salvari per nega-
tiones.“ Wir bleiben hier in der empirischen Sphäre und ‘messen’ durch einen Bezug, der über
die Messung entscheidet. Es gibt aber Bedingungen, wo sie und alles Empirische nicht mehr
gilt; dort vermag Gott per divinam potentiam absolutum (jetzt: supranaturaliter loquendo und
auf der Ebene der unbedingten persuasio) einzugreifen und eine Modifikation zu bewirken,
die förmlich bloß die Begriffe tangiert und die distinctio ratione salviert: Das accidens wahrt
den Status eines absolutum, also einer anderen Sache. „Non magis dependet accidens ab acci-
dente nec substantia ab accidente quam accidens a substantia. Sed Deus potest facere accidens
sine substantia media in ratione effectus, ergo potest facere quodcumque accidens sine alio et
substantia sine accidente in ratione effectus et sic de omnibus aliis absolutis.” Das accidens hat
gegenüber der substantia eine Qualität als relatio. Eine Feststellung, die für Ockham auch hin
sichtlich der Wirkverhältnisse (Wirkung des Lichts etwa) gilt und natürlich grundsätzlich. „Si
dicitur quod accidens dependet essentialiter ad subiectum, et ideo non potest diffiniri sine sub
iecto et propter hoc diffinitio sua data per genus et differentiam non est completa, contra: non
magis essentialiter dependet accidens ad suum subiectum quam substantia composita ad suas
causas essentiales, et maxime ad primam causam simpliciter.“ Mit der Trennung von substantia
und accidens werden zugleich im Verhältnis zueinander kontingente Objekte gesetzt oder zu
gelassen. Damit wird aber auch die Kausalität als eine bereits zwischen oder mit den Objekten
zu setzende oder zu fingierende Notwendigkeit oder Relation suspendiert. Die causa prima
macht hier keinen Unterschied! Daher gilt das Allmachtsprinzip (supranaturaliter loquendo)
argumentativ (formaliter) nicht real.
Kapitel 10. Beweis, Satz, Akt 471
quo dicitur essentia.“20 Damit wird auf der Ebene der Begriffe, in der Mentalsphäre,
wo die distinctio ratione greift, der Inhalt des begrifflich mit der persona von Gott
Ausgesagten nicht auf das von der divina essentia, in der die personae zusammenfal-
len, angewandt, obwohl die Begriffe hier nicht mehr empirisch sind und die Wahr-
nehmung der divina essentia und ihrer Relationen uns verwehrt ist. Das accidens,
in der kategoriellen Bedeutung genommen, tritt nicht in den Beweis ein. Es gibt für
die Induktion und gerade für sie nur substanzielle Beziehungen. Wo, wie oben im
Beispiel angeführt, eine akzidentelle bestünde oder hypothetisch bestehen soll, wird
der Umstand nur als nicht auszuschließender pro statu isto anerkannt. Es wird also
auch nicht die Akzidentalität als inhaltliche Begründung der Geltung oder der res
extra anerkannt. Folglich kann man überhaupt nicht über einen Beweis Existenz und
Realgeltung dartun wollen.21
Der Syllogismus kann aber, wie schon gezeigt wurde, der Widerlegung dienen
und damit gerade auch im Sinne des Ausschlusses sowohl der Behauptung der Re-
alexistenz wie ihrer strikten und direkten Verneinung. Hier scheint der Terminus res
eine Grundbedeutung (Grundfunktion) zu haben.22 Der Syllogismus wird daher das
Verhältnis von substantia und accidens nicht selbst grundlegend ermitteln können.
Doch kann für oder gegen die Auslegung von kontingenten oder auch als kontingent
aufzufassenden Sätzen per syllogismum entschieden werden. Darin muss aber die
Implikation so zugestanden werden, wie für den Satz und Beweis bei Ockham Wahr-
heit, Geltung, oder Kausalität zugestanden werden, nämlich als nicht ausgeschlossen,
aber unbeweisbar.23 Aber damit musste die Argumentation grundlegend in dem Sinn
werden, dass sie noch einmal oder überhaupt erstmals die wissenschaftlichen Mög
lichkeiten des Erkennens umfasst; indem man dies Ockham zuschreibt und darin
*Folgerung und +Empirie in ein Verhältnis mutueller Auslöschung bringt, hat man
metaphysische Allgemeinheit zur significatio (und Signifikativität) herabgebogen, In-
duktion zum Analogon der Wirklichheitserfahrung gemacht und die Bezeichnung
der Erkenntnismittel von der Adäquationshypothese und allen ihren Abwandlungen,
Vermittlungen und Minderungen entfernt. Der Nominalismus mag hier exempla-
risch oder als Modell ‘Operation’ „angeben“. Auch für die Neuzeit. Mathematik, Phy-
sik oder Chemie definieren nach der Gestalt (Erscheinung, Zeichnung) von Operati-
onsverläufen vielleicht kein Erkennen.24
Der actus oder die notitia, in welcher wir mit Ockham das Erkennen angeben,
kann in Bezug auf die Inhalte nicht entwickelt und bestimmt werden. Damit flachen
sich die Akte gegen die Natur und verschiedene weitere Elemente nach Sätzen in
dem Maße ab, wie nach der Analyse der Sätze und ihrer Elemente, die Akte (noti-
tiae) nicht als deren Wesensmerkmale, wohl aber als Bezugsmomente hinsichtlich
der Realität erscheinen können.25 Das Verhältnis von in sich kompaktem Inhalt (De-
terminatheit) und Konsequenz (Kontingenz, wandelbare Konsequenz) steht außer-
halb der Logik. Das begreift die Kausation ein, dasjenige was einer Wirkmöglichkeit
entspräche wie wir sie beim Licht finden. Diesbezügliche Annahmen können nicht
in die Logik aufgelöst werden. Das bedeutet, dass im Sinne der bloß kontingenten
de se propria individuo alicui et natura non est de se propria alicui, sequitur quod natura non
est differentia individualis, et hoc realiter.“ Es gilt und gibt ein Vorverständnis der Begriffe,
auch für die Theologie, dessen Realwertigkeit beim Syllogismus weder ein- noch ausgeschlos
sen wird. Das macht dessen Überzeugungswert aus.
23. D. h. die Implikation wird modal (intensional) aufgefasst (und) mit dem Satz vereinigt ge-
sehen. Die Implikation wird nicht mit der Realität vereint oder vereinigt gesehen.
24. Dabei wird sich die Zweiheit von Ableitung und Widerlegung, die Aristoteles angegeben
hat, erhalten. Man kann dann auch sagen, dass zwischen beiden nicht vermittelt werden könne,
i.e. dass aus dem einen nicht ins andere übertragen werden kann, so dass damit Erkenntnis und
Gegenständlichkeit nicht ‘definit’ gegeben sind.
25. Gehen wir davon aus, dass wir im Christentum primär eine mythologische Konstitution
haben, wenn der Gottessohn (Nietzsche betonte den genuinen Ausdruck der jüdischen Apo-
kalypse: der Menschensohn!) den Menschen oder die Welt erlösen soll, so hätte Ockham in
das grundlegend mythische Weltbild, zu dem auch der Schöpfergott gehört, seine Aktlehre als
erkenntnistheoretische Determinante eingefügt.
Kapitel 10. Beweis, Satz, Akt 473
Faktorenannahme Erkenntnis als Erkenntnis der Sachen in sich entfällt und Logik als
abstraktes Moment oder Feld der Erkenntnis einen äquivokativen Sinn erhält.26 Die
Logik hat weniger Bedeutung als den sachlichen Themen entspricht: allenfalls kann
sie die Erkenntnis begrenzen, ohne sie auch zu erschließen. So sagt denn Ockham
zur Theologie einmal:27 „Quae tamen istarum propositionum sit magis secundum
proprietatem sermonis magis pertinet ad logicum discutere quam ad theologum.“
Ockham wechselt ins Feld der Fallunterscheidungen und -entscheidungen hinüber,
wenn er ‘beweist’.28 Der sprachliche Ausdruck sichert noch nicht die Erkenntnis; er
führt nicht zum Erkenntniszweck: zur Eindeutigkeit der Sätze usw.29 Sie wird vorab
für die Theologie benötigt. Denn diese darf nicht im Sinne der vereitelten Abstraktion
ihrer Begriffe oder Begriffsinhalte direkt verhindert werden, womöglich so, dass von
Seiten der Empirie entstehende Widersprüche und Ungereimtheiten, uneinheitlicher
Sprachgebrauch unbereinigt bleiben. Daneben steht die Determinatheit als mit den
Satzinhalten inhibierte Folgerung von unangemessenen praktischen Verhältnissen.
Hier ist die Folgerung ausgeschaltet, die auf die Empirie zu führen hätte.30 Damit
können Sätze auf der eigenen Stufe der Abstraktion mit Modi, die modo composito
gebraucht werden, wie ‘distinctum formaliter’, ‘per omnipotentiam divinam suprana-
turaliter loquendo’ u. ä. reguliert werden.31
26. Die Dimension der Auffassung von Nominalismus, die Quine vertritt, scheint auf.
27. Ord. d. 30 q. 1 OT IV p. 314 lin. 19–21. Die Logik kann also nicht über die Theologie regie-
ren. Sie etabliert nicht eigens (‘eigene’) Erkenntnis. Die Logik, die Erkenntnis begrenzt, aber
nicht ausdrückt und lediglich der Argumentation partikular, etwa mit der Widerlegung der
Ontologie, aber nicht in einem formalen Gesamtsinn dient, hängt darin bereits von der Schöp-
fung intensionaler Konzepte ab. Die Suppositionslogik enthält sie.
28. Der Logiker kann nur an Argumentationsrichtlinien, partikular, anhängig machen, was
einer Zertrümmerung ontologisch geprägter Auffassungen entspricht und Logik in einem ka
nonischen Gesamtsinn nicht erreicht, Logik als Instrument des Gegenausdrucks zur Ontologie
und zu deren Ausmerzung aber ermöglicht. Logik bleibt bei Ockham partikularistisch. Sein
Erkenntnisinteresse ist methodisch nicht logisch definiert.
29. In diesen Sätzen wird nicht der Vollzug äquivalent der Erkenntnis sein, gleichgültig was
man mit Ockham intermediär oder discutando von dem Status der Begriffe anführen will,
wenn man sie etwa intellectio oder subiectivum esse nennt. Cf. zum bewahrheitenden discursus
scientificus, der den actus assentiendi fundiert, Kap. 3.
30. Cf. G. Leff, 1975 p. 138 zur suppositio determinata (im Satz mit Einzelfallbedeutung) u. Ph.
Boehner, 1952.
31. Hier kann Duns Scotus gleichsam nur im Sinne der Deduktion eines Prädikats als accidens
(im kategorialen Sinn) verfahren, um dann durch die Beweisführung zur Notwendigkeit und
Essentialität aufzuschließen. Ockham beseitigt das Problem, indem er auf die Stufe der Ab
straktion sich begibt und dort regulierend handelt.
474 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Da bei Ockham die Abstraktion auf den naturalen Verhältnissen, sei es der Seele,
sei es des sensus nur aufruht, muss nicht Argumentation von ihm erwartet werden,
worin mit einer akzidentellen Option zu einem essentiellen, durch das subiectum als
Begriff anzugebenden Aspekt der Ausgriff auf die psychische oder physische Kompo-
nente selbst thematisiert würde, so dass so das Verständnis des Hauptbegriffs oder der
Abstraktionsmethode selbst erläutert würde. Die Abstraktion trägt sich durch die Ar-
gumentation und die von ihr ermittelten regelartigen Prinzipien oder Devisen, auf die
Ockham in der Argumentation dann auch zurückgreift.32 Es gibt so den Bereich der
Naturalität, der nicht express erörtert werden muss, und, weil er Umstand bleibt, auch
nur Vergleiche liefert bzw. zu ‘Argumentationen a fortiori’ (beispielsweise) und somit
Plausibilitäten und Wahrscheinlichkeiten führt.33 „dico quod sicut non est inconveni
ens ad aliquam transmutationem corporalem, puta infirmatatem vel somnum, cessare
omnem actum intellectus – im Schwächezustand oder im Schlaf lässt der Verstand von
jedem Verstandesakt ab –, ita non est inconveniens ad cessationem alicuius sensatio-
nis sensus exterioris cessare notitiam intuitivam intellectivam eiusdem.“ Die notitia
intuitiva intellectiva regiert über und oberhalb der sinnlichen Sphäre, worin es eine
notitia intuitiva sensualis gibt.
Ockham muss aber nun, wo er den kritischen Gedanken über die Felder ver-
gleichbarer Erkenntnisse alias Gegenstände, die eben nicht streng seinem Aufbau
entsprechen, ausweitete, die Bereiche, in die die Erkenntnis dieser Gegenstände zu
fallen hätte, erst noch einmal nach dem Modell von autonomer Erkenntnis eigenstän-
dig denken, so dass sie zunächst dann nicht die menschliche Erkenntnis sein kann,
und mithin auch andere Medien besitze oder besitzen könne als den menschlichen
Begriff34 etc. und diese dann wieder nach den Aufbauprinzipien der menschen-
förmigen Erkenntnis, also nach notitia intuitiva und notitia abstractiva und deren
Verhältnis reflektieren. Diese müssen dann nicht nach dem menschlichen Medium
des Begriffs oder actus apprehensivus sich orientieren, vielmehr entfalten sie ihr Ver
hältnis in der Analogie dazu. Damit wird die Nebenmöglichkeit oder Nochmöglich-
keit des Gedankens schließlich gesichert.35 Dabei bleibt die Erwägung hypothetisch,
32. Damit werden – zwischen Analyse und Synthese – grundsätzliche Fundierungen (z. B. di-
stinctio realis) zitiert.
33. Prol. Ord. q. 1 OT I p. 27 lin. 22 – p. 28 lin. 3.
34. Wollte Ockham das menschliche Medium bereits unmittelbar annehmen, so hätte er eine
metaphysische Aufgabe der Erkenntnisbegründung vor sich und müsste daran scheitern, we
nigstens nach seinem eigenen kritischen Urteil. Insofern verfährt er konsequent und konsistent
und hat keine Wahl.
35. Ockham geht aber von der Bestimmung des menschlichen Begriffs als subiectivum esse
oder intellectio aus und bezeichnet damit eine Negativität, von der ausgehend er seine Anders
möglichkeit erreicht. Er stipuliert sie als abstrakte noch mögliche Erscheinung neben den uns
bekannten, die als solche der inneren Wahrnehmung der anima entstammen, nicht der im
extramentalen Sinne empirischen Erfahrung. Ginge Ockham ganz in Analogie zu einer der
Kapitel 10. Beweis, Satz, Akt 475
Es wird grundsätzlich erläutert:39 „distinguo de theologia nostra nobis pro statu isto et
de theologia /§ possibili per divinam potentiam §/ in intellectu viatoris.“ Es wird also
‘unterschieden’ zwischen einer Theologie, die uns gegenwärtig (pro statu isto) mög-
lich sei und einer Theologie, die (in genere) dem intellectus viatoris („per potentiam
divinam“) möglich sei. In diese fallen alle Erkenntnisse, welche nach dem Begriff oder
außerhalb des Begriffs widerspruchsfrei möglich sind. „Et ista (Ed. illa) potest accipi
dupliciter: vel quod sit totaliter respectu eorundem respectu quorum est theologia
nostra, vel quod sit respectu veritatum in quibus ipse Deus in se subicitur vel Pater
etc. /§ vel cognitio simplex propria Deo §/.“ Die ‘potentia dei absoluta’ indiziert also
die Gesamtmöglichkeit der – für den viator – möglichen theologischen Erkenntnis-
se zunächst unabhängig von der compositio der Begriffe. Gott kann, vermöge seiner
potentia dei absoluta unabhängig von einer causa partialis, welche der von ihm ge
schaffenen Welt (nach der potentia ordinata bezeichnet) angehört, bewirken, was se
cundum legem communem natürlich nicht ohne diese causa zu geschehen pflegt. Die
causae partiales gehören der kontingenten Welt an, von der aber auch die Erhebung
in die potentia divinam absolutam ausgeht. Gott kann nur kontingente Beziehungen
hypothetisch aufheben. Sollte er notwendige abändern, ergäbe sich ein Widerspruch.
Ockham bewahrt das Konzept einer in sich kontingenten Welt, in der die causa nicht
den ihr entsprechenden effectus ‘enthält’.40 Ohne dieses Basiskonzept kann es keine
Argumentation in seinem Sinn geben.41 Auf diese Argumentation kommt es vorran
gig an. Die menschlichen Begriffsmittel sind causa partialis aus der geschaffenen Welt,
die uns secundum legem communem sive potentiam dei ordinatam zukommen. Not
wendige Wahrheiten sind in der Theologie nicht ausgeschlossen.42
Die notitiae haben den Stellenwert des Kriteriums:43 Was mit ihnen (mit der
notitia abstractiva vor allem) zusammenfällt, ist zu sagen erlaubt, wird zugestanden
(ist zulässig). Was nicht mehr mit ihr vereinigt werden kann, muss ausgeschieden
werden.44 Damit erscheint auch die Induktion (nebst der persuasio) als eigentüm
liche und adäquate Belegmethode.45 Der Gesamttypus des Schließens bei Ockham
besteht schließlich in der Vereinigung von abstractio, determinatio und Folgern (Im
plikation) oder nähert sich ihm an. Dabei kann das Folgern über das Zerlegen der
nicht ausgeschlossen werden kann. Damit ist er abstrakt so weit erstreckt, wie er nicht ‘a parte
alicuius consequentiae’ wegen der Inkompatibilität akzidenteller Bestandteile negiert werden
muss. Zur Konsequenz in diesem Sinne cf. auch die Kapitel 11–12.
43. Die Abstraktion erscheint noch nicht, wo wir die notitia intuitiva ansetzen (Rep. II q. 9 OP
V p. 176 lin. 15ff): „Ex hoc quod cognosco sic esse in re, ex hoc cognosco quod actus intellectus
per quem rei assentimus est verus.“ Aber sie erscheint notwendig, wenn wir die actus mentales
in se denken wollen. Doch auch der actus apprehensivus ist unspezifisch wie der actus iudicati
vus ex. gr., der als Teil der notitia intuitiva gedacht werden kann.
44. Dazu zählt auch die Erkenntnis Gottes durch die res, die die divina essentia selbst wäre.
45. Man könnte einen Widerspruch darin sehen wollen, dass Ockham scheinbar angestammt
ontologische Ausdrücke und Formeln gebraucht, ohne sie in dem bekannten Sinn realistisch,
bzw. wenn man es so sehen will, genuin ontologisch aufzufassen. Sie treten jedoch in seinen Ar
gumenten funktional mit einer ‘abgleitenden’ Tendenz auf. Ontologie kann selbst nicht genuin
oder in Übereinstimmung mit diesem Gebrauch begründet werden. Ontologie kann nicht be
deuten, was mit der Abstraktion angenommen und bezweckt wird. Sie kann nicht (die) Abstrak
tion ab- und angeben, sie kann auch nicht (mit) Beweisen gleichwertig sein, die im Namen der
Ontologie zu führen wären. Es gibt somit nicht zwangsläufige Einsicht, weil und wie es Onto-
logie gibt. Es gibt danach auch keine Veranlassung sie und andere scholastische Konzepte und
Lehren wegen genereller Implausibilität anzugreifen, wie es Autrecourt getan hat. Er unterstellt
Absurdität mangels direkter empirischer Nachweismöglichkeit. Ockham bewertet Sätze. Dabei
können der Ontologie angehörende Sätze nach bestimmten Auslegungen oder absolut sinnlos
bzw. falsch sein. Sie können mit bestimmten Auslegungen, auch künstlichen, wieder gehalten
werden, d. h. so dass sie generell erst einmal falsch anmuten und abgelehnt werden müssen.
Dann aber lässt sich vorab nicht einmal sagen, ob sie unbedingt gelten. Bei der Paradoxienver-
meidung, die Ockham betreibt, kann das keine Frage mehr sein. In dem Sinn aber gilt seine
Argumentationspraxis überhaupt und erscheint absolut. Negation, Beschneidung, Begrenzung
der Ontologie bedeutet hier auch die Ausscheidung des Topos der ewigen Wahrheit – unab-
hängig von jemandem gedacht, der sie denke oder besitze. Sachfeststellungen und faktische Er
weise sind solche unter dem Schutzmantel der Abstraktion; deren Standard ist nicht der einer
Wahrheit in se und so regulativer Erkenntnis. Die Ontologie drückt für Ockham diese so wenig
aus wie die Abstraktion sie ergibt bzw. kraft und mitsamt einer damit enthaltenen Folgerung
einschließt. Sie können nicht abstrakt nach impliziter Folgerungsform als mitgegeben gelten.
Tatsachen werden für Induktion oder persuasio vorausgesetzt, um qua Reduktion (partieller
Negation) eine weitere Behauptung zuzulassen. Diese ist dann eben nicht Analogie.
478 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Fälle oder ‘Zerlegen in Fälle’ ausgedrückt werden und hat darin sein Äquivalent.46 Die
Konsistenz, die dann für den oder einen Hauptbegriff ausgedrückt oder ermittelt wird,
eine relatio als essentia quasi, besteht darin, dass über eine Anzahl von Fällen, die
alle akzidentell gegenüber dem Hauptbegriff sind, eine Minderung bezeichnet wird,
die als in der Rolle eines Prädikats angesetzt und anzusehen, doch den Hauptbegriff
nicht aufhebt. Sie steht in diesem Sinn nicht im Widerspruch zu ihm. Im Grunde ist
damit eine Reihe von Folgerungen ausgeschaltet worden, bei der, über die Empirie
gehend und gelten sollend, die Reichweite eines Hauptbegriffs vermittelst der für die-
sen zu definierenden Prädikate ausgedrückt und dann ‘analytisch’ bewiesen wurden.
Dies scheidet damit aus. Ockham hat danach nicht nur die Thesen des Duns Scotus
immer nach ihrer Allgemeinheit angegriffen, sondern auch technisch einen Gegen
typus der Beweisführung und Erörterung praktiziert. Er hat jene Beweisart ausge
schlossen, welche bei Scotus allgemeinen Aussagen, schließlich auch solchen, die das
Beweisen einschlossen, ja vielleicht immer einschließen mussten, entsprach; er hat
jene ‘intensionale Allgemeinheit’ ausgeschlossen, welche die Geltung oder Definitheit
durch die formelle analytische Beweisform vorwegnahm.47 Diese andere Beweisart
46. Im Beweis, dass ‘Schöpfung’ notwendig sei (Quaestiones variae q. 3 OT VIII pp. 59–97)
werden determinatio und implicatio direkt gleichgesetzt. Hier kann dann der Realbezug un
mittelbar als ausgeschlossen gelten. In diesem Beweis, dass die Welt erschaffen werden konnte
(wurde), i.e. erschaffen werden musste, weil wie die Begriffe gegeben sind, aus ihnen keine
Ewigkeit der Welt gefolgert werden kann, muss Ockham induktiv auf den Wert des Begriffes
gehen, aus dem/für den gefolgert wurde. Aus dem Begriff folgt die Notwendigkeit, weil eine
andere Folgerung effektiv ausgeschlossen ist. Sie würde media extrinseca benötigen, eine ande-
re Kenntnis der Begriffe, i.e. andere Begriffe etc. Ockham führt den Beweis nicht sachbezogen:
er führt ihn nicht außerhalb der Reflexion auf die Begriffe, Intensionen, welche vielmehr (vor
ab!) ‘selbst’ betrachtet werden. Ockham hat die Thematisierung der Schöpfung ohne jeglichen
Reflex oder Akzent gelassen, der einen Realbezug außerhalb der Begriffe (und ihrer mentalen
Sphäre) hätte meinen können. Er kann über den ‘negativen’ Begriffswert induzieren und so
wieder zur Abstraktion gelangen. Wir reden über die Schöpfung nur inhaltlich, nur begriffsbe
zogen, so denn wenn man will, analytisch. Wir gelangen zur persuasio. Für sie ist die implicatio
Teil oder signum der determinatio. Auch die persuasio gilt den Begriffen. Sie stellt Begriffe auf,
die förmlich als sie selbst gelten. Sie könnten nach anderer Kenntnis ersetzt werden. Das lässt
sich immerhin denken. Insofern sind die Begriffe, die für sie empirisch ausgerichtet gebraucht
werden, induktiv negativ bestimmt. Die Erkenntnis ist irgendwie unbekannt. Sie ist in Sonder
heit nicht mit den Begriffen, den Einzelteilen (Bausteinen) der Aussagen gegeben.
47. Im Versuch, Scotische Argumentationsweise gegen Ockhams Kritik abzusichern, schreibt
R. Wood, 1990 in: W. Vossenkuhl und R. Schönberger (eds): 1990 pp. 25–50, p. 28: „This criti-
cism (gegen die Scotische Auffassung von essentialiter ordinatae causae) is mistaken because
Scotus is not committed to a single exposition of perfection.“ Ebenso p. 41. Ockham führte
in seiner Widerlegungsart gewohnheitsmäßig und mit technischem Belang instantiae gegen
Generalisierungen des Duns Scotus und anderer an; zu sagen, Duns Scotus habe hier diffe
renziert, bezeichnet nur das Unangängige bei dessen Argumentationsform, sc. das Allgemei-
ne auf abgespaltene und ausgeschiedene (deklarierte) Sonderfälle zu gründen oder ad hoc zu
Kapitel 10. Beweis, Satz, Akt 479
stützen. Denn Duns Scotus müsste hier immer die Logik allgemein voraussetzen und sie dann
mit seinen speziellen Differenzierungen überschreiten. Ockham bestreitet die Thesen und Kon-
zepte des Duns Scotus zu den essentialiter ordinatae causae in Bezug auf ihre integrale Be
weisfunktion. Für Ockham ist es damit die Frage, ob Duns Scotus schlüssig operiert. Dessen
Thesen und Mittel müssen daher ihren inhaltlichen Sinn als ‘logischen’ zeigen: sie dürfen nicht
widerlegbar sein. Sie sind es nach Ockham. Als zur reprobatio affine und ihr integrale Thesen
können die Scotischen Anschauungen keine hauptsächlichen sein, so dass sie etwa inhaltlich
zur Wahl stünden und ein sachliches Interesse hätten. Woods Rekurs auf eine bloße, unbegrün-
dete (unbegründbare) Abneigung Ockhams ist verfehlt.
48. Wahrscheinlich ganz gleich auch bei Spinoza. Man mag bei Spinoza von ‘natürlicher
Theologie’ sprechen. An deren Rationalität glaubt R. Wiehl, Metaphysik und Erfahrung, 1996
pp. 234–332 Nach Ockham ist der Satz ‘Deus est immortalis vel primum ens’ dem natürlichen
Erkennen zugänglich, Sätze zur Trinität wie ‘persona divina est primum ens’ dagegen nicht (cf.
Ord. d. 1 q. 5 OT I 460 lin. 3–7). Für ersteren gilt und genügt die Erfahrung (ib. lin. 4): „suffici-
unt creaturae“. Er gehört zur natürlichen Theologie. Beide Sätze sind für Ockham dem Typus
nach kontingente Sätze. Scotus verleiht ihnen in Form der Auslegung, wenn er ihre Rationali-
tät dartun will, den Status ontologischer Notwendigkeit. Diese ontologische Explikation kann
Ockham dann widerlegen und zwar wesentlich über die Reduktion auf die Differenz von sub-
stantia und accidens. Darin geht zugleich die logische Form des Schließens unter. Sie kann also
für die Ontologie nicht erzeugend und rechtfertigend sein. Die Ontologie hat dieses Schließen
nicht definit zur Verfügung. Damit entfällt die significatio: die res wird nicht erreicht. Spinozas
Relationen antizipiert Duns Scotus.
49. Cf. Kap. 3: Zum Verhältnis der Satzformen.
480 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
dieser kompatibel sein. Damit aber kann es nicht einmal mehr notwendig sein.50 So
gesehen gibt es keine Deduktion.51
Abstraktion bei Ockham bleibt immer auf empirische Konnotation bezogen,
in der aber sie sich nicht erfüllt, so dass ‘Folgerungen’ darin bestehen und die Dif
ferenzierungen daraus hervorgehen, dass sie es nicht tue. Die opinio richtet sich
gleichsam gegen einen in sich unerfüllbaren, daher eigentlich sinnlosen ‘Bestandteil’.
Er ist als akzidenteller nicht real, sondern imaginär. Mit der Aufhebung der Inten-
sionalität wird auch schon der Realitätsstandpunkt aufgegeben. Man sehe folgendes
Beispiel, bei dem die forma perfectior angeli gleichwohl keine Wirkung nach außen
besagt, sondern eben darin bestimmt, determiniert ist, dass sie es nicht tue (oder
tut):52 „dico, quod illa propositio ‘quanto forma est perfectior tanto est activior’ uni
versaliter accepta est falsa. Quia angelus est perfectior quacumque forma corporali
et tamen angelus non est activior forma corporali. Non enim potest angelus causare
formam substantialem quamcumque, sicut potest natura corporea, sed solum – si sit
activus – potest causare accidentia. Et ratio est: quia tales actiones non conveniunt
naturae suae. Et eodem modo est in proposito.“ Auch die Schwächung bedeutet nicht,
dass die Handlungskraft dem Range nach zunehme: „licet intellectus sit imperfectior
forma quacumque forma elementari, non tamen activior, quia non convenit naturae
suae, maxime ad causandum tales operationes in seipso.“ Der Intellekt vermag nicht
in sich ‘Bewerkstelligungen’ von Gegenständen, die von ihm verschieden sind, zu
50. Das nimmt Ockham auch an. Cf. L.-M. de Rijk, Ockham’s Theory of Demonstration: His Use
of Aristotle’s kath’ holou and kath’ hauto Requirements, in: W. Vossenkuhl und R. Schönberger
(eds): Die Gegenwart Ockhams, 1990 pp. 232–240. De Rijk sieht Ockhams Adaption der Demon
strationslehre des Aristoteles bestimmt durch die doppelte Tendenz seine zwei „ontologischen“
Grundannahmen zu sichern: die absolute Individualität und die absolute Kontingenz von al-
lem was ist. Das bedinge ‘Manipulationen’ (sic!). Sie müssten ‘pseudo-argumentativ’ Ockhams
tatsächlichen Argumenten und Erörterungen vorausliegen. Doch Ockhams Argumente haben
ihre Stellung im Text, in Sonderheit der Ord. Prol. Darin spielt thematisch die Dichtigkeit/Nä
he der passiones zueinander eine Rolle nebst der Einheit der scientia qua lückenloser Abfolge
der Syllogismen, oder deren eindeutige Zugehörigkeit zu einer ‘scientia’ (Metaphysik, Natur-
philosophie etc.) Die multiple Verwendung der Prinzipien und der Beweise über die Grenze
der einzelnen scientiae hinaus, die Möglichkeit einen bestimmten Satz (conclusio) mit unter-
schiedlichen Prämissen zu beweisen (cf. SL III-2 c. 1 lin. 34–46 – OT I p. 506) steht der Bindung
und Verschmelzung von Inhalten und Logik entgegen und so auch der voraussetzungslosen
Übernahme Aristotelischer Meinungen, die hier undifferenziert erscheinen. Zur propositio ne-
cessaria s. auch SL II cap. 24 lin. 46–48 OT I, p. 328f (lin. 46ff): „Philosophus in libro Priorum
(Anal. Priora, I, c. 3 (25a 27–36) non loquitur de conversione propositionum de necessario nisi
quando sumuntur in sensu compositionis vel aequivalenter.“
51. Aber es gibt die Argumentation oder Beweisführung, die semantische Voraussetzungen
oder Aufffassungen angreifen und aufheben kann. Cf. Kap. 9 Ontologie und Induktion.
52. Quaestiones variae q. V OT VIII p. 164 lin. 165–174.
Kapitel 10. Beweis, Satz, Akt 481
verursachen.53 Der Intellekt selbst ist als Objekt seiner Wesenheit nach vom ihm äu
ßerlichen (anderen) Objekt geschieden. Er nimmt es nicht in sich auf. Zum Argument
lässt sich sagen: Es kann von der forma her auf den intellectus induziert werden. Die
forma kann mit dem intellectus zusammenfallen. Was über sie gesagt wird, gilt dann
erst recht von ihm, so dass nicht von daher eine instantia zu gewärtigen ist. Der an-
gelus ist bloß intellectus. Das bedeutet aber auch, dass intellectus (auch der des Men
schen), angelus und forma alle von jenseits des empirischen Verhältnisses determi
niert werden, in welchem sie, mit Objekten, ein ihnen Äußerliches hätten. Hat so die
Argumentation ihre ganze Weite, bezeichnet sie damit auch intensional den Bezug
in empirischen oder äußeren Objekten, die in se nicht erreicht, nicht eingeholt, nicht
integriert werden. Bestimmungen der actus und des Begriffs (universale) usw. sind
nicht vom äußeren Objekt her zu geben.54
Das folgende Textbeispiel Ockhams zeigt sogar, dass sowohl Wahrheit wie Wider
spruchsfreiheit (oder der Widerspruchssatz als Regel von Wahrheit oder Unwahrheit)
außerhalb der intensionalen Regulation des Sinnes von Texten liegen können:55 „(Pro-
babile per potentiam divinam) potest persuaderi: quia de nullo absoluto realiter di-
stincto ab alio absoluto potest negari quin possit fieri sine eo per divinam potentiam
absolutam nisi appareat evidens contradictio.“ Ockham hat so tatsächlich, wobei er
die res als unter dem Relationsbegriff ‘absolutum’ verzeichnet, die distinctio realis zwi-
schen absoluta zum rationellen Grund eines fiktiven Eingriffs secundum potentiam
divinam absolutam gemacht, wobei dieses intensionale Moment nicht weiter reicht als
53. Ockhams Argument endet an der Stelle seiner Bedingung. An dieser bricht es gleichsam
sich. Es hat wie ersichtlich keinen versteckten Anteil, der im Widerspruchsprinzip oder von
ihm dann notgedrungen intensional zu identifizierenden empirischen Momenten bestünde.
54. Daneben kann forma auf jeden quidditativen Begriff angewandt werden. Das geschieht
beispielsweise bei der ‘Ableitung’ der demonstratio potissima in Ord. Prol. So gebraucht
Ockham den Ausdruck forma auch in SL II, c. 7 – OP I p. 271 lin. 49): „praedicatum appellat
suam formam“, wozu die Ed. auf Wilhelm von Shyreswood, Introductiones in logicam cap. 5 ver-
weist, wo es heißt, dass es die „forma substantiae subiecti“ sei und „praedicatum solam formam
dicit.“ Ockham unterscheidet SL I cap. 63 lin. 4–10 technisch appellatio nicht gegen suppositio.
Das impliziert auch, dass forma in den kettenförmigen Reprobationen der Kap. 9–11 via Begriff
sehr wohl auf die res angewandt werden kann, während die Bestimmungen, die sie erhielt, es
nach dem Widerlegungsbeweis nicht können (sollen); es handelt sich also um eine negative
prädikative Bestimmung zu forma, die rejiziert wird. Dabei kann zuletzt ein suppositionslo
gisch akzeptierter (kontingenter) Satz die res identifizieren. Nicht günstig beurteilt L.-M. de
Rijk, 1990 p. 236 Ockhams Gebrauch der forma bezüglich einfacher Satzsubjekte, für Ockham
gleichnamig mit der substantia: „Of all people ist is Ockham who sets apart a thing’s forma
and gives it logical priority to the concretum it inheres in.“ Er weicht nicht von dem des Wil-
helm von Shyreswood ab. Für de Rijk ist er zudem erstaunlich (ib.) „from the standpoint of his
(Ockhams) own ontology.“ Er sieht sie in zwei Prinzipien: (a) die Dinge sind kontingent, (b) sie
sind schlechthin singulär.
55. Prol. Ord. q. 1 OT I p. 59 lin. 3–5.
482 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
bis zu der Grenze eines Widerspruchs, dessen Erweis aber rein hypothetisch bleibt,
also nur apostrophiert wird. Der Omnipotenz wird förmlich nur ein Beitrag zum ‘pro
babile est’ zugesprochen. Der eigentliche Beweis wird nicht ausgeführt, vielmehr auf
eine Einsicht in die Struktur begrenzt. Wahrscheinlichkeit und persuasio als Beweis
form erscheinen dabei gleichwertig oder gleichnamig. Wir können eine Wahrschein
lichkeit annehmen, weil eine persuasio möglich ist; diese wird vermöge der potenti-
am divinam absolutam angenommen und angesetzt. Diese kann damit auch keinen
‘realen’ Wert oder Grund beanspruchen, mithin nicht als in facto angesetzt gelten.56
Ockham hat nicht widerlegend verfahren, sondern überredend.57 Er hat eine Annah-
me laut Wahrscheinlichkeit statuiert, eine qualitative Wahrscheinlichkeit also.58
Gott (vermittelt und „vertreten“ durch das Omnipotenzprinzip) und das
Widerspruchsprinzip stehen an ‘entgegengesetzten’ Positionen der Skala, analog per-
suasio und reprobatio (indirekter Beweis). Ockham hat also lediglich die mechanisti-
sche Vorstellung bezüglich solcher Größen aufgehoben, die einer irdisch empirischen
Welt ohnehin fern stehen. Für sie gilt die persuasio. Dass sie im Spätmittelalter für die
geltende nominalistische Lehre prävalent war, ist opinio communis. Eine Zwangsläu-
figkeit der Verbindung von gratia und beatitudo etwa muss verneint werden, weil sie
als res absolutae ‘real unterschieden’ sind. Daher kann zwangsläufig per divinam po-
tentiam absoluta über sie getrennt verfügt werden.59 Es kann also ‘bewiesen’ werden,
56. Damit bleibt der realwertige Gott in se als causa remota gesetzt. K. Jaspers, 1968 p. 134
sieht darin neuzeitliches Denken. Er macht es zuerst bei Marsilius von Padua (gest. 1347) aus.
Dieser lebte als Schutzbefohlener Kaiser Ludwigs des Bayern zur gleichen Zeit in München wie
Ockham, der dort seit 1329 weilte. Bei Ockham ist der Weg von der substantia zum accidens
so weit wie der von Gott zu seiner Schöpfung, und man kann, weil beides einander entspricht,
fragen, wo das Motiv Ockhams für das jeweils andere liege. Aber eben auch das Motiv für den
Gebrauch des Omnipotenzprinzips, der beides zusammenfasst und umklammert. Doch damit
ist man bei einem wesentlichen Argumentationsverfahren. Dieses kann sich auf das Wider-
spruchsprinzip nicht mehr stützen. Denn dazu müsste das accidens in der substantia inhä-
rieren. Das wird für die propositio contingens nicht mehr angenommen. Aus ihr dependieren
andere Satztypen.
57. Der Widerspruch verbleibt immer außerhalb der intensionalen Bedeutung des Satzes, res
pektive eines Begriffs, der im Satz genannt und implizit ausgelegt wird.
58. Ockham hat deutlich gemacht, dass die distinctio realis empirischen Gegebenheiten ver-
bunden ist und bleibt, auch dann wenn die Begriffe, längst abstrakt verstanden und als gegeben
betrachtet, zur Bestimmung der Geltung der Aussagen für res und relationes stehen sollen.
59. Es ist unschwer zu erkennen, dass dafür induktiv argumentiert werden kann. Das Omni
potenzprinzip hebt bei Ockham keine mechanistische Kausalwertigkeit auf und sprengt sie
also nicht. Eine Negation ‘mechanistischer’ Kausalwertigkeit durch das Omnipotenzprinzip
wäre inhaltlich unbeweisbar und könnte also auch nicht definit als eine These bei Ockham be
wiesen werden. Ockham, der die Grenzen der Beweisbarkeit so betont, könnte nicht einmal ein
Interesse daran haben. Das beweist ‘a fortiori’ (!) = induktiv sein notwendiges Interesse an der
Induktion als Beweismittel oder -form. Das Omnipotenzprinzip integriert sich in es. Es wird
Kapitel 10. Beweis, Satz, Akt 483
dass Gott über sie getrennt disponieren kann. Es läge sonst gerade ein Widerspruch
vor. In Wahrheit hat Ockham bestritten, dass begrifflich eine bestimmte Relation
zwingend oder notwendig bestehe. Generell gilt: die Omnipotenz (das Omnipotenz
prinzip) wird begrenzt, nicht durch das Widerspruchsmoment (auch nicht durch es
ermöglicht), sondern dadurch dass die Konsistenz kein Problem ist. Das aber aus
Gründen der Kontingenz.60
Schon Duns Scotus hatte geäußert:61 „Nihil scientifice concluditur de aliquo, nisi
in se simpliciter praeconcepto, ideo in scientia nostra quando scimus per causam,
darin von keiner essentia Gottes geredet, weder an sich, wenn das Prinzip eingesetzt wird, noch
wird in diesem selbst davon die Rede sein. Gott, der genötigt wäre, etwas zu tun, entspräche
übrigens nicht dem Gott, der gehindert ist, etwas zu tun, i.e. vermöge eines drohenden Wider
spruchs. Es ist klar, dass der induktive intensionale Charakter von Ockhams Argumentations
praxis und damit auch der Verwendung des Omnipotenzprinzips, die ihr Bestandteil ist, d. h.
formell manchmal eingesetzt werden kann, um die fixierte Schöpfungsordnung oder empiri
sche Basis zu verlassen, nicht auf dem Prinzip eines mechanistischen Nötigung Gottes noch auf
dem einer irgendwie mechanistisch begründeten Behinderung und Begrenzung Gottes beru-
hen kann noch gar auf der Vereinigung oder Gleichsetzung beider Regeln, immer quasi unter
der Einmengung des Widerspruchsprinzips, womit wir auch da noch ein qui pro quo hätten.
Wir haben jedoch bei Ockham schon keine beweistaugliche mechanistische Auffassung von
empirischen Kausalverhältnissen, in denen für ihn die Kontingenz vorherrscht, welche ihm bis
in die Wahrnehmung, Bildung der Erkenntnisse und eben der behaupteten Kausalrelationen
hineinreicht. Vielleicht muss (kann) sie bei ihm nur wegen der Interaktion oder Interferenz von
Subjekt und Objekt bestehen.
60. Die empirischen Verhältnisse sind kontingente. Sie werden von Kontingenz regelrecht
bestimmt, so dass nicht eine Notwendigkeit geschöpft werden kann, die als „überempiri
sche“, überweltlich ‘gedacht’, gleichermaßen menschlicher Erkenntnisfähigkeit offen stünde.
W. Vossenkuhl, Vernünftige Kontingenz. Ockhams Verständnis der Schöpfung, in: W. Vossen
kuhl und R. Schönberger (eds), 1990 pp. 77–91 p. 80 sieht Gottes Allmacht durch das Konsis
tenzprinzip gebunden (eingeschränkt) und interpretiert dessen Inhalt als Ausdruck des Absur-
den: „Er kann also alles tun, was nicht gleichzeitig das Gegenteil dessen ist, was er tut.“ Zwar
identifiziert auch Ockham Widerspruch und Unmöglichkeit, wie es Aristoteles beim indirek-
ten Beweis tut, aber diese Inkonsistenz müsste bei Vossenkuhls Bestimmung aus dem Omnipo-
tenzprinzip zunächst folgen (können), also selber mit ihm konsistent sein oder erscheinen, und
danach ihm widersprechen; dann gäbe es womöglich die Allmacht nicht. Das Inkonsistente
steht außerhalb Gottes Allmacht und ist keine denkbare Weltrealität. Gott kann aber die Welt
schaffen, und er ist insofern auslegbar, als wir das Konsistenzprinzip beiseite bringen können.
61. Cf. W. Kluxen (ed.), 1974, p. 92 lin. 72ff. Ob die Scotische Beweisart einer solchen Maxime
entspreche, mit ihr kompatibel oder konsistent sei, ist eine andere Frage. Ockham legt einen
Schnitt zwischen den actus apprehensivus und die Empirie außerhalb des Verstandes. Über
diese in sich erfahren wir nichts Gediegenes. Gegen den Gedanken, dass Ockhams Vorgangs-
art aus dem Scotischen Verfahren abgeleitet sei (sein könne), spricht, dass es gegenüber dem
Scotischen Kriterien entfaltet. Diese könnten z. B. nicht selbst aus dem Scotischen Verfahren
(mit den „ad hoc Postulationen“ als Modi einer zusätzlichen oder nachträglichen Abstraktion
484 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
causa non facit notitiam causati simplicem, qualem ipsum causatum natum esset gi-
gnere, secundum Augustinum 9° Trin. Capitulo ultimo.“ Das hieß eigentlich auch,
dass nicht aus der Kontingenz Bestimmungen entnommen werden könnten, die per
Widerspruchssatz zu gültigen Erkenntnissen zu führen hätten. Mit dieser zitierten
Scotischen Stellungnahme gleichwertig ist die folgende Ockhams:62 „notitia unius
rei extra non ducit sufficienter, cum intellectu, in notitiam primam incomplexam
alterius rei in se.“ Ebenso in größerem Zusammenhang:63 „notitia unius singularis
numquam est causa sufficiens – cum intellectu – notitiae alterius rei singularis quae
non est communis sibi.“64 In der gesamten Passage, in der die Kenntnis eines Ob
jekts nach der Kenntnis eines anderen ‘vorhergehenden’ für möglich erklärt, wird,
bedeutet ‘obiectum’ bereits Objekt im Verstand und im Satz gewusster Inhalt. Von
der Begriffsbildung aus muss zur Stufe der Bildung (und Begründung) von Aussagen
und dann Argumentationen (auch mit dem Bezug zu Sätzen) fortgeschritten werden,
wenn Folgerichtigkeit soll begründet werden können.65 In die oben zitierte Scotische
Äußerung könnte eingeschlossen sein, dass es eine experimentelle Verfikation neben
dem Deduktionsakt zu geben hätte (zumindest geben könne). Dann aber müsste die
deduktive Logik auch empirisch begründbar sein, was einen gewissen Widerspruch
besagen muss bzw. zu bedeuten hat, dass Duns Scotus mit seiner Intention zu de-
duzieren, was für uns nicht vor Augen liege, nämlich Gottes essentia und existentia,
quasi ein absurdes (paradoxes) Unterfangen einginge. Das gilt auch dann, wenn man
unterstellt, dass Duns Scotus seine ‘Deduktionen’ im Gottesbeweis mit einem titu-
lar-empirischen Begriff oder putativ-empirischen abstrakten Konzept, nämlich dem
‘Möglichen (an sich)’ „beginnt“.
Nun hat aber Ockham nach dem Verhältnis von Begriff, Satz, Sache (res), actus
apprehensivus und actus iudicativus, notitia incomplexa und notitia complexa etc.
gleich auf der intensionalen Ebene dieser reflexiv aufeinander bezogenen Elemente
gegenüber der empirischen Geltung, die eingegrenzt oder gelöscht werden soll) abgeleitet sein.
So muss bei Ockhams Vorgehen die Frage nach seiner Motivation unbedingt sich anders stel
len: Ockham muss, selbst wenn er an Duns Scotus ‘anknüpfte’, dessen Intention gerade nicht
teilen. Er verbessert ihn auch nicht.
62. Prol. Ord. q. 9 OT I p. 254 lin. 20–22.
63. Ib. p. 253 lin. 24 – p. 254 lin. 9.
64. Methodologische Meinungen des Duns Scotus erscheinen oft nicht einhellig und daher
nicht stringent. Ockham merkt die Differenzen, uneinheitliche Stellungnahmen u. ä. gelegent-
lich an.
65. Es ist die Frage, ob eine pauschal erkenntnistheoretische Skepsis, wie sie Nikolaus von Au
trecourt ausgesprochen hat, vermöge oder bezüglich des Folgerungsgedankens legitim sei. Da
bei setzt er abstrakte Folgerbarkeit und konkrete ‘Erfüllbarkeit’ noch gleich. Konsistenz soll
als reale significatio beweisbar sein. Das Omnipotenzprinzip kupiert ein solches Verhältnis im
Sinn von Folgerung. Cf. Kap. 7. Es gibt das Dilemma, variabel von uns akzentuiert, zwischen
Autrecourts skeptizistischer Kritik und Ockhams Methode bzw. Konzeption.
Kapitel 10. Beweis, Satz, Akt 485
gefragt und mit der distinctio realis als kategoriellem Begriff66 gearbeitet:67 „Quomo-
do se habent ad invicem notitia incomplexa terminorum et apprehensio complexi et
iudicium sequens an omnia ista distinguantur realiter et an quodlibet istorum indiffe-
renter possit fieri sine alio?“ Es kann keine Rede davon sein, dass eine solche Frage nicht
entscheidbar wäre. Sie ist es mit Hilfe des terminus technicus ‘distinctio realis’. Wo eine
solche angenommen wird, entfallen Widerspruch und Andersmöglichkeit bezüglich
Folge und Folgerung, nicht jedoch bezüglich der Vorgabe oder Prämisse. Sie ist im
Sinne der persuasio, der distinctio formalis als Modus modallogisch modo composito,
des mit beidem verbindbaren Gebrauchs des Prinzips der potentia Dei absoluta, nach
den beiden Auslegungen supranaturaliter loquendo und naturaliter loquendo abwan-
delbar und ergibt dann immer für sich spezifisch verschiedene Folgen oder Folgerun
gen.68 Für beide gelten different die modallogischen Spezifikationen der Verwendung
des Modus modo composito und modo diviso. Letztere spricht direkt das empirische
Verhältnis an, in dem und für das auch, definit und die Definitheit begründend, die
distinctio realis gilt:69 „Posset dici quod aliquis potest apprehendere aliquod com
plexum et tamen non habere notitiam incomplexam terminorum quantumcumque
habeat unam notitiam complexam qua cognoscitur et complexum et etiam termini
illius. Si dicatur quod tunc simul et semel de facto termini complexi cognoscerentur
duabus notitiis, istud possit concedi.“70 Dabei können der actus assentiendi und der
actus apprehensivus – fallweise – sowohl zusammenfallen wie realiter distinkt sein:71
„Non est contradictio quod aliquis intellectus assentiret alicui propositioni et tamen
non apprehendat eam una apprehensione distincta realiter ab illo assensu. Tamen
quod assentiret et nullo apprehenderet, includeret contradictionem.“ Es wird damit
nicht behauptet, dass eine Zustimmung – zu einem actus apprehensivus – vorliegen
66. Sie muss besagen, dass was wir in der realen empirischen Welt distinkt (distinktiv) an-
nehmen können, in gleichem Maße innerhalb der Mentalsphäre für die Akte. Und vermöge
der Akte bezüglich der Realität. Damit können Schlüsse für das Erkennen und Folgern nicht
gezogen werden, bei denen das consequens und die darin recte oder reflexiv gemeinte Realwer-
tigkeit selbst Insignifikanz, Inexistenz zu besagen hätten.
67. Prol. Ord. q. 1 OT I p. 52 lin. 10–13.
68. Dabei können u. U. differierende Annahme persuasiv begründet werden, nicht nur zwei
konträre oder kontradiktorische, sondern gelegentlich auch drei von einander ‘abweichende’.
69. Ib. p. 59 lin. 20 – p. 60 lin. 1.
70. Mit der Ergänzung ib. p. 60 lin. 1–7: „quia certum est quod praeter notitiam complexam qua
cognoscuntur termini est una notitia incomplexa cuiuslibet termini, et ista notitia incomplexa
non videtur habere repugnantiam ad notitiam complexam. Et ita, cum non habetur evidens ex-
perientia quod corrumpatur per adventum notitiae complexae, non debet negari quin maneat
adveniente notitia complexa. Et eodem modo, proportionaliter, posset dici de apprehensione et
iudicio sequente.“
71. Ib. p. 59 lin. 14–17.
486 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
könne, ohne dass der actus apprehensivus bestehe:72 „Sed non apparet evidens quod
iudicium sequens apprehensionem sit et tamen quod apprehensio non sit; nec quod
apprehensio complexi sit, et tamen quod notitia incomplexa terminorum non sit.“
‘Non apparet evidens’ bezieht sich auf ein empirisches Verhältnis. Der Widerspruch
und das empirisch nicht Gegebene sind gleichnamig.73 Ockham hat für die notitia
intuitiva einen actus apprehensivus und einen actus assentiendi als getrennte ange
nommen, daneben für die notitia abstractiva sie zusammengenommen. Dann gibt es
noch die notitia abstractiva in einer etwas anderen Bedeutung: da bezieht sie sich bloß
auf den actus apprehensivus, wenn der actus apprehensivus sich, der notitia intuitiva
entstammend, einmal gebildet hat. Jene notitia abstractiva ist eine notitia complexa,
diese eine notitia incomplexa. Der Terminus notitia abstractiva wird also ausdrück
lich in zwei Bedeutungen gebraucht.74
Ockhams Äußerung, dass eine notitia intuitiva, mittels deren ja laut ihrer Defini-
tion festgestellt wird, dass ein empirischer und kontingenter Satz ‘wahr’ sei, weil den
in ihm gebrauchten extrema (i.e. Subjekt und Prädikat), ein präsenter Gegenstand,
ein äußeres Objekt also, entspreche (es also vorhanden sei), sehr wohl, man darf sa-
gen logisch, ohne die Existenz und Gegebenheit dieser res extra mentem vorkommen
könne, hat zu vielen Erörterungen, Deutungen und Etikettierungen Anlass gegeben.
Indes kaum zwingenden: Ockham ist davon ausgegangen, dass eine notitia intuitiva
in dem Sinne auf den intellectus bezogen ist wie der intellectus ‘differt a re extra’,
also als Akt gemäß distinctio realis von dem Gegenstand verschieden sei. Das bedeu-
tet nicht nur, dass er nicht zwangsläufig, i.e. mechanisch, über eine notitia intuitiva
sensitiva, die dem intellektualen Akt vorausgehe und vorausliege, erzeugt werde. Es
bedeutet auch, dass er wenigstens theoretisch, trotz der Definition der notitia intuiti
va selbst, rein intensional, so dass diese nicht extensional gebunden ist, ohne die res
extra praesens et existens vorkommen könne. Das scheint formell gegen die Defini
tion zu stehen. Es ist die distinctio realis, die den Widerspruch ausschließt. Müsste die
notitia intuitiva in mechanistischer Bindung an die res extra fungieren, also zwangs-
läufig sein, wäre sie als actus nicht distinkt.75 Intellectus und actus intelligendi, actus
iudicandi, actus apprehensivus etc. sind aber notwendig von der subjektexternen Re-
alwelt distant und distinkt, also verschieden. Insofern ist Ockhams Bemerkung nicht
mit einem Widerspruch behaftet, im Gegenteil: sie ist von einem solchen befreit und
bewahrt die Definitheit des terminus notitia intuitiva, wobei, nota bene, ja Definitheit
nie eingeholt, wirklich erlangt oder tangiert werden kann oder muss. Sie ist ein To
pos der Abzielung, der als terminus exclusivus fungiert. Die notitia intuitiva schließt
gerade logisch die Existenz und Präsenz der res extra nicht ein.76 Sie kann sie, konform
der Definitheitsforderung, nicht ausschließen; das ist selbstverständlich. Da aber die
distinctio realis, die allein empirisch gilt, also pro rebus huius mundi, zwischen actus
und res extra als Gegenständen, besteht, kann Gott, vermöge seiner Omnipotenz,
aber diese naturaliter loquendo verstanden, beide getrennt vorkommen lassen. Das
bedeutet nicht Skeptizismus. Es bedeutet ebenso keine Täuschung durch Gott in der
Rolle des bösen Dämons oder des deus malignus, wie ihn Descartes als ‘Möglichkeit’
suggerierte. Es besagt auch nicht die Annahme eines Wunders. Es gibt ja keine Unter-
stellung von Realität. Es ist eine hypothetische Möglichkeit in Übereinstimmung mit
der Definitheit eines definierten Terminus.77 Das ist alles.78
Die Entstehung des Begriffs aber ist für Ockham so zwangsläufig wie die Entste-
hung der sinnlichen Wahrnehmung eines außerhalb des menschlichen Subjekts sich
findenden Gegenstands:79 „idem totaliter sub eadem ratione a parte obiecti est pri-
mum obiectum sensus exterioris et intellectus primitate generationis, et hoc pro statu
isto; et ita obiectum intellectus in illa intellectione prima non est magis abstractum
quam obiectum sensus.“ Es ist also denkbar, dass die generatio conceptus für den Ver-
stand, so dunkel sie für Ockham auch erscheint,80 doch zwangsläufig in ihrem sinnli
chen Vorlauf sei. Der intellectus (Verstand) selbst besteht in realer Distinktion vom
sensus. Deshalb kann der Verstand an und mit dem was ihm als Begriff’ entstanden
ist, abstrahierend weiter arbeiten:81 „Potest tamen intellectus postea abstrahere multa:
et conceptus communes, et intelligendo unum coniunctorum in re non intelligendo
reliquum. Et hoc non potest competere sensui. Si autem illa abstractio intelligatur
universaliter, intelligenda est a parte intellectionis, quia illa est simpliciter immateria-
lis; non autem sic de cognitione sensitiva.“82 Die Bestimmbarkeit des Gegenstands,
der res extra in se, wird negiert oder implizit ausgeschlossen:83 „Ideo dicendum est
quod entitas et existentia non sunt duae res.“ Die existentia gewinnt also auch keine
Verschiedenheit von oder Qualität neben essentia, quidditas usw., wenn wir den Ge-
genstand denken. Auch ‘res’ und ‘esse’ werden dann gleichwertig.84 „Talia argumenta
‘essentia potest esse et non esse, igitur esse distinguitur ab essentia et essentia differt
ab esse’ … non valent.“ Da es sich um einen Trugschluss, einen äquivokativen Wortge
brauch, handeln würde, kann diejenige Annahme, die Ockham als ‘gültige’ anerken-
nen will, bloß intensional gelten. Sie gilt reflexiv und wird implikativ definit sein. Sie
inkludiert jeden Fall.
85. Auch die Erkenntnis eines anderen kann nicht begründend für eine ihrer Art nach verschie
denen und von keiner Erfahrung legitimierte Erkenntnis des Menschen geltend gemacht wer
den. Das bedeutet, dass eine consequentia zwischen ihnen nicht zugestanden werden kann,
ebenso wenig wie eine solche zwischen einem credibile als antecedens und einem daraus abzu
leitenden eigenen Erkenntnisakt für uns zu einer Gewissheit führe: es ist für uns nicht sicher,
dass sie nicht (ein) impossibile, also absurd, d. h. simpliciter falsum sei. (Für Autrecourt haben
schon substantia, accidens usw. termini zu sein, die nur per fidem akzeptiert wurden.)
86. Der Satz, der als Erkenntnis und spezifisch als actus apprehensivus gekennzeichnet, de-
terminat erscheint und damit eine Folgerung auf einen anderen, der auxiliär Erkenntnis zu
sein hätte, nicht zulässt, lässt doch diesen anderen Satz als Ausdruck, quasi im Sinne der con-
sequentia, selbst zu. Dafür kann induktiv eingetreten werden. Ein Glaubenssatz erscheint als
antecedens wie eine holophrastische Figur und er kann so gewertet werden wie er als determi-
nat gelten kann; die auf Definitheit zielende consequentia in Gestalt eines anderen Satzes, einer
Regel o. ä. ist agglutinierende Partikel, ein Index, der sich über die Gesamtheit von Ockhams
Analysen erstreckt = fortsetzt. Definitheit beinhaltet etwa auch die Feststellung Ockhams, dass
in einem Syllogismus ein Satz bestätigt werde, der uns vorher schon bekannt war, nun aber,
in Gestalt der Schlussfolgerung bewiesen, einen actus iudicativus empfange und nur diesen
und dadurch bekannter geworden sei, weil er als allein Gott zukommend erkannt (= bestätigt)
werde. Man „erkennt“ (indes aliquomodo unqualifizierbar): der Begriff ist proprius Deo solo.
490 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
beschränkt sich auf die Bewertung von Akten; deren vorgegebene inhaltliche Bedeu
tung ist (für Begriffe, Aussagen und Schlüsse) zu überprüfen, u. U. zu korrigieren.87
Dabei können actus assentiendi und actus apprehensivus in actu, d. h. für die
Reflexion ununterscheidbar, auch zusammenfallen:88 „(A primam probationem) dico
in fine discursus statur ad unum complexum quod fit notum per discursum et prius
erat ignotum, cuius tamen omnes termini prius noti notitia incomplexa. Unde cum
discursus sit praecise inter complexa et nullo modo inter incomplexa, per discursum
nullo modo adquiritur notitia incomplexa, cuiuscumque termini, quia quaelibet ta-
lis praesupponitur ante finem discursus. Nec etiam notitia apprehensiva complexi
adquiritur, quia illa potest praehaberi; sed praecise per discursum adquiritur notitia
iudicativa. Verbi gratia, qui vult discurrere a creaturis ad Deum – secundum eorum
modum loquendi – praesupponit notitiam incomplexam et Dei et creaturae, puta:
quid significatur per utrumque terminum. Potest tamen quaelibet complexio formari
ante discursum; et ita omnis notitia incomplexi et etiam omnis actus apprehensivus
potest praecedere, et non adquiritur. Sed adquiritur notitia qua assentitur huic com-
plexo ‘Deus est ens infinitum’, vel ‘aliquid est ens summum’, vel alicui tali.“ Damit fragt
sich, was vermöge des actus iudicativus in der Deduktion über das bereits bestehen
de Wissens hinaus erreicht werden könne: Ockham antwortet, dass der abstrakte Be
treff des Satzes als Ausdruck (notitia complexa oder conceptus compositus) in seinem
Gegenstand, nämlich Gott, zusätzlich erkannt werde:89 „Et si quaeratur quare tunc
Deus plus intelligitur quam ante,90 ex quo (intellectus) non habet nisi unum concep-
tum compositum qui non est realiter Deus, respondeo quod tunc Deus intelligitur,
quia habetur unus conceptus proprius, natus aliter cognosci a nobis in via ex puris
naturalibus, et Deus non terminat immediate actum intelligendi nostrum pro statu
isto, sed tantum ille conceptus immediate terminat“. Dabei bezieht Ockham sich auf
die Bestimmung des Begriffs als fictum per actum intelligendi.91 Dann erörtert er die
87. Diese Prüfung bleibt aber nach gewissen Regeln konsistent. Es sind Regeln, die die reelle
empirische Bedeutung nicht auf den Satz zu dessen intensionaler Bestimmung übertragen und
verwenden. Entsprechend ist die Induktion mitenthalten oder definiert.
88. Prol. Ord. q. 7 OT I p. 202 lin. 15 – p. 203 lin. 8.
89. Ib. p. 203 lin. 16–22.
90. Das Logische im formellen Sinn kann nicht die unbedingte Motivation Ockhams abgege
ben haben, es sei denn man verschränkt das Logische mit dessen Geltung, was schließlich nur
besagen kann, dass die Definitheit zum eigentlichen Gesichtspunkt wird. Die Begriffe oder zu
sammengesetzten Ausdrücke müssen formell alle ihre oder verschiedene Objekte treffen und
betreffen können.
91. Ib. p. 204 lin. 1–3: „Et istud est dicendum si teneatur quod conceptus non est intellectio vel
cognitio sed aliquid fictum per actum intelligendi habens tale esse obiectivum quale habet res
in esse subiectivo.“
Kapitel 10. Beweis, Satz, Akt 491
eine Verbindung oder Verknüpfung negiert werden soll, fungiert die dabei bestrittene
oder reduzierte consequentia formalis.101
Grundsätzlich aber gilt:102 „cognitio supernaturalis dupliciter accipitur. Uno
modo, quia non potest naturaliter adquiri; et isto modo nulla cognitio supernaturalis
de communi lege, praeter fidem infusam, est nobis necessaria.“ Es wird also wiederum
von der (empirischen) Basis der geschaffenen Welt ausgegangen. Die auf der Basis un-
serer Welterfahrung identifizierte höhere und jenseitsweltlich Erkenntnis müsste un-
serer Erkenntnis pro statu isto widersprechen in dem Maße wie sie sie de facto über-
stiege; sie wäre in der Tat für uns nicht notwendig. Wir können nicht wissen wie und
ob sie sein könne. „Alio modo dicitur cognitio supernaturalis quia est de veritatibus
quae non ex puris naturalibus sed supernaturaliter possunt evidenter cognosci; et isto
modo cognitio supernaturalis est necessaria nobis praeter fidem.“ Damit bestünde
Notwendigkeit in dem Sinne für den Menschen, wie der Inhalt in se als notwendig er
kannt und erklärt oder damit auch begründet werden könnte: das wäre pro statu isto
nur hypothetisch zu leisten und darum nicht auf den Glauben bezüglich. Hier könnte
der Verstand eine Funktion als Schiedsrichter erhalten, oder wir hätten ein Paradox:
es gäbe determinate Heilsgewissheiten, welche, womöglich noch unausgedacht oder
unerdacht, doch für uns necessariae ad salutem seien. Das muss indes wieder auf den
Verstand in der Schiedsrichterrolle zurückführen. Es entkräftet indes den Glauben,
selbst als Folie gegenüber dem Verstand. Wir müssen so in allen Glaubenstatbestän-
den oder Glaubensinhalten eine Implikation erblicken, welche dann durch die Trak-
tation der Glaubensinhalte durch den Verstand, der sie der scientia zuführt, kupiert,
i.e. aufgehoben wird. Andernfalls hätten wir auch keinerlei determinate Aussagen in
materiis fidei.103 Das Paradox löst sich hier auf um die Implikation. Sie wird modal
Ebene). Baudry könnte auch bemängeln, dass theologische Sätze als supranaturale Erkennt-
nisse von Ockham und anderen genetisch nicht aufgewiesen und gerechtfertigt worden seien.
Ockham aber muss und kann nur Sätze (oder Ausdrücke) bewerten, nicht sie genealogisch
kreditieren. Dafür würde er nicht leicht eine logische Methode haben können und man kann
nicht Definitheit eruieren. Dessen bedürfte es bei genealogischer Legitimation. Sie müsste ‘De-
finitheit’ einschließen. Die Begriffe und Sätze müssten stets mit ihrem primärgenetischen Sinn
übereinstimmen. Was ist das? Wie sollte sie nach welchem Nachweis kontinuierlich beibehal-
ten worden sein?
101. Die consequentia formalis entfällt auch, wenn verschiedene Erkenntnisarten (Erkenntnis
grade) unmittelbar miteinander verbunden werden können sollen. Ockham bezeichnet es als
lächerlich, dass wir eine Erkenntnis, die in actu im Menschen begrenzt ist, als legitim ansehen,
nur weil ein anderes Wesen, etwa Gott, von demselben Gegenstand eine vollkommene, voll-
kommenere oder überhaupt eine Erkenntnis habe. Die drei Bestimmungen vollkommen, etc.
könnten dann vielleicht oder wahrscheinlich nicht einmal unterschieden werden.
102. Ib. p. 197 lin. 25 – p. 198 lin. 4.
103. Es wären dann zugleich Wahrheiten, die der Mensch de facto noch nicht erdacht und be-
gründet hätte und während seiner Lebenszeit auch nicht erdenken oder zuende bringen könn
te. Wieso benötigt er sie? Diese Wahrheiten können nur unentbehrlich sein, indem sie sich ins
494 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
ersetzt. Ebenso aber gibt es a parte fidei keine ewige Wahrheit.104 Jede Wahrheit ist
nach Ockhams Meinung kontingent gesetzt. Der kontingente Satz ersetzt die Onto-
logie und die Logik.105 Erkenntnismittel sollen nicht aporetisch sich selbst oder ihr
eigenen Fundament enthalten oder voraussetzen müssen. Sich nicht selbst umfassen
(müssen). Dabei gilt, dass für die Theologie, wenn sie denn vorab eine spekulative
Wissenschaft ist, wenngleich nicht ausschließlich, wie Ockham gegen Duns Scotus
festhält, eine praktische und darin auch psychische Relevanz nicht gegeben ist: das
kann eben geschlossen werden. Es kann ausgeschlossen werden, dass sie unbedingt
(ausschließlich, definit) eine praktische sei.106 Es ist hier, was nicht ausgeschlossen (ge
schlossen) werden kann, zugleich was induziert werden kann. Wieder wird eine redu
zierte ‘Allgemeinheit’ gewonnen. Implizit wird eine neue Rolle der Theologie avisiert,
wie sie denn Ockhams Philosophie entspricht. Die Theologie wird aber bei Ockham
gestiftet, indem die Ontologie entfällt.107 Die Verwandlung der akzidentellen Begleit
umstände in das accidens entspricht dessen Stellung zur forma, mit welcher das Inhä
renzmoment aufgegeben ist (genau in dem Sinn übrigens, wie die Differenz zweier
Stufen, der der abstrakten Relationsbegriffe und der der empirischen Begriffsgewin
nung installiert oder eingehalten wird); entsprechend wird auch die über Modalisie
rung erfolgende Negation der elementaren Sätze als nicht mehr verpflichtende Stufe
Erkennen nach einem Medium gleichsam erheben, das aber eigens noch definiert oder kon-
struiert werden müsste. Das erscheint mehrfach paradox: bezüglich des Erkennens, das dann
nicht mehr das kommune oder grundlegende wäre oder dies jedenfalls nicht mehr notwendig.
Bezüglich der Seele und des Lebens, schließlich bezüglich eines allfälligen Verbunds zwischen
Denken und Leben oder Seele. Wieso dann überhaupt notwendig? Wir hätten eine Freiheit des
Denkens an dieser Stelle des Nominalismus, die überhaupt die Freiheit des Menschen wäre; das
kann gut Ockhams Geist gewesen sein.
104. Das gilt auch für Wodhams Frage, ob es eine ewige Wahrheit geben könne, wenn sie nicht
genannt i.e. unbekannt sei. cf. Kap. 6.
105. In der sacra theologia führen die ontologischen Zusatzbestimmungen für das Verhältnis
von s und P im Elementarsatz zu intensionalen (u. a. suppositionslogischen) Widerlegungen.
Die ontologische Auslegung ist da eine Satzverdopplung und eine explizit-implizite Implikati-
on alias Modalisierung und Wahrheitspräsumtion. Sie wird widerlegt.
106. Cf. grundsätzlich Prol. Ord. q. 12: Utrum habitus theologicus ist speculativus vel practicus
OT I pp. 324–370.
107. Ockham widerlegt u. a. mittels ontologischer Vorstellungen in empirischer Hinsicht. Er
kann Duns Scotus a parte contentus (mentalistisch vom intensionalen Standpunkt der Begriffe
her) und für die Begriffe als solche sowohl intensional wie extensional per Induktion wider
sprechen. Ontologie ist vorgreifend extensional ausgerichtet bei W. Chatton. Er operiert mit
Postulationen ad hoc. Sie besagen semantische Konnexionen und sollen unmittelbar Widerle
gungen Ockhams besagen.
Kapitel 10. Beweis, Satz, Akt 495
108. Cf. als nur ein Beispiel die fallacia accidentis, die Ockham Ord. d. 1 q. 3 OT I p. 407 lin. 13 –
p. 408 lin. bei P. Aureoli aufdeckt und durch propositio modalis modo diviso korrigiert.
109. Das macht Autrecourts Vorbringen zugleich sinnvoll und widersinnig. Er ficht als Idee an,
was praktisch bereits im Sinn der Voraussetzung (Bedingung) zu dieser Idee nicht sinnvoll war:
also hier mit der Gestalt der fallacia zusammenfällt. Es mag aber die Verlegenheit der Scholastik
ausgemacht haben, dass sie so gegen das Unmögliche sich ins Werk setzte. Das besagt wieder,
dass Autrecourt als Kritiker in der Fluchtlinie der Scholastik stehend was er angreift zugleich
auch fortsetzt und bestätigt. Autrecourt führt keine reductio ad absurdum aus.
110. Ockham hatte mit seiner Auffassung der consequentia materialis das streng Logische von
der Inhaltlichkeit getrennt. Es ist dann die Frage, wie es eingesetzt werden könne. Im Grund
nur negativ. Cf. Kap. 3.
111. Cf. Prol. Ord. q. 7 OT I p. 201 lin. 7–9.
112. Ib. p. 201 lin. 18f.
113. Ib. p. 201 lin. 20: „non scitur nisi aliqua propositione credibili.“
114. Ib. p. 199 lin. 22f.
115. Ib. p. 201 lin. 21f.
116. Cf. p. 201 lin. 22–24: „Et quando dicitur quod omne argumentum peccat in materia vel
in forma, concedo, quamvis hoc non possit sciri evidenter.“ Das bedeutet: im Sinne einer
496 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
schlussendlich wieder, dass die Erkenntnis, wie sie im actus apprehensivus anzusetzen
ist und vorzuliegen hat, empirisch womöglich nicht begründet und nicht verneint wer
den kann, womöglich aber auch bestritten: wenn nämlich die consequentia formalis
ein simpliciter falsum ergibt, das den Sinn des antecedens anficht.117
Wo eine consequentia formalis nicht besteht, ist das oder ein consequens eine
propositio falsa. Oder eine propositio simpliciter falsa. Das betrifft auch und zwar
inhaltlich die consequentia formalis selbst. Sie wird damit technisch und semantisch
reduziert und negiert sein; die consequentia formalis verbindet da nicht die inhaltli
chen Aspekte nach dem Verhältnis von substantia und accidens, diese kategoriell ver
standen. Damit reicht man zwangsläufig weit in die empirische Basis des Denkens, an
dieser selbst, hinein und zwar so, dass die Begründung der consequentia, der inferen-
tia, der implicatio selbst ein Problem wird. Das wird nicht nur von Ockham für die
Wissenschaftslehre und Begründung der Erkenntnis in der Theologie, die Rechtferti-
gung theologischer Aussagen als Erkenntnis, in Sonderheit, wenn sie dabei Folgerun
gen (Folgesätze) bedeuten müssen, behandelt, sondern auch in der Suppositionslehre,
wo elementare Momente der Begründung der Inhaltlichkeit von Sätzen auftreten. Die
Begründung der Inhaltlichkeit ist jetzt der Begründung der Schlusslehre mit ihren
Unterscheidungen in consequentia materialis, consequentia formalis und alle ande
ren Schlussformen, die Ockham als ‘consequentiae’ spezifiziert, z. B. die consequentia
naturalis118 gleich. Die Schlusslehre nimmt die scholastischen Interessen noch einmal
auf. Sie spannt sie zwischen Naturalität (alias Realität) und Abstraktion.119
Konsequenz, die unbekannt ist. Der Glaubenssatz kann rational nicht verarbeitet werden. Er
objektiviert sich nicht im Sinne unserer Einsicht oder Evidenz. Wenn die Folgerung nicht ge-
zogen werden kann, wird die significatio nicht erkannt oder: präsent sein. Dennoch wird die
Determinatheit des Satzes gewährleistet. Es gibt eben nicht die genuin logische Bestimmbarkeit
des Satzes, wiewohl noch die Suppositionslogik scheinbar sich darum bemüht. Auch sie kann
nicht die Implikation als Regulativ installieren.
117. Die consequentia formalis setzt syllogistisch Major und Minor als schon begründete vor-
aus. Das galt ja auch, wenn der Syllogismus lautet: ‘Was in eine species fällt, fällt auch in ein
genus; Socrates etc.’ Wir wissen aus Erfahrung und nach der Begriffsbildung, dass Socrates
unter die species ‘homo’ und das genus ‘animal’ fällt.
118. Die consequentia naturalis setzt an der Kontingenz an, indem die Folge (Folgerung), die
nicht begrifflich aus intensionalen Gründen (= analytisch) entwickelt werden kann, de facto
mit der nicht ausgeschlossenen Notwendigkeit gegeben sein kann muss. Sie kann auch für die
Theologie gelten, d. h. Gottes Handeln – wie es in die Welt hinaus gerichtet ist.
119. Dass die scientia exklusiv mit der notitia abstractiva zu tun hat, zeigt Ockham implizit,
wenn er Rep. IV, q. 14 OT VII p. 286 lin. 2–5 feststellt: „anima separata potest habere notitiam
intuitivam rerum et mediantibus illis notitiam abstractivam quae est generativa habitus. Igitur
potest notitiam talem habitualem mediantibus actibus illis adquirere“ und dann sagt (ib. p. 287
lin. 13 – p. 288 lin. 10): „Ne autem ista opinio (nämlich dass anima separata und anima coniunc
ta eine notitia intuitiva haben können) nova videatur, adduco verba Doctoris Subtilis (Opus
Oxon., IV, d. 45 q. 3, n. 17 Wadding X, X, 207 s.) …: ‘Dico quod in intellectu est memoria et actus
Kapitel 10. Beweis, Satz, Akt 497
Der außerempirische Bezug des Begriffs auf Gott und alle überempirischen Exi-
stenzen und Verhältnisse (Wirkmechanismen usw.) gilt (abstrakt), wo er ganz im Sin-
ne des unempirisch nicht mehr geltenden (= ausgeschlossenen) Widerspruchs erfolgt.
Dies etwa wie folgt:120 „quando agens conservans effectum est fortius in conservando
quam agens effectum contrarium in causando non potest secundum agens causare
effectum contrarium effectui conservato a primo agente. Sed Deus est agens fortis-
simum, conservans actum beatificum. Igitur quamdiu agens conservat istum actum
non potest voluntas creata elicere actum contrarium.“121 Es ist klar, dass hier eine on
tologische Aufschlüsselung und Erklärung nicht stattfinden kann. Eine solche wird
bei Ockham vielmehr im Sinne der schon genannten Regel gefiltert.122 Es ergeben sich
recordandi proprie dictus. Supposito enim quod intellectus non tantum cognoscat universa-
lia – quod quidem verum est de intellectione abstractiva de qua loquitur Philosophus, quia
sola est scientifica – sed etiam intuitive cognoscit illa quae sensus cognoscit, quia perfectior et
superior cognitiva in eodem cognoscit illud quod inferior, et etiam quod cognoscit sensationes.
Et utrumque probatur per hoc quod cognoscit propositiones contingenter veras et ex eis syllogi
zat. Formare autem propositiones et syllogizare proprium est intellectui. Illarum autem veritas
est de obiectis intuitive cognitis sub ratione scilicet existentiae sub qua cognoscuntur a sensu.
Sequitur quod in intellectu possunt inveniri omnes condiciones pertinentes ad recordari. Po-
test enim percipere tempus und habere actum post tempus et sic de ceteris.’“ Ockham kann sich
direkt auf Duns Scotus, indirekt auf Aristoteles stützen.
120. Rep. II q. 15 OT V p. 346 lin. 5–9 Die empirische Bestimmung, die der Satz und zwar in
Bezug auf die Realität (Empirie) erhält, ist hier schon in se ‘negativ’. Cf. dazu schon Kap. 1.
121. So ist der angelus bonus untadelig ‘ex sola voluntate Dei’, der ihn im actus beatificus er-
hält. Ib. lin. 10ff.
122. Dabei werden Gott und Mensch weder argumentativ noch real diskrepant. Anders H.
Blumenberg, 1966 p. 345: „Gott hat zwar die Welt nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet, aber
das muss jetzt mit dem Possessivpronomen gelesen werden (sic!): nach seinem Maß, nach den
ihm vorbehaltenen und allein auf seinen Intellekt beziehbaren Größen.“ Bezüglich Gottes Intel-
lekt gibt es für Ockham die Abstraktionen der Akte (notitiae) und die fortgesetzten persuasio-
nes und inductiones, mit denen er ‘Gott’ „erreicht“, aber nicht suam essentiam. Sie gelten auch
für den Deus ‘creator’, der kontingent die Welt, die zuvor nicht war, geschaffen hat. Ob sie nach
Gottes Intellekt notwendig war, liegt nicht in den Aussagen, die strukturbestimmt zu erörtern
sind. Wir denken ja nicht Aussagen für und von Gott in Gott. Blumenberg kehrt die Induktion
um (p. 110): „Die Gratuität der Schöpfung schließt aus, dass sich zu ihrer Struktur der Anspruch
der Angemessenheit an die Bedürfnisse der Vernunft stellen lässt.“ Ockham hat sie in Beweis
und Widerlegung konstruktiv gegeben. Auch in Gottesbeweis und Kritik der Gottesbeweise, die
Blumenberg pauschal anspricht p. 451: „Das derart Beweisbare gehört dem Weltzusammenhang
an, dem es doch, wenn der Beweis seine Systemfunktion erfüllen soll, nicht angehören darf.“ Es
ist anders: Gott ist für Ockham ‘Teil’ der Welt, wenn er (secundum argumentum!) an sie grenzt,
nicht an sich. In der conservatio (auf Akte und habitus des Menschen bezogen und auf die gan-
ze Welt) wechseln wir argumentativ zu diesem terminus exclusivus der Welt. Conservatio wird
von Ockham, wenn er mit ihrer Hilfe Gottes Existenz beweist, mit der efficientia gleichgesetzt
und so empirisch und induktiv verankert. Das Wesen der causa efficiens, die der begleitenden
498 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
hier aber zwei Konsequenzen, die mit der Feststellung, dass eine ontologische Annah
me für Ockham nur gelten kann, sonst aber als widersprüchlich (widerlegbar) ausge
schieden werden kann, wenn sie in der Weise gefiltert wird, dass die oben definierte
Regel gilt: (a) Es kann keine Zerlegung der Begriffe ‘über die bloße Satzstruktur hin-
aus’ (inhaltlich im extensionalen Sinne: unter sie hinab) geben, so dass diese subor-
dinierten Elemente komposit den Begriff, i.e. subiectum (quidditativum) oder passio
(im allgemeinen connotativum) ergäben. (b) Es gibt nicht Modalisierungen, die un-
terhalb des Satzsinnes diesen zu bezeichnen vermöchten. Das Widerspruchsprinzip
bleibt regulativ für die theologischen Aussagen, liegt aber mit dem was es sagen und
besagen kann, außerhalb der Sätze, die danach nicht bestimmt werden, also nicht als
determinat erscheinen können, und es erfasst (konstituiert) keine Wirklichkeit. Dabei
erweist sich der Übertrag des Begriffsinhalts in die Realität je als unmöglich.123
Ockham ließ eine ganz und gar wissenschaftliche Theologie hypothetisch zu.124
Aber Glauben und Wissen bleiben grundsätzlich geschieden.125 Ockham hatte auch
die hypothetische Annahme gemacht, dass Gott per potentiam suam absolutam uns
theologische Wahrheiten zugänglich mache (die damit als solche noch nicht a limi-
ne human konstituiert sein müssen, was wieder anzeigt, wie die göttliche Omnipo-
tenz anzusetzen und anzusehen ist) und da noch zusätzlich gefragt, ob sie dann nach
unseren (strukturell exponierten und kreditierten) Maßstäben126 wissenschaftliche
conservatio bedarf, die an Gott fällt, kennen wir nicht. Aus ihm und mit ihm, was wohl hieße:
für es, können wir nichts beweisen. Dass dies und zwar zugleich ununterscheidbar in einem
geschehe oder (wieder ununterscheidbar) geschehen könne, unterhält Ockham nicht.
123. Ockham betont es gegen Duns Scotus in besonderer Form cf. Kap. 1. S. a. Quaestiones
variae q. 2 OPh VIII p. 35 lin. 169–182: „secundum principia istius Doctoris (Duns Scotus),
numquam unum dicit in cognitionem alterius nisi secundum continetur virtualiter vel essen-
tialiter in primo. Sed multae sunt passiones respectivae – vel connotativae secundum alium
modum loquendi – quae dicunt respectum vel connotant aliquod ens perfectius subiecto istius
passionis. Sicut ‘esse creabile’, ‘esse producibile a principio perfecto’ sunt passiones creaturae.
Et istae nec continentur virtualiter nec essentialiter in creatura quia, secundum eum (Duns
Scotus), imperfectius nullo modo continet virtualiter nec essentialiter perfectius. Similiter ‘esse
informabile per formam substantialem’ est passio materiae, et tamen quia forma ((nach Ed.))
est perfectior ipsa materia non continetur virtualiter in ipsa materia nec essentialiter. Igitur
cognitio talium subiectorum non ducit in notitiam illarum passionum.“ Ähnliche Fragen ver-
binden sich mit der forma qualitatis und ihrem ‘Äquivalent’ hinsichtlich der Quantitäten.
124. Cf. Prol. Ord. q. 7 OT I p. 193 lin. 7–9.
125. Cf. Ib. p. 193 lin. 5–7 u. lin. 11.
126. Dabei ist daran zu erinnern, dass schon die Avigneser Zensoren gesagt hatten, dass was
Ockham unter Gebrauch des Omnipotenzprinzips begründen wolle, auch ohne es zu begrün-
den sei, so dass es überflüssig sei.
Kapitel 10. Beweis, Satz, Akt 499
Erkenntnisse sein könn(t)en.127 Er verneint das, außer im Sinn der wieder im Sinn
der Hypothese nicht ganz ausgeschlossenen (Dennoch-)Möglichkeit. Auch das ge-
schieht im Rahmen der Folge kompatibler Abstraktionen. Dabei gehen selbst hier die
Erörterungen Ockhams noch weiter; sie bewegen sich im Raum der menschlichen
Subjektivität fort, wobei unter den vielen Induktionen auch der Topos der Evidenz
eventuell in Mitleidenschaft gezogen wird, schrumpft oder geschmälert erscheint.128
Dabei zeigt er einen gewissen monolithischen Charakter: die denkende Person,
127. Cf. Prol. Ord.q. 2 OT I p. 75 lin. 9–12: „Supposito quod … per potentiam divinam multae
veritates pure theologicae possint evidenter cognosci, quaero utrum notitia evidens illarum
veritatum theologicarum sit scientia proprie dicta.“
128. Notwendigkeit wird nach Ockham im Sinne dessen was aus ihr folgte und im Bewusst-
sein, dass es folgt, mitgewusst. Cf. Prol. Ord. q. 7 OT I p. 190 lin. 9–11: „quicumque scit eviden-
ter aliquam conclusionem propter principia, scit evidenter eam sequi ex necessariis; igitur scit
evidenter illa principia esse necessaria; ergo evidenter scit illa principia.“ Das kann für induziert
gelten: es gibt ein Moment des Nichtwissens an der conclusio, die per inferentiam dann gewusst
wird. So ist die Notwendigkeit jedoch nur eine hypothetische: sie kann nicht als streng unwan
delbare angesehen werden. Das bedeutet, dass die Evidenz in Zweifel gerät. Bestimmungen
sind immer nur hypothetische, die den absoluten Status der Zeichen als Begriffe (und umge-
kehrt) als Erkenntnismittel auch im abstraktiven Sinn tangieren, nicht nur in dem der Begrün
dung der Begriffe als universalia mit einem fundamentum in re(bus), wie es der ontologische
Realismus will. Auch in einem zweiten Sinne sind die Begriffe als Zeichen also nur ‘gesetzt’.
Impositio ist – sit venia verbo! – multipliciter wörtlich zu nehmen. Hypothetische Setzung und
Geltung und Evidenz geraten dabei s. o. in eine Art Überlappung oder Interferenz. Dafür, dass
unbegründete Evidenz gelte, gibt es keine Argumente cf. Wittgenstein, Tractatus, Satz 5.5571.
Induktion nach dem bisher indizierten Induktionsschema auch die Argumentation Ockhams
ib. p. 192 lin. 1–10 (zit. lin. 4–6): „si aliquis habet amorem intensum et delectationem intensam,
bene potest dubitare an amor distinguatur realiter a delectatione, tamen certus est quod amat
et delectatur.” Es gibt zwei Akte. Ihre vermeintliche ‘Identität’ hängt übrigens von der intensio
ab, i.e. davon, dass beide Empfindungen starke sind (cf. supra lin. 3: „si ille actus est intensus!“).
Die Argumentation zeigt, dass Ockham die in der obiectio p. 191 lin. 21–24, die er beantwortet,
mitgegebene Unterscheidung von Bewusstsein und Verstandesakt insoweit nicht akzeptiert.
Denn die Argumentation, die er durchführt, bezeugt den Akt wie untrennbar von seiner Bestim
mung; sie geht auf diese Untrennbarkeit. Sie erhellt induktiv. Ein Bewusstsein oder (nach der
obiectio zu urteilen) einen Vorbehalt gegen die Identität oder Annahme des Aktes nach dem
Dafürgehaltenwerden, in welchem er ja wahrgenommen wird, gibt es nicht. Danach wird das
Argument auf credere und scire ausgedehnt. Man soll die credibilia wissen können (und dabei
wissen, dass man sie wisse). Das bedeutet immer nur ein potest esse, kein ‘est’. cf. Ockham ib.
lin. 11–20: Der Theologe kann vom actus credendi bezüglich und vermöge des darin Gemeinten
ohne Vernunftgründe zweifelnd Abstand nehmen. Denn er hat keine dafür. Er hängt damit auch
nicht wie der Denkende von stärkeren Argumenten (oder verminderter Erinnerung) ab, wenn
er am Gewussten oder Gemeinten zweifelt, oder wie Ockham auch sagt: ‘dissentit’. Ockham
hat also gegen eine obiectio eine Induktion angeführt. Diese Induktion ist nicht bindend und
endgültig. Denn credere und scire sind weiterhin verschiedene Akte, da dubitatio und Dissens
gegen sie verschieden angeführt werden können und unterschiedlich begründet sind.
500 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
vorbildartig die Ockhams, muss noch nicht, im Organ des Denkens, jene Allgemein-
heit besitzen, in der sie neben sich und in sich die aller Menschen insgesamt vertreten
könnte (wäre),129 weshalb ihr eine Verantwortlichkeit zukäme, bei der das Individuum
mit seinem Urteilsvermögen, dem des Verstandes, eine Instanz darstellen darf, weil
es insgesamt die gesellschaftliche Gesamtheit zu verkörpern und alle weitere Instan-
zen: Gefühl, Affekt, Gewissen zu integrieren und zu beaufsichtigen hat.130 Man kann
fragen, wie Gott in der Einheit von Schöpfung und Erlösung ‘realiter’ dem Ablauf
der menschheitlichen Bewusstseinsprozesse entsprochen haben mag. Sie wurden nie
in einem Verstandesakt vereint gedacht.131 Ockham vereinigt Gott und Welt, indem
129. Ockham hat bedingt in der SL eine ‘Denkschule’ verfasst, und auch sonst, etwa in den
Aristoteles-Kommentaren Hinweise zum richtigen Denken geben wollen; aber man ist damit
nicht auf der Stufe seiner eigenen Argumentation, sprich Erörterung. I. Boh, 1990 in: W. Vossen
kuhl und R. Schönberger (eds) pp. 241–255 versucht nach Ockhams Syllogistik eine pragmati-
sche Formalisierung des Wissensbegriffs. Aber schon in Ord. Prol. erscheint der Wissensbegriff
äquivokativ, wenn der Syllogismus nur einen assensus für die conclusio bewirken soll und sie
für die demonstratio potissima nicht absolut, sondern nur hypothetisch bezweifelt wird. Ock-
ham geht davon aus, dass die conclusio vor dem Vollzug des Syllogismus bekannt gewesen sein
kann. Ord. Prol. selbst hat keine Ableitungsstruktur. Die fallweise der SL zu entnehmenden
technischen Beweisformen haben inhibierende Wirkung bezüglich falscher (zu widerlegender)
Ansichten und eine indizierende, wenn Ockhams Thesen auf erdachte oder ihm gemachte
Vorbehalte, Zweifel, Einwände zu verteidigen sind. Die Logik nimmt hier keine Inhalte auf;
sie organisiert Folge oder Anordnung der Begriffe und Satztypen. In SL III-2, cc. 1–44 OP I
pp. 505–584 erörtert Ockham die Bedingungen des Syllogismus, dessen Definition ‘faciens
scire’ nach Ockham eine definitio quid nominis ist, als solche, die außerhalb seiner Struktur
liegen. Deutlich c. 1 lin. 34–46: „Omnes enim recte loquentes de demonstratione per demonstra
tionem intelligunt syllogismum compositum ex duabus praemissis necessariis notis, per quas
scitur conclusio quae aliter foret ignota, nisi forte in eodem tempore simul concurrant cum illis
praemissis aliae praemissae sufficientes ad causandum notitiam eiusdem conclusionis. Quam
vis igitur probari non possit quod demonstratio est syllogismus faciens scire, modo praeexposito,
sicut nec significatum vocabuli nec definitio exprimens quid nominis probari potest nisi per
usum loquentium, constituendum est tamen pro fundamento quod demonstratio est syllogis
mus faciens scire, super quo omnia dicenda in sequentibus fundabuntur, et per ipsum proba
buntur quando necesse erit probationem adducere.“ Für einen Syllogismus können Regeln
hinzukommen, die die Termini und Sätze dann sichern = definit oder determinat machen.
130. Es ist zu sehen, dass die Urteilskapazität eines Scholastikers gegenüber ‘Vorgängern’ indes
nur markiert sein kann, wenn sie deren Beweismodi selbst negativ darzustellen imstande sind;
wenigstens implizit muss damit zumindest eine halb-formale Komponente sichtbar sein, wie es
bei Ockham gegenüber Duns Scotus der Fall ist, gar nicht aber bei Wodham gegenüber Duns
Scotus, wenig bei diesem gegenüber Thomas von Aquin.
131. Ockham beruft sich auf Gregor den Großen, der für uns die Erkennbarkeit Gottes in
se bestritt. Ockhams eigene Beweiserörterungen zeigen, dass der Verstand in sich an einem
Begriff oder Begriffsakt arbeiten muss, der ein Äquivalent des Gottes in se wäre, ohne doch
mit dem Gott in vermeintlicher oder reeller Berührung zu sein: Gott darf nicht dem Begriff
Kapitel 10. Beweis, Satz, Akt 501
gleich sein und nicht von ihm unerreichbar. Was Ockham (Prol. Ord. q. 7 OT I p. 203 lin. 23–25)
Gregorius Magnus Super Ezechielem entnimmt, nämlich „Quantumcumque mens nostra in con
templatione Dei profecerit, non ad illud quod ipse est, sed ad aliquid quod sub ipso est attinget“,
löst er qua Distinktion und Entscheidung zwischen Bestimmungen der für Gott gebrauchten
Bezeichnungen und ihrer Komposition ein. Entsprechend tritt Ockham dann, wenn er argu-
mentativ Gottes potestas heranzieht, nicht in Gottes inseitas ein. Damit muss er dem mythi-
schen Religionsgehalt nur noch insoweit korrespondieren, wie die Argumente (und deren For-
men) gehalten und gerechtfertigt werden können. Insofern rechtfertigt er den Religionsgehalt;
d. h. er hält ihn, der keinen nachweislichen realen Fundus hat, in der Schwebe. Es gilt aber auch
für Argumentation und Erkenntnis, dass sie nur bedingt empirisch Kredit haben und darin
Ockhams Beweismethoden legitimieren. Bei allem entfällt der Widerspruchssatz als Regulativ
und Kreditiv. Doch dem protervus, der in Religionsdingen Ontologie sei es in Dienst nehmen
sei es deavouieren will, hält Ockham ein ‘non liquet’ entgegen.
132. Beispiel: potentia (im Aristotelischen Bezug zu actus) bedeutet für die divisibilia des con-
tinuum reine Gedachtheit. Sie begrenzt darin die Aktualität und suspendiert die Aktualunend
lichkeit. Cf. Quaestiones variae, q. 3 OT VIII p. 78 lin. 321–328. Danach liegt der Widerspruch,
auch für Gott, außerhalb der Welt. Das Unmögliche ist ein solches per se, indem es im Sinne
der actus nicht möglich ist, i.e. förmlich nicht realisiert werden kann. Es wird per argumentum
die Definitheit gesichert und die Indefinitheit quasi ‘negativ’ erreicht.
133. Nach S. Moser, 1932 ist Ockham hinter Aristoteles zurückgeblieben, während er zugleich
nichtssagend bleibe, indem er lediglich mit dem Wortlaut des Thomas von Aquin übereinstim-
me.
134. Hier s. die Arbeiten von A. Maier und A. Goddu.
502 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
toren und deplaziert für Ockham.135 Ingeniöse Argumentation allein trägt hier die
spezifische Bedeutung aller Äußerungen.136
Zwei Dinge gelten da bei Ockham: Erkenntnis, alias Sätze, soll nicht Erkenntnis
‘umfassen’ müssen. D. h. es soll nicht etwas derart Erkenntnis oder Akt sein müssen,
dass es eine andere, von ihm verschiedene Erkenntnis (einen anderen Akt) de facto
enthalten, umfassen oder per Folgerung aus sich entlassen können müsste.137 Zum
anderen ist Erkenntnis so geregelt, dass was im Sinne eines Verhältnisses von forma
und materia für (das von) subiectum und praedicatum im Satz gilt (gelten soll) auch
die Verhältnisse der Sätze untereinander, also die gesamte Logik in sich enthält und
regelt. Dies bezeugt die SL. Sie ersetzt also nicht die Ontologie und sie enthält nicht
135. Duns Scotus sichert dem Denken ontische Vorverständnisse bei L. Honnefelder, in:
W. Vossenkuhl und R. Schönberger (eds), 1990 pp. 369–382. Der Aufsatz ist kein Beitrag zu
Ockham. Honnefelders Meinungen zu Ockham trägt vor G. Leibold ib. pp. 123–127 Ockham
soll praktisch indiscernibel den Scotischen Begriff ‘ens’ als zentrales Lehrstück festgehalten
haben. Nur: Ockham sichert den Begriff ‘ens’ erst vermöge einer persuasio inklusive einer In-
duktion (cf. SL I c. 38 OP I p. 106f lin. 11–32), wobei er noch nicht zur sachlichen Eindeutigkeit
dieses Begriffs gelangt (cf. ib. lin. 33–36 und dies weiter ausgeführt: ib. lin. 38–69). Die Qualität
des ‘nur’ per persuasionem „gesetzten“ ens besagt weder Realität noch an der Realität abgele
sene abstrakte (abstrahierte) ‘feste’ Begrifflichkeit. Das entspricht au fond der persuasio. Durch
den Filter ontologischer Begriffe (per se, accidens, potentia, actus) hindurchgeführt, wird ens
intentionell gebraucht und ist primum obiectum praedicationis, nicht primum obiectum co-
gnitionis. Dass es das sei, bestritt Ockham entschieden gegen Scotus.
136. Duns Scotus sagt, wenn wir nicht die notitia intuitiva hätten, könnten wir innere Daten
und die Seele nicht erkennen. Cf. S. Day, 1947 p. 124 Das ist eine petitio principii; wir wissen
(noch) nicht, ob wir die notitia intuitiva haben. Ockham dagegen postuliert: wir haben die no-
titia intuitiva. Denn wir können intramentale Akte erkennen. Die notitia intuitiva begründet
sich noch nicht an und mit der Wahrnehmung äußerer Gegenstände qua Gewissheit und Ge
wissheit ihrer selbst. Sie ‘gibt’ es nicht; sie ist nicht begründbar. Ockham bekräftigt die notitia
intuitiva induktiv anhand der intelligibilia. Er begründet sie mittels argumentativer Ausweitung
ihres Gebrauchs. Cf. Ord. Prol. q. 1 OT I p. lin 17 – p. 47 lin. 16. Insbes. p. 44 lin. 2–5: „inter
omnes veritates contingentes istae de mere intelligibilis sunt evidentiores, et per consequens
non praesupponunt aliquas alias ex quibus cognoscantur.“ Cf. auch p. 43 lin. 11–13. Er spricht
im Bezug auf seine These mit Zitierung des Duns Scotus über diesen ib. ab p. 44 lin. 7. Cf. auch
Rep. IV q. OT VII p. 287 lin. 13 – p. 288 lin. 10 (Anm. 112).
137. Wir kehren so zu einer immediaten unverzweigten Erkenntnis zurück, wie sie vielleicht
Quine vertrat und als Nominalismus ausgab. Cf. dazu auch M. McCord Adams, 1990 pp. 3–24
insbes. p. 20 Anm. 8.
Kapitel 10. Beweis, Satz, Akt 503
mit der forma einen Fremdkörper.138 Zugleich bezeichnet forma den Maßstab der
Erkenntnis.139 Darin erkennt der Begriff bedingt nicht.140
Der Nominalismus behauptet nicht Erkenntnis der res in se und keine Anerkennt
nis der species als Ausdruck apriorisch verstandener Allgemeinheit. Die ontologischen
Begriffe wurden umgekehrt induktiv empirisch korrigiert, um theologisch fungibel zu
sein. Species wie forma konnten in Widerlegungen (im Widerlegungssinn) als Erwei-
terungen von Subjekttermen in einfachen Sätzen gebraucht werden, also als Ausdruck
der relatio einer essentia; so werden sie von Ockham reprobiert, wenn nicht refutiert,
oder salviert.141 Es geschieht in Bezug auf kontingente (elementare) Sätze, ja unter de-
138. Das eine glaubte H. Blumenberg, 1966, das zweite L.-M. de Rijk. Cf. Anm. 55 o.
139. Für Ockham treten zwischen den Dingen und dies auch für die abstrakten reflexiven Be-
griffe, die dadurch definiert und legitimiert werden, keine Verhältnisse ein oder auf, die dann
auf die Begriffe zurückwirken könnten; indem dies gerade nicht der Fall ist, werden innerhalb
der Abstraktion Modifikationen möglich, mit denen die primären Weltverhältnisse verlassen
werden können und die einfach nur mit der Erfahrung kompatibel sind und ihr weder wider-
sprechen noch im Sinne eines Gemeinsamen, aus dem sie folgen könnten, konsequent sind; so
wird denn von Ockham bezüglich und vermittelst seiner Lösungen keine Weltanschauung aus-
gedrückt, keine Modifikation, die als Alteration oder Aberration in der Weltansicht verstanden,
verteidigt oder angegriffen werden könnte. Will man das, kommt man zu Statuierungen wie
denen von einer Ontologie Ockhams, seiner Relationentheorie usw. (G. White, Ockham and
Wittgenstein, in: W. Vossenkuhl und R. Schönberger (eds), 1990 pp. 165–188, insbes. auch die
Notes ab p. 180). So wird etwa die causa nicht ohne den effectus erkannt, den sie hervorbringt,
also auch der effectus nicht als Folge oder ihr Derivat, obwohl man sagen können müsste, dass
wenn die causa als causa unius effectus mit diesem zusammen erkannt wird (und nur so er-
kannt werden kann), auch dieses innere Verhältnis, die Relation darin erkannt und mitenthal-
ten sein können (als mitenthalten erkannt werden können) müsste. Da sie aber nicht erkannt
wird, ist sie nicht. Und sie ist als nicht enthalten nicht als accidens wahrnehmbar. Kausalität
sieht man induktiv über die approximatio (praesentia) agentis gegenüber dem effectus als ab
solutus in passo herbeigeführt. Nicht mittels eines respectus. Cf. Ord. d. 30 q. 2 OT IV p. 322
lin. 4–19. Ebenso treten forma und materia aneinander – sie haben keinen Zwischenraum und
können als voneinander getrennt am selben Ort seiend gedacht werden. Wie die albedo über
den ganzen Körper verteilt im Sinn einer extensio ihre Teile nebeneinander habe, gelte: ‘non
est inconveniens duo corpora esse simul’ (nach Expositio Physicorum IV c. 9, t. 47 (212b 22–27),
OP V, p. 106) Die Verschiebungen, die wir in einen abstrakten und imaginär-transzendenten
Raum hinein vornehmen können, koinzidieren mit einem eigentlich illusionären Charakter
der menschlichen Begriffe. Die Abstraktion nimmt in der Physik die Begriffe hinweg; an der
empirischen Realität hält sie fest. Sie kann ihr aber keine Relationen entnehmen. Noch für den
transzendenten Bereich Gottes fasst sie sie neu, indem sie empirische Widersprüche – u. a.
suppositionslogisch – beseitigt.
140. Es gibt ihn nicht unbedingt. Suppositio simplex verdrängt suppositio formalis (ältere
Suppositionslogik).
141. Der Widerspruchssatz selbst verliert bei Ockham immer auch seine signifikative Be-
deutung oder Funktion, wenn er die distinctio realis nicht wahrgenommen werden kann, was
504 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
beweist, dass er durch sie ersetzt worden ist. cf. die Beispiele in Kap. 12: Verflechtung und
Abgrenzung der Akte.
142. Rep. II, q. 12–13 OT V p. 309 lin. 14–21: „dico quod anima est quodammodo omnia per
cognitionem omnium. Nam per cognitionem sensitivam est omnia sensibilia et per cognitio-
nem intellectivam omnia intelligibilia. Et utraque cognitio est ita perfecta similitudo obiecti et
perfectior quam species. Sed differentia est in hoc quod sensus non est omnia sensibilia nisi
per cognitionem actualem, sed intellectus est omnia intelligibilia per cognitionem actualem et
habitualem. Unde habitus ita perfecte est similitudo rei sicut species vel actus.“
143. Etwa wenn um aus einem kontingenten Satz ‘haec herba sanat’ einen syllogistisch bewei-
stauglichen zu machen, ein Prinzip eingeführt werden muss, das auf der Basis strikt singulärer
Einsichten, sc. dass das Kraut einmal und öfter oder immer wieder wirksam gewesen sei, die
Generalisierung und Abstraktion ausdrückt, nämlich dass dieses Kraut specie specialissima
verstanden (‘gedacht’) immer, i.e. definit, solche Wirkung hervorzubringen vermöge. Cf. Prol.
Ord. q. 2 OT I p. 90 lin. 20 – p. 91 lin. 4.
144. Die Induktion, die dann bei Ockham mittels der akzentuierten und eben auch bestritte-
nen oder negierten, vermöge der Dif ferenzierung von consequentiae statthat, bezieht sich auf
keinen umrissenen Sachverhalt, wohl aber auf einen unbestimmt für real gehaltenen; hier, in
diesem Bezug, muss das Motiv Ockhams gesehen werden, nicht in der Logik, bzw. der Handha-
bung der consequentiae. Wir erreichen keine Identifizierung des Inhalts oder des implizit Ma-
teriellen nach der Intention auf einen Gegenstand extra mentem, wir schließen ihn gewöhnlich
bei Ockham methodisch aus. Auch die modale Qualität einer propositio wird so gesehen.
145. Wir haben mit forma ein Komplement zum nicht mit Inhalt deckungsgleichen Begriff, zu
gleich aber einen Bezug auf die Aktlehre. Diese lässt Bestimmungen und Bezüge qua forma zu
und kann so direkt empirischen und kausalen Relevanzen (Genesen) per abstractionem oder
persuasiv entwunden werden. cf. Ord. Prol. q. 1 OT I p. 61 lin. 3–17: für notitia intuitiva und no-
titia abstractiva gilt „quod seipsis distinguuntur formaliter, causaliter tamen distinguuntur a suis
causis essentialibus a quibus habent esse.“ Darüber erhebt sich ein abstrakter Begriffsaspekt,
der per persuasionem unter Berufung auf Gottes Allmacht über ein modifiziertes Kausalprinzip
Kapitel 10. Beweis, Satz, Akt 505
(„ab eadem causa simpliciter possunt fieri plura“) ‘bestätigt’ wird, ohne dass realempirisch be
gründet ein Widerspruch bestünde: „Non est inconveniens quod idem agens totaliter illimitatum
simpliciter vel secundum quid producat in eodem passo effectus specifice (= begrifflich) distinc-
tos.“ Nach Ockham ‘schließt’ das rein empirische „kausale“ Argument nicht – quoad ‘causam’.
Die für die empirische Kausalität relevante Induktion besteht ‘logice’ fort.
kapitel 11
Wenn der Scholastiker sich auf die Empirie bezieht, kann er nicht hoffen, dass er
damit schon logisch im Sinne einer mittels und in der Logik begründbaren oder mit
ihr, wie immer fundiert und ausgedrückt, sich ergebenden Ordnung über eine allge-
meine Einsicht verfüge. Er muss sie so beanspruchen oder suchen, dass er für theo-
logische Einsichten ‘Allgemeinheit’ und ‘Notwendigkeit’ nicht ausschließen darf, weil
sonst die theologische Wahrheit a limine widernatürlich sich ausnehmen (können)
müsste. Dabei ist die Ontologie früh herangezogen und abgelehnt worden, z. B. von
Abailard. Doch wenn er sagt: „Si quis autem ad subiectum constructionis respiciat,
secundum ipsum nec universales nec particulares nec indefinitas nec singulares hu
iusmodi enuntiationes iudicabit, quippe subiectum constructionis nec universaliter
nec particulariter enuntiatur. Sed nec indefinitam facit propositionem quae particula
rem non habet aequipollentem, nec singularem facit cum ipsum vox singularis non
sit“, ist das Verhältnis von Begriffsinhalt und Logik (Folgerung) noch nicht ausge-
drückt worden. Es dürfte für ihn nur nicht nach der realistischen Universalienlehre
. Damit wird alles direkt theologische Beweisen oder Erörtern problematisch. Anselms Be-
weismethode (sein Beweisverständnis) ist dabei unklar, also strittig. K. Barth, Fides quaerens in
tellectum, ³1966 p. 13 betont, Anselm sei es mehr um das intelligere denn das probare gegangen,
Beweisen vielmehr ein mit dem abgeschlossenen intelligere (Verstehen, Einsehen) zugleich
auftretender Effekt. Das hätte aber zu bedeuten, dass zwei sachliche oder begriffliche Posten
logisch (deduktiv) sich miteinander verknüpfen ließen, und dass damit die Einsicht verbunden
wäre. Sie müsste also im Beweisen selbst liegen (bestehen). Wir müssten dann immer noch
fragen, wie die Begriffe abstrakt und auf Gott zutreffend ihre empirische Provenienz haben
(wahren) könnten. Hier sieht man, was Ockhams Konzept wahrhaft geleistet hat und dass es
auf latente Fragen geantwortet haben mag. Zur Logik, deren Exzellenz (Leistung) und früh
scholastische Gemeinreferenz zu jeder sozietär empirischen Technik, die De Rijk hervorhebt,
kommt die Begründung des Logischen selbst und überhaupt. Sie gilt pragmatisch und nicht
semantisch. Soll sie bloß semantisch gelten, so wird sie an jedes andere Begründungsproblem
zurückgespielt, z. B. die Ontologie, eventuell an alle denkbaren und sie bunt gemixt. Die po
lemische und apologetische Note, die Barth bei Anselm sieht, verweist freilich eher auf ein
‘Überreden’. Es fragt sich, wie darin der Inhalt präsent und konstitutiv ist.
. Glossae super Peri Hermeneias, ed. K. Jacobi u. C. Strub Corpus christianorum, Continuatio
Mediaevalis 206, 2010, cap. 12 Nr. 13 p. 397 lin. 168 – p. 398 lin. 174.
508 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
interpretiert werden. Doch müssen und können wir scholastisch wahrscheinlich mit
Begriffen handeln. Nur wissen wir dann noch nicht, was der Begriffsgehalt in Ver-
schiedenheit vom Begriff ist und was der Begriff bei einer solchen Distinktion sein
kann; was für ihn bleibt, wenn es sie gibt.
Ockham hat, wenn er die Synthesis (der Begriffe in Bezug auf einen Zusammen-
hang, den sie gemeinschaftlich ausdrücken und aussprechen sollen) argumentativ
anstrebt und erreicht, den Zusammenhang nicht in einen der Bestandteile, etwa das
subiectum, legen können. Es gibt vielmehr die Negation dieses Elements, seiner ratio,
mit der Ockham den Zusammenhang dann pro forma, auf der reflexiven Ebene, er-
reicht. Das besagt das induktive Verfahren, das Abstraktion und Empirie ‘vereinigt’.
Es wird dabei klar, dass bei Ockham die persuasiven Argumente oder Beweisführun-
gen analytische ‘ersetzen’ und selbst „synthetisch“ fungieren. Ockham hat sogar in
diesem Sinn theologische Wahrheiten, die per se zum Heil notwendige sein sollten,
angenommen; d. h. er formuliert sie neu und denkt sie damit unabhängig von der
Frömmigkeit, die somit auch nicht heilsnotwendig diese Wahrheiten annimmt, die
sie ja ohne rationale Anstrengung gar nicht kennt. In bestimmtem Sinn werden die
. Damit scheint bereits Abailards Nominalismus festgeschrieben zu sein. cf. W. & M. Kneale,
1966 p. 200: „Esse autem hominem non est homo nec res aliqua.“ Die „singuli homines“ kom-
men darin überein, dass sie Menschen sind, aber nicht in einer ontologischen Qualität.
. Nehmen wir einmal an, Ockham habe diese Frage aufgegriffen und im Rahmen seiner
Möglichkeiten, d. h. qua Beschränkung auf die Argumentation, in der er einzig dargeboten, be-
wahrt und diskutiert werden kann, in forma theoretisch behandelt, wird die Frage nach seinem
persönlichem und geschichtlichen Motiv unbeantwortbar sein.
. Die ‘Logik’ erreicht damit nicht mehr ‘Inhalte’ und drückt Wahrheit für sie nicht mehr aus.
Cf. u. Anm. 43.
. Die Synthesis muss dabei im Sinne der einzelnen Wahrheiten, die korrigierte Heilslehren
(Dogmen) sind, reduktiv den abstrakten Teil gegen den empirischen absetzen, i.e. einen Schnitt
lancieren. Mit diesem werden (die) Folgerungen abgeschnitten, die, gleichsam auch im Sinn
des medium extrinsecum, das Dogma nicht ausmachen und abgeben können sollen, sondern
eine ungereinigte empirische Auffassung darzustellen hätten. Der Schnitt kappt also Folgerun-
gen, die im Sinne damit nur fälschlich verbindbarer Inhalte entfallen können müssen. Die Fol
gerung wird Teil der fallacia bzw. des denkbarerweise widerlegbaren consequens. Bis in die
Struktur und Auflösung der fallaciae hinein wird der Unterschied von substantia und accidens
wirksam. Dessen grundlegende Bedeutung für Ockham betonte E. A. Moody, 1935. Er sah da
Ockhams entschiedenen Aristotelismus gegeben. Die Unterscheidung gilt für die Erörterungen
in der Naturphilosophie und in der Theologie. Hier bedeutet die Duplizität von forma und
akzidentell bestimmter Veränderlichkeit und eben Unbestimmtheit bei physischen Vorgängen
und führt darin zur Beweisform der persuasio, um den Begriffsgehalt festzustellen und eben
bezüglich einer gewissen Einheitlichkeit zu klären, was dann entsprechend der Abstraktion
gleichkommt.
. Es gibt somit eine Differenz zu Luther, der jedoch den Glauben als eine Art funktionel-
les Vermögen an die Stelle der rational bestimmten Erkenntnis von dogmatischen Wahrheiten
Kapitel 11. Abstraktion und scholastischer Beweiszweck 509
Dogmen somit neu oder erst geschaffen und können damit gar nicht ohne Paradoxie
als Dogmen angesehen werden. Das hat aber vor allem eine Konsequenz: Der Aus-
druck, der sie enthält, muss oberhalb einer Linie der Grundrationalität angesiedelt
sein, wobei er deren Oberlinie verkörpert und im Rahmen der Beweisführungen,
also Argumentationen Ockhams, diese direkt definiert; es kann infolgedessen eine
logische Vermittlung und Vereinbarung zwischen diesen beiden Linien nicht geben,
was wiederum zu bedeuten hat, dass es die Induktion ist, die alle Positionen, sowohl
inhaltlich wie formal zu schaffen, sie zu bedingen hat. Dabei geht es oft nur um Wort-
oder Begriffserklärungen, ohne dass doch die Struktur des Argumentierens, die alles
unterhält und trägt, geändert würde. Indessen wird dort, wo es um die Aussagen der
Kirchenlehre und der Hl. Schrift im strengsten Sinne geht, oft die reprobatio eintre-
ten, um deren Ausdruck oder Auslegung von prekären ontologischen Beimengungen
und Zusätzen zu befreien, die einmal selbst nicht begründet werden können, zum
anderen aber den Gehalt der theologischen Aussagen per determinationem zu ent-
stellen hätten.
Hier haben natürlich Zweinaturenlehre und Trinitätslehre einen ähnlichen An-
schein, bei dem sie in etwa ineinander überzugehen haben. Innerhalb der Behand-
lung der zweiten sagt Ockham: „Sed possibile est primo naturam non esse unitam
et postea unitam vel e converso sine omni motu locali, ergo oportet quod sit pro-
ductio alicuius novi vel destructio, cum transitio temporis non sufficit, sed manife-
stum est, quod nullum absolutum oportet produci nec corrumpi.“ Damit gehen wir
aber zu einer übernatürlichen Erklärung über, für die wir das Widerspruchsmoment
‘ausschalten’. Der ‘Widerspruch’ soll entfallen, nachdem das Widerspruchsmoment
‘ersetzt’ wurde; wir müssten, um mit ihm operieren zu können, legitime Realitätsmo
mente haben. Diese gibt es aber nicht; so wird ein Argument de possibili möglich,
das aber keine de facto Realität meinen kann; denn für diese müssten wir einen von
vornherein unangängigen Argumentationsmodus aufrechterhalten können. Ockham
geht von menschlichen Bedingungen aus. Z. B. bei der spiratio, wobei der Begriff mit
seiner abstrakten Verwendung dann zu klären ist. Das ist offenbar nicht immer
gesetzt hat. Wo Ockham „ratio“ ‘sagt’, sagt Luther „fides“. Luther sagt zu Gal. 4,6: „Atque haec
est ratio, cur nostra Theologia certa sit: Quia rapit nos a nobis et ponit nos extra nos, ut non
nitamur viribus, conscientia, sensu, persona, operibus nostris, sed eo nitamur, quod est extra
nos, hoc est, promissione et veritate Dei, quae fallere non potest.“ Cf. Vorl. über den Galater
brief (Druck 1535), WA 40/I, 589, 25–28, nach G. Sauter, Einführung in die Eschatologie, 1995.
p. 173 Anm. 14. Gott täuscht für Luther wie für Descartes nicht hinsichtlich der Wahrheit, die
wir also erkennen.
. K. Bannach, 1975 p. 211 stellt fest, die Zweinaturenlehre mache für Ockham ähnliche
Unterscheidungen nötig oder möglich bzw. annehmenswert wie die Trinitätslehre. Die Bewei-
se haben in der Trinitätslehre mit Worterklärungen zu tun; die Zweinaturenlehre aber muss
kausalempirische Implikationen haben.
. Bannach, ib. Anm. 546.
510 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Das wird zwar secundum legem communem nicht angenommen: „quamvis (W 1495
besser als Ed. quod) naturaliter non posset esse“, doch muss es dem abstrakten Ge-
brauch des Omnipotenzprinzips, den man auch hier ersieht, nicht widerstreiten: non
repugnaret (sic!) = es ist nicht inkompatibel; es würde nicht inkompatibel sein. Folg-
lich: „non tamen non repugnaret divinae potentiae aliter facere.“ Es ist mit der schon
bestehenden Abstraktion eine Erweiterung nicht unvereinbar.
Ockham diskreditiert scholastische Mittel und definiert an der Stelle salvieren
de Formen. Nach der Meinung seiner Zeitgenossen konnte er damit wahrscheinlich
nichts für die Theologie tun. Er griff in der Folge philosophische Lehren an, z. B.
Aristoteles: Gott kann die Materie nur „zerstören“, indem er ihr eine forma nimmt
oder gibt; eine Zerstörung durch die Materie selbst sei falsch gedacht de virtute sermo-
nis sagt Ockham;15 sie kann überhaupt nur „secundum quid“ gedacht werden, „quia
per potentiam divinam potest ista materia pati ab alia forma inducenda (die Gott
ihr gäbe) et haec forma potest corrumpi simpliciter.“ Die forma steht der potentia
divina absoluta nahe und war so immer im Rang der Abstraktion mit der göttlichen
Omnipotenz verbunden worden. Die Zerstörung der Materie in ihr selbst ist eine ak
zidentelle Konsequenz des Zerstörungsakts, bei dem ihr die forma genommen oder
ausgetauscht wird. Sie wird nicht in sich selbst dabei gedacht und enthält kein Forma
tiv, das dem Widerspruch widerstünde (ihn ausschlösse).16 Wir sind so auch auf der
Stufe elementarer (kontingenter) Sätze, für die das ‘falsum de virtute sermonis’ oder
das ‘secundum quid’ einsichtig wird. Für nicht kontingente Sätze könnte das Problem
gar nicht entstehen oder definiert werden; wir müssen also mit Ockham eine kontin-
gente Welt haben: eine, die in kontingenten elementaren Sätzen ausgesprochen und
wiedergegeben wird. In dieser können wir induzieren um zu Bedeutungen für Relati-
onstermini zu gelangen, die die kontingenten Sätze und was in ihnen behauptet wird,
für ihre Begriffe, überfassen. Es sind die Begriffe der kontingenten Sätze, in denen die
empirische Gegenstandswelt thematisiert wird, der wir die Begriffe der kontingenten
Sätze verdanken, die darin als nomina auftreten. Ockham setzt17 das ‘non includeret
possibile“, nur in dem Sinne hypothetisch gelten, dass sie auch dann die Gleichheit (Identität)
göttlicher und menschlicher Einwirkung auf die materia einschlösse. Eine Induktion. Aus der
Widerspruchsfreiheit der Welt könnte auf die Widerspruchsfreiheit einer anderen, i.e. weiteren
oder Folgewelt immer nur induktiv geschlossen werden, sonst hätten wir für unsere Welt und
von ihr keine Begriffe.
18. Rep. II, q. 18 OT V p. 404 lin. 4–6.
19. Ockham kehrt danach zur Einheit des Begriffs der materia zurück, die er induktiv herge-
stellt hat. Praktisch-empirisch setzt er sie nicht (cf. p. 404 lin. 6–9): „Nunc autem non apparet
necessitas ponendi materiam alterius rationis hic et ibi, quia omnis quae possunt salvari per
diversitatem materiae secundum rationem possunt aeque bene vel melius salvari secundum
identitatem rationis.“
20. Ockham hält Aristoteles’ These der materia informata anima intellectiva (mit einer ande-
ren materia!) für naturaliter beweisbar, i.e. beweisbar qua Omnipotenzprinzip (sic!) und so
contra Aristotelem (!), nimmt aber nach den Kirchenvätern und dem Ökonomieprinzip von der
These Abstand (p. 404 lin. 13 – p. 405 lin. 3).
21. Nach W. Pannenberg, 1954 p. 136 stand die „Unterscheidung zwischen potentia absoluta
und ordinata für die Auflösung des aristotelischen Systems der Hochscholastik mit seiner not
wendigen Zuordnung von Materie und Form.“ Ockham korrigiert diese Zuordnung nur und
sucht unter Anwendung des Omnipotenzprinzips Naturerkenntnis, die einen hypothetischen
und aporetischen Charakter erhält. Das hat mit den relationalen oder ontologischen Begriffen
zu tun, die, wenn sie im Verhältnis zueinander stehen, nicht ineinander aufgehen können. Die-
ses Dilemma begründet sowohl den Nominalismus wie alle Wissenschaft.
Kapitel 11. Abstraktion und scholastischer Beweiszweck 513
Verstandeserkenntnis bei Leibniz und Descartes, welche alle der Neuzeit angehören22
und die faktisch empirische Abstützung für sich selbst nicht verlangen. Bzw. auch
Faktum und Empirie gerade aus sich entlassen, wie es der neuzeitlichen Methoden-
auffassung dann ja entspricht.23 Darauf aber, dass diese Rationalität des Dogmas oft
erst per persuasionem hergestellt werden kann, ja nach einer strengeren Form der
Rationalität, wenn man sie denn annehmen will, gar nicht bestehen könnte und exi-
stieren darf, ist hinzuweisen; in eben diesem Sinn muss die persuasio ihrer Formation
und Geltung nach, also so wie sie eingesetzt wird, als jene Argumentationsart erschei-
nen, die das gerade geschilderte Dilemma heilt.24 Der Begriff fides freilich wird bei
Ockham sehr allgemein gebraucht:25 „sicut potest haberi fides de rebus supranatura-
libus: ita potest fides haberi de rebus particularibus prius sensatis et postea remotis:
et tunc rerum et particularium absentium, quae prius a sensu videbantur, est fides:
ergo illa tunc tantum cognoscuntur abstractive, et fides intuitive.“ Dass ‘ich’ eine fides
habe, weiß ich „intuitive“, was sie enthält oder ausmacht, „tantum abstractive“; ich
weiß also nicht etwas inhaltlich in se, von dem ich auch wüsste, dass es ist. Gleich-
wohl weiß ich, dass ich es weiß. Ich habe also über beide notitiae oder actus hinweg
die Definitheit abstrakt gesichert, d. i. unwidersprechbar, aber nicht als solche in sich
erreichbar oder auskultierbar. Sie wird nicht inhaltlich erforscht.26
Dasselbe Problem kann auch noch anders angesehen werden: Es können nicht
notwendig einerlei Termini für die beiden Bereiche der Welt und der überweltlichen
Gottheit gebraucht werden, und genau in diesem Sinn wäre ja die Synthesis der
Termini nicht geglückt. Anders: an der Stelle einer Argumentation müsste es die
22. Nach H. Blumenberg, 1965 und 1966 sind Luther und Descartes nicht neuzeitlich Moderne;
ihnen werden regressiv mittelalterliche Haltungen zugeordnet. Menschenwürde und Persona-
lität folgten da einem ranking.
23. Descartes gesteht zu, dass auch bei seiner Deduktion nach seiner Methode der im einzelnen
evidenten Schritte, die die Erkenntnis sichern und legitimieren und vor der Phantasiespekula
tion bewahren soll, am empirischen ‘Faktum’ sichtbar werdende Fehler enthalten könne. S.
seine Regulae ad directionem ingenii, gedruckt 1704.
24. Sie muss danach als analytisch und synthetisch zugleich gewertet werden.
25. Cf. Prol. Ord. q. 1 OT I p. 41 lin. 20–23.
26. Hier wird die intellectio in se nie bestimmt werden können. Wenn Ockham (Ord. d. 2. q. 8
OT II Utrum universale univocum sit aliquid reale exsistens alicubi subiective p. 273 lin. 19–22)
bei der Bestimmung der Verstandesakte, nicht nur des Begriffs, sondern auch der „propositio
nes, syllogismi et huiusmodi, de quibus est logica“, sagt „non habent esse subiectivum, igitur
tantum habent esse obiectivum, ita quod eorum esse est eorum cognosci“, bleibt der auf sie
gerichtete actus intelligendi frei. Ockham schließt nochmals und bekräftigt: „igitur sunt talia
entia habentia tantum esse obiectivum.“ Wir lernen die intellectio weder als einzelnen konzen
trierten Akt noch ‘in’ einem solchen und schließlich auch nicht für das Vermögen kennen.
514 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Synthesis der Termini geben;27 folglich übernimmt die Argumentation die Synthesis,
was dann generell für Ockham gilt und von uns zu beweisen war.28 Es „gibt“ letztlich
27. Wir müssen, wie Ockham deutlich sagt, diejenigen termini, auch conceptus, nehmen, die
wir de facto pro statu isto haben, also von ihnen ausgehen. Wir müssten andernfalls Annah
men machen, die widerlegbar wären. Daraus folgt, dass wir de facto induzieren können oder
müssen. Wir haben quasi fiktive Erfahrungen zum Grunde. Sie betreffen mentale oder inten
sionale Fakten, die in sich nicht völlig qualifizierbar sind. Damit stehen sie an der Stelle von
Widerspruch oder Widerspruchsprinzip. Diese würden in Ableitungen wirksam, die wir eben
nicht ausführen. Wir können termini im supramundanen Gebrauch weder einschränken noch
erweitern, wenn wir sie konsistent, ohne Gegenbeispiele, unwiderlegt sehen wollen. Wenn wir
eine Widerlegung haben, sind wir an der Implikation (consequentia) gescheitert, die wir ja den
Begriffen vorab nicht zuteilen wollten. Denn wir hatten ja im supramundanen Bereich in der
theologischen Verwendung der conceptus oder termini den Begriff unbeschränkt sinnvoll ange
setzt; denn wollten wir den terminus vorab begrenzen, müssten wir es im Sinn einer Implikati
on tun, nach der er als besonders oder kommun sinnvoll gebraucht erschiene. Also können wir
ihn auch nicht eigens supramundan erweitern oder begrenzen wollen.
28. Dabei zeigen sich Weiterungen bezüglich des Begriffs als bloße Folgeanordnungen, mit de
nen eine relatio auf diverse Fälle bezogen wird, indes nicht mit einer inhaltlichen Bestimmung
über diese Fälle, wodurch sie ja denn auch festgelegt wären. Das bedeutet (= setzt voraus), dass
Ockham mit der relatio den in sich negativen akzidentellen Gehalt verbindet, der infolgedessen
auch nicht auf empirische Kausalität zurückgeführt werden kann und nicht sachlich erfüllt sein
muss; zum Beleg siehe etwa (Rep. II q. 4–5 OT V p. 75 lin. 18–22): „si dicas, quod conservare et
creare differunt, dico quod quantum ad nomen positivum non differunt: sed quantum ad nega
tiones connotatas, quia ‘creare’ connotat negationem immediate praecedentem esse, ‘conserva
re’ connotat negationem interruptionis esse.“ Und (ib. q. 12–13 p. 260 lin. 22–25): „et sic potest
aliquo modo concedi quod per cognitionem naturalem intuitivam iudico rem esse quando est,
et non esse quando non est: quia per cognitionem naturaliter causatam: licet supernaturaliter
conservatam.“ Der natürliche Weltgehalt wird mit der übernatürlichen Bewahrung der notitia
intuitiva überschritten (ib. p. 259 lin. 21 – p. 260 lin. 1): „nec conservatur naturaliter nisi obiecto
praesente et existente. Ideo ista cognitio intuitiva corrumpitur per absentiam obiecti. Et posito
quod maneat post corruptionem obiecti, (W 1495: oportet quod) tunc est supernaturalis quan
tum ad conservationem licet non quantum ad causationem.“ Ockham analysiert Bedingungs-
verhältnisse – als faktische. Dabei werden Stellenwerte angegeben und somit denn auch Grö-
ßen bewahrt, etwa die notitia intuitiva für die Engel und von psychischen Realitäten (ib. q. 16
p. 376 lin. 24 – p. 377 lin. 4): „ex istis patet quod angelus bonus et malus, si Deus secum coagat,
potest intuitive videre cogitationes et affectiones nostras et omnes actus interiores et exteriores,
quia non minus sunt interiores proportionati vel non proportionati intellectui angelico quam
exteriores.“ Und (ib. p. 377 lin. 7–10): „Sed potentiae intellectivae angelorum (sunt eiusdem ra-
tionis) inter se et intellectiva nostra quantum ad modum cognoscendi est eiusdem rationis cum
intellectiva angelorum.“ So denn auch die Erkenntnis der fides intra nos (Prol. Ord. q. 1 OT I
p. 41 lin. 24 – p. 42 lin. 7): „Item (W 1495 Idem = Augustinus) probat primo quod fides non per
tinet ad aliquem sensum corporis: et post sequitur: ‘cordis est res illa. non corporis nec foris est
a nobis: sed in intimis nobis (W 1495 intra nos); nec eam quisque (W 1495: unusquisque) videt
in alio: sed unusquisque in semetipso’ Et sequitur: ‘Suam igitur quisque fidem apud seipsum
videt, in altero autem credit eam esse, non videt.’ (W 1495: Et sequitur sententialiter quisquam
Kapitel 11. Abstraktion und scholastischer Beweiszweck 515
keine Termini außerhalb der Einführung über die Argumentation; das gilt für die
Begriffe der zweiten Stufe ohnehin.29 Es gilt aber für die der ersten ebenso, wenn denn
über Begriffsarten, Funktionen, Kombinationen zu Erkenntnis- resp. Satzarten soll ge
sprochen werden können. Es werden verlässliche Termini gesucht: alle müssen in die
sem Sinn, auch wenn sie der ersten Stufe in Funktion der kontingenten oder verwand
ter Erkenntnisse, Aussagen etc. angehören (sollen) in diesem Sinn ‘bestimmt’ sein,
dass sie mit der Bestimmtheit, nach der sie im Sinne der gegeben Beweise, betrachtet
werden, denn auch de facto bestimmt seien. Sie müssen mit ihrer Bestimmung so
angesehen werden können, dass sie es seien. Eben wenn sie der empirischen Sphäre,
kontingenten Aussagen, der propositio per se nota etc. angehören.30 Sie werden alle
nicht mehr a parte significationis31 bestimmt. Dann und daneben scheidet das qui pro
quo zwischen mundan und supramundan nach der Einheit oder Gleichheit der für
beide angeblich oder reell verwandten Termini aus.
Wenn Ockham nun die Akte in ihrer Verschiedenheit, Komposition oder Tren-
nung bzw. kasualenTrennbarkeit bestimmen will, muss er sich seiner Argumentati-
onsmethoden bedienen, also für direkte Bestimmungen (Identitäten) probatio und
persuasio32 verwenden.33
ergo videt fidem in seipso, in alio autem tantum credit eam esse, non videt.) Ex quo patet quod
aliam (W 1495: aliquam) notitiam (W 1495: intuitivam) habet de fide propria, per quam evi
denter scit eam esse, et aliam (aliquam) notitiam (abstractivam) de fide aliena, per quam non
scit utrum sit vel non sit.“ W 1495 erg. (Ed. om.): „fidem alterius nunc videre non possumus,
nec eam intelligere, nisi conceptu communi.“ (Ed. notiert als Varianten einzig intuitivam und
abstractivam.)
29. Ockham kann die Intension seiner Begriffe oder Aktdefinitionen durch die Argumentation
stützen. Da diese strukturell ist, entfallen formell unbegrenzte „inhaltliche“ Fragestellungen.
Sie werden ausgeschlossen, genau in dem Sinne wie eine Synthesis nicht sein kann. Gleichsam
dialektisch wird deren Erforderlichkeit bekräftigt.
30. Dabei hat, wie sichtbar wurde, die propositio per se nota eine Ausscheidungs- und Widerle
gungsfunktion: indem sie angesetzt wird, ist eine andere Erkenntnis- oder Satzqualität noch
nicht erreicht, oder, wie hier gelegentlich gesagt wird, für Termini (conceptus) noch nicht defi
nit gegeben.
31. Significatio ist die res extra mentem, also die res strictissime singularis, in der für Ockham
kein universale angenommen werden kann. Die Annahme würde, wie Ockham auch in der
SL reprobativ zeigt, zu Absurditäten führen. Unbestimmt hier E. Hochstetter, 1927 p. 118: „in
der natürlichen Signifikation jeder intentio kulminiert Ockhams Erkenntnislehre … Die Sup
positionstheorie ist eine sekundäre logische Hypothese, die Ockham aufgriff in Konsequenz
des Signifikationsgedankens, mit dem die traditionelle Inhaerenz- oder Identitätstheorie des
Urteils unvereinbar waren.“
32. Die Induktion steht bei der persuasio.
33. Ockham bestimmt nicht die Inhalte der Sätze in sich; er hat Aussagen, die er nach Wort-
und Sacherklärungen und Folgerungen behauptet und bestreitet. Wie gezeigt bestreitet er sie
516 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Das Verhältnis von probare und persuadere wurde bisher nur kurz einmal ange-
sprochen.34 Dabei wurde angedeutet, dass die Termini probare und persuadere von
Ockham nebeneinander gebraucht werden konnten. Ihre Differenz und ihre Gemein
samkeit soll an weiteren Beispielen aufgezeigt werden. Beide stützen sich für ihre Ge
dankenfolgen auf eine empirische Grundlage: Man hat dabei eine induktive Basis für
beide Beweisarten. Antecedens und consequens kehren ihr Verhältnis praktisch um.
Denn das inhaltlich im Beweis Anhängige, d. h. im Prädikat abhängig Auftretende,
ist nicht in dessen Subjekt anhängig. Es wird ja nie mit einem Übergang aus dem
subiectum in das Prädikat bewiesen und nie die passio als actus oder contentus als
aus dem subiectum folgend. Hier sollen einige conclusiones (= Sätze, Lehr- oder
Beweissätze) interpretiert werden.35 „Tertia conclusio est quod aliquis potest nolle
beatitudinem in particulari creditam esse possibilem, ita quod potest nolle habere
beatitudinem. Haec conclusio persuadetur, quia quidquid potest esse dictatum a recta
ratione potest cadere sub actu voluntatis; sed recta ratio potest dictare quod iste care-
bit semper beatitudine; ergo potest velle carere semper beatitudine, ergo potest nolle
eam sibi.“ Der Satz wird in der persuasio derart bewiesen, dass man vom Verstand
zum Willen übergeht; beide sind nach Ockhams Anschauung ebenso wohl identisch
wie voneinander verschieden, so dass zwischen ihnen ein Negationsmoment als Teil
des Inhalts vorliegt. Die identische Bestimmung des Grundes bleibt nicht immer in
demselben Abstand zu diesem Wortlaut der conclusio; so sind die verschiedenen Aus
legungen, Begründungen oder Folgesätze möglich. Anders gesagt: der Grund bleibt
nicht gleich gegenüber dem Ausdruck der conclusio. Also kann er auch nicht aus die-
ser gefolgert werden, wie evident ist. Deshalb auch muss es wohl eine persuasio oder
es kann mehrere persuasiones geben, bzw. persuasio und probatio nebeneinander.
Die conclusio wird zur ratio, die nicht praktisch in dem was sie definit zu begründen
hat, eingelöst werden kann. Als diese ratio wird sie begründet, d. h. potentiell ex falso.
Im folgenden Beweis für dieselbe conclusio tertia will der Mensch nicht den Zweck,
weil er nicht das Mittel will, das zu dessen Erlangung führen muss.36 Der Zweck ist
aber das ewige Leben: ein nicht in sich als real ausgewiesenes, sondern bloß geglaub-
tes Gegebensein:37 „Praeterea, quicumque vult efficaciter aliquid, vult omne illud sine
quo credit se nullo modo posse consequi illud volitum; sed aliquis fidelis credit se
nullo modo posse consequi beatitudinem sine bona vita, et tamen non vult bonam
auch nach Folgerungen, die er also nicht anerkennt, i.e. vermöge des consequens für unange-
messen oder ungültig erklärt.
34. Cf. Kap. 1 Das Verhältnis der Begriffe bei Ockham Anm. 121.
35. Dazu werden die ‘Beweissätze’ aus Ord. d. 1 qu. VI gewählt: Utrum voluntas contingenter et
libere fruatur fine ultimo (pp. 486–507). Dort handelt es sich um die conclusiones auf den Seiten
503–507.
36. Das ist Maxime auch bei Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 1785, Akademie-
Ausgabe. p. 417.
37. Ib. p. 505 lin. 5–10.
Kapitel 11. Abstraktion und scholastischer Beweiszweck 517
vitam et sanctam servare; ergo non vult efficaciter beatitudinem, et per consequens
eadem ratione potest non velle eam.“38 Ein weiterer ‘Beweis’ erkennt fiktiv auf die
Beistimmung zum Verdammungsurteil Gottes:39 „damnatus, tam poena sensus quam
poena damni, posset, si sibi relinqueretur, conformare se divinae voluntati, tam scitae
quam creditae, in volito; sed voluntas divina vult istum semper carere beatudine“.
Ockham schließt persuadierend: „ergo potest hoc esse volitum a voluntati tali, et“
(quia potest hoc esse volitum a voluntati tali) „per consequens eadem ratione a vo-
luntate viatoris.“ Der Entschluss ist also seinsmöglich. Probare und persuadere wer-
den auch quasi gleichwertig gebraucht:40 „Haec probatur sic vel persuadetur“. Der
„Beweis“ lautet insgesamt:41 „omne incommodum potest esse obiectum nolitionis,
sive sit vere incommodum sive aestimatum, sicut omne commodum – sive verum
sive aestimatum – potest esse obiectum volitionis; sed Deus potest tali esse incom-
modum, saltem aestimatum; igitur Deus potest esse obiectum nolitionis.“ Auch hier
ergibt sich dass antecedens und consequens vertauscht werden:42 „Assumptum patet,
quia talis posset puniri a Deo tam poena damni quam poena sensus.“ Denn das ante
cedens ergibt als ratio das consequens, obwohl beide sachlich nicht identisch sind.43
38. Dass man das ewige Leben nicht wollen kann, wie auch das Leben und Sein oder Fortdau
ern überhaupt, ist für Ockham nach der Beweisdarlegung ib. p. 504 lin. 1–9 als zugestandene
Meinung anzunehmen.
39. Ib. p. 504 lin. 25 – p. 505 lin. 4.
40. Ord. d. 1 q. 6 OT I p. 505 lin. 23f.
41. Ib. p. 505 lin. 24 – p. 506 lin. 3.
42. Ib p. 506 lin. 3–5.
43. Die Parallelität von persuasio und probatio hat wohl mit der Differenz zu tun, dass die per
suasio bloßen Wortgebrauch und dessen gewissermaßen bei der Kontingenz stehen bleibende
Begrenztheit meint, während probatio Verallgemeinerung besagt, die dann eigens eben bewie
sen wird, wiewohl die Sachverhalte förmlich gleich lauten. Ockham sagt (Ord. Prol. q. 5 OT I
p. 170 lin. 15–19), dass (die) „definitiones, datae per alias causas“ die außerhalb der Sache liegen,
„definitiones materiales“ seien. „dantur tales definitiones per materiam, extendendo materiam
ad omne receptivum.“ Dann soll nur eine definitio quid nominis, keine definitio quid rei vor-
liegen. Die persuasio mündet zu der Feststellung (p. 171 lin. 1–3: „Et ita semper quando definitio
datur per aliquam causam extrinsecam, illa definitio est exprimens quid nominis tantum.“ Das
wird dann bewiesen (ib. lin. 4–17): der Beweis ist eine Widerlegung, bei der die potentia divina
absoluta als Mittel der Abtrennung der causa extrinseca eingesetzt wird, denn die res („quae
est alia ab illa causa“) und die causa extrinseca sind realiter distinkt. Das bewirkt dann eine
Induktion. Wir haben einen negativen Betrag, über dem eine Verallgemeinerung möglich ist,
sie ist das Beweisziel, das durch die persuasio nicht erlangt werden kann. Die omnipotentia
sprengt nicht die Weltordnung, die wir secundum legem communem haben; sie kappt bloß
jene Verbindungen, die wir als scheinbar deduktive bezüglich und vermöge zugleich empiri-
scher Verhältnisse anzunehmen hätten oder geneigt sein könnten anzunehmen. Aus solchen
Annahmen stammen die Einwände, denen Ockham entgegentritt. Sie alle müssen, wenn sie
518 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Hier liegt erkennbar ein sehr allgemeines Problem vor, bzw. es ist hier verborgen:
Da eine Folge, sofern sie über Substantive identifiziert wird, womöglich immer eine
wenigstens verdeckte Kausalbeziehung ‘ist’, die nicht abgeleitet werden kann, müssen
wir uns einer Induktion bedienen. Sie kann abstrakt auch einen Vergleich aufnehmen
und damit diesen als Kausalanordnung ummünzen. Dabei werden finaliter antece-
dens und consequens vertauscht. Aber Ockham kann damit weder den Sachanspruch
noch den absoluten begrifflichen Geltungsanspruch erheben. So operierend wahrt
er die Determinatheit von Aussagen (oder setzt sie auch nur voraus) und zielt auf
die Definitheit der dabei verwandten Begriffe, die er aber beide nicht auseinander
herleitet oder miteinander bekräftigt. Er ist auf dieses Verfahren angewiesen. So nur
können die Begriffe leidlich gewahrt werden.44
‘gelten’ wollen, eine Dependenz eines folgenden Begriffs aus einem anderen antezedenten an
nehmen, definit unterstellen und die Definitheit vorwegnehmend. Es wird dann von Ockham
bewiesen, dass sie im Sinne dieser Verkettung nicht gelten können. Sie sind derart noch nicht
signifikant. Ockham synthetisiert sie erst. D. h. innerhalb der Argumentation oder ‘deductio’,
die er betreibt und welche die Deduktionsvorstellungen, die es scholastisch schon gibt, aufgrei-
fen und intensional reflektieren.
44. Cf. als weiteres Beispiel Rep. II q. 15 OT V p. 340 lin. 11–13: „quod Deus totaliter et im-
mediate causat aliquem actum in voluntate angeli mali. Quod probatur, quia omnem actum
causatum in voluntate a voluntate libera potest voluntas impedire. Actum causatum a solo Deo
non potest voluntas impedire.“ Und ebenso ib. p. 339 lin. 3–10: „Voluntas damnati non potest
esse sine poena. Tunc sic: poena non est sine actu voluntatis. Igitur si angelus posset facere se
sine omni actu, posset facere se sine omni poena. Assumptum patet, quia poena voluntatis est
tristitia. Sed tristitia est in actu volendi aliquid secundum Philosophum. Igitur poena voluntatis
est in actu volendi. Cum igitur voluntas non possit privare se omni poena, sequitur quod non
posset privare se omni actu.“ Dabei gilt, dass die Relationsbegriffe, etwa in der Moral vermöge
der Setzung nach dem Willen Gottes nicht unabänderlich erscheinen, eben in dem Sinne nicht
absolut (ib. p. 352 lin. 3–13): furtum, adulterium, odium etc. sind in keinem absoluten Sinne Sün-
den. Zum Begriff odium s. dabei einschränkend J. Klein, 1960 col. 1560. Entsprächen die Sünden
Geboten Gottes hießen sie anders. Sie könnten nicht geboten und verboten sein (ib. lin. 13–17).
Die Bedingung, dass das peccatum ex institutione Dei bestehe, bestimmt uns, nicht Gott (ib.
p. 353 lin. 11–18). Das odium Dei schadet Gott nicht. Auch wenn Gott diesen Hass seiner selbst
verursacht hätte, wäre die daraus resultierende böse Tat dem Menschen zuzurechnen, da die
praktische Absicht in ihm wurzelte (ib. p. 353 lin. 19 – p. 354 lin. 2). Die wird nicht aus dem
peccatum originale deriviert. Gott als Verursacher dringt bei Ockham nicht in die Welt ein, wie
ja selbst die empirische Ursache schon nicht in der Wirkung sich spiegelt. Gott als causa ist kein
weltlicher Begriff oder nur ein weltlicher, der nicht zugleich in einem transzendenten Bereich
gelten und angestammt empirisch bleiben könnte. Die beweisintegrale Logik (in syllogistischer
Form) gibt es nicht, die in Gott gründend für die Schöpfung mit gälte; ob mangelndem Funda-
ment für die Logik schon in der Welt wird die Induktion reguläre Beweismethode. Beim Satz
(ib. p. 353 lin. 19f): „si odium Dei causatur a solo Deo, semper erit propter bonum finem“, weil
(sic!) Gott von diesem Hass nicht tangiert und beeinflusst (geschädigt) werde, ruhen (anders
als bei Leibniz) gerade die logische und die dazu parallele metaphysische Intention.
Kapitel 11. Abstraktion und scholastischer Beweiszweck 519
Darin öffnen wir uns mit Ockham auch auf einen transkonzeptualen Raum hin.
In ihm müssen die transempirischen Dispositionen Gottes mit Bezug auf unsere em-
pirischen Verständnisse greifen, auf die wir angewiesen sind, die wir aber rational
auch hinter uns lassen.45 Wir sprechen nicht mehr von wirklichen Ursachen (causae),
wenn wir unsere rationes angeben; wir umrunden sie nur. Wir verlieren die wirkli-
chen Ursachen und die wahren Begriffe und bewahren für unsere Rationalität allein
die Operationen, die in Bezug auf diese Rationalität unser wahrer Gegenstand sind.
Deren Elemente sind nominell die Themen.46 Haben wir dabei nur unvorgreifliche
Argumente, haben wir zuletzt vielleicht gar keine Argumente.47
Wollte man einwenden, dass Ockham mit Hilfe seiner Überredungsbeweise
niemals einen faktischen und damit auch niemals einen definiten Zusammenhang
präsentieren könne, so lässt sich dagegen setzen: im Sinne der Beweise (deckungs-
gleich damit) könnten die Begriffe niemals anders rekrutiert (gewonnen) werden: Der
45. Es ist davon auszugehen, dass Argumentation, die den Begriff sichert, den Begriffsgehalt
sei es tilgt sei es als Spielmasse behandelt. Die Argumentationen zeigen, dass der Begriffsgehalt,
wenn er mit dem Begriff im Sinn der inhaltlichen Identität pro forma vereinigt werden soll,
nicht nach Bezügen verstanden werden kann, vielmehr von ihnen zu trennen ist. Das zeigen
die reprobationes. Cf. auch. Kap. 12 Verflechtung und Abgrenzung der Akte. Hier hat der re-
flexive Begriff der ‘ratio’ seine Funktion. Er geht auf die Identität der Akte (z. B. ratio subiecti)
und hebt sie heraus; er siedelt sie nicht in akzidentellen Umständen an, die ja das Problem zu
bedeuten hätten und nach Ockham reprobationes und instantiae auch tatsächlich bedeuten.
Dabei kann die identische Größe als Begriff nichts mehr (begrifflich) implizieren, so dass von
hier aus eine ganze – analytische – Beweis- und Argumentationsweise entfallen und ersetzt
werden muss. In ihr darf was accidens heißt keine Rolle spielen; eben der akzidentelle Verweis
muss ausgemerzt werden, der ja auch die fallacia konditioniert. In ihm gründet auch der em-
pirische Bezug, so dass es um das reine Begriffsverständnis und eben die Abstraktion geht. Die
Argumentation kehrt, wenn wir von Glaubenslehre und Moral handeln und Gott einbegreifen,
das reelle Verhältnis von consequens und antecedens um. Es gibt dann keine ratio mehr, außer
als argumentum.
46. Dazu s. in Bezug auf Argumentation, Operation, consequentia formalis und Widerspruch-
sprinzip bereits Kap. 9: Ontologie und Induktion und Kap. 10: Beweis, Satz, Akt.
47. Diese Verlegenheit ist vielleicht bei Ockham öfter zu vermuten. Ockham zitiert den Satz
in Quaestiones variae q. 3 OT VIII p. 93 lin. 432f: „dico quod positivum quod convenit alicui
naturaliter, convenit sibi realiter“ und p. 67 lin. 137ff: „quod convenit alicui naturaliter, convenit
sibi realiter. Patet inductive. Si ergo non-esse convenit creaturae ex natura sua, convenit sibi
realiter. Et non quando est, igitur prius.“ Da das ‘non-esse’ der creatura, wenn sie existiert, nicht
zugeschrieben werden kann, sondern bloß wenn sie nicht existiert, lässt sich induktiv sagen,
dass es ihr nur zukommen kann, wenn sie nicht existiert. Zu sagen, dass dann die creatura nicht
ewig gewesen sein kann, ergibt einen ‘Beweis’, der an Anselms Gottesbeweis erinnert. Ockham
erklärt (ib. lin. 140f) u. a. mit vorangegangenen Argumenten „meliores rationes, ut credo, ad
probandum quod repugnat creaturae fuisse ab aeterno“ gegeben zu haben, und sagt doch (ib.
lin. 144ff): „Sed istis rationibus non obstantibus, videtur quod nulla sit manifesta contradictio
creaturam fuisse ab aeterno nec repugnantia, nec ex parte Dei nec ex parte creaturae.“
520 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Beweis stimmt also mit deren Synthesis überein und stellt deren einzige Möglichkeit
dar.48 Die theologische Verwicklung besteht nun auch so, dass ein Beispiel, das bloß
persuasiv fungieren kann, in eine Funktion des consequens geraten muss, wiewohl
es praktisch analytischer Hauptsatz zu sein hätte und selbst ausgelegt werden müs-
ste:49 „Confirmatur, quia Christus, non obstante quod fuerit beatus, fuit punitus et
sustinuit poenas corporales; sed omne punitivum vel afflictivum alicuius potest esse
incommodum illi, vel verum vel aestimatum; ergo potest Deus habere rationem in
commodi, veri vel aestimati, respectu talis.“ Nämlich bezüglich des Gott und Seligkeit
nicht wollenden viator. Dafür ist der Grund, dass Gott Christus, obwohl er gottselig
und sündenlos war, Strafen auferlegt hat.
Gott könnte natürlich auch ein widersprüchliches Handeln zugeschrieben wer-
den; es wäre aber damit identisch, dass die Begriffe überhaupt noch nicht geklärt wä-
ren, wenn es denn in der sacra theologia um Begriffe sich soll handeln können. Sie
müssen also fraglos, a fortiori lässt es sich behaupten, synthetisiert werden. Es gilt
aber auch hier, dass, auf der Ebene der Abstraktion, Gott50„per potentiam divinam
absolutam“ bewirken kann, „quod talis videns divinam essentiam carens … dilectio-
ne Dei … potest nolle Deum.“ Das ist der Inhalt des V. Satzes. Der Mensch, der in
patria, wenn er Gott in der visio beatifica sieht, müsste nach dem empirischen Begriff
der notitia intuitiva Gott lieben und genießen wollen. Es ist aber nicht zwingend,
weil in Ersetzung der Konsequenz quasi (von Konsequenz im sachlich-praktisch und
technisch-logischen Sinn), die (zwischen subiectum und passio und deren notitiae
usw.) – wie oben gesagt – nicht existiert, Gott intervenieren kann: die Akte der vo
litio und der Wahrnehmung sind nicht identisch; eine secundum legem communem
‘gedachte’ Zwangsläufigkeit ist nicht mehr gegeben. Was wir für Gott überweltlich
annehmen, stimmt mit empirischen Erkenntnissen wohl denkbar überein, setzt aber
nicht eine faktische Gebrauchsqualität der Begriffe voraus. Ebenso müssen nicht visio
divinae essentiae und fruitio divinae essentiae miteinander einhergehen.51
Es ist aber natürlich vollkommen bemerkbar, dass Ockham dort, wo Duns Scotus
noch das Prinzip oder die Regel einsetzt, bereits den Beweis hat. Das heißt: eine aus
sich autonome Begründung, die nicht durch die Postulation oder die petitio principii
o. dgl. zu gewährleisten sein wird. Diese Begründung, wie man sieht, gleicht auch
die Abstraktion ab. Die omnipotentia muss hier supranaturaliter loquendo eintreten;
48. Ockham selbst stellt fest (Ord. d. 1 q. 6 OT I p. 506 lin. 11f): „Contra praedicta sunt multa
dubia, de quibus patebit in quarto libro in materia de beatitudine, ideo transeo pro nunc.“ Cf.
Rep. IV, q. 16 OT VII pp. 340–361: „Quaero utrum voluntas beata necessario fruatur Deo.“
49. Ord. d. 1 q. 6 OT I p. 506 lin. 6–10 aus conclusio V (ib. pp. 505 lin. 21 – p. 506 lin. 12).
50. Ord. d. 1 q. 6 OT I p. 505 lin. 21–23.
51. Cf. Quarta conclusio ib.p. 505 lin. 11–15: „Quarta conclusio est quod videns divinam essenti
am et carens fruitione beatifica potest nolle illam fruitionem. Haec probatur, quia, sicut prius
dictum est, quaelibet voluntas potest conformari voluntati divinae in volito; sed Deus potest
velle ipsum pro semper carere fruitione beatifica; ergo etc.“
Kapitel 11. Abstraktion und scholastischer Beweiszweck 521
denn die empirischen Begriffe werden hier nicht negiert, aber nicht mehr nach ihrem
Verhältnis secundum legem communem vorausgesetzt. Es macht danach keinen Sinn
zu fragen, ob Ockham eine überweltliche Dimension bei allen Dezisionen oktroyiert
habe oder mit Hilfe des Omnipotenzprinzips bloß habe diskutieren wollen. Die Stufe
der Abstraktion, auf der die omnipotentia divina intervenieren kann, ist jene, wo die
logische Folgerichtigkeit (und Folgemäßigkeit) nicht definit bestehen kann und eben
auch nicht die Definitheit im Sinne der Begriffe unbedingt gegeben ist.52 Sie müssen
infolgedessen argumentativ konzipiert und rekonzipiert werden. Der Inhalt wird von
Ockham implizit gegen jeden möglichen Sinn und damit Sinn überhaupt argumen-
tativ erst geöffnet oder: eröffnet.53 Es tritt auch die Besonderheit auf, dass Ockham mit
52. Die Divergenz von Abstraktion und empirisch gebrochener Qualität und Vielfältigkeit gilt
generell und kann von einem minimalen Ausgangspunkt aus induktiv gefasst und begründet
werden. Beispiel (Ord. Prol. q. 2 OT I p. 94 lin. 18 – p. 95 lin. 8): Ockham erklärt zunächst,
wie empirisch eine Verallgemeinerung möglich ist, wobei er zugleich darauf hinweist, wie hier
antecedens und consequens eigentümlich sich vertauschen (cf. auch o. Text): „haec est con-
sequentia bona ‘haec est herba sanativa, igitur omnis talis herba est sanativa’, quamvis conse
quens hic illatum esset conclusio et non principium, quia talis consequentia tenet per illud
medium necessarium et evidenter notum: quidquid absolutum vel proprietas consequens ab-
solutum competit alicui individuo, cuilibet individuo eiusdem rationis potest aliquid consimile
competere. Et ideo ex hoc ipso quod haec herba habet talem qualitatem quae est principium
sanandi talem infirmitatem, quaelibet talis herba poterit hoc habere.” Dann erfolgt ein empiri
scher Einwand: „Et quando dicitur quod aliqua talis herba non est sanativa sed magis inductiva
infirmitatis, dico quod stant simul quod sit inductiva talis infirmitatis et tamen sanativa talis
infirmitatis.“ Auch hier wird offenbar auf die Ebene der Abstraktion angespielt und nicht die
der Empirie stricte. „Et hoc quia non est inconveniens quod aliquid sit in potentia ad utrumque
contrariorum quae sunt principia contrariorum.“ Sie wird bekräftigt durch die Weiterführung
des Gedankens (ib. p. 95 lin. 9–11): „Istud de ista ultima consequentia est verum secundum
theologiam et veritatem, quamvis Philosophus et errantes hoc negarent.“
53. Weitere Fälle einer intentionalen Realitätshaltung ohne strikte intentionale Erfüllung geben
etwa die propositio per se nota und das accidens ab. Ebenso erweisen sich die forma substan
tialis und forma materialis, sogar der angelus, als nicht zergliederbar und können so Anhalts
punkte einer Induktion oder eines Schlusses a fortiori abgeben usw. (Ord. d. 8 q. 3 OT III p. 209
lin. 2–7): „Unde nec dependentia accidentis ad substantiam, nec imperfectio accidentis, nec
aliquid tale est causa quare accidens non potest definiri proprie, sed sola simplicitas propter
quam caret differentia essentiali. Et propter eandem rationem, forma substantialis et angelus et
materia substantialis et cetera simplicia – quaecumque sint illa – non possunt definiri definiti
one proprie dicta.“ Der Begriff der forma, der einen Bezug zum accidens darstellt oder angibt,
ist wie dieses in sich ‘gegenstandslos’. Es ist also erkennbar, dass die forma, wenn sie abstrakt auf
die Realität (Empirie extra nos) bezogen wird, im Sinne der Abstraktion nicht den Realgehalt
ex se geben könne. Nicht anders als etwa die notitia intuitiva kann der Begriff der ‘forma’ mit
hin referentiell und funktional gebraucht werden. Das bedeutet u. a., dass eine causatio ex statu
obiecti nicht existieren oder wenigstens nicht bestimmt werden kann.
522 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
der Induktion54 nicht die Kontinuität und die Konsistenz aller Operationen und An-
sichten sichern kann. Das ist im Sinn der Definitheit weder erforderlich noch mög-
lich. Wir sehen wie Ockham einen Komplex von beweisbaren + empirischen Aus-
sagen in einer scientia sich denken kann,55 müssen aber ausschließen, dass wir den
Abstand oder die Dichte im Verhältnis der Sätze angeben könnten; wäre das möglich,
so müssten die Begriffe geordnet sein und/oder per medium extrinsecum bzw. einer
consequentia formalis bewiesen werden können, und womöglich im kausalen Sinn.
Eine ontologische Prämisse darf dabei aber nicht eintreten, weil sonst auch eine
Stiftung der Erkenntnis aus der Erfahrung anstünde.56 Sodann denkt Ockham die
ontologischen Begriffe als in keiner Weise empirisch einzulösende. Er sieht forma
und quidditas in der Nähe zu materia und accidens oder quantitas:57 „concedo quod
magis deberet dici quod accidentia s u n t quaedam quidditates quam quod accidentia
54. Induktion soll eine Philosophie und zugleich die Welt erschließen, wenn W. Wieland, 1962
mittels Erörterungen über die „recht verstandene Induktion“ und die Grundstrukturen der
natürlichen Welt Aristoteles und dessen Prinzipienforschung, sein eigentümliches Verfahren
dabei, interpretieren will. Aristoteles wird fundamental eine Sprachanalyse zugeschrieben.
Wahrheit soll gesucht und gefunden werden können. T. Kuhn, dt. 1967 p. 224 (mit Verweis auf
Karl Popper p. 194) bezweifelt, dass hier ein vernünftiges Ziel liegen könne. Nach Wieland sol
len a-theoretische Funktionen anthropologische Prävalenzen haben.
55. Ockham stellt hier fest (Ord. Prol. q. 2 OT I p. 96 lin. 13–17): /§ Praedicta opinio de unitate
scientiae adquisitae per experientiam et demonstrationem maxime probabilitatem habet si sci-
entia conclusionis distinguatur realiter et totaliter a notitia principiorum. Si autem non distin-
gueretur realiter et totaliter a notitia principiorum, non haberet probabilitatem. §/ Insofern gilt
die These nur eingeschränkt und muss als lediglich persuadiert gelten.
56. Eine empirische Wahrnehmung führt nicht zwangsläufig zu einer Abstraktion im Allge
meinheitssinn, cf. Ord. Prol. q. 2 OT I pp. 92 lin. 7 – p. 93 lin. 23 und für den intensionalen oder
mentalen Bereich besonders (ebd. p. 93 lin. 3 ff): „ad sciendum evidenter quod omnis actus
est generativus habitus, requiritur experimentum quod actus principii est generativus habitus,
quod actus conclusionis est generativus habitus, et sic de aliis speciebus. Et hoc est verum quan
do tale principium accipitur per experientiam praecise, quia si acciperetur per rationem, non
oporteret. Et tunc talis deductio non tenebit per istam propositionem quod ‘causae eiusdem
generis sunt effectivae effectuum eiusdem generis vel eiusdem rationis’, vel per aliquod medium
consimile, puta per tale medium ‘quidquid competit alicui alicuius generis, competere potest
alteri eiusdem generis’, vel consimile; sed tenebit per illud medium ‘quando aliquid competit
cuilibet contento sub aliquo genere, competit universaliter illi generi’. Et ita tale principium de
genere vel de aliquo communi ad plura alterius et alterius rationis aecipietur per experientiam
et aliquo modo per inductionem, scilicet inferendo unam universalem de genere ex omnibus
universalibus, de omnibus speciebus contentis sub genere. Sicut si arguerem sic: omnis homo
est augmentabilis, omnis asinus est augmentabilis, omnis leo, et sic de singulis, igitur omne
animal est augmentabile. /§ Et propter hoc dicit PhilosophuS quod aliquando principia prima
accipiuntur per inductionem. §/ Der Verweis gilt Aristot. Ethica Nicom., I, c. 7 (1098b 3–4).
57. Cf. Ord. d. 8 q. 3 OT III p. 219 lin. 21 – p. 220 lin. 2.
Kapitel 11. Abstraktion und scholastischer Beweiszweck 523
h a b e n t quidditates.“ Und auch:58 „nec est inconveniens quod materia sit immedia-
tum subiectum extensionis, sicut nec quod forma sit subiectum quantitatis est incon
veniens.“ Die quantitas soll nicht verschieden von der forma qualitatis sein, also kein
eigenes distinktes Sein haben können: qualitas und quantitas werden von Ockham
kategoriell oder ontologisch identifiziert. Ockham widerlegt die entgegengesetzte
Ansicht durch reductio ad absurdum, unter Einbeziehung des Omnipotenzprinzips:
Nicht einmal Gott könnte die bestimmte Quantität bilden, wobei die Quantität ja im
mer nur als solche bestimmte und daher geminderte und begrenzte auftreten kann,
ohne jede andere Besonderung der Quantität mitzubilden, was auch bedeuten müs-
ste, dass Quantität selbst an die Stelle des Widerspruchsmoments getreten wäre und
zum anderen bedeutet, dass das Omnipotenzprinzip hier den analytischen Faktor der
Widerlegung mit bedeutet oder trägt; es gäbe kein Moment der Widerlegung neben
oder vor dem Moment des Omnipotenzprinzips. Anders gesagt quantitas kann nicht
als solche und für sich abstrahiert werden. Das Omnipotenzprinzip rekurriert inten-
tionell auf empirische Verhältnisse. Es lässt sich auch so sagen, dass das Quantitative
nicht aus dem Qualitativen ‘gefolgert’ werden könne, weil es mit diesem kompatibel
sei. Wir haben damit keine inhaltliche Qualität im Quantitativen. Eben das ist aus-
gespart und folglich muss es auch so mit dem Qualitativen zusammenfallen. Auch
so ist der Ausschluss analytisch und per Widerlegung auszudrücken. Damit wird
übrigens wieder die Kontingenz bekräftigt. Sie ordnet die Welt bis in die Abstrakti
on hinein.59 Daher kann das Analytische auf der Stufe der Abstraktion nur mittels
des Omnipotenzprinzips ausgedrückt werden, und ohne dass damit ein eigentlicher
tautologischer Charakter aufträte. Der bloß reflexive Charakter hat zudem ja die Be
ziehung zur primärer Ausdrücke und Begriffe (quidditates) verloren. Beim Gebrauch
des Omnipotenzprinzips müssen wir nicht auf die praktische empirische Ebene der
Inzidenzien zurückgreifen und zurückgehen.60
Von der res extra animam gilt:61 „a parte obiecti est primum obiectum sensus
exterioris et intellectus primitate generationis, et hoc pro statu isto; et ita obiectum
intellectus in illa intellectione prima non est magis abstractum quam obiectum sen-
sus. Potest tamen postea intellectus abstrahere multa: et conceptus communes, et in-
telligendo unum coniunctorum in re non intelligendo reliquum. Et hoc non potest
competere sensui. Si autem illa abstractio intelligatur universaliter, intelligenda est
a parte intellectionis, quia illa est simpliciter immaterialis; non autem sic cognitio
sensitiva.“ Aber abstractio oder universale und sensus verbleiben innerhalb der einen
Natur:62 „dico: quod natura occulte operatur in universalibus: non quod producat
ipsa universalia extra animam tamquam aliqua realia, sed quia producendo cognitio
nem suam in anima: quasi occulte saltem immediate vel mediate producit illo modo
quo nata sunt produci. et ideo omnis communitas isto modo est naturalis, et a singula
ritate procedit. nec oportet illud quod isto modo fit a natura, esse extra animam: sed
potest esse in anima.“ Der Verstand steht also zwischen Natur und Immaterialität;
seine Operationen realisieren einen Spielraum zwischen Definitionen. Schon diese
müssen den Hiat zwischen Natur und Realität extra animam und anima überbrücken
oder überspielen. Das leistet der Induktion als Methode der Argumentation Vors-
chub:63 „la notitia abstractiva n’est pas naturellement apte à décider de l’existence ou
de la non-existence; cela est vraie de la chose ou du concept simple qui lui est pro-
pre.“ Diese Doppelheit auch bei der notitia intuitiva. In der Form der notitia intuitiva
(= innerhalb der notitia intuitiva) stehen das obiectum primum der Erkenntnis und
der conceptus nebeneinander: „(Ockham) pose que la connaissance première d’une
chose, en elle-même ou dans le concept simple qui lui est propre, c’est la connaissance
intuitive de cette chose; en voici la raison: Nous ne constatons pas par l’expérience
que nous connaissions en elle-même ni dans le concept simple qui lui est propre une
chose dont nous n’ayons pas eu la connaissance intuitive.“ Wenn aber die Indukti
on den Hiat zwischen der Immaterialität des Mentalen und seiner genetischen Natu
ralität überbrückt und überspielt, muss sie alle ‘ihre’ Termini abstrakt gegenüber der
Natur fixieren. Zugleich aber muss man ihrethalben alles Naturale für kontingent,
wandelbar, und austauschbar halten können; es ist gleichsam im Sinn der Sinnbestim
mungen, das heißt der Begriffe, austauschbar und abwandelbar. So gibt es außerhalb
der Induktion keine notwendigen Erkenntnisse und mit dieser nur halb oder schein-
bar. Im Sinn der Sinnbestimmungen werden auch die mentalen Erkenntnisträger und
Elemente nicht zwingend für sie selber gehalten werden können. Ockham, der seine
gebraucht noch implizit auch nur offengelassen wird. Sie wird de facto negiert und bestimmt
in diesem Sinn Argumentation und Abstraktion. Dabei muss eine mechanistisch zu denkende
Kausation nicht angenommen werden.
61. Ord. Prol. q. 1 OT I p. 65 lin. 1–9.
62. Ord. d. 2, q. 7 OT II p. 261 lin. 13–20.
63. P. Duhem, Le système du monde, 1913ff t. VI p. 638; cf. Verweise: Ord. d. 2 q 6 Q und qu. 9
Q und R.
Kapitel 11. Abstraktion und scholastischer Beweiszweck 525
Gegenstände, in diesem Sinne mentalia, zerlegt hat, kann zuletzt eine integrale Mei-
nung nicht mehr hegen.64
Die Ansicht, dass Ockham ohne ein Vorverständnis vom ‘Gehalt’ der Theologie
(am Ende ohne Vorverständnis von Gehalt überhaupt, etwa ontologisch), gearbeitet
habe, bezeichnet seine Anstrengung noch einmal als synthetisch angelegte. Ein Beleg
dafür ist hier auch, dass Ockham theologische Verleumder (calumniantes) ‘fürchte-
te’. Nicht die zu überzeugenden Philosophen. Wenn Ockham die Theologie ‘wissen-
schaftlich’ fasst, ist es nicht mehr die Theologie,65 die er damit zum Ausdruck bringt,
folglich oder anders: sie ist überhaupt nicht wissenschaftlich auszudrücken.66 Da sie
entweder von Teilen in Ockhams Denken dependent sein (mit ihnen übereinstim-
men) oder ihnen widersprechen müsste, kann sie als sie selbst nicht wissenschaftlich
sein. Was Ockham äußert und korrigierend vorbringt, geht folglich Formulierungen
oder ‘Sachverhalte’ an, die in keiner gemeinsamen (begrifflichen) Dimension mehr
ausgedrückt werden können: auch von Ockham nicht.67 Ockham induziert über einer
64. Das gilt um so mehr als Ockham über den Abstraktionen weiter induziert oder induzieren
muss und so zu Negationen kommt, in denen Begriffe, Strukturen, Satztypen, Definitionen in
Richtung auf die Anwendung revidiert und undeutlich werden können; i.e. nachträglich Indi-
stinktheiten ergeben, die gewissermaßen genetische Kausalaspekte, die consequentia naturalis
etc. zulassen, den quasi gegen-abstrakten (naturalen) Realbezug.
65. Cf. Ord. d. 1 q. 5 OT I p. 484 lin. 5f. Ockhams moderne Ankläger wie F. Hoffmann u.
E. Iserloh gehen von Vorverständnissen nach angestammter Kirchenlehre aus, die er dann ver-
fehlte. An der Idee einer christlich-dogmatischen Inspiration/Motivation für alle Scholastik
hält auch Paul Vignaux, 1938 u. 1948 fest. Er geht nur davon aus, dass sie immer hinreichend
‘philosophisch’ umgesetzt, kreditiert und ‘post festum’ im „operare“ des Scholastikers legi-
timiert sei. Vignaux will dann den Effekt (die Geltung) der methodischen Abstraktion beim
einzelnen Scholastiker wieder am Dogma abnehmen.
66. Immer auch gibt es Annahmen oder Äußerungen Ockhams, an denen grundsätzlich er
kennbar wird, dass fides und scientia nicht ineinander überführbar sein können, zwischen ih
nen also ein Schnitt liegen muss (Ord. Prol. q. 7 OT I p. 199 lin. 19–23): „Ad aliud dico quod
non derogat dignitati theologiae nostrae quod conclusiones non sciuntur evidenter, sicut nec
derogat dignitati notitiae principiorum theologiae quod ipsa non sciuntur evidenter. Et ideo si-
cut sine derogatione principia non sciuntur evidenter, ita nec conclusiones.“ Das lässt sich aber
auch so verstehen, dass die Gestaltung der Begriffe und Sätze der menschlichen Begriffe nicht
bis zur Erkenntnis aller theologischen Aussagen führen kann. Es lässt sich so verstehen, dass
eine Synthesis von ‘Begriffen’ hier nicht möglich oder nachweisbar ist. Wir haben bei diesem
Glauben dann kein wissenschaftliches Äquivalent oder Komplement; wir wissen nicht, wie die
entsprechende Glaubensaussage, wenn sie denn Begriffe enthalten sollte, nach diesen Begriffe
empirisch begründet wäre. Wir könnten da allein sagen, dass keine Erkenntnis gemäß einer
empirischen und definiten Begriffsgewinnung angenommen werden könne.
67. Damit gewinnt Ockham noch einmal als Subjekt eine anthropologische Bedeutung. Sie
träte an die Stelle der Metaphysik und wäre in diesem Sinne vergleichbar neuzeitlich und mit
idealistischen Positionen ähnlich. Davon zu trennen ist die praktische Frömmigkeitshaltung,
526 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
‘Unmöglichkeit’. Alle Aussagen, die er als genuin „theologische“ macht, betreffen eine
relatio, für die nach festem begrifflichem Inhalt nicht operiert werden kann. ‘Verhält-
nisse’, für die die Inhalte erst festgesetzt werden müssen, so dass sie die Verhältnisse
bedeuten, treten an die Stelle der Begriffe. Damit hört die Theologie auf empirische
Bedeutung zu haben.68 Aber die Theologie ist auch nach ihrem dogmatischen Gehalt
primär aufgelöst oder in Frage gestellt worden. Der Bezug auf die Empirie ist für sie
ostentativ desavouiert worden.69
Wo Ockham den Willen als Wirkursache oder zu bewertenden Faktor unterstellt,
mithin auch als Faktum, und zwar in Erkenntnislehre und Glaubenslehre, dort wird
der habitus nur als in diesem Verhältnis akzidentell betrachtet und entsprechend
beiseite gelassen.70 Folglich treten hier Induktionen auf. Auch die Gnade als status
formalis ist akzidentell zu allem was Gott tut und muss ihn daher nicht zur accepta
tio der menschlichen Person und ihrer Akte führen oder nötigen.71 In absolut an-
tidogmatischer Haltung hat etwa Ockham die gratia als Bedingung der acceptatio
einmal und daneben auch des actus meritorius angesehen; in beiden Fällen wären
sowohl die gratia wie der habitus caritatis eine zusätzliche Größe, die von Ockham
wie sie spätmittelalterlich greifbar ist. Von ihr gibt es wenigstens Spuren bei Ockham: seine
Haltung im Armutsstreit, zur christlichen Freiheit von mosaischer Gesetzesstrenge. Darin wer-
den antipapistische Optionen geltend gemacht.
68. Aber die dabei von Ockham zu gebenden Worterklärungen enthalten einen empirischen
und logischen Kern, z. B. Rep.II, q. 6 OT V p. 98 p. 1–8: „accipiendo adnihilationem ut commu-
niter homines accipiunt, opponitur creationi, sic creatura non potest adnihilare, quia sicut so-
lum illud dicitur creare quod producit aliquid de nihilo, non coexigendo neecessario materiam,
ita aliquid dicitur adnihilare quod reducit aliquid in nihil, nullam materiam praesupponendo.
Et quia creatura in omni actione sua necessario praesupponit materiam, ideo non potest ad
nihilare aut creare.“ Der Begriff der Vernichtung in diesem Sinn geht bis an die Grenze einer
Inexistenz, die materiell und nach weltlichen Begriffe (de communi lege) nicht ausgedrückt
und nicht aufgefasst werden kann. Wir müssen also von einer indefiniten Begriffsauffassung
oder Wortverwendung sprechen. Wir treten mit Ockham so in einen Bereich der Regulation
des Sprachlich-Begrifflichen ein; es bleibt logisch kraft der Kappung ungemäßer Folgerungen
(consequentiae). Vernichtung ist ‘a priori’ Vernichtung (Austausch) der forma.
69. Danach wird Luthers pastorales Interesse verständlich. cf. L. Feuerbach, Grundsätze der
Philosophie der Zukunft, 1843/6 § 2. Dass es mittelalterlich vorbereitet ist: s. P. Vignaux, 1938 u.
1948 (zu Autrecourt).
70. Duns Scotus muss, wenn er die Mitwirkung des Menschen im Heilsprozess lehrt, acciden
tia für seine Argumente berücksichtigen, die wie unter der Hand in die essentia eingeschleust,
die determinatio seiner Meinungen und Begründungen erst zu bewirken hätten. Das ist logisch
nicht möglich: das accidens würde zweimal be- und gewertet werden. Dagegen ließ ‘ratio’ bei
Ockham das Moment des accidens (Bezug) nur zu wie es proprium zu bedeuten hatte. Sonst
war es technisch auszuschließen oder ‘beiseitezurücken’ (einzuklammern).
71. G. Leff, Bradwardine and the Pelagians, A Study of his ‘De Causa Dei’ and its Opponents,
1957, p. 197.
Kapitel 11. Abstraktion und scholastischer Beweiszweck 527
aus der Folge der (notwendigen) Bedingungen gestrichen wird. Er negiert also, dass
die Liebe zu Gott eine notwendige Bedingung für die Ausführung eines actus meri
torius sei, sie wird als eine überflüssige Größe ausgeschlossen, da induktiv mit der
Negation der Notwendigkeit dieser Größe ad actum demeritorium, der ja, wie klar
erkennbar, nur im Widerspruch zur caritas stehen kann, folgen muss, dass wenn der
actus demeritorius nicht gewollt wird, der actus meritorius möglich zu sein hat, da er
sonst neben jenem gar nicht bestehen könnte, i.e. nicht zu existieren vermöchte. Gott
kann daher, de potentia sua absoluta, das meritum unmittelbar hervorbringen, weil
dies keinen Widerspruch – mehr – enthält. Keinen Widerspruch enthalten, bedeutet
also auch, keinen Widerspruch ‘mehr’ enthalten, et vice versa. Die Omnipotenz tritt
in Funktion, weil es keinen Widerspruch – mehr – gibt, der dabei mit förmlicher
empirischer Tendenz oder Geltung festgestellt wird. Kein Widerspruch besteht darin,
dass „adaequat enim quantum ad rationem meriti nobis in praesenti vita possibilis,
opus factum sine caritate operi facto cum caritate“.72 Denn der Begriff ‘meritum’ ent
hält als factum oder qualitas nicht die qualitas caritas; er schließt sie auch nicht aus.
Ockhams Deduktion hat man daher nicht richtig im Blick wenn man sagen wollte:
„Et per totam deductionem apparet quod ipse (sc. Ockham) et intendit quod nullus
est habitus caritatis aut, si est, frustra est, quia nihil penitus facit ad meritum, quod
est expresse contra dictum Apostoli prima ad Corinthios 13“ Die caritas müsste also
einem habitus angehören, der den actus meritorius aus sich hervorbrächte; dies lässt
sich induktiv nicht beweisen. Der habitus hat abstrakt mit einer höheren Stufe zu tun
als der actus meritorius, der ‘per se’ empirisch ist. Ähnlich gilt ja für Gott: „As the
cause of everything in general, it is too vast to be applied to particulars.“73
Leff sagt richtig und eindeutig:74 „Ockham’s method never passes beyond what
logically is tenable; thus what Bradwardine asserts as irrefutable, as for example God’s
existence, Ockham rejects as unproved.“ Dass für Ockham nur der Glaube über Gott
auszusagen vermöge, ist übertrieben und steht etwas im Widerspruch zu der Feststel-
lung: „Ockham … tends to confine God to the margins of the argument.“ Gottes Ein
fluss aber soll „indeterminate“ sein, was dann wohl real zu gelten hätte – jedoch nach
welcher Argumentation? Wäre es das Ergebnis von Argumentation(en), von der/denen
sich sagen ließe:75 „that the very omnipresence of God’s will renders it beyond precise
delineation.“? Dabei soll Gott nach seinem absoluten freien Willen so weit eingreifen
können, dass der Mensch danach alle (seine) „restrictions“ übersteigen könne. Das ist
richtig und falsch, weil man zwar wieder im Reich und Bereich des Arguments wäre,
doch noch nicht logisch, wie Leff zuvor betont hat, oder nachhaltig und effektiv, i.e.
nicht auf irgendwelche „instances“ führend. Leffs Rekurs auf Ockhams „scepticism“
als Basis von dessen ‘Überzeugungen’ (Äußerungen) erscheint daher unbestimmt:
Sein Skeptizismus bezieht sich auf die Möglichkeiten des Beweisens und wird von ih
nen begrenzt; er kann also auch nicht unabhängig von einer „Delineation“ des Bewei
sens überhaupt unterstellt werden.76 Wir sehen ja bei ihm auch gerade sehr fakultative
Beweisvorschläge, die er z. T. halb oder ganz sogar revoziert. Der Beweis tritt über-
haupt sogar unvordenklich auf.77 Gott und das Omnipotenzprinzip können nicht auf
dem Widerspruchssatz fußen. Doch der Widerspruchssatz reguliert so das Omnipo-
tenzprinzip. Ockham sagt express:78 „Omnipotens idem est quod potens facere omnia
factibilia.“ Ockham gibt damit zunächst eine essentialistische inhaltlich Bestimmung
oder inauguriert sie wenigstens: idem est. Die factibilia aber müssen formell in der
Welt vorfindlich sein. Das Konsistenzprinzip müsste hier noch einmal das Moment
der Wahrheit, der Wirklichkeit und der Kontingenz angeben können. Das enthielte
einen Widerspruch: Gottes Allmacht würde sich auf Realität, Kontingenz, Machbar
keit, Gegebenheit o. ä. nicht beziehen können. Das hätte zu bedeuten: nirgendwo auf
irgendwie konstituierte Dinge, also die Realität usw. Das Widerspruchsprinzip wäre
an deren Stelle getreten. Es wären also auch diejenigen Dinge (bzw. Kompositionen
von Gegenständen, Relationen usw.) ausgeschlossen, die Gott anstelle der gegebenen
nach der – falschen – Auslegung einer unumschränkten Allmacht, die ubiquitär und
immediat in die Welt soll eintreten können, zu bewirken hätte. Es lässt sich somit wie
durch Induktion ausschließen, dass diese Auslegung richtig sei. Wenn also Ockham
außerdem tatsächlich sagt, Gott könne alles, was dem Widerspruchsprinzip nicht wi-
derspreche, muss dieses erst noch interpretiert werden, was wie gezeigt wurde, durch
die distinctio realis geschieht. Die Konsistenz, die hierbei in allem von Ockham (und
76. Diese wird mit den Gleichförmigkeiten in den Antworten Ockhams zusammenfallen. Da
zu gehört die Einwirkung Gottes. Die Wirkung Gottes bedeutet oder gewährleistet dabei nicht
„determinate“ Verbindungen von Begriffen oder Inhalten, sondern unterbindet sie vielmehr.
Das Omnipotenzprinzip bedeutet nicht einen Hinübertritt aus einem Inhalt in einen anderen,
deren Verschmelzung oder Aufhebung gegeneinander, sondern meistens bloß deren Trennung;
mit einer Verschmelzung würde man den Bereich und die Basis der uns bekannten Welt- oder
Schöpfungsordnung verlassen haben und nicht mehr von einer hypothetisch einzusetzenden
potentia divina absoluta naturaliter loquendo sprechen können, deren empirische Basis die di-
stinctio realis bezeichnet, sondern nur noch von einer potentia divina absoluta supranaturaliter
loquendo, die durchaus mit einer distinctio formalis vereinigt sein kann, wobei der Ausdruck
als Modus einer modalen Aussage modo composito zu verstehen ist, also keineswegs empirisch.
Damit ist der Bezugspunkt immer die Kontingenz, welche indirekt erhalten bleibt, auch wenn
man, innerhalb der Abstraktion, zu den nicht mehr unmittelbar an ihr messbaren Inhalten,
Gehalten oder Behauptungen übergeht; sie werden, auch indem persuasiones (noch) möglich
sind, per Abstraktion und mittels der Induktion gestützt werden können. (Dabei können ver-
schiedene persuasiones gegenteilige Aussagen betreffen oder sogar drei unterschiedliche Aus-
sagen.) Die Induktion kann wesentlich über negativen empirischen Gehalten oder Feststellun-
gen stattfinden.
77. Beweis(teil)e können als Teile anderer Beweise immer nur reprobativ sein/mitwirken.
78. Ord. d. 20 q. unica, OT IV p. 36 lin. 17f.
Kapitel 11. Abstraktion und scholastischer Beweiszweck 529
der hiesigen Interpretation) zu fordern wäre, hätte zu besagen, dass Abstraktion nicht
im Widerspruchssatz basiert sei, was ja eben einem Vorgriff mittels Widerspruchssatz
zu entsprechen hätte. Die Abstraktion selbst stellt den oder einen Vorgriff dar und
zwar einen unbedingten, und das muss dann auch für die Prinzipien, Formeln etc.
anerkannt werden, die mit ihr im strengeren Sinne vereint auftreten: das Omnipotenz
prinzip, das Ökonomieprinzip, Formeln wie ‘non est magis ratio quod (non)’, ‘non est
inconveniens quod (non)’ etc. Sie fungieren wie die distinctio formalis und die identi
tas formalis, die modal und dabei modo composito gebraucht werden, auf der Stufe
der Abstraktion und sind mit ihr verschmolzen, wie ebenso jeder modo composito
gebrauchte Modus überhaupt. Dieser Modus kann nicht mehr zur Kontingenz nie-
dergebracht werden. Identität bezeichnet einen nach der ratio, wie sie ein subiectum
trifft, also einen in einem subiectum angegeben ‘Gegenstand’ ganz in der Weise wie
dieser accidentia, also empirische Details, die der qualitas unterstehen, haben kann.
‘Ratio’ besagt, dass ein Terminus in Bezug auf einen andern in sachlicher Hinsicht, wo
bei der zweite Begriff diese sachliche Hinsicht „definiert“, ‘abgeschätzt’ werden kann
und dann auf keine unbedingte Implikation verweist. Die Abschätzung enthält den
empirischen Aspekt. Der ‘Ratio-Begriff ’ ersetzt die Implikation und fasst die acciden-
tia ein. Insofern, indem er den Hauptbegriff (subiectum) auf sie bezieht, nähert er sich
der Abstraktion, in der er erlischt. Dabei werden die accidentia (auch!) Merkmale
dessen, was beim indirekten Beweis (reprobatio) das Widerspruchsmoment vertritt
oder bedeutet.79 Das kann z. B. „species“ sein.
Die intensionale Bewertung von Schlüssen, die wir mit Ockham betreiben, be-
deutet, dass diese, wie sie in Inhalten anhängig sind, akzeptiert (zugelassen) oder
abgelehnt (refutiert) werden. In dem Sinne können sie (mitsamt ihren Inhalten) als
definit betrachtet werden. Sie beziehen sich a limine auf jeden Zusammenhang, in Be-
zug auf den man hypothetisch sie veranschlagen will: sie gelten abstrakt.80 Dabei ist bei
oder für Ockham wichtig, dass consequentiae nicht ermittelnd, eben auch nicht ablei
tend, verwandt werden, sondern quasi sanktionierend: indem ein Ausdruck nicht ge
billigt wird (oder nur mit einem eingeschränkten Gehalt zugelassen), erscheint eine
consequentia, bzw. wird eine solche gewisse abgesprochen, werden auch andere aus-
geschlossen, womit eine Differenzierung eintritt. Das betrifft auch die ontologischen
Gehalte, sc. ontologische Haupt- und Nebenbegriffe. Das Mittel der Austarierung von
79. Wie die Naturphilosophie beweist, können Widerspruch alias accidens, i.e. der Wider
spruch am accidens oder als dessen Merkmal oder Erscheinungsweise, nicht wahrgenommen
werden. Indem ratio mit der Abstraktion eines wird, gibt es kein Spannungs- oder Beziehungs
moment zwischen Subjekt und Objekt mehr: es entfällt jede Auffassung, die implizit noch (als
der res aufgeprägt ununterscheidbar) ontologisch zu interpretieren wäre. Es fehlt analog auch
die strikt logische Auffassung oder Struktur.
80. Sie befinden sich außerhalb der aristotelischen Logik, indes nicht außerhalb aristotelischer
Philosophie. Wieweit die aristotelische Schlusslehre für begründet zu halten ist, ist offen. Cf.
P. Mittelstedt, 31968 p. 163. Im Übrigen s. Lukasiewicz, 11951. G. Patzig, 1959 erörtert die Syllogi-
stik über eine unausgewiesene Folgerung.
530 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Aussagen und Mitteln, die reflexiv betrachtet werden, durch consequentiae, im Prinzip
also deren Akzentuierung durch Negation und Bestreitung, ist grundlegend und am
Ende strukturell unverzichtbar. Ockham zitiert eine opinio:81 „Dicit tamen ista opinio
quod aliquid potest concludi de Deo a priori tamen non erit scientia proprie dicta
quia non est per causam realem.“ Was hier mit einer consequentia identifiziert wer-
den kann, dazu noch negativ ausgedrückt, wird von Ockham bestritten und zwar im
Sinne eines Widerspruchs zwischen primum und secundum der Gesamtaussage.82
Ockham hat die Religion durch Beweisbewusstsein ersetzt, welches aus einem
notgedrungen offenen Verhältnis von Religion und Welt geschöpft ist.83 Gott wird dar-
in zu einem terminus exclusivus der Welt. Was in dieser empirisch dem Beweisgehalt
entspricht, kann in der Form einer intensionalen Beweisbestimmung ausgedrückt
werden; sie entspricht im weitgehend schon Beweisen. Nur wenn Relationen mit res
übereingesetzt werden sollen, führen wir Reprobationsbeweise, die keiner intensio-
nalen Bestimmung von Beweisen mehr folgen oder entsprechen.84 Wo eine/die inten-
sionale Bestimmung eines Beweises, i.e. die Bestimmung eines Satzes hinsichtlich sei-
ner Beweisfähigkeit, die der Definitheit entspricht und sie einschließt, also hier einen
weiteren analytischen Beweis ausschließt und erübrigt, dort gibt es keine Schließung
zwischen subiectum und passio (praedicatum), die ja den Satz faktisch ersetzen könn-
te und intensional erübrigte. In dem Sinne gibt es auch keine reprobatio; sie wäre dem
inexistenten medium zwischen subiectum und passio gleichwertig oder ‘gleich’.85
Die forma nähert sich dem accidens an, nimmt es aber nicht in sich auf:86 „mo
tus licet significet principaliter formam acquisitam partibiliter, tamen connotat su-
biectum. Quia si deus crearet successive aliquam formam sine subiecto, non esset
motus, quia nihil tunc moveretur.“ Gott könnte, hypothetisch betrachtet, eine forma
81. Ord. Prol. q. 2 OT I p. 97 lin. 20–23. Die unidentifizierte opinio enthält fast Autrecourts
Kritik.
82. Ib. p. 98 lin. 2f: „videtur quod primum et secundum repugnant inter se.” Denn wenn eine
conclusio ‘a priori’, gefolgert wird, d. h. a priore ad posterius, fällt sie unter den habitus ‘sci-
entia’. Sie ist dann ib. 16f: „scientia proprie dicta, et tamen non erit per causam realem.“ Nach
Ockham sollen sich Beispiele für irdische Verhältnisse (cf. ib. lin. 11–13, hier nennt Ockham kei-
ne) wie für theologische Belange (ib. lin. 18–21) finden lassen. Hier sind die Beispiele (ib.): „per
infinitatem Dei potest ostendi indivisibilitas Dei, ita per intellectualitatem animae intellectivae
potest ostendi incorruptibilitas animae intellectivae, vel simplicitas vel aliquid huiusmodi.“
83. Für irdische und transzendente Verhältnisse gelten dieselben Beweisbedingungen und
-formen. Das ist allein in dem Sinne nicht der Fall, dass irdische Kausalverhältnisse auf Gott,
Trinität usw. übertragen werden. Dann können nicht mehr gleichförmige Begriffe angenom-
men werden.
84. Dazu s. Kap. 9: Ontologie und Induktion.
85. Derart bezieht sich die reprobatio auf etwas in facto Inexistentes; es ist etwas intensional
indefinit und realiter unmöglich.
86. Rep. II, q. 9 OT V p. 148 lin. 14–17.
Kapitel 11. Abstraktion und scholastischer Beweiszweck 531
successive ‘aufbauen’, ohne dass diese oder darin eine Bewegung (sukzessive Verände-
rung) existierte, weil kein subiectum vorhanden wäre, an dem der motus stattfände.
Der induktive oder persuasive Beweis führt auf eine abstractio, die wir schon kennen:
der motus wird nicht per accidens tangiert. Damit ist das tertium non datur suspen-
diert oder negiert.87 Es tut sich damit die Absonderlichkeit auf, dass mit der Ontologie
zusammen auch gleich die Logik negiert werden muss. Der akzidentelle Gehalt kann
auf das accidens im ontologischen Sinn nicht abgewälzt und übertragen werden. Die
forma übernimmt ihn ohne damit eine logisch beweisbare Struktur zu erhalten. Eine
ontologische Identität der forma in intellectu wird von Ockham nicht angesetzt:88
„dico quod nulla forma est intra intellectum quae sit principium quo intellectus intel-
ligat.“ Das wird dort gesagt, wo Ockham sagt:89 „quod non requiritur ante actum intel
ligendi aliqua assimilatio praevia quae sit per speciem sed sufficit assimilatio quae sit
per actum intelligendi quae est similitudo rei cognitae.“ Dabei gilt, wie bezüglich der
Naturphilosophie immer, dass wir es stets auch mit per notitia intuitiva geschöpften
87. Und zwar innerhalb der Abstraktion der forma, des Begriffs (Rep. II, q. 9 OT V p. 121
lin. 17–26): „Sed supernaturaliter loquendo potest Deus facere idem corpus in multis locis. Et
tunc mobile habens primum ‘ubi’ posset adquirere secundum et tertium et deinceps, et non
perdere primum. Et tunc esset ille motus tantum adquisitivus et non deperditivus respectu
affirmationes. Sed respectu negationes esset deperditivus, quia licet ‘ubi’ vel loca successive
adquisita maneant, tamen negationes non manent, sed potius suo modo corrumpuntur. Et si
sic ponatur per potentiam divinam, tunc est continuitas in motu locali accipienda sicut in altera
tione et augmentatione.“ Die Supranaturale und naturale ‘Möglichkeit’ des motus entsprechen
sich begrifflich. Die ‘ratio motus praecise’ (ib. p. 122 lin. 23) und ‘naturaliter’ verstanden (ib.
lin. 1) ist secundum quid nominis und secundum quid rei (ib. lin. 24) aufzufassen. Letztere (ib.
lin. 25 – p. lin. 5) „includit partem formae acquisitae per motum, et hoc quantum ad affirma
tiones connotando respectus partium acquisitarum et negationes interceptionis quietis, quia
omnia ista sunt de intraneitate motus. et ipsis positis ponitur motus, et destructis destruitur
motus.“ Zur ersten (ib. p. 123 lin. 20 – p. 124 lin. 8): „dico quod hoc nomen ‘motus’ vel conceptus
eius non tantum significat praedicta quae sunt de essentia motus, sed cum hoc connotat nega
tionem coexistendi cum duobus contradictoriis extrinsecis, quaecumque sint illa, dummodo
sint continue succedentia. Et hoc diversimode in motu locali et aliis motibus ad formam …
et sic motus non tantum connotat unam negationem extrinsecam motui sed infinitas quasi
affirmationes et negationes extrinsecas motui. Quia connotat unam negationem coexistendi
istis contradictoriis extrinsecis ‘ rex sedet’, ‘rex non sedet’, et sic de omnibus aliis quae infinitae
sunt. Et per consequens connotat ipsa extrema contradictionis cuiuscumque extrinsecae cui-
us unum extremum potest alteri continue succedere. Sic ergo patet quo motus est continuus
et quomodo non.“ Ockham schließt für Sätze und Beweise das tertium non datur aus oder
negiert es. Realempirische Dreiwertigkeit liegt bei den contingentia futura unterhalb intensio
nalen Entscheidungsebene Ockhams. Anders sahen es z. B. K. Michalski, Ph. Boehner, auch
K. Bannach, 1975 p. 217f.
88. Rep. II q. 12–13 OT V p. 296 lin. 17f. In der Ed. ungenannte Var. sit (W 1495) einsichtiger als
deren est.
89. Ib. p. 295 lin. 13 – p. 296 lin. 1.
532 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
die Logik diese Form, um die es sich dann zu handeln hätte geben könne. Selbst am
Beispiel der propositio per se nota lässt sich das erläutern: wenn in dieser Satzform
der eine Begriff im Zusammenwirken mit dem anderen unmittelbar die selbstevi
dente und unbestreitbare Erkenntnis ergeben können soll, wird dennoch die notitia
(intuitiva oder abstractiva) der Begriffe diese Erkenntnis nicht gewährleisten. Denn
wie soll der actus apprehensivus des Begriffs oder dann des Satzes per se als intel-
lektiv erklärt werden können? Ockham hat deshalb konsequent erklärt, die notitia
der Begriffe könne hier wie beliebig erfolgen, konfus, distinkt usw. sein; er lässt die
notitia oder deren Bestimmung also in se offen. Er gibt seine Beschreibung oder De-
finition gleich in diesem Sinn.92 So bleibt denn das Verhältnis der Begriffe im Satz
grundsätzlich offen; es ist zum Beispiel unentschieden, ob subiectum oder praedica
tum die disziplinäre Thematisierung bestimmen, angeben oder enthalten. Am Ende
müssen subiectum und praedicatum nicht einmal bündig in Bezug auf die propositio
unterschieden werden (können), was zu bedeuten hat, dass diese weder determiniert
in ein und demselben Sinn unwidersprechlich. Doch hier bleiben Akt und Satz bzw. Akt und
Begriff geschieden, wie es bei Duns Scotus nicht angenommen werden kann.
92. In der propositio immediata stoßen zwei Begriffe aufeinander, die nach Ockham ausein-
ander nicht hergeleitet werden können, während sie im Begriffssinn unmittelbar zueinander
zu gehören scheinen; ihre Verbindung beruht und besteht im Kausalfaktor, der indessen nicht
versichtbart werden kann und unbekannt bleibt. Dass die Wärme sich mitteilt, ‘calor calefacit’,
verweist auf einen nach Ockham unbekannten kausalen Übertrag; er muss in der Tat ungegen-
ständlich sein, wenn er auch beobachtet und gar gemessen werden kann. Die erwärmten Um
gebungen der Wärmequelle werden nicht nur zu dieser sich akzidentell, sie werden auch ge-
genüber calor als forma qualitatis sich insignifikant verhalten; so gesehen gibt es keine Integra-
tion des ‘Faktischen’ in die forma. In dem Satz ‘Deus est omnipotens’, als propositio immediata
klassifiziert, wie schon aus der Stellung zum Syllogismus einsichtig, ist die Zusammenfassung
aller Kausation als Befähigung Gottes nach dem Prädikat omnipotens zu unterstellen. cf. Ord.
Prol. q. 2 OT I p. 124 lin. 23f: „est propositio immediata praedicando de essentia divina omnipo
tentiam.“ Der Satz gehört nach Ockham der natürlichen Theologie und Gotteserkenntnis an,
wenn man sie, die mit den Begriffen ‘Deus’ und ‘omnipotens’ anscheinend schon gegeben ist,
zulassen will. Bei beiden Sätzen ist die Erfahrung der Kausalität nicht gegeben, weshalb von
ihrer Wahrheit gilt: patet tantum per experimentum. Sie könnte nicht syllogistisch einsichtig
gemacht werden. Der Syllogismus beweist keine Kausalität. Ockham hat da im Gebrauch der
causa extrinseca eine depravierte Beweisart gesehen. Sie würde unzulässige media liefern. Cf.
dazu auch ib. lin. 2–7 und bes. ib. q. 4 p 155 lin. 7–16. Wir können aber lt. Ockham mit einer
Änderung der ‘Begrifflichkeit’ zu einer Beweiswertigkeit aufsteigen cf. ib. p. 156 lin. 1–5: „Sed
si poneretur aliquod nomen quod importaret illuminationem lunae et connotaret determinate
solem, ita quod si lumen causaretur in luna ab alio planeta et non a sole quod tunc denomi-
naretur luna tali nomine, tale praedicabile bene posset de luna demonstrari.“ Aber auch diese
hypothetische (abstrakte) Möglichkeit bliebe mit der Erfahrung kompatibel (cf. ib. lin. 5–10),
die unterstellt wird (ib. lin. 9) „quamvis hoc numquam esset visum.“ Wir induzieren also aus
einem inexistenten Faktum, das abstrakt nicht ausgeschlossen werden kann. Die Omnipotenz
teilt sich weder qua causa noch qua Inhalt mit: cf. Ord. d. 20 q. unica OT IV p. 37 lin. 1–6.
534 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
in die Logik integriert werden kann noch von einer ihr vorgeordneten Logik abhän
gen kann, die ihr Aristoteles etwa hätte verschreiben können. An der Stelle beginnen
wir mit einer Theorienbildung, in welcher ‘Erkenntnis’ in se nicht mehr als gegeben
vorausgesetzt werden kann. Dass dann Aristoteles für Ockham als Muster bestehen
bleibt, hat nichts anderes zu bedeuten als dass die Determination der Akte, wie sie zu
deren Ordnung Aristoteles vornimmt, allein wenn sie nicht widerlegbar ist, besser:
die reprobatio ausschließt, gelten kann.93 Es ist die Frage, wieweit sie für die Schola-
stik bei der Lösung ihrer Probleme tauglich ist. Hier geht es wieder um das unlösbare
Problem der Vermittlung und/oder auch inneren Kohärenz der Begriffe; über diese
innere Kohärenz aber wissen wir bezüglich oder vermöge der inneren Natur der Be
griffe oder Akte in mente gar nichts. In ihr müsste die Erkenntnis automatisch oder a
priori sein und so etwa auch die geoffenbarte Wahrheit der Kirche oder des Dogmas,
wenn man denn dieses in dem Sinn ansetzen kann, enthalten oder ihr parallel ver-
laufen können, so dass wir die eine Wahrheit einmal in dieser Weise doppelt hätten.
Die veritas theologica als eine solche die vorzugsweise posset haberi naturaliter hat
Ockham unterstrichen. Das widerspricht dem Verdikt, er habe die natürliche Theolo-
gie desavouiert oder destruiert. Eher ist ‘natürliche Theologie’ sein Flaggzeichen. Nur
sind es die Emendation der Vernunft oder der prinzipiellen Möglichkeit des potenti-
ell intellektiven Ausdrucks und die Emendationen des theologischen Ausdrucks, der
von ontologischen Erweiterungen und Explikationen befreit werden soll, die bei ihm
aufeinandertreffen; doch ist es die besondere Form von Ockhams Darlegungen mit
ihrem theorieexpliziten Gehalt, die uns hindert, hier von christlicher Apologetik oder
auch nur Dogmenrettung zu sprechen.94
93. Ockham kann Aristoteles zitieren (Ord. Prol. q. 1 OT I p. 9 lin. 9–4: „Sic accipitur scientia
I Physicorum, quando dicitur quod ad nullam scientiam, pertinet arguere contra negantem sua
principia; et I Posteriorum, ubi dicitur quod nullius scientiae est probare sua principia; et III
Metaphysicae: ‘Posteriorum investigatio priorum est solutio dubitorum’.“ Danach unterstreicht
Ockham (ib. lin. 14f), dass Aristoteles so auch die Einheit der Wissenschaft angenommen habe:
„Sic etiam accipitur scientia quando dicitur liber Metaphysicae vel liber Physicorum esse una
scientia.“ Dagegen argumentiert Ockham dann entschieden ib. lin. 16 – p. 10 lin. – p. 15 lin. 3.
94. Ockham behandelt Sätze und in dem Sinn nicht Begriffe. Er kennt Begriffe, die in ihrer
Kombination nur von Gott gelten, aber als einzelne dem Ausgangspunkt unserer Erkenntnis in
der notitia intuitiva entsprechen, somit von Gott und creatura gebraucht werden können und
der Empirie nicht widerstehen und widersprechen. Damit ist die Widerspruchsfreiheit aber ei-
gens und vorgreiflich definiert worden. In derselben Weise müssen die Begriffe, die für ‘demon-
strationes de Deo’ verwandt werden können sollen, über Gott hinausgehen. Ord. Prol. q. 2 OT I
p. 127 lin. 6–9: „dico quod aliquid potest de Deo demonstrari. Et ideo concedo quod aliquid est
prius Deo prioritate praedicationis, et tale prius debet esse medium in demonstrando aliquid
de Deo.“ Die prioritas praedicationis bedeutet keinerlei prioritas essendi; insofern geht es um
die Begriffe, über die wir pro statu isto verfügen, nicht um Erkenntnis, die wir nicht haben.
Cf. ib. p. 118 lin. 1–15. Die Beweislehre bleibt begrifflich. Dem schmiegen sich die verwendeten
ontologischen Erklärungsbegriffe an; sie bleiben da stehen, wo die Begriffe als solche mit ihrer
Intention gemeint sind. Ockham kennt nicht die Legitimation menschlicher Erkenntnis durch
Kapitel 11. Abstraktion und scholastischer Beweiszweck 535
An der Stelle aber gleichsam, an der die notitia unius subiecti in Richtung der
Satzbildung und auf den Zusammenhang mit der notitia praedicati hin nicht exakt
nach dem Satzsinn bestimmt werden kann, tritt für die Gehalte der Sätze wie für die
Bezeichnung der Intellektion samt Abschätzung der Beweismöglichkeit von Sätzen
nach Form und Gehalt der Begriff ‘forma’ ein, wie bereits die Ableitung der demon-
stratio potissima zeigte:95 hier werden im Grunde akzidentelle Faktoren der Bestim-
mung von Sätzen mit und nach ihren Satzprädikaten ausgeschieden, um jene letzte
in sich abgeschlossene Satzform der für diesen intensionalen syllogistischen Typus
erforderlichen Nähe von s und P und Geltung und der mitgehenden Beziehung des
medium syllogisticum als definitio formalis subiecti zu ergeben, bei der solche Klassi
fikationen wie causa extrinseca für das medium, der passiones, die einer empirischen
Bestätigung bedürfen etc. auszuschließen. Der Formbegriff selbst indiziert generell
eine Vielheit von Inzidenzien, die für die Vollgeltung der forma, i.e. ihre Determi
natheit in Bezug auf die Inzidenzien, nicht angeführt werden können. Es gibt also
keine Gleichheit von Inzidenz oder Akzidenz und Argumentation (Beweis); in genau
dem Sinn kann die forma nie definit begründet werden. In genau diesem Sinn kann
eine allgemeine Logik im inhaltlichen (prädikatenlogischen) Sinn nicht – mehr – an-
genommen werden. Das hat Ockham somit – wenigstens implizit – auch bewiesen.
Dabei ist der Folgerungsbegriff selbst gleichgültig. Er kann in dem Sinn nicht im Sinn
einer Begründung der forma oder substantia von außerhalb ihrer in Akzidenzien –
definit – gebraucht werden oder gebraucht worden sein.96 Es wird nicht für die
eine höhere uns verwehrte Erkenntnis anderer Träger (angeli, beati,) mit der Behauptung
(Duns Scotus, Thomas von Aquin), beide Erkenntnisinhalte seien analog und in der Form unse
rer Sätze (also jener, die wir de facto haben) adäquat wiedergegeben und de jure gerechtfertigt.
Er setzt in seinen Induktionen mit der entsprechenden Formel wie ‘non est inconveniens’, ‘non
est maior ratio’ etc. keine Implikationen zwischen den Begriffen an; er müsste sonst andere Sät-
ze (Satzklassifikationen) haben. Er bestreitet den ‘regulativen’ Wert unerwiesener Inkonsistenz
als Äquivalent (Garant) von Widerspruchsfreiheit, den Duns Scotus proklamiert (postuliert).
95. Ockham sagt zur demonstratio potissima p. 169 lin. 25f: „ista definitio (die definitio for-
malis subiecti, die hier medium demonstrationis wird) non includit praecise formam rei, sed
dicitur formalis quia includit principia essentialia rei.“ In dem Sinne hier auch der Begriff der
causa. Cf. p. 171 lin. 22 – p. 172 lin. 6.
96. Das geht schon aus dem allgemeinen Aufbau von Ockhams Erkenntnislehre hervor:
Ockham zeigt induktiv (Prol. Ord. q. 1 OT I p. 38 lin. 15 – p. 39 lin. 3): „sequitur quod notitia
intuitiva, tam sensitiva quam intellectiva, potest esse de re non exsistente. Et hanc conclusio-
nem probo … sic: omnis res absoluta, distincta loco et subiecto ab alia re absoluta, potest per
divinam potentiam absolutam exsistere sine illa, quia non videtur verisimile quod si Deus vult
destruere unam rem absolutam exsistentem in caelo quod necessitetur destruere unam aliam
rem exsistentem in terra. Sed visio intuitiva, tam sensitiva quam intellectiva, est res absoluta di-
stincta loco et subiecto ab obiecto.“ Ockham induziert ib. lin. 7f auch: „Patet etiam ex praedictis
quomodo (besser W 1495: quod) Deus habet notitiam intuitivam omnium, sive sint sive non
sint.“ Und dass es eine notitia intuitiva intellectionis geben müsse, die auf keine res extra gehe.
536 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Implikation direkt bewiesen, wenn es um die Bewertung von Beweisen geht, bei wel-
chen die forma eine Rolle spielt.97
Bei Ockham geht es darin um die logische Modalität von Aussagen, nicht um die
Bestimmung von Fakten und Gegenständen, also gerade nicht um deren ontologische
Qualität, die von den Argumentationsstrukturen, etwa mittels der distinctio realis
übernommen und konterkariert wird. Bei Ockham ist ein argumentum intensional
negativ, wo es vorab extensional verstanden wird. Die Notwendigkeit, die Aristoteles
mit allem verbindet was ist, sofern es ist, kann vorab mit der Struktur des Argumen-
tierens nicht verbunden werden, das ja erst ermitteln können sollte, ob etwas not-
wendig sei. Das Argumentieren aber muss, da es notwendig die Induktion als den
Rückhalt der Verbindung zur Existenz erfordert und zulässt, die sachliche Notwen
digkeit ausschließen. Das Faktum und die Relation sind jedoch bei Ockham nur kon
tingent, insofern oder übereinstimmend damit, dass eine Aussage nur bedingt, also
nicht immer gelten könne. Der Gebrauch des Begriffs kontingent für Sachen (res) ist
beschränkt.98
Nikolaus von Autrecourt wollte mit seiner Atomlehre in den res eine Kontingenz
ansetzen i.e. sie realisieren, für die Sätze nicht mehr unbedingt gelten (können) sol
len. Ockham hat die Kontingenz der res übereinstimmend mit den Sätzen an, nach
denen sie als Verhältnisse zwischen s und P erscheint. Es sind die kontingenten Sätze,
Das beweist er express ib. lin. 18 – p. 41 lin. 3. Der Begriff der notitia muss per argumentum
gegen akzidentelle Umstände gesichert werden, aus denen er nicht geschöpft werden kann.
Vorbehaltlich schöpft die ratio probabilis aus ihnen cf. Quaestiones variae q. 5 OT VIII p. 191
lin. 736: „Rationes probabiles … licet non concludant necessario“? Der induktive Beweis erfolgt
aus Kontingentem und beinhaltet Notwendigkeit. Aber nicht die analytische der Begriffe. Doch
kann bei Sätzen, die unmittelbar Erkenntnis ‘besagen’ (beinhalten) dem Status des Begriffs als
universale nachgefragt werden. Hier kann der conceptus als universale für alle res stehen, die
unter ihn fallen, i.e. auch für jede res einzeln. Er steht Einzeldingen gegenüber und zwar induk-
tiv: „In ista (propositione) ‘omnis homo est risibilis’ non potest praedicari res singularis, quia
non est maior ratio de una quam de alia et per consequens quaelibet ibi praedicaretur.“ Und:
„Sed res singularis nulla praedicatur in tali propositione.“ Das enthält keine ‘Quantifizierbarkeit’
(SL I, c. 18 lin. 89f): „potest dici quod hoc commune ‘universale’ est genus, et ideo praedicatur de
specie, non pro se, sed pro specie.“ Über die ‘species’ wird induktiv und intensional die numeri-
sche Quantifikation ausgeschlossen.
97. Die in die forma nicht integrierbare akzidentelle Existenz der Gegenstände schließt aus,
dass wir beweistaugliche Sätze (praemissae und conclusio) erhalten und besitzen könnten, die
eben dieses Verhältnis zu besagen hätten. Somit beweist der Syllogismus nicht dieses Verhält-
nis, was er in einem gleichermaßen und intensional aus den Prämissen (cum aliquo medio) und
für die conclusio zu tun hätte.
98. G. Leff, 1961 p. 110 zitiert „Ockham’s argument that contingency applies only to the future“.
Die reale Eigenschaft ‘Kontingenz’ in den res nimmt Ockham nicht an; darin unterscheidet er
sich cf. Leff, ib. p. 111): „Contingency for Gregory is thus inherent in the nature of all that is not
God, it is synonymous with possible being, independent of all temporal considerations belong-
ing to the present and the past as to the future.“
Kapitel 11. Abstraktion und scholastischer Beweiszweck 537
mit denen alle Skeletierung und Reduktion der Weltverhältnisse erst definit möglich
ist.99 Die Folgerbarkeit, die Nikolaus von Autrecourt idealiter zum Maßstab machte
und realiter als inexistent (als unerfüllbare Forderung) bestritt, entfällt als unange-
bracht. Für Ockham gibt es Unverständigkeit,100 die doch im Sinne der reellen Erfül
lung der Argumentationsregeln, wie er sie dann elizitiert, vermieden werden kann.
Sie betrifft die Deutung von mentalen Faktoren, etwa des Prädikats in theologischen
Sätzen. Sie ist Folge einer falschen Folgerung, bzw. Moment der Konsequenz im Sinne
der Inakzeptabilität der Rolle eines Prädikats oder seiner Deutung. So wenn Ockham
die Ansicht des Aegidius Romanus101 zurückweist, dass Gegenstand der Theologie
die Prädikate Gottes seien. Dabei müssen solche Prädikate förmlich empirisch-prak-
tisch gleich geltend erscheinen:102 „Deus est glorificator, Deus est redemptor, Deus est
99. Ockham fixiert weder die Idee der Ableitung für das Beweisen noch anerkennt er das Ad
äquatheitspostulat, das er auch nicht zugrunde legt. Er akzeptiert die ontologischen Begriffe,
die Autrecourt angreift, neutralisiert sie aber zugleich mit der Scheidung von substantia und
accidens. Die diese Scheidung stützende Argumentation bedeutet eine Synthesis der Begriffe
für den abstrakten Gebrauch in empirischen Fällen (Naturphilosophie). Dabei gilt das terti
um non datur nicht vorab. Gegenbeweise (Widerlegungen) werden beibehalten, im Prinzip
scheidet Ockham Aporien aus. Das gilt auch in den moralphilosophischen Erörterungen. Die
synthetische Qualität des Ermittelns wird von der Implikation getrennt. Autrecourt hatte sie
forderungsweise vorgegeben und dann für prinzipiell oder faktisch nicht gegeben gehalten (er-
klärt).
100. Ord. Prol. q. 9 OT I p. 273 lin. 3–5: „(videtur) omnino irrationalis“.
101. Ib. p. 273 Anm. 1.
102. Ib. p. 273 lin.6–8. Abstraktion und Empirie fallen zusammen, sind jedenfalls formell unun
terscheidbar, wenn alle incomplexa in die Theologie fallen (ib. lin. 18f): „dico quod theologia est
de omnibus incomplexis sed non de omnibus complexis.“ Denn ib. lin. 20 – p. 24 lin. 5: „non
est aliquod incomplexum de quo non praedicetur aliqua passio theologica; sed de omni illo de
quo praedicatur passio theologica potest theologia suam passionem probare.“ Abstraktion gilt
hier auch in dem Sinne, dass die passio von dem incomplexum, von dem sie prädiziert wird,
bewiesen werden kann. Die incomplexa aber betreffen die res huius mundi, von denen wir sie
als Begriffe per notitiam intuitivam gewinnen und abziehen. Also kann die theologia alle diese
incomplexa und ihre passiones betrachten oder behandeln: „ergo de omni tali potest conside
rare.“ Die Annahme wird begrifflich eingelöst durch die Beispiele: „Assumptum patet quia
istae passiones: creabile, annihilabile, perpetuabile et separabile ab omni alio absoluto, factibile
sine omni causa secunda extrinseca, sunt passiones theologicae, et multae aliae. Et istae passio
nes, vel omnes et multae de omni incomplexo praedicantur, et in nulla alia scientia ostenduntur
nec considerantur sed tantum in theologia considerantur.“ Ockham zieht einen Vergleich zwi-
schen Theologie und Metaphysik (ib. p. 274 lin. 5–10): Wie jene Gott mit allen seinen Prädikaten
betrachtet und eben als ihm zugehörige behandelt so diese alle Prädikate von ens (p. 274 lin. 7:
„de quolibet contento“ i.e. in jedem inhaltlichen Betrachte, also abstrakt). In der obigen Liste
der Prädikate, die der Theologie angehören, erscheinen mit ‘separabile ab omni alio absoluto’
und ‘factibile sine omni causa secunda extrinseca’ diejenigen, die die omnipotentia divina um-
schreiben und zugleich mit der distinctio realis kongruieren, womit auch darin Empirie und
538 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
reparator, et sic de aliis.“ Gott ist Gegenstand der Theologie (als subiectum in Sätzen).
Nicht die Prädikate, die Gott zugeteilt werden. Der Grund ist: „et ita talia (sc. praedi
cata) non sunt ratio subiecti sed praedicata attributa ipsi subiecto“, welches Gott ist.
Die Schlussfolgerung geht also von der intensionalen Qualität der Aussagen aus. Der
regulative Weltbezug für die theologische Erkenntnis bzw. deren Deklaration bleibt
erhalten.103 Der extensionale Bezug oder Wert übersetzt sich als intensional negati-
ves Argument der Satzbestimmung (Erklärung von Satztypen). Wahrheit als Topos
oder ‘Sache’ wird vom kontingenten Satz übernommen; die Kontingenz setzt sich in
den mentalen Bereich hinein selbst fort; hier gibt es keine Kausalität, die etwa noch
von der Implikation adaptiert oder mitversehen, überdeckt resp. vorgetäuscht werden
könnte.104
So lässt sich denn auch der terminus ‘verificari’ gebrauchen im Sinne einer mit
den abstrakten Auslegungen per Schluss verbundenen Beziehung auf significata:105
„per praedicta possunt aliquo modo verificari fere omnes opiniones de subiecto the
ologiae, licet forte non ad intentionem ponentium eas.“ Wir müssen immer einen
Schluss haben, der significata in dem Sinne quasi intermediär nicht auslässt, als damit
der falsche Schluss bezüglich einer Meinung und zu ihrer Stützung finaliter nicht ge-
halten werden kann. Nie aber ist die passio eine res:106 „Quod autem passio praedi-
cabilis secundo modo sit quidam conceptus patet, quia res extra animam esse non
potest, cum non sit extra nisi tantum res singularis.“ Die res singularis in se wird
nicht erkannt. Es wird keine res singularis im Verstand als Begriff prädiziert: „nihil
praedicatur in propositione nisi quod est cognitum ab habente propositionem.“ Es
gibt nichts Mittleres zwischen Begriff bzw. Verstand und Sache, die in ihrer Weise
allgemein, notwendig etc. sein könnte: weder per Postulat noch qua Sein.107
Dass der intellectus subiectum des actus intelligendi ist (und dann auch nicht
causa efficiens et immediata des actus intelligendi) bedeutet, dass kein Satz im Sinne
des actus intelligendi und des accidens zum subiectum intellectus aus diesem, gleich-
sam im Sinne der substantialen Bestimmung des intellectus entwickelt werden kann.
Die Scholastik hatte hier förmlich immer eine Identität gedacht und über diese Iden-
tität praktisch alle ihre ontologischen Annahmen gelenkt und dementsprechend auch
ihre Konzepte als dependent ontologische entwickelt. Es konnte aus der Potenz des
Verstandes keine Ableitung der Erkenntnis geben, derart, dass diese mit den Sätzen
104. Ockham beginnt mit in der notitia intuitiva empirisch gewonnenen Begriffen und kontin
genten Sätzen. Er hält solche oder analoge Sätze aus keinem anderen Grund für überempirisch
oder außerempirisch wahr als dem, dass die notitia intuitiva oder aber die notitia abstractiva
in verschiedenen weiteren Versionen oder Begründungen als kompatibel mit der anfänglichen
notitia intuitiva erscheinen können. In diesen Fällen kommen auch andere Medien als der
menschliche Begriff in Betracht, etwa die divina essentia, die als Gegenstand in der visio be
atifica auch deren Erkenntnismittel ist. Es gibt eine notitia abstractiva = es kann eine notitia
abstractiva bei solcher transempirischer Erkenntnis von der divina essentia und den mit ihr
verbundenen bzw. ihr zugeordneten cognitiones geben, die ohne antezedente notitia intuiti
va möglich sei. Dieser Fall kann induktiv als kompatibel mit unseren empirisch fundierten
Erkenntnismöglichkeiten pro statu isto gedacht werden. Wo Ockham die Erkenntnisfaktizität
bestreitet, liegt solche Kompatibilität nicht vor.
105. Ord. Prol. q. 9 OT I p. 271 lin. 7–9 (und später).
106. Ord. Prol. q. 3 OT I, p. 134 lin. 5–7.
107. Cf. M. de Gandillac in: A. Forest et. al, 1956, p. 456: „Dans aucune connaissance intuitive,
ni sensitive ni intellective, la chose n’est constituée dans une existence quelconque (in quocum
que esse) qui soit un quelconque intermédiaire entre la chose et l’acte de connaître … c’est la
chose même qui, immédiatement sans aucun intermédiaire … entre elle-même et l’acte, est vue
et appréhendée.“ Verweis auf I Sent. XXVII, 3,1.
540 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
manifest geworden wäre, wie ja auch die Beschreibung der intensionalen Qualität
der Sätze oder des actus apprehensivus nicht sich so ergeben konnte, dass dieser mit
seiner Reichweite oder Struktur das Vermögen hätte erklärbar machen können. Na-
türlich sind wir auch fern von jeder Erklärung der Christlichkeit als Moment oder
Kapazität des Denkens, Urteilens und Erkennens. Es gibt nur die Feststellung, dass
sich scientia und fides nicht widerstreiten. Mit ihren Bestimmungen gehen sie nicht
mutuell ineinander auf. Dies leistet Ockham. Autrecourt hätte mit seinen präsum-
tiv kritischen Thesen nach dieser Voraussetzung die Ableitbarkeit eines accidens
aus einem subiectum respektiv der substantia annehmen und im Sinne der von ihm
bezweifelten Adäquatheit negieren müssen. Das hieße: er hätte seinen Thesen oder
deren Voraussetzungen (conditiones), wenn es sie denn geben konnte, eine synthe
tische Qualität zusprechen müssen, obwohl er Ableitbarkeit oder Adäquatheit gera-
de wegen des Fehlens einer solchen Synthesis ablehnten wollte. Er hätte somit die
Definitheit unterstellt, die er bezweifeln wollte. Das war irrational. Es konnte in der
Voraussetzung der opiniones, die Autrecourt angreifen wollte, die Ableitung (Implika
tion) nicht geben. Ockham lässt indes bei Bestreitung scholastischer Sätze und ihrer
Ableitung gleichwohl Ansichten finaliter zu, die mit der Bestreitung der Implikation
möglich werden. Autrecourt empfiehlt am Ende die strikte Beschränkung auf Fröm-
migkeit, während Ockham die Bearbeitung (considerare und investigare) der theolo-
gischen Glaubenslehren partiell für möglich und empfehlenswert hält. Dabei können
die theologischen Aussagen im weitesten Sinne, also alle, die eine theologische passio
aufzuweisen hätten, mit oder ohne Anstrengung des Verstandes, nicht in Betracht
kommen:108 „Quia enim tempus vix sufficit ad illa quae sunt necessaria ad salutem,
ideo talia non debet homo pro statu isto investigare, /§ vel non oportet, §/ maxime
in particulari.“ Das heißt: nicht im Besonderen und nicht eingehend. Sie haben auch
den inhaltlichen Charakter nicht. Sie müssen nicht geglaubt und nicht nach theolo-
gischem Gehalt verstanden werden. Der müsste dann aber a parte intellectus sich
definieren lassen. Indes: Verstehen und Glauben werden nach ihrem Verhältnis mit
Ockham nicht definit aufgelöst werden können. Der Begriff der scientia erlaubt es
nicht und die glaubende Seele in sich wird nicht Gegenstand. Die psychischen oder
psychologischen Haltungen werden es sehr wohl; sie können erprobtermaßen in der
Form, wie Erkenntnistheorie und Beweishandlung (Induktion, persuasio, reproba
tio, instantia usw.) ihren Verbund bilden, eruiert werden.109 Die Kausalität, die von
Ockham zwischen den Akten der Seele sowenig wie in der Realität extra animam
nicht bestritten wird, wird doch nicht regulativ für die Sätze und die darin gesuchten
Indem nun Ockham vom empirisch zu gewinnenden Begriff zwar ausgeht, ihn
aber in keiner Weise für derartig überformbar hält, dass aus ihm gefolgert werden
könnte (konnte), mithin eine jede logische Gestalt des Denkens als die prinzipielle,
die ermitteln könnte und den Verstand, sei es theoretisch begründete, sei es exempla-
risch ins Werk setzte, wird der Bezug der Folgerung auf die divina essentia und ihr
Verhältnis zum Menschen und zur Welt faktisch keine Leitfunktion mehr haben.112
Es kann keinerlei theologisch taugliche Folgerung mehr geben. Mit der Aktlehre ist
der Bezug auf die divina essentia aber noch möglich.113 Der Begriff und Gott sind
conclusio … Ergo si sapientia esset respectu alicuius unius, sicut est intellectus et scientia, sa-
pientia non distingueretur ab intellectus et scientia.“ Ein intramentaler Faktizitätsbeweis wird
nicht geführt, vielmehr geht es um die Beleihung eines nomen mit einer denkbaren Aktidentität
oder: Identität eines habitus, mit der dieser formell distinkt wäre. Ockham folgt terminologisch
und sachlich Aristoteles, auf den er dazu verweist (p. 223 lin. 4–13), wenngleich genau in dem
Sinne seiner eigenen eigens formulierten These; für sie wurde der Beweis (persuasio) geführt
(lin. 13–16): „Sed (sapientia ut habitus) non est realiter et formaliter scientia et intellectus, quia
tunc non esset habitus distinctus ab eis: ‘also muss er sie beide gleich (aequivalenter) umfas-
sen’.“ Der Typus der betroffenen demonstratio ist die ‘propter quid’ cf. p. 224 lin. 9f. Analoges
wird Ord. Prol. q. 1 OT I p. 57 lin. 20 – p. 59 lin. 23 für die Identität und Abtrennbarkeit von iudi-
cium, assensus, notitia (apprehensio) complexi, notitia incomplexi, actus apprehensivus (und
actus dubitandi und actus dissentiendi) voneinander ermittelt, d. h. postuliert (persuadiert):
Sie können, obwohl sie natürlicherweise nicht getrennt vorkämen, aber für distinkt gehalten
werden können, „per potestatem divinam“ als voneinander getrennt auftretende ‘vorgestellt’
werden, „quia non apparet evidens contradictio“ (u. ähnliche Formulierungen), was auf der
Basis der distinctio realis ja auch gar nicht sein kann, da sie das Kontradiktionsprinzip ersetzt.
Zur Komposition der oben genannten Akte ‘iudicium’ etc. etc. Cf. schon dieselbe q. 1 p. 16
lin. 6 – p. 17 lin. 12.
112. Das Verständnis (die grundsätzliche Vorstellung) von Folgerung muss bei Ockham über-
dies frei sein (= verschiedene Modifikationen des Folgerungsbegriffs zulassen), weil er einen
Übergang (eine Verbindung) zwischen Begriffsgehalten nicht kennt. Es kann besondere Fol-
gerungsaggregate geben, weil die Verbindung von Begriffen gleichnamig mit der Folgerung
nicht möglich ist. Z. B. die demonstratio potissima. Alle Argumentation Ockhams aber steigt
zuletzt aus der Naturalität auf, von der sie sich absetzt. Das macht ineins seinen Gegensatz ge
gen jede andere Philosophie aus, die damit als abzulehnender Naturalismus erscheint. Er frei-
lich ließ den Naturalismus als Grundlage, Ausgangspunkt und eventuell Fluchtpunkt bestehen.
Jedes Methodenkonzept, das Ockham kritisch entgegengestellt werden könnte, wäre als natura
listisch zu klassifizieren. Ockham, der auf Ableitung und Folgerung als independente oder
implikative Darstellungsmittel bei seinen Ansichten verzichtet, kann nicht Einwänden unter
liegen, bei denen Folgerung und Ableitung (a) verwandt, (b) unterstellt (c) nicht begründet
worden wären. Ockhams Operationen und die darin ermittelten Strukturen haben so einen
formalen Charakter.
113. Fides dagegen wird von Ockham in einem natürlichen Sinn und nicht nach einer beson-
deren theologischen oder religiösen Ausrichtung gebraucht. Fides ist ein habitus. So wird fides
gegen andere actus und habitus wie scientia oder opinio abgegrenzt. Wo ich nicht ‘weiß’, kann
Kapitel 11. Abstraktion und scholastischer Beweiszweck 543
gleich unerforschbar. Der Begriff ist bereits in der Antike, wenn er in sich autonom
betrachtet Erkenntnis sein können soll, ein rein Unmögliches.114 Wäre er christlich
und mittelalterlich vorübergehend gerettet worden, soweit nämlich wie er benötigt
wurde,115 so hat doch schon Ockham die mittelalterliche Bestrebung, denkend das
Denken zu sanktionieren, verändert: das sich legitimierende Denken kennt struktu
rell nicht länger Inhalte, die über das Determinieren von Sätzen hinausgingen.116
Das wirkt traditionell im Rahmen des Mittelalters. Es ist revolutionär wo mit sei
ner Methode sein artifizieller Charakter der Begründung von Spiegelungen erkannt
wird; dann aber erscheint immer noch, dass es nicht eigentlich inhaltlicher Natur
sein kann.117 Dieser artifizielle Charakter allein begründet die bedingte Absolutheit
seiner Einsichten; aber für diese in die Methode verschlungene Absolutheit kann es
ich doch meinen (opinari), schließlich auch glauben (credere). Von der fides eines anderen
Menschen kann ich ebenso wenig eine Evidenz (notitia intuitiva) haben, wie von dem mir qua
Glaubenslehre Bekannten. Hier habe ich nur eine notitia abstractiva. Ich kann es nur für wahr
halten. Ich muss keine weitere religiöse Aneignung betreiben, die dann noch eine besondere
seelische wäre und umgekehrt. Aber die theologischen Aussagen können inhaltlich secundum
statum naturalem conceptuum et propositionum vorab oder hypothetisch strukturiert werden.
So lassen sich für sie sogar aus der Empirie entlehnte ‘Widersprüche’ beseitigen. L. Kolakowski,
Die Philosophie des Positivismus, dt. 1971 p. 23 meint, dass Ockhams „Doktrin die Existenz der
natürlichen Theologie unmöglich machte.“ Doch die empirische Geltung oder Vergleichbarkeit
kann zwangsläufig keine unbedingte sein. Dass „die religiösen Offenbarungswahrheiten unab
hängig von der Offenbarung mit Hilfe sachlicher Argumente“ nicht mehr „zu beweisen“ seien,
gründet zutiefst darin, dass nominalistisch die Empirie ihrerseits schon mit der Folgerung nicht
belastbar ist. Die Trennlinie verläuft bei Ockham dort, wo er sich dem göttlichen Verstan-
de zwar approximiert, sich seiner aber nicht bemächtigt, und dies eben auch nicht secundum
formam demonstrandi, die er ja durch sein Entscheidungsverfahren ersetzt hat, bei dem Sinn
(Inhalt) und Operation (Folgerung) getrennt sein müssen und so auch nicht Kriterien fürein
ander abgeben (können).
114. Bei den Vorsokratikern erscheint er als etwas Schwankendes, tastend Gewähltes. Platon
verdächtigt ihn der Unzuverlässigkeit und misstraut ihm allgemein. Aristoteles greift ihn in
‘dieser’ Allgemeinheit, womit er eine Antwort, ja theoretisch gesehen mehrere, schuldig bleibt.
Vielleicht dann auch inhaltlich alias methodisch.
115. Nach F. Borkenau, Anfang und Ende, 1984 gibt es keine rein christliche Verarbeitungsqua-
lität.
116. Es wird aber damit nicht als es selbst erkannt. In diesem Sinn fällt Ockham hinter die
aristotelischen Vorhaben zurück. Es steht bei ihm zwischen Schein und Sein, Inhalt und Be
zeichnung, Ausdruck und Geltungswert.
117. Nur bedingt wahrt Ockham mit seiner Rationalität den Status des Begriffs. O. Leffler,
Wilhelm von Ockham: Die sprachphilosophischen Grundlagen seines Denkens, 1995 bezieht
Ockham, in Sonderheit die SL, auch gleich auf Priscian. Es müßte scholastisch eine Rückkehr
bedeuten; denn aus der Grammatiktheorie hatte man sich einst erhoben. Zu Leffler siehe noch
das Nachwort.
544 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
118. Motivfeststellungen sind von der Idee abhängig, dass der Verstand für etwas arbeite was
nicht er selbst ist, bestenfalls die Vernunft. Oder Triebbefriedigung. Das bedeutet eine prekäre
Vorbedingung, weil darin ein Vermögen von Scheinvoraussetzungen (unbegründbaren Zwec
ken) ausgehend für diese in se unzulängliche Gründe sucht, die von einem strengeren und
leistungsfähigen Vermögen, dem Verstand, geliefert werden sollen, das so an sich entkräftet
und desavouiert erscheinen muss. Das ist auch für Ockham darin relevant, dass er himmli
sche Referenzen unserer Existenz an das Vermögen des Verstandes derart einzig bindet, dass
es seinen hypothetischen Befund formal genauestens über die Funktion der Argumentation
(Beweisführung) einbekennt und die potentiell definite Begriffsverwendung doch nicht als
empirisch eingelöst ansieht. Das gilt auch für die ethischen Konzepte, die in der christlichen
Terminologie bei Ockham über die irdische Bindung hinaus korreliert, verglichen und abge-
grenzt (differenziert) werden. So ist z. B. der amor Dei bei Ockham präsent. S. Utrum virtutes
sint connexae (Quaestiones variae, q. 7 OT VIII pp. 323–407, dort z. B. p. 335 lin. 137 – p. 336
lin. 2; p. 358 lin. 413 – p. 359 lin. 422; p. 390 lin. 332–343 u. pp. 391–395 passim). Die von O. Suk,
The Connection of Virtues according to Ockham, Fr. St. 10, 1950 pp. 9–32, 91–113 unterstellte
connexio virtutum ist realiter secundum argumentum eher eine Zerteilung, bei der induktiv
Einzelvoraussetzungen für Distinktionen und Differenzierungen gesucht werden, worin die
Induktion naturgemäß die Einzelbehauptung plus Negation einer abstrakten Verbindung zwi
schen bestimmten Eigenschaften, Handlungen und Neigungen (in der intensio auch Tugen
den) besagt, nicht aber deren bedingungslosen und unverbüchlichen Kontext. Zur Darstellung
s. schon K. Werner, 1881–1882, 1964.
119. Ord. Prol. q. 2 OT I p. 125 lin. 7f: „de facto non est consimilis ordo rerum et conceptuum
correspondentium.“
120. Ib. lin. 7: „non omnis actus intelligendi est essentia divina.“ Ockham merkt die evidente
Scotische Referenz an ib. p. 98–102, pp. 103–109 und pp. 119–127.
121. Ord. Prol. q. 2 OT I p. 124 lin. 13–24: „quantumcumque natura divina, intellectus et vo-
luntas distinguerentur realiter, … tunc posset omnipotentia demonstrari de divina esentia per
intellectum et voluntatem tamquam per medium, tamen modo non est talis ordo istorum con-
ceptuum quod unum possit esse medium demonstrandi omnipotentiam de reliquo. Quia tunc
omnipotentia non competeret primo divinae essentiae sed intellectui vel voluntati, nunc au
tem primo competit praecise divinae essentiae, quia praedicatum quod competit primo uni rei
non potest competere primo nisi illi rei. Et ideo omnipotentia modo primo competiti divinae
essentiae, et est propositio imeddiata praedicando de essentia divina omnipotentiam.“ Dass
andere Beweismittel als die menschlichen Begriffe mit womöglich höherem Erkenntniswert
Kapitel 11. Abstraktion und scholastischer Beweiszweck 545
existieren, ist induktiv zwangsläufig zuzulassen: Da die propositio immediata, um erkannt wer-
den zu können, der Erfahrung bedarf, muss dort, wo solche Erfahrung direkt nicht gegeben ist,
aber gleichwohl eine propositio immediata denkbar ist (dafür dass die Erfahrung auszuschlie
ßen sei, liegt kein Beweis vor), ein Überstieg in eine andere Qualität der Erkenntnismittel an-
genommen (zugelassen) werden. ‘Omnipotens’ können wir begriffstypologisch und intensional
als von ‘essentia divina’ verschieden annehmen. Der Begriff ist unempirisch, indes vorhanden:
er entspricht dem natürlichen Gottesverständnis. Dieses müssen wir zulassen, da und sobald
es vorhanden ist. Die ontologische Strukturierung der Begriffe, die mit diesen gleichziehen
könnte, wird von Ockham ausgeschieden.
122. Ockham löscht generell alles hyperbolisch Ausdruckshafte aus den Verstandesmitteln; die
Brücke zu Gott wird technisch und formal. Cf. die Verwndung des Omnipotenzprinzips.
123. Cf. Ockhams Wiedergabe ib. p. 102 lin. 17–24. Duns Scotus verstand was er als interne
sinntragende Werte der Deduktion annahm: Kausalität, Komposition, Definition und Unter-
schiedenheit der Begriffe nicht als movens dieser Deduktion selbst, die er über die Dignität des
Anfangsbegriffs und den daraus dependenten ordo conceptuum autonom sah. Hierin wollte er
so etwas wie ein ‘A priori’ bewerkstelligen: unter Gebrauch (Einschluss) der Logik. So lässt sich
im Scotischen Beweis, der mit der Koinzidenz von Methode und Konstrukt wirklich, wie oft
betont, die Neuzeit antizipierte, keine Struktur sehen (wie W. Kluxen, L. Honnefelder). Dazu
müssten Inhalts- und Operationsteil getrennt werden können, wie es in Ockhams reflexiver
Struktur der Fall ist.
124. Für den Begriff ‘omnipotens’ in inhaltlicher Hinsicht argumentiert Ockham – mit einer
persuasio, also auf die Abstraktion zielend (oder sie einbegreifend bzw. von ihr einbegriffen,
wenn sie vorausginge), in der er zeigt, dass der Begriff ‘unableitbar’ ist äqivalent damit, dass er
keine inhaltlichen Einschlüsse haben kann. Cf. Ord. d. 20 q. unica OT IV 4 p. 37 lin. 3–6: Wir
können diesen Begriff anwenden „nec secundum perfectionem, quia si essent duo dii omni-
potentes, de utroque diceretur quod esset omnipotens, et tamen neutrius potentia contineret
potentiam alterius per talem superaequivalentiam perfectionalem.“ Zuvor hatte Ockham ge-
sagt, dass dieser Begriff (ib. lin. 1f) „nec universalis (est) secundum praedicationem nec se-
cundum causalitatem.“ Der Begriff ist komplex (komposit) und kann in toto nicht empirisch
erworben werden. Der Satz ‘Deus est omnipotens’ ist syllogistisch unbeweisbar nach Regeln,
die Empirie und Syllogistik nicht in Gegensatz bringen. Auch die definitio (descriptio) der
consequentia formalis sieht beides zusammen. Ein Satz, der nur durch iterierte notitia intuitiva
als allgemeiner in einem Beweis Platz haben kann, wird allerdings von einem unterschieden,
der schon als abstrakter als Prämisse im Beweis taugt. Doch ist das eine Differenz in den Be-
stimmungen: hie die abstrakte Beweisaktuation per actus apprehensivus, dort tritt die notitia
546 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Bedingungen dafür,125 dass „de aliquo simplici non habente defintionem potest esse
scientia proprie dicta, quia potest esse subiectum accidentis quod potest esse medium
demonstrandi aliquid de illo simplici. Similiter, forte si illud simplex constituatur ex
distinctis formaliter“, wie es bei der Trinität der Fall ist, „aliquid potest demonstrari
de illo per alterum constituentium tamquam per medium.“ So die Schöpferkraft der
divina essentia über die des ‘Vaters’. „Similiter, de simplici potest aliquid demonstrari
per aliquod commune sibi et aliis tamquam per medium.“ Nur „per definitionem tam
quam per medium nihil potest de eo demonstrari.“126 Die Ontologie, die bestimmend
oder erläuternd in die Sätze einträte, bzw. die Begriffe in Bezug aufeinander derart
zu determinieren hat, besagte damit deren logischen Zusammenhang oder schlösse
ihn ein, bzw. käme der logischen Beweisformel gleich, mit der der Satz bewiesen wer-
den könnte; eventuell müsste die Beweisformel bewiesen werden. Das alles geht, wie
Ockham zeigt, nicht an.127 Hier bedeutete aber mit Ockham auch die moralische For
derung an den Menschen keinen epochalen Ausweg, keine wirkliche Wegweisung.
Er behandelt sie ganz in derselben Weise wie er die dogmatisch-religiösen Elemen-
te von menschlicher Sünde, Sündlosigkeit (der virgo beata), der Zweinaturenlehre,
der Einwohnung Christi im Sakrament, der Trinität behandelt;128 stets regelt er das
intuitiva hinzu. Die Intellektion bestimmt Ockham nicht. Seine Erörterungen als ein Modell
verstanden können dessen offenbar auch in puncto Konsistenz entraten.
125. Cf. Ord. Prol. OT I p. 125 lin. 13–23.
126. Über dem kontingenten Satz als Grundtypus wird der Syllogismus begründet zum reinen
Anordnungsschema.
127. Der Beweis der ontologischen Formel aber hätte diese empirisch zu verstehen; dies hätte
eine Ausweitung bzw. einen induktiven Beweis für sie zu erfordern. Den wird Ockham nicht
geben. Stattdessen widerlegt er die ontologische Generalmaxime (nach jedem oben im Text
gegebenen Verständnis) empirienah. Dazu insbesondere Kapitel 9: Ontologie und Induktion.
128. Eine moralisch einwandfreie Haltung gegenüber Gott und die weitgehend wertfreie irdi-
sche Tathandlung, die wir aufeinander beziehen, gehören verschiedenen Stufen an und können
nicht aufeinander abgebildet und in logischem Sinn unmittelbar verknüpft sein. Sie können nie
gleichgesetzt werden. Ockhams Falllösungen richten sich gegen die Gleichsetzung beider und
beseitigen so das Problem. Er betreibt die Negation der Problematik, indem er sie in die Form
von Aporien bringt und daran ihre Abwegigkeit erkennen lässt. S. Müller, 2000 mit konziser
Darstellung der casus vornehmlich im Summary (engl.), pp. 232–249 sieht in den Sophismen
und ihrer Lösung die Darbietung von doxa und p. 248 „a circular line of reasoning“. Doch
Ockham legt nur den minderen Rationalitätgrad (scheinbare Mächtigkeit) der Probleme dar
und befreit den Menschen höchstens mittelbar von Überforderung, zunächst von der cogitatio
inutilis. Er geht nicht von der tiefen Sündhaftigkeit oder Sündenschuld des Menschen aus und
gelangt nicht zu ihr. Er wahrt seinen modus arguendi: er räumt Einsprüche aus, indem er auf
konditionale ‘kontingente’ Sachverhalte zurückgreift und durch Einzelinduktionen zeigt, dass
die abstrakten und reflexiven Begriffe in schon definierten Relationen davon nicht tangiert,
dass diese Relationen und ihre Definitionen davon vor allem nicht aufgehoben werden. In der
Folge wird damit ein abstrakter Begriffswert, eine Größe, überhaupt gesichert (Quaestiones
Kapitel 11. Abstraktion und scholastischer Beweiszweck 547
Denken über zuletzt doketisch anmutende Denkmittel. So schon beim Begriff.129 Man
mag da magisch oder gleichsam prähistorisch anmutende Momente auch für Gott
sehen und ihn schließlich auch im Konzept nicht weiter als bis zum Symbol entwic-
kelt finden,130 dieser Begriff von Gott im Wettstreit mit den Begriffen überhaupt und
in der Gestalt der Sätze, in die er einzugehen hat, erhält und behält bei Ockham eine
variae, q. 4 OT VIII p. 140 lin. 864–868): „Potest intellectus apprehendere et dictare ante om
nem actum voluntatis quod peccatum sit detestandum propter deum, et voluntas tunc potest
conformiter velle istud ostensum. Ergo talis actus nolendi non necessario praesupponit velle.“
Der actus nolendi ist hier unabhängig von dem actus volendi. Er ist nicht notwendig auf einen
Zwischenakt des Wollens oder Nichtwollens sündigen Tuns verwiesen. Empirisch sollte man
meinen, dass das nolle aus dem velle folge: ich will etwas, daher will ich etwas anderes, sein
Gegenteil bzw. Fehlen, nicht. Ich will die sanitas, also nicht den morbus. Diese Reihenfolge
gilt hier nicht, die Begriffe haben bei gleichzeitiger Geltung für die Empirie von der Argumen
tation abhängig intensionale Relationen. Dennoch gäbe es ohne empirische Relevanz keine Er
kenntnis! Es ist diese Relevanz, die nicht ausgeschlossen wird. Sie wird nicht per Abstraktion
getilgt. Sie wird eingeklammert. Das ist eine abstractio sui generis. Abstraktion und Empirie
erscheinen getrennt. Dass etwas Sünde ist, dependiert akzidentell aus Gottes Gebot; keine Tat
ist nach ihrer naturalen Erscheinung per se Sünde.
129. Die Supposition betrifft keinen Begriff in sich, wie sich schon daran zeigt, dass sie ihm
bloß im Satz eignet. Ein Satz wie ‘homo est species’ zudem, worin homo mit der suppositio sim-
plex steht, besagt nicht, dass species Eigenschaft des Begriffs, per se oder akzidentell, sei. Denn
wenn in der suppositio personalis ein Terminus auch für einen Begriff stehen kann (obgleich
‘uneigentlich’ wie Ockham betont), kann ‘derselbe’, wenn denn die Suppositionsarten distinkt
sein sollen, keine species als Qualität irgendwie annehmen: sie bezeichnet aber die Extension
des Begriffs, die daher für den Begriff nicht entscheidend sein kann, wenn er definit gebraucht
werden soll. Species und suppositio personalis entfalten ihre Differenz und (‘gemeinsame’)
Funktion reprobativ. Species ist per se ein (intensional) negativer Begriff, wie in der Oppositi-
on zu forma in Reprobationen sich zeigt, wenn dort ein suppositionslogisch probater Satz am
Ende die Lösung besagen soll. Item: wenn in der suppositio simplex keine significatio (in Bezug
auf den Begriff) entfaltet und gemeint ist, ist dort, wo eine Extension (= species) genannt, ge-
meint oder ‘konnotiert’ wird, die significatio für den Begriff (dieser als significatio) exkludiert.
Der ontologische Realismus wird getilgt als Aporienvermeidung. Da der Begriff (mental) nicht
identifiziert wird, außer am Ende durch sich selbst (als Name), wissen wir nicht, was conceptus
in se, qualitativ usw. ist.
130. J. Huizinga, 1919 verweist vergleichend oft auf den archaischen Charakter des mittelalter
lichen Denkens und Handelns. Er sieht hier eine dem Märchen verpflichtete Versponnenheit
tagtäglich am Werk. Das birgt eine Tendenz, dem Mittelalter eine prälogische Selbstdeutung
und Selbstgewissheit zu unterstellen, in der es traumartig in sich abgeschlossen gewesen wäre.
So wurde es von der Kunst behandelt (Richard Wagner). F. Tönnies, Briefwechsel mit F. Paulsen,
(Brief vom 30.10.1879) findet die romantische Betrachtung des Mittelalters legitim; in Gemein
schaft und Gesellschaft, 1887, 81935 macht er erstere zum Inbegriff für das Mittelalter, letztere zu
dem der Neuzeit.
548 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
theoretische Dignität, die einen methodischen Eintrag bedeutet.131 Darin blieb die Be-
ziehung auf eine im Sinne des Jüngsten Gerichtes abgeschlossene Geschichte offen.132
Der Scholastiker fasste sachliche Beziehung auf die Welt (nach vereinzelten Realitäts-
punkten) und Bezug auf Gott (nach der Kirchenlehre) im Sinn ‘einer’ mit dem Signal
der Konsistenz versehenen Auslegung zusammen; dabei hatten die ‘abstrakten’ Fakto
ren eine reale Bedeutung, die quasi als automatische unterstellt wurde. Gleichsam in
131. Es kann bei Ockham keine Bestimmung des Satzwertes in Identität mit dem Begriffs-
inhalt geben. Darüber musste die Deduktion des Duns Scotus und Spinozas hinweggehen;
sie müssen je einen minimalen Satzinhalt annehmen, der den Bezug zur Realität, die Iden-
tität mit dieser besagen soll, und so schon das consequens und die consequentia in einem
Schluss selbst besagt. Eine solche Voraussetzung muss und kann aber nicht gemacht werden;
Ockhams ganze Theorie und Erörterung weist das zurück. So wird von Ockham etwas inten-
sional ‘Unmögliches’ ermittelt, das struktural der Beweisform des Duns Scotus entspricht und
direkt und beinahe ausschließlich seine Denkweise ausmacht. Darin ist immer, was der Rea-
lität in se (fiktiv) zugesprochen werden kann, auch für das Verhältnis von s und P, dem Satz
selbst, als deren Verhältnis bestimmend, nicht beweisbar, eher widerlegbar. Dazu gehört auch
die Kausalität, die ebenfalls als dem Verhältnis von s und P in Absehung auf die Realität zuge
sprochen wird (cf. Ord. Prol. q. 3 OT I p. 143 lin. 4–6): „subiectum vel aliquid importatum per
subiectum est causa alicuius importati per praedicatum“, was (ib.) für die propositio affirmata-
tiva und praedicatio propria und per se secundo modo gelten soll, für die Begriffe als Größen
oder Faktoren aber nicht ausgelegt (expliziert) werden kann. Die Kombination der Begriffe
kann dabei nicht einmal nach ihrer begrifflich-sprachlichen Typologie erklärt werden: Forma
praedicationis subiecti und forma praedicationis passionis können nullomodo als notwendig
bestimmt und begründet werden. Dafür ist zuletzt der Grund, dass in Form des kontingenten
Satzes eine Wahrheitsdefinition gegen die Deduktion auftreten kann. Der kontingente Satz ist
Wahrheitsäquivalent. Kausalität und Ontologie thematisiert Ockham projektiv für die Reali-
tät, aber nicht als intentionell daraus ‘hervorgeholt’. Da treten Beweisunmöglichkeit und Wi
derlegbarkeit widrig auf. Sprachwissenschaftlich könnte, wie es bezüglich der agglutinierenden
Sprachen geschehen ist (cf. T. Kaneko, 1969/1971), von Topikalisierung der Logik und der scho-
lastischen Denkformen im Wahrheitsaspekt des kontingenten Satzes gesprochen werden.
132. Hier siehe zur Selbstdeutung im Frühmittelalter auch A. Funkenstein, 1965.
Kapitel 11. Abstraktion und scholastischer Beweiszweck 549
der Ausführung mitging. Das hat Ockham unterbunden.133 Er operiert in jedem Sinn
für die instrumentelle Identität des apprehensiven Begriffs.134
133. Ockham verbindet etwa mit den Prädikamenten keine per se reale Auslegung secundum
rem, sondern bloß eine intensionale intentionelle Auslegung in Richtung auf die res per argu-
mentum. Cf. explizit Tractatus de quantitate, q. 3 art. 3 OT X p. 67 lin. 54 – p. 68 lin. 82. Dabei
ist die Beziehung von der substantia oder qualitas zur quantitas (was die Satztypenbestimmung
angeht) eine per accidens: cf. ib. p. 77 lin. 291–301. Ockham analysiert die scholastische (on-
tologische) Nomenklatur wie die Termini Reales ‘bedeuten’ können, nicht aber sind. Dabei
erlischt im Argument die fiktiv (auch logisch) reale Bedingung von Erkenntnis, während eine
induktive laut distinctio realis und identitas realis, nach der propositio contingens und daraus
abzuleitenden Satztypen wie propositio per se primo modo angenommen oder ermittelt wird.
Qualitas und quantitas sind intensional realiter identisch oder geschieden, nicht aber wie prä-
sumtiv von der Sache her erfasst.
134. Nicht für eine Identität darunter, etwa eine sensuelle oder ontologische. Cf. instruktiv
auch o. Anm. 129.
kapitel 12
. Ockham kennt die ‘Formel’ (Ord. Prol. q 2 OT I p. 107 lin. 18f): „Sed hoc est impossibile,
quia probatum est quod …“ Bewiesen worden soll sein, (ib. lin. 19f) „quod omne tale aequa
liter includit intellectum sicut essentiam et e converso.“ Die Annahme, die Duns Scotus mittels
der distinctio formalis für das Verhältnis zweier Begriffe (essentia, intellectus) gemacht hat,
der eine sei ‘quidditativ’ und der andere „pro parte rei“ ‘denominativ’, gelte nicht. Auch von
Gott gelte (ib. p. 108 lin. 1f): „essentia divina et intellectus faciunt per se unum.“ Das impli
ziert, dass etwas allgemein (in jedem Sinn, rundum) bewiesen wurde: Da ‘realiter distincta’
(p. 107 lin. 25 – p. 108 lin. 1) „propter tamen compositionem faciunt per se unum … multo ma-
gis (= a fortiori!) illa quae distinguuntur formaliter propter tamen identitatem realem.“ Damit
muss der Beweis faktisch induktiv für die Begriffe von Grund auf (i.e. empirisch) gelten und
zwar nach dem Begriffsverhältnis als Struktur contra-analytisch.
. Ord. Prol. q. 1 OT I p. 69 lin. 10–15.
. Ib. lin. 15–18.
552 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
et caritatem quae sunt habitus in nobis, quamvis possit intuitive videre actus qui elici
untur ex istis habitibus qui sunt credere et amare.“ Der habitus ist also quasi schon
eine Größe, eine qualitas natürlich, mit der man begriffswertig aus der geschaffenen
Welt heraustritt. Ockhams Summe lautet: „dico quod notitia intuitiva pro statu is
to non est respectu omnium intelligibilium, etiam aequaliter praesentium intellectui,
quia est respectu actuum et non respectu habituum.“ Der habitus wird bloß diskursiv
erschlossen. Mit dem discursus, wie er den habitus erschließt, bezeichnen wir den
habitus zugleich auch umgekehrt als de facto nicht für die notitia intuitiva gegeben.
Andernfalls müssten habitus und notitia intuitiva ineinander übergehen können: i.e.
der habitus die notitia intuitiva sichern, etwa wenn die notitia intuitiva die Feststel-
lung nicht existenter Gegenstände erlauben soll, ein Sonderfall, bei dem oder mit dem
Ockham in die supranaturale Sphäre (conservatio per deum) überwechselt. Dennoch
nimmt Ockham an, dass aus der notitia intuitiva aliquomodo, i.e. unbestimmt, ein
habitus entstehen könne, der aber in die Regelstruktur der Akte des Denkens und
ihrer Bezüge nicht bemerkbar (evident) und konstitutiv Eingang findet. Der habitus
soll kein Präjudiz der notitia intuitiva sein. Denn die notitia intuitiva wird spontan
vom Gegenstand als einer causa partialis hervorgebracht und nicht aus der Natur des
Verstandes ableitbar sein, wie er das subiectum dieses actus oder dieser notitia ist.
. Wir hatten ähnliches bei den notitia (intuitiva und abstractiva) gesehen. Hier hatten wir mit
der notitia abstractiva per potentiam divinam absolutam die empirische Bindung des Denkens,
wie sie bei Ockham grundlegend und bindend ist, auch überschreiten können. Es war eine no
titia abstractiva in der Erkenntnis der divina essentia persuasiv ‘möglich’, die nicht durch die
notitia intuitiva gehalten und vorbereitet wäre.
. Ib. lin. 5–8.
. Der habitus wird also naturaliter erkannt: per discursum. In diesem Sinn muss er als er
schlossen gelten. Er wird für Akte vorausgesetzt und ist diesbezüglich durch Erfahrung erkenn
bar. Inductive patet. Der habitus kennt intensio und remissio: er wird durch Häufigkeit der
Akte gestärkt und durch deren Nachlassen geschwächt.
. Es ist, wie man erkennt, der habitus causa lediglich der notitia abstractiva, nicht der notitia
intuitiva. Beide notitiae sollen ja nach ihrer ratio hinsichtlich ihrer Leistung inclusive ihrer cau
sae real unterschieden werden können. Die heterogenen causae indizieren eine Fixierung der
Geltung, i.e. der Erkenntnis. Zunächst gilt, dass beide notitiae als solche distinkt sind, wenn sie
als notitiae incomplexae gesehen werden. Dann aber ist die notitia intuitiva mental als cognitio
pure intelligibilium möglich, cf. Ord. Prol. q. 1 OT I p. 28 lin. 5–14: „Omne intelligibile, quod
est a solo intellectu apprehensibile et nullo modo sensibile, cuius aliqua notitia incomplexa
sufficit ad notitiam evidentem alicuius veritatis contingentis de eo et aliqua notitia incomplexa
eiusdem non sufficit, potest cognosci ab intellectu duabus cognitionibus specie distinctis; sed
intellectiones, affectiones, delectationes, tristitiae et huiusmodi sunt intelligibiles et nullo mo
do sensibiles et aliqua notitia incomplexa earum sufficit ad notitiam evidentem, utrum sit vel
non sit, et utrum sint in tali subiecto vel non et aliqua notitia earundem non sufficit; igitur etc.“
Wir erkennen die res extra animam vollständig und deutlich durch die notitia intuitiva (Ord.
d. 3 q. 5 OT II p. 478 lin. 19f): „notitia rei intuitive potest esse distincta.“, dann erkennen wir
Kapitel 12. Verflechtung und Abgrenzung der Akte 553
Dass die notitia intuitiva aus dem habitus nicht entwickelt werden kann (und
es müsste im Sinn eines dabei für allgemein zu haltenden Begriffs logisch, i.e. ana-
lytisch geschehen), wenngleich der habitus ihr doch noch entspräche, bedeutet
dass er nicht sichtbar wird (= sichtbar gemacht werden kann). Weder entlässt die
sie vollständig durch beide notitiae (Ord. Prol. q. 1 OT I p. 31 lin. 8f): „sed idem totaliter et sub
eadem ratione cognoscitur per utramque notitiam.“ Zuletzt haben wir in der notitia abstrac-
tiva einen über die notitia intuitiva hinausgehenden Erkenntnisstand, etwa in der Definition
(Ord. d. 3 q. 5 OT II p. 480 lin. 1–7): „aliquando autem facit diffinitio ad notitiam alicuius rei,
quia investigata diffinitione et aliqua re singulari oblata, cognoscit intellectus illam rem habere
tales partes vel tales, quod non faceret si ignoraret illam diffinitionem. Et ita istis modis facit
diffinitio ad notitiam rei, et quodlibet istorum modorum sufficit ad salvandum auctoritatem
philosophi et aliorum.“ Die notitia intuitiva distincta rei kann früher sein (ib. p. 478 lin. 18ff):
„quod aliquando ante omnem diffinitionem habetur cognitio rei distincta. Hoc patet, quia no-
titia rei intuitive potest esse distincta.“ Wir haben ‘Fälle’, die die amplitudo der ratio der actus
anzeigen und, wie sie nebeneinander möglich sind, ein Kausalverhältnis besagen (können), das
der Logik sich entgegensetzt: indem die Fälle und der darin identische Akt nach seiner ratio
den Zusammenhang zulässt, besagt er ihn genetisch in umgekehrter Richtung zur Implikation.
Die Kausalität wird ein Modus. ‘formaliter causatur’, ‘formaliter possibilis’ etc. Wir erreichen
die Determinatheit für den knappen Satz, der das Verhältnis ausdrückt: i.e. den actus in hete-
rogenen Beziehungen (mit anderen Akten usw.) sich erstreckend aufzeigt.
. Eine solche Argumentation alias Grundvoraussetzung spielt aber in der Textur Ockhams
keine Rolle.
. Er kann ihr potentiell zugeordnet werden, das heißt: es ist nicht ausgeschlossen, dass die
notitia intuitiva einen habitus habe, dieser also aus ihr doch noch entstünde, wenngleich wir ihn
im Sinne der immer induktiv bestimmten Ermittlungen und Erkundungen à la Ockham nicht
präsentieren können und er eben auch nach der Kausalstruktur der Elemente und Größen des
Erkennens nirgendwo vorkommt. Denn die notitia intuitiva bewirkt die notitia abstractiva,
wie beide den actus apprehensivus enthalten, und der habitus bezieht sich als causa (partialis)
bloß auf die notitia abstractiva oder den actus apprehensivus. Die causae partiales der noti-
tia intuitiva aber sind die res extra mentem und der intellectus. Der intellectus ist subiectum
actus intellectionis; er enthält also den Erkenntnisakt auch nicht inhaltlich und als nach der
logischen (analytischen) Folgerungen daraus hervorzuholen. Ein entsprechendes Modell von
Kunstsprache à la Carnap und Tarski liegt nicht zugrunde, und es gilt nicht, weil die analy
tische Folgerungsart, wenn sie der scholastischen Sprache sich bemächtigen oder bedienen
würde, zu den Widersprüchen und Widerlegungen führen würde, die Ockham anführt. Dass
es einen analytischen Modus der Explikation zugunsten der aristotelisch-scholastischen Spra-
che oder Erkenntniswelt nicht gebe, behauptet dann auch Nikolaus von Autrecourt. Dass ein
kunstsprachliches Konglomerat von definierten Inhalten (Begriffen) und logischen Ableitungs-
regeln, wie es am prominentesten Tarski untersuchte, nach Gödel am Ende, spezifisch laut ei
nem Widerspruchsfreiheitsbegriff (Widerspruchsbegriff) nicht mehr als konsistent und (nach
dem Widerspruchsbegriff), nicht mehr als wahr erwiesen werden könne und zwar laut Gödel
notwendig nicht, macht das Beweisen aporetisch, zumal die Prämissen des kunstsprachlichen
Systems als wahr und nach der Deutung der dabei gebrauchten Logik sogar als a priori wahr
vorausgesetzt werden sollen. Wir gehen aber mit Ockham für das scholastische ‘System’ von
554 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
notitia intuitiva den habitus im Sinne logisch folgerbaren Enthaltenseins aus sich10
noch kann der habitus im Sinne zwangsläufiger (automatischer) Kausation für die
notitia intuitiva in Anschlag gebracht werden.11 Wir müssen aber kausale Relevanz,
weil sie bloß akzidentell bestimmt sein kann, i.e. nicht aus der Begriffsanalyse gewon-
nen werden kann,12 immer auf Fälle beziehen, die aber, da sie nicht aus den Begriffen
gewonnen werden können, auch nicht Aussagen entstammen könne, in denen die
Begriffe vorkommen; es wären ja sonst die Begriffe mit dem Gebrauch in den Aussa
gen allgemeingültig verwendet worden. Wenn also die Fälle, auf die man auch noch
im Sinne der Kausalität sich beziehen will, außerhalb der Aussagen liegen, die man
so verwendet und bezieht, muss die Beziehung, da sie nicht mehr induktiv begrün-
det werden kann, auf einer Veränderung (oder Umkehrung) des Verständnisses der
der Abstraktion aus und sehen sie für Ockham im Wesentlichen mit der Induktion verbunden,
nicht mit einer analytischen Folgerungsweise.
10. Derart gibt es keine inhaltliche Entsprechung oder Zusammengehörigkeit (wie immer) der
Begriffe untereinander. Es kann so kein Sachverhalt nach den Begriffen bewiesen oder analog
überhaupt behauptet werden.
11. Hier kann der habitus nur den actus apprehensivus, i.e. einen Bestandteil der notitia intuiti
va hervorbringen, eben die notitia abstractiva, die allein aus diesem besteht. Das ist mithin
induktiv beweisen. Wir könnten die notitia intuitiva, deren causae partiales die res extra men-
tem und der intellectus sind, nie allgemeingültig aus dem habitus herleiten, weil wir dann eine
instantia hätten: die notitia intuitiva kann als cognitio ex parte rei entstehen und sie muss es
grundsätzlich. Fälle, dass sie ohne praesentia sive existentia rei extramentalis fungiere oder be
stehe, sind dann induktiv nicht ausgeschlossen
12. Ockham setzt die scholastische Terminologie voraus, damit auch Begriffe, die direkt kausale
Referenzen haben (enthalten), bezieht sie aber schon auf casus (des Vorkommens). Logisch geht
es dann nur noch um den Grad ihrer Allgemeinheit, also Maximen, in denen ihre Bedeutung
mitsamt ihren realen Auslegungen in der empirischen Welt angesetzt werden kann. Diese sind
selten oder nie allgemeiner Natur, es sei denn man hat die Begriffe in mehrere Bedeutungen
spalten (‘zerlegen’) können, wobei dann womöglich eine allgemein sich ausnimmt, i.e. unbe-
streitbar ist, damit leicht auch trivial und ziemlich inhaltsleer. Sie erschließt dann gerade nicht
so viel, wie mit der zurückgewiesenen allgemeinen Maxime geglaubt werden musste und inten-
diert war. Eine andere (weitere) Auslegung im Sinne dieser Zerfällung in mehrere Bedeutungen
(oder auch mehrere Auslegungen) wird dann nur eingeschränkt gültig sein. So eher legitime
Auslegungen betreffen; sie geben partiale Vorkommen in reali und sind zu bestreiten, wenn
man sie auch allgemeingültig und durchgängig anwendbar sehen will. Der Begriff geht von
sich aus nicht zum anderen Begriff oder einem Sachverhalt über. Wäre ein Begriff gleichwertig
mit einem anderen, so wären sie nach Ockham ein und derselbe Begriff (eine Feststellung, die
bei Ockham einem Prinzip gleichkommt, indes von ihm noch argumentativ erhärtet und ad
hoc gewonnen werden kann) oder stellten eine bloße terminologische Mannigfaltigkeit dar.
Das Vorkommen der Begriffe (mehr noch: ihre Richtigkeit) kann ohne empirische Abstützung
nicht ermessen werden.
Kapitel 12. Verflechtung und Abgrenzung der Akte 555
Relation zwischen den Aussagen beruhen oder auf eine solche hinauslaufen.13 Dies
wird im Laufe dieses Kapitels gezeigt werden.
Die propositio per se nota besteht (mittels eines iudicium) bereits vermöge der
notitia intuitiva: Diese ist eine notitia incomplexa. Das iudicium bezieht sich auf das
complexum (Satz). So sind notitia intuitiva und iudicium praktisch realiter geschie-
den:14 „dico quod notitia illa intuitiva et illud iudicium distinguuntur realiter, quia illa
notitia intuitiva est respectu incomplexi, illud autem iudicium est respectu complexi.“
Gleichwohl stehen sie naturaliter in einem zwangsläufigen Verhältnis:15 „Et quando
quaeritur a quo causabitur illud iudicium, potest causari a notitia intuitiva rei.“ Die-
ses zwangsläufige Verhältnis gilt cum generali influentia Dei. So bei der propositio
per se nota:16 „propositio per se nota ad cuius evidentem notitiam sufficiunt termini
cum generali influentia Dei; potest tamen hoc impedire.“ Normalerweise gilt:17 „Ita
notitia intuitiva sufficit ad notitiam evidentem quod res sit nisi sit impedimentum vel
nisi activitas illius notitiae impediatur.“ Und:18 „Et hoc sufficit ad notitiam intuitivam
quod quantum est ex se sit sufficiens ad faciendum rectum iudicium de exsistenstia
rei vel non-exsistentia rei.“ Ebenso:19 „dico quod per notitiam intuitivam rei potest
evidenter cognosci res non esse quando non est vel si non sit.“ Gott kann aber die
13. Da wir hierbei wieder kontingente Verhältnisse haben, i.e. nicht von unwandelbaren ausge
hen müssen, auch wenn die Feststellung der beiden Sachverhalte im Verhältnis oder Zusam
menhang nicht strittig sein kann, also allgemeingültig ist, selbst wenn sie dabei nur modal
formuliert werden kann, doch darin eine Prävention gegen Ausschließungen besagt oder ent
hält, kommen wir wieder dem kontingenten Satz der Suppositionslogik nahe, der einmal an
der Stelle der Realität und ihrer primären Wahrnehmung im menschlichen Geist (Verstand)
steht und zum anderen niemals als auf analytisch auslegbaren Begriffen beruhend verstanden
und verteidigt werden kann. Sollen die reflexiven oder ontologischen Begriffe, welche wir den
extrema propositionis (subiectum und passio) zuteilen, analytisch als nach Inhärenz (des acci-
dens alias passio) im subiectum (in der substantia) bzw. analytisch als Notwendigkeit des Zu-
sammentreffens beider im Gegenstand extra animam bzw. in einer Bewegung oder sonstigen
Relation gedeutet werden, greifen bei Ockham reprobationes, die damit als indirekte Bewiese
(seit Aristoteles auch reductio ad absurdum) schlechthinnige Unmöglichkeiten bedeuten. In
realempirischen (physikalischen, naturphilosophischen) Erörterungen greift Ockham hier auf
den Begriff der forma zurück. Sie kann dann nach seinen Beweisen und Erschließungen der
Realität, wo motus, augmentatio, duratio usw. eine Rolle spielen, nicht im Bereich der akziden-
tellen Minimalität, Veränderung, infinitesimalen Modifikation wiedergefunden werden. Zur
reprobatio der Filation ontologischer Begriffe s. die vorhergehenden Kapitel.
14. Ord. Prol. q. 1 OT I p. 69 lin. 19–21.
15. Ib. p. 70 lin. 23 f.
16. Ib. lin. 11–13.
17. Ib. lin. 13–15.
18. Ib. lin. 18–20.
19. Ib. lin. 21–23.
556 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Erkenntnis der existentia rei aufheben oder verhindern, wiewohl eine klare Evidenz
von ihrer Gegebenheit bestand:20 „forte non est inconveniens quod res intuitive videa-
tur et tamen quod intellectus ille credat rem non esse, quamvis naturaliter non possit
hoc fieri.“21 Dieser kann Fall kann nicht mit dem anderen übereinstimmen, dass et-
was was nicht existiere, gleichwohl per potentiam divinam verursacht dem viator er-
scheine,22 den man zum Kardinalfall nominalistischer Verunsicherung menschlicher
Erkenntnisfähigkeit hat machen wollen, ja zur Bruchstelle, an der die Entwicklung
der Neuzeit begonnen habe. Aber auch hier jetzt, wie man dem Wortlaut entnimmt,
wird diese Verunsicherung menschlicher Erkenntnisgewissheit ausdrücklich von
Ockham ausgeschlossen.23 Da der Mensch bezüglich des iudicium nicht mehr auf ein
incomplexum sich bezöge wie mittels der vom iudicium real unterschiedenen notitia
intuitiva, ist die natürlich verlaufende Kausation leicht zu unterbrechen, wie sie es an
der Stelle der distinctio realis immer ist. Wenn Ockham insgesamt den Fall erörtert,24
dass per notitiam intuitivam rei potest evidenter cognosci res non esse quando non
est vel si non sit (s. o.), so betrachtet er ihn naturaliter als den Fall, dass25 „non est
inconveniens quod aliqua causa (sc. die notitia intuitiva) cum alia causa partiali (hier
die res extra) causet aliquem effectum et tamen quod illa sola sine alia causa par-
tiali causet oppositum effectum.“ Das ist ein Überredungsargument. Aber Ockham
geht hier gar nicht auf die dazu ja auch nötige conservatio notitiae intuitivae ein, die
übernatürlich erfolgen muss.26 Ockham sagt hier lediglich:27 „Et ideo concedo quod
non est eadem causa illorum iudiciorum, quia unius causa est notitia sine re, alterius
causa est notitia cum re tamquam causa partiali.“28
Bei allen Fällen und ihrer Gliederung liegt der Schwerpunkt in der Empirie. Die
Fälle lassen sich danach voneinander detachieren. Aber sie werden gegeneinander
nicht in se anschaulich, mag Ockham auch dabei29 auf ein „scimus per experientiam“
verweisen, oder30 auf ein „quilibet experitur“. Wir erschließen die Empirie nicht in
sich im Gegenstand der Erfahrung, so dass Erfahrung gleichsam sie selbst mit ihrer
mentalen Erscheinung nach deren absolutem Wert werden könnte. Wir verweisen
nur auf sie. Die Ontologie bedeutet hier eine Präjudikation. Gliederung und Unter-
scheidungen der Fälle ergeben sich a posteriori. Sie dependieren nicht aus der Präju-
dikation und diese kann nicht förmlich in Begriffe ausgelagert und übertragen, dort
festgemacht werden. Das duldet der Nominalismus Ockhams nicht, der so a posteriori
seine Konsistenz sukzessiv in den Argumentationen und Verteidigungen der Begriffe
über und für die Fälle, in die deren Gebrauch und Kombination zerfällt, einholt. Das
Faktum (das mit einem Begriff, mit allen Begriffen vereinigt sein soll) wird nicht über
Begriffe, in die es gleichsam übersetzt zu sein hätte, erschlossen. Die Faktoren, bzw.
Größen oder Begriffe, wie notitia intuitiva, iudicium, habitus usw. usw. können einen
inhaltlichen Sinn virtute relationum nicht haben. Die Fälle erweitern nicht den Gedan
kenraum, sie stellen nur die Begriffswertigkeiten infrage. Dieser Gedankenraum war
vor Ockham und wahrscheinlich auch nach dessen eigener Meinung zu unbestimmt.31
So wird er reduziert; er wird der unbedingt geglaubten oder verlegenheitsweise zu glau
benden Begriffswertigkeit entkleidet: es tritt eine hypothetische auf, die methodolo-
gisch und im Verfolg der Konklusivität insgesamt Definitheit ‘einschließen’ muss. Das
bezeichnet eine synthetische Verfahrenskomponente oder Wertigkeit. Derart können
wir die verschiedenen Vorkommensfälle aufeinander beziehen und müssen nicht in
befände sich das Objekt, das im Bewegungsablauf an einer Stelle sich aufhält, zugleich an einer
anderen. Das geschähe per Wunder. Die nova creatio der Welt wäre nicht ein Wunder, sondern
Überschreitung der Bedingungen der gegenwärtigen Schöpfung (cf. ib. q. 10 p. 185 lin. 9–16).
Wunder als Medium der Theologie oder des Denkens werden von Ockham ausdrücklich abge
lehnt: es reichten die, die die Bibel berichtet. Neue müssen wir nicht erfinden. Also ist es nicht
anzunehmen, dass er sie mittels des hypothetischen argumentum der potentia divina absoluta
einstreuen möchte. Das hieße: Wunder so zahlreich wie die Verwendung des Omnipotenzprin
zips bei ihm ist, die keine schrankenlose Willkür von seiten Gottes meint, wie sie nach Ockham
der bona theologia ebenso wie der bona logica widersteht. Der doppelte Aufenthalt eines Ge
genstandes, hier negativ und lächerlicherweise von einem sich bewegenden Gegenstand ange
nommen, wäre zugleich ein dem Modell nach authentisches Wunder.
29. Ord. Prol. q. 1 OT I p. 69 lin 8.
30. Ib. p. 69 lin. 8f.
31. Dass die beiden termini notitia intuitiva und notitia abstractiva sehr allgemein in Gebrauch
seien, wird von Ockham implizit zugestanden. Er differenziert indes (Ord. Prol. q. 1 OT I p. 40
lin. 12–13): „talis cognitio (sc. notitia abstractiva) secundum omnes abstrahat ab hic et nunc,
per talem non posset sciri veritas contingens quae concernit certam differentiam temporis.“
Nach ib. p. 41 lin. 9 – p. 44 lin. 6 gebraucht Ockham beide termini auch in der Verbindung mit
Augustinus, wo sie sich ebenfalls per inductionem differenzieren.
Kapitel 12. Verflechtung und Abgrenzung der Akte 559
verschiedenen casus die termini ändern; das scheint aber immanent zu drohen, wenn
Ockham mit der Refutation gegnerischer Vorhalte einsetzt.32 Die Divergenz scheint
hier Inkonsistenz der Termini oder bestimmter vorgängiger opiniones zu bedeuten
und Unverbindbarkeit der Fälle. Er erreicht (eine Art) Verallgemeinerung: sie betrifft
die Faktoren der Erkenntnistheorie im Verhältnis der Fälle, die einander nicht aus
löschen, wenn sie sich gegenseitig präzisieren und voneinander getrennt oder trenn
bar erscheinen, ja in dem Zweck genannt und erhoben werden, um das zu tun. Die
scheinbar ‘strikte’ Deduktion à la Duns Scotus ist aufgekündigt. Die im einzelnen
anderen Fall scheinbar drohende ‘Widerlegung’, soll argumentativ ausgeräumt wer-
den: dabei verweisen die Formeln des Omnipotenzprinzips, des Ökonomieprinzips,33
des ‘non est magis ratio quod (non)’, des ‘non est inconveniens quod (non)’ etc. auf In
duktion und persuasio So hat das Omnipotenzprinzip eine technisch-argumentative
Funktion, keine reale doxologische Komponente.34 Danach überlappen sich die Fälle
32. Ockham kann die Terminologie beibehalten und den casus (die casus) modulieren: die
verschiedenen casus entstehen (und sie bestehen intensional danach), indem die termini, die er
gebraucht (und definiert), eben dabei nicht zu Inkonsistenzen führen, sondern argumentativ
vor ihnen bewahrt werden können. Ockham kann nach der Basis verschiedener Fälle induk-
tiv Geltungen von opiniones (im Einzelnen und Einzelnes betreffend) behaupten, die einander
nicht widersprechen (müssen). Die intensionale Auslegung kongruiert mit der „extensionalen“,
der realen. Da z. B. die eine notitia in verschiedenen casus vorkommen kann, ‘gibt’ es auch (die)
eine notitia; anders: es gibt eine intensionale Existenz, die auch für die oder eine extensionale
gelten kann. Die Kompatibilität der unterschiedlichen Fälle wird durch die oft genannten For-
mel wie ‘non est inconveniens’ usw. mit ‘gewahrt’. Sie stehen im Rahmen der Induktion und der
persuasio. Beide aber bedienen die Abstraktion: eine Abstraktion, die nicht die casus stört, also
deren Determinatheit nicht auflöst.
33. M. de Gandillac in A. Forest et al. 1956 p. 452 Anm. 1 sieht Omnipotenzprinzip und Öko
nomieprinzip in einer gemeinsamen kritischen Funtion: „La loi d’économie renforce à plus
d’un titre l’usage critique de la potentia absoluta, non seulement pour justifier le miracle (ac-
tion directe de Dieu), mais pour discréditer de prétendues causes secondes qui ne sont que
de fictions inutiles (formalitates, species).“ Die wahren causae secundae werden in Kausalver-
hältnissen empirisch variiert. Die Zahl der möglichen causae bleibt (Ökonomieprinzip). Die
causa prima (omnium) bewirkt keine Wunder, die mit der Tilgung oder Löschung von causae
secundae einhergingen. Sie müsste da die Schöpfung einreißen und vernichten. Die hier nötige
reprobatio setzt Ockham abgewandelt und rein innerweltlich gegen Thomas’ und Scotus’ fikti-
ve Determinationen (Erweiterungen) scholastischer Begriffe.
34. Auch gibt es hier ein Argument ‘a fortiori’: Wenn Ockham nicht will, (Ord. Prol. q. 2 OT I
p. 155 lin. 14–16) „omnia demonstrari per Deum tamquam per medium“, wobei Gott als „causa
extrinseca tam efficiens quam finalis“ gebraucht wird, kann er auch nicht wollen, dass Gott
wahllos als causa gegen alle Realverhältnisse vermöge seiner divina potentia absoluta eintrete
und wirke (= sich selbst als causa prima an die Stelle der causae secundariae setze, die er bei der
Schöpfung aus sich entlassen habe). Beim angeführten Beispiel sagt Ockham (ib. lin. 16): „Sed
hoc est inconveniens“. Gott kann sich nach dem Omnipotenzprinzip als causa prima an die
Stelle der causa secunda setzen, indem und weil er damit innerhalb der einen Schöpfung bleibt,
560 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
unbestimmt.35 Das nur unbestimmte ‘Sich Überlappen’ ist auch so zu deuten, dass die
causa (causalitas), wie sie mit den einzelnen Größen gegeben sei, i.e. (inner-)kasu-
al nicht ausgeschlossen werden kann, den Begriff (die Größe, den Faktor) bewahrt,
aber ihre Reichweite nicht definiert enthält36 und eben auch so, wie noch Umstände
beitreten können, und Umstände, Abwandlungen für die Umstände, nicht zu jenen
Induktionen führt, mit denen die Größen (Begriffe) kasual ihre Relevanz (Verbin-
dung) haben. Andernfalls wären wir wieder bei der analytischen Folgerungsart und
ihrer gewissen Weise, Voraussetzungen zu machen, am Ende ontologische und in der
Form der petitio principii.37
Dass aber kein empirisches Material, wie es ja mit den erkenntnistheoretischen
Begriffen indiziert wird, förmlich aus sich erschlossen wird, lässt sich beweisen: Der
Begriff oder die Größe iudicium ist noch, wie für sie die distinctio realis zur notitia
intuitiva gilt, in keiner praktischen Hinsicht inhaltlich gefasst:38 „Et si quaeratur de iu
dicio consequente praecise notitiam intuitivam sensitivam an distinguatur ab illa, pot
est dici quod non distinguitur ab illa, sicut nec iudicium intellectus quod stat praecise
also nicht diese aufhebt. Die Aufhebung dessen, was eine nicht akzeptierte Beweisstruktur dar
zustellen hatte, wäre unlogisch in deren Sinn und damit (semantisch) paradox. Es gäbe keine
Grundlage für die Annahme, dass Gott die Weltordnung signifikant und signifikativ aufhöbe.
Die Paradoxie läge in der Welt und nicht in den Begriffen oder im Verstand (wie bei Kants
Antinomien der reinen Vernunft). Ockham kann sich sogar persuasiv eine überempirische Aus
wechslung der Begriffe denken, mit der eine Umwandlung und Ersetzung der Sachverhalte
einherginge, wie er ib. q. 5 p. 170f kundtut. Schon das genannte semantische Paradox muss
besagen, dass sich Beweisqualität mindestens per Negation der realempirischen Begriffs- und
Sachverhältnisse ergäbe – eben jener realempirischen Begriffs- und Sachverhältnisse, die wir
Ockham oben mit dem syllogistischen Gebrauch Gottes als causa extrinseca und causa efficiens
und finalis als beweisinaffin verneinen und bestreiten sahen, wenn wir denn glauben wollen
und sollen, dass die Deutung der divina essentia und ihrer absoluten Eingriffsmöglichkeiten
irgendwie real und logisch fundiert seien. Ockham, der angeblich die menschliche Erkenntnis
sicherheit diskreditieren wollte, hätte dies außerhalb seines syllogistischen fundamentum in-
concussum getan, in das er das Omnipotenzprinzip zudem problemlos integriert; es wird durch
einen ungültigen Syllogismus dann ebenfalls ungültig.
35. So gibt es das (scharf umrissene) Faktum weder in anima für die mentalen Größen (no-
titiae, habitus, usw.) noch extra animam. Es besäße weder terminus exclusivus noch terminus
inclusivus.
36. Cf. schon Anm. 7.
37. Hier haben wir dann den Modus des Aufwerfens von instantiae gegen Ockham, auf die er
mit seinen Refutationen, Ausweichungen, mit der persuasio, der Induktion, dem Hinweis der
Nochmöglichkeit nach den Formeln ‘non est inconveniens’, ‘non est magis ratio quod (quod
non)’, ‘potest esse secundum potentiam divinam absolutam (naturaliter loquendo), sed non se
cundum experientiam’ u. ä. antwortet.
38. Ord. Prol. q. 1 OT I p. 69 lin. 22 – p. 70 lin. 2. Es geht hier um Realempirie. Cf. daher
Anm. 39.
Kapitel 12. Verflechtung und Abgrenzung der Akte 561
in notitia incomplexa; et ideo non est iudicium sequens nec est proprie iudicium,
quia non est respectu alicuius complexi, sed tantum est iudicium aequivalenter, sicut
alias dicetur.“ Wenn die notitia intuitiva über die Existenz (oder Nichtexistenz) von
res entscheidet, enthält sie ein Urteilsmoment: den actus iudicandi oder iudicativus.
Die Unterscheidung zwischen iudicium und notitia intuitiva (distinctio realis) be
ruht also induktiv auf dem Unterschied von complexum und notitia incomplexa.39
Die Unterscheidung zwischen iudicium und notitia intuitiva (distinctio realis) be-
ruht nur auf mentalen oder mentalistischen Fakten bzw. Faktoren.40 Die reale Be
dingung (etwa der Unabhängigkeit) eines Faktors in reali von einem anderen kann
nicht notwendig auf die mentalia übertragen werden:41 „Et quando dicitur quod prius
naturaliter alio potest esse sine eo absque contradictione, de ista propositione dico
quod est vera de rebus extra animam. Sed sive sit vera sive falsa de entibus in ani-
ma, non est ad propositum.“ Ockham spricht von entia in anima, aber eine Ordnung
oder mutuelle bzw. einseitige Abhängigkeit der verschiedenen entia ist damit nicht
eingeschlossen. Die extrema des Satzes haben für Ockham offenbar nicht vorderhand
einsehbar untereinander Ordnung und Abhängigkeit:42 „Sive autem subiectum pos
sit esse sine praedicato vel e converso sive non, nihil est ad propositum.“43 Ockhams
39. Ed. verweist dazu auf Ord. Prol. q. 3 OT I p. p. 139 lin. 15 – p. 140 lin. 1 an. Dort erörtert
Ockham aber (bis p. 140 lin. 15) lediglich das Verhältnis des konkreten Begriffs (risibilis) zum
entsprechenden abstrakten (risibilitas): beim zweiten könne nur nach dem quid nominis ge
fragt werden. Von iudicium ist gar nicht die Rede.
40. Die Unterscheidbarkeit der Akte oder notitiae mag dabei sogar schwierig werden. Cf. Ord.
d. 1q. 1 OT I p. 385 lin. 8–13: „intellectus uno actu scit conclusionem, et per consequens non
tantum intelligit conclusionem illo actu, sed etiam terminos illius conclusionis, et tamen illo
actu scit conclusionem et illo actu non scit aliquod incomplexum illius conclusionis. Et ita
idem actus respectu conclusionis dicitur scientia et respectu termini non dicitur scientia sed
potest aliter denominari.“ Damit ist der alte Gesichtspunkt, dass per notitiam intuitivam bloß
eine notitia incomplexa vorliege, nicht fallen gelassen worden. Aber die beiden notitiae ter
minorum, die hier unterschieden werden, dürften doch schwerlich etwas anderes sein als no-
titia abstractiva incomplexa und notitia intuitiva incomplexa. Die notitia abstractiva complexa
und die notitia abstractiva incomplexa wären dann schwer zu unterscheiden, aber doch vermö-
ge der denominatio, und das meint Ockham, wenn er mit der zitierten Ausführung auf einen
Vergleich zielt (ib. lin. 14–17): „Igitur non est inconveniens eundem actum numero voluntatis
sortiri diversas denominationes propter diversitatem obiectorum, ut illo actu dicatur frui uno
obiecto et uti alio obiecto.“ Der Vergleich dürfte umgekehrt werden können, denn Ockham
sagt: „Similiter est actus utendi sine omni actu fruendi.“ Das stützt obige Ausführungen zu
notitia abstractiva complexa und notitia abstractiva incomplexa bzw. zu notitia abstractiva in
complexa und notitia intuitiva incomplexa.
41. Cf. Ord. Prol. q. 3 OT I p. 138 lin. 5–8.
42. Ib. lin. 11–13.
43. Nach Maimon kann das subiectum ohne das Prädikat sein, nicht aber umgekehrt. Ockham
gibt die distinctio passionum wie folgt (Ord. Prol. q. 4 OT I p. 114 lin. 5–11): „Ad istam
562 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
quaestionem distinguo primo de passionibus quia quaedam sunt quae important aliquas res
absolutas realiter distinctas a suis subiectis et eisdem formaliter inhaerentes, sicut se habent
susceptibile disciplinae, calefactibile, et huiusmodi. Aliquae autem important motum vel mu-
tationem, sicut risibile, mobile, alterabile, et sic de aliis. Aliquae autem sunt connotativae et
aliquae negativae vel privativae.“
44. Hierzu eine vergleichbare Frage bei Wodham SK lb. II Fol. 67 col. Cf. Kap. 6 Anm. 149.
45. SL II c. 9 OP I p. 275 lin. 72–79. In Ord. Prol. q. 3 OT I p. 138 Text lin. 8–11 wird die syllo
gistische conclusio ebenso im Sinn von Notwendigkeit (und Wahrheit) angesprochen; für die
Beweislehre wird aber nicht mit einem Zusammenhang der Begriffe (subiectum und passio)
gerechnet (cf. ib. lin. 11–13): die termini erhalten zwischen oder außerhalb notitia abstractiva
complexi und notitia incomplexa oder terminorum, wie sie in Anm. 40 schwer entwirrbar (in-
definit) erschienen, kein eigenes Verhältnis. Die Induktion gilt den intensionalen Bestimmungs
merkmalen, die wir dabei gegeneinander ansetzen und verschieben können, nicht der Erbrin-
gung von termini und Satzarten. ‘Notwendigkeit’ kann einen Satztyp in der Negation von (ob-
ligater) Realwertigkeit exzedieren.
46. Der Satz, nach seiner mentalen Existenz, wird also in die Reihe der Gegebenheiten einbezo
gen, über deren Verhältnis die reflexiven Aussagen gelten.
Kapitel 12. Verflechtung und Abgrenzung der Akte 563
Hier gibt es denn auch den Übergang von empirischen Begriffen, mit denen wir
empirische Wahrnehmungen tätigen und anderen, ebenso empirisch natürlich in in-
nersubjektiver Hinsicht: Wir müssen bereits den Terminus ‘sehen’ von der strengen,
mit der notitia intuitiva gegebenen Empirie lösen (Ockham führt einen Beweis). Das-
selbe müssen wir bei credere tun. Wir betreiben mit Ockham Satzanalysen, bei der
alle Aussagen ihre Relation als eine auf den kontingenten Satz haben. Er gibt etwa die
causa (finalis) u. a. Bezüge an und kleidet sie ein. Die kontingenten Aussagen geben
pro forma die (empirische) Wahrheit an. Abstraktion bezeichnet den Inhalt (ist der
Inhalt) außerhalb der mit Hilfe des Wahrheitswertes ‘vorgenommenen’ Regulationen
von Aussagen. Auch der actus apprehensivus löst sich von der strengen empirischen
Welt. Dabei ersetzt er in gewisser Weise Gott, der nicht mehr als quasi unverhüllte
Gegenständlichkeit erscheint, respektive gedacht werden kann. Er wird auch nicht
mehr in diesem Sinne erschlossen.
Die menschliche Erkenntnisfähigkeit wird auch unter dem Aspekt gedachter
göttlicher Eingriffsmöglichkeit, die nur eine modale Qualität für unsere Akte hat,
gewahrt. Sie bleibt strikt bei sich selbst, kann aber induktiv und persuasiv im Sinn
von Kompatibilität zur transzendenten Auch-noch-Möglichkeit hin überschritten
werden kann, die dann Gott betrifft oder die visio beatifica respektive die cognitio
angelorum. Bei dieser Entgegensetzung wurde die menschliche Erkenntnisfähigkeit
weder eingeschränkt noch vernichtet. Aber in Gottes Erkennen dringt man damit
noch nicht ein. Die göttliche Eingriffsmöglichkeit beschreibt oder indiziert, was die
Relevanz menschlicher Begriffe (und eventuell Aussagen, die reflektiert und bewertet
werden sollen) anbetrifft, deren Ambitus. Gott ist dabei auch keine mit einem ande-
ren oder überlegenden Erkenntniswesen für den Menschen negativ ins Spiel gebrach-
te Instanz oder auch nur Folie. Ockham hat Gott ausschließlich die notitia intuitiva
als Erkenntnisweise zugeschrieben47 und auf den Übertrag des göttlichen Erkennens
47. Ord. Prol. q. 1 OT I p. 39 lin. 7–10: „Deus habet notitiam intuitivam omnium, sive sint sive
non sint, quia ita evidenter cognoscit creaturas non esse quando non sunt sicut cognoscit eas
esse quando sunt.“ Gott denkt und erkennt nicht diskursiv. Gott erkennt also wesentlich das
esse oder die existentia und ebenso das non-esse bzw. die non-existentia, wenn sie nicht sind,
so dass er sie daraus noch nicht nach einem Wesen erkennt, welches ja auch in der menschli
chen Erkenntnis aus der notitia intuitiva nicht hervorgeht. Wenn Gott nur vermöge der noti
tia intuitiva erkennt, erkennt er somit auch nicht das Wesen. So lässt sich Gott von der Welt
getrennt halten, theologische Ansichten können eine induktive Bestätigung oder Bestreitung
erhalten. Wenn Gott ausschließlich die notitia intuitiva zugeschrieben werden kann, wird diese
als mit dem subiectum oder der substantia Gottes zusammenfallend erscheinen, wie dies bei
allen Eigenschaften und Attributen Gottes der Fall ist (Ord. d. 2 q. 1 OT II p. 17 lin. 9: „Sapientia
divina omnibus modis est eadem essentiae divinae quibus essentia divina est eadem essentiae
divinae, et sic de bonitate divina et iustitia; nec est ibi penitus aliqua distinctio ex natura rei vel
non-identitas.“ Generell (ib. p. 25 lin. 13–15): „perfectiones attributales nullo modo ex natura rei
distinguuntur ab essentia divina.“ So kann es eben nur diese notitia für Gott geben. Eine andere
müsste aus dieser ‘einen’ hergeleitet werden (können), was einen Widerspruch bedeutete: eine
Erkenntnis, die nicht notwendig aus Gott stammend ihn auch überschritte, also nicht notwendig
564 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
auf das menschliche, das wesentlich im actus apprehensivus, in der notitia abstractiva
gründet und zentriert ist, überhaupt verzichtet.48 Damit scheint indes das Emblem
des verborgenen Gottes (deus absconditus), bzw. eines toten bzw. eines abwesenden
Gottes, noch nicht begründet. Dafür wäre das medium eines persönlichen Gottes
erforderlich, das seinerseits historisch nicht völlig begründet ist oder durchgehend
nicht gedacht worden ist.49
Vom toten, vom gleichgültigen, vom abwesenden Gott ist historisch schon für
ganz verschiedene historische Zeitpunkte gesprochen worden.50 Natürlich ist Gott
die seine wäre. Die res sind damit auch noch nicht, nach dem Schema oder der Gemeinsamkeit
von substantia und accidens gedacht, in Gott und gar noch im Plan Gottes für die Schaffung
der Dinge mit Folgen für die Welt anhängig. Das bedeutet die nominalistische Komponente
noch in der Spekulation des Nikolaus von Kues, cf. H. G. Gadamer, Philosophisches Lesebuch
I, 1965 p. 326 S. und id. 1960, pp. 413 -415. Viele Elemente unsere Denkens: Widerspruchssatz,
das ontologische Schema mit substantia und accidens, Zuverlässigkeit der Schöpfung können
gelten, wie Nikolaus von Autrecourt in Kritik und Postulat voraussetzte.
48. Auch in den Ideen erkennt Gott nicht Gegenstände, die dabei in besonderer Weise ausgefal
tet oder verbunden wären (Ord. d. 35 q. 5 OT IV p. 502 lin. 4): „Ipsaemet creaturae sunt ideae,
sicut ipsae sunt intellectae a Deo.“ (ib. p. 493 lin. 8f): „omnium rerum factibilium sunt di-
stinctae ideae, sicut ipsae res inter se sunt distinctae.“ Gott erkennt in Ideen. Diese gelten der
einzelnen Sache. Dabei kann Gott nach diesen Ideen die res hervorbringen (ib. p. 493 lin. 5–7):
„Ideae non sunt in Deo subiective et realiter, sed tantum sint in ipso obiective, tanquam quae
dam cognita ab ipso, quia (W 1495: quin) ipsae ideae sunt ipsaemet res a Deo producibiles.“
Die Ideen haben eine objektive, keine subjektive Existenz in Gott, sie sind damit ficta. Mit der
Entfaltung oder Ausgestaltung der Dinge nach genus und differentia würde dieser Charakter
der bloßen objektiven Existenz der ideae verlassen werden (ib. p. 493 lin. 14–17): „Generis et
differentiae et aliorum universalium non sunt ideae, nisi poneretur quod universalia essent
quaedam res subiective existentes in anima, et solum communia rebus extra per praedicatio-
nem.“ Solche Prädikation gilt im menschlichen Geist. Die Übertragung des menschlichen Er-
kennens auf den göttlichen Geist steht unter dem Vorbehalt, dass er damit nicht Bedingungen
zugewiesen erhält, die ihn im Sinn von Widerspruch, Entmächtigung oder Untrennbarkeit von
der Welt diskreditieren könnten. Das würde die Übertragung zunichte machen, die von der
Seite der Begriffe her negiert werden könnte. So gibt es bei Ockham eine Ohnmacht und eine
Autonomie der conceptus und das Denken und Erkennen betreffenden Bestimmungen, die
ihm in diesem Sinne auch faktisch zukommen, wenigstens per Konstrukt oder Argument. Also
hypothetisch mit einem gewissen Spielcharakter. Dabei müssen für das Mittelalter (wie auch
für die Neuzeit) nicht Motive unterstellt werden, die im Sinn (notgedrungen falscher) Kompen
sation ihre jeweiligen Reaktionen ausgelöst haben sollen: vexiert erlebte Ohnmacht im Vorlauf
auf dann eintretende Autonomie. Ockhams um den actus apprehensivus zentrierte Methode
lässt diesen Schluss nicht zu.
49. Kabbala, Gnosis und Neuplatonismus bezeugen nach G. Scholem nicht notwendig einen
persönlichen Gott.
50. Cf. U. Schreiber, Opernführer für Fortgeschrittene, Bd. II, ³2002, p. 521: „Bei Gottfried
(von Straßburg) geht Isolde heil aus einem wegen Meineid und Ehebruch angestrengten
Kapitel 12. Verflechtung und Abgrenzung der Akte 565
immer wieder den Menschen fremd und unverständlich vorgekommen, und es mag
inmitten des Mittelalters die völlige Hinwendung Gottes zum Menschen gar nicht
möglich gewesen sein: in der Weise dass sie ideell konzipiert wäre für wahr und see-
lisch zuträglich gehalten worden.51 C. F. v. Weizsäcker meinte, in der Neuzeit würden
sukzessiv Gottes Eigenschaften vom Menschen übernommen (oder imaginativ auf
ihn übertragen). Dabei müsste gesehen werden, dass im Mittelalter Gottes Eigen-
schaften gleichsam ungegenständlich blieben. Wenn Gott von Ockham etwas zuge
schrieben wurde, z. B. im Menschen die visio beatifica zu bewirken, so blieb Gott
doch immer nach seinem begleitenden Erkenntnisvermögen blass, also auf einem
Felde wo er die Qualitäten hauptsächlich hätte haben sollen, die der Mensch sich
hernach selbst implizit zusprach, bzw. hypothetisch aneignete. Gott und menschliche
Aktivität (u. a. intellectio, die Gott und Mensch als Aktivität zu teilen hätten) erschei-
nen sogar gegensätzlich:52 „cum igitur respectu actus beatifici, puta tam visionis di-
vinae quam fruitionis, Deus sit causa totalis, et intellectus et voluntas se habent pure
passive respectu illorum actuum, sicut supra dictum est de obstinatione angelorum,
sequitur quod respectu illius visionis intellectus agens non habet aliquam activitatem.
Et hoc est propter nobilitatem actus, non quia idem non potest esse activum et passi
vum respectu eiusdem.“ Der Nominalismus Ockhams betreibt keine Sinnerhellung,
auch nicht über die Erkenntnis (Erkenntnistheorie) – so besitzt er keinen neuzeitli-
chen Vergleichspunkt. Er sucht nicht in den Begriffen, ihre Natur betreffend, einen
Gottesgericht mit glühenden Eisen hervor. Da vermischen sich erotische Liberalität und anar
chische Impulse: Gott ist völlig korrumpiert, vielleicht sogar tot.“ Ockham (Ord. Prol. q. 7 OT
I p. 203 lin. 24f) zitiert Gregor d. G. Super Ezechielem, II, hom. 2, n. 14 annähernd wortgenau:
„mens nostra … non ad illud quod ipse (Deus) est, sed ad aliquid quod sub ipso est attinget.“
(PL 76, 956 D). Cf. P. Vignaux, 1938/1948 p. 20 zu Hugo von St. Viktor: „le Dieu qui apparaît
en toutes choses demeure en soi absolument inaccessible. On ne peut imaginer, dans l’ordre
de la connaissance, distinction plus radicale … Hugues denie la position commune du Moyen
Age selon laquelle la montée de l’esprit ne s’arrête qu’à la vision même de l’essence divine.“ Eine
solche „‘Vision’“ wird bei Ockham dem ‘Begriff ’ adjungiert. Cf. zum toten Gott auch O. Pluta,
Atheismus im Mittelalter, 2001, dazu Kap. 8 Anm. 142.
51. Gottfried von Straßburg starb 100 Jahre vor Ockhams Wirkungszeit. Später ist im spani
schen Barock Gongora Nihilist. Vom verborgenen Gott hatte mit Hinblick auf Pascal und Ra-
cine L. Goldmann, Le Dieu caché, 1956 gesprochen. A. Koyré, From the Closed World to the Infi-
nite Universe, 1957 nimmt mit Bezug auf die Übergangsphase zwischen Mittelalter und Neuzeit
einen praktischen Nihilismus der Empfindung an. Wenn Gott in dem Augenblick noch einmal
pointiert Person wird, da er in menschlichen Qualitäten und in je beschränkten menschlichen
Vermögen abgelöst wird, bezeichnet es ihn eher nach seinem biblisch-jüdischen Anfang, nicht
wie die Tradition, die ihn, an diesen Anfang vielleicht anknüpfend, sich angelegen sein ließ.
52. Rep. II, q. 20 OT V p. 443 lin. 10–17.
566 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
53. Cf. K. Löwith, 1967. Wie bei Ockham der actus apprehensivus menschliches Denken in sich
beschloss, verzichtete er darauf, Gott, Welt und Mensch miteinander zu verrechnen. Das liegt
weit vor jedem Interesse, aus ihrer Diskrepanz problembehaftete Gemengelagen zu verfertigen
und Phantome mit Scheinleben zu begaben.
54. Rep. II, q. 9 OT V p. 173 lin. 7f.
55. M. de Gandillac in A. Forest et al. 1956 p. 477.
Kapitel 12. Verflechtung und Abgrenzung der Akte 567
könnte. Haben wir diese Theologie dann nun oder haben wir sie nicht? Ockham sup
poniert nicht diese Deduktionsweise und begründet für sie keine theologische Wis-
senschaft, überhaupt keine Wissenschaft.56 De Gandillac spricht von den „étranges
formules d’Ockham, qui sont dialectiques et ne concernent aucunement la vision face
à face.“ Auf diese visio, die pro statu isto unmöglich sei, zielt Ockham de facto nicht
ab. Sie trüge die notitia Gottes, wie sie die beati haben und wie sie Ockham für die
Konstitution sei es von Wissenschaft sei es von Erkenntnis Gottes überhaupt nicht
heranziehen will. Für Ockham kann es abstrakt und persuasiv eine notitia abstractiva
in patria ohne antezedente notitia intuitiva (also visio beatifica der divina essentia) ge-
ben. Sie gilt nicht in via. Auch nicht vergleichsweise.57 Hier hat Ockham menschliches
Erkennen, sei es wissenschaftlich, sei es empirisch über seine Analysen des formalen
Status der Begriffe und Sätze in intensionaler Hinsicht anders strukturiert. Nur für
den kontingenten Satz aber gilt:58 „Similiter, per notitiam abstractivam nulla veritas
contingens, maxime de praesenti, potest evidenter cognosci.“ Die Differenzierungen
verschiedener casus, die widerspruchsfrei, wie Ockham sich zu zeigen bemüht, ein
und derselben ratio entsprechen, und so unter dieselben Bestimmungsbegriffe wie
notitia intuitiva, notitia abstractiva etc. fallen, werden gern ‘dialektisch’ genannt.59
Ockham hat aber da nur ein eigenes Abstraktionsverfahren angesetzt, das nicht mehr
von ‘Logik’ abhängt. Er stellt das Verfahren und die Meinungen und Einstellungen des
Duns Scotus jeweils partikular in Frage und das dennoch durchaus im Ton von Desa
vouierung. Es inhäriert demgemäß ein Allgemeinheitsstatus: indem eine partikulare
Annahme oder Behauptung (opinio) nicht aufgestellt werden kann oder möglich ist,
ist sie dies im Sinn der Konsequenz nicht, in die alle Verwendungen derselben notitia
o. ä. eingeschlossen sind. So ergibt sich psychologisch und mentalistisch ein Kontext,
56. Die Gesamtheit der Beweise, die für die Scotische ‘Metaphysik als Wissenschaft von Gott’
(W. Kluxen, 1966) gefordert werden muss (müsste), wenn auch nur ein einziger Beweis (und
Beweise werden wohl konstitutiv und quasi die Behältnisse seines Gedankens sein müssen),
kann es nicht geben, da diese Gesamtheit (in dem Beweis- und Gesamtbeweissinn unerläss
lich) nicht geordnet sein kann; damit kann aber auch kein einziger unabdingbarer formaler
Bestandteil in diesen Beweisen verlässlich (relevant) sein. Das ist ein analytisches Ergebnis,
bei dem die Details selbst nicht als fixierte vorausgesetzt werden (müssen). Dieses Ergebnis
entspricht Löwenheim und Skolems Paradox für die Mengenlehre (cf. S.C. Kleene, 1967, §53
pp. 321–330) und besagt die zwingende Notwendigkeit reflexiv gegen Duns Scotus Beweisen
und laut einem beweistechnischen Konzept refutativ aufzutreten, wie Ockham es getan hat.
Denn Duns Scotus operiert ja wohl analog aussagenlogisch.
57. M. Lenz, 1998 macht nicht klar, ob Ockham hier mehr als einen Vergleich „ausgeschöpft“
(wie?) haben soll, wenn er für Ockham aus einer notitia abstractiva divinae essentiae in pa-
tria jene Legitimation „folgen“ lassen will, die ‘wir’ durch die notitia abstractiva, die wir in
via haben, vollziehen könnten. Keine ‘Folgerung’, wie bei Duns Scotus wohl impliziert, kennt
Ockham da.
58. Ord. Prol. q. 1 OT I p. 32 lin. 10–11.
59. Von M. de Gandillac, P. Vignaux, E. Iserloh.
568 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
eventuell eine kausale Struktur, wenngleich sie nicht offensichtlich, sondern nur la-
tent ist und mit der Argumentation erst und allein zum Vorschein kommen kann.60
Damit kommt fallweise und fallgebunden eine eigene mächtige, doch allgemeingül-
tige Struktur zustande.61 Die Verwendung des Terminus ‘Nominalismus’ für diese
Struktur und Ockhams Lehre ist oft zurückgewiesen worden.62 Letztere enthält argu-
mentative logische Anteile, ist aber nicht a priori durch Logik bestimmt. Sie kommt
im Endeffekt mit logisch haltbaren Ergebnissen überein, indem die Beweisführungen
in ihrer sukzessiven Anordnung und Bemühung eine nicht de facto ermittelte Konsi-
stenz entscheidend (also erweislich) nicht ausschließt. Konsistenz ist eingeschlossen,
aber nicht abschließend bewiesen.63 Den Nominalismus bei Ockham und von ihm
60. Determinat können erst die mit der notitia abstractiva formierten Sätze sein. Dass der ac-
tus apprehensivus aus der notitia abstractiva hervorgeht, ist nach Ockham eindeutig (Rep. II.
q. 12–13 OT V p. 258 lin. 6ff): „sed respectu cognitionis apprehensivae, per quam formo com
plexum, non est cognitio intuitiva nec sensitiva nec intellectiva causa partialis.“ Die notitia
intuitiva ist immer ein wenig unterbestimmt. Sie dient gerade einmal der Erkenntnis der fakti
schen Gegebenheit und Existenz, der Verifikation (cf. ib. q. 9 p. 176 lin. 15ff): „ex hoc quod cog
nosco sic esse in re, ex hoc cognosco quod actus per quem assentio rei est verus“. Alles andere
was zu ihr gefolgert (postuliert) wird, ist mit ihr kompatibel: es ist nicht ausgeschlossen, ohne als
notwendig oder faktisch abgeleitet werden zu können. Erst so auch ist die notitia intuitiva ihrer
Definition nach determiniert. Ockham nennt natürliche Gründe für eine Minderung oder Ver-
hinderung der notitia intuitiva, selbst wenn deren Bedingungen faktisch erfüllt sind (Ord. Prol.
q. 1 OT I p. 33 lin. 8–12): „est tamen advertendum quod aliquando propter imperfectionem no
titiae intuitivae, quia est valde imperfecta et obscura, vel propter alia impedimenta ex parte ob
iecti, vel propter alia impedimenta (W 1495 erg. potentiae cognitivae) potest contingere quod
nullae vel paucae veritates contingentes de re sic intuitive cognita possunt (W 1495: possint)
cognosci“; Ockham spricht nicht von einem Willküreingriff Gottes.
61. J. Maritain, True Humanism, 1946 p. 141 attestiert der Spätscholastik: „a highly remarkable
and extraordinarily vigorous effort … towards a high and perfect unification of the intellectual
and potential structures“.
62. M. de Gandillac in A. Forest et al. 1956 p. 451: zieht ‘Ockhamismus’ vor „car la théorie de
l’universel y joue un rôle dérivé et l’on défigure peut-être l’iniateur de la vie moderne en faisant
de lui un simple maillon entre Roscelin et Berkeley.“ Cf. auch P. Vignaux, 1938 und 1948, p. 170:
„Pour définir la pensée de Guillaume d’Occam, l’histoire doctrinale a reçu de la tradition sco-
lastique le terme nominalisme. Nous lui cherchons un sens précis sans croire que le problème
des universaux ait fourni à l’occamisme sa tâche centrale.“
63. Eine Sinnstruktur kann logisch nicht ausgedrückt werden. SL I c. 17 OP I p. 52 lin. 18–21
sagt Ockham: „Item 100 Metaphysicae: In omni genere est unum primum, quod est mensura
omnium aliorum, quae sunt in illo genere. Sed nullum singulare est mensura omnium aliorum,
quia non omnium individuorum eiusdem specie; igitur est aliquid praeter individuum.“ Die
Metaphysik des Duns Scotus beruhte, wie auch Gottesbeweis, auf einer „Abstraktion“, die im-
mer zugleich auch eine reale Bedeutung benannte: in dem Sinn und darum konnte keine Logik
überhaupt begründet sein. cf. Anm. 56 o. Ockhams Konzept der notitia intuitiva bezeichnet die
Gegenposition unter Einbezug alles Logischen (Ord. Prol. q. 1 OT I p. 31 lin. 17–23) „Similiter
Kapitel 12. Verflechtung und Abgrenzung der Akte 569
notitia intuitiva est talis quod quando aliquae res cognoscuntur quarum una inhaeret alteri
vel una distat loco ab altera vel alio modo se habet ad alteram, statim virtute illius notitiae in
complexae illarum rerum scitur si res inhaeret vel non inhaeret, si distat vel non distat, et sic
de aliis veritatibus contingentibus, §nisi illa notitia sit nimis remissa, vel sit aliquod aliud impe
dimentum§.“ Die Suppositonslogik kann eine Gegenposition zur Ontologie nicht innehaben.
64. H. Blumenberg, 1966, p. 351 behauptet für Äußerungen im spätscholastischen Nominalis
mus einen Gegensatz von Naturgesetzlichkeit und freiem Verfügungswillen Gottes. Kann dieser
Gegensatz überhaupt – sc. für das Bewusstsein bestehen?: Ockham bestimmt für elementare
physische Wahrnehmungen lediglich ein Verhältnis der forma (mehrerer formae) zum acci-
dens und zum Widerspruch, an denen sie in der Invisibilität zu versinken hätten, so dass beide
ausgeschlossen werden müssen, i.e. das accidens nicht in die substantia (forma) eintreten darf,
damit mit der forma Bestimmbarkeit (Determinatheit) gegeben bleibt. Ockham betonte die
Nichterkennbarkeit der Materie in sich. Indem die forma auf sie, also auf die in sich unerkann
te materia zugeführt wird, wird (die) allgemeine Unbegründbarkeit sichtbar: es gibt keinen
Wahrheitswert, mit dem ein per se wahrer Satz begründet werden könnte, der kontingente
nämlich, der aus sich nicht allgemein und notwendig werden kann (Ord. d. 37 q. un. OT IV
p. 568 lin. 3–6): „ubicumque est materia vel pars materiae ibi est forma. Non sic est locatum in
loco, quia locatum non est ubicumque est locus vel pars loci.” Von ihr gilt (ib. lin. 2f): „dicitur
esse in materia per essentiam.“ Wo die forma die materia zu umfassen hätte, müsste Erkennt
nis allgemein werden. Ockham zeigte vor Autrecourt, dass das nicht möglich sei (Definitheit);
Gott ist kein Maßstab oder Analogon der Welterkenntnis; er erscheint weltextern. Ockham (cf.
Anm. 54): „Deus autem est nobis ignotior omni creatura, igitur non potest nobis in via esse
mensura omnium.“ Der Widerspruch in sich und die res (in se singularis) einerseits und Gott
andererseits sind termini exclusivi der Weltbetrachtung. Die geringe Dimension zulässiger Er
kenntnis (Weltauslegung, sinnvoller Aussagen) läuft auf den ‘Widerspruch’ zu, sofern er fak-
tisch im Sinne von Folgerung(en) zu vermeiden ist. Für Ockham ist der Widerspruch zugleich
irrelevant qua res extra mentem und wird nicht für die res ipsa in se in den actus mentalis
transportiert, um ihn zu konstituieren. Die distinctio realis ersetzt ihn.
570 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Charakterzug unmittelbar erkennen.65 Hier ist in jedem Fall die Stellung des actus
apprehensivus dominant.66
Der actus apprehensivus ist neutral gegenüber dem Bezugsgegenstand und damit
auch dem Belang der Erkenntnis. Wenn Gott oder Engel beispielsweise als Gegen-
stände des menschlichen Erkennens auftreten, was bei Ockham bedeutet, dass wir
diesbezügliche Aussagen hinsichtlich ihrer Zulässigkeit und in dem Sinne erkennt-
nisförmigen Korrektheit bewerten und beurteilen müssen, wird derjenige Vorgriff
suspendiert, der in der gemeinen Objektivität der Begriffe zu liegen hätte. Es wer-
den bei solchen Weiterungen von Ockham Kompatibilität, das potest persuaderi, an
der Stelle der auf Vorgriff beruhenden Allgemeinheit und ‘Objektivität’ festgestellt
und hervorgehoben. Der Vorgriff wird kassiert. Die in ihm gemutmaßte Objektivität
65. Gabriel Byel hat in einer Beschreibung der Begriffsnatur die Bestimmungen zusammenge
fasst, die nach der nominalistischen Anschauung Ockhams anfallen können (Coll. I d. 2 q. 8 L):
„Universale est conceptus mentis, i.e. actus cognoscendi qui est vera qualitas in anima, et res sin-
gularis, significans univoce plura singularia aeque primo negativo naturaliter proprie: quorum
singularium est naturalis similitudo, non in existendo, sed in repraesentando: propter quod dici
potest fictum, similitudo, imago vel pictura rei, etiam obiectum cognitum, sed non in se ipso,
sed alio conceptu reflexo.“ Diese primär negativ leeren Bestimmungsmomente kombiniert
Byel in Richtung auf die Synthesis, die Ockham als Ergebnis seiner Argumentationsmethode
erreicht hat, bzw. einzeln argumentativ verteidigt: er nennt den in sich leeren oder negativen
Begriff, das heißt den Begriff, der als actus, aber eben auch actus cognoscendi auftritt, quasi
nur durch einen conceptus reflexus bestimmbar. Die damit im actus oder conceptus reflexus
gegebene Bestimmung oder Auffassung des Begriffs, der seiner Natur nach gegenstandsähn
lich (unterscheidbar davon gegenstandsgleich), aber nicht eine res extra animam ist, bleibt we
sentlich, weil nur so die significatio erreicht werden kann, auf Argumentation angewiesen. Der
Begriff ist negativ und allgemein angesichts und in unmittelbarer Nachbarschaft mit der res
singularis extra animam. Er hat keine Eigenschaften und setzt keine voraus. Was von ihm gilt,
entspricht der Integration des conceptus in den intellectus (anima), wobei die aristotelischen
Leitbegriffe wie qualitas, habitus usw. leitend bleiben. Ockham sagt da (Rep. II, q. 12–13 OT V
p. 282 lin. 7–9): „intellectio per quam intelligo unum est similitudo unius, et omnium aliorum
simillorum, ex quo sunt simillimae.“ Das bedingt, dass die Argumentation selbst significatio
faktisch nicht ausdrücken kann. Die Byel-Stelle s. auch A. Stöckl, Gesch. d. Philosophie d. Mit-
telalters, 1865 p. 1033.
66. Für Ockham ist die Abstraktionsebene bezüglich und neben der empirischen Basis pro
blematisch; der Übergang von der einen zur anderen ist nicht unmittelbar, als intensionale
Abstraktion, im Sinne eines Konzeptes wie bei Duns Scotus möglich, wobei denn für Duns
Scotus die empirische Basis ganz ungezwungen mitgemeint ist, im Sinn der Geltung der Ab
straktion. Eben das ist bei Ockham ausgeschlossen und darin gründet seine Methode. Für
Ockham, scheint es, ging etwas nicht, was Duns Scotus zu geläufig ‘gelang’ und als scholasti
sches Verfahren gesteigert, massiert und heraldisch verfestigt wurde. Ockham definiert so auch
nicht die Probleme des Duns Scotus, den er widerlegt und kritisiert, noch kann er an dessen
Ansichten oder angeblichen Leistungen gemessen werden. Indem er partikulare Kritik übt
oder mit seiner Kritik partikular ansetzt, kommt er zu allgemeinen Ergebnissen, in denen die
Ansichten oder Konstrukte des Duns Scotus endgültig ausgeschlossen sind.
Kapitel 12. Verflechtung und Abgrenzung der Akte 571
67. Sie müssen negativ sein und – a parte ontologischer Konzepte – auf Negationen bezüglich
der (Erreichbarkeit der) res ipsa in se führen. Die significatio in se wird so auch per reprobatio-
nem nicht ‘allgemein’ ausgewiesen.
68. Darüber in diesem Kapitel u.
572 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
und operatio nahelegen, dann aber auch die menschlichen Handlungen, die unter die
Ethik rubriziert werden.
Der actus apprehensivus, der in der notitia intuitiva sich findet wie in der notitia
abstractiva, ist gleichwohl von allen Akten, mit denen er im Verbunde auftritt, nach
Ockhams Meinung geschieden (realiter distinctus). Das heißt: er muss induktiv von
ihnen getrennt erscheinen, also in einem einzelnen Fall auftreten können, der so eine
Verallgemeinerung auslöscht, bei der die actus intensional kontaminiert erscheinen
könnten. Wir könnten einen actus apprehensivus haben, der ohne actus assentiendi,
bzw. actus dissentiendi oder actus dubitandi auftritt, ‘obwohl das vielleicht natürlicher
weise nie geschehen kann’. Das ist plausibel, da keiner der drei genannten actus den
actus apprehensivus hervorbringen und hervorbringend mit sich führen kann, wie
etwa die notitia intuitiva die notitia abstractiva mit sich führt und mit hervorbringt,
aber weder in dem ihr eigenen actus apprehensivus noch in dem ihr eigenen actus
iudicativus bereits die notitia abstractiva (actus apprehensivus) enthält:69 „actus appre
hensivus distinguitur realiter ab actu assentiendi et dissentiendi et dubitandi et est
compossibilis cuilibet eorum, quamvis forte naturaliter non posset fieri sine quolibet
eorum. Et ideo stat simul quod quicumque apprehendit aliquam propositionem as-
sentit illi vel dissentit vel dubitat de ea, et tamen quod actus apprehensivus distingua-
tur realiter a quolibet eorum.“ Jeder der drei genannten actus ist ein actus iudicativus
und daher in dem Sinne negativ als der actus iudicativus hinzutreten muss und selbst
im Sinne des Inhalts oder des actus apprehensivus nicht bestimmt sein kann. Der
actus apprehensivus enthält in nichts einen actus iudicativus.70 Ockham antwortet
auf einen Einwand:71 Bei diesem kann nach dem beständigen Zusammenauftreten
von actus, das aber in dem Sinn unbestimmt und wandelbar ist, nur im Sinn einer
falschen Antwort eine Abstraktion angenommen werden, bzw. im Sinn einer falschen
Abstraktion eine Antwort: der zweite actus müsste da die significatio repräsentieren.
Dass empirisch oder formell ein actus (actus apprehensivus oder notitia abstracti-
va immer mit einem actus iudicativus auftrete, bedeutet für Ockham eben nicht,
dass der actus apprehensivus inhaltlich den actus iudicativus ‘einschließe’. In der von
Ockham akzeptierten Abstraktion (alias richtigen ‘Antwort’) ist zugleich die Im
plikation als Form der Verbindung mit verabschiedet worden.72 In derselben Weise
treten auch schon notitia abstractiva oder actus apprehensivus und notitia intuitiva
sensitiva zusammen, wenn Ockham erklärt, dass durch jene keine Erkenntnis von
Existenz vorkommen könne, die durch letztere aber gegeben sei.73 Auch hier reicht
die notitia intuitiva sensitiva zur Erkenntnis nicht aus, weil wie bereits der Commen-
tator gesagt habe „formatio propositionis praesupponit in intellectu notitiam incom-
plexam terminorum.“ Die notitia intuitiva sensitiva reicht weder zur formatio der
Sätze noch zu der der termini des Satzes. Daneben gibt es dann noch die verschiede
nen actus, die sich auf die complexa richten können:74 „de eodem complexo possunt
esse distincti actus secundum speciem, quia secundum Philosophum I Posteriorum,
de eodem potest esse scientia et opinio, similiter error et scientia, et actus errandi et
sciendi etiam circa eandem conclusionem, quae tamen distinguuntur specie.“ Hier
ist erkennbar, dass Ockham das Schema von substantia und accidens, i.e. die species
im Zentrum der formell auf empirische Erkenntnis mit res extra mentem bezoge-
nen primären kontingenten Aussagen, durch die notitia abstractiva (actus apprehen-
sivus) ersetzt. Die species entfaltet sich nirgendwo als compositum von substantia
und accidens. Wir können technisch auf die species für Ockham erst bei den reflexiv
bewerteten Aussagen zurückgreifen und haben dabei und daher in ihr einen negati-
ven Gehalt, der mit ihrem intensionalen Wert übereinstimmt, nämlich dann, wenn
für die ‘Erscheinungen’, die specie bewertet werden sollen, deren ratio angeführt
werden kann.
Was dann zur ratio einer mentalen Gegebenheit bemerkt wird, i.e. wie diese
ausgedeutet und bezogen wird, bedeutet eine ‘gebrochene’ Folgerung: es gibt Fol-
gerungen, die zum einen nicht mehr begründet werden müssen oder können und
zum anderen an der Stelle von negierten oder ausgesparten individua und individu
alia stehen. Die Folgerungen, die an eine ratio anschließen, werden untereinander
nicht mehr klassifiziert werden können (bzw. müssen). Deshalb lässt sich in Bezug
auf ratio und Folgerung in deren Verhältnis von ‘gebrochener’ Folgerung sprechen.
Es fallen mit der ratio falsche Folgerungen aus. Zugelassene sind diejenigen, die ohne
Einwand bleiben. Dabei spielt denn auch das Omnipotenzprinzip wieder seine Rolle:
es dient der Argumentation und wo es eintritt, gibt es keine empirischen Einwände,
selbst wenn Ockham hinzufügt, dass was es zulässt, per naturam communiter nicht
sei oder sogar unmöglich sei: tamen per Deum sed non per naturam lautet die For-
mel. Das Omnipotenzprinzip integriert sich in der Tat der Argumentation. So denn
im folgenden Text:75 „ideo teneo opinionem quam prius tenui, quam iste (sc. Scotus)
tenet, licet eam improbat, quod sunt due realitates eiusdem rationis facientes per se
unum quarum una potest esse et intelligi sine altera et econverso. Si dicas quod ista
distinctio non intelligitur nisi per argumentationem, dico quod licet de facto non
potest percipi nec discerni distinctio illarum realitatum nisi per argumentationem,
73. Cf. Ord. Prol. q. 1 OT I p. 24 lin. 15ff, p. 25. lin. 1ff und schließlich überhaupt pp. 25–28.
74. Ib. p. 63 lin. 7–11.
75. Rep. III, q. 8 OT VI p. 242 lin. 9–17.
574 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
tamen Deus potest facere quod una realitas intuitive videatur sine alia.“76 Ockham
geht über die empirische Realität hinaus, ohne sie im Sinn eines gegenständlich defi
nierten Widerspruchs zur Schöpfung (der für uns erfahrbaren Welt) aufzuheben.
Das Konzept des Duns Scotus fußte auf der inhaerentia der Eigenschaft in der
substantia oder im Subjekt. Anders: des accidens im Subjekt oder der passio im Sub-
jekt bzw. in der substantia.77 Der kontingente Satz, i.e. der Satz, der als kontingent
bezeichnet wird, muss autonom werden.78 Wenn hier die Ontologie vermöge der In-
härenzhypothese einen Wert haben können sollte, müsste sie immer gleich mit der
tautologischen Aussagenlogik zusammenfallen (können). Das erscheint als Problem
oder Widerspruch: denn die Klassenlogik kann kein „A priori“ bezeichnen. Da die
Inhärenz abhängig von einer abstrakten Form, in der Weise einer Widerlegung auf
dieser Stufe, bzw. an sie anknüpfend und sie inhaltlich nie verlassend, abgelehnt
und ausgeschieden wird,79 kann die Inhärenz als solche keine Identität verkörpern.
Ockham bewies, dass die Inhärenz, weil sie auf der Ebene des primären Satzes nicht
begründet und für sie nicht begründbar war, nicht bestand.80 Damit war er, wie er
operierte, auf einer anderen (höheren) Stufe. Diese konnte immer nur inhaltlich
76. Dabei sind wir naturgemäß bereits auf der Stufe der Abstraktion, auf der wieder die persua
sio ihre Rolle hat, wie ja denn hier das Omnipotenzprinzip seine synthetische Funktion inso
weit hat als ein Widerspruch oder ein Einwand ex parte rei ausgeschlossen ist (Ord. Prol. q. 1
OT I p. 59 lin. 3–5): „(per potentiam divinam) potest persuaderi: quia de nullo absoluto realiter
distincto ab alio absoluto potest negari quin possit fieri sine eo per divinam potentiam abso-
lutam, nisi appareat evidens contradictio.“ Per potentiam divinam absolutam kann geschehen,
was nicht ex parte rei extra bestritten werden kann, und entsprechend auch nicht durch einen
Widerspruch; denn dieser besagt, dass etwas in der Realität nicht seine Identität habe oder
bewahre. Darauf beruht ja auch die reductio ad absurdum: sie meint eine fiktive Nichtidentität
in reali und danach Realunmöglichkeit. Solche Widerspruchsbeweise finden sich bei Ockham
öfter. Cf. z. B. SL I c 37 OP I p. 105 lin. 24–26: „de Deo praedicantur passiones propriae sibi;
sed Deo non inhaerent aliquae aliae res; igitur passio non est talis res inhaerens suo subiecto.“
Gottes Identität kann nicht über eine Relation (und auch nicht Relation Gottes nach außen)
bestimmt werden. Das Ganze mutet auch wie ein Überredungsbeweis an. Dann aber für die
passio als keine res. Die passio auch in ihrer mentalen Gestalt oder Existenz kann keine res sein.
Die inhaerentia, so ergibt sich, kann nicht erklärt werden. Ockham hat denn die inhaerentia
auch nur als von Ausdrücken prädizierbar angesehen und sie so erklärt, dass sie die praedicatio
meine und betreffe.
77. Damit gelten der primäre Satz als regulative Aussage und das Verhältnis (die Parallelität)
von Aussage und Sache oder Sachverhalt.
78. S. die beiden Anm. 76 erwähnten und analysierten Argumente. Auch das aus der SL hat
eine reflexive Struktur: „…de Deo praedicantur passiones propriae sibi“!
79. Das gilt so auch für die Aussagen über Gott. Cf. Anm. 76 und 78. Damit ist ausgeschlossen,
dass auf einer abstrakten Ebene die Inhärenz bestehen oder angenommen werden könnte.
80. Alle Aussagen sind modaler Natur, wenn von ihnen Modi prädiziert werden können. Das
ist – bei Ockham – unter Einschluss der Bewertung von consequentiae der Fall.
Kapitel 12. Verflechtung und Abgrenzung der Akte 575
begründet sein oder werden. Für den primären Satz wird mit dem Inhärenzprinzip
die ‘Geschlossenheit’ des Sachverhalts beansprucht, die im Sinn bloßer Kontingenz
noch nicht eigentlich gegeben ist. Mit der Widerlegung der ontologisch verstandenen
Formel ‘secundum inhaerentiam passionis seu accidentis in subiecto’ wird diese ‘Ge-
schlossenheit’ und Absolutheit, intensionale Eigenschaft gesehen, „bestritten“. Die ab
strakte reflexive Aussage, die sich auf solche primären Sätze in allen ihren Modifikati
onen und Ableitungen bezieht, kann diese Geschlossenheit bzw. das Inhärenzprinzip
auch nicht statuieren, nicht voraussetzen und nicht beibehalten. Die Induktion, die
bei Ockham der Erstellung aller Meinungen (solutiones) den primären Satz und seine
Modifikation betreffend dient und oft negativ lautet, bzw. die Geltung von Behaup-
tungen auch nur durch partielle Negationen aufhebt und anficht, muss nicht einmal
einen eigentlichen Begriffscharakter enthalten oder festhalten; sie kann ihn in dem
Sinn ausschließen. Sie kommt damit der Realität wieder nahe, die weder logisch noch
ontologisch fixiert oder prätendiert wird. In dem Sinne gilt auch eine Minderung des
Begriffsgehaltes für den primären Satz, für welchen oder mit welchem er eigentlich
angenommen werden sollte. Der Ausschluss der Inhärenz hatte freilich hier auch zu
bedeuten, dass alle Mittel, die eine ‘abstrakte’ (oder pseudo-abstrakte) ontologisch fun
dierte Erkenntnis zu besagen hatten, hinfällig waren. Auch das Widerspruchsprinzip
musste es sein, wenngleich es für die reprobatio (reductio ad absurdum) ja benötigt
wurde. Das Suppositionspräskript trat an die Stelle des Widerspruchsprinzips.81
In den letzten drei Quästionen des Prologus Ordinationis SK mit den Titeln (9)
„Utrum sola operatio potentiae sensitivae sit praxis“,82 (11) „Utrum notitia practica et
speculativa distinguantur per fines vel per obiecta“,83 (12) „Utrum habitus theologicus
sit speculativus vel practicus“84 befleißigt sich Ockham einer Argumentation, die den
Bereich der menschlichen sensibilitas, i.e. des actus sensitivus oder der operatio sensi-
tiva, also der Naturalität im humanen und dabei implizit im außermenschlichen Sinn,
aufzunehmen hat.85 Solche Argumentation hat zu besagen (resp. zu ermitteln), wie
81. Auch der Begriff ist am Ende bei Ockham bloß eine Hypothese, wobei die Hypothesenbil
dung mit der in sich variablen Bestimmung der mentalen Natur des Begriffs fortgesetzt werden
kann: fictum seu obiectivum esse, bzw. intellectio sive subiectivum esse des Begriffs.
82. Ord. Prol. q. 10 OT I p. 276 lin. 6 – p. 303 lin. 8.
83. Ib. q 11 p. 302 lin. 9 – p. 323 lin. 16.
84. Ib. q. 12 p. 324 lin. 1 – p. 370 lin. 18.
85. Dabei ist festzuhalten, dass die Naturalität oder Natur extra animam, die in die Naturalität
in anima (bloß) übergeht oder hineinreicht, auch immer den Unterschied beinhaltet, der zwi
schen dem menschlichen Subjekt und der Objektwelt liegt. Die außermenschliche Naturalität
reicht zumindest weiter. Ob sie dann damit auch bereits kategoriale oder kategorielle Differen
zen (rationes) setzt, ist zu sehen. Das muss die subjektive Argumentation aufnehmen, wie und
weil es sie hindern könnte, definite und schlüssige Ergebnisse zu haben. Es wird am Ende ohne
die rationes und gegen sie argumentiert werden müssen. Das macht die jetzt darzustellenden
operationes Ockhams und ihre Auslegung wichtig.
576 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
(die) Akte in ihrem Verhältnis (nach einem Verhältnis) eine Verbindung (Synthesis)
oder Trennung (Abgrenzung, letztlich sogar Unterscheidung) besagen müssen oder
ergeben können.
Hier muss Argumentation, soll sie ergiebig und bündig sein (können), dasjenige,
was sie darbieten will, je gegen den (gegen einen) Einwand absichern, der besagen
(reklamieren) könnte, dass was getrennt wäre, Exklusion zu meinen hätte oder im-
stande wäre sie zu meinen. Die Exklusion erfasst die Abstraktion an der Stelle, wo
die Inhalte (die, wenn das Abstrakte klassifiziert sein soll, nach ‘rationes’ aufzufassen
sind, so dass der Akt also einen typisierten Gehalt hat) imaginäre werden.86 Für
Ockham folglich muss alle seine Argumentation darauf hinauslaufen, die consequen-
tia naturalis zuzulassen: den unbedingten empirischen Fall betreffend. Will man den
Einwand ausschließen, dass die ratio als Term87 für einen actus, einen habitus oder
eine operatio nicht verwendbar erscheine oder dies jedenfalls nicht unbedingt tue,
was bedeutet hätte, dass eine Induktion gegen Ockham möglich wäre, so muss die
Widerlegung eines solchen Einwands besagen, dass eine (bestimmte) negierte Impli-
kation eben nicht von einer anderen vorgängigen abhänge, i.e. abhängen könne.88
86. Die Exklusion als Faktor schließt die Realgeltung der rationes aus, für einen bestimmten
Fall. Das bedeutet dann einen besonderen casus der Modalisierung. Die Exklusion ist ein Mo
dus modo composito angewandt. Das Negierte wird jetzt mit der Realität äquivalent. Bisher
war die (empirische) Realität bei der Prädizierung des Modus modo composito ausgeklam
mert. Jetzt ist es ein negierter Inhalt.
87. Der Begriff ratio wird dann nach seinem allgemeinsten Sinn ausgeschlossen und angefoch
ten, so als könne er über dem Akt nicht sein und angewandt werden. Das ist eine Annahme,
die zeigt, dass die ganze Annahme des Opponenten falsch oder unangemessen sei. Der Begriff
ratio zeigt oder enthält eine Grenze, an der (= jenseits deren) weder er selbst noch irgendeine
inhaltliche Annahme noch länger sinnvoll (definit) zu sein vermag.
88. Wenn man eine Implikation voranstellt (vorgibt), sie also (explizit oder implizit) fordert,
diese aber nicht bestehen können soll (was man ‘beweist’), dann ist Nikolaus von Autrecourt so
wohl recht gegeben wie widersprochen worden. Die Charakterisierung oder Begründung und
Rechtfertigung der Implikation ist dabei dann kein Problem. Nikolaus von Autrecourt hat die
Folgerbarkeit zwischen scholastischen Begriffen oder Konzepten bezweifelt. Er bezweifelte was
er gleichwohl vorgab. Er bezweifelt die Ableitbarkeit. Damit ist er nicht gründlich: Die Cha-
rakterisierung, Begründung und Rechtfertigung der Implikation sind außer Acht. Ockhams
fiktive Gegner widerlegen Autrecourt: indem sie selbst widerlegt werden. Darin ist auch gleich
der Begründung scholastischer Ansichten nach deren Möglichkeit von Ockham weitgehend
negativ beschieden worden. Nur soweit wie Ockham die Abstraktion gegen die Logik sichert,
verbleiben wir im Spektrum scholastischer Fragestellungen, Ansichten, Terminologien und
bedingt des scholastischen Instrumentariums insgesamt. Letzteres überscheiten wir mit Ock-
ham durch dessen Methode. Sie überschreitet die Scholastik. Nicht die Themen, die Ockham
bearbeitet. Er definiert aber implizit methodisch die Inhalte und deformiert sie in bestimmtem
Sinne, sc. soweit darin projektiv oder wirklich (realiter) ein Wahrheitsaspekt betroffen ist. Der
geht in der Argumentation und der darin quasi definiert enthaltenen Rationalität auf. Sie frei-
lich geht nicht über die Abstraktion, die ratio notitiarum und schließlich die Formeln ‘non est
Kapitel 12. Verflechtung und Abgrenzung der Akte 577
Damit operieren wir auf der abstrakten Ebene gänzlich empirisch. Das bezeichnet
die consequentia naturalis.89 Es ist am Ende alles die Frage, ob wir mit den in Rede
stehenden Akten, die wir binden und beziehen wollen, aber nach der Meinung des
Opponenten nur trennen und ausschließen können, wenn wir nicht die consequentia
naturalis unterstellen wollten, in sich abgeschlossene Entitäten haben könnten. Das
erst sichert die Abstraktion und zwar im Sinne einer consequentia, die sie intensional
auffasst und zugleich deren reelle Basis zulässt.90 Zum Gebrauch der ratio im Verhält
nis zur mittels der Abstraktion ausgeschlossenen Akzidentalität gibt es also einen Un
terschied.91 Man erkennt, dass eine Gesamtkonsistenz bezüglich aller Operationen,
Erklärungen solutiones und opiniones bei Ockham immer nur bis zur Geltung einer
einzelnen und einzigen Operation, Definition usw. führen kann. Diese erscheint dann
jeweils zulässig. Sie wird nicht in die anderen inhaltlich überführt, sondern ‘an sie’
bloß über die Erklärung der Struktur der anderen vermittelt werden können.92
inconveniens’ etc. etc. hinaus. Ockhams Rationalisierungen per methodum verlassen nicht sei-
nen Mentalismus, der die empirische Wahrheit (extramentale Gegenstände) nicht ausschließt,
den Wahrheitsbegriff aber nicht einschließt. Die ‘relationes inter actus’ werden durch die (in
duktive) Argumentationsmethode erschlossen, die die Abstraktion begründet, sichert und
(weitgehend persuasiv) weiterführt. Dabei entstehen bedingte Verallgemeinerungen bzw. par-
tiell gültige Maximen.
89. Es gilt dann: was (dem Begriff nach =) naturaliter wahr ist, ist auch realiter wahr. Ab-
straktes muss nicht realiter ‘wahr’ sein. Ihm lassen sich Modi modo composito verbinden, die
eben das ausschließen = noch nicht enthalten. Zu ihnen gehören die ‘potentia divina absoluta
supranaturaliter loquendo’ und die ‘distinctio formalis’.
90. Die Induktion, die zur Abstraktion führt, muss reelle Entitäten voraussetzen. Sie bestimmt
diese aber reduktiv und in dem Sinne aliquomodo negativ. Es kann nie die Rede davon sein,
dass das Reale oder die res (diese in sich), in ganzer Extension (oder mit einem strukturel-
len Gegenwert zur Erkenntnis) erkannt würde. Es ist dann ja sogar so, dass nominalistisch in
Ockhams Theorie und Denkweise die Struktur, die für die Akte entfaltet wird und deren Klassifi
kationen und danach deren Verhältnisse intensional einschließt, überhaupt nur eine äquivalen
te Struktur in rebus zuließe. Wir sprechen da von Sätzen, von consequentiae, bei den Sätzen
aber nie von inneren Begriffsverhältnissen, die noch anders für sich auslegbar in den Sätzen
vorhanden wären oder äquivalent andere Sätze über diese Sätze reflexiv zuließen. Eben damit
erreicht Ockham ja gerade, was er dann als reflexive Bestimmungen von Akten, für Sätze, deren
Verhältnisse usw. gibt. Darin haben sie dann ihren Erkenntniswert, aber erst so, nämlich refle-
xiv. Sie haben ihn nicht wie bei Duns Scotus in sich, so dass für sie (apologetisch) angenommen
werden könnte, dass sie per se Erkenntnis, Bewusstsein usw. seien.
91. Von dieser war die Rede, wenn in den actus (etwa notitia intuitiva oder notitia abstractiva)
nicht die Gegenstände einbezogen sein sollten, auf die er sich bezog. Anders: wenn die Intensi
on nicht die Extension maßgeblich oder äquivalent enthalten sollte.
92. Und eben im Sinne der Ockhamschen Erläuterungen, Beweise, Widerlegungen, Entgegnun
gen auf Einwände von ihr unterschieden werden könne.
578 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Wenn von einer einzigen Aussage (solutio oder opinio) Ockhams direkt eine
unmittelbare oder absolute im Sinne einer Operation gültige oder vermöge ihrer er-
langte Rechtfertigung oder Begründung möglich sein sollte, so wäre sie analytisch:
sie würde einen indirekten Beweis darstellen und erfordern.93 Sie würde also einer
Widerlegung entsprechen müssen bzw. eine solche in sich (wenigstens partiell) ent-
halten oder umfassen. Infolgedessen müssen wir, wenn wir Ockhams Argumentatio-
nen sezieren, jeweils immer das Inhaltliche neu definieren und damit zur Abstraktion
zurückkehren. Die Operation, die Ockham begründend gebraucht oder die sich bei
der ‘Begründung’ auch nur „ergibt“, muss an der Stelle von Widerlegung stehen, also
sie signifikativ meinen bzw. mitenthalten.94 Die Aussage, die die Exklusion bedeutet
und jene, die sie ersetzt, werden casus bloß in einem imaginären Sinn sein und so
nicht mehr einem kontingenten Satz entsprechen, für den das Suppositionspräskript
gilt und Modi bloß modo diviso gelten.95 Es gibt dann keine Aussage, die einen Mo-
dus bedeuten kann und keinen Modus, der eine Aussage besagen kann. Es gibt kei-
ne Übersetzung eines Modusgebrauchs modo composito in einen Modusgebrauch
modo diviso und ebenso keine Übersetzung eines Modusgebrauchs modo diviso in
einen Modusgebrauch modo composito, was völlig klar ist. Was hier sich bestätigt,
beschreibt die Konsistenz für Ockhams Erörterungen.96
In der zweiten der hier genannten quaestiones muss Ockham den Aspekt des
finis97 mit dem obiectum zunächst dadurch als verwickelt ansehen und betrachten,
dass obiectum der scientia und notitia prinzipiell den bzw. ‘einen’ Satz meint oder
93. Wenn eine operatio bzw. auch eine solutio oder opinio aus einer anderen (‘antezedenten’)
hergeleitet werden könnte, so würde sie mit denselben Materialanteilen arbeiten. Also wären
beide inhaltlich gleich. Die Unterstellung der Verschiedenheit würde für den Konsistenzbeweis
eine Hineinnahme neuer ’Inhalte’ besagen, welche alsdann neu klassifiziert und bestimmt wer-
den müssten.
94. Die Modalität und der Modus ‘de potentia divina absoluta supranaturaliter loquendo’, der
modo composito gebraucht (= von einem Satz prädiziert) werden kann, können keine Gesamt
formation des Ockhamschen Denkens oder argumentativen Vorgehens enthalten. Sonst müss
ten sie der Abstraktion entsprechen bzw. diese innerlich völlig in sich übernehmen und durch
setzen. Folglich kann bei diesem Modus auch nicht die Quintessenz von Ockhams ‘Denkens’
gesucht werden.
95. Die imaginären casus können nicht in Sätzen mit ‘Exklusion’oder ‘Negation der Exklusion’
als Modi modo composito ausgesprochen werden. Sonst müssten sie Abstraktionen sein.
96. Natürlich kann bei allen scholastischen Erörterungen auch einmal nach deren Lückenlo-
sigkeit gefragt werden. Mutmaßlich gibt Lückenlosigkeit sogar ein besonderes, quasi implizites,
beweisführungsimmanentes Interesse bei Duns Scotus ab. Mit der Determinatheit wird es bei
Ockham gleichsam überkompensiert.
97. Finis ist für Ockham causa finalis. Cf. Quaestiones variae, O T VIII q. 4: Utrum ex hoc quod
aliquid moveat ut finis sequatur ipsum habere aliquod esse reale extra animam. Cf. auch Ord.
Prol. q. 11 O T I etwa ib. p. 307 lin. 6: „finis quae est causa finalis“. Die causa finalis steht im
Kapitel 12. Verflechtung und Abgrenzung der Akte 579
wenigstens mitmeint.98 Wenn die notitia oder scientia practica in der Form einer
conclusio in einem Syllogismus, der wie wir gesehen haben und hier wieder sehen
werden, das Muster der wissenschaftlichen Erkenntnis (sc. des discursus scientificus)
abgibt, ist diese conclusio, ein Satz also, obiectum der notitia. Der finis, der dann mit
der notitia practica verbunden sein muss, weil diese auf das opus zielt und eine ope-
ratio zulassen, angeben oder beschreiben muss, lässt die Erkenntnis (notitia) eines
singulare mehr oder weniger nur fiktiv zu. Gleichwohl muss dieses auch obiectum
genannt werden und ist nach Auffassung und Erörterungen Ockhams mit der Betrach
tung des universale als Begriff und im Satz bloß in vermengter Weise möglich.99 Wir
gehen also tatsächlich fortschreitend nach den Ockhamschen Erörterungen von der
mentalistischen (abstrakten) Ebene der Akte zu den Sachen in reali (singularia, res
extra), über, wenngleich wir mit der Intention bloß die fiktive Qualität100 der Erfül
lung ‘verbinden’ können.
Für Ockham kann zwischen notitia (oder scientia) speculativa und notitia (oder
scientia) practica und notitia (oder scientia) practica nicht unbedingt unterschieden
werden. Es heißt auch hier, dass zwischen Empirie und Abstraktion kein völliger
aristotelischen Schema in der Quadriga der vier causae, zu denen noch causa formalis, causa
materialis, causa efficiens gehören.
98. Ist der Satz eine conclusio im Syllogismus, so versteht sich dies von selbst. Nach der dritten
unserer hier behandelten quaestiones wird ein universale auch dann noch ‘mit’ Gegenstand
der Erkenntnis bleiben, wenn förmlich angenommen werden kann, dass es in der notitia prac
tica – und dies auch nach der Meinung des Aristoteles – sich um ein obiectum handeln könne,
das singulare sei. Cf. auch unten Anm. 99.
99. Es ist klar, dass danach eine Erkenntnis und Erklärung (auch praktisch im kausalen Sinn)
von Sachverhalten, die Qualifikation der Erkenntnis selbst betreffend, ihrer Gegenstände und
Bezüge, nur induktiv möglich ist und damit notwendig induktiv geschehen muss: wir hätten oh
ne Induktion überhaupt keine Trennung der Fälle, welche mithin aus gleichsam tatsächlichen
und festumrissenen empirischen Befunden oder Annahmen hervorgeht.
100. Zweifellos kann die Stufe der abstracta und universalia nach Ockham für die Operationen
des erkennenden Verstandes und seine Bewertung nicht wirklich unterschritten werden (Ord.
Prol. q. 12 OT I p. 351 lin. 3–12): „Si dicatur quod Philosophus dicit quod obiectum intellectus
practici est singulare et aliquid contingens aliter se habere, hoc non valet, quia philosophus ibi
accipit particulare et contingens aliter se habere non in sua generalitate, quia talia sunt multa
naturalia quae non respicit intellectus practicus, sed accipit ibi contingens aliter se habere pro
aliquo quod est in potestate nostra, et dicit quod intellectus consiliativus est respectu talium.
Unde VI Ethicorum, cap. 2, non loquitur de intellectu practico in communi sed de intellectu
consiliativo quem vocat ratiocinativum. Unde dicit: ‘Consiliari et ratiocinari idem’.“ Ockham
nimmt (ib. lin. 13–24) einen einigen Verstand für verschiedene habitus (speculativus und prac-
ticus) an, die ‘gemeinsam’ in ihn fallen. Danach gelte: „de virtute sermonis potest concedi quod
habitus practicus est in intellectu speculativo (und umgekehrt)“. Die Floskel ‘de virtute ser-
monis’ hat danach logisch und sprachlich nicht die Prävalenz, die J. Beckmann und O. Leffler
sehen.
580 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Unterschied gelten kann, dass aber vielmehr, wenn damit differierende Funktionen
sich bezeichnen lassen (sollen), das Verhältnis das der (oder eben einer) Folgerung
bzw. deren Negation (das heißt wohl auch Einschränkung) ist. So wird denn wieder
die Modalisierung entfallen, wenn sie die Geltung der einen notitia vor der anderen
definit sollte bezeichnen müssen. Hier muss die Menge der Anwendungen, die aus
der ‘Einheit’ und Einfachheit einer Aussage folgen, tatsächlich gefolgert werden (in-
ferri, elici), was bedeuten muss, dass die Grenze zwischen den notitiae nicht signi
fikativ oder signifikant erscheinen kann. In diesem Zusammenhang und nach diesem
Verhältnis der notitiae speculativa und practica, die nicht scharf getrennt werden
können, kann auch der Begriff, der in die einzelnen Sätze eingeht und ihr Bestandteil
ist, die dann der notitia oder scientia speculativa und practica zugeteilt sein müssen,
der Qualität nach nicht unbedingt bestimmt werden: er ist so empirisch wie abstrakt.
Er ist nicht folgerungsbezogen.101
Dass von bestimmten oder allen Begriffen eine notitia speculativa et notitia prac-
tica sein könne,102 ist zunächst eine Folge oder wenn man will, eine Voraussetzung der
obigen zusammenfassenden Deutung: „Igitur penes subiecta tamquam per aliqua sibi
propria non distinguuntur.“103 Es ist klar, dass man hier, wo man eine solche Folgerung
zieht, zugleich bei dem Grund und Anfang der Ockhamschen Philosophie ist: dass sie
die termini oder conceptus hat, über sie aber noch nichts sie Bestimmendes gesagt
hat. Auf dem Feld der notitiae speculativa und practica ergibt sich:104 „Si dicatur quod
conclusiones practicae non resolvuntur in principia speculativa, ergo de eodem non
possunt esse istae duae notitiae, respondeo quod non est inconveniens conclusiones
practicas saltem mediate vel partialiter deduci ex principiis speculabilibus.“ Im Sinne
der Unterscheidung gilt:105 „in illa conclusione quae scitur notitia speculativa nihil
ponitur operabile a nobis /§ nec aliquid importans operabile a nobis§/, cum notitia
speculativa non sit de operibus nostris.“ Die Folgerungen, die aus spekulativen Grund
sätzen gezogen werden können, sind aliquomodo wandelbar:106 „Potest tamen dici
quod illa principia sunt aliquo modo virtualiter practica, tamen secundum modum
communem loquendi sunt simpliciter speculabilia, quia aliter nullum principium es-
set pure speculativum, quia nullum penitus est principium quin aliquo modo possit
se habere ad praxim. Unde ex isto ‘omnis triangulus habet tres’ in artibus mechani-
cis possunt haberi diversae notitiae practicae. Unde etiam invenitur aliquando quod
scientia practica subalternatur scientiae speculativae, sicut musica arithmeticae, et sic
de multis; quod non esset verum nisi contingeret resolvere conclusiones in principia
speculativa.“ Da zu diesen Sätzen, die durch eine notitia speculativa aufgenommen
werden, auch gehört:107 „terra est dura“, ergibt sich, dass in Wahrheit hier bloß die
Abstraktion förmlich wiederholt wird und eine Induktion für die Urteile Ockhams
unterstellt werden kann:108 „universaliter … in potestate nostra est habere operatio-
nes circa entia pure speculabilia et secundum rectam rationem secundum variatio-
nem ipsorum entium et conditionum suarum sunt operationes nostrae diversimode
eliciendae.“ Das sind dann die operationes, auf die wir uns mit einer notitia practica
beziehen. Am Ende muss die Unterscheidung zwischen den notitiae speculativa und
practica induktiv erfolgen. Das ergibt sich auch dann, wenn wir annehmen, dass wir
hier mit den Elementen der Philosophie Ockhams gleichsam wieder vorbehaltlos be-
gonnen hätten: wir hätten sie damit nach dem Anfang in diesen Elementen von jeder
Konsequenz freigehalten und nicht über eine solche bestimmt oder präventiv gegen
eine abgesichert. Umso mehr gilt am Ende die Konsequenz: Die Bekräftigung von
Argumenten und solutiones oder opiniones in Sonderheit ist Ockhams Tendenz und
immer wieder als Stilelement oder seine geistige Haltung wiedergebend zu beobach-
ten. Am Ende ist auch die Verwiesenheit auf die Induktion eo fortiter zu erkennen.
Wenn Ockham auch am Ende die beiden scientiae vel notitiae sich nicht durch
die Begriffe unterscheiden lässt, sondern nur durch die conclusiones scitae, die auch
obiecta109 genannt werden, wie schon zuvor innerhalb der Demonstrationslehre,110
gibt er eine bei den Begriffen ansetzende Bestimmung nicht mehr für sie:111 Die an
der causa finalis ansetzende Bestimmung oder Unterscheidung greift an der Empirie
und am accidens112 an und bedient sich der Induktion:113 „Ex his respondeo ad quae-
stionem quod istae scientiae se ipsis distinguuntur intrinsece et formaliter, sed per
fines vel per finem distinguuntur causaliter, sicut causaliter distinguuntur per causam
efficientem. Sed per subiecta scientiae nullo praedictorum modorum distinguuntur
necessario, quia nec formaliter et intrinsece, nec causaliter necessario, nec tamquam
per aliqua sibi propria. Sed isto ultimo modo distinguuntur per obiecta, hoc est per
conclusiones scitas.“ Ockham ist mit vielfach sehr simplen scholastischen Konzeptio-
nen, Auffassungen und Lösungen konfrontiert, denen er seine als induktiv und empi-
risch gebundenen eben auch in Bezug auf den Mentalismus114 (i.e. in Bezug auf rein
im Subjekt existierende res) entgegenstellt.115 Die Konsistenz in Ockhams Philosophie
im Sinn von Folgerung tritt dann auf, wenn (dadurch) gegeben ist, dass er eine Basis
für Induktionen durch ‘Minderung’ legen kann. Er hebt so die Folgerung selbst auf.
Dabei können natürlich die Begriffe und die anderen Elemente, der Satz über der
Empirie gleichsam schweben und doch deren Verhältnis noch sehen lassen, i.e. ihren
Unterschied, der Vereinigungen (Gleichheit) erlaubt und so enthält.116
114. Cf. auch ib. q. 12 p. 355 lin. 4–11: „Et si dicatur: hoc dicit Philosophus quod intellectus
practicus est contingentium aliter se habere, dico quod de virtute sermonis debet concedi quod
intellectus practicus est necessariorum et pure speculabilium et intellectus speculativus opera-
bilium, quia idem est intellectus et pro eodem supponunt ista subiecta. Tamen intentio Philo-
sophi est quod quando est intellectus practicus ita quod immediate dirigat aliquod operabile,
tunc est singularis et alicuius contingentis aliter se habere. Et ratio est quia tunc illud operabile
debet cognosci si debet dirigi per intellectum. Et per consequens tunc intellectus practicus est
respectu alicuius singularis sed non praecise respectu singularis, sed frequenter et ut in pluri-
bus est tune etiam respectu universalis. Sic autem non est de intellectu speculativo, quia potest
esse simpliciter in actu suo ultimo sine intellectione alicuius singularis. Sed proprie et per se
intellectus practicus est respectu operabilis a nobis sive in universali sive in particulari, non
sic autem intellectus speculativus mediante illo habitu ratione cuius denominatur intellectus
speculativus.“ Und dort zuvor knapper lin. 1–3: „Et quando dicitur quod obiectum intellectus
practici est singulare, dico quod obiectum intellectus practici aliquod est singulare et aliquod
universale.“ Zu Aristotelesstelle Verweis auf p. 324 in dieser Quaestio und Aristoteles, Ethica
Nicom., VI, c. 2 (1139a 3–15).
115. In ihr werden Regeln neu definiert, z. B. ib. q. 11 p. 310 lin. 1f: „eadem causa finalis potest
esse causa finalis plurium scientiarum et plurium effectuum specie distinctorum.“ Es werden
Abstraktions- und Induktionsbasen angegeben und neu festgestellt. Z. B. p. 309 lin. 11–16: „Ad
omnes auctoritates respondeo quod procedunt de fine qui secundum rectam rationem – saltem
ut in pluribus – deberet intendi si omnia essent convenienter ordinata, et ideo quasi ex natura
sua habet quod sit ordinabilis ad talem finem. Si tamen non actualiter intendatur non est vere
et proprie causa finalis.“ Der generelle abstrakte Bezug auf die causa finalis gilt nicht. Die cau
sa finalis kann infolgedessen nicht ex se erforschbar sein. Denn die Abstraktionen zu Wissen
schaften und Sätzen mögen der causa finalis folgen, sie geht nicht in sie ein; Ockham hält das
‘causaliter’ ausdrücklich von den Erscheinungen geschieden, für die die causa oder die causae
als Bedingung infrage kommen, nicht aber als Wesensbestandteile. Das gilt auch für die Sätze
als intensionale Erscheinungen in anima.
116. In der Gesamtheit von Ockhams Argumentationen kann der Diskurs die Empirie dabei
nur approximieren Wenn Ockham in den bisher analysierten vorwiegend Widerlegungen und
instantiae gegen präsumtiv allgemeinen (reflexive) Aussagen vorgebracht hat, so geht er in den
jetzt zu behandelnden Quaestiones den Weg einer nochmaligen Umwandlung seiner eigenen
Kapitel 12. Verflechtung und Abgrenzung der Akte 583
In der dritten der genannten quaestiones bezieht Ockham die Theologie auf den
Unterschied von speculatio und praxis, indes auf der Stufe des Begriffs ‘habitus’. Der
habitus entsteht aus den Akten und ist der Erkenntnis übergeordnet im Sinne einer
im Vermögen oder in der anima nicht gestalthaft greifbaren ‘Existenz’. Eine solche
‘Existenz’ überragt er abstrakt. Der habitus muss danach induktiv aus den Umstän-
den der Erfahrung bestimmt werden.117 Es ist damit die Frage, ob die fides oder die
notitia theologica im Sinn der Empirie und nach der menschlichen Bedingung der
Erkenntnis (und Begriffsbildung) in der Empirie ihren Platz haben kann. Sie muss
praktisch und spekulativ im Sinne einer Unterschiedenheit sein, bei der die notitia
theologica, wenn sie nicht zu Handlungen (operationes) führt, spekulativ heißt, aber
so noch nicht legitimiert und gegenständlich, menschengerecht erscheint.118 Dabei
gilt, dass der habitus unmittelbar oder ausschließlich nicht mit der Empirie korreliert
sein kann:119 „Si dicatur quod habitus practicus immediate dirigit circa opus, ergo si
habitus universalis non immediate est directivus non erit simpliciter practicus, dic0
quod habitus universalis immediate dirigit, non tamen totaliter sed partialiter tan-
tum, quia praeter habitus universales requiritur notitia rei singularis quae debet diri-
gi, vel circa quod debet aliqua potentia operari. Et ideo aeque immediate dirigit habi-
tus universalis sicut habitus experimentalis qui est respectu singularis. Patet in arte,
quod aliquis frequenter faciens domum, ibi derelinquuntur quidam habitus generati
ex actibus respectu singularium.“ Wenn es aber darum geht, ob die Theologie wegen
ihrer moralischen Anweisungen praktisch sei, so antwortet Ockham: sie ist praktisch,
weil sie operationes lehrt, die zur Annäherung des Menschen an Gott führen; aber sie
ist nicht darum praktisch, weil Gott ihr opus wäre. Er ist es nicht. Gott wird durch
unsere operationes erreicht, aber nicht hergestellt oder affiziert:120 „concedo quod illa
pars theologiae quae docet Deum attingi operationibus et negotiatur circa opera no-
stra est practica; sed aliqua pars theologiae non est talis, ideo illa pars non est practica.
Tamen quod accipitur quod Deus est operabilis, non est verum, quia Deus non est
opus, sed attingitur a nobis mediante opere nostro.“ Damit erreichen wir auch, wie
Ockham ausgeführt hat, noch kein empirisches Objekt in sich. Wollten wir etwa ei-
nem Kranken oder Bedürftigen eine potio sanativa reichen, so wüssten wir doch noch
nicht notwendig, wie (warum) diese hilfreich sei: wir wüssten aus Erfahrung, dass
sie helfen könne, so wie Ockham es nach Aristoteles oder auf ihn sich stützend und
verweisend auffasst, wobei er sogar noch von diesem übernimmt, dass wir womöglich
unter unseren Handlungen bloß consiliative verfahren könnten. Wir wüssten nicht,
ob dieses oder jenes remedium besser sei. Wir könnten es nicht in sich aufschließen
und wir könnten durch kein Vermögen uns ihm anschließen. Das hatte Duns Scotus
mutmaßlich angenommen wenn er sagte:121 „praxis est actus alterius potentiae quam
intellectus, naturaliter posterior intellectione, natus elici conformiter rationi rectae ad
hoc quod sit rectus.“ Ockham aber beschränkt die praxis und die operatio, bei der wir
eine Kenntnis (notitia) vom Objekt haben, auf den Verstand122 „omnis operatio de
qua sicut de obiecto est notitia practica est praxis.“123 Zuvor hatte Ockham allgemei
ner gesagt124: „intellectio potest esse praxis.“125 Vom Verstand handeln wir demnach
in diesen Quästionen. Damit sind wir aber auf einer Stufe der Verallgemeinerung und
der Abstraktion. Es ist dann nur noch die Frage, wie wir diese in ihrer Wesenheit mit
Bestimmungen meinen und hervorheben können.
Der modale Satz („intellectio potest esse praxis.“) bedeutet aber auch hier (in Be-
zug auf den anderen): „omnis operatio de qua sicut de obiecto est notitia practica est
praxis.“), dass die Realität, die sich logisch in der Folge (oder bezüglich der gesamten
Ockhamschen Erörterung ‘Abfolge’) der Sätze und für diese mit deren Bestimmung
(in der ‘abstractio’126) ergibt, Realität oder die res in se nicht meinen (und aufschlie-
ßen) kann. Wir haben mit der Aussage, die reflexiv eine notitia practica im Gefolge
der notitia speculativa ergibt (ergeben könne), eine Aussage, die in der anderen, dass
die notitia practica überhaupt als intellectio oder actus intelligendi (bezüglich einer
‘operatio’!) in mente aufgefasst werden kann, keine Prämisse hat. Wo man Ockhams
Motiv in der Individualität der res extra singularis in Übereinstimmung mit der In-
dividualität des Menschen – je des einen im anderen – sieht, ist zu entgegnen, dass
121. Ord. Prol. q. 10 OT I p. 280 lin. 2–4 im Zitat Ockhams. Die Stelle wird belegt ib. p. 280
Anm. 1: Scotus, Ordinatio. I, Prol. p. 5, qq. 1–2, nn. 228–269 (ed. Vaticana, I, 155–183).
122. Ib. p. 281 lin. 10–16.
123. Ib. lin. 10f.
124. Ib. p. 281 lin. 9.
125. Diese Aussage ist ‘allgemeiner’ insofern sie, syllogistisch begründet nach ib. p. 279 lin. 4–
11, sich auf operationes als innere Leistungen des Subjekts bezieht, die demnach auch als ab
strakte schon erkannt werden. Das ist aber nur induktiv feststellbar. Es ist nicht so ganz erkenn-
bar, wie Major und Minor in dem Syllogismus voneinander unabhängig wären (ib.): „omnis
operatio quae est obiectum notitiae practicae est praxis; sed operationes interiores sunt obiecta
notitiae practicae; ergo etc.“ Die Begründungen aber, die für Major und Minor gegeben wer-
den, sind schlechthin und wesentlich nur persuasiv. Es muss also eine Abstraktion geben, die
außerhalb dieser Begründungen liegt und somit für die Sätze gilt. Da es aber zwei Sätze sind,
die zudem in einem Verhältnis miteinander stehen, muss es etwas Einheitliches geben, was sie
beide begründet und hält. Weil dies nicht die Empirie ist, muss es die über sie hinausgreifende
Abstraktion sein. Sie begründet auch das Verhältnis. So wie hier im Sinn der persuasio kann
man im Grunde alles begründen, es sei denn man hat den einigenden Gesichtspunkt schon
vorausgeschickt. Das ist aber – wie – eine metaphysische Position. Nach ib. lin. 15f ist die „scien
tia“ „operationum interiorum“, deren „principium est in nobis“ eine scientia „practica“.
126. Innerhalb der ‘abstractio’ gibt es NB verschiedene Klassifikationen und Charakterisierun
gen des Mentalen als Inhalt, des actus apprehensivus als ‘Intension’.
586 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
er die Universalität des Denkens nach dessen Mitteln auf eine Subjektivität bezieht,
die ganz und gar abstrakt ist. Solutiones oder opiniones macht die Methode.127 Wenn
aber alle Sätze nach der Ockhamschen Methode modal erscheinen: d. h. nicht vor
derhand über Widerspruchsfreiheit reguliert erscheinen können, obwohl darin der
Widerspruch vermieden oder ausgeschaltet werden soll, dann muss eine Folge oder
Folgerung, wenn sie praktischer Natur sein können soll, also auf eine empirische
Bedeutung oder Weiterung in Handlungen bzw. nach den moralischen Gesinnun-
gen (Einstellungen) zu führen hat, die ebenso wie die Begriffe bei den spekulativen
Prämissen die ‘Identifikation der Begriffe’ (inhaltlicher Art) verlangen, Exklusion der
Folgemäßigkeit besagen. Denn die Begriffe können nicht dieselben sein, weil sonst
die Kategorien der Sätze und ihrer Disziplinen auch identisch wären. Die Begriffe
müssen nach beiden Kategorien in den Sätzen beider Disziplinen also notwendig ver
schiedene sein.128 Infolgedessen muss die Vermittlung zwischen ihnen außerlogisch
sein. Wird die eine Folge (als Folgerung) durch Exklusion an eine vorgängige ange
schlossen, so sind zwei Modalisierungen aufeinander gefolgt, bzw. kombiniert wor-
den. Es ist eine falsche Folgerung ausgeschlossen worden. Die Inhalte sind modal
geworden.129 Damit ist die Implikation als Zeichen der Determinatheit fixiert. Denn
für sie tritt die Exklusion nur ersatzweise auf. Die (Begründung der) Determinatheit
fußt darauf (fällt damit zusammen), dass die Implikation entfällt = nicht ausgedrückt
und in dem Sinne auch nicht vollzogen werden könne.
Dennoch muss sich Ockham grundsätzlich mit einer Allgemeinheit des Den-
kens präsentieren. Eine solche Forderung betrifft das Verhältnis von Rationalität und
127. Wird letztere gesehen, so entfallen die solutiones als Motive = vorgefasste und eingewur
zelte Meinungen. Außerdem kann von solcherart gedachten Motiven aus die Methode selbst
nicht begründet oder gefunden werden. Ein plan oder krud Inhaltliches außerhalb der Metho
de, die es ergibt, muss negiert werden. Es könnte wie die Methode selbst nicht explizit gefasst
werden. Dabei ergibt sich auch: alle Mittel (bzw. deren Teile), welche im Sinne der Methode
eingefügt und benutzt werden (können), müssen eine reduktive Form in Bezug auf das nicht
wirklich erreichte Extensionale oder in Bezug auf die in ihrer ganzen Extension oder Gestalt ge
dachte Realität des Denkens annehmen. Das Denken kann für sich formativ nicht eine Gestalt
der Realität, aus der extramentalen Objektwelt geschöpft, aufnehmen. Das ergibt Reduktionen
für ‘Implikation’ und consequentia(e) etc.
128. Mithin erscheinen bei Ockham verschiedene Disziplinen. Ethik und Theologie müssen
nicht identisch sein. Logik und Wissenschaft auch nicht. Bei Duns Scotus werden notitia (sci
entia) speculativa und notitia (scientia) practica als ununterscheidbar ausgegeben. Ockham
betrachtet Diskussionen über den Begriff ‘praxis’ im Grunde als wesenlos, cf. Ord. Prol. q. 10
OT I p. 285 f, ib. lin. 23f: „difficultas magis consistit in nomine quam in re.“
129. Dass Erkenntnis für Ockham Klassifikation und Bestimmung der Satzart und ihrer
Elemente, mithin auch eines aus dem anderen, sei, wurde gesagt. Anders: Klassifikation und
Bestimmung der Satzart und ihrer Elemente’ tritt an die Stelle von Erkenntnis, sofern diese
hypothetisch als unmittelbar im Satz enthalten gedacht werden soll. Kritik am Satz bzw. einer
Folgerung daraus impliziert für Ockham den Anspruch auf die Vernunft.
Kapitel 12. Verflechtung und Abgrenzung der Akte 587
Affekt. Eine Lehre kann einen Inhalt bloß haben, wenn affektiver Frageimpuls und ra-
tionale Antwort einander ‘entsprechen’, das ist aber: sich mit einer Verschiebung ent-
sprechen. Die rationale Antwort muss etwas enthalten, was in der affektiven Basis, die
notwendig Befangenheit bedeutet, nicht vorgegeben und daher auch noch nicht vor-
und ausgeprägt gewesen ist. Gibt es eine gegen die Affektbasis verschobene rationale
Antwort nicht, so wäre mit keinem Interesse ‘gefragt’ worden. In die spätmittelalter
liche Geisteshaltung wird gern der per ratio schwer zu überwindende Affekt hinein-
gelegt.130 Ockham kann gefragt haben, was nach einer kontingenten (unerforschten)
Grundordnung der Dinge (Unerschließbarkeit der Dinge in sich) als rationale Form
möglich sei. Damit übersteigt die rationale Struktur zwangsläufig die Grundordnung
der Dinge.131
Ockham trieb seine Erörterungen voran zwischen Gott, den wir in se mit unseren
von der Empirie stammenden und immer auch abhängigen Mitteln nicht einsehen
können, und res singularis extra animam, die wir in se auch nicht einsehen können,
weil unsere immer abstrakten Begriffe bis dort hinein nicht gelangen und reichen
können und an der Schwelle zur absoluten Individualität in se widersprüchlich wer-
den müssten bzw. unsere Aussagen widerlegbar machten, inclusive der hier gebrauch-
ten ontologischen substantia, forma, natura, accidens usw. Diese beiden termini ex-
clusivi des (seines) Denkens werden aber niemals inhaltlich bestimmend gemacht
und so nicht regelrecht infiltriert. Sie bleiben Pole und man kann sich fragen, ob diese
angeschlagen werden oder nicht; man kann es ad libitum entscheiden. Ockham ver-
mittelt nur ‘zwischen’ ihnen und erhält an ihrer Stelle Abstraktion und empirische
Fundierung des Denkens in der notitia intuitiva; er vermittelt also recht eigentlich nur
zwischen Abstraktion und empirischem Fundament des Denkens in et pro anima. Er
tut es argumentativ; er hat jedoch nie Widerspruchssatz und Omnipotenzprinzip als
130. In Autrecourts Gebrauch der Atomtheorie wird Erkenntnis desavouiert, aber im Sinne
von Empirizität, welche die Atome selbst noch erst zu repräsentieren haben. Die Erkenntnis
scheitere an der Identität und Gegebenheit der Atome, die selbst nicht wahrnehmbar seien. Sie
besagen eine Gegenvorstellung zum Erkennen nach begrifflichen Mitteln, dessen Realitätshaltig
keit (Realwertigkeit) wir nicht kennten. Es ist eine fiktive Widerlegung. Am Ende müssen so die
Atome das Nichtsein besagen, weil der Widerlegungsbeweis, wenn er denn reell wäre, durch sie
hindurchginge und sie definitermaßen als definite aufhöbe, d. h. sie indefinit machen hätte. Zur
antiken Atomlehre cf. in diesem Zusammenhang E. Schrödinger, Nature and the Greeks, 1954.
131. Das mittelalterliche Schema, die Disposition, mit Abstraktion und Empirie als Richt-
größen oder inneren bzw. auch äußeren termini (Bezugspunkten) der Reflexion oder Arbeit,
kann im psychischen Meinen Ockhams und damit für ihn eine landläufige gewesen sein, die
als eine grundsätzliche, gerade indem sie zum Spätmittelalter hin extensiver wird, entschiede
ner bestimmend wurde. Damit könnte sie dann bereits besagen was er letztendlich theoretisch
ausgedrückt und methodisch vollzogen hat. Es machte seine Arbeit unerlässlich und sie kann
(darf) nicht anthropologisch revoziert oder gefiltert werden.
588 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Mittel zur Gewinnung von Definitionen eingesetzt. 132 So statuiert er danach auch kei-
ne Lehren. Er hat opiniones und gibt solutiones. Sie folgen den seine Argumentationen
stützenden Strukturen so wie die Argumentationen die Strukturen und deren Partikel
ermitteln und dann auch begrenzen.133
Er ermittelt nicht Faktizität; er geht nicht vom Topos der Notwendigkeit aus, um
Faktizität zu erreichen. Er beschränkt sich auf die Exposition von Möglichkeit, der
Möglichkeit. Sie ist von Faktizität und Notwendigkeit ‘gleichermaßen’ entfernt.134 Man
132. Dass mittels des Omnipotenzprinzips eine empirische Grundlage, wie sie mit der distinc-
tio realis indiziert wird, nur theoretisch (also a parte abstractionis) überschritten wird, belegt
quasi noch a fortiori die Stelle (Ord. Prol. q. 1 OT I p. 58 lin. 24 – p. 59 lin. 2) „Potest dici pro
babiliter quod notitia incomplexa terminorum et apprehensio complexi et iudicium sequens
distinguuntur realiter et quod quodlibet istorum per potentiam divinam est a quolibet separa
bile”, so dass es ohne dieses vorkommen kann. Denn offenbar ist hier die empirisch gar nicht
wahrnehmbare distinctio realis, die somit auch noch nicht einmal induktiv per argumentum
belegt worden ist, immer noch die Basis des Aktes und Eingreifens, des ‘Überschreitens’ der
empirischen Welt durch die göttliche Omnipotenz, so dass wir zu den Begriffen oder Größen
überhaupt erst durch diese Omnipotenz im Sinne oder Zuge, quasi in Gleichheit mit der Ab
straktion gelangen. Jedenfalls ist kein Widerspruch zwischen einer Exaktion durch Gott und
der Realwelt erkennbar; zumindest das nicht. In der anima oder im intellectus sind die Größen
gar nicht als getrennte (getrennt vorkommende) sichtbar. Wieweit dabei die notitia incomplexa
terminorum, die hier keine notitia intuitiva rei extra ist, eine notitia intuitiva sein kann, ebenso
eine notitia abstractiva und wieweit (ob) beide hier getrennt werden können, haben wir proble-
matisiert. Es ist eben damit bereits die empirische Nichtwahrnehmbarkeit des Intramentalen
schon ‘gegeben’. Es wird nur in Analogie zur Empirie erörtert! Wir befinden also uns auf einer
Stufe, auf der bewiesen werden muss, da die Introspection und empirische Wahrnehmung, die
auch von intellektuellen Gegebenheiten nach Ockham möglich ist, fehlt. Somit erscheint keine
empirische Wahrnehmung als Stütze der Erkenntnis. Für den strengen Beweisbegriff in seiner
Art et in abstractis schließt Ockham das wieder aus. Beweis, notitia abstractiva, notitia intuitiva
und res sind somit wieder streng getrennt. Auf der Basis ist aber dennoch möglich was wir hier
beschreiben: die Überredung, welche Begriffe oder Größen in einem transempirischen (und
abstrakten) Sinn sich (wieder)finden lässt. Dass die notitia incomplexa terminorum in der no-
titia complexa (also der Sätze) nicht express distinkt auftrete, hatte Ockham eigens bewiesen
oder persuadiert. Er kann natürlich auch da schon keine genuin empirische Qualität und Stüt
zung zugrundelegen.
133. Dazu gehört etwa auch die distinctio realis; sie hat keinen absoluten gegenständlichen
Sinn. Derart wird sie bedingt in Argumentationen gebraucht und ist von diesen abhängig. Ob
die distinctio realis gilt oder anzunehmen sei, kann also ggf. erörtert werden. Die distinctio
realis war ein potentiell leerer empirischer Index.
134. Diese Möglichkeit wird in isolierten Größen realisiert. Sie erscheinen dann inhaltlich de-
terminat. Für sie ergeben sich keine Folgerungen, welche implizit den Sinn stützen und so die
Definitheit sichern könnten.
Kapitel 12. Verflechtung und Abgrenzung der Akte 589
muss sich hüten, den Begriff der Allmacht (Gottes) essentialistisch zu verstehen,135
insgleichen eine Dogmatik anzustreben (oder bei Ockham für möglich zu halten),
bei der empirische oder Weltbegriffe der Theologie assimiliert werden könnten (oder
worden wären).136 Gott ist im christlichen Rahmen ganz stark der verborgene Gott,
auch wenn er sich offenbart.137 So ist er der geglaubte Gott.
Wenn wir uns aber dem christlichen Gehalt vom Menschen her nähern – was wir
für den Sündenbegriff tun müssen -, sehen wir Ockham theologisch eher auf der Stufe
des habitus denn des actus operieren; denn der actus kann vonseiten der akzidentellen
Beimengungen her nicht substantiell und qualitativ bestimmt werden. Beim habitus
sind wir darüber hinaus. Er ist die autonom sich bestimmende (bestimmte) Qualität,
die nicht in feste Kausalverhältnisse eintreten muss, sondern aus diesen kasual im
135. Eine solche Gleichsetzung nimmt H. Jonas, 1992, 1994 vor, um dann (einzig) sie zu kriti-
sieren. Er urteilt p. 41, „dass Allmacht ein sich selbst widersprechender, selbstaufhebender, ja
sinnloser Begriff ist.“ Das soll aus dem bloßen Begriff der Macht folgen. (ib.) ‘Allmacht’ sei ein
Relationsbegriff (ib.). Jonas sieht einen weiteren Widerspruch: eine essentia soll nicht Relation
werden können dürfen. Damit wäre es sinnlos, den Begriff ‘Allmacht’ qua Relationalität über-
haupt anzuwenden; Jonas benennt für seine Kritik also eine ‘widersprüchliche’ Basis (Indefi-
nitheit), mit er dann ‘widerspruchshaft’ falschen Sprachgebrauch und die vom Widerspruch
bedrohte Gottesprojektion intendiert. Bei Ockham gibt es kein Dilemma zwischen Gott und
Welt. Omnipotens ist ein proprium wie creator, deren Verhältnis zur substantia erst noch ge
klärt werden können muss, beweistheoretisch, bei der Transsubstantiation usw. Zudem würde
Macht von den creaturae, Allmacht von Gott prädiziert werden. Der Begriff der Macht müsste
beim Übergang zu Gott semantisch revidiert werden, wie es Ockhams Methode verlangt. Kri-
tisch dazu E. Iserloh, 1956 p. 282. Ockham verwirft Wort- oder Begriffsbedeutungen und recht
fertigt die Wahl über den Vorteil, der ausschließlich intensional sich ausnimmt. Ontologische
Reprobationen machen dann nochmals Sinn, weil auch sie extensional Sinnwidriges für die
Abstraktion tilgen. Beide haben einen negativen Bezug auf die significatio (res); sie korrespon-
dieren qua Determinatheit und a-logisch.
136. Ockham kann als Indikationspunkt dienen, dass die ontologisch-dogmatische Ver
arbeitung nicht weiter gehen kann. Eine per se dogmatische Legitimation kann nicht mehr
vorgetäuscht werden. Er insinuiert ein Bewusstsein, auf das neuzeitlich eine unbewusste me-
thodologische, unweigerlich kausalistische Kompensation antwortet. Die weitere Verarbeitung
folgt darin dem Gesamtschema der Lösungen Ockhams, dass Form und Inhalt aneinanderrüc
ken, ja je identisch oder einander analog erscheinen. Entweder übernimmt die Theologie ein
rationalistisches Schema oder die Philosophie hat ein theologisches Supremum, mit dem sie
argumentativ beginnt oder woran sie methodisch nicht vorbeikommt.
137. Cf. Nietzsche, 1886, Aph. 121: „Es ist eine Feinheit, dass Gott Griechisch lernte, als er
Schriftsteller werden wollte – und dass er es nicht besser lernte.“ Das gemahnt an F. Th.
Vischers Witz und schleift etwas Mittelalterliches mit: Der nahe Gott ist da auch immer men
schenfern. Erst die Neuzeit will Raketen bis zu Gott schicken dürfen (W. H. Auden, Friday’s
Child, Coll. Poems, 1976, p. 509): „All proofs or disproofs that we tender/ of His existence are
returned/ Unopened to the sender.“ Gott wird nun Klarheit abverlangt und untertänige Prä-
senz, die beide der Mensch sich gebot.
590 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Sinne der ratio sufficiens gelöst werden kann. Entsprechend kann die Sünde (pecca
tum) als sündiger Akt nur schwer auf die Stufe der qualitativen Habitualität gehoben
werden, auf der sich die anderen, man muss sagen die Größen sc. Faktoren des ordo
salutis finden: sie gehört dementsprechend nicht zu ihnen, was auch so zu verstehen
ist, dass die Sünde, die selbst ja ohnehin akzidentell im Menschen sich findet und ihm
nur so zu geordnet ist, nicht den wesentlichen Momenten der Heilsordnung zugeord
net sein kann, die ihrerseits nicht akzidentell oder kontingent bestimmt sein könnten,
i.e. ratione ‘accidentis’.138 Schon der Begriff der ratio steht dagegen. Er bezieht sich auf
Erscheinungen, wie ja etwa (im Verstande) subiectum, actus etc. Sie alle werden im
Sinne ihrer Identität so sehr von den akzidentellen (wandelbaren) Umständen ge-
trennt, dass sie darin kein quid rei mehr erlangen können. Eben das soll und kann
nicht sein; dementsprechend macht Ockham keine Realwissenschaft. Realerkenntnis
indessen wird secundum definitionem nicht ausgeschlossen. Der actus als klassifizier-
tes peccatum hängt von Umständen ab; er wird darin von Konnotationen bestimmt,
i.e. er ist von ihnen nicht unabhängig. Die wichtigste ist: Gott verbot es (bzw. Gott
gebot es). Der actus wird oder hinterlässt keine forma, mit der in uns verbliebe und
wirken könnte. Er hinterlässt natürlich einen habitus, der aber keine forma oberhalb
der physischen (leiblichen) oder psychischen Realität abgibt und nicht auf die Sünde
als klassifizierten Akte, wonach er erst peccatum heißt, bezogen werden kann. Die
mit dem Sittengesetz eventuell angestrebte soziale Ordnung (wenn denn nicht nur
deren Sicherung im Sinn der Herrschaft dadurch erlangt werden soll) kann nicht auf
akzidentellen Umständen oder deren leiblich-psychischer Verankerung ruhen. Daher
kann es so niemals begründet werden; Ockham strebt das auch nicht an. Wir müssen
hier sehen, dass wir empirische Begriffe und ihnen formell äquivalente haben, wie wir
empirische Begriffe wie potens haben und den empirischen gleichwertige wie omni-
potens. So trennen wir Religion und Pseudo-Empirie.139
138. Hier hat Hobbes zwischen Notwendigkeit und Empirie oder Deduktion und Induktion
nicht klar getrennt.
139. Eine Frage wie Rep. III, q. 6 OT VI p. 182 „(utrum) beata virgo vere esset mater Dei “ zeigt
den objektivistischen Geist des Mittelalters gegenüber allen theologisch behandelten Materien,
bei Ockham eingeleitet durch die Formel (ib.) „sed tunc est dubium utrum posset salvari quod
etc. Die Frage selbst kann wieder nur so behandelt werden, dass Ockham feststellt, die materia
in sich komme hinsichtlich des Bestimmungswertes, welcher die Gottessohnschaft fasst, nicht
in Betracht: sie und was ihr implantiert gedacht werden soll (muss), stellt eine Nichtidentität
secundum formam etc. dar. Die Mitwirkung der virgo beata secundum naturam bleibt unange
fochten; sie wirkt nicht auf die Bestimmung des Gottessohnes, auch nicht im Sinn der Zweina-
turenlehre. Im menschlichen Sinn (und Christus ist Mensch) ist die von der Mutter stammen-
de forma substantialis „principalior“. Das ist nach Ockham bei jeder generatio der Fall. Hier
begegnen sich wieder Naturphilosophie und Theologie und jene schafft keine instantiae für
oder gegen diese. Ähnlich ja auch die Frage, ob die virgo beata aus eigenem Entschluss gut und
sündenfrei gewesen sei: sie hatte die pronitas ad bonum und keine ad malum. Gott unterhielt
ihren Willen zum Guten und wenn sie in diesem nachgelassen haben würde oder konnte, so
Kapitel 12. Verflechtung und Abgrenzung der Akte 591
kam ihr Gott zu Hilfe und hob diese omissio auf; er verhinderte quasi sie! cf. Rep. III, q. 2 OT
VI p. 153 lin. 1 – p. 156 lin. 12 Die Verdienstlichkeit der virgo beata wird (p. 156 lin. 12) auf das
„potuit mereri“ beschränkt. Die essentialistisch-realen Komponenten entfallen. Logisch wer-
den die relationalen behandelt. Zur Jungfrauengeburt auch Kap. 13 Anm. 6.
kapitel 13
Wenn je bei Ockham Naturalität und Mentalität (Subjektivität) einen Gegensatz bil-
den, bei dem die Bedeutung des realen Sachverhalts extra animam (intellectum) als
eine in den Begriffen nicht mehr denkbare erscheint, so ist es dort, wo das Akziden-
telle das sein muss, was die Form besagt, das Naturale das Geistige. Die subjektive
Natur des Denkens in der anima (intellectus) schließt das zunächst aus. Die res extra
animam in se wird im Bewusstsein nicht gespiegelt und unter keinem das Denken de-
finierenden Gesichtspunkt in es übertragen. Auch die Logik enthält kein Gran einer
diesbezüglichen Korrespondenz und muss ersetzt werden. Dabei kommt das Argu-
mentieren nicht weiter als bis zu der Grenze der Nichtübertragbarkeit der Verstan-
desakte in die Realität extra animam, also zur Feststellung der Nichtumkehrbarkeit
einer solchen Korrespondenz oder Adäquatheitshypothese, welche nun gleichsam a
parte subiecti statuiert zu werden hätte. Sie zu behaupten wird immer eine Verlegen-
heit sein. Dem stand der Empirismus entgegen.
. Dies war auch die Stelle, wie man weiß, wo die allegorische Deutung aufzutreten hatte.
Sie kann dem strenger rationalen Bedürfnis der Scholastik nicht ganz entsprechen; die Spät-
scholastik musste an Ockhams Philosophie vorbei zu religiös-moralistischen Vorstellungen
zurückkehren. Cf. J. Huizinga, Herbst des Mittelalters, 1919 (Ausg. letzter Hand 1941) dt. 1943
und 1975 zu Gerson. H. Blumenberg, 1966, pp. 350–352 sah in Gerson einen nominalistischen
Protagonisten des Widerstands gegen philosophischen Erkenntniswillen im qui pro quo auch
gleich gegen jeden wissenschaftlichen; p. 350 Anm. 258 verweist er auf J. Huizinga, pp. 161–163
und 185 (in Frage käme 188). Doch Huizinga referiert dort wie Gerson gegen den Roman de
la rose Stellung bezieht. Nicht gegen Erkenntnishochmut und philosophische Neugierde. Die
pastorale Einstellung Gersons teilten indes schon Autrecourt und Durandus. Cf. I. Iribarren,
Durandus after the censures. Theology as a Vocation, 2012.
. Die subjektive Natur des Denkens im Verstande äußert sich zunächst in actus, den notitiae,
die wir von den mentalia (incomplexa und complexa, Begriffen und Sätzen) haben. Daneben
aber gibt es eine notitia, die die anima von sich selbst hat, eine notitia substantiae animae. Noti-
tia ist Kenntnis, Erkenntnis, Knowledge, connaissance. Diese notitia ist inhaltlich nicht gefüllt;
sie gibt keine Erkenntnis vom Verstande, so wie uns auch nicht die Vermögen (potentiae),
intellectio, volitio gegenständlich werden können.
. Z. B. bei Spinoza, Ethica oder Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, 1921.
. Bereits historisch mit Locke und Hume, dann im 20. Jahrhundert der logische Empiris-
mus.
594 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Ockham beginnt in der Naturalität (oder lässt sie jedenfalls zu): er denkt sie als
Komponente bei den Akten unter genetischen Bedingungen/Aspekten mit, so dass
sie deren Sinn (mit) besagen aber womöglich auch verunklären können, was bedeu-
ten muss, dass die Akte erst auf einer eigenen Ebene, die damit herausgestellt wird
und zwangsläufig sich ergibt, Sinn und Intellektion vorstellen können; er hebt sie also
nicht ganz in den mentalen Ausdruck. Bei der Jungfrauengeburt erkennen wir, dass
Ockham an der Kontingenz (propositio contingens) vorbei (er passiert sie nur, um-
geht oder übergeht sie quasi) nicht bis zur Abstraktion gelangen will, wenn er sie
erklärt. Er eröffnet ihr damit einen Raum, innerhalb dessen sie sein kann, ganz wie
. Das gilt so bereits für den Begriff und entsprechend in der Universalienlehre, sofern sie bei
Ockham den Begriff letztlich ausschließlich als mentales Datum anzugeben, zu verteidigen,
zu sichern hat: Ockham nennt (Ord. d. 3, q. 6 OT II 495 lin. 13f) das universale „simpliciter
imperfectius et posterius ipso singulari“. Es gilt dann auch für alle actus und notitiae. „La seule
chose, dont nous assure la connaissance intuitive“, so P. Duhem, 1913ff t. V p. 644, „c’est que
nous avons cette connaissance.“ Das hätte allerdings zu bedeuten, dass wir sie reflexiv in diesem
Sinn erkennten, was unsere Gewissheit sinnlos zu machen hätte, die reflexive wie eventuell den
Gegenstand dieses actus reflexus, sc. die gemeinte notitia intuitiva als actus rectus, dass wir
diese Erkenntnis wirklich hätten. Aber nach Ockham können wir gerade abstrakt auch daran
zweifeln, dass wir eine notitia intutiva hatten/hätten. Duhem attestiert „subjectivisme radical“,
dessen Konstitution zu erörtern ist. Das beinhaltet zwangsläufig einen gewissen Blick in die
Zukunft, was wiederum die Feststellung aufhebt oder anficht. Wenn Ockham (Ord. d. 3 q. 8 OT
II p. 528 lin. 8ff) feststellt, dass „nulla res nec notitia alicuius rei incomplexae est causa notitiae
incomplexae alterius rei extra animam“, hat er noch nicht den abstrakten Fall benannt oder
impliziert, dass es per potentiam divinam absolutam verhindert sein könne, dass wir mit der
Wahrnehmung einer res (unius obiecti) auch ein anderes (weiteres) Objekt extra nos wahrnäh
men (cf. Ord. d. 2 q. 5 OT II p. 156 lin. 7–9). Dieser abstrakte Fall, der sich postulieren lässt,
weil ihm nichts widerstreitet (repugnat), beruht auf der distinctio realis zwischen den Objekten
oder Akten. Der erste aber auf der Definition der res secundum notitiam huius rei und der De-
finition dieser notitia selbst, bei der was nicht in ihr impliziert sein kann, sich induktiv feststel-
len lässt. Im zweiten Fall wird diese Folgerung, sofern sie einen Widerspruch besagen könnte,
ihrerseits schon als ausgeschlossen betrachtet. Insofern ist die abstrakte Feststellung möglich.
Sie könnte nie bewiesen, nur persuadiert werden. Hier weist Ockham denn auch selbst auf den
nicht bestehenden Widerspruch als Element der Abstraktion hin (ib.): „non est inconveniens,
quin – saltem per potentiam divinam – quaelibet res absoluta (was die distinctio realis bedeu-
tet) intuitive videatur absque visione alterius rei absolutae.“
. Man fragt sich, ob bei der Zeugung des Gottessohnes die Vereinigung der menschlichen
Mutter mit dem göttlichen Geist von Ockham als eine mythische Begebenheit rational aufge
schlüsselt werde. Doch Christus als die Vereinigung (Einheit) zweier Naturen liegt oberhalb der
generatio filii in matre humana. Das ist als logisches Faktum zu begreifen, in welchem die Logik
sich als Faktum setzt. Es gibt so keine Widersprüche. Solche auszuschließen ist Ockhams Ziel;
ebenso: den Sätzen einen Sinn zu geben, in dem der Widerspruch nicht aufzufinden sei, was
etwas anderes ist als dass er ausgeschlossen wurde. Ockham hat beide Interessen, wahrschein
lich aber das zweite zuerst und zuoberst. Darin ist sein Interesse an den Aussagen selbst mit
deren angestrebtem status nichts anderes als mythenähnlich geblieben. Es ist (wie) ein Reflex
Kapitel 13. Naturgrund und Realerkenntnis 595
causalitas sich zwischen den obiecta (welche causa und effectus verkörpern) nicht
des Mythos dort wo er sichtbar nicht gewollt wird. Ockham arbeitet a limine anders als Duns
Scotus. Denn Duns Scotus sucht den Widerspruch bzw. den Erweis der Nichtwidersprüchlich
keit (‘Widerspruchsfreiheit’) als integralem Bestandteil der Ansichten, die er verteidigt bzw.
ermittelt. Er hat damit aber die Wahrheit eigentlich vermehrt und erweitert, also bei der impli
ziten Absicht, Determinatheit zu gewinnen, eine fallacia erreicht, aber vermittelst der Logik.
Ockham lässt (Rep. III q. 6 OT VI pp. 162–191: Utrum Beata Virgo debeat dici parens Christi se-
cundum naturam humanam) die Gottesmutter vorab die Materie verkörpern und behandelt die
forma (ihr semen) als mit seiner Bedeutung extra regionem terrenam, als praeter suppositum
humanum liegend. Das semen bleibt im Stande oder Rahmen der widerspruchsfreien Möglich
keit, keiner realempirischen Zeugung entsprechend. Die naturale Zeugung ist der Vergleichs
fall, der der Relegation störender Auslegungen dient. Mit ihm werden ungemäße Rationalisie
rungen ausgeschieden. Auch hier kann das semen formae seu patris nur hinzutreten. Nicht
von vornherein eingemengt oder verschmolzen sein. Es wird ein Fehlen der Induktionsbasis
aufgewiesen. Es gibt den empirischen Bezugsgrund nicht. Doch das Vater-Sohn-Verhältnis gibt
Ockham in bloßer Verbalerklärung (Ord. d. 9 q. 3 OT III p. 294 lin. 10–13): „vere et realiter Pater
est prior origine ipso Filio, quia hoc non est aliud quam dicere quod a Patre est Filius vel quod
Pater producit Filium, nec aliquid aliud per hoc intelligo.“ Das Wunder wird ein ad libitum. Cf.
Ord. d. 26, q. unica OT IV p. 157 lin. 21–23 „Nec sunt ponenda plura miracula quae videntur ra-
tioni naturali repugnare sine auctoritate Scripturae vel Sanctorum.“ Die multiplicatio miracul-
orum würde gegen das Ökonomieprinzip sein, somit natürlich die auch ‘Wundervermehrung’,
die H. Blumenberg, 1966 mit der Gleichsetzung von Omnipotenzprinzip und Wunderstiftung
propagierte. Ockham geht von der naturalen Erzeugung aus, um die supranaturale zu erklären.
Das ist nicht unangemessen. Denn er fragt, ob Maria die Mutter Christi secundum naturam hu
manam habe sein oder heißen können und schließt die Möglichkeit der generatio supranatu-
ralis als mit dem Verhältnis von forma und materia gegeben an. Sie erscheint nicht unzulässig.
Sie wird nicht als mögliches Faktum geschlossen oder zugelassen (induziert). Ockham fragt,
ob, von der menschlichen Natur her gedacht, die generatio supranaturalis statuiert werden
könne; er bemüht keine Analogie. Duns Scotus hatte sich die Sache mit dem überredenden
Syllogismus einfach gemacht: Deus potuit, voluit, ergo fecit. Für Ockham ist nicht einmal die
potentia divina absoluta (supranaturaliter loquendo) Ursache der Jungfrauengeburt. Er lässt die
Sache in der übernatürlichen Welt, die er nicht erforscht. Von einer in Christi zweifacher Natur
begründeten Notwendigkeit sagt er nichts. Das Verhältnis von forma und materia begründet
(enthält) keinen Schluss. Es entspricht nie einem Schluss in einem kontingenten Satz und be-
dingt derart den kontingenten Satz. Die Welt war so von ihrem Grunde her nicht erschlossen
(erschließbar). Der Widerspruch und die Widerlegung schwinden im Maße wie die Physizität
des Lebens dargestellt und der Mythos darin gelöscht werden kann. Er wird mithin auch im
Leben ausgelöscht, aus dem er kam und für das er symbolisch stand. Es ist klar, das hier das 14.
Jahrhundert auf seinen Pol stößt: die Ersetzung der Physis durch Glauben und Anbetung.
. Bei Ockham steht die causa nur als causa immediata im realen Wirkungsverhältnis. Doch
haben causa und effectus keinerlei Relation zwischen sich (Rep. II, q. 2 OT V p. 35 10f): „cau-
sa potest vere dici causa, effectus potest vere dici effectus sine aliqua relatione media.“ (Die
Formulierung klingt vorsichtig und hypothetisch genug und behandelt die termini quasi als
reine nomina. Indes wäre die relatio media für Ockham nur continuum und zwar als Aktual
unendliches (ib. p. 32 lin. 14–16): „in nulla re (als unum finitum) sunt infinitae partes in actu;
596 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
regelrecht oder sichtbar entfalten kann, i.e. wenigstens insoweit nicht, wie eine causa-
litas, die als naturale ausgedrückt (aufgefasst) werden könnte, den mentalen Akt und
Bestimmungen der Akte, die intellectio bedeuten können sollen, nur aufheben oder
auslöschen müsste. In einer gewissen Weise ist damit die Erschließung der Welt nur
sed si relatio differt realiter a fundamento, hoc sequitur.“ Da dieses (Aktualunendliche) nicht
sein kann, gibt es die relatio media nicht. Sie stellt einen Widerspruch dar. Danach ist das Be-
griffsverständnis von causa, effectus und Auswirkung nur möglich, wenn dieser Widerspruch
(absurdum) beiseitegelassen wird = als überwunden gesetzt wird. Es geschieht, wo die poten
tia divina absoluta, die hier selbstredend supranatural wirkend gedacht werden muss, nicht
bloß natural angesetzt werden muss, für die Anordnung der causa verwandt wird (ib. p. 35
lin. 26 – p. 36 lin. 1f: „sed facta approximatione potest causa durare per tempus antequam agat,
quia deus potest suspendere actionem causae sic approximatae.“ Diese Feststellung erscheint
als Folgerung; in ihr hat der Modus den Platz des Folgerungsausdrucks. So ist der Satz ‘causa
est causa unius effectus’ determinat. Die Begriffe können wenigstens formell gebraucht werden
(s. Ockhams Formulierung eingangs). Ockham verweist auf das continuum, das nicht
Aktualunendliches wäre, ausdrücklich (ib. p. 34 lin. 8f): „continuum … est infinitum in po
tentia (also nicht in actu!) propter infinitas partes.“ Ockham kann sich also mit den Begriffen
causa und effectus begnügen. Mit den Termini relatio und medium reichen wir indes auch
in die Beweislehre, die vorab theologisch relevant ist. Cf. Prol. Ord. q. 2 OT I p. 111 lin. 17–21:
„omne quod demonstratur de aliquo, per prius praedicatur de alio per quod demonstratur. Sed
nihil realiter idem cum Deo potest praedicari de aliquo quam de divina essentia, quia nihil tale
est … nisi persona vel aliqua relatio.“ Cf. auch Ord. d. 3 q. 4 OT II p. 441 lin. 1–7. In ihr müssen
wir bereits voraussetzen, dass (die) Sätze konstituiert seien. Das bedeutet, dass ‘potest syllo-
gizari tantum’, wenn diese Satzkonstitution gesichert oder abgeschlossen ist. Sonst gelangen
wir nur zu modalen Prädikaten (von Sätzen) wie (p. 112 lin. 18) „forte demonstrabilis.“ Dass
die Sätze konstituiert seien ist äquivalent dem, dass Sätze konstituiert seien. So können diese
verschiedenen Trägern wie dem beatus und dem viator angehören, wodurch sie ganz verschie
dene werden. Die Verschiedenheit wird nicht über die Akte (notitiae) skandiert. Die notitia (ab
stractiva) ist nicht der Satz(-inhalt). Andernfalls könnte Gott nicht hypothetisch, wie Ockham
betont, über sie verfügen. Natural gewertet müsste sie mit der fides infusa zusammenfallen.
Damit aber würde man gegen das Ökonomieprinzip verstoßen. (cf. Prol. Ord. q. 1 OT I p. 74
lin. 11 – p. 75 lin. 5) Wir hätten nicht ‘mit (den) Sätzen identische’ Inhalte, sondern etwas mehr
als die Satzinhalte. Es ist aber so, dass Ockham eher die Sätze (hypothetisch Satzarten) vermehrt
als die Akte. Er denkt an Sätze, die nur der beatus haben kann. Cf. Ord. d. 3 q. 4 OT II 2 p. 440
lin. 4–11. Damit hat aber auch der beatus nicht mehr Akte als der viator, sondern gerade nur
dieselben, notitia intuitiva und notitia abstractiva (cf. ib. lin. 223f). Beim beatus ist in der visio
beatifica, die seinen status ausmacht, es Gott ‘qui terminat suum actum cognitionis’. Diese cog
nitio ist eine notitia intuitiva. Schließlich erkennt man zuletzt auch hier, dass das Begriffswesen
im Nominalismus mit Dilemmata behaftet bleibt, nicht bloß Dilemmata der verschiedenen
Bestimmung des universale, und dem scheinbaren, dass auch der Nominalismus vermöge der
Ablehnung des ontologischen Realismus mit der Bestimmung der Erkenntnis in Sätzen nicht
zurechtkomme, dass er keine Kausalität erklären könne usw. Die Stelle Prol. Ord. q. 2 OT I p. 111
lin. 17–21 wird nicht recht durch die Passage ib. pp. 116 lin. 6 – 117 lin. 13 erläutert. (p. 111 Anm. 1
behaupten Ed. es).
Kapitel 13. Naturgrund und Realerkenntnis 597
möglich, wenn wir nicht deduzieren. Der formale (= mentale) Akt erhebt sich genau
in dem Sinne aus der Materialität wie er (gegen diese) mit Widerlegungsargumenten
. Da Duns Scotus bei seinen Nachjustierungen im Beweis, wenn er diesen, wie er angeblich
bereits vollzogen ist, verteidigt und darin auslegt, immer eine akzidentell oder besser sogar ak
zidental erklärte Komponente zurückweist, kann er seine Prädikate kategoriell nicht legitimiert
haben; er muss auf einer reflexiven Stufe argumentiert haben, die ohne Prädikate ist, bzw. die
unausgewiesenen Prädikate der darunterliegenden Stufe, indem sie sie ausweist (oder aufweist)
zu Prädikaten macht: denen ihrer eigenen Stufe oder der darunterliegenden, auf die sie bezöge
und doch nicht bloß. Hier ist etwas unentschieden. Das aber geht über eine in sich undurch-
schaubare Kette von Beweisen, die aussagenlogisch ‘geordnet’ sein sollen, so nämlich wie sie
anfallen, i.e. in ihrer Reihenfolge, die wiederum unabsehbar ist, d. h. die Notwendigkeit ihrer
selbst mit sich dartäte, was entweder unmöglich ist oder nicht sichtbar. Am Ende sind wir bei
einer Ordnung der Begriffe, die sich nicht legitimieren lässt. Die Aussagenlogik kann sie nicht
ordnen und ohne die er Schlüssel liegt also beim Verhältnis (bei der Ordnung) der Begriffe. Die
Ordnung der Beweise, welche das Demonstrieren in seiner Folge zu bedeuten hatte, wird für
und mit Ockham ausdrücklich zur Folge (oder Ordnung) der Begriffe selbst. Dabei spezifiziert
Ockham nicht unwesentlich zwischen definitio formalis und definitio materialis; sie könnten
nicht zusammenfallen (Ord. Prol. q. 5 OT I p. 170 lin. 4–7): „definitio aliquando datur per prin
cipia essentialia, vel per declarantia principia essentialia, et illa est formalis. Aliquando autem
datur per principia alicuius rei extrinseca, et illa est materialis.“ Beweistauglich sind auch an
dere Prädikate nicht, z. B. (ib. p. 158 lin. 2–7): „Aliqua autem passio, quantum est ex se, nullam
praesupponit distinctionem partium quin simpliciter potest poni quacumque illarum partium
circumscripta, et ideo nihil est exprimens quacumque intrinseca suo subiecto cui prius et no
tius convenit quam subiecto, et ideo talis non est demonstrabilis. “ Zwischen dem Bereich des
subiectum und dem des accidens gibt es einen Schnitt, der nicht durch Schlüsse, die ihn negier
ten (negiert enthielten), geleugnet werden soll. Diese Schlüsse wären unzulässig (fallaciae) oder
unbegründbar/unergründbar. Ockham setzt den Schnitt zwischen subiectum und passio in
anima und fragt Ord. Prol. q. 1 OT I p. 129 lin. 19–21, ob sie identisch oder verschieden seien.
Er sagt (p. 143 lin. 9–11): „nego istam consequentiam ‘demonstrabile de aliquo non est idem
realiter, ergo distinguitur realiter ab eo’“ und bestreitet damit das ‘tertium non datur’, wenig-
stens für mentalia. Er gibt dafür einen induktiven Grund, der von der res extra animam ausgeht
(lin. 11f): „Patet instantia, quia ens rationis nec est idem realiter cum re nec distinguitur.“ Damit
gilt, dass auch für s und P weder eine distinctio realis noch eine identitas realis angenommen
werden kann. Die Induktion ist damit abgeschlossen. Ockham fügte später ein, sie für die fic
tum-Hypothese zum esse des Begriffs in anima: (lin. 12f.): „/§ Et hoc secundum opinionem
quae ponit entia rationis obiective in anima. §/“ Zwischen dem Begriff als subiectivum esse in
anima und der res extra animam hätte man wohl eine distinctio realis (beide wären res absolu
tae). Man könnte es nicht ausschließen. Dieser Möglichkeit gegenüber installiert sich Ockhams
Argumentation als eine persuasio; sie markiert einen Schnitt, bei dem Ockhams abstrakte opi-
nio mit der mit ihr verbundenen Argumentation und deren Struktur sich von unabsehbaren
Beweisführungen absetzen. Ockham zitiert p. 129 lin. 19 „VI Metaphysicae: ‘Substantiae non est
demonstratio.’“ Die Stelle findet sich richtig im VI. Buch der Metaphysik cap. 1 (1025 b): „ουκ
εστιν aπόδειξις ουσίaς“. Nicht aus Metaphysik VI., wie Ed. ib. Anm. 2 behauptet, sondern aus
VII. Buch cap. 15 (1039 b) stammt was sie als „Beleg“ zum Zitat sehen. Die Stellenangabe ist in
sich unkorrekt und unnötig. Der Gehalt der Stellen ist freilich ähnlich.
598 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
. Wenn aber so auch die Logik begründet ist oder nur so argumentativ assimiliert werden
kann, kann es keine Tautologie geben und eben keine regelrechte Logik. Logik ist oder bleibt
dann allein, was mit der Ausschaltung der ontologischen Präsumtionen die Implikation als
internes signum der Widerlegung oder Reprobation bestehen bleiben lässt. Zwischen den con-
tingentia kann es eine Implikation nur insoweit noch geben, als damit eine in diese Sätze (i.e.
einen von ihnen)scheinbar, vermeintlich oder auch hypothetisch, gewissermaßen also flüchtig
angenommene ontologische Deutung ausgeschlossen werden soll und kann. Wo also Duns
Scotus die Logik in Richtung auf die Ontologie hin deformierte, bzw. deren deduktiven Kontext
aufhob und störte, wenn er bewies (beweisen wollte), da suspendiert Ockham die Logik, prak
tisch wo und theoretisch weil sie mit dem Topos der Definitheit kollidiert. Sie bezeichnet am
ehesten den Begriff in der Nähe der materia.
10. Für A. Ritschl, Critical History of the Christian doctrine of Justification and Reconciliation,
Engl. Transl. 1872 p. 258 ist Duns Scotus der Begründer der idealistischen Weltsicht, die er ins-
besondere angesichts der modernen Wissenschaft als tiefste mögliche Wirklichkeitsauffassung
versteht. Nach Ritschl (p. 264 4) liegt Ockham theologisch völlig auf der Linie des Duns Scotus.
„in Ockham’s philosophical writings his psychology is perhaps the strongest point.“ Das ist
einzuschränken, insofern als Ockham, was er zu den Akten, Begriffsklassen, mit ihren Defini-
tionen argumentativ sagt, gegen die Möglichkeit des Widerspruchs absetzt und erst von daher
begründet. Gegen die Argumentation setzt sich keine Wirklichkeit und keine greift ihr vor.
11. Cf. L. Wittgenstein, 1921, 5.134 „Aus einem Elementarsatz lässt sich kein anderer folgern.“
5.135 „Auf keine Weise kann aus dem Bestehen einer Sachlage auf das Bestehen einer von ihr
gänzlich verschiedenen Sachlage geschlossen werden.“ 5.136 „Einen Kausalnexus, der einen
Kapitel 13. Naturgrund und Realerkenntnis 599
Gott in seinem Verhältnis zur Welt erscheint bei Ockham mit den Folgerungen
ausgedrückt, in denen es nicht mehr von der Welt her genommen materiell verstan-
den werden kann. In Bezug auf Gott gibt es die Welt aliquomodo nicht, nämlich so-
weit wie es in einer Folgerung Platz haben und ausgedrückt werden können sollte, i.e.
wenn denn Folgerung in dieser Weise anzulegen wäre. Die Welt, materiell genom-
men, ist die intensional und im Sinne der Folgerung nicht ausgedrückte. Es gibt (die)
Folgerungen nicht, die mit dem Verhältnis Gottes zur Welt übereinstimmen können
müssten; insofern gibt es letztlich überhaupt kaum Folgerungen, weil an jeder Stelle
die Begriffswertigkeit so suspendiert werden kann, dass in ihr die Kausalität soweit
negiert werden kann, wie (dass) ein consequens entfällt (nicht mehr zur Verfügung
steht). Hier tritt abstraktiv Gottes divina potentia absoluta als Umorganisation der
Begriffe, der Welt und der Kausalität ein. Sie fällt mit dem Entfallen des consequens
zusammen. Gott meint dabei nicht die Welt und hebt sie doch nicht auf; er tilgt sie
nicht, jedenfalls nicht weiter als bis zur intensional nur noch negierten Folgerung.
Diese Rationalität geht vom Ding (res singularis, significatio) aus, aber sie intendiert
nicht, wie es in der Neuzeit zu Verstand und Sachwelt gleichermaßen heterogen ge-
schieht, in Satz, Begriff, Schluss und Beweis ein Abbildungsverhältnis. Gerade ein
solches wird nicht festgehalten. Und zwar so, dass es einen vermeintlichen Aufstieg
zur vollkomplexen Leistung des Verstandes ebenso zu garantieren wie zu bedeuten
hätte. Die Unterstellung entfällt namens des Verhältnisses von Gott und Welt.12 Wir
solchen Schluss rechtfertigt, gibt es nicht.“ Sie werden offenkundig besser, ja sie werden nur
hier überhaupt begründet. Ockham erkennt Ord. d. 45 q. unica OT IV p. 666 lin. 26 – p. 667
lin. 1 „proprie et stricte accipiendo“ als causa nur die „causa immediata“ an. Sie ist nicht be
weistauglich. Auch nicht mit Gott als causa immediata. Dass Gott die (ib. p. 668 lin. 8) „causa
immediata omnium eorum quae fiunt“ sei, (ib. lin. 10) „ex puris naturalibus“ „demonstrari non
possit“: im Sinne der nicht vollen Begriffswertigkeit soll es sich persuadieren lassen (ib. lin.
10f). Cf. G. Leff, 1961 p. 16: „Gregory like John of Mirecourt upheld the identity of cognition
and volition with the soul“ und er nennt dies den „article 28 condemned“ aus der Verurtei-
lungsschrift des Johannes von Mirecourt. Ockhams opinio (Ord. d. 1 q. 3 OT I p. 417 lin. 6)
„voluntas est causa effectiva actus sui“, bedarf, wenn, die Begriffe, auf die man zurückgreifen
will, definite heißen (sein) sollen, der Argumentation. Sie ist mit der der neuzeitlichen Philoso
phie inkompatibel: sie sucht mit den reflexiven Bestimmungen bezüglich des Denkens, sofern
sie geglückt (richtig) sein sollen, immediate Geltung pro facto. Keine Negation (i.e. nicht ein-
mal eine Negation) kann lt. Ockham (Ord. d. 24 q. 1 OT IV p. 86 lin. 14–16) als akzidentelle
Bestimmung beweisfähig angefügt werden: „Una res non est alia, non quia negatio vel aliquid
tale vel quodcumque aliud sibi conveniat, sed quia una res sibi non convenit.“ Die Negation
wäre schlussgleich und höbe die Determinatheit auf. Die fallacia ist äquivalent einem Schluss,
der nicht gezogen werden darf und die Determinatheit der Aussage aufhöbe. Ockham klärt
inferentiae praeter ‘tertium non datur’.
12. Das sieht H. G. Gadamer, 1960 p. 207 anders: unter Verweis auf P. Duhem, 1913 ff. Bd.
X will er im Nominalismus den präzedenten Inbegriff der neuzeitlichen Wissenschaft sehen.
Das habe bereits Dilthey für das 17. Jahrhundert erkannt. Es gilt oder gilt nicht: Die Welt, die
materiell genommen wird und erlöst werden soll, ist die mythische; darüber ist Boehmes
600 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
sind aber beim Thema ‘Gott’ (inclusive der divina essentia) mehr bei einer rationa-
len Theologie als beim Thema ‘Jungfrauengeburt’, bei dem wir über Gott und seine
Jenseitsweltlichkeit „hinaus“ ja faktisch in eine naturale, in die geschöpfliche Welt
übergreifen müssen, aus der Ockham die Maßstäbe in der Theologie immer nur so
übernimmt, dass das Akzidentelle, das mit ihr und ihrer Wahrnehmung auch verbun-
den ist, nicht in den abstrakten Begriff eingehen darf, in welchem die Regulationen
stattfinden, so etwa bei Begriffen wie Erbsünde und Sündenbehalt aus der Verfehlung
(‘peccatum’) usw.
Ockham rekurriert beim Beweis (persuasio) für die unitas dei nicht, wie Boehner
es darstellt, bloß auf die infinitas in actu, die er wie Duns Scotus für unmöglich (bes-
ser sogar für einen Ausdruck von Unmöglichkeit, eventuell der Unmöglichkeit über-
haupt) hält, sondern greift zu einer Formel, die den empirischen Bezug ausdrückt
und abfängt: non est maior ratio, wenn es einen weiteren Gott gibt, dass es nicht
viele und schließlich unendlich viele gebe; denn in der bloßen Zahl liegt kein (in
haltliches) Argument für eine Grenze.13 Die Determinatheit dependiert aus der Ne-
gation einer Folgerung, welche finaliter das infinitum actuale ausdrückt (angibt). Die
Zahl bezeichnet nicht Determinatheit, heißt das. Daneben sieht Ockham die von ihm
vertretene These als wahrscheinlicher an ihr Gegenteil und kann dies ‘beweislogisch’
vertreten (= ‘begründen’):14 „dico quod unitas Dei non potest evidenter probari, ac
cipiendo deum secundo modo.15 Et tamen haec negativa ‘unitas Dei non potest evi
denter probari’ non potest demonstrative probari, quia non potest demonstrari quod
unitas Dei non potest evidenter probari, nisi solvendo rationes in contrarium.“16 Für
Theosophie gegangen. Gott ist Widerpart der Welt; in ihm ist die Rationalität deponiert, in
der das Verhältnis bestimmt wird und aus dem es fließt. Die neuzeitliche Philosophie ist da
ran schwerlich vorbeigekommen. Ockhams Nominalismus hat sie wenig legitimiert, etwa
L. Wittgenstein, 1921, 6.1264: „Der sinnvolle Satz sagt etwas aus, und sein Beweis zeigt, dass es
so ist.“ Auch er hält an der Abbildtheorie fest. K. Lorenz, 1970 lobt ihn dafür. Ockham klam-
merte eine mythisch verstandene Welt in der ratio ein.
13. Außerdem gibt Ockham den ‘Beweis’, dass nicht schon ein zweiter „gleich vollkommener
Gott“ existieren könne (Quodlibeta I q. 1 OT IX p. 2 lin. 33 – p. 3 lin. 2), wenn man die für Gott
‘descriptio’ (ib. p. 1. lin. 19 – p. 2 lin. 1 wähle: „Deus est aliquid nobilius et melius omni alio a
se.“
14. Quodlibeta I q. 1 OT IX p. 3 lin. 43–48.
15. Diese lautet ib. p. 2 lin. 1f: „alia descriptio est quod Deus est illud quo nihil est melius et
perfectius.“ Man mag fragen, wieweit diese descriptio und die von Anm. 13 ‘logisch’ auseinan-
der liegen und ob nicht und weil es nicht ersichtlich ist, diese zweite Erörterung wichtig und
übergeordnet ist. Ob man nicht generell von diesem Fall ausgehend noch über das Beweisen
reflektieren muss.
16. Ockham nennt weitere Sätze, die nicht bewiesen werden können, wobei auch nicht be-
weisen werden könne, dass sie nicht bewiesen werden können (ib. p. 48–52): „Trinitas perso-
narum“, „astra sint paria“.
Kapitel 13. Naturgrund und Realerkenntnis 601
Ockham war also die Wahrscheinlichkeit, die auf der in sich nicht durchsichtigen
Empirie ruhte (beruhte), wie immer bei der persuasio, definitermaßen nicht auf der
selben empirischen Basis (in se oder ex se) wieder angreifbar: sie war eine höhere
Wahrscheinlichkeit, weil sie nur angefochten werden konnte dadurch, dass der reflexi
ve Satz ‘Unitas dei non potest evidenter probari’ bewiesen werden könne, d. h. per Wi
derlegung (reprobatio), bei der ein möglicher oder gegebener, vorgeschlagener oder
skizzierter Beweis, ein die Möglichkeit dieses Beweises grundsätzlich explizierendes
Beweiskonzept, in ihr „contrarium“ gewendet worden wäre.17 Wir hätten so keinen
empirischen oder der Wahrheit respektive Empirie entsprechenden Beweis bzw.
Beweisbegriff (gehabt). Die Wahrscheinlichkeit wird induziert.18 Auch hier bezieht
Ockham sich wie bei jeder Erkenntnis auf Begriffe, nicht auf Sachen in se, bezüg
lich der empirischen Welt wie in Bezug auf Gott.19 Gott und Welt indes sive Empirie
17. Zu überlegen ist, ob dafür Beweisformeln oder -regeln bestehen könnten und ob sie, die
wohl semantischer Natur wären, eventuell im Tractatus logicae minor und im Elementarium
logicae realisiert, zöge man sie für Ockham heran, eine Verschiebung zu einer solchen Seman-
tik und Absolutsetzung des argumentativ gebundenen inhaltlichen Denkens enthielten; aber
die von uns dargelegten Erörterungen Ockhams wären weiterhin ‘beweistheoretisch’ überge
ordnet. Die ‘apokryphe’ Semantik wäre inhaltlich-technisch schmaler.
18. K. Michalski, 1969 p. 181f tadelt Ockham für diesen Beweis: „On est frappé de voir que le
Venerabilis Inceptor range dans le domaine de la science le jugement sur l’unité de Dieu, quoi-
qu’il ait dit expressement que la preuve sur laquelle reposait cette thèse n’était pas une preuve
stricte, mais uniquement dialectique autrement dit, qu’elle avait que la valeur d’une persua-
sio.“ Ockhams Beweis ist also durchaus wissenschaftlich. Doch kommen wir an die Grenze, wo
Ockham nicht Logik treibt. Auch Boehners Formel ‘Ockham as a logician’ ist da dubios.
19. Cf. Ord. d. 3 q. 2 OT II p. 412 lin. 19f: „nulla substantia corporea exterior potest a nobis in se
naturaliter cognosci.“ Es gilt ebenso von Gott (ib. lin. 24 – p. 413 lin. 4): „nec quidditas divina
nec essentia divina, nec aliquid quod est intrinsecum Deo potest a nobis cognosci in se et in
particulari. /§I Ita scilicet quod nihil aliud concurrat in ratione obiecti §/ nec debet hoc plus
negari a Deo vel a voluntate divina vel sapientia vel quocumque alio quam a quidditate divina
vel essentia.“ So selbstverständlich auch hier beim Beweis von der unitas Gottes. Duns Scotus
hatte versucht, die quidditas Gottes in sich beweisförmig und abstrakt zu erreichen und dann
im Verfolg der Deduktion ‘alles’ über sie zu „wissen“. Dabei bricht und unterbricht Duns Scotus
den Strom der Beweise durch Erläuterungen, die Justifikationen (i.e. immer im Prinzip auch
schon geführter Beweise, die damit nicht aus sich „ziehen“ und definit sein können); anders:
die Rechtfertigungszusätze mussten Induktionen sein, mit denen neue Inhalte geschaffen wer-
den. Diese stimmten mit dem ‘alten’ „Beweis“ dann noch nicht erwiesenermaßen überein; er
war nicht erwiesenermaßen definit. Bei Ockham gibt es dies deduktive Wissen nicht. Er suchte
vielmehr nach der Affinität von Kirchenlehre und Vernunftform, wie sie dem Verstand die ra-
tio erlaubt. Deren mentale Teile hat er argumentativ, durch induktiv gewonnene und bestätigte
Bestimmungen gewonnen.
602 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
20. Die Rationalität des scholastischen Gottesbeweises und der Theologie insgesamt fußt auch
auf dem transzendenten Wert ihres Gegenstands und ist so in der mittelalterlichen Gesinnung
begründet: von deus pater wissen wir nichts. Der Gott, den wir im Gottesbeweis beweisen, ist
nicht der der essentia divina, die mehr dogmatisches Wissen darstellt. Nach Ockham wissen
wir nur etwas von unseren Sätzen; sie sind der Gegenstand (obiectum) nostrae scientiae. Deren
subiectum ist gleichwohl bei gewissen Sätzen Gott. Der Scholastiker exponiert im Gottesbeweis
seine Mittel. Er ist dazu genötigt; erst hier weiß er, was Erkennen ist: er kann mittels Empirie
keine je von empirischer Erfüllung unabhängige Erkenntnis begründen. Empirische Aussagen
+ Relationen begründen keinen (determinaten) Beweis- und Erkenntnisbegriff, wie Ockham
zeigt. Er kann daher in der Reflexion über das Beweisen dessen Akte abschätzen, wiewohl sie
nicht ausgeführt werden (können) und die empirische Basis solcher Beweise in se gar nicht
erreicht werden kann. Eben deshalb können auch die Beweise nicht eigentlich sein. Das machte
Ockhams reflexiven Beweis aus, der die Nichtgegebenheit der Beweise betrifft und daraus eine
Folgerung zieht, wiewohl/äquivalent dem dass Folgerungen gezogen wurden und wohl nie wer-
den können.
21. Mit prinzipieller Einsicht äußert sich Robert Musil (1906) zum Nominalismus (Tagebücher,
ed. 1955 p. 103): „Wenn ich einen Gedanken in der Form eines Satzes ausspreche, so denke ich
gewiss nicht die Intention jedes einzelnen Wortes …“ Das stimmt mit Ockhams Äußerung
überein, dass in der notitia propositionis wohl die conceptus istius propositionis enthalten sei-
en, aber keine notitia unius termini. Die notitia unius termini in der notitia propositionis ist
von der notitia conceptus außerhalb der notitia propositionis verschieden, insofern gibt es de
ren zwei. Das bedeutet auch, dass der abstrakte Satz wichtiger sei als der terminus und die auf
ihn zielende universalientheoretische Diskussion nebensächlich. Cf. u. Anm. 99 und Kap. 11
Anm. 64.
22. Ord. d. 1, q. 5 OT I p. 461 lin. 18f.
23. Cf. dazu auch Prol. Ord. q. 2 OT I p. 81 lin. 1–16 Zur propositio per se nota cf. instruktiv:
Ord. d. 3 q. 4 OT II p. 438 lin. 12 – p. 439 lin. 9. Hier werden nicht die Begriffe aus sich mit
ihrem Verhältnis die Grundlage der propositio per se nota, sondern dass sie, wenn sie auch
schon bekannt sein mögen, mit jeder beliebigen (quaecumque) notitia die Erkenntnis, an der,
wenn man sie hat, nicht mehr gezweifelt werden kann, während das bei bloßer notitia intui-
tiva oder bloßer notitia abstractiva durchaus der Fall sein kann. Die Qualität der Einsicht der
Begriffe kann dabei beliebig sein. So ist das von uns gestellte Problem von Ockham sowohl
registriert (zugewiesen, realisiert) worden, als auch konstruktiv gelöst: die Begriffe bergen ein
Problem. Doch es wird über die wieder unspezifischen Akte kompensiert. Summa: wir erfas-
sen den Begriff, die Begriffe, mit denen die propositio per se nota gebildet (formiert) wird, in
keiner Weise so, dass sie ausreichten, um die propositio per se nota zu ergeben. Denn es gibt
keine Erkenntnis als Erkenntnis der Begriffe in ihnen durch sie selbst. Das ist die systemische
Antwort in Ockhams Philosophie, mit der er konstruktiv reagiert und nur soweit Antworten
erteilt und besitzt, als er konstruktiv reagieren kann. Erkenntnis gibt es nur, insofern etwas
Kapitel 13. Naturgrund und Realerkenntnis 603
Spezifisches zum Begriff, über ihn hinaus und ihn betreffend gesagt werden kann, das heißt:
konstruktiv. Cf. auch Prol. Ord q. 1 OT I p. 74 lin. 4–11: „dico quod posito quod notitia evidens
veritatis sit perfectissima secundum speciem, hoc est quod nulla notitia specie distincta ab illa
notitia evidente est ita perfecte, tamen una notitia evidens eiusdem speciei potest esse per-
fectior alia eiusdem speciei. Et ita esset in proposito quod notitia beati de eadem veritate est
perfectior quam alterius non beati de eadem, et hoc quia notitia intuitiva terminorum causat
perfectiorem notitiam quam notitia abstractiva eorundem.“ Der notitia abstractiva beati geht
die notitia intuitiva terminorum voraus. Auch hier tangiert das Problem nicht die Akte. In der
visio beatifica haben wir eine experientia, die es pro statu isto nicht gibt. Die notitia intuitiva
bleibt aber auch da causa essentialis und causa extrinseca notitiae abstractivae. Indem Gott in
patria jedoch vermöge seiner omnipotentia von dieser Bedingung absehen kann, kann es eine
hypothetische Geltung der notitia abstractiva auch pro statu isto geben. Für Ockham (Ord. d. 2
q. 9 OT II p. 315 lin. 3–11) wird der „conceptus communis Deo et aliis“, in dem wir Gott allein
erkennen, während wir ihn in se oder nach einem eigens für ihn zusammengesetzten Begriff
nicht kennen und erkennen, noch einmal zusammengesetzt sein müssen: „oportet quod compo
natur ex simplicibus et communibus“. Diese können wir aber nicht genealogisch rechtfertigen,
sondern, indem wir erkennen, dass sie nur so sein können, haben wir sie legitimiert, das heißt:
als unabweisbar in unserem Besitz sich befindend. Ein solcher Begriff, gegen den es keinen
Einwand gibt, muss eben zugelassen werden, obwohl er weder der auf unmittelbarer Wahrneh
mung seines Gegenstandes beruhen noch überhaupt von uns nach unserer Welterfahrung er-
worben sein kann. Eine compositio im Bereich der singularitas ist für Ockham nicht gänzlich
ausgeschlossen (ib. q. 6 p. 212 lin. 21–23): „concedo quod omnia individua sunt seipsis diversa:
nisi forte aliter sit de individuis ex quorum uno generatur aliud, propter identitatem numera
lem materiae in utroque.“ Doch schließt der Modus ‘forte’ so nicht aus, dass keine Identität
‘worin auch immer’ bestehe.
24. Ord. d. 2 q. 11 OT II p. 370 lin. 14–18.
25. Bei Duns Scotus ist die distinctio formalis Mittel und Hebel der (in unseren Augen unech-
ten) ‘Abstraktion’, mit der er sich der für ihn zu eng werdenden Empirie entwinden möchte und
sie vergleichgültigt werden soll, wiewohl damit die Einsicht an ein bloßes Postulat gebunden
wird, dem äquivalent eine Behauptung als unzureichend in kasualer Ablehnung abgewiesen
wird und das Postulat noch nicht auf Allgemeinheit gegründet und legitimiert worden ist. So
begründet Duns Scotus allgemein ontologische Prinzipen oder Terminologien, so rettet er ari-
stotelische Devisen. Bei Ockham ist die distinctio formalis integrales Ingrediens der Abstrakti
on, die am Ende für alle Sätze wenn sie gelten können sollen, bestehen = vorgenommen oder
erklärt wird.
26. Ib. p. 374 lin. 5–11.
604 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
alterum contradictoriorum verificari de illo a quo negatur, tunc tantum erit una via ad
probandum distinctionem formalem.“ Das ist eine Induktion.27 Wenn die distinctio
formalis (vom Satz) prädiziert wird, muss wie bei jedem Modus, der modo composito
angewandt wird, das Widerspruchsmoment eingegrenzt und somit ausgeschlossen
worden sein. Dass der Widerspruchssatz eine leitende konstituierende (und begrenz-
ende) Funktion nicht haben kann, erhellt aus Ockhams Feststellung28 „omnipotens
non potest efficere omne illud quod non includit contradictionem, quia non potest
efficere Deum.“ Gottes Allmacht wird danach nicht so durch das Widerspruchsprinzip
begrenzt, dass dieses förmlich und allgemein gelten könnte. Es hat keine Kraft selbst
Sachverhalte zu erkunden, wie es gerade nicht mit Inhalten virtute significationis
verschmolzen sein kann, so wie es bei Duns Scotus die metaphysischen Regeln und
Maximen gewährleisten sollen, i.e. in einem Vorgriff. Es bedarf angesichts dieser im
Vorgriff mitgegebenen Tendenz gerade nicht mehr des einzelnen inhaltlich zu ver-
stehenden Prinzips; das Geflecht der ontologischen Prinzipien selbst ist damit noch
nicht in irgendeinem Sinn akkreditiert. Ockham setzt (gegen Aristoteles) den Wider
spruch auch nicht mit der materiellen Größe der Welt überein:29 „non est ponendum
quia posset Deus facere unum alium mundum.“ Das Allmachtsprinzip schließt diesen
Widerspruch aus. Secundum legem communem (empirisch) angenommen, muss er
nicht (absolut) mit einer anderen Welt übereinkommen: in ihr bestehen. Gott könnte
größere Wassermassen organisieren als wir in unserer Welt vorfinden.30
27. Begründet ist sie damit noch nicht. Ockham referiert die Scotische Position und sieht sie
kritisch (ib. p. 363 lin. 5–11). Er verteidigt und begründet sie über ein Argument, das mental
und extramental kontrahiert (ib. p. 364 lin. 11–13): „quandocumque aliqua sunt idem omnibus
modis ex natura rei, quidquid competit uni competit alteri, nisi aliquis modus grammaticalis
vel logicalis impediat.“ Das soll zu einer distinctio formalis führen, wo es eine distinctio rea
lis nicht gebe, die Garant und Inbegriff der Realität und Empirie ist. Ockham hat damit nur
eine abstrakte Bestimmung von Reichweite gewidmet; von Gott kann die distinctio formalis
gebraucht werden, weil ein limitierter Gesichtspunkt für sie infrage kommt, er ist von Ockhams
Argument gemeint. Gott und res singularis sind beide ratio cognoscendi in den jeweiligen Dis-
ziplinen Theologie und scientia naturalis.
28. Ord. d. 20 q. unica OT IV p. 36 lin. 6f.
29. Ord. d. 17 q. 8 OT III p. 567 lin. 21f.
30. Zur Zahl möglicher Welten (ib. p. 568 lin. 1f): „immo credo quod non posset facere tot
mundos finitos quin posset facere plures.“ Die Begrenzung der Zahl der möglichen (endlichen)
Welten müsste sich aus den Begriffen ergeben. Die Begriffe sind aber nicht absolut. Sie können
mit den Welten abgeändert und überholt werden. Aus einer vorderhand nicht begrenzten (end
lichen) Menge folgt überdies nicht, dass sie anders als in potentia infinita wäre, in actu aber
jeweils finita, wie Ockham ausdrücklich ib. p. 550 lin. 14ff und lin. 19ff. und bis ins Extrem deut
lich ib. p. 552 lin. 25f feststellt. Erschüfe Gott einen zweiten Gott, wäre dieser nicht wie er selbst
unerschaffen und unabhängig. Wir hätten keinen determinaten Begriff von Gott (verwandt)
und so eine falsa implicatio, dies aber in Sonderheit auch auf das Widerspruchsprinzip hin.
Darum bestreitet Ockham die Allgemeinheit der Regel ‘omnipotens potest facere omne quod
Kapitel 13. Naturgrund und Realerkenntnis 605
Das Verhältnis Gottes zur Welt ist natürlich unter dem Aspekt von Kausalität
zu sehen: Gott ist causa mundi und er erhält (bewahrt) die secundum legem com-
munem bestehende Welt, die er auch anders hätte schaffen können. Es wären damit
freilich auch unsere Begriffe nicht mehr adäquat, – wenn wir denn den status mundi
und den status (intellectus) hominis bis dahin gehend diskutieren möchten. Unse-
re Begriffe erscheinen da a limine nicht legitimiert und dies muss vor allem unser
Verständnis vom ordo salutis tangieren. Es kann letztlich überhaupt nicht legitimiert
werden. Dass da die Bedingungen des Seelenheils frei von Gott ordiniert erscheinen
ist ebenso konsequent (wenigstens als Ansicht zulässig) wie die propositio (veritas
oder cognitio) ad salutem necessaria an die rein menschlichen Bedingungen unseres
Erkennens gebunden sein und von ihnen her synthetisiert werden können muss.31
Sie ist im strengsten Sinn das im Satz32 deponierte Wissen, das wir aliquomodo ha-
ben, wenn wir den Satz, i.e. die Aussage, im Wesentlichen struktural, kategorisieren
(einordnen). Das beraubt sie des mechanischen Erlösungswertes und gibt ihr einen
rein intellektualen, der geschichtlich solitär ist. Er kann nicht mit den Frömmigkeit-
sidealen des 14. (Durandus, N. v. Autrecourt) und des 15. Jahrhunderts (Jean Gerson)
übereinstimmen. Hier muss Luther schwer einzuordnen sein.33
non includit contradictionem.’ Das ist induktiv oder per instantiam ausgeschlossen und betrifft
ebenso bloß die Begriffsstruktur und deren reflexive Betrachtung. Zur Begrenzung der ‘All-
macht’ durch das Widerspruchsprinzip s. auch Quodlibeta VI, q. 1 OT IX p. 586 lin. 24–26 für
die gilt „accipitur posse pro posse omne illud quod non includit contradictionem fieri“. Damit
gehen wir mindestes ebenso vom facere (oder posse) wie vom Widerspruch aus! Das ‘Wider-
sprüchliche’ würde ja gar nicht zu bestehen vermögen.
31. Sie war dann in diesem Sinne synthetisch und Ockham macht es durch seinen Nachvoll-
zug praktisch und reflexiv deutlich. Er beweist es in einem abstrakten Verständnis und zu-
gleich nur für dieses abstrakte Verständnis überhaupt. Wir verstehen das Christentum, können
aber mit der Verteidigung und Klarstellung gegen das logisch vorherige prekäre scholasti-
sche Begriffsverständnis die antiheidnische Apologie nicht mehr betreiben. Sie tritt denn in
Ockhams Stellungnahmen (solutiones), die auf der Basis der von ihm exponierten Strukturen
beruhen und auf sie ausdrücklich zurückgreifen, erkennbar zurück. Der infidelis ist, seinen
Erkenntnismöglichkeiten zufolge, die auch die allgemeinen menschlichen (naturalen) sind,
nach deren begrenztem Erschließungscharakter eine argumentative Option, eine Negativfolie,
die die theologische Erkenntniskraft limitiert, nicht aber schon die cognitio supranaturalis, so-
fern sie sich konstruktiv und definierend legitimieren (konzedieren) lässt. Der infidelis ist nicht
mehr Adressat. Auch kein fiktiver. Wer ist es aber jetzt?
32. Expos. sup. VIII libros Phys. Prol. OP IV p. 9 lin. 87f: „differentia est inter obiectum scientiae
et subiectum. Nam obiectum scientiae est tota propositio nota, subiectum est pars illius propo-
sitionis, sc. terminus subiectus.“
33. Die Reformation ist oft negativ beurteilt worden: Nietzsche sah in ihr den Deutschen bzw.
deutschen Geist verkörpert. Cf. Schopenhauer als Erzieher, 1874 (s. KSA 1, p. 389): „Selbst sein
letztes Ereignis, die deutsche Reformation, wäre nichts als ein plötzliches Aufflackern und
606 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Ockham lässt Gott aber auch in die erkenntnistheoretischen Fragen ein. Auch
da waltet die Dialektik von supranatural und natural (empirisch secundum legem
communem), bzw. genereller Behauptung oder Negation und kasualer Bestrei-
tung (Anfechtung) und entsprechend induktiver Gegenbehauptung. So etwa wenn
Ockham, um einen generellen Tatbestand bezüglich der Wirkung und Wertigkeit der
notitia abstractiva festzustellen, auf die Situation der visio beatifica auswich, bezüg-
lich der Gott auch eine zweite, von ihr, die einen notitia intuitiva ist, unabhängige
notitia (abstractiva) verursachen könne.34 Diese von einem weltexternen Standplatz
aus insinuierte Möglichkeit soll dann generell und auch für die Welt secundum legem
communem gelten. Wir generalisieren sie damit ex uno casu. Wir hatten eine Behaup
tung bzw. Bestreitung, die in diesem Sinne die empirischen Verhältnisse aber nicht
geordnet und deutlich beobachtete und über einen casus angegriffen werden konnte.
So durfte der casus im Sinne der Induktion generell gelten.35 Es geht in diesem Sinne
Verlöschen gewesen, wenn sie nicht aus dem Kampfe und Brande der Staaten neue Kräfte und
Flammen gestohlen hätte.“ Es hätte also von Staatengeschichte unabhängig sein sollen.
34. Sie ist dann ein ‘exzeptioneller’ Paradefall für die Induktion, kein gebundener Kausalfak-
tor.
35. Dieser Argumentationszug kommt bei Ockham öfter vor. Cf. Prol. Ord. q. 1 OT I p. 17
lin. 15 – p. 18 lin. 2: Um zu beweisen (lin. 1–3), dass der „actus iudicativus respectu alicuius com-
plexi praesupponit actum apprehensivum respectu eiusdem“ weicht Ockham auf den habitus,
näher die habitus sc. habitus principii und habitus apprehensivus, aus und schließt, dass sie, be-
vor sie auf den actus iudicativus bezüglich des Satzes und beim Syllogismus zielen können, auf
den actus apprehensivus zielen (können) müssen, der hier durch den Syllogismus approbiert,
d. h. als wahr oder einsichtig beurteilt werde. Das Wahrheitsmoment geht in der Intelligibili
tät/Einsehbarkeit gleichsam ‘unter’. Wir sehen nur im Rahmen des Syllogismus ein und haben
damit auch bloß eine relativ absolute Einsicht oder Bestätigung. Das bedeutet aber nicht, dass
dem Syllogismus auch widersprochen werden könne. Es bedeutet allerdings schon, dass dersel-
be Satz verschiedene Beweise und somit Bestätigungen in verschiedenen Syllogismen und dies
womöglich in verschiedenen Wissenschaften wie etwa theologia und metaphysica. Der actus
apprehensivus müsse früher als der actus iudicativus sein, weil er ohne letzteren sein könne,
was daraus erhellt, dass wir ihn ja bereits haben, bevor wir ihn beurteilen oder auch nur werten
wollen. Der actus iudicativus bezüglich der Begriffe fällt in die notitia intuitiva; doch haben wir
es mit Sätzen (complexa) zu tun und dem ihnen zugeordneten actus apprehensivus, wir sind
so bei der reinen notitia abstractiva, von der der habitus ausgeht. Auf den actus apprehensivus
bezieht sich der habitus. Ockham wählt auch hier einen topologisch externen Standort, der
eine unmittelbare inhaltlich Überleitung oder explikative Füllung für den Zusammenhang der
Begriffe oder Topoi nicht zulässt. Er muss also der Meinung sein, dass diese im Sinne seiner
Wahrheiten, ‘Lehren’, Behauptungen oder Lehrsätze (conclusiones) nicht erforderlich sei. Im
behandelten Fall ist noch daran zu erinnern, dass der habitus nicht in eine intelligible empi-
rische Gewissheit (notitia intuitiva) fällt und somit genau oder annähernd dort situiert, wo
Gott die notitia intuitiva supranatural konservieren muss, damit wir negative Feststellungen
bezüglich der Nichtexistenz oder Nichtpräsenz eines Gegenstandes treffen können, also den Be
griff der notitia intuitiva in intensionaler sei es Weiterung sei es Konstanz verwenden können.
Kapitel 13. Naturgrund und Realerkenntnis 607
um Größen der notitiae abstractiva und intuitiva.36 Diese erscheinen nicht als exten-
sional reguliert, da nicht auf empirische akzidentelle instantiae bezogen.37 Sie haben
abstrakten, nicht per se empirischen Wert.
Ockham kann die Parallelität von göttlichem und menschlichem Geist vorab nur
im Sinne der Grenze, die hier besteht, annehmen: sie wird a parte hominis bestimmt,
nicht a parte dei und sie wird nicht gleichsam wie von Gottes Sein und im Begriff von
ihm her gefüllt gedacht, außer dass man die quasi schon naturalen Bestimmungen
und Prädikate annimmt, die auch den Gottesbegriff selbst definieren wie etwa dass
er omnipotens sei und entsprechend in der propositio ‘deus est omnipotens’ einen
adäquaten Ausdruck findet. Die Behauptung der Univozität unserer Begriffe, die wir
für Gott und creatura gebrauchen, und die Analogia, bei der wir lediglich nur von
uns her denken und die uns gemäßen oder nach unserer Erfahrung uns zugänglichen
Erläuterungen für Gott gebrauchen, stehen nebeneinander. Überall kann die Kausa
lität abstrakt reduziert und empirisch angefochten werden.38 Sollte man eine ontolo
gische Fundierung der Kausalität suchen wollen, so scheitert sie bereits an Ockhams
Auffassung der passio als Element im Satz.39 Seine Ergebnisse können für unumstöß
lich gelten; sie sind nicht wissenschaftliche im Sinne der Geschichte. Der Nomina-
lismus lieferte keine Grundbegriffe, die ihrer Inhaltsform nach der auf ihn folgenden
Weiterung und Konstanz (+ Konsistenz) fallen zusammen, weil es immer eine induktiv erho-
bene ratio gibt, in die akzidentelle Umstände und Referenzen nicht eingehen. Für sie tritt Gott
mit einer potentia absoluta supranatural ein. Evtl. gibt es empirienahe Stützargumente: ‘non est
maius ratio quod (non)’, ‘non est inconveniens quod (non)’ u. ä.
36. Zum Begriff der Größe cf. auch Kap. 2: Suppositionslogische Identität und Kontingenz,
Anm. 127.
37. Als solche erscheinen die im infinitum actuale als Inbegriff des Absurden zu ‘durchlaufen-
den’ instantiae.
38. Das Ökonomieprinzip (Ord. d. 1 q. 3 OT I p. 415 lin. 5f) „pluralitas non est ponenda sine
necessitate vel certa experientia“ gilt auch für causa und effectus (ib. p. 416 lin. 12–14): „quamvis
respectu eiusdem effectus possint plures causae, hoc tamen non est ponendum sine necessita-
te.“ Ockham führt reflexiv als Grund die induktive Feststellung der causalitas für diese Anwen-
dung des Ökonomieprinzips an (ib. lin. 14–17): „puta: nisi per experientiam possit convinci,
ita scilicet quod ipso posito, alio destructo, sequitur ille effectus, vel quod ipso non posito,
quocumque alio posito, non sequitur effectus.“ Die causae können auch abstrakt gedacht wer-
den, was beim Beweisen geschieht cf. ib. p. 417 lin. 4–8. Eine entitas oder eine causa werden
mit Notwendigkeit gesetzt auf empirischer (induktiver) Basis. Die schließt eine Negation ein:
die notwendig erforderliche causa begleitet die Nichtgegebenheit oder Unwirksamkeit anderer
causae.
39. Ord. d. 2 q. 4 OT II p. 142 lin. 13–15: „dico quod passio realis dupliciter accipitur. Uno modo
improprie pro aliquo quod sit vera res et accidens alterius rei.“ Das ist die ontologisch-realisti-
sche Auffassung von Inhärenz.
608 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
40. M. Heidegger, 1927 p. 9: „Die eigentliche ‘Bewegung’ der Wissenschaften spielt sich ab in
der mehr oder minder radikalen und nur ihr selbst durchsichtigen Revision der Grundbegriffe.
Das Niveau einer Wissenschaft bestimmt sich daraus, wieweit sie einer Krisis ihrer Grundlagen
fähig ist.“ Wir wissen aber nicht, wieweit solche Grundbegriffe reichen. Man behilft sich, in-
dem man Ergebnisse für unumstößlich erklärt, bei ihrer Auslegung aber weidlich differiert, sie
also nicht wörtlich nimmt (versteht). Zur ‘Kopenhagener Deutung’ der Quantenphysik durch
N. Bohr s. z. B. P. C. W. Davies und J. R. Brown, (eds.) 1986 dt. 1993. Ed. widersprechen (Vor
wort) der „Ansicht, es gebe … keinen Zweifel mehr, wie die Quantentheorie zu verstehen sei
… Anlass zu solcher Selbstzufriedenheit besteht“ für sie nicht. H.G. Gadamer, 1983 p. 158 gene
ralisiert: „Man kann am Ende so definieren: ein Forscher ist einer, der das kennt, aber nicht
glaubt, was im Lehrbuch steht.“ Der Forscher kümmert jedoch sich am ehesten um den ‘Geist
der Wissenschaft’, für den er dann neue kanonische Formen in seiner Disziplin erfindet. Oder
eine neue Disziplin. Im Formalismus erkennt er Inadäquatheit und Leere und ersetzt ihn. In
seiner Haltung (ib.) „ein wirklich gesundes Prinzip“ sehen zu wollen, belässt es bei der lediglich
‘psychischen’ Disposition. Ockham zeigte eine vergleichbare Form, empfing aber Verdikte, bei
denen seine geistig-psychische Integrität in Abrede stand, von den Avigneser Zensoren bis zu
H. Blumenberg, 1966. Danach weniger.
41. Wodham setzt wie Ockham conservatio = productio und erörtert die Gleichheit von der
Seite der Akzidentalität her; dagegen hatte Ockham sie gerade gegen die Akzidentalität gerich-
tet begründet gesehen (SK lb. II d. 1 q. 1 Fol. 93 col. 3 ad 10 et 11): „bene volo quod conservatio
sit quaedam productio et etiam quod sit eadem productio quam prius. Sed certe si homo de-
beret esse iustior quam prius per iustitiam informantem vel aer lucidior quam prius oporteret
necessario novum aliquid produci vel capere esse de novo per unionem partium praecedenti-
um per idem omnino.“ Wodham hält aber auch fest (ib. co. 3 ad 2): „okam (.) tenet etiam quod
per divinam potentiam posset esse augmentatio sine generatione sic dicta (Aristoteles hatte
nämlich eine productio sine generatione für unmöglich gehalten) quia deus unam albedinem
praeexistentem posset unire albedini existenti in aliquo subiecto quo facto illud esset albius
quod esse non posset sine augmentatione formae.“ Ockham hat somit die forma so angesetzt
und bestimmt, dass sie auf einer eigenen Satzebene modal die Kontingenz so umfasst oder
überformt, dass diese damit nicht in actu ausgedrückt erscheint, so wie sie nämlich proble
matisch als Wechsel sich darstellt. Wodham drückt ihn aus, aber so wie er für den Satz nicht
ausgedrückt werden kann. Der kontingente Satz müsste dazu in Richtung auf die Wirklichkeit
aufgelöst werden, was zur fallacia führt. Die wird im reflexiven Satz mit einem Modus, der
modo composito verstanden werden muss, also vom Satz gilt, umgangen, ja aufgehoben. Die
Kapitel 13. Naturgrund und Realerkenntnis 609
Welt aliquomodo von der Seite der Akzidentalität erfassen, nach Ockham sogar pri-
mär. Wenn wir aber beweisen wollen, müssen wir sehen, ob wir einen Stammbegriff
des Erkennens in der Erkenntnis des subiectum (bzw. mit dieser Erkenntnis oder dem
subiectum gleich) so fixieren können, dass die Deduktion entweder überhaupt mög-
lich sei oder aber approbiert werden kann.42 Hier unterscheidet sich, wie wir zeigen
konnten, Ockham stark von Duns Scotus.43 Wir müssen da entweder qua Ontologie
die Materialität stillschweigend mitmeinen wie Duns Scotus oder aber wie Ockham sie
ausschließen, wie zum Beispiel auch dort, wo er das Beweisen von der Angewiesenheit
(indes sogar als solche) im kontingenten Satz ausgesprochene Realität wird weder nach diesem
Satz als erforscht gelten können noch zusätzlich, mit dessen Auslegung auf einer unteren Stufe,
erforscht werden können. Diese technische Angelegenheit hat nichts mit einer ontologischen
Deutung gar Notwendigkeit einer solchen Deutung der Wirklichkeitserkenntnis und der ent-
sprechenden Wertung von Sätzen zu tun. Für Ockham könnte es den akzidentellen Zuwachs an
meritum, hier durch eine iustitia, die eine informatio in der Seele darstellen müsste, nicht geben;
er hat gerade in dieser Weise auch keine Verbindung von Jenseitswelt und Diesseits betrieben
oder für begründbar gehalten. Es wäre zu fragen, wie er den ordo salutis mit dem status viato
ris secundum legem communem weder begründet noch überhaupt das Beweisen so gefasst hat,
dass es mit einem solchen Zusammenhang beweisbar oder nicht beweisbar bedeuten könnte.
Wir können diesen Zusammenhang in kontingenten Sätzen kaum ausdrücken, also auch nicht
eigentlich in solchen Sätzen eine suffiziente Thematisierung eines derartigen Zusammenhangs
haben. Mit dem kontingenten Satz sind mittels notitia intuitiva nicht Begriffe entstanden, die
über ihn (und andere vergleichbare) absolut wären und somit entstehen auch nicht Inhalte, die
über ihn hinaus gelten können. Ein Sachverhaltskonzept ist hier nicht impliziert oder belegbar.
Die begrifflich nicht generell relevanten Inhalte können auch keine deduktionstauglichen sein.
Es zeigt sich an der Differenz, die Ockham zwischen persuasio und demonstratio erklärt.
42. Immer aber müssen wir Deduktion analog einem darin empirischen ‘Sachverhalt’ setzen.
43. P. Vignaux, 1938 und 1948, p. 181f. versuchte die Gottesbeweise von Duns Scotus und
Ockham über die divergenten Auffassungen, die sie vom Beweisen hätten, zu charakterisieren.
Vignaux’ Angaben sind keine logischen. Die Auffassungen, die er als die auch für deren Got-
tesbeweise relevanten nannte, müssten entweder beweisend sein oder eigens bewiesen werden.
Sind sie bewiesen worden, könnten sie nicht mehr (definit) beweisend sein. Was Vignaux für
Ockham nennt, bedeutet eine Beweisablehnung. Es würde, neben anderen ähnlichen Regeln
und vergleichbaren Prinzipien die Beweise mechanisieren. Ockham konzipiert, erfindet und be
gründet, was er als Beweisform zulässt und/oder gebraucht, gerade dagegen. Scotus gebraucht
oft seine bewiesenen oder für evident ausgegebenen Regeln oder Prinzipien so, dass die De-
duktion dabei intensional gesprengt wird, obwohl sie extensional (semantisch) glatt gefügt er
scheint. Vignaux merkt an, Scotus’ Deduktionsweise sei in der Spätscholastik und nicht nur
bei den Nominalisten nicht mehr akzeptiert worden. Begriffe, die für Ockham nie fest in der
Welt verankert erscheinen, können auch keinen deduktionsrelevanten Sinn haben, so dass mit
ihrer Hilfe und für sie sich ermitteln ließe, was vermöge der Deduktion als Wahrheit zu gel
ten vermöge. Scotus’ Vertrauen in die Deduktion steht quasi-ontologisch neben ontologischen
Prinzipien, die er als eigens bewiesene oder als immediat evident in die Deduktion wieder
einmengen will.
610 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
auf empirische Prinzipien bzw. von auf empirische Erkenntnis angewiesene Regeln
und Prinzipien trennt, bzw. die cognitio practica von der cognitio speculativa trennt.
Die von uns erkannte Welt umfasst nicht die divina essentia, und die Erkenntnis Got-
tes, für die es eine cognitio resp. scientia supranaturalis geben kann, wird, nicht einmal
bezüglich und vermöge des ordo salutis, wahrhaft in unsere Welt eindringen oder für
sie relevant sein. Was also ist kraft seines Verstandesvermögens der Status des Men-
schen in der Welt? Er kann Gott, den er nicht in se erkennt, nicht ersetzen wollen und
er klammert ihn insoweit nicht aus, als er ihn nach Möglichkeiten, die a parte hominis
einzuräumen sind, anerkennt bzw. Gott Möglichkeiten zuerkennt, die nicht realisiert
sind, aber von uns dem rationalen Begriff von gratia z. B. usw. zugeschlagen werden
müssen. Das bezeichnet dann Ockhams Argumentation.44
Diese Argumentation konzentriert sich auf die Akte, die notitiae und die Qualitä-
ten der Sätze und Begriffe, also die Satz- und Begriffsarten, i.e. deren Bestimmungen,
und sie enthält mit diesen im Sinne der Ausschaltung der Widerlegung, die freilich
verwendet wird, und des tertium non datur; sie betrifft also in ihrer Art intensionale
Fakten, die real gelten, aber nicht qua extensionaler Erfüllung (semantisch) definiert
erscheinen. (Notwendige) Verbindungen zwischen den Akten, Begriffen (Begriffsar-
ten) können so nicht mehr abgeleitet werden. Gleichwohl ist hier eine starke und gül-
tige Begründung per Argumentation möglich. Das soll hier noch einmal in Bezug auf
die notitia intuitiva demonstriert werden. Denn an der notitia intuitiva im übrigen
lässt sich zentral und für alle Fälle, die Ockhams Philosophie betreffenden und jene
anderen Philosophien, die mit ihr verglichen werden könnte, darlegen, dass sie von
jeder transzendentalphilosophischen Perspektive unabhängig sei, und zwar wie folgt:
da die notitia intuitiva einerseits (natural) sowohl die existentia (Gegebenheit) wie
non-existentia (Nichtpräsenz) von Gegenständen (eines Gegenstandes) festzustellen
geeignet ist (geeignet sein soll) und dazu in ihrer Formbestimmung (ratio) unabhängig
von Gegenständen aufgefasst werden muss und hierbei von dem empirischen Grund
abhängt, dass eine causa kombiniert mit zwei unterschiedlichen causae verschiedene
Effekte hervorbringen könne, andererseits die notitia intuitiva dazu von Gott (und
zwar supranatural) bewahrt (konserviert) werden muss, ergibt sich für sie (und dar-
über hinaus) die transzendentale Bedingung der Erkenntnis, die weder Kant noch
Maimon aufgefunden haben, dass (eine) Induktion, wie sie an der Realität gegründet
44. Die Dependenz der opinio Ockhams von Argumentation übersah F. Hoffmann, 1941 p. 145:
„Thomas verkennt keineswegs die überragende Bedeutung der gnadenhaften Anordnung Got-
tes für die Wirksamkeit des Verdienstes. Ja, in dieser liegt die Wurzel des Verdienstes haupt-
sächlich und an erster Stelle. Skotus ersetzt das ‘principaliter’ des hl. Thomas durch das viel
weiter gehende ‘complete’!“ Ockham lehrt damit keine Prädestination u. ä., weder absichtlich
noch unwillkürlich (wo man seiner Verwahrung gegen Pelagius usw. nicht trauen will). Sie
ist in Bradwardines De causa Dei ein besonderes Thema, cf. G. Leff, 1957. F. Ehrle, 1925 p. 273
bezeichnet Johannes von Mirecourt als von Thomas Bradwardine beeinflusst. Es wird auf Jo-
hannes von Basel, I Sent. qq. 33 und 34 verwiesen zur Frage der Mitwirkung Gottes bei unseren
freien und sündhaften Handlungen.
Kapitel 13. Naturgrund und Realerkenntnis 611
werden muss, einen jeden weiteren (und dem Typus nach anderen) Beweis zu ersetzen
vermag.45 Die notitia intuitiva ist also auch geeignet, die Induktion insgesamt zu be
schreiben und alle Verfahren anzugeben, die Ockham verwenden kann, um auch alle
inhaltlichen Dispositionen zu treffen, die die Theologie als der Empirie überhobenen
Disziplin angehen, etwa was das Spiel der göttlichen Personen und ihres Verhältnisses
zueinander angeht, bei der spiratio usw. Wir haben (schon) hierin die grundlegende
Relevanz und Bedeutung der notitia intuitiva; sie gibt das Modell der Determinatheit
an, da sie die Folgerung als inneres Element oder Appendix des Inhalts oder seiner Er
greifung zu besagen vermag. Die Determinatheit wird mit der Folgerung bezeichnet,
wie ‘mit’ ihr von Folgerungen abgesehen werden kann und muss.46 Damit kann die
bloße Definition mit jeder wissenschaftlichen Erkenntnis gleichwertig werden; bei
Ockham auch in der funktionellen Form der Begründung von Ausschließungen. Die
generelle (überaus pauschale) Meinung ist danach zurückzuweisen, dass im Mittelal
ter Methode und Wissenschaft in insuffizienter Weise auf bloße Diskussionsregeln
beschränkt gewesen seien,47 auch die andere, dass Maßstab der Erkenntnis die aus
gewiesene oder wenigstens unterstellte Realempirie sein müsse.48
Argumentation aber wie sie Ockham auf die Aktebene, im Rahmen der Abstrak-
tionen, beschränkt, muss gelten, da sie je, worauf sie intentionell sich bezieht, nicht
inhaltlich (semantisch) aufnehmen und integrieren kann, ohne ihren Inhalt, unspezi-
fisch dazu, zu erweitern, i.e. im einfachsten Sinn, dem primär empirischer Aussagen,
zu fallaciae zu kommen. Deren Vermeidung muss für sie unmittelbar Operationen
auf einer oberen (höheren) Stufe bedingen; es ist die der Abstraktion. In sie müssen
45. Nach Dilthey in Geistes- und Naturwissenschaften. Dagegen H. G. Gadamer, 1960, p. 6 und
passim.
46. Die notitia intuitiva ist also darin transzendentalphilosophisch relevant und im Namen
der Transzendentalphilosophie oder ohne sie absolut bedeutend, dass sie wie und wo es um sie
betreffende Folgerungen geht, diese ihrem reinen Begriffe nach in sich einbegreift, i.e. inten-
sional; hier gibt es Intensionalität ohne Vernunftbegriffe, die durch Bezug auf die Empirie und
Realwelt, danach im Sinn von Erfüllung, Wahrheit etc. rein im Sinn der Abstraktheit gegeben
(begründet) sind. D. h. nach einem Schnitt gegenüber der realempirisch individual zu denken
den Punktualität des Faktischen. Die Identität wird regulativ auf der abstrakten Ebene der Ar-
gumentation.
47. Cf. H. Blumenberg, 1966, p. 459. Damit sollen in den Tractatus De obligationibus gegebene
pragmatische Regeln gemeint sein, die für akademische disputationes erlassen, d. h. definiert
wurden. Sie sind annähernd logisch, implizieren aber auch, dass (die) Inhalte hinsichtlich eines
strikten Wahrheitsmomentes nicht betrachtet werden müssen. Logisch besagen sie u. a.: Erörte
rungen können inhibiert und so zeitlich begrenzt werden.
48. Cf. H. Blumenberg, 1966 passim und p. 349f. Vgl. p. 208f. Anm. 3: „Die mittelalterliche
Scholastik hat in der magistralen determinatio ihrer Disputationen die Entscheidbarkeit
theoretischer Prozesse durch definitio und demonstratio geradezu institutionalisiert.“ Jetzt
beschränkt sich die Methode auf definitio und demonstratio. Definitio und demonstratio ent
scheiden aber nichts – im Verein mit obligationes! Die Argumentation entscheidet.
612 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
alle Begriffe, auch die in den empirischen und kontingenten Aussagen vorkommen
den, wenn sie reflektiert werden, einrücken. Hier aber ist Ziel, Mittel und Inhalt des
Beweises (die) Identität. Das ist auch bezüglich der notitia intuitiva der Fall.49 Der
Beweis geht hier nie weiter als auf diese Identität. Sie wird für Akte bewiesen, also in
der Mentalsphäre und für sie, aber nicht im Sinne von Dingidentität, sondern nur für
referentielle Identität nach Bestimmungen, die im Namen von Dingen hinzugefügt,
eben fallaciae bedeuten müssten, d. h. falsche und in sich bereits gesprengte seman-
tische Identität.50 Semantische Deutungen, die vorab abgelehnt werden sollen, wer-
den im selben Maß beweistheoretisch nicht integriert können: das ist Ergebnis bzw.
Äquivalent der Ablehnung. Die Identität der Akte, der notitiae, die ausschließlich für
die mentale Sphäre angesetzt werden, kann so nicht gewonnen werden. Andernfalls
müsste einmal das tertium non datur approbiert und zum anderen müsste die Iden-
tität semantisch ausgelegt werden können.51 Es wird erkennbar, dass das tertium non
49. Bereits die ratio subiecti, i.e. ein die Rolle des subiectum, bzw. dieses, auch inhaltlich be-
treffender reflexiver Begriff, war von Ockham bloß mit dem subiectum identifiziert worden,
stimmte also gerade nur mit dem Begriff, der im Satz subiectum war, damit eine funktionale
Rolle hat, überein. Sie war folglich mit dem Begriff als Akt identifiziert worden. Hier war der
Beweis ein exhaustiver Widerlegungsbeweis, also ein gegliederter Beweis, der per exclusionem
zu dieser Identität (Identifikation) führte. Desgleichen wenn bei naturphilosophischen Bewei-
sen, die so zu Begriffsdeutungen werden, die forma von akzidentellen Beimengungen mit ei
nem exhaustiven Widerlegungsbeweis befreit werden; sie wird so von accidens, materia und
sinnlicher Wahrnehmung getrennt, die nicht identisch in die forma sollen eintreten können.
Der Begriff der forma wird, von der materia abgetrennt, der jenseitsweltlichen potentia dei ab-
soluta angenähert: entsprechend erscheint die (materielle) Implikation als mit der punktuellen
Wandelbarkeit und eben auch der Widerlegbarkeit verbunden. Der Begriff der forma kann
determinat gebraucht werden; er wird wie immer von der consequentia getrennt und ebenso
von der ontologischen Qualifikation (Inhärenz, etc.).
50. Wollten wir Dingidentität annehmen, so könnten wir in deren Namen und für sie keine
Beweise führen. Wir würden da unsere abstrakten Begriffe zu Widersprüchen bringen, und
dies nicht nur in ontologischen Fragen, etwa wenn wie ontologische Begriffe wie substantia,
accidens, qualitas, quantitas, eine entitative Bedeutung verliehen haben. Das gilt analog auch
für theologische Begriffe, etwa peccatum. Sie können nicht im Sinne des accidens Realität ha-
ben oder gewinnen. So kann es keinen Sündenhabitus für die als Sünde gewertete Handlung
geben, indessen wohl einen habitus für die Handlung, die ich gewohnheitsmäßig wiederholen
kann. Ich kann mich dann ihrer durch Unterlassung (Nichtwiederholung) entwöhnen, d. h.
diesen habitus abbauen und verlieren. Auch hier differieren Jenseitswelt und Diesseits förm-
lich, wenngleich wir diesen Unterschied a parte legis communis secundum intellectum no-
strum statuieren.
51. Leibniz hatte aus dem Satz der Identität den Satz vom Widerspruch ableiten wollen. Cf.
Kleinere philosophische Schriften, 1883, p. 254: „Meiner Meinung nach darf man aber kein an-
deres ursprüngliches Prinzip annehmen als die Erfahrungen und den Satz der Identität oder
was dasselbe ist, des Widerspruchs, der ein ursprünglicher ist, da es sonst keinen Unterschied
zwischen wahr und falsch geben“ (würde). Modell einer wissenschaftlichen Methode auch in
Kapitel 13. Naturgrund und Realerkenntnis 613
datur nicht akzeptiert werden kann oder muss, wenn (allein) die Identität hergestellt
(gewonnen) werden soll.52 Sofern die potentia dei absoluta beweistheoretisch, natural
im Rahmen einer Widerlegung (reprobatio), supranatural im Rahmen einer persua
sio, eintritt, entfällt die Implikation, die entweder Einzelfälle (casus) als generell gül-
tige und einzig vorkommende oder konkrete, singuläre instantiae zu betreffen hätte.
Denn unter der Bedingung der so eingeführten potentia dei absoluta soll entweder
etwas auszuschließen oder etwas zu behaupten sein; jedenfalls soll sich eine zu all-
gemeine, unser Erkennen betreffende These verneinen lassen. Aber auch hier bleibt
Ockhams durch Induktion gestützte Verneinung, seine Gegenthese, hypothetisch. Sie
betrifft reflexiv unser Erkennen, das wir weder introspektiv in unserer anima als sub-
stantia ausmachen noch pro re singulari in se ipsa rechtfertigen können.
Wenngleich also Ockham cognitio und cogitatio secundum formam vom referen
tiellen irdischen Aspekt trennt, beide das Urteilsvermögen betreffend von einem sol-
chen losgesprochen hat, handelt er darin nicht als in der religiösen Bindung stehend.53
Ockham kann, wo er theologisch spiritus sanctus und intellectus hominis quasi erst
nur in Parallele setzt:54 „Spiritus Sanctus non datur nisi tantum creaturae rationali“
und ebenso dort „soli creaturae rationali dari potest Spiritus Sanctus“, gleichwohl die
Sache (die Handlung, die auf Veranlassung des Heiligen Geistes stattfände, vom intel
lectus hominis und seiner voluntas her statuieren, so dass die Identität der Handlung
a parte hominis auch für Gott bindend hergestellt und angenommen wird. Denn:55
„Deus ex beneplacito suo paratus erat facere quicquid isti (die sancti) rationabiliter
voluerunt“, so dass vermöge des heiligen Geistes56 „isti Sancti aliquo modo dominium
super Deum habuerunt.“ Nach dem Beispiel, das Ockham dem Buch Josua (c. X) ent
nimmt, konnte der Mensch (nicht Gott!) das Wunder wirken, dem Sonnenlauf Halt
der Philosophie soll Euklid sein. Leibniz hatte die Identität aber auch bereits inhaltlich gefüllt
gesehen und als Indiszernibilität bestimmt. Für Ockham sind Elemente, die für einen abstrak-
ten Beweis im Prinzip auf einer unteren Stufe anzusetzen wären, nicht auszumachen, i.e. als
wenigstens potentiell sinnlich wahrnehmbare (gegebene) oder extramental empirische.
52. Hierzu gehört auch, dass die gelegentlich zwei oder drei persuasiones, die nebeneinander
möglich sind und eben auch inhaltlich voneinander abweichen können, also unterschiedene
Ergebnisse besagen, das tertium non datur nicht zu einer gemeinsamen Grundlage ihrer Wer-
tung oder Beziehung haben können.
53. Der homo incurvatus in se, Synonym des Sünders, den Luther verwirft, wird einmal, im
Sinne der Streichung einer jenseitsweltlichen Dimension, durch Ockham sei es gleichsam ge-
stützt, sei es bloß verkannt, zum anderen bei ihm durch die besondere Freistellung der Vernunft
secundum methodum auch befreit. Er ‘bleibt’ nicht Sünder, nicht im Sinn eines Regulativs. Im
Katholizismus war er das dogmatisch, im Protestantismus moralisch.
54. Ord. d. 18 q. unica OT III p. 572 lin. 23f. und dann ib. p. 573 lin. 13.
55. Ib. 573 lin. 10f.
56. Ib. lin. 9f.
614 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
zu gebieten.57 Für Ockham steht die Rationalität als proprium und Vorzug des Men
schen außer Frage:58 „creatura rationalis est perfectior omni creatura irrationali; ergo
illud accidens per quod distinguitur maxime a creatura irrationali erit perfectius.“
Dabei will das Vernunftgeschöpf: „sed videtur quod creatura rationalis magis distin
guitur per volitionem quam per quamcumque delectationem. Assumptum patet, quia
maxime distinguitur per libertatem quae est principium volitionis.“ Die creatura
rationalis will auch erkennen.59
Doch ist die Empirie als Basis (und Anlass) unserer Akte, auf welcher sich das
Erkennen erhebt und mit seiner Abstraktionskraft allgemeine Begriffe (und Sätze)
erzeugt, letztlich oder zuletzt in der beweistheoretischen Enveloppe aller Beweise,
welche die potentia divina absoluta in deren Betrachtung und Begründung dar-
stellt, wenigstens hypothetisch wieder zu erreichen.60 Die in sich (innerhalb der res
57. Hier geht es um Textauslegung, nicht um Sachfeststellung. Diese ist nur gleichsam nicht
ausgeschlossen und nicht mehr nötig; sie ist im Sinne einer Folgerung, die nicht mehr gezogen
wird und nicht mehr gezogen werden muss, weil wir a posteriori und ex negativo begründeten
und operierten (bewiesen), entbehrlich.
58. Ord. d. 1 q. 3 OT I p. 426 lin. 1–6.
59. Sie sucht in dem Sinn nicht Freude, Glück, hilaritas, u. ä. was eine sinnliche Qualität ein-
schließt und vielleicht durch sie (ausschließlich) sich bestimmt. Das wird bei Spinoza anders
gesehen und in eine andere Art von Deduktion eingebracht. Doch muss der Mensch in der
Neuzeit dabei auch wesensgemäß mit ethischer Relevanz eine Vollform seiner dafür recht
eigentlich erst aufzufindenden Intelligenz (Einsichtsfähigkeit) entwickeln, um so erst vollver
antwortlich handeln zu können: Kant, Leibniz, Spinoza. Mit etwas Entlastung Hobbes. Die
Legitimation des Erkennens endet bei Ockham beim Beurteilen von danach erkenntnisartig
genannten Meinungen.
60. Für Ockham werden Daten zuerst durch die notitia intuitiva vermittelt. Der Mensch er-
kennt mittels der notitia intuitiva distincte (deutlich), aber er ist dadurch noch nicht im Besitz
einer die res vollständig gebenden Definition (cf. Ord. d. 3 q. 5 OT II p. 478 lin. 19 – p. 479
lin. 1) Auch kann es sein, dass er die res in se ipsa singularis, das singulare mithin, bloß con
fuse (undeutlich) erkennt, sofern er vielleicht nicht ihre Bestandteile erkennt. Sofern er nicht
alle erkennt, also einige nicht, erkennt er sie bloß undeutlich: ib. p. 475 lin. 17 – 476 lin. 8. Er
müsste ihre Zusammensetzung erkennen. Sie liegt unterhalb der Abstraktionsstufe. Man sieht
auch das universale intuitive (cf. Rep. II q. 16 OT V p. 376 lin. 17–19): „quicumque videt intui-
tive cognitionem terminatam ad universale, videt universale intuitive, nec requiritur ulterior
manifestatio vel explicatio.“ Dabei gilt (ib. lin. 16f): „universalia non habent esse nisi obiective
in anima.“ Daher und nur dann können sie ‘gesehen’ werden. Für Ockham bezeichnet das
universale ein abstractum, für das es kein Äquivalent in der Sache (in re) und keine Vorstufe
geben kann, die ebenso allgemein schon wäre, wie es der Begriff allein sein können soll. Analog
kann kein Begriff als quidditativum einen anderen implizieren bzw. die notitia dieses Begriffs
die notitia eines anderen. Die Folgerung ist in der Weise mitbetroffen, wie sie die Bedeutung
oder Relevanz, Entsprechung usw. in re besagen könnte. cf. Ord. d. 2 q. 8 OT II p. 284 lin. 9f:
„universale non est figmentum tale cui non correspondet aliquid consimile in esse subiecti-
vo.“ Petrus Aureolis konzeptualistische Hypothese vom universale als figmentum, die damit
Kapitel 13. Naturgrund und Realerkenntnis 615
singularis in se ipsa) gänzlich partikulare Realität wird dabei per hypothesin gestreift.
Gott kann mittels seiner potentia absoluta auch im Bereich der singularitas substantia
und accidens trennen und so, indem er in diese eindringt, wieder zu Abstraktion
zurückkehren und aufsteigen und die Implikation zurückdrängen und ausscheiden.
Das betrifft, wie wir gezeigt haben, das Wesen der Abstraktion und der Determinat-
heit. Mit ihnen trennen wir uns von der significatio; wir entheben uns damit zugleich
der Ontologie.61 Zugleich negieren wir die Implikation.62 Indem Ockham Erkenntnis
nur als empirisch gegründete akzeptiert, aber gleichwohl Erkenntnis, die bezüglich
der Satzkonstitution Hilfsprinzipien benötigt63 und damit unabschließbar wird (nicht
determinat sein kann), nicht für beweistauglich (beweisbar und beweisend) hält,
muss er Beweisen zum Regulativ und Inbegriff von Erkenntnis generell machen,64
mehr noch die Reflexion auf das Beweisen: dies aber kann damit induktiv begründet
werden. Wir gelangen dabei von der Empirie bis zu Gott, zunächst Sätze über Gott
betreffend, doch partiell damit übereinstimmend besagen sie auch was Gott im Sinne
unserer Beweise und Beweismöglichkeiten begründend tun kann (hypothetisch: tun
könnte), wobei er oft inhaltlich zum Modell des dann sachlich insgleichen Möglichen
wird. 65 Der ‘Beweis’ wird nicht akzeptiert, i.e. er ist nicht existent, der gleichsam
in linkischer Weise auf eine empirische Stützung rekurriert, die ihm nicht gewährt
werden kann, z. B. weil uns empirisch (per notitiam intuitivam) die Begriffe fehlen
oder aber vermittelnde Hilfssätze eingeführt werden müssten, welche als Prinzipi-
en fragwürdige oder unvollständige Abstraktionen darstellen oder besagen.66 Dabei
werden aber die Sätze, die wir der theologia als einer menschlichen scientia zuschrei
ben oder zugestehen wollen ebenso wie die Begründungen, die wir für diese mittels
der potentia divina absoluta geben wollen, des Gebrauchs der Implikation entraten
müssen; wir müssten sonst annehmen, dass ebenso recte wie reflexive determinate
Aussagen unmöglich wären, weil wir dazu immer Folgerungen, die wir nicht aus
führen können, als vollzogen ansähen und ansetzten. Thomas von Aquin und Duns
65. Dabei weiß der Mensch von der res in se so wenig wie von Gott in se. Ockham ist von einer
Welt ausgegangen, die wir haben; sie begründet die Vernunft, aber keine Vernunft, die inhalt-
lich und formal a parte rei sich verdeutlichen könnte. Die Darstellung der Vernunft beschränkt
sich auf die Gleichwertigkeit und die Differenz von Abstraktion und Empirie. Ockham behaup-
tet hier eine gleichwertige Erkenntnis; wenn sie abgestuft ist, so entspricht der Unterschied dem
vorauszusetzenden von Abstraktion und Empirie, so dass hier zumindest kein Widerspruch
eintreten kann (Ord. d. 3 q. 1 OT II p. 393 lin. 5–8): „dico quod coniunctum cum materia ita pot
est intelligi a nobis sicut separatum a materia; immo coniunctum cum materia est illud quod
primo intelligitur a nobis.“ Die Wahrnehmung der res, in welcher sie vorab über das accidens
erkannt wird, dann aber auch secundum formam oder secundum essentiam gedacht werden
kann, führt nicht dazu, dass das accidens, sc. dessen inhaerentia, für forma und essentia bestim
mend gemacht werden kann. Die Abstraktion ist logisch und auch kausalgenetisch in der ani-
ma mitgegeben, genauso wie die Verknüpfung von Substanz und accidens bloß die Implikation
sein könnte. Also muss ich die Substanz auch unabhängig vom accidens denken können; damit
bin ich bei jenen Reflexionen, die das Beweisen oder Einschätzen von Inhaltsfunktion selbst
zum ‘Gegenstand’ haben. Ich kann die Funktion des accidens im Beweis selbst und dann bei Be
trachtung der Beweise suspendieren oder auslöschen. Bei dieser Gleichwertigkeit von Empirie
und Abstraktion kann die reflexive Beweiswertigkeit (oder Beweisunmöglichkeit) auch einmal
einer (in se) unmöglichen empirischen Erkenntnis der res in se ‘entsprechen’, wie ja denn für
Ockham auch schon Begriffe, die der res in ihren partikularen Bestandteilen zugesprochen
werden, sie in se nicht betreffen, sondern bloß als entia rationis in Betracht kommen können.
Diese intentiones sive entia rationis (ib. p. 392 lin. 19f): „non sunt de essentia rei.“ Cf. hier in-
teressehalber auch Anm. 23 o.
66. Etwa besagen, dass eine Pflanze, wie sie als species specialissima gefasst werden kann, im-
mer dieselbe Heilwirkung entfalten kann. Wir wissen da nichts über den genauen Vorgang der
Erkenntnisbildung, wir haben also auch keine Erkenntnis im Vollzug des actus apprehensivus.
Beispiel: vom Gebrauch der ‘falschen Kamille’ wird man abraten, weil sie der species specialis-
sima der echten Kamille (der Heilpflanze), von deren Heilkraft wir wissen, nur ähnlich ist.
Kapitel 13. Naturgrund und Realerkenntnis 617
Scotus werden hier von Ockham kritisiert.67 Doch nimmt Ockham an, dass kirchliche
Lehraussagen solange gelten können,68 wie sie nicht zu einem Widerspruch führten,
i.e. per impossibile widerlegt würden. Damit ist dann der Inhalt der Begriffe bzw. sind
diese selbst als nicht regelgerecht abstrahierte anzusehen. Ockham muss sowohl wo er
Beweisvorstellungen (Thomas) oder Erwiesenheitsbehauptungen (Duns Scotus) we-
gen nicht nachgewiesener Vollziehbarkeit zurückweist wie da wo er Prinzipien und
schon vorgelegte Beweise ablehnt, den Nichtvollzug sei es kritisieren sei es unterstel
len. Im zweiten Fall sieht das schwieriger aus.69 Beide Fälle stimmen darin überein,
dass für sie eine supponierte Implikation reprobiert werden kann70 und damit (refle
xiv) eine consequentia formalis verneint wird. Auch in dieser muss (kann) die Im-
plikation nicht unterstellt werden.71 Auch wo ein (formell) empirischer (kontingen-
ter) Satz nicht approbiert werden kann und nur modalisiert (zur propositio modalis
abgewandelt) gehalten werden kann, muss im Grunde die Implikation und in deren
Sinne (Namen) ein allgemeiner Satz abgelehnt werden.72 Es ist aber so, dass selbst
wenn ‘notitia’ substantia animae „ist“, für diese Idee der Identität ebenso wie für jede
notitia und ihre Funktion im Verstande, den die substantia animae trägt, während
intellectus und anima gleich sind, argumentiert werden muss, so dass an jeder Stelle,
wo eine solche Identität behauptet und hergestellt wird, ihre Zusammengehörigkeit
insofern in Zweifel gezogen oder Abrede gestellt werden kann, wie sie noch ex ac-
cidenti angenommen und darin für (eine) materiell(e) gehalten werden müsste
(könnte).73 Identität ist aber für keine Größe bei Ockham in einer substantia intel-
lectualis angesiedelt oder vorhanden zu denken. Denn dazu müsste eine jede Iden
tifikation, auch die von substantia animae und actus oder notitia einen anderen als
den aus der Argumentation erwachsenden hypothetischen Charakter (Wert) haben,
womit etwas (oder sogleich, dem Exempel entsprechend alles), für das argumentiert
werden könnte, wahr sein könnte oder müsste, und folglich auch vor der Argumenta
tion. Zugleich hätte die Argumentation selbst ‘wahr’ zu sein; dafür gibt es aber keine
Struktur und füglich auch kein Argument. Wir würden es nicht erkennen oder kano-
nisch machen können. So muss ohne ontologische Vorstrukturierung oder Annahme
irgendeiner Art (auch einer solchen, die wir nur wieder per accidens und ex negativo
‘ontologisch’ nennen könnten) argumentiert und dabei alles abgelehnt werden, was
eine solche Vorstrukturierung besaß oder haben musste, nicht zuletzt der ordo con-
ceptuum in der Demonstrationslehre.74 Empirische Aussage und transempirische
sind gleichwertig, aber nicht gleich. Sie korrespondieren in der Weise miteinander,
wie sie auseinander herleitbar differieren und doch nicht unmittelbar logisch sich er-
geben: sie sind für sich und im Verhältnis nicht qua planer Konsistenz definierbar.75
73. Wenn sie doch hypothetisch oder zweifelnd unterstellt wird, entstehen die instantiae; diese
werden dann als bloße Unterstellungen von Umständen abgewiesen, wobei Ockham darauf zu
verweisen pflegt, dass hier die Prinzipien selbst nur akzidentell gelten und damit ‘ersetzt’ wer-
den können; sie ergeben keine Beweise. Keine Beweise im Sinn der Abstraktion; diese werden
dann generell als Induktionen und persuasiones ausgeführt.
74. Für Ockhams Operieren könnte der oberste ‘Index’ sein, dass er Aporien und fallaciae aus-
schalte, in genau diesem Sinn auch jede Anordnung von Begriffen (Prädikaten) und danach
Sätzen, die alle akzidentell oder wandelbar sein mussten, als im Beweissinn insuffizient darge-
stellt habe. Da die Prädikate (passiones) dann keine feste Verbindung haben können (müssen),
wird eine Beweisoperation, die eine Implikation darzustellen oder vorauszusetzen hätte, ent-
fallen. Sie wird diesen Charakter nicht mehr haben und daher als nicht determinat verneint.
Ockham sieht quasi Folgerungsreste und schließt Folgerungen aus, die als solche die significatio
im Folgerungsrest ausschließen (ersticken) müssten; infolgedessen kann er eine determinatio
als Bezeichnung der Inhalte ohne Folgerung handhaben und entsprechend Induktionen und
Widerlegungen. Warum dies nicht als Technik lehrbar war und verstanden und übermittelt
worden ist, wissen wir nicht. Es haben hier wahrscheinlich die von Aristoteles übermachten
Schematismen prägende Macht ausgeübt, ohne, anders als M. Heidegger es auslegte, quasi
anstelle der Gedanken selbst zu stehen und dem Urteil keinen Platz zu lassen; sie verpflich
teten auf einen Vollzug, der doch keinen ausgedehnten und vollen inhaltlichen Wert mehr
haben konnte. Dem Schema widersprach Ockham methodisch und damit vorgreiflich. Abai
lard konnte nicht recht haben, wenn er die fallacia dort sieht, wo die Folgerung nicht gezogen
worden sei. Der Folgerungsrest wird Widerspruchsmoment.
75. Wie die empirische Geltung (und Genesis) von Begriffen der abstrakten Geltung per di-
vinam potestatem anzusetzenden ‘entspricht’ (wie sie einander nicht widersprechen, ohne dass
sie in dem Sinne nach einem logischen Gesetz herleitbar wären) zeigt Ockham auch, wenn er
den Modus de potentia divina absoluta coniunctim (also modo composito) auf Realgegen-
stände bezieht oder deren Begriffe anwendet, die er zuvor empirisch nach der distinctio realis
Kapitel 13. Naturgrund und Realerkenntnis 619
Indessen gilt allgemein, dass Ockham, wenn er die Beweisbarkeit oder Zuläs-
sigkeit von Meinungen oder Annahmen ausspricht, implizit eine beweistheoretische
Obligation erörtert, i.e. vom Beweisen und der Beweismöglichkeit in genere und im
Sinn der Erörterung von logischen Akzeptabilitäten spricht. Das schließt die reflexive
Bewertung von Logik resp. Folgern ein. Ockham spricht bei allen seinen Themen
inhaltlich mit Bezug auf die Beweis- oder Operationsstruktur, die diesen Inhalten
nicht neutral gegenübersteht, bloß beitritt oder als Untersatz dient; er kann also
diese Inhalte weder semantisch vorformulieren und präjudizieren noch eine Logik
benutzen oder gebrauchen, die selbst semantisch sei es fundiert, sei es komplettiert
sein könnte. Es gibt für Ockham also kein Bewerten und Entscheiden von Meinun
gen nach ihrem Inhalt, ohne diese Mitbetrachtung der logischen Struktur, sei es des
divisim (modo diviso) ansetzte. Das Folgende kann nicht gültig sein, wenn es nicht alle Logik
in sich einbegreift oder aber distanziert oder ausscheidet (Ord. d. 2 q. 4 OT II p. 115 lin. 4–7):
„quando aliqua res realiter distincta ab aliis rebus potest esse sine qualibet earum divisim, et
hoc per naturam, et non dependet essentialiter ab aliqua illarum, potest esse sine aliqua illarum
coniunctim, et hoc per potentiam divinam.“ Es ist klar, dass es sich damit nicht um ein re-
ales Sein im Sinne der von einander realempirisch unterschieden angenommenen res handeln
kann, von denen man ausgegangen ist; folglich handelt es sich um etwas (um ein Prinzip), das
nicht im Sinne des Widerspruchssatzes anzusetzen oder verbunden ist. Die potentia divina
absoluta als Modus ist modo composito vom Satz prädiziert und die Erkenntnis gilt nur dem
Satz, nicht der Realität. Der modo composito applizierte Modus meint eine mit der omni-
potentia supranaturaliter zu denkende Möglichkeit, keine auf der Basis der distinctio realis
naturaliter angenommene Einwirkung Gottes. Die muss ausgeschlossen sein; denn sie machte
keinen Sinn. Die per distinctionem realem schon empirisch zu denkende Trennung muss ja
nicht durch Gott hergestellt werden; es würde ja hier nur eine Abänderung, eben Verbindung
der res Sinn machen. Die soll aber gerade ausgeschlossen sein. Sie ist die Grundlage der Ope-
ration oder des Prinzips, der Steigerung oder Abstraktion oder was immer man will. Es kann
einfach nichts anders sein als F. Hoffmann, 1941 p. 47 sagt: „Also sind nicht die substantiellen
Dinge der Außenwelt, sondern nur die Begriffe und Satzgebilde Gegenstand unseres Wissens.“
Ockham war aber dennoch von den empirischen per distinctionem realem unterschiedenen
Dingen (res) ausgegangen; sie sollen doch wohl erkannt werden. Davon gelten denn auch die
Begriffe, den res gleichgestellt (ib. p. 134 lin. 4–6): „scientia realis non est semper de rebus
tamquam de illis, quae immediate sciuntur sed de allis pro rebus tamen supponentibus.“ Von
diesen, von denen dann die Wissenschaft (aber immer noch scientia realis) reflexiv geht, gilt,
dass auch sie für reale Gegenständen supponieren. Neben dieser scientia realis gibt es auch
eine scientia rationalis. In ihr supponieren die Begriffe nicht mehr für res extra animam. Wir
widersprechen hier der Logik nicht; aber wir entsprechen ihr auch nicht. Wir drücken etwas
aus oder definieren sprachliche Ausdrucksmittel so, dass in ihnen etwas gedacht wird, was dem
Widerspruch(ssatz) entzogen wird. Cf. L. Wittgensteins, 1921, Satz 3.032: „Etwas ‘der Logik Wi-
dersprechendes’ in der Sprache ausdrücken kann man ebensowenig wie in der Geometrie eine
den Gesetzen des Raumes widersprechende Figur durch die Koordinaten darstellen; oder die
Koordinaten eines Punktes angeben, welcher nicht existiert“, gilt vielleicht nicht in der Reflexi
on der sprachlichen Mittel nach ihrem Aufbau, der dennoch sinnvoll bleibt. Als Sprachtheore-
tiker leistet Ockham einen Beitrag, der nicht unter das Schema der logischen Positivisten fällt.
620 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Beweisens, sei es des Operierens und ebenso wird eigentlich über dieses Beweisen
oder Operieren nach dessen Wertigkeit(en) mitentschieden, also über dessen Eig-
nung befunden, determinate Inhalte zu liefern. Insofern werden die thematischen
Thesen oder deren Verneinungen nicht direkt geliefert oder angegangen. Die Ver-
neinungen stoßen indessen direkt an die Strukturen und vermischen sich mit deren
Präparation. Sie sind daher Verneinungen und Begrenzungen der Strukturen im Hin-
blick auf die Zulässigkeit von Operationen (Implikationen), i.e. im Hinblick auf die
Fähigkeit und Tauglichkeit für den Ausdruck von Meinungen. Diese sind quasi im
Sinne einer Möglichkeit (oder: Möglichkeit eine Sache zu betreffen) nicht existent,
wenn nicht die Struktur probat ist. Beider Probatheit, also Probatheit des Inhalts einer
opinio (These) und Probatheit der Struktur, ergibt die Determinatheit des behandel-
ten Satzes, wobei dann die Implikation als ein Negativzeichen, als ein Index fungiert.
Die These (opinio) aber ist jeweils eine implizit strukturierte. Danach eine akzeptierte
und eben determinate. Ein fiktiver Sachgehalt wird so konstituiert.76 Das gilt so für
die Aussagen von Gott.77
76. Der nicht determinate Satz ist auch nicht intellektiv und wenn passiones in einem Syllogis-
mus oder für eine Kette von Syllogismen für diese Verwendung nicht zwingend (zulässig) sind,
dann sind sie in diesem Sinne nicht determinat und nicht intellektiv. Der Syllogismus ist wie
Ockham das express nennt ‘non faciens scire’.
77. Die Unterscheidung zweier Stufen oder Typen von Sätzen für Gott und den Menschen folgt
derselben Regel, dass das Empirische dem Göttlichen nicht widerspreche, ihm aber auch nicht
als Bedingung und Unterlage dienen könne. Was von Gott gilt, gilt in Übereinstimmung mit
dem Gebrauch derselben Begriffe von den Geschöpfen oder der geschaffenen Welt außerhalb
Gottes, aber im Sinne einer eigenen Definition des Satzes, der damit intensional (= modal)
einen eigenen Sinn oder Status bekommt (Ord. d. 2 q. OT II p. 72 lin. 12–14): „Deus non est sa
piens quia est causa sapientiae creatae, nec quia continet eminenter sapientiam creatam, sed se
ipso – omni alio circumscripto – simpliciter est sapiens et ipsa sapientia.“ (zum Satzbau: Deus
est sapiens non quia …) Wir müssen also für Gott mit seinen Eigenschaften einen außerhalb
der Empirie geltenden Satz ansetzen können. Das ist die Basis des theologischen Sprechens,
auch mit und mittels der distinctio formalis oder bei den attributa (z. B.) die sola ratione un-
terschieden (ib. p. 66 lin. 3–10), in einer Vernunft anzunehmen sind, die die des Menschen ist
und bleibt und daher ihre Bedingungen so wahrt, dass sie den Status des Menschen definieren
und auch gegenüber dem Gegenstand abgrenzen, der ein anderer ist als die res, die uns zugäng-
lich sind, einschließlich unserer selbst (ib. p. 72 lin. 20f): „concedo quod sapientia est quid ita
absolutum a respectu ad creaturas sicut ipsa deitas vel essentia.“ Der Begriff und das Denken
aber bleiben menschlich. Es gibt sogar ein induktives Argument dafür (ib. p. 73 lin. 2–8): selbst
wenn kein Geschöpf und kein göttlicher Gedanke an es wäre, so wäre doch Gott; doch (lin. 6)
„hoc commune ens non esset.“ Es gilt also im umfänglichsten Sinne, dass Begriff und Denken
menschlich sind und bleiben. Sie wären ohne uns nicht. Dennoch grenzen wir uns gerade mit
dem was wir zur logica sagen von jenem Gegenstande Gott ab, den wir gleichwohl von uns
sowohl unterschieden wie schlüssig, unwidersprechlich, analog und univok, mit den gleichen
Begriffen jedoch nach einem intensional (modal) differenzierten Satztypus aussprechen. Die-
ser Satz ist damit determinat und entbehrt der Referenz zur Welt, welche in dem Sinne auch
Kapitel 13. Naturgrund und Realerkenntnis 621
Dabei erscheinen die inhaltlichen wie die der Struktur angehörigen (inhären-
ten) Größen als Relationen, einmal in Bezug aufeinander, dann aber insbesonde-
re wie (wenn) sie für die Erörterungen Ockhams betrachtet werden. In dieser Be-
trachtung können sie reflexiv gar nicht anders mehr denn als Relationen betrachtet
werden und sie stehen reflexiv in einer Beziehung zueinander, für die Ockham die
logische und die kausale Zwangsläufigkeit (Notwendigkeit) verneint, bestreitet oder
eben widerlegt. Er verneint die Implikation, die er dabei doch vorzugeben hat, also
theoretisch selbst in seinen Betrachtungen werten (bewerten) oder wie wir oft ge-
sagt haben: reduzieren muss. Die Betrachtung zur Logik muss damit zu einer die
Implikation notwendig außerlogisch betreffenden Bewertung werden. In ihr erschei-
nen Logik und Beweisen überhaupt reduziert. Wir haben uns bemüht zu zeigen, dass
hier die Induktion, die persuasio und die reprobatio (Widerlegung) eintreten, ohne
die Gegenbehauptung per tertium non datur.78 Die Kausalität bleibt beherrschendes
Thema für diese Größen oder Relationen im Sinn der Erzeugung, wenigstens dann,
wenn wir zur reflexiven Betrachtung gelangen oder die Reflexion in die Bestimmung
der einzelnen Größen oder Erscheinungen in anima zwangsläufig einbeziehen müs-
sen, etwa wenn wir von der ratio subiecti u. ä. sprechen. Hier muss die Relation, die
doch zuzugestehen (vorauszusetzen) war, also thematisch (mit)gegeben ist, da das
subiectum ja subiectum eines Satzes und damit einer zugehörigen passio ist, letztlich
wieder gekappt werden, weil sie nicht in den Begriffsgehalt eintreten kann, so das
accidens oder die passio, wenn wir kontingente Sätze bilden.79 Hier kehrt sich das
Verhältnis der Faktoren in kausalgenetischer Betrachtung um. Immer stoßen wir uns
dabei an der Implikation, die keine kausale Relevanz mittragen kann und also auch
nicht gemäß einer solchen gedeutet werden kann.80 Die Kausalität bleibt für Ockham
per Implikation ausgedrückt werden könnte. Die Frage ist, ob ausgesprochen auch gedacht zu
heißen habe.
78. Von hier aus ist Ockham außerscholastisch zu sehen; er präludiert einer anderen Epoche,
ohne ihr auch ausnehmend anzugehören. Sie teilen nicht die Erörterungsform.
79. Kontingente Sätze haben wir dabei immer, selbst wenn wir ihnen unter anderen Aspekten
weitere Bestimmungen geben können, etwa vermöge ihrer Stellung im Syllogismus necessariae
propositiones zu sein. Determinatheit kann, wie das im Sinne des Begriffsverständnisses sein
muss, wandelbar zukommen: ein Satz kann als kontingenter determinat sein, aber nicht in
einen Syllogismus mit einer intellektiven Funktion integriert werden. So ist er nicht determi-
nat nach dem Syllogismus. Die Intellektion besteht nicht absolut secundum actum intellectus,
worin kein actus mentalis praeter respectus sive relationes als intellektiv oder Intellektion mit-
tragend verstanden werden kann.
80. Derart gibt es bei Ockham auch keine Kausalität im Sinne von Notwendigkeit und vice
versa keine Notwendigkeit im Sinne von Kausalität. Dass eine consequentia physische Kausa-
lität und darin Notwendigkeit meinen könne, hat G. E. Moore bestritten. Also in diesem Sinne
reale Geltung oder Gegenwerte besitze. Cf. Kap. 1 Anm. 122. Wir sind in der Neuzeit, in welcher
Kausalität nicht selbst in Form eines Gesetzes physikalisch und Notwendigkeit nicht direkt
logisch ausgesprochen wird. Notwendigkeit und Kausalität waren indes für H. Blumenberg,
622 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Bestandteil der Abstraktion, wenn die Reichweite der Termini inhaltlich wie/= formal
erklärt werden soll.81 Die formale Erklärung der Termini aber fällt mit der Suspen-
sion der Logik zusammen. Denn hier beweisen (widerlegen) wir, indem wir zeigen,
dass eine forma oder was den Begriff ‘forma’ zugeteilt erhält, nie über eine explicatio
aufgefasst werden kann, die ad rem extra intellectum und zur in der res vorfindli
chen singularitas, deren Komposition von ‘instantiae’ im Status striktester Individua
lität, führen könnte. Die über den ‘habitus (mere) declarativus’ und qua ‘theologia
explanativa’ anzugebenden Wissenschaftsverständnisse des Petrus Aureoli82 und des
Durandus von St. Pourçain,83 zweier für Nominalisten oder wenigstens Vorläufer des
1966 die Topoi, unter denen sich wissenschaftsgeschichtlich das innigste Selbstverständnis des
Menschen sollte angeben lassen (ib. p. 393f). In Phrasenform p. 389: „Das große Weltversteck
spiel des verborgenen Gottes im Nominalismus des späten Mittelalters, das Descartes zum Ver
dacht des universalen Betruges eines Dieu trompeur steigerte und in der Begründung aller
Gewissheit auf die absolute Subjektivität zu durchbrechen suchte usw.“ Im großen Bogen der
Relationen geht die faktische Textdeutung unter. S. Anm. 81.
81. Kausalität, die mit der Genese der Begriffe und Sätze in mente und dort auch der Bezie-
hung der actus und notitiae verbunden ist, wobei der habitus bereits die empirische Dimension
zu überschreiten beginnt, bleibt für Ockham innerhalb der Abstraktion in einer Nennqua-
lität erhalten und als Prinzip gewahrt, dies auch wenn Gott per suam potentiam absolutam
‘interveniert’, i.e. für hypothetische Abwandlungen in Anspruch genommen wird, mit denen
Ockham der Egalität von Kausalität und Ableitbarkeit widerspricht. Freilich war Kausalität un
entbehrliches Element der Gottesbeweise. Nach H. Blumenberg, 1966 p. 371f diente schon der
scholastische Gottesbeweis als eine vermeintlich verfehlte Bemühung nicht bei der Bewahrung
mittelalterlicher religiöser Gesinnung, sondern „bereitete“ wie der nominalistische Gebrauch
des Omnipotenzprinzips, worin „dem Menschen nochmals seine Weltgewissheit negiert“ wor-
den sei, „die humane Gegenfunktion vor, die der theoretisch-technische Akt der Beschränkung
annehmen wird“: in der neuzeitlichen Naturwissenschaft. Das ist die These (p. 343: „Die Steige-
rung der Theologie ((die Ockham angeblich betrieb)) zu ihrem maximalen Anspruch gegen die
Vernunft ((gegen die Ockham angeblich stand)) hatte das unbeabsichtigte Resultat, … die Kom
petenz der Vernunft als Organ einer … sich von der Tradition befreienden Wissenschaftlichkeit
vorzubereiten.“ Die theologische Prävalenz wird scheinbar belegt p. 343 Anm. 251: „Prologus
III (Quelle?) 9 CC: … dico quod theologia nostra non est de omnibus nec complexis nec in
complexis: quia intellectus vix sufficit ad illa quae sunt necessaria ad salutem.“ Ockham sagt
au contraire, dass, obwohl mit jedem Begriff und Satz eine der theologia (im weiteren Sinn)
zugehörige passio verbunden werden kann, damit für eine theologia, primo modo verstanden,
kein der Erforschung würdiges Thema gesetzt sei. Dem gilt das non. Blumenberg p. 343 will
den Satz „umverstehen“, um ihn hermeneutisch recht zu treffen. Ähnlich p. 303 Anm. 184 einen
anderen Satz. Ockham mischt Prol. Ord. q. 9 OT I p. 273 lin. 20 – p. 274 lin. 24 Metaphysik und
theologia im weiteren Sinn; letztere „habet … de quolibet ente in particulari considerare“. Das
ist innertheologisch indes wenig relevant. Aber eben auch nicht naturphilosophisch.
82. Cf. A. Teetaert, art. P. Aureoli in: DTC 12, 1 1935, cc. 1810–1881, c. 1857; R. Dreiling, 1913
p. 201f.
83. Cf. S. F. Brown, Vortrag auf der Durandus-Konferenz 2012, Kongress-Bericht 2012, p. 6f.
Kapitel 13. Naturgrund und Realerkenntnis 623
Nominalismus gehaltener Autoren, lassen sich da nicht für einen Vergleich heranzie-
hen. Nur Duns Scotus bietet Anhaltspunkte, die bezüglich der deduktiven Struktur
vielfach sich werten lassen.
Anders als Duns Scotus deduziert Ockham nicht im Sinne einer begrifflich-sach-
lichen Einerleiheit oder Verbundenheit mit der Welt in Gott hinein. Gott ist von der
Welt getrennt; er ist ihr terminus exclusivus wie anders der Widerspruch, der in der
secundum se singularis res insofern gegründet ist, als er dort nachweislich so we-
nig ‘ist’ wie was in seinem Sinn negiert wird. In dem Sinn liegt er selbst als Rand-
bedingung außerhalb der Welt. Er begrenzt auch nicht Gottes Allmacht; denn was
secundum omnipotentiam divinam nicht geschaffen (gemacht) werden kann, kann
nullo modo sein; es kann eo ipso nicht sein. Andernfalls wären omnipotentia und was
sie vermag nicht determinat, sondern per fallaciam bestimmt. Also wird die Allmacht
Gottes nicht durch das Widerspruchsprinzip begrenzt.84
Duns Scotus sucht ihrer Natur nach angeblich, aber unerwiesenermaßen kon-
tingente Einwände gegen ein allgemeines Prinzip probeweise geltend zu machen, um
die Deduktion voranzubringen, wo diese in der Flaute sich befand; er weist dann den
casus als bloß besonderen ab, der nichts zur allgemeinen Sache tue, um die Dedukti-
on mit dem neu eingeführten allgemeinen Prinzip voranzutreiben; damit bleibt das
Verhältnis von Prinzip und Einwand ungeklärt; es kann logisch und im Sinne einer
womöglich intensionalen Implikation nicht bestanden haben. Ockham operiert gar
nicht im Rahmen solcher nur scheinbar konstituierten Deduktion und nicht nach
einem impliziten Verhältnis von Allgemeinheit (Prinzip) und Kontingenz (auszu-
scheidendem casus). Instantiae benutzt er reihenweise und er übersteigt sie mittels
Widerlegung, persuasio und inductio via die Formeln ‘non est inconveniens’, ‘non est
maior ratio quod (non)’ etc., wobei er Scotus’ Deduktion nicht beibehält, sondern
aufbricht. An dem Punkt muss die absolute Ontologie selbst ausgeschieden werden.
Sie liefert keine Formative gegen Einwände, wie sie es bei Duns Scotus u. a. tun soll.
Ontologisch kann bei Ockham nie anders als im Sinn der Klassifikation von termini
(conceptus) argumentiert werden, das heißt: für diese Klassifikation. Wenn sich dann
Widerlegungen ergeben, so haben diese die Definitheit der termini genau im Sinn
der Abweisung einer ungemäßen Folgerung ergeben, die als (ein) Inhalt verstanden
84. Anders H. Blumenberg, 1966 und H. Schröcker, 2003. Der Widerspruchssatz, determina-
tive an einen Satz oder eine Feststellung angefügt, würde im Sinne des Schlusses, den das zu
bedeuten und/oder zu ersetzen hätte, die Indefinitheit und Nichtsignifikanz aller inhärenten
Größen (Faktoren, Begriffe) besagen, also den gegenteiligen Effekt. Meinung und Faktum stün-
den ‘a priori’ und synthetisch im Gegensatz zueinander. Aber das Widerspruchsprinzip kann
in den accidentia, an denen die faktische Grenze für die Allmacht nach Ockham liegt, nicht
greifen und nicht konstituiert werden. Gott vermag nichts über die Akzidentalität in se. Von
dieser Akzidentalität aus kann nicht die Identität im begrifflichen relationalen Sinn aufstei
gen. Ockhams reprobationes oder Erklärungen von non-repugnantia lauten nicht im Sinn von
Widerspruchssatz und existentia in se. Sie könnten da nicht an die Determinatheit anknüpfen
oder die Definitheit im Sinn haben.
624 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
werden müsste, der mit einer Folgerung gleich (äquivalent) wäre. Das weist Ockham
in diesem Sinne ab. Die Ontologie wird bei Ockham insoweit erklärt und entspre
chend festgehalten, wie sie die ausgeschalteten Konsequenzen nicht erfordere oder
zulasse. So ist sie eigentlich secundum implicationem non admissam sei es erhalten
sei es relegiert worden. In summa: die Ontologie kann keinen Maßstab der Deduktion
respektive der in dieser Form traktierten Inhalte bieten; sie kann mit Widerlegung
und dann Induktion und persuasio konform gehen, aber der reductio ad absurdum
selbst noch unterworfen werden. Aber sie kann auch in der Weise keinen Maßstab
abgeben, dass sie über Gottes Sein entschiede; indes werden die Funktionen Gottes
doch nahezu oder annähernd ontologisch ausgedrückt werden können, zum Beispiel
mittels oder hinsichtlich des Begriffs der forma und dies gegenüber der materia. Dem
tritt dann auch die potentia divina absoluta funktionell bei, welche also weder onto-
logisch verankert sein kann noch gegen die Welt stehen darf. Die potentia absoluta
und die potentia ordinata sind nicht gegensätzlicher Natur. Anders ließe sich kein
Argument Ockhams bei irgendeinem Thema, das der Behandlung in Form von pro
batio, persuasio, reprobatio, inductio etc. bedarf, nach der argumentativen Qualität
bewerten. Es gibt bei Ockham keinen Gehalt außerhalb der argumentatio. Sollen
potentia absoluta und potentia ordinata kontrastieren, werden Ockhams Verfahren
und Argumente unerkennbar.85 Der Widerspruch beruht bei Ockham auf keiner Be-
grifflichkeit, denn er müsste in der Sache (res) gegründet sein, deren Komposition
wir nicht in ihnen, sondern denn auch nur an den Begriffen abzulesen hätten und nur
daran ablesen könnten. Wir müssten ein complexum in der Sache suchen, das wir aus
den Begriffen nie gewinnen; so ist die Beweislehre Ockhams denn auch nicht auf ein
ex re secundum rationem causae angelegt.86
Ockham definierte Erkenntnis, exemplarisch in der Demonstrationslehre, die wir
behandelt haben, indem er den Begriffen einen Konnex untereinander verweigerte,
der (die) Erkenntnis, die dann in der Form der Deduktion abzulaufen gehabt haben
könnte, automatisiert hätte, i.e. wenigstens hypothetisch eine Parallelität von sach-
licher Zwangsläufigkeit und epistemologischer bedeutet haben würde. Duns Scotus
hatte sich dessen nicht enthalten können. Er hatte damit analytisch und synthetisch
aliquomodo gleichsetzen und das Erkennen oder Deduzieren von der logischen
85. Mit der notitia intuitiva wird ein empirischer Begriffsgebrauch angesprochen, der kein ei-
gentlich deduktiver mehr sein kann; hier muss dann für unsere Verhältnisse (=pro statu isto)
die persuasio kompensieren.
86. Cf. Prol. Ord. q. 2 OT I p. 97 lin. 7–14: „Si dicatur quod Philosophus (lin. 3f Ockhams An-
gabe I Posteriorum) accipit ibi causam non pro causa incomplexa contra: Philosophus dicit ibi
expresse ‘cum arbitramur causam cognoscere per quam res est’, non ‘per quam complexum est’.
Similiter II, Posteriorum dicit ‘scire opinamur cum sciamus causam’ et immediate exemplificat
de quattuor causis, quae sunt causae rerum non complexorum. Idem videtur sentire I Physi-
corum, in prima libri.“ Aber die definitio realis steht höher als die definitio nominalis!
Kapitel 13. Naturgrund und Realerkenntnis 625
87. W. V. O. Quine, From a Logical Point of View, ²1961 verwirft die Unterscheidung von ana-
lytisch und synthetisch und hält die Analytizität für durch die logische Tautologie nicht ausrei
chend begründet. Auch dies zwei Momente, um zu sagen, dass Duns Scotus nicht wahrhaft und
eigentlich deduziert haben kann und dass seine cognitio (dabei) keine significatio betroffen
haben kann. Auch dies eben eine genuin nominalistische Kritik.
88. Es wäre denkbar, dass die realistische Ontologie hier eine Pseudokausalität übernommen
und bestimmt hätte, oder aber mit der Gleichheit von Kausalität und Geltung alle Erkenntnis
im Vorhinein vertan hätte, i.e. wenigstens ihr vorgegriffen haben müsste. W. Chatton ist für uns
das Exempel, das zugleich darin eine Auszugsgestalt verkörpert und weniger im Sinne implika-
tiver Kritik behandelt werden muss wie es bei Duns Scotus der Fall ist.
89. Wenn sie von Ockham als Folie im Beweis für persuasiones u. ä. gebraucht wird, wird eben
dieser Faktor der schwierigen, am Ende wohl problematischen Trennung der Begriffe in der
propositio per se nota als Negativmoment gesehen, von dem aus die Induktion mit der Entfal-
tung differenzierender formaler Bestimmungen der Begriffe untereinander zur Bestimmung
eines besonderen Satzcharakters anheben oder aufsteigen kann.
90. Die dabei pro statu isto und secundum analogiam, nicht als aus der Sache selbst geschöpft
oder zutreffend erscheinen sollen, indes aber, insoweit sie Begriffe sind, univok bleiben. Eine
consequentia formalis, die ex aliqua cognitione divinae essentiae selbst geschöpft in eine co-
gnitio überleitete, die wir pro statu isto haben könnten, gibt es nicht. In dem Sinn bedeutet die
consequentia formalis auch einen engen Zusammenhang zwischen empirischen Begriffen und
Verhältnissen und kann so noch einen Syllogismus definieren.
91. R. Grass, 2003 p. 124 Anm. 87 nennt die propositio per se nota der modernen ‘analytisch-
wahren Aussage’ äquivalent. Doch s. Ockhams schwierige Definition (Beschreibung) + die be
weistheoretische Widerlegungsrolle. Ockham verbindet die propositio per se nota auch mit der
consequentia formalis, die syllogistischer Natur ist und nicht nur begrifflich ‘wahr’. Cf. Ord.
d. 4 q. 1 OT III p. 15 lin. 1–20. Nach p. 204 Anm. 267 galt der Satz ‘Deus est’ allgemein den Scho
lastikern als propositio per se nota. Nicht für Ockham. Cf. Quodlibeta I q. 1 OT IX p. 2 lin. 27f.
Ockham geht dabei von betont menschlichen Bedingungen aus: es gibt Menschen, die an der
626 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Wahrheit des Satzes zweifeln. Damit wird keine jenseitsweltliche Einsicht in den ‘Satz’ unter-
stellt, die Grass anführt und zur begrifflichen Natur des Satzes nicht a limine stimmt. Die ad
hoc Hypothese der jenseitsweltlichen ‘Erkenntnis’ führt und stimmt für Ockham nie zur dann
strikt innerweltlich menschlichen. Jenseitsweltlich ist ein Syllogismus auf Basis verschiedener
Erkenntnismedien möglich = mit unseren Bedingungen kompatibel.
92. Die Gotteslehre wird Ockham nicht auf extensional verstandenen Begriffen aufbauen. Cf.
Quine, 1961 p. 9: „Die Klasse aller Entitäten, von denen ein Universalterm wahr ist, wird Exten-
sion des Terms genannt.“
93. Hier mussten aristotelische Prinzipien zur Kontingenz hin korrigiert werden, so dass
Ockham die darin implizierte Allgemeinheit oder Notwendigkeit bestritt. Außerhalb dieser
Annahme konnten sie gelten. Damit war ihre deduktive Verwendung à la Duns Scotus un-
möglich. Andererseits war es möglich, dass sie in Bezug auf die Erklärung der syllogistischen
Deduktion, wie Ockham sie formal bestimmte, kasual durch instantiae widerlegt werden konn-
te, so dass eine generelle und zwangsläufig tautologische Verwendung respektive Bedeutung
damit nicht verbunden sein konnte.
94. Hier lieferte die nach Ockham brüchige, jedenfalls nicht kontinuierliche Ordnung der pas-
siones den Einwand. Da aber die passiones formal bestimmt wurden gibt es einen Übergang
von Anm. 89 nach hier.
Kapitel 13. Naturgrund und Realerkenntnis 627
Das gilt dann auch für die physischen oder physikalischen Wahrheiten; Ockham
gibt sie als gebrochene im Sinn der mit substantia und accidens veranlagten Teilun
gen:95 „illud quod causatur in medio a colore est eiusdem rationis cum eo a quo cau
satur“. Glas und Wasser könnten, meint man, das medium sein, das der Lichtstrahl
passiert. Ockham sagt aber:96 „aer potest recipere verum colorem eiusdem rationis
cum colore a quo causatur.“ Er will für das Licht im ‘Reflex’ keine neue species an-
setzen, was gegen das Ökonomieprinzip sei:97 „pluralitas non est ponenda sine neces
sitate. Sed nulla apparet necessitas ponendi tales species productas in medio alterius
rationis ab obiectis a quibus causantur.“ Es gilt:98 das „positivum receptivum in medio
tamquam in subiecto habet esse materiale et reale et est exsistens in re.“ Der Lichtwi
derschein, wie er sich für Ockham schon im Lichtstrahl in der Luft abzeichnet, ist
nicht aus der Lichtquelle abzuleiten; diese wird nicht durch ihn bestimmt oder ermit-
telt. Die Erklärung der Welt erfolgt also nicht nach dem Widerspruchsprinzip. Dem
accidens gleich, als das der Lichtreflex erschien, kann hier nicht von der Seite einer
res in se analytisch noch für eine Qualität argumentiert werden, welche substantia
gewesen wäre, obwohl essentia und relatio nach dem Bezug auf ein/das subiectum
für Ockham identisch waren.99 In bestimmter Weise kann die Realität (Welt) nicht
95. Rep. III, q. 2 OT VI p. 86 lin. 4–6. Grundlegend schon p. 59 lin. 4f: „ab obiecto visibili non
causatur in medio aliquid alterius rationis ab ipso.“
96. Ib. p. 63 lin. 19f.
97. Ib. p. 59 lin. 11–13. Weder eine ratio (deducta ex principiis per se notis) noch Erfahrung
nötigen zur Setzung der species, die gänzlich unsichtbar sind (ib. lin. 13–15).
98. Ib. p. 83 lin. 8f. Dabei sagt Ockham ausdrücklich (lin. 9f): „de absolutis loquor“, also nicht
von accidentia.
99. Das Ökonomieprinzip begrenzt oder verwehrt den Übergang aus der species auf das acci-
dens. Es begrenzt oder hebt auf den Gebrauch der Widerspruchsprinzips oder die etwaige Be-
gründung von Tautologien in der Realität. Wir definieren so Erkenntnis nicht nur nicht ontolo
gisch, sondern auch nicht irgendwie gegenstandsgleich oder gegenstandsähnlich. Erkenntnis ist
nur definiert, indem die Teile der Erkenntnis, im Prinzip Mittel, ein integrales Verhältnis unter
unserer Enthaltung vom Widerspruchsprinzip erhalten. Diese Integralität der Erkenntnis, die
für die menschliche Subjektivität stand, waren Ziel und Leistung Ockhams. Sie wird auch hier
gewahrt.
628 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
100. Ockham legt von vornherein Wert auf die Wirkung, die per distans erfolgen soll. Diese
Wirkung per distans ist gleich zwischen den Dingen der physischen Welt wie wenn das obiec-
tum auf den menschlichen Geist wirkt, der es erkennt (Rep. III q. 2 OT VI p. 55 lin. 22 – p. 56
lin. 2): „obiectum distans ab angelo et a me potest intuitive videri ab angelo et a me, etiam si per
potentiam divinam obiectum nihil causet in me, nec speciem, nec cognitionem.“ Man erkennt,
wie Gott die Wirkung des Objekts auf mich oder den Engel verhindern könnte: im Sinne einer
Einwirkung aus das, was in mir etc. akzidentell vorhanden ist, etwas womit ich etwa vielleicht
‘Zeit’ (z. B.) ex infimo in mir erfahre. Ich könnte die Zeit durch einen motus „erfahren“, der
zwischen zwei infinitesimalen instantiae stattfände. Durch eine Bewegung in Form eines Elek
tronenaustauschs in physiologischen Prozessen. Auch hier würde man die Implikation wohl
nicht ansetzen können, wie nicht zuletzt die Quantentheorie gelehrt hat. Die Zurückdrängung
des Widerspruchsprinzips wird mit physikalischer Erkenntnis gleich.
101. Es macht wenig Sinn, Ockhams geschichtlichen Einfluss über von ihm ausgehende Aus-
rufungen von Grundsätzen erklären oder dann auch reduzieren zu wollen. Ockhams Philoso-
phie löst ein Problem; aber sie löst es nicht integral in der Definition der Substanz des Erken-
nens oder Wollens als Vermögen des Erkennens. Danach konstituierte sich das neuzeitliche
Erkennen als eines einer formellen Ontologisierung des Subjekts, für das Leibniz und Spinoza
die alten Mittel verwenden, die sie zugleich als Insignien der Herrschaft des Subjekts über eine
ihm äußere Objektwelt (Realität) ausrufen (postulieren). Diese Herrschaft ist damit scheinbar
(fingiert).
102. Er mag hier sogar seinen Ausgangspunkt gehabt haben.
103. Rep. III q. 2 OT VI p. 85 lin. 6–17 „credo enim quod omnia iudicia quae attribuuntur sen-
sui respectu obiectorum sunt actus intellectus, quia statim quando sensus habet operationem
circa sensibile, habet intellectus cognitionem intuitivam respectu eiusdem, qua habita potest
intellectus complexa formare et de eis iudicare per actum assentiendi vel dissentiendi, et quia
istae operationes sunt ita connexae, ideo non praecipitur utrum iudicium tale sit actus sensus vel
intellectus. … Mirabile (W 1495 add. enim!) est quomodo sensus potest iudicare, cum iudicare
sit actus complexus terminative et praesupponat apprehensionem sicut formationem complexi
quod non potest fieri per potentiam sensitivam.“
104. Ockham will, wie gezeigt, die intramentalen Größen nicht unbedingt oder demonstrier-
bar distinkt (distinktiv) sehen oder kann es nicht. Er ist auf persuasiones angewiesen, bei denen
Kapitel 13. Naturgrund und Realerkenntnis 629
Aber in einer bestimmten Weise erschließt Ockham die Materialität doch, wenn-
gleich er nicht die Induktion für diese Erschließung präpariert hat: denn wo er Kon-
tradiktion und Kontradiktionsprinzip intensional negiert, wird, da mit dieser Nega-
tion ein Moment der Realität gewahrt oder erhalten bleibt, ein Strukturmoment für
die Realität sichtbar. An dieser Stelle gilt das Omnipotenzprinzip. Es entspricht dieser
Versichtbarung, während es argumentativ für eine intensionale Sicherung und Be-
gründung von Aussagen per Induktion oder in Form der persuasio gebraucht wird.
Das Omnipotenzprinzip ist da an die Stelle des Widerspruchsprinzips getreten, doch
für die Deklaration von darin intensional verstandenen reflexiven Aussagen oder
auch Begriffen, die wie ontologische (z. B. substantia, accidens, qualitas, relatio) rea
lia und die erkenntnistheoretischen, wie notitia, actus, habitus, potentia intramentale
Größen meinen können. Ockhams Argumentation enthüllt so eine Struktur, die we-
sentlich mit Abstraktion zu tun hat, darin den Realbezug nicht ausschließt, aber die-
sen Bezug nicht gleichwertig mit dem Ausdruck versteht, der, wenn er Erkenntnis nur
‘meint’, sogleich die Erkenntnis besagt:105 die mit dem reflexiven Ausdruck bezüglich
der Erkenntnis unwidersprechbare, für die das Widerspruchsprinzip keinen Einwand
bereithält oder gestalten kann.106 Die entitas hängt je von Argumentation ab, die ihr
zum Teil das complexum schon früher sich nicht wirklich aufschlüsselbar erwies. Der actus
apprehensivus ist nicht ganz durchschaubar; er ist am Ende so etwas wie eine komplexe = nicht
reale Größe, um einen mathematischen Vergleich zu wählen. Zugleich ist erkennbar, dass er
credo sagt, wo er doch auch ‘bewiesen’ hat. Cf. auch Kap. 11 Anm. 64.
105. In dem Sinne also als konstruktiv oder konstruktivistisch zu verstehen ist und zwar ver-
möge der Definitionen und ihrer argumentativen Auslegungen hinsichtlich der ratio notitiae
oder ratio subiecti usw., hinsichtlich dann durch die Argumentation das akzidentelle und Re-
ferenzmoment abgespalten, entfernt werden muss, so dass damit die Abstraktion sei es wieder-
holt und bekräftigt, sei es recht eigentlich sogar erst substantiiert wird (werde). Die Konstruk-
tion erfolgt reflexiv hinsichtlich eines Momentes der Konstruktion selbst, so dass dieses, als
nunmehr bewusstes de facto das intensionale ist.
106. Ein terminus wie subiectum kann da erkenntnistheoretisch sowohl den Satz meinen
wie die res extra animam, i.e. als subiectum propositionis auch die res extra animam: letztere
nennt Ockham gleichsinnig mit subiectum substantia. Ontologie und Erkenntnistheorie sind
hier post argumentationem aliquomodo gleichwertig. I.e. secundum argumentum, was auch
heißt: im Sinne des Ausschlusses oder der Vermeidung von fallaciae. Denn diese würden an
ders eintreten, wenn man elementare Sätze ohne Argumentation oder vor ihr so deuten wollte
oder elementare Sätze als pseudo-reflexive handhaben, was wieder heißt praeter argumentum
Interpretationen versuchte, bzw. mit falschen Argumentationen. Es sind solche, die den onto-
logischen Gehalt ohne Argumentation oktroyieren, also glattweg behaupten. Sie reduplizie-
ren den Satz (Satzausdruck). Sie werden mit der Suppositionslogik ausgeschlossen, die darin
begründet wird. Es dürfen keine Annahmen gemacht werden, die dem Satz vorausgingen. Er
ist so Ausdruck. Seine Determinatheit bedeutet den Ausschluss von Implikation und Implikati
onsgebrauch aus. Ersichtlich kommt Ockham immer erst im Nachzug zu seinen Erörterungen
bzw. in Form von conclusiones nach der Beweisführung zu seinen solutiones. Er geht nicht von
unzweifelhaften Data (seine Induktionsbasen ‘sind’ solche nicht) aus und hat in diesem Sinne
630 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
reflexiv gewidmet werden kann. Das besagt: auf der Ebene der Reflexion, i.e. höher-
stufig, dürfen und müssen Probleme auftauchen können, die nur hier zu lösen sind.
Sie sind dann nicht mehr die primär ontologischen.107 Da Ockhams reflexiv ausge-
sprochene Methodik in der Nachbarschaft zu methodologischen Betrachtungen der
exakten Wissenschaften steht (die hierbei ihrem Formalismus folgen mögen)108 und
den shifts etwa zu Erörterungen in Form der ordinary language philosophy109 u. ä.110
verwandt bleibt, wird man das Problem am Ende in der Eigenwertigkeit absoluter
Bestandteile wie etwa der Implikation und deren Behandlung sehen. Ockham lässt
sich beurteilen in Richtung zur Neuzeit111 und im Mittelalterbezug (incl. der antiken
Deszendenz).112
die scholastische Methode für seine Ergebnisse gesteigert, in der Sache intensional intensiviert.
Was hier erst post argumentum „etwas“ ‘ist’, wird dazu, weil den Begriffen und Aussagen Sinn
verliehen werden soll und secundum mentem Ockham auch muss.
107. Wir müssten dann fragen, wie wir zu dieser Stufe gelangt sind und hoffen, dass Ockhams
Aufschluss, sei es absolut, sei es pro forma (was immer das heißen könnte) tragfähig sei, mit
Einschluss seiner Argumentation und deren Begründung (Selbstbegründung) selbstverständ-
lich. Ockham zeichnet nicht den neuzeitlichen Aufstieg von der sinnlichen Wahrnehmung zur
erklärten Verstandeskapazität, der die reale Erkenntnis und deren Begründung zum Ziel hätte;
er gibt eine in anima relevante und dort und für sie ‘gesicherte’ Erkenntnis. Ockham zeichnet
keine Realwissenschaft. Da er die cognitio unius rei extra animam ausdrücklich aber nicht nur
nicht ausschließt (weil es kein Argument für eine solche Behauptung gebe – sic!), sondern die
Realstruktur der Dinge und des Dinges sub specie potentiae divinae absolutae gegen Wider
spruchsprinzip und von diesem geleitete Ermittlungen verdeutlicht, erscheint neuzeitliche
Realwissenschaft äquivokativ und dies auch gerade unter dem Aspekt vielleicht insuffizienter
methodologischer Begründung. Das Stichwort lautet hier: Definitheit. Sie kann danach in den
‘Sätzen’ fehlen und in deren formalen Bausteinen und zwar in jenen vermöge dieser!
108. Man denke nur an die berühmten Arbeiten von K. Gödel, A. Tarski, Th. Skolem u. v. a.
109. Zu der auch L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, 1947–1949 zählt.
110. W. V. O. Quines grundsätzliche Kritik am Formalismus schließt generell sprachtheoreti-
sche Aspekte ein, die bei K. Gödel, 1944 fehlen. Die erkenntnistheoretische Auslegung ist hier
evtl. desiderativ eingeschlossen.
111. Beim Argumentationssystem, das Ockham in philosophischer Bedeutung und Kreditie-
rung und mit wissenschaftlichem Belang erstellt, gibt es keine transzendentalphilosophische
Entsprechung oder Überprüfbarkeit.
112. Ockham hat das mittelalterlich-ontologische Denken unterlaufen und suspendiert. Er hat
nicht die Geltung der Vernunft negiert. Er hat sie an einer induktiven Wahrnehmung orientiert
und die Logik resorbiert. M. Lenz, Adam de Wodeham und die Entdeckung des Sachverhalts,
2001 (s. Kap. 8: Glaube und Welt. Im Vorhof der Naturphilosophie Anm. 111) sieht im Über
gang von Ockham zu Wodham die Entdeckung des Sachverhaltsbegriffs. Wir verweisen auch
auf unsere Festellung (Kap. 6: Theologie und Logikbegriff), dass Wodham immer über den
Realgegenstand und fiktiv in dessen Sinn über die Geltung oder den Sinn des Satzes entschied.
Kapitel 13. Naturgrund und Realerkenntnis 631
Damit kann er weder positiv noch negativ an Ockham anknüpfen; denn dazu müsste Ockham
Schlüsse zugelassen haben, die Teile des Satzes würden. Das ist ausgeschlossen. Schlüsse, die
für die Satzebene von Ockham nicht akzeptiert werden, bzw. fallaciae zu bedingen hätten, wer
den auf der Ebene der Akte (notitiae) immerhin entschieden. Hierüber werden funktional
Induktion, persuasio und reprobatio (instantiae) ausgeführt.
113. Zur scholastischen Diskussion selbst: K. H. Tachau, 1988, die in Ockhams für sie wesent-
lich nicht naturalistischer Erkenntnistheorie ein Hindernis für die Realwissenschaft sieht und
den scholastischen und damit eventuell geschichtlichen Widerstand dagegen beschreibt. Für
Ockham gründen die Aspekte der Gesichtswahrnehmung nicht in der Aktlehre; sie fallen nicht
in die Universalienlehre, sondern liegen im Verhältnis von substantia (forma) und accidens;
die species in der Tat scheidet dabei aus. Tachau hebt die „action at a distance“ als Merkmal
der Anschauungen Ockhams hervor p. 133 und den häufigen Rückgriff auf die sinnliche Wahr
nehmung trotz der grundlegenden Bevorzugung der mentalen notitia p. 135, im Verhältnis zu
Petrus Aureoli p. 140.
114. Zum Thema s. A. Goddù, 1990 in: W. Vossenkuhl und R. Schönberger (eds): 1990 pp. 208–
231, mit Kritik an Tachau, 1988, dass sie Ockhams notitia intuitiva, in der Tat ein mentaler Fak-
tor, mit Schlüssen verbinde.
115. G. Leff, 1975 p. 15 neigt für Ockham wie früher schon der theologischen Option zu. Er
lässt die technische Virtuosität im Gebrauch des Omnipotenzprinzips bei Thomas Bucking-
ham, Johannes von Mirecourt, A. Wodham angesiedelt sein; Ockham ist (p. 124) in der Logik
unschöpferisch, ohne Innovationen. Für die Logik gelte (p. 331): „the hallmark of logic, dis
tinguishing it from the other sciences, is that its knowledge derives from concepts which are
exclusively the product of the mind.“ Ockham entscheidet bei ihrem Gebrauch lediglich über
Folgerungen und Aussagen; sie fungiert kriteriologisch über Inhalten.
116. Ph. Boehner (ed.) Tractatus de praedestinatione et de praescientia dei et de futuris contin-
gentibus of William Ockham, 1945 schrieb Ockham (Essay pp. 43–88) die Ahnung der dreiwerti-
gen Logik zu. In einer solchen wird das tertium non datur bestritten oder suspendiert. Boehner
weiß (p. 49 und öfter): für Ockham ist ein Satz wahr oder falsch; ein Drittes lässt er nicht zu.
Ockham entscheidet indes, dass bezüglich der futura contingentia ein derart zu bewertender
Satz nicht vorliege und so auch, wenn wir quoad mentem dei entscheiden müssten. Hier gibt es
erst den wahren kontingenten Satz, wenn das Faktum eintritt. Vorher wissen wir nichts durch
einen ‘Satz’ und nichts bezüglich eines solchen. Er wendet so das tertium non datur nicht an.
632 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Er lässt auch keinen Satz zu, der einen anderen so enthalten könnte, dass der aus ihm folger
bar wäre. Das ist die Definition der kontingenten Sätze als Inbegriff der Erkenntnis (p. 54f).
Der kontingente Satz ist die (erste) Wahrnehmung der Wahrheit. Hier liegt der Widerspruch:
keine Erkenntnis kann gegen ihn bestehen. Das hatte bereits gegen die höhere theologische
Erkenntnis, die wir nicht haben, als Legitimation einer Wahrheits- oder Erkenntnisannahme
gesprochen. Die höhere Erkenntnis Gottes per omniscientiam determiniert nicht unser Wissen
von der Erkenntnis Gottes, so dass es aus ihr ‘inhaltlich’ deriviert werden könnte. Im Tractatus
de praedestinatione et de praescientia OP II p. 511 lin. 124–126: „Sicut haec est vera ‘Deus scit
quod iste salvabitur’, et tamen possibile est quod numquam sciverit quod iste salvabitur. Et
ita ista propositio est immutabilis, et tamen non est necessaria sed contingens.“ Der Zusatz
‘ab aeterno’ verliert seinen Sinn (ib. p. 513 lin. 160ff): „contingentes sunt cum hac dictione ‘ab
aeterno’ sicut sine illa; nec est alia difficultas in istis quae sunt vocaliter de praesenti.“ Auch
das ‘verum’ in Prophetenmund bedeutet keinen Zusatz, mit dem der significatio und Existenz
per se vorausgegriffen würde. Das Ereignis bleibt kontingent und wird nicht ein notwendiges
durch die Vorhersage. „Ideo dico quod impossibile est clare exprimere modum quo Deus scit
futura contingentia. Tamen tenendum est quod scit contingenter tantum. Et debet istud teneri
propter dicta Sanctorum qui dicunt quod Deus non aliter cognoscit fienda quam facta.“ Wir
bleiben bei der Kontingenz (p. 519 lin. 312ff): „ista, et sibi similes, ‘praedestinatus potest damna
ri’ non est distinguenda secundum compositionem et divisionem.“ Die notitia intuitiva selbst
ist kein Problem. Cf. M. McCord Adams, 1990 in: W. Vossenkuhl und R. Schönberger (eds.),
1990 pp. 3–24, p. 22 Anm. 51 und p. 12: „other discussions of scientific knowledge simply take
our intuitive cognitions of substances for granted.“ Doch Prinzipien, die nach SL III-2 c. 10 OP
I p. 523 lin. 31– bis Ende auf vielen notitiae intuitivae zu beruhen hätten (cf. Mc Cord Adams
p. 11), wären auf Schlüsse in unbekannter Anzahl angewiesen, und wo vom sensus abhängig,
der individua wahrnimmt, nach ib. lin. 18–21 der scientia practica (ars) zugehörig. Somit nicht
abstrakt und wissenschaftlich. Ockham muss da auf dem Plan der notitia intellectus ipsius
nicht noch Folgerungen wollen können.
117. Nach J. Miethke, 1990 in: W. Vossenkuhl und R. Schönberger (eds), 1990 pp. 305–324
waren Ockhams Schriften unter den Scholastikern weithin bekannt, indes (p. 315) Ockham
„weniger mit seinen Antworten als mit seinen Fragen weitergewirkt hat“. Nach Miethke auch
in der Naturphilosophie.
118. Im Ton persönlicher Missbilligung sieht R. Wood, 1990 in: W. Vossenkuhl und
R. Schönberger (eds), 1990 pp. 25–50 p. 41 Ockhams Einfluss auf seine Zeitgenossenschaft auf-
grund von „misguided questions and answers on dependency, superiority and simultanity.“
Keiner dieser Topoi steht und ‘besteht’ ohne die argumentative Auflösung, worin die funktio-
nelle Qualität relativ absolut und die doktrinelle beiläufig ist. Als Relationen haben diese Topoi
keinen status a se. Die Argumente setzen sie abstrakt und darin eben wesentlich negativ. Zur
Wirkung Ockhams cf. W. J. Courtenay, 2008. Den Gegensatz zwischen Ockhams Naturphiloso-
phie bzw. Erkenntnislehre und späterer Naturwissenschaft sieht K. H. Tachau, 1988 begründet
durch Ockhams Verzicht auf die Lehre von der ‘species’, die ihr den Realaspekt verkörpert.
Kapitel 13. Naturgrund und Realerkenntnis 633
So schon H. Hermelink, Die theologische Fakultät in Tübingen vor der Reformation 1477–1534,
1906, p. 97. Danach hat „im Gegensatz zum Ockamismus eine skotistisch-realistische Reaktion
durch ontologisch motivierte Hinwendung zu den konkreten Einzeldingen die neuen Anfänge
der realen Wissenschaften und zugleich den Sieg des Humanismus angebahnt.“
119. Ord. d. 30 q. 1 OT IV p. 283 lin. 5–8.
120. Ib. lin. 8–12: der natürliche menschliche Verstand kann die dogmatischen Hauptlehren
des Christentums unverständlich finden und so ablehnen. Ockhams Argumentation ist dann
keine ‘Apologia contra gentes’, sondern Explikation der ratio humana nach den Mitteln des Ver-
standes in allen Begriffen, u. a. den ontologischen; sie ergibt relativ absolute Positionen, keine
unbedingten (‘semantischen’), in Bezug auf die der Begriff der semantischen Wahrheit sinnvoll
untersucht würde. Denn schon der suppositionslogische Elementarsatz, den Ockham für die
Dogmatik gebraucht und unterstellt, wird zur Klärung seines Gehaltes und der Befreiung von
inadäquaten Determinationen in Reprobationen überführt, bzw. zur Sistierung solcher Darle-
gungen verwandt, wobei er die Wahrheit definiert und repräsentiert, nicht aber mit weiterer
Auslegung logisch und inhaltlich geöffnet.
121. Ib. p. 306 lin. 13 – p. 307 lin. 4.
122. Das wird schon in älteren Darstellungen klar: G. Martin, 1949 III. Teil pp. 183–255 und
E. Iserloh, 1956. Martin gibt Ockham im Einzelnen unvollständig wieder, z. B. wenn er p. 200
Anm. 2 Ord. d. 30 q. 1 OT IV p. 308 lin. 2f zitiert (subiectum und accidens kommen empirisch
nicht getrennt vor), aber den Zusatz ib. lin. 3f und weiter lin. 4–6 weglässt (wonach sie begriffl
ich nicht ineinander überführt werden können). Iserloh p. 189 kritisiert die Unvollständigkeit,
sieht indessen die Disparatheit ratlos.
634 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
und aufgelöst.123 Die Vereinzelung der Aspekte, die in der Neuzeit die Gesamtsicht
und Selbstbekräftigung des Denkens als Erkennen bestimmte, war bei seiner metho-
dologischen Differenzierung ausgeschlossen.124 Ockham arbeitet mit der Identität der
Verstandesakte, der Begriffe wie der Sätze und ihrer Typen, und sodann bezüglich
aller mit attributiven Eigenschaften, die kraft seiner Argumentationen so verschoben
und ersetzt werden, dass die Identität der mentalen Größe quasi in Gestalt von Ope-
rationen, aber weder mathematisch (rechnerisch) noch logisch (deduktiv), behandelt
erscheint, wobei der Inhalt (Inhaltsbegriff) der Größe rein formal bleibt. Die Formali-
tät selbst aber kann nie als inhaltlich ausgelegt werden. Das erlaubt unter anderem die
Funktionsbegriffe wie notitia intuitiva, notitia abstractiva, potentia divina absoluta,
ratio, forma, substantia, accidens, suppositum, qualitas, quantitas, species usw. Sie
alle ‘schließen’ nicht für Inhalte und schließen sie nicht ein. Aber eben auch nicht
die Scotische Deduktion. Das Ergebnis der Operationen ist gleichsam unvorhersehbar
(kontingent) und was Wert und Charakter der darin enthaltenen Mentalakte angeht
‘symbolisch’.
123. Zu Duns Scotus stellt W. Kluxen, 1974 p. 142 fest: „Aber die Wahrheiten, die Gott ‘un
fehlbar gelehrt’ und ‘gewiss eingeprägt’ hat, sind keineswegs geoffenbarte (nämlich übernatür
lich mitgeteilte), die nur im Glauben zu erfassen wären. Sie sind vielmehr dem menschlichen
Verstand als solchem, nämlich als seine natürliche Grundausstattung, von seinem Schöpfer
mitgegeben; sie gehören zum „habitus principiorum“ der Vernunft, durch den diese erst zu
schlussfolgerndem Denken befähigt wird.“ ‘Wahrheiten, die Gott „unfehlbar gelehrt“ hat’, kön
nen gleichwohl durch den Verstand erfasst werden und ‘befähigen ihn danach „zu schlussfol
gerndem Denken“’. Regeln (in Bezug auf Operationen) und spekulative Prinzipien fallen so
ineinander. Ockham differenziert da erheblich. Das Deduzieren wird dabei von Ockham be-
züglich einer syllogistischen Durchgängigkeit bestritten.
124. Die neuzeitlichen Philosophen samt und sonders haben sich da in starkem Maße nur
geglaubt. Der Vorgriff auf die reale Geltung ist immer mitgedacht worden und war stets un-
begründbar. Descartes’ Methode und ihrer Ausrichtung setzt ineins immanente Evidenz und
äußere Existenz. Kant meint die auch nur als möglich gedachte Sache müsse schon ganz mit
der wahren nicht nur gedachten übereinstimmen. N. Hartmann, Einführung in die Philosophie
(Vorl. 1949) p. 62 sah das als große Denkleistung. Die Negation des Schlusses aus dem Gedach
ten auf das Sein, den Hartmann mit Kant verwirft, stellt als Negation eines Schlusses bloß eine
Äquivokation (fallacia) dar. Die Negation des Schlusses ist nicht mehr als der ‘Schluss’; beide
bleiben unaufgeklärt Cf. Anm. 11 o. Maimon meint, Versuch über die Transzendentalphilosophie,
1790, Ndr. 1965 p. 232, dass wenn zwei Bestimmungen unfehlbar ineinandergriffen, sie auch
pro facto angenommen werden müssten, ähnlich setzt er p. 230 für die Übereinstimmung der
Differenz in der Zeitenfolge mit der Unterschiedenheit der Gegenstände. Er wertet p. 210 einen
Begriff, der unabhängig in Bezug auf einen zweiten, der selbst abhängig sei, als analytisch,
den abhängigen aber als synthetisch. Man vergleiche nur Ockham Prol. Ord. q. 4 OT I pp. 143
lin. 14 – 158 lin. 7 u. v. a. m.
kapitel 14
Das accidens bezeichnet auch die Nichtkonstituierbarkeit der Erkenntnis resp. der
Gegenstände (res) im Bewusstsein. Ebenso gibt es nach dem accidens keine Konsti-
tuierbarkeit in der Realität. Nähmen wir eine solche Konstituierbarkeit in der Realität
an, könnten wir sie auch für das Bewusstsein oder den Verstand nicht bestreiten, von
dem wir freilich im Sinn von Abstraktion und Argumentation nach Ockham allein
auszugehen haben. Dies ermittelt aber bereits die Argumentation, die sich samt Struk-
tur ergibt und Absolutheit gewinnt: unterhalb ihrer gibt es keine Begründbarkeit, aber
doch noch Zulässiges, das eben nicht ausgeschlossen werden konnte, weil dafür die ra
tiones fehlen. Wiewohl wir mit dem accidens die primäre Wahrnehmung verbinden,
können wir mit ihm nichts konstituieren und kein Wahrheitsmoment haben. Letzteres
entnehmen wir nicht dem Verstand. Gleichwohl müssen wir damit nicht kategorisch
Existenz bestreiten, die also von der Wahrheit zu trennen ist. Wahrheit und Existenz
sind negativ mit dem gegeben, was im Sinne der intensionalen Argumentationsstruk
tur extensional nicht bestreitbar erscheint. So ist es nicht bestreitbar, dass es die res
(sg. und pl.) extra mentem gibt. Es gibt (intensional) keine rationes dafür, dass es
. D. Perler, Nikolaus von Autrecourt, Briefe, 1988 (Einleitung p. XIV) behauptet, ‘die notitia
intuitiva, wenn sie die Existenz alias Präsenz eine res feststelle (erhebe)’, „zielt also allein auf
den ontologischen Status einer Sache ab.“’ Gerade das ist nicht der Fall und der determierende
Zusatz (‘also allein’) ist erst recht unverständlich.
. Ockham gebraucht als Formel, dass Gott eine notitia intuitiva verursachen könne, ohne
dass das Objekt präsent sei, was im rein intensionalen Begriff (ratio) der notitia intuitiva ein
geschlossen ist. Dass ein nicht existierendes Ding als existierendes erkannt werde, bedeutet kei-
nen Widerspruch hinsichtlich der intuitiven Erkenntnis; denn es besteht da keine intuitive Er-
kenntnis. So ausdrücklich Quodlibet V, q. 5 OT IX, p. 498 lin. 72–76. Der Widerspruch ‘existens
non est non-existens’ liegt auf der Stufe unterhalb der Akte (notitiae). Von ihm aus kann keine
Erkenntnis organisiert werden. Auch die notitia abstractiva ist nicht Erkenntnis eines nicht sei-
enden Dings so als wäre es ein seiendes, bzw. kann es nicht sein. Wenn ‘ich’ abstrakt behaupte ‘a
existiert’, während a nicht existiert, habe ‘ich’ von dem Widerspruch keine Notiz nehmen müs-
sen. D. Perler, Nikolaus von Autrecourt, Briefe, 1988 stellt daher wenig einleuchtend (Einleitung,
p. XV) fest: „Aber auch Gott vermag nicht zu bewirken, dass ein nicht-existierendes Ding als
existierend erkannt wird, weil eine solche Erkenntnis einen Widerspruch bedingen würde.“ Sie
wäre gar nicht Erkenntnis. Besagter Widerspruch definiert gegenüber der Erkenntnis als Akt
(Wahrnehmung, notitia) die Absurdität, der gegenüber der Akt nicht wäre. Dass Gott wider
spruchshalber an seine Grenze komme, wird nicht gesagt. Gott hat mit solchem Widerspruch
nichts zu tun. So antwortet Ockham ib. lin. 65–71 dem Opponenten, der den Fall der nicht
636 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
nicht so sei; aber es kann rein extensional nicht dagegen oder dafür argumentiert
werden; denn solche argumenta oder rationes ‘gibt’ es nicht. Wenn das accidens
extensional (im Sinn der Ontologie, die so reprobiert wird) nicht in die substantia
eintreten kann, so intensional nicht in die forma. Das accidens steht der primären
Wahrnehmung nahe und den infinitesimalia, in denen Relationen wie motus, inten
sio usw. realisiert erscheinen, insgesamt der materia. Die forma aber den intensional
verstandenen Eingriffs- und Abwandlungsmöglichkeiten secundum potentiam divi
nam absolutam. Die intellektuelle und intellektive Wahrnehmung (notitia), die nicht
die sensuelle ist, bezieht sich auf die forma und kann über die empirische Geltung von
Begriffen hinausgehen, wie Ockham für die Theologie zeigt. Auch ein habitus kann
nicht nach dem was dem accidens angehört in Bestimmtheit real sein, wie Ockham
bei seiner Ablehnung des Konzepts vom peccatum originale geltend macht. Der ha-
bitus würde in einer solchen forma bestehen oder ihr gleichkommen. Immer ist, was
gegebenen res anführte: „tu ponis quod sit absens“ gleichsam: ‘Es hilft dir nichts. Dein proble
ma (= Einwand) „zieht“ nicht’, da (intensional) nicht schlüssig.
. Cf. F. Hoffmann, 1941 p. 124: „eine ihrer inneren Natur nach böse Handlung kennt Ockham
nicht.“ Sie wird es durch ihre zuletzt zufälligen Referenzen. Ockham sagt Rep. IV q. 10–11 OT
VII p. 226 lin. 3f eingegangen in Artikel 9 der Irrtumsliste: „Igitur peccatum nihil dicitur, quia
omne positivum in eo potest causari sine omni peccato.“ Ockham kappt abstrahierend den
ungeregelten Übergang aus dem akzidentellen naturalen Bereich zum Substanzialen aller Fakto
ren der Heilsordnung. So auch Referenzschwankungen, die auch bewirken, dass ein actus nicht
per se meritorius oder demeritorius ist. Alles übersteigt bei Ockham der Wille; er ist frei, und
gut, wenn man Gottes Willen tun will. Folglich kann Gott ihn außerhalb des actus selbst de sua
gratia honorieren und akzeptieren. So heißt es Ord. d. 17 q. 2 OT III p. 469 lin. 10–12: „bonum
motum voluntatis ex puris naturalibus elicitum potest deus acceptare de gratia sua.“ Das wurde
in den Artikel 1 der Irrtumsliste aufgenommen. Der Wille ist frei (ib. p. 470 lin. 5–7): „voluntas
potest ex se in actum demeritorium, ergo non includit contradictionem voluntatem in puris
naturalibus ferri in actum meritorium.“ Gott nimmt den actus meritorius, den er selbst aus
freien Stücken als solchen gesetzt hat, auch noch aus freien Stücken an; er ist nicht als solcher
verdienstlich. F. Hoffmann skandiert (ib.): „Ockham sieht freilich in dieser notwendigen Folge
von Sünde und Strafe, Gerechtigkeit und Lohn eine Beeinträchtigung der göttlichen Freiheit.“
Gott hat auch beim Aufbau des ordo salutis frei gewählt (Ord. d. 17 q. 3 OT III p. 479 lin. 2f):
„caritas est ponenda quia Deus sic ordinavit, non tamen quin possit facere contrarium.“ Gott
reicht in den Mythos hinein und löst ihn auf (Rep. IV q. 3 OT VII p. 55 lin. 20f): „Christus
nunquam peccavit, et tamen fuit punitus gravissime usque ad mortem.“ Dem nähert sich der
Mensch an: sein Verdienst vor Gott „besteht einzig in dem frei sich entscheidenden Willen“
(F. Hoffmann, p. 144). Gott ist zu nichts verpflichtet; also kann er nicht sündigen. Was er macht,
ist gerecht – iustum (ib. lin. 19): „Et ideo eo ipso quod Deus aliquid facit, iuste factum est.“ An-
ders G. Leff, Bradwardine and the Pelagians, 1957 p. 132: „there is no means of saying that God
was good; for by his potentia absoluta He could equally be bad.“ Doch Gott untersteht eben
nicht Bezügen, die eine Tat verwerflich machen. Er wird vermöge der potentia absoluta gerade
frei sein. Da der Mensch, anders als Gott, verpflichtet ist, sündigt er. Die Sünde ruht im actus
nicht im habitus; also gibt es keine Erbsünde. Gott kann den Konnex zwischen sündigem Akt
Kapitel 14. Widerspruch und accidens 637
und habitus de potentia sua unterbinden, dann bleibt der Mensch widerspruchsfrei ein Sünder
(Rep. IV q. 10–11 OT VII pp. 192–238). Das Argument ‘non includit contradictionem’ ist eine
transzendente Formel wie ‘non est major ratio quod (non)’, ‘non est inconveniens’, ‘de potentia
sua absoluta potest Deus’. Oft saltem de potentia sua absoluta. Gott kann die ewige Verdammnis
anordnen, wiewohl der Mensch nicht gesündigt habe (ib. p. 226 lin. 4f): „Et similiter potest De
us aliquem obligare poenam aeternam sine omni peccato.“ Die mythische Qualität von Sünde
und Erbsünde beschreibt Ockham unter Zitation Bedas des Großen (= Beda Venerebilis) Rep.
IV, q. 10–11 OT VII p. 224 lin. 6–14.
. Das Hochmittelalter, 1965 p. 191.
. Ord. d. 3 q. 8 OT II p. 540 lin. 6f.
. Ib. lin. 14 – p. 541 lin. 1. Der Satz ‘omne ens est motivum intellectus’ gilt. Der Satz ‘Ens
commune ad omnia motiva intellectus est motivum’ gilt nicht. Er wäre quasi das principium
generalissimum des Duns Scotus.
. Rep. II q. 16 OT V pp. 359–381: Utrum angelus possit loqui intellectualiter alteri angelo.
. Ib. p. 376 lin. 12f et ubique in ista quaestione.
. (Aller) Widerspruch wird bei Ockham in Anlehnung an die Empirie bezeichnet, i.e. unter
Verweis auf sie. Doch der Widerspruch als Ausdruck oder Moment der Insuffizienz kann nach
dem empirischen Mittel, das für ihn auftritt, nicht organisiert werden. Er kann und muss dort,
wo der allgemeine Gebrauch der Begriffe in Rede steht, der auch noch bei der consequentia
formalis mitzudenken ist, ausgeschlossen sein. Der funktionelle Gebrauch des Widerspruchs
638 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
prinzips muss sogar als notwendig entfallend angesehen werden, wenn wir nur die Idee des
autonomen Erkennens oder Beweisens veranschlagen, z. B. wenn Ockham bestreitet, dass Got
tes Unizität beweisbar sei, aber doch auch behauptet, dass sie als These wahrscheinlicher sei
als die gegenteilige. Ebenso wenn die forma nicht akzidentell ausgelegt werden können soll.
Sie bleibt auf ihrer eigenen Ebene abstrakt und sogar der omnipotentia dei supranaturaliter
loquendo affin.
10. So D. Perler, Nikolaus von Autrecourt, Briefe, 1988 (Einleitung p. XIVf). NB. p. XI Anm. 14:
‘publicere vocavit’ sollte wohl heißen ‘publice revocavit’.
11. Das ist etwa der Fall, wenn für ein beweistaugliches allgemeines Prinzip viele oder unbe-
stimmt viele Einzelwahrnehmungen, notitiae intutivae erforderlich sein sollen.
12. Nach Ockham kann nur geglaubt werden, dass die fruitio divinae essentiae ein actus qu
ietans sei, also völlige satisfactio bewirke. Ord. d. 1 q. 4 OT I p. 439 lin. 9–11: „dico quod de
facto talis fruitio (sc. quietans) est ponenda, sed hoc tantum est creditum et non per rationem
naturalem notum.“ Die Feststellung zu beweisen dürfte unmöglich sein. Denn wenn wir davon
Kapitel 14. Widerspruch und accidens 639
ist, macht es klar, wie sehr Ockham von einer realen naturalen oder naturalistischen
Basis aus operiert (argumentiert), welche die Theologie nicht ausschließt, aber doch
verlangt (gebietet), dass diese aliquomodo für den Verstand bereitet, vom actus ap
prehensivus her verstanden wird: verstanden werden muss. Stets muss mit einer Me-
thode gearbeitet werden, die die Autonomie des Menschen zwischen Gott und Natur
ausgingen, dass der usus alicuius obiecti nicht zu einer auf diesen begrenzten satisfactio führen
könne, sondern je über ihn hinaus ziele, sc. eines finis bedürfe und ihn habe, müsste ‘fruitio
dei (visio beatifica) est quietans’ für eine propositio immediata gehalten werden, für die uns die
Erfahrung fehlt und eben die Erfahrung, dass es diesen Satz als propositio immediata, gebe.
Das ist absurd, ebenso wie es absurd ist, dass eine causa einer causa bedürfe, damit sie sich auf
ihren effectus beziehen könne. Wir hätten ermittelt, dass es hier eine propositio immediata
gebe. Das heißt: der Satz, den wir tatsächlich haben, konnte nicht klassifiziert werden, also
weder Erkenntnis sein noch sie mit sich führen. (cf. ähnlich Kap 7 p. 235 mit Anm. 126). Doch
was ist der Satz dann als Credo? Ockham, der es auf einen Unterschied von fides und scientia
nicht bedingungslos anlegt und ihn potentiell verwischt, müsste über jeden Satz hinaus einen
Gegenstand haben. Es könnte dann Gott identisch mit seiner Existenz nicht geben; kein Satz
spräche mit Notwendigkeit von ihm. Er wäre nicht in einem notwendigen Satz benannt, nach
dem er nach Ockham seiend gedacht werden muss (und nicht mehr als nicht seiend gedacht
werden könnte), wenn der Satz existiert. Wir überschritten hier den Rahmen der Philosophie
Ockhams (unserer Interpretation, die damit aber eher bestätigt wird). Fruitio ist notio difficilis.
Während nach Ockham die visio beatifica die Seligen unablässig (perpetuo) ‘beseligen’ soll,
wenngleich das unbeweisbar sei (es handelt sich um eine propositio contingens), soll die fruitio
divinae essentiae, die nach Ockham um vollkommen zu sein, cognitio einschließt, nicht die
fruitio personarum et relationum einschließen. Bei der cognitio divinae essentiae galt es nach
Ockham. In summa: Es gibt den extrahumanen Bereich, wo die rein humanen Konditionen, die
Ockham ermittelt und stiftet, nicht mehr verfingen. Das korroboriert die Interpretation. Die
Ausnahme bestätigt die Regel. Nach Durandus bezieht sich die fruitio auf die visio beatifica,
nicht auf Gott. Ockham (ib. p. 439 lin. 13–15): „Est una opinio quae ponit quod immediatum
obiectum fruitionis non est Deus ipse sed visio beatifica ipsius essentiae divinae.“ Ockham
bestritt, dass sich hier ein Akt primo auf einen anderen von ihm verschiedenen Akt richte (ib.
p. 444 lin. 21–24): „Quando dicitur quod fruitio est respectu Dei habiti, dico quod verum est,
quia Deus est habitus; non tamen est primo respectu illius habitionis nec respectu actus quo
habetur sed respectu deitatis in se.“ Durandus „induziert“ (ib. p. 440 lin 1f): „quando aliquis
primo desiderat domum et postea consequitur eam et utitur ea, utitur mediante inhabitatione
vel aliquo tali“. Die inhabitatio steht in diffizilem Verhaltnis zur domus habita. Ihr fehlen zum
‘significatum totale’ die Einzelakte, vor denen sie inhaltlichen Vorrang besitzt. Denn wir bewoh-
nen (nutzen) ja nicht die domus, wenn wir die Einzelobjekte in ihr nutzen. Da Ockham uti und
frui für äquivalente Begriffe hält und frui kat’exochaen als das uti bezüglich der divina essentia
ansieht, den Begriff frui dabei quasi uneigentlich auch empirisch versteht, muss oder kann er
nicht gegen die Analogie bei Durandus argumentieren, bei dem man annehmen könnte, dass
er lediglich ein womöglich unangemessenes Beispiel gegeben habe. Ockham hat die Analogie
genauso gesetzt. Ockham entscheidet stets von den Begriffen her, nicht vom Gegenstand aus,
z. B. Gott, der von allen anderen Gegenständen der Welt (die er indes schuf) verschieden ist. Er
setzt den Gegenstand nicht fiktiv ‘in’ den Denkmitteln an.
640 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
oder Welt sichert, aber doch der immer aktiven Argumentation bedarf. Das wurde
kaum gesehen.13
Ockham wird, wo er die Kausalität veranschlagt, zumal im Bereich der Ver-
standesakte, die zeitliche und örtliche Nachbarschaft, als Unabdingbarkeit auslegen,
gleichwohl aber sie nicht im Sinne der Argumentation als automatische und mecha-
nistische Zwangsläufigkeit bestehen lassen. Die Argumentation, heißt das, suspen-
diert den Konnex der verschiedenen Ebenen und stellt damit die Superiorität und
Autonomie des Verstandes her: für seine Akte sachlich und für seine diese reflexiv
betreffenden Urteile, in denen sie per Beweis oder Argumentation konstruktiv her-
gestellt, aber auch gesondert werden. Man sehe folgendes Beispiel:14 „Tertia conclusio
est quod nullus actus partis sensitivae est causa immediata proxima nec partialis nec
totalis alicuius actus iudicativus ipsius intellectus. Haec conclusio potest persuade
ri.“ Die persuasio ist die Beweisform, mit der die Differenz behauptet, bewiesen und
13. H. Blumenberg, 1966 p. 562: „Die Kontingenz der Welt … lag also … auch und vor allem in
der Angewiesenheit jedes Zustandes dieser Wirklichkeit in jedem Augenblick auf transzenden-
te Kausalität.“ Das bedeutet Bestimmung der Kontingenz per reduplikationem; nochmals per
reduplikationem wird sie zum Geheimnis Gottes gemacht (p. 124): „Es war nicht gleichgültig,
welche der möglichen Welten Gott geschaffen hatte; aber da der Mensch dieser Entscheidung
nicht auf den Grund gehen konnte, musste sie gleichgültig gemacht werden.“ Daraus soll die
Folge-Geschichte, zugleich im Konter, sich ergeben (ib.): „Die Gesetzlichkeit einer beliebigen
Welt – das war die apriorische, ‘reine’ Naturwissenschaft, die mit Kant zu sprechen, von dem
Begriff einer Natur überhaupt ausging und sich die letzten Bestimmungen einer unspezifischen
Materie zum Gegenstand machte.“ Das ist nicht genereller oder schärfer als M. Heidegger,
1927 p. 10f: „So beruht denn auch der positive Ertrag von Kants Kritik der reinen Vernunft
im Ansatz zu einer Herausarbeitung dessen, was zu einer Natur überhaupt gehört, und nicht
in einer ‘Theorie’ der Erkenntnis. Seine transzendentale Logik ist apriorische Sachlogik des
Seinsgebietes Natur.“ Auch hier stiftet petitito principi den ‘Gehalt’. Ist Kant Leibnizianer?
Leibniz strebt Gesetze der ‘Leibniz-Welt’ (H. Scholz) an, die in jeder möglichen Welt gelten.
H. Blumenberg, 1986 (b) p. 132 sieht Leibniz nicht im allgemeinen „neuzeitlichen Begründungs
wahn“ befangen. Doch Leibniz wollte in Wahrheit nichts ohne Metaphysik machen. Die Idee
material leerer und so ‘materialer Metaphysik’ belegte die Ohnmacht, sich gegenüber der ope
rational verfahrenden Wissenschaft deutend zu behaupten. Ist Kant jedoch aliquomodo aus
Ockham herleitbar, muss er auf ihn anwendbar sein; dann ist der Geschichtsverlauf qua Antino
mie im Dunkeln. Andere Welten als die unsere denkt Ockham nominell, nicht faktisch. Er
schließt sie unter Negation unserer aktualen Erkenntnisbedingungen nach dem Verhältnis von
Begriff und Sachwelt zunächst nicht aus (cf. auch das Verhältnis forma-materia); er setzt sie
hypothetisch nach in unserer Welt inexistenten Erkenntnismitteln an. Das sind transzendente
termini, die nicht conceptus sind, und andere = ‘neue’ conceptus, die Gott nach Ockhams per-
suasio oder Idee von persuasio analog einem anderen ordo mundi in Ersetzung der propositio
immediata, die wir haben, mit einer besseren Kausalerkenntnis bezüglich der Welt uns schüfe.
Gott überragt den Menschen durch seine größere Macht. Dagegen hat der Mensch keine theo
retischen Mittel. Lehrt Ockham.
14. Ord. Prol. q. 1 OT I p. 22, lin. 4–15.
Kapitel 14. Widerspruch und accidens 641
eben eigentlich erst hergestellt wird; denn nur sie kann die formellen Scheingewebe
empirischer Nachbarschaft und Unabdingbarkeit aufheben. Dass das Empirische per
se keine Beweisförmigkeit oder -affinität besitze, hat Ockham mehrfach dargestellt,
bzw. variiert. Im zitierten Fall besagt der Überredungsbeweis: Der actus iudicativus
bezieht sich auf einen Satz. Ockham nennt die conclusio syllogismi. Wenn der Ver-
stand die Prämissen des Syllogismus kennt, kann er urteilen, dass die conclusio wahr
sei; er bestätigt sie also. Dabei hat er sich bloß auf Akte bezogen, die im Verstand
sind. Sie reichen für diesen actus iudicativus. Nach dem Ökonomieprinzip bedarf es
daher keiner anderen Größen, causae, actus usw. Ockham hat also eine Induktion
vollzogen, mit der er die Verallgemeinerung vorgenommen hat. Ein Satz kann nur
im Verstande gebildet werden. Es sollte aber gesehen werden, dass Satz wie Begriff
imgainäre Größen sind. Es gibt nicht über ihren Sinn Operationen. Begriff und Satz
sind im Verstand vorfindlich, es gibt nur keinen Sinn, der mit dem Satz identisch und
im Verstande real wäre. Sie sind in ihrer eigenen Sphäre, worin sie dem obiectum
extra mentem zwar verpflichtet sind, jedoch nicht von diesem Sinn empfangen. Die
Argumentationen begründen Satz und Begriff in diesem ungreifbaren Sinn.15 Jede
Funktion, z. B. die des subiectum propositionis mit der ratio subiecti wird unabhän-
gig von der Empirie angesprochen. Auf einen besonderen Sinn wird nicht rekurriert:
So wird die ratio subiecti (das subiectum secundum suam rationem) ebenso wie die
ratio actuum nicht von einem scheinbar zwangsläufig für die Begriffe und danach Sät-
ze gesetzten extramentalen Gegenwert abhängen.16 Ockham stellt gerade einmal die
Identität der beweisbeteiligten Elemente fest und versteht sie so intensional. Für den
Beweis, der abstraktiv zu verstehen ist, ist das empirische Geflecht außer Acht zu las-
sen. Das erst macht = ‘ermöglicht’ den Beweis, der nach Wesensart und Bestimmung
induktiv ermittelt wird. D. h. gegen die per se empirische Signifikanz, die negiert
wird. Ockhams Philosophie kann so auch ein eigentlich praktischer Charakter bezüg
lich der mentalen Faktoren des Denkens nach diesen selbst zugesprochen werden.17
Ein solcher praktischer Charakter erscheint stets. Sie wird mit der Diskontinuität al-
ler Verstandes- oder Erkenntnisakte untereinander bestätigt. Kontinuität entspricht
nicht seinem Konzept.18
Ockham sucht keine unbedingte Begriffsform und keine (unbedingte) Sacher-
kenntnis, ja letztlich überhaupt keine, wie plausibel ist, wenn er den Begriffen kei-
nen absoluten Wert oder Sinn zuschreibt, so dass sie quasi unumgänglich wären. Die
Begriffe (und die Fakten) sind entweder gegeben19 und somit unbestreitbar oder sie
wird: denkbarerweise gibt es Erkenntnis erst, wenn unsere empirische Basis modifiziert wird,
dann müssten wir womöglich per divinam potentiam absolutam supranaturaliter loquendo
ohne Begriffe denken können. Das wird per persuasionem vorgetragen, deren Basis wie immer
die Negation der significatio im empirischen Faktor ist. Ockham widerspricht der Scholastik
(und fügt sich in sie ein) mit ‘Strukturen’, die erkenntnistheoretisch per persuasionem oder in
duktiv begründet reduktive Allgemeingültigkeit besitzen, darin in ihrem Mentalismus sowohl
empirisch legitimiert wie abstrakt (transempirisch) ausgelegt werden.
18. Eine (ununterbrochene) Kette von Beweisen z. B. verteidigt Ockham speziell auch nicht
für die Theologie, cf. Ord. Prol. q. 9 OT I p. 271 lin. 17–19: „(Deus) non tamen est sic primum
subiectum /§ notitia eius in intellectu creato §/ quod contineat virtualiter notitiam omnium
veritatum: nec est subiectum primum cuiuslibet partis theologiae“ (denn hier können Pater,
Filius und Spiritus Sanctus das primum subiectum sein: ib. lin. 19 – p. 272 lin. 3). Das ‘virtua
liter continere’ meint, dass Komponenten möglicherweise verbunden sein können, i.e. zusam
men auftreten mögen; die Begründung muss a parte rei erfolgen und ist damit noch nicht
gegeben (getrennt), etwa wenn subiectum und passio de facto kombiniert werden sollen. Ib.
p. 249 lin. 5–14 gibt es den Fall, dass Ockham, indem er für die Bestimmung der ratio subiecti
argumentiert und sie in der Identität mit dem subiectum (conclusionis scitae scientia proprie
dicta) findet, mit ‘virtualiter’ (lin. 9f) eine an sich negative Möglichkeit angezeigt hatte: die Ebe
ne der Begründung a parte rei wird direkt abgeschnitten; der Beweis wird induktiv über eine
nochmals reflexiv negierte ‘Möglichkeit’ geführt. Cf. auch Kap. 5: Im Innern Gottes p. 216–220
mit Anmn.
19. Das gilt vorab für die Begriffe, mit denen wir elementare Aussagen bilden, am Ende aber
auch solche wie Gott, für die wir in der Umschreibung einen für sie unumstößlichen Sinn
besitzen: Gott ist omnipotens und omnisciens. Das liegt im Verständnis dieses Namens, den
wir gleichsam, wenn wir ihn nennen, besitzen und als unseren Besitz belegen. Gott ist damit
sogleich in einem notwendigen Satz bezeichnet und in einer propositio immediata, was inso-
fern erstaunlich anmutet, als wir von Ockham angehalten werden, diesen Satztypus als mit der
Erfahrung verbunden anzusehen, so dass wir hier keine abstrakte Erkenntnis haben könnten,
sondern bloß eine empirische oder empirisch gestützte, i.e. eine, die auf die notitia intuitiva
angewiesen ist. Der Fall macht aber deutlich, wie wir schon an anderer Stelle darlegten, dass wir
Gott (den Namen) mit seinen Umschreibungen als quasi empirisch verfügbar ansehen dürfen.
Wir müssen nicht erläutern, warum wir zur Idee der Allmacht, Allwissenheit etc. gelangten.
Das Faktum und den „Begriff “ Gott im strengen Sinne kennen wir nicht. Hier können wir
anfügen, dass die Stabilität und wahre Existenz von Begriffen nach der Erfahrung überhaupt
nicht gesichert ist; es lassen sich andere, wahrere und eigentliche Begriffe denken, zu denen wir
z. T. schon gelangen, wenn wir in der Theologie mit den Relationsbegriffen unsere empirischen
Kapitel 14. Widerspruch und accidens 643
werden (beide) durch Argumentation hypothetisch erlangt20 und sind dann abänder-
bar. Im Verhältnis von Abstraktion (alias Argumentation) und fiktiver empirischer
Ausgangsbasis spielen die Problemlösungen Ockhams; sie setzen beide Momente als
Endpunkte miteinander ins Lot und ersetzen, will sagen: erübrigen so die Folgerung.
Das gilt natürlich auch für diejenigen, die ein Interpret mit mehr oder weniger Recht
ziehen möchte. Dort werden dann auch gelegentlich seine Problemfeststellungen, von
ihm entdeckte Aporien etc. negiert oder beseitigt. Sie fallen da nicht ins Gewicht.21
Dabei stellt sich die Frage nach der Wirkung Ockhams im Bereich der Scholastik
und darüber hinaus; es fragt sich, ob er das Signum und die Sigle des Mittelalters sein
kann und im Sinn des Faktums war.22 Eine lange und wirkliche Nachwirkung muss
auf dem Rezess dessen beruhen, was ihr im Sinne einer Folgerung als antecedens
dienen könnte. Derart müssen Erscheinungen abbrechen, um diese Wirkung haben
zu können.23 Sie werden darin vom consequens her bestimmt werden. Die Folgerung
wird zur Umkehrung der Implikation.
Ockham hat in seinen Problemlösungen einen Kodex. Soweit er ihn noch auszu-
drücken und zu formulieren imstande ist, fasst er seine Zeit und stellt sie unter das
Zelt der Epoche, ja womöglich aller antezedenten Epochen, die er mit seiner Epoche
bzw. Zeit zu verschmelzen vermag. Er übt danach eine Kritik, in der die Kritisierten
womöglich Motive haben, und zwar unstatthafte, irreguläre und irreale ‘Motive’,
während er selbst seinem technischen Kodex zufolge dieser Frage enthoben ist. Die
Kritisierten klären ihr Motiv nicht und sind darum verworren. Ockham muss ihre
denkbaren Motive nicht teilen.24 Wir müssen dabei für Ockham von den wirklichen
22. R. Warning, Ritus, Mythos und geistliches Spiel, in: Poetica 3. Bd. Heft 1–3, 1970 pp. 83–114
will nach H. Blumenberg, 1966 das ganze Mittelalter mit einer auf Ockhams Nominalismus fo-
kussierten Philosophiedeutung exploitieren. Morality plays und Schauerstücke sollen sich aus
dem Widerstand gegen Anselms Cur Deus homo mit der auf Gott zentrierten Satisfaktionslehre
ergeben. Es gelte, dass p. 106 „der Nominalismus die Notwendigkeit der Inkarnation aus der
inneren Konsequenz der Schöpfung, nicht aber aus der Erlösungsbedürftigkeit des Menschen
ableitete“. Warnings Verweis auf op. cit. p. 518ff betrifft Cusanus, der nicht unumwunden Nomi
nalist war – ob hier fragt sich bei Bezug auf Ockham dann nochmal. Blumenbergs unkomplexe
Sicht Ockhams, die, spärlich belegt und Vormeinungen verpflichtet, sich durch hyperbolische
Deutung an editorisch nicht ausgewiesenen Textausrissen auszeichnet, wird emblematisch und
zeugt einen wenig kunstsinnigen Ableger.
23. Nach M. Bloch, La Société Féodale, Bd. I, 1939 (ed. 1994 p. 98f) kann eine verspätete Wir-
kung (Auswirkung) im Zeichen der Bruchlosigkeit erscheinen. Es gibt dann „non point bri-
sure, certes, mais changement d’orientation.“ Sie besteht an der angegebenen Stelle darin, dass
der Feudalzustand nach dem Aufhören der großen Invasionen durch Sarazenen, Ungarn und
Normannen, gemildert werde. Dieses Aufhören der Verwüstungen bringt die späte Wirkung
hervor. Die Wirkung steht (nach Blochs Ausdruck) „en décalage“ zu ihren ‘Ursachen’. Die Stelle
zitiert J. Le Goff, 1965 p. 14. Nach anderen hören die geistigen und gesellschaftlichen Erschei-
nungen mit dem Ende des 13. Jahrhunderts auf das ‘Wirkliche’ zu repräsentieren. Zu einem
weiteren geschichtlichen Fall cf. F. Braudel, La Méditerranée et le monde méditerranéen à l’épo-
que de Philippe II, 1949: Der Seesieg Juan d’Austrias bei Lepanto über die Türken „koste“ die
mittelmeerische Welt ihre geistige Vorrangstellung in Europa. Sie gehe an die Länder nördlich
der Alpen über. F. Nietzsche, 1879 II. Bd. Aph. 17 beschreibt große Musik (die Niederländer,
Händel, Mozart, Beethoven, Rossini) im geschichtlichen Nachzug gegen die Epochen, denen
sie geistig zugeordnet sei: „So möchte denn ein Freund empfindsamer Gleichnisse sagen, jede
wahrhaft bedeutende Musik sei Schwanengesang.“ Ähnlich im Einzelfall G. Gould: er bezieht
Bach auf die Hochgotik, während die Gotik sich für Nietzsche bei den Niederländern spiegelte.
Anders zu Bach hier Th. W. Adorno, 1993 p. 212.
24. Es ist ohne weiteres zu sehen, dass bei Ockham auch die Ethik dem Kodex, wie er ihn for-
muliert, angeschmolzen wird. Man sehe hier die Suppositionslogik, die er selbst hervorhebt. Sie
Kapitel 14. Widerspruch und accidens 645
natürlich ein singuläres Ergebnis. Es bettet bei Ockham sich in eine Struktur, die sei
nem Beweisen auf der Grenzlinie von Konstruktion und Widerlegung gemäß ist und
dem Beweisen des Duns Scotus28 sowohl recte wie reflexive entgegensetzt wie von der
dürftig plakativen Thesenbildung des Nikolaus von Autrecourt sich abhebt.29
Um diese Struktur herzustellen bedient Ockham sich in besonderem Maße auch
des Omnipotenzprinzips.30 Die Gegenstellung des Allmachtsprinzips gegen das
jeder Sachverhaltsgedanke, wie er in der Literatur aufgetaucht ist, ist improbat. Er müsste sich
eine nicht ermittelbare (nicht untersuchte) Notwendigkeit aus dem Gegenstand oder aus der
Verfügung der konzeptuellen Inhalte borgen. Beides ist ausgeschlossen und begründet bei
Ockham die Kontingenz bis in die actus mentales hinein, i.e. die Kontingenz unter ihnen. Letz
ten Endes bedeutet es, dass die Akte, Begriffe, Sätze, Beweise, actus iudicativus, habitus usw.
keine solide Existenz haben.
28. Wir haben dieses hauptsächlich als gemäß einer schlechten, ungeordneten (regelwidrigen)
oder falschen Abstraktion erfolgend dargestellt und kritisiert. Dabei steht es, wenn man die Sät-
ze einmal als primärsprachliche elementare Ausssagen (von kontingentem empirischem Cha-
rakter) deutet, in der Nähe der fallacia. Man aber auch aus der umgekehrten Richtung sagen, es
könne nicht erwiesen werden, dass die Scotischen Beweise die Realität in se oder die Dingen in
sich treffen und betreffen und somit wahr sind oder Wahrheit haben. Ähnlich kann für axioma-
tische Mengensysteme nach K. Gödel u. a. nicht die Wahrheit bzw. Konsistenz bewiesen wer-
den, mithin die ‘Vollständigkeit’, die hinsichtlich der Prädikatenlogik erster Stufe (Peano-Axio
me) gilt. Die Gleichung ‘Wahrheit = Widerspruchsfreiheit’wird man, soll sie als eine elementare
gelten, mit Ockham anfechten. Man hat es dabei auch nicht mit Kalkülen o. ä. zu tun.
29. Auch hier hapert es bei der Interpretation. Z. B.: D. Perler, 1988. p. 78 zitiert den 8. verur-
teilten Artikel des Nikolaus von Autrecourt: „Item dixi epistola secunda ad Bernardum, quod
de substantia materiali alia ab anima nostra non habemus certitudinem evidentiae.“ Der Satz
ist banal bis unverständlich, da ja abstrakte Wahrheiten entweder nicht als empirisch begrün-
dete eingesehen werden können oder gar nicht existieren. Perler übersetzt p. 79: „Ebenso habe
ich im zweiten Brief an Bernhard gesagt, das wir Gewissheit der Evidenz von einer materiel
len Substanz haben, die von unserer Seele verschieden ist.“ Die Kenntnis der Autrecourtschen
Thesen und der Text erweisen das als Fehlübersetzung (non!). Ein Mißgriff offensichtlich auch
beim 17. Artikel, der p. 80 lautet: „Item dixi in epistola predicta, quod nulla potest esse sim
pliciter demonstratio, qua existentia tantum demonstretur existentia effectus.“ Perler übersetzt
das p. 81: „Ebenso habe ich im erwähnten Brief gesagt, dass kein Beweis in uneingeschränkter
Weise bestehen kann, durch dessen Existenz (Existenz des Beweises?) nur die Existenz der
Wirkung bewiesen wird.“ Bestehen? In uneingeschränkter Weise? Autrecourt sagt und meint:
es gibt schlechthin keinen Beweis. Ferner sagt und meint Autrecourt: dass Existenz nicht durch
die Existenz einer Wirkung bewiesen werde. Das stimmt auch mit Artikel 16 überein: „nesci-
mus evidenter, quod in aliqua productione concurrat subiectum.“ Perler übersetzt: productio
(Hervorbringung) als ‘Bewirken’, concurrat (hier dem Sinn nach als causa ‘mitwirken’) als ‘mit
spielen’ und subiectum (in Bezeichnung eines Gegenstands bei Ockham wenigstens als Sub
stanz verstanden) als ‘Subjekt’. Das mitwirkende ‘Subjekt’ würde den Erkenntniswert tilgen.
30. Das Allmachtsprinzip gehört nominell in die Theologie. Es drückt die Größe Gottes
aus und gehört in der Form des praedicatum omnipotens mit Deus als subiectum in eine
Kapitel 14. Widerspruch und accidens 647
propositio immediata. Das entspricht aber schon einer Reduktion auf den irdischen Maßstab:
wir haben de facto den Namen und Begriff Gottes und eben darin, als unserem Verständnis die-
ses Begriffs entsprechend, die Vorstellung seiner/der Allmacht oder Allwissenheit. Sie definieren
unseren Begriff von Gott. Auch hier steht das Theologische unter dem Prinzip der consequentia
formalis, also einer praktisch empiriewertigen Folge oder Verbindung von Begriffen, die für
alles Theologische als Regel erhalten bleibt. Wir können für die Aussage keinen Widerspruch
gewinnen. Wenn Ockham das Theologische nur nach Maßgabe der Widerspruchsfreiheit, also
des Widerspruchssatzes gelten lassen will, so dass er im Falle des Widerspruchs (i.e. zu irdi-
schen Verhältnissen) den Satz entweder so korrigiert, dass er per abstractionem der Empirie
entzogen ist oder auf die fides und die Kirchenlehre verweist, denen er vielleicht nur pro forma
(im Lippenbekenntnis) Vorrang einräumt, da er ihnen gelegentlich auch seine rationalen Auf
fassungen entgegensetzt und mit diesen dann eigentlich arbeitet, z. B. in der Frage des peccatum
originale, das er nicht anerkennt, dann hat er im Empirischen entweder keinen Widerspruch
oder ihn mit dem Empirischen ersetzt oder auch gewonnen. Manchmal operiert er nach seinen
grundlegenden erkenntnispsychologischen Begriffen wie habitus, substantia, forma, accidens
für die Erstellung seiner opinio propria.
31. Zugleich bewegen sich die Begriffe damit auf transzendente Komponenten, Geltungen
oder Einbettungen zu. Solche gelten z. B. für habitus. Sie berühren sich mit der Wirkung Got-
tes. Begriffe wie substantia und accidens werden auch in diesem transzendenten Bereich weiter
gebraucht, wenn Ockham die divina essentia und ihre Relevanzen und Referenzen erörtert,
von den Erkenntnisleistungen der Engel oder der beati spricht. Daneben verlieren die empiri-
schen Begriffe ihre eigentlich der lex communis (Schöpfung) entsprechende Bedeutung, insbe
sondere die Relationsbegriffe und diese besonders in der Theologie, etwa wenn von generatio,
spiratio usw. gesprochen wird. Wir verlieren dabei die an der Empirie gewonnenen menschli-
chen ‘Begriffe’ kat’exochaen und bewegen uns auf Ersetzungen zu, die als transzendente, wie sie
einer anderen Schöpfung entsprächen, die Gott hypothetisch tätigen könnte, nur imaginär sein
können. Dass das Widerspruchsprinzip nicht unbedingt eingrenzende Kraft besitze, belegen
verschiedene Äußerungen Ockhams: „omnipotens non potest efficere omne illud quod non in-
cludit contradictorium quia non potest efficere deum.“ Gott denken wir zunächst widerspruchs
frei. Es gibt keinen Grund dafür zu denken, dass dieses Konzept einen Widerspruch enthalte.
Cf. auch: „non tamen potest aliquem effectum facere sine causa prima.“ Gott ist hier auf sich
selbst verwiesen. Die berühmte Formel Spinozas ‘nemo contra deum nisi deus ipse’ – s. a. H. v.
Hofmannsthal, Der Turm (nach Calderon!), 1925 I, 2 – hat dies Pendant, dass Gott nicht extra
se schaffen kann. Der Widerspruchssatz geht hier in Inhalten unter.
648 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Aber Ockham verbindet mit dem Omnipotenzprinzip weder einen ideologisch in-
haltlichen Aspekt32 noch Momente der eigentlichen Weltauslegung überhaupt. Weder
wird etwas über Gott gesagt noch über die Verfassung der Welt oder deren Aufhebung
mittels göttlicher Intermittenzen, die zudem in jedem Augenblick anstünden, i.e. zu
drohen hätten. Ockham exponiert bei seinem funktionellen (funktionalen) Gebrauch
des Omnipotenzprinzips keine Zweifel und schon gar nicht via Omnipotenzprinzip.
Eher bezieht er auch dieses in seine beweistheoretischen Überlegungen ein, die theo-
logisch-philosophischen Grundsätzen hinsichtlich der Tätigkeit Gottes in Bezug auf
die Welt zu gelten haben:33 „Non potest ratione naturali probare contra philosophos
nec quod deus possit se solo causare omne causabile nec quod immediate concurrat
ad causandum omne causabile.“34 Dass diese Maximen unbeweisbar seien, bedeutet
nicht, dass sie nicht ‘possent persuaderi’:35 „Videtur posse probaliter teneri quod deus
est causa cuiuslibet effectus et quod potest se solo omnem effectus possibilem produci
causare“. Keine solche Maxime:36 „potest ratione naturali sufficienter probari.“ Auch
die gegenteiligen (kontradiktorischen) Annahmen sind unbeweisbar.37 Persuasiones
sind somit noch möglich, wo Beweise nicht existieren (unmöglich sind). Wollte man
dafür einen Beweis verlangen, so könnte man antworten: er kann oder muss nicht ge-
geben werden, wo die empirischen Bedingungen des Beweises einen solchen verhin-
dern:38 „Non potest naturali ratione demonstrari quod deus potest immediate se solo
32. Ockham ermittelt mit Hilfe des Omnipotenzprinzips um das Zentrum des Elementarsatzes
herum Partikularbefunde für die Elemente und Bezugsmomente dieses im Prinzip kontingen-
ten Satzes; er gibt für sie Bestimmungen und trifft darin weder extramentale Realität in se
(Geltung) noch gestaltet er genuin mentale Entitäten. Er schafft kein Weltbild wie Descartes
und Leibniz, insbesondere mit Einschluss von Logik und Naturgesetzen.
33. Ord. d. 43 q. unica OT IV p. 635 lin. 24 – p. 636.
34. Die Mitwirkung Gottes ist, wie hier schon vermutbar ist, ein stehender Grundsatz. Sie gilt
auch bei unseren Erkenntnisakten. Cf. Ord. Prol. q. 1 OT I p. 70 lin. 11–13: „illa est propositio
per se nota ad cuius evidentem notitiam sufficiunt termini cum generali influentia Dei; potest
tamen Deus hoc impedire.“ So auch bei der notitia intuitiva (ib. lin. 13–15). Wenn Gott seine
generalis influentia unterbindet, gibt es ein impedimentum. Der Gesamttext lin. 11–15 weicht
für den W 1495 weit mehr von der Textedition ab, als der Apparat angibt. Zum grundlegenden
statement s. auch Quaestiones variae q. 5 OT VIII p. 171 lin. 312 dass Gott „in omni actione
concurrit.“
35. Ord. d. 42 q. unica OT IV p. 620 lin. 23 – p. 621 lin. 2.
36. Ib. p. 621 lin. 2–4.
37. Ib. p. 620 lin. 18–21 (mit halber Wendung gegen Aristoteles): „Verumtamen, quaecumque
fuerit intentio Philosophi, dico quod per nullam rationem efficacem vel multum apparentem
potest probari Deum non esse causam immediate concurrrentem ad producentem omnes ef-
fectus.“
38. Ib. p. 617 lin. 5–9.
Kapitel 14. Widerspruch und accidens 649
omnem effectum producibilem producere, quia non potest naturali ratione demon-
strari quod deus causat se solo omnia de facto.“39 Item: Der Widerspruchssatz ante-
zediert dem Omnipotenzprinzip, er begrenzt es nicht und hat mit der in der Welt
gelegenen Nichterreichbarkeit Gottes, Nicht-Ableitbarkeit aus ihm zu tun.40
In strukturaler Einbindung bedient sich Ockham auch des Ökonomieprinzips.
Es ist in der Scholastik vor Ockham bekannt gewesen. Nennt man es mit Hinblick
auf Ockham dessen ‘Rasiermesser’, verkennt man wohl seine strukturelle Bindung
und Integration bei Ockham. Das zeigt der Vergleich mit Duns Scotus. Man wird
mit Duns Scotus streiten können, ob sein Verfahren wirklich Methode heißen kön-
ne. Wo Ockham scheinbar mit ihm gleichzieht und Analogien aufweist, liegt hier
39. Gott könnte der sekundären Ursachen bedürfen = sie zuvor schon benutzt haben. Wenn
Gott von einem ordo causarum abhinge, so wir von einem ordo conceptuum; es gäbe dann
einen ordo propositionum. Wir könnten dann u. U. den ordo beweisen. Wir wären in einer
Welt, die wir nicht kennen oder haben. Wir könnten das Gegenteil der Sätze, die wir nicht
beweisen können, beweisen, für einen Gott, den wir nicht thematisiert haben. Also ist im Sinn
von Widerlegung bewiesen, dass wir die Sätze nicht beweisen werden können. Dafür ist in
einem ein induktiver und ein analytischer Beweis gegeben worden. Über Satzstrukturen muss
nicht gesprochen werden. Ockham tut übrigens gut daran, an jeder Stelle, an der er die potentia
Dei absoluta ‘einführt’ und d. h. gebraucht, zu betonen, dass was per potentiam Dei absolut-
am geschehen oder angenommen werden könne, naturaliter nicht und das heißt nie geschehe.
Naturaliter geschähe es ohnehin nicht; es würde eben auch alle Begriffe äquivokativ machen.
Freilich schreckt Ockham nicht davor zurück, in die Zone einzusteigen, die wir durch die tran-
szendenten Prinzipien und Annahmen in Anspruch nehmen. Es gehören dazu schon die con-
servatio, der habitus und eben auch der concursus Dei ad omnem actum et effectum. Mit ihnen
wie mit den transzendenten Formeln sind wir in der Domäne des Beweisens, das aber hier
besonders thematisiert wird, indem sie auf die quasi empirische Basis alles Beweisens bezo-
gen, selbst als sowohl unbeweisbar wie notwendig beweiskonform sich darstellen. Sie könnten
nicht zugleich beweisbar und beweisaffin sein. Doch gilt: wo wir für und nach Ockham den
Rahmen der Welt und damit der weltlich (empirisch) entstandenen und verfügbaren Begriffe
nicht sprengen dürfen und sollen, tun wir es mit den transzendenten Annahmen und Formeln
beständig und haben es im Sinne der Beweiskonformität und der Grundlegung des Beweisens
doch nicht getan.
40. Dass der Widerspruchssatz dem (Gebrauch des) Omnipotenzprinzip(s) vorausgeht und
es nicht begrenzt, zeigt ein Beispiel: forma und materia können nicht universal und individual
sein. Gott kann daher eine forma und eine materia sukzessiv in allen Individuen neu schaffen.
Dieses Argument widerlegt nicht die Ansicht, dass forma und materia universal und zugleich
individual seien; sie ist in sich absurd. Gottes Möglichkeit per potentiam Dei absolutam kann
auch nicht durch den Widerspruchssatz begrenzt sein. Das Allmachtsprinzip wird hier suprana
turaliter loquendo gebraucht. Es definiert forma und materia. Wir gehen von einer Absolutheit
aus, die weder durch die aus ihr hervorgegangene Welt (Schöpfung) noch durch eine ontolo-
gisch bestimmte menschliche Vernunft gebrochen werden kann. Die inhaltliche Absolutheit ist
nach dem Widerspruchsprinzip gedacht.
650 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
doch der Unterschied.41 Auch andere scholastische Autoren bieten sich dem Ver-
gleich an. Ein Beispiel ist die consequentia formalis im Vergleich von W. Chatton zu
Ockham.42 Immer geht es dem Scholastiker dabei um eine Immediatsicherung der
41. Die Argumente gegen seine Deduktionen, die Duns Scotus sich selbst macht und dann zu-
rückweist, fallen wie er die Sache handhabt und deklariert, in das accidens. So können sie dem
Substanziellen, das die Deduktion offenkundig betreibt, nichts anhaben. So gesehen müssen
seine Argumente auf die Abstraktion, den abstrakten Gehalt, zielen. Ockhams Argumentieren
ist grundsätzlich in derselben Weise angelegt. Es handelt sich aber nur um eine äußerliche
Ähnlichkeit, wie auch beim Ökonomieprinzip. Es findet sich bei Duns Scotus ed. Kluxen, 1974
cap. II p. 26f: „hanc generalem (propositionem) propono apud Aristotelem satis notam: Deci-
ma quinta conclusio: Numquam pluralitas est ponenda sine necessitate.“ Allerdings begründet
Duns Scotus nicht, warum eine pluralitas hier nicht notwendig sei und daher nicht gesetzt
werden solle. Duns Scotus macht vielmehr aus dem Mangel oder Fehlen, das er wie etwas Evi-
dentes behandelt, ohne dass er sagen könnte, wie es das ist, eine beweistaugliche Maxime. Das
ist sein Verfahren: „Cum igitur nulla necessitas appareat ponendi plures ordines essentiales
primos quam duos praedictos, illi soli sunt. Haec etiam generalis propositio ostendit tantum
sex ordines essentiales: Tot ostensi sunt, et ad ponendum alios necessitas non apparet.“ Bei
Ockham wird in solchen Fällen gezeigt, dass es keinen Ergänzungsbedarf gebe. Der Scotische
Gebrauch des genannnten Grundsatzes folgt seiner Deduktionsweise mit dem Überspung aus
der präsumtiven Erfahrung in die für allgemeingültig erklärte bereinigte ontologische Annah-
me. In seinem Kommentar, worin er die Scotische Argumentation erklären möchte, behauptet
dagegen W. Kluxen ib. p. 158: „Dies Prinzip (Ökonomieprinzip) hat wesentlich methodischen
Charakter: Es verlangt, dass jede Annahme begründet ist. Offensichtlich gibt es damit die erste
Regel jedes wissenschaftlichen Verfahrens an, und so bedarf es keiner Begründung.“ Das ist
eine petitio principii und im Übrigen darüber hinaus noch verworren; denn das Ökonomie
prinzip bedarf oder bedürfte nicht der Begründung im Sinne der Fälle, auf die es angewandt
wird. Dass weitere Erfahrungen fehlten und eben deshalb die Vollständigkeit gegeben sei, wie
Kluxen ebd. behauptet, ist wieder die petitio principii, die Sotische oder die seine.
42. Chatton hat die consequentia formalis zwischen termini in einem Satz (propositio per se
primo modo) angenommen. Cf. W. Chatton ed. J. C. Wey, CSB, 1989. Prol. q. 3 art. 1 p. 148
lin. 89–93: „illa propositio non est per se primo modo dicendi per se quae ad hoc quod sit vera,
non requirit per consequentiam formalem quod res significata per praedicatum sit quidditas
vel pars quidditatis rei significatae per subiectum; sed haec propositio ‘Deus est sapiens’ est
huiusmodi; igitur etc.“ Chatton setzt derart die consequentia formalis reduplikative zweimal
an, innerhalb des Satzes und außerhalb. Chatton will gegen Ockham zeigen, dass der Satz ‘Deus
est sapiens’ keine propositio primo modo per se sei. Ockham hatte es nicht behauptet. Dessen
Definition dieser Satzart, die Chatton zitiert und angreift, tut also nichts zur Sache. Implizit
oder explizit tut Chatton so, als ob die propositio primo modo per se Wahrheit überhaupt und
den Wahrheitswert schlechthin verkörpere. Er lehnt dann (ib. p. 150 lin. 145–149) Ockhams
suppositionslogisches Wahrheitspräskript als ausreichende Bedingung von Wahrheit ab und
setzt seine Definition der propositio primo modo per an die Stelle. Die von ihm danach (?)
aufgestellte (gebrauchte?) consequentia ‘gibt’ es nicht. Er will mit ihr per Evidenz beweisen (ib.
p. 149 lin. 129–134): „Consequentiam probo … quia si illa propositio nata esset esse vera quan
tum ex forma consequentiae illo casu posito, igitur definitiones terminorum non requirunt
Kapitel 14. Widerspruch und accidens 651
per consequentiam formalem quod res significata per praedicatum sit quidditas vel pars quid-
ditatis rei significatae per subiectum. Et per consequens non est ibi modo perseitas praedica
tionis quam requirunt definitiones terminorum consequentia formali.“ Nach der zusätzlichen
Behauptung illo casu positio, sc. (ib. lin. 109) „per contradictionem sapientia distingueretur a
tota quidditate Dei“, wenn ‘Deus est sapiens’ nicht, wie Chatton und Ockham annehmen, bloß
eine propositio contingens (Chatton: ‘verum de facto’) wäre, könnte die propositio per se primo
modo innerhalb ihrer selbst auch durch einen Widerspruch äquivalent der consequentia for
malis bezeichnet werden. Es setzt konkret = abstrakt.
43. Francis Bacon, Novum Organum, 1620, Aph. 24: „It cannot be that axioms established by
argumentation can suffice for the discovery of new works, since the subtlety of nature is greater
many times over than the subtlety of argument.“ (s. a. Baconiana Bde. 37–38, 1953 p. 62).
44. H. G. Gadamer, 1960 p. 341 (und passim) ist „der naive Glaube an die Methode“ verleidet.
Er tadelt (ebd.): „Es ist die Methode der Sozialwissenschaften, wie sie dem Methodengedan
ken des 18. Jahrhunderts und seiner Formulierung durch Hume entspricht, in Wahrheit ein
der naturwissenschaftlichen Methode nachgearbeitetes Cliché.“ Gadamer will ‘seine’ (wie er
meint näherungsweise „Diltheysche“) Hermeneutik auch von „der psychologischen Gesetzes
forschung, die sich die Naturforschung zum Vorbild nimmt,“ freihalten. Als historisch in den
exakten Wissenschaften die Suche nach der Methode als Standard noch anstand, konnte umge
kehrt A. Boeckh als Hermeneutiker den Mathematiker C.G. Jacobi stark beeinflussen. Cf. C. G.
Jacobi, Vorlesungen über Analytische Mechanik, 1847/1848, H. Pulte ed., 1996. Dazu s. a. Pultes
Einleitung pp. XVIII–LXVIII und die laufenden Anmerkungen des Ed. zu Jacobis Vorlesungs
text. Die äußerste Disjunktion zwischen Geistes- und Naturwissenschaft entspricht also viel-
leicht einfach nicht deren Idee.
45. H. Blumenberg, 1960 will via Kant historisch belegte Schwächezustände des Geistes als
Vorgriffe auf Erkenntnis legitimieren. Das bedingt Auslegungen, die argumentativ nichtig sind.
Sachhaltigkeit entfällt. Erkenntnisprogramme, die symbolförmig oder in Metaphern geschrie-
ben werden, sind theoretisch/praktisch uneinlösbar: Einlösung ist da weder logisch qua Im-
plikation noch geschichtlich nach als definit sich erweisenden Begriffen denkbar (möglich).
652 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Leistungen oder Emanationen nichts mehr weiß und über letztere für das Subjekt
nichts mehr beweisen kann.46
Eine solche substanziale Erkenntnis, die zudem in der anima intellectiva als ei-
ner dabei in se erkennbaren Substanz stattzufinden hätte, gibt es nun bei Ockham
auch nicht. Dabei verwendet Ockham transzendente Formeln, die über alle Empirie
hinausragen; er operiert in Richtung auf jenseitsweltliche Erkenntnismöglichkeiten
in anderer Seinsweise oder Subjektverfassung mit anderen Bausteinen (der terminus
muss hier nicht mehr unser menschlicher conceptus sein), unabhängig von unseren
Erfahrungen und Erkenntnisbedingungen, ohne dass die Aktgleichheit im Rahmen
der Argumentationen angetastet würde.47 Ockham hat aber weder projektiv die
Der Autor gebot hermeneutisch Aneignung: Vergewisserung und darin unabdingbar Verin-
nerlichung. Id. 1966 forderte eine Bewusstseinsgründung, mit der ein angeblich in Ockham
kulminierender historischer Erkenntnis- und Selbstverzicht abzulegen sein sollte, id. 1979, 1986
noch radikalere humane Revisionen auf mythologischer Basis (‘Prometheus’): nun gegen die
verderbliche Fiktion ‘Gott’, nicht mehr gegen Ockham, der dessen Vexierbild geliefert hatte.
Bewusstseinsrelationen stiften dem heutigen Subjekt die personale Substanz alias Identität
(alias Erkenntnis) und untertunneln Kants Erkenntniskritik. Denn nicht Substantialität des
Verstandes oder der Seele sollte an Leistungen des Verstandes abgelesen werden: die Formen,
worin die Leistungen mit zugleich kriteriologischer Bedeutung sich abspielten, sind periphere
Attribute. s. die Substanzferne (Akzidentalität) der Akte bei Ockham, Quaestiones variae q. 5
OT VIII pp. 155–191. Sie sind per se ‘äußerlich’. Ockham beweist induktiv gegen Scotus, dass der
intellectus in se nicht am Erkenntnisprozess mitwirkt.
46. Den Dialektikern hilft da Dialektik, wie Th. W. Adorno, 1966 zeigt. Das Subjekt ist quasi,
nach A. v. Chamissos Erzählung (1815), sei es der Peter Schlemihl, sei es dessen ‘Schatten’ ge
worden. Schlemihl ist sein Schatten, der sich nicht wiedererlangen lässt. Der Held der Novelle
‘tröstet’ sich und wird Wissenschaftler (sic!). Er erreicht nur, vom Teufel, der ihm den Schatten
abkaufte (wegnahm) und seine Seele will, nicht mehr belästigt zu werden. Sein treuer Diener
gründet mit Schlemihls Geld derweil ein gemeinnütziges ‘karitatives’ Werk. In ihm werden ge-
wiss Seelen gepflegt. U. a. zuletzt die Schlemihls. Die Disposition ist schon die ganze Erzählung;
das ist immer so, aber diesmal wird unmittelbar ohne besonderes Gewand die Disposition
erzählt und symbolisch.
47. Indem aber hier die ‘empirischen’ Erkenntnisbedingungen festgehalten und (zugleich) ne-
giert werden, wird mit den Mitteln, die für Gott (Jenseitswelt) und lex communis objektiv und
subjektiv gleich bleiben, so etwas wie ein beständiger Gottesbeweis geführt. Der Annahme der
Existenz Gottes ist vernünftigerweise nicht zu widersprechen. Dabei ist uns die wahre Einsicht
pro statu isto verwehrt. Der Ausgriff auf die Transzendenz, der bei Ockham argumentativ und
inhaltlich quasi zwangsläufig (natürlich) ist, bedingt doch nicht, dass diese Mittel, zu denen
die Formeln und inhaltlichen Annahmen zählen, nicht selbst auch halb durchstrichen i.e. ne-
giert wären und so halb negiert auf den Menschen ebenso wie relativierend Gott verwiesen.
Sie beinhalten so Gott wenigstens der Existenz nach, die nicht bestritten werden kann. Diese
Differenzierung tritt bei Ockham überall auf. cf. Ord. Prol. q. 1 OT I p. 72 lin. 13 – p. 73 lin. 16.
Sehr hypothetisch nimmt Ockham an, dass der beatus eine Erkenntnis Gottes haben könnte,
bei der Gott selbst, also eine res, wenn denn, so sagt er, das möglich sei (cf. p. 73 lin. 13f), den
terminus abgebe oder „aliae intentiones animae quas non“ (habemus). Diese Erkenntnis wäre
Kapitel 14. Widerspruch und accidens 653
Realwertigkeit unseres Erkennens secundum rem (oder nach den Verbindungen von
Gegenständen unter sich, etwa als Kausalverhältnis) für theoretisch und argumenta
tiv integrabel gehalten noch hat er geglaubt, mit seinen Argumenten die Substanz des
Denkenden (der anima intellectiva) als in diesen mitgegeben oder irgendwie enthal-
ten, respektive eigens beweisbar ansetzen zu können. Er geht indes von einem Me-
dium, dem actus apprehensivus aus,48 der zunächst auch die Glaubenssätze und die
Kirchenlehre aufnimmt.49 Alle Akte sind akzidentell gegenüber dem Verstand und
leiten nicht in die Substanz hinein. Diese kann bezüglich ihrer inhaltlich und argu-
mentativ nicht erreicht und mitgegeben werden. Wir enden bei den Vermögen. Der
Widerspruchssatz aber regiert, was von Ockham insbesondere für die Kirchenlehre
geltend gemacht wird, pro forma und in erster Annäherung den Entscheid über die
Realwertigkeit, Gültigkeit, Wahrheit und Akzeptanz aller Sätze, auch so, dass eine An
nahme möglich genannt wird, solange ein Widerspruch noch nicht gefunden wurde.
Ockham summiert aber nicht über diesen noch nicht erfolgten Widerspruchnach-
weisen, um sie (das) indirekt einen Erweis der Widerspruchsfreiheit generell zu nen-
nen.50 Der Widerspruchssatz ist aber bei den Operationen Ockhams nicht eigentlich
eine propositio per se nota, an der der beatus nicht zweifeln könne. (W 1495 sagt hier Ord.
Prol. q. 1 DDD: forte, was Ed. unerwähnt und praktisch unter den Tisch fallen lässt: Dort heißt
es p. 73 lin. 12f: „quae foret sibi per se nota“). Die Aktbestimmungen (notitia intuitiva und ab-
stractiva) werden auch transzendent gebraucht (übertragen). Der beatus hat aber womöglich
neben seiner notitia intuitiva und propositio per se nota, vielleicht in ihm möglichen beson-
deren termini, die uns unverfügbar sind, potentiell noch eine notitia „abstractiva“ von einer
propositio in unseren conceptus. Hier könnte der beatus aus seiner propositio per se nota nach
beiden denkbaren Typen von termini auf unsere Erkenntnis(art) per consequentiam formalem
‘folgern’. Wir haben erstere Erkenntnis nicht und können auch nicht aus der Erkenntnis eines
anderen Erkenntnisträgers, etwa des beatus, auf die Wahrheit unserer abstraktiven Erkennt-
nis derselben Wahrheiten, die der beatus intuitive erkennt, folgern. Das stellt Ockham gegen
entsprechende anderslautende Thesen in der ihm eigentümlichen Form des Beweisens fest. So
nannten Thomas von Aquin und Duns Scotus die höhere, uns entzogene Erkenntnis des beatus
den Gewährleister unserer beschränkten Erkenntnis in unseren menschlichen Begriffen und
ihrer Wahrheit in unserer notitia abstractiva. Das wäre bereits mit der notitia abstractiva bei
Ockham unverträglich. Darin werden per definitionem gerade nicht Wahrheit, Existenz, Prä-
senz erkannt. Die consequentia formalis, die, vorsichtig anberaumt, der beatus vollzöge, würde
auch für ein unabweisbares Zusammenstehen der Satzglieder s und P in der Aussage stehen.
48. Zur apprehensio als natürliche Wahrnehmung der aus der Erfahrung gebildeten Begriffe
und dann aber auch als danach gebildeter und ‘bewahrter’ Satz cf. Quodlibetum V q. 6 OT IX
p. 501 lin. 20–23: „duplex est apprehensio: una est quae est compositio et divisio propositionis
sive formatio, alia est quae est cognitio ipsius complexi formati sicut cognitio albedinis dicitur
eius apprehensio.“
49. In ihm sind actus und notitia im Grunde gleichwertige Begriffe und das gilt wohl gemein-
spätscholastisch.
50. Hier widerspricht er Duns Scotus, wie wir zeigen konnten. Cf. Kap. 4: Fides et scientia.
654 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
mitwirkend; er ist weder explizit noch implizit darin gegeben.51 Der Widerspruchssatz
übersteigt nicht einmal funktionell die Ebene der Empirie oder jener Annahmen, die
wir immer noch, weningstens dem ontologischen Ausweis nach als empirische ann-
setzen können.52
Wir haben aber gesehen, dass der Widerspruchssatz auf der Ebene der Sachen re-
ell für Operationen nicht zu begründen ist und dass er in Ockhams Argumentationen
in diesem Sinne entfällt, geradezu exreguliert (ausgeschaltet) wird. Ockham ‘ersetzt’
ihn in Beweisen und klammert in dem Sinn zugleich die Realgeltung, die Empirie und
die Wahrheit ein. Sein Ergebnis muss natürlich über seine Philosophie hinaus gelten,
wenn diese denn konklusiv sein (können) soll. Sonst wären Konzeptionen denkbar,
die, unter Integration des Widerspruchsprinzips, seiner Konzeption überlegen wä-
ren oder sie ausschlössen.53 Doch zeigt Ockham im Innersten sein Bewusstsein: das
51. Für die sacra theologia wird er ausgeschaltet, indem widersprüchlich unverständliche
Sätze als auf die empirischen Bedingugnen unseres Verstehens bezogen für sinnlos erklärt
werden. Sie werden dann etwa durch die distinctio formalis als Modus, der modo composito
angewandt oder verstanden wird, über die empirische Ebene hinausgegehoben und damit zu-
gleich gegen den Widerspruchssatz modalisiert. Am Ende betrifft der Widerspruch hier unse-
re an der Empirie orientierte Auslegung, welche als ungemäße korrigiert (aufgehoben) wird.
Auch die distinctio ratione hat diese Funktion. Auch sie lässt sich dabei induktiv erreichen oder
begründen.
52. Der Widerspruchssatz ist unangefochten, wenn er nicht eigentlich greift: bei Dingen (Rep.
IV, q. 10–11 OT VII p. 206 lin. 8f) „quae non proprie opponuntur formaliter et intrinsece.“ Die
Gegensätzlichkeit der Dinge kann dagegen nur eine aus äußeren Gründen sein (lin. 9–11): „sed
si opponantur (sic!), solum opponuntur per causam extrinsecam, quomodo est de culpa et
gratia, quia nihil absolutum in uno repugnat formaliter alicui absoluto in alio“; in diesem Fall
(ib. lin. 12) „solum opponuntur ex institutione divina“. Diese oppositio (contradictio) kann Gott
aufheben (cf. ib. 21f). Wir sind so bei der bis in den ordo salutis hineinreichenden Kontingenz.
In ihr und für sie hat Gott also bedingt Gegensätzlichkeit ordiniert. In dieser Kontingenz ‘greift’
allenfalls der Widerspruchssatz, und er begründet dort nichts. Dabei gilt auch: Das accidens,
das einen Akt betrifft, betrifft ihn nicht in substanzialer Qualität, eine solche muss daher auf
einer höheren Stufe angesetzt werden, die ihrerseits das accidens, den Akt, nicht mehr (be-
)trifft, außer im Sinn von dessen Identität. Diese besagt dann die Modalität der Aussage auf
der höheren Stufe im Sinn ihrer nicht extramentalen Identität. Das gilt auch bei der Sünde; der
habitus, der dem actus peccati zugeordnet wäre, kann so in der Verfügung Gottes bleiben, i.e.
ohne den Sündenakt existieren, der gleichwohl selbst beim Menschen bestehen, ihm zurechen-
bar bleibt. Der Mensch bleibt so Sünder, obwohl Gott den habitus, der aus der Sünde erwüchse,
vom actus getrennt hat. Die Sünde selbst hat, auf den akzidentell bestimmten Akt, konzentriert
und beschränkt, keinerkei Nachwirkung; eben auch nicht in Gestalt eines habitus. So gibt es
kein peccatum originale. Es müßte über einen habitus bewahrt werden, in einer ex accidente
entstehenden forma seinen Grund haben. Diese forma gibt es nicht und sie entsteht nicht.
53. Das Widerspruchsprinzip soll vielfach auch den Realbezug von mathematischen Opera-
tionen, Rechnungsarten, physikalischen Konzepten und Hypothesen besagen. Bedingt lässt
sich, wie schon Mathematiker wie Jacobi (cf. Anm. 44) unterstellten, die Realitätshaltigkeit
Kapitel 14. Widerspruch und accidens 655
Bewusstsein als Medium kann nicht begründet werden und an die Stelle muss die
Operation, die Methode treten. Sie muss, da man in seiner Zeit nicht das autono
me Subjekt denken kann, ein Phantasma sein und auf kein Medium antworten; nur
provisorisch steht sie für das was später durch die Methode (Operation) ersetzt wer
den wird: das Subjekt. Dieses kommt bei diesem Vorlauf nicht zu sich selbst. Das
geistige Problem der Neuzeit bestand nicht im Mittelalter und nicht in der Antike.
Da aber Ockhams charakteristische Art zu denken ganz in die Argumentation ein-
geht, muss sie rückgrifflich derart definiert werden, wie darin die Elemente dieser
Argumentationsweise aufgezeigt und bestimmt werden.
Dabei tritt das Omnipotenzprinzip in abstractis an die Stelle des induktiv in den
Gegenständen untergegangenen Widerspruchsprinzips.54 Das Omnipotenzprinzip
muss nach den beiden Auslegungsarten (oder Bestimmungen: naturaliter loquendo
und supranaturaliter loquendo) unterschieden werden je nachdem ob das Wider
spruchsprinzip durch die distinctio realis ersetzt wird, oder mit dem Aspekt des
Gegenstandes, in den es eingeht, erlischt. Das ist bei einigen theologischen Fragen
der Fall, zum Beispiel der Frage, ob der viator vermöge des göttlichen Einschreitens
nicht ganz und gar beweisen. Entsprechend ist der Widerspruchssatz allenfalls ein ontologi-
sches Postulat. Cf. W. Leinfellner, 1967 p. 18: „Die mathematischen Aussagen werden nach Weyl
als logische Leerformen möglicher (Natur-)Wissenschaften aufgefasst.“ Leinfellner p. 19 zählt
Ockham zu den Empiristen und beschreibt den reinen Empirismus: „Alle begrifflich theore
tischen Aussagen sollen auf empirische reduziert werden; die empirischen Aussagen müssen
an der Erfahrung prüfbar sein. In extremen Fällen sollen theoretisch begriffliche Aussagen
z. B. mit Hilfe von Definitionen durch Erfahrungsdaten ersetzt werden. Weitere Forderungen
sind die der Objektivität und Intersubjektivität der Beobachtungsaussagen (Wahrnehmungs
aussagen, Messaussagen).“ Ockham kann da der ‘Titel’ „reiner Empirist“ ad libitum gewährt
oder verweigert werden. Die Stichwörter erweisen sich als nicht genügend geschärft, z. B. wenn
der Widerspruchssatz der propositio contingens beitritt und darin untergeht. In Ockhams Ar
gumentation kann dann der Widerspruchssatz erübrigt werden, wenn die propositio contingens
unsere elementare Erkenntnis secundum legem communem und pro statu isto verkörpert und
(formal und „logisch“) vertritt, dann aber wieder mit der propositio contingens zusammen
nicht angewandt werden kann, da sie selbst in keinem Sinne in Operationen sich fungibilisie-
ren lässt. Cf. z. B. unsere Analyse der Ausführungen Ockhams zur höheren Wahrscheinlichkeit,
dass nur ein einziger Gott sei, wenngleich diese nicht bewiesen werden könne.
54. Ockham gebraucht die omnipotentia Dei als transzendentes Argument; er setzt sie ein
schränkend und eingeschränkt (etwa mit saltem apostrophiert) ein. Die potentia ordinata ist
der Inbegriff erfahrbarer Realität und liefert nicht unverbrüchliche Begriffszusammenhänge.
In der consequentia formalis werden empirische Begriffe allgemeingültig. Das transzendente
Argument schmiegt sich der kontingenten Welt an und umgeht logische und transzendental
philosophische Relevanz. In der Welt ist deren conservatio zwangsläufig gewährt. Sie koin-
zidiert mit der potentia ordinata; die omnipotentia storniert hypothetisch begriffliche Allge
meingültigkeit. Zur Funktion bei Ockham cf. G. Leff, 1957 p. 134. Doch „erniedrigt“ Leff die
intensionalen values quasi protoscotisch p. 132: „God’s potentia absoluta refused to exclude
contingency in the name of the contingency in God’s will“.
656 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
in der Hostie den Leib Christi würde erkennen können.55 Der Rückgriff auf die reine
Wahrheitserkenntnis ontologischer Art oder Bestimmung erfolgt nicht.56 Gleichwohl
fungieren die ontologischen Begriffe, vor allem substantia, forma und accidens weiter
im Sinn der sowohl auf die Faktiztitätbasis des Erkennens bezogenen und dadurch
legitimierten Aussagen, solutiones usw. als auch im Sinn der Negation eines in die
Realität zu verlegenden eigenen und subjektfremden Seins. Ockham, der es für mög-
lich hält, dass der viator den Leib Christi in der Hostie secundum omnipotentiam
divinam (supranaturaliter loquendo) sehen könne, (also dies im Sinne des in die res
eingesenkten, eingeklammerten negierten Widerspruchsprinzips nicht ausschließt)
55. Da der Widerspruchssatz in den Gegenstand (res) eingeht, kann er nicht aus diesem her-
vorgeholt (und) in Bezug auf ihn geltend gemacht werden. Da tritt das Omnipotenzprinzip
ein; es übernimmt also in abstractis diese Funktion (Rolle). Das ist eine allgemeine Denkfigur
Ockhams. Cf. Rep. IV, q. 7 OT VII p. 135 lin. 7–10: „Non repugnat intellectui viatoris ex na-
tura rei videre corpus Christi in hostia si permitteretur, puta, si deus coageret secum.“ Gott
kann secundum potentiam absolutam „secum“ eine Einsicht schaffen (da das Widerspruchs
prinzip und die Realerkenntnis secundum rem annulliert sind: per potentiam absolutam su
pranaturaliter loquendo). Dafür steht die weitere oder eigentliche Legitimation, die ja ganz ab-
strakt bliebe, aus. Sie wird keineswegs qua induktiver Hypothesenbildung gleichsam über diese
hinaus reklamiert; es wird ja keine Faktizität mittels der potentia divina ausgegeben. Also auch
nicht Faktizität im Namen von Faktizität durchstrichen. Ockham sagt ausdrücklich, obwohl er
doch schon die Allmacht „‘bemühte’“ si permitteretur. Tatsächlich auch ist es nicht gestattet
(ib.): „Tamen de facto non facit, quia non permittitur“. Nämlich nach den geschaffenen Dingen
nicht.
56. Dass die Wahrheitserkenntnis per notitiam intuitivam sich allein auf Begriffe bezieht und
notitia incomplexa ist, bedeutet eben auch, dass ontologisch-realistische Annahmen nicht
gelten können = sollen. Die notitia intuitiva steht im Gegensatz zur ontologisch-realistischen
Konzeption der Wahrheit, bei der wir die Bestandteile der res extra in se verallgemeinern müs-
sten; wir könnten die propositio oder jeden actus mentalis nicht als existentiell von den res
extra distinkt berücksichtigen. Oder das complexum significabile cf. Gregor Ar. In Sent. I d. 2.
q. 1 additionalis. Additio 3, A. D. Trapp u. V. Marcolino, eds. 1981 p. 277 lin. 1–8: „Praeterea, aut
propositio aliqua dicitur per se nota quia per se ab intellectu simpliciter apprehensa et hoc non,
quia etiam tunc aliqua propositio falsa dici posset per se nota, cum etiam talis per se apprehen-
datur, aut quia per se ipsam cognoscitur esse vera; et hoc etiam non potest dici, quia nulla co-
gnoscitur esse vera, nisi quia cognoscitur significare esse sicut est a parte rei, si est affirmativa,
vel significare non esse sicut non est, si est negativa. Et per consequens quaelibet est causaliter
nota esse vera per aliam notitiam complexam praeter notitias terminorum, non igitur per se.“
Kapitel 14. Widerspruch und accidens 657
lässt uns gleichwohl nicht die Erbsünde ex accidenti absoluto haben.57 Die materia
tritt in diesen Fällen nicht in Erscheinung. Sie tut es gar nicht.58
Die materia ist die Basis der Operationen, der Erkenntnisse und der Erkennt-
nisbildung im menschlichen Verstand, aber sie tritt nicht in deren Form ein; infolge-
dessen müssen die Operationen so geleitet und so bestimmt sein, dass sie eben einen
Ausdruck des Bezugs auf die materia ausschließen; sie enthalten ihn im Sinne ihrer
Bestimmtheit nicht. Indem die Operationen und Beweis- und Argumentationsgänge
schlechthin so verlaufen, dass dieser Bezug als faktisches (Einschluss-)Element aus-
scheiden, bzw. in actu operationis umgangen werden kann, gibt es kein Bild der Rea-
lität resp. der darin zu denkenden Bezüge und Verhältnisse, das nicht in der Form der
Argumentation erst synthetisiert worden wäre und anders als an dieser Form allein
auch nicht abgelesen werden kann. Die Argumentation hat analytisch einen bildli
chen Charakter (ein Moment des Abbildens) und erst synthetisch den Begriffsstatus
gegenüber der Realität und der materia. Das schließt nicht aus, dass diese nicht noch
in einer letzten (oder auch, wenn man will, untersten) Instanz wie in sich seiend aus-
gedrückt werden könnte; nämlich in der Form einer Operation. Es geschieht in der
consequentia naturalis. Darin wird der Kausalcharakter, den wir praktisch empirisch
in unseren Erkenntnisoperationen nach der Satz- und mentalen Ausdrucksebene
nur mühsam und unsicher erheben und dies eben auch nach dem Wesen von ma-
teria gegenüber der forma, an die sie grenzt und die da gleichsam je unverzüglich in
sie hineintritt, als eines der Elemente der materia unter sich zugelassen. Auf dieser
57. Rep. IV, q. 10–11 OT VII p. 195 lin. 9–15: „Quod (peccatum mortale) non dicat aliquid posi-
tivum patet, quia nec substantiam, quia nulla substantia nova remanet in peccante post actum
peccati quam non habuit prius. Nec aliquod accidens absolutum in anima, quia nec speciem
nec passionem nec habitum, quia omnia illa possunt cessare et corrumpi, remanente peccato-
re. Nec dicit privationem alicuius accidentis absoluti, quia nec privationem gratiae, quia talis
potest esse sine culpa.“ Es wird also durch das peccatum mortale in der Seele (ib. p. 197 lin. 6f)
nichts zerstört („corrumpitur“) und nichts aufgehoben („tollitur“). Das wird von einem actus
peccati hergeleitet. Der steht für Faktizität. Daraus lassen sich Allgemeinheitsbegriffe mythi
scher Natur eben nicht herleiten.
58. Die materia ist für Ockham einheitlich (was unbeweisbar ist: Rep. II, q. 18 OT V p. 400
lin. 9–11, aber persuadiert werden kann, was u. a. reprobativ geschieht: ib. lin. 12–19) und we
sentlich unkenntlich; sie ist in potentia naturali ad formam und kann mit anderem Materiellem
verfügt werden. Sie hat einen appetitus naturalis ad formam (ib. p. 408 lin. 8–12): „materia Caeli
est in potentia contradictionis ad omnem formam quam non habet, et caret et privatur omni
forma, et appetit omnem formam; et tamen ex omnibus istis non sequitur quod possit cor
rumpi per agens naturale sed tantum per Deum.“ Gott kann eine andere forma schaffen; eine
materia sine forma lässt sich nicht denken. Darin müsste nämlich das accidens aus sich forma
werden können, ein ganz und gar undenkbarer Gedanke. Es ergibt sich aus vielen Beweisen
(Argumenten) Ockhams, mit denen er im Sinn eines Ausschlussprinzips, aus ihm aufsteigend,
die Formbestimmung seines Beweisens überhaupt erreicht.
658 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Unmittelbarkeit beruht die consequentia naturalis; in ihr besteht sie.59 Danach ist sie
schwer zu erschließen;60 sie ist aber zuzulassen, da es ein Konzept des Ausschlusses
dagegen kaum geben könnte: es wäre notwendig zugleich als inneres Moment der
res, als an ihr beteiligt, anzusetzen. Es wäre ebenso das Gegenteil der Implikation, die
wir auch zulassen = fungibilisieren, obgleich nicht im Sinn der Anwendung des Wi-
derspruchsprinzips.61 Wenn dabei Ockham oftmals, scheinbar unvermeidlich, zwei
Auffassungen von termini angibt, bzw. verschiedene Operationen mit einer einzigen
Bezeichnung verbindet, die somit doppelt gebraucht sein müsste, wenn er darin Un
terscheidungen oder heterogene Aspekte anzubringen scheint, so muss damit doch
für sie eine Vereinigungslinie geben; es gibt dann eine Idee, die sie zusammenfasst
und enthält. Das gilt natürlich auch für die verschiedenen (Arten von) consequentiae,
die Ockham anführt und unterscheidet oder für deren verschiedene Auslegungen ne
beneinander oder nacheinander. Sie alle sind konsistent und definieren gemeinsam
den Begriff der Notwendigkeit oder die Notwendigkeit, die mit den actus mentales
bestehend, in sie als deren Charakter oder Attribut hineingelegt werden kann.62 Aber
59. Cf. unsere Darstellung in Kap. 11: Abstraktion und scholastischer Beweiszweck.
60. (Die) causa kann niemals in der Weise geprägt (profiliert) gedacht werden, dass sie mit die-
sem gedachten oder reellen ‘Erscheinen’ ein Verhältnis von Sätzen abgäbe oder enthielte. Wäre
das der Fall, so müsste die Kausalität nach diesem einen Fall bereits ausreichend begründet und
denkbar die Logik abgeben oder ersetzen können.
61. Ihr Ausdruck ist die consequentia formalis, wenn diese im Grunde kontingente Sätze ver-
binden muss, die nicht auseinander hergeleitet werden können, aber in eben der Weise, dass
sie sich nicht implizieren, nebeneinander stehen und bestehen sollen. Daneben kann sie mit
einem unmittelbaren Verhältnis der Begriffe (zueinander) gleichgesetzt werden. Diese beiden
Auffassungen sind, wie man unmittelbar einsieht, nicht absolut getrennte. Anders L. Baudry,
1958 p. 53f. Wo die media intrinseca direkt die consequentia bestimmen, tun nach Ockham
expressis verbis die media extrinseca es indirekt. Cf. W. Kneale & M. Kneale, op. cit. p. 289f. Sie
sind somit nicht ausgeschlossen.
62. Die Notwendigkeit muss in Bestimmungen enthalten sein, am Ende in allen und qua Be-
stimmungen den Akten, den Begriffen in ihren Verhältnis innerhalb der Sätze nach ihrem je-
weiligen Typus usw. so zukommen, dass der actus ‘ist’ was seine Bestimmung aussagt, d. h. dass
was darin ausgedrückt ist, ihn formal (gleichsam ohne Fehl und Einwand, wie nach dem Satz
‘non est alia ratio’) ausmacht. Die Notwendigkeit, die hier für den Nominalismus unentbehrlich
ist und ihn bedingt, ist selbst dadurch bedingt, dass es keine Folgerung inhaltlich und/oder for-
mal gibt (= keine ‘existiert’), welche besagte, dass das ‘Gefolgerte’ (consequens) in der Sache des
antecedens (oder dem antecedens als ‘Sache’) „enthalten“ sei. Der Wille, das auszuschließen,
bedingt (ergibt) den Nominalismus und stellt ihn einheitlich, gleichsam mit der Mesomerie
aller Definitionen, solutiones, Aussagenarten, consequentiae, Schlüssen usw. her. Er beruht so
auf der Notwendigkeit, die er ergibt, die für ihn erlangt werden kann; er ist bedingt durch die
Negation von consequentiae, die im consequens als Träger ihrer Wahrheit definiert aus dem
antecedens sich zu ergeben hätten. Denn damit würde eine Äquivalenz (Ununterschiedenheit)
von Aussage und Sache (Realität) gegeben sein, die zuletzt konträr zur Deduktion stehen muss
Kapitel 14. Widerspruch und accidens 659
er kann argumentativ nicht daraus hervorgeholt werden und als eine wirkliche Eigen-
schaft der Argumentationen, Sätze, Aktbestimmungen, Verhältnisse der Akte usw. in
Erscheinung treten. Sie werden im Sinn der Notwendigkeit von Ockham nicht mehr
ontologisch bestimmt, ausgewiesen und unterlegt. Das hat seine Bedeutung auch
für die Sätze der sacra theologia. An ihnen nun macht die Widerlegung der nach
Ockham falschen determinationes fest, welche implizit auch je die Refutation der
zwischen den Aussagenteilen (Begriffen) improbaten Implikation bedeutet.63
Das consequens freilich ist das accidens, das dem antecedens oder der Substanz
nicht per Folgerung oder im Sinn des Folgerungszeichens zugeteilt werden kann.64
Die propositio contingens aber ist derjenige Satz(typ), in welchem ein accidens vom
subiectum propositonis prädiziert wird.65 Beweis, wie ihn Ockham zuletzt zulässt, ist,
und sie im Grunde, wie Ockham letztendlich und an der tiefsten Stelle jeder hier möglichen
Erörterung erkundet und ermittelt, sich erübrigt. Es ist à la fin der große Fehler des Duns
Scotus, dies zu verkennen. Ihn zu erkennen und auszuscheiden ist der spiritus rector in Ock-
hams Lösungen, Problemstellungen, Entscheidungen.
63. Mit dieser werden dann die ontologischen Vorstellungen abgelehnt, eben auch wieder in
dem Sinn, dass Begriffe, Grundbegriffe (wie ens etc.) mit ‘allen’ anderen verknüpft sein könnten
und so Ideen von Gesamtkomplexen der scientia ergäben bzw. zu legitimieren wären. Zugleich
zeigt Ockham in besonderen reprobationes, dass solche Begriffe wie forma, causa etc. nicht der
‘res’ in se kommuniziert werden können.
64. Indem es das antecedens derart nicht gibt, gibt es die Substanz nicht, die es ausdrücken
könnte, und es gibt die Substanz insoweit nicht, als wir für sie eine Folge fordern möchten, die
über einen ganzen Beweis sich ausdehnen und erstrecken könnte. Es gibt freilich die substantia
als subiectum oder res bzw. als mit diesen begrifflich synonym. Sodann die consequentiae, die
Ockham um diesen ‘Mangel’ herum, definiert, skelettiert o. ä.
65. Das erhellt schon aus dem Gegensatz zur propositio necessaria oder propositio per se Ord.
Prol. q. 6, OT I p. 178 lin. 2–12, wo es gleich einleitend heißt (lin. 2f.): „dico quod omnis propo-
sitio necessaria est per se primo modo vel secundo.“ Davon unterschieden akzentuiert werden
(lin. 4f) die „propositiones necessarias per accidens“, die so heißen, weil (lin. 6f) „contingens
fuit quod essent necessariae, nec semper fuerunt necessariae.“ Aber (lin. 6–12): „Omnis alia
propositio necessaria potest evidenter nota, et per consequens est aliquis habitus veridicus re-
spectu cuiuslibet propositionis simpliciter necessariae. Sed nullus talis habitus respectu neces-
sarii est nisi respectu propositionis per se, quia tam principium quam conclusio est per se.“
Bei der ‘propositio per se secundo modo’ besagt die passio ein proprium des subiectum, wie
creativus, risibilis, beatificabilis; das praedicatum der ‘propositio per se primo modo’ besagt nur
nichts, was nicht ganz in die res = subiectum fällt. (cf. ib. p. 180 lin. 3–14). Bei der propositio
per se primo modo haben die subiecta keine suppositio personalis, sondern suppositio simplex,
wenn die „passiones supponunt simpliciter“ (Ord. d. 3 q. 8 OT II p. 534 lin. 7–9). Die Unter
scheidung dieser beiden propositiones per se diskutiert L. Baudry, 1958 pp. 197–199 mit dem
Fazit, Ockham sei in seinen Auffassungen schwankend oder unklar. Die Diskussion berück-
sichtigt anscheinend nicht die zuletzt erwähnte Stelle und ist ohne das induktive Fundament
in Ockhams Erörterungen, bei denen Unterscheidungen wieder aufgehoben, vermischt oder
verwischt erscheinen, solange nicht bedacht wird: es wird ex facto rei quasi operiert, wobei
660 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
weil er denn immer in actu geführt werden können soll und derart nicht vorherseh-
bar sein darf, obwohl es eine Struktur für ihn gibt, bei der die Substanz regulär nicht
in den Beweis und die Ordnung der Prädikate, sie bestimmend und in ihr wieder
aufgenommen, hin ausgedehnt erscheinen darf, ist Beweis, bei dem sichtbar das con-
sequens oder die conclusio nicht mehr als propositio contingens deklariert werden
muss. Es kann keine Rede davon sein, dass darüber beweistechnisch oder einfach
nur irregulär ingeniös beweisend irgendwie hinweggegangen werden könnte.Wo es ge
schieht, entscheidet die Ontologie über das Erkennen und ordnet sich den Beweis un-
ter; sie entscheidet vorgreiflich über ihn mit, und der Beweis kann danach in actu gar
nicht als gültig und autonom, die Position des Subjekts stärkend, anerkannt werden.
Beweis bedeutet (‘enthält’) Notwendigkeit, die ‘über’ der Kontingenz erworben, i.e.
definiert werden konnte.66 Ockham hat, anders gesprochen, Beweis an die Stelle der
ontologischen Explikation gesetzt, die für den Beweis zu stehen, ihn mit zu umfassen,
aber eben auch zu erdrücken hätte.67 Notwendigkeit, wie Ockham diese meint (zu-
lässt), ist eine solche, die mit Akten konstruktiv und per definitiones gegeben ist, und
sich über Bedingungen der Kontingenz erhebt, die sie zu widerlegen gemacht wären.
Das gilt für Strukturbestimmungen wie für inhaltliche Aussagen; beide werden darin
einander konform und treten füreianander ein. Strukturbestimmungen lauten Maxi-
men gleich, die nicht mehr ontologischer Natur sein können.68 Das bedeutet auch,
dass alle Exegesen unzulänglich (indefinit) sind, bei denen lediglich festgestellt wird,
welche unabdingbar für die Erkenntnis und deren immanentes (hier gar natürliches)
Selbstverständnis gebotenen Maximen Ockham nicht mehr anerkenne, was er in der
Ontologie für falsch, reprobierbar oder unbeweisbar halte, wie er unzureichend von
der Kausalität denke, wieweit er (womöglich ohne die ‘letzte’ erforderliche Klarheit)
doch noch an sie glaube. Denn außerhalb seiner Technik, in der grundsätzlich für
das Kontingente als Träger oder Empfänger einer ihm aufgeprägten Notwendigkeit
(alias Ontologie!) kein Platz ist, während bis dato scholastisch immer, sei es offen
oder geheim, sei es scheinbar argumentativ oder vorargumentativ, die Ontologie die
der ingressus in rem nicht per consequentiam gilt, sondern mit einem negierten consequens
koinzidiert.
66. Das hat ähnlich bereits P. Vignaux gesehen, indes auf einen Satztypus beschränkt, dessen
beweislogische Integration dabei offen ist. Cf. Kap. 4: Fides et scientia.
67. Dabei erscheinen eben oft auch persuasiones, wo sonst die ontologische Explikation für
beweiswertig oder gar beweisentscheidend, also wieder vorgreiflich (und für den Beweis mit)
entscheidend gehalten warden konnte.
68. Ontologische Maximen und solche verwandter Art (etwa die Kausalität betreffend) erwei-
sen sich als nicht beweistauglich, da sie sich konditional als unzutreffend erweisen können, also
nicht allgemein gelten: i.e. in gewissen Fällen nicht, die u. U. eigens expliziert werden können
und dabei wieder auf eine besondere intensionale Struktur verweisen, mit der das Erkennen
differenziert und meistens eben eingeschränkt werden muss.
Kapitel 14. Widerspruch und accidens 661
Option bestimmte, wäre für Ockham nicht einmal der sprachliche ‘Gegenstand’ oder
Problemvorwurf erklärt.
Wo Ockham dies zur Sprache bringt, schließt er in der Form seiner Auslegungen
in einer ersten Hinsicht Normen und Maximen aus, die für den Satz ‘Wort für Wort’
die Projektion in die Realität besagen müssten, in einer zweiten dann, dass die refle
xiven Begriffe (die in Erkenntnis- und Beweislehre anfallen) letztgültig definierbar
erschienen. Das ist unvermeidlich, da sie am Ende ihren hypothetischen Stellenwert
durch persuasiones erhalten. Nimmt man die zweite Hinsicht vor, so hat Ockham
da bereits seine Kritik an der Ontologie geübt, die natürlich insoweit nicht aufgeho
ben werden kann oder soll, als sie in feste Argumentationsformen eingeht. Es gibt
daneben eine bedingte Erfahrung bei der Auslegung von Sätzen (u. a. Maximen, die
sich wieder auf Sätze beziehen können) nach den ontologischen Grundbegriffen, die
Ockham vorwiegend reprobativ verwendet (forma, substantia, accidens),69 es gibt
Argumentationen secundum rationem für alle Akte (das Satzsubjekt ebensowohl
wie die notitae, die ebensowohl Akte sind), es gibt die Suche nach der intensionalen
Identität der Akte innerhalb ihrer Verhältnisse zueinander, wo sie zusammen auf-
treten; es gibt aber keine konjungiert-komplexe Konstellation des Aspekts letztlich
vielleicht ungültiger bzw. ersetzbarer Hypothesen mit dem der Negation des ontologi
schen Realismus, wie sie in der neuzeitlichen Wissenschaft mit der Konjunktion von
Auslassung ontologischer Fundamente der Erkenntnis und experimenteller (empirie-
gestützter) Hypothesenbildung etwa vorliegt. Hier ist zu betonen, dass Ockham nicht
Realwissenschaft treibt, auch nicht in der Psychologie, Erkenntnispsychologie, Religi
onslehre usw., wo er indes auf Erfahrungen verweist, die insofern im Argumentati
onsgang für unumstößlich angenommen werden, also in der Bindung an diesen.70 Er
verzichtet, wo er auf die Ontologie verzichtet hat, letztendlich auch auf die Garantie
für seine Begriffsverwendungen und Hypothesen. Er sieht sie, wie er das Omnipo
tenzprinzip verwendet, als transzendent ersetzbar an, aber auch als weiterhin empi
risch legitimierungsbedürftig.71 Es gibt so eine innere Problematik des Begriffsstatus
69. Beziehen sich die Maximen als explikative Aussagen auf Sätze, so erfolgt die Widerlegung
anhand dieser Sätze, eng auf sie bezogen, so dass der ontologische Begriff hier zugleich als in
mente unumstößlich erscheint. Hier betont Ockham, dass wir sie anwenden können. Siehe
Kap. 9 zur Anwendung von species.
70. Die Tatsachen, Relationen, werden nicht pro se deduziert oder bedingungsweise ermittelt
bzw. postuliert. Sie erscheinen eben eher in instantiae und reprobationen, also in der Bestrei-
tung fixer Bedingungsverhältnisse.
71. Sie werden unter Verwendung des Omnipotenzprinzips ebenso gesetzt wie nochmals für
ersetzbar gehalten. Sie sind also bereits negierte, wo sie eingeführt werden. Damit entbehren
sie dann des empirischen Korrelats. Der Übergang von der ‘potentia divina absoluta naturaliter
loquendo’zu der ‘potentia divina absoluta supranaturaliter loquendo’ entspricht diesem nega-
tiven Akzent. Hier können auch die theologischen Aussagen zur Trinität hypothetisch anver-
wandelt werden und zwar dem Widerspruchssatz fernstehend. Die beiden Modifikationen des
Omnipotenzprinzips treten nicht füreinander ein, so dass der Primat oder die Autonomie bei
662 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
den verwendeten Begriffen wie notitia intuitiva, notitia abstractiva usw. usf. liegt, die auch zu-
nächst einmal für empirisch ausgewiesen gehalten werden. Die beiden Modifikationen haben
zueinander zuletzt dasselbe Verhältnis wie in der Modallogik der Gebrauch des Modus modo
composito und modo diviso. Kraft der ‘potentia divina absoluta supranaturaliter loquendo’ be-
ziehen wir uns auf Begriffe, die quasi keine mehr sind. Wir bleiben nicht mehr bei der Nähe
Gottes zur Welt, sofern sie noch als natürliche gedacht werden kann, wie bei der conservatio, be
treffend den habitus und die notitia intuitiva, die von Gott konserviert werden muss, wenn sie
auch zur Erkenntnis der Nichtexistenz oder Nichtpräsenz der Gegenstände dienen soll. Aber
dies ist eine Modifikation: wir steigen in Gott hinein und kennen ihn doch nicht.
72. Denn hier geht es nicht mehr um Begriffsinhalt oder Begriffssinn, sondern um Begriffsge
brauch. Wo der Begriffssinn ontologisch nicht mehr begründet werden kann, ist der Begriffs-
gebrauch, wie für den Inhalt und womöglich aus ihm begründbar, gänzlich hypothetisch. Er ist
aliquomodo provisorisch.
73. Und anders die Mathematik nach dem V. Peano-Axiom usw.
74. Wie es bei Ch. S. Peirce der Fall ist, dessen Pragmatismus in beiden Aspekten begründet
ist.
Kapitel 14. Widerspruch und accidens 663
Theologie viele. Aus ihnen ist das Heil nullomodo abzuleiten.75 Gott kann es einem
Menschen trotz aller merita, die er sich erworben haben mag, verweigern und er kann
es ihm ohne Verdienst gewähren.76 Dabei werden von Ockham die Relationsbegriffe,
die im ordo salutis auftreten, ‘sachlich’ als absoluta behandelt, d. h. wie gegenständlich
zu denken. Damit werden sie als durch die distinctio realis getrennt (unterschieden)
zu denken sein und eben auch von Gott per suam omnipotentiam getrennt gehalten
und verfügt werden können.77 Wie die Begriffe (Faktoren) der Heilsordnung, quasi
75. Dabei sind die Sätze, die uns des Heils versichern, eben auch unbeweisbare kontingente
Sätze: ‘anima est beatificabilis’. Wir brauchen also auch von der anima in se nichts zu wissen,
etwa von ihrer Substanzialität hinsichtlich des Erkennens. Die visio beatifica wird auch auch
nicht förmlich hinsichtlich oder vermöge des Erkennens, aus diesem abgeleitet, bestimmt wer-
den können. Notwendige Sätze hinsichtlich der Heilsordnung gibt es ‘auch’ in dem Sinn nicht,
dass bezüglich des ordo salutis von Ockham nicht Reduktionen vorgenommen werden könn-
ten, in denen Nichtnotwendigkeiten, Nichtunerlässlichkeiten festgestellt werden, also Notwen-
digkeit höchstens in Äquivalenz mit der Negation einer im Sinne der Begriffe (intensional)
erforderlichen ‘extensionalen’ oder realen Unverbrüchlichkeit. Wir gehen also auch so gerade
wieder nicht auf (in se oder extramental) „Existentes“ zurück. Sofern im ordo salutis Größen
oder Faktoren als Bedingungen (füreinander) auftreten, werden sie dabei geradezu im Sinn von
‘Existenz’ verneint. Mithin hinsichtlich ihrer Existenz quantum ad significationem. Sie haben
einen erkennbaren intensionalen und/oder extensionalen Charakter nicht.
76. Gottes Allmacht ist dabei insofern rational gebunden, als Begriffe wie gratia, gloria, meri-
tum und peccatum, die mit dem Heil zu tun haben und im ordo salutis einen Platz haben, als
Größen einander nicht notwendig bedingen, i.e. nicht induktiv übereinander aufgebaut werden
können. Die Einsicht bleibt empirisch nach den uns kommunizierten Begriffen und Verständ-
nissen, in denen wir natürlich nur begrenzte Erkenntnis haben. Sie erfolgt quasi nicht a parte
Dei im Sinn einer dann auch modifikablen Schöpfungs- und Weltordnung: Gott hätte alles
ganz anders einrichten können; er war da nicht gebunden. Er wollte es aber so und die Spur sei
nes Willens zeigt sich in der Kontingenz und Unverbundenheit der Faktoren. Die überweltliche
Einsicht, die wir nicht haben können, verpflichtet uns nicht; sie kann auch nicht Teil unserer
Verpflichtung sein, das Heil zu suchen, wie Ockham sie positiv wenigstens doch ausspricht. Die
empirisch bedingten Einsichten, die wir hier haben können, stehen gegen eine Allmacht, die
sie überschritte. Ockham hat so auch den Heilsbegriff entmythologisiert, wie den des peccatum
originale. Er neutralisiert sie für das menschliche Verstehen, das damit als genuin humanes
festgestellt, standardisiert und eben auch relativiert, suspendiert, eingeklammert wird. Über
welche Möglichkeiten Gott verfügen konnte, die Heilsordnung anders einzurichten, wissen wir
nichts; es kann daher nicht einmal vernünftig thematisiert werden. Ockham entnimmt der
Kirchenlehre etwas, dessen Sinn, wenn es ihn gibt, nicht effektiv ausgeführt werden kann, son-
dern storniert werden muss. Nirgendwo können die theologischen Begriffe genuin christlichen
Sinn bekommen. Sollte Ockham hier wahrhafte Vorbehalte oder Aversionen gehabt haben,
so hätte er sie mit den Strukturen, in die er seine theologischen Entscheide technisch kleidet,
nicht eindeutig ausgesprochen. Er verwahrt sich zudem gegen Unterwerfungsbefehle; katego-
riale Eindeutigkeit fehlt so.
77. So fides nebst spes und caritas im Verhältnis zueiander (Rep. IV, q. 3 OT VII p. 48 lin. 15–18):
„Deus potest facere de potentia absoluta caritatem sine fide et spe. Cuius ratio est quia quando
664 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
empirisch gelten und das heißt so verwandt werden, gilt auch das Ökonomieprin-
zip.78
Da Gott uns in keiner intelligiblen Weise ein Heil schenkt, kein himmlisches,
von dem wir keine Begriffe hätten, noch ein nach irdischem Maß approximierbares,
kann er auch nicht in einem irrationalen Ausmaße, uns nicht mehr verstehbar, über
es und uns verfügen. Denn eine solche Vorstellung von Allmacht würde als absurd
erwiesen werden können. Wir könnten zeigen, wie sie der Idee nach uns nicht ver-
mittelbar wäre, also nicht secundum intellectum humanum, wie er damit quasi zu-
gleich für uns gestiftet wird.79 Das Allmachtsprinzip wird damit aber weder inhaltlich
eingegrenzt noch vernichtet.80 Wir leiten ja auch niemals im inhaltlichen Sinn aus
unum absolutum non dependet necessario ab alio absoluto, potest fieri sine eo sine contradic-
tione.“ Der Widerspruch hat hier rein mit quasi-empirischen Bedingungen der Begriffe zu tun,
von denen her er nicht in die abstrakte Ordnung derselben ‘Begriffe’ einwandert, die damit aber
nicht transzendent modifiziert werden müssen. Die potentia Dei absoluta muss hier naturaliter
loquendo verstanden werden. Wir bleiben beim humanen Verständnis der ‘Faktoren’ des ordo
salutis; indem wir es festhalten, rücken wir für die gebrauchten Begriffe an die Grenze zur Wi-
derlegung, an der sie indefinit (=unbrauchbar) werden müssten oder jedenfalls so erschienen.
Wir bleiben bei einem strikt oder explizit menschlichen Begriffsstand und Verständnis stehen,
den wir aber nicht substanzialisieren können, nicht für uns und nicht überhaupt: aliquomodo
ist es nichtig und zwar sowohl weil wir die Begriffe nicht nach einem transzendenten Modus
(überempirisch) besitzen, worin sie denn ‘Begriffe’ wären und die Argumente nicht mehr bloß
überredend erscheinen können, wie auch weil wir uns nicht an Gott direkt heranrücken, der
uns nach unserer gegenwärtigen Sicht de sua potentia absoluta supranaturaliter loquendo sie
erst verleihen könnte, was er aber ganz gewiss nicht tun wird. Die Begriffe bleiben natürlich
immer unsere Begriffe.) Ockham schließt (ib. lin. 18f): „Sed caritas est quid absolutum et non
dependet a fide et spe, ut manifestum est.“ Erst hier würde der Widerspruch eintreten. Wir sind
tatsächlich an der Grenze zum Widerspruch, i.e. zur Widerlegung. Von ihr aus erbaut Ockham
die Heilsordnung, besser: legt er die Begriffe aus, sofern sie voneinander trennbar sein können
müssen, wie sich von selbst versteht. Caritas ist übrigens gratia. Die Namen sind nicht die
Sache. (ib. p. 47 lin. 5–7) Gott schafft das Heil nominell klar zwar nicht nach empirischen Be-
dingungen, doch vergleichbar mit empirischen Maßstäben; das ergibt sich und fällt zusammen
(ib. p. 50 lin. 18f)): „Deus non minus perfecte operatur in operibus gratiae quam natura (Ed.
naturae.)“ Mit naturae liegen wir gleichsam homiletisch anders.
78. Cf. ib. p. 51 lin. 24 – p. 52 lin. 8. Nur ‘ratio evidens’, ‘experientia’, ‘auctoritas’ könnten Gegen-
gründe bieten.
79. Es würde mithin keine sinnvolle Folgerung von irgendeiner solchen Vorgabe aus gezogen
werden können. Wir hätten noch einmal den Fall, dass wir in unserem Geiste keine Bedingung
hätten, etwas zu erkennen, was aliquomodo in den göttlichen Geist fiele oder doch in ihn hin-
einreichen müsste. Die Implikation verliert darin ihre zentrale Stellung; ein indirekter Beweis
wird nicht geführt, der inhaltlich zur direkten Gegenthese führen könnte.
80. Das Omnipotenzprinzip und das Widerspruchsprinzip würden auch hier wieder weder
zusammenstimmen noch Antagonisten sein. Sie haben letztlich nur insofern miteinander zu
tun, als das Omnipotenzprinzip das Widerspruchsprinzip auslöst oder auslöscht, also ersetzt.
Kapitel 14. Widerspruch und accidens 665
dem Allmachtsprinzip ab.81 Da aber die Allmacht (was sie bewirken könnte) niemals
ontologisch klassifiziert werden kann, können Beweise im Rahmen des Allmachtsge
dankens immer nur Widerlegungen sein oder auf Widerlegungen fußen resp. folgen.
Diese freilich können die ontologischen Grundbegriffe forma und accidens, substan-
tia und accidens benutzen. Wir haben dann was wir unter Begriffe (Inhalte) fassen,
mittels dieser ontologischen Grundbegriffe förmlich auf die Realität bezogen und wi-
derlegen danach Annahmen (Maximen), die ‘denselben’ Bezug auf die Realität zum
Gegenstand (Inhalt) haben; wir können nicht die Allmacht (als Prinzip) identisch
oder übereinstimmend mit ontologischen Begriffen, Vorstellungen oder Maximen
deduktiv verwenden, indem wir abstrakt (reflexiv) und empirisch (real) auf Ergeb-
nisse zielen, die dann ‘hochrangig’ zugleich ontologisch gelten und als real wahr und
‘erfüllt’ verstanden werden – können – sollen.82 Wir hätten mit Hilfe der Ontologie
widerlegt, nicht begründet.83
81. Es hat vielmehr immer eine funktionelle Verwendung, bei welcher Widerspruchssatz und
Folgerung erloschen sind, weil sie gleichsam empirisch zu gelten hätten. Es ist die empirische
Geltung der Logik, welche immer mit ausgeschlossen wird, wenn Ockham beweist. Die Logik
selbst lässt sich empirisch gar nicht begründen. Wir fußen aber bei diesem Gebrauch entweder
auf der Empirie, welche dann von der distinctio realis vertreten wird, oder wir haben die Em-
pirie für seine Verwendung supranaturaliter loquendo eingeklammert. Dann können wir etwa
die distinctio formalis einsetzen, wobei er als Modus modo composito verwandt den Satz meint
und nicht eine im Satz ausgedrückte res.
82. So hatte Duns Scotus gearbeitet und Abstraktion und Erfüllung, Prinzip und ‘Aufweis’ im-
mer nahe beinander gesehen: so nahe, dass die Naht nur durch die die petitio principii genäht
wird.
83. Das muss in besonderem Maße den Anschauungen des Nikolaus von Autrecourt wider-
streiten. Es widerstreitet ihnen vielfach: die ontologischen (Grund-)Begriffe gelten, anders als
Autrecourt meinte, weiter. Es muss und kann nichts aus ihnen abgeleitet werden. Es müsste also
auch nicht, anders als Autrecourt meinte, forderungsweise etwas aus ihnen abgeleitet werden
(können). Sie dienen Widerlegungen, für die dann auch nicht die Implikation als Forderungs-
modus, anders als Autrecourt meinte oder wollte, zentral ist. Vielmehr wurde sie aufgegeben
und aufgehoben, anders als Autrecourt wollte. Will man die unvorhersehbare Modifikation des
Wirklichen oder auch gleich Andersmöglichkeit der Welt, die Autrecourt für möglich hielt oder
wenigstens als Argument benutzte, um seinen Erkenntnisskeptizismus auszudrücken, so könn-
te sie nie im Sinn der Allmacht anhängig gemacht werden. Wenigstens nicht nach Ockham, der
sie nur besonnen nach Kontexten einsetzt, die er zuvor argumentativ sondiert hat. Aus der All-
macht ließe sich wenigstens nicht(s) folgern. Autrecourt freilich wollte die denkbaren Brüche
der Natur- und Weltabläufe, wie sie entgegen unserer Erwartung und scheinbaren Erkenntnis
de potentia eintreten könnten, im Kern der Dinge (res) atomistisch begründen, womit er in sie
in einer Weise einstieg und eindrang, die Ockhams Abstraktionen auf der Höhe der Akte des
Erkennens selbst, unter Einbezug ontologischer Begriffe, thematisch und programmatisch (im
Grund theoretisch) ‘weit’ unter sich ließ. Erst wenn Autrecourt diese atomistisch begründe-
ten Verläufe inter et und in res auch wirklich als stochastische sich denken mochte, war er so
666 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Bei Ockham, Duns Scotus und auch Nikolaus von Autrecourt steht die Kontin-
genz der res (des Gegenstandes in der Schöpfung) derart im Mittelpunkt, dass sich
daran das Schicksal der Folgerung, der Implikation, entschied. Für sie alle musste
der grundsätzlich abstrakte Charakter des Begriffs, des Satzes, ja des Syllogismus und
der consequentia im Sinne einer Folgerung gefasst und verstanden werden, die dann
Abstraktion und Folgerung umfasste. Das ist bei Duns Scotus eindeutig abzulesen.
Bei Ockham tritt die Abwandlung auf, dass die Abstraktion auch dann noch soll gel-
ten können, wenn weder die Einzeldinge noch deren innere Struktur präsent sind
und erkannt werden können – wenn tatsächlich von einer res nicht zur nächsten soll
über- und weitergegangen werden können. Ockham hat Duns Scotus implizit eine
analytische Antwort hinsichtlich des ‘Folgerns’ oder Beweisens erteilt und Nikolaus
von Autrecourt hinsichtlich der Abstraktion; in dieser löst sich die erkenntnisthe
oretische Problematik auf.84 Wir haben bei Ockham keine Erkenntnisproblematik,
die nicht technisch von der Seite der Argumentation her, die ihre eigenen Basen an-
gibt, beseitigt worden wäre. Insofern gibt es keine Erkenntnisproblematik, die nicht
in Abstraktionen, Argumentationen, Maximen übergegangen wäre. Wenn dabei Fol-
gerung und Empirie aufeinander bezogen blieben, so sind sie in den Strukturen, die
Ockham exponiert, gemeinschaftlich gemieden worden.85 Man kann dann von nur
einer Struktur sprechen, wenn man feststellt, wie Folgerung und Empirie im Beweis
oder in einer opinio (Stellungnahme) Ockhams angesprochen, aber im Beweisakt
selbst ausgelassen und umgangen werden. Operation, für Struktur unerlässlich, be
steht hier in einer nicht ausgeführten, nur anberaumten consequentia.
Doch kann die Kontingenz in der zentralen Stellung innerhalb der spätscholasti
schen Philosophie als ein Bewusstseinsfaktum nur bedingt, als ein metaphysisches
nahe bei der Individualität der Dinge innerhalb dieser selbst, wie auch Ockham sie wohl veran
schlagte. Das bestimmte indessen nicht seine Erörerterungen und solutiones.
84. D. Perler, Nikolaus von Autrecourt, Briefe, 1988 (Einleitung pp. IX–LXXIII) rückt Autrecourt
und Ockham nah aneinander, wobei er Ockhams Erkenntnislehre in herkömmlich alter Weise
dilemmatisch auffasst, sie aber unumwunden als eine Art Lösung zu betrachten hat, wenn er
sie zur Basis der Erklärung Autrecourtscher Meinungen oder Positionen macht. I.e. wenn er
will, dass sie verständlich und in dem Sinn rational erscheinen, indes bloß auf ein Verhältnis
von consequentia (implicatio) und empiriegestützter Evidenz, die sich zu entsprechen hätten,
beschränkt. A parte Ockham sind Autrecourts opiniones als indefinit (falsch) zu erweisen.
85. Das eigentliche Problem liegt aber beim Satz: in ihm muss (das) P (das) s ‘sein’ können.
Dieses Problem „‘lösen’“ die scholastischen Autoren. Z. T. in der Form nicht beobachtbarer
Größen wie Gregor von Rimini mit seinem significatum toale (complexum significabile) oder
Chatton mit seinen Postulaten bedingungsloser Realerfüllung alias Wahrheit. Diese wäre bei
letzterem vom im Satz gemeinten Objekt ununterscheidbar. Die Sätze sind dann im Grunde
nochmals ununterscheidbar.
Kapitel 14. Widerspruch und accidens 667
Datum nicht eigentlich angesehen werden.86 Wir können sie nur abhängig von ih-
rer Behandlung denken. Sie fällt bei Ockham, Duns Scotus und Nikolaus von Autre-
court verschieden aus.87 Gemeinsamkeit und Differenz sind da nur über theoretische
Strukturen gegeben; doch eine Struktur kann Duns Scotus88 und Nikolaus von Autre
court89 erst im Vergleich verliehen werden.
Bei Ockham wird die ‘Sache’ quasi noch einmal in eine andere Dimension ge-
hoben: Kontingenz erlaubt nicht Folgerung.90 Hier geht es um die scholastische
Technik des Deduzierens, die nicht ad libitum ist. Auch sie untersteht der Kritik;
die Logiktraktate, worin die richtigen Schlüsse aufgezählt, die falschen genannt, die
86. Jedenfalls nicht solange methodologische Fragen gestellt werden sollen oder müssen. Die
erste ist, ob die Kontingenz an sich selbst eingesehen werden könne, ob sie sich Folgerungen
anschließen lasse (und welche das sein können) und ob und wieweit sie in den actus intel-
ligendi falle, bzw. ihn definieren oder stiften könne. Ob die Frage dahingehend ausgeweitet
oder auch gestrafft werden könne, dass man eine Erkenntnis sucht oder für unerlässlich hält,
bei der Erkenntnis in ihrem obersten Sinn dieses Faktum oder die Kontingenz als Bedingung
jeder Erkenntnis gäbe und enthielte. Es fragt sich, ob eine an der Kontingenz gewonnene spe-
cies oder natura communis, eine Einsicht hinsichtlich der Existenz (oder significatio) enthalte
bzw. ob diese Frage auch nur mit Sinn sich stellen lasse. W. Kluxen, 1974 und L. Honnefelder,
1979 glauben es. Ob man hier eine neukantisch-neoscholastische Ding-Wesens-Philosophie im
Vorausgriff legitimiert sehen möchte, Husserl inbegriffen (W. Hoeres, 1962), ob man an pleni-
potente Evidenz glaubt, die im Nachzug die Bedingungen des Erkennens (alias des Erkennens
von res extra) mitenthalte, ob man die Abschließung und Vollendung der Philosophie in deren
Scotischer Antizipation erblicken möchte (W. Kluxen, 1974, L. Honnefelder, 1990 u. a.), fragt
man sich auch.
87. Bei den drei Autoren bedeutet Kontingenz immer die Negation des Begriffs in Richtung
auf die Realität oder Dingkonsistenz, bzw. dass alle Begriffe, sofern sie die extramentale Welt
betreffen, negativ einzuschätzen sind. Sie besagt, dass das Ding, die res, als significatio nicht
bereits eine Gestalt besitze oder offenbare, die als für die Erkenntnis dominant einzuschätzen
wäre. Freilich soll die Dinggegebenheit bestehen, i.e. sein. Die Kontingenz setzt so einen in se
negativen Akzent, mit dem die Evidenz noch nicht gegeben oder verbunden zu denken ist.
88. Bei Duns Scotus fällt die Kontingenz mit dem possibile esse des Dings zusammen: es ist
nachdem es (zuvor) nicht gewesen ist. Das soll Schlüsse aus dem possibile esse, dem Begriff oder
(identisch) dem Satz, erlauben.
89. Nikolaus von Autrecourt dehnt die Kontingenz (deren negatives Moment) bis an die Grenze
zum Nichtsein aus: die res, die wir erkennen wollen, kann auch nicht sein bzw. vernichtet wor-
den sein und (anders) wiedererschaffen.
90. Es ist die ‘höhere’ Dimension: Denn diese beiden werden gleich, wo man die Folgerung in
der Anlehnung an die Empirie sehen und entsprechend sie einklammern (tilgen) kann. Das ist
bei Beweisen für die theoretische Struktur selbst ebenso wie praktisch bei inhaltlichen Bewei
sen oder Beweisabschätzungen möglich. Es geht immer um Wahrscheinlichkeit, höhere Wahr
scheinlichkeit, Nochmöglichkeit, Auchnochmöglichkeit, Induktion und persuasio. U. a. im Ge
brauch von Formeln ‘non est inconveniens’ etc. und des Omnipotenzprinzips usw.
668 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Trugschlüsse aufgedeckt werden, geben sie nicht so ganz.91 Hier hat dann die Onto-
logie keine Emdendation mehr liefern können. Wo immer sie auftrat, hat sie, mit der
Logik (oder Folgerung) zusammen, keinen Beweis garantieren (liefern) und keinen
erhalten können.92 Jeder ontologische Begriff verdeckt eine Widerlegung.93 Sie ist der
Anatagonist der Abstraktion. Eine falsche Form der Abstraktion ist die fallacia. Sie
ist vielfach oder immer an ontologische Grundvorstellungen oder -formeln gebun
den oder nähert sich ihnen (asymptotisch) an.94 Dem aber sind alle Beweisführungen
91. Ockham hat mit seinen Logiken, die durchaus den rechten Vernunftgebrauch zu lehren
vorgeben, seine eigene Philosophie nicht begründet, sondern nur insoweit fundiert, wie er die
falsche, von ihm nicht gebilligte, indizieren, widerlegen, ausmustern wollte. Mit Verweis auf
logische Grundsätze und Möglichkeiten geschieht es im SK.
92. Wir haben nach Moody darauf verwiesen, dass Duns Scotus direkt eine Ontologisierung
der Logik betrieben hat. Das muss damit als widersprüchlich oder kontrapraduktiv angesehen
werden. Womöglich hat Duns Scotus den Mangel gefühlt. Er hätte dann die Ontologie direkt
gegen die Kontingenz gesetzt und beides vermeintlich bruchlos in die Deduktion hinüberge-
leitet. Das ist aber aus vielen Gründen nicht möglich. Einer wird durch das Paradoxon von
Löwenheim und Skolem angegeben. Ein anderer lautet ockhamistisch: Wir haben es dabei im
mer mit einem actus apprehensivus zu tun. Der actus apprehensivus, die notitia abstractiva,
muss so verstanden werden, dass ein jeder Begriff, der in ihn eingeführt wird, nehmen wir z. B.
species, auf eine Widerlegung und Absurdisierung zuläuft, weil er, mit dem actus apprehensi-
vus gleichgesetzt, diesen nochmals enthielte. Dafür kann dann kein Beweis geliefert werden,
gleichgültig, ob ein solcher Begriff dabei inhaltlich oder funktionell verstanden wurde. Wir
haben so für species keine genuine Auslegung und keine Einführung in genuine Beweise. Je-
der Begriff müsste hier den actus apprehensivus bedeuten und was ihm extra mentem realiter
zugrundeläge. Eine solche Kontamination von Allgemeinheit und Singularität (Individualität)
kann niemals bewiesen werden; sie ist immer nur absurd. Cf. L. Baudry, 1958, pp. 278–284 (Art.
universale). Kein Deduktionsakt liefert für Ockham übrigens eine notitia incomplexa und in
deren Namen intentionell die res, existentia etc.
93. Ockham hat ihn direkt in diese überführt. Wenn der ontologische Begriff in der Widerlegung
auftritt, trennt er den kontingenten Sachbestand vom abstrakten, im grunde mentalistischen
Ziel- oder Hauptbegriff, der im Sinne der Realgeltung nicht in eine Vieilzahl unbeständiger
Einzelteile oder wechselnder Zustände überführt darin untergehen soll. Die Widerlegung be-
dingt und liefert eine Dekomposition, wie sie Duns Scotus vermeiden, der er entgegenwirklen
wollte. Dies bedeutet auch, dass die Kontingenz in der Spätscholastik, wie sie u. a. mit den bei
den Schlüsselbegriffen notitia intuitiva und notitia abstractiva angesprochen, aufgenommen
und bewahrt wird, als Moment der Erkenntnis nicht direkt auf die Geister wirken, vielmehr
dilemmatisch für andere, vielleicht untergeodnete Sachverhalte, z. B. die in der Religion ange-
sprochenen, vorbewusst gegeben war. Auch Adam Wodham, Ockhams Schüler, hat mit ihr als
dem Inbegriff der Realität zu tun und kann sie doch von den religiösen Obligationen gerade
nicht trennen. Das sollte in Kap. 6: Theologie und Logikbegriff gezeigt werden.
94. Die fallacia ist danach eine in ihrer Form falsche Abstraktion. Die Form lässt sich bestim-
men.
Kapitel 14. Widerspruch und accidens 669
Ockhams verwandt.95 Ockham führt aber damit von der menschlichen Individuali-
tät weg, die nirgendwo im accidens, in der Empfindung usw. gesucht werden kann,
sondern nur als Freiheit bestehen kann, also von falschen Lehren und den in diese
gelegenen Verpflichtungen befreit zu sein hat. Ockham hat das gefordert.96
Was Ockham vermutlich ausgemacht hat, war, dass er das scholastische Problem
(will sagen: die Scholastik als Problem), in se ‘bestimmen’ und es, wie er es aus dem
Grunde anging, sei es lösen, sei es aus der Welt räumen wollte.97 Hier hat die Lösung,
die Beschreibung und Umschreibung ist, zu bedeuten, dass man (und so auch Ock-
ham selbst) negierte, dass es ein Problem gebe, dessen Dimension über den Wortlaut,
95. Ockhams Beweise zeigten immer, dass wir keine Möglichkeit haben, das accidens (die Ak-
zidentalität) in forma/Formalität zu überführen. Gäbe es mit dem accidens (verbunden) eine
‘logische’ Struktur, so wäre sie nicht die sachliche oder inhaltliche der forma, der mit der sub-
stantia vereinigten forma. Auch in der Verbindung der Prädikate (passiones) gibt es sie nicht.
Alles was wir bei Duns Scotus als Prinzip vorfinden können und dann verteidigt sehen, im
Grunde die Relevanz eines einzelnen terminus in Bezug auf die Realität angehend, haben wir
bei Ockham reduziert auf ein Schema oder Prinzip, das aus dem Beweis sich ergibt und darin
immer wiedergefunden/erreicht wird. In dem Sinne haben wir aber keine inhaltliche mit der
Induktion einhergehende und von ihr gestützte ‘Allgemeinheit’, d. h. nichts in der Welt, was
diese allgemein wiedergäbe und dann noch für alle denkbaren Welten gelten könnte. Diese
Welten können von der unsrigen her und mit dem begrifflichen Material, das wir im Sinn
unserer notitiae (Akte) verwenden und integrieren (nachvollziehen) her weder bestimmt noch
vorhergesehen noch aliquomodo ausgeführt werden. Sie werden daher immer nur, nach unse-
rem Stand, für kompatibel erklärt werden können. Möglich dass darin auch mehr Erkenntnis
wäre. Für wen? Den Menschen? Der muss vielleicht notwendig im Sinn der Ontologie, die wir
haben, aufgefasst und ausgedrückt werden.
96. Es gilt für religiöse Lehre, für Unterwerfungsansprüche der Kirche hinsichtlich ihrer Leh-
ren, nicht nur der Dogmen, sondern auch von deren Auslegungen, etwa und in Sonderheit
mit Hilfe der Ontologie (sic!) Man kreidet Ockham (bis heute) an, nicht an die Ontologie zu
glauben und damit weder das Dogma noch die Realerkenntnis aufrechterhalten zu können.
Ockham ward bezichtigt, die Ontologie widervernünftig zu verwerfen; er benutzt sie freilich,
um zu widerlegen,u. a. sie selbst, um Dogmen anzugreifen, die er als uneinsichtig und unerheb
lich abtut. Letztere sind für ihn nicht um der ewigen Seligkeit willen, sei es im Glauben sei es in
Verstand und Vernunft, notwendige Wahrheiten. Er definiert postaristotelisch die Notwendig
keit neu. Ockham hätte nicht secundum rationem genötigt werden können, seine Thesen qua
Evidenz zurückzunehmen und wäre bei Weigerung getötet, bei Widerruf sequestriert worden.
H. Blumenberg, 1966 hat hier beizutragen, dass erst am Rande Ockhams Philosophie die abso
lute Vernunft mit dem Widerspruchsprinzip als pièce de résistance gegen abundanten, irratio
nalen und häretischen Gebrauch des Omnipotenzprinzips aufschimmere; die Inkarnation von
Vernunft ante festum sind die Zensoren der Kurie, die Ockham beurteilen. Das ist mehr als
mittelalterlich gedacht.
97. Beides konnte nur unter dem Gesichtspunkt nicht dasselbe sein, dass wir immer weiter
ideologische Annahmen oder inhaltliche Zusätze benötigen würden, die wir nicht so wie unse-
re methodischen Überzeugungen operationalisieren könnten.
670 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
den es erhalten ‘konnte’ (bei Ockham quasi schlussendlich erhielt), aliquomodo hin-
ausginge. Da hatten Ockhams Methoden die letzten Endes gültigen zu sein. Mit den
scholastischen Lehren, so sehr er sie aufbrach und ausschied, musste Ockham inso-
weit gleichwohl im Einvernehmen stehen. Dass die methodische Formulierung eines
Problems seiner Elimination gleich oder nahe kommt, sollte aber nach vergleichend
wissenschaftshistorischer Einsicht prinzipiell unbestritten sein.
Der Aufbau von Ockhams Nominalismus ist klar.98 Er enthält Problemstellungen
und Problemlösungen je in der Weise einer Differenzierung, bei der Partikulares einen
Hauptsinn erhält und präpariert (gewonnen) werden kann und zugleich als gegen et-
was als den Inbegriff der Negativität zu setzen ist und sich erhebt, wobei die significatio
exterminiert und geleugnet wird.99 Deren Äquivalent ist der Widerspruch(sbegriff),
98. Die notitia intuitiva erzeugt mit der Erkenntnis, die sie enthält oder besagt, die Begriffe,
die den kontingenten (empirischen) Satz bilden. Man wird fragen erstens wie und wodurch
notwendige Sätze bestehen. Zweitens ob es falsche Sätze geben könne (gebe). Ockham gibt Sät
zen a limine einen Inhalt; der falsche Satz besteht u. a vermöge einer unzulässigen disparaten
suppositio seiner termini. Damit werden Sinn und Inhalt der Begriffe nicht angetastet, sondern
vorausgesetzt. Operationen über die Sätze hinaus legitimieren sie gegen Deutungen oder Kon
sequenzen, die ausgeschlossen bleiben sollen, ja evidenterweise ausgeschlossen bleiben müs
sen. Solche Deutungen bzw. Konsequenzen, die selbst eine Falschheit zu besagen hätten, sind
so intensional inkonsistent. Sie entsprechen fallaciae. Der Widerspruch, der bei theologischen
Aussagen eventuell angeführt wird, ist ein ihnen angefügter: er besagt pro-empirische Ausle-
gungen der Begriffe, die wir mit der kirchlichen Lehre hinter uns lassen, da wir darin noch
nicht vom speziellen Gegenstand Gott sprächen, den wir überhaupt erst bezeichnen, wenn
wir den Begriffen transempirischen Sinn geben oder zubilligen. Praeter contradictionem be-
kommen Sätze und Begriffe für die Theologie den spezifisch menschlichen Sinn, den wir nach
Ockham nicht überschreiten sollen und können. Die Begriffe bekommen, wenn sie von Gott
sensu proprio verwandt werden, wo es sich nicht um relationes handelt (wie generatio, spira
tio usw.), einen immediaten (untilgbaren) Sinn (propositio immediata). Damit sind sie noch
nicht necessaria. Den Status bekommen sie erst im Syllogismus, wenn sie darin unbedingt als
praemissae verwandt werden können und müssen. Ockham begründet so sehr tief die fallacia;
ihre Vermeidung im mittelalterlichen System führt über dieses hinaus zur Negation der Idee
einer apriorischen Logik. Kalküle dagegen, worin Inhalte und Operationen (allgemein oder spe
ziell) gleichgesetzt (vermengt) werden, wird man nicht bewerten können, ohne dass man den
unsichtbaren impliziten Faktor ‘Notwendigkeit’ dazugibt, der als eingeschlossener nicht belegt
werden kann. Duns Scotus sucht im Verfolg seiner Deduktionen eine „Notwendigkeit“, die bei
Ockham gelöscht ist. Ob sie bei Duns Scotus eine logische ist und/oder sachlich gemeint kön
nen wir nicht wissen. In dem Sinne hätten wir seine deduktiven Konglomerate als Kalküle zu
verstehen. Solche können wir bei Ockham nicht einmal in der Syllogistik annehmen.
99. Die Kontingenz begründet sich bei Ockham für die Welt in reali und extra animam so-
wohl wie für die Erkenntnisakte gegen (die) Ontologie. Der Schlüsselbegriff für die faktisch
kontingente Erkenntnis, bei der die Kontingenz eben auch in das erkennende Subjekt hin-
einreicht und sich in ihm quasi wiederholt (fortsetzt), ist die notitia intuitiva. Ockham grün-
det die Abstraktion der notitia intuitiva nicht nur auf die distinctio realis, wonach sie dann
secundum rationem keine akzidentellen Umstände enthalten kann, sondern er begründet ihre
Kapitel 14. Widerspruch und accidens 671
der tief in die materia hineinreicht, mit der wir für alle Konstrukte und Erörterungen
des Sinnes von Begriffen oder Aussagen nicht mehr zu rechnen haben. Hier begeg-
neten wir dem Omnipotenzprinzip.100 Es greift nie in die materia in se ein, sondern
Unabhängigkeit vom obiectum extra animam auch ontologisch: nach dem negativen Gebrauch,
den er von den ontologischen Vokabeln immer macht, indem er feststellt, das obiectum sei
keine causa essentialis der notitia intuitiva. Cf. Ord. Prol.q. 1 OT I p. 36 lin. lin. 4–8. Die ontolo
gischen Vokabeln behalten intensional ihren absoluten Sinn, verlieren ihn jedoch per Anwen
dung, i.e. eher akzidentell und genau im Sinn der doppelten Verneinung, die wir geschildert
haben, bei der das Angewendete und Negierte eben qua Anwendung in der Negation den rea
len Sinn in reali, also die significatio trifft. Wir haben damit den Gegenpol zur Abstraktion in
der significatio, und sehen, dass gerade dazu die significatio verneint werden muss; ohne das
gelangen wir nicht per Induktion zur Abstraktion. Ib. lin. 8–11 stellt Ockham fest: „notitia intui
tiva, secundum se et necessario, non plus est exsistentis quam non-exsistentis, nec plus respicit
exsistentiam quam non-exsistentiam, sed respicit tam exsistentiam quam non-exsistentiam.“
Ockham trennt aber die notitia intuitiva (den actus) nur per existentiam von dem obiectum,
von dem wir auch für die notitia intuitiva (indes empirisch) ausgehen, und gelangt von da per
Abstraktion zur Wesensbestimmung (ratio). Er kappt die kausale Relation zwischen res und
res, die ja nie, auch nie im realempirischen Sinn induktiv erstellt werden könnte, d. h. nicht nur
innerhalb der Erkenntnispsychologie. Die These ist von den Avigneser Zensoren angegriffen
worden. (cf. Ed. p. 36 App. Anm. 2). Der Hinweis der Ed. (ib. Anm. 3) auf Ord. Prol. q. 1 p. 31
lin. 9–16 scheint vorab implausibel, da Wortlautkoinzidenz nicht besteht und die Konsistenz
erst in einer ausgebreiteten Interpretation allenfalls zum Vorschein käme.
100. Wir können zu den transempirischen Verhältnissen in Gott und für beati und angeli nie
übergehen, ohne den Widerspruchssatz zu leugnen (auszuschalten). Das lässt sich beweisen:
Wenn wir von den empirischen Bedingungen zu den transempirischen ‘Verhältnissen’ (dem
empirisch gesehen Kompatiblen) aufsteigen, haben wir in jenem die negativen Voraussetzun-
gen für dieses und die Induktion oder persuasio. Cf. Ord. Prol. q. 1 OT I p. 48 lin. 24 – p. 49
lin. 3: „Si abstractiva non posset esse sine intuitiva Dei, igitur intuitiva Dei esset causa essenti
alis respectu abstractivae, sed non nisi extrinseca: et quidquid potest Deus mediante causa ex
trinseca, potest immediate per se. Igitur potest facere abstractiva sine intuitiva.“ Wir haben eine
empirische Bedingung für die Genese der notitia abstractiva, die für ihr ‘esse in patria’ nicht
Sinn machen soll: In patria sind ‘wir’ nicht mehr in natürlichem Zustand (haben aber noch die
beiden notitiae als Aktarten, zu deren neuem Verhältnis wir persuasiv aufsteigen) und dort
soll die notitia abstractiva ohne die vorgängige notitia intuitiva sein, auf die wir ’pro creaturis
et experientia’ (pro statu isto, secundum legem communem) nicht verzichten können. In der
oberen Welt soll sein (können), was naturaliter für uns nie vorkommt. Damit geht man vom Ge
brauch der potentia divina absoluta naturaliter loquendo zum Modus supranaturaliter loquendo
über. Wir können die empirische Bedingung den transempirischen Verhältnissen nicht beifü
gen; es wäre eine fallacia. Man kann einwenden, Gott könne was er tue immer nur mit sich
selbst tun. Soll das besagen, innerhalb seiner selbst inwendig, so seien die beiden Modi womög
lich auch gleich. Das gilt insofern nicht, als Sätze zu beurteilen sind und die potentia divina
absoluta supranaturaliter loquendo modo composito als vom Satz prädiziert verstanden werden
muss. Vom Satz kann nicht prädiziert werden, was realiter verstanden wird. So kann Ockhams
Argument nur gelten, falls es meint: was in der Realität gilt, muss von Gott nicht gelten. Gott
672 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
bleibt bei dem Verhältnis der ontologischen Begriffe stehen, wie etwa forma und ac-
cidens, substantia und accidens, qualitas und quantitas, von habitus und actus,101 mit
denen wir das Verhältnis der Begriffe als Inhalte in den Aussagen in Richtung auf
die Realität extra animam bestimmen und begrenzen. Wir bleiben bei einem Subjekt
stehen, das in ihm selbst bestimmt sich nicht überschreitet, auch wenn es transzenden
te Prinzipien wie das Omnipotenzprinzip per appellationem in Dienst nimmt eben-
so wenig wie es die res in se ipsa in Äquipotenz mit den Verstandesbestimmungen
oder Akten des Verstandes bzw. an deren Stelle zu geben und zu erreichen vorgibt
und gleichnamig die Wahrheit. Eben darum gibt bei Ockham das Beweisen.102 Die
Beweisform ist da nicht durch die Bezeichnung im logischen Kanon erschöpft, den
Ockham freilich ebenfalls von ontologischen Prämissen gereinigt sehen will.103 Er-
kennen ist eines des Subjekts, doch von der generativen Motivation der Neuzeit be
freit, worin das Subjekt als Protagonist für alle Menschen auftrat.
Bei Ockham muss es die Aktlehre geben, da die Begriffe in sich instabil sind. Da es
auf ihrer Stufe keine Gewissheit gibt, müssen die Akte eintreten, um überhaupt Argu-
mentation bezüglich der Begriffe oder der in ihrer Form angestrebten Erkenntnis zu
sichern. Es muss daher schon Erkenntnis via Argumentation geben; erst sie instituiert
sie. Die Scholastik vor Ockham ist davon ausgegangen, dass die Erkenntnis schon in
und aufgrund von Begriffen existiere. Nur hieß das, dass sie ausschließlich postulierte
Erkenntnis heißen konnte; nun wird sie konstruiert. Das geschieht mit einer wesent-
lich reprobativen Argumentationstechnik, die analytisch zu heißen hat, wo sie für den
Verstand in diesem autonome und in der Bestimmung mit ihm identische Maximen
greift nicht in die Realität ein; täte er es, so mittels seiner potentia absoluta supranaturaliter
loquendo, die nicht von Sachen, sondern von Sätzen gilt. Wir müssen ferner unterstellen, dass
die notitia abstractiva in patria bei den beati, die Gott schauen, in der Form eines anderen Me
diums als Gott selbst, gegeben wäre, also nicht im medium Gott, d. h. der res, die Gott ist; sonst
würde die notitia abstractiva als Topos keinen Sinn machen, sie wäre mit notitia intuitiva, der
in der visio beatifica, gleich. Dreierlei fällt beweistheoretisch hier (Ord. Prol q. p. 48 lin. 1 – p. 49
lin. 8) auf: (1) Ockham persuadiert, indem er Einwände gegen seine These abweist, ohne daraus
die Wahrheit oder Gegebenheit zu folgern: er führt keinen indirekten Beweis mithin. (2) er
gebraucht die distinctio realis und die potentia divina absoluta naturaliter loquendo für eine
Widerlegung. (3) Er setzt eine mittels potentia divina supranaturaliter loquendo gewonnene
notitia abstractiva separata: „sequitur quod abstractiva notitia distincta deitatis potest esse in
viatore, manente viatore.“
101. Auch sie sind ontologische Begriffe, wenngleich sie auch grundlegend mentalistisch ver-
wandt werden können und hier dann gleichsam die Grenze gegenüber jedem Vorgriff markie-
ren, der das Subjekt verlassen und überschreiten könnte, in Richtung auf Gott und Jenseitswelt
oder Inseität der res.
102. Konform damit gibt es Abschätzungen von Beweisbarkeit, gibt es deren Negation, die
Feststellung der höheren Wahrscheinlichkeit von Beweisbarkeit von jenem als diesem oder der
höchstwahrscheinlichen ‘Wahrheit’.
103. Duns Scotus hat quasi regressiv (im repulsiven Übermaß) das Gegenteil getan.
Kapitel 14. Widerspruch und accidens 673
104. ‘Ratio’ bezeichnet sie in ihrer Funktionalität, in einer Art funktionaler Definitheit, bei der
es eben die Formalität ist, die im Sinne der Akzidentalität weder überschritten noch angefoch-
ten werden können soll. Bedingt ist hier sogar die forma im ontologischen Sinn ‘enthalten’ oder
als in den subiecta (der Sätze) oder in dem, was die Aktbegriffe meinen, betroffen zu denken;
so ist die forma potentiae in den notitia bezeichenbar zu denken oder aber analytisch (für die
anima als substantia, secundum potentiam usw.) zu unterstellen, weil ‘Sätze’, die dagegen sprä-
chen, nicht beweisbar oder aber nur empirisch wären, was dasselbe ist.
105. Der Widerspruch würde als Einspruch in der Form eines casus auftreten. Von ihm zeigt
Ockham, dass für ihn (in Bezug und Anwendung auf ihn) grundlegende, etwa ontologische
Prinzipien insuffizient werden, also ihre Bindekraft = verpflichtende Bedeutung verlieren.
Ockham bestreitet dann für gewöhnlich die allgemeine Geltung, nennt gegen sie ein Gegen-
beispiel und schließt, indem er darin eine Einschränkung, Minderung oder Negation erhält,
seine Induktion an: darin werden die Funktion und die ‘Identität’ (Unwandelbarkeit), sei es
gesichert, sei es behauptet. Funktion und Inhalt werden oder bleiben identisch.
106. Wo eine ontologische Maxime angewandt wird, wie es Ockham für seine scholastischen
Gegner in den von ihm dann kritisierten Beispielen belegt, muss sie einen Schluss enthalten
oder ihm zuvorkommen, d. h. es muss in ihr gegeben sein, was Ockham grundsätzlich kriti-
siert: die implicatio eines Terminus (nach seinem inhaltlichen Gehalt) in einem anderen (vor-
gängigen), wodurch sich der ontologische Gehalt zu reduplizieren und aufzuheben hätte.
107. Wo Dilthey Erörterungen zu Lebensverfasstheit und Geschichtlichkeit anstellt, wie sie
z. B. H. G. Gadamer, 1960, bes. pp. 205–250, aber auch pp. 57–67 und K. Löwith, 1928, II. Kap.
§§ 4,5,7 referieren, ergibt sich ein Einwand: die als grundlegend von Dilthey invozierten und in-
stituierten Konzepte und Verständnisse werden, da sie dem freien Begriffsgebrauch vorgreifen,
irrational erscheinen; die angestrebte oder auch nur behauptete fundamentale anthropologische
Klärung gibt es da nicht. Dilthey mit dem immanenten Postulat der ‘Unverständlichkeit, die
674 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
a limine bestünde, wenn wir seiner Vorklärung nicht folgten’, setzt den an sich leeren (also fal
schen) Begriff an die Stelle der erfüllten. Wir bekommen eine ‘Pseudo-Priorität’, die Kants A
priori noch kompensieren und ersetzen zu können geeignet sein soll.
108. Sie wird heute gern mythisch substanziiert. M. Frank, 1982 p. 66 vermutet, dass H. Blu-
menberg, 1979 aus J. Kolakowski, 1972 „geschöpft“ habe, ihn „unverständlicherweise“ aber
nicht ‘zitiert’. Cf. Anm. 45.
109. Das versuchte auch in einem abstrakten Biographismus J. Miethke, 1969.
110. Man sehe hier als Beispiel die propositio per se nota: sie wird über die Akte bestimmt, näm
lich notitia abstractiva und notitia intuitiva, über die wir, in Form einer notitia incomplexa, die
Begriffe ‘haben’. Aber wir müssen dazu und darüberhinaus setzen (fordern), dass (Ord. d. 3 q.
4 OT II p. 439 lin. 5–9) „quaecumque notitia terminorum, sive sit perfecta sive imperfecta, sive
confusa sive distincta – dummodo illi idem termini qui prius apprehendantur et non alii-, sive
abstractiva sive intuitiva, sit sufficiens cum formatione propositionis ad causandum notitiam
evidentem propositionis“. Zunächst war es wichtig, dass der Satz gebildet wurde den Satz, den
wir dann per se einsehen (ib. p. 438 lin. 15f): „Sed cum notitia terminorum requiritur formatio
propositionis ex illis terminis.“ Daraus ergibt sich, dass der ungesehene Wille als causa mediata
efficiens um der formatio propositionis willen beitreten muss (ib. lin. 16–19): „Et ita cum…
formatio propositionis non possit fieri nisi mediante voluntate, ad notitiam propositionis per
se notae requiritur ipsa voluntas tamquam efficiens causa saltem mediata.“ Diese voluntas ‘be
rührt’ aber nicht die Akte, weshalb diese auch nicht zwangsläufig die propositio per se nota
ergeben, wenn wir nach der notitia incomplexa terminorum eine notitia complexa bilden (ib.
lin. 19 – p. 439 lin. 1): „Non tamen universaliter quando notitia incomplexa terminorum et
formatio propositionis sufficiunt ad notitiam evidentem talis propositionis est propositio per
se nota“. Es kann so nach Ockham (ib. p. 439 lin. 2f) auch eine propositio contingens entste
hen. Ockham sagt daher (ib. lin. 4–9), dass zur Bedingung der propositio per se nota gehöre,
dass die notitia terminorum ebenso wohl perfecta wie imperfecta, ebenso wohl confusa wie
distincta sein könne, solange es nur diese termini und keine anderen seien, die per notitiam
intuitivam oder notitiam abstractivam „prius apprehenduntur“. Zu den verschiedenen notitiae
terminorum s. die SL. Diese Unterscheidungen sind bei Descartes und Leibniz noch dieselben.
Sie müssen/‘können’ aber dort das Erkennen quasi fundo determinieren. Bei Ockham werden
sie implizit und ‘oberflächlich’ ad definitionem regulae verwandt. Und zuletzt entsteht dieser
Satz automatisch und erreicht nicht die substantia animae.
111. Von Sätzen, die bestimmt sind wie in Anm. 110 die propositio per se nota, gehen dann die
Entscheidungen Ockhams bezüglich des Lehrgehaltes mit ethisch-anthropologischem Bezug
aus. Dieser aber ist kein unbedingt seelenpraktischer, wie er dann ganz sicher der neuzeitlichen
Religiosität wieder entspricht.
Kapitel 14. Widerspruch und accidens 675
112. Ockham zeigt (Rep. IV, q. 11 OT VII pp. 193–238): Utrum cuilibet poenitenti per sacra-
mentum poenitentiae gratia et virtutes infundantur) eine gewisse Kultfrömmigkeit, aber so dass
wir nicht wissen können, was (für ihn wie überhaupt) Frömmigkeit außerhalb des Kultes und
neben diesem sein könne und so auch Kultfrömmigkeit. Dabei kommt Ockham mit den Ge-
stimmtheiten der Seelen neben den Kultobliegenheiten nicht besonders zurecht. Er kann uns
nicht detailliert sagen, welches die Haltungen der Seele (im Verhältnis zueinander und) zu
einem gewissen, die Inhalte der Religion praktisch nehmenden Effekt sein können. So wird
poenitentia als Spendung und Empfang des Bußsakraments verstanden; das Bußsakrament
nimmt jene Zeichenhaftigkeit an, die die Begriffe auch haben. Die innere religiose Gewissheits
lage ist bei Ockham wenig ausgeprägt, cf. ib. p. 195 lin. 2–8: „dico quod peccatum mortale non
habet aliquod quid rei sed tantum quid nominis, quia nihil unum reale dicit, nec positivum
nec privativum vel negativum, quia post actum peccati nihil manet. Sed dicit multa non haben
tia aliquam unitatem, nec per se nec per accidens. Unde potest dici quod ((definitio)) quid
nominis peccati est istud: aliquem commisisse aliquem actum vel omisisse propter quod ad
poenam aeternam obligatur.“ Dabei gibt es für Ockham keine besonders ausgezeichnete gratia
sacramentalis (cf. ib. p. 211 lin. 1 – p. 213 lin. 7) Weder exorbitante, die herausgehobenen Sünden
(peccatum originale, peccatum mortale) noch das peccatum überhaupt kommen über das quid
nominis hinaus. Auch die sakramentale Lossprechung hat für Ockham bloß ein quid nominis,
also nichts in se Reales (cf. ib. 201 lin. 23 – p. 202 lin. 9).
113. Dass der Dämon in mir eine Täuschung bewirkt, bedeutet nicht, dass ich dieser Wahr-
nehmung zufolge und in zeitlicher Folge zu ihr einer Täuschung erläge, die in gewissen unan-
gebrachten Folgerungen bestünde und Folge der sinnlichen Wahrnehmung wäre; sondern ich
folgere eigentlich gar nicht (Rep. II, q. 16 OT V p. 370 lin. 17–20): „fiunt illusiones a daemonibus
in quibus aliquid reale videtur (Realnahes), tamen homo decipitur circa illas illusiones, quia ex
676 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
weder in Problemfeldern noch mit Gewissensfragen gegen die Vermögen an, unter-
malen diese nicht dubitativ und prekär. Das Verstandesvermögen vielmehr, in den
Satzaussagen definiert und niedergelegt, wird bestimmt und gewahrt, wenn diesen,
im Sinne der Widerlegbarkeit von falschen Bestimmungen (Erklärungen der Struk-
tur als sinntragender oder intellektiver Erscheinung in mente), Implikationen und be
dingt die Implikation überhaupt abgesprochen werden (können); dann wird der Satz
als für sich bestehender determinater und möglicherweise sinntragender (sinnvoller)
erkannt.114 Wenn darin die theologische oder supranaturale Komponente zum Tra-
gen kommt, wird eine Struktur jenseits von Offenbarung und menschlicher Einsicht
gebilligt und über die Akzeptanz von Sätzen und deren Auslegung ‘entschieden’.115
illis visis infert propositionem non sequentem formaliter.“ Die formale Folgerung kann nicht
der formatio propositionis entsprechen oder zu ihr führen. Es gibt keinen logischen oder zu-
gleich semantischen Aufbau der Sätze, die dann per discursum syllogisticum behandelt oder
verbunden werden könnten. Folgern oder ‘discurrere’ hat ausschließlich im Verstand statt (cf.
Rep. II, q. 14 OT V p. 315 lin. 14–16): „virtute principiorum cognoscere conclusiones. Et hoc est
discurrere et scire conclusiones aliquas prius ignota virtute principiorum.“ Damit ist die Diffe-
renz zu Descartes gesetzt, der dem discursus syllogisticus echt neuzeitlich keinen besonderen
Erkenntniswert zuspricht und eine sinnliche Wahrnehmungskomponente für die Evidenz nicht
von vornherein ausschließen kann, wenngleich sie bei ihm begriffsbezogen (begriffszerglie
dernd) ist.
114. Bei Ockham tritt überhaupt an die Stelle der Implikation (in der Verarbeitung von Aus-
sagen oder grundsätzlichen Konzepten wie ens) die prädicatio. Cf. Ord. d. 1 q. 4 OT I p. 436
lin. 15 – p. 437 lin.3: „dico quod aliquid esse obiectum primum alicuius potentiae – et hoc lo-
quendo de obiecto primo primitate adaequationis – potest intelligi dupliciter: vel quia est illud
cuius quodlibet contentum in particulari et sub propria ratione apprehensibile ab illa potentia,
et nihil est sic apprehensibile a potentia nisi de quo illud praedicatur; vel quia est communissi
mum inter omnia quae possunt apprehendi ab aliqua potentia, nec potest aliquid apprehendi
ab illa potentia nisi de quo ipsum praedicatur. Primo modo dico quod non potest naturaliter
cognosci quod ens est primum obiectum intellectus, quia non potest naturaliter cognosci quod
quodlibet contentum sub ente est sic cognoscibile ab intellectu. Secundo modo est possibile,
sed tunc non est naturaliter notum quod omne contentum sub tali primo obiecto est naturaliter
cognoscibile distincte et in particulari a tali potentia.“ Das ens wäre dabei implizit oder u. a.
auch als abstractum oder Begriff zu verstehen. Die Stellungnahme richtet sich wieder gegen
Duns Scotus. Cf. an dieser Stelle p. 432 lin. 18 – p. 433 lin. 2. S. auch o. Anm. 6 Ord. d. 3 q. 8
OT II p. 532 lin. 8–24 enthält sogar eine Zurückführung der Implikation auf diese Prädikation,
bzw. die Verneinung der Implikation gemäß der negierten Prädikation (ib. lin. 14–19: „ex omni
per se apprehendibili ab aliqua potentia contingit inferre primum obiectum adaequatum, sicut
sequitur ‘iste color videtur, igitur color videtur’, et universaliter sequitur etiam de visibile per
accidens ‘hoc videtur, igitur color videtur’, igitur eodem modo est de aliis.“
115. Dabei sind wir mit den menschlichen ‘Abstraktion’ auch bei Gott, dessen Akte (oder die
Akte, die er veranlasst = verursacht), den menschlichen gleichen, während unsere Sätze über
Gott (oder ihn einbegreifend) so verstanden und bewertet immer als die unsrigen anzusehen
sind, keineswegs als Sätze oder cognitiones, die wir mit Gott zu teilen vermöchten.
Kapitel 14. Widerspruch und accidens 677
Hier werden struktural etwa auch theologische Sätze, die sacra theologia betreffend,
akzeptiert werden können, die damit gleichwohl dem infidelis noch nicht (beweisför
mig) überzeugend dargelegt werden können, so wie auch der fidelis sie nicht per se
oder nach einem Vermögen, das ihm pro statu isto eigen wäre, einsehen kann.116 So
bleiben der fidelis und der infidelis weiter allem zum Grunde; mit ihnen lässt sich die
Folgerung nicht begründen. 117 Sie teilen vorab alle Sätze (Satztypen). Wir finden sie
116. Cf. Quodlibet V q. 6 OT IX p. 502 lin. 45–58: „Secunda conclusio est quod assensus utro-
que modo acceptus (nämlich nach ib. p. 500 lin. 16–18: unus quo intellectus assentit aliquid esse
vel aliquid esse bonum vel album; alius quo intellectus assentit alicui complexo, also im Prinzip
nach notitia intuitiva und notitia abstractiva) differt a secunda apprehensione (dazu cf. wie-
der Anm. 48) quae est cognitio complexi iam formati. Hoc probo primo sic: fidelis et infidelis
contradicunt sibi de isto articulo ‘Deus est trinus et unus’. Aut igitur iste articulus formatus in
mente apprehenditur et cognoscitur ab utroque, aut non. Si sic et actus credendi non est in
utroque, igitur actus credendi differt, non solum ab isto articulo formato in mente, sed etiam ab
eius apprehensione. Si non apprehenditur ab utroque, contra: pono omnia paria in eis praeter
actum credendi, et tunc manifestum est quod potest (infidelis) illum articulum apprehendere.
Similiter nullus assentit nec dissentit nisi cognito; sed infidelis dissentit isti articulo in mente
et negat eum; igitur cognoscit illum articulum.“ Der fidelis kann den infidelis nicht zur Aner
kenntnis nötigen; aus dem actus apprehensivus geht der assensus in keinem Sinn als dessen Be-
standteil hervor; beide stehen in keinem Bedingungsverhältnis miteinander. Das tangiert alle
Beweisverhältnisse (Ockham ib. p. 503 lin. 76–81): „dico quod non est contradictio demonstrati
onem esse in anima sine actu sciendi, quia actus dubitandi non repugnat formaliter conclusioni
nec demonstrationi, licet forte repugnet sibi virtualiter; et per consequens per potentiam divi-
nam posset causari actus dubitandi in anima simul cum demonstratione.“ Demonstratio und
actus sciendi schließen einander begrifflich (i.e. formaliter seu consequentia formali) nicht ein,
wie induktiv mit dem actus dubitandi – als Brücke – ermittelt wird. Virtualiter koinzidieren
sie womöglich (forte). Die inevidente distinctio wird unterstellt. (Ihr wird nur virtualiter ohne
spezifische Wahrnehmung von realia widersprochen.) Das bedingt indefinite Begriffe und ins-
gesamt eine persuasio mit überbegrifflichem Charakter; dafür steht die Hypothesenbildung
nach dem Allmachtsprinzip. Zwischen fides und scientia kann so nicht reell (konstitutiv) unter
schieden werden (cf. Kap. 5 Anm. 49). Auch in Quodlibet V q. 4 pp. 491–495: Utrum Deus possit
causare in viatore notitiam evidentem de credibilibus sine visione Dei meidet Ockham begriff-
stypische Strukturaussagen (ib. p. 489): „conclusio non causatur a mediis, quia tam subiectum
quam praedicatum quam etiam tota conclusio praehabentur ante omnem demonstrationem“,
wie Aristoteles sage. Ockham konstruiert die demonstratio nicht und tut seine Einschätzung le-
diglich implizit (grosso modo) für alle scientia/demonstratio inclusive der theologischen Sätze
kund. Apprehensio ist hier genetisch und unter Referenzaspekten überhaupt ohne begrifflichen
Wert. Soll freilich der Satz ‘apprehensio praecedit assensum’ (auch als Truismus) eine petitio
principii enthalten oder darstellen, machen Ockhams Erörterungen als deren Vermeidung ei-
nen unbedingten Sinn.
117. Die Implikation entfällt auch als Verbindungsmoment zwischen ‘Größen’: es gibt zwei no-
titiae abstractivae ohne die Implikation und ohne eine kausale Beziehung, die sich argumenta-
tiv aufzeigen ließe. Eine induktive erfolgt im Sinn der Trennbarkeit. Cf. Rep. II q. 14 OT V p. 334
lin. 19 – p. 336 lin. 14. Die Induktion vertritt den Wahrheitswert auch für die notitia intuitiva
678 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
bei Ockham auf eine eigene und eigentümliche Weise, in seiner konstruktiven Weise
genuin begründet, die darin besteht, dass sie intensional und das heißt eben auch für
den Verstand (anima) intramental angesetzt, niemals mehr quasi extra animam ihren
konstitutiven Gehalt haben können, i.e. für sie die Intensionalität spezifisch erläutert
werden kann. Das geschieht durch die Negation der Folgerung oder Implikation, die
quasi sensu negationis verschieden identifiziert werden kann. Diese Negation alias
negative Identifikation ist auf verschiedenen Weise möglich; sie ist abwandelbar. Das
ergibt die Klassifikation der Sätze (Satzarten), die wir bei Ockham kennenlernen und
die ihrerseits noch einmal konstitutiv in seine Beweise eintreten, wie wir sie gekenn
zeichnet haben.118 Da die apologia contra infideles bei Ockham eben auch inhaltlich
schwach entwickelt erscheint, muss die Form der von ihm stattdessen ausgeprägten
und sichert den Begriffswert (ib. p. 334 lin. 2–6) : „verum est quod (notitia) intuitiva non potest
conservari destructo obiecto nisi per potentiam absolutam, tamen si naturaliter posset (sic!)
conservari sine exsistentia obiecti, causaret (sic!) abstractivam primam sufficienter cum aliis
causis.“ Ähnlich kann auch die notitia abstractiva secunda abstrakt ausgewiesen werden und
zwar so, dass in Bezug auf sie Einwände abgewiesen werden können (s. o. p. 335 lin. 23 – p. 336
lin. 14): auf den Einwand, die notitia abstractiva complexi, auf die prima notitia abstractiva
(sc. incomplexi) folgend, könne kein iudicium ‘enthalten’ (ermöglichen), sagt Ockham, das iu
dicium entfalle nicht allgemein (=dem abstrakten Begriff nach), die notitia abstractiva könne
principium iudicii secundum differentiam temporis sein. Nicht für ontologische Sätze wie ‘albe
do est qualitas’. Die notitia abstractiva ist abstrakt ‘allgemeiner’ und „fasst“ die notitia intuitiva
in sich: Rep. II q. 12–13 OT V p. 257 lin. 15–20. Die notitia abstractiva wird in se oder inhalt-
lich nicht dadurch präjudiziert (eingegrenzt), dass die notitia intuitiva – neben dem intellectus
(ohne den sensus) – ihre causa ist.
118. Die propositio immediata unterscheidet sich dadurch (z. B. von der propositio per se
nota), dass in ihr, vermöge der Begriffe, die notitia abstractiva nicht aus der notitia intuitiva ‘ge-
folgert’, i.e. ihr nicht auch per consequentiam anzuschließen ist; diese also nicht jene einschließt
und in ihr einen Folgerungswert erhält. Die notitia abstractiva, die bei einem kontingenten
Satz unmittelbar aus/mit der notitia intuitiva sich ergibt, kann deren Wahrheitswert füglich
ebenso wenig bezeichnen wie die notitia intuitiva überhaupt eine Folgerung haben/sich an
schließen kann. Das bedeutet, dass die Begriffe in der propositio immediata keinen unbeding-
ten Zusammenhang darstellen (erhalten); ebenso aber, dass die propositio immediata ebenso
wie die propositio per se nota und andere Satzformen alles was in der Erkenntnislehre generell
gelten soll für sich jeweils speziell (differenziert) noch einmal zu repräsentieren vermögen. Wä-
ren die Bestimmungen der Satztypen nicht an die Erkenntnislehre angeschlossen, so könnten
sie immer widerlegbar sein. Wollte man für den kontingenten Satz den unbedingten Zusam-
menhang der Begriffe überhaupt zum Merkmal erheben, wie das in verschiedener Weise W.
Chatton und Gregor von Rimini machen, so wäre doch zu sagen, dass in der propositio im-
mediata ein Kausalnexus angesprochen wird. Erst indem er im kontingenten Satz nicht belegt
werden kann, ‘entsteht’ die propositio immediata mit der Einsicht in den Zusammenhang der
Begriffe qua Erfahrung. In der propositio per se nota muss man bloß die Begriffe kennen; es
muss vorausgesetzt werden, dass sie als solche für sich, wie sie gehandhabt werden, identisch
bleiben; die Modalität der Wahrnehmung (notitia) ist gleichgültig, ebenso deren Stärkegrad.
Propositio immediata ist wie propositio per se nota ein Funktionsbegriff. Beide besagen eine
Kapitel 14. Widerspruch und accidens 679
Vernunft als Verständigungsbasis der Intellekte nicht nur Mittel sondern auch Ge-
genstand sein. Sie setzt voraus, dass die Individuen und mit ihnen die Gesellschaft
schon verträglich sind. Die Wirkung von Ockhams theoretischer Philosophie war an
den Rezess seiner unmittelbaren Dominanz gebunden und zwar im Mittelalter wie in
der Neuzeit. Er verfügte über eine enorme Beweiskapazität, die die theologische und
philosophische Regelung (ineinander) einbegreift. Sie beruht auf der Ausschließung
des Widerspruchssatzes.119
relatio über den Begriffs- oder Sachgehalt hinaus. Ockham begründet und verwendet viele an-
dere Funktionsbegriffe gleichen Charakters, z. B. suppositum.
119. Wenn Duns Scotus sagt (Ord. d. 1 q. 5 OT I p. 449 lin. 20–22): „quod nec in via nec in
patria includit contradictionem quod voluntas fruatur essentia non fruendo persona et fruatur
una persona non fruendo alia,“ muss er für diese unbedingte (unbeschränkte) Allgemeinheit,
die auf der zweifachen Konsistenzbehauptung überhaupt erst beruht, also das Widerspruch-
sprinzip zum inhaltlichen Prinzip macht, somit es aber faktisch im Sinne der Inhaltlichkeit,
auf die es anzuwenden wäre, ebenso wie die Inhaltlichkeit unbegründet lässt, die unbewiesene
Gleichheit verschiedener Termini unterstellen = eine ‘einheitliche’ Terminologie annehmen.
Er beweist nichts. Er vollzieht eine petitio principii. Entsprechend argumentiert Duns Scotus
auch direkt, unter Voranstellung des Widerspruchsprinzips, dass es keinen Widerspruch ein-
schließe, weder bezüglich des Verstandes noch bezüglich des Willens, dass ein Akt eines dieser
beiden Vermögen die essentia divina ‘betreffe’ (terminat) und nicht die personae, die eine wie
die andere (ib. p. 451 lin. 6–11). Ockham erhebt mehrere Einwände (ib. pp. 452 lin. 22 – p. 455
lin. 3), zunächst den (p. 452 lin. 22 – p. 453 lin. 9), dass in Bezug auf einen terminus wie ‘dili-
gere’ nicht derart ein ‘Widerspruch’ bestehe, dass ‘diligere essentiam noch nicht bedeute dilige-
re aliquam personam aeque diligibilis’; dann klärt er das Widerspruchsprinzip, wie es selbst
die Basis der Scotischen Inanspruchnahme der Konsistenz für die termini bildet: denn Scotus
war für die Konsistenzbehauptung von einer ‘contradictio’ ausgegangen, aus deren Nichtgege
benheit alias Unbewiesenheit er gefolgert hatte: ‘sic non est contradictio’; das ist nicht mehr als
eine petitio principii. Ockham weist dagegen konstruktiv auf: wir können contradictoria nur
über einen Zeitverlauf qua mutatio realis feststellen; im Sinne der Definitheit liegt diese nicht
in re extra animam, sondern nur intramental in actus (nicht in species, habitus) vor. Er muss
dann zeigen, was der Akt nicht ‘enthalten’ kann: den Bezug auf ein anderes als Bedingung
eines Widerspruchs. Nichtwidersprüchlichkeit beruht intensional auf dem Ausschluss des Wi
derspruchsprinzips bzw. seiner impliziten und illiciten, der ‘ausgeschlossenen’ extensionalen
Geltung. Im Nichtenthaltensein (umfänglich als Negation von respectus realis und respectus
rationis ausgesprochen) ist auch die Implikation negiert (aufgehoben) und durch die Definit-
heit ersetzt worden (ib. p. 453 lin. 15 – p. 455 lin. 3). Ockham wird hier dieselben termini für
Gott und Welt annehmen, i.e. qua notitia intuitiva, die für die visio beatifica in patria gilt, und
notitia abstractiva, auf die wir in via beschränkt sind, die aber für den nominellen reflexiven
Begriffswert unterstellt werden kann. Denn eine fruitio gibt es nur in patria. In via können
wir aber über sie sprechen. Außerhalb solcher ‘impugnatio Scoti’ ist es für Ockham (ib. p. 455
lin. 5–12) nach der ‘Schrift vel ex determinatione ecclesiae vel evidenter et consequentia forma-
li’ geboten, einen Widerspruch anzunehmen. Analog nicht den Scotischen Nichtwiderspruch.
Prekärerweise fallen beide zulasten begrifflicher Definitheit zusammen.
Nachwort
. Cf. Quaestiones variae, q. 6 art. 3 OT VIII p. 222 lin. 33–42: „si enim modo motus non esset
nec mutatio nec tempus sed solus Deus, et crearet unum angelum, in principio quando crea-
tur angelus, verum est dicere ‘angelus creatur’, sed post non est verum dicere ‘angelus creatur’,
quia creatio dicit causam creantem et effectum creatum et connotat negationem immediate
praecedentem. Et ideo quando primo angelus creatur, est verum dicere quod creatur, quia tunc
negatio connotata per creationem immediate praecedit. Sed post non est verum hoc dicere,
quia tunc negatio non immediate praecessit.“ So gibt es nach Ockham (ib. lin. 42–45) einen
wahrhaften Übergang zum kontradiktorischen Gegenteil, der allein bei den Sätzen gilt, denn in
der Sache hat sich nichts geändert: der Engel ist derselbe geblieben. Die Zeit, die mutatio usw.
haben wir quasi abstrakt noch nicht anerkannt; so sieht Ockham rein induktiv einen Fall für die
Möglichkeit der Aussetzung des Widerspruchsprinzips in realer Geltung. Er erkennt es nicht
per se an. D. h. nicht als quasi aus der Sache geschöpft. Er hat das auf die Möglichkeit Gottes an
gewandt, die er somit induktiv erklärt, (ib, p. 221 lin. 25 – p. 222 lin. 1) nach der acceptatio eines
Menschen, ‘exsistens’ „in puris naturalibus“ diesen später „sine omni demerito sui“ zu verwer-
fen. Diese Verwendung (Erzeugung) prinzipiell imaginärer mentaler Größen – NB. gegen das
Widerspruchsprinzip – haben die Avigneser Zensoren als bedenklich registriert. Cf. ib. Anm. 2
Textapparat.
682 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Das zeigt Ockham in der quaestio Utrum unitas sit aliquid additum Deo: hier wird
für jene Bestimmungen, die mit ens äquivalent sind, aber bloß per se secundo modo
prädiziert werden können, also konnotative Bedeutung außerhalb des subiectum mit
negativen Anteilen haben, relationale Referenz über das subiectum hinaus bestritten.
Auch ens selbst gehört zu diesen Prädikaten in Bezug auf res. In der Weise können
Aussagen, die Prophezeiungen zum Sohn Gottes (und dann nach den biblischen
Berichten deren Einlösung) betreffen mit solchen, die die Trinität angehen, gleich
behandelt werden. Immer nehmen wir unsern Ausgang von den Begriffen, Begriffs-
klassifikationen in der Prädikation. Ockham behandelt hier die Theologie gleich mit
der Empirie und wenn man will der Ontologie. Er geht jedenfalls nicht von dem
status Gottes aus oder jener Erkenntnis, mit der wir vorab Gott erfassten, wenn
wir sie denn hätten. Zu untersuchen ist, wie sich Argumentation innerhalb dieser
. Ord. d. 24 q. 1 OT IV p. 72–89.
. Dazu s. S. Müller, Handeln in einer kontingenten Welt, 2000, p. 115.
. Dazu s. Ord. d. 23 q. unica OT IV p. 68 lin. 9 – p. 69 lin. 12.
. Cf. Text Anm. 13. Ord. d. 23 q. unica wird p. 69 lin. 3–12 der Satz ‘aliqua res est persona’
hypothetisch veranschlagt und kein empirischer Satz: „si ista ‘aliqua res est persona’ sit (!) per
se aliquo modo dicendi per se (denn ib. lin. 1f: persona wird von einem suppositum prädiziert,
das eine natura ist oder hat), erit per se secundo modo et non primo modo. Quia numquam
aliquid negativum – nec aliquid in cuius definitione exprimente quid nominis ponitur aliquid
negativum – praedicatur per se primo modo de aliquo praecise importante rem sine tali negati
vo, sed vel praedicabitur per accidens vel secundo modo dicendi per se. Sed est advertendum
quod nolo dicere quod illud quod est suppositum vel persona praedicatur sic secundo modo
dicendi per se, sed quod isti termini, qui sunt voces vel conceptus, praedicantur sic dicendi per
se secundo modo.“ Ockham macht also einen gewissen, strikten oder bedingten Unterschied
zwischen terminus und conceptus. Conceptus wird mit dem inneren (mentalen) Begriff identi-
fiziert. Cf. so auch J. F. Boler, Intuitive and Abstractive Cognition, in: N. Kretzmann et al. (eds.),
1982 pp. 460–478, p. 466.
. Dazu siehe auch folgendes: Da die singularia nicht so zur species vereinigt werden können
wie die species zum genus, wo eine Bezeichnung einer anderer untergeordnet werden kann,
muss die beliebte Charakterisierung der Auffassung Ockhams von der Geltung des Begriffs pro
re als Extensionalismus (‘extensionalistisch’) unsinnig sein. Es gibt keinen Gesamtbegriff, der
die Extension fasste. Species kann es nicht sein. Cf. Ord. d. 23 q. unica OT IV p. 69 lin. 13–22:
„dico quod non est omnino simile quod sicut se habet species ad genus, in se habet singulare
ad speciem, quia illud quod est singulare est vera res extra animam, quamvis secundum unam
opinionem de conceptu possit esse res subiective exsistens in intellectu. Tamen quantum ad
hoc est simile quod de quocumque praedicatur illud quod est species quando stat pro rebus, de
eodem praedicatur illud quod est singulare et non e converso, sicut est de illo quod est species
respectu illius quod est genus.“ Beim induktiven Ausgang von den Begriffen als solchen kommt
man nicht unbedingt zu den res singulares.
. Franciscus Mayronis hat die notitia intuitiva, um sie inhaltlich ganz zu erfüllen und exem-
plarisch bzw. formaliter zu kreditieren, vorab auf die visio beatifica bezogen. Cf. G. J. Etzkorn,
Nachwort 683
Disposition ausnimmt, in der accidens, ens, unum, relatio etc. Elemente der Bestim-
mung des subiectum in Sätzen sind oder dessen, was das subiectum meint.
Ockham spricht vom accidens: „accidens multipliciter accipitur. Uno modo
stricte pro aliquo reali aliud formaliter informante, sicut albedo dicitur accidens pa-
rietatis quem formaliter informat, cum quo non facit unum per se. Alio modo dicitur
accidens multum improprie pro aliquo praedicabili, quod contingenter de aliqua re,
ipsa non corrupta, praedicatur. Et isto modo potest dici quod ‘creare’ accidit Deo ex
tempore, quia scilicet creans est unum praedicabile quod de Deo praedicatur con-
tingenter, Deo non corrupto.“ Sprechen wir von einer res, die als10 „substantia po-
test separari per potentiam divinam a … qualitate, ipsa substantia remanente, et per
consequens remanente una sine tali qualitate“, so gilt:11 „res talis est una sine omni
alia re – sive absoluta sive respectiva – addita.“ Dabei fällt die praedicatio von una
nicht in einen unmittelbar empirischen Satz.12 Es gibt daher keinen Schritt aus einem
solchen Satz hin zur Geltung extra animam. Hier ist der Unterschied von praedicatio
(propositio) per se primo modo und praedicatio (propositio) per se secundo modo
relevant.13 Einen Schluss aus dem kontingenten Satz hinaus kann es in keinem Sinn
‘materia est in potentia ad formam’; vel nullo modo est per se.“ Zwischen causa extrinseca und
causa intrinseca werde da nicht unterschieden. Bei der propositio per se secundo modo ist
danach das subiectum causa praedicati. Ockham mischt bei seiner Klassifikation nicht ontolo
gische Grundsätze oder Ideen. Wir sind hier funktionell bei der propositio necessaria, aber
nicht strikt. Cf. SL III-2 c. 5 OP I p. 512 lin. 30–32. „Aliter dicitur necessarium, perpetuum et
incorruptibile propositio quae non potest esse falsa; quae scilicet est ita vera quod, si formetur,
non est falsa sed vera tantum.“
14. Ockham wehrt sich im SK dagegen, das ens reale und den Bezug darauf als ens rationis
zu überformen und eine distinctio ratione neben der distinctio realis anzunehmen; es wäre
eine intensionale Erweiterung, die bezüglich dessen was real ist, nämlich ens reale und di-
stinctio realis, als deren Übersetzung ins Mentale falsche Folgerungen bedingen müsste und
denjenigen intensionalen, die Ockham will, vorgriffe oder sie ausschlösse. Er widerlegt sie und
führt seine Beweise gegen oder ohne diese Übersetzung und erreicht so seine Entscheidungen
in Fragen wie der ob das ens das primum obiectum et adaequatum des Verstandes sei. Da-
mit widerlegt Ockham auch die ontologischen Annahmen des Duns Scotus. Dass es sein Ziel
sei, kann man nicht sagen, weil Ockham die Transferierung des Realen ins Mentale für die
Exegese von elementaren Sätzen, gerade auch denen, die Dogmatik betreffen, ablehnte; eben
dieser intentionelle oder fiktive Ausgriff (oder Vorgriff) war bei Duns Scotus notorisch. Noch
Ockhams Entscheidungen zur Zweinaturenlehre beruhen auf der Umgehung dieses Verfah
rens. Quodlibeta V q. 21, p. 563, auf die O. Leffler, 1995 p. 278 hinweist, besagen zu diesem
Verfahren Ockhams nichts.
15. Hier lässt sich die Prädikation „ontologisch“ ausdrücken (Summula philosophiae naturalis
q. 125 OP VI p. 733 lin. 11–13): „ (Aristoteles) non ponit (quod) quantitas differt a substantia
et qualitate, et per consequens ipse ponit quod omne accidens immediate recipitur in aliqua
substantia.“ Dabei kommt eine kontingente Prädikation ins Spiel (Expositio in Librum Praedi-
camentorum Aristotelis c. 10 OP VI p. 229 lin. 80–85): „sciendum quod quamvis quantitas non
est alia res a substantia et qualitate, tamen contingenter praedicatur de substantia, ita quod
quantum est ex forma praedicationis et ex forma quid nominis ipsius substantiae, non repugnat
substantiae esse et tamen quod non esset quanta; licet aliter sit secundum intentionem Philo-
sophi.“ Sie ist aber intensional kontingent, d. h. intramental, selbst wenn extramental gesehen
eine kausale Verknüpfung von subiectum und passio angenommen werden kann (Quaestiones
variae q. 2 OT VIII p. 33 lin. 120–123): „non obstante causalitate cuiuscumque subiecti ad pas
sionem, numquam subiecti notitia incomplexa ducet (sic!) in notitiam incomplexam passio
nis.“ Auch die Realwelt ist kontingent (Brevis summa libri Physicorum lb. I c. 1 OP VI p. 14
lin. 96–99): „non est imaginandum quod quantitas sit accidens distinctum a substantia et qua
litate realiter inhaerens ei, sed ideo dicitur accidens quia connotat aliquid extrinsecum vel quia
est contingenter verificabile de substantia et qualitate.“ Das ist die Disposition (und Gegenpo-
sition) für eine Wissenschaft, die bereits im Mittelalter eine Identität von Notwendigkeit und
Realitätsbasis suchte. Cf. J. Weisheipl, 1984. Für Ockham ist selbst die propositio per se nota
bedingt auf die Kontingenz festgelegt (Brevis summa lb. II c. 1 OP VI p. 27 lin. 80 – p. 28 lin. 85):
„‘per se notum’ potest esse dupliciter, scilicet stricte cui nullus intellectus bene dispositus potest
contradicere, ut ‘omne totum est maius sua parte’. Aliter accipitur large, scilicet pro eo quod
Nachwort 685
Man gewinnt unum, accidens, ja quantitas,16 also förmlich jede Relation, induktiv
durch Verneinungen in der res.17 Danach überschreiten sie diese auch nicht.18 In der
res entfällt die relatio (nach außen). Beide können abstrakt identisch gesetzt werden.19
Damit gewinnen wir einen anderen Inbegriff des Denkens und Erkennens nach der
Satzform, und zwar so, dass wir zwischen abstrakt und empirisch nicht mehr eigent-
lich unterscheiden können, die Geltung der Begriffe aber gesichert haben. Wir erwer-
ben hypothetisch eine primäre Sprachform, die keine logische ist. Sie hat allgemeinen
Charakter und ist darin für die Empirie ausgelegt, ohne dass diese in se erreicht wer-
den muss.20 Ockham stellt eine intensionale Negativität selbst für den kontingenten
Satz fest; an dessen falsche (ontologische) Auslegung schließen sich die reprobativen,
intensional negativen consequentia an, i.e. das consequens, das jeweils die significatio
als Verkörperung des ontologischen, des abstrakt allgemeinen Zusammenhangs ne
giert. Hier werden die ontologischen Terme wie essentia, substantia, forma, accidens,
am Ende auch ens und habitus ebensowohl im Sinne ihrer direkten Geltung vonsei-
ten der Erfüllung extra animam her bestritten, wie in eben dem Sinne intensional
non potest fieri evidens per propositiones notiores sed tantum per experientiam, et sic istae
propositiones dicuntur per se notae.“ Ockham zielt auf empirische Erkenntnis (Wissenschaft),
jedenfalls ist sie nie ausgeschlossen. Cf. M. H. Carré, 1946, 1967.
16. Cf. Ord. d. 24 q. 1 OT IV p. 80 lin. 22: „quando continuum dividitur, tunc utraque pars est
una.“
17. Cf. Ib. lin. 4–6: „a dicitur unum, non quia aliquid sibi a parte rei conveniat, sed quia a est a
et ens, et non est b nec c nec aliquod aliud ens ab a nec aliqua entia.“
18. Unum kommt der res nicht per accidens zu. Cf. p. 80 lin. 7–19.
19. In dem Sinne wird die begriffliche (abstrakte) Qualität auch nicht identisch als die reale
empirische gesetzt werden, außer vielleicht so, dass die Begriffe ihren einhelligen Sinn behal-
ten. Cf. Ord. d. 24 q. 1 OT IV p. 85 lin. 1–10: „dico quod ista ‘unum differt ab ente’ vel ‘unum et
ens differunt’, potest distingui eo quod termini possunt supponere simpliciter vel personaliter,
vel unus terminus simpliciter et alius personaliter. Primo modo dico quod simpliciter differunt,
nec sunt idem. Quia tunc isti termini supponunt pro conceptibus, isti conceptus – sive sint tan-
tum obiective in mente sive subiective – non sunt idem conceptus. Secundo modo quod unum
non differt ab ente, nec simpliciter nec secundum quid nec formaliter nec quocumque modo,
non plus quam ens differt ab ente.
20. Ib. lin. 17–23: „accipiendo ens et unum, dico quod differunt. Et quando dicitur quod dic-
unt eandem naturam, verum est quod isti conceptus, qui differunt, dicunt eandem naturam,
sed non sunt eadem natura. Unde multum refert dicere ‘sunt eadem natura’ et ‘dicunt eandem
naturam.’ Sicut haec vox ‘ensis’ et haec vox ‘gladius’dicunt eandem naturam, et tamen non sunt
eadem natura.“ Ockham besitzt eine starke Tendenz zur Materialität der Sprache, bei der der
semantische Unterschied noch nicht aufgekommen ist, der dann in der logischen Gliederung
der Aussagen gleichsam übersprungen wurde. So zeichnet Ockham mit der suppositio mate-
rialis ‘materiale’ Teile der Rede aus, wie sie sich selbst meinen. Cf. SL I c. 67 – OT I,1 p. 205–207.
So fällt unter die suppositio materialis jeder lautliche oder grammatische Aspekt.
686 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
behauptet. Die Negation ist Wahrheit im Sinne der realiter oder extramental ex se
nicht behauptbaren, mithin semantischen Wahrheit. Der Wahrheitswert hat einen
in se negativen, einen reduplikativen oder modalen, aber keinen semantischen Sinn.
Diese Negationen aber gelten vorzugsweise kontingenten oder wenigstens empirisch
zugänglichen Sätzen. Dabei konzediert Ockham oft den unfiltrierten normalen mo-
dus loquendi bedingt, während er doch erst im Sinne seiner Argumentationen und
Strukturen den Sinn von termini entdeckt, den er als nicht widersinnig pseudo-em-
pirisch nicht ablehnt; eben dieser sinnvolle modus ist dann abstrakt, also keinesfalls
mehr extramental gegenstandsbezogen aufzufassen.21
Suppositionslogik und Widerlegung(en) stimmen darin überein, dass ein Bezug
auf die Realität für die Begriffe als deren Sinn ausmachend nicht angenommen wer-
den kann; gäbe es ihn, wäre in den Satz (Satzausdruck) hinein die Ontologie möglich,
die er damit zu spiegeln oder auszudrücken hätte.22 Dass Suppositionslogik und Wi-
derlegung sich nahestehen, zeigt nicht nur der Gebrauch der suppositionslogischen
Unterscheidungen von suppositio personalis und suppositio simplex, mittels deren
ein Satz gänzlich ausgeschieden werden kann, wenn er durch keine der beiden rek-
tifiziert werden kann oder aber immerhin reguliert, wenn er eine von ihnen erhält.
21. O. Leffler, 1995 p. 187 hält es für einen „grundsätzlichen Fehler anzunehmen, dass Ockhams
Theorie der absoluten und der konnotativen Nomina zum Zweck semantischer Aussagenanaly-
sen eingeführt wurde.“ Ob Ockham jedoch eine erkennende Sprachformenlehre aufbauen oder
nicht eher Störelemente des sprachlichen Ausdrucks in Richtung auf die Definition des Erken-
nens begradigen und beseitigen wollte, ist zu fragen. Ockham nimmt nicht wie die Modisten
eine natürliche Erkenntnisförmigkeit im sprachlichen Medium an. Die Logik als ars ordnet
Ockham (s. p. 92 Anm. 173) auch der von Leffler p. 25 quasi für autonom erklärten ‘virtus sermo
nis’ über. Der ‘Wortlaut’ ergibt noch nicht den Sinn. Cf. p. 93 mit Wortlaut Ockham Anm. 176,
cf. noch SL I c. 66 lin. 51–56. Dabei ist der Sinn für Ockham variabel, wie seine Autorenemen-
dationen erkennen lassen. Klar ist, dass (SL I c. 66 lin. 57–78) die Unterscheidung von actus
exercitus und actus signatus (Leffler, p. 166) „hilft, … Verwirrungen … zu vermeiden“. Die Dif-
ferenz, die Ockham aber erst aufstellt und gegen Aristoteles richtet, besteht nicht schon an sich.
Sie ist logischer Natur. Cf. ib. lin. 128–136 (gegen Porphyrius). Ib. lin. 120–123 wird klar, dass eine
Einsicht gemäß der suppositio personalis für die Sätze ‘singulare est primo unum numero’ und
‘individuum primo distinguitur a communi’ nicht bestehe, jedoch für diese Sätze als actus si-
gnati und vermöge der suppositio simplex. Ockham definiert die Stufen logisch. Den Ausgang
von der Sprache zu nehmen, verwehrt SL I c. 3 OP I p. 11 lin. 13–16: „Utrum autem participiis
vocalibus et scriptis correspondeant in mente quaedam intentiones a verbis distinctae potest
esse dubium, eo quod non videtur magna necessitas talem pluralitatem ponere in mentalibus
terminis.“ Ib. 16-26 könnte eine Kunstsprache meinen, bei der Partizipien entbehrlich erschie-
nen. In Ockhams Diskursen sind Partizipien syntaktische Elemente wie syncathegoremata – oh
ne semantische Prävalenz. G. Leff, 1975 p. 135 Anm. 60 bezieht mit Boehner ‘de virtute sermonis’
richtig auf den Satz in der passenden Supposition. Die Suppositionslogik ist von realitas und
Sprache unabhängig.
22. Das hatten die älteren Suppositionslogiken von Wilhelm von Shyreswood, Lambert von
Auxerre und Petrus Hispanus, so wie W. Chatton und W. Burleigh angenommen.
Nachwort 687
23. Aber Ockham reduziert den theologischen Ausdruck der sacra theologia in Bezug auf re-
probationsfreie elementare Sätze mit ihm zulässig (tauglich) erscheinendem Ausdruck.
24. Der Widerspruch wird von der Abstraktion so getrennt, dass wir ihn als deren Grundlage
anerkennen können, aber nicht in seinem Sinn operiert wird. Das ist die Basis der Induktion,
so dass sie mit dieser Art der Abstraktion erst, sc. der vom Widerspruch im Sinn des Vollzugs
in einer Operation, zustandekommt oder definiert (beschrieben) ist. Es ist so etwas Geläufiges,
was Ockham Rep. IV q. 6 OT VII p. 99 lin. 4–11 äußert: „Aliter dico quod non est contradictio
quod substantia habens accidens sit alicubi ubi non est suum accidens, sicut in proposito ex
emplo, et hoc propter distantiam improportionatam. Hoc patet per exempla. Unum est de na-
tura assumpta a Verbo. Secundum omnes unio naturae humanae ad Verbum est similis unioni
accidentis ad subiectum, licet non in omnibus. Sed non obstante ista similitudine, potest natura
divina in Verbo esse – et est – alicubi ubi non est natura assumpta, igitur eodem modo potest
esse in proposito.“ Der Widerspruch entfällt mit der nicht absoluten Geltung des accidens, über
das Identifikationen bewirkt werden können, die nicht absolut sind. Das accidens hat keine
absolute Bindung an das subiectum (substantia). Christus ist nicht leiblich in der Eucharistie zu
gegen (ib. p. 89 lin. 21). Ockham „‘vollzieht’“ einen Übergang von der praesentia in loco circum
scriptive zur praesentia in loco definitive über den Abbau der obligatorischen Verbindung von
substantia und accidens, wo er zuvor für deren Verhältnis gerade nicht argumentieren wollte
(p. 88 lin. 15–24): „dico quod dupliciter accipitur accidens. Uno modo pro aliqua re informante
substantiam. Alio modo pro conceptu praedicabili de substantia communi, qui aliquando pra-
edicatur de ea, aliquando non. Primo modo … non est accidens (nämlich so, dass es von der
substantia nicht verschieden ist, wie es nach Ockham substantia und quantitas empirisch nicht
sind), quia non est res absoluta nec respectiva alia a substantia et qualitate. Secundo modo est
accidens, quia est est quidam conceptus qui aliquando praedicatur de substantia, aliquando
non. Unde est conceptus connotativus significans substantiam et qualitatem, tamen conno-
tando totum coexsistere toti et partem parti.“ Das exemplum propositum o. gilt der Frage,
ob (ib. p. 98 lin. 20) „ignis (hic) ageret in passum improportionatum et non approximatum
(Romae)“.
25. Dabei ist der explizit ontologische Ausdruck für Ockham schon de virtute sermonis
nicht zwingend. Gleichwohl ist die Erklärung eines Satzes ‘de virtute sermonis’ dem bonus
688 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
intellectus nicht übergeordnet und nicht gleich (SL III-3 c. 30 OP I p. 706 lin. 243–245): „Ac-
cipio tamen eam (= propositionem) in proposito secundum bonum intellectum, sive ille in
tellectus sit de virtute sermonis sive non, non curo ad praesens.“ Cf. auch Brevis Summa OP
VI p. 26 lin. 31f: „non vult Aristoteles quod haec sit vera de virtute sermonis ‘domus generatur
vel fit’. Das rationale Verständnis ist also bei Ockham dem bloßen Sprachverständnis über-
geordnet, wie ja alle seine Erörterungen schließlich belegen, z. B. die zur sacra theologia, wo
ja auch noch die Widerlegung sprachlich tadelloser Sätze, sogar elementarer (kontingenter),
gegen die Angängigkeit des sprachlichen Ausdrucks, der verständlich, aber nicht nach den erst
noch zu explizierenden Maßstäben des Verstandes schon sinnvoll ist, vielmehr als gegenüber
dem Sprachgebrauch direkt indefinit erwiesen werden kann. Dabei kann sogar der Sinn noch
durch suppositionslogische Rektifikationen gleichsam rational gestiftet werden. Eine Frage ist,
ob damit der nicht mehr unmittelbar eingängige Sinn für die Vernunft einer sein kann; aber
die Frage ist an die Scholastik natürlich immer schon zu richten gewesen. Da es das Sprach
verständnis letztlich auch keinen Maßstab gibt, wie das Beispiel ja schon zeigt, ist Ockhams
Anhänglichkeit an den Ausdruck ‘de virtute sermonis’ wie im Sinne eines Ausschlußmoments
zu bewerten: es gibt keinen Grund (ratio). Es ist ein präventives Argument. Über sprachlich
ungelenke Sätze würde gar nicht entschieden werden können, also muss letztlich logisch, und
das heißt: auch oder vorab nach explizit logischen und hier womöglich artifiziellen Interme-
diationen entschieden werden.
26. Ord. d. 17 q. 5 OT III p. 491 lin. 11ff.
27. Ib. lin. 13–16.
28. Cf. P. Vignaux, 1938 u. 1948.
29. Cf. B. Hägglund, 1955.
30. Ontologie und Suppositionslogik bilden nicht den unbedingten Gegensatz, den G. Leff,
1975 p. 139 annimmt. Beide haben eine negative Tendenz, die sich in der gemeinsamen Ver
wendung innerhalb von Reprobationen enthüllt. Entscheidend ist, dass der anlytische Modus
ratiocinandi ausgeschlossen wird. Er wird von W. u. M. Kneale zum Maßstab aller Dinge in der
Logik gemacht. Gegen deren leichthändige Invektiven gegen Ockham protestiert Leff, p. 136
Anm. 66.
Nachwort 689
Wie Ockham über den sprachlichen Ausdruck entscheidet, und zwar auf der
Grenze von der Mentalwelt zur Objektwelt, entscheidet über den Einsatz des Wider
spruchsprinzips und so über dessen Geltung und Modifikabilität, und damit auch
über Folgerung und Absurdität, von deren Seite aus wir wieder über die Welt ent-
scheiden und zwar so, dass sie qua Absurdität Möglichkeiten besitzt (enthält), mit
denen wir auch theologische Entscheidungen treffen können; es gibt im Namen des
rektifizierbaren Widerspruchsprinzips Rektifikationen des Weltbildes und der Theo-
logie, über die beide koinzidieren können; immer geht die Induktion dabei vom (mo-
difierten oder rektifizierten) Widerspruchsprinzip31 aus, das die Welt so wie sie nicht
sein kann, nämlich aus der Welt entfällt, begrenzt im Sinne eines Urteils als möglich
darstellt, derart dass eine Wahrheitsbehauptung, eine Realität extra nos nicht unter-
stellt werden muss.
Ockham fragt,32 ob die Welt seit Ewigkeit bestehe oder einen Anfang durch einen
Schöpfungsakt genommen habe, und stellt fest, keine der beiden Aussagen sei wider
sprüchlich: utraque „potest teneri“. Keine von beiden „potest sufficienter improbari“.
Zu dem Satz „mundus potuit fuisse ab aeterno“ sagt Ockham:33 „Tamen aliquibus
videtur includere manifestam contradictionem. Sed illam contradictionem non vi-
deo, nec ex parte Dei nec ex parte creaturae. Verum est enim quod mundum fuisse ab
aeterno creatum, ut Sancti loquuntur, includit repugnantiam (Unvereinbarkeit),34 su-
mendo scilicet ‘creari’ pro capere esse de nihilo post non-esse secundum durationem,
ita scilicet quod suum non-esse duratione praecessit suum esse. Nec sic est de hoc
aliqua quaestio realis (oder rationalis), sed hoc est quod quaeri debet: Utrum illud
quod de facto sic producitur quod eius non-esse realiter secundum durationem prae
cessit suum esse potuisset a Deo (sic) produci quod eius non-esse non praecessisset
esse duratione. Et dico quod non video aliquam contradictionem includere quod sic.“
D. h. so, dass der Begriff esse nicht selbst tangiert wäre. Denn würde das esse selbst
produziert, wäre es (sein Begriff) widersprüchlich und es gäbe auch keinen Bezug des
Schöpfers auf es; es fiele aus der Welt, die doch gerade erst geschaffen werden soll.
Der Rekurs auf die ‘potentia divina’ muss da nicht widersprüchlich sein. Das merkt
31. Das Widerspruchsprinzip ist nicht per se wahr und in Geltung nur soweit wie es ‘modifi-
ziert’ werden kann, also einem bestimmten Sachverhalt entspricht, der derart nicht folgerungs-
artig dargelegt werden kann. Der Sachverhalt ist ein akzidentelles Moment, das nicht mit einem
Begriff von Realität (in se) gleichziehen kann. Es ist das in se erlöschende Akzidenz, wie es ja
bezüglich der substantia nicht anders sein kann.
32. Quaestiones variae, q. 3 OT VIII pp. 59–97.
33. In Ed. ib. p. 59 Anm. 1.
34. Das Diktum, Gott habe die Welt von Ewigkeit zu Ewigkeit geschaffen, kann also in diese
Regulation des Sprachgebrauchs und der theologisch-philosophischen Entscheidung vonseiten
Ockhams nicht eingehen. Es besteht in einer uneigentlichen Sprechweise. Die Korrektur setzt
sich also an die Stelle des diffusen und eigentlich bedeutungslosen, ja erkennbar unsinnigen
religiösen Ausdrucks. Das wäre auch ein geschichtliches Faktum.
690 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Ockham selbst an: „Ex quo Deus potuit quidquid non includit contradictionem“ und
nicht aus der Welt fällt. Wir dürfen auch nicht mit der Vorstellung von der Ewigkeit
der Welt aus der Welt fallen.35 Es entfallen Fragen wie die ob creatio und Deus ipse
neben derjenigen von der Ewigkeit der Welt überhaupt Bestand haben können, bzw.
könnten, wenn wir die Realität schon unterstellen wollten.36 Das macht die Frage
sinnlos; es gäbe immer schon das esse. Das müsste einen Truismus bedeuten oder ei
ne petitio principii, der allerdings Duns Scotus Gottesbeweis unterliegt.37 Wo wir von
Gott sprechen und Äquivokationen vermeiden, haben wir den Satz von der irrelevan-
ten und widerlegbaren ontologischen Prädikatenfundierung getrennt.38
35. Insofern gibt es einen förmlichen Realitätsbezug, der aber ein offener (nichtkomplexer) ist,
sofern der Sinn, der mit Annahmen, darunter eben auch Schöpfergott u. a. zusammenfällt, kei-
ne Realitätsanhänge und Sachverhaltsreklamationen dulden kann, die ihn unmittelbar aufhö-
ben. Mit solchen ist er unvereinbar: includit repugnantiam. Aus dem Ausschluss der repugnan
tia, schöpfen wir induktiv die (noch oder begrenzt) relevante Meinung.
36. Wenn wir sie für sinnlose Fragen halten wollen, so zeigt sich, dass sie zugleich Aporien
darstellen oder in solche münden. Es ist zu fragen, ob nicht die Theologie von ihnen zu oft
apologetisch ihren Ausgang nahm. Unterlegt man sie hermeneutisch der Geschichte und Ge-
schichtsforschung begibt man sich der zulässigen forma argumenti, i.e. auf den Abweg der
Irrationalität und der Gegenstandslosigkeit.
37. Man wird Ockhams Korrekturen vielleicht weniger künstlich, irrational bzw. bloß abstrakt
imaginär finden, wenn man sich vorgibt, dass der Gegenstand selbst auch eigentlich unkonkret
und abseits von realempirischen Verständnissen sein kann, wenn man sacra theologia treibt.
Hier bringen der Vater und der Sohn den Heiligen Geist hervor, während sie alle als Gott von
Ewigkeit zu Ewigkeit sind. Cf. E. M. E. McTaggart, 1934 p. 159. Dieser an sich simple ‘Wider-
spruch’ muss also a priori weggelassen werden. Ockham packt gleich das Widerspruchsprinzip
überhaupt hinzu, wie es McTaggart und Bradley nicht anders mit allen möglichen Relations
begriffen und Satzfunktionen getan haben. Diese können a se törichten oder widerlegbaren
Folgerungen entsprechen. Die Widerlegbarkeit, die Ockham beschreibt, aber muss in sich dem
Bruch zwischen substantia und accidens entsprechen und analog dem Verhältnis des Satzes
zur Welt extra nos. Es kann für Ockham also eine Folgerbarkeit zwischen Sätzen a limine nicht
geben und die Widerlegbarkeit tritt dort ein, wo das Prädikat nominell identisch mit der oder
einer Folgerung nicht bestehen kann. Dass es mehrere (divergente) geben könn(t)e, ist dann
noch ein besonderer Punkt. Er bezeichnet letztlich die Definitheit. Der widerlegte Satz hat da
ein Prädikat, das, als Index fungierend, wie die reprobatio zeigt, nicht realitätsträchtig (signifi-
kativ) sein kann.
38. Sie müsste immer Implikation und ‘Kausalität’ gleichsetzen, die Kausalität mental und/
oder real gedacht. Wir finden alle drei Punkte, wenn Duns Scotus subiectum und praedicatum
aufeinander bezieht, und ihren Zusammenhang, notgedrungen als einzigartigen und notwen-
digen ausgeben, suggerieren, begründen oder beweisen will. Über das hinaus was Ockham
dagegen zunächst prinzipiell vorbringt (cf. Kap. 1: Das Verhältnis der Begriffe bei Ockham),
zeigen sich auch die ontologischen oder logischen Auslegungen der Satzsubjekte in den Sätzen,
die – als Elementarsätze – die sacra theologia beinhalten, als inkonsistent; sie werden widerlegt,
wenn die Prädikate als insignifikant, d. h. mit den subiecta unvereinbar dargestellt werden.
Nachwort 691
Dass Ockham kein ‘a priori’ aufbaut oder auch nur voraussetzt, kann bewiesen
werden, weil er das ‘a priori’ mit dem ‘principium per se notum’ identifiziert,39 diese
Erkenntnis aber nicht für die einzige anerkannte und legitime hält und seine Erkennt-
nistheorie generell nicht über die propositio per se nota aufbaut. Sie hat vielmehr
eine Randexistenz.40 Ockham jedoch muss die Allgemeinheit der/von Erkenntnis (in
sich selbst) annehmen. Er kann sie aber nicht (ausschließlich) auf die Wahrnehmung
Dass das – im Rahmen von Kontingenz – geschehen kann, liegt wesentlich an der Suppositi-
onslogik, die es erlaubt, formelhaft Inkonsistenz und Konsistenz darzustellen oder auszudrüc-
ken und sich sogar kettenförmigen reprobativen Beweisgängen anfügen lässt.
39. Cf. Ord. Prol. q. 2 OT I p. 84 lin. 7–24: nach Augustinus „… anima … illas artes dicitur
attulisse secum de quibus ordinate interrogata recte respondet sine experientia. Et hoc contin-
git quando ultimata resolutio stat ad principia per se nota. Tunc enim non oportet nisi quod
ordinate proponantur conclusiones immediate sequentes ex propositionibus per se notis, et
postea aliae sequentes ex illis, et sic semper procedendo usque ad ultimas. Alias autem artes
non attulit secum, quae scilicet non resolvuntur ad principia per se nota sed tantum ad princi-
pia nota per experientiam. Si enim resolutio staret ad principia per se nota, doctor habens illam
scientiam posset proponere discipulo principia per se nota ad quae – certum est – discipulus
recte responderet. Secundo posset proponere conclusiones immediate sequentes ad quas dis-
cipulus recte responderet, quia videret eas sequi ex propositionibus per se notis. Tertio posset
proponere propositiones immediate sequentes ad ad quas etiam recte responderet propter ean
dem rationem. Et sic etiam procedendo usque ad ultimas.“ Hier müsste denn ein geschlosse-
nes Wissen vorliegen. Man mag dabei an Platons Menon denken, wo ein ungebildeter Knabe
aufgrund der Ideenschau, die so demonstriert werden soll, alle ihm gestellten geometrischen
Fragen deduktiv beantworten kann oder an Aristoteles’ Metaphysik mit der Unterscheidung
von apriorischem und empirischem Wissen.
40. Deutlich schon p. 87 lin 17f: „Nec sunt idem … ‘principia prima’ et ‘principia per se nota’.“
Dabei gibt Ockham zu, dass (eine) scientia, die aus einer anderen notitia complexa entstehen
muss, unvollkommen sei. Sie sei weniger vollkommen als die notitia intuitiva, die auch Gott
einzig habe (p. 83 lin. 3–16): „concedo quod intellectus divinus non habet scientiam sic stricte
sumptam.“ – nämlich eine scientia, die aus einem Beweis hervorgehend gewiss geworden sei,
nachdem sie zuvor bezweifelt wurde – „Nec ista scientia dicit perfectionem simpliciter sed in-
cludit imperfectionem, scilicet quod sit nata produci ab alia notitia complexa.“ Sie geht also aus
einem anderen Satz hervor. Über diesen Satz in sich wird damit noch nichts gesagt. Gott kann
natürlich immer nur eine in actu vollkommene Erkenntnis haben und muss daher schon und
ausschließlich eine notitia intuitiva haben. Aber auch die notitia intuitiva ist damit noch nicht
in sich als vollkommen ausgegeben. Ein terminus, der wie notitia intuitiva, nicht analytisch
ausgelegt werden kann, sondern vielmehr dem entgegen durch seine ‘ratio’ bestimmt wird,
kann auch nur partikular per inductionem angewandt, d. h. in Funktion gesetzt werden. Diese
überstreicht abstrakt Fälle, die im Sinne einer implicatio dann negativ, i.e. als nicht widerspre-
chend dargestellt und integriert werden müssen. Eine solche Abstraktion, die im Sinne einer
‘ratio’ kodifiziert wird, setzt keine essentialistische Tautologie, wie das Vignaux zu behaupten
suchte, sondern sie wird in Sinne von Nichtwidersprechendheit ausgelegt und eben damit ent-
wickelt oder „expliziert“. Äquivalent gilt dann auch eine persuasio eingeleitet mit: ‘non est ma-
ior ratio’ (und weitere ähnliche Formulierungen), ‘non est inconveniens’ usf.
692 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
von individua (i.e. notitia intuitiva) stützen. Er sagt deshalb: viele notitiae intuitivae
seien nötig, wenn eine allgemeine Aussage (principium) aus Einzelfallerkenntnissen
geschöpft werden (können) soll.41
Ockham muss sich notwendig auf die Abstraktion hin bewegen, die er per Argu-
mentation und persuasiones vorzunehmen hat. Alle Überlegungen und Erörterungen
Ockhams erscheinen dabei widerspruchsfrei (konsistent) unter dem Aspekt der aus
der empirischen Singularität entstehenden Induktion, welche sich dem ‘a priori’ entge
gensetzt und bewirkt, dass alle seine Erörterungen förmlich (determinat) miteinander
verbunden einen Widerspruch in der Sache (res ipsissime singularis) nicht mehr ha
ben können. Sie verbinden also alle Konzepte. Sie werden unter dem Gesichtspunkt
der Abstraktion vereinigt sein. In Summa zeigen Ockhams Erörterungen: Die Kon-
tingenz kann die Notwendigkeit nicht in sich enthalten und eben auch nicht über das
Medium der Begriffe, Sätze, Beweisführungen etc. Ebenso kann (die) Notwendigkeit
nicht in diese eingehen oder eindringen, indem sie über (höhere, übergeordnete) ‘Be-
griffe’ bestimmt würde oder bestimmt wäre, so dass sie dann für die Sätze, Begriffe,
Schlussfolgerungen allgemein sich ergäbe. Also in der Reflexion auf die Erkenntnis-
und Satzformen des menschlichen Verstandes.42
41. Ib. p. 87 lin. 1–12: „forte requiruntur frequenter multae notitiae intuitivae. Sicut ponatur
quod hoc sit primum principium ‘omnis herba talis speciei confert febricitanti’: ista per nullas
propositiones notiores potest syllogizari, sed eius. notitia accipitur ex notitia intuitiva forte
multorum. Quia enim iste vidit quod post comestionem talis herbae sequebatur sanitas in fe-
bricitante, et amovit omnes alias causas sanitatis illius, scivit evidenter quod ista herba fuit
causa sanitatis; et tunc habet experimentum de singulari. Est autem sibi notum quod omnia
individua eiusdem rationis habent effectus eiusdem rationis in passo aequaliter disposito et
ideo evidenter accipit tamquam principium quod omnis talis herba confert febricitanti.“ Hier
tritt ib. p. 91 lin. 25 – p. 92 lin. 2 ein medium extrinsecum in die consequentia ein. Ockham
erörtert das Beispiel auch SL III-2 c. 10 O Ph I p. 523f lin. 24 sqq.
42. Wenn Ockham in der Erkenntnislehre die Intention des Menschen auf sich selbst reflek-
tiert, steht der Akt im Vordergrund, nicht das Vermögen. Cf. zum intellectus activus, den er für
entbehrlich hält, Quaestiones variae q. 5 OT VIII p. 170 lin. 290–300. Der Wille freilich wirkt
mit cf. ib. lin. 280–290. Er ersetzt den intellectus activus, cf. ib. p. 169 lin. 267–271, wenn die
Erkenntnis naturaliter nicht ohne den assensus ist, während die Begriffe und die Sätze (cf. ib.
p. lin. 271–273 und passim) frei in uns entstehen. Daneben ist der concursus Dei beim Erwerb
der Begriffe wie bei der formatio propositionum beständige Ursache unserer Akte. Der Wil-
le selbst kann von nichts genötigt werden, was außerhalb seiner liegt cf. O. Suk, 1950 p. 112f.
Ockham, der angeblich Kausalität desavouiert und leugnet, überträgt sie sogar in das denkende
Subjekt, soweit nämlich, wie sie sich induktiv und in der Weise synthetisch für Faktoren de-
klarieren lässt. Sie sind dann gleichsam die causae, so wie die abhängigen Begriffsformen und
Sätze den Widerspruchscharakter an sich ziehen und so begründet und zu intensionalen Ge
samtstrukturen ‘gefügt’ werden können; sie werden das insofern sie Bestimmungen erhalten.
Das argumentative Verfahren ist so (mit den Bestimmungen) konstruktiv und von funktionel-
len Definitionen abhängig.
Nachwort 693
Es ist der Beweis, der jeweils zu den (konstitutiven) Einzelheiten eines Ausdrucks,
einer Erkenntnis, eines complexum (auch notitia complexa) zurückkommt, und sie
quasi negativ im Sinne ihrer Bedeutung affiziert oder approximiert.43 „Probatio istius:
quia posito quod aliquis adquirat habitum ex actibus circa principium tantum et post
simul cum altero principio, quod erat altera praemissa, applicet ad conclusionem,
sciet ipsam evidenter, et non sine habitu principii. Ergo habitus ille est aliquomodo
causa notitiae conclusionis, mediate vel immediate, per se vel per accidens.“ Die Un-
terscheidungen (mediate, immediate; per se, per accidens) werden also erst einmal
nicht konkretisiert und in dieser Weise auch nicht weiter inhaltlich in die induktiv
vollzogenen Überlegungen aufgenommen. Die strenge Unterscheidung von ‘für die
Induktion’ und ‘in der Induktion’ entfällt also. Indem der actus iudicativus durch die
Schlussfolgerung in der demonstratio syllogistica statthat, gibt es eine Erkenntnis, die
also dieserart bloß der Ableitung der conclusio aus (den) Prämissen entspricht. Der
actus iudicativus bedeutet so Erkenntnis (intellectio – nicht im Sinn der Bestimmung
der Natur des Begriffs). In dem Sinn kann er natürlich als Einzelheit oder internes
(verborgenes) Faktum des gesamten Erkenntnisvorgangs bloß erscheinen. Auch der
actus apprehensivus ist typisches Beispiel eines unspezifiziert zu denkenden Aktes. So
auch der actus iudicativus, der natürlich auch immer als ein gewähltes Moment inner-
halb der Reihe der Erkenntnisbestandteile zu denken, die alle induktiv zu bestätigen
und zu bestimmen, so ja überhaupt erst zu gewinnen sind. Man denke ebenso an den
actus volitionis, der verborgen und nur partikular, gewissermaßen hilfsweise Mitträ-
ger eines Gesamtvorgangs des Erkennens ist, der wiederum ja mit der Bildung des
actus apprehensivus nicht aufhört. Er geht weiter zur consequentia, zum actus iudi-
cativus, zur Elizitierung und Bestätigung eines consequens, die einer propositio con-
tingens gleichkommt. Die propositio contingens ist dabei in einem solchen Fall dann
nicht mehr aktuell gebildet (gerade erst per notitiam intuitivam gewonnen) worden.
Der Beweis macht die Größe zum existentiell anfallenden Moment. Er reduziert sie
dergestalt von der Inhaltlichkeit zur Existenz. Aus dieser entfaltet sie ihre induktive
Bedeutung. Ebenso in anderen Fällen. Der Verstand hat nur einen zusammengesetzten
Begriff von Gott „qui non est realiter Deus“, also nicht einer Erkenntnissituation ent-
spricht, in welcher der Mensch mit Gott zugleich Gott als medium cognitionis wahr-
nehmen könnte. Dies ist bei Ockham ein besonderer (nicht ausgeschlossener) Fall
von Erkenntnis, die mit unserer nicht gegeben ist und nicht mit ihr übereinstimmt,
aber mit ihr kompatibel bleibt. Ockham fragt:44 „quare tunc Deus plus intelligitur
quam ante?“ Nämlich dann wenn wir den actus assentiendi mittels des Syllogismus,
diesen also judicativ vollziehen. Er antwortet:45 „Respondeo quod tunc Deus intel-
ligitur quia habet unus conceptus proprius natus pro solo Deo supponere.“ Dessen
43. Ord. Prol. q. 8 OT I p. 218 lin. 3–8. Zu beweisen ist hier: „habitus principii est causa habitus
conclusionis“.
44. Ord. Prol. q. 7 OT I p. 203 lin. 16f.
45. Ib. lin. 18f.
694 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
Erkenntnis muss der Syllogismus leisten. Er muss darauf zuführen. Der Begriff ist
also schon da. Er wird aber nicht in se inhaltlich abgeleitet, sondern förmlich bloß im
Sinn seiner Existenz und des Enthaltenseins in einem Satz, der innerhalb des Syllogis-
mus auftritt und sich vorfindet. Die Theologie, in der Form des actus apprehensivus
gegeben, auch wenn wir ihn der fides entnehmen, bedarf des actus oder habitus iu
dicativus:46 „theologia ad omnem habitum iudicativum est scientia, vel fides etc.“ Wir
müssen dann, um die Wahrheit des im Glauben inhaltlich Gemeinten unterstellen
zu können, habitus apprehensivi mit einer notitia consequentiae, die nicht ein impos
sibile47 bedeutet, annehmen. Für die propositio credibilis ist die Evidenz, dass aus ihr
kein impossibile folge, naturaliter nicht gegeben, vielmehr nur ex fide. Der actus des
‘credere’ selbst liegt außerhalb des Tableaus der in der Erkenntnislehre zu behandeln
den Sätze und Operationen (bzw. ihrer Verhältnisse). Der Nominalismus kommt qua
Argumentation so zu jenem Moment (der Existenz) zurück, von dem er vermöge der
Abstraktion und eben mit der Argumentation (Beweisführung) stricte sich entfernt
zu haben scheint: er verwirft also nicht Existenz kraft bloß fingierter Inhalte, sondern
er reduzierte noch jede ad hoc und (ebenso wie) induktiv gewählte Größe auf eine
bloße Stellenfunktion alias Existenz im Geflecht der Größen, causae etc. Dabei tritt
zwischen Syllogismus, empirischer Begründung und Beweis in generali kein Gegen-
satz auf. Die denkbaren Beweisformen rücken aneinander.48 Die consequentia forma-
lis ist der Ausdruck einer zugleich empirisch angesetzten und verfassten Begründung
von Zusammenhang, die auch mit der Struktur des Syllogismus affin ist.49
Tatsächlich muss es eine Synthesis geben können, die außerhalb jeder und vor
jeder als a priori anzusetzenden Deduktion zu denken ist. Eine solche Basis des Den
kens kann niemals ausgeschlossen werden. Sie schließt (die) Folgerung womöglich
ein. Setzt man sie aber empirisch (an), so muss sie auch ohne das Denken a priori
denkbar sein, wenn es sie geben können soll. Es ‘gibt’ sie also. Das Logische ist dann
außerhalb dieser Empirie (Genesis) mit ihr nur kompatibel. So erscheinen Abstrak
tion und Empirie (alias empirische Geltung) bei Ockham; consequentia formalis
und consequentia naturalis grenzen so ‘aneinander’. Die Abstraktion darf keine con
sequentia enthalten, die direkt auf das Empirische ginge und es einschlösse, vielmehr
nicht bloß es in einer bestimmten oder unbestimmten Formation lediglich nicht aus
schlösse. Wir hätten die Mittel des Denkens sonst per fallaciam begründet. Abstrakt
kann das Reale als das extramental Empirische schlechthin nicht mehr begrifflich
aufgeschlossen werden.50 Folgerung bekommt (wenigstens virtuell) einen reduzier-
ten Wert.51 Hinsichtlich und vermöge dieses Mangels kann es direkt begründete und
beruhen nicht auf der Prädikatenlogik I. Stufe und sie beziehen aus der Suppositionslogik nicht
bloß die suppositio personalis ein.
50. Die Evidenz wird zunächst durch die notitia intuitiva ausgedrückt. Diese überträgt sie
nicht auf die notitia abstractiva und sie geht nicht im Sinn einer inneren Bestimmung der
notitia abstractiva in diese mit ein. Die Evidenz, die mit der notitia abstractiva verbunden ist
(bzw. verbunden werden können soll), kann nicht in Form einer eigenen Abstraktion, also fol-
gerungsweise begründet in diese aufgenommen worden. Es lässt sich also keine Integration der
abstractio in die abstractio denken, so dass damit eine Argumentation gegeben wäre, bzw. auch
ersetzt würde. Das lässt sich an jenen Argumentationen ablesen, die Ockham (auch) dort führt,
wo eine abstrakte Allgemeinheit ontologisch mit Begriffen wie forma, finis empirisch eingelöst
werden soll/muss. Argumentationsförmig wird auch hier wieder jede analytische oder Argu-
mentation a priori ersetzt und eben das noch zum Ergebnis: das Empirische oder die Evidenz
kann nicht Element der Abstraktion sein und nicht ihren Folgerungswert darstellen. Es ist die
Negation einer Folgerung, die Folgerungswert bekommt. Ein Evidenz (die Evidenz) verkörpern
des Element, ein kontingenter Satz aber kann nicht Teil einer anderen ‘präzedenten’ Aussage
sein. Auch ein Satz, der die Gewissheit einer notitia intuitiva zu besagen hätte, wäre ein solcher
Satz. Entsprechend gilt die Implikation nicht. (Die) Evidenz tritt weder in Form der notitia intu
itiva noch des kontingenten Satzes oder in der einer Erfahrungsmaxime bei Ockham als in sich
erfüllt auf. So auch dort, wo das obiectum extra animam für die Praxis als deren Gegenstand
steht und ihr Zweck oder ‘Ziel’ (finis) das opus ist, so dass es, dabei keinesfalls außerhalb der
ontologischen Terminologie betrachtet, nicht als in se erreichbar oder spezifizierbar angegeben
wird. Natürlich gibt es den Erfahrungswert. Er steht für sich: Es kann ihm nicht widersprochen
werden. Er wird nur nicht aus sich und allgemein erklärt. Die notitia speculativa intendiert
dann im Gegensatz dazu kein opus. Wir haben auch hier wieder die Paarung von Termini oder
Größen, bei deren einer die Erfüllung suspendiert wird, wie bei der notitia abstractiva, und der
anderen die die Erfüllung ausdrückt (notitia intuitiva), ohne dass diese selbst damit auch als
fraglos selbst bekräftigt, strictissime erfüllt anzusehen wäre.
51. Implikation kann wie folgt akzeptiert werden (Ord. Prol. q. 7 OT I p. 201 lin. 18f): „dico
quod illud scitur evidenter de quo scitur evidenter quod ad ipsum non sequitur impossibile.“
696 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
geltende analytische Aussagen nicht geben; sie können für Ockham daher auch nicht
leitend sein und müssen nicht von ihm gesucht werden.52
Ockham sagt53 „Supposito ex quaestione praecedenti54 quod per potentiam di-
vinam multae veritates pure theologicae possint evidenter cognosci, quaero utrum
notitia evidens illarum veritatum theologicarum sit scientia proprie dicta.“ Dieser
Verweis auf den Vorgang samt dem Inhalt in der quaestio prima ist sehr wohl zu se-
hen. Sie kann keine Folgerung besagen oder voraussetzen. Die potentia Dei absoluta
entlässt keine Folgerung aus sich. Wäre das der Fall, könnte Ockham die Scotische
Meinung nicht bekämpfen, dass die Einsicht, die wir de facto (pro statu isto) nicht
haben, eine Einsicht legitimiere, die wir in der Form des actus apprehensivus und der
Sätze tatsächlich haben, freilich nicht im Sinn der Evidenz. Nach dieser fragt Ockham
aber nun tatsächlich: „quaero utrum notitia evidens illarum veritatum theologicarum
sit scientia proprie dicta.“ Ockham muss also die Voraussetzung in dem Sinn machen,
dass die Struktur der notitia evidens als Folge der durch die potentia Dei absolu-
ta vermittelten Erkenntnis von dieser unabhängig sei. Das muss bedeuten, dass die
Omnipotenz selbst auch mit dieser Erkenntnis, die wir so als natürliche evident nen
nen, übereinstimmt. Sie lässt sich damit nur per potentiam divinam absolutam nicht
aufheben. Gott bewirkt keine Abänderung. Das ist die Legitimierung und Sicherung
(quasi per persuasionem). Die/eine Wahrheit der per potentiam divinam absolutam
induzierten Abstraktion kann also niemals durch den späteren Strukturbeweis, der
die Bestätigung der Evidenz gibt, bewiesen werden. Evidenz ist oder beschreibt nicht
Wahrheit. Um Wahrheit kann es in der Abstraktion nicht gehen. Ockham macht
das mit der Definition der notitia abstractiva überall klar:55 „quaedam est cognitio
intuitiva et quaedam abstractiva. Intuitiva est illa mediante qua cognoscitur res esse
quando est et non esse quando non est.“ Haben wir die (Struktur der) Evidenz, so
haben wir auch nicht vermöge eines übernatürlichen Eingriffs eine Abänderung zu
erfahren. Deren Idee gehört der Abstraktion an. Das besagen Ockhams Thesen. Sei-
ne Untersuchungen sind möglich, da es nie um Wahrheit als Leitidee oder beglei-
tend eingeschlossenen (eingeschlossenen) Faktor gehen kann. Es kann hier nicht den
Wenn wir evident wissen, dass auf etwas nicht ein impossibile (absurdum) folgt, wissen wir es
evident. Wie kann das sein? Wenn wir nicht die Abstraktion, den actus apprehensivus akzep-
tieren und voraussetzen, können wir Ockhams Ausspruch auch nicht akzeptieren (ib. p. 201
lin. 7–9): „Ad omnes istos actus, praeter credere, sufficiunt habitus apprehensivi cum notitia
consequentiarum, sicut per experientiam patet.“ So kommen wir aus einer eigenen mensch-
lich autonomen Position zum vollwertigen menschlichen Erkennen. Ockham begrenzt sich wie
Scotus auf das menschliche Subjekt.
52. R. Grass, 2003 sieht sie für wenigstens die ganze Spätscholastik in der ‘propositio per se
nota’. Cf. Anm. 15 o.
53. Ord. Prol. q. 2 OT I p. 75 lin. 9–12.
54. Ord. Prol. q. 1 OT I pp. 3–75.
55. Rep. II, q. 12–13 OT V p. 256 lin. 22–24.
Nachwort 697
56. Da die Tautologie nicht absolut ist, kann Ockham Duns Scotus, was dessen Sätze, Regeln,
Maximen usw. angeht, widerlegen. Wie Duns Scotus fiktiv sie sucht, müsste er auf einer Fol-
gerung fußen (können), die mit ihnen gleichwertig begründet wäre. Die analytische Aussage
scheidet mangels der Begründbarkeit der Folgerung ‘gleichwertig’ aus. Nach T. Hirano, Die
kontradiktorische Logik, (1934) Ergebnisse eines mathematischen Kolloquiums, hrsg. von K.
Menger, Heft 7, Wien 1934/5, Leipzig-Wien 1936, pp. 6–7 begründet nicht der Wahrheitswert
zwingend die Apriorität der Logik. Mit falsum als Grundwert entsteht, unter Neudefinition der
Junktoren, ebenfalls eine apriorische Logik.
57. Duns Scotus und Ockham betrachteten und explizierten die Potenz des menschlichen Er-
kennens als auf dessen eigene Rechnung gehend und nicht als unterm Aspekt der Reduplikati-
on im göttlichen Erkennen anzusetzende.
58. Hier hat sich Ockham eindringlich und umfassend geäußert: Ockham trifft seine Entschei-
dungen (Wertungen bei Sätzen wie Begriffen) nach SL III-3 c. 1 OP I p. 589 lin. 55–57: „praecise
ratione terminorum et non ratione alicuius medii extrinseci non respicientis praecise generales
conditiones propositionum.“ Die generales conditiones werden also akzeptiert, indes nichts,
was im Sinn einer Spezifikation secundum rem ipsam gedacht werden (können) müsste. Sie
entsprechen per Induktion den rationes terminorum. Ockham kann hier unbegrenzt Beweise
geben. Die zitierte Formel selbst ist so etwas wie eine Summe, in der der Beweismodi inhärie-
ren. Cf. Kap. 8 Anm. 138. Wir können aber abstraktiv (intensional) nicht mehr Folgerung als
Verbindungsmodus supponieren.
59. Ockham setzt bezüglich des Glaubens keinen übernatürlichen Eingriff Gottes an. Er ne-
giert ihn und beweist dies bezüglich und vermöge des habitus (Rep. III q. 9 OT VI p. 279 lin. 1 –
p. 282 lin. 6), was insofern auch relevant ist, als der habitus jener Sphäre uns nicht unmittelbar
evidenter Erscheinungen der anima zuzählt und bereits die notitia intuitiva supranaturaliter
konserviert werden muss, wenn sie dienen können soll, nicht gegebene Gegenstände als eben
nicht präsent zu erkennen und zu bestätigen. Dabei gilt zum habitus allgemein (ib. lin. 13-15):
„non potest esse ratio evidens ad ponendum tales habitus nisi propter eorum operationes, quia
omnes habitus innotescunt nobis per operationes.“ Dabei seien die habitus, die supranaturales
wären, uns vermittelbar durch die habitus naturales, die die operationes ermöglichen. Es gilt
auch (ib. p. 280 lin. 18 – p. P. 281 lin. 2): „Paulus habens peccata sine omni merito recepit gra
tiam, ita posset Deus sibi conferre vitam aeternam sine omni merito et habitu supranaturali.“
Der heilige Geist (p. 280 lin 5–8) sei „coexistens, acceptans actum naturalem et impellens vo
luntatem per modum causae partialis ad actum illum eliciendum. Et non oportet necessario
698 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
altlutherischen Dogmatik (Orthodoxie) sein. Dass fides und scientia (cognitio) bei
Ockham im Grund kommutativ sind, verweist eventuell tiefer auf die Neuzeit als
man gemeinhin für möglich hält.60 Ockham benötigt (schafft) keinen Gott, der sicht-
bar erkennend operierte; keinen, der dem Menschen den Erkenntnismaßstabsetzte,
keinen, der vom Menschen her gestaltet würde. Er hat einen Gott, der außerhalb des
menschlichen Wissens liegt und das heißt hier vorab der Selbsterkenntnis nach den
Formen des menschlichen Wissens, wie sie der scholastischen Bildung und deren
Kommentierung entnommen werden können. Gott ist dem Menschen versöhnt hin-
sichtlich und vermöge des bedingt absoluten menschlichen Verstandesmittels, in das
Gott einbegriffen ist, da er diesem, soweit es als widerspruchsfrei gekennzeichnet
werden ‘könne’ (was die Definitheit ausmacht), auch nicht widerspricht; Faktum und
Wahrheit schwinden unter dem topologischen Richt- und Mehrwert des Hypotheti-
schen: „non est impossibile quod Deus ordinet quod qui vivit secundum rectum dicta
quod sit aliquod accidens inhaerens animae.“ So sehe es auch Petrus Lombardus. Die causa
partialis fällt in den akzidentellen Umkreis dessen, dem sie zu etwas verhilft. Ockham nennt
drei Lehrsätze (cf. o. p. 279 lin. 3–10): I „non potest probari ratione naturali quod indigemus
habitu supranaturali quocumque ad consequendum finem ultimum.“ II „quod ex hoc quod
credo quod beatitudo est mihi conferenda propter merita, non potest concludi consequentia
formali quod habitus supranaturales sint (W 1495 besser als Ed. sunt) nobis necessariae.“ III
„quod respectu omnium actuum quos possumus habere possumus habere habitum naturaliter
inclinantem.“ Es gilt: ‘Habitus supranaturales non sunt necessariae.’ Die potentia dei absoluta
reicht immer an den natürlichen Bereich, also unsere Erfahrung. Denn die (ib. p. 280 lin. 3–5)
„caritas in anima potest de potestate Dei absoluta non esse aliud quam Spiritus Sanctus.“ Sie
muss aber nicht übernatürlich erzeugt werden. Wo immer zwischen den actus (und habitus)
nur irgendeine Distinktion und sei es de ratione oder nach irgendwelchen angenommenen
Verhältnissen, in irgendeiner Hinsicht geführter Beweise gesetzt oder unterstellt werden kann,
ist auch die Negation vorhanden, auf der eine Induktion (Hypothese) aufbauen kann, die sich
der potentia dei absoluta bedient, i.e. sie nicht ausschließt. NB. Ockham sagt ( p. 281 lin. 2–5),
dass seine Argumente secundum potentiam Dei absolutam gelten, sonst nicht. Das bestätigt
den herausgehoben argumentativen Wert des Allmachtsprinzips.
60. Fides und scientia erscheinen bei Ockham entweder ungeschieden oder gleichwertig, wo-
bei die ratio einen Vorrang vor der Autorität der sancti oder der ecclesia hat, sowie die aus der
Unterweisung oder lectura scripturae gewonnene fides adquisita einen Vorrang vor der fides
infusa. Cf. hier auch Rep. III q. 9 insgesamt. Der Glaube an die „recta ratio“ erscheint derart (ib.
p. 280 lin. 10–13), dass jemand, der nur glauben will, was ihm die naturalis ratio konklusiv als
glaubensnotwendig erweist, die vita aeterna haben kann. Auch der Heide als „instructus“, kann
(ib. p. 281 lin. 14–16) „per doctrinam diligere Deum super omnia ex puris naturalibus“ und
danach auch am Kult teilnehmen (wollen). Die Tatsache, dass womöglich mehr als eine opinio
„potest probabiliter sustineri“ (etwa wenn Ockham annimmt, aber nicht strikt behauptet, dass
habitus scientiae und fides adquisita nebeneinander bestehen könnten, wenn man die principia
per se nota vergessen habe, woraus der Glaubenssatz folgen müsse), bedeutet noch nicht, dass
ein Rekurs zur doctrina patrum angezeigt sei, selbst wenn Ockham einräumt (ib. p. 308 lin. 6f),
„auctoritates sanctorum videntur mihi magis dicere quod nec actus nec habitus stant simul.“
Die ratio gilt und steht also praeter fidem.
Nachwort 699
men rationis sic quod non credat aliquid nisi illud sibi sit naturali ratione conclusum
tamquam credendum, sit dignus vita aeterna.“ Das credendum kann ohnehin conse-
quentia formali gefolgert werden. Aber Ockham begründet den Vernunftanspruch in
Glaubensdingen gerade damit, dass die ‘heidnischen Philosophen’ auch ‘Wahrheiten’
annahmen, „quae non potuerunt naturali ratione probari necessario, sicut mundum
esse aeternum.“61 Das muss Ockham begründen: i.e. in Beweisform destruktiv den
defizienten Modus scheinbarer Aussagen oder Beweise darlegen. Ockham rekapi
tuliert die Vernunft in der Qualität des Verstandes neben und gegen Aristoteles.62
Ockham muss – im Nachklapp gegen die Scholastik quasi – beweisen, wo die
Beweisformen selbst schon rezessiv erscheinen, oder ihm rezessiv erscheinen mus-
sten, wie er sie struktural in den Blick bekam. Er hat den nur bedingten Beweisge-
halt vieler Vorstellungen, die unbedingte Beweisuntauglichkeit zahlreicher Aussagen,
ja Maximen und Leitsätze ‘beweisförmig’ dargelegt. Seine Beweise kehren interme-
diär oder in hypothetischer Form final zur Empirie zurück, indem sie deren Ver-
doppelung als intensionalen Akt der Erkenntnis rejizieren; damit verlieren die von
Ockham noch verwandten ontologischen oder erkenntnistheoretischen Begriffe in
der topologischen Zielrichtung auf die Definitheit ihren unbedingten, ja unumgrenz
ten semantischen Wert, in welchem sie selbst nicht, weder unmittelbar, noch im Nach
hinein, wie jetzt der negative Beweis zeigt, abstraktiv und entsprechend beweisförmig
begründet sein können.63 Abstraktion bleibt der Gegensatz der Ontologie. Für sie
61. So ib. p. 280 lin. 10–16. Duns Scotus hatte noch krude den zusätzlichen Erkenntniswert
des christlichen Credos gegenüber dem heidnischen philosophischen Denken angenommen.
Er sieht aristotelische Verstandeserkenntnis im Hintertreffen gegenüber dem Mehrgehalt der
christlichen Offenbarung. Op. ox. I, d. 42, n. 3; I, 1267, 13 (VI 345–346): „si philosophi non potu
erunt per rationem naturalem concludere Deum posse contingenter causare, quanto magis nec
posse immediate in quemcumque effectum vel quodcumque quod potest producere median-
tibus aliis causis secundis?“ (E. Gilson, 1952 p. 363 Anm. 3). Gott muss nach Beiziehung seines
Ratschlusses handeln (können), um es nicht kausalmechanisch oder sonstwie im Zwang tun zu
müssen. Das setzt für Duns Scotus wieder Offenbarung.
62. Wir kommen mit Ockham nicht zu einer Verminderung purer Glaubenssätze, sondern
einmal zur strukturalen Ununterscheidbarkeit von fides und ratio (scientia), dann aber wo die
Glaubensaussagen struktural nicht mehr adaptierbar sind oder Kirchenmeinungen nachweis-
lich beweiswidrig erscheinen, zur Ausgrenzung wenn nicht Verneinung solcher Lehren und
Meinungen. Diese andere geschichtliche Tendenz steht implizit nicht mehr auf dem Boden des
Mittelalters, mit dem sie doch interagiert.
63. Doch können die ontologischen Begriffe auch wie die primären empirischen in der Form
der consequentia formalis und des Syllogismus geordnet erscheinen. Cf. Ord. d. 2 q. 6 OT II
p. 176 lin. 11–19: „sicut semper ex propositionibus de necessario sequitur conclusio de inesse, ita
ex propositionibus cum nota perseitatis sequitur conclusio de inesse, et hoc quia ‘per se’ est ne
cessarium. Igitur sicut sequitur formaliter et syllogistice ‘natura necessario est communicabilis,
differentia contrahens necessario non est communicabilis, igitur differentia contrahens non
est natura. Ita sequitur ‘natura per se est est communcabilis multis, differentia contrahens de
se non est communcabilis multis, igitur differentia contrahens non est natura’.“ Consequentia
700 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
treten persuasio und Induktion anders als formell nicht ein, während das Omnipo-
tenzprinzip sich ihr assimiliert, wie es durchaus auch mit der reprobatio konform
gehen und in sie eintreten kann.64 Persuasio und Induktion stehen in einer gewissen
Nähe zur Empirie, die freilich in sich nicht aufgeschlüsselt werden kann und von
daher zur Abstraktion aufsteigen;65 das Omnipotenzprinzip gilt, sofern das Wider-
spruchsprinzip nicht begründet werden kann. Mittels des Omnipotenzprinzips wer-
den die ontologischen Termini nicht widerlegt, nur der mit ihrer Hilfe fiktiv ange
nommene Zusammenhang und das nicht nur für substantia (forma) und accidens,
sondern auch bezüglich forma und res (species) usw.
formalis und Syllogismus stimmen hier nach der einen Erklärung zur consequentia formalis
überein: cf. Ord. d. 4 q. 1 OT III p. 15 lin. 2–8.
64. Das ist soweit nicht möglich, wie die Akzidentalität gilt. Ockham geht soweit, wo immer
eine akzidentelle Beziehung besteht, die Aussetzung der Schöpfung für möglich zu halten: Gott
könn(t)e einen homo ohne ‘Kopf ’ schaffen, eingestandenermaßen dessen „Zentralorgan“: Rep.
IV q. 9 OT VII p. 160 lin. 1–18. Da Gottes Omnipotenz nicht aus der divina essentia, die man
dazu kennen und auffächern können müsste, abgeleitet werden kann, kann sie auch im Sinne
keines Begriffsverständnisses dieses Begriffs und mit ihm zusammenhängender anderer real
sein oder empirisch gelten, bzw. einen definiten Sinn haben; es gibt diese Allmacht im Sinn
von significatio nicht. Das hatte Ockham deutlich gemacht. Sie kann sich auch auf nichts er-
strecken, also keine Implikate haben. Beweisführungen, worin sie aufträte oder selbst bewiesen
würde, gibt es nicht. Sie hat keine Analogfunktion außerhalb des Syllogismus. Der Syllogismus
hat seine zentrale Stellung im Beweisen Ockhams da, wo er fehlt, die Begriffe keine Ordnung
haben. Das Fehlen des Syllogismus ist eine Widerlegung. Der Topos ‘Implikation’ rezediert vor
dem Topos ‘Definitheit’.
65. So mit Hilfe von wie Formeln ‘non est inconveniens quod (non)’. Sagt Duns Scotus (ed.
W. Kluxen, 1974, p. 40 ib. Quarta conclusio,): „inconveniens est universo deesse supremum
gradum possibilem in essendo“, steht er dem Ockhams Gebrauch des argumentum ‘non est
inconveniens quod (non)’ fern. Der Ausdruck ‘non est inconveniens’ zielt auf Kompatibilität
und reale Verschiedenheit, also nicht auf Folgerung. Dem tritt fiktiv Gottes Allmacht bei, die
eine secundum legem communem nicht existierende, reflexiv auf einer höheren Stufe als mög
lich anzusetzende Ausnahme schaffen könnte. Cf. Ord. d. 2 q. 5 OT II p. 156 lin. 7–9: „non est
inconveniens quin – saltem per potentiam divinam – quaelibet res absoluta intuitive videatur
absque visione alterius rei absolutae.“ Die res absolutae sind distinkt, können so per potentiam
divinam ohneeinander gekannt werden. Die res absolutae entfalten füreinander keine Relati
on. Sie wird durch das induktive abstrakte (höherstufige) Funktionsargument ‘per potentiam
divinam’ ersetzt (kompensiert). Ebenso muss mit einer in sich ja unentfalteten und unerschlos
senen empirischen Erkenntnis per notitia intuitivam nicht eingesehen werden, dass diese wirk
lich bestanden habe, also reell sei; es kann und darf nicht gefolgert werden. cf. Prol. I, 1, YY (W
1495): „dico quod non est inconveniens quod res intuitive videtur et tamen quod intellectus iste
credat rem non esse, quamvis naturaliter hoc non potest fieri.“ Textausgabe (Ord. Prol. q. 1 OT
I p. 70 lin. 16–2) hat fast identischen aber konjunktivischen Wortlaut. Hier auch: forte non est
inconveniens … videatur …) Es darf und kann ein Schluss hier nicht existieren; mit dem forte
aber wird die Sache implizit schon auf die abstraktive Ebene verlegt und modalisiert.
Nachwort 701
so den Gegensatz von Theologie und Physik nicht.72 Das geschichtliche movens setzt
Gleichheit um, nicht Divergenz, Kontrarietät, und Kontradiktionalität. Dafür spricht
auch, dass Ockham mittels der Organisation humaner Vernunft für die Theologie,
nimmt man einmal Fragen des ordo salutis aus, keine genuine dogmatische Einsicht
befördert. Ockham lässt theologische Rationalität neben menschlicher (beide inein
ander!) bestehen.73
eiusdem species, quia non est inconveniens distinctas causas specie habere eosdem effectus
specie.“ Dafür wird (ib. lin. 14–16) ein empirisch extramentaler Vergleich an- oder eingeführt:
Sonne und Feuer geben und bewirken dieselbe Wärme. Die Wärme ist specie ein und dieselbe.
Das begründet nicht absolut. Ockham sagt: „non est inconveniens quod …“ Die calor in sich
(ihr Ursprung) wird nicht untersucht. Die calor ist nicht im Feuer anwesend: cf. SL III-2 c. 38
OP I p. 578 lin. 49f. und ib. lin 34–44. Das calefactivum, worunter das Feuer subsumiert wird,
(ib. 50f.) „forte quandoque praedicatur de (subiecto caloris = igne et de calore) vel de nomine
utriusque.“ Hier gebildete Syllogismen sind vorbehaltsweise intellektiv und wahr. Sie gelten
hypothetisch (ib. lin. 36) „ita quod nihil sit nec esse possit calidum nisi ignis.“ Ebenso: lin. 35:
„sit ignis illud de quo primo praedicatur calidum.“ Es wird nicht absolut bewiesen, aber bedingt
legitimiert. Gegen die bedingt empirisch gestützte syllogistische Anordnung lässt sich nicht be-
dingungslos Einspruch erheben.
72. Er stellt keinen ontologisch ausgefertigten Gottebenbildlichkeitsanspruch. Ockham nimmt
indes eine Ähnlichkeit des menschlichen und des göttlichen Geistes an, also über die Hoch
scholastik hinaus, deren Signatur sie gewesen sein soll (H. Blumenberg, 1966). Die Ontologie
gilt nicht positiv (und zwangsläufig) für die Begründung des menschlichen Erkennens, das se
cundum notitiam abstractivam und über die abstractio erfolgt (Ord. q. 13 OT III p. 418 lin. 13):
„mens nostra facta est ad imaginem Dei.“ So können wir ‘mit Abstrichen’ Gott erkennen. (ib.)
Ratio und ‘rationes’ bleiben auch in pure theologicis gültig (ib.). Auch K. Löwith, 1968 u. H. G.
Gadamer, 1968 sahen ein geschichtliches Gleisdreieck von Theologie, Philosophie, neuzeitlicher
Theorie mit Homologien. Für J. Olive, 2010 ging Ockhams Verständnis von causa geschichtlich
direkt ins neuzeitliche (Descartes) über.
73. P. Vignaux stellte auf einen humanisme médiévale ab, den er besonders rein am Anfang und
am Ende der Epoche hervortreten sah, aber auch bei Thomas von Aquin und Duns Scotus un
tersucht. Im Rahmen mittelalterlicher Spannung zwischen Vernunft und Glauben (Kirchenleh
re!) verweigert Ockham die Antwort. Die Vermehrung (plurificatio) der Größen und Begriffe
oder Prinzipien, die Ockham in der Erkenntnislehre und Naturphilosophie ablehnt (cf. hier
besonders M. H. Carré, 1946, 1967) bezieht er hypothetisch auf die Wunder und gelangt hier
zu einer ausgreifenden Antwort zum Verhältnis von ratio und fides oder Kirchenlehre, mit der
klar wird, wie er beide ins Benehmen setzt (Quodlibeta IV q. 30 OT IX p. 450 lin. 41–44): „ali-
quando ponenda sunt plura miracula circa aliquid ubi posset fieri per pauciora, et hoc placet
Deo. Et hoc constat Ecclesiae per aliquam revelationem ut suppono, ideo sic determinavit.“ Die
Vernunft tritt vorbehaltlich unausforschbarer Widerspruchsgründe bei (ib. lin. 33–35): „Nec
includit aliquam contradictionem corpus Christi plus coexistere substantiae panis quam eius
accidentibus; nec repugnat rationi….“ Die Vernunft, die im Verhältnis von substantia und ac-
cidens spielt, erhält für den Widerspruchssatz keine Vernunftgründe. Ockhams Zustimmung
zur näheren Kirchenlehre ist zurückhaltend. Er hält sie für wenig (ib. lin. 30–35) „rationabilis“
(sic!); ihre (ontologische) Explikation „non habetur in canone Bibliae.“ Für die Kirchenlehre
Nachwort 703
Man hat gefragt, worin, negativ wie positiv, Ockhams Hauptbeitrag bzw. sein Bei
trag überhaupt in der Geschichte der Philosophie und Geistesbildung bestanden habe.
Man sagte, dass er in der Destruktion der mittelalterlichen Ontologie und eventuell
noch Glaubenszuversicht, in der Anbahnung einer wissenschaftlichen Sichtweise und
methodischen Grundlegung der Erkenntnis, in der besseren Begründung, Revision
und durchgängigen Anwendung der Logik, der Trennung von Glauben und Wissen,
der Betonung des empiristischen Grundsinnes von Erkenntnis oder in der Vorberei-
tung der Reformation Luthers bestanden habe; man hat das insgesamt oder je einzeln
bestritten.74 Man sollte anerkennen, dass Ockham darin sui generis war, dass er in der
führt er Innozenz III. an. Ockham „akzeptiert“ sie (ib. lin. 1f): „teneo propter determinationem
Ecclesiae et non propter aliquam rationem.“ Die Kirchenlehre hatte (lin. 29) die „potestas di-
vina“ angeführt. Es ist die potentia absoluta, die Ockham in ratio und argumentum integriert,
wobei er dem accidens den prädikativen und reellen Eintritt in die substantia verwehrt. Dem
entsprechen auch z. T. unter Beiziehung des suppositionslogisch spezifizierten Elementaratzes
geführte Widerlegungen in der sacra theologia. Das reine Wunder hat keinen begriffsstiften-
den Sinn; es findet in der geordneten Schöpfung und wahrhaft gegen sie statt. Cf. Quaestiones
variae q. 6. a. 11 OT VIII p. 300 lin. 316 f: „illa dilectio numquam potest separari a delectatione
nisi per miraculum“, jene nämlich, bei der ‘ich’ unbedingt will, dass das Geliebte meinem Wil
len gefügig sei; es gibt also umgekehrt das ‘interesselose Wohlgefallen’. Ebenso bei Hass und tri
stitia vermöge des actus nolendi. Hass und Trauer können da nicht getrennt werden (lin. 313):
„nisi per miraculum.“ Von der potentia divina absoluta, die den Begriffssinn gegen aktuale
(kasuale) Kombinationen stützt (naturaliter loquendo) oder von empirischen Regulationen in
der sacra theologia freihält (supranaturaliter loquendo), ist in allen drei Beispielen nicht die
Rede. Die letzten beiden waren überdies Partialfälle. Die Nichttrennbarkeit der Begriffe und
Erscheinungen überschreitet nicht den Partialfall, der von einer empirischen Zusatzbedingung
abhängt.
74. Luther beschäftigt sich (cf. J. Matsuura (ed.), Erfurter Annotationen 1509–1510/11, 2009)
direkt mit Ockhams Texten; er nimmt die technisch-logischen Regulationen auf und das Omni
potenzprinzip in der Übereinstimmung mit Wahrheits- und Falschheitswerten für kontingente
Sätze (p. 687 lin. 17f, p. 688 lin. 11 und lin. 19ff, p. 703f lin. 30f). Matsuusa sieht einen verstän
digen Umgang mit den Texten, ablesbar an den Konjekturen dazu (Einleitung pp. LVIII und
LXXVIff). Luther aber, der nach einem gnädigen Gott fragt, tut es vor dem Hintergrund der
Vorstellung vom zornigen Gott; sie lehnt sich ans Alte Testament an, zu dem auch Calvin Affini
tät hat. Ockham nennt den selbst nicht abhängigen göttlichen Willen „prima regula directiva“
und antizipiert darin, auch wie dieser „non potest male agere“, Descartes’ Erkenntniswillen und
sein behauptetes Erkenntnisvermögen; denn auch hier gilt,‘metaphysisch’, „non indiget aliquo
dirigente.“ Dass Gott den Menschen bei seinen Erkenntnisakten zu hintergehen vermöchte,
scheidet nach dieser Bestimmung des göttlichen Willens aus (Quaestiones variae q. 8 art. 1 OT
VIII p. 410 lin. 22–25, W 1495 Rep. III, q. 13 B): „voluntas divina non indiget aliquo dirigente,
quia illa est prima regula directiva et non potest male agere. Sed voluntas nostra est huiusmo
di quod potest recte et non recte agere. Igitur indiget aliqua ratione recta dirigente.“ Cf. R. B.
Hein, 1999 p. 118: ‘Gottes Wille nach Ockham hat keinen Gegenstand.’ Das Abbild der voluntas
divina im Menschen ist nicht die voluntas, die nach Ockham von ratio und Umständen ab
hängig ist und u. U. schuldfrei (z. B. beim homo ebrius), nach Luther aber unfreier Wille und
704 Über Beweise und Beweisarten bei Wilhelm Ockham
unfreies Urteil wäre, sondern die virtus heroica (sic!): Quaestiones variae q. 7 OT VIII p. 336
lin. 152 – p. 337 lin. 2. Sie steht als quintus gradus virtutis über vier anderen Stufen von virtus, die
alle ein sokratisches Zusammenspiel von ratio und voluntas erlauben oder voraussetzen, und
mutet ebenso antik an. Auf den Philosophus wird denn auch verwiesen und auf die Wahrheit
(ib. lin. 165f). Diese virtus heroica konnte über die scholastische Arbeit hinweggerettet werden
bzw. an ihr sich bilden und das neuzeitliche dichterische Symbol werden, das stets in gesell
schaftlicher Trübung und Anfechtung sich sah, die aus der Internalisierung aller zuvor mehr
äußerlichen mittelalterlichen Kräfte und Stände in der einen individuellen Seele entsprang und
uns seither auferlegt blieb. Wir sind der ‘Gesellschaftssbau der Triebe und Affekte’ (Nietzsche,
JGB § 12) nunmehr ganz unmetaphorisch nach in uns umgewidmeten sozietären Konflikten.
75. Ihre religiöse oder dogmatische Tauglichkeit muss abgewogen werden. Ockham billigt dem
fidelis (unter Bezugnahme auf päpstliches Dekret) Irrtum in theologischen oder philosophi
schen Auslegungen der Kirchenlehre zu ohne Häretiker zu sein (De corpore Christi c. 2 OT X
p. 91f). Fügt er hinzu, erst beharrliche Weigerung sich korrigieren zu lassen, mache ihn dazu,
bedeutet es nicht, die Zensur könne per se und unumschränkt auch das scholastische Ausle
gungsmaterial betreffen: in deren Medium kann die häretische Abweichung nicht zwangsläufig
(konsistent) eintreten. Cf. Anm. 73 o. Es bietet eigene Schlüssigkeiten oder sogar die Suspen
sion des Faktors ‘Konsistenz’. Das muss besagen, dass das scholastische Auslegungsmaterial
autonom oder unangreifbar sei bzw. wenigstes die Auslegung (Kritik), die es, auch bezüglich
der Kirchenlehre, von Inkonsistenz oder Indefinitheit trennte, wäre es. Die wahre (letztliche)
Autonomie liegt so bei der – recht gefassten – aristotelischen Scholastik, i.e. der Stiftung der
ratio, hinsichtlich deren Ockham pro domo plädiert hätte. Er sagt konsequent oder adäquat (ib.
p. 92 lin. 35–39): Wer schon einen leidigen theologischen Irrtum entschuldige, „multo magis
excusabit ignoranter opinantem aliquid quod nec in sacra scriptura canonica (!) nec in Docto
ribus approbatis ab Ecclesia reperitur expressum.“ Die außerscholastische ratio (consequentia)
entfällt potentiell. Aber nicht zwingend. Der Ausgriff, der methodisch oder logisch bzw. philo-
sophisch mit Relevanz für die Zukunft durch Ockham stattfand, impliziert am Ende selbst bloß
die Negation (Streichung) der Folgerung.
Literaturverzeichnis
Quellen
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Walter Chatton 6, 22, 26, 669–670, 681
T 142–143, 154, 157, 205, 295,
Thomas Bradwardine 610, 364, 369–370, 381, 385, 615,
526–527, 610, 713 625, 650, 706, 710, 712
Thomas Buckingham 238, 631 Wilhelm von Alnwick 281
Thomas von Aquin 32, 149, Wilhelm von Heytesbury 242
153, 167–169, 171–175, 187–188, Wilhelm von Shyreswood 191,
190–192, 197–198, 374, 439, 615, 686
446–450, 500–501, 610,
616–617, 711–712
Namenregister (Neuzeit)
Guardini, R. 273, 711 K Lenz, M. 28, 32, 55, 205, 213,
Guelluy, R. de 181, 226, 711 Kamlah, W. 121, 385, 712 338, 400, 465, 567, 630, 713
Kaneko, T. 548, 712 Lenzen, W. 72, 713
H Kant, I. 16, 35, 45–46, 67, 126, Lewy, E. 121, 713
Hägglund, B. 165, 190, 329, 145, 323, 458, 460, 516, 634, Liske, M. T. 2, 73, 713
688, 711 640, 706, 709, 716 Locke, J. 20, 593
Hartmann, N. 284, 634, 711 Kapp, E. 18, 223, 694, 712 Lorenz, K. 105, 599, 712–713
Hegel, G. W. F. 24 Kästner, A. G. 126 Lorenzen, P. 47, 121, 419, 423,
Heidegger, M. 284, 608, 618, Karger, E. 32, 712 712–713
640, 711 Katz, J. J. 386, 712 Löwenheim, L. 74, 151, 179, 235,
Heijenoort, J. van 40, 710, Kaufmann, M. 2, 28, 31, 427, 257, 385, 567, 668
712, 716 465, 712 Löwith, K. 409, 433, 566, 673,
Hein, R. B. 703, 711 Kempski, J. v. 5, 371, 401, 712 702, 713
Helmholtz, H. 5, 423 Kierkegaard, S. 105, 190, Luhmann, N. 223, 229, 375, 713
Herder, J. G. 24 283–284 Lukacs, G. 409
Hermelink, H. 296, 632, 711 Kleene, S. C. 31, 567, 712 Lukasiewicz, J. 45, 54, 77, 129,
Heyting, A. 40 Klein, J. 145, 253, 518, 706, 346, 529, 713
Hilbert, D. 367, 714 712, 717 Luther, M. 27–29, 75, 105, 209,
Hintikka, J. 386 Klopstock 24 227, 248, 257, 272, 290–291,
Hirano, T. 277, 697, 711 Kluxen, W. 35, 73, 189, 408, 567, 329, 508, 605, 707, 709, 711,
Hirvonen, V. 1, 32, 711 634, 650, 700, 712 716–717
Hobbes, Th. 46, 137, 145, 274, Kneale, W. & M. 2, 24, 136, 157,
290, 590, 706 169, 320, 323, 346, 369, 374, M
Hochstetter, E. 126, 182, 336, 508, 658, 688, 712 Maier, A. 71
515, 711 Knudsen, Chr. 28, 42, 205, Maimon, S. 16, 67, 126, 373, 561,
Hoeres, W. 321, 390, 711 706, 712 634, 706
Hoffmann, F. 228, 235, 250–251, Kolakowski, L. 542, 674, 712 Marcolino, V. 656
327–328, 357, 525, 610, 618, Kölmel, W. 1, 712 Maritain, J. 568, 713
636, 706, 711 Kolmogorov, A. N. 40, 712 Marlowe, Chr. 360, 714
Hofmannsthal, H. von 648 Koyré, A. 565, 712–713 Martin, G. 11, 16, 683, 714–715
Honnefelder, L. 179, 502, 711 Kretzmann, N. 682, 708–709, Matsuura, J. 703, 714
Huizinga, J. 547, 593, 711 712 McCord Adams, M. 1, 72, 363,
Humboldt, W. v. 16, 121, 711 Kuhn, T. S. 23, 32, 294, 522, 713 502, 631, 714
Hume, D. 56–57, 290, 593, 706 McTaggart, J. M. E. 134, 291,
L 353, 690, 714
I Lachmann, R. 115, 713 Mensching, G. 463, 714
Iribarren, I. 593, 711 Lagarde, G. de 180 Michalski, K. 228, 251, 392, 461,
Iserloh, E. 525, 567, 633, 711 Le Goff, J. 637, 644, 713 531, 714
Leff, G. 28, 99, 118, 170, 227, Miethke, J. 32, 632, 714
J 238, 349, 396, 473, 526–527, Mill, J. St. 5, 293
Jacobi, K. 368, 507, 706 536, 538, 543, 579, 598, 610, Mittelstedt, P. 145, 529, 714
Jacobi, C. G. J. 423, 651, 711 631, 636, 655, 684, 686, 688, Mojsisch, B. 393, 712–716
Jakobson, R. 279, 711 713 Moody, E. A. 46, 272, 508, 572,
Jaspers, K. 70, 284, 482, 711 Leffler, O. 543, 579, 684, 686, 668, 714
Jonas, H. 589, 712 713 Moore, G. E. 70, 411, 621
Junghans, H. 28, 37, 150, 153, Leibniz, G. W. 46, 137, 145, 290, Moser, S. 501, 714
712 612, 640, 648, 706, 715 Müller, S. 419, 546, 682, 714
Juschkewitsch, A. P. 242, 712 Leibold, G. 502, 713
Leinfellner, W. 654, 713
Namenregister (Neuzeit) 723