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wissenschaftliche Theologie.
In Verbindung mit
D. Garl Siegfried, D. Rudolf Seyerlen, D. Friedrich Nippold,
Mitgliedern der Theologischen Facultßt in Jona‚
und
anderen namhaften Gelehrten
herausgegeben
V01]
Vierundvierzigster Jahrgang.
Der neuen Folge neunter Jahrgang.
Leipzig‚
O. R. Reisland.
1901.
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Inhaltsverzeichnis.
E r e t e e H e ft.
[Seite
l. A. Hilgenfeld ‚ Das Vorwort des dritten Evange
listen (Luc. l‚ 1—4) . . . . . . . . . . . . 1
II. A. Hirscht, Textkritische Untersuchungen über das
BuchAmos...............11
III. J. Dräseke, Zum Untergang des Heidentums . . 74
IV. J._ Dräseke, Zu Gregorios' von Neocäsarea. Schrift
ÜberdieSeele“ 87
V. Knoth, Ubertino von Casale. Sein Leben und
seine Schriften . . . . . . . . . . . . . . 101
VI. A. Hi1genfeld, Die synoptische Zweiqnellen-Theorie
und Papias von Hierapohs . . . . . . . . 151
Anzeigen.
A. Neander’s Dogmatik, herausgegeben von Gloatz. 1899.
G.Frank..................157
Maurice Holleaux, Sur une passage de Flavius Josöphe.
1900. J.Dräseke . . . . . . . . . . . . . . 160
Zweites Heft.
VII. G. Frank, Ein Rückblick auf die protestantische
Theolo 'e des 19. Jahrhunderts . . . . . . . 161
VIII. A. Hi genfeld Die Geburts- und Kindheits
eschichte Jesu tue. I, 5—11, 52 . . . . . . 177
IX. . Liechtenhan, Untersuchungen zur koptisch
ostischen Litteratur . . . . . . . . . . 236
X. riedrich Zimmer, Urkundliches zu dem „Königs
bar er Muckerprocess“ . . . . . . . . . . 253
XI. A. ilgenfeld, Die Geburt Jesu aus der Jungfrau
in dem Lamas-Evangelium . . . . . . . . . . 313
Anzeige.
P. Corssen, Die Recension der Philoxeniana durch Thomas
vonMabug...........{... .318
Drittes Heft.
XII. F. W. Schiefer Das Problem der Sünde im
4.Ezrabueh...............321
29646
IV Inhaltsverzeichnis.
Seite
XIII. C. Holsten, Einleitung in die Korinthierbr10fe 324
XIV. A. Hilgenfeld, Die voruicänische Litteratur des
Christentums und ihre Bearbeitung zu Ende des
19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . 369
XV. H. L ietzman n, Chronologie der ersten und zweiten
Verbannung des Athanasius . . . . -. . . . . 380
XVI. J. Dräseke, Demetrios Kydones oder Nemßsios? 391
XVII. F. Nippold, Zur 13. Auflage der Kurtz'schen
Kirchengeschichte . . . . . . . . . . . . . 411
XVIII. E.rieehisch-orthodoxengK1rche
Reinhardt, Die egenwärtigein derVerfassung
Türkei . der
418
XIX. . Hilgenfeld, Zu Lucas III, 2 . . . . 466
Anzeigen.
F. Dahn, Die Könige der Germanen, Bd. VIII, 1897—1900.
F.Görres................ 468
A. Schmitt, Zwei noch unbenutzte Handschriften des
J. Scotus Erigena. 1900. J. Dräseke . . . . 478
Viertes Heft.
V.
von der Regierung der Kirche und dem Reich der Ver
klärung. —- Jedem Buch ist ein Prolog vorausgeschickt,
ausser bei dem fünften, wo er fehlt. Das erste Buch hat
sogar zwei Prologe, die beide nach Abschluss des Ganzen
geschrieben sind, wie aus der genauen Inhaltsübersicht und
dem Hinweis auf einzelne Capitel z. B. Buch III Oap. 9
(Jesus pro nobis indigens) hervorgeht. Die ursprüngliche
Gestalt des Werkes ist an den fast in allen Capiteln mit
Vorliebe verwerteten, kurzen Memorialversen noch zu er
kennen, die dazu dienen sollen „das Gedächtnis an das
Leben Christi zu erleichtern und das Elend des gegen
wärtigen Zustandes von Herzen zu beklagen“ l), oft sieben
solcher versiculi, besonders an Stellen, wo von den „ge
heimnisvollen und frommen Thaten des Erlösers“2) die
Rede ist, wie z. B. Buch I Oap. 11 (Jesus Maria natus)
‘f0l. 331a. Hier wird gesagt, dass, wer das Jesuskind in
sich hegen und pflegen will, ein Siebenfaches zu beachten
und zu befolgen hat: Est (so. in te natus parvulus Jesus):
Involvendus,
Reclinandus,
Custodiendus,
Levandus,
Lavandus,
Deducendus,
Et cibandus.
Oft dienen diese Verse als Proposition zu einer längeren
erbaulichen Ausführung, wie z. B. Buch II Cap. 4 (Jesus
magis monstratus), fol. 481a über das Wort: Ich bin der
Weg, die Wahrheit und das Leben. Hier hält sich der
Gedankengang an die dreifach gegliederte Proposition:
via deducit
lux perducit
ostium introducit.
1) F01. 2„ 1381b (ad Christi vitae faciliorem recolligendo memo
riam et praesentis statu miseriam cordialiter deplorandam‘f.
2) Arbor IV Cap. 1, fol. 138,b.
112 E. Knoth:
1) ALKG. II 131.
2) Ann. Min. ad arm. 1299 n. 4: aliquanto tarnen pro illius
temporis ratione indigestum et minime ad incudem redactum opus.
3) Job. Gersonis Opera (ed. Paris. 1606) I, 573. ss.
‘) Arbor II Cap. 5 (Jes. redemptus parvulus).
(XLIV [st. F. 1X], l.) 8
114 E. Knoth:
Capitel I.
Ubertino als Erbauungsschriftsteller.
Die Frömmigkeit des Mittelalters ist durchgängig
mystisch gefärbt. Das gilt auch von denen, die man nicht
eigentlich zu den Mystikern zu zählen pflegt, wie in diesem
Falle von Ubertino. Seine Mystik ist im wesentlichen
„theologische Frömmigkeit (Contemplation) mit reflexiver
Abzweckung nach dem Muster Augustin’s und des Areo
pagiten, befruchtet durch die bernhardinische Hingabe an
Christus“ l). Die erste Stelle in den theologischen An
schauungen Ubertinos nimmt die Lehre von der „Voll
kommenheit“ (perfectio) ein. Bevor wir uns aber auf eine
weitere Erörterung derselben einlassen, müssen wir uns
erst mit der Frage nach der litterarischen Abhängigkeit
des Arbor?) in den erbaulichen Partieen abfinden. Wie
oben bemerkt, führen wir die Entstehung des merkwür
digen Titels Arbor vitae crucificae Jesu auf die Bekannt
schaft Ubertino’s mit Bonaventura’s Schrift ‚Lignum vitae"")
zurück. Denn eine Reihe von Capitelüberschriften dieser
Schrift stimmt mit denen des Arbor wörtlich überein, z. B.
Bonaventnrae opera VIII. S. 70. Arbor.
I. Jesus ex Deo genitus BuchlCap.lz Jesus ex patre
(S. 86: „ „patre „ ) ‘ genitus.
Jesus emissus caelitus „ „ „ 8: Jesus emissus
cuelitus.
„ Maria natus „ „ „ 11: Jesus Maria
natus.
II. Jesus conformis patri- „ 2 „ 1: Jesus confor
bus 7 mis patribus.
„ niagis monstra- „ ., „ 4: Jesus magis
tus monstratus etc.
XI. Jesus, testis veridicus „ 5 „ 13: Jesus testis
verjdicus.
Bonavent. Arbor.
XII. Jesus rex regis filius Buch 5 Cap. 17: Jesus rex
77 77 'I7 ‘7 regum dominus.
„ trnrs optatus 97 'fl 7‘! 18: Jesus finis
optatus.
Dass Ubertine Schriften von Bonaventura benutzt hat,
wird schon durch ‚die verschiedenen Stellen nahegelegt, an
denen er Bonaventura’s Erwähnung thut‘). Und wirklich
hat er aus dem Lignum vitae Bonaventura’s grosse Stücke
in den Arbor hinübergenommen. Der Anfang des Cap. 1.
(Jesus ex patre genitus) vom Arbor ist identisch mit dem
Jesus ex Deo genitus überschriebenen Abschnitt bei Bonav:
Bonav. a. a. O. S. 71: Cum Arbor: Cum Jesum audis
Jesum audis ex Deo genitum ex patre genitum . . . . . ..
perspicacitercontemplare perspicaciter contemplare.
Ebenso:
Bonav. S. 74 n. 13: Quanta Arbor III Cap. 7 (Jes. pastor
fueritpiissimi pastoris ad per circumiiens), Anfang: Convocatis
ditas oves sollicitudinis discipulis . . . . . cibum vitae.
cura . . . . . ipse bonus past0r Quanta autem sollicitudine
in parabola pastoris et ovis labor:werit perditas oves re—
centesimae perditae . ..etc. ducere ad pascua, ipse pastor
ostendit in parabola pasto
ris et ovis centesimae perdi
tae . . . etc.
Bonav.S.7ön.lözJesuspanis Arbor IV Cap. 5: Jesus panis
sacratus.Interomniamemo sacratus.lnteromnia Christi
rialia Christi praecipua recor operamemorialesuae fervidae
datione constat . . . . . . ch::ritatis . . . .
Ubertino hat nicht alle Capitel des Lignum vitae wört
lich übernommen, wie das zuletzt angeführte Beispiel zeigt,
aber wir dürfen wohl ohne Bedenken behaupten, dass die
1) Arbor III Cap. 9 (Jes. pro nobis indigens) fol. 922b; V Cap. 4
(seraph alatus), fol. 2181a und fol. 2221 a.
Ubertino von Cassle. 117
l) I 4a: quo.
2) wie I 4b.
3) I 5a: inde concavata.
4) I 5b: portavit, . . . qui manavit
6) I 6a: Quis tam magnus comitatus
Tam solemnis apparatus
Tanta. multitudine?
ß) I 6b: Quae fuerunt, . . . Parentali crimine
7) wie II 7a.
(xmv um F. 1x1, m 9
130 E. Knoth:
Capitel II.
Die apokalyptischen Vorstellungen Ubertino’s.
Ein wesentliches Moment der Erbauung, wie sie vor
nehmlich in streng-franziskanischen Kreisen gepflegt wurde,
ist die Apokalyptik. Sie wird als ein willkommenes Mittel
dazu benutzt, die Zeitgenossen in der Hoffnung auf den
baldigen Anbruch einer besseren Zeit zu bestärken und
sie von der Notwendigkeit der Beseitigung von Hinder
nissen zu überzeugen, die den vollen Genuss beschaulichen
Lebens erschweren oder unmöglich machen. Diesem ihrem
‘) vgl. Arbor V Cap. 8 (Jes. falsific.) fol. 229,1): Sie per centum
annos et usque ad devastationem ecclesiae per antichristum apertum
currunt simul feces ecclesiae et claritas novi status.
2) Arbor V Cap. 8, fol. 2301b: Sein Vorbild hat er in Hannas‘
und Caiphas, die Jesum verurteilten.
3) Arbor V Cap. 9, fol. 2342b.
‘) Arbor V Cap. 8, fol. 230,b.
Ubertino von Casale. 137
= 666.
2) fol. 206„ 210, 229, 234, 235, 239 u. s. w. Über die im Arbor, BuchV
Cap. 12 erwähnte Schrift Joachim’s „De seminibus“ vgl. Ernst Wad
stein: Die eschatologische Ideengruppe etc., Leipzig 1896, S. 93 Anm. 1.
“) Die Postille Olivis war mir nur in dem Auszug bei Baluze
„Miscellanen“ ed. Mansi II. S. 258 folg. zugänglich.
Ubertino von Casale. 141