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Marranen, Krone, Inquisition und Gesellschaft

im Kastilien des 17. Jahrhunderts

Von
MARKUS SCHREIBER
Herrsching

L'Inquisition a depuis quinze iours f l i t mettre en prison un n o m m é Eminente, p o u r Iuif sans en


donner part a u roy c o n f o r m é m e n t a leurs priuileges, cet h o m m e tenoit depuis plus d e quarante
ans toutes les rentes principales d u r o y a u m e ce qui fait bien tort aux finances royales et y met
bien d e la c o n f u s i o n , l'Inquisition ne p e r d o n n e a personne elle (ait brûler les Iuifs tout uifs qui
persistent d a n s leurs erreurs et q u i ni se ueillent pas conuertir; cet h o m m e auoit receu le n o m d e
E m i n e n t e p a r le roy p h i l i p p e q u a t r i è m e p o u r les grandes qualités et la grande intelligence qu'il
auoit d a n s le gouvernement des rentes royales, il semble qu'on luy bien pardonne ayant uessu
iusqu'a l'âge d e 8 6 ans, sans s o u p ç o n d e iudaisme.

Diese Worte schrieb am 2. Januar 1690 der Gesandte Bayerns aus Madrid an seinen
Kurfürsten. Jean Baptiste Lancier berichtet hier von einem der prominentesten Mar-
ranen Kastiliens in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und wirft dabei ein be-
zeichnendes Schlaglicht auf die getauften Juden im Kastilien des 17. Jahrhunderts. Vor
allem geht er auf das Verhältnis Marranen - Krone - Inquisition ein und deutet die
grundlegenden Charakteristika und Probleme dieses „Dreiecksverhältnisses" an: die
enge Zusammenarbeit zwischen Staat und Neuchristen auf wirtschaftlichem Gebiet,
die gnadenlose Verfolgung dieser durch die Inquisition. Am bemerkenswertesten sind
aber vielleicht seine Bemerkungen zum Verhältnis Inquisition-Staat im Kontext der
„Marranenfrage", die so gar nicht den gängigen Vorstellungen von der Inquisition als
Handlanger der Krone entsprechen1.
Die Geschichte der Minderheit jüdischer Abstammung der Iberischen Halbinsel,
der Marranen, Neuchristen oder conversos, begann im 14. Jahrhundert. Vor allem seit
den Pogromen von 1391 traten spanische Juden zunehmend zum Christentum über.
Diese unter mehr oder weniger großem Druck erfolgten Konversionen, z.T. massen-

1 BayHScA, K. s. 6773, f. 362r; zur Analyse des Verhältnisses Inquisition — Staat in der neueren Geschichts-
schreibung: Roberto López Vela, Inquisición y monarquía: estado de la cuestión (1940-1990), in: Hispania
50 (1990) 1123-1140; zu Francisco Biez Eminentes. S.303. - Folgende Abkürzungen werden verwendet:
A D C = Archivo Diocesano de Cuenca; A H N = Archivo Histórico Nacional; aud. = audiencia; AVM =
Archivo de la Villa, Madrid; BayHStA = Bayerisches Hauptstaatsarchiv; Befr. = Befragung; BN = Biblioteca
Nacional; BSB = Bayerische Staatsbibliothek; C = Cuenca; Cal. = Calatrava; cod. = codices; def. - defensas;
exp. = expediente; hisp. - hispanici; Inqu. = Inquisición; Κ. s. = Kasten schwarz; Idc = libro de consultas;
leg. = legajo; lib. = libro; M = Madrid; mere. = mercaderes; O O . M M . = Órdenes Militares; port. =
portugueses; Pr. = Prozeß; REJ = Revue des Études Juives; rep. = repartimiento; Seer. = Secretaría; Sg =
Santiago; sold. = soldados; S R = Studia Rosenthaliana.

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haft, führten zu einer ständigen Erosion des spanischen Judentums, die 1492 ihren
Höhepunkt erfuhr, als die Katholischen Könige die Sephardim vor die Alternative
stellten, entweder das Land zu verlassen oder zu konvertieren. (In Navarra erfolgte diese
Maßnahme erst 1498.) Die marranische Minderheit nahm nun nochmals beträchtlich
zu. Die Mehrheit der Juden verließ allerdings 1492 das Land und ging insbesondere
nach Portugal, ein anderer Teil der Emigranten ließ sich in den islamischen Ländern,
vor allem im Osmanischen Reich, nieder.
1496/1497 kam es zur zweiten großen Katastrophe des iberischen Judentums: Auch
der portugiesische König stellte die Juden des Landes, d. h. die kleine autochthone
Gemeinde und die wesendich größere Zahl spanischer Immigranten, vor die Wahl,
auszuwandern oder zum Christentum überzutreten. Da ein Verlassen des Landes weit-
gehend verhindert wurde, kam es de facto zu einer Zwangskonversion. Im Gegensatz
zu den spanischen Marranen, die sich in einem konfliktvollen Prozeß trotz zahlreicher
Widerstände im Laufe des 16. Jahrhunderts (abgesehen von einigen, allerdings wich-
tigen Ausnahmen) mehr oder weniger assimilierten, bewahrten die portugiesischen
Neuchristen in hohem Maße ihre Identität, insbesondere erhielt sich ein starker Grup-
penzusammenhalt. Die portugiesischen Marranen überlebten als Minderheit mit be-
trächtlicher Bedeutung wesendich länger, erst im 18. Jahrhundert löste sie sich auf. In
einem komplexen sozialen Prozeß wurde diese Minderheit dezimiert, dezimiert durch
Assimilation, Auswanderung und nicht zuletzt durch physische Vernichtung. Eine
entscheidende Rolle bei diesem Prozeß, der dann im 18. Jahrhundert zum Verschwin-
den der portugiesischen Marianen führte, spielte die portugiesische Inquisition, 1536
als Reaktion auf das „Marranenproblem" etabliert.
Die Emigration der portugiesischen Marranen, die zu Beginn des 16. Jahrhunderts
einsetzte und zweihundert Jahre anhielt, führte sie zum einen in die portugiesischen
Besitzungen in Übersee und war eng mit der ökonomischen Expansion Portugals
verbunden. Ein weiteres Ziel dieser portugiesisch-marranischen Emigration waren, vor
allem nach der Kronunion von 1580, Hispanoamerika und dann Kastilien. Besondere
Bedeutung gewann aber (neben dem Osmanischen Reich) Europa: Marranische Nie-
derlassungen entstanden im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts in Italien, Frankreich,
in den Niederlanden, in England und im Reich, aus vielen dieser Niederlassungen
gingen jüdische Gemeinden hervor. Fast die gesamte sephardische Diaspora des christ-
lichen Europa entstand auf diese Weise. Die sepnardische Niederlassung Amsterdams
wurde von portugiesischen Marranen gegründet. Die Niederlassung war in der zweiten
Hälfte des 17. Jahrhunderts mit ihrem immer noch marranisch bestimmten Hinter-
grund die vielleicht bedeutendste jüdische Gemeinde der christlichen Welt 2 !

2 Zur Geschichte der Marranen einige grundlegende, allgemeine Werke: Israël S. Révah, Les Marranes, in:
REJ 118 (1959) 2 9 - 7 7 ; Cecil Roth, A History of the Marranos (4. Aufl. New York 1974); The Sephardi
Heritage. Essays on the History and Cultural Contribution of the Jews of Spain and Portugal, 2 Bde., Bd.
1. The Jews in Spain and Portugal before and after the Expulsion of 1492, hrsg. von R[ichard] D. Barnett
(London 1973); Bd. 2. The Western Sephardim. The History of Some of the Communities Formed in

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Im folgenden geht es um die (stark durch die „portugiesische" Immigration gepräg-


te) Geschichte der Neuchristen in Kastilien im 17. Jahrhundert, die in der Entwicklung
dieser „marranischen Expansion" des 16. und 17. Jahrhunderts, vor allem in der ersten
Hälfte des 17. Jahrhunderts, eine wichtige (und oft übersehene) Rolle spielten. Als
Leitfaden der Darstellung soll dabei die kastilische Marranenpoltik, auf die besonderes
Augenmerk gelegt wird, dienen.

Kastilische undportugiesische Marranen im Kastilien des 16. Jahrhunderts


Betrachtet man die Geschichte der Neuchristen in Kastilien (und in den Ländern der
Krone Aragoniens) im 16. Jahrhundert, so fallen zwei, gegenläufige Entwicklungen
auf. Zum einen der Niedergang der autochthonen Marranen, die sich im Laufe des
Jahrhunderts als religiöse und schließlich auch als soziale Minderheit (mit einem
entsprechenden Gruppenbewußtsein) immer mehr auflösten3. Ausgangspunkt dieser
Entwicklung war die harte, ja brutale Verfolgung der Marranen durch die Inquisition
in den Jahrzehnten vor und nach 1500. Seit den dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts
hielt sich die Verfolgung der judaizantes in Grenzen, andere .Aufgaben" traten für die
Inquisition, die zur Überzeugung gelangte, die „Marranenfrage" im wesentlichen „ge-
löst" zu haben, in den Vordergrund4. Es kam aber auch während der zweiten Jahrhun-
derthälfte immer wieder zu (z.T. furchtbaren) Inquisitionsprozessen: Einzelne Inseln
„judaisierender" conversos- man weiß von Gruppierungen in der Mancha, in Murcia,
in der Estremadura, in León und Andalusien - hatten Uberlebt5!

Europe, the Mediterranean, and the New World after the Expulsion of 1492, hrsg. von R[ichard] D . Barnett
u. W. M . Schwab (Grendon, Northants 1989); Spain and the Jews. The Sephardi Experience 1492 and After,
hrsg. von Elie Kedourie (London 1992); Les Juifs d'Espagne: histoire d'une diaspora, 1492-1992, hrsg. von
Henry Méchoulan (= Librairie européenne des idées) ([Paris] 1992); Antonio Domínguez Ortiz, Los ju-
deoconversos en España y América (= Colección Fundamentos 11) (2. Aufl. Madrid 1978); Julio Caro Batoja,
Los judíos en la España moderna y contemporánea, 3 Bde. (= Colección Fundamentos 6 0 - 6 2 ) (Madrid
1978, Originalausgabe 1961); J[oáo] Lucio d'Azevedo, Historia dos Christáos Novos Portugueses (Lissabon
1922).
3 Domínguez Ortiz, Judeoconversos (1978) (A. 2) 56 fF.; Jean Pierre Dedieu, ¿Pecado original o pecado
social? Reflexiones en torno a la constitución y a la definición del grupo judeo-converso en Castilla, in:
Manuscrits 10 (1992) 6 7 - 6 9 .
4 Zur Chronologie der Inquisitionsverfolgung s. die „klassischen" Zeilen von Jean Pierre Dedieu, L'Inqui-
sition espagnole, X V e - XIX e stiele, hrsg. von Bartolomé Bennassar ([Paris] 1979) 1 5 - 4 2 (Jean Pierre Dedieu,
Les quatre temps de l'Inquisition).
' Caro Baroja, Judíos. 1 (1978) (Α. 2) 4 7 1 - 4 8 0 ; Domínguez Ortiz, Judeoconversos (1978) (Α. 2) 58; Jaime
Contreras, Criptojudaísmo en la España moderna. Clientelismo y linaje, in: Areas 9 (1988) 8 5 - 9 5 ; Dedieu,
¿Pecado originai o pecado social? (1992) (Α. 3) 6 7 - 6 9 ; Rafael Carrasco, Solidarités et sociabilité judéo-con-
verses en Castille au XVI« siècle. A Propos d' un vieux débat historique (1989) [Ms.] 11; Rafael Carrasco,
Preludio al „Siglo de los portugueses". La inquisición de Cuenca y los judaizantes lusitanos en el siglo XVI,
in: Hispania47 (1987) 5 2 3 - 5 2 6 , 5 3 1 f.; Rafael Carrasco, Inquisición y judaizantes en Toledo (segunda mitad
del siglo XVI), in: Manuscrits 10 (1992) 41 ff.

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Vor dem Hintergrund des an Bedeutung verlierenden kastilischen „Marranentums"


ist nun im 16. Jahrhundert das Eindringen portugiesischer Neuchristen nach Kastilien
zu beobachten. Zunächst noch ein eher unscheinbarer Vorgang, gewann dieser nach
der Kronunion (1580) - trotz einer gegenüber den Neuchristen feindseligen Haltung
des Königs - beträchdiches Gewicht. Manches spricht übrigens dafiir, daß dieser
gegenläufige Trend bereits damals die Agonie des autochthonen Kryptojudentums
aufhielt, den versprengten Resten der kastilischen Neuchristen Auftrieb gab. (Im
17. Jahrhundert läßt sich dies dann ganz deudich beobachten.) Gegen Ende des
Jahrhunderts begann auch die Inquisition auf die „Portugiesen" aufmerksam zu wer-
den: Es kommt zu den ersten größeren Prozeßkomplexen gegen portugiesische Mar-
ianen 6 .

Philippus TertiusRexJudaeorum"
1599, kurz nach dem Tod Philipps II., wurde in Toledo ein für den Infanten Philipp
verfaßter Fürstenspiegel, „De Rege et Regis institutione libri III", eine fulminante
Kritik des spanischen Absolutismus, wie er sich um die Jahrhundertwende darbot,
veröffendicht. In diesem Werk, inzwischen AdPhilippum III Hispaniae Regem Catho-
licum gerichtet, kritisiert der Autor, der Jesuit Juan de Mariana, die „marranenfeindli-
che" Politik von Staat und Gesellschaft, insbesondere die berüchtigten Statuten der
limpieza de sangre. Was von einer solchen Politik zu halten sei, sagte der unerschrockene
Jesuit mit nichts zu wünschen lassender Oeudichkeit: ,3t est proprium tyranni inter
dues dissidia serere [.. .]"7 Mit dem Tod Philipps II. und der Übernahme der Herrschaft
durch seinen Sohn begann eine zentrale Phase in der Geschichte der kastilischen und
portugiesischen Marranen in Kastilien, Portugal und Amerika. Die Jahre Anfang des
17. Jahrhunderts waren ein Markstein in dem eineinhalb Jahrhunderte (1532-1681)
dauernden, bisweilen dramatischen Kampf der portugiesischen Marranen um eine
Verbesserung ihrer Stellung auf der Iberischen Halbinsel8, stellten einen Höhepunkt

6
Antonio Domínguez Ortiz, Los extranjeros en la vida española durante el siglo XVII, in: Estudios de
Historia Social de España IV (2) (1960) 358; Caro Baroja, Judíos. 1 (1978) (A. 2) 474—480; Enrique Otte
u. Conchita Ruiz-Burruecos, Los portugueses en la trata de esclavos negros de las postrimerías del siglo XVI,
in: Moneda y Crédito 85 (1963) 13-40; Luis Coronas Tejada, Presencia y persecución de sefarditas en el
reino de Jaén, in: T h e Sephardi and Oriental Jewish Heritage. Studies, hrsg. von Issachar Ben-Ami, Bd. 1
(Jerusalem 1982) 105; Carrasco, Preludio al „Siglo de los portugueses" (1987) (Α. 5) 503-559; Carrasco,
Inquisición y judaizantes (1992) (Α. 5) 41-60.
7
Ioannis Mariana, De Rege et Regis Institutione libri III (Toledo 1599) 298-300. 1605 erschien eine
zweite, etwas erweiterte Ausgabe dieses bedeutenden Werkes in Mainz. Zu den Statuten der limpieza de
sangre, der „Reinheit des Blutes", s. S.286, 291 f.
8
Israël S. Révah, Le plaidoyer en faveur des „Nouveaux-Chrétiens" portugais du Licencié Martin Gonzalez
de Cellorigo (Madrid 1619), in: REJ 122 (1963) 304.

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der seit Jahrzehnten andauernden, kontrovers geführten Diskussion um die Stellung


der Marranen in Kastilien dar9.
Der Herrschaftsantritt Philipps III. (Philipps II. von Portugal) ließ unter den por-
tugiesischen Marranen wieder die Hoffnung auf eine Verbesserung ihrer in vieler
Hinsicht prekären Lage steigen. Die „Portugiesen" - in Portugal wie in Kastilien -
ergriffen sofort die Initiative, wobei sie auf ihre große wirtschaftliche Bedeutung ver-
wiesen. In erster Linie ging es um zwei grundlegende Fragen: Aufhebung des Verbotes
der Emigration aus Portugal, Entschärfung der Verfolgung durch die Inquisition.
Ersteres gestand der König bereits 1601 zu: Das seit 1580 bestehende Emigrationsver-
bot wurde gegen Zahlung von 200000 cruzados aufgehoben10. Als komplizierter erwies
sich die Frage des Generalpardons; anscheinend spielte auch hier — obgleich die Ent-
scheidung letztendlich vom Papst abhing - der König, der sich dafür in Rom einsetzen
sollte, die entscheidende Rolle. Seit 1602 waren am Hof in Valladolid und in Rom
Verhandlungen im Gange 11 . Der König betrieb dabei eine bewußte Marranenpolitik.
Aus Gründen der Staatsraison mußte man die „Nation" auf der Iberischen Halbinsel
halten. Philipp III. drängte am 15. September 1603 seinen Botschafter in Rom, die
Angelegenheit zu forcieren: „[...] y que desto [= Emigration der Marranen] resultaran
muchos daños notables, contra el serviçio de Dios y mio y en perjuizio de mis reynos,
por que por ser esta gente muy inteligente y platica en todas las cosas dellos y de las
Indias Orientales y Occidentales, y muy caudalosa de dineros y todos tratantes, [.. .]" 12
Der Papst erließ schließlich 1604 ein Breve, in dem er den portugiesischen Marranen
einen Generalpardon zugestand, der 1605 in Lissabon verkündet wurde. Es handelte
sich im Grunde um ein besonderes Gnadenedikt: Innerhalb einer Frist von einem Jahr
(bzw. zwei Jahren in Übersee) konnte man seine „Vergehen" gestehen und wurde -
sofern man sich wieder zum Christentum bekannte und kein relapsus war - ohne
nennenswerte Strafe, vor allem ohne Güterkonfiskation, wiederversöhnt. Entschei-
dend war nun, daß dies auch für noch nicht abgeschlossene Prozesse galt, außerdem
während der Gnadenfrist die Inquisition nicht gegen die „Portugiesen" vorgehen
konnte! Sie mußte - „sang- und klanglos" - Gefangene in Europa, Amerika und Asien

5 Domínguez Ortiz, Judeoconversos (1978) (Α. 2) 7 9 - 8 9 ; Juan Ignacio Gutiérrez Nieto, La discriminación
de los conversos y la tibetización de Castilla por Felipe II, in: Revista de la Universidad Complutense 2 2
(1973) 9 9 - 1 2 9 .
10 Domínguez Ortiz, Judeoconversos (1978) (A. 2) 61 f.; Révah, Le plaidoyer du Licencié Martín González
de Cellorigo (1963) (A. 8) 317.
11 Charles Henry Lea, A History of the Inquisition o f Spain. Bd. 3 (New York, London 1907) 267; Brief
an Consejo, Sg, 18. M a n 1605 / A H N , Inqu., leg. 2884; Chaim Beinart, Jetsi'at 'anusim me-xatsi ha-'i
ha-'ivcri ba-me'ot ha-xamesch esre - ha-schiba 'csre, in: Sefer zikaron Ic-Schclomo Umberto Nachon. Kovets
mexkarim Ie-toledot ha-jehudim be-'Italia (= Scritti in memoria di Umberto Nahon. Saggi sull'ebraismo
italiano, hrsg. von R'euben Bonfìl = Roberto Bonfil u.a.) (Jerusalem 1978) 91 fF.
>2 Beinart, Jetsi'at 'anusim (1978) (A. 11) 9 1 - 9 3 (App. Quellen. Brief Philipps III. an Botschafter in Rom,
11. September 1603).

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freilassen13. Die Gegenleistung der portugiesischen Marranen bei diesem „Geschäft"


war beträchtlich. Sic verpflichteten sich zur Zahlung von circa 1800 000 Dukaten,
außerdem flössen Bestechungsgelder an den Herzog von Lerma und andere wichtige
Persönlichkeiten
Ob im Zusammenhang mit den Verhandlungen Anfang des Jahrhunderts bereits
über ein Engagement der „Portugiesen" in den spanischen Staatsfinanzen verhandelt
wurde, ist nicht klar; die Frage, die dann zunehmend an Bedeutung gewinnen sollte,
stand aber sicherlich im Raum. Denn: Die „Portugiesen" spielten in dieser Hinsicht
bereits seit dem 16. Jahrhundert für Madrid eine, wenn auch begrenzte Rolle15, im
späteren 16. Jahrhunden kam es zu Initiativen hinsichtlich eines weitergehenden
Engagements16, auch dürften „portugiesische" hombres de negocios, die in Kastilien
ansässig waren, bereits zur Zeit des Herrschaftsantritts Philipps III. eine gewisse Rolle
in den kastilischen arrendamientos, den großen Kronpachten (Steuern, Zölle, Mono-
pole u. a.) gespielt haben17.
Bemerkenswert an den Verhandlungen ist, daß die portugiesischen Marranen als
Gruppe in Erscheinung traten, ihre Fürsprecher hatten, die fur sie am Hofe agierten18.
Außerdem bleibt festzuhalten, daß damals bereits die in Kastilien ansässigen „Portu-
giesen" ein gewisses Gewicht hatten. So scheinen portugiesische Neuchristen aus Ka-

13 Domínguez Ortiz, Judeoconversos (1978) (Λ. 2) 61 f.; Révah, Le plaidoyer du Licencié Martin González
de Cellorigo (1963) (A. 8) 308f.; Lea, History of the Inquisition. Bd. 3 (1907) (Α. 11) 267f.; Historia de
la Inquisición en España y América, hrsg. von Joaquín Pérez Villanueva u. Bartolomé Escandell Bonet, Bd
1. £1 conocimiento científico y el proceso histórico de la Institución (1478-1834) (Madrid 1984) 900.
M Lea, History of the Inquisition. Bd. 3 (1907) (Α. 11) 267; Domínguez Ortiz, Judeoconversos (1978) (A.

2) 61 f.; Révah, Le plaidoyer du Licencié Martin González de Cellorigo (1963) (A. 8) 297.
15 Hier sind drei Bereiche zu nennen, in denen „Portugiesen" - insbesondere aus Portugal und den Spani-

schen Niederlanden und vor allem seit dem späteren 16. Jahrhundert - eine Rolle spielten: a) das Sklaven-
geschäft, insbesondere die Sldaven-dnVnfcu seit den neunziger Jahren. Albert Girard, Les étrangers dans la
vie économique de l'Espagne aux XVI e et XVII e síteles, In: Annales d'Histoire Économique et Sociale 5
(1933) 572f.; Otte u. Ruiz-Burruecos, Portugueses en la trata de esclavos (1963) (A. 6) 3-40; Modesto
Ulloa, La Hacienda Real de Castilla en el reinado de Felipe II. (3. Überarb. Aufl. Madrid 1986) 409ff.; b)
die in den Spanischen Niederlanden abgeschlossenen sogenannten asientos „zweiten Grades". Hans Pohl,
Die Portugiesen in Antwerpen (1567-1648). Zur Geschichte einer Minderheit (= Vierteljahrschrift für
Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Beihefte 63) (Wiesbaden 1977) 218fF.; c) die Flottenbelieferung. I. A.
A. Thompson, War and Government in Habsburg Spain, 1560-1620 (London 1976) insbes. 206ff., 256ff.,
284 f.
16 EI banco de España. Una historia económica (Madrid 1970) 115 (Felipe Ruiz Martín, La banca en España

hasta 1782); Ulloa, Hacienda de Felipe II. (1986) (A. 15) 795f.; Caro Baroja, Judíos. 2 (1978) (A. 2) 68.
17 Hombres de negocios sind Geschäftsleute, die sich ausschließlich oder neben anderem auf dem Gebiet des

Geldgeschäftes und der großen Kontrakte betätigen. - Die Finanzen Philipps III. sind kaum erforscht. Ein
Beispiel fur dieses frühe „portugiesische" Engagement in den kastilischen Kronfinanzen: Pr. D. de Acosta
Brandón, C, l i Aud. 17. Januar 1654 / ADC, Inqu., leg. 480, exp. 6500, f. 54r, 56v; Pr. F. Coello, C, aud.
22. August 1653 / ADC, Inqu., leg. 476, exp. 6489, f. 4lrv.
18 Unter den Neuchristen in Portugal gab es auch Widerstand gegen den Generalpardon, d. h. gegen die

finanziellen Lasten. Dies zeigt aber auch, daß in Valladolid mehr oder weniger verbindlich für alle „Portu-
giesen" verhandelt wurde. Révah, Le plaidoyer du Licencié Martín González de Cellorigo (1963) (A. 8) 297.

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stilien eine Rolle bei den Verhandlungen gespielt zu haben, auch wurden sie dann zur
Aufbringung des Geldes fiir den Pardon herangezogen 19 .
Die Kontakte und das „Geschäft" zwischen „Nation" und Krone blieben natürlich
nicht unbemerkt und riefen eine enorme Empörung hervor. Vor allem der Consejo de
Portugal, die portugiesische Inquisition, der portugiesische Klerus und die portugiesi-
schen Stände setzten — letztendlich vergebens - alle Hebel in Bewegung, um die
Verhandlungen zu torpedieren 20 . Inwieweit die portugiesischen Marranen ihre fi-
nanziellen Verpflichtungen erfüllten, ist nicht ganz klar. Die 200000 cruzados für
die Freigabe der Emigration wurden aufgebracht, bei dem enormen Betrag fur den
Generalpardon gab es in den folgenden Jahren anscheinend Schwierigkeiten 21 .
Möglicherweise hing damit der einseitige Widerruf der Ausreiseerlaubnis (1610) zu-
sammen 2 2 . Es scheint allerdings, daß Staat und Inquisition nur versuchten, die Emi-
gration nach Mitteleuropa zu unterbinden bzw. hier fur einen Dispens Geld zu kassie-
ren 23 .
Über diese Ereignisse hinaus lassen sich während der Herrschaft Philipps III. weitere
politische Vorstöße in der „Marranenfrage" — und zwar vor allem im Sinne einer
Verbesserung ihrer Stellung - nachweisen. Eine besondere Rolle spielten dabei die
Statuten der limpieza de sangre. Sofort nach dem Tod Philipps II. intensivierte sich die
Diskussion. Ende 1598 oder Anfang 1599 schrieb der Dominikaner Fray Agustín
Salucio seinen berühmten „Discurso" gegen die limpieza-Staxutcn (bzw. fur ihre Ein-
schränkung). Die Angelegenheit wirbelte um 160Ò viel Staub auf. Die Cortes machten
sich die Forderungen Saludos zu eigen, die Angelegenheit wurde vor den König
gebracht. Nach einigem Hin und Her sprach sich sogar die Inquisition, insbesondere
der neue Generalinquisitor Fernando Niño de Guevara, zugunsten des „Discurso" (und
zugunsten einer Einschränkung der Statuten!) aus. Obwohl sich momentan eine mäch-
tige Koalition gegen die Bestimmungen gebildet hatte, blieb die Angelegenheit ohne
konkrete Folgen. Der Widerstand - insbesondere des Consejo de Castilla - war zu groß.
Der „Discurso", einer der bedeutendsten Texte in der jahrhundertelangen Auseinan-
dersetzung um die Statuten, der 1599 nur in einer kleinen Auflage gedruckt worden
war, kam nicht zur Veröffentlichung 24 . Allerdings waren die Statuten in Frage gestellt,

19 Brief an Consejo, Sg, 18. März 1605 / A H N , Inqu., leg. 2884; Domínguez Ortiz, Judeoconversos (1978)
(Α. 2) 62.
20 Domínguez Ortiz, Judeoconversos (1978) (A. 2) 61 f.; Francisco Cantera Burgos, EI problema de los
criptojudíos al escalar el trono Felipe III., in: Homenaje al Prof. Alarcos. Bd. 2 (VaJIadolid 1966) 6 3 8 - 6 4 0 .
21 Domínguez Ortiz, Judeoconversos (1978) (A. 2) 62; Révah, Le plaidoyer du Licencié Martin González
de Cellorigo (1963) (A. 8) 3 1 7 .
22 Rivah, Le plaidoyer du Licencié Martin González de Cellorigo (1963) ( A 8) 317; Domínguez Ortiz,
Judeoconversos (1978) (Α. 2) 63.
23 Ldc, Zusammenfassung der Gesetzgebung bzgl. Auswanderung der „Portugiesen", 8. Juni 1654 / A H N ,
Inqu., Üb. 537, f. 530r-531v.
2* Domínguez Ortiz, Judeoconversos (1978) (Α. 2) 89f.; Israël S. Révah, La controverse sur les statuts de
pureté de sang. Un document inédit. „Relación y Consulta del Cardenal G[u]evara sobre el negocio de Fray
Agustín Saluzio." (Madrid, 13 août 1600), in: Bulletin Hispanique 73 (1971) 2 6 3 - 3 0 6 ; Caro Baroja, Judíos.

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und man beobachtet in den folgenden Jahren Initiativen der Cortes, des Hofes und
anderer Kräfte, die auf eine Einschränkung der Bedeutung der limpieza zielten25. Auch
kam es im Laufe der Jahre immer wieder zu Initiativen — diese gingen vor allem von
der „Nation" aus - und Überlegungen hinsichdich eines Engagements der „Portugie-
sen" in den spanischen Staatsfinanzen26.
Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die 1619 in Madrid ge-
druckte, aber wohl nicht veröffentlichte „ A l e g a c i ó n [...]" zugunsten der portugie-
sischen Neuchristen des Juristen Maitin González de Cellorigo. Cellorigo greift in
seiner Schrift die grundlegenden, Uber die Jahrzehnte, ja Jahrhunderte immer wieder
angesprochenen „Probleme" der portugiesischen Marianen auf: 1) Er fordert eine
Aufhebung des Ausreiseverbotes von 1610.2) Er wirft der Inquisition vor, undifferen-
ziert gegen alle Marranen, ob „judaisierend" oder nicht, vorzugehen, und verlangt eine
Modifikation des Procedere der Inquisition, einen Schutz vor ungerechter Verfolgung.
Darüber hinaus schlägt er einen neuen, dem von 1604/1605 nicht unähnlichen Ge-
neralpardon vor. 3) Er greift die Statuten der limpieza de sangre an, fordert wenn nicht
eine vollkommene Aufhebung, so doch eine Beschränkung der Wirkung der limpieza.
Mit dieser Verbesserung ihrer rechtlichen und sozialen Lage sollte außerdem erreicht
werden, daß die im Ausland ansässigen, meist vor der Inquisition geflohenen Marranen
wieder auf die Iberische Halbinsel zurückkehrten. Damit hing ein zweiter Punkt eng
zusammen: Es galt auf das marranische Kapital zurückzugreifen, es fiir den Staat
dienstbar zu machen.
Cellorigo verfolgte - wie so viele andere auch - eine Lösung der „Marranenfrage"
von einem zunächst durchaus orthodoxen Standpunkt aus: Schutz und Integration der
katholischen Marranen, Verfolgung der jiulaizantes. Allerdings geht er dann doch
etwas darüber hinaus, schlägt - man denke nur an den Generalpardon - Milde bei
der Verfolgung der Kryptojuden vor, nimmt eine gewisse Tolerierung in Kauf. (Sei-
ne Schrift stand seit 1632 auf dem Index der Spanischen Inquisition!) Cellorigos
Werk ist in vielem typisch fur die Argumentation der Verteidiger der Marranen im
17. Jahrhundert; sie steht aber am Anfang, erhält auch durch die systematische Dis-

2 (1978) (A. 2) 331-34; Albert A. SicrofF, Les controverses des statuts de „pureté de sang" en Espagne du
XV e au XVII« siècle (= Études de Littérature Étrangère et Comparée [39]) (Paris 1960) 186-212. Lediglich
1637 wurde der „Discurso" - unter dem Vorwand, ihn widerlegen zu wollen - im Rahmen einer entspre-
chenden Schrift weitgehend veröffentlicht. Révah, Controverse sur les statuts (1971) 272; Sicroff, Contro-
verses des statuts de „pureté de sang" (1960) 236-262.
25
Révah, Le plaidoyer du Licencié Martín González de Cellorigo (1963) (A. 8) 299; Domínguez Ortiz,
Judeoconversos (1978) (A. 2) 91; John H. Elliott, The Count-Duke of Olivares. The Statesman in an Age
of Decline (New Haven, London 1986) 117; Révah, Controverse sur les statuts (1971) (A. 24) 270; Henry
Kamen, Una crisis de conciencia en la edad de oro en España: Inquisición contra „limpieza de sangre", in:
Bulletin Hispanique 88 (1986) 342; Francisco Cantera Burgos, Dos escritos inéditos y anónimos sobre los
judíos y España durante el siglo XVII, in: Scritti sull'ebraismo in memoria di Guido Bedarida (Florenz 1966)
3J-38.
26
Banco de España (1970) (A. 16) 117f. (Ruiz Martín, Banca en España).

272
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Marraneη, Krone, Inquisition und Gesellschaft im Kastilien des 17. Jahrhunderts

kussion der Problematik und den Kontext der anderen Werke des Autors ein beson-
deres Gewicht 27 .
Im Zusammenhang mit der Marranenpolitik ist es schließlich nicht ganz un-
interessant festzustellen, daß „Portugiesen" bereits in diesen Jahren gute Beziehungen
zu den Mächtigen am Hof hatten. So lassen sich enge Kontakte zwischen eini-
gen marranischen Familien und dem Herzog von Lerma und seiner Familie nachwei-
sen 28 .
Die Diskussionen der beiden ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts wurden etwas
ausfuhrlicher dargestellt, um zu verdeudichen, daß gerade in diesen Jahren entschei-
dende Weichen gestellt wurden. Die Dinge gerieten - trotz mancher Rückschläge -
langsam in Bewegung, Krone und „Nation" bewegten sich aufeinander zu. Der sich
in chronischen Finanznöten befindende Staat war an einer Kooperation mit der „Na-
tion" interessiert, die Mammen suchten den Schutz der Krone. Der Staat war aus
Gründen der Staatsraison durchaus bereit, religiöse Interessen hintanzustellen. Um
1605 - im Zusammenhang mit dem Generalpardon - schimpfte man den König in
Lissabon Philippus Tertius Rex Judaeorum
Mit Beginn des Jahrhunderts und vor dem Hintergrund der politischen Ereignisse
intensivierte sich die Einwanderung der „Portugiesen" nach Kastilien. Ein Netz por-
tugiesisch-marranischer Niederlassungen begann in Kastilien zu entstehen 30 . Auch
wenn wir über diese frühe „portugiesische" Diaspora in Kastilien nur sehr schlecht
informiert sind, so gibt es doch Indizien, die ihre Bedeutimg unterstreichen, die
belegen, daß das „Jahrhundert der Portugiesen" in Kastilien seinen eigendichen Anfang
in diesen Jahren hatte. Gesuche um die Madrider Bürgerschaft portugiesischer Mar-
ranen aus den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts 31 wie auch eine Klage der Inquisi-
tion von 1619 über die große Zahl der „Portugiesen" am Hof sprechen dafür 32 . Auch

27 Martín González de Cellorigo, dessen Leben und Werk vor allem seit dem Artikel I. S. Révahs Beachtung
gefunden haben, spielte zu Zeiten Philipps III. als arbitrista („Plänemacher") eine Rolle. Er war Anwalt bei
der Chancilleria in Valladolid, außerdem bei der dortigen Inquisition. Als die „Alegación [...]" gedruckt
wurde, begegnet er uns als juez de bienes confiscados der Inquisition in Toledo. Rlvah, Le plaidoyer du Licencié
Martin González de Cellorigo (1963) (Α. 8) 279-398 (darin: Martin [González] de Zellorigo, Alegación en
que se funda la iusticia y merced que algunos particulares del Reyno de Portugal, que están dentro y fuera
de los confines de España, piden y suplican a la Católica y Real Magestad del Rey don Felipe Tercero nuestro
señor, se les haga y conceda [Madrid 1619] 325-398); Révah, Controverse sut les statuts (1971) (Α. 24)
270 f.
m Pr. F. Codio, C, 1651-1654 / A D C , Inqu., leg. 476, exp. 6489; Pr. F. Coello, C , 1655-1657 / A D C ,
Inqu., leg. 498, exp. 6612; Pr. C. de Lima, C , 1651-1654 / ADC, Inqu., leg. 490, exp. 6557; Pr. D. de
Acosta Brandón, C , 1651-1656 / A D C , Inqu., leg. 480, exp. 6500.
29 R. A. Stradling, Philipp IV. and the Government of Spain: 1621-1665 (Cambridge u.a. 1988) 227.
3 0 Julio Caro Baroja, La sociedad criptojudfa en la corte de Felipe IV. (Madrid 1963) 36; Banco de España

(1970) (A. 16) 116 (Ruiz Martin: Banca en España); Luis Alberto Anaya Hernández, El converso Duarte
Enriquez, arrendador de las rentas reales de Canarias, in: Anuario de Estudios Atlánticos 27 (1981) 346.
31 AVM, Secr. 2, leg. 348, exp. 1.
32 Lea, History of the Inquisition. Bd. 3 (1907) (A. 11) 559f. (App. Quellen).

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Markus Schreiber

kam die Mehrzahl der Mitte des Jahrhunderts in Madrid ansässigen „portugiesischen"
Familien zu Zeiten Philipps III. nach Kastilien33.
Die „Portugiesen" etablierten sich also - bei einer mehr oder weniger marranen-
freundlichen Politik der Krone - Anfang des 17. Jahrhunderts in Kastilien, begannen
sich hier einen Platz in Wirtschaft und Gesellschaft zu erobern. Diese Entwicklung
vollzog sich nicht isoliert. In Spanisch-Amerika waren die portugiesischen Neuchristen
seit diesen Jahren nicht mehr zu übersehen34. Zugleich vollzogen sich grundlegende
Entwicklungen in der Geschichte der marranisch-sephardischen Diaspora Mitteleuro-
pas. Anfang des Jahrhunderts intensivierte sich die Emigration von der Iberischen
Halbinsel; es entstanden - toleriert oder gar gefördert von „ m a c h i a v e l l i s t i s c h e n " Ob-
rigkeiten - die bald blühenden sephardischen Gemeinden in Amsterdam, Hamburg,
Livorno und Venedig35. Die (welt)weit ausgreifende marranisch-sephardische Dia-
spora des 17. Jahrhunderts - innerhalb derer Kastilien eine zentrale Rolle spielte -
formierte sich in diesen Jahren.

Die Mammen zu Zeiten des Conde Duque de Olivares


1621 bestieg Philipp IV. den Thron, und in der Folge wurde - mehr als 20 Jahre lang
- die Politik der Krone von Gaspar de Guzmán, 3. Graf von Olivares und 1. Herzog
von San Lúcar la Mayor, bestimmt. In diesen Jahren spielte die Marranenpoltik eine
wichtige Rolle, führte zu bedeutenden Ergebnissen und weckte noch größere Erwar-
tungen.
Wie bei dem Herrschaftsswechsel um die Jahrhundertwende geriet Anfang der
zwanziger Jahre sofort Bewegung in die „Marranenfrage". Die portugiesischen Neu-
christen bzw. marranische Geschäftsleute Lissabons trugen in Madrid seit 1621 die
Gravamina der „Nation" vor (Inquisition, Ausreise, limpieza etc.). Aus diesen An-
fängen entwickelten sich sehr schnell Verhandlungen, in denen es vorrangig um ein
weitgehendes Engagement der „Portugiesen" in den spanischen Staatsfinanzen, in den
asientos, ging — der Geldbedarf der Krone war ja angesichts der Ereignisse in Mittel-
europa enorm! Philipp IV. berief 1621 sogar eine junta zur Beratung der Frage; außer-
dem waren die Regierung in Portugal und die portugiesische Inquisition miteinbezo-
gen, weitere portugiesische Kreise versuchten sich in die Verhandlungen einzuschalten.

» Markus Schreiber, Mammen in Madrid, 1600-1680 (Diss. Phil. Freiburg i.Br. 1992) [Masch.].
M
Hier nur zwei grundlegende Arbeiten: Jonathan I. Israel, The Portuguese in Seventeenth-Century Mexi-
co, in: ders., Empires and Entrepots: The Dutch, the Spanish Monarchy, and the Jews, 1585-1713 (London
1990) 311-331; Harry Cross, Commerce and Orthodoxy: A Spanish Response to Portuguese Commercial
Penetration in the Viceroyalty of Peru, 1580-1640, in: The Americas: A Quarterly Review of Inter-American
Cultural History 35 (1978) 151-167.
35
Jonathan I. Israel, European Jewry in the Age of Mercantilism, 1550-1750 (2. Uberarb. Aufl. Oxford
1989). Neben diesem grundlegenden Werk sei auf die ersten drei Arbeiten in Anmerkung 2 verwiesen. Siehe
a. Beinart, Jetsi'at 'anusim (1978) (A. 11) 72-83, 89-105.

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Marranen, Krone, Inquisition und Gesellschaft im Kastilien des 17. Jahrhunderts

Gerade aus Portugal kam der größte Widerstand, insbesondere von Inquisition und
Klerus. Die Verhandlungen zogen sich in die Länge; nicht zuletzt Philipp IV. legte
Bedenken an den Tag, sich mit den portugiesischen Neuchristen einzulassen36. Oliva-
res hingegen war die treibende Kraft. In diesem Zusammenhang ist es übrigens bemer-
kenswert, daß in diesen Jahren in dem Kreis der Berater und Mitarbeiter, mit denen
er sich umgab und mit denen er gegen das „Regierungsestablishment" in den consejos
regierte, Manuel López Pereira auftaucht. Dieser portugiesische Marrane spielte von
da an fur die Konzeption der Politik des Conde Duque erat wichtige Rolle und dürfte
ihn in seiner Marranenpolitik bestärkt haben37. 1624 legte dieser dem König das
grundlegende „Gran Memorial" vor, unterbreitete dem jungen Herrscher ein politi-
sches Programm, in dem er bezeichnenderweise auch auf die „Marranenfrage" einging:
„[...] conviene [...] el poner remedio en los cristianos nuevos de aquel reino [= Por-
tugal], como V. Majd. lo va tratando [...J" 38 Schließlich, Ende 1626, erfolgte der
Durchbruch in den Verhandlungen, und man gelangte zu einer Einigung. Anfang 1627
erklärte Philipp IV. seinen ersten Staatsbankrott, „dekretierte" die „Asentisten", die
„Kronbankiers", und in der Folge wurden marranische hombres de negocios als Finan-
ziers des spanischen Königs herangezogen39.
Im Anschluß daran, 1627, erfolgten die Gegenleistungen der Krone, in manchem
eine Neuauflage dessen, was den „Portugiesen" Anfang des Jahrhunderts zugestanden
worden war: Aufhebung des Emigrationsverbotes, ein fxir die portugiesische Inqui-
sition geltendes Gnadenedikt. In den nächsten beiden Jahren folgten noch einige
Piäzisierungen, Ergänzungen und weitere, für Portugal geltende (und weniger bedeu-
tende) Bestimmungen. Hervorzuheben ist die Bestätigung der Emigrationsfreiheit
(1629). Für diese gesetzlichen Bestimmungen hatten die portugiesischen Marranen
zusätzliche finanzielle Leistungen zu erbringen40.

36 James C. Boyajian, Portuguese Bankers at the Court of Spain, 1626-1650 (New Brunswick, New Jersey
1983) 17-19; Elliott, Count-Duke of Olivares (1986) (Α. 25) 118, 300f.; Azevedo, Christáos Novos
Portugueses (1922) (Α. 2) 180-186; Antonio Domínguez Ortiz, Política y hacienda de Felipe IV. (Madrid
1960) 130.
37 Jonathan I. Israel, Manuel López Pereira of Amsterdam, Antwerp, and Madrid: Jew, New Christian, and

Advisor to the Conde-Duque de Olivares, in: SR 19 (1985) 109-126; s. a. Schreiber, Marranen in Madrid
(1992) (A. 33) 308.
38 Memoriales y cartas del Conde Duque de Olivares, hrsg. von John H. Elliott u. José F. de la Peña. Bd.

1. Política interior: 1621 a 1627 (Madrid 1978) 91.


3 ' Boyajian, Portuguese Bankers (1983) (Α. 36) 23; Elliott, Count-Duke of Olivares (1986) (A. 25) 3 0 1 -

303; Domínguez Ortiz, Política y hacienda (1960) (A. 36) 129f.


4 0 Domínguez Ortiz, Política y hacienda (1960) (Α. 36) 130f.; Azevedo, Christáos Novos Portugueses

(1922) (Α. 2) 186-192, 212; ldc, Zusammenfassung der Gesetzgebung bzgl. Auswanderung der „Portugie-
sen", 8. Juni 1654 / AHN, Inqu., lib. 537, f. 531v; Domínguez Ortiz, Judeoconversos (1978) (Α. 2) 63;
Alvaro Castillo [Pintado], Dans la monarchie espagnole du XVII e siècle: Les banquiers portugais et le circuit
d'Amsterdam, in: Annales ESC 19 (1964) 312; Finta para o pagamento do perdäo, hrsg. von Joaquim
Mendes dos Remidios, in: Biblos 2 (1926) 317-373; Joaquim Mendes dos Remédios, Os Judeus portugueses
sob o dominio dos Felipes, in: Biblos 2 (1926) 43 f.; zu den Ereignisse der zwanziger Jahre und weiteren, auf
Portugal bezogenen Verhandlungen siehe auch folgende, leider ziemlich chaotische „Quellenedition": Docu-

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Markus Schreiber

Philipp IV. strich 1627 in seinem „Rechenschaftsbericht" an den Consejo de Castilla


die Heranziehung der „Portugiesen" als eine der wichtigen Maßnahmen der ersten
Jahre seiner Herrschaft heraus: „He decretado a los hombres de negocios. He intro-
ducido nuevos contratadores y hombres de negocios vasallos míos."41 Allerdings sollten
erst die folgenden Jahrzehnte zeigen, wie wichtig diese Entscheidung war.
Parallel zu diesen Ereignissen (und mehr oder weniger damit zusammenhängend)
kam in Kastilien auch wieder Bewegung in die limpieza-^n^c, und zwar im Zusam-
menhang mit dem großen Reformprogramm, das Olivares unmittelbar nach seinem
„Regierungsantritt" in den zwanziger Jahren initiierte. 1622 wurde die Junta Grande
de Reformación ins Leben gerufen, die als eines der zentralen Themen die limpieza de
sangre diskutierte. Bereits 1623 deutete sich ja dann ein Scheitern einer umfassenden
Reform der kastilischen Verhältnisse an, zeichnete sich besonders in der Frage der
limpieza ab. Hier wurde nichts Wesentliches erreicht42. 1625 unternahm Olivares
einen weiteren Vorstoß in dieser Richtung, der aber am erbitterten Widerstand des
Consejo und der Cámara de Castilla im Sande verlief43.
Alles in allem eine „marranenfreundliche", eine pragmatische Politik, die dazu
tendierte, religiöse Fragen ¿er Staatsraison unterzuordnen. In einer consulta vom
17. September 1630 des Dominikaners Antonio deSotomayor, Beichtvater des Königs
und Vorsitzender einer zur „Marranenfrage" gebildeten junta, geht es um die Frage der
Einschränkung der Verfolgung der Marranen durch die Inquisition. Sotomayor, ein
Mann des Conde Duque, befürwortet dies, nimmt die Nachteile für die Religion in
Kauf, versucht diese - nicht sehr Uberzeugend - als langfristige Vorteile für die Reli-
gion darzustellen44. Olivares wußte sehr genau, warum er 1632 - als es galt eine
unbotmäßige Inquisition in den Griff zu bekommen - Sotomayor zum Generalinqui-
sitor machte45.
Was den weiteren Gang der Ereignisse betrifft, so fällt nun die intensive Kooperation
zwischen Staat und „Nation" im wirtschaftlichen Bereich auf; die „Portugiesen" wur-
den zu einer wesendichen Stütze der Krone. Über diese Zusammenarbeit in den
Staatsfinanzen hinaus unterhielten die bedeutendsten Häuser, vor allem die weitge-
hend assimilierten aus Lissabon, gute Beziehungen zur Krone; manche hatten Zugang
zum Hof, erlangten mehr oder weniger bedeutende honores und Amter. Einige wenige

ments sur les Marranes d'Espagne et de Portugal sous Philippe IV., hrsg. von Elkan N. Adler, in: REJ 48
(1904) 1-28; 49 (1904) 51-75; 50 (1905) 53-75, 211-237; 51 (1906) 97-120, 251-264.
«' Memoriales y cartas. 1 (1978) (A. 38) 239.
42
Elliott, Count-Duke of Olivares (1986) (Α. 25) 115-119, I46f.; Domínguez Ortiz, Judeoconversos
(1978) (A. 2) 64.
« Elliott, Count-Duke of Olivares (1986) (Α. 25) 298.
„Algunas acciones ay, que a la primera vista descubren inconueniente, y en materia de fe pareze le hacen
repugnancia. Pero bien consideradas y bien ponderadas tornan en mas favor suyo." Sotomayor hielt seine
Überlegungen in dieser Frage immerhin für so brisant, daß er den König bat, diese weder dem Consejo de
Portugal noch der portugiesischen Inquisition mitzuteilen. Documents sur les Marranes d'Espagne et de
Portugal sous Philippe IV., hrsg. von Elkan N. Adler, in: REJ 50 (1905) 233f.
« Siehe S. 283 f.

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Marrant η, Krönt, Inquisition und Gesellschaft im Kastilien Jes 17. Jahrhunderts

erhielten sogar (allerdings meist portugiesische) hábitos der Ritterorden 46 . Die Krone
ermöglichte vielen „Portugiesen" eine Teilnahme am Amerikahandel, indem sie ent-
sprechende naturalezas verlieh47. Auch hielt das „Olivares-Regime" - soweit dies über-
haupt möglich war - die Inquisition in Schach 48 . Kurz: Die portugiesischen (und
kastilischen) Neuchristen Kastiliens, viele von ihnen notorische Marranen, wurden
von der Krone durchaus protegiert.
Diese Politik und vor allem ihre Auswirkungen - die massive Präsenz der .Portu-
giesen" in Kastilien gilt es anschließend noch genauer darzustellen—riefen Widerstän-
de hervor. Es scheint, daß die Ereignisse Anfang des Jahrhunderts und dann die der
zwanziger Jahre wenig Gegnerschaft in Kastilien hervorriefen. Die Opposition kam ja
im wesentlichen aus Portugal und vom portugiesischen „Establishment" in Madrid
(ζ. B. im Consejo de Portugal). In dem Maße, in dem aber die „Portugiesen" ihre
Stellung in Kastilien ausbauten, das „Marranentum" wieder zu einer Größe in der
kastilischen Gesellschaft wurde, gerieten die portugiesischen und kastilischen Neuchri-
sten (und das „Regime") unter Beschuß 49 .
1631 wurde in Salamanca ein „Discurso contra los judíos" veröffentlicht. Es han-
delte sich um ein 1620 in Lissabon erschienenes Werk des Portugiesen Vicente da Costa
Matos, das nun in spanischer Übersetzung herauskam (und 1680 eine zweite Auflage
erlebte). Ein außerordentlich aggressives Werk, das sich an Härte der Angriffe kaum
noch übertreffen ließ. Der Autor, der anscheinend zeitweilig in Madrid gelebt hatte,
attackiert die Juden, wendet sich dann vor allem gegen die Marranen, nicht zuletzt
gegen die in Kastilien. Dabei kombiniert er altbekannte Stereotypen, das Arsenal
der Greuelgeschichten, mit seiner spezifischen .Analyse" der „Marranenfrage" des
17. Jahrhunderts und bringt die ganze Schärfe der portugiesischen Diskussion in die
Kastiliens ein. So fordert er die Ausweisung der „Nation" 50 ! Die Übersetzung des

Inventario de gracias, Cámara de Castilla, 1598-1700 / A H N , Consejos, lib. 2752; Elliott, Count-Duke
of Olivares (1986) (A. 25) 607; Domínguez Ortiz, Política y hacienda (1960) (A. 36) 126,129, 132, 135f.,
138 Anm. 6; Boyajian, Portuguese Bankers (1983) (A. 36) insbes. 103fF.; Schreiber, Marranen in Madrid
(1992) (A. 33) 49ff., 319f.; Caro Baroja, Sociedad criptojudía (1963) (Α. 30); Caro Baroja, Judíos. 2 (1978)
(Α. 2) 116f.; Ruth Lee Kennedy, „Escarraman" and Glimpses of the Spanish Court in 1637-1638, in:
Hispanic Review 9 (1941) 110-136.
4 7 Antonio Domínguez Ortiz, La concesión de „naturalezas para comerciar en Indias" durante el siglo XVII,

in: Revista de Indias 19 (1959) 227-239; Yvone Dias Avelino, A naturalizaçâo de mercadores-banqueiros
portugueses para o exercício do comercio na América dos Austrias, in: Revista de História 43 (1971)
389-414; 44 (1972) 469-493; 45 (1972) 79-97.
4* Es gibt zwar keinerlei Aussagen des Conde Duque in dieser Hinsicht, seine Politik gegenüber der Inqui-
sition, der Versuch, sie zu kontrollieren, ist aber ziemlich eindeutig. Historia de la Inquisición. 1 (1984) (Α.
13) 1024(T.; Mauricio [= Maurits] Ebben: Un triángulo imposible: la Corona española, el Santo Oficio y
los banqueros portugueses, 1627-1655 [Ms. 1992] 9f.
Domínguez Ortiz, Judeoconversos (1978) (A. 2) 67; Yosef Hayim Yerushalmi, From Spanish Court to
Italian Ghetto. Isaac Cardoso, A Study in Seventeenth-Century Marranism and Jewish Apologetics (=
Columbia University Studies in Jewish History, Culture, and Institutions 1) (New York, London 1971) 165f.
5 0 Caro Baroja, Judíos. 2 (1978) (A. 2) 442; Josette Riandare la Roche, Du discours d'exclusion des Juifs:

antijudaisme ou antisémitisme? in: Les problèmes de l'exclusion en Espagne (XVI e - XVII e siècles). Idéologie

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Markus Schreiber

Werkes und Veröffentlichung in Kastilien verdeutlichen, was manche Kreise im Lande


von der „Nation" (und ihrem Aufschwung) hielten. Besonders hervorzuheben ist
außerdem, daß das Buch gerade zu einer Zeit erschien, als die Inquisition - wir werden
es gleich noch sehen - einen ersten wirklich aufsehenerregenden Prozeßkomplex gegen
die portugiesischen Marianen durchführte.
Dann ist hier - nicht nur aufgrund der Berühmtheit des Protagonisten - der Fall
Quevedo zu behandeln, war dieser doch einer der ersten, schärfsten und wonmäch-
tigsten Kritiker der Marranenpolitik des Conde Duque. In seiner „Isla de los Mono-
pantos", Teil eines größeren satirischen, in vielem gegen Olivares gerichteten Werkes,
das in den dreißiger Jahren entstand, entwirft der Autor eine Verschwörung der
machiavellistischen „monopantos" - es wird unzweideutig auf Olivares und seine
„Regierungsmannschaft" angespielt - mit dem internationalen Judentum - dieses wird
bereits als internationales Finanzjudentum charakterisiert! - zur Vernichtung der Chri-
stenheit. Als besonders brisant konnten an diesem (literarisch brillanten) Elaborat die
höhnischen Anspielungen auf die jüdische Abstammung des Conde Duque (durch
seinen marranischen Urgroßvater) gelten51. Diese Attacken waren Teil einer umfassen-
den Gegnerschaft zur Politik Olivares', dessen Reaktion nicht lange auf sich warten
ließ: Am 7. Dezember 1639 wurde Quevedo in Madrid verhaftet, seine Freilassung
erlangte er erst 1643, nach dem Sturz des Conde Duquel
Einige Jahre später, kurz vor Olivares" Sturz, kam es zu einem ähnlichen Fall.
Diesmal ging es um Juan Adán de la Parra (geb. 1596), eine um 1640 in Madrid und
Kastilien nicht ganz unbedeutende Persönlichkeit. Er war Jurist und brachte es in den
dreißiger Jahren zum „Hofinquisitor" im Despacho de Corte, publizierte politische und
juristische Werke, darunter einen Traktat, in dem er die limpieza de ¿¿ngrv-Statuten
vehement verteidigte. Er war gegenüber den Marranen überhaupt sehr feindselig ein-
gestellt, konnte auch aufgrund seiner Arbeit in Madrid als Spezialist in dieser Angele-
genheit gelten53, die gerade um 1640 wieder besonders virulent wurde. In diesem Jahr
hatte sich ja Portugal erfolgreich gegen die spanische Herrschaft erhoben, die Situation
der „Portugiesen" in Kastilien wurde komplizierter. In Portugal selbst kam es - im
Zusammenhang mit den neuen politischen Verhältnissen - zu einer enormen Bewe-
gung in der „Marranenfrage"54. Es scheint, daß auch in Kastilien die „Nation" wieder

et discours (= Travaux du „Centre de Recherches sur l'Espagne des XVI* et XVII e siècles" 1) (Paris 1983)
51-75; zur portugiesischen Ausgabe und zu einem zweiten antijüdischen Werk des Autors aus dem Jahre
1625: Diogo Barbosa Machado, Bibliothcca lusitana. Bd. 3 (Lissabon 1752) 781.
91
Francisco de Quevedo, La Hora de todos y la Fortuna con seso, hrsg. von Jean Bourg, Pierre Dupont u.
Pierre Geneste (Madrid 1987) insbes. 329ff.; Elliott, Count-Duke of Olivares (1986) (Α. 25) lOflf., 556.
52
Memoriales y cartas del Conde Duque de Olivares, hrsg. von John Η. Elliott u. Jos¿ F. de la Peña. Bd.
2. Política interior: 1628 a 1645 (Madrid 1981) 183-190.
53
Die politischen Ansichten Parras waren denen Quevedos, mit dem er befreundet war, nicht unähnlich.
Memoriales y cartas. 2 (1981) (Α. 52) 183-190; Domínguez Ortiz, Política y hacienda (1960) (A. 36) 137;
Caro Baroja, Judíos. 3 (1978) (A. 2) 344-346 (App. Quellen).
Auf die portugiesischen Ereignisse können wir hier nicht weiter eingehen. Die ganzen dreißiger Jahre lief
in Portugal im Anschluß an die allgemeinen Verhandlungen der zwanziger Jahre in Madrid eine hitzige

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Marranen, Krone, Inquisition und Gesellschaft im Kastilien Jes 17. Jahrhunderts

mit Forderungen an die Krone herantrat und 1641 Juan Adán de la Parra mit einem
docto memorial gegen die „Portugiesen" auftrat55. 1642 verfaßte er dann ein bissiges
Epigramm, eine décima, gegen die sehr bekannten Cortizos, ein Zweig der López de
Castro, die eine der bedeutendsten mananischen Familien am Hof waren und in der
besonderen Gunst des Königs standen. Diese notorischen Neuchristen mit Inquisi-
tionsproblemen stiegen unaufhaltsam auf und machten sich um 1640 daran, Amter
bzw. honores zu erlangen, die die limpieza desangre erfordertenκ! Manuel Cortizos de
Villasante kaufte in diesen Jahren eine regiduría in Madrid57,1642 wurden er und sein
Bruder Sebastián Cortizos familiares der Inquisition und ließen sich gewissermaßen
von der Inquisition ihre limpieza weithin sichtbar bescheinigen58! Im selben Jahr
erfolgte der kühnste Schritt, die Cortizos-Brüder strebten - unterstützt vom König —
hábitos im Calatrava-Orden an (die sie dann nach manchen Komplikationen auch
1644 erhielten)59. Diese Ereignisse waren der Auslöser fur den Angriff des Juan Adán
de la Parra, dessen feindliche Haltung gegenüber den „Portugiesen" nun Olivares zuviel
wurde und der noch über die Macht verfugte, auch Parra - die letzten Monate seiner
„Herrschaft" - gefangensetzen zu lassen60. Der Conde Duque deutet in einem Brief an
den König aus diesen Tagen, vom 19. Oktober 1642, den Grund fur die Kaltstellung
des Inquisitors an: „[...] con lo que ha apretado contra los judíos [sic!] portugueses
[...r61
Trotz dieser Angriffe hielt die Krone an den Marranen fest. Im Januar 1641, kurz
nach der portugiesischen „Rebellion", ging ein anonymes Memorial an Olivares, in
dem schwere Vorwürfe gegen die „Portugiesen" erhoben wurden, die Ausweisung
gefordert wurde. Eine consulta einetjunta nahm dazu eindeutig Stellung: „[...] y acerca
de todo lo demás que pondera contra esta jente para hazerla sospechosa a V. M. siempre

Diskussion über die Situation der Neuchristen im Lande. Azevedo, Christáos Novos Portugueses (1922) (Α.
2) 193fF.; zu den Ereignissen der vierziger Jahre: Israel, European Jewry (1989) (Α. 35) 108-110.
55
Jos¿ de Pellicer [de Ossíus Salas] y Tovar, Avisos históricos, que comprehenden las noticias y sucesos mas
particulares, ocurridos en nuestra Monarquía desde el año de 1639 [..·], hrsg. von Antonio Valladares de
Sotomayor [Bd. 2] (= Semanario Erudito 32) (Madrid 1790) 66.
56
Zu den López de Castro, Villasante und Cortizos: Schreibcr, Marranen in Madrid (1992) (A. 33) 49 ff.
57
Exp. Inquisitionsfamiliatur, M. Cortizos de Villasante, Befr. dess., M, 27. Juni 1642 / AHN, Inqu., leg.
1527, exp. 12.
58
Exp. Inquisitionsfamiliatur, M. Cortizos de Villasante, 1642 / AHN, Inqu., leg. 1527, exp. 12; exp.
Inquisitionsfamiliatur, S. Cortizos, 1642 / AHN, Inqu., leg. 1527, exp. 12; Domínguez Ortiz, Extranjeros
(1960) (A. 6) 310.
» Prueba Calatrava, M. Cortizos de Villasante, M, 1644 / AHN, OO.MM., exp. (Cal.) 657; prueba
Calatrava, S. Cortizos. M, 1644 / AHN, OO.MM., exp. (Cal.) 659; Caro Baroja, Judíos. 2 (1978) (A. 2)
381 ff; Caro Baroja, Sociedad criptojudía (1963) (A. 30) 67.
60
Memoriales y cartas. 2 (1981) (A. 52) 183-190; Domínguez Ortiz, Política y hacienda (1960) (A. 36)
137; José de Pellicer [de Ossíus Salas] y Tovar, Avisos históricos, que comprehenden las noticias y sucesos
mas particulares, ocurridos en nuestra Monarquía desde el año de 1639 [...], hrsg. von Antonio Valladares
de Sotomayor [Bd. 3] (= Semanario Erudito 33) (Madrid 1790) 169.
6' Memoriales y cartas. 2 (1981) (A. 52) 191.

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se a tenido por más conveniente conservarla y detenerla en estos Reynos donde con el
buen tratamiento y participación de las honras que V. M. haze a los que le sirven de
ella se pueden asegurar y enmendar que no perderlos del todo mostrándoles descon-
fianza [...]." „Como parece," antwortete der König62.
Es wurde versucht, die Marranenpolitik der zwanziger und dreißiger Jahre darzu-
stellen, die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen der marranischen Präsenz in
Kastilien zu skizzieren. Es geht nun darum, diese Präsenz selbst in den Blick zu
bekommen. Die Einwanderung der „Portugiesen" setzte sich in den zwanziger Jahren
fon. Neben der alten, stark von den nordportugiesischen Marranen geprägten Immi-
gration kam es zu neuen Entwicklungen. In Kastilien etablierten sich nun auch die
großen marranischen Häuser aus Lissabon, im wesentlichen in Madrid und Sevilla.
Die Zahl der „Nation" muß in diesen Jahren beträchdich gewesen sein. Die zwanziger
und dreißiger Jahre waren die „Blütezeit" der „Portugiesen" in Kastilien, die portugie-
sischen und kastilischen Neuchristen wurden zu einer bedeutenden Größe in der
kastilischen Gesellschaft. Sie finden sich Uberall im Lande, an allen wichtigen Plätzen
des Wirtschaftslebens, ob im Baskenland oder in Andalusien, ob in der Estremadura
oder in den beiden Kastilien. Die zwei wichtigsten Städte des Landes, Madrid und
Sevilla, beherbergten auch die bedeutendsten Marranenniederlassungen. In den klei-
neren Städten und Städtchen, ja in den Dörfern findet man sie als Ladeninhaber,
ambulante Kaufleute und Hausierer; dann auch als Inhaber der estancosbzw. alfolíes in
Verbindung mit der Pacht der großen, landesweiten, alle Orte verbindenden Mono-
polpachten (Tabak, Salz)63.
Die Inquisition wies 1624 den König auf die große Zahl von „Portugiesen" in
Madrid hin64, 1630 spricht der Consejo de Inquisición Philipp IV. auf die enorme
Einwanderungswelle nach Kastilien der letzten Jahre an, geht dann auf die Hauptstadt
ein: „[...] y en particular a esta Villa de Madrid donde ya ay barrios poblados de familias
[.. .]"65 Aus dem Jahre 1644, zweifellos Höhepunkt der Präsenz der „Portugiesen" bzw.
der Marranen in Kastilien im 17. Jahrhundert, existiert eine Liste der (reinen) „portu-
giesischen" Grossisten Madrids (die auch die wenigen kastilischen Marranen ein-
schloß). Es werden über 70 Kaufleute aufgeführt! Die Grossisten stellten neben den
beiden anderen wichtigen Gruppen, den hombres de negocios und den Einzelhändlern,

62
Antonio Domínguez Ortiz, La clase social de los conversos en Castilla en la edad moderna (= Monografías
Histórico-Sociales 3) (Madrid 1955) 247f.
« Domínguez Ortiz, Política y hacienda (1960) (A. 36) 131 f., 138 Anm. 7; Caro Baroja, Judíos. 2 (1978)
(A. 2) 59ff., 65; Caro Baroja, Sociedad criptojudía (1963) (A. 30) 36fF.; Azevedo, Christáos Novos Portu-
gueses (1922) (A. 2) 202ff.; Domínguez Ortiz, Judeoconversos (1978) (A. 2) 68; Antonio Domínguez Ortiz,
Autos de la Inquisición de Sevilla (siglo XVII) (= Biblioteca de Temas Sevillanos 14) (Sevilla 1981) 28;
Boyajian, Portuguese Bankers (1983) (Α. 36); Schreiber, Marranen in Madrid (1992) (A. 33).
« Historia de la Inquisición. 1 (1984) (Α. 13) 1043.
ί5
Ldc, Zusammenfassung der Gesetzgebung bzgl. Auswanderung der „Portugiesen", 8. Juni 1654, consulta
ν. 25. Mai 1630 / A H N . Inqu., lib. 537, f. 531v.

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Marranen, Krone, Inquisition und Gesellschaft im Kastilien des 17. Jahrhunderts

nur eine Minderheit, so daß man davon ausgehen kann, daß sich die Zahl der Maria-
nen Madrids auf einen dreistelligen Betrag belief*6.
Ein schönes Beispiel fur die Präsenz der „Portugiesen" abseits der großen Zentren
ist Pastrana, ein kleines, seigneuriales Städtchen östlich von Madrid (in der heutigen
Provinz Guadalajara). Seit Ende des 16. Jahrhunderts lassen sich dort portugiesische
Neuchristen nachweisen, im 17. Jahrhundert spielten sie eine bedeutende Rolle in der
Stadt, beherrschten sie doch die dortige Seidenproduktion bzw. das Seidengeschäft.
Sie ersetzten - entsprechend gefördert durch den Herzog - die dort einst in diesem
Metier tätigen Morisken67.
Es gilt nun kurz—was den Ursprung betrißt—auf die soziogeographische Differen-
zierung der „Nation" im Kastilien des 17. Jahrhunderts einzugehen. Die portugiesi-
schen Neuchristen kamen - grosso modo - aus zwei Gebieten. Die Mehrheit stammte
aus Nordostportugal, aus den Provinzen Trás-os-Montes, Beira Alta und Beira Baixa.
Diese Städte, Städtchen und Dörfer der portugiesischen Peripherie waren ein fast
unerschöpfliches Reservoir fur die Entstehung der weltweiten „portugiesischen"
Diaspora im 17. Jahrhundert. Diese Gruppe war es, die im wesentlichen die Emigra-
tion (nach Kastilien) seit dem späteren 16. Jahrhundert trug, und dann langsam im
17. Jahrhundert aus bescheidenen Verhältnissen kommend in Kastilien wirtschaftlich
aufstieg. Zum anderen begegnen wir den großen marranischen Häusern, die im lusi-
tanischen bzw. Lissaboner Überseehandel im 16. und frühen 17. Jahrhundert auf-
gestiegen waren und von Madrid seit den späten zwanziger Jahren fur die asientos
herangezogen wurden. Diese „Lissaboner", eine kleine, bedeutende Elite mit weltwei-
ten Verbindungen, etablierten sich im wesentlichen in den zwanziger Jahren im Zu-
sammenhang mit den asientos, vornehmlich in Madrid und Sevilla. Zum dritten stoßen
wir nun auf die Reste des kastilischen „Marranentums", die vor allem aus der nörd-
lichen Estremadura und dem südlichen León stammten. Herauszuheben wäre hier (das
königliche) Ciudad Rodrigo, aber auch ein kleines, seigneuriales Städtchen in der
Nähe, Saelices (heute San Felices) de los Gallegos, im estado des Herzogs von Alba
gelegen. Es fällt nun auf, daß dieses kastilische „Marranentum" von der portugiesischen
Grenze kam, auf der anderen Seite der Grenze lag das Zentrum der portugiesischen
Neuchristen. Des weiteren fällt auf, daß dann in Kastilien sehr bald intensive Verbin-
dungen zwischen beiden Gruppen erfolgten, während sich die Beziehungen beider zu
den „Lissabonern" sehr viel weniger eng gestalteten, man kaum Versippung beobach-
tet. Kurz und gut, es scheint, daß die Differenzierung zwischen Portugiesen und
Kastiliern weniger bedeutend, die zwischen „Lissabonern" und dem Rest hingegen sehr
viel entscheidender ist68.

« Rep. sold. mere, port., M , 1644 / AVM, Secr. 3, leg. 423.


67Erika Puentes Quesada, Un linaje „portugués" en Pastrana. La familia de sederos de Simon Muñoz, in:
Manuscrits 1 0 ( 1 9 9 2 ) 157-182.
« Schreiber, Marranen in Madrid (1992) (Α. 33) insbes. 42 ff.

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Die,.Nation" erlangte im Kastilien des 17. Jahrhunderts eine enorme wirtschaftliche


Bedeutung; man hat sogar - nicht zuletzt deswegen und nicht ganz zu Unrecht - von
einem „Jahrhundert der Portugiesen" in Kastilien gesprochen69. Die überwältigende
Mehrheit der Marranen war in die Geschäftswelt involviert, die Nation konstituierte
im wesendichen ein „Wirtschaftsbürgertum" (mit allen Einschränkungen, die man fur
die Frühe Neuzeit machen muß) 70 . Im folgenden soll - was die wirtschaftlichen
Aktivitäten betrifft - das Wichtigste dargestellt werden.
Die „Portugiesen" spielten eine bedeutende Rolle im Handel. Herauszuheben wäre
zunächst der (innerkastilische) Textilhandel (Leinen, Tuch, Seide). Die portugiesischen
Neuchristen eroberten sich dann im Laufe des Jahrhunderts einen immer bedeu-
tenderen Anteil am („vornehemen") Handel mit Wolle, dem wichtigsten Export-
artikel Spaniens, der vor allem nach Italien und in die Niederlande ging. Schließlich
hatten sie eine zeitweise beherrschende Stellung im sevillanischen Amerikahandel
inne71.
Unübersehbar (und leichter zu greifen) war aber die Stellung der portugiesischen
und kastilischen Marranen in den großen Kronpachten, den arrendamientos. Hier kann
nur das Wichtigste erwähnt, nur einiges über diesen labyrinthischen Sektor der kasti-
lischen Wirtschaft gesagt werden. Die Marranen beherrschten seit seiner Entstehung
um 1630 das kastilische Tabakmonopol; eine ähnlich bedeutende Rolle spielten sie
in dem von der Krone monopolisierten Salzgeschäft, das sie wahrscheinlich gegen
die Jahrhundertmitte ganz in ihrer Hand hatten. Ähnlich überwältigend war ihre
Präsenz in den Zollpachten. Auch spielten sie eine wichtige Rolle in den Steuerpach-
ten (insbes. alcabala und millones) sowie in den arrendamientos anderer Staatseinnah-
men 72 .
Antonio Domínguez Ortiz hat 1960 in einem grundlegenden Buch, „Política y
hacienda de Felipe IV", als erster die große Bedeutung, die die „Portugiesen" im

65 Rafael Carrasco, Preludio al »Siglo de los portugueses". La Inquisición de Cuenca y los judaizantes
lusitanos en el siglo XVI, in: Hispania 47 (1987) 503-559.
7 0 Schreiber, Marranen in Madrid (1992) (A. 33) insbes. 311 ff.; Domínguez Ortiz, Judeoconversos (1978)

(A. 2) 202f.; Caro Baroja, Judíos. 1 (1978) (A. 2) 373ÍF.


71 Eine systematische Untersuchung des marranischen Handels steht noch aus, alles deutet aber auf ihre
starke Stellung Mitte des Jahrhunderts hin: Girard, Étrangers (1933) (Α. 15) 574; Nicolás Broens, Monar-
quía y capital mercantil: Felipe I V y las redes comerciales portuguesas (1627-1635) (Het Spaans Habsburgse
rijk en de Portugeese handelsnetwerken [1627-1635], span.) (Aus d. Niederl. von Rafael Lechner und
Antonio Sáez Arace) (Madrid 1989) 35ff.; Schreiber, Marranen in Madrid (1992) (A. 33) insbes. 321 ff.;
Jonathan I. Israel, Spanish Wool Exports and the European Economy, 1610-1640, in: The Economic History
Review. Second series 33 (1980) 193-211; Boyajian, Portuguese Bankers (1983) (A. 36) 58ff., 122ff.; Juana
Gil-Bermejo Garcia, Mercaderes sevillanos (Una nómina de 1636), in: Archivo Hispalense. 2i época 59, Nr.
181 (1978) 183-197; Juana Gil-Bermejo García, Mercaderes sevillanos (II) (Una relación de 1640), in:
Archivo Hispalense. 22 ¿poca 61, Nr. 188 (1978) 25-52; Domínguez Ortiz, „Naturalezas para comerciar en
Indias" (A. 47) 227-239; Dias Avelino, Naturalizaçâo de mercadores-banqueiros portugueses, 43 (1971)
(Α. 47) 389-414; 44 (1972) 469-493; 45 (1972) 79-97.
n Schreiber, Marranen in Madrid (1992) (Α. 33) insbes. 334ff.; Domínguez Ortiz, Política y hacienda
(1960) (Α. 36) 129; Caro Baroja, Sociedad criptojudía (1963) (Α. 30) 75 ff.

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Marranen, Krone, Inquisition und Gesellschafi im Kastilien des 17. Jahrhunderts

17. Jahrhundert in den asientos (und factorías) spielten, herausgestrichen. Von den
zwanziger bis in die vierziger Jahre waren sie neben den allmächtigen Genuesen, die
sie zeitweilig überflügelten, die wichtigsten „Bankiers" des spanischen Königs, fi-
nanzierten die Außenpolitik, den Krieg, in Mitteleuropa. Jahr fur Jahr stellten sie
enorme Summen an dem niederländischen Kriegsschauplatz bereit, entwickelten ein
gut funktionierendes Atlantic payments system (Boyajian), auf das sich der spanische
König verlassen konnte. Die asientos dieser ersten Periode wurden (was die Portugiesen
betraf) in erster Linie von den „Lissabonern" getragen, später sollte sich das dann
ändern73.
Im Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Aktivitäten noch zwei abschließende
Bemerkungen:
1) Die geschäftlichen Aktivitäten der Marranen funktionierten auf der Grundlage
der sozialen Verflechtungen der „Nation", auf die sie wieder zurückwirkten. Beide
Ebenen waren miteinander verschränkt und verstärkten sich gegenseitig. Bei den
großen Monopolpachten wird dies sehr deutlich: Die Pächter rekurrieren auf die
„Nation", die ihrerseits wieder durch die landesweiten Verästelungen der arrenda-
mientos zusammengebunden wird.
2) Staat und „Nation" arbeiten zusammen; die Krone greift systematisch auf die
„Portugiesen" zurück, die dem Staat ihre wirtschaftlichen Dienste anbieten. Der Staat
benutzt darüber hinaus die außerstaatliche, internationale Infrastruktur der „Nation"
zur Durchfuhrung eigentlich staadicher Aufgaben. Die asientos (und factorías) ζ. Β.
sind ja nicht nur Kreditoperationen, sondern ersetzen auch eine ansonsten nötige
Finanzverwaltung! Höhepunkt dieser Kooperation ist dann die unmittelbare Inkor-
porierung marranischer Geschäftsleute in die Finanzverwaltung, um die Zusammen-
arbeit effizienter zu gestalten. In der Generalzahlmeisterei in Brüssel, vor allem an der
Spitze der „Behörde", finden sich das ganze 17. Jahrhundert über „Portugiesen"74!
Diese Zusammenarbeit zwischen Staat und „Wirtschaft" spielte eine enorm wichtige
Rolle in der Entwicklung der frühneuzeitlichen Staadichkeit.
Die Marranen eroberten sich also - mehr oder weniger protegiert von der Krone -
in der ersten Hälfte des Jahrhunderts einen Platz in der kastilischen Gesellschaft, waren
nicht mehr zu übersehen. Entscheidend wurde nun, wie die Inquisition reagierte. Jean
Pierre Dedieu hat in seinen quatre temps de l'Inquisition eine weitgehend akzeptierte
Chronologie der Prozeßaktivitäten der Spanischen Inquisition erstellt. Nach der Ver-
folgung der kastilischen conversos (von den Anfängen der Inquisition bis etwa 1525)
wandte sich die Inquisition den Altchristen zu. Bis 1590, ja bis 1630 ging es vorrangig

» Domínguez Ortiz, Política y hacienda (1960) (A. 36) 129ff.; Boyajian, Portuguese Bankers (1983) (Α.
36); Brocns, Monarquía y capital mercantil (1989) (Α. 71); Castillo [Pintado], Monarchie espagnole (1964)
(Α. 40) 311-316; Felipe Ruiz Martín, Las finanzas de la Monarquía Hispánica en tiempos de Felipe IV
(1621-1665) (Madrid 1990) insbes. 66ff.; Schreiber; Marranen in Madrid (1992) (A. 33) insbes. 352ff.;
Pohl, Portugiesen in Antwerpen (1977) (Α. 15) 236ÍF.
M Boyajian, Portuguese Bankers (1983) (Α. 36) 23f., 78, 284; Schreiber, Marranen in Madrid (1992) (A.
33) 49 ff.

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um eine „Christianisierung" im Sinne derTridentinischen Reform, die „echte" Häresie


war in den Hintergrund getreten. Mit der Zunahme der portugiesischen Marranen
gewann dann ab 1590, mehr noch ab 1630 das Vorgehen gegen die judaizantes, nun
vornehmlich,.Portugiesen", wieder, zunehmend, an Bedeutung. Die dritte Phase setzte
ein, die Verfolgung der ersten Jahrzehnte des Jahrhunderts war aber im Vergleich zu
dem, was ab Mitte des Jahrhunderts passieren sollte, „harmlos"75. Allerdings gab es
gerade in den dreißiger Jahren einige spektakuläre Prozesse. Besonderes Aufsehen
erregte der Prozeßkomplex des „Cristo de la Paciencia" aus den frühen dreißiger Jahren,
in dem einer Gruppe Madrider „Portugiesen" von der Toledanischen Inquisition „Ju-
daisieren" und vor allem Kruzifixschändung vorgeworfen wurde. Die (auch nach den
Normen der Inquisition fragwürdigen) Prozesse führten u. a. zu Todesurteilen und
wurden 1632 mit einem auto público auf der Plaza Mayor in Madrid abgeschlossen.
Weitere portugiesische judaizantes mußten auf diesem spektakulären, im ganzen Land
beachteten Autodafé ihre Urteile zur Kenntnis nehmen; die Inquisition brachte mit
aller Deutlichkeit zum Ausdruck, was sie von der Marranenpolitik Olivares' hielt76.
Bezeichnenderweise wurde kurze Zeit später der Generalinquisitor abgelöst und durch
Antonio de Sotomayor, einen Vertrauten des Conde Duque, ersetzt77. Es kam dann in
den dreißiger Jahren auch zu einigen aufsehenerregenden Prozessen gegen marranische
„Asentisten" und hombres de negocios7*·, die überwältigende Mehrheit der Elite der
marranischen Geschäftswelt hatte aber keine gravierenden Probleme mit der Inquisi-
tion 79 . Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Inquisition gegen die Marranen
vorging, aber doch mit erheblich gebremster Energie.
Es gab aber in diesen Jahren bereits Anzeichen von dem, was kommen sollte; die
Inquisition stellte unter Beweis, wozu sie fähig war. 1634 wurde in Lima die Verfolgung
der „Complicidad Grande" losgetreten; eine enorme Prozeßwelle, durchgeführt in
Lima und Cartagena de Indias, rollte über die mächtige marranisch-portugiesische
„Handelsbourgeoisie" im Vizekönigreich hinweg. Wenige Jahre später, in den vierziger
Jahren, wiederholte sich das gleiche „Schauspiel" in Neuspanien. Die wirtschaftlichen
Folgen waren verheerend, die Auswirkungen reichten bis nach Europa: Die „portugie-
sische" Geschäftswelt in Sevilla und Madrid wurde schwer erschüttert. Viel entschei-
dender war aber, daß dies das Ende der Marranen, zumindest als Minderheit von

75
L'Inquisition espagnole (1979) (Α. 4) 15—42; Domínguez Ortiz, Autos de la Inquisición (1981) (Α. 63)
25 ff.; Jean Pierre Dedieu, L'administration de la foi. L'Inquisition de Tolède (XVI*- XVIII e siècle) (=
Bibliothèque de la Casa de Velizquez 7) (Madrid 1989) (Vorher thèse d'état Toulouse 1987) 240 f.; Schreiber,
Marranen in Madrid (1992) (A. 33) insbes. 367 ff.
7« Yerushalmi, Isaac Cardoso (1971) (Α. 49) 108ff.
77 Historia de la Inquisición. 1 (1984) (Α. 13) 1027ff.
« Pr. M. Alvarez Pinto, M, 1629-1639 / A H N , Inqu., leg. 3715, exp. 6; Antonio Domínguez Ortiz, El
proceso inquisitorial de Juan Núñez Saravia, banquero de Felipe IV., in: Hispania 15 (1955) 559-581; Julio
Caro Baroja, El proceso de Bartolomé Febos o Febo, in: Homenaje a Don Ramón Carande. Bd. 2 (Madrid
1963) 59-92.
79 Boyajian, Portuguese Bankers (1983) (Α. 36).

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Marranen, Krone, Inquisition und Gesellschaft im Kastilien des 17. Jahrhunderts

Gewicht, in Amerika bedeutete, außerdem in Amerika etwas eingeleitet wurde, was


dann in Europa fortgesetzt werden sollte80.

Positionen und Hintergründe der Marranenpolitik im 17. Jahrhundert

In den vorausgegangenen Abschnitten wurden - was die Marranenpolitik betrifft -


vor allem die äußeren Linien bis etwa 1640 skizziert. Bevor im nächsten Abschnitt der
Wandel der politischen Rahmenbedingungen fur die Marranen Kastiliens und die
weitere Entwicklung ab Mitte des Jahrhunderts behandelt wird, sollen an dieser Stelle
die Hintergründe der kastilische Marranenpolitik vertiefend und allgemein fur das
17. Jahrhundert dargestellt werden. Es geht im wesentlichen darum, über die bereits
skizzierten bzw. noch zu skizzierenden äußeren Ereignisse hinaus die unterschiedlichen
Positionen gegenüber den Marranen, ihre Begründungen, die Gründe ftir die Hand-
lungskonzeptionen sowie diese selbst, wie sie das ganze Jahrhundert über mehr oder
weniger präsent waren, näher zu beleuchten und systematisch zu behandeln. Nicht
zuletzt soll versucht werden, die Verfechter der unterschiedlichen Vorstellungen genau-
er in den Blick zu bekommen.
Wie sahen die gegenüber den Marranen feindlichen Positionen im einzelnen aus?
Wer bzw. welche Kräfte standen dahinter? Das ganze 17. Jahrhundert über läßt sich
eine stärker werdende „marranenfeindliche" Strömung in Kastilien beobachten81. Man
verdächtigte die Neuchristen zunächst, religiös unzuverlässig, ja Apostaten zu sein. Sie
hingen dem falschen Glauben an, und das auch noch als Verrat am Christentum82.
Daran denkt José de Pellicer vor allem, wenn er von den „Portugiesen" meint: „[...]
que con piel de corderos, y entrañas de lobos viven entre nosotros [.. .]" 83 Sie waren -
vor allem ab 1650 - durch die Inquisitionsverfolgung stigmatisiert84.

80 Hier nur die allerwichtigste Literatur: Cross, Commerce and Orthodoxy (1978) (Α. 34) 151-167; Stanley
Hordes, T h e Inquisition as Economic and Political Agent: T h e Campaign of the Mexican Holy Office against
the Crypto-Jews in the Mid-Seventeenth Century, in: T h e Americas: A Quarterly Review of Inter-American
Cultural History 39 (1982) 2 3 - 3 8 ; Boyajian, Portuguese Bankers (1983) (A. 36) 122ff.
81 Domínguez Ortiz, Política y hacienda (1960) (A. 36) 133ff.; Domínguez Ortiz, Judeoconversos (1978)
(A. 2) 67; Yerushalmi, Isaac Cardoso (1971) (A. 4) 165f.; Elliott, Count-Duke o f Olivares (1986) (A. 25)
450, 6 0 7 .
» Domínguez Ortiz, Política y hacienda (1960) (Α. 36) 132-134; Domínguez Ortiz, Extranjeros (1960)
(Α. 6) 3 6 1 - 3 6 3 ; Jerónimo de Barrionuevo, Avisos de Don Jerónimo de Barrionuevo (1654-1658), hrsg. u.
eingel. von A. PazyMelia. Bd. 1 (= Biblioteca de Autores Españoles 221) (Madrid 1968) 191 (18. September
1655).
8 3 José de Pellicer [de Ossáus Salas] y Tovar, Avisos históricos, que comprehenden las noticias y sucesos mas

particulares, ocurridos en nuestra Monarquía desde el año de 1639 [...], hrsg. ν. Antonio Valladares de
Sotomayor. [Bd. 1] (= Semanario Erudito 31) (Madrid 1790) (1640). Pellicer (1602-1679) war u.a.
Hofhistoriograph, Genealogist und Dichter. Besondere Bedeutung kommt ihm als Herausgeber und Kom-
mentator Góngoras zu.
M Jerónimo de Barrionuevo, Avisos de D o n Jerónimo de Barrionuevo (1654-1658), hrsg. u. eingel. von A.
Paz y Melia, 2 Bde. (= Biblioteca de Autores Españoles 221, 222) (Madrid 1968/1969) passim.

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Dann die Frage der limpieza de sangre, mit ihrer langen Tradition, mit dem ganzen
Arsenal mehr oder weniger gelehner Theorien der biologischen Minderwertigkeit der
Neuchristen: Die Marranen waren aufgrund ihrer sangre infecta verdorben, die speziell
an die pureza geknüpfte Ehre (honor im Gegensatz zu honra) blieb ihnen verwehrt85.
„Impuri tas vero e contra dicitur macula orta e majorum prava legis Mosaicae, sectaève
Mahometanae, & haereticorum observatione, & ad universos omnes descendentes
transmissa, & derivata, quae ab honoribus, & officiis puritatem requirentibus omnino
arcentur, & repelluntur, velut infames, & detestabiles personae, quorum progenies in
infinitum impura dicitur [...]," schreibt Juan Escobar de Corro in seinem „Tractatus
bipartitus de puritate et nobilitate probanda, [...]", einem „Höhepunkt" der limpie-
ζα-Diskussion aus den 1630er Jahren. Dr. Escobar de Corro, Jurist, fiscal verschiedener
Inquisitionstribunale, später consejero im Consejo de Inquisición, formuliert in seinem
monumentalen Werk die limpieza-Theorie vielleicht am radikalsten, sieht im „Blut"
den allesentscheidenden Faktor, das fiir immer bestimmende Kriterium: „[...] mo-
dicum fermenti totam massam corrumpit, [...] bonum cum malo mixtum amplius
bonum dici non potest, [...] macula unius lineae extenditur ad omnes."86
Nach 1640, also nach der portugiesischen „Rebellion", malten Kritiker der „Portu-
giesen" die Gefahr eines Aufstandes, insbesondere vor dem Hintergrund ihrer wirt-
schaftlichen Macht, an die Wand87. Die Marranen werden als „Handels-" und „Fi-
nanzbürgertum" beschrieben und umgekehrt: Hombres de negocios und Juden sind
identisch. Damit allein war die „Nation" schon negativ charakterisiert. Weiteres kam
hinzu: Klagen über die große wirtschaftliche (und gesellschaftliche) Macht wurden
laut, man kritisierte die Preisgabe wichtiger Wirtschaftssektoren an die „judaisieren-
den" Marranen88. Selbst ein so „aufgeklärter" arbitrista, „Plänemacher", wie Francisco
Murcia de la Llana steht der „Nation" als „Wirtschaftsbürgertum" ablehnend gegen-
über. Er schreibt (wohl Ende der dreißiger Jahre): „Después de la expulsión de los
moriscos se tiene por cierto que han entrado en Castilla mas de 70 mil Portuguezes, y
en Madrid hay mas de 40 mil [sic!], y ninguno dellos cultiba las tierras, ni es labrador,
ni cria ganado de ningún genero que sea, ni tienen officios mecánicos, sino es trattar
con el dinero, haciendo retención de todo genero de mercadorias, en todas las provin-

«' Domínguez Ortiz, Clase social (1955) (A. 62) 191-209; Caro Baroja, Judíos. 2 (1978) (A. 2) 324ff.;
Henry Méchoulan, Le sang de l'autre ou l'honneur de Dieu: Indiens, juifs, morisques dans l'Espagne du
Siècle d'Or (Paris 1979) 128fF., I40ff.; H[enry] Méchoulan, Nouveaux éléments dans la controverse des
statuts de pureté de sang en Espagne au XVII e siècle, in: SR 10 (1976) 143-148; Riandièrela Roche, Discours
d'exclusion des Juifs (1983) (A. 50) 60ff.
* Domínguez Ortiz, Clase social (1955) (Α. 62) 109; Caro Baroja, Judíos. 2 (1978) (Α. 2) 324f.; SicrofF,
Controverses des statuts de „pureté de sang" (1960) (A. 24) 2 2 3 - 2 3 6 . Es wurde eine Ausgabe aus dem 18.
Jahrhundert benutzt: Joannes Escobar a Corro, Tractatus bipartitus de puritate et nobilitate probanda, [...]
(Lyon 1733) die Zitate auf 47 bzw. 49.
«7 Domínguez Ortiz, Política y hacienda (1960) (A. 36) 133f.
M Domínguez Ortiz, Extranjeros (1960) (Α. 6) 3 6 1 - 3 6 3 ; Domínguez Ortiz, Política y hacienda (1960) (A.
36) 128; Elliott, Count-Duke of Olivares (1986) (Α. 25) 607; Riandière la Roche, Discours d'exclusion des
Juifs (1983) (A. 50) 71f.

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Marranen, Krone, Inquisition und Gesellschaft im Kastilien des 17. Jahrhunderts

cias, que como sc fueran legisladores hacen estanco en ellas [.,.]" 89 Die marranische
„Bourgeoisie" war als solche schon schlecht, es kamen aber weitere Vorwürfe hinzu:
Den „Portugiesen" wurde unterstellt, dem Staat sowie Privatpersonen mit ihren ge-
schäftlichen Aktivitäten Schaden zuzufügen, es auf den Ruin der Monarquía Hispánica
abgesehen zu haben, die Feinde des Landes zu unterstützen90.
Dann spielte die harte antijüdische »Argumentation" eine beträchtliche Rolle. Die
Präsenz der Marranen am Hof führte zur Bestrafung Kastiliens91. Ihre wirtschaftliche
Macht, ihr Geld, auf das man zurückgriff, war verflucht, war dinero dt maldición
Wie bereits in anderem Zusammenhang dargestellt, waren sie - nach Quevedo — an
einer weltweiten Verschwörung gegen die Christenheit beteiligt93. Schließlich begeg-
net auch das ganze Arsenal von Greuelgeschichten, die - nicht zuletzt in entsprechen-
den Publikationen - verbreitet wurden. Mit dem „Discurso contra los judíos" des
Vicente da Costa Matos wurde bereits ein in dieser Hinsicht wichtiges Werk vor-
gestellt94.
Bis jetzt ging es eher um „abstrakte" „Vorbehalte", die - was den Diskurs betrifft —
weitgehend losgelöst waren von konkreten Interessenslagen und Konflikten. Diese
- wenn auch nicht so leicht greifbar—spielten aber eine wichtige Rolle, und man kann
vermuten, daß sie oftmals der wahre Grund waren, der dann gerne (mehr oder weniger
bewußt) mit dem ganzen Arsenal der „antimarranischen" Argumentation bemäntelt
wurde. Mit der Erörterung dieser Interessenslagen wäre natürlich auch sofort die Frage
nach den Trägern dieser gegen die „Portugiesen" gerichteten Politik aufgeworfen.
Der spanische Wirtschaftshistoriker Felipe Ruiz Martín hat in einem kürzlich er-
schienenen Buch hinsichtlich der frühneuzeidichen Geschichte Kastiliens - vor allem
des 17. Jahrhunderts - auf die zentrale Rolle der städtischen Oligarchien - eine sehr
mächtige, aber doch so wenig bekannte Klasse - im Lande hingewiesen95. „Si durante

· ' Azevedo, Christaos Novos Portugueses (1922) (Α. 2) 4 6 3 (App. Quellen. Kopie der Denkschrift, Portu-
gal, 17. Jahrhundert).
*» Domínguez Ortiz, Política y hacienda (1960) (A. 36) 128f., 1 3 4 - 1 3 6 ; Caro Baroja, Judíos. 2 (1978) (A.
2) 54f., 64f.; Méchoulan, Le sang de l'autre (1979) (A. 85) 161; Pellicer, Avisos históricos [1] (1790) (A.
83) 118, 123 (1640).
»' Elliott, Count-Duke of Olivares (1986) (Α. 25) 450.
« Briefsammlung Olivares, 1638, Olivares an F. de Melo, 6. August 1638 / BSB, cod. hisp. 119, f. 171v,
172r.
" Zu einer weiteren Verschwörungstheorie bzw. dem apokryphen Brief der Juden Konstantinopels an die
Sephardim: Azevedo, Christaos Novos Portugueses (1922) (Α. 2) 189.
94 Domínguez Ortiz, Judeoconversos ( 1978) (A. 2) 69 ff.; Riandière la Roche, Discours d'exclusion des Juifs
(1983) (Α. 50) 57f., 64; Yerushalmi, Isaac Cardoso (1971) (Α. 4) 120 ff.; Helga Bauer, Die Predigt als Spiegel
politischer und sozialer Ereignisse. Zur „Judenfrage" im Jahre 1630 in Portugal, in: Aufsätze zur Portugie-
sischen Kulturgeschichte 11 ( 1 9 7 1 - 1 9 7 4 ) 50ff.; Cartas de algunos PP. de la Compañía de Jesús sobre los
sucesos de la monarquía entre los años 1634 y 1648. Bd. 5, 1 6 4 3 - 1 6 4 4 (= Memorial Histórico Español 17)
(Madrid 1863) 112 (9. Juni 1643); Pellicer, Avisos históricos [1] (1790) (A. 95) 165 (1640); Caro Baroja,
Judíos. 2 (1978) (A. 2) 4 4 8 - 4 5 0 ; Sicroff, Controverses des statuts de „pureté de sang" (1960) (A. 2 4 )
167-170.
« Ruiz Martín, U s finanzas (1990) (A. 73).

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el XVII hay un grupo en Castilla que se arrogue el papel de protagonista [sic!], es el


abigarrado y disperso que formaban las jerarquías intermedias locales."96 Seit Ende des
16. Jahrhunderts spitzte sich die Auseinandersetzung zwischen den städtischen Oligar-
chien, denen, die im Lande immer mehr das Sagen hatten, und der Krone zu. Mit der
gegen die wachsende Macht des Urbanen „Establishments" gerichteten Politik Olivares'
erreichte dieser Konflikt um 1640 seinen Höhepunkt97. Manches spricht dafür, daß
die „Marranenfrage" eine Rolle in der Auseinandersetzung um den Absolutismus,
insbesondere „olivaristischer" (und imperialer) Ausprägung, spielte, konnte man doch
in den „Portugiesen" eine entscheidende Stütze der Krone, der Monarquía Hispánica,
sehen. Vielleicht wurde auch - darüber hinausgehend - die „Marranenfrage" (und die
jüdische Abstammung Olivares'!) instrumentalisiert, um die Politik des Conde Duque
generell zu diskreditieren; „La hora de todos" von Quevedo wäre so ein Fall.
Darüber hinaus konnten sich diese städtischen Eliten aber auch ganz unmittelbar
von den Neuchristen bedroht fühlen. Sie waren gegen die marranischen Konkurrenten,
unliebsame Rivalen in wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht, eingestellt98.
Die direkte geschäftliche Konkurrenz läßt sich aber nicht ohne weiteres ausmachen.
In den asientos spielten die einheimischen Kräfte (noch) keine Rolle, ihr Aufstieg gegen
Ende des Jahrhunderts ist wohl eher eine Folge des Rückzugs der Ausländer und der
Marranen. Im Handel kann man die unmittelbare Konkurrenz auch nicht so leicht
nachweisen. (Auch wäre noch genauer zu untersuchen, wieweit sich die autochthone
Geschäftswelt mit den lokalen Oligarchien überschnitt.) Allerdings: Im sevillanischen
und Cadizer Amerikahandel war sie gegeben. Das dortige „Handelsestablishment", das
Consulado, agierte gegen die „portugiesische" Konkurrenz. In Amerika war übrigens
dieser Konflikt - zwischen kastilisch-kreolischer Kaufmannschaft und aufsteigenden
„Portugiesen" - noch sehr viel klarer und schärfer, ja dramatisch99.
Entscheidende Bedeutung hatten vielleicht die Steuerpachten. In Kastilien setzte
sich ja die Dichotomie zwischen Rey und Reino, Land und Herrschaft, in den Staats-
finanzen fort. Die Cortes, das Reino, spielten im Rahmen einer ständischen Steuerver-
waltung eine zentrale Rolle was Einhebung und Verwaltung der Steuern (nicht nur der
„ständischen"!) Kastiliens betraf100. In die Hacienda del Reino sollen 1618 - nach einer

* Ebd. 176.
»7 Ebd. insbes. 21 f., 28-30, 96-105.
9» Domínguez Ortiz, Política y hacienda (1960) (A. 36) 132f.
w
Domínguez Ortiz, „Naturalezas para comerciar en Indias" (1959) (Α. 47) 227-239; zu Amerika: Cross,
Commerce and Orthodoxy (1978) (Α. 34); Hordes, Inquisition as Political and Economic Agent (1982) (A.
80).
'«> Ruiz Martín, Las finanzas (1990) (A. 73) 33f.; Domínguez Ortiz, Política y hacienda (1960) (A. 36)
176 f.; Felipe Ruiz Martín, Procedimientos crediticios para la recaudación de los tributos fiscales en las
ciudades castellanas durante los siglos XVI y XVII: el caso de Valladolid, in: Dinero y crédito (siglos XVI al
XIX). Actas del Primer Coloquio Internacional de Historia Económica, hrsg. von Alfonso [de] Otazu [Llana]
(Madrid 1978) 37-47; José Ignacio Ruiz Rodríguez, Estructura y recaudación del Servicio de Millones
(1590-1691), in: Hispania 52 (1992) 1073-1088. Das Reino war für die millones, eine „ständische" Steuer,
zuständig. Cortes und Städte spielten aber auch bei der Einhebung einer „königlichen" Steuer, der alcabala,

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Marrantn, Krone, Inquisition und Gesellschaft im Kastilien Jes 17. Jahrhundert»

zeitgenössischen und sachkundigen Aussage - zwischen 100000 und 150 000 ejecutivos
involviert gewesen sein101! Entscheidend ist nun, daß diese ständische Steuerverwal-
tung von den städtischen Oligarchien beherrscht wurde. Sie waren es, die die Umlage
der Abgaben kontrollierten und davon profitierten, die außerdem an diesen exekutiven
Funktionen verdienten102. Was passierte aber z. B., wenn - wie es im 17. Jahrhundert
häufig vorkam — alcabala oder millones unmittelbar, an Marianen, verpachtet wurden,
einzelne Bezirke aus dem System der ständischen Steuerverwaltung (bzw. wie im Falle
der alcabala aus der von den Ständen beherrschten Steuerverwaltung) ausscherten?
Theoretisch spielten bei diesen Entscheidungen die Städte selbst eine zentrale Rolle,
konnten sie sich doch fur das eine oder das andere System entscheiden103. Wie sah es
aber in der Wirklichkeit aus? War es nicht möglich, daß hier Interessen der Stadtoli-
garchien und der „Nation" hart und unmittelbar aneinandergerieten? Wie groß war
der Einfluß der Krone auf die ständische Finanzadministration? Was fur eine Rolle
spielten hier die Auseinandersetzungen zwischen den und innerhalb der Städte? Für
die These eines Konfliktes in diesem Bereich würde auch ein weiteres Indiz sprechen.
Schaut man sich die arrendadores de rentas Madrids an, d. h. die Pächter der Einnah-
men, die in der Hand der Stadt waren - seien es staadiche Steuern (im Rahmen der
ständischen Steuerverwaltung), seien es städtische Steuern - so fallt sofort die Bedeu-
tungslosigkeit marranischer hombres de negocios auf - ganz im Gegensatz zu ihrer
überwältigenden Präsenz auf den anderen Ebenen und in anderen Bereichen der
öffendichen Finanzen104. Definitive Antworten sind im Moment kaum möglich: Die
komplizierten Staatsfinanzen Kastiliens mit ihrer verwirrenden Vielfalt von Einnah-
men und Einhebungsmodi liegen in weiten Bereichen im dunkeln, sind zu wenig
erforscht. Die Verhältnisse in den Staatsfinanzen, gerade hinsichtlich der Einhebung,
die von Krone, Consejo de Hacienda, Cortes, Comisión de Millones, Stadtverwaltungen,
lokalen Oligarchien, Zünften und hombres de negocios bestimmt wurde, wären noch
genauer zu untersuchen. Hier könnte es auf jeden Fall zu schweren Konflikten gekom-
men sein.

eine äußerst wichtige Rolle, und zwar seit den encabezamientos der alcabala (und tercias), die im 16.
Jahrhundert aufkamen.
>oi Ruiz Martín, Las finanzas (1990) (Α. 73) 34.
102
Ruiz Martin, Procedimientos crediticios (1978) (A. 100) 37-47; Ruiz Rodriguez, Servicio de Millones
(1992) (A. 100) 1073-1088.
103
Im Falle der millones war es ja das Reino selbst bzw. die Comisión de Millones, die die Einnahmen
verpachtete. Schreiber, Marranen in Madrid (1992) (A. 33) 345 f.; Ruiz Martín, Procedimientos crediticios
(1978) (Α. 100) 42; Broens, Monarquía y capital mercantil (1989) (Α. 71) 49.
104
Rep. sold., arrendadores de rentas, M, 6. Oktober 1640 / AVM, Secr. 3, leg. 420, exp. 1; rep. sold.,
arrendadores de rentas, M, 9. Februar 1647 / AVM, Secr. 3, leg. 426, exp. 2; rep. sold., arrendadores de
rentas, M, 26. August 1658 / AVM, Secr. 3, leg. 430, exp. 1. Wie weit „Nation" und städtische Oligarchien
voneinander entfernt waren, verdeudicht ein Blick auf ihre Verbindungen zur lokalen politischen Macht:
Im ganzen 17. Jahrhundert finden wir - abgesehen von dem bereits erwähnten Manuel Cortizos de Villasante
- keinen einzigen „Portugiesen" unter den Madrider regidores. Diese Information verdanke ich Mauro
Hernández, Universtität Autónoma, Madrid.

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Wie dem auch sei, auf jeden Fall dürften sich die Oligarchien von den Aufsteigern
— nicht zuletzt in gesellschaftlicher Hinsicht - bedroht gefühlt haben. Die Erfolge der
marranischen Elite am H o f - man denke nur an die bereits erwähnten López de Castro
— müssen als unerträgliche Provokation empfunden worden sein. Der Vorwurf des
wirtschaftlichen und sozialen Aufstiegs, die Klage über die von den Neuchristen ver-
ursachte gesellschaftliche „Unordnung", sind auch in diesem Zusammenhang zu se-
hen 105 . Es gibt bei Pellicer in einer Avise vom 25. Juni 1641 eine bemerkenswerte
Passage über einen Zwischenfall in Madrid, eine Passage (nicht ohne Komik), die diese
Rivalität eindrucksvoll beleuchtet:

Esta misma tarde yendo á ver la misma Procesión Don Francisco de Meneses, llamado Barrabás,
y Don Jorge Manuel, que dicen Vatallas, en un coche, pasaron por junto á él dos Portugueses,
nombrados Don Jacinto de Lemos, del hábito de Santiago de Portugal, y un hermano suyo, que
es Fernán Manuel Asentista: y porque este último no les quitó el sombrero le llamó entre otros
oprobios judío: el Fernán Manuel sacó la espada, y los dos se arrojaron del coche; Barrabás de
una estocada dió con Fernán Manuel mal herido en el suelo, y poniéndole el pie sobre su cara al
querer volver á herirle, se atravesó con su misma espada el pie, de que derramó mucha sangre.
N o es creíble la soberbia con que procede en Madrid esta gente Portuguesa que trata y contrata;
pues los que en Portugal no se atrevieran á mirar a los Caballeros, aquí no solo quieren igualarlos,
pero excederlos.

[= Als heute nachmittag Don Francisco de Meneses, genannt Barabbas, und Don Jorge Manuel,
den man „Schlachten" nennt, in einer Kutsche fuhren, um dieselbe Prozession zu sehen, kamen
zwei Portugiesen daran vorbei, namens Don Jacinto de Lemos, Mitglied des portugiesischen
Santiago-Ordens, und ein Bruder, bei dem es sich um Fernán Manuel, „Asentist", handelt; und
weil letzterer nicht vor ihnen den H u t zog, nannte er ihn neben anderen Beleidigungen Jude.
Fernán Manuel zog sein Schwert, und die beiden stürzten von der Kutsche. Barabbas traf mit
einem Streich Fernán Manuel, der schwerverletzt am Boden lag; und wie er ihm den Fuß auf das
Gesicht setzte, als er ihn erneut verletzen wollte, durchbohrte er sich mit seinem eigenen Schwert
den Fuß, woraus er stark blutete. Unglaublich der Hochmut, mit dem dieses portugiesische Volk,
das dauernd Geschäfte macht, vorgeht; wahrlich, die in Portugal die caballeros nicht anzuschauen
wagten, möchten ihnen hier nicht nur gleichkommen, sondern sie noch übertreffen.] 104

Neben den Stadtoligarchien dürfte auch die Inquisition ganz handfeste Interessen an
einer Verfolgung der Marranen gehabt haben. Dabei ist zunächst gar nicht so sehr an
die Güterkonfiskationen zu denken. Zwar gab es eine beträchtliche Gruppe reicher
„portugiesischer" hombres de negocios, diese stellten aber eine kleine Minderheit der
„Nation" dar, und es deutet nichts darauf hin, daß die Inquisition sich vornehmlich

105
Dieses Thema - gerade auch im Hinblick auf die Neuchristen - zieht sich wie ein roter Faden durch den
„Buscón" Quevedos. Francisco de Quevedo, La vida del Buscón llamado Don Pablos, hrsg. von Domingo
Ynduriin (5. Aufl. Madrid 1983).
106 Pellicer, Avisos históricos. [2] (1790) (Α. 55) 83. Jacinto de Lemos und Fernando Manuel de Lemos waren
beide nicht unbedeutende „portugiesische" hombres de negocios. Sie stammten aus Lissabon, lebten in Madrid
und hatten in den dreißiger Jahren das Pfeffermonopol inne. Memoria de portugueses, M, 1634 / A H N ,
Inqu., leg. 189, exp. 35; Schreiber, Marranen in Madrid (1992) (A. 33) 199.

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Marranen, Krone, Inquisition und Gesellschaß im Kastilien des 17. Jahrhunderts

an diesem Kreis „orientiert" hätte107. D. h. ein guter Teil der Prozesse muß unter dem
Strich ein „Verlustgeschäft" fur die Inquisition gewesen sein, die unmittelbaren mate-
riellen Vorteile einer Verfolgung waren mehr als (raglich. Etwas anderes dürfte ent-
scheidend gewesen sein. Die Inquisition der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts befand
sich - gegenüber Gesellschaft und Staat - in einer Krise, unter Rechtfertigungs-
zwang108. „Tan atropellada la Inquisición, y tan desautorizados sus ministros, [...], los
nobles, hoy considerados seguros en la sangre y en la religión [...] hablan desdeñosa-
mente, y los sospechosos en ambas cosas se le atreven con la ira y el odio," schreibt der
discreto delpalacio Antonio Hurtado de Mendoza über die Situation der Inquisition in
diesen Jahren109. Die Verfolgung der Marianen konnte auch dazu dienen, die Institu-
tion - nicht zuletzt gegenüber dem Staat - wieder zu alter Macht und Ansehen zu
fuhren. Das Vorgehen gegen die Neuchristen mochte eine Schwächung der Krone
bedeuten. Besonders deutlich wird dies im Zusammenhang mit den Prozessen gegen
marranische „Asentisten" und arrendadores de rentas. Die Inquisition konnte versu-
chen, über die Güterbeschlagnahmung die Pachten und asientos in ihre Hand zu
bekommen und zu kontrollieren, konnte versuchen, in den Staatsfinanzen plötzlich
ein gewichtiges Wort miaureden, den Fluß der Gelder zu kontrollieren, Druck auf
den Staat auszuüben.
Die gegen die Marranen gerichtete Politik wurde also — sei es nun eher aus welt-
anschaulichen Gründen, sei es mehr aus handfesten Interessen heraus — von den
Oligarchien im Lande, insbesondere den Stadtoligarchien, aber auch vom „Handels-
establishment" in Sevilla und Cádiz getragen. Bezeichnenderweise war ja auch die
Bastion der oligarquías urbanas'm der königlichen Bürokratie, der Consejo de Castilla110,
ein wichtiger Pfeiler dieser „antimarranischen" Politik111. Eine entscheidende Rolle
spielte dann die Inquisition, der es neben der Bekämpfung des religiösen Dissenses vor
allem auch um eine Stärkung der eigenen Position ging. Eine gefahrliche Allianz!
Wie sahen die Vorstellungen, die Zielsetzungen, dieser „Partei" aus? Kernstück der
„Marranenfrage" war die der limpieza de sangre, die Frage der berühmt-berüchtigten
Statuten. Diese, die vor allem seit dem 16. Jahrhundert eine Rolle spielten, waren - so
wird es gerne betont - zunächst „privatrechdicher" Natur, „privaten" Ursprungs, galten
für eine Reihe „privater" Institutionen; an erster Stelle sind hier Orden, vor allem die
bedeutenden Ritterorden, die Domkapitel, die Inquisition und die colegios mayores zu
nennen. Fällt es bereits hinsichdich dieser Einrichtungen schwer, sie eindeutig als

>07 Schreiber, Marranen in Madrid (1992) (A. 33).


ios Roberto López Vela, Inquisición y Escado en el reinado de Felipe IV. (Diss. Madrid, Autónoma 1989)
[Masch.]; Historia de la Inquisición. 1 (1984) (Λ. 13) 1030f.
><» Zie. nach: Historia de la Inquisición. 1 (1984) (Λ. 13) 1030. Antonio Hurtado de Mendoza (1586-1643)
war Höfling und Sekretär Philipps IV. Bekannt wurde er als Dramatiker, vor allem für den Hof.
1,0
Siehe hierzu Janine Fayard, Les membres du Conseil de Castille à l'époque moderne (1621-1746) (-
Mémoires et Documents Publiés par la Société de l'École des Chartes 26) (Genf, Paris 1979).
" i Domínguez Ortiz, Politica y hacienda (1960) (A. 36) 133f.; Domínguez Ortiz, Extranjeros (1960) (Α.
6) 361 ff.; Elliott, Count-Duke of Olivares (1986) (A. 25) 450.

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privat zu charakterisieren, so trifft dies auf den Consejo de órdenes und den Consejo de
Inquisición—beide Räte verlangten limpieza—nicht zu. Auch forderten einige concejos,
Städte, Gemeinden, fur ihre Regierungsämter die limpieza. Außerdem: Die colegios
mayores, Hort des limpieza-Denkens, spielten eine überragende Rolle fur eine Laufbahn
in der königlichen Bürokratie (und auch anderswo)112.
Die Statuten - immer umstritten - wurden von denen, die das Sagen hatten,
eingeführt und aufrechterhalten; der Consejo de Castilla wurde bereits erwähnt. Wort-
mächtige Äußerungen zur Sache überließ man eher den Gegnern; aber es gab natürlich
auch im 17. Jahrhundert lautstarke Verfechter, ja mancher forderte eine Verschärfung.
In den dreißiger Jahren erschien eine monumentale Verteidigung. Der (schon ange-
sprochene) „Tractatus bipartitus de puritate et nobilitate probanda [...]" des Juan
Escobar de Corro war ein Meilenstein in der Diskussion um die Statuten113.
Dann - vor allem in Portugal erhoben - der Ruf nach einer Ausweisung der Mar-
ranen, zumindest der von der Inquisition verurteilten. Verbunden war dies bisweilen
mit der Forderung, ihre Güter zu konfiszieren114. Vicente da Costa Matos streicht in
diesem Zusammenhang in seinem „Discurso contra los judíos" gerade auch die sich
fur die ausweisenden Länder ergebenden materiellen Vorteile heraus115. Forderungen
nach einer stärkeren Kontrolle wurden laut, z.B. das Verbot eines Ortswechsels116.
Außerdem und entscheidend: uneingeschränkte Verfolgung durch die Inquisition, ja
Verschärfung des Vorgehens117. Gerade letzteres sollte ja dann nach 1640 umgesetzt
werden.
Schließlich kritisierte man den Rekurs des Staates auf die „Nation", sei es ganz
unmittelbar fur die Staatsfinanzen, sei es, um das Land und das Imperium wirtschaft-
lich zu stärken. Diese Kooperation der Krone mit der „Nation", die flankierenden

112 Hier kann nur das Allernötigsce gesagt werden. Hierzu und zu weiteren Details: Domínguez Ortiz,

Judeoconversos (1978) (Α. 2) 64, 92-99, 111 f., 159f., 194f., 204f„ 207; Caro Batoja, Judíos. 2 (1978) (Α.
2) 287-309; Kamen, Crisis de conciencia (1986) (Α. 25) 326, 329. Trotz des großen Interesses, das die
limpieza immer hervorgerufen hat, liegt vieles noch im dunkeln. So wissen wir im Grunde kaum etwas über
die faktische Bedeutung der Statuten. Ein bemerkenswerter Artikel von Jean Pierre Dedieu weist in die
richtige Richtung: Dedieu, Tecado original o pecado social? (1992) (Α. 3) 61-76.
113 Zur Diskussion um die Statuten allgemein: SicrofF, Controverses des statuts de „pureté de sang" (1960)

(A. 24); zur Diskussion des 17. Jahrhunderts: SicrofF, Controverses des statuts de „pureté de sang" (1960)
186-262; Domínguez Ortiz, Clase social (1955) (Α. 62) 109, 118, 222-225, 231-237, 243-247; Kamen,
Crisis de conciencia (1986) (Α. 25) 332-356; Domínguez Ortiz, Judeoconversos (1978) (Α. 2) 86fF.; Révah,
Controverse sur les statuts (1971) (A. 24) 263-306; Caro Baroja, Judíos. 2 (1978) (A. 2) 334f„ 432, 439;
Méchoulan, Nouveaux éléments (1976) (A. 85) 143-149; J[uan] Ifgnacio] Gutiérrez Nieto, El reformismo
social de Olivares: El problema de la limpieza de sangre y la creación de una nobleza de mérito, in: La España
del Conde Duque de Olivares, hrsg. von John [H.] Elliott u. Angel García Sanz (= Historia y Sociedad 14)
(Valladolid 1990) 424-441; Riandare la Roche, Discours d'exclusion des Juifs (1983) (A. 50) 69fF.
ι M Bauer, Die Predigt als Spiegel ( 1974) (Α. 94) 62; Riandare la Roche, Discours d'exclusion des Juifs ( 1983)
(A. 50) 70 f.; Domínguez Ortiz, Clase social (1955) (Α. 62) 248.
1 " Riandière la Roche, Discours d'exclusion des Juifs (1983) (A. 50) 71.
u« Domínguez Ortiz, Clase social (1955) (Α. 62) 248.
i' 7 Riandière la Roche, Discours d'exclusion des Juifs (1983) (A. 50) 71; Denkschrift zur „Marranenfrage",
ca. 1640 / BN, Ms. 718, f. 229r-238r.

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Marranea, Krone, Inquisition und Gesellschaft im Kastilien des ¡7. Jahrhunderts

Maßnahmen, all das war „machiavellistisch", bedeutete eine Einschränkung traditio-


neller, vor allem religiöser Werte zugunsten einer pragmatischen Haltung. Der Staat
geriet selbst ins Schußfeld der Kritik. Am deutlichsten wird dies in Quevedos „Isla de
los Monopantos", mit dem fulminanten Angriff auf Olivares als Anführer der machia-
vellistischen „monopantos" im Bündnis mit dem internationalen Judentum. Pellicer
sieht das ähnlich. Er erkennt die „spanische Krankheit" durchaus an: Das Heilmittel
aber, die „Nation", ist viel schlimmer als die Krankheit selbst118.

Die Marranenpolitik der Krone wurde in ihrem chronologischen Ablauf bis Anfang
der vierziger Jahre bereits skizziert; dabei galt es, die sich herausbildende Kooperation
zwischen Krone und „Nation" herauszustreichen. All das gehört in den weiteren Rah-
men einer zugunsten der Marianen agierenden Bewegung.
Die Befürworter der Neuchristen zeichnen ein differenziertes Bild von ihnen und
betonen, daß es neben den judaizantes auch echte Katholiken gibt. Manche dieser
Autoren stehen den Marranen, da ein guter Teil von ihnen „judaisiert", durchaus
kritisch gegenüber, andere zeichnen ein im wesendichen positives Bild. Der religiöse
Dissens wird zugestanden, aber heruntergespielt: Es handelt sich nur um einen Teil,
eine Minderheit. Schließlich: Diese judaizantes können zum wahren Glauben finden
und sich assimilieren119! Dann wird die Theorie der limpieza schlichtweg bestritten.
„Omnes quicunque hoc tempore clari genere sunt, aliquando ex obscuro loco emersere.
Si nouis hominibus, si plebeis fuisset olim aditus ad maiora interclusus, nullam hodie
haberemus nobilitatem," meint Juan de Mariana dazu 120 .
Immer wieder wird die bedeutende und positive Rolle der „Nation" im Wirtschafts-
leben herausgestrichen121. Schließlich findet man auch Verteidiger, die sich auf die
harte antijüdische Position einlassen. Anfang des 17. Jahrhunderts erscheinen apokry-
phe Chroniken, die die spanischen Juden vom „Christusmord" freisprechen, ihren
Aufenthalt auf der Iberischen Halbinsel in dieser Zeit „bezeugen" und ihre unmittel-
bare Konversion betonen122.
Die Forderungen der „promarranischen" Kräfte (und ihre teilweise Verwirklichung)
wurden bereits referiert. Sie sollen hier nochmals zusammengefaßt, manches deudicher

11« Elliott, Count-Duke of Olivares (1986) (Α. 25) 607.


1 1 9 Cantera Burgos, Dos escritos inéditos (1966) (A. 25) 33; „Tractado de Medios para reduzir a los Hebreos

déla Nazion Portuguessa que se han huido y conservar alosque enestos Reynos quedan", ca. 1637 / A H N ,
Inqu., lib. 1272, f. 152-191, insbes. f. 156f.; A. Rodríguez Villa, Los judíos españoles y portugueses en el
siglo XVII, in: Boletín de la Real Academia de la Historia 49 (1906) 87-103; Juan Bautista de Villadiego,
Información [...] por los Portugueses Catolicos de la nación Hebrea, que han venido de Francia contra los
Iudayzantes de la misma nación (Madrid 1636) / A H N , Inqu., leg. 3647, exp. 7.
i " Mariana, De Rege (1599) (A. 7) 299.
" i Caro Baroja, Judíos. 2 (1978) (A. 2) 54f.; Beinart, Jetsi'at 'anusim (1978) (A. 11) 92 (App. Quellen.
Brief Philipps III. an Botschafter in Rom, 11. September 1603); Révah, Le plaidoyer du Licencié Martín
González de Cellorigo (1963) (A. 27) 358-361, 390-393 ([González] de Zellorigo, Alegación. 1619); Caro
Baroja, Judíos. 2 (1978) (A. 2) 45f.; Méchoulan, Le sang de lautre (1979) (A. 85) 161, 169.
i " Domínguez Ortiz, Clase social (1955) (A. 62) 213ff.

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herausgestrichen werden. Zunächst, bis 1630, spielte die Frage der Emigrationsfreiheit
eine große Rolle123. Konstant erklang der Ruf nach einer Modifikation des Vorgehens
der Inquisition, und zwar um unschuldige Marranen vor Verfolgung zu schützen und
größere Milde den anderen gegenüber walten zu lassen. Letzteres versprach auch im
Hinblick auf eine (echte) Bekehrung mehr Erfolg. Vor allem der Pardon wurde immer
wieder ins Gespräch gebracht124. Ein geradezu „revolutionärer" Traktat eines An-
onymus aus der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre (aus dem Madrider Inquisitions-
archiv) fordert eine radikale Reform des Procedere der InquisitionI25. Er verlangt u. a.
eine konsequente Anwendung des Prinzips: In dubio pro reo·. „Principio cierto es en
derecho natural divino, y humano, que es mexor, o menos mal dexar a muchos
Culpados sin Castigo que no exponerse a peligro de Condemnar a un Inocente."126
Schließlich schlägt er dem König die Abschaffung der Güterkonfiskation vor! Die
unmittelbaren Nachteile fur den Fiskus werden von den Vorteilen für die Wirtschaft
und die Staatsfinanzen (im Zusammenhang mit den asientos) bei weitem überwo-
gen127.
Schließlich: Beschränkung der Bedeutung der limpieza de sangre, Einschränkung
der Statuten, wenn nicht Abschaffung. Die Statuten waren immer umstritten, scheinen
aber besonders zwischen 1600 und 1640 in Frage gestellt worden zu sein. Nach dem
Tod Philipps II. bis zum Sturz Olivares' beobachtet man eine intensive Kritik, bei der
die Jesuiten eine prominente Rolle spielten; danach verstummen die kritischen Stim-
men. Es kann an dieser Stelle nicht auf die faszinierenden Diskussionen, die verschie-
denen Argumentationen, näher eingegangen werden, es soll nur darauf hingewiesen
werden, daß in den Jahren der intensiven Auseinandersetzung gerade auch Stimmen
in der Inquisition laut wurden, die sich gegen die limpieza aussprachen128. 1632
richtete der Jesuit Fernando de Valdés, eine gewichtige Stimme, eine (gedruckte)

123
Siehe hierzu auch eine bemerkenswerte Denkschrift: Forderung nach Emigrationsfreiheit, ca. 1615 / BN,
Ms. 718, f. 257r-259v.
124
Cantera Burgos, Dos escritos inéditos (1966) (Λ. 25) 38; Rodriguez Villa, Judíos españoles y portugueses
(1906) (A. 119) 87-103; Caro Baroja, Judlos. 3 (1978) (A. 2) 344 (App. Quellen); Villadiego, Información
[..·] por los Portugueses (1636) (A. 119) / A H N , Inqu., leg. 3647, exp. 7.
125
„Tractado de Medios para reduzir a los Hebreos déla Nazion Portuguessa que se han huido y conservar
alosque enestos Reynos quedan", ca. 1637 / A H N , Inqu., lib. 1272, f. 152-191.
126
„Tractado de Medios para reduzir a los Hebreos déla Nazion Portuguessa que se han huido y conservar
alosque enestos Reynos quedan", ca. 1637 / A H N , Inqu., lib. 1272, f. 163, s. a. f. 169f.
127
„Tractado de Medios para reduzir a los Hebreos delà Nazion Portuguessa que se han huido y conservar
alosque enestos Reynos quedan", ca. 1637 / A H N , Inqu., lib. 1272, f. 186f.
128
„Tractado de Medios para reduzir a los Hebreos delà Nazion Portuguessa que se han huido y conservar
alosque enestos Reynos quedan", ca. 1637 / A H N , Inqu., lib. 1272, f. 190 f.; s. außerdem die Literatur zur
A'm/xVzd-Diskussion des 17. Jahrhunderts: SicrofF, Controverses des statuts de „pureté de sang" (1960)
186-262; Domínguez Ortiz, Clase social (1955) (Α. 62) 109, 118, 222-225, 231-237, 243-247; Kamen,
Crisis de conciencia (1986) (Α. 25) 332-356; Domínguez Ortiz, Judeoconversos (1978) (Α. 2) 86ff.; Révah,
Controverse sur les statuts (1971) (A. 24) 263-306; Caro Baroja, Judíos. 2 (1978) (Α. 2) 334 f., 432, 439;
Méchoulan, Nouveaux élcments (1976) (Α. 85) 143-149; Gutiérrez Nieto, El reformismo social de Olivares
(1990) 424-441; Riandière la Roche, Discours d'exclusion des Juifs (1983) (Α. 50) 69 fF.

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Marranen, Krone, Inquisition und Gesellschaft im Kastilien Jes 17. Jahrhunderts

„Memoria [...] para quitar o limitar Estatutos de limpieza", den vielleicht schärfsten
Angriff, an Philipp IV. Darin fordert er die vollkommene Abschaffung der Diskrimi-
nierung129!
Die Maßnahmen bezwecken, die Marranen auf der Iberischen Halbinsel zu halten
und die Emigranten dorthin zurückzufuhren, um ihre Wirtschaftskraft Spanien und
Portugal, nicht zuletzt dem Staat, zugute kommen zu lassen; gleichzeitig wird Kritik
an den negativen Folgen der „antimarranischen" Politik geübt 13°. Martín González de
Cellorigo bringt diese Zielsetzung klar zum Ausdruck:

[...] si esta nación estuviesse quieta en España y les pareciesse que tenían sus haziendas seguras
[...] avria mayores tratos y contrataciones, y pudiera su Magestad hazer con ellos los assientos
que haze con los estrangeros [...] Pues es cieno que ay muchos hombres desta nación mas ricos
que ellos y que tienen correspondencias en todas las partes del mundo; [...] enríquezerian a toda
España, sin que el dinero saliera para otros Reynos. Y pudieran servir a su Magestad en las guerras
y en otras ocasiones con sus haziendas, y en la paz con los tratos y negocios [...]; especialmente,
no aviendo oy en todo Portugal, y aun en gran parte de Castilla, otros naturales sino ellos que
quieran ni sepan exercer la mercancía: [...] 1 3 1

Darauf aufbauend galt es, die geschäftlichen Aktivitäten der Marranen zufördern.Die
aktive Politik der Zulassung der „Portugiesen" zum Amerikahandel zielte in diese
Richtung; und es war dann entscheidend - wir haben es zur Genüge gesehen - , daß
sich der Staat der „Nation" bediente, sie heranzog, insbesondere in Ermangelung von
Alternativen132.
Mit diesen Konzeptionen waren allerdings unterschiedliche Bewertungen verbun-
den. So heißt es bei Philipp III. oder bei Antonio de Sotomayor, die Maßnahmen
zugunsten der Marranen seien nicht nur, was die diesseitigen Angelegenheiten betrifft,
positiv, sondern auch in religiöser Hinsicht, zumindest langfristig gesehen. Die Staats-
raison wird als „Glaubensraison" definiert und identifiziert, denn die Monarquía Hi-
spánica ist die bedeutendste Stütze der katholischen Religion. Milde bringt in Glau-
bensangelegenheiten mehr Erfolge als Strenge.
Damit war allerdings die Tendenz verbunden, das eigene Handeln im Sinne der
vorgegebenen „Ideologie" zu „rationalisieren", ja - es wurde bereits angedeutet -

I " Kamen, Crisis de conciencia (1986) (Α. 25) 3 5 2 - 3 5 4 .


130 Méchoulan, Le sang de l'autre (1979) (A. 85) 161; Beinart, Jetsi'at 'anusim (1978) (A. 11) 92 (App.
Quellen. Brief Philipps III. an Botschafter in Rom, 11. September 1603); Caro Baroja: Judlos. 2 (1978) (A.
2) 45ff., 54f.; 3 (1978) 344 (App. Quellen); „Tractado de Medios para reduzir a los Hebreos delà Nazion
Portuguessa que sc han huido y conservar alosque enestos Reynos quedan", ca. 1637 / AHN, Inqu., lib.
1272, f. 1 5 2 - 1 9 1 ; Rodriguez Villa, Judíos españoles y portugueses (1906) (Α. 119) 8 7 - 1 0 3 ; Domínguez
Ortiz, Clase social (1955) (A. 62) 236.
'31 Révah, Le plaidoyer du Licencié Martín González de Cellorigo (1963) (A. 27) 3 5 9 f . ([González] de
Zellorigo, Alegación. 1619).
>32 Révah, Le plaidoyer du Licencié Martín González de Cellorigo (1963) (A. 27) 3 5 8 - 3 6 1 ([González] de
Zellorigo, Alegación. 1619); Domínguez Ortiz, Clase social (1955) (A. 62) 247f.

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eigentliche Vorstellungen wie ζ. B. den Pragmatismus zuungunsten der Religion ein-


fach nur zu bemänteln133. Umfassender betrachtet: Man zeichnete die Marianen in
religiöser Hinsicht mehr oder weniger positiv (oder zumindest positive Folgen der
„promarranischen" Politik); dies war eine Voraussetzung fur die Krone, sie heranzu-
ziehen. Hier wurden aber eben oft auch anders geartete Überlegungen kaschiert. Man
war eben bereit, aus pragmatischen Gründen, aus Gründen der Staatsraison, manche
Grundsätze, religiöse Überlegungen ζ. B., zurückzustellen, nicht zu berücksichtigen.
Olivares spricht einmal im Zusammenhang mit den „Portugiesen" ganz klar von den
judíos, es wird deutlich, daß er sich über ihren Dissens, religiös wie sozial, durchaus im
klaren war, durchaus bereit war, dies in Kauf zu nehmen134. Schließlich: Diesen Prag-
matismus beobachten wir im 17. Jahrhundert in Europa im Zusammenhang mit der
Judenpolitik, im Zusammenhang mit der Politik gegenüber Marranen und Sephardim,
allenthalben. Ob in Venedig oder im Großherzogtum Toskana, ob im Frankreich
Richelieus und Ludwigs XIV. oder im England Cromwells und der Stuarts, ob in den
kalvinistischen Vereinigten Provinzen oder im lutherischen Hamburg, überall setzt sich
der Staat über (bisweilen schwerwiegende) religiöse Vorbehalte hinweg, tendiert dazu,
religiöse Interessen den wirtschaftlichen und politischen unterzuordnen. Ganz deut-
lich läßt sich diese Politik (mit dramatischen Folgen) übrigens auch in Portugal - nach
der Unabhängigkeit - nachweisen135.
Selbst wenn man dazu neigte, die religiösen Kriterien hintanzustellen, so erkannte
man sie doch mehr oder weniger an. Die Verfolgung der judaizantes durch die Inqui-
sition wird ja nicht für sich bestritten. Allerdings weist dann doch manches darüber
hinaus, entsteht bisweilen der Eindruck, daß man diesen religiösen Dissens nicht so
negativ bewertet, auch die Verfolgung als nicht so entscheidend ansieht. Manchmal
deutet sich eine gewisse Tolerierung an; man denke nur an den Generalpardon von
1604/1605 oder an die „Kontrolle" der Inquisition zu Zeiten des Conde Duque, wie
man überhaupt bei der Studie der spanischen Inquisitionsakten des 17. Jahrhunderts
nicht den Eindruck gewinnt, daß die ,.Masse" der kastilischen Gesellschaft besonders
von diesen religiösen Fragen umgetrieben worden wäre.
Die „marranenfreundliche" Politik wurde also vom Staat, von der Krone, getragen.
Welche anderen Kräfte standen dahinter? Möglicherweise der Hochadel, die nobleza
titulada, die Granden. Zunächst ist hervorzuheben, daß ja die „Marranenpolitik" von
hochadligen validos getragen wurde, die möglicherweise auch als „Privatpersonen" auf
die Nation rekurrierten. Dafür gibt es einige Anzeichen136. Vielleicht lagen gerade hier

>33 £s s e i hier nur an Sotomayor erinnert! Siehe S.276.


>M Siehe S. 279.
135
Hierzu nur das exzellente Buch von Israel, European Jewry (1989) (Α. 35).
13« Pr. F. Coello, C, 1651-1654 / ADC, Inqu., leg. 476, exp. 6489; Pr. F. Coello, C, 1655-1657 / ADC,
Inqu., leg. 498, exp. 6612; Pr. C. de Lima, C, 1651-1654 / ADC, Inqu., leg. 490, exp. 6557; Pr. D. de
Acosta Brandón, C, 1651-1656 / ADC, Inqu., leg. 480, exp. 6500.

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Mañanen, Krone, Inquisition und GestUschaft im Kastilien des 17. Jahrhunderts

manche Wurzeln der Zusammenarbeit zwischen Krone und Neuchristen. Außerdem


lassen sich mehr oder weniger enge Beziehungen zwischen der „Nation" und den
Häusern Lerma, Osuna, Alba, Infantado und Pastrana (letzteres wurde bereits erwähnt)
nachweisen137. Die Beziehung Marranen-Hochadel wäre noch genauer zu untersu-
chen.
Was die ,Masse" der kastilischen Gesellschaft betrifft, so gewinnt man nicht den
Eindruck, daß sie besonders von dem „Marranenproblem" umgetrieben worden wäre,
sich die Vorbehalte von Inquisition, Oligarchien und manchen Autoren zu eigen
gemacht hätte. Ein Blick in die Inquisitionsprozesse des 17. Jahrhunderts würde sofort
die geringe Bedeutung altchrisdicher Denunziationen erwiesen. Auch kam es in Ka-
stilien nie - in Portugal war das anders - zu Ausschreitungen der „Straße" gegen die
„Nation"!
Es ging hier vornehmlich um die politische Haltung der altchristlichen Gesellschaft,
der Machthaber vor allem; es soll aber nicht unerwähnt bleiben (und es wurde ja auch
in anderem Zusammenhang gezeigt), daß die Mammen hinsichtlich ihrer Position in
Kastilien (und Portugal) selbst eine außerordentlich aktive Rolle spielten, nicht passiver
Spielball der Aktivitäten waren. Sie, die Neuchristen, sind es, die immer wieder die
Initiative ergreifen, an die Krone herantreten, ihre Vorstellungen herantragen. Es haben
sich allerdings im Zusammenhang mit diesen Auseinandersetzungen kaum schrift-
liche Zeugnisse der Marranen selbst erhalten. Eines zumindest soll erwähnt werden.
Ein „portugiesischer" hombre de negocios, Paulo Saravia, trug Philipp IV. die wohl-
bekannten Argumente vor, allerdings mit großer Betroffenheit. Er, ein überzeugter
Katholik, spricht sich vor allem für die katholischen, assimilationswilligen Marranen
aus, beklagt aber die enormen Schwierigkeiten der Integration. Er verlangt Differen-
zierung, denn wegen einiger Schlechter leiden viele Gute. Eine seiner Maßnahmen fallt
dann aber doch aus dem Rahmen; so verlangt er - um die Integration der Marranen
sinnfällig vor Augen zu fuhren - die Verleihung von Inquisitionsämtern an Marra-
nen138!

>37 Schreiber, Marranen in Madrid (1992) (A. 33) 81 ff., 191 ff., 227, 230ff.
1 3 8 A H N , Inqu., leg. 3526, exp. 42. Paulo Saravia, ein im Kastiiiendes 17. Jahrhunderts nicht unbedeutender

Geschäftsmann, wurde circa 1390 in Pontevedra geboren und ging 1610 nach Frankreich. In den dreißiger
Jahren kam er von Rouen nach Madrid, wo wir ihn noch 16S3 finden. Zu dieser bemerkenswerten Persön-
lichkeit: Pr. M. L. Madureira, C , def. Befr. P. Saravia, M, 22. März 1653 / A D C , Inqu., leg. 484, exp. 6520,
f. 69v-71v; demanda Villadiego, Befr. P. Saravia, M, 16. Februar 1635 / A H N , Inqu., leg. 3660, exp. 15;
Israël S. R¿vah, Autobiographie d'un Marrane. L'édition partielle d'un manuscrit de Joäo Pinto Delgado,
in: RE] 119 (1961) 63; Villadiego, Información f...] por los Portugueses (1636) (Α. 119) / A H N , Inqu.,
leg. 3647, exp. 7, f. 13v; Boyajian, Portuguese Bankers (1983) (A. 36) 189; Domínguez Ortiz, Politica y
hacienda (1960) (A. 36) 139 Anm. 15; Broens, Monarquía y capital mercantil (1989) (A. 71) 49; rep. serv.,
M , 1646 / AVM, Secr. 3, leg. 434, exp. 7; inventario de gracias, Cámara de Castilla, 1598-1700 / A H N ,
Consejos, lib. 2752, f. 174v.

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Überleben der JVation" in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts


Im vorausgegangenen Abschnitt wurde versucht, die verschiedenen Positionen und
Kräfte, die in der Auseinandersetzung um die Marranen eine Rolle spielten, zu cha-
rakterisieren. Wie entwickelten sich nun die politischen Verhältnisse in der „Marra-
nenfrage" seit der Jahrhundertmitte ? Die vierziger Jahre werden - im Zusammenhang
mit den allgemeinen politischen Veränderungen - gemeinhin als Wendepunkt in der
Geschichte der Neuchristen in Kastilien dargestellt. Zu Recht, denn diese Jahre be-
deuten nicht nur eine Wende in der spanischen Geschichte, auch fur die portugie-
sischen und kastilischen Marranen im Lande veränderte sich die Situation entschei-
dend.
Felipe Ruiz Martín geht in seinem bereits erwähnten Buch so weit, von einer um
1640 in Kastilien bestehenden revolutionären Lage zu sprechen, getragen vor allem
von den städtischen Oligarchien, die im Lande das Sagen hatten und sich von der
Politik Olivares' brüskiert fühlten. Die düstere Situation des Imperiums, die „Rebel-
lionen" in Portugal und vor allem in Katalonien, das Übergreifen der kriegerischen
Auseinandersetzungen auf die Iberische Halbinsel selbst, all das hatte tiefgreifende
Auswirkungen auf die innenpolitischen Verhältnisse. Die Krone mußte in dieser Si-
tuation gegenüber den in den Städten herrschenden Kräften nachgeben und ihren Preis
zahlen; der Konflikt zwischen oligarquías urbanas und Zentralmacht wurde entschärft,
man arrangierte sich. Anfang 1643 - verbraucht, zermürbt, physisch und psychisch
schwer angeschlagen - stürzte der Conde Duque de Olivares. Die Macht der lokalen
Eliten blieb unangetastet, dafür konnte die (seit den dreißiger Jahren exorbitante)
Besteuerung fortgesetzt werden. Die politische Konstellation hatte sich grundlegend
gewandelt 13 '.
Dieser Wandel wird nicht zuletzt in der „Marranenfrage" deudich. Die Haltung des
Staates gegenüber den „Portugiesen" änderte sich dabei eigentlich nicht grundsätzlich,
aber die Opposition war so stark geworden, daß sich die Politik nicht mehr in der
bisherigen Form fortsetzen ließ. Die Krone war nicht mehr in der Lage, die Marranen
wie bisher zu halten, hatte zurückzustecken, auch wenn sie weiterhin auf die,.Nation"
setzte. Nicht nur Olivares mußte seine Machtposition aufgeben: Am 23. Januar 1643
verließ er den Hof, am Tag darauf wurde Diego de Arce y Reinoso zum neuen Gene-
ralinquisitor berufen 140 ! Hier liegt der entscheidende Wandel der Situation der „Na-
tion" um 1650 begründet. Arce y Reinoso sollte sich sehr bald als der wichtigste
Generalinquisitor des 17. Jahrhunderts erweisen, unter dem die Inquisition ein ganz
anderes Gewicht erlangte und der dann die Verfolgung der Marranen forcierte, ihr eine
ganz neue Qualität verlieh 141 . Dabei ging es zunächst um die Durchsetzung der eigent-

139 Zu dieser Frage im Kontext der Staatsfinanzen: Ruiz Martín, Las finanzas (1990) (Λ. 73) insbes. 21 f.,
28-31,96-105, 112-115, l47f., 176.
»<o Historiade la Inquisición. 1 (1984) (Α. 13) 1030.
Kl Ebd. 1030f.

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Marranen, Krone, Inquisition und Gesellschaft im Kastilien des 17. Jahrhunderts

liehen Ziele, der Aufgaben der Inquisition: die Ausmerzung von Häresie und Apostasie,
die uneingeschränkte Anwendung religiöser Kriterien, auch wenn dies dem Staat
schaden sollte. „[...] ce qui (ait bien tort aux finances royales et y met bien de la
confusion, [...]," bemerkte der Gesandte Bayerns dazu in den neunziger Jahren. Aber
diese Politik der Inquisition ging noch weiter, wies darüber hinaus. Die Inquisition
unter Arce machte sich daran - es wurde bereits angedeutet - , ihre eigene Stellung
wieder zu stärken, ihre Krise zu überwinden. Die Verfolgung der Mammen, mit ihren
impliziten Angriffen auf die Krone, eignete sich dafür vorzüglich. Die Inquisition ging
nun vor allem auch daran, Uber die Beschlagnahmung der Güter der hombres de
negocios, über die „Beschlagnahmung" der Pachten und asientos, Einfluß auf die Staats-
finanzen zu erlangen, Druck auf die Krone auszuüben. Der latente Konflikt zwischen
Inquisition und Krone, insbesondere zwischen Inquisition und Consejo de Hacienda
(in dem Marranen saßen!), brach dann Anfang der fünfziger Jahren offen aus.
Schließlich, 1654, einigte man sich; zwischen beiden Institutionen wurde eine concor-
dia abgeschlossen, in der sich die Inquisition letzdich durchsetzte. Sie wahrte die
Möglichkeit, Druck im Zusammenhang mit den secuestros de bienes ausüben U2 .
Ein weiteres Indiz dieses Wandels der Situation der Marranen ist die Umorientie-
rung des Staates bei der Vergabe der (speziellen) naturalezas fur den Amerikahandel.
Die Krone stellte die großzügige Politik der zwanziger und dreißiger Jahren, von der
vor allem portugiesische Marranen (und andere Ausländer) profitierten, ein. Hier
wurde der Widerstand des „Handelsestablishments" von Sevilla und Cádiz wirksam,
dem sich dann auch die Casa de Contratación anschloß143. Eine gewisse Rolle spielte
schließlich die portugiesische „Rebellion", die Stellung der portugiesischen Marranen
in Kastilien komplizierte sich in der Folge. Die Ereignisse in Portugal hatten allerdings
für sich genommen keine so schwerwiegenden Konsequenzen, erst im Zusammenhang
mit der stärker werdenden „antimarranischen" Stimmung, als Vorwand, konnten sie
unangenehme Auswirkungen zeitigen144. Dann sei noch der Staatsbankrott von 1647
erwähnt. Mitte der vierziger Jahre war der Bogen überspannt, das System der Kriegs-
finanzierung brach zusammen. Philipp IV. mußte zum zweiten Mal die „Asentisten"
„dekretieren", was die marranischen hombres de negocios ganz besonders traf. Sicherlich,
dies hatte mit einer Umorientierung in der Marranenpolitik nichts zu tun, entsprang
den den Staatsfinanzen immanenten Problemen, trug aber nicht gerade zur Stärkung
der Position der „Portugiesen" in Kastilien bei, und manch einer im Lande registrierte
diese Ereignisse mit nicht geringer Schadenfreude145.

142
Ldc, 1650er / AHN, Inqu., lib. 537; concordia, Inquisitíon-Consejo de Hacienda, 1654 / BN, Ms. 4185,
f. 98r-100v; allgemein zum Verhältnis Inquisition-Staat und dem Wandel: López Vela, Inquisición y Estado
(1989) (Λ. 108); Historia de la Inquisición. 1 (1984) (Α. 13) 1031.
143
Domínguez Ortiz, „Naturalezas para comerciar en Indias" (1959) (Α. 47) 227-239.
1+4
Domínguez Ortiz, Política y hacienda (1960) (Α. 36) 133f.; Domínguez Ortiz, Extranjeros (1960) (A.
6) 363 ff.
Domínguez Ortiz, Política y hacienda (1960) (A 36) 66ff., 103; Boyajian, Portuguese Bankers (1983)
(Α. 36) 154 ff.; Ruiz Martín, Las finanzas (1990) (Α. 73) 131 ff.

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Die politischen Verhältnisse änderten sich also, die Luft begann für die Marranen
dünner zu werden. Nach 1640 herrscht Schweigen im Land: Die enorme Diskussion
über limpieza, Marranen und Inquisition der ersten Jahrzehnte des Jahrhunderts er-
lischt, „antimarranisehe" lone, bisweilen geradezu hysterische, beherrschen die Sze-
nerie. Es wurde bereits daraufhingewiesen, daß die Marranen in den dreißiger Jahren
angegriffen wurden, all das verstärkte und verschärfte sich jetzt. Sie gerieten seitens des
„Establishments", vor allem in der königlichen Bürokratie, unter Beschuß. Auch die
publizierte Meinung oder zeitgenössische Avisen schlugen nun vor allem die schrilleren
Tone an146.
Die Krone setzte aber, soweit es ihr möglich war, weiter auf die „Portugiesen". Die
wirtschaftliche Zusammenarbeit wurde — wir werden es gleich sehen — fortgesetzt. Es
finden sich weiterhin Marranen in der Finanzverwaltung der Monarquía HispánicaU7.
Die López de Castro - die Cortizos unter ihnen spielten auch als „Asentisten" eine
überragende Rolle - besetzten in den Jahrzehnten nach 1650 in Madrid, Brüssel,
Dünkirchen und Neapel Spitzenpositionen in der Verwaltung (vor allem in der der
Finanzen) des Imperiums. Gerade diese Familie stand weiterhin in der Gunst des
Königs, erhielt weitere hábitos des Calatrava-Ordens, erlangte Herrschaften und Titel.
Allerdings hatten auch sie in den fünfziger Jahren schwerwiegende Inquisitionsproble-
me und zogen sich schließlich in die Peripherie der Monarchie, nach Neapel und in
die Spanischen Niederlande, zurück (oder etablierten sich - von Portugal kommend
- gleich dort) u e .
Weitere Indizien dieser Kooperation ließen sich anführen. Es soll hier nur noch der
Coronista General de España Rodrigo Méndez Silva (geb. ca. 1607 in Celorico da Beira,
Beira Alta) vorgestellt werden. Seine Biographie wirft ein bezeichnendes Licht auf diese
Beziehung zwischen Marranen und Krone, macht aber auch die Grenzen ihrer Inte-
gration in die kastilische Gesellschaft deutlich. Méndez Silva kam in den dreißiger
Jahren nach Madrid und trat - vor allem in den vierziger und fünfziger Jahren - mit
historischen, genealogischen, panegyrischen und topographischen Werken hervor. Er
gehörte zur Klientel der Cortizos, die sicherlich eine entscheidende Rolle spielten, als
er um 1640 zum Historiographen des Königs ernannt wurde. Er hatte gute Verbin-
dungen zum Hof, war audi in der Stadt verwurzelt. So besaß er dort - als einer der
ganz wenigen „Portugiesen" - ein Haus, war auch formal vecino Madrids. Er scheint
außerdem recht geschäftstüchtig gewesen zu sein, begegnet er uns doch in den fünfziger
Jahren als Gläubiger „portugiesischer" hombres de negocios. 1659 verhaftete die Inqui-
sition Rodrigo Méndez Silva sowie seine Frau und machte ihnen in Cuenca den Prozeß.
Beide wurden 1662 wiederversöhnt. Einige Jahre später begegnet uns dann der Coro-
nista General de España als Jude unter den Sephardim Venedigs149!

i « Domínguez Ortiz, Política y hacienda (1960) (A. 36) 132-136.


Schreiber, Marranen in Madrid (1992) (A. 33) 319f.
i « Ebd. 49 ff.
Israël S. Révah, Le procès inquisitorial contre Rodrigo Méndez Silva, historiographe du roi Philippe IV.,

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Marraneη, Krone, Inquisition und Gesellschaft im Kastilien Jes 17. Jahrhunderts

Die politischen Verhältnisse änderten sich also, die Inquisition erlangte mehr Spiel-
raum und konnte nun konsequent gegen die „Nation" vorgehen. Was fur Konsequen-
zen hatte dies? Wie sah die Verfolgung der Mammen aus? Was in den dreißiger und
vierziger Jahren in Amerika eingeleitet worden war, setzte sich nun in Kastilien fort.
1650 berichtete der Consejo de Inquisición in einer consulta dem König, seit 1644 habe
man mehr als 1500 Prozesse in den verschiedenen Tribunalen abgeschlossen: „[...] la
mayor pane de los Reos fueron Portugueses Judaiçantes [...]" 1 5 0 Aber die eigentlichen
„Früchte" ihrer Arbeit sollte die Inquisition erst ab Anfang der fünfziger Jahre ernten,
als die Zahl der causas despachadas, der abgeschlossenen Prozesse, von judaizantes in
den kastilischen Tribunalen in die Höhe schnellte, der Anteil dieser an den Inquisiti-
onsprozessen enorm hoch war. Ein Blick in die relaciones de causas der zweiten Hälfte
des 17. Jahrhunderts verdeutlicht sofort, daß sich die Inquisition in diesen Jahren
vornehmlich mit den „Portugiesen" „beschäftigte" 151 . Gegen die Madrider Marranen
wurden in den vierziger Jahren im Jahr drei oder vier Prozesse abgeschlossen, 1651
waren es 21, 1654 89 1 5 2 ! Diese Verfolgungswelle dauerte Jahrzehnte, scheint gegen
Ende des Jahrhunderts (zumindest was die absoluten Zahlen betrifft) abgenommen zu
haben 153 . Einen gewissen Abschluß bildete das 1680 in Madrid von der Toledanischen
Inquisition abgehaltene Autodafé, ein enormes Spektakel, das in dem berühmten,
monumentalen Gemälde Francisco Rizzis eindrucksvoll festgehalten wird. Es ging hier
wieder vornehmlich um die „Portugiesen", ein halbes Jahrhundert nach dem anderen
auto público, das die Inquisition in Madrid veranstaltet und mit dem sie ihre Haltung
gegenüber den „Portugiesen" ankündigt hatte 1 5 4 .1695 sollte Arce y Reinosos Biograph
J . M . Giraldo („Vida y heroicos hechos del excelentísimo y venerable Señor Diego de
Arce y Reinoso") berichten, dieser habe 12000 marranische Familien außer Landes
getrieben 155 !
Abschließend noch drei Bemerkungen zu dieser Verfolgungswelle. Die Prozesse,
aber auch das weitere Schicksal vieler Marranen - die sephardische Diaspora Europas
war ja im wesendichen marranischen Ursprungs — belegen, daß die Inquisition im
wesentlichen wirklich judaizantes verfolgte, eine Minderheit verfolgte, die sich auch

in: Bulletin Hispanique 67 (1965) 2 2 5 - 2 5 2 ; Schreibcr, Marranen in Madrid (1992) (A. 33) 88ff.
•50 Minuta de consulta, 5. November 1650 / A H N , Inqu., leg. 3523.
1 5 1 L'Inquisition espagnole (1979) (Α. 4) 15-42 (Dedieu, Les quatre temps de l'Inquisition); Dedieu,

L'administration de la foi (1989) (A. 75) 241; Domínguez Ortiz, Autos de la Inquisición (1981) (A. 63) 28;
Flora Garcia Ivars, La represión en el tribunal inquisitorial de Granada, 1 5 5 0 - 1 8 1 9 (Madrid 1991) 173,
249; Jaime Contreras, £1 Santo Oficio de la Inquisición en Galicia, 1560-1700. Poder, sociedad y cultura
(Madrid 1982) (Vorher Diss. Madrid, Autónoma 1980) 596.
· » Schreiber, Marranen in Madrid (1992) (A. 33) 369.
L'Inquisition espagnole (1979) (Α. 4) 15-42; Domínguez Ortiz, Autos de la Inquisición (1981) (Α. 63)
25 ff.; Dedieu, L'administration de la foi (1989) (Α. 75) 240f.; Schreiber, Marranen in Madrid (1992) (Α.
33) insbes. 3 6 7 ff.
1 5 4 Es gibt auch eine 1680 veröffentlichte relación dieses Autodafés: José del Olmo, Relación histórica del

auto general de fe que se celebró en Madrid este año de 1680 [ . . . ] (Madrid 1820) (Ursprgl. ersch. 1680).
» 5 Domínguez Ortiz, Clase social (1955) (Α. 62) 121; Historia de la Inquisición. 1 (1984) (Α. 13) 139.

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Markus Schreiber

durch einen religiösen Dissens auszeichnete. Damit hängt der zweite Punkt zusammen.
Die Verfolgung richtete sich weniger gegen die „Lissaboner", die eher als die Marranen
aus Nordostportugal und Kastilien bereit waren, sich zu assimilieren, und die - sowieso
schon eine Minderheit der „Nation" — unter den Inquisitionsopfern unterrepräsentiert
waren. Darüber hinaus ist anzumerken, daß die Inquisition in den fünfziger und
sechziger Jahren — vor allem in Madrid und Sevilla - bei den marranischen hombres de
negocios Kapital beträchtlichen Umfangs konfisziert haben muß; hier liegt aber, vor
allem was die Höhe und den genauen Verbleib bzw. die Verwendung betrifft, vieles im
dunkeln156.
Die „Nation" überlebte (zunächst), ihre Präsenz und ihr Gewicht in Kastilien nah-
men aber ab. Die Einwanderung aus Portugal kam zum Erliegen, die Auswanderung
intensivierte sich. Das Schwergewicht der marranisch-sephardischen Welt verlagerte
sich langsam von Lissabon, Sevilla, Madrid und Antwerpen in die Niederlande, nach
den (bereits skizzierten) Ereignissen um 1600 die nächste wichtige Entwicklung in der
Geschichte der marranisch-sephardischen Welt157. Francisco Gómez Romano, ein
Madrider „Portugiese", rekapitulierte 1654 die Auswanderung der letzten Jahre und
kam, allein was Madrid betraf, aufnicht weniger als 36 Familien, also zwischen hundert
und zweihundert Personen158. Die Zahlen der marranischen Grossisten Madrids be-
legen den Niedergang der „Nation" in Kastilien eindrucksvoll: 1644, es wurde bereits
erwähnt, finden wir mehr als 70 Kaufleute in der Zunft der „Portugiesen"159. Danach
nimmt die Zahl dramatisch ab. Im Mai 1658 sind es nur noch 1916°, im August
desselben Jahres ist die Zahl auf 13 gesunken161.
Trotzdem spielte die „Nation" weiterhin eine gewichtige Rolle im kastilischen Wirt-
schaftsleben 162, ja in manchen Sektoren kommen sie erst jetzt zum Zuge. Als sich die
Fugger Mitte der vierziger Jahre endgültig aus der Pacht der Mesas Maestrales, insbe-
sondere der Maestrazgos, zurückzogen, wurden sie sehr schnell von „portugiesischen"
hombres de negocios ersetzt, die hier in den nächsten Jahrzehnten eine wichtige Rolle

»* Dedieu, L'administration de la foi (1989) (Α. 75) 222 ff.; Schreiber, Marranen in Madrid (1992) (A. 33)
378 f., 389 ff.
157
Domínguez Ortiz, Judeoconversos (1978) (Α. 2) 74, 104; Jonathan I. Israel, Spain and the Dutch
Sephardim, 1609-1660, in: SR 12 (1978) 43 ff.; Jonathan Israel, Sephardic Immigrataion into the Dutch
Republic, 1595-1672, in:SR23(1989) 52ff.;Yosef Kaplan, The Travels of Portuguese Jews from Amsterdam
to the „Lands of Idolatry" (1644-1724), in: Jews and Conversos. Studies in Society and the Inquisition.
Proceedings of the Eigth World Congress of Jewish Studies [...] 1981, hrsg. von Yosef Kaplan (Jerusalem
1985) 200.
1,8
Die Aussagen zu Madrid und anderen Städten: Pr. F. Gómez Romano, C, aud. 31. Oktober 1654/ ADC,
Inqu., leg. 492, exp. 6569, f. 88v-91v.
»» Rep. sold. mere, port., M, 1644 / AVM, Secr. 3, leg. 423.
160
Rep. sold. mere, port.. M, 21. Mai 1658 / AVM, Secr. 3, leg. 430, exp. 3.
Rep. sold. mere, port., M, 22. August 58 / AVM, Secr. 3, leg. 430, exp. 1.
>« Domínguez Ortiz, Política y hacienda (1960) (A. 36) 136; Caro Baroja, Judíos. 2 (1978) (A. 2) 54 ff,
78; Schreiber, Marranen in Madrid (1992) (A. 33).

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Marranen, Krane, Inquisition und Gesellschaft im Kastilien des 17. Jahrhunderts

spielten163. Aber auch in den anderen arrendamientos sind sie weiterhin sehr präsent164.
Eine überragende Rolle spielte z.B. in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, vor
allem zu Zeiten Karls II., der uns bereits bekannte Francisco Báez Eminente aus Sevilla,
der - neben vielen anderen bedeutenden Geschäften - dort über Jahrzehnte die
Almojarifazgos— ein Zollkomplex von überragender Bedeutung - gepachtet hatte und
eine enorm wichtige Rolle fur den amerikanischen und andalusischen Handel spielte,
als Pächter eine veritable Wirtschaftspolitik betrieb. Auch ihm, der sehr gute Ver-
bidungen zur Krone unterhielt, wurde am Ende eines äußerst erfolgreichen Lebens —
er war 86 Jahre alt! - der Prozeß gemacht165. Die „Portugiesen" blieben außerdem
weiterhin wichtige „Kronbankiers", überflügelt nur durch die Genuesen und gefolgt
von den immer mehr aufkommenden spanischen hombres de negociosl66. Heraus-
zustreichen ist in diesem Zusammenhang der Rückzug der „Lissaboner", die Mehr-
zahl wurde zu assimilierten Rentiers, andere emigrierten. Dafür beherrschen nun —
was die neuchristlichen „Asentisten" betrifft — die nordostportugiesischen und kasti-
lischen Marranen die Szene167. Die außergewöhnlichste Familie aus diesem Kreis,
die López de Castro bzw. die Cortizos, waren — neben den genuesischen Pique-
noti (Pichenotti) - die letzten 20 Jahre seiner Herrschaft die wichtigsten Finanziers
Philipps IV 168 .
Zum Abschluß noch ein Schlaglicht, das die wirtschaftliche Bedeutung der Marra-
nen in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts sowie die Reduzierung dieses Gewichts
illustriert. 1666 gab es im Heer der Estremadura ein Tercio de Portugal, das die „Por-
tugiesen" (zu denen wahrscheinlich auch die kastilischen Marranen gehörten) finan-
zierten. Pro Jahr waren von den Inhabern von juros, denen ein entsprechender Betrag
ihrer Rente abgezogen wurde, über 100 000 Dukaten aufzubringen. 1666 erfolgte dann
eine Verringerung auf60 000 Dukaten, wegen abnehmender Finanzkraft der „Nation"
aufgrund von Inquisitionsverfolgung und Emigration169.

>¿3 Clemente López González, Algunas consideraciones sobre la administración de la renta de Maestrazgos
durante el reinado de Felipe IV., in : Hispania $1 (1991) 153-174; Schreiber, Marranen in Madrid (1992)
(A. 33) 159ff., 3 4 9 f f .
1 6 4 Antonio Domínguez Ortiz, Algunas notas sobre banqueros y asentistas de Carlos II., in: Hacienda Pública

Española 55 (1978) 167-176; Schreiber, Marranen in Madrid (1992) (A. 33); Carmen Sanz Ayán, La figura
de los arrendadores de rentas en la segunda mitad del siglo XVII. La renta de las lanas y sus arrendadores,
in: Hispania 47 (1987) 2 0 3 - 2 2 4 ; Carmen Sanz Ayán, Los banqueros de Carlos II. (= Biblioteca de Castilla
y León. Serie Histórica 1) (Valladolid 1989).
1 6 5 F. Báez Eminente, dessen genaue Ursprünge im dunkeln liegen, lebte seit den achtziger Jahren in Madrid.

Das Haus war bis ins 18. Jahrhundert in Kastilien aktiv. Sanz Ayán, Banqueros de Carlos II. (1989) (A. 164)
3 4 6 - 3 5 1 ; Domínguez Ortiz, Política y hacienda (1960) (Α. 36) 137.
1 « Sanz Ayán, Banqueros de Carlos II. (1989) (A. 164).
i«7 Schreiber, Marranen in Madrid (1992) (A. 33); Sanz Ayán, Banqueros de Carlos II. (1989) (A. 164)
336-376.
'«» Sanz Ayán, Banqueros de Carlos II. ( 1989) (A. 164) ¡nsbes. 175 ff.; Schreiber, Marranen in Madrid ( 1992)
(A. 33) 57ff.
Consulta d. Consejo de Castilla, 6. Oktober 1666 / A H N , Consejos, leg. 7176, exp. 116.

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Markus Schreiber

Besonders eindrucksvoll erscheinen diese wirtschaftlichen Aktivitäten angesichts der


immer drohenden Inquisitionsverfolgung; es gibt nur wenige marran is che hombres de
negocios der zweiten Jahrhunderthälfte, die keine Inquisitionsprobleme hatten170.

Epilog:
Das Ende der Marranen unter Philipp V. (1715-1725)
Gegen Ende des 17. Jahrhunderts wird es dann stiller um die Marranen, auch wenn
es hin und wieder zu aufsehenerregenden Vorfällen wie die Verhaftung des Francisco
Báez Eminente, über die der bayerische Gesandte berichtet, kommt. Die Inquisition
ging auch in diesen Jahren gegen die Marranen vor, so stößt man gerade gegen Ende
des Jahrhunderts auf bisweilen furchtbare Inquisitionsprozesse171.
Die Zeiten des Spanischen Erbfolgekrieges hingegen scheinen fur die Neuchristen
eine Phase der Ruhe gewesen zu sein. Die „Nation" überlebte. In Madrid z. B. stößt
man um 1715, als sich die Verhältnisse im Land beruhigt und die neue Dynastie
konsolidiert hatte, auf eine sehr lebendige Gemeinschaft, in mancher Hinsicht Zen-
trum der marranischen „Subkultur" Kastiliens. Vom Hof ging anscheinend ein Netz
von Verbindungen ins Land hinaus. Die „Nation" spielte weiterhin eine Rolle im
kastilischen Wirtschaftsleben, hatte allerdings nicht mehr das Gewicht früherer Zeiten,
auch wenn uns nach wie vor gewichtige hombres de negocios begegnen. Vor allem im
kastilischen Tabakgeschäft waren sie weiterhin präsent, das Tabakmonopol war gera-
dezu eine Überlebensnische der Marranen.
Eine furchtbare Verfolgungswelle, die zwischen 1715 und 1725 von Madrid aus-
gehend über ganz Kastilien hinwegrollte und deren genauere Umstände und Hinter-
gründe noch im dunkeln liegen, bedeutete schließlich - abgesehen von dem Sonderfall
Mallorca, wo die Marranen, die chuetas, bis in unser Jahrhundert überlebt haben - das
Ende der „Nation" in Kastilien, in der Monarquía Hispánicam. Der Prozeß, der fast
ein Jahrhundert zuvor, in den 1630er Jahren, in Lima eingeleitet worden war, fand
seinen endgültigen Abschluß.

Die „Hebräische Nation" konnte in Kastilien nicht überleben; als Ausweg blieb ledig-
lich Assimilation oder Auswanderung, letztere in hohem Maße nur Station einer
umfangreicheren Emigration aus Portugal in die außerhalb der iberischen Welt gele-

•7° Schreiber, Marranen in Madrid (1992) (A. 33).


'71 Siehe z.B. die scheußlichen Prozesse gegen die Avila-Brüder: Pr. A. de Avila, T, 1664-1691 / A H N ,
Inqu., leg. 135, exp. 2; Pr. D. de Avila, T, 1664-1691 / AHN, Inqu., leg. 135, exp. 3.
172 Caro Baroja, Judtos. 3 (1978) (A. 2) 23-29, 55-87, 91-131! Domínguez Ortiz, Judeoconversos (1978)
(Α. 2) 108 ff.; Rafael de Lera García, La última gran persecución inquisitorial contra el criptojudaísmo: el
tribunal de Cuenca 1718-1725, in: Sefarad 47 (1987) 87-137; José Martínez Millín, La persecución
inquisitorial contra los criptojudíos a principios del siglo XVIII. £1 tribunal de Murcia (1715-1725), in:
Sefarad 49 (1989) 307-363; zu Mallorca: Domínguez Ortiz, Judeoconversos (1978) (A. 2) 114-123.

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Marraneη, Krone, Inquiiition und Gesellschaft im Kastilien des 17. Jahrhunderts

gene, entstehende marranisch-sephardische Diaspora. Emigration und Rückkehr zum


Judentum sind eindrucksvolle Belege fur das Überleben der „Nation" in Kastilien, auf
der Iberischen Halbinsel. Das „jüdische Erbe", vor allem als soziale Realität, war
lebendig geblieben; die Neuchristen eroberten sich als „Nation" - nicht zuletzt dank
der Einstellung der Krone - ihren Platz in der kastilischen Wirtschaft und Gesellschaft,
sicherten ihr Überleben. Die marranische Gemeinschaft ging dann z.T. unter, über-
lebte aber auch aus dieser Grundlage heraus in der Emigration. Aus Kastilien kom-
mende Marianen, Portugiesen aber auch Kastilien und nicht zuletzt ihr Kapital173
spielten, vor allem seit Mitte des 17. Jahrhunderts, eine hervorragende Rolle fur die
Entwicklung der sephardischen Gemeinden Mitteleuropas. Die untergründige „He-
bräische Nation" Kastiliens (und der Iberischen Halbinsel) lebte unter anderen Vor-
zeichen, offen, in den sephardischen Gemeinden fort.

•73 Siehe z.B. Israel, Spain and the Dutch Sephardim (1978) (Α. 157) 44ff.

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