3. überarbeitete Auflage
B. Kahi-Nieke
Einführung in die
Kieferorthopädie
Diagnostik, Behandlungsplanung, Therapie
Einführung in die
Kieferorthopädie
Diagnostik, Behandlungsplanung, Therapie
3. überarbeitete Auflage
Copyright CD 2010 by
Deutscher Ärzte-Verlag GmbH
Dieselstraße 2, S08S9 Köln
s4 3210 / 612
Vorwort zur 3. Auflage
Apropo~ Zeitgeist: Mein kleines grünes Buch und all die anderen kleinen grünen Rucher mit
zahnmedizinischcn Basics, die die Studierenden und auch die Weiterbildungsassistenten bis-
her gerne gekauft und wohl auch gelesen haben, '"'urden vc>m Verlag plötdid1 und unerwar-
tet nicht meh r gedruckt. Und das in Zeiten zunehmenden Interesses an altersunabhängiger
kieferorthopädischer Behandlung. Wie alle Interessierten gemerl..t haben, hat es nun auch
ziemlich lange gedauert, bis wir mit neuen Auflagen, jetzt in hanseatischem Blauweiß wieder
auf den Markt gekommen sind.
Ich möchte an dieser Stelle dem Team des Ärzteverlages herzlich dafur danken, dass wir
ins Gespräch und dann auch ins Geschäft miteinander gekommen sind. Denn, dass Sie, liebe
Leserinnen und Leser, Interesse hatten, die Zahnmedizinische Reihe zu konsumieren, war uns
bekannt.
Was erwartet Sie nun mit dieser neucn alten Auflage 3? Eigentlich das Buch, das nun seit
geraumer Zelt vergriffen ist. Restfehler wurden verhe~sert und wichtige Ergänzungen sowie
Novitäten eingefügt. Bei dieser aktualisierten Auflage handelt es sich um die bekannte Ver-
sion, die nach der Lu langen Zwbchenzeit aufgrund der zahlreichen Nachfragen aufgelegt
wurde.
Liebe Leserinnen und Leser, Kieferorthopädie ist ein ausgesprochen dynamisches Fach, in
dem Diaj,'OOStik und Therapie einer permanenten Veränderung auf der Basis wissenschaftJi.
eher Erkenntnisse und klinischer Erfahrung unterwor[en sind. Wir freuen uns, dass Sie daran
Interesse haben und hoffen auf Ihre Kommentare und Ihre Kritik.
Kieferorthopädie, die Lehre von der F.rkennung, Verhütung und Behandlung von Dysgna-
lhien, ist so vielschichtig, dass eine dreijährige Weiterbildung nach Studienabschluss zur Gc-
bletsbezeichnung "Kieferorthopäde" bnv. "Kieferorthopädin" führt. Erkennen und Verhüten
von Uysgnathien sehe ich als eine der wesentlichen Aufgaben des Zahnarztes, Behandeln als
die des Fachzahnarztes. Zwei Drittel dieses Buches slnd deshalb der Schädel- und Gebissenl-
wicklung, Befunderhebung und Diagnostik gewidmet. Das abschließende Drittel behandelt
die Grundlagen der Therapie. Qualitativ und quantitativ präsentiert der Inhalt somit den
Lehrstoff für das Fach Kieferorthopädie wiihrend de-~ Studiums.
Der Rolle der Kieferorthopädie in der Zahnheilkunde entsprechend, soll dieses Buch einen
Baustein fü r die Lehre der Lahnmedizinischen Fächer an den I lochschulen bilden. Als Begleit-
lel:türe während des Studiums soll es helfen, den roten Faden auch in den KFO-freien Semes·
tern nicht zu verlieren. Es ist weder als Vorlesungsersatz noch als Kursskript, geschweige den n
als Therapieanleitung zur Durchfuhrung "kleiner" orthodontischer ~iaßnahmen gedacht.
Vielmehr sollte man es eher als ein Manual im eigentlichen Wortsinn bezeichnen.
Dieses Buch ist zum Lesen, •achschlagen und Lernen gedacht und soll die Vielfalt der
Konzepte in der Kieferorthopädie reflektieren. Da jedes Buch aurn eine subjekth·e, auf den Er-
fahrungen des Autors beruhende Lehrmeinung darstellt, Wissenschaft sich jedoch ständig im
Vl Vorwort
Fluss befindet, möchte es zu kritischem Den ken an regen und Raum für eine eigene Meinung
des Lesers und die Philosophie des jeweiligen Dozenten lassen.
Ich möch te an dieser Stelle me inen akademischen Lehrern Professor Schwarze (Köln), Pro-
fessor Diedrich (Aachen) und ProfessorTarnmoscheit (Regensburg) danken und betonen ., dass
sie wesentliche Grundlagen für diese Arbeit gelegt haben.
Mit Freude gebe ich der soeben erschjenenen "Einführung in die Kieferorthopädie" me in Ge-
leit in der Überzeugung, dass das n eue Fachbuch weite Verbreitung und Anerken nung filnden
wird. für die geleistete Arbeit bin ich meiner langjährigen Mitarbeiterin und Oberärztin, Frau
Privatdozentin Doktor Kahl· "ieke, dankbar; spiegelt doch der Inhalt des vorliegenden Hlüch-
leins unser gemeinsames Bemühen wider, den angehenden Zahnmedi.dnern einen Überblick
über unser Fachgebiet zu vermitteln. Frau Kah l-Nieke hat sich selbst mit der .,Einführung in
die Kieferorthopädie" in d ie Rei he der Buchautoren bestens eingeführt. Man darf auf weitere
Erfolge gespannt sein.
ln ha ltsverzeichnis
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
3 Grundlagen ... . . . ............ .. ... .... . . ... . .... . ..... . .... . .... . . ... . .. .. ... . 15
3.1 Ossifikationstypen - 15
3.2 Knochenwachs tum - 17
1 Zahnzahl ..................................................................... . 53
7.1 Unterzahl - 54
7.2 Überzahl - 56
7.2.1 Mesiodens - 56
7.2.2 Zapfenzahne - 58
7.2.3 Disto- und Paramolaren - 58
7.2.4 Eumorphe überzählige Zähne - 59
7.2.5 Odontom - 60
11 Abweichungen der Okklusion und der Lagebeziehungen der Kiefer ........ ...... 91
11.1 Okklusion - 91
11.1.1 Transversale Abw eichungen - 91
11.1.2 Sagittale Abweichungen - 91
11.1.2.1 Settenzahnokklusion - 91
11.1.2.2 Overjet - 92
lnh1altsverzelchnls _..- ,x
11.1.3 Vertikale Abweichungen - 93
11.2 Skelettale Abweichungen - 93
11.2.1 Transversale Abweichungen - 93
11.2.2 Sagittale Abweichungen - 95
11.2.3 Verti kale Abweichungen - 95
11.3 Disharmonisches Profil - 95
Diiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
15 Röntgendiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
15.1 Panoramaröntgenschichtaufnahme - 141
15.2 Fernröntgenseitenbild - 146
15.2.1 Röntgenkephalometrische Bezugspunkte - 148
15.2.2 Röntgenkephalometrische Bezugslinien - 149
15.2.3 Interpretation der Winkel und Streckenmaße - 150
Sagittale Einlagerung des Ober· und Unterkiefers - 150
Vertikale Gesichtsschädelanalyse - 151
Dentale Analyse - 153
Weichteilanalyse - 154
Wachstumsrichtung und -typ - 154
15.3 Handröntgenaufnahme - 156
15.3.1 Indikationen - 159
15.3.2 Herstellung der Handröntgenaufnahme - 160
15.3.3 Interpretation - 160
17 Modellanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • 165
17.1 Abdrucknahme und Modellanfertigung - 165
17.2 Zahnstatus und Zahnbreitenvermessung - 167
17.3 Platzbedarfsanalyse - 169
17.4 Zahnbogenbreit e - 169
17.5 Zahnbogenlänge - 171
17.6 Frontzahndisharmonie - 171
17.7 Transversaler und sagittaler Symmetrievergleich - 171
17.8 Analyse vertikaler Abweichungen - 173
17.9 Okklusion - 173
17.9.1 Seitenzahnverzahnung - 173
17.9.2 Sagittaler und vertikaler Überbiss, transversale
Okklusionsbest immung - 174
19 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . • . . . . • . . . • . . 181
19.1 Orthodentische Zahnbewegung - 181
19.1.1 Physikalische Grundlagen - 181
Kraftgröße - 181
Kraftdauer - 182
Kraftansatz und Hubhöhe - 182
Kraftrichtung - 183
19.1.2 Biologische Grundlagen - 186
19.1.3 Paradontale Aspekte - 189
lnhJar tsverzt!ichnis ~ XI
Altersveränderung - 189
Entzündung - 190
Gingivaveränderungen - 190
Alveolarfortsatzkonfiguration - 190
19 .1.4 Iatrogene Schäden - 191
Wurzelresorption - 191
Parodon topathien - 192
Karies - 192
Schmelzdefekte - 192
Devitalisierungen - 192
19.2 Kieferorthopäd ische Bewegung - 192
19.2.1 Biologische Voraussetzungen - 193
Skelettales Alter - 193
Kiefergelenkbefund - 194
19.2.2 Wachstumshemmung - 194
19.2.3 Wachstumsstimulation - 194
19.2.4 Klasse II-Anomaiie - 195
19.2.5 Klasse 111-Anomalie - 195
19.3 Behandlungsprinzipien - 196
19.3.1 Indikation - 196
19.3.2 Orthodontie - 197
19.3.3 Orthopädie - 197
19.3.4 Kombiniert orthodontisch-kieferchirurgische Maßnahmen - 198
19.3.5 Präprothetische und präimplan tologische Maßnahmen - 198
21 Bthandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
211 Behandlungsbeginn - 253
21.1.1 Art und Ausprägung der Anoma lie - 253
21.1.2 Dentitionsalter - 254
21.13 Skelettales Alt er - 254
21.1.4 Chronologisches Alter - 255
2.2 Behandlungszeiten - 255
21.2.1 Frühbehandlung und frühe Behandlung - 255
21.2.2 Normalbehandlung - 257
21.2.3 Spätbehandlung - 257
21.2.4 Erwachsenenbehandlung - 258
2.3 Retention - 258
2.4 Dysgnathien des progenen Formenkreises - 258
21.4.1 Echte Progenie - 260
21.4.2 Pseudoprogenie - 261
21.4.3 Progener Zwangsbiss - 263
21.4.4 Umgekehrter Schneidezahnüberbiss - 263
21.4.5 Therapie - 264
21.4.6 Geräte - 264
Kopf-Kinn-Kappe - 264
Gesichtsmasken - 265
Funktionskieferorthopädische Geräte - 266
Platten - 267
Schiefe Ebenen - 268
Multiband-Bracket-Apparaturen - 268
Kieferchirurgische M aßnahmen - 269
Epikritische Betrachtung der ..Progeniebehandlung" - 269
21.5 Klasse II-Anomaiien - 270
21.5.1 Angle Klasse 11 1 - 272
21.5.2 Angle Klasse 112 - 272
21.5.3 Therapie - 273
Klasse 111 - 274
Klasse 112 - 276
Deckbiss - 277
21.5.4 Geräte zur Therapie der Klasse II-Anomaiien - 278
Funktionskieferorthopädische Geräte - 278
Vorschubdoppelplatten - 278
lntermaxilläre Klasse II-Gummizüge - 279
Herbst-Scharnier - 279
Headgear - 280
Mundvorhofplatte - 280
Face Former - 280
Festsitzende Geräte - 281
21.5.5 Rezidivgefahr - 284
:1.6 Offener Biss - 282
21.6.1 Frontal offener Biss - 282
21.6.2 Seitlich offener Biss - 284
XIV lnhaltsvel'llceicchnis
Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • 333
Rad iologi sche 3D-Diagnostik in der Kieferorthopäd ie {CT/DVT) - 333
Grundsätzliche Vorteile der 30-Bildgebung für die Kieferorthopädie - 334
Indikationen der 30-Bildgebung in der Kieferorthopädie - 334
Einschränkungen der Indikationen - 335
Zusammenfassende Bewertung - 335
Literatur - 335
Stichwortverzeichnis . . . . . . • . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . • . . . . 339
Ei nleitung
• :mtnll J
Abb. 1-1: Schematische Darstellung der Aufgaben von .Orthodont.e•• und .Orthopadie"
4 1 Begnffe und Oefinotionen
KFO ""'\
Zahnersatz MKG·
kunde Choru rgie
L .....______.".
2 Historischer Rückblick
II
Hi\tori~Lh unterscheiden \\ir in der kieferorthopddi~chen Diag-
nostik und Therapie da\ klderorthopädische Alt<.>rtum (<lie Ze1t
der Etrusker), das ~littelalter (die so genannte Vor-Angle-Zeit) und
die kieferorthopadiKhe Neuteil gegen Ende dl'' 19.Jahrhunderts.
~~
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Fauchard
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6 2 His1orischtr l<!ückblick
Abb. 2· 2: Band
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nochUK~IJI n•ch UK d1st•l
Abb. 2·3: E1nte1lung dtr Intra und intermaxillaren Gummizuge nach Baker
2.3.1 Angle-Periode
Von einer Vorperiode un ter~llleidet sich die \'On E. II. Angle bestimmte
2. Periode (1899-1910). Angles Werk drud.te die lielset7ung bereits im
II
·ntel . OJ..klu,iun.gnomalien der Zähne" aus. Sein KJassifiLierungsprin7ip
basiert darauf, dass der Oberkiefer m sagittaler Rtchtung unbeeinflussbar
und der obere Sechsjahrmolar immer korrekt positioniert ist. Ausgehend
vom Uogma der Molarenkonstan" ( 16 und 26), gruppierte er die~- Molarenkonstanz
his~a nomalicn in drei Klas~en. Grundlage dieses ~ i nteilungsprinz.ips
bildete die Verzahnung der ~hsjahrmolaren. Die Molarenokklusion
~urde damals mit der Bis~lage (M-it 1931 am Fernröntgenseitenbild be-
stimmbar) gleichgesetzt. Bei der KlassifiTierung nach Angle besteht bei
KJasse I eine neutrale, bei Klasse II eine distale und bei KJasse lll eine me-
siale lktichung der unteren SechsJahrmolaren zu den oberen (Abb. 2-4).
ln J>eutsc hland wurden die Angle-Klassen von Körbitz Neutralbiss Angle-Klassen
(Klasse 1), Distalbiss (Kias~e 11) und Mesialbiss (Klasse 111) genann t.
Um die Schwierigkeit der Diagnose mit dem Angle-System bei früh-
zelliger Gebissreduktion durch Zahn\'erlust oder Fxt rdktion und nach-
folgende Zahnwanderungen 7U beherrschen, wurde das Symmetroskop
nach Gnmberg zur Rekonstrul..uon der Okklusionssituation ,-erwendet
(Abb. 2-5).
Oie eigentliche Angle- J>erlode \\-"U rde durch die Neu-A ngle-Schule
abgelöst , deren Aktivi täten aur therapeutischem Gebiet lagen. Als mar-
Abb. 2-4: D•e Angle-Klassen a) Klasse I, b) Klasse 11,, c) Klasse 111, d) Klasse 111
8 2 Historischer Ruckblick
ﻳﺒﺮز- ﻳﻤﯿﺰ-ﻳﺆﻛﺪ
kanter lk>griff aus dieser Zeit ist die Bestrebung zur körperlichen Bewe-
bodily movement gung der ühne, bodily movement, hel'\orzuheben. ,\uf therapeuti-
schem Gelm•t bildete sich fast gleich1eitig unter Mershon die biologi-
sche Richtung aus.
Zu flnfang de\ INzlen J a h rhu n dert~ begann ein neuer i\bschnitt der
orthodontischcn Therapie, und zwa r in engem Zusammenhang mit der
Wciterentwid.lung der orthodontischen Diagnostik. Mit ~einem Labial-
·-
__..
Abb. 2-8: Verankerung beim vert1ka len a) und horizontalen b) und c) Bandbogen [nach AngleI
2.3.2 Plattentherapie
Platten zur Zahnregulierung, die aus Metall gegossen oder gestanzt wa-
ren und später aus Kau tschuk vulkanisiert wurden, gab e~ schon im 19.
Jahrhundert (Robinson, Linderer, Tomes). Sie wurden mit Ligaturen aus
gewachster Saite oder Draht mit Bändern oder Drahtklammern befestigt
w1d wirkten durch Metallhügel, Spiralfedern, Gummibänder, Kaut-
~chukkompressen oder eingewindige Tele~kopschraubcn auf die Zähne
ein. Von Pfaff wurde bereits 1906 eine zweigewindige Schraube zur Er-
weiterung der Zahnbögen beschrieben. Aus der Ära der Platten sind die
10 2 Historischer !Ruck blick
3 Grundlagen
\<lecke
Wahrend des gesamten Wachstums finden Knochenneubildung
und -umbau, d .h. Rem odellicrung, statt. Diese Kombination ge·
wahrleistet einen ausgewogenen Größenzuwachs der Strukturen
unter Erhalt von Form und i'roport ionen . اﻧﺘﻘﺎل- إراﺣﺔ
-=---- -- - Shift - Relocation
D1e dritte Komponente, die Kn ochen ve rl agerung, basiert darauf, da~~ Knochen·
benachbarte Knochen sich durch ihre Größemonahme im Bereich von verlagerung
gelenkigen Verbindungen wie Suturen, S}nChondrosen und Kondylen
vonetn.Lnder wegbewegen.
3.1 Ossifikationstypen
~ l eck~
Abhang•g von der l.okah'iaiiOn wird die pcrichondrale ,·on deren· ﻈﻢ اﻟﻐﻀﺮوف
ّ ﺗﻌ
Bei der e nch ondralen Ossifikation wi rd der Knochen knorpelig vorge- Enchondrale
bildet und durch Knochen ersetzt . Ossifikation
Die peri cho ndrale O~ifll~au on geht vom Perichondrium aus: Me· Perichondrale
senchym.tellen differenzieren 1u Osteobla~ten, die schon \'Or der \ 'er· Ossifikation
knocherung die Diaph)sen mit einer Knochenmansd1ette umgeben
und SOilllt indirekt die O~~lfikatlon~richtung beeinflussen. Oie enchOil·
drale O~s.fikation beginnt mit der Ausbildung der Primarspongiosa, d.h
ﺟﺪل )اﻟﺠﺰء اﻻﺳﻄﻮاﻧﻲ اﻟﻄﻮﻳﻞ ﻣﻦ اﻟﻌﻈﻢ
ﻈﻢ ﻣﺤﯿﻂ ﺑﺎﻟﻐﻀﺮوف
ّ ﺗﻌ
16 3 Grundlagen
3.2 Knochenwachstum
Merke
Zwei Grundmechanismen, das direkte Knochenwachstum und die
Verlagerung des Knochens, sind für das Wachsen der Knochen im
fa7.ialen und kranialen Bereich bedeutsam.
اﻻﻟﺘﺤﺎم
اﻟﻐﻀﺮوﻓﻲ و ﺧﺎﺻﺔ
ﻟﻌﻈﺎم اﻟﻘﺤﻒ
\ferke
Sehr aktive Wachstumsfelder wie die Suturen, die Tubera maxilllae,
die Al\eolarfortS.1lZe und die Synchondrosen werden als Wac.;hs-
tum.\Ze ntren beteichnet.
Displacement Die Verlagerung, Displacement genannt, ist neben dem direkten Kno-
chenwachstum durch Apposition und R~::~orption der zweite cha•rakte-
ristische Mechanismus beim Schädehvachstum. Der Knochen wiJTd im
Bereich winer gelent..lgen Verbindungen, den Suturen, ynchondJrosen
und Kondylen, von den benachbarten Knochen wegbcwegt. l:.nJ01w un-
te~che•det·
-A primlires Oisplacement, eine Verlagerung in Kombination mit" kno-
cheneigenem Wachstum
.A sekundäre~ Displacement, eine Knochenverlagerung durein die
Fernwirkung der Lxpansion nicht bendchharter Knochen und
Weichgewebe.
4 Pränatale Schädelentwicklung
Aus der durch die rünf Hauptwülste umschlossenen primitiven Mund· Pr i m äre -
bucht (S tomadaeum) entwickelt sich durch weiteres Wachstum der um- Mund höhle
gebenden Weichteile dje primäre Mundhöhle. ln der fünften Woche
sind am Stirnwulst die paarigen medialen und lateralen asenwiilste zu
erkennen (Abb. 4· 1).
Kaudal der Oberkieferwülste liegen die vier bis fllnf durch Kiemen-
fu rchen voneinander getrennten Kiemenbögen.
medialer
N a~nwulst
Nasenplakode
lateraler
Nasenwulst
Augenplakode •
Processus
globulans
Oberkieferwulst
• · · - ·- Unterkieferwulst
l,Omm
Abb. 4-1: Gesicht eines fünf Wochen alten Embryos mit Gesichtsw ülsten, Augen-,
Ohrenanlagen und Stomadeum [aus R.-R. M iethke: Praxis der Zahnheilkunde, Bd.
11,4. AuO.]
20 4 Pränatale Schädelentwicklung
Kiemen- 2 3 4
furchen
-- lncus
Stapes
r Processus
•- - -- styloidl!us
lig. stylo-
.- · • • hyoideum
kleines Horn des
Zungenbeins
___ __ großes Horn des
Zungenbeins
- Zungen bein-
körper
• • • Schildknorpel
Herz- • Hyoidbogen
vorwölbung : - Ringknorpel
'
Oberkiefer-
w ulst
M andibular·
bogen
_--_-_-_r_rachealknorpel j(
Abb. 4-2: Sagittaldarstellung der Kiemenbögen und Kiemenfurchen bei einem fünf Wochen alten Embryo.
Daneben bennden sich die dennitiven Strukturen, die aus den knorpeligen Antei len der Kiemenbögen ent-
stehen [modifiziert nach Langman).
Ala orbitahs
II
Hypophysenknorpel
Ala temporaUs
parachordaler
Knorpel
Labyrinthkapsel
okzipitale
Sklerotome
'
-~--· ... -- .. ·--- Chorda
Ethmold
kleiner
Keilbelnflügel
Keilbelnkörper
großer
Kellbelnflugel
Pars basilaris des
Hinterhauptbeins
Felsenbein
Squama occipitaiis
Abb. 4-3: Entwicklung des Chondrokranlums: Oben sind die knorpeligen Vorstufen
der Schadelbasis und unten die daraus entstandenen Schädelbasiskomponenten
beim Erwachsenen dargestellt [modifiziert nach Langman).
22 4 Pränatale Schadclentwiacl<lung
Desmokrani um ln der ach ten Woche beginnt auch die desmale Knochenbildumg der
Schädelkapsel (De~mokranium) im Bereich de~ Stirnbeins.
Zum Desmokranium gehören:
~ das Os frontale
~ das Os parietale
Abb. 4-4: Die für das Schädelbasiswachstum w ichtigen Synchondrosen [aus R;.-R.
Miethkt, Praxis der Zahnheilkunde, Bd. 11, 4. Aufl.)
4.2 Oberkiefer
Merke
Knochenwachstum bedeutet zuerst lediglich l<nochenapposirion.
Remodeliierendes Wachstum im Sinne von Resorption und Apposi-
tion ~ginn t erst nach vollständiger Konfiguration der Schädelkno-
chen.
4.2 Oberkiefer II
Merke
Der Oberkiefer v.ird durch Vereinigung der Stirn- und Oberkiefer-
wülste gebildet.
Die Oberkieferwülste schieben sich unter die lateralen Na~enwübte und Bildung des
wachsen auf die medialen Nasenwülste zu, um sich mit ihnen zu ver- primären
binden. Zur Bildung des primären Gaumens legen sich die Epithel- Gaumens
schichten aufeinander. Das Epithel wird aufgelöst und durch Mesen-
chym ersetzt. An einigen Stellen bleibt Epithel erhalten, z.B. zwischen
Oberkieferwulst und lateralem Nasenwulst. Sekundär wird so der Cana-
lis nasolacrimalis gebildet (Abb. 4-5).
Die l'\asenformung, als erster Schritt der embryonalen Gesichtsbil·
dung, beginnt mit den sich entwickelnden Riechpla koden, die zu Riech-
gruben und danach zu Riechschläuchen werden. Oie Membrana bucco-
nasalis trennt die Riechgruben vom Mund- und ~asenraurn ah und
reißt allmählich am Ende der ftinften Woche ein, was zur Ausbildung
der primiliven Choanen führt (Abb. 4-6).
Zu Beginn der siebten Woche bildet sid1 der sekundäre Gaumen. Oie Bildung des
gemeinsame Mund-Nasenhöhle wird in der ~ilte durch das hcrabhän- sekundären
gende Nasenseptum und die Zunge geglieclert. Die au~ dem Oberkiefer- Gaumens
Y.'Ulst entstammenden Gaumenfortsätze erstrecken sich lateral der Zunge.
Na res
primärer Gaumen
Oberlippe
Gaumenfortsatz
Nasenseptum
l,Omm
Abb. 4-5: Bildung des primaren Gaumens bei einem sechs Wochen alten Embryo
[aus R.-R. Miethke, Praxis der Zahnheilkunde, Bd. 11, 4. Aufl.J
24 4 Pränatale Schädelentwicklung
--- Nase/Nasenseptum
Riechschlauch
-- Oberkiefer/Oberlippe
Membrana bucconasalis
Unterkiefer/Unt erlippe
---- - Zunge
1,0 mm
Abb. 4-6: Viszerokranium eines funfWochen alten Embryos vor dem Einreißen der
M embrana bucconasalis [aus R.·R. Miethke, Praxis der Zahnheilkunde, Bd. 11, 4.
Aufl.]
gemeinsame
Nasen-Mundhöhle
Nasenseptum
Zunge
Sulcus
alveololingualis
- - Gaumenfortsatz
Nasenhöhle
Nasenseptum
__ Concha nasalis
inferio r
-- --- - Gaumenfortsatz
M undhöhle
• Zunge
l,Omm
Abb. 4· 7: Nasen· und MundhöhlenbereiCh a) vor und b) nach dem Aufrichten der
Gaumenfortsatze [aus R.·R. M iethke, Praxis der Zahnheilkunde, Bd. 11,4 Aufl.)
4.2 Oberkiefer •&t.iitJCI 2s
1.0cm
26 4 Pränatale Schädelentlwicklung
sehen Lippe und Papilla incbiva und bildet sich normalcrv. eLse zum
oberen Lippenbändchen (Frenulum labii superioris) zurück. Beil Persh-
tenz spricht man vom persistierenden Frenulum tectolabiale, \Welches
Ursache für ein Diasterna mediale sein kann (1\bh. 4-8).
Die auffälligste Veränderung der Oberkieferdimension ist die Vergrö-
ßerung der Gaumentiefe (1 mm in 6 Wochen). Beim Übergang won der
Embryonal- zur Fetalzeit vergrößern sich die funktionel len Hollllräurne
( asen- und Mundhöhle), so dass ein freier Zungenraum entsteht. Au-
ßerdem verlagert sich der Oberkiefer in Relation zur Schädelbmsis um
zo• nach ventral.
4.3 Unterkiefer
M eckei-Knorpel
Nervus mandibularis
Nervus Iingualis
primitive Mandibula
Nervus incisivus
Nervus mentalis
I
t--
l,Omm
Abb. 4--9: Die erste Verknöcherungszone des Un terkiefers und ihre räumliche Be-
ziehung zu den Unterkieferstrutetoren bei einem sechs Wochen alten Em bryo [aus
R.-R. M lethke, Praxis der Zahnheilkunde, Bd. 11,4. Aufl.]
4.4 Kieferlagebeziehung
Embryonale Bis zur sechs ten Woche besteht eine embryonale Retrogcnic (nach A.
Retrogenie M. Schwarz). Mit der Bildung des sek'lmdilrcn Gaumens nach der sech~
tcn Woche verdoppelt sich die Unterkieferlänge. Schwarz und andere
Autoren beschreiben danach die intrauterine Kieferbeziehung im drit-
Progenie ten Monat als embryonale J>rogenie. 'euere, auch eigene Untersu-
chungen haben jedoch bei der Mehrahl der Embryoncn/~cten eher
eine Kopfbisssituation, d.h. gleiche sagittale I!öhe beider Kiefer, festge-
steHt (Thiele, Miethkc, ßroer, Kahl-Nicke),
Danach kommt es erneut zu einem forcierten Oberkieferwachstum,
und bis zum Zeitpunkt der Geburt hat sich eine sagittale Stufe von
Neugeborenen- 4 mm im Sinne einer 2. embryonalen Retrogcnie (Neugcborenenrück-
rücklage lage) ausgebildet (Abb. +-11).
4.5 Entwicklung der Zahngewebe 4$t.HOCI 29
II
II
111
IV
Oie Odontogenese beginnt 30 bis 40 Tage nach der Ovulation durch die
Ausbildung eines odon togenen [ pithelbandes. Die Anlagen der Milch-
lähne ent~tehen durch Proliferation der Basal7ellen des primären Epi·
30 4 Pränatale Schädelentwi<klung
5 Monate
in utero
2 Jahre
(t 6 Monate)
7 Monate
in utero
I
Geburt 3 Jahre
(:!: 6 Monate)
·- 6 Monate
(:!: 2 M onate)
4 Jahre
(± 9 Monate)
9 Monale
(:!: 2 Monate)
5 Jahre
(± 9 Monate)
1Jahr
(t 3 Monate)
6 Jahre
18 Monate (± 9 Monate)
(t 3 Monate)
Abb. 4 ·12: Auszug aus der Dentitionstabelle [nach Schour und M assler]
32 4 Pränatale Schädclcrrtvwi<Ckdung
Abb. 4-13: Mineralisation der M ilchzähne sowie der Sechsjahrmolaren, zum Zeitpun kt der Geburt simd dlie
blauen Abschnitte verkalkt [nach Pierce und Rauber·Kopschj.
M :ti.IIGJ1 33
5.1 Gesamtentwicklung
Zum Zeitpunkt der Geburt sind die einzelnen Komponenten der Kalotte
durch Sut uren und Fontanellen voneinander getrennt. Fontanellen,
wo mehr als zwei Schädeldachknochen aufeinanderstoßen, bestehen
aus Rindegewebe mit kollagenen Fasern, sind Vorläufer der späteren Su-
turen und ermöglichen schnell ablaufendes Gehirnwachstum. Die drei-
fache JX>~tnat..lle Volumenzunahme der Schadelkapsel ha\iert auf Kno-
chenzuwach~ an den Suturenrändern und Apposition und Resorption
an den Schadellillochen. Die Verschiebliehkelt dt!r Suturen und Fonta·
nellen ermöglicht eine leichtere Passage des Geburtskanals. ln der gro-
ßen Fontanelle treHen sich die beiden Stirn- und Scheitelbeine, in der
kleinen die lx!iden Scheitelbeine und das Hinterhauptbein (Abb. 5-1).
Ot!r normale Versc hlu.~s der l'mltanellen findet 7wbchen dem Verschluss der
sechsten Monat (Fonliculus posterior) und dem zweiten Lebensjahr Fontanellen
(Fontlcul u~ anterior) statt. Bei vo rzeitigem Ver~ch lu~' t!ntstehen Sch ä-
dcld y~oMmcn (l.B. beim Apert-Syndrom = A ~ro7ephalo~yndaktylie).
ß('i \Or/t'ltlgl:'r <;ynmto~e aller Fontanellen (Kraniostenose) ~ornmt es
a b
Abb. 5·2: Allgemeine Größenzunahme und Proportionsverschiebungen zwischen Neurokranium und Vlsze-
rokranium von der Geburt (a) bis zum Alter von 20 Jahren (d), b • 1Jahr, c = 6 Jahre [aus R.-lt Miethke, Pra-
xis der Zahnheilkunde, Bd. 11, 4. Aufl.)
fer und durch vertikale Drift der AJveolarfortsat7e nach 'ome und un·
ten.
Im Ucreich des Viszerokranium~ ist da~ Vertikalwachstum am stärks-
ten. ~s ~chließen sich Längen· und Ureitenwach~tum dll. Beim Ncuro-
kranium ist das Uingenwach\tum am stärksten ausgcpragt, gefolgt von
Breiten- und Höhcnzunahme. Das heißt, die postnatale Schädelhöhe
und GeJ.ichtsbreite \Crändern sich am wenigsten. Die \'entralverlage·
rung des Ober- und Unterldefer fuhrt zur typisch menschlichen und
ge~chlcchtsspeziflschen Gesichtsphysiognomie. Diese Verandenmgen
sind beim weiblichen Ge~chlecht mit 18, beim männlichen Ge!>chlecht
mit 2l )aluen abgeschlossen (Vcrhältnh Neurokranium zu Viszerokra-
nium 2,5: 1). Dd~ Waclntum des lllrnschädels erfolgt durt:h Resorption
II
und Apposition der Schädelkalortenanteile. Die Verlagerung der Schä·
delba~is, als Dach des nasomaxillaren Komplex~. nd<:h \'Ome und un-
ten ~N7t \iCh in den na~omaxillaren Komplex fort, bceinfluN jedoch
den UnteriJefer wegen seiner raumliehen Fntfernung nur wenig. Die
GclcnJ...gruhe, db visLeraler Bestandteil der Schadelba\i~, verschiebt sich
relativ ?lun Os sphenoldale nach hinten unten (Abb. 5·3).
Nach Enlow ist das Wachstum der Schadetbasis autonom, das der
KalottE.• hängt von der funktionellt:n Matrix ab. Als Stimuli wirken die
sich' ergroßemden Itimantcile.
01e \.t-rknocherung dt:r Knorpelfugen, Synchondro\cn, \pielt eine Verk nöcherung
wichtige Rolle. Postnatal sind die Synchondrosis sphenooccipitalis, der Knorpelfugen
sphcnofrontalis und sphcnoethmoidalis von großer Bedeutung. Die
Synchcmdrosis sphen ofron tali ~ und -eU1moidalis zeigen nur noch aus·
nahrnsweise nach dem siebten Lebensjahr Ver.lnderungen. Die dann
enhtan<.lcnen Suturen Jassen nach dem siebten I ebcnsjahr keine sagil·
- Ausgangs·
sotuation
- - Endzust;md
Abb. S-4: Wachstumsrichtung der Schädelbasis, des Ober· und Unterkiefers (blaue
Pfeile) und die daraus resultierende Translation von Ober- und Unterkiefer
(schw;me Pfeile) (aus R.-R. Miethke, Praxis der lahnheilkunde, Bd. 11, 4. Aufl.)
5.2 Oberkieferentwicklung
5.3 Unterkieferentwicklung
..
: '
'
'
'
.•
•
'
........... ---
Abb. 5-6: Relation zwischen Wachstumsrichtung des Gelenkfortsat2es (dünner Pfeil) und Rotation des Un-
terkiefers (dicker Pfeil): a) brachyfazra les oder counterclockwrse-Wachstum, b) dolichofaziales oder clock-
wise-Wachstum [aus R.-R. M lethke, Praxis der Zahnheilkunde, Bd. 11, 4. Aufl.)
S.4 ~ntition 4 :n:1iQ J1 39
5.4 Dentition
ln Anlehnung an die Be?eithnungen Milch-, Wechsel- und bleibendes Phasen der post·
Gebiss werden drei Phasen der po~tnatalen Gebissentwickl ung unter- natalen Gebiss-
schieden: entwicklung
_, du.- Milchgebissperiode
_, die Wechselgebissperiode
_, da~ bletl>ende Gebiss.
SJahre
12 Jahre 17 Jahre
Abb. 5-7: Geschlechtsspezifisch aktualisierte Dentitionstabelle (nach Kahl1985l: a) Entwicklung der blei·
benden Zähne und Resorptionsstand der Milchzähne bei Mädchen
5.4 D~ntttion 1 ;fi.lltJJ1 43
I
7 Jahre 17 Jahre
18- 19 Jahre
20-24 Jahre
Abb. 5·7: Geschlechtsspezrfisch aktualisierte Dentitionstabelle [nach Kahl 1985): b} Entwicklung der blel·
benden Zahne und Resorplronsstand der Milchzähne bei Jungen
44 S Postnatale Entwicklung und Wachstum
Innerhalb der ersten Lebensjahre weist der Unterkiefer ein stärkeres sa-
gittales Wachstum auf als der Oberkiefer, wa~ zu einem Au~gleich der
Neugeborenenrücklage führt. Bei ausbleibender Abrasion im Ytilchge-
biss Ist die physiologische Kompensabon der Neugeborenenrucklage
nicht möglich. Danach kommt es bei neutralem Wachstum zu keinen
nennenswerten Kleferlageverschlebungen.
Merke
jede der physiologischen Bisshebungen kann als Symptomatil.. der
übergeordneten Schädelstreckung interpretiert werden. Auch die
transvers.1le Klcferlagebcziehung gleicht sich bei der Geburt schnell
aus.
6 Eugnath ie
Merke
Einzelne Abweichungen vom eugnathen Befund, dem anatomisch
und funktionell feh lerfreien Zustand des Kauorgans, sind nicht mit
Dysgnalhie gleichzusetzen. Erst die Summe der Abweichungen
führt zu einem dysgnathen Gebissbefund.
Sowohl die Größe - Volumen, 1-löhe und Umfang der Krone sowie
Länge und Durchmesser der Wurzeln- der Zähne beider Dentitionen als
auch die Form der einLeinen Zahntypen sind genetisch determiniert
und sehr variabel. Hinsichtlich der Gesamtgröße wie auch der Zahnkro-
nendimension bestehen Geschlechtsunterschiede. Auch :zwischen ße·
völkerungsgruppen werden Unterschiede in der durchschnittlichen
Zahngröße und in der Zahnform beobadltet.
Die stärkste Variabilität der Zahnform zeigen obere laterale lnzisivi
und dritte Molaren. Die Schaufelform oberer Schneidezähne ist ein
Mer(.. mal, da~ ~ich individuell häufig von der Milch- auf die Ersatzdenti-
tion fortsetzt.
6.2 Zahnstellung
,. . •-1·
I
-~:
16' .
latinalen Bereich. Bei einem Steilstand der lnzisivi bestehen Minus-
werte für die labiolinguale Kroneninklination. Bei den oberen
Schneidezähnen besteht eine positive Angulienmg zwischen der
Kronentangente und der Senkrechten Lur Okklusionsebene von + 7°,
zwischen der Kronentangente und der Zahnlängsachse von + 18"
(Abb. 6-2). Der Kronento rquc des unteren Schneidezahnes beträgt
- 1•, der Winkel zwischen seiner Kronentangente und der Sehneide-
zahnachse 16• (Abb. 6-3). llei korrekter Okklusion beträgt der ,.Inter·
koronalwinkel" zwischen den Kronentangenten des oberen und un -
teren Schneidezahnes -1 74°.
Oberkiefer-Zahnbogen: ellipsoid
Unterklefer-Zahnbogen: parabolold
6.3 Zahnbogenform
Okklusion, definiert als jeder Kontakt .:wischen Zähnen des Ober- und
Unterkiefers, is t prinzipiell von der l~isslage, d.h. der skelettalen Lagebe-
ziehung ;.wischen Ober- und Unterkiefer, w unterscheiden (Abb. 6-5).
Nach der Angle-Klassifikation wird die regelrechte Verzahnung oder
Okklusion als Kla~se I-Verzahnung oder 1\:eutralokklusion bezeichnet.
Andrews hat 1970 die staUsd1en Voraussetzungen für eine optimale
funktionelle Okklusion in den sechs Schlüsseln der Okklusion (s.a. Kap.
6.2) neu formuliert.
6.4 Okklusion und Bisslage 4:i!.l!§l1 49
7 Zahnzahl
Abb. 7·1: Unechte Überzahl bei sechsjähriger Pat ientin mit Persistenz von 81 und
Lingualdurchbruch von 41
54 7 Zahnzahl
7.1 Unterzahl
Merl..e
Zahnunter1ahl l..ann die Abwesenheit einzelner Lahne (Hypodon-
tie), vieler Lähne (Oiigodontie) oder aller Zahnt! (Anodontie) in ei-
ner oder beiden Dentitionen bedeuten.
Anodontie Anodontie ist extrem selten und entweder mit oder ohne Hypodontic
im Milchgehls,. Oie meisten Falle sind mit ektodermaler Oysplasie (s.a.
Kap. 13.8) assoziiert.
Oligodontie Oligodontie, eme schwere Form der Hypodontle (c~uch partielle
Anodontie), kann ohne Symptome eines Syndroms auftreten, autoso-
mal-<lommant vererbt werden und z.B. nur die SelteruJhnc betreffen.
Hypodontie Hypodontie, Abwesenheit einzelner Zähne, ist rm Milchgebiss sel-
ten (0,1 bis 0,7'111) und im bleibenden Gebi~\ variabel haung (2-10%
ohne Weisheit\7lihne). Hypodontie l..ann mit Mikrodontie phylogene-
tisch atiologisch asso7iiert sein. Die große V<~ric~bilität der Refunde be-
ruht einerseits auf nicht zufälligen Stichprobenerhehungcn und ande-
rerseits auf tatsl1chlichen Unterschieden im Oligodontlebefall..:wischen
verschiedenen ße\ölkerungsgruppcn und Dentitionen.
Abb. 7-2: Oligodont<e be• neunj;~hriger Pat ientin: a) mrt v<er Jahren Nichtanlage
von n und 81, b) Nrchtanlage von 12, 2.2. 25, 35, 31,41 und 4S.Im Bereich des bisher
nicht angelegten Zahnes 35 konnte sich erne Spatanlage entwrckeln
7.1 Unte"ahl -:smn•• ss
Abb. 7-3: Symmetrische Nicht anlage der oberen seitlichen lnzlsivl und der Weis-
heitszähne im Unterkiefer einer erwachsenen Patient in
56 7 Zahnzahl
7.2 Überzahl
7.2.1 Mesiodens
Abb. 7-4: Lokalisation überzähliger Zähne [nach Bodin et al. 1978, modifiziert nach
Schroeder 1993)
7.2 Ubl!!rzahl 1 $1011 57
Abb. 7-5: M eslodens bei neunjähriger Patlentin m it Persistenz von 61 und 62 sowie
Retention von 21
Abb. 7-6: Verlauf des Zahndurchbruchsbel einer Pa Iientin mit ~inem Mesiodens, der
trotzlndikation nicht entfernt wurde. Die erste Panoramaröntgenschichtaufnahme
z~igt ~benso wie die Aufbissaufnahme den überzähligen dysmorphen Zahn. Der
verspätete, aber reguläre Durchbruch der mittleren bleibenden Schneidezähne auf
dem zweiten OPG kann nicht als typische Entwicklung bezeichnet werden.
Disto- und Paramolaren sind kleine mo larenähn liche Zähne, die als
vierte oder fünfte Mola ren distal der Weisheitszähne oder meist bukkal
Abb. 7-7: Ein Odon tom uber 21 und ein Zapfenzahn über 22 behindern den Durch -
bruch von 21 und 22 bei einer achteinhalbjährigen Patientin.
7.2 Überzahl *$HIIQII 59
II
der In terdentalräume zwischen den Molaren entstehen. Distornotaren
sind me ist einwurzelig, mit ei ner zylind risch konischen, mehrhöckrigen
Krone und treten in einer !Iäufigkeit von 0.1-0,3% auf.
Paramolaren treten etwa zu 0,1% au f. Gelegentlich werden auch
zwei Distornotaren beobachtet. Es sind Abkömmlinge einer weil nach
dhtal verlängerten Zuwachszahn leiste (Abb. 7-8).
Abb. 7-9: Symmetrische Überza hl '\IOn zwei Prämolaren im Unterkiefer zwischen den
Wurzeln der Eckzähne und ersten Prämolaren bei einem 9 112-jährigen Patienten
60 7 Zahnzahl
7.2.5 Odontom
8.1 M ikrodontie
Abb. 8·1: Diminutivform beider seitlichen oberen lnzisivi, besonders von 22 und
von 28 bei generalisierter Mikrodontie bei einem 15-jährigen Patienten
62 8 Zahngröße und -form
8.2 Makrodontie
Die Za h nkei mpaa rung stellt den gescheiterten Versuch eines Zahnes, Zahnkeim-
sich zu teilen, dar. Gepaarte Zähne sind bis zu doppelt so breit wie der paarung
entsprechende Einzelzahn. Sie treten bei 0,1-0,3% der Fälle, sowohl in
der ersten als auch in der zweiten Dentition, vorwiegend an unteren
Schneide- und Eckzähnen aur. Die unvollständige Paarung result iert
häufig in einer zentral eingekerbten Sch neidekante bzw. in einer axial
verlaufenden Fmche en tlang der Teilungsebene.
Es liegt eine gemeinsame Pulpakammer vor, diese kann sich koranal
aufzweigen (Abb. 8-3).
8.4 Zwillingsbildung
Sie ist das Resultat einer erfolgreichen und vollständigen Zahnkcimtci- Schizodontie
lung (Schizodon tie). Es entsteht ein uberzähliger Zahn, der in Form und
Größe ein Spiegelbild seines Zwillingspartners ist (Abb. 8-4). I
Paarung Zwillingsbildung VcrKhmclzung ~rwl!chsung
ro a~ ~
Puruna
•
b
• ~@® ü
b
~ ~ ®® ®®
Abb. 8-4: Schematische Darstellung der Entstehung und der Art verschiedener
Zahnformanomal ien (nach Schmutziger 1948; Tannenbaum und Alling 1963)
64 8 Zanngröße und -form
8.5 Zahnverschmelzung
8.6 Zahnverwachsung
8.7 Invagination
Densi nd ent e Es handelt sich um eine durch EinstüJpu ng seiner Oberfläche entstan-
dent: Fehlbildung eine~ Einzelzahnes (Dens in dentc). Die !Oin~tülpung
kann zur Zeit der Kronenentwicklung {koron aJe Invagination) oder bei
der En twicklung der Zahnwurzel (rad ikul!ire Invagination) L.ustandc
kommen. Selten treten beide Formen an eine m Zahn auf.
I· oder Y-formige Kro nen der oberen seitlichen S<:hneide.lähne werden T·/Y-fö rmige
als margoide Uifferentiation be1eithnet. Es handelt sich um ein eigen- Kronen
stand1ges Merlilllal mit unbcl-annter Ätiologu! und der klinischen Re-
deutung. dass inzisale Stufen nicht oder nur schwer ausgeglichen wer·
den können, da rigoroses lleKhleifen zur Eroffnung der t>ulpa fUh rt
(.\bh. 8-7).
66 8 Zahngroße und -form
Abb. 8·7: il) V formige obere bleobende lnzisivi bei Wh jähriger Patientin; b) Auch doe unteren Molaren wei-
sen abnorme Hocker auf, und es besteht eine temporare Zahnüberzahl wegen Mllchzahnpersostenz.
8.10 Taurodontismus
8.11 Wurzelverdoppelung
8.12 Dilazeration I
Kleferorthopildisch bedeutsamer und häufiger ist eine Verbiegung der Verbiegung
Wur~el , die Dilazeration. Sie hat eine Sichelform de\ 7ahnes zur folge, der Wurzel
tritt nur an einem der beiden oberen mittJt.>ren Schneidt.>7ähne auf und
erretcht unterschiedliche Auspragungsgrade. Die Wuncl tst gegenuber
der Krone ~Ich nach \'estibulär abgebogen. Wurde d1e Krone korrekt im
Zahnbogen stehen, musste die Wu17elspitze ins Vestibulum ragen. Da
dies unmöglich i~t. \teht die Wurzel korrekt und die Krone bricht vesti-
bular, bei \tarker Knickung sogar nasenwarts, durch. Ätiologisch wird
Milchzahntrauma für diese Zähne ein akute\ Milchzahntrauma disJ..utierl. Da die Krone di-
lazerierter Schneide~<ihne immer unversehrt und wohlgeformt ist und
die Abkn ickung stets am Za hnhals beginn t, müsste das rrauma jedoch
dann erfolgt sein, wenn die Krone Uu Wachstum beendet hat und der
Zahn kurz vor dem Durchbruch steht. Dies ist unwahrscheinlich und
deshalb wurde lolgende Hypothese aufgcsteUt: Bei Durchbruchsbeginn
wird der obere miniere Schneideahn durch Verwach ung am 7.ahn-
sackchen fixiert. D1e zum Durchbruch nötige Lnerg•e re1cht aus, die
Durchbruchsbewegung in Gang zu setzen, nitht ahcr, die Fixation tu lö-
sen. Die Krone wird durch das Wurzelwachstum langsam um diesen Fix-
punkt gedreht und bricht vestibulär oder nasenwart\ durch, v.obei die
palatinale Seite nach vorne zeigt (Abb. 8-9).
Die Späta nl age, als Mikrosymptom der ~ichtanlagc, tritt seltener ah Spätanlage
da\ l l<~upts> mptom auf, jedoch auch gehäuft l>ei den von ~ichtanlagc
betroffenen /.ähnen (dritte Molaren, Prämolaren) u nd kann zu einer
Vcr.tögcrung des Behandlungsverlaufs führen (Abb. 9- l).
Der Befund Spätanlage ist nur selten festzustellen, da i.d.R. die Rönt-
genaufnahme ein verzögertes \\ur7.elwachstum des betrorrenen Zahne!>
Spätminera-
lisation
I
7etgt, sodass bei der Mehrzahl der Patienten Spatmi n cralisation cn fest-
gestellt werden können (t\bb. 9-2).
Besonders bei atypischer dysto1x:r Keimlage der ersten und zweiten Pra- Resorptions-
molaren kommt es zu Rcsorptlormlii rungcn der Milch1ah nwurzeln. störungen
TrotL Voranschrcitens der Wurzelentwicklung der bleibenden :\achfol-
ger fmdet jedoch kem Durchbruch ohne vorherige Milthzahnentfer-
nung statt.
Abb. 9-1: Nichta nlage 35 und Spdtanlage 45 bei einem zehnjahrlgen Patienten
70 9 Zahnentwicklung und durchbruch
Milchzah n· Unter Milch1almpe rsistcnz versteht man da\ Verharren cmes re·
persistenz sorptionsgestörten ~1ilchzahnes über den normalen Verlu~t7eitpunkt
hinaus (Abb. 9·J). Su? 1\t eine Folge von Milchzahnwurzelresorptions-
störung dur<.h el..topische Lage der bleibenden i'/a<.hfolger, oder sie tritt
generali\ien auf.
Milchzahnverlu~t Der vorzeitige Ve rlust von Milch za hnen durch !..ariose Zerstörung
und/oder apikale Pro7essc hat für die Entw•cklung de\ hle•benden Ge-
bisses häufig schwerwiegende Folgen.
~ine Verlt>gerung de~ /.ahndurchbruchs ist lU erwarten, wenn zum
Zeitpunkt des Milchzahnverlustes eine Knochenschicht oder schwartige
Gingivaperlostdccke uber dem 1-.eim des permanenten Lahnes vorhan·
den ist w1<.l die rxtraktion des 1\lilchahne\ mehr ah 1,5 Jahre vor
Durchbruch des permanenten Nachfolgers erfolgte.
i\üt euter BesLhleunigung des ZahndurLhbrudt) 1\t ro rL•chnen,
wenn die Knochen- bzw. Schlelmhautpenostded:e uber dem lahnkeim
9.2 Mlkhzahn~rsistenz und -verlust M:®§fl n
bereit\ pt!rforiert ist. Dies gilt insbesondere bei apil..a lcn Prozessen an
M•lch7ahnwurzeln. Der Durchbruch des 1'\achfolgers 1\t in den folgen-
den I bis 1,5 Jahren .w erwarten. Die Mineralisation der bleibenden
NiJChfolger bt bei Verzögerung bzw. ßcschlcunlgung des Zahndurch-
bruchs nicht unmittelbar betroffen. Auch rcUnicrte la hnewerden voll-
standig ausgebildet. Die Wurzeln der 111 fruh durchgebrochenen Zähne
sind jedoch meistens erst gering mineralisiert (Abb. 9-4).
Abb. 9-4: ~)sehr frühzeitigerVertust der M ilchinzisivi mit 4,5 Jahren nach Trauma,
b) fruher Verlust von 74 mrt Perforation der Schleomhaut uber dem Nachfolger mit
6 Jahren und 8 Monaten, c) unre•fer Durchbruch von 34 mot 7 Jahren und 9 Monaten
72 9 Z~hnentwicklung und -durchbruch
Wenn ein permanenter 7.ahn nicht seinen Vorgangcr, ~ondcrn auch den
benachbarten \filch73hn resorbiert, spricht man \'On un term iniereo -
der Rc~orpt ion . Die Ursachen für eine unterminierende Resorpt ion der
Milch7ahnwurt.eln können Raununangel be1 enger Keirnlage, eine ex-
treme Breitendifferenz zwischen Milch- und bleibenden Schneidezäh-
nen und eine atypische Keimlage bzw. L>urchbruchsrichtung der J>errna-
ncnten Ziillne ~ein. folge der untenniniercmlen Resorption ist häufig
Plat1mangel ein Plat7mangel (il r d ie ~achfolger der unterminierend resorbierten
~lilchzahne, d.h. ein Stütnoneneinbruch und dardu\ resultierender sa-
gittaler Fngstand. Klassische Beispiele für die unterminierende Milch-
ahnresorption sind die Re.~rption der diStalen Wuuel de<. 1.weiten obe-
ren Milchmolaren durch den zu weit nach m~ial durchbrechenden
Secmjahrrnolaren !Abb. 9-5) und die Resorption der Wurt.el dc\ Milch-
eckzahnes durch den ~eitlichcn permanenten Schneidelahn bei deutli-
chem Miswerhältn ls zwischen Zahn- und Kiefergröße (Abb. 9-6).
9.4 Ankylose
Abb. 9·7: Ankylose 36 und 37 mit Infraokklusion und deutlich reduzierter Hohe des
horizontalen Astes
1-.ine verfrOhte Zahnung oder Oenlilio praecox liegt vor, wenn das Zahn· Dentitio praecox
alter mehr als zwei Jahre \'Om Durchschnittswert ab~\eichl. Bei einem
·orrnal7.ahner ~timmen chronologisches und dentale~ \lter llberein.
Oie Dentitio praccox, als generalisierte ,·erlruhte vebissentwJCk·
lung, i\t d1fferentialdiagnosthch \'Om verfrOhten Ourt:hhruch einzelner
l.ihne zu unterscheiden. Die Differenzierung zwischen Dentitio prae-
74 9 Zahnentwicklung und -durchbruch
Verfrühter Einzel· cox und verfrühlern Einzelzahndurchbruch hat ihre wesent liche the-
zahndurchbruch rapcutisehe Bedeutung für den Zeitpun kt des Behandlungsbeginns und
solite daher ~tets am Anfang der Diagnostik stehen. Wenn die ersten
du rchbrechenden Milchzähne, die unteren mittleren Milchinzisivi, vor
Abschluss des vierten Lebensmonats durchbrechen und bei einem ver-
frühten Zahnwechsel um mehr als zwei Jah re, spricht man von Dentitio
praecox. Sie ist häufiger (10,7%) als die Dentitio tarda (5,7%) und beide
Abweichungen sind vorzugsweise erbbedingt.
Natale und - Eine Sonderform von Dentitio praecox sind natale und neonatale
neonatale Zähne Zähne. Nalale oder kongenitille Z.ihne sind bereits bei der Geburt teil-
weise durchgebrochen, neonatalc Zähne erscheinen bis turn 30. Leben~
tag in der Mundhöhle. Sie werden mit einer Häufigkeit von 1: 800 bis
I :3000 Geburten beobachtet. Sie repräsentieren fast ausschließlich un-
tere zentrale Milchschneldezähne, oft auch bilateral, und nur in weni-
gen Fällen (5%) übeT7.ählige ~i hne. Sie sind sehr beweglich, weisen eine
nur partieli gebildete Wurzel auf, können sich aber weiter entwickeln
und entweder mit dem Zahnwechsel ausgestoßen werden oder darüber
hinaus erhalten bleiben. Sie treten familiär gehäuft auf w1d kömtten au-
tosomal-domlnant vererbt werden. Oer Schmelz dieser Zähne ist meist
dysplastisch, himichtlich des Kindesalters normal rntwjckell, aber noch
unvollständig mineralisiert. Die~ i~t der Grund, wa rum die~e Zähne
nach der Geburt eine gelb-braune Farbe annehmen.
Ursachen Bei den Gründen für die verfrühte allgemeine Zahnung und für den
verfrühten Durchbruch einzelner Zähne werden Systemische Faktoren,
die zur generalisierten Bescltleunigung der Zahnentwicklung führen,
und lokale Faktoren, die zum frühen Einzelzahndurchbruch führen, un-
terschieden. Zur Feststellung der Oentitio praecox ist die Panoramarönt-
genschichtaufnahme bei rechtfertigender Indikation geeignet. Mlt llilfe
der Dentitionstabelle gibt sie Auf\chluss über ein chronolo&>isches Mbs-
verhältnis zwischen Zahn- und Lebensalter.
Allgemeine Allgemeine Erkrankungen mit beschleunigter Zahnentwicklung sind
Erkrankungen die Hemihypertrophie, Hyperthyreose und Pubertas praecox. Bei der ein-
seitige n Hypertropltie mil ha lbseitiger Vergrößerung der Gesich ts-, Ske-
lett- und Weichteile sind die Zähne auf der betroffenen Seite in der Regel
gröl~er als auf der gesunden und sie brechen früher durch. Eine Sonder-
form tritt im ZusammenJtang mit dem Klippei-Trenaunay-Syndrom auf.
Diese embryonale Enn,~cklungsstörung mit Riesenwuchs, Naevus nam-
meus und Varizen zeigt orofazial eine Gesichtsasyrnmetrie, eine Gebiss-
fehlentwicklung und einseitigen frühzeitigen Zahndurchbruch.
Bei der Hyperthyreose, dem Überschuss an Schilddrüsenhormonen,
mit Hypermelabolismus der Gewebe können längen- und Skelett- so-
wie Zahnentwicklwtg beschleunigt sein.
Die durch Testosteron- und Östrogenexzess allgemein beschleunigte
Körperent>\lickJung, Pubertas praecox, kann auch mit in Relation zum
chronologischen Alter verfrühter Zahnentwicklung und vor.::eitigcm
Zahndurchbruch ablaufen.
9.5 Oentitio praecox und tarda 4:fi.liGfJ 7S
Der klinische intraorale Dentilionsstatus gibt den er~tcn Hinweis auf Diagnostik
eine ver,patete Oenhhon. lmbe\Ondere der Symmetrievergleich gibt
Auf~chluss über einen seitenungleichen Zahm~echsel durch lokale Stör-
faktoren. !>ystemische Störfaktoren, die als Grunde fur einen ausbleiben- Ursachen
den Zahndurchbruch bzw. einen verspäteten Zahnwechsel in rrage
kommen, ~ind eine allgemeine EntwiciJungs\·erzogerung, Vererbungen,
endol...rine Störungen, Trisomie 21 (Abb. 9-8), kraniofaziale Dysostosen
und Mangelernahrung. Zu den lokalen Starfaktoren Lahlen Traumata,
mechanische Durchbruchsbehinderungen, fruher Mdchzahnverlust,
Milchzahm\ urzelresorptionsstönmg und idiopathische Retention.
Zu den Skeletterkra nt..ungen mit verzögerter Zahnentwicklung Skelett-
z.~hlen : erkrankungen
-' Apert-Syndrom
-' C'herubhmus (eine <ionderform der polyostoti\chen fibrösen 0) S·
plasie mJt Gesjchtsdeformierung durch verdrangende fibröse Herde
und den entsprechenden Dcntitionsstönmgen)
-' Dysostosis cleidocraniali\
-' Dysostosis cran1ofaciahs
76 9 Z~hncntwocklung und -durchbruch
A Dysostmls mandibulofacialis
"' ektodermale Dysplasie
"' Uppen-Kiefer-Gaumen-Spalten
A Down-Syndrom.
10.1 Heterotopie
10.2 Transposition
Eine besondere Form der Heterotopie i~t die Transposition, bei der zwei
Zähne ihren Platt mehr oder weniger vollstimdig getauscht haben.
Meistens sind die oberen Fck7ähne mit den ersten Prämolaren oder seit·
Iichen Schneidezahnen vertauscht (Abb. I0-2).
Abb. 10-2: Transposition von 14 und 13 bei Retention des Eckzahnes. der bei abge-
schlossenem Wurzelwachstum aufgrunddes Platzverlusts retlnlert ist, und Persis·
tenz des Milcheckzahnes. 121frjährlge Patientin
Abb. 10.1: <~) sag1t1aler Falschstand der oberen lnzisrv1, b) Infraokklusion von 21 nach Trauma
10.4 Transversale Abwekhungen
Primärer Der primllre Engstand iSI hereditär durch ein MISS I erhältnis zwi~chen
Engstand Zahn- und Kiefcrgröf~e bedingt, wenn die Kiefergröße und die tahn-
größe nicht mltclnandt:>r korrelit>ren, sodass die Zähne tu grog und der
Kiefer zu klein ist (Abb. 10-6 und 10-7).
Sekundärer Der sekundäre Fng\tand l't erworben durch Stütuonenverkürzung,
Engstand entweder nach Verlust von Milchzahnen oder durch Appro:<amaii.aries
der \<filch7.;ihne Fr enl\\ ld.elt sich während der Wednclgebissperiode
und kann asymmetnsch auftreten.
10.4 Transv~rsale Abweichungen 4$1Cit.l SS
Abb. 10·11: Distalstand der unteren zw eiten Prä molaren, die nach Entfernung der
Sechsjahrmolaren vor Ihrem Durchbruch nach distal gewandert sind
ren lnzisivi tri ll gehäuft bei lutschenden Pati enten auf (s.a. Abb. 10 -S
und 10-10).
Als Mesialstand bezeichnet man die körperliche Versetzu ng eines Mes ial
Zahnes nach mesial, als Mes ialkippung die Klppu ng eines Zahnes nach
mesial.
Für den Dis tal sta nd und die Distalkippung gilt Analoge~ (Abb. Distal
10·11).
88 10 Zahnstellung und Zahnbogenform
Infraokklusion Erreicht ein Zahn das Okklusionsniveau nicht, spricht man von Infra-
okklusion (Verkürzung, lnfraposition, Intrusion).
Supraokklusion Als Supraokklusion bezeichnet man die relative Verlängerung (Ver-
längerung, Supraposition, Extrusion, Elongation) eines oder meh rerer
7.ähne (Abb. 10-12).
Halbret ention Alle Stadien gerade begonnenen bis nicht ganz abgeschlossenen Zahn-
durchbruch~ werden als Halbreten tion zusammengefasst, wenn eine
spontane Beendigung des Durchbruchs nicht mehr zu erwarten ist. llier-
fur können persistierende Milchmolaren, störende Zahnkontakte, Platz-
mangel oder-verlustund Ankylosen verantwortlich sein (Abb. 10-13).
Retent ion Bei Retention ist das Tegument über der Zahnkrone an keiner Stelle
durchbrachen. Man spricht von Retention, wenn der Durchbruch nich t
fristgerecht (um 1,5 Jahre überschritten) vollendet wurde. Da~ Wur.:el-
wachstum des betroffenen Zahnes muss nicht abgeschlossen sein (Abb.
10-14).
Ein relinierter Zahn, der an ein llindcrnis stößt oder von etwas be-
drängt wird, ist impaktiert.
Abb. 10-13; Halbretention der unteren dritten Molaren bei einer 26-jährigen Pa-
t ientin. Aus Platzmangel wird kein weiterer Durchbruch stattfinden.
10.6 Vertikale Abweichungen AnttfQI[tJ 89
Abb. 10-14: Retention der verlagerten oberen Eckzähne mit 15 Jahren bei Persistenz
der Milcheckzähne
Als Rci nkl u~ion (Depression, Infraokklusion nach Simon) bezeich- Reinklusion
net man die Wrsenkung eines Zahnes, sein allmählid1es chronisches
Tiefertreten oder sogar Ver~chwinden unter dem Tegument, nachdem er
die Okklusionsebene bereits mehr oder weniger vollständig erreicht
hatte. Oie Reinl-lusion tritt vorwiegend bei Milchmolaren auf, die auf-
geund einer Ankylose die Okklusionsebcne nicht mehr erreichen. Der
netmffene Zahn bleibt auf seinem ursprünglichen vertikalen Niveau,
die Nachbarzähne, z.B. der erste Prämolar und der Sechsjahrmolar, set-
zen ihr vertikale~ Alveolarfortsatzwachstum und ihren Durchbruch fort,
sodass ein vertikaler 'ivcauunterschied entsteht. Im Extremfall ver-
schwindet ein solcher Milchmolar un ter der Kieferkammschleimhaut
(Abb. 10 -15).
Verlagert ist ein Zahn, der nicht in Orthologer Durchbruchsposition Verlagerung
liegt, häut1g sind Verlagerungen mit Retentionen kombiniert (Abb.
10-16).
Abb.10·15: Spätmineralisation 15, 25, 45 bei Persistenz und Reinklusion 55,65 und
85 durch Ankylose
90 10 Zahnstellung und Zahnbogennorm
Abb. 10-16: Extrem e Verlagerung und lmpakt ion von 48 bei einem 29-jährlgen P'a·
tienten. Oie Krone beAndet sich kaudal. die Wurzel kranial. Der Zahn 18 Ist retinl•ert.
4\fl.ilfllll 91
11.1 Okklusion
~
V V
..,
lln b<Jt 11ft·
...
buk lln
" b<Jt.
S"fr-: ~
8"•1 bl suol bl
--
(\ I (\
11.1.2.1 Seitenzahnokklusion
Oie Ver:whnung wird gemä f~ der Angl e-Kias~ifikat ion klinisch oder am
Modell beurteil t und von der ßisslagc, der sagittal skclcttalen Lagcbezie-
92 11 Abweichungen der Okklusion und der Lagebeziehungen der Kiefer
11.1.2.2 Overjet
Vergröße rung Eine Vergrößeru ng bzw. Verkleinerung der sagittalen Stufe (Kopfbiss,
bzw. progene Verzahnung, frontaler Kreuzbiss) kann demoalveolär und/oder
Verkleinerung skelettalbedingt sein. Dentoalveoläre Gründe für eine Vergrößerung der
sagittalen Stufesi nd eine l'rotrusion der oberen lmbivi und/oder Reti'U-
sion der unteren Schneidezähne. Ein frontaler Kopf- oder Kreuzbiss
(umgekt'h rte oder negative Schneide7.ah nstufe) kann du rch Retrusion
der oberen und/oder Protrusion de r unteren lnzisivi bedingt sein.
Skelettal kann dabei die Lagebe.liehung zwischen Ober- und Unter-
kiefer sowie deren Verhä ltni~ zu den Bezugsebenen nicht der Norm
entsp rechen: Eine relative (zur Schädelbasis) Vorverlagerung des Ober-
kiefers und/oder Rücklage des Unterkiefers können eine vergrößerte sa-
gi ttale Stufe m itbedingen. Eine Rücklage des Oberkidc rs und/oder Vor-
verlagenmg des Unterkiefers können eine verkleinerte sagittale Stufe
verursachen (Abb. 11-2).
Abb. 11-2: a) vergrößerter Overjet und Overbite im M ilchgebiss und b) progene Verzahnung im f rühen
Wechselgebiss
11.2 Skelettale Abweichungen 4:fi.htJIII 93
Ein vergrößerter Overbite (ficfbiss) ist vom ve rkleinerten Overbile {offe- Tiefbiss,
ocr ßiss) zu unterscheiden. Atiologisch kommen die Supra- bzw. Infra- offener Biss
okklusion einer oder beider Schneidezahngruppen {dentoalveolär), ein
skelettal tiefer bzw. offen er Biss sowie funktionelle Einflüsse (Zwlgen-
prcssen, Lutschhabit) in Betracht. Ein frontal o ffener Biss wird vom seit-
lich uffenen ßiss sowie vom zirkulär o ffenen Biss unterschieden (Abb.
11 -3 und IH).
111
Patientin mit Einlagerung
der Zunge
Rücklage
Vorverlageruog
Ein skelettal offener brw. tiefer Biss wird ebenfalls durch die l·ernrönt-
genseitenbildanalyse festgestell t. Die Kenntnis der Wad1sturns richtung
und ana tomischer Besonderheiten, die bei den unterschiedlichen
Wachstumstypen röntgenologisch erfasst werden. ermöglicht es, eine
Präd i~posilion zum offenen tmv. Tiefbhs 7.1.1 berücksichtigen (ausführli·
ehe Informations. Kap. 15.2).
Abb. 11·7; Unterschiedliche Profiltypen; a) typisches Klasse II-Profi i mit und b) ohne
lippenschluss, <)Klasse 111-Profil mit negativer llppentreppe, d) spalttypisches Pro-
fil mit relativer nasomaxillärer Hypoplasie bei einer Patient in mit Lippen-Kiefer-
Gaumen -Spalte
A :#I.H(§ IfJ 97
12 Dyskinesien
12.1 Schluckakt
Während des viszeralen (infantilen) Schluckakts des Säuglings stehen Viszeraler (infan·
die Klefer au\einander, d1e von erlagerte Zunge liegt /wischen den Kie- tiler) Schluckakt
ferwulsten, und die lungenspitze ist anterior. Der Unterkiefer '''ird
durch 1\ontraklion der orofa~ialen Mus\..ulatur und durch den Zungen-
Lippen-Kontakt in semcr Lage stabilisiert. D1eser physiologische
Schluck' organg des Neugeborenen wird normalem·e1se 1m laufe der
ersten Dentition durch das somatische Schlucken ersetzt. Beim ~oma Somatisches
ti">Chcn Schluckakt kommt c\ ;u einer Kontraktion der Unterkieferleva- Schlucken
toren (Musculus massetcr). l:.s besteht Zahnkontakt, und die Zunge 1st
im \lundinnenraum eingl»chlossen.
Z" ischendem zweiten und '1erten Lebensjahr, m der so genannten Übergangs·
Übergang~- oder Mischschluckphase, wird der .. 1\lerale Schluckmodu\ oder Misch·
\Chntt weise durch den somatiSChen ersetzt. Bei Perststenz des viszeralen schluckphase
Schluckem nach dem .. ierten I ebemjahr besteht eine ororaziale Dyski·
98 12 Oyskin~si ~n
nesie. In der Regt•! kommt sie bei älteren Kindern Jls gemischte Form
de~ 'ichlud.ens, ,.visLeral-somatische SchluckartH, 'or
12.2 Zungenpressen
Primäres und Wir unterscheiden das primäre, d.h. dentoal\ coläre und ~kclettale Ab-
sekundäres weichungen verur.arhende, und das sekundare, d.h. adapti\·e Zungen-
Zungenpressen pressen, welches bei schon vorhandener skelettalcr oder dentoah eolä-
rer Anomalte ent\teht. Ersteres sollte therapcutl\l'h beseitigt werden,
das Sekundare Zungenpressen normalisiert sich h.iufig bei Therapie der
morphologischen Abwegigkeit.
Folgen Fotgen cmer ZungendysiJnesie sind je nach Prl'\smodus ein frontal,
lateral oder ZJTkulär offener Bis~. eine vergroßerte sagittale Stufe oder die
Tendenz zur Verkleinerung der sagittalen Stufe bei Kla\\e 111.
\\'enn die Iunge unter Funktion frontalemgelagert w1rd, hemmt sie
die Vertikalentwicklung der Alveolarfortsatze und der Zahne und führt
zum frontal offenen Biss (Abb. 12-1).
Wird die Zunge un ter Funktion lateral zwischen die Zahnreihen ein-
gelagert, kann e\ /U einem seitlich offenen Bi\s kommen.
Tonsillen- Auch bei Ionsillenhyperplasie kann ein Vermeidungsmechanismus
hyperplasie (Schmerzen bei Kontakt mit den entzundeten fon\illen) dazu fuhren,
dass der Unt<:rkiefer gesenkt und die Zunge nach vorne gelagert wird.
Adaptive Zungen- Bei den adaptiven Zungendyskmesien sp1elen Zahn,erlust und l ü-
dyskinesien ckenbildung, ~kehmale Ursgnathicn und der Wach\tum~typ eine wich-
tige Rolle. Rei Iahnverlust wird die Zunge m den fre1en Raum eingela-
gert (Abb. 12-2). Auch nach Ersatz des betroffenen Zahnes kann die Dys-
kinesle per\i\tleren.
Rci skelcttal offenem Bi~s. bialveolärer Protrusion, vcrgröf~erter sa-
gittaler Stufe und einer Kla\se I II-Anomalie kann die Zunge adaptiv die
morphologischen Gegebenheiten verstärken.
Ursachen Weiter~? den 7ungendyskinesien lugrunde hegende Ursachen kon-
nen ~ein:
.A Makroglos~ic
.A Hypoglm\Je
Abb. 12·2: a) frontal offener Biss bcl b) adaptiver (sekundärer) Zungenrehlrunlc:tion nach frühkindlichem
Trauma mit Verlust der mittleren M llchinzisivi im Oberkiefer
12.3 Mundatmung
l)as 1\U\\chen der Mundatmer wird häufig auch al~ Facies adenoidea Facies adenoidea
bclcichnet U\bb. 12-3).
Zwei lypcn von Mundatmung werden unterschieden:
.A die habituelle ~lundatmung als angewöhnte l)ysfunktion (80%)
"' die organisch bedmgte kon~litutionelle \lundatmung (20'JU) durch
eing<:schränkte :-.:asenatmung.
F.ine gc~törte
Nasenatmung kommt häufiger betm vertikalen Wachs-
tum~ typ vor. Bei diesen Patienten bestehen oft Wucherungen der ade-
noiden Vegetationen und vermehrt llyperplasien der Gawncnmandeln.
Bct \iundatmern werden auRerdem .lwei 'l)pcn der Zungenlage un- Zungenlage
tcrsch•eden. Bei Patienten mit flacher Zungenlage befindet sich dte lun-
gempitze hinter den unteren Schneidezähnen, und e\ treten hc1ufig
frontale Kreuzbisse auf. Beim I}'P mit flacher und retrahierter Zunge
hegt haufiger ein Olstalbl\\ vor
lOO l2 Oyskinesien
12.4 lippendyskinesien
12.5 Wangendyskinesien
12.6 Mentalisdyskinesie
12.7 Lutschen
Das Lutschhabit gilt als ein wichtiger Fa!..tor hei der C.cncsc verschiede-
ner Dysgnathicn. In Abhä ngigkeit vom Lutschmodus (Intensität,
Dauer, Art) J,;ann da~ Lutschen zu skelettalen und demoalveolären Ab-
weichungen fuh ren.
Folgen Bei Anlagerung des Daumens an den vorderen Ober!..ieferabschnitt
kommt e~ ro einer forcierten Ventralentwicklung des Oberkieferalveo-
larfortsatzes sowie Lur Protrusion der oberen lnzis1vi bei gleichLeitiger
Hemmung der Vl:'rtikalentwicklung der lahne und des Kiefers. Im Un·
terkiefer wird die Sagittalentwicklung behindert und es resultiert eine
Retrusion der unteren Schneidezähne. Umgekehrt kann die l:inlagerung
des Lutschfingers oder Daumens an den Un terkiefer zu einer Vorverla-
gerung der unteren 7.ahnreihe und fbrderung einer F.ntwicklung in
Richtung Klas\e 111 führen .
G 1erke
LutKhen g11t ebenso wie das viszerale Schlucken In den ersten Le·
bensjahren als phy~iologisch, jedoch sollte die orale LutKhphase
(freud) nach dem dritten Lebensjahr bcendct sein.
Psychologische Vom dritten bi\ ;um ftinften Lebensjahr g•lt das l.ut~chen als verzieht·
Aspekte bare~ Habit und soll Ausdruc!.. der Aunösung der engen Muttcr-Kind-Be-
7.iehung sein. I· rst nach dem sechsten Lebensjahr wird im persistieren·
den Lutschen ein p;llhologischer Vorgang im Sinne eines Symptoms ei-
ne\ ~eeli\chen Konflil..ts gesehen.
Da die Muskelaktivität bei Flaschenernährung geringer ist als bei
Brusternalmmg, w1rd dem lutschen als Befriedigung des Saugrenexes
ebenso Bedeutung rugemessen (Abb. 12·6 und 12-7).
12.8 Sigmatismus
I ine fehlerhafte Aussprache der S-Laute wird al~ Sigmatismus bezeich- Formen
net. Vrrschledene formende' Sigmatismus werden unterschieden:
.-1 Sigmatismus interdentalis: Die Zungenspille lieg1 l'\;schen den
/.,thnen, S-Laute l.hngcn v.ic das englische .,th" .
.., Sigmatismus adentali~: Durth Anpressen der Zunge .m die Palatinal-
flächen der oberen lrnisivi entsteht ein dumpfer .,sch"-ähnlicher S-
Lau t.
."; 'i•gmatismus lateralis· Die Iunge hegt an den !>citem.lhnen, die Iuft
fließt in die Wangentaschen ab und er?eugt ein schlurfendes Ra·
schein.
4:f !.UOIU lOS
13.1 Apert-Syndrom
13.2 Down-Syndrom
Symptome Bei dem genetisch bedingten Syndrom Trisomie 21 (Mo ngo lismus, !Je-
zeichnung heute nicht mehr gebräuchlich) bestehen folgende Symp-
tome:
~ Mikrozephalie
~ Makroglo~sie
~ Exoglossie
~ Unterentwicklung des nasomaxillärcn Komplexes
~ Dentitio tarda
.A haufig Hypodontie
.A t-.lus~elhypotonie.
Bei Per\istenz der ~filchzahnc und Hyperodo ntie tritt i.d.R. eine Reten- Folgen
tion der bleibenden Zahne auf. Oie Therapie der Wahlist meist die ~.nt-
fernung von Retentions7ysten, ungünstig verlagerten und retiniertcn
L.ihncn sowie die Einordnung der gunslig lokalisierten Zähne. Das all-
gemeine I eitsymptom l ~t die H)rpoplasic der Schltisselbcine mit lly- Hypoplasie der
permobihtat der Schultergelen~e. Oie minderwuch\igen Patienten wei-
sen eine normale Intelligcll.l auf. Das Kran~heitsbild wird autosomal-
dominant vererbt.
Claviculae
I
13.4 Dysostosis craniofacialis (Morbus Crouzon)
Röntgenbefunde Ein t)'piKhcr Rüntgenbefund ist der sog. Wolkcnsch<idcl mit Arrosio-
nen der dünnen Kalotte. I läufig bestehen auch eine H )'popia ~ic des
Oberklefers und der Oberltppe sowie lahnengstand bei hohem Gau-
men (t\bb. 1l-3).
810
manchmal schon perinatal auf, aber erst wahrend der Pubertät tritt die
S)1nptomc1tik deutlich in Erscheinung.
13.10 Lippen-Kiefer-Gaumenspalte
lateraler
Nasenwulst
med•aler
m
Nasenwulst
Oberk•efer-
wulst
Abb. U -9: Entstehung e1nes pnmaren L•ppen-Kieferspalts auf der linken Se•te We-
gen mangelhaften Wi!chst ums erreicht der laterale Nasenwulst den medialen Na-
senwulst und den Oberkieferwulst nicht (modifiz•ert nach S<hulzeJ.
114 13 Dysostosen, Syndrome und Fehlentwicklungen
Risiko Das normale Risiko beläuft ~ich auf 0. 1-0,1 R%, steigt jedoch in folgen-
der Reihenfolge:
A Rei zwei nicht behafteten Eltern und einem Kind mit Spalte erhöht
sich das Risiko für das zweite Kind um 4%.
A Bei Lwel nicht behafteten Ehern und zwei Kindern mit Spalte für das
dritte Kind um 9%.
A Bei einem Elternteil mit Spalte steigt das Risiko um 4%.
A Bei einem Elternteil mit Spalte und einem Kind mit Spalte für das
zweite Kind um 17%.
Vererbung Die Vererbung verläuft polyge n, d.h. an der Ausp rägung des Merkmals
sind mehrere Gene beteiligt, die sich von Generation zu Generation neu
kombinieren. Umweltfaktoren können dieses Geschehen zusätzlich be-
einträchtigen. Die Entwicklung der Lippen-Kiefer-Gaumenspalten un-
terliegt der polygenen Vererbung mit Schwellenwerteffekt (ebenso wie
der Klumpfuß, die Spina bifida und die Hüftluxation), d.h. die Wirkung
mehrerer Gene kann sich addieren (additive Polygenie), und es bedarf
einer bestimmten 7_ahl von Genen, bis sich eine Manifestation zeigt.
13.11 Pierre-Robin-Syndrom
13.12 Rachitis
14 Klinische Diagnostik
14.1 Anamnese
~terke
Die Anamnese, die sich in die Familien- und F.igenanamnese glie-
dert, dient dem Ziel, die Genese einer Anomalie zu erfassen.
Die Familienanamnese soll Aufschluss geben über das fam iliär ge- Familien-
häufte Auftreten bestimmter Dysgnalhien. Bei positlver familienanam- anamnese
nesc wird i.d.R. an Vererbung gedacht. Familiäre ~läufungen besonderer
Gewohnheiten (Imitation) sind ebenso möglich. Da die Klasse 111, der
IJeckbiss, der IJistalbiss, der skclcttal offene Biss und die bimaxilläre
Protrusion ebenso wie da~ Vorkommen von l.ippen-Klefer-Gaumenspal-
ten vererbte Anomalien sind, ist die familicnanamnese von großer Be-
deutung.
Die Eigenanamnese, die i.d.R. durch Befragung der Eltern erfolgt, Eigenanamnese
betrifft sowohl die pränatale als auch die postnatale Entwicklung. Wich-
tige fragen betreffen folgende Punkte:
..oll Ernährungsstörungen
..oll Erkrankungen der Mutter wä hrend der Schwangerschaft (Virusinfek-
m
tion)
..oll Geburtsverlauf
..oll Saugling\ernährung
..oll 7..ahndurchbruchsz.eiten
..oll Angaben über orofaziale Dyskinesien
..oll Unfälle im Kindesalter
..oll früher Verlust von Milchzähnen.
..oll Allergien
..oll Mundatmung
..oll Adenotomie und Tonsillektomie
122 14 Klinische Diagnostik
m
22. Hatten oder haben Sie eine der folgenden Erkrankungen? O Ja O Nein
Hell (z.B. Infarkt, Herzmuskelentzündung) 0 Ja O Nein
Kreisl3uf (z B. Bluthochdruck, Ourchblutungsstorungen.
Schlaganfall) O Ja O Neon
Atemwege/Lunge (z B. Asthma, Bronchitis) O Ja O Nein
Magen-Darm-Trakt, Niere und Blase IJ Ja U Neon
Leber (z.B. Gelbsucht) O Ja O Neon
Bewegungsapparat (z.B. Rheuma) O Ja n Neln
Zentralnervensystem (z.B. epileptische Anfalle) .J Ja 0 Neon
Vegetatives Nervensystem (z.B. Kopfschmerzen,Migrane) :J Ja O Nein
Stoffwechsel (z.B. Zuckerkrankheit. Gicht) O Ja O Neln
Schilddrüse (z.B. Ober- bzw. Unterfunktion) :J Ja O Nein
Erkran kung des blutbildenden Systems
(z.B. Blutarmut/Biuter/Eisenmangel) .J Ja O Nein
Tuberkulose O Ja O Nein
Hepatrtis O Ja r! Nein
HIV (AIDS) O Ja O Nein
Hautkrankheiten 0 Ja 0 Nein
Geschlechtskrankheoten O Ja l. Nein
Augen (z.B grauer bzw. gruner Star) 0 Ja C Nein
Andere hier nicht aufgeführte Erkrankungen
Wenn ja. welche: O Ja C Nein
Allgemeine Anamnese
1. Grund des Kommens:
0 Überweisung vom Hauszahnarzt - - - - - - - - - -- -- --
C Elgenlnltlattve (was stort?) - - - - - - - - - - - - - - - - -
2. Frühere/aktuelle KFO·Behandlung ca. v o n - - - - - b i s - - - - - - -
[' Nein Na m e - - - - - -- - - - - - - - - - -
C Abgeschlossen Cl Abgebrochen Adresse------- --
0 Zu rzeit in Behandlung alio loco Telefon : - - - - - - -- -
0 Platten [J FKO 0 MB 0 M aske D HG 0 Extraktion--- -
0Diverse - - - - -- - - - - - - - - - - - - - - - -- -
Eigen- und Familienanamnese
1. Bestehende Krankhei ten, Medikamente (Rheuma, Ast hma, Allergien etc.) _ _ _
2. LKG 0 Trauma OP - - - - - - - - - - -
3. Besonderheiten (geisbge/körperliche/soziale} - - - - - - - - - - - -
4. Besonderheiten im Kiefer- und Gesichtsbereich innerhalb der Familie - - - -
L
Abb. 14-2: Erstberatungsformular mit Zusammenfassung der allgemeinen, Eigen -
und Familienanamnese sowie klinisch!! Befunderhebung
Merke
Der klinische Befund vor Behandlung, auch als Status praesens be-
zeichnet, sollte ~y~tematisch und stets in gleicher Reihenfolge erho-
ben werden. Er umfasst allgemeine Korpermerkmale (AIIgemeinbe-
fund), Gesichtsmerkmale (extraoraler Befund), 1-.lundmerkmale (in-
traoraler Behmd) und funktionsmerkmale (Funktionsbefund).
14.2.1 Allgemeinbefund
Der extraorale Befund beinhaltet die Beurteilung der Schädel- und Ge- Schädel- und -
sichtsform. Geschätzt werden das Längen-Breiten-Verhältnis (Schmal-, Gesichtsform
Mittel-, ßreitgesicht) und der Gesichtsumriss {oval, schildförmig, fünf-
ecl-.ig, u~w.). Quantitativ kann mit Hilfe verschiedener Indizes (Längen-
ßreitcnindex, morphologischer Gesichtsindex) eine Bewertung vorge-
nommen werden. Da bei einem ßreltge~icht auch häufig eine breite api-
kale Basis der Kiefer vorliegt bzw. bei einem Schmalgesicht die apikale
Basis eher zierlich gestaltet ist, kann die fa7ia le Morphologie einen ers-
ten Hinweis auf die bei Platzmangelsymptomatik einzuschlagende The-
rapie geben (primärer; koronaler- apikaler Engstand, Extral-.tion)thera-
pie) {Abb. 14-3).
Gesichtsasymmetrien haben u.U. große Bedeutung fur die kieferor- Gesichts-
Ulopadische Therapie w1d sollten auch routinemäßig überprüft werden. asymmetrien
Eine bei Abweichung 7wischen Kinn- und :-.!asenspilZe leicht zu erken-
126 14 Klinische Diagnostik
Merke
Bei einem harmonischen Gesicht beträgt die Stlrnhöhe, d.h. die
Distanz Haarlinie-Giabella, ein Drittel, die Distanz Glabella-Subna-
sale ebenfalls ein Drittel, und die Distanz Subnasale-Menton um-
fasst das untere Gesichtsdrittel (Abb. H -4).
Auch die form der Nase ist hereditär und ethnisch bedingt. Da die äs- Form der Nase
thetische Beurteilung des Gesicht~ sta rk von der Nase bestimmt wird,
sollte der Patient darauf aufmerksam gemacht werden, dass das Nasen-
profil durch eine kieferorthopädische Maßnahme nicht direkt l:>eein-
trächtigt wird. Gleichwohl kann es zu einer Veränderung der Relation
zwischen Nase und Oberlippe kommen.
Merke
Normalerweise beträgt die Relation zwischen Nasenlänge und
-breite 2: I. I
Außer der Morphologie der Nase (:'Jasenrücken, Nasenspitze) sollten
auch die Naseneingänge und die Stellung des Nasenstegs beurteilt wer-
den. Sie können Aufschluss geben über eine Beeinträchtigung der Na-
senatmung (s.a. Kap. 12.3, Abb. J 2-3).
Bei mikrorhiner Dysplasie mit hohcr Nasenwurzel, kurzem asen-
rucken und aufwärts gerichteter Na~en~tilt7e ($teckdo~enna5enlöcher)
besteht eine sehr eingeschränkte Kasenatmung.
Beim Großnasen pro fi l (Hefe Nasenwurzel, langer Nasennicken und
vorwärts gerichtete Nasenspitze) liegt häufig eine Klasse 11 2- oder Deck-
bissanomalie vor.
Bei der Lip pen ko nfiguration werden die Länge, Breite und Wöl- lippen-
bung, das Verhältnis zwischen Lippenrot (Schleimhautlippe) und lnte- ko nfigurat ion
gumentallippe (llaullippe) beurteilt.
128 14 Klinische Diagnostik
Merke
Bei harmonischen Lippenverhältn i s~en setzt ~ich da~ untere Ge-
sichtsdrittel aus ein Drittel Oberlippe und zwei Drittel Unterlippe
sowie Kinn zusammen.
Merke
Typisd1 für eine neutrale Lagebeziehung zwischen Ober- und Unter-
kiefer und eine normale sagittale Stufe ist eine leicht negative Lip-
pentreppe, d.h., d ie Oberlippe ist ein wenig ventral der Unterlippe.
Abb. 14-S: Harmoni~che Relation zw i- Abb. 14-6: Gummy smile bei einem
schen Lippen und Zähnen bei einer lä - zehnjährigen Patienten mit kurzer
chelnden Patientin Oberlippe und ausgeprägtem Tiefbiss
14.2 Klinische Befunderhebung • :mtneo 129
Gingiva
Gingivatyp Gingivatyp (derb-fibrös oder dünn-fragil), Entli.llldungs.t.eichen und
mukogingivale Veränderungen werden bei der Inspektion der Gingiva
überprüft.
14 2 l(linosche Befunderhebung A :tt.I!OIU 131
Gaumen
Die Gaumen~chlelmhaut wird inspiziert nach pathologischen Vorwöl-
bungen, Ulzeralionen und Narbenziigen. Vorwölbungen, z.B. im Be-
reich der oberen Eckzähne, sprechen für Zahnverlagerung. Schleirn-
hautimpressionen und Verletzungen der J>apilla indsiva treten bei sehr
au~geprägtem Tiefbiss mit Gaumenschleimhauteinbiss bei der Klasse 11 1
auf. :-1/arbenLüge können Folge eines operativ verschlossenen Gaumens
bei l.ippen-Kiefer-Gaumempaltpatienten sein (Abb. 14-13 und 14-14).
Die Höhe des Gaumengewölbes in Relation zur Gesichtshöhe ist ein
Kriterium einer~eits für die ßefe~tigung herausnehmbarer Behandlungs-
geräte, andererseits für die Möglichkeit der Nasenatmung. Ein hoher,
schmaler Gaumen einschließlich deutlicher Rugae palatlnae i~t ein Indi-
kator für habituelle Mundatmung mit Zungenlage im Unterkiefer.
Asymmetrien Asymmctrien de~ Gaumens können durch Zahnverlagerungen (Eck-
z.'ilme oder zweite Prämolaren), aber auch durch unilaterale \'erschmä-
lentng beim Kreuzbiss auftreten. Im dorsalen Ab\chnitl der Sutura pala-
tina mediana befindet sich der Torus palatinus, ein häufig feiner Grad,
seltener ein breiter harter Wulst, der sich tastbar erst nach der Pubertät
Zunge
Bei der klinischen Untersuchung werden Farbe, Größe, Form, Beschaf- Makroglassie
fenheit, Lage und Funktion der Zunge beurteilt. ßei der Inspektion der
Zungengröße (l...inge und Breite) spielt die Beweglichkeit eine entschei-
dende Rolle. Der Befund ~akroglossie (Abb. 1-1- 16) erf<>rdert eine auf-
wendige Befunderhebung (Röntgenkinematographie) und beinhaltet
die Analyse der ZlUlgenlage, -beweb'l.mg und der phy~iol ogischen Funk·
tionsabl<iufe wie Sprechen und Schlucken. Eine große Zunge, insbeson-
Abb.14-1S: Patientin mit
submuköser Spalte
14.2.4 Funktionsstatus
Muskuliltur 0
Generalisiert Orofasziale Wachstumsqualität Kopfhaltung Therapie
Muskulatur (KFO)
0 hyperton 0 Kaumuskulatur 0 neutral 0 Reklinatron @(§)@>
0 hypoton 0 M. massetcr 0 vertikal U Anteklinatron @
0 Spasmen 0 mrmrsche 0 horizontal
Muskulatur
0 M. mentalos
Mundiltmung 0
Nue Uppen Intraoral Therapie
0 Tonsillen 0 mikrorhin lJ kompetent O Gingivitis
0 Otitismedia 0 Septumdeviation 0 inkompetent @)(§)@
0 Bronchitiden 0 Nasenmuschel· 0 pot. inkompetent (§)
LJ Allergren hypcrplasie 0 dick aufgerollt
0 dunneOL
Zunge 0
Lage Verlinderungen Zungepressen Schlucken Therapie
0 kaudal 0 scharfe Rugae 0 gegen O OK 0 viszeral
0 frontal 0 verwischte Rugae 0UK 0 somatrsch @(§)<§)
0 retral 0 Impressionen 0 Front 0 Gesichhgrimassen ~
0 Seite
Hilbib 0
lustbetont Aut oaggressiv Therapie
0 lutschen 0 Nägelkauen 0 Uppenhabits (§>@)<§)
0 Bruxismus ~
Sigmiltismus 0
0 interdent.;~los 0 Schetismus 0 Asrgmatismus Therapie
0 addentalis 0 Chilismus @)@)@
0 lateralis <:§)
Kfo·Befund 0
Kopf·/Kreuzbiss Offen Lücken Achsenneigung der Therapie
(Transversal) (Vertikal) {Sagittal) Schneidezähne
Protruslon OOK O UK <§)(§)@
87654JZlllZJ.4S678 81654l21llzJ4son 17654llllllJ4S678
R 876'1&Ul\ll~S&78 l R 17&S4lll\lll•son l R 876S4l21112l~S67& l RetrusiOn OOK O UK ~
0 OKschmal Kieferlage
Vorlage OOK O UK
Rucklage OOK OUK
Gewünschte Therapiefolge
(Stempel Erstuntersucher)
-
Abb. 14-19: Funktionsuntersuchungsbogen
14.2 Klinische Befunderhebung A :flfiJQI[J 137
Klinische Funktionsanalyse
Die Ruhelage des Unterkiefers (dynamisches Gleichgewicht zwischen Ruhelage des
Synergist~:>n und Antagonisten de~ orofaLial~:>n Syst~:>ms) wird am ent- Unterkiefers
spannt sitzenden Patien ten bei aufrechter Körperhaltung bestimmt.
Normalerweise befindet sich der Unterkiefer in der Ruhelage 2 bis 3 mm
unter und hinter der SchJussbissstellung.
Die Beziehung zwischen der Ruheschwebelage und der Schlussbiss-
stellung, d.h. d ie Bewegung des Unterkiefers aus der Ruhelage in die
Schlussbissstellung, wird in den drei Dimensionen sagittal, vertikal und
frontal beurteilt.
Die klinische Untersuchung der Kiefergelenke beinhaltet die Aus- Auskultation und
kultati011 und t>a Jpation des Gelenkbereichs sowie der an der Unterkie- Palpation
ferbewegung beteiligten Muskulatur. E.s werden als Symptome Knack-
und Reibegeräusche sowie Dmck- und Zugschmerz unterschieden. Die
Auskultation und Palpation werden in Ruhelage sowie bei Funktions-
ausilbung durchgeführt (Abb. 14-20).
Manuelle Funktionsanalyse
ln Analogie 1u manuellen Untersuch ungstechniken in der Orthopädie
wurde die manuelle Funktionsanalyse in die Zahnheilkunde integriert.
In der konventionellen Funktionsdiagnostik werden, wie beschrieben,
aktive Bewegungen eliasst und eine Muske lpalpation durchgeführt. Das
Printip der manuellen Funktion!>analysc h ingegen beinhaltet die Fahn-
H8 14 Klinisch~ Diagnostik
Instrumentelle Funktionsanalyse
Die instrumentelle Funktions- oder Bewegungsanalyse umfasst die dy-
namische Aufzeichnung der Unterkieferbewegungen (Öffnung, Schluss,
Vor- und Rückschub sowie Lateralexkursionen) {Abb. 14-22). Sie dient
turn einen der Bestimmung der patientenbezüglichen Gelenkwerte
(l<ondylenbahn, ßennet-Winkel) w1d zum anderen der grafischen Dar-
stellung der Bewegungsspuren des Kondylu5 bei aktiven und bei mani-
pulierten Unterklefcrbewegtmgcn. Bei Patienten mit pathologischen
Kiefergelenkbefunden und bei erwachsenen Patienten vor einer kom-
14.2 Klinische Befunderhebung
15 Röntgendiagnostik
Merke
Für eine kieferorthopädische Erstberatung sollte nur dann eine
Röntgenübersichtsaufnahme zur Remteilung des Zahnstatus, der
Parodontien und der Knochenstrukturen angefertigt werden, wenn
eine rechtfertigende Indikation besteht.
15.1 Panoramaröntgenschichtaufnahme
Abb. 15·1: OPG einer neunjährigen Patientin mit noch nicht durchgebrochenem 11
und Verdacht auf Oilazeration
mc~1~l ·
exzcntmch
d1stal
exzentnsch
15.2 Fernröntgenseitenbild
Wachstumsvorhersage
.o1
A VTO (visualized treatment objective =sichtbar gemachtes 13ehand-
lungsziel).
···...
N<
Ls
Li
Pog'
Gn
Abb. 15-9: Anatomische und konstruierte Bezugspunkte bei der ..Hamburger A.a-
lyse"
.·
\
\
- Pog
SNA SNB
.•
•..
..
. ·······
\
Grundebenen-
wmkel
••
hmt ere
Gesocht shohe
I.
Dentale Analyse
Der \>Vinkel zw ischen der Achse des oberen mittleren ln zisivus und der Schneidezahn-
vorderen Schädelba~i~ beträgt bei korrekter Angulation 103 ± 2•. F.rgän- achsenwl nkel
zend gibt der Winkel zwischen der Achse des oberen mittleren Schnei-
dezahnes und der Spinaebene Aufschluss uber die Achsenstellung der
oberen lnzisivi (112 ± z•). ln Abhängigkeit von der Position und Nei·
gung der Bezugsebenen besteh t Übereinstimmung bzw. Diskrepanz
beider Werte. Der Wi nkel zwischen der Achse des unteren mitt leren Jn -
zi~ ivus und der }.;fandibularebene beträgt normalerweise 90 ± 3•. Bei
Vergroßemng des oberen oder unteren Schneidezahnachsenwinkels be-
\ teht eine Protrusion, bei Verkleinerung eine Retmsion der Inzisivi. Bei
hialveolarer Protrusion sind sowohl die oberen als auch die unteren
Schneidezähne nach labial gekippt.
Der lnterinzisaJwinkel, den die Schneidezahnachsen der oberen lnterinzisalwinkel
und unteren lnzisivi miteinander bilden, beträgt normal 132 :1: s•. Bei
einer bialveolären Protrusion ist der lnterinzisalwinkel verkleinert, bei
einer Klasse 11 2 oder einem Deckbiss (bialveoläre Retmsion) ist der Inter-
in7isalwinkel vergrößert.
Die oberen InzJsivi sollten mit ihrer Schneidekante 2-4 mm vor der
N-Pog-Unie liegen, die unteren lnzjsivi zwischen 2 mm ventral und 2
m m dorsal der Gesichtsebene.
Aus der Analyse der Schneidezahns tellung (Winkel- und St r~ken
mcssung) ergibt sich die therapeutische Zielsetzung. je nach Kombina-
tiOn der Abweich ung (labialer/lingualer/ palat inaler Kippstand und/oder
154 1S Röntgendiagnostik
''
',
........
/" .
•,
Ar
Apl
Gn
Weichteilanalyse
Ästhetiklinie Das \•Veichteilprofil wird relativ zur Ästheti klinie nach Ricketts beurteilt.
Die an Kinn (Pog') und Nasenspitze (Ns) angelegte Tangente soll bei ei-
nem Neu tralprofil 1-4 mm ventral vom vordersten Punkt der Oberlippe
(Ls) verlaufen. Die Unterlippe (U) darf diese Tangente berühren bzw. 2
mm ventral von ihr liegen (Abb. 15-13).
Erst mit dem neunten l.ehemjahr ist die Schwenkung des Unterkie-
fers zu r vorderen Schädelbasis stabilisiert.
Merke
Beim horizon ta len (ccw) \'\lachstumstyp überwiegt das kondyläre
Wachstum, beim vertikalen (cw) Wachstum überwiegt das sutural-
alveoläre Wachstum.
Abb. 15-14: FRS eines Erwachsenen mit horizonta - Abb. 15-15: FRS eines erwachsenen Patienten mit
lem Schädelaufbau vertikalem Schadelaufbau
156 15 Ronlgendlagnostlk
15.3 Handröntgenaufnahme
cm/Jahr cm/Jahr
23
• 23
•
22 WKhstumsaeschwlndlakelt 22 Wachstumsaeschwindigkeit
21 M.idchen 21 Jungen
20 20
19 19
18 18
17 11
16 16
1S IS
14 14
I) I)
12 12
11 11
10 10
9 9
8 8
7 7
6 6
5 5
4 4
3 3
2 fl 2
I ~ I
0 ~-o~~~~~--~~~~~w~~ 0
0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18
Alter (Jahre) Alter (Jahre)
Abb. 1S·16: Wachstumsgeschwindigkeitskurven für Mädchen links und Jungen rechts (nach Tanner). Oie
S<hraffiert gezeichneten Bänder geben die Pet'lenhten der tempokonditionierten Wachstumsgeschwindig-
keit wahrend des PubertatswilchstumsS<hubs an (ilus B.Kaht-Nieke, PraJOs der Zahnheilkunde, Bd. ntl, 4.
Aun .)
15.3 Handröntg~naufnahme •:ff.i!Qifj 157
4 3 2
I Pi
--
pPl
~ (j~
mP1 s
c u
mP 1 dP 1u
-..~ooo
pPl• mPlu
e•d e• d cap
.. -··
-.- ---
in- juvenil adoleszent erwachsen
l fantil
Abb. 15-17: D1e Reifestadien der Hand nach Bjork in Relation zur Wachstumskurve. Oie aus der deskriptiven
Anatomie entnommenen Abkürzungen bedeuten: pP ~proximale Phalanx, mP =media le Phalanx, dP = dis-
tale Phalanx, S = Sesamoid, R, ~Radius closed, Zahlen von 1-5 für die Finger beginnen am Daumen, e ~ d:
Epi- und Diaphyse haben die gleiche Breite [aus B. Kahi-N iek~. Praxis der Zahnh~ilkunde, Sd. 1111, 4. Aufl.).
Die Zeitpunl-te des Auftretens dieser Reifestadien bilden mit den jährli- Wachstumskurve
eben Wachstumsraten des allgemeinen Längenwachstums die Wachs-
tum~kurve. Die Kurve beginnt mit dem drei Jahre vor Erreichen des
158 15 Röntgendiagnostik
10
4
Mädchen
2
10 11 12 13 14 15 16 17 18
Alter (Jahre)
Abb. 15· 18: Ergänzung der Björk-Relfestadien durch Grave und Brown, die da sEr-
scheinen des Os pisiforme, das Stadium R•, d.h. gleiche Weite von Epi- und Dia-
physe am Radius sowie H2, der Haken des Hamatums und PP~up zur Vcrbesstrung
der Präzision ergimzten [aus 8. Kahi-Nreke, Praxis der Zahnheilkunde, Bd.llll 4.
Aufl.]
15.3 Handröntgenaufnahme 4Jlfi1Qif1 159
die erste Menarche auf, und die Jungen haben die Pubertät weilgehend
überschritten. Etwa zwei bis zweieinhalb Jahre nach dem maximalen pu-
beralen Wachstumsschub ist im Stadium PP3u b7w. MP3u kaum noch
Wachstum zu erwarten und mit Ru bzw. Re (radius closed) ist das kiefer-
orthopätli~ch au~nutzbare 3kelettale Wachsturn abgeschlossen.
Nach Grave und Brown dienen sechs weitere Ossifikationsstadien Ossifikations-
Im Bereid1 der Handwurzelknochen Lur genaueren Vorherbestimmung stadien
des Zeitpunkts der größten Wachstumsgeschwindigkeit (Abb. 15-18).
15.3.1 Indikationen
Merke
Nach einer Stellungnahme der Deutschen Gesellschalt für Kieferor-
thopadie von 1997 sollte das Handröntgenbild aus Gritoden der
Strahlenexposition nur unter Beachtung eines engen zeitlichen
Rahmens um den pubertären Wachstumsgipfel angefertigt werden
und/oder wenn entsprechende Informationen nicht durch anam-
nestische Angaben zur Verfugung stehen.
160 15 Rontgendlagnosllk
15.3.3 Interpretation
~lerke
Vor Beginn und nach Abschluss einer kieferorthopadischen Re·
handlungwerden intra- und extraorale Fotografien angefertigt. Ab·
hängig vom Behandlungsverlauf werden Zwischenfotos zur Doku·
mentation hergestellt.
Das Gesichtsprofil wurde 1958 von A. M. Schwarz klassifiziert als Ges ichtsprofil
Durchschni ttsgesicht, Vorgesich t oder Rückgesicht. Diese Gmppie-
rung beruht auf der Konstruktion von drei Rezugsebenen:
..;1 Frankfurter Horizontale (Verbindung zwischen Porion (Po), dem
Zwischen der '\a~ion- und Orbitalsenkrechten liegt das sog. J(j eferpro- Kieferprofilfeld
filfeld (KPf). Bei regelrechtem Profilverlauf (Riomed- oder 1deale) Mit-
telwertge,itht) beruhren der Subnasalpunkt und die Oberlippe die Na-
sionsenkrechte, und das Hautgnathion hegt auf der Orbitalsenkrechten.
Befindet sich das Subnasale vor der Nasionsenkrechten, be!>teht die Va-
riante eh~' Vorge\icltb, hegt das Subnasale hinter der '\a~ionsenkrech-
ten, ~pricht man von einem Rückgesicht. für die\c drei Profiltypen wer-
den je nach i>osition des Weichteilpogonlom in He7ug 1um Subnasale je
zwei weitere Gesichtstypen unterschieden (nach vorne bzw. nach hin-
Abb. 16-3: Fotostatanalyse (nach A.M.
Schwarz). Gerades Mrtlelwertgesicht.
der Subnasalpunkt (Sn) liegt auf der Pn-
(Perpendicula re· niiSille-)Senkrechten.
der Weichterlkrnnpunkt Pog hegt am
Übergang zum hinteren Orrttel des Kie- /
ferprofilfeldes. • N
Sn
Gn Pog
Po ""
KPf
164 16 Fotoanalysl!
Bipupillar-
linie
- Orbitale
Subnasale
---- Stomion
Abb. 16-S: Kontrolle des Behandlungsverlilufs bei einer Patient in mit hemifolzialer
Mikrosom1e und durch rechtsse.t1ge Kondylushypoplasie bedingter Gesichbilsym-
metrie nach rechts
4$(.ji01ij 165
17 Modellanalyse
Tuberebene
166 17 Modellanalyse
Tuberebene
..
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Abb. 17-4: Zahnschema zur Erfassung des klin ischen Status mit allen durchgebrochenen bzw. im Durch -
bruch befindlichen bleibenden Zähne sowie den Milchzähnen. Der Röntgenstatus beinhaltet die nicht
durchgebrochenen, angelegten Zähne und die Nichtanlagen. Die m4!siodistalen Diameter ermögl ichen die
Berechnung der Tei l bogenlängen-Soll- und -Istwerte.
Abb. 17-5: Die Summe der mesiodista len Diameter der oberen a) bzw. der unteren
b) Inzisiv! ergibt das Tei lbogenlimgensoll für die Front.
168 17 Modellanalyse
Stutzzone UK
Tonn ·R~Iation Bei bilateralem l·chlen wird das Soll (PiatzbcdarO über die To nn- Re-
la tion berechnet. Die Tonn-Relation beschreibt da!> Verhältnis der Brei-
tensumrne der oberen zur Breitensumme der unteren lnzisi\·i. Die obere
lmisi\ ibreitensumme (32 mm) verhält sich zur unteren hru~ivibreiten
summc (24 111111) wie 4:3.
Abb.17-7: Teilbegenlängen-
Ist für den Schneidezahn·
und Seitenzahnbereich
113 Platzbedarfsanalyse
17.4 Zahnbogenbreite
Basierend auf zah lreichen Untersuchungen lum Schn eidezahn breiten- Pont-Relat ion
Za hn bogenbreiten ln dex {flont) wird der Sollwert für die tranwer~ale
Zahnbogenbreite im Prämolaren- und Molarenbereich in Abhängigkeit
von der mcsiodistalen Breite der vier oberen lnzisivi berechnet. Die
Pont-Relation lautete für den transversalen Abstand zwischen den
Messpunkten an den ersten Prämolaren SI x 100 : 80 und Wr den trans-
versalen Abstand zwi~chen den Messpunl.."ien an den ersten Molaren
SI-: 100:6-L
Da mehrere Studien ergeben haben, da.~s im individuellen Fall nur
selten die so berechneten Zahnbogenbreiten bestanden, wurden ver-
170 17 Modellanalyse
lntercanine Die Zahnbogenbreitenanalyse ist auch heute noch eine sinnvolle Me·
Distanz thode zur Objektivierung eines Missverhällnisses zwischen Zahn- und
Kiefergröße sowie zwischen den Kieferbreiten von Ober· und Unterkie-
fer. Neben der Vermes~ung und dem Vergleich von Ist· und Sollwerten
müssen die transversale Position und die eigung der Ober· und Unter·
kieferseitenzc'ihne visuell beurteilt und bei der r:rage der Platlbeschaf·
hmg und der Angleichung der Kieferbreiten berücksichtigt werden.
Abb. 17-8: Anteriore und
postcriorc Zahn bogen-
breite. Pont·Messpunlcte
und antcriore Zahn bogen·
langen (aus G. Schmuth.
Praxis der Zahnheilkunde,
Bd. 11, 3. Aufl.)
Richtwerte
Lo • Lu • SI : 2
P- P • SloK+ 8
M - M • 5101< +16
17.7 Transv~rsal~r und sagittaler Symmetrievergleich 4 \fhllQifl 1'71
17.5 Zahnbogenlänge
Die vordere Zahnbogenlänge nach Korkhaus (s. Abb. 17-8), d.h. das Lot
vom Schnittpunkl der Schneidekanten der mitlleren ln zisivi auf die
Verbindungslinie der Ylesspunkte der vorderen Zahnbogenbreite, dient
der Erfassung sagittaler Stellungsanomalien der Schneidezähne.
Da die vordere Zahnbogenlänge durch Fehlstellung sowohl der
Schneidezähne als auch der e rsten Prämolaren beeinfluss t wird, un ter-
liegt sie äußerst großen Schwankungen .
17.6 Frontzahndisharmonie
I
17.7 Transversaler und sagittaler Symmetrievergleich
17.9 Okklusion
17.9.1 Seitenzahnverzahnung
Overjet Die \agittale Stufe (Overjet) wird mit einem Lineal als der Absta1d zwi -
schen der Labialfläche der unteren mittleren Schneidezähne und Jer ln-
zisalka nte der oberen mittleren lm:isivi parallel zur Kauebene mttrisch
erfasst (Abb. 1 7-I I).
Overbite DN vertikale Überl>iss (Overbite) wird von der Schneidekar.te der
unteren zur Schneidekante der oberen Jnzisivi gemessen (s. Abb. !7· 11).
Uni- oder bilaterale tranwecsale Okklusionsabweichunge;, wie
Kreuzbiss und 'on okklus ion werden optisch erfasst (s.a. Kap. 11.2.1,
Abb.l l -1).
O. >
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"' <T Diagnostik Therapie
c:..
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....
ii
I I I I I I :I
18 Diagnose und Behandlungsplan 4'fHiijii:J 1n
19 Grundlagen
Die Größe und Richtung einer definierten Kraft wird durch einen Vek-
tor repräsentiert. Seine Länge beschreibt die Kraftgröße, die Pfeilspitze
die Kraftrichtung. ln einem Gleichgewichtssystem addieren sich alle
Vektoren zur Vektorsumme null, d.h., alle Kräfte und Momente kom-
pensieren sich zum Gleichgewich t.
Kraftgröße
Nach Reitan (1957, 1969) sind optimale Kra ftgrößen für verschiedene
Zähne und Bewegungen zu unterscheiden. Er gibt für Kippbewegungen
kleiner Zähne 0,2-0,3 N, großer Zähne 0,5-0,75 ; für die körperliche
Bewegung klclncr Zähne 0,4-0,5 N, großer Zähne 1,5 ; für die Wurzel-
bewegung kleiner Zähne 0,5 N und großer Zlihne 1,2-1,5 N sowie für die
J::xtruslon 0,3~.5 N an. Für die Intrusion sollten 0,25 N pro Zahn nicht
überschritten we rden. Eine Orientierung über die Wuw~loberflächen
der bleibenden Zahne nach jepsen (1963) vennittelt Abbildung 19-1.
Sowohl wurzelresorbierte Zähne als auch horizontaler Knochenabbau
im Bereich des Alveolarfortsatzes führen zu einer Reduktion der zu be-
rücksich tigenden Wurzeloberfläche.
Insgesamt sollte die verwendete Kraft 1 N/cm2 Wurzeloberfläche
nich t überschreiten. Bei gesunde m Parodontalapparat gibt Ricketts für
die bioprogressive 1 herapie für verschiedene Bewegungsarten unter-
schiedliche Kräfte an. Bei geschädigtem Attachrnent müssen d iese Kraft-
größen reduziert werden.
182 19 Grundlagen
Abb. 19·1: Wurzeloberfläche in mml für die oberen und unteren Schneide- und
Eckzähne, Prämolaren und ersten M olaren
Kraftdauer
Kontinuierliche Es wird zwischen kontinuierlichen und Intermittierenden Kräften un-
Krafteinwirkung terschieden.
Eine kontinuierliche (dauernde) Krafteinwirkung ist bei der Behand-
lung mit festsitzenden Apparaturen so lange gewährleistet, wie die akti·
ven Elemente wirksam sind.
Intermitt ierende Eine intermittierende dynamische Kraft wird bei Behandlung mit
dynamische Kraft abnehmbaren Geräten appliziert. Es findet ein Wechsel zwischen Belas-
tungs- und Ruhephasen statt. Fü r eine intermittierende Kraft ist cUe
schonende Belastung bei anfängl ich schwacher Knochenapposition mit
täglich kleinen Rezidiven und eine rasche Resorption durch Vermeh-
rung der Ostcoklasten bei geringer l lya linisierung typisch.
Kraftrichtung
Da ein starrer Körper unter Krafteinwirkung seine Form nicht ändert,
bewegt er sich unter Krafteinwirl..ung. Oie möglichen Bewegungen eines
starren Körpers sind die Parallelverschiebung oder körperliche Bewe-
gung (rranslation), die Drehung um eine Achse (Rotation) und Kombi-
nationen aus Translation und Rotation.
Rei einer Parallelverschiebung ( rranslation) verläuft der Kraftvektor Parallel -
durch das Widerstandszentrum eines Körpers (Abb. 19-2). Unter dem verschiebung
Widerstand~zentrum einer resiliertt aufgehangenen Hartgewebseinheit (Translation)
versteht man den Punkt, an dem eine Einzelkraft eine Translation bc·
wirkt. Es ist der Summationseffel..t zwischen Massenmittelpunkt und
Elnspannungszentrum. Die Lage des Widerstandszentrums hän!,'t bei ei- Widerstands-
nem Zahn ab von der VVurzellänge und -form, der Anzahl der Wurzeln, zentrum
der Höhe des Attachments, der Dicke und Qualität der Bindegewebs-
manschette und von der Form und Dicke des Parodontalligamentes. Für
einen einwurzligen Zahn im jugendlichen Gebiss ohne Parodontallä-
sion liegt das Widerstandszentrum etwa am Übergang vom zervikalen
zum mittleren WurzeldritteL Fur einen mchrwurzligen Zahn liegt es 1- 2
mm apikal der rurkation.
Bei Translation und Rotation wi rkt die Kraft in einem bestimmten Drehmoment
Abstand vom Widerstandszentrum. Das Produkt aus Kraft (Force = F)
und senkrechtem Abstand (a) zum Widerstandszentrum bezeichnet
man als Drehmoment M.
M = Kraft F x Abstand a
Die auf den Körper wirkende Kraft besitzt zwei Komponenten: eine
tramlatorische fur die lineate Bewegung und eine rotatorisehe fur die
Drehung des Körpers (Abb. 19-3).
Wird die Translation durch eine gleichgroße Gegenk raft kompen- Rotation
siert im Sinne eines Krärtepaares, kommt es nicht zur Translation, son-
Abb. 19·2: Bei der Transla-
tion verläuft der resultie-
rende Krartvektor durch das
Widerstandszentrum.
vorher nachher
vorher nachher
184 19 Grundlagen
vorher nachher
Unkontrollierte Bei emer unkontrollierten Kippung (z.B. durch den Labialbogen an Ci·
Ki ppung ner ObcrJJeferplalle) liegt der Kraftangriff ca. 10 mm koronal des Wi-
derstands.:entrum~. und das Rotationszentrum ist I 2 mm apikal des
.
• •
:..\ ••
.•. •.'
•• .'
... ,'
M.f • O 1
19.1 Orthodontische Zahnbewegung
Bei der kontrollierten Kippung greifl dieKraft 5-7 mm inzisal vom Kontrollierte
Widerstandszentnun an, und das Rotatiornzentrum liegt am Apex. Sie Kippung
ist nur mit festsitzenden Apparaturen oder so genannten Tmque-Federn
an herausnehmbaren Geraten zu erdeten. Der Torque, eine Verwindung Torque
des Vierkantdrahts in sagittaler und vertikaler Rich tung, bewirkt ein
therapeutisches Drehmoment, das dem durch den exzentrischen Kraft-
angriff bedingten Moment entgegenwirkt. Das therapeutische Drehmo-
ment {Torque) kann in Abhängigkeit von der gewünschten Zahnbewe-
gung unterschiedlich groß gewählt werden. Bei der kontrollierten Kip-
pung liegt es unterhalb des Drehmoments, das bei der unkontrollierten
Kippung als reaktive Wurzelbewegung in die Gegenrichtung auftritt
{= immanentes Drehmoment) (Abb. 19-6).
Wenn der Kraftangriff durch das Widerstandszentrum eines Zahnes Translation
läuft und das Rotationszentrum im Unendlichen liegt, wird ein Zahn
körperlich bewe!,'t ( l'ranslation). Da ein dire\..ter Kraftangriff in Ilöhe
des Widerstandszentrums jedoch nicht möglich ist, wird ebenfalls mit
Hilfe einer festsitzenden Appa ratur ein Drehmoment erzeugt. Dieses
muss das Ausmaß des immanenten Drehmoments kompensieren (Ahb.
19-7).
Abb. 19-6: Kontrollierte Kip-
pung
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L
M : F=10 : 1 I
186 19 Grundlagen
M : F = 12 :1 J
Reine Wurzel- Liegt der Krafta ngriff 3Jlikal de~ Widerstandszentrurm eines Zahnes
bew egung und das Rotationszentnun inzisal, kommt es zur reinen Wurzelbcwe-
gung. Sie wird durch die Erhöhung des therapeutischen DrehmC>rnents
uber die Größe des immanenten Drehmoments erreicht (Abb. 19-8).
0
Druckzone
G
Zugzone
Knochen-
abbau
Knochen-
anbau
.
.......·.··...,...
:·
8
Zugzone
e
Druckzone
Knochen-
anbau
... ..
.....
..
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..
.....
Knochen-
abbau
::·
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··: 0 •
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Abb. 19 ·9 : a) Druck- und Zug~onen, negative Ladung auf der Zugseile, positive Ladung auf der Druckseite,
b) Knochenabbau in der Druckzone, Knochenanbau in der Zugzone
Rel jeder Art orthodontischer Zahnbewegung werden im Desmodont
Oruck- und Zugzonen geschaffen; sie variieren je nach Lokalisation
und Ausdehnung der ßeweg\mg.
Merke
Im Bereich desmodontaler Druckzonen findet Knochenresorption,
im Bereich der Zugzonen Knochenapposition statt (Abb. 19-9).
Bei der Resorption unterscheidet man die direkte und indirekte Art.
Oie direkte Resorption des Alveolarknochens erfolgt bei geringem Direkte
Druck, unter dem die Blutzirkulation nich t unterbrochen wird und die Resorption
Zellaktivität erhalten bleibt. Bei der direkten Resorption wird nach
zwölf Stunden eine vermehrte Zellproliferation beobachtet, nach 24
Stunden treten im DruckTonenbereich O~teoklasten auf, nach 36 Stun-
den ist im Zugzonenbereich eine Kette von Osteoblasten an der Oberflä·
ehe entstanden. Nach 2-4 Tagen ist im Zugzonenbereich ein osteoider
Saum sichtbar, ein Zeichen fü r beginnende Knochenapposition. In den
Zugzonen sind die desmodontalen fasern gestreckt und werden so in
neue Knochenschichten eingebaut.
Indirekte Resorptionsvorgä nge treten bei übergroßen unphysiolo- Indirekte
gischen Kräften auf. Diese erzeugen im Bereich der Druckzonenmaxima Resorption
desmodontale · ekrosen, welche beson der~ bei kippenden Zahnbewe-
gungen zustande kommen und auch schon von kontinuierlichen Kräf-
ten (0,25 N) verursacht werden können. Nach zwei Stunden ist die Ne-
krotisierung irreversibel, und der der desmodontalen 1\ekrose benach-
barte Alveolarknochen wird indirekt, d.h. unterminierend, resorbiert.
Die Resorption geht bei dieser Art der Zahnbewegung von den Kno-
chenma rksräumen der benachbarten Spongiosa aus, in denen die Zell-
188 19 Grundlagen
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Abb. 19-10: a) direkte Resorption und b) ind 1rekte unterminierende Resorption
aktivität erhalten blieb. Dabei wird der im Bereich der nekro tisierten
Druckzone befindliche Alveolarknochen retrograd, indirekt, untermi-
nierend resorbiert. je nach Ausdehnung der Nekrose dauert es ein bis
7wei Wochen, bis die Resorption eintritt; in dieser Zeit findet keine Be-
wegung stat t. Danach erfolgt eine niCkartige und anschließend eine
kontinuierlich langsam verlaufende Bewegung (Abb. 19- 10).
ln Zugzonen wird selten eine Nekrotisierung des Desmodonts beob-
achtet. 30 bis 50 Stunden nach Kraftapplikation hat sich dje desmodon-
tale Zelldichte durch Proliferation von Fibroblasten und Osteoprogeni-
torzeUen verstärkt. Es ist nach einigen lagen ein osteoider Saum ent-
standen, und an seiner Obernäche befindet sich eine Osteoblastenreihe.
Die zwischen den Zellen einstrahlenden l;aserbündel werden dan n in
den neuen Knochen eingebaut.
Bei intermittierender Kraftapplikation kommt es 7u einer Verzö-
gerung der Umbaureaktion und zu einer pro Zeiteinheit kleineren Kno-
chenanbaurate als bei kontinuierlich wirkender Kraft.
Biologische Durch die Einfühnmg der vier biologischen Wirkungsgrade hat A. M.
Wirkungsgrade Schwarz Anhaltspunkte ..:ur Bemessung orthodontischer Krafte geliefert:
.JI Kräfte des ersten biologischen Wirkungsgrades sind unterschwel-
lige, nicht zu Zahnstellungsveränderungen führende Bewegungen.
Zu dieser Kategorie gehören die Lippen-, Wangen- und Zungen-
kräfte, wenn sie im dynamischen Gleichgewicht ablaufen, bei~piels
weise auch das kUizdauemde Lutschen des Kleinkindes.
A Zum ?weiten biologischen Wirkungsgrad gehören ~ch wach e oder
kunwegigc Druck.kcäfte, welche aber den Blutstrom der Kapillaren
nicht unterbinden (0, 15-0,2 ~/cmZ). Sie engen den Raum zwischen
der Wurzeloberfläche und dem Alveolarknochen nicht vollstandig
ein, wie beispielsweise eine orthodontische Schraube. Bei einer llub-
19.1 Orthodontische Zahnbewegung A:f!.lUjiQJ 189
Altersverän derung
Die Altcrsinvolution des Desmodon ts führt zu folgenden Veränderun-
ge n (i\bb. 19- 1I):
~ Veränderung des Desmodontalspalts
A Venninderung der Zellzahl
~ En~·ei terung und Verringerung der Markräume
Entzündung
Merke
Da bei erwad1senen Patienten häufiger aktive Parodontopathien
vorliegen, ist die Vorau~setzung ftir jede orthodonthche Maß.
nahme eine Vorbehand lung mit Plaquekontrolle und Parodontal-
behandlung je nach Indikation.
Gingivaveränderungen
Bei dünner fragiler Gingiva besteht die Gefahr von Rezessionen, die ein
freies Schleimhauttransplantat (0,5-0,7 mm Dicke vom Gaumen) vor Be·
ginn oder nach der J,.i efcrorthopädischen Behandlung notwendig machen.
Alveolarfortsatzkon figuration
Bei vertikalem Wachstumsmuster bzw. Gesidltstyp mit hoher, schmaler,
tropfenförmiger Symphyse besteht oftmals wenig anteriorer Spongiosa-
knochen, ~o dass Labialbewegungen der Wurzeln koutraindi.dert luw.
nur geringfügig möglich sind (Abb. 19-13).
Abb. 19·13: Erwachsener Patient, bei dem eine kombiniert kieferorthopädisch -kieferchirurgische Ther.~pie
geplant und durchgefuhrt wurde. Ausgepragt dünne fragile GingM! Im Bereich der unteren Schneide-
zähne, a) vor, b) nach dem freien Schleimhauttransplantat
19.1 Orthodontische Zahnbewegung A:trniQifl 191
Wurzelresorption
Während orthodontischer Zahnbewegungen können auch das Wurzel· Laterale
1ement )Owie oberflächliche Dentinbezirke von Dentoklasten abgebaut Wurzelresorption
werden. Man unterscheidet laterale und apikale Wurzelresorptionen. Oie
an seitlichen Wurzeloberflächen be~nders im ßereidl nekrotisierter
Oesmodontalabschnitte auftretenden Resorptionslakunen werden ei-
nige Monate nach Abschluss einer orthodontisch gesteuerten Zahnbewe-
gung mit knochenähnlichem zellulärem Zement (Zementoid) ausgefiilit
und später von zellulär-fibrolärem Zement bedeckt. Durch die sog. ana-
tomische Reparation sind die lateralen Wurzelresorptionen reversibel.
Die apikalen Wurzelresorptionen führen zu einer röntgenologisch Apikale
~ichtbaren irreversiblen Verktirzung der Wu rzellänge. Diese Art der Wur- Wurzelresorption
zelresorption tritt auch idiopathisch, d.h. ohne kieferorthopädische
Behandlung, bei 22% der Erwachsenen bei 70-S()!Hl aller Zähne auf und
erreicht mit zunehmendem Alter größere Ausmaße. Betroffen sind vor-
wiegend Oberkieferzahne, besonders die oberen Schneidezähne, zwei-
ten Prämolaren und Molaren (Abb. 19-14).
Knochen- und desmodentale Faktoren fö rdern die Wurzelresorp· Knochenfaktoren
tion. Zu den Knochenfaktoren gehören Allgemeinerkrankungen des
Kalziurnstoffwechsels, Schaukelbewegungen bei der kieferorthopädi·
schen Maßnahme und unkontroll ierte Kippbewegungen. Zu den des- Desmodontale
modontalen Faktoren zahlen zu hohe Kräfte, Bewegungen wie Intrusion Faktoren
und Kippung sowie Allersveränderungen.
Zu den exogenen Risikofaktoren für iatrogene Wurzelresorption en Risikofaktoren
zählen große Kräfte, lange ßehandlungsdauer, um fangreiche Zahnbewe- für iatrogene
gungen und besondere Bewegungen wie Torque, l:.xtrusion und lntm· Wurzelresorption
sion. Göz ct al. sprechen in diesem Zusammenhang von drei Determi-
nanten der orthodontisch verursachten Wurzelresorption: dem Impuls,
der kritischen Barriere und der Umgebungsdichte. ln diesem Zusam-
menhang ist die so genannte Jiggling-Belastung, d.h., das ständige
Pa rodontopathien
Neben Gingiva dehiszenzen , die durch eine initiale Schädi!,'tmg des
marginalen Knochens bedingt sein können, Lreten Parod onto pathi cn
(Parodontitiden) bei Trägern kieferorthopädischer Geräte durch ver-
stärkte Plaqueakkumulation auf.
Karies
Kariö~e Defekte können wahrend einer kieferorthopädischen Behand-
lung auftreten, vor allem in schwer zugänglichen Bereichen mit Bra-
ckets und Bändern, insbesondere in der Bracke tperipherie und im Be-
reich von Zementa uswaschungen zwischen Zahn und Band.
Schmelzdefekte
Da bei der Anwendung der Säure-Ät7technik d ie Schm elz.kond iti on ie-
rung über ca. 15-30 s mit Phosphorsäure durchgeführt wird, kommt es
z.u einem Herauslösen von Schmelzprismen (S-10 mm) und zur Entste-
hung von Mikroporositäten .
Das Risiko von Schmelzausrissen besteht beim Entfernen der Bra-
ckeis durch unsachgemäßes Vorgehen.
Devitalisierungen
Sie tre ten vor allem bei Erwachsenen durch Schaukelbewegungen, Ex-
trusionen oder ausgeprägten Bruxismus au f.
Merke
Die Adaptabilität des Perlostiums bleibt - genauso wie dje des Paro-
dontium~- auch nach Ende des aktiven Wach~tums erhalten.
Skelettales Alter
Wenn eme Wachstum~beelnflu\\ung mit extraoralen oder bima\ illären
Geraten durchgeführt werden ~oll, kann bei .. ~patlällenk mit Hilfe der
Handröntgenaufnahme noch vorhandenes Wachstum festgestellt wer-
den.
Merke
Da\ StadiumS (Se~motd)- meist ein Jahr \·or oder I..ur" nach dem
puberalen Wachstumsgipfel ist als besonders gunstlger Zeitpunkt
fur den Beginn einer sl-.elettalen Behandlung an-tuschen.
- - - -----1
WJhrend der Stadien OP 111, PP 111 und MP1 •• eln bls zweieinhalb Jahre
nach dem pubertären Wachstumsschub, ist die Prognose fur den Erfolg
einer skelettalen Behandlung kritisch. Diese sollte jedoch mit realisti-
scher Prognose f(U den orthopadtschen Therapteansatz bei ausgepräg-
I
ten Anomalien noch begonnen werden.
194 19 Grundlagen
Kiefergelenkbefund
Liegt der Verdacht einer ausgeprägt gnathischen (mandibulären ) Mitlei-
linienabweichung vor, sollte die Gelenksituation mindestens mit einer
klinischen Funktionsanalyse liberpruft werden. Bei Verdacht auf eine de-
rangierte Gelenkposition (als Traumafolge oder funktionell bedingt)
~ollte diese durch eine instrumentelle ~unktionsanalyse ergimzt werden.
19.2.2 Wachstumshemmung
19.2.3 Wachstumsstimulation
19.3 Behandlungsprinzipien
19.3.1 Indikation
Alle A)pekte, d1e bei der Entscheidung, ob und wann eine kieferortho-
pädische Behandlung du rchgefüh rt werden soll, eine Rolle spielen,
mussen gegeneinander abgewogen werden. Hierbei 'olltcn aktuelle Ge-
gebenheiten (Dysfunktionen) ~owie prospekt ivc 13cfunde (Wachs-
tum) berucksichtigt werden.
Ziele einer kiefer- Au~ der 7usammcnfassung .w r Indikation kieferorthopädischer Be-
orthopädischen handlungsmaßnahmen las\en sich eine Vielzahl von Begrundungen
Behandlung bzw. Ziele ei ner kieferorthopädischen Behandlung herausstellen:
..oll Karies- und Parodontalprophylaxe
..oll Verbesserung der \.fastlkation und Artikulatum
r
19.3 Behandlungsprmzipi~n 4fi.Udlfl 197
19.3.2 Orthodontie
Merke
Die MehrLahl aller kieferorthopädl\chen Bewegungen sind Kombi-
nationen.
19.3.3 Orthopädie
20.1 Grundlagen
Platten
Akti ve Pla tten haben die Aufgabe, d ie Zahnbögen in sagittaler und
trans,•ersaler Richtung auszufonnen und eingeschninkt I:Jn7el7.ahnbe-
wegungen du rchzuführen. Ihr Einsatzgebiet kann durch intermaxilläre
Gummizüge, Sporne, Vor- bzw. Rlickschubstege, Aufbisse, Zungengitter
und Pelotten variiert und/oder vergrößert werden. l'assive Platten hin·
gegen (ohne aktive f.lemente) finden als Retentionsgeräte (Retainer) An·
wendung.
Funktionskieferorthopädische Geräte
Oie typische Wirkungsweise der funklionskicferorthopädl~chen Ge räte
(FKO-Geräte, bimaxilläre Geräte) ist die Tramformation kö rpereigener
Kräfte, welche eine Posltion~änderung der Zahne und der Kiefe rbasen
durch Änderung des Funktionsmusters bewirkt.
Obwohl die Vor- bzw. Rückschubdoppel platten ebenso wie aktuelle
Modifika tionen klassischer funktionskieferorthopädischer Geräte auch
durch aktive Elemente zahlreiche Einzelzahnbewegungen ausführen
können, werden diese ebenso wie der Aktivator und seine Modifikatio-
nen zu den FKO-Geräten ge7ählt.
Festsitzende Geräte
Wenn Zahnbewegungen wie Tran slation, Rotation und Torque indi-
ziert sind, ist der Einsatz festsitzender Apparaturen notwendig, da diese
mit herausnehmbaren Geräten n icht möglich sind.
200 20 Koeferorthopadische Geräte
Den extraoralen Gero~ten ist gemeinsam, das5 ihre Kraft<ruelle und die
Verbindungselemt>nte zwischen Kraftquelle und -ansat7 e'(traorallokali-
siert sind. Der Kran ansatz befindet sich intraoral.
A lleadgear. Oer He<•dgear oder Nackenhandl ug erlaubt durch extra-
orale AbsHit7ung, je nach Verankerung und Zugricht ung am Kopf
oder Nad.en ~uwit' in Abhängigkeit von der Kraftgröfk eine Bewe-
gung der Molaren ohne reaktive Bela~tung anderer Zähne oder eine
lügeJung des Oberkn~ ferwachstums .
.A Kopf-Kinn-Kappe. Mit der Kopf-Kinn-Kappe kann mittels einer okzi-
pital abgcstutzten Kraftquelle em dorso-kra nialer Druck auf das
Kinn ausgeubt werden, was zur Behandlung einer echten Progertie
und de\ offenen ßisses einges~:t7t werdt>n kann (Wachstumshem-
mung des Unterkiefers).
A Delaire-~la ske. DIE.' VE.'nlral- und Vertikalbcei nOussung des Ober-
kiefers kann mit der Delaire-Maske bei gleichzeitiger Abstützung an
Stirn und Kinn dur('hgcfllhrt wt>rden .
.A Gnunmons-Mnske. Die sich an den Jochbogen abstützende Grum-
mons-~lasJ...e hat gegenuber der Delaire-Ma~ke den Vorteil, dass eine
Dorsalbeeinflussung des Kinns und daraus evtl. resultierende Kiefer-
gelenkprobleme 'errnieden werden können. Sie dient ebenso \\;e
die Delaire-Maske dt'r Vt'ntral- und Vertikalbeeinfl ussung des
Oberkiefers wahrend des Wachstums.
20.2 Verankerung
Oie Fifizit'nz jeder Verankerung, unabhängig von ihrer Qualitat, ist ab-
hiingig von dt'r Znhnform, dem \Vurzelquerschnitt, der WurzeiJänge
und der 1\chwnstellung der Zähne, die verankert werdcn sollcn. Außer-
dem spielen das Knochenangebot, d.h. die Ilöhe des Al\colarfort:satzes,
seine Strul..tur und besondere anatomi~che Gegebenheiten eine wich-
tige Rolle. ~in nach kaudal extendierter Rezessus dcr Kieferhöhle kann
beispielsweise die rMturliche Verankerung erhohen. Generell \pielen das
Wachstumsmu\ter des wachsenden Patienten und der !>childel- und Ge-
sicht:saufbau des Lrwach\enen eine Rolle bei der individuellen Veranke-
rung. Individuen rmt horizontalem Schade!- und Gesichtstyp weisen
eine ~tarkere naturliehe VeranJ.. erung auf, Patienten mit vertikalem Ge-
sichtstyp zeigen entsprechend reduzierte Verankuung,eigenschaften .
20.2 Verankerung 4\f '·"G'l" 201
I~
j J
Abb. 20-2: Bei reziprokem Lückenschluss von meslal Abb. 20-3: Wird der Lückenschluss allein durch Me·
und distal besteht eine moderate Verankerungssl- slallsierung der Seitenzähne angestrebt, besteht
tuation. ei ne minimale Verankerungsnotwendigkeit für die
Seiten zähne, bei erhöhter Verankerungsnotwen-
digkeit für die Schneide· und Eckzähne.
20.2 Verankerung 4WltJf1el 203
Bei der minimalen Veran kerung findet der Lückenschluss nach Extrak-
tion von distal durch Mesialisierung des Seitenzahnsegments statt,
was 7.ltr Verankerungsnotwendigkeit für die Schneide- und Eckzähne
führt (Abb. 20-3).
20.3 Platten
20.3.1 Geschichte
Platten, die am Metall gegossen oder gestanzt waren und spä ter au~
Kautschuk vu lkanisiert wurden, gab es schon im 19. Jahrhundert. 1840
beschrieb Brewster eine Regulierungsplatte aus Kautschuk, und 1882
führte Coffin die Expansionsplatte mit Feder (aus Klaviersai te) ein
(Lindner 1845, Tomcs 1858, Kingsley 1880, Pfaff 1908 und Hawley
1928). Eigentliche Be~,rründer der Plattentherapie sind jedoch C. F. Nord
(1928) und A. M. Schwarz ( 1935).
Eine aktive Platte besteht aus der Plattenbasis (Piattcnkörpcr), den Hal-
teelementen, den Bewegungselementen und Schrauben.
Plattenbasis
Oberkiefer Die im Oberkiefer hufeisenförmige Plattenbasis reicht im Seilenzahnbe-
reich bis Lur Grenze 7wi~chen Palatinat- und Okklusalfläche. Sie endet
im Front- und Eckzahnbereich ca. 2 mm unterhalb der lnzisalkante. Die
2-3 mm dicke Platte endet dorsal in Höhe der Distalkante der endstän-
digen Molaren (Abb. 20-4).
Un terkiefer Im Unterkiefer sollten \Or l le~tellung der Plattenbasis unter sich ge-
hende Stellen ausgeblockt werden. Die untere Platte endet an der
Grenze zwischen Lingual- und Okklusatnache und 7ieht sich dorsal bis
203 Platten 4t+'·"§f1•1 20 5
zur flöhe der distalen Kante der endständigen Mola ren hin. Im Unter-
kiefer reicht die Platte im Vrontzahngebiet an den Lingualflächen bis
fast an die lnzisalkante. Die Plattenstärke beträgt ebenfalls Z-3 mm.
Die Standardplaltenbasis dient durch intramaxiHäre Klemmwirkung
der Kraftübertragung, der FLx.ienmg aktiver und passiver Elemente und
modifi?jert auch anderen Au fgaben. Zum Beispiel kann ei n ein- oder
zweiseiUg angebrachter Auf- oder Einbiss als Bisssperre zur Überstellung
eine~ uni- oder bilateralen Kreuzbisses dienen (Abb. 20-S).
Die Tragedauer für aktive Platten beträgt ca. 16-18 Stunden pro Tag. Tragedauer
Halteelemente
Hal teelemente rixieren die Platten an den Zähnen und dienen de r zu.
sätzlichen intramaxillären Abstützung.
Adams -Klammer Oie 1955 von C. P. Adams eingeführte Adam ~-K i a mm e r dient als
körperliches rlaJtcelement an F.inzelzähnen, bevorzugt an Molaren. Bei
der aus 0,7 mrn federhartem Draht gebogenen Halteklammer greifen d ie
vertikalen U-förmigen Schlaufen zervikal Interdental an den Zahn und
sind nach gingival angewinkelt. Der horizontale Verbindungssteg darf
den Zahn nicht berühren. Die Okklusion soll dUich die Adams-Klam-
mer nicht behindert werden, ~o dass sich die Höhe der U-Schlau fen da-
nach orientieren muss (Abb. 20-6).
Dreiecksklammer Die aus 0,7 mm federhartem Draht gebogene Dreiecks klammer
stützt sich im Interdentalraum .zweier durchgebrochener nebeneinan-
der stehender Zähne ab. Ohne seitliche Abstützung der Verankerungs-
zähne hat eine Dreiecksklammer einen Separiereffekt Der notwendige
Aktivierung:.spielraum einer Dreiecksklammer wird dadurch erreicht,
dass der okkl usale Anteil den Zahn vestibulär um 1-2 mm überragt. Das
Dreieck ragt rechtwinklig in den lnterapproximalraum (Abb. 20-7).
Tropfen - oder Die 0,8 mm starke Trop fen - oder Kugelklam mer (Rush-Anke r)
Kuge lklammer krallt sich in den Interdenta lra um und setzt daher eine geschlossene
Zahnreihe voraus. Wie auch die Dreiecksklammer hat die Tropfenklam-
mer bei stärkerer Aklivierung einen Separiereffekt.
Pfeilklammer Die 1935 von J\. M. Schwarz eingeführte Pfeilklammer nutzt eben-
falls zwei lnterapproxlmalräume benachbarter Zäh ne aus. :--lachteile
sind große Reparatu ranfälligkeit sowie Einlagerung der Pfeile mi t Be-
schädigung der ZahnfleischpapilJe und häufige Kontrollen wegen Ver-
bie!,'l.mgen durch Patienten. Da die Pfeilklammer i.d.R. als Doppelklam-
mer verwendet wird, bedeutet ein Klammerbruch einen Verlust des Plat-
tenhalts auf der einen Seite. Die Pfeilkl ammer kann aufgrund der
genannten • achteile nicht empfohlen werden.
( -Klammer Die in der Prothellk verwendete C:. Kiarnrner liegt unterhalb der
größten Zahndimension, verläuft nahe der Gingiva und reicht mit ih-
rem abgerundeten Ende in den Approxlmalraum. Auch sie wird in der
Kieferorthopädie weniger verwendet.
Abstützdorn Um vor allem im Unterkiefer eine Plattenabsenkung mit Gefahr von
Druck~tellen und Gingivaulzera zu verme iden , kann die zusätzliche An-
bringung von Auflagen (Abstützdorn) notwendig sein. Abstützdorne
Aktive Elemente
Bewegungselemente, die dazu dienen, den Zahnbogen auszuformen
und Zahnbt'wegungcn durchzuführen, sind Federelernente und
Schrau ben.
Neben einfachen Dehnschrauben stehen lahlreiche Spezlalschrau- Dehnschrauben
ben flir un terschiedliche Funktionen im Handel zur Verfligung. Die ein-
fache Dehnschraube aus korrosionsfreiem Edelstahl setzt sich aus der
zentral gelegenen Spindel mit Kreuzlochkopf, zwei Fühnmgsstiften aus
Metall und einem Gehäuse zusammen (Abb. 20-8).
Mit kieferorthopädischen Dehnschrauben können dosierte Bewe-
gungen innerhalb des ..:weiten biologischen Wirkungsgrades durchge-
führt werden. Bei einer Viertelumdrehung beträgt die Bewegung pro
Seite bei einer Gewindehöhe von 0,64 mm und einer Hubhöhe von
0,16 nun 0,08 mm pro Seite. Insgesamt kann eine Schraube um 7 mm
verstellt werden. Der Vorteil einer Kiefererweiterung mittels Dehn-
schraube ist, dass Patient oder Eltern die aktive Platte eigerutandig nach
entsprechender Anleitung a~tivieren können und häufigere Kontrollter-
mine dadu rch vermieden werden. Außerdem ist die Reparaturanfällig-
keit der Schrauben geringer als die komplizierter Federsysteme. Die
Dehnschraube zur transversalen Erweitenmg des oberen Zahnbogens
wird zwischen erstem und zweitem Prämolaren parallel zum Gaumen-
dach eingebaut.
~ Die Uni versaldehnschraube kann auch als Distalschraube zur Dis- Spezialschrauben
talisiemng der ersten und zweiten Molaren zu>ätzlich oder isoliert in
eine aktive Platte eingebaut werden.
~ Eine Spezialschraube zur forcierten Gaumennahterweiterung ist die
Hyrax-Scluaube. Ihre Retentionsarme werden i.d.R. an Bänder an-
gelötet, jedoch ist auch die Erweiterung der Sutura palatina mediana
mit einer in eine Kunststoffplatte integrierten Hyrax-Schraubc mög-
lich (Abb. 20-9).
~ Die Schwenkdehnschraube und die Fächerdehnschraube dienen
20.3.4 Plattenherstellu ng
Vorbereiten der Der erste Schritt bei der Plattenanfertigung ist da) Vorbereiten der Ar·
Arbeitsmodelle beitsmodelle.
.4 Im Unterkiefer mussen unter sich gehende Stellen (Im Bereich der
zweiten Prämolaren und Molaren) mit Wachs oder C...1ps ausgeblockt
werden, um Druckstellen 1u vermeiden.
.4 Die Drahtelemente müssen dem Modell so angcpd~'>t werden, dass
sie die O h.h.lu~lon nicht behindern und auch vorge~ehene Zahnbe-
wegungen ermöglichen .
.4 Die gebogenen Drahtelemente werden mit ihrem bukkalen Klam-
merteil mit rosa Plattenwachs auf dem Modell befe~tigt, die palati·
nal bn,. lingualliegenden Retentionen bleiben frei.
.4 Auch d1e interdentat ,·erlaufenden Schultern der einzelnen Halteele-
mente wwie die at..ti\ ierbaren Anteile ,·on Zwisthenfl'tlern und Pro-
trusJOnsfcdern werden m1t '.\'adls 'erkle1det.
.4 Die Schrauben werden mit ihren Haltemngen ebenfalls am ~lodell
angewach~t oder in einen Modellschlitz cingefugt. Dehn$Chrauben
werden Im Bereich der Prämolaren in der Mittellinie mit der
Schraubspindelachse senkrecht zu den Alve{)larfortsat.:en und /..ah-
nachsen ausgerichtet. Die Schraubspindel der Sagiltal~chraube sollte
parallel zu dem zu bewegenden Zahnbogenabschnitt liegen, die
Kraft der Protru<,ionsschrauben sollte möglich~t \ent..rcdll zu den zu
bewegenden Lahnachsen eingestellt sein .
.4 Die Modelle sollten vor dem Isolieren gewa\\Crt werden, um eine
porenfreie J>olyrneri<;atlon des Kunststoffs zu ermöglichen Bei der
20.4 Funktionskieferorthopädlsch~ G~rät~ 4tm1Dfl.t 211
20.4.1 Geschichte
Nachdem Kingsley 1879 den Begriff jumping thc bite für die Vorverla- Monob loc
gerung des Unterkiefers mit Pla tten eingeführt hat, folgte 1902 erstmals
die von Pierre Robin besch riebene blockartige bimaxilläre Appa ratur
(Mo nobtoc) für Kinder mit retrognathem Unterkiefer und Glossoptose
(Abb. 20-12).
Lediglich von Kingsley inspiriert, jedoch völlig unabhängig von Ro- Aktivator
bl ns Monobloc folgte 1908 Andreasens Akti vator, ursprünglich eine
Abb. 20-12: Monobloc [nach Robin], a) von hinten und b} von der Seite
212 20 Kieferorthopädische Geräte
20.4.2 Konzepte
Muskulär-skelet- l\'ach dem Konzept von Andresen und Häupl nutzt der Aktivator die
tale Anpassung gegenseitigen Beziehungen zwischen Funktion und Knochenstruktur
während der Wachstumspha.~e aus. Der locker konsLruierte Aktivator
leitet durch ein neues Bewegungsmuster eine mu~ kulär-skelettale An-
passung ein. Die kondyläre Anpassung zur anterioren Unterkjeferlage
besteht aus einem nach kraniodorsal gerichteten Wachstum, um den
20.4 runktlonskieferorthopadische Geräte 41®1QtJ•l 213
20.4.3 Wirkungsweise
Kraftprinzipien
Beim Einsa tz von funktionskicferorthopädi~chen Geraten werden die
Kraftappllkatlon / Prinzipien der Kraftapplikation und Druckellminaticm unterschie-
Druckelimination den. Durch den \ktivator werden Muskeln al..tiviert und Kraft auf
Zahne, AIH><>Iarfortsatz und Kondylen ubertraKen. Durch seine FunJ..-
tion als Abschirmgerat (Pelotten, Fränkel) l..onnen ebenso Habits ausge-
mer.d werden. Die Art der Ktaftapplikatlon, ihre C.rt>ße und Richtung ist
\'Om Kon~truktionsbi)s abhangig.
Ein sehr einfaches Gerät zur Oruckelimlnation ist die Mund vo rhof-
platte (Abb. 20-14 ).
Abb. 20·14: Durch Rucklage des Unterktefers und lutsch sow1e ltppenhabrt be-
dingte vergroßerte sagtttale Stufe mit oder ohne frontal offenem Biss Im M Ichge-
biss (a), das Einsetzen der Mundvorhofpl.ltte führt zu emerVorschubbewegung
des Unterkiefers, der Druck der Unterlippe wird eliminiert, und der Lutschkorper
kann nicht e•ngelagert werden (b).
20.4 Funklionskleferorthopädlsche Geräte
Konst ru ktionsbiss
Durd1 den Konstruktionsbiss wird der Unterkiefer in Richtung des Be-
handlungsziels verlagert. Voraussetzu ng für die Konstruktionsbiss-
nahme ist eine umfangreiche Planung durch Modell-, Funktions- und
Fernröntgenanalyse. Oie Modellanalyse ermittelt die Molaren- und Eck-
zahnokklusion sowie die Ursache der Mittellinienverschiebung (alvt'o-
lär im Ober- und/oder Unterkiefer bzw. rnandibulär [gnathisch)). Die
i=u nktionsa nalyse gibt Aufschluss über die Ruhelage des Unterkiefers,
Gleitbewegungen und evtl. vorhandene Zwangsbisssltuationen. Außer-
dem können Dyskinesien, Atmungsstörungen und pathologische Be-
runde der Kiefergelen ke erfasst werden. Mittels Fernröntgenseilenbild
werden die Wachstumsrichtung und die Achsenstellung der lnzisivi
analysiert.
~ Sagittale Effekte: Dutc11 die Vorverlagenmg des Unterkil'feiS entsteht Sagittale Effekte
Muskelkraft und Spannung im kondylliren Hereich sowie eine re7i-
proke Kraft auf den Oberkiefer komplex. Das Ausmaß der Vorverlage-
nl!lg sollte nicht mehr als eine Prämolarenbrei te (7-8 mm) betragen
und maximal zu einer Kopfbisssituation im Schneidezahnbereich
führen. Eine Vorverlagerung des Unterkiefers bis zur Kopfbissrela-
tion ist kontraindiziert, wenn die sagittale Stufe seh r groß(> 8 mm)
ist und wenn die oberen lnz.Jslvi sehr stark nach labial gekippt sind,
weil dann ihre Aufrichtung (Retrusion) nidlt mehr möglich ist.
A Vertikale Effekte: Vertikal können d ie Zähne und Alveolarfortsätze Vertikale Effekte
be- oder entlastet werden, und bei seht hohem Konstruktionsbiss
entsteht eine zusätzli che Spannung in den Geweben. Diese Kräfte
werden auf den Oberkiefer übertragen u nd können wachstumshem-
mend wirken oder eine Veränderung der Inklination der Oberkiefer-
basis bewirke n. Um eine gute Akzeptanz des Gerätes zu erzielen,
sollte die verti kale Sperrung im Bereich der lnzisivi 2 mm nicht über-
schreiten. Dies bewirkt eine Erhöhung der Ktaftkomponente in der
sagittalen Ebene. Bei umfangreicherer verti kaler Sperrung, wie von
verschiedenen Autoren zur Vergrößerung der vertikalen Effizienz
empfohlen, besteht die Gefa hr, dass der Patient das Gerät nicllt an-
n immt. Schwietigkeiten beim Tragen, Muskelkräm pfe, Verlust der
Apparatur und fehlender Lippenschluss si nd Gründe für mangelnde
Akzeptanz.
~ Tra nsversale Effekte: Eine Korrektur der Mittellinienverschiebu ng Transversale
(gna th isch/mandibulär) ist bei Lateralverschiebung des Unterkiefers Effekte
indiziert, jedoch nicht, wenn infolge von Z.1l111wanderungen eine
dentoalveoläre MitteJlinienverschiehung besteht.
~ Bissnahme: Der Konstruktionsbiss wird mit einer am Modell vorbe- Bissnahme
reiteten Wachsschablone, die der Zahnbogenform entspricht und
ca. 5 mrn hoch ist, angefertigt. Die warme Wachsschablone wird au f
die Seitenzähne des unteren Zahnbogens hinter die Schncidczälme
gelegt, und am aufrecht sitzenden ents pannten Patienten wird der
Unterkiefer durch den ßehandler aus der Ruhelage zwanglos in die
216 20 Kieferorthopadische Geräte
'
Cf_Y11
7-8mm
lirATI
~-------. II
~
Abb. 20·15: Konstruktionsbissnahme: sagittale Vorverlagerung maximal eine Prä-
molarenbreite und nicht mehr als au f Kopfbiss, vertikale Sperrung im lnzisivibe-
reich nicht mehr als 2 mm und transvl!rsale Korrl!ktur der M ittellinie bei gnathi·
scher M ittenabweichung
Ku nststoffbasis
Die Kunststoffbasis hat einen maxillä ren, mandibulären und inter·
maxillären bzw. interokklu sal cn Teil. Der Kunststoffbedeckt den Gau-
men in einer Breite von ca. 8-12 mm und ist im Unterkiefer 5-10 mm
lang. Die Okklusalnächen sind beim Aktivator mit kompletler Kauflii.
chendeckung vollständig, d.h. bis auf die bukl-alen Höcl-erspitzen, und
beim Aktivator mit halber Ka uflächend ccktmg bis an die Fissuren mit
Kunststoff bedeckt.
Aktivatortypen Oie Indikation dieser beiden o.g. Aktivatortypen hängt ab vom Um-
fang der sagi tta len Bisslagekorrektur, d.h., bei geringer Vorverlagerung
des Unterkiefers und horizontalem Wadlstumsmuster mi t geplanter
passiver Bisshebung durch Einschleifen reicht eine halbe Kauflilchende-
cklUlg aus. Im Gegensatz dazu wird der Aktivator mit ganzer Kauflä-
chendeckung bei Patienten mit sehr umfangreicher sagit ta ler Bisslage-
korrek1ur (evtl. bis Kopfbiss) und eher \·ertikalem Schädelaufbau kon-
struiert. Im Oberkiefer wird der Kunststoff bis an d ie InLisalkanten
gezogen, im Un terkiefer werden die lnzisalkanten gefasst, d.h., es wird
Überhang ein Überhang a ls Kippmelder konstruiert (Abb. 20-16).
20.4 Funktionskieferorthopädische Geräte 4tm"1fl•l 217
Abb. 20·16: Typischer Klasse 111- Aktivator mit Dehnschraube, Labialbogen im Ober-
kiefer und Überhang im Bereich der unteren Frontzähne
Drahtelemente
jedes Gerät ist - bis auf besondere Indikationen- mit mindestens einem
Labialbogen versehen, meistens mit einem oberen zur Retrusion der
protrudierten lnzisivi (aktiv) oder zum Abhalten der Lippen (passiv).
Der aktive Labialbogen, der die Schneidezähne berührt, wird ebenso
wie der passive aus 0,8 mm federhartem Draht gebogen und entspricht
in seiner Gestaltung der Konstn1ktion bei der aktiven Platte.
je nach Funknon werden die klassischen U-Schlaufen durch Omega- Sperrzone
Seitlaufen mit de r Möglichkeit der ge1ielten F.ck7.ahnbewegung ersetzt,
und der Schulter- und Retentionsteil wird zwischen Eckzahn und Prämo-
lar in die Sperrzone (intermaxilläre bzw. interokklusale Zone) geführt.
Der passive Labial bogen, der die Spannung der Lippen und Wangen
eliminieren soll, kann auch mit einer Kunststoffverkleidung versehen
werden. Diese Pelotten sind insbesondere bei Einsatz des Aktivators bei
Klasse 111-Anomalit: empfehlenswert (Abb. 20-17).
Schrauben
Da funktionskieferorthopädische Behandlungen im Wechselgebiss am
wachsenden Palienten durchgeführt werden, ist eine Schraube ;cur
Nachentwicklung der Kiefer unabhängig von den Platzverhältnissen
und von der Breite des Ober- und Unterkiefers notwendig. Die Dehn-
schraube wird im an terioren Intermaxillären Teil der Apparatur befes-
tigt, um eine symmetrische Kranapplika tion Lu erre ichen.
Abb. 20-17: Aktivator mit Einkieferdehnschraube für eine Anomalie des progenen Formenkreises, a} auf
dem Modell mit Pelotten am Labialbogen und b) in situ mit oberem labialbogen ohne Pelotten
218 20 Kieferorthopadische Geräte
20.4.5 Herstellung
20.4.6 Anwendung
Einsetzen
Vor dem Frei- und/oder Einschleifen des Gerätes wird dieses im Mund
anprobiert. Vor dem definitiven Einsetzen sind i.d.R. Schleifkorrekturen
(Freischleifen) notwendig.
Freischleifen
Freischleifen beinhaltet, Kunststoffpartien zu entfernen, die den Zahn-
durchbruch oder gewunschte Zahnbewegungen verhindern. Beispiel~
weise werden die palatinalen Kunststoffan teile des Aktivators bei ge-
wi.inschter Retrusion der oberen lnzisivi bis zum Apex der Schneide-
zähne freigeschliffen. "icht ausreichend freigeschliffene Bereiche
?eigen sich bei der anschließenden Kontrolluntersuchung als glatt po-
lierte Flächen am Innenteil des Aktivators.
Aktivieren
Aktivierungen von Drahtelementen sollten erst l>ei der ersten Nachkon-
trolle nach Einsetzen des Geräts vorgenommen werden, um dem Pa-
tienten die Adaptationsmöglichkeit zu geben. Anpassungsschwierigkei-
ten sind beispielsweise, dass das Gerät nachts verloren wird, weil der
Patient habitueller Mundatmer ist, odE.'r dass es aufgrund nicht ausrei-
chend freigeschliffener Kunststoffbereiche "drückt" und der Patient des-
halb das Gerät aktiv herausnimmt. Bei der ersten Kontrolle nach ca. vier
Wochen können Labialbögen, Führungssporne sowie Fingerfedern und
die Schraube aktiviert werden. Zu die~em Zeitpun kt können wiedentm
Freischleifkorrekturen notwendig sein.
Patienteninstruktion
Oie gewünschte Tragedauer beträgt 14 Stunden, nachmittags und Tragedauer
nachts, jedoch nich t in der Schule. Das Gerät kann bei entsprechender
Kooperationsbereitschaft von Seiten des Patienten und der Eltern du rch
diese in vierwöchigen Abständen aktiviert werden, d.h., die Dehn-
schraube wird vierwöchentlich durch den Patienten ver:.tellt. Das Gerät
muss nach jedem Tragen durch mechanisd1e Reinigung mi t einer Reinigung
Bürste und kann zusätzlich m it Reinigungstabletten gepflegt werden.
Abi>. 20-19 zeigt einen Merkzettel für die Handhabung herausnehm-
barer Geräte.
220 20 Kieferorthopädische Gerate
Hallo!
Immer wenn Du die Spange nicht trägst, solltest Du sie in die Spangendose
legen, damit sie nicht kaputt geht.
Du solltest sie mit einer Zahnbürste oder Handbürste ohne Zahnpasta mor-
gens und abends putzen.
Einmal in der Woche kannst Du sie in einem Becher mit speziellen Reini-
gungstabletten einwirken lassen.
Wenn Deine Spange nicht richtig passt, drückt oder kaputt ist, solltest Du
telefonisch mit unter der Nummer einen Termin
vereinbaren, damit sie möglichst schnell repariert werden kann.
Dein KFO-Team
Abb. 20-19: Merkblatt für die Handhabung herausnehmbarer Geräte
Einschleifen
F.in5chleifen heinhaltet im GegensalllU Freischleifen die Beeinflu~sung
vertikaler Probleme durch geziel tes Belasten und Fntlasten von Zahn-
gruppen. Bei Tiefbiss werden di e Okklusalflächen im Seitenzahn bereich
eingeschliffen, so dass sich Alveolarfortsätze und Zähne aufeinander zu.
bewegen kö nnen. Der Schneidezahnbereich sollte belastet, d .h. vom
Passive Kunststoff gefasst sein. Die passive Bisshebung durd1 Entlastung der
Bisshebung Seitenzähne (~inschleifen ) und Belastung der Schneidezähne (Über-
hang) sollte bei gleichzeitiger sagittaler Lagekorrektur zwischen Ober-
und Unterki efer erst nach einem halben Jah r Tragedauer begonnen wer-
den. Das Einschleifen zur passiven Bisshebung kann schrittweise, d.h.
eine Zahngruppe pro Sitl ung oder in einer Sitwng, durchgeführt wer-
den. Beim schrittweisen Vorgehen werden zuerst die Zwölfjahrmolaren,
20.5 Festsillende Geräte 4ffi'·"$f1·1 221
Abb. 20· 20 : Aktivator [nach Andresen und Hiiupl), im a) nicht eingeschliffenen und b) eingeschliffenen Zu-
stand
Festsitzende Geräte sind für die Dauer der Behandlung durch Vcr-
bindungsPiemente zwischen Zahn und aktivem Anteil der Appa-
ratur für den Patienten nicht abnehmbar befestigt.
20.5.1 Geschichte
~cltlitz (Slot) eiu. In diesem Zusammenhang Ist auch der 1917 von Mers-
hon verwendete Lingualbogen mit angelöteten Federn zu nennen (Abb.
20-22).
Schaden durch Verwendung starrer starker Drähte in Form von Wur-
zelresorptionen an überbelasteten Zähnen wurden bereit~ 1928 von Ket-
cham festgestellt, und infolgedessen wurden die Apparatesysteme wei-
terentwickelt, um die an den Zähnen angrei fenden Kräfte zu reduzieren
und um möglichst Überlastungsschäden zu vermeiden.
1936 wurden die extraoralen Zugvorrichtungen von Oppenheim
systematisiert und in den USA eingeführt.
Der 1947 von Klöhn im Rahmen einer FrOhbehandlung verwendete
zervikale Headgear gi lt noch heute als Prototyp des Nackeobandzuges.
Die 1\veed-Schule ( 1940-1955) führte neue Behandlungstechniken
ein, bei denen d ie Extraktion bleibender Zähne der transversalen Zahn-
bogenexpansion vorgezogen wurde.
Aktuelle Tec hn iken mit festsitzenden Apparaturen verwenden Aktuelle
dünnere und elastische Drähte. Sie reduzieren das Risiko von Üherlas- Techni ken
tungsschaden und Wurzelresorptionen. Die typischen heute verwende-
ten Techniken un terscheiden sich auch durch den Einsatz von enhveder
durchgehenden, alle Z.'ihne umfassenden Bögen oder sog. Teil bögen. Zu
Ersteren zäh len:
..111 die von ßegg entwickelte "Light-wire-Technik" als Fortentwicklung
JL
formen, aus denen alle an·
deren Loopvarianten entwi-
a c:::=I(JD oder
ckelt werden konnen , a) ver-
tikales Loop, b) L-loop.
c) T·Loop, d) Rechteck· oder
b~c~'jLJ)
Box-Loop
Bänder
Ränder sind vorgefertigte Metallringe aus 0,1 mm sta rkem Ch rom-Ni-
ekel-Stahl, die industriell als Sortimente mit unterschiedlichen Durch-
mes~ern und zahntypischen Formen angefertigt werden./.ur Erkennung
sind sie für den Ober- bzw. Unterkiefer, für links bzw. rechts mit unter-
schiedlich farbigen Zahlen und Buchstaben gekenn1etchnet. Ein Band
dient zusammen mit dem Attachment - auf ein Band aufgeschweißtes
Übertragungselement, an dem 1\ögen, l.lgahuen, Federn, Elastics und/
oder J\ lastics befestigt werden - als Übertragungsmechanismus. So kann
die Kraft akt iver Elemente auf den Zahn übertragen werden. Vorzugs-
weise werden heute Bänder an den ersten und zweiten Molaren venven-
det, um extraorale Geräte wie Nackenbandzüge und Gesichtsmasken,
Gaumennahterweiterungsapparaturen und Quadhelices einzusetzen.
Im Prämolaren, Eckl.,hn- und Schneidezahnbereich hingegen werden
in der aktuellen .,Multiband-Bracket-Technik" Brackcts verwendet (Abb.
20-24).
2 4
2
Attachments
Attachm~:nts ~ind auf Bänder b7w. Metallbasen aufge,chweißte Üb<'rtra-
gungselemente 7ur Befestigung von IX>gen, Ligaturen, l'edem, Elastics
und Alastics. l:.s werden linguale und bukkale Attachments untersthie-
den; zu den bukkalen Attachments gehoren die Bracket\ und die Tubes.
Bracl..ets werden auf die Bukkalnachen der Bander oder auf Basen Bukkale
mit 1'\etz oder unter sich gehenden Mikroretentionen aufgeschweißt. Attachments
Bei den Bracket' werden das Edgewl~~:- und das Light-wlre-Bracket un-
ter.thieden. Das Ldgewise-Brackct besitzt eine der Zahnform angepaS!Ite
Krummung, einen Schlitz unter\ChJedlicher Ausdehnung und Flügel.
Der Schlitz dient der Aufnahme des Bogens, und d1e flugel dienen der
Befestigung von Ligaturen, Ela~tiC'I und Alastics (Ahb. 20-25).
Oreofachrohrchen Zweifachrohreh en
fur OK·Band mot fur UK·Bilnd m ot
okklusalem Convertlbietube
Headgeartube
-===---
llngualcleat
Vertikalschloß
fur llngualbol!en
om Unterkoefer
lingualtubes
mi t und oh n~
Haken Lingualknopf
Abb. 20- 25: Bänder und unterschiedliche bukkale und linguale Atl<lchments, Ober-
und Unterkieferbander fur doe Sechsjahrmol;~ren mit b) verschiedenen bukkalen
Attachments: fur lipbumper und Vierkantbogen im Unterkiefer {links), für Head-
gear und zwei Vierkantbogen om Oberkiefer (re,hts) und fur zw ei Vierkantbogen
Im Unterkiefer (M itte) und c) linguale Attachments: Cleat, Hook, diverse Paiat i·
naischlösser
226 20 Koeferorthopadische Gerate
Hilfselemente
~ Gleithdl\then wr ßcfe~tigung von intra- und Intermaxillären <.um-
mi7llgcn könnenah offene und ge~chlossene llal\chen ohne Entfer-
nung dc\ Rogens oder vor der Einligicrung des Bogem angebracht
werden
A Stops, offen oder geschlossen, dienen der Aktivicrung offener
~ Fedem zur Veran kerung eines Zahne\ .
.14 Zug- und Druckledern zum Me~ialhieren und Dhldlhieren bzw. tu-
ckenöffnen und Luckemchließcn haben den Vorteil gegenuber
Gummizugen, eine kontinuierliche Kraft 7U applizieren.
A l:lastic~. Gummiringe verschiedener Größe, d1c ah intra- und mter-
maxill:lre Gummizüge benutzt werden, ~ind von
.tA Alaslics wm Separieren, Linligieren, Rotieren und Lückenschlu')s zu
unter..chelden (s.a. Umschlagfoto mit ,·erschiedcnfarbigen Alaslics
tum Finligicren de) Bogens).
Drähte
Drahte, als aktive Elemente in der ~lultiband-Bracl\et- fl'Chnik, uben
Krafte auf die 7.ahne aus und bewegen sie. !>ic unterscheiden sich du rch
1hre Drahtqualität (Material) und Abmessung. ln der KieferorthOpdtlle
gebräuchliche Orahtmaterialien bestehen aus Edelstahl-, Chrom-Ko-
balt-, Nickel- 11tan- und Titan-Molybdan-Legierungl'n. Sie werden in
20.5 Festsitzende Ger~te 4:tHlMtJ·I 221
Stangenfonn, auf der Rolle oder als vorgeformte Bögen angeboten. 1\u-
l~erdem gibt es je nach Technik ein?elnt- Bogenelemente wie Teilbögen,
/lufrichtefcdcrn, RNraktoren, Torqucfedem, Utilitybögen und unter-
schiedliche Loop-Systeme vorgefertigt. Fur alle Draht\orten sind runde
und Vierkantdrähte 111 unterschiedlichen Größen zwischen .012* und
.020" rund und .016w "< .016" bis .02 1" >.. .028" erhaltlich.
A Der weiche .008"- .012"-Ligaturemlraht wird zum Einligieren der
Bögen und zum Verblocken und Aktlvieren benutzt.
"" .020"-.028•-r-.tessingdraht kann als Alternative 7u Separiergummis
zum Separieren \OC der Bebandenmg verwendet werden und wird
7ut Einordnung freigelegter Zahne angebracht.
"" l wistflex hat durch das ZusammenfUgen mehrerer düuner flexibiN
Drähte elastische l·igenschaften. Twistflex wird aufgrundseiner gro-
ßen Ela~1:iLitllt in der so genannten Nivellierung\phase zur ersten
Zahnbewegung eingesetzt. Da die WirJ..:ung des 1\vistflex auf alle
Zahne nicht kontrolherbar ist, sollte dieser möghdtst schnell durlh
andere Bögen ersetzt werden. !'\eben runden gibt es Vierkant-Twist-
flexbogcn mit bcswrer Kontrollmöglichkeit (Abb. 20-26).
"" Nickel-Titan-Drahte mit extrem hohcr E.lastizität dienen der 1'\'ivel-
hcrung von Zahnen und üben ubcr eine lange Zeit eine kontinuier-
liche Kraft aus. Da sie nicht mit Loops versehen werden können
(ßruchgefahr), \ind Sie nur eingeKhranl..t zu verwenden.
"" ~-Tilanium - Legierungen mit elastischen Eigemchaften zwischen
Stah I und Nitinol werden ah TMA (Tilanium-Molybdän-AIIoy) an-
geboten {Abb. 20-27).
"" \ustralische Drahte (.O t-t•-.080") sind wännebchandelte Drähte,
deren besondere Cigenschaft ist, dass sie bei Abk"Uhlung (Lwlehmen-
der Festigkeit) rine erhöhte Fedcrkrart l>es1tzen. Sie werden als fedcr-
h.ute, e>..trafederharte, superfederharte und nSupcrspezial" -Modifi-
kationen angeboten und in der l.ight-wire-Technlk vemendct.
"" Standarddrähte aus L.delstahl ln~tainless steel"), die !>ich gut biegen
lassen, werden al\ Vierkantbögen in der Edgewisc-lechnik wahrend
aller Behandlungsphasen benötigt.
A Drähte aus Chrom-Kobaltverhlndungcn unter~cheidcn sich durch
ihre Anteile an Kobal t und E.isen. Sie ~tehen als Elgiloy-Drähte 111
Kraft
Nrt.nol
Verbiegung
HUfsgeräte
Hilr~geräte sind palatinallvw. lingual angebrachte intraorale Gerate, d1e
der \'crankerung und/oder aktiven Bewegung \'On Zähnen dienen.
~ Der )')alatinalbogen nach , ance, fruher mit den Molarenbandem
verlötet und heute über palatinale Tube~ herausnehmbar gestaltet,
dient der Verankenmg der Scchsjahrmolaren. Diese Apparatur stützt
sich in I lohe der I.A:Whne w1d Pramolaren mil einer großflächigen
herlformigen (zweicuro\tuckgroßen) Kunststoffpelotte am (,aumen
ab. I >urch Aktivierung können ExpaJl}IOn und Rotation der Molaren
durchgcfuhrt werden. Wegen der Gefahr der Einlagenmg (actio = re-
actlo) bei Verankerungwerlust muss der Nance in der Retraklions-
phase ( Lückensthlu\~ von mcsial) entfernt werden (Abb. 20-28).
~ l)cr J>alatinal bogen nacb Goshgarian wird eben\O in Palatinal-
J
20.5.3 Indikation
Merke
Alle Zahnbewegungen, bei denen eine Kontrolle de r Wurzelbewe-
gung indiziert ist, erfordern den [insat.: eines Kraftpolares und da-
mit einer fetsit7enden Apparatur.
schlu\\
A die Ausformtmg der Zahnbögen im Rahmen von kombiniert kiefer-
orthopJdi\ch-kieferchirurgischen Behandlungsmaßnahmen.
20.5 Festsitzende Gerat~ 4 f hiidf{•l 2)1
20.5.4 Wirkungsweise
Merke
Durch Reorganisation der Fascrbundel, An- und Abbau des alveola-
ren Knochen~. lntegritat des Wur7el7ements und eine Lageverände-
rung des Zahnes \\ird die Zahnbewegung nach StociJi als ein ze•t-
lich und vom Umfang wohl koordmlertes synchron ge~teuertes bio-
logisches Ereigni\ definiert.
Das heißt, durch di~ clcklrhch negati\ e Zugzone wird l!ine knochen-
anhdul'nde und durch dieelektrisch positive Druckzone eine knochen-
abbauende Wirkung eingeleitet. Durch dle~en l\lechanismu<. werden die
knoclumanbauenden Osteoblasten und abbauenden Osteoidasten akti-
\'iert und gesteuert (s.a. Abb. 19-9).
Individuelle Dte individuelle Gewebereaktion hängt \'On der anatomischen
Gewebereaktion Umgebung des ZahJ1CS, ~einer Form und Größe und vom Alter des Pa-
tienten ab. Zur anatomischen Umgebung des Lahnes gehOren der AI-
\'COlarl..nochen und das Fasergewebe, die ebenso '"ie form und Größe
des 7U bewegenden 7.ahnes bedeutende Fal..toren bei der Lahnbewegung
sind. Durch die Hyalinisierung in der Druckzone lassen \kh große
Zähne oder mehrwur.lelige 7.ähne oftmals fruher und schneller bewegen
als kleine Zähne mit kleiner Wurzel, da hel let7teren uber die indirekte
Knochenresorption eine Bewt!b'Ung stattfindet.
Obwohl Zahnbewegungen in jedem <\lter möglich sind, \erlaufen
dieKnochenan-und Abbauvorgange be1 m Lrwachscnen langsamer, was
auch den\ orteil hat, da~s bei Erwachsenen unerwünschte L.ahnkippun-
gen weniger ~chnell eintreten.
Bei den KraftS}Stemen werden zw~i Moglichkeiten der Krafterzeu-
gung unterschieden·
Al die Beeinflussung der musl..-ulären Kräfte z.ur indirel..ten 'itrul..tur\'er-
anderung
Al d1e mechanische Beeinflussung zur direkten StrukturverJnderung.
Primäre Kräftl! J>ri märe Krllft~ bewegen über di~ im orthodonti5chen llogcn applizierten
Biegungen jeden /.ahn 111 dreidimensionaler Rtchtw1g: oUiumapikale,
m~iod1stale und bul..kohnguale Kronen- und/oder Wurzelbewegung.
Heim Cdgewise-Kraft~yst~m werden die im Bogen ~nthaltcnen pri-
mären von den sekundtircn intra- oder intcrmaxillär angebrachten Kräf-
ten und den extraoralen tt'rtlaren Kraften un ter\chieden.
Bewegungen ach t\ngle werden die Zahnbewegungen außerdem in Biegungen
verschit!denl!r oder ßCI\ Cgungen vel"'chiedencr Ordnung (1., 2., 3.) eingetetlt:
Ordnung Al Biegungen I. Ordnung sind hori7ontale Bi~ungen in labialer, buk-
kaler und lingualer Richtung sowie Zahndrehungen.
Al Biegungen 2. Ordnung sind verUI..ale Flicgungen zur Verlängenmg
und Verkürzung sowie fur mesiale und distale Kippungen
Al 81egungen 3. Ordnung beinhalten eine Venvindung des Drahtes,
den sog. Torque. Dabei werden sowohl d1e Krone als au'h d1e Wur-
zel kontrolliert nach labial und/oder lingual bewegt.
Sekundäre Kräfte Sekundäre Krafte, di~ intra- oder intermaxillar wirken l..önnen, fUhren
durd1 fedrrn oder gummielastische Hilfsmatenalien Zähne oder Zahn-
gruppen am Bogen entlang. lbenso sind /.ahne oder Zal1l1gruppen in-
termaxillar verschiebbar.
Tertiäre Kräfte DH~ tertiilreo Krafte, d1e extraoral abgestut7t sind, verhindern eine
reziproke Wirkung (reactio) auf andere lahneinheiten. Durch tertiäre
20.5 F~tsotzende Gerate 4$ !.JlOfJ•l 23J
20.5.5 Anwendung
Bracket-Adhäsiv-Technik
Bei der direkten Klebemethode muss dt>r l..arie-.freie Zahn mit rotieren-
dem Reinigungsbur~tchen oder -kelch und Bimssteinpulver gereinigt
werden .
.; Danach wird die trocl..ene Zahnoberfläche m1t einer 37'lhigen Phos-
phorsaure I S-30 ~ angeätLt. Beim Atzvorgang zur ~chaffung von fei·
nen Retentionen, die eine mechanische Verankerung des Adhäst\'S
am 7ah n\thlllell erlauben, werden Schmel7prismen7f!ntren (nach
Silberman ""Typ 1) oder die Schmelzprismenperipherie ( Iyp 2) ent-
kalkt und aufgelöst. Ätzmuster ?eigen aurh Obergange Lwischen den
beiden At7typen (i\bb. 20-32). Bei ausgeprägtem Huoridgehalt de~
Zahn~chmclzcs sollte die Ätueit erhöht werden .
.; Danach wird die aure sorgfältig abgespult und abgesau1,rt, der ge-
ätzte lroc!.ene 7A1hn ;eigt ein opakwei&-s (frostiges, mattes, kreidi·
ges) \usschcn im Ätzbereich.
.11 1'\ach Applikation des Haftvermittlers (l'rimer, ~alant, Resin) wird
das in Alkohol entfettete trockene Bracket mit dem Klebematerial
verwhen und auf den Zahn aufgebracht .
.11 1J1e Kleber unter~cheiden sich hauptsachlich durch die chemhche Kleber
Zusanuncnset7ung der Acrylatmono111crc (Mc thyl-Mcthacrylat, Bis-
Abb. 20-H: Morphologoe des Atrtyps: <~)zentraler Atrtyp. d•e Auflosung zentr<~ler Pnsmenantelle fuhrt zur
Hon•gwabenstruktur, b) peripherer Atztyp (nach Diedrich)
234 20 Kieferorthopädische Geräte
Bebänderung
Nach der Anprobe (Abb. 20-34) der vier b7.w. acht Bander für die ersten
und/oder zweiten Molaren im Ober- und Unterkiefer und der wie beim
indirekten Kleben angegebenen Reinigung der Molaren (ohne Ätzvor-
gang) wtrd ein Band mit Zement gefuUt und mtt lingerdruck in die rich-
tige Position gebracht. Anschließend dienen Bandaufsetzer und Rand-
andrucker dazu, ein Band in dte endgultige Lage Lu bringen. Direl-.t
nach dem Zementieren werden noch flüssige frische Zementüber-
schthse mit einem trockenen Wattebausch entfernt und der Zahn und
das Band mit Zinnfolie zum trockenen Aushärten abgedeckt. Alternativ
\Iehen lichthärtende Materialien zur Bandbefestigung zur Verfügung.
\
~ I
Abb. 20-34: Beblnderung. a) Das auf dem Modell ausgesuchte B;~nd wtrd b) mit Fingerdruck auf dem Zahn
ptiltziert und c) mit d~m Bandausnchter durch Zubtss d~s Pattenten emgepresst oder d) dtrelct mtt dem
Band Adapter bukkal und hnguallpalattnal adaptiert, e) Wtederabnahme des Bandes mit Hilfe der Bandab-
nahmezange zur Kürzung, Konturierung und Politur, f) kont unertes Band.
236 20 Kieferorthopäd sehe Gerate
20.5.6 Behandlungskonzepte
Biegungen in drei 1-.benen ermöglichen die ZJhne mit Hilfe eines Vier-
kantbogrns körperlich zu bewegen. ßie~'l.mgen m der llorizontalebene,
Biegungen I. Ordnung, werden auch als ln - oder Offsets bezeichnet
und ent\prechen der un terschiedlichen orovestlbularen Ausdehnung
der einzelnen Zahne {i\bb. 20-35).
I_ sets (Biegungen
nach vestibulär)
fiJr Eckzahn und
- M olaren. Unter-
kieferbogen: Off-
sets für Eckzahn,
Prämoliren und
Molaren sow ie
Toe in zur Rotati-
onskontrolle der
M olaren,
b) Straight -w ire-
Appar<~tur
20.S Ffihitzende Ger.ite 4i!.Ji§fi·J 2J7
Obor~loftr
M t
Untc:rk~f!fr
-~
Abb. 20-40: Durch Verwindung des Bo-
gens um seine Längsachse entsteht
Torque: a) Bukkaler Wur<eltorq ue,
meist unerwünscht, entsteht, w enn
der W inkel zwischen der Bracket-
schlitzebene und dem Bogen <o• ist;
b) Palatinaler Wur<eltorque, meist er-
wünscht, entsteht, wenn dieser Winkel
o·
> ist ; c) Ein passiver Bogen erhält da -
bei die sog. Velodromform [aus A. Ha-
sund, I. Rudzki-Janson und P. Bingler,
Praxis der Zahnheilkunde, Bd. 11111, 4.
Aufl.),
L
20.5 Festsouende Geräte 4J!.U§fJ•l 2)9
A die Justierungsphase
A die Retentionsphase.
Straight-wire-Technik
1970 führte Andrew~ die Straight-wire-Apparatur m1t geraden Bogen
w1d Biegungen aller Ordnungen im Bracket ein.
Die Biegungen I. Ordnung werden durch die unterschiedliche Dicke
des Bracket-Stamm~. d.h. der Distanz zwischen ßrad.et-Slot und -ßdsis,
erzielt (~.a. Abb. 20-35).
Biegungen 2. Ordnung werden ersetzt, indem das Bracket in mesio-
distaler Richtung auf dem ßand oder direkt auf dem 7ahn geneigt wird.
Biegungen 3. Ordnung können durch "eigung des Slots in okkluso-
gingivaler Richtung <xler durch :--leigung des gesamten Bracket> zur Ba-
sis erzielt werden. Voraussetzung filr diese Te<.hnik ist eine korrekte Po-
sitionierung der Bracket\ auf den Zähnen, wobei als Bclugspunkt der
~tittelpWlkt der l..mgsachsc der klinischen Krone gewahlt wird.
Wl'itl'rl' xhritte lur Perfektion dieser Techmk waren die Einfuhrung
von spcZH:!Ill'n Extraktionsbrackets, die zusätzlich mit Antirotation ver-
sehen waren. Somit wurde die Tendem der F.xtraktlonsliJcke benachbar-
ter Zähne, zu kippen und zu rotieren, gemindert. Nach Andrews wurden
außerdem Rrackl'tsets für die verschiedenen Dy~gnathlen ang!:'fertigt.
Oie Vorteile der Straight-wire-Techn ik sind eine Verkürzung der Be-
handlungsteit und jeder Uehandlungssitzung, da keine Biegungen erfor-
derlich sind. Nachteil der Straight-wire-Technik i~t die Verankerungs-
problematik, weil bei \Chnellem Vorgehl'n mit hochelastischen Vier-
kantdrähten hohe \nforderungen an die Verankerung gestellt werden.
Außerdem treten mcht me<isbare Kräfte auf.
Bioprogressive Technik
Das Konzept der IJiopro&'Tessiven Technik wurde in den 60er Jahren
dl'S 20. jahrhumlert\ \'Oll R. M. Ricketts entworfen und nachfolgend
von seinen Mitarbeitern Bench, llilgers und Gugino weiterentwickelt
und verbessert.
Diese Edgcwise- rcchnik mit Zwillings-IJrackets und Segmentbö-
gen unter~hcldet \ith von allen iibrigen Techn1ken clurdt das VfO (Vi-
sual Treatment Objectivc • sichtbar gemachtes BehandlungsLiel) und
den Utility-13ogcn SO\\Ie ~ine Kombination mit Jeilbögen.
VTO Das VfO t~t da~ 11111 Hilfe der FernröntgendurdllCicllllung konstru-
ierte Behandlungniel, SO\\Ohl das Wach\tum als auch der Behandlungs-
einfluss werden ClllbeLogen. ·ach Durchzeiclu1ung der Originalfem-
röntgenaufnahrne werden die anatomischen Stntl.turen entsprechend
dem ru erwartenden Durchschnittswachstum 1n cmem Behandlungs-
zeitraum von .Gwei J,thren und entsprechend Ihrer ßeeinflu~~ung durch
kieferorthopädische Maßnalunen so verschoben, dass eine neue Zeich-
nung, das VTO, entsteht (Abb. 20-42).
Utility-Bogen Der Ullhty-Bogen ist an den Sechsjahrmolaren und an den vier
Schneidezahnen befestigt und umgeht uber d1l' so genannte Brucke,
eine Stufe, d1e Pramolaren und cckzahne. In den Doppelröhrchen der
20.5 Festsitzende Geräte 4:®1Qfl•l 241
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sion der lnzisivi und Teilbo-
genmit Loop zur Oistalisie-
rung des Eckzahnes (Retrak-
tionssegment), darunter
Retraktionsbogen, die lnzi-
sivi sind noch nicht in die
Behandlung einbezogen .
I
242 20 Kicfcrorthopadische Geräte
Abb. 20-44: Kortikale Verankerung der unteren Molaren [nach Bench], a) Tip back,
b} Toe ln, c) bukkalerWurzeltorque
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Abb. 20-45: Retraktionsteilbögen aus blauem Elgiloy, a) gepunktete Gable-Biegung, um Kippung der Eck-
zähne zu vermeiden; Aktivierung durch 2- 3 mm Umbiegung distal der Molarenröhrchen, b) Antirotations-
biegung in der Horizontalebene
20.5 Festsitzende Geräte 4ihii(Jfltl 243
Begg-Technik
Der Australier Begg publizierte 1956 seine Light-wire-Technik als Uni-
versalmethode zur Behandlung aller Dysgnathien.
Die ursprungliehe Philmophie der Begg-Technik war die Ursache
zahlreicher Dysgnathien in einem Missverhältnis zwischen Zahn- und
Kiefergröße zu sehen, welches durch fehlende 7..ahnabrasionen zustande
kommt. Die Begg-Therapie war daher untrennba r mit der Extraktions-
therapie (Extraktion von vier Prämolaren bzw. vier er~1en MQiaren) ver-
bunden.
Heutzutage wird die ßegg-Techruk auch ohne Zahnextraktion ange-
wandt. Zur Applikation physiologischer Zahnbewegungen werden
)Chwache, kontinuierlich wirkende Kräfte verwendet, die Zahnkippun-
gen hervorrufen. Alle Zahnkronen werden zuerst an den korrekten Platz
gekippt, und anschließend werden die Zähne durch \·Vurzelbewegung
aufgerichtet. Das heißt, der Unterschjed zur Edgewi~e-Technik ist, dass
nicht eine körperliche Bewegung aller Zähne angestrebt wird, sondern
Kippung und nachfolgende Aufrichtung der Zähne zur gewünschten
7-ahnstellung führen .
Bei der ßegg-Technik werden außerdem die Schneide- und Eckzähne
gemeinsam ab Rlock retrudiert, was ein sehr stabiles Verankerungssys-
tem erfordert.
Eine ty1>ische Begg-ßehandlung besteht aus drei ßehandlungspha- Behandlungs-
sen: phasen
~ Im ersten Stadium, welche~ vier bl~ acht Nlonate dauert, werden
Bisshebung und Retrusion der oberen lnzisivi bis zur Kopfbisssitua-
tion durchgefiihrt, eine Neutralokklusion im Bereich der F.ck7ähne
und Molaren eingestellt, Engstände behoben sowie Rotationen und
Kreuzbisse beseitigt.
.oll Im zweiten Stadium (zwei bis vier Monate) werden Restlücken durcl1
Kippung der lnzisivi und Canini und/oder körperliche Mesialbewe-
gung der Molaren geschlossen.
.oll Im dritten Stadium (sechs bis zwölf Monate) wird die Achsennei-
gung der gekippten Zähne korrigiert. Dabei werden die Wurzeln der
oberen Inzisivi mit einem Torque-Hilfsbogen nach palatinal bewegt
und mit Hilfe von Aufrichtefedern die Canini und Prämolarenwur-
zeln in die Extraktionslücken gcfuhrt (Abb. 20-46).
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Lingualtechnik
Bei der Lingualtechnik, die seit Anfang der 70er Jahre des letzten Jahr-
hunderts in ersten Versuchen einer Gruppe von Kieferorthopliden ange-
wandt wurde, werden Systeme mit horizontalem und vertikalem ßra-
cketschlitl sowie beiden Varianten unterschieden. Zur kontrollierten
Befestigung lingualer Brackets dient das indirekte Klebeverfahren. Tor-
que- und Angulationslehre sowie SlotmaJ.chine ermöglichen eine er-
höhte Genauigkeit im Kleben der ßrackets im t.abor, wo Ungualbrackets
patienten- und anomaliebezogen gefertigt werden. Auch die Anferti-
gung von individuellen Bögen fü r die Ungualtechnik kann mit I Lilie des
Bending-Art- Bending-Art-Systems, einer computergesteuerten Biegemaschine, er-
System folgen.
Da vertikale Kräfte zur Bisshebung bei lingualer Bracketplatzierung
nahe dem Widerstandszentnun verlaufen, sind Intrusionsmechaniken
gunstig umzusetzen. Gleiches gilt für die Retraktion der lnzisivi. Durch
20.6 Abnehmbare- festsit1ende Geräte 4:fft11Dfl•l 245
/
20.6.2 Lipbumper
20.6.3 Headgea r
Geschichte
Der Headgear, übersetzt auch Kopfzuggeschirr, ist in den Vereinigten
Staaten seit den 40cr Jahren des 20. Jahrhunderts bekannt und geht zu-
rück auf Kloehn. ln Europa wird das aus Kraftquelle, Kraftübertragung
und Kraftansatz zusammengesetzte, kombiniert fest~itzend heraus-
nehrnbare kieferorthopädische Behandlungsgerät etwa seit Mitte der
60er Jahre verwendet.
20.6 Abnehmbare - festsitzende Geräte 4MIQft,) 247
Bestandteile
Die verschiedenen Headgear-Typen unterscheiden sich einerseits du rch
die Lage der Kraftquelle. Ein zervikaler Zug (Nackenzug) ist vom okzi-
pitalen, horizontalen und seltener direkten Headgear für die lnzisivi
0-Haken) w unterscheiden. Die Kraftquelle liegt beim zervikalen Head-
gear im 'ackenbereich, beim Jiigh-pull-lleadgear im okzipitalen Be-
reich, und beim Kombi-Headgear liegt eine Kombination beider Zug-
richtungen vor.
Die Kraft quelle kann beim zervikalen Headgear bestehen aus Kraftquelle
.A einem konventionellen Nackenpolster mit Gummizug
.A einem Gleitnackenzug mit . ylonband in Kunststoffröhrchen
.A einem Sicherheitsnackenzug (Abb. 20-48).
Für die Kraf tübertragung sorgt der Gesidltsbogen oder Facebow, wel- Kraftübertragung
eher aus zwei Außenarmen und dem damit verlöteten oder verschweiß-
ten Innenbogen besteht. Die unterschiedliche Länge und Angulalion
der Außenam1e ergibt einige Variationen de~ zervikalen Headgears
(Abb. 20-49).
Der lnnenbogen sollte den Zahnbogen auße r an seinen beiden En-
den nicht berühren, im Seitenzahnbereich 2-3 mm von den bukkalen
Flächen der Zähne oder Brackeis abstehen und frontal zwischen 5 und 8
mm Abstand von den lnzisivi haben, um bei fortschreitender Distalisie-
rung eine größere Reserve bis zum Kontakt mit den Schneidezähnen zu
haben. Der Innenbogen wird in Röluchcn an den :VIolarenbändem oder
an einem herausnehmharen Gerät bei Kombination mit einer Platte
Abb. 20-49: Gesichtsbogen mit langen, mittellangen und kurzen Außenarmen [aus C. W. Schwarze, Praxis
der Zahnheilkunde, Bd. 12, 2. Aufl.)
•
~I
~--============:, Abb. 20·50: VerschiedeneStops an den lnnenbo·
genenden: a) Bajonettknick, b) U·Siop, c) verschieb-
bare Hulse [aus C. w. Schwarze, Praxis der Zahn-
heilkunde, Bd. 12, 2. Aufl.)
20.6 Abnehmbare - festsitzende Geräte 4 \frnlfJflt] 249
Indikation
Je nach J\rt des Headgears, Rich tung und Größe der Kraft, Hehandlungs-
daue•· und Patientenalter können ~olaren distalisiert, derotiert, extru-
diert und intrudiert werden. Der Oberkiefer kann im posterioren Be-
reich komprimiert oder expandiert, das Schneidezahnsegment extru-
diert oder intrudiert, die Molaren verankert werden, oder bei skelettaler
Kraftapplikation kann das Wachstum des Oberkiefers gehemmt werden.
Wirkungsweise
Wesentlich ist die fachgerechte Einstellung der zu appllzierenden Kraftgröße
Kräfte. Die Kraftgriiße kann für dentoalveoläre Maßnahmen als Ortho-
dontische Kraft zwischen I und S !'\/Seite liegen, zur Beeinnussung des
Oberkieferwachstums als orthopädische Kraft zwischen 4 und I 0 N be-
tragen.
Zur Einstellung der Kräfte dient die Corex-Messuhr mit Schleppzei- Kraftrichtung
ger. Oie Kraftrichtung des Headgears in seiner Grundform ist eine sagit·
tale, durch Veränderung der Zugrichtung kann diese aber auch mehr
oder weniger stark vertikal ausgerichtet werden. Oie Abwinkelung der
Außenarme um 15° nach kaudal, beispielswei~e beim zervikalen Head-
gear, beeinflusst die Kippung und vertika le Position der oberen ~ola
ren. F.s wird eine verstä rkte Distalkippuns der Krone eneich t; bei Krani-
alangulation der Außenarme um I s• hingegen wird eine verstärkte Dis-
talkippung der Wurzeln erzielt. Diese Wirkungsweise wird bei der so ge-
Fraktionierte Mo- nannten frakti onierten Molarendistalisation, d.h. rweiphasigem
larendistalisation Distalisieren (zuerst Distalkippen der Krone, dann Aufrichten der Wur-
zel), ausgenu tzt (Abb. 20-S 1).
Während der aktiven Behandlungsphase ist eine tägliche Tragedauer
von 16 Stunden anzu~treben, was nur durch eine S<>rgfältige Motivation
von Patienten und Eitern erreicht werden kann. Wegen der potenziellen
Gefahr bei unsachgemäßem Gebrauch erscheint es empfehlenswert, das
Gerät aus Sicherheitsgründen nicht während der Schulzeit tragen zu las-
sen. Die korrekte Handhabung des Gesichtsbogens und die möglichen
Gefahren müssen dem Patienten und den Eltern mündlich und in Form
eines I linweisbogens auch schriftlich mitgeteilt werden.
Anwendung
Der typische zervikale llcadgear mit Kraftansatz im Nacken hat in
der ersten Phase der fraktionierten Molarendistalisation um 15" nach
kaudal abgewinkelte Außenarme.
Indikationen und Er ist bei Angle Kl a.~se II 1-Anomalien zu r Rückfilhrung bzw. Auf-
Nebeneffekte richtung nach mesial gekippter Molaren indiziert, ebenso bei d entoaJ-
veolärer Klasse li.
1\ls Nebeneffekt tritt eine Extrusion der Molaren auf, ebenso eine
Verschmälerung des transversalen Molarenabstandes und eine Rotation
um die Zahnlängsachse (Abb. 20-52).
Kontra indiziert i~t diese Headgear-Variante bei vertikalem Wach~
tum und offenem Biss. Dieser Headgear-Typ wird täglich 10-16 Stunden
bei einer Kraftgröl~e von 1-5 N/Seite getragen.
Ocr 7ervikale Headgear mit langen , nach kra ni al an gewi n kelte n
Auße narmen wi rd eingesetzt, wenn die Molarenwurzeln im Sinne der
zweiten Phase der fraktionierten körperlichen Molarendistalisa tion
nach dorsalaufgerichtet werden ~ollen, ebenso bei d en tal er und skelet-
taler Klasse II mit 'I iefbiss. Da auch bei dieser Variante eine Extrusion
und Kompression des Zahnbogens als Nebeneffekte nicht z.u vermeiden
sind, ist er bei offenem Biss und vertikalem ~si chtswachstum sowie bei
nach mesial gekippten Molaren kontrai ndiYJ ert.
Außerdem sind verschiedene Kombinationsmöglichkeiten mit Plat- Kombinationen
ten und funktionskieferorthopädischen Geräten zu nennen.
Dabei werden zwei Arten des Kraftansatzes unterschieden:
"' Direkt am Aktivator oder an der Platte werden die Kräfte auf den ge-
samten Zahnbogen verteilt, und es sind entsprechend große Kräfte
notwendig, um ei ne skelettale Wirkung zu erzielen.
"' Bei der zweiten Variante, der Kombination Headgear an den Ober-
kieferm olarenbändem mit ~eparater Platte bzw. Aktivator, werden
primär die Molaren distalisiert, und die Wirkung auf die Platte oder
den Aktivator kommt nur sekundär durch Übertragung der Zahnbe-
wegung auf die abnehmbare Apparatur zustande.
Alternative Distalisierungsgeräte
Lm Oberkiefer kann die Wilson-Apparal ur als alternative Distalisie- Wilson-Apparatur
rungsmoglichkeit be~chrieben werden. Diese intraorale Außenbogco-
appa ratur besteht aus einem an den lnzisivi angebundenen oder ein-
ligierten starren Bogen, der mesial der Molarenbänder beidseitig
Omega-Schlaufen zur Aktivierung von zwei geschlossenen Federn
(Druckfedern) hat, um über diese federn einen distalisierenden Effekt
auf die Molaren auszuüben. Der Nachteil der Wilson-Apparatur ist die
Gefa hr der Protrusion der Schneidezähne, die tiber intermaxillare Klasse
II-Gummizüge von den Eckzälmen im Oberkiefer zu den Molaren im
Unterkiefer aufgefangen werden soll. Die Kompensation der rea<.tio
(l' rotrusion der lm.isivi im Oberkiefer) ist nur bei regelmäßigem Tragen
der Gummizüge und der Verankerungsapparatur im Un terkiefer ge-
währleistet. Der Vorteil der Wilson-Apparatur ist der positive ästheti-
sche Aspekt. Klassische lndlkalion der Wilson-Apparatur besteht bei
Deckbiss (Angle Klasse ll2), da der Steilstand der oberen lnzisivi eine
Prot.rusion der Schneidellihne erlaubt (Abb. 20-53).
21 Behandlung
21.1 Behandlungsbeginn
21.1.2 Dentitiomalter
Das Lebensalter des Patienten ist nur eine Orientierungshilfe für den
Behandlungsbeginn. Dieser wird vom Lebensalter, bei etwa 10 Jahren
(Beginn des späten Wechsclgcbisses, prapubertäre Wachstumsbcschleu-
nigung) angesetzt. Außerdem spielen die häufig mit dem Lebensalter
korrelierte psychosomatische Entwicklung und mentale Bereitschaft des
Patienten zur Mitarbeit eine große Rolle bei kieferorthopädischen Maß-
nahmen, so dass das Lebensalter der unwichtigste, aber dennoch nicht
zu vernachlässigende Aspekt bei der Wahl des Behandlungsbeginns ist.
21.2 Behandlungszeiten
21.2.2 Normalbehandlung
Die ubcrwicgende Zahl der \nomalien wird in der Z\\"Citen Phase des
Lahn wechsels, im späten \\edl\elgehiss, behandelt. In dieser Wachs-
tums- und Gebissphase bestehen besonders gümtige Uehandlungsaus-
slchten, da sowohl eine Au~nut.wng des \•Vachstums als auch eine Steue-
rung de~ Zahndurchbruchs möglich ~ind. Auße rdem ist die Umformbe-
reitschaft de~ Gewebes wahrend des zahndurchhruch~ ~nders groß,
die Umbaufähigkeit der Kiefc11:clenke kann ausgenutzt werden, und
die Kooperalionsbereit\Chaft der J...mder und Jugendlichen (Mitarbeit,
Compliance) ist am größten. Oie Behandlung kann nach Durchbn•ch der
Zwölfjahrmolaren unabhilnglg vom chronologischen Alter der Patienten
mit Komplettierung des ble•benden Gebisses abgeschlossen sein.
21.2.3 Spätbehandlung
21.2.4 Erwachsenenbehandlung
21.3 Retention
Das Liel der Retention ist, einen Zustand tu crre~chen , in dem kei -
nerlt'l Verdnderung der Zahnstellung und /odt•r Kieferlage auftritt.
L...::::::==:::::::~B
L
SNA~82" S~A • 82"
SNB = 80' N SNB • 80' N/
s ~.
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A
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8
l
Abb. 21-1: Progen er Formen kreis: a) echte Progenie mit normalem SNA-Winkel und
etnem vergroßerlen SNB Winke11m Fernrontgense•tenb•ld, b) Pseudoprogenie m•t
verkleinertem SNA-Winkel und normalem SNB-Winkel, c) progener Zwangsbiss
ohne skeleltale Abwegigkeit auf der Fernrontgenseitenbildaufnahme und d) um-
gekehrter Schncidcuhniiberblss ebenso ohne vergrößerte bzw verkleinerte SNA
bzw. SNB Wtnkel
Erste fruh c Symptome als ;\nLeichen der echten Progenie sind bereits
im Milchgebiss bestehende Mt>sialokklusion, progcnc Schneidezahnver-
zahnungen, Kreuzbiss, Lucken im Unterkiefer und ein frühzeitiger
7ahnwechscl im Unterkiefer.
Hehandltmgsziel bei der echten Progenie ist, vom Zeitpunkt der ße- Behandlungsziel
funderhebung bis 1um Wdth,tumsabschluss die Manifestation der
genetischen Anlage zu verhindern. Bei früh- bzw. rcchtteitiger Befund-
erhebung, d.h. z.B. \Chon 1m \lilchgebiss, werden im Rahmen einer
intertcptiven Frühbehandlung ~kelettaJe und/oder dentoah·coläre Maß-
nahme•, mit Hilfe von funktionskicfcrorthopädhchen Geräten, extrao-
ralen Apparaturen, Oberkleferplatten, schiefen L:bcncn und Kombina-
tionen durchgeführt. Jeder frtlhe I herapiean~dt:/. hel einer echten Proge-
nie beinhaltet die Erkennung der ßchandlungsgren1en im Rahmen der
anatomischen Gegebenheiten und dient der Vermeidung der progre-
dienten Entwicklung, sollte jedoch bei Therapieresisten7 beendet wer-
den.
ln Fallen \Oll "Jhera piere~i\te n z werden die Patienten nonapparativ Therapieresistenz
überwacht (/.ahnwechsel) und rechtzeitig vor Ah~chh•~' de~ ~keletta l en
Wachstums (ca. 1-2 Jahre davor) wird die aktive Behandlung Zllr Har-
monhierung der Zahnbögen Im Rahmen einer kombiniert kieferortho-
padisch-kieferchirurgischcn Behandlung wieder aufgenommen.
flchantllungsLiel bei der Pseudoprogenie ist, einen Ausgleich der sa- Behandlungsziel
gittalen und transversalen D1skrepanz zwischen Ober- und Unterkiefer
1.u erreichen. Dies erfolgt durch Anteriorentwicklung des Oberkiefers
und Posteriorentwicklung des Unterkiefers, z.LI. im Rahm~n einer Fruh-
hehandlung mit Gesichtsma~ke. Andere Therapieans:llze im frühen
\•.'ech~elg~bi~~ sind Einschleifen, !>patelübungen zur Überstellung der
progen ''erzahnten Schneh:leahne, Eingliederung von Lückenhaltern
oder Kinderprothesen und funktionskleferorthop<Jdlsche Geräte (Klasse
11 1-Aktl\ dtor). Im frühen Wechselgebiss können schiefe Ebenen, funkti-
onskieferorthopädische Gerlite, Oberkieferplatten mit l'elotten zur Ab-
schirmung des Lippendrucks mit ßertoni-Schrauben ..:ur transversalen
und sagittalen Erweiterung, al~ V-Platte zur sagittalen Crwelterung und
fe\1\it..:ende Geräte verwendet werden.
21.4.5 Therapie
Bei der Behandlung der Klasse 111-Anomahen 1st prtnz1p1ell zwischen ei-
ner alleinigen ko nser\'ati\·en kieferorUl opädischen Behandlung wäh-
rend de\ Wathstums und einer kombiniert kieferorthopildisch -kicfer-
chjn•rgischen Behandlung nach Wachstumsabschluss zu unterschei-
den. Prlmar ht da\ /.iel jeder kieferorthoplldischen Behandlung bt'i
Anom;1lien des progenen Formenkreises (insbesondere bei der echten
Progenie und bei der r~eutioprogenie) die orthop<ldischc Beeinflussung
der Lagebeziehung .twi~chen Ober- und Unterkiefer zur Vermeidu ng ei-
ner sp;llcrcn l.omhlniert kieferorlhopadisch-kiefercturugischen Behand-
lung. 01e kil'ferorthopadische Behandlung beim progenen I ormenkreis
kann jederzeit (t.llkhgebi\s bis bleibendes <.ebi s) begonnen v.erden,
und dle Prognose fur eme erfolgreiche skeJettale Behandlung ist ~ie frü.
her, umso bes\erM. Dennoch mussen rmhe lnter7eptivbehandlungen
haufig wegen progredienter Wachstumsschube eingestellt und eine
Kombinatiombehandiung muss zu einem ~patercn Zeitpunkt durchge-
fuhrt werden.
21.4 .6 Geräte
Kopf-Kinn-Kappe
Die Kopf-Kinn-Kappe, ein extraorales Behandlungsgt:rJt, dient der
\\'ath~tumshemmung des Unterkiefers im MJ!chgeb1ss. Bei einer sl.elet-
21 4 Oysgnathien des progenen Formenkretses 4:t!.hbfJI 265
talen Kraft von 5-10 N und einer Tragedauer von lil. 14 Stunden wird
der Unterkiefer in seiner 'klglttalcn und vertikalen Wachstumsrichtung
marupuliert. Die Effi1ien1 die\e\ Gerätes ist besonder!> wegen der Gefahr
der Sch<~digung der Kondylen nicht unumstritten. Das Gerat sollte bei
posillvem Palpation~befund und Beschwerden des Patienten im Bereich
der Kiefergelenke abgesetzt werden ( \bb. 2 1-6).
Gesichtsmasken
Die l)claire- und die G rummo n ~-\.fa.~ke dienen der Wachstumsstimu-
lation des Oberkiefers und werden uber sagittale vumm•roge, mit 1e
nach Bedarf unterschiedlicher 'erttkaler Komponente, am vcrblod.ten
Oberkiefer (durch Oberlm~fcrplatte, Gaumennahterwelterungsappara-
tur, Quadhelix, ~lulliband-ßraü,CL·Apparatur) befesliJ.:I.
ßel der Gesichtsmaske nach Deiaue wird neben der sagittalen un<l Delalre-Maske
vertikalen ßccinnussung <.les Oberkieferwachstu1m eine ßeeinOussung
des Untcrkieferwachnum\ nach postcrior ausgeuht (Cave: Kondylcn-
schädigung!).
Wohmgegen bei der vrummon~-Maske <Sulx>rh•talmaske) durch die Grummons-
Abstüt7ung an den jochlx>gcn eine i.d.R. uncrwümchte Posteriorposi· Maske
1Jon1enmg der Gelenkkopfe nicht eintreten kann Deshalb wird 'Ieier-
Ort\ in jungster Zeit der Grummons-Maske der Vor.tug gegeben. ßeid<.'
Gcslch t\rna~ken ~ollen m<lgllch~t rruhzeitig, d.h., wenn eine au~rel-
chendc Verankerung der Gummizüge möglich ist (vollstandiges ~tUch-
gehl\\ und fruhes Wechsclgebiss). eingeset?t werden, um e1ne :-.:achent-
wiciJung des Oberkiefer\ ,.or Ftablierung der progencn Gesamtsituation
7u erre1chen (r\bb. 21-7).
I
266 21 Behandlung
I
k__
Abb. 21 -7: Gesichtsmasken: a) Oelaire-Maske mit Abstützung am Kinn, b) Grum-
mons-Maske mit suborbitaler Abstützung
Funktionskieferorthopädische Geräte
Verschiedene Modifikationen des klassisch('n Progerl ieaktivators kön-
nen im Milch- und Wechselgebiss zur Umstellung der Bisslage, a ber
auch als Retcnlionsgerät, nach erfolgreichem cinsa tz extraoraler Geräte,
verwendet we rden. Sie sind besonders dann indi ziert, wenn eine pro-
gene Schneidezahnsituation besteh t und eine Protrusion der oberen In-
zisivi notwendig ist, bei gleichzeitiger skelettaler Umstellung beider Kie-
fer.
Als spezielle Varianten fur di e Rehandlung der Klasse lll sind zu
nennen :
..o1 der Funkti o nsregler Typ lllnach Fränkel
..o1 der Um kehrbiona tor nach Ballers
..o1 der Progenieaktivator nach Wunderer mit Weise-Schraube
-" der U-ßügei-Aktivator nach J<arwetzky
..o1 der Progenieaktivator mil Einkieferdehnschraube und Pelotte am
oberen Labialbogen (s.a. Abu. 20-17).
Platten
Wenn eine progene SituatiOn \ .a. durch dentoah·eolarc Abwe1chungen
begrundet ist, können akt1ve Plallen mit unterschi~dlichen Hilfsele-
menten einen Behandlungserfolg erzielen. Oberkieferplatten mit seit-
lichem Aufl1l~s und verschiedenen Protrusionselementen (Protrusions-
feder, Messingschraube, Paddelfeder) erlauben eine Protrusion der pro-
gl'n \'CrLahnten oberen lnzisivi.
Lur gleichzeitigen transver~alen und sagillalen "Jachentwicklung
de~ Oberkiefers eignen sich die M>g. V-Platte mit 2 Schrauben zwischen
den oberen Eckzähnen und se1tlichen Schneide7.Jhnen oder auch die
Oberkieferplatte mit ßertoni-Schraube, die eine gleichzeitige sagittale
und tranwer~le Aktivierung erlaubt (Abb. 21-9}.
Bei bimaxiilärer Reteiligung kann wsätzlich eine Un terkieferplatte
zur Rctrusion der unteren Inzisivi eingeset1t werden, die bei skelettalcr
Kornpont'nte auch die Anwendung von Klasse !II-Gummizügen er-
möglicht.
Fine weitere Modifik.1tion ist die Oberk ieferplatte mit Gegenkie-
ferbugel, bei der im Oberkiefer ein Labialbogen mll l'elotte zum Abhal-
ten des Lippendrucks und lm Un terkiefer ein Gegcnldeferbugel zur akti-
ven netmsion der unteren i•ront oder sagittalen Wach\turnshemmung
des Unterkiefers wirken.
Alternativ zu den Klasse 111-Gumminigen kormen auch die von
A. M. Schwarz eingeführten Rllckschubdoppelplatten mit Führungs-
spornen nach Müller im Se1ten1ahngebiet oder al ternahv m1t al...'twier-
llarcn l eger-Sörgensen-Schrauben eingeset7t werden (1\bb. 21-1 0).
Alle Gerate zur Überstellung progener Schneldelllhne Y<erden in der
aktiven llehandlungsph.!\C 24 Stunden am Tag getr.Jgen, dürfen nur
zum Zähneputzen herausgenommen werden, und der Patient darf nle-
m,ll\ tu beißen, um nicht cln Jiggling der lnzhivi LU riskieren.
J I
268 21 Beh;mdlung
Schiefe Ebenen
:-.lach dem PrinZip der schiefen Ebenen funktionieren Hoi2Spa tel, die
?ur Überstellung von Eintellähnen als ,.billiges" Verfahren empfohlen
werden, jedoch nur bei ausreichend durchgebrO<.henen oberen lnzisivi
und geschicktem Patienten tu empfehlen ~ind. ll<'i Ungeschick können
Intrusionen, wech~elnde llewegungen und Wurzelresorptionen resultie-
ren.
Der Beißspatel wird dabei vom Patienten dreimal täglich für 5-10
Minuten angewendet. Sobald ein regelrechter Ül>erhl\\ er?lelt Ist, sollte
diese Position fur 20-30 Minuten durch festes lusammenbcißen fixiert
werden.
Die sch iefe Lbene (festsitzend oder herausnehmbar) erzeugt ebenso
fü hrungsflachen tur Überstellung progen verzahnter lnzis•,·l. Sie ist v.a.
dann inc.l•z•ert, wenn die oberen lnzisi\•i retrudiert ~ind und ein Tiefbiss
vorhanden ist.
~erke
Behandlungs- Die Gefahr be1 der ~thlefen Ebene ist, dass die unteren lnti~ivi aufgrund
dauer ihres im Ve rgleich zum Oberkiefer geringeren \Vur7elquerschnittes
überbelastet werden und Wurzelresorptionen auftreten Die maximale
ß cbandJungsd auer beim Reißspatel und auch be1 der \thiefen Fbene
betragt 4-6 Wochen \ollte danach kein Behandlungserfolg emelt sein,
musscn umfangreichere ~laßnahmen durchgeführt ~~erden.
Multiband-Bracket-Apparat uren
Zu r lrans,·ersalen und ~gi ttal en Frweitenmg des Oberkiefers und zur
Verbiodung de~ Oberkiefers bei .Cimatz von Gc\ill l hma~ken können
Multiband-Hrackei-Apparaturen eingesetL.t werden. Die Ga umen n aht-
crwej terungsap pa ratu r und die Quadhelix dienen bsp\\. der Verblo-
ckung de\ Oberkiefers in Kombination mit einem \tarl..en Außenbogen,
um die Gummizuge fur eine Delaire- oder Grummons·Maske aufzuneh-
men. Außerdem kann mit dem Prot rusio nsutil it ) e1ne ge7ielte getor-
quete l'rotrusion der oberen ln2isi\·i durchgefuhn werden, um so eine
21 4 Oy1gnathlen des progencn Formenkreoses 4 :f1ptQf11 269
~l
Abb. 21-12: Angle Klassen: a) Klasse I oder Neutralbiss, b) Klasse 111 oder Oistillbiss
mit protrudierten oberen lnztstvi, c) Kl01sse ll2 oder Dostalbiss mtt retrudterten obe-
n!n Schnetdeuhnen, d) Klasse 111 oder Mesialbiss [aus G Schmuth, Praxis der
Zahnheilkunde, Bd ll,l Aufl.)
21.5 Klasse II Anomalien A :m;apn zn
I
272 21 Beh<~ndlung
Symptomatik Die typische ymptomntik bei Klasse 11 1-Anomalien sind eine RückJage
des Unterkiefers, kombiniert mit einer Vorwrlagerung oder l..orrekten sa-
gittalen Lageposition des Oberkiefers (Fcrnröntgenseitenbildnnalrse). ein
oberer SchmaiiJefer, eine luci..Jg~ oder engstt.'hende l'rotruslon der oberen
lnzisivi sowie ein Tiefbiss bei vergrößertem Ovcrjet. Die Klasse 11 1tritt auch
mit vertlk.Jiem Wachstumsmuster und offenem I!I \~ auf. flnc ausgeprägte
Zungendpfunktion (Zungenpressen) kann die Klasse 11 1 durch Reduktion
der sagittalen Stuft> .kaschicrenu. Im FRS Leigt \ilh hei diesen Patienten
eine bialveoliire l'rotrusion. ExtraoraJe Symptome bei der Klasse U1sind:
A inkompetenter IIppenschiuss
A eine wri..'Urzte untere Gesichtshöhe (ccw-Wachstum im Fernrönt-
genseitenbild)
A ggf. Lippensaugen
A häufig ein .leicht dummliches Aussehen"
A bei ausgeprägter I orm ein fliehe ndes Profi I.
Symptomatik Die typische Symptomatik für die Klasse llz ~~teht in einer RückJage
d~ Unterl..iefers, e' tl. kombmiert m1t einer Vorverlagerung des Oberkie-
fers, einer Palalinall..ippung der extrudierten oberen lnLish 1 ~0\~ie Lin-
gualkippuns der extrudierten unteren InLis1vi und T1efl>i~s bei extrem
horiLontalem Wachstum. Typische extrciOralc Symptome sind:
A ein konkaves Großnasenprofil mit verstarktcr Supramentalfalte
~ ein verkürztes Untergcsichl.
21.5.3 Therapie
Abb. 21-16: Klasse 111 Im Milchgebiss bei einer S·Jährigen Patlentln: Protruslon der Milchschneidezähne, ver-
größerte sagittale Stufe und Tiefbiss
Klasse 111
Behandlungs- Je nach Ursache einer Klasse IIJ-Anomalie sind fnihe Behandlungsmaß-
beginn nahmen, z.R. zur Ahgewöhnung von Habits, möglich (Abb. 21 -1 6). Eine
Antilu tschkarte, Daumengarage, Muskelfunktionstherapie sowie Mund-
vorhofplatte bei jüngeren und Face Former bei älteren Kleinkindern
konnen in der frühbehandlung zur Norma lisierung der Funktion der
orofazialen yf uskulatur eingesetzt werden (Abb. 21 -1 7, s.a. Abb. 20-14).
Die Behandlungszeit bei moderatem Ausprägungsgrad sollte jedoch
um das 10. Lebensjahr zu Beginn des späten Wechselgebisses sein, wo-
bei die Rücklage des Unterkiefers, die Protrusion und Extrusion der lnzi-
sivi und der Tiefbiss beseitigt werden sollten. Da bei der Klasse u. häu-
fig eine transversale Diskrepanz zwischen Ober- und Unterkiefer be-
Jg,_
~
Klasse tlz
Die Therapie der Klasse 112 unterscheidet sich von der Therapie der
Klasse 11 1 durch die Beeinflussung der lnzisivi, die protrudiert werden,
um eine spontane oder gerategcflihrtc EinstelJung des Unterkiefers in
!'\eutra1bisslage zu ermöglichen.
21.5 Klass~ II -Anomaiien •ii.IIQtU 2n
Abb. 21· 21: Retrusion der oberen lnzisivi und passive Bisshebung durch Entlastung
der Seitenzähne (aus Weise)
Deckbiss
Die Behandlung der palatinal gekippten oheren lnzisivi (11eckbi~s) ist
n icht im Sinne einer Frühbehandlung indiziert, da eine Prot rusion der
oheren Milchinzlsivi zu einer SchädigtUlg der bleibenden ~achfolger
führen kann (Abb. 21·22).
Der optimale Zeitpunkt für den Behandlungsbeginn bei der Klasse Beha ndlungs·
11 2 und beim Deckbiss ist ebenso wie bei der Klasse lh der Beginn des beginn
späten Wech selgebis~t!.s, al~<l ungefähr im Alter von 10 Jahren. Heraus-
Funktionskieferorthopädische Geräte
Funktionskieferorthopädische Geräte sind besonders bei kongruenten
Zahnbögen indiziert, können jedoch auch als horizontal durchtrennte
Modifikation zu r isolierten Oberkiefererweiteru ng ein gesetzt werden.
Bei notwendiger Einzelzahnbewegung und Verankerung der Ytolaren
(Leeway space) im spä ten Wechselgebiss si nd Doppelplatten den funkti-
onskieferort hopädischen Geräten vorzuziehen.
Vorschubdoppelplatten
Vorteile der Vorschubdoppelplatten im spä ten Wechselgebiss sind, dass
neben der Bisslageumstellung Einzelza hnbewegungen du rchgeführt
werden können und eine isolierte transversale Erwei terung in1 Oberkie-
fer mittels Dehnschraube möglich ist. Voraussetzung für die Effizienz
von Vorschubdoppelplatten ist, dass der Patien t während des Tragens
den Mund geschlossen hält; bei geöffneter Mundhaltung ist ei ne exakte
Risseinstellung Im Si nne der Konstmktionsbissnahme nicht möglich .
Das heißt, derPalientsteigt aus, wenn die Vorsch ubstege nicht über die
schiefe f.bene fixiert sind (Abb. 21-24).
Herbst-Scharnier
Bei fortgeschrittenem skelettalem Alter, d.h. nach dem pubertären
\lllachstumsschub, kann ein relativ rasches ,Jumping the bite" durch
diese festsitzende Apparatur mit bilateralen teleskopartigen Verbin-
dungsstegen zwischen miteinander verbundenen Händern im oberen
und unteren Seitenzahnbereich (obere erste Molaren, untere Eckzähne)
ertielt werden. Da~ Risi ko bei dle~er Art der Behandlung he\teht in der
Überbelastung der Ankerzahne und ebenso wie bei den Klasse 11-C.um-
miL.ügen in unerwumchten Zahnstellungsänderungen (Abb. 21 -26).
Abb. 21-26: Herbst-Scharnier
280 21 Behandlung
Headgear
Bei ~1itbetei l igung des Oberkiefers, d.h. Vorverlagerung des Oberkiefers,
und/oder Rücklage des Unterkiefers kann eine skelettale Beeinflussung
des Oberkieferwad1stums über den ·ackenbandzug (Headgear) erfolg-
reich sein. Beim vertikalen Wachstumstyp besteht in erhöhtem Maße
die Gefaht der unerwünsdlten Bissöffnung, die sich aus der Extrusion
der Molaren und Dorsalrotation des Unterkiefers zusammensetzt.
Mundvorhofplatte
Im Milchgebiss und frühen Wechselgebiss ist die Mundvorhofplatte als
apparative Un terstützung bei der Abgewöhnung von Habits, aber auch
zur Ventra lbeeinflussung des Unterkiefers bei sehr ausgeprägten Klasse
II•·Fällen indiziert. Um das Kunststoffschild im Vestibulum zu halten,
muss der Patient einen Lippenschluss anstreben, den e r nur durch Vor-
verlagerung des Unterkiefers erzielt (s.a. Abb. 20-14).
Face Former
Im frühen und späten Wechselgebiss sowie bei Erwachsenen im bleiben-
den Gebi~~ ist das Trainingsgerät Face Former das Mittel der Wah l.
Das weiche, flache Vestibulumschild kann mit einem Trampolin für
die Gesichtsmuskul atur vergleichen werden und v.ri rd nach defin ie rtem
Übungsplan und unter engm aschiger Kontrolle des Kieferorthopäden
zunächs t z ur Stärkung des Mu.~culus orbicularis Drh und de~ Musculu~
men talis nach Therapiefortschritt auch zur Umo rientierung der Zunge
elngeset7t. Zur Objektivierung des Behandlungsfortschrittes dient ein
Messgerät (Myo-Bar-meter), mit dem bei den Kontrolluntersuchung der
Tonu~ des O rbicularis Oris gemessen und zur CompUanceförderung
dem Patienten mitgeteilt wird (Abb. 21-27)
Der Face Former dient der Vorbereitung auf FKO-Geräte bei extre-
men Fehlfunktionen mit Gefahr von jiggling durch zu frühe individu-
Festsitzende Ge räte
:vlit Multiband-ßracket-Apparaturen können prirnär nur dentoalveo-
läre Korrekturen durchgeführt werden, über Klasse II-Gummizüge kann
auch eine sagiltal Skelettale Bissumstellung erreicht werden.
Voraussetzung für eine kieferchirurgische Vorverlagerung des Unter-
kiefers und/oder Rückverlagerung des Oberkiefers ist eine prächirurgi-
sche Ausformung der Zah nbögen mit festsitzenden Apparaturen so-
wie eine postchirurgische feineinstellungder Okklusion.
liine operative Rückverlagerung des Oberkiefers kann nach Extrak-
tion von zwei oberen Prämolaren als Segmentosteotomie <XIer ohne Ex-
traktion bleibender Zähne als Gesamtruckverlagerung des Oberkiefers
sowie operative Vorverlagerung des Unterkiefers (umgekehrte Obwege-
ser-Dai-Pont-Operation) erreicht werden. Uei Uedarf können gleichzeitig
ve rtikale Korrekturen durch Rotation des Oberkiefers und Autorotation
des Unterkiefers erzielt werden.
21.5.5 Rezidivgefahr
Der frontal offene Biss beinhaltet den fehlenden Kontakt der lnzisivi.
Skelettal Heim skelettal offenen Riss, der durch den Schädelaufhau b..:w. das
offener Biss Schädelwachstum bedingt ist, liegt ein dolichofazialer vertikaler Ge·
Der fehlende Kontakt zwischen zwei oder mehr Seitenzähnen (uni- oder
bilateral) kann ebenso unterschiedliche Ursachen haiX'n.
Ursachen Bei der Milchmolaren reinklusion verlassen ursprüngUch vollständig
durchgebrochene )Ailchmolaren das Okklusionsniveau wieder (deshalb
Reinklusion), da die Wurzel des Milchmolaren und/oder der bleiiX'nde
Nachfolger ankylotisch (feste Verbindung = Verschmelzung zwischen
Lement und Knochen) sind. Ocr Grund für einen offenen Biss durch
dieses Phänomen ist nicht die Intrusion des betroffenen Milchzahnes,
sondern das stagn ierende Alveolarfortsatzwachstum im Bereich der
Ant..:ylose.
Bei sehr starken Zahnkippungen, bspw. Mesialkippung des Zwölf-
jahrmolaren und Distalkippung des zweiten Prämolaren im Unterkiefer
nach frohzeitiger Extraktion eines Sechsjahrmolaren, kann ein seitlich
offener l~iss imponieren.
Zungendysfunktionen als Ein lagenmg der ~eitlichen Zungenfla-
chen können meistens bllateral seitlich offene Bisse erzeugen. Typisch
dafur sind Zahnimpressionen in den Seitenflächen der Zunge (beson-
ders bei Makroglossie).
Ein iatrogen offener Biss kann entstehen:
~ Bei Vorverlagerung des Unterkiefers in der ersten Behandlungsphase
21.6.3 Therapie
Jede Therapie eines offenen Bisses muss darauf ausgerichtet sein, die Ur-
sachen zu beseitigen. ln Analogie zur Bisshebung wird aud1 bei bisssen-
kenden Maßnahmen zwischen einer aktiven Bisssenkung (Elongation
der nicht in Kontakt stehenden Zähne und Intrusion der in Kon takt ste-
henden Zahngruppe) und der passiven ßl ss~enkung (BelaHu11g der in
Kontakt stehenden Zähne und Entlastung der in Infraokklusion stehen-
den Zähne bzw. Zahngruppen) unterschieden.
Kausaltherapie
Zur Vermeidung des offenen Bisses sind folgende Maßnahmen zu emp-
fehlen :
.., Vitam in-D-Gaben (als Kombinationspräparat mit Fluor) helfen, ei-
nen rachitisch offenen Biss zu vermeiden, da Vitamin 0 die Kalzi-
umresorption aus dem Darm fördert, die Phosphatausscheidung der
Nieren senkt und den Einbau von KalziumphOS[>hat in Knochen
und Zähnen begünstigt.
21.6 Offener Biss •a 1.narn 2as
Der Face Former (s.a. Abb. 21-27) wird ebenso als Abschi rm- und Trai-
ningsgerät erfolgreich bei Lutschhabit und den weiteren damit im Zu-
sammenhang auftretenden l'eh lfunktionen eingesetzt. Er dien t als Trai-
ningsgerät und fü hrt häufig neben der Abgewöhnung des Lutschhabits
audl zu einem verbesserten Lippenschluss und 1\'asenatmung sowie
en tspannter Funktion des Musculus mentalis.
.o1 Da sich bei primär vorhandenem Lutschhabit und daraus resultie-
rendem frontal offenen Biss sekundä r ein Zungenhabit etablieren
kann, ist auch die Abgewöhnung des Zungenhabits in Form eines
Umtrainierem der 7.ungenmu~kulatur durch eine m yofunktion elle
Therapie und einen Face Former notwendig. Individuell angefer-
tigte Absd1 irmgeräte, wie funktionskieferortllopädische Apparatu-
ren, Platten mit Zungengitter und Spikes können hilfreiche Dienste
leisten (Abb. 21-29) bei Therapieresistenz bez. des o.g. Funktionstrai-
nings im Sinne von ,.Memo" oder "Remindcr".
.A Wenn Schmel1,h ypo plasien die Ursache eines offenen Ri~ses dar-
stellen, sind z.ah.naulbaucnde konservierende Maßnahmen oder die
Überkronung dieser Zähne notwendig .
.A Bei iatrogen orrenem Biss handel t es sich i.d.R. um einen temporä-
ren Befund, der entweder nach Abset1-en des Gerätes oder L.B. nach
erfolgter transversaler Erweiterung des Oberkiefers und "settling"
der Seiten.o:cihne nicht mehr be~ teht .
.o1 Bei in fraokkludi erenden anky lotischen Milchmolaren si nd diese
zu entfernen und die bleibenden 1achfolgcr ggf. aktiv einzuo rdnen.
\ I
286 21 Behandlung
Symptomatische Therapie
Bei der Behandlung des offenen Bhses gibt e~ folgende :VIüglichkeiten:
A Im Wec hselgebiss eine funktionskieferorthopädische Therapie mit
lliJic eines ,.Offenen-ßiss-Aklivators". Mit diesem Gerät werden
beim frontal offenen Bis~ die Seitenzähne du rch einen seitlichen
Aufbiss (die sog. Spcrrzonc) belastet, und die Schneidezähne werden
durch Eimchleifen entlastet.
A Bei zusätzlich p rQtru dierten In z.isivi wird über die indirekte Ver-
längerung bei der Retrusionsbewegung eine bissschließende Kompo-
nente erzielt. Beim sei tlich offenen Riss wird das umgekehrte Verfah-
ren gewählt (Abb. Zl-30).
A Der skelettal offene Biss kann während des pubertären Wad1stums
durch den Versuch der Bremsung des Vertikalwachstums der Seiten-
zahnbereichc, den Versuch der Beeinflussung des Kieferwachstums,
die Intrusion der Molaren und Ex trusion der ln7isivi, die Extraktion
von Seitenzähnen (als bisssenkende Maßnahme) teilweise oder voll-
~tändig ge~chlussen werden.
Abb. 21-30: Aktivator bei Protrusion der oberen Front und offenem Biss. Zur Retru-
sion der lnzisivi und zum Bissschluss wurde das Gerät frontal eingeschliffen und
seitlich belastet [aus Weise).
21.6 Off~ner Biss 4$hhQfil 287
I
288 21 Behandlung
~ Geräte, die bei der Korrektur des seitlich offenen Bisses verwendet
werden, sind ebenso der Akti vator mit fraktioniertem Einschliff, der
ßionator nach Ballcrs zur Abhaltung der Wangen durch Wangen-
schilde und festsitzende Apparaturen, die mit Hilfe von intermaxil-
lären Gummizügen oder Unterkieferbögen mi t umgekehrter Spee-
Kurve eine Korrektur des seitlich offenen Bisses ermöglichen.
Rezidivgefahr
Bei habituell offenem Biss hängt die Behandlungsdauer von der Zeit ab,
die der Patient zur Abgewöhnung des Habits benötigt. Beim skelettal of-
fenen Biss ist eine relativ lange Behandl ungsdauer erforderlich, da bis
zum Wachstumsabschluss behandelt und/oder retiniert we rden muss.
Rezidivgefahr besteht besonders unter der Voraussetzung der Wie-
de raufnah me des Habits bei einer :vtakroglossie, bei extrem vertikalem
Wachstum, bei Rissöffnung durch den Durchbruch der Zwölfjahrmola-
ren, nach aktiver Intrusion der Molaren bzw. f.xtrusion der Front und
sogar nach operativer Korrektur eines offenen Bisses.
21.7 Tiefbiss
F.in ver!,'Tößerter Overbtte oder Tiefbiss liegt bei mehr als 3 nun
vertikalem Frontzahnüberbiss vor. Tiefbiss kann vNschiedene
Au~-prägungsgrade haben:
~ Bei Gingivakontakt berühren die unteren Schneidekanten die
paJatinale Schleimhaut.
~ Bei traumatischem Gaumenschleimhauteinbiss besteht zu-
sätzlich Verletzungsgefahr der paJatinaJen Schlei.mJ1aut, diese
zeigt lmpres~ionen der Schneidekanten. In Extremfällen,
b~pw. beim Deckbi~s, kann auch ein traumatheher Hnhis~ der
oberen lnzisalkanten in die untere vestibuläre Alveolarfort-
satzschleimhaut vorliegen.
Tiefbiss ist eines der typischen Symptome bei der Angle Klasse 11 1
~owle heim Oeckhiss. Oie Supraokklusion der oberen und unteren
Jnzisi\'i ist meist vergesellschaftet mit einer Retrusion der Schnei-
dezahne.
Befu nde Beim häufig aud1 vererbten skelettalen Tiefl)iss sind die typischen Be-
funde im Fernröntgenseiten bild eine VerkOr.r.ung der vorderen Ge~ichts
höhe, besonders der unteren, bei verlängerter hinterer Gesichtshöhe ein
verkleinerter Grundebenenwinkel und ein durch anteriore Rotation des
Unterkiefers reduzierter Y-Achsen-Winkel (Abb. 21-33).
I 21.7 r.efbls~ 4fHHbfJI 189
-------~
Abb. 21-33: Sk~lettal tiefer Biss durch verstärkte Ventrokranlalschwenkung des Un·
terkieferkörpcrs bei verkl~in~rtem Kieferwinkel
Bei Rucklage des Unterkiefer\ und vergrößerter sagltlaler Stufe mit man-
gelnder int.i~aler Abstutzung kommt es zu einer bi <~heolären Elongation
der Schneidezähne und progrwicnten Entwicklung eines Tiefhisses
(,\bb. 21-34).
I
290 21 Behandlung
Abb. 21·34 : Extremer Tiefbiss mit Gingivakontillct bei Rücklage des Unterkiefers und Protruslon der efon·
gierten oberen lnzislvi: a) vor Behilndlung, b) nur geringe Bisshebung während der Behandlung bei extrem
horizontalem Wachstumstyp
21.7.5 Deckbi ss
Auch beim hereditar hedm1,>ten De<kbiss mit großer apikaler Basis und
Retrusion der oberen lnzisivi führt die mangelnde in7isale Abstützung
ror progr<.'dienten TielbJssentwicklung.
21.7.6 Therapie
Gründe für die Der Tiefbiss stellt ein sehr häufig vorkommendes Symptom dar, welches
Behandlu ngs- ancler<.' Dy)gnathleformen begleitet. GrUnde fur die Behandlungmot-
notwendigkeit wendigkeil eines vcrst:irkten \'ertikalen Überbisses sind pa rodontalpro-
phylaktlsthe A\t~kte wegen der Fehlbelastung de r Schneide71i l1ne
sowie de~ Risikos der Gingivascltädij,rung durch de n Schleim hautein-
biss. Außerdem ht du~ Abbeiß- und Kaufunktion durch die Tiefb•mitua-
tion cmgeschrankt, und es besteht eine Möglichkeit der Gelenksschädi-
gung (femporaliskaucr). Auch karie'>prophylakti\che Grunde sind zu er-
wahnen, da die gleichLeitige Retrusion der lnzisivi zum Engstand und
zu irregularen Interdentalräumen mit ungtlmtlg~n Pflegemöglichkeiten
führt. ~benso ist die Profilverbes5enmg bei Korrektur von Tiefbiss und
Schneidetahn.tugula tion zu nennen.
Behandlungs- Der gümtig~te l'e itpunkt zur Behandlung de~ ticren ßis5cs ist d~
beginn späte Wechselgcbi\\, da \O die dritte ph) siologischc ßi~~hebung ausge-
nutzt werden kann und ebenso eine passive 81\\hebung möglich ist.
Der vertikale ßissau~glcith \eilt sich also aus emer aktl\ en und/oder
passiven \'erlangerung der Seitenzahne S0\\1C aktiven und/oder passi-
ven \'erkurrong der Schneideahne 1usammen.
r
41t'ICEJI 291
21.7.7 Geräte
Funktionskieferorthopädische Geräte
in Analogie zur Bisssenkung kt>nnen mit dem klassischen \ktivator so-
wie allen Modifikationen während der Wach~turnsphase eine pas~ive
Bisshebung durch Belastung der Schneidezähne und Entlastung der Sei-
tenzahne (Einschleifen) erzielt werden.
Platten
Auch Oberkieferplatten mit frontalem \ufbi~ zur Verhinderung der flC-
trusaon der unteren lnLbh i konnen bei [(ongatlon <.I er Schneidezähne
indi7iert sein. Sie sind jedoch als alleiniges Gerat zur 1iefbasskorrel.:tur
wegen der Halteelemente und der verhinderten Verlängerung der Sei-
tenza hne nich t zu empfehlen.
Zervikaler Headgear
Dae Variante zen·ikaler H<.>adgear mit langen, nach kaudal angewinkel-
ten Außenarmen fuhrt i.d.R. unerwunscht, beim rieflJhs jedoch gezielt
eingesellt zur Lxtru\ion der oberen Scchsjahrmolar<.>n und damit zur
1.\isshebung.
Mult iband-Bracket-Apparaturen
Mit fe~t,lttenden Geräten i~t eine lntru~ion d<.>r Schneidezähne und
glcichzeatige F.xtrusion der Seitenzahne moglich, wa\ tur Bisshebung
führt. Bel der bioprogre\\iven Technik nach Rid.etts dient bspw. der ln-
trmiomutihty, bei Vcnvcndung ,·on durchgelwnden Bögen die umge-
kehrte Spee-Kun·e (Sweep) 1ur Intrusion der ln7i\i\ i und ütrusion der
Seitem:.~hne (Abb. 21-35).
...._._,
.
····....
··. ... ..
Abb. 21-35: lntrusionsutihty zur tntrus10n der unteren lnzisivi. Setzt man den Bo
gen in d1e 5chneideUJhnbrackets, wird eme Intrusionskilift von 0,5-0,75 N wirk
sam Ein Ia b~ter Wurzeltorque von s-ro•
verhindert, dass d1e Wurzeln der lnz1siv1
d1e lmguale Kortikahs beruhren.
292 21 Behandlung
Prognose Die Prognu~~: fur die Behandlung de~ TienJh\l'\ hangt im \.\'esentli-
chen vom Behandlungsergebnis ab, d.h. ob eme mzisale Abstutzw1g im
Schneidezahnbereich l>evteht, die ein erneutes Elangieren der lnzisivi
,-erhindert. Als ubergeordneter Parameter ist d1e Art des Wachstums
lwv. der Gesichtstyp ein re~idivfördernder (ccw-Wachstum) lwv. ~tabi
litätsfördernder A~pekt (cw-Wachstum).
21.8.1 Engsta nd
Beim Engstand bc~tcht Platzmangel für die bleibenden Zähne. Die Loka-
lisation de~ F.ng\tandes und seine Ur~achen ~lnd Grundlagen der ver-
schiedenen EngstandSt)•pen. ach der Lokalisation wird der koro nal e
vom a pikalen Eng~tand unterschieden.
Apikaler Der l)'P•sche Befund beim apikalen Engstand sind die Kon vergenz
Engstand der Schneideza hnwu rze ln im OPG und die D i vergen ~ d~:r 7.ah n kro-
nen beun khnlschen Befund. Bei ausgepriigte