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"Zeugen", "Wissen" und "Knie" im Semitischen und Indogermanischen

Author(s): Herm. Stieglecker


Source: Anthropos, Bd. 22, H. 5./6. (Sep. - Dec., 1927), pp. 1000-1003
Published by: Nomos Verlagsgesellschaft mbH
Stable URL: https://www.jstor.org/stable/40445711
Accessed: 23-11-2018 13:42 UTC

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1000 Analecta et Additamenta.

jenen beiden peruanischen Gelehrten veröffentli


bieten, ist in dem engbegrenzten Rahmen einer ei
einer Anzeige, deren eigentlicher Zweck nur der
anderer Forscher auf diese neuesten Beiträge zu
argen liegenden sprachlichen und ethnologische
von Peru zu lenken, Gegenden,, wo die Amerika
Wird dies damit erreicht, dann haben diese wenig
vollauf erfüllt; Rudolf Schuller.

„Zeugen0, „Wissen" und „Knie" im Semitischen und Indogermanischen. - Im


Indogermanischen tritt eine auffallende Erscheinung zutage. Die drei Begriffe: „Zeugen",
.Wissen* und „Knie" weisen ein und dieselbe Wurzel auf. So haben wir für den Begriff
Wissen, Erkennen und ähnliches im Sanskrit: Jãnãti, gr. yiyvúoxco, lat. gnosco, Avesta zanata
(ihr erkennt), germ, knaen, kennen, arm. caneai, altir. gnath (bekannt).
Für zeugen und verwandte Begriffe : janayati (er erzeugt), lat. gigno, Avesta zi-zanac
(sie soll gebären), gotisch kuni (das Geschlecht), arm. cnanel (gebären), altir. gein (die Geburt).
Für Knie: Sanskrit: jänut Avesta zana, gr.yów, lai. ge nu, germ, kniu, arm. cung.
Die Bedeutung dieser Erscheinung wird noch durch den Umstand erhöht, daß im Se-
mitischen ganz ähnliche Dinge in Erscheinung treten. Auch hier finden wir die Gleichung:
erkennen = erzeugen. Da haben wir arabisch JT£ (gedenken) und penem verberare, *ri
Erinnerung, Meditation und Jf¿ mas, hebr. IDT gedenken, ir* mas, assyr. zikru männlich
und zakaru sprechen ; dazu kommt JJT erkennen und den Koitus vollziehen.
Angesichts dieser Parallelen, die sich sowohl im Indogermanischen wie im Semitischen
finden, und die wegen ihrer scharf ausgeprägten Eigenart jeden Zufall ausschließen, drängen
sich gebieterisch zwei Fragen auf. 1. Wieso läßt es sich erklären, daß im Semitischen und
Indogermanischen anscheinend je dieselben Wurzeln die Bedeutung des Erkennens und Zeugens
entwickelt haben, wozu im Indogermanischen noch eine dritte Parallele kommt, nämlich das
Wort für Knie, yów, genu etc., das mit den Wörtern für die Begriffe zeugen und kennen
ebenfalls eines Stammes ist; und die zweite Frage: Welche Schlußfolgerungen gestattet diese
ganze Erscheinung des Indogermanischen und semitischen Lexikons?
Da das indogermanische Vokabular gar keinen Anhaltspunkt zur Beantwortung unserer
ersten Frage zu geben scheint, gehen wir zunächst vom Semitischen aus.
Allgemein gesprochen ist der gedankliche Zusammenhang der Begriffe Wissen und
Zeugen nicht so unverständlich, wie er auf den ersten Blick zu sein scheint. Die Kenntnis
und Übung des Zeugungsaktes war den Urvölkern das größte Geheimnis und die heiligste
Wissenschaft; es war das das Wissen xaz1 èÇoxrjv und wer damit bereits vertraut war, der war
ein .Wissender" und der andere ein „Nichtwissender". So ist also die Brücke zwischen Wissen
und Koitusausführen hergestellt. Wir fragen vorläufig nicht, was das Primäre ist: X kann
ursprünglich coivit geheißen haben, also: er hat den Beischlaf vollzogen, er ist ein Wissender;
oder X bedeutet ursprünglich : er ist ein Wissender xaz' iÇoxrjv in rebus sexualibus und daraus :
er ist ein Vollzieher des Beischlafes. Tatsache ist, daß die Ausdrücke für Erzeugen und Wissen
im Semitischen und Indogermanischen aus je einem Wortstamm herausgewachsen sind und
daß diese Erscheinung durch oben angedeutete nüchterne Überlegung immerhin erklärlich ist.
Ins einzelne eingehend fassen wir zunächst J"¿ und seine etymologischen Entsprechungen
ins Auge: sjr¿ bedeutet mas, membrum virile und, was am meisten interessiert, auch Stahl;
außerdem gibt es eine Form *.fi mit der Bedeutung: Schneide, hart, scharf. Die Urbedeutung
von J"¿ ist also wohl Scharf sein, Durchschneiden, Durchbohren, unter anderem auch mit
dem Penis durchbohren, also den Koitus vollziehen. jf¿, 157, zikru, -pi (aries) ist also
der Durchbohrende (penis, der Majin, das Männliche). So hätten wir also die Bedeutungs-
entwicklung: .mit dem Penis durchbohren", .koitieren", „hinter das Geheimnis kommen",
also ein .Wissender" sein.

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Analecta et Additamenta. 1001

Das Gegenstück dazu ist bekanntlich n^p:, Wei


U¿ Hpj ¿aoj durchbohren ; also ist H!2j?j - und die
Durchbohrte, also das Weib. Eine Erinnerung an
r'1Di ist die häufige Zusammenstellung niDïï 12Ì m
und „Durchbohrte*.

Interessant ist, daß auch 2p j parallel mit 12Î ei


' ii heißt nämlich auch „scrutatus est* und np: hei

Allerdings ergibt sich diese übertragene Bedeutung z


durchbohren, hindurcharbeiten, durchforschen. Ab
Herleitung der Bedeutung Durchforschen aus dem S
zu weisen. Jedenfalls ist eines sicher: daß 2p j gan
bohren aus in den Bereich des Sexuellen eingetret
Annahme, daß *OT ebenfalls den Bedeutungsweg dur
nicht den umgekehrten Weg. Die Parallele zeugen
Das Wort bedeutet im Assyrischen, Hebräischen, Ar
Im Hebräischen kommt das Wort auch in der Bed
wicklungsweg: kennen, intim kennen, im Koitus
immerhin möglich. Dabei kann man auch an die Si
verschleiert entgegengeführt wird, daß also coitus
Braut gesehen, er hat sie erkannt, er hat koitiert. A
auch der umgekehrte Bedeutungsweg möglich. Das

£ij setzen, legen, stellen, poneré. Also wäre jtp ursp


hinter das große Geheimnis kommen und es verkost
wissen. Das wäre also der Bedeutungszusammenha
semitische Wörterbuch nahelegt. Mit allem Vorb
erwähnt. Als Verbum bedeutet sie wissen, und zwa
Wissende xaz' ¿Éo^r, der Dichter. Dieselbe Wurzel
ein ähnlicher Bedeutungsgang vor: Haar, Haare beko
ausüben, hinter das Geheimnis kommen, ein Wisse
^b vor: beschlafen mit der engeren Bedeutung v
(Freytag), ob aber dies die ursprüngliche Bedeutun
gedeutete, ist jedenfalls zweifelhaft.
Im Indogermanischen ist aber noch ein drittes W
mit den Wörtern für zeugen und erkennen. Das s
den bereits gesprochenen semitischen Wörtern jjt
keine Stammgleichheit auf, aber Beziehungen zwisch
Wir wissen, daß bei den Indogermanen der Vater
und es durch diesen Akt als sein Kind anerkannte. U
Ausdruck '»DIS by "6m, sie soll auf meine Knie ge
als das meine anerkenne (Gen. 30. 3). Der Zusamme
nehmen, Kinder bekommen. Nahe liegt es auch, a
in kniender Stellung der Frau vollzog, also prägnant
wert ist, daß das verbum ^-n nicht in der Grundfor
im. Hebräischen und Aramäischen als Pi'el, das wi
deuten dürfen, im Arabischen als dritte Form, die
So hieße also Tp und ¿IJls' niederknienmachen (be
(oft) niederkniet, also (zahlreiche) Nachkommenscha
rechta geradezu coitus.
Das Zeitwort Tp wird in der Bibel in verschie
die eigentliche Bedeutung dürfte wohl die sein, wel

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1002 Analecta et Additamenta.

Dort heißt es: „und er segnete sie und sprach: wac


Erde." CHK *"*??! etc. heißt hier offenbar: er wünsch
und Vermehrung und sprach zu ihnen: „wachset und
hat den semitisch-biblischen Begriff des Segnens in i
den Ausdruck „Glück und Segen* gern im Mund. U
den verschiedenen Gefahren und Unglücksfällen, die
drohen, ohne Schaden hindurchkon men (Hagelschlag
dagegen geht auf das Wachstum und auf^die Verm
Bittagen betet: „wir bitten um Glück und Segen",
Schaden bewahren und das Erträgnis unserer Arbe
Ausdruck .gesegnet gehen", „in gesegneten Umstän
hinein, die sich um das semitische 7p,1 gruppiert.
J/¿/í samt seiner dreifachen Bedeutungsentwickl
Abgesehen von Zahlwörtern und Verwandtschaftsnam
die so sehr Gemeingut aller indogermanischen Sprach
die Bedeutungsentwicklung dieser Wurzel bei den ve
und durch die verschiedensten Kultureinflüsse von
so gleichmäßige, daß man annehmen muß, die Ideen
Knie war schon in der Urzeit der Indogermanen au
verankert, sonst wäre sie ihnen späterhin, nachde
hinausgesprengt waren und sie voneinander und von
wußten, verloren gegangen. Diese gedankliche Verq
denen die Wurzel '/gn für .Knie" nicht verwendet w
treffende litauisch-slawische Ausdruck für Knie a
„Generation" aufweist: lit. kelys (Knie), kiltis (Gesc
Geschlecht).
Welche Schlußfolgerung dürfen wir aus den besprochenen Tatsachen ziehen? Die drei-
fache Parallele zeugen, wissen, Knie im Indogermanischen und im Semitischen kann unmöglich
Zufall sein. Der wahrscheinliche Zusammenhang der betreffenden Wortbedeutungen läßt sich
nachträglich immerhin befriedigend erklären; aber es ist nicht einzusehen und es läßt sich
ohne hinreichenden Grund nicht erklären, warum in beiden Sprachzweigen, die anscheinend
einander so fernstehen, die Bedeutungsentwicklung einen so völlig parallelen Verlauf ge-
nommen hat, da doch eine ganze Reihe anderer Möglichkeiten denkbar wären. Wir werden da
«ur Annahme gedrängt, daß sich die Bedeutungsentwicklung nicht je im Indogermanischen
und Semitischen getrennt vollzogen habe, sondern daß sie schon damals fertig war, da Semiten
und Indogermanen noch eine Einheit bildeten. Wir hätten also hier geradezu einen Teilbeweis
für eine ursprüngliche indogermanisch-semitische Einheit. Und zwar weist das Semitische
offensichtig den älteren Stand der Dinge auf und das Indogermanische den jüngeren. Im
Semitischen merkt man noch deutlich die Fugen zwischen den einzelnen Teilen, aus denen
der ganze Bedeutungskomplex zusammengewachsen ist; wir haben die Reihe: stechen, be-
schlafen, hinter das Geheimnis kommen, ein Wissender sein, wissen. Und hinlegen (yy)
nämlich zum Beischlaf, beschlafen, hinter das Geheimnis kommen, wissen. Das Wort für Knie
weist im Semitischen noch einen anderen Stamm auf als die Wurzeln für zeugen und wissen,
nämlich die Wurzel :p2, und die Brücke, die von TpZ zu den Ausdrücken für zeugen hinüber-
führt, ist noch ziemlich unfertig, aber doch schon deutlich erkennbar. Im Indogermanischen
sind die Fugen schon völlig verstrichen: da erscheint der Stamm t/g/i in seiner dreifachen
Bedeutung und nichts verrät mehr, auf welchem Wege sie zustande gekommen sei. Unseren
Beweis für die semitisch-indogermanische Einheit vermag auch die Tatsache nichts anzuhaben,
daß das Semitische einerseits und das Indogermanische anderseits verschiedene Stämme auf-
weisen; sem. 12 Î. jn' ^"D etc., indogerm. j/g/T. Denn eine Gleichstellung von j/g/i mit
einer dieser semitischen Wurzeln oder gar mit allen dreien ist ganz undenkbar. Und gerade
das kann unseren Beweis nur erhärten. Denn hätten wir im Indogermanischen dieselben
Wurzeln wie im Semitischen, dann könnten wir wohl eher noch an eine spätere Entlehnung
dieser Wurzeln denken, wobei allerdings wohl zu beachten ist, daß man sich sehr gut vor-

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Analecta et Additamenta. 1003

stellen kann, die Indogermanen z. B. hätten ein semitis


entlehnt, aber daß sie ein Wort gleich mit drei Bedeut
Blick doch kaum einen gedanklichen Zusammenhang
unwahrscheinlich. Gerade die Verschiedenstämmigkeit de
mitischen einerseits und im Indogermanischen und Sem
hin, daß sich bei den Indogermano-Semiten auf den an
gewohnheit herausgebildet hatte, dem jeweiligen Stam
so oder anders lauten, die Bedeutung wissen zuzugese
germanischen auch die Idee .Knie" reihte. Eine solch
verkettung läßt sich nicht entlehnen, die muß gemeins
Völkerstämme sein.
Wir wissen ja auch sonst von Berührungen zwischen beiden Sprachgruppen und Völkern.
Man denke nur an das semitische "¡1p; die Bedeutungsreihe Horn (eines Stieres , hornähnliches
Ding, Berggipfel, die Ecken eines Altars), ferner Strahl, schließlich Kraft, Macht, ist immerhin
verständlich, wenn man aber biblische Redensarten vor sich hat, wie: „das Horn des Heiles
erheben", so denkt man unwillkürlich an eine Stelle im MahSbhãrata; Brahma erscheint in
Gestalt eines Fisches dem Manu, verkündet ihm das Herannahen einer großen Flut und heißt
ihn, sein selbst gefertigtes Schiff besteigen: .Auf dem Schiffe stehend erwarte mich, ich komme
mit einem Horn versehen, am Horn erkenntlich". Und wie der gehörnte Fisch kam, in der
bezeichneten Gestalt, hochaufgerichtet wie ein Berg, da band Manu ein Seil an diesem Horn
fest und der wunderbare Fisch zog das Schiff mit großer Kraft durch die Flut hin bis zum
Himalaya; und .auf seinem höchsten Horn band er das Schiff mit dem Seile fest". Ob nicht
der biblische Ausdruck .das Horn des Heiles erheben" ein Nachklang jenes indischen cornu
salutis ist, das der rettende Fisch über die Wasser erhebt und jenes mons salutis, der
mit seinem ragenden Gipfelhorn dem indischen Noë (Manu) Rettung winkte. Noch dazu ist
das indische Wort für Horn, ¿rn-ga, etymologisch identisch mit dem semitischen -pp. Manu
(von man „denken") wird in der Folge der Zeuger eines neuen Menschengeschlechtes; auch
das erinnert wieder an die Ideenverquickung von zeugen und wissen.
Dr. Herjw. Stieglecker, Geboltskirchen, Ob.-Öst.

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