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Geistesleben im 13.

Jahrhundert

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Miscellanea Mediaevalia
Veröffentlichungen des Thomas-Instituts
der Universität zu Köln

Herausgegeben von Jan A. Aertsen

Band 27
Geistesleben im 13. Jahrhundert

Walter de Gruyter · Berlin · New York


2000
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Geistesleben im 13. Jahrhundert

Herausgegeben
von Jan A. Aertsen und Andreas Speer

Für den Druck besorgt von


Frank Hentschel und Andreas Speer

Walter de Gruyter · Berlin · New York


2000
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Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnahme

Geistesleben im 13. Jahrhundert / hrsg. von Jan A. Aertsen und


Andreas Speer. - Berlin ; New York : de Gruyter, 2000
(Miscellanea mediaevalia ; Bd. 27)
ISBN 3-11-016608-9

ISSN 0544-4128

© Copyright 1999 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin
Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechdich geschützt. Jede Verwertung
außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages
unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikro-
verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Printed in Germany
Satz und Druck: Arthur Collignon GmbH, Berlin
Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer, Berlin

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Vorwort

Wie kaum ein anderes prägt das 13. Jahrhundert das allgemeine Bild vom
Mittelalter. Auch in den gegenwärtigen Debatten um das Selbstverständnis
der mittelalterlichen Philosophie kommt dem 13. Jahrhundert eine Schlüssel-
stellung zu. Zwei Kölner Jubiläen verdeutlichen das Gesagte: 1998 war das
750. Jubiläumsjahr der Gründung des Studium generale Coloniense der Do-
minikaner, dessen Gründungsregens kein geringerer als Albertus Magnus
war, sowie der Grundsteinlegung zum gotischen Chor des Kölner Domes.
Auch wenn diese Jubiläen nicht im Mittelpunkt standen, so war das General-
thema der 31. Kölner Mediaevistentagung, die vom 8. bis 11. September 1998
in der Universität zu Köln stattfand, gleichwohl dem 13. Jahrhundert gewid-
met. Mehr als 200 Mittelalterforscher der verschiedensten Disziplinen aus
über 20 Ländern, darunter erneut eine namhafte Zahl aus Mittel- und Ost-
europa, kamen auf Einladung des Thomas-Instituts zusammen, um die durch
das Tagungsthema vorgegebenen systematischen und historischen Fragestel-
lungen zu erörtern und neue Perspektiven für die Mittelalterforschung auf-
zuzeigen 1 . Diesen Anspruch hatten die Veranstalter in der Formulierung des
Tagungsthemas ausdrücklich erhoben: „Geistesleben im 13. Jahrhundert —
Neue Perspektiven".
Im Titel des vorliegenden 27. Bandes der Miscellanea Mediaevalia, der
über die in den zwölf Sektionen gehaltenen Vorträge hinaus weitere Beiträge
umfaßt, welche die Diskussion ergänzen und weiterführen, fehlt der zweite
Teil des Tagungsthemas. Was für eine Tagung als herausfordernde These
seine Berechtigung hat, sollte mit Blick auf die publizierten Ergebnisse dem
Urteil des Lesers, nicht der Herausgeber anheimgestellt bleiben. Diese haben
gleichwohl versucht, in einleitenden Beiträgen auf einige solcher Perspektiven
hinzuweisen, die in den zehn Themenschwerpunkten dieses Bandes weiter
ausgefaltet werden. Bei der Auswahl der Beiträge und ihrer Verknüpfung zu
Themenbereichen kann es nicht um ein vollständiges Bild des 13. Jahrhun-
derts gehen — dieses wird bei den Kölner Mediaevistentagungen nicht zuletzt
durch die Themenvorschläge der Referenten mitbestimmt —, wohl aber um
die Signifikanz der historischen und systematischen Vermittlung. Angespro-
chen werden Fragen zur Erkenntnistheorie und praktischen Philosophie, zur
Deutschen Dominikanerschule und zum Selbstverständnis der Artes-Magi-

1 Cf. A.Speer, Geistesleben im 13.Jahrhundert - Neue Perspektiven. Tagungsbericht über


die 31. Kölner Mediaevistentagung vom 8. bis 11. September 1998, in: Bulletin de philoso-
phic medievale 40 (1998), 9 1 - 9 9 .

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VI Vorwort

ster — wie die Pariser Verurteilungen von 1277 Ausgangspunkt zahlreicher


historiographischer Neuansätze in der jüngeren Mittelalterforschung —, zum
Verständnis von Philosophie und Theologie sowie von Theologie und Kir-
che, ferner zur Frage von Häresie und Literatur sowie zur Entwicklung in
den Künsten, zu Bildung und Erziehung, schließlich zum Aufeinandertreffen
der Kulturwelten. Auf diese Weise soll ein Beitrag zum Verständnis der intel-
lektuellen Physiognomie eines Jahrhunderts geleistet werden, die auf signifi-
kante Weise durch den Versuch einer synthetischen Verstehensleistung gegen-
über den vielfältigen Einflüssen und Traditionen geprägt ist.
Abschließend gilt es an dieser Stelle Dank zu sagen für vielfältige Unter-
stützung, die auch die 31. Kölner Mediaevistentagung erfahren hat. Zu den
unabdingbaren Voraussetzungen für einen lebendigen Forschungsaustausch
zwischen Gelehrten aus unterschiedlichen mediävistischen Fachdisziplinen
und aus verschiedensten Ländern zählt die finanzielle Förderung, die unserer
Tagung auch dieses Mal wiederum von verschiedener Seite zuteil geworden
ist. Unser Dank gilt namentlich der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dem
Ministerium für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-West-
falen sowie der Rudolf Siederleben'schen Otto Wolff Stiftung, ferner der
Stiftung Deutsch Amerikanisches Akademisches Konzil (DAAK) / German
American Academic Council Foundation (GAAC), die im Rahmen des Trans-
Coop-Programms ein Forschungsprojekt unter dem Titel „After the Con-
demnations of 1277 - the University of Paris in the Last Quarter of the
Thirteenth Century" zwischen dem Thomas-Institut und dem Medieval Insti-
tute der University of Notre Dame fördert 2 .
Herzlich gedankt sei ferner dem Prorektor der Kölner Universität Prof.
Dr. Erland Erdmann, der in Vertretung des Rektors Prof. Dr. Jens Peter
Meincke die Teilnehmer der Mediaevistentagung zu einem Abendempfang in
den Alten Senatssaal der Universität zu Köln bat. In diesem Zusammenhang
gilt unser Dank auch allen Mitarbeitern der Universität zu Köln, deren Hilfe
wir stets großzügig in Anspruch nehmen konnten. Einen besonderen Akzent
erhielt die Mediaevistentagung durch die Einladung zur Vorpremiere der Aus-
stellung „750 Jahre Studium generale Coloniense" im Kölnischen Stadt-
museum. Wir danken den Veranstaltern, insbesondere Pater Dr. Walter Sen-
ner OP, der sich mit einer wie stets überaus kenntnisreichen Führung von
Köln nach Grottaferrata verabschiedete.
Vorbereitung und Durchführung der 31. Kölner Mediaevistentagung lagen
wie in den vorausliegenden Jahren in den bewährten Händen der Mitarbeiter
des Thomas-Instituts. An dieser Stelle möchten wir allen Kollegen und Mit-
arbeitern sehr herzlich für ihren engagierten Einsatz und für die vielfältige

2 Cf. K. Emery, Jr. / Α. Speer, After the Condemnations of 1277: The University of Paris in
the Last Quarter of the Thirteenth Century. A Project between the Medieval Institute (Notre
Dame) and the Thomas-Institut (Köln), in: Bulletin de philosophie medievale 38 (1996),
119-124.

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Vorwort VII

Unterstützung danken. Auch bei den redaktionellen Arbeiten für den vorlie-
genden Band der Miscellanea Mediaevalia konnten wir auf die zuverlässige
Unterstützung der Mitarbeiter des Thomas-Instituts rechnen. Ihnen gilt unser
Dank, namentlich Herrn Hermann Hastenteufel Μ. Α., der erneut für das
Register verantwortlich zeichnet, sowie insbesondere Dr. Frank Hentschel für
die Mithilfe bei der Drucklegung dieses Bandes.
Es bleibt der Dank an den Verlag Walter de Gruyter, namentlich an Frau
Dr. Gertrud Grünkorn und an Frau Grit Müller, in deren Händen die wie
stets umsichtige Betreuung des 27. Bandes der Miscellanea Mediaevalia lag.

Köln, im Juli 1999 Jan A. Aertsen


Andreas Speer

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Inhaltsverzeichnis

J A N A . AERTSEN — ANDREAS SPEER


Vorwort V

Zur Einleitung

ANDREAS SPEER (Köln)


Geistesleben im 13. Jahrhundert — Neue Perspektiven? 3
J A N A . AERTSEN (Köln)
Mittelalterliche Philosophie — ein unmögliches Projekt? Zur Wende
des Philosophieverständnisses im 13. Jahrhundert 12

I. Erkenntnis: epistemologische und anthropologische Aspekte

B . CARLOS BAZÄN (Ottawa)


Was There Ever a „First Averroism"? 31
THEODOR W . KÖHLER (Salzburg)
Philosophische Selbsterkenntnis des Menschen. Der Paradigmen-
wechsel im 13. Jahrhundert 54
BURKHARD MOJSISCH (Bochum)
Konstruktive Intellektualität. Dietrich von Freiberg und seine neue
Intellekttheorie 68
STEPHEN F. BROWN (Boston)
The Medieval Background to the Abstractive vs. Intuitive Cognition
Distinction 79

II. Willensfreiheit und praktische Vernunft

GÜNTHER MENSCHING (Hannover)


Absoluter Wille versus reflexive Vernunft. Zur theologischen An-
thropologie der mitderen Franziskanerschule 93
FRAN^OIS-XAVIER PUTALLAZ (Fribourg)
Entre grace et liberte: Pierre de Jean Olivi 104

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χ Inhaltsverzeichnis

CHRISTIAN TROTTMANN (Tours)


Scintilla synderesis. Pour une auto-critique medievale de la raison la
plus pure en son usage pratique 116
ROBERTO LAMBERTINI (Macerata)
Von der iustitia generalis zur iustitia legalis. Die Politisierung des Ge-
rechtigkeitsbegriffes im 13. Jahrhundert am Beispiel des Aegidius
Romanus 131

III. Albertus Magnus und die Deutsche Dominikanerschule

WALTER SENNER O P (Köln/Grottaferrata)


Albertus Magnus als Gründungsregens des Kölner Studium generale
der Dominikaner 149
PIETER DE LEEMANS (Leuven)
The Discovery and Use of Aristotle's „De Motu Animalium" by
Albert the Great 170
R U T H M E Y E R (Bonn)
Eine neue Perspektive im Geistesleben des Jahrhunderts: Plädoyer
für eine Würdigung der Organon-Kommentierung Alberts des
Großen 189
NIKLAUS LARGIER (Chicago)
Die .Deutsche Dominikanerschule'. Zur Problematik eines historio-
graphischen Konzepts 202

IV. Zum Selbstverständnis der Artesmagister

THOMAS RICKLIN (Fribourg)


Von den „beatiores pbilosophi" zum „optimus status hominis". Zur Ent-
radikalisierung der radikalen Aristoteliker 217
STEN EBBESEN (Kopenhagen)
Radulphus Brito: The Last of the Great Arts Masters. Or: Philoso-
phy and Freedom 231
ZDZISLAW KUKSEWICZ (Warschau)
La foi et la raison chez Gilles d'Orleans, philosophe parisien du
XHIe siecle 252

V. Metaphysik und Theologie nach 1277

PASQUALE P O R R O(Bari)
Metaphysics and Theology in the Last Quarter of the Thirteenth
Century: Henry of Ghent Reconsidered 265

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Inhaltsverzeichnis XI

VOLKER LEPPIN (Heidelberg)


Die Folgen der Pariser Lehrverurteilung von 1277 für das Selbstver-
ständnis der Theologie 283

VI. Theologie und Kirche

STEVEN P. M A R R O N E (Medford)
Literacy, Theology and the Constitution of the Church: Scholastic
Perspectives on Learning and Ecclesiastical Structure in the Late
Thirteenth Century 297
U L R I C H H O R S T (München)
Evangelische Armut und Kirche. Ein Konfliktfeld in der scholasti-
schen Theologie des 13. Jahrhunderts 308
SABINE SCHMOLINSKY (Hamburg)
Ordensprophetie nach Joachim von Fiore? Franziskaner und Domi-
nikaner im Apokalypsenkommentar des Alexander Minorita 321

VII. Häresie in der Literatur

PIERRE D R O G I (Orleans)
La crise amauricienne et ses repercussions en litterature (paradis et
enfer autour des annees 1215 — 1240 environ) 335
U L R I C H E R N S T (Wuppertal)
Die Auseinandersetzung mit häretischen Strömungen in der deut-
schen Literatur des 13. Jahrhunderts 362

VIII. Entwicklungen in den Künsten

F R A N K HENTSCHEL (Köln)
Der verjagte Dämon. Mittelalterliche Gedanken zur Wirkung der
Musik aus der Zeit um 1300 395
WOLFGANG SCHÖLLER (Regensburg)
Annäherungen an die Wirklichkeit des hochmittelalterlichen Kir-
chenbaues 422
STEFAN SCHULER (Münster)
Fabrica et ratiocinatio. Neue Perspektiven für die Bewertung der Zivi-
lisationstechniken in der wissensorganisierenden Literatur des
13. Jahrhunderts am Beispiel von Architektur und Enzyklopädik . . 438
ALEXANDRU CIZEK (Münster)
Voraussetzungen und Eigenart der „Poetria Parisiana" des Johannes
von Garlandia 454

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XII Inhaltsverzeichnis

CORA DIETL (Helsinki)


Der Griff zum Optischen. Zur Entwicklung des deutschen geistli-
chen Spiels im 13. Jahrhundert 467
BRIGITTE STARK (Bonn)
uo facilius cuncti possint intellegere quae dicuntur". Anfänge des volks-

sprachlichen Theaters in Frankreich 483

IX. Bildung und Erziehung

JOHANNES ZAHLTEN (Braunschweig)


Kaiserliche Erziehungsvorstellungen. Friedrich II. und der ideale
Falkner 499
ADAM FIJALKOWSKI (Warschau)
The Education of Women in Light of Works by Vincent of Beau-
vais, OP 513
IVAN HLAVÄCEk (Prag)
Grundzüge der Schrift- und Bibliothekskultur im böhmischen Staat
des 13. Jahrhunderts 527
MARIE BLÄHOVÄ (Prag)
Das intellektuelle Leben in den böhmischen Ländern unter den letz-
ten Pfemysliden 540

X. Das Aufeinandertreffen von Kulturwelten

MICHAEL CHRONZ (Bonn)


Der Beitrag des Nikolaos von Otranto (Nektarios von Casole) zur
Vermitdung zwischen den Kulturwelten des 13. Jahrhunderts . . . . 555
GEORGI KAPRIEV (Sofia)
Die „errores graecorum" und die ΕΚΦΑΝΣΙΣ ΑΙΔΙΟΣ. Das Zweite
Konzil von Lyon — Anstoß zu einer neuen theologischen und phi-
losophischen Entwicklung in Byzanz? 574
ANNA-DOROTHEE VON DEN BRINCKEN (Köln)
Die bewohnte Welt in neuen Sichtweisen zu Anfang des 13. Jahr-
hunderts bei Gervasius von Tilbury und Jakob von Vitry 604
HELMUT G. WALTHER (Jena)
Die Veränderbarkeit der Welt. Von den Folgen der Konfrontation
des Abendlandes mit dem ,Anderen' im 13. Jahrhundert 625

Namenindex 639

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Geistesleben im 13. Jahrhundert — Neue Perspektiven?

ANDREAS SPEER (KÖLN)

Das Thema der 31. Kölner Mediaevistentagung „Geistesleben im 13. Jahr-


hundert — Neue Perspektiven" verknüpft drei Elemente miteinander, die
jedes für sich, erst recht aber in ihrer Zusammenstellung problematisch er-
scheinen: Von welchem „Geist" soll hier die Rede sein? Wie läßt sich die
Beschränkung auf ein bestimmtes Jahrhundert rechtfertigen? Und welche
neuen Perspektiven sollen für das 13. Jahrhundert aufgezeigt werden? Diese
Fragen erfordern eine Antwort, zumal es nicht an Versuchen fehlt, sie gene-
rell für obsolet zu erklären. Die Skepsis gegenüber einer vermeintlichen
Autonomie der Ideen betrifft auch die Philosophie, die ihre Zeit nur insofern
in Gedanken fassen könne, als sie eine Funktion in einem gegebenen sozialen
Kontext erfüllt. Und an die Stelle einer Geschichtsschreibung einander ablö-
sender, kategorial bestimmbarer Entwicklungen und Epochen tritt zum einen
das Bewußtsein einer „longue duree", zum anderen die Wahrnehmung von
Brüchen und Diskontinuitäten innerhalb bestimmter Zeitabschnitte. Schließ-
lich scheinen die Herausgeber vor dem im Tagungsthema erhobenen An-
spruch, „neue Perspektiven" aufweisen zu wollen, selbst zurückgeschreckt zu
sein. Wie anders sollte man das Fehlen dieses Elements im Titel des vorlie-
genden Bandes erklären? Daß diese kritischen Anfragen nicht schon die Ant-
worten sind, dies soll in der folgenden Annäherung an das Thema des Bandes
gezeigt werden, die — den genannten Problemkreisen entsprechend — in
drei Schritten erfolgt.

I. Den wohl unmittelbarsten Anstoß erregt der Begriff des „Geisteslebens".


Martin Grabmann hatte ihn seinerzeit als Titel für seine „Abhandlungen zur
Geschichte der Scholastik und Mystik" gewählt, da mit diesem Begriff „das
philosophische und religiöse Denken des Mittelalters im innigen und inneren
Zusammenhang mit der mittelalterlichen Kultur", ihren Formen und Funk-
tionen erfaßt werden könne 1 . Gewiß steht diese Vorstellung in einem —
nicht ausdrücklich reflektierten — Zusammenhang mit dem umfassenderen
Konzept einer verschiedene historisch orientierte Disziplinen umfassenden
Kulturgeschichtsschreibung, die als Geistesgeschichte — in den Worten Wil-

1 M. Grabmann, Mittelalterliches Geistesleben. Abhandlungen zur Geschichte der Scholastik


und Mystik, 3 vol., München 1 9 2 6 - 1 9 5 6 ; hier: Vorwort zum ersten Band, V I I - V I I I .

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4 Andreas Speer

helm Diltheys — „die fortschreitende Besinnung des Geistes über sich


selbst" 2 zum Gegenstand hat. Gerade diese Vorstellung aber und der oftmals
mit einer solchen Leitidee verbundene Dogmatismus, der mit dem Anspruch
der Erkenntnis des Ganzen der geschichtlich-gesellschaftlichen Wirklichkeit
als sukzessive Verwirklichung eines auf erkenntnistheoretischer Selbstbesin-
nung beruhenden Zusammenhanges von Wahrheiten einhergeht 3 , haben
nicht zu Unrecht Argwohn erregt und lassen den Begriff des „Geisteslebens"
obsolet erscheinen.
Doch steht bei Grabmann — wie mir scheint — eine eher pragmatische
Absicht im Vordergrund. Anders als etwa Etienne Gilson, der den „Geist"
mittelalterlicher Philosophie als „christliche Philosophie" zu bestimmen
trachtet 4 , oder als Fernand Van Steenberghen, der das 13. Jahrhundert als
Zeitalter des Thomas von Aquin kennzeichnet 5 , sucht Grabmann nicht nach
einer alles umfassenden Leitidee, sondern nach einem Begriff, der die rele-
vanten Arbeitsfelder zu erfassen und zwischen diesen einen Zusammenhang
zu stiften in der Lage ist: Philosophie, Theologie, Philologie, Literatur- und
Institutionengeschichte. In dieser pragmatischen Hinsicht, die den theoriebe-
ladenen deutschen „Geist" in gebührendem Zaum hält und jede weiterge-
hende dogmatische Fesdegung vermeidet, hat Paul Oskar Kristeller von einer
„history o f thought" gesprochen und diese als „history o f philosophy in the
widest possible sense" bestimmt, die neben der Philosophie selbst Literatur-
geschichte und Theologie, die Geschichte der Wissenschaften und Künste
umfaßt 6 . Diese Bestimmungen Kristellers entsprechen zwar den „allge-
meinen Subjektsbegriffen", mit denen Dilthey die Aufgabe der Geisteswis-
senschaft zu erfassen sucht 7 , allerdings befreit von dem Anspruch einer zu-
mindest intentional gegebenen allgemeinen Theorie des geschichtlichen Ver-
laufs. In diesem Sinne verstanden als „intellectual history", stellt die geistesge-
schichtliche Annäherung ein offenes hermeneutisches Modell dar, das gerade
der Reduktion auf eine der genannten und mögliche weitere Determinanten
entgegenwirkt. Dies gilt beispielsweise für die Frage der Wechselwirkung zwi-

2 W Dilthey, Die Geistige Welt. Einleitung in die Philosophie des Lebens. Erste Hälfte: Ab-
handlungen zur Grundlegung der Geisteswissenschaften (Gesammelte Schriften, V. Band),
Stuttgart-Göttingen 1974 (6. unveränderte Aufl.), 340.
3 W. Dilthey, Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung der Gesell-
schaft und der Geschichte (Gesammelte Schriften, I. Band), Stuttgart — Göttingen 1973 (7.
unveränderte Aufl.), 95.
4 E. Gilson, L'esprit de la philosophie medievale, Paris 2 1948, 32 — 33; cf. hierzu J. A. Aertsen,
Gibt es eine mittelalterliche Philosophie?, in: Philosophisches Jahrbuch 102 (1995),
1 6 1 - 1 7 6 , bes. 1 6 2 - 1 6 8 (cf. auch Kölner Universitätsreden 75 [nt. 13], 1 3 - 3 0 , bes. 1 5 - 2 1 ) .
5 F. Van Steenberghen, La philosophie au XHIe siecle, 2eme edition (Philosophes medievaux
28), Louvain-Paris 1991, 4 7 4 - 4 8 0 .
6 P. O. Kristeller, The Philosophical Significance of the History o f Thought, in: id., Studies in
Renaissance Thought and Letters (Storia e Letteratura - Raccolta di Studi e Testi, 54),
Roma 1956, 3 - 9 , bes. 7sq.
7 W. Dilthey, Die Geistige Welt (nt. 2), 342.

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Geistesleben im 13. Jahrhundert — Neue Perspektiven? 5

sehen philosophischem Denken und den im weitesten Sinne kulturellen und


historischen Kontexten — eine Frage, die in den letzten Jahren Ausgangs-
punkt vielfältiger Überlegungen und mancher Debatte gewesen ist, wie denn
die Geschichte der mittelalterlichen Philosophie zu schreiben ist 8 . Ahnliches
gilt für die meisten anderen mediävistischen Disziplinen.
In dem vorliegenden Band geht es mithin um die Erhebung und die Ver-
mitdung eines Motivgeflechts, das in Form einer weiterreichenderen Abstrak-
tion den Blick auf übergreifende Zusammenhänge (und auch auf Unver-
knüpfbares) eröffnet, wobei es zu durchaus unterschiedlichen Antworten auf
die Frage nach dem Uberwiegen einer Determinante kommen kann. Dieses
Verständnis von Geistesgeschichte — in dem von Kristeller benannten Dop-
pelaspekt als „history of thought in the broader sense" und als „history of
philosophy in the narrow sense" 9 — scheint mir recht genau die Grundidee
der Kölner Mediaevistentagungen zu treffen, die seit nunmehr fast fünfzig
Jahren Mediävisten aus den verschiedenen Disziplinen in Köln zusammen-
führt. Stellt man die Tatsache in Rechnung, daß die Kompetenz des veranstal-
tenden Instituts sich vorrangig auf den zweiten Aspekt erstreckt, so geht es
darum, den philosophischen Fragestellungen im engeren Sinn einen Rahmen
anzuweisen und umgekehrt die Fragen der Philosophie in ihrem Erklärungs-
gehalt auf den Prüfstand zu stellen, inwieweit diese in der Lage sind, „ihre
Zeit in Gedanken zu fassen" — um noch einmal Hegels klassisches Diktum
aus der Vorrede zur „Philosophie des Rechts" zu bemühen 10 .

II. Gerade eine derartige Annäherung an die Geistesgeschichte setzt aber


eine klare Bestimmung des Gegenstandes voraus, wenn sie nicht einfach be-
liebig sein soll. Dies scheint mit Blick auf das zweite Element des Themas
aber alles andere als einfach — eine überraschende Feststellung, wenn man
bedenkt, in welchem Maße das 13. Jahrhundert wie kaum ein anderes das
allgemeine Mittelalterbild bestimmt. Als Zeitalter der Universitäten und der
gotischen Kathedralen, der philosophischen Rationalität, die sich meist mit
dem Namen des Aristoteles verbindet, und der religiösen Armutsbewegun-
gen, des Aufeinandertreffens der verschiedenen Kulturen und der wachsen-
den Bedeutung der Volkssprachen steht das 13. Jahrhundert häufig stellver-
tretend für das Mittelalter überhaupt. Viele dieser Stichworte — denen sich

8 Cf. e.g. C. Steel, La philosophie medievale comme expression de son epoque, in: J. Follon /
J. McEvoy (eds.), Actualite de la pensee medievale (Philosophes medievaux 31), L o u v a i n -
Paris 1994, 7 9 - 9 3 . R. Imbach, Autonomie des philosophischen Denkens? Zur historischen
Bedingtheit der mittelalterlichen Philosophie, in: J. A . Aertsen / A. Speer (eds.), Was ist
Philosophie im Mittelalter? Akten des X. Internationalen Kongresses für mittelalterliche Phi-
losophie der S. I. E. P. M., 2 5 . - 3 0 . August 1997 in Erfurt (Miscellanea Mediaevalia 26), Ber-
l i n - N e w York 1998, 1 2 5 - 1 3 7 .
9 P. O. Kristeller, The Philosophical Significance of the History of Thought (nt. 6), 9.
10 G. W Ε Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Vorrede, Werke 7 (Theorie-Werk-
ausgabe, Frankfurt a.M. 1970), 26.

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6 Andreas Speer

leicht andere (auch solche negativer Art) hinzufügen ließen — sind aber nicht
so spezifisch, daß mit ihrer Hilfe die eingeforderte Bestimmung des Geistes-
lebens im 13. Jahrhundert in hinreichender Distinktheit gelingen könnte. So
gibt es bereits im 12. Jahrhundert eine überaus rege Ubersetzertätigkeit und
die ältesten Universitäten wie Bologna haben sich bereits vor 1200 konstitu-
iert. Auch die gotische Kathedralarchitektur in Frankreich hat im 12. Jahr-
hundert ihre Wurzeln. Und am Ende des 13. Jahrhunderts kündigt sich mit
Dante in Italien bereits die Renaissance an.
Ich belasse es bei dieser Problemanzeige und füge eine zweite hinzu: Unser
bisheriger Blickwinkel ist derjenige des Lateinisch sprechenden Westens. Am
Beispiel der Philosophie wird aber deutlich, in welchem Umfang der Eintritt
in andere mittelalterliche Kulturkreise — in den arabischen, jüdischen, byzan-
tinischen und lateinischen — die Philosophie bestimmt und spezifiziert; ähn-
liches gilt auch für andere Bereiche der Kultur 11 . Doch eröffnet gerade der
Blick auf die inhaltliche und institutionelle Verschiedenartigkeit der translatio
studii oder translatio studiorumx2 im Mittelalter einen Zugang zum Verständnis
jenes Zeitabschnitts, dem in diesem Band das besondere Interesse gilt. Remi
Brague hat die mittelalterliche Kultur im lateinischen Abendland als eine
Kultur des Endeihens bestimmt und sieht darin den Schlüssel für eine einzig-
artige Rezeptivität und Dynamik 13 . Diese Dynamik entspringt, wie mir
scheint, nicht zuletzt der Notwendigkeit zu verstehen — und zwar Verstehen
in einem doppelten Sinne.
Zunächst Verstehen im Sinne der „translatio" als Ubersetzung. Im 13. Jahr-
hundert findet die Ubersetzung des corpus Aristotelicum ihren Abschluß und
durch die Revisionen und teilweise Neuübersetzungen Wilhelms von Moer-
beke eine verläßliche philologische Grundlage. Dies ist nur ein — allerdings
prominentes — Beispiel für die vielfältige Ubersetzertätigkeit. Ebenso be-
deutsam ist eine steigende philologische Bewußtheit: die Diskussion von
Ubersetzungsvarianten, die Suche nach einer besseren Textgrundlage, die
Auswirkungen philologischer Arbeit auf die systematische Interpretation —
wie im Falle der „Entdeckung" der proklischen Identität des „Liber de cau-
sis" durch Thomas von Aquin im Zusammenhang der Übersetzung der „Ele-

11 Cf. hierzu J. A. Aertsen / A. Speer (eds.), Was ist Philosophie im Mittelalter? (nt. 8); ferner
A. Speer, Qu'est-ce que la philosophie au Moyen Age? Bilan philosophiques du dixieme
congres international de philosophie medievale tenu a Erfurt du 25 au 30 aoüt 1997, in:
Recherches de Theologie et Philosophie medievales 65 (1998), 1 3 3 - 1 4 6 .
12 Diesen Begriff macht E. Jeauneau zu einem Leitbegriff in „La philosophie medievale" (que
sais-je?), Paris 3 1975, 4; cf. auch id., Translatio studii. The Transmission of Learning. A
Gilsonian Theme (PIMS —The Etienne Gilson Series 18), Toronto 1995. Diesen Gedanken
greift Alain de Libera auf in: La philosophie medievale (puf - Collection Premier Cycle),
Paris 1993, 8.
13 R. Brague, Das Studium der mittelalterlichen Philosophie als Teil einer Besinnung auf die
europäische Kultur, in: A. Speer (ed.), Philosophie und geistiges Erbe des Mittelalters (Köl-
ner Universitätsreden 75), Köln 1994, 5 3 - 6 5 , bes. 6 1 - 6 5 .

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Geistesleben im 13. Jahrhundert — Neue Perspektiven? 7

mentatio theologica" durch Wilhelm von Moerbeke 14 , einer Schrift, die in der
„deutschen Dominikanerschule" einige Bedeutung erlangt. Auch die massive
Kritik Roger Bacons an „der Verkehrtheit, der Unverdaulichkeit und grauen-
haften Schwierigkeit" insbesondere der Aristotelesübersetzungen, die kaum
jemand verstehen könne, was seinen Grund nicht zuletzt in dem Zusammen-
tragen verschiedener Interpreten und Texte aus verschiedenen Sprachen
habe, ist Ausdruck dieses philologischen Bewußtseins 15 .
Doch ist die geforderte Kenntnis der „gelehrten" Sprachen 16 — an erster
Stelle des Griechischen und Hebräischen, mit Einschränkungen gleichfalls
des Arabischen — auch für Bacon nur die Voraussetzung für eine andere
Form der Aneignung: Verstehen im Sinne des Begreifens und Durchdringens
des auf dem Wege der Sprache übermittelten Wissens. Dies ist der zweite, in
unserem Zusammenhang bedeutsamere Aspekt von Verstehen. Gerade in der
synthetischen Verstehensleistung gegenüber den vielfältigen Einflüssen und
Traditionen, den eigenen und den fremden, besteht — so scheint mir —
insbesondere aus der Sicht des lateinischen Westens die nachhaltige Bedeu-
tung des 13. Jahrhunderts. Hierzu gehört auch die Herausarbeitung kontro-
verser Problemstellungen. Diese synthetische Leistung, die über die Adapta-
tion bestimmter Einflüsse hinausgeht, wird vorzüglich in der spekulativen
Grundlegung des Denkens erbracht, die als Metaphysik in Konkurrenz zur
christlichen Theologie tritt. Daß die Universität sich gerade im 13. Jahrhun-
dert als der eigentliche institutionelle Ort dieser Verstehensleistung etabliert,
ist ebenso Teil einer geistesgeschichtlichen Annäherung wie die besondere
Aufmerksamkeit, die gerade den kritischen Reaktionen oder alternativen Be-
wegungen gilt.

III. Sind wir damit aber nicht wiederum bei einem sehr traditionellen Bild
des 13. Jahrhunderts angekommen — beschränkt vor allem auf das lateinische
Abendland, auf Philosophie und Theologie, und auf die Universitäten? Wo
liegen die „neuen Perspektiven", denen die besondere Aufmerksamkeit der
31. Kölner Mediaevistentagung galt? Sicherlich findet man sie nicht, so kann
festgehalten werden, indem man lediglich die Lücken anweist, die sich bei-
spielsweise in Fernand Van Steenberghens magistralem Standardwerk zur

14 Thomas de Aquino, Super librum de causis expositio, prooemium (ed. H. D. Saffrey, Fri-
bourg-Louvain 1954), 3; hierzu C. Steel, Moerbeke et Saint Thomas, in: J. Brams / W. Van-
hamel (eds.), Guillaume de Moerbeke. Recueil d'etudes ä l'occasion du 700 e anniversaire de
sa mort (1286), Leuven 1989, 5 7 - 8 2 , bes. 7 0 - 7 1 .
15 Roger Bacon, Opus Malus, pars III, cap. 1 (ed. J. H. Bridges, vol. III, repr. Frankfurt a.M.
1964), 82: „Nam tanta est perversitas et cruditas et hornbilis difficultas maxime in libris Aristotelis
translatis, quod nullus potest eos intelligere, sed quilibet alii contradiät, et multiplex reperitur falsitas, ut
patet ex collatione diversorum interpretum et textuum diversarum linguarum".
16 Roger Bacon, Compendium studii philosophiae, cap. VIII (ed. J. S. Brewer, Fr. Rogeri Bacon
opera quaedam hactenus inedita, vol. I, London 1859), 474: „Tertia deäma causa quare necesse
est studiosis Latinis, ut sciant linguas, est corruptio, quae accidit in studio propter ignorantiam linguarum
sapientialium his temponbus".

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8 Andreas Speer

Philosophie des 13. Jahrhunderts 17 finden — fast zwangsläufig, so möchte


man sagen. Denn selbstverständlich ist die Forschung seitdem weitergegan-
gen; und auch dieser Band ist weit davon entfernt, Vollständigkeit beanspru-
chen zu wollen. Im folgenden seien daher fünf Themenbereiche angespro-
chen, die — bezogen auf die in diesem Band versammelten Beiträge — Per-
spektiven mit Blick auf einen Zeitraum eröffnen, der gewissermaßen im arti-
fiziellen Querschnitt eines Jahrhunderts betrachtet wird — Perspektiven, die
jene Zusammenhänge vorzustellen imstande sind, die als Vorzug der geistes-
wissenschaftlichen Annäherung gelten können und nicht am aktuellen Neuig-
keitswert allein gemessen werden sollten.
(1) Von einem besonderen Interesse — gerade mit Blick auf das angedeu-
tete generelle Verständnis des 13. Jahrhunderts — sind die erkenntnistheoreti-
schen Fragestellungen; sie stehen jedoch über ihr epistemologisches Eigen-
gewicht hinaus in einem anthropologischen und praktischen Kontext, der die
Entwicklung der Problemstellungen im 13. Jahrhundert beeinflußt. Dies gilt
etwa für die Frage nach der konstitutiven Funktion des menschlichen Intel-
lekts oder dem Verhältnis von abstraktiver und intuitiver Erkenntnis. Die
philosophische Erkenntnisbegründung bleibt rückgebunden an anthropologi-
sche und intellekttheoretische Problemstellungen, die ihrerseits wiederum
miteinander in einem Spannungsverhältnis stehen. Deutlich präsent ist auch
der theologische Ausgangspunkt oder Hintergrund mancher Fragestellungen.
In einem weiteren Sinne stellt sich vor dem Hintergrund des Verstehens-
paradigmas auch die Frage nach den Beziehungen zu den maßgeblichen reli-
giösen und kirchlich-theologischen Strömungen, zu den Entwicklungen in
den Künsten und in der Literatur. Was hat die Menschen der damaligen Zeit
bewegt, bestimmte Fragen in dieser Weise zu stellen? Diese Frage leitet über
zu den folgenden Punkten.
(2) In einer Untersuchung zu den philosophischen und theologischen Irr-
tumslisten von 1270 — 1329 hat Josef Koch auf den methodischen Wert von
Lehrverurteilungen, Syllabi und Irrtumlisten etc. für die Beurteilung intellek-
tueller Auseinandersetzungen hingewiesen 18 . Diese Feststellung scheint ihre
Gültigkeit behalten zu haben. Denn kaum ein anderes Ereignis hat in den
letzten Jahren so sehr im Mittelpunkt des Interesses der philosophischen
Mediävistik gestanden wie die Verurteilung von 219 Lehrsätzen durch Bi-
schof Etienne Tempier vom 7. März 1277 19 . Daß die Verurteilung zahlreiche

17 F. Van Steenberghen, La philosophie au X l l l e siecle (nt. 5).


18 J . K o c h , Philosophische und theologische Irrtumslisten von 1270—1329. Ein Beitrag zur
Entwicklung der theologischen Zensuren, in: Melanges Mandonnet, vol. II (Bibliotheque
Thomiste XIV), Paris 1930, 3 0 5 - 3 2 9 ; repr. in: J. Koch, Kleine Schriften, vol. II (Storia e
Letteratura, Raccolta di Studi e Testi 128), Roma 1973, 4 2 3 - 4 5 0 .
19 Zur Bewertung siehe die Beiträge von Alain de Libera, Luca Bianchi und John Murdoch in:
J. A. Aertsen / A. Speer (eds.), Was ist Philosophie im Mittelalter? (nt. 8), 7 1 - 1 2 1 (Plenar-
sektion 2).

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Geistesleben im 13. Jahrhundert — Neue Perspektiven? 9

Bezugspunkte in den intellektuellen Debatten — etwa zu Fragen der Intellekt-


lehre, der Willensfreiheit und zum Verhältnis von theologischem und philoso-
phischem Wissen — insbesondere im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts hat,
ist unstrittig und zeigt sich auch in zahlreichen Beiträgen dieses Bandes. Doch
hat die Fixierung auf 1277 als historiographischer Leitidee auch den Blick
auf die Breite der Diskussion, der Personen und Themen eingeengt. Nicht
alle Fragen werden in dem vom Tempier'schen Syllabus abgesteckten Rah-
men diskutiert, nicht immer lassen sich die beteiligten Parteien eindeutig zu-
ordnen. Damit erscheinen aber auch einseitig nach modernen Kriterien wie
„konservativ" und „progressiv" vorgenommene Wertungen mehr zu verstel-
len als zu erklären. Auf eine weitere Folge dieser Fixierung sei ebenfalls noch
hingewiesen: Gerade das letzte Viertel des 13. Jahrhunderts stand lange Zeit
im Schlagschatten der Verurteilungen. So ist bei Van Steenberghen dieser
wichtige Zeitraum bis auf marginale Erwähnungen beinahe völlig ausgespart.
Diesem Zeitabschnitt, der zugleich den Ubergang zum 14. Jahrhundert einlei-
tet, gelten nunmehr zu Recht wieder verstärkte Forschungsanstrengungen 20 .
(3) Sucht man nach Ereignissen, die mit der vorgenommenen Jahrhun-
derteinteilung konform gehen, so wird beispielsweise das königliche Privileg
für die Pariser Universität vom August 1200 genannt. Die Gründung der
Universitäten wird zu Recht als ein für die Wissensvermitdung folgenreicher
Umbruch angesehen, der maßgeblich die westlich-abendländische Wissen-
schaftskultur bestimmt und ihre universale Geltung ermöglicht hat. Die Ar-
tesmagister gelten — nicht zuletzt seit LeGoffs „Les intellectuels au Moyen
Age" 21 — als die eigentlichen Repräsentanten dieser Institution, das Leben
des Philosophen, so Boethius von Dacien, als „optimus status hominis"72·. Die-
ser „ethische Aristotelismus" findet seinen Ausdruck auch in den Leitvorstel-
lungen, die Radulphus Brito am Ende des 13. Jahrhunderts formuliert: das
Verlangen nach Wissen ist ein natürliches Ziel des Menschen; Wissen ist
möglich; Wissen macht frei 23 . Das in diesem Zusammenhang als Schlüssel-
text geltende zehnte Buch der „Nikomachischen Ethik", das die theoretische
Lebensform mit der Möglichkeit einer innerweltlichen beatitudo verbindet, ist
gleichwohl erstmals außerhalb der Universität, im Kölner Generalstudium der
Dominikaner von dessen erstem Studienregens Albertus Magnus eingehend
kommentiert worden. Mit dem vor 750 Jahren begründeten Kölner Studium
generale ist die historiographische Idee einer deutschen Dominikanerschule

20 Cf. K. Emery, Jr. / Α. Speer, After the Condemnations of 1277: The University of Paris in
the Last Quarter of the Thirteenth Century, in: Bulletin de Philosophie medievale 38 (1996),
119-124.
21 J. LeGoff, Les intellectuels au Moyen Age, Paris 1957/1985.
22 Boethius de Dacia, De summo bono (ed. N. G. Green-Pedersen, Boethii Daci Opera VI,2),
374, 137 — 139: ,JB,t cum homo est in ilia operations, est in optimo statu qui est homini possibilis. Et
isti suntphilosophi, qui ponunt vitam suam in studio sapientiae".
23 Cf. hierzu den Beitrag von Sten Ebbesen in diesem Band (231 - 2 5 1 ) : Radulphus Brito. The
Last of the Great Arts Masters. Or: Philosophy and Freedom.

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10 Andreas Speer

verbunden worden, die eine eigenständige intellektuelle Tradition namentlich


in Deutschland begründet habe. Unabhängig von der Aussagekraft einer der-
artigen These eröffnet sie jedoch den Blick auch auf die volkssprachliche
Bildung und auf das intellektuelle Leben außerhalb der großen universitären
Zentren, die nur allzuoft das gesamte Interesse absorbieren.
(4) Die wachsende Bedeutung der Volkssprache zeigt sich am deutlichsten
in der Literatur, in den geistlichen Spielen, dem volkssprachlichen Theater,
der moralepischen Dichtung etc. Doch was hat die Entwicklung in den Kün-
sten bestimmt? Gibt es Zusammenhänge zwischen dem Verlangen nach dem
Optischen, der Visualisierung der christlichen Myterien und der Aufwertung
des Gesichtssinnes bei Aristoteles? Oder laufen die Etablierung der musica
als theoretischer Disziplin an der Artesfakultät und die Entwicklung hin zur
Polyphonie nebeneinander her? Beispielhaft für die gebotene Vorsicht bei
der Übertragung moderner Interpretationsmuster und für den methodischen
Paradigmenwechsel in der Forschung kann die Diskussion in der Kunstge-
schichte mit Blick auf die Entstehung der Kathedralgotik angesehen werden.
Im Unterschied zu den einer spekulativen Leitidee verpflichteten Deutungen
Erwin Panofskys oder Otto von Simsons, aber auch Georges Dubys und
Martin Warnkes steht, wie auch in dem Beitrag von Wolfgang Schöller, nun-
mehr der Versuch im Vordergrund, das Baugeschehen gewissermaßen „von
unten", von den konkreten Bedingungen am jeweiligen Ort her in histori-
scher Kleinarbeit zu rekonstruieren 24 . Die Kontinuität wird, wie gerade die
750 jährige Baugeschichte des Kölner Domes sehr deutlich zeigt, weit weni-
ger von allgemeinen Leitideen garantiert, denen somit allenfalls eine be-
grenzte heuristische Funktion zukommt, als vielmehr durch das Institut der
fabrica, das bis heute in der Dombauhütte weiter fortbesteht.
(5) Schließlich muß eine Tatsache entschieden ins Bewußtsein gerufen
werden: Auch für die Menschen des 13. Jahrhunderts war die erfahrbare Welt
schon längst nicht mehr eingeschränkt auf das lateinische Abendland sowie
auf die bereits etablierten Gesprächspartner in der byzantinischen, arabischen
und — in ihrer besonderen Stellung — der jüdischen Welt. Nicht zuletzt der
Mongolensturm konfrontiert das Abendland auf nie erfahrene Weise mit dem
„anderen" und trägt nicht unerheblich zu einem grundlegenden Wandel im
Weltverständnis bei. Der ungeheuren geographischen Erweiterung der er-
fahrbaren Welt, welche den Christen des lateinischen Abendlandes das Ge-
fühl einer Minorität gibt, entspricht ein neues Bewußtsein von der Veränder-
lichkeit der Welt, das jedoch, so die These von Helmut G. Walther, als Her-
ausforderung begriffen wird 25 . Es ist gerade die neue sich an Aristoteles

24 Cf. exemplarisch G. Binding, Baubetrieb im Mittelalter, Darmstadt 1993; G. Binding /


A . S p e e r (eds.), Mittelalterliches Kunsterleben nach Quellen des 11. bis 13.Jahrhunderts,
Stuttgart 1993, 2 1994.
25 Cf. den Beitrag von Helmut G. Walter in diesem Band (625 — 638): Die Veränderbarkeit der
Welt. Von den Folgen der Konfrontation des Abendlandes mit dem .Anderen' im 13. Jahr-
hundert.

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Geistesleben im 13. Jahrhundert — Neue Perspektiven? 11

orientierende Wissenschaft, deren auf Erfahrung und methodischer Stringenz


beruhende Vorgehensweise das Bewußtsein für die Veränderbarkeit der Welt
als positive Chance erkennen ließ. Nicht ein allgemeines Krisenbewußtsein,
so Walther, steht daher am Anfang des letzten Drittels des 13. Jahrhunderts,
sondern ein wachsendes Bewußtsein von der technischen Beherrschbarkeit
und Vervollkommnung der Welt.
Etwas von diesem Zeitgefühl findet sich bei Roger Bacon. Dieser spricht
in seinem „Opus maius" nicht nur von den Herausforderungen durch die
Tartaren und Sarazenen 26 , er stellt auch Vergleiche hinsichtlich der Überle-
genheit der Kulturen an 27 , in denen sich jenes Überlegenheitsgefühl anzudeu-
ten beginnt, das für die westlich-abendländische Kultur so bestimmend wer-
den sollte und bisweilen nur noch wenig von der humilitas der Leihnehmer
bewahrt, die sich der Fragilität ihres Standpunktes, der Abhängigkeit ihres
Wissens und Könnens von den Leihgebern bewußt sind 28 .

Blicken wir von hier zurück auf das in unserem ersten Punkt angespro-
chene Verhältnis zwischen dem engen und weiten Verständnis von Geistesge-
schichte, so erhebt sich die Frage, inwieweit dieser umfassende Prozeß einer
intellektuellen Neuorientierung von ungeheuren politischen Konsequenzen
an den intellektuellen Zentren der Zeit, den Universitäten, reflektiert oder
gar mitbestimmt wird. Welchen Beitrag vermag insbesondere die Philosophie
für das Verstehen dieser Vorgänge, für die Deutung der Welt bereitzuhalten?
Nicht zuletzt die Debatten um das Verhältnis von Theologie und Philoso-
phie, um die klare Bestimmung des jeweiligen Gegenstands- und Zuständig-
keitsbereiches, die im 13. Jahrhundert an Umfang und Bedeutung zunehmen
und einen nicht unwichtigen Teil der intellektuellen Auseinandersetzungen
ausmachen — auch dies ein charakteristischer Punkt für das Verständnis die-
ses Jahrhunderts — verweisen auf die sich vollziehende Wende im Philoso-
phieverständnis des 13. Jahrhunderts, die, so die These von Jan A. Aertsen
in dem nachfolgenden Beitrag, schließlich zu einer Neubestimmung des Sta-
tus der Philosophie führt. Auf diese Weise wird jenes kritische Potential frei-
gelegt, das der Philosophie in der Erklärung der sich verändernden Welt
einen legitimen Platz beläßt.

26 Roger Bacon, Opus Maius, pars IV (ed. J. H. Bridges, vol. I, repr. Frankfurt a.M. 1964),
399-402.
27 Roger Bacon, Opus Maius, pars VII (moralis philosophia), pars 4 (ed. J. H. Bridges, vol. II,
repr. Frankfurt a.M. 1964), 3 9 4 - 3 9 6 .
28 Cf. hierzu die Überlegungen bei R. Brague, Das Studium der mittelalterlichen Philosophie
(nt. 13), 6 3 - 6 5 .

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Mittelalterliche Philosophie: ein unmögliches Projekt?
Zur Wende des Philosophieverständnisses im 13. Jahrhundert

J A N A . AERTSEN ( K Ö L N )

I. E i n l e i t u n g : N e u e r e D i s k u s s i o n e n
ü b e r den S t a t u s der m i t t e l a l t e r l i c h e n P h i l o s o p h i e

Im August 1997 fand in Erfurt der vom Thomas-Institut veranstaltete


X. Weltkongreß der „Societe Internationale pour l'Etude de la Philosophie
Medievale" statt. Als Vorsitzender verantwortlich für das Programm, hatte
ich absichtlich die Frage „Was ist Philosophie im Mittelalter?" als General-
thema des Kongresses ausgewählt. Meine Intention war es, die Diskussionen
über den Status der mittelalterlichen Philosophie zu erneuern, welche die
Gesellschaft seit ihrer Gründung im Jahre 1958 begleitet haben. Bezeich-
nend sind die Bedenken, die während des ersten Weltkongresses französi-
sche Delegierte gegen die Namensgebung der „Societe" erhoben. Es gebe,
so meinten sie, im Mittelalter keine Philosophie, getrennt oder isoliert von
der Theologie 1 .
Jetzt liegen die Erträge des Erfurter Kongresses in einem umfangreichen
Band vor. Dieser wird ohne Zweifel eine nachhaltige Wirkung auf die künf-
tige Mittelalterforschung haben. Das zeigt sich bereits in meinem heutigen
Vortrag, denn dieser bezieht sich auf einen der Erfurter Plenarvorträge, ge-
halten von Carlos Steel (dem Präsidenten des Instituts für Philosophie an der
katholischen Universität zu Löwen). Sein Beitrag mit dem provokativen Titel
„Mittelalterliche Philosophie: Ein unmögliches Projekt?" führt ein neues Ele-
ment in die Diskussion ein, weil seine Frage nicht mehr dem esse der mittelal-
terlichen Philosophie gilt, sondern ihrem posse7·. Steels Fragestellung ist durch
ein bemerkenswertes Buch des französischen Gelehrten Pierre Hadot ange-
regt, dessen Titel eine Ähnlichkeit mit dem Generalthema des Erfurter Kon-

1 Cf. den Kongreßbericht von H. L. van Breda, in: L'homme et son destin d'apres les penseurs
du moyen äge. Actes du premier congres international de philosophie medievale
(Louvain - Bruxelles 28 aoüt - 4 septembre 1958), Louvain - Paris 1960, 801sq., 815sq.
2 C. Steel, Medieval Philosophy: An Impossible Project? Thomas Aquinas and the ,Averroistic'
Ideal of Happiness, in: J. A. Aertsen, A. Speer (eds.), Was ist Philosophie im Mittelalter?
Akten des X. Intern. Kongresses für mittelalterliche Philosophie der Soc. Intern, pour l'E-
tude de la Philosophie Medievale, 2 5 . - 3 0 . August 1997 in Erfurt (Miscellanea Mediaevalia
26), B e r l i n - N e w York 1998, 1 5 2 - 1 7 4 .

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Mittelalterliche Philosophie: ein unmögliches Projekt? 13

gresses aufweist: „Qu'est-ce que la philosophic antique?". Der Inhalt des


Buches läßt sich in zwei Thesen zusammenfassen 3 .
Hadots erste These besagt, in der Antike habe philosophia allererst eine
existentielle Dimension. Sie ist nicht sosehr ein Denksystem als vielmehr eine
„Lebensweise", eine zur Weisheit vorbereitende geistige Übung. Die philoso-
phische Lebensweise ist eng mit einem theoretischen „Diskurs" verbunden,
der die existentielle Wahl begründet und rechtfertigt, aber die praktische Ver-
nunft hat den Primat über die theoretische. Dieses Philosophieideal ist in der
Neuzeit fast verschwunden. Heute wird, insbesondere im universitären Be-
reich, „Philosophie" gemeinhin als eine rein theoretische Angelegenheit ver-
standen. Wie ist diese Transformation zu erklären?
Hadots zweite These besagt, der Grund für den Theoretisierungsprozeß
sei der Aufstieg des Christentums. Schon früh hat das Christentum sich als
„Philosophie" im antiken Sinne des Wortes verstanden, das heißt, als eine
Lebensweise, die aus einer Bekehrung hervorgeht, aus der Entscheidung,
ein Leben in der Nachfolge Christi zu führen. Der Ausdruck „Christliche
Philosophie" bezeichnet im Mittelalter das Leben des Mönchs 4 . Allmählich
vollzog sich in diesem Zeitalter eine Trennung zwischen Lebensform und
philosophischem Diskurs. Die Rolle der Philosophie wurde zu der eines Be-
griffsrahmens, benutzbar in theologischen Kontroversen, herabgesetzt. Philo-
sophie, in den Dienst der Theologie gestellt, war fortan nicht mehr als eine
theoretische Lehre. Es ist diese Konzeption, welche die Geschichte der neue-
ren Philosophie bestimmt hat. Mit Bezug auf seine zweite These fügt Hadot
noch eine Einschränkung hinzu. Im Mittelalter ist das antike Philosophieideal
nicht völlig verschwunden. Er weist auf magistri in der Artes-Fakultät des
13. Jahrhunderts, wie Boethius von Dacien, hin, die wiederentdeckten, daß
die Philosophie nicht nur ein Diskurs, sondern vor allem eine Lebensweise
ist 5 .
In bezug auf Hadots Mittelalterbild möchte ich zwei Bemerkungen einfü-
gen. Erstens: Seine Darstellung stützt sich auf eine neue Tendenz in der
Forschung, deren Hauptvertreter Alain de Libera ist 6 . Sie sucht den Ort der
mittelalterlichen Philosophie nicht in der theologischen, sondern in der Ar-
tes-Fakultät. Professoren dieser Fakultät, wie Boethius von Dacien in seiner
Schrift „De summo bono" (oder „De vita philosophi"), betrachteten das
Leben des Philosophen als das oberste menschliche Gut, als die vollkom-

3 P. Hadot, Qu'est-ce que la philosophic antique?, Paris 1995, bes. 1 7 - 1 9 , 387 — 391 u.
408 — 410. Eine ähnliche Auffassung findet sich in J. Domanski, La philosophie, theorie ou
maniere de vivre? Les controverses de l'Antiquite ä la Renaissance, Paris 1996.
4 Cf. J. Leclercq, Pour l'histoire de l'expression ,philosophie chretienne', in: Melanges de
science religieuse 9 (1952), 221—226; H. M. Schmidinger, Zur Geschichte des Begriffs
,christliche Philosophie', in: E. Coreth e.a (eds.), Chrisdiche Philosophie im katholischen
Denken des 19. und 20. Jahrhunderts, Graz - Wien - Köln 1987, torn. 1, 2 9 - 4 5 .
5 P. Hadot, Qu'est-ce que (supra Anm. 3), 393.
6 Siehe insbesondere A. de Libera, Penser au Moyen Age, Paris 1991.

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14 Jan A. Aertsen

mene Realisierung dessen, was der Mensch wesentlich ist 7 . Die intellektuelle
Bestimmung des Menschen ist nach de Libera das, was man „den Geist der
mittelalterlichen Philosophie" nennen sollte8. Die Formulierung ist deutlich
gegen Etienne Gilson gerichtet, der in seiner klassischen Studie „L'esprit
de la philosophie medievale" die mittelalterliche Philosophie als „Christliche
Philosophie" gedeutet hatte 9 . Mit diesem Begriff wollte Gilson zum Aus-
druck bringen, daß die Eigenart der Philosophie im Mittelalter nicht erklärt
werden kann, ohne den Einfluß der christlichen Offenbarung zu berücksich-
tigen.
Zweitens: Hadots Mittelalterbild ist gewissermaßen von Gilson, oder ge-
nauer: durch ein Paradox in dessen Konzeption, beeinflußt worden. Der
Begriff der „Christlichen Philosophie", der ursprünglich dafür gedacht war,
die Originalität der mittelalterlichen Philosophie zu charakterisieren, ist bei
Gilson immer mehr zu einem Ausdruck der instrumentellen Funktion der
Philosophie im Dienst der christlichen Theologie geworden 10 . Andererseits
kritisiert Hadot Gilsons Konzeption. Jener versucht, „die Wirklichkeit der
christlichen Philosophie" dadurch nachzuweisen, daß die mittelalterliche Phi-
losophie das antike Denken unter dem Impuls des Christentums transfor-
miert hat; sie führt neue Konzepte und Lehren ein. Nach Hadot ist diese
Konzeption zu beschränkt, weil sie völlig die existentielle Dimension der
Philosophie ignoriert 11 . Gilsons Idee einer „Christlichen Philosophie" hat die
Frage nach der Philosophie als Lebensweise außer Betracht gelassen.
Wir sind jetzt gespannt auf Steels Stellungnahme. In seinem Erfurter Vor-
trag kritisiert er de Liberas Annäherung und lehnt dessen Behauptung ab,
die Professoren in der Artes-Fakultät verkörperten den wahren „Geist" der
mittelalterlichen Philosophie. Sie sind Steel zufolge von historischem, nicht
von philosophischem Interesse. Theologen wie Thomas von Aquin haben
einen unvergleichbar größeren Beitrag zur Geschichte der abendländischen
Philosophie geleistet als alle magistri in den Artes. Jedoch übernimmt Steel
nicht Gilsons Konzeption, zumal er ausdrücklich danach fragt, wie sich die
Theologen zum Philosophieideal verhalten haben.

7 Boethii Daci Opera ... Opuscula (Corpus Philosophorum Danicorum Medii Aevi 6.2), ed.
N. G. Green-Pedersen, Kopenhagen 1976, 377: „Philosophum autem vorn omnem homimm viventem
secundum rectum ordinem naturae, et qui acquisivit optimum et ultimum ftnem vitae humanae".
8 A. de Libera, La philosophie medievale, Paris 1989, 2 1992, 124.
9 E. Gilson, L'esprit de la philosophie medievale, Paris 1969 (1. Aufl. 1932). De Libera selbst
stellt den Gegensatz zu Gilson in einem Aufsatz dar: Les etudes de philosophie medievale
en France d'Etienne Gilson ä nos jours, in: R. Imbach, A. Maierü (eds.), Gli Studi di Filosofia
Medievale fra Otto e Novecento, Rom 1991, 21 - 3 3 .
10 Cf. J. F. Wippel, Thomas Aquinas and the Problem of Christian Philosophy, in: Metaphysical
Themes in Thomas Aquinas, Washington, D. C. 1984, 1 — 33; G. Prouvost, Les relations
entre philosophie et theologie chez E. Gilson et les thomistes contemporains, in: Revue
thomiste 94 (1994), 4 1 3 - 4 3 0 .
11 P. Hadot, Qu'est-ce que (supra Anm. 3), 388.

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Mittelalterliche Philosophie: ein unmögliches Projekt? 15

Thomas von Aquin verwirft radikal die Ansicht, es gebe einen philosophi-
schen Weg zur menschlichen Glückseligkeit. In langen Auseinandersetzungen
mit griechischen und arabischen Philosophen im dritten Buch der „Summa
contra Gentiles" legt er dar, daß alle ihre Versuche, in diesem Leben die
Glückseligkeit durch die Erkenntnis „der göttlichen Dinge" zu erreichen,
vergeblich sind. Das antike Ideal des philosophischen Lebens sei eine Un-
möglichkeit. In dieser Hinsicht, so schließt Steel, scheint mittelalterliche Phi-
losophie ein unmögliches Projekt zu sein 12 .

Die von Hadot angeregte Diskussion berührt einen wesentlichen Punkt:


die Transformation der Philosophie im Mittelalter. In meinem Vortrag
möchte ich diesen Prozeß genauer untersuchen. Die Analyse geschieht in
drei Schritten. Um die Natur der Transformation besser zu verstehen, ist es
zunächst angebracht, die Aufmerksamkeit auf den „Lehrmeister" des Mittel-
alters zu richten, Boethius. Danach werde ich Thomas' Kommentar zu einer
Schrift des Boethius, „De trinitate", betrachten, weil sein Kommentar die
Distanz zum boethianischen Philosophieverständnis dokumentiert und den
geänderten Status, den die Philosophie im 13. Jahrhundert erhalten hat, zeigt.
Schließlich werde ich der Frage nachgehen, ob von der thomasischen Per-
spektive her die Transformation der Philosophie notwendig ihre Unmöglich-
keit einschließt.

II. B o e t h i u s : D i e G r u n d l a g e n der l a t e i n i s c h e n P h i l o s o p h i e

Im 12. Jahrhundert hat Peter Abaelard Boethius als „den größten Philoso-
phen der Lateiner" („maximusphilosophus Latinorum") gefeiert 13 . Ein moderner
Historiker ist vielleicht zu denken geneigt, daß Abaelard wie üblich übertreibt,
aber seine Bezeichnung ist nicht unzutreffend, wenn man die Hinzufügung
„der Lateiner" in Rechnung stellt. Boethius hat die Grundlagen der mittelal-
terlichen, d. h. lateinischen Philosophie gelegt 14 .
Philosophie, nach Wort und Wesen griechisch, war im lateinischen Westen
ein Importgut. Remi Brague hat die interessante These vertreten, wesentlich
für Europa sei „die Kunst des Entleihens"; seine Quellen liegen außerhalb
seiner selbst 15 . Roger Bacon bestätigt im 13. Jahrhundert diese Sicht. „Die

12 C. Steel, Medieval Philosophy (supra Anm. 2), 171 - 1 7 2 .


13 Petrus Abaelardus, Theologia ,Scholarium', I, 199 (Opera theologica III, CC CM 13), eds.
E. M. Buytaert, C. J. Mews, Turnhout 1987, 404.
14 In den meisten Geschichten der mittelalterlichen Philosophie ist der Einfluß des Boethius
vernachlässigt worden. Zwei grundlegende Studien zu seinem Denken sind: L. Obertello,
Severino Boezio, 2 tom., Genua 1974; H. Chadwick, Boethius. The Consolations of Music,
Logic, Theology and Philosophy, Oxford 1981.
15 R. Brague, Das Studium der mittelalterlichen Philosophie als Teil einer Besinnung auf die
europäische Kultur, in: A. Speer (ed.), Philosophie und geistiges Erbe des Mittelalters (Köl-
ner Universitätsreden 75), Köln 1994, 5 3 - 6 5 .

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16 Jan A. Aertsen

Lateiner", bemerkt er, „besitzen keine theologischen oder philosophischen


Texte, es sei denn aus Fremdsprachen" 16 . Die Übersetzung der Grundtexte
war deshalb ein erstes Desiderat.
Boethius sah es als seine Sendung an, die Reichtümer der Philosophie an
die lateinische Welt zu vermitteln und so Ciceros Aufforderung, die Philoso-
phie von Griechenland nach Rom zu überführen, zu verwirklichen. Dazu
formulierte er ein hochstrebendes Programm: die Ubersetzung aller Werke
Piatons und des Aristoteles 17 . Obwohl Boethius nur einen Bruchteil dieses
Projekts verwirklichen konnte, hat er dennoch der mittelalterlichen Philoso-
phie eine erste materielle Grundlage verschafft durch seine Ubersetzungen
der logischen Schriften des Aristoteles, seine Kommentare zu ihnen und die
Schöpfung einer lateinischen Terminologie.
Durch ihre Uberführung von Griechenland in den lateinischen Westen trat
die Philosophie in eine Welt hinein, die nicht nur sprachlich verschieden war.
Sie trat in eine Welt, in der das Christentum zu einer gestaltenden Kraft
geworden war. Boethius' eigenes Werk spiegelt diese Lage wider; er ist auch
der Verfasser von fünf sogenannten „theologischen" Abhandlungen. Die
wichtigste ist die Schrift „De trinitate", die beabsichtigt, die christliche Lehre
von der Dreieinheit Gottes, nach Boethius „die Burg unserer Religion", ratio-
nal zu begründen 18 . Sein Vorbild ist, wie er angibt, Augustins Schrift „De
trinitate", aber die Vorgehensweise des Boethius ist verschieden von derjeni-
gen Augustins. Er will seine Argumente „den tiefsten Disziplinen der Philo-
sophie" („ex intimis philosophiae disciplinis") entnehmen 19 .
Es ist ein methodologischer Grundsatz, daß ein Gegenstand auf eine ihm
angemessene Weise betrachtet werden muß. Zur Vorbereitung seiner Darstel-
lung schickt Boethius deshalb eine Dreiteilung der theoretischen Philosophie
in Naturphilosophie, Mathematik und Theologie voraus, die auf Aristoteles'
Ausführungen im VI. Buch der Metaphysik (c. 1, 1036 a 18) zurückgeht. Der
Theologie ist es eigentümlich, daß sie von dem handelt, was nicht in Bewe-
gung und was „abstrakt", d. h. getrennt von der Materie, ist. Ihr Gegenstand
ist die unstoffliche Substanz Gottes. Theologie ist die höchste Disziplin in
der Ordnung der Wissenschaften — sie ist „Erste Philosophie" —, weil sie
die Form betrachtet, die reine Form und das Sein selbst ist 20 .

16 Roger Bacon, Opus tertium cap. 28 (Rerum Britannicarum Medii Aevi Scriptores [Rolls
Series] 15) ed. J. S. Brewer, London 1857, 102.
17 Boethius formuliert sein Programm in der „In librum Aristotelis Peri hermeneias Commen-
tariorum secunda editio" (ed. K. Meiser, Leipzig 1880, tom. 2, 79). Er verweist auf Ciceros
Aufforderung in den „Commentaria in Ciceronis Topica" V (PL 64, 1152 B).
18 Boethius, De fide catholica, in: Boethius, The Theological Tractates. The Consolation of
Philosophy, eds. H. F. Stewart, Ε. K. Rand u. S. J. Tester, Cambridge, Mass. 1973, 53: „De
qua velut arce religionis nostrae ...".
19 De trinitate, prol. (eds. Stewart e.a., 2 - 4 ) .
20 Ibid., c. 2 (eds. Stewart e.a., 8).

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Mittelalterliche Philosophie: ein unmögliches Projekt? 17

Die Theologie erhält bei Boethius eine neue Aufgabe, von der Aristoteles
nie geträumt hatte, nämlich den intellectus fidei, das rationale Verständnis der
göttlichen Dreieinheit. Was bedeutet das für das Verhältnis zwischen der
philosophischen Theologie und dem christlichen Glauben? Boethius reflek-
tiert nicht auf diese Frage; die implizite Voraussetzung in seiner Abhandlung
ist jedoch, daß die Betrachtungsweise der philosophischen Theologie der
Lehre von der Trinität angemessen ist. Seine Darstellung suggeriert die Iden-
tität einer auf Offenbarung und einer auf Vernunft gegründeten Erkenntnis.
„Theologie" steht bei Boethius in Beziehung zum höchsten Vermögen der
menschlichen Vernunft.
Boethius hat durch sein einflußreichstes Werk „ D e consolatione philoso-
phiae" das Philosophiebild im Mittelalter nachhaltig geprägt 21 . Es ist ein per-
sönliches Dokument, aber zugleich eine summa der antiken Philosophie. Die
Trostschrift bezweckt eine Therapie, die auf die Heilung des Menschen zielt.
Frau ,Philosophie' erscheint als eine Ärztin, die eine Diagnose des Patienten
stellt und ihm das letzte Ziel aller Dinge und seine wahre Natur in Erinne-
rung bringen will 22 .
Wenn am Anfang des dritten Buches ,Philosophie' ankündigt, sie wolle
Boethius „zur wahren Glückseligkeit" führen, spricht sie das Hauptthema
der klassischen Philosophie an. Nach Hegel (in seinen Vorlesungen über die
Geschichte der Philosophie) ist das allgemeine Prinzip der gesamten Philoso-
phie vor Kant die Glückseligkeitslehre. Und Augustin schreibt in seinem
Werk „De civitate Dei": „Nichts anderes treibt den Menschen zum Philoso-
phieren als das Verlangen nach Glückseligkeit, und glückselig macht ihn nur
das höchste Gut" 2 3 . In Kontinuität mit dieser Tradition behauptet Boethius,
daß alle Bestrebungen des Menschen nur nach einem einzigen Ziel trachten,
der Glückseligkeit. Sie ist das höchste Gut, in dem alle andern Güter enthal-
ten sind 24 .
,Philosophie' legt dar, das vollkommene Gut sei nicht nur ein Konzept,
sondern eine Wirklichkeit. Ihr stark vom Piatonismus geprägtes Argument
lautet: Alles, was unvollkommen ist, heißt „unvollkommen" aufgrund einer
Minderung des Vollkommenen. Daher muß es in jeder Gattung, in der es
ein Unvollkommenes gibt, auch ein Vollkommenes geben. Nun ist klar, daß
es eine unvollkommene Glückseligkeit in einem vergänglichen Gut gibt. Also
muß es eine vollkommene und beständige Glückseligkeit geben. In einem
nächsten Schritt identifiziert ,Philosophie' dieses höchste Gut mit Gott. „ D a
sich nichts denken läßt, was besser wäre als Gott, wer könnte dann zweifeln,

21 Cf. P. Courcelle, La consolation de philosophie dans la tradition litteraire, Paris 1967.


22 D e consolatione philosophiae I, 6 (eds. Stewart e.a., 166 — 170).
23 Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie II (Sämtliche Werke 18), ed.
H. Glockner, Stuttgart 1928, 147. Augustinus, D e civitate Dei X I X , 1 ( C S E L 40,2), ed.
E. Hoffmann, Wien 1900. Cf. G. Bien (ed.), Die Frage nach dem Glück, Stuttgart - Bad
Cannstatt 1978.
24 Boethius, D e consolatione philosophiae III, 2 (eds. Stewart e.a., 232).

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18 Jan A. Aertsen

daß dasjenige gut sei, über das hinaus es kein Besseres gibt?" Denn wäre
Gott nicht so beschaffen, so könnte er nicht der Ursprung aller Dinge sein.
Das höchste Gut und die wahre Glückseligkeit müssen deshalb in Gott gele-
gen sein; oder richtiger gesagt, sie sind Gott selber 25 .
Aus diesem Argument zieht Boethius einen weiteren Schluß. Da die Men-
schen durch Erlangen der Glückseligkeit glückselig werden, die Glückseligkeit
aber die Gottheit selber ist, so ist klar, daß sie durch Erlangen der Gottheit
glückselig werden. Jeder glückselige Mensch ist daher Gott, obwohl es von
Natur nur einen einzigen Gott gibt. Doch nichts hindert, daß es durch Teil-
habe mehrere Götter gibt 26 . Die Trostschrift des Boethius belegt eindrucks-
voll das platonische Philosophieideal, das in dem homo divinus besteht, der
Vergöttlichung des Menschen.
Boethius' Einfluß erreichte seinen Gipfel im 12. Jahrhundert, das von
M.-D. Chenu als die aetas Boetiana bezeichnet worden ist 27 . In diesem Zeitalter
wurden die „Consolatio philosophiae" sowie die Schrift „De trinitate" viel-
fach kommentiert, insbesondere in der Schule von Chartres. Gemäß der boe-
thianischen Dreiteilung der Wissenschaften versteht Thierry von Chartres die
„Theologie" als die philosophische Disziplin, welche „die Gesamtheit der
Dinge" betrachtet, insofern sie „einfach", d. h. im göttlichen Prinzip, sind 28 .
Die Kommentatoren des 12. Jahrhunderts teilten die Voraussetzung des Boe-
thius, daß die philosophisch-theologische Betrachtungsweise der Lehre von
der Trinität angemessen ist. Ihr Interesse gilt nicht der Abgrenzung einer
auf Offenbarung und einer auf philosophischer Argumentation beruhenden
Erkenntnis, sondern der Einheit beider.
Zusammenfassend: Boethius gab der mittelalterlichen Welt eine philoso-
phische Orientierung mit Bezug auf zwei grundlegende Themen, die Frage
nach der menschlichen Glückseligkeit und die rationale Begründung christli-
cher Lehren, wie der Dreieinheit Gottes. Sein Philosophieverständnis und
sein dauerhafter Einfluß zeigen, daß der Aufstieg des Christentums als sol-
cher nicht die Umformung der Philosophie im Mittelalter erklärt, wie Hadot
behauptet. Es ist nicht von ungefähr, daß in seiner Darstellung die boethiani-
sche Tradition völlig abwesend ist. Es stellt sich heraus, daß der Transforma-
tionsprozeß komplexer ist.

25 Ibid., III, 10 (eds. Stewart e.a., 2 7 4 - 2 7 8 ) .


26 Ibid., III, 10 (eds. Stewart e.a., 280).
27 M.-D. Chenu, La theologie au douzieme siecle, Paris 1957, 142 — 158. Zum Einfluß des
Boethius siehe die gute Bibliographie in Stephan Gersh, Middle Platonism and Neoplaton-
ism in the Latin Tradition, tom. 2, Notre Dame, Ind. 1986, 6 4 7 - 6 5 1 .
28 Thierry von Chartres, Lectiones in Boethii librum De Trinitate II, 7 - 8 (ed. Ν. M. Häring,
Commentaries on Boethius by Thierry of Chartres and his School, Toronto 1971, 156).
Zum Theologieverständnis des Thierry, cf. Α. Speer, Die entdeckte Natur. Untersuchungen
zu Begründungsversuchen einer ,scientia naturalis' im 12. Jahrhundert (STGMA 45), Lei-
den - New York - Köln 1995, 2 8 2 - 2 8 8 .

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Mittelalterliche Philosophie: ein unmögliches Projekt? 19

III. Der K o m m e n t a r des T h o m a s von A q u i n


zu B o e t h i u s ' „De t r i n i t a t e " :
Die T r a n s f o r m a t i o n der P h i l o s o p h i e im 1 3. J a h r h u n d e r t

Das boethianische Zeitalter enthielt in sich den Anfang seines Endes in-
folge einer neuen Welle von Ubersetzungen, die neue philosophische Hori-
zonte — das ganze corpus anstotelicum und das arabische Denken — eröffnete.
Das 13. Jahrhundert stellt eine Wende in der Geschichte der mittelalterlichen
Philosophie dar. Ein äußeres Zeichen der Distanz zu Boethius ist die Tatsa-
che, daß dieses Jahrhundert keinen einzigen Kommentar zur „Consolatio"
hervorbrachte29. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts verfaßte Johannes von
Dambach eine Trostschrift nach dem Vorbild des Boethius, aber der Titel
seines Werkes ist aufschlußreich: „Consolatio theologiae" 30 .
Einen guten Einblick in die Wende des 13. Jahrhunderts bietet der Kom-
mentar des Thomas von Aquin zu Boethius' Abhandlung „De trinitate".
Diese Abhandlung war aus der Mode gekommen; Thomas war in diesem
Jahrhundert der einzige, der sie kommentierte31. In seinem Kommentar (in
der Form von quaestiones) zeigt sich ein anderes Philosophiekonzept als das
boethianische.
Was im Prolog des Kommentars des Thomas am meisten ins Auge springt,
ist seine Betonung des Gegensatzes zwischen den philosophi und theolog. Ihre
Betrachtungsweisen, so legt er dar, sind ganz verschieden. „Die Philosophen,
welche der Ordnung der natürlichen Erkenntnis folgen, stellen die Wissen-
schaft von den Geschöpfen dem Wissen von Gott voran [...]. Aber die
Theologen gehen in umgekehrter Ordnung vor in der Weise, daß die Betrach-
tung des Schöpfers der Betrachtung des Geschöpfs vorangeht". Der letzteren
Ordnung ist nach Thomas Boethius gefolgt, indem er den Ursprung aller
Dinge, nämlich die Trinität Gottes, zum Ausgangspunkt seiner Untersuchung
gemacht hat 32 . Thomas' Einschätzung des Boethius als Theologen ist überra-
schend, weil jener vielmehr von der aristotelischen Einteilung der Philosophie
ausgegangen war. Sie ist eine Umdeutung, zu der ein Denker des 13. Jahrhun-
derts genötigt war, wenn er dasjenige, was bei Boethius selbst noch eine
Einheit bildete, einander gegenüberstellt.

29 P. Courcelle, Etude critique sur les commentaires de la Consolation de Boece, in: Archives
d'histoire doctrinale et litteraire du moyen äge 14 (1939), 95 — 96.
30 Cf. A. Auer, Johannes von Dambach und die Trostbücher vom 11. bis zum 16. Jahrhundert,
Münster 1928.
31 M. Grabmann, Die theologische Erkenntnis- und Einleitungslehre des hl. Thomas von
Aquin auf Grund seiner Schrift ,In Boethium de trinitate'. Im Zusammenhang der Scholastik
des 13. und beginnenden 14. Jahrhunderts dargestellt, Fribourg 1948.
32 Thomas von Aquin, Super Boetium De trinitate, prol. (Opera omnia 50), Ed. Leonina, Rom
1992, 75: „Philosophi enim, qui naturalis cognitionis ordinem sequntur, preordinant scientiam de creatuns
scientie diuine, scilicet naturalem metaphisice, set apud theologos proceditur econuerso, ut creatoris consideratio
consideratione, preueniat creature. Hunc ergo ordinem sequtus Boetius, ea que sunt ftdei tractare intendens,
in ipsa summa rerum origine principium sue considerationis instituit, sälicet trinitate unius simplicis dei".

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20 Jan A. Aertsen

Der Gegensat2 zwischen philosophi und theologi wirkt sich auf die zwei ein-
führenden Quästionen des Kommentars aus. Die erste quaestio, welche „die
Erkenntnis des Göttlichen" {de divinorum cognitione) zum Gegenstand hat, un-
tersucht kritisch die Möglichkeiten der philosophischen Gotteserkenntnis.
Der abschließende vierte Artikel diskutiert eine Frage, welche die Abhand-
lung des Boethius unmittelbar berührt: „Kann der menschliche Geist durch
sich selbst zur Erkenntnis der göttlichen Trinität gelangen?"
Thomas spricht der menschlichen Vernunft diese Möglichkeit ab. „Daß
Gott dreifaltig und eins ist, ist bloß Gegenstand des Glaubens". Es gebe
keine „notwendigen" Argumente (der Ausdruck Anselms von Canterbury),
welche die Trinität demonstrativ erweisen können 33 . Der Grund dafür ist die
Überlegung, welche Thomas in seiner „Summa theologiae" „die Grundlage"
seiner Betrachtung Gottes nennt, daß die menschliche Vernunft nur von den
Geschöpfen, das heißt von den Wirkungen, zur Erkenntnis von Gott gelan-
gen kann. Was also der menschlichen Vernunft zugänglich ist, ist die Ursäch-
lichkeit Gottes. Daraus kann jedoch die Dreiheit der göttlichen Personen
nicht erschlossen werden, da die Kausalität der ganzen Trinität gemeinsam
ist. Durch die Kraft seiner natürlichen Vernunft kann der Mensch deshalb
nicht zur Erkenntnis der Trinität gelangen 34 . Mit diesem Schluß steht Tho-
mas nicht allein; er vertritt die im 13. Jahrhundert allgemeine Auffassung 35 .
Eine Konsequenz dieser Auffassung wird in der zweiten einführenden
Quästion ersichtlich, welche die manifestatio der Gotteserkenntnis zum Gegen-
stand hat. Im zweiten Artikel erhebt Thomas die Frage: „Kann es eine Wis-
senschaft (scientia) des Göttlichen geben?" Er unterscheidet zwei Arten von
„göttlicher Wissenschaft", die eine ist die, welche von den Philosophen über-
liefert worden ist, die andere ist die Wissenschaft derjenigen, die durch Glau-
ben am göttlichen Wissen teilhaben36. Diese Unterscheidung bringt eine
grundlegende Erneuerung des 13. Jahrhunderts zum Ausdruck: Die christli-
che Theologie wird zu einer von der Philosophie verschiedenen scientia^1.

33 Ibid., q. 1, art. 4 (Ed. Leonina, 89): „Dicendum, quodDeum esse trinum et unum est solum creditum,
et ttullo modo potest demonstratim proban, quamuis ad hoc aliquales rationes non necessarie nec multum
probabiles nisi credenti haberi possint".
34 Ibid., q. 1, art. 4 (Ed. Leonina, 90). Cf. Summa Theologiae I, q. 32, art. 1.
35 Cf. A. Stohr, Die Trinitätslehre des heiligen Bonaventura. Eine systematische Darstellung
und historische Würdigung, Münster 1923, 7 — 24; M. Schmaus, Der Liber Propugnatorius
des Thomas Anglicus und die Lehrunterschiede zwischen Thomas von Aquin und Duns
Scotus, Münster 1930, 1 3 - 4 6 .
36 Thomas von Aquin, Super Boetium D e trinitate, q. 2, art. 2 (Ed. Leonina, 95): „Et secundum
hoc de diuinis duplex scientia habetur: una secundum modum nostrum, qui sensibilium prinäpia acäpit ad
notificandum diuina, et sie de diuinis philosophi säentiam tradiderunt, philosophiam primam säentiam
diuinam dicentes; alia secundum modum ipsorum diuinorum, ut ipsa diuina secundum se ipsa capiantur,
que quidem perfecte in statu uie nobis est impossibilis, set fit nobis in statu uie quedam illius cognitionis
partieipatio et assimilatio ad cogniüonem diuinam, in quantum per fidem nobis est infusam inheremus ipsi
prime ueritatipropter se ipsam".
37 Cf. M.-D. Chenu, La theologie comme science au X I I I e siecle, Paris 3 1957; U. Köpf, Die
Anfänge der theologischen Wissenschaftstheorie im 13. Jahrhundert, Tübingen 1974.

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Mittelalterliche Philosophie: ein unmögliches Projekt? 21

Im Zeitalter der Universität findet „eine Wendung zur Theorie" (G. Wie-
land) statt. Diese für die Scholastik eigentümliche Entwicklung scheint Ha-
dots These eines Theoretisierungsprozesses im Mittelalter zu entsprechen,
hat jedoch einen anderen Grund als den von ihm behaupteten. Mehrere
Untersuchungen haben darauf aufmerksam gemacht, daß sich die Wendung
zur Theorie zuerst in den weltlichen Wissenschaften, wie der Jurisprudenz
und der Medizin, vollzog 38 . Die Entstehung der christlichen Theologie als
einer säentia ist selbst ein Ergebnis dieser Tendenz zur Verwissenschaftli-
chung, die durch die Rezeption der „Analytica Posteriora" des Aristoteles
verstärkt wurde.
Thomas arbeitet die Grenzziehung zwischen der Theologie der Philoso-
phen und der christlichen Theologie in der fünften quaestio seines Kommen-
tars aus, wo er Boethius' Einteilung der Philosophie und dessen Charakteri-
sierung der Theologie — sie betrachte die unstoffliche Substanz Gottes —
erörtert. Das Göttliche kann zweifach betrachtet werden, als das Prinzip aller
Seienden und als eine Natur in sich selbst. Auf die erste Weise wird das
Göttliche von den Philosophen betrachtet, weil die menschliche Vernunft
das Göttliche nur durch seine Wirkungen erkennen kann. Deshalb wird das
Göttliche in jener Disziplin behandelt, die das, was allen Seienden gemeinsam
ist, betrachtet, und deren Subjekt das Seiende als Seiendes ist. Die philosophi-
sche Theologie ist die als Seinswissenschaft verstandene Metaphysik. Das
Göttliche, insofern es in sich selbst subsistiert, ist nur erkennbar, insofern es
sich selbst offenbart. Es gehört deshalb zu einer anderen Theologie, der
„Theologie der hl. Schrift", deren Subjekt Gott ist 39 .
Die Ausführungen des Thomas gründen in der aristotelischen Wissen-
schaftslehre, gemäß welcher die Einheit einer Wissenschaft und ihre Unter-
schiedenheit von anderen Wissenschaften in dem „eigentümlichen Subjekt"
(proprium subiectum) dieser Wissenschaft besteht. Seine Unterscheidung zweier
Arten von Theologie enthält eine implizite Kritik an Boethius. Die Vorausset-
zung von dessen Abhandlung, die philosophisch-theologische Betrachtungs-

38 Cf. A. Birkenmajer, Le röle joue par les medicins et les naturalistes dans la reception d'Ar-
istote aux XIIC et XIII® siecles, in: La Pologne au 6C Congres International des sciences
historiques, Warschau 1950, 1 — 15; P.O. Kristeller, The School of Salerno, in: Studies in
Renaissance Thought and Letters, Rom 1956, 4 9 5 - 5 5 1 .
39 Thomas von Aquin, Super Boetium De trinitate, q. 5, art. 4 (Ed. Leonina, 154): „Huiusmodi
ergo res diuine, quia sunt principia omnium entium et sunt nichilominus in se nature complete, dupliciter
tract an possunt: uno modo prout sunt prindpia communia omnium entium, alio modo prout sunt in se res
quedam. [...] Unde et huiusmodi res diuine non tractantur a philosophis nisi prout sunt rerum omnium
principia, et ideo pertractantur in ilia doctrina in qua ponuntur ea que sunt communia omnibus entibus,
que habet subiectum ens in quantum est ens. Et hec säentia apud eos säentia diuina diätur. Est autem
alius (modus') cognoscendi huiusmodi res non secundum quod per effectus manifestantur, set secundum quod
ipse se ipsas manifestant. [...] Sic ergo theologia siue säentia diuina est duplex: una in qua considerantur
res diuine non tamquam subiectum säentie, set tamquam principia subiecti, et talis est theologia quam
philosophi prosequntur, que alio nomine metaphisica diätur; alia uero que ipsas res diuinas considerat
propter se ipsas ut subiectum säentie, et hec est theologia que in sacra Scriptura traditur".

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22 Jan A. Aertsen

weise sei der christlichen Lehre von der Trinität angemessen, erweist sich als
unrichtig.
Noch in einer dritten Hinsicht tritt im Kommentar des Thomas der Ge-
gensat2 zu den philosophi zu Tage. Anläßlich der Aussage des Boethius, „in
der göttlichen Wissenschaft müssen wir die [göttliche] Form selbst betrach-
ten", stellt Thomas die Frage (q. 6.4): „Kann dies durch irgendeine theoreti-
sche Wissenschaft geschehen?" Wie tiefgreifend diese Frage ist, ergibt sich
daraus, daß Thomas sie mit der Frage nach der menschlichen Glückseligkeit
verknüpft. „Gemäß den Philosophen" besteht das Glück des Menschen in
der Erkenntnis der unstofflichen Substanzen. Die Glückseligkeit muß ja in
der Tätigkeit des höchsten menschlichen Vermögens, der Vernunft, mit Be-
zug auf die höchsten Gegenstände bestehen. Nun ist die Glückseligkeit, von
der die Philosophen sprechen, eine Tätigkeit, die aus der Weisheit hervorgeht,
und Weisheit gehört zu den theoretischen Wissenschaften. Es scheint also
möglich zu sein, durch die theoretischen Wissenschaften das Göttliche selbst
zu betrachten 4 0 .
Thomas' Erwiderung auf die Frage zeigt die Transformation des Philoso-
phieverständnisses im 13. Jahrhundert. Er versucht, durch eine Analyse der
Struktur und der Bedingungen der scientia den Anspruch der Philosophie zu
widerlegen. Die Wissenschaft geht, sowohl beim Beweis von Sätzen wie auch
beim Auffinden von Definitionen, immer von etwas aus, das zuvor bereits
bekannt ist. Diese Vorkenntnis kann das Ergebnis eines vorangehenden Be-
weises sein, aber es ist unmöglich, auf diese Weise bis ins Unendliche vorzu-
gehen, da sich dann jegliche Wissenschaft verlöre; das Unendliche läßt sich
ja nicht durchschreiten. Jede Betrachtung der theoretischen Wissenschaften
wird daher auf einige „Erste" (prima) zurückgeführt, die nicht mehr durch
etwas anderes bekannt sind. Von dieser Art sind die unbeweisbaren Prinzi-
pien des Beweises sowie die ersten Begriffe des Verstandes, wie „Seiendes"
und „Eines" 4 1 .
Es ist bemerkenswert — ich komme darauf im letzten Teil meines Vortra-
ges zurück —, daß sich dieses Argument auf dieselben Gedanken gründet,
die Thomas in der aus der gleichen Zeit stammenden Schrift „De veritate"
(q. 1.1) für seine Darstellung der Transzendentalien verwendet. Auch dort

40 Ibid., q. 6, art. 4, obj. 3 (Ed. Leonina, 169).


41 Ibid., q. 6, art. 4 (Ed. Leonina 170): „In scientüs speculaßuis semper ex aliquo prius noto proceditur,
tarn in demonstrationibus proposiüonum, quam etiam in inuentionibus difftnitionum: sicut ex propositioni-
bus precognitis aliquis deuenit in cognitionem conclusionis, ita ex conceptione generis et differentie et causarum
rei aliquis deuenit in cognitionem speciei. Hie autem non est possibile in infinitum procedere, quia sic omnis
scientia periret, et quantum ad demonstrationes, et quantum ad diffmitiones, cum infinita non sit pertransire;
unde omnis consideratio scientiarum speculatiuarum reducitur in aliqua prima, que quidem homo non habet
necesse addiscere aut inuenire, ne oporteat in infinitum procedere, set eorum notitiam naturaliter habet. Et
huiusmodi suntprinäpia demonstrationum indemonstrabilia, ut ,omne totum est maius sua parte', et similia,
in que omnes demonstrationes scientiarum reducuntur, et etiam prime conceptiones intelkctus, ut entis, et
unius, et huiusmodi, in que oportet reducere omnes diffmitiones scientiarum predictarum".

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Mittelalterliche Philosophie: ein unmögliches Projekt? 23

weist er auf die Notwendigkeit der Vorkenntnisse, die Unmöglichkeit eines


unendlichen Fortschrittes und die Zurückführung auf „erste" Begriffe, wel-
che die transcendentia sind, hin.
In seinem Boethiuskommentar zieht Thomas aus dem Argument eine
Schlußfolgerung mit Bezug auf die Tragweite der philosophischen Erkennt-
nis. „Daraus erhellt, daß wir im Bereich der theoretischen Wissenschaften
[...] nur das wissen können, worauf sich jene naturhaft erkannten Prinzipien
erstrecken" 42 . Die ersten Begriffe des Verstandes, die transzendentalen Be-
griffe, erweisen sich als der Horizont der menschlichen geistigen Erkenntnis.
In der weiteren Darlegung seiner Antwort erwähnt Thomas noch eine
zweite Grundbedingung der Wissenschaft. Die geistige Erkenntnis des Men-
schen, auch die der ersten Prinzipien, ist immer von der sinnlichen Erfahrung
abhängig. Die Abhängigkeit von den phantasmata schließt grundsätzlich eine
Erkenntnis der Wesenheit der unstofflichen Substanzen aus. Durch das Sin-
nenfällige kann der Mensch zur Erkenntnis des Daseins dieser Substanzen
gelangen, aber er vermag nicht zu wissen, was sie sind. In den theoretischen
Wissenschaften kann das Göttliche nicht seinem Wesen nach betrachtet wer-
den 43 .
Dieser Schluß hat unmittelbar Konsequenzen für das philosophische
Lebensideal. Nach Thomas ist die Glückseligkeit, von der die Philosophen
sprechen, eine unvollkommene. Die vollkommene Glückseligkeit besteht in
der Schau der Wesenheit Gottes. Sie ist aber nicht durch eine theoretische
Wissenschaft zu erreichen, sondern wird „durch das Licht der (göttlichen)
Herrlichkeit" (lumen gloriae) sein 44 . Die Antwort des Thomas läßt keinen
Zweifel daran, daß die Philosophie nur eine unvollkommene Form des
menschlichen Glücks herbeiführen kann.
Zusammenfassend: Der Boethiuskommentar des Thomas macht klar, daß
die Entwicklung der christlichen Theologie zu einer von der Philosophie
verschiedenen scientia zu einer Transformation des Status der Philosophie im
13. Jahrhundert führt. Diese Umformung zeigt sich in den zwei Themen, die
für die Konzeption des Boethius grundlegend waren: der rationalen Begrün-
dung christlicher Lehren, wie der Trinität, und der Frage nach der menschli-
chen Glückseligkeit.

42 Ibid., q. 6, art. 4 (Ed. Leonina, 170): „Ex quo patet quod nihil potest sein in säentiis speculatiuis
[...] nisi ea tantummodo, ad quepredicta naturaliter cognita se extendunt".
43 Ibid., q. 6, art. 4 (Ed. Leonina, 170): „Et ideo per nullam säentiam speculatiuam potest säri de
aliqua substantia separata quid est, quamuis per scientias speculatiuas possimus säre ipsas esse".
44 Ibid., q. 6, art. 4 ad 3 (Ed. Leonina, 171): „Duplex est feliätas hominis: una imperfecta, que est in
uia; de qua loquitur Philosophus, et hec consistit in contemplatione substantiarum separatarum per habitum
sapientie, imperfecta tarnen, et tali qualis in uia est possibilis, non ut säatur ipsarum quiditas. Alia est
perfecta in patria, in qua ipse Deus per essentiam uidebitur et alie substantie separate; set hec feliätas non
ent per aliquam säentiam speculatiuam, set per lumen glorie". Cf. H. Kleber, Glück als Lebensziel.
Untersuchungen zur Philosophie des Glücks bei Thomas von Aquin, Münster 1988; D. J.
M. Bradley, Aquinas on the Twofold Human Good. Reason and Human Happiness in
Aquinas's Moral Science, Washington, D. C. 1997.

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24 Jan A. Aertsen

IV. M i t t e l a l t e r l i c h e P h i l o s o p h i e : Ein u n m ö g l i c h e s P r o j e k t ?

Was sind die Implikationen der Transformation der Philosophie? Heißt


das, daß mittelalterliche Philosophie ein unmögliches Projekt geworden ist?
Unter „mittelalterlicher" Philosophie verstehe ich hier, Carlos Steels Frage-
stellung folgend, vor allem das thomasische Denken, ohne dadurch suggerie-
ren zu wollen, daß die „mittelalterliche" Philosophie mit Thomas von Aquin
identisch ist. Der letzte Teil des Vortrages sucht eine Antwort auf diese Frage.
(1) Wenn wir den Ort der Philosophie in der mittelalterlichen Wissensordnung
mit demjenigen in anderen religiösen Kulturen, ζ. B. der islamisch-arabischen,
vergleichen, läßt sich ein auffallender Unterschied feststellen. Philosophie ist
ein integraler Teil der lateinischen Kultur und besitzt einen eigenen institutio-
nellen Ort innerhalb der Universität. Offensichtlich wird im Mittelalter das Phi-
losophieprojekt als eine legitime Tätigkeit betrachtet. Werfen wir einen Blick
darauf, wie Thomas von Aquin die Legitimität der Philosophie deutet.
Die Grundlage seiner Darlegung ist das menschliche Verlangen nach Wis-
sen. In verschiedenen Kontexten zitiert er den berühmten Eröffnungssatz
der Metaphysik des Aristoteles (980 a 21): „Alle Menschen verlangen von
Natur nach Wissen". Dieser Satz bringt etwas zum Ausdruck, das Thomas
als wesentlich für den Menschen ansieht. Gerade weil der Mensch Mensch,
ein vernunftbegabtes Lebewesen, ist, strebt er nach Erkenntnis als seinem
Ziel. Das Wissensverlangen ist „natürlich", das heißt in der menschlichen
Natur verwurzelt. Daß alle Menschen nach Wissen verlangen, ist nicht das
Ergebnis einer Umfrage, sondern vielmehr eine Aussage über das Wesen des
Menschen.
Dieser Aspekt wird von Thomas in seinem Kommentar zur Metaphysik
herausgearbeitet. Anders als Aristoteles bringt er mehrere Argumente für das
Verlangen nach Wissen herbei. Das erste gründet sich auf die Überlegung,
daß jedes Ding von Natur nach seiner Vollendung strebt. Etwas ist vollendet,
insofern seine inneren Möglichkeiten verwirklicht sind. Das dem Menschen
eigentümliche Vermögen ist die Vernunft. Durch seine kognitiven Vermögen
besitzt der Mensch Weltoffenheit, allerdings nur der Möglichkeit nach. Wis-
sen ist die Verwirklichung der natürlichen menschlichen Potentialitäten, die
Vollendung seiner Natur. Deshalb verlangen Menschen von Natur nach Wis-
sen 45 . Aus diesem Argument zieht Thomas den Schluß, daß jedes Wissen
gut ist, da Erkenntnis die Vervollkommnung des Menschen als Menschen ist,
die Erfüllung seines natürlichen Verlangens46.

45 Thomas von Aquin, In I Metaph., lect. 1, 2: „Cuius ratio potest esse triplex: Primo quidem, quia
unaquaeque res naturaliter appetit perfectionem sui. Unde et materia diätur appetere formam, sicut imperfec-
tum appetit suam perfecüonem. Cum igitur intellectus, a quo homo est id quod est, in se consideratus sit
in potentia omnia, nec in actum eorum reducatur nisi per säentiam, quia nihil est eorum quae sunt, ante
intelligere, ut diätur in tertio de Anima: sie naturaliter unusquisque desiderat säentiam sicut materia
formam".
46 Sentencia libri De anima I, c. 1 (Opera omnia 45, 1), Ed. Leonina, Rom 1984, 4.

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Mittelalterliche Philosophie: ein unmögliches Projekt? 25

Mit jenem Schluß stellt sich Thomas einer Tradition gegenüber, die in
monastischen Kreisen vorherrschend war. Diese auf Augustin zurückgehende
Tradition beklagt eine lasterhafte Wißbegierde im Menschen, die „Neugierde"
{curiositas). Bernhard von Clairvaux schreibt: „Es gibt Leute, die wissen wol-
len, nur um zu wissen, und das ist ekelhafte Neugierde" 47 . Curiositas ist die
Versuchung, Erkenntnis nur um der Erkenntnis willen zu suchen. Wissen ist
kein Ziel in sich, sondern soll dem menschlichen Heil und dem Glauben
dienstbar sein 48 .
Thomas, Aristoteles folgend, betrachtet jedoch das menschliche Verlangen
nach Wissen als „natürlich". Die Idee der lasterhaften Neugierde spielt in
seinem Werk keine Rolle. Im Teil der „Summa theologiae", der von der curiosi-
tas handelt, behauptet er, „das Studium der Philosophie sei an sich legitim
und lobenswert" 49 . Der Mensch wundert sich über die Dinge und verlangt
von Natur, ihre Ursachen zu erkennen.
(2) In seinem Kommentar zur Metaphysik führt Thomas noch weitere Argu-
mente für den Satz „Alle Menschen verlangen von Natur nach Wissen" an.
Das dritte Argument ist von besonderer Bedeutung, weil es das Wissenver-
langen mit einer Grundlehre des Neuplatonismus verbindet. Es ist für jedes
Ding erstrebenswert, mit seinem Prinzip oder Ursprung vereinigt zu werden,
denn darin besteht die Vollkommenheit jedes Dinges. Aus diesem Grund ist
die Kreisbewegung die vollkommenste Bewegung, weil sie das Ende mit dem
Anfang verbindet. Nun kann der Mensch durch seine Erkenntnistätigkeit mit
seinem Ursprung verbunden werden. Das letzte Ziel des Menschen, das heißt
seine Glückseligkeit, besteht mithin in dieser Einigung. Deshalb verlangt der
Mensch von Natur nach Wissen 50 .
Thomas gründet sein Argument auf die neuplatonische Lehre von der
Kreisbewegung der Wirklichkeit, die ein Grundmotiv seines Denkens dar-
stellt. Die Vollendung eines Dinges besteht in der Rückkehr zu demjenigen,
aus dem es hervorgegangen ist, dem Göttlichen. Ursprung und Ende, Prinzip
und Ziel sind identisch. In der Rückkehr der Dinge zum ersten Prinzip neh-
men die vernunftbegabten Geschöpfe eine Sonderstellung ein. Der Mensch
ist fähig, durch seine Tätigkeit sich selber Gott zuzuwenden. Seine Rückkehr

47 Bernhard von Clairvaux, Super Cantica Canticorum, Sermo 36 (S. Bernardi Opera II), eds.
J. Leclercq, C. H. Talbot u. H. M. Rochais, Rom 1958, 5: „Sunt namque qui sdre volunt eo fine
tantum, ut saant et turpis curiositas est".
48 Zum augustinischen Hintergrund dieses Wissenskonzeptes cf. J. A. Aertsen, Nature and
Creature. Thomas Aquinas's Way of Thought, Leiden — New York - Köln 1988, 3 3 - 4 0 .
49 Thomas von Aquin, Summa Theologiae I I - I I , q. 167, art. 1 ad 3.
50 In I Metaph., lect. 1, 4: „ Tertio, quia unicuique rei desiderabile est, ut suo prinäpio coniungatur; in
hoc enim uniuscuiusque perfectio consistit. Unde et motus anularis est peifectissimus, ut probatur octavo
Physicorum, quia finem coniungit principio. Substantiis autem separatis, quae sunt prinäpia intellectus
humani, et ad quae intellectus humanus se habet ut imperfectum ad perfectum, non coniungitur homo
nisi per intellectum: unde et in hoc ultima hominis felicitas consistit. Et ideo naturaliter homo desiderat
sdentiam".

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26 Jan A. Aertsen

vollzieht sich im Verlangen nach Wissen 51 . Die Kreisbewegung schließt sich


erst, wenn die erste Ursache aller Dinge erkannt wird.
Das letzte Ziel des Menschen besteht nicht in irgendeiner Gotteserkennt-
nis, sondern nur in der Schau der Wesenheit Gottes (visio Dei). Wie wir
gesehen haben, spricht Thomas in seinem Boethiuskommentar der menschli-
chen Vernunft die Fähigkeit ab, die Wesenheit der unstofflichen Substanzen
zu erkennen. Das Glück des Menschen kann deshalb nicht im philosophi-
schen Leben bestehen. Der Mensch gelangt nicht von Natur zu seinem letz-
ten Ziel, sondern nur durch Gnade 52 . Thomas zitiert die Schlußfolgerung
des Boethius in dessen „Consolatio", das menschliche Glück bestehe in der
Vergöttlichung, zustimmend, aber er fügt eine wesentliche Bedingung hinzu.
Es ist nicht aus eigener Kraft, daß der Mensch an der göttlichen Natur teilhat,
sondern durch eine Gnadengabe Gottes 53 .
Geht daraus hervor, daß die mittelalterliche Philosophie ein unmögliches
Projekt geworden ist? Die Antwort wäre bestätigend unter der Annahme, die
Konzeption von Philosophie als dem Weg zur Glückseligkeit sei normativ.
Aber was Philosophie ist und was sie vermag, ist durch die Philosophie selbst
zu bestimmen. Die Transformation im 13. Jahrhundert belegt die Geschicht-
lichkeit des Philosophiekonzeptes. Die menschliche Vernunft untersucht ihre
Möglichkeiten und unterscheidet zwischen dem, was sie wissen kann, und
dem, was sie nicht vermag. Das Ergebnis ist eine Selbstbegrenzung der Philo-
sophie. In Antwort auf Steels Fragestellung lautet daher meine These: das
Projekt der magistri in der Artes-Fakultät, die das philosophische Leben als
höchstes menschliches Gut proklamieren, ist unmöglich, „mittelalterliche"
Philosophie dagegen ein mögliches Projekt.
(3) In meinem Buch „Medieval Philosophy and the Transcendentals" habe
ich zu zeigen versucht, daß die Lehre von den Transzendentalien nicht eine
Theorie neben vielen anderen ist, sondern eine Einsicht in die eigentlich
philosophische Dimension des mittelalterlichen Denkens vermittelt. Meine
Konzeption der mittelalterlichen Philosophie als einer Art von Transzenden-
taldenken hat nicht jeden Rezensenten überzeugt 54 , aber die Frage nach der

51 Cf. Thomas von Aquin, Summa contra Gentiles III, 25. Zur wichtigen Rolle des Kreislaufge-
dankens im Denken des Thomas cf. J. A. Aertsen, Nature and Creature (supra Anm. 48),
4 2 - 4 5 , 3 7 4 - 3 8 4 ; id., Natur, Mensch und der Kreislauf der Dinge bei Thomas von Aquin,
in: A. Zimmermann, A. Speer (eds.), Mensch und Natur im Mittelalter (Miscellanea Media-
evalia 21), B e r l i n - N e w York 1991, 1 4 3 - 1 6 0 .
52 Super Boetium De trinitate, q. 6, art. 4 ad 5 (Ed. Leonina, 171).
53 Summa Theologiae I — II, q. 3, art. 1 ad 1; I — II, q. 112, art. 1: „Donum autem gratiae excedit
omnem facultatem naturae creatae: cum nihil aliud sit quam quaedam partiäpatio divinae naturae [...]
Sic enim necesse est quod solus Deus deificet". Cf. In De divinis nominibus c. 8, lect. 2, 761.
54 J. A. Aertsen, Medieval Philosophy and the Transcendentals. The Case of Thomas Aquinas,
Leiden —New York —Köln 1996. Cf. die Besprechungen von S.-Th. Bonino in: Revue Tho-
miste 105 (1997), 5 7 5 - 5 7 9 , und J.J. E. Gracia in: Recherches de Theologie et Philosophie
medievales 64 (1997), 4 5 5 - 4 6 3 .

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Mittelalterliche Philosophie: ein unmögliches Projekt? 27

Möglichkeit der mittelalterlichen Philosophie bietet, so stellt sich heraus, ein


starkes Argument für sie.
In seinem Kommentar zu Boethius' Schrift „De trinitate" fragt Thomas
(q. 6.4) nach der Tragweite der menschlichen Vernunft und den Grenzen der
wissenschaftlichen Erkenntnis. Wie wir festgestellt haben, zielt seine Refle-
xion auf das, was das Erste in der Ordnung der geistigen Erkenntnis ist.
Diese „Ersten" sind die transzendentalen oder allgemeinsten Begriffe; sie
bilden gleichsam den Horizont der menschlichen Vernunft.
Die Anfänge der Lehre von den Transzendentalien im 13. Jahrhundert sind
vor allem mit einem epistemologischen Interesse verbunden 55 . „Seiendes",
„Eines", „Wahres" und „Gutes" heißen die „Ersten", weil diese Begriffe
zuerst durch den Verstand erfaßt werden und in allen weiteren Begriffen
miteingeschlossen sind. Thomas' systematische Entfaltung der Transzenden-
talien in der Schrift „De veritate" belegt die kognitive Annäherung. Er berei-
tet seine Darstellung durch eine reflexive Analyse (resolutio) unserer Begriffe
vor, durch eine Rückführung auf einen ersten Begriff, „Seiendes", „ohne
welches nichts durch den Verstand erfaßt werden kann" 56 .
Die kritische Funktion der transzendentalen Begriffe zeigt sich noch in
einer anderen Quästion im Boethiuskommentar des Thomas. In q. 1.3 nimmt
er kritisch Stellung in der im 13. Jahrhundert geführten Debatte über das
Ersterkannte. Er wirft die Frage auf, die sich auf die Auffassung seines Kolle-
gen Bonaventura bezieht: „Ist Gott das Erste, das der Geist erkennt?" Tho-
mas verneint die Frage. Das Erste in der Ordnung der geistigen Erkenntnis
ist nicht das Transzendente, sondern dasjenige, was allen Dingen gemeinsam,
das heißt transzendental, ist 57 . Das absolut (simpliciter) Erste, das göttliche
Seiende, ist nicht das Erste in der kognitiven Ordnung. Die Transzendenta-
lienlehre des Thomas fungiert in dieser Hinsicht als eine Vernunftkritik.
Mittelalterliche Philosophie ist ein mögliches Projekt, weil sie sich der
menschlichen Erkenntnisverfassung kritisch bewußt ist. Daher ist die Trans-
formation des Philosophieverständnisses im 13. Jahrhundert nicht als ein
Sinnverlust zu betrachten. Im Gegenteil, eine philosophische Vernunftkritik
hat die Ansprüche des griechisch-arabischen Lebensideals auf das rechte,
menschliche Maß zurückgeführt. Der Weg zur menschlichen Glückseligkeit
vollendet sich nicht sola philosophia.

55 Cf. J. A. Aertsen, What is First and Most Fundamental? The Beginnings of Transcendental
Philosophy, in: J. A. Aertsen, A. Speer (eds.), Was ist Philosophie im Mittelalter? (supra
Anm. 2), 1 7 7 - 1 9 2 .
56 Thomas von Aquin, In I Sententiarum 8, 1, 3: „Primum enim quod cadit in imaginatione intellectus
est ens, sine quod nihil potest apprehendi ab intellectu".
57 Super Boetium De trinitate q. 1, art. 3 (Ed. Leonina, 87): „Et inter hec ilia suntpriora, queprimo
intellectui abstraenti occurrunt; hec autem sunt que plura compreendunt [...]; et ideo magis uniuersalia sunt
primo nota intellectui". Cf. ad 3 (88): „illa que sunt prima in genere eorum que intellectus abstrait a
phantasmatibus sint primo cognita a nobis, ut ens et unum'\

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28 Jan A. Aertsen

(4) Schließt jedoch die Hervorhebung der kritischen Bedeutung der Trans-
zendentalien nicht in sich ein, daß Philosophie primär eine Sache des spekula-
tiven Denkens ist? Hat Hadot dennoch recht, daß im Mittelalter die Rolle
der Philosophie zu der eines rein theoretischen Diskurses herabgesetzt
wurde? Die Mittelalterforschung dürfte diesen Eindruck verstärkt haben, weil
ihr Hauptinteresse zuerst die Metaphysik, dann die Logik und Semantik war.
Seit der „Rehabilitation der praktischen Vernunft" hat sich das Bild aber
geändert, und mehrere Studien haben die mittelalterliche Ethik in den Mittel-
punkt gerückt 5 8 .
Aufschlußreich für den Ort der Ethik im mittelalterlichen Denken ist Bo-
naventuras Einteilung der Philosophie gemäß einem dreifachen Wahrheits-
verständnis: Die Veritas rerum bezieht sich auf die Ursache des Seins, die Veritas
sermonum oder vocum auf den Grund des Verstehens, die Veritas morum auf
die Ordnung des Lebens 59 . Im allgemeinen gilt, daß die Zentralstellung des
Handlungswissens erst vor dem Hintergrund des Gedankens der Kreisbewe-
gung der Wirklichkeit verständlich wird. Für den Menschen bildet die Rück-
kehr zu Gott eine Aufgabe, welche die Rechtheit {rectitude) seines Strebens
und Lebens erfordert.
Was das thomasische Denken angeht, ist dargelegt worden, „es habe zwi-
schen Aristoteles und Kant keinen gewichtigeren Beitrag zur praktischen Phi-
losophie gegeben als den des Thomas von Aquin" 6 0 . Ein originelles Moment
in seiner Ethik, das besondere Beachtung verdient, ist ihre „transzendentale"
Grundlegung. Während „Seiendes" das Ersterfaßte schlechthin ist, ist der
erste Begriff der praktischen Vernunft das „Gute", denn alles, was handelt,
handelt eines Ziels wegen, das den Charakter des Guten hat. Auf diesen
Begriff gründet sich das erste Prinzip der praktischen Vernunft, das erste
Gebot des Naturgesetzes: „Das Gute ist zu tun und zu erstreben, das Böse
zu meiden" 6 1 . Gerade im Denken des Thomas zeigt sich, daß die Grundle-
gungsfunktion der Transzendentalien die praktische Dimension der Philoso-
phie nicht eliminiert.

58 Cf. B. Kent, Virtues of the Will. The Transformation of Bthics in the Late Thirteenth
Century, Washington, D. C. 1995, 19-34.
59 Collationes in Hexaemeron IV, 2 - 5 (Opera omnia V, 349). Cf. A.Speer, Triplex Veritas.
Wahrheitsverständnis und philosophische Denkform Bonaventuras (Franziskanische For-
schungen 32), Werl/Westf. 1987, bes. 4 8 - 5 2 .
60 W. Kluxen, Philosophische Ethik bei Thomas von Aquin, Mainz 1964, 244.
61 Thomas von Aquin, Summa theologiae I —II, q. 94, art. 2: „Sicut autem ens est primum quod
cadit in apprehensione simpliciter; ita bonum est primum quod cadit in apprehensione practicae rationis,
quae ordinatur ad opus: omne enim agens agit propter finem, qui habet rationem boni. Et ideo primum
prinäpium in ratione practica est quod fundatur supra rationem boni, quae est,Bonum est quod omnia
appetunt'. Hoc est ergo primum praeceptum legis, quod bonum est faäendum et prosequendum, et malum
vitandum".

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Was There Ever a „First Averroism"?

B . CARLOS BAZÄN (OTTAWA)

I.

The purpose of this paper is twofold. First, to emphasize the originality


of the doctrine of the agent intellect as faculty of the soul which is form of
the body, a thesis elaborated by Latin Masters during the first half of the
13th Century as a valid interpretation of Aristode's „De anima" III, 4 — 5.
Second, to challenge the expression „First Averroism", by which this doctrine
has been qualified, because this label obscures our understanding of the his-
torical significance and originality of the Ladn contribution to the aristotelian
tradition.
The expression „First Averroism" was proposed by D. Salman in 1937 to
define the thesis of the agent intellect as faculty of the soul 1 . Both the expres-
sion and its principal meaning were adopted by R.-A. Gauthier in many of
his works 2 , and by Alain de Libera 3 ; I myself used it as recendy as 1989 4 .
One of Salman's goals was to put into perspective the historical category of
„Latin Averroism", which he considered „equivocal" because it gives the false
impression that the only identifiable „Averroism" was the one represented by
Siger of Brabant and some other Masters of Arts who held, after 1265, that
the possible intellect is one for all humankind. Salman's other objective was
to show that the „influence" of Averroes was felt, without heterodox conse-
quences, much before 1265, because of the exegetical value accorded to Av-
erroes' commentaries.
The expression „Latin Averroism" is certainly ambiguous, but at least it
characterizes an interpretation of Aristode's „De anima" based on an authen-
tic averroistic doctrine. The pervasive influence of Averroes as „Commenta-

1 D. Salman, Note sur la premiere influence d'Averroes, in: Revue Neoscolastique de Philo-
sophie 40 (1937), 2 0 3 - 2 1 2 . Cf. also id., Jean de la Rochelle et l'Averro'isme latin, in:
AHDLMA XVI ( 1 9 4 7 - 1 9 4 8 ) , 1 3 3 - 1 4 4 .
2 R.-A. Gauthier, Notes sur les dibuts du premier averroi'sme, in: Revue des sciences philos.
et theol. [RSPT] LXVI (1982), 3 2 1 - 3 7 3 ; id., Le traite ,De anima et de potenciis eius' d'un
maitre es arts (vers 1225), in: RSPT LXVI (1982), 3 - 5 5 (voir p. 18); id., Preface, in: S. Tho-
mae Aq. Sententia libri De anima, ed. Leon. t. XLV-1 (1984), 22*; id., Anonymi Magistri
artium (c. 1 2 4 5 - 1 2 5 0 ) Lectura in librum De anima, Grottaferrata 1985, 20*.
3 A. de Libera, La Philosophie Medievale, Paris 1993, 384.
4 B. C. Bazän, On First Averroism and its Doctrinal Background, in: On Scholars, Savants
and their Texts, New York 1989, 9 - 2 2 .

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32 Β. Carlos Bazän

tor" par excellence cannot be denied, but it must be asked whether the
doctrine of the agent intellect as faculty of the soul can fairly be called „First
Averroism". The expression would be appropriate if the doctrine reflects an
averroistic thesis or, at least, if the Latin Masters, in expressing this doctrine,
thought naively to find unambiguous support for it in Averroes' Commen-
tary.
The search for an answer to this question must follow several lines of
inquiry. First of all, the authentic teaching of Averroes on the nature of the
agent intellect must be established; second, it must be asked whether the
doctrine in question was proposed by anyone prior to the Latin Masters, in
order to determine their originality; third, the arguments of the Latin Masters
should be analysed, distinguishing the theoretical foundation from the textual
evidence they advanced. Concerning the latter aspect, it must be determined
whether the doctrine was elaborated only after Averroes' writings were
known and it must be explained why and under what conditions some Latin
Masters put their thesis of the agent intellect as a faculty of the soul under
the sponsorship of Averroes. Finally, and together with this last question, it
must be asked whether the Latin Masters were aware of the authentic mean-
ing of Averroes' noetics or whether they were naive readers of his writings.
Concerning the first question, it is well known that for Averroes neither
the agent nor the material intellect is „ a n i m a " or „pars anime"b. Accordingly,
Aristotle's general definition of the soul, which can be predicated analogically
of the different species of soul, applies to the intellect(s) only equivocally6.
The properly human soul is the soul whose highest faculty is the imaginative
or cogitative power, called „intellect" by extension, because of its intrinsic
and necessary participation in abstractive knowledge 7 . The intellects (agent
and material), which are separate substances, have only an operational rela-
tionship with humans. They are, indeed, two distinct and equally eternal
separate substances, both unique for all humankind 8 , the difference being
that the material intellect is the lowest of all separate intelligences9. The

5
Averroes, In D e anima II 32, ed. Crawford, 178, v. 33 — 35: „non est anima neque pars anime".
Cf. II 21, 160 v. 9.
6
Ibid. II 7, 138 v. 18 — 19: „Perfectio enim in anima rationali et in aliis virtutibus anime fere dititur
pura equivocatione". Cf. II 21, 160 v. 25 — 27.
7
Ibid., III, 5, 387 v. 1 7 - 2 0 . In his interpretation of „De anima" 4 3 0 a 2 4 - 2 5 , Averroes hesi-
tates to say whether the intellectus passivus is the imaginative or the cogitative power, or
perhaps even the forms of imagination „secundum quod in eas agit virtus cogitativa hominis" (449
v. 173 — 175). In any case, it is the intellectus passivus, supreme sensitive faculty, which gives to
the human soul that is form of the body its specificity; cf. Ill 20, 454 v. 3 1 5 - 3 1 6 ; III 33,
4 7 6 - 4 7 7 v. 7 9 - 8 5 .
8
Ibid., III 18, 439 v. 73 — 74: „quamvis agens et reäpiens sint substanüe eterne"\ cf. 165, 87 v. 13 — 19;
III 4, 385 v. 57; III 5, 406 v. 5 5 6 - 5 6 5 ; III 18, 441 v. 3 0 - 3 5 ) . That Averroes held the unicity
of the agent intellect has never been questioned. The unicity of the material intellect is also
explicitly stated in the Long Commentary; cf. III 1, 380 v. 4 4 - 4 5 ; III 5, 401 v. 4 2 4 - 4 2 5 ;
III 5, 404 v. 5 1 4 - 5 1 7 ; III 5, 406 v. 576.
9
Ibid., III 19, 442 v. 63 — 64: „ultimus intellectus abstractorum in ordine est iste intellectus matenalis".

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Was There Ever a „First Averroism"? 33

terms used by Averroes to refer to the agent intellect leave no room for
doubt: he called it „intelligentia agens" and assigned to it as object of knowledge
the realm of pure forms 10 . Whatever the discrepancies he had with his prede-
cessors concerning the best way to explain the operational relationship be-
tween the separate intellects and individual human beings, and to account for
our participation in the act of knowledge, Averroes accepted a key premise of
their teaching: the agent intellect is a separate substance. Averroes' originality
was to formulate the same thesis for the material intellect and to explain the
operational relationship by means of a sophisticated theory concerning the
intelligible object (intellectum speculativum)11. In this respect, the expression
„First Averroism" does not seem to define properly the teaching of the Latin
Masters who taught that the agent intellect is a faculty of the human soul,
because this teaching is not an authentic averroistic doctrine.
As for the second question, namely whether the doctrine of the agent
intellect as a faculty of the soul was developed prior to our Latin Masters, it
can be stated that all previous commentators unanimously held that the agent
intellect is a separate substance. This is true not only with respect to the
authors who were directly available to the Latin Masters around 1240, but
also with respect to authors whose thought was indirectly available to them
through Averroes' Commentary.

II.

(a) For Theophrastus the agent intellect is transcendent by nature, al-


though some sort of operational immanence must be at the same time ac-
cepted, due to its role in the process of abstractive knowledge 12 . Nothing in
the surviving fragments of his works allows for consideration of the agent
intellect as a faculty of the soul. On the contrary, Theophrastus' main effort
was to explain how the intellect could be transcendent, essentially active and
eternal, while the activity that it renders possible in us is, however, intermit-
tent, subject to falsity and forgetfulness. The notions of mixture and connatu-
rality that he elaborated so carefully in Fragments XII and Ia do not suffice
to grant the agent intellect the status of a faculty of the soul. Theophrastus'
problem will torment interpreters for centuries to come: how to reconcile

10 Ibid., III 17, 436 v. 1 0 - 1 1 ; cf. Ill 19, 441 v. 2 5 - 2 6 . The agent intellect does not know the
inferior material forms (III 19, 441 v. 1 5 - 1 6 ) . Because its objects are pure forms, its intellec-
tual activity is pura actio (p. 442 v. 53 — 55), achieving perfect identity between knower and
object known (III 19, 443 v. 8 6 - 9 0 ) .
11 Cf. B. C. Bazän, Intellectum speculativum: Averroes, Thomas Aquinas and Siger of Brabant
on the Intelligible Object, in: Journal of the History of Philosophy, XIX, 4 (1981), 4 2 5 - 4 4 6 .
12 E. Barbotin, La theorie aristotelicienne de l'intellect d'apres Theophraste, Louvain 1954, 214.
Cf. also, B. C. Bazän, La etapa aporetica de la psicologia peripatetica, in: Cuadernos de
Filosofia, XII, 19 (1973), 6 1 - 8 9 .

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34 Β. Carlos Bazän

the transcendence of the intellect and the immanence of intellectual activity.


This unresolved problem is exactly what Averroes presented in his „Long
Commentary" 1 3 . T h e Latin Masters could certainly not have found in Av-
erroes' version of Theophrastus' thought the source for their doctrine of the
agent intellect as a faculty of the soul.
(b) T h e Latins had direct access to Alexander of Aphrodisias' „De intel-
lectu" (translated by Dominic Gundisalvi), and, through Averroes, indirect
access to Alexander's „De anima". Alexander was known not only for his
materialistic hylomorphism, but also for asserting that the material intellect
is a faculty of the soul. But what, according to him, is the nature of the agent
intellect? T h e „De anima" presents the active principle of knowledge as the
supreme intelligible, and as cause of the existence of intelligibility in lower
forms. From this property, Alexander concluded that the agent intellect was
the First Mover. T h e „De intellectu" presents the agent intellect as transcen-
dent and divine: as first intelligible, it actualizes the material intellect, making
it capable of accomplishing the act of abstraction 14 . Averroes' faithful ac-
count of Alexander's noetics confirms the separate nature of the agent intel-
lect 15 . In short, Alexander cannot have been the source of the Latin doctrine
of the agent intellect as a faculty of the soul.
(c) Themistius' „De anima" was translated by William of Moerbeke only
in 1267, but some of his ideas were known to the Latin Masters through
Averroes' Commentary. Themistius asserted the personal nature of the active
principle of knowledge in words that echoed faithfully Aristotle's „De ani-
ma": „Necesse ergo et in anima existere has differentias"^. Their personal nature
is shown from the fact that „in nobis est intelligere quando volumus"xl'. The agent
intellect, though divine in nature, is not God, the Prime Mover 18 . His
doctrine at first seems very close to the one held by the Latin Masters, but
deeper analysis shows fundamental differences. Although the agent and mate-
rial intellect are multiple and personal, they are not faculties of the soul which
is form of the body, but co-principles of separate and eternal substances 19 ,
and are related to each other as matter and form 2 0 . The true human self is
the formal principle of this substance: „esse enim mihi. ..activus intellecius"21. For

13
Averroes, In De anima III 5, 389 v. 5 7 - 3 9 1 v. 116.
14
Cf. P. Moraux, Alexandre d'Aphrodise, exegete de la noetique d'Aristote, Paris 1942, and
B. C. Bazän, L'authenticite du De intellectu attribue ä Alexandre d'Aphrodise, in: Revue
Philosophique de Louvain LXXI (1973), 468-487.
15
Cf. Averroes, In De anima III 36, 481—487. Averroes underlined the differences between
Alexander's two treatises.
16
Themistius, In De anima VI (ed. Verbeke, 2 2 3 - 2 2 4 , v. 77-86).
17
Ibid., 225 v. 19. This fact of experience will play an important role in Averroes' efforts to
explain the operational relationship between the separate intellects and human individuals.
,8
Ibid., 2 3 3 - 2 3 4 v. 8 2 - 8 8 .
19
Ibid., 227 v. 4 3 - 5 1 .
20
Ibid., 226, v. 2 3 - 2 5 .
21
Ibid., 229 v. 81—91. An analogous reduction of the self to the intellectual substance is
found, mutatis mutandis, in Avicenna, De anima I 3: „ipsa verissime est ego".

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Was There Ever a „First Averroism"? 35

Themistius the activity of the agent intellect is identical to its essence 22 , a


doctrine that raised even for him formidable difficulties. Indeed, if the agent
intellect were unique, all individual receptive intellects which are under the
influence of the agent intellect's activity would have to think the same objects.
If it were multiple, they would not be able to communicate, their possibilities
of thinking being limited to the essence of their corresponding agent intellect.
Themistius, consequently, felt forced to reintroduce a superior and unique
agent intellect, the primus illustrans, the source of all intelligibility that makes
intellectual communication possible between inferior intellectual sub-
stances 23 . In addition, the eternal and separate intellectual substances which
constitute our true selves are only temporally and operationally related to
individual human bodies, which in turn are corruptible substances composed
of matter and the highest of natural forms, namely a sensitive soul whose
highest power, the intellects passivus (mentioned by Aristotle in 430 a24 — 25),
is no other than the pars irascibilis et concupiscibilis that can obey reason (cf.
„Nicomachean Ethics" 1102bl3; 1103al—3) 2 4 . Themistius' dualistic posi-
tion is the closest to the doctrine of the Latin Masters (who themselves were
also dualists), except for the fact that, for the latter, the soul whose parts are
the agent and receptive intellects is also the form of the human body. Them-
istius' text, however, was not available until 1267. It is necessary then to
determine whether Averroes' version of Themistius' thought could have in-
spired the Latin doctrine of the agent intellect as a faculty of the soul that is
the form of the body. This is unlikely, because Averroes presented Themis-
tius' doctrines only to criticize them, particularly with respect to what Av-
erroes considered an incorrect explanation of the relationship between the
agent and receptive intellects and of the multiplicity and temporality of acts
of thought 25 . Averroes conveyed in his Commentary some of Themistius'
central theses: that the agent and receptive intellects are eternal separate
substances, that the result of their relationship (the intellectual activity) is
also eternal and separate, and that our true self is the agent intellect. But he
never attributed to Themistius the doctrine of a multiplicity of agent intel-
lects; on the contrary, he always assumed the thesis of the unicity of this
separate substance. Averroes' final coup was to show that Themistius' noetics

22 Themistius, In De anima VI (ed. Verbeke, 235 v. 5). Cf. G. Verbeke, Themistius, Cora-
mentaire sur le Traite de l'äme d'Aristote, Louvain 1957, XLIII. Our expose follows Ver-
beke's.
23 Ibid., 235 v. 7—11: „primus quidem illustrans est unus, illustrati et illustrantes (personal agent intel-
lects) plures...".
24 Ibid., 240 v. 2 6 - 2 4 1 v. 28. The assimilation of the nous pathetikos to the superior part of
the sensitive soul became classic in later commentators, though differences remained as to
which faculty should be considered the highest (irascibilis, imaginativa, cogitativä).
25 Cf. Averroes, In De anima III 5, 3 8 9 - 3 9 0 ; cf. I l l 5, 406 v. 5 5 6 - 5 7 4 . Averroes' criticism is
based on the assumption that both the agent and receptive intellects are eternal and unique
substances.

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36 Β. Carlos Bazän

could not escape the platonic consequence that addiscere est rememorari26.
Themistius, as presented by Averroes, cannot have been the source of the
Latin doctrine of the agent intellect as a faculty of the soul.
(d) The Arab philosophers and commentators will not hold our attention
for long, because the doctrine according to which the agent intellect is a
separate substance, unique for all mankind, was adopted by all of them. Such
is the case of al-Kindi (c. 800-866), whose „Letter on the Intellect" was
translated twice in the 12th century (by John of Seville and by Gerard of
Cremona) 27 ; it is also the case of al-Farabi (870 — 950), whose „De intellectu"
(transl. by D. Gundisalvi) states: „intelligencia agens, quam nominauit Aristoteles in
teräo tractatu libri de anima, est forma separata"28. For Avicenna (980—1037) the
agent intellect is a separate substance, unique for all mankind, and the last of
the Intelligences. Ibn Bajja's writings (Abubacher in Averroes' commentary;
Avempace for the Latins), were not directly known to the Latins, but in
Averroes' Commentary they could read that according to Ibn Bajja the agent
intellect was one and separate, and that he had problems concerning the
connection of this separate intellect with humans 29 . Finally, Gha2ali
(1058 — 1111), whose „Metaphysica" was translated around 1145, repeats Avi-
cenna's doctrine concerning a unique separate „intelligencia agens"30. Among
the Jewish thinkers, it is certainly not in the neoplatonic emanationism of
Isaac Israeli or Ibn Gabirol (Avicebron) that the Latin Masters would find
the doctrine of the agent intellect as a faculty of the soul. Had they known
the writings of Abraham Ibn Daoud (1110 — 1180), they would only have
found the same avicennian doctrine concerning the agent intellect 31 . Finally,
Moses Maimonides (1135 — 1204), whose „Guide for the Perplexed" was
translated in 1240, repeated the avicennian scheme of nine Intelligences plus
the agent intellect 32 . None of these authors could have provided the key to
interpreting the agent intellect as a faculty of the soul that is form of the
body. It can be added that, before the 13th century, even Latin thinkers,
as Dominicus Gundissalinus, embraced the avicennian notion of a Separate
intelligentia Agens33.

26 Ibid., III 20, 452 v. 2 5 7 - 2 6 0 .


27 Both edited by A. Nagy, Die philosophischen Abhandlungen des Ja'qüb ben Ishaq Al-Kindi
(BGPhMA 11,5), Münster 1897.
28 Al-Farabi, De intellectu et intellecto, ed. E. Gilson, in: AHDLMA IV (1929-1930), 121
v. 2 3 3 - 2 4 0 .
29 Cf. Averroes, In De anima III 5, 412 v. 7 2 9 - 7 4 2 .
30 Algazel, Metaphysica II 5, ed. Mückle, Toronto 1933, 183.
31 Cf. C. Sirat, La philosophic juive au Moyen Age, Paris 1983, 172.
32 E. Gilson, History of Christian Philosophy in the Middle Ages, New York 1955, 230; and
C. Sirat, op. cit. (nt. 31), 210. Cf. French transl. by S. Münk, Le Guide des egares, Paris
1 8 5 6 - 1 8 6 6 ; English transl. by S. Pines, The Guide of the Perplexed, Chicago 1963.
33 Cf. E. Gilson, Les sources greco-arabes de l'augustinisme avicennisant, in: AHDLMA IV
(1929 — 1930), 85, and N. Kinoshita, El pensamiento ftlosöfico de Domingo Gundisalvo,
Salamanca 1988, 9 8 - 1 0 1 . Edition by J. T. Mückle, The Treatise De anima of Dominicus
Gundissalinus, in: Medieval Studies II (1940), 2 3 - 1 0 3 .

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Was There Ever a „First Averroism"? 37

An important preliminary conclusion can be drawn: the doctrine of the


agent intellect as a faculty of the soul is an original contribution of the Latin
Masters to the reading of Aristode's De anima III, 4 — 5. The importance of
this contribution should not be minimized by a label such as „First Averro-
ism", which risks obscuring its originality.

III.

The doctrine appeared during the first three decades of the 13th century,
even before Averroes' writings were known or had a decisive influence. Latin
Masters of Arts, such as John Blund, and Theologians, such as Philip the
Chancellor (whose „Summa de bono" was written between 1228 and 1236,
and who quotes Averroes only once), held that the agent intellect is a power
of the individual soul. The theoretical foundation of this original thesis was
that the soul is not only forma corporis, but also a spiritual substance in itself,
a hoc aliquid capable of giving ontological support to both the receptive and
the agent intellects 34 . This position would be widely accepted in the faculties
of arts between 1235 and 1260. The Franciscan theologians also embraced
the thesis of the agent intellect as a faculty of the soul. It is found in the
Summa fratris Alexandri (compiled before 1250), which, though a composite
of various Franciscan authors, certainly reflects Alexander of Hales' thought.
The Summa asserts that „intellectus agens et intellectuspossibilis sunt duae differentiae
in anima rationali", and that this soul is form and substance in itself 35 . Alexan-
der's student and successor, John of Rochelle, whose „Tractatus de divisione
multiplici potentiarum animae" was written between 1233 and 1239, proba-
bly on the basis of his even earlier teaching in the Faculty of Arts, stated that
the agent intellect is „vis anime suprema" without invoking Averroes in sup-
port 36 . The doctrine also received support among the Dominicans. Albert
the Great makes it his own as early as 1242 (cf. infra).

34 Iohannes Blund, Tractatus de anima, n. 341, ed. Callus-Hunt, London 1970, 93: „intellectus
agens est vis anime apprehensiva rerum universalium abstrahendo eas ab acadentibus". Philippus Can-
cellarius, Ex Summa Philippi Cancellarii Quaestiones de anima (ed. L. Keeler), Münster i.
W. 1937, 21 — 22. In the Summa Duacensis, which is a reportatio of Philip's previous teaching,
the immortality of the soul is proven by the fact that the soul is the subject of both the
agent and receptive intellects; cf. Summa Duacensis (ed. P. Glorieux), Paris 1955, 44 — 45.
Cf. also pages 31 and 59 — 60 which present a double consideration of the soul as both form
and substance.
35 Summa fratris Alexandri, q. 49 (ed. Quaracchi II, 452 and 385). Cf. J. Rohmer, La theorie
de l'abstraction dans l'ecole franciscaine d'Alexandre de Hales ä Jean Peckam, in: A H D L M A
III (1928), 1 1 4 - 1 1 8 .
3(1 Iohannes de Rupella, Tractatus de divisione multiplici potentiarum animae II 20 (ed.
P. Michaud-Quantin), Paris 1964, 91. Concerning the date and sources of the Tractatus, cf.
ibid. 23 et 29. Averroes is quoted on page 129 v. 57. God is also an active principle of
intellection, but only with respect to intelligibles that are beyond the range of our natural
abstractive knowledge.

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38 Β. Carlos Bazän

(a) Reaction against the new doctrine was strong. Roger Bacon recounts
that at a general meeting of the University of Paris, the doctrine was de-
nounced as contrary to Aristode and to the teaching of both classical and
Christian thinkers: ,JBt sic intellectus agens, secundum majores philosophos, non est
pars animae, sed est substantia intellectiva alia et separata per essentiam ab intellectu
possibili... Non enim est dubium experto in philosophia quin haec sit sua [Aristotelis]
sententia, et in hoc omnes sapientes antiqui experti concordant. Nam universitate Parisiensi
convocata, bis vidi venerabilem antistitem dominum Gulielmum Parisiensem episcopum
felids memoriae coram omnibus sententiare quod intellectus agens non potest esse pars
animae, et dominus Robertus episcopus Uncolniensis etfrater Adam de Marisco et hujus-
modi majores hoc idem firmaverunt... Et sic nullo modo sequitur quod intellectus agens
sit pars animae, ut vulgus fingit"31. This quotation shows that the matter had
achieved enough importance to deserve public scrutiny by the whole corpo-
ration of masters before 1249 (the date of William of Auvergne's death); it
also shows that many masters were aware of the prevalent position in the
Aristotelian tradition, namely that the agent intellect is a separate substance,
and considered it to be Aristotle's authentic teaching (there is no mention
whatsoever of Averroes as supporting an opposite view). Bacon identified
some of the major Latin opponents to the doctrine of the agent intellect as
a faculty of the soul. William of Auvergne rejected it on the grounds of the
soul's simplicity and the identity between the essence of the soul and its
powers; but he also opposed Avicenna's theory of the Separate Intelligence
(which he considered to be the authentic Aristotelian teaching) on the
grounds that only God can be the agent intellect 38 . Robert Grosseteste also
rejected the doctrine of the agent intellect as a faculty of the soul and pro-
posed a theory of knowledge oriented „toward the Augustinian doctrine of
illumination" 39 . And, of course, there was Roger Bacon himself, who would
not have mentioned the incident had he not been himself an opponent
of the doctrine of the agent intellect as a faculty of the soul. It seems,
however, that Roger Bacon — according to Salman — went through a
first period during which he accepted that the agent intellect is a faculty

37 Roger Bacon, Opus majus, Pars II, cap. 5 (ed. J. H. Bridges), London 1900, t. Ill, 45, 47,
48; quoted by E. Gilson, Avicenne en Occident au Moyen Äge, in: AHDLMA XXXV
(1969), 1 0 2 - 1 0 3 ; cf. also Roger Bacon, Opus Tertium (cd. J. S. Brewer), London 1859,
74 — 75; quoted by T. Crowley, Roger Bacon. The problem of the soul in his philosophical
commentaries, Louvain-Dublin 1950, 25 nt. 43.
38 Guillelmus Alverniensis, De anima VII 4 (p. 2 0 7 - 2 0 9 ) ; VII 5 (p. 210); VII 6 (p. 2 1 1 - 2 1 2 ) ,
in Opera omnia, Paris 1674, t. II. The expression „augustinisme avicennisant" was proposed
(in 1929) by E. Gilson to characterize the symbiosis between Augustine's illumination and
Avicenna's noetics. Gilson was himself quite critical of the expression, cf. Avicenne en
Occident au Moyen Age, in: AHDLMA XXXV (1969), 99. Further criticism was presented
also by A. Masnovo, Da Guglielmo d'Auverge a S. Tommaso d'Aquino, Milan 1945, t. Ill,
128-147.
39 E. Gilson, History of Christian Philosophy in the Middle Ages, New York 1955, 264. No
writings of Adam de Marisco have yet been identified.

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Was There Ever a „First Averroism"? 39

of the soul 40 , after which he reversed his position, attributed this doctrine
to Averroes, and opposed to it what he considered to be the authentic Aristo-
telian position, namely that the agent intellect is a separate substance 41 (later
Roger Bacon identified the agent intellect with God) 42 .
How accurate was Bacon when he attributed to Averroes the doctrine of
the agent intellect as a part of the soul? There are, in Averroes' Commentary,
some texts that could have induced Bacon to think that for the Arab Master
the agent intellect was part of the soul. For example: „Et ideo dicet Aristoteles
post quod necesse est ponere in anima rationalϊ has duas dijferentias, scilicet virtutem
actionis et virtutempassionis" [III 4, 385 v. 54—56; cf. also III 17, 437 v. 26 — 27;
III 18, 437 v. 8 — 9]. But in all these texts Averroes just repeats a terminology
borrowed from Aristode's De anima (430 al3 —14). This other text can also
be added: „in anima sunt due partes intellectus, quarum una est redpiens ... alia autem
agens" [III 5, 406 v. 557 — 559]. But this passage can hardly be considered a
source for the doctrine of the agent intellect as a faculty of the soul that is
form of the body. The immediate context of the statement shows that, accord-
ing to Averroes, those „two parts" of the „soul" are in fact two separate
substances, unique for all humankind [cf. ibid. 404 v. 514 — 517; 406 v. 5 6 9 -
574; 407 v. 5 8 4 - 5 8 5 et 602-603]. If indeed Bacon used this text as a basis
for attributing to Averroes the doctrine of the agent intellect as a faculty of
the soul (and nothing in Bacon's writings allows us to confirm this hypothe-
sis), he would have done so without taking into consideration the context.
And if that was the case, the reason is not because he was unable to under-
stand Averroes (he was not a naive reader!) or because Averroes' authentic
position was too foreign to Latin minds (the thesis of a Separate Agent
Intellect was well known), but because quoting isolated texts out of context
was not unusual practice in those times. In any case, since Bacon did not
subscribe to the doctrine of the agent intellect as a faculty of the soul, his
writings could hardly be proposed as proof of the existence of a „First Aver-
roism". Are there any other authors whose work would fit more accurately
into this category? The answer to this question requires careful examination
of two other cases treated by Salman in support of his notion of „First

40 Roger Bacon, Questiones supra undecimum Prime Philosophie Aristotelis, in: Opera Hac-
tenus Inedita (Ο. Η. I) VII (ed. R. Steele), Oxford 1926, 1 1 0 v. 1 - 1 8 . Cf. also T. Crowley,
op. cit. (nt. 37), 165 nt. 7. Gilson has proved, however (History [nt. 39], 304), that the agent
intellect that is called „pars" of the soul is, according to Bacon, not an abstractive faculty,
but the power the substantial soul has to turn itself back on its own essence. Bacon's agent
intellect has only the name in common with Aristode's.
41 These are the three texts quoted by Salman and Crowley: „intellectus agens secundum Commenta-
torem est pars animae, secundum Alpharabium et secundum Anstotelem et Avicennam est aliquid aliud"
(Ο. Η. I., Χ, 299); „quocumque modo ponatur ibi agens, sive sit intelligentia utponunt omnesphilosophi
excepto Commentatore, sive sit pars animae ut ipse Commentator ponit super tertium De anima" (Ο. H.
I., XII, 59 — 60); „ponamus agentem esse intelligentiam separatam, sicut ponunt theologi et verum est"
(Ο. Η. I., XII, 11).
42 Cf. T. Crowley, op. cit. (nt. 37), 166; E. Gilson, History (nt. 39), 304.

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40 Β. Carlos Bazän

Averroism" (Albert and Adam de Bocfeld), and the analysis of the teachings
of the Masters of Arts up to 1260.
(b) Salman claimed that when Albert the Great proposed his doctrine of
the agent intellect as a faculty of the soul, he supported it on Averroes'
authority. For the claim to be legitimate, and for Albert's thought to fit into
the category of „First Averroism", two things are necessary: that Albert's
appeal to Averroes be neither ambivalent nor ambiguous, and that Albert not
be aware of Averroes' authentic position („First Averroism" being described
as a „naive reading" of Averroes). Neither of the conditions are met. When
Albert examined the nature of the agent intellect in his „Summa de creaturis"
(1242), he did place Averroes among those who were in favor of the doctrine
of the agent intellect as a faculty of the soul, but he also placed him among
those who supported the thesis of the separate agent intellect (the „videtur
quod sic" n. 20 is based on Averroes' Commentary on the „Metaphysics").
The appeal to Averroes is then ambivalent. Albert's own determinatio is, in
turn, ambiguous. He synthesized the different positions concerning the na-
ture of the agent intellect: some have denied its existence; some have iden-
tified it with a habitus·, others with the tenth Separate Intelligence, whose
relationship with our receptive intellect is similar to the one that exists be-
tween a superior Intelligence and the Cosmic Soul, „ita scilicet quod sicut anima
caeli movet caelum ita quod conformetur intelligentia agenti, ita etiam intellectus humanus
possibilis movet hominem ad hoc quod conformetur intelligentiae deämi ordinis: et hoc
modo fluunt bonitates ab intelligentia agente ad intellectum possibilem. Sed hoc nichil
horum dicimus; sequentes enim Aristotelem et Averroem, dicimus caelum non
habere animam praeter intelligentiam ... Similiter didmus intellectum agentem hu-
manum esse conjunctum animae humanae, et esse simplicem, et non habere intelligibilia,
sed agere ipsa in intellectu possibili ex phantasmatibus, sicut expresse dicit Averroes
in commento libri De anima"43. The first appeal to Averroes here is not ambigu-
ous, but it concerns only the animation of the celestial bodies. The second,
however, is ambiguous, because it is not clear whether Averroes is invoked
in support of all three claims — that the agent intellect is part of the soul,
that it is simple, and that it does not contain intelligibles in itself — or only
of the last. In my view, Averroes' authority is being invoked to support only
the abstractive function of the agent intellect [cf. In De anima III 18, 438
v. 36 — 46]. Proof of this is that when Albert formally asked, in the following
question, „utrum intellectus agens sit pars animae", the thesis is based exclusively
on theoretical grounds: the agent and receptive intellects derive from the two
ontological principles that constitute the rational soul considered as a spiritual
substance 44 . The human soul can be considered both in itself and in relation

43
Albertus Magnus, Summa de creaturis II (De homine), q. 55, a. 3 (ed. Borgnet, t. XXXV,
466 b).
44
Ibid., q. 55, a 4, part. 1 (ed. Borgnet, t. XXXV, 470): „intellectus agens est pars animaefluensab
eo quo est, sive actu; possibilis autem pars animae est fluens ab eo quod estt sive potentia

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Was There Ever a „First Averroism"? 41

to the body. In itself, the soul is a spiritual substance. In relation to the body,
it is a form (or rather a „perfectio", a term of less hylomorphic com-
mittment)45. As a spiritual substance, it is incorruptible 46 and must be com-
posed, not of matter and form, as material substances are, but of quod est
and quo est, principles of potentiality and actuality respectively47. The first
principle is the root of the possible intellect, the second of the agent intellect.
Besides, Albert was no naive reader of Averroes: he was aware, already in
1242, that for Averroes the unity of the intelligible object requires the unicity
of the intellect48. Under these circumstances, it seems quite dubious that
Albert can be considered a representative of „First Averroism". All possibility
of doubt is eliminated by Albert's De anima (written between 1254 and 1257),
where he denounced and opposed Averroes' doctrine on the unicity and
separateness of the receptive and agent intellects49. Albert's anthropology,
centered on the double consideration of the soul as forma et hoc aliquid, and
its corollary, the agent intellect as a faculty rooted in the soul as substance,
does not fit into the category of „First Averroism".
(c) Another example of „First Averroism" given by Salman is Adam of
Bocfeld, whose „Sententia De anima" reveals a massive and almost exclusive
influence of Averroes' „Long Commentary" 50 . Averroes' influence began
around 1240 and continued throughout the 13th century, but in itself does
not grant legitimacy to the expression „First Averroism". For the expression
to have meaning it must be established that an authentic averroistic doctrine
was consciously adopted in opposition to an Aristotelian one; or that what
was naively considered to be an authentic and original averroistic doctrine
was adopted by a master as his own; or, at least, that Averroes' authentic
interpretation of an ambiguous Aristotelian text was preferred over the inter-
pretation of other commentators. It might be argued that, concerning the
nature of the intellect as part of the soul, Adam fulfills the second of these
conditions because, naively, he thought that this was Averroes' position. But
such is not the case. Commenting 4 1 5 a l l —12 („de speculative autem intellectu
altera ratio est"), Adam showed himself to be perfectly aware of Averroes'

45 Ibid., q. 4, a. 1 (ed. Borgnet, t. XXXV, 34); cf. also ad 6 (ed. Borgnet, t. XXXV, 35); ad 15
(ed. Borgnet, t. XXXV, 37); q. 61, a. 2, arg. 32 (ed. Borgnet, t. XXXV, 530), and Ε. Gilson,
L'ame raisonnable chez Albert le Grand, in: AHDLMA XVIII (1943-1945), 2 4 - 2 5 .
46 Ibid., q. 7, a. 1 (ed. Borgnet, t. XXXV, 94).
47 Ibid., q. 7, a. 3 (ed. Borgnet, t. XXXV, 102).
48 Ibid., q. 57, a. 3 (ed. Borgnet, t. XXXV, 492): „Tertio quaeritur, Utrum unus et idem numero
intellect.us sit in omnibus animalibus rationalibus? Et videtur, quod sic quia 1. Diät Averroes super
tertium de Anima, quod una est species intellectus speculativus apud omnes homines". Albert also quotes
Averroes among the arguments contra.
49 Albertus Magnus, De anima III, tract. 2, c. 7 (Ed. Colon, t. VII/1, ed. C. Stroick, Münster
1968, 186 v. 5 9 - 6 1 ) and III tract. 3, c. 11 (221, v. 1 1 - 1 4 ) .
50 Cf. R.-A. Gauthier, Preface, in: S.Thomas Sententia libri De anima...(1984), 2 4 7 * - 2 5 1 *
(concerning the authenticity of the different versions of the Sententia attributed to Adam
of Bocfeld).

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42 Β. Carlos Bazän

interpretation, and he considered it to be quite remarkable: „intellectus aliam


habet rationem ab aliis partibus anime: uidetur enim, ut subdit Commentator, propter
sui nobilitatem quod intellectus speculatiuus non sit anima nec pars anime, set uirtus
nobilior. Et est ualde notabile"5X. There is no naivete here, but on the contrary,
perfect awareness of Averroes' authentic position. This must be taken into
consideration when analyzing the text proposed by Salman (and Gauthier) as
proof of Adam's „First Averroism". The text deals with a common question
for Masters of Arts at that time: utrum una et eadem sit substantia intellectus agentis
et possibilis. Aristoteles and Averroes are quoted in support of the thesis of
their substantial identity: „Et quod sic sit eadem substantia utriusque, non una intra
et alia extra, ut didtur in Secundo, uidetur ex hoc quod dicitur in littera quod ,necesse
est in anima has esse differentias'. Idem etiam perplures rationes potest confirmari, tam
secundum Aristotelem quam secundum Commentatorem". The opposite thesis, fa-
vored by the theologians, is also supported on the authority of Aristotle and
Averroes: „Et huius opinionis sunt multi theologi, qui dicunt intellectum agentem in
nobis esse intellectum Primi, qui quidem intellectus est lux uera ...Et hoc uidetur haben
ab Aristoteleper hoc quod diät intellectum agentem esse habitum ut lumen; similiter etiam
propter hoc quod uult hie, secundum Commentatorem, quod substantia intellectus agentis
est sua actio..."52. The appeal to Aristotle and Averroes is thus remarkably
ambivalent (as was the case with Albert), for both „authorities" provide argu-
ments ad utramque partem. This means that Adam had to solve the question
by a personal determination, and that the use of arguments in favor of the
substantial identity drawn from the „Long Commentary" does not imply that
Adam based his own theory of the agent intellect as a faculty of the soul on
Averroes. On the contrary, he knew that for Averroes the intellect was neither
the soul nor a part of the soul, as he knew that Averroes' (and Aristotle's)
texts could be used to support opposite doctrines concerning'the substantial
identity of the agent and material intellects. In short, Adam was just invoking
authorities to give textual evidence of the reasonableness of different posi-
tions, as the practice of disputatio required. Besides, Adam (and the other
masters) did not present the two authorities on equal footing: Aristotle (the
auctor) was always quoted first, Averroes (the commentator) second. The Arab
Master's Commentary was an interpretive tool that could and should be used
(even in favor of opposing doctrines). But neither allegiance to Averroes nor
clear attribution of a particular doctrine to Averroes can be inferred from
this ambivalent appeal to his writings: Adam is making dialectical use of
isolated passages from Averroes for his own purposes, especially passages in
which Averroes simply repeats Aristotle's words and which, taken out of
context, could very well serve the cause of someone who wanted to make

51 Adam of Bocfeld, In De anima (ms. Bologna Univ. 2344, f. 35r; Urb. lat. 206, f. 274r). Cf.
supra, nt. 5.
52 Adam of Bocfeld, In De anima (ms. Paris Nat. lat. 6319 f. 130vb), quoted by D. Salman, op.
cit. (nt. 1), 2 1 0 - 2 1 1 .

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Was There Ever a „First Averroism"? 43

of the agent and the recipient intellects faculties of the soul. Similar remarks
can be made concerning the substantial identity of the agent and material
intellects, for there are, in the „Long Commentary", passages that would
serve to support this thesis. For instance, III 20, 450 — 451 v. 214 — 222:
„quando quis intuebitur intellectum materiellem cum intellectu agenti, apparebunt esse duo
uno modo et unum alio modo. Sunt enim duo per diversitatem actionis eorum ... Sunt
autem unum quia intellectus materialis perfiritur per agentem et intelligit ipsum. Et ex
hoc modo diämus quod intellectus continuatus nobiscum, apparent in eo due virtutes,
quarum una est acüva et alia de genere virtutum passivarum". The context shows,
however, that the union is not a substantial one, but one between knower
and object known 53 . In short, Adam de Bocfeld, like many medieval authors,
quoted isolated passages for the sake of enriching the dispute. All these
passages needed to be interpreted; Adam's purpose, however, was not to
explain Averroes' commentary, but Aristotle's „De anima". In the economy
of his pedagogical approach, an isolated reference to Averroes could enrich
the discussion. No allegiance whatsoever to Averroes that would grant legiti-
macy to the expression „First Averroism" can be inferred from this practice.

IV.

(a) I will now argue that the doctrine stating the substantial unity of the
agent and receptive intellects as faculties of the soul was common doctrine
in the faculties of arts; that theoretical foundation of this doctrine was the
double consideration of the soul as forma et hoc aliquid, and that the appeal to
Averroes was only a tactical move at the textual level.
It has already been shown that at the very beginning of the 13th century,
even before Averroes was known to the Latins, John Blund (and John of la
Rochelle) taught the doctrine of the agent intellect as a faculty of the soul.
Later on, when Averroes was already known but the authority of Avicenna
was still predominant, Peter of Spain (who was Avicennian in many respects)
also taught (around 1240) that the agent intellect is a faculty of the soul,
without invoking in its support the authority of Averroes54. The Pseudo-
Peter of Spain, who knew Averroes quite well, wrote (before 1245?) a com-
mentary where he presented the doctrine of the agent intellect as a faculty
of the soul as deriving directly from Aristotle's „De anima", without making

53 R.-A. Gauthier (Anonymi, Lectura in librum De anima, Grottaferrata 1985, 471, nt. 350)
refers to this text as the source of the doctrine of the substantial identity between the agent
and material intellects. We have shown the equivocity of this reference; cf. B. C. Bazän,
Anonymi, Sententia super II et III De anima, Louvain 1997, 109*, nt. 308.
54 Petrus Hispanus, In I - I I De anima I 6 (ed. Alonso, Pedro Hispano, Obras filosoficas II,
Madrid 1944, 301 v. 7 — 11): „/» anima intellectiva sunt duepotentie ... Potentia autem qua est omnia
fieri appellatur intetlectus possibilis. Alia autem appellatur intellectus agens"\ cf. also ibid., 294 — 295;
II 8, 704 v. 6 - 1 1 .

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44 Β. Carlos Bazän

any reference to Averroes (whom he quotes often for other purposes)55.


The Anonymous Master of Arts, whose „Sententia super II —III De anima"
(Oxford, Bodleian lat. misc. c. 70) is probably the oldest witness (1246 — 1247)
of a course actually taught on the whole of Book III at a faculty of Arts,
presented his doctrine of the agent intellect as a faculty of the soul exclusively
as an Aristotelian thesis, one supported not by Averroes, but by consideration
of the soul's double status as forma et hoc aliquid56. These examples, and those
of the Theologians already quoted, suffice to prove that the doctrine was
an original contribution of the Latins, and did not evolve under Averroes'
influence.
(b) There are, however, some ambiguous cases which deserve closer scru-
tiny. First, there is the Anonymous author of the treatise „De anima et de
potenciis eius", written around 1225. We find in it the oldest expression of
the doctrine of the agent intellect as a faculty of the soul. According to
Gauthier, this treatise presents the doctrine not only in consequence of Av-
erroes' influence, but also as an authentic averroistic position57. There are,
of course, many isolated passages where Averroes simply repeats Aristode's
words, but in these cases anyone quoting them should be considered as a
follower of Aristotle, not of Averroes. The authentic averroistic meaning of
those passages (that the material and agent intellects are separate substances)
becomes clear only in the larger context and was not adopted by the masters.
However, anyone of them could, for practical reasons, quote Averroes out
of context in support of his own interpretation of „De anima". But did
the Anonymous author really invoke Averroes? He did not, and Gauthier
aknowledges the fact : ,,il ne le dit pas, mais il est facile de reconnaitre". But
it is not so obvious. The key text is the following: „Et in hoc errauit Auicenna,
quia posuit intellectum agentem separatum ab anima ... Set non est dubium hunc intellec-
tum esse potenciam anime, cum in potestate anime sit intelligere quando uult: ex hoc
enim sequitur quod etfantasmata sunt semper eipresentia, et intellectus agens qui abstrahlt
speäes a fantasmatibus est copulatus anime sicut potencia eius"5S. The words in
roman are certainly used by Averroes. For the expression „quando uult" Gau-
thier refers to a text that does not apply to the agent intellect, but to the
intellect in habitu [III 18, 438 v. 25 — 29]. The same words are again found in
a passage that, this time, applies to the agent intellect, but could never be
proposed as the source of the doctrine of the agent intellect as a faculty of

55 Ps.-Petrus Hispanus, In II - III De anima (ed. Alonso, Pedro Hispano, Obras filosoficas III,
Madrid 1952, 326 v. 8 — 15): „... agens, possibile, sunt in ipsa anima secundum Aristotekm"\ cf. also
ibid. 327 v. 2 8 - 3 2 8 v. 3.
56 Anonymus, Sententia super II —III De anima, III 3 (ed. Bazän, Louvain 1997, 338
v. 158 — 163): „in quantum est forma, sic unitur corpori, et ex unione ipsius cum corpore contrahit
intellectum possibilem ... in quantum autem anima est hoc aliquid, sic est motor corporis et sic debetur
sibi intellectus agens".
57 R.-A. Gauthier, Le traite ,De anima et de potenciis eius' op. cit. (nt. 2), 17.
58 Ibid., 5 1 - 5 2 v. 4 5 3 - 4 5 8 .

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Was There Ever a „First Averroism"? 45

the soul, because in it the true nature of the agent intellect as an eternal
substance, distinct from the material intellect, is apparent: „Et fuit necesse
attribuere has duas actiones anime in nobis, stilicet retipere intellectum et facere eum,
quamvis agens et redpiens sint substantie eterne" [III 18, 439 v. 71—74]. For the
word „copulatus", Gauthier refers to seven texts: in the first (III 5, 390,
v. 91—92) Averroes presents Themistius thought; in the second (III 5,
404 — 405, v. 512 — 527) Averroes does not speak of the „continuatio" of the
intellect {intellectus), but of the object known (intellectum), in perfect harmony
with his theory that the intellects are separate and human beings only partici-
pate in the activity of understanding by providing images; the same can be
said of the third text (III 5, 407 v. 592) except that it deals with the most
intelligible of the objects known (the first principles); the fourth and seventh
texts (ibid., 411 v. 703-705 and III 36, 499-500 v. 585-590, 596-598) are
classic passages where Averroes explains the relationship between the two
separate and unique intellects and our participation in (and consequent multi-
plication of) the activity of knowing by the intermediary of images; and the
sixth text (III 20, 444 v. 21 — 22) presents Alexander's noetics. In short, the
word „copulatus" as used by the Latin Master does not reflect any authentic
averroistic doctrine; it is simply a word taken out of context that the Master
did not hesitate in using to explain his own original doctrine of the agent
intellect as a faculty of the soul.
(c) Another ambiguous case is the Anonymous author of the „Lectura in
librum De anima" (1246—1247), edited by Gauthier. After explaining
430 alO, the Master examined the doctrine according to which the agent
intellect is God. He gave different arguments against this position, including
this one: „Item, Commentator uult quod intellectus possibilis corruptibilis est (in
quantum possibilis est, set separabilis est> secundum eius substandam, et idem est secun-
dum substandam cum intellectu agente". This again has been seen as an example
of „First Averroism". Averroes, however, is not quoted to support the
doctrine of the agent intellect as a faculty of the soul, but rather to oppose
the thesis that God is the agent intellect (for that purpose it suffices that the
agent intellect that is one in substance with the receptive intellect be a sepa-
rate substance). Besides, according to Averroes, the agent and the material
intellects are united not substantially, but by an act of knowledge, as has been
already shown. The dialectical nature of the quotation is confirmed by the
analysis of a second opinion according to which the soul is a hylomorphic
substance in which the receptive intellect plays the role of matter and the
agent intellect the role of form. The Master refuted this doctrine by recalling,
among other arguments, that „intellectus possibilis est quedam substanda completa,
et intellectus agens similiter"59. This is certainly closer to an authentic averroistic
doctrine than is the doctrine of the intellects as faculties of the soul, but it

59 Anonymus, Sententia super II —III De anima III 2, q. 5 (ed. Gauthier, Grottaferrata 1985,
470 v. 3 1 3 - 3 1 4 ) .

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46 Β. Carlos Bazän

does not support the claim that the doctrine of the agent intellect as a faculty
of the soul finds its origin in Averroes. When he finally gave his own opinion,
the Master stated that there is, between the agent and receptive intellects, a
substantial unity (and Averroes is again quoted in support of this thesis), but
this does not imply that the agent intellect is a faculty (pars) of the soul. On
the contrary: „Mud autem agens per quod reducitur intellectus possibilis ad actum est
agens intellectus, et non est aliud extra animam nec est pars anime, ut probatum est;
quare est anima tota"60. This very personal position does not fit the description
of „First Averroism", defined as the doctrine that makes of the agent intellect
a faculty of the soul on the grounds of Averroes' authority. It is only an
ambiguous position that uses averroistic statements taken out of context to
support a doctrine that is neither averroistic nor even Aristotelian, and that
goes against the teaching of most masters of Arts of the time.

V.

(a) Three more witnesses will be called to illustrate the teachings of the
Masters of Arts on the nature of the agent intellect around 1250. The first
is the anonymous author of the „Questiones super librum De anima" of ms.
Siena, Bibl. Com. L 111.21, f. 134ra-177ra. According to Gauthier 61 , this
text, probably of English origin, should be dated around 1250, because it
uses Grosseteste's translation of the Nichomachean Ethics (1247) and seems
to have been used by Albert in his De anima (1254). The close textual links
between the Siena Questiones and the Admont Questiones published by Venne-
busch, which were written around 1260, might suggest that the texts were
closer in time than Gauthier suggests 62 . What is important to underline is
that, contrary to Gauthier's opinion, the author of the Siena questiones was
not a naive reader of Averroes and knew that for Averroes the Material
Intellect is a separate substance, unique for all mankind 63 , which did not
prevent him from making extensive use of Averroes' Commentary as his
main interpretive tool. This Master, however, is not an example of „First
Averroism" because his teaching on the agent intellect is a complex doctrine

60 Ibid., III 2 (ed. Gauthier, 471 v. 344-346).


61 Cf. R.-A. Gauthier, Preface, in: S. Thomae Aq. Sententia libri De anima, 2 5 1 * - 2 5 6 * ; cf. also
M. Gardinali, Da Avicenna ad Averroe: Questiones super librum De anima, Oxford 1250
c.a., in: Rivista di storia della filosofia II (1992), 3 7 5 - 4 0 7 , and the excellent Tesi di Laurea
by Ms. Paola Bernardini, Universitä degli Studi di Siena, Facolta di Lettere e Filosofia,
1996-1997.
62 Cf. J. Vennebusch, Ein Anonymer Aristoteleskommentar des XIII. Jahrhunderts. Questiones
in tres libros De anima, Paderborn 1963. This dependence is far more extensive than Gau-
thier managed to show within the limits of his brief reference (op. cit. nt. 61, 261*-263*).
63 Anonymus, Questiones in librum De anima III, q. 2 (f. 177va): „utrum intellectus sit unus numero
in omnibus hominibus, secundum quod uult Commentator; uel non". Unfortunately, the text ends ex
abrupto a few lines below, leaving us without the answer.

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Was There Ever a „First Averroism"? 47

which does not fit into the category and because he did not invoke Averroes
in support of it. The theoretical foundation of the doctrine is the same as
that found in Masters of Arts discussed above, namely the Avicennian con-
ception of the intellective soul as a substance in itself and a perfection of the
body [I, q. 2, f. 136va: „substantia in se ... actus et forma corporis"·, II, q. 2,
f. 154vb: „consideratio de anima duplex est sicut diät Avicenna: ... simplex essentia in
se ... actus etpetfectio corporis"}. Because it is a spiritual substance [„intellectus est
hoc aliquid in se", f. 172vb], the soul must be a composite of spiritual matter
and form [I, q. 30, 1, f. 148vb], or of quod est and quo est [II, q. 45, f. 172va];
it cannot be generated from matter but requires divine creation [I, q. 31
f. 149rb; II, q. 14, f. 160vb; III, q. 1 f. 177rb: „intellectus ...a potencia creatoris
eductus est"]. The human being is a complex entity: on one side there is a
hylomorphic composite of matter and lower souls (vegetative and sensitive),
generated by the parents [II, q. 12, f. 160ra]; on the other, there is the intellec-
tual soul, which, being a substance, moves the body {motor) and acts as a
„completive" perfection (forma) of the previous composite [I, q. 33, f. 151vb:
„anima unitur corpori ut actus materie sue ... et ut artifex instrumento uel motor mo-
bili"]. The term „homo" thus has two referents: „uno modo nominat sensitiuam
cum forma ilia ulteriori inducta per naturam, et sic dicitur quod homo generat hominem
et sol. Alio modo nominat illud totum cum anima intellectiua superaddita" [II, q. 15
f. 162rb], The union of these two substantial components of the human
being requires intermediaries [1, q. 6, f. 150vb]. The term „soul", then, refers
to an „aggregate" which includes the intellectual substantial soul that comes
from without, and the lower souls generated from matter [II, q. 9 f. 158va:
„ex istis diversis essenciis est una anima aggregata"]. This neoplatonic dualism is
mitigated by two theses: the animated body and the intellectual soul share in
one „esse" [I, q. 2, f. 136vb: „cum unum sit esse utriusque"; q. 31,1, f. 149rb: ,fit
unumper essentiam"]·, and the „aggregate soul" is one essence with three facul-
ties or powers [II, q. 10,1, f. 159ra: „anima hominis ... una essentia, non aggregata
ex tribus essenciis"]. The intellectual substantial soul has two parts: the agent
intellect, which plays the role of form in this spiritual substance, but which
does not relate to the body as „petfectio" and is not even „unibilis" to the body;
and the material intellect, which plays the role of matter, and is „unibilis" to
the body, although in itself it is something more than the act of the body [I,
Prologus, f. 135vb: „agens est pars formalis ipsius intellectiue ... alia est eius pars
materialis ... secundum primam non est actus corporis nec unibilis ei, set separata secun-
dum esse et substandam, sicut homo a capa sua; per secundam est unibilis et actus corporis,
non tamen solus actus set aliquid preter hoc quod est actus"; cf. II, q. 16, f. 147ra:
„(intellectus) ... est quedam substantia spiritualis habens exemplaria rerum sibi concreata
...et sub hac ratione < non > copulatur nobis, sicut dicit Averroys ... uel contingit
loqui de intellectu ut nobis copulatur, et dicitur iste intellectus materialis, ut dicit Aver-
roys, et intelligere istius non est sine jmaginatione, et licet secundum sui substandam sit
separabilis α corpore, sua tamen operatio desinit cum corpore"]. It can be said that,
while it is united to the body, the intellectual soul is „extra suam naturam" [II,

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48 Β. Carlos Bazän

q. 52, 7e, f. 176va]. The central principle of this anthropology, namely that
the intellectual soul is both a spiritual substance and a perfection of the body
— from which derive all the other developments concerning the nature of
the intellects —, is basically Avicennian64, or, to be more precise, a syncretism
of Aristotelianism (Aristotle and Averroes) and Neoplatonism (Augustine and
Avicenna). For the purpose of our inquiry it is important to underline that,
once the intellectual soul has been declared a spiritual substance, many of
Averroes' statements can be repeated without having to adopt radical aver-
roistic consequences. There is no problem in saying that the soul is „sepa-
rate" and „incorruptible", that it is corruptible only „secundum esse quod habet
in homine" [III, q. 1, f. 177va], that its „unibility" to the body is not something
proper to its essence as such, but an accident that affects it „extra essentiam
suam". Briefly, it is within this neoplatonic dualistic theoretical framework
that the doctrine of the agent intellect as „part of the soul" must be under-
stood. There is no „Averroism" here — at least not yet: what there is is a
doctrine that is dangerously close to an averroistic conclusion that an Aristo-
telian could easily infer simply by purifying the notions at play. That is pre-
cisely what Siger did, five or so years later.
(b) The second witness is another Master of Arts whose „Questiones in
II et III De anima" are also contained in the ms. Siena, Bibl. Com. L III.
21, f. 177va—191ra. This text could be dated around 1260 and is a good
representative of „First Averroism" according to Gauthier65. There is no
doubt that Averroes is quoted literally and extensively by this master. Except
for a series of questions concerning the Separate Intelligences, where the
Liber De causis is often invoked as a main authority, Averroes' Commentary
is the main interpretive tool for the Master. The massive presence of Av-
erroes' terminology introduces in the text an obvious ambiguity, which de-
mands careful examination before deciding on its exact meaning. The Master,
however was not a naive reader of Averroes; he knew that Averroes had
stated, at least for the sake of discussion, that the intellect is not multiple
[f. 178rb: „Set tunc queritur an intellectus sit intentio indiuidualis uel non. Et dicunt
quidam quod non, secundum Commentator em, et hoc ad minus opponendo diät"], but
this does not deter him from using the texts and the authority of Averroes
for his own purposes.
The thesis that gives theoretical foundation to the Master's whole doctrine
has already been found in his predecessors: the intellectual soul is hoc aliquid
etforma. Because it is a spiritual substance, it must be composed of a receptive

64 Cf. M. Gardinali, op. cit. (nt. 61), 388.


65 R.-A. Gauthier, Preface, in: S. Thomae Aq. Sententia libri De anima, 266*. The Siena manu-
script contains only questions on Book III of De anima. Described by J. de Raedemaker,
Informations concernant quelques commentaires du ,De anima', in: Bulletin de la S. I. E.
P. M., 1 0 - 1 2 (1968-1970), 1 9 5 - 2 0 2 . The same text (although mutilated at the very end)
is found in ms. Oxford, Merton Coll. 272, f. 2 4 2 r a - 2 5 3 v b . The ms. Erfurt, Amplon. q. 312,
f. 43ra —51rb contains a longer version, including some questions on Book II.

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Was There Ever a „First Averroism"? 49

part analogous to matter (the material intellect) and a formal part analogous
to form (the agent intellect) [f. 181va: „necesse est ponere intellectum esse formam
in se creatam et corpori infusam, scilicet quod est in se (hoc) aliquid et alteri coniunctum.
Prius secundum naturam (mensuram cod.) est hoc aliquid quam alteri infundatur. Set
quod causatum ens hoc aliquid et per se non est materia tantum ... nec estforma tantum
... quare necesse est in anima intellectiua (esse) partem intellectus receptiuam, et hec est
possibilis, et partem intellectus formalem, et est intellectus agens; (patet ergo quod tam
intellectus agens} quam possibilis sint partes anime"\. The intellectual soul can be
considered in itself and in relation to the body [f. 179rb: „intellectus potest
dupliciter considerari ... aut secundum quod unitur corpori et non intelligit nisi per
receptionem ab jmaginatione, et sic proprie est possibilis ... Vel potest considerari in se
et absolute, prout est aliquid in se et nonpotencia nisi ipsius efficientis creantis"]. Consid-
ered in itself, the soul, the substantial foundation of the intellectual faculties,
is neither universal nor particular, but a sort of intermediate nature [f. 178vb:
„inpossibile est quod substantia intellectus possibilis, ens in me et in te, sit intencio
indiuidualis in tantum contracta, sicut est hoc lignum uel iste homo. Vnde necesse est
ponere quod intellectus possibilis ... sit natura indiuidualis media inter uere uniuersale
et uere particulare"\. No Averroism should be read into this statement. The
soul cannot be universal because, according to a well known Avicennian
doctrine, the universal does not include any mode of being in its definition,
or exists only in the mind [f. 188vb]. It cannot be particular, because that
would imply that it is a material being. Considered as a substance, the soul,
though separate from matter, is neither unique nor eternal, but multiplied in
different subjects, being individuated by the act of creation that places it in
time [f. 178vb: „non causatur a principiis subiecti, set infunditur ab extra, et ideo
(non) multiplicatur a multitudine subiectorum in quibus est sicut albedo uel nigredo, uel
caliditas uelfrigiditas, set ab actione efficientis"·, cf. f. 182rb: „intellectus agens creatur
de nichilo et exit a non esse in esse; ergo non semper est"]. The intellectual soul is
also individuated by its operations, as has been shown by Averroes [f. 182va:
„intellectus potest dupliciter considerari: aut secundum operationem ad indiuiduum singna-
tum (sic) ut Sortem uel Platonem; aut prout est aliquid in se et absolute et in uniuersali.
Et hoc dicit (Averroes) de toto intellectu composite ex materiali etformali"]. The textual
foundation for the Master's doctrine is Aristotle, De anima I, 408bl8—19:
„Set intellectus uidetur esse substantia et non corrumpi ... ibi dicit Aristotiles quod
intellectus est corruptibilis secundum operationem quam habet in coniuncto, ipse tamen in
substantia sua consideratus non; et dititur intellectus possibilis secundum quod est in
coniuncto id idem quod dititur intellectus agens prout in se consideratur et homini dat
intelligere" [f. 182va], The doctrine of the agent and receptive intellects as
parts of the intellectual soul derives, then, direcdy from Aristode. Sometimes
it is supported exclusively on Aristode's authority [f. 180va: „secundum Aristo-
telem, intellectus agens est pars anime rationalis"\, sometimes on Aristode's author-
ity, accompanied by that of Averroes' Commentary [f. 179rb: „si totum composi-
tum esset intellectus possibilis, tunc intellectus agens non esset aliquid ipsius intellectus
humani, quod uidetur esse contra illam litteram Aristotelis: Quoniam autem fit in

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50 Β. Carlos Bazän

omni natura, et eciam contra expositionem Commentatoris, quamuis quidam hoc con-
cedat"]. Of course, the Master did not miss the opportunity to repeat,
following his predecessors, that for Averroes the agent and material intellects
are „one in substance" [f. 181rb: „Commentator diät (In De anima III 20, 451
v. 215 — 222) quod intellectus agens et possibilis sunt unum in substantia et duo in
operationibus tantum"·, cf. f. 179rb]; but, as has been shown, this isolated quo-
tation does not reflect Averroes' theory. Besides, the appeal to Averroes'
authority is ambivalent, because the Master also quoted him in support of
the opposite thesis 66 . Finally, the thesis is also presented as a necessary con-
sequence of strong rational arguments elaborated by the master [f. 181rb:
„Et hoc potest confirmari demonstratione tali: nichil agit naturaliter nisi per suam for-
mam ..."; cf. f. 182vb: „inpossibile estponereprimam causam uel intelligendam esse
intellectum agentem, quia ex quo prima causa habet omnia intelligibilia penes se, inutile
et supeifluum esset ponere ipsum esse jmaginabile ad hoc ut intellectus per ipsum intelli-
gent ..."]. This doctrine is not only a strong endorsement of the Aristotelian
doctrine of abstractive knowledge, but also a clear statement of the autonomy
of human knowledge. The Master could not have been unaware that he
would encounter (as his predecessors did) formidable opposition, not only
from the „auctoritates" (Avicenna and the other commentators), but also from
those Theologians for whom only God can be the agent principle of human
knowledge. No doubt, then, the Master, like his predecessors, would not
mind appealing to isolated texts of the single author who could provide some
support, no matter how ambiguous, to the new interpretation of Aristotle's
„De anima". Passages from Averroes, taken in their literal meaning and out
of context, could serve to strengthen the exegesis that those Masters had
proposed for 430 al 0 — 14 against the thesis that made of God the agent
intellect [cf. f. 181ra]. Within the theoretical framework of the doctrine that
the intellectual soul is a spiritual substance and a form, these Masters could
repeat many of Averroes' words without accepting any further averroistic
consequences. The use of Averroes as an authority was a tactical move, and
a smart one, because, after all, Averroes' Commentary was the best inter-
pretive tool available; but this ambiguous appeal to Averroes does not grant
legitimacy to the expression „First Averroism". The Master's doctrine should
rather be understood strictly within the framework of his conception of the
soul as a spiritual, incorruptible created substance, individuated by the act of
creation that gave it being.
(c) The last witness is the Anonymous Master who wrote (around 1260)
the „Questiones in tres libros De anima" published by J. Vennebusch 67 . Its
author knew that for Averroes the agent and receptive intellects are two

66 Ibid., f. 180vb: „Item, secundum expositionem Commentatoris in ilia littera: ,Qui uero secundum poten-
ciam', etc. [430a20 — 21], uult dare differentiam talem inter inteilectum agentem etpossibikm ... ergo
intellectus agens et possibilis non sunt una et eadem substantia numero". This is proof that Averroes'
Commentary is a tool for many purposes.
67 Cf. supra, nt. 62.

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Was There Ever a „First Averroism"? 51

separate substances, unique for all humankind 68 . The Master rejects not only
both theses, but also Averroes' inference concerning the analogical nature of
the general definition of the soul 69 . This disagreement on a fundamental
matter does not prevent the Master from using Averroes' Commentary exten-
sively and freely, wherever he deemed it useful to prove his own points of
view. To understand how this is possible, it is necessary to grasp the theoreti-
cal foundation of his whole doctrine on the intellectual soul and the noetics
that follows, namely the double consideration of the soul as hoc aliquid et
forma10. The soul, indeed, is a spiritual substance in itself, but is at the same
time the perfection that completes the human hylomorphic composite. The
metaphysician considers the soul in its esse absolutum\ the physicist, only per
relacionem ad corpus71. In itself the soul is incorruptible, as all spiritual sub-
stances are, and its function as a form is temporary 72 . The very name „anima"
does not express what this spiritual substance is absolute, but only its formal
causality, relatively to the body it animates 73 , or its efficient causality vis-a-
vis the body it moves 74 . The intellectual soul, being a substance below the
First Cause, must be composed of a potential principle and a principle of
actuality75. Within this dualistic anthropology of neoplatonic inspiration, the
composite of intellectual soul and body could not be considered a „natural
composite" 76 , because their union is not the immediate union that obtains
between a natural form and matter, but requires a series of intermediate
forms that prepare matter for the reception of the , forma completiva"11. As a
spiritual substance, the soul must be created 78 . The soul and the body maxime
distant, because they do not participate in the same genus of substance; but
as they are related to each other as „perfection" to „perfectible", they are
united by a relationship of proportionality based on the essential dispositions
that make the union possible, namely the „unibilitas" of the intellectual soul

68 Anonymus, Q. in tres libros De anima III q. 65 (ed. Vennebusch, 280 v. 3 8 - 3 9 ) : „ad hoc
autem sokbat respondere Averrois et Emphace et omnes sustinentes unitatem intellectus possibilis"·, III
q. 66 (ed. Vennebusch, 284 v. 8 2 - 8 3 ) : „Ydempatetper Averroym dicentem ibidem, quod agern et
possibilis sunt duo intellectus, et uterque est separatus". Cf. Ill, q. 67 (ed. Vennebusch, 301 v. 391 —
392).
69 Ibid., III, q. 61 (ed. Vennebusch, 267 v. 8 1 - 1 0 0 ) .
70 Ibid., I, q. 8 (ed. Vennebusch, 110 v. 6 2 - 6 4 ) .
71 Ibid., I, q. 11 (ed. Vennebusch, 1 1 6 - 1 1 7 v. 2 2 - 2 9 ) . Cf. also I, q. 1 (ed. Vennebusch, 9 3 - 9 4
v. 5 4 - 5 7 ) ; I, q. 3 (ed. Vennebusch, 99 v. 6 9 - 7 0 ) ; I, q. 18 (ed. Vennebusch, 132 v. 4 2 - 4 3 ) .
72 Ibid., I, q. 23 (ed. Vennebusch, 146 v. 7 8 - 8 3 ) .
73 Ibid., II, q. 29 (ed. Vennebusch, 163, v. 5 1 - 5 9 ) .
74 Ibid., II q. 33 (ed. Vennebusch, 181 v. 6 3 - 6 5 ) .
75 Ibid., III q. 62 ed. Vennebusch, 270 v. 85 — 89): „intellectus, cum recedat a pura simplicitate Primi,
aliquant habet composicionem, saltim ex forma incompleta et forma que est ipsius complementum ... in
quo aggregate incompletum est ipsum quod est, ipsum vero complementum est quo est"; for the rest
of this text, cf. infra nt. 81; cf. also III, q. 69 (ed. Vennebusch, 3 0 4 - 3 0 5 v. 1 2 - 1 6 ) .
76 Ibid., II, q. 29 (ed. Vennebusch, 165 v. 1 2 2 - 1 2 7 ) .
77 Ibid., II, q. 22 (ed. Vennebusch, 1 4 2 - 1 4 3 ) .
78 Ibid., III, q. 61 (ed. Vennebusch, 266 v. 7 4 - 8 0 ) .

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52 Β. Carlos Bazan

and the inferior forms that prepare the body 7 9 . The intellectual soul that
comes from without is united to the inferior generated forms (the vegetative
and sensitive souls), in a single composite soul (aggregata), which in turn is
the single act o f the whole human composite (body and soul) 80 .
The nature of the intellects must be understood within this substantialistic
conception o f the soul and this anthropological dualism that are the doctrinal
foundations o f the Master's noetics. The soul, indeed, being a spiritual sub-
stance, must be composite. The two intellectual faculties are linked to the
formal and material principles of the composite soul {quod est/quo est): „et
secundum hoc, sicut intellectus hec duo habet in sui composidone, per hec duo habet duas
potencias in sua potencia completa: racione incompleti quod est ut materiale in ipso, habet
potendam qua didtur intellectus possibilis; radone complementi habetpotendam que didtur
intellectus agens"sl. This doctrine shows that the theoretical foundation for
considering the receptive and agent intellects as parts o f the soul is the con-
ception o f the soul as substance, a thesis that owes as much to Avicenna as
to Augustine, and that has been enriched by the addition o f an original (and
eclectic) interpretation of Aristotle's „De anima". The textual support o f the
doctrine is another question. Since the problem raised by the notion of „First
Averroism" concerns mainly the nature o f the agent intellect, I will focus
only on this particular faculty. The Master showed a comprehensive under-
standing o f previous interpretations. Following Albert, he classified them into
three categories: a) the agent intellect is a habitus (which he rejects with the
support o f Averroes); b) the agent intellect is a separate substance (which
he rejects on the basis o f Aristotle's De anima 430 al0—14 and Averroes'
interpretation o f this passage, though acknowledging that this is the position
held by most o f the Greek and Arab commentators); and c) the agent intellect
is a part o f the soul. This position, which is his own, is supported by the
same quotation from Averroes' „Long Commentary" that had been invoked
by his predecessors, namely III, 20 v. 220 — 222. Had we not seen that the
doctrinal foundation of the thesis owes more to Avicenna than to Averroes,
we would be tempted to see here an expression of „First Averroism". But
even at the textual level there are reasons to reject this qualification. The
Master, indeed, explained that among those who say that the agent intellect
is part o f the soul there are some who consider that the soul, of which the
agent intellect is a part, is in itself unique for all mankind: „ponentes vero
intellectum agentem esse partem eiusdem anime cum possibili, in hoc concorditer dicebant
idem, prefer quod diversificati sunt in substantia talis anime et in modo intelligendi,
quoniam quidam illorum huiusmodi animam posuerunt esse eandem in numero in omni-
bus"82, which is a thesis that the Master had previously attributed to Averroes

79 Ibid., I, q. 22 (ed. Vennebusch, 140 v. 6 0 - 7 4 ) .


80 Ibid., II, q. 32 (ed. Vennebusch, 176 v. 1 1 2 - 1 3 6 ) .
81 Ibid., II, q. 62 (ed. Vennebusch, 2 7 0 - 2 7 1 v. 8 9 - 9 3 ) .
82 Ibid., III, q. 67 (ed. Vennebusch, 296 v. 2 2 5 - 2 2 9 ) .

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Was There Ever a „First Averroism"? 53

and rejected. Once his differences with Averroes had been established, he
could incorporate into his own conception of the soul as a spiritual substance
an isolated averroistic reference: „Propter quod 3a via videtur esse concedenda, cum
Averroy qui dicit, quod agens etpossibile sunt due virtutes unius anime"83. This merely
tactical quotation does not imply adherence to the whole theoretical complex
in which this quotation has its properly averroistic meaning. The appeal to
Averroes is the result not of an insufficient understanding of Averroes'
doctrine, but of an independent, pragmatic and lucid reading of the „Long
Commentary". The independence was again proven when the Master did
not appeal to Averroes' support on the question whether the agent and the
possible intellects belong to the same substance 84 . The Master's noetics is
just another expression of the original (though eclectic) anthropology elabo-
rated by the Latin Masters in their interpretation of Aristotle's „De anima".

VI.

Conclusion: The foregoing inquiry has shown the originality of the Latin
interpretation of Aristotle's „De anima". By stating that the agent intellect is
a faculty of the soul that is the form of the body, the Latin Masters proposed
an exegesis never advanced by previous commentators. The theoretical foun-
dation of this thesis is the double consideration of the soul as forma et hoc
aliquid. Being a substance, the soul must be composed of potential and actual
co-principles, to which the Latins linked the receptive and agent intellects.
The textual foundation of this doctrine was De anima 430 alO —14, although
some Latin Masters, for dialectical reasons, also appealed to Averroes in its
support, quoting him out of context, even if they were aware of the true
meaning of his own views. The doctrine is basically an eclectic neoplatonic
Aristotelianism. To call it „First Averroism" obscures not only its historical
originality, but also its doctrinal meaning.

83
Ibid., III, q. 67 (ed. Vennebusch, 297, v. 2 5 5 - 2 5 6 ) .
84
Ibid., III, q. 69 (ed. Vennebusch, 3 0 4 - 3 0 5 ) .

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Philosophische Selbsterkenntnis des Menschen
Der Paradigmenwechsel im 13. Jahrhundert

THEODOR W. KÖHLER (SALZBURG)

Daß „wir ... nicht das theoretische Bedürfnis des 20.Jahrhunderts einer
einheitlichen Anthropologie dem 13. Jahrhundert ansinnen [dürfen]" 1 , ist zu-
mindest in der mediaevistischen philosophiegeschichtlichen Forschung wohl
unbestritten. Auch die fortschreitende Aufarbeitung bislang noch unerschlos-
sener Quellenbestände bestätigt, daß es so etwas wie eine eigene, einheitliche
philosophische Disziplin vom Menschen im dreizehnten Jahrhundert nicht
gab und daß auch die gemeinhin als anthropologischer „Weiser" angesehene
explizit formulierte Frage „Was ist der Mensch?" in den Textzeugnissen nur
eine erstaunlich beiläufige Rolle spielt. Zugleich aber macht die Forschung
mehr und mehr Züge eines philosophischen Erkenntnisbemühens um den
Menschen sichtbar, das weitgefächert und vielschichtig war und von auf-
schlußreichen wissenschaftssystematischen Reflexionen begleitet wurde.
Diese sind — auf breiter Quellenbasis erfaßt — für uns maßgebliche Zeug-
nisse für das Selbstverständnis des philosophisch-anthropologischen Diskur-
ses dieser Epoche und seiner grundlegenden Perspektiven.
Zu diesen Perspektiven sind vor allem zwei zu zählen. Nach einer ersten
erscheint die Erkenntnis alles dessen, was ist, — vollzogen in den einzelnen
philosophischen Disziplinen — als Weg und Weise der Selbsterkenntnis des
Menschen, nach einer zweiten umgekehrt die Selbsterkenntnis des Menschen
als Weg und Weise der Erkenntnis von allem, was ist; nach der ersten kommt
der Mensch als Erkenntnisgegenstand in den Blick, nach der zweiten als
Erkenntnisprinzip; die erste ist objektivierend, die zweite bringt — ansatz-
weise — den Menschen als Subjekt zur Geltung.
Die erste Perspektive kommt am explizitesten in einer Wissenschaftseintei-
lung Robert Kilwardbys zum Ausdruck, die in dem zusammen mit seinem
Kommentar zur „Ethica nova et vetus" überlieferten Prolog — wohl aus der
Mitte der vierziger Jahre — enthalten ist 2 . In dieser divisio scientiae hat die den

1 K. Flasch, Einführung in die Philosophie des Mittelalters, Darmstadt 1987, 129.


2 Robert Kilwardby, Commentarius in ethicam novam et veterem Prol. (Cambridge, Peter-
house Library, 206, fol. 285ra —rb). Der künftige Herausgeber des Kommentars, Anthony
J. Celano, stellte mir liebenswürdigerweise seine Kollationen zur Verfügung. Dafür sei ihm
herzlich Dank gesagt. Celano zog neben der Cambridger Handschrift noch eine Prager
heran. Soweit der von Celano akzeptierte Text von der von uns gebotenen Transkription
abweicht, ist er mit der Sigle Ce verzeichnet (rein orthographische Abweichungen sind dabei

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Philosophische Selbsterkenntnis des Menschen 55

wissenschaftssystematischen Äußerungen der Autoren des Untersuchungs-


zeitraums zu entnehmende Uberzeugung ihren formellen Niederschlag ge-
funden, wonach das philosophische Erkenntnisbemühen um den Menschen
prinzipiell in der Philosophie insgesamt ihren Ort hat. Robert setzt diese
Konzeption in seiner Wissenschaftseinteilung systematisch um und konkreti-
siert sie zugleich. Entsprechend der körperlich-unkörperlichen Doppelnatur
des Menschen erstreckt sich danach die philosophische Erkenntnisbemühung
um den Menschen auf die Naturphilosophie und die Mathematik, die Meta-
physik, die Moralwissenschaft sowie auf die Wissenschaft von den sprachli-
chen Äußerungen 3 . Robert verzichtet darauf, unter den philosophischen Teil-

nicht beachtet). Für die Cambridger Handschrift ist hier die Sigle Ca verwendet. Zur Zu-
schreibung an Robert Kilwardby und zur Datierung O. Lewry, Robert Kilwardby's Commen-
tary on the „Ethica nova" et „vetus", in: Ch. Wenin (ed.), L'homme et son univers au Moyen
Age, vol. II (Philosophes medievaux 27), Louvain-la-Neuve 1986, 799-807, hier: 806. Cf.
D. Luscombe, The Ethics and the Politics in Britain in the Middle Ages, in: J. Marenbon
(ed.), Aristode in Britain during the Middle Ages. Proceedings of the International Confe-
rence at Cambridge, 8 - 1 1 April 1994 (Rencontres de Philosophie Medievale 5), Turnhout
1996, 337-349, hier: 337. R.-A. Gauthier in der Einführung zu R.-A. Gauthier/J.Y. Jolif,
Aristote: L'Ethique ä Nicomaque. Introduction, traduction et commentaire (Aristote. Tra-
ductions et Etudes 1/1), Louvain — Paris 1970, 117, ging von einem anonymen Autor und
einer Datierung vor 1245 aus. G. Wieland, Ethica — Scientia practica. Die Anfänge der
philosophischen Ethik im 13. Jahrhundert (BGPhThMA N. F. 21), Münster 1981, 50,
äußerte noch Bedenken gegenüber der Zuschreibung an Robert Kilwardby. Celano hat sich
für die Echtheit entschieden (briefliche Mitteilung und mündlich); siehe auch A. J. Celano,
Robert Kilwardby and the Limits of Moral Science, in: R. J. Long (ed.), Philosophy and the
God of Abraham: Essays in Memory of James A. Weisheipl, OP (Papers in Mediaeval Stu-
dies 12), Toronto 1991, 3 1 - 4 0 .
3 Robert Kilwardby, Commentarius in ethicam novam et veterem Prol. (Cambridge, Peter-
house Library, 206, fol. 285ra): „Homo ergo, qui vultphilosophari, debet cognoscereprinäpia constituen-
äa ipsum et eciam proprieties consequentes esse eius. Sed prinäpia hominis sunt duo, sälicet natura
corporalis et natura incorporalis. Oportet ergo eum, qui vult esse philosophus, utramque istarum naturarum
cognoscere. Philosophia autem corporalis nature habetur in philosophia naturali; cogniäo autem nature
incorporalis, ut anime, habetur in quodam libro naturali, ut in libro de anima; magis tarnen habetur cogniäo
anime in methaphisica, ubi (nisi Ca) traditur cogniäoprinäpiorum inmaterialium (/.] et materialium Ca).
Ex hits patet, quod qui vult esse philosophus, oportet eäam, ut säat naturalem philosophiam propter
cogniäonemprinäpiorum naturalium ipsum constituencium, cuius(modi> sunt quatt(u)or elementa; oportet
eäam, ut säat (naturalem philosophiam ... ut säat Ce; om. Ca) methaphisicam propter cogniäonem
anime, que est prinäpium eius inmateriale. Item sicut pretactum est, oportet eum, qui vult esse philosophus,
{oportet add. CaCe) cognoscere proprietates consequentes esse suum et suas proprias passiones. Sedproprie
passiones sive proprietates quedam consequntur (consequenter Ca) esse hominis ex parte nature corporalis,
quedam autem ex parte nature incorporalis. Et adhuc passionum consequenäum esse hominis ex parte
virtutis corporalis quedam sunt simpliäter naturales, ut ilk, que habentur <secundum) formam naturalem
secundum quod naturalis est, quedam autem sunt non simpliäter naturales, sed consequentes ad naturam.
Passiones autem simpliäter naturales consequentes esse ipsius hominis ex parte virtutis corporalis, que sälicet
consequntur formam naturalem secundum quod naturalis est, sunt ut calidum, frigidum, humidum, siccum,
et istarum cogniäo traditur in libris naturalibus. Passiones autem antecedentes ipsam naturam sunt ut
quantitates, et de hiis traditur cogniäo in mathematica. Sic ergo patet, quod qui vult philosophari, oportet
eum scire philosophiam naturalem ad cogniäonem passionum simpliäter naturalium, que consequntur esse
hominis; oportet eciam eum scire mathematicam propter cogniäonem prinäpiorum non simpliäter naturalium,
cuiusmodi sunt quantitates. Adhuc autem, ut predictum est, sunt alie passiones consequentes (c. om. Ce)

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56 Theodor W. Köhler

gebieten — wie sonst bei den Magistern üblich — besondere Schwerpunkte


wissenschaftlicher Erkenntnisbemühung um den Menschen hervorzuheben.
Der Gedanke, daß diese Erkenntnisbemühung in den philosophischen Diszi-
plinen insgesamt ihren Ort habe, steht beherrschend im Vordergrund und
mit ihm die Sichtweise vom Menschen als Erkenntnisgegenstand.
Im folgenden soll nur auf die zweite Perspektive, und zwar speziell im
Hinblick auf die mit ihr verbundene Idee vom Menschen als Erkenntnisprin-
zip, näher eingegangen werden. Drei Punkte sind zu behandeln: erstens der
Anstoß zu dieser Idee und ihre unmittelbare Rezeption (I); zweitens die
Übertragung dieser Idee in das Gebiet der Seelenlehre (II), drittens ihre Rolle
neben der Sichtweise vom Menschen als Erkenntnisgegenstand (III).

I.

Im dreizehnten Jahrhundert war eine Vielzahl von Philosophiedefinitionen


im Umlauf, unter ihnen auch die — zur besseren Unterscheidung hier als
„anthropologische" bezeichnete — Philosophiebeschreibung4 des aus Ägyp-
ten gebürtigen jüdischen Arztes und Philosophen Isaak ben Salomon Israeli
(Isaac Iudaeus) (geb. 850, gest. wahrscheinlich vor 932, vielleicht aber erst
95 5 5 ): Philosophia est cogniäo hominis sui ipsius bzw. nach einer anderen Lesart:
Philosophia est cognicio sui ipsius ab homine6. Ihre geistesgeschichtlichen Wurzeln
sind über die unmittelbare Quelle — Alkindi — hinaus bis auf den Kommen-
tar des Proklos zum Ersten Alkibiades zurückverfolgt worden7. Diese Philo-

esse ipsius hominis ex parte nature incorporalis, ut ex parte anime. Sed hee dupliäter sunt. Quedam enim
sunt simpliciter a propositi, ut ea, quefiunt per operaäonem propositi, et talium cognicio (traditur) (traditur
om. CaCe) in moraliphilosophia; quedam autem non sunt simpliciter aproposito, sed sunt a propositi cum
adiutorio nature, ut coadunantibus (coadin- Ce) instrumentis naturalibus, et huiusmodi est sermoänaäo. ...
Et cogniäo huius (huiusmodi Ce) passionis, scilicet sermonis, traditur in sciencia sermoänali".
4 Isaak unterscheidet ausdrücklich zwischen definicio (philosophiae) und descripcio (philosophiae):
Isaak ben Salomon Israeli, Liber de definicionibus, ed. J. T. Mückle, in: Arch. Hist, doctr.
litt. M. A. 12/13 (1937/38), 2 9 9 - 3 4 0 , hier: 302, 1.13-20.
5 Zur Person C. Sirat, A History of Jewish Philosophy in the Middle Ages, Cambridge etc.
1985, 57 — 68; ferner I. Simon, L'influence hippocratique sur la medecine hebrai'que, surtout
chez Assaph, Isaac Israeli et Mai'monide, in: La collection hippocratique et son role dans
l'histoire de la medecine (Travaux du Centre de Recherche sur le Proche-Orient et la Grece
Antiques 2), Leiden 1975, 2 7 5 - 2 8 9 ; A. L. Ivry, Jewish Philosophers' Perceptions of the
Nature and Value of Philosophy, in: J. A. Aertsen/A. Speer (eds.), Was ist Philosophie im
Mittelalter? Akten des X. Internationalen Kongresses für mittelalterliche Philosophie ... 25.
bis 30. August 1997 in Erfurt (Miscellanea Mediaevalia 26), Berlin-New York 1998, 8 9 7 -
903, hier: 8 9 7 - 8 9 9 .
6 Isaak ben Salomon Israeli, Liber de definicionibus (ed. Mückle, 306 1.1—2 mit Varianten-
apparat zu dieser Textstelle). Cf. ibid., 331: „Descripcio philosophiae ex effectu suo. Philosophia est
cogniäo hominis sui ipsius".
7 A. Altmann/S. M. Stern, Isaac Israeli. A Neoplatonic Philosopher of the Early Tenth Cen-
tury, Westport 2 1979, 202 sqq. (Scripta Judaica 1). Cf. ferner Sirat, A History of Jewish
Philosophy, 60; A.-H. Chroust, The Definitions of Philosophy in the De Divisione Philoso-

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Philosophische Selbsterkenntnis des Menschen 57

sophiebeschreibung fand vor allem bei den Magistern der Pariser Artistenfa-
kultät ab der Jahrhundertmitte starke Beachtung und wurde vielfach — bald
ausführlicher, bald weniger ausführlich — kommentiert.
Dem Isaak Iudaeus selbst, den Albertus Magnus einen „Großen in der
Philosophie" nannte 8 , galt diese Philosophiebeschreibung als Erkenntnis
von besonderer Tiefe und Einsicht, und zwar im Hinblick darauf, daß die
Selbsterkenntnis des Menschen eine Erkenntnis der gesamten Weltwirklich-
keit mit sich bringe. Isaak erläuterte diesen Gedanken — auch hierin Alkindi
folgend 9 —, indem er des näheren darlegte, daß die Selbsterkenntnis des
Menschen sich auf seine geistige und seine körperliche Natur sowohl in sub-
stantieller als auch in akzidenteller Hinsicht erstrecke und somit in der
menschlichen Selbsterkenntnis die Erkenntnis der gesamten Weltwirklichkeit
beschlossen sei 10 . Die Magister, die den Iudaeus kommentieren, knüpfen in
ihren Auslegungen der Definition an diese Erläuterung an. Den Kern ihrer
Interpretationen bildet daher der stets wiederkehrende Gedanke, daß der
Mensch die geistige und körperliche Natur auf bestimmte Weise in sich ver-
einigt und somit in der Erkenntnis seiner selbst zugleich eine Erkenntnis der
Gesamtheit der Dinge erlangt. Ihr Bemühen richtet sich darauf darzulegen,
wodurch es in der Selbsterkenntnis des Menschen prinzipiell zu einer Er-
kenntnis der Gesamtheit der Dinge kommen kann. Die Leitidee ihrer Aus-
legungen bildet explizit oder implizit die traditionsreiche Idee vom Menschen
als Mikrokosmos, wonach die Weltdinge auf bestimmte Weise — nämlich
entweder im Sinne einer Realentsprechung oder einer Analogie oder einer
Finalbeziehung — im Menschen gegenwärtig sind. Im ersten Fall gehen die
Autoren davon aus, daß der Mensch sämtliche Naturen in bestimmter Weise
substanzhaft in sich vereinigt, die auch sonst in der Welt im großen existieren;
so heißt es beispielsweise in einem bisher nicht datierten De animalibus-Kom-

phiae of Dominicus Gundissalinus, in: The New Scholasticism 25 (1951), 253 — 281, hier:
281.
8 Albert der Große, Metaphysica XI tr.2 c.10 (Ed. Colon. XVI/2, 495, 1.71 - 7 3 ) .
9 Altmann/Stern, Isaac Israeli (Anm. 7), 202.
10 Isaak ben Salomon Israeli, Liber de definicionibus (ed. Mückle, 306, 1.1—23): „Philosophiae
vero desmpcio ex säenäa sua est quod pbüosophia est cognido hominis sui ipsius, et haec edam est longae
profunditatis et sublimis intelligendae; homo enim cum seit seipsum vera cognidone sui cum spiritualitate et
corporeitate sua, tunc iam comprehendit sdenciam tocius, scilicet sdendam substanciae spiritualis et substan-
dae corporeae; in homine enim aggregata sunt substantia et aeddens. Et substanda quidem est duae
substandae quarum una est spiritualis sicut anima et intelligenda, et altera est corporea sicut corpus longum,
latum, profundum; et similiter aeddens est secundum duos modos; aliud enim est spirituale et aliud est
corporeum; spirituale autem est sicut padencia et sdenda et reliqua aeddenda spiritualia existenda in
anima, et corporeum quidem est sicut nigredo et albedo et rubedo et dtrinitas et spissitudo et varietas et
reliqua aeddenda existenda in corpore. Cum hoc ergo ita sit, tunc iam manifestum est quod cum homo
sat seipsum cum spiritualitate et corporeitate sua, tunc iam comprehendit sdendam todus, sdlicet substan-
ciam spiritualem et substandam corpoream. Et sdt substandam primam creatam ex virtute creatoris absque
medio appropriatam subiectione diversitatis, et seit aeddens primum generale divisum in quantitatem et
qualitatem et reladonem, et sdt reliqua aeddenda sex composita, nata ex composidone substandae cum
aeddentibus tribus simplidbus". Cf. ibid., 331.

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58 Theodor W. Köhler

mentar in der Marciana zu Venedig, daß im minor mundus die Naturen aller
D i n g e des M a k r o k o s m o s z u s a m m e n k o m m e n 1 1 und somit anteilsmäßig gege-
ben sind. I m zweiten Fall n e h m e n sie an, daß der M e n s c h in einer A h n l i c h -
keitsbeziehung zu allen D i n g e n der W e l t steht und diese so in sich spiegelt;
eine traditionelle, beispielsweise v o n Engelbert Poetsch v o n A d m o n t in sei-
n e m „Tractatus de naturis animalium" (nach 1 2 8 7 ) a u f g e g r i f f e n e Vorstellung
ist, daß die Teile der Welt im g r o ß e n in A n a l o g i e zu denjenigen der Welt im
kleinen p r o p o r t i o n i e r t s e i e n 1 2 , oder die A u t o r e n h e b e n bestimmte Ä h n l i c h -
keiten i m A u f b a u (Organisation) oder in den Funktionen beider Welten und
ihrer Teile h e r v o r . I m dritten Fall schließlich sehen die Magister die G e s a m t -
heit des Seienden i n s o f e r n im M e n s c h e n präsent, als dieser das Ziel darstellt,
auf das alles in gewisser Weise hingeordnet sei; in diesem Sinne äußert sich
etwa Roger B a c o n in seinen Quaestionen zur aristotelischen Physik (wohl
1241/1247)13.
E n t s p r e c h e n d diesen Auslegungsweisen erklären die A u t o r e n die „Prä-
senz" der D i n g e im Menschen, die eine G e s a m t w e l t e r k e n n t n i s im Vollzug
der Selbsterkenntnis ermöglichen soll, gleichfalls entweder i m Sinne einer
Realentsprechung o d e r einer Analogie o d e r einer Finalbeziehung — nicht
selten nebeneinander o d e r miteinander vermischt. Z u n e n n e n sind u. a. Ps.-
A d a m v o n B o c f e l d im P r o l o g zu seinem spätestens in den fünfziger J a h r e n
entstandenen „Scriptum super librum de causis" 1 4 , A r n u l f v o n der P r o v e n c e

11 Anonymus, Commentum super libros de animalibus XVI (Venezia, Biblioteca Nazionale


Marciana, Lat. VI, 234, fol. 260ra-vb [= V ] ; wir zitieren nach K u n d vermerken mit
der Sigle L Varianten der Parallelhandschrift Firenze, Biblioteca Medicea Laurenziana, Plut.
LXXXIII 24, fol. lra —85vb): „Sed de proper) ietate creatoris est, ut res distinctas (dicstintas L) agreget
in maiori mundo. Ergo neccesse est\ ut in minori mundo detur forma conformis enti et viventi et cognoscenü.
Sed in substantia ista concurrunt nature omnium rerum. Ergo in minori (minor L) mundo (detur ...
mundo om. L sed add. in marg.) est aliqua substantia consimilis intelligentie create. ...2a ratio est
talis: Duplex est mundus, maior (maior corr. al. man. ex maius L) et minor. In maiori concurrunt
omnes nature distincte, in minori vero coniunctim (coniunctum L)". Ibid., XVII (fol. 301va): „Nam in
homine est concursus omnium naturarum, ...".
12 Engelbert von Admont, Tractatus de naturis animalium (Admont, Stiftsbibliothek, 547, fol.
83 va —vb): iyMensura corporis stature, dint Solinus, talis est, quod que est longitudo manibus expansis
et brachiis inter extremitates digitorum utriusque manus, tanta est longitudo hominis inter calces et verticem;
et ideo propter rotunditatem huiusmodi figure phisia hominem minorem mundum dixerunt; unde et Grece
microcosmus, id est minor mundus, aliquando vocatur".
13 Roger Bacon, Questiones supra libros quatuor physicorum II q.(14), ed. F. M. Delorme
collaborante R. Steele, Oxford 1928, 64, 1.21-33 (Opera hactenus inedita Rogeri Baconi
8).
14 Ps.-Adam von Bocfeld, Scriptum super librum de causis Proh. (Firenze, Biblioteca Nazionale
Centrale, Conv.soppr. G.4.355, 91ra): „Tertia est ,(Philosophia est> cognitio sui ipsius ab homine'.
Homo enim microcosmos est, hoc est minor mundus, in quo maior mundus describitur non solum tipice, sed
secundum proprietates rerum naturalium; ordine miro virtutibus orbes superiores et motus eorum substantie
conformantur. Anima enim est aspectus rectus, cum eius cognitio dirigitur ad obiectum; cum autem super
suum actum convertitur, extremi cognitionis conveniunt, et arculus esse perhibetur, sicut dixit Plato in
Thimeo, ut in primo de anima continetur. Dehinc autem illum ärculum divisit in duos dupliäter coadunatos,
in sensu videlicet et in intellectu, per reflexionem eorum super se et suum actum. Intellectus enim non tantum
secundum cognitionem, sed secundum virtutem orbi primo comparatur; quia sicut orbis primus ceteros

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Philosophische Selbsterkenntnis des Menschen 59

in seiner Wissenschaftseinteilung (um 1250) 1 5 , die Autoren der beiden 1240/


1247 verfaßten Prologe „Sicut dicit Ysaac" 16 und „Secundum quod testatur
Ysaac" 17 oder Aubricus von Reims in seiner um 1265 entstandenen „Philoso-
phia" 18 . Daneben finden sich aber auch Ansätze, Isaaks Annahme einer

transcendit, continet causas, que supereminet\ sie intelkctus anime virtutes sensibiks, et sicut orbis primus
ex motore et mobili componitur, ut scribitur in octavo phisicorum:,Mobile primum dividitur in talia duo,
quorum unum movet et alterum movetur', sie intelkctus ex duabus differentiis iungitur; quarum una est,
qua est omnia facere, et bec est sicut motor; alia vero, in qua est omnia fieri, et hec est sicut mobile. Irradiat
enim agens luce spiritual! super possibikm fantasmata detegendo eaque uniendo sicut super colores.
Potenityie vero sensitive, que deforis sunt manifeste, quinque sunt sensus particulares. Que vero deintus
occulte in duas partiuntur: in sensitivam communem, que apprehendit ad rei presentiam, et fantasiam vel
ymaginationem, que sola ratione diffijnitioriyis ad rei absentiam apprehendit {-dunt cod.). Iste vero Septem
orbes inferiores eorumque motus configurant. Sicut enim spera spere e contrario movetur et revolvitur, sie
appetitus appetitui, ut patet in capitulo de movente; unde subditur; et sursum unum aliorum ärculorum
divisit in VII circulos, quatenus essent orbijum) motus anime motus. Unde dicit Ysaac: ,Homo cum se
ipsum cognoscit cognitione sui cum spiritualitate et corporeitate sua, tunc iam comprehendit scientiam totius,
scilicet säentiam substantie corporee et spiritualis; propter quodphilosophia est cognitio sui ab homine"'.
15 Arnulf von der Provence, Divisio scientiarum, ed. C. Lafleur, Quatre introductions ä la
philosophie au XHIe siecle. Textes critiques et etude historique, Montreal — Paris 1988,
2 9 5 - 3 5 5 , hier: 310, 1.139-142 (Universite de Montreal, Publications de l'Institut d'Etudes
medievales 23).
16 Anonymus, Sicut dicit Ysaac, zit. nach R. Imbach, Einführungen in die Philosophie aus dem
XIII. Jahrhundert, in: Freib. Z. Philos. Theol. 38 (1991), 471 - 4 9 3 , hier: 486 sq. und ergänzt
aus der Münchner Handschrift Clm 14460, fol. 167ra: „Teräa diffinitio est: Philosophia est cognitio
sui ipsius ab homine, secundum quod diät Alga^el, quod,cognosce te ipsum et cognosces omnia', quia in
homine est substanäa et accidens et omne, quod est, aut est substanäa aut accidens, ut diätur in istis
versibus: ,Summus Aristotiks trutinando cacumina rerum in duo divisit quiequid in orbe fuit', scilicet in
substanäam et aeädens. Hec autem omnia sunt in homine secundum speäem, quoniam substanäarum alia
corporea et corruptibilis, alia incorporea et incorruptibilis. Hec duo sunt in homine. Est enim ibi corpus,
quod est substanäa corporea et corruptibilis, et est ibi anima, que est incorporea et incorruptibilis. Item
non est ibi nisi duplex aeädens, sälicet aeädens spirituale et accidens sensibik. Ista enim duo sunt in
homine. Ibi enim est albedo et nigredo etc., et hec sunt aeeidenäa sensibilia. Ibi eäam est virtus et säenäa,
hec autem sunt aeädenäa spiritualia. Et sie patet, quod, qui se complete cognosceret, quodammodo
omnia cognosceret. Et dico ,quodammodo', quia non cognosceret omnia sub formis propriis, set sub
speäe, quia homo convenit cum omnibus, que sunt. Sic ergo patet, quod philosophia est cognitio sui
ipsius ab homine".
17 Anonymus, Secundum quod testatur Ysaac, zit. nach Imbach, Einführungen, 487, ergänzt
aus Brugge, Stedelijke Openbare Bibliotheek, 496, fol. 79ra: „Secunda diffinitio est: Philosophia
est cognitio sui ipsius ab homine, sälicet effectu, quia faät hominem se ipsum cognoscere. Unde diät Algayel:
,Cognoscere se ipsum est cognoscere omnia', quia in homine, sälicet in te, est substanäa et aeädens et
substanäa corporea et incorporea, sälicet corpus et anima et aeädens spirituale et intelligibile, et säenäa et
virtus in anima, et aeädens naturale et sensibile, ut album et tempus; et omne, quod est, aut est substanäa
aut accidens secundum illud: ,Summus Aristotiks speculando cacumina rerum in duo divisit, quiequid in
orbe fuit', id est in substanäam et aeädens. Et omnis substanäa est corporea vel incorporea, et omne
aeädens est spirituale vel naturale; et ita in homine sunt quodammodo omnia, sälicet in suo communi et
non sub propriis formis. Unde nos sumus quodammodo finis omnium. Ideo est, quod homo diätur microcos-
mus, id est minor mundus, quia in illo sunt omnes res, sicut in maiori mundo, non tarnen sub formis
propriis. Et ideo homo, qui se ipsum cognosät, cognosät quodammodo et omnia et estphilosophus".
18 Aubricus von Reims, Philosophia, ed. R.-A. Gauthier, Notes sur Siger de Brabant II. Siger
en 1272 — 1275, Aubry de Reims et la scission des Normands, in: Rev. Sc. philos. theol. 68
(1984), 2 9 - 4 8 , hier: 38, 1.212-213.

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60 Theodor W. Köhler

Welterkenntnis im Vollzug der menschlichen Selbsterkenntnis zusätzlich mit


der These, daß die intellektive Seele quodammodo omnia sei, in Beziehung zu
setzen und durch diese auszulegen. Die intellektive Seele trägt danach nicht
nur als Teil der unkörperlichen Welt zu der in der Selbsterkenntnis des Men-
schen sich vollziehenden Erkenntnis von allem bei, sondern auch insofern,
als sie die Formen alles der Vernunft Zugänglichen in sich enthält. Wenn wir
von den sehr bescheidenen Ansätzen dazu etwa bei einem Petrus Hispanus,
dem Verfasser der „Sententia cum questionibus in libros de anima" (um 1240,
vor 1245) 19 , oder in der frühestens Mitte der vierziger Jahre des dreizehnten
Jahrhunderts anzusetzenden „Compilatio de libris naturalibus Aristotilis" 20
eines bislang unbekannten Verfassers absehen, ließ sich vor allem Johannes
Pagus in seinem „Scriptum super Porphyrium" aus den frühen dreißiger Jah-
ren 21 auf diesen Versuch ein. Johannes Pagus bringt die isaaksche Beschrei-
bung am Ende eines längeren Argumentationsganges ein. Dieser läßt ihn zu
dem Schluß kommen, daß der Mensch sowohl von Seiten seines Körpers als
auch von selten seiner Seele in gewisser Weise alles in sich umfaßt. Erkennt
sich also der Mensch umfassend (perfecte), würde er in gewisser Weise damit
alles erkennen. Wie das zu verstehen sei, führt Pagus nur im Hinblick auf die
seelische Komponente des Menschen aus. Dadurch gewichtet er diesen
Aspekt der isaakschen Konzeption besonders. Offenbar an Aristoteles an-
knüpfend stellt er fest, daß die erkennbaren Dinge nicht von Natur aus ak-
tuell mit der Seele verbunden seien, sondern lediglich potentiell. Zu ihrer
aktuellen Vergegenwärtigung bedürfe die Seele einer besonderen Verbindung
zu ihnen, und diese sei das Wissen, definiert als Verbindung des Wißbaren
mit dem Wissenden 22 . Johannes rückt damit von der Vorstellung ab, daß die

19 Petrus Hispanus, Sententia cum questionibus in libros de anima Probl.3 q.6 ctr.3, ed.
M. Alonso Alonso, Pedro Hispano: Obras filosoficas, II: Comentario al „De anima" de
Aristoteles (Istituto de Filosofia „Luis Vives", Serie A, num. 3), Madrid 1944, hier: 126,
1.1—7. Zu den kontroversen Fragen der Autorschaft und der Datierung R.-A. Gauthier,
Prolegomena, in: Thomas von Aquin, Sentencia libri de anima (Ed. Leon. XLV/1, 239*)
und J. F. Meirinhos, Petrus Hispanus Portugalensis? Elementos para uma diferenciapao de
autores, in: Rev. esp. Filos. med. 3 (1996), 51 - 7 6 , hier: 67 und 75.
20 Anonymus, Compilatio de libris naturalibus Aristotilis (Cambrai, Bibliotheque municipale,
A. 1008, fol. 88rb —va): „Intellectiva vero hominis descripte sunt omnes rationes omnium intelligibilium;
in ipsa etiam est vera similitudo dei. Unde et qui cognoscit hominis intelkctivam, omnium habet noütiam".
21 Johannes Pagus, Scriptum super Porphyrium (Cittä del Vaticano, Biblioteca Apostolica Vati-
cana, Vat.lat. 5988 (= V), fol. 63ra — 81 va, hier: 63va; wir zitieren nach diesem Vaticanus,
wobei mit der Sigle Ρ Varianten des Codex Padova, Biblioteca Universitaria, 1589, fol.
3ra —22va vermerkt werden): „Si vero sit organica et animata, aut est animata anima vegetativa (est
... veg.] vegetabili P) tantum aut sensibili aut intellectiva (intelligibili P). Siprimo modo, sie est Uber de
plantis, secundo modo Uber de animalibus, tercio modo liber de anima". Zur Datierung und Zuweisung
an Johannes Pagus: M. Dunne, Magistri Petri de Ybernia expositio et quaestiones in Aristote-
lis librum de longitudine et brevitate vitae (Philosophes medievaux 30), Louvain-la-Neuve
etc. 1993, 4 - 5 .
22 Johannes Pagus, Scriptum super Porphyrium (Cittä del Vaticano, BAV, Vat.lat. 5988, fol.
63ra): „Et sic homo tarn (tarn] quam Ρ) α parte corporis quam α parte anime omnia in se quodam modo
comprehendit. Propter hoc (hoc\ quod V) fortasse diät Ysaac, quod philosophia est (est om. P) cognitio sui
ipsius ab (ab e corr. V) homine. Si enim homo peifecte se ipsum cognosceret, omnia quodam modo cognosceret.

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Philosophische Selbsterkenntnis des Menschen 61

Erkenntnis der Gesamtweltwirklichkeit in der menschlichen Selbsterkenntnis


auf Grund naturgegebener konstitutioneller Entsprechung — im Sinne einer
Realentsprechung, eines Ahnlichkeitsverhältnisses oder einer Finalbeziehung
— gegeben sei. Er legt Isaak „modern" im Sinne der aristotelischen Erkennt-
nismetaphysik aus: Die (aktuelle) Erkenntnis der Dinge vollzieht sich durch
ihre (kognitive) Vergegenwärtigung im Erkenntnisakt und habituell im Wis-
sen. Freilich mußte sich dabei sein Blick notwendigerweise auf die Frage
einengen, inwiefern es in der intellektiven Seele zur Erkenntnis von allem
kommen kann. Strenggenommen brachte er damit Isaaks These aber gerade
um ihre erkenntnistheoredsche Pointe, wonach doch die Selbsterkenntnis des
Menschen als ganzen, in seiner Seele-Leib-Konstitution, eine Gesamtwelter-
kenntnis eröffnen können sollte.
Die zahlreichen Deutungsansätze der anderen Autoren in ihren verschiede-
nen Nuancierungen darzustellen, ist hier nicht der Ort. Wichtig ist in diesem
Zusammenhang allein, daß sie — gleich ob sie sich eher auf platonisch-neu-
platonische oder auf aristotelische Konzepte stützten — den Menschen in
der Rolle eines Erkenntnisprinzips für die Erkenntnis der Gesamtheit der
Dinge sahen. Die Philosophie erschien in dieser Perspektive als scientia totius,
worin der menschlichen Selbsterkenntnis erkenntnisleitend-erschließende
Funktion gegenüber den Außendingen zufallt. Prinzipiell erschien dies mög-
lich, weil die Gesamtheit der Dinge im Menschen repräsentiert angenommen
wurde. Sollte diese Konzeption aber wissenschaftspraktisch, d. h. hinsichtlich
ihrer möglichen Rolle in konkreten philosophischen Untersuchungen, in ir-
gendeiner Weise wirksam werden, wäre zu klären gewesen, wie die Erkennt-
nis alles Seienden im Vollzug der Selbsterkenntnis des Menschen nicht nur
prinzipiell, sondern im konkreten Ablauf des näheren zu denken sei. Auf
diese notwendige erkenntnistheoretische Anschlußfrage sind die Magister
nicht eingegangen. Damit aber blieb die Idee vom Menschen als Erkenntnis-
prinzip in der von Isaak und seinen Interpreten augenscheinlich intendierten
spekulativ starken Form, also als ein irgendwie geartetes formales Erkennt-
nisprinzip in bezug auf alles Seiende überhaupt, letztlich theoretisch unaufge-
klärt. Die Annahme, daß der Mensch im Zuge seiner Selbsterkenntnis alles
erkenne, setzt notwendigerweise einen zumindest logisch gestuften Erkennt-
nisprozeß voraus, in welchem der Mensch ein primär zu Erkennendes bzw.
ein Ersterkanntes darstellt, das die Erkenntnis aller übrigen Dinge vermittelt.
Die Idee vom Menschen als Erkenntnisprinzip blieb daher speziell auch des-
wegen unaufgeschlossen, weil der entscheidenden Frage nicht weiter nachge-
gangen wurde, auf welche Weise der Mensch als ganzer überhaupt ein primä-
res Erkenntnisobjekt sein kann.

Sed (omnia ... sed om. P) quia res cognostibiles (conditionales P) non sunt actu unite anime ipsi per
naturam, ideo indiget aliquo medio, per quod ille res eidem uniantur. Hoc autem est scientia, que est unio
scibilis cum sciente". Cf. Aristoteles, An. III 8 (431 b 2 2 - 2 3 ) .

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62 Theodor W Köhler

II.

Interessanterweise hob zu gleicher Zeit eine umso lebhaftere Diskussion


darüber an, in welcher Weise die menschliche Seele sich selbst erkenne. Sie
wurde von vielen Autoren und anhaltend kontrovers diskutiert — auch wenn
nicht alle Denker des dreizehnten Jahrhunderts sich diese Frage stellten, wie
Franpois-Xavier Putallaz leicht übertreibend meinte 23 . Zu nennen sind — um
einige Beispiele herauszugreifen — der Verfasser der „Lectura in librum de
anima" (um 1245/1250) 24 , der Autor von „Questiones super librum de ani-
ma" (um 1250) in einer Sieneser Handschrift, für den die Frage, ob es schwie-
rig sei, Kenntnis über die Seele zu erlangen, Anlaß ist, seine Auffassung von
der Selbsterkenntnis der Seele darzutun 25 , Petrus Hispanus, der Verfasser der
„Sententia cum questionibus in libros de anima" (um 1240, vor 1245) 26 ,
Galfrid von Aspall in seinen Quaestionen zu „De anima" (nach 1254/57,
vor 1264/65) 21 , Eustachius von Arras in einer „Questio de anima" (wohl
1268/1269) 28 , Gerhard von Abbeville im vierten Quodlibet (1270) 29 , Johan-
nes Pecham gleichfalls in seinem vierten Quodlibet (1277/1279) 30 , Matthaeus
von Aquasparta in den „Quaestiones disputatae de cognitione" (1278/
1279) 31 , Petrus Johannis Olivi in Buch II seines Sentenzenkommentars

23 F.-X. Putallaz, La connaissance de soi au X l l l e siecle. De Matthieu d'Aquasparta a Thierry


de Freiberg (Etudes de Philosophie medievale 67), Paris 1991, 393.
24 Anonymus, Lectura in librum de anima I 1 q.4, ed. R.-A. Gauthier, Anonymi, magistri artium
(c.1245 —1250) lectura in librum de anima a quodam discipulo reportata (Ms. Roma Na2.
V. E. 828), Grottaferrata 1985, 9,1.247-10, 1.271 (Spicilegium Bonaventurianum 24).
25 Anonymus, Questiones super librum de anima I {q.9) (Siena, Biblioteca Comunale,
L. 111.21, fol. 138ra—rb): „Queritur; utrum sit d i f f i d l e acdpere notidam de anima. ... Dicendum,
quod duplex est cogniäo anime. Una est cogniäo per exempla sibi concreata; ... Sed alia est cogniäo anime
performas adquisitas, ...".
26 Petrus Hispanus, Sententia cum questionibus in libros de anima Probl.l q.3 (ed. Alonso
Alonso, 67 1.19-69 1.5); ebd. q.9 (72, 1.18-73, 1.32).
27 Galfrid von Aspall, Questiones in I — III de anima (Oxford, Merton College, 272, fol. 191vb):
„Utrum tarnen anima intelligat se ipsam per suam speciem proprium, dtfßalis est questio, que debet
determinari in 3° huius".
28 Eustachius von Arras, Questio de anima (Firenze, BNC, Conv.soppr. B.6.912, fol.
140vb— 141rb): „Septimo queritur, utrum anima cognoscat se ipsam per essentiam".
29 Gerhard von Abbeville, Quodl. IV q.l, ed. A. Pattin, L'anthropologie de Gerard d'Abbeville.
Etude preliminaire et edition critique de plusieurs Questions quodlibetiques concernant le
sujet, avec l'6dition complete du De cogitationibus (Ancient and Medieval Philosophy [Series
1) 14), Leuven 1993, 2 4 - 2 9 .
30 Johannes Pecham, Quodl. IV q.27c, ed. F. Delorme/G. J. Etzkorn, Fr. Ioannis Pecham,
O. F. M., Quodlibeta quatuor (Bibliotheca Franciscana Scholastica Medii Aevi 25), Grottafer-
rata 1989, 235 — 236; id., Quaestiones de anima q.9, ed. H. Spettmann, Johannis Pechami
quaestiones tractantes de anima (BGPhMA 19/5-6), Münster 1918, 8 3 - 8 8 ; ibid., q.39
(213-216).
31 Matthaeus von Aquasparta, Quaestiones disputatae de cognitione q.5, eds. PP. Collegii S. Bo-
naventurae, Fr. Matthaeus ab Aquasparta: Quaestiones de fide et de cognitione (Bibliotheca
Franciscana Scholastica Medii Aevi 1), Quaracchi 2 1957, 292-316.

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Philosophische Selbsterkenntnis des Menschen 63

(1277/1283) 3 2 oder Roger Mars ton in seinen Quaestiones disputatae (1281/


1284) 3 3 . Die mit Isaaks Definition verbundene Frage ging allem Anschein
nach, ohne als solche geklärt worden zu sein, in die Frage nach der Selbster-
kenntnis der Seele über. Damit aber verband sich ein grundlegender Blick-
wechsel. Gefragt wurde nicht mehr nach einer primären Selbsterkenntnis des
Menschen als ganzen, sondern nach der Selbsttransparenz, dem wesenhaften
erkenntnismäßigen Selbstbesitz der intellektiven Seele. Zu klären war dann
auch nicht, inwiefern der ganze Mensch primäres Erkenntnisobjekt sowie ein
Erkenntnisprinzip für die Gesamtheit der Dinge zu sein vermag, sondern
allenfalls, inwiefern möglicherweise die Seele ein primo notum und prinäpium
cognoscendi alia34 darstellt.
Zur Blickverschiebung von der Frage nach der primären Selbsterkenntnis
des Menschen hin zur Frage nach der Selbsterkenntnis der intellektiven Seele
mag ein Bündel von Faktoren beigetragen haben. Es liegt aber nahe zu ver-
muten, daß von diesen vor allem drei maßgeblich waren. Ein erster ist im
Gewicht der neuplatonisch-augustinischen Tradition zu sehen, die die
menschliche Selbsterkenntnis wesentlich als eine Erkenntnis der Seele begriff.
Ein zweiter ergab sich daraus, daß die Selbsterkenntnis des Menschen und
eine mit ihr einhergehende Gesamtwelterkenntnis in jedem Fall nur durch
die Seele (per animam^) geschehen kann, wie dies auch eine Aussage Algazels
in seiner Metaphysik hervorzuheben schien 36 . Schließlich dürfte den Blick-
wechsel begünstigt haben, daß in den vielzitierten Textstellen aus der pseudo-
augustinischen Schrift „De spiritu et anima" und aus Buch III „De anima"
des Stagiriten von der Seele ausgesagt wird, daß sie das Bild von allem bzw.
daß sie in gewisser Weise alles sei 37 , wie Isaak dies ähnlich für den Menschen
als ganzen annahm.
Wenn tatsächlich die Frage einer Selbsterkenntnis des Menschen als prima-
num obiectum durch die Frage nach der Selbsterkenntnis der Seele überlagert
oder resorbiert wurde, wie stellt sich dann hinsichtlich der Seele die Frage
einer unmittelbaren Selbsterkenntnis dar, die — in Analogie zu Isaaks Idee

32 Petrus Johannis Olivi, Quaestiones in II librum Sententiarum q.76, ed. B. Jansen, Fr. Petrus
Iohannis Olivi O. F. M., Quaestiones in secundum librum sententiarum, III (Bibliotheca
Franciscana Medii Aevi 6), Ad Claras Aquas (Quaracchi) 1926, 1 4 5 - 1 4 9 .
33 Roger Marston, Quaestiones disputatae q.l, eds. PP. Collegii S. Bonaventurae (Bibliotheca
Franciscana Scholastica Medii Aevi 7), Quaracchi 1932, 201 — 227.
34 Zur Terminologie Thomas von Aquin, Summa contra gentiles III c.46 (Ed. Leon. XIV,
123 a).
35 So im anonymen Commentum in de anima Prol. (Erfurt, Wissenschaftliche Allgemeinbiblio-
thek, CA 2° 308, fol. 44vb): „Ideo dicit Commentator 3° de anima, quod quando homo cognosdt
omnia per animam et maxime se ipsum, tunc cognosdt deum et quodammodo omnia alia".
36 Algazel, Metaphysica I tr.3, ed. J. T. Mückle, Algazel's Metaphysics: A Mediaeval Translation,
Toronto 1933, 64,1.9 — 13. Zur Deutung dieses Textes ist sehr hilfreich die Ubersetzung von
M. Alonso Alonso, Algazel, Maqasid Al-Falasifa ο Intenciones de los filösofos. Traducciön,
prölogo y notas (Libros „Pensamiento", Serie: Difusiön 3), Barcelona 1963, 151.
37 Anonymus, De spiritu et anima c.6 (PL 40, 783); Aristoteles, An. III 8 (431 b20 sqq.).

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64 Theodor W. Köhler

hinsichtlich des Menschen als ganzen — zum Ausgangspunkt für Welter-


kenntnis werden könnte?
Generell war die Vorstellung einer unmittelbaren Selbsterkenntnis der
Seele streng aristotelisch geprägtem Denken fremd 3 8 . Eine grundsätzlich an
ihm orienderte Position — wie vor allem diejenige des Thomas von Aquin
und seiner Gefolgsleute es war — schloß von vornherein aus, daß die Seele
als unmittelbares Erkenntnisobjekt und dadurch als möglicher Ausgangs-
punkt für Welterkenntnis angesehen werden konnte. Eine positive Antwort
auf die Frage ist daher allenfalls von Autoren zu erwarten, die sich prinzipiell
an die platonisierend-augustinische Grundkonzeption halten und in der einen
oder anderen Weise annehmen, daß die Seele entweder allein auf Grund ihrer
Gegenwart oder mittels eines von ihr autonom hervorgebrachten Abbildes
ihrer selbst innewird.
Wiederum ist es hier nicht möglich, die einschlägigen Äußerungen der
Magister zur Seelenerkenntnis in ihren einzelnen Aspekten und Nuancie-
rungen darzustellen und zu dokumentieren. Die Lehrentwicklung in dieser
Frage ist vor allem dank der Studien von Putallaz zumindest für das letzte
Drittel des Jahrhunderts sehr gut untersucht 39 . Es genügt hier insgesamt
festzustellen, daß sich im Verlauf des dreizehnten Jahrhunderts keine ein-
heitliche Konzeption für die Selbsterkenntnis der intellektiven Seele ausge-
bildet hat. Insbesondere bestand kein Einvernehmen darüber, inwiefern
der Seele eine immanent vollzogene Selbsterkenntnis — entweder auf
Grund ihrer bloßen Gegenwart oder auf Grund eines intern hervorge-
brachten Erkenntnisbildes — zuzusprechen sei. Die Autoren, die eine
solche Möglichkeit prinzipiell bejahten, differenzierten ihre Positionen in
mehrfacher Hinsicht. Im Hinblick auf unser Thema sind vor allem die
folgenden Differenzierungen von Bedeutung: Entweder beschränkten die
Autoren die unmittelbare, immanent vollzogene seelische Selbsterkenntnis
auf die vom Leib getrennte Seele oder sie sahen sie infolge der körperge-
bundenen Existenzweise der Seele nicht einfachhin für gegeben an, son-
dern machten sie von einer zuvor bewußt vollzogenen Abwendung vom
Sinnlichen abhängig oder sie nahmen außer ihr auch andere Erkenntniswei-
sen an und deklarierten die ausschlaggebende Selbsterkenntnis der Seele
hinsichtlich ihrer allgemeinen Wesenheit, auch wenn sie sich immanent
vollzieht, als schwierigen diskursiven Prozeß.
Zur hieran anknüpfenden Frage, inwieweit die Seele als möglicher Aus-
gangspunkt für Welterkenntnis in Betracht kam, läßt sich folgendes bemer-
ken. Für die Autoren, die durchgängig einer streng aristotelischen Konzep-
tion von Erkenntnis folgten und die jede Selbsterkenntnis der Seele als
Ergebnis vorheriger Außenwelterkenntnis auffaßten, stellte sich diese Frage

38 Cf. Putallaz, La connaissance (Anm. 23), 386.


39 F.-X. Putallaz, Le sens de la reflexion chez Thomas d'Aquin, 1991; id., La connaissance
(Anm. 23); hier auch weitere Literatur.

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Philosophische Selbsterkenntnis des Menschen 65

von vornherein nicht. Den übrigen, mehr oder minder stark neuplatoni-
schem und augustinischem Gedankengut verpflichteten Magistern stand
prinzipiell der Weg zu einem Denkmodell offen, in welchem die Seele,
von sich selbst als Erkenntnisprinzip ausgehend, die Welt begreift. Manche
von ihnen haben diese Möglichkeit auch gesehen und sie als solche
artikuliert.
Den spekulativ fruchtbarsten Ansatz bot zweifellos Dietrich von Freiberg
mit seiner weit über die eigene Zeit hinausweisenden Konzeption des
menschlichen Intellekts40, der nicht nur naturhaft als geistiges Prinzip des
einzelnen Menschen, sondern vor allem als transempirische Intellektualität in
seinem Wesen als Intellekt zu denken ist. Das für das dreizehnte Jahrhundert
unerhört Neue von Dietrichs Ansatz, der zugleich durch eine gewisse Gedan-
kenähnlichkeit mit bestimmten Elementen des transzendentalphilosophi-
schen Ansatzes Kants überrascht 41 , besteht darin, — weit über Albert den
Großen hinaus — den menschlichen Intellekt als Intellekt auf seine innere
dynamische Struktur hin reflektiert zu haben. So wie der tätige Intellekt als
intellectus per essentiam sich erkennend selbst besitzt, erkennt er alles Andere
seiner selbst, das gesamte Seiende. Er erkennt es durch seine eigene Wesen-
heit, in derselben Weise, wie er sich selbst erkennt, und durch denselben
einfachen Erkenntnisakt. Er ist Urbild und Ähnlichkeit des Seienden als Sei-
enden42, in intellektueller Weise gewissermaßen das gesamte Seiende43 oder
— in der Formulierung von Kurt Flasch — „substantielle geistige Gegenwart
der Gesamtheit der Welt"44. In diesem Leben aber ist es nicht so, daß der
tätige Intellekt gänzlich zur Form des möglichen Intellekts, mit dem wir

40 Zu Dietrichs Intellektlehre insgesamt äußerten sich B. Mojsisch, Die Theorie des Intellekts
bei Dietrich von Freiberg (Beihefte zu Dietrich von Freiberg Opera omnia 1), Hamburg
1977; id., Dietrich von Freiberg, Abhandlung über den Intellekt und Erkenntnisinhalt. Über-
setzt und mit einer Einleitung herausgegeben (Philosophische Bibliothek 322), Hamburg
1980, XV-XXXIV; id., Dietrich von Freiberg: Tractatus de origine rerum praedicamentalium,
in: K. Flasch (ed.), Interpretationen, Hauptwerke der Philosophie, Mittelalter (Universal-
Bibliothek 8741), Stuttgart 1998, 3 1 8 - 3 3 2 ; K. Flasch, Das philosophische Denken im Mit-
telalter. Von Augustin zu Macchiavelli (Universal-Bibliothek 8342[8]), Stuttgart 1986,
397sqq.; id., Convert! ut imago - Rückkehr als Bild, in: Freib. Z. Philos. Theol. 45 (1998),
1 3 0 - 1 5 0 ; Putallaz, La connaissance (Anm. 23), 3 0 3 - 3 8 0 ; T. Suarez-Nani, Remarques sur
l'identite de l'intellect et l'alterite de l'individu chez Thierry de Freiberg, in: Freib. Z. Philos.
Theol. 45 (1998), 9 6 - 1 1 5 .
41 Cf. K. Flasch, Von Dietrich zu Albert, in: R. Imbach/Ch. Flüeler (eds.), Albert der Große
und die deutsche Dominikanerschule. Philosophische Perspektiven, Freiburg (Schweiz) 1985,
7 - 2 6 , hier: 9 sq. (Sonderdruck aus der Freib. Z. Philos. Theol., Band 32 [1985]); id., Kennt
die mittelalterliche Philosophie die konstitutive Funktion des menschlichen Denkens? in:
Kant-Studien 63 (1972), 1 8 2 - 2 0 6 ; Mojsisch, Die Theorie (Anm. 40), 77sqq.
42 Dietrich von Freiberg, De visione beatifica 1.1.5, 1 (Opera omnia I, 30, 1.62-69); ibid.,
1.1.4, 1 (28, 1.2-4); 1.2.1.1.7, 4 (43, 1.31-33); id., De intellectu et intelligibili II 1, 1 (Opera
omnia I, 146, 1.5-6); ibid., II 40, 1 (177, 1.62).
43 Dietrich von Freiberg, De visione beatifica 1.1.4, 1 (Opera omnia I, 2 8 - 2 9 , 1.10-13).
44 Flasch, Das philosophische Denken (Anm. 40), 400.

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66 Theodor W. Köhler

erkennen, wird und diesem die ganze Fülle der in ihm aufstrahlenden Wahr-
heiten mitteilt 45 . Unser gegenwärtiges Erkennen ist keine unmittelbare Schau,
sondern vollzieht sich schrittweise46.

III.

Bei Dietrich sind also die beiden Isaak-Elemente vorhanden: unmittelbare


Selbsterkenntnis (Intellekt als Primärobjekt) und Erkenntnis des gesamten
Seienden im Vollzug der Selbsterkenntnis — sogar in hervorragender, näm-
lich konstitutiver Weise. Seine Gedankengänge zeigen, daß die durch Isaaks
anthropologische Philosophiebeschreibung angestoßene Frage nach der
Selbsterkenntnis des Menschen als primarium obiectum und möglichem formel-
lem Ausgangspunkt für die Gesamtwelterkenntnis in Gestalt der Frage nach
der Selbsterkenntnis der Vernunftseele bzw. der Selbsterkenntnis des Intel-
lekts an sich eine theoretisch schlüssige Antwort finden konnte.
Gleichwohl ist letztlich — soweit die untersuchten Quellen es erkennen
lassen — kein konkreter Versuch durchgeführt worden, der Seele für das
wissenschaftliche Erkenntnisstreben diejenige Rolle zu übertragen, die nach
Isaaks These der ganze Mensch zu spielen hat. Der Grund für diese Unterlas-
sung ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Quellenzeugnisse,
läßt sich aber aus den darin dargelegten Gedankengängen erschließen. Es
handelt sich offenbar um den oft betonten Umstand, daß die Bindung der
Seele an den Leib und seine Bedürfnisse diese ablenkt, sie mit hemmenden
Eindrücken belastet und so ihre Selbsterkenntnisfähigkeit stark beeinträch-
tigt. Infolgedessen ist die Selbsterkenntnis der Seele schwierig und, auch
wenn sie als Frucht von Bemühungen dennoch zustande kommt, mit einem
prinzipiellen Mangel belastet, der ihren möglichen Wert als Ausgangspunkt
für wissenschaftliche Welterkenntnis von vornherein fragwürdig erscheinen
läßt. In einer Wahl der Seele als Ausgangspunkt läge ja nur dann ein Sinn,
wenn die auf diesem Weg erreichbare Welterkenntnis sich gegenüber der
normalen, über die Sinne erlangten durch ein höheres Maß an Zugänglich-
keit, Zuverlässigkeit oder durch größere Reichweite auszeichnete. Daher ist
verständlich, daß Isaaks methodischer Impuls sich nicht zu einer Modifika-
tion eignete, mit der der sich selbst erkennenden Seele die Aufgabe aufgebür-
det würde, die Isaak dem ganzen Menschen zugedacht hatte, nämlich Prinzip
für Welterkenntnis zu sein. Daraus ergibt sich dann auch im speziellen eine

45 Dietrich von Freiberg, De visione beatifica 4.2.1., 4 (Opera omnia I, 107, 1.56-59). Cf.
E. Krebs, Meister Dietrich (Theodoricus Teutonicus de Vriberg). Sein Leben, seine Werke,
seine Wissenschaft (BGPhMA 5 / 5 - 6 ) , Münster 1906, 115 sq.; Albert der Große, De anima
III tr.3 c.l2 (Ed. Colon. VII/1, 224, 1.90 - 225, 1.15).
46 Cf. Krebs, Meister Dietrich (Anm. 45), 118; K. Flasch, Aufklärung im Mittelalter? Die Verur-
teilung von 1277 (excerpta classica 6), Mainz 1989, 195.

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Philosophische Selbsterkenntnis des Menschen 67

Erklärung dafür, daß die seelische Selbsterkenntnis nicht als Ansatzpunkt


für eine besondere Vorgehensweise im philosophischen Bemühen um den
Menschen gedient hat. Autoren, die der intellektiven Seele wesenhafte Selbst-
transparenz und in diesem Sinne den Status eines Ersterkannten zusprachen,
formulierten damit überwiegend ein ontologisches Urteil über die Eigentüm-
lichkeiten der intellektiven Seele. Sie wiesen diese damit allenfalls als ein primo
notum quoad se, nicht aber in einer für das menschliche Erkenntnisstreben
relevanten Hinsicht formell als ein primo notum quoad nos auf.
Die Sichtweise vom Menschen als Erkenntnisprinzip erlangte daher weder
in ihrer ursprünglichen noch in ihrer modifizierten Form neben der objekti-
vierenden Sichtweise vom Menschen als Erkenntnisgegenstand wissen-
schaftsprakdsche Bedeutung. Sie blieb ein spekulativ aufgewiesener Ansatz,
der im konkreten philosophischen Untersuchungsprozeß methodisch direkt
nicht wirksam wurde. Bedeutsam aber war diese Konzeption insofern, als sie
innerhalb des von einem Bemühen um philosopische Gesamterkenntnis des
Menschen bestimmten philosophisch-anthropologischen Diskurses des drei-
zehnten Jahrhunderts dazu beigetragen hat, den Menschen in seiner Subjekti-
vität zur Geltung zu bringen.

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Konstruktive Intellektualität
Dietrich von Freiberg und seine neue Intellekttheorie

BURKHARD MOJSISCH ( B O C H U M )

1. In einer erst kürzlich erschienenen und mit einer Neuübersetzung ver-


sehenen Ausgabe der Aristotelischen Schrift „Categoriae" findet sich in der
Einleitung folgende Bemerkung: „Nachdem Boethius mit der Behauptung:
,praedicamentorum tractatus non de rebus, sed de voäbus est' die kategoriale Thematik
ganz auf die nominalistische Seite gesetzt hatte, ist der vielstimmigen mittelal-
terlichen Interpretationsgeschichte der Kategorienschrift wohl kaum Unrecht
getan, wenn man feststellt, daß Originalität hier nicht entbunden worden
ist" 1 . Diese Bemerkung eines Nicht-Mediävisten, daß es die Philosophie des
Mittelalters im Blick auf die Durchdringung der Kategorienproblematik trotz
zahlreicher Versuche an Originalität habe fehlen lassen, verdiente — da völlig
absurd — gar keine Beachtung, wenn sie nicht implizit die mißliche Empfeh-
lung enthielte, ein Studium der Kategorialproblematik im Mittelalter sei nicht
der Mühe wert, da die Abbilder — sprich: die Philosophen des Mittelalters
— die Theorie des Urbildes — sprich: des Aristoteles — zwar unentwegt
repetiert hätten, aber zu einem eigenständigen Fortdenken dieser Theorie
nicht in der Lage gewesen seien. Diese krasse Fehleinschätzung ist leicht
widerlegbar, indem man sich der Philosophie des Mittelalters, respektive der
intellekttheoretisch fundierten Kategorialanalyse, selbst zuwendet und sich
nicht zu ungeprüften Pauschalurteilen hinreißen läßt.
Vielleicht war es sogar Augustin, der zu einer solchen Fehleinschätzung
Anlaß bot; denn er hatte Aristoteles' Kategorienschrift gelesen, allein, ohne
Mithilfe von Lehrern, und war nach dieser Lektüre über ihren Gehalt nicht
nur enttäuscht, sondern hielt ihn sogar für schädlich, da in diesen Kategorien
alles beschlossen sein sollte, was existiere, so daß sich für Augustin der Schluß
nahelegte: Gott sei als Substanz Fundament für die ihm inhärierenden Akzi-
dentien der Größe und Schönheit — eine von Augustin als verfehlt angese-
hene Vorstellung von Gott, der doch seine Größe und Schönheit selbst ist 2 .

1 Aristoteles, Kategorien, Hermeneutik ..., gr./dt., hrsg., übers., mit Einleitungen und Anm.
vers, von H. G. Zekl, Hamburg 1998, X (PhB 493).
2 Cf. Augustinus, Conf. IV 16, 28. - Diese Schrift erwähnte Augustins Rhetoriklehrer in
Karthago stets nur mit vor Dünkel aufgeblasenen Backen, was Augustin nach ihrer Lektüre
unverständlich war. - Zum Schicksal der aristotelischen Kategorienschrift vor Boethius cf.:
L. Minio-Paluello, Opuscula. The Latin Aristotle, Amsterdam 1972, 3 0 - 3 3 .

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Konstruktive Intellektualität 69

Was aber Augustin — so die vermutete Fehleinschätzung — nicht für nach-


denkenswert hielt, wurde auch später — also im Mittelalter — für marginal
erachtet, bis dann in der Neuzeit die aristotelische Kategorialproblematik
innovativ diskutiert wurde.

2. Nach dem Bekanntwerden aller Schriften des Aristoteles im XII. und


XIII. Jahrhundert 3 stieg jedoch das Interesse an seiner Philosophie im gan-
zen, gerade auch an seiner Naturphilosophie und Metaphysik, die Augustin
jedenfalls unbekannt waren. Naturphilosophische und metaphysische Frage-
stellungen miteinander verquickt hat dann Dietrich von Freiberg in seinem
um 1280 konzipierten „Tractatus de origine rerum praedicamentalium"4, in
dem er nach dem Ursprung der kategorial bestimmten Wirklichkeit fragt. Im
Rahmen seiner neuen Intellekttheorie ermittelt er die theoretische Vernunft
des Menschen, den sog. verwirklichten möglichen Intellekt, als aktiv-kon-
struktives Prinzip dieser kategorial bestimmten Wirklichkeit, genauer: als
causa effiäens, als Wirkursache, für ihre metaphysisch zu begreifenden Gegen-
stände, nämlich die quiditas (Washeit) und das mit ihr identische quid (Was)
des Naturgegenstandes. Wie jedwede Art von Intellektualität, so ist auch der
verwirklichte mögliche Intellekt in Dietrichs Intellekttheorie kein intellectus
passivus, sondern aktives Erkenntnisprinzip — man könnte auch sagen: princi-
pium principiorum, aktives Prinzip für die den Naturgegenstand bestimmenden
Prinzipien, die seine Washeit ausmachen und ihn als Was determinieren.

3. Weder bei Aristoteles noch bei Augustin noch bei Boethius findet sich
freilich eine derartige Theorie; Dietrich5 nennt gleichwohl diese Autoritäten,
um nicht gänzlich allein dazustehen; es bleibt jedoch: Dietrich war der
πρώτος εύρετής, der primus inventor, einer ausgearbeiteten intellekttheoretisch
fundierten Kategorialanalyse. Zu Recht verdient Dietrich daher den Titel „der
niuwe meister"6, der ihm allerdings von einem anonymen Autor des
XIV. Jahrhunderts aufgrund seiner aristotelisch-augustinisch-proklischen

3 Cf. B. G. Dod, Aristoteles Latinus, in: N. Kretzmann/A. Kenny/J. Pinborg (eds.), The Cam-
bridge History of Later Medieval Philosophy, Cambridge - New Y o r k - N e w Rochelle - Mel-
bourne—Sydney 1982 (first paperback edition 1988), 4 5 - 7 9 .
4 Cf. Theodoricus de Vriberch (Dietrich von Freiberg), Tractatus de origine rerum praedica-
mentalium, ed. L. Sturlese, Hamburg 1 9 8 3 , 1 3 5 — 201 (Corpus Philosophorum Teutonicorum
Medii Aevi II, 3). - Zur Interpretationsgeschichte cf.: Β. Mojsisch, Dietrich von Freiberg:
Tractatus de origine rerum praedicamentalium, in: K. Flasch (ed.), Hauptwerke der Philoso-
phie: Mittelalter, Stuttgart 1998, Anm. 1 sq.
5 Cf. Theodor., De orig. 5, 2; 181, 1 2 - 1 9 .
6 Anonymus, in: Fr. Pfeiffer (ed.), Meister Eckhart. Predigten, Traktate, Leipzig 1 8 5 7 (ND
Aalen 1962), 251 (Predigt 77); 622 sq. (Sprüche 65). - Cf. Dietrich von Freiberg, Abhand-
lung über den Intellekt und den Erkenntnisinhalt, übers, und mit einer Einl. hrsg. von B.
Mojsisch, Hamburg 1980, XXII u. XXXIII, Anm. 61 (PhB 322). - Cf. auch: K. Ruh,
Geschichte der abendländischen Mystik III, München 1996, 186 sqq.

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70 Burkhard Mojsisch

Theorie 7 des tätigen Intellekts als des abditum mentis oder der hypostatischen
Vernunft zuerkannt worden ist; von mir erhält er diesen Titel gerade auch
wegen seiner neuartigen Theorie intellektualer Konstruktivität im Falle des
durch den tätigen Intellekt verwirklichten möglichen Intellekts, wobei er das
Bedingungsverhältnis zwischen tätigem und möglichem Intellekt jedoch erst
in späteren Schriften näher expliziert. Die Konzeption einer solchen Theorie
intellektualer Konstruktivität lag freilich gleichsam in der Luft.

4. Averroes 8 spricht von einer Form, die in der Seele, und einer Form,
die im Körper anzutreffen sei; die Form im Körper stamme aber von der
Form in der Seele, präziser: Beide Formen seien identisch. So sei die Gesund-
heit als Form oder Begriff in der Seele nichts anderes als die Gesundheit als
Form im Körper; denn wer weiß, was die Gesundheit ist, nämlich der Medizi-
ner, vermag sie am ehesten auch im körperlichen Bereich zu bewirken. —
Dieses Modell des Averroes gilt freilich nur im Rahmen der artifiziellen Ver-
nunft; Dietrich verwendet es translative, also im Bereich der theoretischen
Vernunft, des verwirklichten möglichen Intellekts.
Albert der Große 9 konstatiert in seiner „Metaphysica": „Sed hoc est non prae-
tereundum, quod in his formis quae nullo modo sunt in potentia materiae, intellectus est
formae prima causa". (,Dies aber darf nicht übergangen werden, daß im Falle
derjenigen Formen, die überhaupt nicht in der Möglichkeit der Materie anzu-
treffen sind, der Intellekt Erstursache für die Form ist'.) Diese nicht näherhin
explizierte Sentenz Alberts dürfte Dietrich aufgegriffen, mit der aristoteli-
schen Definitionstheorie verbunden und zu seiner eigenen Theorie intellek-
tualer Effizienzursächlichkeit bezüglich der wesentlichen Prinzipien des na-
türlichen Seienden ausgearbeitet haben. Schon bei Albert begegnet jedenfalls
das Theorem, daß der (theoretische) Intellekt Primärursache der Form (der
Washeit) des Naturgegenstandes ist; Albert sagt allerdings noch nicht, an
welche Art von Ursache er dabei denkt; vielleicht hat er Dietrich in Köln
sogar einmal aufgefordert, diese Theorie näher zu entwickeln; vielleicht war
es sogar Dietrich, der Albert entsprechende Gedanken vortrug und ihn zu
dieser singulären Bemerkung veranlaßte; das bleibt jedoch reine Spekulation.
Siger von Brabant 10 vertritt eine Mittelposition: Die Theorie, der intellectus
possibilis sei ein intellectus passivus, lehnt er ab; gleichwohl ist für ihn der Intellekt

7 Cf. zu dieser Theorie: B. Mojsisch, Die Theorie des Intellekts bei Dietrich von Freiberg,
Hamburg 1977, 4 6 - 7 1 .
8 Cf. Averroes, In Aristotelis Metaph. VII, in: Aristotelis Opera cum Averrois Commentariis,
vol. VIII, Venetiis 1562 (ND Frankfurt a. M. 1962), 173 ν I.
9 Albertus Magnus, Metaph. VII 2, 10; Ed. Colon. XVI/2, 353, 8 7 - 8 9 .
10 Cf. Siger de Brabant, Quaestiones in tertium De anima ..., ed. B. Bazän, Louvain — Paris
1972, 18, 25 — 28: „Cum igitur ,in' intellectu nulla sit transmutatio, vult AVERROES quod in eo
nulla sit materia et in intellectu nulla sit passio vel transmutatio, ut vult AVERROES, sed sola receptio".
Ibid., 40, 24 — 27: „Intelligas tarnen quod intellectus possibilis non est,naturae' materialis ad comprehen-
sionem intelligibilium, quia plus aguntur intelligibilia ab intellectu quam agatur,intellectus' ab intelligibili-
bus". Ibid., 43, 98 - 1 0 0 : „ Vel aliter dicendum quod plus videtur intellectus movere intelligibilia quam
moveri ab intelligibilibus".

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Konstruktive Intellektualität 71

nicht schlechthin aktiv; er ist rezeptiv, insofern aber bedingt aktiv: Der Intel-
lekt erkennt; insofern ist er aktiv; er erkennt aber nur aktiv, indem er seinen
universalen Erkenntnisinhalt rezipiert.

5. Dietrich erklärt hingegen, daß der verwirklichte mögliche Intellekt ohne


jede Einschränkung aktiv ist, das heißt: seine Erkenntnisinhalte als Effizienz-
ursache begründet. Dem Intellekt eignet weder Material- noch Finalursäch-
lichkeit, aber auch nicht Formalursächlichkeit, weil die Form zwar die Seiend-
heit des Seienden in seiner Zusammengesetztheit aus Form und Materie ver-
bürgt, selbst aber nur potentiell das Seiende als ganzes werden zu lassen in
der Lage ist 11 . Daher bedarf es einer Effizienzursache, um die Form ihre das
Seiende verwirklichende Funktion ausüben zu lassen 12 ; diese Effizienzur-
sache ist der Intellekt, der verwirklichte mögliche Intellekt 13 .

6. Das Neue bei Dietrich gegenüber Aristoteles: Die Form war bei Aristo-
teles stets ενέργεια, actus, Wirklichkeit; bei Dietrich ist sie nur potentiell
Wirklichkeit; erst dann, wenn sie durch den Intellekt als ihre Effizienzursache
aus ihrer Möglichkeit in die Wirklichkeit überführt wird — was insofern not-
wendig ist, als nichts sich selbst aus der Möglichkeit in die Wirklichkeit ver-
setzt —, vermag sie ihre wirklichkeitsbegründende Funktion auszuüben.
Innovativ gegenüber Aristoteles ist bei Dietrich aber auch folgende Argu-
mentation: Die Form als die Washeit mit ihren vor dem Ganzen anzutreffen-
den Teilen, der Gattung und der spezifischen Differenz, wird vom verwirk-
lichten möglichen Intellekt konstituiert, aber nicht nur die Washeit, sondern
auch das Was selbst, die species, die dem Naturgegenstand immanent ist 14 .
Washeit und Was determinieren den Naturgegenstand als ganzen, dies unter
intellekttheoretisch-metaphysischer Perspektive. Für den Akt der Determina-
tion, in dem der Intellekt dem Naturgegenstand die ihm, nämlich diesem
Gegenstand, eigentümlichen Prinzipien, also die Teile der Form als Washeit,
zuerkennt, führt Dietrich folgendes Argument an: „Praeterea in hac hominis
ratione, quae est animal rationale, duplicem invenimus distinctionem. Unam, quae est
harum formalium partium, scilicet animal, rationale, inter se; aliam, quae est istius ratio-
nis ab ea re naturae, cuius ista est propria ratio, ut ab homine. Neutram autem istarum
facit natura: Operatio enim naturae non terminatur nisi ad rem naturae inquantum
huiusmodi. Hae autem partes inter se simul etiam cum re subiecta sunt una res naturae.

11 Cf. Theodor., De orig. 5, 15; 184, 100 — 103: „Forma enim se ipsam non determinat in matenam,
sed est in ratione potentiae respectu determinantis ipsam, cum ipsa secundum se non sit ens completum, sed
illud solum, quod componttur ex ipsa et subiecto".
12 Cf. Theodor., De orig. 5, 15; 184, 1 0 3 - 1 0 9 .
13 Cf. Theodor., De orig. 5, 45; 194, 450 — 452: „Relinquitur igitur secundumpraediäa, quod intellectus
respectu verum primo et per se intelligibilium habeat rationem et modum causae effiäentis". — Dies wird
nach längeren Analysen Dietrichs als Resultat festgehalten. Aufgeworfen wird das Problem
bereits: De orig. 5, 15.
14 Cf. Theodor., De orig. 5, 26; 187, 2 2 1 - 2 2 4 .

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72 Burkhard Mojsisch

Sunt igitur huiusmodi ab intellectu distinguente et per hoc effiäente ea: Idem enim est in
huiusmodi distinguere et efßcere"15. (.Außerdem stoßen wir in der Bestimmung
des Menschen, nämlich .vernünftiges Lebewesen', auf eine doppelte Unter-
scheidung: die eine, die zwischen den formalen Teilen, nämlich ,Lebewesen'
und .vernünftig', untereinander besteht; die andere, die 2wischen dieser Be-
stimmung und demjenigen Naturding, für das dies die ihm eigentümliche
Bestimmung ist, so dem Menschen, anzutreffen ist. Keine dieser Unterschei-
dungen aber trifft die Natur; denn die Tätigkeit der Natur richtet sich nur
auf das Naturding als solches. Diese Teile untereinander aber bilden zusam-
men mit dem zugrundeliegenden Ding das eine Naturding. Derartiges
stammt folglich vom Intellekt, der es unterscheidet und dadurch bewirkt: Bei
derartigem sind nämlich das Unterscheiden und das Bewirken identisch'.)
Der Intellekt wirkt somit in seinem Unterscheiden auf den Naturgegenstand
und verbindet auf diese Weise Differentes zu dem einen Naturgegenstand,
freilich stets und ausschließlich so, daß der Naturgegenstand ein Was ist und
washeitliches Sein besitzt: „ . . . in eo, quod est quid et habet esse quiditativum'nb.
Hinsichtlich der Differenz zwischen Natur und Intellekt als solchen kon-
statiert Dietrich, daß alle Formen, die im Bereich der entsteh- und vergehba-
ren Natur anzutreffen sind, nichts anderes sind als bestimmte Formen, indivi-
duelle Formen. Der Gegenstand des Intellekts ist hingegen kein bestimmtes
Seiendes als bestimmtes, kein ens hoc ut hoc, sondern Seiendes schlechthin, ens
simpliäter. Da somit die Natur im Bereich der entsteh- und vergehbaren Dinge
nur bewirkt, daß bestimmte Seiende, individuelle Seiende, der Wirklichkeit
nach existieren, bringt sie Seiendes schlechthin nur dadurch hervor, daß sie
Individuen hervorbringt und deren sukzessiven Zusammenhang bewirkt. In-
sofern begegnet im Naturbereich Seiendes schlechthin als ganzes allerdings
nur der Möglichkeit nach, wobei unter ,Seiendem schlechthin' Allgemeines
im Sinne der Art als ganzer zu verstehen ist. Seiendes schlechthin als Gegen-
stand des Intellekts ist aber nicht Seiendes der Möglichkeit, sondern der
Wirklichkeit nach, sonst wäre dieser Gegenstand gar nicht Gegenstand in
strengem Sinne des Wortes. Daher verdankt die Form als reale Form diese
ihre Seiendheit der Tätigkeit des Intellekts. Wenn die allgemein anerkannte
Sentenz, daß der Intellekt in den Dingen das allgemeine Wesen hervorbringe,
nach Dietrich einen Sinn ergeben soll, dann nur insofern, als der Intellekt
dieses allgemeine Wesen real begründet und zugleich auch den Naturgegen-
stand als Was durch die Washeit konstituiert und dadurch Realität gewinnen
läßt 17 .
Es bleibt jedoch noch ein möglicher Einwand: Mag der Intellekt auch dem
Naturgegenstand die diesem Gegenstand eigentümlichen Prinzipien zuerken-
nen, so geschieht dies freilich nur auf die Weise des Erkennens, so daß gar

15 Theodor., De orig. 5, 31; 189, 270-280.


16 Theodor., De orig. 5, 30; 189, 268 sq.
17 Cf. Theodor., De orig. 5, 33; 190, 295-311.

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Konstruktive Intellektualität 73

kein Kausalitätsverhältnis vorliegt 18 . Dietrichs Gesamtargumentation hat je-


doch grundsätzlich dies zum Ziel, den Intellekt als konstruktive Effizienzur-
sache zu ermitteln. Daher besteht zwischen dem Intellekt als causa efficiens
und dem von ihm Begründeten, der Form des Naturgegenstandes, nicht etwa
nur ein gedankliches, sondern ein reales Dependenzverhältnis — wie das
übrigens bei allem, bei dem Eines auf ein Anderes wesentlich hingeordnet
ist, der Fall ist 19 . Daher kommt Dietrich eine Sentenz, die sich bei Albert
dem Großen und Thomas von Aquin findet, gerade recht: „Eadem" sunt
„principia essendi rem et cognoscendi ipsam"20. (,Die Prinzipien des Seins und des
Erkennens eines Dinges sind identisch'.) Dietrich legt ihre Sentenz so aus:
Was einem Seienden durch das Erkennen des Intellekts kausal attribuiert
wird, eignet diesem Seienden dann zugleich auch auf die Weise des Seins21.
Der Intellekt ist eben ein formaleres Seiendes als das Naturseiende; daher
wird er vom Naturseienden in keiner Weise affiziert, sondern er verleiht
dem Naturseienden überhaupt erst Sein, allerdings stets und ausschließlich
quiditatives Sein. Dann aber gilt: Alles, was der Intellekt erkennt, ist. Es gilt
aber nicht die Umkehrung: Alles, was ist, wird notwendig erkannt. Denn
jedes Naturding wird ganz von der Natur, ganz von der Erstursache, Gott,
und ganz vom Intellekt hervorgebracht, jedoch auf je unterschiedliche Weise,
so daß ein Naturding auch existieren kann, wenn es nicht erkannt wird 22 ; als
Erkenntnisgegenstand aber existiert es nur, wenn der Intellekt durch seine

18 Cf. Theodor., De orig. 5, 29; 189, 2 6 1 - 2 6 3 .


19 Cf. Theodor., De orig. 5, 1 7 - 2 0 ; 184, 1 1 7 - 1 8 5 , 153, bes. 127: „ . . . realis dependentiae unius
ab altero".
2 0 Albertus Magnus, Metaph. I 5, 8; Ed. Colon. XVI/1, 79, 3 0 - 3 3 ; Thomas Aquinas, Quaest.

de veritate III 3, 7.
2 1 Cf. Theodor., De orig. 5, 30; 189, 2 6 4 - 2 6 9 .
2 2 Cf. Theodor., De orig. 5, 36 sq.; 191, 3 4 6 - 1 9 2 , 383. - Cf. K. Flasch, Kennt die mittelalterli-

che Philosophie die konstitutive Funktion des menschlichen Denkens? Eine Untersuchung
zu Dietrich von Freiberg, in: Kant-Studien 63 (1972), 182 — 206. Flasch prägte in bezug auf
den hier vorliegenden Zusammenhang geglückterweise den Begriff „Simultankausalität" in
dem Sinne, daß jeder Naturgegenstand drei Ursachen besitzt, von denen er zugleich und als
ganzer hervorgebracht wird: das primum principium, Gott, die Natur und den verwirklichten
möglichen Intellekt. Diese Simultankausalität hat jedoch nur bedingt Geltung, nämlich im-
mer dann, wenn der Intellekt seine Aktivität ausübt. Dietrich formuliert entsprechend: „ . . .
quamvis huiusmodi res etiampraeter intellectum inveniri potest in natura . . . " (Theodor., De orig. 5,
37; 192, 382). Ein Naturgegenstand ist demnach auch dann Naturgegenstand, wenn er nicht
erkannt wird. Dietrich war somit nicht Kant, was Flasch aber selbst bereits 1972 angezeigt
hat: „Die Lehre von der Simultankausalität hätte also den Sinn, eine Berufung auf die konsti-
tutive Funktion unseres Denkens dann abzuweisen, wenn nach der empirischen Ursache
eines Naturvorgangs gefragt wird" (Flasch, 193). Gleichwohl bewegte sich Dietrichs Philoso-
phie hinsichtlich ihres Theorems konstitutiv-konstruktiver, effizient-kausaler, nicht durch
Passivität ausgezeichneter Intellektualerkenntnis in der Nähe der Philosophie Kants. Dietrich
sprach freilich stets von res (Dingen) — eine Kant fremde Redeweise, da in Kants theoreti-
scher Philosophie die Dinge durch Erscheinungen ersetzt werden. Cf. zur Theorie der Er-
scheinung in der Philosophie des Mittelalters: B. Mojsisch, Phänomen, in: J. Ritter/K. Grün-
der (eds.), Historisches Wörterbuch der Philosophie 7, Basel 1989, 4 6 4 - 4 7 1 .

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74 Burkhard Mojsisch

konstruktive Tätigkeit einen Gegenstand überhaupt erst zu einem Erkennt-


nisgegenstand w e r d e n läßt; f ü r diesen Erkenntnisgegenstand gilt dann aber,
daß er a u f g r u n d aktiven, nicht passiv-rezeptiven Erkennens ins reale Sein der
natürlichen Wirklichkeit begründet wird.
Erkenntnisgegenstände sind aber alle natürlichen Seienden, insofern sie
washeitliches Sein besitzen. Derartige Seiende sind die kategorial bestimmten
Seienden, also die Substanzen, die Quantitäten, die Qualitäten usw.; ferner
begegnet an derartigen natürlichen Seienden das, was sie in bestimmter Weise
qualifiziert, so das Maß, Bezüge oder Begleitmerkmale, Seinsweisen, die das,
was sie sind, auf vervollständigende Weise durch die Tätigkeit des Intellekts
sind; schließlich sind an diesen natürlichen Seienden Eigentümlichkeiten und
wesentliche A f f e k t i o n e n anzutreffen, die auch gemäß ihrer Washeit auf die
effizient-konstruktive Ursächlichkeit des Intellekts zurückzuführen sind 2 3 .

7. Mit dieser Theorie konstruktiv-effizienter Intellektualkausalität blieb


Dietrich ein Außenseiter mittelalterlichen Philosophierens. Diese Theorie
w u r d e nicht einmal v o n seinem sonst getreuen Rezipienten Berthold v o n
M o o s b u r g geteilt. Berthold erklärt unzweideutig: D e r (mögliche) Intellekt ist
passiv 2 4 ; seine Inhalte sind G e d a n k e n ( i n t e n t i o n e s ) ; G e d a n k e n besitzen jedoch

23 Cf. Theodor., De orig. 5, 4 7 - 4 9 ; 194, 463-195, 489.


24 Cf. Bertholdus de Mosburch (Berthold von Moosburg), Expositio super Elementationem
theologicam Procli, prop. 168 Α: zum intelkctus possibilis oder potentialis als „potentia passiva"
(im Druck); ibid., prop. 168 Β: „Ex quarta condiäone manifestum est, quod" intelkctus potentialis
„non intelligit rem nisi in suis principiis formalibus, quae sunt ante totum. Sic autem intelligere rem non
est intelligere earn per essentiam, tum quia res non est in suis principiis nisi causaliter et per consequens
intentionaliter, tum eüam quia, sicut apud naturam principia rei non determinant se ipsa ad hoc, quod
aliqua res sit ex ipsis, sed ad hoc necessarium est esse aliquid formalius et altius prinapium causale per
77 et duas sequentes, quod determinet prinäpia ad constitutionem rei constituendo rem ex suis prinäpiis,
ita necessarium est apud intellectum, ut scilicet essentia rei non sit quid intellectum ex suis prinäpiis nisi
faäente hoc altiori et formaliori principio intellectuali, quod in proposito non est nisi intelkctus formalis
factus in actu per intellectum agentem. In quo intellectu formali facto in actu altiori modo et formaliori
invenitur res sie intellectualis constituta et per consequens per suam intentionem, quia tale formalius esse
non est nisi rei intellectae intentio" (im Druck). - Berthold spricht noch die Sprache Dietrichs
— so verwendet auch er die Begriffe constitutio und constituere (er kannte also Dietrichs Schrift
„Tractatus de origine rerum praedicamentalium"), vertritt aber im Blick auf den inteUectus
potentialis (oder formalis factus in actu) eine von Dietrich abweichende Theorie, da — nach
Berthold - der Gegenstand des Erkennens als erkannter stets im Intellekt verbleibt, nämlich
als intentio. — Eine mit Bertholds Ansicht kongruierende Auffassung vertreten Th. Kobusch
und J. Halfwassen. Wenn ersterer konstatiert, daß „... Dietrich, wie überhaupt die mittelalter-
liche Philosophie, den Bereich des Naturhaften von dem des Gedachten oder Begriffenen
als solchen stets sauber trennt ...", und letzterer seine Ansicht teilt, kann ihnen mit Dietrich
selbst entgegengetreten werden: Wann für Dietrich der Erkenntnisinhalt als solcher eine
intentio rei ist und somit im Intellekt anzutreffen ist, wann der Erkenntnisinhalt als solcher
jedoch gerade außerhalb des Intellekts begegnet und die Sache in ihrem washeitlichen Sein
vom Intellekt begründet wird, ist knapp, aber klar in den §§ 42 und 43 des 5. Kapitels von
De orig. ausgeführt: „(42) Similiter dicendum de eo, quod est intelligible inquantum intelligibile, videlicet
quod uno modo nominat intentionem rei sive formam apud intellectum, qua res intelligitur; et ita non
invenitur extra intellectum, nec habet rationem obiecti. Alio modo dicitur intelligibile inquantum huiusmodi
res ipsa extra intellectum, inquantum ad ipsam terminatur operatio intelligibilis. Tertio modo diätur intelligi-

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Konstruktive Intellektualität 75

ausschließlich intramentales Sein, setzen nichts in der extramentalen Realität.


Nur wenn Gedanken exklusiv intentionales Sein besitzen, dann ist, so Bert-
hold, Boethius' Diktum 25 Genüge getan: Alles, was erkannt werde, das werde
gemäß der Fähigkeit der Erkennenden erfaßt. Der rezeptiv-passive Intellekt
transzendiert im Vollzug seines Erkennens somit nie sich selbst, so daß sein
Erkanntes allein innerintellektuales (intentionales) Sein besitzt. Ich zitiere
Berthold: „His verbis ponit Aristoteles unam condicionem intellectus possibilis, sälicet
quod ipse est universale principium quasi passivum et receptivum speäerum et formarum
intelligibilium uniuscuiusque generis intelligibilium; unde ipse est exemplar et similitude
passiva, id est receptiva omnium, quaepossunt intelligi"2^. (,Mit diesen Worten nennt
Aristoteles eine Bedingung des möglichen Intellekts, daß er nämlich ein uni-
versales Prinzip ist, das gleichsam passiv ist und zur Aufnahme der intelligib-
len Gestalten und Formen einer jeden Gattung der intelligiblen Inhalte fähig
ist; von daher ist er passives Urbild und passive Ähnlichkeit, d. h. zur Auf-
nahme von allem, was erkannt werden kann, fähig'.)

8. Aber selbst Dietrichs Theorie konstruktiver Intellektualität ist in gewis-


ser Hinsicht defizient: Intellektuale Konstruktivität wurde nicht konstruktiv
genug gedacht, da sie sich an der metaphysisch begriffenen Kategorialanalyse
des Aristoteles orientierte. Dietrich dachte zwar mit Aristoteles über Aristote-
les hinaus, blieb aber gleichwohl in den Netzen der aristotelischen Philoso-
phie hängen. Denn wenn intellektuale Konstruktivität ein Prinzip von Philo-
sophie überhaupt sein soll, darf der Intellekt sich nicht damit begnügen, für
die Washeit, das Was und somit für metaphysisch begriffene Erkenntnis von
Naturgegenständen begründende Funktion auszuüben. Der mögliche Intel-
lekt schöpft unter inhaltlicher Perspektive seine ihm eigene Möglichkeit, das,
was zu erkennen möglich ist, auch möglicherweise zu erkennen, so jedenfalls
nicht aus. Daß es dem Intellekt aber möglich ist, das, was möglich ist, mögli-

bile inquantum tale in eo, quod in ipso invenitur ratio, qua intelligatur: Et hoc est, inquantum habet esse
quiditativum. (43) Cum igitur hi duo ultimi modi habeant se ex parte rei extra intellectum, cum etiam
res non capiat esse quiditativum nisi per determinationem intellectus ex propriis pnnäpiis eo modo, quo
dictum est, patet, quod intellectus habet aliquo modo rationem causalispnncipii respectu rerum". — Anders
als Berthold differenziert Dietrich übrigens zwischen den res primae intentionis und den res
secundae intentionis; für beide Arten von res ist der Intellekt jedoch konstitutiv, nicht passiv
(cf. die §§ 55 und 56 des 5. Kapitels). - Cf. zu all dem: Th. Kobusch, Die modi des Seienden
nach Dietrich von Freiberg, in: K. Flasch (ed.), Von Meister Dietrich zu Meister Eckhart,
Hamburg 1984, 4 6 - 6 7 ; A. de Libera, La problematique des „intentiones primae et secun-
dae" chez Dietrich de Freiberg, in: K. Flasch (ed.), Von Meister Dietrich zu Meister Eckhart,
Hamburg 1984, 68 - 94; J. Halfwassen, Gibt es eine Philosophie der Subjektivität im Mittelal-
ter? Zur Theorie des Intellekts bei Meister Eckhart und Dietrich von Freiberg, in: Theologie
und Philosophie 72 (1997), 3 3 7 - 3 5 9 ; B. Mojsisch (ed.), Tractatus de origine rerum praedica-
mentalium, cap. V, lat./dt., in: Bochumer Philosophisches Jahrbuch für Antike und Mittelal-
ter 2 (1997), 1 2 7 - 1 8 5 .
25 Cf. Boethius, De consolatione philosophiae V, prosa 4: „... omne enim, quod cognoscitur, non
secundum sui vim, sed secundum cognoscentium potius comprehenditurfacultatem".
26 Bertholdus, Expositio ..., prop. 171 Β (im Druck).

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76 Burkhard Mojsisch

cherweise zu erkennen, verdankt sich dem Prinzip der Philosophie schlecht-


hin: der Möglichkeit als Möglichkeit. So ist alles determinierte Mögliche durch
die Möglichkeit möglich. Kontingentes kann bereits von seinem Begriff her
nicht sein; selbst Notwendiges kann auch nicht sein, wenn es nämlich nicht
möglich ist; möglich aber ist nur das, was durch die Möglichkeit möglich ist.
Unmittelbar einleuchten dürfte jedenfalls, daß ein konstruktiver Intellekt, der
nicht nur möglich, sondern gerade die Möglichkeit selbst ist, nicht nur die
Washeit und das Was von Naturgegenständen aktiv ins Sein setzen kann; ein
solcher Intellekt kann umfassender konstruieren, weil alles, was möglich ist,
durch ihn als Möglichkeit prinzipiiert wird.
Daß der Intellekt aber die Möglichkeit selbst ist, liegt darin begründet, daß
er die Möglichkeit als Prinzip seiner selbst erkennt; da Erkennendes und
Erkanntes jedoch identisch sind — was besonders Aristoteles 27 bereits betont
hat —, ist der Intellekt als Erkennendes nichts anderes als sein Erkanntes,
die Möglichkeit als Möglichkeit. Die Frage nach der Möglichkeit des Intellekts
ist daher so zu beantworten, daß die Möglichkeit das eminenteste Objekt des
Intellekts ist, da die Möglichkeit Prinzip des Intellekts ist, daß dieses Objekt,
also die Möglichkeit, aber nichts anderes ist als der Intellekt selbst, da das
Objekt des Intellekts mit dem Intellekt identisch ist.
Es muß aber auch die Frage nach der Möglichkeit der Möglichkeit gestellt
werden, ja sogar nach der Möglichkeit der Möglichkeit der Möglichkeit. Die
Antwort auf diese Frage kann nur lauten, daß, wenn so, und zwar legitimer-
weise, gefragt wird, sich der unendliche Regreß einstellt. Das Bemerkenswerte
des unendlichen Regresses ist im Falle der Möglichkeit aber dies, daß sich
dieser unendliche Regreß innerhalb der Möglichkeit selbst vollzieht; denn
selbst die Möglichkeit der Möglichkeit ist eben wieder nur Möglichkeit. Ge-
rade deshalb darf die Möglichkeit aber als Prinzip der Philosophie schlechthin
angesehen werden, weil allein die Möglichkeit den unendlichen Regreß so in
sich aufhebt, daß sie der unendliche Regreß ist. Die Philosophie der Möglich-
keit ist somit auch Philosophie des unendlichen Regresses.
Wenn nun, wie bereits gezeigt, der Intellekt die Möglichkeit ist, die Mög-
lichkeit aber mit dem unendlichen Regreß koinzidiert, dann ist auch der Intel-
lekt dieser unendliche Regreß, wobei der Terminus ,Regreß' ersetzt werden
kann durch den des Progresses: Die Regressivität des Intellekts ist dann seine
Progressivität; das heißt: Der Intellekt erkennt prinzipiell alles, was erkennbar
ist, und zwar in infinitum. Allein die Erkenntnis eines solchen Intellekts ist
unrestringiert, frei, offen für alle möglichen Erkenntnisinhalte, da nicht antizi-
pierbar ist, was je erkannt werden kann. Daß aber ins Unendliche erkannt
werden kann, dafür ist Garant: der Intellekt als Möglichkeit.
Ein zentrales Motiv der Theorie intellektualer Möglichkeit ist darüber hin-
aus dies, daß eine Theorie des Intellekts als Möglichkeit sowohl Theorie des

27 Cf. Aristoteles, De anima III 4, 430 a 3 sq.

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Konstruktive Intellektualität 77

Bewußtseins als auch Theorie des Selbstbewußtseins ist, und dies nicht etwa
aufgrund dogmatischer Setzung, sondern einsehbarer Begründung. Dazu nur
folgende Reflexion: Als Möglichkeit ist der Intellekt Bewußtsein, als Möglich-
keit der Möglichkeit aber Selbstbewußtsein, das sich bei der Begründung aller
möglichen Erkenntnisinhalte seiner Funktion als eines Prinzips, nämlich der
Möglichkeit, bewußt ist, ferner als Möglichkeit der Möglichkeit aber sich
selbst als Ursache seiner selbst begreift. Sowohl die antike Philosophie als
auch die des Mittelalters kannten eine Theorie der Selbstverursächlichung 28 .
Aber allein im Rahmen einer Theorie der Möglichkeit ist eine solche Theorie
auch zufriedenstellend legitimierbar. Die Frage nach der Möglichkeit der
Möglichkeit hat zur Antwort: nichts anderes als Möglichkeit; wenn der Intel-
lekt aber Möglichkeit und zugleich Möglichkeit der Möglichkeit ist, begreift
er als Möglichkeit der Möglichkeit sich als Möglichkeit; der Intellekt als Mög-
lichkeit der Möglichkeit erkennt somit sich als Möglichkeit und ist gleichwohl
nichts anderes als er selbst, nämlich Intellekt, da auch die Möglichkeit der
Möglichkeit nichts anderes ist als Möglichkeit. Daher begreift der Intellekt
als Möglichkeit der Möglichkeit sich als Möglichkeit, begreift somit sich
selbst und ist insofern Ursache seiner selbst, dies deshalb, weil die Mög-
lichkeit der Möglichkeit Ursache der Möglichkeit ist. Im Bereich der Mög-
lichkeit sind Ursache und Verursachtes — will man sich dieser Termini
überhaupt noch bedienen — identisch, nämlich Möglichkeit; somit ist auch
der Intellekt Ursache und Verursachtes, aufgrund ihrer Identität aber Ursa-
che seiner selbst.
Dietrichs verwirklichter möglicher Intellekt vermag zu konstruieren, also
washeitliches Sein in der Naturwirklichkeit zu konstituieren, und zwar so, daß
dadurch etwas nicht bloß intramentale, sondern am und im Naturgegenstand
als solchem extramentale Realität gewinnt. Diese Dietrichsche Theorie ist
gewiß ein wichtiger Schritt hin auf eine Theorie intellektualer Konstruktivität
schlechthin. Der Begriff der Möglichkeit wurde von ihm jedoch nicht so
durchdacht, wie er hätte durchdacht werden können. Nikolaus von Kues 2 9
war es, der am Ausgang des Mittelalters 30 in seiner Schrift „De apice theo-

28 Cf. B. Mojsisch, Die neuplatonische Theorie der Selbstverursächlichung (causa sui) in der
Philosophie des Mittelalters, in: L. G. Benakis (ed.), Neoplatonisme et philosophie medievale,
Turnhout 1997, 2 5 - 3 3 .
29 Cf. Nicolaus Cusanus, De apice theoriae; Ed. Heidelbergensis XII. — Cf. G. Santinello,
Novitä nel pensiero del tardo Cusano, in: L. Hagemann/R. Glei (eds.), EN KAI ΠΛΗΘΟΣ.
Einheit und Vielheit, FS für K. Bormann, Würzburg—Altenberge 1993, 161 —173 (Religions-
wissenschafdiche Studien 30).
30 Der Begriff .Mittelalter' findet sich zum ersten Mal in einer in Rom besorgten Apuleius-
Edition aus dem Jahre 1469. Giovanni Andrea Bussi, von 1458 bis 1464 Sekretär des Niko-
laus von Kues, sprach in dieser Ausgabe von den „mediae tempestatis homines", den .Leuten
aus dem Mittelalter', dies in dem Bewußtsein, daß eine neue Zeit angebrochen sei. Cf. loannis
Andreae episcopi Aleriensis epistola ad Paulum IIpontificem maximum, in: M. Miglio (ed.), Giovanni
Andrea Bussi. Prefazioni alle edizioni di Sweynheym e Pannartz prototipografi romani, Mi-
lano 1978, 18 (cf. auch: 17).

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78 Burkhard Mojsisch

riae" dem Begriff des seinstranszendenten posse ipsum verstärkt Aufmerksam-


keit schenkte, ohne freilich das Potential dieses Begriffs erschöpfend zu er-
mitteln. Bis heute fehlt eine Philosophie der Möglichkeit. Erst wenn sie in
ausgearbeiteter Form vorliegt, läßt sich angemessen darüber urteilen, wie
progressiv und begrenzt zugleich Dietrichs Theorie intellektualer Konstrukti-
vität war.

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The Medieval Background
to the Abstractive vs. Intuitive Cognition Distinction

STEPHEN F. B R O W N ( B O S T O N )

Sebastian Day's „Intuitive Cognition: A Key to the Significance of the


Later Scholastics", written in 1947 under the direction of Philotheus Boehner,
led a stampede of studies on the role that intuitive cognition plays in estab-
lishing truth in the present life 1 . These studies are important, and are espe-
cially helpful in our modern epistemological context. Yet, they might lead us
to overlook, as Stephen D. Dumont noted in „Speculum" a little more than
a decade ago, that the usual medieval discussions of the distinction between
intuitive and abstractive cognition took place in a theological context 2 . This
context, the discussion of the scientific character of theology, might justify
quite another book: „Abstractive Cognition: A Further Key to the Signifi-
cance of the Later Scholastics". Why? Because there is no evidence that men
in this life ordinarily have intuitive cognition or beatific vision of the objects
that were most important to the medieval scholastics, the supernatural ob-
jects of faith. If man in the present life has any knowledge of the God who
is triune or the God who became incarnate, surely this could not be by any
intuitive cognition that is common to all men. If anyone had such knowledge
it had to be either by some special light or, at least, by a means not available
to men through their purely natural efforts.

G o d f r e y , H e n r y and S c o t u s
on the U n i v e r s i t y S t u d y of T h e o l o g y

Most studies of the period immediately after Thomas Aquinas begin with
Thomas Aquinas. This is especially the case when one discusses the scientific
nature of theology. In the „Summa theologiae", Aquinas used Aristotle's ex-
ample of a subalternated science to show the manner in which theology
could be scientific. A subalternated science receives its principles from a

1 S. J. Day, Intuitive Cognition: A Key to the Significance of the Later Scholastics, St. Bonaven-
ture, Ν. Υ. 1947. For a list of articles after the appearance of Day's book, see S. D. Dumont,
Theology as a Science and Duns Scotus's Distinction between Intuitive and Abstractive
Cognition, in: Speculum 64 (1989), 5 7 9 - 5 8 0 , nt. 2.
2 Dumont, Theology as a Science (cf. nt. 1), 579 — 599.

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80 Stephen F. Brown

higher science in the way that optics borrows its principles from geometry
or music from arithmetic. Following Aristotle's subalternated form of science,
theology receives its principles from the higher knowledge or science that
God and the blessed have3. These principles have also been revealed by God
to men and men accept them on faith because God neither deceives nor is
deceived. So even though men here in this life do not see the divine realities
in the way that God and the blessed contemplate them, still believing way-
farers are certain of their truth, since the divine authority guarantees them.
No matter how familiar students might be with these texts of Aquinas and
Aristotle, quite likely they will never be as familiar with them as Henry of
Ghent was. In q. 4 of article VII of his „Summa quaestionum ordinariarum",
Henry analyses this section of Aristode's „Posterior Analytics" with a micro-
scope and discusses at length the four examples the Philosopher gives of
subalternated sciences. He then argues that not only do these examples not
fit the case of theology, but also that these four modes of subalternation are
the only possible modes of subalternation if we follow the strict sense of
Aristotle's conception of science4. So, theology, according to Henry, is not a
subalternated science. It is important to note, however, that Henry is not
saying that the study of sacred doctrine is not a science. For him, it is just
not a subalternated science, as Aquinas portrays it, based on the Aristotelian
principles and examples of subalternation.
If Henry is critical of Thomas, Godfrey of Fontaines is even more so. In
question 10 of Quodlibet IV (1287), he criticized Aquinas's model of theology
on the ground that science in the proper sense of the term requires as its
principal condition evidence for the objects it studies. If, he argued, a theolo-
gian does not have evident knowledge of the revealed truths he believes, he
can, of course, as a believer assent firmly to these truths. He has the kind of
certitude that makes him adhere unwaveringly to the truths God has revealed
in the Scriptures. Yet, he lacks the type of certitude characteristic of science,
the certitude of evidence 5 . Godfrey does not deny that there is some form
of evident knowledge that men can obtain about God, even if they are not
believers who accept divine revelation. Philosophers throughout the centuries
have argued for the existence of God and have attempted to demonstrate

3 Thomas Aquinas, Summa theol., I, q. 1, a. 2. Cf. Petrus de Candia, In I Sent., prol., a. 1,


ed. S. F. Brown, Peter of Candia's Hundred-Year ,History' of the Theologian's Role, in:
Medieval Philosophy and Theology 1 (1991), 1 7 5 - 1 9 0 , lin. 1 7 4 - 1 7 5 , 1 8 2 - 1 8 3 , 1 5 1 - 1 5 5 ,
417-419.
4 Henricus Gandavensis, Summa quaestionum ordinariarum, art. VII, qq. 4 — 5 (ed. Parisiis,
1520), ff. 52r-54r. Cf. S. F. Brown, Henry of Ghent's Critique of Aquinas's Subalternation
Theory and the Early Thomistic Response, in: Knowledge and the Sciences in Medieval
Philosophy (Proceedings of the Eighth Internationa] Congress of Medieval Philosophy —
S. I. Ε P. M.), eds. R. Työrinoja, A. I. Lehtinen and D. Follesdal (Helsinki 1990), III, 3 3 7 -
345.
5 Godefridus de Fontibus, Quodl. IV, q. 1 0 (ed. cit., t. 2, 1904), 261. Cf. P. Tihon, Foi et
theologie selon Godefroid de Fontaines (Paris — Bruges 1966), 1 2 0 — 131.

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The Abstractive vs. Intuitive Cognition Distinction 81

some of his attributes in their discussions concerning natural theology. So,


Godfrey's contention that we have no evidence for the objects of belief must
be understood in regard to theological truths that are beyond our philosophi-
cal grasp. Divinely revealed supernatural truths, such as the Trinity and the
Incarnation, are for Godfrey not evident truths, and therefore they do not
fall within the domain of science. In brief, they cannot be demonstrated.
The key to Godfrey's understanding and critique of Aquinas is found in
the question that Thomas poses regarding the objects of faith: Can such an
object be at the same time a scitum (an object known by science due to
evidence) and a creditum (an object known by faith)? According to Thomas,
the answer is „No" 6 . To be consistent, then, Godfrey assumes 7 , Thomas
cannot mean his argument in the „Summa theologiae" regarding theology as
a subalternated science to be speaking of science according to the proper
Aristotelian meaning of the word. If you start with revealed premisses ac-
cepted on faith, then your conclusions from such articles of faith are not
based on evidence; they are based on the authority of the one who reveals
the premisses. They are conclusions that are creditae (believed by faith), not
scitae (known by science based on evidence).
Godfrey, likewise, does not accept Aquinas's examples of the way in which
a subalternated science is truly science. A subalternated science like optics is
not properly scientific as long as it borrows (or takes on faith or trust)
premisses from geometry. Such a „science" provides pnnctpia credita (believed
principles) until the student of optics goes back to geometry and learns it,
so that its principles are then known in a properly scientific way by him. It
is only when he does this that optics provides him with objects that are
properly speaking scita (known objects). But where, asks Godfrey, is the theo-
logian who can go back to God and the blessed and get evident knowledge
(scientia) of the supernatural truths or principles of the faith? Theology in
regard to the objects of faith deals with credita, not scita. It is not properly
science, neither as a simple science nor as a subalternated science.
Godfrey and Henry thus agree in their common opposition to Aquinas.
Yet, Henry had a more important point to make in this debate. He not only
wanted, as did Godfrey, to refute Thomas's portrait of theology as a properly

6 Thomas Aquinas, Summa theologiae, II-II, q. 2, a.l. On the history of this question, see
M. Grabmann, D e quaestione ,Uttum aliquid possit esse simul creditum et scitum' inter
scholas Augustinismi et Aristotelico-Thomismi medii aevi agitata, in: Acta hebdomadis Au-
gustinianae-thomisticae ab Academia Romana S. Thomae Aquinatis indictae, Romae 1930;
Turin 1931, 1 1 0 - 1 3 9 .
7 Godfrey does not make this assumption explicit, but it is made explicit by William of
Alnwick in his Scriptum in I Sententiarum, pro!., q. 1 (cod. Padova, Biblioteca Nazionale,
291, f. 14ra): >&uia negantes tbeologiam esse proprie sciendum sive sapientiam hoc praedpue nituntur
probare ex incompossibilitate fidei ad sdentiam, ideo, antequam quaeratur de tbeologia an sit sdentia,
quaeratur utrum ab eodem intelkctu eadem obiecta possint simul esse credita per fidei adhaerentiam et scita
per evidentiam".

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82 Stephen F. Brown

subalternated science. He also wanted to overcome Godfrey's conclusion that


theology was not properly speaking a science at all. Theologians, at least
some of them, according to Henry, have attained a knowledge of the realities
of the faith. Godfrey's claim that they had not was shocking to him8:
It is very striking that a teacher in every other faculty does his best to praise his
science. It is only certain theologians, so that they may appear to promote philoso-
phy, who put down theology, saying that it is not properly a science and that it
cannot make the realities we believe in truly intelligible in the present life. Such
theologians block any way of knowing or understanding the things we believe in.
They lead others to the point of no hope of understanding these realities. Surely,
this is pernicious, dangerous to those who hear it, and harmful to the Church.

Henry's Third A l t e r n a t i v e to Faith and Vision

Henry wanted to offer a broader set of alternatives concerning the objects


of faith than Godfrey did when he attacked Aquinas's theory of theology as
a subalternated science. In regard to the supernatural objects of belief, ac-
cording to Godfrey in his earlier9 Quodlibeta, there is either faith or there is
vision. The former provides no evidence; the latter provides the evidence
characteristic of the vision of the blessed. Henry tried for a third alternative
between faith and vision that would open the way for a theological grasp of
the realities of the faith here in this life. In question 6 of Article XIII of
his „Summa quaestionum ordinariarum", Henry asked: „Whether a student
acquires any knowledge in the science of theology beyond the knowledge of
faith?" Here is Henry's response10:

8 Henricus de Gandavo, Quodlibet XII, q. 2 (ed. I. Badius, 1518), t. 2, f. 485v: „Et est magnum
mirabile quod in quacumque alia jacultate peritus nititur sdentiam suam quantum potest extollere, soli
autem theologi quidam, ut philosophiam videantur exaltare, theologiam deprimunt, asserentes ipsam non
esse vere sdentiam, nec credibilia posse fieri vere intelligibilia in vita ista. Tales sibi viam sriendi et intelligendi
credibilia praecludunt, et aliis desperationem intelligendi ilia incutiunt, quod valde perniriosum est et damno-
sum Ecclesiae etpericulosum dicere".
9 Godfrey holds this stricter dichotomy in his Quodlibetum IV, q. 10 and Quodlibetum VIII,
q. 7, but he attenuates his position in Quodlibetum IX, q. 20 when he admits that theology
is a science according to the common sense of the term. See below, nt. 27.
10 Henricus Gandavensis, Summa quaestionum ordinariarum, a. XIII, q. 6 (ed. Parisiis, 1520),
t. 1, f. 94rv: „Dicendum ad hoc quod sicut in dsidplinis drca idem triplex est modus cognoscendi disdpulo
possibilis: unus ex solo auditu, quo credit dictis magistri et eius auctoritati, puta quia luna eclipsatur, si
hoc dicat ei magister eius. Alius ex aspectu corporali quo cernit oculis quia luna eclipsatur; sed propter
quid ignorat. Tertius ex ratione sola, qua certis temporibus et certis sitibus ex motibus so/is et lunae drca
terram noverit lunam necessario eclipsari, licet non videat quia nunc eclipsatur neque aliquis hoc ei dicat.
Consimiliter, in notitia eorum quae sunt fidei in hac sdentia triplex est modus cognoscendi: unus qui
est solius fidei, quasi ex auditu assentiendo divinae auctoritati, quia in scriptum sua ilia asserit (Rom.
X: ,Fides ex auditu1). Alius est ex rei creditae apparentia, quo modo cognoscunt earn sancti in patria.
Tertius modus est medius quo cognoscuntur credita non solum auditu nec apparentia rei quasi visu, sed ex
rationis evidentia qua intellectui conspicuum est naturam rei sic se habere sicut fides tenet. Quemadmodum
enim cognoscendo naturam solis et lunae et discursus eorundem drca terram per intelledus investigationem
adiutorio luminis naturalis cum generali illustratione divina potest homini notum fieri quomodo contingit

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The Abstractive vs. Intuitive Cognition Distinction 83

In regard to this question, we have to say that in all disciplines a student has three
possible ways of knowing the same things. One way is rooted in hearing alone:
the student simply believes what the teacher says, or in other words, accepts the
teacher's authority. For example, he believes that the moon is eclipsed just because
the teacher tells him that it is. A second way of knowing derives from physical
vision: in this case the student discerns with his eyes that the moon is eclipsed,
even though he does not know why. A third way of knowing comes from reason
alone, through which he would know at certain times and in certain situations,
based on the movements of the sun and the moon around the earth, that an
eclipse must be taking place, even though he does not presendy see that there is
an eclipse, nor does anyone tell him than an eclipse is taking place.
Likewise, in our knowledge of those realities we believe by faith there is a threefold
way of knowing. One arises from faith alone, — from hearing, as it were, — by
which someone assents to these realities on divine authority, because this authority
asserts these things in the Scriptures. As ,The Letter to the Romans' declares:
„Faith is from hearing." A second way of knowing comes from the vision of that
in which a person believes, as is the case in heaven with the saints who know the
realities in which they at one time believed. A third way of knowing is the way of
coming to know the truths of our faith, not just by hearing, nor by the presence,
as it were, to sight of the things in which we believe, but by evidence of reason
whereby it becomes clear to our intellect that the reality of that in which we believe
is just as our faith believes it to be. For just as by knowing the nature of the sun
and the moon and their movement around the earth, a man can by the intellect's
search, with the aid of his natural light and with general divine illumination, come
to know how the moon comes to be eclipsed, so, in regard to the divine world,
by knowing the realities pointed to by the terms of faith, such as .Father,' ,Son'
and ,Holy Spirit', he can, by his intellect's search, with the aid of supernatural light
and with special divine illumination, come to know that the Holy Spirit proceeds
from the Father and the Son, and not from the Father alone 1 1 . And the same
holds for other realities that are proper to the science of theology and that pertain
to faith.

Henry called this third way o f knowing theological truths „understand-


ing" (jntellectus)12. He presented it as a middle light between the light o f
faith and the light o f v i s i o n 1 3 . It is the light o r type o f understanding

lunam eclipsari, sic cognoscendo natural terminorum credibilium, ut Patris, et Filii, et Spiritus Sancti in
divinis, per intellectus investigationem adiutorio luminis supernaturalis et divinae illustrationis spetialis potest
ei notum fieri quia Spiritus Sanctus procedit a Patre et Filio et non a Patre solo, et sie de caeteris quae
sunt huius scientiae propria et adfidem pertinentia".
11 Beyond faith and beyond general illumination, a special illumination is necessary because of
the supernatural character of the objects considered.
12 Henricus de Gandavo, Summa quaestionum ordinariarum, a. 13, q. 6 (ed. cit.), f. 94v: „Unde
ad talem intellectual promerendum, primo credendum est auctoritati sacrae saipturae; deinde studio sacrae
saipturae diligenti investigatione insistendum ad hoc quod creditum est intelligendum, assistente nobis super-
naturali illustratione divina, quae nobis numquam deest in cognoscendis supernaturalibus sicut numquam
deest in cognoscendis naturalibus, secundum quod habitum est supra: si faäamus quod in nobis est et ad
eius susceptionem nos praeparemus". Cf. Quodlibet VIII, q. 14 (ed. 1518), t. II, f. 325rv.
13 Henricus de Gandavo, ibid. (ed. cit.), f. 94r. Cf. supra, nt. 3.

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84 Stephen F. Brown

indicated in the words of Isaiah 7, 9: „Unless you shall have believed,


you will not understand"14. It is a light beyond the light of faith, a
„theological light", manifested especially in the writings of Augustine and
Richard of St. Victor.
Many of his fellow university theologians objected to Henry's claim for a
special third or middle light between the lights of faith and vision. Some,
such as Godfrey of Fontaines, argued that they had no awareness of such a
light:
To say that the science of theology, as a science acquired by students, is about the
realities of the faith so that they may become understood and known by science
in the proper sense of the term, seems to lead one to despair of attaining any
success in this science, since according to the ordinary course of study no one
seems to arrive at any properly scientific knowledge 15 .

Nor did they appreciate Henry's seeming presumption that God gave this
theological light only to a favored few theologians, and that theologians who
did not experience it were not among the chosen:
When it is said that the reason why there are not many who have developed a
scientific habit of the objects of faith is because of the general lack of a disposition
on the part of those hearers of God's word who deny the existence of this special
light, and that it is thus not without fault that they lack this light, and that they
are not,those who are able to be taught by God' — such an explanation is intolera-
ble 1 6 .

Others, according to Duns Scotus's report, wondered why anyone would


spend so many years in classroom study if they gained no insight into the
realities of the faith. Wouldn't it be less taxing and more fruitful to go to
chapel and simply pray for this light?17
Furthermore, Godfrey asked, how does a theologian demonstrate that he
has had this special light? Does he explain things better, argue more strongly,
defend the faith more artfully, or preach more adepdy than theologians who

14 Henricus de Gandavo, ibid. (ed. cit.), f. 94v: „Et patet plane, quia in omnibus huiusmodi dictis
Augustinus loquitur de intelligere huius vitae contra eos qui exponunt illud Isaiae ,Nisi credideritis non
intelligetis' solummodo de intellectu juturae vitae ad quem necessano praeambula est fides huius vitae.
Quamvis enim hoc verum sit, tamen non solum hoc verum est. Verum enim simul est et pro intelligere
praesentis vitae...".
15 Godefridus de Fontibus, Quodlibet VIII, q. 7 (ed. cit., t. 4), 80: „ Videtur inductivum desperationis
profectus in hac scientia, cum secundum cursum communem ad huius notitiam nullus videatur pervenire".
16 Ibid., 71: ,J^Juod autem diatur quod hoc, stilicet quod non inveniuntur sic perfecte habentes habitum
saentificum de his quae fidei sunt, provenit ex universali indispositione in auditoribus aliis qui hoc lumen
negant, et ideo non immerito lumine carent et non sunt dodhiles Dei (loan. 6, 45), non videtur tolerabile".
17 Cf. Ioannes Duns Scotus, Reportata Parisiensia III, d. 24, q. unica (ed. Vives, 1894), t. 23,
453: „Si dicatur quod non dat illud lumen communiter, sed sicut vult, et quibus vult, sicut Apostolis, tunc
frustra quis laboraret in studio inquirendi ventatem, et esset melior via acquirendi theologiam sedere in
ecclesia, et orare pro isto lumine habende".

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The Abstractive vs. Intuitive Cognition Distinction 85

claim no such special light? Does the proof for the existence of such a light
exist solely on the basis of the authorities of those who claim it 18 .
Even more practically and in the concrete setting of a university where
theology is a study that prepares students for teaching a discipline, there are
more questions to be answered. How can the competence to teach theology
be measured? If we admit Henry's special light, how can a student who
cannot offer an argument for a truth of the faith, or cannot explain the
meaning of technical terms, such as ,nature' and ,person', or is unable to
show the incorrectness of a certain heresy, claim to have a special theological
light that provides understanding of the realities of the faith? How do we
judge the legitimacy of a claim to such a special understanding when the
ability to explain and defend the faith remains unmanifested? 19
Even more, when professors are training students of theology, they are
interested in having them develop a certain habitus, a habit that does not
provide us in this life with an evident knowledge of the realities of the faith.
How can they claim that they are successful teachers if their students do not
have and are not able to show an evident knowledge of the truths of the
faith? Therefore, concludes Godfrey:
...In the present life, there is no properly scientific habit concerning the realities
of the faith. W h a t we do have is only a knowledge by which the meaning of the
Scriptures is known, that is, we can know what the Scriptures wish to signify in
this or that case, not a knowledge by which we know in themselves those things
which are handed down to us in the Scriptures 20 .

For sure, not all of these objections to Henry's position are well-grounded.
Henry himself, for instance, never viewed this theological or middle light as
a substitute for classroom effort or academic excellence. His theological light
involved an understanding that Henry viewed as dependent upon the recipi-

18 Godefridus de Fontibus, ibid., 71: ,Quantum enim ipsi qui in dido famine gloriantur excedunt alios
in habendo habitum sic vere säentißcum de his quae fidei sunt et quomodo dare docent veritatem sacrae
dodrinae evidentem prae aliis qui non ponunt nec babent tale lumen, non solum Deus novit, sed est apud
homines manifestum".
19 Godefridus de Fontibus, Quodlibet IX, q. 20 (ed. cit., t. 4), 2 8 9 - 2 9 0 : „Immo etiam cum aliquis
debet licentiari, de hoc debet magister testimonium dare licentiando. Quomodo ergo honeste potest dicere
magister huiusmodi säentiae banc sdentiam esse veram scientiam solum ex hoc, quia sancti videntur hoc
dicere? Hx hoc enim solum potent vere dicere se credere hoc esse verum, sed nesäet ita esse, quia etiam
nesdent se habere talem notitiam, quia in nulla conclusione hoc posset ostendere. Debet enim ille, qui
huiusmodi säentiae reputat se esse magtstrum, scire se competenter habere evidenüam notitiae quae in hac
sdentia convenienter est nata haben; licet ex humilitate debeat dicere se illam habere minus suffiäenter
quam haberi possit et quam habet esse in aliis. Alioquin dicere quod theologia est vere et proprie dicta
sdentia, quia sancti hoc dicunt, sed ilia qui magistri dicuntur non habent, qui tanto tempore in ea laboraver-
unt, derisibiles videntur et per hoc mags retrahentur homines ab amore huius säentiae et ab audiendo earn
quam dicendo quod non est proprie dicta sdentia".
20 Godefridus de Fontibus, ibid., 79: „Ideo in vita ista non est aliquis habitus säentificus proprie de
credibilibus, sed habetur tantum notitia qua scitur intellectus Scripturae, id est quid voluit Scriptum signifi-
care in hoc vel in hoc, non autem quae in se sduntur ea quae traduntur in Scriptura".

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86 Stephen F. Brown

ent's efforts to do all that was within his abilities — as Augustine and Richard
of Saint Victor had done. And when Henry spoke of those who had or did
not have this light, it was not a matter of self-congratulations at being blessed
or at being transfixed, but a matter of acknowledging all the special gifts
given by God for the benefit of the Christian community that have been
recorded throughout Christian tradition beyond man's own efforts.
Still, if we are looking for a middle ground here in the present life between
a faith that does not offer evidence and the vision that accords evidence to
the blessed in the next life, what evidence does the faith or the divine sources
provide for the realities of the faith? We are thus forced to ask: What evi-
dence do we have for Henry's special gifts or for this privileged light? One
might make the claim that Isaiah spoke of such a light, and so did the Fathers
that Henry calls upon. Yet, these Scriptural and Patristic authorities, with all
the confidence we might have in them, are still authorities. Our confidence
is based on their authority, not on any direct evidence that they themselves
provide for the existence of such a light 21 .
Duns Scotus, who took both Henry of Ghent and Godfrey of Fontaines
very seriously, rejected Henry's lumen medium, at least in the sense of a special
light. Like many others, Scotus followed and accepted the strong critiques
that Godfrey had leveled against it. To a great extent, for Scotus, Henry's
view of theology and its special component took a back seat as a significant
positive portrait of the nature of theology that should be pursued within the
regular structures of university training.

S c o t u s ' s A l t e r n a t i v e to H e n r y ' s M i d d l e L i g h t

In the Prologue to Book I of the „Reportata Parisiensia", Scotus gave


technical expression for an alternative to Henry's middle road between faith

21 Godefridus de Fontibus, ibid., 289: Jtem, videtur quod multum sit irrationabile et verecundum,
praecipm ei qui magister Met esse huiusmodi scientiae, dicere quod in ilia haben potest notitia evidentiae
supradicta propter quod debet did sdentia proprie dicta, et non hoc ostendere rationibus, sed dicendo ita
esse, quia auctoritates sanctorum hoc dicere videntur, quae tamen a dicentibus contrarium convenienter
exponuntur et sufficienter dissolvuntur; et quod habita sit talis evidentia a sanctis qui hoc dicunt et ab Ulis
potent haben quos Deus lumine suo speciali voluit illuminare. Haec autem ponuntur et in facto consistunt,
sed nihil probant. Unde nisi aliter hoc declararetur sicut nec fuit hactenus declaratum, talia dicere nihil
aliud est quam dicere quod credendum est theologiam esse veram et proprie dictam sdentiam propter auctorita-
tem sandorum et non habere de hoc aliam certitudinem, quod est insuffidenter dictum. Si tamen possibile
est de istis habere evidentem certitudinem non quidem solum per gratiam specialem quam Deus potest
aliquibus facere per miraculosam aliquam revelatiomm, sed per Studium et humanam investigationem, qualis
est modus communis sdentiam acquirendi: cum enim communiter homines dent se studio theologiae sicut
studio aliarum sdentiarum et plus sint orbati vel defidentes quam alii qui dent se studio in aliis scientiis,
in his quae ex parte discipulorum requiruntur, nec debet supponi quod Deus eis defidat in his quae ad
hanc sdentiam habendam secundum cursum communem ad ipsos sunt exhibenda, licet ex speciali privilegio
possit illam et etiam alias scientias sine studio aliter infundere, sicut feat Apostolis vel Salomoni et uni plus
quam alii; supponendum tamen est quod saltern hi qui digni reputantur magistrari in tali sdentia habent

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The Abstractive vs. Intuitive Cognition Distinction 87

and vision. He replaced Henry's special theological light or lumen medium with
abstractive cognition. How did Scotus develop and alter Henry's position,
and why did he do so? Henry's theory of a lumen medium or theological light
attempted to explain how some theologians here in the present life have
some kind of evidence, though not vision, of the realities of the faith. Scotus
denied such an actual knowledge as the ordinary type of knowledge a theolo-
gian enjoys. In Book III, d. 24, after rejecting Henry's lumen medium as a
theological light that theologians in the university classroom could attain, he
speaks of a special knowledge that Paul had when he was rapt to the third
heaven and that the Apostles had, a middle type of knowledge between the
faith that ordinary believers have and the vision that the blessed enjoy. Yet,
when Scotus speaks of this middle knowledge that the prophets and Aposdes
possessed, the accent is on its certitude, not on its evidence. He argued that
it was not the beatific vision. Their certainty was so great that they could
not doubt what they believed, and, it seems, they were more strongly resolved
than later believers would be to bear the sufferings the early martyrs un-
derwent for their faith. Yet, even in this case of the stronger faith in the
Apostles and martyrs, we have no proof that their more sure assent is due
to evidence. God could give this greater certitude to the Aposdes with evi-
dence or without evidence 22 . It does not necessarily imply evidence.
The shift of focus to the habits developed by the students and teachers in
the university theology faculty in contrast to the appreciation of the divine
realities associated by Henry with St. Augustine and Richard of St. Victor
will be noticeable in particular if we look at the phrasing of the prologue
questions after Henry's, Godfrey's and Scotus's time. Generally, they follow
the pattern: Does a theologian in the present life ordinarily acquire through
his studies a habit distinct from faith? One can sense, if he has studied
Henry and Godfrey, that such a question comes after their time. Questions
concerning the nature of theology are just not phrased in this manner prior

de credibilibus saltern competenter illam evidentem notitiam, quae nata est haben secundum cursum com-
munem".
22 Ioannes Duns Scotus, Reportata Parisiensia, III, d. 24, q. unica (ed. cit.), t. 23, 456 — 457:
„De tertio, dico quod omnem effectum potest Deus facere sine causa secunda effectiva, quare ut objectum
potest facere certitudinem, quae includit aliquam evidentiam, Deus potest facere illam certitudinem cum
evidentia, et sine evidentia illius causae, quae nata est causare illam evidentiam. Unde tantam certitudinem
de theologicis in aliquibus creavit, ut in Apostolis, quod non potuerunt dubitare; et Worum cognitio respectu
fidei in nobis potest dici scientia, vel magis intellectus principiorum. Non enim potuerunt non assentire
creditis, sicut nec ego prinapiis demonstrationum, ita quod ista cognitione stante, impossibile erat illos
dubitare, et talis scientia erat in montibus, scilicet in Apostolis, et tantum assensum habuerunt, quod non
potuerunt dubitare; et ideo certiores et firmiores fuerunt ad sustinendum passiones, quam si de credibilibus
scientiam demonstrativam habuissent. Et iste habitus certiorfuit fide, et dicitur aliquo modo scientia, sdlicet
media inter scientiam proprie dictam et fidem, quia habet certitudinem aliquo modo majorem quam fides
in nobis, inquantum excludit omnem motum quemcumque subreptitium de contrario fidei. Per hoc convenit
in certitudine cum scientia, in qua scientia determinatur de necessitate ad unum, ita quod non potest judicare
oppositum; hujusmodi forte fuit fides infusa majorum, qui primo Ecclesiam fundabant".

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88 Stephen F. Brown

to them. They follow the form: Is sacred doctrine science? (Utrum sacra
doctrina sit sciential) or: Is sacred doctrine argumentative? (Utrum sacra doctrina
sit argumentative^). Duns Scotus's answer to the question proper to his time is
that the theologian in the ordinary context in which he does university studies
will not through his schoolroom efforts develop a habit concerning the su-
pernatural truths of the Christian faith that goes beyond faith and arrives at
vision. Even if in comparison with the simple believer the theologian devel-
ops further cognitive habits, still these are not habits producing the evidence
that causes his assent to these supernatural realities. His assent is due to faith,
not due either to the evidence of beatific vision or the lesser, more indirect,
,vision' of Henry's intellectus or lumen medium.
Scotus's abstractive cognition of supernatural realities makes no claim to
be a form of actual experiential knowledge attained by theologians in their
university exercises. What it does establish is the possibility of some knowl-
edge of these realities from another source than from classroom teaching. In
other words, man has the capacity here in this life to receive abstractive
cognition — in the sense that a human soul in the present life has the capacity
for knowledge of the supernatural objects of the Christian faith that is not
beatific vision. In effect, Scotus's theory of abstractive cognition keeps open
the door to the possibility of the kind of knowledge that Henry finds as
actual in the treatises „De Trinitate" of Augustine and Richard of St. Victor,
and that Scotus the Franciscan perhaps could find portrayed in the „Itinerar-
ium mentis in Deum" of St. Bonaventure. It should be pointed out that the
Seraphic Doctor does not claim that the journey to God that he presents is
the actual path that St. Francis followed at the time of the Stigmata. Rather,
he declares: „As I reflected on this marvel, it immediately seemed to me that
this vision might suggest the rising of St. Francis into contemplation and
point out the way by which that state of contemplation may be reached" 23 .
Yet, Francis's route, as Bonaventure imagines it, is not the ordinary route of
Franciscans, even of Franciscan theologians. That such contemplation is be-
yond our normal reach is presented as a fraternal caution to false expecta-
tions in the exhortation Bonaventure gives in „Sermon I on Holy Saturday" .
There he urges the friars not to despair if they do not experience the
contemplations of the divine realities found in the writings of Brother
Giles or Bernard of Clairvaux or Richard of St. Victor. He exhorts
them to strive to develop the necessary dispositions required for such
contemplations and await God's response: „You could have them later...
If you wish to be a tabernacle of wisdom, strive to have these dispositions
that ready you to receive it. And if a man does not wish to arrive at

23 S. Bonaventura, Itinerarium mentis in Deum, prol., 2 (Opera omnia, t. V; Quaracchi: Colle-


gium S. Bonaventurae 1891), 295: „In cuius consideratiom statim visum est mihi, quod visio ilia
praetenderet ipsius patris suspensionem in contemplando et viam, per quam pervenitur ad earn".

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The Abstractive vs. Intuitive Cognition Distinction 89

this perfection, it is nonetheless a great thing that the Christian way of


life has men who do" 24 .
It is certainly noteworthy that Duns Scotus does not refer to St. Francis
or to other mystics. His abstractive cognition of the supernatural realities of
the faith is centered on the knowledge possessed by the prophets and apos-
tles. So, in reality, it is not to protect the knowledge of the mystics that Scotus
pursues his study of abstractive cognition, but rather to explain the kind of
knowledge that the prophets and the apostles had of the fundamental realities
of the faith. It might be parallel to that of the mystics, but Scotus does not
discuss the similarity, quite likely because his own analysis of the knowledge
that the prophets and the apostles possessed only points to their certitude,
not to the evidence for such certitude.

A L a t e r M y s t i c ' s R e s p o n s e to S c o t u s

Although, in the „Commentary on the Sentences", which Denys the Car-


thusian compiled in his monastic cell around 1340, Duns Scotus was criti-
cized for rejecting the lumen medium or intellectus that Henry of Ghent em-
ployed as the key to the actual knowledge gained by mystical theologians,
still Duns Scotus's cognitio abstractiva kept open the door for the mystical life
at least as a possibility, albeit outside the confines of the university class-
room 25 . Denys's critique of Scotus is, from one angle just, since to a certain
extent Scotus followed Godfrey, who declared that he was as a university
master not interested in the issues of mysticism 26 . Still, Scotus yielded to
Henry, at least in so far as he allowed for the possibility of a form of knowl-
edge of the divine realities that was an alternative to the forms of knowledge
provided by university study. If he blinked on Henry's lumen medium, he re-
jected it as a portrait that claimed the ability to identify through evidence
those who actually had such a light. If he admitted abstractive cognition in

24 S. Bonaventura, Sabbato sancto: Sermo I (Opera omnia, t. IX; Quaracchi: Collegium S. Bo-
naventurae 1901), 268: ,JAodo non debetis desperare, vos simplices, quando auditis ista, quia simplex
non potest ista habere, sed poteritis postea habere. Nos non farimus nisi dicere. Sed quando anima sancta
habet ista sex (j>udor, timor, dolor, clamor, rigor, et ardor}, tunc disponitur ad videndum gloriam. Haec
est requies, quam quaerere debemus. Ht didt Sapientia aeterna (Eccli. 24, 11): In his omnibus requiem
quaesivi et in hereditate Domini morabor etc. Si vis esse tabernaculum sapientiae, studeas istas dispositiones
habere; et si homo non velit ad istam perfectionem pervenire, magnum tamen est, quod lex Christiana habet
tales. Omnes alii α Christianis sunt sied ab ista gratia".
25 Dionysius Carthusiensis, In III Sententiarum, d. 24, q. unica (ed. Tornaci, 1904), t. 23,
425 — 426: „Hanc lucem negare, irrisorie examinare, et tamquam fictum quid reputare, non est aliud
quam propriam imperititiam demonstrare; nec alicuius subtilitatis signum id reor". On Deny's critique
of Scotus, see K. Emery, Jr., Theology as a Science: The Teaching of Denys of Ryckel
(Dionysius Cartusiensis, 1402-1471), in: Knowledge and the Sciences (nt. 4), III, 385 — 386.
26 Godefridus de Fontibus, Quodlibet VIII, q. 7 (ed. cit., t. 4 ), 80: „De spedalibus enim et
privilegiatis illustrationibus quas Deus fadt velfacere potest privatis personis non loquor".

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the present context, while deliberately omitting Henry's t e r m ,lumen medium',


it was to p e r m i t the possibility o f s o m e believers having it — though he in
fact does n o t p o i n t to St. Francis, — n o r to Augustine o r Richard o f St.
Victor, o r any o t h e r theologians w h o m B o n a v e n t u r e and H e n r y presented,
— but rather to Paul, to the Apostles, and to the Prophets. Scotus thus kept
wayfarers in the land o f faith, n o t o f vision; and h e also kept university
theologians, despite their d i f f e r e n t f o r m s o f knowledge, primarily in the land
o f faith, n o t in the land o f the blessed 2 7 .

27 Here, Scotus follows the later position of Godfrey's Quodlibet IX, q. 20 (ed. cit., 282-283):
„Sed area theologiam est etiam hoc atiqualiter suppomndum, scilicet, quod ultra notitiam quae fides proprie
diätur et solum auctoritati innitur, studentes in theologia acquirunt sibi aliquem habitum cognitivum ulteri-
orem, qui non solum auctoritati in sua obscuritate, sed rationi aliqualem evidentiam facienti ex aliquibus
notioribus ex ipsis rebus acceptam innituntur. Et hocpatet in quaestionibus theologiäs a sanctis et doctoribus
diligenti inquisitione tractatis, in quibus ex aliquibus rebus et similitudinibus et proportionibus aliquarum
rerum tanquam magis notis sumuntur rationes per quas ea, quae sub obscuritate nudae scripturae sola fide
tenentur, aliqualiter nota et evidenßa fiunt intellectui, ut iam intellectus talibus assentiat, non solum quia
scripta sunt et auctoritate scripturae et ratione actoritatis scribentis tradita, sed etiam quia per rationem
quae area talia nota sunt haberi aliquo modo facta evidentia. Frustra enim laboraretur tantum in studio
et expositione in sacra scriptum ut ea quae scripta sunt et fide obscura tenentur aliquo modo evidentia fiant,
et ratione intelligantur. Et hie habitus sic per Studium acquisitus etiam communi nomine scientia diätur,
prout diät Augustinus, Super Iohannem, vigesimo primo: ,Conari debemus ut säamus verba Dei: quare
enim dicta sunt nisi ut audiantur; quare audita sunt nisi ut intelligantur,' etc.".

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Absoluter Wille versus reflexive Vernunft
Zur theologischen Anthropologie
der mittleren Franziskanerschule

GÜNTHER MENSCHING (HANNOVER)

Die Mediävistik des 20. Jahrhunderts hat die Philosophie der Hochschola-
stik bis vor wenigen Jahren unter dem Zeichen eines eindeutig bestimmbaren,
immanenten Fortschritts dargestellt. So bezeichnet E. Gilson diese Periode, de-
ren geistige Vielfalt inzwischen entdeckt war, als „Siecle de saint T h o m a s " 1 . Für
F. van Steenberghen weist die „Bilanz des 13. Jahrhunderts" zwar beträchtliche
Konflikte der verschiedenen Schulen auf, aber diese sind sämtlich vom „Tri-
umph der Philosophie" getragen, und das Zeitalter vollbringt infolge der Re-
zeption der heidnischen Philosophie und Wissenschaft geradezu eine „revolu-
tion culturelle" 2 . Für beide Autoren und für viele andere ihrer Zeit stand fest,
daß das Denken des Thomas von Aquin den Höhepunkt der Epoche darstelle
und daß die Jahrzehnte nach Thomas durch die vorläufige Wiederkehr konser-
vativer Positionen in Theologie und Philosophie gekennzeichnet seien. Beide
Interpreten stimmen jedoch auch darin überein, daß der zeitweilige Verlust an
Ansehen, den Thomas am Ende seines Jahrhunderts erfuhr, von der epochen-
übergreifenden Bedeutung seines Denkens wettgemacht wurde 3 . Die neuscho-
lastische Präokkupation beider Autoren, die sich hier kundtut, gilt zwar heute
selbst als obsoleter Konservatismus, aber es zeigt sich auch, daß sie — womög-
lich ganz unwillkürlich — einer zeitgenössischen Idee von Fortschritt folgen,
indem sie das Thomasische Denken als den Höhepunkt der mittelalterlichen
Philosophie ansehen, zu dem die meisten früheren Objektivationen der Epo-
che unvollkommene Vorstufen sind. Mit aller notwendigen historischen Diffe-
renzierung ist hieraus der Gedanke aufzunehmen, es gebe eine trotz aller Epo-
chenbrüche kontinuierlich fortschreitende Erfahrung des Bewußtseins, die sich
in der Philosophie reflektiert.
Ziel dieses Beitrages ist es, ein Moment aus den zahlreichen und thema-
tisch miteinander verschlungenen Kontroversen des letzten Drittels des

1 E . Gilson, La philosophie au moyen äge. D e s origines patristiques ä la fin du X l V e siecle,


Paris 1962, 590.
2 F. van Steenberghen, La philosophie au X H I e siecle, Louvain — Paris 1966, 5 1 1 — 5 4 8 .
3 Cf. van Steenberghen, I.e., 548, der Gilson zustimmend zitiert (I.e., 590): „Ce solitaire n'a
pas ecrit pour son siecle, mais il avait le temps pour lui".

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94 Günther Mensching

13. Jahrhunderts so zu untersuchen, daß die scheinbar eindeutige Scheidung


des Fortschrittlichen und des Konservativen sich differenziert und dennoch
die systematische Folgerichtigkeit in der polemischen Beziehung der Positio-
nen deutlich wird. Die Gegner des Thomas von Aquin, die nach der Verurtei-
lung von 1277 publizistisch vorherrschend wurden, sind nicht in allen ihren
Theoremen rückwärtsgewandte Vertreter eines vergangenen Bewußtseins,
und umgekehrt kann die aristotelische Position, die Thomas in einigen Punk-
ten mit den sogenannten lateinischen Averroisten verbindet, nicht in jeder
Hinsicht den fortgeschrittensten Stand des Denkens für sich reklamieren.
Die Frage nach dem Verhältnis von Wille und Intellekt in Gott und im
Menschen bezeichnet einen der wichtigsten Streitgegenstände, an dem sich
zeigen läßt, wie eine gegen die aristotelischen Neuerungen gewendete theore-
tische Richtung nicht etwa den alten Geist wiederherstellt, sondern trotz ihrer
starken Bezugnahme auf die scheinbar rückständige augustinische Tradition
für die Philosophie eine neue Perspektive eröffnet.
Die Entdeckung des Willens, die sich zur selben Zeit vorbereitet, in der
eine epochale Neubewertung des Individuums erfolgt, verändert den traditio-
nellen Begriff des Menschen. Galten die intellektiven Vermögen gegenüber
den appetitiven als die höheren, so verschiebt sich diese Ordnung der seeli-
schen Instanzen bei den Franziskanertheologen in der Zeit zwischen dem
Tode Bonaventuras und dem Auftreten des Duns Scotus grundsätzlich 4 . Die
Wertschätzung der geistigen Vermögen gegenüber den sinnlichen, welche
weiterhin in Kraft bleibt, erhält einen anderen Stellenwert. Zum einen sind
nun auch endliche weltliche Gegenstände der wissenschaftlichen Beschäfti-
gung würdig, zum anderen tritt neben die traditionelle Idee der Erkenntnis
ein neu akzentuiertes Ideal von Freiheit. In der traditionell theologischen
Absicht, die Absolutheit Gottes gegenüber einer Welt zu behaupten, deren
immanente kausale und finale Gesetzmäßigkeit von den Aristotelikem de-
monstriert wurde, lehren die Franziskaner, daß Gottes Wesen primär im inde-
terminierten Willen bestehe, aus dem alle rationale Ordnung allererst hervor-
gehe 5 . Dieser Veränderung in der Theologie entspricht eine neue Anthropo-

4 Daß Heinrich von Gent und andere Autoren, die dem Minoritenorden nicht angehören,
ähnliche Lehrmeinungen vertraten wie die hier besprochenen Franziskanertheologen und
deren Positionen auch beeinflußt haben, soll im Rahmen dieses Beitrages um der Deutlich-
keit der zu reflektierenden Kontroverse willen unberücksichtigt bleiben, zumal die Franziska-
ner dabei dominant waren.
5 Diese Theorie hat sich im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts bei den Franziskanern erst
zu der Schärfe entwickelt, die sie bei Duns Scotus und noch mehr bei Wilhelm von Ockham
zeigt. Matthaeus ab Aquasparta setzt den Willen Gottes mit dem Prinzip seiner Identität
gleich: „Ista autem necessitate necessario vult se et creaturam, quia immutabiliter respectu actus volendi,
sed mutabiliter respectu obiecti voliti, nisi respectu mcessanorum" (Quaestiones disputatae de produc-
tione rerum et de Providentia, ed. G. Gäl, Quaracchi 1956, 200). Nach Matthaeus ist das in
der Natur Notwendige durch den unwandelbaren Willen Gottes notwendig, das Kontingente
untersteht seinem Eingriff. Bei Roger Marston tritt bereits die für Scotus charakteristische
These der Indifferenz des göttlichen Willens hervor: „Essentia divina est indijferens, quantum
est ex se, ad creandam praevisa et non praevisa" (Quaestiones disputatae de emanatione aeterna,
de statu naturae lapsae et de anima, Quaracchi 1932, 100).

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Absoluter Wille versus reflexive Vernunft 95

logie, die dem Willen und damit der Freiheit ein bis dahin unübliches Ge-
wicht zumißt 6 . In dieser Thematik sind sich die hier untersuchten Autoren
bei einigen Nuancen einig. Bei Duns Scotus wird die franziskanische Willens-
lehre aufgenommen, aber zugleich ganz eigenständig variiert.
Während die Aufwertung der profanen Naturerkenntnis durch das Stu-
dium der libri naturales des Aristoteles und ihrer arabischen Interpreten beför-
dert wurde, stellte sich ein Teil der franziskanischen Gelehrten gegen die
hieraus entspringenden Neuerungen. Besonders einige theologische Folge-
rungen, die sich aus der Aristotelesinterpretation der lateinischen Averroisten,
aber auch aus der des Thomas von Aquin herleiten ließen, setzten sich der
franziskanischen Kritik aus. So hat bereits Bonaventura mehrfach eindringlich
vor den unheilvollen Folgen der weltlichen Philosophie für Theologie und
Religion gewarnt. Unter Berufung auf Bernhard von Clairvaux bezeichnet er
die Neugier als primum vitium1, dem schon einige Engel und Adam zum Opfer
gefallen seien. Eine Beschäftigung mit der Welt, die in der Natur nicht überall
das Werk Gottes wiederfindet, sondern ihre Erscheinungen in einer imma-
nent notwendigen kausalen und womöglich ewigen Verknüpfung konstruiert,
macht sich eines Verstoßes gegen das Bilderverbot schuldig, denn sie hält
ihre adinventiones für die Realität selbst: „Prohibentur omnes falsae superstitiosae
adinventiones errorum, [.. .quae]proveniunt [...] ex improbo ausu investigationsphiloso-
phicae. [...] Ex improbo ausu investigationis philosophicae procedunt errores in philoso-
phis, sicut est ponere mundum aeternum et quod unus intellectus sit in omnibus. Ponere
enim mundum aeternum, hoc est, pervertere totam sacram Suipturam et dicere quod Filius
Dei non sit incarnatus. Ponere vero, quod unus intellectus sit in omnibus, hoc est dicere,
quod non sit Veritas fidei, nec salus animarum, nec observantia mandatarum"*.
Ist die Welt nämlich ein geschlossener Kausalprozeß, so sind die Handlun-
gen den Individuen nicht moralisch zuzurechnen, denn sie hätten als Glieder
dieser Kette determinierter Ereignisse bei aller Einsicht in deren Notwendig-
keit ja keine Freiheit der Entscheidung. Nach der Verurteilung von 1277, die
sich in ganz ähnlichem Sinne äußert 9 , wird das Problem des Verhältnisses
von freiem Willen und Intellekt auf neue Weise akut. Das „Correctorium

6 Ein anderer wichtiger Punkt, an dem sich die anthropologischen Differenzen der aristote-
lisch-thomasischen und der franziskanischen Position zeigen, ist die umstrittene Einheit der
metaphysischen Form im Menschen. Die Geschichte der Kontroverse ist von diesem Punkt
aus zuletzt eingehend dargestellt worden von Th. Schneider, Die Einheit des Menschen. Die
anthropologische Formel „anima forma corporis" im sogenannten Korrektorienstreit und bei
Petrus Johannis Olivi. Ein Beitrag zur Vorgeschichte des Konzils von Vienne (BGPhThMA
NF 8), Münster 1973.
7 Bonaventura, Collationes in Hexaemeron (Illuminationes Ecclesiae), Sermo 19,4, in: Opera
omnia, t. 5, Quaracchi 1891, 420.
8 Bonaventura, Collationes de decern praeceptis, Collatio 2,25, in: Opera omnia, t. 5, Quarac-
chi 1891, 514.
9 So wird etwa folgende These verurteilt: „Dens non potest irregulariter, id est, alio modo quam
movet, movere aliquid, quia in eo non est diversitas voluntatis" (R. Hissette, Enquete sur les 219
articles condamnes ä Paris le 7 mars 1277, Louvain/Paris 1977, 56).

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96 Günther Mensching

fratris Thomae" des Wilhelm de la Mare, in gewisser Weise das Manifest der
franziskanischen Gegenposition zu den Dominikanern, spricht die Kritik am
thomasischen Intellektprimat deutlich aus: „Diamus quod si intellectus dicitur
optima potentia, id est valde bona, verum est; nec obstat quod voluntas est melior vel aeque
bona. Si autem dicatur optima, id est bona super omnes potentias sie dieimus quod falsum
est. Quod patet ex quatuor f...]. Primo modo nobilior est voluntas tum quia imperat
omnibus [...]; tum quia ratio deservit sibi, scilicet voluntati, ut comespedissequa [.. .]"w.
Die Souveränität des menschlichen Willens wird hier bereits mit der Meta-
pher der Herrschaftsgewalt belegt. Der Wille entspricht nur dann seinem
Begriff, wenn er nicht einem anderen Vermögen untersteht: „Ergo si ratio
it?iperat voluntati, voluntas subditur rationi. Sed quod alii imperat ut subdito, sibi non
dat libertatem operandi. Ergo voluntas non est libera nec domina suorum actuum.
[ . . . ] " u . Gegen Thomas wird eingewendet, daß seine Theorie den Willen
geradezu knechte.
Mit ihrer Insistenz auf der menschlichen Freiheit wollen die Franziskaner
freilich nicht eine moderne Freiheitsbewegung initiieren, vielmehr entspricht
ihre Willenslehre zunächst einer sich wandelnden Theologie, in der das göttli-
che Wesen primär als unbedingt freier Wille bestimmt ist. Gnade und Präde-
stination erhalten hier ein weit größeres Gewicht als in einer aristotelisch
fundierten Theorie. Die Konstellation der Positionen in dieser Kontroverse
ist also prima facie paradox: Während die an Thomas orientierten Dominika-
ner dem Willen nur unter der Leitung eines Intellekts Freiheit zuschreiben,
der das zu Wollende im voraus erkannt hat 12 , reklamieren die Minoriten die
menschliche Willensfreiheit ausschließlich für ihre Theorie und werfen der
Gegenpartei vor, sie mutwillig zu negieren, weil diese dem improbus ausus
investigationis philosophicae folge und den Willen einem Intellekt unterwerfe, der
seinerseits nur die in sich determinierte Ordnung der physischen Natur wie-
dergeben könne. Zugleich aber soll der menschliche Wille nicht etwa in sich
seine Autonomie finden, sondern dem absoluten göttlichen derart entspre-
chen, daß seine Freiheit und die Gnade sich wechselweise bedingen. Für die
Willensfreiheit im modernen Sinne ist hierbei scheinbar kein Platz.
Diese Lehre entstammt der augustinischen Orientierung der franziskani-
schen Theologie und läßt sich schon an deren Quelle studieren. Augustinus
hat bereits die wechselseitige Beziehung von Wille und Selbstgewißheit darge-
stellt, die im 13. Jahrhundert unter veränderten Bedingungen wieder aktuell
wird. Auf die scheinbar cartesianische Motive vorwegnehmende Lehre von
der untrüglichen Selbstgewißheit, die durch den Zweifel sich herstellt, ist oft

10 P. Glorieux (ed.), Les premieres polemiques thomistes: Le Correctorium „Quare", Kain


1927, 221.
11 L.c, 233.
12 So schreibt Thomas von Aquin: „Homo vero per virtutem rationis iudicans de agendis, potest de suo
arbitrio iudicare, in quantum cognosät rationenem finis et eius quod est ad finem, et habitudinem et ordinem
unius ad alterum: et ideo non est solum causa sui ipsius in movendo, sed in iudicando" (Quaestiones
disp. De veritate, qu. 24, a. 1 c.).

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Absoluter Wille versus reflexive Vernunft 97

hingewiesen worden, weniger darauf, daß dieses Selbstverhältnis schon bei


Augustinus eine voluntative Quelle hat. In einigen Bemerkungen sagt er gera-
dezu, daß das menschliche Leben mit dem Willen zum Dasein immer schon
reflexiv ist: „IJceat mihi me scire vivere, liceat me scire velle vivere: in quae si consentit
genus humanum, tarn nobis cognita est voluntas nostra, quam vita. Neque cum istam
säentiam profitemur, metuendum est, ne nos quisquam fallt posse convincat hoc ipsum
enim falli nemo potest, si aut non vivat, aut nihil velit"13. Dieser Wille ist indessen
dem göttlichen Vorauswissen unterworfen und insofern nicht etwa ganz auf
sich selbst gestellt. Die praestienüa Dei negiert nach Augustinus nicht die Wil-
lensfreiheit, diese wird vielmehr durch jene überhaupt erst gewiß. Dadurch,
daß Gott den künftigen Willen eines Menschen vorhersieht, kommt diesem
Vermögen, das er subjektiv als unbedingt erfährt, ein Grund zu, notwendig
zu existieren, und dies begründet wiederum die Unfehlbarkeit der Selbstge-
wißheit: „ Voluntas igitur nostra nec uoluntas esset, nisi esset in nostra potestate. Porro,
quia est in potestate, libera est nobis. [...] Cum enim [Deus] sit praescius uoluntatis
nostrae, cuius est praescius ipsa erit. Voluntas ergo erit, quia voluntatis est praescius. Nec
uoluntas esse potent si in potestate non erit. Ergo et potestatis est praescius. Non igitur
per eius praescientiam mihi potestas adimitur, quae propterea mihi certior aderit, quia ille
cuiuspraescientia non fallitur, affuturam mihi essepraesävit"X4.
Die Lehre von Selbstgewißheit und Wille war bei Augustinus ein Teil der
Gnadentheorie, die frei handelnde Personen voraussetzt. Freiheit verstand
Augustinus hier freilich als Wahlmöglichkeit des Bösen, welches er als Ab-
wendung der Seele von Gott und Zuwendung zu sich selbst bestimmte. 15
Zugleich aber ist eine dem zumindest verwandte reflexive Wendung notwen-
dig, damit die Seele zur Erkenntnis ihrer selbst gelange und sich damit in
den ihr angemessenen Zustand versetze. Das untrügliche Selbstbewußtsein
ist indessen nicht allein die Quelle des Bösen, sondern auch die der Gottes-
liebe: „Sic itaque condita est mens humana, ut nunquam sui non meminerit, nunquam
se non intelligat, nunquam se non diligat. Sed quoniam qui odit aliquem nocere illi studet,
non immerito et mens hominis quando sibi nocet odisse se dicitur. f...] Qui ergo se diligere
nouit, deum diligit; qui non diligit deum, etiam si se diligit, quod ei naturaliter inditum
est, tarnen non inconuenienter odisse se dicitur; cum id agit quod sibi aduersatur"xe.
Augustins oft untersuchte Lehre von der Selbsterkenntnis stellt also nicht
ein vorzeitiges modernes Motiv dar. Sie will vielmehr demonstrieren, wie
unausweichlich die scheinbar sich selbst genügende menschliche Subjektivität
der Autorität Gottes unterstellt ist.

13
Augustinus, De duabus animabus contra Manichaeos, c. 10,13, in: Opera omnia, ed. Mon.
Ord. S. Benedicti e Congr. S. Mauri, t. 8, Paris 1886, 104.
14
Augustinus, De libero arbitrio, 1. 3, c. 8, in: Opera 11,2, Turnhout 1970, 280 (CCSL XXIX).
15
Cf. Augustinus, De Civitate Dei, 1. 12, c. 6, in: Opera XIV,2, Turnhout 1955, 359 sqq. (CCSL
XLVIII).
16
Augustinus, De Trinitate, 1. 14, c. 18, in: Opera, pars XVI,2, Turnhout 1968, 445 sq. (CCSL
L,A.)

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98 Günther Mensching

Das Thema der Selbsterkenntnis der Seele hat im 13. Jahrhundert neue
Aktualität erhalten, freilich aus gegenüber Augustinus sehr gewandelten Moti-
ven. F.-X. Putallaz hat in einer eingehenden Studie die Lehre von der unmit-
telbaren Selbsterkenntnis der Seele bei drei wichtigen franziskanischen und
einigen anderen Autoren des 13. Jahrhunderts untersucht 17 . Dabei wird deut-
lich, in welcher Weise die Theorie der Selbsterkenntnis in die fundamentale
Kontroverse zwischen den aristotelisch-thomistischen Dominikanern und
den augustinisch argumentierenden Minoriten einbezogen ist 18 . Während
nach Thomas die Selbstreflexion der Seele nur unter der Bedingung möglich
ist, daß sie sich zugleich auf äußere Gegenstände bezieht, also intellektiv
tätig ist, setzen die Franziskaner und einige Autoren außerhalb dieses Ordens
hiergegen die unmittelbare Selbsterkenntnis. Vor aller Beziehung auf empiri-
sche Gegenstände verhält sich der Intellekt zu sich selbst. Dies ist geradezu
die Bedingung für die Erkenntnis endlicher Dinge.
Petrus Johannis Olivi hat das unmittelbare Selbstverhältnis der Seele ohne
Vermittlung von species, die auf Objekte außer ihr bezogen sind, als ihr Wesen
bestimmt. Gegen die „cultores Aristotelis" stellt er fest, daß die Seele keine
Phantasmata benötige, um sich selbst zu erkennen. Da die Phantasmata nach
der aristotelischen Theorie aus den sinnlichen Gegenständen abstrahierte Bil-
der sind, wäre die Selbsterkenntnis der Seele letzthin von den materiellen
Objekten abhängig, was für ein geistiges Seiendes nicht zutreffen kann. Olivi
interpretiert hier die aristotelische Position in einem empiristischen Sinne, so
als wäre die Selbstgewißheit des Denkens Resultat von Erfahrung an empiri-
schen Gegenständen. So wird es ihm leicht, hiergegen die Apriorität des sich
selbst erkennenden Erkenntnisvermögens zu setzen: „Cum ergo quaeritur an
anima sciat se per essentiam, si per hoc intenditur an sua essentia teneat vicem spedei
repraesentativae adem informantis: sie est impossibile et etiam ridiculosum quaerere, quam-
vis hoc quidam crediderint. St vero intendatur quod sua essentia sit per se obiectum suae
scientiae, ita quod non obiciatur sibi per intermediam spedem memorialem: sie in primo
modo sciendi seit se per essentiam, id est per aspectum et actum in suam essentiam
immediate deßxum"19.
Roger Marston teilt die augustinische These von der unmittelbaren Selbst-
erkenntnis der Seele und läßt darüber hinaus den Zusammenhang deutlich
werden, den sie mit dem Theorem vom indeterminierten Willen hat. Die

17 Cf. F. X. Putallaz, La connaissance de soi au X l l l e siecle De Matthieu D'Aquasparta ä


Thierry de Freiberg, Paris 1991.
18 Das erste Buch von Putallaz widmet sich deshalb ausschließlich der Thomasischen Theorie
der Selbstreflexion, welche zum Gegenstand der franziskanischen Kritik wurde: Le sens de
la reflexion chez Thomas d'Aquin, Paris 1991.
19 Petrus Johannis Olivi, Quaestiones in Secundum Librum Sententiarum, ed. B.Jansen, t. 3,
Quaracchi 1926, 149. Olivi hat die von den Franziskanern ganz allgemein vertretene Theorie
am schärfsten formuliert. Matthaeus ab Aquasparta versucht noch, aristotelische Elemente
in die grundsätzlich augustinische Argumentation einzubeziehen (cf. Putallaz, La connais-
sance de soi au X l l l e siecle, 28 sq.).

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Absoluter Wille versus reflexive Vernunft 99

species in der Seele entstehen nicht etwa durch die Einwirkung der sinnlichen
Dinge, die Seele bildet sie vielmehr aus eigenem Vermögen: „f...] species qua
intellectus cognoscit, originata non est a re, sed ab ipsa anima effective et ab ipsa potentia
sensitiva ut excitante ipsum et movente quoquo modo"20. Der Intellekt, der die Be-
griffe nicht als Abbilder der Dinge in sich aufnimmt, sondern aus sich selbst
schafft, ist von der Materialität der Natur frei 21 . Nur in dieser Freiheit kann
sich die erkennende Seele auf sich selbst beziehen: „[...] ordopotentiarum ani-
mae ad invicem non permittit quod in sensu particulari acquirat anima spedem qua
cognosät, propter materialitatem et impuritatem speciei et modi sub quo res cognoscitur
mediante speäe"22.
Die Autoren der Franziskanerschule haben die Einsicht in die unmittelbare
Selbstbeziehung der erkennenden Seele mit der These der Reflexivität des
Willens verbunden. Dies ist zum einen gegenüber Thomas von Aquin ein
ganz verändertes Verständnis von Reflexivität der Vernunft, zum anderen
gibt sich eine neue Anthropologie zu erkennen. Freiheit und Unfreiheit wer-
den aus einander genau entgegengesetzten Gründen bestimmt.
Gemeinsam ist beiden Seiten der Kontroverse, daß die Menschen ihr Telos
in der Glückseligkeit haben, die ihnen vollkommen erst durch göttliche
Gnade zuteil werden soll. Gegensätzlich ist bei beiden aber die Bestimmung
der beatitudo. Nach Thomas von Aquin besteht das letzte Ziel in der Erkennt-
nis Gottes, die mit der wissenschaftlichen in Kontinuität gesetzt wird: „Natu-
raliter inest omnibus hominibus desiderium cognoscendi causas eorum quae videntur. [...]
Nec sistit inquisitio quousque perveniatur ad primam causam; et tunc perfecte nos scire
arbitramur quando primam causam cognoscimus. [...] Prima autem omnium causa Deus
est. Est igitur ultimus finis hominis cognoscere Deum"23. Das Ziel wird zwar auch
vom Willen erstrebt, aber: „[...] velle nonpossumus quod non intelligimus. Est igitur
ultima felicitas hominis in cognoscendum Deum per intellectum substantialiter, et non in
actu voluntatis"2"'.
Für Thomas ist die Hierarchie der Seelenvermögen deshalb eindeutig.
Dem Menschen gemäß ist die Tätigkeit der Vernunft, deshalb ist sie sein
oberstes Vermögen, auf das der Wille abgestimmt ist: „[...] quae vero habent
cognitionem intellectivam, et appetitum cognitioni proportionatum habent, sälicet volunta-
tem. Voluntas igitur, secundum quod est appetitus, non est proprium intellectualis naturae

20
Roger Marston, I.e. (nt. 5), 429.
21
Im Kontext der franziskanischen Lehre von der Selbsterkenntnis der Seele, die mit der
Theorie des Willens und der Freiheit eng zusammenhängt, wird deudich, wie sehr Wilhelm
von Ockham mit seiner voluntaria institutio terminorum in der Tradition seines Ordens steht.
Die Bedeutung der Begriffe, derer der Verstand sich bedient, leitet sich hiernach aus dem
Willen her. Hier wird nach der Selbstbestimmung des Willens im Handeln nun auch die
begriffliche Erkenntnis als von der Determination durch den Gegenstand unabhängig konzi-
piert. Die freie Einsetzung der signa rerum setzt das reine Selbstverhältnis der Seele voraus,
das die Autoren des 13. Jahrhunderts für den Willen dargelegt hatten.
22
Roger Marston, I.e. (nt. 5), 429.
23
Thomas von Aquin, s.c.g., III, 25.
24
L.c.

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100 Günther Mensching

sed solum secundum quod ab intellectu dependet; intellectus autem secundum se proprius
est intellectuals naturae"2S Dieses Verhältnis gilt auch für Gott: „Id autem quod a
Deo prinäpaliter intelligitur est divina essentia [...] Divina igitur essentia est id de quo
principaliter est divina voluntas"26.
Für die Franziskaner ist die beatitude hingegen eine Bestimmung des Wil-
lens: „[•••] beatitude est actus voluntatis, non qui est desiderare, sed qui est amare,
perfecte inhaerere et quietari"21.Von hierher gelangt Matthaeus ab Aquasparta
dazu, die intellektive Bestimmung von Zielen als Willensakt zu begreifen:
„[...] intellectus non assequitur nec comprehendit finem sine voluntate, quia nec finem sub
ratione finis respicit. Finis enim importat perfectam quietationem, quae non est sine actu
voluntatis"29,. In der Setzung eines vernünftigen Zweckes ist der Wille frei von
der eindeutigen Bestimmtheit der Natur, die keine Alternative kennt. Der
Wille aber ist bereits bei den Franziskanertheologen das Vermögen der
Selbstbestimmung, das zu den denkbaren Zielen zugleich die Möglichkeit des
jeweiligen Gegenteils voraussetzt: „[...] uno modo ,natura' sumitur multum stricte
prout dividitur contra rationem et voluntatem, et,naturale' contra rationale vel volunta-
rium, prout dicitur quod voluntas vel ratio ad opposita se habent, natura autem ad unum
tantum"29 Dies gilt, ohne daß es ausdrücklich gesagt würde, auch von der
beatitude, die dem Menschen nicht zwangsweise die Richtung seines Handelns
vorschreibt, sondern durch einen spontanen Akt dessen Gesetz bestimmt.
Er kann sich nämlich der Glückseligkeit, die in der Schau Gottes besteht,
willentlich verweigern, d. h. der Sünde verfallen.
Wird die Willensfreiheit des Menschen im Zusammenhang der Sünden-
lehre so stark betont 30 , so konnte sich dieses theologische Lehrstück auf
Augustinus berufen, in der Absicht, die für ihre Sünden verantwortlichen
Menschen der göttlichen Strafgewalt zu unterstellen. Die Aristoteliker um
Siger von Brabant hatten die Tendenz, die Willensfreiheit und damit die
Möglichkeit der Sünde überhaupt zu bestreiten. Die zahlreichen Sätze zu
diesem Thema, die 1277 verurteilt wurden 3 1 , zeigen die Besorgnis der „kon-
servativen" Theologen, daß der Glaube an die Bestrafung der Sünder verlo-
ren gehen könnte.
Uber diese moraltheologische Bedeutung hinaus präludiert die franziskani-
sche Willenslehre eine zu ihrer Zeit noch zukünftige Bestimmung des Men-

25 L.c.
2<i L.c.
27 Matthaeus ab Aquasparta, Quaestiones de anima beata, in: id., Quaestiones disputatae de
anima separata, de anima beata de ieiunio et de legibus, Quaracchi 1959, 316.
28 L.c., 317.
29 Matthaeus ab Aquasparta, QQ. disp de legibus, in: op.cit., 460.
30 Cf. Petrus Johannis Olivi, I.e., t. 3, 695 sqq.: In der responsio zu Quaestio 41 (Art potentia
peccandi sit pars nostras libertatis) setzt Olivi der menschlichen Freiheit die Fähigkeit zu sündigen
immanent. Schärfer noch äußert sich Roger Marston: „Nullum siquidem peccatum est quod non
sit voluntarium, in ipsa voluntate existens formaliter; eo quod ipsius [est] quidquid per vires inferiores
suggentur vel imperare ut fiat vel respuere ne procedatur" (Roger Marston, op. dt. [nt. 5], 440).
31 Cf. Hissette, op.cit. (nt. 9), 230 sqq.

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Absoluter Wille versus reflexive Vernunft 101

sehen. Sie legt die Autonomie in ein Vermögen, das sich von der Natur
emanzipiert, welche in den Theorien der Franziskaner mehr als früher zur
spezifisch menschlichen Subjektivität in Gegensatz tritt. Da der Intellekt in
der Erkenntnis äußerer Gegenstände von deren eindeutiger Bestimmtheit
abhängt und ihm daher seine introspektiv zu gewinnende Selbstgewißheit nur
in der Betrachtung dieser heteronom bestimmten Tätigkeit gegeben ist, kann
es nur das primär selbstbezügliche, sich von allen äußeren Gegenständen
unterscheidende Vermögen des Willens sein, das Zwecke setzt. Dieser souve-
räne weil indeterminierte Akt geht der intellektiven Erkenntnis voraus, welche
die Bedingungen für die Verwirklichung der Zwecke zu erforschen sucht und
dazu vom Willen die entsprechenden Weisungen erhält: „Patet quod non cogitur
voluntas ab obiecto ex auetoritate imperii. Ipsa enim sicut imperatrix omnibus viribus
tamquam sibi subiectis imperat"32. Der Intellekt ist demgegenüber nur der Ratge-
ber des Willens, der folglich den Primat über den Intellekt hat: „Unde ratio,
licet ostendat connexionem, non potest sicut consiliatrix dictare boc esse eligendum, et
voluntatis est respuere vel admittere"^.
Das vom Gegenstande unabhängige Selbstverhältnis des Willens ist also
nicht ein defizienter Modus von Reflexivität. Dieser These ist vielmehr die
Entdeckung zu verdanken, daß die Freiheit der Einzelnen nicht allein der
Erkenntnis der objektiven Bedingungen bedarf, um dem Handeln ein be-
stimmtes Ziel zu geben, sondern im einzelnen Menschen zugleich immer
schon eine Instanz voraussetzt, vermöge derer er das als richtig Erkannte
auch zur eigenen Sache macht und seine Verwirklichung betreibt. Soll dies
Vermögen mehr als ein blindes Streben und zugleich von der Naturnotwen-
digkeit frei sein, so bleibt ihm als Bestimmung die gegenstandslose Reflexivi-
tät, die eine spezifisch menschliche Eigenschaft ist. Nur als absoluter ent-
spricht, strenggenommen, der Wille seinem Begriff. Er macht den Kern der
menschlichen Person aus, deren Wesen folglich in der Freiheit der Zweckset-
zung besteht. Demgegenüber ist die intellektive Erkenntnis, die nach Thomas
der Grund der Freiheit ist, an die unausweichliche Eindeutigkeit des zu Er-
kennenden gebunden und kann deshalb aus franziskanischer Perspektive
keine Garantie der Freiheit bieten. Die Lehre, daß der unbestimmte, weil
aller Beziehung auf einen Gegenstand ledige Wille frei sei, sich eine Bestim-
mung zu setzen, macht indessen den Willensakt grundlos. Sein Ergebnis ist
kontingent. Deshalb wurde dieser Theorie auch der Vorwurf gemacht, ein
irrationales Agens in den Rang des höchsten Vermögens der menschlichen
Seele zu erheben. Das „Correctorium corruptorii ,Quare"' kritisiert in diesem
Sinne die franziskanische Position, indem es ihr die wechselseitige Beziehung
der beiden Vermögen entgegenhält: „[...] nec ratio nec voluntas est causa sui ita
quod ad nihil aliud debeat ordinari; unde licet ratio habeat ordinem ad voluntatem ut ad
primum movens per modum efficientis, [...] ex hoc tarnen non concluditur quod non sit

32
Roger Marston, I.e. (nt. 5), 444.
33
L.c., 448.

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102 Günther Mensching

causa libertatis; sicut licet voluntas ordinetur ad bonum apprehensum a ratione, et per
consequens ad rationem tamquam ad principium movens per modum finis, nihilominus
tarnen est subiectum illius libertatis"^.
Nach der franziskanischen Lehre ist der Einzelne, der sich durch seinen
freien Willen bestimmt, primär mit sich selbst allein. Weder die intellektive
Erkenntnis noch der artikulierte Wille anderer Personen ist ein zureichender
Bestimmungsgrund, der dem Handeln das Gesetz vorschreiben kann. Diese
Theorie des vollkommen indeterminierten Willens hat theologisch die Uber-
zeugung von der individuellen Verantwortlichkeit des Sünders vor Gott nach-
haltig geprägt. Das Gegenstück zum freien menschlichen Willen ist deshalb
der absolute göttliche, dessen Entschlüsse immer weniger als erkennbar gel-
ten. Die spätere Lehre von Gott als der voluntas absoluta bereitet sich in der
Franziskanertheologie vor. Die Generation nach Duns Scotus hat weit über
den Orden hinaus den Gottesbegriff geprägt, der schon lange vor der Recht-
fertigungslehre Martin Luthers ein neues Selbstverständnis des religiösen
Subjekts gegenüber der Kirche und sich selbst in sich schloß.
Außerhalb des engeren theologischen Kontextes schärfte die minoritische
Lehre den Blick für den Innenraum, als welcher die einzelmenschliche Seele
nun zunehmend verstanden wird. Phänomene ziehen die Aufmerksamkeit
auf sich, die in der aristotelischen Seelenlehre nicht erörtert worden waren
und sich mit deren Mitteln auch nicht erklären lassen. Daß der Wille eines
einzelnen Menschen keineswegs stets und in jeder Hinsicht mit sich wider-
spruchsfrei einig ist, sich vielmehr in vielen Fällen aus gegenläufigen inneren
Strebungen erst als jeweils dominante Intention herausarbeiten muß, hat etwa
Walter von Brügge vor Augen geführt 35 . Die Seele als Innenraum, dem eine
intimitas eignet, wird von Olivi darüber hinaus als ein minor mundus verstan-
den 36 . Hier gibt es wie in der Außenwelt die Instanz der Herrschaft, die vom
Willen ausgeübt wird. Olivi spricht fast bewundernd von der imperiositas, mit
der sich der Wille gegenüber den anderen seelischen Instanzen Geltung ver-
schafft und ihnen gegenüber ausdrücklich den Primat ausübt 37 . Unabhängig
von der strengen theologischen Absicht, die Philosophie von der Zuwendung
zur profanen Außenwelt zurückzuholen, hat die Insistenz auf der reflexiven
Innerlichkeit der Seele und des Willens die Kraft des Selbstbewußtseins ge-
stärkt, die sich in den folgenden Epochen nicht nur religiös, sondern auch
politisch zu verwirklichen suchte. Die auf augustinischem Boden gewachsene
Wendung in das Innere bringt unter den Bedingungen des ausgehenden
13. Jahrhunderts nicht unbedingt die von ihren Verfechtern gewünschte De-

34 Glorieux (ed.), op. cit. (nt. 10), 240.


35 Cf. Walter von Brügge, Quaestiones quodlibetales, ed. E. Longpre (Les philosophes beiges
10), Löwen 1928, besonders qu. 4.
36 Cf. zu diesem Punkt die eingehenden Untersuchungen von E. Stadter, Psychologie und
Metaphysik der menschlichen Freiheit. Die ideengeschichtliche Entwicklung zwischen Bona-
ventura und Duns Scotus (Veröffentlichungen des Grabmann-Institutes 12), München 1971.
37 Olivi, op. cit, t.2 (nt. 19), 330sqq.

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Absoluter Wille versus reflexive Vernunft 103

mut, sondern eine weitere Aufwertung des Individuums, das sich selbst mit
seinem Willen und den ihm zum Teil widerstrebenden Gefühlen und Neigun-
gen wichtig wird.
Zudem hat die minoritische Willenslehre ein politisches Motiv ins Spiel
gebracht, das seit dem späten Mittelalter einander entgegengesetzte Implika-
tionen zu Tage förderte 38 . Sind die Einzelnen mit ihrer sich selbst unmittel-
bar gewissen Seele und dem indeterminierten Willen primär auf sich und ihre
Innenwelt bezogen, dann müssen sie als in Gesellschaft lebende Wesen durch
einen besonderen Prozeß über sich hinausgehen und einen kollektiven Willen
bilden, oder anderenfalls von außen zum Gehorsam gezwungen werden. Die
Modelle, die hierzu in der auf das 13. Jahrhundert folgenden Zeit erwogen
worden sind, haben teils die Apologie von fürstlicher oder kirchlicher
Zwangsgewalt betrieben, teils die Idee der Volkssouveränität antizipiert. In
beiden Fällen hätte die franziskanische Willenslehre nicht die alte Frömmig-
keit gegenüber einer profan gewordenen Philosophie wiederhergestellt, son-
dern Neues befördert. Der Absolutismus, dessen historisch erste Gestalt im
beginnenden 14. Jahrhundert mit dem Kurialismus hervortrat, brachte eine
bis dahin unbekannte Konzentration der politischen Gewalt und zugleich
einen neuen Grad der Verrechtlichung der gesellschaftlichen Verhältnisse.
Die Idee der Volkssouveränität ist allen Versuchen immanent, den einzel-
menschlichen Willen nicht durch eine politische Monopolgewalt zu brechen,
sondern in einem allgemeinen überhaupt erst zu verwirklichen.
Diese folgenreichen Neuerungen, die der eigentlich konservativen Absicht
der Franziskanerschule entwachsen sind, haben der gegnerischen Position
freilich nicht alle Evidenz genommen. Daß die menschliche Freiheit sich
nicht im gegenstandslosen Wollen verwirklicht, sondern die Erkenntnis ihrer
objektiven Bedingungen voraussetzt, stellt sich für den Einzelnen nach man-
chen gefühlsbestimmten Entscheidungen heraus und wird politisch jedesmal
klar, wenn der mächtigste Wille für die Begründung seines Handelns sich
selbst genug ist.

38 Cf. hierzu auch G. Mensching, Der Primat des Willens über den Intellekt. Zur Genese des
modernen Subjekts im Mittelalter, in: R. L. Fetz et al. (eds.), Geschichte und Vorgeschichte
der modernen Subjektivität (European Cultures. Studies in Literature and the Arts 11), Berlin
1998, 487 sqq.

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Entre grace et liberte: Pierre de Jean Olivi

FRANFOIS-XAVIER PuTALLAZ (FRIBOURG)

1. I n t r o d u c t i o n : De T e m p i e r ä O c k h a m (1277— 1326)

II faut commencer par un petit detour dans le XIVe siecle. Le 12 mai 1325,
le roi Edouard II ecrit ä Jean Lutterell a Avignon, lui enjoignant de rentrer
au plus vite en Angleterre. Mais les evenements ne se deroulent pas comme
prevu: Jean XXII, qui a encore besoin du chancelier d'Oxford a Avignon,
repond lui-meme au roi d'Angleterre, le priant d'excuser le sejour prolonge
de Lutterell a la curie: il doit y rester encore a cause de „la poursuite, devant
le pape, de sa cause ä lui contre une doctrine pestilentielle" 1 .
II est certain que cette doctrina pestifera est celle de Guillaume d'Ockham.
Mais pourquoi merite-t-elle une critique si grave?
Si Ton regarde la liste des articles incrimines par la commission d'enquete,
on constate qu'elle a subi une modification par rapport au premier inventaire
dresse par Lutterell: ce ne sont pas les theses philosophiques qui comptent, 2
mais bien les neuf premiers articles qui tous visent la meme erreur: le pelagia-
nisme d'Ockham.
Voici un extrait de la premiere these censuree: „Reprobando communem modum
quo ponunt quod habitus caritatis requiritur ad actum meritorium, diät [Ockham] sic:
Istud repute falsum simpliciter, quia bonum motum voluntatis ex puns naturalibus elid-
tum potest Deus acceptare de gratia sua (...). — [Quod] est erroneu[m] et sapit heresim
Pelagianam velpeius"3.
C'est essentiellement ä cause du naturalisme pelagien implique par la pen-
see d'Ockham que cette doctrine est traitee de ,pestilentielle'. Or la concep-
tion ockhamienne de la liberte met en jeu deux themes importants. Premiere-
ment, Ockham defend une conception typiquement franciscaine, selon la-

1 A. Pelzer, Les 51 articles de Guillaume Occam censures, en Avignon, en 1326, in: Revue
d'histoire ecclesiastique 18 (1922), 2 4 6 - 2 4 7 .
2 Les theses philosophiques n'ont en effet qu'une importance secondaire. Contrairement ä ce
que preconisait Lutterell, la commission ne pense pas que la doctrine ockhamienne puisse
trouver son intelligibilite dans sa structure philosophique: „(...) sed quia sunt mere philosophia,
non reputamus eos continere aliquid erroneum [contra]fidemau! bonos mores (•••)", J. Koch, Neue
Aktenstücke zu dem gegen Wilhelm Ockham in Avignon geführten Prozess, in: Kleine
Schriften, t. II, Roma 1973, 347, 1. 8 - 1 1
3 II s'agit lä d'un extrait du second rapport de la commission avignonnaise, qu'on peut lire
dans J. Koch, ibid., 3 1 2 et 315.

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F.ntre grace et liberte 105

quelle la volonte est une faculte active4. Deuxiemement, Ockham refuse l'opi-
nion courante selon laquelle un habitus de charite est indispensable pour
poser un acte meritoire. De par sa toute-puissance absolue, Dieu peut accep-
ter un acte volontaire et libre sans aucun habitus de grace 5 .
Si Ton en vient maintenant au XIIIe siecle et qu'on remonte une cinquan-
taine d'annees plus tot, on constate que la critique adressee contre le pelagia-
nisme visait alors un courant de pensee diametralement oppose a celui des
franciscains: en ce temps-lä, on s'en prenait ä l'intellectualisme des maitres
de la faculte des arts. On se souvient par exemple que la these 166 de la
condamnation du 7 mars 1277 (si ratio recta et voluntas recta) avait ete censuree
notamment parce qu'elle etait de tendance pelagienne: on pouvait faire l'eco-
nomie de la grace puisque la science etait censee suffire ä la rectitude de la
volonte, quod est error Pelagiib.
Ainsi done, en 1277, pour faire piece au pelagianisme, il fallait s'opposer
de toutes ses forces ä la tendance intellectualiste et defendre une conception
active de la libre volonte, celle meme qui sera plus tard condamnee chez
Ockham pour etre ,pelagienne' justement. Autrement dit, aux yeux des cen-
seurs d'Avignon, la these qui avait servi ä refuter le pelagianisme devenait
elle-meme le vehicule de cette heresie.
Que s'est-il done passe durant ces 50 ans, pour qu'on assiste a un tel
renversement des attitudes philosophiques? C'est un chapitre de cette longue
histoire de la fin du XIIIe siecle que je voudrais raconter: il est constitue par
les deboires de ce fascinant franciscain, Pierre de Jean Olivi, dont nous fetons
le 700e anniversaire de la mort en cette annee 1998.

2. Pierre de J e a n Olivi

2.1. Le volontarisme extreme d'Olivi

Pour Olivi, c'est la liberte qui donne a l'homme toute sa dignite; c'est
eile, et eile seule, qui rend l'homme incomparablement superieur aux

4 Cf. par exemple Guillelmus de Ockham, Quodlibet I, q. 16 (Opera theologica IX, ed. J. Wey,
St. Bonaventure, Ν. Y. 1980), 88, 1. 30.
5 „Praeterea nihil est //tentorium nisi quod est in potestate nostra; sed ilia Caritas non est in nostra potestate;
igitur actus non est meritorius principaliter propter illam gratiam sed propter voluntatem libere causantem,
igitur posset Deus talem actum elidtum a voluntate acceptare sine tali gratia". Guillelmus de Ockham,
Quodlibet VI, q. 2 (Opera theologica IX, ed. J.Wey, St. Bonaventure, Ν. Y. 1980), 588,
1. 6 8 - 7 2 .
6 Art. 166: ,J2.uod si ratio recta, et voluntas recta. — Error (...) quia secundum hoc, ad rectitudinem
voluntaßs non esset necessaria gratia, sed säentia solum, quod est error Pelagii." R. Hissette, Enquete
sur les 219 artciles condamnes ä Paris le 7 mars 1277, Louvain-Paris 1997, 257. Pour cette
question et la bibliographie qui s'y refere, on pourra se reporter ä F.-X. Putallaz, Insolente
liberte. Controverses et condamnations au XIIIC siecle, Fribourg—Paris 1995.

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106 Franfois-Xavier Putallaz

animaux7. En comparaison, toute existence n'est pour ainsi dire que du neant
{quasipurum nihil)9,. De plus, la volonte est une faculte exclusivement active,
qui produit ses actes totalement par elle-meme; la foi catholique est engagee
dans cette these philosophique, car admettre la position contraire et suivre
Aristote sur ce point conduit tout droit ä l'heresie9. Enfin, nos diverses activi-
tes sont soumises ä la volonte qui domine toutes les facultes, comme un roi
regne sur ses sujets10.
Je completerai seulement ce dossier bien connu par un texte qui servira
de resume: „Dicendum igitur quod liberum arbitrium, quantum ad hoc quod diät
facultatem liberam et dominium habentem super totam animam, essentialiter est voluntas
rationalis. Quod patet, tum quia ilia sola a se movetur. Tum quia ilia sola compelli non
potest. Tum quia ilia sola dominatur alijs viribus; unde quando volo intelligo, quando
volo ambulo etc. (...). Tum quia in ea sola est potestas ad opposita secundum se, sälicet
nolle et velle in eodem nunc et pro eodem nunc; in alijs vero potentijs non nisi per ipsam,
prout sälicet ab ipsa possunt moveri ad opposita" n .

7 „Sed omnis existentia non libera nec personalis est incomparabiliter minor quacumque libera vet personali
(...)." P. I. Olivi, II Sent., q. 1 (I, 11) (= Petrus Iohannis Olivi, Quaestiones in Secundum
librum Sententiarum, ed. B.Jansen, 3 vol., Quaracchi 1922-1926).
8 Si par impossible quelqu'un devait etre reduit ä quelque realite inferieure, et qu'on lui donnait
le choix entre devenir un animal sans liberie ou s'ecrouler dans le neant, il voudrait plutöt
n'etre rien, comme si son sens intime clamait que, compare ä son etre libre, tout n'est pour
ainsi dire que du neant: „(...) quodam intimo sensu sentimus cor nostrum quasi in infinitum excedere
omnem alium modum existendi. Unde si cui daretur optio in quod minus vellet redigi, sälicet, in unum
animal aut in purum nihil tantum: unusquisque vellet esse nihil, acsi intimo sensu clamet quod omne esse
comparatum ad suum est quasi purum nihil". P. I. Olivi, II Sent., q. 57 (II, 334).
9 ,,/ίd decimum tertium dicendum quod in praedictis verbis Aristoteles non solum est mentitus, sed etiam
sequi eum in hoc est haereticum. (...) Sed Aristoteles tarn ibi quam in 111 De anima videtur sensisse quod
voluntas necessario determinaretur ad agendum vel non agendum ab intellectu aut ab imaginatione et appetitu
inferiori. Unde sicut in sequenti quaestione plenius tangetur, videtur sensisse quod de se esset solummodo
potentia pure passiva et quod non posset movere nisi mota ab aliis, et tarnen nihil horum Aristoteles
unquamprobat, quodsi hocfarit, eiusprobationem audire desidero et tunc respondebo ad earn." P. I. Olivi,
II Sent., q. 57, ad 13 (II, 356).
10 Cf. P. I. Olivi, De perfectione evangelica, q. 2, eds. A. Emmen/F. Simoncioli, in: La dottrina
dell'OIivi sulla contemplazione, la vita attiva e mista, in: Studi Francescani 61 (1964), 127.
E. Stadter, Psychologie und Metaphysik der menschlichen Freiheit. Die ideengeschichtliche
Entwicklung zwischen Bonaventura und Duns Scotus, Munich-Paderborn-Vienne 1971,
176sq.
11 P. I. Olivi, Commentarius super Sententias, II, d. 24, a. 2 (Padova, Bibl. Univ., cod. 637,
f. 156va -156vb). La suite de ce texte est particulierement interessante pour qui veut com-
prendre les rapports entre l'intellect et la volonte: „Dicendum quod pro quanto actus Uber est cum
deliberatione et discursu ac iudicio que sunt α parte intellectus, pro tanto exigit aliquid ab intellectu;
nichilominus tarnen libertas essentialiter est voluntas, et libere consentire est actus eius immediatus et totalis,
ad quem nichil fatit intellectus nisi per accidens, sälicet presentare obiectum; nec est necesse quod semper ad
omnem liberum actum concurrat deliberatio et iudiüum ac discursus, licet aliquando fiat. Posset tarnen did
quod liber actus est proprie illud quod a voluntate tantum est; quod autem est in intellectu non. Liberias
autem voluntatis aliquando vult inquirere et deliberare, et tunc premittit disquisitionem intellectus ante
quam libere consentiat."

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Entre grace et liberte 107

2.2. Le souci d'orthodoxie

Ce Commentaire des Sentences, presque totalement inedit, 12 manifeste de


surcroit un reel souci de s'en tenir a la stricte orthodoxie imposee par la
foi chretienne. Aussi la pensee olivienne se nourrit-elle des oeuvres les plus
vehementes qu'Augustin avait composees au plus fort de la crise pelagienne,
et notamment le Liber de gratia et libero arbitrio (426) ou l'eveque d'Hippone
montre que lorsque Dieu couronnera nos merites, il couronnera seulement
ses propres dons 13 .
Olivi assume pleinement cette idee traditionnelle, mais il lui donne une
connotation qui ne se lit pas chez Augustin; puisque rien n'obligeait le crea-
teur a se lier a Tun quelconque de ses dons, si Dieu couronne nos merites,
c'est seulement ex liberalitate sua·. ,^)uia igitur totum est ab eo, impossibile est quod
meritum nostrum habeat rationem condignitatis pro materia iustitie ad gloriam eternam,
ac si propter nostra merita a deo earn petere possimus pro materia iustitie. [In] quanto
autem Dei firma institutio est quod quousque in finem in gratia perseveraverit hie salvus
erit, hoc ex magna liberalitate sua"14.
C'est ainsi par pure grace que l'homme est susceptible de faire la volonte
de Dieu 15 . Voila Olivi dans la ligne de la plus pure tradition anti-pelagienne:
il faut dire absolute que, sans la grace, l'homme ne peut faire son salut ni
accomplir les commandements divins 16 . Tout serait clair, si Olivi n'ajoutait
cette remarque imprecise: liqualiter ergo et materialiter vel secundum quid potest
esse impletio preceptorum sine gratia gratum faciente, non autem absolute; observatio etiam
ilia [aliqualiter] exigit auxilium gratie aliquo modo"11.

12 On en signalera quelques courts extraits publies par F. Simoncioli, II problema della libertä
umana in Pietro di Giovanni Olivi e Pietro de Trabibus, Milano 1956, 183 —185.
13 Cf. par exemple: „Si ergo Dei dona sunt bona merita tua, non Deus coronat merita tua tanquam merita
tua, sed tanquam dona sua." Augustinus, Liber de gratia et libero arbitrio, VI, 15.
14 P. I. Olivi, Commentarius super Sententias, II, d. 27, a. 4 (Padova, Bibl. Univ., cod. 637,
f. 157va-157vb).
15 Une question se pose: l'homme peut-il accomplir les commandements divins sans le don
de la grace? Cette question, qui reviendra inlassablement dans les debats du XIV® siecle, est
dejä explicitement traitee par Olivi dans un texte inedit, dont quelques extraits sont repro-
duits ci-dessous: „Utrum sine gratia gratum faciente possit homo implere precepta dei". P. I. Olivi,
Commentarius super Sententias, II, d. 28, a. 2 (Padova, Bibl. Univ., cod. 637, f. 157vb-158ra).
16 Olivi donne les raisons de ce fait: „Tum quia in implendo precepta, homo facit omne illud ad quod
obligatur de necessitate et quod s u f f i d t ad salutem. Impossibile autem est sine caritate habere ea que suffidunt
ad salutem et que necessarie est habere\ alias esse extra caritatem non esset mortale peccatum nec dampnabile
(...). Tum quia implendo precepta implet homo voluntatem dei. Impossibile est autem impleri quicquid
deus vult nos facere, et vitare propter eius reverentiam quicquid vult nos vitare, quin talis placeat deo et
quin sit in eius gratia; ymo hoc negare est manifesta contradictio. Tum quia hereticum esset negare hominem
non esse in statu salutis implentem dei precepta. Sine caritate autem est in mortali peccato. Si enim non est
in peccato mortali\ ideo est in caritate vel gratia gratum faciente." P. I. Olivi, Commentarius super
Sententias, II, d. 28, a. 2 (Padova, Bibl. Univ., cod. 637, f. 157vb).
17 P. I. Olivi, Commentarius super Sententias, II, d. 28, a. 2 (Padova, Bibl. Univ., cod. 637,
f. 158ra).

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108 Franpois-Xavier Putallaz

Aliquo modo? On voudrait comprendre. Car comment tenir ä la fois que la


volonte se meut elle-meme (a se ipsa movetur), qu'elle a en elle toute l'energie
requise pour accomplir un acte bon, et poser neanmoins que pour ces actes
bons qui sont les preceptes divins, l'aide de la grace est indispensable aliquo
modo? Si Ton admet que la foi chretienne exige de maintenir simultanement
les deux positions, on voudrait au moins savoir comment elles s'articulent
l'une avec l'autre.

2.3. LM position du probleme et son explication

Ce qui se joue, ce n'est done rien moins que la compatibilite supposee


entre une conception ,activiste' de la liberte, et la necessite de la grace pour
que l'homme puisse poser un acte meritoire de salut eternel.
Olivi avait une claire conscience de cette difficulte 18 , et il admet qu'il est
malaise de sortir de l'impasse (nimium est difficile)1 car l'alternative pose un
probleme insoluble:
„Si enim dicatur quod [actus gratiae] sunt a voluntate libera per suam potestatem
activam sibi essentialem et naturalem: tunc, ut videtur, sequitur quod actus gratiae et
gloriae sint naturales et quod in illos possimus per solam essentialem virtutem voluntatis
absque omni habitu gratiae et glonae, quod est haereticum"20. Selon cette premiere
eventualite, e'est Yerror Pelagii qui menace, et Olivi voit que ce pourrait etre
la pente oü le conduit sa doctrine de la liberte.
Voici maintenant la seconde partie de l'alternative: „Si autem e contra dicatur
quod in productione istorum voluntas libera non plus facit nisi quantum substantia lunae
aut aeris facit in illuminatione quae exit a lumine in ea suscepto a sole: tunc huiusmodi
actus nullo modo erunt liberi quia virtus libertatis omnino per accidens se habebit ad
productionem ipsorum, sicut et forma substantialis ipsius aeris per accidens se habet ad
producendum actum illuminationis, tunc etiam huiusmodi actus solummodo trahent suam
essentiam ab habitu gratiae et gloriae, quia habitus de se non sunt liberi, sequunturque
multae aliae difficultates f...J"2i.
Comment done concilier ce double aspect, en prenant garde de les mena-
ger Fun et l'autre? Le premier evacue la necessite de la grace, le second
supprime toute liberte 22 . Fallait-il, pour sortir de la difficulte, edulcorer le

18 On peut dejä s'en rendre compte en lisant une petite objection dans son interminable
question An voluntas libera sit activa. P. I. Olivi, II Sent., q. 58, obj. 6 (II, 396).
19 P. I. Olivi, II Sent., q. 58, ad 6 (II, 422).
20 Ibid.
21 Ibid.
22 ..) sumopere enim debet caveri m aut unus modus veritatem libertatis tollat aut alius gratiae necessitatem
et utilitatem et nobilitatem evacuet." Ibid. (II, 424). Olivi le dit ailleurs encore: „Et bene scio quod
arduissimum est sic gratiam salvare quod libertas non destruatur et sic libertatem astruere quod Dei gratiae
nihil adimatur." P. I. Olivi, II Sent., q. 57, ad 26 (II, 374). En realite, les principes les plus
decisifs de la philosophie olivienne le conduisaient inexorablement ä penser Taction de Dieu
et celle de l'homme comme deux forces concurrentes; cf. F.-X. Putallaz, Pierre de Jean Olivi
ou la liberte persecutee, in: B. C. Bazän/E. Andüjar/L. G. Sbrocchi (eds.), Les philosophies

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Entre grace et liberte 109

role de la grace creee dans l'ame humaine? Olivi serait-il done contraint ä
soutenir que la grace divine ne produit rien d'absolu dans l'homme? En fin
de compte, pour laisser le libre champ ä la volonte humaine, lui fallait-il nier
que la grace fut un habitus?
C'est en tout cas ce qu'on lui a reproche.

2.4. La censure

On le lui a meme reproche a deux reprises.


Tout d'abord, dans une lettre ä un ami (Littera ad fratrem R.) 23 , Olivi a
dü repondre de certaines accusations. Ses adversaires (un certain Arnaud
Gaillard) lui reprochaient en effet de dire par exemple que gratia nihilponit in
anima absolute, ä quoi Olivi repond sans ambages qu'il n'a jamais dit cela, qu'il
ne l'admet toujours pas et qu'il a toujours enseigne le contraire24.
Mais les choses s'envenimerent lorsque le ministre general de l'Ordre des
freres mineurs, Bonagratia de S.Jean en Persiceto, fit recueillir tout ce qui
semblait errone dans la doctrine du frere Pierre Olivi, et soumet ces textes ä
une commission composee de sept membres (quatre maitres en theologie et
trois bacheliers, dont Jean de Murrho et Richard de Mediavilla). La commis-
sion se prononce et decide de condamner certaines theses qui furent jugees
dangereuses ou erronees. Ces documents (un rotulus et une lettre cachetee de
leurs sept sceaux) sont adresses a tous les couvents de la province, afin que
plus personne ne souscrive ä de telles erreurs. C'est ainsi qu'Olivi fut censure.
Non seulement sa reputation s'en est trouvee ternie, non seulement sa
carriere fut brutalement interrompue en cette annee 1283 et ses ouvrages

morales et politiques au Moyen Age, New York - Ottawa - Toronto 1995, t. II, 9 0 3 - 9 2 1 .
Pour une etude philosophique du sens medieval de la causalite qui commande le lien entre
la grace et la liberte, cf. A. de Muralt, La toute-puissance divine et la participation dans la
theologie occamienne de la grace. Analyse structurelle des metaphysiques qui regissent la
theologie de la grace chez Thomas d'Aquin, Jean Duns Scot et Guillaume d'Occam, in:
R. Bäumer/J. H. Benirschke/T. Guz (eds.), Im Ringen um die Wahrheit, Weilheim - Bier-
brunnen 1997, 5 3 - 8 2 .
23 P. I. Olivi, Epistola ad R., in: P. I. Olivi, Quodlibeta, Venise 1509, f. 51(63)va-53(65)rb; on
en trouve une autre edition de fr. Gratien, Littera quam misit Parisius rescribendo fratri
Raymundo Gaufridi et soeiis ejus nondum generali ministro, in: Etudes franciscaines 29
(1913), 416 — 422. Une nouvelle edition est attendue dans l'Archivum Franciscanum Histori-
cum de 1998.
24 nim dicunt me dicere quod gratia nihil ponat in anima absolute, nunquam credidi nec credo, immo
scripsi et docui contrarium; aliquando tarnen temponbus retroactis opinionem quae ab Innocentio in decretali
ponitur de parvulis bapti^atis, dixi non faciliter aut temere a quolibet reprobari; cuius rationes et vias
multifanas non euro nunc dicere; maxime cum ego in scholis nunquam asseruerim earn, immo propter
reverentiam ordinis mei ac divinissimi patris mei Franäsä, iudiäo vicani suae sedis universaliter me subdidi,
et tarn in hoc quam in aliis totis viribus meam intelligentiam captivavi, quamvis scirem quod non habeat
pknam auetoritatem de fide, et maxime ubi romanus pontifex in suis authenticis decretalibus hominem
relinquit in dubio". P. I. Olivi, Epistola ad R., f. 51(63)vb.

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110 Franfois-Xavier Putallaz

confisques, mais notre franciscain fut cite ä comparaitre ä Avignon, somme


de souscrire ä la Lettre des sept sceaux, sans aucune possibilite de se defendre
de maniere nuancee. Or on remarque que la Lettre des sept sceaux reprend
textuellement plusieurs des accusations 25 dont Olivi venait de se defendre
dans la Littera ad fratrem R. Un exemple suffira: „Item ceterum dicimus credimus
et tenemus quod dicere, quod gratia nihil ponit in anima absolutum, sed relationem ad
gratiam Christi seu ius quoddam in mentis Christi, sicud monachus habet ius in bonis
monasteni non per aliquid absolutum, est erroneum"26.
Bien que cette accusation revienne comme un leitmotiv, Olivi ne s'en
emeut pas; il n'y repond meme pas et se contente de dire que tous ces
articles sur la grace ,,ne me concernent pas, parce que j'ai toujours enseigne
le contraire en suivant l'opinion commune", et il ajoute: „J'ai toujours cru
que la grace produit une realite absolue dans 1'ame" 27 .
Nous voilä done bien embarrasses. D'un cote les accusateurs (fr. Arnaud
Gaillard, puis sept theologiens mandates par le ministre) soutiennent que, sur
une vingtaine d'articles incrimines, quatre concernent la grace et sont contrai-
res a la foi. D'un autre cote, Olivi retorque qu'il y a erreur sur l'objet, que
tout cela ne le concerne pas et que, en fait, il a toujours enseigne le contraire
de ce qu'on lui reproche.
Qui faut-il croire? Dans un premier mouvement, on pourrait etre tente de
donner raison a Olivi, puisque ce dernier sera rehabilite quatre ans plus tard
(1287) grace au nouveau ministre general, Matthieu d'Aquasparta. D'un autre
cote, il serait etonnant que sept theologiens de renom se soient pareillement
fourvoyes.
Mais peut-etre y a-t-il eu malentendu ou, plus exactement, y avait-il deux
conceptions de la grace qui s'opposaient car elles ne pouvaient trouver le
moindre terrain d'entente.
Pour en juger, il faudrait relire les textes d'Olivi de ces annees-la. Or une
deception attend l'historien, car nombre d'eeuvres d'Olivi sont aujourd'hui
perdues 28 . Nous savons par exemple qu'il avait redige vers 1279 — 1280 une
serie de questions de gratia, que ce sont ces questions-la vraisemblablement
qui ont ete prises pour cible par Arnaud Gaillard et qu'elles semblent d'un

25 II s'agit des articles 17, 18, 19, 21 reproduits dans la Lettre des sept sceaux.
26 Littera Septem sigillorum, art. 17, in: G. Fussenegger, ,Littera septem sigillorum' contra
doctrinam Petri Ioannis Olivi edita, in: Archivum Franciscanum Historicum 47 (1954), 52.
27 „[Alii articuli] non me tangunt, quia semper contrarium docui, sequens communem opinionem", et il
ajoute: „ E t semper credidi quod gratia ponat in anima aliquid absolutum (...)•" D. Laberge (ed.),
Responsio quam fecit Petrus [Ioannis] ad litteram magistrorum, praesentatam sibi in Avi-
nione, in: Archivum Franciscanum Historicum 28 (1935), 130.
28 Dans un article que publiera l'Archivum Franciscanum Historicum, S. Piron rappelle que, si
Ton en croit le temoignage d'Ubertin de Casale, le volume des ouvrages d'Olivi aurait repre-
sente plus de dix-sept fois l'equivalent des Sentences de Pierre Lombard; cf. Ubertino de
Casale, Sancdtati apostolicae, F. Denifle (ed.), in: Archiv für Litteratur- und Kirchenge-
schichte des Mittelalters 2 (1886), 406.

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Entre grace et liberte 111

interet considerable 29 . Helas! elles sont perdues, aussi bien que le premier
livre du Commentaire des Sentences, et la plus grande partie des Quaestiones
in I Sententiarum (Summa).
On peut en revanche regarder de plus pres quelques questions inedites du
IVe livre du Commentaire des Sentences que nous possedons dans un ma-
nuscrit de Padoue, le cod. 2094 30 .

2.5. Une premiere hesitation

Pour ce qui est de l'intention d'Olivi tout d'abord, celui-ci affirme que la
grace suffit a la justification, et qu'elle ne necessite aucune preparation preala-
ble de la part de celui qui la refoit.
Pour assurer sa position, Olivi rejette vigoureusement l'opinion contraire
qui pretend que lorsque Ton fait tout son possible {in habentibus liberum usum
fadendo quod in se est)3X, la volonte coopere de maniere naturelle: Facte volon-
taire pourrait etre suffisamment intense pour que celui qui le produit se
prepare ä etre justifie: ,^4ctus voluntatis (...) in principio potest esse sic intensus quod
sufficit ad debitam preparationem " 32.
Olivi rejette cette idee (hec autem positio stare non potest)33, car une telle
disposition humaine ä faire le bien est de ja un effet de la grace, et la double
reference au De gratia et libero arbitrio d'Augustin denote une nouvelle fois
son intention explicite d'echapper au pelagianisme.
Mais voici que notre franciscain montre le bout de l'oreille quand, afin de
laisser toute la place a la grace, il est contraint d'affirmer aussitot que la
volonte se comporte de maniere passive: si la volonte collabore avec la grace,
eile ne le fait jamais que passivement: „(...) ipsa voluntate nichil cooperante nisi
tantum passive, non enim ponit active [cooperationem] sine aliquo vigore tali", et il
precise: „(••.) vigorem ilium (...) non habet voluntas a se,jmopassive tantum"34.

29 On y lit une allusion dans les Quaestiones d'Olivi sur les Sentences: Jr An omnis creatura
rational'is de iure naturali teneatur diligere Deurn propter se et super omnia" et „an ex puris naturalibus
absque dono caritatis seu virtutis possit autpotuent hoc implere", P. I. Olivi, II Sent., q. 42 (I, 710),
cf. aussi P. I. Olivi, II Sent., q. 110 (III, 263).
30 „ Utrum ad iustificationem sit necessaria preparatio aliqua vel dispositio ex parte suscipientis". Commen-
tarius super Sententias, IV, d. 17, a. 1, q. 1 (Padova, Bibl. Univ., cod. 2094, f. 179v-180r).
31 Sur le sens de cette expression au XIV e siecle, cf. H. A Oberman, Facientibus quod in se est
Deus non denegat gratiam. Robert Holcot, Ο. Ρ and the Beginnings of Luther's Theology, in:
Harvard Theological Review 55 (1962), 3 1 7 - 3 4 2 .
32 Les tenants de cette position (qu'on qualifier;) plus tard de semi-pelagienne) alleguent ce
premier mouvement cooperatif de la libre volonte active, sans quoi la volonte serait inexora-
blement soumise ä la violence d'un agent exterieur: „(...) alias per violentiam subiretur tali
perfectioni ab extrinseco agente'\ P. I. Olivi, Commentarius super Sentenüas, IV, d. 17, a. 1, q. 1
(Padova, Bibl. Univ., cod. 2094, f. 179v).
33 Ibid.
34 Ibid., f. 179v et 180r.

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112 Franfois-Xavier Putallaz

On croit rever: void notre champion de la conception ,activiste' de la


volonte, qui engageait la foi dans cette conception 35 , voilä notre franciscain
contraint de tenir que, sous l'effet de la grace, la volonte se comporte passive
et receptive36. La justification est done un acte proprement surnaturel et mira-
culeux (miraculosum et supernaturale) qui transcende tout l'ordre de notre nature
dechue et qui impose ä la volonte de se comporter passivement, e'est-a-dire
en fin de compte contre-nature.

2.6. L'embarras d'Olivi

II y a par consequent un cas au moins ού la volonte humaine consent


d'une maniere qui ne soit pas active! Comment des lors la dire libre et non
contrainte, si eile se comporte de fapon passive sous l'influence de la grace?
Comment admettre qu'elle soit passive et libre, puisque la liberte vient juste-
ment d'etre definie par l'activite de la volonte?
Pour le comprendre, il faudrait expliciter la notion de ,non-contrainte': la
volonte, sous l'effet de la grace, ne subit aucune violence, dit Olivi (et tarnen
non est dicere quod ex hocfuerit violentata). Mais a quelles conditions une creature
accomplit-elle un acte sous l'influence immediate d'un autre etre sans en
subir quelque violence que ce soit? Le seul cas envisageable est celui oü e'est
le createur lui-meme qui agit immediatement sur la creature. Par consequent
Olivi ne peut penser une cooperation entre la grace et la volonte qu'ä une
seule condition: e'est que la grace s'identifie ä Dieu lui-meme.
Et e'est ce qu'il fait.
Si, dans le Commentaire du IVe livre des Sentences, il distingue quatre
types de grace 37 , il n'en existe deja plus que trois dans son traite sur les
sacrements 38 , oü il reconnait explicitement que, dans le cas du bapteme des

35 „(...) omnes catholici dicunt et secundum rectam fidem dicere tenentur quod voluntas, in quantum est libera,
est potentia activa, et hoc ita quod excedit in hoc omne aliud genus potentiae activae." P. I. Olivi, II
Sent., q. 58 (II, 409).
36 Certes, puisqu'elle est libre par essence, il faut bien que la volonte consente et ne resiste pas
ä l'influx de la grace, mais „quantum ad primordiale principium istorum quo incepit a deo inclinari et
vigorari ad honum, solum se habuit receptive et passive". Olivi ajoute egalement ceci: primum
dicendum quod quamvis gratia sufficienterjustificet hominem, non [enim] nisi voluntarie gratie assentientem,
quia assensus actualis est a libera voluntate elliritus, non [enim] sine virtute et vigoregratie." P. I. Olivi,
Commentarius super Sententias, IV, d. 17, a. 1, q. 1 (Padova, Bibl. Univ., cod. 2094, f. 180r).
37 „[Notandum] etiam quod ad iustificationem exigitur quadruplex gratia. Primo divinum beneplacitum ex
summa bonitate remittens culpam et dans omne donum gratuitum. Secundo [effectus] eius [aliquis] quo
voluntas applicetur, inclinetur et moveatur ad odium mali et ad velle boni. Tertio meriti Christi communicatio
sine quo non [meritur] apud deum recondliatio habens se per modum [promerentis] et recondliantis inter
nos et deum. Quarto habitus charitatis reddiens mentem deo acceptam etgratam. "P. I. Olivi, Commenta-
rius super Sententias, IV, d. 17, a. 1, q. 1 (Padova, Bibl. Univ., cod. 2094, f. 180r).
38 Vat. lat. 4986, f. 136r ; cf. D. Burr, L'histoire de Pierre Olivi, franciscain persecute, Fribourg-
Paris 1997, 133.

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Entre grace et liberte 113

petits enfants, l'habitus de grace n'est pas necessairement requis pour la justi-
fication.
Dans la Summa 39 enfin, il ne reste plus que deux types de grace: d'une
part, la grace qui est Dieu lui-meme (voluntas deigratuita)·, d'autre part, la grace
qui est un habitus informant les facultes de l'äme (habitus potentiarum).
Prenons la grace dans ce deuxieme sens. Entendue au sens d'un habitus
qui informe reellement la volonte, qui la dirige, la rectifie et lui donne formel-
lement de poser des actes bons, il est impossible qu'elle mette en mouvement
le libre arbitre en tant qu'il est libre: „Sic autem sumpta [seil, in quantum habitus]
gratia nunquam proprie potest diet movere liberum arbitrium, prout est liberum, cum in
quantum tale, non possit moveri nisi a se et tanquam a se"40.
Si vraiment la grace est un habitus de charite informant reellement la
volonte, alors, puisque la grace ne nous dirige que vers le bien et n'est pas
libera ad opposita, il faut conceder que la grace ainsi entendue detruit la libre
disposition de la volonte elle-meme: „Unde et quantum ad banc sumptionemgratiae
credo quod optime concludat argumentum nos non habere liberam potestatem ad oppo-
sita"41. En clair, jamais un tel habitus de charite ne peut mouvoir le libre
arbitre en tant qu'il est libre.
Olivi mesure exactement la portee de la difficulte: comment voulez-vous
qu'un accident puisse mouvoir un sujet, en tant meme que ce sujet pose un
acte libre et meritoire? Et le franciscain finit par avouer son embarras: „Je
ne comprends pas", dit-il sans ambages: „Si igitur libertas, in quantum libertas,
formam dicit et virtutem activam et in activis praecipuam, quomodo, in quantum talis,
poterit ab aliquo habitu vel a quocunque alio moveri, ut sic, in quantum talis, sit subiectum
motus, non video"42.
Je crois que nous entendons la le dernier mot d'Olivi sur la question: Non
video. Puisque etre libre, e'est se mouvoir par soi-meme (a se), la gräce-habitus
ne saurait jouer de role directeur dans la production de Facte libre. La seule
maniere d'echapper ä une consequence aussi desastreuse consiste done ä nier
que la grace produise quelque chose de reel dans l'äme ä la fapon d'un habitus
ou d'un accident. On se souvient que e'est exactement ce que les censeurs
avaient reproche ä Olivi.
Alors que faire? Devons-nous admettre que la commission de censure et
Arnaud Gaillard avaient eu raison de critiquer Olivi? Faut-il supposer qu'Olivi
ait sciemment menti ä ses superieurs lorsqu'il dit n'avoir jamais enseigne
cela 43 ? Devons-nous plus radicalement conclure ä un echec de l'analyse oli-
39 Certes la Summa date des dernieres annees de la vie d'Olivi, mais les questions qui nous
Interessent (II, q. 57 et q. 58) ont ete tenues bien auparavant, probablement vers 1277—1279.
40 P. I. Olivi, II Sent., q. 57, ad 27 (II, 374).
41 Ibid.
42 Ibid. (II, 375).
43 „Et paeterea, quaero quomodo aeddens suum subiectum quod injormat moveat aut movere possit et maxime
motu libero, qualis est motus meritonus." Ibid. (II, 374). On en arrive en fait ä une conclusion
deja pressentie: la commission de censure avait raison aussi bien qu'Olivi lui-meme. D'un
cote, la commission avait raison d'insister sur le fait que la pensee de notre franciscain devait
le conduire ä refuser que la grace produise une realite accidentelle dans l'äme (art. 17); d'un

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114 Franpois-Xavier Putallaz

vienne? Cela semble bien etre le cas, puisque notre franciscain nous a con-
duits ä une impasse. Mais je voudrais montrer en conclusion qu'il y avait une
maniere de sortir d'embarras 44 .

3. Conclusion

II fallait en effet concevoir la grace d'une autre maniere. Une fois eliminee
la conception de la gräce-habitus, il lui restait l'autre sens, ού la grace, cette
fois, est compatible avec la liberte. La grace s'identifie avec Dieu lui-meme:
„(...) dicendum quod nomine gratiae surnit Augustinus saepe Dei gratuitam voluntatem
et pietatem secundum quam gratis nos amat et regit, et sic nihil inconveniens, si gratia
regat liberum arbitrium ut sessor iumentum (.. .J"45.
Si Ton reduit la grace a la pure gratuite divine, qui n'est autre que Dieu
lui-meme, alors la compatibilite entre le createur et la creature est possible.
Mais il y a un prix a payer pour cela: c'est que l'acte meritoire ne soit pas
reellement informe par la gräce-habitus. II en decoule logiquement qu'un acte
pose sans cet habitus, c'est-a-dire un acte pose ex puris naturalibus peut fort
bien etre accepte par la volonte divine.
En d'autres termes, il faudra rompre tout lien entre un ordre naturel, celui
de la volonte libre et active, et la grace confinee ä la seule liberte divine. Bref,
un acte libre et bon (comme le respect des commandements divins) pourra
etre pose en un sens strictement naturel, independamment de toute presence
vivifiante de la charite creee, puisque, quel que soit l'acte libre commis, Dieu
pourra bien l'accepter de par sa grace, c'est-a-dire sa liberalste infinie.
On reconnait ici la position de Guillaume d'Ockham que j'evoquais au
debut.
E t c'est ainsi que, pour echapper au pelagianisme intellectualiste des annees
1277, Olivi s'est employe ä preserver l'ordre naturel de toute immixtion de
la grace entendue comme un habitus de charite creee. Ce faisant, il s'est

autre cote Olivi, qui avait en effet refuse de concevoir la grace ou la charite ä la fapon d'un
accident, la concevait neanmoins c o m m e quelque chose de reel, ä savoir une relation, et
meme une participation aux merites du Christ; en ce sens, lui aussi se sentait justifie dans
ses denegations. Autrement dit, si Ton prend les quatre significations du mot .grace' que
presente le Commentaire sur les Sentences, on comprend pourquoi d'une part la commission
de censure avait raison de soutenir qu'Olivi avait enseigne que la grace ne produit aucune
realite dans l'äme (ä savoir un habitus), mais seulement une relation aux merites du Christ
(c'est le troisieme sens du terme), et pourquoi d'autre part Olivi ne mentait pas quand il
soutenait qu'il avait toujours enseigne le contraire de ce qu'on lui reprochait.
44 II n'y a qu'une seule solution dans une pensee de ce type, et c'est elle qui m'interesse,
sans prejuger d'autres modeles doctrinaux possibles, lesquels semblent etrangers ä la pensee
franciscaine de la fin du XIII C siecle. Ces differentes lignes doctrinales sont appelees ,structu-
res de pensee' par A. de Muralt, L'enjeu de la philosophie medievale. Etudes thomistes,
scotistes, occamiennes et gregoriennes, Leiden-New York-Kobenhavn-Köln 1991.
45 P. I. Olivi, II Sent., q. 57, ad 27 (II, 374).

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Entre grace et liberte 115

engage dans une ligne doctrinale que developpera Guillaume d'Ockham, mais
au prix cette fois d'une nouvelle forme de pelagianisme autrement temeraire,
qu'on ne manquera pas de reprocher au Venerabilis InceptorM\ C'est pour cette
raison notamment que le pape Jean XXII demandera ä Jean Lutterell de
rester un peu plus longtemps a la curie d'Avignon, afin de mener ä terme la
cause du pape „contre une doctrine pestilentielle".

46 II va de soi que la position d'Ockham est plus complexe, car c'est vraisemblablement la
volonte de preserver la liberte transcendante de Dieu qui commande sa doctrine de la grace:
nul ordre cree naturel (Pelage) ou surnaturel (Pierre d'Auriole) ne peut necessiter la volonte
divine. Ce qui autorisera Ockham ä pretendre que sa doctrine est on ne peut plus eloignee
du pelagianisme: „Et sic ista opinio maxime recedit ab errore Pelagii." Guillelmus de Ockham, I
Sent., d. 17, q. 1 (Opera theologica III, ed. G. Etzkorn, St. Bonaventure, Ν. Y. 1977), 455,
1. 1 7 - 1 8 .

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Säntilla sjnderesis
Pour une auto-critique medievale de la raison la plus pure
en son usage pratique

CHRISTIAN TROTTMANN (TOURS)

Pense par Hegel comme l'äge de la conscience malheureuse, celle des


croises decouvrant la vanite d'une lutte n'ayant pour objet qu'un tombeau
vide, le Moyen Age a pourtant represente aux yeux de certains le moment
de l'eveil de la conscience morale 1 . Ainsi M.-D. Chenu voit-il dans la morale
abelardienne pour laquelle il n'y a de faute que contre la conscience, le mo-
ment de cet eveil d'une subjectivite morale responsable, apres une pratique
legaliste qui se contentait de condamner des actes sans tenir compte des
intentions. La generalisation de la confession frequente favoriserait cette
Interiorisation de la conscience morale 2 . Mais dans ces conditions comment
assumer l'exigence morale d'universalite? La conscience peut-elle y suffire?
La fin du Xlle siecle voit aussi emerger la notion de loi naturelle, non ecrite,
qui transcende les consciences individuelles, mais se distingue aussi bien du
droit positif ou de celui des gens que de la loi ancienne et de la loi nouvelle
revelees par l'Ecriture. Or precisement la conscience morale telle que la
conpoit le Moyen Age n'est pas ä meme d'assumer cette exigence d'universa-
lite d'une loi naturelle.
Si Ton y regarde de plus pres, le Xlle siecle se heurte alors ä une difflculte
ethique de premier ordre, celle de l'obligation morale par une conscience
erronee. Pour Abelard, comme pour la plupart des medievaux, les persecu-
teurs du Christ et des Apötres auraient peche plus gravement en ne suivant
pas leur conscience (qui leur enjoignait de torturer ceux qu'ils percevaient a
tort comme ennemis de Dieu) qu'en leur infligeant un supplice immerite.

1 M.-D. Chenu, L'eveil de la conscience dans la civilisation medievale, Conference Albert le


Grand, 1968, Montreal 1969.
2 En ce sens le cours de M.-D. Chenu semble se faire echo de la glose exprimee en note par
Jean Hyppolite dans sa traduction: „Ce moyen terme entre la conscience immuable et la
conscience singuliere est le pretre, le confesseur; d'une fafon plus generale il s'agit ici de
l'Eglise du Moyen Age, prefiguration de la raison consciente de soi". Jean Hyppolite, n. 50
au chapitre sur „la conscience malheureuse" dans sa traduction de G. W Ε Hegel, Phenome-
nologie de l'Esprit, Paris 1939, 190. Glose qui enterine la victoire du libre examen, mais
meconnait profondement l'instance de cette exigence medievale d'universalite ethique: la
synderese.

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Scintilla synderesis 117

Bernard oppose ä sa morale de Pintention une morale des actes qui depasse
la difficulte par une mise en perspective eschatologique, mais n'en integre pas
explicitement le progres au plan strictement ethique. La difficulte ä laquelle se
trouvent confrontes les theoriciens de l'ethique ä la fin du Xlle siecle nous
semble pouvoir etre ainsi resumee: l'emergence de la loi naturelle met en
avant une exigence morale d'universalite et d'interiorite que le concept de
conscience n'est pas pret ä assumer.
Dans ces conditions, l'apport de la reflexion du X l l l e siecle en matiere
ethique semble done pouvoir etre pense principalement ä partir du role joue
par un concept nouveau et d'abord obscur dans son emergence a la fin du
Xlle siecle: celui de synderese. Charge de sens differents par les traditions
volontariste et intellectualiste au X l l l e siecle, il focalise en tout cas les aspira-
tions de la conscience morale ä l'universite. Mais en ouvrant necessairement
cette exigence au-delä des limites de la raison discursive, soit vers la volonte
soit vers une intuition des premiers principes ethiques, il fonde une auto-
critique de la raison la plus pure en son usage pratique 3 .
Apres avoir trace a grands traits a partir de l'opposition entre Bernard
et Abelard, l'aporie ethique ä laquelle conduisait l'emergence d'une con-
science morale en sa subjectivite au Xlle siecle, nous voudrions rappeler
la place prise a cette epoque par le concept de synderese et le sens
ethique dont il se charge au X l l l e siecle. Nous pourrons ainsi examiner
comment il permet un depassement non seulement theologique, mais
philosophique du probleme de la conscience erronee permettant d'assumer
a la fois universalite et subjectivite en ethique. Mais cela ne va pas sans
difficultes noetiques dont nous voudrions finalement evoquer la fecondite
ethique dans la modernite.

I. L ' a p o r i e de l ' e m e r g e n c e de la c o n s c i e n c e m o r a l e
au X l l e s i e c l e

Nous ne prendrons ici ä temoins de l'aporie a laquelle conduit l'emergence


de la conscience morale dans ce qu'elle a de personnel au Xlle siecle, que
deux figures majeures: Pierre Abelard et Bernard de Clairvaux. Partons de la
constatation surprenante de l'accord de ces deux figures si opposees. Pour

3 En cela l'ethique de la synderese qui se deploie au X l l l e siecle nous semble meme suscepti-
ble de proposer une alternative aux fermetures de la conscience moderne. Le debat ethique
contemporain nous semble pris dans l'aporie suivante: soit la conscience est depuis K a n t
consideree c o m m e seule source de l'exigence d'universalite ethique, et l'universalite des va-
leurs devient difficilement justifiable, soit ce sont les valeurs qui sont mises en avant, mais
le risque est alors de postuler non sans ethnocentrisme l'universalite de Celles d'une commu-
naute particuliere. Faute d'une reference transcendante, le relativisme subjectiviste ou socio-
logique peut justifier tous les laxismes et tous les integrismes.

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118 Christian Trottmann

l'un comme pour l'autre, la liberte qui est ä l'origine du peche reside dans le
consentement 4 .
II convient ici de rappeler la source trop souvent negligee de cette analyse
de la liberte dans le peche chez Augustin, notamment dans le commentaire
du sermon sur la montagne 5 . II y distingue trois degres: la suggestion repre-
sentee par le serpent, la delectation de l'esprit charnel, evoquee par Eve, et
le consentement de la raison: celle d'Adam. C'est dans le consentement que
reside le principal peche. Mais Augustin ajoute immediatement que lorsque
l'acte auquel il est consenti est commis, la delectation qui suivra la prochaine
suggestion sera beaucoup plus forte, ce qui l'amene a distinguer trois especes
de peche: du coeur, de Taction, de l'habitude. A tout peche misericorde,
Augustin fait correspondre ä ces trois degres, les trois resurrections, de la
jeune fille, du jeune homme, et de Lazare, cette derniere exigeant toutefois
que le Seigneur crie d'une voix forte.
Laissant de cote cette seconde classification des degres de peches, Abelard
s'en tient ä l'analyse psychologique qui precede. II la modifie quelque peu, en
n'insistant pas d'abord sur les suggestions diaboliques exterieures mais sur
les vices de l'esprit plus interieurs. Toutefois le mauvais desir, la volonte du
mal due a cette nature viciee ou vicieuse, n'est pas le peche qui reside dans
le seul consentement ä l'acte 6 . Lä seulement il y a mepris de Dieu, et non
dans la delectation accompagnant naturellement l'acte. Ainsi Abelard reagit-
il sainement contre le puritanisme de son temps: le peche n'est pas dans le
seul acte, mais dans Tintention de la volonte qui y consent, il n'est pas dans
le plaisir qui suit l'acte, sinon il serait aussi dans ceux legitimes du mariage.
II n'est pas dans le desir dont la force ne rendra que plus meritoire la resis-
tance de la raison.
Lors, la faute ne reside que dans le consentement a l'acte que la conscience
denonce comme ne convenant pas. II n'y a done de peche que contre la
conscience. Des lors qu'il ignore l'inconvenance de son acte, l'homme ne
peche pas. Et Abelard deploie des tresors d'arguties pour excuser les persecu-
teurs du Christ et d'Etienne. Ceux-ci n'ont-ils pas demande que cet acte

4 „Is ergo talis consensus ob voluntatis inamissibilem libertatem, et rationis, quod secum semper et ubique
portat, indeclinabile iudicium, non incongrue dicetur, ut arbitror, liberum arbitrium, ipse liber sui propter
voluntatem, ipse iudex sui propter rationem. Et merito libertatem comitatur iudidum, quoniam quidem
quod liberum sui est, profecto ubi peccat, ibi se iudicat. Est autem iudidum, quia iuste profecto, si peccat,
patitur quod nolit, qui non peccat nisi velit", Bernard de Clairvaux, De Gratia et libera arbitrio,
I, 4, Paris 1993, 252 (Sources Chretiennes 393 — desormais S. C.); „Ut ergo brevi conclusione
supradicta colligam, quattuor sunt quae premissus ut ab invicem ipsa diligenter distinguemus, vidum, sdlicet
animi quod adpeccandum pronos e j f i d t , acpostmodum ipsum peccatum quod in consensu malt vel contemptu
Dei statuimus, deinde malt voluntatem malique operationem", Pierre Abelard, Scito teipsum, I, III,
D. E. Luscombe (ed.), Peter Abelard's Ethics, Oxford 1971, 32; trad. M. de Gandillac, Paris
1993, 226.
5 Augustin, Commentaire du Sermon sur la Montagne, I, 12, 3 4 - 3 5 , A. Mutzenbecher (ed.),
1967, 3 6 - 3 9 (Corpus Christianorunm Series Latina 35 - desormais C. C. S. L.).
6 Abelard, Scito teipsum, I, I - I I I , ed. cit., 2 - 3 7 , trad, cit., 206-228.

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Scintilla sjnderesis 119

homicide ne soit pas impute ä leurs bourreaux? Mais precisement dans la


mesure ou ils ignoraient ce qu'ils faisaient, ces derniers ne pechaient pas
contre leur conscience. Au contraire, en epargnant ceux qu'ils estimaient etre
ennemis de Dieu ils auraient peche gravement. Leurs victimes auraient done
simplement demande a Dieu que leurs bourreaux n'encourent pas les chäti-
ments temporeis et corporels que Dieu aurait pu leur infliger sans d'ailleurs
qu'il y ait faute de leur part, comme dans le cas de l'aveugle ne qui n'avait
pas plus peche que ses parents.
Ainsi pour Abelard, la conscience erronee excuse de tout peche, et eile
n'a pas a etre denoncee, pas plus que ne peut etre accuse le defaut de
foi. Pour Bernard au contraire, la bonne conscience ne suffit pas a
justifier 7 . Qui plus est, la perfection visee par la conscience est tellement
elevee qu'elle n'en a jamais fini de se purifier. Sa conception visionnaire
de la conscience part en effet de la gloire eschatologique en s'appuyant
sur une citation de saint Paul: „notre gloire, e'est le temoignage de notre
conscience" 8 . Ne voir ici que la satisfaction d'une bonne conscience
morale serait faire fausse route et tomber dans un grave contre-sens.
Bernard le precise d'emblee en recourant ä deux autres citations paulinien-
nes: ,,Ce n'est pas celui qui se recommande qui est un homme de valeur,
mais celui que Dieu recommande" (2 Cor. 10, 18). Le temoignage de la
conscience ne vient pas de l'homme, mais de l'Esprit qui „affirme ä notre
esprit que nous sommes enfants de Dieu" (Rm. 8, 16).
Mais surtout Bernard creuse la conscience de sa dimension ultimement
eschatologique. Son temoignage n'est pas seulement la paix psychologique
d'une bonne conscience morale, ni meme la seule grace qui lui permet d'evi-
ter le peche, mais dejä la gloire eternelle de son adoption filiale par Dieu
qu'elle recevra en plenitude dans la gloire celeste. Le terme de gloire doit
done etre pris au sens fort selon Bernard qui approfondit ainsi la pensee de
Paul. A la gloire du monde, une seule gloire peut etre opposee, celle du ciel 9 .
Cette gloire sera ultime et definitive lorsque le jugement de Dieu sera mani-
feste a tous, e'est-a-dire au jugement dernier.
A ce compte, la conscience qui n'est autre que le relais de la voix de Dieu
dans l'ame ne saurait jamais la justifier pleinement, mais plutot generalement
la condamner. Bernard n'hesite pas a le dire violemment en particulier aux
hommes du siecle et jusqu'au pape Eugene III, issu de son ordre 10 . Quant ä
la bonne conscience morale et sa paix psychologique, elle peut etre trom-

7 Cf. Ph. Delhaye, Le probleme de la conscience morale chez S. Bernard, Namur—Louvain —


Lille 1957.
8 2 Cor., 1, 12, commente dans le Sermon de Toussaint, 3, 2, J. Leclercq, H. Rochais (eds.),
Rome 1968, 3 4 4 - 3 4 5 (Sancti Bernardi Opera - desormais S. Β. Ο.), V; cf. egalement, De
diversis 32, S. Β. Ο. VI 1, 2 1 8 - 2 2 1 .
9 Cf. Sermon pour la Vigile de la nativite, 3, 5, S. Β. Ο. IV, 2 1 4 - 2 1 6 ; Avent, 4, 2, S. Β. Ο. IV,
176; Annonciation, 1, 1 - 5 , S. Β. Ο. V, 1 3 - 1 6 ; etc.
10 De consideration II, VII, 14, S. B. O. Ill, 421 - 4 2 3 .

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120 Christian Trottmann

peuse, Paul le rappelle lui-meme, que Bernard aime ä citer: „ma conscience
ne me reproche rien, cependant, je ne suis pas justifie pour autant" (I Cor.
4, 3). Ainsi Bernard se plait-il a dissocier l'une de l'autre en distinguant quatre
etats de conscience 11 : bonne sans etre tranquille, transquille sans etre bonne,
bonne et tranquille ä la fois, enfin ni bonne ni tranquille. Les deux etats
extremes ne posent guere de problemes: remords du pecheur, tranquillite du
juste, encore que celle-ci ne saurait concerner le futur mais seulement le
passe, et le present; les deux cas intermediaires sont plus interessante: scru-
pule du penitent ou presomption de l'insouciant.
Enfin, il aborde le probleme de la conscience erronee ä partir d'une glose
de l'Evangile de Matthieu (10, 16): „Soyez prudents comme des serpents,
candides comme des colombes".
„Ainsi le Christ a mis la prudence en premier lieu, sachant que, sans eile, on ne
peut etre veritablement simple. Comment pourrait-on l'etre en effet si Ton ignore
la verite? Cette simplicite louable en effet et louee par le Seigneur, ne peut exister
sans ces deux choses: la bonne volonte et la prudence. Ainsi l'oeil de coeur ne
sera pas seulement assez bon pour ne pas tromper, mais il sera encore assez pru-
dent pour ne pas etre trompe 1 2 ."

Ainsi la purete de l'intention ne saurait justifier, non en raison de la seule


objectivite factuelle des actes accomplis, mais en vertu de l'exigence d'une
interiorite plus profonde que celle de l'intention morale. II s'agit de la foi qui
n'est pas seulement conviction subjective, mais adhesion a la verite et a la
Verite Premiere. Toutefois ce progres ne peut etre conpu par Γ abbe cistercien
que comme une ascese monastique. C'est la conscience mystique en ses pro-
gres qui rayonnera sur les exigences de la conscience morale a l'egard de
Taction.
Pourtant, ce rappel face a Abelard d'une exigence de verite qui va au-dela
de la sincerite subjective nous semble avant tout philosophique. Seule la docte
ignorance qui me rend apte a denoncer a tout moment une conscience erro-
nee peut permettre un reel progres moral. Mais cela suppose la possibilite
d'un acces naturel ä la lumiere des premiers principes ethiques, ou une ten-
dance naturelle au bien que l'augustinisme du Xlle siecle n'est pas en mesure
de penser. Abelard, soucieux du salut des pai'ens, conpoit bien leur voie speci-
fique comme fidelite a la loi naturelle, mais elle ne saurait conduire a la vraie
beatitude. Leur defaut de foi les condamne eternellement et pourtant pas
moralement. Pour le predicateur des croisades, ce ne peut etre que par grace
et non sans une purification ascetique que la conscience progresse vers la
gloire celeste. C'est sur le fond de cette aporie que va se profiler le concept
de synderese.

11 Sermo 112 de diversis, S. Β. Ο. VI 1, 390.


12 De praecepto et dispensatione, 14, 36, S. B. O. Ill, 279.

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Sänülla synderesis 121

II. Le c o n c e p t de s y n d e r e s e et ses i n t e r p r e t a t i o n s

1. Heureuse faute et premieres interpretations

Le terme sjnteresis devenant chez les auteurs latins synderesis, provient rappe-
lons-le du commentaire de Jerome sur Ezechiel. Les trois premiers vivants
vus par le Prophete sont rapproches des trois parties de l'ame platonicienne:
le concupiscible (epithumia) pour le taureau, l'irascible (thumos) pour le lion, la
raison {logos) pour l'homme, mais il faut une quatrieme instance pour cor-
respondre ä l'aigle: ce sera cette etincelle inextinguible de la synderese ou de
la conscience. Car il semble que les manuscrits les plus anciens aient suneidesis
et non sunteresis, comme le precise l'edition critique 13 . Faut-il accuser une
erreur de copiste, ou considerer qu'il y eut d'emblee deux traditions? Quand
la modification est-elle intervenue? Seulement au moment de la glose par
l'Ecole de Laon ou dejä bien plus tot puisque Raban Maur par qui le texte
transite semble avoir lui-aussi sjnteresis14P Historiens et philologues ne s'accor-
dent pas sur ce point. Mais le fait significatif pour le philosophe est que les
premiers scolastiques se soient empares de ce terme etrange pour le charger
de si riches valeurs conceptuelles en mystique comme en ethique.
Bien que ce soit essentiellement le sens ethique du concept de synderese
qui nous interesse ici, nous ne pouvons passer completement sous silence le
sens mystique qu'il prend, essentiellement dans la tradition dionysienne de
Thomas Gallus. Au sommet de son ascension vers Dieu, l'äme voit son
intelligence se dedoubler en une faculte qui reste plus purement intellectuelle
dans la contemplation et une faculte qui sera par la suite interpretee comme
affective et capable d'union ä Dieu. Cette derniere par laquelle le sommet de
l'äme plongee dans la tenebre parvient ä s'unir ä Dieu en ses clartes suressen-
tielles en sera la disposition principale assimilee par ailleurs a la synderese 15 .
A ce niveau qui correspond dans la hierarchie des puissances celestes ä celui
des seraphins, seul Γ a f f e c t u s peut aller a la rencontre de Dieu en sa nuee pour
recevoir l'inondation de sa lumiere. La synderese est en quelque sorte l'etin-
celle et le lieu psychique de ce contact mystique. Cette vision hierarchique et
mystique aura son importance pour un auteur comme Bonaventure ou ce

13 Jerome, In Hiezechielem, C. C. S. L. 75, 1964, 12.


14 Raban Maur, Commentaria in Ezechielem, I, 508, (Patrologia Latina 110 — desormais P. L.).
15 „/» hoc autem libro alium et incomparabilliter profundiorem modum cognoscendi Deum tradidit, id est
superintellectualem et supersubstanäalem, quem ideo philosophm gentilis non apprehendit, quia non quesivit
nec esse putavit nec vim secundum quam fundatur in anima, deprebendit. Putavit enim summam vim
cognitivam esse intellectum, cum sit alia que non minus excedit intellectum, quam intellectus racionem, vel
rado ymaginacionem, salicet principalis affeccio, et ipsa est scintilla synderesis que sola unibilis est spiritui
divino, sicut tetigi in exposictone illius visionis Ysate VI: vidi Dominum sedentem, etc. ...", Explanatio
domini Thomae abbatis vercellensis super misticam theologiam, Prohemium, G. Thery (ed.),
Paris 1934, 14.

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122 Christian Trottmann

sens mystique convergera explicitement dans l'„Itinerarium" avec le sens mo-


ral qu'il revet dans le reste de l'oeuvre.
C'est l'emergence de ce sens moral qu'il nous faut ici saisir dans la diversite
des nuances dont il fut charge par les premiers scolastiques. La seconde
moitie du Xlle siecle se preoccupe plus des proprietes de la synderese que
de ce qu'elle est fondamentalement. Dicte-t-elle infailliblement le bien ou
peut-elle dechoir comme le suggere Jerome? Peut-elle s'eteindre, sinon chez
les mauvais qu'elle poursuit comme Cain, du moins chez les damnes qui ne
voient et ne veulent plus que le mal? Ne faut-il pas l'identifier au droit natu-
rel? Les premiers commentaires du Decret de Graden reprennent ä l'ecole
de Laon la mise en perspecdve des trois lois: naturelle, mosafque et evangeli-
que. C'est parce que l'etincelle de la raison naturelle avait ete obscurcie par
le peche qu'il fallut la loi ancienne pour la redresser et la nouvelle pour la
restaurer pleinement. Ainsi, pour Simon de Bisiniano 16 , un des premiers juris-
tes du Xlle siecle, le ius naturale s'identifie ä la partie superieure de l'äme
appelee synderese.
Pierre Lombard ne tarde pas ä voir un reliquat de l'etat oü l'homme etait
encore sans peche sortant des mains du Createur 17 , dans cette etincelle super-
ieure de la raison qui l'incline naturellement au bien et lui fait detester le mal.
Mais est-elle en cela infaillible? Le texte meme de Jerome est ambigu et le
Lombard veut a la fois affirmer qu'elle ne saurait jamais approuver le mal, et
qu'elle y consent parfois en permettant que la volonte y acquiesce. Les pre-
miers scolastiques comme Etienne Langton insisteront sur cet aspect negatif
de la synderese comme mauvaise conscience qui poursuit Cain jusque dans
la tombe 18 . Ainsi la synderese se charge-t-elle de cette tendance indefectible
au bien presente jusqu'en celui qui a ete vaincu par le mal. Elle continue de
lui indiquer oü etait le bien qu'il a refuse et ä lui infliger un remords implaca-
ble du mal qu'il lui a prefere.
Mais parmi ces premiers scolastiques certains comme Guillaume d'Auxerre
auront tendance ä donner ä la synderese un Statut positif en l'identifiant a la
raison superieure 19 . Pour sauver son infaillibilite, faudra-t-il en faire une ten-
dance naturelle dirigee ad unum vers le bien et qu'il y aurait done lieu de situer
au-dessus de la raison? Guillaume formule ainsi la difficulte ultime posee par
le theme de la synderese. II evite le risque d'angelisme qu'elle presente en la
rattachant effectivement ä la partie superieure de la raison, mais en attribuant
son infaillibilite au seul fait qu'elle s'appuie sur la Verite premiere. Lorsqu'au

,6 „Nobis itaque videtur quod ius naturale est superior pars anime, ipsa uidelicet ratio que sinderesis appella-
tor, que nec in Chain potuit, scriptura teste, extingui", Simon de Bisiniano, Ms. Bamberg, Staats-
bibliothek, can. 38, f. 2ra, cite par O. Lottin, Psychologie et morale aux Xlle XHIe siecles,
III, I, Louvain - Gembloux 1949, 74, n. 3.
17 Pierre Lombard, Libri IV Sententiarum, lib. 2, dist. 39, Grottaferrata 1971, 556.
18 E. Langton, cite par O. Lottin, op. cit. (nt. 16), 1 1 2 - 1 1 5 .
19 Guillaume d'Auxerre, Summa aurea, II, Χ, VI, J. Ribailler (ed.), Paris - Grottaferrata 1982,
2 9 7 - 3 0 8 (Spicilegium Bonaventurianum, 17, I).

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Scintilla synderesis 123

contraire eile essaiera de remonter a partir des donnees sensibles, eile sera
sujette ä l'erreur, comme la raison inferieure. Cette adhesion ä la Verite pre-
miere n'est-elle pas par definition la foi? Nullement pour Guillaume qui y
voit une capacite naturelle de Pintelligence ä saisir les premiers principes, tant
dans l'ordre speculatif que dans l'ordre pratique.
De cette identification de la synderese avec la raison superieure, Guillaume
d'Auvergne ne voudra nullement, preferant y voir une fonction de la raison
et non la faculte elle-meme 20 . II ouvre ainsi le debat sur le Statut de la synde-
rese par la premiere question que Ton trouvera en tete de la plupart des
traites qui lui seront consacres: est-elle une faculte ou un habitus? Nous
avons done vu le concept de synderese pris dans son acception ethique et
non plus mystique par les premiers scolastiques, se charger de cette con-
science infaillible et de cette aspiration indefectible ä l'egard du bien. Mais la
faculte ä laquelle elle doit etre rapportee sera-t-elle l'intellect ou la volonte?
Les deux ecoles vont progressivement voir le jour pour culminer respective -
ment avec Thomas d'Aquin et Bonaventure.

2. Naissance d'une explication volontariste de la synderese

Philippe le Chancelier est le premier ä se poser cette question du Statut


ontologique de la synderese et ä y repondre en volontariste: est-elle puissance
ou habitus? Sa reponse conciliante se refuse a trancher et en fait une „potentia
habitualis", qui s'identifie comme puissance avec le sommet de la volonte
naturelle 21 . Naturelle s'oppose des lors ä deliberee. Ainsi ce sommet de la
volonte qui l'incline naturellement au bien combat-il l'habitus de sa partie
inferieure, la concupiscence des biens sensibles. Entre les deux, la volonte
deliberee poursuivra rationnellement les bien intermediaires. Mais quel fonde-
ment cette tendance naturelle vers le bien pourra-t-elle trouver en l'homme?
Philippe le chancelier y voit le reliquat de la tendance generale qui inclinait
naturellement au bien la volonte d'Adam avant le peche originel.
Nous comprenons d'emblee que l'explication volontariste de la synderese
sollicite la foi, avant meme les durcissements augustiniens des premiers maitres
franciscains. Elle apporte aussi une premiere sortie de l'aporie de la conscience
erronee en partant de l'exemple des heretiques capables de soutenir leurs
erreurs jusqu'au bücher 22 . lis ne se trompent pas sur le principe dicte par la
synderese, qu'il faut defendre sa foi jusqu'au martyre. Mais e'est leur raison
qui se trompe sur le contenu particulier de cette foi. Ainsi s'articule le juge-

20 Guillaume d'Auvergne, De anima, Opera Omnia, Aureliae 1674, t. II, sup., 219 — 220.
21 Philippe le Chancelier, Summa de Bono, Ν. Wicki (ed.), Berne 1985, I, 1 9 2 - 1 9 8 .
22 Comprenons qu'il ne s'agit pas ici d'excuser la violence du bras arme de l'inquisition, pas
plus que celle des bourreaux du Christ et des martyrs, mais de considerer la difficulte morale
de la conscience erronee qui reste identique, meme si le bourreau a change de camp.

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124 Christian Trottmann

ment errone de la conscience ä l'infaillible tendance de la synderese. Des lors,


ä partir des annees 1230, le traitement du theme de la conscience va de paire
avec celui de la synderese. Un auteur comme Gauthier de Chateau-Thierry 23
ordonne ces instances avec la loi naturelle selon le schema suivant:
intelligence loi naturelle contemplation de Dieu
volonte synderese desir de Dieu comme fin
libre arbitre conscience application aux cas concrete
Ce tableau qui situe la synderese du cote de la volonte et de sa quete non
speculative mais pratique de Dieu comme souverain bien qui est sa fin, rend
bien compte de la synthese volontariste dejä elaboree au moment oü les
premiers maitres franciscains se mettent ä l'ceuvre.
Avec Bonaventure, il faut remarquer que l'ordre s'inverse et qu'il traite de
la conscience avant d'en venir ä la synderese. Cet ordre sera le premier signe
distinctif de ceux qui par la suite le suivront en ce domaine, par opposition
aux sectateurs de Thomas d'Aquin. Comme Alexandre de Hales, le maitre
franciscain fait de la conscience un habitus, qu'il n'attribue toutefois ni ä la
volonte, ni a la raison speculative, mais ä la raison pratique. II y voit un
habitus en partie inne — dans son jugement naturel en lien avec les premiers
principes —, et en partie acquis — dans les conclusions qu'il en peut tirer
progressivement au plan pratique —.
Faut-il alors considerer que la conscience est l'habitus d'une faculte qui ne
serait autre que la synderese ou raison superieure et dont l'objet, finalite de
l'activite humaine, serait la loi naturelle? Bonaventure ne peut s'y resoudre,
lui qui voit dans la synderese une cause motrice de la raison et prefere done
la situer dans la puissance motrice qui est la volonte. II propose cette analogie
qui permet de mieux situer l'une par rapport ä l'autre conscience et synderese.
Comme l'intelligence a repu du Createur une lumiere naturelle qui la dirige
dans ses jugements cognitifs, la volonte a ete dotee d'une tendance (pondus)
naturelle au bien qui la dirige vers lui dans Faction 24 .
Car la liberte exige que la volonte garde l'initiative de la tendance vers le
bien. Pour que la raison se mette ä rechercher le bien, il faut qu'elle soit mue
en ce sens par la volonte. La quete rationnelle du bien par l'homme ne saurait
done resulter de la seule tendance metaphysique de sa nature. Le volontariste
veut qu'elle soit mise en mouvement par une volonte libre qu'il dote a cet
effet d'une tendance naturelle au bien. L'on pourrait au passage objecter que
cette tendance naturelle est le contraire d'une volonte deliberee, la seule qui
soit libre, du moins aux yeux d'Aristote. Mais e'est un autre debat portant
sur la liberte. La synderese tombe done resolument pour Bonaventure du
cote de la volonte qu'elle stimule au bien tout en exerpant sur la raison une
causalite motrice. Des lors, la position volontariste a trouve son expression

23 Gauthier de Chateau-Thierry, Ms. Toulouse 737, cite par O. Lottin, op. cit. (nt. 16), 1 8 7 - 1 9 6 .
24 Bonaventure, II Sent., dist. 39, a. 1, q. 1, Quarrachi II, 9 0 9 - 9 1 0 .

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Scintilla synderesis 125

radicale. La synderese qui releve de la volonte sera ainsi infailiible et inextin-


guible, du moins dans le remords, tandis que la conscience, habitus de la
raison sera faillible a cause de la discursivite mise en ceuvre par cette faculte.

3. La lecture intellecutaliste de la synderese par les premiers maitres dominicains

De meme que le volontarisme prend source avant les ecrits des premiers
franciscains chez Philippe le chancelier, de meme, on peut reconnaitre en
Guillaume d'Auxerre l'ancetre des positions intellectualistes. Les choix de
l'ecole dominicaine vont aussi se preciser progressivement avec Albert et
Thomas. Ce qui frappe d'emblee dans la „Summa de homine", c'est a la
fois la penetration d'Aristote et son immediate christianisation. Albert retient
pourtant la definition heritee du Chancelier Philippe d'une „potentia cum ha-
bitu". Mais c'est le rapprochement de son infaillibilite avec l'adage aristoteli-
cien: „intellectus semper verus", qui conduit ä identifier la synderese avec l'intel-
lect pratique 25 . Dans ces conditions, son habitus propre portera sur les pre-
miers principes du droit naturel et constituera un reliquat de la rectitude
originelle de l'homme.
L'heritage chretien du Chancelier Philippe se trouve ainsi assume dans
une definition formulee en termes aristoteliciens: „synderesis est vis cum habitu
principiorum iurus naturalis". Ces premiers principes correspondent dans l'ordre
pratique ä ceux existant dans l'ordre speculatif. La synderese constitue done
le substrat anthropologique de ces principes premiers du droit naturel. Elle
fournit ainsi la majeure des raisonnements de la raison pratique dont la mi-
neure vient de la raison superieure et inferieure qui l'applique au particulier,
mais dont la conclusion n'est autre que le dictamen de la conscience. Celle-ci
n'est done ni une puissance ni un habitus, mais bien un acte. Si la conscience
est faillible dans ses conclusions pratiques, l'etincelle de la synderese en sa
generalite restera, eile, infailiible et inextinguible.
Les principaux elements de la theorie que Thomas developpe dans le Com-
mentaire des Sentences et dans les Questions „De veritate", tres secondaire-
ment dans la Somme, se trouvent done en substance chez Albert. Comme
lui, Thomas ne critique pas explicitement le compromis herite de Philippe le
Chancelier faisant de la synderese une potentia habitualis. Jusque dans les Ques-
tions „De veritate", il ne tranche pas entre cette theorie et sa tendance ä en
faire avec Aristote un simple habitus. C'est seulement dans la Somme, peut-
etre mu par un souci de simplification, qu'il ne voit plus dans la synderese
qu'un habitus inne des premiers principes de la raison pratique, connus par
eux-memes. Ces principes, comme ceux qui constituent le moteur immuable
de la raison en son ordre speculatif, fondent les raisonnements qu'elle met
au service de Taction.

25
Albert le Grand, Summa de creaturis, II, Borgnet, 35, 5 9 0 - 5 9 4 .

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126 Christian Trottmann

Sur cette base aristotelicienne, Thomas va pouvoir reprendre ä son maitre


le schema d'analyse des facultes intervenant dans l'elaboration du syllogisme
pratique. Les majeures viennent de la synderese, les mineures de la raison
superieure ou inferieure, selon la noblesse des biens consideres, et la conclu-
sion ne sera autre que le dictamen de la conscience. Cet acte de la raison
pratique, iudicium conscientiae, doit done etre distingue de celui du libre arbitre,
iudicium electionis, qui peut le contredire dans le cas de l'homme devoye. Dans
l'ordre pratique de la vie morale, l'articulation entre la synderese et les autres
habitus qu'elle fonde, passe par son gouvernment de la prudence selon un
principe fondamental qu'il convient de retenir: „sjnderesis movetprudentiam, sicut
intellectus prineipiorum scientiam" (IIa Ilae, q. 47, a. 6, ad 3m).
Ainsi precise encore Thomas, l'homme devoye a une conscience theorique
lucide de l'immoralite de son acte, mais e'est lorsqu'il l'envisage dans les
conditions concretes qui l'engagent dans sa pratique personnelle qu'il l'excuse
par une raison obscurcie. L'erreur de la conscience ne saurait venir de la
synderese infaillible en sa generalite, mais toujours dans son application, des
mineures du syllogisme pratique apportees par la raison. Elle peut done pro-
ceder d'une volonte deliberee d'ignorer la verite de la loi morale, d'une igno-
rance simplement due a une negligence coupable, ou d'une ignorance des
circonstances particulieres qui excuse tout ou partie de la faute 26 . Toute igno-
rance n'excuse done pas l'acte mauvais, comme le suggerait Abelard, mais
seulement celle portant sur les circonstances particulieres 27 . L'ignorance vo-
lontaire l'aggrave, et la conscience erronee ä cause d'une negligence coupable
des lois de Taction doit etre denoncee par l'acquisition meme de la science
manquante. L'aporie de la conscience erronee leguee par le X l l e siecle peut
ainsi trouver une nouvelle issue. Toute erreur peut et doit etre denoncee. Le
pardon permettra ä la volonte de quitter son refus ou sa negligence de la
verite, dont l'exigence sera maintenue indefectiblement par la synderese. Car
la synderese, ancree dans la nature meme de l'intellect ne peut defaillir ou
s'eteindre complement en elle-meme, jusque che2 les damnes. Ainsi un pro-
gres considerable a-t-il ete accompli au X l l l e siecle dans l'analyse ethique et
e'est le concept de synderese, au moins dans sa rencontre avec l'aristotelisme
qui a permis ce progres.
Thomas apporte done aux analyses de son maitre bien des precisions et
distinctions non sans rencontrer quelques paradoxes logiques fondamentaux.
Ainsi, la loi naturelle qui se constitue ä partir des jugements de la raison
naturelle sera-t-elle logiquement anterieure ä la synderese qui en est l'habitus.
Pourtant celle-ci fournit les premiers prineipes de l'intellect pratique dont la
conclusion finale dicte l'imperatif de la conscience.

26 Thomas d'Aquin, Summa theologiae, la Ilae, q. 19 a. 6 et q. 76.


27 Cette analyse tres fine de Thomas fidele ä sa source aristotelicienne trouvera un echo jusque
dans la denonciation du laxisme casuistique par Pascal dans les Provinciales ...

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Stintilla synderesis 127

L'aporie philosophique est aussi nouee de maniere inextricable dans l'op-


position des conceptions de Bonaventure et Thomas d'Aquin. Pour le pre-
mier, la synderese est la volonte dans sa tendance naturelle au bien moral,
tandis que la conscience est un habitus de la raison pratique. Pour Thomas
au contraire, la conscience n'est que le terme d'un syllogisme pratique dont
les premiers principes sont avances par la synderese, habitus inne de la raison
pratique. Volontarisme et intellectualisme vont pouvoir s'affronter dans la
suite de ce siecle et au-delä, sur ce point comme sur bien d'autres.

III. P r o b l e m e s n o e t i q u e s et leur l e g s ä la m o d e r n i t e

Ainsi le XHIe siecle s'il permet de grandes avancees morales, legue-t-il


avec sa reflexion sur le concept de synderese un certain nombre de difficultes
que nous voudrions ici brievement reperer avant de montrer leur fortune
chez quelques philosophes modernes. Car cette intellection intuitive des prin-
cipes, tant dans l'ordre speculatif que pratique correspond davantage au fonc-
tionnement des intelligences angeliques, separees qu'a celui de la raison hu-
maine naturellement discursive. Plus exactement la ratio ut ratio est discursive,
precise Thomas dans la Question de Veritate 16, a. 1, mais ut natura, eile a
des connaissances naturelles et est appelee synderese. II precise encore que
c'est par le contact de son sommet avec la partie inferieure de la nature
angelique, que l'intelligence humaine naturellement discursive participe de la
connaissance „sans enquete ni discours" des anges, tant en matiere specula-
tive que pratique.
Mais si une telle connaissance exclut la troisieme operation de l'intelligence
et ses raisonnements, releve-t-elle alors de la premiere qui apprehende des
concepts ou de la seconde qui formule des jugements? La tradition thomiste
aura tendance ä privilegier la seconde reponse. Mais n'est-ce pas aussi une
idee transcendentale du bien qui est ainsi contemplee? Dans une conception
volontariste comme celle de Bonaventure, dans r„Itinerarium", n'est-ce pas
sous ce transcendental que la synderese, faculte plus ultime parvient ä attein-
dre Dieu en une union qui depasse d'ailleurs toute contemplation?
Ainsi le coeur, conpu par Pascal comme intuition, voire instinct des princi-
pes, s'oppose encore ä la raison discursive comme une puissance dont la
profondeur depasse celle du sentiment 28 . L'affectivite se creuse d'une profon-
deur qui rejoint la synderese mystique de Bonaventure. Elle trouvera un echo
chez Rousseau, mais comme l'a montre E. Brehier 29 par un intermediaire

28 „Coeur, instinct, principes. Nous connaissons la verite, non seulement par la raison, mais
encore par le coeur; c'est de cette derniere sorte que nous connaissons les premiers principes,
et c'est en vain que le raisonnement qui n'y a point de part essaye de les combattre", Pascal,
Pensees, 281 - 2 8 2 , 961 - 9 6 2 (edition de la Pleiade).
29 Cf. E. Brehier, Les lectures malebranchistes de Rousseau, Revue internationale de Philoso-
phie, oct. 1938, 9 8 - 1 2 0 .

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128 Christian Trottmann

majeur: Malebranche. Nous avons vu que la tentation d'angelisme guettait la


noetique thomiste, et Ton peut dire en simplifiant que Malebranche y suc-
combe. Nous avons montre ailleurs 30 par quels intermediaires cette influence
scolastique avait pu atteindre le grand cartesien. Sa „vision en Dieu" n'est
pas la vision beatifique de l'essence divine, et pourtant, elle n'est pas sans
rappeler celle dont jouissent les bienheureux. Elle est d'abord une solution
intellectualiste au probleme noetique du dualisme cartesien: les idees ne sont
ainsi ni acquises empiriquement ni innees, mais contemplees en Dieu. Or
cette vision est dotee (des les „Premiers eclaircissements", voire implicite-
ment des la „Recherche de la Verite" 31 , par les references a Augustin qui s'y
trouvent deja) d'une dimension pratique: on ne voit pas seulement eu Dieu
que 2 et 2 font 4, mais encore qu'il faut preferer son ami ä son chien. S'agit-
il de simples idees intuitives, ou deja de jugements? Sont-ils particuliers, ou
asse2 generaux pour servir de principes premiers? En tout cas la notion
d'ordre implique chez Malebranche cette aspiration pratique au bien qui ne
s'ancre en derniere instance que dans la charite divine meme.
Ce principe de charite n'est-il pas encore present dans le pretendu senti-
mentalisme de Rousseau? R. Derathe 3 2 a bien montre que l'auteur de la
profession de foi du vicaire Savoyard etait plus rationaliste qu'il n'y parait. En
fait il heritait par les jurisconsultes, Pufendorf et Burlamaqui d'une concep-
tion deformee de l'ethique scolastique ou la conscience se contentait d'appli-
quer aux cas particuliers les lois generales de la raison. La dimension intuitive
de l'apprehension des premiers principes par la synderese etait perdue au
profit d'une raison epuisant la notion de loi naturelle. Au contraire, chez
Thomas, raison inferieure et superieure ne fournissaient que les mineures de
raisonnements dont la majeure revenait a l'habitus de la loi naturelle situe
precisement dans ce sommet de l'intellect pratique confinant au monde ange-
lique qu'est la synderese. Dans le role qu'il assigne ä la conscience, ce que
Rousseau voulait defendre ce n'est peut-etre pas tant le droit du sentiment
que celui de l'intuition des principes. II renoue ainsi, sans en avoir conscience,
avec la grande tradition ethique medievale de la synderese.

Conclusion: Une investigation systematique de l'elaboration du concept de


synderese en particulier chez les premiers scolastiques du XHIe siecle nous
semble presenter un double interet pour la philosophic de notre temps. Du
point de vue philosophique elle permet une issue ä l'aporie qui traverse la

30 Cf. Ch. Trottmann, La vision en Dieu chez Malebranche, Thomas d'Aquin et Suarez, dans
La legerete de l'etre, B. Pinchard (ed.), Paris 1998, 7 3 - 9 3 .
31 „... saint Augustin et quelques autres Peres assurent comme une chose indubitable, que les
impies voient dans Dieu les regies des moeurs et les verites eternelles", N. Malebranche, De
la recherche de la verite, III, II, 6, G. Rodis Lewis (ed.), Paris 1964, 4 4 3 - 4 4 4 , (CEuvres
completes I); cf. aussi, Xe Eclaircissement, G. Rodis Lewis (ed.), Paris 1964, 138 (CEuvres
completes, III).
32 R. Derathe, Le rationalisme de J.-J. Rousseau, Paris 1948.

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Scintilla synderesis 129

morale contemporaine prise entre un subjectivisme de la conscience et un


fondamentalisme des valeurs. Du point de vue de l'Histoire de la Philosophie
medievale, eile ouvre la possibilite de comprendre l'auto-critique de la raison
pratique en son usage le plus pur, elaboree ä cette epoque. II ne s'agit pas de
projeter des categories kantiennes sur une periode anterieure en une illusion
retrospective naguere condamnee par Bergson. II s'agit precisement en com-
prenant le role de ce concept de synderese, etrange et propre au Moyen Age,
voire au debut de la renaissance, de devoiler la part critique qu'il peut com-
porter ä l'egard de la raison.
Or un telle critique est ä penser par rapport ä l'horizon ethique et noetique
de la vision beatifique. Chez le bienheureux en effet, la vision du bien en-
ttarne sans discussion l'adhesion de sa volonte. Tel etait dejä le cas pour
Adam avant le peche, selon une tradition augustinienne, voire en fait ambro-
sienne. Mieux, sans y etre subalternee comme la theologie, la connaissance
pratique mise en oeuvre en ethique tire ses principes d'une intuition naturelle
aux bienheureux.
Ainsi cette nouvelle recherche que j'entreprends et ä laquelle je voudrais
inviter s'articule avec celles que j'ai precedemment menees. Car une fois saisi
le role philosophique d'horizon noetique joue au XHIe siecle par la vision
beatifique, Ton peut en etudiant les premiers maitres en theologie decouvrir
comment ils mettent en place une auto-critique de la raison speculative en
son usage le plus pur mis au service de la Revelation.
Cette construction suppose de porter sur le Moyen Age et sur le X l l l e
siecle un regard neuf par rapport aux grandes tendances de l'historiographie
contemporaine. II ne s'agit plus comme le voulait E. Gilson de postuler
une philosophic chretienne commune ä tous les medievaux et trouvant dans
l'aristotelisation thomiste d'une pretendue metaphysique de l'Exode, son ex-
pression definitive. Mais il ne s'agit pas non plus de discourir a l'infini sur
les relations entre artiens et theologiens en reduisant la philosophic du Moyen
Age aux travaux des premiers. Au contraire, C. Steel l'a rappele avec vigueur
au Colloque d'Erfurt d'Aoüt 1997, c'est dans l'ceuvre des grands theologiens
medievaux que se trouve la philosophic de cette epoque. Cela nous appelle
a un travail d'explicitation qui reste en grande partie ä realiser en particulier
pour les siecles qui precedent le X l l l e siecle.
S'il n'y a jamais eu de philosophic chretienne officielle, pas plus au Moyen
Age qu'a une autre epoque, et si la philosophic ne s'y est pas enfermee dans
le ghetto de la faculte des arts malgre les velleites de certains maitres a la
charniere des X l l l e et XlVe siecle, il reste ä admettre que la plupart des
latins du Moyen Age qui philosophent sont des chretiens. Iis le font, c'est
bien connu dans l'enrichissement commun des trois cultures issues des trois
religions monotheistes. Iis le font dans une dialectique permanente nourris-
sant le progres theologique des apports de la science greco-arabe, mais fe-
condant aussi le progres des sciences des nouvelles problematiques theologi-
ques.

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130 Christian Trottmann

Simplement, nos travaux voudraient le rappeler: un chretien qui philo-


sophe peut-il placer la finalite de l'homme ailleurs que dans la vision beatifi-
que? II en decoule une synthese noetique qui invite, nous semble-t-il, ä mettre
en evidence l'auto-critique medievale de la raison, tant dans l'ordre speculatif
que pratique. L'interrogation sur la philosophic du Moyen Age s'en trouve
deplacee dans un pluralisme reconquis. Le renoncement ä trouver une unique
philosophic du Moyen Age (pas plus qu'il n'y en a une seule dans l'antiquite,
la modernite ou l'epoque classique) invite ä se demander, non pas ce qu'est
la philosophie du Moyen Age, ni meme si penser est une activite differente
ä cette epoque de ce qu'elle put etre en toute autre, mais simplement qui est
alors philosophe et comment.

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Von der iustitia generalis zur iustitia legalis
Die Politisierung des Gerechtigkeitsbegriffes im 13. Jahrhundert
am Beispiel des Aegidius Romanus*
ROBERTO LAMBERTINI (MACERATA)

In seinem einflußreichen „Sacrum Imperium" konnte Alois Dempf noch


die Schrift „De regimine principum" des Aegidius Romanus als „bloße Para-
phrase" des Aristoteles brandmarken. Nach seiner Meinung entbehrte dieser
Fürstenspiegel jeder Originalität, so daß es ihm unbegreiflich schien, daß
einem solchen Buch im späten Mittelalter ein derart großer Erfolg beschieden
war 1 . Solche Schwierigkeiten, die weite Verbreitung von „De regimine princi-
pum" zu verstehen, können freilich nicht nur in der Natur des Werkes, son-
dern auch an einer unzeitgemäßen Fragestellung von Seiten einiger Gelehrten
unseres Jahrhunderts liegen. In der Tat waren die Spezialisten des mittelalter-
lichen politischen Denkens in den letzten Jahrzehnten imstande, mehrere
interessante Aspekte von „De regimine principum" zu unterstreichen 2 , wobei
man betonte, daß die Bedeutung dieses Werkes auch in seiner Vermitdungs-
leistung zu sehen ist; denn durch Aegidius' Schrift wurde aristotelisches Ge-
dankengut im Bereich der praktischen Philosophie einem breiteren Publikum
zugänglich3. Ein solcher methodologischer Ansatz scheint tatsächlich ergiebi-

* Aus Platzgründen wurden die Anmerkungen auf das Minimum reduziert. Da ich von Anfang
an auf eine umfangreichere Dokumentation verzichten mußte, beschränken sich die Nach-
weise darauf, die allernotwendigsten Belege meiner Behauptungen anzugeben. Christoph
Flüeler bin ich für unentbehrliche und wertvolle Hilfe sowohl auf der sprachlichen als auch
auf der inhaltlichen Ebene sehr dankbar.
1 A. Dempf, Sacrum Imperium. Geschichts- und Staatsphilosophie des Mittelalters und der

politischen Renaissance, München-Wien 4 1973 (Nachdruck der Edition München-Berlin


1929), 449.
2 Man siehe etwa W. Stürner, Natur und Gesellschaft im Denken des Hoch- und Spätmittel-

alters. Naturwissenschaftliche Kraftvorstellungen und die Motivierung politischen Handelns


in Texten des 12. bis 14.Jahrhunderts, Stuttgart 1975, 1 5 5 - 1 6 0 ; H. G. Walther, Imperiales
Königtum, Konziliarismus und Volkssouveränität. Studien zu den Grenzen des mittelalterli-
chen Souveränitätsgedankens, München 1976, 140 sqq.; T. Struve, Die Entwicklung der orga-
nologischen Staatsauffassung im Mittelalter, Stuttgart 1975, 1 7 8 - 1 9 6 ; W. Stürner, Peccatum
und Potestas. Der Sündenfall und die Entstehung der herrscherlichen Gewalt im mittelalter-
lichen Staatsdenken, Sigmaringen 1987, 193 — 196.
3 J. Miethke, Politische Theorien im Mittelalter, in: Politische Theorien von der Antike bis zur

Gegenwart, ed. H.-J. Lieber, Bonn 1991, 90: „Aegidius' Werk ist als große Vermitdungslei-
stung vielleicht eher dem Umfang als seiner Originalität nach wirklich bedeutend..."; R. Im-

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132 Roberto Lambertini

ger zu sein als einer, der den Wert des meistgelesenen Buches mittelalterlicher
Politiktheorie an modernen, abstrakten Originalitätskriterien messen möchte.
Es muß aber unterstrichen werden, daß im Falle des Aegidius die obenge-
nannte Vermittlungsfunktion sich keineswegs auf eine vereinfachende Wie-
dergabe des aristotelischen Gedankenganges beschränkt. Meines Erachtens
sollte man vielmehr Aegidius' Leistung als eine Phase eines komplexen Re-
zeptionsprozesses der aristotelischen Texte verstehen, wo mehrere Faktoren
zusammenwirken. In diesem Prozeß haben sich nämlich traditionelle An-
schauungen und neue Ansätze gegenseitig beinflußt, so daß ein adäquates
Bild der Entwicklung erst dann möglich wird, wenn die verschiedenen Rezep-
tionsbedingungen mitberücksichtigt werden.
Als Beispiel für diesen Prozeß wird in diesem Beitrag ein verhältnismäßig
nebensächliches Problem der scholastischen Tugendlehre angeführt. Ich
werde nämlich meine Aufmerksamkeit auf die auch von vielen anderen Auto-
ren vor Aegidius angeschnittene Frage konzentrieren, ob eine Art der Ge-
rechtigkeit, und zwar die iustitia generalis, mit der Gesamtheit der Tugenden
identisch sei. Die Ausführungen des Augustinertheologen zu diesem Thema,
das an der Grenze zwischen Ethik und Politik liegt, lassen sich aber am
besten einschätzen, wenn man sie vor dem Hintergrund der Rezeption der
„Nikomachischen Ethik" vor allem durch Albert den Großen und Thomas
von Aquin betrachtet. Die Auslegung der Stellungnahme des Aegidius zur
Frage der iustitia legalis setzt deshalb eine Darstellung der Transformation
des aristotelischen Gerechtigkeitsbegriffes durch seine früheren Interpreten
voraus. Auf diese Weise dient eine Analyse der aegidianischen iustitia-hehtc
auch als Beitrag zum Verständnis des Wandels des Gerechtigkeitsbegriffes in
der zweiten Hälfte des XIII. Jahrhunderts.

1. Zu den R e z e p t i o n s b e d i n g u n g e n der a r i s t o t e l i s c h e n L e h r e
der iustitia legalis

Das V. Buch der „Nikomachischen Ethik", das dem lateinischen Mittelalter


erst durch die von Robert Grosseteste verfaßte Übersetzung zugänglich
wurde, beginnt bekannterweise mit der Feststellung einer Vieldeutigkeit des
iustitia-Begriffes: „ Videtur autem multipliciter did iustitia et iniustitia ... Sumatur
autem iniustus quociens dicitur. Videtur enim illegalis iniustus esse et avarus et inequalis;
quare manifestum quoniam et iustus erit et legalis et equalis"A. Ein solcher Ansatz
sollte die mittelalterlichen Leser kaum überrascht haben, zumal auch die vor-

bach, Laien in der Philosophie des Mittelalters. Hinweise und Anregungen zu einem vernach-
lässigten Thema, Amsterdam 1989, bes. 36 — 41.
4 Ethica Nicomachea. Translatio Roberti Grosseteste Lincolniensis sive „Liber Ethicorum".
B. Recensio Recognita, V, 1, (1129 a 2 5 - 3 2 ) , ed. R.-A. Gauthier, Leiden - Bruxelles 1973
(Aristoteles latinus XXVI, 1 - 3 , fasc. IV), 453 sq.

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Von der iustitia generalis zur iustitia letalis 133

hergehende Diskussion über das Wesen der Gerechtigkeit mehrere Bedeutun-


gen der iustitia in Betracht gezogen hatte. Wie Odon Lottin in einem grundle-
genden Beitrag zeigen konnte, war es schon lange vor der Wiederentdeckung
der „Nikomachischen Ethik" unter den Theologen üblich, verschiedene Be-
deutungen der iustitia nach Allgemeinheitsgraden abzustufen 5 . So konnte
zum Beispiel Alexander von Haies unter anderem von einem modus generalissi-
mus iustitiae sprechen, welcher alle andere Tugenden umfaßt und von einer
iustitia specialis verschieden ist, die mit der Liebe zu Gott und zum Nächsten
identisch ist. Darüber hinaus kennt der Franziskanertheologe auch eine „iusti-
tia magis spedaliter accepta", welche ihrerseits nach der ciceronianischen Defini-
tion darin besteht, jedem das Seine zu geben 6 . In mehreren zeitgenössischen
Schriften findet man analoge Klassifikationen der Gerechtigkeit 7 . Von den
Details der einzelnen Systematisierungen absehend, kann man ein wenig ver-
einfachend behaupten, daß die Tradition die iustitia im allgemeineren Sinne
als eine weit gefaßte Ubereinstimmung mit der gottgewollten Weltordnung
verstand, welche nicht nur die natürlichen, sondern auch die theologischen
Tugenden in sich enthielt. Diese Ansicht hatte schon Stephan Langton tref-
fend formuliert: „estgenerale nomen cuiuslibet uirtutis et quaelibet uirtus est iustitia"8.
Mit der Bestimmung anderer Arten der iustitia, welche einen höheren Grad
an Spezifizität besaßen, versuchte man dagegen, genauer den Gegenstand
und das Wesen der iustitia als bestimmte, selbständige Tugend von den ande-
ren virtutes abzugrenzen.
Die traditionelle Opposition zwischen generalis und speäalis und die aristote-
lische Unterscheidung zwischen legalis und aequalis ließen sich freilich nicht
ohne weiteres gleichstellen 9 . Ein interessanter Zug der Rezeption der aristote-

5 O. Lottin, Psychologie et morale aux XIIC et XIIIC siecles, Problemes de morale, seconde
partie, I, t. III, Louvain - Gembloux 1949, 2 8 3 - 2 9 9 .
6 Alexander Halensis, Glossa in quatuor libros sententiarum Petri Lombardi, III, d. 33, ed.
P. Collegii S. Bonaventurae, Quaracchi - Florentiae 1954, 3 9 0 - 3 9 1 : „Nota quod hoc nomen ,ius-
titia' accipitur pluribus modis. Et generalissimus modus est quando dicitur iustitia in iustißcato, et cum de
impio fit pius; et sie comprehendit omnes virtutes. Specialius diätur iustitia cum consistit in dilectione Dei
et proximi. Adhuc magis spedaliter, prout est una cardinalium virtutum, et sie est ,reddere unieuique quod
suum est'; et sie comprehendit fidem, spem et cantatem sub se. Adhuc specialius dicitur, scilicet reddere
proximo quod suum est; et sie comprehendit caritatem sub se penes dilectionem proximi. Sed diligi potest
proximus ratione imaginis Dei in ipso, et sie est opus caritatis; vel ratione communis boni in nobis et in
illo, et sie est opus iustitiae".
7 Es sei hier nur beispielsweise auf Philippus Cancellarius Parisiensis, Summa de bono, IUI,
De iustitia, q. II, ed. N. Wicki, pars II, Bernae 1985, 950 sqq. und auf Jean de la Rochelle,
Tractatus de divisione multiplici potentiarum animae, III, xvi, ed. P. Michaud-Quantin, Paris
1964, 1 7 3 - 1 7 5 , hingewiesen.
8 Stephanus Langton, Quaestiones Theologiae, zitiert nach Lottin, Psychologie et morale
(nt. 5), t.III, 287. Zu diesem Werk cf. R. Quinto, „Doctor Nominatissimus". Stefano Langton
(|1228) e la tradizione delle sue opere, Münster 1994, 9 1 - 1 6 6 .
9 Zur Herkunft des Begriffes einer virtus generalis, welche andere Tugenden umfasst, cf. e. g.
R.-A. Gauthier, Magnanimite. L'ideale de la grandeur dans la philosophic pai'enne et dans la
theologie chretienne, Paris 1951, bes. 3 6 4 - 3 6 7 .

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134 Roberto Lambertini

lischen iustitia-Lehre ist trotzdem die Tendenz, das neue Begriffspaar im


Sinne der traditionsreichen Gegenüberstellung von generalis und specialis zu
interpretieren. Der Erwartungshorizont der mittelalterlichen Denker hat in
diesem Fall die Auslegung des aristotelischen Textes entscheidend beeinflußt.
Das besagt nicht, daß die „Nikomachische Ethik" keine Anhaltspunkte für
eine solche Interpretation bot. Im Gegenteil findet man im aristotelischen
Text selbst Ausdrücke, welche eine Identifikation von legalis und generalis nahe-
legen. Die lateinische Ubersetzung behauptet zum Beispiel: „In iustitia autem
simul omnis virtus est ... Hic quidem igitur iustitia non pars virtutis, sed tota virtus
est..."10. Außerdem hatte Michael von Ephesus in seinem ebenfalls von
Grosseteste übertragenen Kommentar die iustitia legalis von Aristoteles mehr-
mals als universalis bezeichnet 11 . Auch in der lateinischen Ubersetzung des
Kommentars des Averroes zur „Nikomachischen Ethik" kommt in diesem
Kontext der Ausdruck „iustitia communis" vor 12 . Iustitia generalis und iustitia
specialis besaßen demnach einige relevante gemeinsame Züge. Die genauen
Begriffsbestimmungen blieben aber grundverschieden. Vor allem die Tatsa-
che, daß Aristoteles die iustitia legalis in bezug auf das Gesetz definierte, weil
der Nomos in seiner Auffassung die Akte aller Tugenden vorschreibt 13 , war
der traditionellen mittelalterlichen Interpretation der iustitia generalis fremd.
Ein gewisses Unbehagen an dieser unterschiedlichen Bestimmung der iustitia
wird in der „Summa de bono" Alberts des Großen spürbar. Das trifft beson-
ders für die quaestio addita dieses Werkes zu, die wir nach den Untersuchungen
von Alessandra Tarabochia Canavero als wichtiges Zeugnis der allerersten
Rezeption des V. Buches der „Nikomachischen Ethik" durch Albert betrach-
ten dürfen 14 . Hier fügt der dominikanische Gelehrte in seine Klassifikation
gegenüber einer iustitia specialis sogar zwei iustitiae generates ein. Die erste trägt
die unverkennbaren Züge der theologischen Diskussion vor der Wiederent-
deckung des V. Buches. Albert bezeichnet sie nämlich als rectitude universalis
und führt als Beispiel dieses Wortgebrauchs jene berühmte Stelle aus dem

10 Ethica Nicomachea, V, 1, (1129 b 30; 1130a 9), ed. cit., 455.


11 Michael Ephesius, Enarracio in quintum moralium, Hs. Cambridge, Peterhouse 116, fol.
99rb: „... uniuersalis uirtus et uniuersalis iusticia subiecto quidem unum sunt; quo autem differunt?"
Für eine ausgezeichnete Einführung in die ins Lateinische übersetzten griechischen Kom-
mentare zur Nikomachischen Ethik cf. The Greek Commentaries on the Nicomachean Ethics
of Aristotle in the Latin translation of Robert Grosseteste, Bishop of Lincoln (fl253), v. I,
Eustratius on Book I and The Anonymous Scholia on Books II, III, and IV, ed. Η. P. Ε
Mercken, Leiden 1973; The Anonymous Commentator on Book VII. Aspasius on Book
VIII and Michael of Ephesus on Books IX and X, ed. H. P. F. Mercken, Leuven 1991.
12 Averroes Cordubensis, In Moralia Nichomachia Expositio, 1. V, 1, Venetiis 1562, 65 E:
„ista iustitia est iustitia communis". Cf. J. B. Korolec, Mitderer Kommentar von Averroes zur
Nikomachischen Ethik des Aristoteles, in: Mediaevalia Philosophica Polonorum 31 (1992),
61-118.
13 Ethica Nicomachea, V, 1, (1129b 2 0 - 2 5 ) , ed. cit., 454.
14 A. Tarabochia Canavero, Alberto Magno: la giustizia dopo la lettura del V libro dell'Etica
Nicomachea, in: Medioevo 12 (1986), 1 1 1 - 1 2 9 .

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Von der iustitia generalis zur iustitia legalis 135

Römerbrief (8, 30) an, wo Paulus „iustißcati" im Sinne der Rechtfertigungs-


lehre benutzt. Die Beschreibung der zweiten iustitia generalis richtet sich indes-
sen nach der „Nikomachischen Ethik": Als Ziel des Gesetzgebers, der die
moralische Vervollkommnung seiner Mitbürger beabsichtigt, kann die iustitia
generalis als Gattung aller virtutes betrachtet werden 15 . Eine solche Kompro-
mißlösung, wo zwei iustitiae generates verschiedener Natur nebeneinander ein-
gereiht werden, hat Albert in seinen Ethikkommentaren in dieser Form nicht
mehr vertreten, obwohl er anmerkte, daß die Ergebnisse der vorhergehenden
theologischen Reflexion und die aristotelischen Thesen nicht restlos auf einen
gemeinsamen Nenner zu bringen waren 16 . Die Bezeichnung generalis" für
die Art der Gerechtigkeit, welche Aristoteles „legalis" nannte, hat sich im
folgenden durchgesetzt. In seinem ersten Litterai- und Quaestionenkommen-
tar zur „Nikomachischen Ethik" behauptet Albert, daß die iustitia legalis im
aristotelischen Sinne auch eine iustitia generalis sei 17 . Mit dieser Identitifikation
entsteht allerdings für Albert noch ein weiteres Problem: Wie kann die aristo-
telische iustitia legalis alle andere Tugenden umfassen und doch sich von ihnen
unterscheiden?

2. Die d o p p e l t e L ö s u n g A l b e r t s des G r o ß e n :
rectitudo und lex

Wie wir gesehen haben, erforderte die Identifikation von legalis und generalis
die Lösung neuer Probleme. Vor allem drohte die Gleichstellung von iustitia
legalis mit der Gesamtheit aller Tugenden die Gerechtigkeit in diesem Sinne
zu einer bloßen Bezeichnung der virtutes zu machen, welche jedes selbständi-
gen Inhalts entbehrte. Wohl aus diesem Grund bemüht sich Albert zu bewei-
sen, daß die iustitia legalis mit der Gesamtheit aller Tugenden zwar „der Sache
nach", nicht aber schlechthin zu identifizieren ist, obwohl sie nicht alle Unter-
scheidungsmerkmale der iustitia aequalis besitzt. Aristoteles selbst war sich des
Problems bewußt, hatte sich aber dazu nur knapp geäußert. An zwei Stellen
betonte er, daß die Gerechtigkeit sich von den übrigen Tugenden durch ihre
„Bezogenheit auf den anderen" unterscheidet. Eine genaue Bestimmung die-

15 Albertus Magnus, De Bono, tr. V, q. IV (addita), in: id., Opera Omnia instruenda curavit
Institutum Alberti Magni coloniense, B. Geyer Praeside, t. XXVIII, ed. H. Kühle, C. Feckes,
B. Geyer, W. Kübel, Monasterii Westfalorum 1951, 301: „Dicttur enim uno modo iustitia generalis,
secundum quod est quaedam rectitudo universalis, qua aliquis ordinatur in statu debito, secundum quam
aliquis de impio fit pius, et sie sumitur Rom. VIII ,quos voeavit et iustifieavit' ... Dicitur alio modo
iustitia generalis, quae est genus virtutum, et haec est iustitia, quam intendit legislator in civitate. Non enim
intenditperficere cives secundum unam virtutem tantum, sed secundum omnes".
16 Albertus Magnus, Super Ethica commentum et quaestiones, lib. V, lectio III, in: id., Opera
Omnia, t. XIV/2, ed. W Kübel, Monasterii Westfalorum 1987, 3 1 9 - 3 2 0 : „Secundo videtur,
quod haec iustitia sit ilia generalis de qua loquuntur theologi".
17 Ibid., 319.

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136 Roberto Lambertini

ser Unterscheidung blieb aber aus, weil der Stagirit sich darauf beschränkte
zu bemerken: „est quidem enim eadem, esse autem non idem, set secundum quod ad
alterum quidem iustida, secundum autem quod talis habitus simpliciter virtus"18. Nach
der Interpretation des anonymen griechischen Kommentars zum V. Buch
(Grosseteste hatte nämlich zwei Kommentare zu diesem Buch übersetzt)
behauptete Aristoteles, iustitia und virtus seien dem Subjekt nach identisch,
unterschieden sich aber der ratio nach. Diese ratio sei nämlich die obenge-
nannte „Bezogenheit auf den anderen" 19 . Michael von Ephesus stimmte
grundsätzlich mit dem Anonymus überein. Seiner Auslegung nach sind Ge-
rechtigkeit und Tugend subiecto et substantia völlig gleich, während ein Unter-
schied secundum quid darin bestehe, daß die Gerechtigkeit durch ihre Dimen-
sion ad alterum gekennzeichnet sei. Michael von Ephesus präzisiert aber seine
Interpretation, indem er den Worten „ad alterum" eine wichtige Bemerkung
hinzufügt: „id est, adpermanendum et salvandum urbanitatemii7a. Demnach erhält
die Gerechtigkeit eine ausgeprägte politische Konnotation, da jede Tugend
zur iustitia wird, sofern sie ihre Akte auf das Wohl der politischen Gemein-
schaft richtet. Wie schon bemerkt, konnten die mittelalterlichen Kommenta-
toren seit 1240 auch auf die lateinische Ubersetzung des Ethikkomentars des
Averroes zurückgreifen. Dort fanden sie ebenfalls die auch von den griechi-
schen Kommentatoren vertretene These, nach der iustitia legalis und virtus im
Subjekt {subiecto) identisch seien, der ratio nach aber verschieden 21 . Origineller
war allerdings Averroes' Auslegung des aristotelischen Ausdrucks „prös hete-
ron": Nach seiner Meinung, welche auch von Gauthier und Jolif geteilt
wird 22 , wollte Aristoteles mit seiner knappen Bemerkung darauf hinweisen,
daß die Gerechtigkeit im Unterschied zu den anderen Tugenden (welche als
Haltungen zu den Qualitäten zählen) ontologisch eine Relation darstellt 23 .

18 Ethica Nicomachea, V, 1, (1130a 12-14), ed. cit, 455.


19 Anonymus, In quintum Moralium, Hs. Cittä del Vaticano, Bibl. Ap. Vat., Vat. lat. 2171, fol.
63rb: H<d "«fem d i f f e r t uniuersalis uirtus et talis iustitia manifestum est expredictis. Est quidem enim

secundum subiectum eadem. Ambe enim sunt tota uirtus et ex omnibus aggregatio; secundum rationem
autem et esse dijferunt ab inuicem secundum quantum tota et uniuersalis uirtus est habitus anime rationalis
optimus, iustitia autem usus est talis habitus ad alterum".
20 Michael Ephesius, Enarracio in quintum moralium, ms. cit., fol. 98vb: „Secundum omnes enim
uirtutes operacio in salute facta politice communicationis est nunc dicta perfecta quidem uirtus, sed non
simpliciter, sed ad alterum, id est ad permanendum et saluandum urbanitatem. Quare manifestum factum
est quoniam uniuersalis uirtus et uniuersalis iusticia subiecto et substantia eedem sunt; dijferunt autem
secundum quid, ut dictum est. Quando quidem enim simpliater ut habitus consideratur anime, uirtus solum
dicitur, quando autem ut constitutiua//99ra//poliäe, id est urbanitatis, iustitia appellator".
21 Averroes Cordubensis, In Moralia Nichomachia Expositio, 1. V, 1, Venetiis 1562, 65 H: „...
et est quidem distinctio inter ipsam et virtutem: eo quod ipsa est ad aliquid, et virtus non est ad aliquid
est ergo ipsa et virtus unum in subiecto, diuersum in ratione".
22 Gauthier - Jolif, L'Ethique, 344.
23 Averroes Cordubensis, In Moralia Nichomachia Expositio, 1. V, 1, ed. cit., 65 E: „... ista
iustitia est iustitia communis, et est simpliciter aequalis virtuti universali, nisi quod ipsa, quando accepta
fuent per modum, quo est virtus, est in capitulo qualitatis, et diätur absolute, non ad aliquid: et quando
accepta fuerit secundum quod iustitia est in capitulo relationis et ad aliquid".

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Von der iustitia generalis zur iustitia legalis 137

Wie es in der mittelalterlichen Rezeption der „Nikomachischen Ethik" — in


der Averroes eine eher untergeordnete Rolle spielt — oft der Fall ist, wurde
diese theoretisch interessante Anregung nicht in Betracht gezogen. Eine Lek-
türe der einschlägigen Texte aus dem ersten Ethikkommentar Alberts zeigt,
daß er vielmehr Michael von Ephesus gefolgt ist, zumindest in der Über-
nahme der „politischen" Charakterisierung der iustitia legalis2*. Um die Selb-
ständigkeit dieser iustitia den anderen Tugenden gegenüber zu begründen,
hat der dominikanische Philosoph und Theologe darüber hinaus eine feine
Unterscheidung von Form und Materie einer Tugend vorgeschlagen. Sein
Beweisgang läßt sich wie folgt zusammenfassen: Die Gerechtigkeit, sowohl
generalis als auch specialis, ist durch eine Form gekennzeichnet, welche man als
„rectitudo communicando ad alterum secundum proportionem geometricam vel anthmeti-
cam" beschreiben kann. Diese Form kann sich mit verschiedenen Materien
verbinden. Aus der Verbindung dieser Form mit einer spezifischen Materie
(d. h. in diesem Fall mit den materiellen Gütern [bona], welche in der mensch-
lichen Gemeinschaft ausgetauscht werden), entsteht diejenige Gerechtigkeit,
die man iustitia aequalis nennt. Es ist aber auch eine andere Zusammensetzung
möglich, wo dieselbe Form mit einer anderen, allgemeineren Materie verbun-
den wird. Besteht diese Materie aus den Handlungen der Tugenden, die in
der politischen Gemeinschaft ihr Ziel haben, folgt daraus die iustitia legalis.
Wegen ihrer spezifischen Form kann sie als spezifische Tugend betrachtet
werden, während die Materie ihr den Allgemeinheitscharakter verleiht 25 .
Diese komplexe Lösung des Problems wird im zweiten Ethikkommentar
Alberts nur teilweise übernommen. In diesem späteren Werk, wo die Identifi-
kation von iustitia legalis und generalis schon vorausgesetzt ist, wird in der
Tat die Form der allgemeinen Gerechtigkeit anders bestimmt, als im ersten
Ethikkommentar. Während Albert dort von einer rectitudo communicando ad
alterum gesprochen hatte, wird im zweiten Kommentar der Zusammenhang
mit dem Gesetz entschiedener unterstrichen: „Iustitia enim est virtus in esse ad
alterum per legis ordinationem ordinata"2^. So kann Albert auch begründen,
warum die Gerechtigkeit im Unterschied zu den anderen Tugenden an erster
Stelle operationes und nicht passiones betrifft. Der Grund für diese These, die

24 Albertus Magnus, Super Ethica commentum et quaesüones, V, lectio III, ed. cit., 321: „Iustitia
autem de qua hie loquitur, maxime confert ad bonum communitatis".
25 Ibid., 319: „... in qualibet virtute est duo considerare, sälicet materiam, area quam operatur, et Jormam
vel rationem, secundum quam operatur in materia illa. ... bona, quae sälicet veniunt in emptiones et
venditiones, erunt matena propria iustitiae. Forma autem ipsius erit rectitudo communicando ad alterum
secundum proportionem geometricam vel arithmeticam. Unde iustitia, quae erit area hanc materiam, erit
speäalis et quoad materiam et quoad Jormam, et est ilia quae opponitur avaritiae ... haec forma poterit
adaplan in omnibus actibus aliarum virtutum, secundum quod referuntur in communitatem, ut non relin-
quere aciem et huiusmodi, quae sunt elementa civilitatis, et tunc erit quaedam specialis forma iustitiae et
materia generalis. Et sie erit iustitia legalis per conformitatem ad legem speäalis quaedam virtus propter
formam iustitiae speäalem, sed erit iustitia generalis propter materiam generalem".
26 Albertus Magnus, Ethica, 1. V, tract. I, cap. III, in: id., Operum tomus quartus, ed. P. Jammy,
Lugduni 1651, 191.

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138 Roberto Lambertini

eigentlich nicht aristotelisch ist, sondern spätestens von Philipp dem Kanzler
in die mittelalterliche Tradition eingeführt wurde 27 , wird aber vom Text des
Aristoteles hergeleitet. Der enge Zusammenhang zwischen iustitia und lex,
der schon in der aristotelischen Bezeichnung „iustitia legalis" hervortritt, legt
nahe, daß die Gerechtigkeit nur die Handlungen und nicht die Leidenschaften
als Gegenstand haben kann, sowie das Gesetz nur das äußere Verhalten der
Menschen regelt 28 . Dieser Sachverhalt kann als weiteres Beispiel der Wechsel-
wirkung von traditionellen Ansichten und neuen Ansätzen gelten, welche die
Rezeption der aristotelischen praktischen Philosophie weitgehend bestimmt
hat 29 . Bei Albert besitzt die iustitia generalis nunmehr wesentliche Merkmale
der iustitia legalis des Stagiriten; nichtdestoweniger wird ihr Gegenstand noch
gemäß der Tradition bestimmt, und das unter Berufung auf Stellen aus der
„Nikomachischen Ethik".

3. T h o m a s von A q u i n : G e r e c h t i g k e i t und bonum commune

Schon die Tatsache, daß Albert seine Theorie im zweiten Ethikkommentar


revidiert hat, bezeugt, daß der Rezeptionsprozeß der aristotelischen iustitia-
Lehre keineswegs abgeschlossen war. Zwischen der behaupteten Identität der
iustitia generalis mit jeder Tugend und dem Versuch, sie nichtsdestoweniger
auch als selbständige Tugend zu betrachten, bestand eine Spannung, welche
offensichtlich neue Lösungsvorschläge herausforderte. Thomas hat bekannt-
lich ein neues psychisches Inhärenzsubjekt, nämlich die voluntas, für die Ge-
rechtigkeit vorgeschlagen 30 , aber auch die Theorie der iustitia wurde von ihm
allmählich weiterentwickelt. Wie es dem unentbehrlichen apparatus fontium
Gauthiers zu entnehmen ist, ist Thomas in seinem Ethikkommentar hinsicht-
lich der Frage des Unterschieds zwischen iustitia generalis und virtus teilweise
der Lösung des ersten Ethikkommentars Alberts gefolgt. In seiner kurzen
Bemerkung zu der einschlägigen Stelle des Aristoteles betont der Aquinate,
daß die iustitia legalis eine determinata virtus sei, weil sie eine allgemeine Materie

27 R.-A. Gauthier, Besprechung von O. Lottin, Psychologie et morale aux XIF et XIII C sie-
cles, t. II-III, Problemes de morale, in: Bulletin thomiste 8 (1947-1953), 6 0 - 8 6 , bes.
71-75.
28 Albertus Magnus, Ethica, 1. V, tract. I, cap. III, ed. cit., 190: „...caeterae virtutes legales non sunt
nisi secundum opera et ideo iustitiae generalis formam non redpiunt ut virtutes sunt, sie enim priuatae sunt,
sed potius prout sunt in openbus et haec est causa quare virtutes spedales α iustitia generali secundum
formam sunt disünetae et differentes. Attendendum etiam est, quod iustitia non est nisi area commune per
aliquem modum conciui debitum et a due reddendum. Propter quod circa passiones duilis ordinatio esse
non potest aliquando enim in potestate non sunt. Non enim est in potestate hominis non timere in periculis
et non concupiscere delectabilia et ideo si hocpraedperetpoliticus, impossibilia cuilibet requireret".
29 Cf. zu diesem Thema die Bemerkungen von G. Wieland, Ethica — Scientia practica. Die
Anfänge der philosophischen Ethik im 13. Jahrhundert, Münster 1981, bes. 275.
30 Lottin, Psychologie et morale (nt. 5), t. III, 185.

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Von der iustitia generalis zur iustitia legalis 139

(d. h. die actus der anderen Tugenden) gemäß einer besonderen ratio gestaltet.
Thomas folgt somit den früheren Kommentatoren, insbesondere Albert 31 .
Thomas führt aber schon hier eine Neuerung ein, welche auch in der
„Summa Theologiae" der Angelpunkt seiner Gerechtigkeitsheorie sein wird:
Die ratio, welche die iustitia kennzeichnet, ist weder eine rectitude communicando
ad alterum noch eine ordinatio legis, wie es in den Lösungsversuchen des Albert
hieß, sondern die Orientierung auf das bonum commune32. Die Verwendung
dieses Ausdrucks in diesem Kontext war schon potentiell im Text des Aristo-
teles enthalten, weil die lateinische Ubersetzung vom communiter conferens als
Ziel des Gesetzes gesprochen hatte. Die lateinische Übertragung des Aver-
roes hatte in der Tat schon „bonum commune" in Verbindung mit der Zielset-
zung des Gesetzes gebraucht 33 . Thomas scheint mir aber der erste gewesen
zu sein, der das Gemeinwohl, oder besser die Orientierung auf das bonum
commune, zum Unterscheidungsmerkmal der iustitia generalis gemacht hat. In
seiner Interpretation hat die „allgemeine" Gerechtigkeit keine eigenen Hand-
lungen. Es sind vielmehr die Handlungen der anderen Tugenden, welche zu
Handlungen der iustitia generalis werden, sofern sie auf das Gemeinwohl der
politischen Gemeinschaft ausgerichtet sind. Um das Beispiel des Thomas
zu benutzen, „nicht ehebrechen" ist ein Akt der Mäßigung, der auch zur
Gerechtigkeit gehören kann, wenn ein solcher actus um des Gemeinwohls
willen vollzogen wird.
Die Relevanz des bonum commune für die Gerechtigkeitstheorie bei Thomas
tritt in der „Summa Theologiae" besonders klar hervor. In der 58. Quaestio
der Secunda Secundae stellt sich die Frage, ob iustitia eine virtus generalis sei.
Die bejahende Antwort des Aquinaten geht davon aus, daß die iustitia wesent-
lich in comparatione ad alium sei. Diese Eigenschaft der Gerechtigkeit kann sich
aber auf zweierlei Weise entfalten. Die Bezogenheit „ad alium" kann nämlich
den anderen entweder als einzelnen oder als Gemeinschaft betreffen. Im
ersten Fall haben wir die iustitia particulars, welche mit der iustitia aequalis des
Aristoteles identisch ist. Die iustitia, welche auf die Gemeinschaft orientiert
ist, wird generalis genannt und ordnet die actus der einzelnen Tugenden auf

31 Thomas de Aquino, Sententia libri Ethicorum, 1. V, cap. 2, in: id., Opera Omnia iussu Leonis
XIII edita, t. XLVII, 2, Romae 1969, 270: „Et ditit quod ex dictis manifestum est in quo differant
virtus et iustitia legalis, quia secundum substantiam est eadem, sed secundum rationem non est idem, sed
per comparationem ad alterum dicitur iustitia, in quantum autem est habitus operativus talis boni, est
simpliciter virtus".
32 Ibid.: „Hoc autem intelligendum est quantum ad ipsum actum iustitiae et virtutis; actus enim idem subiecto
producitur α iustitia legali et a virtute simpliater dicta, puta non moechari, tarnen secundum aliam et aliam
rationem; verum, quia ubi est speäalis ratio obiecti etiam in materia generali oportet esse speäalem habitum,
inde est quod ipsa iustitia legalis est determinata virtus babens speäem ex hoc quod intendit ad bonum
commune".
33 Cf. Averroes Cordubensis, In Moralia Nichomachia Expositio, 1. V, 1, Venetiis 1562, 65 C.
Einige Autoren des XII. Jahrhunderts hatten sich in ihrer Definition der iustitia auf den
Begriff der communis utilitas bezogen, cf. Lottin, Psychologie et morale (nt. 5), t. III, 283 — 285.
Cf. auch oben, nt. 6.

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140 Roberto Lambertini

das bonum commune hin 34 . Da die Funktion des Gesetzes im „ordinäre in bonum
commune'''' besteht, heißt die iustitia generalis nach Thomas auch legalis. Das
bonum commune stellt konsequenterweise das obiectumproprium der iustitia legalis/
generalis dar 35 .
Diese neue Bestimmung der iustitia generalis hat aber einige Folgen. Am
meisten fällt auf, daß Thomas dem Wortlaut der „Nikomachischen Ethik"
nicht mehr treu sein kann. Die Tatsache, daß die iustitia generalis einen eigenen
Gegenstand, nämlich das bonum commune, hat, unterscheidet diese Art der
Gerechtigkeit von den anderen Tugenden so sehr, daß nach Thomas von
einer, wenn auch „abgeschwächten", Identität zwischen iustitia generalis (oder
legalis) und den anderen Tugenden kaum die Rede sein kann. Im Gegenteil
ist die iustitia legalis nach seiner Auffassung von den anderen virtutes nicht nur
der ratio nach, sondern auch dem Wesen nach verschieden. Die Frage „utrum
iustitia, secundum quod est generalis, sit idem per essentiam cum omni virtute" muß der
Aquinate verneinend beantworten. Die aristotelische Unterscheidung „secun-
dum esse", welche im Ethikkommentar als Unterscheidung „secundum rationem"
interpretiert wurde, scheint Thomas offensichtlich zu schwach. Er muß Ari-
stoteles willkürlich deuten, um den Widerspruch abzuschwächen 36 . Auf der
anderen Seite ist er genötigt zu präzisieren, daß der Ausdruck generalis" in
diesem Kontext auf keine eigentliche Beziehung zwischen einer Gattung und
seinen Arten hinweist, was eine Identität voraussetzen würde, sondern viel-
mehr auf eine Beziehung zwischen Ursache und Wirkung. Die iustitia sei den
anderen Tugenden gegenüber generalis", insofern als sie ihre actus auf ihr
Ziel lenkt. Bezeichnenderweise ist nach Thomas die Gerechtigkeit, welche
Aristoteles legalis nennt, nicht nur generalis, sondern auch specialis, da sie ein
obiectum proprium besitzt. Die iustitia aequalis, die von Albert als specialis bezeich-
net wurde, wird in der „Summa theologiae" konsequenterweise „particularis"
genannt 37 .

34 Thomas de Aquino, Summa Theologiae, IIa —IIae, q. 58, a. 5, ed. De Rubels et al., t. III,
Taurini — Romae 1948, 303: „Respondeo dicendum quod iustitia, sicut dictum est\ ordinat hominem in
comparatione ad alium. Quod quidem potest esse dupiiäter. Uno modo, ad alium singulariter consideratum.
Alio modo, ad alium in communi: secundum scilicet quod ilk qui servit alicui communitati servit omnibus
hominibus qui sub communitate ilia continentur. Ad utrumque igitur se potest habere iustitia secundum
propriam rationem ... Secundum hoc igitur bonum cuiuslibet virtutis, sive ordinantis aliquem hominem ad
seipsum sive ordinantis ipsum ad altquas alias personas singulares, est referibile ad bonum commune, ad
quod ordinat iustitia. hit secundum hoc actus omnium virtutum possunt ad iustitiam pertinere, secundum
quod ordinat hominem ad bonum commune. Et quantum ad hoc iustitia dicitur virtus generalis".
35 Ibid.: „Et quia ad legem pertinet ordinäre in bonum commune, ut supra habitum est\ inde est quod talis
iustitia, praedicto modo generalis, dititur iustitia legalis: quia sälicet per earn homo concordat legi ordinanti
actus omnium virtutum in bonum commune". Cf. auch ibid., a. 6, 304: „iustitia legalis est spedalis
virtus secundum suam essentiam, secundum quod respidt commune bonum ut proprium obiectum".
36 Ibid.: „Potest tarnen quaelibet virtus, secundum quod a praedicta virtute, spedali quidem in essentia,
generali autem secundum virtutem, ordinatur in bonum commune, did iustitia legalis. Et hoc modo loquendi
iustitia legalis est idem in essentia cum omni virtute, dijfert autem ratione. Et hoc modo loquitur Philoso-
phus".
37 Ibid., aa. 7 - 8 , 304-305.

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Von der iustitia generalis zur iustitia legalis 141

Bei Thomas löst sich die Spannung zwischen Identität und Verschiedenheit
zugunsten der Selbständigkeit der iustitia generalis auf. In seiner Interpretation
wird zugleich der politische Charakter dieser Tugend noch stärker hervorge-
hoben. Als Tugend der operationes und nicht der passiones, aber auch als Tugend
des bonum commune wird sie zur virtus des politischen Zusammenlebens über-
haupt und unterscheidet sich dadurch wesentlich von virtutes, welche eher das
Leben des Einzelnen regeln. Diese „Politisierung" der iustitia wird auch durch
eine scheinbar nebensächliche Bemerkung des Thomas bestätigt, in der er
behauptet, daß die iustitia legalis·. „... est in principe prinapaliter, et quasi architecton-
ice; in subditis autem secundario et quasi ministrative"^.

4. A e g i d i u s R o m a n u s : Ü b e r n a h m e u n d T r a n s f o r m a t i o n
d e r T h e o r i e des T h o m a s v o n A q u i n

Daß die thomasische Lösung Zustimmung fand, ist schon von den soge-
nannten „averroistischen" Ethikkommentaren ausreichend bezeugt 39 , welche
in den einschlägigen Quaestionen die Grundgedanken des Aquinaten wieder-
holen 40 . Noch wichtiger für die Verbreitung dieser Theorie ist die Tatsache,
daß Aegidius Romanus sie in seinem Fürstenspiegel übernommen hat. Es
gibt selbstverständlich nichts Banaleres, als daß ein mittelalterliches speculum
princtpis einige Kapitel der iustitia des idealen Fürsten widmet 4 1 . Wären die
Ausführungen im „De regimine" nur Wiederholung, weckten sie freilich nur
tödliche Langeweile. Wenn wir aber die einschlägigen Seiten des Aegidius vor
dem Hintergrund der vorhergehenden Rezeption der aristotelischen iustitia-
Lehre lesen, so stellen wir deutlich fest, daß der Augustinertheologe ver-

38 Ibid., a. 6, 304.
39 Cf. die noch unveröffentlichten Ethikkommentare, welche vor allem M. Grabmann,
R.-A. Gauthier, O. Lottin, R. Hissette und A. J. Celano untersucht haben. Die einschlägige
Quaestio liest man nicht nur in dem hypotetisch Radulphus Brito zugeschriebenen Quaestio-
nenkommentar, cf. Utrum iustitia legalis sit eadem essentialiter cum aliis virtutibus moralibus, Cittä
del Vaticano, Bibl. Ap. Vat., Vat. lat. 832, fol. 29va-b, sondern auch in den folgenden Hand-
schriften, welche stark zusammenhängende Quaestionensammlungen enthalten: Erfurt,
Wiss. Bibl. der Stadt, C.Ampi. 2° 13, fol. 104rb-va; Erlangen, Universitätsbibliothek 213,
fol. 65rb-vb; Paris, Bibl. Nat. 16089, fol. 214va-b; Paris, Bibl. Nat., lat. 16110, fol. 260vb.
40 Der fortdauernde Einfluß der Lösung des Thomas ist u. a. auch in der im Jahre 1310
vollendeten Sententia libri Ethicorum Heinrichs von Friemar bezeugt. Trotz einiger Meinungs-
verschiedenheiten ist Heinrichs Behandlung dieser Frage deutlich von derjenigen des Tho-
mas abhängig. (Ich habe die Kopie dieser Sententia benutzt, welche in der Hs. Bologna, Bibl.
Univ., 1572 erhalten ist; cf. bes. fol. 112ra-114ra.) Dasselbe gilt auch für den fragmentarisch
erhaltenen Quaestionenkommentar zur Nikomachischen Ethik des Guido Terreni (cf. die
Hs. Bologna, Bibl. Univ., 1625, fol. 30rb-33ra).
41 Für eine zusammenfassende Ubersicht der mittelalterlichen Fürstenspiegelliteratur cf.
D. Quaglioni, II modello del principe cristiano. Gli „specula principum" fra Medio Evo e
prima Etä moderna, in: Modelli nella storia del pensiero politico, I, ed. V. 1. Comparato,
Firenze 1987, 1 0 3 - 1 2 2 .

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142 Roberto Lambertini

sucht hat, den von Thomas erreichten Stand der philosophischen Reflexion
über die iustitia in sein Werk einzuarbeiten. Der Fürstenspiegel ist Philip
dem Schönen gewidmet, was Aegidius aber nicht daran hindert, auch
einige Feinheiten der gelehrten Diskussion in Betracht zu ziehen 42 . In
„De regimine" findet man nicht nur die von Thomas in Ubereinstimmung
mit der vorhergehenden Tradition vertretene These, daß die iustitia primär
operationes (und nicht passiones) regelt, sondern auch die vom Aquinaten
eingeführte Neuerung, nach welcher der Wille als Inhärenzsubjekt der
iustitia betrachtet werden soll 43 .
Der Einfluß des Thomas ist auch dort unverkennbar, wo Aegidius zur
Analyse der Unterteilungen der iustitia kommt. Schon in den ersten Zeilen
werden auf einer Seite iustitia legalis und generalis, auf der anderen iustitia aequalis
und spedalis (oderparticulars) gleichgestellt 44 . Es ist aber vor allem die Bestim-
mung der Unterscheidungsmerkmale der iustitia legalis, welche sehr stark an
die „Summa Theologiae" erinnert. Von Thomas stammt die Orientierung auf
das bonum commune, welche die iustitia legalis kennzeichnet, während die iustitia
spedalis mit dem bonum speäale, proprium oder auch privatum zu tun hat 45 . Der
künftige Generalprior der Augustiner hat aber auch eine weitere These, und
zwar diejenige der Nicht-Identität zwischen iustitia legalis und der Gesamtheit
der Tugenden von Thomas übernommen. So schreibt Aegidius: „Non est
autem simpliciter legalis iustitia omnis virtus, quia est virtus distincta a qualibet virtute.
Sed didtur esse quodammodo omnis virtus, quia non determinat sibi spedalem iustitiam
(pro: materiam)"4b. Diese Terminologie ist derjenigen von Albert und Thomas
sehr ähnlich, die Stellungnahme bleibt aber ohne Zweifel diejenige von Tho-
mas: Die iustitia legalis ist eine von allen anderen virtutes deutlich verschiedene
Tugend.
Die Übernahme der thomasischen These erfolgt aber nicht ohne Ak-
zentverschiebung, welche letzten Endes der aegidianischen Theorie der

42 Zur Frage der Methode in „De regimine principum" cf. Imbach, Die Laien in der Philoso-
phie (nt. 3), 36 — 41, aber auch U. Staico, Retorica e politica in Egidio Romano, in: Documenti
e studi sulla tradizione filosofica medievale 3 (1992), 1 - 7 5 , bes. 1 2 - 2 2 .
43 Cf. R. Lambertini, II filosofo, il principe e la virtü. Note sulla ricezione e l'uso dell'Etica
Nicomachea nel De regimine principum di Egidio Romano, in: Documenti e studi sulla
tradizione filosofica medievale 2 (1991), 239 — 279, bes. 2 5 7 - 2 6 0 . Zur philosophischen Be-
deutung der Debatte über das Inhärenzsubjekt der Tugenden cf. jetzt B. Kent, Virtues of
the Will. The Transformation of Ethics in the Late Thirteenth Century, Washington D. C.
1995, bes. 1 9 9 - 2 4 5 .
44 Aegidius Romanus, De regimine principum libri tres, 1. I, pars II, 10, ed. H. Samaritanius,
Romae 1607 (Nd. Aalen 1967), 71: „Philosophus in 5. Ethicorum distinguit duplicem iustitiam,
legalem et aequalem. Legalis enim iustitia est quid generale, et quodammodo omnis virtus. Iustitia vero
aequalis, est quid speäale, et est quaedam particulans virtus".
45 Ibid., 71 —72: „Nam (ut scnbitur Ethicorum 5.) iustitia est in ordine ad alterum ... Nam in ipsis
ciuibus, ex eo quod habent huiusmodi ordinem, vel quaeritur bonum commune, vel bonum speäale et
proprium. Si quaeritur commune bonum, sie est in eis iustitia legalis. Si autem quaeritur in ipsis aliquod
bonum priuatum, erit in eis iustitia aequalis".
46 Ibid., 72.

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Von der iustitia generalis zur iustitia legalis 143

Gerechtigkeit eine besondere Konnotation verleiht. Wenn es darauf an-


kommt zu beweisen, warum die iustitia legalis mit den anderen virtutes nicht
schlechthin identisch sein kann, beruft sich Aegidius nicht auf den Begriff
des bonum commune, sondern auf die Intention des tugendhaften Menschen.
Er behauptet, daß jemand, der als iustus legalis gilt, tugendhafte Handlungen
nicht primär deshalb vollzieht, weil er darin eine Befriedigung findet (das
sei vielmehr der Fall bei tugendhaften Menschen, die eine andere morali-
sche Tugend, wie e. g. Tapferkeit oder Mäßigung besitzen). Der iustus legalis
handelt so, weil das Gesetz befiehlt, sich so zu verhalten 47 . Schon Thomas
und Albert hatten den engen Zusammenhang zwischen Gesetz und Ge-
meinwohl betont, doch mit der Argumentation des Aegidius tritt das
Gesetz anstelle des bonum commune in den Vordergrund. Iustus legalis ist
nicht primär der Mensch, der seine tugendhafte Handlungen auf ein
höheres Ziel hin ordnet, sondern jemand, der dem Gesetz gehorcht. Es
ist nur konsequent, wenn Aegidius am Ende dieses wichtigen Kapitels die
iustitia legalis nicht mehr mit dem bonum commune, sondern mit der impletio
legis in Zusammenhang bringt 48 .
Da Aegidius zusammen mit den anderen mittelalterlichen Kommentatoren
(wenn auch wahrscheinlich gegen Aristoteles 49 ) unter „lex" im diesem Kon-
text vor allem das positive Gesetz versteht, hat seine Auslegung der iustitia
auch Implikationen für die politische Theorie. Obwohl er auch dem ganzen
Volk gegebenenfalls das Recht, Gesetze zu erlassen, zuerkennt, betrachtet
Aegidius die Gesetzgebung vor allem als eine Prärogative des Fürsten 50 . In
der aegidianischen politischen Theorie ist der Herrscher als conditor legis nicht
an das Gesetz gebunden, das er selber erläßt. Seine Handlungen sind nur
vom Naturrecht geregelt 51 . In dieser Perspektive wird die iustitia legalis primär
zu einer virtus des Bürgers, des Untertanen, der das Gesetz achten soll. Wäh-
rend die anderen mrtutes den Menschen in Beziehung zu sich selbst vervoll-
kommnen, macht die iustitia legalis ihn in Beziehung zu den Gesetzen, und

47 Ibid., 72: „...licet eadem opera agat iustus legalis, quae agitfortis, et temperatus, non tarnen agit ea
secundum eandem intentionem, vel secundum eandem rationem formalem. Nam qui agit opera fortia, quia
delectatur in talibus, fortis est, et agens temperata, quia delectatur in ipsis, temperatus est. Sed agens talia,
non quia delectatur in eis, sed quia ea lex praeäpit, et vult implere legem, iustus legalis est. Iustus ergo
legalis, per se, et secundum quod homo, delectatur in impletione legis".
48 Ibid., 75: „Iustitia legalis habet esse area totam materiam moralem, et ärca omnia opera virtutum: non
secundum se aeeepta, sed prout per ea est impletio legis".
49 Cf. etwa G. Zanetti, La nozione di giustizia in Aristotele, Bologna 1993, bes. 2 0 - 2 1 .
50 Aegidius Romanus, De regimine prineipum libri tres, 1. III, pars II, 27, ed. cit., 526: „omnes
leges, quae ordinant nos in commune bonum, condendae sunt α principe, cuius est ordinäre et dirigere alios
in tale bonum, vel condendae sunt α toto populo, si totus populus prineipetur et sit in potestate eius eligere
prineipantem".
51 Ibid., 532 — 533: „... oportet regem in regendo alios sequi redam rationem, et per consequens sequi
naturalem legem, quia in tantum rede regit, in quantum a lege naturali non deviat; est tarnen supra legem
positiuam, quia illam sua auetoritate constituit ... quare positiua lex est infra prinäpantem, sicut lex
naturalis est supra".

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144 Roberto Lambertini

demzufolge zu seinem Fürsten, vollkommen: „Perfici ergo in ordine ad leges, est


perftci in ordine ad principem, cuius est legem ferre, vel ad totam civitatem, cui lex
imponitur. lustitia ergo legalis, licet faciat ilia eadem opera, quae facit temperantia et
fortitude, perfiät tarnen ipsum habentem in ordine ad alium, ut in ordine ad princi-
pem. .." 5 2 . Trotz der von Aegidius wie von anderen Fürstenspiegelverfassern
wiederholten Aufforderung an den Herrscher, gerecht zu sein, wird die iustitia
prinäpis nirgendwo genau definiert. Die langen Ausführungen des Aegidius
geben aber zu verstehen, daß der Fürst sich in seinen Handlungen nach dem
Naturrecht richten soll. Seine iustitia gehört demzufolge aller Wahrscheinlich-
keit nach einer höheren Ordnung an als diejenige seiner Untertanen. Viel-
leicht ist es kein Zufall, daß der Fürst nach Aegidius nicht nur dem positiven
Recht, sondern auch der iustitia legalis übergeordnet ist. So schreibt der Augu-
stinertheologe: „Ideo expedit regem aut alium prinnpantem per rationem rectam, aut
per legem naturalem, quam Deus impressit in mente cuiuslibet hominis, dirigere legem
positiuam, et esse supra iustitiam legalem"53.

5. S c h l u ß b e m e r k u n g

Es mag natürlich auch an den kontingenten Zwecken seines Werkes gele-


gen haben, wenn Aegidius einige Züge seiner Theorie der Gerechtigkeit in
die obengeschilderte Richtung zugespitzt hat. Trotzdem kann behauptet wer-
den, daß der Rezeptionsprozeß der aristotelischen Gerechtigkeitslehre trotz
der Komplexität seiner Wechselwirkungen eine deutliche Tendenz zur „Politi-
sierung" der iustitia generalis oder legalis zeigt. Am Anfang dieser Entwicklung
bezeichnete iustitia in ihrem allgemeineren Sinne noch das vollkommene Mo-
ralleben {generale nomen cuiuslibet virtutis), welches im Einklang mit der göttlich
regierten Weltordnung sich entfaltete. Im erfolgreichsten Fürstenspiegel der
zweiten Hälfte des XIII. Jahrhunderts, wo wesentliche Einflüsse der Aristote-
lesrezeption zusammenströmen, bedeutet iustitia vor allem Anpassung an die
rechtliche Ordnung eines politischen Gemeinwesens. Was früher als Name
aller Tugenden betrachtet wurde, wird auch gegen den Text von Aristoteles
von den anderen virtutes immer mehr differenziert, so daß Thomas die Mög-
lichkeit in Erwägung zieht, daß jemand alle virtutes besitze, ohne jedoch iustus
legalis zu sein 54 . Parallel zu dieser Wandlung des Gerechtigkeitsbegriffes voll-

52 Ibid., 1. I, pars II, 10, ed. cit., 73.


53 Ibid., 1. III, pars II, 29, ed. cit., 533.
54 Wie diese Position des Thomas und um so mehr diejenige des Aegidius mit dem von
beiden Denkern akzeptierten Postulat der connexio virtutum in Einklang zu bringen sei, ist
eine begründete Frage, die unsere Autoren nicht berücksichtigen. In diesem Kontext sei nur
darauf verwiesen, daß diese These in engem Zusammenhang mit dem aristotelischen dictum
steht, wonach „bonus homo" und „bonus avis" nicht schlechthin identisch seien. Cf. nicht nur
Ethica Nicomachea, V, 2, (1130b 2 8 - 2 9 ) , ed. cit., 457, sondern auch Politica III, 4, (1276
b 2 8 - 3 5 ) , ed. Ε Susemihl, Aristotelis Politicorum libri octo cum vetusta translatione Guil-
lelmi de Moerbeka, Leipzig 1872, 1 6 8 - 1 6 9 . Thomas hat sich gerade in seiner Diskussion
der iustitia legalis auf die letztgenannte Stelle der Politica bezogen. Cf. Summa Theologiae,

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Von der iustiüa generalis zur iustitia legalis 145

zieht sich auch eine andere Akzentverschiebung, wodurch „iustus" (im allge-
meineren Sinne) nicht so sehr den moralisch guten Menschen, sondern viel-
mehr den guten, gehorsamen Bürger bezeichnet. Die Tugend aller Tugenden
ist zur Tugend des Gesetzes geworden 55 .

II" — II ac , q. 58, a. 6, ed. cit., 304: „ E t in III Polit. diät quod non est simpliciter eadem virtus boni
viri et boni avis. Sed virtus boni dvis est iustitia generalis, per quam aliquis ordinatur ad bonum commune.
Ergo non est eadem iustitia generalis cum virtute communi, sed una potest sine alia haberi".
55
Das heute vor allem in Anlehnung an A. Maclntyre vieldiskutierte Problem des Verhältnisses
zwischen Tugendethik und Gesetzesethik ist nicht mit der in diesem Beitrag analysierten
Frage identisch, obwohl einige Berührungspunkte existieren, die übrigens vor vorschnellen
Verallgemeinerungen warnen sollten. Cf. dazu die wichtigen Ausführungen von W Kluxen,
Philosophische Ethik bei Thomas von Aquin, Mainz 1964, bes. 218 sqq.

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Albertus Magnus als Gründungsregens
des Kölner Studium generale der Dominikaner
WALTER S E N N E R O P (KÖLN/GROTTAFERRATA)

1. D i e G r ü n d u n g des Studium g e n e r a l e

Im Herbst 1998 — genauer: am 14. September — jährt sich zum 750. Mal
die Gründung des Generalstudiums der Dominikaner in Köln 1 . Albertus
Magnus wurde zu dessen erstem Leiter berufen und setzte sogleich Akzente,
die diese Studienstätte zu der damals bedeutendsten in Deutschland machten.

1.1 Kulturpolitik oder praktisches Erfordernis?

Diese Gründung war die einer ersten scholastischen Hochschule in


Deutschland — auch wenn das Etikett „universitär" übertrieben erscheinen
mag, war sie der Beginn einer neuen Wissenschaftsepoche in unserem Land
— Loris Sturlese hat zu Recht darauf aufmerksam gemacht2. Welcher Ort
wäre besser dafür geeignet gewesen als Köln, die größte und bedeutendste
Stadt am Rhein, deren vormals so berühmte Domschule zu einer Stätte dürf-
tigen Elementarunterrichts herabgesunken war, seitdem die Position des
Domscholasters eine hochadlige Sinekure geworden war?3 Und doch scheint
mir die Kennzeichnung des Kontextes dieser Hochschulgründung als „Kul-
turpolitik des Dominikanerordens" die Gefahr mit sich zu bringen, die direk-
ten praktischen Notwendigkeiten zu übersehen, die zu ihr führten.
Für die Grundaufgabe des Ordo Praedicatorum, die Glaubensverkündigung
gerade auch an solche, die nicht auf dem Boden eines kirchlichen Selbstver-
ständnisses standen, war und ist eine gute Ausbildung unerläßlich, denn sie

1 Zur Geschichte dieses Studiums im allgemeinen: W. Senner, Blühende Gelehrsamkeit, eine


Ausstellung zur G r ü n d u n g des Studium generale der Dominikaner in Köln vor 750 Jahren,
Kölnisches Stadtmuseum, Köln 1998.
2 Die deutsche Philosophie im Mittelalter I. Von Bonifatius bis zu Albert dem Großen
7 4 8 - 1 2 8 0 , München 1993, 324.
3 Gerade der prächtige Katalog der Ausstellung „Glaube und Wissen im Mittelalter. Die Köl-
ner Dombibliothek" (Köln 1998) zeigt bei näherem Zusehen, daß über zwei Drittel des
Bestands aus der Zeit bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts stammen und spätere Ergänzungen
fast ausschließlich auf zufällige Schenkungen zurückgehen.

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150 Walter Senner

erfordert nicht nur eine gute Kenntnis der Glaubenslehre, sondern auch Fä-
higkeit zur Argumentation. Deshalb wurde noch unter dem Eindruck der
Praxis des Gründers Dominikus selbst bereits in den ersten Konstitutionen
nahegelegt: „qualiter intenti debeant esse [fratres] ut de die, de node, in domo, in itinere,
legant aliquid vel meditentur, et quidquid potuerunt retinere cordetenus nitantur; quam
ferventes esse debeant in predicatione tempore opportuno"A. Albertus Magnus nannte
unter Berufung auf Titus 1,9 zwei Ziele: die Festigung der Gläubigen (exhor-
tari in doctrina sana) und die Uberzeugung der Widersprechenden (contradicentes
revincere)5. Zu ersterem ist das Mittel die Auslegung der HL Schrift mittels
der vier Schriftsinne 6 , zu letzterem das Aufweisen des Irrtums und das Er-
weisen der Wahrheit 7 . Um zur so verstandenen Predigt zu qualifizieren, ge-
nügte nicht mehr die private und konventuale lectio divina und auch nicht die
collatio des Klostervorstehers — auch wenn beide Formen der Vermittlung
geistlicher Weisheit bei den Predigerbrüdern keineswegs entfielen 8 . Konse-
quent baute der Orden von Beginn an eine Ausbildungsstruktur auf, in der
für jeden Konvent ein lector vorgesehen war, an dessen Hauptvorlesung alle
anwesenden Mitglieder teilnehmen sollten, in der also jedes einzelne Kloster
zu einer Stätte kontinuierlicher Aus- und Weiterbildung wurde. Bald — erst-
mals als bereits verwirklicht faßbar 1221 in der Einladung zu einer Gründung
in Metz durch den dortigen Bischof — dienten diese Konventsstudien auch
Externen 9 , zunächst dem Klerus, aber auch Laien; der bekannteste dieser
externen Klosterschüler war Dante, der im Florentiner Konvent Maria No-
vella bei Remigio de Girolami gehört hat 10 .
Spätestens mit öffentlichen Vorlesungen stellt sich auch das Problem der
Ausbildung der Ausbilder. Bereits in den ältesten Konstitutionen der Domini-
kaner wurde dazu festgelegt: „nullus fiat publicus doctor, nisi per quatuor annos
ad minimum theologiam audierit". 1229 und 1230 hatte der Predigerorden zwei
Lehrstühle an der theologischen Fakultät der Pariser Universität erworben 11
und nutzte sie als Schule zur Qualifizierung seines wissenschaftlichen Nach-
wuchses. Doch mit der geradezu explosionsartigen Ausbreitung der Mendi-
kanten in ganz Europa war deren Ausbildungskapazität bald ebenso überfor-
dert, wie die Aufnahmekapazität des Pariser Konvents: jede der zwölf Or-

4 Constitutiones Antiquae Ordinis Praedicatorum, d. I, c. 13, ed. A. H. Thomas, De oudste


constitutes van de Dominicanen, Leuven 1965 (Bibliotheque de la RHE 42), 324, 3 2 - 3 6
(im folgenden zitiert als: Const. Ant.).
5 In I Sent., d. I, a. 5, arg. 1, Opera omnia, ed. Α. Borgnet (im folgenden zitiert als: ed. Par.),
XXV, Paris 1895, 19b.
6 L.c.
7 Ibid., 20a.
8 Das berühmteste Beispiel für collationes sind Meister Eckharts sogenannte „Reden der Unter-
weisung".
9 Monumenta diplomatica Sancti Dominici, ed. V. Koudelka, Rom 1966, Nr. 157, 157sq.
10 T. Kaeppeli, Scriptores Ordinis Praedicatorum medii aevi III, Rom 1980, 297sq.
11 P. Glorieux, Repertoire des maitres en theologie I, Paris 1933 (Etudes de philosophie medie-
vale 17), Nr. 1, 42; Nr. 3, 52sq.

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Albertus Magnus als Gründungs rege η s 151

densprovinzen konnte drei fortgeschrittene Studenten zur mindestens zwei


Jahre dauernden Graduierung dorthin schicken 12 . Bei Dutzenden von jährli-
chen Neugründungen konnte das nicht ausreichen. Als Notmaßnahme ord-
nete das Generalkapitel von 1245 die Ablösung aller zum Lehren geeigneten
Konventsprioren an, damit sie wieder dem Unterricht zur Verfügung stün-
den 13 . Doch eine Dauerlösung konnte das nicht sein. So wurde 1246 in
dem durch die Konstitutionen des Dominikanerordens erstmals praktizierten
Verfahren der drei Lesungen eines Gesetzesvorschlags die Gründung je eines
Studiums in den vier — neben der Francia — größten Ordensprovinzen
initiiert und 1248 endgültig beschlossen: „In constitutione ubi dicitur, tres fratres
mittantur Parisius ad Studium, addatur: Illlor autem provincie, scilicet Provincia, Lom-
bardia, Theotonia, Anglia, provideant ut semper in aliquo conventu magis ydoneo sit
generale Studium et sollempne. Et ad ilium locum quilibet prior provincialis potestatem
habeat mittendi duos fratres ad Studium"™.
Isnard Frank macht darauf aufmerksam, daß das Generalstudium in der
deutschen Ordensprovinz nicht per se in Köln gesucht werden müsse, denn
ein dominikanisches Studium dieser Zeit war ja „in erster Linie ein ortsunge-
bundener Personenverband, dem Jahr für Jahr ein bestehendes Kloster als
Aufenthaltsort zugewiesen wurde" 15 . So sehr das im Grundsätzlichen zu-
trifft, so ist im Fall Kölns kein einziger dem dauerhaften Bestand des Studi-
ums an diesem Ort entgegenstehender Quellenbeleg zu finden. Im Gegenteil:
1303 schrieb das Generalkapitel zwar nicht alle Orte von studio generalia fest,
wohl aber Bologna, Köln, Barcelona und Montpellier 16 . Lediglich während
eines Konflikts zwischen dem Kölner Dominikanerkonvent und dem Rat der
Stadt, der 1347 sogar bis zur Vertreibung der Predigerbrüder aus ihrem Klo-
ster und zu ihrem Exil bis 1351 führte 17 , war das Studium an einem anderen
Ort untergebracht 18 . Daß diese Verlegung aber lediglich als durch die äußeren
Umstände erzwungenes Provisorium angesehen wurde, zeigt die Einsetzung
des fr. Henricus de Hunnis während des Exils durch das Generalkapitel von
1350, die ausdrücklich als „lector in conventu Coloniensi" erfolgte 19 .

12 Zufügung zu Const. Ant., d. II, c. 28: 362, 25sq.


13 Acta Capitulorum Generalium Ordinis Fratrum Praedicatorum I, rec. B. M. Reichert, Rom
1898 (Monumenta Ordinis Praedicatorum Historica 3), 32, 19sq. (Im folgenden zitiert als:
Acta Cap. Gen.).
14 Acta Cap. Gen. I, 3 4 , 3 4 - 3 5 , 3 = 1246; 3 8 , 2 2 - 2 7 = 1247; 4 1 , 1 3 - 1 8 = 1248.
15 I. W. Frank, Hausstudium und Universitätsstudium der Wiener Dominikaner bis 1500, Wien
1968 (Archiv für Österreichische Geschichte 127), 44.
16 Acta Cap. Gen. I, 325, 3sq.
17 G. Lohr, Beiträge zur Geschichte des Kölner Dominikanerklosters im Mittelalter I, Leipzig
1920 (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens in Deutschland
15), 123 — 126. H. Johag, Die Beziehungen zwischen Klerus und Bürgerschaft in Köln zwi-
schen 1250 und 1350, Bonn 1977 (Rheinisches Archiv 103), 201sq.
18 G. Lohr, op. cit., 126, vermutet in Mainz; cf. W. Senner, Johannes von Sterngassen OP und
sein Sentenzenkommentar I, Berlin 1995 (Quellen und Forschungen zur Geschichte des
Dominikanerordens N. F. 4), 167.
19 Acta Cap. Gen. II, 337, 14sq.

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152 Walter Senner

Der Begriff Studium generale ist im Mittelalter seit der ersten Hälfte des
13. Jahrhunderts auch die gängige Bezeichnung für die Universitäten gewe-
sen 20 . Wie bereits Heinrich Suso Denifle nachgewiesen hat, ist damit nicht
unbedingt eine Lehrinstitution gemeint, die alle Fakultäten besitzt (Artes,
Theologie, Kanonistik, römisches Recht, Medizin) 21 , sondern er bezeichnet
eine Schule, die allen, ohne Unterschied ihrer Nationalität, offensteht 22 und
die — nach dem Vorbild von Paris und Bologna — mit bestimmten Privile-
gien ausgestattet ist 23 . Das wichtigste von diesen ist, daß mit dem an einem
Studium generale erworbenen akademischen Grad, der licentia docendi, auch die
Lehrbefahigung für alle anderen Schulen an jedem Ort der (westlichen) Chri-
stenheit verbunden war 24 .
Eine solche Lehrbefähigung haben die dominikanischen Generalstudien
nicht verliehen — außer wenn sie, wie in Paris und Oxford und später in
Montpellier 25 und in Köln — einer Universität inkorporiert waren. Da sie
aber Studienhäuser ,für alle', das heißt hier in eingeschränktem Sinn: für
Studenten aus allen Provinzen des Ordens waren, können sie in abgeleitetem
Sinn durchaus als studia generalia bezeichnet werden.
Auf diese Weise wurde eine solide scholastische Ausbildung der Lektoren
sichergestellt und damit der Ubergang zur scholastischen Studienweise auch
für die theologische Grundbildung aller Ordenspriester ermöglicht — ein
ungeheuerer Vorsprung der Mendikanten gegenüber dem Weltklerus fast all-
gemein.

1.2 Der ΡΙαίζ der Philosophie im dominikanischen Studium

„In libris gentilium et philosophorum non studeant, etsi ad horam inspiciant. Seculares
scientias non addiscant, nec etiam artes quas liberales vocantur"26. Dieses Philosophie-
verbot der ersten dominikanischen Konstitutionen war Ausdruck einer be-
reits im Neuen Testament angelegten Abneigung: „Gebt acht, daß Euch nie-
mand täusche durch Philosophie und leeren Trug" 27 — das einzige Vorkom-
men des Wortes philosophia in der Bibel. Die in Anlehnung an die für monasti-
sche Spiritualität klassischen „Vitae patrum" von Gerardus de Fracheto
gesammelten „Vitae fratrum" enthalten für diese Haltung charakteristische
Beispiele. So träumte ein englischer Dominikaner, Christus überreiche ihm

20
H. Denifle, Die Entstehung der Universitäten des Mittelalters, Berlin 1885, 2 - 4 .
21
Op. cit., 18sq.
22
Op. cit., 14 und 21.
23
Op. cit., 19sq.
24
Op. cit., 21 sq.
25
Op. cit., 348sq.
26
Const, ant. d. II, c. 28, 361,7-9.
27
Kol. 2,8; nach der Vulgata: „ 1Adete ne quis vos deäpiatperphilosophiam et inanem fallaäam".

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Albertus Magnus als Gründungsregens 153

eine ganz beschmutzte Bibel und erkläre ihm: „Ihr habt sie mit euren Philo-
sophen so befleckt" 28 .
Bei Humbertus de Romanis ist diese philosophiefeindliche Haltung einem
abgewogeneren Urteil gewichen. In seiner Erklärung der Augustinusregel 29
behandelte er auch die Frage, wie für einen Dominikaner die Philosophie
einzuschätzen sei und ob er sich damit befassen solle.
Die heidnischen Philosophen, so Humbert, haben zwar manche Irrtümer
gelehrt, doch finden sich bei ihnen auch die wirksamsten Mittel, viele davon
zu korrigieren 30 . Die Werke der Philosophen enthalten also sowohl Nützli-
ches als auch Schädliches31. Wer zwischen Gutem und Schlechtem nicht zu
unterscheiden vermag, sollte sich deshalb nicht mit ihnen befassen 32 . Im
Orden soll demzufolge denjenigen Brüdern, die keinen Nutzen aus philoso-
phischer Lektüre ziehen können („fratres omnino inepti adprofitendum in Ulis"),
deren Studium nicht gestattet werden. Denjenigen, die zwar etwas, aber nicht
viel damit anfangen können („apti ad proßciendum in Ulis in aliquo, sed non mul-
tum"), soll diese Beschäftigung in Maßen zugestanden werden {„cum discretione
et rare"). Von ihrer Begabung her für die Theologie vielversprechenden Brü-
dern aber („ex quorum aptitudine magna ad ista speratur magnus profectus et fructus
circa Divinam Scripturam") sind keinerlei Beschränkungen aufzuerlegen 33 . Die
Philosophie wird also in ihrer ,hilfswissenschaftlichen' Bedeutung gesehen
und geschätzt; da der Umgang mit ihr aber, wie bei einem überdosiert gifti-
gen Medikament, auch Gefahren mit sich bringt, kann er nur mit Vorsicht
und nicht jedem gestattet werden.
Der erste Pariser Magister aus dem Dominikanerorden, Roland von Cre-
mona, hat eine theologische Summe hinterlassen, die — vor 1234 entstanden
— nur in Teilen ediert ist 34 . Im Prolog des ersten Buches berührt er die
Frage des Verhältnisses von Philosophie und Theologie zueinander:

28 IV, 20, ed. B. M. Reichert, Rom 1896, 208 (Monumenta Ordinis Praedicatorum Historica
1)·
29 Ediert in: Humbertus de Romanis, Opera de vita regulari I, ed. J. J. Berthier, Paris 1888,
426 — 472. Zur Bedeutung dieses ,offiziösen' Regelkommentars cf. R. Creytens, Les commcn-
tateurs dominicains de la regle de Augustin, in: Archivum Fratrum Praedicatorum 33 (1963),
121-157.
30 ,y4pud phUosophos enim sunt errores multi et ventates multae, sicut in serpents venerium et thiriaca. Et
sicut thiriaca est effectior omnibus aliis contra venenum, ita et ventates eorum, qui istas non recipiunt".
Expositio regulae B. Augustini, IV, 144, op. cit., I, 436.
31 „Sunt in Ulis libris quaedam bona, et quaedam mala, sicut in horto quaedam herbae bona et quaedam
malae". Op cit., 438sq.
32 „His qui nesciunt bene discernere non est securum mixta bonis et malis legere, ne forte malum et bonum
colligant". Op cit., 439.
33 Op cit., 435.
34 Zu den Handschriften und Editionen cf. T. Kaeppeli, Scriptores Ordinis Praedicatorum
medii aevi III, Rom 1980, 331, Nr. 3551. Eine vollständige Handschrift ist nicht erhalten.
Anders als von Kaeppeli angegeben, enthält Paris, Bibliotheque Mazarine, Ms. 795, jedoch
alle vier Bücher, wenn auch mit Lücken. Cf. E. Filthaut, Roland von Cremona OP und die
Anfänge der Scholastik im Predigerorden, Vechta i.O. 1936, 41 sq.

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154 Walter Senner

„... solent ergo deapere heretiä et demonesfideles in scripturis sophisticis argumentis. Scriptum
autem sacra non dignatur descendere ad solutionem illarum inuolutionum ... mittat unam de
anällis suis, logicam, in suo strepitu et ueritate ab infestinatione domine sue fugat inimicos"^.
Deutlicher kann die bloß ,hilfswissenschaftliche' Verwendung der Philoso-
phie als ,ancilla theologiae' nicht mehr ausgedrückt werden.
Daß aber noch nicht einmal ein solches theologisches Interesse an Philoso-
phie im Dominikanerorden allgemein akzeptiert wurde, läßt der heftige Aus-
fall ahnen, den Albertus Magnus an den Schluß seines Kommentars zur Poli-
tica, und damit an das Ende seiner aristotelischen philosophisch-naturwissen-
schaftlichen Enzyklopädie stellt:
„Nec Aristoteles dicit de se hoc, sed reatat qualiter tales gentes politias suas ordinaverunt. Nec
ego dixi aliquid in isto libro, nisi exponendo quae dicta sunt, et rationes et causas adhibendo.
Sicut enim in omnibus libris physids, numquam de meo dixi aliquid, sed opiniones Peripatetico-
rum quanto fidelius potui exposui. Et hoc dico propter quosdam inertes, qui solatium suae
inertiae quaerentes, nihil quaerunt in scriptis, nisi quod reprehendant et cum tales sint torpentes
in inertia ne soli torpentes videantur, quaeruntponere maculam in electis. Tales Socratem occide-
runt, Platonem de Athenis in Academiam fugaverunt, in Aristotelem machinantes etiam eum
exire compulerunt... Sed hoc tantum de talibus. Qui in communicatione studii sunt quod hepar
in corpore: in omni autem corpore humor fellis est, qui evaporando totum amaricat corpus, ita
in studio semper sunt quidem amarissimi et feilet viri, qui omnes alios convertunt in amaritudi-
nem, nec sinunt eos in dulcedine soäetatis quaerere veritatem"36.
Das schreibt nicht ein lebensferner Außenseiter, sondern einer, der so viel
Vertrauen seiner Mitbrüder genossen hat, daß sie ihn 1254 zum Provinzial
wählten 3 7 . Schon zu Lebzeiten galt Albert der Große als Wunder an Gelehr-
samkeit; und seine Glaubenshaltung ist nie in Zweifel gezogen worden 3 8 .
Albert kommt das Verdienst zu, der Philosophie einen Platz in der kirchli-
chen Bildung erkämpft und damit nicht nur einen Standard für Rationalität,
Argumentation und Dialog etabliert, sondern auch eine wirkliche Synthese
von griechisch-arabischer Wissenschaft und christlicher Weisheit ermöglicht
zu haben. Das bedeutet allerdings nicht, daß damit auch nur in seinem eige-
nen Orden die Kritiker der Philosophie ein für allemal zum Schweigen ge-
bracht worden wären 3 9 .

2. A l b e r t s W i r k s a m k e i t in K ö l n

Nikolaus Paulus meinte, in dem in der Staatsbibliothek zu Berlin erhalte-


nen Taschen- und Notizbuch deutscher Dominikanerprovinziäle des 13. Jahr-

35 L. 1, prol., q.2, a.2, Mazarine 795, fol. Ivb 3 0 - 3 3 .


36 Epil., ed. Paris., VIII, 803sq.
37 H. C. Scheeben, Albertus Magnus, Köln 1955, 8 8 - 9 0 .
38 Das beste zeitgenössische Zeugnis ist Thomas von Cantimpre, Bonum universale de apibus,
hier zit. nach der Ausg. Douais 1605, 1. I, c. 20, n. 10, 80; c. 10, n. 24, 176; 1. II, c. 57, n.
50, 579.
39 W Senner, Johannes von Sterngassen OP und sein Sentenzenkommentar I, Berlin 1995,
113.

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Albertus Magnus als Gründungsregens 155

hunderte das ursprüngliche Berufungsschreiben des Ordensgenerals an Al-


bertus Magnus zum ersten Leiter des Kölner Generalstudiums gefunden zu
haben 40 . In der Tat handelt es sich um ein Berufungsschreiben, das der
Ordensgeneral Johannes de Vercellis an Albertus Magnus richtete, doch die
Umstände, allen voran, daß Albert als Bischof angesprochen wird, weisen auf
seine dritte Kölner Lehrtätigkeit ab 1270/71 hin 41 .
„Dem Herrn Albert, der lesen soll, der Ordensmeister. D e m ehrwürdigen, ... in
Christus sehr lieben Bruder ... Froh habe ich von Bruder [Name ausgelassen]
Euer günstiges Vorhaben vernommen, daß Ihr nämlich um Gottes willen gern zu
dem bereit seid, was den Fortschritt der Brüder betrifft, so wie Ihr damals, als ich
Euch ersuchte, in Paris für die Brüder Vorlesungen zu halten, wenn Euch, wie es
jetzt ist, ein Lektor zur Seite gestanden hätte, dort^hm) durchaus gegangen wärt.
Dafür sage ich Euch gebührenden Dank und bitte Euch flehentlich, daß Ihr im
Blick auf ein so würdiges und nützliches Vorhaben und in Verfolgung der nötigen
Wirkung für die Brüder in die Stadt Köln gehen wollt, w o die Geistlichkeit jener
Stadt Eure Anwesenheit liebevoll begehrt und verlangt, w o Ihr aus dem Euch
anvertrauten heiligen Brunnen, mit vielfacher Förderung der Brüder, Anderen in
Zukunft viel zufließen lassen könnt. Lebt wohl" 4 2 .

Es ging hierbei offenbar nicht nur um die „reine Lehre", sondern darum,
daß auf Bitten des Kölner Klerus Albertus Magnus sein bewährtes Verhand-
lungsgeschick einsetzen sollte, um den Frieden zwischen Erzbischof Engel-
bert II. von Valkenburg und der Stadt mit ihren Verbündeten wiederherzu-
stellen, der nach der Gefangennahme des kriegerischen Kirchenfürsten am
18. Oktober 1267 in der Schlacht bei Zülpich durch ein von dem päpstlichen
Nuntius Bernhard von Castaneto über Köln verhängtes Interdikt (dem Ver-
bot des Gottesdienstes und der Sakramentenspendung) nicht gerade geför-
dert wurde 43 . Albert durfte den Gebannten nicht zur Hilfe kommen, ohne
selbst die Kirchenstrafe auf sich zu ziehen. Der Ausweg war, daß der Gene-
ralmeister den als Bischof nun nicht mehr seiner Befehlsgewalt Unterstehen-
den bat, eine ordensinterne Lehraufgabe zu übernehmen, die von dem Inter-

40 Ms. Lat. Oct. 109 (nach jetziger Zählung fol. 39). H. Finke, Ungedruckte Domjnikanerbriefe
des 13. Jahrhunderts, Paderborn 1891, 51, Nr. 1. Zur Geschichte der Handschrift und der
Bibliothek des Soester Dominikanerkonvents, in die sie vermutlich durch Jakob Schwefe
von Soest OP kam, cf. N. Eickermann, Miscellanea Susatensia, in: Soester Zeitschrift 86
(1974), 23 — 45. L. Sturlese, Dokumente und Forschungen zu Leben und Werk Dietrichs
von Freiberg, Hamburg 1984 (Corpus philosophorum Teutonicorum medii aevi, Beih. 3).
B. Michael, Die mittelalterlichen Handschriften der Wissenschaftlichen Stadtbibliothek
Soest, Wiesbaden 1990, 22sq.
41 H. C. Scheeben, Albert der Große, zur Chronologie seines Lebens, Vechta i.O. 1931 (Quellen
u. Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens in Deutschland 27). H. Stehkämper
(Bearb.), Albertus Magnus, Ausstellung zum 700. Todestag, Historisches Archiv der Stadt
Köln, Köln 1980, 9 7 - 1 0 1 .
42 H. Finke, Ungedruckte Dominikanerbriefe (Anm. 40), 51.
43 W.Janssen, Das Erzbistum Köln im späten Mittelalter 1 1 9 1 - 1 5 1 5 I, Köln 1995, 1 7 5 - 1 7 9
(Geschichte des Erzbistums Köln 11,1).

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156 Walter Senner

dikt nicht betroffen war. Augenzwinkernd wurde dabei vermerkt, daß neben
dem genannten Zweck der (wissenschaftlichen) Förderung der Brüder, auch
andere Nutzen haben würden — fürwahr eine politische Berufung. Albertus
Magnus gelang es tatsächlich, im April 1271 eine Einigung zwischen dem
Erzbischof, der Stadt und dem Grafen Wilhelm IV. von Jülich zu vermitteln.
Auch wenn wir also keine Quelle haben, aus der wir direkt erfahren, warum
1248 gerade Albertus Magnus, als Magister Parisiensis bereits zu jenem Zeit-
punkt einer der profiliertesten Gelehrten des Predigerordens, als Gründungs-
regens des Generalstudiums nach Köln berufen wurde, können wir davon
ausgehen, daß schon die Tatsache zeigt: es sollte eine Studienstätte von nicht
bloß untergeordneter Bedeutung entstehen. Eine bewußte „Kulturpolitik" ist
also durchaus anzunehmen — sie sollte aber nicht isoliert von den Ausbil-
dungsbedürfnissen und von deren Gründen betrachtet werden.

2.1 Welche waren Alberts erste Kölner Werke?

Nach der „Ystoria sancti Thome de Aquino" des Wilhelm von Tocco kam
Thomas von Aquin von Paris nach Köln, wo Albertus Magnus lehrte. Dort
hörte er, offenbar nicht als erstes, dessen Vorlesung über „De divinis nomini-
bus" des Pseudo-Dionysius. Als er, anfänglich stumm für sich lernend, einem
Mitstudenten eine nicht verstandene Lektion noch besser als der Meister
erklären konnte, wurde sein Talent entdeckt 44 . Albertus Magnus gab dem —
zunächst aus Demut Widerstrebenden — besonders schwierige Aufgaben als
Respondens in Disputationen, die er so glänzend löste, daß er ihm sagte: „Frater
Thoma, tu non uideris tenere locum respondentis, sed determinantis"45. Hier folgt nun
der berühmte Ausspruch Alberts: „Nos uocamus istum bouem mutum, sed ipse
adhuc talem dabit in doctrina mugitum quod in tot mundo sonabit!"46 Nach diesen
Ereignissen las Albertus Magnus über die Ethik des Aristoteles, was Thomas
mitschrieb und selbst redigierte 47 . Auf Nachfrage des Generalmeisters nach
geeigneten Bakkalaren für Paris empfahl Albert Thomas schließlich zu dieser
Aufgabe 48 .
Auch wenn Wilhelm von Tocco mit etwa 70 Jahren Abstand zu den hier
berichteten Ereignissen schreibt 49 und in der deutlichen Absicht, mit seinem

44 C. 13, ed. C. le Brun-Gouanvic, Toronto 1996, 116,10-118,46.


45 L. c., 118,55sq.
46 L. c., 1 1 8 , 6 1 - 6 3 .
47 „Post hoc autem predictus magister Albertus cum librum Ethicorum cum questionibus legeret, frater Thomas
magistn lecturam studiose collegit et redigit in scnptis; opus stilo disertum, subtilitate profundum, sicut a
fönte tanti doctons haurire potuit, qui in säentia omnem hominem in sui temporis etate precessit". L. c.,
118,70-74.
48 Op. cit., c. 15, 120,1-122,35.
49 Op. cit. [Einl.], 68sq. Wie H. C. Scheeben, Albert der Große. Zur Chronologie ... (Anm. 41),
2 8 - 3 1 , nachgewiesen hat, beruht Wilhelm von Toccos Darstellung dieser Ereignisse auf
einer auch von Hermann von Fritzlar und Jakob von Soest benutzten Kölner Quelle.

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Albertus Magnus als Gründungsregens 157

Werk die Kanonisierung Thomas von Aquins zu fördern, wenig Interesse


zeigt an Einzelheiten der Chronologie, von Itineraren und erst recht des
Studienbetriebs 50 , gibt es keinen hinreichenden Grund, seine Schilderung
von vornherein als unbeachtlich zur Seite zu legen. Gerade solche Mitteilun-
gen, die sich weder durch das hagiographische Interesse noch durch Transpo-
sition von (Studien-)Gebräuchen seiner eigenen Zeit erklären lassen, verdie-
nen unsere Aufmerksamkeit.
Für unser Ziel läßt sich festhalten: Thomas von Aquin hat in Köln, und
nicht als erstes, Alberts Vorlesung über „De divinis nominibus" gehört, da-
nach die Ethik-Vorlesung, die er auch redigiert hat, und er hat dort als respon-
dens, d. h. als baccalaureus fungiert. Das gibt uns bereits ein Element einer
relativen Chronologie, läßt aber noch wichtige Fragen offen.
Die ordinatio des in Paris gelesenen Sentenzenkommentars hat sich mögli-
cherweise noch bis in Alberts Kölner Zeit hingezogen: in 1. IV, d. 35, a. 7,
ad 3 findet sich ein Beispiel, das lautet: „Inscriptio facienda est sie: yAnno ab
incarnatione Domini nostriJesu Christi MCCXLIX, praesidente Domino TV.'"51. Be-
reits F. Pelster hat darauf aufmerksam gemacht und darin einen sicheren „ter-
minus ante quem" für die Fertigstellung des Werkes gesehen 5 2 . Angesichts der
völlig unkritischen Ausgaben, die uns von dem Sentenzenkommentar bislang
nur zur Verfügung stehen, erscheint mir allerdings eine sichere Schlußfolge-
rung verfrüht.
Damit steht eine weitere chronologische Einreihung auf schwachen Füßen:
die des Kommentars zu Pseudo-Dionysius „De ecclesiastica hierarchia". Hier
findet sich in Kapitel 2,1 der Verweis: „Dicimus quod de ista prioritate [dilectionis
et actionis] super IVSententiarum suffiäenter notatum est"53. Auch hier gilt es, die
kritische Edition dieses Werkes abzuwarten, die glücklicherweise bereits kurz
vor ihrer Vollendung steht 54 . Als feststehend betrachten dürfen wir aber die
Reihenfolge der Kommentare zu den einzelnen Schriften des Areopagiten:
„De caelestis hierarchia", „De ecclesiastica hierarchia", „De divinis nomini-
bus", „De mystica theologia", „Epistulae", die dem in Paris bekannten Cor-
pus Dionysiacum entsprach 55 . Albertus Magnus ist hierbei zunächst von der

50
Op. cit. [Einl.], 34sq. Cf. W. P. Eckert, Stilisierung und Umdeutung der Persönlichkeit des
hl. Thomas von Aquino durch die frühen Biographen, in: Freiburger Zeitschrift für Philoso-
phie und Theologie 18 (1971), 7 - 2 8 .
51
Ed. Paris., 30 (1894), 354 a.
52
Kritische Studien zum Leben und zu den Schriften Alberts des Großen, Freiburg i. Br. 1920
(Ergänzungshefte zu den Stimmen der Zeit, 2,4), 114sq. P. Simon, Prolegomena, in: Albertus
Magnus, Opera omnia, ed. Colon., 37,1 (1972), vi, schließt sich ihm an.
53
Ed. Paris. 13, 1892, 508b; cf. In IV Sent., d. 14, a. 9: ed. Paris., 29, 422sq.; F. Pelster, op.
cit., 129; P. Simon, I. c.
54
Erscheint als tom. 36,2 der Editio Coloniensis, ediert von Maria Burger unter Benutzung der
Vorarbeiten von Paul Simon, voraussichtlich 1999. Der Editorin verdanke ich den Hinweis,
daß es laut allen Handschriften im angeführten Zitat prioritate heißen muß, nicht proprietate,
wie in Ed. Paris.
55
H. F. Dondaine, Le corpus dionysien de l'universite de Paris au Xllle siecle (Storia e lettera-
tura 44), Rom 1953, 117-119.

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158 Walter Senner

Existenz einer Schrift „De symbolica theologia" ausgegangen, deren Kom-


mentierung im Anschluß an „De divinis nominibus" er ankündigte, dann
aber überging, weil er das — nicht existierende — Buch nicht vorliegen hat-
te 56 .
Albert der Große war nicht der erste Scholastiker des dreizehnten Jahrhun-
derts, der das Werk des Pseudo-Dionysius intensiv studierte, aber er hat es
als erster zum Gegenstand seiner theologischen Vorlesungen gemacht. Uber
das Pariser Curriculum des Studiums und der theologischen Qualifikation
sind wir eingehend unterrichtet. Die entscheidende Qualifizierungsleistung
des Baccalaureus war, nach der kursorischen Bibelerklärung, die zweijährige
Vorlesung über die vier Bücher der Sentenzen des Petrus Lombardus 57 . Die
Hauptvorlesung des Magisters galt der vertieften Auslegung jeweils eines Bu-
ches der Bibel 58 . Für eine Pseudo-Dionysius-Kommentierung ist da kein
Platz. Das schließt nicht aus, daß Albertus Magnus bereits in Paris eine spezi-
elle Vorlesung, außerhalb des vorgeschriebenen universitären Curriculums,
gehalten haben könnte — etwa für die Mitbrüder in St. Jacques, aber als
wahrscheinlicher erscheint in diesem Kontext, daß er die Freiheit der Neu-
gründung nutzte, um hier seine eigenen Akzente zu setzen.
Franz Pelster setzte Alberts Corpus Dionysiacum denn auch auf den Anfang
der fünfziger Jahre an 59 . Heribert Christian Scheeben schloß sich hierin Pel-
ster an und vermutete: „Der Kommentar zu den Werken des Pseudodiony-
sius [!] wird jedoch in dieser Zeit wenigstens begonnen worden sein" 60 .
Ein ganz neues Licht auf diese Frage warf die Entdeckung, daß eine in
Neapel als Autograph des hl. Thomas von Aquin früher in S. Domenico

56 „Nunc autem transibimus deo duce ad symbolicam theologiam, in qua agitur de nominibus sensibilium in
deum translatis, quem librum nos non habemus. Et ideo eo praetermisso transibimus ad exponendum
librum de Mystica theologia". In De div. nom., c. 1, n. 34, ed. Colon., 37,1 (1972), 4 5 1 , 6 8 - 7 3 .
Diese Annahme Alberts dürfte auch die Erklärung für die Zuschreibung dieses Werkes
durch Petrus de Prussia liefern (H. C. Scheeben, Les ecrits d'Albert le Grand d'apres les
catalogues, in: Revue Thomiste 36 [1931], 2 6 0 - 2 9 2 , hier: 287, n. 44), bzw. eines „De symbo-
lica hierarchia" im Stamser Katalog (Laurentii Pignon Catalog! et Chronica, accedunt Cata-
log! Stamensis et Upsalensis Scriptorum OP, cura G. Meersseman, Rom 1936 [Monumenta
Ordinis fratrum Praedicatorum Historica 18], 58; H. C. Scheeben, op. cit., 274, n. 66; cf. 292,
n. 110) und durch Laurentius Pignon (Laurentii ..., 23). Cf. G. Meersemann, Introductio in
opera omnia Β. Alberti Magni OP, Brugge 1931, 103.
57 P. Glorieux, L'enseignement au moyen age. Techniques et methodes en usage ä la faculte de
theologie de Paris au XHIe siecle, in: Archives d'histoire doctrinale et litteraire du moyen
age 43 (1968), 6 5 - 1 8 6 , hier 1 0 9 - 1 1 1 .
58 L. c.; J. Verger, L'exegese, parente pauvre de la theologie scolastique? in: Manuels, pro-
grammes de cours et techniques d'enseignement dans les universites medievales, ed. J. Ha-
messe, Louvain-la-Neuve 1994, 31 — 56, hier 41 —45. Auf diese zentrale Stellung der Bibelaus-
legung in der scholastischen Theologie machte bereits aufmerksam: H. S. Denifle, Quel livre
servait de base ä l'enseignement des maitres en theologie dans l'universite de Paris?, in:
Revue Thomiste 2 (1894), 1 4 9 - 1 6 1 .
59 Kritische Studien ... (Anm. 52), 128.
60 Albert der Große. Zur Chronologie ... (Anm. 41), 28.

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Albertus Magnus als Gründungs regen s 159

Maggiore verehrte - und im Gefolge der Säkularisation in die in jenem Ort


eingerichtete Biblioteca Reale (heute: Biblioteca Nazionale) gekommene —
Handschrift nicht etwa Pseudo-Dionysisus-Kommentare des Doctor communis,
sondern das Corpus Dionysiacum des Doctor universalis als Thomas von Aquins
redigierte, mit zahlreichen Korrekturen und Zusätzen versehene Vorlesungs-
nachschrift enthält61. Der erste Teil dieser, heute nicht mehr vollständigen
Handschrift besteht aus 15 gekennzeichneten Petien (fol. 1—41) und enthält
den Kommentar zu „De caelestis hierarchia". Der zweite Teil (fol. 42—142)
bestand aus 20 Lagen, von denen heute eine ganz fehlt, aus anderen zahlrei-
che einzelne Blätter. Der Rest des Corpus Dionysiacum bricht daher im 9. Brief
ab 62 .
Im Zuge der Arbeiten für die Edition des Corpus Dionysiacum im Rahmen
der Editio Coloniensis fand Paul Simon, daß von dem Kommentar zu „De
caelesti hierarchia" sieben der noch vorhandenen Textzeugen die unkorri-
gierte, vier die überarbeitete Fassung wiedergeben 63 . Simon baut darauf die
Hypothese, von dem Kommentar zu „De caelesti hierarchia" sei — bevor
die Nachschrift später überarbeitet wurde — in Paris ein (verlorenes) Apo-
graph kopiert worden. Die Tradition des Kommentars zu „De divinis nomi-
nibus" ginge dann ganz auf den späteren Textzustand zurück. Albertus Mag-
nus habe also die Kommentierung des Corpus Dionysiacum in Paris begonnen,
wo eine erste Fassung von „In de caelesti hierarchia" gleich über die Univer-
sität weiterverbreitet, und danach in Köln weitergeführt wurde; dort habe
Thomas von Aquin dann auch das erste Werk dieses Corpus überarbeitet64.
So elaboriert diese Hypothese ist, so wenig sind in ihr die an der Editio
Leonina der „Summa contra gentiles" des Thomas von Aquin gewonnenen
Erkenntnisse über dessen in den Autographen feststellbare Arbeitsweise und
den Umgang der Kopisten mit deren — zugegebenermaßen schwer verständ-
lichen — Resultaten berücksichtigt65. Auch im 13. Jahrhundert läßt eine Petie-

61 Ms. I Β 54. Hierzu immer noch grundlegend: G. Thery, L'autographe de s. Thomas conserve
ä la Biblioteca Nazionale de Naples, Archivum Fratrum Praedicatorum 1 (1931), 15 — 86
(Nachweis der Authentizität der Schrift 72 sq.). Cf. P. Simon, Prolegomena, in: Albertus
Magnus, Opera omnia, ed. Colon., 37,1 (1972), viiisq.
62 Op. cit., 2 4 - 4 6 .
63 P. Simon, Prolegomena ... (Anm. 61), vii. Es dient nicht gerade der Übersichtlichkeit, daß
die Prolegomena zum Kommentar von „De caelesti hierarchia" (ed. Colon. 36,1, 1993) nichts
darüber enthalten, umgekehrt in denen zu „De divinis nominibus" die Handschriften, die
dort besprochen werden, aber das Werk nicht enthalten, und ihre Siglen nicht vorgestellt
werden. Auch bei dieser nur angedeuteten Uberlieferungslage — und den weitreichenden
Hypothesen, die er darauf baut, verzichtet Simon auf eine genauere Rekonstruktion der
Textgeschichte. Eine Kontrollierbarkeit seiner Edition ist somit nicht gegeben.
64 Op. cit., visq.
65 Thomas de Aquino, Opera omnia (ed. Leonina) 13, Rom 1918, xix-xxvii; zu der hier ange-
sprochenen Problematik auch besonders A. Pelzer, Etudes d'histoire litteraire Sur la scolasti-
que medievale, Louvain et al. 1964, 3 4 9 - 3 5 1 , 354sq., 3 6 3 - 3 6 5 . Aus jüngerer Zeit: R.-
A. Gauthier, Saint Thomas d'Aquin, Somme contre les gentils, Introduction, Paris 1993,
7-35.

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160 Walter Senner

neinteilung keinen absolut sicheren Schluß auf Paris als Entstehungsort zu.
Die Bearbeitung des Pergaments in der Neapler Handschrift scheint nicht
der in Paris üblichen Weise zu entsprechen 66 . Überdies bleibt bei Simons
Hypothese eine Erklärungslücke für den Umstand, daß einige Handschriften
„Super De caelesti hierarchia" in der ersten Rezension und zusätzlich andere
Schriften des Corpus enthalten. Auch die Vermutung, wegen der (postulierten)
Abfassung in Paris, kurz vor Alberts Aufbruch nach Köln, seien gegen Ende
Zeichen wachsender Eile zu erkennen, läßt sich für den Kommentar zur
himmlischen Hierarchie nicht erhärten 67 . Insgesamt erscheint mir die Hypo-
these, Alberts Kommentar zu „De caelestis hierarchia" sei bereits vor dem
Herbst 1248 in Paris entstanden, weniger sicher als es auf den ersten Blick
scheint, wenn diese Möglichkeit auch nicht auszuschließen ist. Die größere
Wahrscheinlichkeit spricht jedoch für eine Entstehung des gesamten Kom-
mentarwerks zum Corpus Dionysiacum in Köln ab September 1248.
Albertus Magnus' (erster) Kommentar zur Nikomachischen Ethik des Ari-
stoteles ist, wenn wir Wilhelm von Tocco Glauben schenken können, nach
der Vorlesungsreihe zum Corpus Dionysiacum anzusetzen und ebenfalls durch
Thomas von Aquin mitgeschrieben und redigiert worden. Für letzteres haben
wir ein weiteres Zeugnis in einer Glosse einer Handschrift der Vatikanischen
Bibliothek: „Iste sunt questiones ffratris [!] Alberti ordinis predicatorum quas collegit
ffrater tomas de aquino"68.
Die zeitliche Nachordnung wird etwas in Frage gestellt durch die Beobach-
tung Franz Pelsters, daß im Corpus Dionysiacum zahlreiche Verweise auf die
Nikomachische Ethik des Aristoteles zu finden seien 69 . Eine Durchsicht der
Register und der dort verzeichneten Stellen in den entsprechenden Bänden
der Editio Coloniensis ergibt jedoch kein eindeutiges Resultat: ausdrückliche
Selbstverweise gibt es zwischen dem Corpus Dionysiacum und „Super Ethi-
cam" nicht, 58 implizite Zitate von 55 Stellen aus dem Ethikkommentar sind
sachliche Parallelen, die keine direkte literarische Abhängigkeit konstituieren;
auch die 153 expliziten Zitate von 82 Stellen aus der Nikomachischen Ethik
des Aristoteles erfordern nicht, daß Albertus Magnus dieses Buch zuvor

66 Diesen Hinweis verdanke ich einer freundlichen Mitteilung von Robert Wielockx, Rom, dem
ich für die Gelegenheit zum Gespräch über die Traditionsgeschichte von Alberts Corpus
Dionysiacum herzlich danke.
67 Bei Zugrundelegen der ed. Colon. 36,1 ergibt sich eine (Pseudo-Dionysius) Texdänge von
1522 Halbzeilen (Textzeilen doppelt angerechnet, da einspaltig gedruckt) und eine Kommen-
tarlänge von 18171 Zeilen (so gezählt, da zweispaltig gedruckt). Die minimale Kapitellänge
beträgt 14 Texthalbzeilen (c. 14) bzw. 264 Kommentarzeilen (c. 5). Die maximale Kapitel-
länge beträgt 352 Texthalbzeilen (c. 13) bzw. 2604 Kommentarzeilen (c. 15). Der Kommentar
ist im Verhältnis zum Text am kürzesten in c. 4 (3,69) und am längsten in c. 14 (79,14), das
durchschnitdiche Verhältnis ist 11,94 und wird in den letzten Kapiteln nur in c. 13 mit 6,85
deutlich unterschritten.
68 Vat. Lat. 722, fol. 209 r. Cf. W. Kübel, Prolegomena, in: Albertus Magnus, Opera omnia (ed.
Colon.), 14,1 (1968), viii.
69 Kritische Studien ... (Anm. 52), 129.

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Albertus Magnus als Gründungsregens 161

kommentiert hätte. Umgekehrt lassen sich auch nur zwei, eher allgemeine
Verweise auf seine Schriften über Pseudo-Dionysius in Alberts erster Ethik-
Vorlesung finden70.
Weiterhin hat Auguste Pelzer bemerkt, daß in diesem Ethik-Kommentar
für eine Definition von Gerechtigkeit die auctoritas „in commento super librum de
divinis nominibus, capitulo viii" angegeben wird 7 1 . Die Quelle hierfür scheint
aber nicht Alberts eigener Kommentar zur Stelle 72 zu sein, wo diese Defini-
tion nicht wörtlich vorkommt, sondern in ihrer Geltung eingeschränkt
wird 73 . Vielmehr hat Albertus Magnus diese Definition einem anonymen
Kommentar entnommen 7 4 , der als Glosse dem Opus alterum, der neueren
Redaktion des Pariser Corpus Dionysiacum beigegeben war 7 5 . Im Ergebnis las-
sen sich also keine hinreichenden Gründe finden, in diesem Fall Wühlern
von Toccos relative Chronologie abzulehnen.
Von den zum großen Teil vor wenigen Jahren von Albert Fries erstmals
edierten Quaestionen des Albertus Magnus 7 6 , sind wahrscheinlich nicht we-
nige in seiner Kölner Zeit entstanden. Das Vorgehen des Editors, sie nach
den behandelten Gegenständen den systematischen und Kommentarwerken
als ,Nebenprodukte' zeitlich zuzuordnen, erscheint allerdings nicht überzeu-
gend 7 7 . Eine etwas größere Sicherheit dürfte erreicht werden, wenn zu die-
sem Kriterium die handschriftliche Uberlieferung dazugenommen wird, ins-
besondere die Herkunft aus der Sammlung des Thomas von Aquin 7 8 , die
nicht unwahrscheinlicherweise auf sein Kölner Studium und Bakkalaureat
zurückgeht.

2.2 Philosophisches Glück? Die Ethik-Vorlesung

Albertus Magnus las in Köln, wo er dem Pariser Curriculum nicht mehr


unterworfen war — wie wir gesehen haben — wahrscheinlich zunächst über

70 Cf. infra, nt. 72 u. 73.


71 Etudes d' histoire litteraire ... (Anm. 65), 290. Cf. Albertus Magnus: Super Ethica, 1. V, lect.
6: ed. Colon. 14,1 (1968), 336, 1 6 - 1 7 .
72 Super Dionysium D e divinis nominibus, c. 8, n. 1 2 - 1 7 , ed. Colon. 37,1 (1972),
371,1-374,31.
73
„... et per similitudinem proportions ad actum iustitie proprie dictae diätur iustitia naturalis, secundum
quam distributor unicuique de naturalibus operationibus secundum proportionem formae, etformae distribu-
untur secundum meritum materiae, et non diätur proprie iustitia, sed naturalis iustitia". L.c., n. 17, sol.,
373,67-73.
74 Super Ethicam, 1. c., 336, 16sq., Quellenapparat zur Stelle: Paris, Bibliotheque Nationale,
Ms. Lat. 15630, fol. 129rb.
75 H. F. Dondaine, L e corpus Dionysien ... (Anm. 55), 8 9 - 1 0 8 ; speziell zur Benutzung durch
Albertus Magnus: 1 0 1 - 1 0 8 .
70 Ed. Colon., 25,2 (1993).
77 W Senner (Rez.), in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 107 (1996), 2 7 5 - 2 8 0 , hier: 278.
78 Vat. Lat. 781. Cf. Ed. Colon., 25,2 (1993), v.

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162 Walter Senner

das Corpus Dionysiacum und dann über die Nikomachische Ethik des Ari-
stoteles. Vor dem angerissenen Hintergrund eines deutlichen Mißtrauens ge-
genüber Philosophie ist das letztere umso erstaunlicher. War der Doctor univer-
salis etwa nun eher Philosoph als Theologe geworden? 7 9 War ,Theologie' für
ihn ein Kernthema der Metaphysik 80 — und nichts als das?
Eine Antwort durch Verweis auf die später entstandenen Bibelkommentare
wäre zu einfach. Es bliebe dann immer noch die Möglichkeit, daß er sich in
seinen reifen Jahren bewußt nicht nur dem großen Werk der philosophischen
Enzyklopädie zu und von der Theologie abgewandt hätte, sondern die späten
Schriftkommentare als Werk eines sich auf den Tod vorbereitenden frommen
alten Mannes zu sehen sind.
Doch bevor wir uns der Frage zuwenden, ob Albertus Magnus mehr oder
gleichermaßen oder weniger Philosoph als Theologe war, müssen wir uns
einer Vorfrage stellen, von der aus dieses Unternehmen fraglich erscheint.
Was ist Philosophie? Wer ist ein(e) Philosophen)? Der Versuch, hierauf eine
umfassende Antwort zu finden, wäre — fürchte ich — zum Scheitern verur-
teilt. Denn unser Jahrhundert ist ja gerade dadurch gekennzeichnet, daß es
eine einheitliche, allgemein akzeptierte Konzeption davon, was Philosophie
sei, nicht gibt 8 1 . Weder eine Einteilung in eine Reaktionäre' und eine fort-
schrittliche' 82 , noch die Eliminierung bestimmter Denkrichtungen aus dem
als ,Philosophie' anerkannten Bereich 83 kann als ein adäquates und auf die
Philosophiegeschichte anwendbares Vorgehen gelten. Auch wenn nicht uni-
versale Geltung beansprucht wird, sondern nur deskriptive für eine be-
stimmte Periode und einen bestimmten Kulturkreis, ist über eine Minimalde-
finition nicht hinauszukommen. Ohne Alleingeltungsanspruch läßt sich an
De Raeymaeker angelehnt formulieren: „Philosophie [im lateinischen Mittel-
alter] ist eine Zusammenfassung methodisch erworbener und systematisch
geordneter Erkenntnisse im Bestreben, die grundlegende Erklärung aller
Dinge zu liefern" 8 4 . Für den hier gegebenen Zusammenhang ist dabei auch
die Abgrenzung wichtig: „Philosophie ist auf die natürliche Ordnung der
Dinge und die natürlichen Erkenntnisvermögen beschränkt. Sie ist darin von

79 L. Sturlese, Die deutsche Philosophie ... (Anm. 2), 3 3 2 - 3 4 1 .


80 A. de Libera, Albert le Grand et la philosophie, Paris 1990, 4 3 - 4 7 .
81 W. Stegmüller, Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie I, Stuttgart 6 1978, XXVI.
82 Philosophisches Wörterbuch, hrsg. G. Klaus/M. Buhr, II, Berlin " 1 9 7 5 , 931 sq., woran sich
anscheinend anschließt: B. Mojsisch, Johannes von Sterngassen, in: Lexikon des Mittelalters
V, München et al. 1991, 606.
83 W. Stegmüller, Hauptströmungen ... (Anm. 81) III, 8 1 9 8 7 , XIII.
84 L. de Raeymaeker, Einführung in die Philosophie (Philosophia Lovaniensis 1), Einsiedeln
1948. Der ursprüngliche Text ist hier umformuliert: weg von einem universalen Geltungsan-
spruch und einem mir sprachlogisch nicht annehmbar erscheinenden, ,die Philosophie'
strebe nach etwas — während m. E. dieser actus humanus nur durch Menschen vollzogen
werden kann, die dann eventuell ,Philosoph(inn)en' genannt werden oder sich selbst so
nennen.

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Albertus Magnus als Gründungsregens 163

Theologie zu unterscheiden, die auf Offenbarung und Glauben beruht" 8 5 .


Philosophen) ist nicht, wer — weder näher umschreib- noch als actus inferiores
überhaupt unmittelbar erkennbare .philosophische Interessen' verfolgt, son-
dern wer philosophisch argumentiert' — das heißt: rational, methodisch, re-
flektiert, unter Berufung auf nachvollziehbare Erkenntnis und ohne Rückgriff
auf Offenbarung oder Glaubensartikel. Damit läßt sich auch eine, von de
Raeymaeker aus seinem Interesse an philosophischer Synthese nicht berück-
sichtigte, Konzeption von Philosophie als Kritik 8 6 einbeziehen, mag in ihr
durch ein System des .Kritizismus' doch wieder eine theoretische Synthese
ermöglicht werden 87 , durch Ideologiekritik ein .Primat der Praxis' rekla-
miert 88 und dabei — auch als .Kritische Theorie' 8 9 — zur Konstruktion einer
Gesellschaftstheorie gelangt, oder als Rekonstruktion' 9 0 die Legitimität syn-
thetisch-philosophischen Denkens überhaupt bezweifelt werden.
Bereits im Prolog des ersten Ethikkommentars findet sich die Aussage
„dicitur esse subiectum [primaephilosophiae] deus, unde et scientia divina dicitur"n. Sie
steht hier als Beispiel für die zweifache Bestimmung des Gegenstandsbe-
reichs einer Wissenschaft, nämlich nach dem ausgezeichneten Objekt, das
auch ihr Ziel ist („id de quo principaliter intenditur"92), oder dem gesamten von
ihr abgedeckten Wissensbereich („id de quo communiter determinatur in scien-
tia"93). Für die Ethik, die Wissenschaft vom qualifiziert menschlichen Han-
deln 94 , ist das Ziel nur vorgängig „ut bonifiamus"95. Das, worum es Menschen
als Ziel ihres Handelns geht, ist das Glück 9 6 . Glück wird von Albert, Aristo-
teles folgend, in „civilis felicitas" und „contemplativa felicitas" unterschieden 97 .
Das bürgerliche ist für ihn keineswegs das biedermeierliche Glück im stillen
Winkel, sondern die Erfüllung, die erfolgreiches Engagement für das Ge-
meinwohl mit sich bringt 98 ; nur in übertragener Weise kann von ihr gesagt

85 L.c.
8( ' Cf. Historisches Wörterbuch der Philosophie IV, Basel 1976, 1 2 4 9 - 1 2 8 2 .
87 I. Kant, Uber eine Entdeckung, nach der alle neue Kritik der reinen Vernunft durch eine
ältere entbehrlich gemacht werden soll, II, Akademie-Ausg. V I I I , Berlin 1912, 226sq.
88 K . Marx, Thesen über Feuerbach: K. Marx, F. Engels, Werke III, Berlin 1958, 5 - 7 .
89 J. Habermas, Erkenntnis und Interesse, Frankfurt a.M. 1968, 9.
90 J. Derrida, Grammatologie (dt.), Frankfurt a. M. 4 1 9 9 2 , 79sq. et passim.
91 Prol., 4, sol., ed. Colon. X l l a , 3, 56sq.
92 L.c., 3,55sq.
93 L.c., 3,59sq.
94 Prol., 1, 1 , 6 - 2 3 . Z u m Wissenschaftscharakter der Ethik cf. M. Dreyer, Ethik als Wissen-
schaft nach Albertus Magnus, in: Was ist Philosophie im Mittelalter? Akten des X . Interna-
tionalen Kongresses für mittelalterliche Philosophie der Societe Internationale pour l'Etude
de la Philosophie Medievale 25.— 30. August 1997 in Erfurt (Miscellanea Mediaevalia 26),
eds. J. A. Aertsen/A. Speer, B e r l i n - N e w York 1998, 1 0 1 7 - 1 0 2 3 .
95 Prol. 5, sol., 4, 19.
96 L. I, lect. 1, 5,31 sq.
97 L. I, lect. 8, n. 40, resp. 6, 3 9 , 8 0 - 8 7 .
98 L. I, lect. 7, n. 36, 3 4 , 2 6 - 3 1 .

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164 Walter Senner

werden, sie sei „finis operationisponens hominem in quodam divino statu"". Erfül-
lender ist die „contemplativa felicitas", die durch das geglückte „bonum commune"
erst möglich gemacht werden soll. Denn wirklich erfüllt sein kann der sich
durch „intellectus", d. h. nicht nur durch die Fähigkeit zu zweckrationalem
Denken, sondern durch das Verlangen nach universaler Einsicht von anderen
irdischen Lebewesen unterscheidende Mensch erst durch das Verstehen der
Letztbegründung. Die „contemplativa felicitas" vollendet sich darin — ja Albert
sagt um das zu unterstreichen sogar: „et quia intellectus est acceptio principiorum,
est simillima acceptio cognitioni deorum, qui simplici intellectu cognitionem de rebus habent
per ipsarum principia"wo.
Den Bereich philosophischer Untersuchung schränkt Albertus Magnus
aber, wie schon Georg Wieland bemerkt hat 101 , gerade in diesem Werk be-
sonders stark ein: „quod animae defunctorum remaneant post mortem, non potest de
philosophiam suffiäenter sciri. Et supposito quod remaneant, de statu earum et qualiter
se habeant ad ea quae circa nos fiunt, omnino nihil sciri per philosophiam potest"102.
Das ist kein agnostisches Abgrenzen des Wißbaren, denn er fährt unmittelbar
fort: „sed haec cognoscuntur altiori lumine infuso non naturali, quod est habitus fidei.
Sed tarnen contra ea quae fide determinata sunt, nihil potest demonstratio esse, eo quod
fides non est contra rationem, quia nulla Veritas alii discordat, sed est supra rationem,
Ps[almus]: ,Mirabilis facta est scientia tua' (Ps. 138,6) Et ideo indiget luminefidei"xm.
Der Glaube wird also für Albert nicht durch Philosophie ersetzt, erst recht
gibt es für ihn keine .doppelte Wahrheit' 104 , sondern bei voller Respektierung
der natürlichen Vernunft eine klare Uberordnung der Offenbarung.

2.3 Die Kommentierung des Corpus Dionjsiacum

Wie wir gesehen haben, kennzeichnet auch ein anderes, noch größeres
Projekt die Gründungsphase des Kölner Studium generale: die Kommentie-
rung des Corpus Dionjsiacum. Auch die bewußt philosophisch angelegte erste
Ethik-Vorlesung enthält Verweise darauf, die die Annahme ausschließen, es
handle sich um ein bloß zeitlich paralleles aber inhaltlich unverbundenes Vor-
haben: „intellectus secundum dicta beati Dionysii elevatur ad videndum deum per theo-

99 L. X, lect. 12, n. 905, resp., Xllb, 758,30sq.


100 L. VI, lect. 4, n. 487, sol.[2], Xllb, 4 1 7 , 6 5 - 6 8 .
1 0 1 Ethica — scientia practica. Die Anfänge der philosophischen Ethik im 13. Jahrhundert

(BGPhThMA N. F. 21), Münster i. W. 1981, 204.


1 0 2 L. I, lect. 13, n. 80, sol., Xlla, 7 1 , 7 3 - 7 8 .

1 0 3 L. c., 7 1 , 7 8 - 8 4 .

104 ρ y a n Steenberghen, Une legende tenace: la theorie de la double verite, in: Ders., Introduc-
tion ä l'etude de la philosophie medievale (Philosophes medievaux 18), Louvain [u. a.] 1974,
555-570.

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Albertus Magnus als Gründungsregens 165

phanias descendentes in ipsum"105. Noch deutlicher: „intellectus, secundum quod est


impetfectus, non est suffiäens ad contemplationem divinorum, sed secundum quodperfiätur
per habitum sapientiae, sie suffiäens est ad contemplationem philosophicam et, secundum
quod perficitur per theophanias descendentes a deo, sie perficitur ad divinam contemplatio-
nem"106. „Wovon man nicht im Rahmen der natürlichen Vernunft sprechen
kann, davon muß man schweigen" — so möchte ich Wittgenstein paraphra-
sieren — „Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das
Mystische", schickt der Meister analytischer Philosophie voraus 107 . O b sich
überhaupt etwas zeigen kann, so werden wir mit Albert sagen, das ist freilich
eine Glaubensfrage und philosophischen Überlegungen nur indirekt zugäng-
lich.
Nur dem in der Reihenfolge der Kommentierung ersten Werk, „De caelesti
hierarchia", stellt Albertus Magnus einen Prolog voran — und auch nur einen
kurzen, der ganz im Stil der allegorischen Auslegung gehalten ist: locum,
unde oriuntur flumina, revertuntur, ut iterum fluant" (Eccl. 1,7 b) 1 0 8 . Dieser Vers
aus dem biblischen Buch Kohelet wird auf den symbolischen O r t Gottes
gedeutet, der Prinzip sowohl des Ursprungs als auch der Bewegung ist 109 .
Die Flüsse sind die natürlichen Dinge, die Gnadengaben und die Freuden 1 1 0 ,
die aus der Gutheit Gottes hervorgehen 1 1 1 und die Gott in das Meer der
unermeßlichen göttlichen Weisheit und Gutheit eingehen läßt, das dennoch
nicht überfließt 112 . Unvermittelt wird diese Wasser- durch eine Lichtmeta-
phorik abgelöst, mit der der Glaubensweg umschrieben wird: „Hoc autem est
totum, quod est in hierarchia, sälicet illuminationis reeeptio, illuminanti in deum ascensio
et ascendentis in deum respectus, ut iterum in deum ascendat"n3. Es dürfte bereits
deutlich sein, daß es sich hier um einen eindeutig theologischen Kontext
handelt, in den Albertus Magnus seinen Kommentar zu „De caelesti hierar-
chia" und sein ganzes Corpus Dionysiacum stellt. Im Vergleich zu den metho-
dologischen Quaestionen, die den Sentenzenkommentar einleiten, treten hier
aristotelisch-wissenschaftstheoretische Fragestellungen gegenüber der theolo-
gischen Explikation einer spekulativ-neoplatonisch konzipierten Symbolik
christlicher Traditionsgehalte und mystischer Sprechweisen von ihnen zurück.
Auch wenn die Anlage des Corpus Dionysiacum für das Eruieren eines einge-
henderen Konzepts von Philosophie bei Albertus Magnus wenig geeignet ist,
so findet sich in seinem letzten Teil doch ein Text, der stärker als andere

105
L. X, lect. 11, n. 894, ad 2, 749,41 sq.
106
L. c., n. 896, ad 1, 752,15-21.
107
Tractatus logico-philosophicus, 6.522, Ausg. Frankfurt a. M. 1963 (edition Suhrkamp 12),
115.
108
Ed. Colon. 36,1 (1993), 1,1 sq.
109
L. c., l,29sq.
110
L. c., 1,37-39.
111
L. c., 2,1 sq.
112
L. c., 2,12-15.
113
L. c., 2,24-27.

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166 Walter Senner

Anlaß zur Reflexion über Philosopie in ihrem Verhältnis zu Theologie gibt:


Der siebte ,Brief des Pseudo-Dionysius, an den (fiktiven) Hierarchen Poly-
karp, hat den Dialog mit solchen — um nicht zu sagen: die Polemik gegen
solche — zum Inhalt, die meinen, die natürliche Vernunft genüge zur Er-
kenntnis der göttlichen Wahrheit 114 . Albert stimmt seiner Vorlage darin zu,
daß es wichtiger ist, die Wahrheit zu erkennen als die verschiedenen Irrtümer
zu bekämpfen 115 . Zur Untermauerung zieht er ein nicht gerade wörtliches
Aristoteles-Zitat heran: „hoc fuit causa errorum philosophorum, quod non studebant
ad inveniendum veritatem, sed ad contradicendum aliis, et hoc sibi sufficere putabant, si
deducebant quaestionem ad hoc quod non posset eis resisti"116. Daß das auch zu
seiner Zeit eine Versuchung sein konnte — insbesondere im scholastischen
Studienbetrieb — bleibt (aus eigener Erfahrung, so dürfen wir vermuten)
nicht unvermerkt 117 . Für Wissenschaft allgemein gilt, wiederum unter Beru-
fung auf Aristoteles, eine Verallgemeinerbarkeit durch die, auf die Vernunft-
prinzipien gegründete, logisch zwingende Kraft ihrer Beweise, der sich nie-
mand entziehen kann 118 . Für die — hier als Bibelauslegung gefaßte — Theo-
logie gilt jedoch, daß ihre Wahrheit über den Prinzipien der Vernunft steht
und nur durch göttliche Erleuchtung erkannt werden kann (manifestatur quo-
dam simplici lumine divino)^9. Konsequenterweise wird der Metaphysik, nicht
der Theologie, Ordnungs- und Beweiskompetenz für die anderen Wissen-
schaften eingeräumt 120 . Philosophische Beweisgründe (rationes philosophical)
sind für die Theologie selbst nicht die ausschlaggebenden, wohl aber sind sie
nützlich, vor allem für die Diskussion mit den Philosophen, um ihnen mit
ihren eigenen Mitteln aufzuzeigen, daß die Ubervernünftigkeit des Glaubens
keine Widervernünftigkeit ist {ad assertionem fidei rationibuspropriis ipsorum)X2X.

114 Alberts Magnus, Ep. 7, ed. Colon., 37,2 (1978), 5 0 1 - 5 1 3 , hier 501,68sq. (der von Albert
benutzte Pseudo-Dionysius-Text).
115 Op. cit., 502,29sq.
116 Op. cit., 5 0 2 , 3 8 - 4 1 . Cf. Aristoteles, De caelo et mundo, 11,9: 291 a 7 - 2 8 .
117 „Et ideo etiam nunc videtur de quibusdam quorum tota intentio et, ut contradicant dictis aliorum, quicquid
sit itlud, quod ad veritatem, quam non quaerunt, numquid attingant, sed detineantur in quibusdam apparen-
tibus". Op. cit., 502,41 - 4 6 .
118 Op. cit., Dubitatio, sol., 5 0 2 , 7 7 - 8 3 . Cf. Aristoteles, Metaphysica, V,5, 1015b 6 - 1 5 .
119 L.c., 502,83 — 503,1. Ein deutlicher Rückschritt gegenüber dem im Sentenzenkommentar
erreichten Reflexionsstand; cf. W Senner, Zur Wissenschaftstheorie der Theologie im Sen-
tenzenkommentar Alberts des Großen, in: Albertus Magnus Doctor universalis 1280/1980
(Walberberger Studien, Phil. R. 6), eds. G. Meyer/A. Zimmermann, Mainz 1980, 323 — 343.
Wir müssen freilich bedenken, daß der — für Albert mit der Autorität des Apostelschülers
Dionysius Areopagita ausgestattete — zu kommentierende Text ihn zu dieser Aussage gera-
dezu nötigt.
120 „Theologia ... non est principalis universalitate subiecti, sub quo ordinentur subiecta aliarum scientiarum
sicut sub universali; et ideo non est suum probare principia aliarum saentiarum, sed metaphysice, sed aliae
famulantur ei, inquantum utitur eis ad suum obsequium". L. c., ad 4, 503,33 — 39. Das Konzept der
ancilla theologiae ist hier unschwer auszumachen, es ist aber nicht auf die Metaphysica bezogen
— im übrigen die Ausdrucksweise des Redaktors Thomas von Aquin, während Albert selbst
prima philosophia vorzieht — sondern auf aliae scientiae.
121 Op cit., 5 0 4 , 1 1 - 2 6 .

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Albertus Magnus als Gründungsregens 167

Auch wenn die Philosophen keinen unmittelbaren Zugang {simpliäter) zum


Glaubensgut haben, so kann doch das Staunen zu einer Ahnung des Göttli-
chen führen 122 . Die so gewonnene philosophische Erkenntnis, etwa daß in
Gott die höchste Einfachheit ist und daß er sein Handeln ist, ist (von den
Theologen) nicht zu bekämpfen, sondern zu bewundern 123 . Hier wird der
Philosophie also doch, wenn auch sehr vorsichtig, ein konstruktiver Wert für
systematische Theologie zugesprochen.
Was hier anhand eines Textes aufzuzeigen versucht wird, hat kürzlich Ma-
ria Burger für Alberts Kommentare zu den beiden Hierarchien untersucht 124 .
Ihr Ergebnis ist: „Die Theologie, wie sie in der Wissenschaft von den Hierar-
chien überliefert ist, hat ihre eigenen Themen, die sich nicht notwendig aus
philosophischen Prinzipien ableiten lassen, sondern einer Vermittlung durch
Offenbarung bedürfen. Die Philosophie wird folgerichtig in ihre Schranken
gewiesen, ohne dabei ausdrücklich in die andlla-Funktion zu geraten. —
Gleichzeitig fragt Albert jedoch, ausgehend vom aristotelischen Wissen-
schaftsverständnis, nach Einheit, Subjekt und Methode der Theologie als
Wissenschaft; er verwendet in den Quaestionen und Argumentationen das
syllogistische Beweisverfahren; er greift auf philosophische Axiome zurück,
sofern sie der theologischen Aussage nicht widersprechen" 125 . Wenn sie da-
bei von einer „gewissen Brüchigkeit" 126 spricht, so ist damit nicht gemeint,
Albertus Magnus lasse philosophische Standards von Argumentation einfach
beiseite, wo sie die Harmonie eines theologischen Gedankens stören könn-
ten, sondern daß „Prämissen und Argumentationsformen aus Offenbarungs-
Autorität" den der Philosophie zugewiesenen Bereich der natürlichen Ver-
nunft übersteigen, wie auch das „Letztziel des Menschen", seine volle Ge-
meinschaft mit Gott. Zu fragen bleibt hier allerdings, ob es nicht nur das
unserer endlichen Erkenntnis nur unvollkommen zugängliche Verhältnis von
Vernunft und Offenbarung ist, das die konstatierte ,Brüchigkeit' verursacht,
sondern auch die Albertus Magnus aus seiner philosophischen Lektüre nicht
bewußt gewordene Differenz zwischen einer aristotelischen Auffassung von
Rationalität und neoplatonischer Spekulation 127 . Die apodiktische Sprech-
weise — im Unterschied zu der Offenheit, die der doctor universalis zumeist in
seinen anderen Schriften zeigt —, ist dabei weniger eine Eigenheit von Theo-
logie als eine Folge des Anspruchs auf geistliche Meisterschaft, den der sich

122 „Per admirationem, dumprobatur aliquid in cuius comprehensionem ratio nonpotest". L.c., 504,28 — 30.
123 L.c., 505,34-40.
124 M. Burger, Das Verhältnis von Philosophie und Theologie in den Dionysius-Kommentaren
Albertus des Großen, in: Was ist Philosophie im Mittelalter? (Miscellanea Mediaevalia 26)
eds. J. A. Aertsen/A. Speer (cf. Anm. 94), 5 7 9 - 5 8 6 .
125 Op. cit., 585.
>2ή L. c.
127 Das Schlüsselwerk hierzu ist Alberts „De causis et processu universitatis a prima causa", ed.
Colon. 27,2 (1993), in dem Albert den auf Proklos zurückgehenden „Liber de causis" für
den krönenden Abschluß der prima philosophia des Aristoteles hält (60, 1 —5).

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168 Walter Senner

hinter dem autoritätsheischenden Pseudonym verbergende Verfasser des Cor-


pus Dionysiacum erhebt und der auch in der Kommentierung durchscheint.
Auf den Areopagiten und seine Proklos-Rezeption geht die „negative
Theologie" zurück, die Albert zur Grundlage einer rationalen Theorie der
Mystik nahm. Nicht nur seine Erschließung der aristotelischen Philosophie
hat für die Folgezeit prägende Kraft entfaltet: in der rheinischen Mystik,
besonders durch die sogenannte „Kölner Dominikanerschule" und Meister
Eckhart, wurde dieses Programm aufgenommen und weitergeführt.

3. E i n e p h i l o s o p h i s c h q u a l i f i z i e r t e T h e o l o g i e
und eine a u t o n o m e P h i l o s o p h i e

Für die ersten Autoren der Dominikanerschule, wie Roland von Cremona,
war Philosophie noch eine bloße ancilla theologiae, die bei Bedarf herangezogen
wurde, aber keine eigenen Forderungen an die Herrin, die Schrift- und Got-
tesgelehrsamkeit zu stellen hatte 128 . Albertus Magnus führte als erster in sei-
nem in Paris entstandenen und wahrscheinlich — das vierte Buch — erst in
Köln fertig redigierten Sentenzenkommentar die methodischen Erfordernisse
der aristotelischen Wissenschaftstheorie in die Theologie ein 129 . Daß er die
Theologie dabei als säentia affectiva charakterisiert, bedeutet keineswegs, diese
hehren methodischen Prinzipien würden unter der Hand gleich wieder aufge-
geben: Säentia affectiva bedeutet nicht einen Primat des Wollens vor dem Er-
kennen, sondern das Ubersteigen der Trennung von säentia theoretica und säen-
tia practica hin zu einem ganzheitlichen, nicht anderen Zwecken untergeordne-
ten, sondern auf das durch Gott geschenkte, den Menschen umfassend bese-
ligende Heil hin ausgerichteten Wissen 130 . Auch wenn bei ihm ein
Universalitätsanspruch von Philosophie seine Grenzen im Bereich geoffen-
barter Wahrheit findet, erklärt der Doctor universalis die Autonomie der Philo-
sophie, hingeordnet auf die prima philosophia, die Metaphysik, im Bereich der
natürlichen Erkenntnis 131 . Trotz der Widerstände — auch in seinem eigenen
Orden — hörte er nicht auf zu philosophieren, philosophisch zu schreiben

128 Cf. supra 1.2.


129 W. Senner, Zur Wissenschaftstheorie ... (Anm. 118). Daß dieser Standard von Albert durch-
gängig eingehalten wurde, ist exemplarisch aufgewiesen in: W Senner, Zur Definition der
Wahrheit bei Albertus Magnus, in: Wahrheit. Recherchen zwischen Hochscholastik und Post-
moderne, ed. T. Eggensperger et al. (Walberberger Studien, Phil. R. 9), Mainz 1995, 1 1 - 4 8 .
130 Op. cit., 3 3 3 - 3 4 0 .
131 B. Thomassen, Metaphysik als Lebensform. Untersuchungen zur Grundlegung der Metaphy-
sik (BGPhTh MA N. F. 27), Münster 1985. Thomassen, op. cit., 68, sieht darin eine .Vermi-
schung' von Theologie und Philosophie, wenn die - auch philosophisch - nicht als Besitz
des Menschen aus eigenem Vermögen anzusehende sapientia aus theologischer Perspektive
als Gnade bezeichnet wird. Ich vermag ihm wohl in der Forderung nach einer jeweils deutli-
chen Markierung des Aussagerahmens zu folgen, nicht aber in der Ablehnung theologischer
Aussagen über Philosophisches - und umgekehrt.

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Albertus Magnus als Gründungsregens 169

und zu lehren — und das neben seinem theologischen Werk, methodisch und
thematisch eigenständig — aber nicht unverbunden 132 : er sondert gerade
nicht eine Wissenschaft der opera reparationis als Sacra scriptum oder theologia ab,
wobei die opera conditionis den weltlichen Wissenschaften überlassen wären 133 .
Für ihn ist auch die ganze Schöpfung Thema der Theologie, und zwar in
ihrer Heilsbedeutsamkeit.
Albertus Magnus: Philosoph oder Theologe ist eine falsche Alternative.
Zur Theologie ist Philosophie nötig — nicht um den verborgenen Gott ans
Licht der Vernunft zu ziehen, sondern um das Staunen über das Wunderbare
der Schöpfung und Erlösung zu vertiefen und um — gerade angesichts dieses
Wunderbaren, das die natürliche Vernunft übersteigt, sie jedoch nicht außer
Kraft setzt, sondern überhaupt erst begründet — von Gott sprechen zu kön-
nen. Umgekehrt ist für die Philosophie Theologie nötig als Kernstück und
Ziel der prima philosophia — nicht aber als jener Versuch, über Gott zu spre-
chen, der durch die Heilige Schrift begründet und ermutigt ist. Wohl aber
braucht auch der philosophierende Mensch das Licht des Glaubens. Das ist
jedoch eine Glaubens frage, die uns Albertus Magnus von philosophischen
Fragen zu unterscheiden lehrt; seine persönliche Antwort ist dadurch nicht
weniger deutlich.

132 E. H. Weber, La relation de la philosophie et de la theologie selon Albert le Grand, in:


Archives de Philosophie 43 (1980), 5 5 9 - 5 8 8 .
133 W. Senner, Zur Wissenschaftstheorie ... (Anm. 118), 330sq.

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The Discovery and Use of Aristotle's „De Motu
Animalium" by Albert the Great1
PIETER DE L E E M A N S (Leuven)

„De modo ergo huius motus, licet iam in libra De Motibus Ani-
malium hoc quod sensimus, tradiderimus, tarnen quia postea in
Campania iuxta Graeciam nobis agentibus pervenit ad manus
nostras libellus Aristotelis de motibus animalium, etiam hie ea quae
tradidit, interponere curavimus, ut sciatur, si in aliquo ea quae ex
ingenio proprio diximus, deviant a Peripateticorum principis subtili-
tate"2.

Introduction

Vanished texts, especially those by famous authors, appeal to the imagina-


tion. The rediscovery of such texts does so even more. In literature this has
even led to the so-called „topos of the rediscovered manuscript", a well-
known example of which is found in Umberto Eco's „The Name of the
Rose".
In this article I too will tell such a story, about a text of Aristode which
had disappeared for centuries and then was rediscovered in the form of a
Latin translation, that is the „De Motu Animalium". I shall first provide
some information about this text and about its reception, particularly by
Albert the Great. Then, starting from a remark in the introduction to Albert's
paraphrase of this text, I shall go on to examine the conjectures of previous
modern scholars as to where and when Albert found this translation, before
offering my own hypotheses regarding these questions.

1. T h e d i s a p p e a r a n c e and r e d i s c o v e r y of A r i s t o t l e ' s
„De Motu A n i m a l i u m "

Within the framework of Aristotle's natural science the rather short trea-
tises „De Motu Animalium" and „De Progressu Animalium" both deal with
1 This research was carried out within the framework of the „Research Fund K. U. Leuven".
The author gratefully acknowledges a.o. Jozef Brams and Fernand Bossier of the Katholieke
Universiteit Leuven for their helpful criticism during the preparation of this article, as well
as David E. Cohen for his kind assistance in revising the English.
2 Albertus Magnus, Liber de principiis motus processivi, ed. B. Geyer, Köln 1955 (Alberti
Magni Opera Omnia XII, 2) (= Geyer, ed. Köln 1955).

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Aristotle's „De Motu Animaüum" by Albert the Great 171

locomotion. Whereas the „De Progressu Animalium" deals with the organs
necessary for movement and therefore is more a biological treatise stricto
sensu, the „De Motu" is concerned with the general principles of locomotion,
with „motus localis in se et absolute". The „De Progressu" thus deals with the
matter, the „De Motu" with the form 3 . An indication of the philosophical
relevance of the „De Motu" may be seen in the fact that Martha Nussbaum
wrote her doctoral dissertation about it, providing also the best critical edi-
tion4.
Not all of Aristotle's writings were studied with equal intensity. In antiquity
his biological works, and by consequence also the „De Motu" did not receive
much attention. Indeed, the only writer known to have studied them is Nico-
laus Damascenus. This philosopher, active in the reign of Augustus, included
compendia of the zoological works and of the „De Plantis" in his summary
of Aristotle's philosophy 5 . Thus it is not very surprising that the integral text
of „De Motu" seems to have passed into oblivion after antiquity. The Arabic
philosophers knew the text only through the aforementioned abbreviation
by Nicolaus Damascenus, as Averroes testifies in his commentary on the
„De Anima" 1.3. comm. 54: ,ßt ipse locutus fuit in hoc tractatu quem fedt de motu
animalium: sed iste tractatus non venit ad nos, sed quod transferebatur ad nos, fuit
modicum de abbrevatione Nicolai". This abbreviation has been lost too, but re-
cently Mauro Zonta has traced a fragment of a Hebrew translation of it,
probably dealing with the „De Motu Animalium" 6 .
The western philosophers did not know the text either. After Michael Scot
had finished his translation of the „De Animalibus" (i. e. HA, PA and GA)
about 1220, they were acquainted with the rest of the Stagirite's natural sci-
ence. The „De Motu", however, remained lost 7 . Moreover, since no refer-
ences to the „De Motu" and only a few to the „De Progressu" occur in

3 As Petrus de Alvernia (+ 1304) says in his commentary on the „De Motu": „Sed consideratio
de motu locali duplex potest esse. Potest enim motus consideran in se et absolute, alio modo quantum ad
Organa et partes, mediantibus quibus exercetur. Aliter potest did quod motus potest considerari ratione
jormae νel ratione matenae". fText as found in: S. Thomae Aquinatis commentaria quae extant
in eos qui Parva Naturalia dicuntur libros (...), Venetiis apud Iuntas 1551, fol. 46r. No
modern edition of this text exists). The commentary by Petrus was probably the most
influential one written in the Middle Ages and it remained a standard work in the Renais-
sance.
4 M. Craven Nussbaum, Aristotle's De Motu Animalium, Princeton 1978.
5 Cf. Η. B. Gottschalk, The earliest Aristotelian commentators, in: R. Sorabji (ed.), Aristode
transformed. The ancient commentators and their influence, New York 1990, 68.
6 M. Zonta, The zoological writings in the Hebrew tradition. The Hebrew approach to Aris-
tode's zoological writings and to their Ancient and Medieval Commentators in the Middle
Ages, in: Proceedings of the colloquium on Aristotle's Animals in the Middle Ages and
Renaissance (Leuven, 15 — 17 may 1997), in press.
7 Cf. C. Burnett, The introduction of Aristotle's natural philosophy into Great Britain: a pre-
liminary survey of the manuscript evidence, in: J. Marenbon (ed.), Aristode in Britain during
the Middle Ages (Rencontres de Philosophie Midievale 5), Turnhout 1996, 34.

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172 Pieter de Leemans

other Aristotelian treatises, it was impossible to form a clear idea about the
content of it by collecting such references8.
Albert the Great did try to reconstruct the text. Within the framework of
his „Parva Naturalia", he wrote a work on the motion of animals, which he
called the „De Motibus Animalium". The work is divided into two books,
each of them subdivided into two treatises, and discusses at length all aspects
of the motion of animals9.
Albert however was always looking for new texts „per diversas mundi
regiertes"10. During one of these journeys he found a graeco-latin transla-
tion of the „De Motu Animalium" and wrote a paraphrase of it, entided
„De Principiis Motus Processivi"11. In the introduction to this paraphrase
he recounts his discovery as follows: „De modo ergo huius motus, licet iam in
libro De Motibus Animalium hoc quod sensimus, tradiderimus, tamen quia postea
in Campania iuxta Graedam nobis agentibus pervenit ad manus nostras libellus
Aristotelis de motibus animalium, etiam hie ea quae tradidit, interponere curavimus,
ut sciatur, si in aliquo ea quae ex ingenio proprio diximus, deviant a Peripateticorum
principis subtilitate"12.
In this passage Albert clearly indicates the difference between his former
work and the present one. The „De Motibus Animalium" is based on the
author's own knowledge, it is written „ex ingenio proprio", whereas the „De
Principiis" is based on Aristode's genuine text. By writing a paraphrase of
the „De Motu" Albert enables his readers to compare his own thoughts,

8 Cf. Aristote, Marche des animaux. Mouvements des animaux. Index des traites biolo-
giques, texte etabli et traduit par P. Louis (Collection des Universites de France), Paris
1973, Xlsq.
9 Cf. Albertus Magnus, De Motibus Animalium, ed. A. Borgnet, Paris 1890 (B. Alberti
Magni ... Opera Omnia IX), 257 — 300: Lib. I tr. 1: „De eo unde anirna habet movere hum
malum", tr. 2: „De primo organo motus". Lib. II tr. 1: „De ipsis motibus et proprietatibus
ipsorum", tr. 2: „De dispositiom eorum quae moventur motu processivo". The text was never
thoroughly studied. S. D. Wingate, The mediaeval Latin versions of the Aristotelian
scientific corpus with special reference to the biological works, London 1931, 91,
considered the work falsely as a commentary on the „De Progressu Animalium".
According to the „Index Textorum Commentatorum", found in R. Schönberger / Β. Ki-
ble, Repertorium edierter Texte des Mittelalters aus dem Bereich der Philosophie und
angren2ender Gebiete, Berlin 1994, 881-882, the „De Motibus Animalium" is a com-
mentary on the „De Motu Animalium" and the „De Principiis Motus Processivi" on
the „De Progressu Animalium" (in the index s. v. „De incessu animalium", which is the
renaissance tide).
10 Cf. Albertus Magnus, Mineralium libri V, ed. A. Borgnet, Paris 1890 (Alberti Magni Opera
Omnia V), 59.
11 Modern editions of the „De Principiis Motus Processivi": 1) Albertus Magnus, De Motibus
Progressivis, ed. A. Borgnet, Paris 1891 (Alberti Magni Opera Omnia X), 321-358; 2) Al-
berti Magni liber de principiis motus processivi ad fidem Coloniensis archetypi. Programm
des Königl. Maximilians-Gymnasiums für das Schuljahr 1908/09, ed. H. Stadler, München
1909; 3) Albertus Magnus, Liber de principiis motus processivi, ed. B. Geyer, Köln 1955
(Alberti Magni Opera Omnia XII, 2).
12 Geyer, ed. Köln 1955, 48.

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Aristotle's „De Motu Animalium" by Albert the Great 173

found in the „De Motibus Animalium", with the sophistication of the Stagi-
rite's, and to see potential divergences.
Albert follows his usual working method in presenting Aristotle's text. He
does not give lemmata of the text and then comment on them. (Thomas
Aquinas seems to have been the first to produce ,real' commentaries of this
sort, in which Aristotle's text is presented lemma by lemma, even word for
word, in strict conformity with the sequence of the Stagirite's argument 13 .)
On the contrary, Albert composes paraphrases, into which the Aristotelian
text, mutatis mutandis, is tightly interwoven 14 .
The translation of the „De Motu Animalium" that is incorporated in this
way into Albert's „De Principiis", is not the one made by the famous flemish
translator William of Moerbeke (Guillelmus de Morbeka, ca. 1215 — 1286).
Hence a new problem arises, for no manuscript of the adopted translation
seems to have survived. More than one hundred and seventy manuscripts of
the „De Motu" are mentioned in the catalogue of the „Aristoteles Latinus" 15 ,
but all contain the Dominican's Greco-Latin translation.
The working method of Albert, that is writing paraphrases, on the one
hand, and our familiarity with the Moerbeke translation, on the other hand,
are responsible for the fact that some scholars have failed to see that Albert
did not use the Moerbeke translation 16 . Bernhard Geyer was the first scholar
to adduce convincing evidence for this thesis. In the introduction of his
edition of the „De Principiis Motus Processivi", published in 1955, he com-
pared some fragments of the two translations and clearly showed the differ-
ences between them 17 . More than a century before Geyer, Charles Jourdain

13 I agree with Carlos Steel on the tradition by which Thomas is said to have developped this
new way of commenting: C. Steel, „Moerbeke et Saint-Thomas", in: J. Brams / W. Vanhamel
(eds.), Guillaume de Moerbeke. Recueil d'etudes ä l'occasion du 700e anniversaire de sa
mort (1286), Leuven 1989 (Ancient and Medieval Philosophy De Wulf-Mansion Centre
Series I, VII).
14 See: P. Hossfeld, Die Arbeitsweise des Albertus Magnus in seinen naturphilosophischen
Schriften, in: G. Meyer / A. Zimmermann (eds.), Albertus Magnus Doctor Universalis 1280/
1980 (Walbeberger Studien. Philosophische Reihe Band 6), Mainz 1980, 197sqq.; id., Alber-
tus Magnus als Naturphilosoph und Naturwissenschaftler, Bonn 1983, 7sqq.
15 G. Lacombe / A. Birkenmajer / M. Dulong / A. Francescini, Aristoteles Latinus. Pars prior,
Roma 1939; idd., Aristoteles Latinus. Pars posterior, Cambridge 1955; L. Minio-Paluello,
Aristoteles Latinus Codices. Supplementa Altera, Brugge-Paris 1961.
16 E.g. Wingate, op. cit. (nt. 9), 82: „It was almost certainly the translation of William of
Moerbeke of the De Motu Animalium which Albertus utilized"; 89: „... it would have to
be shown that Albertus used the version of William of Moerbeke for the other books <viz
of Albert's ,De Animalibus'). This has not been established except for the De Motu Ani-
malium, a work which did not exist in the translation from the Arabic".
17 Cf. Geyer, ed. Köln 1955, X X I V - X X V I . Compare, e.g., the translation of a citation of
Homer: (Moerbeke) „Sed non utique amovebunt e celo in terram Iovem suppremum omnium neque
si valde multum laborent apprehendere omnes dii omnesque dee"; (Albert) „Sed non retrahetis a celo
ad terram Iovem, magistrum omnium, neque si multum fatigabimini, omnes autem trahentes et dii et
dee".

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174 Pieter de Leemans

had already been in doubt as to Albert's use of the Moerbeke translation 18 .


Nonetheless some recent studies about the medieval corpus Aristotelicum still
mention only one translation of the „De Motu" 19 .

2. W h e r e did A l b e r t f i n d the t r a n s l a t i o n ?

The answer to this question seems obvious. In the aforementioned passage


of his introduction to the „De Principiis" Albert says that „in Campania iuxta
Graedam nobis agentibus pervenit ad manus nostras libellus Anstotelis de motibus ani-
malium". The meaning however of the words „in Campania iuxta Graedam" is
not, in fact, obvious. According to the common opinion „Campania" signifies
the Italian region Campania. This region however is not situated „iuxta Grae-
dam", „near Greece", nor does it border on the Adriatic Sea. This observa-
tion has inspired some scholars to attempt to reconcile the two toponyms or
to look for other explanations.
Bernhard Geyer does not believe that one must reject the meaning
Campania in Italy, since Albert knew only one „Campania". To prove this
thesis he refers to the „De Natura Loci" in which, indeed, only the
Italian Campania is mentioned 20 . In his opinion Albert added „iuxta
Graedam" in order to explain how a Greco-Latin translation could be
found in that region of Italy 21 .
In this way Geyer refutes the thesis of J. A. Endres. In his article „War
Albertus Magnus in Griechenland?" Endres states that it is not Campania in
Italy, but Campania in Greece that is meant 22 . In his opinion Campania is
the equivalent for Epirus, as it was for the grammarian Servius (4th century
A. D.). He supposes that this equivalent was still used in the thirteenth cen-

18 A. Jourdain / C. Jourdain, Recherches critiques Sur l'äge et l'origine des traductions latines
d'Aristote et Sur des commentaires grecs ou arabes employes par les docteurs scolastiques,
Paris 2 1843, 322: „La traduction dont Albert s'est servi etait evidemment faite du grec, mais
je ne saurais affirmer si cette traduction est la meme que celle dont j'ai offert un specimen
<i. e. the translation by Moerbeke)".
19 E. g. B. G. Dod, Aristoteles Latinus, in: N. Kretzman / A. Kenny / J. Pinborg (eds.), The
Cambridge History of Later Medieval Philosophy from the rediscovery of Aristode to the
disintegration of Scholasticism 1 1 0 0 - 1 6 0 0 , Cambridge 1982, 77 and 63 where is said that
„William was the first to translate into Latin the De Motu Animalium ...".
20 Albertus Magnus, De Natura Loci, ed. P. Hossfeld, Köln 1980 (Alberti Magni Opera Omnia
V, Pars II), 33 (= Hossfeld, ed. Köln 1980).
21 Geyer, ed. Köln 1955, XXIV: „Cum Albertus solam Campaniam in Italia sitam cognoverit,
videtur haec verba ,iuxta Graeciam' addidisse, ut eluceret, quomodo ibi translatio ex Graeco facta
potuisset invemri".
22 J. A. Endres, War Albertus Magnus in Griechenland?, in: Historisch-politische Blätter für
das katholische Deutschland 166 (1920), 645 — 651. He was supported by Garreau and Man-
donnet: A. Garreau, Saint Albert le Grand. Preface du R. P. Mandonnet O. P., Paris 1932,
114.

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Aristotle's „De Motu Animalium" by Albert the Great 175

tury 23 . In fact, at that time the name Campania, also called Kastrion, was
indeed still in use, though not as an equivalent for Epirus but as the name
of a By2antine episcopate, dependant on Thessaloniki 24 . The name occurs
in Byzantine episcopal lists from the tenth century onwards. Thessaloniki
itself was seized by Theodoros Angelos, the Byzantine despot of Epirus in
1224 A. D.25 The translation ,Kastrion near Greece' seems therefore theore-
tically not unlikely.
I do not believe that one can use Geyer's argument — that Albert knew
only one Campania — to reject Endres's theory. The third treatise („tractates")
of the „De Natura Loci", in which the name „Campania" occurs, is mainly
based on the „Cosmographia" of Pseudo-Aethicus (fifth century A. D.). Al-
bert's own contribution in this part is limited to 65 additions of various
length. The passage in which Campania is mentioned has its origins com-
pletely in the aforementioned „Cosmographia"26. Thus this text does not
necessarily reflect Albert's own geographical knowledge. Moreover the „De
Natura Loci" is assumed to have been written in 1251 —1254, a period during
which Albert was teaching in Cologne27. Albert would therefore have subse-
quently had the opportunity to get to know other places called „Campania".
According to Endres the journey to Greece took place in 1256 — 1257. More-
over, I believe Albert would likely have known more than one .Campania'
even before the completion of the „De Natura Loci". For ,Campania' is also
the proper Latin translation for the French region Champagne.
It is worth recalling, however, that Endres's hypothesis that Albert travelled
in Greece rests on nothing more than the words „iuxta Graeciam", which
modify only the place-name „Campania". Against this hypothesis the lack of
any other documentary evidence must therefore weigh heavily. Why, for in-
stance, would Albert—who seems to have made a point of having a good
reason for all that he did —have undertaken such a journey? The words „nobis
agentibus" may suggest a professional activity, and one might assume on this
basis that Albert was sent to Greece by the pope or by the general of his

23 Endres, op. cit. (nt. 22), 649: „... eine Landschaft die dereinst Kampanien hieß, nämlich
Epirus ... Der Name Campania für Epirus muß nun offenbar noch im 13. Jahrhundert in
Gebrauch gewesen sein".
24 A. Baudrillart / A. De Meyer / E. Van Cauwenbergh (eds.), Dictionnaire d'Histoire et de
Geographie Ecclesiastiques XI, Paris 1949, 628, s. v. „Campania": „... Le nom de Campania
n'est pas celui d'une ville, mais d'une region, la plaine qui s'etend au sud-ouest de Thessalo-
nique. L'eveche est menüonne dans les listes episcopales byzantines depuis le Xe siecle sous
Ie nom de Campania ou Castrion". A map can be found in: J. Martin, Atlas zur Kirchenge-
schichte. Die christlichen Kirchen in Geschichte und Gegenwart, Freiburg 1970, 30.
25 Cf. J. W. Barker, Thessaloniki, in: J. R. Strayer (ed.), Dictionary of the Middle Ages, vol. XII,
New York 1989, 2 6 - 2 7 .
26 Cf. Hossfeld, ed. Köln 1980, VII and 33.
27 Cf. Hossfeld, ed. Köln 1980, V; J. A. Weisheipl, Albert's Works on Natural Sciences {Jibri
naturales") in Probable Chronological Order, in: J. A. Weisheipl, Albertus Magnus and the
Sciences. Commemorative Essays 1980, Toronto 1980, 566 — 567.

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176 Pieter de Leemans

order; this assumption, however, is not supported by any hard evidence. Why
would they have sent Albert, who knew no Greek, to look for unknown
manuscripts, as Garreau suggests? 28 A mission to Dominican convents, as
could be postulated, is also unlikely, for in the region of Thessaloniki no
convents of this order were found 29 .

If one assumes, as I do, that Albert did not travel in Greece, which ,Cam-
pania' is meant? I do not believe one must credit the meaning .Champagne',
as Heribert Scheeben seems to do 30 , because in that case the addition „iuxta
Graedam" cannot be explained at all.
It seems probable that after all a region in Italy is meant. But a look in the
„Orbis Latinus" suffices to show that three translations can be considered:
1) C a m p a n i a (regio): La C a m p a g n a , Landsch. zw. C a s t e n e d o l o u. G h e d i , Pr. Brescia
(Lombardia), Italien; 2) C a m p a n i a R o m a n a (regio), C a m p a n i a , Canpania, R o m a n i a :
die C a m p a g n a di R o m a , L a n d s c h . sdl. u n d östl. v o n R o m . Hst. ν. Italien; 3) C a m -
pania (regio), C a m p a n i a n a regio, C a m p a n i e n s i s regio, C a m p a n i a : C a m p a n i a ( K a m -
panien), L a n d s c h . u. Region in Italien, u m f a s s t die Pr. A v e l l i n o , B e n e v e n t o , Caserta,
N a p o l i u. S a l e r n o 3 1 .

I do not think that one must credit the first meaning. Albert could indeed
have travelled through this region, when he went to the papal court both in
1256—1257 and in 1261 —1263 (see infra). However, the addition „iuxta Grae-
dam" remains obscure. With regard to the second meaning, one would sup-
pose that Albert would have written ,iuxta Romam' or ,Campania Romana'
instead of „iuxta Graedam".
I am inclined to accept the third meaning, which is the most traditional
one and is found in the „De Natura Loci". Anagni, Viterbo and Orvieto,
where Albert stayed during his journeys in Italy (cf. infra), are not faraway
from this region. But what about the addition „iuxta Graedam"? In my view,
this addition had a double function, that is a geographically distinctive one
and geographically explicative one:

28 Garreau, op. cit. (nt. 22), 1 1 4 - 1 1 5 : „En 1256, envoye soit par le Saint-Siege, soit par le
maitre general de l'Ordre, Albert fait un voyage en Grece ä la recherche de manuscrits
inconnus d'Aristote". Garreau has even suggested that William of Moerbeke accompanied
Albert on his journey.
29 See: J. Engel (ed.), Großer Historischer Weltatlas. Zweiter Teil: Mittelalter, München 2 1979,
30 („Die Verbreitung der Dominikaner bis 1303").
30 Cf. H. C. Scheeben, Albert der Große. Zur Chronologie seines Lebens, Vechta 1931 (Quellen
und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens in Deutschland XXVII), 71: „Ob
nicht die Champagne gemeint ist, die Albert 1259 auf seine Reise nach Valenciennes berüh-
ren konnte?" Scheeben rejects radically the translation ,Greece': „Die Deutung, die Pelster
gibt <(see nt. 32>, ist wohl kaum haltbar, denn Kampanien wird man nie mit Griechenland
in Verbindung bringen dürfen".
31 J. G. T. Graesse / F. Benedict / S. Plechl, Orbis Latinus. Lexikon lateinischer geographischer
Namen des Mittelalters und der Neuzeit I, Braunschweig 3 1972, 398.

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Aristotle's „ D e M o t u A n i m a l i u m " by Albert the G r e a t 177

a) I suggest that the Latin word .Campania' reminded Albert and his con-
temporary intellectual readers in the first place not o f Campania in Italy but
o f the French region Champagne. After all this region was situated near to
Cologne, where Albert lived and taught, and near to the intellectual centre
o f Paris. Hence Albert may have felt the need to add a geographically distinc-
tive element to avoid confusing his readers.
b) But why did he use such a rudimentary indication as „iuxta Graeciam",
and not a phrase such as ,iuxta Neapolim' or ,iuxta Romam'P Apparently the
addition was also meant to be geographically explicative. By adding ,near
Greece' Albert explains the occurrence o f a translation o f a Greek text by
pointing at the, indeed, relative closeness o f Campania and G r e e c e 3 2 . Albert
owed his readers such an explanation, since he was writing a paraphrase o f
a text which had previously been unknown. Moreover, the words o f the
addition could have been inspired by the Greco-Latin character o f the trans-
lation.

For the sake o f completeness, I would like to suggest two other possibili-
ties. First o f all one might wonder whether ,Graecia' was a designation for
southern Italy. T h e Greek colonies in Sicily and southern Italy were called
,Magna Graecia' in ancient times. Moreover, from the fifth until the tenth
century there was a very influential Byzantine colonisation in this region.
Even today Greek-speaking communities are found in Otranto and Calabria,
although they are rather limited 3 3 . T h e Byzantines in southern Italy are also
responsible for many manuscripts o f major interest.
T h e main objection against this translation is that I have found no medi-
eval texts in which southern Italy is explicitly called .Graecia'. In the „ O r b i s
Latinus" southern Italy is only mentioned under the entry „Graecia Magna,
Graecia Exotica, Graecia Maior, Graecia Parva, Graecia Subsiciva, Grecia
Maior, Hesperia", i. e., never without an additional specification 3 4 . O n e could
suggest that ,Graecia' was a name commonly used to denote this region, not
only in Italy itself but also, for instance, in France and Germany. If ,Graecia'
was not used in this sense in the latter regions, Albert used a specification
that was very misleading and ambiguous for many o f his readers. O n the

32 A s Geyer said; however he denies the, in my opinion indispensable, geographically distinctive


function o f the expression, as has been said before. A l s o Franz Pelster d o e s n o t m e n t i o n
other meanings o f ,Campania'. H e considers „iuxta Graedam" as a reference to M o e r b e k e
as being the translator, and to G r e e c e as being the place where the translation was m a d e
(F. Pelster, Kritische Studien z u m L e b e n und zu den Schriften Alberts d e s G r o ß e n [Ergän-
zungshefte zu den S t i m m e n der Zeit. Zweite Reihe: Forschungen. 4. H e f t ] , Freiburg im
Breisgau 1920, 155).
33 It is not certain whether these linguistic islands are d u e to an inheritance o f the ancients or
to the Byzantine colonisation. F o r a status quaestionis see e. g.: W J. Aerts, M a g n a G r a e c i a o f
Byzantium? E n i g e p r o b l e m e n rond het Grieks in Zuiditalie, A m s t e r d a m 1968; T. D e M a u r o ,
Storia linguistica dell'Italia unita, Bari 1963, 2 9 6 - 2 9 7 .
34 Cf. G r a e s s e / Benedict / Plechl, op. cit. (nt. 31) II, 178.

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178 Pieter de Leemans

other hand, if it was generally used, it would be surprising if it was used only
by Albert and only in this text and not by any other medieval writer.

Another possibility, not previously suggested, remains. ,Graecia' is also the


Latin translation of Greci35. Greci is a medieval fief, situated near Avellino
which is, according to the aforementioned third meaning of Campania, a
part of this region. The toponym is attested, for example, in the „Catalogue
Baronum" (aa. 1150 — 1168): „Gerardus de Grecia tenet a predicto Comite Greciam
quod est feudum". Moreover the name Greci refers to the Byzantine domi-
nation. When one accepts this meaning, „Campania iuxta Graeciam" must be
translated as ,in Campania near Greci', ,near Greci' being geographically spec-
ifying.
This translation seems at first sight attractive. However, in this case too
the addition would have been very misleading for Albert's readers, who asso-
ciated ,Graecia' probably with Greece and not with a fief, somewhere in
Italy. Moreover the geographically distinctive function is denied: one cannot
distinguish Campania from the Champagne by adding such an insignificant
name.
I think that the objections against both alternatives are quite weighty and
that the traditional meaning of ,Graecia' can be sustained. If one accepts that
Albert found the translation in Campania in Italy, the next question is, when
did Albert have the opportunity to visit that region.

3. When did A l b e r t find the t r a n s l a t i o n ?

Albert travelled twice to Italy. He was there for the first time from October
1256, when he stayed with pope Alexander IV in Anagni, until the General
Chapter of Florence in June 1257. Seeking release from his episcopate in
Regensburg, he left for Italy for a second time in December 1260 and arrived
at the papal curia in Viterbo in July 1261. He stayed there until autumn 1262,
moved then to Orvieto and finally returned in February 1263 to preach the
crusade in all German speaking countries36. Which of these two periods,
1256-1257 or 1261-1263, is the more Ukely?
It is clear that theories such as that of Franz Pelster must be rejected.
This scholar thought that Albert had paraphrased the Moerbeke translation.
Considering the fact that this translation was made about 1260, he concluded

35 Cf. C. Marcato, Greci, in: Dizionario di Toponomastica. Storia e significato dei nomi geo-
grafici Italiani, s.l. s.a., 316.
36 During his first stay Albert represented the Dominican Order with Humbert of Romans,
the master-general (1254—63) in its struggle against the attacks of William of Saint-Amour.
In January 1260 he was appointed bishop by pope Alexander IV, but he considered this
episcopate as an unwanted burden: cf. Weisheipl, The Life and Works of St. Albert the
Great, in: Weisheipl (ed.), op. cit. (nt. 27), 3 4 - 3 8 .

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Aristotle's „De Motu Animalium" by Albert the Great 179

that the „De Principiis" was written after that time and that the discovery
took place during Albert's second journey 37 . But since Geyer has convin-
cingly proved that Albert did not use the Moerbeke translation, the „De
Principiis" does not need to be dated after 1260.
Bernhard Geyer has gone further in the rejection of Pelster's theory and
has changed this potential ,does not need to' into a fact. He postulates that
Albert found the text during his first stay in Italy, excluding the possibility
that Albert's translation could have been made at the same moment or even
later. His argument is the following: „Cum non sit verisimile eum, quamvis nova
Wilhelmi translatio iam nota esset, vetere usum esse, licet concludi libellum nostrum inter
annos 1256 et 1262 — 63 esse scriptum".
There are several problems with this argument. First of all Geyer here
assumes the truth of a premise that is actually part of his own hypothesis, viz.,
that the anonymous translation is older („vetere") than Moerbeke's translation
(„nova"). Furthermore his argument is based on a twofold supposition: 1)
during his second stay in Italy, i. e., in 1261 —1263, Albert would have known
Moerbeke's translation, and 2) if he had known it, he would have used it. It
is the first supposition in particular that is dubious, since it is possible that
the translation by Moerbeke was not yet circulating when Albert was in
Italy38. An indication that Albert could have known Moerbeke's translation
is that he may have met Thomas Aquinas during his second stay. At that
time Thomas was writing his „Summa contra Gentiles", in which he refers
to Moerbeke's translation of the „De Animalibus" 39 . One can imagine that
the two scholars, both of them interested in the Stagirite's works, would have
spoken about the discovery of such a text, which had been lost for so long 40 .
But it is clear that it is dangerous to postulate such a conversation, and even
more so to pretend to know its content.

37 Pelster, op. cit. (nt. 32), 151sqq. To date the translation of the „De Motu" this scholar refers
to a colophon found in the Cesena manuscript, Bibl. Malat., Cod. Plut VII 4, according to
which the translation of all books of the „De Animalibus" (= HA, IA, MA, G A , PA) was
finished in 1260. It may be noticed that Fernand Bossier has rejected convincingly the
content of this colophon. By a study o f lexical equivalents this scholar has shown that not
all treatises of the „De Animalibus" were translated at the same time. But also according to
his investigations the „De Motu" was translated about 1 2 6 0 (F. Bossier, Methode de Traduc-
tion et Problemes de Chronologie, in: Brams / Vanhamel [eds.], op. cit. [nt. 13], 257 — 299).
38 As has been pointed out by Steel, op. cit. (nt. 13), in: Brams / Vanhamel, op. cit., 65 (nt.
22).
39 For the dating of the „Summa contra Gentiles", see the introduction of A. Gauthier in:
Saint Thomas d'Aquin, Summa contra Gentiles. Livre premier. Texte de l'edition Leonine,
introduction de A. Gauthier, traduction de R. Bernier et Μ. Corvez, Paris 1961, 20 — 59.
40 This argument was deduced from Weisheipl's biography of Albert the Great. In this bio-
graphy he suggests that (the revision of) the „De Principiis Motus Processivi" was based
on Moerbeke's translation and that Albert had learned from Thomas that Moerbeke had
made a translation of the „De Motu". About Weisheipl's theory and the difficulties in it,
see infra, nt. 44 and 45.

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180 Pieter de Leemans

Instead of relying on suppositions of this sort J. A. Weisheipl offered an


interesting .internal' argument in his survey of Albert's works on natural
science. About the „De Principiis Motus Processivi" he says:
„After D e natura et origine animae had been extracted, this work [i. e. the „De
Principiis"] was intended as Bk. X X I I o f D e animalibus and as a continuation of
Bk. X X I prior to the bestiary. A f t e r numerous changes in the autograph, this
became a separate book even before the present ordering of D e animal. X X I , tr.
1, c. 8, N. 46, and D e animal. XXIII, tr. un., n. 2. It was clearly composed before
Albert's paraphrase of Metaph. V, tr. 1, c. 7 (ed. Colon. 1 6 / 1 : 224. 5 - 7 ) . This
separate work is a paraphrase based on a new version from the Greek, which
Albertus discovered „in campania iuxta Graeciam" during his second visit to Italy
(August 1 2 6 1 to February 1263), which apparently was not that o f Moerbeke (cf.
ed. Colon. 1 2 / 1 , Proleg. § 2, pp. X X I V - X X V I I ) . (...) D e Principiis motus proces-
sivi presupposes all of Albert's paraphrases at least prior to D e animal. XIII, inclu-
sive. Therefore it must have been written after 1 2 6 1 / 6 2 and before most o f the
Metaphysica, i. e., before ca. 1 2 6 5 " 4 1 .

To understand this thesis one must know that the autograph manuscript
of Albert's „De Animalibus", which is still extant (Köln, Historisches Archiv
W 258 a) contains 28 books (fig. 1, arable num.). This manuscript was used
by Herman Stadler to make his edition of the „De Animalibus", published
in 1916 — 1921 (fig. 1, roman num.) 42 . In this edition two books, which are
physically present in the autograph, are lacking, viz. the „De Natura et
Origine Animae" (= Book 20) and the „De Principiis Motus Processivi"
(— Book 22). This omission was inspired by Albert himself, since he consid-
ered these books no longer part of his „De Animalibus", at the latest when
he had finished writing the autograph. For Albert changed the numbering of
the books, adapted references in the extracted books and wrote a new,
general introduction to the „De Animalibus", in which this work is said to
contain only 26 books 43 .
Before I give my own interpretation of the composition of this autograph
I will first evaluate Weisheipl's theory. Apart from the fact that he has some

41 Weisheipl, Albertus' Works, in: Weisheipl (ed.), op. cit. (nt. 27), 5 7 4 - 5 7 5 .
42 Albertus Magnus, De Animalibus libri XXVI. Nach der Cölner Urschrift, ed. Η. Stadler,
Münster 1 9 1 6 - 1 9 2 1 (Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters. Texte und
Untersuchungen XV-XVI) (= Stadler, DA).
43 Cf. Stadler (ed.), DA, 4: „Sic igitur in viginti sex libris (...) totam istius Seriem trademus, addentes
hiis que ab Anstotele de hac säentia bene digesta sunt, libros Septem". This general introduction was
written after the completion of the autograph. It replaced an older introduction, which was
not an introduction to all books of the „De Animalibus", but only to the paraphrase of
Aristode's „De Animalibus" (= Books 1/1 —19/XIX). This older text was physically ex-
tracted, but it has been conserved in an apograph, viz. Vaticano, Β. Α. V., Vat. lat. 718
(edited by F. Pelster, Die beiden ersten Kapitel der Erklärung Alberts des Großen zu de
Animalibus in ihrer ursprünglichen Fassung, in: Scholastik 10 [1935] 228 — 240). About the
manuscript Vat. Lat. 718 see also: Dondaine, Les secretaires de Saint Thomas, Roma 1956,
passim.

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Aristotle's „De Motu Animalium" by Albert the Great 181

Figure 1

Autograph Stadler Title

1-19 I-XIX paraphrase of Aristode's „De Animalibus"


(based on Michael Scot's translation)
1-10 I-X paraphrase of „De Historia Animalium"
11-14 XI-XIV paraphrase of „De Partibus Animalium"
15-19 XV-XIX paraphrase of „De Generatione Animalium"
20 - „De Natura et Origine Animae"
21 XX „De Natura Corporum Animalium"
22 - „De Principiis Motus Processivi"
23 XXI „De Perfectis et Imperfectis Animalibus et Causa
Perfectionis et Imperfectionis"
24-28 XXI-XXVI a bestiary

difficulties with the numbering o f the b o o k s 4 4 , he makes a clear distinction


between the „ D e Principiis" in its original role as part o f the „ D e Animali-
bus" and the „ D e Principiis" as a separate work. He relates the extraction o f
the w o r k to the discovery o f an anonymous translation „in Campania iuxta
Graeciam". A consequence o f this thesis, o f which he seems to be unaware,
is that the first redaction o f the text, viz., as B o o k 2 2 o f the „De Animalibus",
would be based on another, apparently also a n o n y m o u s translation. This is
false. T h e differences between the t w o redactions are m i n o r and n o t due to
a different translation. T h e r e f o r e this theory cannot be accepted in its pure
f o r m : presupposing another anonymous translation is a useless duplication,
not a solution o f our p r o b l e m 4 5 .

44 Note that Weisheipl is incorrect in stating that the „De Principiis" was intended as Book
XXII after the extraction of the „De Natura et Origine Animae". If this were true, the „De
Principiis" would have been Book XXI and not Book XXII of the „De Animalibus". The
„De Principiis" and the „De Natura" were probably extracted at the same time.
45 Weisheipl's exposition in his biography of Albert is even more confused. In regard to Al-
bert's first stay in Italy he says: „At this time however, when he was in Italy („/'» Campania
iuxta Graedam"), Albertus chanced upon a previously unknown work by Aristotle entided
„De Motibus Animalium", which he proceeded to call „De Principiis Motus Processivi"
and to comment upon" (Weisheipl, „The life", in: Weisheipl [ed.], op. cit. [nt. 27], 36).
Weisheipl seems to refer here to Geyer's theory. However, when he speaks about Albert's
second stay in Italy, he says: „Much to his surprise, Albert learned from Thomas that William
of Moerbeke had just finished a new translation of Aristotle's „De Motu Animalium", dif-
ferent from the one he had found on his previous visit to Italy. Interesting enough, Albert
had to write a new commentary on it in the same style as he had been using in his other
works" (Weisheipl, op. cit., in: Weisheipl [ed.], op. cit. [nt. 27], 39). In a footnote he provides
two references: 1) to Geyer, who says the opposite; 2) to his own biography of Thomas
Aquinas. In this biography he says: „at that time <i. e. the second stay in Italy), discovering
the Aristotelian treatise ,De Motu Animalium' in the Moerbeke translation, Albert published
it with a commentary in the same style as he had in his earlier works" (Weisheipl, Friar
Thomas d'Aquino. His life, Thought, and Work, New York 1974, 148-149), without men-
tioning a previous stay in Italy, a thesis which seems to refer to Pelster's theory. When
Weisheipl refers in this context also to the „De Principiis Motus Processivi" as a distinct

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182 Pieter de Leemans

But what to say about Weisheipl's ,internal' argument? It is true that the
text as found in the autograph presupposes most of Albert's paraphrases,
such as the paraphrase of Aristotle's „De Animalibus" (i. e. book I —XIX in
the autograph) 46 . Therefore it seems plausible that the „De Principiis" was
written after this paraphrase, viz. after 1261 47 .
A further point, however, demands consideration. As A. Dain has justly
pointed out, „dans les cas tres rares ού le fait {seil, that we possess an
autograph) se presente (...) il est ä presumer que l'exemplaire autographe
que nous avons entre les mains n'est qu'une transcription faite par l'auteur
lui-meme de ses papiers et de ses brouillons" 48 . The possibility cannot be
excluded that some or even much time elapsed between the writing of a draft
and the final redaction of a text. Albert could have added references, when
he composed the autograph, based on drafts, to make the different works,
found in this manuscript, more coherent 49 .
Weisheipl's argument can therefore be used to date the writing of the
autograph, to be sure, but not to date a possible draft, and certainly not to
date the discovery. Even if Albert wrote the autograph of the „De Principiis"
after 1261, he could still have discovered the translation in 1256—1257. If
we assume this date, there are two possibilities. First, it is possible that Albert
read the text but waited a few years before he wrote his paraphrase. Second,
he could have written a draft shortly after the discovery; some years later,
when he wrote the autograph, he decided to give this draft its final redaction.
Our problem therefore is to determine how much time elapsed between
the discovery of the text, the possible writing of the draft, and the writing
of the autograph. I shall try to solve this problem by a study and interpreta-
tion of the composition of the autograph of the „De Animalibus" 50 .

work, he suggests that this separate work would be based on Moerbeke's translation, some-
thing that he explicidy denies in the survey of Albert's works on natural science!
46 Viz. Geyer, ed. Köln 1955, 49 11. 1—2, a general reference to the previous books; 67 11. 5 —6
and 72 11. 2 6 - 2 7 , both reference to Book I tr. 3 c. 4 n. 575 and Book XIII tr. 1 c. 4 n. 23sqq.;
72 1. 38, a reference to Book III tr. 1 c. 5 n. 43sqq. and the „De Spiritu et Respiratione"; 73
1. 14 and 1. 31, a reference to Book III tr. 1 c. 3sqq. n. 29sqq.; 74 1. 1 4 - 1 5 , a reference to
Book XVI tr. 1 c. 11 n. 60sqq.
47 About this dating see infra.
48 A. Dain, Les Manuscrits (Collection d'etudes anciennes), Paris 2 1964, 15.
49 The existence of a draft of the „De Principiis", consisting of a paraphrase of the Aristotelian
text itself without the introduction and „digressioms", seems to be accepted by Weisheipl. He
has stated that „the ,De Principiis Motus Processivi' presupposes all of Albert's paraphrases
at least prior to ,De Animal.' XIII inclusive". In this way he has not considered a reference
to Book XVI of the „De Animalibus", which is found in the „dtgressio" at the very end of
the text, viz. after the paraphrase of the aristotelian text.
50 An interesting article about the composition of the autograph is B. Geyer, Die ursprüngliche
Form der Schrift Alberts des Großen DE ANIMALIBUS nach dem Kölner Autograph, in:
A. Lang / J. Lechner / M. Schmauss (eds.), Beiträge zur Geschichte der Philosophie und
Theologie des Mittelalters. Texte und Untersuchungen, Supplementband III, 1. Halbband:
Aus der Geisteswelt des Mittelalters, Münster 1935, 5 7 8 - 5 9 0 . Much of the information

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Aristotle's „De Motu Animalium" by Albert the Great 183

As noted above, this autograph contains several different treatises. Dain


has righdy pointed out that „il y a une difference essentielle de nature entre
la ,liasse de papier', reliee ou non, et ,le livre ecrit ä la main'" 51 . What was
the autograph meant to be? A book, a copy ready for the ,press', or a combi-
nation of independent texts?
If Albert wanted to write a book, it should be possible to find a plan, a
scheme in the autograph 52 . Cross-references to other books of the autograph
as to the same work clearly show that Albert considered the autograph not
as a collection of independent treatises but as an integrated unity. Particularly
significant are the cross-references to later books, since they suggest that
Albert may have had a preliminary plan, a fixed concept of his „De Animali-
bus", perhaps even when he started writing the autograph. In the first nine-
teen books of the „De Animalibus", i. e., the paraphrase of Aristotle's „De
Animalibus", only six references of this kind occur. Four of them are useless,
since they refer to another book of the paraphrase of Aristode's „De Animali-
bus" and therefore do not indicate a connection between the distinct texts
found in the autograph 53 . The other two are more important, as they refer
to a book of the bestiary:
1) Book 7/VII § 112: „Et haec infirmitas, ut diät Aristoteles, caret remedio, nisi per se
curetur. Nos tarnen in sequentibus, ubi de animalibus sifsillatim exsequemur secundum literas
alfabeti nostri, et de hac et de aliis equorum infirmitatibus loquemur". This is a reference
to Book 24/XXII 2,38.
2) Book 14/XIV § 54: „Dicemus autem etiam adhuc in sequentibus ubi de natura reptilium
prosequemur in speaali". This is a reference to Book 27/XXV.

The formulation „in sequentibus" suggests that the bestiary was meant by
Albert to be part of his „De Animalibus". Moreover the first reference is so
specific that the existence of a draft of the bestiary may be assumed.

But what is to be said about the „De Natura et Origine Animae" and the
„De Principiis Motus Processivi", to which no references are found in the
paraphrase of the „De Animalibus"? It is not clear to what extent they were
integrated in Albert's concept of the latter work when he started writing the
autograph. In Book 16/XVI § 44 we find an indication that Albert, when he
wrote this passage, considered the „De Natura et Origine Animae" as an

about the autograph that I give is based on this article, although Geyer's interpretation of
some facts is sometimes different.
51 Dain, op. cit. (nt. 48), 12.
52 A clear exposition about the composition is found in the introduction. However, as I have
already mentioned, this introduction is useless for our purpose, since it was written after
the extraction of the „De Principiis" and the „De Natura et Origine Animae" (see nt. 43)
and our purpose is to determine the place of the „De Principiis" in the autograph.
53 Viz., Book I § 444 a reference to Book XVIII; Book I § 596 a reference to Book III; Book
XIV § 60 a reference to Book XVI and XVII; Book XIV § 75 a reference to Book XV.

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184 Pieter de Leemans

independent treatise, not to be incorporated in his „De Animalibus". For he


says: „De omnibus autem hiisplenius tractabitur in libro de immortalitate anime ratio-
nalis quem post totam scientiam pbisice deo adiuvante tractabimus". The words „totam
scientiam phisice" were deleted by Albert himself afterwards, probably when he
had decided to incorporate the text in the autograph. Moreover, in the first
four chapters of the first treatise of the „De Natura" Albert refers to his
paraphrase of Aristode's „De Animalibus" as to a different work 54 . Only
from the fifth chapter on does Albert integrate the „De Natura" in his „De
Animalibus", refering not only to former but also to later books 55 .
A further problem now arises. As I have mentioned earlier, the references
to the bestiary in the paraphrase of the „De Animalibus" indicate that the
bestiary was intended to form a whole with this paraphrase. Why, then, wrote
Albert between the „De Animalibus" and the bestiary a text, i. e., the „De
Natura et Origine Animae", which in Book 16/XVI he evidendy regarded
as independent of the De Animalibus-plus-bestiary complex? Apparendy he
changed his mind about the concept of the „De Animalibus" after he had
written Book 16/XVI. But what about the references to the „De Animali-
bus" as to a different work in the first four chapters of the „De Natura"? I
do not believe that Albert still considered the „De Natura" an independent
treatise when he started writing it down in the autograph. The presence of
the references may be explained by the existence of a draft of the „De
Natura". Perhaps Albert had written a draft of the work and then decided
to insert it into the autograph, overlooking the fact that a consequence of
this insertion would be the need to adapt the references. This explanation
implies that the references were present in the draft of the „De Natura" and
therefore that the „De Natura" was written after the completion of Book
16/XVI of the „De Animalibus" 56 .

Where have these considerations led us? At the latest when Albert wrote
Book 7/VII of the autograph, probably already when he started writing it,
he intended to add a bestiary to his Aristotelian paraphrase of the „De Ani-
malibus". When he had finished this paraphrase, he decided to integrate into
it the „De Natura et Origine Animae" as well, if not from the beginning of
this work, then at least from chapter five onwards. But what about the place
of the „De Principiis" in the autograph? The „De Principiis" seems to be
well imbedded. In contrast with the „De Natura" the „De Principiis" as

54
E.g. Geyer, ed. Köln 1955, 6 11. 12 — 13: „ ... dictum est in nostro libro de animalibus quinto decimo
i. e. without an addition of e. g. ,superius'.
55
E.g. Geyer, ed. Köln 1955, 13 11. 7 1 - 7 2 : „ . . . in antehabitis huius saentiae ..."; 17 1. 63: „In
sequentibus tarnen ubi sigillatim de naturis singulorum generum animalium dicemusa clear reference
to the bestiary.
56
In the first five chapters references are found but to Books VI, X V and XVI, not to any
of the next books.

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Aristotle's „De Motu Animalium" by Albert the Great 185

Book 22 of the „De Animalibus" 57 , does not contain any references to the
latter as to an independent work. Moreover it is announced in Book 21 / X X
§ 75 58 , and in Book 21/XX § 90 Albert clearly indicates how the „De Princi-
piis" is linked with it 59 . These observations suggest that the „De Principiis",
together with the bestiary, was intended to be part of the „De Animalibus"
when Albert started composing the autograph. In this case the time between
the writing of the draft and the redaction of the autograph could have been
rather long.
But is an early imbedding of the „De Principiis" within the framework of
the „De Animalibus" likely? Such an imbedding presupposes that Albert had
a clear scheme in mind about which texts he wanted to insert into his „De
Animalibus". Yet Albert extracted the „De Principiis", and perhaps at the
same time the „De Natura", while he was still writing the autograph. The
first reference to the „De Principiis" as to an independent work is found in
Book 23/XXI § 46 60 . Another one occurs in Book 25/XXIII § 2 61 . More-
over the new numbering of the books is already present at the beginning of
book 24/XXII 6 2 .
If Albert had integrated the „De Principiis" quite early in the general
scheme of his „De Animalibus", he certainly could be blamed for indecisive-
ness, since he decided to extract the work shortly after he wrote it down. Is
it possible to explain this ,indecisiveness? I would like to suggest a solution,
fully aware of its hypothetical nature. Perhaps Albert found the translation
of the „De Motu Animalium" while he was composing his „De Animalibus",
a work which was meant to contain (at least) the paraphrase of Aristode's
„De Animalibus" and a bestiary. In the euphoria of this discovery—after all
he had discovered an unknown text— he decided to insert a paraphrase of
this newly-discovered text, perhaps based on a draft, into the work that he
was writing at that moment. But very soon he realized that the new para-
phrase did not fit well in this context and extracted it. At the same time he
extracted the „De Natura et Origine Animae", a work that was also not
present in the original plan of his „De Animalibus".
This interpretation is supported by Albert's own words in the introduction
of the „De Principiis". There he says: „Quia postea in Campania iuxta Graeciam
nobis agentibuspervenit admanus nostras libellus etiam hie ea quae tradidit, interpo-

57
This specification has to be made, because Albert changed the references to the „De Ani-
malibus" as being the same work into references to an independent treatise after the extrac-
tion of the work. He did the same thing in the „De Natura et Origine Animae".
58
21/XX § 75: „... sicut in libro de Motibus animalium, et iterum inferius determinabimus".
59
Another, rather vague, parallel concerning content is found in 21/XX § 9.
60
23/XXIII § 46: „Causa autem huius est quod sicut ostendimus in libro de prinäpiis motus animalium
...", i. e. without the addition of e. g. ,superius'.
61
25/XXV § 2: „... patetper ea quae in de Anima et de Motibus animalium et in de Prinäpiis motuum
animalium dicta sunt...".
62
24/XXIV (incipit): „Inäpit liber animalium vicesimus secundus, qui est ...".

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186 Pieter de Leemans

nere curavimus". In my opinion the word „hie" must be understood in this


context as meaning ,here', that is, ,in the autograph'. So Albert decided to
,insert' ( , , i n t e r p o n e r e " ) his paraphrase of the „De Motu" in the autograph,
since — as indicated by the causal conjunction „quia" — he had found the text
in Campania. The word „ i n t e r p o n e r e " may even suggest that Albert considered
this paraphrase from the start as a provisory insertion in his „De Animali-
bus".
This thesis implies that the time between the discovery, the possible writ-
ing of a draft and the composing of the autograph was rather short. The
final question is, then, when did Albert compose the autograph.
This question is related to the topic, when did Albert write the paraphrase
of the „De Animalibus". Most scholars have argued that this paraphrase was
written about 1258 — 1261/2. One of the arguments used to ,prove' this dat-
ing, is that Albert refers in Book 7/VII 665 (tract. 2 cap. 6) of the „De
Animalibus" to his observations „in villa mea super Danubium". This sentence
is interpreted as a reference to the episcopal castle of Donaustauff, about
three miles from the city, on the Danube 63 . Now, Albert was bishop of
Regensburg in 1260—1261. The composing of the autograph took place, of
course, after the writing of this paraphrase. Consequently, if one accepts my
fundamental thesis — Albert found the „De Motu" during the writing of the
autograph, and commented on it shordy thereafter — the discovery must
have taken place, not during the first, but during the second stay in Italy, that
is, in 1261 —126364.
Bernhard Schmidt, on the other hand, has argued that the paraphrase
probably was finished about 1258, in any case before Albert's episcopate. His
in my opinion most valuable argument is that the codex Vat. Lat. 718 which
contains the apograph of the original introduction to the „De Animalibus",
was, according to Dondaine, written before 1260 65 . Now, as Geyer said,

63 The interpretation of this sentence is accepted by scholars, such as Weisheipl and Geyer (cf.
Albertus Magnus, Metaphysica, ed. B. Geyer, Köln 1960, VIII [Alberti Magni Opera Omnia
XVI,1]). Other scholars, such as Pelster (op. cit. [nt. 32], 1 4 3 - 1 4 4 ) and, more recently,
Bernhard Schmidt (cf. Albertus Magnus, Super Matthaeum Capitula I - XIV, ed. B. Schmidt,
Köln 1987, XV [Alberti Magni Opera Omnia XXI,1] [= Schmidt, ed. Köln 1987]), have
argued that it refers not to the episcopal castle of Donaustauff but to Lauingen.
64 The fact that Albert stayed during his first stay in Anagni, which was part of Campania
Romana (cf. J. Fraikin, Anagni, in: A. Baudrillart, Dictionnaire d'Histoire et de Geographie
Ecclesiastiques II, Paris 1914, 1421-1429), while Viterbo and Orvieto, where he stayed
during his second visit, are more distant from „Campania iuxta Graedam", does not refute
my thesis, since the distance between Viterbo and Orvieto, on the one hand, and Campania,
on the other hand, is relatively short.
65 Schmidt, ed. Köln 1987, X V - X V I . Schmidt explicitly says that the early dating of the „De
Animalibus" is probable but not imperative: „Concedendum quidem est nos neque illo codice Vati-
cano lat. 718 neque Quaestionibus super De animalibus ad certitudinem perfectam pervenire, quo tempore
libri De animalibus ab Alberto scripti sint, sed ex dictis apparet certe contingere potuisse, ut Albertus
libros De animalibus iam anno 1258 conficeret ...".

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Aristotle's „De Motu Animalium" by Albert the Great 187

Albert extracted this introduction from the autograph after its completion.
Consequently, the autograph has to have been completed before 1260.
The first consequence of Schmidt's thesis is that the discovery took place
during the first Italian journey, that is, in 1256 — 1257. Moreover, if one ac-
cepts my fundamental point, viz., that Albert found the text while he was
composing the autograph (cf. „hie ... interponere curavimus"), one has to accept
that the paraphrase of the „De Animalibus" was written even earlier than
Schmidt said, that is, (shortly) before 1256.

S u m m a r y and c o n c l u s i o n

After a long period of obscurity Aristotle's „De Motu Animalium" was


rediscovered by Albert the Great. In this article I have tried to throw light
on the place and date of this discovery. The starting point for this investiga-
tion was a passage in Albert's paraphrase of the „De Motu", the „De Princi-
piis Motus Processivi", in which Albert says that he found the translation „in
Campania iuxta Graeciam". I have argued in support of the traditional meaning
of Campania, that is the region of southern Italy, and attributed to „iuxta
Graedam" a geographically distinctive and explicative function.
Looking for a way to date the discovery, I started from the consideration
that the fact that Albert did not use the translation by Moerbeke, made ca.
1260, does not imply that he must have found the translation during his first
stay. It is possible that the Moerbeke translation did not yet circulate in Italy
in 1261 — 1263. For want of external arguments I have tried to find internal
arguments. Such arguments can be found in the composition of the auto-
graph of Albert's „De Animalibus". The clumsy composition of this manu-
script and Albert's own words {„hie ... interponere") suggest that the discovery
took place during the writing of the autograph. If one accepts that the para-
phrase of Aristotle's „De Animalibus" was written about 1258 — 1261/2, the
discovery must have taken place during the second stay in Italy, viz.
1261 — 1263. On the other hand, if one accepts that the composing of the
autograph was completed before 1260 (cf. the codex Vat. Lat. 718), Albert
found the „De Motu" during his first stay. In this case, however, it is likely
that the paraphrase of the „De Animalibus" was written shortly before 1256.
Even if Albert found the „De Motu" during his second Italian journey,
this does not imply that the anonymous translation is necessarily more recent
than Moerbeke's. Such a thesis would be based on a confusion or identifica-
tion of the moment of translating and the moment of discovery. It is possible
that the translation was made some or even many years before Albert discov-
ered it. There was not in this case as a privileged connection between the
translator and the commentator, as there seems to have been between Wil-
liam of Moerbeke and Thomas Aquinas 66 .

66 On this subject, see Steel, op. cit., in Brams / Vanhamel, op. cit. (nt. 13).

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188 Pieter de Leemans

Indications about the dating of the anonymous translation will perhaps be


found within this translation itself. Since no manuscripts exist, the translation
will here to be reconstructed by comparing Albert's paraphrase with the
Greek text and perhaps with the Moerbeke translation 67 . This reconstruction
would, hopefully, enable us to compare the vocabulary of this translation
with the vocabulary of others. Perhaps such a comparison will reveal some
parallels and provide indications about date or identity of the anonymous
translator 68 . Until such indications are found, it is safer to leave the problem
of their chronological relation aside 69 .

67
I shall attempt such a reconstruction as part of my edition of Moerbeke's translations of
the „De Motu Animalium" and „De Progressu Animalium", forthcoming in the series „Aris-
toteles Latinus".
68
Two illustrations, a positive and a negative one. In the anonymous translation the Greek
word ,αυτόματα' (701 b2), casu quo ,αΰτομάτοις' (701 blO) is not transliterated as in the
Moerbeke translation but is translated as „ea quae subito moventur" (Geyer, ed. Köln 1955, 61
11. 8 8 - 8 9 ) , casu quo „subitis" (Geyer, ed. Köln 1955, 62 1. 17). In the „Rhetorica Anonyma",
which has to be dated before the middle of the thirteenth century, the expression ,άπό τοΰ
αυτομάτου' is rendered by „subito" (Schneider, B. Rhetorica. Translatio anonyma sive vetus
et translatio Guillelmi de Moerbeka, Leiden 1978 [Aristoteles Latinus XXXI 1 - 2 ] , 380).
Whereas this example could suggest a parallel between the anonymous translation of the
„De Motu" and the „Rhetorica", the second example may take the edge off this argument.
The anonymous translator rendered the word ,ήρεμέο' by ,sto' (e. g. Geyer, ed. Köln 1955,
passim), a translation that does not occur, as far as I know, in any other translation.
69
Cf. Vanhamel, Biobibliographie de Guillaume de Moerbeke, in: Brams / Vanhamel (eds.),
op. cit. (nt. 13), 333: „... il est incertain si eile <i. e. the translation by Moerbeke) precede
ou suit une autre traduction greco-latine utilisee par Albert le Grand dans son Liber de
principiis motus processivi".

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Eine neue Perspektive im Geistesleben des 13. Jahrhunderts:
Plädoyer für eine Würdigung der Organon-Kommentierung
Alberts des Großen

RUTH MEYER (BONN)

Im Rahmen des umfassenden Projektes einer Paraphrasierung aller aristo-


telischen Schriften wandte sich Albertus Magnus Mitte der 50er Jahre, also
während seiner Zeit als Gründungsregens des Kölner Studium generale, auch
dem „Organon" als Grundlage der Logik zu. Sein Anliegen war es, ad informa-
tionem studentiumx ein möglichst umfassendes Logik-Kompendium zu bieten.
Aus seinem umfangreichen Kommentarwerk sei für diesen Beitrag der Kom-
mentar 2 zum „Liber sex principiorum" 3 (LSP) herausgegriffen, um an seinem
Beispiel formale und inhaltliche Charakteristika der Logik-Kommentierung
Alberts des Großen herauszuarbeiten und nach deren Wirkungsgeschichte zu
fragen. Der doctor universalis bedient sich traditionsgemäß dieser kleinen, im
12. Jahrhundert als Ergänzung der Kategorienschrift des Aristoteles entstan-
denen Schrift, um in sieben Traktaten (tr. 2 — 7) über jene sechs Prädikamente
{actio, passio, quando, ubi, positio und habitus) zu handeln, die in der Kategorien-
schrift „non nisi breviter et per modum exemplarem" (Sulzb. p. 48 v. 10 sq.) behan-
delt sind, und um sich dem Problem des magis et minus zu widmen, das im
„Liber sex principiorum" unter Verwendung von Exzerpten aus der aristote-
lischen Schrift „De generatione et corruptione" verhandelt wird (tr. 8). Die-

1 Albertus Magnus, Commentum super librum sex principiorum tr. 1 c. 1, cf. Albertus Magnus
„Liber sex principiorum". Auf handschriftlicher Grundlage ed. B. Sulzbacher, Teildruck der
Diss. Wien 1955, 48 v. 17. Der 1. Traktat dieses Kommentars wird in diesem Beitrag unter
der Sigle „Sulzb." nach dieser semikritischen Ausgabe zitiert. Für die weiteren Traktate cf.
die unter Anm. 2 angegebene Ausgabe.
2 Opera omnia Alberti Magni ed. A. Borgnet, Parisiis 1899, torn. 1, 2 0 5 - 3 7 2 . Der Text wird
an fehlerhaften Stellen nach der Neuedition korrigiert, die zur Zeit innerhalb der „Editio
Coloniensis" entsteht. Diese Neuedition zeigt, daß der Text der Borgnet-Ausgabe an einigen
Stellen, so z. B. im 8. Traktat, stark verderbt ist. Daher kommt z. B. M. F. Manzanedo in
seiner Studie: Doctrina de San Alberto Magno sobre los seis ultimos predicamentos, in:
Angelicum 57 (1980), 4 3 3 - 4 7 6 , zu Recht zu dem Urteil, daß die von ihm erhobenen Un-
stimmigkeiten in Alberts Text auf der Borgnet-Ausgabe beruhen könnten.
3 Aristoteles Latinus 1.6 — 7: Categoriarum supplementa Porphyrii Isagoge translatio Boethii
et anonymi fragmentum vulgo vocatum „Liber sex principiorum" accedunt Isagoges frag-
menta M. Victorino Interprete et specimina translationum recentiorum categoriarum edidit
L. Minio-Paluello, B r ü g g e - P a r i s 1966, 3 5 - 5 7 .

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190 Ruth Meyer

sen sieben Traktaten geht als tractatus primus eine eingehende Untersuchung
des im „Liber sex principiorum" definierten Formbegriffes voran, „secundum
quod logicus de forma loqui debet" (Sulzb. p. 51 v. 23).
Der Kommentar des doctor universalis gilt in der Forschung vor allem für
die Frage nach der Autorschaft des „Liber sex principiorum" als wirkungsge-
schichtlich bedeutsam, hat er doch wesentlich dazu beigetragen, daß dieser
bis in unsere Zeit für ein Werk des Gilbertus Porretanus gehalten wurde 4 .
Unerforscht ist bislang die Wirkungsgeschichte der Inhalte von Alberts Kom-
mentar, der für die Deutung des „Liber sex principiorum" immerhin als so
repräsentativ gegolten haben muß, daß er in der Inkunabelzeit (ca. 1475) in
eine kommentierte Ausgabe des „Organon" (GW 2390) aufgenommen
wurde5. Die Untersuchung der durchwegs aus dem 15. Jahrhundert stam-
menden Benutzerspuren in den Codices des Albertschen Kommentars wie
Anstreichungen, Nota-bene-2,e.ichcn und TVo&z-Hände sind ein erster Schritt
zur Erforschung der Wirkungsgeschichte, denn sie sind augenscheinliche
Zeugnisse spätmittelalterlichen Leseinteresses. Was der Leser Besonderes in
Alberts Kommentar finden konnte, läßt sich im Vergleich mit anderen Ausle-
gungen des „Liber sex principiorum " herausarbeiten, die wie Alberts Kom-
mentar in der Kontinuität einer Gesamtkommentierung des „Organon" ste-
hen, näherhin der des Robert Kilwardby (ca. 1240 verfaßt) 6 , des Martin von
Dacien (vor 1288) 7 und des Magister Vitalis (Ende des 13. Jahrhunderts)8.
Schon eine erste Sichtung der Gebrauchsspuren bestätigt, daß von den
Benutzern des 15. Jahrhunderts zwei wohlbekannte Eigenheiten des doctor

4 Cf. LSP, op. cit., xliii sq. und O. Lewry, The „Liber sex principiorum", a supposedly Porreta-
nean Work. Α study in Ascription, in: Gilbert de Poitiers et ses Contemporains aux Origines
de la Logica modernorum. Actes du septieme symposium europeen d'Histoire de la Logique
et de la Semantique medievales, ed. par J. Jolivet et A. de Libera (History of Logic 5), Neapel
1987, 2 5 1 - 2 7 8 , spec. 251 sq.
5 Weitere Ansatzpunkte zur Erhebung der Wirkungsgeschichte des Kommentars wären Glos-
sen und indirekte Zitate. Unter den Codices des „Liber sex principiorum" finden sich bislang
nur zwei, die mit Glossen aus Alberts Kommentar versehen wurden. Da zahlreiche, meist
anonyme Kommentare und Quaestionenreihen über den „Liber sex principiorum" bislang
ungedruckt sind, muß vorerst auf eine Einbeziehung solch indirekter Zeugnisse der Rezep-
tion des Albertschen Kommentars verzichtet werden.
6 Der Kommentar ist bislang unediert. Die in der Dissertation von O. Lewry (Robert Kilward-
by's Writings on the „logica vetus" studied with regard to their teaching and method. Oxford
masch. 1978) enthaltene Teiledition aus der lectio 1 war mir nicht zugänglich. Daher wurde
für diesen Beitrag der Text verwendet, der sich in der Handschrift Madrid, Universitätsbiblio-
thek, Ms. 73, ff. 6 7 r a - 8 5 r a , befindet (zitiert als „Kilw. f."). Für die sehr zuvorkommende
Bereitstellung der dazu nötigen Kopien danke ich Sr. Reyes Carmona.
7 Martinus de Dacia, Quaestiones super librum Sex principiorum, ed. H. Roos, Kopenhagen
1961 (Corpus Philosophicum Danicorum Medii Aevi 2), 1 6 5 - 3 1 5 , zitiert als „Mart. p.".
8 Vitalis de Furno, Commentum super Librum de sex principiis, ed. A. Gondras, in: Arch.
Hist, doctr. litt. Ma 50 (1975), 1 9 6 - 3 1 7 , zitiert als „Vit. p.". Dieser Text ist teils bis in die
Formulierung hinein identisch mit einer „Ars-vetus"-Kommentierung, die 1507 unter dem
Namen des Aegidius Romanus gedruckt wurde (Aegidius Romanus Expositio in artem vete-
rem, Venedig 1507, Nachdruck Frankfurt a. M. 1968, ff. 3 1 v - 4 7 v ) .

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Die Organon-Kommentierung Alberts des Großen 191

universalis mit Nota bene gewürdigt wurden: sein Angebot an philosophiege-


schichtlichen Aufrissen und 2ahlreichen Autoritäts2itaten und sein besonde-
res Interesse an naturkundlichen Phänomenen, ihrer Beschreibung, Deutung
und Anwendung auf die unterschiedlichsten Sachgebiete.
Wie die zahlreichen Anstreichungen und /Vota-Hände zeigen, scheint Al-
berts Kommentar noch 200 Jahre später als praktisches Kompendium für
historische Lehrmeinungen fungiert zu haben; besonders finden sie sich in
seinen Ausführungen zur Geschichte des Formbegriffes, angefangen von den
Stoikern bis hin zu den Peripatetikern (Sulzb. p. 62 v. lsqq.) und zu den bei
den antiqui bezeugten, unterschiedlichen Lehrmeinungen zu den Vorgängen
bei der Genese und Zerstörung (Ed. Paris, p. 365asqq.). Solch einen Service
bot keiner der hier zum Vergleich herangezogenen Kommentare, zumal die
Leser im ganzen Text ein breites Spektrum griechischer, islamischer und
christlicher Autoritäten vorgeführt bekommen.
Die im „Uber sex principiorum" enthaltenen kurzen Beispiele aus der
Naturkunde animieren Albertus Magnus zu breiten Ausführungen über die
physikalischen und biologischen Hintergründe des jeweiligen Phänomens.
Die anderen Kommentatoren hingegen gehen, wenn sie sich überhaupt des
Beispiels bedienen, nur auf jene thematischen Aspekte ein, die für die Logik
und insbesondere für die Kategorienlehre relevant sind. Zwei naturkundliche
Exkurse Alberts haben bei den Benutzern besonderes Interesse gefunden:
im Traktat über das Prädikament der actio das Problem des Bildes eines
beweglichen Gegenstandes in einem Spiegel (LSP p. 39 v. 1-8 — Ed. Paris,
p. 324bsqq.) und im Traktat „De quando" die Beeinflußbarkeit der vier Tem-
peramente durch die Jahreszeiten (LSP p. 44 v. 21 sqq. — Ed. Paris,
p. 342asqq.). Die Reflexionsgesetze haben Albert schon in den Frühschriften
besonders interessiert (so z. B. in „De homine" Ed. Paris, tom. 35
p. 198asqq.), und es ist der Präzision der Beschreibung des Phänomens anzu-
merken, daß er hier über gründliche Kenntnisse verfügte, die wohl auch
auf eigenen Beobachtungen beruhen. Die Benutzer seines Kommentars zum
„Liber sex principiorum" haben gerade diese Subtilität seiner Darlegungen
gewürdigt. Martin von Dacien widmet dem Spiegelbild-Problem nur zwei
kurze Abschnitte in der 12. Quaestio (p. 302 v. 4sqq. et 23sqq.), bei Magister
Vitalis (p. 219 v. 17sqq.) und Robert Kilwardby (f. 74ra) findet das Beispiel
nur marginale Erwähnung, da dort der Schwerpunkt der Argumentation auf
das rechte Verständnis der Kategorie der actio gelegt wird. Daß Alberts Kom-
mentar ein Desiderat füllte, zeigt sich am Madrider Textzeugen des Kommen-
tars von Robert Kilwardby, denn dort wurde, mit „Notandum de forma in speculo
quod neque est substantia nec accidens" eingeleitet, ein Abschnitt unbekannter
Autorschaft über das Spiegelbild-Phänomen nachträglich ergänzt (f. 74ra —
rb). In der Darlegung Alberts zur Temperamentenlehre zeigt sich eine
Lebensnähe, welche die Benutzer besonders angesprochen haben dürfte. Al-
bertus Magnus ist der einzige Kommentator des „Liber sex principiorum",
der die im Text schon angelegte Anwendung der Säftelehre auf die Erkennt-

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192 Ruth Meyer

nislehre zu einem breiten Exkurs nutzt. Er geht besonders auf den Einfluß
der Jahreszeiten auf das spekulative Denkvermögen ein. So fördert z. B. bei
den Melancholikern der Frühling das Denkvermögen, „eo quod tunc spiritus,
quio dejerunt formas speculations subtiliantur et mobiles fiunt ex calido" (Ed. Paris,
p. 343a). Der Choleriker hingegen braucht die Kälte des Winters, damit sein
Geist die intellektiven Formen aufnehmen kann (ibid.). Martin von Dacien
berücksichtigt in seinen Quaestionen die Temperamentenlehre überhaupt
nicht. Robert Kilwardby widmet dem Einfluß der Jahreszeiten auf das
menschliche Gemüt eine kurze Quaestio (f. 79va —b), wendet diese physiolo-
gischen Vorgänge aber ebensowenig auf das spekulative Denkvermögen des
Menschen an, wie Magister Vitalis (p. 250 v. 20sqq.). Auch hier scheinen die
Benutzer des 15. Jahrhunderts in Alberts Kommentar eine lebensnahe Aus-
deutung des im „Liber sex principiorum" nur exemplarisch Behandelten ge-
schätzt zu haben, die nachfolgende andere Kommentare in solcher Detail-
liertheit nicht boten.
Eine zweite Gruppe von Anstreichungen im Text des Kommentars betrifft
den Umgang der Leser mit Alberts Kommentierungsweise, näherhin mit der
für einen „Organon"-Kommentar einmaligen Auslegung mittels Paraphrasie-
rung. Die Kommentare des Robert Kilwardby und des Magister Vitalis sind
Litteralexpositionen mit zusätzlichen Quaestionen, das Werk Martins von
Dacien ist ein reiner Quaestionenkommentar. Albert verwendet weder eine
divisio noch eine expositio textus und verzichtet weitgehend auf Quaestionen,
nur in Traktat 2 Kapitel 2 und Traktat 4 Kapitel 4 und 5 findet er zu einer
quaestionenähnlichen Struktur. Das vom „Liber sex principiorum" sprachlich
vorgegebene Material wird von Albert so sehr assimiliert, daß sich der ent-
standene Text wie ein eigenständiges Werk liest 9 . Einzelne Benutzer haben
nun versucht, durch Rubrizierungen und Anstreichungen den mit Alberts
Ausführungen so eng verwobenen Text des „Liber sex principiorum" wieder
kenntlich zu machen, um deutlicher zwischen dem kommentierten Text und
den kommentierenden Ausführungen Alberts unterscheiden zu können. An-
dere haben, wo es möglich war, am Rande die aus der Quaestionenkommen-
tierung vertrauten Begriffe wie argumentum, obiectio und solutio angebracht, um
sich den ungewohnten Kommentar optisch zu gliedern und mit vertrauten
Kategorien auch formal zu erschließen.
Die Argumentationsweise unterscheidet sich aber nicht nur formal durch
die Paraphrasierungstechnik von allen hier berücksichtigten Kommentaren.
Sie ist auch in besonderer Weise davon geprägt, daß der „Organon"-Kom-
mentar nur Teil einer umfassenden Erklärung des corpus Aristotelicum ist. Dies
fördert für die Kommentierung des thematisch nicht nur auf die Logik fixier-
ten „Liber sex principiorum" einen interdisziplinären Ansatz, wie ihn kein
anderer Kommentar bietet. Diese Interdisziplinarität erlaubt es Albert zum

9 D e r so hohe Assimilationsgrad könnte dazu beigetragen haben, daß sich kaum Glossen aus
Alberts K o m m e n t a r in Handschriften des „Liber sex principiorum" finden.

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Die Organon-Kommentierung Alberts des Großen 193

einen, die zu behandelnden Themen deutlich in den jeweils ihnen zugehöri-


gen Wissenschaftsdisziplinen zu verorten, und ermöglicht es ihm zum ande-
ren, die einzelnen Inhalte gerade mit Blick auf die vielfältigen Möglichkeiten
der Schwerpunktsetzung, die sich aus der Gesamtkonzeption einer umfassen-
den Kommenderung ergeben, anders zu gewichten, als es in den vergleichba-
ren Werken der Fall ist. Wie die Gebrauchsspuren zeigen, hat beides, die
klare Scheidung der Wissenschaftsdisziplinen wie auch die Interdisziplinarität,
bei den Benutzern des 15. Jahrhunderts besondere Aufmerksamkeit gefun-
den.
Schon von seiner Entstehungsgeschichte her ist der „Liber sex principio-
rum" in besonderer Weise mit der Kategorienschrift verbunden, weil er jene
sechs Prinzipien verhandelt, die dort nur kurz erwähnt werden, und weil
in ihm weiterführende Differenzierungen zu dem von Aristoteles Gesagten
vorgenommen werden, wie sich z. B. bei der Behandlung des ^afe'/«j-Bcgriffes
zeigt. Indem der letzte Teil des Textes aus Exzerpten besteht, die „De genera-
tione et corruptione" des Aristoteles entnommen sind, ist die Darstellung
des Problems von magis et minus in besonderer Weise mit den Inhalten dieser
naturkundlichen Schrift verbunden. Die im „Liber sex principiorum" ein-
gangs gegebene Form-Definition wiederum steht in Zusammenhang mit on-
tologischen Fragestellungen und grenzt daher an die „Metaphysik". In Zu-
sammenhang mit der „Physik" stehen die Ausführungen zu den meisten an-
deren Kategorien: dem Raumbegriff verbunden sind übt und positio, zur Me-
chanik gehören actio und passio und zum Zeitbegriff das quando. Für die im
„Liber sex principiorum" erwähnten naturkundlichen Fakten bietet Albert
stets Querverweise auf schon erfolgte oder im Umfeld der Kommenderung
des „Liber sex principiorum" entstehende Paraphrasierungen an. Für die
„Physik" ist dies eindeutig belegbar 10 , für die Parallelen zu Inhalten aus „De
sensu et sensato" oder „De generatione et corruptione" ergibt es sich aus
der großen Vertrautheit mit dem jeweils zu behandelnden Stoff, der auf eine
gegenwärtige intensive Auseinandersetzung auf hohem Niveau schließen läßt.
Auf Gegenstände der „Metaphysik" oder des „Liber de Causis" aber verweist
Albert immer in abgrenzender Form: das zu Diskutierende gehöre nicht der
Logik zu, sondern sei erst in der prima philosophia zu verhandeln. So referiert
er nur kurz z. B. das im „Liber sex principiorum" erwähnte Problem der
Annahme einer anima mutidi (LSP p. 35 v. 15 — Sulzb. p. 53 v. 133sqq.). Ge-
rade hier legen die zum Vergleich herangezogenen Autoren breite Exkurse
und lange Quaestionenreihen an 11 . Ähnliches gilt für die im „Liber sex prin-
cipiorum" angelegte Untersuchung über artifizielle und in der Natur vorkom-
mende Formen (LSP p. 36 v. 14sqq.). Hier wendet sich Albert dem Problem

10 Der Text lautet in Traktat 5 Kapitel 1: „sicut nos (om. Ed. Paris.) probavimus demonstrative (Ed.
Paris: determinative) in IV Physicorum" und verweist auf 1. 4 tr. 2 c. 8 des Physikkommentars
(Ed. Colon, torn. 4.1 p. 251 v. 85sqq.).
11 Kilw. f. 69 r; Vit. q. VI p. 204 v. 17sqq.; Mart. p. 285 v. 20sqq.

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194 Ruth Meyer

der von Menschen herstellbaren Formen zu, betont aber im selben Kapitel,
daß das im „Liber sex principiorum" gleichermaßen diskutierte okkulte Wir-
ken natürlicher Formen zu erklären nicht Sache der Naturkunde oder der
Logik sei, sondern Gegenstand der „Metaphysik" (Sulzb. p. 59 v. 111 sqq.).
Robert Kilwardby hingegen stellt durchaus eine eigene Untersuchung darüber
an, inwieweit im Schöpfer für jedes Geschaffene ein universale ante rem vorhan-
den sein muß, damit sich in der Natur eine Form entwickeln kann, die diesem
Vorbild entspricht (f. 70vb). Diese auffallende Zurückhaltung Alberts gegen-
über metaphysischen Fragestellungen dürfte nicht nur ein Hinweis darauf
sein, daß zur Zeit der Entstehung des Kommentars zum „Liber sex principio-
rum" die „Metaphysik"-Paraphrase noch nicht begonnen war, sie ist auch ein
deutliches Zeichen dafür, daß es Albertus Magnus in seinem Kommentar
darauf ankommt, stets präsent zu halten, in welchem größeren Kontext einige
Themen des „Liber sex principiorum" stehen. Wie keine andere Schrift aus
der Logik verfügt der „Liber sex principiorum" über eine weit über die Logik
hinausgehende Vielfalt an Themen, die Alberts Bemühen um Interdisziplina-
rität und besonders seinem Interesse an naturkundlichen Fragestellungen ent-
gegenkam. Da die anderen Autoren sich aber mehr auf die Darlegung logi-
scher Sachverhalte konzentrierten, dünnte die Auslegung des „Liber sex prin-
cipiorum" inhaltlich offenbar zunehmend aus, weshalb vielleicht gerade der
Kommentar Alberts für die Benutzer des 15. Jahrhunderts die inzwischen in
diesen Bereichen entstandenen Defizite der Erklärung ausglich. So sind z. B.
im Form-Traktat des Albertus Magnus breite Ausführungen über Ursache
und Verlauf generativer Prozesse zu finden, die ganz vom aristotelischen
Erklärungsmodell geprägt sind, wie es auch in „De generatione et corrup-
tione" entfaltet wird, während Martin von Dacien und Magister Vitalis dieser
Detailfrage ausweichen, wohingegen Robert Kilwardby sie wenigstens streift
(f. 72rb—va).
Neben dieser Vielfalt an Querverweisen auf andere Disziplinen, finden
sich nur bei Albertus Magnus ausdrücklich Hinweise auf das genuin der Lo-
gik Zukommende am Text des „Liber sex principiorum", indem er z. B. be-
tont, etwas sei nun logice dicendum oder komme darzulegen nur dem logicus zu.
Dies kann zum einen damit erklärt werden, daß die anderen Autoren von
vornherein stärker als Albert das genuin Logische im Blick hatten und es
daher nicht ausdrücklich sprachlich zu signalisieren brauchten, wenn sie dar-
auf zu sprechen kamen. Zum anderen war es aufgrund der thematischen
Vielfalt, die Alberts Kommentar bot, und aufgrund seines durchgängigen
Anliegens, einen Sachverhalt interdisziplinär unter verschiedenen Perspekti-
ven zu betrachten, klug, die Perspektivenwechsel immer wieder deutlich
kenntlich zu machen. Die Benutzer seines Kommentars haben sich gerade
solche Stellen mit Nota-Händen versehen, weil es bei der Lektüre offenbar
hilfreich war, wollte man z. B. rasch das spezifisch der Logik Zugehörige
auffinden.

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Die Organon-Kommentierung Alberts des Großen 195

Ein besonders repräsentatives Beispiel für Berücksichtigung sowohl der


interdisziplinären Sichtweise als auch der Konzentration auf das genuin Logi-
sche ist Alberts Formtraktat, dessen Inhalte auf die ganze Länge des Kom-
mentars gerechnet die meisten Gebrauchsspuren aufweisen. Zu Beginn seiner
Ausführungen grenzt der doctor universalis den im folgenden zu diskutierenden
Formbegriff deutlich vom platonischen Begriff der Form als quasi Joris manens
und imago ab (Sulzb. p. 50 v. 2sqq.). Dem Logiker komme es allein zu, jenen
Formbegriff zu bestimmen, der für die korrekte Begriffs- und Definitionsbil-
dung gebraucht wird, ohne daß damit aber nur der logische Formbegriff in
heutigem Sinne gemeint ist. Alberts Deutung der im „Liber sex principio-
rum" gegebenen Definition des Formbegriffes (, forma vero est compositioni con-
tingens, simplici et invariabili essentia consistens" LSP p. 35 v. 3sq.) beruht auf einer
konsequenten Anwendung der zu Beginn von „De quinque universalibus"
entwickelten Lehre von Gegenstand und Ziel der Logik. Denn sie ist jene
Wissenschaft, die zur Kenntnis (notio) des Unbekannten durch schon Be-
kanntes führen will 12 . Notio, näherhin notio totius, ist daher das entscheidende
Stichwort, unter dem Albertus Magnus auch das logische Verständnis des
Formbegriffes verstanden wissen will: „Logice enim loquendo est intentio, quae diät
esse formale totius et ipsa notio totius'''' (Sulzb. p. 51 v. 25sqq.). Durch Verwendung
der Begriffe intentio^,forma totius1 A und notio totius15 bringt Albert seine Deu-
tung der Form-Definition in ein Spannungsfeld logischer, erkenntnistheoreti-
scher und ontologischer Fragestellungen.
Welchen Seinsbegriff Albert hier zugrunde legt, zeigt er am Beispiel der
Definition des Menschen und stellt damit seine Ausführungen sofort in einen
genuin der Logik zukommenden Verstehenshorizont, denn es geht ihm im
ersten Teil der Logik um das Thema der korrekten Begriffs- und Definitions-
findung, während er in dem mit „De Interpretatione" einsetzenden zweiten
Teil der Logik mehr das korrekte Bilden von Sätzen, Syllogismen und Argu-
mentationsreihen im Blick hat. Nach Albert wird nun in der klassischen Defi-
nition des Menschen als animal rationale et risibile der Seinsbegriff sive substan-
tiate sive accidentale sive potentiale sive actuale (Sulzb. p. 51 v. 27sq.) erfaßt. Auf die
einzelnen Komponenten der Definition angewandt, bedeutet das, daß animal,
also die Einordnung des Menschen unter die Gattung der Lebewesen, diät

12 Cf. „De quinque universalibus" tr. 1 c. 3, ed. J. Blarer, De antecedentibus ad logicam, in:
Teoresi 9 (1954), 204 v. 40sqq.
13 Eine Auflistung der Bedeutungsmöglichkeiten des /'»fe»to-Begriffes bietet U. Dähnert, Die
Erkenntnislehre des Albertus Magnus gemessen an den Stufen der Abstractio. Mit einem
ausführlichen systematischen Sachverzeichnis und einer monographischen Bibliographie Al-
bertus Magnus (Studien und Bibliographien zur Gegenwartsphilosophie 4), Leipzig 1934,
190.
14 Cf. U. Dähnert, op. cit. (Anm. 13), 96 sqq. Einen Problemaufriß aus der Perspektive des
Metaphysik-Kommentars Alberts des Großen bietet G. Wieland, Untersuchungen zum
Seinsbegriff im Metaphysikkommentar Alberts des Großen (BGPhThMA NF 7), Münster
2 1992, 2 7 - 3 1 .

15 Cf. U. Dähnert, op. cit. (Anm. 13), 195.

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196 Ruth Meyer

esse totius hominis potentielle (p. 51 v. 29sq.). Die Vernunftbegabtheit des Men-
schen als das spezifisch Menschliche wird mit dem rationale ausgedrückt,
<quod> dicit esse totius hominis actuale (v. 30). Von akzidenteller Natur sind
Eigenschaften wie das album esse und das risihile esse. Beide Eigenschaften
unterscheiden sich aber dahingehend, daß die weiße Farbe nicht wesentlich
dem Menschen zukommt, wohl aber seine Fähigkeit zum Lachen, die, selbst
wenn sie niemals aktuiert werden sollte, dennoch den Menschen von jedem
anderen Lebewesen unterscheidet und ihn als Menschen ausweist. Daher
nennt Albert das Lachenkönnen eine Eigenschaft, die zwar dem Ganzen nur
akzidentell zukommt, aber immer accidente (Sulzb.: actuatae) naturae et speciei
<hominis> (p. 51 v. 32sq.). Die Variante accidente/actuatae geht auf eine unter-
schiedliche handschriftliche Tradition zurück, deren Ursache in der großen
graphischen Ähnlichkeit der Schreibweisen (accnte/acfe) zu suchen ist, deren
Entstehung aber auch dadurch begünstigt wurde, daß sich im Laufe der
Uberlieferung das Textverständnis an dieser Stelle offenbar zum nicht not-
wendig aktuierten Zustand der Eigenschaft des Lachenkönnens hin verändert
hat. Einigkeit herrscht indes in allen Handschriften darüber, daß Albert der
Auffassung ist, daß der Begriff „Mensch" das aus „Lebewesen" und „Ver-
nunftbegabtsein" Zusammengesetzte kennzeichnet und daher immer das esse
totum compositum ex utroque (p. 51 v. 31) meint.
Dieses esse kommt nun nur als Zusammengesetztes vor {non est nisi composi-
tioni contingens p. 51 v. 34). Weil ein Zusammengesetztes immer aus Teilen
besteht, scheint es unmöglich, vom Ganzen eine vollständige Erkenntnis zu
haben. Die Eigenschaft des contingens esse aber hilft aus diesem scheinbaren
erkenntnistheoretischen Dilemma. Denn gerade weil das Sein wesenhaft von
einer Form bestimmt ist, die das Zusammengesetzte nur „berührt", aber
eben nicht semper contingit, sed aliquando est substantia (ν. 40), und weil diese
Form durch Abstraktion erkannt werden kann, deshalb ist eine vollständige
Kenntnis des Zusammengesetzten möglich, auch wenn dieses Zusammenge-
setzte in seinen akzidentellen Eigenschaften verschieden und im Ganzen ver-
änderlich ist durch generative und rezessive Prozesse. Diese notio totius nun
beruht auf der intentio, die der Intellekt im Abstraktionsvorgang erwirbt, und
diese intentio läßt sich nach Albert in einem das Ganze erfassenden universale16
ausdrücken (p. 51 v. 35 — 42). Damit kann Albert zusammenfassend schrei-
ben: „Hoc modo forma dicta est universale, quod intellectus ordinat in genere et specie et
cuius coordinationem reduät ad praedicamentum vel prineipium. Et hoc modo forma est
formale esse totius, aeeeptum per intellectum, ... forma in communi, ad esse substantiate

16 Albertus Magnus geht in seinem Kommentar zum „Uber sex prineipiorum" nicht näher
darauf ein, was er hier unter universale versteht, sondern verweist auf das in „De quinque
universalibus" Dargelegte. Eine Deutung des Universalienbegriffes bei Albertus Magnus un-
ter Berücksichtigung seiner komplexen Geschichte bieten ζ. Β. A. de Libera, Albert le Grand
et la philosophie, Paris 1990, 179sqq., und Einleitung und Anmerkungen zu: Texte zum
Universalienstreit, übersetzt und hg. v. H.-U. Wöhler, tom. 2, Hoch- und spätmittelalterliche
Scholastik: Lateinische Texte des 1 3 . - 1 5 . Jahrhunderts. Berlin 1994, 266sq.

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Die Organon-Kommentierung Alberts des Großen 197

vel accidentale totius accepta, praedicabilis de toto et non de parte" (p. 51 v. 49sqq.).
Die vom „Liber sex principiorum" vorgegebene Form-Definition bezeichnet
diese Form auch als simpliä essentia consistens, was von Albert abschließend
dahingehend deutet, daß diese Form die Funktion einer causa esse totius hat,
weshalb sie einfach, essentiell und unveränderlich ist (p. 51 v. 58sqq.). Das
harmonische Zusammenspiel logischer (intentio/universale), ontologischer (sub-
stantia/ essentia) und erkenntnistheoretischer (acceptio/intentio/notio) Kompo-
nenten wird vor allem durch den sowohl in erkenntnistheoretischem wie auch
in sprachphilosophischem Kontext gleichermaßen verwendeten Begriff der
intentio ermöglicht. Seine Verwendbarkeit in beiden Kontexten erlaubt Alber-
tus Magnus eine Erklärung des Formbegriffes, die zwar im Spannungsfeld
von Logik und Ontologie steht, aber letztlich hier besonders auf den für die
Logik bedeutenden Bereich der Begriffs- und Definitionsfindung abzielt. Er
kann forma, intentio und universale in so enge Beziehung setzen, weil für ihn,
unter ontologischem Aspekt gesehen, die Form das Wesen des Seienden be-
stimmt, das unter erkenntnistheoretischem Aspekt in der intentio ganz erfaßt
wird und unter sprachphilosophischem Aspekt unter Verwendung der intentio
in einem ihm entsprechenden universale adäquat prädizierbar ist.
Weil Albertus Magnus schon zu Anfang die Frage der Substantialität der
in der Form-Definition des „Liber sex principiorum" angesprochenen For-
men klärt, kann er sich im 4. Kapitel, bei der Auslegung des 6. Abschnittes
des „Liber sex principiorum" (LSP p. 36 v. 7sqq.) dem subtilen Fall zuwen-
den, wenn Eigenschaften von ihrer Natur her Akzidentien sind, aber den
Modus von Substanzen annehmen und umgekehrt, wenn es eigentlich sub-
stantielle Eigenschaften sind, die den Modus von Akzidentien annehmen
(Sulzb. p. 55 v. 5sqq.). Diese Darlegungen fanden wohl deshalb reges Inter-
esse, weil sich dieses Problem bei keinem der zum Vergleich herangezogenen
Autoren diskutiert findet. Zudem entgeht er damit der Schwierigkeit, daß der
„Liber sex principiorum" von seinem Gehalt her nicht nur über substantielle
Formen handelt, wie die Form-Definition vermuten ließe.
Robert Kilwardby stellt wie Albert in seinem gut zehn Jahre früher entstan-
denen Kommentar bei der Auslegung der im „Liber sex principiorum" gege-
benen Form-Definition eine Beziehung zwischen den Begriffen forma, univer-
sale und intentio her, ist aber nicht von vornherein bereit, alle Begriffe gleichzu-
setzen. Das universale gibt nach seiner Ansicht nur die intentio einer Sache
wieder, die Form hingegen dicit rem cum intentione. Daraus folgert er: „Propter
hoc ergo ea de quibus est intentio, in parte illa magis recipiunt intentionem formae quam
entis ut unius vel universale" (f. 68va). In der Frage, ob es sich bei der im „Liber
sex principiorum" definierten Form um eine substantielle oder akzidentelle
Form handelt, entscheidet sich Robert Kilwardby wie Albertus Magnus zu-
gunsten substantieller Formen und fügt begründend hinzu, daß diese Form
„est intentio universalis, qualis est generis vel speäei sive differentiae. Et quae sic se
habent, habent modum substantiae, forma ergo hic difßnita estforma, quae diätur essentia
scilicet forma universalis" (f. 68 va). Betrachtet man nun die Form nicht secundum

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198 Ruth Meyer

esse quod habet in materia, sondern secundum esse eius esse abstraction^ dann kann
man sie als essentia simplex bezeichnen, denn essentia nominat esse abstractum
(f. 68vb). Im sprachphilosophischen Kontext sind also für Robert Kilwardby
Universalien- und Formbegriff nicht identisch, mit Blick auf die ontologi-
schen Voraussetzungen aber kann er wie Albertus Magnus den im „Uber sex
principiorum" definierten Formbegriff als substantiell und essentiell ansehen.
Weil sich auch Robert Kilwardby schon zu Beginn seines Textes ausführlich
mit der Frage der Substantialität auseinandergesetzt hat, thematisiert er in
seinen Ausführungen den 6. Abschnitt des „Liber sex principiorum" nicht
nochmals eigens.
Magister Vitalis widmet sich der im „Liber sex principiorum" gegebenen
Formdefinition in lectio 1 seines Kommentars, allerdings greift er zunächst
nur zwei Bestimmungen auf, die in der Definition gegeben werden: die Ein-
fachheit und die Unveränderlichkeit. Magister Vitalis zeigt, daß alle Formen
als einfach zu bezeichnen sind (q. II p. 202 v. 3sq.), und daß alle Formen
unveränderlich sind, weil sie per se genommen keine Subjekte irgendeines
Akzidens sind und daher selbst keinerlei Veränderlichkeit unterworfen sein
können (q. IV p. 203 v. 12sq.). In Quaestio V kommt er dann eigens auf die
Definition des „Liber sex principiorum" zu sprechen und interpretiert sie
dahingehend, daß sie mehr auf substantielle denn auf akzidentelle Formen
zutreffe (q. III p. 204 v. 5sqq.). Zu Beginn der 2. lectio indes betont er, daß der
Autor des „Liber sex principiorum" in den zuvor behandelten Abschnitten —
welche ja auch die Form-Definition enthalten — über akzidentelle Formen
habe handeln wollen, während er sich erst im weiteren Text den substantiellen
Formen zuwende (p. 207 v. 3sq.). Dieses schon im „Liber sex principiorum"
angelegte Nebeneinander von Bestimmungen über Substantialformen und
akzidentellen Formen setzt sich im weiteren Verlauf des Kommentars fort
und kann leicht widersprüchlich gedeutet werden. So basiert z. B. die Argu-
mentation des Magister Vitalis in Quaestio IV der ersten lectio auf der traditio-
nellen Lehre, daß substantielle Formen generell unveränderlich, akzidentelle
hingegen veränderlich sind (cf. p. 203 v. 6sqq.). Dann aber dürfte er nicht zu
Beginn von lectio 2 behaupten, der ganze erste Teil des Textes sei akzidentel-
len Formen gewidmet, denn die im ersten Teil enthaltene Form-Definition
beinhaltet ja ausdrücklich die Bestimmung der Unveränderlichkeit, welche
nur substantiellen Formen zukommt. Dieses Nebeneinander von Bestim-
mungen läßt vermuten, daß Magister Vitalis in seinem Kommentar gar keine
in allen Teilen stringente Auslegung des „Liber sex principiorum" unter der
konsequenten Anwendung der dort gegebenen Form-Definition anstrebt,
sondern vor allem darum bemüht ist, möglichst viel Wissenswertes zum
Formbegriff allgemein zusammenzutragen. Nach Konsequenzen der Deu-
tung einer Stelle für andere Kontexte wird dabei nicht weiter gefragt. Das
zeigen auch die weiteren Ausführungen zum 6. Abschnitt des „Liber sex
principiorum", in denen Magister Vitalis auf das Problem der forma universalis
nur insofern zu sprechen kommt, als diese Form ontologisch gesehen in

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Die Organon-Kommentierung Alberts des Großen 199

pluribus habet esse (p. 208 v. 28sqq. u. q. VII p. 213 v. 5sqq.). Ob das Auswir-
kungen hat auf die Möglichkeit, einen Allgemeinbegriff zu bilden, wird von
ihm nicht weiter thematisiert. Verglichen mit solch einer thematisch eher
offen zu nennenden Kommentierung des „Liber sex principiorum", muß
gerade die argumentative Stringenz, wie sie sich bei Robert Kilwardby und
Albertus Magnus findet und bei beiden Autoren aus einer konsequenten An-
wendung des schon im „Organon"-Kommentar Erarbeiteten resultiert, für
ihre Leser besonders attraktiv gewesen sein. Dafür könnten die zahlreichen
Gebrauchsspuren der Leser des 15. Jahrhunderts in Alberts Ausführungen
zum Formbegriff ein Zeichen sein.
Die gegenüber einer Paraphrasierung und einer Litteralexposition für eine
Auswahl an zu behandelnden Themen noch offenere Struktur eines Kom-
mentars in Quaestionenform enthebt Martin von Dacien der Schwierigkeit,
im Kontinuum seines Kommentars sich dem Verlauf des zum Teil redundan-
ten „Liber sex principiorum" anpassen zu müssen. Daher konzentriert er
sich von Anfang an nur auf die grundsätzliche Frage nach Substantialität
oder Akzidentialität der im „Liber sex principiorum" gegebenen Definition
und betont, diese könne eher auf akzidentelle denn auf substantielle Formen
angewandt werden (p. 273 v. 7sqq. und p. 274 v. lsqq.). Die Formen sind nun,
auch wenn sie in Zusammengesetztem vorkommen, dennoch „perprivaüonem
compositionum ex materia et forma" als einfach zu bezeichnen (p. 277 v. 13) und
unveränderlich, weil sie selbst immateriell sind (p. 279 v. 7sqq.). Nicht das
Weißsein an sich oder die Rede an sich verändere sich, sondern der aus
Materie und Form zusammengesetzte Gegenstand, der diese Eigenschaft
trägt oder der mit dieser Rede bezeichnet wird, sei der Veränderung unter-
worfen. Daher sei eine Form nicht per se veränderlich, sondern nur per accidens
(p. 280 v. 14sq.). Die Ausführungen Martins von Dacien sind, was die Zuord-
nung zu substantiellen und akzidentellen Formen angeht, zu denen Robert
Kilwardbys und Alberts des Großen different und verdeutlichen nur an weni-
gen Punkten sprachphilosophische Implikationen, eine Einbeziehung des
Universalienbegriffes z. B. entfällt ganz. Verglichen mit den Ausführungen
des Magister Vitalis, bleibt der Kommentar Martins von Dacien in sich völlig
widerspruchsfrei, erreicht aber argumentativ nicht dieselbe Stringenz, die den
Kommentar Alberts des Großen auszeichnet.
Am Beispiel des Formbegriffes zeigt sich, daß man sich offenbar nach
Albertus Magnus nicht nur zunehmend von einer stringenten Ausdeutung
der inhaltlichen Vorgaben des „Liber sex principiorum" entfernt, sondern
sich auch mehr und mehr eher allgemeinen Darlegungen zuwendet, ohne die
sprachphilosophischen Implikationen des Gesagten weiter zu berücksichti-
gen, obwohl es sich beim „Liber sex principiorum" ja um einen Text handelt,
der innerhalb des „Organon" rezipiert wird. Alberts Text dürfte dann wohl
gerade deshalb noch im 15. Jahrhundert großes Interesse gefunden haben,
weil er das spezifisch Logische ebenso wieder ins Bewußtsein hebt, wie er
der inhaltlichen Vielfalt des zu kommentierenden Textes gerecht zu werden

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200 Ruth Meyer

versucht. Daher darf wohl postuliert werden, daß sein in der Geschichte der
Logik einmaliger Versuch einer möglichst umfassenden Interpretation eines
Textes des „Organon" auf dem Hintergrund der Kommentierung des gesam-
ten corpus Aristotelicum offenbar nicht nur dem 13. Jahrhundert neue Perspekti-
ven eröffnet hat. Weder vor noch nach Albert scheint es eine wissenschaftssy-
stematisch so klar fundierte Deutung des „Liber sex principiorum" von sol-
cher inhaltlicher Weise und gleichzeitiger argumentativer Geschlossenheit zu
geben. Wie kein anderer Autor stellt Albertus Magnus die kleine Schrift des
„Liber sex principiorum" in einen weiten Verstehenshorizont, und wie kein
zweiter verknüpft er die Lehrinhalte unterschiedlichster Disziplinen mittels
Querverweisen derart, daß der Leser sich nicht nur bei der Lektüre des Kom-
mentars selbst auf eine umfassende Sicht der Dinge einlassen muß, sondern
sich letztlich vor die gewaltige Aufgabe gestellt sieht, auch die anderen Werke
Alberts des Großen zu studieren, will er zu einem schlüssigen Gesamtbild
kommen. Ob das die mittelalterlichen Leser getan haben, verraten die Benut-
zerspuren, die hier erfolgreich als Lotsen zu einer ersten Charakterisierung
der Eigenheiten des Albertschen Kommentars gedient haben, nicht. Es sollte
uns heutigen Interpreten nur eine Mahnung sein, daß sich letztlich für die
Logik ein adäquates Verständnis der Lehrmeinungen Alberts nur auf der
Basis einer interdisziplinären Lektüre ergeben wird, bei deren Deutung die
philosophischen, naturkundlichen und theologischen Konnotationen glei-
chermaßen zu berücksichtigen sind. Gerade der Beitrag Alberts zur Ge-
schichte der Logik könnte dann in einem anderen Licht erscheinen, als es
bislang der Fall ist.
Es dürfte im Laufe der Untersuchung zum einen deutlich geworden sein,
wie wichtig für das Verständnis des Albertschen Kommentarwerkes die Be-
rücksichtigung seines Perspektivenreichtums ist, zum anderen dürfte sich
aber auch gezeigt haben, daß der interdisziplinäre Ansatz Prämissen unter-
liegt und Konsequenzen zeitigt. Die von Albertus Magnus in bezug auf den
Formbegriff der Logik versuchte Synthese der ontologischen, erkenntnis-
theoretischen und sprachphilosophischen Perspektive kann nur gelingen,
wenn man voraussetzt, daß der Mensch das Sein und das Wesen einer Sache
erfassen und in einem Begriff adäquat wiedergeben kann, und wenn man
davon ausgeht, daß sich Fachtermini, die aus unterschiedlichen philosophi-
schen Disziplinen stammen, in Analogie setzen lassen. Dieses Bemühen um
eine Synthese kennzeichnet nun nicht nur seine Darlegungen zum Formbe-
griff, sondern ließe sich für den Kommentar zum „Liber sex principiorum"
insgesamt zeigen. Es hat zur Konsequenz, daß immer wieder präsent gehal-
ten werden muß, in welcher Bedeutungsperspektive ein Begriff gerade ver-
wendet wird, damit es nicht zu Mißverständnissen kommt. Albert gibt des-
halb in seinem Kommentar zum „Liber sex principiorum" immer wieder an,
welcher Wissensdisziplin das gerade Dargelegte angehört, damit dem Leser
mitzudenkende Konnotationen und Grenzen eines verwendeten Begriffes
oder Beispiels präsent bleiben. Je mehr nun die Logik zu einer autarken

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Die Organon-Kommentierung Alberts des Großen 201

Dis2iplin wird, die nicht mehr unbesehen ontologische und erkenntnistheore-


tische Prämissen übernimmt, wofür der Wandel von einer realistisch gepräg-
ten, ontologisch fundierten Logik hin zu einer nominalistisch geprägten, rein
innersprachlich fundierten Logik ein Indiz ist, desto weniger wird es noch
möglich sein, einen solch interdisziplinären Ansatz mit Wandlungen gegen-
über äußerst sensiblen Begriffsanalogien aufrechtzuerhalten. Aus dieser phi-
losophiegeschichtlichen Perspektive heraus gesehen, gewinnen die Benutzer-
spuren des 15. Jahrhunderts weiteres Gewicht, denn sie zeigen, daß Alberts
Kommentar damals nicht ad acta gelegt, sondern als ein Text wahrgenommen
wurde, der sich nicht nur darum bemüht, ein nützliches Kompendium für
philosophiegeschichtliche Tendenzen zu sein. Die zahlreichen Nota-bene wür-
digen vor allem Alberts Anliegen, der Logik zugehörige Inhalte aus möglichst
verschiedenen Perspektiven heraus zu erfassen und auf dem Hintergrund
der verschiedenen Disziplinen zu verstehen, damit die Logik ein organon, ein
geeignetes Werkzeug für alle Wissenschaften sein kann. Dies sollte dazu er-
mutigen, auch in die heutige Forschungsdiskussion Alberts „Organon"-Kom-
mentar wieder einzubringen, wenn man sich um eine Rekonstruktion des
Perspektivenreichtums bemüht, den das 13. Jahrhundert zu bieten hatte.

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Die ,deutsche Dominikanerschule'
Zur Problematik eines historiographischen Konzepts
NIKLAUS LARGIER (CHICAGO)

Ist Johannes Tauler und sein Werk einer Schule zuzurechnen? Wie steht
es mit Eckhart von Hochheim, geht sein Denken aus derselben, älteren
Schultradition hervor? Und wie hat man sich die Situation im Falle Heinrich
Seuses und Dietrichs von Freiberg vorzustellen? Sind diese Figuren, allesamt
Dominikaner aus dem deutschsprachigen Raum, Vertreter einer sie verbin-
denden Schule? Gewiß, das Denken dieser in ihren Texten so verschiedenen
spätmittelalterlichen Autoren ist auf Schultraditionen zu beziehen. Und zwei-
fellos müssen, dies hat die Forschung der letzten Jahre im Anschluß an ältere
Untersuchungen vor allem Martin Grabmanns deutlich gemacht, Eckhart,
Tauler und Seuse im Kontext, das heißt, im Blick auf die zeitgenössische
Einbettung ihrer Texte gelesen werden. Dabei spielt die Schule, aus der sie
kommen, eine wichtige Rolle. Bei den deutschsprachigen Dominikanern ist
dies in den meisten Fällen zunächst das Studium generale des Ordens in
Köln, wo Albert der Große Mitte des 13. Jahrhunderts gelehrt hat und Tho-
mas von Aquin sein Student war. So gehören denn die genannten Figuren,
insofern sich ihr Studiengang, ihre Texte oder ihre Tätigkeit auf Köln bezie-
hen läßt, zur ,deutschen Dominikanerschule' 1 , oder, wie man früher sagte,
zur „deutschen Dominikanerscholastik" 2 . Wir wissen denn auch, daß Alber-
tus Magnus, Johannes Picardi von Lichtenberg, Berthold von Moosburg und
Heinrich de Cervo dort gelehrt, daß Ulrich von Straßburg, Johannes von
Dambach, Konrad von Halberstadt und Heinrich Seuse dort studiert haben.
Bei anderen, etwa Heinrich von Lübeck, Nikolaus von Straßburg, Johannes
und Gerhard von Sterngassen, Dietrich von Freiberg und Meister Eckhart

1 Zur .deutschen Dominikanerschule' siehe neben den in den folgenden Anmerkungen zitier-
ten Studien von L. Sturlese: R. Imbach et al. (eds.), Albert der Große und die deutsche
Dominikanerschule, Freiburg 1985; M. J. F M. Hoenen / A. de Libera (eds.), Albertus Mag-
nus und der Albertismus. Deutsche philosophische Kultur des Mittelalters, Leiden etc. 1995.
— Ich verzichte hier auf ausführliche Literaturangaben und verweise auf die folgenden For-
schungsberichte: N. Largier, Meister Eckhart. Perspektiven der Forschung, 1980 — 1993, in:
Zeitschrift für deutsche Philologie 114 (1995), 2 9 - 8 9 ; id., Recent Work on Meister Eckhart.
Positions, Problems, New Perspectives, in: Recherches de Theologie et Philosophie medieva-
les 65 (1998), 1 4 7 - 1 6 7 .
2 M. Grabmann, Der Einfluß Alberts des Grossen auf das mittelalterliche Geistesleben, in:
id., Mittelalterliches Geistesleben, München 1936, vol. 2, 3 2 5 - 4 1 3 .

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Die ,Deutsche Dominikanerschule' 203

sind wir auf Vermutungen und mehr oder weniger klare Indizien angewiesen,
da sichere Belege fehlen 3 . Die Uberlieferung ist oft zu karg, die Quellenlage
ist schlecht, und man wird wohl auch in Zukunft hier kaum klare Umrisse
einer Schule zeichnen können 4 . Dennoch ist es historisch in verschiedener
Hinsicht legitim, von der ,Albertschule' zu sprechen, die in Köln ihren Aus-
gangspunkt besitzt und zu der die genannten Dominikaner in einem mehr
oder weniger engen Kontakt stehen.
Nun impliziert das Wort,Schule' in der Philosophiegeschichte nicht nur eine
nominelle Provenienz, sondern weit mehr, nämlich einen bestimmten Stil zu
denken, eine Vorliebe für bestimmte Fragen und Konzepte, in der Regel auch
ein intellektuelles Programm. Zudem denkt man bei .Schulen' an Gründerfigu-
ren, hier natürlich an Albert den Großen, die das intellektuelle Zentrum und
den Duktus anfangs bestimmen und auf deren Intention sich die Hermeneutik
der Nachfolger ebenso wie ihre Distanzierung bezieht. Oft spricht man von
Schülern denn auch nicht nur im anerkennenden Sinne, sondern als Charakteri-
sierung einer Abhängigkeit, die im Auge der Moderne ebensogut einen Mangel
an Selbständigkeit wie eine Anerkennung auszudrücken vermag. Schüler sind
oft die Kleineren, die neben den Großen bestenfalls auf ihren Schultern stehen.
,Schule' ist damit eine durchaus ambivalente Bezeichnung, die, wo sie Gemein-
samkeiten hervorhebt, gleichzeitig zum Verdrängen der Differenzen und zur
Privilegierung gewisser Aspekte neigt, deren Gewicht oft weniger von den Tex-
ten als von den Interpreten diktiert ist.
So ist denn ,Schule' ein Begriff, der auch angesichts der Theologen und
Philosophen, die aus dem Kölner Studium generale hervorgingen, mit Vor-
sicht zu verwenden ist. Ich möchte ihn, dies sei hier vorweggenommen,
durch ein Konzept von Intertextualität ersetzen, das den Texten eine größere
Offenheit zugesteht, als dies der Begriff der Schule tut; ein Konzept von
Intertextualität, das — wie ich hinzufügen möchte — durchaus offen ist für
die historische Konturierung spezifischer Interessen, Dependenzen und re-
gionaler Konfigurationen 5 , gleichzeitig aber im Gegensatz zum Begriff der
.Schule' vermeidet, in diesen das konstitutive Element und damit die Erklä-
rungsgrundlage der Texte zu sehen. Der Blickpunkt der Intertextualität und
damit einer Forschung, die primär an der ideengeschichtlich komplexen Ver-
knüpfung der Texte interessiert ist, meint einen praktischen historischen Zu-
gang, der die Privilegierung eines ideologischen Momentes (der ,Schule' bzw.
eines programmes') und einer ,Intention' oder .Strategie' durch eine Lektüre

3 Cf. L. Sturlese, Die Kölner Eckhartisten. Das Studium generale der deutschen Dominikaner
und die Verurteilung der Thesen Meister Eckharts, in: A . Zimmermann (ed.), Die K ö l n e r
Universität im Mittelalter (Miscellanea Mediaevalia 20), B e r l i n - N e w York 1 9 8 9 , 1 9 2 - 2 1 1 ,
bes. 193sq.
4 Cf. da2u: W Senner, Johannes von Sterngassen, Pars 1, Berlin 1 9 9 5 , 1 2 6 - 1 4 1 .
5 Cf. hier besonders L. Sturleses K o n z e p t einer „regionalen Philosophiegeschichte": id., Die
deutsche Philosophie im Mittelalter. V o n Bonifatius bis zu Albert dem Großen, 7 4 8 - 1 2 8 0 ,
München 1 9 9 3 , 9 - 1 4 .

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204 Niklaus Largier

ersetzt, die zunächst von der Diversität und von Elementen gegenseitiger
Reflexion in den Texten ausgeht und diesen gerecht zu werden sucht, ohne
dabei zu suggerieren, korrekt zu rekonstruieren, was ein Autor ,wollte'. Damit
soll auch versucht werden, nicht primär von ,Einflüssen' und ^Abhängigkei-
ten' — sei es im gegebenen Fall von Albert oder von Thomas — zu sprechen,
sondern zu untersuchen, wie sich Konzepte und Gedanken in verschiedenen
Texten spiegeln und wie sie gegebenenfalls weiterverwendet und kontrovers
behandelt werden.
Gerade die Erforschung der Texte, die heute der ,deutschen Dominikaner-
schule' im weiteren Sinne zugerechnet werden, hat denn auch einerseits ge-
zeigt, wie fruchtbar ein solches Verfahren ist. Dies belegen vor allem die
Studien von Kurt Flasch, Loris Sturlese, Burkhard Mojsisch, Ruedi Imbach
und Alain de Libera. Gleichzeidg hat sich die Forschung mit der Privilegie-
rung des Konzeptes der ,Schule' und des Blickes auf Linien der Abhängigkeit,
wie ich meine, zum Teil der Möglichkeiten beraubt, in den Texten auch an-
dere, heterogene Reflexe zu entdecken. Dies ist etwa bei einer heute zum
Teil süllschweigend vorausgesetzten Identität des Eckhartschen Begriffs vom
Seelengrund mit Dietrichs Intellektbegriff der Fall.
Solche eigentliche historische ^Abhängigkeit' — etwa im Blick auf den Be-
griff des Intellekts — und damit die Konstruktion einer homogenen Linie
der Dependenz ist im Rahmen einer intertextuellen Perspektive höchstens als
ein spezieller Fall der Verküpfung zu betrachten, der in den Texten vielleicht
gelegentlich aufzuspüren, aber nicht — schon gar nicht als ,Programm' oder
als .Intention' — vorauszusetzen ist. Im Verhältnis Eckharts zu Dietrich etwa
hat die Entdeckung des Bezuges, der differenzierter wahrgenommen werden
müßte, dazu geführt, daß hier in einer Verengung des Blickes Eckhart oft
nur noch aus dieser Perspektive wahrgenommen wird.

I.

Doch wenden wir uns nach dieser methodischen Vorbemerkung der deut-
schen Dominikanerschule' und der in den letzten Jahren vor allem im An-
schluß an die Editionen des ,Corpus Philosophorum Teutonicorum Medii
Aevi' vieldiskutierten Frage zu, ob und wie sich am Kölner Generalstudium
eine „deutsche Dominikanerphilosophie" 6 entwickelte und ob das General-
studium damit wirklich durch seine philosophische Identität auch zu einem
kulturpolitischen Zentrum werden konnte. Inwiefern man im Anschluß an
diese These mit Loris Sturlese „von einem deutschen philosophischen Leben
mit autonomen Zügen bereits in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts
sprechen" kann und ob der „kulturelle Primat der Dominikaner in Deutsch-

6 L. Sturlese, Die Kölner Eckhartisten (n. 3), 194.

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Die ,Deutsche Dominikanerschule' 205

land, wenigstens bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts" 7 darin gründet, kann
hier nur am Rande gefragt werden. Zweifellos wären — soll wirklich von
einem solchen Primat ausgegangen werden — weitere historische Faktoren
zu berücksichtigen. Ich denke vor allem an die cura monialium, an die Beginen-
spiritualität und an die freigeistigen Häresien, deren kulturprägende Kraft vor
allem dem Rhein endang nicht zu übersehen ist. Das Gewicht der „schrift-
stellerischen Produktion der Dominikaner", auf das Loris Sturlese in diesem
Zusammenhang zu recht hingewiesen hat 8 , ist hier indes nicht schlechthin als
Kulturmonopol zu betrachten, unterschätzt das ausschließlich auf schriftliche
Dokumente abhebende Argument doch die — in der Uberlieferung schwer
rekonstruierbare — Mündlichkeit ebenso wie die kulturelle Bedeutung der
visuell-piktoralen Traditionen, die etwa in den Schriften Seuses deutlich greif-
bar werden. Gerade diejenigen Dominikanerprediger, deren kulturelle Aus-
strahlung über die Grenzen des philosophischen und theologischen Fachdis-
kurses hinaus historisch überhaupt faßbar ist, standen im engen Kontakt mit
den Beginen und mit einer vor allem in den Städten immer deutlicher sich
abzeichnenden Laienspiritualität. In Ansätzen in den Texten faßbar ist dies
beim späten Eckhart, deutlich wird es bei Seuse und Tauler. Historisch zu
belegen ist eine Beziehung zu Beginenkreisen auch bei Dietrich von Freiberg,
dem nach legendarischer Uberlieferung in einer Vision eine Begine über Al-
bert den Großen berichtete 9 . Petrus de Dacia, der mit Christina von Stom-
meln im Briefwechsel stand, Berthold von Moosburg, der als Testamentsvoll-
strecker der Begine Bela Hardevust fungierte, und Henricus de Hunnis stan-
den ebenfalls in engem Kontakt mit Beginen.
Man ist traditionsgemäß seit der Wiederentdeckung der einschlägigen
Texte im 19. Jahrhundert geneigt, die Bedeutung dieser Beziehungen für die
Konstitution philosophischer Konzepte herunterzuspielen, doch wird gerade
dies dem Anliegen eines am Kontext orientierten Verständnisses nicht ge-
recht, soll dieses den breiteren kultur- und ideengeschichtlichen Horizont
reflektieren. Läßt sich vielleicht die Bedeutung der Traktate Dietrichs von
Freiberg aus einer fachspezifisch begrenzten philosophischen und theologi-
schen Perspektive erschließen, bedeutet dies jedoch gerade bei Eckhart, Seuse
und Tauler eine unzulässige Verengung des Blickwinkels. Angesichts der hi-
storischen Querbezüge fällt denn auch, dies sei hier vorausgeschickt, die Be-
grenztheit einer Untersuchung auf, die sich gewissermaßen auf die konstitu-
tive Funktion des philosophischen Diskurses beschränkt, erweist sich doch
dessen kulturpolitische Bedeutung (um dieses moderne Konzept hier noch-
mals zu verwenden) — wenn überhaupt — im Mittelalter nur durch die Refle-
xion in anderen Texten, in der bildenden Kunst und in der Musik. Dies

7 Ibid.
8 Ibid.
9 L. Sturlese, Dokumente und Forschungen zu Leben und Werk Dietrichs von Freiberg (Cor-
pus philosophorum Teutonicorum medii aevi, Beiheft 3), Hamburg 1984, 12 — 15.

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206 Niklaus Largier

belegt vor allem das Werk Heinrich Seuses, der im Blick auf die kulturelle
Ausstrahlung im Spätmittelalter wohl bedeutendsten Figur aus dem Kreis der
deutschen Dominikaner. Demgegenüber scheint die Ausstrahlung, die sich
etwa im Falle Dietrichs von Freiberg rekonstruieren läßt, ja selbst die Aus-
strahlung Eckharts auf seine Zeitgenossen gering.

II.

Doch blenden wir hier zurück und versuchen wir, die anfänglichen Leitele-
mente der deutschen Dominikanerphilosophie und -theologie zu identifizie-
ren, gehört doch Seuse, der in Köln studiert hat, bereits zu einer späteren
Generation, die durch Meister Eckhart und den Prozeß gegen ihn geprägt
ist. Zudem hat sich hier — auch dies ist ein kulturgeschichtlich sehr wichtiges
und für die Geschichte der Philosophie bedeutsames Element — das sprachli-
che Umfeld verändert, schreibt Seuse doch — abgesehen vom „Horologium
sapientiae" — seine wichtigsten Texte in der Volkssprache.
Dies ist bei Dietrich von Freiberg, dem oft eine Schlüsselstellung in der
,deutschen Dominikanerschule' zugeschrieben wurde, noch nicht so. Sein
überliefertes Werk, dessen Edition und Interpretation das Verdienst vor allem
von Kurt Flasch, Loris Sturlese, Burkhard Mojsisch, Ruedi Imbach und Alain
de Libera ist, besteht aus Traktaten, in denen er philosophische, theologische
und naturwissenschaftliche Fragen behandelt. Dietrich kommt bei der Dar-
stellung der Philosophie der deutschen Dominikanerschule in den Studien
der genannten Forscher in der Regel deshalb eine Schlüsselstellung zu, weil
er Konzepte Alberts in entscheidender Weise weiterdenkt und zudem in ver-
schiedener Hinsicht als Quelle des Denkens Meister Eckharts, zum Teil über
Eckhart vermittelt auch Heinrich Seuses und Bertholds von Moosburg gilt.
Es fehlt hier die Zeit, um auf die Argumente im einzelnen einzugehen,
doch möchte ich wichtige Punkte stichwortartig festhalten, die von der For-
schung herausgestellt wurden: Hinzuweisen ist zunächst auf Alberts Verarbei-
tung des „Liber de causis", dann auf die „Elementatio theologica" des Pro-
clus, die bei Albert, Dietrich und Eckhart zitiert wird und die Berthold von
Moosburg vollständig kommentiert hat. Dieser Traditionsstrang verbindet
sich bei Albert mit der wichtigen Rolle, die Dionysius und Avicenna spielen,
bei Dietrich zusätzlich mit seiner Auseinandersetzung mit Averroes. Hervor-
zuheben ist dabei vor allem das intellektuell-spekulative Moment, das als
charakteristisches Merkmal der deutschen Dominikaner bezeichnet werden
kann. Darauf baut denn auch Dietrich von Freiberg mit seiner Intellekttheo-
rie in einer Weise auf, die — hier auch im Blick auf Eckhart — etwas zuge-
spitzt folgendermaßen zusammengefaßt wird: „Alberts und Ulrichs göttli-
cher Intellekt' (intellectus divinus als aliquid divinum in nobis) wies die Richtung
— größtmögliche (partizipative) Annäherung an die göttliche Vernunft —,
Dietrichs .tätiger Intellekt' (intellectus agens) war progressiver konzipiert — in

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Die ,Deutsche Dominikanerschule' 207

einem Akt intellektueller Anschauung Erkenntnis der Gottheit, des intellektu-


ellen Wesens des Intellekts selbst und des Seienden als solchen —, noch
progressiver Eckharts ,Etwas in der Seele' (aliquid in anime), der Seelengrund
— im Durchdringen der einheits- und trinitätstheoretischen Strukturen ewig
sich selbst gewinnendes und es selbst bleibendes Erkennen als solches in
seiner Ungeschaffenheit und Unerschaffbarkeit." 10
In diesem Zusammenhang ist zudem Dietrichs Verständnis des Menschen
als imago und als similitudo Gottes von Bedeutung, bildet seine imago-Theorie
doch zumindest einen Hintergrund der Eckhartschen imago-Lehre, auch wenn
ich nicht damit übereinstimme, daß Eckharts Denken im Blick auf seine Bild-
Theorie „der imago-Lehre Dietrichs [...] entspricht" 11 . — Andere Denkmo-
tive wären hier zu erwähnen, die Dietrich mit Eckhart, diese zwei wiederum
mit Seuse oder mit Berthold und Tauler verbinden.
Soviel in zugegebenermaßen fahrlässiger Kürze zu denjenigen Aspekten,
die als Belege dafür herangezogen werden, daß mit dem Kölner Studium
generale nicht nur ein Bildungsinstitut der Dominikaner existierte, sondern
daß sich darin gleichzeitig auch eine bestimmte intellektuelle Tradition
formte, die bis in die Mitte des 14. Jahrhunderts das Denken prägte und
deren Wirkung — über die Lektüre Eckharts und Bertholds von Moosburg
— noch bei Nicolaus Cusanus nicht zu unterschätzen ist.
Nun sind aber, wie vor allem Burkhard Mojsisch, Alain de Libera und
Ruedi Imbach angesichts der neuedierten Texte betonen, auch die massiven
Divergenzen zwischen den Autoren nicht zu unterschätzen. Imbach hält in
einem Aufsatz mit dem Titel ,Die deutsche Dominikanerschule: Drei Modelle
einer Theologia mystica' fest, „daß im Kreise der deutschen Dominikaner mit
ganz verschiedenen philosophischen und theologischen Ansätzen gerechnet
werden muß" 12 . Mojsisch und de Libera schreiben in ihrer Einleitung zum
ersten Band der Werke Ulrichs von Straßburg: „Das Denken im mittelalterli-
chen Deutschland dieser Jahre nahm in der Tat seinen Ausgang von Albert,
verzweigte sich dann jedoch, um einzig in dieser Mannigfaltigkeit seine Ein-
heit zu bewahren" 13 . Und Alain de Libera hat in der Einleitung seiner Dar-
stellung der „mystique rhenane" hervorgehoben, daß auch das Verhältnis der
einzelnen Denker zu Thomas und Albert nicht als Wasserscheide betrachtet

10 A. de Libera / Β. Mojsisch, Einleitung, in: Ulrich von Strassburg, De summo bono, Liber I, ed.
Β. Mojsisch (Corpus philosophorum Teutonicorum medii aevi 1), Hamburg 1989, XXII.
11 So K. Flasch, Predigt Nr. 52: ,Beaü pauperes spiritu', in: G. Steer / L. Sturlese (eds.), Lectura
Eckhardi, vol. 1, Stuttgart etc. 1998, 169.
12 R. Imbach, Die deutsche Dominikanerschule: Drei Modelle einer Theologia mystica, in:
M. Schmidt (ed.), Grundfragen christlicher Mystik. Wissenschaftliche Studientagung Theolo-
gia Mystica in Weingarten vom 7 . - 1 0 . November 1985 (MGG 1/5), Stuttgart-Bad Cannstatt
1987, 1 5 7 - 1 7 2 . - Cf. L. Sturlese, Meister Eckharts Weiterwirken. Versuch einer Bilanz, in:
H. Stirnimann / R. Imbach (eds.), Eckardus Theutonicus, homo doctus et sanctus. Nach-
weise und Berichte zum Prozeß gegen Meister Eckhart (Dokimion 11), Freiburg 1992,
1 6 9 - 1 8 3 ; id., Die Kölner Eckhartisten (n. 3), 1 9 2 - 2 1 1 .
13 L.c. (n. 10), XII.

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208 Nikiaus Largier

werden darf 14 . Wie Jan Aertsen in einem Beitrag über .Albertus Magnus und
die mittelalterliche Philosophie' gezeigt hat 15 , ist Albert und die Albertschule
weder im Schatten des Thomas, noch in schroffer Entgegensetzung, sondern
durchaus eigenständig zu verstehen.
Angesichts dieser die Diversität betonenden Feststellungen wird man denn
die .deutsche Dominikanerschule' wohl eher als ein heuristisches Konzept
sehen wollen — wie es zu Grundmanns Zeiten die .deutsche Dominikaner-
scholastik' war —, das es möglich macht, gewissen Argumenten in verschie-
denen Verwendungskontexten zu folgen und gewisse Aspekte in einer
Gruppe von Texten, die in verschiedenster Weise zweifellos aufeinander Be-
zug nehmen, klarer zu fassen. Gleichzeitig verdeckt die Idee der Schule indes
— etwa dort, wo man nun schon gewohnheitsmäßig dazu übergeht, Dietrich
und Eckhart im selben Atemzug zu nennen — auch, daß die Differenzen
zwischen den Texten durchaus gravierend sind und daß dadurch oft für die
Ermittlung ihrer kulturhistorischen und ideengeschichtlichen Relevanz doch
ganz entscheidende Faktoren eliminiert werden. Wie Alain de Libera zu recht
betont, ist die Besonderheit der „theologie rhenane" denn auch nicht ihre
spezifisch .philosophische' Natur, wie sie sich einer aus der Aufklärungsper-
spektive argumentierenden Geschichtsschreibung seit dem 19. Jahrhundert
zum Teil darstellt, sondern die charakteristische Verbindung eines philosophi-
schen, eines theologischen und eines spirituellen Interesses 16 .
Dies zeigt sich gerade in denjenigen Werken, die — in durchaus unter-
schiedlicher Art — im 14. Jahrhundert eine Art Synthese bieten und einen
bestimmten Weisheitsbegriff entwickeln: im Prokloskommentar Bertholds
von Moosburg und im Werk Heinrich Seuses. In vollkommen verschiedener
Weise begegnen wir hier zwei Versuchen, einen Begriff von Weisheit zu ent-
werfen, in dem Philosophie, Theologie und Spiritualität konvergieren. Seuse
spricht in diesem Zusammenhang von einer spiritualis philosophia, die mit der
Weisheit der Wüstenväter eins ist und gleichzeitig den Eckhartschen Gelas-

14 A. de Libera, Introduction ä la mystique rhenane, d'AIbert le Grand ä Maitre Eckhart, Paris


1984, 12: „Nous essaierons avant tout de donner l'image d'une continuite: celle de la refle-
xion et de la predication, de la pensee et de l'experience, de l'effort intellectuel et de l'entree
dans l'inconnu, car c'est cette continuite qui fait la specificite de la theologie rhenane, ä la
fois et indissolublement philosophique et spirituelle. C'est eile qu'il nous faut expliquer et
decrire dans son .adhesion' ä des theses neoplatonisantes ,qui ont recueilli l'heritage sapien-
tiel de la speculation d'AIbert' (L. Sturlese). Ce faisant, nous n'aborderons pas expressement
le probleme de l'hetero-thomisme ou de l'anti-thomisme suppose ou reel de la theologie
issue de l'eveque de Ratisbonne, car, si Thierry de Freiberg s'est explicitement oppose ä
Thomas, il n'en a pas ete de meme d'Eckhart, qui a defendu certaines de ces doctrines sur
la vision beatifique, ou d'Ulrich Engelbert de Strasbourg, qui a redige sa Summa de summo
bono sans jamais penser, semble-t-il, aux enseignements du .venerable frere Thomas d'Aquin'.
L'anti-thomiste est une caracteristique de la pensee de Thierry de Freiberg et de ceux qui
l'ont suivi: ce n'est pas le caractere central de la theologie rhenane."
15 Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 21 (1996), 1 1 1 - 1 2 8 .
16 L.c. (η. 14).

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Die .Deutsche Dominikanerschule' 209

senheitsbegriff weiterentwickelt; Berthold von Moosburg nennt seine spiritua-


lis philosophia im Anschluß an die Procluslektüre eine divinalis supersapientia, die
über den aristotelischen Begriff der sapientia hinausführt. Wie Sturlese gezeigt
hat, finden sich Reflexe der Procluslektüre Bertholds auch bei Tauler, dessen
Texte wiederum vielfältig mit Eckhart verknüpft sind 17 .
Auch die Diskussionen über das Verhältnis von Natur und Gnade, denen
wir in volkssprachlichen Texten begegnen, gehören in diesen Kontext einer
differenzierten Diskussion über sapientia und beatitude. Gerade die volks-
sprachlichen Texte aber verweisen hier auf ein weiteres Element, das über
den regional eingeschränkten Blickpunkt der ,deutschen Dominikanerschule'
hinausführt, nämlich eine Verknüpfung von Fragen, wie sie einerseits durch
die Pariser Verurteilungen von 1277 aufgeworfen wurden, andererseits aber
schon früher und bis in die frühe Neuzeit in volkssprachlichen Texten und
Dokumenten aus Beginenkreisen begegnen. Dies belegt, wie ich meine, daß
hier auch für die Evaluation der Bedeutung philosophischer Argumente ein
weiterer Horizont in Betracht zu ziehen ist. Daß dieser Horizont gerade bei
den Dominikanergelehrten einen Austausch über die eigene Schule hinaus
auch mit der volkssprachlichen und, wie ich meine, vor allem .allegorischen
Theologie' einschließt18, die sich in Deutschland und den Niederlanden ent-
wickelt, scheint mir deutlicher wahrgenommen werden zu müssen.
Tut man dies nicht, sind Texte wie die deutschen Predigten Eckharts, an-
dere Predigtsammlungen (etwa der „Paradisus anime intelligentis"19), die
Werke Taulers und Seuses immer nur als Ubersetzungsliteratur zu begreifen,
in denen sich der Fachmann an den Laien wendet und komplexe philosophi-
sche und theologische Gedanken gewissermaßen vulgarisiert. Gerade dies ist
indes nicht der Fall, entwickeln sich doch in den volkssprachlichen Texten
Konzepte und Denkformen, die für die Geschichte der Philosophie, vor
allem aber für die Kultur- und Ideengeschichte des Spätmittelalters von Be-
deutung sind. Ich möchte hier vor allem auf die hermeneutisch-rhetorische
Ebene und auf die Theorie der Bildlichkeit und Imagination 20 hinweisen.

17
Cf. L. Sturlese, Tauler im Kontext. Die philosophischen Voraussetzungen des ,Seelengrun-
des' in der Lehre des deutschen Neuplatonikers Berthold von Moosburg, in: Beiträge zur
Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 109 (1987), 3 9 0 - 4 2 6
18
Cf. N. Largier, Von Hadewijch, Mechthild und Dietrich zu Eckhart und Seuse? Zur Historio-
graphie der .deutschen Mystik' und der .deutschen Dominikanerschule', in: W. Haug /
A. Haas (eds.), Deutsche Mystik im abendländischen Zusammenhang, Tübingen (im Druck).
— Den Begriff „vernacular theology" führt Bernard McGinn in die Diskussion ein. Cf. id.,
Introduction: Meister Eckhart and the Beguines in the context of Vernacular Theology, in:
id. (ed.), Meister Eckhart and the Beguine Mystics. Hadewijch of Brabant, Mechthild of
Magdeburg, and Marguerite Porete, New York 1994, 1 - 1 4 .
19
Siehe dazu jetzt das Nachwort in: Paradisus anime intelligentis. Paradis der fornuftigen sele,
ed. Ph. Strauch, Berlin 1919. 2. Aufl. ed. N. Largier / G. Fournier, Hildesheim 1998 (DTM
30), 173-190.
20
Cf. N. Largier, Spiegelungen. Fragmente einer Geschichte der Spekulation, in: Zeitschrift für
Germanistik (1999, im Druck).

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210 Nikiaus Largier

Eine zu starke Bindung der Lektüre dieser volkssprachlichen Texte an das


heuristische Konzept ,deutsche Dominikanerschule' kann denn auch dazu
führen, daß der moderne Interpret Texte nur partiell wahrnimmt. Dies ist
der Fall, wenn Seuses „Büchlein der Wahrheit" — Modernität suggerierend —
als „philosophische Abhandlung" bezeichnet 21 oder wenn festgestellt wird,
Eckhart verstehe „mit Moses Maimonides die Genesis als naturwissenschaft-
liches Buch" 22 . In beiden Fällen ist die pointierte Charakterisierung im Blick
auf längst obsolete wissenschaftshistorische Kontexte durchaus nachvollzieh-
bar, und es ist zweifellos der Beobachtung zuzustimmen, daß Seuse und
Eckhart in ihren Werken „Fragen über die Welt und den Menschen durch
Anwendung einer argumentativ-rationalen, wissenschaftlichen Methode" 23
behandeln. Gleichzeitig verhindert indes die Fixierung auf den hier vorausge-
setzten Aufklärungsanspruch und einen daran orientierten Begriff von Ratio-
nalität eine Interpretation der Texte, die dem weiteren Kontext gerecht zu
werden vermöchte 24 .
Im Falle von Seuses „Büchlein der Wahrheit" wie von Eckharts Schrift-
kommentaren bedeutet dies etwa, den hermeneutischen Horizont des Den-
kens ernst zu nehmen. Das heißt im Falle Seuses, den Begriff der figurata
locutio nicht nur als Verweis auf ein literarisches Stilmittel zu begreifen 25 , das
dem Geltungsanspruch des philosophischen Diskurses schlechthin unterge-
ordnet ist, sondern die damit implizierte hermeneutische Wende zu beden-
ken, die gerade auch den Begriff von Philosophie betrifft. Dies wird in Seuses
Werk besonders deutlich, dasselbe läßt sich aber auch schon beim späten
Eckhart erkennen. Ich kann daher der Feststellung Mojsischs und Liberas
nicht zustimmen, daß das Faktum, daß „die Erkenntnis als solche [...] einzig
als sprachlicher Vorgang zu denken ist, [...] all diesen Denkern trotz einiger
Ansätze im Anschluß an die Theorie des göttlichen verbum oder der göttli-
chen Namen fremd" war und daß „es bei Albert, Ulrich, Dietrich und Eck-
hart nicht einmal ansatzweise Begründungsversuche dafür" gab, daß „die
Erkenntnis als solche [...] ihre eigene Selbstaufhebung vollziehen und sich
zugleich als Erkennen dieser Selbstaufhebung erkennen muß" 26 . Es liegen,

21 L. Sturlese, Einleitung, in: Heinrich Seuse, Das Buch der Wahrheit, ed. L. Sturlese / R. Blum-
rich, Hamburg 1993, XIII.
22 K. Flasch, Einleitung, in: Dietrich von Freiberg, Opera omnia I, mit einer Einleitung von
K. Flasch, ed. B. Mojsisch, Hamburg 1977, XXV.
23 Sturlese, Einleitung (n. 21), XIII.
24 Ich habe an anderer Stelle versucht, die Bedeutung der Hermeneutik und der Verbindung von
Hermeneutik und negativer Theologie zu rekonstruieren: N. Largier, Intellekttheorie, Herme-
neutik und Allegorie: Subjekt und Subjektivität bei Meister Eckhart, in: Reto L. Fetz et al. (eds.),
Geschichte und Vorgeschichte der modernen Subjektivität, Berlin etc. 1998, 4 6 0 - 4 8 6 ; id., Fi-
gurata locutio. Hermeneutik und Philosophie bei Eckhart von Hochheim und Heinrich Seuse,
in: K.Jacobi (ed.), Meister Eckhart: Lebensstationen - Redesituationen (Quellen und For-
schungen zur Geschichte des Dominikanerordens 7), Berlin 1997, 303 — 332.
25 Cf. Sturlese, Einleitung (n. 21), XXVIII.
26 A. de Libera / Β. Mojsisch, Einleitung (n. 10), XXII.

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Die ,Deutsche Dominikanerschule' 211

wie ich meine, gerade bei Seuse und bei Eckhart Versuche vor, in der Verbin-
dung des Motivs der Endlichkeit der menschlichen Vernunft mit der negati-
ven Theologie und der Hermeneutik diese permanente — und immer auch
unmögliche — Selbstaufhebung zu denken.
Dabei greifen Eckhart und Seuse indes auf Theoriebestände zurück, die
so nicht der .deutschen Dominikanerschule', sondern der theologischen Her-
meneutik und im unmittelbaren Kontext vor allem der volkssprachlichen
Theologie entspringen. Gleichzeitig ist hervorzuheben, daß gerade an diesem
Punkt, der auch mit der stärker werdenden Bedeutung der Volkssprache zu
tun hat, eine theologisch und philosophisch bedeutsame Konfiguration —
eine longue duree — sich ankündigt, die sich über ein weites Feld volkssprach-
licher Texte zu Paracelsus, Weigel und Böhme, über Paracelsus auch zu Gior-
dano Bruno fortsetzt.
Wer sich bei der Lektüre Eckharts und Seuses zu stark auf die .deutsche
Dominikanerschule' bezieht, vermag denn auch gerade diese Aspekte einer
.deutschsprachigen philosophischen Kultur der frühen Neuzeit' und einer
das Spätmittelalter überschreitenden Kontinuität nicht zu fassen. In dieser
Hinsicht restauriert die Rede von der .deutschen Dominikanerschule' ein
überholtes Konzept von Epochenschwellen vor allem dort, wo vom ,Ende'
der ,deutschen Mystik' bei Berthold von Moosburg gesprochen wird.

III.

Was bedeuten diese hier bloß skizzierten Einwände und Fragen für die
heutige Forschungssituation? Zunächst ist festzuhalten, daß die Oppositions-
paare .Mystik und Scholastik' oder .Theologie und Philosophie' untauglich
sind, viele Texte zu ordnen, mit denen wir es hier zu tun haben. Dies gilt
mutatis mutandis auch für Aspekte des Oppositionspaares thomistisch-anti-
thomistisch, das eh öfter von Diskussionen des 19. als des 13. und M.Jahr-
hunderts inspiriert ist. In der Tat ist es wichtig, Argumente und Gegenargu-
mente herauszuarbeiten, wie es vor allem die Forschergruppe um das „Cor-
pus Philosophorum Teutonicorum Medii Aevi" getan hat. Flasch, Mojsisch,
Sturlese, Imbach und Libera haben hier auf einen denkerischen Reichtum
hingewiesen, der weitgehend vergessen war. Selbstverständlich gibt es dabei
spezifisch philosophische Traktate und philosophische Interessen — etwa bei
Dietrich von Freiberg —, aber bei Ulrich von Straßburg, Eckhart, Seuse,
Berthold von Moosburg und Johannes Tauler sind diese doch immer auch
verbunden mit theologischen Denkformen, die in ihrer Bedeutung zu respek-
tieren und zu rekonstruieren sind. Von einer eigentlichen Autonomie der
Philosophie oder einer „Autonomie der Vernunft" kann hier nicht — oder
doch nur in sehr mißverständlicher Weise — die Rede sein. Dies ist festzuhal-
ten, obwohl die Geschichtsschreibung seit Franz von Baaders Wiederentdek-
kung Eckharts und vor allem seit den Forschungen Franz Pfeiffers und Mar-

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212 Nikiaus Largier

tin Grabmanns dieses Moment herausstreicht. Es handelt sich hier, wenn ich
dies zugespitzt formulieren darf, weit mehr um ein seit dem 19. Jahrhundert
tradiertes Motiv forschungsgeschichtlicher Legitimation als um ein historisch-
deskriptives Moment.
Das heißt indes nicht, daß wir in den zur Diskussion stehenden Texten
nicht genuin philosophischen Interessen begegnen, doch sind diese Interes-
sen darauf gerichtet, auch mit philosophischen Mitteln die Gültigkeit des
Anspruchs aufzuweisen und zu durchdringen, den die Theologie im Blick
auf die beatitude hat. Eine Autonomie im aufgeklärten Sinne ist hier nur zu
finden, wo ganze Textbestände und Argumentationszusammenhänge ausge-
blendet werden.
Damit sollen die Texte nicht in einen theologischen Bereich zurückverwie-
sen werden, sondern aus einem verfänglichen Gegensatz von Philosophie
und Theologie herausgelöst werden. Eine notwendige Rekonstruktion der
philosophischen Bedeutung der zeitgenössischen Diskussionen um die Be-
griffe Weisheit und Glückseligkeit, die indes wiederum den Horizont der
,deutschen Dominikanerschule' sprengen wird, ist hier vor allem im Blick auf
die volkssprachlichen Texte wichtig. In diesen Diskussionen geht es, wenn
ich recht sehe, immer wieder um die Endlichkeit der menschlichen Vernunft
und um den Begriff der beatitudo, wobei von Eckhart, Seuse und Berthold
von Moosburg verschiedene Denkmodelle vorgelegt werden, wie die Ratifika-
tion der Endlichkeit 27 als Selbstvollzug der Vernunft zu denken ist. Auf die-
sen Zusammenhang beziehen sich Eckharts Lehre von der Gelassenheit, Seu-
ses spiritualisphilosophia und Bertholds divinalis supersapientia in je eigener Weise,
wobei alle drei das Überschreiten der Endlichkeit als ein Überschreiten der
eingeschränkten, diskursiven Weise des menschlichen Erkennens und als spe-
zifische Form der Weisheit fassen.
An dieser Problematik arbeitete schon der Albertschüler Ulrich von Straß-
burg, der die Endlichkeit des menschlichen Intellektes betont und das Über-
schreiten als fidei cognitio, als übernatürliches Erkennen im Glauben faßt 28 .
Bei Ulrich ist wahre Erkenntnis der natürlichen Vernunft denn auch nicht
zugänglich, sondern als mystische Erleuchtung zu denken. 29
Dies ist in der Tat ein Paradigma, das so bei Dietrich, Eckhart, Seuse oder
auch Berthold nicht — man möchte sagen: nicht mehr — begegnet, versuchen
diese doch, das Transzendieren der Endlichkeit als Konvergenzpunkt zu den-
ken, an dem Philosophie und Theologie zusammenfallen. Dies heißt, zumin-
dest für Eckhart, Seuse und Berthold indes nicht, daß die Theologie vollständig
in der Philosophie aufgehoben und damit die beatitudo vollständig als Selbstvoll-
zug der Vernunft qua Vernunft zu denken ist. Es bedeutet vielmehr, daß der
Punkt, an dem die beatitudo im Vollzug des intelligere als höchster Vollkommen-

27 Cf. N. Largier, I.e. (n. 24).


28 De summo bono 1 1 7 , ed. B. Mojsisch (n. 10), 19sq.
29 L.C. I 1 6; ed. B. Mojsisch (n. 10), 17.

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Die .Deutsche Dominikanerschule' 213

heit der Seele ihren Ort hat, sich der Sprache des Philosophen ebenso entzieht
wie der des Theologen. Wenn diesbezüglich denn — im Blick auf Eckhart,
Seuse und Berthold wie ich meine durchaus korrekt — von ,Mystik' die Rede
ist, so in einem Sinne, der philosophisch und theologisch erläutert werden
kann, der also nicht davon ausgeht, daß Mystik immer einen Ubergang von der
Philosophie zur Theologie bedeutet, sondern auch eine philosophische Mystik
in Betracht zieht. Diese darf in Kürze als ein .Ubersteigen' der Vernunft be-
zeichnet werden, das im Selbstvollzug der Vernunft insofern angelegt ist, als
diese darin — gewissermaßen in einem Moment notwendiger Dekonstruktion
— ihre Endlichkeit erkennt und damit die Preisgabe an ein Moment der Konsti-
tution vollzieht, das ihr immer schon vorangeht.
Dieser systematische philosophische Gedanke wird bei Eckhart, bei Seuse,
bei Tauler und bei Berthold von Moosburg in verschiedener Weise gedacht,
wobei in der Tat die intellektuell-spekulative Tradition der Albertschule eine
zentrale Rolle spielt, gleichzeitig aber das Gespräch mit anderen Traditionsbe-
ständen großes Gewicht besitzt. Im Blick auf das ,Ubersteigen' des Intellekts,
das ja wohl kaum jemand dinghaft verstehen will, ist dieses philosophisch
und theologisch engagierte Gespräch geprägt von der Procluslektüre, von
Dionysius, aber auch von der hermeneutischen Tradition mittelalterlichen
Denkens mit dem Konzept des ,sensus mysticus' der Schrift.
Angesichts der Dimensionen dieses Gesprächs, das sich seit dem 13. Jahr-
hundert immer stärker auch auf volkssprachliche Texte ausweitet, die nur
schwer einer bestimmten Richtung zuzuordnen sind, scheint mir der Rekurs
auf schulische Abhängigkeiten und Einflüsse den Erkenntnisgewinn heute
eher zu erschweren — obwohl gerade dieser Rekurs die Forschung während
der letzten zwanzig Jahre durchaus beflügelt hat. Spannender als dieser Re-
kurs ist heute, wie ich meine, ein Blickpunkt der Intertextualität, der einerseits
durchaus regionale Philosophiegeschichte (Loris Sturlese) 30 betreibt und da-
mit verbundene Abhängigkeiten rekonstruiert, gleichzeitig aber den breiteren
zeitgenössischen Diskussionen in den universitären Zentren sowie denjenigen
Elementen gegenüber offen ist, in denen heterogene Momente — im Blick
auf die deutschsprachigen Dominikaner vor allem die volkssprachlichen
Texte 3 1 und die allegorische Theologie der Beginen — innerhalb des theologi-
schen und philosophischen Diskurses bedeutsam werden.

30 L.c. (n. 5).


31 Die Bedeutung der Volkssprache gerade auch in Eckharts Werk wird vorzüglich dargestellt
von: S. Köbele, Predigt 1 6 b ,Quasi vas auri solidum', in: G. Steer / L. Sturlese, Lectura
Eckhardi, vol. 1, Stuttgart etc. 1998, 4 4 - 7 4 .

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Von den „beatiores philosophi" zum „optimus status hominis"
Zur Entradikalisierung der radikalen Aristoteliker

THOMAS RICKLIN (FRIBOURG)

Es ist eine nur zu bekannte Tatsache, daß Bischof Etienne Tempier in


seinem berühmten Pariser Syllabus vom 7. März 1277 auch die Aussage ver-
boten hat: „Es gibt keine ausgezeichnetere Lebensform, als sich frei der
Philosophie zu widmen". Der Stellenwert, der dem Verbot dieser Aussage in
der philosophiehistorischen Mediävistik eingeräumt wird, läßt sich am deut-
lichsten daran erkennen, daß dem zur Diskussion stehenden Satz seit der
Reorganisation des Syllabus gemäß einem „ordre methodique" durch P. Man-
donnet 1 die Ehre zukommt, den Katalog der 219 verbotenen Thesen zu
eröffnen. Aber auch jene Lektüren der 219 Thesen, die den Satz vom excellen-
tior status an seinem ursprünglichen Ort belassen und ihn entsprechend der
handschriftlichen Uberlieferung als vierzigste These des Syllabus zitieren,
weisen ihm einen singulären Stellenwert zu, gehört er doch zu jenen Aussa-
gen des Syllabus, die unmittelbar erkennen lassen, daß die Verurteilung von
1277 nicht ausschließlich hochkomplexe theoretische Probleme betrifft, son-
dern daß sie auch Ausdruck eines Ringens um eine neue Konzeption des
Intellektuellen ist 2 . Obwohl die Bedeutung der These 40 (1) insgesamt unbe-
stritten ist, hat meines Wissens bisher noch niemand den Versuch unternom-
men, die Vorgeschichte der verbotenen Aussage zum excellentior status genauer
zu erfassen. Dies soll im folgenden versucht werden.

1 Cf. Siger de Brabant et l'averro'isme latin au XIII" siecle, II partie (Les philosophes beiges
7), Louvain 2 1908, 175, Anm. 1. In der Reorganisation des Syllabus kommt vor allem Man-
donnets Uberzeugung zum Ausdruck, die Verurteilung von 1277 sei gegen den „peripatisme
en general, avant tous dans sa forme averroi'ste" (Siger de Brabant et l'averrolsme latin au
XIII C siecle, I partie, Louvain 2 1911, 219 — 220 [Les philosophes beiges 6]) gerichtet gewesen.
Im folgenden zitiere ich den Syllabus entsprechend der historisch verbürgten Numerierung
wie sie im Chartularium Universitaüs Parisiensis (CUP), eds. H. Denifle / A. Chatelain, Paris
1891, I, Nr. 473, 543 — 558 ediert ist. Mandonnets Numerierung, die R. Hissette in seiner
grundlegenden Untersuchung Enquete sur les 219 articles condamnes ä Paris le 7 mars 1277
(Philosophes medievaux 22), Louvain / Paris 1977 übernommen hat, setzte ich jeweils in
Klammern dazu.
2 Cf. e t w a j . Le Goff, Les intellectuels au Moyen Age, Paris 1985, 127; L. Bianchi, II vescovo
e i filosofi, Bergamo 1990, 164 — 165; A. de Libera, Penser au moyen äge, Paris 1991, 147;
R. Imbach, Dante, Ia philosophie et les la'fcs, Fribourg / Paris 1996, 3 1 - 3 2 .

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218 Thomas Ricklin

Seit M. Grabmann im Jahr 1924 die Existenz bis anhin unbekannter Texte
des Siger von Brabant und des Boethius von Dacien publik gemacht hat 3 ,
gilt des letzteren Schrift „De summo bono" 4 als mehr oder weniger unmittel-
bare Quelle des im Syllabus als vierzigste These verurteilten Satzes: ,£uod
non est excellentior status, quam vacarephilosophie"^. Tatsächlich erklärt Boethius
in seiner kurzen Schrift: „Und wenn es unter den Tätigkeiten der geistigen
Erkenntniskraft (operationes virtutis intellectivae) eine gibt, welche die beste und
vollkommenste ist, so sind alle von Natur aus um ihretwillen da. Und wenn
der Mensch jene Tätigkeit ausübt, dann ist er in der besten Verfassung, die
dem Menschen möglich ist (optimus status, qui est homini possibilis). Und dies
sind die Philosophen, die ihr Leben in das Studium der Weisheit (Studium
sapientiae) setzen" 6 . In dieser Passage — wie überhaupt in „De summo bono"
— erscheint weder die Wendung excellentior status noch die Ausdrucksweise
vacare philosophie. Wenn man dennoch davon ausgeht, daß für Tempier und
seine Kommission dieser Text des Boethius die im verbotenen Satz in den
Blick genommene Mentalität verkörpert 7 , kommt man nicht umhin festzu-
stellen, daß der Syllabus die Aussage des Boethius deutlich zuspitzt: Erstens
ersetzt er die unspezifische sapientia durch die bereits im Prolog des Syllabus
deutlich als dem Glauben entgegengesetzt bestimmte und damit negativ kon-
notierte philosophia und zweitens verwandelt er das seriöse Studium in ein groß-
zügiges vacare.
Damit ist nicht gesagt, daß die für den Syllabus verantwortliche Kommis-
sion der Mentalität von „De summo bono" nicht gerecht geworden ist. Daß
Boethius trotz der versöhnlichen Schlußformel seines Textes 8 eine überaus

3 Cf. Neu aufgefundene Werke des Siger von Brabant und Boethius von Dacien, in: id.,
Gesammelte Akademieabhandlungen, Paderborn 1979, I, 129 — 176, bes. 175.
4 Der Text wird nach der Ausgabe Boethius Dacus, Opera, VI, ii, Topica-Opuscula, ed. N. G.
Green-Pedersen, Hauniae 1976, 369 — 377 zitiert.
5 CUP, Nr. 473, 545; cf. dazu grundlegend R. Hissette, Enquete (wie Anm. 1), 1 5 - 1 8 .
6 Die zitierte deutsche Ubersetzung von „De summo bono" findet sich in: K. Flasch (ed.),
Geschichte der Philosophie in Text und Darstellung, Bd. 2, Mittelalter, Stuttgart 1982,
3 6 3 - 3 7 1 , hier 368.
7 Es sei darauf hingewiesen, daß These 154 (2) des Syllabus ,^Quod sapientes mundi suntphilosophi
tantum" in einem Text des Boethius eine deutlich textnähere Entsprechung hat, als dies bei
der vorliegenden These der Fall ist. In „De aeternitate mundi" (Boethius Dacus, Opera,
Topica-Opuscula, VI, ii, ed. N. G. Green-Pedersen, Hauniae 1976, 335-366), 365 heißt es:
„Ideo nulla est contradictio inter fidem et philosophum. Quare ergo murmuras contra philosophum, cum
idem secum concedis? Nec credas quodphilosophus, qui vitam suam posuit in studio sapientiae, contradixit
veritatifidei catholicae in aliquo, sed magis studeas, quia modicum habes intellectum respedu philosophorum
qui fuerunt et sunt sapientes mundi, utpossis intellegere sermones eorum". Geht man davon aus, daß
ein Text erst dann als Vorlage der These 40 (1) angesehen werden darf, wenn er der These
40 (1) sprachlich derart genau entspricht wie die zitierte Stelle aus „De aeternitate mundi"
der These 154 (2), dann ist „De summo bono" nicht die Quelle der These 40 (1).
8 Cf. 377: „Philosophum autem voco omnem hominem viventem secundum rectum ordinem naturae, et qui
acquisivit optimum et ultimum finem vitae humanae. Primum autem prinäpium, de quo sermo factus est,
est deus gloriosus et sublimis, qui est benedictus in saecula saeculorum. Amen".

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Von den „beatioresphilosophi" zum „optimus status hominis" 219

restriktive Konzeption des philosophus vertritt, wird bereits anläßlich seines


ersten Autoritätszitates deutlich, wo er einen namenlosen philosophus sagen
läßt: „Wehe, euch Menschen, die ihr zu den Tieren gezählt werdet, weil ihr
auf das Göttliche, das in euch ist, nicht achtet" 9 . Weiter fällt auf, daß Boe-
thius, noch ehe er den Begriff des philosophus einführt, zuerst den homo felixw
und den vir honorandusu definiert. So erscheint der optimus status des Philoso-
phen schließlich nicht nur als Produkt einer elementaren Zweiteilung der
Menschheit. Er ist darüber hinaus von einer tendenziell unerreichbaren Qua-
lität, die im textlichen Feld von „De summo bono" noch jenseits des Status
eines homo felix und eines vir honorandus liegt.
Trotz der die Schrift „De summo bono" durchziehenden elitären Haltung
repräsentiert die Art und Weise, wie deren Aussage im Pariser Syllabus wie-
dergegeben wird, nur eine ihrer möglichen Lektüren. Eine andere zeitgenössi-
sche, wahrscheinlich aus den siebziger Jahren stammende Lektüre ist uns aus
der Feder Gottfrieds von Fontaines überliefert, dessen ahbreviatio von „De
summo bono" Ν. G. Green-Pedersen ebenfalls ediert hat 12 . Anders als im
Fall seiner in derselben Handschrift überlieferten ahbreviatio von Boethius'
„De aeternitate mundi" hat es Gottfried bezüglich „De summo bono" nicht
für nötig befunden, sich von den im paraphrasierten Text entwickelten Argu-
menten zu distanzieren 13 . Daß die unterbliebene Distanznahme nicht als
Ausdruck von Desinteresse oder gar von Objektivität gedeutet werden darf,
läßt sich schon daraus ersehen, daß Gottfried den Text gekürzt hat, ohne der
Argumentation Gewalt anzutun. Noch deutlicher tritt Gottfrieds Interesse an
„De summo bono" allerdings anläßlich einer strategischen Textumstellung
zu Tage. Wir haben bereits gesehen, daß Boethius zuerst das Konzept des
homo felix und dann jenes des vir honorandus einführt. Bei Gottfried ist es
genau umgekehrt. Wo bei Boethius vom homo felix die Rede ist, setzt Gott-
fried dessen Passage über den vir honorandus ein 14 und läßt die Zeilen über

9 Trad. Flasch (wie Anm. 6), 363.


10 Cf. „De summo bono", 372: „Unde homo felix nihil operatur nisi opera feliatatis vel opera per quae
redditurfortior vel magis habilis ad opera feUcitatis. Ideo felix sive dormiat sive vigilet sive comedat, feliäter
vivit, dummodo illa facit, ut reddatur fortior ad opera feliätatis".
11 Cf. ibidem, 373: „Et ita omnes homines hodie impedit inordinata concupiscentia a suo summo bono
exceptis pauassimis honorandis viris; quos vorn honorandos, quia contemnunt desiderium sensus et sequuntur
delectationem et desiderium intelledus insudantes cognitioni veritatis rerum; quos etiam voco honorandos,
quia vivunt secundum ordinem naturalem".
12 Cf. Boethius Dacus, Opera, Topica-Opuscula, VI, ii, ed. N. G. Green-Pedersen, Hauniae
1976, 4 4 3 - 4 4 6 .
13 Zur Zurückweisung der Argumentation von „De aeternitate mundi" mittels der Anführung
eines Zitates aus der „Summa Theologiae" des Thomas von Aquino in der Abbreviatio
Gottfrieds cf. P. Wilpert, Ein Compendium des 13. Jahrhunderts (Gottfried von Fontaines
als Abbreviator), in: Mittellateinisches Jahrbuch 2 (1965), 1 6 5 - 1 8 0 , besonders 1 7 8 - 1 7 9 .
14 Gottfried (G) springt in Zeile 60 von Zeile 98 des Boethius (B) zu dessen Zeile 106, so daß
G die Zeilen Β 98 — 102 mit dem „homo felix" hier ausläßt und zuerst vom vir honorandus
spricht. Die Zeilen Β 98 — 102 finden sich in G dann erste nach der Erwähnung des vir
honorandus in Zeile 80 anläßlich der Wiedergabe von Zeile Β 140.

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220 Thomas Ricklin

den homo felix erst folgen, nachdem er, den Text der Vorlage bewußt umge-
staltend, bereits formuliert hat: „In philosopho autem, qui vere felix est [.,.]"15.
Diese Umstellung belegt nicht nur, wie aufmerksam Gottfried „De summo
bono" gelesen hat. Sie zeigt überdies auch, daß Gottfried die in „De summo
bono" entwickelte Kon2eption des philosophus derart interessant gefunden
hat, daß er sie sich, wenige Jahre bevor er im Jahr 1285 Magister der Theolo-
gie wurde, durch eine punktuelle Reorganisation des Textes angeeignet hat.
Während Gottfrieds abbreviatio für eine zustimmende Lektüre von „De
summo bono" steht, kann ein Text aus dem Jahr 1298 mindestens als Zei-
chen einer gewissen Gleichgültigkeit gegenüber der Syllabusthese vom excel-
lentior status gedeutet werden. Jedenfalls fällt angesichts des Stellenwertes, der
in der modernen Sekundärliteratur der These 40 (1) des Syllabus eingeräumt
wird, auf, daß Raimundus Lullus in seiner „Declaratio per modum dialogi
edita contra aliquorum philosophorum et eorum sequacium opiniones erro-
neas et damnatas a venerabili Patre Domino Episcopo Parisiensi" die fragli-
che These keiner speziellen Erörterung für würdig erachtet hat. In diesem
Text hat Lull alle 219 von Tempier verurteilten Thesen entsprechend der
Ordnung des Syllabus zum Gegenstand einer Diskussion zwischen seiner
Person und einem „philosophus, Socrates nomine"16 gemacht. Nachdem Sokrates
die These ausgesprochen hat „quod non est excellentior status quam vacare philoso-
phiae", sagt Raimundus nur: „Gehe zu Kapitel 24, wo du die Antwort fin-
dest" 17 . Im fraglichen Kapitel weist Lull die These zurück, alle Wissenschaf-
ten außer den philosophischen Disziplinen seien überflüssig [preternecessa-
rie)x%. Er tut dies, indem er jene Wissenschaft zur notwendigeren erklärt, die

15 Bei dieser Zeile handelt es sich um einen Zusatz in margine, der gemäß der kritischen Edition
ebenfalls von Gottfried selbst zu stammen scheint. An der Bedeutung der herausgestellten
Umstellung würde sich allerdings nichts ändern, wenn man diese Randbemerkung nicht in
den Text integrieren würde.
16 Cf. Raimundus Lullus, Opera omnia, t. XVII, ed. Th. Pindl-Büchel, 253 (CCCM LXXIX).
17 Ibidem, 303. Die These 40 entspricht bei Lull dem 39. Kapitel. Dies ist darauf zurückzufüh-
ren, daß Lull in den Kapiteln 3 5 - 4 2 die Ordnung der entsprechenden Thesen des Syllabus
umstellt und sie in der Reihenfolge 36, 37, 38, 39, 40, 42, 41, 35 bringt, cf. O. Keichler,
Raymundus Lullus und seine Stellung zur arabischen Philosophie. Mit einem Anhang, enthal-
tend die zum ersten Mal veröffentlichte Declaratio Raymundi per modum dialogi edita
(BGPhMA VII, 4 - 5 ) , Münster 1909, 137.
18 Die These 24 (7) lautet: ,xQuod omnes sdentie suntpreternecessane, preterphilosophicas disaplinas, et
quod non sunt necessarie, nisi propter consuetudinem hominum". Zu Diskussion und Rekonstruktion
des Wordauts der These, cf. Bianchi, II vescovo (wie Anm. 2), 2 0 4 - 2 0 5 , der allerdings
übersehen hat, daß eine der vier noch aus dem 14. Jahrhundert stammenden Handschriften
der „Declaratio" ebenfalls praeternecessariae liest. Schon Keichlers Edition der „Declaratio"
war zu entnehmen, daß der Zeuge (Paris, B. N., lat. 16117) mit der lectio difficilior „säentiae
sunt preternecessane" ursprünglich Thomas le Myesier gehört hat, der nicht nur ein persönli-
cher Freund Lulls, sondern auch der Verfasser und Initiator des wunderbaren „Breviculum
ex Artibus Raimundi electum" gewesen ist. Es ist nicht recht nachvollziehbar, weswegen
Pindl-Büchel in der neuen Edition daraus keine Konsequenzen gezogen und die These 24
(7) wie bis anhin falsch wiedergegeben hat. Für weiterführende Literatur zu Lull und Thomas
le Myesier, cf. Th. Pindl, Ramon Lull, Thomas le Myesier und die Miniaturen des Breviculum
ex Artibus Raimundi electum, in: Aristotelica et Lulliana magistro doctissimo Ch. H. Lohr ...

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Von den „beatiores philosophi" zum „optimus status hominis" 221

mehr beiträgt zur Erkenntnis und Liebe der Wahrheit der ersten Ursache als
zur Erkenntnis und Liebe der Wahrheit der Wirkung. Die entsprechende
Wissenschaft ist die Theologie. Aber selbst der Ethik kommt mehr Notwen-
digkeit zu als der disciplina philosophiae, denn sie ist notwendiger zum Erwerb
jener Tugenden, mittels derer sich der Mensch auf die Seligkeit hinordnet
und die Höllenstrafen flieht.
Es geht hier nicht darum zu prüfen, ob Lull mit Kap. 24 seiner „Declara-
tio" die mindestens indirekt in den Blick genommene Argumentation von
„De summo bono" wirklich trifft. Umgekehrt möchte ich aus der Tatsache,
daß Gottfried von Fontaines diesen Text ohne heute noch wahrnehmbare
Irritadon hat lesen können, nicht den Schluß ziehen, der Bischof und seine
Kommission hätten „De summo bono" falsch verstanden. Interessanter
scheint mir eine andere Erkenntnis, die sich anhand dieser beiden unter-
schiedlich unmittelbaren Reaktionen auf „De summo bono" formulieren läßt:
Die Rede vom Philosophen als Verkörperung des besten status hat selbst bei
Rezipienten, die gewiß nicht als radikale Aristoteliker gelten können, nicht
zwangsläufig eine heftige Reaktion ausgelöst. Wenn der Syllabus aber die
vehementeste negative Reaktion auf diese Bestimmung des philosophus gewe-
sen ist, dann ist der heuristische Verdacht begründet, daß vielleicht weniger
der philosophus-Begriff des Boethius als die Zurückweisung dieser Konzeption
durch eine kirchliche Instanz das wesentliche Element dieser Auseinanderset-
zung darstellt.
Boethius von Dacien selbst erweckt in „De summo bono" — anders als
etwa in „De aeternitate mundi" — nirgends den Eindruck, um eine allfällige
Problematik seiner Argumentation zu wissen. Wie sicher er seiner Argumen-
tation ist, läßt sich nicht zuletzt daran ablesen, daß er nur gerade vier explizite
Autoritätszitate anführt. Drei dieser Stellen hat der Herausgeber ohne
Schwierigkeiten bestimmen können. Keine direkte Vorlage hat sich hingegen
für das erste Autoritätszitat des Textes eruieren lassen. Zwar hat J. Duin 1 9 im
Anschluß an A. Pattin 20 gemeint, der Satz „Vae vobis homines qui computati estis
in numero bestiarum ei quod in vobis divinum est non intendentesV stamme ursprüng-
lich aus dem Prolog des Avendeuth zu seiner Ubersetzung von Avicennas
„Liber de anima" und finde sich auch bei Albert dem Großen. Während der
Hinweis auf Avendeuth sich leider nicht rechtfertigen läßt, findet sich bei
Albert mindestens ein ähnlicher Weheruf. So führt er in „Metaphysica", I, ii,
9 einen Avenzoreth an, der gesagt haben soll, ,jere omnes homines, exceptispaucis

dedicata (Instrumenta Patristica 26), eds. F. Dominguez / R. Imbach / Th. Pindl / P. Walter,
Steenbrugis 1995, 5 0 1 - 5 1 6 .
19 Cf. A la recherche du commentaire de Boece de Dacie sur la Metaphysique d'Aristote, in:
P. Wilpert (ed.), Die Metaphysik im Mittelalter (Miscellanea Mediaevalia 2), Berlin 1963,
446 - 453, 448.
20 Cf. Over de schrijver en de vertaler van het Liber de causis, in: Tijdschrift voor philosophie
23 (1961), 5 0 3 - 5 2 6 , 514.

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222 Thomas Ricklin

honorandis viris, esse computandos in numerum bestiarum"21. Wenige Zeilen zuvor


hatte Albert bereits erklärt: „Propter quod quidam sacerdotum Arabiae fertur dixisse:
, Vae vobis homines, qui computati estis in numerum bestiarum et laboratis Servitute
reciproca, ut ex vobis nascatur liber'"22. Daß diese Stelle wahrscheinlich hinter
der Formulierung des Boethius steht, wird deutlich, wenn wir den bei Albert
unmittelbar an das Zitat anschließenden Satz lesen: „Nullus enim liber in homini-
bus est, sed omnes laborant ad commodum, ei quod in ipsis divinum est, non intendentes".
Es scheint, daß Boethius die zweite Zitathälfte und entsprechend auch den
sie unmittelbar explizierenden Teil des Folgesatzes übersprungen hat, um die
Behauptung, die meisten Menschen seien zu den Tieren zu rechnen, direkt
mit ihrer Begründung zu verknüpfen 23 .
Die postulierte Abhängigkeit des Weherufs aus „De summo bono" von
Alberts Kommentar zur „Metaphysica" verträgt sich ausgezeichnet mit der
von L.-J. Bataillon herausgestellten Haltung, wonach sich Boethius von Da-
cien „assez volontiers" von Albert inspirieren läßt 24 . Sie findet ihre eigentli-
che Bestätigung aber vor allem in der bekannten Tatsache, daß Albert zwar
nicht in einem eigens dafür verfaßten Text, aber immerhin in seinem um
1250 entstandenen Kommentar „Super Ethica" die Uberzeugung vertritt, die
philosophi seien, was die Vollkommenheit der Natur betrifft, hervorragender
('excellentior) als die politischen Herrscher 25 . Daß die Lehre des Aristoteles,
besonders das zehnte Buch der „Nikomachischen Ethik" diese Bewertung
des Philosophen stützt, steht außer Zweifel. Entsprechend könnte man ge-
neigt sein, die zur Diskussion stehende Aussage Alberts als selbstverständlich
hinzunehmen. Dazu besteht indes aus mindestens drei Gründen wenig An-
laß. Erstens sagt Aristoteles selbst an der von Albert kommentierten Stelle
nur: „Und was wir oben gesagt haben, paßt auch hierher. Was einem Wesen
von Natur eigentümlich ist im Unterschied von anderen, ist auch für dasselbe
das Beste und Genußreichste. Also ist dies für den Menschen das Leben

21 Cf. Opera omnia XVI, ed. B. Geyer, Münster 1 9 6 0 - 6 4 , 26 b.


22 Ibidem, 25 a. In „Super Ethica", I, vii, 34 a (Opera omnia XIV, ed. W. Kübel, Münster
1968 — 87) kommt derselbe Satz aus dem Mund eines Avemoret, in „Politica", II, ii, 108 b
(Opera omnia VIII, ed. Borgnet, Paris 1891) und in „Ethica", I, ii, 10, 43 a (Opera omnia
VII, ed. Borgnet, Paris 1891) ist Averroes sein Autor.
23 Da nach wie vor nicht klar ist, woher Albert das fragliche Zitat hat, wäre theoretisch auch
vorstellbar, daß Boethius von Dacien das Zitat direkt aus der Quelle Alberts schöpft. Aller-
dings wäre für diese Quelle zu postulieren, daß sie auch die Wortfolge „ei quod in ipsis [oder:
vobis] divinum est, non intendentes" enthält.
24 Cf. Bulletin d'histoire des doctrines medievales: le treizieme siecle (fin), in: Revue des scien-
ces philosophiques et theologiques 65 (1981), 1 0 1 - 1 2 2 , 104.
25 Cf. Super Ethica, X, xiii, 761, 73 — 76: „Ad quartum dicendum, quod quantum ad perfectionem
naturae philosophi sunt excellentiores Ulis qui sunt in potestate, sed illi sunt excellentiores quantum ad
regimen multitudinis". Siehe dazu G. Wieland, Ethica — Scientia practica. Die Anfänge der
philosophischen Ethik im 13. Jahrhundert (BGPhThMA N. F. 21), Münster 1981, 206 und
R. Hissette, Albert le Grand et Thomas d'Aquin dans la censure parisienne du 7 mars 1277,
in: Α. Zimmermann (ed.), Studien zur mittelalterlichen Geistesgeschichte und ihren Quellen
(Miscellanea Mediaevalia 15), Berlin 1982, 2 2 6 - 2 4 6 , 242.

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Von den „beatioresphilosophi" zum „optimus status hominis" 223

nach der Vernunft, wenn anders die Vernunft am meisten der Mensch ist.
Mithin ist dieses Leben auch das glückseligste. An zweiter Stelle ist dasjenige
Leben glückselig, das der sonstigen Tugend gemäß ist" 26 . Bei Aristoteles fehlt
nicht nur der explizite Begriff des Philosophen, auch die politischen Führer
spielen in diesem Passus keine Rolle, entsprechend unmotiviert erscheint so-
mit Alberts Bemerkung. Diese Unmotiviertheit gewinnt zweitens an Signifi-
kanz, wenn berücksichtigt wird, daß Albert den Begriff philosophus in seinem
Kommentar „Super Ethica" überaus zurückhaltend verwendet 27 . Drittens
schließlich zeigt das entsprechende Kapitel (X, ii, 3) des vielleicht zwölf Jahre
nach dem Kommentar „Super Ethica" entstandenen zweiten, kurz „Ethica"
genannten Kommentars, wo der Begriff des Philosophen fehlt, daß Albert
der Große die fragliche aristotelische Passage kommentieren kann, ohne den
Gegensatz zwischen politischen Führern und Philosophen in sie hineinzutra-
gen.
Die zur Diskussion stehende Aussage Alberts in „Super Ethica" verliert
indes ein wenig ihrer Singularität, wenn wir ihr kontextuelles Feld weiter
fassen und einen Text in die Erörterungen einbeziehen, der, so weit ich sehe,
noch nicht Eingang gefunden hat in die Forschungsliteratur zum Status des
philosophus in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. In seinen „Commenta-
rii in somnium Scipionis" hatte Macrobius das Axiom aufgestellt: „Allein die
Tugenden machen glückselig". Sofort anschließend hatte er dann noch er-
klärt, daß jene, die der Ansicht seien, nur die Philosophen verfügten über die
Tugenden, auch die Meinung vertreten würden, niemand außer den Philoso-
phen sei glückselig 28 . In unserem Zusammenhang ist vor allem interessant,
daß Macrobius diese erhabene Definition nicht anerkannte, weil aus ihr fol-
gen würde, die „rerumpublicarum rectores" könnten nicht glückselig sein 29 . Die
Widerlegung dieser Schlußfolgerung organisierte Macrobius unter ausdrück-
licher Indienstnahme der Tugendlehre Plotins, der die vier Kardinaltugenden
prudentia, fortitudo, temperantia und iustitia auf vier verschiedenen Stufen je un-
terschiedlich definiert hatte. Der untersten dieser Stufen entsprach die Gat-
tung der politischen Tugenden, worauf dann die Gattung der reinigenden

26 Nikomachische Ethik, X, 7 - 8 , 1178a 4 - 9 , ed. G. Bien, Hamburg 1985, 251. In der von
Albert kommentierten Ubersetzung des Robert Grosseteste (Aristoteles Latinus, XXVI,
1 — 3, fasc. tertius, Textus purus, ed. R. A. Gauthier, Leiden 1972) lautet die Stelle: ,^)uod et
dictum prius congruet et nunc. Proprium enim unicuique natura, optimum et delectabilissimum est unicuique;
et bomini utique que secundum intellectum vita, si quidem maxime hoc homo. Iste ergo et feliässimus.
Secundo autem, qui secundum aliam virtutem".
27 Im Index der Edidon werden bezeichnenderweise nur gerade fünf Vorkommen angeführt.
Nebst der uns hier interessierenden Stelle sind dies X, i, 656, 15; X, xi, 753, 95 und 754,
46; X, xv, 767, 82.
28 Cf. Commentarii in somnium Scipionis, I, 8, 3 (ed. J. Willis, Leipzig 1970): „Solae faäunt
virtutes beatum, nullaque alia quisquam via hoc nomen adipiscitur. Unde qui aestimant nullis nisi philoso-
phantibus inesse virtutes, nullos praeterphilosophos beatos esse pronuntiant".
29 Cf. ibidem, 4: „Atque ita fit ut secundum hoc tarn rigidae definitionis abruptum rerum publicarum
rectores beati esse non possint".

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224 T h o m a s Ricklin

Tugenden folgte, während die dritte Gattung den Tugenden der gereinigten
Seele gleichgesetzt war und die vierte Gattung schließlich mit den exemplari-
schen Tugenden übereinstimmte. Daß Macrobius trotz seiner Ausführungen
zur vierfachen Aus formung der Kardinaltugenden nur an der Frage interes-
siert war, ob nebst den Philosophen auch die Staatsmänner glückselig sein
könnten, wird am Ende seiner Argumentation deutlich, wo er den Schluß
zog, daß, da die Existenz politischer Tugenden gegeben sei, auch um das
öffentliche Wohl besorgte Männer glückselig sein könnten 30 . Angesichts der
Tatsache, daß Albert der Große die „Commentarii" des Macrobius in seinem
Kommentar „Super Ethica" ausdrücklich als philosophisches Werk aner-
kennt 31 und er — eine bereits im anonymen Kommentar von Avranches zur
„Ethica nova et vetus", im Kommentar des Pseudo-Peckham sowie in der
Quaestionensammlung der Pariser Artistenfakultät (Ms. Ripoll 109) sich ab-
zeichnende Diskussion 32 weiterführend — mindestens neunmal Aussagen des
Tugendkapitels unter Angabe der Quelle zitiert und diskutiert 33 , ist es nur
legitim, davon auszugehen, daß ihm auch das Bemühen des Macrobius nicht
entgangen ist, die Fähigkeit der Politiker zur Glückseligkeit zu beweisen und
diese dadurch dem exklusiven Stand der Philosophen anzugleichen. Zumal
Macrobius ganz am Schluß seiner „Commentarii" die Problematik nochmals
aufgegriffen und zur Behauptung zugespitzt hatte, daß Rom die Figur des in
otium lebenden Philosophen gar nicht gekannt habe 34 . Daraus ergibt sich
dann als eigentliche, wenn auch nicht ausgesprochene Aussage seines Textes,
daß in der lateinischen Welt die „rerum publicarum rectores" die einzigen der
Glückseligkeit fähigen Männer seien. Diese Aussage aber kommt der These
beachtlich nahe, „quodfelicitas civilis sitprincipalior", anläßlich deren Diskussion
Albert den Philosophen über den Staatsmann setzt.
Es ist schon fast ein Paradox, daß Macrobius dank eines Werkes, das die
Inexistenz des Philosophen in der lateinischen Welt behauptet, selbst den
Ruf eines „non mediocris philosophus"35 erlangt hat. Wesentlich zu diesem Ruf
beigetragen hat auch seine Plotinische Tugendlehre, der selbst ein Philoso-

30
Cf. ibidem, 12: „[...] constat autem etpoliticas esse virtutes: igitur etpolitiäs effiäuntur beati".
31
Cf. I, xiii, 71 a: ,^Quod m'm diätur in libris philosophiae, est säbile per philosophiam; sed status post
mortem diätur α Piatone, qui diät, quod animae revertuntur in compares stellas et quod iterum incorporan-
tur, et Macrobius in somnio Säpionis multa diät et similiter Isaac et etiam Alga^el; ergo potest sän per
philosophiam".
32
Zur Diskussion der Tugendlehre des Macrobius in den drei genannten Texten, siehe G. Wie-
land, L'emergence de l'ethique philosophique au X H I e siecle avec une attention speciale
pour le „Guide de l'etudiant parisien", in: C. Lafleur (ed.), L'enseignement de la philosophie
au X H I e siecle, Autour du „Guide de l'etudiant" du ms. Ripoll 109, Actes du colloque
international (Studia Artistarum 5), Turnhout 1997, 1 6 7 - 1 8 0 , besonders 1 7 8 - 1 8 0 .
33
Cf. Super Ethica, II, ii, 100, 2 7 - 3 0 ; IV, xii, 272, 7 1 - 7 3 ; V, iü, 320, 3 6 - 3 9 ; V, vi, 336,
5 7 - 5 9 ; VII, i, 514, 31 - 3 3 ; VII, xi, 567, 7 0 - 5 6 8 , 28; X, xi, 752, 8 3 - 8 6 ; X, xv, 769, 8 6 - 8 7 .
34
Cf. Commentarii in somnium Scipionis, II, 17, 8: „[...] soli enim sapientiae otio deditos, ut abunde
Graeäa tulit, ita Roma nesävit".
35
Abaelard, Theologia christiana, ed. E. M. Buytaert, Turnhout 1969, I, 103 (CCCM XII).

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Von den „beatiores philosophi " zum „optimus status hominis" 225

phenkritiker vom Format Manegolds von Lautenbach vorbehaltlos zuge-


stimmt hat 36 . Interessanter ist allerdings, daß in Auseinandersetzung mit dem
fraglichen Kapitel der „Commentarii in somnium Scipionis" bereits in der
ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts eine Konzeption des philosophus entwickelt
worden ist, die eine deutliche Transformation der Position des Macrobius
darstellt. So erklärte Wilhelm von Conches in seinen Glossen zu Macrobius
anläßlich der Kommentierung der vier Tugendstufen: „Plotinus convenienter se-
cundum quosdam gradus divisit virtutes, quoniam non omnes equaliter sunt virtuosi. Sunt
enim quedam virtutes magne, quedam maiores, alie maxime. Magne efficunt beatos, et ita
secundum Plotinum politiä sunt beati. Maiores effiäunt beatiores, et iste conveniunt philo-
sophis. Maxime faäunt beatissimos, que conveniunt heremitis, ut Pitagore et aliis, qui
cuidam querenti ad quod natus esset, respondebat ad contemplationem divinorum"^. In
Hinblick auf die Gegenüberstellung der Philosophen und der Staatsmänner
bei Albert sowie auf den excellentior status der Verurteilung von 1277 sind zwei
Aspekte dieser Passage besonders hervorzuheben. Zum einen ordnet Wil-
helm die Glückseligkeit der Politiker eindeutig jener der Philosophen unter,
die er als beatiores bezeichnet. Zum anderen bleibt seine Bestimmung jener
Gruppe, der die höchste Glückseligkeit zukommt, auffällig vage. Die Erwäh-
nung der heremitae eröffnet zweifelsohne ein religiöses Assoziationsfeld.
Durch die anschließende Identifizierung des Eremiten mit Pythagoras wird
diese erste Bedeutungsdimension aber umgehend zugunsten einer Gleichset-
zung auch der dritten Gruppe mit den Philosophen aufgegeben, ist der exem-
plarische Eremit doch niemand anders als jener Mann, der den Begriff philoso-
phus erfunden hat.
Daß es sich bei dieser Interpretation nicht um eine eigenwillige Leistung
Wilhelms von Conches handelt, läßt sich z. B. anhand der „Theologia Chri-
stiana" Abaelards belegen. Im Verlauf des als eigentliche laus philosophorum
konzipierten zweiten Buches entwickelt Abaelard auch seine Deutung des
Tugendkapitels des Macrobius. Wie Wilhelm von Conches unterscheidet
Abaelard das Leben der rectores von jenem der Philosophen, um das Leben
der Philosophen umgehend als das verdienstvollere zu bezeichnen 38 . Eben-
falls wie Wilhelm unterteilt er die Philosophen ihrerseits nochmals in zwei
ordines. Die Mitglieder der ersten Gruppe — die seiner Meinung nach viel-

36 Cf. Liber contra Wolfelmum, ed. W. Hartmann, Weimar 1972, xxii, 93.
37 Ms. Bamberg, Staad. Bibl. Class. 40 (Η.J. IV, 21), fol. 13rb. Zu dieser aus dem 13. / H.Jahr-
hundert stammenden Handschrift cf. F. Leitschuh / H. Fischer, Katalog der Handschriften
der königlichen Bibliothek zu Bamberg, t. I, Abt. 1 + 2, Bamberg 1 8 9 5 - 1 9 0 6 , 41 und
speziell E. Jeauneau, Gloses de Guillaume de Conches Sur Macrobe, Note sur les manuscrits,
in: Archives d'histoire doctrinale et litteraire du moyen äge 27 (1960), 17 — 28, 20. Zur Frage,
wozu man geboren sei, cf. Calcidius, Commentarius (Plato Latinus IV), ed. J.-H. Waszink,
London - Leiden 1962, § cclxvi, 271.
38 Cf. Theologia Christiana, II, 66: ,JAaions quippe menti solitaria vita est contemplationis qua nos
nimius divini amons fervor ad contemplationem divinae visionis suspendit, omni iam mundanarum necessita-
tum solliätudine postposita, et quasi in caelestibus nostram tenet conversationem. Quod nec ipsa Macrobii
expositio notarepraetermisit, activam rectorum vitam per hoc a contemplationephilosophorum distinguens".

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226 Thomas Ricklin

leicht eher philosophantes denn philosophi zu nennen wären — zeichnen sich


dadurch aus, daß sie sich im Rahmen eines gemeinsamen klösterlichen Le-
bens der Reinigung unterziehen. Die Lebensform der zweiten Gruppe, bei
deren Mitglieder es sich um die bereits Gereinigten handelt, ist hingegen
eine anachoretische 39 . Bedenkt man, daß Abaelard die „Theologia christiana"
zeitlich nach seiner Erfahrung als Eremit in der Einöde von Quincey verfaßt
hat, kann man vielleicht auch die Möglichkeit einräumen, daß die hier evo-
zierten Lebensformen für ihren Autor nicht ausschließlich eine literarische
Fiktion gewesen sind.
Eindeutiger als bei Abaelard tritt uns die Tendenz, die eigene Person in
die Figur des philosophus einzuschreiben 40 , allerdings bei zwei anderen Auto-
ren der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts entgegen. So hat Wilhelm von
Conches im Dialog seines „Dragmaticon" die bis dahin dem magister vorbe-
haltene Rolle dem philosophus zugewiesen und sich so mindestens in der litera-
rischen Fiktion dieses Textes in eine Position versetzt, von der gern ange-
nommen wird, sie sei erst Siger von Brabant und seinen Kollegen möglich
gewesen 41 . Von der Bereitschaft der Zeitgenossen, diese Rolle auch anzuer-
kennen, zeugt etwa das in der „Chronica" des nach 1252 verstorbenen Albe-
rich von Troisfontaines überlieferte Urteil, wonach Wilhelm von Conches zu
seiner Zeit als „philosophus magni nominis" gegolten habe 42 . Welche Rolle sich
Wilhelm im „Dragmaticon" zugeschrieben hat, wird indes erst wirklich deut-
lich, wenn man zusätzlich berücksichtigt, daß sein Gesprächspartner niemand
anders als Gottfried von Platagenet gewesen ist und daß Adelard von Bath
einem Sohn dieses Grafen, dem künftigen Heinrich II. von England, im Jahr
1150 das Werk „De opere astrolapsus" gewidmet hat, in dessen Prolog er
die Philosophie sagen läßt: „Jene Gemeinwesen sind glückselig, die entweder
den Philosophen zur Leitung übergeben worden sind oder deren Leiter der
Philosophie anhängen" 43 . Zwar haben weder Wilhelm von Conches noch

39 Cf. ibidem, 67: „Duos itaque continentium ordines in philosophis concluserunt, cum alios adhuc purgari
per abstinentiae ac studii assiduitatem dicunt, — qui fortasse philosophantes rectius quam philosophi dicendi
sunt, — et communi habitatione studiorum, formam coenobitarum tenent monachorum [...] — alios iam
purgati ac defecaü animi esse in quorum came iam per diutinam abstinentiam mortificata nullus iam
irrepere vel dominari concupiscentiae motus valet, qui iam solitana habitatione viventes, suo ipsi sujfidant
praesidio". Siehe dazu auch P. Michaud-Quantin, Nouvelles precisions Sur les philosophantes,
in: id., Etudes sur le vocabulaire philosophique du moyen age, avec la collaboration de
M. Lemoine, Rom 1970, 1 0 3 - 1 1 1 .
40 Cf. dazu grundlegend J. Jolivet, Doctrines et figures de philosophes chez Abelard, in: R. Tho-
mas (ed.), Petrus Abaelardus (1079 — 1142). Person, Werk und Wirkung (Trierer theologische
Studien 38), Trier 1980, 1 0 3 - 1 2 0 .
41 Cf. e. g. Bianchi, II vescovo (wie Anm. 2), 156.
42 Cf. ed. P. Scheffer-Boichorst, Hannover 1874, 842 (MGH Scriptores 23).
43 ,^4it enim [Philosophia] beatas esse res publicas si aut philosophis regende tradantur aut earum rectores
philosophie adhibeantur". Cit. nach Ch. Burnett, The Introduction of Arabic Learning into
England, London 1997, 92, Anm. 72. Die zitierte platonische Maxime findet sich bei Lactan-
tius, Divinae institutiones, III, 21, 6 (ed. S. Brandt, Wien 1890 [CSEL XIX]); Cicero, Ad
Quintum fratrem, Ep. XXX, x, 29 (ed. L.-A. Constans, Paris 1969) und Apuleius, De Piatone
et eius dogmate (ed. J. Beaujeu, Paris 1973), II, xxiv.

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Von den „beatioresphilosophi" zum „optimus status hominis" 227

Adelard von Bath je einem größeren Gemeinwesen vorgestanden, aber die


angeführten Stellen aus ihren Schriften belegen dennoch eine Konzeption
der Rolle des philosopbus, die diesen nicht auf sein Wissen beschränkt, sondern
daraus auch einen außergewöhnlichen Status ableitet.
Diese Konzeption des Status des Philosophen ist im Verlauf der ersten
Hälfte des 12. Jahrhunderts so gut wie ausschließlich in Auseinandersetzung
mit lateinischen Texten, allen voran den „Commentarii in somnium Scipio-
nis" des Macrobius gewonnen worden. Ehe diese Bewegung von Albert dem
Großen und der nachfolgenden Generation vor einem aristotelischen Hinter-
grund weitergeführt worden ist, sind indes mindestens einzelne lateinische
litterati auch auf einige von ihren jeweiligen Gemeinschaften wahrscheinlich
als solche anerkannte Philosophen aus Fleisch und Blut gestoßen. In seinem
Dedikationsschreiben, mit dem er die lateinische Version von Avicennas „Li-
ber de anima" dem Erzbischof von Toledo Johannes übergibt, nennt sich
der Ubereigner „Avendeuth Israelita, Philosopbus"44. Die Selbstbezeichnung phi-
losopbus ist deshalb interessant, weil es sich bei der lateinischen Version von
Avicennas „ D e anima" bekanntlich um eine jener Ubersetzungen handelt, an
der zwei Ubersetzer beteiligt gewesen sind. Wie das Dedikationsschreiben
erklärt, kam der lateinische Text dadurch zustande, daß Avendeuth die einzel-
nen Worte in die Volkssprache übersetzte und Dominicus Archidiaconus sie
darauf ins Lateinische übertragen hat. Es ist deshalb nur naheliegend davon
auszugehen, daß Avendeuth den in der ersten grammatikalischen Person ab-
gefaßten lateinischen Dedikationsprolog ebenfalls nicht selbst geschrieben,
sondern ihn dem des Lateinischen mächtigen Partner in der Volkssprache
vorgetragen hat, worauf dieser ihn dann lateinisch umgesetzt hat. Der Titel
philosopbus bedeutet folglich nicht nur, daß Avendeuth aller Wahrscheinlichkeit
nach das volkssprachliche Äquivalent dieses Begriffs auf seine Person bezo-
gen ausgesprochen hat, sondern er impliziert auch, daß Dominicus seinem
Ubersetzungspartner diesen Titel zuerkannt hat. Entsprechend spielt es (fast)
keine Rolle, ob Avendeuth das volkssprachlich ausgesprochene Wort philoso-
pbus als Wiedergabe für arabisch fajilasufAb oder shaykb46 aufgefaßt hat. Ent-
schieden aussagekräftiger bleibt der Umstand, daß der für die lateinische
Version zuständige Partner den volkssprachlichen Begriff nicht abgeschwächt
hat.
Was er damit tat, wußte Dominicus Gundissalinus ziemlich genau. In sei-
nem Werk „ D e divisione philosophiae" jedenfalls gibt er die Bedingungen
sehr präzis an, die erfüllt sein müssen, damit jemand es verdient, Philosoph
genannt zu werden: „Wenn also ein Mensch sich selbst vollständig erkennt,
erkennt er ganz gewiß alles, was ist, denn er erkennt die geistige und die

44 Avicenna Latinus, Liber de anima, ed. S. Van Riet, Leiden 1972, 3.


45 Cf. I. Goldziher, s. v. faylasuf in: Encyclopedic de l'Islam, Nouvelle edition, par Β. Lewis,
Ch. Pellat, J. Schacht, t. II, Paris 1965.
46 Cf. dazu Avicenna Latinus, Liber de anima, 100*, Anm. 31.

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228 Thomas Ricklin

körperliche Substanz sowie die aus dem Vermögen des Schöpfers unmittelbar
geschaffene erste Substanz, die selbst das der Verschiedenheit Zugrundelie-
gende ist, und er erkennt, das in Quantität, Qualität und Relation geteilte erste
allgemeine Akzidens und er erkennt die übrigen sechs aus der Verbindung der
Substanz mit den drei einfachen Akzidentien hervorgegangenen, zusammen-
gesetzten Akzidentien. Wenn er aber all dies versteht, dann versteht er ganz
gewiß die Wissenschaft von allem, was ist, und so verdient er es, Philosoph
genannt zu werden" 47 . Gundissalinus hat diese Beschreibung der Erkenntnis,
über die jemand verfügen muß, damit er es verdient, philosophus genannt zu
werden, direkt und beinahe wörtlich aus dem „Liber de definicionibus" des
jüdischen Arztes und Philosophen Isaac Israeli übernommen 48 . Dennoch
darf man aufgrund dieser Passage davon ausgehen, daß ihm, als er seinem
Mitübersetzer den Titel philosophus zusprach, bewußt war, ihm nicht einfach
eine Berufsbezeichnung zuzuerkennen, sondern daß er damit zum Ausdruck
brachte, daß Avendeuth einen außergewöhnlichen Status erreicht hatte, der
nur dank einer bestimmten Form des Wissens erlangt werden kann. Eine
ähnlich anerkennende Haltung dürfte auch einer Bemerkung Alfreds von
Sareshel zugrunde liegen, der in seinem Kommentar zu den „Metheora"
einem „magister meus Salomon Avenra^a, et Israelita celeberrimus, et modernorumphilo-
sophorumpreäpuus"49 die Referenz erweist.
Nicht anders als die Beispiele aus der Feder Wilhelms von Conches, Abae-
lards und Adelards von Bath belegen die angeführten Passagen aus dem
iberoarabischen Ubersetzermilieu, daß lateinische litterati bereits mehrere
Jahrzehnte ehe die entsprechenden Aussagen des Averroes 50 nördlich der
Pyrenäen bekannt wurden, über eine bewußte Konzeption des Status des
wahren Philosophen verfügt und im Umgang mit Zeitgenossen auch verwen-
det haben. Da die Texte dieser Autoren zu einem guten Teil in Handschriften
des 13. Jahrhunderts überliefert sind, steht außer Frage, daß die Vorstellung
vom außerordentlichen Status des Philosophen dem 13. Jahrhundert nicht
erst durch Averroes und Aristoteles vermittelt worden ist. Bedenkt man zu-

47 De divisione philosophiae, Prologus (BGPhMA IV, 2 - 3 ) , ed. L. Bauer, Münster 1903, 8:


„Cum igitur homo perfecte cognoscit se ipsum, profecto cognosät quicquid est, quia cognoscit subsianäam
spirituakm et corporalem et substanäam pnmam creatam ex virtute creatons nullo mediante, que proprie
est subiectum diversitati, et cognosät acädens primum generale divisum in quantitatem et qualitatem et
relacionem et cognosät reliqua sex acädenäa composita, nata ex coniunctione substanäe cum tribus acädenti-
bus simpliäbus. Cum autem bee omnia comprehendit, profecto iam comprehendit säenäam omnis quod est,
et sie meretur vocari philosophus".
48 Cf. ed. J. T. Mückle, in: Archives d'histoire doctrinale et litteraire du moyen äge, 1 2 - 1 3
(1938), 299-340, hier 306.
49 Cf. Alfred of Sareshel's Commentary on the Metheora of Aristode, Critical Edition, Intro-
duction, and Notes by J. K. Otte, Leiden 1988, 51.
50 Cf. vor allem seinen Prolog zur „Physica", ed. Venedig 1563, t. IV, Iva H: „Et in hac säentia
manifestum est quod praedicatio nominis hominis perfecti α säentia speculativa et non perfecti, sive non
habentis aptitudinem quam perftä possit, est aequivoca: sicut nomen hominis, quod praedicatur de homine
vivo et de homine mortuo, sive praedicatio hominis de rationali et lapideo".

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Von den „beatioresphilosophi" zum „optimus status hominis" 229

dem, daß der literarische Ort dieser Konzeption in der lateinischen Tradition
primär Macrobius ist und sich die Spuren seines Tugendkapitels nicht erst
im anonymen Kommentar von Avranches zur „Ethica nova et vetus" wieder-
finden, sondern beispielsweise auch in „De summo bono" des Philippus
Cancellarius 51 und in der „Summa aurea" Wilhelms von Auxerre 52 , ist der
Schluß noch zwingender, daß die in eben diesem Kapitel sich findende
These, nur Philosophen könnten glückselig sein, nicht ganz in Vergessenheit
geraten sein konnte.
Angesichts dieses Befundes kommt den eingangs untersuchten Texten eine
neue Bedeutung zu. Die Tatsache, daß bei Boethius von Dacien kein Bewußt-
sein davon zu verzeichnen war, daß er eine umstrittene These aufstellte; der
Umstand, daß Gottfried von Fontaines sich diese These zustimmend aneig-
nen konnte; sowie schließlich die Beobachtung, daß die fragliche These für
Lull keinen Moment größerer Irritation darstellte, bedeutet nichts anderes,
als daß diesen Autoren das Konzept vom edelsten Status des Philosophen in
keiner Weise neuartig erschienen ist. Wenn diese im Horizont der longue
duree erarbeitete Interpretation richtig ist, dann präsentiert sich indes auch
das Verbot der Aussage in einem anderen Licht, es gäbe keinen hervorragen-
deren Status, als sich frei der Philosophie zu widmen. Neu an diesem Verbot
ist jetzt nicht mehr der inkriminierte Inhalt, das Ereignis besteht vielmehr
darin, daß dieser Inhalt verboten wird. Das Verbot der These 40 (1) ist inso-
fern ein signifikantes Ereignis, als eine schon lange vor der sog. Entdeckung
des neuen Aristoteles und seines Kommentators Averroes in der lateinischen
Kultur bezeugte Vision des Status, der dank der Philosophie erreichbar ist,
nun erstmals mit einem kirchlichen Verbot belegt wird. In diesem Sinn ist es
denn auch nicht weiter überraschend, daß, wie Alain de Libera es formuliert
hat, die Krankheit wirklich existierte, nachdem das Symptom erst einmal
beschrieben worden war 53 . Die Vorstellung eines excellentior status des Philoso-
phen, dessen Symptom Etienne Tempier entdeckt haben soll, existierte in
den Texten und im Bewußtsein einiger magistri bereits mehr als ein Jahrhun-
dert früher, nur hatte im 12. Jahrhundert darin niemand eine Krankheit in
der vom Syllabus beschriebenen Form gesehen.
Damit soll freilich nicht in Abrede gestellt werden, daß es in der zweiten
Hälfte des 13. Jahrhunderts in Paris zu überaus wichtigen philosophischen
Entwicklungen gekommen ist und daß diese auch im Syllabus ihren Nieder-
schlag gefunden haben. Die Rückführung des Konzepts des besonderen Sta-
tus des Philosophen in einen weiteren historischen Raum relativiert nur die
These, daß der Philosoph als Inbegriff des dank seines Wissens der Glückse-
ligkeit fähigen Menschen präzis zu diesem Zeitpunkt für die lateinische Kul-
tur des Mittelalters entdeckt worden sei. Wie wir gesehen haben, haben die

51 Cf. ed. N. Wicki, Bern 1985, De fortitudine, Q. V, 821.


52 Cf. ed. J. Ribaillier, Paris / Rom 1986, 1. III, t. XXXIII, c. iii, 646.
53 Cf. Penser au moyen äge (wie Anm. 2), 179.

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230 Thomas Ricklin

Männer, die diesen Status in Auseinandersetzung mit Aristoteles und Aver-


roes reaktualisieren ihre Vorläufer im 12. Jahrhundert. Was hingegen die Sen-
sibilität ihres Gegenspielers Etienne Tempier im Umgang mit intellektuellen
Milieus und ihren Werten betrifft, so ist diese, worauf allerdings auffallend
selten hingewiesen wird 54 , schon vor seiner Ernennung zum Bischof von
Paris nicht besonders groß gewesen. Im Jahr 1263 Kanzler geworden, rekla-
mierte er für sich legitimerweise den Status eines magister regens der Theologie,
ohne indes den dafür vorgesehenen Eid ablegen zu wollen. Auf die entspre-
chende Klage der anderen magistn wurde er von Papst Urban IV. auf die
Statuten der Universität samt dem zu leistenden Eid verpflichtet 55 . Nicht
mehr Verständnis brachte ihm der Papst entgegen, als Etienne Tempier, wie-
derum in krasser Verletzung der Statuten, die diese Funktion dem ältesten
magister regens zusprachen, sich das Amt des Dekans anmaßte 56 . Die dritte
päpstliche Intervention provozierte Tempier schließlich, als er Johannes von
Orleans und Yves dem Bretonen die licentia regendi erteilte, ohne das statuta-
risch vorgesehene Zeugnis der anderen magistri einzuholen 57 . Daß Etienne
Tempier sich mit seinem Syllabus vom 7. März 1277 über den Wortlaut des
Auftrags des Papstes Johannes XXI. hinweggesetzt hat, der bekanntlich nur
einen auf einer Untersuchung beruhenden Bericht über die Urheber und die
Verbreitungsorte der in Paris zirkulierenden errores angefordert hatte 58 , und
daß er keinerlei Bedenken gezeigt hat, ein philosophisches Selbstverständnis
nicht zu respektieren, das bisher keine größeren Querelen ausgelöst hatte,
entspricht der zuvor den Theologen gegenüber eingenommenen arroganten
Haltung. Etienne Tempier ist allem Anschein nach ein Mann gewesen, der
im Umgang mit intellektuellen Milieus nicht viel auf gruppenspezifische Tra-
ditionen und verbriefte Rechte gegeben hat. Entsprechend ist es hinsichtlich
der Rekonstruktion des intellektuellen Milieus der siebziger Jahre in Paris
vielleicht an der Zeit, die Bedeutung seines Zeugnisses über das Selbstver-
ständnis der Philosophen ein wenig zu relativieren und vermehrt darauf zu
achten, inwiefern dieses Selbstverständnis nicht auch die Frucht von strategi-
schen Reorganisationen und vorsätzlichen Verdrängungen im Feld der Philo-
sophie selbst ist.

54 Die einzige Ausnahme bildet, so weit ich sehe, P. Glorieux s. v. Etienne Tempier in: Diction-
naire d'histoire et de geographie ecclesiastiques, sous la direction de R. Aubert et E. van
Cauwenbergh, t. XV, Paris 1963, 1 2 6 7 - 1 2 7 3 .
55 Cf. CUP, Nr. 396, 438.
56 Cf. ibidem, Nr. 399, 440sq.
57 Cf. ibidem, Nr. 400, 441 sq. und Nr. 404, 444sq.
58 Cf. ibidem, Nr. 471, 541: „ Volumus itaque tibique auctoritate presentium districts precipiendo manda-
mus quatinus diligenter facias inspici vel inquiri, a quibus personis et in quibus locis errores huiusmodi
dich sunt vel scripti, et quae didiceris sive inveneris, conscripta fideliter nobis per tuum nuntium transmittere
quamcitius non omittas". Siehe dazu R. Wielockx in seinem eindrücklichen Kommentar in:
Aegidius Romanus, Apologia (Opera omnia III. 1), ed. et comm. par R. Wielockx, Florenz
1985, 98sq.

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Radulphus Brito
The Last of the Great Arts Masters
Or: Philosophy and Freedom

S T E N EBBESEN (Kopenhagen)

1. I n t r o d u c t i o n . T h e arts f a c u l t y

„As Seneca says in his 36th letter to Lucilius: Come over to her — and he
is speaking of philosophy — if you wish to be safe, unworried, happy, and
— what is the greatest of all — if you wish to be free".
With those words Radulphus Brito sometime in the 1290s welcomed his
students to a course on a book called „Sophistical Refutations". He promised
them freedom through knowledge. Let us look a little at the man who made
those promises and at his environment.
Brito gave his course at the Parisian faculty of arts, he was an „artist".
Whereas the theological society had a collective memory worthy of an ele-
phant, that of the arts faculty did not reach many decades back. Thirteenth-
century theologians remembered Anselm of Canterbury and continued to
read some of the original works by their 12th-century predecessors as well
as comprehensive digests such as William of Auxerre's „Summa Aurea". Thir-
teenth-century artists seem to have been blissfully ignorant of their predeces-
sors of a century ago. Even Abelard was not read. The only books from the
twelfth century commonly read were Peter Helias' commentary on Priscian
and the anonymous „Liber Sex Principiorum".
The artists' short memory span was compensated for by a flurry of activity
at their faculty. At any time there would be enough well-trained men to be
the bearers and developers of philosophical knowledge. In the fourteenth
century the faculty began to have longer memories, but also to be less dy-
namic; although it could still produce some remarkable masters, it had clearly
past its acme. The thirteenth century had been the great time. Jean le Page,
Roger Bacon, Robert Kilwardby, John of Secheville, Siger of Brabant, Boe-
thius of Dacia, Peter of Auvergne, Simon of Faversham all taught at Paris
during that century, and so did several other reputable philosophers of lesser
stature. The century's last great arts master was Radulphus Brito, who started
his teaching career in the 1290s and continued it some years into the next
decade 1 .

1 For a survey article about Brito, with bibliography, see S. Ebbesen, Brito, Radulphus, in:
Routledge Encyclopedia of Philosophy 2, L o n d o n - N . Y. 1998, 2 1 - 2 3 .

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232 Sten Ebbesen

Brito was the last in more than the chronological sense. He was the last
to try to save the philosophical vision of his century. The vision of a universe
consisting of a finite number of types of things, all of them fundamentally
knowable, and of man obtaining his freedom by acquiring a genuine under-
standing of the universe he is part of. By the 1270s a series of interrelated
doctrines linking the theories of language, mind, being and happiness had
been created. Philosophers would fight fiercely over the details, but they
shared a certain approach to the problems and a faith in the possibility of
success in the philosophical enterprise.
1277 had no appreciable effect on the way the artists did philosophy. The
arts masters themselves, however, were much more dangerous to their own
enterprise than any external authority. For they went in for genuine critique.
By the 1290s they themselves had found so many weak spots in their own
theories and they had mended them with provisional patches in so many
places that the whole philosophical project looked a lot less healthy than
before. People did not start to talk of a crisis, and probably no one saw it
that way, but Brito acted as if he saw there was a crisis. He gave the system
an overhaul, trying to save its foundations. Below, I shall concretize this
abstract description somewhat.

2. Brito. T h e m a n , his w o r k , his f a m e

Brito became famous in his own day and his ideas were intensely discussed
in the early fourteenth century. As late as the early fifteenth century works
of his were used in Italian schools with Thomist leanings and some were
even translated into Greek 2 . But then oblivion set in. When the printing
press came, one of his works on logic was transferred to the new medium,
but that was the last anyone heard of him. For some four hundred years
afterwards he was almost totally forgotten. His come-back only began in the
1960s. Now, thirty years later, it is generally recognized that he was an impor-
tant figure, but actually modern scholarship has only studied a few aspects
of his thought and only two of his works have been edited in their entirety 3 .
It will be a long time before anyone can write the much-wanted book „The
Philosophy of Radulphus Brito".
It is unlikely that we now have all the works that Brito wrote, but even
so, the extant ceuvre is of vast dimensions 4 . It comprises over five hundred
2 See S. Ebbesen & J. Pinborg, Gennadios and Western Scholasticism. Radulphus Brito's Ars
Vetus in Greek Translation, Classica et Mediaevalia 33 ( 1 9 8 1 - 8 2 ) , 2 6 3 - 3 1 9 .
3 Questions on Boethius' Topics by N. J. Green-Pedersen in Cahiers de l'lnstitut du Moyen
Age Grec et Latin (henceforward CIMAGL) 26 (1978), and on Priscian Minor (see next
footnote).
4 See list in Radulphus Brito, Quaestiones super Priscianum Minorem, ed. Η. W. Enders &
J. Pinborg, Stuttgart-Bad Cannstatt 1980 (Grammatica Speculative 3 . 1 - 2 ) , 1 5 - 1 9 ; list of
published extracts ibid, with supplements in Ebbesen & Pinborg, op. cit., 318 n. 3 —5. Fur-
ther extracts published by S. Ebbesen in CIMAGL 53 (1986), 55 (1987), 63 (1993), 64

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Radulphus Brito 233

questions on Aristotle's logic and its auxiliary works 5 . Further questions on


„De anima", „Physics", „Meteorology" and „Metaphysics", as well as on
some quadrivial textbooks that few had bothered to compose questions for 6 .
There are also bulky sophismata, and an impressive set of 92 questions on
„Priscian Minor" 7 . In fact, to the best of my knowledge, Brito was the last
Paris master to produce questions on Priscian. In that respect too he closed
an age. The great masters of the next century, Jandun and Buridan, did not
teach the theory of grammar, it appears.
In what follows I shall rely mainly on the logical works and the
questions on the „Metaphysics". I should warn the reader that the latter
work is an anonymous one that has not traditionally been connected with
Brito; but I am convinced of his authorship and will argue for it in a
future study 8 .
The works mentioned so far are all closely connected to their maker's
teaching in the arts faculty and they are the ones that made his fame.
About 1311 Radulphus became a doctor of theology; his writings from
the faculty of divinity are much slimmer than those related to the arts 9 .
They have never been properly studied, but they do not appear to be
terribly exciting.
It goes without saying that Brito was influenced by the masters who had
been active in the arts faculty immediately before him. Generally, we cannot
identify the sources of theories he accepts or rejects, but there is pretty good
— though not irrefutable — evidence that he was acquainted with the ceuvre
of Simon of Faversham, who apparendy taught at Paris in the years immedi-
ately around 1280 10 .

(1994), 68 (1998); and in O. Weijers, La ,disputatio' ä la Faculte des arts de Paris ( 1 2 0 0 - 1 3 5 0


environ), Turnhout 1995 (Studia Artistarum 2), 1 6 2 - 1 6 7 .
5 List of questions inj. Pinborg, Die Logik der Modistae, Studia Mediewistyczne 16 (1975),
39 — 97 (rp. in J. Pinborg, Medieval Semantics, Selected Studies on Medieval Logic and Gram-
mar, London 1984).
6 List of questions on the quadrivium in Weijers, op. cit. (nt. 4), 168 — 171.
7 Ed. Enders & Pinborg 1980 (nt. 4).
8 The work is contained in ms Firenze, BNC, Ε. 1.252: 265r-310r. Among my arguments for
claiming it for Brito: (A) The prologue is similar to several others by him. (B) Question
V.12 „Utrum materia sitprinapium individuahonis" is closely related to Brito's Quaest. Porph.
19 — 21, and V.14 „ Utrum terminus concretus accidentalis significet formam tantum vel aggregatum; et si
aggregatum, quomodo" is closely related to Brito's Quaest. Top. III.2 and Quaest. SE 1.25, both
published in CIMAGL 53 (1986), 9 5 - 1 1 1 . (C) At least two of the questions on book
VII contain the characteristic Britonian doctrine of apparens (for which cf. H. Roos, Zur
Begriffsgeschichte des Terminus „apparens" in den logischen Schriften des ausgehenden
13. Jahrhunderts, in: Virtus Politica. Festgabe zum 75. Geburtstag von Alfons Hufnagel,
Stuttgart 1974, 3 2 3 - 3 3 4 ) .
9 Questions on Peter Lombard's Sentences, a quodlibet and Quaestiones in Vesperis.
10 See my introduction to Simon of Faversham, Quaestiones super Libro Elenchorum, Toronto
1984 (Studies and Texts 60).

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234 Sten Ebbesen

3. K n o w l e d g e

Some accounts of late 13th-century philosophy leave one with the impres-
sion that the artists' main occupation was speculating about the possibility
of being united with some supra-human intellect.
While it is undeniable that such speculation was around, this certainly was
not what the artists spent most of their philosophical time on. But they did
spend almost all of it on seeking knowledge and securing the possibility of
knowledge. I shall give a couple of examples of the type of work that occu-
pied so much of their time.
Central to the sort of philosophy („modism") Brito inherited from his
predecessors was the Avicennian notion of common natures, each with sev-
eral expressions called „modes of being". The common nature of man ex-
presses itself universally as well as particularly, for instance, and those are
two of its modes of being. Under their various modes of being, common
natures can be grasped by the human mind, and whatever we can conceptual-
ize we can express in words. Of course, we can misuse language, but we have
the capability not only of naming all fundamental realities, but also of indicat-
ing their modes of being; in fact, the grammar of human languages is a
reflection of the structure of nature's system of modes of being 11 .
Old Gorgias had said that there is nothing, and if there were something
we should not be able to know it, and even if we could know it, we should
not be able to communicate our knowledge to anyone else 12 . Modism em-
phatically asserts the opposite: There is something, we can know it and we
can communicate it.
Being real philosophers, the men of the late 13th century subjected their
own beliefs to questioning under torture. It was soon discovered that the
modistic approach runs into difficulties if linguistic analysis uncovers a dif-
ferent structure from the one we suppose reality has. Homonymy turns out
to be problematic. I shall use the English word „archer" as an example. It
has at least three meanings: (a) a bowman, (b) the zodiacal constellation
Sagittarius, (c) the fish toxotes jaculator, „which shoots water at insects rest-
ing near" 13 . Now, suppose the choice of the same sounds [α:φ] to mean all
three things was a matter of pure coincidence. Then „archer" cannot really
be one noun: it must be three nouns disguised as one. But why, then, does
it not construe as a plural? 14

11 For recent work on modism, see S. Ebbesen & R. Friedman, eds., Medieval Analyses in
Language and Cognition, Copenhagen 1999 (Det Kongelige Danske Videnskabernes Sel-
skab, Historisk-filosofiske Meddelelser 77).
12 Gorgias frgm. B3 Diels-Kranz (from Sextus Empiricus, Adversus Mathematicos 7.65).
13 The Shorter Oxford English Dictionary, 3 r d edition, Oxford 1965, 93 s.v. Archer. The
standard medieval example is ,canis' = (1) dog, (2) dog-fish, (3) Sirius.
14 For discussion, see S. Ebbesen, Is „canis currit" ungrammatical? Grammar in Elenchi com-
mentaries, Historiographia Linguistica 7.1/2 (1980), 5 3 - 6 8 ; C. Marmo, Semiotica e linguag-
gio nellla scolastica: Paris, Bologna, Erfurt 1 2 7 0 - 1 3 3 0 , Roma 1994. The complete text of

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Radulphus Brito 235

Brito's predecessors had exerted themselves to allow „archer" to be one


noun in spite of its three distinct meanings. I will not dwell on the complex
mechanism by which they tried to explain this, suffice it to mention that a
central component of the mechanism was a distinction between the relation
from modes of being to word (modi significant passive) and the converse rela-
tion (modi signiftcandi active)^.
This, however, amounts to sacrificing the isomorphism between language
and reality that grounds the modistic optimism. Brito therefore holds that a
sentence like „an archer is moving" is really three sentences. So we had better
hope we know how to determine which one we are dealing with in a concrete
situation.
If language is to work as a means of communication it cannot be variable
at whim. Grammar must be stable and words must mean whatever they mean
whoever uses them and in whichever situation. Now, there are two traditional
objections to this rule: First, in figurative speech grammatical rules may be
broken and words may be used in a metaphorical sense. Second, equivocal
words with two or more meanings may be rendered univocal by the context
in which they occur.
I do not know a full-blown discussion of metaphors by Brito, but judging
from his stance on related issues, he would have said much the same as
Donald Davidson did in our days: the whole point about metaphors is that
the words mean exactly what they always do. ,A hot potato' always means a
hot potato, but we may sometimes apply the expression to something which
is not a potato, say a problem any solution of which is likely to be unpopular.
According to Brito, a certain similarity between an actual, living man and a
potential one or the dead body of one may make use of the word ,man' of
the potential or former man, but even in such use the word still means
„actual, living man" 1 6 .
We do have extensive discussions by Brito of the problems concerning
homonymy 17 . Now, suppose someone says „The archer is drunk", or „You
know the drunken archer", wouldn't we immediately know that he was talking
of a bowman and not of some stars or a fish? Most people would say yes,
and some thirteenth-century philosophers would try to explain how the
words can convey the intention of the speaker, i. e. the information that the
speaker is not thinking of a drunk cluster of stars or a drunk fish.
Brito maintains that the words contain no such information. It cannot be
literally true that the constellation Sagittarus is drunk, but that does not imply

Brito, Quaest. S E 1.12 „Utrum terminus aequivocus sit una pars oratioms" is found in C I M A G L
68 (1998), 1 9 4 - 1 9 7 .
15 See Ebbesen, Is „canis currit" ungrammatical ... (nt. 14).
16 See Brito, Quaest. S E 18 in C I M A G L 68 (1998), 2 1 5 - 2 2 2 . D. Davidson, What Metaphors
Mean, Critical Inquiry 5 (1978), 3 1 - 4 7 , rp. in id., Inquiries into Truth and Interpretation,
Oxford 1984.
17 Texts edited in C I M A G L 68 (1998), 1 8 5 - 2 2 7 .

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236 Sten Ebbesen

that we cannot attach any meaning to the statement; it just happens to be


false, just as the proposition „Rocks think" is understandable but false.
Nevertheless, an ordinary listener will not be in doubt that the speaker
means the bowman, for he will apply a principle of charity and take the
speaker to mean something that is possibly true and appropriate to the situa-
tion of communication. That leaves out the stars and in ordinary circum-
stances also the fish.
As Brito puts it, it is the „goodness of the person understanding" — bonitas
intelligentis — that allows a definite interpretation of an ambiguous message 18 .
This human ability to compensate for obscurity in the message cannot be
captured by linguistic theory, at least not a theory of the sort Brito envisaged,
and the introduction of such a factor may seem gratuitous — if you can
appeal to the good sense of the listener whenever you cannot explain how
words can do their job you have made your linguistic theory trivially consis-
tent. On the other hand, we 20th-century people ought to be sympathetic to
the idea that the human mind unconsciously supplements incomplete infor-
mation and for the most part manages to reconstruct the intended message.
Telephone companies have been operating on that assumption for a long
time.
In Brito's case we may see his trust in the goodness of the understander
as yet another example of his trust in man's ability to understand the world.
We can know exactly what information language can transmit, but we can
also do more. We do not just passively receive a message and decode it: if
the result of decoding is unsatisfactory we use non-linguistic knowledge to
reach a solution. Brito's theory does not guarantee success in such cases, but
it offers the hope of success, and avoids tampering with the core of the
modistic theory of meaning.
Let me mention a final point. All scholastics knew, and many accepted,
the late-ancient model of signification according to which words signify
things via signifying concepts of things. Brito rejected it; concepts do, of
course, have their role in signification, for without them we could not have
assigned meanings to words. But it cannot be the case that we only speak
about our concepts; words must signify things in the outside world19.
What, then, about such words as ,species' or ,genus'? Don't they signify
concepts, and aren't those concepts some that we humans have developed

18 The notion of bonitas intelligentis was not Brito's invention. It was also used by Anonymus
Pragensis in his Quaest. SE 16 — 17, which probably date from the 1280s. See text in
D. Mure, Anonymus Pragensis on Equivocation, CIMAGL 68 (1998), 6 3 - 9 7 . For recent
discussions of the notion, see I. Rosier-Catach and C. Marmo in: S. Ebbesen & R. Fried-
mann, eds., Medieval Analyses ... (nt. 11).
19 Brito, Quaest. Metaph. IV.10 „Utrum nomen significet rem vel intellectum rei"\ Quaest. Periherm.
3 „Utrum voces significant conceptus rerum" (text in J. Pinborg, Bezeichnung in der Logik des
XIII.Jahrhunderts, in: Miscellanea Mediaevalia 8 (1971), 2 3 8 - 2 8 1 ; rp. in id., Medieval Se-
mantics, London 1984).

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Radulphus Brito 237

through reflection on our primary concepts, such as that of man, of horse


and of donkey?
Not so, said Brito. The various sorts of universality are modes of being
that we can register just as we can notice the specific differentiae of being
sentient and self-moving that make animal a species of animated body. Even
such an abstract concept as universality itself derives from extramental things
themselves rather than from reflection on concepts. In other words: the
structure of reality is out there to be grasped by us, it is neither wholly nor
partially a product of our mind.
Brito's theory of concepts — first and second intentions, in concreto and in
abstracto —, is a little complex, and it is easy to attack, but its purpose is clear:
it anchors the way we understand the outside world in that world itself.
Modes of understanding reflect modes of being and are reflected by modes
of signifying20.
So much for a few samples of Brito's detailed work to save human knowl-
edge and communication. Now to the grand declarations.

4. F r e e d o m

The generation preceding Brito had made some extravagant claims about
what philosophy can do for its servants. Because of the 1277 condemnations
scholarship has had a tendency to focus on claims to the effect that the
ultimate reward for good study is some sort of union with an impersonal
super-intellect.
It would be foolish to deny that such claims occur. But I think the atten-
tion paid to this particular piece of doctrine tends to make us blind to the
bigger picture. Some arts masters believed in a union with a super-intellect,
some did not, and those who did believe in it did not all believe in the same
sort of union or, for that matter, in the same sort of super-intellect. But they
all believed in the salutary effects of knowledge, and most or all of them
believed that a total or almost total knowledge of the created world is pos-
sible, at least in principle21.

20 For an introduction to Brito's theory of intentions, see my article in Routledge Encyclopedia


of Philosophy, mentioned above. A short formulation of Brito's view occurs in his Quaest.
Top. 1.27 (ms Paris, BN, lat. 11132: 22rA —B): „Sed intelligendum est propter rationes quod tota
cognitio {aggregatio P} et esse intentionum dependet ex cognitione {congregatiom P} obiectorum et modorum
essendi, ratione quorum illae intentiones fundantur in Ulis obiectis, sicut genus est ratio intelligendi rem sive
cognoscendi ut ilia res est reperibilis in pluribus differentibus specie; modo species et genus sunt quaedam
intentiones secundae, et ideo cognitio earum dependet ex cognitione obiecti et modi essendi ratione cuius ibi
fundatur." For the debate roused by Brito's theory, see J. Pinborg, Zum Begriff der Intentio
Secunda , Radulphus Brito, Hervaeus Natalis und Petrus Aureoli in Diskussion, CIMAGL
13 (1974), 4 9 - 5 9 , rp. in id., Medieval Semantics, London 1984.
21 For a concise statement of this view, see Anon., Quaest. Arist. Metaph., ms Leipzig UB
1386: 7vB, qu. II.2: „Quaeritur utrum potentia ad cognitionem veritatis sit potentia ad infinitum vel
simul possit [im]poni in actufm], (...) Dicendum quod potentia ad cognitionem veritatis non est potentia

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238 Sten Ebbesen

Introductory lectures to university courses was the right place for pro-
grammatic statements about the salutary effects of knowledge, and we find
Brito's in the prefaces to his various sets of questions. Presumably, the ques-
tions were composed in connection with oral teaching, and each preface
reflects an introductory lecture. They are very similar one to another, Brito
obviously did not bother to make a brand-new introduction to each course.
He followed the same policy of copying himelf also on other occasions 22 ,
but he had a considerable flair for systematic consistency, so self-copying
should usually be taken not only as a sign of laziness but also as a sign that
he had not changed his mind on anything of importance. In short: I think
we can use the prefaces as one text which shows us what Brito believed in
throughout his career in the arts.
Now, you may object that people do not always quite believe in or even
think much about the fine words they say on festival occasions. Right. But
Brito not only repeats himself, and in many ways repeats others, he also has
a personal angle on the question of the fruits of philosophy, so at least he
must have thought about the matter; quite probably, he even believed in the
things he told his students.
Now, what did he tell them? This:
„Knowing, dear students, is the natural goal of human beings, but there are obsta-
cles which may prevent you from arriving safely — salvi — at the goal: sensual
delights which engulf your rational capacities and make you live the life of beasts;
worries about wordly things; lack of confidence in your own ability to reach knowl-
edge. Philosophy provides you with the means to overcome such obstacles and
live a virtuous life in which your reason blossoms while worries and diffidence
dissappear. Philosophy can render you capable of facing the vicissitudes of fortune
with calm. Philosophy can make you happy — beat! — for human happiness
consists in the full development of human nature and your human nature will
be fully actualized when you come to know the primary realities, which is what
philosophy is all about. In fact, philosophy can make you god-like (pares deo,

ad infinitum, sed potest poni in actu completo. Quia si erit potentia ad infinitum, cum ratio potentiae
sumitur ex obiecto et ex actu, oporteret quod obiecta potentiae essent infinita, et similiter operationes sive
modi cognitionis. Sed obiecta intellectus non sunt infinita quia spedes rerum non sunt infinitae, quae sunt
obiecta intellectus. Item, duo modi sunt quibus intellectus intelligit, et quando habet istos modos, non potest
clanus cognoscere rem quam secundum istos modos, et isti modi sunt definitio et demonstratio, ita quod per
definitionem sdtur quid est esse rei, per demonstrationem quia hoc inest huic. Sed in demonstrationibus non
est procedure in infinitum, ut didtur libro Postenorum, quia necesse est devenire ad prima indemonstrabilia,
et quando ad ista devenitur, tunc clanssime cognosdtur res. Alio modo cognosdt intellectus per definitionem,
et definitio est in essentia in demonstratione. Si ergo in demonstrationibus non estprocedere in infinitum, ergo
nec in definitione, quae est principium demonstrations vel tota demonstratio, ut didtur libro Posteriorum. Et
ideo quando perfecte cognosdt quod quid est esse rei, non est potentia in intellectu ad ulteriorem cognitionem,
quia res non habet petfectius esse quam per suam definitionem. Ideo cognitionis potentia non est ad infinitum
sed ad aliquid finitum
22 See S. Ebbesen & I. Rosier-Catach, Le trivium et la Faculte des Arts, in: O. Weijers & L. Holtz
(eds.), L'enseignement des disciplines ä la Faculte des arts (Paris et Oxford, XIVe-XVe
siecles), Tournhout 1997 (Studia Artistarum 4), 97-128, esp. 119 sq.

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Radulphus Brito 239

quodammodo dii). Of course, it takes hard work, but with the help of a good
teacher you can do it"23.

Brito did not promise too little on behalf of philosophy! On the other
hand, there is nothing really novel in those promises. Masters who were his
elders by a generation had said much the same — and some of them got
into trouble for so doing. But it does not look like Radulphus worried much
about sensitive theological ears to whom such declarations might sound jar-
ring. There is no carefully hedging phraseology explaining how this must not
be misunderstood. There is no hint that there might be other views about
the goal of human existence.
Some way, however, into his Metaphysics commentary Brito shows his
awareness of this possibility, and with youthful vigour he lunges at pious
obscurantism:
„The next question is whether metaphysics is for its own sake. [...] To this question
some say that the good of man is not in this life but in another one - happiness
(beatitude), that is. And therefore they say that every sort of knowledge is for the
sake of virtue, because we do not attain to that beatitude except through the
virtues; and so knowledge is good. And they say that knowing for the sake of
knowing is unseemly curiosity, but seeking knowledge for the sake of virtue is not
so, because we can attain to beatitude via virtue, and that is good in an unqualified
sense. But although this is the truth for those who place happiness in another life,
yet the Philosopher did not posit that, nor did he believe that there is any happi-
ness except in this life" 24 .

After which Brito happily continues to ignore those who say that happi-
ness is only to be found in another life. Theoretical knowledge, he contends,
is valuable irrespective of its contribution to virtue, though, of course, a
virtuous life is an automatic companion of knowledge 2 5 . But Brito is not just
a brash youth fighting obscurantist. Though his message is much the same
as that disseminated by the masters of the 1260s and 70s, he has formulated
it importandy differently by stressing the notion of freedom. In good philo-
sophical fashion, he does not stop at the panegyrical praise of liberty, he
holds his own notion of liberty up to the light for examination and discovers
its limits.
Brito dwells unusually long on the passage in the beginning of the Meta-
physics in which Aristotle argues that first philosophy is for no ulterior pur-
pose. After the question just quoted follows one „Whether metaphysics is

23
This is not a literal quotation, but a paraphrase based o n Brito's proems to his questions
on Posterior Analytics, Topics, Sophistici Elenchi (cf. appendix 1, below), Physics, Metaphys-
ics and Mathematics (ed. Weijers, op. cit., nt. 4).
24
Radulphus Brito, Quaest. Metaph. 1.11; see text in appendix 2, below.
25
This was a commonplace, o f t e n supported with a reference to Alexander of Aphrodisias as
quoted in Averroes' preface o n Physics 8.

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240 Sten Ebbesen

free" 2 6 . Not unsurprisingly, we are told that indeed it is free, exactly because
it is for no ulterior purpose. But we are also told that there is a sense in which
both natural science and metaphysics are unfree: in the sense, namely, that we
are not quite free to know what we want. Two things limit our freedom:
prime matter and pure act. The indeterminacy o f prime matter means that
some natural phenomena can only be described statistically; nature is not
totally predictable. Pure act is beyond our understanding. We can only hope
for some sort o f intuitive cognidon (intellectus) of the first principles.
Undeniably, this is a severe limitation of our possibilities of understanding.
But certainly no ground for despair. Radulphus is only spelling out something
that the likes o f Boethius of Dacia had realized a generation before him: if
our description of reality is built on the potency/act model, pure potency or
matter at one end o f the scale and pure act at the other are limiting concepts
which cannot be subjected to a full causal definition, for if they could, they
would not represent the limits.
Then, o f course, one might dream o f some mystical union with pure act
which would also grant full insight into prime matter. But that is mysticism,
not philosophy; and Brito was no mystic, nor were the majority of arts mas-
ters of the late thirteenth century, though many felt attracted by the notion.
With this important limitation knowledge is freely accessible to humans
and knowledge makes a man free. Now it is time to return to Brito's introduc-
tory lectures. Part o f their originality consists in the fact that all the benefits
that he claims philosophy bestows on its adepts are presented in the frame-
work o f a discourse on liberty.

„As Seneca says in his 36th letter to Lucilius: Come over to her — and he is
speaking o f philosophy — if you wish to be safe, unworried, happy, and — what
is the greatest o f all — if you wish to be free".

This quotation opened Brito's introduction to a course on the Sophistical


Refutations, and he also used it when he was to teach the Physics. On both
occasions he went on to show how philosophy does what Seneca claimed it
does: it makes you safe (salvusj, unworried {securus), happy (beatus), and the
greatest o f all: free. It makes a man free because there is no ulterior cause to
serve beyond perfecting the intellect and escaping from the darkness of igno-
rance. It makes a man free because, as Seneca also says, it makes him worthy
of governing others; a servant o f reason is the master of the many — not,
of course in the mundane sense, but in the sense that nobody can destroy
your self and transform you into an automaton as long as you obey reason.
By contrast, ignorance makes slaves out o f human beings.
This, I submit, is the attitude o f most o f the great 13th-century masters
of philosophy. The belief in freedom through knowledge provided a rationale
for their relentless investigation of everything they could think of asking

26 Quaest. Metaph. 1.12; text in appendix 2, below.

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Radulphus Brito 241

about, and for their anxiety to secure the links between outside reality, human
understanding and human communication, with the two latter tied not only
to each other, but also directly, each of them, to outside reality.
The finer details of noetic theory are of minor importance in this connec-
tion.
I have called Brito the last of the great masters of his century. And I have
claimed that he expresses what most of his predecessors thought. This should
be understood in the sense that I think most of them would have agreed
that he was good at formulating what they themselves believed in. But part
of his personal greatness was exactly his ability to find a striking formulation
of the common creed. He borrowed his words from Seneca, and he com-
bined the old Stoic's sermons on the liberating function of philosophy with
Aristotle's disquisition into the intimate relation between wisdom and free-
dom. But, come to think of it, this is not a bad combination at all. Out of it
came a concept of freedom that could be used to structure a discourse about
what human life is really about.
Everybody knows that knowledge is power. And so what? If you want a
more interesting alternative, you might consider „Knowledge makes free".

A p p e n d i x 1.
T r a n s l a t i o n of the f i r s t p a r t of the p r o e m
to R a d u l p h u s B r i t o ' s Q u e s t i o n s on the S o p h i s t i c a l R e f u t a t i o n s 2 7

As Seneca says in letter 36 to Lucilius, „Come over to her" — and he is


talking of philosophy — „if you wish to be safe, unworried, happy and —
what is the greatest of all — if you wish to be free". This passage suggests
that there are four things a man may gain from philosophy: safety, happiness,
unworriedness, and freedom.
The implicit arguments may be explicated as follows:
We say that something is safe when it overcomes all obstacles and arrives
at its due goal; thus a ship is said to be safe when it arrives at the right port
with no more obstacles in its way. Now, through philosophy a man arrives
at the due and proper human goal. So, through philosophy a man becomes
safe. The major is self-evident. Proof of the minor: It is a man's proper goal
to know, for man is for the sake of his intellective soul, and the intellect is
for the sake of knowing, according to the Philosopher in Ethics VI and De
anima III. This may also be had from Boethius in the Consolation. Now,
through philosophy a man arrives at that goal which is to know. Ergo etc.
Further, obstacles that prevent one from arriving at that goal are removed
by philosophy; sensual delights, for instance, for on account of sensual de-

27 For the Latin text, see Ebbesen & Pinborg, Gennadios and Western Scholasticism (nt. 2),
279-285.

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242 Sten Ebbesen

lights many are prevented from dedicating themselves to knowledge and the
contemplation of truth. As Armonius says in his abbreviation of the Ethics:
„Sometimes one must fight one's desires, for desires" — that is sensual de-
lights — „engulf our rational capacities, and such men as pursue those sensual
delights are like beasts, having chosen the life of catde". Now, through philos-
ophy this obstacle is removed, for philosophy teaches how to keep away
from such sensual delights, according to Boethius in the Consolation and the
Commentator in the prologue to Physics VIII; the latter says that a philo-
sopher is also a virtuous man (and shows this with respect to the single
virtues). Now, such a man stays at a distance from those sensual delights.
Ergo etc.
There are others who cannot reach the proper goal of man (to know, that
is) because of their worry about wordly things, for, as Ptolemy says in the
beginning of the Almagest among the proverbs, „That man is the wisest who
worries least about whose hand the world is in". Now, through philosophy
a man is liberated from such worry about wordly things. Ergo etc.
Yet others cannot reach the proper goal (to know) because of lack of
confidence. They lack confidence and believe they can know nothing. Now,
this obstacle is removed through philosophy, for anyone with philosophical
experience knows that it is not impossible to come to know the truth. So,
through philosophy man overcomes all obstacles and arrives at his due goal,
and thus man becomes safe through philosophy.
Philosophy also makes a man unworried, for unworriedness is a kind of
steadfastness or immoveability. Now, a philosopher is steadfast and immove-
able in the face of any circumstance, whether favourable or adverse, and
remains in the same state, according to the Philosopher in Ethics I, where
he claims that a philosophical and virtuous man remains in the same state in
face of anything that fortune may bring; and just as a square remains in the
same state wherever it is projected, in the same manner it is with the philo-
sophical and virtuous man: he always remains in the same state whether
faced with favourable or adverse situations. This is also clear from Boethius
in the Consolation, when he claims that a sage does not squirm in the face
of bad fortune, for he is always in a state of equilibrium, being neither elated
by good fortune nor depressed or saddened by adversity. There is a relevant
story in the Consolation about a philosopher who had been arrested by a
tyrant. They tried to force him to speak and reveal the secrets of his city, but
out of consideration for the common good he was not willing to do so, and
instead he spat in the tyrant's face. In this way, then, philosophy makes a
man unworried.
Philosophy also makes a man happy, for according to the Philosopher in
Ethics X human happiness consists in acting according to the intellect. Now,
such action according to the intellect is simply philosophy, since philosophy
consists in getting to know the things that really are and especially the first
realities. Therefore philosophy makes a man happy. As Seneca puts it: „This

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Radulphus Brito 243

is what philosophy promises me: to make me the equal o f a god". T h e same


point is made by Boethius in the Consolation when he says that men who
know, i. e. philosophers, are gods, in a way.
Philosophy also makes a man free, because, as appears from the proem o f
the Metaphysics, for something to be free is for it to be for its own sake and
not for the sake o f anything else. Now, according to the Philosopher, the
various types o f theoretical knowledge are for their own sake, i. e. for perfect-
ing the intellect and getting away from ignorance. Therefore, these types o f
knowledge make a man free. Furthermore, a man is made a free man by
whatever makes him worthy o f governing others. Now, philosophy makes a
man worthy o f governing others, for according to Seneca in letter 36 to
Lucilius, you will govern many if reason governs you. These are his words:
„If you wish to subject everything to yourself, subject yourself to reason, for
you will govern many if reason governs you". And therefore philosophy
makes a man free, and by contrast, ignorance makes men slaves and mis-
erable.

A p p e n d i x 2.
Extracts from {Radulphus Brito's) Questions
on the Metaphysics.
Ms F = F i r e n z e , B N C , Ε . 1 . 2 5 2 : 2 6 5 r - 3 1 0 r

For my use o f critical parentheses etc., see C I M A G L 68 (1968), 107.

{Prooemium)

Sicut dicit Seneca in quadam epistula ad Lucillum: „Philosophiae servias


ut tibi contingat libertas" 2 8 .
Et est advertendum quod ipse intelligit per .servire' diligenter attendere, et
sic tibi continget vera libertas si \philosophiae/ diligenter attendas. Ratio
huius propositionis potest esse quia Philosophus dicit in primo Politicae, ubi
docet naturam Liberi et servi, dicit quod liber est qui est gratia sui ipsius,
servus autem gratia alterius, sc. domini 2 9 . Unde Philosophus vult quod servus
est instrumentum animatum 30 . Similiter est in scientia, quia scientia quae est
propter se est libera, scientia autem ad aliud ordinata quam ad scire est ser-
vilis. Cum ergo philosophia sit tantum propter scire, philosophia ergo erit
libera et possessorem suum facit liberum; ergo per servire philosophiae con-
tingit homini vera libertas; ergo per alias artes fit homo servus, quia omnes
ordinantur ad philosophiam primam. Unde qui vere vult esse liber istam

28 Seneca, Ep. 8 (1.8) 7.


29 Arist. Pol. 1 . 4 . 1 2 5 4 a l 4 - 1 5 ; cf. Auctoritates Aristotelis 15.12, 252.
30 Arist. Pol. 1 . 3 . 1 2 5 3 b 3 1 - 3 3 .

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244 Sten Ebbesen

philosophiam primam debet addiscere, licet econtrario multi faciant 31 , quia


multi viri liberi scientiis servientibus insistunt et speculativas dimittunt.
Item, potest sic probari: quia secundum Philosophum in primo Politicae
homines vigentes mente naturaliter sunt 3 2 aliorum domini, et robusti corpore
aliorum sunt servi 33 . Et ideo apparet quod quanto aliquis plus participat de
intellectualitate, tanto est magis liber[um]; et quanto minus de intellectualitate,
tanto plus participat de Servitute. Sic erit in scientia quod ilia scientia erit
servilis quae minus habet de intellectualitate et quae magis habebit erit magis
libera; philosophia autem plus habet de intellectualitate quam aliae scientiae
et maxime prima philosophia, unde non multum, immo parum prodest intel-
lectui speculari facta ab hominibus 3 4 , sed facta a deo et natura, ideo cum
philosophia sit de talibus, sc. de speculatione entium factorum a deo et na-
tura, sequitur quod est de maxime speculabilibus, et per consequens quod sit
libera. Ergo philosophiae servire est vera libertas. Philosophiae ergo servias,
ut tibi contingat vera libertas, et si homini contingit vera libertas per servire
philosophiae, ergo maxime libertas contingit homini per 3 5 servire philoso-
phiae maxime speculativae, maxime autem speculativa est metaphysica, unde
Philosophus dicit in prooemio Metaphysicae quod sola metaphysica est libera.
Et ratio huius est quia, sicut dictum est, servus non est gratia sui ipsius, liber
autem qui est gratia sui ipsius 36 . Cum ergo metaphysica sola sit gratia sui
ipsius et omnes aliae scientiae ordinantur ad ipsam, sequitur quod sola meta-
physica sit libera.
Item, hoc potest declarari per Simplicium super Praedicamenta, qui dicit
quod finis philosophiae secundum speculationem est ascendere in unum pri-
mum principium 37 ; modo per nullam aliam scientiam humanitus inventam
aliam a metaphysica inquiritur primum principium; et ideo maxime libera est.
Et secundum Aristotelem in X ° Ethicorum et in primo, in contemplatione
entium sempiternorum secundum philosophiam consistit summa felicitas.
Item, secundum Senecam ad Lucillum, qui dicit sic 3 8 : „Liquere tibi volo,
Lucilli, neminem bene posse vivere sine studio sapientiae et beatam vitam
effici ceterum tolerabilem sapientia inchoata 3 9 ". Illam autem philosophiam
licet bene attingere non possimus o b 4 0 eius arduitatem, tamen ut poterimus
procedamus, unde oportet subiectum eius stabilire et alia quaesita(?) aliqua-
liter notificare.

31 faciant] faciunt F.
32 sunt] sint F.
33 Arist. Pol. 1.2.1252a31-34. Cf. Auctoritates AristoteUs 15.1, 252.
34 intellectui — hominibus] potius intellectum — rationibus F.
35 per] prae F.
36 Cf. Arist. Metaph. 1.2.982 b 2 4 - 2 8 ; cf. Auctoritates AristoteUs 1.22, 116.
37 Simplicius, Cat. 6.6 — 9.
38 Seneca, Ep. 16 (II.4) 1.
39 sapientia inchoata] sapientiae inchoatam F.
40 possimus ob] possemus ad F.

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Radulphus Brito 245

<Qu. 1.11, F 268rA) 41


Consequenter quaeritur utrum ilia scientia sit proper se.
<1) Arguitur quod non, quia omnis scientia est propter virtutem; et omnis
virtus est propter agere; ergo omnis scientia est propter agere; ergo non
propter se. Maior patet per Averroem supra 8 Physicorum, qui dicit quod
omnes philosophi natura sunt studiosi; hoc autem non est nisi ut sciens agat
secundum virtutem; ergo etc.
<2) Oppositum vult Philosophus.
<3.1) Quidam dicunt ad quaestionem bonum hominis non esse in hac vita
sed in alia, puta beatitudinem; et ideo dicunt omnem scientiam esse propter
virtutem, quia ad illam beatitudinem non devenimus nisi per virtutes et {sic
est) bona. Et dicunt quod scire propter scire est turpis curiositas, sed quae-
rere scire propter virtutem non, (quia) secundum virtutem possumus deve-
nire ad beatitudinem. ( q u o d ) est simpliciter bonum.
<3.2) Sed licet sit ista Veritas quantum ad illos qui ponunt felicitatem in
alia vita, tamen Philosophus non posuit hoc, neque credidit esse aliam felici-
tatem nisi in hac vita, unde non posuit nisi duas, sc. unam activam et [activam
et] aliam contemplativam; et ideo posuit alias scientias quae non sunt propter
scire sed ut boni fiamus operando secundum virtutes, cuiusmodi sunt sci-
entiae morales, quae sunt de operibus nostris; unde et Philosophus in se-
cundo Ethicorum dicit quod hoc opus, sc. morale negotium, non est propter
speculationem sed ut boni fiamus42. Et tales scientiae dirigunt nos ad a...
illam felicitatem activam. Aliae sunt scientiae quae non sunt de operibus
nostris sed de hiis quae non sunt nostra opera, sicut scientia de deo et intelli-
gentiis et scientia naturalis et omnes scientiae mathematicae; et tales scientiae
speculativae solum sunt propter scire. Et quod ita intellexit Philosophus pro-
batio secundum(P) quod dicit Averroes, qui posuit intellectum unum a cor-
pore separatum, non simpliciter sed secundum operationem coniunctum; po-
suit enim quod felicitas contemplativa consisteret secundum intellectum. Et
est advertendum quod ilia dicitur scientia practica quia est propter operari,
unde ilia scientia practica est cuius finis est opus, quod quidem(P) opus aliud
est a speculari; sed speculative dicitur ilia quae est de entibus quae non sunt
nostra opera sed solum speculabilia a nobis. Ergo, si simpliciter et [simpliciter
et maxime et] maxime, cum ista scientia sit de maxime scibilibus et speculabi-
libus secundum se, erit maxime speculativa.
Advertendum quod istis scientiis speculativis vel habentibus ipsas comita-
tur 4 3 virtus, quia, sicut dicit Tullius, honestum consequuntur multae bonae
condiciones; tamen non sunt solum propter virtutem.

41
Numeratio quaestionum secundum indicem qui in fine codicis extat.
42
Arist. EN 2.2.1103b26-28.
43
comitatur] consequitur F.

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246 Sten Ebbesen

<Ad 1 y Ad id quod dicitur quod omnis scientia est propter virtutem: non
est verum /268rB/. Et tu dicis quod plures sunt naturaliter virtuosi; dico
quod verum est — sed hoc non est quia ilia scientia speculativa quam habent
sit propter virtutem sed quia ad ipsam consequuntur virtutes.

<Qu. 1.12)
Consequenter quaeritur utrum ista scientia sit libera.
<1 > Arguitur quod non.
<(1.1) Quia ista scientia quae servit aliis <non est libera; sed ista servit
aliis)>. Probatio, quia considerat 44 et declarat principia aliarum scientiarum
specialium; ergo eis servit; et per consequens non est libera.
<(1.2)> Item, omnis scientia liberalis vel est sub quadruvio vel sub trivio;
ista autem non est sub aliqua istarum, ut patet per inductionem; ergo non
est liberalis.
<1.3) Item, ista scientia indiget logica; ergo non est liberalis. Probatio
antecedentis per Commentatorem septimo Metaphysicae, quia dicit quod
dupliciter ista scientia utitur logica: uno modo quia accipit aliquas propositi-
ones declaratas in logica, alio modo in quantum logica dat modum proced-
endi isti scientiae et aliis.
(2) Oppositum vult Philosophus.
<3> Dicendum quod ista sola est libera. Ad cuius evidentiam sciendum
quod libertas primo invenitur in hominibus, et ex hominibus transfertur ad
scientias. Liber autem homo est ille qui est gratia sui ipsius, servus autem qui
est gratia alterius, sc. domini; ergo ilia scientia quae est propter se non ordi-
nata ad aliud est libera; ilia est huiusmodi, quia considerat entia quae sunt
finis entium omnium, et hoc dicit Simplicius supra Praedicamenta 45 , qui dicit
quod „finis philosophiae secundum morem", i. e. moralis philosophiae, „est
perfectio secundum virtutem; finis autem philosophiae Aristotelis speculati-
vae est ascensus in unum primum principium"; nunc autem per istam sci-
entiam et per nullam aliam humanitus inventa devenitur in unum primum
principium; ergo est propter se et aliud ordinatur ad ipsam, quia ad ipsum
primum omnia alia ordinantur; ergo est sola libera.
Sed quare non continetur sub quadruvio vel trivio, neque etiam naturalis,
mathematicae autem continentur? Intelligendum est quod liberalis ars potest
intelligi tripliciter:
Uno modo potest intelligi scientia liberalis vel dicitur scientia liberalis
\quae/ non ordinatur ad commoda vitae. Et sic omnes scientiae speculativae
sunt liberales, et sic mechanicae solum sunt serviles.

44 considerat] fortasse subministrat scribendum; φ responsionem.


45 Simplicius, In Cat. 6 . 7 - 9 .

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Radulphus Brito 247

Alio modo dicitur scientia liberalis quia inventa est a liberie. Et sic mathe-
maticae scientiae et naturalis et ista scientia essent liberae quia inventae sunt
a liberis, quia inventis necessariis ad vitam illae scientiae coeperunt inquiri,
prout Philosophus dicit in littera46.
Alio modo dicitur scientia liberalis quia habet medium per quod possit
sciri libere. Et hoc modo ista scientia et naturalis non sunt liberae, quia ista
scientia habet medium non liberum nobis, immo est supra intellectum
nostrum, nec naturalis, quia naturalis seit per causam, una autem causarum
non est libera, sc. causa materialis, quia est subiectum motus et transmuta-
tionis, et ideo per ipsam potest sciri aliter et aliter. Defectus autem libertatis
istius scientiae ex parte medii secundum se non est, sed ex parte nostra, quia
medium istius scientiae est purus actus et pura forma, sed propter infirmita-
tem intellectus nostri <***) Aliquid enim dicitur invisibile vel quia non potest
videri, <vel) quia est ita excellens visibile quod non potest bene videri ab
oculo, sicut medium istius scientiae dicitur non liberum non quia in se sit non
liberum, sed quia est non liberum intellectui. Etiam neque naturalis dicitur
libera(lis), quia habet aliquod medium non liberum intellectui, sc. materiam
primam. Et sic ista scientia erit libera et non liberalis, mathematicae autem
sunt liberales et non liberae. Et ideo ista scientia non solum erit scientia
sed intellectus, sc. habendo habitum primorum principiorum, sed scientia in
demonstrando aliquid per ipsa.
<Ad 1.1) Ad illud quod arguitur in contrarium, quod ilia scientia quae servit
aliis est servilis, verum est — si serviat eis servitio quod deroget libertati. Sed
cum 47 tu dicis quod subministrat aliis scientiis principia et declarat earum prin-
cipia, dico quod talis servitus non derogat libertati, sed magis auget.
<Ad 1.3) Ad aliud. Cum dicitur quod indiget logica, conceditur. Et tu dicis
„Ergo est serva"; dico quod sicut tu male argueres si diceres „Dominus
indiget servis, ergo non est liber", ita si sic argueres 48 „Ista scientia indiget
aliis sicut sibi famulantibus, ergo non est libera".
<Ad 1.2) Ad aliud. Verum est quod est libera et non liberalis, quia est
solum gratia sui ipsius. Ideo non valet.

A p p e n d i x 3.
Radulphus Brito and Seneca

Brito wove quotations from a variety of authors into a tapestry depict-


ing the blessings of philosophizing. Thinkers from all sorts of schools
contributed to the picture. Aristode, of course; Ps.-Aristotle (Rhetorica ad
Alexandrum); the Stoics, represented by Seneca; Neoplatonists, represented

46
Arist. Metaph. 1.2.982 b 2 2 - 2 4 .
47
cum] et F.
48
argueres] arguentes F.

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248 Sten Ebbesen

by Boethius and Simplicius; even Epicurus contributed, though Brito


scarcely knew so: one of his most beloved Seneca-quotations about philo-
sophical liberty (N° 2 below) is actually a passage in which Seneca quotes
Epicurus! 49
The Senecan quotations play a central role in Brito's picture. They come
from Letters to Lucilius 2, 8, 16, 37 and 49, and the spread over so much text
might suggest that Brito had read the whole work, but this is an unnecessary
assumption. Essentially, all the passages quoted can be found in the well-
known florilegium „Auctoritates Aristotelis" 50 . True, in several ways Brito is
closer to the original text and he even sometimes refers to the letters by their
numbers. Whether this means that he used a slighdy different, but related
florilegium, or — as I prefer to think — that he actually read some Seneca,
there is litde doubt that his entry to the work was mediated by a florilegium.
The situation is similar with quotations of other authors that occur in his
prologues.
Below I present the quotations of Seneca in Brito's proems. The entries
are numbered 1—5, and each of them is subdivided as follows: x.l.l-n
are texts by Brito; x.2 is the relevant Senecan passage, here reproduced
from L. Annaei Senecae Ad Lucilium Epistulae morales, rec. L. D. Reyn-
olds, Oxford 1965; x.3 is the corresponding excerpt in the Auctoritates.
Verbal agreements between Brito and Seneca are marked by means of
italics.
The manuscripts of Brito's works used are these: Questions on Posterior
Analytics (APo.): Β = Bruxelles, BR, 3540-47. On Topics 51 (Top.): Ρ =
Paris, BN, lat. 11132. On Physics (Ph.): F = Firenze, BNC, Ε. 1.252. For the
questions on the Sophistici Elenchi (SE) I use my own edition in S. Ebbesen
& J. Pinborg, Gennadios and Western Scholasticism. Radulphus Brito's Ars
Vetus in Greek Translation, Classica et Mediaevalia 33 (1981-82), 263 — 319.
For the questions on Metaphysics (Metaph.) I use the edition presented in
appendix 2 of this article. For the quadrivial questions (Quaest. Math.) I use
O. Weijer's edition in her La ,disputatio' ä la Faculte des arts de Paris ...,
Tumhout 1995.
1.1. Brito, Quaest. Top., Ρ l l r B : Multi autem sunt qui non consequuntur
bonum intellectuale propter malam instructionem in scientiis speculativis52,
quia nesciunt ex quibus mediis habeant conclusionem determinatam inferre
et ex quibus non. Unde de omnibus illis loquitur Seneca secunda epistula ad
Lucilium quod certis ingeniis, i. e. considerationibus, morari et nutriri oportet in

49 Frgm. 199 in H. Usener, Epicurea, Leipzig 1887. The Senecan passage is our only source
for this saying by Epicurus.
50 J. Hamesse, ed., Les Auctoritates Aristotelis, Louvain-Paris 1 9 7 4 (Philosophes Medievaux
17)·

51 I gratefully acknowledge use of a transcription done by D r N. J. Green-Pedersen.


52 speculativis] sensitivis P.

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Radulphus Brito 249

veritate, si inde velis53 aliquid trahere quod <[in) anima insedeat fideliter, Et subdit:
Idem enim accidit Ulis54 quod peregrinantibus qui nullius ingenio, id est hospiti, se
applicant, sed omnia transcurrunt cursim et properantes^ et nulli hospiti plus ad-
haerent quam alten. Et sic tales qui assimulantur peregrinantibus currunt de
libro in librum, de conclusione in conclusionem, et in fine nihil reportant,
sed in tota vita sua remanent ignorantes. Et subdit ibidem quod nihil est quod
aeque et tantum impediat sanitatem56 quam remediorum crebra mutatio. Et subdit
etiam ibidem quod planta multotiens transmutata sive transplantata non germinat.
Et subdit: Cum multa volumina perlegas, unum accipias ex illis, illud decerpe, et
illud illo die decoquis, quasi dicens quod oportet hominem habere artem per
quam ex multis visis possit ad determinatam conclusionem perveniere, aliter
enim erit ignorans.
1.2. Seneca, Ep. 2 (1.2) 2 — 4: Certis ingeniis immorari et innutriri oportet, si velis
aliquid trahere quod in animo fideliter sedeat. Nusquam est qui ubique est. Vitam
in peregrinatione exigentibus hoc evenit ut multa hospitia habeant, nullas amicitias;
idem accidat necesse est its qui nullius se ingenio familiariter applicant, sed omnia
cursim etproperantes transmittunt. § 3 Non prodest cibus nec corpori accedit qui
statim sumptus emittitur; nihil aeque sanitatem impedit quam remediorum crebra
mutatio; non venit vulnus ad cicatricem in quo medicamenta temptantur; non
convalescitplanta quae saepe transfertur. [.. .§ 4...] et cum multa percurreris, unum
excerpe quod illo die concoquas.
1.3. Auctoritates 21.4, 274: „Peregrini multa habent hospitia, nullas ami-
citias." 21.8, 274: Nihil impedit ita sanitatem sicut crebra remediorum tentatio
aut immutatio.
2.1.1. Brito, Quaest. APo., Β 372rA: Est etiam summe liber, sicut apparet
per Senecam octava epistula ad Lucillum, qui dicit sic: „Si vis ut vera libertas
tibi contingat, oportet57 te philosophiae servire".
2.1.2. Brito, Quaest. Math., ed. Weijers, 162 (my punctuation and orthogra-
phy): Sicut dicit Seneca octava epistula ad Lucillum, servire philosophiae oportet
si tibi vis ut vera libertas contingat, et hoc est quod subdit ibidem: Hoc enim, servire
philosophiae, vera libertas est.
2.1.3. Brito, Quaest. Metaph.: Sicut dicit Seneca in quadam epistula ad
Lucillum: „Philosophiae servias ut tibi contingat libertas".
2.2. Sen. Ep. 8 (1.8) 7: adhuc Epicurum compilamus, cuius hanc vocem
hodierno die legi: „Philosophiae servias oportet, ut tibi contingat vera libertas"'. Non
differtur in diem qui se illi subiecit et tradidit: statim circumagitur; hoc enim
ipsum philosophiae servire libertas est.

53
velis] velit P.
54
illis] aliis P.
55
cursim et properantes] cursum et prope canem P.
56
sanitatem] sapientem P.
57
oportet] offer B.

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250 Sten Ebbesen

2.3. Auctoritates 21.55, 277: Philosophiae servias, quia ipsi servire libertas
est.
3.1.1. Brito, Quaest. Metaph.: Item, secundum Senecam ad Lucillum, qui
dicit sic: „Uquere tibi volo, Latcilli, neminem bene posse wvere sine studio sapientiae et
beatam vitam e f f i c i ceterum tolerabilem sapientia inchoata^".
3.1.3. Brito, Quaest. Top., Ρ l l r A : Hoc est idem quod dicit Seneca XVIII.
epistula ad Lucilium, dicit enim: Nemo potest bene tolerabiliter vivere sine studio
sapientiae vel philosophiae.
3.2. Sen. Ep. 16 (II.4) 1: Uquere hoc tibi, Luciii, scio, neminem posse beate vivere,
ne tolerabiliter quidem, sine sapientiae studio, et beatam vitam perfecta sapientia e f f i c i ,
ceterum tolerabilem etiam inchoata.
3.3. Auctoritates 21.29, 275: Scio neminem beate vivere sine studio sapi-
entiae. 21.30, 275: Bonam vitam perfecta sapientia efficit.
4.1.1. Brito. Quaest. SE: Sicut dicit Seneca 36a epistula ad Lucillum: , A d
banc te confer" — et loquitur de philosophia — „si vis esse salvus, si securus, si
beatus, et denique, quod maximum est, si vis esse liber".[...] secundum quod dicit
Seneca in tricesima sexta epistula ad Lucillum !TMultos reges si ratio te rexerit",
unde dicit: „Si vis omnia subicere, te subice rationi, multos enim reges, si ratio te
rexerit.
4.1.2. Brito, Quaest. Ph., F IrA: Sicut dicit Seneca trigesima septima epis-
tula ad Lucillum: Ad philosophiam te transfer, si vis esse salvus, si securus, si beatus,
denique, quod maximum est, si vis esse liber. [... lrB ...] quia dicit Seneca in
epistula praeallegata, sc. trigesima septima, postea dicit quod „si vis omnia
regere, te subice rationi, nam mulfa reges si ratiom sis subiectus(P)".
4.2. Sen. Ep. 37 (IV.8) 3: Effugere non potes necessitates, potes vincere.
Fit via <vi>; et hanc tibi viam dabit philosophia. Ad banc te confer si vis
salvus esse, si securus, si beatus, denique si vis esse, quod est maximum, liber; hoc
contingere aliter non potest. (§ 4) Humilis res est stultitia, abiecta, sordida,
servilis, multis adfectibus et saevissimis subiecta. Hos tamen graves domi-
nos, interdum alternis imperantes, interdum pariter, dimittit a te sapientia,
quae sola libertas est. Una ad hanc fert via, et quidem recta; non aberrabis;
vade certo gradu. Si vis omnia tibi subicere, te subice ratiom; multos reges, si
ratio te rexerit.
4.3. Auctoritates 21.76, 278: Ad philosophiam te transfer, si vis esse sanus,
si securus, si beatus, si liber. 21.77, 278: Si vis omnia tibi subici, subice te
rationi; multos enim reges si ratio te rexerit.
5.1.1. Brito, Quaest. SE: Unde Seneca dicit: Hoc mihi philosophia promittit ut
parem deo me faciat

58 sapientia inchoata] sapientiae inchoatam F.

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Radulphus Brito 251

5.1.2. Brito, Qu. Ph., F lrB: sicut dicit Seneca quinquagesima epistula ad
Lucillum „hoc mihiphilosophia promittit utparem deo me faciat"
5.2. Sen., Ep. 49 (V.8) 11: Hoc enim est quod mihi philosophia promittit, ut parem
deo faciat
5.3. Auctoritates 21.82, 278: Philosophia hoc mihi promittit ut me deo
parem faciat.

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La foi et la raison chez Gilles d'Orleans,
philosophe parisien du XHIe siecle

ZDZISLAW KUKSEWICZ (WARSCHAU)

La pensee de Gilles d'Orleans, maitre es-arts ä Paris vers la fin du XHIe


siecle, a subi une profonde evolution. Elle a commence par une conception
de la philosophic de la nature, proche de celle de Thomas d'Aquin. Puis eile
a propose des solutions que Ton peut situer dans la ligne du semi-averroi'sme,
et eile s'est achevee par une conception averroi'ste pure. On peut se rendre
compte de cette evolution en etudiant ses ceuvres consecutives. La premiere
version du „De generatione" offre le temoignage de la premiere etape de
revolution. La seconde version du „De generatione", la premiere version de
la „Physique" (contenue dans un manuscrit parisien) et de la „Metaphysique"
(a present inconnue) font connaitre la seconde etape; la seconde version de
la „Physique" (connue par un manuscrit de Padoue) est une oeuvre qui repre-
sente l'etape averroi'ste1.

Dans la premiere ceuvre citee ci-dessus, Gilles d'Orleans temoigne d'une


bonne connaissance des opinions heterodoxes propres au courant averroi'ste,
mais il les rejette toutes, en affirmant non seulement qu'elles sont contraires
a la foi chretienne, mais aussi qu'elles contredisent la raison. On trouve quatre
quaestiones qui traitent des problemes donnant lieu a une controverse entre
des interpretations orthodoxes et heterodoxes. Deux quaestiones, dont l'une
concerne l'eternite de la generation et l'autre la conception de l'histoire cycli-
que du monde d'apres laquelle tous les evenements se repetent continuelle-
ment, sont determinees dans le sens orthodoxe sans aucune mention des
solutions contraires 2 . Deux quaestiones, l'une sur une action nouvelle de la part
d'un agent immobile, l'autre sur l'eternite du premier ciel, ont une structure
plus compliquee: bien que leurs solutions soient orthodoxes, elles citent aussi
l'argumentation contraire3.

1 Voir Z. Kuksewicz, Le probleme de l'averro'isme de Gilles d'Orleans encore une fois, dans
Medioevo 20 (1994), 1 3 2 - 1 3 7 .
2 La quaestio „ Utrum generatio est aeterno" (ms Paris, Bibl. Nat., lat. 15805, f. 36rb - 36va) et la
quaestio „ Utrum redeuntibus corporibus ad eundem situm in supracaekstibus, in quo sunt nunc; oporteat
istum mundum redire similem quantum ad omnes suas dispositiones" (ibidem, f. 36va —36vb).
3 La quaestio „ Utrum hoc sit verum quod idem manens idem natum est facere idem" (ibidem, f. 35va—
35vb) et la quaestio „ Utrum latio vel revolutio caelestis vel primi mobilis sit aeterna vel perpetua"
(ibidem, f. 35rb).

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La foi et la raison chez Gilles d'Orleans 253

La premiere quaestio discute l'impossibilite d'une action nouvelle de la part


d'un agent immobile et eile commence par des rationesprincipales qui argumen-
tent en faveur d'une solution orthodoxe, ce qui nous fait croire que le corpus
quaestionis offrira la solution contraire, a savoir une solution heterodoxe. Ce-
pendant, cette supposition n'est pas verifiee par la suite. Bien que le corpus
commence par „oppositum vult Philosophus in littera", Gilles d'Orleans nous
informe aussitot que cette solution ne concerne que des agents naturels, et
il avance l'argument que toutes les preuves d'Aristote se rapportent unique-
ment ä ces agents. Ensuite, il cite Popinion d'Averroes ainsi que son argumen-
tation contre la creation du monde, il explique et prouve son opinion ortho-
doxe, et il repond aux arguments d'Averroes 4 . La partie qui presente son
opinion et son argumentation qualifie, des le debut, l'opinion d'Averroes de
fausse et de contraire ä la foi5. Les reponses aux rationes initiales manquent,
ce qui est comprehensible, puisque ces dernieres argumentent en faveur de
la solution de l'auteur.
La quaestio sur l'eternite du mouvement du premier ciel se compose de
deux parties. La premiere embrasse une quaestio complete, redigee d'apres les
regies communes aux textes averroi'stes. Apres le titre et les deux rationes
principales qui argumentent la solution orthodoxe, on lit: „In oppositum est Philo-
sophus in littera; vult quod allatio supracaelestis sit perpetua". Cette solution est
suivie par la reponse de l'auteur: „Respondeo dicendum quod Veritas stat in hoc quia
allatio supracaelestis non est perpetua, immo motus caeli indpit esse, et etiam mundus".
Cependant, tout le reste de la quaestio argumente la solution d'Aristote. On y
lit: „sed Aristoteles credidit quod motus caeli esset perpetuus et allatio caeli", et cette
phrase est suivie par une serie d'arguments en faveur de la solution d'Aris-
tote 6 . Les reponses aux rationes principales commencent par: „Sed Aristoteles sic
solveret ad rationes in oppositum", et elles rejettent les deux rationes initiales 7 . La
seconde partie presente la solution de Gilles d'Orleans et eile est composee
des contre-arguments qui repondent aux „preuves d'Aristote" de la premiere
partie du texte. Cette seconde partie commence comme suit: „Tarnen secundum
fidem et secundum veritatem tenendum est quod allatio caelestis non sit aeterna immo
incepit esse et [quod] deficit; nec propter hoc ante primum motum oportet ponere priorem.
Et tunc per hoc solvuntur rationes Aristotelis"^.
Les deux dernieres quaestiones de Gilles d'Orleans demontrent son interet
pour des solutions heterodoxes qu'il connait bien, mais ces quaestiones prou-
vent aussi qu'il n'hesite pas en choisissant la solution orthodoxe. La seconde
quaestio caracterisee ci-dessus presente un cas plus interessant: Gilles

4 „Utrum hoc sit verum quod idem martens idem natum estfacere idem" (ibidem, f. 35va).
5 „Sed quia ista opinio est erronea et contra fidem et veritatem, ideo dicamus quod prima causa est agens
producens et causa effectiva omnium" (ibidem).
6 Voir „Utrum latio vel revolutio caelestis velprimi mobilis sit aeterna velperpetua" (ibidem, f. 35rb).
7 Voir ibidem.
8 Ibidem.

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d'Orleans a redige un texte compose de deux parties; la premiere a la forme


d'une quaestio qui repond ä toutes les regies propres aux averroi'stes, la for-
mule de la declaratio fidei ci-incluse, mais cette quaestio est suivie par la seconde
partie du texte ού on lit une critique des preuves avancees dans la partie
precedente.
II est done certain que le philosophe approuve sans aucune hesitation les
solutions orthodoxes: il le fait puisqu'elles s'accordent avec la foi, puisqu'elles
sont vraies et puisque les arguments philosophique les soutiennent. II s'ensuit
que, dans l'etape initial de revolution de sa pensee, Gilles d'Orleans approu-
vait l'accord entre la raison et la foi.

Les „Quaestiones super De generatione" dans la seconde version represen-


tent la seconde etape de revolution de Gilles d'Orleans. Cette oeuvre em-
brasse quatre quaestiones qui donnent lieu ä une controverse entre l'aristote-
lisme heterodoxe et la foi, dont deux sont determinees dans le sens orthodoxe
et deux autres appartiennent clairement a la tradition averroi'ste heterodoxe.
La quaestio 11 du livre I qui traite de la creation et la quaestio 10 du livre II
dont le sujet est le probleme de Taction multiple d'un agent immobile unique,
appartiennent ä la categorie des quaestiones ä la solution orthodoxe, tandis que
le quaestiones 14 et 15 du livre I sont redigees selon la tradition averroi'ste9.
Les quaestiones dites „orthodoxes" sont composees de deux parties; la pre-
miere moitie embrasse les rationesprincipales et le debut du corpus de la quaestio,
et cette partie est redigee d'une maniere qui laisse deviner une solution hete-
rodoxe. Cependant, arrive a la moitie du corpus, Gilles d'Orleans change la
direction de son analyse, en declarant que les preuves precedentes argumen-
taient une these fausse, ensuite il donne sa solution, l'appuie de raisons philo-
sophiques, et mene une polemique contre l'opinion heterodoxe. Les reponses
aux rationes principales devraient rejeter les theses orthodoxes defendues par
les rationes. Cependant, la quaestio 11 du livre I comporte des reponses qui
soutiennent la solution orthodoxe, la quaestio 10 du livre II les omet.
Dans les deux quaestiones caracterisees ci-dessus, on retrouve des traits ca-
racteristiques des textes averroi'stes. Par exemple, dans la quaestio 11 Gilles
d'Orleans dit que la these citee est avancee d'apres la voie des philosophies,
ou que les philosophes l'affirment d'apres les principes propres a la philoso-
phie 10 . Cependant, la place et le role de la declaratio fidei sont differents chez

9 La quaestio I, 11 „Utrum aliquidgenerator ex nihilo", la quaestio II, 10 „Utrum idem manens semper
idem et similiter se habens natum estfacere idem", la quaestio 14 „ Utrum accidenspossit esse sine subiecto"
et la quaestio 15 „ Utrum generatio sitperpetua et sempiterna secundum naturam materiae". Voir Aegi-
dius Aurelianensis, „Quaestiones super De generatione et corruptione", (Bochumer Studien
zur Philosophie 18), ed. Ζ. Kuksewicz, Amsterdam - Philadelphia 1993, 1 - 4 7 , 2 1 5 - 2 1 8 ,
54-60.
10 La partie „orthodoxe" de la quaestio 11 commence comme suit: ,-Quod autem aliquid fiat ex
nihilo, hoc tenemus secundum viam fidei, scilicet per creationem. Et etiam probatur sie". Cette declaration
est suivie par quelques arguments. Aegidius Aurelianensis, „Quaestiones De generatione",
44. Plus loin, on lit: „Notandum tarnen quod secundum viam philosophorum ipsi dicerent quod illud
quodfit ex nihilo, non fit de novo..." (ibidem). A la fin de l'opinion dite „secundum viamphilosopho-

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La foi et la raison chez Gilles d'Orleans 255

les averro'fstes et chez Gilles d'Orleans. Les averro'fstes terminaient leurs


preuves d'une these heterodoxe par une declaratio fidei qui figurait ä la fin du
texte sans l'appui d'une quelconque argumentation. La declaratio fidei de Gilles
d'Orleans, a la fin des arguments heterodoxes, ouvrait aussi la partie qui
argumentait les theses de la foi et rejetait les preuves des solutions hetero-
doxes.
En principe, les deux quaestiones sont redigees d'apres la methode qui carac-
terise aussi les quaestiones de la premiere version du „De generatione". Cepen-
dant, on note une difference dans l'interet de l'auteur qui porte davantage
sur les solutions philosophiques heterodoxes auxquelles il consacre plus de
place. II importe aussi de remarquer qu'il emploie des expressions nouvelles:
„via philosophorum" et „principia philosophiae". D'autre part, sa rhetorique anti-
heterodoxe devient plus forte: „Si quis fatuus huic ratione debili vellet consentire
tunc fieret infidelis et fide carens"n.
La quaestio 14 du livre I traite de la possibilite de l'existence des accidents
sans substance. La quaestio 15 du meme livre s'occupe du probleme de la
generation perpetuelle 12 , et les deux quaestiones argumentent en faveur de
solutions heterodoxes. Le corpus de la quaestio 14 commence par des mots
„oppositum dicunt philosophi", et au debut de son analyse Gilles d'Orleans dit:
„ad quaestionem est intelligendum quod tenendo viam philosophorum accidens nullo modo
potest sine subiecto". Ensuite, on lit un argument qui commence par l'ex-
pression: „philosophi dicerent", ou la forme du conditionnel laisse croire que
Gilles d'Orleans lui-meme etait l'auteur de cet argument. Une formule typi-
quement averroi'ste y apparait aussi: „Sed sustinendo positionem philosophorum non
tanquam veram, sed magis erroneam, temptandum est solvere rationemprimam"^.
La quaestio 15 est plus explicite dans la juxtaposition de la foi et de la
philosophic. Tout au debut du corpus Gilles d'Orleans declare que, en raison
de la volonte divine, la generation n'est pas perpetuelle, mais, d'apres la voie
des philosophes, eile Fest14. II termine les arguments en faveur de la „these

rum" figure la remarque suivante: „Sed secundum viam fidei omnia alia a primo sunt producta in esse
de novo ex nihilo sine transmutatione et motu, sed per creationem". Ensuite, on lit une preuve d'Aver-
roes qui nie la creation, terminee par la remarque suivante: „Et per hoc destruitur fides nostra.
Si quis fatuus huic rationi debili consentire, tunc fieret infidelis et fide carens" (ibidem, 45). Le premier
argument du corpus de la quaestio 10 du livre II est suivi par une preuve de la solution
heterodoxe qui commence par ['information sur l'opinion des philosophes: „Ista quaestio
difßcilis est, quia philosophi secundum prindpia philosophiae tenerent quod idem inquantum idem sive
manens idem [...] natum est semperfacere idem" (ibidem, 216). Ensuite, Gilles d'Orleans discute
deux opinions et il donne sa solution definitive prouvee par deux arguments. Cette partie
commence par la phrase suivante: „Et propter hoc dicendum est secundum veritatem quod causa
prima..." (ibidem, 218).
11 Ibidem, 45.
12 Voir Aegidius Aurelianensis, „Quaestiones De generatione", 54—60.
13 Voir „Utrum accidenspossit esse sine subiecto" (ibidem, 54—56).
14 „Ad quaestionem est intelligendum quod dato quod generatio non sit perpetua respectu voluntatis divinae
(quae voluntas divina omnia in esse producit ex nihilo), tamen dicendum quod secundum viam philosopho-
rum generatio est perpetua per naturam materiae". „ Utrum generatio sit perpetua et sempiterna secundum
naturam materiae" (ibidem, 57).

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de philosophes", en affirmant que, d'apres la foi, ni la generation ni la matiere


premiere n'est eternelle 15 . Les reponses aux rationes principales commencent
aussi par une formule qui souligne le caractere philosophique des argu-
ments 16 .
La „Physique" contenue dans le manuscrit de Paris, la seconde ceuvre qui
represente la tneme etape de revolution de Gilles d'Orleans, comporte treize
quaestiones qui nous renseignent sur l'opinion du philosophe concernant la
relation de la foi et de la raison. Neuf quaestiones argumentent leurs solutions
conformement ä la foi, et elles discutent les problemes suivants: l'existence
des accidents sans sujet, la connaissance divine des infinis, la creation ex nihilo,
la creation du premier mouvement, l'eternite du mouvement, l'eternite de la
matiere et du monde 17 . La redaction de quaestiones de ce groupe est semblable
έ celle des deux quaestiones dites orthodoxes du „De generatione": elles expli-
quent et argumentent en faveur de la position de la foi, et quelques unes sont
composees de deux parties: la partie qui cite l'argumentation de la position
heterodoxe et la partie qui prouve la position de la foi, identique ä la solution
definitive de l'auteur. En presentant l'opinion heterodoxe, Gilles d'Orleans
emploie dans la „Physique" des expressions telles que: „et arguitur ratione",
„est communis opinio philosophorum", „secundum philosophos", „secundum philo-
sophiam" d'une part, et telles que ,,sed hoc est erroneum", „dicemus secundum verita-
tem", „secundum veritatem etfidem", „positio philosophorum quae erronea est" d'autre
part.
Deux quaestiones argumentent des solutions heterodoxes dont la premiere
discute le probleme de la generation de la matiere et la seconde celui de la
difference entre I'esse et le posse des etres eternels 18 . La redaction des deux
est proche de celle qui est caracteristique des textes averroi'stes. La premiere
quaestio nous informe que l'on procedera d'apres Aristote. En effet, le corpus
comprend une claire explication de la these defendue et des preuves qui la
soutiennent. Cependant, on lit ä la fin de ces preuves que cette „sententia falsa
est et erronea", apres quoi figure une breve explication de la position de la foi,

15 „Sed secundum fidem nostrum catholicam est dicettdum, quod generatio non est perpetua, sed potest dtftcere
et deficiet quia materia prima deficiet" (ibidem, 59).
16 ,Jstam viam tenentesphilosophi respondent ad rationes sic" (ibidem).
17 Voir les quaestiones I, 14 „Utrum acddens possit existere sine subiecto" (ms Paris, Bibl. Mazarine
3493, ff. 6va —7ra ), I, 21 „Utrum omne quod fiat, fit ex aliquo sui" (ibidem, f. 9va— lOra), I, 22
„Utrum omne quod est factum, est factum ex aliquo sui" (ibidem, f. lOra — lOvb), 1,25 b „Utrum
infinitum secundum quod infinitum sit innotum intellectui divino" (ibidem, f. l l r b —llvb), I, 40
„ Utrum materia sit generabilis et corruptibilis" (ibidem, f. 18rb), VI, 22 „ Utrum sit dare primum
mutatum esse ex parte prinäpii in motu sicut ex parte finis" (ibidem, ff. 70va — 71 rb), VIII, 3 „ Utrum
omne quod fit necesse est fieri ex aliquo praesupposito" (ibidem, ff. 85vb —86va), VIII, 4 „ Utrum
motus sit aeternus" (ibidem, ff. 86vb — 87rb) VIII, 7 „ Utrum mundus sit aeternus" (ibidem,
ff. 8 9 r a - 9 0 v b ) .
18 Voir les quaestiones I, 45 „ Utrum materia sit producta per generationem vel quo modo" (ibidem, f.
2 0 r a - 2 0 v b ) et III, 9 „Utrum in perpetuis differet esse et posse" (ibidem, ff. 36va-37ra).

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sans qu'une preuve philosophique la soutienne 19 . Le corpus de la seconde


quaestio commence par indiquer qu'elle sera determinee d'apres Aristote, puis
on lit une explication de la solution choisie suivie par ses preuves, et ä la fin
du corpus on trouve l'information sur la position „secundum fidem catholicam"
expliquee, elle-aussi, d'une maniere rationnelle 20 . Puisque dans les deux quaes-
tiones les rationes initiales argumentent la position orthodoxe, et les reponses a
elles la solution heterodoxe, nous avons ici deux textes qui suivent la methode
habituelle des auteurs averroi'stes.
La maniere de traiter le sujet dans la „Physique" correspond ä peu pres ä
celle du „De generatione". Cependant la „Physique" nous fait connaitre une
nouvelle categorie de textes. Gilles d'Orleans discute notamment deux quaes-
tiones dont l'une souleve le probleme de l'eternite du mouvement, et dont
l'autre s'occupe de la generation sans un changement prealable 21 . Les deux
quaestiones ont une structure semblable ä celle des deux quaestiones precedentes
heterodoxes. Elles commencent par des rationes prinäpales de caractere ortho-
doxe, elles sont terminees par des reponses heterodoxes, et le corpus de l'une
et de l'autre comporte aussi bien des arguments philosophiques pour la solu-
tion heterodoxe que Celles pour la position de la foi. La seconde quaestio dit
clairement que l'on argumente d'apres la voie qui suit la philosophic et les
principes naturels, d'une part, mais, d'autre part, eile renseigne le lecteur que
cette position est fausse et que l'on va choisir la position opposee 22 .
II y a, cependant, une difference importante entre les deux dernieres quaes-
tiones et les deux precedentes. Les deux dernieres consacrent notamment
beaucoup plus de place ä l'explication et ä l'argumentation de la position de
la foi, de sorte que, en lisant ces textes, on acquiert l'impression que l'auteur
pese toujours les pro et les contra et qu'il n'a pas encore choisi sa solution
definitive. Cette impression devient une certitude, quand on compare entre
elles toutes les quaestiones de la „Physique" citees ci-dessus. On trouve notam-
ment des paires des quaestiones qui argumentent des solutions opposees: une
quaestio orthodoxe prouve la generation de la matiere, et une quaestio hetero-
doxe son eternite 23 . Deux quaestiones orthodoxes argum