Sie sind auf Seite 1von 9

.

DAS GRUNDPROBLEM DER METAPHYSIK

Von o. ö. Univerfitätsprofeffor P. Dr. A. Rohner 0. P.,


Freiburg (Schweiz)

68 - Philosophia perennis.
Das Grundproblem der Metaphyfik ift das Seinsproblem. Wer die ver-
froiedenen Probleme, die in einer finnvollen Metaphyfik behandelt werden
können und behandelt werden müffen, auf ein Grundproblem zurückführen
will, ftößt letzliro auf das Problem des Seins. Das Seiende (ens), um das es
firo dabei handelt, ift das reale Sein. Daß das wirkliche, und nirot etwa das
ideale oder- mögliche oder das rein gedankliche (ens rationis) oder gar das
imaginäre. Sein in der Metaphyfik zum Problem erhoben wird, kann erft
fpäter bei der Erörterung des Seinsproblems durrofirotig gemarot werden,
.wobei es firo herausftellen wird, daß das wirkliche
. Sein in den Inhalten und
Gegenftänden unferer Erkenntniffe alle übrigen Arten und Bedeutungen
des Seins fundiert. Das Grundproblem der Metaphyfik ift alfo das Problem
des realen Seins. Einfirotig wird diefer Satz erft nachher werden. Als Eiri.:
führung genüge ein Hinweis auf den Ausdruck "Metaphyfik".. Das Wort
"Metaphyfik" bedeutet nicht ein überfliegen der Phyfik. Der Gegenftand
der "Metaphyfik" liegt nirot außer oder neben oder über den Gegenftänden
. der Erfahrung. Die mittelalterliroen -.Philofophen haben - eine gefroirot-
liroe Einfirot des Ariftoteles ·immer wiederholend - den. 'hiftorifroen Ur-
fpr~ng der Metaphyfik fo dargeftellt: Die erften Philofophen blieben bei
der Betrarotung der Ma~rie ftehen, die darauffolgendeh drangen bis zur
Auffaffung der Formen der firotbaren Welt vor, bis endlich Philofophen
auftraten, die bis zum Sein der Dinge vorftießen. Und damit war der
Gegenftand der "Metaphyfik" entdeckt. Die Metaphyfik ·ift fomit in erfter
Linie nirot eine Wiffenfroafl: des überfinnliroen oder des Mögliroen oder
des Idealen. Die Metaphyfik ift auro nirot bloß ___:. foll das Wort einen
Sinn haben- das letzte Wort der Phyfik. In diefern Falle wäre das "meta"
finnlos. Der Ausdruck "Metaphyfik" befagt der Phyfik gegenüber etwas
Neues. Ihr Gegenftand ift ganz allein ihr eigen. Er fteckt zwar irn Geg~n·
ftande der Erfahrung, aber der l?hyfiker fieht ihn nirot und kann ihn als
Phyfiker auro gar nirot fehen. Aber das Eigenartige und Neue der "Meta,.
phyfik" knüpft unmittelbar an die Phyfik an. Die Phyfik aber ift objektiv-
realiftifro.. Alfo .orientiert firo auro die "Metaphyfik" am realen Objekt;
68*
A. Rohner Das Grundproblem der Metaphyfik 1077
Die moderne "Metaphyfik" fieht auf dem Subjekt und geht vom Idealen die Energie. Der Geift ideiert~ ftiblimiert, vergeiftigt den geiftlofen Drang.
aus. Dadurch hat das Wort feinen urfprünglichen Sinn verloren. Auf diefem Das urfeiende Sein fchafft fich im Aufbau der Welt eine Stufenleiter, auf
Wege kommt man höchfiens zum Widerfinn einer "Metamathematik" der es fich immer mehr auf fich felbfr zurückbeugt, um auf immer höheren
(Leibniz) oder "Metalogik" (Hegel). Die griechifche "Metaphyfik" ging Stufen und in immer neuen Dimenfionen fich feiner felbit inne zu werden,
in ihrem gefchichtlichen Werdegang von Reflexionen über die Materie aus, um fich fehließlieh im Menfchen ganz zu haben und ganz zu erfaffen.
erhob fich dann zur formalen Welterklärung, bis fie fehließlieh die Welt als Geift und Drang find keine Subftanzen, wohl aber Seinseinheiten. Der
ein Seiendes überhaupt erfaßte und damit fich felbfi fand. Die moderne Geift ift eine Ordnungseinheit rein geiftiger Akte. Der Drang manifeftiert
"Metalogik" begann mit pfychologifchen Reflexionen über das Subjekt, fich in der Ordnungseinheit verfchiedener Wirk- und Lebenszentren.
erweiterte fich zur formalifiifchen Naturauffaffung Kants, um fich am Ende Der uffprünglichfte Akt im Gefüge geiftiger Akte ifr das Sichlosmachen
zum "fpekulativen Standpunkte" zu fteigern, d. h. idealifiifche "Meta- des Geiftes von jener Wirklichkeit des Wirklichen, die vom. finnlichen
phyfik" des Abfoluten, d. h. "Metalogik" zu werden (Hegel). Dranggefühl als W eltwiderfrand erlebt wird. Der Menfch · ifr das Lebe-
Erfi in allerneuefier Zeit ifi der Verfuch gemacht worden, vom Subjekt wefen, das fich zu feinem Leben prinzipiell asketifch verhalten kann. Mit
her eine realifiifche Metaphyfik zu begründen. Max Scheler hat fich diefe dem Tiere verglichen, das immer ja fagt zum materiellen Wirklichfein, ifr
Aufgabe gefiellt und mit viel Geifi zu löfen verfucht. Für Max Scheler der Menfch der "Neinfagenkönner", der Asket des Lebens, der ewige
fällt das Grundproblem der Metaphyfik mit dem Grundproblem des Geifies "Proteftant" gegen alle bloße Wirklichkeit. Nur im Kampfe gegen das
zufammen. Die folgende Auseinanderfetzung mit Scheler verfolgt den finnliche Leben und die materielle Welt gewinnt der Geift feine Exifrenz.
Zweck, das Problem des Seins durch das Problem des Geifies und das Pro- In dem Augenblicke entfteht das geiftige Menfchfein, in dem der Geift das
blem des Geifies durch das Problem des Seins deutlich zu machen. Im ideale Sofein gegen das Jetzt-Hier-So-Dafein behauptet. "Die Grund-
Grundproblem der Metaphyfik verfchlingen fich diefe beiden Probleme. beftimmung des Geifies" - fagt Scheler '- "ift feine exiftentielle Entbun-
denheit, 'Freiheit, Ablösbarkeit vom Banne, vom Drucke, von der Abhän-
gigkeit vom Organifchen, vom Leben und von allem, was zum Leben ge-
hört." (47.) In der phyfifchen, phyfiologifchen und pfychologifchen Ord-
nung find das konkrete Sofein und das materielle Dafein noch unlöslich
Die Frage nach dem W efen des Geifies befchäftigte M. Scheler während verbunden. Im Geifre dagegen trennt fich das ideale Sofein vom r~alen
feines ganzen Lebens. Sie fiand im Mittelpunkt all feiner Studien. Die Dafein und erhält durch diefe Trennung ein ideales Dafein. "Die Fähig-
früheren Veröffentlichungen behandelten insbefondere de~ Geifi oder die keit der Trennung von Dafein und Wd.en macht das Grundmerkmal des
Perfon in fitdieher Beziehung. Den Geifi als rein erkennendes W efen und merrfchlichen Geiftes aus, das alle anderen Merkmale etft fundiert." (62.)
damit den Geifi im Verhältnis zur Metaphyfik unterfucht er am ausführ- Geifr und Drang wird alfo von Scheler als ein Verhältnis von Effenz und·
lichfren in feiner philofophifchen Anthropologie, die unter dem Titel "Die Exifrenz gedacht. In Gott ift anfänglich Geift und Drang eins, das V er-
Stellung des Menfchen ini Kosmos. Darmfradt, 1928", erft nach feinem hältnis zwifchen Effenz und Exifrenz ifr ein Identitätsverhältnis. In .der
Tode erfchien. In kürzefier Form lautet feine Philofophie des Geiftes fo: Schöpfung fallen Geifr und Drang auseinander, das Verhältnis von Effenz
Das Urwefen, das man Gott nennt, ifi Geift und Drang. Als Geift ifi es und E:X:iftenz wird zum Spannungsverhältnis. Je höher man auffreigt in der
Ideen- und Wertfülle, ohne alle Macht, Kraft und Tätigkeit. Als Drang ifr Stufenreihe des Gefchöpflichen, um fo größer wird die Spannung zwifchen
es unendlicher Trieb zur Verwirklichung, reine Energie, blindes Streben, Sofein und Dafein. Im Menfchen kommt diefe Spannung zur Auslöfung,
ohne inneres Ziel, .ohne innere Leitung. Im Menfchen offenbaren fich diefe indem das ideale Sofein dem irdifchen Dafein ein· entfchiedenes Nein ent-
beiden Attribute des Urfeins in lebendiger Verbindung. Der Menfch ifr gegenfchleudert. Nur durch Drangverdrängung, nur durch die verfchieden-
auch Geift und Drang. Der Drang liefert dem macht- und kraftlofen Geift ften Drangfale hindurch kann der Geifr verwirklicht werden.
A. Rohner Das Grundproblem der Metaphyfik 1079
Im wirklichen GeHlesleben nun fetzt fich das Spannungsverhältnis zwi- haben zu können, muß man fich geiil:ig betätigen. In jeder geifl:igen Be-
fchen Dafein und Sof~in fort. Das Exiil:entielle des Geif.l:es (der fublimiette tätigung findet eine Sammlung und Konzentration der geif.l:igen Akte f.l:att;
Drang) if.l: das Zentrum alles geif.l:igen Liebens, W ollens und Wirkens. Das Die Höhe des Selbf\:bewußtfeins richtet fich nach der Innigkeit der geiil:igen
Eiientielle des Geif.l:es if.l: das Zentrum alles reinen Erkennens. Wir .haben Akte. Das .Selbf.l:bewußtfein fundiert das W eltbewußtfein; denn der
es hier nur mit diefer Seite des Geif.l:es zu tun, da Scheler das metaphyfifche Menfch könnte nicht Welt haben und fich felbft (die niedere Seite feines
Erkennen ausfchließlich mit diefer Sphäre des Geif.l:es in Verbindung bringt, Wefens) befitzen, wenn er nicht höheres Selbft wäre und in diefern über-
indem er die Spannung zwifchen Eiienz und Exiil:enz auf dem Gebiete des ragenden Selbf.l: feine Kräfte fammelte. ·
Geif.l:es der Spannung zwifchen "Religion und Metaphyfik" gleichfetzt. Ebenfo konil:itutiv .wie das· Welt- und Selbf.l:bewußdein gehört auch da:s
Zur Wefensfl:ruktur des Geif.l:es gehören nach Scheler drei Akte. Der Gottesbewußtfein zum geif.l:igen W efen der Menfchen. "Daher if.l: es. ein
erf.l:e Akte if.l: das Weltbewußtfein. Scheler fucht diefen Gedanken auf fol- vollil:ändiger Irrtum, das "kh hin" (wie Descartes) oder das "Die W~lt iil:"
gende Weife klar zu machen. Der freigewordene Geiß: wird nun welt- (wie Thomas von Aquin) dem allgemeinen Satz ;,Es gibt abfolutes. Sein"
offen. Er wird weltoffen dadurch, daß er die Welt hat. Er hat die Welt, vorhergehen ZU laffen und diefe Sphäre des Abfoluten allereril: . durch
infofern er die Welt als Widerftand in Welt als Gegenf.l:and verwandelt. Schlußfolgerung aus jenen erf.l:eren Seinsarten erreichen zu wollen." (107.)
Er macht das Wideril:ändliche (das .Drängen) zum Gegenil:ändlichen (gei• Denn in demfelben Augenblicke, in dem der Menfch fich überhaupt der
f.l:iger Erkenntnis) durch die Ideierung. Der Akt der Ideierung bef.l:eht darin, Welt .und feiner felbf.l: bewußt wird, muß er die Tatfache, daß "überhaupt
daß der menfchliche Geiß: (in Verbindungmit dem Urgeif.l:) Ideen, Wefen- . Welt ift und nicht vielmehr nicht if.l:", und daß "er fc;lbf.l: if.l: und, nicht viel-
. heiten und Wefenszufammenhänge erzeugt (bzw. miterzeugt). Diefe mehr nicht if.l:" mit anfchaulicher Notwendig~eit entdecken. In demfelben
Ideen werden nicht aus dem Gegebenen der Erfahrung abil:rahiert, wohl Augenblicke aber, in dem er diefe Entdeckung macht, wird er notwendig
aber an konkreten Beifpielen der finnlichen Wahrnehmung. erfchaut. Eo zur Frage getrieben: "Warum ift überhaupt eine Welt und warum und
ipso, daß der Geift ideiert und durch die Ideierung an einem Einzelfalle wiefo bin ich überhaupt?" Mit der Stellung der Frage if.l: aber ohne weite-
alle möglichen, unendlich vielen ähnlichen Fälle mit einem Blicke über- res die Antwort gegeben, d. h. der Menfch muß fein Zentrum außerhalb
fchaut, ftellt er fich der ganzen Welt gegenüber, zeigt er fich der ganzen un,d jenfeits der Welt verankern; Das Gottbewußtfein if.l: in der Struktu~
Welt überlegen. Und diefe Weltüberlegenheit im Erkennen nennt Scheler des Geif.l:es das Urfprünglichf.l:e. Das Gottesbewußtfein fundiert das Welt-
Weltbewußtfein. Das Weitbewußtfein ift fomit, ein wefentliches Stück in und das Selbil:bewußtfein. Denn der Menfch könnte fich nicht über die
der Struktur des Geif.l:es. Welt. f.l:ellen, könnte fich nicht in einem lnneril:en fammeln, wenn diefes
Das zweite, was man veril:ehen muß, wenn man das Geif.l:wefen verf.l:ehen Jnnerfte nicht im abfoluten Sein verwurzelt wäre. Das Gottesbewußtfein
will, ift das Selbftbewußtfein. Eirt Innenfein kommt auch der Pflanze zu. if.l: fomit nach Scheler jene Stelle hn geiil:igen W efen des Menfchen, an der
Sie if.l: befeelt. Im Tiere if.l: Empfindung und Bewußtfein. Das Tier hat das' Geif.l:ige zu allererf.l: und am urfprünglichf.l:en aufleuchtet. Das Gottes-
nicht nur ein Innen, fondern auch ein Selbf.l:, auf das "wie auf eine bewußtfein in "unzerreißbarer Struktureinheit" mit dem Welt- und Selbf.l:-
,z.entrale Rückmeldeftelle pie Zuf.l:ände feines Organismus bezogen werden"t bewußtfein bildet auch ·jene Stelle, an der die Religion und Metaphyfik
Der Menfch aber hat nicht nur ein Innen wie die Pflanze und ein Selbf.l: überhaupt entfpringt. "Veril:eht man' unter dem Worte "Urfprung der
wie das Tier, fondern auch ein Selbf.l:bewußtfein. Das .Selbf.l:bewußtfein if.l: Religion und Metaphyfik•' nicht nur die · Erfüllung diefer Sphäre mit be-
das geiil:ige Sein. Das geiil:ige Selbf.l: if.l: nicht Gegenil:and des geiil:igen Be- flimmten Annahmen und Glaubensgedanken, fondern einen Urfpr'ung
wußtfeins, denn der Geiß: if.l: keine Subil:anz, und Gegenfl:and kann nur das die/er Sphäre felbfl, fo fiele alfo diefer ihr Urfprung mit der Menfch-
werden, was Wideril:and war. Der Geiß: if.l: nichts anderes als ein ,,Ord- werdung felbf.l: vollf.l:ändig in eins zufammen." (107.) Das heißt: Die Reli-
nungsgefüge von Akten". Er exiil:iert alfo nur im Vollzug feiner Akte. gion, als der unbezwingbare Drang des Geif.l:es nach Bergung und die
Er erkennt fich felbf.l: nur im Vollzug feiner Akte. Um Selbf.l:bewußtfein Metaphyfik, als das fragende Suchen des Geiil:es nach dem Urgrund
.xo8o A. Rohner Das Grundproblem der Metaphyfik 1081

alles Seins endl:ehen wefensnotwendig in der allerhöchfl:en Schicht des ·. Das. Grundproblem der Metaphyfik ift das Gottesproblem fo fagt
Geifles. Scheler. ·Das Grundproblem der Metaphyfik ift das· Seinsproblem - fo fagt
Metaphy:fik·und Religion haben.al_fo beide Gott zum Problem. Die Reli- Thomas. · Daß die Metaphyfik fich auf die Erkenntnis Gottes zuf pitze,
giQn löft es praktifch, die Metaphyfi~ theore.tifch. In der Religioq und 1yieta- darin kommen Thomas von Aquin und Max Sch:eler überein. In Frage
phyfik ift Gott fowo.hl gegeben als auch aufgegeben. Gott ift gegeb.~n im ß:eht; ob das Gottesbewußtfein oder die Seinserkenntnis am Arifang der·
Geift-Sein. Ihn theoretifch zu erkennen, ift die Aufgabe der Metaphyfik, Metaphyfik ftehe.
ihn praktifch zu lieben, ift die Aufgabe der Religion. Die Spannung zwi- I.
fchen Religion und Metaphyfik aufzuheben, ift die Aufgabe der Menfch- Pfimum, ·quod cadit in conceptionem intellectus, est ens. Wer den Sinn
heitsgefchichte. diefer Worte begriffen und die Wahrheit des Satzes in den Tatfachen, ins-
Alle übrigen Gebiete der geiftigen Kultur, wie etwa "Sprache, Gewiffen, befondere an den Tatfachen der Sprache erprobt hat, möchte verfucht fein,
Werkzeug, Waffe,Ideen von Recht und Unrecht, Staat, Führung, die dar- den Wert der Ausfage als eine Binfenwahrheit anzufehen. Und doch war
ftellenden Funktionen der Künfte, Mythos . , ., Wiffenfchafl:, Gefchichtlich- der Geift eines Ariftoteles notwendig, um 'diefe Tatfache ZU entdecken.
keit und Gefellfcha,:fl:spflicht" (xo5) dienen diefen beiden Hauptaufgaben . Die :Seinserkenntnis (cog.nitio entis) ift die leichtefl:e all unferer Erkennt-
des Geifl:es tind werden aus der oben umfchriebenen .Grundftruktur des niffe. ··si~ liegt nicht vor oder hinter oder außer oder rieben oder über
Geiftes nur fekundär .abgeleitet. . .. . unferen anderen, befonders unferen. Natuninfchauungen, fondern in ihnen
Das ift - kurz zufammengefaßt - die Theorie des. Geiil:es und zugleich als das urf prüriglich fle. geifUge Element unferer Erkenntniffe, wie auch das
GrundlegUng der <Metaphyfif von Max Scheler. · Auf die Widerfprüche Seiende nicht. über oder neben oder außer oder hinter oder vor allen Seins-
prauehe ich wohl nicht ausd,rück.li.ch hinzuweifen. Sie liegen zu offen zutage. befHmrimngen ift, fondern in ihrien. Das Seiende ift die/es Seiende, das ich
Man denke nur an die Identifizierung Gottes mit einem blinden Drange hier oder dort fehe, infofern es dem ·Geifte zugeordnet ift und vom Gei:fl:e
und an die Sublimierung des 'Dranges durch den Geiß:. In feiner "Drang"- erfaßt wird, und zwar urfprünglich.
lehre meint Scheler wohl das, was man feit Ariftoteles "Natur" im weite- Diefes urfprünglichfl:e geiftige Element· unferer Erkenntniffe ift nicht.
ften Sinne des Wortes nennt, aber Scheler drang bei weitem nicht in die ausfChließlich ideal ·und nicht auSfchließlich real. Es ift ideal-real. Was ich
· Tiefen diefes · metaphyfifchen Begriffes ein. Scheler verwechfelt ferper in dort' oder hier fehe; ift real. Das Seiende fehe ich mit den geifUgen Augen
einem fort die Seiris- und Wirkordnung, und im Zufammenhang damit die zuallererft in dem da oder dort· Gegebenen. Es ift alfo real Es ermöglicht
Sein:s- und W erdeordnung,. wodurch fein: Gott notwendig· ins Rutfchen aber auch alle imferen idealen Erkenntniffe. Es ift mithin auch ideal. Idea-
kommen mußte. Endlich gibt Schele,r der Sofein-Dafein-Lehre eine Deu- lisinus und Realismus fangen erft in den Schulen an feindliche Brüder zu
tung, die - im Gegenfatz zur alten Effenz-Exiftenz'-Theorie ~· wie·ge.;. werden. Und fie werden fo lange feindliche Brüder bleiben, bis fich beide
machtift, alles zu'verdunkeln. ... •.. . · · . wieder auf .die Fündamentaltatfache hefii:men: Primum .quod cadit in con-
Ich habe die "philofophifche Anthropologie" Schelers hier nicht fkizziert~ ceptionem intellectus, est ens. Die eigenartige ariftotelifche Löfung der
um fie im einzelnen widerlegen zu können. Es iß: vielmehr. meine Abficht, Univerfalienfrage ift keine willkürliche Annahme. Die Annahme realer
die thomiftifche Lehre über das Verhältnis .des ,inenfmlichen Geiftes zum W efenheiten in den realen ·Einzeldingen fteht oder fällt mit der Annahme
Grundproblem der Metaphyfik im folgenden darzulegen, um den ·Lefer des Seienden. Das Seiende aber 'fteht feft.
inft~nd zu fetzen, felbftändig fowohldas Tiefe wie auch dasSchiefe i~ der ' Die urfprüngliche Seinserkenntnis ift das Prinzip unferer Erkenntniffe.
Philofophie Schefers beurteilen zu köimen .. Sie ift ~ ftreng genommen ~ keine Erkenntnis, fondern die Bedingung der
MÖglichkeit unferer Erkenntniffe. Sie ift kein Begriff~ fondern 'die Voraus-
·::. fetzung unferer. begrifflichen Erkenntniffe und Urteile, fowohl der un-
. ~-.. =. mittelbaren wie auch der vermittelten. Deshalb find unfere oberften Denk-

/
1082 A. Rohner Das Grundproblem der Metaphyfik 1083
pdnzipien und Denkgefetze von ideal-realem Werte. Wer dem Prinzip der Primum, quod cadit in conceptionem inüellectus, est ens. Das iteht feit.
Identität (bzw. des Widerfpruches), dem Prinzip der Subfianz, dem Prin- Damit fleht aber zugleich fefi: Der menfchliche Geift ift im innernfteri Kern
zip der Kaufalität ihre reale Bedeutung abfpricht oder ihre Geltung auf feiner Natur Empfänglichkeit, Aufnahmefähigkeit, Aufgefchloffenheit .für
ein befiimmtes Gebiet des Seienden einfchränkt, oder gar ihre unmittel- alles Seiende. Ein wohlgeordnetes Gefüge aller geifiigen Akte aufzudecken,
bare Evidenz in Frage fiellt, hat fie von der natürlichen Wurzel, der Seins- ifi gewiß eine herrliche Aufgabe. Aber keine Strukturierung des Geifies
. erkenntnis im allgemeinen, losgeriiien. wird allen Angriffen fiandhalten, wenn die Struktur nicht herauswächfi
Das Seiende, das zuerfi in das Blickfeld unferes Geifies fällt, ifi kein Ob- aus der Einficht: der menfchliche Geiß: ift letzlieh Befiimmbarkeit durch alles
jekt neben anderen Objekten, fondem vielmehr die Bedingung der Möglich- ~eiende. Denn das Seiende, das wir anfänglich im Uribefiimmten_ erkennen,
keit aller Gegenfiände unferer Erkenntniiie überhaupt. Objekt und Objek- timfaßt alles Sein, alles wirkliche und alles mögliche Sein. Außerhalb des
tivität haben deshalb einen durchaus eindeutigen Sinn. Solange unfer Den- Seienden liegt das Nichts.
ken unter der Leitung der Denkgefetze mit der urfprünglichen Seins- Wenn ich alfo das obige Beifpiel von der Nacht, der Dämmerung und
erkenntnis in lebendiger Verbindung bleibt, ifi unfer Denken ein Denken dem Tag noeh weiter beibehalten wollte, dann wäre der Tag die Erkennt-
objektiver Art. Unfere Urteile gelten, weil fie objektiv gerichtet find, nicht nis alles Seienden. Daraus ergeben fich drei wichtige Folgerungen.
aber find fie objektiv gerichtet, weil fie gelten. Unfere Urteile find wahr, Erfiens kann der Geiß:, der das Seiende im allgemeinen erkennt, dk
·foweit fie mit den Objekten übereinfiimmen, d. h. foweit fie mit der ur- gan~e Welt erkennen und die ganze Welt beherrfchen. Er kann: d. h. der
fprünglichen Erkenntnis des Seienden in Zufammenhang flehen. Der große Geiß: ifi weit genug, um die Welt im ganzen und im einzelnen in fich auf-
Wirrwarr in der· neueren Philofophie bezüglich der Ausdrücke "Geltung", zunehmen. Ob aber der menfchliche Geiß: die Kraft und die Mittel und die
"Wahrheit" und "Objektivität" kommt daher, daß das moderne Denken Wege befitze, um diefe Aneignung zu bewirken, das ift eine andere Frage.
fich losgelöfi hat vom inneren Urfprung aller Objektivität, Geltung und Iti der Zeit kann das kaum gefchehen. Vielkicht in der Ewigkeit? Das
Wahrheit: Primum, quod cadit in conceptionem intellectus, est ens. kann nur der Theologe, nicht der Philofoph entfcheiden.
Am Anfange faßt der Menfch ·das Seiende in den Gegenfiänden der Er- · Zweitens kann der Geiß:, der das Seiende im allgemeinen erkennt, Gott
fahrung ~ur ganz im allg·emeinen. · Das ifi eine Tatfache. Diefe Tatfache erkennen. Gott ifi ja - wenn· er nicht etwas rein Imaginäres ifi - auch
ifi das Prinzip alles geifiigen Fortfehrittes innerhalb des Menfchen und der ein Seiendes.~ Alfo liegt er innerhalb der Erkenntnisfphäre unferes Geifies.
Menfdilieit. Der Übergang von der Nacht zum Tage ifi ein unmerklicher, Auße.rhalb derfelben liegt das reine Nichts. Ja, noch mehr! Unfer Geiß:
und diefer unmerkliche Übergang heißt Dämmerung. Und fo etwas wie muß Gott zu erkennen fuchen. Unfer Geiß: ifi ja· Aufgefchloiienheit für
Dämmerung ifi alles Fortfchreiten.menfchlicher Kultur. Der Menfch wird alles Seiende. Er kann alfo unmöglich ruhen, bis er das Urfeiende in fich
nie aus dem Dämmerungszufiande herauskommen, .fo lange er sub specie aufgenommen hat. Unfer Geifresieben ifi Dämmerung, Gott allein ifi der
entis denk~. Das erfie geifiige Aufdämmern ·ifi die urfprüngliche Seins- Tag. Wie weit aber der menfchliche Geiß: die Kraft und die 'Wege und die
etkenntnis im allgemeinen. Diefe Erkenntnis ifi ein fraglofes Ja. Das Mittel befitze, um fich Gott zu nähern, das ifi eine andere Frage. Auf
Prinzip fleht abfolut fefi. Das erfie Ja, das fraglofe Ja auf dem Grunde natürlichem Wege kann diefe Aufgabe jedenfalls nicht vollkommen erfüllt
aller geifiigen Tätigkeit des Menichen macht das Fragen erfi möglich. Der werden. Vielleicht auf übernatürlichem Wege. Das entfcheidet nicht der
Geiß: beginnt nicht mit dem Denken. Denn Denken ifi Suchen. Suchen aber Philofoph, fondem der Theologe.
fetzt fchon irgend. einen Befitz voraus. Weil aber diefer geifiige Grund- Drittens kann der Geiß:, der das Seiende im allgemeinen erkennt. ein
bditz wefentlich Dämmerung ifi, treibt er naturgemäß zum Tage. Wann volles Selbfibewußtfein haben. Das Seinsbewußtfein fundiert das Selbft-.
wird es Tag? Man hat fchon oft das Anbrechen des Tages verkündet. Aber bewußtfein. Mit dem Seinsbewußtfein wächft das Selbfibewußtfein. Das
aus jeder- feheinbar endgültigen- Löfung find immer wieder neue Fra- Selbfibewußtfein ifi in der Struktur des Geifies nicht etwas Pdmäres. Der
gen hervorgebrochen. Wird es. einmal Tag werden? derivative Charakter des S.elbfibewußtfeins zeigt fich vor :allem darin, daß
1084 A. Rohner Das Grundproblem der Metaphyfi.k
das Selftbbewußtfein nur im Vollzug geiftiger Akte mitvollzogen werden Wie wird alfo das Seiende im allgemeinen, das mit der Selbftverftänd-
kann und darum auch nur im Vollzug geiftiger Akte exiftiert. Je höher die lichkeit eines natürlichen Vorganges !ich dem Menfchengeift aufdrängt, zum
Gottes- und Welterkenntnis ift, um fö höher ift auch die Selbfterkenntnis. Grundproblem der Metaphy!ik, . zum Formalobjekt der ·metaphy!ifchen
Wer den Geift mit dem Selbftbewußtfein identifiziert, muß die Exiftenz des Grundwiiienfchaft erhoben? Das gefchieht dadurch, daß man !ich die Frage
Geifies notwendig in den Vollzug feiner Akte verlegen. ftellt: "Was ifl das Seiende, das wir urfprünglich, fobald wir geiftig tätig 'I
Mit all dem Gefagten und allem, was zur Sache noch gefagt werden find, in den Sinnendingen erkennen? Das Seiende, das der Menfch ohne
könnte, ift nun zum Grundproblem der Metaphy!ik noch nicht das Ge- Fragen, ohne Mühen, ohne jegliche geiftige Anftrengung ein!ieht, fobald er
ringfte gefagt~ Das Gefagte gehört zur Natur des Geiftes. Jeder, der irgend- als Menfch der Welt entgegentritt, wird durch diefe Frage bewußt zum Pro-
wie im Geifre lebt, handelt darnach. Es folgt höchftens daraus, daß das blem gemacht. Diefe Frage muß am Anfang Jeder Metaphy!ik ftehen. Jede
Urfprüngliche des menfchlichen Geifies und das Metaphy!ifche im Menfchen "Metaphy!ik", die an diefer Frage vorübergeht, geht überhaupt an der
!ich decken. Diefe Metaphy!ik des Menfchen kann wohl verfchüttet, aber Metaphy!ik vorbei. Unzählig viele "Metaphy!iket" gehen an der Meta':'
niemals ausgerottet werden, wie der Menfch feine Natur wohl verfchütten phy!ik vorüber.
und verkehren, aber niemals ausrotten und vernichten kann. Aber etwas Die Frage: "Quid est ens, quod primum cadit in conceptionem intel-
anderes ift Natur, etwas anderes Wiiienfchaft. Die Natur ift nicht Kun.ll, lectus" legt;, als Grundfrage der Metaphyfik, den Nachdruck nicht auf die
die Natur ift nicht Wiiienfchaft. Allgemeinheit, in der das Seiende urfprünglich aufgefaßt wird. Diefe
Unfere vorliegende Arbeit aber ift auf die Metaphy!ik als Wiiienfchaft Frage ware wohl die Vorfrage der Metaphy!ik, aber nicht das Grund-
eingeftellt. Sie möchte das Grundproblem der Metaphy!ik herausheben. problem der Metaphy!ik.
Unter Problem aber verfteht man nicht jedwelche Frage, fondem nur die Auf .die Vorfrage, was ifr das Seiende im allgemeinen, würde
wiffenfchafilich gefreUte Frage. Das Bisherige war eine Einführung in die man etwa antworten: das Allgemeinfte, das Verworrenfte, das Erfte,
Wiiienfchaft der Metaphy!ik. Die wiiienfchaftliche Metaphy!ik beginnt das Einfachfte, das Abfiraktefte, das Unvollkommenfie in unferen
mit der wiiienfchaftlichen Formulierung ihrer Hauptfrage. Die Alten nann- Denkinhalten. Man könnte noch hinzufügen: Die. Abftraktion, durch
ten diefes fchwere Gefchäft: überfetzung des objectum materiale in das die diefer allgemeinfte Denkinhalt gewonnen wird, ifi eine Abfrraktion
objectum formale. Was ift alfo das Grundproblem der Metaphy!ik? eigener Art, die aber Ähnlichkeit hat mit der fog. abstractio totalis, deren
Refultat ein totum potentiale ift, wie genus, species ufw. ~Das wäre aber
li.
nur eine Anw~rt auf die Vorfrage der Metaphy!ik: "Wie fiellt !ich uns
Primum, quod cadit in conceptionem intellectus, est ens. Jedermann das Seiende im allgemeinen vor?" Es wäre keine Antwort auf die Frage:
erkennt, wenn er irgend etwas erkennt, da·s Seiende im allgemeinen. Das "Was ifi eigentlich das Seiende, das wir zu allererft erkennen, wenn wir
ift das Einfachfte, das Urfprünglichfte, das Leichtefte, das wir erkennen. überhaupt etwas erkennen?"
A1les menfchliche Denken verläuft in den W efenszufammenhängen, die Das "Was" ifi das "Wefen", die Frage nach dem Was des Seins
fchon im Seienden im allgemeinen: in den allgemeinften Umriiien vorge- ift die Frage nach dem W efen des Seins. In etwa wird ja das W efen
zeichnet find. Und alle menfchlichen Denker, die waren, die find und die des Seienden fchon im natürlichen Erkennen miterkannt, fonfi könnte
fein werden, treffen in ihren Unterfuchungen und Kämpfen auf diefern ge- das natürliche Erkennen in den natürlichen Begriffen und natür-
meinfchaftlichen Denkraum zufammen. Es find aber verhältnismäßig lichen Urteilen und natürlichen Schlußfolgerungen nicht fortwährend
wenige, die diefen gemeinfchaftlichen Denkraum zum Gegenftand einer Bezug nehmen auf die natürliche Erkenntnis des Seienden. Um aber ein
wiiienfchaftlichen Unterfuchung machten. Das find die wiiienfchaftlichen wiiienfchaftliches Bewußtfein des Seienden zu haben, muß man !ich die
Metaphy!iker. Von Natur aus ift jeder Menfch qua Geift ein Metaphy!iker. Frage geiteilt haben: "Was ift das Seiende?" "Was ift das Seiende als
Aber nicht jeder ift ein gefchulter Metaphy!iker. · Seiendes?" So hat Ariftoteles das Grundproblem der Metaphy!ik formu-
. ......... ~.

.· '.':
xo86 A. Rohner Das Grundproblem der Metaphyfik

liert. Alles, was vor Ariftoteles darüber gefagt und gefragt worden war, tur ein Efienz-Exiftenz-Verhältnis. ift, fo daß Eifenz und Exillenz einander
waren Taftverfuche. immer proportioniert find, je .nach der Art des Ganzen; defien. W efens-
"Was ift das, was das Seiende zum Seienden macht?" Das ift der ftruktur tie bilden.
Sinn der Frage. Die Grundftruktur des W efens des Seienden ift in In diefer thomiftifchen Seinsbeftimmung ift.. alfo noch gar nichts
diefer Frage zum Problem erhoben. Die Antwort auf diefe Frage ift ausgemacht, ob das Efienz-Exiftenz-Verhältnis ein Verhältnis der Identi~
fchwer. So leicht es ift, das S.eiende im allgemeinen aus dem Wahrgenom- tät oder ein Verhältnis realer V erfchiedenheit fei. Das unbeftimmte
menen zu abftrahieren, fo fehwer ift es, das W efentliche aus diefern Sein im Seiende ift in feiner ganzen Unbeftimmtheit formal beftimmt. Die Be-
allgemeinen lichtvoll hervortreten zu laffen. Welches ift die innere Struk- ftimmungen la1,1ten dann fo: Unendliches: id cuius essentiae competit esse
tur des Seins im allgemeinen? Welches ift der Sinn des Seins? Das ift die identificatum cum essentia. Endliches: id ,cuius essentiae c~mpetit esse
Frage. In der natürlichen Abftraktion des Seins werden die Beftimmungen' realiter distinctum. ab essentia sicut actus a potentia. Subftanz: id cuius
des Seins einfach weggelaifen. Was übrig bleibt, ift das Unbeftimmtefte. essentiae competit esse in se tamquam in subjeci:o. Akzidens: id cuius
Diefes Ergebnis ift leicht zu erreichen. essentiae competit esse in alio tamquam in subjecto ufw.
·Die Frage aber: "Was ift der Sinn des Seins?" ruft nach einer wiifen- Die thomiftifche Seinsbeftimmung betrifft das real Seiende, das Wirk-
fchaftlichen Abftraktion. Diefe foll uns die Grundzüge der W efen- lidte im Vollfinne des Wortes. Denn das, was von Thomas beftimmt wird,
. heit des Seins hervorheben. Diefe foll uns das Unfichtbarfte ficht- ift das Seiende, das, was urfprünglich erfaßt wird. Urfprünglich aberwirddas
bar machen, das Unbeftimmtefte beftimmen, dem Formlofeften eine Tatfädtlidte wahrgenommen und erkannt. Die thomiftifche Grundbeftim-
beftimmte Form geben. Ariftoteles hat fehwer mit der Löfung diefes mungdes Seienden und feine wifienfchaftliche Erfaifung ift überbegrifflicher
Problems gerungen. Auguftinus ift im chriftlichen. Altertum am tief- Natur. In den eigentlichen Begriffen wird nur das Wefentliche ergriffen,
ften zu einer Löfung vorgedrungen. Die klaffifchfte Löfung des Grund:- die Exillenz aber beifeite gelafien. Im Seienden dagegen ergreift Thomas
problems der Metaphyfik hat Thomas von Aquin gegeben. ~b die Exillenz mit und zwar ai1 erfter Stelle und die W efenheit in ihrem Be-
~:(~.· . zogenfein auf die Exiftenz. Ens est id, cuius essentiae competit esse. Diefes
Esse ift das Esse fchlechthin. Auf Grund und in Abhängigkeit von diefern
III. Seins"begriff" wird alles Sofeiende begrifflich gefaßt. Nur in Bezieh\mg zu
Ens est id, cuius essentiae competit esse. So lautet die Löfung des heili- ihm ift das Nichtfeiende und das Nichtwirklichfeiende überhaupt denkbar.
gen Thomas von Aquin. Man hat in jüngfter Zeit wieder viel von So fein Das 1\lögliche ift "id, cuius essentiae competit esse possibile", das Rein-
_.:.·
und Dafein, vom Sofein-Dafein-Verhältnis, .von Spannung zwifchen Sofein gedankliche (ens rationis) ift "id, cuius essentiae competit esse rationis",
und Dafein gefprochen. Auch Scheler hat das getan, wie wir gefeheri haben. das Imaginäre ift "id, cuius essentiae competit esse imaginarium". Das
Was will Thomas von Aquin fagen mit den Worten: id cuius essentiae Wirklichfeiende ift --: im Gegenfatz zu diefen Arten des Nichtwirklidt-
. competit esse? Thomas von Aquin ·will damit nicht fagen, das Seiende be- feienden- das Seiende ohne Zufatz: ~d cuius essentiae competit esse. Würde
flehe aus zwei Welten, aus einer Welt idealer, freifehwebender Wefenheiten unfer Geift mit der Wirklichkeit nicht fchon von Natur aus objektiv .in
. ' Berührung flehen, dann könnte er überhaupt nie zur Wirklichkeit gelan-
die der Geift irgendwo in der Luft fchaut und einer Welt von Exiftenzen,
auf der wir uns hier unten herumtummeln. Das ift finnlos. Der heilige gen. Hat unfer Geift aber irgendwann oder irgendwo irgend eine Exillenz
Thomas will fagen: Alles wirklich Seiende, fei es das unmittelbar Gegen- eines W efens - und wäre es auch nur die Exillenz einer körperlichen Be- '
wärtige, fei es das durch Vermittlungen Erreichte, fei es da$ Unendliche, fei wegung - fidt ideal zu eigen gemacht, dann hat er fchon den erften Schritt
es das :gndliche, fei es das Subftantielle, fei es das Akzidentelle, ·fei es das getan zur geiftigen Eroberung der ganzen Wirklichkeit. ·
Gewordene, fei es das Werdende, fei es das Geiftige, fei es das Körperliehe Die Anficht, daß unfer Geift nicht. in Bewegung gefetzt und nicht zur
und Materielle, muß innerlich begriffen·werden als ein Gan.zes, defi'en Struk- geiillgen Entfaltung gebradtt werden könne, ohne daß fich ihm zuerft und .
ro88 A. Rohner

vor allem der Geift (der göttliche Gei:ll und der eigene Geift) offenbare, hat
die ganze Erfahrung gegen fich. Auf der anderen Seite aber darf auch nie
vergeiTen werden, daß die iqeale Ordnung in unferem .Erkenntnisbereiche
nur dann unferem Geifre wirklich etwas zu fagen hat und unferen Geift
wirklich beftimmt und wirklich zu einem unendlichen Schöpfergeifre führt,
wenn die idealen W efenszufammenhänge im Zufammenhange mit , detll
Seienden bleiben, mit jenem Etwas "cuius essentiae compe~t esse~'.
In de~ Erforfchung des endlichen Seins kommt alles darauf. an,, daß der
reale Unterfchied von Effenz und Exiftenz auf allen Gebieten diefes Seiei).-
den durchgehend feftgehalteJJ, werde. In den Spekulationen über da~ un-
endliche Sein kommt alles darauf an, daß ·die Identität von Effenz 1,:mq
Exiftenz konfequent. vor Augen bleibe. Damit bleibt auch in der menfch-
lichen Erkenntnis der Abftand des Endlichen vom Unendlichen ein unend-
METAPHYSIK UND GOTTESBEGRIFF
licher.· Um aber die innere Verwandtfchaft alles Seienden .fi.ch gedanklich
klar zu macheri, muß man das Grundproblem de.r Metaphyfi.}{: quid est ert~
ut ens? fi.ch klar gemacht und feine Löfung: "id, cuius essentiae competit Von Rektor Hochfchulprofeffor Dr. Jofeph Engert,
esse" verflanden haben. Regensburg
· Um diefe Frage und Antwort dreht fi.ch das Verftändnis des · heiligen
Thomas. Auf diefem Boden wird das Studium des Werkes des heiligen..
Thomas.zum Genuß. Von-diefem Boden losgelöft wird [ein Werk.ein.mit
fi.eben Siegeln verfehloffenes Buch bleiben.

69 - Philosophia percnuis.

Das könnte Ihnen auch gefallen