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SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
NIILO JÄÄSKINEN
vom 27. Oktober 2011(1)
Rechtssache C‑420/10
Söll GmbH
gegen
Tetra GmbH
(Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Hamburg [Deutschland])
„Inverkehrbringen von BiozidProdukten – Richtlinie 98/8/EG – Art. 2 Abs. 1 – Begriff ‚BiozidProdukte‘ –
Algenbekämpfungsmittel – Produkt, das das Ausflocken von Schadorganismen bewirkt, ohne sie zu zerstören,
abzuschrecken oder unschädlich zu machen – Wirkstoff Aluminiumhydroxidchlorid – Begriff ‚chemische oder
biologische Einwirkung‘“
I – Einleitung
1. In der vorliegenden Rechtssache hat sich der Gerichtshof zum ersten Mal mit der Definition des
Begriffs „BiozidProdukt“ und infolgedessen mit dem Anwendungsbereich der Richtlinie 98/8/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 über das Inverkehrbringen von Biozid
Produkten(2) (im Folgenden: BiozidRichtlinie) zu befassen.
2. Die Parteien des Ausgangsverfahrens, die Söll GmbH (im Folgenden: Söll) und die Tetra GmbH (im
Folgenden: Tetra), streiten über die Frage, ob das den Wirkstoff Aluminiumhydroxidchlorid enthaltende
Algenbekämpfungsmittel „TetraPond AlgoRem“ ein BiozidProdukt im Sinne der BiozidRichtlinie ist. Das
vorlegende Gericht, das Landgericht Hamburg (Deutschland), möchte insbesondere wissen, welche Art der
Einwirkung – unmittelbar oder mittelbar – auf den Schadorganismus für den von dieser Richtlinie verlangten
biologischen oder chemischen Prozess erforderlich ist. Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts tötet das
fragliche Produkt die Algen nicht ab, sondern bewirkt ihre Agglutination, was ihre in der Gebrauchsanweisung
für das Produkt vorgesehene mechanische Entfernung erleichtert.
3. Nach dem durch die BiozidRichtlinie eingeführten System ist es Sache der Mitgliedstaaten, zu
entscheiden, ob ein Produkt unter die Richtlinie fällt oder nicht. Dies macht häufig eine sehr eingehende und
komplexe Prüfung des betreffenden Produkts erforderlich(3). Daher kann der Gerichtshof die fragliche
Definition nicht für sämtliche künftigen Fälle klären und präzisieren, sondern dem vorlegenden Gericht und
den mit der Anwendung der BiozidRichtlinie befassten Behörden der Mitgliedstaaten lediglich einige
sachdienliche Hinweise für ihre Auslegung geben.
II – Rechtlicher Rahmen
A – Die Unionsregelung
4. Mit der BiozidRichtlinie soll eine gemeinschaftliche Regelung für die Zulassung und das
Inverkehrbringen von BiozidProdukten zur Verwendung in den Mitgliedstaaten geschaffen werden.
5. In Art. 2 Abs. 1 Buchst. a, d und f der Richtlinie heißt es:
„(1) Im Sinne dieser Richtlinie gelten die folgenden Begriffsbestimmungen:
BiozidProdukte
Wirkstoffe und Zubereitungen, die einen oder mehrere Wirkstoffe enthalten, in der Form, in welcher sie zum
Verwender gelangen, und die dazu bestimmt sind, auf chemischem oder biologischem Wege Schadorganismen
zu zerstören, abzuschrecken, unschädlich zu machen, Schädigungen durch sie zu verhindern oder sie in
anderer Weise zu bekämpfen.
Anhang V enthält ein erschöpfendes Verzeichnis von 23 Produktarten mit Beispielbeschreibungen innerhalb
jeder Produktart.
...
Wirkstoffe
Stoffe oder Mikroorganismen einschließlich Viren oder Pilze mit allgemeiner oder spezifischer Wirkung auf oder
gegen Schadorganismen.
...
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f) Schadorganismen
Alle Organismen, die für den Menschen, seine Tätigkeiten oder für Produkte, die er verwendet oder herstellt,
oder für Tiere oder die Umwelt unerwünscht oder schädlich sind.“
6. Anhang V („BiozidProduktarten und ihre Beschreibung gemäß Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe a“) der
BiozidRichtlinie sieht u. a. vor:
„Diese Produktarten umfassen nicht die Produkte, die von den in Artikel 1 Absatz 2 genannten Richtlinien für
die Zwecke dieser Richtlinien und der späteren Änderungsrichtlinien abgedeckt sind.
Hauptgruppe 1: Desinfektionsmittel und allgemeine BiozidProdukte
...
Produktart 2: Desinfektionsmittel für den Privatbereich und den Bereich des öffentlichen
Gesundheitswesens sowie andere BiozidProdukte
... sowie als Algenbekämpfungsmittel verwendete Produkte.
Die Anwendungsbereiche umfassen unter anderem Schwimmbäder, Aquarien, Badewasser und anderes
Wasser, Klimaanlagen, Wände und Böden in Einrichtungen des Gesundheitswesens und ähnlichen
Einrichtungen, chemische Toiletten, Abwasser, Krankenhausabfall, Erdboden und sonstiger Boden (auf
Spielplätzen).
…“
7. Gemäß Art. 16 Abs. 2 der BiozidRichtlinie ist ein Arbeitsprogramm zur Überprüfung aller Wirkstoffe in
BiozidProdukten durchgeführt worden, die bereits am 14. Mai 2000 in Verkehr waren (im Folgenden: alte
Wirkstoffe). Die Aufnahme der alten Wirkstoffe in die Anhänge I, I A und I B dieser Richtlinie ist eine
Voraussetzung für die Zulassung und das Inverkehrbringen von BiozidProdukten, die diese Stoffe enthalten.
8. Die erste Phase dieses Arbeitsprogramms wurde durch die Verordnung (EG) Nr. 1896/2000 der
Kommission vom 7. September 2000 über die erste Phase des Programms gemäß Artikel 16 Absatz 2 der
Richtlinie 98/8/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über BiozidProdukte(4) geregelt.
9. Nach Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1896/2000 muss jeder Hersteller eines alten Wirkstoffs, der zur
Verwendung in BiozidProdukten in Verkehr ist, den betreffenden Wirkstoff „identifizieren“, indem er der
Kommission der Europäischen Gemeinschaften die in Anhang I der Verordnung genannten Informationen
über diesen Wirkstoff übermittelt.
10. Art. 4 der Verordnung sieht u. a. vor, dass Hersteller, Formulierer und Vereinigungen, die für eine oder
mehrere Produktarten die „Aufnahme“ eines alten Wirkstoffs in die Anhänge I oder I A der BiozidRichtlinie
beantragen möchten, den betreffenden Wirkstoff bei der Kommission notifizieren müssen.
11. Gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1896/2000 war im Anschluss an die vorstehend
erwähnte Notifizierung nach dem Verfahren des Art. 28 der BiozidRichtlinie eine Verordnung zu erlassen mit
u. a. einer abschließenden Liste alter Wirkstoffe, für die die Kommission zumindest eine Notifizierung
anerkannt hat.
12. Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 2032/2003 der Kommission vom 4. November 2003 über die zweite
Phase des ZehnJahresArbeitsprogramms gemäß Artikel 16 Absatz 2 der Richtlinie 98/8 und zur Änderung
der Verordnung Nr. 1896/2000(5) verweist auf drei Anhänge, die die identifizierten und notifizierten alten
Wirkstoffe betreffen. Anhang I der Verordnung Nr. 2032/2003 enthält die abschließende Liste der
identifizierten alten Wirkstoffe. Anhang II der Verordnung enthält die abschließende Liste der alten Wirkstoffe,
für die u. a. mindestens eine Notifizierung durch die Kommission anerkannt wurde. Anhang III der
Verordnung enthält die Liste der alten Wirkstoffe, die identifiziert wurden, für die aber weder eine
Notifizierung anerkannt worden ist noch ein Mitgliedstaat sein Interesse bekundet hat.
13. Die Verordnung (EG) Nr. 1451/2007 der Kommission vom 4. Dezember 2007 über die zweite Phase
des ZehnJahresArbeitsprogramms gemäß Artikel 16 Absatz 2 der [Richtlinie 98/8](6) hat die mehrfach
geänderte Verordnung Nr. 2032/2003 ersetzt.
B – Die nationale Regelung
14. Mit dem Biozidgesetz vom 20. Juni 2002(7) sind die Bestimmungen der BiozidRichtlinie in deutsches
Recht umgesetzt worden. Sie sind gesetzestechnisch in das Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Stoffen
(Chemikaliengesetz, im Folgenden: ChemG) und dort hauptsächlich in § 3b und die §§ 12a und 12j
implementiert worden.
15. Die Begriffsbestimmung für BiozidProdukte in Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der BiozidRichtlinie ist mit § 3b
Abs. 1 Nr. 1 ChemG in deutsches Recht umgesetzt worden.
16. Das vorlegende Gericht stellt fest, dass es sich bei der Auslegung von § 3b Abs. 1 Nr. 1 ChemG auf die
Auslegung von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der BiozidRichtlinie stützen muss.
III – Ausgangsrechtsstreit, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof
17. Söll und Tetra sind Wettbewerber im Vertrieb von Algenbekämpfungsmitteln zum Einsatz in Teichen,
insbesondere künstlich angelegten Gartenteichen, Biotopen und Schwimmteichen; sie streiten über die
Klassifizierung eines dieser Produkte als BiozidProdukt.
18. Söll, die Klägerin des Ausgangsverfahrens, hält das Algenbekämpfungsmittel „TetraPond AlgoRem“ für
ein nicht verkehrsfähiges Biozid. Sie ist der Auffassung, dass Tetra durch die Verletzung einer
Marktverhaltensregel gegen die Vorschriften des lauteren Wettbewerbs verstoßen habe, indem sie das
Algenbekämpfungsmittel TetraPond AlgoRem in den Verkehr gebracht habe, obwohl es nicht verkehrsfähig sei.
Söll stützt sich auf die §§ 3 und 4 Nr. 11 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb in Verbindung mit
den §§ 12a Abs. 1 und 28 Abs. 8 ChemG.
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19. Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts dürfte das in Rede stehende Produkt, falls es als „Biozid
Produkt“ im Sinne der BiozidRichtlinie zu qualifizieren wäre, nicht vertrieben werden(8).
20. Die Besonderheit des Produkts besteht darin, dass es nicht unmittelbar chemisch oder biologisch auf
die Algen einwirkt. Es bewirkt vielmehr eine Agglutination der Algen, ohne sie zu zerstören. Diese
Agglutination oder Ausflockung erleichtert die mechanische Entfernung der Algen aus dem Wasser.
21. Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts ist der in Rede stehende Wirkstoff
Aluminiumhydroxidchlorid gemäß Art. 3 der Verordnung Nr. 1896/2000 als „alter Wirkstoff“ identifiziert
worden und derzeit in Anhang I der Verordnung Nr. 1451/2007 enthalten(9). Mangels Notifizierung nach
Art. 4 der Verordnung Nr. 1896/2000 ist er hingegen nicht in Anhang II der Verordnung Nr. 1451/2007
aufgenommen worden und hat gemäß Art. 4 Abs. 1 dieser Verordnung daher seine Vermarktungsfähigkeit als
BiozidWirkstoff verloren.
22. Da sich das Landgericht Hamburg außerstande sieht, die im Rahmen des bei ihm anhängigen
Rechtsstreits aufgeworfenen Fragen zur Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts eindeutig zu
beantworten, hat es beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur
Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist für die Qualifizierung eines Produkts als „BiozidProdukt“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Biozid
Richtlinie eine unmittelbare biologische oder chemische Einwirkung des Produkts auf den Schadorganismus
selbst erforderlich, um ihn zu zerstören, abzuschrecken, unschädlich zu machen, Schädigungen zu verhindern
oder in anderer Weise zu bekämpfen, oder reicht insoweit bereits eine mittelbare Einwirkung auf den
Schadorganismus aus?
2. Sofern der Gerichtshof für die Qualifizierung eines Produkts als „BiozidProdukt“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1
Buchst. a der BiozidRichtlinie bereits eine mittelbare biologische oder chemische Einwirkung auf den
Schadorganismus als ausreichend erachtet: Welche Anforderungen sind an die mittelbare Einwirkung eines
Produkts auf den Schadorganismus zu stellen, um jenes Produkt als BiozidProdukt im Sinne von Art. 2 Abs. 1
Buchst. a der BiozidRichtlinie einstufen zu können, oder reicht jede irgendwie geartete mittelbare Wirkung
aus, um die BiozidEigenschaft zu begründen?
23. Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 23. August 2010 beim Gerichtshof eingegangen. Söll, Tetra,
das Königreich Belgien und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen vorgelegt. Söll und die
Europäische Kommission waren in der mündlichen Verhandlung vertreten, die am 22. Juni 2011
stattgefunden hat.
IV – Würdigung
24. Die beiden Vorlagefragen des vorlegenden Gerichts betreffen die Definition des Begriffs „Biozid
Produkte“. Das vorlegende Gericht wirft die Frage auf, ob eine unmittelbare biologische oder chemische
Einwirkung des betreffenden Produkts auf den Schadorganismus erforderlich ist, um ihn zu zerstören,
abzuschrecken, unschädlich zu machen, Schädigungen durch ihn zu verhindern oder ihn in anderer Weise zu
bekämpfen, oder ob insoweit bereits eine mittelbare Einwirkung auf den Schadorganismus ausreicht.
25. Mit anderen Worten möchte das vorlegende Gericht wissen, ob nur ein Produkt, das unmittelbar auf
den Schadorganismus selbst einwirkt, in den Anwendungsbereich der BiozidRichtlinie fällt oder ob sie auch
ein Produkt erfassen sollte, das lediglich auf die Umgebung des Organismus einwirkt.
26. Die Definition eines BiozidProdukts in der BiozidRichtlinie besteht aus drei wesentlichen Elementen,
und zwar muss ein Wirkstoff vorhanden sein, dieser Wirkstoff muss dazu bestimmt sein, einen
Schadorganismus zu zerstören, abzuschrecken, unschädlich zu machen, Schädigungen durch ihn zu
verhindern oder ihn in anderer Weise zu bekämpfen, und schließlich muss dies auf chemischem oder
biologischem Wege geschehen.
27. Schon der Wortlaut der Richtlinie bestätigt, dass Produkte, die dazu bestimmt sind, unmittelbar auf
den Schadorganismus selbst einzuwirken, jedenfalls in ihren Anwendungsbereich fallen. Die ersten Elemente
der Definition in der BiozidRichtlinie beschreiben nämlich eine unmittelbare Neutralisierungswirkung
(Wirkstoffe und Zubereitungen, die dazu bestimmt sind, Schadorganismen „zu zerstören, abzuschrecken,
unschädlich zu machen, Schädigungen durch sie zu verhindern oder sie in anderer Weise zu bekämpfen“).
Soll ein Produkt, das aus einem oder mehreren Wirkstoffen besteht, für diese Zwecke verwendet werden und
geschieht dies mittels biologischer oder chemischer Einwirkung, handelt es sich um ein BiozidProdukt.
28. Wie verhält es sich aber mit Produkten, die ausschließlich auf die Umgebung des Schadorganismus
und nicht auf den Organismus selbst einwirken?
29. Eine erste Feststellung drängt sich auf: Der Wortlaut der BiozidRichtlinie schließt ihre Anwendung auf
solche Produkte nicht aus.
30. In der vorliegenden Rechtssache wird man sich meines Erachtens mit dem letzten Teil des zweiten,
den Zweck des Wirkstoffs betreffenden Elements der Definition zu beschäftigen und nach der Bedeutung des
Ausdrucks „in anderer Weise zu bekämpfen“ zu fragen haben.
31. In diesem Zusammenhang haben die Parteien auf die bestehenden Diskrepanzen zwischen den
verschiedenen Sprachfassungen von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der BiozidRichtlinie hingewiesen(10). In
bestimmten Fassungen, u. a. in der vom vorlegenden Gericht angeführten deutschen („in anderer Weise zu
bekämpfen“) und der französischen („combattre de toute autre manière“)(11), ist das letztgenannte
Kriterium nämlich etwas restriktiver formuliert. Dagegen ist in einer Reihe anderer Fassungen, z. B. in der
englischen („exert a controlling effect“) und der italienischen („esercitare altro effetto di controllo“),
allgemeiner von „Kontrollwirkung“ die Rede(12).
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32. Die Tatsache, dass die BiozidRichtlinie den Schutz von Mensch, Tier und Umwelt zum Ziel hat, stützt
in einem Kontext, in dem Produkte in die Umwelt freigesetzt werden, meines Erachtens die These, wonach
eine Auslegung des betreffenden Ausdrucks dahin gehend, dass er in einem sehr weiten Sinne die „Kontrolle“
von Schadorganismen erfasst, dem Ziel der Richtlinie eher gerecht wird.
33. Dieser Ansatz wird durch die Definition des Wirkstoffs bestätigt: Nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. d der
BiozidRichtlinie handelt es sich um Stoffe oder Mikroorganismen einschließlich Viren oder Pilze mit
allgemeiner oder spezifischer Wirkung auf oder gegen Schadorganismen. Die Qualifikation als BiozidProdukt
ist folglich nicht allein Produkten mit Wirkstoffen vorbehalten, die auf den Schadorganismus einwirken. Sie
erfasst auch Wirkstoffe mit allgemeiner oder spezifischer Wirkung gegen den Schadorganismus.
34. In diesem Zusammenhang erscheint mir die von der Kommission vorgeschlagene Umformulierung
sinnvoll. Danach würde die Frage abstrakter formuliert wie folgt lauten: Erfasst die BiozidRichtlinie auch ein
Produkt, von dem zwar aufgrund seiner chemischen oder biologischen Wirkungsweise eine Gefahr für die
Umwelt ausgehen kann, dessen direkte Wirkung auf die Zielorganismen jedoch weder biologisch noch
chemisch ist?
35. Mit anderen Worten ist zu fragen, ob das Produkt eine Kausalitätskette in Gang setzt, an deren Ende
das Leben des Schadorganismus erschwert, sein Vorkommen verringert oder seine Kontrollierbarkeit
verbessert wird. In einem solchen Fall ist das betreffende Produkt Teil eines Vorgangs, dessen Zweck gerade
die Bekämpfung oder Kontrolle des Schadorganismus ist. Es ist daher als Biozid zu klassifizieren, auch wenn
es nicht unmittelbar in chemischer oder biologischer Form auf den Schadorganismus einwirkt.
36. Im Übrigen ist die Zerstörung der Schadorganismen durch den Wirkstoff nach der BiozidRichtlinie
nicht erforderlich. Im vorliegenden Fall haben sowohl die Parteien als auch das vorlegende Gericht
hervorgehoben, dass die Algen infolge der Behandlung nicht absterben, sondern unverändert Photosynthese
betreiben, und dass die durch den Wirkstoff hervorgerufene Ausflockung durch Wasserbewegung rückgängig
gemacht werden kann. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass in Anhang V der Biozid
Richtlinie als Produktart 19 („Repellentien und Lockmittel“) insbesondere „Produkte zur Fernhaltung oder
Köderung von Schadorganismen“ aufgeführt sind. Ist ein Produkt zur Fernhaltung von Schadorganismen
unter den BiozidProdukten aufgeführt, bedeutet dies, dass die Zerstörung von Schadorganismen keine für die
Einstufung als BiozidProdukt erforderliche Voraussetzung ist.
37. Der Begriff „BiozidProdukte“ in der BiozidRichtlinie ist daher weit auszulegen und schließt
infolgedessen Produkte, die auf die Umgebung des Schadorganismus und nicht auf den Organismus selbst
chemisch oder biologisch einwirken, nicht aus.
38. Zwar gilt die BiozidRichtlinie gemäß ihrem Art. 2 Abs. 1 Buchst. a für BiozidProdukte, jedoch nicht für
Produkte, die in den übrigen in ihrem Art. 1 Abs. 2 aufgeführten Richtlinien definiert sind oder in deren
Anwendungsbereich fallen. Daher ist zu berücksichtigen, dass die BiozidRichtlinie neben etwa zwanzig
anderen Richtlinien anwendbar ist. Ihr Anwendungsbereich ist so auszulegen, dass es nicht zu einer
Überschneidung mit den übrigen in ihrem Art. 1 Abs. 2 genannten Richtlinien(13) kommt.
39. Darüber hinaus sollte der Anwendungsbereich der BiozidRichtlinie in konkreten Fällen anhand
objektiver Kriterien bestimmt werden können. In der vorliegenden Rechtssache ist auf zwei konkrete Kriterien
hinzuweisen.
40. Erstens ist der fragliche Wirkstoff nach den Angaben des vorlegenden Gerichts in Anhang I der Biozid
Richtlinie aufgeführt. Daraus folgt, dass er als ein in BiozidProdukten verwendeter alter Wirkstoff identifiziert
worden ist.
41. Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass die Algenbekämpfungsmittel in Anhang V der BiozidRichtlinie
(unter den in Nr. 2 genannten Produktarten) als Beispiel für eine von dieser Richtlinie erfasste Produktart
erwähnt werden. Daher ist festzustellen, dass der europäische Gesetzgeber Produkte zur Bekämpfung von
Algen in den Anwendungsbereich der BiozidRichtlinie aufnehmen wollte. Die aus ihr klar hervorgehenden
Beispiele des Gesetzgebers sind bei der Auslegung der Kriterien zur Bestimmung ihres Anwendungsbereichs
gebührend zu berücksichtigen.
42. Gleichwohl handelt es sich hierbei lediglich um objektive Anhaltspunkte, deren mechanische
Anwendung sich verbietet(14). Wie bereits erwähnt, gilt die BiozidRichtlinie für ganz unterschiedliche
Bereiche, was durch die Beispiele anschaulich illustriert wird, die das von der Kommission verfasste und an die
Behörden der Mitgliedstaaten gerichtete Handbuch von Entscheidungen für die Umsetzung der Biozid
Richtlinie enthält(15). Aufgrund dieser Beispiele wird deutlich, dass die nationalen Behörden jeden Einzelfall
sorgfältig zu prüfen haben(16).
V – Ergebnis
43. Angesichts der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die beiden Vorlagefragen
des Landgerichts Hamburg wie folgt zu beantworten:
1. Für die Qualifizierung eines Produkts als „BiozidProdukt“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie
98/8/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 über das Inverkehrbringen von
BiozidProdukten ist eine unmittelbare biologische oder chemische Einwirkung des Produkts auf den
Schadorganismus nicht zwingend erforderlich.
2. Eine mittelbare biologische oder chemische Einwirkung auf oder gegen den Schadorganismus reicht aus, wenn
sie Teil einer Kausalitätskette ist, die darauf abzielt, ihn in anderer Weise zu bekämpfen.
– Originalsprache: Französisch.
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2 – ABl. L 123, S. 1. Die Rechtsprechung zu dieser Richtlinie ist nicht umfangreich. Vgl. z. B. Urteil vom 15.
Juli 2004, Schreiber (C‑443/02, Slg. 2004, I‑7275).
3 – Vgl. etwa die Fallbeispiele in dem zuletzt am 6. Januar 2011 geänderten „Manual of Decisions for
Implementation of Directive 98/8/EC concerning the placing on the market of biocidal products“, das in
englischer Sprache auf der Website http://ec.europa.eu/environment/biocides/index.htm verfügbar ist.
4 – ABl. L 228, S. 6.
5 – ABl. L 307, S. 1.
6 – ABl. L 325, S. 3.
7 – BGBl. I S. 2076.
8 – Das vorlegende Gericht stellt fest, dass es auf nationaler Ebene voneinander abweichende
Gerichtsentscheidungen zu dieser Frage gibt.
9 – Zur Klarstellung weise ich darauf hin, dass Aluminiumhydroxidchlorid offenbar nicht unter dieser
Bezeichnung in Anhang I der Verordnung Nr. 1451/2007 enthalten ist; darin sind jedoch Stoffe mit
ähnlichem Namen aufgeführt, u. a. Aluminiumchlorid basisch (EGNr. 215‑477‑2, CAS‑Nr. 1327‑41‑9) und
Dialuminiumchlorid Pentahydroxid (EG‑Nr. 234‑933‑1, CAS‑Nr. 12042‑91‑0).
10 – Nach ständiger Rechtsprechung muss, wenn die verschiedenen Sprachfassungen einer Vorschrift
voneinander abweichen, diese Vorschrift anhand der allgemeinen Systematik und des Zwecks der Regelung
ausgelegt werden, zu der sie gehört (vgl. zuletzt Urteil vom 3. März 2011, Kommission/Niederlande, C‑41/09,
Slg. 2011, I‑831, Randnr. 44).
11 – Vgl. auch die dänische und die niederländische Fassung.
12 – Vgl. auch die spanische, die portugiesische, die finnische und die schwedische Fassung.
13 – Zu den in ihrem Art. 1 Abs. 2 genannten Richtlinien gehört u. a. die Richtlinie 76/768/EWG des Rates
vom 27. Juli 1976 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel (ABl.
L 262, S. 169). Auf der Grundlage dieser Richtlinie ist der Beschluss 96/335/EG der Kommission vom 8. Mai
1996 zur Festlegung einer Liste und einer gemeinsamen Nomenklatur der Bestandteile kosmetischer Mittel
(ABl. L 132, S. 1) angenommen. Auch in diesem Beschluss in der Fassung des Beschlusses 2006/257/EG der
Kommission vom 9. Februar 2006 zur Änderung des Beschlusses 96/335 (ABl. L 97, S. 1) ist
Dialuminiumchlorid Pentahydroxid (siehe Fn. 9 der vorliegenden Schlussanträge) aufgeführt.
14 – So fällt z. B. ein koffeinhaltiges Produkt, auch wenn Koffein als Wirkstoff in Anhang I der Verordnung Nr.
1451/2007 aufgeführt ist, nicht automatisch unter die BiozidRichtlinie, sofern das Produkt nicht für Zwecke
verwendet wird, die von ihr erfasst werden.
15 – Siehe oben, Fn. 3.
16 – Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission eine Überarbeitung der BiozidRichtlinie
vorgeschlagen hat, vgl. u. a. die Dokumente KOM(2008) 620 und KOM(2009) 267. Die Kommission schlägt
vor, die BiozidRichtlinie durch eine Verordnung zu ersetzen. Im Rechtsetzungsverfahren sind Klarstellungen
der Definition des BiozidProdukts vorgeschlagen worden (siehe Nr. 31 der vorliegenden Schlussanträge).
Dieses Verfahren ist aber noch nicht abgeschlossen.
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