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Ein ZEIT-Gespräch mit Botho Strauß
Von Ulrich Greiner
6. Februar 2003,
Strauss: Sie nisten
unterm Dach. Abgesehen
davon, dass sie die weiße
Wand bekleckern, es
macht mich nervös. Es ist
ein unglaubliches
Geflattere und Gemache,
Sie können sich das nicht
vorstellen. Ich habe Netze
gespannt. Ich konnte es
nicht mehr aushalten. Ich
dachte, was für ein Idiot
bist du, du gehst aufs
Land, in die Stille, und die
eigentlichen Bewohner
dieser Gegend kannst du
nicht ertragen.
Strauss: Fernsehen,
nein, das ist unerträglich.
Früher habe ich viele
Filme gesehen, jetzt nicht
mehr. Ich möchte mir ein
DVD-Kino einrichten, das
ist ja leicht heute. Internet
benutze ich natürlich, um
Bücher zu kriegen,
Antiquariate zu
durchsuchen. Aber im
Chatroom habe ich mich
noch nicht zu Wort
gemeldet. Die meisten, die
sich dort äußern,
beherrschen das
Schreiben schlecht. Man
muss ja schreiben dort.
Strauss: War ja auch.
Nur: Was neu
hinzukommt, wiegt das
Gewesene nicht auf. Die
Gewichtung verändert
sich.
ZEIT: Mit wachsendem
Alter wird man
konservativer, findet alles
im Niedergang begriffen.
Strauss: Niedergang war
immer, das ist ein
ständiger Topos des
Geistes, seit der Antike.
Das geht gar nicht anders.
Letztlich ist doch die
ganze Epik aus dem
Gedanken entstanden: Die
große Zeit liegt zurück. Ich
denke nicht, dass man das
konservativ nennen kann.
Wir haben ja nichts, aber
auch gar nichts, was wir in
unserem persönlichen
Lebens- und Zeitraum als
besonders erhaltenswert
ansehen könnten. Ich
kann mit dem Wort
konservativ nichts
anfangen, weil es als ein
politisch vollkommen
platter Begriff verhunzt
ist. Ich halte es für
wichtig, sich zu einem
geistigen, ästhetischen
Fundamentalismus zu
bekennen, der weiß, wie es
in einem Vers von Gunnar
Ekelöf heißt, dass in
jedem Augenblick "der
Schleier der Zeit"
zerreißen kann und man
vor dem nackten Beginn
steht. Es gibt eben nicht
nur das Geschichtliche.
Ich verstehe es eher
heideggerisch: Man muss
seine Gründe behalten,
seiner Herkunft begegnen.
Mit konservativ hat das
nichts zu tun. Ich nenne es
fundamental. Ich könnte
auch elementar sagen. Es
gibt verschüttete
Grundelemente, die heute
vielleicht nur in
Sekundenbruchteilen von
Erleuchtung wieder
sichtbar werden. Jetzt ist
der technische Überbau
derart gewaltig, dass nur
noch das Prinzip der
Innovation Gültigkeit zu
haben scheint. Aber es
könnte doch passieren,
dass man das
anknüpfende,
verbindende Element für
genauso lebensspendend
hält. Das geht nur auf dem
Weg der Aufräumarbeit,
aber nicht im Sinne des
Erhaltens.
ZEIT: Worin besteht
heute der Niedergang?
ZEIT: Welche Verluste?
Strauss: Da der
Handwerker heute durch
den Heimwerker ersetzt
ist und der Baumarkt das
zentrale
Vereinigungsmittel, haben
Sie durchweg ein und
denselben Jargon. Das ist
wie mit dem
Silikonkautschuk: Sie
können damit jede Fuge
oder Unebenheit glätten.
Strauss: Überhaupt
nicht, weil es in der Tat
das eigentlich
Verändernde in unserer
Welt darstellt. Das
Undurchdachte. Was
geschieht, geschieht ohne
irgendeinen
philosophischen oder
ästhetischen Reflex.
ZEIT: Was fehlt?
Strauss: Das Schöne.
Wissenschaftselite ist nur
eine Frage des
Zuchtprogramms. Das
kann es nicht sein. In dem
kleinen Restzirkel, der
sich noch mit Literatur
oder Theater beschäftigt,
kann man doch nicht von
Elite sprechen. Keiner der
Autoren, die wir kennen,
würde sich heute
anheischig machen, das
Ganze anzuführen. So wie
etwa Carl Friedrich von
Weizsäcker oder Gräfin
Dönhoff vor Jahr und Tag
in Ihrer Zeitung davon
sprachen. Da gab es noch
die Vorstellung, dass man
das Schiff steuern könne,
wenn man sich die
ethischen Probleme
bewusst halte. Diese Art
von Moralismus, dieser
Appell, sich am Portepee
zu packen, hat nichts, aber
auch gar nichts gefruchtet,
es läuft alles seinen
autonomen
Innovationsgang. Da ist
eine riesige
Oberflächenstruktur, die
sich mit größter
Eigendynamik
weiterentwickelt. Ich kann
gut verstehen, dass junge
Autoren sich sagen, da
kann man nur mitmachen.
Es ist allerdings ein
alberner Pleonasmus, das
noch einmal abzubilden.
Strauss: Nur insofern,
als mich die Frage
beschäftigt, was ist noch
von der Regsamkeit des
Menschen, wie ich ihn
kenne und mit dem ich
immer verbunden bleiben
werde, was auch immer
auf dem genetischen Feld
geschehen mag, zu
erwischen, welche
Geheimnisse, Fluchtungen
ins Unheimliche sehe ich -
das ist für mich ein
Lebensprogramm, wie es
für Proust und andere
gegolten haben mag. Aber
ich kann daraus keinen
Schluss ziehen für das
Problem der Eliten in
dieser Gesellschaft. Ich
empfinde, dass die
Abstraktionen immer
fader werden. Mich
interessieren fast nur
noch die Phänomene. Man
kann sie aber nicht immer
entschlüsseln.
Strauss: Die Dichotomie
des Allgemeinen und des
Besonderen, wie schon
von Goethe formuliert, ist
in jeden eingepflanzt.
Aber sie ist kaum zu
beschreiben. Ich kann
lediglich sagen, dass ich
ein völlig versprengtes,
kleines Literatur-Potenzial
bin, in dem
Hergekommenes und
Gegenwärtiges (von der
Zukunft wollen wir nicht
reden) auf engstem Raum
zusammengedrängt sind.
Ein Energiekügelchen.
Robert Musil hat einmal
von sich gesagt, er sei
zwar kein
Erfolgsschriftsteller, aber
doch auch keine
Konventikelgröße. Damit
meinte er einen, der von
einer kleinen Schar von
Leuten, mit denen man
sich am Tisch trifft,
getragen wird und mit der
er in völliger
Abgeschlossenheit seine
Sache macht. Nicht
einmal diese
"Konventikelgröße" gebe
ich ab.
Strauss: Nun ja,
jedenfalls anders als ich
befürchten musste. So
verschieden sind meine
vorangegangenen Bücher
ja nicht, dass es Grund
gäbe, Wohnen Dämmern
Lügen in den Orkus zu
stoßen, wie es ja
geschehen ist. Aber ich
bin gegen solche
Wetterschläge gefeit, weil
ich schon alles
mitgemacht habe.
Strauss: Herrisch? Bei
meiner fragilen inneren
Verfassung kann ich das
nicht finden. Man hat ja
auch Ernst Jünger
herrisch, sogar einen
Herrenreiter genannt.
Dabei ist niemand ein so
subtiler Beobachter von
Weltzusammenhängen
und Mythen wie Jünger.
Nein, das ist
unangebracht.
Strauss: Vielleicht bin
ich widerspenstig, aber
das ist nicht wirklich mein
Grundimpuls. Das
empfinde ich nicht so.
Jedenfalls bin ich vielen
ein missliebiger Autor.
Den einen, weil hier ein
Demokratiekritiker den
Anschein erweckt, mit der
Sache selbst nichts mehr
zu tun zu haben. Den
anderen, weil ich
versuche, die kulturelle
Erinnerung aufzuwecken,
bis hinein in die Mythen
und das Irrationale, das ja
ungesagt überall zu
seinem Recht kommt, in
jedem Rockkonzert, in
jedem Filmbesuch,
überall. Wenn man es
indessen beim Namen
nennt und bekennerisch
bejaht, wie ich das tue,
wirkt das herausfordernd
und unverschämt.
Manchmal muss ich an
Hofmannsthal denken,
der sich in seinen späten
Jahren fragte, wie er denn
von einer Zeit, der er den
Rücken gekehrt, erwarten
könne, dass sie ihn
verehre.
Strauss: Mein Schreiben
ist ein
Nachvorneschieben, kein
Rückzug. Ich habe hier
keine Idylle gefunden, die
ich selig schildern wollte,
was im Übrigen völlig
ausreichen, mir aber nicht
gelingen könnte. Das
entspricht nicht meinem
Temperament. In meine
Texte sind seit je
zahlreiche zeitgenössische
Unmutsäußerungen
eingewoben. Die kleine
Zeile im vorletzten Buch,
dass in seinem Herzen
niemand Demokrat sei,
hat sofort Alarm
ausgelöst, obgleich ich nur
sage, es gibt auch in einem
jetzt lebenden Menschen
Dinge, die nicht unbedingt
verfassungskonform sind.
Ist es die nebensächlichste
Aufgabe von Literatur,
dergleichen ins
Gedächtnis zu rufen? Dass
wir etwas älter sind als
nur von heute, habe ich
immer für
selbstverständlich
gehalten.
Anbindungsstrategien
sind für mich wichtiger als
Bruch- und
Aufbruchparolen. In der
ästhetischen Entwicklung
spielen Neuerungen keine
bedeutende Rolle mehr.
Ich selbst bin ein
Transporteur, kein
Neuerer. Vielleicht ist
heute der Transporteur
der Neuerer, das kann
schon sein. Ich habe mich
immer als einen
empfunden, der
durchdrungen ist von
dem, was war, und es
weiterträgt.