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Am Rand.

Wo sonst
Ein ZEIT-Gespräch mit Botho Strauß
Von Ulrich Greiner
6. Februar 2003,

Botho Strauß, Jahrgang


1944, ist einer der
brillantesten
Intellektuellen und
Schriftsteller dieses
Landes. Mit
Theaterstücken und
Prosabänden, die
geflügelte Titel wurden
("Bekannte Gesichter,
Gemischte Gefühle" oder
"Paare, Passanten"),
erweiterte er den
Spielraum der Literatur,
mit kritischen
Interventionen
("Anschwellender
Bocksgesang", 1993)
stellte er sich gegen den
Zeitgeist. Sein jüngstes
Buch, "Das Partikular",
zeigt ihn auf der Höhe
seines Könnens. Ich bin
ein Sonderling. Ich sehe
die Verluste und zähle sie.
Es gehen viele subtile
Dinge verloren zugunsten
trivialer Ich habe mich
immer als einen
empfunden, der
durchdrungen ist von
dem, was war, und es
weiterträgt. Der folgende
Text dokumentiert ein
über einen längeren
Zeitraum geführtes
Gespräch. Es begann
1990, als Botho Strauß die
Summe des
Büchnerpreises, den er
1989 erhalten hatte, für
die Lektüre des Romans
"Fluß ohne Ufer" von
Hans Henny Jahnn
ausschrieb. Die besten
Beiträge des Wettbewerbs
wurden in der ZEIT
abgedruckt. Im selben
Jahr erschien in der ZEIT
sein Essay "Der Aufstand
gegen die sekundäre Welt
- Anmerkungen zu einer
Ästhetik der
Anwesenheit". Der
Kontakt wurde in den
Jahren danach immer
wieder aufgenommen und
jetzt während einer
Begegnung aus Anlass des
neuen Buchs "Das
Partikular" vertieft.

Botho Strauss: O Gott,


die Schwalben kommen
wieder!

DIE ZEIT: Ja, und?

Strauss: Sie nisten
unterm Dach. Abgesehen
davon, dass sie die weiße
Wand bekleckern, es
macht mich nervös. Es ist
ein unglaubliches
Geflattere und Gemache,
Sie können sich das nicht
vorstellen. Ich habe Netze
gespannt. Ich konnte es
nicht mehr aushalten. Ich
dachte, was für ein Idiot
bist du, du gehst aufs
Land, in die Stille, und die
eigentlichen Bewohner
dieser Gegend kannst du
nicht ertragen.

ZEIT: Könnten Sie auch


in der Stadt schreiben?

Strauss: Das tue ich nach


wie vor. Erst seit kurzem
ist es auch hier draußen
auf dem Land möglich. Es
wird zweifellos seinen
Einfluss auf die Materie
nehmen, mit der ich mich
beschäftige, den Umgang
mit Menschen.

ZEIT: Sehen Sie fern,


gehen Sie ins Internet?

Strauss: Fernsehen,
nein, das ist unerträglich.
Früher habe ich viele
Filme gesehen, jetzt nicht
mehr. Ich möchte mir ein
DVD-Kino einrichten, das
ist ja leicht heute. Internet
benutze ich natürlich, um
Bücher zu kriegen,
Antiquariate zu
durchsuchen. Aber im
Chatroom habe ich mich
noch nicht zu Wort
gemeldet. Die meisten, die
sich dort äußern,
beherrschen das
Schreiben schlecht. Man
muss ja schreiben dort.

ZEIT: Die Einsamkeit ist


einerseits die Bedingung
dafür, dass Sie etwas über
diese Welt, diese
Gesellschaft sagen
können, andererseits
erschwert sie es.

Strauss: Die Frage lautet,


ob man dafür disponiert
ist, ein solistisches Dasein
zu führen. Entweder
findet man sich mit dem
selbst gewählten
Eremitentum ab, oder
man spürt, und das ist bei
mir der Fall, ständig den
Mangel. Man lebt die
Geselligkeitsaskese und
wünscht, dass es anders
wäre. Daraus entsteht eine
Überempfindlichkeit bei
der Berührung mit
anderen Menschen. Wobei
diese Überempfindlichkeit
zu gewissen
Übertreibungen führt, die
aber manchmal besser
dazu taugen, die Wahrheit
aufzuspüren.

ZEIT: Sie empfinden sich


eher als einen geselligen
Menschen.

Strauss: Ich bin ein nicht


ausübender
Gesellschaftsmensch. Die
Arbeit des Schreibens ist
ein Akt der vollkommenen
Exkludierung.

ZEIT: Ist das eine Last?

Strauss: Wenn ich hier


bin und längere Zeit
allein, muss ich mich
immer erst daran
gewöhnen. Aber es schärft
die Sinne, es schärft die
Erinnerung. Außer dem
Aktuellen ist alles andere
lebendig.

ZEIT: Sie haben einmal


geschrieben, dass die
Freunde in der
Abwesenheit
gegenwärtiger sind. 

Strauss: Das ist wahr.


Abwesenheit war für mich
immer schon ein
Mikroskop, eine scharf
ziehende Linse.

ZEIT: Aber davor muss


immer etwas gewesen
sein. 

Strauss: War ja auch.
Nur: Was neu
hinzukommt, wiegt das
Gewesene nicht auf. Die
Gewichtung verändert
sich.

ZEIT: Ihre Prosa nicht. 

Strauss: Doch. Der Grad


der Gereiztheit hat
abgenommen. Und ein
grundsätzliches Moment
ist mir vollkommen
abhanden gekommen. Ich
würde niemals mehr einer
Dialektik folgen, die darin
bestünde, dass aus dem
Beobachten hervorginge,
wie es denn anders sein
solle.

ZEIT: Indem man sagt,


wie etwas ist, gibt man
zugleich zu erkennen, dass
man nicht einverstanden
ist. Sie sind in einer
Schärfe nicht
einverstanden, die Ihnen
nicht nur Gegner
einbringt, sondern auch
nach Änderung verlangt.

Strauss: Mag sein. Aber


das gehört zur Geschichte
des Leidwesens. Ich
glaube, bei Menschen, die
Pessimisten sind,
europäisch geprägte
Individuen mit der
Fähigkeit zur Imagination,
ist eine gewisse
Leidensstruktur das
Vorrangige. 

ZEIT: Mit wachsendem
Alter wird man
konservativer, findet alles
im Niedergang begriffen.

Strauss: Niedergang war
immer, das ist ein
ständiger Topos des
Geistes, seit der Antike.
Das geht gar nicht anders.
Letztlich ist doch die
ganze Epik aus dem
Gedanken entstanden: Die
große Zeit liegt zurück. Ich
denke nicht, dass man das
konservativ nennen kann.
Wir haben ja nichts, aber
auch gar nichts, was wir in
unserem persönlichen
Lebens- und Zeitraum als
besonders erhaltenswert
ansehen könnten. Ich
kann mit dem Wort
konservativ nichts
anfangen, weil es als ein
politisch vollkommen
platter Begriff verhunzt
ist. Ich halte es für
wichtig, sich zu einem
geistigen, ästhetischen
Fundamentalismus zu
bekennen, der weiß, wie es
in einem Vers von Gunnar
Ekelöf heißt, dass in
jedem Augenblick "der
Schleier der Zeit"
zerreißen kann und man
vor dem nackten Beginn
steht. Es gibt eben nicht
nur das Geschichtliche.
Ich verstehe es eher
heideggerisch: Man muss
seine Gründe behalten,
seiner Herkunft begegnen.
Mit konservativ hat das
nichts zu tun. Ich nenne es
fundamental. Ich könnte
auch elementar sagen. Es
gibt verschüttete
Grundelemente, die heute
vielleicht nur in
Sekundenbruchteilen von
Erleuchtung wieder
sichtbar werden. Jetzt ist
der technische Überbau
derart gewaltig, dass nur
noch das Prinzip der
Innovation Gültigkeit zu
haben scheint. Aber es
könnte doch passieren,
dass man das
anknüpfende,
verbindende Element für
genauso lebensspendend
hält. Das geht nur auf dem
Weg der Aufräumarbeit,
aber nicht im Sinne des
Erhaltens.

ZEIT: Worin besteht
heute der Niedergang?

Strauss: Die Dinge, die


uns besonders nahe
waren, allein die
Geschichte der deutschen
Literatur betreffend,
rücken weg. Die
Lesekultur ist starken
Einflüssen der Medien
ausgesetzt. Sie ist in einer
Massengesellschaft weiter
verbreitet als in jeder
Epoche einer exklusiven
Bildungsschicht. Sie ist
aber eben verbreitet. Was
breit ist, ist nicht hoch
oder dicht. Ich habe kein
Bild davon, wie sich das
entwickeln kann. Ich habe
keine Ahnung, ob nicht
diese Welt der
Verbreitungen wieder eine
andere gebiert. Ich denke
grundsätzlich
metamorphotisch: Das ist
jetzt so, wie es ist, ich
kann es auf keinen Fall
ändern, ich kann mich
lediglich unterscheiden.
Ich bin ein Sonderling,
und der ist am wenigsten
berufen, eine allgemeine
Niedergangstheorie zu
entwickeln. Ich sehe die
Verluste und zähle sie.

ZEIT: Welche Verluste?

Strauss: Es gehen viele


subtile Dinge verloren
zugunsten trivialer. Das
ist in der Sprache so, in
den Geselligkeitsformen
und anderswo. Aber wir
tun jetzt, als müssten die
elitären Dinge für alle
gelten. Das ist das
demokratische
Missverständnis. Die
Diffusion des
Ausgezeichneten in die
Masse, wie es die
Soziologen nennen,
gelingt nicht.
Auszuweichen in die
Affirmation und zu sagen,
so wie es ist, ist es ganz
toll und das müssen wir
feiern, ist nur ein
Ausdruck der
Hilflosigkeit, ist Neo-
Warholismus. Kann man
ja machen, war in den
siebziger Jahren ganz
nett, warum also nicht
noch einmal.

ZEIT: Die Masse, oder


wie wir es nennen wollen,
war immer
vergleichsweise
ungebildet. Das Neue ist
nur, dass man sich dazu
verhalten muss. Aber
wahrscheinlich hat es nie
eine so große Menge
gebildeter oder
informierter Menschen
gegeben wie jetzt.

Strauss: So ist es.


Dadurch wird das
Phänomen interessant.
Der Verlust an genuiner
Dummheit oder, um es
positiv auszudrücken, an
Einfalt ist gewaltig. Sie
werden heute keinen
einfältigen Menschen
mehr finden, sondern Sie
finden einen
Kommunikationsbestandt
eil, durch den
hindurchgeht, was
allgemein geredet wird,
der alles, was durch die
Kommunikationskanäle
fließt, auch durch sich
selber hindurchfließen
lässt. Eine klare
Beschränktheit und
einprägsame Form der
Naivität gibt es nirgends
mehr, die ist überdeckt
durch einen Firnis äußerer
Intelligenz. Stattdessen
finden Sie eine Schicht
von sehr informierten
Menschen, zumeist
anästhetischen Gemütern,
die keinen Sinn haben für
das, was außerhalb von
Information liegt.
Informiertheit ist ja eine
Sucht. Es gibt den
Workaholic des
Informiertseins. Die
Zunge kommt kaum mehr
mit in diesem Zwang des
angepassten Redens. Das
ist extremer als früher, als
es noch verschiedene
Berufe mit einer
bestimmten Nomenklatur
gab, in der man sich
ausgedrückt hat.

ZEIT: Man findet die


schon noch bei
Handwerkern.

Strauss: Da der
Handwerker heute durch
den Heimwerker ersetzt
ist und der Baumarkt das
zentrale
Vereinigungsmittel, haben
Sie durchweg ein und
denselben Jargon. Das ist
wie mit dem
Silikonkautschuk: Sie
können damit jede Fuge
oder Unebenheit glätten.

ZEIT: Worin besteht die


Elite? Es gibt sie doch.
Strauss: Es gibt ein
großes analytisches
Wissen, eine Fülle oder
Überfülle an Diskursen
und Weltentwürfen. Wir
müssen uns aber
klarmachen, dass sie samt
und sonders einer
intellektuellen Kultur
angehören, die
gegenwärtig nicht das
Sagen hat. Demgegenüber
gibt es die Avantgarde der
technisch-ökonomischen
Kultur, die absoluten
Vorrang hat, die sich auf
das Machen, auf das
Funktionieren, auf das
Know-how versteht, aber
nicht durch geistige
Leistungen glänzt.

ZEIT: Schätzen Sie das


gering?

Strauss: Überhaupt
nicht, weil es in der Tat
das eigentlich
Verändernde in unserer
Welt darstellt. Das
Undurchdachte. Was
geschieht, geschieht ohne
irgendeinen
philosophischen oder
ästhetischen Reflex.

ZEIT: Was fehlt?

Strauss: Das Schöne.
Wissenschaftselite ist nur
eine Frage des
Zuchtprogramms. Das
kann es nicht sein. In dem
kleinen Restzirkel, der
sich noch mit Literatur
oder Theater beschäftigt,
kann man doch nicht von
Elite sprechen. Keiner der
Autoren, die wir kennen,
würde sich heute
anheischig machen, das
Ganze anzuführen. So wie
etwa Carl Friedrich von
Weizsäcker oder Gräfin
Dönhoff vor Jahr und Tag
in Ihrer Zeitung davon
sprachen. Da gab es noch
die Vorstellung, dass man
das Schiff steuern könne,
wenn man sich die
ethischen Probleme
bewusst halte. Diese Art
von Moralismus, dieser
Appell, sich am Portepee
zu packen, hat nichts, aber
auch gar nichts gefruchtet,
es läuft alles seinen
autonomen
Innovationsgang. Da ist
eine riesige
Oberflächenstruktur, die
sich mit größter
Eigendynamik
weiterentwickelt. Ich kann
gut verstehen, dass junge
Autoren sich sagen, da
kann man nur mitmachen.
Es ist allerdings ein
alberner Pleonasmus, das
noch einmal abzubilden.

ZEIT: Was aber dann?


Sie stehen doch für das
Ganze, Sie erheben doch
den Anspruch.

Strauss: Den erhebe ich


ernsthaft wirklich nicht.
Ich muss jedoch an der
Altmodischkeit des
Begriffsmenschen, der
man ist, festhalten, muss
mir selber treu bleiben
und nach alter Sitte durch
den ästhetischen Anschein
überzeugen. Aber doch
nicht mehr durch das, was
ich sage. Mein
Beweggrund kann doch
nicht sein: Jetzt rüttele ich
die Meinungen alle mal
durch. Da lacht man doch
drüber.

ZEIT: Das verstehe ich


nicht. Sie haben doch ein
Ziel.

Strauss: Nur insofern,
als mich die Frage
beschäftigt, was ist noch
von der Regsamkeit des
Menschen, wie ich ihn
kenne und mit dem ich
immer verbunden bleiben
werde, was auch immer
auf dem genetischen Feld
geschehen mag, zu
erwischen, welche
Geheimnisse, Fluchtungen
ins Unheimliche sehe ich -
das ist für mich ein
Lebensprogramm, wie es
für Proust und andere
gegolten haben mag. Aber
ich kann daraus keinen
Schluss ziehen für das
Problem der Eliten in
dieser Gesellschaft. Ich
empfinde, dass die
Abstraktionen immer
fader werden. Mich
interessieren fast nur
noch die Phänomene. Man
kann sie aber nicht immer
entschlüsseln.

ZEIT: Das ist Ihre Furcht


vor dem Allgemeinen.

Strauss: Ja, die Furcht


vor dem Theorem, vor der
ungeheuren
Wurzellosigkeit, davor,
dass es zu luftig wird, wie
alles luftig wird.

ZEIT: Das Allgemeine ist


der Feind, es dringt ein
wie ein Virus. Auf der
anderen Seite sind Sie als
Autor ohne das
Allgemeine verloren.

Strauss: Die Dichotomie
des Allgemeinen und des
Besonderen, wie schon
von Goethe formuliert, ist
in jeden eingepflanzt.
Aber sie ist kaum zu
beschreiben. Ich kann
lediglich sagen, dass ich
ein völlig versprengtes,
kleines Literatur-Potenzial
bin, in dem
Hergekommenes und
Gegenwärtiges (von der
Zukunft wollen wir nicht
reden) auf engstem Raum
zusammengedrängt sind.
Ein Energiekügelchen.
Robert Musil hat einmal
von sich gesagt, er sei
zwar kein
Erfolgsschriftsteller, aber
doch auch keine
Konventikelgröße. Damit
meinte er einen, der von
einer kleinen Schar von
Leuten, mit denen man
sich am Tisch trifft,
getragen wird und mit der
er in völliger
Abgeschlossenheit seine
Sache macht. Nicht
einmal diese
"Konventikelgröße" gebe
ich ab.

ZEIT: Fühlen Sie sich an


den Rand gedrängt?

Strauss: Wo anders soll


man leben?

ZEIT: Sie sind einer der


bekanntesten Autoren.
Strauss: Das glauben Sie.
Als Theaterautor
vielleicht, eine Zeit lang.
Das Theater hat mich
inzwischen hinter sich
gebracht. Die Kompetenz
und die Empfänglichkeit
sind in eine andere
Richtung gegangen. Das
ist ein ganz natürlicher
Prozess der Ablösung.
Auch wenn man
persönlich den Schaden
davon hat und sagt, das ist
die Hälfte meiner
Existenz, ich habe immer
für das Theater
geschrieben, ich konnte
meine Prosa nur
schreiben, weil ich
zwischendurch Dialoge
schrieb und eine szenische
Fantasie entwickelt habe.
Der Verlust wird mir in
Zukunft Mühe bereiten.
Aber es ist einfach vorbei.
Auf der Bühne habe ich
ein Erotiker sein wollen,
heute jedoch dominieren
am Theater - ästhetisch
oder buchstäblich - die
Pornografen. Ich
interessiere mich für
erotische Verknüpfungen
und Wechselfälle, aber
heute wird nicht mehr
verknüpft und gewechselt,
es wird immer nur die
pornografische Seite der
Sache zur Schau gestellt,
immer noch mit dem
verbrauchtesten aller
Impulse, dem épater le
bourgeois, obwohl es den
Bürger längst nicht mehr
gibt. Eine Inszenierung ist
gegenwärtig oft nur ein
privatpsychopathisches
Unternehmen, das
maßgeblich von Illiteraten
bestimmt wird, die
überhaupt gar nichts
lesen, nicht einmal das
Stück, das sie gerade vor
sich haben, die also
keinen literarischen
Assoziationsraum
besitzen. Entsprechend
wird Sprache als
lächerliches Requisit oder
chorisches Phänomen
benutzt. Die Fähigkeit,
einen Dialog zu entfalten
und zu einem spannenden
Verfahren zu machen, ist
verschwunden, so wie ein
Kunsthandwerk ausstirbt.
Der Corpus des Theaters
ist so angekränkelt, dass
alle Parasiten leichten
Zugang haben, das
Tanztheater oder der
Kunstmarkt oder Film
und Fernsehen, es ist alles
möglich. Das kann zu dem
einen oder anderen
interessanten Ergebnis
führen, es ist aber nicht
tragfähig bis ins
Repertoire der Stücke
hinein. Die großen Texte
stehen turmhoch über
dem, was die kindische
Intelligenz dieser Non-
Reader damit anfängt.
Das Missverhältnis
zwischen der Komplexität
der Texte und der
subversiven
Konventionalität ist
grotesk. Das ist schade,
aber das letzte Wort wird
es nicht sein.

ZEIT: Die Reaktion auf


Ihr neues Buch war
erstaunlich positiv.

Strauss: Nun ja,
jedenfalls anders als ich
befürchten musste. So
verschieden sind meine
vorangegangenen Bücher
ja nicht, dass es Grund
gäbe, Wohnen Dämmern
Lügen in den Orkus zu
stoßen, wie es ja
geschehen ist. Aber ich
bin gegen solche
Wetterschläge gefeit, weil
ich schon alles
mitgemacht habe.

ZEIT: Wie erklären Sie


sich den Zorn, den Sie
immer wieder erregen?

Strauss: Es gibt dafür


sehr verschiedene Gründe.
Einen glaube ich zu
kennen. Alles, was heute
ans Transzendente und
Theologische rührt,
verabscheut unsere
kritische Spaßintelligenz.
Dass der
Gedankenreichtum, der
über die Jahrhunderte
hinweg in der Theologie
versammelt ist, heute so
gut wie nie in die
intellektuelle
Auseinandersetzung
geholt wird, halte ich für
ein großes Versäumnis.
Nun bin ich ja kein
Theologe. Ich präzisiere
lediglich das Detail aus
einer transzendenten
Gestimmtheit. Diese ist
gegenwärtig kaum noch
mitteilbar. Ich bezweifle,
dass das auf die Dauer so
bleiben wird.

ZEIT: Die Abwehr, die Sie


erfahren, liegt vielleicht
auch an dem
abweisenden, herrischen
Ton, den Ihre Prosa
manchmal hat.

Strauss: Herrisch? Bei
meiner fragilen inneren
Verfassung kann ich das
nicht finden. Man hat ja
auch Ernst Jünger
herrisch, sogar einen
Herrenreiter genannt.
Dabei ist niemand ein so
subtiler Beobachter von
Weltzusammenhängen
und Mythen wie Jünger.
Nein, das ist
unangebracht.

ZEIT: Sie setzen sich oft


massiv in Widerspruch
zum Zeitgeist.

Strauss: Vielleicht bin
ich widerspenstig, aber
das ist nicht wirklich mein
Grundimpuls. Das
empfinde ich nicht so.
Jedenfalls bin ich vielen
ein missliebiger Autor.
Den einen, weil hier ein
Demokratiekritiker den
Anschein erweckt, mit der
Sache selbst nichts mehr
zu tun zu haben. Den
anderen, weil ich
versuche, die kulturelle
Erinnerung aufzuwecken,
bis hinein in die Mythen
und das Irrationale, das ja
ungesagt überall zu
seinem Recht kommt, in
jedem Rockkonzert, in
jedem Filmbesuch,
überall. Wenn man es
indessen beim Namen
nennt und bekennerisch
bejaht, wie ich das tue,
wirkt das herausfordernd
und unverschämt.
Manchmal muss ich an
Hofmannsthal denken,
der sich in seinen späten
Jahren fragte, wie er denn
von einer Zeit, der er den
Rücken gekehrt, erwarten
könne, dass sie ihn
verehre.

ZEIT: Ihre Texte sind


doch nicht allein Texte des
Rückzugs.

Strauss: Mein Schreiben
ist ein
Nachvorneschieben, kein
Rückzug. Ich habe hier
keine Idylle gefunden, die
ich selig schildern wollte,
was im Übrigen völlig
ausreichen, mir aber nicht
gelingen könnte. Das
entspricht nicht meinem
Temperament. In meine
Texte sind seit je
zahlreiche zeitgenössische
Unmutsäußerungen
eingewoben. Die kleine
Zeile im vorletzten Buch,
dass in seinem Herzen
niemand Demokrat sei,
hat sofort Alarm
ausgelöst, obgleich ich nur
sage, es gibt auch in einem
jetzt lebenden Menschen
Dinge, die nicht unbedingt
verfassungskonform sind.
Ist es die nebensächlichste
Aufgabe von Literatur,
dergleichen ins
Gedächtnis zu rufen? Dass
wir etwas älter sind als
nur von heute, habe ich
immer für
selbstverständlich
gehalten.
Anbindungsstrategien
sind für mich wichtiger als
Bruch- und
Aufbruchparolen. In der
ästhetischen Entwicklung
spielen Neuerungen keine
bedeutende Rolle mehr.
Ich selbst bin ein
Transporteur, kein
Neuerer. Vielleicht ist
heute der Transporteur
der Neuerer, das kann
schon sein. Ich habe mich
immer als einen
empfunden, der
durchdrungen ist von
dem, was war, und es
weiterträgt.

ZEIT: Sie haben ein


besonderes Verständnis
von Literatur.

Strauss: Ich versuche hin


und wieder, verdeckte
Quellen zu öffnen, die
nicht den allgemeinen
Literatur-Mustern
entsprechen. Ich möchte
beglaubigen, dass man aus
vielen Stimmen heraus
lebt. Das ist eine Frage der
persönlichen Vorlieben
und der Resonanz. Nur
weniges von den vielen
Sachen, die ich lese,
schlägt eine persönliche
Saite an.

ZEIT: Aber Sie sind


keiner, der seltene
Briefmarken sammelt. Sie
wollen und Sie haben
Wirkung. Stellen Sie sich
vor, die zehntausend
Leser, die das Partikular
gekauft haben, würden
sich da unten auf der
Wiese versammeln, bis
hin zum Wald - eine ganze
Menge.

Strauss: So viel wie ein


schlecht gefülltes
Fußballstadion. Nein, das
ist sehr wenig, sagt aber
über die endgültige
Wirkungsweise nichts. Ich
bin kein Event. Deswegen
auch mein Zweifel, ob ich
Wirkung suche, denn das
müsste ich anders
anstellen. Ich teile nur auf
den verschlungenen
Pfaden, auf denen ich
selber am liebsten
unterwegs bin, etwas mit.
Wen es angeht, der wird
schon darauf aufmerksam
werden. Es ist für mich
unabänderlich, und das
könnte man religiös
nennen, eine
Buchstabenfrömmigkeit,
dass alles, was von mir
existiert, nur durch das
Buch existiert. Ich
akzeptiere nichts
außerhalb der Schrift. Ich
meine sogar, die Literatur
besteht nur für Literaten,
für literarisch tingierte
Menschen. Mein Leser ist
mir zum Verwechseln
ähnlich. Er ist nicht die
Frau des
Vorstandsvorsitzenden. Er
gehört nicht zur Elite. Es
wird jemand sein, der
völlig spiegelbildlich dem
Autor entspricht.
Einsamkeit plus
Einsamkeit.
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