Wassermanagement
Aus dem Programm
Bauwesen
Wassermanagement
von M. Grambow
Bauobjektüberwachung
von F. Würfele, B. Bielefeld und M. Gralla
vieweg
Martin Grambow
Wassermanagement
Integriertes Wasser-Ressourcenmanagement
von der Theorie zur Umsetzung
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.
1. Auflage 2008
Alle Rechte vorbehalten
© Friedr. Vieweg & Sohn Verlag | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008
Lektorat: Karina Danulat / Annette Prenzer
Der Vieweg Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media
www.vieweg.de
ISBN 978-3-8348-0383-2
V
Das Thema Wasser ist sicherlich eines der bedeutendsten Themen der Menschheit des einund-
zwanzigsten Jahrhunderts. Die Industriestaaten der westlichen Welt haben in der Wasserver-
sorgung und Abwasserentsorgung in den letzten Jahrzehnten beträchtliche Fortschritte erzielt,
so dass zum Beispiel in Deutschland nahezu überall und jederzeit sauberes Trinkwasser und
eine geregelte Abwasserversorgung zur Verfügung stehen. Das ist in weiten Teilen der Welt
mitnichten der Fall, so dass es gute Gründe gibt, mit unseren Erfahrungen auch in anderen
Ländern nach angepassten Lösungen zu suchen.
Das Bayerische Umweltministerium hat daher bereits vor über zehn Jahren die Initiative Tech-
nologietransfer Wasser (TTW) gegründet, um Projekte der Wasserwirtschaft in der internatio-
nalen Zusammenarbeit zu unterstützen. Diese Initiative TTW ist am Wasserwirtschaftsamt Hof
angesiedelt und wurde viele Jahre lang von dem Autor des vorliegenden Buches erfolgreich
geleitet. Seine außerordentlichen Leistungen haben schließlich dazu geführt, dass Herr Dr.
Grambow zum Chef der bayerischen Wasserwirtschaftsverwaltung berufen wurde.
Der Verfasser des Vorwortes ist durchaus stolz darauf, Herrn Grambow seinerzeit angeregt zu
haben, seine umfangreichen Kenntnisse und Erfahrungen im internationalen Wassermanage-
ment wissenschaftlich aufzuarbeiten und als Dissertation vorzulegen. Herr Grambow hat diese
Anregung bereitwillig aufgegriffen und mit großem Engagement – neben seiner Tätigkeit als
leitender Ministerialbeamter – diese Arbeit angefertigt und damit erfolgreich promoviert. Dem
Vieweg-Verlag gebührt Dank und Anerkennung, dass er dieses wichtige Werk nun als Buch
einer breiten Öffentlichkeit zugänglich macht.
Das so genannte „Integrierte Wasserressourcen-Management (IWRM)“ existiert zwar bereits
seit den neunziger Jahren und ist ständig verbessert worden. Herr Grambow hat mit seiner
langjährigen Erfahrung erkannt, dass dieses System dennoch erhebliche Umsetzungsschwä-
chen aufweist. Im ersten Teil des Buches wird daher zunächst eine nahezu vollständige Analy-
se der Strategien im Wassersektor vorgenommen. Schwerpunkte dieser Analyse sind die öko-
logische, ökonomische und gesellschaftlich-soziale Bedeutung sowie die Strategien der inter-
nationalen Institutionen der Wasserwirtschaft.
Ausgehend von dieser umfassenden Analyse hat der Autor eine ganzheitliche Strategie für die
Umsetzung des internationalen Wassermanagements erarbeitet. Dieser Lösungsansatz besteht
aus sechs Teilstrategien, wie angepasste Technologie, Management, Finanzierung und Steue-
rung, human factor, Netzwerke und Kommunikation sowie Kultur. Daraus wurden nahezu
fünfzig Ansätze abgeleitet, die es zukünftig ermöglichen sollen, die erfolgreiche Umsetzung
des Wassermanagements in der Praxis zu gewährleisten.
Dieses Buch zeigt auch, dass sich der Rohstoff Wasser nur begrenzt mit den Gesetzen des
freien Marktes begreifen lässt. So gibt es eine Art Menschenrecht auf Wasser, dessen Missach-
tung bis zu kriegerischen Konflikten führen kann. Wasser ist zudem ein Gut, welches sehr
stark von Randbedingungen wie geografischer Lage, kultureller Prägung und ethischer Er-
kenntnis beeinflusst wird. Unter Berücksichtigung dieser Komplexität liegt es auf der Hand,
dass es kein monokausales Lösungskonzept geben kann. Ein Integriertes Wasserressourcen-
Management kann nur erfolgreich sein, so das Credo des Autors, wenn es iterativ, offen, integ-
ral, interaktiv und partizipativ gestaltet wird.
VI Vorwort
Damit zeigt sich auch, dass für dieses wahrhaft interdisziplinär angelegte Buch erhebliche
technische, ökonomische, rechtliche sowie philosophische Kenntnisse erforderlich waren,
welche dem gelernten Ingenieur Grambow naturgemäß nicht in die Wiege gelegt wurden. Es
hat bislang kein Werk gegeben, welches das Thema Wassermanagement derart systematisch
und wissenschaftlich sowie zugleich praxisnah und überzeugend darstellt.
Dieses Buch ist ein wirklicher Almanach der internationalen Wasserwirtschaft geworden. Eine
große Verbreitung und eine rasche Umsetzung der wegweisenden Erkenntnisse sind in unser
aller Interesse sehr zu wünschen.
Danksagung
Mein Dank gilt besonders meinem wissenschaftlichen Mentor Professor Martin Faulstich,
sowie Professor Holger Magel, Professor Peter Wilderer und Professor Theo Strobl für die
Mitbetreuung, den vielen Kollegen/innen und Freunden/innen der bayerischen und internatio-
nalen Wasserfamilie und den Korrektoren/innen, die mir so sehr geholfen haben.
Dieses Buch widme ich im Sinne der Nachhaltigkeit meinen Söhnen Konstantin und Julius,
stellvertretend für die Kinder dieser Welt.
Inhaltsverzeichnis
Einführung..................................................................................................................................................1
3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM ......................................... 87
3.1 These und Ansatz....................................................................................................................... 87
3.1.1 These .......................................................................................................................... 87
3.1.2 Lösungsansatz................................................................................................................. 88
3.1.2.1 Lösungsansatz aus sechs Hauptfeldern............................................................. 88
3.1.2.2 Lösungsansatz aus komplexen Systemen (Chaostheorie)................................. 90
3.2 Angepasste Technologie............................................................................................................ 92
3.2.1 Entwicklung und Bedeutung der angepassten Technologie............................................ 92
3.2.1.1 Bestandsaufnahme............................................................................................ 92
3.2.1.2 Zuordnung der angepassten Technologie zum Nachhaltigkeitssystem............. 95
3.2.2 Methode der Weiterentwicklung der Technologie aus erkannten Mängeln.................... 98
3.2.3 Anpassung unter ökonomischen Gesichtspunkten.......................................................... 99
3.2.3.1 Beispiele für nicht angepasste technische Lösungen ........................................ 99
3.2.3.2 Zeitabhängige Problementwicklungen ........................................................... 104
3.2.4 Anpassung unter Umweltgesichtspunkten .................................................................... 105
3.2.4.1 Klimatische Anpassung .................................................................................. 105
3.2.4.2 Wirkungen auf die Umwelt ............................................................................ 106
3.2.4.3 Technologie der Anpassung durch die Umweltverträglichkeitsprüfung......... 108
3.2.5 Anpassung unter sozial-kulturellen Gesichtspunkten ................................................... 111
3.2.5.1 Zweckbestimmung ......................................................................................... 111
3.2.5.2 Kulturelle Umwelt .......................................................................................... 112
3.2.6 Ausgewählte Lösungsansätze zum Erreichen einer angepassten Technologie ............. 113
3.2.6.1 Richtige Lokalisierung ................................................................................... 113
3.2.6.2 Wasserversorgung und Abwasserentsorgung ................................................. 118
3.2.6.3 Regelwerke als Unterstützung einer angepassten Technologie ...................... 119
3.2.6.4 Aus- und Fortbildung ..................................................................................... 120
3.2.6.5 Verzahnung Planer – Betreiber, Kunde – Auftragnehmer .............................. 121
3.2.6.6 Öffentlich-rechtliche Fachstellen als Qualitätsmerkmal................................. 122
3.2.6.7 Unterstützung durch Forschung, Entwicklung
und Benchmarking ......................................................................................... 124
3.2.6.8 Wettbewerb, Ausschreibungen ....................................................................... 129
3.3 Management ............................................................................................................................ 132
3.3.1 Prinzipieller methodischer Ansatz zur Entwicklung und Implementierung
von angepasstem Management ..................................................................................... 133
3.3.2 Normativ-strukturelles Management ............................................................................ 135
3.3.2.1 Ansatz des „Viersäulenmodells“ .................................................................... 135
3.3.2.2 Säule I und IV: Staat und Staatsverwaltung (good governance),
Bürgergesellschaft .......................................................................................... 137
3.3.2.3 Säule II: Die Kommunen................................................................................ 152
3.3.2.4 Säule III: Der private Sektor........................................................................... 161
3.3.3 Operatives, betriebswirtschaftliches Management ....................................................... 164
3.3.3.1 Grundregeln des nachhaltigen Managements ................................................. 165
3.3.3.2 Managementmethoden ................................................................................... 167
3.3.4 Spezielle Kapitel eines erfolgreichen Wassermanagements ......................................... 170
3.3.4.1 Ergebnisse der Chaosforschung als Teil der Kreativität und der
Qualitätssicherung .......................................................................................... 170
3.3.4.2 Besondere Nachhaltigkeitskriterien................................................................ 172
3.3.4.3 Veränderungsmanagement: ............................................................................ 177
3.3.4.4 Flusseinzugsgebietsmanagement.................................................................... 182
3.3.4.5 Flächenmanagement ....................................................................................... 187
3.4 Finanzierung und Steuerung .................................................................................................... 190
3.4.1 Regelung des freien Marktes: Was steuern private Lösungen bei? .............................. 191
3.4.2 Beiträge und Gebühren................................................................................................. 193
Inhaltsverzeichnis IX
5 Anhang.............................................................................................................................................243
Anhang 1: Beispiele für Wasserkonflikte ................................................................................................243
Anhang 2: Aufgaben des normativen Managements................................................................................245
Anhang 3: Probleme bei der Quantifizierung der Regierungsleistung .....................................................246
Anhang 4: Good Governance bei der GWP .............................................................................................252
Anhang 5: Kennzahlen der bayerischen Wasserwirtschaft ......................................................................254
Anhang 6: Organisation der bayerischen Wasserwirtschaftsverwaltung..................................................255
Anhang 7: Skizzenhafter Vergleich der bayerischen Wasserwirtschaft mit der Agenda 21 ....................257
Anhang 8: Nachhaltigkeitskriterien nach Kahlenborn/Kraemer ..............................................................261
Anhang 9: Human Factor in der Agenda 21 (zu 3.5.2) ............................................................................262
Anhang 10: Wasserversorgung in Eritrea, Beispiel für integrale Ansätze ...............................................264
Anhang 11: Ambitec als System und der Fall Toritama (zu 3.6.1.3) .......................................................265
Anhang 12: Leitfaden TTW (Stand 6.11.2002)........................................................................................272
Anhang 13: Beispiel für Implementierung kultureller Belange: Oberkotzau in Oberfranken
(zu 3.7.2.2) ...........................................................................................................................275
Literaturverzeichnis...............................................................................................................................276
Sachwortverzeichnis ..............................................................................................................................285
XI
Abkürzungsverzeichnis
A21 Agenda 21
ADB Asian Development Bank
APGOOD UK Parliament All Party Group on Development
AT Verband Verband für angepasste Technologie
BayWG Bayerisches Wassergesetz
Bfz Berufliche Fortbildungszentren der Bayerischen Wirtschaft
BGW Bundesverband Gas und Wasserfach
BMBF Bundesministerium für Bildung und Forschung
BMZ Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
BOO Build Operate Own
BOT Build Operate Transfer
CAD Computer Aided Design
CGIAR Consultativ Group on Agricultural Research
COMPESA Wasserver- und -entsorgung im Staat Pernambuco, Brasilien
DWA Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (al. ATV-DVWK)
ESCR UN- comitee of Economic, Social and cultural Rights
FIAN FoodFirst Netzwerk
GTZ Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit
GUS Mitgliedsstaaten der ehemaligen Sowjetunion
GWP Global Water Partnership
HOAI Honorarordnung für Architekten und Ingenieure
IADB Interamerican Development Bank
IIED Institut für nachhaltige Entwicklung
IKSD Internationale Kommission zum Schutz der Donau
IPWSKR Intern. Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte
IRN International Rivers Network
IT Informationstechnologie
IWA International Water Association
IWRM Integriertes Wasserressourcenmanagement
JMP Joint Monitoring Program (WHO / UNICEF)
KfW Kreditanstalt für Wiederaufbau
KMU Klein- und Mittelständische Unternehmen (engl. SME)
LAWA Länderarbeitsgemeinschaft Wasser
LEP (bayerisches) Landesentwicklungsprogramm
M&A Merger and Acquisition Management
MDGs Millennium Development Goals
MMA Bras. Ministério do Meio Ambiente, dos Recursos Hídricos e da Amazônia Legal
NGO Non Governmental Organisation
OAS Organisation Amerikanischer Staaten
OBB Oberste Baubehörde im bayerischen Staatsministerium des Innern
ODI Englisches Überseeinstitut
PLANAT Schweizer Plattform Naturgefahren
PPP Public Private Partnership
QM Qualitätsmanagement
SABESP Wasserver- und -entsorgung in Staat Sao Paulo, Brasilien
SME Small and medium sized enterprises (s. a. KMU)
SRU Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung
StMUGV Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz
TQM Total Quality Management
XII Abkürzungsverzeichnis
Einführung
Der Zustand des Wassersektors steht zunehmend im Fokus weltweiter Umwelt- und Entwick-
lungsprogramme. Für den Wassersektor wurde der Ansatz des Integrierten Wasser-
Ressourcenmanagements (IWRM) zum maßgeblichen Umsetzungsmodell, entwickelt aus der
Agenda 21 (A21)und der dort begründeten Nachhaltigkeitsansätze. Konkrete Ziele ergeben
sich für den globalen Wassersektor vor allem aus den Millennium Development Goals
(MDGs) der UN von 2001.
Obwohl die theoretischen Grundlagen des IWRM seit 1995 immer weiter verfeinert wurden,
verschärfen sich die weltweiten Probleme auf dem Wassersektors, gleichzeitig zeigt das
IWRM Umsetzungsschwächen. Um die erkannte Lücke zwischen dem theoretisch eingängigen
Ansatz des IWRM einerseits und andererseits der Probleme, diesen Ansatz in der praktischen
Arbeit umzusetzen, zu schließen, haben Weltbank und Global Water Partnership 2002 die
Losung „from vision to action“ herausgegeben. Alle Beteiligten des Wassersektors sind aufge-
rufen, Beiträge zu leisten.
Die vorliegende Arbeit folgt diesem Aufruf aus wissenschaftlicher, aber auch aus praktischer
Sicht. Die Anwendung der Prinzipien der A21 in der praktischen Arbeit des Verfassers sowohl
in Bayern als auch im internationalen Raum, sowohl in der Administration wie auch bei kon-
kreten Wasserprojekten hat bewiesen, wie leistungsfähig die integralen Ansätze sein können.
Der Betrachtungsraum ist grundsätzlich die internationale Wasserwirtschaft (mit einem
Schwerpunkt auf Beispielen aus Europa, Asien, Zentralasien und Lateinamerika); es entspricht
aber dem Modellansatz, dass die Ergebnisse prinzipiell auch für die Binnenwasserwirtschaft
Bayerns anwendbar sind.
Im Rahmen der Bestandsaufnahme in Kapitel 2 ist zunächst der Begriff der Nachhaltigkeit zu
diskutieren. Nachhaltigkeit ist ein überwiegend normatives Konzept. Es basiert auf der Forde-
rung einer sachgerechten Abwägung der ökologischen, ökonomischen und sozialkulturellen
Belange. Daraus entsteht in der Realität häufig ein Abwägungsdilemma, das nach herrschender
Lehre im Sinne einer schwachen (Position der Weltbank) oder einer starken Nachhaltigkeit
(Position z. B. des Sachverständigenrates der Bundesregierung) entschieden werden kann. Die
Lösung ist keine einseitige Entscheidung, sondern eine Forderung einer im Sinne des KANT-
schen kategorischen Imperativs sauberen Abwägung, die je nach Sachlage nicht nur ökologi-
sche, sondern auch soziale und ökonomische Kriterien als ‚starke’ Belange berücksichtigt.
Die Situationsgebundenheit erfordert ein vertieftes Verständnis der derzeitigen Sichtweisen
und Motivationen der im Wassersektor handelnden und betroffenen Gruppen (stakeholder) wie
Staaten und NGO’s, Weltbank, UN und anderen. In der ökonomischen Betrachtung wird die
wirtschaftliche Bedeutung des Wassersektors beleuchtet, die sich im Wesentlichen aus den
eigentlichen Infrastrukturleistungen, die weltweit mit 100 bis 200 Mrd. $ Jahresumsatz ge-
schätzt werden, sowie den (materiellen und immateriellen) Kosten durch wasserverursachte
kritische Wirkungen wie Hochwasser oder Wassermangel zusammensetzt. Als erstes Hand-
lungsziel wird die Effizienz definiert, allerdings nicht nur bezogen auf die reine Ökonomie,
sondern grundsätzlich auf alle Nachhaltigkeitsbelange (Tripel- Belange).
Die bisherigen Lösungsansätze der Entwicklungszusammenarbeit sind ein Teil des Weltwirt-
schaftskreislaufs und gleichzeitig durch ihn geprägt (Monterrey-Konsensus). Dies beeinflusst
nach Auffassung der Sozialethik (RADERMACHER, ULRICH, STIGLITZ) auch soziale
2 Einführung
Fragestellungen bzw. berührt ein weltweites Gerechtigkeitsproblem, das sich auch auf die
Wasserwirtschaft auswirkt. Als weiterer Nachhaltigkeitsbelang, der auch im Wassersektor
normative Vorgaben entfaltet, ist deshalb in der Konsequenz die gesellschaftlich-soziale Be-
deutung des Wassersektors zu diskutieren. Global ist es zwar umstritten, ob es ein Menschen-
recht auf Wasser gibt. Aber auch ohne formelles Recht spricht einiges für diesen Anspruch.
Neben humanen Gründen liegt eine unmittelbare sozial-politische Dimension in möglichen
Konflikten ums Wasser, deren Potential laut UNESCO gewaltig ist. Teil dieses kritischen
Potentials ist der zum Teil hochemotional zwischen Befürwortern (Weltbank) und Gegnern
(Globalisierungskritiker) geführte Disput der Frage der richtigen Steuerung des Wassersektors,
also ob eher öffentliche bzw. staatliche oder durch die Prinzipien des freien Marktes gelenkte
Wasserwirtschaft erfolgversprechend ist. In der Diskussion werden einem Übergewicht der
ökonomisch– marktgesetzlichen Abwägung nach ULRICH die Grenzen der ökonomischen
Selbststeuerung entgegengehalten. Als Ergebnis ist festzustellen, dass es für alle Organisati-
onsformen der Wasserwirtschaft positive und negative Beispiele gibt, deren Erfolg offensicht-
lich sehr stark von den Rahmenbedingungen abhängt. Den oft behaupteten prinzipiellen Vor-
teil der privaten Lösungen gibt es dagegen nicht. Das macht den Weg zur Untersuchung alter-
nativer Lösungen frei.
Ein Ergebnis dieses Abschnitts ist also die grundsätzliche Bedeutung des Effizienzmanage-
ments für die Nachhaltigkeit, im Wassersektor durchaus mit einer Betonung auf ökologischen
Notwendigkeiten; ein anderes die Forderung, Wasser auch unter sozialen Gesichtspunkten zu
bewirtschaften.
Diese Erkenntnisse sind in den Ansätzen der großen Entwicklungsbanken und internationalen
Institutionen inzwischen prinzipiell enthalten. Insbesondere die dritte Fortschreibung der Welt-
bankstrategie im Wassersektor zeigt eine Öffnung gegenüber alternativen (öffentlich-
rechtlichen) Lösungen, gleichzeitig besteht aber immer noch eine tiefe Verhaftung in traditio-
nellen, auf dem „Bretton Woods System“ und dem „Washington Consensus“ basierenden
Grundhaltungen, die zusammen mit dem Bezug auf das anglo-amerikanische Rechtsgebäude
diverse Konsequenzen auf die weltweite Wasserpolitik hat.
Die EU hat mit der Verabschiedung der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) ein wasserwirt-
schaftliches Fundamentalpapier geschaffen, das trotz einiger administrativer Schwächen eine
Blaupause für nachhaltige Wasserwirtschaft darstellt. Außerdem hat die EU mit ihren ver-
schiedenen Programmen ein starkes Medium zur Umsetzung von Wasserthemen geschaffen.
Partielle Schwachstellen der Strategien liegen in der Unterstützung der ländlichen Gebieten
und dem bewusste Umgang mit dem Nachhaltigkeitsdilemma.
In der Abwägung der Diskussion der vorherigen Untersuchungen kommt die Arbeit zum Er-
gebnis, dass im Gegensatz zur bisherigen, weit verbreiteten Meinung die deutsche Wasserwirt-
schaft im internationalen Wassermarkt durchaus wichtige Lösungsalternativen bietet. Gerade
die bisher behaupteten Nachteile, ihre Kleinräumigkeit und starke kommunale Bezugnahme,
wandeln sich unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten zu Vorteilen. Das teilweise Scheitern der
bisherigen Ansätze der Weltbank gibt die Linie für eine alternative Lösung des „from vision to
action“- Ansatzes vor, die auf erfolgreichen Szenarien unter anderem bayerischer Wasserpoli-
tik gründen können.
Es ist nachgewiesen, dass es sich beim Wassersektor um ein ausgeprägt komplexes Gebiet
handelt: Dabei sind Umfeldkomponenten wie geografische Lage, aber auch gesellschaftlich-
kulturelle Hintergründe in Ursache und Wirkung in Form einer komplexen Rückkopplung
miteinander verbunden. Einige wichtige Prozesse sind aufgrund dieser Eigenschaften nicht
Einführung 3
mehr determinierbar, d. h. nicht mehr exakt planbar bzw. vorhersehbar. Als Erklärungsansatz
für solche Systeme erweist sich in wichtigen Teilen die Chaostheorie als geeignet, die bezüg-
lich der Gesellschaft insbesondere von KLAUS, bezüglich von Unternehmen und Institutionen
insbesondere von DESER angewendet wird. Als Lösungsmethodik bietet sich kein monokau-
sales Konzept an, wie zum Beispiel der Privatisierung, sondern nur eine iterative Vorgehens-
weise im Rahmen eines offenen und integralen Prozesses, der zudem auf interaktiven, partizi-
pativen Elementen basiert.
Für die im Kapitel 3 dargestellten Lösungsvorschläge ergibt sich damit eine Vorgehensweise,
die nicht auf linearen Lösungsansätzen sondern auf einem Lösungsraum basiert. Die verfügba-
ren Detaillösungsansätze müssen sozusagen gleichzeitig im Bewusstsein zur Verfügung ste-
hen, weil sie jeweils hochgradig voneinander abhängig sind. Die Hauptthemen und Stichworte
dieses Lösungsraumes des IWRM sind in Abbildung 1 einem normativen und einem operati-
ven Bereich zugeteilt, Farbe und Balkenlänge stellen eine qualitative Zuordnung dar1.
Netzwerke, Kommunikation
Human Factor, Persönlichkeiten
Kultur
1
Darstellung analog des St. Gallener Managementmodels, dass normatives und operatives Manage-
ment unterscheidet
4 Einführung
Die Arbeit identifiziert innerhalb des Lösungsraums aus Gründen der besseren Darstellbarkeit
sieben Felder bzw. Erfolgsfaktoren für das IWRM: Angepasste Technologie, angepasstes Ma-
nagement, Finanzierung, den Human Factor, Netzwerke und Kommunikation sowie Kultur.
Angepasste Technologie bedeutet, Schwachpunkte systematisch herauszuarbeiten und Vor-
schläge zur Systematik einer besseren Lösung zu unterbreiten. Typische Schwächen sind man-
gelnde Anpassung an die physikalische und kulturelle Umwelt sowie Abwägungsmängel, d. h.
die Verletzung des Effizienzgebotes, das sich hier allerdings ausdrücklich auf die Nachhaltig-
keit und nicht nur auf ökonomische Gesichtspunkte bezieht.
Ein Großteil der Aufgabe des IWRM „from vision to action“ fällt dem Bereich Management
zu. Ein aktueller Zentralbegriff ist die „good governance“, deren Herausforderungen und Prob-
leme eingehend diskutiert werden. Es ist ein offenes System vorzuschlagen, in dem Staat,
Kommunen, Privatwirtschaft und Bürgergesellschaft gemeinsam Pflichten der nachhaltigen
Wasserbewirtschaftung erkennen und diskutiert, unter welchen Umständen sie diese in wel-
chem Umfang wahrnehmen können. Basismodell ist dabei ein aktivierender Staat, der bezüg-
lich der Nachhaltigkeit eine Garantenstellung innehat, bei kommunaler Hoheit im Bereich
Siedlungswasserwirtschaft und unter erheblicher Beteiligung Privater in einer aktiven Bürger-
gesellschaft.
Der zweite Teil des Managementansatzes betrifft Detailfragen eines guten betrieblichen Mana-
gements. Auch hier gilt es, die Bandbreite der Managementtools zu kennen und die geeigneten
auszusuchen. Dazu wird insbesondere die Chaostheorie vertieft (die ihrerseits die Lösungsan-
sätze dieser Arbeit mitprägt). Neben klassischen Wasserthemen wie dem Flusseinzugsgebiets-
management kommt unter dem Aspekt der ländlichen Gebiete auch nach MAGEL der Frage
des Flächenmanagements große Bedeutung für die Umsetzung von IWRM zu.
Wichtigstes Ergebnis bezüglich der Finanzierung und Steuerung ist, dass alle bekannten Steu-
erungstools, von den Gebühren und Beiträgen für Wasserservices bis zu den Abgaben und
Steuern sowie (vollziehbaren!) Gesetzen und Verordnungen, genutzt werden müssen, um
nachhaltige Wasserwirtschaft zu erreichen. Lediglich das aus dem angelsächsischen Recht
stammende Mittel der handelbaren Wasserrechte wird abgelehnt.
Aufgrund der Feststellung, dass Erreichen von Nachhaltigkeit letztlich eine Willensfrage ist,
bekommt der Mensch als „human factor“ eine zentrale Rolle zugewiesen. Die Aufgabe der
Nachhaltigen Entwicklung muss sowohl durch die Gemeinschaft, sei es in einem Betrieb oder
der Gesellschaft, als auch in besonderem Maße durch die Entscheider wahrgenommen werden.
Die Aufgabe ist hier, diese Bedeutung herauszuarbeiten und Hinweise zu geben, wie ihr in der
Umsetzungsarbeit entsprochen werden kann.
Die Netzwerke sind logische Konsequenzen der Selbstorganisationskraft. Netzwerke sind
schwer determinierbar, haben aber eine hohe Außenwirkung. Ihre Systematik und Bedeutung
für die praktische Umsetzung von Wasserprojekten wird dargelegt.
Die Kommunikation ist als bedeutendes strategisches Element und Teil des aktivierenden
Staates in drei Bereiche aufzuteilen: Als erster Teilbereich ist die überwiegend auf Information
gegründete public awareness zu definieren- eine der wichtigsten Aufgaben der (demokrati-
schen) Wasserwirtschaft, weil sie die Voraussetzung für die Zustimmung der Bürger zum
Aufwand einer nachhaltigen Wasserwirtschaft ist. Die operative Kommunikation wird Teil
eines verhaltensbezogenen Dialogs mit dem Bürger, zum Beispiel im Risikomanagement. Die
„höchste Form“ der Kommunikation ist die Partizipation, die – selber Teil der Nachhaltig-
keitsphilosophie der A21 – zum Aktivposten der Bürgergesellschaft wird. Durch richtig ange-
legte partizipative Prozesse lässt sich ein vieldimensionaler Mehrwert erreichen.
Einführung 5
Die Kultur ist einen Bereich, dem sich die Technik üblicherweise nur vorsichtig nähert, dessen
Berücksichtigung sich im IWRM aber als unverzichtbar erweist. Hier sind zwei Ebenen abzu-
grenzen: erstens die implizite Kultur, unabweisbarer Teil jeden anthropogenen Prozesses, de-
ren bekanntester Teil die im internationalen Geschäft viel zitierte interkulturelle Kompetenz
darstellt. Implizite Kultur wird aber noch weitergehend gefasst: es ist die Beschäftigung mit
der Arbeits- bzw. Unternehmenskultur, die Kraft, aber auch Hemmschuh eines wasserwirt-
schaftlichen Vorhabens werden kann. Die zweite Ebene stellt die Berücksichtigung der explizi-
ten Kultur, d. h. der Akzeptanz der Kultur als Wert an sich dar. Um den Kernsatz herum, dass
Armut nicht nur in monetärer, sondern auch kulturell-spiritueller Sicht bestehen kann, entwi-
ckelt sich ein Ansatz, den Wert von Projekten durch Berücksichtigung kulturell-spiritueller
Bedürfnisse bewusst zu vergrößern. Auch hier erweist sich wieder die Partizipation als Schlüs-
sel zum Erfolg, weil durch sie die ansonsten schwer erkennbaren kulturellen Bedürfnisse in
Form von gesellschaftlichen Fraktalen zugänglich werden. Als Ergebnis wird eine Erweiterung
des A21-Dreiecks in einen Tetraeder vorgeschlagen, der als vierte Dimension die kulturell-
spirituellen Werte darstellt.
Die Berücksichtigung der Argumente dieser sieben Hauptfelder erleichtert die Umsetzung des
IWRM und den Schritt „from vision to action“.
7
2
Schwartz, Randall, 2004
3
NATO-CCMS 2003
8 1 Die weltweite Wasserkrise und unsere Zukunftsplanung
Die von der UN ermittelten Wasserstressgebiete werden laufend größer. In vielen Großstädten
der Erde werden stunden- oder tageweise Ausfälle zur Normalität. Am meisten leiden die
Ärmsten, die sich Flaschenwasser nicht leisten können, deren Hygiene auf der Strecke bleibt
und deren medizinische Versorgung schlecht ist. In diesem Milieu gelten bald keine Umwelt-
standards mehr, die Menschenwürde erstickt im Unrat.
Laut TÖPFER, dem Chef der UNEP, sterben pro Minute weltweit sechs Kinder an den
Folgen von Wasserproblemen!
Die Weltgemeinschaft hat sich mit den Millenniumszielen der UN hehre Ziele gesetzt, die
Situation wenigstens zu lindern. Technische Bauwerke, als Abhilfe gedacht, leisten aber nicht
immer, was von ihnen erwartet wird: Tausende von Wasserversorgungsanlagen und Abwas-
serentsorgungssystemen sind in einem schauderhaften Zustand, versagen. Es besteht über den
wahren Nutzen mancher Großprojekte wie großer Talsperren Unsicherheit, Umweltschutz
wird von manchen immer noch eher als Wirtschaftshemmnis, denn als Fortschritt gesehen.
Noch ist nicht sicher, in welche Richtung das Pendel zum Schluss ausschlägt, es gibt aber
hoffnungsvolle Ansätze.
So ist es in Deutschland nicht nur gelungen, den Energieverbrauch und das Abfallaufkommen
vom Bruttosozialprodukt zu entkoppeln, sondern es gibt im gesamten Wassersektor erhebliche
Erfolge. Der sensationellste ist die flächendeckende Qualitätsverbesserung der Oberflächen-
gewässer. Der Rhein, Sinnbild eines Flusses in einer internationalen Industriegesellschaft,
noch vor 30 Jahren durch Abwässer zum größten Teil biologisch tot, ist heute wieder Lebens-
raum für Forellen. Etwas verborgener, aber nicht weniger wichtig, ist die hohe Wasserqualität
des Trinkwassers. So ist es in Bayern üblicher Standard, dass Trinkwasser praktisch nicht
aufbereitet werden muss und dennoch in absolut erstklassiger Qualität aus der Leitung kommt
(vgl. Abbildung 28). Solche Erfolge gibt es in Europa und auf der ganzen Welt.
Dennoch gehört auf den Wassersektor bezogen schon einiger Optimismus dazu anzunehmen,
die Menschheit hätte die Situation im Griff. Die Fachleute wissen um den Umfang der Proble-
me, das ganze Bemühen geht dahin, vorhandenes Wissen und Fähigkeiten für eine Trendwen-
de einzusetzen.
Die Diskussion wird unter anderem von grundlegenden wirtschafts- und entwicklungspoliti-
schen Meinungsverschiedenheiten, zum Beispiel im Spannungsfeld zwischen Neoliberalismus
und Sozialer Marktwirtschaft, überlagert. Vor wenigen Jahren schien es, als sei die strategische
Entscheidung gefallen. Der freie, private Markt sollte die vorhandenen weltweiten Schwächen
der überwiegend öffentlichen Betreiber beseitigen, so wie es die Weltmarktordnung des IWF
und der WTO auch für andere Bereiche vorsieht. Sehr ernst vorgebrachte Kritik an dieser
Zielwelt, z. B. von ULRICH, RADERMACHER und STIGLITZ, und erhebliche Rückschläge
in der praktischen Umsetzung (z. B. die Krise in Argentinien) haben aber gezeigt, dass zumin-
dest im Wassersektor noch Bedarf an Diskussion und Alternativen besteht. Aber auch in der
Wahl der Technologie gibt es Meinungsverschiedenheiten, so bei der Frage der zentralen oder
dezentralen Lösungen, bei Qualitätsansprüchen und einigem mehr. Insgesamt aber mangelt es
an der praktischen Umsetzung.
In Jahre 2002 wurde von der Global Water Partnership – dem nominellen Urheber des Kon-
zeptes IWRM – und anderen internationalen Gruppen, wie der Weltbank, die Losung „from
vision to action“ ausgegeben, um jetzt auf der Basis der Theorie des integrierten Wassermana-
gements verstärkt Lösungen auszutesten und zu verbessern. In exakt diesem Spannungsfeld
bestehen bis heute Wissenslücken und divergierende Auffassungen: Was sind die besten ad-
ministrativen Voraussetzungen im Wassersektor und welche technischen /organisatorischen
Maßnahmen unterstützen eine rasche Umsetzung des IWRM? Wie geht man mit der Integrali-
tät am besten um? Der Anspruch dieser Arbeit liegt darin, zunächst das Umfeld der weltweiten
Sektorentwicklung darzustellen und daraus konkrete Lösungsansätze abzuleiten. Dazu wird die
Grundidee eines integralen Vorgehens aufgegriffen, d. h., die Arbeit geht davon aus, dass es
nicht ein einzelnes Kriterium oder eine kleine Schar von Kriterien sind, die nachhaltige Lö-
sungen kreieren, sondern vielmehr die möglichst vollständige Erfassung aller bekannten Krite-
rien die Erfolgsvoraussetzung ist. Dieser „ganzheitliche“ Ansatz wird in verschiedenen Veröf-
fentlichungen zwar als grundsätzliches Ziel definiert, ein Mangel besteht aber darin, dass die
Ausführungen regelmäßig nur normativen Charakter haben, d. h. es fehlt eben genau die Defi-
nition, wie diese Ziele konkret in die Praxis umgesetzt werden können. Die Trivialität: „Man
muss alles berücksichtigen, damit man alles berücksichtigt hat.“ genügt als Antwort nicht.
Vollständigkeit kann auch hinderlich sein, wenn die Aufgabenstellung dadurch zu komplex
wird. Dieses Problem der Komplexität ist systemimmanent. Vereinfachungen sind aber nicht
risikolos, weil nicht in jedem Fall der Einfluss eines bestimmten Parameters von vorneherein
bekannt ist. Es wird vorgeschlagen, die betroffenen und mitwirkenden Bereiche zunächst ein-
mal beschreiben, um dann qualifiziert zu den einzelnen betrachteten praktischen Aufgaben-
stellungen Schwerpunkte zu bilden und die Bemühungen auf wesentliche Bereiche zu fokus-
sieren.
Es wird also die Aufgabe dieser Arbeit sein, einmal ein möglichst vollständiges Bild aller
relevanten Einflussfaktoren aufzuzeigen und in der Konsequenz konkrete Vorschläge zu
ihrer Behandlung innerhalb von Prozessen zu unterbreiten oder wenigstens die Schnittstel-
le zu weiteren Überlegungen und Vertiefungen zu definieren.
Die Arbeit geht auf die international identifizierbaren Lösungsansätze und ihr Umfeld ein und
diskutiert diese kritisch. Zwei Ziele sollen damit erreicht werden: Erstens soll das Verständnis
für die Ansätze selber und deren komplexe Zusammenhänge und Hintergründe vertieft wer-
den. Zweitens soll aus den erkannten Prinzipien, insbesondere den Schwachstellen, dann eine
wissenschaftlich abgesicherte Fortentwicklung möglich sein, die versucht, die Wissenslücke
zwischen Vision und Umsetzung zu schließen. Die Arbeit zielt prinzipiell auf die internationa-
10 1 Die weltweite Wasserkrise und unsere Zukunftsplanung
le Wasserwirtschaft ab. Für einen deutschen Wasserwirtschaftler stellt sich aber die Frage,
welcher mögliche Beitrag für Lösungen internationaler Fragestellungen im deutschen Wasser-
wirtschaftssystem liegen könnte und umgekehrt, inwieweit sich das deutsche System von in-
ternationalen Ansätzen beeinflussen lassen sollte.
Die Überlegungen dieser Arbeit gründen auf den Erkenntnissen der weltweit kommunizierten
Nachhaltigkeitsansätze der UN, insbesondere der A21 und ihrer Weiterentwicklung durch die
einschlägigen Institutionen. Dabei wird als Handlungsaxiom die Nachhaltigkeit übernommen.
Über die prinzipielle Notwendigkeit einer nachhaltigen Wasserwirtschaft wird deshalb kein
Diskurs geführt. Anders verhält es sich mit dem Begriff der Nachhaltigkeit an sich. Bestimmte
Formen der Interpretation der Nachhaltigkeit haben unmittelbaren und mittelbaren Einfluss auf
die Umsetzung einer nachhaltigen Wasserwirtschaft, zum Beispiel die politischen Zielsetzun-
gen betreffend. Hier muss Position bezogen werden. Der Diskussionsstand dazu wird im Kap.
2.1: „Schwerpunkt Ökologie: Agenda 21 als integraler Lösungsansatz für den Wassersektor“
wiedergegeben. Außerdem soll hergeleitet werden, welche Qualitäten die A21 als Handlungs-
anweisung für die Wasserbewirtschaftung besitzt und welche Mängel bei Verständnis und
Umsetzung bis heute auftreten.
Angesichts der grundsätzlichen Bedeutung der Finanzierung und der weltweit im Raume ste-
henden Kosten ist es zur Erfüllung der gestellten Aufgabe unausweichlich, der Frage nach der
Finanzierung des Wassersektors nachzugehen (Kap. 2.2). Die Finanzierung steht gleichzeitig
für den Schwerpunkt der Ökonomie. Für alle Bereiche, unabhängig vom „Entwicklungsstand“
der Länder, gilt es zunächst, die Möglichkeiten der Finanzierung durch Kosteneinsparungen
(Steigerung der Effizienz) zu prüfen. Die Zusammenhänge und erkennbaren Defizite werden
in Kap. 2.2.1 dargestellt. Weiter ist zu untersuchen, welchen Einfluss die internationale Finan-
zierung auf den Wassersektor ausübt. Danach ist zu überprüfen, inwieweit eine dominierende
Rolle der Banken im Wassersektor tatsächlich vorliegt (Kapitel 2.2.3 ff). Viele sozial-
kulturelle Probleme werden von Globalisierungskritikern mit Unvereinbarkeiten eines angeb-
lich „neoliberalen“ Ansatzes mit den gesellschaftlich-sozialen Aufgaben des Wassersektors
erklärt. Um die Dynamik und die politische Bedeutung des Wassersektors besser abschätzen
und daraus strategische Schlüsse ableiten zu können, werden grundlegende kulturell-ethische
Fragen anhand der Diskussion um das Menschenrecht Wasser dargelegt (Kap. 2.3 mit dem
Kap. 2.3.1 zur Frage der Grundrechte am Wasser). Gleichzeitig werden die strategischen An-
sätze der wichtigen „globalen Player“, allen voran die Weltbank, analysiert, unter anderem im
wichtigen Verhältnis zur Privatisierung und Liberalisierung (Kap. 2.3.3) und zur Nachhaltig-
keitsdiskussion der A21. Es ist zu untersuchen, ob die in den letzten Jahren geäußerte Kritik an
einer zu rigoros vertretenen neoliberalen Marktordnung, verbunden mit spektakulären Rück-
schlägen, zu einem Überdenken der strategischen Haltung der großen Normen setzenden Insti-
tutionen geführt hat. Aus dieser Standortbestimmung lassen sich bezüglich der zu wählenden
Organisationsform Handlungsempfehlungen abzuleiten, die durchaus auch mit der Diskussion
der zukünftigen Strukturen der europäischen Wasserwirtschaft zu tun haben.
Auf diesen Grundlagen aufbauend kann dann ein fundierter Vorschlag für alternative Lö-
sungsansätze für den Schritt „from vision to action“ formuliert werden. Dieser im Sinne von
Vollständigkeit ganzheitliche Lösungsansatz wird in Kap. 3 ausgearbeitet.
11
N = f (W,U,S)
Mit N = Nachhaltigkeit
W = Wirtschaftliche Nachhaltigkeit
U = Umwelt-Nachhaltigkeit
S = Soziale Nachhaltigkeit
In der Konsequenz ergibt sich daraus eine Reihe von fundamentalen Rückschlüssen auf die
praktische Umsetzung von internationalen Aufgaben im Umweltsektor. Nachhaltigkeit kann
4
UN 1995
5
United Nations World Commission on Environment and Development (WCED) 1987, Our Common
Future, Oxford University
6
http://www.wmo.ch/web/homs/documents/english/icwedece.html
7
in deutscher Übersetzung: www.bmu.de/files/agenda21.pdf
8
Schiegg 2004, Risikomanagement und Tripel-Verträglichkeit (ökonomisch, ökologisch, sozial),
Interpraevent
9
z. B. http://www.math.ntnu.no/~hanche/notes/buckingham/buckingham-a4.pdf
12 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors
danach nur durch eine Verknüpfung der Belange erreicht werden. Diese Erkenntnis mündet in
eine unmittelbare Anforderung an die Projektverantwortlichen und die Konstrukteure.
Die Konsequenz daraus ist, dass man sich mit den komplexen Strukturen des Nachhaltigkeitsan-
satzes auseinandersetzen muss, um ihn für die praktische Arbeit verfügbar zu machen. Der Nach-
haltigkeitsansatz muss ingenieurtechnisch vom Grundprinzip zum Werkzeug „reifen“. Besonders
im Wassersektor hat in Europa diese Verhaltensweise Tradition. So ist der Umgang mit Grund-
wasser schon lange von der Bedingung geprägt, nicht mehr zu entnehmen als neu gebildet wird.
Als frühe Form der Nachhaltigkeitsbedingung können die drei Leitsätze der bayerischen Wasser-
wirtschaftsverwaltung gelten, die seit über 20 Jahren gelten. Mit den drei Kernprinzipien
• Vorsorgeprinzip
• Verursacherprinzip
• Kooperationsprinzip
lässt sich bis heute das wasserwirtschaftliche Werk nachhaltig vollziehen. Besonders interes-
sant ist, dass diese Prinzipien bereits ca. zehn Jahre vor der Nachhaltigkeitsdiskussion in Rio
im Begriff des Kooperationsprinzips die Partizipation abgebildet haben. Es liegt nahe, diese
praktisch erprobten und weltweit anerkannten Prinzipien als Richtschnur für wasserwirtschaft-
liches Handeln weiterzuentwickeln.
10
Dilemma im philosophischen Sinn, d.h. ein Problem dessen (zwei) erkennbare Lösungen unbefriedi-
gend sind und damit eine aussichtslose Lage ergeben. Der Ausweg ist dann evtl. eine dritte, bislang
unbeachtete Lösung (klassisches Beispiel ist der Gordische Knoten).
11
Weber-Blaschke, Mosandl , Faulstich 2004
12
zitiert in Krüger 1956, S. 46 f
2.1 Schwerpunkt Ökologie: Agenda 21 als integraler Lösungsansatz für den Wassersektor 13
13
Hervorhebung durch den Verfasser
14
ebenda: Überhaupt handelt es sich hier um einen frühen transsektoralen Ansatz: „Die vordringlichste
Sorge auch in Deutschland gilt dem Wasser. Wie nochmals erwähnt sei, führten die Begradigung der
Flüsse und der gesteigerte Industrieverbrauch an Wasser zu ausgesprochenen Verknappungserschei-
nungen, die durch die Wasserbautechnik und von Fall zu Fall sogar durch bessere Standortwahl der
projektierten Fabriken auszugleichen sind; die Abwässer der Betriebe verschmutzen überdies die
Grund- und Tageswässer. Bisher hat das Land Bayern wohl am ehesten vorbildliche Gesetzesbe-
stimmungen zum Schutz unserer Wasserläufe getroffen. Aber durchgreifende Lösungen können nur
durch engste Zusammenarbeit der Verwaltungsstellen, Industriellen, Städtebauer und Landwirte ver-
wirklicht werden; die Landesplanungsstellen bedürfen hierbei nicht nur der Mitarbeit der Wasser-
baufachleute, Agrartechniker und Bodenkundler, sondern auch der Forstfachleute, da dem Wald, wie
wir immer wieder zu betonen haben, eine Schlüsselstellung zukommt, die oft sogar kleinklimatische
Auswirkungen zum Nutzen der Gesamtwirtschaft hat“.
15
Vergl. dazu auch die Ausführungen zum Veränderungsmanagement, z. B. bei Bumiller 2002
16
Ulrich 2001
14 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors
Entscheidungskriterien oder gar Maßnahmen ableiten lassen“, so MÜNK, zitiert von UL-
RICH17.
Genau an dieser Stelle liegt die Herausforderung des Nachhaltigkeitsansatzes. Die elegante
Formel – der Tripel-Ansatz – gibt noch kein klares Ergebnis vor. Schlimmer noch: die Tripel-
Belange stehen sich zum Teil in einem harten Zielkonflikt gegenüber, insbesondere betreffend
die Konstellation
Menschliche Nutzung Ù Natur und Umwelt
Seit der Antike und der Aufklärung haben sich aus diesem „echten“ Dilemma zwei unter-
schiedliche Ansätze entwickelt, der anthropogene versus den ökozentrierten Ansatz18. Unter
Zugrundelegung eines Maßstabs der Bedürfnisse der menschlichen Generationen wird der
„klassische“ Ansatz als anthropogene Sichtweise interpretiert (Abbildung 2-1).
Ökologie
Nachhaltigkeit
Ökonomie
Soziales
Abb. 2-1: Traditionelles Konzept der Nachhaltigkeit als Äquivalenz der drei Dimensionen Ökologie,
Ökonomie und Soziales19. Die Kreise stellen die sektoriellen Bedürfnisse/Belange dar. Die nachhaltigen
Lösungen ergeben sich aus der Schnittmenge der Tripel-Belange.
Im Idealfall erlaubt die Situation eine nachhaltige Lösung ohne Einschränkung der Einzelbe-
lange. Diese Lösungen liegen im Bereich der Schnittmenge und werden im Folgenden als
„pure“ Nachhaltigkeit bezeichnet. Wenn sich im Einzelfall eine solche Lösung nicht finden
lässt, müssen zwangsläufig Kompromisse gesucht werden. Der klassische Ansatz beinhaltet
eine grundsätzliche Gleichwertigkeit der Tripel-Belange. Eine Diskussion der Nachhaltigkeit
wird in die Abwägung der Bedeutung der drei Gesichtspunkte streng bezogen auf den Einzel-
fall verschoben. Die Abwägungskriterien sind situationsbedingt. Die Darstellung in Abbildung
2-1 muss so interpretiert werden, dass die Abgrenzungen der Sektoren nicht absolut scharf
sind. Man wird also tendenziell Lösungen „nach der Mitte hin“ suchen, die die Nachhaltig-
keitskriterien wenigstens partiell transportieren. Es entsteht das Bild in Abbildung 2-2.
17
ebenda, zitiert Münk 2000: Nachhaltige Entwicklung im Schatten der Globalisierung, in: Jahrbuch
für christliche Sozialwissenschaften, 41. Bd., Münster, S.105-129
18
Wallacher 1999
19
nach Weber-Blaschke, Mosandl, Faulstich 2005, S. 9
2.1 Schwerpunkt Ökologie: Agenda 21 als integraler Lösungsansatz für den Wassersektor 15
Ökologie
Pure
Nachhaltigkeit
Ökonomie
Soziales
Abb. 2-2: Nachhaltigkeitsbereich beim traditionellen Ansatz: Die perfekte, „pure“ Nachhaltigkeit befin-
det sich im schattierten Bereich. Kompromisse werden mit wachsendem Abstand von der puren Nachhal-
tigkeit schwächer20
Im Gegensatz dazu definiert der ökozentrische Ansatz, sehr vereinfacht gesagt, eine nicht
utilitaristische Präferenz der Ökologie. Die Ökologie ist also aus sich heraus schützenswert,
Eingriffe sind als Verstoß gegen die Schöpfung grundsätzlich nicht vertretbar. Der reine öko-
zentrische Ansatz kommt mit (natürlichen und unnatürlichen) Veränderungen nur zurecht,
wenn keine rein bewahrende Haltung eingenommen wird. Andernfalls entstehen fundamenta-
listische Lösungen.
Umwelt
Gesellschaft
Wirtschaft
Abb. 2-3: „Modernes“ Konzept der nachhaltigen Entwicklung. Ökonomie ist nur ein Instrument der
Gesellschaft, Gesellschaft nur ein Teil der Umwelt – eine bio-zentrische Sichtweise der Nachhaltigkeit?21
20
nach Lehn et al. 1999, S. 14
21
Weber-Blaschke et al. 2005, S. 9
16 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors
Je nach Grad der Strenge bezieht dies die leidensfähige, die belebte oder sogar die unbelebte Natur
mit ein (vgl. Abbildung 2-4). In der Konsequenz ergibt Ökozentrik für den Tripel-Ansatz, dass alle
Lösungen vor dem Hintergrund des Ökologiesektors gesehen werden. Graphisch ist ein solches
System nach WEBER-BLASCHKE, MOSANDL, FAULSTICH in Abbildung 2-3 dargestellt.
Die verschiedenen Schulen der naturbezogenen Philosophie kennen das Ringen um den ‚rich-
tigen’ Ansatz. Im Grunde war es KANT, der die Grundlagen zur Überwindung der Unverein-
barkeit von Anthropozentrik und Ökozentrik geschaffen hat. Die aus der deontologischen22
Auffassung entwickelte methodische/analytische Anthropozentrik stellt immer noch den Men-
schen in das Zentrum der Überlegungen, analysiert aber sein Verhalten unter den Aspekten der
Nachhaltigkeit. Die Genesis dieser beiden Schulen ist ebenfalls in Abbildung 2-5 wiedergege-
ben. Ein Teilaspekt ist der Unterschied zwischen deontologischen und teleologischen Ansät-
zen. HEINL23 zitiert den deutschen Philosophen Schmidt, der teleologische Ansätze als Alter-
native zum KANTschen Kategorischen Imperativ sieht, weil sie die Freiheit der Modernen
eher widerspiegeln. Es wird auf diesem Ansatz eine individuelle Wollensethik aufgebaut, die
sich am Leitbild der Lebenskunst orientiert. Im Ergebnis kann der Unterschied zwischen teleo-
logischen und deontologischen Ansätzen unter dem Aspekt der letztlichen Unausweichlichkeit
der Nachhaltigkeit nicht groß sein, d. h., bei beiden Ansätzen muss sich eine Gesellschaft bil-
den, die ihre Zukunft (in denkbar umfassender Form, d. h. auch kulturell, ethisch-moralisch
auch dem Schöpfungsbegriff gegenüber) sichert.
Normative Naturbegriffe
nichtanthropozentrisch,
anthropozentrisch
ökozentrisch
utilitaristisch holistisch-
(max. Nutzen) physiozentrisch
deontologisch (Kant) biozentrisch (Leben)
pathozentrisch
(leidensfähig)
methodische oder
analytische
Anthropozentrik
Abb. 2-4: Die Historie der normativen Naturbegriffe der Anthropozentik und Ökozentrik [entwickelt
nach WALLACHER24 ]
22
Deontologie: Lehre von den Pflichten, z. B. Tagore: „ich schlief und träumte das Leben wäre Freude /
und ich erwachte und sah, das Leben ist Pflicht / ich tat die Pflicht und siehe, die Pflicht war Freude“.
Teleologie, gr. telos – Ziel, Handeln auf bestimmte Ziele hin, d.h. Wollens- oder Willensansatz
23
Heinl 2005, S. 137 ff
24
Wallacher 1999, S 166 ff
2.1 Schwerpunkt Ökologie: Agenda 21 als integraler Lösungsansatz für den Wassersektor 17
Die methodische oder analytische Anthropozentrik ist wahrscheinlich die realistisch am besten
tragbare Grundformel, u. a. weil jede Art von Nichtanthropozentrik in unseren Gesellschaften
letztlich nicht mehrheitsfähig ist. Die Kritik an der methodischen Anthropozentrik besteht
darin, dass in den Fällen, in denen z. B. politische Konflikte vorliegen, dann nach dem Oppor-
tunitätsprinzip, d. h. im negativen Fall nach dem Weg des geringsten (gesellschaftlichen) Wi-
derstands oder gar eines anthropogenen Machiavellismus25 entschieden würde.
Selbst wenn man dies unterstellt, bleibt doch die Frage nach der Qualität der Opportunität. Der
sozialökonomische Ansatz von ULRICH bemüht an dieser Stelle die Ethik des Umgangs mit
der Natur und formuliert einen „schwachen, epistemischen Anthropozentrismus“. Dazu gibt er
Leitsätze vor:
• Vorab ist zu klären, was für eine Kultur, was für eine Lebensform wir wollen (teleologi-
scher Ansatz).
• Sodann müssen (kulturübergreifende) Regeln eines gerechten Zusammenlebens formuliert
werden (deontologische Dimension).
• Als nachhaltig sind genau jene und nur jene Handlungsweisen zu definieren, die im Lichte
der unveräußerlichen ökologischen Grundrechte aller Menschen universalisierbar sind (in-
terkulturell und intergenerationell)26.
Dieser Ansatz basiert also letztlich auf dem Kategorischen Imperativ von KANT27. Damit ist
klar, dass der ‚konventionelle’ Ansatz durchaus nicht zur Beliebigkeit der Abwägung neigt,
sondern dem ethisch-kulturellen Gesamtgebäude einer Gesellschaft, auch einer globalen, un-
terworfen ist. Die Meinungen, ob dieser Ansatz genügt, sind aber geteilt. Vor allem Verbände
sehen die Gewichtung im A21-Prozess eindeutig in der Ökologie, der sich die anderen Belange
durchaus unter Begründung der Nachhaltigkeit unterordnen müssen. Es entsteht damit in Ana-
logie zur Darstellung in Abbildung 2-4 ein wohlgemeinter „analytischer Ökozentrismus“. Aus
der anhaltend kontroversen Diskussion heraus hat sich der deutsche Sachverständigenrat für
Umweltfragen (SRU) mehrfach, zuletzt in seinem Gutachten von 2002 mit der Nachhaltigkeit
beschäftigt. Sein Ansatz ist die intergenerationelle Gerechtigkeit. Er wertet die vorhandenen
wissenschaftlichen und allgemeingebräuchlichen Lösungen der Nachhaltigkeit aus und teilt sie
nach „schwacher“ bzw. „starker Nachhaltigkeit“ ein. Der SRU geht zunächst einmal davon
aus, dass die „Intergenerative Nachhaltigkeit“ aus dem zur Verfügung stehenden „Potential“
besteht, das sich aus dem Sachkapital, dem Naturkapital, dem kultivierten Naturkapital (z. B.
Viehherden, Äcker), dem Sozialkapital (moralisches Orientierungswesen), dem Humankapital
(Bildung, Fähigkeit) und dem Wissenskapital zusammensetzt28. Dieses Potential soll auch
späteren Generationen zu Verfügung stehen.
Die so genannte „schwache“ Nachhaltigkeit basiert auf der Annahme, dass die dieses Potential
bildenden „Kapitalbestände“ vollständig gegenseitig deckungsfähig (substituierbar) sind. Nach
der schwachen Nachhaltigkeitsdefinition muss also nur das Gesamtpotential erhalten bleiben,
egal, wie es sich zusammensetzt. (vgl. Abbildung 2-5) Die Herleitung dieser gegenseitigen
25
hergeleitet aus dem staatlichen Machiavellismus: Erlaubt ist alles, was dem Menschen nutzt. Daraus
entsteht das Gegenteil von Nachhaltigkeit, wenn man noch ein heute und hier zufügt.
26
Ulrich 2001, S.5-6
27
Kant 1788, Kritik der Praktischen Vernunft, Verkürzt: spricht von einer Haltung zu den Dingen
(„Maxime deines Wollens“), die so sein soll, dass sie allgemeine Regeln nach sich ziehen dürfte
(„Grundlage einer allgemeinen Gesetzgebung“)- also auch eine Gesinnungsethik; das Verhalten folgt
daraus, muss aber nicht zwangsläufig für alle verbindlich sein.
28
SRU 2002, S.59
18 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors
Deckungsfähigkeit wird paradoxerweise auf den Club of Rome zurück geführt. Dieser hatte in
den „Grenzen des Wachstums“ noch den Verbrauch der Sachgüter (Naturressourcen) als den
limitierenden Faktor der Weltentwicklung angenommen. Dies schien nach Auffassung der die
schwache Nachhaltigkeit vertretenden Gruppen durch den Übergang zur Dienstleistungsgesell-
schaft und Fortschritte der Technologie widerlegt: Das Wirtschaftswachstum ist in den entwi-
ckelten Ländern vom Ressourcenverbrauch abgekoppelt, sparsamere Technologie, weniger
und vor allem alternativer Materialverbrauch scheinen die Substituierbarkeit der Rohstoffe und
damit die Substituierbarkeit an sich zu beweisen.
Schwache
Nachhaltigkeit
Ökologie
Ökonomie Soziales
Abb. 2-5: Schwache Nachhaltigkeit. Die Summe der Potentiale muss erhalten bleiben, um die intergene-
rationelle Nachhaltigkeit (N) zu gewährleisten. (N = Naturkapital + Sachkapital + kultivierten Naturkapi-
tal (z. B. Vieherden, Äcker) + Sozialkapital (moralisches Orientierungswesen) + Humankapital (Bildung,
Fähigkeit) + Wissenskapital
Auch dort, wo eine Kompensation nicht wirklich stattgefunden hat, kann nach der Theorie der
schwachen Nachhaltigkeit ein Ausgleich nach dem so genannten „Kaldor-Hicks-Kriterium“
vorgenommen werden, d. h., Projekte sind dann nachhaltig, wenn die Gewinner wenigstens in
der Lage wären, die Verlierer entsprechend zu entschädigen29. Bezogen auf die intergenerati-
onelle Verpflichtung besagt der Ansatz der schwachen Nachhaltigkeit, das immer dann Nach-
haltigkeit erreicht ist, wenn die Investitionsquote einer Volkswirtschaft groß genug ist, um den
wertmäßigen Verbrauch an Umweltressource gerade noch zu kompensieren.30 Die Weltbank
definiert als Messmodell nach diesem Ansatz den „Genuine Savings Index“, den „Ansatz des
echten Sparens“ (GSI).
Die Kritik an der schwachen Nachhaltigkeit bezieht sich vor allem auf die angenommene voll-
ständige Substituierbarkeit der Natur(-güter). Für Wasserwirtschaftler liegt die Schwäche die-
ses Systems auf der Hand. Wasser, insbesondere Süßwasser ist wohl nicht zu substituieren.
Selbst ausgefeilteste technische Reinigungsverfahren wären nicht in der Lage, den Wasserbe-
darf für Trinkwasser oder gar für Bewässerung zu decken, wenn die Ressource durch Ver-
schmutzung „verbraucht“ würde. Auch ohne weiteren Nachweis gilt dies sicher auch zumin-
dest subjektiv für viele ökologische Bereiche. SRU zitiert deshalb auch den Fall der Südseein-
29
ebenda, S.61
30
Klepper 1999, S. 314, zitiert aus SRU 2002, S. 63
2.1 Schwerpunkt Ökologie: Agenda 21 als integraler Lösungsansatz für den Wassersektor 19
sel Nauru. Dort wird Phosphat abgebaut, die Einwohner legen Gewinne in einem riesigen
Fond an, dessen Erträge sie in allgemeinem Wohlstand leben lassen. Nach dem Genuine Sa-
vings-Ansatz ist Naurus eine der am nachhaltigsten wirtschaftende Gesellschaften der Welt.
Allerdings sind jetzt ca. 80 % der Insel durch den Abbau so verwüstet, dass ein Verbleiben der
Bevölkerung nicht mehr möglich ist. Die intergenerationelle Nachhaltigkeit lässt sich in die-
sem System nicht mehr erreichen, der Lebensraum selber ist zerstört und lässt sich mit Geld
nicht mehr zurück erwerben. Gegen den Ansatz der schwachen Nachhaltigkeit spricht also,
dass sich durch zunehmenden Naturverbrauch die Rolle des ökologischen Kapitals verändert.
Es wird inzwischen vor dem Sachkapital zum limitierenden Faktor für die Entwicklung. Dar-
aus folgert der SRU, dass der Ansatz der schwachen Nachhaltigkeit nicht zum Ziel führt. Das
Gegenteil davon ist die „starke“ Nachhaltigkeit, die Grenzen der Substituierbarkeit sieht. Die
wichtigste Einschränkung bezieht sich auf das Naturkapital31. Weil dieses nicht zu ersetzen ist,
muss es uneingeschränkt nachfolgenden Generationen übergeben werden. Das Naturkapital
wird also sozusagen gesetzt. Der SRU postuliert daher ein leicht differenziertes Konzept der
starken Nachhaltigkeit („constant natural capital rule“). Danach ist die schwache Nachhaltig-
keit im Bereich der Rohstoffe, die starke im Bereich der ökologischen Systeme am plausibels-
ten. Es entsteht ein Bild, das letztlich die Nachhaltigkeit überwiegend vor dem Hintergrund der
Ökologie sieht, d. h. Wirtschaft ist (nur) ein Teil der Gesellschaft, und die Gesellschaft ist
(nur) ein Teil der Umwelt (System der „starken Nachhaltigkeit“, Abbildung 2-6).
Abb. 2-6: Die „starke Nachhaltigkeit“ (schattiert) als Ansatz des SRU im Bild des Tripel-Ansatzes
31
„Naturkapital“ ist nach SRU mit dem Begriff Boden oder Ressourcen icht abschließend beschrieben.
Es sei komplex und in den Komponenten vernetzt. Als Beispiel werden Begriffe wie Ressourcenba-
sis, natürliche Lebensgrundlage, Biodiversität und Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts genannt.
Auch ist nicht unumstritten, was alles zum Naturkapital gezählt werden soll. Weit gehende Einigkeit
besteht dahin gehend, dass folgende Segmente der Natur zum Naturkapital gehören: Atmosphäre,
Ozonschicht, globale Stoffkreisläufe, Klimasystem, Böden, Pflanzenbedeckung der Erde, Grund- und
Fließgewässer sowie Seen, Fischbestände, Wälder, die Vielfalt der Gene, Arten und Ökosysteme
(„Biodiversität"), mineralische Ressourcen und fossile Energieträger. (SRU 2002, S. 64)
20 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors
32
LEP 2003, Kurzfassung, S. 2
33
SRU 2002, S. 66
34
Weber-Blaschke, Mosandl, Faulstich 2005, S. 9
35
als bayerischer Ministerpräsident in seiner Rede anlässlich der 25 Jahrfeier des Umweltministeriums
1995 in München
36
Ulrich 2004, S. 9 ff
37
Radermacher 2002, S. 199 ff
38
Radermacher 2002
2.1 Schwerpunkt Ökologie: Agenda 21 als integraler Lösungsansatz für den Wassersektor 21
39
Präambel Agenda 21, S.9
40
Ulrich 2004, S.9
41
Grunwald 2005, S. 115
22 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors
Kriterien zur richtigen Abwägung sowie die Abwägung selber stehen damit im Zentrum der
Aufgabe „from vision to action“ und nehmen folglich erheblichen Raum in dieser Arbeit ein.
In der Realität bilden sich Mischformen zwischen den schwachen und starken Kriterien42.
Allerdings sind diese meist nicht allein an ökologischen Belangen ausgerichtet, sondern im
klassischen Tripel-Ansatz. Eine starke Nachhaltigkeit bildet sich dennoch insofern, als eine
richtige Abwägung eine integrale Priorisierung vornimmt. Der Prozess des Austarierens zwi-
schen den drei Belangen ist aber in der Regel nicht so eindeutig, dass Fehler sicher ausge-
schlossen werden könnten. Ein Beispiel hierfür ist die Diskussion um Kohlekraftwerke versus
Atomkraftwerke unter dem Aspekt der Klimaveränderung. Die Risikoabwägung, die in
Deutschland zum Aus für die klimafreundlichen Kernkraftwerke führte, ist letztlich subjektiv.
Diese Unsicherheiten kann man aber hinnehmen:
• Durch die Transparenz eines Verfahrens sind Entscheidungswege nachvollziehbar, dadurch
kann man aus ihnen lernen und sie sind korrigierbar.
• Es wird vermieden, dass ein „gesetzter“ Belang in der weiteren Entwicklung „entartet“.
• Tatsächlich können sich auch nachhaltige Bedürfnisse ändern. So besteht der Konflikt bei
Weitem nicht nur zwischen Ökologie und Ökonomie. Faktisch bildet sich z. B. derzeit eine
„starke Nachhaltigkeit der Arbeitsplätze“, ein Effekt, der sich sicherlich vor dem Hinter-
grund des Basisproblems „weltweites Bevölkerungswachstum“ noch verstärken wird.
SCHNAPPAUF43 führt dazu aus: „Eine Politik der Nachhaltigkeit … verlangt darum
• einen integralen, ganzheitlichen Ansatz, der von der Gleichberechtigung und Gleichwer-
tigkeit der drei „Säulen“ einer nachhaltigen Entwicklung ausgeht,
• eine objektive, transparente, wissenschaftsabgestützte Bewertung der verschiedenen Hand-
lungsoptionen und
• eine quantifizierte Zusammenschau und faire, nachprüfbare Bewertung der verschiedenen
Handlungsoptionen.“
Eine besondere Herausforderung besteht in der Dynamik der Ökosysteme. Nach der reinen
Lehre tritt der „Sündenfall“ ein, wenn der Mensch natürliche Veränderungen ursächlich beein-
flusst. Das ist in der Vergangenheit natürlich bereits in enormem Ausmaß passiert, die Welt ist,
wenn man von kaum besiedelbaren Gebieten wie den Polkappen und den Wüsten absieht, eine
durch den Menschen überformte Kulturlandschaft. In ganz Westeuropa gibt es praktisch kei-
nen größeren, zusammenhängenden natürlichen Wald mehr, kaum ein größerer Flussabschnitt
in Deutschland ist unverbaut beziehungsweise in seinem Lauf unverändert.
Die daraus entstehenden Biosphären sind also aus ihrem ursprünglichen Gleichgewicht ge-
bracht und damit oft labil oder sogar instabil. Ein Beispiel sind die massiven Eintiefungsten-
denzen korrigierter Flüsse, die sehr rasch zu Veränderungen in den Auwäldern und der Grund-
wassersituation im gesamten Umfeld führen44. Es ist meistens unmöglich, solche Entwicklun-
gen an irgendeiner Stelle oder zu irgendeinem Zeitpunkt „einzufrieren“. Dabei ist die Natur
grundsätzlich und generell kein stabiles Gebilde, sondern mindestens bereichsweise labil und
dynamisch. WILDERER et. al. stellen diesen Zusammenhang mit dem physikalischen Modell
42
Grunwald 2005, S. 109
43
Redemanuskript von Staatsminister Dr. Werner Schnappauf : ILK- Stellungnahme zur Nachhaltigkeit
der Kernenergie München, den 23. Juni 2004 -Manuskriptfassung-
44
lt. Untersuchungen an der Iller und an der Salzach, jeweils vom Landesamt für Wasserwirtschaft
(München)
2.1 Schwerpunkt Ökologie: Agenda 21 als integraler Lösungsansatz für den Wassersektor 23
von HARTMANN dar45. Der rein bewahrende Ökozentrismus ist als Modell für diese Zustän-
de nicht geeignet, stößt leicht an physikalische Grenzen. In der realen Welt kommen dazu noch
human-ethische Grenzen, wenn die Veränderungen nicht von außen natürlich auftreten, son-
dern Ergebnis eines bereits angestoßenen Prozesses z. B. der Veränderung der Kulturland-
schaft sind. Die gesamten Systeme reagieren in diesem Veränderungsgrad anders. Es gibt also
auch kein einfaches Zurück. Ein klassisches Beispiel ist die Wiedereinbürgerung des Bibers:
Eine Bewertung kann hier nicht objektiv stattfinden, weil je nach Standpunkt entweder der
Biber oder die Kulturlandschaft (Landwirt pflügt bis in den Uferbereich hinein) als Problem
empfunden wird. Ein anderes, die natürliche Veränderung beschreibendes Beispiel ist der
Geschiebehaushalt der Oberflächengewässer, der in einem nie endenden Streben nach Gleich-
gewicht zwischen Erosion und Ablagerung steht. Zwingende Konsequenz ist Dynamik.
Es lässt sich aus diesen Beispielen ableiten, dass die Dynamik Teil der Abwägungskriterien
sein muss. Durch die typischerweise in der Natur ablaufenden chaotischen Prozesse kann man
damit rechnen, dass sich bestimmte Muster (Fraktale)46 wieder einstellen, wenn die Bedingun-
gen stimmen, z. B. Mäander in den Mittelläufen der Bäche. Die Detailsituation bleibt aber
unvorhersehbar. Ein bewahrender Naturschutz, der auf der zufälligen Situation in einer be-
stimmten Gewässerschleife „besteht“, muss daher letztlich scheitern.
In den folgenden Kapiteln sollen praktische Hinweise erarbeitet werden, wie die Fehlerquote
bei der Abwägung der Hauptbelange reduziert werden kann. Die Grundlage dafür ist ein tradi-
tioneller Nachhaltigkeitsansatz, der aber die starke Nachhaltigkeit als grundsätzliches Leitbild
eines deontologischen, analytischen Anthropozentrik-Ansatzes akzeptiert.
Partizipation:
Die Partizipation wird in der A21 als Grundvoraussetzung zum Erreichen der Nachhaltigkeit
gesehen.47 Der qualitative Einfluss der Partizipation ist vielschichtig. Zunächst ist Partizipation
ein demokratisches Grundprinzip, wobei sich im minimalen Fall die Beteiligung auf die Teil-
nahme an den regelmäßigen Wahlen beschränkt.48 Der SRU misst der Partizipation aber eine
zusätzliche qualitätssichernde Wirkung zu: „Wegen der erheblichen Bedeutung der Öffentlich-
keitsbeteiligung für eine korrekte und, soweit Abwägung und Ermessen eine Rolle spielen,
ausgewogene Anwendung der geltenden Rechtsvorschriften muss davon ausgegangen werden,
dass jede gesetzliche und verordnungsrechtliche Einschränkung der Öffentlichkeitsbeteiligung
zur Verschlechterung des Vollzugsniveaus beiträgt.“49
45
Wilderer et al. 2005, 226 ff: Ein Zylinder ist auf der Innenseite belebt. Jeder Punkt der inneren Ober-
fläche repräsentiert eine bestimmte Spezies. Der Zylinder ist teilweise mit Wasser gefüllt, die Tiefe
des Wassers repräsentiert die Besiedlungsdichte der Spezies. Der Zylinder wird durch ein System von
Seilen und Rollen in seiner Lage gehalten. Jedes der Gewichte an den Seilen repräsentiert bestimmte
Umweltfaktoren. Nach einer Veränderung der Position eines der Gewichte (z. B. dem Wert dieses
Umweltfaktors) rotiert der Zylinder ein Stück in eine neue Position (labiles Gleichgewicht). Folglich
fallen einige Punkte im Zylinder trocken (Spezies verschwinden) andere werden nass (neue Spezies
erobern Lebensräume) und die Wassertiefe verändert sich an jedem Punkt (d.h. die Populationsdichte
verändert sich).
46
zu den Bezugnahmen auf die Chaostheorie und zur Erläuterung der verwendeten Begriffe, also z. B.
Fraktale, komplexe Systeme oder Chaos, siehe Kap. 3.1.2.2
47
Agenda 21, Präambel Teil III, S.217
48
SRU 2002, S. 102
49
ebenda, S. 108
24 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors
Die Aarhus-Konvention, der Deutschland 2001 beigetreten ist, nennt zwei Möglichkeiten der
Einbeziehung der Öffentlichkeit, die direkte Öffentlichkeitsbeteiligung oder die Beteiligung
von beratenden Gremien, die als Repräsentanten der Öffentlichkeit fungieren. Der SRU präfe-
riert „die direkte Öffentlichkeitsbeteiligung mit der Möglichkeit der Stellungnahme für jeder-
mann, wie sie beispielsweise in den USA üblich ist“50, sieht aber ein Hauptproblem der Betei-
ligung in der deutlich verlängerten Verfahrensdauer.
Unter bestimmten Bedingungen trifft diese Sorge aber nicht zu: So wurde bei Ausbauvorhaben
im Bereich des Wasserwirtschaftsamtes Hof durch gezielte Anwendung partizipativer Prozesse
die Verfahrensdauer erheblich verkürzt, in einigen Fällen sogar an die Mindestgrenze der
rechtlich möglichen Verfahrenszeiten gebracht.51 In der deutschen Verfahrenslehre wird diese
Vorgehensweise als „offenes Verfahren“ bezeichnet.
Die Arbeiten des Institute of Advanced Studies on Sustainability der Europäischen Akademie
der Wissenschaften geben Hinweise auf die Gründe des Erfolgs dieser Art der Partizipation.
Ein Ergebnis ist, dass nichttechnische Zusammenhänge in komplexer, „chaotischer“ Form
vorliegen, d. h. kaum berechnet werden können, anderseits aber einen eminenten Einfluss auf
die Nachhaltigkeit haben (vgl. dazu Kap. 3.7). Weil eine deterministische Beschreibung dieser
Wirkungen und Zusammenhänge nicht möglich ist, ist die Partizipation der einzige Weg, diese
nichtmateriellen „fraktalen“ Faktoren abzubilden. Die Partizipation ist damit der einzige
Schlüssel zur Integration nicht determinierbarer und dynamischer Erfolgsfaktoren.52 Folglich
resümieren auch WILDERER et. al.:
„Sustainable development requires that local societies and economies have adaptive capacity.
Local participation in planning and decision making is necessary to develop adaptive capaci-
ty. To strengthen the adaptive capacity of the various societies and economies of the world,
participation methods should be further developed and rigorously implemented.“53
Ein möglicher Kritikpunkt an der Partizipation ist die Frage Partizipation versus Demokra-
tie. Je nach Typ der Partizipation wird ein Dialog mit einer einen Minderheitsbelang vertre-
tenden Gruppe geführt. Das können sowohl altruistisch motivierte Naturschützer wie auch
Eigeninteressen vertretende Beteiligte oder eine Mischung davon sein. „Die Produktion von
Problemlösungen in nicht öffentlichen Vermittlungsrunden und Konsensgesprächen stellt
sich zwar als funktional effektiv heraus, entspricht aber selten der schlichten und edlen
Ästhetik der Demokratie als Volksherrschaft.“54 Tatsächlich kann sich in partizipativen
Prozessen auch die Frage der politischen Legitimation stellen. Der häufig als einseitige
Einflussnahme kritisierte Lobbyismus – eine legitime Form der Partizipation – wirft genau
dieses Problem auf. RENNER geht soweit, dass er dieses Verhältnis als dilemmatisch ein-
ordnet. Er geht davon aus, dass partizipatorische, ggf. mangelhaft legitimierte Prozesse
gegen demokratische stehen. Die demokratischen Prozesse werden als die im Sinne der
Entscheidungsergebnisse und des Gemeinwohls als die effektiveren bezeichnet. So hat sich
in Bayern zum Beispiel eine „Schutzgemeinschaft der durch Trinkwasserschutzgebiete Ge-
schädigten“ gebildet, der sogar Gemeinden beigetreten sind (Wasserversorgung ist in Bay-
50
ebenda, S. 103 ff
51
Wasserrechtsverfahren im Zeitraum von 1998 bis 2003, Neustadt bei Coburg, Schwarzenbach a.d.
Saale, Oberkotzau
52
Grambow 2005, S. 219
53
Wilderer et. al. 2005, S. 231 (Ziffer 8 der Postulate aus dem Arbeitskreis von Banz)
54
Renner 2002, S. 27 u. 40 ff
2.1 Schwerpunkt Ökologie: Agenda 21 als integraler Lösungsansatz für den Wassersektor 25
55
Art 83 (1) BV, Art 57 (2) BayGO
56
Rat für nachhaltige Entwicklung zum Thema Kultur und Nachhaltigkeit anlässlich eines Ideenwork-
shops 2001 in Berlin
57
StMUGV 1999
58
Magel 2003
59
UN 2002
60
TTW= Projekt Technologietransfer Wasser (siehe S. 83)
61
Aus Projektberichten von TTW und der Auswertung der Berichte der Partnerfirmen bzw. Consul-
tants, aus dem Zeitraum 1999 bis 2004, unveröffentlicht
62
Diese Befragung wird seit 1994 regelmäßig bei verschiedenen Gelegenheiten mit deutschen und
internationalen Gruppen durchgeführt. Allerdings wurden immer nur qualitative Bilder erhoben,
weil zunächst nicht an eine Auswertung im Sinne einer wissenschaftlichen Arbeit gedacht war.
Dennoch hat die Befragung eine gewisse Aussagekraft, weil sie bisher ohne Ausnahme reprodu-
zierbar war.
26 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors
Obwohl diese Umfragen wegen der insgesamt geringen Zahl der Befragten (seit 1996 ca. 500
Fachleute) sicher nicht repräsentativ sein können, ergibt sich doch ein qualitatives Bild:
In Westeuropa ist die A21 zwar regelmäßig bekannt, der Grad der bewussten(!) Beschäfti-
gung ist aber außerhalb eines engen Expertenkreises gering.
In Osteuropa und dem Gebiet der GUS-Staaten ist die A21 regelmäßig eher unbekannt. So
kannte von einer Delegation von mehreren Fachleuten und Kommunalpolitikern aus Belarus
niemand auch nur den Begriff A21, zwei von 15 Teilnehmern hatten wenigstens über „Nachhal-
tigkeit“ schon gehört. Noch deutlicher wird das Bild bei Umfragen unter Gästen aus Zentral-
asien, (z. B. Kasachstan, Usbekistan, Georgien) wo die A21 auch unter vielen Wasserfachleuten
regelmäßig unbekannt ist. Eine ganz andere Situation besteht in Lateinamerika. In Mexiko und
noch viel mehr in Brasilien wird grundsätzlich intensiv auf die A21 Bezug genommen. Es gibt
kein Projekt und keine staatliche Planung, die nicht wenigstens nominell auf die A21 Bezug
nehmen. Die Partizipation wird sehr umfänglich gepflegt. Allein die große Präsenz des Begriffes
in den Medien (z. B. im größten Fernsehsender GLOBO) ist ein deutlicher Hinweis.
In Deutschland ist eine unmittelbare Bezugnahme auf die Prinzipien der A21 im operativen
Geschäft selten, kommt aber vor. So werden die Prinzipien der A21 in Bayern in der ländli-
chen Entwicklung angewandt65. In der Wasserwirtschaft findet seit ca. 1998 eine gezielte Be-
schäftigung mit der A21 statt66. Ein direkter Bezug auf die Nachhaltigkeitskriterien wird aktu-
ell z. B. im Hochwasserschutzprogramm 2020 genommen.67
63
In einem Fall 2005 wurde die Frage von Vertretern eines lateinamerikanischen Inselstaates verneint,
ansonsten sind Gruppen aus Lateinamerika immer mit dem Begriff vertraut gewesen
64
Die große Schwankungsbreite liegt an den Teilnehmern aus Ländern, die sehr starke Partizipative
Prozesse pflegen. Der Zusammenhang mit der Agenda 21 ist dort mindestens genauso populär wie in
Deutschland die kommunale Agenda.
65
Magel 1998
66
z. B. im Rahmen von Dienstbesprechungen für die Führungskräfte der Wasserwirtschaft im Jahr 1998
in Regensburg, Nürnberg und München. (s.a. Grambow 1998)
67
Ministerratsbeschluss zur Fortschreibung des Programms 2020 vom Dezember 2004
2.1 Schwerpunkt Ökologie: Agenda 21 als integraler Lösungsansatz für den Wassersektor 27
Generell kann man aber auch heute noch feststellen, dass der A21 in Fachkreisen der Wasser-
wirtschaft mit unterschiedlich ausgeprägter Zurückhaltung begegnet wird. In der fachlichen
Anwendung wird in der A21 kein großer Vorteil gesehen.
Die Privatwirtschaft nutzt den Begriff der Nachhaltigkeit intensiv, vor allem im Bereich
der großen Konzerne. Hier etabliert sich die Nachhaltigkeit als deutliche Positionierung und
Unterscheidung zum ‚Kurzzeit-shareholder-value’ (möglicherweise auch als Reaktion auf
den Börseneinbruch der new economy Anfang des Jahrzehnts). Das in der Industrie viel
verwendete Integrierte Management hat durch die Qualität – ISO 9000, die Ökologie – ISO
14000 und die Arbeitssicherheit sogar eine hohe Ähnlichkeit mit den Tripel-Belangen (vgl.
Abbildung 2-7).
Ökologisch nachhaltig
Umwelt
ISO 14000
Arbeits- Qualität
sicherheit ISO 9001ff
Sozial Ökonomisch
ausgewogen effizient
68
vom Verfasser für das Projekt internationaler Technologietransfer Wasser entwickelt: eins der Ziele
des Projektes TTW bestand darin, die A21 zur vertrauten Materie und zum „working tool“ in der in-
ternationalen Projektarbeit bayerischer Beratungsbüros zu machen.
28 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors
Agenda 21
Ziel Prozess
Abschnitt I 2-8 Abschnitt II 9 - 22 Abschnitt III 23 - 32 Abschnitt IV 33 - 40
Gesellschaftliche * und “Beteiligung der
“Technische Ziele” “Geld und Know-how”
wirtschaftliche Dimension wichtigen Gruppen“
Abb. 2-8: Inhalt der Agenda 21, sortiert nach zwei Hauptblöcken „Ziel“ und „Prozess“
Ökologie
Frage- Entscheidungs-
stellung veratwortlicher
Soziales
(Responsibility)
(gesellschaftl.) Ökonomie
Die A21 nennt aber nicht nur die einzelnen Interessensfelder, sondern entfaltet als Ganzes gese-
hen die Wirkung eines Managementtools. Durch die Verbindung der zwei Hauptblöcke entsteht
ein universelles, dynamisches Managementmodell für Umweltfragen (vgl. Abbildung 2-9), das
auf den Tripel-Belangen Ökologie, Ökonomie und Soziales sowie der Partizipation basiert.
Es wird von einem geschlossenen Regelkreis zwischen den gegebenen (Problem- und Lö-
sungs-) Parametern und den zur Problemlösung aufgerufenen Kräften (Verantwortliche und
Beteiligte) ausgegangen:
• Der Ausgangspunkt ist der Tripel-Ansatz der Hauptbelange Ökologie, Ökonomie und Sozia-
les. Nach dieser Lesart setzt sich jedes ernstzunehmende reale Problem aus diesen drei Säulen
zusammen, es differieren lediglich die Anteile. Eine Analyse muss die Problemdiskussion ge-
ordnet nach diesen drei Hauptbelangen enthalten. Bedeutend ist, die komplexen Problemver-
knüpfungen zu identifizieren. Es entstehen dadurch typische Strukturierungen wie in einer
mind-map. Damit entstehen Problemlagen 1. bis n-ter Ordnung, deren Bestimmung solange
vorgenommen wird, bis der Einfluss auf das Problem unter einen zu wählenden Wert fällt.
• Diese Analyse gibt die Rahmenbedingungen, geordnet nach den Hauptbelangen, vor.
• Die Problemlösung ist Sache des Verantwortlichen (Staat, Kommune, Betreiber). Nach
dem Grundsatz der Partizipation wird aber die Gruppe der Beteiligten (Stakeholder) in die
Entscheidungsfindung miteinbezogen. Der Verantwortliche wird damit nicht aus der Ver-
antwortung entlassen, sondern kann lediglich durch die Beteiligung die Qualität der Analy-
se verbessern (u. a. durch Implementierung ansonsten schwer zu erfassender regionaler und
kultureller Einflüsse). Durch diesen partizipativen Prozess wird das Know-how der Stake-
holder zusätzlich eingespeist, ein Nebeneffekt ist eine höhere Akzeptanz.
• Die Gesamtgruppe – bestehend aus dem Verantwortlichen und den Stakeholdern – ist in
ihrer Entscheidung prinzipiell vollkommen frei mit der Einschränkung, dass die gefundene
Lösung nachhaltig sein muss! Darin wird postuliert, dass jede nachhaltige Lösung sich fast
zwangsläufig wiederum auf die drei Bereiche Soziales, Ökonomie und Ökologie erstreckt.
Damit werden auch Wirkungen 1. bis n-ter Ordnung erzeugt werden. Diese Wirkungen
sind ebenfalls bis zu einer gewählten Wirkungsgrenze zu prognostizieren.
• Dieser Prozess wird so lange theoretisch iterativ durchgespielt, bis eine befriedigende nach-
haltige Lösung gefunden ist.
69
Global Water Partnership, The Tool Box, Stockholm 2002, www.gwpforum.org
30 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors
Definiert wurde IWRM als “a process which promotes the co-ordinated development and
management of water, land and related resources, in order to maximise the resultant eco-
nomic and social welfare in an equitable manner without compromising the sustainability
of vital ecosystems”70
Der Begriff der Integration steht laut TAC im Gegensatz zum traditionell fragmentierten Ma-
nagement. Es wird zwischen der Integration des Natursystems mit seinem kritischen Einfluss
auf die Ressourcenverfügbarkeit und Qualität sowie des Gesellschaftlichen (anthropogenen)
Systems mit seinem Einfluss auf die Ressourcennutzung, die Abfallerzeugung und Ressour-
cenverschmutzung unterschieden. Als konkrete Felder der Integration werden angegeben71:
Natursystem (Natural system integration):
• Integration von Süßwassermanagement und Küstenzonen
• Integration von Land- und Wassermanagement
• „Grünwasser“ (in Landwirtschaft und Terrestrischen Ökosystemen) und „Blauwasser“ in
Flüssen und Seen
• Integration von Oberflächen- und Grundwasser
• Integration von Quantität und Qualität der Ressource
• Ober-Unterlieger Relationen und Interessen
Gesellschaftliches (anthropogenes) System (Human system integration):
• [Bewusste, konkrete] gesellschaftliche Etablierung der Wasserressource (mainstreaming of
Water resources), die sich aus der praktisch global bestehenden komplexen Verknüpfung
des Wassersektors mit allen übrigen Sektoren ergibt
• Transsektorale Integration in der nationalen politischen Entwicklung
• Makro- Ökonomische Effekte
• Politische Grundprinzipien
• Beeinflussung von ökonomischen Entscheidungen
• Stakeholderintegration
• Integration von Wasser- und Abwassermanagement
• Akzeptanz von generellen Kriterien (Wie Effizienz, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit)
• Besondere Elemente, wie Umweltpolitik, Rolle der Institutionen und Managementinstrumente)
Der Katalog der TAC versucht, alle Parameter des komplexen Bereiches anzusprechen, er-
scheint aber etwas heterogen. Im Rahmen dieser Arbeit werden die wesentlichen Argumente
aufgenommen, auf die Diskussion der Struktur aber zugunsten einer modifizierten Vorge-
hensweise in Abschnitt 3 verzichtet.
Heute ist IWRM ein universeller Fachbegriff geworden, der im wesentlichen die Umsetzung der
Prinzipien der A21 und der darauf fußenden UN Papiere auf dem Wassersektor meint und der
zumindest im internationalen Raum mit großer Selbstverständlichkeit in Diskussionen zum The-
ma Wasser verwendet wird. Man könnte deshalb in einer Übersetzung auch einen Begriff wie
„gute Bewirtschaftung der Ressource“ verwenden. IWRM ist als Grundprinzip der Wasser-
bewirtschaftung heute Stand der Technik. Die Definitionen der genauen Inhalte, mehr noch
der Umsetzungsmethoden, differieren aber je nach Quelle unter Umständen sehr deutlich.
70
GWP 2000, S.22
71
ebenda, S. 22 – 31
2.1 Schwerpunkt Ökologie: Agenda 21 als integraler Lösungsansatz für den Wassersektor 31
Seit Gründung der Vereinten Nationen ist die Bekämpfung der extremen Armut dort als
Hauptziel genannt72. Die Armutsbekämpfung beginnt bei der Erfüllung der „absolute basic
needs“, der unverzichtbaren Grundbedürfnisse wie Trinken, Essen und eine wenigstens mini-
male Gesundheitsversorgung73. Auf dieser Grundversorgung können weitere Bausteine eines
menschenwürdigen Daseins aufgebaut werden, insbesondere Bildung, Gleichberechtigung und
Verbesserungen der wirtschaftlichen Situation. Die Umweltbedingungen wirken indirekt, aber
massiv auf die Belange der Armutsbekämpfung ein. Der Sektor Wasser hat folglich in mehrfa-
cher Hinsicht eine Bedeutung für alle Ziele der MDGs74.
Die Wasserinfrastruktur selber ist in den MDG Teil des Zieles 7 (nachhaltige Umwelt). Als
Unterziel ist hier aufgeführt:
Halbierung der Anzahl der Menschen ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser bis 2015
Die MDGs hatten zunächst den Bereich Abwasserentsorgung nicht eigens erwähnt, obwohl die
Gesundheitsziele, aber auch die weiteren Umweltziele ohne geordnete Abwasserentsorgung
nicht zu erreichen sind. Dieser Mangel wurde auf dem Summit in Johannesburg 2002 durch
Ergänzung des ursprünglichen Zieles beseitigt:
Bis 2015 Halbierung der Anzahl der Menschen ohne Zugang zu Abwasserentsorgung (Jo-
hannesburg und Kommentar der UNDP)
Die Einschränkung der Ziele auf eine Halbierung wurde vorübergehend von einigen Verbän-
den als zu schwach diskutiert75. Tatsächlich ist dieses Ziel aber äußerst ehrgeizig. Eine simple
72
Nach Definition der UN gilt als arm, wer über ein Familieneinkommen von unter 2 US$ pro Tag
verfügt. Unter dieser Schwelle leben heute ca. 1,5 Milliarden Menschen [Quelle: UN].
73
UN 2005, S.19
74
ebenda
75
Auf dem Secound World Water Forum in Den Hag März 2000 wurden diese beiden Ziele bereits im
Bericht „VISION 21: A Shared Vision for Hygiene, Sanitation and Water Supply and A Framework
for Action: Achieving a Vision by the GWP“ festgelegt. Als drittes Ziel war genannt: “by 2025, to
provide water, sanitation, and hygiene for all” [McGranahan 2003 S. 49]
32 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors
Berechnung ergibt, dass, um dieses Ziel zu erreichen, weltweit pro Tag ca. 250.000 Menschen
zusätzlich Zugang zur Trinkwasserversorgung bekommen müssten, für 450.000 Menschen
müsste täglich zusätzlich die Frage der Abwasserentsorgung gelöst werden. Auch wenn man
davon ausgeht, dass die dafür vorzusehenden Standards nicht mit der öffentlichen Wasserinf-
rastruktur in Deutschland vergleichbar sein können, sind diese Zahlen aus technischer, aber
auch aus finanzieller Sicht beeindruckend. Dabei ist die ordnungsgemäße Abwasserentsorgung
sogar noch die größere Herausforderung.
Viele Länder, darunter Deutschland, haben entwicklungspolitische Weichenstellungen analog
der MDG vorgenommen. Das Bundeskabinett hat am 4. April 2001 ein „Aktionsprogramm
2015“ beschlossen, das die deutschen Maßnahmen zur Umsetzung der MDG enthält. Schwer-
punkt ist die Armutsbekämpfung (Tafel 2), die Umwelt kommt – wie auch in den MDGs – nur
am Rande vor.
• Die wirtschaftliche Dynamik und die aktive Beteiligung der Armen erhöhen
• Das Recht auf Nahrung verwirklichen und Agrarreformen durchführen
• Faire Handelschancen für die Entwicklungsländer schaffen
• Verschuldung abbauen und Entwicklung finanzieren
• Soziale Grunddienste gewährleisten und soziale Sicherheit stärken
• Zugang zu lebenswichtigen Ressourcen sichern und eine intakte Umwelt fördern
• Menschenrechte verwirklichen und die Kernarbeitsnormen respektieren
• Die Gleichberechtigung der Geschlechter fördern
• Die Beteiligung der Armen am gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichem Leben si-
chern und verantwortungsvolle Regierungsführung stärken
• Konflikte friedlich austragen und menschliche Sicherheit und Abrüstung fördern
Im Vergleich dazu hat der Kongress von Johannesburg im Sommer 2001 den Fokus der Um-
setzung der MDG mehr auf die „physikalischen Grundlagen“ der Armutsbekämpfung gelegt –
aus der Sicht der Nachhaltigkeit ein logischer und notwendiger Schritt. In der Konsequenz
wurde das Aktionsprogramm 2015 durch die Mitzeichnung der Bundesrepublik um einen Teil
„Aktionsplan von Johannesburg“ ergänzt, der folgende Zielsetzungen nennt:
• Der Anteil der Menschen ohne sicheren Zugang zu sauberem Trinkwasser und der Anteil der
Menschen ohne Zugang zu Kanalisation soll bis 2015 halbiert werden.
• Der Anteil erneuerbarer Energien am Primärenergieverbrauch soll „dringend“ gesteigert werden
• Staaten, die das Klimaschutz-Protokoll von Kyoto noch nicht ratifiziert haben, sollen dies nach-
holen.
• Umweltschädliche Subventionen sollen abgebaut werden.
• Das Artensterben in der Tier- und Pflanzenwelt soll bis 2010 deutlich verlangsamt werden.
• Der Verlust der natürlichen Ressourcen soll gestoppt werden.
• Die negativen Auswirkungen auf Mensch und Natur bei der Produktion und dem Gebrauch von
Chemikalien sollen bis zum Jahr 2020 „minimiert“ werden.
Aufgrund dieses Aktionsplanes hat sich die EU in ihrem Programm „Water for Life“76 ver-
pflichtet, ab dem Jahr 2002 pro Jahr eine Milliarde Euro im Wassersektor zu investieren (Eu-
ropean Water Initiative), die USA haben 970 Mio. $ versprochen, die Asian Development
Bank 500 Mio. $.77
Die Umsetzung der MDG innerhalb der UN ist Sache aller Unterorganisationen, also im Was-
sersektor vor allem der UNEP (Environmental Program), UNDP (Development Program),
UNCCD (Commission for Combating Deserts), UNESCO und der UNECs (Economic Com-
mission). Insgesamt sind mehr als zwei Dutzend UN-Organisationen im Wassersektor enga-
giert, was zwar die Bedeutung des Sektors unterstreicht, aber auch zu Abstimmungsproblemen
und Kompetenzdiskussionen führt.78
Ergänzend zu den eigenständigen Handlungsfeldern ist die UN an verschiedenen internationa-
len Institutionen beteiligt beziehungsweise hat deren Gründung unterstützt, um den globalstra-
tegischen Ansatz der MDG breit implementieren zu können. Auf dem Wassersektor ist als
wichtige Organisation die Global Water Partnership (GWP)79 (deren zweiter Pate die Welt-
bank ist) und das Water Supply and Sanitation Collaborative Council (WSSCC)80 sowie das
World Water Council (WWC)81 zu nennen. Seit 2000 ist darüber hinaus im Auftrag des Gene-
ralsekretariats und der UNDP das Millennium Project mit seinen Task Forces installiert, darun-
ter die UN Millennium Project Task Force on Water and Sanitation.
Strategische Allianzen unterhält die UN mit allen internationalen Entwicklungsbanken, insbe-
sondere der Weltbankgruppe.
Die Weltbank überwacht den Fortschritt im Rahmen ihrer strategischen Überlegungen. Eine
aktuelle Einschätzung82 sagt aus, dass 1991 bis 2000 täglich 210000 Menschen an die Wasser-
versorgung und 205000 an die Abwasserentsorgung angeschlossen werden konnten. Für die
Jahre 2001 bis 2015 seien diese Zahlen auf 250 Tsd. (Wasserversorgung) bzw. 340 Tsd. (Ab-
wasserentsorgung) zu vergrößern. Nach diesem Bericht werden allerdings nur in 20 % der
Entwicklungsländer und in 10 % der ärmsten Länder die gesteckten Ziele erreicht (vgl. auch
die Berichte der UN83).
Bei den verbleibenden 80-90 % wird es schwierig sein, den Rückstand aufzuholen. Es gibt
eine wachsende Diskussion, ob diese Ziele überhaupt noch realistisch sind. GOLDMAN et al.
werten 2005 die bisherigen Zahlen bezogen auf die Einwohner aus und kommen zu dem Er-
gebnis, dass nur bei 8 % der Länder eine Erfüllung des Wasserzieles (goal 7 target 10) wahr-
scheinlich ist, bei 83 % unsicher (77 %) oder unwahrscheinlich (6 %)84.
76
EU Water Initiative, 10th Multi-Stakeholder Forum (MSF) Meeting, 16 March 2004, Brussels,
DRAFT MINUTES, http://europa.eu.int/comm/research/water-initiative/index_en.html, auf Basis des
6. Aktionsprogramms der EU ‘Umwelt 2010: Unsere Zukunft liegt in unserer Hand’, 2001, KOM
(2001) 31 endgültig
77
McGranahan 2003, S. 47
78
UN 2005 S. 42
79
http://www.gwpforum.org/servlet/PSP
80
http://www.wsscc.org/home.cfm?CFID=736616&CFTOKEN=93667050
81
http://www.worldwatercouncil.org/
82
Saghir, J., Director Energy and Water, Consultation: Working together to accelerate progress towards
the Health & Nutrition MDGs , 4 February 2003
83
UN Millennium Development Goals, Progress Report 2004,
www.un.org/millenniumgoals/mdg2004chart.pdf
84
Goldmann , Wright 2005, Poverty and Millennium Development Goals, Hg. Worldbank, Washington
34 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors
Das Englische Überseeinstitut (ODI) und der UK Parlaments All Party Group on Development
(APGOOD) sehen die Situation ähnlich kritisch und erklären das Jahr 2005 zum Schicksals-
jahr („recognized as a year of destiny for the world“), weil nur noch in diesem Jahr ein Durch-
bruch ein Erreichen der Ziele bis 2015 ermöglichen würde85.
Dabei sollte man sich bewusst sein, wie sehr die Erreichung der Wasserziele Grundlage für
einen Erfolg der gesamten MDGs ist. Ein offensichtlicher Zusammenhang besteht insbesonde-
re bei allen Themen, die mit Gesundheit zu tun haben. Dabei hat der zunächst vergessene Ab-
wasserbereich eine besondere Bedeutung86. Hier hat seit 2002 ein Paradigmenwechsel stattge-
funden. Durch Aktionen wie die 2001 begonnene internationale Kampagne für Wasser, Ab-
wasser und Hygiene (WASH87) durch die 1992 gegründete WSSCC wurde die Bedeutung des
Abwassersektors enorm gestärkt. Mit dem Bericht „Listening“ wurde in fast aggressivem Ton
ein Überdenken der weltweiten Haltung zum Abwassersektor gefordert: „Billions of dollars
have been spent in an unsuccessful search for weapons of mass destruction in Iraq; yet the
most deadly biological weapon of mass destruction ever known, is human excrement – shit –
which, along with a lack of safe water, is the world's number one health problem. The problem
has been around, and known, for decades. So why has so little progress been made? Why does
a lack of safe water and sanitation continue to kill 6000 children every day and cause half the
world's poor to be sick at any given moment?”88
Bei der Arbeit mit den MDGs muss beachtet werden, dass die Zahlenbasis nicht ganz verläss-
lich ist. Das allgemeine Problem der Evaluierung von Wasserdaten wird noch näher in (S.127)
behandelt. Die Zahlen der Evaluationen der MDGs werden von SATTERTHWAITE89 kritisch
betrachtet. Er zieht in Zweifel, ob es überhaupt seriöse Zahlenwerke zum Ziel „sustainable
access to safe drinking water“ gibt und bezieht sich u. a. auf Aussagen der Weltgesundheitsor-
ganisation (WHO) und der UNICEF. Die gleiche Situation sieht er beim Bereich „Sanitation“.
Dabei vermutet er die größte „Dunkelziffer“ in den Städten.
Zum Teil liegt die Verunsicherung in den Definitionen. Die MDGs setzen tatsächlich keine
quantitativen Ziele, sondern sprechen von „Target 10: Halve, by 2015, the proportion of peo-
ple without sustainable access to safe drinking water and basic sanitation“.90
Daneben wird in den Zahlenwerken der UN zunehmend der Ausdruck “improved” – also „bes-
sere“ – verwendet (JMP)91, was u. U. als Aufweichung der Standards verstanden werden kann.
Deshalb definiert die WSSCC: “A person is said to have access to “improved” water supply if
the person has access to sufficient drinking water of acceptable quality as well as sufficient
quantity of water for hygienic purposes.”92
Das gleiche Problem gibt es bei Abwasser: Der JMP-Bericht verwendet ebenfalls „improved“
statt „basic“. Hier wählt die WSSCC die Definition: “Access to, and use of, excreta and waste-
water facilities and services that provide privacy and dignity while at the same time ensuring a
85
Bird et al. 2005, S.16
86
Aus diesem Grunde wird dieser auch in den Statistiken der Evaluierung inzwischen als MDG- Ziel
mitgeführt
87
WSSCC 2004a
88
WSSCC 2004, S.3
89
IIED 2003, S 34ff
90
MDGs
91
Die Terminologie basiert auf dem JMP Report 2000, ein von der WHO / UNICEF gegründetes Joint
Monitoring Programm, hier zum Thema „Global Water Supply and Sanitation Assessment 2000“
92
UN 2003
2.2 Schwerpunkt Ökonomie: Kosten und Finanzierung im Wassersektor 35
clean and healthful living environment both at home and in the immediate neighborhood of
users.”
Diese Definitionen sind zwar klarer, letztlich sind die Angaben aber doch nur qualitativ, was
sowohl Kostenschätzungen erschwert als auch vielleicht die bislang kommunizierten Erfolgs-
quoten relativiert.
Die MDGs gelten unabhängig von Detailproblemen als primäre Ziele in den zu entwickelnden
Ländern. Die Industrieländer sind als Geld- und Wissensgeber gefragt. Die meisten mit Ent-
wicklungshilfegeldern bezahlten Projekte zielen auf die Erfüllung der MDGs ab. Inwieweit die
MDGs erreichbar sind, ist derzeit offen. Die im Zusammenhang mit den MDGs international
entwickelten Ansätze sind aber für alle, die entsprechende Projekte durchführen, von Belang.
Die Bedeutung der „Wasserziele“ nimmt aber laufend zu, wie die WHO 2005 ausführt: “It is
not hard to see why providing access to safe drinking water and basic sanitation for the
world’s most deprived populations is moving up the political agenda. With 2.6 billion people
recorded as lacking any improved sanitation facilities in 2002 and 1.1 billion of them without
access to an improved drinking water source, the resulting squalor, poverty and disease hold
back so many development efforts.”93
93
WHO/UNICEF 2005, S.4
36 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors
94
Camdessus, Winpenny 2003
95
UN 2005, S. 29
96
außerdem wird dort der Vergleich angestellt, dass bei Annahme durchschnittlicher Jahreskosten von
6,8 Mrd.$ für Wasser weniger als die Hälfte dessen aufgewendet werden soll, was in Europa und
USA für Haustierfutter ausgegeben wird! (ebenda)
97
Thorbrietz 2000, S. 16
98
In die Kalkulation werden keine Kosten durch etwaige Schadensereignisse wie Flut, Trockenheit,
Grundwasserschäden oder durch wasserbedingte Krankheiten eingerechnet. Diese kämen rechnerisch
einem Nutzen (= verhinderter Schaden) gleich.
2.2 Schwerpunkt Ökonomie: Kosten und Finanzierung im Wassersektor 37
Der jährliche Umsatz im (öffentlichen) Wassersektor in Bayern kann also überschlägig auf
rund 3 Mrd. EUR geschätzt werden. Eine Umrechnung auf die ca. 12 Mio. Einwohner ergibt
folglich Kosten von rund 250 EUR pro Einwohner und Jahr101. Daraus lässt sich Folgendes
ableiten:
99
Einzelplan 12, siehe http://www.stmf.bayern.de/haushalt/staatshaushalt_2005/haushaltsplan/epl12.pdf
100
basierend auf Schätzungen der Verbände (BGW) zu den Gebühren für Wasser und Abwasser
101
Diese Kosten dürfen nicht mit den tatsächlichen Kosten der Privathaushalte verwechselt werden, weil
die Hauptkomponente Wasserverbrauch etwa zur Hälfte in Industrie und Gewerbe betrifft. Die Was-
serverbrauchskosten in Privathaushalten liegen bei ca. 3€* 50 m3/a*E = 150€ / E.
38 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors
• Den Löwenanteil der Kosten stellen die Gebühren und Beiträge für die Siedlungswasser-
wirtschaft dar.
• Innerhalb der Siedlungswasserwirtschaft ist der größte Kostenanteil durch die Sammlung
und Reinigung der Abwässer verursacht.
Beim weiteren Vergleich gilt es zu beachten, dass
• die genauen Kosten wegen der komplexen Kostenzusammensetzung nur schwer zu ermit-
teln sind;
• der Wasserreichtum in Verbindung mit der großen Besiedlungsdichte höhere Kosten im
Naturgefahrenmanagement, aber auch beim Ressourcenschutz mit sich bringt;
• die bayerische Wasserwirtschaft (typisch für Nordwesteuropa) auf vergleichsweise hohem
Niveau steht: Trotz sehr dichter Besiedlung und hohem Gewerbeanteil ist das Trinkwasser
aus praktisch allen öffentlichen Versorgungen von exzellenter Qualität, der Anschlussgrad
an Kläranlagen liegt bei weit über 90 %. Das Naturgefahrenmanagement ist ausweislich der
relativ geringen Schäden auf sehr hohem Niveau.
Zum Vergleich sollen die o. g. Investitionsraten der MDGs auf Einwohner umgerechnet wer-
den: Die so ermittelte Größenordnung liegt bei rechnerischen 5 bis 10 EUR wasserbezogene
Investitionsausgaben pro Einwohner und Jahr (überwiegend Ver- und Entsorgung). Setzt man
zum Vergleich der Größenordnungen reale Projekte an, kommt man auf 25 bis 80 $ pro E*a
(Zahlen aus dem Recife Urban Upgrading Project)102. Diese Zahlen entsprechen also ungefähr
einem Zehntel bis einem Fünftel der Vergleichszahlen aus Bayern. Liegt damit eine Unterfi-
nanzierung vor?
Beim direkten Vergleich muss miteinbezogen werden, dass:
• die Kaufkraft und damit die Kosten in den einzelnen Ländern höchst unterschiedlich sind
(Faktor 1 : 5 ist denkbar);
• die Problematik des Naturgefahrenschutzes besonders dicht besiedelte Industriestandorte
härter trifft, d. h. dort höhere Investitionen notwendig sind;
• weltweit teilweise(!) bei den Bedarfsberechnungen Wasserversorgung von wesentlich
anderen Standards ausgegangen wird, sowohl was die Mengen als auch die Qualität anbe-
langt.
– Bereichsweise wird z. B. nur von einer Mindestwassermenge von 40 l/E·d im Gegen-
satz zu 130 l/E·d (Deutschland) oder gar 300 l/E·d (USA) ausgegangen.
– Allein schon aufgrund der mangelnden Rohwasserqualität wird weltweit bei Weitem
nicht die hervorragende Qualität des Trinkwassers angestrebt.
• Im Abwasserbereich wird weltweit derzeit nur ein Bruchteil der Kosten der Abwasserreini-
gung gerechnet: im Wesentlichen die Ableitung des Abwassers. Eine Klärung der Abwäs-
ser ist, wenn überhaupt, nur mechanisch vorgesehen.
Dennoch: Diese Vergleiche geben einen strengen Hinweis auf die Herausforderung from visi-
on to action: Auch wenn man erheblich einfachere Standards in internationalen Wasserprojek-
ten unterstellt, dazu die in ärmeren Regionen viel höhere Kaufkraft berücksichtigt usw. wird
102
Das Recife-urban upgrading Projekt (State of Pernambuco 2001) hat ein Budget von ca. 89 Mio. $.
Dafür sollen für ca. 300.000 E Wasserinfrastruktur, Verbesserungen der Wohnungen incl. der Sanitä-
ren Situation, Straßen und Wege und weitere Infrastrukturmaßnahmen wie Ortsbild, Versammlungs-
plätze, Bildungseinrichtungen und Gewerbeflächen erreicht werden. Der geplante Investitionszeit-
raum ist ca. 5 Jahre. Geht man davon aus, dass der Wasserteil ca. 1/2 bis 2/3 der Investitionen aus-
macht, kommt man auf rund 25 bis 40 $/E*a.
2.2 Schwerpunkt Ökonomie: Kosten und Finanzierung im Wassersektor 39
doch klar, dass die heute kalkulierten Kostenansätze äußerst knapp sind. Es wird dadurch un-
terstrichen, dass eine Voraussetzung der Erreichung der MDGs sowohl Quantensprünge im
technischen Fortschritt als auch in weiteren Gebieten wie dem Management und der gesell-
schaftlichen und politischen Organisation sind.
Eine andere Interpretation der Kostenfrage ist die Abschätzung des Nutzens bzw. Schadens,
also was passieren würde, wenn die gewünschten Fortschritte nicht erreicht werden. Dies ist,
wie aus vergleichbaren Untersuchungen im Bereich der Kosten - Nutzenrechnung bekannt ist,
durchaus schwierig103, einige Zahlen liegen aber vor:
Gesundheitskosten104
• Die Hälfte aller Menschen in Entwicklungsländern leiden an mindestens einer durch Wasser-
probleme verursachten Krankheit wie Diarrhöe, Bilharziose, Hakenwürmer. Die WHO
schätzt, dass jährlich rund 2,3 Mrd. Menschen an wasserverursachten Krankheiten leiden.105
• Mehr als die Hälfte der Krankenhausbetten weltweit sind mit Menschen belegt, die an
wasserbezogenen Krankheiten leiden.
Dürre und Fluten
• Dürren erzeugen Krankheiten und Tod. 2 Mrd. Menschen waren in der letzten Dekade von
Naturkatastrophen betroffen, die Dürre in Zimbabwe in den frühen 90e-Jahren hat das
Bruttosozialprodukt um 11 % schrumpfen lassen, die letzte Flut in Mozambique um 23 %,
die Trockenheit in Brasilien 2002/2003 hat dort das Wirtschaftswachstum halbiert106.
• Die Überschwemmungen an der Elbe 2002 haben einen Schaden von ca. 15 Mrd. EUR
allein in Deutschland angerichtet.
Langfristige Schäden durch Degradation jeder Art
• Das Schadenspotential durch große, ganzheitliche Unglücke ist absolut vorhanden, aber
praktisch nur schwer abschätzbar. Am Aralsee in Usbekistan wie in großen Teilen Ka-
sachstans sind mehreren Millionen Menschen die Lebensgrundlagen entzogen. Allein in
der Provinz Karalkalpakstan sind über zwei Millionen Menschen in bitterste Armut gefal-
len, die Krankheiten haben massiv zugenommen. Die wirtschaftlichen, vor allem aber auch
die sozial-gesellschaftlichen Auswirkungen sind dramatisch: „Seit 15 Jahren ist praktisch
kein gesundes Kind mehr zur Welt gekommen, auch die meisten Erwachsenen leiden an
Krankheiten, die entweder wasserverursacht oder direkt aus den ‚Giftsandstürmen’ kom-
men.“107
• In den nächsten Jahrzehnten werden sich weltweit einige große Wasserreservoirs erschöp-
fen, so im US Middlewest und in Nordafrika. Folgen sind nicht abgeschätzt.
• Undurchsichtig ist auch die Wassersituation in China. Dort nimmt die Verschmutzung der
Oberflächengewässer dramatisch zu. Allerdings zeigt der Staat erhebliches Interesse an
Verbesserungen in diesem Sektor.108
103
Kopf 2005
104
UN 2005, S.17
105
VN 1997, S. 39
106
ebenda
107
Der karakalpakische Vize-Premier Rasbergen in einem persönlichen Gespräch mit einer bayerischen
Delegation im April 2000 in Nukus.
108
SEQUA 2004, „Asia Pro Eco Programm, Capacity Building and Policy Reinforcement in China in
the Field of Water Resource Management“, Bonn, München, unveröffentlicht
40 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors
Beispiel: Wie solche Schäden wirken, wird im Aralseedesaster deutlich. Die dem Aralsee-
Unglück zugrunde liegende Wirkungskette ist einzigartig in ihrer situationsbedingten Aus-
wirkung, in ihrer Art der höher generierten Interpendenz aber typisch. In Kürze zusam-
mengefasst stellt sich die Hauptwirkungslinie wie folgt dar:
Die beiden Gebirgsflüsse Sir Dari und Amu Dari durchströmen auf dem Weg vom Gebir-
ge über 1000 km eine heiße, von Osten nach Westen zunehmend trockene Ebene, die im
Einflussbereich des Aralsees in eine im Urzustand äußerst fruchtbare Vegetation überging.
Wälder, Agrarnutzen und Fischreichtum zeichneten die Gegend aus, die u. a. eine der gro-
ßen Erholungsgebiete der ehem. Sowjetunion bot. In einem der größten Bewässerungspro-
jekte der Welt wurden ab 1930 in der Stalin-Ära Tausende von Quadratkilometern Steppe
zu Bewässerungsflächen umgewandelt. Aufgrund der hohen Sonneneinstrahlung war für
Jahrzehnte die ertragreichste Baumwollanbaufläche der Welt entstanden. Unter üppigem
Einsatz von Wasser und Agrochemikalien wurde die Produktion gesteigert, zur Ernteer-
leichterung wurden z. B. Entlaubungsmittel aus dem Flugzeug eingesetzt. In der Folge ent-
standen auch komplette Industrieansiedelungen mit Hunderttausenden von Arbeitsplätzen.
Der Preis war allerdings ein langsames Austrocknen des Aralsees, das etwa 1940 begann.
Zur Abhilfe wurden Drainagewässer verstärkt in den See wiedereingeleitet. Damit gelang-
ten allerdings große Mengen von Agrochemikalien in den See. Gleichzeitig begann die
Versalzung der Böden, der durch immer häufigere Spülungen begegnet wurde. Heute müs-
sen die Felder jährlich gespült werden. In Folge dieses anwachsenden Wasserverbrauchs
entstand ein Wasserbilanzdefizit von ca. 100 km3 pro Jahr. Der See trocknete immer
schneller aus, während gleichzeitig ein Anstieg des Grundwassers erfolgte. Dieses Grund-
wasser ist aber wie der Boden inzwischen hoch versalzen (2 bis weit über 10 gr/l). In der
109
GWP 2000, S. 20
2.2 Schwerpunkt Ökonomie: Kosten und Finanzierung im Wassersektor 41
Folge starben alle Pflanzen ab, deren Wurzeln in den Salzbereich vorstießen. Die Vegeta-
tion um den Aralsee, die nicht im drainierten Bereich steht, war das erste Opfer. Kein
Baum überlebte dort.
Durch die Vegetationsänderung und den zurückweichenden Seespiegel begann sich das loka-
le, später regionale Wetter zu ändern. Stürme wurden häufiger, der spärliche Regen blieb fast
vollständig aus. Mit dem Zurückweichen des Sees wurden die Sände freigelegt, die hoch mit
Agrochemikalien angereichert sind. So entstanden die heute gefürchteten krankmachenden
Sandstürme, die giftigen Sand Hunderte von Kilometern ins Land hineintreiben.
Heute geht die Produktion dramatisch zurück, weil selbst gespülte Felder versalzen sind.
Der Aralsee ist praktisch verschwunden. Das Grundwasser ist flächendeckend angestiegen
und vollkommen versalzen. Eine Regeneration der Böden ist aufgrund der geringen Nie-
derschläge und der hohen angereicherten anthropogenen Salzlasten vor dem Hintergrund
auch schon geogener Grundlasten in den nächsten 20000 Jahren nicht zu erreichen, auch
wenn man die Bewässerung sofort einstellen würde, woran aus wirtschaftlichen Gründen
allerdings niemand denkt.
„Das Aralsee-Syndrom beschreibt die Problematik von zentral geplanten, großtechni-
schen Wasserbauprojekten. Solche Projekte sind ambivalent: Einerseits stellen sie ge-
wünschte zusätzliche Ressourcen bereit (Wasser für Ernährungssicherheit, erneuerbare
Energie) oder schützen vorhandene Ressourcen (Hochwasserschutz), andererseits beein-
flussen sie Umwelt und Gesellschaft nachteilig. Der Dimension der Projekte entsprechend,
sind die Auswirkungen solcher Baumaßnahmen in der Regel nicht lokal oder regional be-
grenzt, sondern können auch internationale Ausmaße annehmen, allein schon weil die be-
troffenen Flusssysteme und deren Einzugsgebiete sehr groß und oft auch grenzüberschrei-
tend sind. 110
111
Die Anfälligkeit für das Aralseesyndrom besteht nach den Untersuchungen des WBGU
weltweit, insbesondere in Nordamerika, Europa und Ostasien. Die dadurch möglichen Schäden
können an die gesellschaftliche Existenz der Staaten gehen, die Kosten sind dann „unbezahl-
bar.“ Die Kosten der möglichen Schäden durch unzureichendes Wassermanagement überstei-
gen also die Kosten einer ordnungsgemäßen Wasserwirtschaft erheblich.
110
WBGU 1997, S. 175 ff. Die Beschreibung des WBGU ist auch deshalb beachtenswert, weil sie den
Versuch unternimmt, die komplexe Vernetzung der Tripel- Belange darzustellen. Auch wenn nicht
exakt die gleiche Systematik hinterlegt ist, kann man zuordnen: für die Ökologie Biosphäre, Atmo-
sphäre, Pedosphäre und Hydrosphäre, für die Wirtschaft Wirtschaft und Wissenschaft / Technik und
für Soziales Bevölkerung, Psychosoziale Sphäre und Gesellschaftliche Organisation.
42 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors
111
ebenda
112
Serageldin, aktuell zitiert aus: CGIAR, (Consutative Group on International Agricultural Reseach)
März 2000, At the dawn of a new Millennium, Washington D.C.
113
World Bank 2004, S. 41
114
Quelle: BGW
115
Bauer 2004
116
Rödel 2002
117
Ergebnis von Überprüfungen im Rahmen der Verwaltungshilfe Ost
2.2 Schwerpunkt Ökonomie: Kosten und Finanzierung im Wassersektor 43
Versorgungsleistung, wodurch dann auch noch Einnahmen aus dem Wasserverkauf wegbre-
chen und sich die Finanzkrise verschlimmert.
Es ist also in jedem Falle zweckmäßig, sich auf Betriebsebene mit der Effizienz in Planung
und Management zu beschäftigen.
Die Kurzformel für eine Politik, die solche Fehler vermeidet und gleichzeitig durch Schaf-
fung eines entsprechenden Rahmens gesellschaftlichen Mehrwert in Bezug auf nachhaltige
Entwicklung fördert, heißt „Good Governance“. In Kapitel 3.3.2.2 (S. 125) wird dieses
Thema vertieft.
2.2.2.3 Öko-Effizienz
Der Begriff der Öko-Effizienz taucht in der Literatur seit ca. 1989 auf. Im Nachgang der Rio
Agenda hat das World Business Council for Sustainable Development119 den Begriff in der Öf-
fentlichkeit diskutiert und weiterentwickelt. Nach dortiger Definition geht es um die Entwicklung
von Strategien, die sowohl profitabel als auch umweltschonend sind, also allgemein um die paral-
lele Berücksichtigung ökologischer und ökonomischer Belange. Zur Umsetzung des Konzeptes
empfiehlt der WBCSD folgende sieben Handlungsgrundsätze zu berücksichtigen120:
1. Reduzierung der Materialintensität von Gütern und Dienstleistungen
2. Reduzierung der Energieintensität von Gütern und Dienstleistungen
3. Reduzierung der Verteilung giftiger Stoffe
4. Erhöhung der Wiederverwertbarkeit der eingesetzten Materialien
118
Ohne das Argument überbelasten zu wollen, ist es z. B. interessant, die Karte der Wassermangelge-
biete mit den Ursprungsorten des internationalen Terrorismus zu vergleichen.
119
WBCSD
120
zitiert nach Wagner 2003
44 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors
121:
Die Suffizienz richtet sich an die Konsumenten und sucht nach Konzepten und Ansätzen zur Redu-
zierung des materiellen Konsums. Im Vordergrund steht dabei die Entwicklung von neuen Lebenssti-
len und Konsummustern, die den ökologischen Strukturwandel unterstützen sollen (nach Wagner
2003).
122
Der Begriff Konsistenz bezieht sich nicht wie die Begriffe Effizienz und Suffizienz auf eine reine
Reduzierung der Materialmenge (Dematerialisierung), sondern stellt vielmehr die Frage nach der
Verträglichkeit von Materialien. Die qualitativen ökologischen Aspekte stehen beim Begriff der Kon-
sistenz im Vordergrund. Materialflüsse müssen vom Ökosystem ohne gravierende Beeinträchtigung
ökologischer Gleichgewichte und schädlicher Wirkungen auf die menschliche Gesundheit abgegeben
und aufgenommen werden können (ebenda).
123
ebenda
124
Radermacher 2002, S. 27 ff
125
Wagner 2003
2.2 Schwerpunkt Ökonomie: Kosten und Finanzierung im Wassersektor 45
Öko-Effizienz ist die konsequente Anwendung des Effizienzansatzes im Sinne der Agenda
21 auf die ökologischen Anforderungen an angepasste Technologie und Management
126
Rustler 2004, S. 176 ff
127
Wahl 2003, S.8
46 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors
für die Nachhaltigkeitskriterien sind. Unter dem Stichwort „Kohärenz“ sollen nämlich die
Vorstellung der für die Weltwirtschaft zuständigen WTO und des IFW mit der für die Ent-
wicklungszusammenarbeit hauptverantwortlichen Weltbank abgestimmt werden. Das
BMWA128: „Besser koordinierte Maßnahmen zwischen WTO und Weltbank sowie dem Inter-
nationalen Währungsfonds (IWF) können die Effizienz der verschiedenen Maßnahmen für
Entwicklungsländer erhöhen“.
Das Hauptproblem dabei ist die starke monetäre Fixierung der Weltwirtschaftsordnung. Den
für den Nachhaltigkeitsprozess wichtigen ökologischen und sozial-kulturellen Belangen wird
dort bei weitem keine äquivalente Bedeutung beigemessen.129 Aus Sicht der Globalisierungs-
kritiker ist eine Kernfrage, inwieweit Globalisierung durch eine neoliberale Schwerpunktset-
zung zu gesellschaftlichen und kulturellen Verwerfungen führt. Die Diskussion erfasst öko-
nomische Denkrichtungen wie den Unterschied zwischen dem „Keynesianismus“ (also dem
ursprünglichen Ordnungsprinzip von Bretton Woods) und dem von FRIEDBERG begründeten
„Monetarismus“. Der Neoliberalismus vermutet grundsätzlich im möglichst freien Markt das
beste Regulativ gesellschaftlicher Entwicklung. Je nach Ausprägung führt dies zur Annahme
einer prinzipiellen Überlegenheit der privaten Unternehmen über die politischen/staatlichen
Akteure (liberaler Antietatismus), ein Phänomen, das derzeit in der internationalen Politik
zunehmend Realität wird. Aufgrund der Einzelinteressen vertretenden Nationalstaatssysteme
sind globalisierte Unternehmen der Politik zunehmend überlegen. Die UN ist zu schwach, um
diese Lücke zu füllen.
Zur Politik der „Strukturanpassung“ gehören u. a.:
• eine Senkung der Staatsausgaben (Haushaltsdisziplin),
• die Schwerpunktsetzung der Staatsausgaben auf Bildung, Gesundheit und Infrastruktur, Strei-
chung von Subventionen,
• eine Steuerreform zur Erweiterung der Steuerbasis und Senkung der Steuersätze,
• eine Erhöhung der Zinsen zur Verhinderung der Kapitalflucht und als Anreiz für Investitionen
aus dem Ausland,
• die Liberalisierung des Handels durch die Senkung von Zöllen und die Abschaffung von Im-
portbeschränkungen,
• eine weitgehende Privatisierung staatlicher Unternehmen und Einrichtungen,
• eine Stärkung der Eigentumsrechte.
128
http://www.bmwa.bund.de/Navigation/aussenwirtschaft-und-europa,did=9896.html
129
Radermacher 2002, S. 140: „Das Problem mit dem heutigen WTO- Regime ist, dass es für soziale,
kulturelle und ökologische Belange nicht zuständig ist“
2.2 Schwerpunkt Ökonomie: Kosten und Finanzierung im Wassersektor 47
verstanden haben, dass Märkte aus Wettbewerb in Verbindung mit Rahmenbedingungen be-
stehen, nicht aus Wettbewerb zu Lasten erforderlicher Rahmenbedingungen“.130
Auch ULRICH kritisiert die einseitige „harmonistische Idealwelt der neoklassischen Ökono-
mie“ und bringt sie in Verbindung mit dem IWF131. Der zentrale Punkt sei, „dass sich ethische
Vernunft nicht auf ökonomische Rationalitäten reduzieren lässt.“
Vorausgesetzt, diese Sorgen sind berechtigt, bildet der Ansatz der Strukturanpassung und
der Kohärenz so lange ein Problem für den internationalen Wassersektor, bis sich das
Nachhaltigkeitsverständnis von WTO und IWF von der jetzigen als „Starke Monetäre
Nachhaltigkeit“ zu bezeichnenden Philosophie mindestens in Richtung einer „Puren
Nachhaltigkeit“ weiterentwickelt.
Die gewünschten Erfolge bezüglich der Armutsbekämpfung und Stabilisierung haben sich
demzufolge auch nicht im erwünschten Umfang eingestellt. Auf Initiative des Weltbankpräsi-
denten WOLFENSON wurde deshalb ein Anpassungsprozess in Gang gesetzt. Joseph
STIGLITZ hatte 1998 als Chefökonom der Weltbank auf die Schwächen des damaligen wirt-
schaftspolitischen Modells hingewiesen und einen „Post Washington Konsens“ gefordert.
Unter anderem forderte und formulierte STIGLITZ132 als damaliger Chefökonom der Welt-
bank 2001 eine Abkehr vom rigiden Antietatismus des Washington Konsens und eine Beto-
nung der wichtigen Funktion des Staates bei der Unterstützung und Finanzierung von Produk-
tivität, was letztlich zu einer Aufwertung der Rolle von Staat und Bevölkerung führt (Owners-
hip133 und Partizipation). Allerdings haben sich diese Änderungen nicht durchgesetzt. So hat
das auf Initiative von WOLFENSON 1996 gegründete Netzwerk zur Bewertung der Struktur-
anpassungspolitik (SAPRIN) mit dem Bericht von 2002 erhebliche Mängel im bisherigen
Ansatz erkannt. Insbesondere wird ein Zusammenhang von Privatisierung und Liberalisierung
mit wachsenden sozialen Kosten und steigender Armut gesehen. In der Konsequenz wird auch
von SAPRIN „eine neue Form der Strukturanpassung“ gefordert134.
Die Richtung dieser Anpassung könnte von den Überlegungen des Club of Rome zur Internali-
sierung der Kosten beeinflusst werden. Das Problem ist eben, dass die Kräfte des Monetaris-
mus nur die in Geld beschriebenen Märkte steuern können, viele gesellschaftliche Aspekte
aber nicht mit monetären Kosten beschrieben sind. Die „reine neoliberalistische marktwirt-
schaftliche Lösung“ bekommt damit zwei Schwierigkeiten: Die marktwirtschaftlich gesteuerte
Lösung reagiert betriebswirtschaftlich richtig, sie muss aber nicht unbedingt auch volkswirt-
schaftlich die nachhaltig beste Variante ergeben. Weiterhin sind viele Bedürfnisse gar nicht
monetarisiert oder monetarisierbar, d. h. sie entfallen als Steuerungsparameter zunächst, was
mit hoher Wahrscheinlichkeit zu suboptimalen Lösungen führt.
Konsequenterweise geht es nicht ohne ein gesellschaftliches Regelwerk, das die Rahmenbe-
dingungen für den marktwirtschaftlichen Regelkreis bezüglich der volkswirtschaftlichen Di-
mensionen einschließlich der nichtmonetären Gesellschaftsgüter (Bedürfnisse, Werte) benennt.
RADERMACHER dazu in ‚Balance oder Zerstörung‘:
130
ebenda, S. 139
131
Ulrich 2004, S.11
132
Stiglitz erhielt 2001 den Nobelpreis für Wirtschaft
133
Ownership beschreibt in der Nomenklatur der Weltbank ein Verhalten, dass sich bei bewusstem
Besitztum einstellt, also eine gewisse Sorgfalt, ein auf Werterhalt und ggf. Mehrung gerichtetes
Bestreben.
134
Schneider 2003, S. 36
48 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors
„Die Kernfrage lautet, wie man Ökonomien organisieren soll. Das ist keine Frage der Be-
triebswirtschaftslehre, sondern eine Frage der Volkswirtschaftslehre. Die Antwort auf diese
Frage ist zugleich trivial und extrem schwierig. Wir reden immer nur über den trivialen As-
pekt: Ökonomie gründet auf den Wettbewerb. Das versteht jeder sofort. Viel entscheidender ist
aber der zweite Aspekt, das sind die Rahmenbedingungen, unter denen der Wettbewerb statt-
findet. Dabei geht es in erster Linie um die staatsbürgerlichen Anliegen, um die sozialen Fra-
gen, um den Erhalt der Vielfalt der Kulturen und um den Schutz der Umwelt. In den Rahmen-
bedingungen legt man fest, was unveränderbarer und zu erhaltender Bestand in Bezug auf die
sozialen Gegebenheiten, die Vielfalt der Kulturen und die Intaktheit der Umwelt ist.“…„Es
wäre dennoch völlig verfehlt, die WTO abschaffen zu wollen. Wir haben eine globale Ökono-
mie und brauchen daher ein globales Ordnungssystem. Dieses System braucht aber eine Kop-
pelung zwischen den WTO- und IMF-Themen, der ILO, dem kulturellen Sektor und dem Um-
weltbereich. Die wirkliche Herausforderung besteht darin, wie man all diese Bereiche zu-
kunftsfähiger organisieren und miteinander verknüpfen kann.“135
Wenn bei Strukturanpassungen diese Voraussetzungen nicht erkannt und berücksichtigt wer-
den, werden nicht funktionierende Steuerungsmodelle für teures Geld implementiert. Das
Ergebnis im Wassersektor entspricht dann ziemlich genau der Phänomenologie des Versagens,
die in vielen untersuchten Krisen von Lateinamerika bis Zentralasien anzutreffen sind. In der
Konsequenz ist es also vernünftig, Strukturanpassungen zu fordern. Es müssen aber Anpas-
sungen im Sinne der Tripel-Belange sein, die erwarten lassen, dass sich die Systeme in Rich-
tung einer nachhaltigen Entwicklung bewegen können.
135
Radermacher 2002, S. 142
2.2 Schwerpunkt Ökonomie: Kosten und Finanzierung im Wassersektor 49
4 Die internationale Gemeinschaft soll ihre Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit erhöhen. Die
Bundesrepublik hat sich verpflichtet, ab 2006 einen Anteil von 0,33 Prozent ihres Bruttonational-
einkommens in die Entwicklungszusammenarbeit zu investieren.
5 Hochverschuldeten Entwicklungsländern soll im Rahmen der HIPC-Initiative ein Teil der Schul-
den erlassen werden und eine entwicklungsverträgliche Schuldenfinanzierung angeboten wer-
den.
6 Die Interessen von Entwicklungsländern sollen bei der Reform der internationalen Handels- und
Finanzarchitektur berücksichtigt werden.
7 Die internationale Entwicklungszusammenarbeit soll noch besser aufeinander abgestimmt wer-
den.
Ein weiterer Versuch, dieser Unterfinanzierung beizukommen, ist die Umlenkung privaten
Kapitals in entwicklungsrelevante Projekte. Im Bereich der Infrastruktur, ganz besonders im
Wassersektor, ruhen viele Hoffnungen auf Public-Private-Partnership (PPP) Modellen. Das ist
nicht grundsätzlich neu. Die Weltbank besteht seit jeher neben der IBRD (International Bank
for Reconstruction and Development), dem Partner der Staaten und der öffentlichen Hände,
auch aus der IFC (International Finance Corporation), dem Partner der freien Wirtschaft, die
internationales privates Engagement unterstützt, soweit es den Zielen der Weltbank (Armuts-
bekämpfung, Erfüllung der MDGs) dient.137 Auch die anderen Finanzgeber wie in Deutschland
die KfW und die GTZ setzen auf Modelle unter privatwirtschaftlicher Beteiligung.
Ein alternativer Ansatz könnte die gerechtere Verteilung der durch zukünftiges Wachstum
erreichten Gewinne sein, so wie es WEIZSÄCKER bzw. der sogenannte Faktor 10-Club for-
muliert138. RADERMACHER denkt diese Theorie weiter, indem er das Wachstum im Verhält-
nis 4 (vierfaches Wachstum der Industriestaaten) und 34 (34-faches Wachstum der Entwick-
lungsländer) verteilt. Daraus entsteht der 10/4/34-Ansatz139. Im Ergebnis soll den Entwick-
lungsländern ein erheblich größerer Anteil an dem durch Wachstum entstandenen Mehrwert
zukommen. Der Hintergrund für diesen Ansatz ist, dass man es für unmöglich hält, dass die
Industriestaaten vom heutigen Niveau etwas abgeben, aber für durchaus denkbar, dass sie vom
zukünftigen Zuwachs etwas abgeben140.
141
Der Camdessus Report nennt für den Wassersektor eine Reihe von typischen Problemen,
finanzielle Leistungen - gleich aus welcher Quelle – auch wirksam werden zu lassen.
• Offensichtlich niedrige Priorität des Wassersektors
• Richtungslosigkeit der sozialen, umweltgemäßen und wirtschaftlichen Ziele
136
Quelle: http://www.bmz.de/de/ziele/politische_ziele/aktion_2015/index.html
137
Bayern hat dort, wie viele andere Länder, sogar einen trust fond eingerichtet, der privaten Unterneh-
mern bei der Vorbereitung von Projekten helfen soll.
138
Das Faktor 10 Konzept setzt eine Verzehnfachung der Ökoeffizienz in den nächsten hundert Jahren
an, d.h. mit dem Ressourcenaufwand von heute, insbesondere Energie, können zehnmal so viele Gü-
ter hergestellt werden.
139
Rademacher 2002
140
Ein anderer Ansatz liegt in der so genannten Tobin-Steuer oder anderen Abgaben auf Devisentrans-
aktionen. Die Grundlage ist, dass einer globalen Wirtschaft auch globale Steuerungsmechanismen
entsprechen müssen. Die Asymmetrie der Kapitalmärkte könnte – so die Befürworter – im Sinne ei-
ner nachhaltigen Entwicklung ausgeglichen werden.
141
Camdessus et al. 2003
50 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors
• Politische Einmischung
• Schwache Managementstrukturen und unklare Ziele der Unternehmen des Wassersektors
• Unzulänglicher rechtlicher Rahmen
• Mangelnde Transparenz bei der Vertragsvergabe
• Nichtexistente oder schwache bzw. unerfahrene Aufsichtsbehörden
• Ablehnung von kostendeckenden Tarifen
Sowohl für private wie auch für staatliche Betreiber sieht der Bericht bestimmte sektor-
spezifische Risiken, die die finanziellen Entscheidungen beeinflussen:
• Kapitalintensität von Wasserprojekten mit einem hohen primären Investitionsbedarf und
langen Kapitalrückflussperioden
• Währungsrisiken, wenn Investitionen in Fremdwährungen getätigt wurden
• Nachgeordneten-Risiken: dezentrale Versorger mit Service-Verantwortung aber ohne Fi-
nanzressourcen oder Kreditaufnahmemöglichkeit
• Risiko von politischem Einfluss auf die Tarifgestaltung oder Verträge bei gleichzeitig
schwacher oder unklarer Regulierung
Abschluss langfristiger Verträge ohne ausreichende Information über langfristige Bedingungen
• Die Forderungen, die daraus abgeleitet werden, sind wie folgt zusammenzufassen:
• Der Wassersektor muss seitens der Politik ernster genommen werden.
• Zusätzliche Gelder müssen fließen, dafür sind die Voraussetzungen zu verbessern (Kalku-
lierbarkeit, Transparenz, Währungsrisiko).
• Die Verlagerung der Verantwortung auf den lokalen oder regionalen Level ist der richtige
Weg, muss aber durch entsprechende Maßnahmen flankiert werden, z. B. Verfügbarkeit
der Haushaltsmittel, Personal in entsprechender Zahl und Qualifizierung.
Zusammenfassend ist davon auszugehen, dass nur alle zitierten Aktivitäten gemeinsam eine reelle
Wahrscheinlichkeit für Verbesserungen ergeben. Langfristig werden aber schon aus Gründen der
Gesamteffizienz nur Lösungen erfolgreich sein, die nahe der puren Nachhaltigkeit stehen, also
ausdrücklich auch ökologischen und sozial-gesellschaftlichen Mehrwert erzeugen.
Über die grundsätzliche Notwendigkeit der Effizienz besteht Einigkeit, Dissens dagegen par-
tiell in der Frage, welche Wege dorthin führen. Eine Lösung ist die Definition des Wassers als
Wirtschaftsgut, d. h. die Marktkräfte sollen zu Sparsamkeit im Umgang (rationelle Wassernut-
zung) und Effizienz führen. Diesen Weg gehen die Bretton Woods Institutionen; die Forde-
rung nach kostendeckenden Wasserpreisen findet sich aber auch als eine der Kernforderungen
in der WRRL. Dagegen steht vermeintlich die Auffassung, dass Wasser zum einen deutlich
mehr als ein Wirtschaftsgut ist und andererseits der Zugang jedermann offen stehen muss
(Menschenrecht Wasser). An dieser Frage hängen dabei nicht nur individuelle Rechte, sondern
ebenso auch Oberlieger-Unterliegerfragen, d. h. wie weit geht das individuelle, aber auch
staatliche Recht auf Nutzung, Verbrauch, Verschmutzung des Wassers. Die Position des Men-
schenrechts auf Wasser und die Einbindung sozial-gesellschaftlicher Belange wird im folgen-
den Kapitel behandelt.
2.3 Schwerpunkt gesellschaftlich-soziale Bedeutung der Wasserwirtschaft 51
142
Windfuhr 2003, S. 3
143
ESCR Comitees (UN-comitee of Economic, Social and Cultural Rights, in deutsch WSK = Komitee
der Vereinten Nationen für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte)
144
UNESCO 2002
145
Im Jahr 2001 hat die Menschenrechtskommission die Sonderberichterstatter zum Recht auf Wohnen
(Miloon Kothari) und zum Recht auf Nahrung (Jean Ziegler) gebeten, das Recht auf Wasser in ihren
52 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors
Komitees ist das Menschenrecht auf Wasser im Art. 11 (Recht auf einen angemessenen Le-
bensstandard) und Art. 12 (Recht auf Gesundheit) des IPWSK enthalten.
Mit dem sog. Allgemeinen Kommentar Nr. 15146 liegt nun eine autorisierte Interpretation
durch das WSK-Komitee vor, an der sich die weitere Debatte orientieren wird. Dadurch wird
das Recht auf Wasser als Menschenrecht in zunächst noch nicht verbindlicher, aber dennoch
richtungweisender Form beschrieben. Das Recht auf Wasser wird dort zu gleichen Teilen aus
dem Recht auf Nahrung und dem Recht auf Gesundheit abgeleitet. Das Recht auf Wasser „be-
rechtigt jedermann zu ausreichendem, ungefährlichem, sicherem, annehmbarem, physisch
zugänglichem und erschwinglichem Wasser für den persönlichen und häuslichen Gebrauch.“
Ursprünglich sollte der Rechtskommentar zum „Recht auf Trinkwasser“ geschrieben werden.
In den Beratungen und Diskussionen des Komitees stellte sich aber heraus, dass „Trinkwasser“
eine zu enge Kategorie ist, sondern dass das Recht auf Wasser den gesamten persönlichen
Verbrauch und die Verwendung von Wasser im Haushalt umfassen muss, da ansonsten Ge-
sundheits- und sanitäre Aspekte übersehen würden.147 Gleichzeitig wird die Verwendung von
Wasser als Bewässerungswasser in der Landwirtschaft aus der Definition ausgeschlossen. Das
Thema Zugang zu Bewässerung, um ausreichende Nahrung zu produzieren, wird vom WSK-
Komitee als Frage bewertet, die in den Bereich des Rechts auf Nahrung gehört.
nächsten Berichten zu berücksichtigen. Die entsprechenden Berichte liegen inzwischen vor und bie-
ten wichtige Hintergrundinformationen zum Verständnis des Rechts auf Nahrung. Zusätzlich wurde
im Jahr 2002 ein eigener Berichterstatter zum Recht auf Wasser (El Hadji Guissé) von der Unter-
kommission für Menschenrechte eingesetzt, dessen Endbericht bis zum Jahr 2004 fertig sein sollte.
146
UN 2002b
147
Windfuhr 2003, S. 4
148
UN 2002b, S. 11
2.3 Schwerpunkt gesellschaftlich-soziale Bedeutung der Wasserwirtschaft 53
149
Windfuhr 2003, S 6f
54 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors
wieder dazu bringt, WSKR-Rechte nur als politische Ziele zu charakterisieren, da für die Umset-
zung eine physikalische Umgebung und finanzielle Mittel und andere Ressourcen notwendig
sind, die in vielen Fällen schlicht nicht vorhanden sind. Der Anspruch scheint also in vielen Fäl-
len nicht real und damit nicht durchsetzbar. Anlässlich der water week 2003 in Washington D.C.
wurde von SAGIR in die Diskussion eingebracht, die Frage des Menschenrechtes Wasser würde
sich so gar nicht stellen, weil dort, wo dieses Recht auf Mindestwasserstandards nicht erfüllt
würde, ohnehin kein menschliches Leben möglich sei. Die Geister scheiden sich auch in anderen
Bereichen. So ist der uneingeschränkte Zugang zu vorhandenem Wasser (Ziff. 10) u. U. mit den
wirtschaftlichen Forderungen (pay for water) nicht vereinbar, auch die Forderungen nach Quali-
tätserhalt des Wassers (Ziff. 21) können Umsetzungsprobleme bedeuten. Insbesondere die
Schutzpflicht (Ziff. 23 und 24) könnte sogar als Einschränkung der Privatisierungsmöglichkeiten
verstanden werden und stößt somit auf Kritik. WINDFUHR150 zitiert als typische Verletzungen
des Rechts auf Wasser die Erfahrungen aus der Arbeit der Organisation FIAN 151:
„In einer ersten Gruppe lassen sich Situationen kategorisieren, in denen der Zugang oder
Zugangsrechte von Bevölkerungsgruppen zu Wasser zerstört oder unterbrochen wurden.152
(...) Es gibt inzwischen auch eine Reihe von Fällen, in denen Zugangsrechte durch die Über-
nutzung knapper Wasserressourcen durch andere Nutzer zerstört werden. Manche dieser Zu-
gangskonflikte entstehen dadurch, dass verfügbare Wasserreserven oder Quellen privatisiert
werden. (...) In einer zweiten Gruppe lassen sich Fälle erfassen, in denen das Recht auf Was-
ser z. T. nachhaltig zerstört wurde, durch Verschmutzung der Wasserquellen, wie beispielswei-
se durch die Ölgewinnung im Tiefland von Ecuador, bei der zahlreiche Flüsse und Quellen
verseucht wurden, oder Zyankaliunfälle153 im Goldtagebergbau, die die Wasser- und Nah-
rungsversorgung ganzer Dörfer für längere Zeit unmöglich machen oder die Verseuchung von
Wasserquellen durch intensive Agrarchemikaliennutzung z. B. im Umfeld von Bananen- oder
Blumenplantagen. In einer dritten Gruppe lassen sich Fälle erfassen, in denen die Wasserver-
sorgung von Personen oder ganzen Gruppen durch Entwicklungsprojekte oder großflächige
Eingriffe in den Naturhaushalt dramatisch verändert werden, beispielsweise durch Zwangs-
umsiedlungen im Umfeld von Staudammbauten oder die Umlegung ganzer Flüsse oder die
Veränderung von Flussläufen durch große Tagebergbauprojekte.“
Gerade Übernutzung und Verschmutzung haben inzwischen eine weltweite Dimension. Die
Definition der Menschenrechte ändert sich in diesem Zusammenhang in eine Definition der
Menschheitsrechte. WINDFUHR führt letztlich aus: „Der Menschenrechtsansatz stellt eine
hilfreiche und wichtige Ergänzung zu anderen Formen der Thematisierung der Wasserprob-
lematik dar. Er kann in der allgemeinen Debatte über die Nutzung der knappen Ressource
Wasser oder über die Privatisierung von Wasserressourcen und Wasserversorgungssystemen
hilfreiche Kriterien zur Beurteilung von Fällen geben. Er wird es erleichtern, in Auseinander-
setzungen mit der WTO, der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds (zu154) einfa-
che Privatisierungskonzepte in Frage zu stellen und sich für eine angemessene Regulierung
der Wasserversorgung (besser: Wasserwirtschaft154) einzusetzen, in der einer funktionierenden
150
Windfuhr 2003, S. 8
151
(FIAN, das FoodFirst Informations- und Aktions-Netzwerk, setzt sich nach eigenem Bekunden als inter-
nationale Menschenrechtsorganisation dafür ein, dass alle Menschen frei von Hunger leben und sich ei-
genverantwortlich ernähren können. FIAN arbeitet auf der Basis internationaler Menschenrechtsabkom-
men, insbesondere des Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte.)
152
Hervorhebungen durch Verfasser
153
gemeint ist wahrscheinlich Quecksilber
154
Anmerkung des Verfassers
2.3 Schwerpunkt gesellschaftlich-soziale Bedeutung der Wasserwirtschaft 55
staatlichen Aufsicht und einem hohen Engagement des Staates in der Sicherung der Wasser-
versorgung eine besondere Aufgabe zukommt.“
Für die Umsetzung der wasserwirtschaftlichen Ziele gibt diese Diskussion mindestens ei-
nen Hinweis auf die direkte Verknüpfung des Wassersektors mit „basic needs“ und den
daraus ableitbaren hohen sozialen und das Gemeinwohl betreffenden Anforderungen.
Auch ist daraus zu schließen, dass Wasser zwar einen hohen Wert hat, aber keine „belie-
bige“ Handelsware ist.
155
WBGU 1997, S. 218
156
Wallacher 1999, S. 93 f.
157
anlässlich einer Pressekonferenz 2001 zum Thema internationale technische Zusammenarbeit auf
dem Wassersektor, Kronach
158
nach Deser 1996, S. 158 ff, Spielmodell der „sozialen Austauschtheorie“ als Teil der Kommunikati-
onstheorie
56 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors
Das Gefangenendilemma
Umweltprobleme lassen sich häufig als Gefangenen-Dilemma-Situation modellieren. Beispiel-
haft wird folgende Situation angenommen: In zwei Staaten A und B werden Güter produziert,
bei deren Herstellung verschmutztes Abwasser anfällt, das in ein gemeinsam genutztes Gewäs-
ser gelangt. Die Produktion der Güter bringt den Einwohnern einen als messbar unterstellten
Nutzen von jeweils 8. Ohne Abwasserreinigungsmaßnahmen wird das Wasser so stark ver-
schmutzt, dass daraus kein Vorteil mehr gezogen werden kann. Ergreifen beide Staaten Abwas-
serreinigungsmaßnahmen, bringt das Wasser aufgrund seiner verbesserten Qualität für die Ein-
wohner in jedem Staat einen Vorteil von 6 mit sich, wobei die Kosten der Abwasserreinigung
jeweils 4 entsprechen.
Ergreift nur ein Staat Reinigungsmaßnahmen, bringt dies für jeden Staat einen Nutzen aufgrund
der verbesserten Wasserqualität von 3 mit sich.
Ertragswerte bei verschiedenen Staat B
Strategiekombinationen Strategie 1 Strategie 2
Strategie 1 Lösung I Lösung II
10, 10 7, 11
Staat A
Strategie 2 Lösung III Lösung IV
11, 7 8, 8
In der Matrix steht in den 4 Zellen I–IV jede Zahl für den Nettonutzen der Einwohner von A
(links) oder B (rechts). Verzichten beide Staaten auf die Abwasserreinigung, erreichen sie aus
der Güterproduktion jeweils einen Nutzen von 8 (Zelle IV). Führen beide Staaten Abwasserrei-
nigungsmaßnahmen durch, erlangt jede Gesellschaft einen Nettonutzen von 10 (Zelle I): Der
Nettonutzen aus der Produktion reduziert sich wegen der Kosten der Abwasserreinigung von 8
auf 4.
Diesem steht aber ein Nutzenzuwachs aufgrund des reinen, gemeinsam genutzten Wassers in Höhe
von jeweils 6 gegenüber. In der dargestellten Situation gibt es, wenn A und B die Strategie der je-
weiligen Gegenseite nicht kennen, sowohl für A als auch für B eine dominante Strategie: Unabhän-
gig vom Verhalten von B wird A immer Strategie 2 (Verzicht auf die Reinigung) wählen, und unab-
hängig vom Verhalten von A wird B sich immer für seine Strategie 2 (Verzicht auf die Reinigung)
entscheiden. Entschließt sich B zur Reinigung, erreicht die Bevölkerung von A dann, wenn hier auf
die Reinigung verzichtet wird, einen Nutzen von 11. Im Unterschied dazu wäre der Nutzen nur 10,
wenn in A ebenfalls Abwasserreinigungsmaßnahmen durchgeführt würden. Verzichtet B auf die
Reinigung, stellen sich die Menschen in A ebenfalls besser, wenn sie der Strategie 2 (keine Reini-
gung) folgen (Nutzen von 8 statt 7). Unabhängig vom Verhalten von B ist der Verzicht auf die Ab-
wasserreinigung für die Menschen in A die vorteilhaftere Lösung. Gleiches gilt aber für die Men-
schen in B. Da in beiden Staaten somit – bei fehlender Kooperationsmöglichkeit – rational auf die
Abwasserreinigung verzichtet wird, stellt sich die in Zelle IV dargestellte Situation ein. Die Men-
schen in beiden Staaten wären allerdings besser gestellt, wenn sowohl A als auch B ihre Abwässer
reinigen würden. Jede der beiden Gesellschaften könnte dann einen Vorteil (Nutzen) in Höhe von 10
erzielen.
Um dieses Ergebnis zu erreichen, sind aber Regeln erforderlich, die dazu beitragen, die Unsi-
cherheit über das Verhalten anderer zu reduzieren. Ohne eine bindende Regel werden sich beide
Staaten so verhalten, dass das Ergebnis in Zelle IV – welches zu einem von beiden unerwünsch-
ten Resultat führt – realisiert wird.
Allein das gegenseitige „sich sehen Können“ hatte in den Spielsituationen bereits das koopera-
tive Klima und damit die Ergebnisse verbessert. Auch kulturelle Einflüsse können einen weit
reichenden Einfluss haben, je nachdem ob eine gemeinschaftliche Misstrauenskultur (Bespitze-
lungsstaat) oder eine Kooperationskultur (Kibbuz) herrscht. Tatsächlich kommt es aber wegen
mangelnden Vertrauens bzw. mangelnder Einsicht bezüglich des Nutzens des Gemeinwohls in
der Realität regelmäßig zur suboptimalen Misstrauenslösung (Lösung I, s. u.).
Konsequenterweise nennt der WBGU drei Punkte, die entscheidend sind, damit die Akteure in
der Zusammenarbeit ihre Ziele erreichen können:
1. gegenseitiges Vertrauen in die Echtheit, Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit der Sprache
des Gegenübers,
2. Verständigung über die Situationsdefinition und den normativen Rahmen und
3. Kompromiss über die Verteilung.
Weltweit ist das mögliche Konfliktpotenzial gewaltig: Es gibt mindestens 214 Flussgewässer
mit Konfliktpotenzialen. 155 davon berühren die Interessen von 2 Staaten, bei 36 sind 3 Staa-
ten involviert und bei 23 vier bis 12 Staaten. Die meisten Anliegerstaaten hat die Donau, sie
durchfließt 10 Staaten, das Einzugsgebiet umfasst sogar 18 verschiedene Länder. Die Grund-
wassersituation ist in der Regel regional begrenzt, dort aber nicht weniger konfliktträchtig. In
den Regionen mit diesen Konfliktpotenzialen leben über 40 % der gesamten Weltbevölkerung
und dort existieren in den wenigsten Fällen mehrseitig akzeptierte Abkommen oder Verträge.
Eine Übersicht über die weltweiten Konfliktsituationen enthält der Bericht der UNESCO nach
einer Arbeit von WOLF et al159. Daraus ist zu entnehmen, dass ausweislich der aufgenomme-
nen Ereignisse die Zusammenarbeit die Auseinandersetzung überwiegt. Beispiele für aktuelle
Konfliktsituationen sind im Anhang 1 aufgeführt160, eine Typisierung in Abbildung 2-10.
159
UNESCO 2003, S. 27
160
Wallacher 1999 S. 108 ff
58 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors
450
400
350
300
250
200
150
100
50
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Abb. 2-10: Ereignisse im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Einzugsgebieten. Von links nach
rechts in 14 Stufen abnehmendes Konfliktpotential, auf der Abszisse sind Fallzahlen vermerkt. [Quelle:
UNESCO 2003]
Die Verfügungsgewalt über die Ressource Wasser und ihre Verteilung ist von existenzieller
Bedeutung. Der WBGU hat zur Bearbeitung der Ressourcenkonflikte ein Leitbild formuliert,
das folgende Aspekte umfasst:
• Unterstützung bei der Durchsetzung eines individuellen Rechts auf Wasser entsprechend
den von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) festgelegten Qualitäts- und Mengen-
standards
• Initiierung einer "Weltwassercharta" als Verhaltenskodex, die alle betroffenen Akteure auf
die Bewältigung der Wasserkrise verpflichtet
• Einführung von wettbewerbsorientierten Wassermärkten und Eigentumsrechten an Ver-
und Entsorgungssystemen zur Sicherung des Grundbedarfs unter staatlicher Aufsicht
• Zusammenarbeit der Industrieländer mit den Entwicklungsländern bezüglich des Ressour-
cenzugangs, des Technologietransfers, des Ressourcenschutzes usw.
• Nutzung und Schutz grenzüberschreitender Gewässer durch begleitende transnationale
Kommissionen
• Konfliktvermeidung durch Unterstützung von Regelungen und Projekten einer ausgewoge-
nen Nutzung von grenzüberschreitenden Gewässern.
• Bildungsmaßnahmen
• Ausschöpfung aller Einsparpotenziale
• Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien in der Bewässerungslandschaft
2.3 Schwerpunkt gesellschaftlich-soziale Bedeutung der Wasserwirtschaft 59
Ein hervorragendes Modell zur Konfliktvermeidung ist die Bewirtschaftung im Sinne von
Flusseinzugsgebieten, wie sie die WRRL vorgibt.
Besonders die Bundesregierung hat als Beitrag zur internationalen Friedenssicherung in den letz-
ten Jahren den Belang der grenzüberschreitenden Wasserwirtschaft verfolgt und in Kongressen
und Entwicklungsschwerpunkten Lösungen entwickelt. In Europa sind schon vor Jahrzehnten die
Internationalen Kommissionen entstanden, z. B. IKSR und IKSD für Rhein und Donau. Bilateral
gibt es seit der Gründung der Bundesrepublik die Grenzgewässerkommissionen, denen es schon
zu Zeiten des eisernen Vorhangs gelungen ist, größere Konflikte ums Wasser zu vermeiden. Eine
der Grundlagen, die dies ermöglichten, war die feste Überzeugung der beteiligten Fachleute, dass
sich der Belang des Wassers nicht als politisches Kampffeld eignet.
Es ist derzeit absehbar, dass das Konfliktpotential um das Wasser zunimmt, weil eine fort-
laufende Verknappung eintritt. Wassermanagement muss diese Gefahr berücksichtigen.
on that they are the greatest experts in solving problems faced by the poor. It is an attitude
which has led to literally thousands of failed projects.”161
Umgekehrt ist mangelnder politischer Wille ein Haupthinderungsgrund. Gerade der Abwasser-
sektor wird nach wie vor stiefmütterlich behandelt, was sich in den weltweit unglaublich ge-
ringen Anschlussgraden zeigt. Ohne jedes Abwassersystem sind laut Angabe der UNDP162
weltweit 39 % der Bevölkerung. Die Zahl derer, die nicht an eine Abwasserreinigungsanlage
angeschlossen sind, ist nur zu schätzen:
„Die zunehmende Verstädterung in den Entwicklungsländern geht weitgehend ohne Ausbau der
Wasserversorgung und Zunahme der Kapazitäten zur Abwasserreinigung vor sich, so dass gar
nicht oder nur unzureichend geklärtes Wasser in den Vorfluter gelangt. Häusliche Abwässer
bilden z. B. in Südamerika ein großes Problem. Überdurchschnittlich viele Flüsse weisen eine
extrem hohe Keimbelastung (koliforme Keime) auf. Nach Schätzungen des World Resources
Institute werden hier nur 2 % der häuslichen Abwässer gereinigt. Von 3.119 Städten in Indien
besitzen nur acht Städte eine vollständig ausgebaute Infrastruktur zur Abwassersammlung und -
reinigung. Auch in den Ländern mit mittlerem und höherem Einkommen geben Städte wie Buenos
Aires oder Santiago de Chile, in denen lediglich 2 % bzw. 4 % der städtischen Abwässer geklärt
werden, ein Beispiel für die mangelnde Infrastruktur in der Abwasserreinigung.“163
Das Problem ist aber durchaus nicht der Politik (in diesem Falle der Stadtverwaltung) allein
zugeordnet. In der gleichen Veröffentlichung äußert sich die kolumbianische Regionalpolitike-
rin GUAPACHA über das Problem, dass eine unwürdige Situation zu Lethargie führt:
“The town was a dump. A depressed, depressing place. The streets were filthy, there was rub-
bish everywhere, and people wandered around barefoot. If it was raining when they got up in
the night to go to the toilet outside, they wrapped plastic bags around their feet to walk
through the mud.
There was already a well here, and a system that piped water into people's homes. But the well
was too close to the pits that people had dug to get rid of their excrement, so the sewage was
mixing with the water. What came out of the tap was so filthy and disgusting that you couldn't
even wash clothes in it. People washed their clothes in the river. I hated seeing the women all
day at the river washing clothes. And I hated it myself. We drank the water from the river, too.
The kids were constantly sick with diarrhea.
It was bad here – but as far as I could see, no-one was lifting a finger to do anything about it.
You might think that people who have to live with this kind of thing everyday would be commit-
ted to the cause of changing things. You might think it would be easy to get them to support
programmes aimed at helping them. You'd be wrong. Poverty breeds a kind of apathy, a resig-
nation. People here, in El Hormiguero, gave no time to bettering their everyday living conditi-
ons – they'd lived with it so long, they didn't even see how bad things were164.
Tatsächlich ist Nordwesteuropa, insbesondere Deutschland, mit seinen über 80 % Anschlussgrad
an Abwasserreinigungsanlagen, die den strengen Anforderungen der WRRL entsprechen welt-
weit die Ausnahme. Politisch ausgetragene Konflikte gibt es aber auch dort. Sowohl die hohen
Kosten wie auch die Art der technischen Lösung sind in kontroverser Diskussion. Ein Streitpunkt
sind z. B. sogenannte dezentrale Lösungen, d. h. Kleinkläranlagen. In besonderer Weise hatte sich
161
WSSCC 2004a, S.4
162
UNDP 2003, S. 25
163
WBGU 1997, S. 277
164
ebenda S. 46
2.3 Schwerpunkt gesellschaftlich-soziale Bedeutung der Wasserwirtschaft 61
hier ein Bürgerwille manifestiert, der weg von den kommunalen Anlagen hin zu individuellen
Lösungen tendierte. Mit der politischen Akzeptanz dieser Strömung haben sich interessanterweise
inzwischen Gegenströmungen gebildet, die wiederum die zentralen Anlagen als die komfortable-
re Lösung vorziehen. Durch dieses Beispiel kann eventuell belegt werden, dass eine frühzeitige
höhere Partizipation und ein Verbinden der top down-Ansätze der Kommunen mit den bottom
up-Ansätzen der organisierten und unorganisierten Bürgerschaft bessere Lösungen erbringt.
Beispiel Bayern: Die Entwicklung der Siedlungswasserwirtschaft in Bayern ist typisch für
viele europäische Länder. Im 19. Jahrhunderts waren die katastrophalen hygienischen Ver-
hältnisse Ursache für Krankheiten und soziale Missstände. Wie heute in den Entwick-
lungsländern waren in der Regel die ärmeren Gesellschaftsgruppen am stärksten betroffen,
in doppeltem Sinn, weil nicht nur die gesundheitliche Gefahr unter ärmlichen Verhältnis-
sen durch die Nähe zu den Keimen und die Abhängigkeit von bedenklichem Wasser steigt,
sondern weil in der Folge auch kein Geld für ärztliche Versorgung vorhanden war. Letzt-
lich war die ganze Gesellschaft durch Epidemien betroffen, dazu kamen wirtschaftliche
Auswirkungen durch krankheitsbedingten Ausfall.166. Die hygienischen Zusammenhänge
wurden Mitte des 19. Jhd. von Max von PETTENKOFER erkannt und kommuniziert. In
der Folge wurde unter seiner Leitung ein Programm zur Verbesserung der Zustände so-
wohl der Wasserversorgungsanlagen wie auch der Abwasseranlagen entwickelt. Die Was-
serversorgung und Abwasserentsorgung selber sowie die Zuständigkeit für die kleinen
Gewässer wurde dagegen den Gemeinden übertragen. Die Wasserinfrastruktur wurde so
zur kommunalen Angelegenheit, kommunale Pflichtaufgabe und Teil der kommunal-
bürgerlichen Identität. Dazu gehören die eigenen Wasserrechte und das Empfinden, über
ein „eigenes“ Wassers verfügen zu können (ownership). Der Staat hat aber neben finan-
zieller Unterstützung (Investitionsanreiz) auch mit dem Bureau für Wasserversorgung zu-
nächst die technischen Strukturen zur Umsetzung geschaffen. Dabei übernahm das staatli-
che Büro nicht nur die Beratung der Gemeinden, sondern – gleichsam als implemente
Qualitätssicherung – auch die vollständige Planung und den Bau.
Wenige Jahre nach dem Beginn der Sanierungsarbeiten im Siedlungswasserbau wurden
nach dem gleichen Prinzip zur Verbesserung der staatlichen Infrastruktur unter Leitung
von Leo von KLENZE die Oberste Baubehörde gegründet, deren Abteilung für Straßen-
165
Es gibt Theorien, nach denen sogar das Staatsgefüge als solches zunächst aus der Notwendigkeit der
geordneten Wasserbewirtschaftung entstanden ist. Zitiert wird hier die Bewässerung in Mesopota-
mien und in Ägypten. Die Fortsetzung findet dieser Ansatz im römischen Reich, dessen berühmter
Siedlungswasserbau eine wichtige öffentliche Aufgabe war. Besonders interessant sind „bürgerliche“
Einrichtungen wie der Spanische Wassergerichtshof in Sevilla (Rogers 2003)
166
Schmitt 2001, S. 2
62 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors
In den meisten Kulturen wird Wasser an sich als öffentliches Gut gesehen. Die meisten
Rechtsnormen kennen im Wasserbereich den Begriff des Gemeingebrauches, der auch die
(Trink-) Wassernutzung zum Eigengebrauch beinhaltet. Abhängig vom Rechtssystem, vor
allem im angelsächsischen Recht, gibt es allerdings auch aus dem Grundbesitz abgeleitete
Nutzungsrechte. Das Verhältnis zum Wasser wird auch von diesen Rechtssystemen bestimmt,
was u. a. an der Einstellung gegenüber einer Privatisierung erkennbar wird. So schreibt die
Weltbank in einem informellen Bericht: „Public bureaucrats lose their influence on promotion
and access to possibilities each time one of their own public-owned departments or enterprises
is privatized. Consequently they are generally against privatization. A mayor from Hesse[n]
said: ‘You don’t think I became mayor just to sit here with 12 Charlies once everything’s been
privatized’”167. Man kann diese Aussagen der (deutschen) öffentlichen Betreiber auf persönli-
che Unflexibilität und Geltungssucht münzen, aber auch als Ausdruck eines legitimen, dem
Gemeinwohl verpflichteten politischen Gestaltungswillens sehen.
Tatsächlich ist in den meisten Staaten der Besitz der Wasserinfrastruktur in der öffentlichen
Hand während der private Sektor überwiegend in Form von Betreibermodellen und anderen
reversiblen Modellen involviert ist. In einigen Staaten, z. B. Ungarn und Frankreich, ist der
Verkauf von Wasserinfrastruktur und Wasserrechten überhaupt verboten.
Es ist davon auszugehen, dass es eine Meta-Ebene im menschlichen Verhältnis zum Wasser
gibt. Die Sorge um das Wasser rührt von den grundlegenden Bedürfnissen aufwärts alle Be-
dürfnishierarchien der Menschen an. Auch die kulturell-spirituelle Ebene wird in den Weltreli-
gionen genauso wie in Naturreligionen angesprochen. Diese Zusammenhänge sind in Abbil-
dung 2-11 anhand der Maslowschen Bedürfnispyramide interpretiert. Mit dieser Meta-Ebene
der Bewahrung der Grundbedürfnisse hängt wohl auch die Sorge um die Konsequenzen für die
Nachhaltigkeit, die sich aus Übertragung von Aufgaben an Private ergeben könnten, zusam-
men: Wassernutzung hat immer auch mit Wasserschutz zu tun, eine klassische gesellschaftli-
che Aufgabe. Die Ausweisung von Schutzgebieten wie Trinkwasserschutzgebieten, Natur-
schutzgebieten oder auch Überschwemmungsgebieten ist praktisch nur aufgrund gesellschaft-
lich-gesetzlicher Legitimation möglich, da mit seltenen Ausnahmen immer in irgendeiner Wei-
se in Privateigentum eingegriffen wird. Solche Eingriffe zugunsten eines Privaten sind immer
umstritten. Ob dieser hohe Anspruch in öffentlich-rechtlichen Systemen dann auch umgesetzt
wird, ist für die subjektive Wahrnehmung oft unwichtig. Was zählt, ist nicht nur die Frage
nach dem technisch besten Management sondern auch die psychologische Frage der möglichen
Abhängigkeit von einem privaten, vielleicht sogar „anonymen Großkonzern“.
167
Briscoe 2005, S.9
2.3 Schwerpunkt gesellschaftlich-soziale Bedeutung der Wasserwirtschaft 63
5. Stufe Selbstverwirklichung
dazu zählen: Individualität, Güte,
(internationale?) Gerechtigkeit,
(anderen etwas geben)
4. Stufe Soziale Anerkennung
dazu zählen: "ich-Bedürfnisse" sammeln, wie
Anerkennung, Geltung, Selbstbestimmung
(Eigenes Wasser), Selbstachtung
3. Stufe Soziale + Kulturelle Bedürfnisse
dazu zählen: Kommunikation, Partnerschaft, Liebe,
Freundschaft, Gruppenzugehörigkeit, Naturerleben,
sauberes, appetitliches Wasser, , Kulturerleben
2. Stufe Sicherheit
dazu zählen abstrakt: materielle und berufliche Sicherheit,
Lebenssicherheit (Hochwasserschutz), und konkret: ein Dach über
dem Kopf, Versicherungen, Kündigungsschutz, ein Zaun, usw.
1. Stufe Grundbedürfnisse
dazu zählen:Trinken, Essen, Schlafen, Bewegung, Sexualität ,
Gesundheit, Würde (Abwasserentsorgung)
Abb. 2-11: Die Maslowsche Bedürfnispyramide, ergänzt (in kursiv) durch Belange, die direkt und indi-
rekt mit dem Wasser zu tun haben. Neben Trinkwasser ist auch Gesundheit, Schutz vor Hochwasser und
Erholung in der Natur berücksichtigt.
168
Gewinnmargen von 10 % bis 20 % sind zwar bei globalen Unternehmen heute übliches Ziel, können
aber im Wassersektor auf keinen Fall gemeinwohlverträglich erreicht werden.
64 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors
„übliche“ Privatisierung
Aufsichts- Beteiligung,
Staatsbehörde Konzession, BOT
gremium
Flußgebiets-
ausschuß z.B. französisches Modell
Gemeinderat, Betriebsführungsmodelle
Staatsbehörde
Bürger
Abb. 2-12: Übersicht über die möglichen Organisationsformen im Wassersektor, dargestellt nach stei-
gendem Privatisierungsgrad. Bei der rein privaten Form ist auch das Umweltmonitoring weitgehend
privatisiert, dem Staat bleibt nur noch die reine Aufsicht.
Wassermarkt kein echter Markt ist, sondern immer ein Monopol. Die Ressource Trinkwasser
ist ortsgebunden, d. h. üblicherweise für sich genommen schon ein „knappes Gut“. Aufgrund
der physikalischen Eigenschaften von Wasser ist es nicht beliebig mischbar und im Netz nicht
beliebig „lagerbar“, ohne hygienische Risiken zu vergrößern169. Durchleitungslösungen wie
bei Strom oder Gas sind also bei Trinkwasser eingeschränkt. Die Ver- und Entsorgungsstruk-
turen sind wegen der Leitungen, der Speicher und der Aufbereitungs- bzw. Reinigungsanlagen
aufwändig. Mehrere parallele Netze oder Kläranlagen kann sich keine Wirtschaft leisten. Des-
halb wäre eine Vollliberalisierung nur mit einem stark veränderten, voll aufbereiteten „Ein-
heitswasser“ möglich. Das wird von den meisten Fachleuten und Bürgern abgelehnt. Regionale
Ressourcen lassen sich folglich kaum handeln.
Einen klassischen Markt gibt es daher bei der Ressource selber nicht. Die notwendige Reaktion
des Marktes auf Knappheit und zu hohe Preise – der Verzicht bzw. das Umsteigen auf ein anderes
Produkt – ist beim Wasser damit praktisch unmöglich, es sei denn, man zöge weg. Deshalb wird
im Wassersektor der Wettbewerb nicht im Markt, sondern um den Markt ausgetragen. Es müssen
also zum Beispiel Konzessionen ausgeschrieben und dann für einen bestimmten Zeitraum (z. B.
in Frankreich ca. 10 Jahre) vergeben werden. Dieser Wettbewerb ist aber nicht einfach, weil die
der Ausschreibung zugrundeliegende Leistungsbeschreibung alles andere als trivial ist. Welcher
Anteil der Kosten170 wem unter welchen Bedingungen zuzuteilen ist, erfordert so komplizierte
Vertragswerke, dass üblicherweise die regelmäßige Nachverhandlung Teil des Vertrages wird.
Hierunter leidet die Transparenz. Dennoch gibt es viele Kommunen und Staaten, die mit privaten
Modellen sehr gut zu fahren scheinen, so z. B. Frankreich oder Großbritannien.
Die Kritik aus Sicht der Privatisierungsgegner besorgt unter diesen erschwerenden Randbedin-
gungen wegen der hohen Abhängigkeit vom Trinkwasser langfristige Gebührenerhöhungen.
Dabei wird durchaus eingeräumt, dass ein öffentlich-rechtlicher „Monopolist“, z. B. eine
Kommune, suboptimal wirtschaften kann und die durch private Betreiber möglichen Einspa-
rungen und Synergien vorübergehend durchaus zu Kosteneinsparungen und evtl. sogar Tarif-
vergünstigungen führen. Gewinnmaximierung, so die Sorge, führe dann aber sehr rasch zu
Gebührensteigerungen171, ggf. gesteigert durch Substanzentnahme durch verzögerten Unterhalt
(siehe Beispiel Großbritannien unten).
An den prinzipiellen Vorteilen einer Lösungsauswahl, die unter Wettbewerbsbedingungen zu
Stande gekommen ist, muss kein Zweifel bestehen. Die Gründe der internationalen Entwick-
lungsorganisationen für die Involvierung Privater, insbesondere großer internationaler Was-
serkonzerne wurden im Kap. 2.2.3 geschildert (überwiegend „rotte“ öffentliche Betreiber) und
werden von der GWP wie folgt konkretisiert172:
– Finanzierung: Staaten sind an den Finanzierungen Privater interessiert
– Politik: Private sind eher in der Lage, nötige, aber unpopuläre Reformen (z. B. Tariferhö-
hungen, das Eintreiben von unbezahlten Rechnungen, Kündigungen) durchzuführen
– Erfahrung: große internationale Gesellschaften bringen essenzielles Know-how mit
– Risikoteilung: Private sind typischerweise besser geübt, mit Risiken umzugehen
169
– falsch gemischt korrodieren Leitungen binnen Jahren (vergl. Kalk – Kohlensäuregleichgewicht),
lange Transportdauern lassen die Verkeimungsgefahr steigen
170
zu den Kostentypen vergl. Abb. 3-7, S.116: Dort sind allerdings nur interne Kosten aufgeschlüsselt,
dazu kommen Kosten durch externe Einflüsse, von den Normenänderungen bis zu Neubaugebieten.
171
die aber natürlich auch Ergebnis einer korrekten Kalkulation und Beendigung von versteckten Sub-
ventionen sein können
172
GWP 2002, S. 28
66 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors
Unter „Lessons Learned“ werden Rahmenbedingungen definiert, unter denen der Einsatz pri-
vatwirtschaftlicher Ansätze besonders geraten und möglich sei:
– “Deteriorating levels of service, lack of repairs, backlog in new connections, etc
– Severe budgetary pressure on the water undertaking and government reluctance to subsidies
– Good regulation is provided by government to ensure political and public confidence
– Tendering is open and transparent, and single bidder situations avoided
– Government ensures investment security through legislation
– Efficiency gains cannot be more cheaply and less controversially obtained by reforms to
public undertakings
– The balance between up-front financial bonus gains and long term higher tarif costs is
positive
– Specific targets are set for delivering services to the poor and socially exclude” 173
Positive Beispiele:
• Die großen französischen Wasserunternehmen betreiben seit Jahrzehnten durchaus erfolg-
reich den überwiegenden Teil der Wasserinfrastruktur. Es handelt sich um reine Betreiber-
modelle, bei denen die maximale Konzessionszeit inzwischen auf 10 Jahre begrenzt ist.
• Die Weltbank berichtet regelmäßig von erfolgreichen Privatisierungen.
Kritische Beispiele:
• Die Privatisierung in Großbritannien gilt als eines der weitestgehenden Beispiele in Europa. Je
nach Lesart ist hier sogar die Gewässeraufsicht in den privaten River Authorities organisiert.
Bislang funktioniert dieses System, auch wenn immer wieder kritische Meldungen über die
Versorgungsqualität und die Preisentwicklung gemacht werden. So berichtet der Public Servi-
ces International Research Unit (PSIRU) von erheblichen Preissteigerungen bei gleichzeitiger
Verschlechterung der Qualität174: In England und Wales hat die Regierung Thatcher im Jahre
1989 die Siedlungswasserwirtschaft komplett privatisiert. Zunächst wurden eine Reihe von
Aufsichtsgremien geschaffen, wie die OFWAT175 und die DWI176, dann wurden die zehn re-
gionalen Wasser- und Abwasserunternehmen in England und Wales zunächst mit Steuermit-
teln von über EUR 8 Milliarden entschuldet und mit einer weiteren Sonderzuwendung von
rund EUR 2,6 Milliarden ausgestattet. Die Regierung setzte den Ausgabepreis der Aktien weit
unter dem tatsächlichen Marktwert an, und die Aktienkurse verfünffachten sich schon in der
ersten Woche. Die neuen privaten Gesellschaften erhielten zu einmaligen Konditionen den
Besitz der Wasserwerke und Kläranlagen inklusive aller Leitungen, Kanalisationen,
Grundstücke und Wasserrechte sowie ein Versorgungsmonopol über 25 Jahre. In der Folge
stiegen die Preise für Wasser und Abwasser massiv, im Durchschnitt verdoppelten sie sich
zwischen 1989 und 1999 von jährlich 120 Pfund pro Haushalt auf 242 Pfund. Inflationsberei-
nigt bedeutet dies eine Verteuerung um 46 Prozent. Die Analysen der Regulierungsbehörde
OFWAT zeigen, dass fast der gesamte Umsatzzuwachs als Dividende ausgeschüttet wurde –
über EUR 6 Milliarden allein zwischen 1990 und 1997 – oder massive Gehaltserhöhungen im
Wasserwerksmanagement finanzierte. Das Geld sparten die Unternehmen bei den zugesagten
Investitionen in Rohrnetze, Wasserwerke und Kanäle ein. Im Trockenjahr 1995 kam es zu ei-
173
ebenda, S.28 (im aktualisierten Internetauftritt ist dieses Kapitel interessanterweise von den Grundla-
gen (A3.3) in das Kapitel Institutionen (B1.08) umsortiert worden.
174
Lobina, Hall 2001
175
Office for Water Services – Preisaufsichtsbehörde (Regulierungsbehörde)
176
Drinking Water Inspectorate - Wasserqualität
2.3 Schwerpunkt gesellschaftlich-soziale Bedeutung der Wasserwirtschaft 67
177
Schluchter 2003, Wasser und Macht, Wasser*Macht* Leben, Band zur Vortragsreihe des Humanöko-
logischen Zentrums der BTU Cottbus, Cottbus
178
Spiller 2004, Wasser für alle?!, Heinrich Böll Stiftung, Internet
179
Muhairwe 2003
180
Dieses Beispiel stammt aus Vorträgen von der IWA Berlin 2000. Ähnlich bekannt wären in Deutsch-
land die Stadtwerke München.
181
Verband ca. 20 km östlich von München, Bayern
68 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors
tiv erstklassigem Wasser. Als Zweckverband von 5 Gemeinden organisiert, besteht das Be-
triebspersonal nur aus einer Handvoll Mitarbeitern. Selbst die Unterhaltung ist aufgrund
klarer Verträge an lokale Firmen vergeben, das Ersatzteillager besteht nur noch aus den
wenigen Sonderteilen, die auf dem Markt schwer erhältlich sind.
• Die (staatliche) Abwasserentsorgung von Salvador (Bahia) setzt bewusst in den sozial
schwachen Außenbezirken auf Bürgerbeteiligung in so genannten Condominos. Bürger
bauen (!) und unterhalten ihre Abwasserableitungen vom Hausanschluss bis zum Sammler
selber, betrachten sie als Gemeinschaftseigentum. Ursprünglich waren Condominos für et-
was teurere Gemeinschaftsanlagen wie Schwimmbäder, Tennisplätze u. Ä. erfunden wor-
den, die sich jeder wünscht, aber normalerweise alleine nicht leisten kann.182
Negative Beispiele: Negative Beispiele von öffentlichen Wasserinfrastrukturen, die nicht
zufrieden stellend funktionieren, sind „Legion“. Nachdem die meisten Anlagen weltweit nach
wie vor in öffentlicher Hand sind, kann man heute davon ausgehen, dass die in den MDGs
adressierten Mängel überwiegend (aus welchen Gründen auch immer) nicht funktionierende
öffentliche Anlagen betreffen.
Abwägung der Betreiberfrage:
Das Bild an positiven und negativen Beispielen sowohl öffentlich – rechtlich wie privat orga-
nisierter Lösungen ist überaus heterogen. RÖDEL kommt 2003 bei einem Benchmark bayeri-
scher Wasserversorger bei der Auswertung der laufenden Kosten nach der Rechtsform der
Unternehmen zu dem Ergebnis, dass „privatrechtlich organisierte Unternehmen wie auch
Verbundunternehmen gegenüber öffentlich-rechtlich organisierten Wasserversorgern grund-
sätzlich keine günstigeren Werte aufwiesen“.183
Inzwischen scheint die Phase der „um jeden Preis-Privatisierung“ als Allheilmittel zumindest
teilweise überwunden zu sein. Auch die GWP hat in der Fortschreibung ihrer Tool-Box neue
Kapitel aufgenommen, die sich mit der Verbesserung der „Public Services“ beschäftigen: „Im-
proved efficiency of operation in public sector service providers is an important means of
improving the effectiveness of financial resources, and indeed, many public water service and
irrigation agencies are inefficient and need reform. Reform can yield efficiency gains of the
sort normally associated with the private sector”.184
In Summe ist zu schließen, dass die Unternehmensform alleine gar nicht den entscheiden-
den Einfluss hat. Selbst die Rahmenbedingungen können nicht alleine ausschlaggebend
sein, wenn in ein und demselben Land sowohl gute als auch schlechte Beispiele nachzu-
weisen sind. Die Lösung muss also in jedem Falle komplexer sein. Diese Erkenntnis wur-
de zum Aufbau der unter Kap. 3 geschilderten Lösungsansätze berücksichtigt
Aus Sicht dieser Arbeit besteht der Konflikt zwischen den Positionen Wasser als Wirt-
schaftsgut und Wasser als Menschenrecht nur, wenn jeweils Extrempositionen aus einer
Annahme entwickelt werden. Umgekehrt sind in beiden Ansätzen strenge Hinweise auf
Rahmenbedingungen und Funktionalitäten enthalten, die bei der Bewirtschaftung des
Wasserschatzes berücksichtigt werden müssen. Wasser verlangt kurz gesagt wirtschaftli-
che und soziale Verantwortung.
182
Governo da Bahia 2003
183
Rödel 2003, S. 43 In der Untersuchung wurden Betriebe aller Betreiberformen miteinander vergli-
chen, d. h. sowohl rein kommunale wie auch private und alle Zwischenformen. (vergl. auch S.155)
184
GWP 2002, Fortschreibung im Internet, besucht April 2005, zu B1.07
2.4 Strategien internationaler Institutionen und ihre Maßnahmen auf dem Wassersektor 69
185
World Bank 2004
186
IRN (International Rivers Network) 2003
187
Hahn 2004, S. 9ff
70 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors
Auch die dritte Fortschreibung der Strategie setzt auf die Einbindung des privaten Sektors, aller-
dings mit dem Unterschied, dass privat und öffentlich nicht mehr als Gegensatz sondern vielmehr
als Partner gesehen werden. „An important change in World Bank practice over the past decade
has been supplementing traditional support for accountable, public sector utilities with support
for private sector involvement in the provision of water and sanitation services. About 40 percent
of projects it finances now involve some form of private sector participation.”188
Die gesamte Wasserstrategie basiert auf den Dublin-Prinzipien und dem IWRM. Im Einzelnen
befasst sich die 3. Fortschreibung mit den Lehren der vergangenen Jahre und formuliert vier
Interventionstypen (Tabelle 2-3). Bemerkenswert ist die Unterscheidung zwischen „allgemei-
ner“ und „armutsbezogener“ Intervention.
Eine Kernannahme der Strategie ist, dass eine allgemeine (marktwirtschaftliche) Verbesserung
immer und besonders auch den armen Bevölkerungsteilen zu Gute kommt. Dies wird in Ab-
schnitt 4 des Papiers jeweils durch Beispiele aus Brasilien, Zentral Afrika, Indien, Nigeria,
Philippinen und Yemen hinterlegt. Gerade im Fall Brasilien wird deutlich, wie weit die Bank
ihre Strategie nicht nur als Bedingung für ein Darlehen sieht, sondern sie auch als Partner im
operativen Geschäft umsetzt. „Over the past decade the World Bank has been engaged directly
in the political economy of water reform. A first key element was the engagement of leading
political figures in understanding the stakes, in seeing (trough continuous policy dialogue,
seminars, sector work, study tours and other mechanisms) the means for making changes and
in supporting legislative and institutional reforms of the federal level.”190
Die Bank ist also in jedem Falle wesentlich mehr als nur ein Kreditgeber. Sie gestaltet die
Wasserpolitik in den Kreditnehmerländern aktiv mit:
Als ein Beispiel hierfür wird ein Großprojekt im Nordosten Brasiliens angeführt: Die Aus-
leitung des Rio San Francisco zur Bewässerung riesiger Trockengebiete einschließlich des
188
World Bank 2004, S. 19
189
ebenda, S. 6
190
ebenda, S. 54
2.4 Strategien internationaler Institutionen und ihre Maßnahmen auf dem Wassersektor 71
Ausbaus des Parana zur Wasserautobahn zur Erleichterung des Exports der dort gewonne-
nen Lebensmittel, ein Projekt, das in seinen Dimensionen an das Aralsee-Projekt erinnert
(Aralsee-Syndrom) und in Brasilien wegen seiner möglichen Umweltauswirkungen um-
stritten ist. Die Weltbank übernimmt bewusst durch ihre Ratschläge und Einflussnahme
(„der goldene Zügel“) hohe Verantwortung. So wurde in Brasilien im Rahmen der Novel-
lierung des Wassergesetzes auf Rat der Weltbank eine Konzessionierung der Wasserrechte
beschlossen191. Die längste Konzessionsdauer ist auf 35 Jahre festgelegt, was einer Privati-
sierung der Wasserressource nahe kommt. Die private Handelbarkeit der Konzession ist
nicht ausdrücklich ausgeschlossen192. Auch in Brasilien sind die Privatisierungsansätze bei
den Wasserver- und Entsorgungen umstritten. Im Beberibe-Projekt193 war von der Welt-
bank zum Beispiel vorgegeben worden, dass die Wasserinfrastruktur im Projektgebiet pri-
vat betrieben werden müsse. Dies scheiterte an der Haltung der Stadt Recife, die wie alle
PT194-regierten Kommunen private Modelle grundsätzlich ablehnt, aber auch an der fakti-
schen Situation, weil das Projektgebiet überwiegend aus Favelas besteht, für die sich kein
privater Betreiber finden lässt.
Die Rolle des privaten Sektors und des freien Marktes wird heute vor allem in der öffentlich-
private Partnerschaft (public-private partnership PPP gesehen:
“Toward public-private partnerships. Much of the necessary hydraulic infrastructure is multi-
functional (such as reservoirs that generate electricity and protect against floods). Financing for
water resources infrastructure is not cleanly separable into public and private sectors; increa-
singly, it requires public-private partnerships, both in investment and operation. While private
investment and management are playing, and must play, a growing role, this must take place
within a publicly established long-term development and legal and regulatory framework, and
without crowding out community-managed infrastructure and beneficiary participation in design
and management of water systems. Attracting private investment into low-income countries is
particularly important and necessarily a major focus for institutions like the World Bank.”195
Die Sektorstrategie Wasser unterscheidet zwischen den übergeordneten Organisations- und
Managementfragen und den „Wassernutzungssektoren“ (z. B. Landwirtschaft, Energie, s. u.).
Die übergeordneten Themen werden überwiegend dem öffentlichen (staatlichen) Bereich als
Aufgabe zugeordnet. Diese Einrichtungen werden in öffentlicher Verantwortung und Finanzie-
rung gesehen, Privatisierungen werden nicht als Alternative genannt. Die wichtigsten sind196:
• der institutionelle Rahmen wie Gesetzgeber und Überwachung in den Bereichen wie Um-
welt, Landnutzung, Infrastruktur;
• Managementinstrumente wie Regeln, Finanzinstrumente, Standards und Pläne, Partizipati-
on, Wissens- und Informationssysteme, Zuständigkeitsregeln;
• die Entwicklung und das Management der Infrastruktur wie jährige und mehrjährige Was-
serbewirtschaftung, der Hochwasserschutz und Trockenheit, Wasserspeicherung, Wasser-
qualität und Quellenschutz;
191
Cardoso 2002, MMA Kap IV, Sektion III
192
könnte aber aus dem brasilianischen Wassergesetz, Art. 15 II, (einer Drei-Jahres-Frist für Nichtnut-
zung) hergeleitet werden, wenn man Nutzung auf Eigennutzung bezieht..
193
Beberibe 2000
194
PT = Arbeiterpartei‚ (linke sozialdemokratische Partei), die 2005 die Regierung wie auch z. B. die
Bürgermeister der Städte Rio, Brasilia und Recife stellt
195
ebenda, S. 12
196
ebenda, S. 13ff
72 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors
• das politische Geschäft (the political economy) bzw. Bewirtschaftung des Wassermanage-
ments und Reformen mit einer besonderen Betonung der gerechten Verteilung der Kosten
und des Nutzens und einem Anreizsystem für eine effizientere Wasserressourcennutzung.
Als hauptsächlich wassernutzende Sektoren, die eher dem privaten Bereich zugeordnet wer-
den, sind genannt:
• Landwirtschaft: (Bewässerung und Drainage)197
• Energie: Hier hat die Weltbank ihr Engagement von 1 Mrd. US$ auf ein Zehntel zurückge-
fahren.
• Wasserversorgung und Abwasserentsorgung: Die Hauptaufgabe hier wird in der sicheren
und verlässlichen Wasserversorgung (insbesondere der ärmeren) Bevölkerungsgruppe ge-
sehen. Dazu wird die ganze Bandbreite von Lösungsansätzen zitiert. Als relativ neu wird
der Ansatz, mit der Wasserversorgung auch den Abwasserbereich zu beachten, besonders
gekennzeichnet: “… so too is there broad agreement on the central features of a sound wa-
ter supply and sanitation sector. This agreement draws on the same principles of separa-
ting the role of provision (public and private) from that of regulation, policy formulation
and assessment (a public role), and of stimulating competition among providers.62”.
• Umweltbereich: Der Umweltbereich wird bewusst unter den „Nutzungssektoren” subsu-
miert. Es sind damit vor allem terrestrische und aquatische Nutzungen gemeint, die einen
Einfluss auf den Sektor haben. Damit spricht die Bank deutlich die wirtschaftlichen Aus-
wirkungen von umweltrelevanten Verhaltensweisen wie Land (über-)nutzung, Erosion,
Wasserverunreinigung, Vernichtung von Retentionsräumen, Überfischung usw. an. Gleich-
zeitig wird in diesem Zusammenhang auch das Flusseinzugsgebietsmanagement sowie das
Thema Klimaänderung angesprochen.
• Preise und Wasserrechte: In diesem wichtigen Kapitel wird als Neuerung gegenüber frühe-
ren Strategien u. a. untersucht, warum die Theorie der kostendeckenden Preise in bestimm-
ten Fällen nicht zutrifft.
– Dazu wird auf sozial-kulturelle Hintergründe hingewiesen, die ein Grund für Abwei-
chungen vom Kostendeckungsprinzip sein können. Allerdings wird eingeschränkt, dass
der Kunde nicht bereit ist, unter diesem „Deckmäntelchen“ für die mangelnde Effizienz
der öffentlichen Betreiber zu zahlen.
– Ein weiteres Problem sei die Bereitschaft, zwar für Service, nicht aber für die Ressource
selber zu zahlen. Dies wird besonders bei Bewässerungen zum Problem, wo der Ressour-
cenpreis weit über dem Servicepreis liegt. Zur Abhilfe wird ein handelbares Wasserrecht
diskutiert, das den Wert des Wassers an sich in Marktpreise umrechnen lässt. Die Bank
sieht sehr wohl die Probleme, führt auch Staaten an, bei denen das Wasserrecht an sich
nicht handelbar ist, kommt dann aber dennoch zu dem Schluss, dass so erhebliche Vorteile
entstehen. Damit seien die Stichworte Wettbewerb, Regulierung, Transparenz, Benchmark
und Verantwortlichkeit verbunden. Als Herausforderung wird allerdings der rechtliche
Rahmen gesehen, damit der Besitzer auch zu seinem Geld kommt.198
Ein besonders strittiger Bereich ist die Privatisierung der Wasserrechte. Diese steht in der
Kritik, gegen ein Menschenrecht am Wasser zu verstoßen. Dieser Ansatz belegt das Misstrau-
en der Bank in staatliche bzw. gesellschaftliche Steuerungen199, weshalb der Kraft des Marktes
197
Hier fällt im Strategiepapier als Mangel die fehlende Thematisierung der Agrochemikalien auf.
198
ebenda 23 ff
199
“First, the prerequisites are relevant for any form of well-managed allocation system, and the absence
of such prerequisites is a problem for all allocation systems, including the administrative allocation
2.4 Strategien internationaler Institutionen und ihre Maßnahmen auf dem Wassersektor 73
zusammen mit staatlicher Garantie, dass Eigentumsansprüche auch durchgesetzt werden kön-
nen, eine größere Wirksamkeit unterstellt wird.
Die meisten Staaten in Europa denken hier anders. Sowohl Deutschland wie Frankreich, Groß-
britannien, die Niederlande und Portugal sehen Gewässer in der französischen Rechtstradition
an sich als öffentliches Gut an („domaine public“ bzw. sogar „patrimoine commun de la Nati-
on“) oder holen die faktische Bewirtschaftbarkeit über die Genehmigungspflichtigkeit der
Wasserbenutzung wieder ein. Im Wassersektor mutet der Ansatz der Weltbank aus diesem
Blickwinkel archaisch an. BREUER ordnet in seiner Systematik das Privateigentum an Was-
serrechten der „ersten, vorindustriellen Phase der Unbedarftheit“ zu200. Erst nach dem Versa-
gen der privatwirtschaftlichen Regelung aufgrund der deutlich werdenden Ressourcenver-
knappung und einer Eingriffsphase des Staates (zweite Phase) erfolgt danach die Überführung
dieser Privatnutzungen in einer „dritten Phase“ zur „öffentlich, gemeinwohlorientierten Be-
wirtschaftung“201 durch den Staat. Eine Ergänzung des europäischen Systems um marktbilden-
de Elemente im Sinne der Weltbank ist die öffentlich-rechtliche Bewirtschaftung und eine
„monetäre Bewertung“ anhand von gezielten Abgaben (vgl. dazu auch 202 ).
Eine weitere Absicht der Weltbank und gleichzeitig Motivation für eine Beteiligung des priva-
ten Sektors ist die Aktivierung von Finanzmitteln. Die Bank gibt die privaten Investitionen im
Wassersektor mit 700 Mrd. $ in der letzten Dekade an. Damit sei der Anteil der Privaten im
Wasserservice auf 5 % gestiegen. Diese Strategie wird auch von allen anderen Entwicklungs-
banken verfolgt.
Strategien der anderen internationalen Entwicklungsbanken der Weltbankgruppe:
Die kontinentalen Entwicklungsbanken wie die IADB (Interamerican Development Bank) ADB
(Asian Development Bank) fungieren unabhängig im Rahmen der Weltbankgruppe. Die Anleh-
nung an die Weltbankstrategie ist ausgeprägt, auch wenn natürlich regionale Belange schon auf-
grund der Aufsichtsgremien stärker gewichtet sind.203 IWRM ist auch dort Grundlage. Eine Zwi-
schenstellung nehmen Institutionen wie die Organisation Lateinamerikanischer Staaten (OAS)
ein. Die OAS hat ihren Sitz in Washington D.C. und kooperiert sehr intensiv mit der Weltbank.
Es sind dort die Staatschefs organisiert, eine Art Netzwerk in Entwicklungsbelangen. Die OAS
betreibt fund raising und finanziert damit Projekte, die als strategisch besonders wichtig eingestuft
sind. Oberziele sind die Vernetzung, aber auch capacity building innerhalb der Staaten.
Ein Beispiel ist das Guarani Aquifer Projekt: Eines der größten Grundwasservorkommen La-
teinamerikas erstreckt sich auf eine Länge von 2000 km und eine Breite von 1000 km zwi-
schen den Staaten Brasilien, Uruguay, Paraguay und Argentinien. Millionen von Menschen
nutzen das Wasser, u. a. im Staat Sao Paulo. Eine Bewirtschaftung, national oder internatio-
nal, findet kaum statt. In einigen der Länder wird Grundwasser wie ein Bodenschatz angese-
hen, d. h. „abgebaut“, nachhaltige Bewirtschaftung ist nicht üblich. Es gibt durchaus Span-
nungen zwischen den Ländern, weil es zu Nutzungskonflikten bei Trinkwasser, aber auch bei
Heil- und Thermalwässern kommt. Die OAS möchte in einem internationalen Projekt das
systems practiced in most countries. (As with everything in water management, the choice is not be-
tween first and second best, but between “imperfect” and “even more imperfect.”)”, ebenda, 24
200
Breuer 1997
201
ebenda, S.26 u. 27
202
Barraqué 1997, S. 623: „In allen europäischen Ländern, in denen auf wirtschaftliche Anreize zurück-
gegriffen wird, ergänzen diese eher die bestehenden Vorschriften als dass sie sie ersetzen.“
203
ADB 2002, S 15 f (policy), S 17 (Agenda 21), S 19 ff (IWRM), S 23ff (private sector participation,
PPP, Participation)
74 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors
Monitoring und eine gemeinsame Datenbank aufbauen und dann in einem zweiten Schritt zu
gemeinsamen Bewirtschaftungen kommen. Die OAS bringt ihre hohe regionale Kompetenz
in das Projekt ein. Durch den Aufbau des Projektes ist ein Mehrwert in Form eines grenz-
überschreitenden Netzwerks politischer und fachlicher Art entstanden.
204
Europäischer Wirtschaftsdienst, Wasser und Abwasser, No4, Februar 2005
2.4 Strategien internationaler Institutionen und ihre Maßnahmen auf dem Wassersektor 75
Der deutsche Einfluss auf die internationalen Wasserstrategien ist gering. Bei GWP und
WWC ist die deutsche Beteiligung vergleichsweise marginal. Wasserfachleute aus den in
Deutschland für den Sektor zuständigen Ländern fehlen in internationalen Gremien prak-
tisch vollständig. Damit sind auch die kommunalen deutschen Modelle206 kaum vertreten.
205
http://www.iawq.org.uk/template.cfm?name=about
206
Viele Länder, wie z. B. auch die USA, sind kommunal organisiert. Es fehlt hier aber der aktive Wille,
im internationalen Wassergeschäft mitzuwirken. Diese Motivation ist bislang privaten Betreibern
vorbehalten.
76 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors
Das fehlende Glied ist bisher der Hochwasserschutz, dessen Rahmenbedingungen aber mit
Mitteilungen der EU vom Juli 2004 analog der Struktur der WRRL EU-weit empfohlen
werden. Dies ist die Konsequenz aus den großen Hochwässern 1999 und 2002, nach denen
die EU vehement um finanzielle Unterstützung der geschädigten Regionen gebeten worden
war207.
Sonderfall Agrarbereich: Die EU hatte ursprünglich als Wirtschaftsgemeinschaft begonnen.
Der Umweltschutz kam wie andere Bereiche als eigenes Ziel erst mit der Weiterentwicklung
zur EU in der „Einheitlichen Europäischen Akte“ von 1986, in Kraft getreten am 1. Juli
1987, hinzu. Der Agrarsektor, von Anfang an ein wichtiger Sektor innerhalb der EU und auch
im Jahre 2004 immer noch der größte Einzeltitel des europäischen Haushalts, hat eine Reihe
von Regelungen und Subventionen hervorgebracht, die unter Umweltgesichtspunkten bedenk-
lich sind. So werden Fruchtarten gefördert, deren Produktion mit unvermeidbaren Umweltbe-
einflussungen einhergeht, wie z. B. der Mais208, der hohe Düngegaben fordert und durch die
fehlende Bodenbedeckung zu Nitratauswaschungen und Bodenabtrag führt. In der Folge ist die
Verunreinigung des Wassers durch Agrarprodukte in weiten Teilen Europas der größte Mangel
in der Nachhaltigkeitsbilanz des Wassers209.
Seit Jahren wird schrittweise versucht, diese Widersprüche aufzulösen. Mit der Nitratrichtlinie
von 1990 wurde ein erster Schritt zur Verringerung der Einträge ins Grundwasser unternom-
men. Tatsächlich scheinen die Belastungen nicht mehr zuzunehmen. In der Richtlinie Cross
Compliance210 ((EG) Nr. 1782/2003), Bindung von Subventionen an Umweltauflagen und
betriebliches Beratungssystem, wird nun versucht, die verschiedenen Ziele in der ländlichen
Nutzung zu harmonisieren. Grundgedanke ist, dass nur noch solche landwirtschaftlichen Leis-
tungen gefördert werden, die auch im Einklang mit den Umweltanforderungen stehen.211
207
EU 2004a. Die Reaktion der Bundesländer ist allerdings verhalten. Mehrheitlich werden die prinzi-
piellen Ziele des Papiers durchaus begrüßt, es wird aber der EU-typische Verwaltungsaufwand ge-
fürchtet. Außerdem ist eine Diskussion entstanden, ob auf diesem Sektor überhaupt Defizite beste-
hen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass zeitgleich die Bundesgesetzgebung ebenfalls zum The-
ma Hochwasservorsorge eine Novelle des WHG vorgelegt hat, die Anfang 2005 nach erheblichen in-
haltlichen Diskussionen vom Bundestag beschlossen wurde.
208
aber auch die Zuckerrübe, mit zusätzlichen globalen Auswirkung (Konkurrenz zum Zuckerrohr)
209
UN Berichte zur Nachhaltigkeit.
210
EU 2003
211
Auch international wird seit geraumer Zeit die Rolle der weltweiten Agrarmarktsteuerung kontrovers
diskutiert. Die Abschottung von westlichen Märkten verhindert – verkürzt gesagt – Importe aus Ent-
wicklungsländern, die stattdessen auf Entwicklungshilfe und Darlehen angewiesen sind. Erst seit den
Verhandlungen der WTO in Cancún 2003 kommt in diese Situation, an der auch die EU maßgeblich
beteiligt ist, Bewegung.
2.4 Strategien internationaler Institutionen und ihre Maßnahmen auf dem Wassersektor 77
stimmt. Die Programmmittel sind außerdem in der Regel Zuwendungen, d. h. „Grants“212 in ei-
nem bestimmten Prozentsatz zwischen 30 und 90 % der zuwendungsfähigen Kosten.
Die Randbedingungen enthalten innerhalb Europas immer die Annäherung an die Umwelt-
standards der Gemeinschaft (Acquis Communautaire); Nebenaspekte sind je nach Programm
bi- und multilaterale Zusammenarbeit oder bestimmte strukturelle Entwicklungen (z. B. Stabi-
lisierung des ländlichen Raumes). Finanznehmer sind, je nach Programm, entweder Länder
oder öffentliche Einrichtungen, aber auch Hochschulen oder Private. In der Programmperiode
bis 2005 hatten rund 20 Programme direkten und indirekten Einfluss auf die Umsetzung einer
nachhaltigen Wasserwirtschaft213:
• Bestimmte Bedingungen wie die Beteiligung verschiedener Nationen können einen Zusatz-
nutzen in Form des Informations- und Technologieaustausches erbringen. Gleichzeitig wer-
den gezielt nachhaltige Fragestellungen in einem internationalen Kontext aufgearbeitet und
stehen dann allen zur Verfügung. Ein Beispiel dafür sind die strategischen Interreg-Projekte.
• Durch die Teilnahme vieler Projekte in einem Programm entsteht eine Vergleichbarkeit,
besonders gute Lösungsansätze werden deutlich214.
• Einige Programme sind aufgrund ihrer Größe und thematischen Konzentration strukturbe-
einflussend, d. h. erzeugen eine flächige Wirkung (z. B. ISPA).
Die Schwächen der Heterogenität können zum Beispiel durch Kommunikation und Abstim-
mung, aber vor allem durch gleichartige Leitbilder und eine entsprechende Arbeitsethik mehr
als ausgeglichen werden. Auch scheint die im föderalen System einfachere Berücksichtigung
der regionalkulturellen Bedingungen und Bedürfnisse Vorteile in der Wasserbewirtschaftung
212
Grant = nicht rückzuzahlende Zuwendung. Loan = rückzuzahlende Zuwendung
213
EU 2004
214
Zum besseren Wissensaustausch und zur Erhöhung der transnationalen Effekte wurde anlässlich der
Acqua Alta 2005 in München ein Netzwerk gegründet, das im Kern aus den Projekten SUMAD,
ILUP und Flussraumagenda besteht. An dieser DACH-Initiative können aber auch weitere internatio-
nale EU-Projekte teilnehmen. In München waren weitere 11 Projekte vertreten, die u. a. dort eine
gemeinsame Internetplattform beschlossen haben.
78 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors
2.4.3.1 Auswirkungen der Wasserpolitik der Weltbank auf die deutsche Wasser-wirtschaft
Die Weltbank besucht und evaluiert regelmäßig Länder, um Hinweise auf den Beispielcharak-
ter der dortigen Strukturen zu suchen. Für Furore hat in Deutschland im Jahr 1995 der soge-
nannte Briscoe-Report216 gesorgt: Die deutsche Wasserwirtschaft war dort differenziert beur-
teilt worden:
Positiv wurden gesehen:
• Ressourcenschutz
• Wasserqualität
• Versorgungssicherheit
Neben einer Anerkenntnis für die gute Wasserbewirtschaftung und die vorzügliche Qualität
wurden in einigen Kernpunkten deutliche Kritik geäußert:
• ungenügende Beachtung von Wirtschaftlichkeit und Kosten
• fehlende Diskussion über das Kosten-Nutzen-Verhältnis von hochgesteckten Umweltzielen
(z. B. Leckkontrolle, erweiterte Anforderungen bei Kläranlagen)
• mangelnde Beschäftigung mit den Auswirkungen hoher Kosten auf den Verbraucher
• die Dominanz politischer Faktoren zum Nachteil der Versorgungsstandards und der Kosten
beim Wiederaufbau der Wasserwirtschaft in Ostdeutschland
• bei bestimmten Flussgebieten die Verschiebung von partizipatorischen hin zu technokra-
tisch-wasserwirtschaftlichen Praktiken.
Der Bericht war nach BRISCOE ein eigentlich interner Reisebericht, in dem „frei und frank
Eindrücke geschildert wurden, ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit. Er war niemals als
grundlegende und fundierte Kritik an der deutschen Wasserwirtschaft gedacht, dazu war die
Analyse viel zu wenig präzise“ 217. Die deutschen Wasserverbände haben sich dennoch mit
dieser Kritik intensiv auseinandergesetzt.218Tatsächlich hat mindestens zeitgleich mit diesem
Bericht eine qualifiziertere Auseinandersetzung der deutschen Wasserwirtschaft mit ihren
Stärken und Schwächen begonnen, die bis heute nicht abgeschlossen ist. Es ist in den folgen-
den Jahren mit Hilfe von Benchmark-Methoden zu verstärkten Bemühungen um mehr Effi-
zienz der Wasserunternehmen gekommen219 (siehe Kap. 3.2.6.7).
215
Der Bericht und die dazugehörigen Karten sind auf den Internetseiten des Bayerischen Landesamtes
für Wasserwirtschaft (LfW) abrufbar: http://www.wasserrahmenrichtlinie.bayern.de/wrrl_live/navi-
gation/show.php3?id=246&nodeid=246
216
Briscoe 1995
217
zitiert aus einem persönlichen Gespräch anlässlich der water week 2002 in Washington D.C.
218
BMBF 2000, S. 27
219
Rödel 2002
2.4 Strategien internationaler Institutionen und ihre Maßnahmen auf dem Wassersektor 79
Die Kritik der Weltbank betrifft aber praktisch alle Länder: So wird aktuell im Jahr 2004 in der
3. Strategie eine Liste von Versäumnissen aufgeführt:
„The Policy Paper offers a vision toward which countries should be moving. While experience
has reinforced the relevance and importance of the Dublin Principles, a detailed recent review
by the Organization for Economic Cooperation and Development shows that even the most
advanced countries220 are far from full implementation of these principles in practice, as indi-
cated by the following excerpts:
• “Insufficient progress with integrating environmental and sectoral policies.”
• “Basic water quality standards not yet met.”
• “Prices rarely reflect full economic and environmental costs.”
• “Most work in improving water use efficiency remains to be done.”
• “Demand management policies are still little developed.”
• “Agricultural water use is still heavily subsidized.”
• “The progress achieved to date is the result of many years of effort.”
The implication is not that the principles are irrelevant, or that progress is not possible. Ra-
ther it is that it takes vision, persistence and patience to make progress.”221
Diese Sicht scheint überzeichnet. Für Deutschland, insbesondere für Bayern sind – selbst wenn
man selbstkritisch in vielen Bereichen mögliche Verbesserungen unterstellen kann – die we-
sentlichen Kriterien der Nachhaltigkeit erfüllt. Deutschland hat, differenziert betrachtet, bezo-
gen auf die universelle Verwendbarkeit eines der günstigsten (sozialsten) Trinkwässer der
Welt222. Auch die Situation der Grund- und Oberflächenwasserqualität ist – vor allem unter
Berücksichtigung der Besiedlungsdichte und der Wirtschaftskraft – hervorragend. Auf genau-
so hohem Niveau ist das Naturgefahrenmanagement. Unter diesen Aspekten ist es erstaunlich,
dass bei der Beurteilung der Fachleute der Weltbank bis heute nicht mehr an möglichen Anre-
gungen aus Deutschland identifiziert werden konnte.
Eine weitere Wirkung der Weltbankpolitik entstand aus der von der Weltbank vor dem Hinter-
grund des Washington-Konsenses vertretenen Privatisierungspolitik. Diese Bestrebungen wur-
den von den großen privaten europäischen Anbietern nach Kräften unterstützt. Das geschäftli-
che Interesse der privaten Anbieter, sich im europäischen Niedrig-Risiko-Markt zu positionie-
ren, ist klar. Mitteleuropa ist dabei auch strategisches Sprungbrett für den Wachstumsmarkt
Osteuropa. Im Ergebnis hat dies nicht nur zu einem verstärkten Druck privater Unternehmen
auf den deutschen Wassermarkt, sondern sogar zu Forderungen geführt, die deutsche Wasser-
wirtschaft selber verstärkt zu privatisieren, um so als Exportland wettbewerbsfähig zu werden.
Ergänzend werden größere unternehmerische Handlungsspielräume für die deutschen Ver- und
Entsorger gefordert. Das erfordere „eine Überprüfung z. B. steuerrechtlicher und kommunaler
Regelungen im Sinne der Wahrnehmung unternehmerischer Gestaltungsoptionen“223.
220
eigene Hervorhebung
221
World Bank 2004, S29
222
Auch der als relativ hoch bemängelte Wasserpreis müsste außerdem heute vor den Erkenntnissen der
auch von der Weltbank propagierten Nachfragesteuerung neu beurteilt werden. Wie RICHARDS aus-
führt, ist natürlich wassersparende Technologie teuer, er gibt für wassersparende Bewässerung einen
Faktor 3 an. Damit sind die von der Weltbankgruppe als zu hoch eingestuften Ausgaben für Leckkon-
trolle vor allem unter dem Aspekt der internationalen Verwendbarkeit neu zu bewerten (Richards
2002, S.2).
223
BMBF 2000, S.11
80 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors
In der damit verbundenen Strukturdiskussion werden zwar immer wieder Vorteile des deut-
schen Modells genannt224 – kommunale Verankerung, dezentrale Strukturen, Bürgernähe –
eine Diskussion, ob die deutsche Struktur nicht eine im Weltmarkt wichtige eigenständige
Lösung verkörpert, wurde vom BMZ und der GTZ begonnen, konnte sich aber zunächst nicht
durchsetzen225. In Bayern hat die Diskussion zu einer Ablehnung der Liberalisierungsbestre-
bungen geführt. Die bereits existierende Erledigung von Teilaufgaben durch Private soll dage-
gen weiter unterstützt werden. Der bayerische Umweltminister SCHNAPPAUF bezieht hier
eine klare Position:
„Wasser ist keine Ware wie jede andere, sondern unser wichtigstes Lebensmittel. Die Aufgabe
Wasserversorgung muss in kommunaler Hand und öffentlicher Verantwortung bleiben. Es ist
bewiesen, dass unser System bisher schon eine flächendeckende Versorgung in hoher Qualität
mit bundesweit günstigen Preisen sicherstellt. Eine Liberalisierung mit völlig freiem Wettbe-
werb würde dagegen hohe Risiken für Qualität und Preis mit sich bringen. Minderwertigeres,
gechlortes Einheitswasser kann nicht das Ziel sein. In Betracht können nur wohl überlegte
Privatisierungen kommen, ohne dass die Kommunen die Verantwortung der Aufgabenerfül-
lung aus der Hand geben“ 226.
In der Bundesregierung ist die Position nicht einheitlich. Während das Wirtschaftsministerium
mit dem Henzler Gutachten eine Liberalisierung fordert, sehen das BMZ und das BMU die
Frage differenzierter. SCHNAPPAUF fordert deshalb die Bundesregierung auf, hier „endlich
Flagge zu zeigen“ und sich nachdrücklich gegen eine Freigabe des Marktes einzusetzen227.
224
ebenda 26 ff
225
BMZ, GTZ 1999, Heft 99: Der dritte Weg als Mittelweg zwischen Privatbetreibern und Staatsbetrie-
ben
226
StMUGV (Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz), 2005
“Wasserversorgung Schnappauf: Klares Nein zur Liberalisierung - Privatisierung kann Chancen bie-
ten“ in: Pressemitteilung Nr. 124, 10. März 2005 München
227
ebenda
2.4 Strategien internationaler Institutionen und ihre Maßnahmen auf dem Wassersektor 81
pflichtet, die wirtschaftliche und soziale Lage der Menschen in Entwicklungsländern nachhal-
tig zu verbessern. Mit ihrer finanziellen Zusammenarbeit trägt sie zur Bekämpfung der Armut,
zum Schutz der natürlichen Ressourcen und zur weltweiten Friedenssicherung bei.“228
Ähnlich wie die Weltbank ist die KfW bemüht, mit einer transparenten, regelmäßig fortge-
schriebenen Strategie das Risiko-Nutzen-Verhältnis des eingesetzten Kapitals zu verbessern.
Außerdem sollen die entwicklungspolitischen Ansätze der Bundesregierung und der von dort
unterstützten weltweiten Organisationen (vor allem der UN) unterstützt werden. Natürlich
wirkt die KfW bei der Erfüllung der MDGs229 genauso wie beim Thema Good Governance
mit. Im Wassersektor wird bankintern mit großer fachlicher Qualität gearbeitet, die Sektorstra-
tegien haben einen hohen Standard. Ähnlich der Weltbank werden dabei bestimmte weltpoliti-
sche Strömungen mit vollzogen. So hat die KfW über Jahre eine überaus privatisierungs-
freundliche Haltung eingenommen, durch die aber ähnliche Probleme generiert wurden wie bei
Projekten der Weltbank. Inzwischen ist die Haltung differenzierter230 (vgl. auch Kap. 3.3.2.4).
Gemeinsam mit der GTZ hat auch eine sehr klare ‚Übernahme’ der Ergebnisse der World
Commission on Dams (WCD) mit dem Anspruch nachhaltiger Planungen stattgefunden.231
In den Grundsatzpapieren wird auf die Nachhaltigkeitskriterien Bezug genommen:
„Dem Vorschlag des Entwicklungslandes zur Finanzierung eines Vorhabens [müssen] Unter-
lagen beigefügt werden, die möglichst umfassend über Ziele, Art und Umfang der beabsichtig-
ten Investition, deren ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Wirkungen, den für die
Durchführung und den Betrieb verantwortlichen Projektträger sowie die voraussichtlichen
Kosten informieren“ 232. Im Abschnitt „Gesamtwirtschaftliche, sozioökonomische, sozialkultu-
relle und ökologische Betrachtung“ wird eine Abwägung gemäß der Nachhaltigkeitskriterien
verlangt: „Entscheidende Bedeutung für die Beurteilung der Förderungswürdigkeit kommt
jedoch der zusammenfassenden Beurteilung zu, ob die angestrebten Ziele erreichbar sind und
wie ihre Erreichung entwicklungspolitisch zu beurteilen ist. Hierzu werden die gesamtwirt-
schaftlichen, sozio-ökonomischen, sozial-kulturellen und ökologischen Wirkungen des Vorha-
bens einschließlich möglicher unvermeidbarer Nebenwirkungen abgeschätzt. Bei der gesamt-
wirtschaftlichen Analyse spielen die Ermittlung der Rentabilität in Form einer Kosten-Nutzen-
Analyse sowie die Auswirkungen des Vorhabens auf die Devisensituation und die öffentliche
Haushaltslage im Entwicklungsland eine wesentliche Rolle.“233
228
Internetseite: http://www.kfw-entwicklungsbank.de/DE/KfW %20Entwicklungsbank/Inhalt.jsp
229
BMZ, KfW, GTZ 2004
230
Renner- Häberle, Schönewald 2004
231
GTZ und KfW 2004
232
KfW 2004
233
Der Text geht im Weiteren noch präziser auf die sozio-ökonomischen und kulturellen Bewertungen
ein: „Unter sozio-ökonomischen Gesichtspunkten sind u. a. die Auswirkungen des Vorhabens auf Be-
schäftigung, Einkommen und Einkommensverteilung sowie insbesondere auf die Befriedigung von
Bedürfnissen der Zielgruppe von Bedeutung. Sozial-kulturelle Aspekte (z. B. die traditionellen Rol-
len der Geschlechter im Arbeitsprozess oder religiöse Tabus) werden berücksichtigt, soweit sie für
das Vorhaben von Bedeutung sind. Die Auswirkungen auf die Umwelt werden sorgfältig erfasst, be-
wertet und bei der Gestaltung des Vorhabens berücksichtigt. Nur wenn sich zu erwartende Umwelt-
belastungen durch entsprechende Maßnahmen auf ein tolerierbares Niveau begrenzen lassen, wird
das Vorhaben zur Förderung vorgeschlagen.“
82 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors
234
http://www.gtz.de/de/leistungsangebote/692.htm
235
Vielleicht könnte der Dissens dadurch vermieden werden, dass man auch hier noch mehr auf Zusam-
menarbeit setzt. Das würde bedeuten, dass die Bewerbung um Projekte gemeinsam mit starken Part-
nern (de facto oder potentiell) durchgeführt werden, nur ein Ziel vor Augen: die bestmögliche Per-
formance für den Auftraggeber.
2.4 Strategien internationaler Institutionen und ihre Maßnahmen auf dem Wassersektor 83
236
http://www.sequa.de
237
bfz = Berufliche Fortbildungszentren der Bayerischen Wirtschaft
238
Wasserwirtschaftsamt Hof, Projekt TTW: www.wwa-ho.bayern.de
239
Stoiber 1998
240
KMU = Klein- und Mittelständische Unternehmen (engl. SME)
84 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors
2.5 Zwischenfazit
Die für den Wassersektor wichtigen Global Player verwenden inzwischen ohne Ausnahme die
Ansätze des auf der A21 basierenden IWRM. Damit sind die integralen Ansätze als richtig
anerkannt und können als sichere Grundlage für weitere Entwicklungen angenommen werden.
Konsens besteht in der Einschätzung des Wassersektors als erhebliche Herausforderung inter-
nationaler Politik, vor allem manifestiert durch die MDGs.
Partieller Dissens besteht über die Lösungswege: Alle bedeutenden Institutionen fordern normativ
Nachhaltigkeit, deren Auslegung aber umstritten ist. Bei der Auseinandersetzung zwischen der
sogenannten weichen und der harten Nachhaltigkeit geht es in erster Linie darum, ob der Belange
der Ökologie „gesetzt“, d. h. in der Abwägung als unverzichtbar gewertet werden muss. Die
Alternative geht von einer Subsumierbarkeit aus, d. h. im Extrem Geld statt Natur. Dieser be-
kannte Dissens wird noch komplizierter, wenn die Gesichtspunkte der Sozialethik berücksichtigt
werden sollen, d. h., mit welchem Gewicht sozioökonomische Belange gewertet werden.
Faktisch scheinen als Konsequenz der vorherrschenden Weltwirtschaftsordnung (Bretton
Woods) die Nachhaltigkeitsbelange der Ökologie wie auch des Gesellschaftlich-Sozialen im
Vergleich zur Wirtschafts- und Geldwelt immer noch zweitrangig eingestuft zu werden. Die
Formel: „Möglichst liberale Marktwirtschaft ist immer eine Win-win-Situation, und: „dort, wo
es der Wirtschaft besser geht, geht es auch immer den Armen besser“ ist in Kreisen der Ent-
wicklungsfachleute und der Sozialökonomen umstritten.
Als Folge dieses Dissenses ist der Streit um die Rolle der Privaten im Wassersektor zu sehen.
Die Unterschiede liegen darin, ob grundsätzlich Nachhaltigkeit im Wassersektor eher durch
freie Marktkräfte zum Beispiel durch Privatisierung/Liberalisierung oder durch administrativ-
politische, also dem Gemeinwohl ausdrücklich verpflichtete Kräfte entsteht. So wird auch die
Rolle des Staates zwischen den Positionen „möglichst guter Staat“ und „möglichst wenig
Staat“ gesehen.
Der Begriff der Partizipation ist als Handlungsmaxime zumindest verbal überwiegend aner-
kannt. Die Vorstellungen über die Umsetzung sind wiederum sehr unterschiedlich und reichen
von der civil society bis zur Einbindung armer Bevölkerungsschichten. Nicht ganz einleuch-
tend ist, dass das hoch partizipative deutsche System der kommunal bestimmten Siedlungs-
wasserwirtschaft international so wenig Beachtung findet.
Bis zu einem gewissen Grade prallen also tatsächlich Weltanschauungen aufeinander, doku-
mentiert auch in den divergierenden Meinungen über die Frage, inwieweit Wasserwirtschaft
ein Menschenrecht ist oder über eine Wassercharta, die die Rechte und Pflichten in Flussein-
zugsgebieten völkerrechtlich regelt.
Die großen „finanziellen“ Global Player, allen voran die Weltbank, haben im Wassersektor
politisch besonders wichtige Rollen. Deren strategische Linie wird durch die UN und NGOs
faktisch nur modifiziert. Die Art und Weise, wie die MDGs umgesetzt werden, wird daneben
noch von den „freien Globalisierungskräften“, also dem Agieren der freien Wirtschaft und der
Politik der souveränen Staaten bzw. der EU, beeinflusst.
2.5 Zwischenfazit 85
3.1.1 These
Die Herleitung und Verifizierung dieser These basiert auf der Betrachtung von erfolgreichen
Wasserwirtschaftsmodellen, insbesondere aus Bayern. Es gibt hier wenigstens zwei Motive,
sich mit internationaler best practice in der Wasserwirtschaft zu beschäftigen: Einmal der
Wunsch, mit der vorhandenen Erfahrung und Technologie durch aktive Beteiligung an interna-
tionalen Projekten bei der Umsetzung der MDGs als der internationalen Herausforderung
mitzuwirken, zum anderen die Notwendigkeit der Optimierung der eigenen nationalen Struktu-
ren mit Hilfe internationaler Erfahrung.
Deutschland gilt international bisher nur sehr bedingt als geeigneter Partner zur Umsetzung der
MDGs, insbesondere wegen des geringen Anteils großer privater Betreiber in der deutschen
Wasserinfrastruktur. Ganz im Gegenteil: Wie in Kap. 2.4.3.1 gezeigt, gilt die deutsche Struktur
eher als Problem denn als Vorbild. In der internationalen Diskussion ist der „deutsche Weg“
im Wassersektor deshalb derzeit fast ausgeblendet. Es herrscht teilweise sogar die Meinung,
dass die deutsche Wasserwirtschaft aus Gründen der internationalen Konkurrenzfähigkeit
strukturell „re-designed“ werden muss.241 Es ist dagegen ein Teil der These dieser Arbeit, dass
das deutsche Modell der Wasserwirtschaft einige bemerkenswerte Vorteile zur Lösung interna-
tionaler Wasseraufgaben hat.
Es gibt nämlich, wie gezeigt, international Bedarf an alternativen Lösungsstrategien. Die bis
heute vielfach propagierten „Einheitslösungen“ mit den Stichworten Liberalisierung, Privati-
sierung, Steuerung durch den freien Markt und „Lösungen aus einer Hand“ haben weltweit in
241
BMBF 2000
88 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
vielen Fällen versagt. Dagegen fällt auf, dass die Strukturen in einem Land wie Bayern zwar
gegen einige theoretische Regeln, insbesondere die der großen Einheiten, zu verstoßen schei-
nen, aber sie funktionieren. Was macht diese Strukturen effizient? Welche Rolle spielen die
mit den üblicherweise verwendeten Indikatoren nicht erfassten nichtmonetären Themen wie
Partizipation, Kultur und Eigenständigkeit?
Auch die Rolle des Staates bzw. der öffentlichen Hände ist zu klären. Im allgemeinen Ver-
ständnis ist weltweit die „richtige Staatspolitik“ (good governance) einer der wichtigsten
Schlüssel zum Erfolg. Die zeitgemäße allgemeine Forderung lautet ‚weniger Staat’. Die daran
geknüpfte Folgerung des Verwaltungsabbaus berührt automatisch auch die Staatsaufgabe Was-
serwirtschaft. Ist good governance gleichzusetzen mit Staatsabbau? Das Quo Vadis der Was-
serwirtschaft hängt heute unter anderem von dieser Frage ab. Das träge Medium Wasser be-
lohnt die richtige und bestraft die falsche Entscheidung aber erst nach Jahren.
Angesichts der weltweiten Suche nach zukunftsfähigen Lösungen und der hochemotiona-
len Wertedebatte um die Frage Privatisierung, Liberalisierung und Staatsreform sind des-
halb erkennbare Grundstrukturen des Erfolges im Bemühen um den Wassersektor abzulei-
ten.
3.1.2 Lösungsansatz
242
Der in der Agenda 21 verankerte ganzheitliche Ansatz wird vor dem Hintergrund einer nachhaltigen
Umweltpolitik in praktischen Vorhaben der bayerischen Wasserwirtschaft verwendet. Sowohl die a-
nalog der Agenda 21 entwickelte ganzheitliche Sicht der Problemstellung als auch die daraus abgelei-
teten Konsequenzen für die operative Umsetzung unterstützen Projekte nachweislich.
3.1 These und Ansatz 89
vation und eine glückliche Hand. Tatsächlich ist die tägliche Praxis eine Mischung aus harten
und weichen Faktoren. Die UN definiert im Final Report des Millennium Projekts vier Haupt-
hinderungsgründe zum Erreichen der Wasserziele der MDGs: politische, institutionelle, finan-
zielle und technische Zwänge bzw. Herausforderungen.243 Im Rahmen dieser Arbeit werden für
die Realisation von Wasserprojekten dagegen sechs Hauptfelder harter und weicher Faktoren
identifiziert, in denen durch entsprechende Maßnahmen angesetzt werden muss. Es sind dies:
• Angepasste Technologie
• Angepasstes Management
• Finanzierung
• Der „Human Faktor“
• Netzwerke und Kommunikation und
• Kultur
Angepasste Technologie (appropriate technology) ist eine wohlbekannte Voraussetzung für
erfolgreiche Konstruktionen. Hier sollen aus der Praxis gewonnene Erfahrungen über Stärken
und Schwächen in diesem Bereich insbesondere vor dem Hintergrund des Zusammenwirkens
mit den anderen Bereichen diskutiert und gewürdigt werden.
Management ist heute ein Topthema im Wassersektor und bildet auch den Schwerpunkt dieser
Arbeit. Internationalen Projekte verlangen die Abarbeitung dieses Themas üblicherweise in
den ‚terms of references’ sowohl unter dem Aspekt good governance als auch im Bezug auf
betriebliches Management. Es ist Aufgabe dieser Arbeit, eine Systematik für die Entwicklung
von Verbesserungen im Wassermanagement vorzuschlagen. Dazu werden die bekannten An-
sätze im Wassersektor ausgewertet, um dann einen konkreten Vorschlag für ein schlüssiges
Gesamtsystem zu machen, das als Ausgangspunkt (Benchmark) für weitere Entwicklungen
dienen kann.
Die Finanzierung wird jenseits der reinen „Geldbeschaffung“ vor allem unter dem Aspekt der
gezielten Steuerung diskutiert. Der Finanzierungsbeitrag „Effizienz“ wird dagegen überwie-
gend in den beiden Kapiteln Technik und Management bearbeitet.
Der Bereich der „softfactors“ („Weichbildes)“, also Kommunikation und Netzwerke, Human
Factor und Kultur, könnte von der Systematik her ohne weiteres zum Management gezählt
werden. Aufgrund der eigenständigen und besonderen Bedeutung dieser Belange werden sie
aber als eigene Kapitel behandelt. In den klassischen Ingenieurfächern geht man an diese Be-
lange eher zurückhaltend heran. Teilweise hält man den richtigen Umgang damit für so selbst-
verständlich bzw. trivial, dass er einer Erwähnung gar nicht mehr wert scheint und dem intuiti-
ven Handeln überlassen bleibt. Die vorliegende Arbeit verfolgt die These, dass diese Belange
aber bewusst, als „conditio sine qua non“, in die Konstruktion aufgenommen und gesteuert
werden müssen, weil die regionale Kultur oder auch spezifische gesellschaftliche Strukturen
zu erfolgbeeinflussenden Parametern und Rahmenbedingungen zu zählen sind. Eine intuitive
oder unbewusste Einbindung ist nicht ausreichend.
Das Ziel der folgenden Kapitel ist deshalb, die bekannten Einflussfaktoren möglichst vollstän-
dig aufzuzählen und miteinander in Relation zu setzen. Es entsteht damit eine wissenschaftlich
fundierte „Checkliste“ für integrierte Projekte; in einigen Fällen können darüber hinaus kon-
krete Lösungsansätze formuliert werden.
243
UN 2005, S. 26ff
90 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
244
Heiden 1996, S. 99: Der Laplacesche Dämon (nach dem Mathematiker Laplace, 1749-1829) ist in
Kenntnis sämtlicher Naturgesetze und kann, wenn er den Zustand der Welt zu einem einzigen Zeit-
punkt vollständig kennt, alle nachfolgenden (und auch alle früheren) Zustände aus den Naturgesetzen
berechnen.
245
Deser 1996, S.10 ff
246
d.h., dass es hinter dem Komma niemals zu einer Periode (ständigen Wiederholung) irgendeiner
Ziffernanordnung kommen wird
247
Heiden 1996, S.106 ff
248
Küppers 1996b, S. 167
249
Heiden 1996, S. 118
3.1 These und Ansatz 91
Das deterministische Chaos bedeutet, dass ein System auch dann unberechenbar werden
kann, wenn die Einzelteile deterministischen Gesetzen gehorchen.
Der Schmetterlingseffekt beschreibt „kleine Ursache, große Wirkung“ bzw. eine sensiti-
ve Abhängigkeit von den Anfangsbedingungen.
Ein Attraktor ist zunächst ein endlicher Raum, in dem die verschiedenen (möglichen) Er-
gebnisse der chaotischen Entwicklung liegen. Das allgemeine Kennzeichen von Attrakto-
ren ist aber, dass sie bestimmte Muster oder Fraktale bilden, d. h. es bilden sich in der
Makroebene „geordnete Muster“, obwohl auf der Mikroebene Chaos herrscht. Dies wird
eventuell zur Selbstorganisation, d.h. effizienten Musterbildung ohne äußeren Einfluss.
Eng mit der fraktalen Dimension verbunden ist der Begriff der Selbstähnlichkeit. Dies
führt dazu, dass beliebig kleine Abschnitte der Attraktoren – sozusagen unter der Lupe be-
trachtet – ähnlich wie die in größeren Skalen auftretenden Formen aussehen.
Eine Bifurkation ist ein (zufälliger) Verzweigungspunkt eines Systems (einer Entschei-
dung),
Fraktale sind „selbstähnliche“ Strukturen aus einfachen Grundmustern die ohne eigent-
lich erkennbaren Zusammenhang dennoch in ähnlicher Weise entstehen (zum Beispiel ei-
ne Koinzidenz zwischen unabhängigen Systemen).
Das wissenschaftliche Potential der Chaostheorie ist groß. Sie bildet im Grunde die fundamen-
tale Ergänzung des 2. Hauptsatzes der Thermodynamik. Dieser beschreibt die Zwangsläufig-
keit des Zerfließens aller Ordnung in ein strukturloses Gleichgewicht für alle Systeme, die von
ihrer Umwelt isoliert sind250. Im „Gegensatz“ dazu steht die Selbstorganisationskraft chaoti-
scher Systeme. Selbstorganisation ist die Entstehung dynamischer Strukturen, die sich selbst
reproduzieren. Die Anwendung dieses Grundprinzips geht von rein physikalischen Prozessen
(Musterbildung in kochender Flüssigkeit) bis zur Selbstorganisationsfähigkeit von Biomasse
(„Leben“, Lebensformen). Für die Anwendbarkeit im Wassersektor sind vor allem die vielen
Konsequenzen auf soziale (Selbstorganisations-) Prozesse interessant. Die CT kann bewusst
angewendet werden, um bestimmte für die Entwicklung des Wassersektors wichtige gesell-
schaftliche Prozesse zu verstehen und eventuell sogar positiv zu beeinflussen. Deutlich sind
die Hinweise darauf, dass sich bestimmte, nach den Erkenntnissen der Chaostheorie (CT)
gestaltete Organisationsformen als besonders kreativ erweisen. Gleichzeitig ist deren Anpas-
sungspotential besonders groß. Praktische Beispiele dafür sind komplex vernetzte Organisatio-
nen, von der Matrixorganisation bis zu Netzwerken, unter Umständen sogar ohne feste Hierar-
chien (vgl. 3.3.3.2).
Ein weiteres wichtiges Phänomen ist die Ausbildung von bestimmten Mustern in verschiede-
nen Ebenen einer Gesellschaft nach dem Prinzip der fraktalen Muster. Als Attraktoren bilden
sich vor dem Hintergrund der Menge von (chaotischen) kulturellen, spirituellen und wirt-
schaftlichen Einflüssen auf die Gesellschaft, die in der Summe niemals deterministisch zu
bestimmen, geschweige denn abzuschätzen wären, doch „zufällig“ gleiche (Verhaltens- oder
Organisations-) Muster auf verschiedenen Ebenen heraus. Ein weiterer in der Praxis zu nut-
zender Vorteil ist: wenn das Verhalten einer Ebene quasi verstanden ist, kann man auf andere
250
Küppers 1996a, S.25 ff
92 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
Ebenen rückschließen.251 Nach dem Ansatz von HEIDEN ist die Ursache für deterministisches
Chaos der sog. Schmetterlingseffekt, verbunden mit einer sensiblen Abhängigkeit von An-
fangszuständen. Die Arbeit versucht, diese Anfangs- und Eingangsgrößen für Wasserprojekte
mit größerer Wahrscheinlichkeit zu erkennen und einer Steuerung zugänglich zu machen.
Wenn man sich auf die Physik komplexer Vorgänge einlässt, muss man aber akzeptieren, dass
auch eine noch so vollständige Beschreibung der Einflussparameter und die Verwendung aller
bekannten Erfolgsmuster (Fraktale) letztlich ein bestimmtes Ergebnis nur wahrscheinlicher, nie
aber letztlich determinierbar macht. Jede Projektentwicklung muss also flexibel auf „chao-
tisch“ auftretende Veränderungen reagieren können. Diese Flexibilität muss folglich Teil des
Lösungsansatzes „from vision to action“ werden.
Es entsteht ein Dilemma: Die möglichst vollständige Erfassung aller Einflussparameter sowohl
im technischen wie im nichttechnischen Bereich einerseits und die dadurch entstehende, über-
komplexe, mit wichtigen (und unwichtigen) Belangen überlastete, auch theoretisch nicht mehr
zu lösende (undeterminierbare) Problemmatrix andererseits.
Zur Handhabung dieses Dilemmas wird das Denkmodell eines Lösungsraumes vorgeschlagen:
Zunächst werden die wichtigen Einflussparameter und ihre grundsätzliche Funktionalität und
Abhängigkeit wertfrei dargestellt. Aus der Summe der Parameter ergibt sich grundsätzlich die
Unmöglichkeit der konkreten Zuordnung, es gibt keine eindeutigen Lösungen, sondern nur
einen Lösungsraum. Die individuellen Verknüpfungen und tatsächlichen Zuordnungen der
Bedeutung können erst im praktischen Beispielfall vorgenommen werden. Selbst dann können
sie i. d. R. nicht diskret gelöst werden sondern nur auf dem Wege einer Iteration angenähert
werden. Der Denkweise des Menschen, also analog, intuitiv und fraktal, kommt diese Heran-
gehensweise entgegen.
Eine unter Umständen als „lexikal“ empfundene Darstellungsweise der einzelnen Argumente
dieser Arbeit rührt aus dem Gedanken des Lösungsraumes, die Verknüpfungen selber sind
dem konkreten Fall252 zu überlassen. Zum Teil können aber konkrete Beispiele typische Fall-
konstellationen und die daraus erwachsenden charakteristischen Verknüpfungen und Abwä-
gungen aufzeigen.
3.2.1.1 Bestandsaufnahme
Mit der Brauchbarkeit und Standfestigkeit von technischen Anlagen unter globalen Bedingun-
gen beschäftigt sich in Deutschland bereits 1956 KRÜGER: „Milliardensummen werden [von
den Vereinten Nationen, der Weltbank, der IFC und anderen internationalen Institutionen]
investiert. Deshalb können Verluste, die durch Nichtbeachtung der landschaftlich wirksamen
Naturfaktoren verschuldet werden, Summen erreichen, die für sich genommen ganzen Völkern
die Existenz sichern könnten. Deshalb sollte es das Interesse der Großbanken sein, dafür zu
251
ebenda, S. 85
252
und damit dem Leser
3.2 Angepasste Technologie 93
sorgen, dass die Technik umsichtig derart eingesetzt wird, dass z. B. Klimaschäden möglichst
vermieden werden. Die Regionaltechnik, die naturgemäße Technik, wird somit zu einem welt-
wirtschaftlichen Prinzip der Neuzeit.“253 Der Text enthält etwas später auch Bezüge zu den
„weichen Faktoren“, wenn er zitiert: „Nach einer Mitteilung von Dr. K. YAO gab es [in China]
nicht nur Abwandlungen der Technik nach der Landschaftsnatur [gemeint ist Feng-Shui, An-
merkung des Verfassers], sondern auch gemäß der Psychologie und der jeweils überlieferten
Erziehungsvarianten, wie es z. B. in dem alten Werk des Kao-Kong-Chie verankert war“254.
Die sinngemäße Ergänzung in Bezug auf die Nachhaltigkeit liefert KRAMMER255, der in
einem Vortrag eine „soziale und ökologisch angepasste Technologie“ als „Alternative einer
Technologie von unten“ fordert.
Der Begriff der angepassten Technologie ist im Zusammenhang mit der Entwicklungszusam-
menarbeit vor rund dreißig Jahren entstanden und wurde z. B. von SCHUMACHER256 1974 in
„Small is Beautiful“ als „mittlere Technologie“ für die Verhältnisse der Technologie in Indien
verwendet. Der Verband für Angepasste Technologie, der „AT-Verband“, der sich seit dreißig
Jahren mit der Thematik gezielt beschäftigt, liefert eine Definition, die gleichzeitig die Fort-
entwicklung dieses Begriffes wiedergibt257. Danach umfasst angepasste Technologie die psy-
chologischen, sozialen, wirtschaftlichen, ökologischen und politischen Dimensionen der Tech-
nologie und reflektiert als „globales Konzept“ auch die globalen Probleme wie Armut oder
ökologische Krisen. Angepasste Technologie sei ein dynamischer Begriff; „nach einem langen
Lernprozess“ wird der stark vereinfachenden Definition, dass angepasst auch klein und ein-
fach sei, widersprochen. Vielmehr gehe es um eine richtige Technikauswahl (selten Neuerfin-
dung) unter den Kriterien der Sozial- und Umweltverträglichkeit, Wirtschaftlichkeit, techni-
scher Machbarkeit und Zuverlässigkeit, nachhaltiger Anwendbarkeit, kultureller Kompatibili-
tät und Einbeziehung traditionellen Wissens.
Die Bedeutung der angepassten Technologie ist heute ubiquitär anerkannt. Angepasste Tech-
nologie (appropriate technology) ist eine der Grundanforderungen, wenn internationale Er-
folgskriterien in technischen Projekten diskutiert werden.
Zum Stand der (angepassten) Technologie heute lässt sich augenfällig feststellen:
• Die technische Fortentwicklung ist in allen Bereichen allein schon durch die Anwendung
der IT gewaltig.
• Anders als zu Zeiten der ersten Weltausstellungen ist Information über weltweite Techno-
logie heute mit Hilfe des Internets und aller anderen Medien keine Hürde mehr.
• Die Ausbildung ist globalisiert. An den technischen Hochschulen wird weltweit nationales
und internationales Wissen gelehrt. Der Austausch von Studierenden ist groß258. Auch
wenn nicht alle Studenten in ihre Heimatländer zurückkehren, ist die Wissenshürde viel
niedriger geworden.
• Entwicklungsorganisationen, die Beratung der Banken und internationalen Consultants,
Erfahrungen in gemeinsamen Projekten und andere Formen der Zusammenarbeit tragen
seit Jahrzehnten zum Wissenstransfer bei.
253
Hervorhebung durch den Autor
254
Krüger 1956, S. 32f
255
Krammer 2004, S.14
256
AT 2005
257
ebenda, 3
258
Knapp ein Drittel der Studienanfänger an der TU München im Wintersemester 04 im Baubereich war
internationaler Herkunft.
94 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
• Das Wissen über die Einbettung der Technologie in Natur und Landschaft und mögliche
negative Auswirkungen ist nicht nur weltweit verbreitet, einschließlich der Instrumente,
diese Auswirkungen zu erkennen und ggf. auszuschließen (Umweltverträglichkeitsprüfung
(UVP)).
• Ebenso ist das grundlegende Wissen über die Bedeutung der sozial-kulturellen Komponen-
te der Technologie vorhanden.
Unbestritten haben diese Fakten zu enormen Entwicklungen geführt. Angesichts des Angebo-
tes, das heute im Bereich der Wassertechnologie weltweit vorhanden ist, und der Erfahrung,
damit umzugehen, ist die Frage zulässig, ob die (angepasste) Technologie überhaupt noch ein
Thema sein kann. Eine Evaluierung der globalen Situation zeigt aber eine erhebliche Lücke
zwischen theoretischem Wissen und der tatsächlichen Umsetzung auf:
• Bestandsanalyse:
– Schon eine oberflächliche Bilanzierung des Bestands zeigt, dass in vielen Gebieten der
Welt die Infrastruktur mangelhaft ist oder fehlt, ein Zeichen für technische Mängel sind
die zahlreichen defekten, nicht mehr funktionierenden Anlagen259.
– Die negativen Umwelteinwirkungen und Trends bestehen ausweislich der Evaluationen
der UN-Organisationen (siehe Kap. 1.1) ungebrochen, sei es in der Frage der Versor-
gungssicherheit, der wasserverursachten Krankheiten, der Entsorgungssituation usw.
• Aufgabenanalyse:
– Die Umsetzung der MDG verlangt eine gewaltige technische Entwicklung, die bisher
nur zum Teil erkennbar ist (vgl. Kap. 2.1.2).
– Auch die langfristige Vision des 10/4/34-Ansatzes (vgl. Kap.2.2.4) oder der Öko-
Effizienz basiert auf erhofften riesigen Effizienzsprüngen, die zu einem Großteil techni-
schen Ursprungs sein müssen.
Bei genauem Hinsehen ist also das „Technologieproblem“ aktueller denn je. Mit der grund-
sätzlichen Anerkennung des Prinzips der angepassten Technologie ist zwar die Richtung be-
stimmt, die Umsetzung steht aber nach wie vor enormen Herausforderungen. Die UN sieht im
aktuellen Bericht zu den MDGs die Hauptherausforderungen der technischen Entwicklung in
den ländlichen Gebieten260, Beobachtungen zeigen aber in Verdichtungsräumen genauso auf-
fallende Mängel, die zumindest in wichtigen Teilen auf nicht angepasste Technologie zurück-
zuführen sind. Im o.g. Bericht wird deshalb unter den „Ten critical actions“ unter Nr. 8 ausge-
führt:
“Governments and their civil society and private sector partners must support a wide range of
water and sanitation technologies and service levels that are technically, socially, environmen-
tally, and financially appropriate”261.
Die intensive internationale Beschäftigung mit dem Thema „Appropriate Technology“ ist ein
Indiz dafür, dass nicht nur im Abwassersektor Defizite vermutet werden bzw. Potential für
Verbesserungen gesehen wird. International sind diverse Netzwerke, meist NGOs, zum Be-
reich angepasste Technologie entstanden, wie die „Engineers Without Borders – International“
(EWB-international), die mit „Ingenieure ohne Grenzen e.V.“ auch eine deutsche Untergrup-
259
Ein Beispiel von vielen sind die Landesumweltberichte der UNECE, die die Situation in Osteuropa
und Zentralasien beschreiben.
260
UN 2005, S.31
261
ebenda, S. 51
3.2 Angepasste Technologie 95
pierung hat. Allein auf der Internetseite der EWB262 sind 17 Querverweise zu Dachinstitutio-
nen zu finden, die sich im internationalen Raum überwiegend mit angepasster Technologie
beschäftigen. Jedes einzelne dieser Institute gibt Hunderte von Beispielen für angepasste
Technologie in allen Bereichen, darunter auch im Wassersektor. So verfügt die gemeinnützige
Gruppe „Sustainable Village“263 über eine Sammlung von Beispielen zur angepassten Techno-
logie, die in einem Katalog angeboten werden. Eine ähnliche Non-Profit-Institution, „Global
Village, The Institute for Appropriate Technology“264 wurde bereits 1974 gegründet. Sie stellt
komplexere Wege zu angepasster Technologie vor, d. h., Schwerpunkt ist die Neuentwicklun-
gen von Technologie und Umgang mit Technologie.
262
http://www.ewb-international.org/: „The outward vision of Engineers Without Borders - International
is of a world where ALL people have access to the resources and knowledge to meet their other self-
identified engineering and economic development needs. The Engineers Without Borders - Interna-
tional network members contribute to new and ongoing development projects around the world in an
effective way and at the same time promote the dimensions of experience for emerging and practicing
engineers. It is our inner vision that this is a primary path to achieving a more sustainable world,
without suffering the consequences of engineering projects that are socially, culturally, or economi-
cally inappropriate.”
263
http://www.sustainablevillage.com/
264
http://www.i4at.org/
265
Im Weiteren werden immer wieder solche Ansätze formuliert, die in der Summe den Schritt ‚from
vision to action’ erleichtern sollen. Sie werden deshalb laufend durchnummeriert.
96 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
eines alternativen Systems. Die richtige Wahl der Komponenten zur Reduzierung der Gesamt-
kosten bei gegebenem Gebrauchswert ist eigentliches Ziel technischen Könnens. Es entsteht so
die „gute technische Lösung“, die den Bedarf des Kunden in günstigster, d. h. insgesamt nach-
haltigster Weise befriedigt266. In komplexeren Zusammenhängen hat sich der Begriff der „best
practice“ durchgesetzt. In der internationalen Zusammenarbeit wird der Begriff der angepass-
ten (appropriate) Technologie verwendet. Mit dieser Begrifflichkeit wird besondere Rücksicht
auf den Einsatzort der Technologie unterstrichen. Angepasste Systeme müssen dabei die lokalen
Umfeldparameter in der Art berücksichtigen, dass sie – simpel gesagt – am Ort des Einsatzes
auch wie geplant selber funktionieren und quasi nach außen den gewünschten Effekt erzielen.
Aus der Kenntnis der A21 liegt es nahe, den Anpassungsgrad nach den drei Basiskriterien
Ökonomie, Ökologie und sozial-kulturelle Belange zu beurteilen. Unter Ökonomie sind die
Kriterien der grundsätzlichen klimatischen Brauchbarkeit analog der Ausführungen von
KRÜGER sowie die einschlägigen Wirtschaftlichkeitsbelange (Effizienz) zu subsumieren, die
Ökologie kommt u. a. in der Bewertung nach Umweltverträglichkeit beziehungsweise der
Ökoeffizienz oder im Sinne der DIN/ISO 14000 Evaluierung vor. Sozial-gesellschaftliche
Elemente sind der Umgang bzw. die Anpassung an kulturgesellschaftliche Rahmenbedingun-
gen, aber auch an „profane“ Fragen wie Ausbildungsstandard sowie im Nutzen der Technolo-
gie für die ganze Gesellschaft, besonders für die Bedürfnisse der Armen (Armutsbekämpfung).
Die Anpassung hängt auch von nichtphysikalischen Parametern ab. So führen zum Beispiel zu
strenge Umweltschutzauflagen zur Unfinanzierbarkeit, umgekehrt führen zu schwache Um-
weltrichtlinien zu einem Versagen der ökologischen Kriterien und damit zur Ineffizienz. Un-
geschickte (gesetzliche) Regelungen ergeben Optimierungen in Richtungen, die sich praktisch
immer durch geringere Effizienz auszeichnen. Eine Analogie dafür ist der Einfluss bestimmter
Ausgleichsformeln im Yacht-Rennsport und die dabei oft entstandenen seeuntüchtigen oder
unpraktischen Schiffsformen267. Ebenfalls kontraproduktiv sind vor diesem Hintergrund man-
gelnde Transparenz und darauf fußende Korruption, die Systeme zwangsläufig zum Schlechten
hin entwickeln. Aus diesen nichtphysikalischen Einflüssen resultiert die Forderung nach Good
Governance (vgl. Kap. 3.3.2.2).
Physikalische Parameter sind zum Beispiel die gesamte Umwelt, nichtphysikalische Parameter
sind politische Rahmenbedingungen, Gesetze, Gebräuche, Kultur usw. Diese Abhängigkeit der
Technologieziele von der physikalischen und nichtphysikalischen Umwelt ist in Abbildung 3-1
dargestellt. Neben der Ökonomie sind auch die anderen Tripel-Belange Ökologie und Soziales
dargestellt. Sie bilden zusammen idealisierte Zielvorstellungen einer Technologie.
Diese komplexe Struktur erfordert bestimmte Methodiken oder Systematiken des Um-
gangs:
Es ist anzunehmen, dass dazu bei großen Vorhaben wie der Restrukturierung eines Wassersek-
tors auch auf der Ebene der Rahmenbedingungen weitere Integrationsschritte notwendig wer-
den können. Das ist in der rechtlichen und physikalischen Verknüpftheit begründet. Ein Bei-
spiel dafür sind die homogen gewachsenen Gesetze eines Staates, die an vielen Stellen inein-
ander greifen268.
266
Zum Thema der nachhaltigen Lösung vgl. insbesondere die längerfristigen Berechnungen, die neben
der Investition auch die Betriebskosten, Abschreibung, Kapitalkosten usw. betrachten
267
Marchaij 1988, S. 28 ff
268
Eine Konsequenz davon ist, dass zur Änderung einer politischen Grundrichtung in der Regel Artikel-
gesetze erforderlich sind, die ihrerseits Änderungen in vielen verschiedenen Gesetzen regeln.
3.2 Angepasste Technologie 97
Organisation
Management
“software”
Abb. 3-1: Technologie als Teil eines Systems, das aus der physikalischen (natürlichen) und der nicht
physikalischen (rechtlichen, normativen) Umwelt besteht. Der Mensch als Bürger ist Erbauer und Nutzer
der Technologie und gleichzeitig (v. a. in Demokratien) mitverantwortlich für die normative, rechtliche
Umwelt.
In der Theorie ist das bekannt. In der praktischen Umsetzung stellen sich diese komplexen
Zusammenhänge als schwer beschreibbar und noch schwerer steuerbar heraus. Aus Abbildung
3-1 ergibt sich schon, dass Lösungsansätze darin liegen müssen, dass bei der Konstruktion
eines Vorhabens alle Komponenten des Systems betrachtet und für sich sowie in ihrem Zu-
sammenspiel optimiert werden müssen. Das hier vereinfacht dargestellte System ist aber kom-
plex. Beeinflussungen und Abhängigkeiten finden nämlich, wie in Tabelle 3-1 gezeigt, gegen-
seitig statt, d. h., Technologie ändert ihr Umfeld und umgekehrt. Eine Kläranlage wäre ein
ökologisches Vorhaben, das aber die ökonomischen Ziele wie Effizienz und Standfestigkeit
ebenso erfüllen muss. Die in den entsprechenden Spalten genannten Einflusspotentiale treffen
dieses Vorhaben dann je nach Einzelfall verschieden deutlich. So kann eine Vorfluterstärke
oder Vorbelastung ausschlaggebend für die Bemessungswerte sein. Selbst die bisherigen
Trinkwasserpreise und die Einkommensstruktur werden auf die Finanzierbarkeit, v. a. auf die
Akzeptanz im sozial-gesellschaftlichen Raum wirken, usw. Oder man denke z. B. an eine neue
Kraftstoffkette durch einen biologischen Kraftstoff, die von der Motorentechnik über das
Tankstellennetz bis hin zur Agrarpolitik mit Technologie, Bewirtschaftungsweisen usw. ver-
netzt ist. Die prinzipiell gleiche Verknüpftheit besteht zwischen den Sektoren, also der Was-
serwirtschaft, dem Agrarsektor, der Wirtschaft usw. oder zwischen den Sektoren Wasser, Bo-
den und Luft.
98 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
Tab. 3-1: Einflussfaktoren auf die Erreichung (Zielwerte) der Tripel-Belange. Die Matrix nennt typi-
sche Beispiele. Die Liste ist nicht abschließend.
Angepasste Technologie
Umweltfaktoren (können „positiv“ oder „negativ“ wirken
Ökonomische Ökologische Sozial-kulturelle
Einflüsse (-Umwelt) Einflüsse Einflüsse
Ökonomische (+) verfügbare Natur- (+/-) Bildung, Motivati-
Ziele güter z.B. Wasser, on, Tabus, Verhältnis
Flüsse zur Arbeit, Familie,
Ziele in den Tripel- Bereichen
In der Regel werden diese Zusammenhänge sehr schnell so komplex und unübersichtlich, dass
man sie nicht mehr determinieren und in einem Schritt bearbeiten kann. Das bezieht sich auf
die Menge und Komplexität an sich, aber auch darauf, dass einige Faktoren für sich nicht de-
terminierbar sind, sich unabwägbar bzw. zufällig verhalten. Typisches Beispiel dafür ist das
Verhalten komplizierter und hoch generierter Systeme wie einer Gesellschaft oder Gruppe. Ein
praktikabler Lösungsweg ist, mit der Optimierung einzelner Komponenten anzufangen und in
einem zweiten Schritt dann ggf. iterative Verbesserungen des Gesamtsystems durchzuführen.
Das Prinzip ist dem der Evolution nicht unähnlich. Als Optimierungskriterium soll hier die
(idealerweise pure) Nachhaltigkeit gewählt werden.
Ansatz 2: Es ist die Aufgabe der technologischen Entwicklung, ggf. auf iterativem
Weg eine permanente Steigerung der Nachhaltigkeit technischer Lösungen zu finden.
269
Dörner 1992, S. 265 ff
3.2 Angepasste Technologie 99
listischem“ Denken (d. h. dass ein einmal eingeschlagener Weg nicht mehr verlassen werden
kann) zugunsten eines iterativen, aufgrund von komplexen Erkenntnissen steuernden Denkens
und Planens.
In einer frühen Phase der Erkenntnis sind Pilotanlagen und Pilotvorhaben die beste Möglich-
keit sich mit überschaubarem Risiko in an Optimierungen heranzutasten. Die meisten Fehler
passieren aber im laufenden Betrieb und müssen „in situ“ erkannt und beseitigt werden.
Bezüglich der Infrastruktur in der öffentlichen Hand spielen in großem Maßstab intern Innen-
revision und Benchmarkprozesse, extern die staatliche Aufsicht durch Aufsichtsbehörden oder
Fachbehörden, Finanzkontrolle durch die kommunalen Aufsichtsgremien, Rechnungshöfe und
Parlamente, die Überwachung der (Entwicklungs-) Banken und der NGOs (wie z. B. der Bund
der Steuerzahler oder die südbrasilianischen Bürgerforen) eine Rolle.
Durch die regelmäßige Diskussion der öffentlichen Haushalte sowie durch nationale und inter-
nationale Vergleiche wird es möglich, bestimmte wegen ihrer Großmaßstäblichkeit besonders
relevante bzw. gefährliche Muster für suboptimale Lösungen zu erkennen.
Im privaten Sektor ist das Hauptregulativ gegen suboptimale Lösungen normalerweise der
Markt. Diese Steuerung unterliegt im Wassersektor allerdings den zitierten Einschränkungen.
Im Folgenden werden einige typische positive und negative Fallkonstellationen im Bereich der
angepassten Technologie diskutiert. Die Auswahl soll auch belegen, dass ein Schlüssel zum
Erfolg in der Berücksichtigung aller Nachhaltigkeitskriterien liegt. Das gilt sowohl bei der
Wahl des Systems als auch der technischen Detaillösung.
Aus systematischen Gründen soll im Folgenden die Anpassung von Lösungen vor dem Hinter-
grund jeweils einer Schwerpunktsetzung an ökonomische, ökologische und soziale Belange
behandelt werden (vgl. auch die Einflussfaktoren aus Tabelle 3-1).
270
Dieser Fall datiert aus dem Jahre 1991 aus vertieften Prüfungen, die durch das Bayerische Innenmi-
nisterium, die Oberste Baubehörde (zu dem Zeitpunkt noch zuständig für Wasserwirtschaft) im Be-
reich der Zuwendungen Wasserversorgung vorgenommen wurden.
100 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
Hochbehälter – konnten die Kosten praktisch ohne Einschränkungen des Gebrauchswertes auf
fast die Hälfte (!) reduziert werden.
Konsequenz: Die größten Kostenunterschiede werden in der Planung der Grundstruktur gene-
riert. Dies ist in Abbildung 3-2 qualitativ dargestellt.
Abb. 3-2: Qualitative Darstellung des Einflusses verschiedener Realisationsphasen auf die Kosten von
Wasserinfrastrukturanlagen (basierend auf einer Darstellung, die von der ATV für Kläranlagenbau entwi-
ckelt wurde)
Beispiel falsche Technologiewahl: Ohne Rücksicht auf örtliche Verhältnisse werden in vielen
Ländern Schwemmkanalisationen nach europäischem Muster vorgesehen, auch wenn durch
Wassermangel z. B. in semiariden Gebieten diverse Probleme vorgezeichnet sind.
Konsequenz: Die Entscheidung für die Grundstruktur muss sich an den naturräumlichen Be-
dingungen orientieren. Dieses Problem ist bekannt. Es berührt die Wurzeln der Forderung nach
appropriate technology. Bemerkenswert ist, dass diese Fälle immer noch vorkommen. Damit
verwandt ist der Verkauf von Ladenhütertechnologie. Die Alternative sind Entwicklungen wie
ECO-SAN, d. h. alternative Abwassertechnologien.
Beispiel Kostenheterogenität: Bei einer Untersuchung271 in Bayern kam heraus, dass die
Kosten für Abfallentsorgungssysteme je nach Gemeinde erheblich schwanken. Trotz ver-
gleichbarer Situationen entstehen durch geschickte Planungen Einsparpotentiale (vgl. dazu
3.2.6.7).
Konsequenz Benchmarking: Benchmarking ist inzwischen zu einer wichtigen Maßnahme zur
Weiterentwicklung kostensparender Ansätze geworden. Dennoch wird noch zu wenig verglichen,
der Wettbewerb scheint im Ingenieurbau und Betrieb nur schleppend in Gang zu kommen.
271
Bauer 2004
3.2 Angepasste Technologie 101
Beispiel Unterbemessung unter Kostendruck: Je nach Konstellation kann auch der gegen-
teilige Fall der Unterbemessung eintreten, wenn die Kosten als Problem überwiegen und sich
mit der Umsetzung politisch keine Lorbeeren verdienen lassen. Auch dieser Effekt kommt
häufig bei Abwasseranlagen vor, aber auch bei Schutzanlagen wie für den Hochwasserschutz
oder bei Trinkwasserschutzgebieten.
Konsequenz transparente Risikoabschätzung: Diese Konstellation ist praktisch nur durch
ein hohes Bewusstsein oder verbindliche Vorschriften abzufangen. Hilfreich ist hier auch eine
hocheffiziente Planung, d. h. eine Reduktion der Kosten.
Beispiel Fehlerketten: Ebenfalls ein typischer Bemessungsfehler entsteht dadurch, dass Spei-
cher,- Pump- und Aufbereitungskapazität in der Wasserversorgung auf ein bestehendes leckes
System ausgerichtet werden. Typische Kennzeichen dafür sind exorbitant hohe spezifische
Verbräuche (in einem Fall in Rumänien 700 l/E*d, in einer Stadt in Usbekistan 1000 l/E*d).
Konsequenz umfassende Kostenabschätzung: Es kann tatsächlich sein, dass es zumindest
vorübergehend wegen der hohen Kosten der „leakage control“ keine Alternativen gibt. Aller-
dings erzeugen solche Verluste ihrerseits üblicherweise wiederum Folgeschäden an Straßen
und Gebäuden. Im Zweifelsfall wäre auf Grundlage einer kalkulierten Strategie die Reihenfol-
ge der Sanierung zu überdenken, d. h. zunächst Dichtung der größten Löcher272, Druckabsen-
kung, alternierende Versorgung und Ausrichtung der Aufbereitungstechnologie auf verminder-
te Durchschnittsmengen. Auch diesem Fehler liegt ein Prinzip zu Grunde, das am besten mit
dem Satz „Wir haben keine Zeit einen Zaun zu bauen, weil wir die Hühner einfangen müssen“
zu umschreiben ist.
Betrieb
Beispiel Ergonomie: Eine neu gebaute Kläranlage ist so konstruiert, dass zwischen dem Sand-
fang und einem Becken so wenig Platz blieb, dass keine Maschine den Sandfang mehr errei-
chen konnte. Nicht einmal für eine Schubkarre war Platz genug. Ein an sich winziger Fehler,
der dem Wartungspersonal die Arbeit aber so erschweren wird, dass früher oder später Prob-
leme (Versanden der Becken) auftreten werden. In der gleichen Anlage waren Prallwände in
den Beckeneinläufen in einem Abstand von 10 cm betoniert – eine Reinigung der Leitungen
war damit unmöglich. Eine ganze Reihe solcher kleiner Erschwernisse für den Unterhalt ma-
chen es unwahrscheinlich, dass die Anlage zufrieden stellend laufen wird.
Konsequenz Ergonomie als Planungsaufgabe: Anlagen müssen im Betrieb praktisch sein.
Was kompliziert oder unpraktisch zu bedienen ist, wird bald nicht mehr funktionieren.
Komplexere Zusammenhänge
Die nächsten Beispiele betreffen Probleme, die mit allen drei Nachhaltigkeitskriterien zusam-
menhängen:
Beispiel Lasten aus einem anderen Sektor: Der Wildbestand der bayerischen Alpen war
über Jahrzehnte hinweg zu groß. Die Folge davon war ein erheblicher Wildverbiss an den
jungen Bäumen, so dass für fast dreißig Jahre jeder Nachwuchs ausblieb. In der Konsequenz
brechen alte Wälder unter der Lawinenlast zusammen – neben der unmittelbaren Gefährdung
272
In einem Projekt in Lateinamerika wurde der Stadtverwaltung für diesen Zweck ein High-tech-Gerät
zur Lecksuche („Ultraschalldurchflussmesser“) angeboten. Der Leiter der Abteilung erwiderte, in sei-
ner Stadt bräuchte man zur Lecksuche kein High-tech-Gerät, sondern es würde eine Ente genügen.
Wo die laufe, sei kein Problem vorhanden, wenn sie aber anfange zu schwimmen….
3.2 Angepasste Technologie 103
durch steigende Lawinengefahr führt die verstärkte Erosionstätigkeit zur Überlastung der
Wildbachverbauungen.
Konsequenz transsektorale Betrachtung: Transsektorale Beeinflussungen, die wie in diesem
Falle besonders langsam ablaufen, sind schwer zu erkennen und noch schwerer zu beseitigen.
Den beschriebenen Effekt hat bereits der Journalist Horst STERN in seiner damals sehr popu-
lären Naturberichterstattung “Sterns Stunde“ in den 70-er Jahren geschildert. Erst 10 Jahre
später haben einzelne, ambitionierte Persönlichkeiten wie der Forstamtsleiter KORNPROBST
aus Schliersee begonnen, dagegen durch Verstärkung der Wildabschüsse etwas zu unterneh-
men. Der Streit mit der Jägerlobby ist bis heute nicht abgeschlossen, obwohl kein Fachmann
mehr die Notwendigkeit der Verbissverminderung bezweifelt und obwohl der Bayerische
Oberste Rechnungshof mehrfach auf die negativen Auswirkungen der Verbissschäden hinge-
wiesen hat.
Beispiel negative Konsequenzen in anderem Sektor: Eine günstige Lösung des Abwasser-
problems sind Abwasserteiche (Lagunas in Lateinamerika). Diese stellen aber auch eine latente
Gefahr dar, insbesondere in südlichen Breiten können sie Brutstätten für Krankheiten werden
(Malaria, Tsetse-Fliege). Diese Anlagen müssen also unbedingt in ausreichender Entfernung
von Ansiedlungen errichtet werden. Ggf. ist nach alternativen Systemen zu suchen.
Konsequenz integrale Planung, Beteiligung anderer Sektoren: Verblüffende Fehler, die
durch sektorales Denken entstehen, sind auch heute noch an der Tagesordnung. Dagegen kön-
nen in generalisierbaren Fällen Normen und Richtlinien helfen, in jedem Falle aber stellen
interdisziplinär zusammengesetzte Projektgruppen eine höhere Sicherheit dar.
Beispiel Strukturfehler in anderen Sektoren: Weltweit werden hohe Kosten durch die Be-
siedelung ungeeigneter Gebiete generiert. Einmal sind dies Streusiedlungen bzw. die Zersiede-
lung der Landschaft, die die Kosten für Infrastruktur treiben, daneben ist es die Besiedelung
von Gefahren- und Schutzzonen wie Hochwassergebiete oder Trinkwasserschutzgebiete, die
zum Teil erhebliche Kosten für die Gesellschaft generieren. Bedauerlicherweise wird auch
nach Schadereignissen die Infrastruktur oft an gleicher Stelle wieder errichtet.
Konsequenz integrale Planung: Bei der Konkurrenz zwischen einerseits Baulandpreisen, Lage
und Besitzverhältnissen und andererseits Gefährdung öffentlicher Güter bleibt das fern liegen-
de, seltene oder abstrakte Ereignis oft zweiter Sieger. Diese Fragestellung berührt den klassi-
schen Bereich des öffentlichen Bewusstseins, der ‚public awareness’
Beispiel Mehrkosten durch ökologische Schäden: Die Rohwasserentnahme für Trinkwasser
wird weltweit überwiegend aus Oberflächengewässern vorgenommen. Gleichzeitig sind die
Flüsse für die Abwässer Vorfluter. Üblicherweise gelten für diese Einleitungen strenge Grenz-
werte bis zur Entkeimung, die aber aus Kostengründen nicht eingehalten werden können. Statt
wenigstens Teile des Abwassers zu reinigen, wird gar nichts unternommen, oder die Abwässer
werden zur Entkeimung gechlort – mit problematischen Folgen für die Selbstreinigungskraft
der Flüsse.
Konsequenz Gesamtbilanzierungen: Der Abwassersektor wird auch bezüglich seiner Kos-
tenrelevanz auf der Immissionsseite nicht ernst genug genommen. Es müssen Gesetze mit
erreichbaren Standards gesetzt und darauf basierende günstige Reinigungsmethoden entwickelt
werden. Chlorung von Oberflächengewässern ist kritisch; besser ist es, Uferfiltrat zu verwen-
den.
104 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
273
BMU 2003
3.2 Angepasste Technologie 105
274
ATV 2002
275
Berg et al. 2002
106 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
In der Summe können sich erhebliche Mehrbelastungen für Baustoffe, Bauteile und Maschinen
ergeben.
So nimmt die Korrosion bei steigender Temperatur und gleichzeitiger Zunahme der relativen
Luftfeuchtigkeit oberhalb von ca. 65 % signifikant zu276. Dieser Vorgang wird durch Sonder-
beanspruchungen verstärkt, die sich in Deutschland vor allem in den Holzbaunormen abbilden,
in anderen Breiten aber durchaus auch Beton und Ziegel betreffen. Zu diesen Sonderbelastun-
gen zählen auch Konstellationen wie Sand (-stürme) und manchmal auch Schäden durch Tiere,
von diversen Krankheitskeimen über Termiten bis zum Waschbär.
KRÜGER277 stellt bereits 1956 ein Schema auf, das er „Ingenieurklima“ nennt und die Welt in
sieben technische Planungsräume aufteilt:
a. Die Kältezonen im Hochgebirge
b. Wohngebiete der gemäßigten Zonen
c. Länder mit Mittelmeerklima
d. Die Trockengürtel der Erde
e. Monsungebiete
f. Die Tropen
g. Das Meer als Planungsraum, Häfen
Für diese Zonen beschreibt er detaillierte Anforderungen und stellt die Forderung einer „Regi-
onaltechnik“ auf, deren Anwendung bereits damals im Klappentext so beschrieben wurde:
„Viele Fehler und Enttäuschungen hätten sich bei unseren Auslandsarbeiten vermeiden las-
sen, wenn man nicht immer den alten Fehler begangen hätte, die Verhältnisse in der Heimat
schablonenhaft auf ein anderes Land zu übertragen“.
276
Rostasy 1983, S.100 ff
277
Krüger 1956, S. 66ff
278
vgl.
3.2 Angepasste Technologie 107
„Anschließend beherrschten die Landnutzer wohl mit angepassten Feldfrüchten und Frucht-
folgen die Wasserhaushaltskomponente ‚Abfluss auf der Bodenoberfläche’. Bis zum Jahr 1958
und damit über einen Zeitraum von mehr als 4000 Jahren wurde starke Abflussbildung ver-
hindert. Schwache Abfluss- und Bodenerosionsereignisse ließen die Ackerterrasse auf einer
Breite von mehr als 80 Metern über 6 m hoch aufwachsen.“ Mao Tsetung ließ aber ab 1959 die
gesamte Bewirtschaftung auf ‚modernere’ Verfahren zur Ertragssteigerung umstellen und
verkündete gleichzeitig das Ende allen Hungers. „Die Bodenerosionsraten wuchsen – im Ver-
gleich zu den vier vorausgegangenen Jahrtausenden – am Oberhang um 1300 %, im etwa 2
km² kleinen Wassereinzugsgebiet um über 6000 %“. Versuche, die Lößböden durch neuere,
höhere Dämme zurückzuhalten, schlugen fehl: „Bis heute gelingt es den Bauern nicht, die
landnutzungsbedingt veränderte Komponente des Wasserhaushaltes – den Abfluss auf der
Bodenoberfläche – zu beherrschen. Nahezu jedes Jahr sind gravierende Ertragseinbußen zu
verzeichnen.
Erst in den späten 1990-er Jahren wuchs das Umweltbewusstsein. Im Jahr 1998 wurde ein
nationales Umweltprogramm erlassen. Ein Teil des untersuchten Einzugsgebietes wurde auf-
geforstet. Die Beweidungsintensität wurde drastisch vermindert; die betroffenen Landnutzer
wurden entschädigt. Dadurch nahm das Ausmaß von Abflussbildung und Bodenerosion an den
Hängen lokal ab. Jedoch werden die Felder in den Trockentälern nach wie vor episodisch
überflossen“. 279
Herausforderung Technikfolgenabschätzung: Es ist ein typisches Merkmal der nicht ökolo-
gisch angepassten Technologie, dass sie in natürliche Gleichgewichte eingreift (Eingriff) und
sie stört (ein dem Ursprungszustand ähnlicher Zustand tritt nach einer bestimmbaren Zeit wie-
der ein) bzw. labil macht. (Es entsteht ein Zustand der laufenden Veränderung).
Die Unterschiede liegen
• in der Zeitdauer, die die Labilität anhält,
• in der Differenz vom ursprünglichen Zustand und
• in der Qualität des neuen Zustands.
Wenn der neue Zustand in seiner Qualität dem vorherigen vergleichbar ist, war der Eingriff in
der Regel verträglich. Unverträglichkeit ist festzustellen, wenn sich ein deutlich verschlechter-
tes Gleichgewicht einstellt oder gar ein labiles System entsteht. Natürlich wird sich in jedem
Falle irgendwann wieder eine „natürliche Stabilität“ oder besser „natürliche Dynamik“ einstel-
len. Im Falle der Eintiefung von Alpenflüssen, Austrocknung von Süßwasserseen oder der
Klimaveränderung sind die neu entstandenen Systeme aber Ergebnis einer nicht angepassten
Technologie bzw. Verhaltensweise. Eventuell wären solche Fälle noch in der Qualität des neu
entstandenen Lebensraumes zu unterscheiden. Bei kleinräumigen Veränderungen gibt es häu-
fig den Fall eines Sekundärbiotops, das unter Umständen ähnliche Qualitäten wie das Ur-
sprungsbiotop haben kann.
Sobald Eingriffe durch die Größe des Einzelprojektes oder die Summenwirkung vieler kleiner
Eingriffe eine bestimmte Dimension annehmen, wirken sie nicht nur bezüglich der Natur,
sondern auch in ökonomischer und sozialer Hinsicht:
• Die Aralsee-Katastrophe hatte unter anderem die Zerstörung ganzer Wirtschaftsstrukturen
und riesige soziale Probleme zur Folge.
279
Bork 2005, S. 148ff
108 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
• Wirtschaftliche Folgen kündigen sich durch die Übernutzung und die Verunreinigung vie-
ler großer Grundwasservorkommen in der ganzen Welt, unter anderem in den USA, sowie
durch den Verbrauch der letzen Wasserreserven der Wüste an. Die Folgen werden unter
anderem den globalen Agrarmarkt verändern.
• Verunreinigungen der Oberflächengewässer produzieren erhebliche Folgekosten in der
Aufbereitung, weitere Folgelasten wie z. B. im Gesundheitssektor sind zu befürchten.
• Eine zusätzliche erhebliche gesellschaftliche Belastung entsteht in allen Welten durch die
nicht angepasste Inanspruchnahme von Auen und Uferbereichen, die unvorsichtigen Be-
gradigungen und sonstigen Veränderungen des Retentions- und Abflussverhaltens der
Landschaft. Dadurch werden Millionenkosten für Hochwasserschutzmaßnahmen, aber
auch für Wasserhaushaltsmaßnahmen wie Sohlstabilisierungen verursacht.
• Andere flächendeckende Effekte sind die hohe Belastung durch den anhaltenden Flächen-
verbrauch und durch landwirtschaftliche Intensivnutzung, der flächige Eintrag von Um-
weltchemikalien und
• der steigende Energieverbrauch – eine der größten Nachhaltigkeitslücken unserer Gesell-
schaft – zusammen mit den Stickoxyd-Emissionen und dem Abholzen der Tropenwälder,
was zur Klimaveränderung und damit zu tiefgreifenden, alle Bereiche der Natur und der
Zivilisation betreffenden Veränderungen führt (und sich spätestens über die Wetterdynami-
sierung wiederum auf den Wassersektor auswirkt).
280
So wurde nach D’EUGENIO (2004, Bericht zum Treffen der europäischen Wasserdirektoren zur
WRRL, Diskussionspapier) für die WRRL beschlossen, sozial-kulturelle Aspekte nicht als Teil der
wasserwirtschaftlichen Qualität sondern als Randwert oder Einschränkung eines wasserwirtschaftli-
chen Leitbildes zu definieren. Dies ist aus Sicht der Nachhaltigkeitsbelange der Agenda 21 problema-
tisch, weil dadurch sowohl ökonomische als auch soziale Belange übersehen werden können, wenn
sie sich nicht durch negative Einwirkungen auf die ökologischen Belange auffallen.
3.2 Angepasste Technologie 109
Tafel 8: Vier Reifegrade des Umgangs mit der Natur [nach SCHWARZ281]
Eine UVP kann auch die längerfristigen negativen Konsequenzen aufzeigen und transparent
machen, so dass sie Entscheidungsgrundlage werden können. Daraus entsteht der
Ansatz 3: Angepasste Technologie muss sich an den Kriterien der Umweltverträg-
lichkeit orientieren.
Die UVP selber muss aber auch an den Kriterien der A21 gemessen werden: Aufsetzend auf
der Methodik der Umweltverträglichkeitsprüfung bildet sich innerhalb der EU durch die An-
wendung der Richtlinie Natura 2000 zusammen mit der Vogelschutzrichtlinie und der FFH-
Richtlinie eine sehr konkrete Forderung an ökologisch angepasste Technologie. Diese hat
allerdings ihren Preis: Die aufgrund dieser Richtlinien verlangten Untersuchungen führen zu
einem erheblichen Mehraufwand der Planung und damit zu einer zunächst signifikanten Ver-
schlechterung der Effizienz. Weiterhin kann sich dadurch die Konstellation ergeben, dass zwar
die Überprüfung von Eingriffen (geplanten Projekten) auf ihren Anpassungsgrad in Bezug auf
die Ökologie perfekt sichergestellt ist, entsprechende Bewertungsvorschriften für sozial-
kulturelle Belange aber fehlen.281 Unter Umständen ergibt sich dadurch sogar ein Nachhaltig-
keitsdilemma.
Ein Beispiel einer schwierigen Abwägung unter Umweltgesichtspunkten - das Vorlandmana-
gement im Bereich bedeichter (größerer) Flüsse - wurde im bayerisch-österreichisch-
ungarischen Programm SUMAD282 (Sustainable use and management of alluvial plains in
diked river areas ) untersucht. Konkret bestand folgende Situation: An der bayerischen Donau
existiert unterhalb von Straubing auf ca. 60 km eine beidseitig geschlossene Bedeichung. Die
vorhandenen Deiche sind knapp bemessen und entsprechen nicht mehr einem HQ 100-Schutz
nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik. In den letzten Jahrzehnten hatte sich auf
den zum Teil breiten Vorländern Bewuchs (Auwald) wiederangesiedelt, gleichzeitig hat sich
281
Aus Wallacher 1999
282
http://www.ioer.de/ccp/pdf/1_Call %204_3 %20Kurzbeschr_SUMAD.pdf
110 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
die vorhandene landwirtschaftliche Nutzung gewandelt: ein Teil der Flächen ist verbuscht, auf
den übrigen wird viel mehr Mais angebaut.
Die Vorländer waren, wie die meisten Flussauen, als Natura 2000 und Vogelschutz bzw. FFH-
Gebiete ausgewiesen worden. Die Ursprungsquerschnitte waren 1926 ohne Bewuchs gerechnet
worden. Obwohl wiederholte eindimensionale Nachrechnungen der Hydraulik in den vergan-
genen 15 Jahren keine nachteilige Veränderung erkennen ließen, wurde beim Sommerhoch-
wasser 2002 ein im Vergleich zur gemessenen Wassermenge stark angestiegener Wasserstand
festgestellt. Ähnliche Beobachtungen wurden auch in Ungarn und Österreich gemacht. Im
Rahmen des Programms SUMAD wurden deshalb unter Verwendung der internationalen Er-
fahrungen Überrechnungen mit einem 2D-Programm durchgeführt. Unter anderem wurden
dazu Modellversuche zum Abflussbeiwert für Mais neu erarbeitet (Abbildung 3-3) bzw. auf
für Wald in einem anderen EU- Projekt aktuell ermittelte zugegriffen283. Das Ergebnis der
erneuten Berechnung erbrachte an der Donau, aber auch bei Vergleichsgewässern in Öster-
reich und Ungarn Wasserspiegellagenänderungen im Dezimeterbereich. In der Konsequenz
waren hinter den Deichen der Donau einige zehntausend Bewohner erkennbar einem deutlich
größeren Risiko ausgesetzt. Anderseits hatte gerade der Vorlandbewuchs zur Einstufung dieser
Bereiche als FFH-Gebiet gesorgt, als Auwald sogar als prioritäre Art. Eine aus technischer
Sicht wünschenswerte schnelle Beseitigung widerspricht damit den EU-FFH-Regularien.
Abb. 3-3: Modellversuch zum Einfluss von Bewuchs auf Vorlandflächen in bedeichten Flüssen mit Mais,
TU München, Versuchsgelände Obernach284
Die Konsequenz daraus ist ein Abwägungsdilemma, bei dem auf der einen Seite der FFH-
Schutz steht, auf der anderen die Deichsicherheit. Die EU-Richtlinien sehen für diesen Fall –
vor allem bei prioritären Arten – eine Reihe von Voruntersuchungen, Alternativprüfungen
usw. vor. Diese „Umweltverträglichkeitsprüfung“ ist im Sinne eines nachhaltigen Umgangs
zwar angebracht, müssen sich aber an den Bedingungen der Gesamtsituation orientieren.
283
Aus Meixner, Schnauder, Bölscher, Riparian Forrest, EU- QLRT 1999-1229, Wien 2003
284
aus: Hartlieb, Sperer 2005
3.2 Angepasste Technologie 111
– Dazu gehört, dass sich der Aufwand für Untersuchungen im Sinne der ökonomischen
Effizienz in Grenzen halten muss.
– Wegen der Konkreten Gefährdung sind langwierige Untersuchungen nicht vertretbar.
– Aus der Abwägung im Sinne der Tripel- Belange ergab sich letztlich ein Vorrang der
Sicherheit bei dieser Fallkonstellation285.
3.2.5.1 Zweckbestimmung
Beispiel Hochwasserschutzanlage: Der Hauptzweck ist der Schutz von Mensch und Gebäu-
den. Ein sozial-kultureller Nebenzweck ist die die Aufwertung der flussnahen Stadtviertel
durch die Verbesserung der Zugänglichkeit zum Wasser einschließlich damit verbundener
Freizeit- und Erholungseffekte sowie dadurch angeregte Aktivitäten der Hausbesitzer zur
Ortsbildverbesserung (Fassadenverschönerung usw.) bis hin zu einer Verbesserung des sozia-
len Umfelds.
Eine Wasserversorgung und Abwasserentsorgung sind als Teil der MDGs unbestritten
sozial notwendige Einrichtungen. Sie verbessern unmittelbar die hygienischen Verhältnisse
sowie bei einer Abwasserreinigung die Gewässerqualität. Nebenzweck kann die Neuordnung
der Erschließungsstrassen (oft in Slums bzw. Favelas) und an den saubereren Gewässern eine
bessere Erholungsfunktion sein. Auch hier wird ein Neben- oder Folgeeffekt oft eine Stabili-
sierung der sozialen Verhältnisse sein.
Kritisches Beispiel für einen Mangel an Anpassung an sozial-kulturelle Bedürfnisse ist der
viel zitierte Brunnen, der in einem Dorf in Afrika als Entlastung für die Wasser schleppenden
jungen Mädchen und Jungen erbaut wurde, was in der Konsequenz zu einem Wegbrechen des
Kommunikations- und „Hochzeitsvermittlungsplatzes“ Wasserstelle geführt hat. Ein anderes
Beispiel sind die in vielen Ländern vorhandenen (Sub-) Strukturen der Wasserverteiler oder
Müllsammler und Müllverwerter („Ventadores“), die einen eigenen Platz und Wert in der
Gesellschaft haben und nicht ohne weiteres durch Technologie ersetzt werden können.
KRAMMER definiert Technologie deshalb als ‚Technik unter Einbeziehung der wirtschaftli-
chen und gesellschaftlichen Voraussetzungen’286.
Es lässt sich zunächst eine Forderung ableiten, dass positive Nebenzwecke und Nebeneffekte
erkannt und gefördert werden sollen, allein schon aus Effizienzgründen, durchaus auch aus
Akzeptanzgründen. Beide Zielebenen lassen sich nur durch integrale Planungsansätze errei-
chen, d. h. durch bewusste Miteinbeziehung nichttechnischer, sektorfremder Belange.
Ansatz 4: Angepasste Technologie muss durch integrale Planung sozial-kulturelle
Hauptziele erfüllen und mögliche sozial-kulturelle Nebenziele und Nebeneffekte be-
rücksichtigen.
285
Als Lösung werden kurzfristig nach überschlägiger ökologischer Bewertung des Eingriffes Schneisen
ins Unterholz geschnitten und der Maisanbau zurückgenommen. Erleichternd wirkte, dass sich mittel-
fristig die Situation durch geplante Deichrückverlegungen und Deichanpassungen auch ökologisch
wieder verbessern wird.
286
Krammer 2004, S. 14
112 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
287
KfW 2004
3.2 Angepasste Technologie 113
288
Peters 2002, 182-182: PEBLDS = Paneuropäische Strategie der biologischen und landschaftlichen
Vielfalt (Pan-European Biological and Landscape Diversity Strategy - PEBLDS) Die Strategie
(PEBLDS) ist ein politisches Übereinkommen, das auf die Initiative des Europarates, der UN-
Umweltorganisation (UNEP) und des European Center for Nature Conservation (ECNC) zurückgeht.
Es wurde im Jahr 1996 von 55 Ländern unterzeichnet.
114 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
town
Das Bild definiert vereinfachend drei Zonen mit entsprechenden Präferenzen. Alle drei Nach-
haltigkeitsbelange müssen nach Möglichkeit in allen Zonen erfüllt sein, dennoch hat in jeder
Zone ein Belang eine besondere Präferenz. Mit der Zone geht üblicherweise auch eine Ein-
schränkung der freien Fließbreite des Gewässers einher. Eine angepasste Planung wird diese
Randwerte so berücksichtigen, dass
• keiner der Tripel-Belange zur Gänze versagt bzw. weggewürdigt wird,
• der Gesamtwirkungsgrad optimiert wird und
• damit sowohl die teleologischen wie die deontologischen Ziele290 erreicht werden.
Zone 1:
Hier liegt meistens die Hauptursache für die Planung: die Hochwassergefahr für wertvolle
bebaute Bereiche. Das Flussbett ist üblicherweise stark eingeengt. Oft genügt der verbliebene
Querschnitt nicht mehr, um den Bemessungsabfluss abzuführen. Die Konsequenz sind Planun-
gen mit hohen Mauern und günstigen hydraulischen Querschnitten.
Der verbleibende Raum für Ökologie ist gering, oft bleibt nur die Gestaltung der Sohle, vor
allem der Durchgängigkeit, und ein minimaler Uferrandstreifen. Vielleicht ist in Fließstrecken
mit etwas größerer Breite auch die Anlage von Trittsteinbiotopen möglich.
289
weiterentwickelt aus Grambow et al. 1998, S. 24
290
Teleologischer und deontologischer Ansatz bedeutet hier: „Welche Kultur(-landschaft) und welche
Lebensform wollen wir, wie ist eine gerechte Verteilung der Belange zu erreichen?“ (vgl. Kap.
2.1.1.2)
3.2 Angepasste Technologie 115
291
Diese erst seit ein paar Jahren übliche Technologie ist nicht ohne Probleme, weil sie auf ausreichende
Vorwarnzeiten und einen reibungslosen Aufbau angewiesen ist, von den unmittelbar technischen
Voraussetzungen wie Statik und Dichtheit einmal abgesehen. Allerdings erreicht man dadurch auch
einen wichtigen Nebeneffekt: Durch die jährlich einmal nötige probeweise Aufstellung der Anlagen
bleibt die Hochwassergefahr auch in hochwasserarmen Zeiten in der allgemeinen Erinnerung – im
Sinne der Hochwasservorsorge ein sehr zu begrüßender Effekt!
292
http://www.wasserwirtschaftsamt-muenchen.de/downloads/info_3_isarplan.pdf
293
Mills 1978, S.190
294
„Der Genuss der Naturschönheit und die Erholung in freier Natur, insbesondere das Betreten von
Wald und Bergweide, das Befahren der Gewässer und die Aneignung wild wachsender Waldfrüchte
im ortsüblichen Umfang ist jedermann gestattet. Dabei ist jedermann verpflichtet, mit Natur und
Landschaft pfleglich umzugehen. Staat und Gemeinden sind berechtigt und verpflichtet, der Allge-
meinheit die Zugänge zu Bergen, Seen und Flüssen und sonstigen landschaftlichen Schönheiten frei-
zuhalten und allenfalls durch Einschränkungen des Eigentumsrechtes freizumachen sowie Wander-
wege und Erholungsparks anzulegen.
116 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
295
BStMLU 1998
296
Stadtgeschichte von Hof an der Saale
297
UNESCO 2003a, S.143ff
298
http://www.wateryear2003.org/
3.2 Angepasste Technologie 117
keine Angaben über Flächen oder gar Kubaturen gibt299. In den USA wurde im ‚Clean Water
Act’ ein spezieller, strenger Schutz der Feuchtflächen verankert, nachdem auch dort landesweit
ein Rückgang um 50 % seit dem 18. Jhd. festgestellt worden war.300 In jedem Falle sind die
weltweiten Zahlen aber alarmierend. Zweifellos ist der Flächenrückhalt durch diese Eingriffe
zurückgegangen und trägt damit zu dem signifikanten Ansteigen der weltweiten (allerdings
überwiegend durch Anwachsen der Risikopotentiale durch Besiedlung kritischer Räume be-
dingten) Hochwasserschadenssummen bei. Mit dem Erhalt der Feuchtgebiete befasst sich
gezielt die Ramsar-Kommission301. Ein weiterer durch das WWAP ermittelter Parameter ist die
Unterbrechung der Durchgängigkeit, wobei für 60 % der 227 weltweit größten Flüsse eine
starke „Fragmentierung“ durch Querbauwerke angegeben wird.
Als Fundamentalerkenntnis hat sich inzwischen bezüglich der Wassermengen- wie auch Was-
sergütewirtschaft der Oberflächengewässer ein sehr griffiges Ergebnis herausgestellt, das als
Ansatz analog der Formulierung der Ergebnisse der Dachinitiative SUMAD heißt:
Ansatz 5: Flüsse brauchen Platz (Rivers need Space).
Ohne Raum bzw. Raumordnung wachsen die Probleme an Gewässern überproportional, so-
wohl was den Aufwand, die Kosten, den Eingriff durch Maßnahmen und die bei Versagen
eintretenden Schäden anbelangt. Der hauptsächlich zu betrachtende Raum kann dabei auf den
Hochwasserabflussbereich reduziert werden. Dabei legen die üblichen Charakteristika der
Abflusskurven nahe, einen Bereich zwischen der hundertjährigen und zweihundertjährigen
Anschlaglinie als Mindestgrenze zu betrachten. Diese Herangehensweise ist auch innerhalb der
Alpenstaaten üblich geworden. Das Problem liegt allerdings in der Definition dieser Bereiche.
Rechnungen sind hier sehr aufwändig und besonders für die vielen kleinen Gewässer kaum
durchführbar. Im Vergleich: auf 7000 km „größere“ Gewässer in Bayern (definiert durch die
Ausbaulast des Staates) kommen über 60000 km kleine (Gewässer III. Ordnung)302. Eine rech-
nerische Feststellung der Überschwemmungsgebiete ist hier enorm aufwändig303, allerdings
auch begründet durch die in Deutschland verlangte Rechtssicherheit dieser Ermittlungen. Ohne
eine Feststellung der Hochwasserabflussbereiche bleibt die Forderung nach Raum für die Ge-
wässer aber inhaltslos.
Als Lösung könnten in erster Näherung in vielen Bereichen eine Bestimmung aufgrund von
Abschätzungen genügen, insbesondere bei im Relief eindeutigen Bereichen wie Kerbtälern
und Hochufern. Einen bahnbrechenden Ansatz hat man in Bayern mit dem sog. Auenpro-
gramm304 gefunden. Die Aufgabe ist, die Auen und Feuchtstandorte bayernweit zu kartieren
und zu inventarisieren. Dazu wurden unter anderem die Ergebnisse der Bodenkarten dergestalt
ausgewertet, dass „wasserbeeinflusste Böden“ definiert und dargestellt wurden, also Böden,
die von ihrer Zusammensetzung auf ehemalige und regelmäßige Überschwemmungen und
299
Für die bayerische Donau sind 50 % bis 80 % Verlust an Überschwemmungsgebieten aber eine gute
Schätzung; bezogen auf das gesamte Einzugsgebiet dürfte der Prozentsatz deutlich unter 50 % liegen,
autorisierte Zahlen dazu liegen aber nicht vor
300
Peters et al.2002, S.160 ff
301
http://www.ramsar.org/wwd2003_bkgdpaper_e.htm
302
Nach besser auflösenden GIS Karten wird vom LfW zum Stand 2005 sogar von 95000 km ausgegan-
gen.
303
Im Zusammenhang mit der Novellierung des WHG wurden die Kosten der Ermittlung der Ü- Gebiete
in Bayern an den kleineren Gewässern (an den großen sind sie überwiegend vorhanden) auf 70 bis
200 Mio. Euro geschätzt.
304
Kraier 2004
118 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
Abb. 3-5: Probleme mit der Abwasserbeseiti- Abb. 3-6: Schlammbildung durch mangelhafte
gung, Offene Abwasserableitung [Aufnahmen Drainage von Abwasser und Regenwasser [Auf-
Recife, Projekt SESAN] nahme wie links]
305
Loipersberger et. al. 2004
3.2 Angepasste Technologie 119
Als Konsequenz und in Übereinstimmung mit den aktuellen Erkenntnissen der UN wird for-
muliert:
Ansatz 7: Die geordnete Abwasserableitung und nach Möglichkeit die Behandlung
von Abwasser muss gleichzeitig mit der Wasserversorgung erfolgen. Der übliche
Weg, zunächst nur die Wasserversorgung zu installieren, ist nicht nachhaltig und
widerspricht der Menschenwürde.
306
Ein populäres Beispiel dazu sind EU-Regelwerke auf dem Nahrungsmittelsektor. Berühmt wurde die
Verordnung (EWG) Nr. 1677/88 der Kommission vom 15. Juni 1988 zur Festsetzung von Qualitäts-
normen für Gurken, Amtsblatt Nr. L 150 vom 16.06.1988, die unter anderem den zulässigen Krüm-
mungsradius von Handelsgurken regelt.
307
Gutes Beispiel ist das ATV – Regelwerk. So wurden im Rahmen eines vom UBA mitfinanzierten
Projektes Teile des Regelwerkes in polnisch, tschechisch und ungarisch übersetzt. TTW hat 2002 zu-
sammen mit Sponsoren das Klärwärter – Taschenbuch, ein Standardwerk der Abwasserwirtschaft, ins
Russische übersetzt.
308
Kahlenborn et. al. 1999, S.190-191
309
was zwar eine im Sinne der Technikevolution interessante Idee ist, aber aus Sicht der Effizienz nicht
wirklich zu raten. Im internationalen Raum besteht diese Konkurrenz durchaus zwischen den ver-
schiedenen in den Ländern bereits parallel entwickelten, vorhandenen Normen. Es stellt sich bei die-
ser Vorgehensweise aber die Frage der Angepasstheit.
120 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
Der Kritik an der mangelnden Transparenz der Entstehung bzw. Einbindung nichttechnischer
Beteiligter schließt sich der SRU in seinem Gutachten von 2002310 an.
Im Sinne der Effizienz sollten Normen international nach Möglichkeit harmonisiert bzw. ko-
piert werden, um zu vermeiden, dass bereits vorhandene Lösungsansätze immer wieder neu
entwickelt werden. Gleichzeitig müssen Normen an regionale Bedingungen im nötigen Maße
angepasst werden. Eine besondere Fehlerquelle liegt in den international unterschiedlichen
Dimensionen.
Normen und Regeln haben naturgemäß eine träge Entwicklung, die sich in Einzelfällen als
innovationshemmend erweisen kann. Eine besondere Gefahr ist der Missbrauch mit wirtschaft-
lichem Hintergrund, d. h. die Bevorzugung einer bestimmten Technologie. Dem ist nur durch
eine paritätische bzw. neutrale Besetzung der Gremien und hohe Transparenz zu begegnen.
Ein zweites mögliches Problem ist eine Überregulierung, der durch regelmäßige Evaluierung
und Kritik zu begegnen ist311.
Ansatz 8: Normen und Regelwerke tragen erheblich zur technischen Qualitätssiche-
rung und Effizienz bei. Dazu müssen Normen aber angepasst, übersichtlich und ak-
tuell sein.
310
SRU 2002
311
SPÖRL et. al. 1985: wurden versuchsweise von bayerischen Baureferendaren vor dem Hintergrund
der Kritik an komplizierten Regelwerken die Regeln zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen
in offiziellen Loseblattsammlungen und handelsüblichen Büchern zusammengestellt. Ohne Anspruch
auf absolute Vollständigkeit ergaben sich damals ca. 2 m Regalstrecke. [unveröffentlicht]
3.2 Angepasste Technologie 121
Ansatz 9: Der Bereich Aus- und Fortbildung ist als Ziel zu definieren, strategisch zu
planen, als Daueraufgabe durchzuführen und in seiner Qualität zu sichern.
312
Vodokanal und Agrovodokanal sind insofern eine Mischinstitutionen, als sie gleichzeitig sowohl als
technische Behörden wie auch als Betreiber im operativen Geschäft der Siedlungswasserwirtschaft
arbeiten.
313
Ein Hinweis auf das Verständnis der Art der Aufgabe ist das vor allem im 18tn und 19tn Jahrhundert
typisch militärisch anmutende Auftreten vieler Verwaltungen und Fachstellen. Die großen Infrastruk-
turmaßnahmen wurden mit der gleichen Logistik angepackt wie in der Armee. Eine nicht zufällige
Parallele besteht in den USA, wo speziell der Wasserbau bis heute sogar Teil der Armee selber ist:
Der wasserwirtschaftliche Sektor wurde mit dem „River and Harbor Act“ 1824 eigenständiger Teil
des 1775 gegründeten Army Corps of Engineers. Diese Organisationsform besteht bis heute. Ein Bei-
spiel für die Entwicklung der Wasserwirtschaftsverwaltungen im neuzeitlichen Europa ist die bayeri-
sche Wasserwirtschaftsverwaltung. Sie ist in ihrer heutigen Form durch Reform und Zusammenle-
gung aus mehreren Fachstellen wie einem Büro für Wasserversorgung, einer Landesstelle für Hydro-
logie, Ämtern für Flussbau, für Kulturbau und Wildbachverbau entstanden, die ihre Wurzeln zum
Teil im Ende des 18. Jahrhunderts haben.
3.2 Angepasste Technologie 123
314
Bayerischer Landtag, 15 Wahlperiode, Anhörung zum Thema „Verwaltungsreform im Geschäftsbe-
reich des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz“, 27. Mai
2004, Landtagsamt München 2004
315
Zuwendungsverfahren = Verfahren zur Haushaltskonformen Ermittlung und Verteilung (staatlicher)
Zuwendungen
124 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
Ein Beispiel für eine erfolgreiche Umsetzung ist eine oberbayerische Firma319, die seit
Jahrzehnten mit der Technischen Universität München angepasste Lösungen entwickelt.
So wurde die ECOSAN- Idee durch die Entwicklung marktreifer dezentraler Klärtechnik
auf der Basis von Membranen und Filtern erheblich weiterentwickelt320, aber es wurden
auch günstig wirkende mechanische Anlagen konstruiert.
316
Pessimistisch gesehen könnte die Globalisierung auch dazu führen, dass weltweit eine jeweils vom
Hauptproduzenten beeinflusste Einheitstechnik produziert wird, d.h. Computerprogramme wären
dann besonders auf die indische Denk- und Handelsweise ausgelegt, Unterhaltungselektronik „denkt“
asiatisch und so weiter.
317
http://www5.gtz.de/gate/
318
http://www2.gtz.de/ecosan/
319
Huber Technologie, Berching
320
Huber 2003, Wasserreport, Berching
3.2 Angepasste Technologie 125
Ingenieure „vor Ort“ hatten diese Information nicht erhalten. Der Informationsfluss von den
Entwicklern zu den planenden Büros ließ in diesem Fall zu wünschen übrig.
Umgekehrt liegt der Verdacht nahe, dass auch der Informationsfluss in die andere Richtung
nicht immer gegeben ist. Statistiken über die Zahl nicht verwendeter Problemanalysen der „vor
Ort-Arbeit“ liegen naturgemäß nicht vor. Es besteht deshalb eine dringende Vermutung321,
dass die Kommunikation zwischen der praktischen Anwendung und der Entwicklung noch
verbessert werden kann.
Ansatz 12: Hochwertige technische Lösungen entstehen durch die permanente und
institutionalisierte Rückkopplung zwischen breiter praktischer Erfahrung in der
Umsetzung und entwickelnden und forschenden Einrichtungen.
Abb.3-7 beschreibt den Vorschlag eines Kreislaufs, bei dem Entwicklungs- und Forschungs-
bedarf zunächst firmenintern, aber Bedarfsweise auch innerhalb eines Verbundes kommuni-
ziert und einer Lösung zugeführt werden können. Wesentlich ist, dass die so gefundenen Prob-
leme und Lösungen allen Mitgliedern des Clusters verfügbar gemacht werden.
Netzwerke,
Ecosan,
Consultant (im
Zulieferer Universitäten,
internat.Projekt)
Institutionen,
Forschung und
Forschungs-
Produkt
(angepasst) Entwicklung Einrichtungen
Staatliche
Stellen
Einem solchen System könnten unter anderem organisatorische wie konkurrenzbedingte Be-
denken entgegenstehen. Allerdings verfährt zum Beispiel die Autoindustrie durchaus in diesem
Sinne. In der sog. BAIKA-Initiative, einem Verbund unter der Leitung von Bayern Innovativ,
sind über 1400 Unternehmen des Automobil-Zuliefersektors zum weltweit größten Cluster
dieser Branche zusammengeschlossen.
321
Diese Ansicht wurde auf einem Kongress von Bayern Innovativ über internationale Zusammenarbeit
im Umweltsektor 2002 in Augsburg zur Diskussion gestellt und vom dort anwesenden Fachpublikum
überwiegend geteilt.
126 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
322
Internetseite von BAIKA: http://www.baika.de/portal/baika_ziele_und_aufgaben,15083.html
323
Rödl und Partner 2003, S.5
324
Rödl & Partner 2003, S. 9
3.2 Angepasste Technologie 127
Kostengruppen in Wasserinfrastrukturunternehmen
Gesamtkosten
Planung
Bau
Betrieb
Instandhaltung
Abb. 3-8: Darstellung der Kostentypen in einer Wasserversorgungsanlage nach RÖDEL et. al.
Neben grundlegenden Ergebnissen, die an einigen Stellen auch in der vorliegenden Arbeit
zitiert sind, enthielt die Studie zahlreiche Hinweise auf mögliche Detailverbesserungen, die
natürlich von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich waren. Diese Ergebnisse sind so
offensichtlich interessant, dass daraus abzuleiten ist:
Ansatz 13: Die Leistungsfähigkeit der Technologie sollte laufend aufgrund eines
formellen oder informellen Benchmarks überprüft und weiterentwickelt werden
(Kontinuierlicher Verbesserungsprozess KVP)
Einen weiteren Ansatz für eine Verbindung von Netzwerken und Benchmarking verfolgt
BAUER325: In einem vom bayerischen Umweltministerium geförderten Projekt haben sich ca.
70 deutschsprachige Gemeinden in einer Plattform zum Thema Abfallentsorgungsanlagen
zusammengeschlossen. Die Teilnahme ist freiwillig. Der Inhalt des internetbasierten Forums
(ForumZ) sind Kenndaten zu Konstruktion, Leistung und Kosten von Abfallbeseitigungsanla-
gen. Die Plattform unterhält vier Rubriken:
• Neues Wissen schaffen,
• Aktuelles Wissen nutzen,
• Wissen strukturieren und
• Wissen teilen und anbieten unter shop&share.
325
Bauer 2003
128 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
Der zunächst wichtigste Prozess war ein Benchmarking, dass die in Abb.3-9 dargestellte, er-
staunlich hohen Bandbreite der Kosten deutlich machte. Es traten hier bei im Grunde ver-
gleichbaren Gemeinden Kostenunterschiede von Faktoren 2 bis 3 auf. Auch wenn sich das
Bild über die verschiedenen Abfallsorten etwas ausmittelt, sind dies doch bemerkenswerte
Ergebnisse. Aus den vergleichbaren Untersuchungen im Wasserbereich lässt sich mutmaßen,
dass die Kostenunterschiede dort nicht so groß sind, Spannen von 30 % dürften aber auch hier
auftreten. Der Vergleich (Benchmarking) lohnt also.
BAUER entwickelt daraus eine Systematik einer besseren Wissensvernetzung. Die Idee baut
auf sogenannten Wissensbausteinen auf; das sind zum Beispiel Entwürfe für bestimmte Be-
handlungstechniken oder Managementschritte, die in einem internetbasierten Forum mit ihren
Kenndaten angeboten werden und – wie in einem Schaufenster – vergleichbar werden. Bei der
Zuliefererbranche ist diese Vorgehensweise normalerweise im Rahmen von Information des
firmeneigenen Materials üblich (Prospekte). Bei komplexeren Infrastruktureinrichtungen gibt
es solche Darstellungen praktisch nur in Form von Referenzen, die zwar die Existenz einer
Anlage oder Lösung belegen, über deren Wirkungsgrad aber nichts aussagen.
Echte Vergleichstests sind (in beiden Bereichen) selten. Die Benchmarks, die inzwischen vor
allem im Wasserversorgungssektor begonnen wurden, sind ein Schritt in diese Richtung. Al-
lerdings bleiben diese Untersuchungen üblicherweise intern. Hier beschreitet der Ansatz von
326
Nach Bauer 2003
3.2 Angepasste Technologie 129
BAUER insofern Neuland, als der Vergleich und die dahinter stehende Technik auch Dritten
verfügbar gemacht wird. Wegen des innovativen Ansatzes wurde dieses System inzwischen
mit finanzieller Unterstützung der GTZ auch für den lateinamerikanischen (spanischsprachi-
gen) Markt zur Verfügung gestellt.
Das Ziel dieser Art des Vergleichs von komplexen Lösungen ist die Kostensenkung. Es ist
aber nicht trivial, aus den Kenndaten (Anlagentyp, Größe, Aufbau, Komponenten, Investiti-
ons- und Betriebskosten) Leitlinien für folgende Anlagen zu entwickeln. Dazu sind die lokalen
Einflüsse normalerweise zu unterschiedlich. Dennoch könnte diese Vorgehensweise die tech-
nische Entwicklung fördern. Dabei sind zwei Effekte wichtig:
• Gute, innovative Lösungen werden besser bekannt gemacht.
• Die Leistungen verschiedener Grunddesigns werden transparenter, schlechte Lösungen
fallen ebenso auf wie gute.
Es gibt allerdings auch Probleme:
• Wenn die Projektbeschreibungen Blaupausen liefern, wird „geistiges Eigentum“ der De-
signentwicklung zu sehr günstigen Preisen weitergegeben, vor allem, wenn der Kunde
nicht, wie bei diesem System vorgesehen, die Detailplanung dann vom ursprünglichen
Schöpfer des Designs durchführen lässt, sondern die Idee einfach nimmt und selber weiter-
entwickelt. (Durch den offenen Vergleich wird besonders deutlich, worin das Erfolgsrezept
eines bestimmten Designs steckt.) Das kann unter Umständen auch innovative Kraft hem-
men und zudem nicht den gewünschten Erfolg bringen, wenn wichtige Details der guten
Lösung nicht erkannt werden.327
• Die Daten der Vergleiche müssen stimmen. Oft werden aus geschäftlichen oder politischen
Gründen Ergebnisse „ geschönt“.
• Einflussfaktoren wie Langlebigkeit (macht Anlagen längerfristig rentierlich) oder nichtmo-
netäre positive und negative Wirkungen werden nicht unbedingt abgebildet.
In jedem Fall muss mit den Ergebnissen solcher Vergleiche vorsichtig umgegangen werden.
Dennoch überwiegen wahrscheinlich die positiven Ergebnisse durch die bessere Vergleichbar-
keit und Transparenz der Ergebnisse. Solche Systeme könnten ein wichtiger Motor des nach-
haltigen Fortschritts werden, wenn mit diesem Instrument entsprechend verantwortungsvoll
umgegangen wird328.
327
Abhilfe könnte u. U. durch Gebrauchsmusterschutz oder Patente, eventuell auch über AGB in den
Internetseiten geschaffen werden.
328
Eine ähnliche Wirkung haben natürlich die „konservativen“ Messen und Kongresse. Der Vorteil hier
ist die unmittelbare interaktive Kommunikation über die Ergebnisse. Die Zielrichtung ist dabei
gleich: Vorstellen von innovativen, kostengünstigen (nachhaltigen) Lösungen und entsprechende
Verbreitung.
130 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
Die Ausschreibung eines fest umrissenen Baukörpers birgt kaum Probleme. Aufgrund der
systemimmanenten Komplexität der Infrastruktureinrichtungen nimmt aber bei umfassenden
Ersterschließungen oder Komplettsanierungen der Aufwand für die Ausschreibung, Angebots-
erstellung und die Beurteilung der Lösungsvarianten überproportional zu.
Die klassische Ausschreibung (in Deutschland) geht deshalb schrittweise vor.
Bis vor zehn Jahren wurden in Deutschland bei öffentlichen Aufträgen Ingenieurverträge als
„geistige Leistung“ überhaupt nicht ausgeschrieben, sondern direkt an ein Ingenieurbüro des
Vertrauens vergeben und nach der HOAI329 abgerechnet. Dies wurde im Idealfall in einem
interaktiven Prozess zwischen Auftraggeber (i. d. R. Kommune) und Büro, evtl. unter Ein-
schaltung von Fachstellen entwickelt. Die so entwickelten Lösungen waren überwiegend an-
gepasst. Allerdings nimmt nach HOAI das Ingenieurhonorar mit steigenden Kosten zu, ein
„sparsames“ Büro schmälert das eigene Einkommen. Es besteht also für den Planer nur ein
sehr bedingter Anreiz zum kostensparenden Planen.
Schlechte Erfahrungen mit manchmal überteuerten Lösungen und die EU-Wettbewerbsvor-
schriften haben bewirkt, dass Ingenieurleistungen heute ausgeschrieben werden müssen –
allerdings immer noch auf der Grundlage der Leistungsphasen und Systematik der HOAI. Das
heißt, dass sich finanzielle Unterschiede nur bei den angebotenen Nebenleistungen ergeben.
Ein Vergleich von angebotenen Lösungen kommt so im Grunde immer noch nicht zustande.
Es gibt aber Sonderformen wie den o. g. Ideenwettbewerb, die aber wegen des hohen Auf-
wands selten genutzt werden.
• Als in Einzelfällen recht erfolgreich hat sich die nachträgliche Wertung eines Entwurfes
durch ein zweites Büro oder eine andere unabhängige Prüfungsinstanz erwiesen. In staatli-
chen Zuwendungsprogrammen kann bei entsprechender qualitativer und quantitativer Be-
setzung noch die fördernde Behörde eine entsprechende Kontrollfunktion übernehmen.
Grobe Fehler werden dabei schon aus haushaltsrechtlichen Gründen aufgedeckt. In einem
beispielhaften Vergleichsfall bei einer Abwasseranlage in Nordbayern konnte durch ein
weiteres eingeschaltetes Büro330 dennoch nach der Prüfung durch den Zuwendungsgeber
eine (weitere) relevante Kosteneinsparung erreicht werden, obwohl der Ursprungsentwurf
qualitativ schon sehr gut war. Möglicherweise wird bei dieser Art der Prüfung einfach nur
der Vorteil des Mehr-Augen-Prinzips eingearbeitet. Bau und Lieferung wird dann aufgrund
des vom Büro entwickelten Entwurfes nach öffentlicher Ausschreibung vergeben.
• Einen ebenfalls strikten Ansatz verfolgt die Funktionalausschreibung, bei der nicht das
Bauwerk, sondern nur der „Erfolg“ ausgeschrieben wird. Das Verfahren klingt aber einfa-
cher, als es ist: In der Ausschreibung muss nicht nur die bloße Funktionalität beschrieben
werden, sondern eine Fülle von weiteren Qualitätsparametern, die sich auf die laufenden
Kosten, die Verlässlichkeit, die Langlebigkeit, den Komfort, die Anpassungsfähigkeit und
andere denkbare Eigenschaften der Lösung beziehen. Auf der Angebotsseite muss jeder
Bieter die komplette Anlage, eventuell mit mehreren Alternativen planen und kalkulieren.
Der Ausschreibende muss diese Angebote dann noch auf ihre tatsächliche Tauglichkeit und
Entsprechung mit den ausgeschriebenen Eigenschaften prüfen.
329
HOAI = Honorarordnung für Architekten und Ingenieure
330
Tatsächlich war es eine erbetene und vergütete Beratung durch einen Prüfer des kommunalen Prü-
fungsverbandes.
3.2 Angepasste Technologie 131
331
BOT = build, operate, transfer (bauen, betreiben, Abgabe nach einer bestimmten Konzessionszeit)
332
BOO = build, own, operate (Wie BOT, aber ohne Ablauf der Konzession)
333
So ist immer wieder die Referenzliste besonders anfällig für solche Effekte: Über Handelsbeschrän-
kungen wie Versicherungs- und Steuernachweise können internationale Büros mit Sitz im Ausland
gebremst werden. Um die Gründung von Töchtern in den Ländern zu verhindern, werden Referenzen
in der Sache und im Einsatzland verlangt, und dabei die Referenzen der Mutter nicht anerkannt.
Schon ist der Markt dicht.
132 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
jekt befassten Persönlichkeiten an (die Weltbank behält sich z. B. die Akzeptanz der einge-
setzten Experten ausdrücklich vor, u. U. kommt es zu Auswechselungen während der Pro-
jektlaufzeit).
• Um neben den Investitionskosten auch die Kosten des laufenden Unterhalts einrechnen zu
können, müssen die Gesamtkosten über die Gesamtlebenszeit der Einrichtung angesetzt
werden (life cycle costs). Dieser Ansatz sollte nach Möglichkeit auf die Nachhaltigkeit be-
zogen werden, also „sustainable life cycle costs“.
Ansatz 14: Der Auftraggeber für Infrastrukturleistungen sollte selber fachkundig
und in der Lage sein, die für die individuellen Situation am besten geeignete Art der
Ausschreibung zu bestimmen. Die Kosten sind auf die Lebenszeit der Anlagen und
auf alle Tripel- Belange zu beziehen.
3.3 Management
Besseres Management steht im Zentrum der internationalen Diskussion um den Wassersektor.
Analog der Ausführungen zum Effizienzmanagement sind zwei Ebenen zu unterscheiden:
Analog der Zuordnung des Effizienzmanagements in politisch-gesellschaftliches und betriebli-
ches Management zählen sowohl Staatsführung (Wasser-Ressourcenmanagement) als auch die
Entwicklung von großen Projekten zum normativen334 Management, die Organisation und die
damit verbundenen Aufgaben dagegen zum betrieblichen oder operativen335 Management.
Management
– ist die systematische Ordnung und Steuerung von Arbeitsabläufen innerhalb einer Organi-
sation.
– betrifft im Wassersektor sowohl den öffentlichen wie den privaten Bereich.
– findet in zwei Maßstäben statt, der Gesamtorganisation bzw. Ordnung auf überbetrieblicher
Ebene (strukturelles bzw. normatives Management) und dem Erledigen einer bestimmten
Teilaufgabe auf betrieblicher Ebene (operatives Management).
Analog der sehr weitgehenden Definition des Begriffes der angepassten Technologie, der so-
wohl die Anpassung an klimatisch-kulturelle Unterschiede als auch die Anpassung an die
Nachhaltigkeitskriterien umfasst, ist es schlüssig, von einem angepassten Management (ap-
propriate management) zu sprechen. Der Anwendungsbereich des appropriate management
334
In Anlehnung an das St. Galler Management – Modell wird der Begriff des normativen oder struktu-
rellen Managements als Synonym eines langfristigen strategischen, d.h. im öffentlichen Raum politi-
schen Managements verwendet, das sich nach der Wikipeda-Definition „mit den generellen Zielen
der Unternehmung, mit Prinzipien, Normen und Spielregeln beschäftigt, die darauf ausgerichtet sind,
die Lebens- und Entwicklungsfähigkeit der Unternehmung [hier: der Gesellschaft] zu ermöglichen"
(Bleicher 1996, S. 73). Auf der normativen Managementebene legt eine Organisation ihre Unterneh-
menspolitik, Leitsätze / Leitlinien, Grundsätze und Unternehmens-Standards fest. Vgl. hierzu auch
'Verantwortung der obersten Leitung' in DIN EN ISO 9000/9001
335
Analog wird im Weiteren das auf einen abgeschlossenen Betrieb, sei er öffentlich oder privat, bezo-
genen Management als betrieblich oder operativ bezeichnet (das auf seiner Ebene natürlich auch
normative und strategische Entscheidungen beinhaltet, die aber hier als solche nicht angesprochen
werden).
3.3 Management 133
umfasst das normative Management, zum Beispiel der Staatsverwaltung (good governance),
wie auch das betriebliche Management in einem privaten oder öffentlichen Betrieb. Im Was-
sersektor treten zudem wegen des hohen öffentlichen Anteils des Aufgabenbereichs oft Misch-
formen zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Strukturen auf.
Nach Kap. 3.2 ist Management impliziter Teil jeder angepassten Technologie, wie in Kap.
2.2.2.1 gezeigt, sind im Wassermanagement sowohl starke wirtschaftspolitische als auch sozi-
alpolitische Interessenlagen zu berücksichtigen.
ten, vor. Allerdings sind Art und Einfluss der gegenseitigen Abhängigkeiten typischerweise
zunächst nicht immer erkennbar oder sogar von einer gewissen Zufälligkeit (zum Phänomen
der Zufälligkeit solcher Prozesse wird auf die Analogien der Chaostheorie, insbesondere in
3.3.4.1 ab Seite 170 verwiesen).
1 Stärken- und Schwächenanalyse, d. h. die Struktur und ihre Probleme verstehen (sortieren) und
beurteilen (evaluieren).
2. grundsätzliche Aufgabenzuteilung, d. h. prinzipielle Klärung für die gesamte Struktur und für ihre
Teilunternehmen, z. B. auf welcher Ebene bzw. ob die betrachteten Aufgaben privatwirtschaftlich
oder öffentlich-rechtlich erledigt werden können und
3. Grobstrukturierung, d. h. Klärung, in welcher Detailform und Struktur dies am effizientesten
erledigt werden kann.
4. Ausgangspunkt: prinzipiell die vorhandenen Strukturen als ersten Anknüpfungspunkt zu nehmen
und weiterzuentwickeln, dabei
5. Leitplanken: extreme Weiterentwicklungen, die im betrachteten kulturellen Raum nicht verankert
beziehungsweise mit den ethischen Vorstellungen der UN nicht vereinbar sind, ausschließen.
(Nichtnachhaltige Lösungen, z. B. die Versorgung der Armen, aus Kostengründen einzustellen,
Grundwasservorkommen übernutzen, Krieg usw.)
6. Fokussierung: Aus der örtlichen Gesamtsituation können dann besondere Parameter des Bedarfs
als Aufgabe identifiziert und als Merkmale eines Erfolges indiziert werden. (Beispielsweise ist die
Aufgabe nicht, eine bestimmte Organisation zu reformieren, sondern zusätzlich eine bestimmte An-
zahl Einwohner mit Wasser zu versorgen, das Abwasser zu behandeln usw.).
7. Optimierung: Im Detail (also innerhalb der Organisationen auf der internen bzw. betrieblichen
Ebene) können dann Optimierungen der Umsetzung anhand von gezieltem Einsatz passender Ma-
nagementtools erreicht werden.
Tafel 10: Eckpunkte eines iterativen Konzeptes zur Reorganisation von Systemen des Wassersektors
Zum Design der Gesamtstruktur ist deshalb gerade bei besonders umfassenden Projekten ein
iteratives Verfahren kaum zu umgehen. Die GWP führt dazu in der tool-box zu Reformprozes-
sen unter lessons learned einige Argumente an:
– „Reform is a dynamic, iterative process and the only certainty is change itself.
– Not all necessary reforms can be done at the same time – it is important to decide on pri-
orities and a sequence of actions to suit those priorities.
– In any reform, regulation of service providers, both public and private, is a key element
and regulators must be independent and strong.”336
Selbst bei genauer Vorplanung werden sich große Reformprozesse auch nach dem realen Start
„in situ“ wegen der hohen Komplexität über längere Zeiträume dynamisch weiterentwickeln.
Je tiefer ein Vorhaben in die Systemik337 eingreift, sei es in gesellschaftlicher Hinsicht, sei es
bezüglich der Umweltbedingungen, desto komplexer, dynamischer und schwerer vorausplan-
336
GWP 2005, B1.01, wurde bemerkenswerterweise erst mit dem update 2005 aufgenommen.
337
„Ein erkenntnistheoretischer Ausgangspunkt der Systemik ist der Konstruktivismus, also die Annah-
me, das jedes Individuum seine eigene Sicht der Welt, seine eigene Realität für sich konstruiert …
Die Komplexität der dynamischen Systeme bedeutet aber nicht, dass jeglicher Versuch einer Beein-
flussung von vornherein aussichtslos ist. Die Systemik ermöglicht es, komplexe Phänomene, die
menschliches Leben und Zusammenleben charakterisieren, komplexitätsgerecht aufzufassen und eine
passende Methodik zu ihrer Behandlung zu entwickeln.“
[http://www.newstand.de/systemik.html]
3.3 Management 135
bar wird es. Es eignen sich deshalb keine starren Lösungsansätze, sondern nur flexible, die in
der Lage sich, Veränderungen zu erkennen und darauf zu reagieren (vgl. ebenfalls Kap.
3.3.4.1).
Ansatz 15: Aufgrund der komplexen Anforderungen an eine Wasserinfrastruktur-
entwicklung sind bei der (Weiter-) Entwicklung eines angepassten Managements in
der Regel iterative Vorgehensweisen angebracht (Iterationsansatz).
Man braucht zur Iteration einen „Startwert“. Dieser sollte normalerweise das vorhandene Sys-
tem sein.338
Zur Unterstützung der Entscheidung, in welchen Bereichen Verbesserungen überhaupt ange-
bracht sein könnten, kann als „Zielwert“ ein funktionierendes, noch nicht unbedingt optimier-
tes Basissystem entwickelt werden, an dem sich sowohl die Lösungen (Bestand) als auch Al-
ternativen „messen“ müssen. Als solche Basissysteme haben internationale Berater üblicher-
weise ein Vorbildsystem vor Augen, z. B. aus einem Projekt der Weltbank oder ein anderes,
im internationalen Bereich etabliertes System, das neben sektorspezifischen Merkmalen auch
bezüglich der wirtschaftlichen, sozialen und naturräumlichen Rahmenbedingungen vergleich-
bar sein sollte (z. B. in der gleichen Region oder woanders erfolgreich eingeführtes System,
z. B. ein französisches Privatisierungsmodell). Die Merkmale dieses Basissystems werden
dann auf die lokalen Bedingungen angepasst, es entsteht ein angepasstes, optimiertes System.
Ein „deutsches System“ würde vom Typ her
– einen hohen kommunalen Einfluss in der Siedlungswasserwirtschaft,
– die Wirtschaftsform der Sozialen Marktwirtschaft,
– nachhaltige Ansätze in der Wasserpolitik sowie
– die BGB-typische Rechtssystematik
repräsentieren.
Nachdem dieser deutsche Ansatz in der internationalen Wasserpolitik derzeit, wie in 2.4.3.1
gezeigt, wenig beachtet ist, wird im Folgenden vertieft, wie eine auf der deutschen Systematik
basierende Beispiellösung für appropriate management aussehen könnte. Dabei wird sehr stark
auf bayerische Erfahrungen zurückgegriffen, die aber um die Erkenntnisse aus dem Ansatz des
IWRM angereichert werden.
338
GWP 2002, upgrade der Einführung im Internet, April 2005: „Perhaps the main lesson is that it is
often better to start somewhere, working as far as it is possible with existing arrangements, rather
than waiting for the more wide-ranging reform measures to be enacted. The main message is to re-
member the IWRM goals and find solutions which help in each individual circumstance!”
136 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
Ansatz 16: Zum Erhalt nachhaltiger wasserwirtschaftlicher Strukturen ist das Zu-
sammenwirken von Staat, Kommune, Privatwirtschaft und Bürgergesellschaft eine
Grundvoraussetzung. Das bedeutet auch, dass keine der genannten „Säulen“ alleine
die Aufgabe eines integrierten Wassermanagements übernehmen kann.
Die A21 unterstreicht (auch) im Wassersektor, Kapitel 18, die Prinzipien der Subsidiarität. Zur
Verbesserung der Zusammenarbeit mit dem Ziel des integrierten Wassermanagements wird
dort die Verlagerung der Zuständigkeit der Wasserbewirtschaftung auf die geeignete jeweils
„niedrigste Ebene“ empfohlen, einschließlich der „dezentralen Erbringung staatlicher Dienst-
leistungen durch Kommunalbehörden, private Unternehmen und Gemeinschaften.“
Die Grundlage für die Eingriffs- und Regelungsmöglichkeiten dieser vier Hauptakteure sind
demokratischer, marktwirtschaftlicher und öffentlich-rechtlicher Natur. Abbildung 3-10 zeigt
die acht gesellschaftlichen Regelungsinstrumente, mit denen eine nachhaltige Entwicklung
gesteuert werden kann.
Regelungsinstrumente
• Freier Markt
• Demokratische Prozesse
• Preiskontrolle –Beiträge
–Gebühren
• Steuern und
Zuwendungen –Wasserentnahmeentgelt
–Abwassereinleitungsgebühr
–Förderung
• Gesetze: Mindestanforderungen
• Bescheid: Verbote und Auflagen im konkreten Fall
• Freiwilligkeit: Ethische Grundwerte, Vereinbarungen
Selbstverpflichtung
Freier Markt, Freiwilligkeit und demokratische Prozesse sind gesellschaftliche Prozesse. Sie
bilden die aktive Bürgergesellschaft und deren moralisch-ethische Haltung ab. Preiskontrolle,
Steuern und Zuwendungen, Gesetze und Bescheide sind öffentliche Regelungseingriffe. Ein
gemeinsames Grundmerkmal sind die partizipativen Prozesse und die Integrität der Bürger-
rechte.
Die Optimierung eines Staatswesens besteht unter anderem in der Optimierung des Zusam-
menspiels seiner Rahmenbedingungen. Wird in einer Sache Regelungsbedarf erklärt, kommen
zunächst alle Alternativen gemäß Abb. 3-10 in Frage. Aus dem finalen Bezug auf die rechtli-
chen, ethischen und moralischen Grundordnungen ergibt sich im Rückschluss, dass die Ver-
3.3 Management 137
fassungen der Länder bzw. die internationalen Konventionen letztlich die Nachhaltigkeitskrite-
rien abbilden (sollten).
Ansatz 17: Für Gesetze und staatliche Normen gilt: Die Nachhaltigkeit sollte das uni-
verselle Prüfkriterium für gesellschaftliche Regelungseingriffe sein.
3.3.2.2 Säule I und IV: Staat und Staatsverwaltung (good governance), Bürgergesell-
schaft
Begriff und Definition Good Governance
Eine gute Regierungsführung einschließlich einer guten Verwaltung ist eine grundlegende
Voraussetzung für nachhaltige Wasserwirtschaft. Dieser bereits wesentlich ältere Ansatz wur-
de auf der Süßwasserkonferenz von Bonn, Dezember 2001, wieder in den Mittelpunkt der
Überlegungen gestellt. Die “Ministerial Declaration”, ein Ergebnis dieses Kongresses, stellt
die Regierungsleistung in den Mittelpunkt:
”The primary responsibility for ensuring the sustainable and equitable management of water
resources rests with the governments. Each country should have in place applicable arrange-
ments for the governance of water affairs at all levels and, where appropriate, accelerate
water sector reforms. We urge the private sector to join with government and civil society to
contribute to bringing water and sanitation services to the unserved and to strengthen invest-
ment and management capabilities. Privately managed service delivery should not imply pri-
vate ownership of water resources. Service providers should be subject to effective regulation
and monitoring. We encourage riparian states to co-operate on matters related to interna-
tional watercourses.” 339
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit definiert: „Good Governance
betrifft die Entscheidungsprozesse und Strukturen innerhalb des öffentlichen Sektors, die Spiel-
regeln, mit denen der Staat die Entfaltungsmöglichkeiten in Gesellschaft und der Privatwirt-
schaft vorstrukturiert und das Verhältnis zwischen Regierung und Regierten. Es geht um die
institutionelle Absicherung von Freiräumen, in denen sich die Menschen entfalten können, und
um die gesellschaftliche Akzeptanz des Staates und seiner Politik. Good Governance bedeutet
gute politische Rahmenbedingungen für eine soziale, ökologische und marktwirtschaftliche
Entwicklung und einen verantwortungsvollen Umgang des Staates mit seiner politischen
Macht und öffentlichen Ressourcen. Dies erfordert ein leistungsfähiges öffentliches Manage-
ment; Politik und Verwaltung räumen der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft Partizipations-
möglichkeiten ein, sorgen für Information und Transparenz und legen der Öffentlichkeit ge-
genüber Rechenschaft ab über ihr Handeln“ 340.
Good governance beschreibt also das komplette Zusammenspiel zwischen öffentlichem Inte-
resse, privatwirtschaftlichem Wirken und den individuellen Bemühungen des einzelnen Bür-
gers und ist damit auch ein normatives Konzept, das nur schlecht mit dem Begriff der „guten
Regierungsführung“ übersetzt ist. Wie dieses Zusammenspiel idealerweise aussehen soll, ist
durch den Begriff alleine bei weitem noch nicht erläutert. National wie international gibt es bei
der Interpretation erhebliche Unterschiede:
339
Konferenz für Süßwasser in Bonn, www.water-2001.de/days/, Bonn 2001
340
Klaus 2004
138 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
Nach MKANDAWIRE341 geht die ursprüngliche Verwendung des Begriffes good governance
auf afrikanische Wissenschaftler zurück, die einen wesentlichen Beitrag zum Bericht „Sub-
Saharan Africa: from Crisis to Sustainable Growth“ geleistet haben. MKANDAWIRE kriti-
siert, dass der Begriff heute im Wesentlichen eine an Markteffizienz orientierte rechenschafts-
pflichtige Politik meint. Die ursprüngliche Definition hätte dagegen auf eine gleichberechtigte
Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft abgehoben, die als Kernelemente Demokratie und
die Einbeziehung der sozial Schwächeren hatte.
Im Grunde ist dieser ursprüngliche Ansatz aber durchaus aktuell. Die Vorstellungen eines
modernen Staates unter dem Aspekt des aktivierenden Staates setzen ebenfalls wieder viel
mehr auf eine bedeutende Beteiligung des Bürgers (vgl. dazu S.139 Bürgergesellschaft und
aktivierender Staat).
Die GWP beschäftigt sich im Rahmen der Umsetzung des IWRM intensiv mit dem Thema
good governance. Im IWRM wird die Rolle des Staates als „enabler“, also Ermöglicher be-
schrieben. Diese Rolle wird in den verschiedenen Veröffentlichungen präzisiert:
• Sachlich scheint dieser Anspruch auf den ersten Blick klar zu sein; der Staat ermöglicht
den überwiegend privat Handelnden, das Richtige zu tun. Das ist ein schönes Bild: der
Staat gibt einen Rahmen vor, und in diesem Rahmen schaffen dann die Bürger „Mehrwert“.
Kritiker bemängeln, dass diese puristischen Haltung zur gesellschaftlichen Steuerung im
Sinne der Nachhaltigkeit noch nicht ausreicht, oder anders gesagt: der Staat ermöglicht
zwar, aber was?
• In der tool-box342 der GWP wird good governance in den drei Hauptthemen „Enabling
Environment“, „Institutional Roles“ und „Management Instruments“ angesprochen. In den
Bereich political awareness ist der ebenfalls bei der GWP erarbeitete „letter to my minis-
ter“, einzuordnen, der Politiker motivieren soll, den Wassersektor als Feld für eigene good
governance zu identifizieren und sich entsprechend dafür einzusetzen343.
• Nach der staatstheoretischen Ableitung von Rogers und Hall344 zu Effective Water Gover-
nance beinhaltet governance eine zuordnende bzw. zuteilende und regelnde (allocative and
regulatory) Politik, die ein Ressourcenmanagement der ökologischen, ökonomischen und
sozialen Belange umfasst, wobei als besonderes Merkmal sowohl formelle wie informelle
Institutionen beteiligt werden. Diese Form wird von KOOIMAN345 als distributed gover-
nance, im Sinne von „verteilter oder aufgeteilter, ev. dezentraler Macht“ bezeichnet. Je
nach Auslegung können diese Institutionen auch kommunale Strukturen sein, müssen also
nicht unbedingt NGOs oder Unternehmen sein. Dieser Ansatz legt viel der staatlichen Ver-
antwortung in die Hände Dritter (der ursprünglich weltanschauliche Hintergrund des
‘distributed governance’ wird in der Begründung deutlich “Many politicians (mainly in the
West) see the State increasingly as part of the problem rather than the solution“346).
Dieses Staatsbild der GWP und des IWRM ist vom US-amerikanisch-republikanischen Ansatz
beeinflusst, der von der Regierung Reagan ausgehend die Rolle des Staates zugunsten des
freien Marktes und Unternehmertums zurückhaltend sah. Das Zitat „Government is not the
solution, it’s the problem“ wird REAGAN zugeschrieben.
341
Thandika Mkandawire 2004, S. 380-381
342
GWP 2002, fortgeschrieben mit GWP 2005
343
GWP, Letter to my minister
344
Rogers, Hall 2003
345
ebenda, S. 12
346
ebenda, S. 12 f
3.3 Management 139
347
ebenda, S. 17 f
348
Weiler 2005
140 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
derung an good governance ist. BANDEMER teilt die derzeit diskutierten Staatsmodelle wie
folgt ein:
• den „Interventionsstaat“, der sich durch sein Regelungsgewirr und die überbordende
Regelungsdichte selbst untergräbt,
• den „schlanken Staat“, reduziert auf Kernaufgaben, um die „ausufernde staatliche Inter-
vention“ zu minimieren, da diese sowohl die Selbstregulierungskräfte der Wirtschaft hem-
men als auch der Staat im unüberschaubaren Regelungsgewirr seine Handlungsfähigkeit
verlöre,
• den „hierarchischen Staat“, der „nach Überzeugung vieler“ wegen der grundlegenden
Divergenz von Einzelrationalität und Gesamtrationalität (-Nutzen) als einzige Instanz nach-
haltige Entwicklung und Steuerung erreichen kann,
• den „verhandelnden“ Staat, der das „Staatsparadoxon des ausgehenden 20. Jahrhunderts
aufgreift um in einer produktiven Mischung von zentralen Imperativen und gesellschaftli-
cher Selbstkoordination neue Handlungsmöglichkeiten des Staates zu finden“,
• den „Minimalstaat“, der die Handlungsfähigkeit der mit „vorstaatlichen Rechten“ ausges-
tatteten Bürger und Gesellschaft stützt: Je nach Betonung der individuellen Rechte (öko-
nomischer Individualismus) oder der Gesellschaft bzw. Gemeinschaftlichkeit ergeben sich
verschieden betonte Modelle. Der Staat kann auch in seiner etablierten Aufgabe belassen
bleiben, durch Partizipation aber „stärker legitimiert und sachlich effektiviert“ werden349.
Der dem Modell der good governance nachkommende so genannte aktivierende Staat liegt
nach BANDEMER350 „quer“ zu den o. g. Modellen. Dieses Modell ist der Versuch einer Ant-
wort auf das Staatsparadoxon „Allzuständigkeit versus Steuerungsversagen“351: die Zunahme
der staatlichen Regelungskompetenz, ausgedrückt im Anwachsen der öffentlichen Haushalte,
der Staatsquote, der Regelungen, der Bediensteten und der Nachfrage nach staatlicher Rege-
lung einerseits und der schwindenden Akzeptanz und Identifikation gegenüber dem daraus
entstandenen Staatsgebäude anderseits. BANDEMER stellt die Forderung nach bestimmten
grundsätzlichen Steuerungs- und Handlungsfunktionen auf, die dieses Staatsparadoxon durch-
brechen sollen. Sie sind in [Tabelle 3-2] beschrieben.
349
Zitate jeweils: Bandemer ,, Der aktivierende Staat, : Konturen einer Modernisierungsstrategie von
Staat und Gesellschaft“,www.itge.de (2004)
350
ebenda
351
Anmerkung: Tatsächlich ist es nicht das Steuerungsversagen – die Steuerung funktioniert nämlich in
der Regel sehr gut – sondern vielmehr die mangelnde Akzeptanz der Bürger, so differenziert „gesteu-
ert“ zu werden. Möglicherweise würde deshalb die Bezeichnung „Bürgerparadoxon“ die Sache besser
treffen. Alles soll gerecht und risikofrei geregelt sein, nur die individuellen Freiheiten dürfen nicht
beschnitten werden.
3.3 Management 141
Leistungsak- Darin verbirgt sich ein Effizienzansatz, der einer Leistungssteigerung den Vorzug vor
tivierung als leistungssteigernd geltenden Mitteln gibt. Als Beispiel ist die Kosten-
Leistungsrechnung angeführt, die für sich keine Leistungssteigerung bringt. Alternativ
werden bestimmte überschaubar positiv wirkende Änderungen vorgeschlagen, also
nicht die Einführung theoretisch positiver Allgemeinmethoden, sondern gezielte Ver-
besserung einzelner Aspekte.
Dialog Dieser Ansatz entspricht den Grundsätzen der Partizipation. Als Beispiel wird die Ab-
schaffung von Subventionen nach Dialog (und Überzeugung) der Verbände genannt.
Der aktivierende Staat wurde in der deutschen Politik durch die Koalitionsvereinbarung 1998
als Leitbild eingeführt. Effiziente und demokratische Politik muss danach die Bereitschaft der
Bürger zu Selbstverantwortung und Einsatz für Gemeinwohlbelange nutzen und fördern und
die notwendigen Rahmenbedingungen dafür schaffen. Der Bürger wird danach möglichst
weitgehend in die Lage versetzt, auch für die Interessen der Allgemeinheit aktiv werden zu
können. Zur Steigerung des gesamtgesellschaftlichen Wirkungsgrads in Richtung Nachhaltig-
keit werden alle Möglichkeiten genutzt, insbesondere eine viel breitere Beteiligung und Ver-
antwortung des Bürgers auch über den demokratischen Wahlturnus hinaus. Die Prinzipien des
aktivierenden Staates oder der daraus von GLÜCK352 maßgeblich weiterentwickelte Begriff
der Bürgergesellschaft können auch international zumindest prinzipiell angewendet werden.
Insbesondere wird in diesen Ansätzen eine neue Kraft des Bürgertums erfragt, die in gewisser
Weise an die geschichtlichen Aufbruchstimmungen der Gründerjahre oder des Wiederaufbaus
Deutschlands, aber auch an Abschnitte der Geschichte der Vereinigten Staaten und anderer
rasanter Entwicklungen erinnert. Zwei Kernthemen bestimmen den Prozess:
• die Rolle des Bürgers als Marktteilnehmer. Der Stärkung dieser Rolle dienen Warenaus-
zeichnungen, Gütesiegel oder Evaluationen wie EMAS, nach denen der Bürger gezielt Wa-
ren einer bestimmten Herkunft oder (umweltbezogenen Produktions-) Qualität aussuchen
kann, und
• seine Rolle als Teilnehmer an staatlichen Entscheidungsprozessen.
Wie KLAUS340 ausführt, ist ein Erfolg dabei zwar keineswegs sicher, die Erfolgschancen
steigen aber durch solche Systeme signifikant. Mögliche systematische Probleme des Ansatzes
der aktivierten Bürgergesellschaft liegen in einem Ungleichgewicht der Aktivitäten: Bislang
sind Nichtregierungsorganisationen überwiegend lobbyistisch tätig, d. h., sie betonen be-
stimmte Sektoren des Gemeinwohls, vertreten Eigeninteressen gegen Gemeinwohlinteressen
oder benutzen Argumente des Gemeinwohls als Trittbrett individueller Interessen. So hat die
Aktivierung der Öffentlichkeit in einigen Fällen auch zu unerwarteten, zum Teil extremen
Ergebnissen geführt: In Bayern hat sich eine Bürgerinitiative der Wasserschutzgebietsgeschä-
digten gegründet, die mit allen Mitteln die Ausweisung oder Vergrößerung von Trinkwasser-
schutzgebieten verhindern will353. Sprichwörtlich sind auch die Auseinandersetzungen um
Abfallanlagen geworden, die alle brauchen, aber niemand will. So stellt sich die Frage, ob sich
für die übergeordneten, oft unpersönlichen Ziele immer genügend aktive Fürsprecher finden
lassen, die gegen die vehement vorgetragenen Interessen der durch konkrete Eigeninteressen
motivierten Gruppen vorgehen wollen. Auch die GWP sieht durchaus Grenzen der Beteiligung
352
Alois Glück, Entscheidungszeiten, Beitrag 24, CSU Landtagsfraktion, München 2003
353
v. Freyberg, http://www.schutzgebietsbetroffene.de/
142 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
Wahrscheinlich ist diese Auslegung geeignet, die komplexen Ansprüche der Wasserinfrastruk-
tur an den Staat zu beschreiben. Wenn der Staat rein als Ermöglicher handeln wollte, müsste er
354
GWP 2005, B1.09: “However, there has been a proliferation of civil society and non-governmental
organizations that, however well-meaning, are often non-accountable and may operate from a nar-
row self interest with no responsibility for the consequences of their actions. They are not and should
not be taken as a substitute for government and government should not abdicate its responsibility”.
355
ebenda
356
Klaus 2004
3.3 Management 143
AB = f (P, T, K, W, B, S, F, R) · E357
Diese Formel zeichnet sich dadurch aus, dass, wie KLAUS selber ausführt, die einzelnen Pa-
rameter in hohem Maße voneinander abhängig sind. Durch gegenseitiges Einsetzen der Ab-
hängigkeiten entsteht eine hochgradig nichtlineare Gleichung, die nur noch mit den Ansätzen
der nichtlinearen Theorien (CT) zu „lösen“ ist. Analog zum Einsatz der Chaostheorie lassen
sich daraus praktische Hinweise für die Organisation der Bürgergesellschaft entwickeln:
Die Dynamik dieser Prozesse wird auch von W. und G. KASTENBERG und NORRIS358 be-
schrieben. Komplexe nichtlineare Systeme reagieren durch eine negative Rückkopplung
(Rückkehr zum ursprünglichen Gleichgewichtszustand) oder positive Rückkopplung (Suche
eines neuen Gleichgewichtszustandes). Positive Rückkopplungen neigen an „Bifurkati-
onspunkten“ zur Bildung neuer Gleichgewichtszustände, die weit vom ursprünglichen entfernt
liegen und einen wesentlich höheren Grad von Komplexität einnehmen – sie bilden integrale
Strukturen ab, eine Voraussetzung für IWRM!
Aus diesen Ausführungen von KLAUS und DESER359 lassen sich einige wichtige praktische
Hinweise für die Organisation und Analyse von partizipativen Prozessen ableiten:
Runde Tische und Arbeitskreise sind Beeinflussungen der Bifurkationspunkte, d. h., der Ent-
scheidungsebenen mit offenem Ausgang. Sie sind gleichzeitig die Kreativitätsebene, d. h. hier
werden Alternativen geboren und weiterentwickelt. Mit den Bifurkationen der runden Tische
357
Klaus 2004, S. 160
358
Kastenberg et al. 2005, S. 88
359
Deser 1996
144 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
sind oft Bedenken verbunden, weil diese Systeme „schlechter steuerbar scheinen“. Hier aller-
dings gilt der Verweis auf die Selbstorganisationsfähigkeit dieser Strukturen, d. h. es bildet
sich mit hoher Wahrscheinlichkeit bei diesen Prozessen als sogenannte Attraktoren (= Muster)
eine (konstruktive) Ordnung auf der Makroebene ab, obwohl die Ausgangslage chaotisch im
mathematischen Sinne war.
Nach KLAUS können die „seltsamen Attraktoren“ in Gestalt von Meinungsführern oder cha-
rismatischen Einzelpersonen Prozesse an ihren Bifurkationspunkten beeinflussen. Obwohl in
der CT jeder Teilnehmer zum „seltsamen Attraktor“ werden kann, ist es doch möglich, be-
stimmte Leitlinien durch die Einbeziehung der Meinungsführer einzuhalten360.
Die Rolle des Einzelnen ist aber durch den sog Schmetterlingseffekt361 (DESER) oder Iterati-
onseffekt (KLAUS) erheblich. Selbst ganz kleine Änderungen können in den chaotischen
Systemen durch mehrfache Rückkoppelung größte Wirkung erzielen.
Der Schmetterlingseffekt hat aber noch eine andere Konsequenz: kleine Ursache, große Wir-
kung. So können Informationsmängel und Kommunikationsmängel oft auf der Parallelebe-
ne362 Prozesse in die vollkommen falsche Richtung lenken. Die Gefahr, die solche „kleinen“
Fehler zu Beginn eines Prozesses darstellen – die falschen Personen angesprochen, die fal-
schen/ fehlenden Informationen, der falsche Zeitpunkt oder falsche Ort – kennt jeder aus der
eigenen Erfahrung, bewusst erklären kann sie die CT.
Ein Schlüsselbegriff sind die Fraktale, die „in kleinen Prozessen das große Bild spiegeln“. So
kann die aktive Bürgergesellschaft auf der Gemeindeebene als Fraktal der angestrebten Gesell-
schaft gesehen werden. „Es ist anzunehmen, dass aus Teilprozessen der Etablierung einer
aktiven Bürgergesellschaft auf Gemeindeebene Erkenntnisse für einen entsprechenden Ge-
samtprozess auf allen staatlichen Ebenen gewonnen werden können.“363 Dieser Ansatz entfal-
tet im nationalen wie im internationalen Kontext eine enorme Kraft. Damit ist ein Lernprozess
über mögliche Systemstärken und Schwächen möglich, gleichzeitig ist eine Veränderung „Bot-
tom up“ und „Top down“ über vergleichsweise kleine fraktale Strukturen möglich. Aus diesem
Ansatz lassen sich Hoffnungen für kreative Entwicklungen der Gesellschaft schöpfen.
Es besteht also durchaus eine Chance, dass eine neue Bürgergesellschaft nachhaltige Politik
lebt und fordert. Auf dem Weg dahin könnte ein „verhandelnder Staat“ zu nachhaltigen Ergeb-
nissen führen. Dieser würde zwar die nachhaltigen Ziele in wahrgenommener Verantwortung
und Garantenstellung für Fundamentalbelange vertreten, aber dort zurückweichen, wo sich ein
Bürgerwille zur Nachhaltigkeit manifestiert, der nicht nur fordert, sondern auch zu eigenen
Konsequenzen bereit ist. Dieses Vorgehen steht allerdings insoweit unter einem Vorbehalt, als
angesichts der globalen Situation die Zeit für Verhandlungen knapp ist. Insbesondere sind
freiwillige Commitments einiger weniger im globalen Maßstab unter Umständen nutzlos, Be-
wegungen müssten schon erhebliche Teile der Bevölkerung aktivieren.
360
Klaus verwendet den Begriff des Attraktors im Grunde in übertragenem Sinne, d.h. der seltsame
Attraktor gibt als Person einen Lösungsraum vor, der aufgrund der fraktalen Strukturen eine Abbil-
dung positiver (oder negativer) innerer Überzeugungen dieser Persönlichkeit ergibt. Auch Deser ü-
bersetzt diesen Begriff unmittelbar mit „Musterbildung“.
361
Das landläufige Beispiel dazu ist der Schlag eines Schmetterlingsflügels in Lateinamerika, der nach
vielfacher positiver Rückkoppelung den Orkan im Indischen Ozean auslöst.
362
Viele Konflikte basieren auf missverstandenen Botschaften, vgl. „die vier Ohren des Menschen“ von
SCHULZ v. THUN 1981, Miteinander Reden
363
Klaus 2004, S. 167
3.3 Management 145
Der aktivierende Staat als Handlungsschema könnte dieses Patt der Systeme auflösen, wenn er
„…das Staatsparadoxon (Allzuständigkeit versus Steuerungsversagen) in ein interaktiv zu
bearbeitendes Dilemma dynamisieren kann“.364
Ein interessantes Phänomen hat sich in Brasilien während der letzten Energiekrise 2001/
2002 ergeben. Aufgrund ungewöhnlich geringer Niederschläge, verursacht durch El Nino,
hatten sich die Stauseen der brasilianischen Wasserkraftwerke geleert. Da die Stromver-
sorgung Brasiliens zu mehr als 90 Prozent von der Wasserkraft abhängt, drohte dem größ-
ten südamerikanischen Land eine Energiekrise. Die Regierung verkündete am 11. Mai ein
Programm zur Stromrationierung, das am 1. Juni in Kraft trat und den Stromverbrauch um
zwanzig Prozent senken sollte. Es sah für "Großverbraucher" (mehr als 200 kWh monat-
lich) Preisaufschläge um bis zu 200 Prozent vor. Stromsparer sollten dagegen einen Bonus
erhalten.365 In allen Medien wurde außerdem laufend berichtet, Aufrufe aller politischen
und gesellschaftlichen Gruppen forderten zum Sparen auf. Es wurde Ehrensache, Strom zu
sparen, auch wenn es unangenehm war. Büros ohne Klimaanlagen, lauwarme Getränke,
reduzierte Straßenbeleuchtung waren die Folge366. Nach einer konzertierten Aktion wur-
den tatsächlich über Monate hinweg über 20 % Energie gespart367. Der Beweis für eine ak-
tive und aktivierbare Bürgergesellschaft war erbracht.
Ein anderes signifikantes Ergebnis von aktivem Bürgerwillen im ökologischen Sektor ist der
Umgang mit Abfall in Deutschland, insbesondere die inzwischen kulturell verankerte geordne-
te Entsorgung.
Der Staat als Garant für nachhaltige Wasserwirtschaft (Interpretation und Weiterent-
wicklung von „Good Governance“)
Angesichts der faktischen Irreversibilität vieler Vorgänge im Wassersektor muss das Ziel der
Nachhaltigkeit mit ausreichenden Sicherheiten verfolgt werden, es besteht kaum Spielraum für
Experimente. Im Sinne des Gemeinwohls muss der Begriff der ‚Good Governance’ in einer
umfassenden Definition unter Einbeziehung des Ansatzes von MKANDAWIRE341 auch die
sozialen und wirtschaftlichen Aspekte vor dem Hintergrund der Leistungsfähigkeit des Staates
beinhalten. Im Zentrum muss eine modifizierte starke Nachhaltigkeit stehen, die neben ökolo-
gischen auch die sozialen Belange schützt. Es gibt also zu einer die Tripel-Belange beachten-
den Entwicklung im Wassersektor keine Alternative. Der Staat muss dabei eine Garantenstel-
lung einnehmen, weil diese Gegenwarts- und Zukunftssicherung Inhalt des Staatsgedankens an
sich ist und auch keine Institution erkennbar ist, die dies alternativ garantieren könnte.
Diese Aussage wird hier ausdrücklich auf den Wassersektor als fundamentale Sicherung der
Lebensgrundlagen bezogen und begründet keinen Staatsgedanken, der sich für alles zuständig
hält. Selbst im Wasserbereich ist diese Garantenstellung nur bedingt mit einem eingreifenden
Staat gleichzusetzen. Es ist klar, dass das Gemeinwohl in einer ausgeprägten Bürgergesell-
schaft auch von dritter Seite mitvertreten wird. Das können bei enger Auffassung des Staats-
begriffes die kommunalen Körperschaften sein (die allerdings im Begriff good governance
364
Bandemer 2004, Der aktivierende Staat, Internet, www.iatge.de
365
FAZ, 28.5.01; Handelsblatt, 16.5.01
366
eigene Beobachtung, einschließlich einer Grundakzeptanz der Menschen, sich in dieser Krisensituati-
on solidarisch zu verhalten
367
CARDOSO, Präsident von Brasilien, zitiert von Brückner 2001 Dem Riesen geht das Licht aus –
Energiekrise und Rezession in Brasilien, Deutschlandfunk 4.11.2001
146 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
beinhaltet sind), eventuell auch NGOs. Umgekehrt ist in Zukunft auch eine mehr transnationa-
le Rolle der Staaten durch Organisationen wie die EU oder die UN denkbar.
Ob wirtschaftliche Kräfte alleine diesem Anspruch so umfassend genügen können, ist indessen
zu bezweifeln (vgl. Kap. 2.3). Die Differenzen liegen in der Frage, ob betriebswirtschaftliches
Wohlergehen unter möglichst freien Marktbedingungen auch immer das größte volkswirt-
schaftliche Wohlergehen im Sinne des Allgemeinwohls erzeugt. Wenn dies nach ULRICH368
bereits im Allgemeinen anzuzweifeln ist, gilt dies im Wassersektor umso mehr. Dort ist der
Zeitbegriff von entscheidender Bedeutung, es ist eine sehr langfristige Strategie von Nöten, die
so keinem freien Unternehmer abzuverlangen ist.
Ansatz 18: Der Staat hat im Wassersektor eine Garantenstellung für nachhaltige
Entwicklungen. Er muss diese operativ wahrnehmen, solange nicht Dritte dies mit
ausreichender Sicherheit tun können (bedingte Garantenstellung).
Unabhängig von grundsätzlichen, weit in die Theorie des Staates einwirkenden Fragen gilt es,
speziell für den Wasserbereich praxisnahe Anforderungen an good governance zu formulieren:
Ein kleinster gemeinsamer Nenner der aktuellen Diskussion um good governance ist, dass der
Staat für die gesetzlichen Rahmenbedingungen des öffentlichen Interesses im Allgemeinen und
für eine funktionierende Ordnung des Umwelt- und Wassersektors im Besonderen sorgen
muss (enabling).
Mit dem klassischen („hierarchischen“) Ordnungsrecht beeinflusst der Staat allerdings neben
den staatlichen (volkswirtschaftlichen) auch die betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen
und damit Effizienz und Prosperität. Es entsteht ein Nachhaltigkeitsparadoxon, in dem kurz-
fristige Prosperität gegen langfristige Nachhaltigkeit steht. In einer ganzheitlich ausgerichteten
Volkswirtschaft werden nachhaltige Handlungsweisen gefördert, auch wenn sie vordergründig
zunächst gegen rein wirtschaftliche Ziele zu verstoßen scheinen. Damit wird jedoch die lang-
fristige Prosperität des Landes gesichert.
Ein Beispiel sind die Umweltauflagen für Industrie und Gewerbe. Je strenger die Anforderun-
gen an die Einleitung von Abwasser sind, desto höher werden zunächst die Produktionskosten.
Ein unmittelbarer Spareffekt tritt ein, wenn das Wasser zum Beispiel für die Trinkwasserge-
winnung gebraucht wird. Als mittelbares Ergebnis werden so langfristig Ressourcen erhalten.
Für den einzelnen Betrieb sieht die Bilanz allerdings oft über Jahre hinaus negativ aus, es sein
368
Ulrich 2004, S. 11: „Das Rezept [ist:] mehr Markt ist für alle gut! Am besten würde man aus dieser
ökonomistischen Perspektive die ganze Gesellschaftsordnung dem Marktprinzip unterwerfen, also die
totale Marktgesellschaft schaffen, dann gibt es definitionsgemäß nur Gewinner, keine Verlierer. Kein
geringerer als der schwedische Entwicklungsökonom und Nobelpreisträger GUNNAR MYRDAL hat
dies schon vor mehr als 70 Jahren treffend die kommunistische Fiktion des Wirtschaftsliberalismus
genannt. Es ist die (Gemeinwohl-) Fiktion einer einheitlichen volks- oder gar weltwirtschaftlichen
Zwecksetzung, als ob die Gesellschaft wie ein Mann (nämlich ein Homo economicus) handeln wür-
de. Heute tritt diese Fiktion vor allem im Gewand der von fast allen realpolitischen Parteien geteilten
Ansicht auf, Wirtschaftswachstum sei das entscheidende Rezept zur Lösung der meisten gesellschaft-
lichen (und sozialstaatlichen) Probleme. Noch immer, ja vielleicht heute mehr denn je, prallen die
Bemühungen einer (nachholenden) wirtschaftsethischen Aufklärung an dieser Metaphysik des Mark-
tes bei deren gläubigen Fundamentalisten wirkungslos ab – zu blind macht solche Metaphysik für die
sozioökonomische Lebenswirklichkeit und zu mächtig sind offenbar die Interessen, deren scheinbarer
Rechtfertigung die Ideologie des „freien“ Marktes dient. Ein Hinweis auf das davon weitgehend ge-
prägte, entwicklungspolitisch höchst fragwürdige Wirken von Institutionen wie dem Internationalen
Währungsfond (IWF) soll hier genügen (STIGLITZ 2002).“
3.3 Management 147
denn, dass er nicht selber zum Beispiel von einer Kreislaufführung profitiert (Nachhaltigkeits-
paradoxon). Der Staat sorgt also dafür, dass im Sinne des Gefangenendilemmas (Tafel 7, Seite
56) jedem Akteur die 10/10 Lösung garantiert wird, also die entsprechende Gesamtwertschöp-
fung erreicht wird. Die freien Marktkräfte führen dagegen automatisch zur „8/8“-Lösung.
Diese Nachhaltigkeitspolitik ist nicht nur akademisch nachvollziehbar. Die veränderte subjek-
tive Haltung der Bevölkerung zur katastrophalen Verschmutzung des Rheins, vor allem nach
dem SANDOZ-Unfall 1986, führte zur plakativen politischen Forderung, dass eines Tages
wieder Lachse im Rhein schwimmen sollen. Obwohl die darauf folgenden Gewässerschutz-
maßnahmen im Rheineinzugsgebiet Milliarden von Euro kosteten, wird heute in den Anlieger-
staaten kaum jemand ernsthaft in Frage stellen, ob das der richtige Weg war.
Es gab also ein klares gesellschaftliches Votum in Richtung Nachhaltigkeit und eine klare, sehr
aktive und sehr erfolgreiche politische Antwort. Insofern kann man dieses Ergebnis im Grunde
auch als frühes Ergebnis eines „verhandelnden Staates“ interpretieren, bei dem letztlich Bür-
gerwille zu einer gesellschaftlichen (nachhaltigen) Zielstellung geworden ist.
Obwohl sich unter den geltenden Regelungen inzwischen viele kostengünstige Umwelttechno-
logien entwickelt haben (z. B. verschiedene Typen von Kreislaufführung, Prozesse, usw., vgl.
Kap 3.2), macht – und da setzt sich das aktuelle Dilemma fort – dieser „national verhandelte“
hohe Umweltstandard Deutschland heute sehr viel sensibler gegen Umweltdumping im globa-
len Wettbewerb. Die daraus entstehenden Marktnachteile schlagen in einem globalisierten
Markt ohne nennenswerte Handelsbeschränkungen auch durch. Damit setzt sich das betriebs-
wirtschaftliche Nachhaltigkeitsparadoxon auf Staatenebene fort. Der Wille, an einer internati-
onalen Nachhaltigkeitsstrategie mitzuwirken, ist sowohl in den Industriestaaten als auch in den
Staaten in Entwicklung nicht überall gleich ausgeprägt. Zunehmend argumentiert die „dritte
Welt“ moralisch mit einem Recht der Entwicklungsländer, analog unserem Wirtschaftswachs-
tum in den 50-er Jahren neuen Wohlstand zumindest vorübergehend durch Verschmutzung
erkaufen zu dürfen369. Dies ist fatal, weil sich Umweltschäden, erst einmal eingetreten, wenn
überhaupt, nur für ein mehrfaches des Geldes reparieren lassen, die ein Vermeiden der Schä-
den gekostet hätte. Diese Haltung widerspricht also den Nachhaltigkeitsprinzipien und der
Effizienz. Auf Konfliktlagen wie diesen basiert aber auch RADERMACHERS These von
einer drohenden Ökodiktatur370. Diese Konflikte werden sich erst auflösen, wenn sich die
Welthaltung zur Ökologie ändert. In Zeiten der fortschreitenden globalen Degradation wird die
Umweltqualität zunehmend zum Standortfaktor und Know-how in der Umwelttechnologie
zum globalen Wirtschaftsgut. In China hat dieser Prozess bereits begonnen und viele Firmen
weltweit halten den Umweltsektor letztlich für einen Wachstumsmarkt.
Trotz dieser durch globale Krisen verschärften Konflikte kann formuliert werden:
Ansatz 19: Good Governance im Wassersektor bedeutet die nachhaltige, umfassende
und langfristige Sicherung des Wasserschatzes. Effizienz und langfristig volkswirt-
schaftlicher Nutzen sind dabei Leitlinien, ebenso wie das Bewusstsein, dass ökologi-
sche und sozial-kulturelle Güter und Werte Teil des „Vermögens“ einer Gesellschaft
sind.
369
Quelle: unter anderem ein Gespräch mit Hama Arba Diallo, dem Leiter der UNCCD, 2001 in Amberg
370
So wird allen Ernstes von vielen zum Teil namhaften Brasilianern befürchtet, dass die Amazonas-
Region von Industrienationen militärisch besetzt wird, um die Reinigungsleistung des Regenwaldes
für nördliche Abgase zu erhalten. Umgekehrt wird tatsächlich finanzielle Hilfe zum Erhalt des Re-
genwaldes erwartet, der doch schließlich der ganzen Welt nutzte.
148 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
Die Diskussion, wie dies zu erreichen ist, dauert an. Verschiedene Staatsmodelle konkurrieren
miteinander. Es lassen sich aber Strömungen erkennen:
1. Das rein hierarchische Staatsbild ist auf dem Rückmarsch, der verhandelnde Staat und
andere die Zivilgesellschaft fordernde Alternativmodelle entsprechen eher dem modernen
Staat.
2. Das Nachhaltigkeitsparadoxon verlangt vorübergehende Einschränkungen zugunsten einer
langfristigen Prosperität.
3. Eine echte Nachhaltigkeit muss Ziel staatlichen Handelns sein. Die Definition und Durch-
setzbarkeit sind schwierig.
4. Es gibt ein Dilemma zwischen staatlicher Regelungsnotwendigkeit für langfristige Nach-
haltigkeit und Effizienz durch freie wirtschaftliche Entfaltung.
Eng an der Realität und Praxis orientiert ist hinzuzufügen:
5. Verschwendung durch mangelnde volkswirtschaftliche Effizienz einschließlich des Prob-
lems der Korruption ist die größte Herausforderung.
6. Good Governance wird immer auch auf den jeweiligen regionalen sozialen, wirtschaftli-
chen und ökologischen Bedingungen und Herausforderungen basieren müssen.
Bezüglich des Wassersektors gilt unter der Maßgabe der Garantenstellung zunächst eine ge-
wisse Wahrscheinlichkeit, dass der ‚hierarchische Ansatz’ zumindest während einer längeren
Übergangszeit tatsächlich den größten Anteil an Lösungsansätzen birgt, insbesondere was die
globale Umsetzung anbelangt. Die Hoffnung der ökonomischen Selbststeuerung (vgl. Club of
Rome, RADERMACHER371) hat sich bislang nicht erfüllt. Der aktivierende Staat ist als An-
satz anerkannt, ist aber kein Konzept, das sich schlagartig, spontan umsetzen ließe sondern
vielmehr ein langsamer Entwicklungsprozess.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass good governance auf einem starken, auf Nachhaltig-
keit ausgerichteten, „aktivierenden“ Staatswesen basiert. Dies besteht aus einem Staat, der eine
Garantenstellung für nachhaltige Politik einnimmt und einer auf den Prinzipien der Partizipati-
on basierenden, i. S. der Nachhaltigkeit verantwortungsvoll agierenden Bürgergesellschaft im
Gegensatz zur auf Individualinteressen (Egoismen) ausgerichteten Lobbyismusgesellschaft.
Das Bindeglied muss eine erheblich verbesserte Kommunikation i. S. der Information, Trans-
parenz und Verhandlung sowie leistungsfähiger Netzwerke sein.
Weil sich derzeit keine einheitlichen, globalen Standards der ökologischen und sozialen Sekto-
ren durchsetzen lassen, ist der Ansatz des weitgehend „selbststeuernden“ Neoliberalismus
unter Nachhaltigkeitskriterien keine Lösung der globalen Probleme. Damit fände lediglich eine
einseitig wirtschaftlich ausgerichtete Gewinnoptimierung statt.
Ansatz 20: Die Idee von Good Governance basiert auf einem starken, auf Nachhal-
tigkeit ausgerichteten Staat, der „aktivierend“ die Beteiligung einer partizipativ agie-
renden, verantwortungsvollen Bürgergesellschaft nutzt.
371
Rademacher 2002
3.3 Management 149
Die politische Zielsetzung und direkte wie indirekte Beeinflussung der Aktivitäten der Betei-
ligten wird als Kernkompetenz des Staates gesehen372. Die Ansätze der GWP können aus Sicht
dieser Arbeit nicht kritiklos übernommen werden. Sie decken sich zwar in wichtigen Punkten
mit den in dieser Arbeit verwendeten. Allerdings sieht die GWP die Rolle der Privaten auf der
Ebene der großen internationalen Wasserkonzerne deutlich dominierender als der in dieser
Arbeit vorgeschlagene Ansatz. Ein Vergleich der Fassungen der tool-box von 2002 und von
2005 zeigt aber, dass die GWP wie auch die Weltbank hier in den letzten drei Jahren wesent-
lich differenzierter an die Privatisierung bzw. staatsbasierte Modelle herangehen. Details sind
in Anhang 4 enthalten.
Administrative Umsetzung von staatlichen Aufgaben
Der Wassersektor ist naturgemäß konservativ. Bestimmte Nachhaltigkeitskriterien ändern sich
nicht, viele Aufgaben lassen sich nur durch längere Beobachtung und tiefgreifende Kenntnis
des Systems wirtschaftlich erledigen, z. B. die statistischen Auswertungen von Niederschlägen
und Hochwässern oder die langfristige Veränderung von Grundwasserkörpern. Weiterhin ist in
einigen Bereichen die Erfahrung fundamental, besonders ausgeprägt im Wasserbau. Auch die
Planungshorizonte sind im Wasserbereich eher auf Jahrhunderte als auf Jahrzehnte ausgerich-
tet. Das alles spricht für eine stabile Entwicklung der Administration, die auf fachlicher Kom-
petenz gegründet ist. Gerade weil die schnelllebig-globale Gesellschaft auf den träge reagie-
renden Wasserhaushalt trifft, ist es notwendig, die Ergebnisse dieser schnellen Veränderungen
auf den Wassersektor sicher abschätzen zu können und daraus dem gesellschaftlichen Willen
entsprechende Umsetzungsvorschläge entwickeln zu können („Technikfolgenabschätzung“ +
nachhaltige Umsetzung).
Wie auf S.145 ff ausgeführt hat der Staat im Wassersektor die Garantenstellung. Gleichwohl
wird von vielen eine fundamentale Veränderung des herkömmlichen Staatswesens für möglich
gehalten. So kann die von GLÜCK373 angedachte Vision der Bürgergesellschaft über längere
Zeiträume durchaus zu tief greifenden Änderungen führen. Im Grunde könnte die Bürgerge-
sellschaft eine Spezifizierung und Präzisierung der in der A21 verankerten Partizipation sein.
Aber es ist offen, ob und wie schnell sich die Gesellschaft in diese Richtung entwickelt. Die
politische Willenserklärung ist eine wichtige Voraussetzung dafür, aber noch keine Garantie.
Gleichzeitig ist es sehr wahrscheinlich, dass sich die Gesellschaften im Sog der Globalisierung
weiter entwickeln. Das erfordert kontinuierlichen Innovationswillen und Flexibilität des Staa-
tes und seiner Organe sowie ein Monitoring, das die Erfolge und Misserfolge dieser Änderun-
gen auch erkennbar und damit steuerbar macht.
Ansatz 21: Staat und Gesellschaft sind dynamische Systeme. Daraus folgt an die
staatlichen Strukturen eine Grundanforderung der Flexibilität und Bereitschaft zur
Fortentwicklung. Die Wasseradministration muss in diesem System langfristige Pla-
nungshorizonte vertreten können.
Die Garantenstellung des Staates für das Gemeinwohl auf dem Wassersektor bedingt, dass der
Staat auch Kräfte besitzt, die diesen Anspruch umsetzen können, also eine Verwaltung der
Wasserwirtschaft.
Die GWP definiert deshalb eine sehr starke Rolle der „regulatory bodies and enforcement
agencies“, übersetzt in etwa „Regulierungs- und Aufsichtsbehörden“:
372
GWP 2002, 18ff
373
Glück 2004, S. 1 ff
150 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
„Regulatory and enforcement bodies have an extremely important role in establishing and
ensuring the effective application of tools for building IWRM. Their functions range from the
allocation of water rights, environmental management related to water use, water quality, land
use planning and financial management of water resources management by the state…. Regu-
latory bodies and enforcement agencies may be financed through central government funds, or
by user fees (e.g. pollution charges) or fines for non-compliance. If the latter, the terms need to
be very clear or there is a potential risk of conflict of interest”374.
Die Aufsichts- und Regulierungsfunktion wird im System der GWP eindeutig dem Staat zuge-
ordnet, auch wenn bestimmte Aufgaben an Dritte abgegeben werden können. Damit bleibt
auch nach der Definition der GWP der Staat unmittelbar in der Garantenstellung.
Besonders wichtig ist aber eine gewisse Unabhängigkeit, wie die weitere Definition zeigt:
„Their specific functions are determined by government policy on water resources manage-
ment. They are usually in the government sector but may subcontract specific activities (e.g.
monitoring and testing of samples) to non-governmental organizations including private com-
panies. It is important that they can act without day-to-day political interference”375.
Der Wunsch nach einem von der Tagespolitik unbeeinflussten, unabhängigen Sachwalter des
Wassersektors ist nachvollziehbar, nachdem man sich „sachlich gerechte“ Verwaltungen
wünscht. Dies kommt auch in den Anforderungen der „lessons learned“ an die Personalausstat-
tung zum Ausdruck (die der Begrifflichkeit dem deutschen öffentliche Dienstrecht bemer-
kenswert nahe kommt)376.
• Sufficient staff of adequate capability to enforce regulations (enforcement agencies) and
make appropriate assessments about water management needs (regulatory bodies).
• Staff who are knowledgeable about good management practices and have appropriate
scientific knowledge in water resources management.
Schon vor dem Hintergrund der klimatischen, kulturellen, gesellschaftlichen und historischen
Unterschiede kann es nicht die Empfehlung für die Organisation der Wasserwirtschaft geben
In der Summe der bisherigen Erkenntnisse lassen sich aber im Sinne von good governance
folgende Eckwerte des staatlichen Vollzugs erkennen:
Nach den Nachhaltigkeitsprinzipien soll die normative Bewirtschaftung des Mediums Wasser
wegen der zahllosen Abhängigkeiten zentral integriert erfolgen. Daraus ergibt sich die Forde-
rung nach einer Organisation, die alle Bereiche des Wassersektors gemeinsam verantwortet.
374
GWP 2005, B1.05
375
ebenda
376
„Die Bayerische Verfassung hat sich ebenso wie das Grundgesetz für eine Wiederherstellung des
Berufsbeamtentums unter Berücksichtigung der dafür geltenden hergebrachten Grundsätze entschie-
den. Beide Verfassungen sehen im Berufsbeamtentum eine Institution, die, gegründet auf Sachwis-
sen, fachliche Leistung und loyale Pflichterfüllung, eine stabile Verwaltung sichern und damit einen
ausgleichenden Faktor gegenüber den das Staatsleben gestaltenden politischen Kräften darstellen soll.
Zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums zählt die Anstellung auf Lebenszeit. Sie
soll die Bereitschaft des Beamten zu einer an Gesetz und Recht orientierten Amtsführung fördern und
ihn zu unparteiischem Dienst für die Gesamtheit befähigen. Diese von der Verfassung – unbeschadet
der Gebundenheit an die rechtmäßigen Anordnungen der Vorgesetzten – gewährleistete Unabhängig-
keit soll den Beamten in die Lage versetzen, unsachlicher Beeinflussung zu widerstehen und seiner
Pflicht zur Beratung seiner Vorgesetzten und der politischen Führung unbefangen nachzukommen“
(Entscheidung Vf. 15-VII-01 des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 26. Oktober 2004).
3.3 Management 151
Aufgrund der Komplexität der Aufgabe wird aber in jedem Fall eine enge Verzahnung mit den
lokalen Kräften nötig sein, den Stakeholdern. Daraus ergibt sich eine Organisationsstruktur,
die örtlich präsent sein muss.
Die auftretenden Probleme und Fallkonstellationen sind auch vor dem Hintergrund permanen-
ter Veränderungen auf der Zeitachse (z. B. Klimaänderung, sozial-wirtschaftliche Veränderun-
gen) so variabel, dass sie nicht mit starren Regelungen alleine verwaltet werden können. Die
Administration verlangt also eigene fachliche Expertise, um die Lösungen selber suchen zu
können oder entsprechend an Partner – privatwirtschaftlich oder wissenschaftlich – vergeben
zu können. Gleichzeitig werden an die Flexibilität und die Kreativität der Organisationen des
Wassersektors große Anforderungen gestellt. Globale Wasserwirtschaft muss einer der innova-
tivsten Sektoren sein, wenn eine Chance bestehen soll, die Herausforderungen der MDGs
erfüllen zu können.
Ansatz 22: Zur Durchsetzung der gesellschaftlichen Interessen der Nachhaltigkeit
und der Integralität des Wassersektors sind Administrationen mit eigener fachlicher
Expertise, zentraler Verantwortlichkeit und regionaler Präsenz notwendig.
Eine wichtige Funktion der Fachverwaltungen ist die Schnittstelle zur Politik. Das bezieht
sowohl die Beratung der Entscheidungsgremien ein wie auch die landesweite Umsetzung der
politischen Entscheidungen.
Diese Fachverwaltungen sind auch Partner der Kommunen, der Wirtschaft und der weiteren
Stakeholder und sorgen dafür, dass die gewünschten Nutzungen sowohl für Individuen wie für
Interessengruppen im Sinne des Gemeinwohls (der Nachhaltigkeit) optimierbar sind. Dazu
gehört eine hinreichende, auf einem umfassenden Monitoring basierende Datenlage (Wissen)
(Erhebung von Grunddaten = assessment, in Bayern „Erhebung der Hydrologischen Grundda-
ten“) und die Information der Beteiligten, was gleichzeitig eine Grundlage der Leistungen
einer Bürgergesellschaft ist. Aufgrund dessen ist die Regulierung und Kontrolle als hoheitliche
Bereiche zur Überwachung der Bestimmungen der Wasserpolitik in einer nachhaltigen Art und
Weise gewährleistet.
Staatliche Beratung ist eine der wirksamsten Methoden, eine positive staatliche Entwicklung
zu unterstützen. Durch die flächendeckende Präsenz können so rasch neue Erkenntnisse kom-
muniziert und flächendeckend umgesetzt werden377. Grundsätzlich gehört die Beratung durch
den Staat zum Steuerungsprinzip im Bereich der Freiwilligkeit und ist als solches unverzicht-
bar, unabhängig vom zum Teil sehr hohen Wirkungsgrad, der im individuellen Fall erreicht
werden kann.
Je nach Bedarf können Fachverwaltungen auch unmittelbar operative Aufgaben übernehmen.
Die Weltbank nennt insbesondere den Wasserbau bzw. den Schutz vor Naturgefahren (Hoch-
wasser) als originäre staatliche Aufgabe. Andere Untersektoren wie Wasserver- und Entsor-
gung müssen nicht von staatlicher Seite übernommen werden. Als Beispiel für eine im We-
sentlichen nach diesen Grundsätzen organisierte Wasserwirtschaftsverwaltung ist in Anhang 6
das bayerische Modell geschildert.
377
Vor dem Hintergrund der Sparbemühungen soll sich der Staat in Bayern hier allerdings beschränken.
Nicht mehr „das Wünschenswerte“ sondern nur noch „das unumgänglich Notwendige“ soll Maßstab
staatlichen Handelns sein (Regierungserklärung Ministerpräsident Stoiber 2003). Es ist aber noch
nicht untersucht, wie sich diese Haltung auf die Zielsetzung eines Aktivierenden Staates auswirkt.
152 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
378
nach Art. 83 Abs. 1 Bayerische Verfassung i. V. m. Art. 57 Abs. 2 Bayerischer Gemeindeordnung
379
Direktor der IIED für Human Settlements Programme, (das IIED ist eine unabhängige, Non Profit
Organisation, die Muster für eine nachhaltige weltweite Entwicklung durch gemeinsame Forschung,
Potitikstudien, Netzwerke und Wissensverteilung unterstützt.
[http://www.iied.org/aboutiied/index.html])
380
IIED 2003, S. 48 ff
3.3 Management 153
improves access to adequate provision for currently deprived downstream residents.”381 Wei-
terhin setzt sich das Papier mit der Rolle der Privatwirtschaft in diesen ländlichen Regionen
auseinander und kommt zu dem Schluss, dass es wenig Anhaltspunkte dafür gibt, dass dort ein
Engagement des privaten Sektors die Ziele der MDGs im Siedlungswasserbau erreichen hilft.
Als Alternative sieht die IIED also nur die lokalen Initiativen unter kommunalem Manage-
ment, die „zunehmend Interesse von internationalen NGOs, Geberinstitutionen und, mit Ein-
schränkungen, von internationalen Wassermultis fänden“, die nach kostengünstigen Strategien
für flächendeckende Versorgung suchen würden382. Dazu nennt der Bericht Beispiele aus Pa-
kistan, Bangladesh, Indien und Angola:
„It is tempting to present community-managed water and sanitation as the locally driven alterna-
tive to the dominant international policy agendas of recent years. Community management does
typically imply that users participate in the management of their water and sanitation resources
and facilities, and some advocates of community participation are very critical of private sector
participation as well as the “top-down” water and sanitation planning associated with public
utilities. However, many of the most innovative and successful examples of community-managed
water and sanitation saw themselves not as replacing public or private provision but as showing
new ways in which public or private provision could reach poorer groups383.“ Im Grunde deckt
sich diese Ansicht mit den bayerischen Erfahrungen des Services in ländlichen Regionen, auch
wenn dort natürlich nicht der Armutsaspekt im Vordergrund steht.
Auch in urbanen Bereichen ist die Beteiligung der kommunalen Kompetenz im Wassersektor
unverzichtbar, unabhängig davon, ob die Städte die Aufgabe Wasserservice selber wahrneh-
men oder staatliche oder private Unternehmen dies leisten. Der Erfolg kommunaler Modelle
hat mehrere Gründe. Die Kommunen
• sind die Basis des demokratischen Staatsaufbaus.
• haben wichtige Aufgaben im Bereich der Daseinsfürsorge; vielfach ist Wasser kommunale
Pflichtaufgabe. Weiterhin sind in vielen Kommunen der Welt die Wasservorräte die einzi-
gen nennenswerten und gleichzeitig wertvollsten Bodenschätze.
• sind häufig für die sonstige Infrastruktur, insbesondere für Baurecht und Verkehrserschlie-
ßung, zuständig. Sie besetzen damit wichtigste kostenrelevante Entscheidungspositionen.
• sind nach den Familien und mit den Nachbarschaften ein Garant für soziale Belange. Was-
ser ist, wie kaum ein anderes öffentliches Gut, von hoher sozialer Bedeutung – gerade die
Versorgung der ärmeren Bevölkerungsschichten muss, wie in den MDGs verankert, ein
Hauptanliegen der Gemeinschaft sein.
• sind i. d. R. für die „Raumordnung“ (in Deutschland im Rahmen der Bauleitplanung, d. h.
der Flächennutzungspläne und der Bebauungspläne) in ihrem Zuständigkeitsgebiet verant-
wortlich und haben damit Einfluss auf die kostenrelevante Bautätigkeit), insbesondere
durch Steuerung der teuren Infrastruktur von Wasser bis Elektrizität und Schulen, durch
Berücksichtigung von Schutz- und Gefahrenzonen wie Natur- und Wasserschutzgebieten
sowie hochwasser- und erosionsgefährdeten Gebieten. Hier sind die ärmeren Bevölke-
rungsschichten oft die Opfer und Täter, wenn man die Situation in vielen Slums betrachtet,
381
Diese Kritik am normativen Charakter des IWRM ist nicht nur in Bezug auf die ländlichen Gemein-
den berechtigt. Dahinter steht, dass die deklaratorische Integralität für sich alleine noch keine Verbes-
serung produziert, viele Probleme haben auch gar nichts mit Integralität zu tun.
382
ebenda, S. 52
383
ebenda, S. 53
154 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
die in entsprechenden Risikozonen errichtet sind. Besonders die meisten montanen Regio-
nen sind aufgrund der knappen Siedlungsfläche von diesen Problemen betroffen.
Vieles spricht dafür, dass Wasser (wie Luft) unveräußerbares Eigentum der Öffentlichkeit sein
sollte und die kommunale Ver- und Entsorgung unveräußerbare Pflicht der Gemeinde (die sich
dazu allerdings weitgehende Unterstützung holen darf). Entscheidungen über Struktur, Tarife
usw. sollten in den Kommunen gefällt werden können und damit mit den gesellschaftlichen
Belangen harmonisiert werden. Diesem Gedanken entsprechen zum Beispiel sowohl die Rolle
der Kommunen in Deutschland als auch das französische Modell.
Ansatz 23: Die bedeutende Verantwortung der Kommunen für das Wasser bedeutet:
„Der Brunnen bleibt im Dorf“.
Die Gründe, die für solche Bedingungen sprechen, liegen nicht nur in verfassungsrechtlichen,
menschenrechtlichen Annahmen (Wasser ist Allgemeingut), sondern auch in der Forderung
nach größtmöglicher Effizienz gemeinschaftlichen Handelns. Dabei ist zu beachten, dass kom-
munale Lösungen in rein betriebswirtschaftlicher Hinsicht den privaten Modellen prinzipiell
gleichwertig sind384. Eine Effizienzsteigerung ist dann wahrscheinlich, wenn die Optimierung
des Betriebes auf volkswirtschaftliche Kriterien ausgerichtet wird. Ein weiterer Mehrwert lässt
sich durch den Ansatz der Partizipation erreichen, der auf kommunaler Ebene besonders güns-
tig umzusetzen ist.
Weltweit existieren kommunale Modelle in verschiedenen Nuancen. Die Wasserinfrastruktur
ist zum Beispiel in Deutschland, Frankreich und USA kommunale Pflichtaufgabe, die auf
verschiedene Weise erledigt werden kann, vom kommunalen Eigenbetrieb bis zu Konzession
oder Teilprivatisierung. Beispiele für gut funktionierende Betriebe gibt es in jedem Privatisie-
rungsgrad von 0 %, also vom rein staatlichen bzw. kommunalen System über beliebig aus-
weitbare private Beteiligung bis zu annähernd 100 %385, wie beim britischen Modell, bei dem
im Prinzip auch noch die staatliche Überwachung privatisiert ist. Wichtig ist aber, dass zu
jeder Lösung ein entsprechender ordnungsrechtlicher Rahmen gehört. (Vergleiche dazu Abbil-
dung 2-13, Seite 62, in der dieser Zusammenhang ausgehend vom kommunalen Eigenbetrieb
bei zunehmendem Privatisierungsgrad dargestellt wird).
In der tool-box der GWP wird den kommunalen Strukturen, im Gegensatz zum in dieser Arbeit
vertretenen Ansatz, keine besondere Rolle zugesprochen386.
In B1.07 wird der große Anteil der öffentlichen Einrichtungen im Siedlungswasserbau und der
Bewässerung einschließlich der verbreiteten Probleme bezüglich Effizienz angesprochen.
GWP geht davon aus, dass durch Reformen eine den Privaten vergleichbare Effizienz erreicht
werden kann („Reform can yield efficiency gains of the sort normally associated with the pri-
vate sector”).
Außerdem werden für öffentliche Infrastrukturen an sich Empfehlungen gegeben:
„There are some common elements for reform (improved efficiency) for service providers
which include:
384
Zur kommunalen/privaten Konkurrenz vgl. die Seiten der Gruppe: www.kommunaler-wettbewerb.de
385
IWA, Berlin 8. bis 9. April 2003
386
ebenda, Strengthening public sector water utilities (Die Texte in der Ausgabe 2005 sind bis auf re-
daktionelle Änderungen identisch, d.h. die Weiterentwicklung der Philosophie bezüglich der „public
services“ hat sich nur in Kap. B1.07 manifestiert)
3.3 Management 155
• A clear and effective regulatory framework (both financial and service delivery)
• Greater autonomy from government and day-to-day interference
• Commitment to effectively monitored performance targets, (e.g. new connections, leakage
reduction, reliability, bill collection rates, financial break-even, etc.)
• Tariff reform to improve cost recovery
• Motivation and training of staff, oriented to customer needs
• Sub-contracting services to the private sector, where this is feasible and efficient
• Restructuring the organization to reflect new goals and orientation.“
Die Empfehlungen sind zu unterstützen und entsprechen den Erfahrungen. Was in den weite-
ren Ausführungen der GWP zwar angesprochen wird, aber als Instrument in den anderen Ka-
piteln zu kurz kommt, ist die starke gemeinschaftliche, partizipative und kulturell-soziale Kraft
der Kommunen.
„In the context of IWRM, local authorities affect the aquatic ecosystems through their energy
supplies, land uses (including zoning and impermeable areas), point and non-point pollution,
construction practices, public education, solid waste and urban drainage practices, among
other areas.”…„The role of local authorities and governments in supporting IWRM is particu-
larly strong where there are moves towards decentralization and democratization of planning
and resource management. Local governments offer a strong forum for local participation,
particularly through internationally recognised programs, such as Local A21 planning, and
can be instrumental in providing information and supporting dialogue among stakeholders
and policy makers.”387
Kommunale Verantwortung und Verbünde als Modellsystem
Der Rahmen für eine leistungsfähige Infrastruktur ergibt sich aus der Auswertung der o. g.
Diskussion. Als Startwert kann folgendes Basismodell (Tafel 11) verwendet werden:
387
GWP 2005, B1.10
156 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
Staat Großstruktur
Talsperren
Grundwasserschutz
Zweckverband Fernleitungen,
Zuleitungen,
Große gemeinsame
Schutzgebiete
Verbandskläranlagen
Kommune Eigenversorgung
Verteilung, Sammlung
Kläranlagen
Privat Hausanschlüsse,
Ggf. Kleinkläranlagen
Tafel 11: Vorschlag für ein Grundmodell der Zuständigkeit für die Wasserinfrastruktur
1. Die Kommune ist Hauptverantwortlicher für Wasserver- und Entsorgung. Das beinhaltet
insbesondere die Wasserverteilung, aber auch die Tarifierung.
2. Soweit überlokale Verbünde nötig sind, können diese durch die betroffenen Gebietskörper-
schaften gebildet werden. Das bedeutet: „Beileitungen“ und gemeinsame Anlagen (Aufbe-
reitung, Speicherung, Pumpen, Abwasserreinigung) werden gemeinsam betrieben).
3. Die Verbesserung des überregionalen Dargebots sollte Staatsaufgabe im Rahmen des Res-
sourcenmanagements sein (z. B. durch Beileitungen oder Trinkwassertalsperren).
Offen ist, in welcher Form die Kommunen diese Aufgaben am besten wahrnehmen. Mit meh-
reren Tausend eigenständigen Wasserversorgern ist Bayern, ähnlich Thüringen, ein für europä-
ische Verhältnisse extremes Beispiel kleinräumiger Strukturen, die aber weltweit durchaus als
typisch gelten können. Einerseits ist durch diese kleinräumige Gliederung dem Gedanken der
Subsidiarität in hoher Weise Rechnung getragen, andererseits kommen besonders die ganz
kleinen Betriebe an Grenzen der technischen und finanziellen Leistungsfähigkeit. Dies bildet
sich in Bayern beispielsweise bei der Eigenüberwachungsverordnung ab, in der an kleine Be-
triebe schon per Verordnung deutlich geringere Anforderungen gestellt werden. (doch auch die
werden nicht immer erfüllt).
Das Gegenteil ist die strukturelle Entwicklung zum Beispiel in den Niederlanden, in denen
durch Zusammenlegung der kommunalen Betriebe die Zahl landesweit auf ein Dutzend Groß-
versorger geschrumpft ist. Es gibt tatsächlich Aufgaben, die nur in größeren Verbünden sinn-
voll geleistet werden können. Darunter fällt die Wasserbeschaffung durch Talsperren, Fern-
und Überleitungen, aber unter Umständen auch tägliche Aufgaben wie Wartung und Monito-
ring. Deshalb ist zu empfehlen, dass sich besonders kleine Gemeinden zur Erledigung dieser
Aufgaben zu Verbänden und kommunalen Gebietskörperschaften zusammenschließen (siehe
Abb.3-11), die groß genug sein müssen, um die anfallenden Aufgaben effizient zu bewältigen,
3.3 Management 157
und so nah an der kommunalen Verantwortung, wie dies zur Wahrung des Gemeinwohls ideal
ist.
Dort, wo größere Ausgleichsaufgaben zu lösen sind, ist ein stärkeres finanzielles oder auch
operatives Engagement des Staates sinnvoll, ev. im Rahmen von kommunalen Verbänden.
Ansatz 24: Verbände und Nachbarschaftshilfe machen subsidiäre, kommunale Sys-
teme effizient, ohne den partizipativen Einfluss der Bürgergesellschaft zu beschnei-
den.
Die Vorteile von Verbänden liegen auf der Hand, z. B. bei der Wasserversorgung:
• gemeinsame Nutzung und Schutz der vorhandenen Wasserressourcen; gemeindegebiets-
übergreifende Schutzmaßnahmen sind leichter durchsetzbar.
• Sicherheit durch (Ring)-verbünde, d. h. mehrere Standbeine für die Versorgung mit Roh-
wasser, erhöhtes Speichervermögen für Spitzenbedarf (Brand), evtl. Ringschlüsse für Lei-
tungsredundanzen z. B. im Reparaturfall,
• günstigerer struktureller Aufbau (Ortsteile können an den jeweils günstigsten Übergabe-
punkten anschließen, das Netz kann auf diese Synergien ausgerichtet werden.);
• Möglichkeit, aufgrund der besseren Auslastung qualifizierteres Personal in ausreichendem
Umfang einzustellen.
• Maßgeschneiderte Tarifsysteme innerhalb des Verbandsgebiets
• Synergien bei Rechnungswesen, Betrieb usw., leichtere Überwachung, Qualitätskontrolle
(u. a. wegen Fragen der Zulassung bzw. Akkreditierung)
• Erhaltung aller Vorteile der kommunalen Lösung trotz größerer Unternehmen (Die Bürger
behalten den (emotionalen) Bezug zu ihrer Infrastruktur.).
Stadt, Betriebsführungs-
Abstimmung
Gemeinde modelle
Stadt, Eigengesellschaft
Gemeinde Eigenbetrieb
Stadt, Kommunaler
Gemeinde Regiebetrieb
Bei der Abwasserentsorgung kommt den angepassten Lösungen, die aus vermischten Syste-
men bestehen können (Kleinkläranlagen, Gruppenkläranlagen, Gemeinde- bis Verbandslö-
sung) eine größere Bedeutung zu. Überregionale Verbünde kann es bei großen Bewässerungen
geben. (ein Beispiel ist die Drainierung der Bewässerungen im Aralseegebiet). Der übliche Fall
sind regionale Verbünde, mit folgenden Vorteilen:
• qualifizierte Überwachung und Beratung, auch bei kleinen Anlagen
• Synergien bei Unterhaltung und Betrieb
• Großkläranlagen erreichen üblicherweise bessere Reinigungsleistungen, vor allem bei lokal
einseitigem Abwassertyp (Industrie) hilft die bessere Mischung der Abwässer
• leichtere Durchsetzbarkeit in größere Sanierungsgebiete, um z. B. die Trinkwassergewin-
nung oder Seen vor Schadstoffeinträgen zu schützen (vergleiche den Fall Toritama, An-
hang 11).
Das Prinzip der Verbünde bzw. der Verbände lässt sich auch besonders gut für schwierigere
typische Problemlagen (siehe nächstes Kapitel) anwenden.
Die GWP beschreibt ebenfalls Partnerschaften. Die dort beschriebenen tools sind aber relativ
unverbindlich auf fundamentale Entwicklungszusammenarbeit bezogen388.
Strukturdiskussion der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung
Gegen die Verbünde auf kommunaler Basis kann es auch Einwände und öffentliche Kritik
geben. Werden die Strukturen größer, entstehen möglicherweise Probleme, die sich einem
Verstoß gegen das Regionalitätsprinzip (vgl. 3.3.4.1) zuordnen lassen. Größe ist aber ein rela-
tiver Begriff. Oft fühlt sich schon ein Ortsteil mit wenigen Einwohnern vom Hauptort oder der
Mehrheit der eigenen Gemeinde vereinnahmt. Psychologie, aber oft auch nur vordergründige
finanzielle Motive machen ein Ausscheren aus der Solidargemeinschaft attraktiv.
Ein sehr typisches Beispiel ist die Wasserversorgung. Nur wenn möglichst viele Bürger
anschließen, werden die strukturellen Fixkosten soweit verteilt, dass die Preise annehmbar
bleiben. Wenn einzelne (insbesondere größere) Verbraucher aus diesem Verbund aussche-
ren, weil sie zufälligerweise über eigene Quellen verfügen, trägt das zur Belastung der an-
deren bei. Oft richten solche Privatversorgungen überdies noch Umweltschäden an, wenn
Brunnen in tieferen Bodenschichten den Grundwasserstand absenken und es dadurch zu
Schadstoffdurchbrüchen (unzureichende Stockwerkstrennung) oder zu Meerwasserzutrit-
ten kommt, um zwei typische Fälle aus Europa und Lateinamerika zu zitieren.
Infrastruktur ist nicht nur ein Beitrag zum Gemeinwohl, sondern lebt auch (finanziell und
ideell) von der Solidargemeinschaft. Dieser Anspruch des Gemeinwohls muss immer wieder
388
GWP 2005, B1.11 „Building Partnerships“: Dort geht es mehr um Allianzen und Selbsthilfe als um
Zusammenarbeit. „A partnership is often characterized as a working relationship between stake-
holders with mutual and equal participation, joint interest and shared responsibilities. Processes in a
partnership are typically transparent and based on an open dialogue.” Dennoch sind die dort ge-
machten Schlüsse auch auf kommunale Verbände übertragbar, z. B. aus:„Lessons learned, Learning
and Capacity building: A tool is only of value in the hands of a craftsman. In West Africa facilitators
from Benin were trained on the job in Benin and Burkina Faso. After this they continued using the
tool almost independently (with only some advice through e-mail) in a different sector (social for-
estry). Transfer of this capacity leads to creating a community of facilitators, that can develop the
methods used. The trainees should have some experience in working with groups, as trainer, teacher
or manager.”
3.3 Management 159
verteidigt werden. Dies führt zum Ansatz des Solidaritätsprinzips, das fast zu den Nachhaltig-
keitsprinzipien gezählt werden muss und das sowohl zur wasserrechtlichen Genehmigungs-
pflicht wie auch zum Anschluss – und Benutzungszwang führt.
Oft sind die Auseinandersetzungen aber tiefer begründet und prinzipiell berechtigt, zum Bei-
spiel bei der Diskussion zentraler oder dezentraler Lösungen oder der emotional schwierigen
Auseinandersetzung um die zentralen Versorgungen der großen Wasserkonzerne (vgl. auch
Kap. 2.3.3).
In Bayern gibt es bis heute eine aus technischer Sicht kaum nachvollziehbare, immer wieder
erneuerte kontroverse Diskussion um die sogenannte Fernwasserversorgung. Die immer wie-
der diskutierten Kritikpunkte an diesem System beziehen sich zum Teil auf sachliche Argu-
mente, zum Teil auf emotionale:
• So wird manchmal die Qualität des Fernwassers als schlechter empfunden, weil der Härte-
grad nicht mit dem gewohnten Wasser übereinstimmt. (Versorgungsprobleme durch objek-
tiv schlechte Werte des lokalen Trinkwassers werden dagegen verdrängt.)
• Es wird ein Ausweichen vor Problemen der Verschmutzung durch die Landwirtschaft und
• eine Aufgabe der kommunale Selbstständigkeit und Eigenbestimmung befürchtet.
• In aller Regel ist das eigene Wasser viel billiger als beigeleitetes.
Dennoch sind Beileitungen und Verbünde unter bestimmten Konstellationen praktisch ohne
Alternativen:
• Naturräumliche Argumente: Verbünde und Beileitungen sind in Wassermangelgebieten
regelmäßig eine Voraussetzung für die Siedlungsentwicklung. Natürlich muss dies jeweils un-
ter Nachhaltigkeitsaspekten genau geprüft werden. Selbst im wasserreichen Südbayern
kommt eine Millionenstadt wie München nicht ohne die Beileitungen aus Mangfall und Loi-
sachtal aus, vor allem, wenn aus Qualitätsgründen auf Grundwasserressourcen zugegriffen
werden soll. Ähnlich ist es mit der Versorgung von Nordbayern: Die Wasserwirtschaftsver-
waltung hat einen Fehlbedarf durch die sauberen Bilanzierungen sehr frühzeitig (in den frü-
hen 60-er Jahren) erkannt und über Jahrzehnte mit den zur Verfügung stehenden Mitteln ein
sogenanntes Ausgleichs- und Verbundsystem aufgebaut 389. Ohne dieses System wäre es in
weiten Bereichen schon vor Jahren zu wirtschaftlichen Engpässen gekommen. Unter dem As-
pekt der Nachhaltigkeit sind solche Lösungen folglich prinzipiell zulässig – mindestens als
Teil der ökonomisch-sozialen Nachhaltigkeit – müssen aber natürlich in entsprechenden Pro-
zessen auf die Gesamtnachhaltigkeit überprüft werden. Dazu dienen die üblichen Instrumente
wie UVP. Das Regionalitätsprinzip wurde und wird in Bayern dadurch beachtet, dass trotz der
Wasserbeileitung alle lokalen Wasservorkommen nach Möglichkeit weiter genutzt werden.
Tatsächlich liegt der Anteil der Nutzung lokaler Wasserschätze im Schnitt bei über 2/3 des
Verbrauches. Fernwasser wird überwiegend in wasserknappen Zeiten (Hochsommer) zur Ent-
lastung ansonsten übernutzter Grundwasservorkommen eingesetzt. Damit ist dieses System
auch im Sinne strenger Maßstäbe als nachhaltig einzustufen.
• Qualitätsargumente: Jedes Land hat bestimmte Mindeststandards der Trinkwasserquali-
tät. Oft reicht das Dargebot in qualitativ einwandfreiem Zustand nicht aus. Bei anthropoge-
nen Belastungen ist eine Beileitung im Grunde nur vertretbar, um die Zeit bis zur Sanie-
rung des Rohwassers zu überbrücken, alternativ steht die Aufbereitung.
389
OBB 1977
160 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
Städtepartnerschaften
Das alte europäische Modell der Städtepartnerschaften wird zunehmend auf dem Wasser-
sektor weiterentwickelt und führt zu wasserbezogenen Städtepartnerschaften oder bewuss-
ter Einbeziehung des Wassersektors in vorhandene Partnerschaften. Dies ist besonders
dann hilfreich, wenn gleichzeitig in dieser Region größere, meist drittfinanzierte Projekte,
stattfinden. Erhebliche Synergien können die Folge sein, wenn das kommunale Know-how
in die Projekte eingebunden werden kann. Auf der IFAT 2002 wurden erste Wasserpart-
nerschaften auf kommunaler Ebene zwischen Polen, Rumänien und Ungarn sowie dem
Freistaat Bayern unterzeichnet.
390
meist staatliche Betriebe, deren sprichwörtliche mangelnde Effizienz interne Ursachen hat
391
In vielen GUS Staaten findet man heute noch die Aufteilung zwischen den beiden Staatsbetrieben
„Vodokanal“ und „Agrovodokanal“. Zweiterer übernimmt die Beileitung für die landwirtschaftliche
Bewässerung, teilweise auch der ländlichen Region
392
wie die SABESP (Sao Paulo) oder die COMPESA (Pernambuco)
3.3 Management 161
Die grundsätzlichen Anforderungen an Effizienz sind, egal ob bei Staat, Kommune oder Privaten,
immer gleich. Es hängt vom Leistungstyp und von den individuellen Bedingungen ab, ob Leistun-
162 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
gen besser von privater oder öffentlicher Seite erledigt werden können. Zur Unterstützung der
Aufgabenzuteilung gemäß zeigt Tabelle 3-5 eine Zuordnung der Leistungen in drei Grundtypen.
Neben Aufgaben, die klar dem öffentlichen oder dem privaten Sektor zuzuordnen sind, werden
dort Opportunitätsleistungen definiert, d. h. Leistungen, bei denen je nach Umfeldbedingungen
eine Erledigungsform vorzuziehen ist. Ein nicht genormtes Merkmal für diese Entscheidung könn-
te die „Eleganz“ der Lösung sein, die sich zum Beispiel in der Zahl der Schnittstellen abbildet.
Als weiterer Beitrag des privaten Sektors wird von vielen Entwicklungsorganisationen, allen
voran der Weltbank, die Rolle als Kapitalgeber gesehen. Dies hat sich unter anderem im Mon-
terrey-Konsensus abgebildet (vgl. S. 48f). EID393fordert: „…, die Konferenz hat sich deutlich
für neue Partnerschaften ausgesprochen. Um alle Menschen mit Wasser zu versorgen, sind
jährlich rund 180 Mrd. US Dollar erforderlich – es stehen jedoch seitens der öffentlichen
Haushalte und der internationalen Staatengemeinschaft jährlich nur rund 80 Mrd. US Dollar
zur Verfügung. Um die Finanzierungslücke von 100 Mrd. US Dollar zu schließen, brauchen
wir einen aktiven Privatsektor, der sich im Wasserbereich engagiert und investiert. Deshalb
bemühen wir uns in der Entwicklungszusammenarbeit um die Einbeziehung der Privatwirt-
schaft, auch der deutschen Unternehmen.“
Der an anderer Stelle bereits beschriebene bisherige Lauf der Dinge zeigt aber, dass diese
Erwartungen hochgesteckt sind. Die Renditen, die private Anleger brauchen, wirft der Wasser-
sektor nicht ab (und darf er wohl im Sinne seiner ganzheitlichen Bedeutung gar nicht abwer-
fen). Das Kapital-Risikoverhältnis ist daher meist unbefriedigend. Die Bereitschaft der Priva-
ten, als Finanziers von risikoreichen Wasserinfrastruktur-Großprojekten aufzutreten, wird
deshalb bei weitem überschätzt. Inzwischen richten sich deshalb die meisten strategischen
Überlegungen der großen Privaten auf den europäischen und US-amerikanischen Markt, Ent-
wicklungsgebiete werden zunehmend gemieden.
393
parlamentarische Staatssekretärin des BMZ, im Schlussdokument zum Wassergipfel 2001
3.3 Management 163
394
Glück 1996, S.113f
395
d.h. der Markt, der die Bedürfnisse der Nachhaltigkeit erfüllt
396
Brink 2001
397
M&A Management = Mergers and Akquisition Management
164 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
schaft, kann als individuelle Voraussetzung verstanden werden“.398 Das Entscheidende bei
diesem Ansatz ist, dass BRINK zwei Motivationen für Value-Based Management sieht.
Erstens besteht eine deontologische Motivation (d. h. ethische Selbstverpflichtung): „Die Her-
ausforderung der Zukunft wird nicht technischer oder wirtschaftlicher, sondern ethischer und
kultureller Art sein“399.
Zweitens erwartet er auch einen echten Mehrwert für das shareholder-value-Konzept. Dieser
Mehrwert basiert auf den Synergien bzw. der Effizienz, die impliziter Teil der echten Nachhal-
tigkeit ist: „Die Steigerung des shareholder-value erfolgt nun (1) durch die veränderte Stake-
holderrezeption in Form einer Image-Steigerung, (2) durch die Erhöhung von Glaubwürdig-
keitspotential und damit einhergehend durch die Reduktion von Risiko und Kapitalkosten und
(3) durch die Verringerung von Agency-Costs (monitoring costs)“400.
Inwieweit diese Art des Managements realistisch ist, ist derzeit offen. Es ist strittig, ob sich
diese Verhaltensweise wegen des langfristigen Mehrwertes in der globalen Wirtschaft von
selber durchsetzt oder ob dies nur durch globale Rahmensetzung zu erreichen ist.
WALLNER401 et al. arbeiten eine Vision eines nachhaltigen Unternehmens aus. Dieser sehr
visionäre, nicht so weitgehend differenzierte Ansatz ordnet den Unternehmen selber die Rolle
einer nachhaltigen Kernzelle zu. Die Theorie dahinter lautet, dass sich die Wirtschaft insge-
samt in einem Wandlungsprozess zur Nachhaltigkeit hin befindet. Die Steigerungswirtschaft,
die auf permanenten Zuwachsraten basiert, wird durch eine Nachhaltigkeitswirtschaft ersetzt,
die einer „Ankunft“ in einer stabilen Situation entspricht.402
Gemeinsames Merkmal einer neuen Nachhaltigkeitswirtschaft sind implemente Nachhaltig-
keitsmerkmale, d. h. sie macht ökologische und soziale Nachhaltigkeit zum eigenen Ziel. Es
entsteht daraus unter anderem die „Corporate Social Responsibility“, die auf einem neuen
Wertesystem basiert. Unter anderem wird in diesem Konzept der Regionalitätsaspekt aufge-
griffen: „Wirtschaft braucht beides, einen starken Regionsbezug und die Freiheit internationa-
ler Märkte. Heute fehlt großteils der kulturell angepasste Regionsbezug“403. Eine implemente
Doktrin der Nachhaltigkeit in Unternehmen wäre ein wesentlicher Schritt zu einer nachhalti-
gen Welt. Mit einer so gestalteten inneren Unternehmensethik wäre der Anspruch des allge-
meinen Wohlergehens durch freies Wirtschaften besser zu erfüllen.
398
Brink 2001, S. 266
399
ebenda, S. 269
400
ebenda, S. 266
401
Wallner et al. 2004
402
ebenda, S. 56: Die Motivation zu diesem Paradigmenwechsel wird aus einer aktuellen Zielkrise her-
geleitet: „Unsere Gesellschaft und somit die Wirtschaft stehen heute vor einer Zielkrise. Mit Effizienz,
als Mittel der Wahl in der Steuerkrise, lassen sich die Probleme unserer Wirtschaft nicht mehr ent-
scheidend verbessern.“
403
ebenda, S. 78
3.3 Management 165
Deshalb müssen die Methoden, wie innerbetrieblich größere Effizienz erreicht werden kann, in
die Überlegungen zum IWRM zentral miteinbezogen werden. Je effizienter jedes Teilsystem
bewirtschaftet wird, desto effizienter ist das Ganze.
Tab. 3-6: Optionen der betrieblichen Nachhaltigkeit [nach WALLNER et al., verändert405]
Soziale und gesellschaftliche Dimension
Gesellschaftlicher Zusammenhalt Gleichbehandlung, respektvoller Umgang und Austausch mit ande-
ren Kulturen, Stärkung von Vereinen und Ehrenamt, Sicherheit und
Frieden
Schaffen von Entwicklungsmög- Zugang zu Aus- und Weiterbildung, neue Betätigungsfelder, Kreati-
lichkeiten (privat und beruflich) vität, Informationen
404
Wallner et al. 2004
405
Wallner et al. 2004, S. 154ff
166 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
In der Konsequenz können drei Qualitäten für nachhaltiges betriebliches Management identifi-
ziert werden:
1. Betriebliches Effizienzmanagement, also eine möglichst effiziente Art und Weise, her-
kömmliche betriebliche Ziele zu erreichen. Allein mit diesem Anspruch, der noch keinerlei
besondere Anforderungen an ein Unternehmen stellt, außer seine Sache im wohlverstande-
nen Eigeninteresse so gut wie möglich zu machen, wird bereits ein ganz wichtiger Schritt
in Richtung Nachhaltigkeit gegangen. So widerspricht bereits dieser Ansatz der Ver-
schwendung.
2. Gesellschaftsbezogenes Effizienzmanagement, d. h. die Miteinbeziehung volkswirt-
schaftlicher Gesichtspunkte in das Effizienzmanagement. Damit wird der Wirkungsgrad
der unter Nr. 1 genannten Maßnahmen weiter vergrößert. Insbesondere der Ressourcen-
verbrauch geht zurück, ggf. entstehen zusätzliche Mittel, um bestimmte, gesellschaftlich
verlangte Aufgaben zu lösen. Je nach Auslegung gesellschaftlicher Effizienz wird in dieser
Stufe bereits ein Paradigmenwechsel vollzogen, weil der Ertrag nicht mehr nur finanziell
definiert wird, sondern vielmehr auch den Erhalt/Ausbau des ökologischen und sozial-
kulturellen Potentials beinhaltet.
3. Nachhaltigkeitsmanagement: Spätestens hier findet ein Paradigmenwechsel statt. Das
Unternehmen erklärt die Ziele der Nachhaltigkeit zu seinen eigenen Zielen. Für das „Un-
ternehmen Staat“ sollte das der Normalfall sein, für Unternehmen der freien Wirtschaft ent-
spricht dies einer Vision. Dies könnte auch einer Bürgergesellschaft durch ein aktives Ein-
treten für nachhaltige Ziele unterstützt werden.
406
Dieser Aspekt wird ansonsten im Bereich der kulturell-sozialen Belange geführt.
3.3 Management 167
3.3.3.2 Managementmethoden
Die Steigerung der betrieblichen Effizienz ist eine kontinuierliche Herausforderung. Auf der
operativen Ebene braucht dazu nichts Neues erfunden zu werden, es ist lediglich notwendig,
sich mit den bekannten Managementtools auseinanderzusetzen.
Merkmal der Managementtools ist, dass sie überwiegend unabhängig von der Unternehmensform
anwendbar sind. Die Unterschiede, welches Mittel mit welcher internen Effizienz einsetzbar ist,
ergeben sich aus der speziellen Situation. Dies ist die eigentliche Kunst des Managements: die auf
die spezifisch vorhandene Situation am besten angepassten Tools anzuwenden.
Als Leitlinie kann gelten, dass in der Regel Extreme falsch sind. Die seltene Ausnahme sind
dabei Change-Prozesse, die mit solchen Verkrustungen zu kämpfen haben, dass nur revoluti-
onsähnliche Anpassungen zielführend sind. Der Regelfall sieht anders aus.
Erste Voraussetzung ist, eine möglichst große Zahl von Tools in ihrer Art und Anwendbarkeit
zu kennen. Daraus sind diejenigen herauszufiltern, die im Einzelfall Sinn machen. Der Erfolg
wird immer von der richtigen Mixtur der Maßnahmen abhängen. Einen Überblick über die
sechs Basisbereiche und dazugehörige wichtige Managementtools gibt Abb. 3-12.
Management-Bausteine
• Zeitaufschreibung • Erweiterung der Budgetierung
• Berichtswesen • Projektbudgets
• Kennzahlen • Langfristig: Produkthaushalte
• Benchmarking: intern/extern • Übersicht
Ziele: Organisations-
strateg./operativ Start TQM entwicklung
Qualitäts- P.Führung
management P.Entwicklung
• Prüf- u. Kontrolleinrichtungen • MA-Gespräche
• Vorschriftswesen • MA-Befragung
• Sicherheitsaspekte • Zielvereinbarungen
• P-Entwicklungskonzept
TQM = Total Quality Management • Aus – und Fortbildung, Trainee
KLR = Kosten- Leistungsrechnung
MA = Mitarbeiter
P = Personal
Abb. 3-12: Managementtools [weiterentwickelt DEINDL407]. Im Zentrum steht das Total Quality Mana-
gement. Die sechs Hauptgruppen müssen in irgendeiner Form in jedem Betrieb vorhanden sein.
407
Deindl 2003
168 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
Mit dieser Grafik entsteht eine Art Checkliste. Zu jedem der Hauptpunkte bzw. Unterpunkte
sollte ein Unternehmensmanagement „etwas sagen“ können, d. h. sie müssen reflektiert und
entschieden sein. Hier gilt: die Elemente sind überwiegend parallel geschaltet, d. h. wenn ein
Modul fehlt oder versagt, wächst zwar das Risiko, es wird aber nicht automatisch der Bestand
gefährdet.
Zu den einzelnen Unterpunkten existieren jeweils diverse Theorien und Ratschläge. Es ist
nicht Sache dieser Arbeit, diese Vorschläge und Methodiken im Einzelnen darzustellen und zu
diskutieren. Die wesentliche Aussage ist, dass man sich im Unternehmen mit jedem dieser
Bereiche bewusst auseinandersetzen muss. Welcher Managementphilosophie man sich dann
letztlich zuwendet, hängt von der Unternehmensphilosophie ab – und umgekehrt.
Ansatz 27: Modernes Management muss alle Werkzeuge kennen und bewusst dieje-
nigen auswählen, die zur Organisation und zur Anforderung passen.
Aus dem Umgang mit nachhaltigem Management ergibt sich allerdings eine Liste von prakti-
schen Hinweisen, möglichen Hinderungsgründen und Gefahren, die bei der Anwendung dieser
Tools zu berücksichtigen sind:
1. Die Offenheit von Managern und Mitarbeitern, sich bewusst mit der inneren Effizienz
auseinanderzusetzen, ist immer eine Grundvoraussetzung (vgl. change management). Hier
ist Kommunikation wichtig.
2. Wenn Änderungen anstehen, kommt es typischerweise zu einer überbordenden Menge an
neuen Tools. Die Mitarbeiter merken das daran, dass der Takt neuer Ansätze immer schnel-
ler wird. Ein Alarmzeichen ist, wenn sich grundsätzliche Reformvorschläge überlappen,
d. h. neue Strukturen schon wieder eingeführt werden, obwohl die alten noch mitten in der
Umsetzung begriffen sind. Das kann zwar vorkommen, bedeutet aber automatisch, dass ei-
ne der Lösungen – die alte oder die neue – ein Fehler war. Dies untergräbt natürlich das
Vertrauen in die Reform. Hier sind dosierte, überlegte Lösungen gefragt.
3. Kritisch sind rasch wechselnde strategische Zielbestimmungen. In der Wirtschaft ist ein
Negativbeispiel das Hin und Her zwischen Diversifizierung und Konzentration auf das
Kerngeschäft, im Staatsbereich Deregulierung und Outsourcing contra politische Steue-
rung.
4. Externe Berater sind eine unverzichtbare Hilfe. Auch hier hängt die Qualität von Persön-
lichkeiten ab. Außerdem lässt sich nachhaltige Führung durch externen Sachverstand un-
terstützen, aber nicht ersetzen.
5. In nachhaltigen Firmenstrategien ist die Bilanz nur ein Kriterium. Gerade in größeren Fir-
men finden sich deshalb unter den Zielen auch Begriffe wie Ethik, Nachhaltigkeit, Stand-
ortsicherung, Regionsbewusstsein, Gerechtigkeit usw.
Die Motivationen für Veränderungen muss in mehr als in Kosten- und Personaleinsparung
bestehen. Zu Verbesserungen, im Idealfall in Richtung Nachhaltigkeit, gehört eine Vision, eine
Mission, Unternehmensleitbilder und -ziele. „Nur ein Unternehmen, das in der Gesellschaft
eine wichtige Aufgabe erfüllt und Sinn zu stiften vermag, wird langfristig überlebensfähig
sein.“408 Der Wassersektor hat diese eindeutige gesellschaftliche Aufgabe; es sollte also sehr
gut möglich sein, die Visionen und Missionen in diesem Sektor zu definieren.
Die von WALLNER behauptete Verknüpfung der Überlebensfähigkeit von Unternehmen mit
ihren Visionen und Zielen gibt einen Hinweis darauf, dass es zu Managementtools eine Meta-
408
Wallner et al. 2004, S. 102
3.3 Management 169
ebene gibt, die mit den internen und externen Zielen der Organisation korrespondieren muss.
Für diese Ebene wird der Ausdruck der Corporate Identity verwendet, die sowohl eine Funkti-
on der Unternehmensphilosophie wie auch der Unternehmenskultur beschreibt. Zur Verdeutli-
chung soll das Konzept der Firma GORE dienen, die 2005 zum achten Mal unter die 100 US-
Firmen gewählt wurde, „für die sich am besten arbeiten lässt“409. Die Quelle für diesen Erfolg
sieht das Unternehmen vor allem in seiner Managementkultur.
Die Unternehmensprinzipien sind410:
• Die Freiheit zur Selbstentwicklung, Weiterbildung, Fähigkeiten;
• Die sog. Wasserlinie, die die Freiheit, „etwas Neues, Risikobehaftetes auszuprobieren dort
begrenzt, wo das Unternehmen selber in Gefahr kommt (das Unternehmen ist ein Schiff.
Ein aus Versehen beim Ausprobieren von etwas Neuem gebohrtes Loch über der Wasserli-
nie macht nichts, unter dieser Linie geht das Schiff vielleicht unter.);
• Commitment, übersetzbar mit (Selbst-) Verpflichtung oder auch Hingabe zu den Unter-
nehmenszielen (Ownership) und
• Fairness.
Unter den Unternehmenszielen werden „Money and Fun“ als Kreislauf definiert. Mit Geld ist
dabei sowohl das persönliche Einkommen als auch der Ertrag der Firma, an der die Mitarbeiter
über Aktien mit sehr langer Wiederverkaufssperre beteiligt werden, gemeint. Dies erzeugt
Ownership. Fun bedeutet das Gefühl von Mehrwert und Bedeutung der eigenen Arbeit, das
sich in der Reaktion des Kunden widerspiegelt, ein Produkt von hohem Wert erworben zu
haben.
Bemerkenswert sind auch die inneren Unternehmensstrukturen: Es gibt keine festen Hierar-
chien, sondern als lattice (Molekularstruktur, Gitter) bezeichnete flexible Strukturen, deren
Kernpositionen von wechselnden „Natural Leaders“ besetzt werden. Als Kommunikations-
form wird 1 to 1, also jeder mit jedem empfohlen. Letztlich entsteht ein Management als „A-
möben Konzept“ (Amoeba Concept), das nach der Chaostheorie zusammen mit den o. g. Spiel-
regeln sehr kreative Organisationsformen erlaubt (Open Systems) (vgl. die Rolle der Intermit-
tenzen und Bifurkation der Chaostheorie). Dieses Beispiel einer vom Üblichen abweichenden,
aber sehr erfolgreichen Organisation zeigt, dass
• keine festen Vorgaben für das beste Managementsystem existieren,
• eine stimmige innere Managementkultur wichtiger als mechanisch angewendete „tools“ ist,
• die Managementkultur die Kreativitätskraft und das Ergebnis maßgeblich beeinflusst, und
schließlich
409
Zitat: (http://www.gore.com/en_xx/news/fortune_besttoworkfor2005.html, 2005) “ABOUT THE
FORTUNE U.S. "100 BEST COMPANIES TO WORK FOR" LIST
Authors Robert Levering and Milton Moskowitz initiated the collection in 1984 with a best-selling
book, 100 Best Companies to Work For in America. Gore is one of only four companies to be in-
cluded in their three hardbound and eight subsequent magazine rankings. Selection and ranking was
based on a review of responses to a randomly distributed employee survey, written survey comments,
company responses to a "people practices" questionnaire, and company literature. In all, over 350
companies were evaluated from more than 1,000 under consideration. Companies are scored in four
areas: credibility (communication to employees), respect (opportunities and benefits), fairness (com-
pensation, diversity), and pride/camaraderie (philanthropy/celebrations). The Great Place to Work®
Institute, the research and consulting firm founded by Robert Levering, produces Best Companies to
Work For lists in more than 23 countries“
410
Flik, H. 1990, S. 92–97
170 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
• der Erfolg eines Unternehmens von seinen Mitarbeitern abhängt (über alle Hierarchieebe-
nen hinweg).
Zusammenfassend ist festzustellen, dass es keine feste Vorschrift für die Anwendung bestimm-
ter Managementtools gibt, wohl aber die Anforderungen an das Management, sich mit allen
bekannten Tools zu beschäftigen und daraus die passenden auszuwählen. Hier macht es die
Qualität, nicht die Quantität. Voraussetzung ist aber, dass man sich über die internen und ex-
ternen Unternehmensziele klar ist. Die grobe Methode, Effizienz alleine als Funktion der Kos-
ten bzw. des Personals zu sehen, ist in aller Regel nicht ausreichend und führt nicht zu nach-
haltigen Ergebnissen.
Ansatz 28: Nachhaltige Effizienz ist nicht überwiegend eine Funktion der Kosten
(u. a. Arbeitsplätze), sondern des Nutzens (nachhaltiger Mehrwert). Ziel ist nicht,
suboptimale Lösungen billiger zu machen sondern in Richtung Nachhaltigkeit opti-
mierte Ansätze zu gestalten.
3.3.4.1 Ergebnisse der Chaosforschung als Teil der Kreativität und der Qualitätssi-
cherung
DESER (1996) hat sich intensiv mit der Rolle der Chaosforschung für Unternehmen auseinan-
dergesetzt, insbesondere damit, wie erkannte chaotische Prozesse wie Bifurkation, Musterbil-
dung (Fraktale) und Selbstorganisation Unternehmen positiv beeinflussen können. Man kann
diese Effekte in der Unternehmensorganisation nutzen, wie von WARNEKE411 bereits 1993
formuliert.
Die „Fraktale Fabrik“ bildet selbstähnliche Zellen in den verschiedenen Hierarchieebenen ab,
von der Konzernzentrale bis zur Fertigung vor Ort. Damit wird nach dem Prinzip der Zelltei-
lung das unternehmerische Credo in allen Ebenen verankert, die damit selbstständig kreativ
und flexibel auf ihre Umgebung (Markt, Kunde) reagieren können.
„Jede „Zelle“ des Unternehmens ist in der Lage, in ihrem Bereich Entscheidungen zu treffen,
die im Einklang mit dem Ganzen stehen – auch wenn sie nicht im Detail über die jeweiligen
Tätigkeiten in anderen Teilen der Organisation informiert sein kann.“412
Diese Zellen entwickeln damit auch eine hohe Reaktions- und Anpassungsgeschwindigkeit für
Veränderungen im Unternehmen. Nach diesem Prinzip ist GORE organisiert, aber auch die
Wasserwirtschaftsämter in Bayern weisen Parallelen zu diesem Prinzip auf.
Die Erkenntnisse über Vorteile des organischen (fraktalen) Prinzips haben Konsequenzen für
die Ansätze des Lean-Managements: Nach DESER stehen nämlich „unreflektiert übernomme-
ne Lean-Management-Konzepte“ in krassem Gegensatz zur heute notwendigen Flexibilität der
Struktur und synergetischen Entscheidungskompetenz („Subsidiarität“) im Netzwerk. „Frakta-
le Strukturen benötigen Redundanz, d. h. bei mechanistischer Sichtweise für überflüssig gehal-
tene Vielfachfunktionen, da jedes Subsystem mit allen für das selbstständige Agieren notwen-
digen Eigenschaften ausgestattet sein sollte. Undifferenzierte Magerkonzepte bei Unterneh-
411
Zitiert nach ebd, S. 86 ff
412
Deser 1996, S 89
3.3 Management 171
men, welche darauf abzielen, den „Organizational slack“ in Gänze zu eliminieren, tragen
zwar zur Minimierung des Ressourceneinsatzes mit den damit verbundenen kurzfristigen Ein-
sparungseffekten bei, aber sie vernachlässigen die Zukunftsvorsorge im Sinne der Flexibili-
tätserhaltung. Denn ‚zusätzliche Ressourcen begründen in diesem Sinne zukünftige Reaktions-
spielräume der Organisationen und tragen damit zu einer Erhöhung der Umweltflexibilität bei
unvorhergesehenen Umweltvariationen bei.’“ 413
Diese Interpretation der Redundanz der Personalausstattung legt nahe, dass fraktale Unterneh-
mensstrukturen möglicherweise Konsequenzen für den allgemeinen Betrieb als auch für Si-
cherheitsaspekte haben:
• Unternehmensberater setzen üblicherweise bei der Minimierung des Ressourceneinsatzes
an. Häufiges Ziel ist, die Prozesse so zu straffen, dass die Ressourcen möglichst zu einhun-
dert Prozent ausgelastet sind. Was bei Maschinen durchaus richtig ist, ist aber in Unter-
nehmen, deren Herausforderung im Sinne der kontinuierlichen Fortentwicklung und Ver-
besserung üblicherweise die Innovation ist, kritisch. So gesehen wirken zu schlanke Struk-
turen ebenso hemmend auf den Fortschritt wie zu große, unbewegliche.
• OELNITZ leitet die Notwendigkeit der dauernden Innovationskraft aus der permanenten
Veränderung der Umweltsituation ab. Diese auf Wirtschaftsunternehmen und verändernde
Märkte bezogene Aussage lässt sich aber genauso auf die permanente Veränderung unserer
Lebensumwelt, z. B. auf die technische Entwicklung, Naturereignisse oder großmaßstäbli-
che Effekte – vor allem Klimawandel - beziehen. Damit ist der Wassersektor erheblich auf
Flexibilität und Innovation angewiesen.
• Auch der Betrieb und die Qualitätssicherung basieren in einigen Bereichen auf Kreativität
und Redundanz, z. B. beim Vieraugenprinzip. Gleichzeitig ist Betrieb, Unterhalt und QM
aber oft auch ein schöpferischer, kreativer Akt, z. B. bei der permanenten Risikoabschät-
zung. Zum Beispiel kündigt sich das Versagen eines Bauteils, einer Struktur oder einer
Strategie oft an, allerdings selten in einer Weise, die nicht interpretiert werden müsste.
– Das Geräusch der Kavitation ist manchmal zu hören. Aber ab wann wird es zum Prob-
lem für die Leitung oder die Turbine?
– Die Druckmessanlagen der Sickerlinien in Talsperren sind leise Warner. Das Modell
der Beruhigung oder der Gefahr entsteht in den Köpfen der Beobachter, ist aber ge-
wöhnlich so komplex, dass es ohne intensive Diskussion kaum erschließbar ist (System
des Ausschlusses von Gefahrenszenarien durch Diskussion von Gefahrenhypothesen).
– Die Schwächen eines Deiches zeigen sich durch die Farbe des Grases, durch bestimmte
Pflanzen oder Bodenformen. Der Arbeiter, der die Deichschau vornimmt, muss diese
erkennen und verarbeiten können. Wächst die Strecke, die ihm zugeteilt wird, wird er
das irgendwann nicht mehr können.
– In einem Bereich häufen sich Fehler, z. B. der produzierte Ausschuss oder die Krank-
heitsrate steigt an – beides Hinweise auf Überlastung.
Auf der Ebene der Interaktion – also des human factors – setzt sich also die Erkenntnis der
Kreativität fraktaler Muster fort. Das Urprinzip ist das Vermögen der chaotischen Strukturen
zur (effizienten) Selbstorganisation, die quasi autark eine entsprechend flexible, leistungsfähi-
ge, produktive Arbeitsumgebung schafft. Wichtiger Teil davon ist die interne Kommunikation.
Statt abgegrenzter hierarchischer Linien ergibt sich ein hochkommunikatives Muster, das ne-
ben dem formellen ausdrücklich auch den informellen Informationsaustausch pflegt. FLIK gibt
als Leitlinie „1 to 1“ aus, d. h., jeder im Unternehmen soll mit jedem persönlich kommunizie-
413
Oelsnitz S.115, zitiert bei Deser 1996, S. 92
172 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
ren dürfen414. Das Management hat in diesem System eine neue Rolle: statt strengen „Perso-
nenkults“ ist ein kooperativer, offener Führungsstil das Ziel; Ordnung ins Chaos bringen klare
Delegation, Zielvereinbarungen und Leitlinien.
Eine wesentliche Frage liegt auch im Begriff des Vertrauens. Traditionelle Führung arbeitete
viel mit Ordnung, Weisung und Kontrolle. Selbstorganisierende, selbstverantwortliche Syste-
me basieren mindestens zusätzlich auf Vertrauen und Offenheit. Vertrauen hat eine kompli-
ziertheits- und komplexitätsreduzierende Wirkung415. Darin liegt ein erhebliches Synergiepo-
tential.
WALLNER (2005) wendet die Chaostheorie sogar auf die Entwicklung der Wirtschaftssyste-
me an. Er erkennt aktuell eine gesamtgesellschaftliche Bifurkation, die den Wandel einer auf
„Steigerungswirtschaft“ basierenden Gesellschaft zu einer „Nachhaltigkeitswirtschaft“ be-
schreibt. Diesen Wandel sieht er zeitgleich mit einem Wechsel in den „KONDRATIEFF-
Zyklen“416. Der dadurch entstehende Übergangsraum stellt ein klassisch chaotisches Umfeld
dar (Bifurkation), in dem labile gesellschaftliche Zustände eine Neuformation ermöglichen417.
414
Flik 1996
415
Deser, 1996, S 161
416
die den alle 40 bis 60 Jahre stattfindenden Übergang z. B. vom Öl- und Automobilzyklus zum Infor-
mations- und Computerzyklus zur Gen- und Biotechnologie und weiter zur Nanotechnologie be-
schreiben.
417
Wallner 2004, 48ff
3.3 Management 173
Kritische Diskussion:
Integralität ist kein Selbstzweck, sondern ein gezieltes Tool, das sich allerdings durch Mitein-
beziehung von zu vielen Parametern ad absurdum führen kann. Es gilt das Gebot der priorisie-
renden Reduktion, d. h. der Auswahl, welche Parameter für ein bestimmtes Ziel wichtig sind.
Ansatz 29: Integrale Wasserwirtschaft muss über Sektoren, Räume und die Zeit den-
ken. Einer Überfrachtung dieses Ansatzes ist durch eine gezielte Parameterauswahl
und Dimensionsabgrenzung zu begegnen.
Gerade bei transsektoralen integralen Betrachtungen entsteht regelmäßig ein Nachhaltigkeits-
dilemma, wenn ein echter Zielkonflikt zwischen zwei oder mehreren Nachhaltigkeitskriterien
besteht. Der Ansatz der „schwachen“ und „starken“ Nachhaltigkeit und die Frage der Anthro-
pozentrik oder Ökozentrik wurden in Kap. 2.1.1.2 umfassend diskutiert. Es entsteht daraus der
Bedarf nach einer abgestuften oder differenzierten Betrachtung418. Ausgangspunkt ist der me-
thodische Grundsatz der Einbeziehung der Stakeholderinteressen, wie bereits von BRINK
(s. o.) entwickelt. Im bayerischen Wasserbau ist das Prinzip der Projektveredelung durch Ein-
beziehung der Stakeholderinteressen vielfach erprobt und in seiner Wirkung nachgewiesen
(vgl. Kap. 3.2.4).
Ein alternativer Lösungsansatz ist, zunächst die Nachhaltigkeitskriterien für den betrachteten
Kernbereich zu definieren und dann in einem zweiten Schritt den Abgleich, gegebenenfalls
den Kompromiss, mit den verknüpften Belangen zu suchen. Hier sind klare Abgrenzungen
notwendig, für welche Bereiche in welchem Kontext sich die Frage einer strengen Nachhaltig-
keitsbetrachtung überhaupt stellt. GRUNWALD führt aus: “Specification of the fields of appli-
cation: exactly what they apply to, and what not must be stated. I.e. a field of responsibility for
sustainability must be delimited from questions for which sustainability isn’t relevant 419. Ein
Beispiel dafür ist das Thema Wassersparen: Zwar gibt das Axiom der Nachhaltigkeit bestimm-
te, allgemeingültige Regeln vor. Wie zu Punkt eins ausgeführt, muss aber tatsächlich der Ein-
zelfall beleuchtet werden. GRUNWALD weiter: „Operationalizability (Einsatzfähigkeit?):
concrete ascription must be made of these judgments (sustainable/ unsustainable) to societal
circumstances or possible developments“420. So hat in Südbayern, einer extrem wasserreichen
Region, Wassersparen einen vollkommen anderen Stellenwert als in wasserarmen Gebieten.
Der transtemporale Ansatz kann hier wie der translokale helfen. Nachhaltigkeit muss nämlich
als dynamischer Prozess verstanden werden421. In der Praxis muss man aber vielleicht diesen
komplizierten Dialog gar nicht führen, wenn man entsprechend dem Iterationsansatz (Ansatz
15) schrittweise vorgeht:
418
Diese Vorgehensweise entspricht Ansatz 15: Aufgrund der komplexen Anforderungen an eine Was-
serinfrastrukturentwicklung sind bei der (Weiter-) Entwicklung eines angepassten Managements in
der Regel iterative Vorgehensweisen angebracht
419
Grunwald , 2005 S. 108
420
Grunwald 2005 S. 108
421
Kyriakou 2005, 75ff
174 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
1. Planung nah am „Kunden“ bzw. am Bedarf, aber nach den anerkannten Grundsätzen integraler,
nachhaltiger Planungen
2. Beachtung der Effizienzkriterien, Wirtschaftlichkeit in der Planung
3. Zusatznutzen und Zusatzbedarf erkennen und berücksichtigen (Ansatz 4)
4. Kontrollschritt
a. Erkennbare Nachhaltigkeitskonflikte innerhalb des überplanten Systems?
b. Einbeziehung der Nachbarbelange, integrale, offene Planung
5. tiefer gehende Diskussion der schwachen oder starken Nachhaltigkeit nur wenn Konflikte auftreten
erforderlich => Änderung der Grundplanung oder Konsequenzen?
6. Wiederholung von Schritt 1 bis 5 unter neuen Erkenntnissen
Tafel 12: Einfaches Schema einer iterative Vorgehensweise zur integralen Planung
422
Kahlenborn / Kraemer 1999, S. 165 - 180
3.3 Management 175
Zweitens durch den Anteil an Partizipation und Dialogen im Strategieprozess, („Stars in Busi-
ness)
• visionäre Orientierung der Unternehmensführung (gemeinsam entwickelte, kommunizierte
und gelebte Visionen)
• proaktive Handlungsmuster und Entscheidungsstrukturen
• Strategieentwicklung in Teams
• Einbindung von erfolgsrelevanten und gesellschaftlich relevanten Stakeholdern in den
Strategieprozess
• Langfristziele und Controlling (regelmäßige Strategieklausuren, strat. Controlling, Bal-
anced Scorecard423)
• Kommunikation der Visionen, Ziele im Unternehmen und außerhalb
Die gleichzeitige Erfüllung beider „Starbedingungen“ führt zum „Star in sustainable busi-
ness“, der „Nachhaltigkeit zum strategischen Prinzip der Selbsterneuerung innen und außen
vernetzt kommuniziert“424.
Zur Evaluierung der Unternehmensleistung wird dort ein an die Nachhaltigkeitsbelange ange-
passtes System der Balanced Score Card vorgeschlagen. Dieses in der Privatwirtschaft aner-
kannte Verfahren wird z. B. von HORAK et al.425 ausdrücklich auch für die Anwendung in
öffentlichen Organisationen empfohlen.
WALLNER et al. weiten das Prinzip auf die Nachhaltigkeitsbelange aus, indem sie eine „Bu-
siness A21 Scorecard“ definieren, die als Perspektiven Werte, Humanität, Ressourcen, Kom-
munikation und (ökologisches) Umfeld vorschlägt.426 In Analogie wird vorgeschlagen, für die
Wasserwirtschaft die in Tafel 13 genannten acht Basisziele werteorientiert indiziert und in die
BSC aufzunehmen. Um die integralen Nachhaltigkeitsbelange abzubilden wird vorgeschlagen,
die Partizipation i. S. der Beteiligung und Ergebnisse des Aktivierungsprozesses und die Kom-
munikation i. S. der public awareness als Grundaufgabe 9 und 10 aufzunehmen427.
423
Die Balanced Score Card dient einer ausgleichenden strategischen Steuerung einer Organisation
anhand von Leistungskennzahlen in meist 4 Zielfeldern (KundInnen/ MitarbeiterInnen/ Finanzen/
Organisationsentwicklung).
424
Wallner et al. 161 ff
425
Horak et al. 2002, 11f
426
Wallner et al. 2004, S. 175 ff
427
Eine Indizierung der Tripel-Belange als Unterziele – z. B. die wirtschaftlichen, sozialen und ökologi-
schen Unterziele des Monitorings – wäre alternativ ebenfalls möglich, würde die Zielmatrix aber un-
übersichtlich machen.
176 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
428
Vorschlag für eine Ergänzung einer Balance Score Card
3.3 Management 177
3.3.4.3 Veränderungsmanagement:
„Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Mauer, die anderen Windmühlen“ (chi-
nesisch)
Externe Dynamik und Veränderungen (kontinuierliche Weiterentwicklung der Abwä-
gungskriterien)
In Kap. 2.1.1.2 wurden bereits ausgiebig die Grenzen und Probleme der Nachhaltigkeitsansät-
ze diskutiert. Mehrfach wurde abgeleitet, dass Nachhaltigkeit eine gewisse Dynamik aufweist.
Das widerspricht allerdings dem Wunsch, Nachhaltigkeit nach einer einfachen, deklaratori-
schen Sicherung eines Ist-Zustandes zu definieren, wie es bisweilen im Rahmen der Auslegung
der europäischen FFH-Richtlinie passiert. Die Sorge hier ist, dass ein Anerkenntnis der natür-
lichen Dynamik zum Beispiel das Verschlechterungsverbot „aushebelt“429. Allerdings wird
sich dieser Ansatz bei natürlichen oder großmaßstäblichen Prozessen wie Erosion (Alpenfal-
tung) oder Klimaveränderung nicht durchhalten lassen. Die simple Lösung der komplexen
Gleichung Nachhaltigkeit, der rein bewahrende Naturschutz, der nach möglichst wenig Verän-
derungen strebt, geht deshalb nicht auf.
In einigen Fällen wurden z. B. selbst Renaturierungen von verbauten Flüssen in Frage ge-
stellt, weil sich an den Ufern inzwischen wieder Sekundärbiotope gebildet hatten, die als
schützenswert erklärt wurden – das Opfer würde zum zweiten Mal der Fluss430.
In einem anderen Fall wurden Auwälder als prioritäre Gebiete ausgewiesen, obwohl seit
der Korrektur eines Flusses seit 1888 eine dramatische Eintiefung voranschreitet, die in
kurzer Zeit ein Ende des Bestands des Auwaldes bedeutet. Dem Verschlechterungsgebot
kann aus finanziellen Gründen nicht entsprochen werden; selbst die günstigste Variante
der Sohlstützung kostet dreistellige Millionenbeträge in EUR. Tatsächlich ist der heute als
FFH-Gebiet ausgewiesene Zustand nicht mehr als eine Momentaufnahme eines seit über
100 Jahren hochdynamischen Systems, das sich so wahrscheinlich langfristig nicht erhal-
ten lassen wird.
429
Art 6 (2) FFH- Richtlinie: Die Mitgliedstaaten treffen die geeigneten Maßnahmen, um in den beson-
deren Schutzgebieten die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten
sowie Störungen von Arten, für die die Gebiete ausgewiesen worden sind, zu vermeiden, sofern sol-
che Störungen sich im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken könnten.
430
Beispiel Main im Bereich des ehemaligen WWA Bamberg: Dort hat nach einer zunächst aus natur-
schutzfachlicher Sicht wegen des Eingriffs in ein vorhandenes Sekundärbiotop abgelehnten Renatu-
rierungsmaßnahme ein sprunghafter Anstieg um über 70 gezählte geschützte Arten einschließlich
Eisvogel und Wasseramsel stattgefunden.
178 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
Dies ist kein Freibrief für kurzsichtige politische Opportunität, sondern vielmehr eine ständige
Herausforderung, gesellschaftliche Bedürfnisse zu erkennen und den langfristig besten Rat
dazu zu geben. In gewissem Sinne handelt es sich auch um ein Prinzip des „flexible response“,
der lagegerechten Reaktion auf erkannte Bedürfnisse unter bestmöglicher Umsetzung der als
langfristig richtig erkannten Maximen. Umgekehrt wird deutlich, wie leicht gegen das Rever-
sibilitätsprinzip verstoßen wird. Bei internationalen Planungen, die durchaus in kaum verän-
derten Landschaften stattfinden können, ist das zu berücksichtigen. Beispiele für in Europa zu
ihrer Zeit als richtig und heute als höchst problematisch angesehene Strategien sind die:
• Begradigung zur Schiffbarmachung und zum schnelleren Hochwasserabfluss,
• Meliorationen zur besseren Landbewirtschaftung,
• Polderung zur landwirtschaftlichen Nutzung (Oderbruch),
• Besiedlung bestimmter (Überschwemmungs-) Bereiche.
Interessant ist die Frage, ob man zu den Zeiten, als diese Maßnahmen durchgeführt wurden, zu
anderen Ergebnissen gekommen wäre, hätte man die Nachhaltigkeitskriterien bereits als
Gradmesser gehabt. Das Ergebnis ist wahrscheinlich unterschiedlich. Solange Hunger herrsch-
te, war sicher eine Abwägung in Richtung einer intensiveren Landwirtschaft vorgegeben. Ein-
tiefungen durch Begradigungen waren ein „intelligenter“ Ersatz für die damals noch nicht
vorhandenen großen Erdbaumaschinen.
Umgekehrt waren zwar die Siedlungen und Gewerbegebiete mangels anderer Energiequellen
überwiegend an die Flüsse gebunden, von der Ver- und Entsorgung ganz abgesehen. Ange-
sichts der heute bekannten Schäden hätte man aber sicher mehr Respektsabstand gehalten.
Eine Parallele zwischen Kultur und der Dynamik einer nachhaltigen Entwicklung sieht
GLÜCK: „Der notwendige Maßstab im Umgang mit der Natur steckt in dem Wort „Kultur-
landschaft“. Wenn wir mit der Natur umgehen wie mit anderen anerkannten und respektierten
Kulturgütern – einfühlsam, sehr sorgfältig abwägend, ob ein Eingriff oder gar eine Zerstörung
angemessen und zwingend notwendig ist, wissend um die Bedeutung der Kulturgüter jenseits
ihres materiellen Wertes und ihre Nützlichkeit für den Alltag – dann haben wir auch die not-
wendige Basis, das notwendige Einfühlungsvermögen für den Umgang mit der Natur. Dies
führt nicht zum Konservieren, zur Erstarrung, sondern zur behutsamen Entwicklung.“431
Beispiele für aktuelle Entwicklungen gibt es viele. Im Schutzwasserbau wurde in der Vergan-
genheit über Jahrhunderte vor allem punktförmig durch unmittelbare Bedeichung u. Ä. rea-
giert. Seit den 70er-Jahren wächst das Bewusstsein, in der Linie – also das Flussbett entlang -
zu denken, die Oberlieger-Unterlieger-Diskussion begann. Die 90er-Jahre brachten massiv die
Erkenntnis des Einflusses der Fläche – das Flusseinzugsgebietsmanagement wurde zum Maß-
stab. Insbesondere die großen Naturereignisse seit 1995 – mehrere große Hochwässer z. B.
1995, 1999 und 2002, der Lawinenwinter 2001, das Trockenjahr 2003 bis hin zur Tsunami-
Katastrophe 2004 – haben eine neue Diskussion des Naturgefahrenmanagements aufkommen
lassen. Das Erkennen der Bedeutung alternativer Schutzmechanismen – z. B. passive Sicher-
heit wie die Freihaltung der Überschwemmungsgebiete, Versicherungen, Frühwarnung, Ver-
netzung mit den Katastrophenbehörden – haben zu einer sprunghaften Veränderung der
Schutzstrategien geführt. In Bayern wurde Ende 1999 das Programm 2020 entwickelt, das auf
den drei Sektoren „Natürlicher Rückhalt“, „Technischer Schutz“ und „Vorbeugenden Maß-
nahmen“ basiert.432 In Österreich und der Schweiz wurde die Gefahrenzonenplanung forciert,
431
Glück 1996, S.165
432
STMLU 2001
3.3 Management 179
in der Schweiz wurde mit der Gründung der PLANAT ein auch organisatorisch integrales
Modell von Naturgefahrenmanagement gegründet433. Die IKSD434 hat im Jahre 2004 ein fluss-
einzugsgebietsbezogenes Hochwassermanagement beschlossen. Gleichzeitig haben die Ge-
setzgeber, z. B. in Deutschland durch den Gesetzesentwurf zu Hochwasserschutz, auf europäi-
scher Ebene mit dem Richtlinienentwurf zum Hochwasserschutz reagiert. Mit Stand 2005
werden zusätzlich zu diesen Initiativen die Verbesserung des Risikodialogs und abgestufte
Schutzkonzepte diskutiert. Diese absolut bemerkenswerte Entwicklung ist sicher auch mit der
Diskussion um die A21 und mit den integrieren Ansätzen verknüpft, kommt also nicht von
ungefähr. Dennoch ist daran abzulesen, welches Entwicklungspotential in diesem Bereich
noch vorhanden war.
Daraus ist als Konsequenz zu ziehen, dass jede Überzeugung auch offen für Veränderung und
Wissenszuwachs bleiben muss, sowie dass die Abwägungen trotz aller Sorgfalt immer wieder
überprüft und ggf. überarbeitet werden müssen. Es wird deshalb als Ansatz formuliert:
Ansatz 30: Die Abwägungskriterien müssen aufgrund des wachsenden Wissens in
Technik und Naturwissenschaft sowie bezüglich der Nachhaltigkeit von Prozessen ei-
ner permanenten Überprüfung unterzogen werden.
433
PLANAT 2003
434
KSD = Internationale Kommission zum Schutz der Donau
435
Die Pilotfraktale bilden die Kernzelle für die Muster der späteren Organisation. Sie werden sich in
diesen Prozessen früher oder später selber bilden, können aber auch gezielt z. B. durch Fortbildungs-
gruppen, Testphasen o.a. erstellt werden. Dieser Vorgang ist einem „Animpfen“ nicht unähnlich
(entwickelt aus DESER 1996).
436
Deser, 1996, S.113f
180 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
Grundlagen: Die Bereitschaft zur flexiblen Entwicklung sollte Teil der Unternehmenskultur
sein, ggf. ist folglich die Unternehmenskultur das erste Ziel für einen Veränderungsprozess.
Veränderungen sind als eigene Prozesse zu verstehen und entsprechend bewusst zu steuern.
Das dazu dienende Change-Management wird vor allem bei tiefgreifenden Veränderungspro-
zessen angewandt und ist sehr weitgehend untersucht und beschrieben. Tatsächlich treten bei
jeder Reform zunächst Aufwand und Kosten auf. Jeder Reformer muss sich darüber klar sein,
dass der mindeste Preis einer Veränderung interne Reibungsverluste für ca. ein bis zwei Jahre
sind. Diese sind nicht zu verhindern, sie ergeben sich auch bei bestem Willen aus sachlichen
Gründen (Umzüge, neue Arbeitsmittel, Übergangslösungen), aber auch aus halbsachlichen
Gründen wie Kommunikationsprozessen, Orientierungs- und Rüstzeiten, innerer Selbstfin-
dung, usw. Nach einem Leitsatz des Change-Managements besteht jeder Veränderung gegen-
über zunächst einmal als sehr typische Haltung Misstrauen. „Dramatische Veränderungen
lösen Unsicherheit und Ängste aus“437. Diesem (übrigens psychologisch völlig gesunden)
inneren Widerstand, der wohl bei 80 bis 90 % der Mitarbeiter vorhanden ist, muss durch eine
bewusste Auseinandersetzung mit den Sorgen begegnet werden438. Organisationen neigen
folglich in Summe zur Beharrung, Visionen und Veränderungen werden intuitiv abgelehnt.
Diese Beharrungskraft der Systeme ist bis zu einem gewissen Grade ein Selbstschutz gegen zu
sprunghafte Veränderungen und hat damit durchaus ihren Sinn. Sie muss unter Aspekten der
Qualitätssicherung in den Veränderungsprozess eingebunden werden; es sind also konstruktive
Argumente zu berücksichtigen.
Organisationen sind hochkomplex. Ihre innere Struktur ist organisch gewachsen, in aller Regel
ist das positive Bemühen des Managements über Jahre eingeflossen. Dabei sind diverse Ein-
zellösungen für eine Unzahl von individuellen Problemstellungen zur Bewältigung bestimmter
Konflikte erreicht worden. Die Gefahr, bei einem Change-Prozess solche Detaillösungen zu
verlieren, ist groß.
Eine weitere grundsätzliche Herausforderung ist der Selbsterhaltungstrieb jeder Organisation.
Dieses aus dem normalen Sicherheitsdenken und Selbstverständnis der Menschen entstehende
Gefühl stellt immer den Erhalt der eigenen Organisation als internes (nicht kommuniziertes)
Oberziel an die erste Stelle. Diese Behauptung der beruflichen Daseinsberechtigung ist durch-
aus nichts unlauteres, ist aber mit einzukalkulieren, wenn für tiefgreifende Veränderungen
Unterstützung gesucht wird. In diesem Normalfall sind deshalb homogene, schrittweise Ver-
änderungen leichter umzusetzen als Revolutionen.439
Es besteht in der Summe bei solchen komplexen Prozessen immer die Gefahr von Fehlent-
scheidungen, die aber bis zu einem gewissen Grade zugunsten der Geschwindigkeit der Um-
setzung in Kauf zu nehmen sind.
437
Bumiller, 2002, S.2/6
438
Ausgerechnet von Goethes Italienreise stammt das Zitat: „Ich habe viel Gutes und Neues gesehen,
aber das Gute war nicht Neu und das Neue nicht Gut“. Dieses Zitat ist aus Sicht des modernen Chan-
ge-Managements nicht up to date, gibt aber das Grundgefühl vieler Mitarbeiter heutzutage durchaus
wieder, wenn es um besagte Change-Prozesse geht.
439
Der Sonderfall sind unlautere interne Eigeninteressen. Besonders hart wird der Widerstand gegen
Veränderungen nämlich, wenn z. B. korrupte Systeme involviert sind. Die Hartlebigkeit solcher oft
am Rande der Kriminalität agierenden Systeme macht eventuell sehr radikale Reformansätze nötig,
wie beispielsweise die komplette Auflösung der gesamten Organisationsstruktur.
3.3 Management 181
In jedem Falle sind strukturelle Veränderungen als Projekt zu sehen und entsprechend
sorgfältig vorzubereiten. Die sensible Komponente ist der Mensch. Wer dies nicht ver-
steht, riskiert ein Scheitern.
Der Prozess: Nur wenige Organisationen haben eine interne, selbst steuernde Veränderungs-
kultur. Deshalb steht am Anfang in der Regel ein von außen, also vom Markt oder der Politik
vorgegebener Anlass des Veränderungswunsches. Im Idealfall beinhaltet der Veränderungsan-
lass eine Vision. Wenn irgend möglich, sollte dieser „Visionäre Zustand“ für viele erkennbar
„besser“ sein als die Gegenwart. Im Normalfall ist allerdings Kostenersparnis, insbesondere
Personalreduzierung, der profane Grund440. Dann sind andere Ziele gefragt, nämlich effiziente-
re, kreativere Strukturen, die den Output zum nachhaltigen Nutzen erhöhen und nicht die Kos-
ten für nichtnachhaltigen Output verringern.441 Auch dann lohnt es sich aber, die positiven
Aspekte der Veränderungen (zum Beispiel Erhalt der Organisation an sich, Chancen) heraus-
zuarbeiten und zu kommunizieren. Diese Grundlagen müssen vorab festgelegt werden und
dürfen während des Change-Prozesses nicht mehr in Frage gestellt werden. (reiner Top-down-
Prozess). Alle Details sollten dagegen während des Prozesses möglichst partizipativ, flexibel
und unideologisch erarbeitet werden.
Die grundsätzlichen Entscheidungen zur Aufbauorganisation und Schlüsselpositionen müssen
„in den ersten fünf Tagen (Spitzenpositionen) bis in den ersten fünf Wochen (obere Leitungs-
ebene)“ 442 getroffen werden, damit möglichst frühzeitig das neue Team die Motivation zur
raschen Umsetzung der Reform hat. (Minimierung der Unsicherheitsphase). Von dieser Früh-
phase abgesehen, bei der ein kleiner strategischer Kreis sehr interne Vorüberlegungen insbe-
sondere zur neuen Führungsmannschaft anstellen muss, sollte der Prozess grundsätzlich trans-
parent kommuniziert werden. Ein Grund ist, dass die Aufgaben der Veränderung i. d. R. so
komplex sind, dass sie nur iterativ und im Dialog erfüllt werden können. Experten geben dazu
umfassende Empfehlungen.
Für viele Betroffenen werden diese unternehmensstrategischen Erwägungen aber nicht nach-
vollziehbar sein bzw. keine Verbesserung bringen. Hier ist an die Loyalität zu erinnern und
ggf. auch einzufordern. Veränderungen müssen verarbeitet werden. Eine kurze „Trauerphase“
ist durchaus zu akzeptieren. Unter Umständen können hier rituelle Handlungen wie eine
„Trauerabschlussfeier“, ein gemeinsames Essen, Fest oder andere symbolträchtige gemeinsame
Aktionen helfen, den Übergang von der alten zur neuen Zeit zu kennzeichnen. Change-
Prozesse fordern Kraft. Im Sinne des Ganzen ist diese Leistung von allen Mitarbeitern zu for-
dern. Es ist aber Führungsverantwortung, den Prozess und seine Ergebnisse im Sinne eines
nachhaltigen Mehrwertes zu gestalten.
Ansatz 31: Strukturen sollen nach Möglichkeit permanent homogen fortentwickelt
werden. Eckpunkte für tiefgreifende Veränderungsprozesse sind: Klare Ziele – Ge-
schwindigkeit - offene Kommunikation.
440
Oben wurden an diesem Automatismus und seinen Folgen bereits Zweifel geübt, insbesondere dann,
wenn die Lohnkosten im Vergleich zu den Gesamtkosten niedrig sind, wie es im internationalen Be-
reich häufig vorkommt.
441
Ein klassisches Problem sind die Redundanzen. Z. B. im Flugzeug ist jedes wichtige Computersystem
mehrfach redundant aufgebaut. In Wirtschaftsprozessen geht man bei der „Humanressource“ aber an
die Grenze des Machbaren, auf die Flexibilität des Menschen setzend. Unternehmensberater denken
in der Luft anders über Redundanzen als am Boden.
442
Zitat aus persönlichen Gesprächen mit Unternehmensvertretern
182 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
3.3.4.4 Flusseinzugsgebietsmanagement
Die Organisation im Rahmen von Flusseinzugsgebieten hat sich heute weltweit im Wassersek-
tor als die gängigste Managementform etabliert. In der A21 wird das Prinzip unter 18.9 darge-
stellt: „Die integrierte Bewirtschaftung der Wasserressourcen einschließlich der Einbindung
boden- und wasserspezifischer Aspekte soll auf der Ebene von Gewässereinzugsgebieten oder
von Teilen von Gewässereinzugsgebieten erfolgen.“ Im IWRM wird im Originaltext von 2000
unter Bezugnahme auf das Beispiel Frankreichs das Flusseinzugsgebietsmanagement (FEM)
empfohlen443 (die Wasserwirtschaft in Frankreich ist seit 1964 in sechs Flussgebiete organi-
siert – übrigens nach dem ursprünglichen Vorbild des Emschergebietes444). In Europa wird das
Flusseinzugsgebietsmanagement durch die EU-WRRL als prinzipieller Maßstab vorgegeben.
Inzwischen ist im Wassersektor die Bewirtschaftung im Rahmen von Flusseinzugsgebieten
allgemein anerkannter Standard. Die organisatorische Ausformulierung ist dagegen heute sehr
unterschiedlich. Das liegt an historischen Entwicklungen, aber auch an sachlichen Gründen:
Fast immer ist aber das Problem vorhanden, dass sich die politischen Grenzen nicht mit den
Einzugsgebieten decken. Ganz im Gegenteil wurden große Flüsse in der historischen Entwick-
lung der Nationalstaaten häufig als natürliche Grenzen angenommen. Beispiele sind fast alle
größeren Flüsse, Rhein, Oder, Neisse, Donau, Inn, Salzach, um nur die deutschen Flüsse anzu-
sprechen. Besser „klappt“ es dort, wo Gebirge eine natürliche Grenze bilden, z. B. an der baye-
rischen Ostgrenze, wo im Bayerischen Wald die Wasserscheide ungefähr die Landesgrenze
markiert. Anders dagegen innerhalb der Staaten: In einigen Ländern wie Frankreich richtet
sich die innere Organisation historisch nach Flusseinzugsgebieten. Bemerkenswerterweise sah
auch die Montgelas’sche Reform Bayerns nach dem Ansbacher Memoire aus dem Jahr 1796
die interne Strukturierung nach Flusseinzugsgebieten vor. Weniger kritisch, als man anfangs
vermuten könnte, ist die Übereinstimmung der Grundwasserkörper mit den oberflächlichen
Einzugsgebieten. Hier ist die Übereinstimmung regelmäßig groß genug, dass nicht zwei Sys-
teme parallel geführt werden müssten. In bestimmten Gebieten, z. B. in der nördlichen Sahara,
könnten aber durchaus die Grundwasserkörper bessere Einzugsgebietsgrenzen vorgeben als
die (überwiegend fehlenden) Oberflächenwasserkörper.
FEM ist aber nicht davon abhängig, dass administrative Grenzen und Flusseinzugsgebietsgren-
zen übereinstimmen. Alle internationalen Flussgebietskommissionen wie die IKSD, IKSR,
aber auch im Nilbecken oder im Nigergebiet sind Formen der grenzüberschreitenden FEM.
Auch in Brasilien werden die großen nationalen FEG unabhängig von den Ländergrenzen
443
GWP 2000, S. 47: „River basin/aquifer/catchment management structures; Water flows according to
natural characteristics and does not respect administrative boundaries – therefore the question
arises: should water be managed and management structures defined according to existing adminis-
trative boundaries or according to natural boundaries, usually taken to be river basins? From a pure
water resource point of view there might be much logic in adopting a river basin approach, or at
least considering the river basin as the logical planning unit. However, in accordance with the prin-
ciple of demand-driven development, a river basin organization should only be established in re-
sponse to a perceived and expressed demand, typically expressed by multiple users. Existing adminis-
trative divisions and regulatory conditions might discourage the management of water according to
river basin boundaries. It should also be noted that river basin agencies cannot in themselves ensure
the sustainable development of the resource. They will need to be supported by a range of institutions
that help determine the demands placed on the resource by economic, social and political change.”
444
Hontelez, 2002
3.3 Management 183
bewirtschaftet. Die EU ging mit der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL)445 den gleichen Schritt.
Dort wurde das Gewässereinzugsgebietsmanagement (GEM) zum absoluten Standard erhoben;
d. h., neben den Oberflächengewässern wurden auch die Grundwasserräume gebietsübergrei-
fend erfasst. Die transnationale Zusammenarbeit findet im Rahmen von Flussgebietskomitees
statt, Berichte müssen FEG-bezogen gemeinsam erstellt und an die EU gegeben werden. Dazu
die WRRL, Art 3:
„(1) Die Mitgliedstaaten bestimmen die einzelnen Einzugsgebiete innerhalb ihres jeweiligen
Hoheitsgebiets und ordnen sie für die Zwecke dieser Richtlinie jeweils einer Flussgebietsein-
heit zu. Kleine Einzugsgebiete können gegebenenfalls mit größeren Einzugsgebieten zusam-
mengelegt werden oder mit benachbarten kleinen Einzugsgebieten eine Flussgebietseinheit
bilden. Grundwässer, die nicht in vollem Umfang in einem einzigen Einzugsgebiet liegen,
werden genau bestimmt und der am nächsten gelegenen oder am besten geeigneten Flussge-
bietseinheit zugeordnet. Auch die Küstengewässer werden bestimmt und der bzw. den am
nächsten gelegenen oder am besten geeigneten Flussgebietseinheit(en) zugeordnet.…
(3) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass ein Einzugsgebiet, das auf dem Hoheitsgebiet von
mehr als einem Mitgliedstaat liegt, einer internationalen Flussgebietseinheit zugeordnet wird.
Auf Antrag der betroffenen Mitgliedstaaten wird die Kommission tätig, um die Zuordnung zu
derartigen internationalen Flussgebietseinheiten zu erleichtern.…
(5) Wenn eine Flussgebietseinheit über das Gebiet der Gemeinschaft hinausgeht, so bemühen
sich der oder die betroffenen Mitgliedstaaten um eine geeignete Koordinierung mit den ent-
sprechenden Nichtmitgliedstaaten, um die Ziele dieser Richtlinie in der gesamten Flussge-
bietseinheit zu erreichen. Die Mitgliedstaaten sorgen für die Anwendung der Vorschriften
dieser Richtlinie in ihrem Hoheitsgebiet.“
Auch für die Bewirtschaftung im Rahmen der Naturgefahrenabwehr – die die WRRL bislang
ausgenommen hat – sind FEG-bezogene Regeln und Richtlinien zu erwarten. In der EU-
Mitteilung zum Hochwasserrisikomanagement von 2004 wird unter Punkt 4.1 ein „koordinier-
tes Aktionsprogramm zu Hochwasservermeidung, Hochwasserschutz und Hochwasserminde-
rung“ vorgeschlagen, dass als wesentliches Merkmal die „Verbesserung der Koordinierung
und Zusammenarbeit durch die Entwicklung und Implementierung von Hochwasserrisikoplä-
nen für jedes Flusseinzugsgebiet und für Küstenbereiche, wo menschliche Gesundheit, die
Umwelt, die wirtschaftlichen Aktivitäten oder die Lebensqualität durch Hochwasser negativ
beeinflusst werden können“ nennt.
Kritische Diskussion: Die integralen Ansätze auf Flusseinzugsgebiete zu beziehen ist ein-
leuchtend und in der Theorie zweifellos richtig. Es gibt allerdings ein paar Probleme:
Größenprobleme: Allein die Größe ist meist eine Herausforderung. So umfasst das bayerische
Donaueinzugsgebiet in Bayern ca. 45000 km2, bei drei Oberliegern und einem runden Dutzend
Unterliegern. Je nach Fragestellung ist eine Einzugsgebietsbetrachtung von beträchtlicher
Komplexität.
Maßstabsprobleme: Gleichzeitig liegt ein Problem in der Detailliertheit. Die WRRL be-
schränkt sich auf die Beschreibung der Gewässer ab 10 km2 Einzugsgebiet. Das sind in Bayern
von rund 70 - 100000 km Fließgewässern ca. 12000 km. Je nach Maßstab ergibt sich bei der
445
EU, RICHTLINIE 2000/60/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom
23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Be-
reich der Wasserpolitik
184 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
genannten Größe eine hohe Datenmenge, die die Datenverarbeitung schnell an Grenzen bringt.
Selbst in den Hauptästen genügen die heutigen Algorithmen der Hydrologie und Wetterkunde
kaum für genaue Prognosen bei den Abflüssen, insbesondere zur Steuerung von Talsperren
und anderen Rückhalteräumen. Rechengänge in 2D-Modellen sind heute noch so aufwendig,
dass sie für die praktische Steuerung zu langsam sind446.
Das ändert zwar nichts an der Richtigkeit des flächenhaften Ansatzes im Rahmen einer FEG-
Betrachtung, deutet aber auf die Notwendigkeit eines praxisnahen Vollzugs hin. Die Be-
standsaufnahme in der Fläche verschafft zunächst allen Beteiligten die gleiche Datengrundla-
ge. Auf der Basis von Übersichtsplanungen ist es aber notwendig, zu generalisieren oder mög-
lichst unabhängige Arbeitsfelder zu definieren, die mit vertretbarem Einsatz umgesetzt werden
können. Auch hier sind generalisierte Aussagen (z. B. flächendeckender Grundwasserschutz,
genereller Flächenrückhalt) einfacher umzusetzen als Listen von Einzelprojekten (deterministi-
scher Weg), bei denen die Fehleranfälligkeit im Aufstellungsverfahren liegt. Mit diesen gerin-
gen Einschränkungen gilt
Ansatz 32: Wasserwirtschaft denkt in der Fläche und im Rahmen von Flusseinzugs-
gebieten.
Zusammenfassend ist festzustellen: Die Organisation in Flussgebieten ist ein richtiger Schritt.
Dazu gehört eine zuständige Administration sowie Gremien der Stakeholder. Die tatsächliche
Umsetzung von flächendeckendem Wassermanagement ist aber höchst anspruchsvoll und mit
organisatorisch-administrativen Mitteln allein kaum zu erreichen. Ziel muss vielmehr eine in
der Bevölkerung verankerte Wasserkultur sein, die als einzige wirklich flächendeckend wirken
kann.447 Gleichzeitig sind Zuständigkeitsregelung analog des ‚distributed governance’ (wie in
Bayern, die die Kommunen in der Verantwortung für die kleinen Gewässer sieht und ihnen
auch gesetzlich bestimmte Pflichten auferlegt) ein gangbare Weg. Allerdings sind dann auch
Netzwerke nötig, die es den Kommunen gemeinsam ermöglichen, dieser Aufgabe nachzu-
kommen. Solche Netzwerke könnten sinnvollerweise auch auf Ebene der FEG organisiert
werden (vgl. auch 3.6.1).
Ergänzende Aussagen der GWP: Die Tool-Box macht konkrete Vorschläge zur Umsetzung
der FEG-Managements, die zu beachten sind. Ähnlich der WRRL wird die praktische Umset-
zung mit Hilfe verschiedener Planungsebenen vorgeschlagen, die ihrerseits auf einer Abschät-
zung der maßgeblichen Parameter (Assessment) beruhen.
Die Abschätzung (Assessment) wird im Kapitel „Water Resources Assessment“448 eingeteilt in
446
Diese Ergebnisse stammen aus 2005 noch laufenden Entwicklungsvorhaben des Bay StMUGV zum
Thema der großräumigen Steuerung der Donauhochwässer. Ähnliche Erfahrungen wurden mit Da-
tenbanken gemacht. Das System InfoWas sollte wasserrelevante Daten für Bayern raumbezogen im
Sinne des integrierten Managements zur Verfügung stellen. Bis zum Jahr 2005 war trotz über 10 Jah-
ren Entwicklungsarbeit noch keine vollständige Lösung vorhanden. Es stellt sich damit die Aufgabe
der Generalisierung. Nicht alle Einflüsse sind in jedem Maßstab eines Flussgebietes relevant.
447
Ein Beispiel für solch eine kulturelle, ethisch-sittliche Entwicklung hat in Deutschland mit dem Ent-
sorgen von Kleinmüll stattgefunden. Kein einigermaßen kultivierter Deutscher wirft heute typischen
Kleinmüll wie Flaschen oder Verpackungen einfach in die Natur. Nicht anders geht es den Nachbarn
Österreich oder Dänemark. Noch klarer sind die Verhältnisse z. B. in der Schweiz. Wie verschieden
dagegen ist das Bild auch heute noch an manchen Orten in Italien, oder gar in vielen Ländern Latein-
amerikas. Dort wird Müll nach wie vor vollkommen gedankenlos bei jeder Gelegenheit entsorgt –
wie bei uns vor vierzig Jahren.
448
GWP 2005, C1.2
3.3 Management 185
449
CEA sucht nach der günstigsten Lösung für ein gegebenes Ziel, CBA stellt den gesamtwirtschaftli-
chen Nutzen den wirtschaftlichen Kosten gegenüber. Die Maßnahme der Wahl ist die mit dem größ-
ten Nutzen /Kostenverhältnis. Hier ist allerdings hinzuzufügen, dass solche Rechnungen schnell sehr
aufwändig und damit selber unwirtschaftlich werden. Es ist aber ausgesprochen schwierig, verein-
fachte Formen der Kosten-Nutzenrechnungen zu entwickeln. Ein alternatives Modell wird derzeit für
die Priorisierung von Hochwasserschutzmaßnahmen am bayerischen Umweltministerium erarbeitet.
450
GWP 2005, C2.1
451
GWP 2005, C2.2
186 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
Tafel 14: Inhalt eines River Basin Management Plans nach dem Vorschlag der GWP
Dieser richtige Ansatz muss an sich ohne Einschränkung auch auf das Grundwasser ausge-
dehnt werden. Hier nimmt die GWP mit ihren Hinweisen zu Managementplänen eine bemer-
kenswert zurückhaltende Position ein. Speziell für Grundwasser wird ein abgestuftes Vorge-
hen empfohlen452:
• Grundsätzlich sollen alle Quellen und Brunnen registriert sein, außerdem ist die Überwa-
chung der Ressource notwendig.
• In Situationen beginnender Spannungen mit wenigen, lokal konkurrierenden Nutzern und
Konflikten sind einfache Managementwerkzeuge zum Brunnenabstand einschließlich ent-
sprechender Regeln angemessen.
• Bei signifikanten Spannungen mit tiefgründigen Eingriffen in den Naturhaushalt und die
Interessen Beteiligter ist eine eigene Grundwasserentwicklungspolitik und ein gesetzliches
Regelwerk, basierend auf einer umfassenden Ressourcenabschätzung, notwendig.
• In nicht mehr nachhaltigen Situationen, in denen tiefgreifende unkontrollierte Eingriffe
irreversible Grundwasserdegradierungen erzeugen, besteht eine dringende Notwendigkeit
für eine rigorose politische, legislative, regulierende und von starkem Management beglei-
tete Reaktion.
Zur administrativen Umsetzung werden insbesondere dann, wenn die Verantwortung für den
Wassersektor auf mehrere Oberste Landesbehörden verteilt ist, Spitzenorganisationen vorge-
452
GWP 2005, C 2.3
3.3 Management 187
schlagen.453 Ein Muster dafür wäre die deutsche LAWA, die Länderarbeitsgemeinschaft Was-
ser. Die Ableitung der Spitzengruppen auf die Flussgebietsebene sind die Flussgebietsorgani-
sationen, von denen die GWP schreibt, dass sie nach bisherigen Erfahrungen in ihrer Organisa-
tion höchst unterschiedlich aufgestellt sind, was vor allem mit ihrer Historie, u. U. auch mit
gesellschaftlichen Hintergründen zu tun hat. Als Konsequenz habe sich aber daraus als jüngste
Entwicklung als Ableger des IWRM das IRBM (Integrated River Basin Management) ausge-
prägt. Als Merkmale der Flusseinzugsgebietsorganisationen (River Basin Organizations
(RBOs)) werden genannt:
• einzugsgebietsweites Planen, um die Belange der Nutzer auszugleichen und wasserbeding-
te Elementarrisiken abzuwenden,
• umfangreiche Öffentlichkeits- und Stakeholder-Beteiligung an Entscheidungsprozessen,
Stärkung der regionalen Stärken,
• effektives Nachfragemanagement
• flussgebietsbezogene gemeinsame Lösungsansätze und Verpflichtungen, einschließlich der
Mittel, diese zu überwachen,
• angemessene personelle und finanzielle Ressourcen.
Unter lessons learned werden wichtige Hinweise zu den Bedingungen eines Funktionierens
gegeben, von denen folgende zu unterstreichen sind:
• Flusseinzugsgebietsorganisationen müssen über technisch kompetentes Personal verfügen.
• Flusseinzugsgebietsorganisationen müssen einen erkennbaren Nutzen bringen.
• Flusseinzugsgebietsorganisationen müssen über verlässliche Einnahmen verfügen und
umgekehrt in der Lage sein, finanziell zu steuern bzw. zu agieren.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass wasserbezogene Rahmenplanung auf Landesebene
und Einzugsgebietsebene eine Voraussetzung für die Umsetzung der Ziele der IWRM ist. Die
WRRL setzt dies mit den Bewirtschaftungsplänen fort, ebenso die Hochwasseraktionspläne
der EU und anderer Institutionen. Einschränkend muss allerdings gesagt werden, dass ein guter
Plan alleine noch kein Erfolg ist. Ohne personellen, institutionellen und vor allem finanziellen
Hintergrund ist eine Umsetzung unmöglich.
3.3.4.5 Flächenmanagement
Im Kern der planungsrechtlichen Verantwortung in der Fläche stehen die Fragen der Landes-
planung (Raumordnung), der Flächennutzungsplanung (Bauleitplanung), der Bodenordnung
und der Infrastrukturplanung. Die Ordnung der Landnutzung ist mit der Wasserbewirtschaf-
tung in mehreren Schnittstellen454 eng verwoben:
Konkurrierende Nutzungen bestehen in Gebieten, in denen die gewünschte Nutzung den
wasserwirtschaftlichen Anforderungen entgegenläuft. Das sind in erster Linie die natürlichen
Überschwemmungsgebiete und außerdem Gebiete zum qualitativen und quantitativen Schutz
des Wassers, insbesondere zum Trinkwasserschutz. Wasserwirtschaft wirkt als limitierender
Faktor für die Landnutzung. Damit sind alle Versorgungsbereiche angesprochen, insbesondere
Trinkwasserversorgung der Ballungsräume und die landwirtschaftliche Bewässerung.
453
GWP 2005, B1.03
454
GWP 2005, C6.4
188 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
455
Bork 2005
456
WBGU 1997 S. 175ff und 197ff
457
UNEP/GRID-Arendal 19.3.2001. Ebenfalls 2001, bereits im Februar, sieht TÖPFER die Rolle der
Städte auf der Eröffnungsveranstaltung der Kommission für Siedlungsentwicklung in Nairobi auch
im Bereich der Treibhausgasentwicklung. “The urban environmental challenge needs common solu-
tions from water and sewage via planning for waste, air pollution and cities. The fight to reduce the
greenhouse gas emissions must be won in the cities; renewable, decentralized energies are necessary
for rural energy needs and by achieving these ends, we shall stabilize the rural settlement structures“.
458
Töpfer 2004 S. 391ff
459
ebenda, S. 397
3.3 Management 189
water formation and quality. Land use planning should be a significant component of the im-
plementation of national plans for IWRM. “460
Dies wird bislang überwiegend übersehen. So wird das Thema Bodenreform in Brasilien zwar
seit Jahrzehnten politisch diskutiert, eine Umsetzung findet aber kaum statt. Symptomatisch ist
die schleppende Entwicklung der ländlichen Wasserinfrastruktur. Folglich bekommt man eini-
ge permanente Probleme, vor allem das Favela-Syndrom nicht in den Griff. Dazu führt der
WBGU461 aus, dass eine geregelte Urbanisierung eine Verminderung des Wanderungsdrucks
aus ländlichen Gebieten voraussetzt. Grundlage hierfür sei eine national und auch international
koordinierte Raumordnungspolitik, die auf einen angemessenen Strukturwandel im ländlichen
Raum ausgerichtet ist (WBGU, 1993) und sich in erster Linie gegen die fatalen Auswirkungen
eines „urban bias“ („Schieflage“ von Städten) wendet. Es müssen im Sinne der AGENDA 21
polyzentrische anstelle von monozentrischen Raumnutzungsstrukturen geschaffen werden.
Weiterhin seien konkrete raumordnerische Leitbilder zu entwickeln und u. a. über Bodenre-
formen umzusetzen, die durch eine ausgewogene Mischung von Nutzungsstrukturen zwischen
Stadt und Land aber auch innerhalb der Städte (durch den Erhalt und die Entwicklung ausrei-
chender innerstädtischer Grünflächen) eine Harmonisierung von „Umwelt und Entwicklung“
zulassen. Mc GRANAHAN und SATTERTHWAITE fordern mehr lokale Initiativen, die auf
die speziellen Bedürfnisse armer ländlicher Regionen eingehen. Dazu müssten mehr „lokale
Wirklichkeit, Wissen und Meinungen“ in den internationalen Agenden eingebracht werden.
Diese lokalen Beiträge seien zwar nicht unbedingt eine Basis für „best practice“, aber es wäre
alles besser als die „bad practice“, die derzeit weltweiter Standard sei 462. In der Konsequenz
schlägt ein Forschungsprojekt „Nachhaltigkeit in der ländlichen Entwicklung“, das KLAUS463
zitiert, zur Implementierung eines nachhaltigen Prozesses die Themenbereiche Ziele Sied-
lungsentwicklung einschl. der Gebäudeentwicklung, Infrastrukturentwicklung (Verkehr, Ver-
und Entsorgung), Landschaftsentwicklung, Wirtschaftsentwicklung, Sozialentwicklung und
Kommunikationsformen vor, die außerdem nach dem Leitbild des aktivierenden Staates und
der aktiven Bürgergesellschaft gestaltet seien sollen.
Ohne eine funktionierende Boden- und Raumordnung sind also viele Infrastruktur-Sanie-
rungsvorhaben zum Scheitern verurteilt. Damit wird neben der Landesentwicklungsplanung
der in Deutschland seit 1978 für ländliche Gebiete entwickelte Ansatz der Dorferneuerung464
zu einem der wichtigen Nachhaltigkeitsbausteine. Nach MILLER465 hat die Ordnung der
Landnutzung und die Sicherung der dörflichen Gemeinschaften folgende Aufgaben:
• die Wiederbelebung regionaler Kreisläufe, z. B. durch Regionalvermarktung,
• die Verbesserung der Lebensqualität durch Einrichtung von Infrastruktureinrichtungen, die
der Gesundheit, der Bildung, dem kulturellen Austausch und der Dorfgemeinschaft nutzen,
• eine Ausweitung des ökologischen Bewusstseins und der ökologischen Zielsetzungen bis
hin zu geordneter Ver- und Entsorgung,
• ressourcenschonende Bebauung und Bewirtschaftung466.
460
GWP 2005, C6.4
461
WBGU 1997 S. 212
462
IIED 2003, S. 48
463
Klaus 2003, S. 57 f
464
Buchta u. Lorig 2004, S. 50
465
Miller 2003, S. 35, ergänzt
466
vgl. auch Bündnis zum Flächensparen, BStMUGV 2005
190 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
Tafel 15: Abgrenzung der zu finanzierenden Bereiche der Wasserwirtschaft nach GWP, ergänzt
Die Finanzierung ist deshalb eine der wichtigsten Aufgaben bei der Erfüllung der MDGs. Die
grundsätzliche Leitlinie dabei ist sowohl nach übereinstimmender Meinung der UN, der Welt-
bank, aber auch der WRRL das Prinzip der kostendeckenden Preise, das wegen der fundamen-
talen Bedeutung des Wassersektors nicht nur für den Bereich der Siedlungswasserwirtschaft
gelten darf, sondern als Prinzip auf den gesamten Wassersektor angewendet werden sollte.
467
OBB 1974, Grundwassererkundung in Bayern, Schriftenreihe Wasserwirtschaft in Bayern, München
468
Wilke 2004, S. 453
469
GWP 2002, S. 25
470
Lars 2001, S. 109 ff
3.4 Finanzierung und Steuerung 191
Allerdings sind aus ökologischen oder sozialen Gründen unter Umständen Transferleistungen
angebracht.
Ansatz 34: Grundsätzlich sollen Wasserpreise kostendeckend kalkuliert werden. Dieses
Prinzip ist prinzipiell auf den gesamten Wassersektor auszuweiten. Transferleistungen
innerhalb des Sektors richten sich nach den Bedingungen der Nachhaltigkeit.
In Kapitel 3.2 – Angepasste Technologie – und 3.3 – angepasstes Management – wurden An-
sätze aufgezeigt, wie die Kostenseite beziehungsweise die Kosten-Nutzenrelation durch effi-
ziente Lösungen verbessert werden kann. Dieser sparsame Einsatz der Mittel (rationale Res-
sourcennutzung) ist die Grundvoraussetzung schlechthin. Es geht zunächst darum, möglichst
große Teile der anfallenden Kosten durch eigene, d. h. regionale Mittel zu bestreiten – die
Einschränkung „möglichst“ bezieht sich dabei auf im Vergleich finanzschwache Regionen.
Die Frage, woher international zusätzliches Geld für die notwendigen Investitionen kommen
könnte, ist im Rahmen von Kap. 2.2 behandelt worden.
Der Finanzsektor ist jedoch vor allem ein wichtiges Steuerinstrument. Die Möglichkeiten der
Steuerung – überwiegend mit Hilfe finanzieller Eingriffe – wurden prinzipiell in Abbildung 3-
13, Seite 125 dargestellt. Die Regelungsinstrumente – freier Markt, demokratische Prozesse,
Preiskontrolle, Steuern und Zuwendungen, Gesetze – Bescheide und freiwilliges Handeln –
wirken in der Summe, nachdem sich die Kosten/Einnahmen Unternehmen aus den internen,
vom Projekt oder Unternehmen selber beeinflussbaren Größen (wie Gewinnungskosten, Inves-
tition und Unterhalt, Personal, Abschreibung, Schuldendienst) und externen, nicht oder kaum
beeinflussbaren Kosten (wie Abgaben, Steuer, Zuwendungen, Kosten durch Erfüllung von
Bescheidsauflagen, Kosten für Fremdleistungen usw.) zusammensetzen.
Die Tool-Box der GWP setzt sich unter C7: „ECONOMIC INSTRUMENTS – using value and
prices for efficiency and equity” mit der Frage der Steuerung durch ökonomische Instrumente
auseinander, also z. B. wie durch Gebühren für Abwassereinleitungen die Entwicklung von
Abwasserreinigungstechnologie zu unterstützen ist. Die GWP sieht die Möglichkeiten der
Steuerung des freien Marktes aber eingeschränkt: „Economic instruments work best in combi-
nation with other supporting measures: they are unlikely to be effective acting alone. The ad-
age "the market is a good servant but a bad master" applies here.”471
Dies entspricht dem in dieser Arbeit vertretenen Ansatz, dass nur durch das Ausschöpfen aller
bekannten Regelungsmöglichkeiten effiziente Lösungen erreicht werden können.
Ansatz 35: Nachhaltige Lösungen lassen sich nur durch dosiertes und abgestimmtes
Ausschöpfen aller bekannten finanziellen und nicht-finanziellen Regelungs- und
Steuerungsmechanismen erreichen.
3.4.1 Regelung des freien Marktes: Was steuern private Lösungen bei?
Die Regulative des freien Marktes wirken als Steuerungsinstrument für die Finanzierung von
Leistungen im Wassersektor sehr weitgehend, weil normalerweise die meisten Teilleistungen
über den freien Markt angeboten werden: Zulieferungen, Bauleistungen, Serviceleistungen und
insbesondere auch Finanzierungen über den Kapitalmarkt. Durch diesen freien Markt werden
im Besonderen die technischen Fortschritte eingespeist, die sich durch ein besseres Preis-
Leistungsverhältnis auszeichnen.
471
GWP 2005, C7
192 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
472
GWP 2005, C7.1, lessons learned
473
Allerdings waren die Vertragspartner zur Zeit des Vertragsabschlusses überwiegend staatliche Be-
triebe, die erst Ende des 20. Jahrhunderts privatisiert worden waren.
474
Lars 2001, S.171
475
GWP 2005, C7.1 und C7.2 und C7.4
3.4 Finanzierung und Steuerung 193
• administratively feasible: levying and collection of charges should be within the capacity of
the water undertaking (links with institutional capacity).”476
Obwohl diese normativen Ansätze für eine Umsetzung nicht konkret genug sind, geben sie
doch einen Hinweis auf die Zweifel der GWP, die Siedlungswasserwirtschaft allein über
marktwirtschaftliche Kräfte zu steuern.
476
ebenda, C7.1
194 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
gibt einen Wasserpreis von weit unter einem Real/m3. Je nach Verbrauch steigt dieser Kubik-
meterpreis dann bis auf 4 Real./m3. Ohne Wasserzähler zahlt man eine Grundgebühr und einen
Schätztarif, der etwas über dem Sozialtarif liegt. Die Akzeptanz für diese Regelung ist in den
etwas weiter entwickelten Favelas durchaus hoch, bei einem Besuch im Jahr 2002 haben alle
Bewohner eines Quartiers nicht nur grundsätzliches Verständnis für den Wasserpreis gezeigt
sondern waren sich des Wertes der Leistung durchaus bewusst. Wasserversorgung wurde in-
nerhalb der Gemeinschaft positiv wahrgenommen, diejenigen, die nicht bezahlen konnten,
haben dies als Mangel oder gar Schande empfunden. Dazu gehört allerdings, dass die Arbeiter
der COMPESA, des örtlichen Versorgers, auch bei der Abrechnung der Gebühren sehr behut-
sam vorgegangen sind. Durch dieses Miteinander lässt sich die Zahl der schädlichen Schwarz-
anschlüsse deutlich reduzieren. Abwassergebühren wurden nicht erhoben, es war allerdings
auch kein Abwassersystem vorhanden.
Die Akzeptanz für Abwassergebühren ist zunächst grundsätzlich niedriger. Auch hier gibt es
aber Ansätze. In einer Gemeinde westlich von Recife wurde gerade (2004) mit Hilfe der KfW
ein Abwassersystem erstellt. Dieser Prozess wurde sehr stark durch Öffentlichkeitsarbeit un-
terstützt. Bei sehr niedrigen Gebühren muss jeder Hausbesitzer einen Anschlussbeitrag von
einheitlich 1000 Real zahlen, außerdem alle Leitungen ab Übergabeschacht selber errichten.
Dank einer Imagekampagne, die den Kanalanschluss zum Statussymbol macht, gibt es An-
fangserfolge477. In solchen Fällen der Neuerrichtung eines Systems oder der Neuerschließung
eines ganzen Stadtteils wären allerdings zusätzlich Anreizsysteme zu diskutieren, wenn aus
Akzeptanzgründen auf Zwangsmaßnahmen verzichtet werden soll.
Mengenabhängige Preise, insbesondere für Unternehmen
Ein eigenes Thema sind die Tarifgestaltungen für größere Betriebe. Je nach wirtschaftlicher
Lage sind hier zwei ganz unterschiedliche Modelle verbreitet: ein auf Reduzierung des
Verbrauchs ausgerichteter progressiv steigender Tarif und ein wirtschaftsfördernder Mengen-
rabatt. Beide Systeme können ihre Berechtigung haben (zu den prinzipiellen Problemen von
Subventionen siehe Seite 195).
In wirtschaftsstarken Gebieten kann Wassermangel zum limitierenden Faktor werden. Über
den Tarif kann ein Anreiz zur Entwicklung und Einführung wassersparender Technologien
geschaffen werden. Ein System dieser Art wurde zum Beispiel in der Wassermangelregion von
Toritama im Innenland von Pernambuco erprobt. Dort siedeln sich wegen der billigen Arbeits-
kräfte immer mehr Wäschereien an. Das Wasserangebot ist in dieser semi-ariden Region aber
sehr rar. Als Anreiz zum Wassersparen hat man mit dem Verbrauch progressiv steigende Was-
sertarife eingeführt (siehe auch Anhang 11).
Genau das gegenteilige Problem haben einige Städte in Europa, wenn durch Struktur-
änderungen stark wasserverbrauchende Betriebe schließen. Plötzlich sind die Abwasser-
reinigungsanlagen nicht mehr ausgelastet, mit der möglichen Konsequenz steigender Gebüh-
ren, die verbleibenden Verbraucher müssten dann zusätzlich mit den gestiegenen Stückkosten
der Abwasserreinigung belastet werden. Bei abwasserintensiven Betrieben kann das wirt-
schaftliche Probleme erzeugen, ein Teufelskreis beginnt, der eine ganze Region treffen kann.
In solchen Fällen ist es zulässig, durch das Angebot von Sondertarifen sowohl den vorhande-
nen Betrieben das Bleiben zu erleichtern wie auch Anreize zum Zuzug zu bieten. In einem
praktischen Fall war eine Hefefabrik, als abwasserintensiver Betrieb ein „Starkverschmutzer“,
besonders stark von dem steigenden Abwasserpreis betroffen, der u. a. durch das Wegbrechen
477
KfW Projekt Nr. 3060 u. Nr. 13344, Okt. 2003, und persönliche Gespräche vor Ort
3.4 Finanzierung und Steuerung 195
anderer Betriebe wie z. B. eines Milchhofes entstanden war. Ein Wegfall dieses Hefebetriebes
hätte weitere erhebliche Kostensteigerungen bedeutet (30 % Anteil an der BSB5-Fracht.)
Durch ein entsprechendes individuelles Tarifmodell konnte nicht nur der Wegzug des Betrie-
bes verhindert werden, sondern durch eine erhebliche Betriebserweiterung sogar eine viel
bessere Auslastung der Kläranlage erreicht werden – in einer strukturschwachen Gegend ein
Gewinn, der sich in stabileren Abwasserpreisen für alle und einigen Dutzend Arbeitsplätzen
niedergeschlagen hat. Die Betriebserweiterung erfolgte übrigens durch Umsiedlung eines Be-
triebsteiles, der in einer Wachstumsregion gelegen präzise das gegenteilige Problem hatte.
Starkverschmutzerzuschlag
Bei der Abwasserreinigung verursachen oft Starkverschmutzer überproportionale Kosten und
Risiken für den Kläranlagenbetreiber. Um einen Anreiz für die innerbetriebliche Abwasser-
reduzierung zu schaffen, kann ein parameterabhängiger Starkverschmutzer-Zuschlag erhoben
werden:
• Few pollution charges are set at levels high enough to encourage to firms to spend suffi-
cient on pollution abatement to meet pollution standards, but the existence of a charge,
even at a low level, provides some incentive and may be helpful in raising awareness of the
costs of pollution.
• Pollution charges need to be administered as part of an overall system of regulation.
• A precondition for successful pollution charges is the presence of a well-developed moni-
toring and measuring system (see also C1).
• Planned progressive increases in charges are useful in allowing dischargers to adjust their
processes over a given time period.478
Vollkosten für Baugebiete versus voll erschlossene Gewerbegebiete
Die Beitragseinhebung hat immer einen stark steuernden Einfluss. Viele Gemeinden geben
über asymmetrische Satzungen indirekte Subventionen für die Erschließung von Gewerbege-
bieten. Das kann im Sinne der Nachhaltigkeit sein, wenn die gesamtwirtschaftliche Lage dies
erfordert. Kritisch sind dagegen Effekte, die mit Effizienz nichts zu tun haben. Beispielsweise
kommt in Deutschland die Kommune in den Genuss von Gewerbesteuer, auf deren Hoheitsge-
biet der Firmensitz liegt. Die Konsequenz sind Gewerbegebietsausweisungen um jeden Preis,
also unter Umständen auch in Schutzzonen für Trinkwasser oder Überschwemmungsgebieten,
wenn innerhalb des Gemeindegebiets keine anderen geeigneten Flächen zur Verfügung stehen.
Solche Effekte sind volkswirtschaftlich bedenklich. Hier liegt der Grund sowohl in der unvoll-
ständigen Umlegung der Beiträge für den Hochwasserschutz und von nichtmonetären oder
zeitversetzten Kosten (Restrisiko) wie auch in einer mangelnden auf Gesamteffizienz ausge-
legten interkommunalen Solidarität. (vgl. Ansatz 25: Die regionale Solidarität und der Aus-
gleich zwischen Stadt und Land ist ein grundlegender Nachhaltigkeitsbaustein.)
3.4.3 Zuwendungen/Subventionen
Lange waren in der internationalen Politik Zuwendungen und Subventionen hochumstritten,
z. T. als „Wurzel allen Übels“ bezeichnet, weil sie eine unverzerrte Marktbildung verhindern
würden. Es gab und gibt aber durchaus gute Gründe für Subventionen. Inzwischen nimmt man
478
GWP 2005, C7.2
196 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
479
ebenda C7.4
480
World Bank 2004
3.4 Finanzierung und Steuerung 197
481
GWP 2005, C7.2
482
Buckland, Zabel, 1997, S.189 ff
198 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
483
Einschränkungen, die über die ordnungsgemäße landwirtschaftliche Praxis hinausgehen, sind gem.
§19(4) WHG ausgleichspflichtig.
484
Dabei hat sich durch eine Gerichtsentscheidung zur Verrechenbarkeit eine interessante Konsequenz
ergeben: Es ist danach praktisch jede Investition in die Abwasseranlage verrechenbar. Das entspricht
aber umgekehrt einer 100 %-igen Abziehbarkeit von einer Steuerschuld oder einer 100 %-igen Sub-
vention. Die Konsequenz ist, dass in bestimmten Grenzen jeder Anreiz zum sparsamen, effizienten
Bauen entfällt – mit der weiteren Konsequenz, dass nur die zentrale Erweiterung diesen Effekt er-
bringt, die politisch gewünschte Dezentralisierung wird verhindert.
485
Buckland, Zabel, 1997, S. 203 ff
3.4 Finanzierung und Steuerung 199
Hier sind vitale gesellschaftliche Grundlagen betroffen, eine Regelung ist (über-) lebens-
wichtig.
B. Es sind kurzfristig veränderbare Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit zu erwarten. Bei-
spiele: Ausweitung des Gemeingebrauchs wie Sport am Gewässer, Dachflächenwasserein-
leitungen. Hier ist der Spielraum viel größer, es kann ggf. eine Nichtregelung ausprobiert
werden.
C. Andere Steuergrößen, z. B. Marktlösungen sind möglich: z. B. Regelung des Bisamratten-
bestands: keine Regelung, bis Gegenteil bewiesen.
D. Es geht um „private Gerechtigkeit“ ohne Einfluss auf die große Wasserwirtschaft. Beispiel:
Regenwasserableitung im nachbarschaftlichen Umfeld. Bei Regelungen hier geht es eher
um den sozialen Frieden. Aus Sicht des IWRM ist keine Regelung erforderlich.
Im Wasserbereich muss wegen der großen „Trägheit“ des Systems der Vorsorgegedanke not-
gedrungen ausgeprägt sein. Speziell das Reversibilitätsprinzip und das Intergenerationsprinzip
mahnen zur Vorsicht.
200 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
Umgekehrt können Vorschriften natürlich nicht nur lästig, sondern auch schlicht falsch sein.
Sie können dann eine Hemmung der Wirtschaft sein, schlimmer noch sich als Innovations-
bremse auswirken oder sogar direkt in die falsche Richtung steuern.
Die Fehlerhaftigkeit von Vorschriften kann sich in verschiedene Richtungen bewegen. Einige
Hinweise dazu sind in Tabelle 3-7 genannt.
486
Originaltext: „environmental champions“
487
BMZ 2001a
3.4 Finanzierung und Steuerung 201
verbunden sein, ist ggf. entsprechender Ausgleich zu leisten. Erhebliche Schäden in der Natur
oder am Gemeinwohl müssen immer zur Beendigung einer Nutzung berechtigen, ggf. gegen
Entschädigung. Die Verdeutlichung des „wirklichen“ Wertes von Wasser wäre durch eine
Allokation von Kosten über Wasserentnahmeentgelder (s. o.) u. Ä. darzustellen. Das Argu-
ment, dass der Staat zu schwach ist, solche Bedingungen zu schaffen, sollte nicht gelten; diese
Schwäche muss dann unter dem Aspekt der Garantenstellung verhandelt werden. Einnahmen
aus dem Gemeingut Wassersektor sollten dann aber wieder der Allgemeinheit zufließen (vgl.
auch Ansatz der WRRL zur Kostendeckung488).
Es besteht also kein Bedarf, die allgemeinwohlorientierte staatliche Bewirtschaftung des Was-
sers aufzugeben bzw. durch handelbare Wasserrechte zu ergänzen, dieses Tool wird deshalb
im Rahmen dieser Arbeit nicht weiterverfolgt.
3.4.7 Freiwilligkeit
Vor dem Hintergrund des Systems mit aktivierendem Staat und Bürgergesellschaft haben frei-
willige Leistungen bzw. freiwillige Selbstverpflichtungen und Handlungsmaxime eine geho-
bene Bedeutung. Die Freiwilligkeit basiert in jedem Falle auf Überzeugungen, die entweder
Teil des vorhandenen gesellschaftlich-moralischen Kontextes sind oder durch entsprechende
Bewusstseinsarbeit entstehen. Für Freiwilligkeit lassen sich hier wegen der sehr unterschiedli-
chen gesellschaftlich-kulturellen Wurzeln keine einheitlichen Vorgaben machen. Bestimmte
Grundsätze lassen sich aber mit Beispielen erläutern:
Allgemeine Verhaltensweisen: Ein klassisches Beispiel ist der bereits in Fußnote 447 geschil-
derte Umgang mit Abfall. Diese Verhaltensmuster müssten sich prinzipiell auf den Umgang
mit der Ressource Wasser übertragen lassen.
Bürgerliches Engagement: Jede NGO ist ein Teil bürgerlichen Engagements. Das gesamte
Prinzip der Partizipation basiert auf Freiwilligkeit und Interesse an der Mitwirkung. Internatio-
nal wird diesem Bereich immer größere Aufmerksamkeit gewidmet. MAGERL489 zitiert den
Bericht des Vorsitzenden des „Panel of Eminent Persons on United Nations – Civil Society
Relations", des früheren brasilianischen Präsidenten Fernando H. Cardoso, an Kofi Annan:
„Global governance ist nicht mehr allein eine Domäne der nationalen Regierungen. Die wach-
sende Beteiligung und der zunehmende Einfluss von nicht-staatlichen Akteuren (Anmerkung:
Nicht-Regierungsorganisationen) verbessern die Demokratie und die Pluralität. Zivilgesell-
schaftliche Organisationen sind die an vorderster Stelle tätigen Initiatoren und Innovatoren
beim Umgang mit den auftauchenden globalen Bedrohungen.“ und schlussfolgert: „Wir erse-
hen daraus, dass auf globaler Ebene Civil Society, Dezentralisierung und Kommunalentwick-
lung in einem Zusammenhang gesehen und verfolgt werden. Den Zweiflern am Ernstnehmen
der Zivilgesellschaft und der Bürger gibt die Kommission gleich – dem partizipationserfahre-
nen Leser wohl bekannte – Begründungen mit: „Viele Vertreter der Civil Society oder von
Wirtschaft und Gemeinden haben Erste-Hand-Informationen, große Erfahrungen und Kompe-
tenz. Auch haben sie besseren Zugang zu Ressourcen und entsprechende Fähigkeiten.“ Aller-
dings sollte dieses Prinzip nicht beliebig belastet werden, ab einem gewissen Grad an Aufwand
kann z. B. die Ehrenamtlichkeit durch Übernahme von Aufwendungen wie Reisekosten u. Ä.
unterstützt werden, nachdem durch das Ehrenamt auch konkrete Leistungen für die Gemein-
schaft erbracht werden.
488
Hintermeier 2005
489
Magerl 2004, S.12f
202 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
490
www.umweltpakt.bayern.de
491
"Der Umweltpakt Bayern - eine Bilanz aus der Sicht der Staatsregierung“, Festveranstaltung anläss-
lich der Halbzeit des Umweltpakts Bayern, München, den 10.04.2003
492
als Teil des Managements, während die Ergonomie zum Bereich Technik zu zählen ist
493
vgl. ELIASSON 1998, Zur Problematik der Berechnung des Kapitalwerts von Kompetenz, in CEDE-
FOP, Europäische Zeitung zur Berufsbildung, Nr. 14, Mai – August 1998
494
Das Wort Humankapital wurde jüngst zum Unwort des Jahres 2005 gekürt.
3.5 Der „Human Factor“: Vision und Motivation 203
bei fast 10495. Dies zeigt, dass das nichtmaterielle Kapital einer Organisation einen eigenen
Wert hat, der sich natürlich nicht nur aus der Zahl der Mitarbeiter, sondern aus dem komplexen
Zusammenwirken aller mit den Mitarbeitern zusammenhängenden Wertschöpfungsquellen
ergibt. GORZ geht davon aus, „dass der Anteil des „intellektuellen Kapitals“ der meisten
Unternehmen einen 5 bis 6 mal höheren Börsenwert erreicht als das Sach- und Finanzkapi-
tal“496.
495
Zahlen von Ende der 90-er Jahre aus einer Studie von EUSTACE C. im Rahmen des EU-Workshops
Intellectual Capital/Intangible Investments der: IST (Information Society Technologies), Conference
in Helsinki, 22nd November 1999
496
Gorz 2001, S. 2
497
vgl. Heidenreich 1997, S. 26
204 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
Tab. 3-8: Plakativer, qualitativer Vergleich von Arbeits- und Managementkulturen beidseits des Atlan-
tiks
Europa USA
(am Beispiel Deutschland)
Ausbildung im Handwerk detaillierte Ausbildung in verschie- kaum überbetriebliche Ausbil-
denen Zweigen, hoher Anteil berufs- dung im handwerklichen Be-
fachlich qualifizierter Arbeitskräfte reich, keine Innungsgrenzen
usw.
Schulen/Universitäten wenig private Einrichtungen, länder- qualitativ große Unterschiede,
abhängig, aber qualitativ sehr gut viele private Einrichtungen,
vergleichbare Ausbildung, bisher Bildung ist Privileg, Stipendien
kaum Eliteeinrichtungen
Durchgängigkeit gering groß
Arbeitsverhältnisse treue, lange Betriebszugehörigkeit häufig wechselnd
Management „Angestellter“ des Betriebes, oft aus in der Regel von außen, viel
dem eigenen „Stall“, mittlere Gehäl- öfter wechselnd, deutlich höhere
ter, lange traditionelle Verweilzeit, Gehälter, größeres eigenes Risi-
Anlehnung an Familienunternehmen, ko (hire and fire)
soziale Verantwortung für Mitarbei-
ter
498
vgl. dazu auch die notwendige Umstellung des Konsumverhaltens, Agenda 21, Kap. 3 oder Wallner
2004
3.5 Der „Human Factor“: Vision und Motivation 205
Aufbauend auf Ansatz 37 ist dabei neben den institutionellen, formellen Zielen die Motivation
der beteiligten Persönlichkeiten für die Umsetzung nachhaltiger Projekte bedeutend. Diese
sowohl in die Philosophie wie auch die Psychologie hineinreichende Frage soll hier nur ge-
streift werden, um sie der praktischen Umsetzung in Projekten besser zugänglich zu machen.
Folgende Motivationstypen sind im Verlauf des Diskurses dieser Arbeit von Belang geworden:
Ertrag: Die Steuerung durch den freien Markt basiert auf dieser Art der Motivation. Proble-
matisch bleibt die Miteinbeziehung von ökologischen und sozial-kulturellen Erträgen, weil
diese mit Einzelinteressen indirekt oder komplex verbunden sind und damit keine individuelle,
direkt beeinflussbare Aufwand- Nutzenbeziehung besteht. Mit der Effizienz, die zu höherem
Ertrag führt, hat sich die Arbeit eingehend beschäftigt
Ownership: In der Managementlehre wird die motivationstiftende Identifikation mit dem
eigenen Unternehmen als „Ownership“ umschrieben. Das Interesse der Organisation (ggf.
auch Staat, Gemeinwesen?) wird damit als eigenes Interesse mit übernommen, im Gegenzug
gibt die Organisation Grundwerte wie Sicherheit, gemeinsames Erfolgsgefühl. Ownership
kann auf verschiedenen Ebenen wahrgenommen werden, vom Unternehmen bis zum (positi-
ven) Heimatempfinden, also z. B. Stolz auf bestimmte kulturelle Leistungen oder landschaftli-
che Schönheiten. Ownership gehört zu den ‚alten’ Tugenden und Werte (vgl. Kap. 3.3.3.2);
auf der Staatsebene entsprechen dem ‚alte’ Werte wie Tradition, Heimatverbundenheit u. Ä.
Prinzipienethik, Sollensethik, Moral: Im Sinne des KANTschen Imperativs gibt der Staat
bzw. die Gesellschaft ‚Muster des Allgemeinwohls’ vor und überwacht deren Einhaltung.
Diese Werte mögen sich aus einem gesellschaftlichen Konsens ergeben haben, werden dann
aber letztlich hierarchisch oder moralisch umgesetzt. Dieses Wohl der Allgemeinheit ist zwar
prinzipiell allgemein anerkannt, steht aber oft im Gegensatz zum (empfundenen) Eigeninteres-
se (Gefangenensyndrom und Liberalismus). Diese Art der Motivation steht deshalb zuneh-
mend in der Kritik.
Strebens-Wollensethik, Individualethik, Klugheitsethik: Der einzelne Mensch strebt unter
Nutzung seiner Freiheit nach einem klugen, nachhaltig guten Leben (Lebenskunst), das er
selbst für erstrebenswert hält. Die Motivation dafür ist die freie Einsicht. Wahrscheinlich füh-
ren äußere prägende Einflüsse wie eigene Kinder und Enkel zur Einsicht. (SCHMID 1998499).
Motivation ist also am einfachsten zu erreichen, wenn mit einer Lösung unmittelbare, wahr-
nehmbare individuelle Vorteile verbunden sind. Deshalb sind für mittelbare, schlecht wahr-
nehmbare Belange des Allgemeinwohls hierarchisch vorgetragene Ansätze unverzichtbar.
Relevante Fortschritte der Nachhaltigkeit sind aber durch Zwang kaum zu erreichen. Dazu
gehört eigenes, aktives und kreatives Handeln. Diese Ansätze sind in der Bürgergesellschaft
ebenso verankert wie in einer aufgeklärten Nachhaltigkeitslehre, die im Grunde bereits in der
Schule angelegt werden muss. Eine Checkliste für Begünstigende Faktoren einer Motivation
Fortentwicklung der Strebensethik in Projekten enthält die nachstehende Tafel 16:
499 zitiert von HEINL 2005, S. 179. HEINL formuliert in seinem Ansatz ein grundsätzlich gleichwertiges
Zusammenwirken von Sollensethik und Strebensethik, das er Konzept der integrativen Nachhaltigkeit
nennt. Die Motivation der Effizienz und der Ownership wäre in diesem System eher der Strebens-
ethik zuzuordnen.
206 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
• Wie kann man die Umstände begünstigen, unter denen sich Visionen und Visionäre
entwickeln?
• Visionen müssen umgesetzt werden. Was stärkt die Realisationschancen? Welche Rol-
le spielt dabei der Personalkörper, die Teamfähigkeit usw.?
• Normalerweise wollen Menschen etwas Sinnvolles machen. Welche Ziele im Projekt
unterstützen dieses positive Urstreben? Gibt es in der Gesellschaft/Unternehmen eine
Anerkennung für nachhaltiges Verhalten?
• Nachhaltiges Verhalten ist noch nicht selbstverständliche Norm. Woher kommt die ge-
nerelle Motivation für Nachhaltigkeit?
• Wo gibt es Schnittstellen zwischen dem Belang der Nachhaltigkeit und einem nach-
vollziehbaren individuellen Nutzen der Beteiligten.
Tafel 16: Fragekatalog für Begünstigende Faktoren einer Strebensethik zur Nachhaltigkeit
500
Freilinger 2004, S. 15
3.5 Der „Human Factor“: Vision und Motivation 207
ten. Dementsprechend sind Personen mit Charisma einzusetzen. Grundsätzlich können jedoch
alle am Prozess beteiligten Personen und Gruppen zu seltsamen Attraktoren werden.“501
Die Realität weicht in diesem Punkt signifikant von der Wunschsituation ab. Entscheider oder
Leitfiguren sind nicht in jedem Fall nur Lichtgestalten. In jedem Vorhaben gibt es Beispiele
von Führungsschwächen, die gewöhnlich sogar einem bestimmten Negativmuster folgen. In
der Arbeit des TTW hat sich als Bezeichnung für einen bestimmten besonders unangenehmen
„Problemtypen“ in der Führungsebene die Bezeichnung „power-man“ etabliert502. Tafel 17 ist
eine Karikatur seiner kritischen Eigenschaften. Schon einige Eigenschaften dieses Typs bei
Führungskräften bedeuten Schwierigkeiten, die nachhaltige Entwicklungen gefährden. Wenn
sich dieser Führungsstil einmal gebildet hat, ist eine Veränderung sehr schwierig503.
Auffallend im Versagensmuster ist das Fehlen einer Vision beziehungsweise deren Ersatz
durch Egozentrismen. Diese Eigenschaften gefährden bereits den Erfolg des Unternehmens an
sich, von einem erweiterten Unternehmensziel „Nachhaltigkeit“ zu sprechen ist in diesem Fall
Utopie.
Ansatz 38: Die richtige Besetzung der Führungspositionen ist von überragender Be-
deutung. Zum Erfolg des Unternehmens sollte ein „Leader“ mit Visionen an der
Spitze stehen, der ein ethisches Commitment in Bezug auf Nachhaltigkeit für sich
persönlich und seine Führungsverantwortung eingegangen ist.
501
Klaus 2004, S. 165
502
wobei es in diesem Sinne sicher auch die „power-woman“ gibt
503
Ephraim KISHON zitierte: „Der Fisch stinkt vom Kopfe“. Im TTW ist der power-man an der Spitze
eines Unternehmens ein starker Hinweis für aussichtslose Projekte.
208 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
504
Muhairwe 2003, anlässlich der Diskussion während der water week der Weltbank in Washington
D.C.
505
Zitat: „Für Gerhard Heilingbrunner, Präsident des Umweltdachverbandes, ist das Entstehen einer
österreichischen "Wasserfamilie" das augenfälligste Ergebnis des „Jahrs des Wassers". Die „Wasser-
familie’", in der neben dem Ministerium, den Ländern und Gemeinden auch Umweltorganisationen
und die Bürger integriert seien, stelle den Bogen für die Arbeit der nächsten Dekade dar.
[http://gpool.lfrz.at/gpool/main.cgi]
3.5 Der „Human Factor“: Vision und Motivation 209
gelb, Mechanik grün usw. Jedes Mal, wenn er irgendeine Farbe bekommen hatte, hatte er
einen Typ von Anlagenteil verschönert. Diese Anlage unterschied sich aber nicht nur farb-
lich von vielen anderen in der Region. Trotz ärmlichster technischer Möglichkeiten lief sie
nämlich, wohl gepflegt und mit einer Fülle von phantasiereichen Lösungen immer und
immer wieder repariert.
Zweifellos ist die Umsetzung der Ziele aber auch sehr stark von der allgemeinen Arbeits- und
Unternehmenskultur in den verschiedenen Ländern abhängig. Eine einheitliche Anpassung der
Arbeitswelt an bestimmte [„westliche“] Vorbilder und Theorien ist problematisch, weil Ar-
beitskulturen unterschiedlich und homogen gewachsen sind. Die Veränderung einzelner Para-
meter bewirkt oft ungewollte Verwerfungen und Kosten an ganz anderer Stelle. Ein Beispiel
für ein Arbeitsklima, das scheinbar besonders die Kreativität fördert, wurde bereits unter Kap.
3.3.3.2 beschrieben. Bei der dort von FLIK zitierten Unternehmensphilosophie fällt auf, dass
sich fast alle Ansätze direkt oder indirekt auf die Mitarbeiter bzw. deren Verhältnis zum Erfolg
des Unternehmens beziehen, oder auf die Form der Zusammenarbeit506.
Mit der Unterstreichung der Werte Ownership und Kontinuität sollen aber nicht prinzipiell
Veränderungen in Frage gestellt werden. Die Produktivitätsschwächen in vielen Unternehmen
der Wasserinfrastruktur sind deutlich erkennbar und auch nicht zu rechtfertigen. Letztlich geht
es darum, zur Effizienzsteigerung Systeme zu finden, die
• sich prinzipiell an der vorhandenen [Arbeits-] Kultur des jeweiligen Landes orientieren,
• insbesondere die dort vorhandenen Tugenden erkennen und nutzen (und erkannte traditio-
nelle Schwächen berücksichtigen und vermeiden) und
• „Ownership“ erhalten oder schaffen.
Nach den Prinzipien der Fraktale können gut funktionierende Betriebe der gleichen Region als
Benchmark bzw. Ideengeber genommen werden.
Ansatz 39: Das Bewusstsein der Bedeutung der nichtmateriellen Faktoren und insbeson-
dere des Wertes der Mitarbeiter, der Kultur der Zusammenarbeit und der „ownership“
ist ein fundamentaler Nachhaltigkeitsbaustein in der effizienten Unternehmensführung.
3.5.5 Gender
Der Gender-Ansatz ist eine fundamentale Forderung des Protokolls von Dublin und der A21.
Dem ist im Rahmen dieser Arbeit nichts hinzuzufügen.
Die Welt ist allerdings von einer Gleichberechtigung teilweise noch weit entfernt. Dies ist aus
allen möglichen Gründen bedauerlich, im Wassersektor besonders, weil Frauen, vielleicht auch
aufgrund ihrer früheren Rollenzuordnung, oft den direkteren, intuitiveren Zugang zum Wasser
haben. Auch sind sie in vielen Gesellschaften in einer besonderen Verantwortung für die fami-
liären Strukturen und damit im Bereich der Nachhaltigkeit viel stärker motiviert. Oft sind zu-
dem gerade die noch im traditionellen Rollensystem lebenden Frauen auch die besseren Mana-
ger und Organisatoren, weil eine Familie schon ganz erhebliche Anforderungen an Manage-
mentqualitäten stellt.
Auch sollte man sich davor hüten, die Rolle der Frauen als stabilisierenden Einfluss auf die
Gesellschaft zu unterschätzen (vgl. dazu Kap. 3.7). Ein kluges Projekt nutzt diese Stärken auf
allen Ebenen, sei es bei der Zusammensetzung der Projektteams oder bei der Wahl der Partizi-
506
Flik 1990
210 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
pationsebene. Entweder man geht davon aus, dass es sowieso keine wirklichen Unterschiede
gibt – dann genügt ein Blick auf die Qualifikation, oder man unterstellt die in Büchern über
geschlechterspezifisches Verhalten viel zitierten Unterschiede, dann kann eine starke Einbin-
dung allein deshalb wichtig sein, weil nur damit die ganze Bandbreite möglicher Lösungsan-
sätze erfasst wird. Der zweiten These wendet sich DESER zu, wenn er die Parallelen der chi-
nesischen Mythologie des Yin und Yang mit den Ansätzen der Chaostheorie herstellt. Die im
Tao genannte klassische Unterscheidung der männlichen und weiblichen Eigenschaftsmerkma-
le entspricht der These der Anpassungsfähigkeit an Aufgaben des Lebens durch Kombination
entsprechender Merkmale. Diese von C.G. JUNG erst im 20. Jahrhundert weiterentwickelte
Annahme hat inzwischen zu einem gewachsenen Bedarf an „androgynen Führungsqualitäten“
geführt, welche es „ermöglichen, soziale Cleverness mit einer kooperativen Sachorientierung
zu kombinieren.“507
Diese Nachbarschaften sind immer nach dem gleichen Schema organisiert. Ausgangs-
punkt ist eine wasserwirtschaftliche Aufgabe, die in den Zuständigkeitsbereich der Kom-
mune fällt. Je nach Größe der Kommunen müssen dort zum Teil recht kleinen Arbeitsein-
heiten – bis zum „Zwei-Mann/Frau-Betrieb“ z. T. komplizierte Aufgaben erledigen. Den
kleinen Einheiten mangelt es an geregelter Aus- und Fortbildung und fachlichen An-
sprechpartnern, also an Möglichkeiten des fachlichen Austausches und der gegenseitigen
Beratung. Aber auch größere Einheiten können vom Erfahrungsaustausch profitieren. Der
Staat kann diesen Bedarf mit seinen Behörden nur bedingt decken; eine laufende Präsenz
ist aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich und in dieser Form auch nicht gewünscht.
507
Deser 1996, 199
508
http://www.stmugv.bayern.de/de/wasser/versorg/betrieb.htm
509
Regierung der Oberpfalz, 2003
3.6 Netzwerke und Kommunikation 211
Die Lösung ist das Netzwerk der Nachbarschaften. In üblicherweise auf Landkreisebene
organisierten Gruppen treffen sich die im operativen Geschäft verantwortlichen Experten
regelmäßig 2 bis 4mal im Jahr. Im Mittelpunkt steht der gegenseitige Erfahrungsaus-
tausch. Dazu können Referenten aus Wirtschaft, Wissenschaft oder Verwaltung zu wich-
tigen Themen Vorträge halten. Die sogenannten Nachbarschaftsleiter werden in der Regel
aus der Mitte der Nachbarschaft gewählt, zum Teil sind es auch Freiwillige aus der Fach-
verwaltung. Sie werden von der staatlichen Wasserwirtschaftsverwaltung zusätzlich in
Form von Schulungen, Materialien und übergreifenden Treffen unterstützt, sei es im Rah-
men von Fortbildungen oder Informationen.
Durch dieses Nachbarschaftenprinzip war es möglich, stabile Strukturen des regionalen Wis-
senstransfers zu begründen und die Qualität der Strukturen signifikant zu stärken. Die Nach-
barschaften sind heute kaum verzichtbarer Teil der bayerischen Wasserwirtschaftsinfrastruk-
tur. Die Fachverwaltung wirkt als unverzichtbarer Katalysator.
Ebenfalls auf regionaler, vor allem aber auf nationaler Ebene wirken die großen Fachverbände,
der Definition nach NGOs. Überall auf der Welt spielen diese sowohl als Interessensvertretun-
gen als auch im Bereich der Normenfestlegung eine Rolle. Sie sind üblicherweise professionell
organisiert (mit hauptamtlichem Personal, klaren Strukturen und demokratisch legitimierten
Beschlussgremien) und normalerweise akkreditierte Partner der Legislative und der Exekutive.
Sie verkörpern damit fachliche Kompetenz in einem partizipativen Ansatz. In Ausschüssen
und Arbeitsgruppen wird der fachliche Austausch der Mitglieder unterstützt und dabei auch
homogen der Stand des Wissens fortgeschrieben, Impulse für Forschung und Lehre werden
gegeben und eine innere Qualitätssicherung betrieben. In Deutschland sind auf dem Wasser-
sektor für den Bereich Trinkwasserversorgung der VBGW und für allgemeine Wasserwirt-
schaft, Abwasser und Wasserbau der DWA zuständig. Beide Verbände haben durch ihre Ar-
beitskreise und Merkblätter normensetzende Kraft, sind offizielle Vertreter in staatlichen Gre-
mien und prägen das Erscheinungsbild der deutschen Wasserwirtschaft mit510.
Ein weiteres wichtiges Netzwerk stellen die Kammern, im Ingenieurbereich vor allem die
Ingenieurkammer Bau und die IHKs, dar, die, im Wesentlichen als Interessen- und Standesver-
tretung gegründet, wichtige Aufgaben im Bereich der Qualitätssicherung, aber auch in der
Fortbildung übernehmen. Dabei sind in fachübergreifenden Gebieten die Abgrenzungen zu
den Fachverbänden unter Umständen fließend, im Idealfall ergänzen sie sich.
Ein in föderalistischen Staaten wichtiges Instrument und Netzwerk ist die länderübergreifende
politische Abstimmung. In Deutschland liegt die Rahmengesetzgebung Wasser beim Bund, die
Durchführung ist Ländersache. Ähnliche Konstellationen gibt es in den meisten föderalen
Staaten. Damit besteht theoretisch die Gefahr eines inhomogenen Vollzuges; gleichzeitig ist
die „Rückmeldung“ über den Vollzug der Gesetze (einschließlich möglicher Verbesserungs-
vorschläge, d. h. Formulierung einer gemeinsamen Strategie) schwierig. Zur Abhilfe existieren
länderübergreifende Netzwerke, in Deutschland die Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LA-
WA), in der die Sektorvertreter aus Bund und Ländern Sitz und Stimme haben. Die LAWA
stimmt die Haltung der Beteiligten zu wasserpolitisch wichtigen Themen zwischen den Län-
dern ab, bezieht aber auch ggf. gegenüber der Öffentlichkeit zu aktuellen Themen Stellung511.
510
Der 1999 erfolgreichen Fusion der damaligen Verbände ATV und DVWK zum DWA ist leider bis
heute keine weitere Fusion mit dem BGW bzw. dessen Wasserteil gefolgt.
511
LAWA 2003
212 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
512
Kahlenborn, Kraemer, 1999, S 170
513
Auf dem Umweltsektor haben sich die 8 Alpenstaaten in der Alpenkonferenz organisiert, die mit ihren
verschiedenen Gremien die Belange einer nachhaltigen Bewirtschaftung des Alpenraums unterstützen
sollen. Daneben besteht mit der Arge-Alp ein weiteres Netzwerk auf Regionsebene (Mitglieder sind hier
überwiegend die Länder bzw. Kantone). In diesen Netzwerken werden auch zu erheblichem Teil die Be-
lange des Wassers, auch unter dem Gesichtspunkt des integrierten Managements, behandelt.
514
ATV- DVWK Projekt Ungarn, Tschechien, Polen, Schlussbericht 2002
3.6 Netzwerke und Kommunikation 213
Informelle Netzwerke transportieren eine weitere Botschaft: Jenseits der formalen, verstan-
desmäßigen Bünde existieren starke, auf emotionale Ebene gegründete Netze. Besonderes
gemeinsames Merkmal ist also die bedeutende Rolle der persönlichen Beziehung, von Werten
wie Respekt und Vertrauen, gegenseitiger Achtung bis Sympathie. Keine Organisation exis-
tiert ohne diese Werte. Ein Beispiel für Netzwerke, die vor allem auf diese Werte gegründet
sind, sind die international dienenden Verbände wie Lions oder Rotary515. Diese Clubs sind
zwar „formell“, haben aber die „informellen“, oder versteckten Stärken der Netzwerke zum
Programm erklärt. So beschreibt Rotary seine Grundsätze beispielsweise mit den vier Fragen:
Ist es fair? Ist es gerecht? Dient es der Freundschaft (… dem Netzwerk)? Dient es der Gemein-
schaft (… der Allgemeinheit)? Im Grunde können diese Fragen als ethische Leitlinie auch auf
andere Lebensbereiche übertragen werden.
Netzwerke haben also einen bedeutenden Einfluss. Sie sind, formell und informell, Vorausset-
zung für eine ‚Kräfte bündelnde’ Kommunikation. Sie dienen der Abstimmung, Absicherung
und Unterstützung von Projekten. Sie sind nicht Selbstzweck, aber Katalysator für Vorhaben.
Damit bedeutet aber auch das Fehlen von Netzwerkstrukturen genauso wie deren Nicht-
Erkennen eine Gefahr für Projekte. Netzwerke können allerdings auch problematisch sein.
Geltendmachen von sektoralen Interessen wird immer dann akzeptiert werden, solange in der
Summe der gesellschaftliche Gesamtnutzen erkennbar überwiegt. Bereits erwähnte Gefahren
aller Netzwerke sind überbordender Lobbyismus, Protektionismus, Ausgrenzungsstrategien,
Seilschaften usw.. Die zum Teil schmalen Grenzen und schleifenden Übergänge verlangen
klare ethisch-moralische Grundsätze, dann entfalten Netzwerke ihr segensreiches Wirken.
Typische Beispiele für mögliche Schwächen sind:
• Strukturen/Netzwerke, insbesondere nichtstaatliche, fehlen bzw. sind mangels klarer Auf-
gabenverteilung diffus, d. h. nicht richtig zu beschreiben;
• die Strukturen/Netzwerke sind instabil (dauernde Änderungen);
• es bestehen undefinierte ‚Schattennetzwerke’ mit übergroßer Bedeutung (z. B. Überbeto-
nung der „Beziehungen“, „alte Kader“;
• Netzwerke dienen, möglicherweise sogar gesellschaftlich toleriert oder akzeptiert, über-
wiegend dem Durchsetzen fachfremder, egoistischer Ziele; oder einzelne Netzwerke haben
übergroßen Einfluss (Grenzen des Lobbyismus).
Ansatz 40: Ethisch anspruchsvolle Netzwerke schaffen oder unterstützen [für die
Nachhaltigkeit] günstige soziale Strukturen.
515
Rotary.de
214 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
sich die Typen der Verknüpfungen und die jeweiligen Unterstrukturen präziser darstellen. Das
macht für – auf die jeweilige Aufgabe bezogen – besonders sensible Relationen Sinn.
Zum Vergleich wird in Abbildung 3-17 eine für einen brasilianischen Bundesstaat analog
aufgestellte Struktur gezeigt. Zur besseren Vergleichbarkeit wurde dazu ebenso die Fragestel-
lung zum Bereich der kommunalen Wasserinfrastruktur vorausgesetzt.
Fachverbände
ATV-DVWK,
Landesamt für Regierung
BGW, DVGW... Kommunaler
Universitäten Wasserwirtschaft Kommunalaufsicht
Fachaufsicht Prüfungsverband
Rechtsaufsicht
Ing.-Kammer
Arch. - Kammer Wasserwirtschaftsamt Landratsamt Gemeindetag
Fachaufsicht Kommunalaufsicht
Wasserrecht Gesundheit
Städtetag
Förderung
Industrie- und
Handelskammer Firmen für
Unterhalt Auftrag Gemeinde Bank
Bürgermeister
Gemeinderat
Zulieferer
Ing.-Büro berät
Aufgabe WV und NGO´s
Abw.
z. B.Eigenbetrieb,
Baufirmen Auftrag
Betreiber, AG
Abb. 3-13: Netzwerk der bayerischen Wasserwirtschaft aus Sicht der Gemeinden. Das Darstellungsprin-
zip stellt eine Struktur in den Mittelpunkt (im Beispiel die Gemeinde) und sortiert die wichtigen Partner
darum herum. Im Bereich der Wasserinfrastruktur ist grundsätzlich neben der kommunalen Seite die
Rolle des Staates, also der Politik und Administration, sowie der Privaten wichtig. Ebenso werden die
NGOs abgebildet. Dazu die Finanzierungsinstitute und der Bildungssektor.
Als Konsequenz lässt sich für die Arbeit an Projekten eine Herangehensweise an Netzwerke
formulieren, die deren Bedeutung würdigt und aktiv in die konstruktive Arbeit einbindet:
Jedes Vorhaben sowie jeder individuelle Beteiligte in einem Projekt bewegen sich immer im
Rahmen von vorhandenen, formellen oder informellen Strukturen und Netzwerken. Deshalb ist
es wichtig, die vorhandenen Strukturen und Netwerke kennen zu lernen und zu beschrei-
ben. Netzwerke können in der Ausprägung und in ihren Erscheinungsformen höchst unter-
schiedlich sein, oft ersetzen persönliche Kontakte feste Strukturen, oder es spielen Kriterien
wie Berufsgruppe, Stamm oder Partei eine Rolle. Jeder verantwortliche Mitarbeiter eines
Projektes muss sich in den Strukturen und Netzwerken bewegen können. Die Durchsetz-
barkeit hängt davon ab, im Netzwerk Alliierte zu finden. Es ist nicht immer leicht, Partner zum
Mitmachen zu überzeugen, es ist aber relativ leicht, Partner dadurch zu beleidigen, dass sie
nicht entsprechend ihrem eigenen Selbstverständnis beteiligt wurden.
3.6 Netzwerke und Kommunikation 215
MERCOSUR,
OAS Bund Finanz Bundes-
UN, UNEP, ... hoheit
Wassergesetze ministerien
Weltbank IADB
Oberste
Parlament Wasserbehörde
Internationale ANA
Verbände Landesregierung von Pernambuco
IWA, GWP, WWC
Ministerium für Ministerium für Bundes-
Umwelt und Forschung (SECTMA) Infrastruktur Flußeinzugsgebiete
Kommitee
Universitäten
Umweltaufsicht ITEP
CPRH Technische
Fachaufsicht Umweltkompetenz Landes-
CREA,
Flußeinzugsgebiete
SINAENCO
Kommitee
FIDEM
COMPESA Kommunale
Firmen für Auftrag Wasserversorgung,
Unterhalt Planug
Abwasserentsorgung
Netzwerke können also wichtige Komponenten einer Aufgabe oder sogar einer Gesellschafts-
gruppe sein. Im größeren Rahmen kann es notwendig sein, diese Umfeldstrukturen bedarfs-
weise im Rahmen der Projekte zu schaffen bzw. zu ergänzen (je nach Möglichkeit).
Letztlich hängt der Erfolg nicht an Organisationen oder technischen Abläufen, sondern an
Menschen und deren Fähigkeit, miteinander zu arbeiten.
Ansatz 41: Das aktive Einbinden und Nutzen von Netzwerken und vergleichbaren
Strukturen ist ein Nachhaltigkeitsbaustein in wasserwirtschaftlichen Projekten.
Anwendungsbeispiele dieser Ansätze sind in Anhang 11 ausgeführt, insbesondere die prakti-
sche Umsetzung im Anwendungsfall des Projekts Toritama.
3.6.2 Kommunikation
Die Kommunikation ist längst als eigenständiger Sektor innerhalb unserer Gesellschaft er-
kannt, sowohl was ihre politisch meinungsbildende als auch wirtschaftliche Bedeutung anbe-
langt. HEINL516 unterscheidet in Anlehnung an die UNESCO vier Kommunikationsstrategien
(Tabelle 3-9). Im Wassersektor trifft diese Gliederung vollständig zu, das zu vermittelnde
Konzept ist dabei die – allgemein – nachhaltige Wasserwirtschaft oder deren Teilziele.
516
Heinl 2005, S. 92
216 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
517
UN 1992, Kap. 18.6 , S.160
518
GWP 2002
218 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
Die bayerische Wasserwirtschaft hat deshalb Ende der 90-er Jahre ein Kommunikationskon-
zept entwickelt519, das professionell die Vermarktung des wasserwirtschaftlichen Know-hows
verfolgt. Wichtiger Schritt war ein einheitliches Corporate Design (CD), das wie bei einer
Marke einen hohen Wiedererkennungswert darstellt. Alle Veröffentlichungen wurden mit
diesem Design gestaltet. Als Medien wurden Printmedien, Informationsfilme, zum Teil in
Zusammenarbeit mit dem öffentlichen und privaten Fernsehen, das Internet und eine große
Reihe weiterer Aktivitäten wie Unterricht in Schulen, Aktionen im Zusammenhang mit Bayern
Tour Natur, Einweihungen, Wasserfeste, Tag des Wassers, Tage der offenen Tür usw. genutzt.
Der Inhalt der multimedialen Veröffentlichungen wurde gezielt eindringlich und gut verständ-
lich gestaltet. Das Ziel dieser Information ist ein
• allgemeines Verständnis des Bürgers für Wasserbelange,
• positives Grundgefühl und Leistungsbeweis für die (mit öffentlichen Geldern) erwirtschaf-
teten Verbesserungen und Werte („tue Gutes und sprich darüber“),
um ein Potential für bewusste Entscheidungen „pro Ressource“ aufzubauen. Diese Art der
Information ist Teil der Popularisierungs- und Bildungsstrategie mit dem Ziel einer Motivation
zur Nachhaltigkeit. WILDERER et al.: „A principle task of education is to develop sensitivity
for the gift of life and the natural resources in the heads and hearts of people“520
Beispiele dafür sind grundlegende Verhaltensvorschläge zum Wassersparen, die Mittel zum
Zweck (Was kann der Einzelne für das Wasser tun? – persönliche „Betroffenheit“ schaffen),
oder auch Teil einer auf diesen positiven Effekten aufbauenden „Involvierung“ sein können
(dazu Kap. 3.6.2.3). Ein positives Beispiel für die Übernahme von Verantwortung durch nicht-
staatliche Beteiligte ist das Engagement der deutschen Wasserversorger (die überwiegend im
BGW organisiert sind). Dort wurde umfangreiches Informationsmaterial für Information und
Bildung erarbeitet521. Die Wasserunternehmen bauten diese Aktivitäten weiter aus (siehe Ab-
bildung 3-15). Solche „Werbung“ ist wichtig, weil sie den Konsumenten über (positive) Ei-
genschaften des Produktes aufklärt und damit gleichzeitig die Akzeptanz erhöht. Dies ist Teil
des operativen Geschäftes, wie der Fall der Stadtwerke München zeigt: Dort ging es unter
anderem um zu der Zeit umstrittene Ausgleichszahlungen an Landwirte, um die Nitratbelas-
tung im Einzugsgebiet der Münchner Quellen (Mangfalltal) zu reduzieren. Durch die Image-
kampagne wurde der wahrgenommene Wert des Trinkwasser so vergrößert, dass inzwischen
zu den, immerhin die Qualität des Münchner Wassers sichernden, Ausgleichszahlungen weit-
gehende Zustimmung herrscht.
519
stark unterstützt durch SCHREIBER, Pro Natur
520
WILDERER et al. 2005, S. 231
521
http://www.bundesverband-gas-und-wasser.de/de/trinkwasser
3.6 Netzwerke und Kommunikation 219
Umgekehrt erhebt öffentliches Interesse auch Anspruch auf öffentlich erhobene umweltrele-
vante Zahlen und Fakten. Üblicherweise wird dies durch die entsprechenden Publikationen
befriedigt. In der europäischen Union wurde diesem öffentlichen Interesse zusätzlich durch die
sehr weit gehende Umweltinformationsrichtlinie522 Rechnung getragen. Darin ist festgelegt,
dass jeder Bürger ein Anrecht auf umweltrelevante Daten der öffentlichen Hand hat, es sei
denn, es sind geschützte Daten. Inzwischen ist der grundsätzliche Bedarf an Information im
Wassersektor fast weltweit erkannt. Auch wegen der Verbindung mit der politischen publicity
„wirbt“ fast jede Staatsverwaltung für ihre Leistungen im Wassersektor. Damit ist in der Regel
die Information für den Bürger verbunden, welche Situation nach Einschätzung der Experten
vorliegt und welche politischen Konsequenzen damit verbunden sind. Gleichzeitig wird oft
auch vermittelt, was der einzelne zum Erreichen des Zieles leisten kann. Die Ministerien und
Unternehmenszentralen unterhalten gewöhnlich für die Kommunikation eigene Arbeits-
bereiche, alleine schon um die Verzahnung mit den politischen Themen zu gewährleisten. Die
bayerische Wasserwirtschaftsverwaltung hat in ihrem Mustergeschäftsverteilungsplan für die
Wasserwirtschaftsämter ebenfalls ein Sachgebiet Kommunikation ausgewiesen (vgl. An-
hang 6).
522
RICHTLINIE 2003/4/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 28. Janu-
ar 2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen und zur Aufhebung der Richtli-
nie 90/313/EWG des Rates
220 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
523
Ein möglicher Unterschied besteht aber doch: Je nach innerer Überzeugung bezüglich der Richtigkeit
des eigenen Vorgehens kann Partizipation verkommen zur Haltung „Ich lasse Dich teilhaben an der
Klugheit meines Systems“. Dann wird Meinungsaustausch so definiert: „Meinungsaustausch ist,
wenn Sie mit Ihrer Meinung in mein Büro hinein und mit meiner Meinung wieder heraus gehen.“
524
in Beispiel für ein ausgefeiltes System ist der Hochwassernachrichtendienst in Bayern, der im Inter-
net live Pegeldaten und Prognosen darstellt. Bei einem Hochwasser werden mehrere hunderttausend
Zugriffe auf diese Seiten verzeichnet.
525
PLANAT 2004, S.10
3.6 Netzwerke und Kommunikation 221
Maßnahmen als „dritten Sektor“ der Hochwasserschutzmaßnahmen an. Der neue Ansatz be-
deutet, die Risikokette als eine Einheit bzw. einen Kreislauf zu verstehen (Abbildung 3-16).
Ereignis
Einsatz
• Alarmierung
• Rettung
Vorsorge • Schadenwehr
• Organisation • Info / Verhaltensanweisungen
• Mittelplanung
• Einsatzplanung
• Ausbildung
• Warnung
g
• Information
Be
un
wä
Instandstellung
ug • Prov. Instandstellung
lti
rbe
• Ver- und Entsorgung
Prävention • Transportsysteme
gu
• Raumplanerische • Kommunikation
Vo
ng
Massnahmen • ...
• Baulich-technische
Massnahmen
• Biolog. Massnahmen
Regeneration
Wiederaufbau
• Definitive Instandstellung
• Rekonstruktion
Integraler Ansatz • Erhöhung der
Widerstandsfähigkeit
•...
• Neben der Intervention wird insbesondere die Prävention beachtet, was sich in langfristi-
gen Maßnahmen – z. B. Meiden von Risikogebieten – und kurzfristigen Maßnahmen – bes-
serer Vorwarnzeit im Ereignisfall – manifestiert.
• Die Bevölkerung wird an allen Stellen des Prozesses aktiv eingebunden. Es werden die
Informationen gegeben, die ein aktives Reagieren auf die Gefahr erlauben, sei es durch
Vermeidung, sei es durch Schutz.
• Die Machbarkeit (i. d. R. Finanzierbarkeit) einschließlich der Betrachtung des Restrisikos
wird auch unter Effizienzaspekten beurteilt. Konsequenz daraus sind jeweils zu kommuni-
zierende Prioritätensetzungen und Kosten-Nutzen-Überlegungen.
Wesentlich ist die präventive Kommunikation von Risiko- und Gefahrenzonen. Dieses Thema
war lange umstritten, weil die Sorge der Beunruhigung der Bevölkerung bestand, vor allem
aber, weil durch die Ausweisung von Gefahrenzonen natürlich massiv individuelle Interessen
betroffen sind. Inzwischen gibt es aber im gesamten Alpenraum mehr und mehr Gefahren-
zonenpläne bzw. vergleichbare Darstellungen. Interessanterweise scheinen beim Umgang mit
dem Risiko auch kulturelle Hintergründe eine Rolle zu spielen: Während in der Schweiz für
jede Talsperre Katastrophenpläne mit Dammbruchszenarien existieren, ist dies in den meisten
Nachbarstaaten, so auch in Deutschland, absolut unüblich.
526
Präsentation des PLANAT-Ansatzes von GOETZ 2004
222 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
Abb. 3-17: Aus der Konzeptbodenkarte werden Bodentypen herausgefiltert, die wasserbeeinflusst sind.
Daraus werden wassersensible Gebiete entwickelt, die ein relevantes Risiko von Überschwemmungen
oder hohem Grundwasserstand bergen.
Eine Annäherung dieser Risikokulturen hat mit der technisch bemerkenswerten bayerischen
Lösung für „Warnzonen“ zu Flutgefahren stattgefunden (Abbildung 3-17): die Karten der
Überschwemmungsgebiete527 und der „wassersensiblen Gebiete“528 sind für jedermann über
Internet abrufbar. Über die Kenntlichmachung dieser Gebiete wird ein Dialog mit den Nutzern
dieser Gebiete eröffnet, der der persönlichen Vorbereitung auf ein mögliches Ereignis dient
oder im besten Falle sogar dazu führt, dass wirklich gefährliche Gebiete gar nicht erst besiedelt
werden.
527
http://www.bayern.de/lfw/iug/index.html
528
Bei der Ermittlung der wassersensiblen Bereiche wurden durch das LfW zum ersten Mal solche
„Verdachtsflächen“ über Bodenkarten ermittelt; ein konkurrenzlos günstiges, innovatives Verfahren,
das sich zur schnellen Abgrenzung potentiell gefährdeter Gebiete eignet (Abb. ). Weil die Kosten um
Faktor 100 niedriger als bei der exakten Berechnung liegen, stellt dieses Verfahren eine Alternative
zu umfangreichen hydrologischen und hydraulischen Berechnungen dar, wenn man die etwas gerin-
gere Genauigkeit in Kauf nimmt.
3.6 Netzwerke und Kommunikation 223
529
CIS 2002a, 5, 41f
224 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
Abb. 3-18: Modell einer Favela in Recife (M ca. 1:50) ERICSON jun.530 hatte mit seiner Studiengruppe
eine ganze Favela vermessen und befliegen lassen und dann ein maßstäbliches Großmodell mit Papier-
häusern für den Bestand und für die Planung gebaut. Die braun markierten Häuser sollen abgebrochen
werden, um Platz für Infrastruktur (Wasser, Abwasser, Strassen, Plätze) zu schaffen.
Einen ähnlichen „Nebeneffekt“ können die Versuche erreichen, die oft zur Überprüfung
schwieriger hydraulischer Situationen von wasserbaulichen Forschungsanstalten eingerichtet
werden. Die gemeinsame Diskussion zwischen Fachleuten und Beteiligten am Modell führt oft
zu einem vertieften gegenseitigen Verständnis.
Ansatz 44: Partizipative Kommunikationsprozesse sind Teile des Projektmanage-
ments und unterliegen den gleichen Kriterien wie das Projektziel selber (Nachhaltig-
keit, Integration).
Aus den guten Erfahrungen mit Beteiligungsverfahren u. a. der bayerischen Wasserwirtschaft
lassen sich allgemeine Schlüsse ziehen:
Offene Planungen eignen sich für alle wasserbaulichen Projekte. Eine frühzeitige Einbindung
der Beteiligten ergibt positive Wirkungen. Beispiel: In den Verfahren kamen viele gute Anre-
gungen, die die Qualität der Planung erheblich verbessert haben, von den Beteiligten. Die
Anregungen gingen von Wege- und Blickbeziehungen bis zu gewünschten Nutzungen (Spiel-
platz, Grillplatz, Furt). Neben der erheblich gestiegenen Zufriedenheit der Beteiligten hat die
hohe Akzeptanz zu erheblichen Verkürzungen der formellen Verfahren geführt.
Auch sonstige wasserwirtschaftliche Vorhaben wie die Wasserver- und Abwasserentsorgung
eignen sich für partizipative Prozesse. Als Beispiele kann in Lateinamerika, Salvador531, die
Entwicklung der Condominas gelten. In Deutschland wird die Partizipation oft „ex post“ durch
Bürgerinitiativen hergestellt, wobei leicht Effizienzverluste eintreten.
530
Ericson C. jun. 2003
531
Governo da Bahia 2003
3.6 Netzwerke und Kommunikation 225
Die Art und Intensität ist an den Bedarf und die Situation anzupassen. Bei kleineren Projekten
genügen allgemeine Informationen, gelegentliche Treffen in größeren Kreisen und (eventuell
viele) persönliche Gespräche. Bei großen Projekten (HW-Schutz Stadt Regensburg, Metropo-
le-Projekt Recife) waren der Dialog und die Partizipation aufwändig gesteuerte Prozesse mit
vielen runden Tischen, Gutachten, Bürgerversammlungen u. v. m. Zum Teil ist die Beteiligung
ein eigenes Vorhaben, d. h. wird langfristig geplant und von Fachbüros begleitet, es werden
eigene Strukturen wie besagte runde Tische, Arbeitskreise, Gruppen, Lenkungsgremien usw.
gegründet.
Mögliches Problem kann eine Überkomplizierung werden. Die Beteiligung wird im kritischs-
ten Fall beinahe zum Selbstzweck, Entscheidungen zu fällen wird immer schwerer. Der Durch-
bruch im Metropole-Projekt532 kam, als man sich auf die wichtigsten zehn Themen fokussierte
und fast 100 weitere, auch interessante, aber nicht fundamentale Themen aus der Entschei-
dungsrelevanz in die Detaildurchführungsphase verschob.
Ein Vorurteil gegen die Partizipation lautet, dass sie frühzeitige Fronten gegen ein Vorhaben
produzieren kann. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall, weil nicht nur potentielle Gegner
angesprochen werden, sondern die Mehrheit der Bürger. Wenn ein Vorhaben mehrheitsfähig
ist, wird dies auf diesem Weg auch mit der schweigenden Mehrheit kommuniziert. Bei der
Renaturierung der Regnitz in Nürnberg z. B. hatte sich eine große aktive Bürgerinitiative von
jungen Müttern gegründet, die vehement für das staatliche Projekt demonstrierten, das an De-
tailproblemen zu scheitern drohte. Das Projekt wurde auch aufgrund dieser positiven Mei-
nungsäußerungen rasch umgesetzt, die Regnitz ist heute einer der wichtigsten Erholungsräume
in Nürnberg.533
Der besondere Reiz der Partizipation ist, dass sie einen echten Mehrwert schaffen kann. Die
Menge und Qualität der Anregungen und Ideen, die durch die Beteiligten geäußert werden, ist
auf anderem Wege auch bei sorgfältiger Planung praktisch nicht zu erreichen. Nachdem die
Anregungen oft miteinander in Verbindung stehen (z. B. sich die Nutzungen überschneiden)
ist auch die Diskussion im größeren Kreis und eine darauf aufbauende iterative Planungs-
anpassung effizient.
Ein Hinweis, warum die Partizipation so einen hohen Wirkungsgrad haben kann, ergibt sich
aus der Chaostheorie. Wenn Systeme nicht deterministisch beschrieben werden können, ist
man bei der Beurteilung und bei der Entwicklung von Projekten auf Fraktale und Selbstorga-
nisation angewiesen. Genau das kann mit Hilfe der Partizipation erreicht werden. Jeder Betei-
ligte, der mitwirkt, trägt die Informationen über Kultur, Ethik, Moral, Bedürfnisse, Geschichte,
Tradition usw. in sich und bringt diese automatisch in partizipative Prozesse ein. Dort bildet
sich auf dem Wege der Selbstorganisation das Abbild oder Muster dieser nicht determinierbar,
fast beliebig komplexen Wirkungsmatrix.
532
Metropole-Projekt in Pernambuco, Finanzierung Weltbank, Ziel Verbesserungen in einer ca. 500.000
Einwohner zählenden Favela, Ergebnis eines Workshops im Dez. 2004. Ein neues Konzept be-
schränkt die Fragen an die runden Tische z. B. auf den Standard von Wasserinfrastruktur, auf Bil-
dung, auf Wegebeziehungen in den Favelas und auf Versammlungsstätten. Die Voruntersuchungen
hatten sich noch detailliert mit vielen weiteren interessanten Themen aller Lebensbereiche beschäf-
tigt, die aber nach Ansicht aller mit den geplanten Verbesserungen der urbanen Struktur nur sekundär
zu tun hatten.
533
http://www.bayern.de/wwa-n/stadtamfluss.htm
226 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
534
Heinl 2005, S. 12 ff
3.7 Kultur als Erfolg beeinflussender Faktor 227
WILDERER et. al 2005). Die gezielte Behandlung dieses Themas durch die im Rahmen der
Entwicklungszusammenarbeit tätigen Institutionen geht auf die Mitte der 80-er Jahre zurück535.
Um das Thema kultureller Einflüsse der Anwendung im Wasserbereich leichter zugänglich zu
machen, wird es nachfolgend zwei gleichermaßen wichtigen Ebenen zugeordnet: „implizite“,
die innere Projektabwicklung beeinflussende Arbeits-/Betriebskultur und „explizite“ Kultur als
Ziel und Zweck der Projekte, als Bedarf und Teil einer menschlichen Lebensqualität.
535
KfW 2004, S. 2
536
Heinl 2005, S. 11f, S. 73 ff
537
KfW 2004, S. 5
228 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
Tab. 3-10: Sozial-kulturelle Dimensionen, aufgeschlüsselt nach kognitiven Strukturen und Sinnsystemen
Sozial-kulturelle Dimensionen
Kognitive Strukturen und Prozesse Sinnsysteme
Faktoren und Beispiele: Faktoren und Beispiele
Bedeutungszuweisung Religion/Weltbilder
Sprache Spiritualität
Denkformen/Wissensformen Mythen
Entscheidungsfindungssysteme Magie
Tabus
Lebenszyklusinterpretation
Daraus entsteht im gesellschaftlichen System ein politisches, ökonomisches, soziales und per-
sönliches Wertesystem. Beispiele für kognitive Strukturen im Wassersektor sind:
• Denkformen: (Fehlender) Vorsorgegedanke erschwert die Argumentation zu Nachhaltig-
keit bis zur Unmöglichkeit.
• Bedeutungszuweisung: Wasser ist sakral besetzt, es gilt als Verstoß, für die Gottesgabe
Wasser Geld zu bezahlen.
• Entscheidungsfindungssysteme: Afrikanisches Palaver als Entscheidungsform; vorgefertig-
te Lösungen werden nicht akzeptiert, solange sie nicht „besprochen“ sind (Information ge-
nügt nicht, auch wenn sie noch so einleuchtend ist).
• Sprache: Begriffe sind mehrdeutig, haben unterschiedliche Tiefenstruktur.
Beispiel für Sinnsysteme im Wassersektor:
• Religion: kann konstruktiv und problematisch wirken, hat aber in jedem Fall erheblichen
Einfluss, z. B. auf das Verhältnis zur Bedeutung des Wassers538
• Magie: „alternative Wasseraufbereitungen“, wie die vielen physikalischen mit Magneten
und anderen nicht in ihrer Wirksamkeit belegbaren Modelle;
• Tabus: insbesondere Umgang mit Abwasser, aber auch Bildung, Gender;
• Lebenszyklusinterpretation: Vorsorgeverhalten (Nachhaltigkeit), Hierarchien Jung und Alt.
Der sich daraus ergebende gesamtgesellschaftliche Kulturbegriff ist lt. KfW „bis heute zwar
wissenschaftlich thematisiert, aber in der Theorienbildung noch nicht aufgearbeitet“.539 Diese
„Nicht-Determinierbarkeit“ gibt einen wertvollen Hinweis auf die Herangehensweise. Das legt
nahe, die Ansätze der CT zu verwenden und nach fraktalen Mustern und selbstorganisierenden
Prozessen zu suchen. Dies wiederum geht nur in partizipativen Prozessen.
Ansatz 46: Sozial-kulturelle gesellschaftliche Einflüsse sind hochwirksam, aber nicht
determinierbar. Nach dem Prinzip der Fraktale können sie jedoch durch partizipati-
ve Prozesse abgebildet werden.
538
Wallacher 1999, S. 154 ff oder Kürschner-Pelkmann 2003a
539
KfW 2004
3.7 Kultur als Erfolg beeinflussender Faktor 229
540
ebenda, S. 19 ff
230 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
legt sind541. Bei der Umsetzung der Projekte tritt aber eine riesige Zahl weiterer sozial-kulturell
beeinflusster Faktoren auf, deren „Beherrschung“ zum Erfolgsfaktor für das Projekt wird. Ein
wichtiges von vielen Beispielen ist die fehlende Bindung der Mitarbeiter an die Unternehmens-
ziele, weil die Familie im weitesten Sinne die alleinige Priorität besitzt. Damit wird Untreue
gegenüber dem Arbeitgeber ebenso begründet wie die bedenkenlose Alimentierung von Fami-
lienangehörigen durch Arbeitsstellen. Dieser Protektionismus ist ein erhebliches kulturelles
Problem in vielen Ländern der Welt (lack of ownership).
Es ist im Sinne der Nachhaltigkeit immerhin davon auszugehen, dass die prinzipiellen Ziele
der Effizienz, Leistung, Kommunikation, der Netzwerkbildung, der Flexibilität und Ownership
immer zutreffen, auch wenn sich die Methodik der Umsetzung kulturbedingt ändert.
WEILER542 geht der Frage nach, ob kulturelle Unterschiede, dargestellt am Beispiel der Welt-
religionen, Einfluss auf die Leistungsfähigkeit von Gesellschaften bezüglich der technischen
Entwicklung und Nachhaltigkeit haben. „It is not the high mortality of some societies or re-
gions of the world does raise questions, but on the contrary, the decreasing and low mortality
asks for an interpretation, which appears to be related to scientific and technological knowl-
edge.” Danach hat der technologische Fortschritt seine Wurzeln im jüdisch-christlichen Welt-
bild (letztlich doch aufbauend auf den antik-römischen Strukturen?543), was zu den technisier-
ten Gesellschaften in Nord- und Westeuropa geführt hat. Obwohl dies oft als Vorteil interpre-
tiert wurde, stellt sich nach WEILER die Frage, ob diese westlichen Gesellschaften (alleine) in
der Lage sein werden, ihre Visionen zu der Bedeutung und Rolle der Natur zu ändern. „Such a
cultural transformation represents de facto a paradigm shift in the Western way of thinking
and in Western culture.” Diese Impulse könnten mit anderen, mehr öko-zentrisch ausgelegten
Kulturen kommen. „Given the profound roots of technological progress in the culture and
world vision of the Western societies with a strong anthropocentric vision, the acceptance of
change for reaching a sustainable world society requires a more equilibrated one allowing the
incorporation of eco-centric values. A new vision or world order will be necessary. Without
any doubt, such a transformation will require a strong and convinced intellectual and political
leadership.” Im Idealfall könnte also das Match-making der Kulturen zu neuen Lösungen füh-
ren, indem die jeweiligen Stärken der Kulturen neue Visionen umsetzbar machen. Mindestens
sollte man es sich aber zur Regel machen, die Lösungsansätze anderer Kulturen bewusst zu
erkennen und ggf. auf Übertragbarkeit in das eigene System zu überprüfen. So haben der vir-
tuose Umgang mit der Partizipation in Brasilien, aber auch die alternativen Wertesysteme
anderer Kulturen die Ansätze dieser Arbeit und auch manches bayerische Projekt positiv be-
einflusst, um nur zwei Beispiele zu nennen.
541
ebd. S. 24-26
542
Weiler 2005, S. 53 ff
543
Das Technologieverständnis wie auch das Umweltverständnis insbesondere der römischen Antike
legen das nach THÜRY nahe. (Thüry 1995)
3.7 Kultur als Erfolg beeinflussender Faktor 231
Tafel 18: Der Workshop von Kloster Banz hat sieben Postulate des Einflusses der Kultur auf den Was-
sersektor formuliert
Verschiedene, besonders wichtige Aspekte des Kulturbegriffes vor dem Hintergrund der Nach-
haltigkeit wurden im Abschlusspapier der Konferenz von Banz544 gefunden. Dort war die Fra-
ge des Einflusses der Kultur auf den Wassersektor in vier Gruppen diskutiert worden:
World cultures and world religions, Poverty and economical development, Global and tempo-
ral dimension of sustainability und Technology, conflict and sustainability
Das Ergebnis der Arbeitsgruppen waren die sieben in
Tafel 18 wiedergegebenen Basissätze
Bemerkenswert an diesem Thesenpapier ist die große Bandbreite, die von den endemischen
Fähigkeiten einer Gesellschaft bis zur Religion und Spiritualität reicht. Meilensteine sind die
Bildungsfrage, aber auch die Veränderungs- und Anpassungsfähigkeit von Gesellschaften.
544
Wilderer, Schroeder, Kopp 2004, Kap 18, S.231
232 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
Als das probate Mittel zur Umsetzung dieses Anspruches wird die Partizipation genannt. Parti-
zipation hat unter anderem das Ziel, das vorhandene endogene Wissen der Partner einzubin-
den, ist aber auch die Schnittstelle zwischen Projekt und Beteiligten. Daraus folgt:
Ansatz 47: Kultur, Spiritualität, Religion sind Werte per se. Sie müssen erkannt, be-
rücksichtigt und in Projekte aktiv eingebunden werden, wo immer das möglich ist.
545
vgl. den Ansatz der Potentiale der schwachen Nachhaltigkeit (S. 12); plakative Beispiele wären der
Vergleich zwischen einem Asketen, vielleicht einem Einsiedler, der überwiegend von kulturellen Gü-
tern lebt mit manchem Westeuropäer, dessen Leben überwiegend dem Geldverdienen und Konsum
dient, der aber keine Kirche und keinen Konzertraum von innen kennt.
3.7 Kultur als Erfolg beeinflussender Faktor 233
kann der Beitrag der Wasserprojekte bzw. der Wasserwirtschaft sein, auf dem sich dann ein
weiteres Gebäude aufrichten lässt.
Der nächste Block, Familie, soziale Kontakte, Nachbarschaft, Sicherheit, Freiheit, ist nur noch
bedingt von rein materiellen Fragen abhängig. ABT546 äußert die Idee einer geistig-seelischen
Nachhaltigkeit, die Lebensqualität und Identität, Offenheit und ein positives Lebensgefühl
fördert, und leitet daraus Forderungen für die Landentwicklung ab, sich nicht überwiegend an
äußeren, materiellen Dingen zu orientieren. Daraus wird eine geistig-seelische Nachhaltig-
keitsdimension entwickelt, die mit der sozialen eine Achse der Immaterialität bildet547.
Auch für die westliche Kultur wird dieses Gedankengebäude von SCHMID, KRÄMER und
HEINL weiterentwickelt. Es entstehen die Ansätze der Lebenskunst: „Lebenskunst im Ange-
sicht der Freiheit erfordert eine aktive Lebensgestaltung, die Ausformung von Stil, ja einer
Kultur des Selbst“548. Die Lebenskunst transportiert auch Werte: „Das Pflegen der Umgangs-
formen wird damit zu einem Gegenstand der Sorge um Gesellschaften und zu einer Aufgabe
der Lebenskunst. Zu den Umgangsformen zählen Höflichkeit, Aufmerksamkeit, Rücksichtnah-
me, Zurückhaltung, Respekt, Anerkennung, Dankbarkeit, Erweisen von Gefälligkeiten, Tole-
ranz, Unvoreingenommenheit, Nachsicht für die Schwächen anderer etc.[…].
Die Probleme, die hinter diesen Fragestellungen jeweils in Europa und in z. B. Lateinamerika
in einer Favela stehen, könnten kaum unterschiedlicher sein. Hier eine Gesellschaft, die an
Egoismen aus einem überzogenen Konsumverhalten leidet, und dort eine Gesellschaft, deren
Mitglieder zur Hälfte unter der Armutsgrenze leben. Das soll hier nicht verkannt werden. Den-
noch ist in beiden Welten die kulturell-spirituelle Kraft gleich viel wert, wahrgenommen oder
nicht. Im Fall des Nordens ist eine Rückbesinnung auf nichtmaterielle Werte zu wünschen, im
Falle des Südens müssen wenigstens die Voraussetzungen geschaffen werden, dass die min-
destens benötigten Basisbedürfnisse soweit befriedigt werden, dass diese nichtmateriellen
Werte überhaupt gelebt werden können. Konsequenz daraus ist, dass bei Wasserprojekten
immer, egal in welcher Kultur, die kulturellen-spirituellen Anforderungen erkannt und imple-
mentiert werden müssen. Nur dann können die geschaffenen Grundversorgungen ihre Wirkung
eines Mehrwertes entfalten.
(vgl. Ansatz 4: Angepasste Technologie muss durch integrale Planung sozial-
kulturelle Hauptziele erfüllen und mögliche sozial-kulturelle Nebenziele und Neben-
effekte berücksichtigen.)
Einige wasserwirtschaftliche Aufgaben – wie die Abwasserentsorgung und die Trinkwasser-
versorgung – liegen im Kernbereich dieser Anforderungen. Sie können oft durch geschickte
Planung um weitere kulturelle Elemente erweitert werden (z. B. Wegesysteme, Ortsbildverbes-
serung, Erholungsräume) oder es können die Ziele anderer Träger entsprechend unterstützt
werden (z. B. kirchliche Ziele, Jugend- und Altenbelange). Weiterhin kann es auch ganz spezi-
fische kulturelle Ansprüche und Verbesserungsmöglichkeiten geben, auf die Planungen gezielt
eingehen können, z. B. Versammlungsstätten, spirituelle Bedeutung von Wasser, bestimmte
Riten usw..
Beispiel Recife: Vor dem Hintergrund der Leitlinie der Menschenwürde ist ein beispielgeben-
des Projekt der Stadt Recife entwickelt worden549: In einem klassischen Favela- Projekt war
546
Heinl 2005, S. 105
547
ebenda. S. 112
548
ebenda. S. 153
549
Ericson 2001
234 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
Ein enormes Problem war von Beginn an die extreme Kriminalität. Nach fast täglichen
Überfällen auf das lokale Büro wurde von der Projektleitung entschieden, dass es so nicht
weiter gehen könnte. Per mündlicher und schriftlicher Einladung wurden über die bekann-
ten, internen Gruppen alle „Verbrecher“ zu einem Treffen eingeladen. Aus Furcht vor po-
lizeilichen Zugriffen kamen nicht die Angesprochenen, sondern deren Ehefrauen, Mütter,
Schwestern oder Töchter. Mit diesen wurde das Projekt diskutiert. Diese Gruppe der meist
weiblichen Bewohner stellte sich als zum einen hauptsächlich unter den katastrophalen
Verhältnissen leidend, aber auch gegenüber den geplanten Verbesserungen aufgeschlossen
heraus. Mit ihnen wurde ein „Nichtangriffspakt“ geschlossen, der mit den Mitteln der fa-
miliären Bindung auch durchgesetzt wurde. Über diesen „Gender“-Ansatz gelang ein sta-
biler Zugang zu den internen Strukturen der Favela.
Ein wesentlicher Baustein des Projektes ist ein „Bürgerbüro für Wasserfragen“
(SANIAMENTO): Am Rand der Favela wurde ein kleines Haus errichtet, in dem in zwei Bü-
ros je ein Vertreter der Stadt und ein Vertreter der COMPESA sitzen550. Jeder Einwohner kann
dort vorsprechen und Mängel am System melden. Diese Mängel werden schriftlich aufge-
nommen und in bestimmten Fristen wird Abhilfe geschaffen. Jeder Fall wird statistisch erfasst,
Reparaturdauer und Erfolg ebenso. 95 % der Eingaben werden in weniger als drei Tagen erle-
digt. Der psychologische Effekt auf die Bewohner ist erheblich. Sie werden von einer Verwal-
tung ernst genommen und es wird ihnen sichtbar geholfen. Viele dieser sozial schwächsten
Menschen erleben dies vielleicht zum ersten Mal. Sie geben dafür einen Teil ihrer selbstschüt-
zenden Abwehrhaltung gegen die etablierte Gesellschaft auf, die Reparaturtrupps und Wasser-
ableser stehen in der Regel unter Schutz; Übergriffe passieren seltener, werden statistisch er-
fasst und sind Grundlage für die regelmäßigen Verhandlungen mit den internen Machtstruktu-
ren (keine Sicherheit, kein Service!).
Zunehmend werden in die Planung auch klassische Versammlungsorte und Freizeitflächen
(Sport u. Ä.), aber auch Kirchen und Samba-Schulen aufgenommen. Weiterhin ist die Bildung
von nachbarschaftlichen Organisationen und Strukturen zunehmend Teil von Planungen in den
Favelas. Auf manchen Gebieten sind die bisherigen Projekte aber noch zu zurückhaltend, zum
Teil bestehen aus der Vergangenheit sogar noch Ressentiments gegen bestimmte Kulturen.
Beispiel dafür ist der Capoeira-Tanz551, der im Ruf der Revolution steht. Es ist immer zu prü-
fen, welche positiven kulturellen Elemente noch zusätzlich die Lebensqualität steigern und die
Menschenwürde fixieren können. Integrierte Projekte müssen das kulturelle Potential kennen
und operativ stützen. Ein weiteres Beispiel aus Bayern ist in Anhang 12 beschrieben.
550
Ein Problem in Brasilien ist die nicht ganz klare Zuständigkeit für den Wassersektor. Für Wasserver-
sorgung und Abwasser wurden große halbstaatliche Institutionen gegründet, in Pernambuco die
COMPESA, die für viele Kommunen zuständig sind. Einige Kommunen sind unabhängig, andere
möchten es gerne werden, insbesondere, wenn der Service vermeintlich schlecht ist. Umgekehrt
stimmen die Kommunen üblicherweise ihre Stadtplanung nicht mit den Versorgern ab, teurer Infra-
strukturbedarf entsteht. Verlierer ist oft der Kunde.
551
Capoeira-Tanz: eine Form des spielerischen, getanzten Kampfes, von den Sklaven Brasiliens erfun-
den und bis heute noch mit dem Ruf der Rebellion, des Widerstands gegen Ausbeutung und Rassis-
mus verbunden
3.7 Kultur als Erfolg beeinflussender Faktor 235
Kultur, Religion,
Spiritualität
Sozial-
gesellschaftlich
Ökonomie
Ökologie
Abb. 3-19: Das Dreieck der Agenda 21, erweitert um die Dimension der Kultur: In Wirklichkeit ein
Tetraeder?552
Die kulturellen Ziele sollten auch in das Wirkungsmonitoring der Projekte aufgenommen wer-
den. Indikatoren könnten z. B. funktionierende Familien, Nachbarschaftshilfe, Kirchbesucher,
geringe Kriminalität, Toleranz gegenüber Ausländern sein. (Vorschlag für die westliche Hemi-
sphäre, analog ähnliche Indikatoren für die südliche Hemisphäre).
Vor dem Hintergrund der Erfahrungen der praktischen Projekte ergeben sich für eine wenigs-
tens qualitative Beachtung der impliziten und expliziten Einflüsse des kulturell, spirituellen
Axioms folgende Schlüsse einschließlich eines Ansatzes:
552
Grambow 2005, S. 218
236 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM
• Die Einbindung kultureller Aspekte scheint Grundlage für den Anspruch „von der Vision
zur Umsetzung“ zu sein.
• Armut ist auch spirituelle (kulturelle) Armut.
• Partizipation ist der Schlüssel zum Erfolg.
• Wir brauchen auf allen Ebenen, von der lokalen Projektebene bis zur globalen Ebene,
Netzwerke und fachübergreifende Kompetenz.
Ansatz 48: Armut kann auch in kultureller-spiritueller Armut bestehen
237
Synthese
An der Nachhaltigkeit führt kein Weg vorbei, nicht im Wassersektor und auch nicht in den
anderen Sektoren. Die Umsetzung ist sowohl eine Frage der Überzeugung und Motivation als
auch der zur Verfügung stehenden Techniken. Als Lösungsansatz hat man für den Wassersek-
tor das IWRM gefunden. Dieser stellt zusammen mit den Aussagen der A21 aber zwei erhebli-
che Probleme für die Umsetzung dar:
Die A21 beziehungsweise die Nachhaltigkeit ist ein normatives Konzept, d. h. sie gibt
zunächst keine Antworten auf Detailfragen zur richtigen Abwägung zwischen den Tripel-
Belangen, sondern erzeugt sogar regelmäßig Dilemmata. Ein erster, immer richtiger Schritt zur
Auflösung des Dilemmas ist die nachhaltige Effizienzsteigerung. Das Instrumentarium dazu ist
im Wesentlichen im Bereich des angepassten Managements und der angepassten Technologie
zu finden. Weitere Ansätze zu Lösung der Dilemmas liegen in einer lokalen und temporalen
Differenzierung, d. h. in einer Vermeidung der dilemmatischen Situation durch Einbeziehung
räumlicher und zeitlicher Koordinaten. Die Ziele der Abwägung liegen in der Nachhaltigkeit,
hilfsweise Gerechtigkeit der ökonomischen, ökologischen und sozial- kulturellen Belange.
Die zweite Herausforderung des IWRM ist die Integralität. Durch die faktische Forderung
nach transsektoraler, translokaler und transtemporaler Integralität entstehen hochkomplexe
Aufgabenstellungen, die nicht mehr deterministisch zu lösen sind. Dies führt in der Praxis
leicht zu einer fehleranfälligen Ausblendung integraler Bestandteile bzw. einer unzulässigen
Vereinfachung der betrachteten Systeme. Besser ist, unter Beachtung aller Ebenen Lösungen
iterativ in einem hochvernetzten Lösungsraum zu entwickeln, damit die Komplexität Zug um
Zug gelöst werden kann. Dazu gibt es keine Schemata, als Kunstgriff kann aber analog der
Lösungsansätze der Chaostheorie insbesondere die Kraft der partizipativen Prozesse genutzt
werden, um diese komplexen Zusammenhänge abzuarbeiten, ohne diese im Einzelnen deter-
ministisch beschreiben zu müssten.
Als sachliche Beiträge zu Umsetzung des IWRM werden in Kap. 3 eine Reihe von Maßnah-
men und Verhaltensweisen empfohlen. Diese basieren auf den Überlegungen zu den spezifi-
schen Stärken und Schwächen der internationalen Modelle der Weltbank etc..
Dazu gehört die Klärung der Rolle des Staates bzw. der Steuerungsparameter einer nachhalti-
gen Politik. Hier sind im Vergleich zum globalen Mainstream als Ergebnisse der Untersuchun-
gen abweichende Einschätzungen zu den zukünftigen Rollenverteilungen im Wassersektor
entstanden. Prinzipiell hat danach der Staat bezüglich der Nachhaltigkeit gegenüber der Ge-
sellschaft eine Garantenstellung, die durch Privatisierungsbestrebungen nicht zu ersetzen ist.
In der zukünftigen globalen Entwicklung des Wassersektors sind zwei Stufen der kontinuierli-
chen Verbesserung vorstellbar: als mindeste erste Stufe die volkswirtschaftliche Effizienz, die
die finanziellen Freiheitsgrade für nachhaltige (Teil-) Lösungen vergrößert, und als zweite
Stufe zur Lösung des Abwägungsdilemmas ein Leitbild der puren Nachhaltigkeit im Rahmen
von good governance und einer Vision der Nachhaltigkeitswirtschaft.
International ist es sinnvoll, sich an guten Beispielen zu orientieren. Aus Sicht dieser Arbeit ist
dabei das bayerische Modell stärker zu beachten, als in der Vergangenheit. Es beinhaltet die
europaeinheitlichen Qualitäten der WRRL und die deutschlandtypischen hohen Ansprüche an
238 4 Synthese und Ausblick
die Wasserqualität in der gesamten Breite; Bayern ist als Flächenstaat traditionell stark kom-
munal und ländlich ausgerichtet, dadurch als Modell prinzipiell auch für ländliche Regionen
geeignet, gleichzeitig als Industriestandort auch in effizienten wirtschaftlichen Lösungen er-
probt.
Es gibt aber erkennbare Defizite: Augenscheinlich mangelt es an einer Wertediskussion, die
sich noch deutlicher mit nichtmonetären Werten, vor allem auch kulturellen, auseinandersetzt.
Die Arbeit zeigt für wasserwirtschaftliche Projekte und Politik diverse Felder eines auf diesem
Weg zu erreichenden Mehrwertes auf.
Integralität wird oft plakativ gefordert, dabei wird leicht die Wirkung von integralen Maßnah-
men überschätzt bzw. werden deren Ansprüche und Komplexität unterschätzt. Die Umsetzung
ist zunächst oft proklamistisch. Ein Großteil des Erfolges ist aber nicht durch theoretische
Konzepte – selbst wenn diese anspruchsvoll sind – sondern durch handwerklich saubere
Arbeit im Detail zu erreichen. Empfehlungen dazu enthalten die Ansätze, die im Folgenden
als Synthese noch einmal zusammengefasst seien:
Zu Angepasste Technologie:
Ansatz 1: Es wird als mittelfristiges, plakatives Ziel definiert, dass der heutige Preis für techni-
sche Lösungen auf dem Wassersektor halbiert werden muss.
Ansatz 2: Es ist die Aufgabe der technologischen Entwicklung, ggf. auf iterativem Weg eine
permanente Steigerung der Nachhaltigkeit technischer Lösungen zu finden.
Ansatz 3: Angepasste Technologie muss sich an den Kriterien der Umweltverträglichkeit ori-
entieren.
Ansatz 4: Angepasste Technologie muss durch integrale Planung sozial-kulturelle Hauptziele
erfüllen und mögliche sozial-kulturelle Nebenziele und Nebeneffekte berücksichtigen.
Ansatz 5: Flüsse brauchen Platz (Rivers need Space).
Ansatz 6: Trinkwasser ist unverzichtbar. Trinkwasserschutz hat absolute Priorität. Es ist flä-
chendeckend zu schützen. Zusätzlich sind in Grund- und Oberflächengewässern Schutzzonen
bzw. Schutzgebiete einzurichten.
Ansatz 7: Die geordnete Abwasserableitung und nach Möglichkeit die Behandlung von Ab-
wasser muss gleichzeitig mit der Wasserversorgung erfolgen. Der übliche Weg, zunächst nur
die Wasserversorgung zu installieren, ist nicht nachhaltig und widerspricht der Menschenwür-
de.
Ansatz 8: Normen und Regelwerke tragen erheblich zur technischen Qualitätssicherung und
Effizienz bei. Dazu müssen Normen aber angepasst, übersichtlich und aktuell sein.
Ansatz 9: Der Bereich Aus- und Fortbildung ist als Ziel zu definieren, strategisch zu planen,
als Daueraufgabe durchzuführen und in seiner Qualität zu sichern.
Ansatz 10: Der Planer muss in enger Abstimmung mit dem späteren Nutzer an dessen Anfor-
derungen und Möglichkeiten angepasste Lösungen entwickeln und für die Umsetzung auf der
Baustelle sorgen. Der Nutzer sollte seine Ansprüche und Ziele definieren können.
Ansatz 11: Dem Gemeinwohl verpflichtete öffentlich-rechtliche technische Fachstellen leisten
wichtige Beiträge zur Entwicklung und Umsetzung nachhaltiger, angepasster Technologie.
Ansatz 12: Hochwertige technische Lösungen entstehen durch die permanente und institutio-
nalisierte Rückkopplung zwischen breiter praktischer Erfahrung in der Umsetzung und entwi-
ckelnden und forschenden Einrichtungen.
3.7 Kultur als Erfolg beeinflussender Faktor 239
Ansatz 13: Die Leistungsfähigkeit der Technologie sollte laufend aufgrund eines formellen
oder informellen Benchmarks überprüft und weiterentwickelt werden (Kontinuierlicher Ver-
besserungsprozess KVP)
Ansatz 14: Der Auftraggeber für Infrastrukturleistungen sollte selber fachkundig und in der
Lage sein, die für die individuellen Situation am besten geeignete Art der Ausschreibung zu
bestimmen. Die Kosten sind auf die Lebenszeit der Anlagen (life cycle costs) und auf alle
Tripel- Belange zu beziehen.
Management
Ansatz 15: Aufgrund der komplexen Anforderungen an eine Wasserinfrastrukturentwicklung
sind bei der (Weiter-) Entwicklung eines angepassten Managements in der Regel iterative
Vorgehensweisen angebracht (Iterationsansatz).
Ansatz 16: Zum Erhalt nachhaltiger wasserwirtschaftlicher Strukturen ist das Zusammenwir-
ken von Staat, Kommune, Privatwirtschaft und Bürgergesellschaft eine Grundvoraussetzung.
Das bedeutet auch, dass keine der genannten „Säulen“ alleine die Aufgabe eines integrierten
Wassermanagements übernehmen kann.
Ansatz 17: Für Gesetze und staatliche Normen gilt: Die Nachhaltigkeit sollte das universelle
Prüfkriterium für gesellschaftliche Regelungseingriffe sein.
Ansatz 18: Der Staat hat im Wassersektor eine Garantenstellung für nachhaltige Entwicklun-
gen. Er muss diese operativ wahrnehmen, solange nicht Dritte dies mit ausreichender Sicher-
heit tun können (bedingte Garantenstellung).
Ansatz 19: Good Governance im Wassersektor bedeutet die nachhaltige, umfassende und lang-
fristige Sicherung des Wasserschatzes. Effizienz und langfristig volkswirtschaftlicher Nutzen
sind dabei Leitlinien, ebenso wie das Bewusstsein, dass ökologische und sozial-kulturelle
Güter und Werte Teil des „Vermögens“ einer Gesellschaft sind.
Ansatz 20: Die Idee von Good Governance basiert auf einem starken, auf Nachhaltigkeit aus-
gerichteten Staat, der „aktivierend“ die Beteiligung einer partizipativ agierenden, verantwor-
tungsvollen Bürgergesellschaft nutzt.
Ansatz 21: Staat und Gesellschaft sind dynamische Systeme. Daraus folgt an die staatlichen
Strukturen eine Grundanforderung der Flexibilität und Bereitschaft zur Fortentwicklung. Die
Wasseradministration muss in diesem System langfristige Planungshorizonte vertreten können.
Ansatz 49: Zur Durchsetzung der gesellschaftlichen Interessen der Nachhaltigkeit und der
Integralität des Wassersektors sind Administrationen mit eigener fachlicher Expertise, zentra-
ler Verantwortlichkeit und regionaler Präsenz notwendig.
Ansatz 23: Die bedeutende Verantwortung der Kommunen für das Wasser bedeutet: „Der
Brunnen bleibt im Dorf“.
Ansatz 24: Verbände und Nachbarschaftshilfe machen subsidiäre, kommunale Systeme effi-
zient, ohne den partizipativen Einfluss der Bürgergesellschaft zu beschneiden.
Ansatz 25: Die regionale Solidarität und der Ausgleich zwischen Stadt und Land ist ein grund-
legender Nachhaltigkeitsbaustein.
Ansatz 26: Es besteht rechtsformunabhängig in allen Organisationen eine (individuelle) Opti-
mierungsforderung.
Ansatz 27: Modernes Management muss alle Werkzeuge kennen und bewusst diejenigen aus-
wählen, die zur Organisation und zur Anforderung passen.
240 4 Synthese und Ausblick
Ansatz 28: Nachhaltige Effizienz ist nicht überwiegend eine Funktion der Kosten (u. a. Ar-
beitsplätze), sondern des Nutzens (nachhaltiger Mehrwert). Ziel ist nicht, suboptimale Lösun-
gen billiger zu machen sondern in Richtung Nachhaltigkeit optimierte Ansätze zu gestalten.
Ansatz 29: Integrale Wasserwirtschaft muss über Sektoren, Räume und die Zeit denken. Einer
Überfrachtung dieses Ansatzes ist durch eine gezielte Parameterauswahl und Dimensionsab-
grenzung zu begegnen.
Ansatz 30: Die Abwägungskriterien [zur Auflösung des Nachhaltigkeitsdilemmas] müssen
aufgrund des wachsenden Wissens in Technik und Naturwissenschaft sowie bezüglich der
Nachhaltigkeit von Prozessen einer permanenten Überprüfung unterzogen werden.
Ansatz 31: Strukturen sollen nach Möglichkeit permanent homogen fortentwickelt werden.
Eckpunkte für tiefgreifende Veränderungsprozesse sind: Klare Ziele – Geschwindigkeit - offe-
ne Kommunikation.
Ansatz 32: Wasserwirtschaft denkt in der Fläche und im Rahmen von Flusseinzugsgebieten.
Ansatz 33: Eine funktionierende Raum- und Bodenordnung sind unabdingbare Teile eines
integrierten Ansatzes. Die Landnutzungsplanung ist damit Teil des IWRM.
Zu Finanzierung und Steuerung
Ansatz 34: Grundsätzlich sollen Wasserpreise kostendeckend kalkuliert werden. Dieses Prin-
zip ist prinzipiell auf den gesamten Wassersektor auszuweiten. Transferleistungen innerhalb
des Sektors richten sich nach den Bedingungen der Nachhaltigkeit.
Ansatz 35: Nachhaltige Lösungen lassen sich nur durch dosiertes und abgestimmtes Ausschöp-
fen aller bekannten finanziellen und nicht-finanziellen Regelungs- und Steuerungsmechanis-
men erreichen.
Zum Human factor
Ansatz 36: Many little people/at many little places/doing many little things/will change the
face of the world. [afrikanisches Sprichwort]
Ansatz 37: Das Erreichen der Nachhaltigkeit ist letztlich eine Frage (menschlichen) Willens.
Ansatz 38: Die richtige Besetzung der Führungspositionen ist von überragender Bedeutung.
Zum Erfolg des Unternehmens sollte ein „Leader“ mit Visionen an der Spitze stehen, der ein
ethisches Commitment in Bezug auf Nachhaltigkeit für sich persönlich und seine Führungs-
verantwortung eingegangen ist.
Ansatz 39: Das Bewusstsein der Bedeutung der nichtmateriellen Faktoren und insbesondere
des Wertes der Mitarbeiter, der Kultur der Zusammenarbeit und der „ownership“ ist ein fun-
damentaler Nachhaltigkeitsbaustein in der effizienten Unternehmensführung.
Zu Netzwerke und Kommunikation
Ansatz 40: Ethisch anspruchsvolle Netzwerke schaffen oder unterstützen [für die Nachhaltig-
keit] günstige soziale Strukturen.
Ansatz 41: Das aktive Einbinden und Nutzen von Netzwerken und vergleichbaren Strukturen
ist ein Nachhaltigkeitsbaustein in wasserwirtschaftlichen Projekten.
Ansatz 42: Konstantes öffentliches Bewusstsein ist eine Grundvoraussetzung für nachhaltige
Ressourcenbewirtschaftung; verständliche Information ist Grundlage für öffentliches Bewusst-
sein. Dies ist die Aufgabe aller Wasserfachleute.
3.7 Kultur als Erfolg beeinflussender Faktor 241
Ansatz 43: Auch Kommunikation innerhalb partizipativer Prozesse basiert auf ernsthaftem
gegenseitigen Willen zum Austausch. Ziel ist, durch diesen Austausch einen echten, materiel-
len oder ideellen Mehrwert zu erreichen.
Ansatz 44: Partizipative Kommunikationsprozesse sind Teile des Projektmanagements und
unterliegen den gleichen Kriterien wie das Projektziel selber (Nachhaltigkeit, Integration).
Zu Kultur
Ansatz 45: Kultur und Spiritualität sind fundamentale Nachhaltigkeitsbausteine. Wegen ihrer
Bedeutung werden sie als vierte Ecke des Nachhaltigkeitsmodells definiert.
Ansatz 46: Sozial-kulturelle gesellschaftliche Einflüsse sind hochwirksam, aber nicht determi-
nierbar. Nach dem Prinzip der Fraktale können sie jedoch durch partizipative Prozesse abge-
bildet werden.
Ansatz 47: Kultur, Spiritualität, Religion sind Werte per se. Sie müssen erkannt, berücksichtigt
und in Projekte aktiv eingebunden werden, wo immer das möglich ist.
Ansatz 48: Armut kann auch in kultureller-spiritueller Armut bestehen
Ausblick
Einige Einzelthemen haben sich im Laufe der Arbeit als besonders ambivalent gezeigt. Diese
aktuell erkennbaren Kernthemen sind:
• Das Bewusstsein für die Ansätze der A21 und integrales Management ist noch besser in der
breiten Praxis des Wassersektors zu verankern.
• Es ist notwendig, weiter an der Definition der Nachhaltigkeit zu arbeiten (u. a. im Bereich
der temporären Dimension und der Dynamik) insbesondere mit dem Ziel, bessere Abwä-
gungskriterien zu bekommen. Gleichzeitig ist weiter an der Aufgabe zu forschen, wie sich
nachhaltige Gesellschaften bilden können oder, mit anderen Worten, woher für die Gesell-
schaft und den individuellen Menschen die Motivation für nachhaltiges Handeln kommen
soll.
• Die Rolle des Staates muss in der Nachhaltigkeitsdiskussion laufend überprüft werden.
Keines der aktuellen Modelle des modernen Staates kann uneingeschränkt als geeignet i-
dentifiziert werden, sowohl dem Ruf nach weniger Staat als auch der Garantenstellung zu
entsprechen. Ein Rückzug aus der Garantenstellung bedeutet aber vermutlich letztlich einen
Verzicht auf Nachhaltigkeit.
• Viele Gewässer weltweit sind noch wenig oder gar nicht verbaut. Es fehlt – zum Schutz der
Menschen und der Gewässer – an einer Schutz-Charta für diese Gebiete unter dem Motto
„Rivers need Space“, basierend auf einer weltweiten Erhebung der Überschwemmungsge-
biete und Auen.
• Angesichts steigender Bevölkerungszahlen und Erwerbslosigkeit kann Arbeitsplatzabbau
auch nicht das überwiegende Ziel der Technologieentwicklung sein.
• Die Globalisierung kann ihre Vorteile nur entfalten, wenn ihr Konzept durch regionale
Konzepte ergänzt wird.
• Sowohl die Kultur als auch der Human-Faktor scheinen im Wassersektor bislang als Er-
folgsfaktoren der Nachhaltigkeit noch nicht ausreichend gewürdigt.
243
5 Anhang
553
persönlicher Bericht 2001
554
Carius et al.(2002): Umweltpolitik und nachhaltige Friedenspolitik. Ein neues Thema auf der interna-
tionalen Agenda. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 12/2002.
555
persönlicher Bericht 2004
556
F. Wilson, Transboundary Water Management in Cameroon, Transboundary Water Management
Course, Invent Bonn 2004
557
WBGU 1997 S. 225
244 5 Anhang
• Aralseeregion: Ein latenter Streit: wo mehrere Staaten von den Zuflüssen des Aralsees
leben, was durchaus nicht konfliktfrei abläuft, mindestens aber zu einem wenig abgestimm-
ten Vorgehen beim Umgang mit der Aralseekatastrophe führt.
Grundwasser:
• In Südamerika wird zwischen den vier Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Para-
guay um das Guarani-Aquifer diskutiert,
• die Auseinandersetzungen um die arabischen Wüstengrundwässer werden mit immer wei-
terem Absinken des Grundwasserstandes eines Tages vakant werden.
3.7 Kultur als Erfolg beeinflussender Faktor 245
558
Vorschlag für eine Ergänzung einer Balance Score Card, vergl. Kap. 0
246 5 Anhang
559
UNESCO (WWAP) 2003
560
2001 Environmental Sustainability Index Used as the Table 6.5 of World Water Development Report
2003
561
ebenda
562
Jedlitschka 2003, Stellungnahme an die LAWA zum WWAP- Report, unveröffentlicht
3.7 Kultur als Erfolg beeinflussender Faktor 247
sprochen geblieben, YOUNG563 räumte ein, Teile dieses Papiers seien fehlerhaft gewesen.
Man müsse angesichts der beschränkten Mittel, die für diese Untersuchung zu Verfügung
stand, gewisse Ungenauigkeiten in Kauf nehmen. Das ließe sich dann verbessern, wenn die
Staaten mehr finanziell zu diesen Untersuchungen beitragen würden’.
Einen Vergleich von europäischen Lösungen stellen CORINA und KRAEMER564 an. Dabei
fällt auf den ersten Blick auf, wie unterschiedlich die westeuropäischen Länder die Aufgabe
Wasser angehen. Im Detail ist es trotz der an sich guten Datenlage auch innerhalb Europas
schwierig, eine eindeutige Bewertung der zu bekommen. Zudem haben sich allein durch die
übliche Dynamik des Sektors auch gegenüber dieser von 1998 stammenden Studie schon wie-
der diverse Veränderungen ergeben.
Eine neue Qualität erreicht der innereuropäische Vergleich mit der Einführung der Wasser-
rahmenrichtlinie. Im sogenannten CIS (Common Implementation Strategy) Prozess soll ein
europaweit einheitlicher Vollzug der Richtlinie erreicht werden. Dazu werden in EU-
Arbeitsgruppen zur Normierung des Vorgehens gemeinsame Papiere erarbeitet565.
Das Hauptziel der WRRL, das Erreichen eines guten ökologischen und chemischen Zustands
soll bis 2015 erreicht sein. Bei Nichterreichen drohen Sanktionen. Die Herausforderung war,
für alle Staaten gleiche = gerechte Anforderungen bzw. Parameter zu entwickeln, um an denen
das Erreichen dieses Ziels – oder anders gesagt dieser Leistung – feststellen zu können. Der
Arbeitsbericht der EU-Arbeitsgruppe 2.A setzt sich mit diesem Problem auseinander. IRMER
schreibt zu diesem Prozess: „Ein erhebliches Problem bei der Bewertung der Befunde für die
biologische Gewässerüberwachung besteht darin, dass die Wasserrahmenrichtlinie keine
einheitlichen Verfahren vorgeben konnte, so dass die Verfahren der EU-Mitgliedstaaten eine
unterschiedlich hohe Sensitivität gegenüber anthropogenen Einflussfaktoren aufweisen und
wohl auch in Zukunft aufweisen werden. Eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse der Bewer-
tungssysteme ist aber zwingend erforderlich, da die Klassengrenze gut/mäßig bestimmt, ob
Bewirtschaftungsmaßnahmen erforderlich sind oder nicht.“566 Im Weiteren wird dann ein
aufwändiges Verfahren geschildert, die sogenannte Interkalibrierung, das durch europäisch
und regional genormte Vergleichsquerschnitte und Indizes vergleichbare kalibrierte Datensätze
erzeugen soll. Die Arbeiten für die Kalibrierung selber laufen über 3 Jahre, von 2003 bis 2006
und sehen allein in Deutschland ein Interkalibrierungsnetzwerk von 70 Fließgewässermessstel-
len, 27 Seenmessstellen und 11 Küstengewässermessstellen vor.
Aufgrund solcher Leitlinien des CIS werden für die von der WRRL erfassten Belange eini-
germaßen vergleichbare Datengrundlagen mit erheblichem Aufwand geschaffen.
Weltweit ist man sehr weit von solchen „genormten“ Verfahren des Monitorings entfernt.
Vergleiche insbesondere zu Entwicklungs- und Schwellenländern sind in den verschiedenen
UN-Berichten zur A21 oder zur Situation der Siedlungswasserwirtschaft gezogen (vgl. Kap.
2). Die Aussagen dort sind aber überwiegend qualitativer Natur. Ein Vergleich mit den dahin-
ter stehenden Strukturen wird üblicherweise ebenfalls nicht vorgenommen, mit der Ausnahme
563
Young 2003, Leiter des WWAP der UNESCO im Gespräch mit dem BMU 17.12.03 sowie in einem
persönlichen Gespräch anlässlich der World Water Week in Stockholm, Aug. 03
564
Correia, Kraemer 1997
565
CIS 2002, S. 1
566
Irmer 2003, S. 2
248 5 Anhang
der quantitativ positiven Einschätzung von partizipativen Prozessen, wie sie vor allem im
WASH-Papier der WSSCC567 dargestellt werden.
Zusammenfassend kann man feststellen, dass belastbare weltweite Vergleiche rar sind, die
globale Datenlage ist mit wenigen Ausnahmen unpräzise, die weltweit anzutreffenden Rand-
werte kompliziert. Zusätzlich scheint es auch bei einigen Staaten gar nicht in deren Interesse
zu liegen, sich transparent zu zeigen und damit möglicherweise eigene Schwächen deutlich zu
machen. Während qualitative Aussagen mit gewissen Einschränkungen möglich sind, fehlt
damit die Möglichkeit für ein echtes Benchmark, wie es beispielsweise bei Wasserversorgern
durchgeführt wird. Das muss berücksichtigt werden, wenn aufgrund internationaler Vergleiche
Schlüsse gezogen oder Entscheidungen getroffen werden sollen.
Es bleibt folglich nur der Ansatz, wenigstens in einzelnen Bereichen belastbare Daten über die
Leistung des Staates auf dem Wassersektor zu ermitteln, um daraus Rückschlüsse auf die Leis-
tung und eventuell konkrete Vorbilder (best available technology) gewinnen zu können. Dazu
gibt es verschiedene grundsätzliche Möglichkeiten, angefangen von den reinen Ergebnisver-
gleichen über Indikatoren bis zu komplexen Kosten-Nutzen-Analysen.
Die Möglichkeiten und Grenzen dieser Vergleiche können wie folgt anhand von relevanten
Beispielen beschrieben werden:
Bei der Siedlungswasserwirtschaft können relativ leicht der Anschlussgrad, sowie etwas kom-
plizierter aufgrund der Analyse- und Grenzwertunterschiede die Qualität des Trinkwassers
beziehungsweise der Abwasserreinigung erhoben und mit den Preisen für Wasserdienstleis-
tungen verglichen werden. Der Faktor Preise sieht harmlos aus, ist es aber nicht. Als Beleg für
seine Komplexität kann die Auseinandersetzung um den europäischen Vergleich der Kosten
für Wasserversorgung und Abwasser herangezogen werden:
567
WSSCC 2004a
568
Kopf 2005
3.7 Kultur als Erfolg beeinflussender Faktor 249
Vor allem unter dem Aspekt der Privatisierung und Liberalisierung findet ein reger Austausch
über die Vorteile und Nachteile der deutschen, französischen und englischen Ansätze statt.
Schon bei vordergründig simplen Zahlen geht aus der Diskussion hervor, wie schwierig eine
Vergleichbarkeit herzustellen ist und wie unterschiedlich dann die daraus resultierenden
Schlussfolgerungen sind. Typisch dafür ist der Briscoe-Report569, der überteuerte deutsche
Preise und überzogene Umweltanforderungen ausgemacht hat und daraus mangelnde Wirt-
schaftlichkeit und mangelnde Verwendbarkeit des deutschen Ansatzes für internationale Pro-
jekte der Weltbank geschlossen hat (vgl. 2.4.3.1.). Die in der nachfolgend begonnenen lang-
jährigen Diskussion ausgetauschten Argumente ergeben ein gutes Bild, warum man über die
Kosten für Wasser so lange diskutieren kann: Gewöhnlich werden die Verbrauchspreise pro
m3 angegeben und verglichen. In diesen Statistiken liegt Deutschland im weltweiten Vergleich
regelmäßig an der Spitze, d. h. hat die höchsten Kosten pro m3 abgegebenen oder gereinigten
Wassers. Die Belastung für den Kunden in Deutschland, aber auch in den meisten anderen
Ländern ergibt sich aber zusätzlich auch aus den (direkten) Abgaben, den sogenannten Beiträ-
gen, die in Form von Einmalzahlungen z. B. bezogen auf Geschossflächen und Grundflächen
ermittelt werden (vgl. z. B. bay. KAG570) und aus indirekten Belastungen (oder Entlastungen),
die als Subventionen in verschiedenen Arten von dritter Seite geleistet werden. Erst damit
entstehen tatsächliche Kosten.
Gerade zur letztlichen Beurteilung der Funktionalität dieser offenen und versteckten Subventi-
onen und Zuwendungen müssen präzise die kalkulatorischen Konsequenzen untersucht werden
– vor allem aber die nachhaltigen ökologischen und sozialen Konsequenzen. Dazu ist im Grun-
de eine aufwendige ganzheitliche Berechnung, z. B. eine iterative Ermittlung der Kosten-
Nutzen-Relation notwendig. Wegen der im Wassersektor immer bestehenden ganzheitlichen
Problemlagen ist diese Art der Finanzierung durch direkte und indirekte Subventionen absolut
üblich! So werden viele Anlagen weltweit durch Zuschüsse und Zuwendungen verschiedener
Art unterstützt. Quellen sind Steuern oder Quersubventionen innerhalb eines Haushaltes (Ge-
meinden), staatliche Zuwendungen, nationale oder internationale (Weltbank-) Kredite wie
nationale oder internationale Grands. Die Wirkung auf die Preise ist oft schwer zu ermitteln,
insbesondere im Nachhinein. Neben „offenen“ Subventionen oder Zuwendungen gibt es auch
die (praktisch nur bei öffentlichen Unternehmen) häufig auftretende versteckte Subventionie-
rung durch nicht kostengerecht umgelegte Preise (nicht kostendeckende Preise). Die verschie-
denen Typen der Finanzierung werden in Kapitel 3.4 behandelt.
Vielfach wurden Subventionen und Zuwendungen als grundsätzlich schlechte Lösung verstan-
den. Subventionen und Zuwendungen beziehungsweise Steuern und Abgaben genauso wie die
interne Preisgestaltung sind aber unverzichtbares Element einer staatlichen Steuerung von der
Wasserressourcenpolitik über die Wirtschaftspolitik bis zum Sozialbereich (vgl. Abbildung 3-
10). Problematisch ist an sich nur mangelnde Transparenz.
Jenseits der reinen Kostenbetrachtung ergibt sich mit der Qualität noch ein weiterer Parameter
mit erheblichen Auswirkungen auf die Kosten. Wasser ist nämlich nicht gleich Wasser! In
Deutschland ist die Qualität des Wassers so gut, dass Leitungswasser in aller Regel für den
lebenslangen Genuss nicht nur möglich sondern sogar besonders geeignet ist. So wird in Bay-
569
Briscoe 1995
570
Das KAG, kommunales Abgabengesetz, regelt die Art und Weise, wie die in Bayern zur öffentlichen
Ver- und Entsorgung verpflichteten Gemeinden ihre Abgaben und Gebühren einheben dürfen
250 5 Anhang
ern mehr als 70 % des Wassers ohne jede künstliche571 Aufbereitung, also auch ohne ge-
schmacklich störende Chlorzusätze oder ähnliches geliefert. Das bedeutet, dass Familien in
Deutschland im Grunde ohne Flaschenwasserzukauf auskommen. Dieses Bild ist bei einigen
europäischen Nachbarn und insbesondere außerhalb Europas ein gänzlich anderes: Dort ist es
normal, dass Leitungswasser, wenn es denn überhaupt fließt, sowohl bakteriell als auch von
den sonstigen Inhaltsstoffen von durchschnittlicher bis schlechter Qualität ist. Allein die zur
Verbesserung der Versorgungssicherheit weltweit vielfach praktizierte Lagerung in überirdi-
schen (Dach-) Tanks ist „Gift“ für die Wasserqualität. Meist geht das Problem aber schon beim
Rohwasser und im Leitungsnetz los. In der Konsequenz gibt die durchschnittliche Weltfamilie
neben dem Leitungswasser ein Vielfaches für Plastiktrinkwasser aus. Ganze Wirtschaftszwei-
ge leben von diesem Mangel der öffentlichen Versorgung. Nimmt man noch die durchschnitt-
lichen Einkommen als Vergleich, so kostet die Wasserversorgung in der Welt oft das 10-100
fache wie in Deutschland, von der Beschaffungsmühe, der Qualität und dem Müllaufkommen
ganz abgesehen.
Damit sieht eine Kosten-Nutzen-Rechnung für deutsches Trinkwasser vollkommen anders aus.
Dieser Effekt wird noch erheblich verstärkt, wenn Kollateralschäden in der Natur und Folge-
kosten z. B. in der Gesundheit einbezogen werden (vgl. Kap. 2.2., Seite 35). In den Entwick-
lungsländern wird also nicht nur die freie Natur durch Übernutzungen, Verschmutzungen usw.
getroffen, sondern fast immer auch der Mensch selber, wenn auch meist nicht gleichmäßig alle
Verursacher sondern, weit überproportional, die armen Bevölkerungsgruppen. Diese verwen-
den krank machendes Wasser zum Waschen, Baden und Trinken, weil sie sich teures Fla-
schenwasser nicht leisten können. Zusätzlich ist die Natur Teil der wahrgenommenen Umwelt,
die besonders zum gesamten Lebensgefühl und zur Lebensqualität beiträgt. Auch hier werden
ärmere Bevölkerungsgruppen, die nicht in schönere Gebiete ausweichen können, überpropor-
tional getroffen. Diese Beschreibung von komplexen Systeme, die Begriffe wie Lebensquali-
tät, gesellschaftliche Werte und Nachhaltigkeit enthalten, überfordern normalerweise die Eva-
luierer bzw. Ersteller von Nutzen-Kosten-Analysen.
Ebenfalls anspruchsvoll ist die zunächst harmlos klingende Gewässergüte. Hier spielen gemes-
sene Parameter, Messdichte, Messort und Auswahl eine Rolle. Trotz Normung gibt es erhebli-
che Möglichkeiten zu abweichenden Angaben. Der Abstimmungsprozess im Rahmen der Ein-
führung der WRRL wurde oben bereits beschrieben.
Noch viel mehr als bei Oberflächengewässern sind Grundwässer wegen der a priori schlechte-
ren Datenlage anfällig für Fehlbeurteilungen. Zu den analytischen Problemen kommen hier die
rein methodischen hinzu. Im internationalen Benchmarking einer Governance-Leistung wären
im Übrigen neben der nackten Gewässergüte auch die Randwerte zu berücksichtigen, insbe-
sondere die Besiedlungsdichte und die Wirtschaftsintensität, aber auch Wassermangelsituatio-
nen, geogene Belastungen oder Altlasten bis hin zu Vorbelastungen aus Kriegen oder früheren
Systemen wären miteinzubeziehen. Etwas Ähnliches wurde z. B. bei den Kriterien zur Einhal-
tung der Stabilitätskriterien des Euros durch Anrechnung der Lasten aus dem Aufbau Ost ge-
macht.
Auch kompliziert zu beschreibende Parameter wie die Gewässerstruktur werden im Rahmen
der WRRL ermittelt. In den meisten Ländern hatte man sich mit diesem Parameter vor der
Initiative der EU nicht gezielt beschäftigt. Das ist auch verständlich, weil deren Bewertung aus
571
unter künstlicher Aufbereitung wird nicht die bloße Einstellung natürlicher Werte auf die Trinkwas-
serverordnung verstanden, also z. B. die Enteisenung, Aufhärtung, Einstellung Kalk-Kohlensäure-
Gleichgewicht und Sauerstoffanreicherung
3.7 Kultur als Erfolg beeinflussender Faktor 251
572
Suda 2003
252 5 Anhang
573
GWP 2002, B1.01
254 5 Anhang
574
vergl. auch die an vielen anderen Stellen verwendeten Beispiele aus der deutschen bzw. bayerischen
Wasserwirtschaftsverwaltung. TÖPFER hat anlässlich einer Veranstaltung zum nachhaltigen Grund-
wassermanagement in Unterfranken die bayerische Wasserwirtschaftsverwaltung als im weltweiten
Maßstab vorbildlich bezeichnet.
575
Zwischen der regionalen Ebene und der Landesebene gibt es nach dem in Deutschland nicht unübli-
chen dreistufigen Verwaltungsaufbau die 7 Regierungen, die auf einer überregionalen Ebene wirken.
Diese Ebene ist im Rahmen der Qualitätssicherung wichtig. (Vier-Augen-Prinzip und unterhalb der
ministeriellen Ebene möglich)
256 5 Anhang
selber Planungen durchführen. So soll auch jedes WWA in der Lage sein, selber 2D Hydrauli-
ken rechnen zu können, wenigstens, um die von außen gelieferten Ergebnisse qualifiziert ü-
berprüfen zu können.
Landesweite Qualitätssicherung und Entwicklung erfolgt durch die dem Ministerium nachge-
ordnete Landeszentralbehörde für Umwelt. Das LfU576ist mit seinen vier „Wasserabteilungen“
auch verantwortlich, auf technisch-wissenschaftlicher Grundlage strategische Vorschläge zu
erarbeiten. Zusätzlich ist auf allen Ebenen, insbesondere aber im LfU und im StMUGV eine
enge Abstimmung mit den Disziplinen des Naturschutzes und des übrigen technischen Um-
weltschutzes, aber auch mit den Gesundheitsabteilungen „über den Gang hinweg“ möglich.
Die Qualitätssicherung nimmt innerhalb der Wasserwirtschaftsverwaltung einen hohen Rang
ein. Die Hintergründe der Ausbildung und der Personalentwicklung wurden bereits in 3.2.6.4
geschildert. Dazu kommt die intensive Kommunikation mit den Nachbarstaaten und im inter-
nationalen Raum zu Erfahrungen und aktuellen ‚best practice’ Ansätze.
Bayern ist nicht in Flusseinzugsgebieten organisiert. Entsprechende Überlegungen hat es an-
lässlich der Verwaltungsreform 2004 gegeben, letztlich hat man sich aber doch zur Einräumig-
keit, d. h. Organisation in einheitlichen Verwaltungsgrenzen bekannt. Die Zuordnung zum
FEG erfolgt zum Stand 2005 über federführende WWÄ, die ämterübergreifend die für das
Flussgebietsmanagement nötigen Daten erheben (WRRL), bzw. Maßnahmen koordinieren.
Aufgrund der intensiven Kommunikation innerhalb der Verwaltung ist diese Vorgehensweise
möglich, obwohl aus rein wasserwirtschaftlicher Sicht die strikte Organisation in Flussgebieten
einfacher wäre.
Exkurs zum Flussgebietsmanagement: Nur wenige Länder der Erde sind in Flusseinzugsgebie-
ten organisiert. Eine Schnittstelle tritt immer auf, entweder innerhalb der Wasserbewirtschaf-
tung oder zum sonstigen Verwaltungsvollzug. Möglicherweise wird aber mit der Umsetzung
der WRRL hier noch ein Umdenken einsetzen, wenn die partizipativen Komponenten stärke-
ren Einfluss gewinnen. Neben der WRRL wird auch der Hochwasserschutz immer stärker auf
FEG ausgerichtet. So hat die IKSD 2004 integrierte Hochwasserpläne beschlossen577. Auch ein
Richtlinienentwurf der EU sieht Hochwasserbewirtschaftungspläne vor578.
Durch die interne Führungspraxis des Ministeriums können die WWÄ als sehr eigenständige
Einheiten arbeiten. Durch den hohen Delegationsgrad entstehen fraktale Strukturen, die kreati-
ven Input fördern. Die Leitplanken bzw. die Kontrolle (an möglichen Bifurkationspunkten)
wird durch die Eigensteuerung der Behörde oder durch die Mittelebene (Regierungen) in ver-
waltungstechnischer und durch das LfU in technischer Hinsicht sichergestellt. Diese Organisa-
tionsstrukturen wurden auch bei einer Untersuchung durch externe Unternehmensberatung579
als gut bestätigt.
576
vormals das Landesamt für Wasserwirtschaft, das 2005 mit dem Landesamt für Umweltschutz ver-
schmolzen wurde – ein wichtiger Schritt zur transsektoralen Integralität
577
Die internationale Kommission zum Schutz der Donau hat Hochwassermanagementpläne beschlos-
sen, die transnational umzusetzen sind. So ist die Donau oberhalb Passau unter Federführung Bayerns
ein Flussraum, der Inn unter Federführung Österreichs.
578
EU 2004a
579
Integrata 1995, unveröffentlicht
3.7 Kultur als Erfolg beeinflussender Faktor 257
Tab. 5-1: Allgemeiner Vergleich der Agenda 21, Kap. 18, mit der bayerischen Wasserwirtschaft
Oberziel Agenda 21 Bayern Bemerkungen
Kap., Stichwort Kurzeinschätzung
A Integrierte Planung
18.7 Deckung des Wasserbedarfs Erfüllt
18.8 Schutz der Wasserressourcen, Priorität Bezüglich des
Deckung der Grundbedürfnisse und der menschlichen Bedarfs
Schutz der Ökosysteme voll erfüllt
18.9, integrierte Bewirtschaftung in FEG, 18Organisatorisch be- Organisatorische Grenzen decken sich nicht
a bis d sektorübergreifend, nachhaltig und dingt erfüllt, inhalt- mit Einzugsgebieten, Beteiligung ist über die
lich erfüllt
rationell, Partizipation, institutionelle Struk- Rechtsverfahren gewährleistet, Partizipation
turen ist aber als Methodik noch nicht ausgereizt
18.10 grenzüberschreitende Zusammenar- Erfüllt In besonderem Maße durch die Zusammenar-
beit beit in den internationalen Kommissionen wie
IKSD, IKSR
18.11 klare Programme Erfüllt Durch die WRRL
18.12 Maßnahmen zur Verbesserung der Erfüllt Die überwiegende Zahl der zitierten Maß-
integrierten Bewirtschaftung: Aktionspläne, nahmen sind bereits durchgeführt, wobei diese
Inventarisierung der Schutzbereiche, Model- Maßnahmen kaum abschließend zu erledigen
le, Optimierung der Nutzung, Hochwasser- sind. Das Wissen dazu und die technischen
schutz usw. Möglichkeiten steigen ständig
B Abschätzung des Dargebots
18.24 bis 18.26 Monitoring, Bedarfsprogno- Erfüllt, soweit erfüll- Soweit erkennbar, sogar vorbildlich
sen, Datensammlung, Forschung bar
C Schutz der Wasserressourcen, der Gewässergüte und der aquatischen Ökosysteme
18.36 ganzheitliche Bewirtschaftung der Weitgehend erfüllt Die Ressource wird von verschiedenen Insti-
Ressource tutionen bewirtschaftet, wodurch Differenzen
in der Anschauung entstehen können, was
ganzheitlich ist
18.37 Schutz des Grundwassers vor Konta- Bedingt erfüllt Vorbildlich z. B. allgemeiner Grundwasser-
mination schutz, Altlastenprogramme, Probleme bei
landwirtschaftlicher Nutzung
18.38 Gewässergüteaspekte bei der Bewirt- Erfüllt Denkbar hoher Standard bei den punktuellen
schaftung des Wassers Einleitern und der Krankheitsbekämpfung
18.39 Ermittlung verfügbarer Wasservor- Erfüllt Bereits in der Vergangenheit präzise Bilanzie-
kommen, Programm zur Reinhaltung rung des Wasserhaushalts, Schutz wichtiger
Vorkommen, insbesondere der programmati-
sche Ansatz der Eu WRRL deckt diesen Be-
reich perfekt ab
D Trinkwasserversorgung und Sanitärmaßnahmen
18.48 bis 18.49 Zugang für alle Menschen Umfassend erfüllt Detailverbesserungen sind zwar immer denkbar,
zu Wasserversorgung und Abwasserentsor- werden aber auch laufend vorgenommen. Zum
gung Teil ist die Situation sogar vorbildlich, z. B. bei
der wichtigen Rolle der Kommunen (18.48 c)
E Wasser und nachhaltige städtische Entwicklung
18.57 ff Uneingeschränkt Die Probleme deutscher Städte sind kaum mit
erfüllt der durchschnittlichen internationalen Lage vor
allem in Entwicklungsländern zu vergleichen
F. Wasser für die nachhaltige Nahrungsmittelerzeugung und ländliche Entwicklung
18.66 Erfüllt Wasser ist in Bayern kein limitierendes Krite-
rium für die landwirtschaftliche Erzeugung
258 5 Anhang
Ein differenzierteres Bild ergibt sich u. U., wenn einzelne Bereiche im Detail verglichen wer-
den. Zu beachten ist auch, dass in einigen Belangen zwar der Ist-Zustand durchaus befriedi-
gend ist, aber eine negative Tendenz besteht. Eine der Hauptaufgaben kann deshalb durchaus
der Erhalt der Standards sein. Beispielhaft werden im Folgenden einige kritische Anforderun-
gen diskutiert:
Tab. 5-2: Beispielhafter, qualitativer Vergleich kritischer Bereiche der bundesdeutschen bzw. bayeri-
schen Wasserwirtschaft mit der Agenda 21, Kap. 18 und anderen
Oberziel Agenda 21 Bayern Bemerkungen
A Integrierte Planung
18.11b bis zum Jahr 2025: die Verwirklichung der sub- WRRL Ob die gesetzten Fristen erreicht
sektoralen Ziele aller die Wasserressourcen betreffenden werden, hängt u. a. von der finanziel-
Programmbereiche len Ausstattung der Programme ab.
Könnte durchaus kritisch werden.
18.12 f: Maßnahmen zum Schutz vor Hochwasser und Mit dem Pro- Ebenfalls unter Finanzierungs-
Trockenzeiten einschließlich Risikoanalyse und Umwelt- gramm 2020 vorbehalt, aber z. B. auch abhängig
und Sozialverträglichkeitsprüfung ideale Vorausset- von klimatischen Bedingungen,
zung sowohl wegen eines möglichen nega-
tiven Ereignisses (großes Hochwas-
ser) als auch Folgen des Klimawan-
dels (Klimafaktor, vgl.)
18.12 g die Förderung von Programmen zur rationellen Instrumente sind Eindeutige Daueraufgabe und stark
Wassernutzung durch Schärfung des öffentlichen Be- in Anwendung abhängig von politischer Akzeptanz
wußtseins, durch Aufklärungsprogramme, durch Erhe- oder Vorberei-
bung von Wassergebühren und durch sonstige wirt- tung
schaftspolitische Instrumente
18.12 o,i: die Entwicklung und gegebenenfalls Verstär- Erfüllt, insbeson- Könnte durch die Privatisierungsbe-
kung der Zusammenarbeit, eventuell einschließlich ent- dere durch starke wegung in Frage gestellt werden,
sprechender Mechanismen, auf allen betroffenen Ebenen, Rolle der Kom- wenn Entscheidungen letztlich in den
und zwar auf der niedrigsten dafür geeigneten Ebene: munen Zentralen globaler Unternehmen
nach Maßgabe der innerstaatlichen Rechtsvorschriften die gefällt werden
generelle Verlagerung der Zuständigkeit für die Wasser-
bewirtschaftung auf diese Ebene einschließlich der de-
zentralen Erbringung staatlicher Dienstleistungen durch
Kommunalbehörden, private Unternehmen und Gemein-
schaften
B Abschätzung des Dargebots
18.24 bis 18.26 Hydrologie und technische Gewässerauf- Erfüllt, soweit
Vor dem Hintergrund der laufenden
sicht erfüllbar Einsparprogramme einschließlich des
Personalabbaus wird es aber schwie-
rig werden, den Standard zu halten
C Schutz der Wasserressourcen, der Gewässergüte und der aquatischen Ökosysteme
18.35 Es herrscht ein weit verbreiteter Mangel an Wissen Unter Vorbehalt Die Ressource wird von verschiede-
über die Wechselwirkungen zwischen der Entwicklung, erfüllt nen Institutionen bewirtschaftet,
Bewirtschaftung, Nutzung und Behandlung der Wasser- wodurch Differenzen in der An-
ressourcen und der aquatischen Ökosysteme schauung entstehen können, was
ganzheitlich ist. Echte Mängel bei
der Landbewirtschaftung. Hoffnung
durch Anwendung von cross compli-
ance
18.37 Das Ausmaß und der Schweregrad der Kontamina- Bedingt erfüllt Vorbildlich z. B. allgemeiner
tion der ungesättigten Bodenschichten und Grundwasser- Grundwasserschutz, Altlastenpro-
leiter sind lange Zeit ……unterschätzt worden gramme, wobei die Sanierung von
Altlasten ganz eindeutig an die fi-
3.7 Kultur als Erfolg beeinflussender Faktor 259