Sie sind auf Seite 1von 1

FRANKFU RT ER A L LG EM E I NE Z E I TU NG Geisteswissenschaften M I T T WO C H , 2 . S E P T E M B E R 2 0 0 9 · N R .

2 0 3 · S E I T E N 3

Nietzsche über Größe


Wie man sitzt, so sieht man
Möbel als historische aus, die zur Auseinandersetzung am
Schreibtisch oder auf dem Sofa anregen
Scheinriese
Quelle: Früher gab es in sollten. Dieser Galerieraum lud zum Ver-
weilen ein, die Besucher durften sich zu-
Das Denken auf den Weg der Größe zu
führen war für Nietzsche die letzte Zu-
Museen Sofas, heute rücklehnen und die Kunst an den Wänden flucht, nachdem er die idealistische Me-
gab Anlass zur angeregten Beschäftigung. taphysik zerstört und die Diagnose des
meist nur ungemütliche Im späten zwanzigsten und frühen ein- Nihilismus gestellt hatte. Wollte seine
Holzbänke. Was eine undzwanzigsten Jahrhundert haben sich Philosophie des Werdens nicht selbst in
etliche Künstler auf diese Funktion des die Leere, ins „durchbohrende Gefühl“
Institution von den Sitzmöbels im Museum besonnen. Für ih- des Nichts fallen, hatte sich ein neuer
ren Beitrag als Turner-Preis-Kandidatin Horizont zu öffnen. Für einen Denker,
Besuchern hält, zeigt schuf die kanadische Künstlerin Angela der noch in dem Bewusstsein lebte,
Bulloch 1997 in der Tate Gallery eine bun- dass einem Niedergang eine Neuschöp-
der Blick auf die Innen- te Folge miteinander verbundener Sitz- fung folgen musste, bot die ironische
einrichtung. und Liegesäcke, die sowohl als Skulptur
wie auch als Möbel funktionierten. Kin-
Selbstdistanz keinen Ausweg. Der Wil-
le zur Größe durchzieht Nietzsches
der turnten auf ihnen, Liebespaare lagen Werk: vom „großen Leben“ über die
Von Charlotte Klonk darauf, und Einzelne ruhten sich aus. An „große Gesundheit“ zur „großen Ver-
der Wand hingen Instruktionen der ameri- nunft“ in unzähligen Gedankensplit-
kanischen Bundesbehörde für Luftfahrt. tern. Zur Größe berufen sind ihm jene
till ist es, ganz still im Museum.
S Eine blonde Dame sitzt auf einer
schmalen Holzbank und betrachtet
ein Frauenporträt. Nur gelegentlich
Dort wurde unter anderem geregelt, dass
weder des Englischen Unkundige noch
Menschen, die kein Balancegefühl haben,
an den Notausgängen sitzen dürften.
freien Geister, die dem Bewusstsein
von Tragik und Vergeblichkeit eine he-
roische Lebensbejahung entgegenset-
zen, die das Chaos bändigen und sich in
schwappen Stimmen in den Raum, ein Beim Sitzen im Flugzeug ist jede Aktion unerbittlicher Härte zu Weltgesetzge-
kurzes Lachen, ein Kinderruf aus dem mit Folgen für andere verbunden, beim bern aufschwingen.
Off. Die Szene stammt aus Brian de Pal- Sitzen im Museum auch. Mit Nietzsche das Große denken,
mas Film „Dressed to Kill“ von 1980, der Dass das Verhalten Einzelner Konse- wie es sich die Internationale Nietz-
sich wiederum von einer ähnlichen Ein- quenzen für andere hat, wurde auch in sche-Konferenz in Naumburg, der frü-
stellung in Alfred Hitchcocks „Vertigo“ in- Ilya und Emilia Kabakovs Ausstellung hen und letzten Lebensstation des Phi-
spirieren ließ. Zwischen Angie Dickin- „House of Dreams“ in der Serpentine Gal- losophen, unter dem Dreiklang „Nietz-
son, die in „Dressed to Kill“ eine frustrier- lery in London 2005 deutlich. Hier aber sche – Macht – Größe“ vorgenommen
te Hausfrau spielt, und dem Mann, der war nicht Aktion, sondern Kontemplati- hatte, erscheint als gängiger Weg in
sich schließlich neben sie auf die Muse- on angesagt. Zur Parkseite hin konnten sein Gedankengebäude. Die Konferenz
umsbank im Metropolitan Museum setzt, sich die Betrachter in von weißen Vorhän- widmete jedoch auch dem Kleinen bei
fällt kein Wort. Man hört nur die Schritte gen umhüllten Kojen auf weiße Sockel Nietzsche eine eigene Sektion, das sich
durch das Museum hallen, als erst er sie niederlegen und ausruhen. Im Zentrum in den meisten Schriften nur als denun-
und dann sie ihn in einem mysteriösen der Galerie dagegen standen abgeschlos- ziatorischer Begriff findet, ein Schmäh-
Katz-und-Maus-Spiel verfolgt. Dann setzt sene, verdunkelte Räume, in denen ein wort für das Schwache, Verzärtelte und
die Musik ein, und das Ganze endet mit ei- So viele Bilder, so viele Sitzgelegenheiten: Eine einfache Norm, erfüllt im Metropolitan Museum of Art, New York Foto laif
sanftes Lichtspiel denjenigen nachhalf, Angekränkelte, das dem sich zur Größe
ner Liebesszene, im Taxi, vor dem Muse- die nicht von allein in die Traumwelt fan- Erhebenden im Weg steht und zertre-
um. Dieser leidenschaftliche Ausbruch sengitter im Boden zu leiten und die Aus- Besuchermassen gerüstet. Man schlängelt einem modernen Interieur des Designers den. Allerdings war damit zu rechnen, ten werden muss. Am Ende seiner aus-
und der anschließende Mord sind ganz stellungsräume frei mit Stühlen zu bestü- sich im Trupp an den Wänden entlang, fä- Bernhard Pankok. Überzeugt, dass sich da- dass im nächsten Augenblick ein anderer ufernden Diätlehre in „Ecce Homo“
dem Genre des Psychothrillers und dem cken. Beides, das Gitter auf dem Parkett delt sich eventuell um eine Skulptur oder mit ohne große Umstände auch ein Gale- Besucher zuschauen würde, wie man in in- schrieb Nietzsche indessen: „Man wird
Medium Film geschuldet. Die Erotik auf und die einfachen Stühle, sieht man noch ein Objekt und liest am Eingang geduldig rieraum herrichten ließe, erwarb er die nere Welten versank. Ähnlich wie Hitch- mich fragen, warum ich also diese klei-
der Galeriebank aber gehört von Anfang in einem Gemälde von Giuseppe Gabriel- die Wandtafeln, über die Köpfe der ande- komplette Einrichtung für die Stuttgarter cock in „Vertigo“ machten die Kabakovs nen und nach herkömmlichem Urteil
an zur Museumsgeschichte. li von 1886. Es zeigt einen Raum mit ita- ren Besucher hinweg. Die Raumgestal- Gemäldegalerie. Das Ergebnis war ein die museumsinduzierte Versenkung hier gleichgültigen Dinge erzählt habe. Ich
Fast hundert Jahre früher hatte Her- lienischen Renaissancebildern in der Lon- tung selbst tritt dabei wenig ins Bewusst- Raum für zeitgenössische deutsche Kunst selbst zum voyeuristischen Objekt. schade mir selbst damit, umso mehr,
mann Schlittgen für die satirische Zeit- doner National Gallery. Der Vorteil war, sein und dient nur noch der effizienten mit diskret strukturierter beiger Tapete, Ganz anders, doch nicht minder besu- wenn ich große Aufgaben zu vertreten
schrift „Fliegende Blätter“ eine Zeich- dass sich die Stühle verrücken ließen, so cherorientiert, ging der chinesische bestimmt sei. Antwort: diese kleinen
Bewältigung des Besucherstroms. Sitzmö- sanft ondulierender Wandverkleidung aus
nung angefertigt, auf der ein Mann zu se- wie man sie brauchte – vor einzelne Bil- Künstler Ai Wei Wei in einem seiner Bei- Dinge – Ernährung, Ort, Klima, Erho-
hen war, wie er sich einer jungen Frau in bel spielen kaum noch eine Rolle. Das hellem Holz und kleinen Kabinetten in
der oder in die Raummitte. Zum Dösen war aber ja nicht immer so – und muss den Ecken sowie dazu zwei originell ver- träge für die Documenta 12 im Sommer lung, die ganze Kasuistik der Selbst-
einer Bildergalerie nähert. Sie sitzt auf ei- oder gar zum Schlafen waren sie jedoch 2007 vor. Er bestückte die Ausstellung in sucht sind über alle Begriffe hinaus
nem weit bequemeren Möbel, als es Di- ungeeignet. Schläfrigkeit ist aber nicht ei- eben auch nicht so sein. kleideten Heizkörpern in der Mitte. Eines
1905 besuchte Konrad Lange, Ästhetik- der beiden Elemente bot Sofas und beque- Kassel mit antiken chinesischen Stühlen, wichtiger als alles, was man bisher
ckinson in „Dressed to Kill“ vergönnt gentlicher Sinn und Zweck des Museums- die den Besuchern durch ihre Aufstellung wichtig nahm.“ Liegt darin mehr als
war. Die Bildunterschrift verdeutlicht, besuchs, Versunkenheit schon. Deshalb professor in Tübingen und damals mit der me Sitzgelegenheiten, das andere leicht
nahelegten, in größeren oder kleineren der Tribut an die Notwendigkeit der
dass es sich hier nicht um den ersten und hat sich im Laufe des zwanzigsten Jahr- Neugestaltung der Stuttgarter Gemäldega- voneinander abgetrennte Schreibtische. Selbsterhaltung, die er sonst im Namen
lerie befasst, die deutsche Kunstgewerbe- In den Fächern an den schmalen Seiten la- Gruppen das Gesehene zu erörtern. Es
wohl auch nicht um den letzten ihrer hunderts ein Kompromiss durchgesetzt. war eine Auseinandersetzung, die keines- der Lebensfülle und Selbststeigerung
Flirts im Museum handelt. „Mein Fräu- Die Wärter setzte man auf Stühle, die Be- ausstellung in Dresden. Dort begegnete er gen Kataloge, Bücher und Zeitschriften zu übergehen gewohnt war?
falls auf den Museumsraum begrenzt
lein“, sagt der Mann, „wie lange suche ich sucher auf Bänke. blieb: Vor die geöffneten Fenster der Neu- Wenn Nietzsche die kleinste Welt
schon nach einer Gelegenheit, Ihnen mei- „Denn wie man sich bettet, so liegt en Galerie gestellt, forderten sie geradezu spät „als das überall Entscheidende ent-
ne Liebe zu gestehen! Ihre Frau Mama man“, heißt es in Brechts „Aufstieg und den Bezugsrahmen der Außenwelt. deckt“, so hängt dies mit seiner Abkehr
(die man im Hintergrund auf der anderen Fall der Stadt Mahagonny“: Wie man Flirten kann man immer im Museum, von der Metaphysik zusammen. Was er
Seite des Sofas schlafen sieht) hört uns sitzt, so sieht man, gilt im Museum. Im egal mit welcher Kunst und welchen Sitz- verachtet, ist nicht das Kleine, sondern
doch nicht?“ „O, da seien Sie unbesorgt Museum of Modern Art in New York zum möbeln es bestückt wird. Da ist es uner- das geistig Kleine, die erlogene Größe
–“, erwidert sie gelassen, „meine Mama Beispiel standen schon in den dreißiger heblich, ob ein bequemes Sofa bereitsteht idealistischer Begriffe. Der Weg zu wah-
schläft in der Ausstellung immer am fes- Jahren nur noch stark abgespeckte Versio- wie in den Museen des neunzehnten Jahr- rer Größe ist dagegen nicht ohne Aner-
testen!“ nen des gemütlichen Prunksofas. So fort- hunderts oder bloß eine Holzbank wie im kennung des Kleinen möglich. Hier bie-
Dass die junge Frau in Ausstellungen schrittlich, wie hier die Kunst in einer lo- Metropolitan Museum (in „Dressed to tet sich Nietzsches Metapher der Er-
so gut flirten und ihre Mutter so gut schla- ckeren Abfolge offener Alkoven präsen- Kill“). Still sitzen und betrachten ist auch kenntnis an, die den distanzierten Seh-
fen kann, liegt nicht zuletzt an dem kom- tiert wurde, so dynamisch sollte sich nun so oder so immer möglich. Doch mit ande- sinn als das klassische Organ der Ver-
fortablen Sofa, das man ihnen hier zur auch der Museumsbesuch gestalten. Dem ren Besuchern Erfahrungen auszutau- nunft suspendiert.
Verfügung gestellt hat. Allein ein Blick Sog der Avantgarde folgend, blieb dem Be- schen, die Ausstellungsstücke zu verglei- Maulwurfsgleich, blind dem Tast-
auf die Sitzmöbel zeigt, welcher Reich- sucher gar nichts anderes übrig, als nur chen, das erleichtern nur wenige Ausstat- sinn vertrauend, wühlt er sich vor und
tum an Erfahrungen im Museum zu ma- kurz auf den Bänken zu verweilen. Und tungen. Umso bewusster sollte man sich rüttelt an den Prinzipien, bis er im Kel-
chen ist. Doch nicht immer ist alles gleich heute, in Londons Tate Modern, sind die vielleicht auf diese alte Tradition der kom- lergewölbe der Vernunft die Affekte
gut möglich gewesen, denn die Art und eigens vom Architektenduo Herzog & de munikativen Museumsnutzung besinnen. und Triebe entdeckt. Gebündelt im Wil-
Weise, wie man als Besucher gesetzt Meuron entworfenen lehnenlosen Bänke Selten kann man sich so angeregt austau- len zur Macht, wirken die intellektuel-
wird, verrät eine unausgesprochene Er- sogar rechts und links leicht abschüssig, schen und so unterschiedliche Betrach- len, emotionalen und affektiven Kräfte
wartungshaltung und hat sich im Laufe als wollten sie einen von sich aus weiter- tungsweisen gleichberechtigt, aber nicht als schöpferischer Trieb zum Leben, als
der Geschichte gewandelt. Gemütliches schicken. Die Sitzgelegenheiten sind gleichgültig, nebeneinander gelten lassen der Drang, sich stetig selbst zu überstei-
Wegdämmern zum Beispiel wurde von eben mehr als bloße Bequemlichkeiten. wie im Museum. Es ist ein wesentliches gen. Die Welt zeigt sich dann, wie
der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahr- Sie dienen dem jeweiligen Museumskon- Merkmal jeder Kunstbetrachtung. Aber Annemarie Piper (Basel) darlegte, als
hunderts umso leichter möglich, als man zept genauso wie die Auswahl und Hän- wie viele öffentliche Räume dieser Art eine Vielzahl von Willen, die immer
anfing, große Heizkörper in die Mitte der gung der Exponate und beeinflussen un- gibt es eigentlich noch? weiter, immer höher hinausstreben.
Museumsräume zu stellen und sie als So- ser Verhalten im Kleinen ähnlich wie die Das Streben nach Größe beginnt
Charlotte Klonk unterrichtet Kunstgeschichte an
fas zu tarnen. Gleich zwei solcher Ruhe- Architektur der Gebäude im Großen. der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihr Buch zur demnach mit dem Bewusstsein, dass
möglichkeiten befanden sich im durch So- Seit dem Aufkommen der Blockbuster- Geschichte der Museumsraumgestaltung „Spaces das Leben an niedere Voraussetzungen
fas beheizten großen Saal der Nationalga- Ausstellungen in der zweiten Hälfte des of Experience – Art Gallery Interiors from 1800 gebunden bleibt. Mit dieser Umwer-
lerie in Berlin um 1900. Zuvor war es eher zwanzigsten Jahrhunderts sind Museums- Bernhard Pankoks Museumsraum in der Königlichen Gemäldegalerie in Stuttgart von to 2000“ ist gerade bei Yale University Press er- tung ist die Rehabilitierung vormals dif-
üblich gewesen, die Warmluft durch Ei- räume vor allem für den Durchlauf von 1907: Neben Sofas stehen Schreibtische zur seriösen Kunstbetrachtung bereit. Foto Archiv schienen. famierter Begriffe verknüpft, etwa der
Selbstsucht, die Nietzsche zum Gedei-
hen des Lebens für unabdingbar hält.
Jakob Dellinger (Klosterneuburg) führ-
Niemand will zum Osten gehören te anhand von Nietzsches später Auto-
biographie „Ecce Homo“ aus, wie das
Kleine die Verbindung zum Triebhaf-
Eine windige Geschichte: Vergeblich fahnden Historiker auf einer Londoner Tagung nach deutschen Bildern des Westens vor 1914 ten und Individuellen schafft und letzt-
lich die Anerkennung des Kontingen-
Der Husarengeneral Bamme weiß, woher on geschichtsphilosophisch fasst, hat Quel- rie anknüpfen konnte, die nach der Wie- tion in die Länder der Revolution. Aber in als positives Konzept denn als Gegenbe- ten ermöglicht, gipfelnd in der Allbeja-
der Wind weht. Fontane lässt ihn in „Vor lenwert für die Reichsgründungszeit, nicht dervereinigung mit Heinrich August Wink- den politischen Briefen der Altachtund- griff: „Niemand wollte zum Osten gehö- hung des amor fati.
dem Sturm“ das Aufkommen bürgerlicher für die Zeit der Befreiungskriege. lers populärem Werk „Der lange Weg vierziger, einem klassischen Medium der ren.“ Frie dagegen beharrte darauf, für Dass sich Nietzsche in seinem An-
Offiziere erklären. „Und woher das alles? Wie Michael Rowe (London) berichte- nach Westen“ eine erstaunliche Renais- die Machtlosigkeit kompensierenden preußische Selbstlokalisierungen im neun- spruch auf Größe hier freimütig als ein
Sie wissen es. Von drüben; Westwind.“ te, wurden die Ereignisse von 1789 in Preu- sance erlebt hat. Zur Verblüffung der Orga- Phantasie, fand Jansen keine Konzepte zehnten Jahrhundert habe die Ost-West- Produkt der kleinen Dinge zu erkennen
Auch in den Staaten, die im Krieg gegen ßen nicht als „westliche“ Revolution ver- nisatoren boten die Referate zum neun- idealer Blockbildung. Die Ost-West-Unter- Linie keine Bedeutung gehabt. Kühn pos- gibt, ist nicht unproblematisch, weil die
das revolutionäre Frankreich stehen, ent- standen, sondern in hergebrachten Kate- zehnten Jahrhundert im kalendarischen scheidung war nicht wichtiger als der tulierte er eine Erklärung des Nichtvorhan- Anerkennung des Kleinen in der Auto-
falten die Prinzipien der Revolution Wir- gorien als Konflikt zwischen Fürst und Verstande bis auf eine Ausnahme eine Nord-Süd-Gegensatz zwischen den protes- denseins dieses Vokabulars: Eine ideologi- biographie auch im Dienst gelungener
kung. Der Wind als Metapher in der ge- Ständen. Als es dann zu Gewaltexzessen Fehlanzeige. Die Vorstellung, dass Eng- tantischen und den katholischen, angeb- sche Aufladung der Himmelsrichtungen Selbstdeutung steht. Dellinger sprach
schichtlichen Betrachtung bezeichnet kam, galt das als typisch französisch. In land, Frankreich und Nordamerika eine so- lich für Revolution und Despotismus glei- hätte die Einheit des preußischen Staates von einem brüchigen Bejahungsgestus,
eine quasi-natürliche Kraft, gegen die his- der Rigaer Denkschrift Hardenbergs von ziale, politische und geistige Welt bilden, chermaßen anfälligen Ländern. gefährdet, da sich rheinische und altpreu- der den Zufall zum gewollten Schicksal
torische Kritik nichts ausrichtet. Diese 1807 heißt es, die Revolution habe den ist in den Quellen nicht nachweisbar – zu So überraschend wie eindeutig auch ßische Provinzen in verschiedenen histori- umdeutet, um die Ohnmacht vor dem
Macht ist durch den Nachweis des Ge- Franzosen „unter Blutvergießen“ einen schweigen von der Idee deutscher Nichtzu- das Ergebnis, das Thomas Rohkrämer schen Zeitzonen wiedergefunden hätten. Kleinen zu harmonisieren.
machtseins nicht zu schwächen, durch „ganz neuen Schwung“ gegeben. Harden- gehörigkeit zu dieser Welt. (Lancaster) zur Kulturkritik des Kaiserrei- Als klärend und befreiend wurde der Nietzsche blickt auf die Moderne
Spott über publizistischen Wirbel und die bergs Schwung ist sozusagen die Innensei- Christian Jansen (TU Berlin) hat 2004 ches vortrug: Polemik gegen Westeuropa Vortrag von Marcus Llanque (Augsburg) von der Warte des aristokratischen Kul-
aufgeblähte Sprache der Tendenzphiloso- te von Bammes Westwind, aber obwohl da- eine voluminöse Sammlung von Briefen hätte von der deutschen Selbstkritik nur über die „Ideen von 1914“ empfunden. turkritikers, der sich um strukturelle
phen. Nach der Bestimmung der Windrich- mit der Gedanke eines Rückstands der deutscher Liberaler und Demokraten aus abgelenkt. Den von der Kulturkritik ausge- Erst mit dem Ende des „langen“ neunzehn- Prozesse samt ihren Folgen für die Mög-
tung des welthistorischen Moments bleibt Fürstenstaaten formuliert ist, beschrieben dem „langen“ Jahrzehnt nach der Revolu- machten Feinden Deutschlands wurde ein ten Jahrhunderts kann dem Gegenstand lichkeit subjektiver Größe nicht viel zu
Bamme im Bild. „Ich mache mir nichts die preußischen Reformer laut Rowe den tion von 1848 ediert. Im Januar 1851 äu- globales, kein hemisphärisches Wühlen der Tagung, dem „Westen“ als weltpoliti- kümmern hatte. Der große Mensch
aus diesen Windbeuteln von Franzosen, für nötig gehaltenen Umbau der Gesell- ßerte sich Ludwig Simon gegenüber Carl zugeschrieben: Juden, Katholiken, Sozia- schem Parteibegriff, Existenz zugespro- muss sich von diesen verkleinernden
aber in all ihrem dummen Zeug steckt im- schaftsordnung nie als Verwestlichung. Mayer skeptisch zur Möglichkeit einer listen. Angesichts der höchst vereinzelten chen werden. Nun wurde auf beiden Sei- Kräften befreien. Während Jacob
mer eine Prise Wahrheit.“ Das Scherzwort Legte Fontane dem alten Husaren die Rückwendung der österreichischen Politik Quellenfunde forderte Frie, den „Schwel- ten der Front, wozu angesichts des allge- Burckhardt in seinen Vorlesungen über
ist geeignet, eine Ahnung von der Stärke Sprache einer Geopolitik der Ideen in den von Mittel- nach Osteuropa. „Jeder Ver- lenwert“ der gemeinsamen Untersuchung meinen Wahlrechts im Deutschen Reich geschichtliche Größe das neunzehnte
des in Rede stehenden Windes zu geben. Mund, die sich erst später ausbreitete? such, ,Kultur nach Osten‘ zu tragen, müss- zu definieren: Wann sei der „Westen“ eine vorher kein Anlass bestanden hatte, die Jahrhundert skeptisch resümiert („Grö-
Für unwiderstehliche historische Bewe- Wahrscheinlicher ist wohl im Gegenteil, te ja zu Konflikten mit Russland, d.h. zur Kategorie und nicht nur ein gelegentli- Demokratie als westlich gekennzeichnet. ße ist, was wir nicht sind“), nimmt
gungen ist charakteristisch, dass die Akteu- dass Fontane mit dem Windrosenbild das Schwächung des letzten Hortes der Monar- ches Bild? Ein kurioses Missverständnis Ernst Fraenkels Aufsatzsammlung Nietzsche einen neuen Anlauf: „Und
re sich vor dem Hintergrund des Gesche- Eigentümliche von Bammes zeithistori- chie führen. Der koalisierte Absolutismus ist bezeichnend für die Verwirrung, die „Deutschland und die westlichen Demo- nochmals gefragt: Ist heute – Größe
hens lächerlich klein ausnehmen. scher Beobachtungsweise treffen wollte. strebt jetzt mächtig nach Westen, es wird der negative Befund im Kreis der Organi- kratien“ von 1964 steht in der Kontinuität möglich?“ Und er sieht die Zeit der gro-
Auf einer Londoner Tagung über „Deut- Denn Frie hat bei einer Durchsicht von jetzt entschieden Kultur nach Westen ge- satoren auslöste: So selten, wie von man- solcher durch Krieg motivierter Abgren- ßen freien Geister kommen, der Philo-
sche Bilder ,des Westens‘ im langen neun- Fontanes literarischem Gesamtwerk gera- tragen, von Russland nach den Donaulän- chen Rednern behauptet, komme das zungsbemühungen. Riccardo Bavaj (St. sophen von morgen und übermorgen,
zehnten Jahrhundert“, die das Deutsche de einmal zwei weitere Stellen gefunden, dern, der Türkei und Griechenland, von Suchwort in den Quellen nun auch wieder Andrews) konnte freilich zeigen, dass die als furchtbare Gesetzgeber auftre-
Historische Institut mit der Universität an denen die westliche Himmelsrichtung Österreich nach Deutschland.“ nicht vor, gab einer der Veranstalter in ei- Fraenkel aus dem amerikanischen Exil ten würden. War seine schrille Prophe-
von St. Andrews ausrichtete, führte Ewald eine ideenpolitische Bedeutung hat. In dieser höhnischen Lagebeschreibung ner Zwischenbilanz zu bedenken, Frie und der Aufklärungsarbeit im Zweiten tie ein selbstbewusst gewählter Flucht-
Frie (Tübingen) die Stelle aus „Vor dem Die Veranstalter hatten strikte positivis- erscheint die Niederschlagung der Revolu- habe den „Westen“ treffend als Schwellen- Weltkrieg kein Konzept der Erziehung punkt oder ein Überwindungsversuch
Sturm“ in seinem Vortrag über „geistige tische Vorgaben im Sinne einer Begriffsge- tion als Parodie und Umkehrung der von wert charakterisiert. zur Westlichkeit nach Deutschland mitge- aus Verzweiflung, die letzte Zuflucht ei-
Landkarten“ Preußens an. An dem 1878 schichte als Wortgeschichte gemacht. Ge- Liberalen erträumten Kultivierung des Os- Die Ausnahme war der Vortrag von Jan bracht hat. Geradezu plötzlich definierte nes Gedemütigten? Die Konferenz
veröffentlichten Roman hatte Fontane zu- sucht waren Belege für einen ideologi- tens, der säkularisierten Fortsetzung der Schröder (Berlin) über den Platz Deutsch- er von 1960 an die Demokratie amerikani- durchzog in dieser Hinsicht ein skep-
erst 1862/3 gearbeitet, fünfzig Jahre nach schen Gebrauch des Wortes „Westen“ be- christlichen Slawenmission. Assoziieren lands im Mächtesystem nach den Vorstel- schen Typs als westlich. Einer seiner Berli- tisch-ironischer Ton. Es scheint etwas
den im Buch behandelten Ereignissen. ziehungsweise des zugehörigen Adjektivs. darf man den hegelianischen Gedanken lungen rheinpreußischer Liberaler im Vor- ner Schüler war Heinrich August Wink- damit auf sich zu haben, dass man sich
Das emblematische Bild, mit dem der Hu- Auf diesem Weg sollte ermittelt werden, des Historikers Georg Gottfried Gervinus märz. Bei diesen Fortschrittsfreunden be- ler, der in diesem Herbst bei C. H. Beck von Nietzsche heute zwar noch inspirie-
sarengeneral die sozialhistorischen Au- an welche Traditionen des deutschen von der Wanderung der Freiheit von Ost gegne der Westen durchaus als ideenpoliti- eine „Geschichte des Westens“ heraus- ren, aber nicht mehr infizieren lassen
ßenwirkungen der Französischen Revoluti- Selbstverständnisses die Sonderwegshisto- nach West, aus dem Land der Reforma- sche Richtungsangabe, allerdings weniger bringt. PATRICK BAHNERS will. THOMAS THIEL

Das könnte Ihnen auch gefallen