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Ausgabe Sommer 2009

gamma 185
• NPD bei der Stadtratswahl in Leipzig
• Naziaufmarsch am 1. Mai in Freiberg
• Das rechte Gerede vom „Volkstod“

antifaschistischer Newsflyer Leipzig und Umgebung gamma.antifa.net


Liebe LeserInnen des Gamma, erst nach
Einige Fotos wurden in dieser Online-Ausgabe
langem Warten kann nun wieder eine Aus-
aus urheberrechtlichen Gründen entfernt.
gabe unseres Newsflyers erscheinen. Wir
entschuldigen uns für die Wartezeit, der für
die Objekte unserer Berichterstattung leider
keine Auszeit bedeutet hat. Deswegen ist
das Gamma weit davon entfernt, einge-
stellt zu werden.

Mit dieser Ausgabe stellen wir nicht nur auf eine neue
Optik um, sondern auch die Sektion „Updates“ ein.
Unsere Aufzählung von Naziaktivitäten überschnei-
det sich mit der Dokumentations-Arbeit des Online-
Projekts chronik.le. Wir geben dem aktuelleren
Medium gern den Vorzug: www.chronikle.org

Die NPD-Kandidaten zur Stadtratswahl in Leipzig. Foto: NPD-Wahlflyer

Kommentar:
Wer wählt, wählt immer nationalistisch Die NPD in Leipzig:
Die NPD mag personell und finanziell gebeutelt sein.
Aber als Wahlpartei ist sie in ihrem Kerngeschäft fit: Sie
Neonazis und Gewalttäter
tritt zu Wahlen in Ostdeutschland fast flächendeckend
an. Und flächendeckend bekommt sie Stimmen, die für drängen in den Stadtrat
kontinuierliche Arbeit in kommunalen und Landesparla-

E
menten ausreichen. Zugleich kann sie fast die Hälfte ihrer rstmals seit vier Jahren hat die NPD wieder (Enrico Böhm) bzw. dem rechten Spektrum
Finanzen durch staatliche Zuwendungen sichern. versucht, in Leipzig kommunalpolitisch ak- des Fanumfeldes des FC Lokomotive Leipzig
Das allein ist problematisch. Das Problem wäre aber tiv zu werden. Damals, am 10. April 2005, war angehören (Nils Larisch). Auch diese Namen
falsch gelöst, wenn man allein den Antritt der NPD bei Peter Marx für die Partei als Oberbürgermeis- sind einschlägig bekannt: Als Angehörige des
Wahlen oder sogar nur einzelne ihrer Mitglieder – etwa terkandidat angetreten, erhielt aber lediglich bislang NPD-kritischen, partei-losen Neonazi-
erwiesene und bekennende Neonazis – zum „Skandal“ er- 2,4  % der Stimmen und blieb damit erfolglos. Szene sind sie allesamt bereits als Organisatoren
klärt. Dass die NPD nämlich überhaupt zu Wahlen antritt, Zur Stadtratswahl am 7. April ist die NPD nun von Neonaziaufmärschen sowie als Beteiligte an
also ihr der Erfolg in einer demokratischen Wahl wirklich erstmals im Stadtgebiet angetreten, und zwar flä- gewalttätigen Übergriffen aufgefallen.
wichtig ist, ist ein Hinweis auf die Funktion der Wahl selbst: chendeckend in allen Wahlbezirken bzw. Stadt-
Mit ihr wird das staatliche Herrschaftspersonal bestimmt. teilen und mit gleich 23 KandidatInnen. Bisher Eine schwierige Beziehung
Deshalb sind angehende, gewählte und regierende hat die Deutsche Soziale Union (DSU) den rech-
Volksvertreter um das Wohl dieser Herrschaft besorgt. Und ten Rand des Stadtrates abgesteckt. Deren Annäherung an die NPD gelang schon
folglich bieten sämtliche Parteien verschiedene Program- Mit einem Ergebnis von 2,9 Prozent der Stim- vor einer Weile: FKL-Mitglieder (insbesondere
me an, wie das nationale Wohl herzustellen sei. men ist die NPD nun mit zwei Kandidaten im die beiden oben benannten) hatten des Öfte-
Damit werden nicht nur die InsassInnen des Bundesta- Stadtrat vertreten. Gewählt wurden der 57-Jäh- ren Referats-Veranstaltungen der NPD besucht
ges zu BerufsnationalistInnen; sondern auch im Stadtrat, rige Rudi Gerhard (Nordost, 4,4 %) und der und rechte Fußball-Cliquen übernahmen für
wo keine Gesetze gemacht werden, ist man aus auf eine 69-Jährige Klaus Ufer (Ost, 3,8 %). Beide wa- die Partei Türsteher-Aufgaben. Einige der füh-
Ausgestaltung der herrschenden Ordnung, auf konstruk- ren bisher nicht öffentlich in Erscheinung getre- renden Köpfe der beteiligten Organisationen
tive Beiträge zum Gelingen der Gesellschaft aus. Die ten. Als bereits bekannte Gesichter kandidierten sorgten frühzeitig für eine Personalunion. Po-
wenigen Ausnahmen – etwa Juliane Nagel, die sich im für einen Sitz im Stadtrat außerdem der NPD- litische Wirkung gewann sie erst, nachdem in
Wahlkampf als explizit „antinational“ ausgewiesen hat – Landtagsabgeordnete Winfried Petzold, der Folge des Leipziger „Discokrieges“ ein gemein-
bestätigen nur die nationalistische Regel. Die oft gehörte sein Abgeordneten-Büro im „Nationalen Zen- samer Aufmarsch am 15. März 2008 durch die
Aufforderung, Sach- vor Parteipolitik zu stellen, zeigt trum“ im Stadtteil Lindenau unterhält, und der Innenstadt angekündigt wurde. Der Aufmarsch
nämlich eine Einigkeit in der Sache zwischen WählerInnen langjährige Vorsitzende des Leipziger Kreisver- platzte wenige Tage davor, eine Begründung gab
und Gewählten an: das Interesse am Funktionieren der bandes, Helmut Hermann. es nicht. Allerdings wird offen darüber speku-
demokratischen Ordnung, das heißt: des Staates.
Daneben schickte die NPD auch einige junge liert, dass die beteiligten Organisatoren der NPD
Die NPD ist „radikal“ in diesem nationalistischen Sinne, Kandidaten in die Spur, die der Kameradschaft vom Landesverband in Dresden zurückgepfiffen
der ziemlich gewöhnlich ist, weil sie ihn mit allen anderen „Freie Kräfte Leipzig“ (FKL; Istvan Repaczki wurden. Immerhin existiert seit dem Einzug der
Parteien teilt: Sie verspricht eine „noch ordentlichere und Tommy Naumann) und der neonazisti- NPD in den sächsischen Landtag ein analoger
Ordnung“ durch einen ordnungschaffenden Staat. ¤ schen Hooligan-Gruppierung „Blue Caps LE“ Beschluss, der sich gegen die Durchführung von
gamma
185 Fortsetzung von Seite 1

Die NPD in Leipzig:


Neonazis und Gewalttäter drängen in den Stadtrat

Aufmärschen in Sachsen richtet – weil sie prinzipiell Allerdings kann weder behauptet werden, dass die
Details für schlechte Presse sorgen und beim Wähler eher Ab- NPD in Leipzig ein außergewöhnliches Ergebnis erzielt
Aufgeschlüsselt sind die Gesamtzahl der Wäh- lehnung erzeugen. hat, noch, dass es sich allein dem aufgebotenen Perso-
lerInnen, das relative Ergebnis im Wahlkreis
und die absolute Anzahl der Stimmen* für die
Dieser freiwillige Bann war aber gebrochen, nach- nal verdankt. Vielmehr konnte das Grundpotential an
NPD. Darunter aufgelistet sind die betref- dem wenige Monate später, im August 2008, ein Kind nationalistischen und rassistischen Ressentiments in
fenden Stadtteile, außerdem die Namen der im Leipziger Osten entführt und ermordet wurde. Mit etwa so effektiv als Stimmen für die Partei abgeschöpft
NPD-Kandidaten.
der Forderung nach „Todesstrafe für Kinderschänder“ werden, wie es auch in anderen Städten gelingt – von
Quelle: Statistisches Landesamt Sachsen
organisierten FKL- und Blue-Caps-Mitglieder gemein- den Ergebnissen, die im ländlichen Gebiet eingefahren
(amtl. Endergebnis)
same Aufmärsche. Bei denen ließ sich beispielsweise werden, ganz zu schweigen. In ganz Sachsen hat die
der Fraktionschef der sächsischen NPD-Landtagsfrak- NPD 73 kommunale Mandate erhalten.
tion, Holger Apfel, blicken. Das ist viel – doch der Landesschnitt von 2,3 % ist
Wahlkreis 0: 21 530 1,7 % (1028)
– Mitte: Zentrum und Marienbrunn zugleich unterdurchschnitt-
– Klaus-Peter Kotré, Stefan Gruhn, Das Leipziger Modell lich (wenn auch wegen der
Olaf Kretschmar, Peter Kuhnt
unterschiedlichen Abde-
Wahlkreis 1: 14 813 4,4 % (1774) Zwischenzeitlich war in Leipzig – ebenfalls 2008, ckung mancher Regionen
– Nordost: Schönefeld-Abtnaundorf, Schöne-
feld-Ost, Thekla, Plaußig-Portitz, Neustadt- symbolisch zum 20. April, Hitlers Geburtstag – ein und des unterschiedlichen
Neuschönefeld, Volkmarsdorf, Heiterblick lokaler Verband („Stützpunkt“) der NPD-Jugendorga- Wahlmodus nicht direkt
– Rudi Gerhard, Winfried Petzold
nisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN) gegründet mit den Ergebnissen der
Wahlkreis 2: 16 626 3,8 % (1808) worden. Initiiert wurde diese Gruppe durch Tommy Landtagswahl 2004 ver-
– Ost: Anger-Crottendorf, Sellerhausen-Stünz,
Naumann, also eine Führungsperson der FKL, die gleichbar; da erhielt die
Paunsdorf, Mölkau, Engelsdorf, Baalsdorf,
Althen-Kleinpösna nunmehr für die NPD kandidiert hat. Naumann NPD nämlich 4,9  % der
– Klaus Ufer, Christine Mielke ist mittlerweile auch Vorsitzender des sächsischen Klaus Ufer Direkt- und 9,2 % der Lis-
Wahlkreis 3: 17 895 3,3 % (1705) JN-Landesverbandes geworden. Mit der JN verfügt tenstimmen). Außerdem
– Südost: Reudnitz-Thonberg, Stötteritz, die örtliche Neonaziszene durch die NPD über eine kann festgehalten werden,
Probstheida, Meusdorf, Liebertwolkwitz,
Holzhausen legale Organisation – und mittlerweile auch über ei- dass in den Wahlkrei-
– Tommy Naumann, Helmut Hermann nen Treffpunkt, nämlich das „Nationale Zentrum“ in sen, in denen neben dem
Wahlkreis 4: 21 003 1,6 % (969) Leipzig-Lindenau. Das ist am 15. November 2008 of- NPD-Personal auch „freie
– Süd: Südvorstadt, Connewitz, Lößnig, fiziell als „Bürgerbüro“ Winfried Petzolds eröffnet Nationalisten“ angetreten
Dölitz-Dösen worden. Mittlerweile haben die „Blue Caps LE“ dort sind, keine bemerkenswert
– Andreas Roth, Ronny Ernst Hummitzsch
ihre Postadresse und Mitglieder der FKL und JN spie- höheren Ergebnisse erzielt
Wahlkreis 5: 18 462 2,1 % (1117) len Hausmeister oder liegen mit dem Fernglas auf dem wurden als in den übrigen
– Südwest: Schleußig, Plagwitz, Kleinzschoch-
er, Großzschocher, Knautkleeberg-Knauthain, Hausdach, um nach GegnerInnen zu spähen. Stadtteilen. Das wiederum
Hartmannsdorf-Knautnaundorf, Grünau- Nachdem der Leipziger NPD-Kreisverband jahre- ist ein Indiz dafür, dass sich
Siedlung
lang brach lag und sich auf regelmäßige interne und Rudi Gerhard zwar die Personaldecke der
– Nils Hönemann, Hans-Joachim Mielke
Vortrags-Veranstaltungen beschränken musste, die Partei erkennbar verbrei-
Wahlkreis 6: 13 538 4,0 % (1522)
aber mit vielen Wochen Abstand stattfanden, hat die tert hat – aber nicht die Wählerbasis, also auch nicht
– West: Schönau, Grünau-Ost, Grünau-Mitte,
Lausen-Grünau, Grünau-Nord NPD durch ihre nicht nur ideologische, sondern auch das Klientel der Naziszene und ihres Umfeldes.
– Tanja Baki, Oliver Lehm organisatorische Verzahnung mit der hiesigen Neonazi- Und die NPD kann sich auch selbst nicht viel von
Wahlkreis 7: 15 148 3,4 % (1447) szene ihre Personalbasis aufgefrischt. ihrem Wahlergebnis in Leipzig versprechen. Die bei-
– Altwest: Miltiz, Lindenau, Altlindenau, Dieses Leipziger Modell der Kooperation von NPD den Sitzen im Leipziger Stadtrat bringen ihr unmit-
Neulindenau, Leutzsch, Böhlitz-Ehrenberg,
Burghausen-Rückmarsdorf und „Freien Kräften“ könnte für die bundesweite Ent- telbar nur ein Presse-Echo, das ihre reale politische
– Axel Radestock, Nils Larisch wicklung der rechten Szene Vorbildcharakter haben. Bedeutung überhöht; und die Chance, nationalistische
Wahlkreis 8: 18 330 2,7 % (1423) Zumindest war es Voraussetzung dafür, dass die NPD und rassistische Positionen zu normalisieren – und
– Nordwest: Möckern, Wahren, Lützschena- in Leipzig so flächendeckend antreten konnte, wie sie durch die intendierte Skandalwirkung wiederum Öf-
Stahmeln, Lindenthal, Gohlis-Süd, Gohlis Nord es sonst nur in Berlin probiert; und dass sie genügend fentlichkeit zu schaffen. In ihrer Rolle als „legitime“
– Istvan Repaczki, Holger Odenthal, Steffen
Krause Wahlhelfer hatte, die sich mit Wahlplakaten in eine Mandatsträgerin lässt sich die Partei im demokrati-
propagandistische Materialschlacht warfen. schen Diskurs folglich auch schwieriger marginalisie-
Wahlkreis 9: 16 789 3,7 % (1751)
– Nord: Mockau-Süd, Mockau-Nord, Gohlis- ren und (fälschlich) auf ihre Rolle als Sammelbecken
Mitte, Eutritzsch, Seehausen, Wiederitzsch Ursache und Wirkung für Gewaltkriminelle reduzieren. Das jedenfalls ist
– Enrico Böhm, Andreas Siegel
die einzige erkennbare Strategie, die von der NPD im
Leipzig Stadt: 174 134 2,9 % (14 544) Dass der NPD-Wahlantritt keineswegs erfolglos Landtag praktiziert wird. Das ist politisch ganz schön
war, lässt sich durch den Vergleich mit anderen Städ- mager – aber eine solche privilegierte Position kommt
ten illustrieren, zu denen Leipzig fast aufgeschlossen der Naziszene insgesamt zupass, wenn sie propagan-
*) JedeR WählerIn konnte drei Stimmen an hat: In Dresden erhielt die Partei 3,7  % (zwei Stadt- distisch erfolgreich und legal zugleich agieren will. Of-
eine oder unterschiedliche KandidatInnen ver-
geben. Daher ist die absolute Zahl der Stim-
räte), in Chemnitz 2,4 % (einen Stadtrat), in Zwickau fenbar haben das die Mitglieder der FKL im Sinn.
men nicht gleich der Zahl der NPD-Wähler- 3,6 % (einen Stadtrat), in Halle und Magdeburg jeweils Gelingen kann ihnen das allerdings nur, wenn man
Innen, die sich nicht exakt angeben lässt. 2,0 % (je einen Stadtrat). sie agieren lässt. ☐
antifaschistischer Newsflyer für Leipzig und Umgebung

Beim Naziaufmarsch am 1. Mai 2009 in Freiberg.


Links am Transparent steht Sven Hagendorf aus
Dresden, der schon seit etlichen Jahren in der
Naziszene aktiv ist. / Foto: Archiv.

Z ugegeben, ganz neu ist die Situation nicht, dass sich


die Freien Kräfte und die NPD in Sachsen vonein-
ander entfernen. Anfang Mai war diese Entwicklung
noch deutlicher zu sehen: Während die NPD zu einer
Demonstration nach Dresden mobilisierte, wollten sich
die Freien Kräfte nicht als Wahlkampfhelfer einspannen
lassen und machten ihr eigenes Ding.
Da der zentrale Aufmarsch in Hannover verboten
wurde, meldete Maik Müller aus Dresden kurzfristig
einen Aufmarsch in Freiberg an. Dem auf „netzwerk-

Der Erste Mai: Tag der Spaltung?


mitte.com“ veröffentlichten Aufruf folgten etwa 400 Nazis,
die vor allem aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Branden-
burg kamen. Neben Nazis aus Chemnitz, Dresden, Zwi-
ckau und der Sächsischen Schweiz nahmen auch Leipzi-
ger Kameraden wie Florian Junge, Patrick Fischer in einem Kommentar auf dem Neonazi-Onlineportal unter dem Motto „Heimische Wirtschaft und Arbeits-
und Marcus Weidhase an der Veranstaltung teil. Altermedia bezeichnend: „Vielen Dank, ihr Spritköppe plätze schützen – Finanzheuschrecken bekämpfen“ an.
Der Demonstrationszug wurde zunächst nur spär- für diese Demo.“ Der Autor dieses Kommentars meinte An dieser Veranstaltung nahmen wesentlich weniger
lich von der Polizei begleitet, die an diesem Tag eher nicht nur, dass die „autonomen Nationalisten“ der NPD Nazis teil, ihre Zahl belief sich auf ca. 250 Personen, un-
überfordert wirkte und deshalb Gegendemonstrant- nun den Wahlkampf „versaut“ hätten, sondern auch, ter ihnen auch die Leipziger NPD-Stadtratskandidaten
Innen konsequent aus dem Blickfeld der Nazis vertrieb. dass sie „noch schlimmer als die Zecken“ seien. Aus dem Nils Larisch und Enrico Böhm. Redebeiträge des
Zum Ende des Aufmarsches versuchten schließlich Lager der Freien Kräfte wird der NPD wiederum vor- Dresdner NPD-Kreisvorsitzenden Jens Baur, Holger
mehrere Nazis, eine Polizeikette zu durchbrechen und geworfen, dass gerade die „Freien“ einen großen Anteil Apfel, Jürgen Gansel und des NPD-Landesvorsit-
warfen mit Flaschen und Steinen. Bei den Auseinan- daran hatten, dass die Partei überhaupt in den Landtag zenden Winfried Petzold unterstrichen den Wahl-
dersetzungen wurden zwei Polizisten leicht verletzt und einziehen konnte und sie im Moment sowieso „schon kampfcharakter dieses Erster-Mai-Aufmarsches.
mehrere Personen vorläufig festgenommen. Ermittlun- mit 2! Landtagsbesetzungen überfordert“ sei. Beim Aufmarsch selbst kam es zu kleineren Sitzblo-
gen wegen Landfriedensbruch wurden eingeleitet. Die Konkurrenzveranstaltung der NPD fand in ckaden und anderen Störaktionen. Bereits in der Nacht
Manch ein NPDler war über den Auftritt der „Frei- Dresden statt. Zum Wahlkampfauftakt meldete der hie- zuvor sind die Naziläden „Larvic“ und „Eaststyle“ zum
en“ in Freiberg nicht sonderlich begeistert. So hieß es sige NPD-Kreisverband für den 1. Mai einen Aufmarsch Teil erheblich beschädigt worden. ☐

Der „Volkstod“ kommt gewiss…


Der Begriff „Volkstod“ gründet zudem auf einem
biologistischen Begriff von Volk, das „sterben“ könne;
und wenn von einem „schleichenden Volkstod“ die
Rede ist, wird sogar die Analogie eines Sterbeprozesses

U nd zwar noch in diesem Jahrhundert. Jedenfalls


marschiert der sinnbildliche Sensenmann bei Na-
ziaufmärschen mit „Scream“-Maske mit. Das ist nicht
bemüht, dem eine Erkrankung voraus gegangen sein
muss. Daraus folgt das Ideal von einem „gesunden“
Volk. Und der Volks-Begriff selbst bringt es mit sich,
nur Fasching: Die Theatereinlage gehört zum politi- dass die „Reinheit“ des Volkes als natürliche Bedingung
schen Einmaleins „nationaler Sozialisten“, die den dro- seiner Existenz, also auch seiner „Gesundheit“ gilt.
henden Untergang ihres Volkes beschwören – und eine Das ist ausgemachter Unsinn. Der Begriff „Volk“
völkische Errettung zum politischen Ziel machen: fasst nämlich immer die Masse von Menschen zusam-
men, die einer Herrschaft unterliegen oder als Bevölke-
„Unser Volk ist schon seit vielen Jahrzehnten durch
die Zersetzung der Demokraten vor dem Aussterben rung deren Legitimationsbasis bilden. Mit „Natur“ hat
bedroht. (…) Die Demokraten sprechen von familien- das nur dann etwas zu tun, wenn die Einteilung nach
fördernder-und familienfreundlicher ‚Politik‘, doch genau diese Deutung geht aus von einer gewollten, be- Völkern rassistisch geschieht – was bei einem naturali-
verlogenen Phrasen rufen den Volkstod herbei.“ (1) – „Nur das wusst geplanten Entwicklung. Dafür ha- sierenden Volks-Begriff wie dem der Nazis immer der
existenzielle Zusammenwirken dieser biologisch- naturgesetzli-
ben sie zwar weder Belege, noch können Fall ist. Ohne Herrschaft und deren Grenzen wäre die
chen Arterhaltung und Artentfaltung in einer starken und schaffen-
den Volksgemeinschaft wird den Volkstod aufhalten können.“ (2) sie andere Erklärungen entkräften. Aber Abgrenzung und Einteilung nach „Völkern“ jedenfalls
das Alltagsbewusstsein von Menschen, die Unsinn. Der „Volks“-Begriff entzieht sich daher je-
„Volkstod“ bezieht sich einerseits auf den „demogra- eine Schrumpfung etwa in ländlichen Gegenden oder in dem emanzipatorischen Gebrauch: Es ist kein Subjekt
fischen Wandel“, also die Veränderung der Altersstruk- zurückgebauten Plattenbauviertelten unmittelbar erfah- („Volksgemeinschaft“), sondern eine Zwangs-Zusam-
tur der Bevölkerung (Überalterung, Geburtenrück- ren, sträubt sich nicht gegen eine unmittelbare Erklärung. menfassung von Individuen – unabhängig von deren
gang), andererseits auf deren geografische Verschiebung Wird der Bevölkerungsrückgang als Anschlag auf diese Willen, Bedürfnissen und politischen Interessen. „Volk“
(Abwanderung, Schrumpfung). Was sich statistisch tat- Bevölkerung gewertet (Überfremdung), kommt nur ein ist ein Begriff der politischen Gewalt, des Staates. ☐
sächlich nachweisen lässt, kann auch wissenschaftlich absichtsvoller, böser Wille als Ursache in Betracht. Da-
(1) AG Schwaben: „Die Familie – Wichtigste Überlebens-
erklärt werden: Überalterung, Geburtenrückgang, Ab- mit kommen die Nazis zum „Volkstod“. Und mit dieser Grundlage unseres Volkes“, 2008.
wanderung und Schrumpfung haben soziale Ursachen. Verschwörungstheorie landen sie historisch wie ideolo- (2) jugend-offensive: „Nationaler Sozialismus oder
Nazis ziehen diese Ursachen nicht in Betracht. Ihre gisch bei üblichen Vor- und Feindbildern. Volkstod“, 2009.
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Pornohefte und Bananen:


Kultur Zitiert aus einer Presse-
mitteilung des a.l.i.a.s. und
des art Dresden:
„2008 fanden in Sachsen mindestens 376
Veranstaltungen und Aktionen statt, die von

20 Jahre großes Deutschland organisierten Neonazis vorrangig aus dem


Spektrum der so genannten „Freien Kräfte“
verantwortet werden. (…)
2008 fanden in Sachsen mind. 59 neonazis-

B ald jährt sich die „Friedliche Revolution“ – das politische Ende der DDR mit dem symbo-
lischen Mauerfall – zum zwanzigsten Mal. Gegen das „Superjubiläumsjahr“ – das mittler-
weile einzige Deutschland wurde just 60 Jahre alt – mobilisiert das „...ums Ganze“-Bündnis mit
tische Demonstrationen/Spontandemonstratio-
nen und Kundgebungen statt. (…) Inhaltlicher
Schwerpunkt war hier die Thematisierung
des Mordes an der Achtjährigen Michelle aus
einer antinationalen Kampagne unter dem Motto „Staat, Nation, Kapital, Scheiße. Gegen die
Leipzig. Unter dem Motto „Todesstrafe für
Herrschaft der falschen Freiheit“. /////////// Mehr Infos: www.einheit-und-freiheit.de Kinderschänder“ wurden eine Reihe öffentlicher
Dass eine „Wiedervereinigung“ gelang und mit der Angliederung der DDR die letzten Aufzüge veranstaltet. (…)
sichtbaren Kriegsfolgen für Deutschland beseitigt wurden, verdankt die Welt ganz besonders
Im Bereich der Musikszene wurden mind.
den LeipzigerInnen. Jedenfalls beginnt so der Mythos der „Heldenstadt“, die sich erfolgreich 48 durchgeführte neonazistische Konzerte
einer Diktatur entledigt habe. Doch die „Friedliche Revolution“ erwies sich trotz der guten bekannt. (…)
Vorsätze mancher ihrer AktivistInnen nicht als Akt sozialer Emanzipation, sondern als nationa-
Mindestens 20 mal störten organisierte Ne-
listische Bewegung. Gegen die staatstragenden „Wende“-Feiern richtet sich ein Arbeitskreis onazis Veranstaltungen politischer Gegner.
in Leipzig. Zum 10. Oktober – dem Jahrestag der größten Montags-Demonstration am 9. Ok- 36 mal wurden anlassbezogene Propagan-
tober 1989 – wird deshalb eine antinationale Demonstration stattfinden, und zwar auf dem da-Aktionen und 46 mal anlassbezogene
Leipziger Innenstadtring. //////////////////////////// Mehr Infos: antide2009.blogspoRt.de Sprühaktionen bekannt. Diese fanden vor-
rangig im Zusammenhang mit für die Szene
wichtigen Daten statt. (...)
90 weitere Aktivitäten wurden von Neonazis

Braun auf Weiß Sport im Osten Theoriebüffet durchgeführt, darunter Gedenkveranstaltungen


(…), Fussballturniere, Sonnwendfeiern,
Fahrtenlager, u.a.m.”
Das Projekt chronik.le Die ag.doc berichtet Das „...ums Ganze“-
hat eine Broschüre über über Diskriminierung Bündnis hat ein halbes http://venceremos.antifa.net/art/news/pm_060309.htm
Nazistrukturen in Leipzig und rechte Gewalt in der Buch zur Kritik der Ge-
herausgegeben. Leipziger Fußballszene. sellschaft geschrieben.

Zeitlos ist der Titel der Broschüre Schon seit einiger Zeit lassen sich Während auch Linke in Krisenzei- Mehr zu Nazi-Aktivitäten:
nicht. Noch vor einigen Jahren hät- in Leipzig Überschneidungen der ten auf den alten, aber reaktionä-
• Leipzig: www.chronikle.org
ten „Leipziger Verhältnisse“ Grund Nazi- und Fußballfanszene beob- ren und historisch diskreditierten
• Dresden: venceremos.antifa.net/art/review/
zur Freude gegeben, weil von einem achten. Zu mehreren Anlässen hol- Dreh kommen, den Nationalstaat
Naziproblem wie beim Rest Ost- ten sich Nazis Unterstützung durch zu restaurieren und eine „ordent- • RDL: aardl.blogsport.de/recherche/
deutschlands keine Rede sein konn- Fußballschläger, während etwa die lichere“ Ordnung fordern, will das • Dessau: www.infothek-dessau.de
te. Mittlerweile ist Leipzig keine Mitglieder der Freien Kräfte Leipzig uG-Bündnis eine Fundamental- • Berlin & bundesweit: www.apabiz.de
„Oase“ mehr, aber sie ist auch keine auch gern bei Hooligans mitboxen. kritik an der bürgerlichen Gesell- • Thüringen: artthur.antifa.net
klassische „brown town“ geworden. Vor allem, wenn es gegen Fans des schaft, ihrer Ökonomie und ihrer • Nordbayern: www.art-nb.de
Trotzdem gibt es eine Kontinuität Vereins Chemie Leipzig geht. staatlichen Gewalt formulieren.
• Recherche Nord: www.recherche-nord.com
rechter Übergriffe, die von einer or- Über die zahlreichen Beispiele Ein Gewaltritt ist auch der Text,
• Recherche Ost: www.recherche-ost.com
ganisierten Szene ausgehen. berichtet die Arbeitsgruppe zur Do- der die dicke Broschüre füllt. Denn
Zu dem Resümee kommt die kumentation von Diskriminierung die lässt zwar keine Themen aus, • Antifa-Infoblatt: nadir.org/nadir/periodika/aib/
Broschüre des Projekts chronik.le, und rechter Gewalt im Umfeld der aber manche Fragen offen. Und • Der Rechte Rand: www.der-rechte-rand.de
das im Internet diskriminieren- Leipziger Fußballfanszene, kurz zwar bei allen, die nicht im Thema • Lotta (NRW): projekte.free.de/lotta/
de Ereignisse dokumentiert. Ins ag.doc, die eine einschlägige Chro- stehen und über viele Metaphern
Druckformat gebracht werden auf nik führt und auf die laufende Pres- stolpern, die nicht erklärt werden.
über 50 Seiten informative Artikel seberichterstattung hinweist. Diese Trotzdem ist die Broschüre eine
über die Freien Kräfte Leipzig, das klammert die politische Motivation der gescheitesten Beiträge zur Ge-
Freie Netz, den jüngsten Wahlkampf vieler Auseinandersetzungen aus sellschaftskritik, die in den letzten Redaktionelles:
der NPD, deren Jugendorganisati- und reduziert solche Vorfälle zu Jahren aus antifaschistischen und GAMMA ist ein antifaschistischer News-
on JN sowie Neonazistrukturen in bloßer „Fußballgewalt“ zwischen linksradikalen Zusammenhängen flyer. Er wird von AntifaschistInnen nach
Fußball-Fankreisen. Hinzu kom- rivalisierenden Fans. Die ag.doc heraus publiziert wurden. Zwei Bedarf herausgegeben und informiert
men kritische Einwände gegen die dagegen spricht von einer gezielten Fortsetzungs-Broschüren sind be- über Nazistrukturen und -aktionen
Berichterstattung der Lokalpresse „Unterwanderung von Fanszenen reits in Vorbereitung. Lesen lohnt! in Leipzig und dem Umland.
und ein Interview über die selten und des Fußballumfelds in Leipzig • „…ums Ganze“-Bündnis: „Staat,
• Redaktionsschluss dieser Ausgabe: 27.07.2009
thematisierte Diskriminierung von durch neonazistische Kräfte“. Ob Weltmarkt und die Herrschaft der • Kontakt-Adresse: gammazine@no-log.org
Obdachlosen. diese Szenen aber wirklich erst falschen Freiheit. Zur Kritik des • Kontakt-Adresse: http://gamma.antifa.net
• chronik.le: Leipziger Zustände, „unterlaufen“ werden mussten, las- kapitalistischen Normalvollzugs“,
Ihr könnt euch das GAMMA auf Wunsch
52 S., Mai 2009. Kostenlos. sen wir dahingestellt. 122 S., Mai 2009. 1,00 € Schutzgeb. regelmäßig zumailen lassen. Schreibt uns ein-
Infos: www.chronikle.org • Infos: agdoc.wordpress.com Infos: www.umsganze.de fach eine E-Mail.

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