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S`Mondinschöberle

Ganz vorne, am Rand des Abgrundes, wo die Adlerwände wohl an die tausend
Meter bis zum grünen Innfluß hinunterreichen, drückte sich ein aus rohen
Baumstämmen zusammengefügtes Kochhüttlein an den Berghang.

Die Sonne erstrahlte in ihrem vollen Glanz, und der Himmel war eine einzige Flut aus
Licht und Wärme. Das Summen der Bienen im Überfluß der duftenden Bergblumen
und ab und zu der Schrei eines Adlers, waren die einzigen Laute, die ans Ohr
drangen, die die Stille nicht störten, sie vielmehr zur feierlichen Andacht vertieften!
Rundum standen die mächtigen Gestalten der Berge—ernst, schweigend und
erhaben! Über die Schulter des Mondin hinweg schauten die eisgekrönten Engadiner
ins Tirolerland herein, in weiches Taubengrau gehüllt, erhob sich der Piz-Lat aus der
Enge der Schlucht und durch den Spalt zwischen himmelragenden Felswänden
blitzten die Fensterchen von Nauders in der Morgensonne.
Berg hinter Berg. Blau in Blau- grüne Wälder und Matten, und über allem die weißen
Gipfel mit Schnee und Eis.

Tief drunten eilte der Innfluß, einer schillernden, grünen Schlange gleich, durch
Auwäldchen und Wiesengründe,und vom Hauch seines Atems lieblich verklärt,
schmiegten sich die Dörfchen und Weiler des Oberen Grichts ins taufrische Grün der
Talsohle.
Zu Füßen, in schier bodenloser Tiefe, gähnte die Finstermünzschlucht. Versunken im
Schatten des frühen Morgens, harrte die Wehranlage mit ihrem Turm inmitten des
Flusses und die vereinsamte Kapelle im verwilderten Garten wie winziges, in
Vergessenheit geratenes Spielzeug,der wärmenden Sonne.

Auf dem Hackstock vor dem Hüttlein, hinter einem Wald mannshohen Eisenhutes
verborgen, hockte der Sepp.

Der Sepp! Kleinbäuerlein, wie es sie im Oberen Gricht dutzendweise gab, war nicht
nur Bauer. Landauf , landab kannte man ihn als berüchtigten Schmuggler, weniger
der Not wegen, vielmehr aus Freude an allem, was Gott und die Menschen verboten
hatten. Und als verwegener Gamsjäger und gefürchteter Wildschütz war er jedem
Wildhüter und Grenzwächter beiderseits der Grenze von Tirol und Graubünden, eine
bis zum Überdruß bekannte Gestalt!

In Gedanken versunken , starrte der Mann vor sich ins Gras.Das rabenschwarze
Haar kräuselte sich unterm verwaschenen Hütl mit der Spielhahnfeder, das
wettergegerbte Gesicht sprach von eisenharter Willenskraft, beispielloser
Anspruchslosigkeit und geradezu teuflischer Verwegenheit.Seltsam dunkles Feuer
loderte in seinen Augen, und die Hakennase im struppigen Bart vervollständigte das
Bild eines Adlers- eines Adlers, in seiner wilden königlichen Art !
Man spürte es beim ersten Blick- ein Obergrichtler, ein Bergler von reinstem Schrot
und Korn, einer jener Gattung, die den Berg nicht seiner Schönheit wegen lieben,
vielmehr, weil er sie Tag für Tag herausfordert, mit ihm zu kämpfen, ihn zu
bezwingen, auf Leben und Tod!
Der Sepp war nicht mehr der Jüngste, doch hatte er sich im unerbittlichen Kampf
ums tägliche Brot, mit mehr Sehnen als Fleisch an den Knochen, Zähigkeit und Kraft
bewahrt, um die ihn mancher junge Mann beneiden mußte!
Wie die meisten Kleinbäuerlein war auch er gezwungen, wollte er seine beiden
Kühe, die Geißen und Schafe durch den Winter bringen, Sommer für Sommer auf
den Berg hinauf zu steigen, um aus den steilen Rinnen und Lahnstrichen das
Wildheu zu ernten.

„Der Teufel soll mich holen!“ kam`s im Selbstgespärch über seine Lippen,“Der Teufel
soll mich holen, wenn ich das Gras auf der Hohen Nase einem andern überlaß!“
Gemeint war damit der gerade in diesem Sommer so üppig gediehene
Blumenteppich, hoch über der Hütte, auf dem nasenförmigen Steilhang, zwischen
der grausigen Nordwand unterhalb und den turmhohen Zinnen darüber.
„Ich könnt ja einen Schober machen!“ dachte er.
Die beiden Nolpenstadl unweit der Kochhütte waren vollgepfercht mit Heu bis unter
ihre Dächer. Nie, wie weit der Sepp sich auch zurückerinnern vermochte, hatte er in
einem einzigen Sommer so viel kostbares Wildheu zusammengetragen wie in
diesem. Er hätte allen Grund gehabt, mit sich und der Ernte zufrieden zu sein! Die
Hohe Nase aber, ging ihm nicht aus dem Sinn ! Neid und Raffgier gönnten ihm nicht
die wohlverdiente Atempause, und er hatte nicht Aug, nicht Ohr für das friedvolle,
zauberhafte Bild um sich herum, und selbst der Sommersonne fehlte die Kraft, sein
finsteres Herz zu erhellen!
„ Der Teufel soll mich holen, wenn ich das Heu einem andern überlaß!“ Und wie zur
Bekräftigung seines Entschlusses, zertrat er den bunten Falter zu seinen Füßen,
hieb mit der Faust auf die Nolpenwand wie beim Kartenspiel, wenn er siegesgewiß
den letzten Trumpf auf den Tisch feuerte, daß die Gläser hüpften und aller Leute
Augen bewundernd oder mißbilligend auf ihn gerichtet waren.

Als er die Steigeisen an die Schuhe schnallte, erklangen von Pfunds herauf die
Kirchenglocken- heller und feierlicher als sonst!
„Hoher Frauentag, heut!“ dachte der Sepp bei sich, halb ehrfurchtsvoll, halb
spöttisch. Alles, soweit es auch nur einen Funken Frömmigkeit im Herzen trug, ging
heute zur Kirche. Kein Mensch hätte es gewagt, an solch hohem Tag zu arbeiten!
Der Sepp aber hatte sich aus Sonn- und Feiertagen nie etwas gemacht. Wenn er sie
dennoch mehr liebte als die Wochentage, dann nur, weil sie ihm erlaubten, seiner
zügellosen Leidenschaft freien Lauf zu lassen! Mit rußgeschwärztem Gesicht und
Kugelstutzen zog er es vor, hoch droben in der unwirtlichen Einöde, den Gemsen
nachzustellen.

Im Nu war das Gras auf der Hohen Nase gemäht. In seiner Hast fiel es dem Mann
nicht auf, daß er heute an einem Vormittag vollbracht hatte, wozu er sonst drei Tage
brauchte.
Schon als die Mittagsglocken läüteten, war das Gras dürr, und mit flinken Händen
raffte er´s bis auf den letzten Halm zusammen- und er baute seinen Schober!
Wie schnell und leicht ihm heut`alles von der Hand ging! Der Heuhaufen wurde groß
und größer! Eigenartig, wie der schwarze Aasrapp über dem Mann auf der Latte
hockte, um die herum dieser das Heu aufschlichtete! Zwar wunderte sich der
erfahrene Gamsjäger über die sonderbare Zutraulichkeit, mit welcher der Vogel auf
ihn niederäugte, wo er sonst dem Menschen doch geflissentlich aus dem Weg ging,
in der Eile aber schenkte er ihm keine weitere Beachtung!

„Der Teufel soll mich holen, wenn das nicht der mächtigste Heuhaufen ist, den ich
meiner Lebtag zu Gesicht bekommen hab`! Und das am Hohen Frauentag!“
Die Redensart mit dem Teufel war dem Sepp seit langem zum Lieblingsspruch
geworden. Immer, wenn ihn etwas erregte, gebrauchte er ihn, war es, wenn ihm
Grenzwächter oder Wildhüter im Genick saßen, war`s im Wirtshaus beim Spiel,
wenn er, auf Teufel komm heraus, Haus und Hof riskierte! Längst glaubte er, daß
sich`s mit dem Teufel besser fuhr, als mit dem üblichen „Gott steh`mir bei!“

Außer sich vor Freude, wie ein Besessener, tanzte der einsame Mann auf der Hohen
Nase um sein vollendetes Werk, achtete dabei nicht der tückischen Zinken seiner
Steigeisen, die sich leicht in der Lodenhose verfangen und ihn zu Fall bringen
konnten, noch des tödlichen Abgrundes unter sich!
Längst hätte er bemerken müssen, daß sein Heuschober über die Reichweite seiner
Arme hinausgewachsen war!
„Der Teufel soll mich holen wenn....“Der Rest des Satzes blieb ihm in der Kehle
stecken! Erst jetzt wurde er gewahr, daß sein Schober unversehens zur Höhe eines
Turmes emporgewachsen war, bereits die umstehenden Felstürme ´überragte!
Bleich vor Schreck hielt er inne. Ungläubig starrte er auf das riesenhafte Gebilde aus
Heu! Tonlos entfuhr es ihm „Der Teufel soll mich holen, wenn das mit rechten Dingen
zugeht!“
„Der Teufel soll mich holen, der Teufel soll mich holen“ warfen ihm dieFelswände
rundum, schauerlich verzerrt, seine Worte zurück---laut und dröhnend, wie er nie
zuvor ein Echo hatte schallen hören! Der Lärm des Widerhalls drohte ihn zu
erschlagen. Abwehrend griff er sich mit beiden Händen an die Ohren!°

Das Echo verstummte. Verwundert sah der Mann um sich: die Sonne war verblaßt,
drückendes Halbdunkel,und dasmitten am Sommernachmittag, lastete unheilvoll
überm Berg, und der Himmel war kreidebleich!
Der Adler drückte sich verängstigt in eine Felsenkluft, alles Getier verkroch sich---nur
der Rapp hockte wie teilnahmslos auf der Spitze des Schobers!
Kein Halm bewegte sich. Die Zeit schien stillzustehen. Alles hielt den Atem an, in
böser Vorahnung dessen, was nun kommen würde
Dann, urplötzlich, entlud sich der Zorn des Himmels ! Ein blendender, nicht
endenwollender Blitz stach aus den Wolken nieder, die Nacht wurde zum Tag, der
Schober zur lodernden Feuersäule! Ein Donnerschlag, ohrenbetäubend, wie die
ältesten Leute im Tal nie desgleichen vernommen hatten, zerriß die Grabesstille, und
der Himmel öffnete die letzte Schleuse!
Sturm kam auf, der Berg bebte, der Jüngste Tag schien angebrochen!

Wie im Traum vernahm der frevelhafte Mann, inmitten der tobenden Natur, vom Tal
herauf das Läuten der Sturmglocken. Hilfesuchend sah er um sich !
Sein Stolz aber, verbot ihm das Knie zu beugen, sich zu bekreuzigen---und, war`s
die Macht der Gewohnheit, war`der unheimliche Gesell über dem brennenden
Schober---ohne es zu wollen, krächzend, als hätt`der Rapp gesprochen, hörte der
Sepp sich sagen:“ Der Teufel soll mich holen, wenn...“

Niemand war dabei, kein Mensch hat gesehen, wie sich`s wirklich zugetragen hat,
und der Sepp hat`s nie erzählt...niemand hat ihn mehr zu Gesicht bekommen, nach
jenem unseligen Hohen Frauentag-!
So oder ähnlich mag`s wohl gewesen sein!

Heute noch, wenn der Berg sein Antlitz verhüllt, schauen die Leute vom Tal zu ihm
auf, zum Mondin, dorthin, wo der Heuschober des Sepp zu Stein verbrannte, und wo
bis auf den Tag die schwarze Zinne, einem drohend erhobenen Finger gleich,
einsam und finster aus dem Nebel ragt !
„ Es wird schlecht Wetter geben“ sagt Großvater zum Enkel,
„schau,s`Mondinschöberle!“

Rudolf Permann

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