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Kapitalismus als
Religion : eine Kritik des modernen
Götzendienstes
Objekttyp: Article
Heft 1
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Denn die Wurzel aller Übel ist die Liebe Kurt Seifert
zum Geld (1. Timotheus 6,10)
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den Kapitalismus nicht loswerden, weil Form des Kapitalismus interessiert ge¬
es sich bei ihm um nichts anderes han¬ wesen», behauptet Dirk Baecker - an
delt als um den immer wieder neu un¬ einem Kapitalismus, der sich «als wirt¬
ternommenen Versuch, aus Situationen schaftender Umgang mit knappen Res¬
Gewinne zu ziehen (ein <Kapital>), die sourcen versteht».3
sich in anderen Situationen produktiv Auch hier weicht Baecker ins Zeitlo¬
einsetzen lassen.»1 se aus:Selbstverständlich muss jede Ge¬
Der Kapitalismus wird somit aus ei¬ sellschaft von der Voraussetzung ausge¬
ner spezifischen Gesellschaftsformation hen, dass nicht unbegrenzte Mittel zur
zu einer Konstante menschlichen Seins Verfügung stehen, um bestimmte Ziele
umgedeutet, die wir nur unter Preisgabe erreichen zu können. Er postuliert, der
unserer Existenz aufgeben könnten. Er Kapitalismus sei jenes System, das dieses
sei zu unserem Schicksal geworden, Problem am besten zu lösen vermöge.
glaubt auch Roger de Weck. Antikapita- Würde dies zutreffen, dann könnten wir
listen stünden heute «in der grossen uns das Nachdenken über Alternativen
Verlegenheit, das System zu kritisieren, tatsächlich sparen. Die Wirklichkeit
aber kein eigenes zu haben».2 Die Frage, spricht aber eine andere Sprache.
mit deren Antwort sich der Publizist ab¬
müht, lautet deshalb explizit: «Gibt es Wahlverwandtschaft oder Identität?
einen anderen Kapitalismus?» - denn Walter Benjamin (1892 - 1940) war ein
etwas anderes als ihn kann es gar nicht höchst eigenständiger Denker, der die
Blick in die Neu Yorker
geben. Auch der Marxist Walter Benja¬ Verflachung des Marxismus zu einem
Börse
min sei wohl eher «an einer anderen Konzept des technokratisch organisier¬
ten «Fortschritts» kritisierte. So setzte er
sich lange vor der ökologischen Bewe¬
gung mit einem vulgärmarxistischen
Verständnis von Naturbeherrschung
auseinander, das die Rückwirkungen
der Ausbeutung der Natur auf die Ge¬
sellschaftvollkommen ausblendet. Ben¬
jamin hatte einen guten Blick für das
von den linken Intellektuellen seiner
Zeit kaum Beachtete, am Rande Liegen¬
de. Dazu gehörte auch die Religion. Er
befasste sich intensiv mit dem jüdischen
Messianismus - dem Hoffen auf das
Kommen des Erlösers und darauf, dass
¥ *>* \ sich «die Erlösung in die geschichtliche
Wt^
Wirklichkeit umsetzt».4 Davon zeugt
auch einer seiner letzten Texte, die 1940
entstandenen Thesen «Über den Begriff
der Geschichte». Gegenüber dem bür¬
gerlichen Geschichtsbild des faktisch
Gewordenen wie auch einem vermeint
lieh revolutionären Verständnis der Ge¬
schichte als einer unaufhaltsamen Auf¬
wärtsentwicklung setzt er auf die von
einer «schwache(n) messianische(n)
Kraft» inspirierte Möglichkeit, «das
Kontinuum der Geschichte aufzuspren-
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