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Martin Grambow

Wassermanagement
Aus dem Programm
Bauwesen

Taschenbuch der Wasserversorgung


von J. Mutschmann und F. Stimmelmayr

Überfälle und Wehre


von G. Peter

Wassermanagement
von M. Grambow

Bauobjektüberwachung
von F. Würfele, B. Bielefeld und M. Gralla

Baukosten bei Neu- und Umbauten


von K. D. Siemon

Hochbaukosten – Flächen – Rauminhalte


von P. J. Fröhlich

Nachtragsmanagement in der Baupraxis


von U. Elwert und A. Flassak

Musterbriefe für Auftragnehmer


von W. Heiermann und L. Linke

Musterbriefe für Auftraggeber


von W. Heiermann und L. Linke

Kommentar zur VOB/C


von P. J. Fröhlich

vieweg
Martin Grambow

Wassermanagement
Integriertes Wasser-Ressourcenmanagement
von der Theorie zur Umsetzung
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

1. Auflage 2008
Alle Rechte vorbehalten
© Friedr. Vieweg & Sohn Verlag | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008
Lektorat: Karina Danulat / Annette Prenzer
Der Vieweg Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media
www.vieweg.de

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Druck und buchbinderische Verarbeitung: Wilhelm & Adam, Heußenstamm
Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier.
Printed in Germany

ISBN 978-3-8348-0383-2
V

Vorwort von Prof. Dr.-Ing. Martin Faulstich

Das Thema Wasser ist sicherlich eines der bedeutendsten Themen der Menschheit des einund-
zwanzigsten Jahrhunderts. Die Industriestaaten der westlichen Welt haben in der Wasserver-
sorgung und Abwasserentsorgung in den letzten Jahrzehnten beträchtliche Fortschritte erzielt,
so dass zum Beispiel in Deutschland nahezu überall und jederzeit sauberes Trinkwasser und
eine geregelte Abwasserversorgung zur Verfügung stehen. Das ist in weiten Teilen der Welt
mitnichten der Fall, so dass es gute Gründe gibt, mit unseren Erfahrungen auch in anderen
Ländern nach angepassten Lösungen zu suchen.
Das Bayerische Umweltministerium hat daher bereits vor über zehn Jahren die Initiative Tech-
nologietransfer Wasser (TTW) gegründet, um Projekte der Wasserwirtschaft in der internatio-
nalen Zusammenarbeit zu unterstützen. Diese Initiative TTW ist am Wasserwirtschaftsamt Hof
angesiedelt und wurde viele Jahre lang von dem Autor des vorliegenden Buches erfolgreich
geleitet. Seine außerordentlichen Leistungen haben schließlich dazu geführt, dass Herr Dr.
Grambow zum Chef der bayerischen Wasserwirtschaftsverwaltung berufen wurde.
Der Verfasser des Vorwortes ist durchaus stolz darauf, Herrn Grambow seinerzeit angeregt zu
haben, seine umfangreichen Kenntnisse und Erfahrungen im internationalen Wassermanage-
ment wissenschaftlich aufzuarbeiten und als Dissertation vorzulegen. Herr Grambow hat diese
Anregung bereitwillig aufgegriffen und mit großem Engagement – neben seiner Tätigkeit als
leitender Ministerialbeamter – diese Arbeit angefertigt und damit erfolgreich promoviert. Dem
Vieweg-Verlag gebührt Dank und Anerkennung, dass er dieses wichtige Werk nun als Buch
einer breiten Öffentlichkeit zugänglich macht.
Das so genannte „Integrierte Wasserressourcen-Management (IWRM)“ existiert zwar bereits
seit den neunziger Jahren und ist ständig verbessert worden. Herr Grambow hat mit seiner
langjährigen Erfahrung erkannt, dass dieses System dennoch erhebliche Umsetzungsschwä-
chen aufweist. Im ersten Teil des Buches wird daher zunächst eine nahezu vollständige Analy-
se der Strategien im Wassersektor vorgenommen. Schwerpunkte dieser Analyse sind die öko-
logische, ökonomische und gesellschaftlich-soziale Bedeutung sowie die Strategien der inter-
nationalen Institutionen der Wasserwirtschaft.
Ausgehend von dieser umfassenden Analyse hat der Autor eine ganzheitliche Strategie für die
Umsetzung des internationalen Wassermanagements erarbeitet. Dieser Lösungsansatz besteht
aus sechs Teilstrategien, wie angepasste Technologie, Management, Finanzierung und Steue-
rung, human factor, Netzwerke und Kommunikation sowie Kultur. Daraus wurden nahezu
fünfzig Ansätze abgeleitet, die es zukünftig ermöglichen sollen, die erfolgreiche Umsetzung
des Wassermanagements in der Praxis zu gewährleisten.
Dieses Buch zeigt auch, dass sich der Rohstoff Wasser nur begrenzt mit den Gesetzen des
freien Marktes begreifen lässt. So gibt es eine Art Menschenrecht auf Wasser, dessen Missach-
tung bis zu kriegerischen Konflikten führen kann. Wasser ist zudem ein Gut, welches sehr
stark von Randbedingungen wie geografischer Lage, kultureller Prägung und ethischer Er-
kenntnis beeinflusst wird. Unter Berücksichtigung dieser Komplexität liegt es auf der Hand,
dass es kein monokausales Lösungskonzept geben kann. Ein Integriertes Wasserressourcen-
Management kann nur erfolgreich sein, so das Credo des Autors, wenn es iterativ, offen, integ-
ral, interaktiv und partizipativ gestaltet wird.
VI Vorwort

Damit zeigt sich auch, dass für dieses wahrhaft interdisziplinär angelegte Buch erhebliche
technische, ökonomische, rechtliche sowie philosophische Kenntnisse erforderlich waren,
welche dem gelernten Ingenieur Grambow naturgemäß nicht in die Wiege gelegt wurden. Es
hat bislang kein Werk gegeben, welches das Thema Wassermanagement derart systematisch
und wissenschaftlich sowie zugleich praxisnah und überzeugend darstellt.
Dieses Buch ist ein wirklicher Almanach der internationalen Wasserwirtschaft geworden. Eine
große Verbreitung und eine rasche Umsetzung der wegweisenden Erkenntnisse sind in unser
aller Interesse sehr zu wünschen.

München, im August 2007


Prof. Dr.-Ing. Martin Faulstich
Sachverständigenrat für Umweltfragen

Danksagung
Mein Dank gilt besonders meinem wissenschaftlichen Mentor Professor Martin Faulstich,
sowie Professor Holger Magel, Professor Peter Wilderer und Professor Theo Strobl für die
Mitbetreuung, den vielen Kollegen/innen und Freunden/innen der bayerischen und internatio-
nalen Wasserfamilie und den Korrektoren/innen, die mir so sehr geholfen haben.
Dieses Buch widme ich im Sinne der Nachhaltigkeit meinen Söhnen Konstantin und Julius,
stellvertretend für die Kinder dieser Welt.

Prien am Chiemsee, September 2007


Dr.-Ing. Martin Grambow
VII

Inhaltsverzeichnis

Einführung..................................................................................................................................................1

1 Die weltweite Wasserkrise und unsere Zukunftsplanung................................................................7


1.1 Einschätzung der weltweiten Wasserkrise....................................................................................7
1.2 Problemstellung und Arbeitsauftrag .............................................................................................8

2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors.......................................................................11


2.1 Schwerpunkt Ökologie: Agenda 21 als integraler Lösungsansatz für den Wassersektor ...........11
2.1.1 United Nations: Die Agenda 21 ......................................................................................11
2.1.1.1 Grundlagen und Entwicklung der Agenda 21 ...................................................11
2.1.1.2 Grundlagen der Nachhaltigkeit .........................................................................12
2.1.1.3 Abwägung und Partizipation .............................................................................21
2.1.1.4 Bestandsaufnahme des aktuellen Umgangs mit der Agenda 21 ........................25
2.1.1.5 Agenda 21 als integriertes Managementsystem ................................................27
2.1.2 IWRM (Definition) .........................................................................................................29
2.1.3 United Nations: Millennium Development Goals ...........................................................31
2.2 Schwerpunkt Ökonomie: Kosten und Finanzierung im Wassersektor........................................35
2.2.1 Was kostet der Wassersektor? .........................................................................................36
2.2.2 Finanzierung durch Effizienzsteigerungen ......................................................................41
2.2.2.1 Effizienz-Management durch betriebliches Management und Planung ............42
2.2.2.2 Politisches, gesellschaftliches Effizienzmanagement........................................43
2.2.2.3 Öko-Effizienz....................................................................................................43
2.2.2.3 Einfluss der internationalen Finanzierungsstrukturen auf den Wassersektor ....45
2.2.4 Finanzierungsquellen und langfristig gerechte Ressourcenverteilung.............................48
2.3 Schwerpunkt gesellschaftlich-soziale Bedeutung der Wasserwirtschaft ....................................51
2.3.1 Menschenrecht Wasser....................................................................................................51
2.3.1.1 Wasser als Thema im Völkerrecht ....................................................................51
2.3.1.2 Verpflichtungen für Staaten ..............................................................................52
2.3.2 Wasser als internationales Konfliktpotential ...................................................................55
2.3.3 Politisch-gesellschaftliche Relevanz des Wassersektors .................................................59
2.3.3.1 Der Faktor politischer Willen am Beispiel der Abwasserbeseitigung ...............59
2.3.3.2 Diskussion der Aufgabenzuteilung: öffentlich oder privat? ..............................61
2.4 Strategien internationaler Institutionen und ihre Maßnahmen auf dem Wassersektor................69
2.4.1 Wasserstrategien internationaler Entwicklungsbanken und Institutionen .......................69
2.4.1.1 Weltbankgruppe ................................................................................................69
2.4.1.2 Internationale Fachgruppen...............................................................................74
2.4.2 Europäische Wasserpolitik ..............................................................................................75
2.4.2.1 Innereuropäische Wasserpolitik: Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) .................75
2.4.2.2 Transnationale und internationale Wasserpolitik der EU..................................76
2.4.3 Deutsche Wasserpolitik (national und international).......................................................77
2.4.3.1 Auswirkungen der Wasserpolitik der Weltbank auf die deutsche
Wasserwirtschaft ...............................................................................................78
2.4.3.2 Organe der internationalen Zusammenarbeit ....................................................80
2.5 Zwischenfazit .............................................................................................................................84
VIII Inhaltsverzeichnis

3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM ......................................... 87
3.1 These und Ansatz....................................................................................................................... 87
3.1.1 These .......................................................................................................................... 87
3.1.2 Lösungsansatz................................................................................................................. 88
3.1.2.1 Lösungsansatz aus sechs Hauptfeldern............................................................. 88
3.1.2.2 Lösungsansatz aus komplexen Systemen (Chaostheorie)................................. 90
3.2 Angepasste Technologie............................................................................................................ 92
3.2.1 Entwicklung und Bedeutung der angepassten Technologie............................................ 92
3.2.1.1 Bestandsaufnahme............................................................................................ 92
3.2.1.2 Zuordnung der angepassten Technologie zum Nachhaltigkeitssystem............. 95
3.2.2 Methode der Weiterentwicklung der Technologie aus erkannten Mängeln.................... 98
3.2.3 Anpassung unter ökonomischen Gesichtspunkten.......................................................... 99
3.2.3.1 Beispiele für nicht angepasste technische Lösungen ........................................ 99
3.2.3.2 Zeitabhängige Problementwicklungen ........................................................... 104
3.2.4 Anpassung unter Umweltgesichtspunkten .................................................................... 105
3.2.4.1 Klimatische Anpassung .................................................................................. 105
3.2.4.2 Wirkungen auf die Umwelt ............................................................................ 106
3.2.4.3 Technologie der Anpassung durch die Umweltverträglichkeitsprüfung......... 108
3.2.5 Anpassung unter sozial-kulturellen Gesichtspunkten ................................................... 111
3.2.5.1 Zweckbestimmung ......................................................................................... 111
3.2.5.2 Kulturelle Umwelt .......................................................................................... 112
3.2.6 Ausgewählte Lösungsansätze zum Erreichen einer angepassten Technologie ............. 113
3.2.6.1 Richtige Lokalisierung ................................................................................... 113
3.2.6.2 Wasserversorgung und Abwasserentsorgung ................................................. 118
3.2.6.3 Regelwerke als Unterstützung einer angepassten Technologie ...................... 119
3.2.6.4 Aus- und Fortbildung ..................................................................................... 120
3.2.6.5 Verzahnung Planer – Betreiber, Kunde – Auftragnehmer .............................. 121
3.2.6.6 Öffentlich-rechtliche Fachstellen als Qualitätsmerkmal................................. 122
3.2.6.7 Unterstützung durch Forschung, Entwicklung
und Benchmarking ......................................................................................... 124
3.2.6.8 Wettbewerb, Ausschreibungen ....................................................................... 129
3.3 Management ............................................................................................................................ 132
3.3.1 Prinzipieller methodischer Ansatz zur Entwicklung und Implementierung
von angepasstem Management ..................................................................................... 133
3.3.2 Normativ-strukturelles Management ............................................................................ 135
3.3.2.1 Ansatz des „Viersäulenmodells“ .................................................................... 135
3.3.2.2 Säule I und IV: Staat und Staatsverwaltung (good governance),
Bürgergesellschaft .......................................................................................... 137
3.3.2.3 Säule II: Die Kommunen................................................................................ 152
3.3.2.4 Säule III: Der private Sektor........................................................................... 161
3.3.3 Operatives, betriebswirtschaftliches Management ....................................................... 164
3.3.3.1 Grundregeln des nachhaltigen Managements ................................................. 165
3.3.3.2 Managementmethoden ................................................................................... 167
3.3.4 Spezielle Kapitel eines erfolgreichen Wassermanagements ......................................... 170
3.3.4.1 Ergebnisse der Chaosforschung als Teil der Kreativität und der
Qualitätssicherung .......................................................................................... 170
3.3.4.2 Besondere Nachhaltigkeitskriterien................................................................ 172
3.3.4.3 Veränderungsmanagement: ............................................................................ 177
3.3.4.4 Flusseinzugsgebietsmanagement.................................................................... 182
3.3.4.5 Flächenmanagement ....................................................................................... 187
3.4 Finanzierung und Steuerung .................................................................................................... 190
3.4.1 Regelung des freien Marktes: Was steuern private Lösungen bei? .............................. 191
3.4.2 Beiträge und Gebühren................................................................................................. 193
Inhaltsverzeichnis IX

3.4.3 Zuwendungen/Subventionen .........................................................................................195


3.4.4 Abgaben und Steuern ....................................................................................................197
3.4.5 Gesetze, Verordnungen und Genehmigungen ...............................................................198
3.4.6 Wassermärkte und handelbare Wasserrechte ................................................................200
3.4.7 Freiwilligkeit .................................................................................................................201
3.5 Der „Human Factor“: Vision und Motivation ..........................................................................202
3.5.1 Bedeutung der kulturellen Unterschiede in den Arbeitswelten .....................................203
3.5.2 Deontologisch-teleologische Bedeutung , Motivation...................................................204
3.5.3 Zusammenhang zwischen Persönlichkeiten und Visionen ............................................206
3.5.4 Identifikation und Qualität ............................................................................................208
3.5.5 Gender ...........................................................................................................................209
3.6 Netzwerke und Kommunikation...............................................................................................210
3.6.1 Netzwerke .....................................................................................................................210
3.6.1.1 Formelle Netzwerke ........................................................................................210
3.6.1.2 Informelle Netzwerke......................................................................................212
3.6.1.3 Nutzen von Netzwerken innerhalb des IWRM................................................213
3.6.2 Kommunikation.............................................................................................................215
3.6.2.1 Öffentliches Bewusstsein (public awareness) .................................................217
3.6.2.2 Operative Kommunikation ..............................................................................220
3.6.2.3 Partizipation als höchste Form der Kommunikation .......................................222
3.7 Kultur als Erfolg beeinflussender Faktor..................................................................................226
3.7.1 Implizite kulturelle Einflüsse ........................................................................................227
3.7.1.1 Sozial-kulturelle Dimensionen und (inter-) kulturelle Kompetenz .................227
3.7.1.2 Anwendungsbeispiele für implizite Kultur......................................................229
3.7.2 Explizite Kultur .............................................................................................................231
3.7.2.1 Kultur vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeit .............................................231
3.7.2.2 Die kulturelle Ebene als Teil der integrierten Projekte ...................................232
3.7.3 Fazit: Gezielte Implementierung kultureller Werte als Aktivposten in Projekten .........235

4 Synthese und Ausblick....................................................................................................................237

5 Anhang.............................................................................................................................................243
Anhang 1: Beispiele für Wasserkonflikte ................................................................................................243
Anhang 2: Aufgaben des normativen Managements................................................................................245
Anhang 3: Probleme bei der Quantifizierung der Regierungsleistung .....................................................246
Anhang 4: Good Governance bei der GWP .............................................................................................252
Anhang 5: Kennzahlen der bayerischen Wasserwirtschaft ......................................................................254
Anhang 6: Organisation der bayerischen Wasserwirtschaftsverwaltung..................................................255
Anhang 7: Skizzenhafter Vergleich der bayerischen Wasserwirtschaft mit der Agenda 21 ....................257
Anhang 8: Nachhaltigkeitskriterien nach Kahlenborn/Kraemer ..............................................................261
Anhang 9: Human Factor in der Agenda 21 (zu 3.5.2) ............................................................................262
Anhang 10: Wasserversorgung in Eritrea, Beispiel für integrale Ansätze ...............................................264
Anhang 11: Ambitec als System und der Fall Toritama (zu 3.6.1.3) .......................................................265
Anhang 12: Leitfaden TTW (Stand 6.11.2002)........................................................................................272
Anhang 13: Beispiel für Implementierung kultureller Belange: Oberkotzau in Oberfranken
(zu 3.7.2.2) ...........................................................................................................................275

Literaturverzeichnis...............................................................................................................................276

Sachwortverzeichnis ..............................................................................................................................285
XI

Abkürzungsverzeichnis

A21 Agenda 21
ADB Asian Development Bank
APGOOD UK Parliament All Party Group on Development
AT Verband Verband für angepasste Technologie
BayWG Bayerisches Wassergesetz
Bfz Berufliche Fortbildungszentren der Bayerischen Wirtschaft
BGW Bundesverband Gas und Wasserfach
BMBF Bundesministerium für Bildung und Forschung
BMZ Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
BOO Build Operate Own
BOT Build Operate Transfer
CAD Computer Aided Design
CGIAR Consultativ Group on Agricultural Research
COMPESA Wasserver- und -entsorgung im Staat Pernambuco, Brasilien
DWA Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (al. ATV-DVWK)
ESCR UN- comitee of Economic, Social and cultural Rights
FIAN FoodFirst Netzwerk
GTZ Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit
GUS Mitgliedsstaaten der ehemaligen Sowjetunion
GWP Global Water Partnership
HOAI Honorarordnung für Architekten und Ingenieure
IADB Interamerican Development Bank
IIED Institut für nachhaltige Entwicklung
IKSD Internationale Kommission zum Schutz der Donau
IPWSKR Intern. Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte
IRN International Rivers Network
IT Informationstechnologie
IWA International Water Association
IWRM Integriertes Wasserressourcenmanagement
JMP Joint Monitoring Program (WHO / UNICEF)
KfW Kreditanstalt für Wiederaufbau
KMU Klein- und Mittelständische Unternehmen (engl. SME)
LAWA Länderarbeitsgemeinschaft Wasser
LEP (bayerisches) Landesentwicklungsprogramm
M&A Merger and Acquisition Management
MDGs Millennium Development Goals
MMA Bras. Ministério do Meio Ambiente, dos Recursos Hídricos e da Amazônia Legal
NGO Non Governmental Organisation
OAS Organisation Amerikanischer Staaten
OBB Oberste Baubehörde im bayerischen Staatsministerium des Innern
ODI Englisches Überseeinstitut
PLANAT Schweizer Plattform Naturgefahren
PPP Public Private Partnership
QM Qualitätsmanagement
SABESP Wasserver- und -entsorgung in Staat Sao Paulo, Brasilien
SME Small and medium sized enterprises (s. a. KMU)
SRU Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung
StMUGV Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz
TQM Total Quality Management
XII Abkürzungsverzeichnis

TTW Projekt Technologietransfer Wasser des Wasserwirtschaftsamts Hof


UNCCD United Nations Commission for Combating Deserts
VN = UN
WASH Internationale Kampagne für Abwasser und Hygiene (Träger WSSCC)
WBCSD World Business Council for Sustainable Development
WBGU Sachverständigenrat für Globale Umweltfragen
WCED United Nations World Commission on Environment and Development
WHG Wasserhaushaltsgesetz
WHO Weltgesundheitsorganisation
WSK siehe ESCR
WSSCC Water Supply and Sanitation Collaborative Council
WWC World Water Council
1

Einführung

Der Zustand des Wassersektors steht zunehmend im Fokus weltweiter Umwelt- und Entwick-
lungsprogramme. Für den Wassersektor wurde der Ansatz des Integrierten Wasser-
Ressourcenmanagements (IWRM) zum maßgeblichen Umsetzungsmodell, entwickelt aus der
Agenda 21 (A21)und der dort begründeten Nachhaltigkeitsansätze. Konkrete Ziele ergeben
sich für den globalen Wassersektor vor allem aus den Millennium Development Goals
(MDGs) der UN von 2001.
Obwohl die theoretischen Grundlagen des IWRM seit 1995 immer weiter verfeinert wurden,
verschärfen sich die weltweiten Probleme auf dem Wassersektors, gleichzeitig zeigt das
IWRM Umsetzungsschwächen. Um die erkannte Lücke zwischen dem theoretisch eingängigen
Ansatz des IWRM einerseits und andererseits der Probleme, diesen Ansatz in der praktischen
Arbeit umzusetzen, zu schließen, haben Weltbank und Global Water Partnership 2002 die
Losung „from vision to action“ herausgegeben. Alle Beteiligten des Wassersektors sind aufge-
rufen, Beiträge zu leisten.
Die vorliegende Arbeit folgt diesem Aufruf aus wissenschaftlicher, aber auch aus praktischer
Sicht. Die Anwendung der Prinzipien der A21 in der praktischen Arbeit des Verfassers sowohl
in Bayern als auch im internationalen Raum, sowohl in der Administration wie auch bei kon-
kreten Wasserprojekten hat bewiesen, wie leistungsfähig die integralen Ansätze sein können.
Der Betrachtungsraum ist grundsätzlich die internationale Wasserwirtschaft (mit einem
Schwerpunkt auf Beispielen aus Europa, Asien, Zentralasien und Lateinamerika); es entspricht
aber dem Modellansatz, dass die Ergebnisse prinzipiell auch für die Binnenwasserwirtschaft
Bayerns anwendbar sind.
Im Rahmen der Bestandsaufnahme in Kapitel 2 ist zunächst der Begriff der Nachhaltigkeit zu
diskutieren. Nachhaltigkeit ist ein überwiegend normatives Konzept. Es basiert auf der Forde-
rung einer sachgerechten Abwägung der ökologischen, ökonomischen und sozialkulturellen
Belange. Daraus entsteht in der Realität häufig ein Abwägungsdilemma, das nach herrschender
Lehre im Sinne einer schwachen (Position der Weltbank) oder einer starken Nachhaltigkeit
(Position z. B. des Sachverständigenrates der Bundesregierung) entschieden werden kann. Die
Lösung ist keine einseitige Entscheidung, sondern eine Forderung einer im Sinne des KANT-
schen kategorischen Imperativs sauberen Abwägung, die je nach Sachlage nicht nur ökologi-
sche, sondern auch soziale und ökonomische Kriterien als ‚starke’ Belange berücksichtigt.
Die Situationsgebundenheit erfordert ein vertieftes Verständnis der derzeitigen Sichtweisen
und Motivationen der im Wassersektor handelnden und betroffenen Gruppen (stakeholder) wie
Staaten und NGO’s, Weltbank, UN und anderen. In der ökonomischen Betrachtung wird die
wirtschaftliche Bedeutung des Wassersektors beleuchtet, die sich im Wesentlichen aus den
eigentlichen Infrastrukturleistungen, die weltweit mit 100 bis 200 Mrd. $ Jahresumsatz ge-
schätzt werden, sowie den (materiellen und immateriellen) Kosten durch wasserverursachte
kritische Wirkungen wie Hochwasser oder Wassermangel zusammensetzt. Als erstes Hand-
lungsziel wird die Effizienz definiert, allerdings nicht nur bezogen auf die reine Ökonomie,
sondern grundsätzlich auf alle Nachhaltigkeitsbelange (Tripel- Belange).
Die bisherigen Lösungsansätze der Entwicklungszusammenarbeit sind ein Teil des Weltwirt-
schaftskreislaufs und gleichzeitig durch ihn geprägt (Monterrey-Konsensus). Dies beeinflusst
nach Auffassung der Sozialethik (RADERMACHER, ULRICH, STIGLITZ) auch soziale
2 Einführung

Fragestellungen bzw. berührt ein weltweites Gerechtigkeitsproblem, das sich auch auf die
Wasserwirtschaft auswirkt. Als weiterer Nachhaltigkeitsbelang, der auch im Wassersektor
normative Vorgaben entfaltet, ist deshalb in der Konsequenz die gesellschaftlich-soziale Be-
deutung des Wassersektors zu diskutieren. Global ist es zwar umstritten, ob es ein Menschen-
recht auf Wasser gibt. Aber auch ohne formelles Recht spricht einiges für diesen Anspruch.
Neben humanen Gründen liegt eine unmittelbare sozial-politische Dimension in möglichen
Konflikten ums Wasser, deren Potential laut UNESCO gewaltig ist. Teil dieses kritischen
Potentials ist der zum Teil hochemotional zwischen Befürwortern (Weltbank) und Gegnern
(Globalisierungskritiker) geführte Disput der Frage der richtigen Steuerung des Wassersektors,
also ob eher öffentliche bzw. staatliche oder durch die Prinzipien des freien Marktes gelenkte
Wasserwirtschaft erfolgversprechend ist. In der Diskussion werden einem Übergewicht der
ökonomisch– marktgesetzlichen Abwägung nach ULRICH die Grenzen der ökonomischen
Selbststeuerung entgegengehalten. Als Ergebnis ist festzustellen, dass es für alle Organisati-
onsformen der Wasserwirtschaft positive und negative Beispiele gibt, deren Erfolg offensicht-
lich sehr stark von den Rahmenbedingungen abhängt. Den oft behaupteten prinzipiellen Vor-
teil der privaten Lösungen gibt es dagegen nicht. Das macht den Weg zur Untersuchung alter-
nativer Lösungen frei.
Ein Ergebnis dieses Abschnitts ist also die grundsätzliche Bedeutung des Effizienzmanage-
ments für die Nachhaltigkeit, im Wassersektor durchaus mit einer Betonung auf ökologischen
Notwendigkeiten; ein anderes die Forderung, Wasser auch unter sozialen Gesichtspunkten zu
bewirtschaften.
Diese Erkenntnisse sind in den Ansätzen der großen Entwicklungsbanken und internationalen
Institutionen inzwischen prinzipiell enthalten. Insbesondere die dritte Fortschreibung der Welt-
bankstrategie im Wassersektor zeigt eine Öffnung gegenüber alternativen (öffentlich-
rechtlichen) Lösungen, gleichzeitig besteht aber immer noch eine tiefe Verhaftung in traditio-
nellen, auf dem „Bretton Woods System“ und dem „Washington Consensus“ basierenden
Grundhaltungen, die zusammen mit dem Bezug auf das anglo-amerikanische Rechtsgebäude
diverse Konsequenzen auf die weltweite Wasserpolitik hat.
Die EU hat mit der Verabschiedung der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) ein wasserwirt-
schaftliches Fundamentalpapier geschaffen, das trotz einiger administrativer Schwächen eine
Blaupause für nachhaltige Wasserwirtschaft darstellt. Außerdem hat die EU mit ihren ver-
schiedenen Programmen ein starkes Medium zur Umsetzung von Wasserthemen geschaffen.
Partielle Schwachstellen der Strategien liegen in der Unterstützung der ländlichen Gebieten
und dem bewusste Umgang mit dem Nachhaltigkeitsdilemma.
In der Abwägung der Diskussion der vorherigen Untersuchungen kommt die Arbeit zum Er-
gebnis, dass im Gegensatz zur bisherigen, weit verbreiteten Meinung die deutsche Wasserwirt-
schaft im internationalen Wassermarkt durchaus wichtige Lösungsalternativen bietet. Gerade
die bisher behaupteten Nachteile, ihre Kleinräumigkeit und starke kommunale Bezugnahme,
wandeln sich unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten zu Vorteilen. Das teilweise Scheitern der
bisherigen Ansätze der Weltbank gibt die Linie für eine alternative Lösung des „from vision to
action“- Ansatzes vor, die auf erfolgreichen Szenarien unter anderem bayerischer Wasserpoli-
tik gründen können.
Es ist nachgewiesen, dass es sich beim Wassersektor um ein ausgeprägt komplexes Gebiet
handelt: Dabei sind Umfeldkomponenten wie geografische Lage, aber auch gesellschaftlich-
kulturelle Hintergründe in Ursache und Wirkung in Form einer komplexen Rückkopplung
miteinander verbunden. Einige wichtige Prozesse sind aufgrund dieser Eigenschaften nicht
Einführung 3

mehr determinierbar, d. h. nicht mehr exakt planbar bzw. vorhersehbar. Als Erklärungsansatz
für solche Systeme erweist sich in wichtigen Teilen die Chaostheorie als geeignet, die bezüg-
lich der Gesellschaft insbesondere von KLAUS, bezüglich von Unternehmen und Institutionen
insbesondere von DESER angewendet wird. Als Lösungsmethodik bietet sich kein monokau-
sales Konzept an, wie zum Beispiel der Privatisierung, sondern nur eine iterative Vorgehens-
weise im Rahmen eines offenen und integralen Prozesses, der zudem auf interaktiven, partizi-
pativen Elementen basiert.
Für die im Kapitel 3 dargestellten Lösungsvorschläge ergibt sich damit eine Vorgehensweise,
die nicht auf linearen Lösungsansätzen sondern auf einem Lösungsraum basiert. Die verfügba-
ren Detaillösungsansätze müssen sozusagen gleichzeitig im Bewusstsein zur Verfügung ste-
hen, weil sie jeweils hochgradig voneinander abhängig sind. Die Hauptthemen und Stichworte
dieses Lösungsraumes des IWRM sind in Abbildung 1 einem normativen und einem operati-
ven Bereich zugeteilt, Farbe und Balkenlänge stellen eine qualitative Zuordnung dar1.

Integrales Wasserressourcenmanagement (IWRM)


Normatives Management Operatives Management
Angepasste Technologie
Angepasstes Management
Good governance, Staatliche / Private Lösung
Integriertes Management, Tools

Wirtschaftliche, ökologische Effizienz


Gesellsch. Steuerung, Finanzierung

Netzwerke, Kommunikation
Human Factor, Persönlichkeiten

Kultur

Abb. 1: Haupteinflussfaktoren des Integrierten Wasser-Ressourcenmanagements (IWRM): Überwiegend


normative Vorgaben (dunkelgrau), überwiegend operative Aufgaben (hell), Mischbereiche (grau)

1
Darstellung analog des St. Gallener Managementmodels, dass normatives und operatives Manage-
ment unterscheidet
4 Einführung

Die Arbeit identifiziert innerhalb des Lösungsraums aus Gründen der besseren Darstellbarkeit
sieben Felder bzw. Erfolgsfaktoren für das IWRM: Angepasste Technologie, angepasstes Ma-
nagement, Finanzierung, den Human Factor, Netzwerke und Kommunikation sowie Kultur.
Angepasste Technologie bedeutet, Schwachpunkte systematisch herauszuarbeiten und Vor-
schläge zur Systematik einer besseren Lösung zu unterbreiten. Typische Schwächen sind man-
gelnde Anpassung an die physikalische und kulturelle Umwelt sowie Abwägungsmängel, d. h.
die Verletzung des Effizienzgebotes, das sich hier allerdings ausdrücklich auf die Nachhaltig-
keit und nicht nur auf ökonomische Gesichtspunkte bezieht.
Ein Großteil der Aufgabe des IWRM „from vision to action“ fällt dem Bereich Management
zu. Ein aktueller Zentralbegriff ist die „good governance“, deren Herausforderungen und Prob-
leme eingehend diskutiert werden. Es ist ein offenes System vorzuschlagen, in dem Staat,
Kommunen, Privatwirtschaft und Bürgergesellschaft gemeinsam Pflichten der nachhaltigen
Wasserbewirtschaftung erkennen und diskutiert, unter welchen Umständen sie diese in wel-
chem Umfang wahrnehmen können. Basismodell ist dabei ein aktivierender Staat, der bezüg-
lich der Nachhaltigkeit eine Garantenstellung innehat, bei kommunaler Hoheit im Bereich
Siedlungswasserwirtschaft und unter erheblicher Beteiligung Privater in einer aktiven Bürger-
gesellschaft.
Der zweite Teil des Managementansatzes betrifft Detailfragen eines guten betrieblichen Mana-
gements. Auch hier gilt es, die Bandbreite der Managementtools zu kennen und die geeigneten
auszusuchen. Dazu wird insbesondere die Chaostheorie vertieft (die ihrerseits die Lösungsan-
sätze dieser Arbeit mitprägt). Neben klassischen Wasserthemen wie dem Flusseinzugsgebiets-
management kommt unter dem Aspekt der ländlichen Gebiete auch nach MAGEL der Frage
des Flächenmanagements große Bedeutung für die Umsetzung von IWRM zu.
Wichtigstes Ergebnis bezüglich der Finanzierung und Steuerung ist, dass alle bekannten Steu-
erungstools, von den Gebühren und Beiträgen für Wasserservices bis zu den Abgaben und
Steuern sowie (vollziehbaren!) Gesetzen und Verordnungen, genutzt werden müssen, um
nachhaltige Wasserwirtschaft zu erreichen. Lediglich das aus dem angelsächsischen Recht
stammende Mittel der handelbaren Wasserrechte wird abgelehnt.
Aufgrund der Feststellung, dass Erreichen von Nachhaltigkeit letztlich eine Willensfrage ist,
bekommt der Mensch als „human factor“ eine zentrale Rolle zugewiesen. Die Aufgabe der
Nachhaltigen Entwicklung muss sowohl durch die Gemeinschaft, sei es in einem Betrieb oder
der Gesellschaft, als auch in besonderem Maße durch die Entscheider wahrgenommen werden.
Die Aufgabe ist hier, diese Bedeutung herauszuarbeiten und Hinweise zu geben, wie ihr in der
Umsetzungsarbeit entsprochen werden kann.
Die Netzwerke sind logische Konsequenzen der Selbstorganisationskraft. Netzwerke sind
schwer determinierbar, haben aber eine hohe Außenwirkung. Ihre Systematik und Bedeutung
für die praktische Umsetzung von Wasserprojekten wird dargelegt.
Die Kommunikation ist als bedeutendes strategisches Element und Teil des aktivierenden
Staates in drei Bereiche aufzuteilen: Als erster Teilbereich ist die überwiegend auf Information
gegründete public awareness zu definieren- eine der wichtigsten Aufgaben der (demokrati-
schen) Wasserwirtschaft, weil sie die Voraussetzung für die Zustimmung der Bürger zum
Aufwand einer nachhaltigen Wasserwirtschaft ist. Die operative Kommunikation wird Teil
eines verhaltensbezogenen Dialogs mit dem Bürger, zum Beispiel im Risikomanagement. Die
„höchste Form“ der Kommunikation ist die Partizipation, die – selber Teil der Nachhaltig-
keitsphilosophie der A21 – zum Aktivposten der Bürgergesellschaft wird. Durch richtig ange-
legte partizipative Prozesse lässt sich ein vieldimensionaler Mehrwert erreichen.
Einführung 5

Die Kultur ist einen Bereich, dem sich die Technik üblicherweise nur vorsichtig nähert, dessen
Berücksichtigung sich im IWRM aber als unverzichtbar erweist. Hier sind zwei Ebenen abzu-
grenzen: erstens die implizite Kultur, unabweisbarer Teil jeden anthropogenen Prozesses, de-
ren bekanntester Teil die im internationalen Geschäft viel zitierte interkulturelle Kompetenz
darstellt. Implizite Kultur wird aber noch weitergehend gefasst: es ist die Beschäftigung mit
der Arbeits- bzw. Unternehmenskultur, die Kraft, aber auch Hemmschuh eines wasserwirt-
schaftlichen Vorhabens werden kann. Die zweite Ebene stellt die Berücksichtigung der explizi-
ten Kultur, d. h. der Akzeptanz der Kultur als Wert an sich dar. Um den Kernsatz herum, dass
Armut nicht nur in monetärer, sondern auch kulturell-spiritueller Sicht bestehen kann, entwi-
ckelt sich ein Ansatz, den Wert von Projekten durch Berücksichtigung kulturell-spiritueller
Bedürfnisse bewusst zu vergrößern. Auch hier erweist sich wieder die Partizipation als Schlüs-
sel zum Erfolg, weil durch sie die ansonsten schwer erkennbaren kulturellen Bedürfnisse in
Form von gesellschaftlichen Fraktalen zugänglich werden. Als Ergebnis wird eine Erweiterung
des A21-Dreiecks in einen Tetraeder vorgeschlagen, der als vierte Dimension die kulturell-
spirituellen Werte darstellt.
Die Berücksichtigung der Argumente dieser sieben Hauptfelder erleichtert die Umsetzung des
IWRM und den Schritt „from vision to action“.
7

1 Die weltweite Wasserkrise und unsere


Zukunftsplanung

1.1 Einschätzung der weltweiten Wasserkrise


The time is out of joint
Die Welt ist aus den Fugen.
(W. Shakespeare, Hamlet)
Angesichts der weltweiten Probleme von Bevölkerungswachstum bis Terror und Krieg scheint
die Bedeutung der Umweltthemen manchmal in den Hintergrund zu treten. Tatsächlich hängt
die Wasserkrise aber mit vielen der bekannten Herausforderungen zusammen. Es wäre, bei
allem globalen Leiden, schon viel gewonnen, wenn wenigstens bei der Versorgung der Men-
schen mit Wasser Fortschritte gemacht würden. Und umgekehrt: wenn man den Wassersektor
nicht in den Griff bekäme, wäre die Bewältigung der anderen Brennpunkte noch mehr in Frage
gestellt.
Insgesamt werden die Wasservorräte weltweit nicht nachhaltig bewirtschaftet. In erschrecken-
dem Maße wird in vielen Ländern der Welt, darunter auch in wirtschaftlich gut entwickelten
Regionen, das Grundwasser als Bodenschatz „abgebaut“, um damit landwirtschaftliche Be-
wässerung zu betreiben. Absinkende Grundwasserstände werden in den nächsten 20 Jahren
fruchtbare Gebiete zu Wüsten machen, Getreideexportländer, wie die USA, werden dann im-
portieren müssen. Die Nitratproblematik, in Europa mühsam unter Kontrolle gebracht, pflanzt
sich bis Zentralafrika fort; so begrüßenswert die Öffnungen der Märkte im Rahmen des GATT
auch sind, fördern sie auch den Raubbau. Gigantische Bewässerungsprojekte haben am Aral-
See die schlimmste menschengemachte Umweltkatastrophe erzeugt; laut UN sind allein dort
mindestens vier Millionen Menschen direkt in ihrer Existenz bedroht. Enorme Schäden durch
Erosion wurden in China durch die nicht angepasste Be- und Entwässerung verursacht. Viele
Flüsse der Welt sind Kloaken geworden, dazu kommen Havarien wie an der Theiz, wo
schwermetallhaltige Wässer durch einen Dammbruch freigesetzt wurden. Ähnliche Fälle gab
es in Spanien, Rumänien oder Peru. Goldwäscher zerstören mit Quecksilber im Amazonasge-
biet ganze Flusssysteme; Deltas und Meeresbuchten wie das Mittelmeer bei Athen sterben im
Dreck. Gleichzeitig nehmen durch Klimaveränderung, aber auch gedankenloses Besiedeln von
Gefahrenräumen die Schäden durch Überschwemmungen und andere Naturkatastrophen lau-
fend zu. Weltweit fordern Hochwässer Tausende von Opfern, auch in Deutschland und den
östlichen Nachbarstaaten entstanden allein bei den Jahrhunderthochwässern 1999 und 2002
Milliardenschäden mit Toten und Verletzten. Die Klimaveränderung als Ergebnis einer nicht
nachhaltigen Umweltpolitik zählt weltweit zu den extremen Problemlagen. Selbst das Penta-
gon beschäftigt sich, interessanterweise auch unter dem Aspekt der inneren Sicherheit mit der
kontrovers diskutierte Studie von SCHWARTZ und RANDALL zu den Extremszenarien der
globalen Umweltentwicklung2, ähnlich reagiert ebenfalls unter Sicherheitsaspekten, die
NATO, wenn sie seit Ende der 90er-Jahre internationale Wasserprojekte fördert3.

2
Schwartz, Randall, 2004
3
NATO-CCMS 2003
8 1 Die weltweite Wasserkrise und unsere Zukunftsplanung

Die von der UN ermittelten Wasserstressgebiete werden laufend größer. In vielen Großstädten
der Erde werden stunden- oder tageweise Ausfälle zur Normalität. Am meisten leiden die
Ärmsten, die sich Flaschenwasser nicht leisten können, deren Hygiene auf der Strecke bleibt
und deren medizinische Versorgung schlecht ist. In diesem Milieu gelten bald keine Umwelt-
standards mehr, die Menschenwürde erstickt im Unrat.

Laut TÖPFER, dem Chef der UNEP, sterben pro Minute weltweit sechs Kinder an den
Folgen von Wasserproblemen!

Die Weltgemeinschaft hat sich mit den Millenniumszielen der UN hehre Ziele gesetzt, die
Situation wenigstens zu lindern. Technische Bauwerke, als Abhilfe gedacht, leisten aber nicht
immer, was von ihnen erwartet wird: Tausende von Wasserversorgungsanlagen und Abwas-
serentsorgungssystemen sind in einem schauderhaften Zustand, versagen. Es besteht über den
wahren Nutzen mancher Großprojekte wie großer Talsperren Unsicherheit, Umweltschutz
wird von manchen immer noch eher als Wirtschaftshemmnis, denn als Fortschritt gesehen.
Noch ist nicht sicher, in welche Richtung das Pendel zum Schluss ausschlägt, es gibt aber
hoffnungsvolle Ansätze.
So ist es in Deutschland nicht nur gelungen, den Energieverbrauch und das Abfallaufkommen
vom Bruttosozialprodukt zu entkoppeln, sondern es gibt im gesamten Wassersektor erhebliche
Erfolge. Der sensationellste ist die flächendeckende Qualitätsverbesserung der Oberflächen-
gewässer. Der Rhein, Sinnbild eines Flusses in einer internationalen Industriegesellschaft,
noch vor 30 Jahren durch Abwässer zum größten Teil biologisch tot, ist heute wieder Lebens-
raum für Forellen. Etwas verborgener, aber nicht weniger wichtig, ist die hohe Wasserqualität
des Trinkwassers. So ist es in Bayern üblicher Standard, dass Trinkwasser praktisch nicht
aufbereitet werden muss und dennoch in absolut erstklassiger Qualität aus der Leitung kommt
(vgl. Abbildung 28). Solche Erfolge gibt es in Europa und auf der ganzen Welt.
Dennoch gehört auf den Wassersektor bezogen schon einiger Optimismus dazu anzunehmen,
die Menschheit hätte die Situation im Griff. Die Fachleute wissen um den Umfang der Proble-
me, das ganze Bemühen geht dahin, vorhandenes Wissen und Fähigkeiten für eine Trendwen-
de einzusetzen.

1.2 Problemstellung und Arbeitsauftrag


Sowohl die in Entwicklung begriffene Welt wie auch die Industriestaaten sind von der besorg-
niserregenden Veränderung des Wassersektors betroffen. Der Diskussionsbedarf ist vielfältig.
Einmal geht es um technisch naturwissenschaftliche Fragen, zum Beispiel in Bezug auf die
kritische Entwicklung der qualitativen und quantitativen Grundwasserbelastungen, Konse-
quenzen für das Naturgefahrenmanagement aus der zu erwartenden Klimaänderung oder weit
verbreitete mangelnde Ver- und Entsorgungsleistung. Gleichzeitig sind aber auch strukturell-
organisatorische Fragen in der Diskussion, also zum Beispiel, wer die Wasserwirtschaftsleis-
tungen am besten erbringen kann – Staat, Kommunen oder Private – oder wie Strukturen und
Ziele optimiert werden können. Der Wassersektor ist daher stark mit technischen und nicht-
technischen Fragenstellungen verknüpft.
In den letzten zwölf Jahren ist mit der A21 und dem daraus abgeleiteten Integrierten Wasser-
ressourcen Management (IWRM) ein neues Gedankengebäude entstanden, das in vorher nie
gekannter Vollständigkeit Ziele und Ansprüche (auch) bezüglich der Wasserbewirtschaftung
formuliert. Bereits bei der Bewertung dieser Ansätze existieren aber verschiedene Meinungen.
1.2 Problemstellung und Arbeitsauftrag 9

Die Diskussion wird unter anderem von grundlegenden wirtschafts- und entwicklungspoliti-
schen Meinungsverschiedenheiten, zum Beispiel im Spannungsfeld zwischen Neoliberalismus
und Sozialer Marktwirtschaft, überlagert. Vor wenigen Jahren schien es, als sei die strategische
Entscheidung gefallen. Der freie, private Markt sollte die vorhandenen weltweiten Schwächen
der überwiegend öffentlichen Betreiber beseitigen, so wie es die Weltmarktordnung des IWF
und der WTO auch für andere Bereiche vorsieht. Sehr ernst vorgebrachte Kritik an dieser
Zielwelt, z. B. von ULRICH, RADERMACHER und STIGLITZ, und erhebliche Rückschläge
in der praktischen Umsetzung (z. B. die Krise in Argentinien) haben aber gezeigt, dass zumin-
dest im Wassersektor noch Bedarf an Diskussion und Alternativen besteht. Aber auch in der
Wahl der Technologie gibt es Meinungsverschiedenheiten, so bei der Frage der zentralen oder
dezentralen Lösungen, bei Qualitätsansprüchen und einigem mehr. Insgesamt aber mangelt es
an der praktischen Umsetzung.
In Jahre 2002 wurde von der Global Water Partnership – dem nominellen Urheber des Kon-
zeptes IWRM – und anderen internationalen Gruppen, wie der Weltbank, die Losung „from
vision to action“ ausgegeben, um jetzt auf der Basis der Theorie des integrierten Wassermana-
gements verstärkt Lösungen auszutesten und zu verbessern. In exakt diesem Spannungsfeld
bestehen bis heute Wissenslücken und divergierende Auffassungen: Was sind die besten ad-
ministrativen Voraussetzungen im Wassersektor und welche technischen /organisatorischen
Maßnahmen unterstützen eine rasche Umsetzung des IWRM? Wie geht man mit der Integrali-
tät am besten um? Der Anspruch dieser Arbeit liegt darin, zunächst das Umfeld der weltweiten
Sektorentwicklung darzustellen und daraus konkrete Lösungsansätze abzuleiten. Dazu wird die
Grundidee eines integralen Vorgehens aufgegriffen, d. h., die Arbeit geht davon aus, dass es
nicht ein einzelnes Kriterium oder eine kleine Schar von Kriterien sind, die nachhaltige Lö-
sungen kreieren, sondern vielmehr die möglichst vollständige Erfassung aller bekannten Krite-
rien die Erfolgsvoraussetzung ist. Dieser „ganzheitliche“ Ansatz wird in verschiedenen Veröf-
fentlichungen zwar als grundsätzliches Ziel definiert, ein Mangel besteht aber darin, dass die
Ausführungen regelmäßig nur normativen Charakter haben, d. h. es fehlt eben genau die Defi-
nition, wie diese Ziele konkret in die Praxis umgesetzt werden können. Die Trivialität: „Man
muss alles berücksichtigen, damit man alles berücksichtigt hat.“ genügt als Antwort nicht.
Vollständigkeit kann auch hinderlich sein, wenn die Aufgabenstellung dadurch zu komplex
wird. Dieses Problem der Komplexität ist systemimmanent. Vereinfachungen sind aber nicht
risikolos, weil nicht in jedem Fall der Einfluss eines bestimmten Parameters von vorneherein
bekannt ist. Es wird vorgeschlagen, die betroffenen und mitwirkenden Bereiche zunächst ein-
mal beschreiben, um dann qualifiziert zu den einzelnen betrachteten praktischen Aufgaben-
stellungen Schwerpunkte zu bilden und die Bemühungen auf wesentliche Bereiche zu fokus-
sieren.

Es wird also die Aufgabe dieser Arbeit sein, einmal ein möglichst vollständiges Bild aller
relevanten Einflussfaktoren aufzuzeigen und in der Konsequenz konkrete Vorschläge zu
ihrer Behandlung innerhalb von Prozessen zu unterbreiten oder wenigstens die Schnittstel-
le zu weiteren Überlegungen und Vertiefungen zu definieren.

Die Arbeit geht auf die international identifizierbaren Lösungsansätze und ihr Umfeld ein und
diskutiert diese kritisch. Zwei Ziele sollen damit erreicht werden: Erstens soll das Verständnis
für die Ansätze selber und deren komplexe Zusammenhänge und Hintergründe vertieft wer-
den. Zweitens soll aus den erkannten Prinzipien, insbesondere den Schwachstellen, dann eine
wissenschaftlich abgesicherte Fortentwicklung möglich sein, die versucht, die Wissenslücke
zwischen Vision und Umsetzung zu schließen. Die Arbeit zielt prinzipiell auf die internationa-
10 1 Die weltweite Wasserkrise und unsere Zukunftsplanung

le Wasserwirtschaft ab. Für einen deutschen Wasserwirtschaftler stellt sich aber die Frage,
welcher mögliche Beitrag für Lösungen internationaler Fragestellungen im deutschen Wasser-
wirtschaftssystem liegen könnte und umgekehrt, inwieweit sich das deutsche System von in-
ternationalen Ansätzen beeinflussen lassen sollte.
Die Überlegungen dieser Arbeit gründen auf den Erkenntnissen der weltweit kommunizierten
Nachhaltigkeitsansätze der UN, insbesondere der A21 und ihrer Weiterentwicklung durch die
einschlägigen Institutionen. Dabei wird als Handlungsaxiom die Nachhaltigkeit übernommen.
Über die prinzipielle Notwendigkeit einer nachhaltigen Wasserwirtschaft wird deshalb kein
Diskurs geführt. Anders verhält es sich mit dem Begriff der Nachhaltigkeit an sich. Bestimmte
Formen der Interpretation der Nachhaltigkeit haben unmittelbaren und mittelbaren Einfluss auf
die Umsetzung einer nachhaltigen Wasserwirtschaft, zum Beispiel die politischen Zielsetzun-
gen betreffend. Hier muss Position bezogen werden. Der Diskussionsstand dazu wird im Kap.
2.1: „Schwerpunkt Ökologie: Agenda 21 als integraler Lösungsansatz für den Wassersektor“
wiedergegeben. Außerdem soll hergeleitet werden, welche Qualitäten die A21 als Handlungs-
anweisung für die Wasserbewirtschaftung besitzt und welche Mängel bei Verständnis und
Umsetzung bis heute auftreten.
Angesichts der grundsätzlichen Bedeutung der Finanzierung und der weltweit im Raume ste-
henden Kosten ist es zur Erfüllung der gestellten Aufgabe unausweichlich, der Frage nach der
Finanzierung des Wassersektors nachzugehen (Kap. 2.2). Die Finanzierung steht gleichzeitig
für den Schwerpunkt der Ökonomie. Für alle Bereiche, unabhängig vom „Entwicklungsstand“
der Länder, gilt es zunächst, die Möglichkeiten der Finanzierung durch Kosteneinsparungen
(Steigerung der Effizienz) zu prüfen. Die Zusammenhänge und erkennbaren Defizite werden
in Kap. 2.2.1 dargestellt. Weiter ist zu untersuchen, welchen Einfluss die internationale Finan-
zierung auf den Wassersektor ausübt. Danach ist zu überprüfen, inwieweit eine dominierende
Rolle der Banken im Wassersektor tatsächlich vorliegt (Kapitel 2.2.3 ff). Viele sozial-
kulturelle Probleme werden von Globalisierungskritikern mit Unvereinbarkeiten eines angeb-
lich „neoliberalen“ Ansatzes mit den gesellschaftlich-sozialen Aufgaben des Wassersektors
erklärt. Um die Dynamik und die politische Bedeutung des Wassersektors besser abschätzen
und daraus strategische Schlüsse ableiten zu können, werden grundlegende kulturell-ethische
Fragen anhand der Diskussion um das Menschenrecht Wasser dargelegt (Kap. 2.3 mit dem
Kap. 2.3.1 zur Frage der Grundrechte am Wasser). Gleichzeitig werden die strategischen An-
sätze der wichtigen „globalen Player“, allen voran die Weltbank, analysiert, unter anderem im
wichtigen Verhältnis zur Privatisierung und Liberalisierung (Kap. 2.3.3) und zur Nachhaltig-
keitsdiskussion der A21. Es ist zu untersuchen, ob die in den letzten Jahren geäußerte Kritik an
einer zu rigoros vertretenen neoliberalen Marktordnung, verbunden mit spektakulären Rück-
schlägen, zu einem Überdenken der strategischen Haltung der großen Normen setzenden Insti-
tutionen geführt hat. Aus dieser Standortbestimmung lassen sich bezüglich der zu wählenden
Organisationsform Handlungsempfehlungen abzuleiten, die durchaus auch mit der Diskussion
der zukünftigen Strukturen der europäischen Wasserwirtschaft zu tun haben.
Auf diesen Grundlagen aufbauend kann dann ein fundierter Vorschlag für alternative Lö-
sungsansätze für den Schritt „from vision to action“ formuliert werden. Dieser im Sinne von
Vollständigkeit ganzheitliche Lösungsansatz wird in Kap. 3 ausgearbeitet.
11

2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors

2.1 Schwerpunkt Ökologie: Agenda 21 als integraler Lösungsansatz


für den Wassersektor
2.1.1 United Nations: Die Agenda 21
2.1.1.1 Grundlagen und Entwicklung der Agenda 21
Die Agenda 214 (A21) ist das zusammengefasste Ergebnis der Konferenz von Rio de Janeiro
aus dem Jahre 1992. Dieser Kongress war ein Meilenstein in einer über 20 Jahre andauernden
weltweiten Entwicklung der strategischen Konzepte der Vereinten Nationen. Bekannte Vorläu-
fer sind der Brundtland-Bericht5 und die Prinzipien der Konferenz von Dublin6. Das Kon-
gressergebnis A21 ist im Jahre 1994 erschienen. Es umfasst ca. 350 Seiten und wurde in viele
Sprachen übersetzt7. Das Protokoll wurde von fast allen Staaten der Erde als Absichtserklärung
unterschrieben. Der überragend neue Ansatz der A21 besteht darin, dass keine isolierten Sek-
torpapiere entstanden sind, sondern ausgehend vom Umweltgedanken sowohl die ökonomi-
sche Relevanz als auch die sozial-humanen Belange benannt werden. In der Konsequenz ent-
stehen durch die Verknüpfung die sogenannten integrierten Ansätze. Einer physikalischen
Formel entsprechend werden in der A21 also drei Basiseinheiten definiert: Ökonomie, Ökolo-
gie und Soziales. Dieser Dreiklang wird in der Literatur auch als „Tripel-Belang“ oder „Tripel
Ansatz“ beschrieben.8
Der zweite wesentliche Ansatz ist die Proklamation der Nachhaltigkeit, die in der Präambel
der A21 als Ziel der Entwicklung in den drei Sektoren sowohl für sich als auch in der Summe
definiert wird. Die Tripel-Einheiten beschreiben zusammen mit dem Ziel der Nachhaltigkeit
eine Art „Weltformel“ oder „Weltkoordinatensystem“. In Anlehnung an die Vorgehensweise
von Buckinghams Ȇ- Theorem9 ließe sich eine Formel aufstellen, die die Nachhaltigkeit als
Funktion von Ökonomie, Ökologie und Sozialem definiert:

N = f (W,U,S)

Mit N = Nachhaltigkeit
W = Wirtschaftliche Nachhaltigkeit
U = Umwelt-Nachhaltigkeit
S = Soziale Nachhaltigkeit
In der Konsequenz ergibt sich daraus eine Reihe von fundamentalen Rückschlüssen auf die
praktische Umsetzung von internationalen Aufgaben im Umweltsektor. Nachhaltigkeit kann

4
UN 1995
5
United Nations World Commission on Environment and Development (WCED) 1987, Our Common
Future, Oxford University
6
http://www.wmo.ch/web/homs/documents/english/icwedece.html
7
in deutscher Übersetzung: www.bmu.de/files/agenda21.pdf
8
Schiegg 2004, Risikomanagement und Tripel-Verträglichkeit (ökonomisch, ökologisch, sozial),
Interpraevent
9
z. B. http://www.math.ntnu.no/~hanche/notes/buckingham/buckingham-a4.pdf
12 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors

danach nur durch eine Verknüpfung der Belange erreicht werden. Diese Erkenntnis mündet in
eine unmittelbare Anforderung an die Projektverantwortlichen und die Konstrukteure.
Die Konsequenz daraus ist, dass man sich mit den komplexen Strukturen des Nachhaltigkeitsan-
satzes auseinandersetzen muss, um ihn für die praktische Arbeit verfügbar zu machen. Der Nach-
haltigkeitsansatz muss ingenieurtechnisch vom Grundprinzip zum Werkzeug „reifen“. Besonders
im Wassersektor hat in Europa diese Verhaltensweise Tradition. So ist der Umgang mit Grund-
wasser schon lange von der Bedingung geprägt, nicht mehr zu entnehmen als neu gebildet wird.
Als frühe Form der Nachhaltigkeitsbedingung können die drei Leitsätze der bayerischen Wasser-
wirtschaftsverwaltung gelten, die seit über 20 Jahren gelten. Mit den drei Kernprinzipien
• Vorsorgeprinzip
• Verursacherprinzip
• Kooperationsprinzip
lässt sich bis heute das wasserwirtschaftliche Werk nachhaltig vollziehen. Besonders interes-
sant ist, dass diese Prinzipien bereits ca. zehn Jahre vor der Nachhaltigkeitsdiskussion in Rio
im Begriff des Kooperationsprinzips die Partizipation abgebildet haben. Es liegt nahe, diese
praktisch erprobten und weltweit anerkannten Prinzipien als Richtschnur für wasserwirtschaft-
liches Handeln weiterzuentwickeln.

2.1.1.2 Grundlagen der Nachhaltigkeit


Der Begriff der Nachhaltigkeit hat inzwischen weltweit einen festen Platz in der gesellschafts-
politischen Diskussion um die zukünftige globale Entwicklung. Allerdings ist die Zustimmung
nicht ungeteilt.
Einerseits hat der Begriff der Nachhaltigkeit durch inflationäre und oft unreflektierte Benut-
zung einen gewissen Glaubwürdigkeitsverlust erlitten. Andererseits gibt es in der Interpretati-
on und den daraus gezogenen Konsequenzen durchaus Differenzen. Der Nachhaltigkeitsansatz
allein kann nämlich nur die zu beachtenden Faktoren dem Grunde nach benennen. Die Lösung
im Einzelfall ist alles andere als trivial und möglicherweise auch nicht eindeutig. Es gibt sogar
Konstellationen, bei denen aufgrund von Zielkonflikten tatsächlich ein Dilemma10 vorliegt.
Das ist aber kein Mangel im Konzept der Nachhaltigkeit sondern eine Herausforderung an die
sachgerechte Abwägung.
Der wohl ursprünglich aus der deutschen Forstwirtschaft stammende Begriff unterscheidet
Nachhaltigkeit von pfleglicher Nutzung, womit eine auf Generationen ausgerichtete Bewirt-
schaftung gemeint ist11.
Auch in der Technik wird der Begriff schon geraume Zeit verwendet. Im Rahmen der Aufga-
be, die „natürliche Wirtschaftskraft der Landschaften“ zu erhalten formulierte die Interparla-
mentarische Arbeitsgemeinschaft für naturgemäßes Wirtschaften12 bereits in den 50er-Jahren:
„Alles, was der Mensch benötigt, beruht auf der Nutzung der natürlichen Hilfsquellen der Erde.
Diese sind die erschöpfbaren, wie Mineralien, Kohle und Erdöl, sowie die unter bestimmten
Umständen sich erneuernden Hilfsquellen, wie Kulturboden, Wasser, Pflanzen- und Tierwelt.

10
Dilemma im philosophischen Sinn, d.h. ein Problem dessen (zwei) erkennbare Lösungen unbefriedi-
gend sind und damit eine aussichtslose Lage ergeben. Der Ausweg ist dann evtl. eine dritte, bislang
unbeachtete Lösung (klassisches Beispiel ist der Gordische Knoten).
11
Weber-Blaschke, Mosandl , Faulstich 2004
12
zitiert in Krüger 1956, S. 46 f
2.1 Schwerpunkt Ökologie: Agenda 21 als integraler Lösungsansatz für den Wassersektor 13

Die Begrenztheit der erschöpfbaren Mittel erfordert sparsamsten Verbrauch.


Mit den sich erneuernden Hilfsquellen muss eine naturgemäße Wirtschaft betrieben werden, so
dass sie nach dem Grundsatz der Nachhaltigkeit auch noch von den kommenden Generationen
für die Deckung des Bedarfs der zahlenmäßig zunehmenden Menschheit herangezogen werden
können13.
Nutzung und unzureichende Pflege verursachten bisher Schäden. Da die Hilfsquellen jedoch in
unmittelbarem Wirkungszusammenhang stehen, kann schon die Schädigung eines Teiles das
Gleichgewicht im Gesamthaushalt der Natur nachhaltig stören. Dies wirkt sich nicht nur wirt-
schaftlich aus, sondern greift auch auf kulturelle und soziale Bereiche über.13
Es sind schon mehr Schäden eingetreten, als allgemein angenommen wird. Die Folgen dieses
Zustandes sind nicht abzusehen.
Unbedachte Nutzung der natürlichen Hilfsquellen, also Verbrauch, der mit ihrer Erneuerung
nicht Schritt hält, beeinträchtigt die Lebensmöglichkeiten und verursacht Seuchen, körperli-
chen und geistigen Verfall. Dadurch werden Vorbedingungen zur Entwicklung negativer Kräf-
te gefördert, Freiheit, Gerechtigkeit und Friede bedroht.
Es ist Aufgabe der Politik, das Zusammenleben der Menschen zu regeln. Politische Pflicht ist
es deshalb, mit Maßnahmen im Sinne naturgemäßer Wirtschaft die Lebensgrundlagen zu
schaffen und zu sichern."14
Das Prinzip der Nachhaltigkeit wurde also schon vor dem Brundtland-Bericht diskutiert, der
ebenfalls „eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne die Möglich-
keiten künftiger Generationen, ihre Bedürfnisse zu befriedigen, einzuschränken“ fordert. Der
Nachhaltigkeitsansatz beinhaltet aber ein Grundparadoxon: Er klingt zunächst sehr eingängig.
Niemand würde der Idee der Zukunftssicherung nachfolgender Generationen widersprechen.
Ein auf Erhalt der (gewohnten) Lebensumwelt gerichtetes Konzept entspricht durchaus dem
ursprünglich verwurzelten menschlichen Streben nach Sicherheit und Geborgenheit.15 Das
Problem tritt dann ein, wenn aus dem für die Gesellschaft als richtig erkannten Ansatz mögli-
cherweise einschränkende Konsequenzen für das eigene Verhalten gezogen werden müssten.
Noch schwieriger sind oft– ein Streben nach Nachhaltigkeit unterstellt – die Abwägungen,
welches Verhalten im konkreten Fall auch ein nachhaltiges ist. Nach ULRICH16 ist nachhaltige
Entwicklung ein „unausweichlich normatives Konzept, das die ganze Last der Begründung
einer „guten“ gesellschaftlichen Entwicklung und eines verantwortbaren Umgangs mit der
Natur enthält“ sowie eine „regulative Idee“ (KANT), d. h. ein gedanklicher Kompass, der
Such- und Lernprozesse in eine bestimmte Richtung lenkt, aus dem sich aber keine konkreten

13
Hervorhebung durch den Verfasser
14
ebenda: Überhaupt handelt es sich hier um einen frühen transsektoralen Ansatz: „Die vordringlichste
Sorge auch in Deutschland gilt dem Wasser. Wie nochmals erwähnt sei, führten die Begradigung der
Flüsse und der gesteigerte Industrieverbrauch an Wasser zu ausgesprochenen Verknappungserschei-
nungen, die durch die Wasserbautechnik und von Fall zu Fall sogar durch bessere Standortwahl der
projektierten Fabriken auszugleichen sind; die Abwässer der Betriebe verschmutzen überdies die
Grund- und Tageswässer. Bisher hat das Land Bayern wohl am ehesten vorbildliche Gesetzesbe-
stimmungen zum Schutz unserer Wasserläufe getroffen. Aber durchgreifende Lösungen können nur
durch engste Zusammenarbeit der Verwaltungsstellen, Industriellen, Städtebauer und Landwirte ver-
wirklicht werden; die Landesplanungsstellen bedürfen hierbei nicht nur der Mitarbeit der Wasser-
baufachleute, Agrartechniker und Bodenkundler, sondern auch der Forstfachleute, da dem Wald, wie
wir immer wieder zu betonen haben, eine Schlüsselstellung zukommt, die oft sogar kleinklimatische
Auswirkungen zum Nutzen der Gesamtwirtschaft hat“.
15
Vergl. dazu auch die Ausführungen zum Veränderungsmanagement, z. B. bei Bumiller 2002
16
Ulrich 2001
14 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors

Entscheidungskriterien oder gar Maßnahmen ableiten lassen“, so MÜNK, zitiert von UL-
RICH17.
Genau an dieser Stelle liegt die Herausforderung des Nachhaltigkeitsansatzes. Die elegante
Formel – der Tripel-Ansatz – gibt noch kein klares Ergebnis vor. Schlimmer noch: die Tripel-
Belange stehen sich zum Teil in einem harten Zielkonflikt gegenüber, insbesondere betreffend
die Konstellation
Menschliche Nutzung Ù Natur und Umwelt
Seit der Antike und der Aufklärung haben sich aus diesem „echten“ Dilemma zwei unter-
schiedliche Ansätze entwickelt, der anthropogene versus den ökozentrierten Ansatz18. Unter
Zugrundelegung eines Maßstabs der Bedürfnisse der menschlichen Generationen wird der
„klassische“ Ansatz als anthropogene Sichtweise interpretiert (Abbildung 2-1).

Ökologie
Nachhaltigkeit

Ökonomie
Soziales

Abb. 2-1: Traditionelles Konzept der Nachhaltigkeit als Äquivalenz der drei Dimensionen Ökologie,
Ökonomie und Soziales19. Die Kreise stellen die sektoriellen Bedürfnisse/Belange dar. Die nachhaltigen
Lösungen ergeben sich aus der Schnittmenge der Tripel-Belange.

Im Idealfall erlaubt die Situation eine nachhaltige Lösung ohne Einschränkung der Einzelbe-
lange. Diese Lösungen liegen im Bereich der Schnittmenge und werden im Folgenden als
„pure“ Nachhaltigkeit bezeichnet. Wenn sich im Einzelfall eine solche Lösung nicht finden
lässt, müssen zwangsläufig Kompromisse gesucht werden. Der klassische Ansatz beinhaltet
eine grundsätzliche Gleichwertigkeit der Tripel-Belange. Eine Diskussion der Nachhaltigkeit
wird in die Abwägung der Bedeutung der drei Gesichtspunkte streng bezogen auf den Einzel-
fall verschoben. Die Abwägungskriterien sind situationsbedingt. Die Darstellung in Abbildung
2-1 muss so interpretiert werden, dass die Abgrenzungen der Sektoren nicht absolut scharf
sind. Man wird also tendenziell Lösungen „nach der Mitte hin“ suchen, die die Nachhaltig-
keitskriterien wenigstens partiell transportieren. Es entsteht das Bild in Abbildung 2-2.

17
ebenda, zitiert Münk 2000: Nachhaltige Entwicklung im Schatten der Globalisierung, in: Jahrbuch
für christliche Sozialwissenschaften, 41. Bd., Münster, S.105-129
18
Wallacher 1999
19
nach Weber-Blaschke, Mosandl, Faulstich 2005, S. 9
2.1 Schwerpunkt Ökologie: Agenda 21 als integraler Lösungsansatz für den Wassersektor 15

Ökologie
Pure
Nachhaltigkeit

Ökonomie
Soziales

Abb. 2-2: Nachhaltigkeitsbereich beim traditionellen Ansatz: Die perfekte, „pure“ Nachhaltigkeit befin-
det sich im schattierten Bereich. Kompromisse werden mit wachsendem Abstand von der puren Nachhal-
tigkeit schwächer20

Im Gegensatz dazu definiert der ökozentrische Ansatz, sehr vereinfacht gesagt, eine nicht
utilitaristische Präferenz der Ökologie. Die Ökologie ist also aus sich heraus schützenswert,
Eingriffe sind als Verstoß gegen die Schöpfung grundsätzlich nicht vertretbar. Der reine öko-
zentrische Ansatz kommt mit (natürlichen und unnatürlichen) Veränderungen nur zurecht,
wenn keine rein bewahrende Haltung eingenommen wird. Andernfalls entstehen fundamenta-
listische Lösungen.

Umwelt

Gesellschaft

Wirtschaft

Abb. 2-3: „Modernes“ Konzept der nachhaltigen Entwicklung. Ökonomie ist nur ein Instrument der
Gesellschaft, Gesellschaft nur ein Teil der Umwelt – eine bio-zentrische Sichtweise der Nachhaltigkeit?21

20
nach Lehn et al. 1999, S. 14
21
Weber-Blaschke et al. 2005, S. 9
16 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors

Je nach Grad der Strenge bezieht dies die leidensfähige, die belebte oder sogar die unbelebte Natur
mit ein (vgl. Abbildung 2-4). In der Konsequenz ergibt Ökozentrik für den Tripel-Ansatz, dass alle
Lösungen vor dem Hintergrund des Ökologiesektors gesehen werden. Graphisch ist ein solches
System nach WEBER-BLASCHKE, MOSANDL, FAULSTICH in Abbildung 2-3 dargestellt.
Die verschiedenen Schulen der naturbezogenen Philosophie kennen das Ringen um den ‚rich-
tigen’ Ansatz. Im Grunde war es KANT, der die Grundlagen zur Überwindung der Unverein-
barkeit von Anthropozentrik und Ökozentrik geschaffen hat. Die aus der deontologischen22
Auffassung entwickelte methodische/analytische Anthropozentrik stellt immer noch den Men-
schen in das Zentrum der Überlegungen, analysiert aber sein Verhalten unter den Aspekten der
Nachhaltigkeit. Die Genesis dieser beiden Schulen ist ebenfalls in Abbildung 2-5 wiedergege-
ben. Ein Teilaspekt ist der Unterschied zwischen deontologischen und teleologischen Ansät-
zen. HEINL23 zitiert den deutschen Philosophen Schmidt, der teleologische Ansätze als Alter-
native zum KANTschen Kategorischen Imperativ sieht, weil sie die Freiheit der Modernen
eher widerspiegeln. Es wird auf diesem Ansatz eine individuelle Wollensethik aufgebaut, die
sich am Leitbild der Lebenskunst orientiert. Im Ergebnis kann der Unterschied zwischen teleo-
logischen und deontologischen Ansätzen unter dem Aspekt der letztlichen Unausweichlichkeit
der Nachhaltigkeit nicht groß sein, d. h., bei beiden Ansätzen muss sich eine Gesellschaft bil-
den, die ihre Zukunft (in denkbar umfassender Form, d. h. auch kulturell, ethisch-moralisch
auch dem Schöpfungsbegriff gegenüber) sichert.

Normative Naturbegriffe

nichtanthropozentrisch,
anthropozentrisch
ökozentrisch

utilitaristisch holistisch-
(max. Nutzen) physiozentrisch
deontologisch (Kant) biozentrisch (Leben)
pathozentrisch
(leidensfähig)
methodische oder
analytische
Anthropozentrik

Abb. 2-4: Die Historie der normativen Naturbegriffe der Anthropozentik und Ökozentrik [entwickelt
nach WALLACHER24 ]

22
Deontologie: Lehre von den Pflichten, z. B. Tagore: „ich schlief und träumte das Leben wäre Freude /
und ich erwachte und sah, das Leben ist Pflicht / ich tat die Pflicht und siehe, die Pflicht war Freude“.
Teleologie, gr. telos – Ziel, Handeln auf bestimmte Ziele hin, d.h. Wollens- oder Willensansatz
23
Heinl 2005, S. 137 ff
24
Wallacher 1999, S 166 ff
2.1 Schwerpunkt Ökologie: Agenda 21 als integraler Lösungsansatz für den Wassersektor 17

Die methodische oder analytische Anthropozentrik ist wahrscheinlich die realistisch am besten
tragbare Grundformel, u. a. weil jede Art von Nichtanthropozentrik in unseren Gesellschaften
letztlich nicht mehrheitsfähig ist. Die Kritik an der methodischen Anthropozentrik besteht
darin, dass in den Fällen, in denen z. B. politische Konflikte vorliegen, dann nach dem Oppor-
tunitätsprinzip, d. h. im negativen Fall nach dem Weg des geringsten (gesellschaftlichen) Wi-
derstands oder gar eines anthropogenen Machiavellismus25 entschieden würde.
Selbst wenn man dies unterstellt, bleibt doch die Frage nach der Qualität der Opportunität. Der
sozialökonomische Ansatz von ULRICH bemüht an dieser Stelle die Ethik des Umgangs mit
der Natur und formuliert einen „schwachen, epistemischen Anthropozentrismus“. Dazu gibt er
Leitsätze vor:
• Vorab ist zu klären, was für eine Kultur, was für eine Lebensform wir wollen (teleologi-
scher Ansatz).
• Sodann müssen (kulturübergreifende) Regeln eines gerechten Zusammenlebens formuliert
werden (deontologische Dimension).
• Als nachhaltig sind genau jene und nur jene Handlungsweisen zu definieren, die im Lichte
der unveräußerlichen ökologischen Grundrechte aller Menschen universalisierbar sind (in-
terkulturell und intergenerationell)26.
Dieser Ansatz basiert also letztlich auf dem Kategorischen Imperativ von KANT27. Damit ist
klar, dass der ‚konventionelle’ Ansatz durchaus nicht zur Beliebigkeit der Abwägung neigt,
sondern dem ethisch-kulturellen Gesamtgebäude einer Gesellschaft, auch einer globalen, un-
terworfen ist. Die Meinungen, ob dieser Ansatz genügt, sind aber geteilt. Vor allem Verbände
sehen die Gewichtung im A21-Prozess eindeutig in der Ökologie, der sich die anderen Belange
durchaus unter Begründung der Nachhaltigkeit unterordnen müssen. Es entsteht damit in Ana-
logie zur Darstellung in Abbildung 2-4 ein wohlgemeinter „analytischer Ökozentrismus“. Aus
der anhaltend kontroversen Diskussion heraus hat sich der deutsche Sachverständigenrat für
Umweltfragen (SRU) mehrfach, zuletzt in seinem Gutachten von 2002 mit der Nachhaltigkeit
beschäftigt. Sein Ansatz ist die intergenerationelle Gerechtigkeit. Er wertet die vorhandenen
wissenschaftlichen und allgemeingebräuchlichen Lösungen der Nachhaltigkeit aus und teilt sie
nach „schwacher“ bzw. „starker Nachhaltigkeit“ ein. Der SRU geht zunächst einmal davon
aus, dass die „Intergenerative Nachhaltigkeit“ aus dem zur Verfügung stehenden „Potential“
besteht, das sich aus dem Sachkapital, dem Naturkapital, dem kultivierten Naturkapital (z. B.
Viehherden, Äcker), dem Sozialkapital (moralisches Orientierungswesen), dem Humankapital
(Bildung, Fähigkeit) und dem Wissenskapital zusammensetzt28. Dieses Potential soll auch
späteren Generationen zu Verfügung stehen.
Die so genannte „schwache“ Nachhaltigkeit basiert auf der Annahme, dass die dieses Potential
bildenden „Kapitalbestände“ vollständig gegenseitig deckungsfähig (substituierbar) sind. Nach
der schwachen Nachhaltigkeitsdefinition muss also nur das Gesamtpotential erhalten bleiben,
egal, wie es sich zusammensetzt. (vgl. Abbildung 2-5) Die Herleitung dieser gegenseitigen

25
hergeleitet aus dem staatlichen Machiavellismus: Erlaubt ist alles, was dem Menschen nutzt. Daraus
entsteht das Gegenteil von Nachhaltigkeit, wenn man noch ein heute und hier zufügt.
26
Ulrich 2001, S.5-6
27
Kant 1788, Kritik der Praktischen Vernunft, Verkürzt: spricht von einer Haltung zu den Dingen
(„Maxime deines Wollens“), die so sein soll, dass sie allgemeine Regeln nach sich ziehen dürfte
(„Grundlage einer allgemeinen Gesetzgebung“)- also auch eine Gesinnungsethik; das Verhalten folgt
daraus, muss aber nicht zwangsläufig für alle verbindlich sein.
28
SRU 2002, S.59
18 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors

Deckungsfähigkeit wird paradoxerweise auf den Club of Rome zurück geführt. Dieser hatte in
den „Grenzen des Wachstums“ noch den Verbrauch der Sachgüter (Naturressourcen) als den
limitierenden Faktor der Weltentwicklung angenommen. Dies schien nach Auffassung der die
schwache Nachhaltigkeit vertretenden Gruppen durch den Übergang zur Dienstleistungsgesell-
schaft und Fortschritte der Technologie widerlegt: Das Wirtschaftswachstum ist in den entwi-
ckelten Ländern vom Ressourcenverbrauch abgekoppelt, sparsamere Technologie, weniger
und vor allem alternativer Materialverbrauch scheinen die Substituierbarkeit der Rohstoffe und
damit die Substituierbarkeit an sich zu beweisen.

Schwache
Nachhaltigkeit

Ökologie

Ökonomie Soziales

Abb. 2-5: Schwache Nachhaltigkeit. Die Summe der Potentiale muss erhalten bleiben, um die intergene-
rationelle Nachhaltigkeit (N) zu gewährleisten. (N = Naturkapital + Sachkapital + kultivierten Naturkapi-
tal (z. B. Vieherden, Äcker) + Sozialkapital (moralisches Orientierungswesen) + Humankapital (Bildung,
Fähigkeit) + Wissenskapital

Auch dort, wo eine Kompensation nicht wirklich stattgefunden hat, kann nach der Theorie der
schwachen Nachhaltigkeit ein Ausgleich nach dem so genannten „Kaldor-Hicks-Kriterium“
vorgenommen werden, d. h., Projekte sind dann nachhaltig, wenn die Gewinner wenigstens in
der Lage wären, die Verlierer entsprechend zu entschädigen29. Bezogen auf die intergenerati-
onelle Verpflichtung besagt der Ansatz der schwachen Nachhaltigkeit, das immer dann Nach-
haltigkeit erreicht ist, wenn die Investitionsquote einer Volkswirtschaft groß genug ist, um den
wertmäßigen Verbrauch an Umweltressource gerade noch zu kompensieren.30 Die Weltbank
definiert als Messmodell nach diesem Ansatz den „Genuine Savings Index“, den „Ansatz des
echten Sparens“ (GSI).
Die Kritik an der schwachen Nachhaltigkeit bezieht sich vor allem auf die angenommene voll-
ständige Substituierbarkeit der Natur(-güter). Für Wasserwirtschaftler liegt die Schwäche die-
ses Systems auf der Hand. Wasser, insbesondere Süßwasser ist wohl nicht zu substituieren.
Selbst ausgefeilteste technische Reinigungsverfahren wären nicht in der Lage, den Wasserbe-
darf für Trinkwasser oder gar für Bewässerung zu decken, wenn die Ressource durch Ver-
schmutzung „verbraucht“ würde. Auch ohne weiteren Nachweis gilt dies sicher auch zumin-
dest subjektiv für viele ökologische Bereiche. SRU zitiert deshalb auch den Fall der Südseein-

29
ebenda, S.61
30
Klepper 1999, S. 314, zitiert aus SRU 2002, S. 63
2.1 Schwerpunkt Ökologie: Agenda 21 als integraler Lösungsansatz für den Wassersektor 19

sel Nauru. Dort wird Phosphat abgebaut, die Einwohner legen Gewinne in einem riesigen
Fond an, dessen Erträge sie in allgemeinem Wohlstand leben lassen. Nach dem Genuine Sa-
vings-Ansatz ist Naurus eine der am nachhaltigsten wirtschaftende Gesellschaften der Welt.
Allerdings sind jetzt ca. 80 % der Insel durch den Abbau so verwüstet, dass ein Verbleiben der
Bevölkerung nicht mehr möglich ist. Die intergenerationelle Nachhaltigkeit lässt sich in die-
sem System nicht mehr erreichen, der Lebensraum selber ist zerstört und lässt sich mit Geld
nicht mehr zurück erwerben. Gegen den Ansatz der schwachen Nachhaltigkeit spricht also,
dass sich durch zunehmenden Naturverbrauch die Rolle des ökologischen Kapitals verändert.
Es wird inzwischen vor dem Sachkapital zum limitierenden Faktor für die Entwicklung. Dar-
aus folgert der SRU, dass der Ansatz der schwachen Nachhaltigkeit nicht zum Ziel führt. Das
Gegenteil davon ist die „starke“ Nachhaltigkeit, die Grenzen der Substituierbarkeit sieht. Die
wichtigste Einschränkung bezieht sich auf das Naturkapital31. Weil dieses nicht zu ersetzen ist,
muss es uneingeschränkt nachfolgenden Generationen übergeben werden. Das Naturkapital
wird also sozusagen gesetzt. Der SRU postuliert daher ein leicht differenziertes Konzept der
starken Nachhaltigkeit („constant natural capital rule“). Danach ist die schwache Nachhaltig-
keit im Bereich der Rohstoffe, die starke im Bereich der ökologischen Systeme am plausibels-
ten. Es entsteht ein Bild, das letztlich die Nachhaltigkeit überwiegend vor dem Hintergrund der
Ökologie sieht, d. h. Wirtschaft ist (nur) ein Teil der Gesellschaft, und die Gesellschaft ist
(nur) ein Teil der Umwelt (System der „starken Nachhaltigkeit“, Abbildung 2-6).

Abb. 2-6: Die „starke Nachhaltigkeit“ (schattiert) als Ansatz des SRU im Bild des Tripel-Ansatzes

31
„Naturkapital“ ist nach SRU mit dem Begriff Boden oder Ressourcen icht abschließend beschrieben.
Es sei komplex und in den Komponenten vernetzt. Als Beispiel werden Begriffe wie Ressourcenba-
sis, natürliche Lebensgrundlage, Biodiversität und Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts genannt.
Auch ist nicht unumstritten, was alles zum Naturkapital gezählt werden soll. Weit gehende Einigkeit
besteht dahin gehend, dass folgende Segmente der Natur zum Naturkapital gehören: Atmosphäre,
Ozonschicht, globale Stoffkreisläufe, Klimasystem, Böden, Pflanzenbedeckung der Erde, Grund- und
Fließgewässer sowie Seen, Fischbestände, Wälder, die Vielfalt der Gene, Arten und Ökosysteme
(„Biodiversität"), mineralische Ressourcen und fossile Energieträger. (SRU 2002, S. 64)
20 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors

Entscheidend im Ergebnis bleibt, dass im Konfliktfall die Abwägungspräferenz zugunsten der


Ökologie vorgegeben wird. Einen ähnlichen Weg geht das bayerische Landesentwicklungs-
programm (LEP), dass der Ökologie dann Vorrang einräumt „wenn die natürlichen Lebens-
grundlagen wesentlich und langfristig bedroht sind.“32Allerdings setzt sich der SRU mit der
Kritik an der starken Nachhaltigkeit bei Weitem nicht so detailliert auseinander wie im Fall der
schwachen. So wird schlicht postuliert, „dass es nicht zutrifft, dass… starke Nachhaltigkeit
eine bio- oder ökozentrische Umweltethik voraussetzen muss“33. Die Frage stellt sich aber
durchaus34. Die starke Nachhaltigkeit „setzt“ die Ökologie, genauer den Verbrauch nicht er-
neuerbarer, begrenzter Naturressourcen.
Es ist davon auszugehen, dass Effekte wie in dem genannten Extrembeispiel der Insel Naurus
auch bei anderen Kapitalgütern unter ähnlich extremen Bedingungen zu ähnlich eindeutig
kritischen Zuständen führen würden. Extreme Armut kann genauso wie die Auflösung von
Kultur und Ethik zur Zerstörung der Gesellschaft und letztlich auch der Umwelt führen. Auf
diesen Zusammenhang verweist STOIBER35, wenn er die gesellschaftliche Stabilität auch im
Sinne der Umwelt an erster Stelle der Nachhaltigkeitsagenda sieht. Ähnlich ist es mit zahlrei-
chen sozioökonomischen bzw. sozial-ethischen Fragestellungen. ULRICH36 befürchtet eine
‚soziale Desintegration durch einen marktradikalen Wirtschaftsliberalismus, der sich in einer
sich immer weiter öffnenden sozialen Schere abbildet’. Dadurch hole die entwicklungspoliti-
sche Frage auch die „hoch entwickelten“ Länder wieder ein. ULRICH beendet an diesem
Punkt sein Szenario, aber es ist zulässig, die Konsequenzen in Analogie der Situation in Ent-
wicklungsländern weiterzudenken: gesellschaftliche Destabilisierung bis zum Versagen rechts-
staatlicher Strukturen ist denkbar.
RADERMACHER37 befürchtet eine sogenannte Ökodiktatur, wenn die Überlebenssicherung
der entwickelten Welt zwar die ökologische Nachhaltigkeit einfordert, die aufwändige soziale
Tarierung aber aufgibt. Die Armutsproblematik weltweit könnte durchaus Anzeichen für eine
solche Entwicklung sein. Eine Verschärfung findet dann möglicherweise bezüglich der Welt-
ernährungssituation statt, wenn die Umweltprobleme durch Agrarnutzung (Green Revolution
Syndrom) überhand nehmen. Solche Prozesse können in starken Ausprägungen die gesamte
Nachhaltigkeit in Frage stellen. RADERMACHER leitet drei Phasen der Eskalierung her, bei
der der Besitzer des Status Quo die asymmetrischen Verteilungsstrukturen gegen den Verlierer
verteidigt, der sich zunächst legal, später illegal z. B. durch Terrorakte wehrt, die letztlich in
einer Spirale von Gewalt enden. Sowohl für den Vertreter des Status Quo wie für den Verlierer
sind tiefgehende gesellschaftliche Veränderungen die Folge: Beschneidung der Bürgerrechte,
Unsicherheit usw. Ein zweites Argument gegen den Ökozentrismus ist die Bedeutung des
sozialen Bereiches. Als Lösung entwickelt er seinen Begriff der Ökosozialen Marktwirtschaft,
die nichts anderes ist als ein Abwägungsgebot für ökologische und soziale Belange38.

32
LEP 2003, Kurzfassung, S. 2
33
SRU 2002, S. 66
34
Weber-Blaschke, Mosandl, Faulstich 2005, S. 9
35
als bayerischer Ministerpräsident in seiner Rede anlässlich der 25 Jahrfeier des Umweltministeriums
1995 in München
36
Ulrich 2004, S. 9 ff
37
Radermacher 2002, S. 199 ff
38
Radermacher 2002
2.1 Schwerpunkt Ökologie: Agenda 21 als integraler Lösungsansatz für den Wassersektor 21

2.1.1.3 Abwägung und Partizipation


Abwägung:
Die A21 ist a priori nicht ökozentriert, sondern legt – wenn überhaupt – einen Schwerpunkt auf
die ökologischen und sozialen Belange. So beginnt die Präambel: „Die Menschheit steht an ei-
nem entscheidenden Punkt ihrer Geschichte. Wir erleben eine zunehmende Ungleichheit zwischen
Völkern und innerhalb von Völkern, eine immer größere Armut, immer mehr Hunger, Krankheit
und Analphabetentum sowie eine fortschreitende Schädigung der Ökosysteme, von denen unser
Wohlergehen abhängt. Durch eine Vereinigung von Umwelt- und Entwicklungsinteressen und
ihre stärkere Beachtung kann es uns jedoch gelingen, die Deckung der Grundbedürfnisse, die
Verbesserung des Lebensstandards aller Menschen, einen größeren Schutz und eine bessere
Bewirtschaftung der Ökosysteme und eine gesicherte, gedeihlichere Zukunft zu gewährleisten.
Das vermag keine Nation allein zu erreichen, während es uns gemeinsam gelingen kann: in einer
globalen Partnerschaft, die auf eine nachhaltige Entwicklung ausgerichtet ist.“39
Die richtige Abwägung bleibt die große Herausforderung der Nachhaltigkeitsbetrachtungen,
insbesondere dann, wenn man die sog. starke Nachhaltigkeit allein schon wegen mangelnder
Durchsetzbarkeit als Modell ausschließt oder zumindest nur als eingeschränkt nutzbar sieht.
Das Versagen der reinen schwachen Nachhaltigkeit ist ebenso nachgewiesen; also ist der Weg
des Ausgleiches in Geld, der Ökonomismus40 auch verstellt. Jede qualifiziertere Betrachtung
als die schwache Nachhaltigkeit erfordert folglich in irgendeiner Form eine Abwägung. Damit
findet man wieder zum bereits mehrfach vom WBGU verwendeten System der Leitplanken
zurück, d. h. die Abwägung kann in keinem Belang beliebig sein, sondern folgt bestimmten
Leitlinien oder Leitplanken, die ihrerseits in einem Prozess hergeleitet wurden, der die Nach-
haltigkeitskriterien berücksichtigt. Allerdings müssen auch hier wiederum Leitplanken für alle
Tripel-Belange aufgestellt und ggf. priorisiert werden.
Zur Verbesserung der Qualität der Abwägung formuliert GRUNWALD41 ein integratives
Konzept der Nachhaltigkeit, das kulturelle Aspekte beinhaltet. Die Grundlagen sind – entwi-
ckelt aus der Rio Declaration:
• Justice ist mit Nachhaltigkeit untrennbar über die individuelle inter- und intragenerationelle
Gerechtigkeit verbunden,
• in einem globalen Maßstab und vor dem Hintergrund der
• Anthropozentrik, d. h. Nachhaltigkeit ist eine Frage des menschlichen Nutzens der Res-
source.
Daraus können die folgenden Generalziele abgeleitet werden (in Klammern Beispiele für dazu
aufgestellte Regeln):
• Sicherung der Existenz der Menschheit (Gesundheitsschutz, Grundbedürfnisse, Eigenver-
sorgung, gerechte Verteilung der Verwendung der Naturressourcen)
• Erhalt des produktiven Potentials der Menschheit (nachhaltiger Gebrauch der erneuerbaren
Ressourcen, der nicht erneuerbaren Ressourcen, Vermeiden von unakzeptablen technischen
Risiken, nachhaltige Entwicklung des Wissens-, Human- und Finanzkapitals)
• Gewährleistung des Spielraums für Aktivitäten und Entwicklung (gerechter Zugang zu Bil-
dung, Information, Partizipation, Bewahrung des kulturellen Erbes, der Sozialressourcen)

39
Präambel Agenda 21, S.9
40
Ulrich 2004, S.9
41
Grunwald 2005, S. 115
22 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors

Kriterien zur richtigen Abwägung sowie die Abwägung selber stehen damit im Zentrum der
Aufgabe „from vision to action“ und nehmen folglich erheblichen Raum in dieser Arbeit ein.
In der Realität bilden sich Mischformen zwischen den schwachen und starken Kriterien42.
Allerdings sind diese meist nicht allein an ökologischen Belangen ausgerichtet, sondern im
klassischen Tripel-Ansatz. Eine starke Nachhaltigkeit bildet sich dennoch insofern, als eine
richtige Abwägung eine integrale Priorisierung vornimmt. Der Prozess des Austarierens zwi-
schen den drei Belangen ist aber in der Regel nicht so eindeutig, dass Fehler sicher ausge-
schlossen werden könnten. Ein Beispiel hierfür ist die Diskussion um Kohlekraftwerke versus
Atomkraftwerke unter dem Aspekt der Klimaveränderung. Die Risikoabwägung, die in
Deutschland zum Aus für die klimafreundlichen Kernkraftwerke führte, ist letztlich subjektiv.
Diese Unsicherheiten kann man aber hinnehmen:
• Durch die Transparenz eines Verfahrens sind Entscheidungswege nachvollziehbar, dadurch
kann man aus ihnen lernen und sie sind korrigierbar.
• Es wird vermieden, dass ein „gesetzter“ Belang in der weiteren Entwicklung „entartet“.
• Tatsächlich können sich auch nachhaltige Bedürfnisse ändern. So besteht der Konflikt bei
Weitem nicht nur zwischen Ökologie und Ökonomie. Faktisch bildet sich z. B. derzeit eine
„starke Nachhaltigkeit der Arbeitsplätze“, ein Effekt, der sich sicherlich vor dem Hinter-
grund des Basisproblems „weltweites Bevölkerungswachstum“ noch verstärken wird.
SCHNAPPAUF43 führt dazu aus: „Eine Politik der Nachhaltigkeit … verlangt darum
• einen integralen, ganzheitlichen Ansatz, der von der Gleichberechtigung und Gleichwer-
tigkeit der drei „Säulen“ einer nachhaltigen Entwicklung ausgeht,
• eine objektive, transparente, wissenschaftsabgestützte Bewertung der verschiedenen Hand-
lungsoptionen und
• eine quantifizierte Zusammenschau und faire, nachprüfbare Bewertung der verschiedenen
Handlungsoptionen.“
Eine besondere Herausforderung besteht in der Dynamik der Ökosysteme. Nach der reinen
Lehre tritt der „Sündenfall“ ein, wenn der Mensch natürliche Veränderungen ursächlich beein-
flusst. Das ist in der Vergangenheit natürlich bereits in enormem Ausmaß passiert, die Welt ist,
wenn man von kaum besiedelbaren Gebieten wie den Polkappen und den Wüsten absieht, eine
durch den Menschen überformte Kulturlandschaft. In ganz Westeuropa gibt es praktisch kei-
nen größeren, zusammenhängenden natürlichen Wald mehr, kaum ein größerer Flussabschnitt
in Deutschland ist unverbaut beziehungsweise in seinem Lauf unverändert.
Die daraus entstehenden Biosphären sind also aus ihrem ursprünglichen Gleichgewicht ge-
bracht und damit oft labil oder sogar instabil. Ein Beispiel sind die massiven Eintiefungsten-
denzen korrigierter Flüsse, die sehr rasch zu Veränderungen in den Auwäldern und der Grund-
wassersituation im gesamten Umfeld führen44. Es ist meistens unmöglich, solche Entwicklun-
gen an irgendeiner Stelle oder zu irgendeinem Zeitpunkt „einzufrieren“. Dabei ist die Natur
grundsätzlich und generell kein stabiles Gebilde, sondern mindestens bereichsweise labil und
dynamisch. WILDERER et. al. stellen diesen Zusammenhang mit dem physikalischen Modell

42
Grunwald 2005, S. 109
43
Redemanuskript von Staatsminister Dr. Werner Schnappauf : ILK- Stellungnahme zur Nachhaltigkeit
der Kernenergie München, den 23. Juni 2004 -Manuskriptfassung-
44
lt. Untersuchungen an der Iller und an der Salzach, jeweils vom Landesamt für Wasserwirtschaft
(München)
2.1 Schwerpunkt Ökologie: Agenda 21 als integraler Lösungsansatz für den Wassersektor 23

von HARTMANN dar45. Der rein bewahrende Ökozentrismus ist als Modell für diese Zustän-
de nicht geeignet, stößt leicht an physikalische Grenzen. In der realen Welt kommen dazu noch
human-ethische Grenzen, wenn die Veränderungen nicht von außen natürlich auftreten, son-
dern Ergebnis eines bereits angestoßenen Prozesses z. B. der Veränderung der Kulturland-
schaft sind. Die gesamten Systeme reagieren in diesem Veränderungsgrad anders. Es gibt also
auch kein einfaches Zurück. Ein klassisches Beispiel ist die Wiedereinbürgerung des Bibers:
Eine Bewertung kann hier nicht objektiv stattfinden, weil je nach Standpunkt entweder der
Biber oder die Kulturlandschaft (Landwirt pflügt bis in den Uferbereich hinein) als Problem
empfunden wird. Ein anderes, die natürliche Veränderung beschreibendes Beispiel ist der
Geschiebehaushalt der Oberflächengewässer, der in einem nie endenden Streben nach Gleich-
gewicht zwischen Erosion und Ablagerung steht. Zwingende Konsequenz ist Dynamik.
Es lässt sich aus diesen Beispielen ableiten, dass die Dynamik Teil der Abwägungskriterien
sein muss. Durch die typischerweise in der Natur ablaufenden chaotischen Prozesse kann man
damit rechnen, dass sich bestimmte Muster (Fraktale)46 wieder einstellen, wenn die Bedingun-
gen stimmen, z. B. Mäander in den Mittelläufen der Bäche. Die Detailsituation bleibt aber
unvorhersehbar. Ein bewahrender Naturschutz, der auf der zufälligen Situation in einer be-
stimmten Gewässerschleife „besteht“, muss daher letztlich scheitern.
In den folgenden Kapiteln sollen praktische Hinweise erarbeitet werden, wie die Fehlerquote
bei der Abwägung der Hauptbelange reduziert werden kann. Die Grundlage dafür ist ein tradi-
tioneller Nachhaltigkeitsansatz, der aber die starke Nachhaltigkeit als grundsätzliches Leitbild
eines deontologischen, analytischen Anthropozentrik-Ansatzes akzeptiert.
Partizipation:
Die Partizipation wird in der A21 als Grundvoraussetzung zum Erreichen der Nachhaltigkeit
gesehen.47 Der qualitative Einfluss der Partizipation ist vielschichtig. Zunächst ist Partizipation
ein demokratisches Grundprinzip, wobei sich im minimalen Fall die Beteiligung auf die Teil-
nahme an den regelmäßigen Wahlen beschränkt.48 Der SRU misst der Partizipation aber eine
zusätzliche qualitätssichernde Wirkung zu: „Wegen der erheblichen Bedeutung der Öffentlich-
keitsbeteiligung für eine korrekte und, soweit Abwägung und Ermessen eine Rolle spielen,
ausgewogene Anwendung der geltenden Rechtsvorschriften muss davon ausgegangen werden,
dass jede gesetzliche und verordnungsrechtliche Einschränkung der Öffentlichkeitsbeteiligung
zur Verschlechterung des Vollzugsniveaus beiträgt.“49

45
Wilderer et al. 2005, 226 ff: Ein Zylinder ist auf der Innenseite belebt. Jeder Punkt der inneren Ober-
fläche repräsentiert eine bestimmte Spezies. Der Zylinder ist teilweise mit Wasser gefüllt, die Tiefe
des Wassers repräsentiert die Besiedlungsdichte der Spezies. Der Zylinder wird durch ein System von
Seilen und Rollen in seiner Lage gehalten. Jedes der Gewichte an den Seilen repräsentiert bestimmte
Umweltfaktoren. Nach einer Veränderung der Position eines der Gewichte (z. B. dem Wert dieses
Umweltfaktors) rotiert der Zylinder ein Stück in eine neue Position (labiles Gleichgewicht). Folglich
fallen einige Punkte im Zylinder trocken (Spezies verschwinden) andere werden nass (neue Spezies
erobern Lebensräume) und die Wassertiefe verändert sich an jedem Punkt (d.h. die Populationsdichte
verändert sich).
46
zu den Bezugnahmen auf die Chaostheorie und zur Erläuterung der verwendeten Begriffe, also z. B.
Fraktale, komplexe Systeme oder Chaos, siehe Kap. 3.1.2.2
47
Agenda 21, Präambel Teil III, S.217
48
SRU 2002, S. 102
49
ebenda, S. 108
24 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors

Die Aarhus-Konvention, der Deutschland 2001 beigetreten ist, nennt zwei Möglichkeiten der
Einbeziehung der Öffentlichkeit, die direkte Öffentlichkeitsbeteiligung oder die Beteiligung
von beratenden Gremien, die als Repräsentanten der Öffentlichkeit fungieren. Der SRU präfe-
riert „die direkte Öffentlichkeitsbeteiligung mit der Möglichkeit der Stellungnahme für jeder-
mann, wie sie beispielsweise in den USA üblich ist“50, sieht aber ein Hauptproblem der Betei-
ligung in der deutlich verlängerten Verfahrensdauer.
Unter bestimmten Bedingungen trifft diese Sorge aber nicht zu: So wurde bei Ausbauvorhaben
im Bereich des Wasserwirtschaftsamtes Hof durch gezielte Anwendung partizipativer Prozesse
die Verfahrensdauer erheblich verkürzt, in einigen Fällen sogar an die Mindestgrenze der
rechtlich möglichen Verfahrenszeiten gebracht.51 In der deutschen Verfahrenslehre wird diese
Vorgehensweise als „offenes Verfahren“ bezeichnet.
Die Arbeiten des Institute of Advanced Studies on Sustainability der Europäischen Akademie
der Wissenschaften geben Hinweise auf die Gründe des Erfolgs dieser Art der Partizipation.
Ein Ergebnis ist, dass nichttechnische Zusammenhänge in komplexer, „chaotischer“ Form
vorliegen, d. h. kaum berechnet werden können, anderseits aber einen eminenten Einfluss auf
die Nachhaltigkeit haben (vgl. dazu Kap. 3.7). Weil eine deterministische Beschreibung dieser
Wirkungen und Zusammenhänge nicht möglich ist, ist die Partizipation der einzige Weg, diese
nichtmateriellen „fraktalen“ Faktoren abzubilden. Die Partizipation ist damit der einzige
Schlüssel zur Integration nicht determinierbarer und dynamischer Erfolgsfaktoren.52 Folglich
resümieren auch WILDERER et. al.:
„Sustainable development requires that local societies and economies have adaptive capacity.
Local participation in planning and decision making is necessary to develop adaptive capaci-
ty. To strengthen the adaptive capacity of the various societies and economies of the world,
participation methods should be further developed and rigorously implemented.“53
Ein möglicher Kritikpunkt an der Partizipation ist die Frage Partizipation versus Demokra-
tie. Je nach Typ der Partizipation wird ein Dialog mit einer einen Minderheitsbelang vertre-
tenden Gruppe geführt. Das können sowohl altruistisch motivierte Naturschützer wie auch
Eigeninteressen vertretende Beteiligte oder eine Mischung davon sein. „Die Produktion von
Problemlösungen in nicht öffentlichen Vermittlungsrunden und Konsensgesprächen stellt
sich zwar als funktional effektiv heraus, entspricht aber selten der schlichten und edlen
Ästhetik der Demokratie als Volksherrschaft.“54 Tatsächlich kann sich in partizipativen
Prozessen auch die Frage der politischen Legitimation stellen. Der häufig als einseitige
Einflussnahme kritisierte Lobbyismus – eine legitime Form der Partizipation – wirft genau
dieses Problem auf. RENNER geht soweit, dass er dieses Verhältnis als dilemmatisch ein-
ordnet. Er geht davon aus, dass partizipatorische, ggf. mangelhaft legitimierte Prozesse
gegen demokratische stehen. Die demokratischen Prozesse werden als die im Sinne der
Entscheidungsergebnisse und des Gemeinwohls als die effektiveren bezeichnet. So hat sich
in Bayern zum Beispiel eine „Schutzgemeinschaft der durch Trinkwasserschutzgebiete Ge-
schädigten“ gebildet, der sogar Gemeinden beigetreten sind (Wasserversorgung ist in Bay-

50
ebenda, S. 103 ff
51
Wasserrechtsverfahren im Zeitraum von 1998 bis 2003, Neustadt bei Coburg, Schwarzenbach a.d.
Saale, Oberkotzau
52
Grambow 2005, S. 219
53
Wilderer et. al. 2005, S. 231 (Ziffer 8 der Postulate aus dem Arbeitskreis von Banz)
54
Renner 2002, S. 27 u. 40 ff
2.1 Schwerpunkt Ökologie: Agenda 21 als integraler Lösungsansatz für den Wassersektor 25

ern kommunale Pflichtaufgabe)55. Dieser scheinbare Widerspruch – Partizipation als demo-


kratisches Grundelement oder als (kritische) Alternative zum demokratischen Prozess –
lässt sich nur im Einzelfall zuordnen. Beide Konstellationen können in der Praxis auftreten.
Es ergibt sich daraus die Aufgabe, Partizipation nicht per se als Ideallösung anzusehen,
sondern vielmehr differenziert unter Berücksichtigung der demokratischen Legitimation und
des Primats des Allgemeinwohls einzusetzen.

2.1.1.4 Bestandsaufnahme des aktuellen Umgangs mit der Agenda 21


Der Bekanntheits- und Umsetzungsgrad der A21 ist weltweit sehr unterschiedlich. In
Deutschland wird der Begriff der Nachhaltigkeit, ebenso die A21 häufig verwendet, eine
echte Verankerung in der Bevölkerung besteht aber nur sehr bedingt; so hat der Rat für
nachhaltige Entwicklung 2001 ermittelt, dass erst 13 % der Bevölkerung angeben, den Beg-
riff der Nachhaltigkeit auch nur gehört zu haben.56 In Deutschland hat sich vor allem die
kommunale Agenda im Bewusstsein festgesetzt. Vornehmlich auf Gemeindeebene haben
sich Arbeitskreise gebildet, die Bürgeranliegen zu bestimmten Themen diskutieren. Für
Bayern wird für 1999 ein Anteil von 25 % aller Gemeinden angegeben, in denen A21-
Prozesse laufen57. Die kommunale A21 wurde 2003 im Auftrag des bayerischen Umweltmi-
nisteriums evaluiert. Dabei stellt MAGEL bei bayerischen Kommunen trotz 613 laufenden
A21-Prozessen „eine starke Agenda-Müdigkeit, um nicht zu sagen, Agenda-Ernüchterung“
fest, während „international der Begriff der Nachhaltigkeit so intensiv wie selten zuvor
diskutiert“ werde.58
Im internationalen Raum gibt es zur Umsetzung der A21 die offiziellen Zahlen der UN, veröf-
fentlicht in den regelmäßigen Berichten zur Umsetzung der CSD59. Während dort überwiegend
von einer wenigstens partiellen Umsetzung ausgegangen wird, ergeben praktische Beobach-
tungen aus Projekten des TTW60 ein anderes, zum Teil weniger erfolgreiches Bild61:
Im Rahmen der Vorträge und Workshops zum Umweltmanagement (capacity-building) wer-
den die Teilnehmer – überwiegend Umweltfachleute aus dem Wasserbereich – regelmäßig
zum Stand des Wissens und dem Umgang mit der A21 befragt62. Die Kernfragen lauteten:

55
Art 83 (1) BV, Art 57 (2) BayGO
56
Rat für nachhaltige Entwicklung zum Thema Kultur und Nachhaltigkeit anlässlich eines Ideenwork-
shops 2001 in Berlin
57
StMUGV 1999
58
Magel 2003
59
UN 2002
60
TTW= Projekt Technologietransfer Wasser (siehe S. 83)
61
Aus Projektberichten von TTW und der Auswertung der Berichte der Partnerfirmen bzw. Consul-
tants, aus dem Zeitraum 1999 bis 2004, unveröffentlicht
62
Diese Befragung wird seit 1994 regelmäßig bei verschiedenen Gelegenheiten mit deutschen und
internationalen Gruppen durchgeführt. Allerdings wurden immer nur qualitative Bilder erhoben,
weil zunächst nicht an eine Auswertung im Sinne einer wissenschaftlichen Arbeit gedacht war.
Dennoch hat die Befragung eine gewisse Aussagekraft, weil sie bisher ohne Ausnahme reprodu-
zierbar war.
26 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors

Tab. 2-1: Befragungsschema zur Agenda 21


Nr. Frage Nachfrage/Antwort Positiv beantwortet
1 Haben Sie den Begriff A21 schon Ja/nein 66 – 90 %63
einmal gehört?
2 Haben Sie eine Vorstellung, was Allgemeine Kurzbeschreibung 30 – 70 %
die A21 ist?
3 Haben Sie schon einmal eine Zu- Welche Quelle, was war der 10 – 50 %
sammenfassung gelesen? Inhalt?
4 Haben Sie die A21 im Original Ja, nein, bei welcher Gelegen- 0–5%
schon einmal gesehen (ca. 230 heit, in welcher Sprache, wie
Seiten) bzw. gelesen? kam’s dazu?
5 Wer kann mit den Begriffen Definition, Übersetzung in die 10 – 80 %64
„Nachhaltigkeit“ und „Partizipati- jeweilige Heimatsprache, Um-
on“ etwas anfangen? setzung im Heimatland?
6 Welche Bedeutung hat die Agen- Ethik, kommunale Agenda, 0 – 80 %64
da21 für Ihre praktische Arbeit simple Partizipation, operatives
Modul mit höher generierter
Partizipation (sehr selten)

Obwohl diese Umfragen wegen der insgesamt geringen Zahl der Befragten (seit 1996 ca. 500
Fachleute) sicher nicht repräsentativ sein können, ergibt sich doch ein qualitatives Bild:
In Westeuropa ist die A21 zwar regelmäßig bekannt, der Grad der bewussten(!) Beschäfti-
gung ist aber außerhalb eines engen Expertenkreises gering.
In Osteuropa und dem Gebiet der GUS-Staaten ist die A21 regelmäßig eher unbekannt. So
kannte von einer Delegation von mehreren Fachleuten und Kommunalpolitikern aus Belarus
niemand auch nur den Begriff A21, zwei von 15 Teilnehmern hatten wenigstens über „Nachhal-
tigkeit“ schon gehört. Noch deutlicher wird das Bild bei Umfragen unter Gästen aus Zentral-
asien, (z. B. Kasachstan, Usbekistan, Georgien) wo die A21 auch unter vielen Wasserfachleuten
regelmäßig unbekannt ist. Eine ganz andere Situation besteht in Lateinamerika. In Mexiko und
noch viel mehr in Brasilien wird grundsätzlich intensiv auf die A21 Bezug genommen. Es gibt
kein Projekt und keine staatliche Planung, die nicht wenigstens nominell auf die A21 Bezug
nehmen. Die Partizipation wird sehr umfänglich gepflegt. Allein die große Präsenz des Begriffes
in den Medien (z. B. im größten Fernsehsender GLOBO) ist ein deutlicher Hinweis.
In Deutschland ist eine unmittelbare Bezugnahme auf die Prinzipien der A21 im operativen
Geschäft selten, kommt aber vor. So werden die Prinzipien der A21 in Bayern in der ländli-
chen Entwicklung angewandt65. In der Wasserwirtschaft findet seit ca. 1998 eine gezielte Be-
schäftigung mit der A21 statt66. Ein direkter Bezug auf die Nachhaltigkeitskriterien wird aktu-
ell z. B. im Hochwasserschutzprogramm 2020 genommen.67

63
In einem Fall 2005 wurde die Frage von Vertretern eines lateinamerikanischen Inselstaates verneint,
ansonsten sind Gruppen aus Lateinamerika immer mit dem Begriff vertraut gewesen
64
Die große Schwankungsbreite liegt an den Teilnehmern aus Ländern, die sehr starke Partizipative
Prozesse pflegen. Der Zusammenhang mit der Agenda 21 ist dort mindestens genauso populär wie in
Deutschland die kommunale Agenda.
65
Magel 1998
66
z. B. im Rahmen von Dienstbesprechungen für die Führungskräfte der Wasserwirtschaft im Jahr 1998
in Regensburg, Nürnberg und München. (s.a. Grambow 1998)
67
Ministerratsbeschluss zur Fortschreibung des Programms 2020 vom Dezember 2004
2.1 Schwerpunkt Ökologie: Agenda 21 als integraler Lösungsansatz für den Wassersektor 27

Generell kann man aber auch heute noch feststellen, dass der A21 in Fachkreisen der Wasser-
wirtschaft mit unterschiedlich ausgeprägter Zurückhaltung begegnet wird. In der fachlichen
Anwendung wird in der A21 kein großer Vorteil gesehen.
Die Privatwirtschaft nutzt den Begriff der Nachhaltigkeit intensiv, vor allem im Bereich
der großen Konzerne. Hier etabliert sich die Nachhaltigkeit als deutliche Positionierung und
Unterscheidung zum ‚Kurzzeit-shareholder-value’ (möglicherweise auch als Reaktion auf
den Börseneinbruch der new economy Anfang des Jahrzehnts). Das in der Industrie viel
verwendete Integrierte Management hat durch die Qualität – ISO 9000, die Ökologie – ISO
14000 und die Arbeitssicherheit sogar eine hohe Ähnlichkeit mit den Tripel-Belangen (vgl.
Abbildung 2-7).

Ökologisch nachhaltig

Umwelt
ISO 14000

Arbeits- Qualität
sicherheit ISO 9001ff

Sozial Ökonomisch
ausgewogen effizient

Abb. 2-7: Synopse von Business-Management und Agenda 21

2.1.1.5 Agenda 21 als integriertes Managementsystem


Eine eingängige Lesart der A2168 unterscheidet im ersten Hauptblock sozial-kulturelle sowie
ökonomische Ziele in Abschnitt I und „technische“ Ziele des Umweltsektors im Abschnitt II;
im zweiten Hauptblock beschäftigen sich die Abschnitte II und IV mit dem Prozess, den Betei-
ligten und den Methoden, die zu nachhaltigen Konzepten führen (vgl. Abbildung 2-8). Das
Besondere der A21 ist also, dass sie nicht nur die sachlichen Ziele vorgibt, sondern auch den
Prozess beschreibt, der zu diesen Zielen führt.

68
vom Verfasser für das Projekt internationaler Technologietransfer Wasser entwickelt: eins der Ziele
des Projektes TTW bestand darin, die A21 zur vertrauten Materie und zum „working tool“ in der in-
ternationalen Projektarbeit bayerischer Beratungsbüros zu machen.
28 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors

Agenda 21

Ziel Prozess
Abschnitt I 2-8 Abschnitt II 9 - 22 Abschnitt III 23 - 32 Abschnitt IV 33 - 40
Gesellschaftliche * und “Beteiligung der
“Technische Ziele” “Geld und Know-how”
wirtschaftliche Dimension wichtigen Gruppen“

z.B. z.B. z.B. z.B.

Armutsbekämpfung Kap. 3 Erdatmosphäre Kap. 9 Frauen Kap. 24 Finanz. Ressourcen Kap. 33


Technologietransfer
Konsumgewohnheit Kap. 4 Boden Kap. 10 Kinder/Jugend Kap. 25

Gesundheit Kap. 6 Landwirtschaft Kap. 14 Verbände Kap. 27 Technologietransfer Kap. 34


Schulbildung,
Bewusstsein Kap. 36
Siedlungsentwicklung Kap. 7 Wasser Kap. 18 Kommunen Kap. 28

Entscheidungs- Privatwirtschaft Kap.30


findung Kap. 8
Wissenschaft
* bessere Übersetzung für “social factor” und Technik Kap. 31

Stand: Januar 2003


Martin Grambow TTW

Abb. 2-8: Inhalt der Agenda 21, sortiert nach zwei Hauptblöcken „Ziel“ und „Prozess“

Agenda 21, Kap. 8

Integration von Umwelt- und Entwicklungszielen


in die Entscheidungshilfen (Kap. 8)
Randbedingungen

Gesellschaftliche Gruppen z.B.

Ökologie

Frage- Entscheidungs-
stellung veratwortlicher

Soziales
(Responsibility)

(gesellschaftl.) Ökonomie

Entscheidung in Richtung Nachhaltigkeit

Stand: Januar 2003


Martin Grambow TTW

Abb. 2-9: Agenda 21 als Managementmodell


2.1 Schwerpunkt Ökologie: Agenda 21 als integraler Lösungsansatz für den Wassersektor 29

Die A21 nennt aber nicht nur die einzelnen Interessensfelder, sondern entfaltet als Ganzes gese-
hen die Wirkung eines Managementtools. Durch die Verbindung der zwei Hauptblöcke entsteht
ein universelles, dynamisches Managementmodell für Umweltfragen (vgl. Abbildung 2-9), das
auf den Tripel-Belangen Ökologie, Ökonomie und Soziales sowie der Partizipation basiert.
Es wird von einem geschlossenen Regelkreis zwischen den gegebenen (Problem- und Lö-
sungs-) Parametern und den zur Problemlösung aufgerufenen Kräften (Verantwortliche und
Beteiligte) ausgegangen:
• Der Ausgangspunkt ist der Tripel-Ansatz der Hauptbelange Ökologie, Ökonomie und Sozia-
les. Nach dieser Lesart setzt sich jedes ernstzunehmende reale Problem aus diesen drei Säulen
zusammen, es differieren lediglich die Anteile. Eine Analyse muss die Problemdiskussion ge-
ordnet nach diesen drei Hauptbelangen enthalten. Bedeutend ist, die komplexen Problemver-
knüpfungen zu identifizieren. Es entstehen dadurch typische Strukturierungen wie in einer
mind-map. Damit entstehen Problemlagen 1. bis n-ter Ordnung, deren Bestimmung solange
vorgenommen wird, bis der Einfluss auf das Problem unter einen zu wählenden Wert fällt.
• Diese Analyse gibt die Rahmenbedingungen, geordnet nach den Hauptbelangen, vor.
• Die Problemlösung ist Sache des Verantwortlichen (Staat, Kommune, Betreiber). Nach
dem Grundsatz der Partizipation wird aber die Gruppe der Beteiligten (Stakeholder) in die
Entscheidungsfindung miteinbezogen. Der Verantwortliche wird damit nicht aus der Ver-
antwortung entlassen, sondern kann lediglich durch die Beteiligung die Qualität der Analy-
se verbessern (u. a. durch Implementierung ansonsten schwer zu erfassender regionaler und
kultureller Einflüsse). Durch diesen partizipativen Prozess wird das Know-how der Stake-
holder zusätzlich eingespeist, ein Nebeneffekt ist eine höhere Akzeptanz.
• Die Gesamtgruppe – bestehend aus dem Verantwortlichen und den Stakeholdern – ist in
ihrer Entscheidung prinzipiell vollkommen frei mit der Einschränkung, dass die gefundene
Lösung nachhaltig sein muss! Darin wird postuliert, dass jede nachhaltige Lösung sich fast
zwangsläufig wiederum auf die drei Bereiche Soziales, Ökonomie und Ökologie erstreckt.
Damit werden auch Wirkungen 1. bis n-ter Ordnung erzeugt werden. Diese Wirkungen
sind ebenfalls bis zu einer gewählten Wirkungsgrenze zu prognostizieren.
• Dieser Prozess wird so lange theoretisch iterativ durchgespielt, bis eine befriedigende nach-
haltige Lösung gefunden ist.

2.1.2 IWRM (Definition)


Die Erkenntnisse der A21, im Wesentlichen die Nachhaltigkeit, die Integralen Ansätze der
Tripel-Belange sowie die Prinzipien der Partizipation sollten in den Jahren nach Rio auf den
Wassersektor übertragen werden. Zur Entwicklung und Umsetzung eines Konzepts wurde
durch die UNEP und die Weltbank eigens die Institution Global Water Partnership (GWP)
gegründet. Die Theorie des „Integrierten Wasser-Ressourcenmanagements“ (IWRM) wurde im
Wesentlichen vom Technical Advisory Commitee (TAC), einem wissenschaftlichen Gremium
der GWP, entwickelt.
Das IWRM vollzieht den klaren Schritt aus der sektoralen Betrachtung in die integrierte Be-
trachtung hinein. Eine Verfeinerung erfährt das Integrated Water Ressource Management
durch die detaillierten, praktischen Handlungsanweisungen wie zum Beispiel der „tool box“69
und weiteren unter Federführung der GWP entwickelten Status- oder Verhaltenspapieren.

69
Global Water Partnership, The Tool Box, Stockholm 2002, www.gwpforum.org
30 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors

Definiert wurde IWRM als “a process which promotes the co-ordinated development and
management of water, land and related resources, in order to maximise the resultant eco-
nomic and social welfare in an equitable manner without compromising the sustainability
of vital ecosystems”70

Der Begriff der Integration steht laut TAC im Gegensatz zum traditionell fragmentierten Ma-
nagement. Es wird zwischen der Integration des Natursystems mit seinem kritischen Einfluss
auf die Ressourcenverfügbarkeit und Qualität sowie des Gesellschaftlichen (anthropogenen)
Systems mit seinem Einfluss auf die Ressourcennutzung, die Abfallerzeugung und Ressour-
cenverschmutzung unterschieden. Als konkrete Felder der Integration werden angegeben71:
Natursystem (Natural system integration):
• Integration von Süßwassermanagement und Küstenzonen
• Integration von Land- und Wassermanagement
• „Grünwasser“ (in Landwirtschaft und Terrestrischen Ökosystemen) und „Blauwasser“ in
Flüssen und Seen
• Integration von Oberflächen- und Grundwasser
• Integration von Quantität und Qualität der Ressource
• Ober-Unterlieger Relationen und Interessen
Gesellschaftliches (anthropogenes) System (Human system integration):
• [Bewusste, konkrete] gesellschaftliche Etablierung der Wasserressource (mainstreaming of
Water resources), die sich aus der praktisch global bestehenden komplexen Verknüpfung
des Wassersektors mit allen übrigen Sektoren ergibt
• Transsektorale Integration in der nationalen politischen Entwicklung
• Makro- Ökonomische Effekte
• Politische Grundprinzipien
• Beeinflussung von ökonomischen Entscheidungen
• Stakeholderintegration
• Integration von Wasser- und Abwassermanagement
• Akzeptanz von generellen Kriterien (Wie Effizienz, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit)
• Besondere Elemente, wie Umweltpolitik, Rolle der Institutionen und Managementinstrumente)
Der Katalog der TAC versucht, alle Parameter des komplexen Bereiches anzusprechen, er-
scheint aber etwas heterogen. Im Rahmen dieser Arbeit werden die wesentlichen Argumente
aufgenommen, auf die Diskussion der Struktur aber zugunsten einer modifizierten Vorge-
hensweise in Abschnitt 3 verzichtet.
Heute ist IWRM ein universeller Fachbegriff geworden, der im wesentlichen die Umsetzung der
Prinzipien der A21 und der darauf fußenden UN Papiere auf dem Wassersektor meint und der
zumindest im internationalen Raum mit großer Selbstverständlichkeit in Diskussionen zum The-
ma Wasser verwendet wird. Man könnte deshalb in einer Übersetzung auch einen Begriff wie
„gute Bewirtschaftung der Ressource“ verwenden. IWRM ist als Grundprinzip der Wasser-
bewirtschaftung heute Stand der Technik. Die Definitionen der genauen Inhalte, mehr noch
der Umsetzungsmethoden, differieren aber je nach Quelle unter Umständen sehr deutlich.

70
GWP 2000, S.22
71
ebenda, S. 22 – 31
2.1 Schwerpunkt Ökologie: Agenda 21 als integraler Lösungsansatz für den Wassersektor 31

2.1.3 United Nations: Millennium Development Goals


Die Millennium Development Goals (MDGs) wurden im September 2000 als wesentlicher
Beitrag des UN-Millennium Summit (der weltweiten Versammlung der Staatschefs), New
York, beschlossen. Sie sind der Ausdruck eines integrierten Vorgehens der Vereinten Nationen
gegen die größten globalen Probleme.

Millennium Development Goals


• Bekämpfung der extremen Armut
• Grundbildung für alle
• Gleichberechtigung und Stärkung der Frauen
• Verringerung der Kindersterblichkeit
• Gesundheit für junge Mütter
• Aidsbekämpfung
• Nachhaltige Umwelt
• Globale Entwicklungspartnerschaft

Tafel 1: Die acht Millennium Development Goals der Vereinten Nationen

Seit Gründung der Vereinten Nationen ist die Bekämpfung der extremen Armut dort als
Hauptziel genannt72. Die Armutsbekämpfung beginnt bei der Erfüllung der „absolute basic
needs“, der unverzichtbaren Grundbedürfnisse wie Trinken, Essen und eine wenigstens mini-
male Gesundheitsversorgung73. Auf dieser Grundversorgung können weitere Bausteine eines
menschenwürdigen Daseins aufgebaut werden, insbesondere Bildung, Gleichberechtigung und
Verbesserungen der wirtschaftlichen Situation. Die Umweltbedingungen wirken indirekt, aber
massiv auf die Belange der Armutsbekämpfung ein. Der Sektor Wasser hat folglich in mehrfa-
cher Hinsicht eine Bedeutung für alle Ziele der MDGs74.
Die Wasserinfrastruktur selber ist in den MDG Teil des Zieles 7 (nachhaltige Umwelt). Als
Unterziel ist hier aufgeführt:
Halbierung der Anzahl der Menschen ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser bis 2015
Die MDGs hatten zunächst den Bereich Abwasserentsorgung nicht eigens erwähnt, obwohl die
Gesundheitsziele, aber auch die weiteren Umweltziele ohne geordnete Abwasserentsorgung
nicht zu erreichen sind. Dieser Mangel wurde auf dem Summit in Johannesburg 2002 durch
Ergänzung des ursprünglichen Zieles beseitigt:
Bis 2015 Halbierung der Anzahl der Menschen ohne Zugang zu Abwasserentsorgung (Jo-
hannesburg und Kommentar der UNDP)
Die Einschränkung der Ziele auf eine Halbierung wurde vorübergehend von einigen Verbän-
den als zu schwach diskutiert75. Tatsächlich ist dieses Ziel aber äußerst ehrgeizig. Eine simple

72
Nach Definition der UN gilt als arm, wer über ein Familieneinkommen von unter 2 US$ pro Tag
verfügt. Unter dieser Schwelle leben heute ca. 1,5 Milliarden Menschen [Quelle: UN].
73
UN 2005, S.19
74
ebenda
75
Auf dem Secound World Water Forum in Den Hag März 2000 wurden diese beiden Ziele bereits im
Bericht „VISION 21: A Shared Vision for Hygiene, Sanitation and Water Supply and A Framework
for Action: Achieving a Vision by the GWP“ festgelegt. Als drittes Ziel war genannt: “by 2025, to
provide water, sanitation, and hygiene for all” [McGranahan 2003 S. 49]
32 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors

Berechnung ergibt, dass, um dieses Ziel zu erreichen, weltweit pro Tag ca. 250.000 Menschen
zusätzlich Zugang zur Trinkwasserversorgung bekommen müssten, für 450.000 Menschen
müsste täglich zusätzlich die Frage der Abwasserentsorgung gelöst werden. Auch wenn man
davon ausgeht, dass die dafür vorzusehenden Standards nicht mit der öffentlichen Wasserinf-
rastruktur in Deutschland vergleichbar sein können, sind diese Zahlen aus technischer, aber
auch aus finanzieller Sicht beeindruckend. Dabei ist die ordnungsgemäße Abwasserentsorgung
sogar noch die größere Herausforderung.
Viele Länder, darunter Deutschland, haben entwicklungspolitische Weichenstellungen analog
der MDG vorgenommen. Das Bundeskabinett hat am 4. April 2001 ein „Aktionsprogramm
2015“ beschlossen, das die deutschen Maßnahmen zur Umsetzung der MDG enthält. Schwer-
punkt ist die Armutsbekämpfung (Tafel 2), die Umwelt kommt – wie auch in den MDGs – nur
am Rande vor.

• Die wirtschaftliche Dynamik und die aktive Beteiligung der Armen erhöhen
• Das Recht auf Nahrung verwirklichen und Agrarreformen durchführen
• Faire Handelschancen für die Entwicklungsländer schaffen
• Verschuldung abbauen und Entwicklung finanzieren
• Soziale Grunddienste gewährleisten und soziale Sicherheit stärken
• Zugang zu lebenswichtigen Ressourcen sichern und eine intakte Umwelt fördern
• Menschenrechte verwirklichen und die Kernarbeitsnormen respektieren
• Die Gleichberechtigung der Geschlechter fördern
• Die Beteiligung der Armen am gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichem Leben si-
chern und verantwortungsvolle Regierungsführung stärken
• Konflikte friedlich austragen und menschliche Sicherheit und Abrüstung fördern

Tafel 2: Aktionsprogramm 2015 der Bundesrepublik Deutschland

Im Vergleich dazu hat der Kongress von Johannesburg im Sommer 2001 den Fokus der Um-
setzung der MDG mehr auf die „physikalischen Grundlagen“ der Armutsbekämpfung gelegt –
aus der Sicht der Nachhaltigkeit ein logischer und notwendiger Schritt. In der Konsequenz
wurde das Aktionsprogramm 2015 durch die Mitzeichnung der Bundesrepublik um einen Teil
„Aktionsplan von Johannesburg“ ergänzt, der folgende Zielsetzungen nennt:

• Der Anteil der Menschen ohne sicheren Zugang zu sauberem Trinkwasser und der Anteil der
Menschen ohne Zugang zu Kanalisation soll bis 2015 halbiert werden.
• Der Anteil erneuerbarer Energien am Primärenergieverbrauch soll „dringend“ gesteigert werden
• Staaten, die das Klimaschutz-Protokoll von Kyoto noch nicht ratifiziert haben, sollen dies nach-
holen.
• Umweltschädliche Subventionen sollen abgebaut werden.
• Das Artensterben in der Tier- und Pflanzenwelt soll bis 2010 deutlich verlangsamt werden.
• Der Verlust der natürlichen Ressourcen soll gestoppt werden.
• Die negativen Auswirkungen auf Mensch und Natur bei der Produktion und dem Gebrauch von
Chemikalien sollen bis zum Jahr 2020 „minimiert“ werden.

Tafel 3: Aktionsplan von Johannesburg


2.1 Schwerpunkt Ökologie: Agenda 21 als integraler Lösungsansatz für den Wassersektor 33

Aufgrund dieses Aktionsplanes hat sich die EU in ihrem Programm „Water for Life“76 ver-
pflichtet, ab dem Jahr 2002 pro Jahr eine Milliarde Euro im Wassersektor zu investieren (Eu-
ropean Water Initiative), die USA haben 970 Mio. $ versprochen, die Asian Development
Bank 500 Mio. $.77
Die Umsetzung der MDG innerhalb der UN ist Sache aller Unterorganisationen, also im Was-
sersektor vor allem der UNEP (Environmental Program), UNDP (Development Program),
UNCCD (Commission for Combating Deserts), UNESCO und der UNECs (Economic Com-
mission). Insgesamt sind mehr als zwei Dutzend UN-Organisationen im Wassersektor enga-
giert, was zwar die Bedeutung des Sektors unterstreicht, aber auch zu Abstimmungsproblemen
und Kompetenzdiskussionen führt.78
Ergänzend zu den eigenständigen Handlungsfeldern ist die UN an verschiedenen internationa-
len Institutionen beteiligt beziehungsweise hat deren Gründung unterstützt, um den globalstra-
tegischen Ansatz der MDG breit implementieren zu können. Auf dem Wassersektor ist als
wichtige Organisation die Global Water Partnership (GWP)79 (deren zweiter Pate die Welt-
bank ist) und das Water Supply and Sanitation Collaborative Council (WSSCC)80 sowie das
World Water Council (WWC)81 zu nennen. Seit 2000 ist darüber hinaus im Auftrag des Gene-
ralsekretariats und der UNDP das Millennium Project mit seinen Task Forces installiert, darun-
ter die UN Millennium Project Task Force on Water and Sanitation.
Strategische Allianzen unterhält die UN mit allen internationalen Entwicklungsbanken, insbe-
sondere der Weltbankgruppe.
Die Weltbank überwacht den Fortschritt im Rahmen ihrer strategischen Überlegungen. Eine
aktuelle Einschätzung82 sagt aus, dass 1991 bis 2000 täglich 210000 Menschen an die Wasser-
versorgung und 205000 an die Abwasserentsorgung angeschlossen werden konnten. Für die
Jahre 2001 bis 2015 seien diese Zahlen auf 250 Tsd. (Wasserversorgung) bzw. 340 Tsd. (Ab-
wasserentsorgung) zu vergrößern. Nach diesem Bericht werden allerdings nur in 20 % der
Entwicklungsländer und in 10 % der ärmsten Länder die gesteckten Ziele erreicht (vgl. auch
die Berichte der UN83).
Bei den verbleibenden 80-90 % wird es schwierig sein, den Rückstand aufzuholen. Es gibt
eine wachsende Diskussion, ob diese Ziele überhaupt noch realistisch sind. GOLDMAN et al.
werten 2005 die bisherigen Zahlen bezogen auf die Einwohner aus und kommen zu dem Er-
gebnis, dass nur bei 8 % der Länder eine Erfüllung des Wasserzieles (goal 7 target 10) wahr-
scheinlich ist, bei 83 % unsicher (77 %) oder unwahrscheinlich (6 %)84.

76
EU Water Initiative, 10th Multi-Stakeholder Forum (MSF) Meeting, 16 March 2004, Brussels,
DRAFT MINUTES, http://europa.eu.int/comm/research/water-initiative/index_en.html, auf Basis des
6. Aktionsprogramms der EU ‘Umwelt 2010: Unsere Zukunft liegt in unserer Hand’, 2001, KOM
(2001) 31 endgültig
77
McGranahan 2003, S. 47
78
UN 2005 S. 42
79
http://www.gwpforum.org/servlet/PSP
80
http://www.wsscc.org/home.cfm?CFID=736616&CFTOKEN=93667050
81
http://www.worldwatercouncil.org/
82
Saghir, J., Director Energy and Water, Consultation: Working together to accelerate progress towards
the Health & Nutrition MDGs , 4 February 2003
83
UN Millennium Development Goals, Progress Report 2004,
www.un.org/millenniumgoals/mdg2004chart.pdf
84
Goldmann , Wright 2005, Poverty and Millennium Development Goals, Hg. Worldbank, Washington
34 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors

Das Englische Überseeinstitut (ODI) und der UK Parlaments All Party Group on Development
(APGOOD) sehen die Situation ähnlich kritisch und erklären das Jahr 2005 zum Schicksals-
jahr („recognized as a year of destiny for the world“), weil nur noch in diesem Jahr ein Durch-
bruch ein Erreichen der Ziele bis 2015 ermöglichen würde85.
Dabei sollte man sich bewusst sein, wie sehr die Erreichung der Wasserziele Grundlage für
einen Erfolg der gesamten MDGs ist. Ein offensichtlicher Zusammenhang besteht insbesonde-
re bei allen Themen, die mit Gesundheit zu tun haben. Dabei hat der zunächst vergessene Ab-
wasserbereich eine besondere Bedeutung86. Hier hat seit 2002 ein Paradigmenwechsel stattge-
funden. Durch Aktionen wie die 2001 begonnene internationale Kampagne für Wasser, Ab-
wasser und Hygiene (WASH87) durch die 1992 gegründete WSSCC wurde die Bedeutung des
Abwassersektors enorm gestärkt. Mit dem Bericht „Listening“ wurde in fast aggressivem Ton
ein Überdenken der weltweiten Haltung zum Abwassersektor gefordert: „Billions of dollars
have been spent in an unsuccessful search for weapons of mass destruction in Iraq; yet the
most deadly biological weapon of mass destruction ever known, is human excrement – shit –
which, along with a lack of safe water, is the world's number one health problem. The problem
has been around, and known, for decades. So why has so little progress been made? Why does
a lack of safe water and sanitation continue to kill 6000 children every day and cause half the
world's poor to be sick at any given moment?”88
Bei der Arbeit mit den MDGs muss beachtet werden, dass die Zahlenbasis nicht ganz verläss-
lich ist. Das allgemeine Problem der Evaluierung von Wasserdaten wird noch näher in (S.127)
behandelt. Die Zahlen der Evaluationen der MDGs werden von SATTERTHWAITE89 kritisch
betrachtet. Er zieht in Zweifel, ob es überhaupt seriöse Zahlenwerke zum Ziel „sustainable
access to safe drinking water“ gibt und bezieht sich u. a. auf Aussagen der Weltgesundheitsor-
ganisation (WHO) und der UNICEF. Die gleiche Situation sieht er beim Bereich „Sanitation“.
Dabei vermutet er die größte „Dunkelziffer“ in den Städten.
Zum Teil liegt die Verunsicherung in den Definitionen. Die MDGs setzen tatsächlich keine
quantitativen Ziele, sondern sprechen von „Target 10: Halve, by 2015, the proportion of peo-
ple without sustainable access to safe drinking water and basic sanitation“.90
Daneben wird in den Zahlenwerken der UN zunehmend der Ausdruck “improved” – also „bes-
sere“ – verwendet (JMP)91, was u. U. als Aufweichung der Standards verstanden werden kann.
Deshalb definiert die WSSCC: “A person is said to have access to “improved” water supply if
the person has access to sufficient drinking water of acceptable quality as well as sufficient
quantity of water for hygienic purposes.”92
Das gleiche Problem gibt es bei Abwasser: Der JMP-Bericht verwendet ebenfalls „improved“
statt „basic“. Hier wählt die WSSCC die Definition: “Access to, and use of, excreta and waste-
water facilities and services that provide privacy and dignity while at the same time ensuring a

85
Bird et al. 2005, S.16
86
Aus diesem Grunde wird dieser auch in den Statistiken der Evaluierung inzwischen als MDG- Ziel
mitgeführt
87
WSSCC 2004a
88
WSSCC 2004, S.3
89
IIED 2003, S 34ff
90
MDGs
91
Die Terminologie basiert auf dem JMP Report 2000, ein von der WHO / UNICEF gegründetes Joint
Monitoring Programm, hier zum Thema „Global Water Supply and Sanitation Assessment 2000“
92
UN 2003
2.2 Schwerpunkt Ökonomie: Kosten und Finanzierung im Wassersektor 35

clean and healthful living environment both at home and in the immediate neighborhood of
users.”
Diese Definitionen sind zwar klarer, letztlich sind die Angaben aber doch nur qualitativ, was
sowohl Kostenschätzungen erschwert als auch vielleicht die bislang kommunizierten Erfolgs-
quoten relativiert.
Die MDGs gelten unabhängig von Detailproblemen als primäre Ziele in den zu entwickelnden
Ländern. Die Industrieländer sind als Geld- und Wissensgeber gefragt. Die meisten mit Ent-
wicklungshilfegeldern bezahlten Projekte zielen auf die Erfüllung der MDGs ab. Inwieweit die
MDGs erreichbar sind, ist derzeit offen. Die im Zusammenhang mit den MDGs international
entwickelten Ansätze sind aber für alle, die entsprechende Projekte durchführen, von Belang.
Die Bedeutung der „Wasserziele“ nimmt aber laufend zu, wie die WHO 2005 ausführt: “It is
not hard to see why providing access to safe drinking water and basic sanitation for the
world’s most deprived populations is moving up the political agenda. With 2.6 billion people
recorded as lacking any improved sanitation facilities in 2002 and 1.1 billion of them without
access to an improved drinking water source, the resulting squalor, poverty and disease hold
back so many development efforts.”93

„somebody has to pay for“


amerikanisch

2.2 Schwerpunkt Ökonomie: Kosten und Finanzierung im


Wassersektor
In der Struktur- und Projektplanung sind Finanzierung, Geld und Kosten überragende Fakto-
ren:
• Wasserinfrastruktur kostet immer Geld und muss in jedem Falle bezahlt werden.
• Der „Geldmangel“ für Maßnahmen im Investitionsbereich ist in den meisten Diskussionen
der Dreh- und Angelpunkt. Differenziert betrachtet geht es aber nicht nur um den Geld-
mangel an sich, sondern immer auch um die Effizienz bzw. um Kosten-Nutzen Verhältnis-
se.
• Der Wassersektor ist immer auch eine Leistung des Gemeinwohles. Das Problem ist die
gerechte Verteilung der Kosten dieser Gemeinwohlleistungen. Der private oder öffentliche
Wassersektor alleine kann die Sozialkosten wie die Versorgung der ärmsten Bevölke-
rungsgruppen nur bedingt übernehmen (financial burden sharing).
• Bestimmte Rahmenbedingungen haben Einfluss auf die Kosten. Dazu gehören „gesamtge-
sellschaftliche, anthropogene Lasten“ wie die Umweltverschmutzung, aber auch geogen
vorgegebene Bedingungen (z. B. Trockengebiete). Ein Sonderfall der anthropogenen Las-
ten sind unpraktische Gesetze bzw. andere an auf die volkswirtschaftlichen Effizienz nega-
tiv wirkende Faktoren.
• Besonders in Entwicklungsländern ist die Finanzierung auch eine Aufgabe des internatio-
nalen Finanztransfers, der bilateral oder durch die internationalen Finanzierungsfazilitäten
wie z. B. der Weltbankgruppe stattfindet. Im Hintergrund wirken sich die internationalen

93
WHO/UNICEF 2005, S.4
36 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors

Finanzierungssysteme einschließlich der internationalen Schuldensysteme deutlich auf den


weltweiten Wassersektor aus.
• Gleichzeitig haben internationales Finanzgebaren und wirtschaftsphilosophische Ansätze
einen erheblichen Einfluss auf den Wassersektor. Nicht zuletzt ist der Wassersektor ein be-
deutender Wirtschaftsbereich, mit allen Konsequenzen.
Der Einfluss der Finanzierungsfragen soll auf diesen Grundannahmen basierend diskutiert
werden.

2.2.1 Was kostet der Wassersektor?


Die Agenda 21 hat keine verbindliche Kostenübersicht aufgestellt, nennt aber in jedem Pro-
grammbereich Kostenschätzungen. Aus der Diktion der A21 ist zu schließen, dass damit die
weltweiten Kosten, allerdings ohne Berücksichtigung der Industrienationen, gemeint sind. Für
alle Umwelt-Aktivitäten ergibt sich eine Summe von ca. 600 Mrd. $ pro Jahr (Stand 1992!). Zählt
man die Maßnahmen im Bereich Wasser zusammen, kommt man auf ungefähr 115 Mrd. $ pro
Jahr, davon ca. 55 Mrd. $ für Süßwasserinfrastruktur, 40 Mrd. $ für Gesundheitsmaßnahmen und
20 Mrd. $ für die Integrierte Entwicklung und den Schutz von Wassereinzugsgebieten. Der
Camdessus-Report94 wurde im Auftrag der GWP und der Weltbank 2003 aufgestellt. Dort geht
man von einem jährlichen Bedarf von mindestens 180 Mrd. US $ für Investitionen auf dem Was-
sersektor aus. Der derzeitige tatsächlich stattfindende Mitteleinsatz wird auf knapp 80 Mrd. $
geschätzt. Diese Zahlen gelten auch für alle in Entwicklung befindlichen Staaten, dort im Grunde
für die Erfüllung der MDGs. Das Millennium Project95 der UN geht von 51 – 102 Mrd. $ für
Wasserversorgung und 24 – 42 Mrd. $ für Abwasserentsorgung aus. Auffällig sind die niedrig
angesetzten Kosten für Abwasser. Die wesentliche Aussage dort ist, dass eine Kostenschätzung in
diesem Bereich nur eine Größenordnung angeben kann96. Die Wirtschaft97 schätzt den Gesamt-
wassermarkt jährlich auf bis zu 600 Mrd. $, davon ca. 65 Mrd. $ in den Entwicklungsländern.
Diese Zahlen enthalten allerdings Investitionen für Kraftwerksbauten.
Diese Differenzen sind erklärbar. Eine genauere Abschätzung der Kosten scheitert bereits an
der schwachen Datenlage und einer klaren Definition der qualitativen Ziele. Die Diskussion
um die Quantifizierung der MDGs (s. o.) hat dies gezeigt. Entsprechend schwierig ist es, dar-
aus verlässliche Kostenschätzungen abzuleiten. Besonders kritisch ist es, wenn die Kosten
erheblich zu niedrig angesetzt sind. Damit stünde der Gesamterfolg (wie bei allen unterfinan-
zierten Projekten) in Frage, die so kalkulierten Vorhaben, unter die in der Summe auch die
MDGs fallen, hätten also im Grunde von Anfang an keine Chance auf Erfolg.
Um dieser Frage nachzugehen, soll eine überschlägige Kostenermittlung in einem Vergleich
mit der Wasserinfrastruktur im Industriestandort Bayern vorgenommen werden98. Der öffentli-
che Wassersektor in einem hoch industrialisierten Land besteht im Wesentlichen aus

94
Camdessus, Winpenny 2003
95
UN 2005, S. 29
96
außerdem wird dort der Vergleich angestellt, dass bei Annahme durchschnittlicher Jahreskosten von
6,8 Mrd.$ für Wasser weniger als die Hälfte dessen aufgewendet werden soll, was in Europa und
USA für Haustierfutter ausgegeben wird! (ebenda)
97
Thorbrietz 2000, S. 16
98
In die Kalkulation werden keine Kosten durch etwaige Schadensereignisse wie Flut, Trockenheit,
Grundwasserschäden oder durch wasserbedingte Krankheiten eingerechnet. Diese kämen rechnerisch
einem Nutzen (= verhinderter Schaden) gleich.
2.2 Schwerpunkt Ökonomie: Kosten und Finanzierung im Wassersektor 37

• dem Sektor Wasserversorgung und Abwasserentsorgung,


• dem Wasserbau an öffentlichen Gewässern und
• den Monitoring-(Assessment) und Vollzugskosten,
Belastbare Zahlen für Bayern finden sich im Staatshaushalt, hier überwiegend beim Umwelt-
ressort99. Die darin genannten Leistungen erfassen die Kosten für die Begutachtung und Ü-
berwachung wassergesetzlich erlaubnispflichtiger Tatbeständen, Zuwendungen im Wasserver-
sorgungs- und Abwasserbereich, Bautätigkeit an den staatlichen Gewässern, Zuwendungen an
Nichtstaatlichen Gewässern sowie die Kosten der Verwaltung selber. In der nachfolgenden
Tabelle 2-2 sind nur größere Positionen aufgeführt, die ca. 90 % der Gesamtaufwendungen
widerspiegeln. Die Hauptanteile des Umsatzes werden im Rahmen der (kommunalen) Leistun-
gen der Siedlungswasserwirtschaft erbracht. Als einfacher Rechenansatz sind hier durch-
schnittliche Gebühren100 für Wasser (1,00 EUR/m3) und Abwasser (2,00 EUR/m3) bei ca. 800
Mio. m3 Verbrauch pro Jahr angesetzt.
Industrielle Leistungen wie Vorklärung, Eigenwasserversorgung u. Ä. sind in dieser Kalkula-
tion nicht enthalten.

Tab. 2-2: Kosten der Wasserinfrastruktur in Bayern: Schätzung der Größenordnung


Bereich Detailbereich [Mio. EUR] Bemerkungen
Staat, StMUGV Rechtsvollzug, Sach- 100 Betreiben der staatlichen Wasserwirt-
verständige, Personal schaft
Zuwendungen Was- 175 Schwankend. Geht zurück
serversorgung und
Abwasserentsorgung
Wasserbau Investitio- 220 Einschließlich rund 25 % EU Mittel,
nen Programm 2020 + Anlagenwert von ca. 10 Mrd. EUR
Unterhalt
Kommunen Wasserversorgung 800 1 EUR pro m3
Abwasserentsorgung 1600 2,5 EUR pro m3
Gewässerunterhalt 15 Anteil der Kommunen (zurückgerech-
net aus den staatl. Zuwendungen)
Erschließungsbeiträge 180 Schwer zu schätzen, Annahme für
Größenordnung: 1 % der Bürger zahlt
5000 EUR pro 3-köpfiger Familie
Summe Ca. 3 Mrd.

Der jährliche Umsatz im (öffentlichen) Wassersektor in Bayern kann also überschlägig auf
rund 3 Mrd. EUR geschätzt werden. Eine Umrechnung auf die ca. 12 Mio. Einwohner ergibt
folglich Kosten von rund 250 EUR pro Einwohner und Jahr101. Daraus lässt sich Folgendes
ableiten:

99
Einzelplan 12, siehe http://www.stmf.bayern.de/haushalt/staatshaushalt_2005/haushaltsplan/epl12.pdf
100
basierend auf Schätzungen der Verbände (BGW) zu den Gebühren für Wasser und Abwasser
101
Diese Kosten dürfen nicht mit den tatsächlichen Kosten der Privathaushalte verwechselt werden, weil
die Hauptkomponente Wasserverbrauch etwa zur Hälfte in Industrie und Gewerbe betrifft. Die Was-
serverbrauchskosten in Privathaushalten liegen bei ca. 3€* 50 m3/a*E = 150€ / E.
38 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors

• Den Löwenanteil der Kosten stellen die Gebühren und Beiträge für die Siedlungswasser-
wirtschaft dar.
• Innerhalb der Siedlungswasserwirtschaft ist der größte Kostenanteil durch die Sammlung
und Reinigung der Abwässer verursacht.
Beim weiteren Vergleich gilt es zu beachten, dass
• die genauen Kosten wegen der komplexen Kostenzusammensetzung nur schwer zu ermit-
teln sind;
• der Wasserreichtum in Verbindung mit der großen Besiedlungsdichte höhere Kosten im
Naturgefahrenmanagement, aber auch beim Ressourcenschutz mit sich bringt;
• die bayerische Wasserwirtschaft (typisch für Nordwesteuropa) auf vergleichsweise hohem
Niveau steht: Trotz sehr dichter Besiedlung und hohem Gewerbeanteil ist das Trinkwasser
aus praktisch allen öffentlichen Versorgungen von exzellenter Qualität, der Anschlussgrad
an Kläranlagen liegt bei weit über 90 %. Das Naturgefahrenmanagement ist ausweislich der
relativ geringen Schäden auf sehr hohem Niveau.
Zum Vergleich sollen die o. g. Investitionsraten der MDGs auf Einwohner umgerechnet wer-
den: Die so ermittelte Größenordnung liegt bei rechnerischen 5 bis 10 EUR wasserbezogene
Investitionsausgaben pro Einwohner und Jahr (überwiegend Ver- und Entsorgung). Setzt man
zum Vergleich der Größenordnungen reale Projekte an, kommt man auf 25 bis 80 $ pro E*a
(Zahlen aus dem Recife Urban Upgrading Project)102. Diese Zahlen entsprechen also ungefähr
einem Zehntel bis einem Fünftel der Vergleichszahlen aus Bayern. Liegt damit eine Unterfi-
nanzierung vor?
Beim direkten Vergleich muss miteinbezogen werden, dass:
• die Kaufkraft und damit die Kosten in den einzelnen Ländern höchst unterschiedlich sind
(Faktor 1 : 5 ist denkbar);
• die Problematik des Naturgefahrenschutzes besonders dicht besiedelte Industriestandorte
härter trifft, d. h. dort höhere Investitionen notwendig sind;
• weltweit teilweise(!) bei den Bedarfsberechnungen Wasserversorgung von wesentlich
anderen Standards ausgegangen wird, sowohl was die Mengen als auch die Qualität anbe-
langt.
– Bereichsweise wird z. B. nur von einer Mindestwassermenge von 40 l/E·d im Gegen-
satz zu 130 l/E·d (Deutschland) oder gar 300 l/E·d (USA) ausgegangen.
– Allein schon aufgrund der mangelnden Rohwasserqualität wird weltweit bei Weitem
nicht die hervorragende Qualität des Trinkwassers angestrebt.
• Im Abwasserbereich wird weltweit derzeit nur ein Bruchteil der Kosten der Abwasserreini-
gung gerechnet: im Wesentlichen die Ableitung des Abwassers. Eine Klärung der Abwäs-
ser ist, wenn überhaupt, nur mechanisch vorgesehen.
Dennoch: Diese Vergleiche geben einen strengen Hinweis auf die Herausforderung from visi-
on to action: Auch wenn man erheblich einfachere Standards in internationalen Wasserprojek-
ten unterstellt, dazu die in ärmeren Regionen viel höhere Kaufkraft berücksichtigt usw. wird

102
Das Recife-urban upgrading Projekt (State of Pernambuco 2001) hat ein Budget von ca. 89 Mio. $.
Dafür sollen für ca. 300.000 E Wasserinfrastruktur, Verbesserungen der Wohnungen incl. der Sanitä-
ren Situation, Straßen und Wege und weitere Infrastrukturmaßnahmen wie Ortsbild, Versammlungs-
plätze, Bildungseinrichtungen und Gewerbeflächen erreicht werden. Der geplante Investitionszeit-
raum ist ca. 5 Jahre. Geht man davon aus, dass der Wasserteil ca. 1/2 bis 2/3 der Investitionen aus-
macht, kommt man auf rund 25 bis 40 $/E*a.
2.2 Schwerpunkt Ökonomie: Kosten und Finanzierung im Wassersektor 39

doch klar, dass die heute kalkulierten Kostenansätze äußerst knapp sind. Es wird dadurch un-
terstrichen, dass eine Voraussetzung der Erreichung der MDGs sowohl Quantensprünge im
technischen Fortschritt als auch in weiteren Gebieten wie dem Management und der gesell-
schaftlichen und politischen Organisation sind.
Eine andere Interpretation der Kostenfrage ist die Abschätzung des Nutzens bzw. Schadens,
also was passieren würde, wenn die gewünschten Fortschritte nicht erreicht werden. Dies ist,
wie aus vergleichbaren Untersuchungen im Bereich der Kosten - Nutzenrechnung bekannt ist,
durchaus schwierig103, einige Zahlen liegen aber vor:
Gesundheitskosten104
• Die Hälfte aller Menschen in Entwicklungsländern leiden an mindestens einer durch Wasser-
probleme verursachten Krankheit wie Diarrhöe, Bilharziose, Hakenwürmer. Die WHO
schätzt, dass jährlich rund 2,3 Mrd. Menschen an wasserverursachten Krankheiten leiden.105
• Mehr als die Hälfte der Krankenhausbetten weltweit sind mit Menschen belegt, die an
wasserbezogenen Krankheiten leiden.
Dürre und Fluten
• Dürren erzeugen Krankheiten und Tod. 2 Mrd. Menschen waren in der letzten Dekade von
Naturkatastrophen betroffen, die Dürre in Zimbabwe in den frühen 90e-Jahren hat das
Bruttosozialprodukt um 11 % schrumpfen lassen, die letzte Flut in Mozambique um 23 %,
die Trockenheit in Brasilien 2002/2003 hat dort das Wirtschaftswachstum halbiert106.
• Die Überschwemmungen an der Elbe 2002 haben einen Schaden von ca. 15 Mrd. EUR
allein in Deutschland angerichtet.
Langfristige Schäden durch Degradation jeder Art
• Das Schadenspotential durch große, ganzheitliche Unglücke ist absolut vorhanden, aber
praktisch nur schwer abschätzbar. Am Aralsee in Usbekistan wie in großen Teilen Ka-
sachstans sind mehreren Millionen Menschen die Lebensgrundlagen entzogen. Allein in
der Provinz Karalkalpakstan sind über zwei Millionen Menschen in bitterste Armut gefal-
len, die Krankheiten haben massiv zugenommen. Die wirtschaftlichen, vor allem aber auch
die sozial-gesellschaftlichen Auswirkungen sind dramatisch: „Seit 15 Jahren ist praktisch
kein gesundes Kind mehr zur Welt gekommen, auch die meisten Erwachsenen leiden an
Krankheiten, die entweder wasserverursacht oder direkt aus den ‚Giftsandstürmen’ kom-
men.“107
• In den nächsten Jahrzehnten werden sich weltweit einige große Wasserreservoirs erschöp-
fen, so im US Middlewest und in Nordafrika. Folgen sind nicht abgeschätzt.
• Undurchsichtig ist auch die Wassersituation in China. Dort nimmt die Verschmutzung der
Oberflächengewässer dramatisch zu. Allerdings zeigt der Staat erhebliches Interesse an
Verbesserungen in diesem Sektor.108

103
Kopf 2005
104
UN 2005, S.17
105
VN 1997, S. 39
106
ebenda
107
Der karakalpakische Vize-Premier Rasbergen in einem persönlichen Gespräch mit einer bayerischen
Delegation im April 2000 in Nukus.
108
SEQUA 2004, „Asia Pro Eco Programm, Capacity Building and Policy Reinforcement in China in
the Field of Water Resource Management“, Bonn, München, unveröffentlicht
40 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors

„Wasserkosten“ setzen sich also aus verschiedenen Komponenten – je nach Gesichtspunkt-


zusammen. Das TAC stellt dies mit Tafel 4: Generelles Prinzip der Kosten des Wassersektors
nach GWP dar:

Tafel 4: Generelles Prinzip der Kosten des Wassersektors nach GWP109

Beispiel: Wie solche Schäden wirken, wird im Aralseedesaster deutlich. Die dem Aralsee-
Unglück zugrunde liegende Wirkungskette ist einzigartig in ihrer situationsbedingten Aus-
wirkung, in ihrer Art der höher generierten Interpendenz aber typisch. In Kürze zusam-
mengefasst stellt sich die Hauptwirkungslinie wie folgt dar:
Die beiden Gebirgsflüsse Sir Dari und Amu Dari durchströmen auf dem Weg vom Gebir-
ge über 1000 km eine heiße, von Osten nach Westen zunehmend trockene Ebene, die im
Einflussbereich des Aralsees in eine im Urzustand äußerst fruchtbare Vegetation überging.
Wälder, Agrarnutzen und Fischreichtum zeichneten die Gegend aus, die u. a. eine der gro-
ßen Erholungsgebiete der ehem. Sowjetunion bot. In einem der größten Bewässerungspro-
jekte der Welt wurden ab 1930 in der Stalin-Ära Tausende von Quadratkilometern Steppe
zu Bewässerungsflächen umgewandelt. Aufgrund der hohen Sonneneinstrahlung war für
Jahrzehnte die ertragreichste Baumwollanbaufläche der Welt entstanden. Unter üppigem
Einsatz von Wasser und Agrochemikalien wurde die Produktion gesteigert, zur Ernteer-
leichterung wurden z. B. Entlaubungsmittel aus dem Flugzeug eingesetzt. In der Folge ent-
standen auch komplette Industrieansiedelungen mit Hunderttausenden von Arbeitsplätzen.
Der Preis war allerdings ein langsames Austrocknen des Aralsees, das etwa 1940 begann.
Zur Abhilfe wurden Drainagewässer verstärkt in den See wiedereingeleitet. Damit gelang-
ten allerdings große Mengen von Agrochemikalien in den See. Gleichzeitig begann die
Versalzung der Böden, der durch immer häufigere Spülungen begegnet wurde. Heute müs-
sen die Felder jährlich gespült werden. In Folge dieses anwachsenden Wasserverbrauchs
entstand ein Wasserbilanzdefizit von ca. 100 km3 pro Jahr. Der See trocknete immer
schneller aus, während gleichzeitig ein Anstieg des Grundwassers erfolgte. Dieses Grund-
wasser ist aber wie der Boden inzwischen hoch versalzen (2 bis weit über 10 gr/l). In der

109
GWP 2000, S. 20
2.2 Schwerpunkt Ökonomie: Kosten und Finanzierung im Wassersektor 41

Folge starben alle Pflanzen ab, deren Wurzeln in den Salzbereich vorstießen. Die Vegeta-
tion um den Aralsee, die nicht im drainierten Bereich steht, war das erste Opfer. Kein
Baum überlebte dort.
Durch die Vegetationsänderung und den zurückweichenden Seespiegel begann sich das loka-
le, später regionale Wetter zu ändern. Stürme wurden häufiger, der spärliche Regen blieb fast
vollständig aus. Mit dem Zurückweichen des Sees wurden die Sände freigelegt, die hoch mit
Agrochemikalien angereichert sind. So entstanden die heute gefürchteten krankmachenden
Sandstürme, die giftigen Sand Hunderte von Kilometern ins Land hineintreiben.
Heute geht die Produktion dramatisch zurück, weil selbst gespülte Felder versalzen sind.
Der Aralsee ist praktisch verschwunden. Das Grundwasser ist flächendeckend angestiegen
und vollkommen versalzen. Eine Regeneration der Böden ist aufgrund der geringen Nie-
derschläge und der hohen angereicherten anthropogenen Salzlasten vor dem Hintergrund
auch schon geogener Grundlasten in den nächsten 20000 Jahren nicht zu erreichen, auch
wenn man die Bewässerung sofort einstellen würde, woran aus wirtschaftlichen Gründen
allerdings niemand denkt.
„Das Aralsee-Syndrom beschreibt die Problematik von zentral geplanten, großtechni-
schen Wasserbauprojekten. Solche Projekte sind ambivalent: Einerseits stellen sie ge-
wünschte zusätzliche Ressourcen bereit (Wasser für Ernährungssicherheit, erneuerbare
Energie) oder schützen vorhandene Ressourcen (Hochwasserschutz), andererseits beein-
flussen sie Umwelt und Gesellschaft nachteilig. Der Dimension der Projekte entsprechend,
sind die Auswirkungen solcher Baumaßnahmen in der Regel nicht lokal oder regional be-
grenzt, sondern können auch internationale Ausmaße annehmen, allein schon weil die be-
troffenen Flusssysteme und deren Einzugsgebiete sehr groß und oft auch grenzüberschrei-
tend sind. 110
111
Die Anfälligkeit für das Aralseesyndrom besteht nach den Untersuchungen des WBGU
weltweit, insbesondere in Nordamerika, Europa und Ostasien. Die dadurch möglichen Schäden
können an die gesellschaftliche Existenz der Staaten gehen, die Kosten sind dann „unbezahl-
bar.“ Die Kosten der möglichen Schäden durch unzureichendes Wassermanagement überstei-
gen also die Kosten einer ordnungsgemäßen Wasserwirtschaft erheblich.

2.2.2 Finanzierung durch Effizienzsteigerungen


In der Nomenklatur der Entwicklungsprojekte ist das Effizienzmanagement ein festeingebunde-
ner Begriff. Normalerweise ist damit überwiegend die ökonomische Effizienz gemeint. Auch
wenn dies bei der Abwägung zwischen den Tripelbedingungen nur ein Teilaspekt ist, liegt dieser
Ansatz dennoch nahe. Die Grundidee des Effizienzmanagements ist, dass in vielen Fällen gar
kein echtes Nachhaltigkeitsdilemma vorliegt (z. B. niedriger Ressourcenverbrauch oder ausrei-
chende Versorgung), sondern sich wesentliche Schritte zur Nachhaltigkeit bereits durch effizien-
teres Handeln erreichen lassen. Unterbegriffe sind Effizienz-Management und Öko-Effizienz.

110
WBGU 1997, S. 175 ff. Die Beschreibung des WBGU ist auch deshalb beachtenswert, weil sie den
Versuch unternimmt, die komplexe Vernetzung der Tripel- Belange darzustellen. Auch wenn nicht
exakt die gleiche Systematik hinterlegt ist, kann man zuordnen: für die Ökologie Biosphäre, Atmo-
sphäre, Pedosphäre und Hydrosphäre, für die Wirtschaft Wirtschaft und Wissenschaft / Technik und
für Soziales Bevölkerung, Psychosoziale Sphäre und Gesellschaftliche Organisation.
42 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors

2.2.2.1 Effizienz-Management durch betriebliches Management und Planung


Das Missmanagement im Wassersektor scheint sprichwörtlich. SERALGELDIN, ehemaliger
Präsident der Weltbank führt aus „Water is life. Yet this precious resource is widely mismana-
ged. Unless we change our ways of managing water we will face serious crises in the near
112
future“ . Die Weltbank schreibt 2004: „In allen Ländern [der Welt] besteht eine unbedingte
113
Notwendigkeit für mehr effektives Wassermanagement. “ Effizientes, besseres Management
steht auf der Agenda aller in der Entwicklungszusammenarbeit tätigen Institutionen. Es ist
auch unumstritten, dass die meisten Wasserinfrastrukturen weltweit bezüglich der Kernkenn-
zahlen Wasserqualität, Liefersicherheit und Kostendeckungsgrad suboptimal arbeiten.
Das Managements hat wesentlichen Einfluss auf die Effizienz. Für die Wasserversorger in
Bayern wird seit einigen Jahren ein Benchmarking durchgeführt. Die Kostenunterschiede lie-
gen beim Trinkwasserpreis in einer Spanne von 1 EUR bis ca. 3 EUR pro m3. Innerhalb der
Bundesrepublik sind die Unterschiede der Preise noch deutlicher, sie reichen bei Trinkwasser
114
von knapp einem Euro bis zu über 5 EUR/m3 ( ). Nur ein Teil dieser Unterschiede ist mit
geogenen bzw. geografischen sowie anthropogenen Umweltbedingungen erklärbar. Es gibt
115
also durchaus erhebliche Unterschiede in der betrieblichen Effizienz. Ein Benchmarking im
Abfallbereich hat eine Preisspanne von bis zu 300 % ermittelt. Dies ist besonders bemerkens-
wert, weil die Umgebungsbedingungen in diesem Sektor eine vergleichsweise untergeordnete
Rolle spielen.
Qualitative Hinweise ergeben sich aus den Prüfungen im Rahmen des Zuwendungsverfahrens
für Wasserversorgung und Abwasser. Die Planung der Grundstruktur hat danach einen erheb-
lichen Einfluss auf die Baukosten. Typische Kernthemen sind die Leitungswege, die Verwen-
dung von Altsubstanz, Synergien mit Nachbargemeinden und alternative verfahrenstechnische
Methoden. Kosteneffizienzunterschiede von bis zu 30 % kommen vor. Allerdings sind die
Erstinvestitionskosten nur ein Teil der Gesamtkosten. Die Betriebskosten sind ebenfalls unter-
116
schiedlich, wobei auch hier die Bandbreite bei etwa 25 % liegt. Ähnliche Effekte mit viel
größeren Spannen haben sich in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung in den neuen
deutschen Bundesländern gezeigt. Durch zu optimistische Entwicklungsannahmen, falsche
Dimensionierung, phantasielose Planung und viele sonstige Fehler, die in Einzelfällen die
117
Betrugsgrenze erreicht haben, wurden die Systemkosten zum Teil vervierfacht.
Eine international typische Verkettung von Ineffizienzen lautet: Alter, Einbaufehler oder die
Wahl ungeeigneten Rohrmaterials führt zu Brüchen und Verlusten. Durch mangelnde Unter-
haltung läuft ein Reparaturstau auf, vorübergehend ist eine (aufgrund des tatsächlichen
Verbrauches an sich völlig unnötige) Steigerung der Kapazität (Pumpen, Aufbereitung) die
vermeintlich günstige und schnelle, aber uneffiziente Lösung. Da dieser Vorgang als System
labil ist, leidet trotz hoher Ausgaben für Technik („an der falschen Stelle“) irgendwann die

111
ebenda
112
Serageldin, aktuell zitiert aus: CGIAR, (Consutative Group on International Agricultural Reseach)
März 2000, At the dawn of a new Millennium, Washington D.C.
113
World Bank 2004, S. 41
114
Quelle: BGW
115
Bauer 2004
116
Rödel 2002
117
Ergebnis von Überprüfungen im Rahmen der Verwaltungshilfe Ost
2.2 Schwerpunkt Ökonomie: Kosten und Finanzierung im Wassersektor 43

Versorgungsleistung, wodurch dann auch noch Einnahmen aus dem Wasserverkauf wegbre-
chen und sich die Finanzkrise verschlimmert.

Es ist also in jedem Falle zweckmäßig, sich auf Betriebsebene mit der Effizienz in Planung
und Management zu beschäftigen.

2.2.2.2 Politisches, gesellschaftliches Effizienzmanagement


Ebenso kritisch aus Sicht der Effizienz sind suboptimale politisch-gesellschaftliche Entschei-
dungen. Diese liegen im Spannungsfeld zwischen individuellem und volkswirtschaftlichem
Nutzen. Das Problem sind ineffiziente und damit nicht nachhaltige Entscheidungen. Die kos-
tenträchtigen Bereiche wurden ab Seite 36 angesprochen.
Die fortschreitende Verschmutzung der Süßwasserressourcen wird die Erfüllung der MDG
erschweren, wenn nicht verhindern. Es ist natürlich nicht effizient, das Wasser erst zu ver-
schmutzen, um es dann für den menschlichen Gebrauch kostenträchtig wieder aufzubereiten.
Außerdem entstehen so zusätzliche Kosten durch Schädigung der Natur von der Einleitungs-
stelle der Abwässer bis zur Entnahme zur Trinkwasseraufbereitung.
Tatsächlich wird aber von manchen Ländern unverhohlen ein „Recht auf Verschmutzung“
proklamiert, also ein Vorgehen analog der europäischen Wirtschaftsgeschichte, wo man zuerst
den Wohlstand unter Inkaufnahme von Umweltverschmutzung erwarb und dann erst anfing zu
reparieren. Auch das ist mittelfristig nicht effizient. Der Preis wird zunächst allerdings zu-
nächst oft nicht in Geld, sondern in vermehrtem Leid der Bevölkerung erbracht. Eine Monet-
arisierung erfolgt erst, wenn kritische Zustände zu sozialer Destabilisierung führen und die
118
Wirtschaftskraft gefährdet wird.

Die Kurzformel für eine Politik, die solche Fehler vermeidet und gleichzeitig durch Schaf-
fung eines entsprechenden Rahmens gesellschaftlichen Mehrwert in Bezug auf nachhaltige
Entwicklung fördert, heißt „Good Governance“. In Kapitel 3.3.2.2 (S. 125) wird dieses
Thema vertieft.

2.2.2.3 Öko-Effizienz
Der Begriff der Öko-Effizienz taucht in der Literatur seit ca. 1989 auf. Im Nachgang der Rio
Agenda hat das World Business Council for Sustainable Development119 den Begriff in der Öf-
fentlichkeit diskutiert und weiterentwickelt. Nach dortiger Definition geht es um die Entwicklung
von Strategien, die sowohl profitabel als auch umweltschonend sind, also allgemein um die paral-
lele Berücksichtigung ökologischer und ökonomischer Belange. Zur Umsetzung des Konzeptes
empfiehlt der WBCSD folgende sieben Handlungsgrundsätze zu berücksichtigen120:
1. Reduzierung der Materialintensität von Gütern und Dienstleistungen
2. Reduzierung der Energieintensität von Gütern und Dienstleistungen
3. Reduzierung der Verteilung giftiger Stoffe
4. Erhöhung der Wiederverwertbarkeit der eingesetzten Materialien

118
Ohne das Argument überbelasten zu wollen, ist es z. B. interessant, die Karte der Wassermangelge-
biete mit den Ursprungsorten des internationalen Terrorismus zu vergleichen.
119
WBCSD
120
zitiert nach Wagner 2003
44 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors

5. Maximierung der nachhaltigen/zukunftsfähigen Nutzung erneuerbarer Ressourcen


6. Verlängerung der Produktlebensdauer
7. Erhöhung der Serviceintensität von Gütern und Dienstleistungen
Der Begriff Öko-Effizienz ist zunächst auf Veränderungen im Herstellungsprozess von Pro-
dukten auf der Unternehmensseite, durch technische und organisatorische Innovationen, ge-
münzt. Viele Öko-Effizienz Ansätze gehen jedoch über eine reine Effizienzbetrachtung auf der
Unternehmensebene hinaus und beinhalten bereits im Sinne der Erfüllung eines erweitert
nachhaltigen Leitbildes wesentliche Zielsetzungen der Suffizienz121 und Konsistenz122.
Damit wird der Begriff der Öko-Effizienz zum bestimmenden Begriff einer ganzen Reihe von
entwicklungspolitischen Ansätzen. Wegen seiner unmittelbar einleuchtenden Philosophie
wurde er aber in ganz verschiedene Richtungen weiterentwickelt und interpretiert. Ein guter
Überblick über die verschiedenen Ansätze wurde im gleichnamigen Projekt des ZWW (Zent-
rum für Weiterbildung und Wissenstransfer) der Universität Augsburg123 im Rahmen der
Hightech Offensive Bayern erarbeitet: Der Ansatz enthält die grundlegende Idee der Material-
und Energieersparnis, die nach SCHALTEGGER und STURM den Ressourcenverbrauch
mindert, bei gleichzeitiger Steigerung des Unternehmensgewinns. Es entsteht ein Faktor, der
sich aus dem Quotienten „Wertschöpfung“ zu „Schadschöpfung“ ergibt. Der Ansatz des
WBCSD betrachtet aufgrund der sieben Grundsätze (s. o.) die Verbesserung des Verhältnisses
Produktwert zu Umwelteinfluss.
An den Erfolg des Öko-Effizienz-Modells sind große Hoffnungen geknüpft: Sowohl WEIZ-
SÄCKERS Faktor 4-Konzept (1992) als auch SCHMIDT-BLEEKS Faktor 10-Konzept (2000)
124
folgen dem gleichen Grundgedanken . Durch steigende Öko-Effizienz soll ein nachhaltiges
(Wirtschafts-) Leben möglich werden, weil letztlich der heutige Ressourcenverbrauch bei glei-
chem Lebensstandard erheblich zurückgeht. Allerdings gibt es Forschungsarbeiten, die darauf
125
hinweisen, dass sich erst bei einem Faktor 50 eine nachhaltige Entwicklung einstellen wird.
Der Wassersektor ist mehrfach von dieser Frage betroffen. Zum einen lebt er von der Ressour-
ce, d. h. entsprechende Umweltbelastungen belasten ihn überproportional (z. B. Qualität des
Rohwassers). Zum zweiten verbraucht er selber Ressourcen, ist also Teil der Gesamt-Öko-
Effizienzrechnung. Zum dritten bedeutet Öko-Effizienz auch, dass (gesparte) Mittel in andere
Bereiche fließen können, also z. B. in die Erfüllung der MDGs.
Von den zahllosen praktischen Beispielen für Öko-Effizienz sei nach RUSTLER die Weiter-
entwicklung der Zemente zitiert, die durch Ausgangsmaterial, Einsatz von Energiespartechnik,

121:
Die Suffizienz richtet sich an die Konsumenten und sucht nach Konzepten und Ansätzen zur Redu-
zierung des materiellen Konsums. Im Vordergrund steht dabei die Entwicklung von neuen Lebenssti-
len und Konsummustern, die den ökologischen Strukturwandel unterstützen sollen (nach Wagner
2003).
122
Der Begriff Konsistenz bezieht sich nicht wie die Begriffe Effizienz und Suffizienz auf eine reine
Reduzierung der Materialmenge (Dematerialisierung), sondern stellt vielmehr die Frage nach der
Verträglichkeit von Materialien. Die qualitativen ökologischen Aspekte stehen beim Begriff der Kon-
sistenz im Vordergrund. Materialflüsse müssen vom Ökosystem ohne gravierende Beeinträchtigung
ökologischer Gleichgewichte und schädlicher Wirkungen auf die menschliche Gesundheit abgegeben
und aufgenommen werden können (ebenda).
123
ebenda
124
Radermacher 2002, S. 27 ff
125
Wagner 2003
2.2 Schwerpunkt Ökonomie: Kosten und Finanzierung im Wassersektor 45

sekundärer Brennstoffe aus Abfall und weitere Maßnahmen im Primärenergieverbrauch relativ


126
um bis zu 2/3 geringer sein können.

Öko-Effizienz ist die konsequente Anwendung des Effizienzansatzes im Sinne der Agenda
21 auf die ökologischen Anforderungen an angepasste Technologie und Management

2.2.2.3 Einfluss der internationalen Finanzierungsstrukturen auf den Wassersektor


Die weltwirtschaftspolitischen Hintergründe der Entwicklungszusammenarbeit beeinflussen
die Situation und die Möglichkeiten des Wassersektors erheblich.
Auf dem Kongress von Bretton Woods wurde 1944 die Wirtschaftsordnung der Nachkriegszeit
begründet. Mit der Gründung des Internationalen Währungsfonds (IWF) sollten die dort ver-
ankerten Wirtschaftsgrundsätze überwacht werden. Das sogenannte Bretton Woods-System
basierte auf
• festen Wechselkursen zwischen den großen Währungen
• dem US Dollar als Leitwährung und
• der Absicherung der Stabilität des Dollars durch entsprechende Goldreserven.
Gleichzeitig mit dem IWF wurde die Weltbank gegründet, deren Hauptaufgabe vom ursprüng-
lich im Fokus stehenden Wiederaufbau des kriegszerstörten Europa bald auf die internationale
Armutsbekämpfung (als eine der Grundlagen eines stabilen Wirtschaftssystems und einer
stabilen Weltordnung) ausgedehnt wurde. Damit weitete sich der Zielbereich weltweit insbe-
sondere in den Süden aus.
Mit der Aufgabe der festen Wechselkurse 1973 wurde eine neue Freiheit für die Finanzmärkte
geschaffen (Deregulierung), die bis heute den weltweiten Wirtschaftskreislauf zunehmend
beeinflusst. Eine Konsequenz daraus war, dass eine Verschiebung der Wertschöpfungen von
den Industrie- und Handelswerten hin zu den Kapitalwerten stattfand. So stieg der Umsatz der
Kapitalströme auf 1,2 Billionen Dollar pro Börsentag. Mit Finanzmarktinvestitionen ließen
sich bis zum Börsencrash 2001 im Schnitt doppelt so hohe Renditen erzielen wie im Bereich
Industrie, Dienstleistung und Landwirtschaft127. Parallel dazu wuchs in den 70-er und 80-er
Jahren die Verschuldung aller Staaten, insbesondere aber der Entwicklungsländer dramatisch
an. Diverse Versuche, diese entwicklungspolitisch bedenkliche Schuldenspirale zurück-
zudrehen, sind bislang nur bedingt erfolgreich gewesen. Beginnend mit dem Brady-Plan 1989
wurden in diversen Umschuldungsversuchen in den Weltwirtschaftsgipfeln von London, To-
ronto und Neapel Erlassquoten von 40 bis 67 % beschlossen. Der jüngste Ansatz ist die HIPC-
Initiative, die 1995 in Köln beschlossen wurde. Immerhin konnte teilweise eine Stabilisierung
der Schuldenlasten erreicht werden, allerdings auf einem so hohen Niveau, dass die Entwick-
lung der Entwicklungsländer immer noch nachhaltig gebremst wird. Sowohl Umschuldungen
und Schuldenerlass sind allerdings ebenso wie neue Kredite an bestimmte Bedingungen ge-
bunden. Diese Bedingungen werden mit dem Begriff der Strukturanpassungen (Tafel 5) um-
schrieben.
In diesem prinzipiell nachvollziehbaren Ansatz der Geberländer, kein Geld in marode Struktu-
ren investieren zu wollen, liegt allerdings auch eine gewisse Problematik. Über die feste Vor-
gabe von bestimmten Zielen werden auch die Weichen für Entwicklungen gestellt, die relevant

126
Rustler 2004, S. 176 ff
127
Wahl 2003, S.8
46 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors

für die Nachhaltigkeitskriterien sind. Unter dem Stichwort „Kohärenz“ sollen nämlich die
Vorstellung der für die Weltwirtschaft zuständigen WTO und des IFW mit der für die Ent-
wicklungszusammenarbeit hauptverantwortlichen Weltbank abgestimmt werden. Das
BMWA128: „Besser koordinierte Maßnahmen zwischen WTO und Weltbank sowie dem Inter-
nationalen Währungsfonds (IWF) können die Effizienz der verschiedenen Maßnahmen für
Entwicklungsländer erhöhen“.
Das Hauptproblem dabei ist die starke monetäre Fixierung der Weltwirtschaftsordnung. Den
für den Nachhaltigkeitsprozess wichtigen ökologischen und sozial-kulturellen Belangen wird
dort bei weitem keine äquivalente Bedeutung beigemessen.129 Aus Sicht der Globalisierungs-
kritiker ist eine Kernfrage, inwieweit Globalisierung durch eine neoliberale Schwerpunktset-
zung zu gesellschaftlichen und kulturellen Verwerfungen führt. Die Diskussion erfasst öko-
nomische Denkrichtungen wie den Unterschied zwischen dem „Keynesianismus“ (also dem
ursprünglichen Ordnungsprinzip von Bretton Woods) und dem von FRIEDBERG begründeten
„Monetarismus“. Der Neoliberalismus vermutet grundsätzlich im möglichst freien Markt das
beste Regulativ gesellschaftlicher Entwicklung. Je nach Ausprägung führt dies zur Annahme
einer prinzipiellen Überlegenheit der privaten Unternehmen über die politischen/staatlichen
Akteure (liberaler Antietatismus), ein Phänomen, das derzeit in der internationalen Politik
zunehmend Realität wird. Aufgrund der Einzelinteressen vertretenden Nationalstaatssysteme
sind globalisierte Unternehmen der Politik zunehmend überlegen. Die UN ist zu schwach, um
diese Lücke zu füllen.
Zur Politik der „Strukturanpassung“ gehören u. a.:
• eine Senkung der Staatsausgaben (Haushaltsdisziplin),
• die Schwerpunktsetzung der Staatsausgaben auf Bildung, Gesundheit und Infrastruktur, Strei-
chung von Subventionen,
• eine Steuerreform zur Erweiterung der Steuerbasis und Senkung der Steuersätze,
• eine Erhöhung der Zinsen zur Verhinderung der Kapitalflucht und als Anreiz für Investitionen
aus dem Ausland,
• die Liberalisierung des Handels durch die Senkung von Zöllen und die Abschaffung von Im-
portbeschränkungen,
• eine weitgehende Privatisierung staatlicher Unternehmen und Einrichtungen,
• eine Stärkung der Eigentumsrechte.

Tafel 5: Wirtschaftspolitische Vorgaben des „Washington Konsens“

Die Strukturanpassungspolitik (Tafel 5) selber ist im Washington-Konsens zwischen IWF und


Weltbank in den 80-er Jahren festgelegt worden. Eckpunkte sind die Liberalisierung und Pri-
vatisierung, Rückzug des Staates auch im Rahmen einer restriktiven Wirtschaftspolitik, Vor-
herrschaft des Marktes und Reorganisation der Finanzmärkte. Eine der möglichen Konsequen-
zen für den Wassersektor ist die im Rahmen der „orthodoxen Strukturanpassung“ geforderte
Liberalisierung und Privatisierung des Wassersektors. Die Wirkung dieser Strategie ist aber
sehr umstritten. So führt RADERMACHER aus: „Die Welt leidet unter den Denkfehlern von
ideologischen, teils sogar obsessiven beziehungsweise autistischen Deregulierern, die nicht

128
http://www.bmwa.bund.de/Navigation/aussenwirtschaft-und-europa,did=9896.html
129
Radermacher 2002, S. 140: „Das Problem mit dem heutigen WTO- Regime ist, dass es für soziale,
kulturelle und ökologische Belange nicht zuständig ist“
2.2 Schwerpunkt Ökonomie: Kosten und Finanzierung im Wassersektor 47

verstanden haben, dass Märkte aus Wettbewerb in Verbindung mit Rahmenbedingungen be-
stehen, nicht aus Wettbewerb zu Lasten erforderlicher Rahmenbedingungen“.130
Auch ULRICH kritisiert die einseitige „harmonistische Idealwelt der neoklassischen Ökono-
mie“ und bringt sie in Verbindung mit dem IWF131. Der zentrale Punkt sei, „dass sich ethische
Vernunft nicht auf ökonomische Rationalitäten reduzieren lässt.“

Vorausgesetzt, diese Sorgen sind berechtigt, bildet der Ansatz der Strukturanpassung und
der Kohärenz so lange ein Problem für den internationalen Wassersektor, bis sich das
Nachhaltigkeitsverständnis von WTO und IWF von der jetzigen als „Starke Monetäre
Nachhaltigkeit“ zu bezeichnenden Philosophie mindestens in Richtung einer „Puren
Nachhaltigkeit“ weiterentwickelt.

Die gewünschten Erfolge bezüglich der Armutsbekämpfung und Stabilisierung haben sich
demzufolge auch nicht im erwünschten Umfang eingestellt. Auf Initiative des Weltbankpräsi-
denten WOLFENSON wurde deshalb ein Anpassungsprozess in Gang gesetzt. Joseph
STIGLITZ hatte 1998 als Chefökonom der Weltbank auf die Schwächen des damaligen wirt-
schaftspolitischen Modells hingewiesen und einen „Post Washington Konsens“ gefordert.
Unter anderem forderte und formulierte STIGLITZ132 als damaliger Chefökonom der Welt-
bank 2001 eine Abkehr vom rigiden Antietatismus des Washington Konsens und eine Beto-
nung der wichtigen Funktion des Staates bei der Unterstützung und Finanzierung von Produk-
tivität, was letztlich zu einer Aufwertung der Rolle von Staat und Bevölkerung führt (Owners-
hip133 und Partizipation). Allerdings haben sich diese Änderungen nicht durchgesetzt. So hat
das auf Initiative von WOLFENSON 1996 gegründete Netzwerk zur Bewertung der Struktur-
anpassungspolitik (SAPRIN) mit dem Bericht von 2002 erhebliche Mängel im bisherigen
Ansatz erkannt. Insbesondere wird ein Zusammenhang von Privatisierung und Liberalisierung
mit wachsenden sozialen Kosten und steigender Armut gesehen. In der Konsequenz wird auch
von SAPRIN „eine neue Form der Strukturanpassung“ gefordert134.
Die Richtung dieser Anpassung könnte von den Überlegungen des Club of Rome zur Internali-
sierung der Kosten beeinflusst werden. Das Problem ist eben, dass die Kräfte des Monetaris-
mus nur die in Geld beschriebenen Märkte steuern können, viele gesellschaftliche Aspekte
aber nicht mit monetären Kosten beschrieben sind. Die „reine neoliberalistische marktwirt-
schaftliche Lösung“ bekommt damit zwei Schwierigkeiten: Die marktwirtschaftlich gesteuerte
Lösung reagiert betriebswirtschaftlich richtig, sie muss aber nicht unbedingt auch volkswirt-
schaftlich die nachhaltig beste Variante ergeben. Weiterhin sind viele Bedürfnisse gar nicht
monetarisiert oder monetarisierbar, d. h. sie entfallen als Steuerungsparameter zunächst, was
mit hoher Wahrscheinlichkeit zu suboptimalen Lösungen führt.
Konsequenterweise geht es nicht ohne ein gesellschaftliches Regelwerk, das die Rahmenbe-
dingungen für den marktwirtschaftlichen Regelkreis bezüglich der volkswirtschaftlichen Di-
mensionen einschließlich der nichtmonetären Gesellschaftsgüter (Bedürfnisse, Werte) benennt.
RADERMACHER dazu in ‚Balance oder Zerstörung‘:

130
ebenda, S. 139
131
Ulrich 2004, S.11
132
Stiglitz erhielt 2001 den Nobelpreis für Wirtschaft
133
Ownership beschreibt in der Nomenklatur der Weltbank ein Verhalten, dass sich bei bewusstem
Besitztum einstellt, also eine gewisse Sorgfalt, ein auf Werterhalt und ggf. Mehrung gerichtetes
Bestreben.
134
Schneider 2003, S. 36
48 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors

„Die Kernfrage lautet, wie man Ökonomien organisieren soll. Das ist keine Frage der Be-
triebswirtschaftslehre, sondern eine Frage der Volkswirtschaftslehre. Die Antwort auf diese
Frage ist zugleich trivial und extrem schwierig. Wir reden immer nur über den trivialen As-
pekt: Ökonomie gründet auf den Wettbewerb. Das versteht jeder sofort. Viel entscheidender ist
aber der zweite Aspekt, das sind die Rahmenbedingungen, unter denen der Wettbewerb statt-
findet. Dabei geht es in erster Linie um die staatsbürgerlichen Anliegen, um die sozialen Fra-
gen, um den Erhalt der Vielfalt der Kulturen und um den Schutz der Umwelt. In den Rahmen-
bedingungen legt man fest, was unveränderbarer und zu erhaltender Bestand in Bezug auf die
sozialen Gegebenheiten, die Vielfalt der Kulturen und die Intaktheit der Umwelt ist.“…„Es
wäre dennoch völlig verfehlt, die WTO abschaffen zu wollen. Wir haben eine globale Ökono-
mie und brauchen daher ein globales Ordnungssystem. Dieses System braucht aber eine Kop-
pelung zwischen den WTO- und IMF-Themen, der ILO, dem kulturellen Sektor und dem Um-
weltbereich. Die wirkliche Herausforderung besteht darin, wie man all diese Bereiche zu-
kunftsfähiger organisieren und miteinander verknüpfen kann.“135
Wenn bei Strukturanpassungen diese Voraussetzungen nicht erkannt und berücksichtigt wer-
den, werden nicht funktionierende Steuerungsmodelle für teures Geld implementiert. Das
Ergebnis im Wassersektor entspricht dann ziemlich genau der Phänomenologie des Versagens,
die in vielen untersuchten Krisen von Lateinamerika bis Zentralasien anzutreffen sind. In der
Konsequenz ist es also vernünftig, Strukturanpassungen zu fordern. Es müssen aber Anpas-
sungen im Sinne der Tripel-Belange sein, die erwarten lassen, dass sich die Systeme in Rich-
tung einer nachhaltigen Entwicklung bewegen können.

2.2.4 Finanzierungsquellen und langfristig gerechte Ressourcenverteilung


Unabhängig von Vorgehensfragen besteht auf Basis der MDGs weltweit Konsens über die
Bedeutung von Verbesserungen auf dem Wassersektor. Damit stellt sich auch die Frage der
Finanzierung. Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Großteil der nötigen Investitionen
durch die Länder selber geschultert werden müssten, bleibt doch ein offensichtlich erheblicher
Bedarf an Transferleistungen aus den reichen Nordländern in den Süden.
In der A21 wird eine Anhebung der Entwicklungshilfeleistung auf 0,7 % des jeweiligen Brut-
tosozialproduktes gefordert. Tatsächlich liegen alle Staaten heute weit unter dieser Forderung.
Japan führt die Statistik mit ca. 0,35 % an, Deutschland liegt vergleichsweise noch gut mit
0,26 %, während die USA gerade einmal 0,1 % erreichen. Umgekehrt findet übrigens in Form
der Zinszahlungen ein erheblicher Transfer von den Entwicklungsländern in den Norden statt.
Auf der UN-Konferenz über Entwicklungsfinanzierung im mexikanischen Monterrey hat die
internationale Gemeinschaft 2002 die Finanzierung der Millenniumsziele mit dem als Monter-
rey-Konsensus bezeichneten Ergebnis diskutiert (Tafel 6). Damit ist zumindest mittelfristig ein
Fahrplan für eine Verbesserung der Finanzsituation vorgesehen. Zum Stand 2005 ist aber der
Umweltbereich, auch der Wasserbereich, international notorisch unterfinanziert.

1 In den Entwicklungsländern sollen mehr Haushaltsmittel mobilisiert werden.


2 Ausländische Direktinvestitionen sollen die Wirtschaft in den Entwicklungsländern stärken.
3 Der internationale Handel soll als ein Motor für Entwicklung gefördert werden. Die Industrieländer
sollen ihre Märkte dazu für Produkte aus den Entwicklungsländern öffnen.

135
Radermacher 2002, S. 142
2.2 Schwerpunkt Ökonomie: Kosten und Finanzierung im Wassersektor 49

4 Die internationale Gemeinschaft soll ihre Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit erhöhen. Die
Bundesrepublik hat sich verpflichtet, ab 2006 einen Anteil von 0,33 Prozent ihres Bruttonational-
einkommens in die Entwicklungszusammenarbeit zu investieren.
5 Hochverschuldeten Entwicklungsländern soll im Rahmen der HIPC-Initiative ein Teil der Schul-
den erlassen werden und eine entwicklungsverträgliche Schuldenfinanzierung angeboten wer-
den.
6 Die Interessen von Entwicklungsländern sollen bei der Reform der internationalen Handels- und
Finanzarchitektur berücksichtigt werden.
7 Die internationale Entwicklungszusammenarbeit soll noch besser aufeinander abgestimmt wer-
den.

Tafel 6: Monterrey Konsensus 136

Ein weiterer Versuch, dieser Unterfinanzierung beizukommen, ist die Umlenkung privaten
Kapitals in entwicklungsrelevante Projekte. Im Bereich der Infrastruktur, ganz besonders im
Wassersektor, ruhen viele Hoffnungen auf Public-Private-Partnership (PPP) Modellen. Das ist
nicht grundsätzlich neu. Die Weltbank besteht seit jeher neben der IBRD (International Bank
for Reconstruction and Development), dem Partner der Staaten und der öffentlichen Hände,
auch aus der IFC (International Finance Corporation), dem Partner der freien Wirtschaft, die
internationales privates Engagement unterstützt, soweit es den Zielen der Weltbank (Armuts-
bekämpfung, Erfüllung der MDGs) dient.137 Auch die anderen Finanzgeber wie in Deutschland
die KfW und die GTZ setzen auf Modelle unter privatwirtschaftlicher Beteiligung.
Ein alternativer Ansatz könnte die gerechtere Verteilung der durch zukünftiges Wachstum
erreichten Gewinne sein, so wie es WEIZSÄCKER bzw. der sogenannte Faktor 10-Club for-
muliert138. RADERMACHER denkt diese Theorie weiter, indem er das Wachstum im Verhält-
nis 4 (vierfaches Wachstum der Industriestaaten) und 34 (34-faches Wachstum der Entwick-
lungsländer) verteilt. Daraus entsteht der 10/4/34-Ansatz139. Im Ergebnis soll den Entwick-
lungsländern ein erheblich größerer Anteil an dem durch Wachstum entstandenen Mehrwert
zukommen. Der Hintergrund für diesen Ansatz ist, dass man es für unmöglich hält, dass die
Industriestaaten vom heutigen Niveau etwas abgeben, aber für durchaus denkbar, dass sie vom
zukünftigen Zuwachs etwas abgeben140.
141
Der Camdessus Report nennt für den Wassersektor eine Reihe von typischen Problemen,
finanzielle Leistungen - gleich aus welcher Quelle – auch wirksam werden zu lassen.
• Offensichtlich niedrige Priorität des Wassersektors
• Richtungslosigkeit der sozialen, umweltgemäßen und wirtschaftlichen Ziele

136
Quelle: http://www.bmz.de/de/ziele/politische_ziele/aktion_2015/index.html
137
Bayern hat dort, wie viele andere Länder, sogar einen trust fond eingerichtet, der privaten Unterneh-
mern bei der Vorbereitung von Projekten helfen soll.
138
Das Faktor 10 Konzept setzt eine Verzehnfachung der Ökoeffizienz in den nächsten hundert Jahren
an, d.h. mit dem Ressourcenaufwand von heute, insbesondere Energie, können zehnmal so viele Gü-
ter hergestellt werden.
139
Rademacher 2002
140
Ein anderer Ansatz liegt in der so genannten Tobin-Steuer oder anderen Abgaben auf Devisentrans-
aktionen. Die Grundlage ist, dass einer globalen Wirtschaft auch globale Steuerungsmechanismen
entsprechen müssen. Die Asymmetrie der Kapitalmärkte könnte – so die Befürworter – im Sinne ei-
ner nachhaltigen Entwicklung ausgeglichen werden.
141
Camdessus et al. 2003
50 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors

• Politische Einmischung
• Schwache Managementstrukturen und unklare Ziele der Unternehmen des Wassersektors
• Unzulänglicher rechtlicher Rahmen
• Mangelnde Transparenz bei der Vertragsvergabe
• Nichtexistente oder schwache bzw. unerfahrene Aufsichtsbehörden
• Ablehnung von kostendeckenden Tarifen
Sowohl für private wie auch für staatliche Betreiber sieht der Bericht bestimmte sektor-
spezifische Risiken, die die finanziellen Entscheidungen beeinflussen:
• Kapitalintensität von Wasserprojekten mit einem hohen primären Investitionsbedarf und
langen Kapitalrückflussperioden
• Währungsrisiken, wenn Investitionen in Fremdwährungen getätigt wurden
• Nachgeordneten-Risiken: dezentrale Versorger mit Service-Verantwortung aber ohne Fi-
nanzressourcen oder Kreditaufnahmemöglichkeit
• Risiko von politischem Einfluss auf die Tarifgestaltung oder Verträge bei gleichzeitig
schwacher oder unklarer Regulierung
Abschluss langfristiger Verträge ohne ausreichende Information über langfristige Bedingungen
• Die Forderungen, die daraus abgeleitet werden, sind wie folgt zusammenzufassen:
• Der Wassersektor muss seitens der Politik ernster genommen werden.
• Zusätzliche Gelder müssen fließen, dafür sind die Voraussetzungen zu verbessern (Kalku-
lierbarkeit, Transparenz, Währungsrisiko).
• Die Verlagerung der Verantwortung auf den lokalen oder regionalen Level ist der richtige
Weg, muss aber durch entsprechende Maßnahmen flankiert werden, z. B. Verfügbarkeit
der Haushaltsmittel, Personal in entsprechender Zahl und Qualifizierung.
Zusammenfassend ist davon auszugehen, dass nur alle zitierten Aktivitäten gemeinsam eine reelle
Wahrscheinlichkeit für Verbesserungen ergeben. Langfristig werden aber schon aus Gründen der
Gesamteffizienz nur Lösungen erfolgreich sein, die nahe der puren Nachhaltigkeit stehen, also
ausdrücklich auch ökologischen und sozial-gesellschaftlichen Mehrwert erzeugen.
Über die grundsätzliche Notwendigkeit der Effizienz besteht Einigkeit, Dissens dagegen par-
tiell in der Frage, welche Wege dorthin führen. Eine Lösung ist die Definition des Wassers als
Wirtschaftsgut, d. h. die Marktkräfte sollen zu Sparsamkeit im Umgang (rationelle Wassernut-
zung) und Effizienz führen. Diesen Weg gehen die Bretton Woods Institutionen; die Forde-
rung nach kostendeckenden Wasserpreisen findet sich aber auch als eine der Kernforderungen
in der WRRL. Dagegen steht vermeintlich die Auffassung, dass Wasser zum einen deutlich
mehr als ein Wirtschaftsgut ist und andererseits der Zugang jedermann offen stehen muss
(Menschenrecht Wasser). An dieser Frage hängen dabei nicht nur individuelle Rechte, sondern
ebenso auch Oberlieger-Unterliegerfragen, d. h. wie weit geht das individuelle, aber auch
staatliche Recht auf Nutzung, Verbrauch, Verschmutzung des Wassers. Die Position des Men-
schenrechts auf Wasser und die Einbindung sozial-gesellschaftlicher Belange wird im folgen-
den Kapitel behandelt.
2.3 Schwerpunkt gesellschaftlich-soziale Bedeutung der Wasserwirtschaft 51

2.3 Schwerpunkt gesellschaftlich-soziale Bedeutung der


Wasserwirtschaft
2.3.1 Menschenrecht Wasser
Die Thematisierung des Rechts auf Wasser ist im Menschenrechtssystem der Vereinten Natio-
nen noch neueren Datums. Interessanterweise ist in den älteren Texten der UN das Thema
Wasser bzw. das Recht auf Wasser nicht explizit erwähnt, während es heute besonders hervor-
gehoben wird. Drei Trends lassen sich identifizieren, die dazu beigetragen haben, das Recht
auf Wasser zentral auf die Menschenrechtsagenda des UN-Systems zu bringen142:
1 Wasser wird zunehmend zur knappen Ressource, die damit verbundenen Probleme werden
mehr und mehr sichtbar. So lassen sich die meisten Ziele der MDGs nur parallel zu einer
Verbesserung der Wasserinfrastruktursituation erreichen. Der Zugang zu Wasser wird so-
wohl innerhalb als auch zwischen Staaten zu einem Konfliktgut. Dies macht Wasser zu ei-
nem wichtigen Thema in unterschiedlichen internationalen Foren.
2. Bei der Initiierung und Durchführung von großen Infrastrukturprojekten wie Dammbauten
(Dreischluchtendamm) oder Bewässerungsprojekten (Aralsee-Syndrom) war es in den letz-
ten Jahrzehnten zu erheblichen Konflikten gekommen.
3. Die weltweite kontroverse Diskussion um Privatisierung und Liberalisierung von Wasser-
versorgungssystemen hat das Thema in den letzten Jahren enorm befördert. Kritiker be-
fürchten besonders für arme Gruppen in der Gesellschaft eine mit der Privatisierung ein-
hergehende Verschlechterung der Zugangsmöglichkeiten zu dieser knappen Ressource.

2.3.1.1 Wasser als Thema im Völkerrecht


Wasser findet im Völkerrecht an einigen Stellen Erwähnung, wobei für die Beurteilung der
Verbindlichkeit die Art der Erwähnung wichtig ist: „Aktionspläne“ und „Erklärungen“ auf der
Ebene der Vereinten Nationen sind als Absichtserklärungen „soft law“, also nicht bindend.
Wasser wird beispielsweise in den Aktionsplänen verschiedener internationaler Konferenzen
thematisiert, wie in der A21, oder im Aktionsplan des Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung
in Johannesburg 2002. (Die MDGs sind eine völkerrechtliche Erklärung.)
Das Recht auf Wasser ist Teil des Völkervertragsrechts des Internationalen Paktes über wirt-
schaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte (IPWSKR). Der IPWSKR bildet zusammen
mit dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Menschenrechte (IPBPR) und der
Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte den Kernbestand des Menschenrechtsschutzsys-
tems. Das Recht auf Wasser wird im IPWSKR nicht direkt erwähnt. Erst in den letzten Jahren
ist das Recht auf Wasser im Menschenrechtsschutzsystem systematisch aufgegriffen worden.
Die sachliche Fortentwicklung innerhalb der Vereinten Nationen findet im Wirtschafts- und
Sozialrat143 statt, dessen Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sich mit
dem Papier E/C.12/2002/11 vom 20. Januar 2002144 positioniert hat.145Nach Ansicht dieses

142
Windfuhr 2003, S. 3
143
ESCR Comitees (UN-comitee of Economic, Social and Cultural Rights, in deutsch WSK = Komitee
der Vereinten Nationen für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte)
144
UNESCO 2002
145
Im Jahr 2001 hat die Menschenrechtskommission die Sonderberichterstatter zum Recht auf Wohnen
(Miloon Kothari) und zum Recht auf Nahrung (Jean Ziegler) gebeten, das Recht auf Wasser in ihren
52 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors

Komitees ist das Menschenrecht auf Wasser im Art. 11 (Recht auf einen angemessenen Le-
bensstandard) und Art. 12 (Recht auf Gesundheit) des IPWSK enthalten.
Mit dem sog. Allgemeinen Kommentar Nr. 15146 liegt nun eine autorisierte Interpretation
durch das WSK-Komitee vor, an der sich die weitere Debatte orientieren wird. Dadurch wird
das Recht auf Wasser als Menschenrecht in zunächst noch nicht verbindlicher, aber dennoch
richtungweisender Form beschrieben. Das Recht auf Wasser wird dort zu gleichen Teilen aus
dem Recht auf Nahrung und dem Recht auf Gesundheit abgeleitet. Das Recht auf Wasser „be-
rechtigt jedermann zu ausreichendem, ungefährlichem, sicherem, annehmbarem, physisch
zugänglichem und erschwinglichem Wasser für den persönlichen und häuslichen Gebrauch.“
Ursprünglich sollte der Rechtskommentar zum „Recht auf Trinkwasser“ geschrieben werden.
In den Beratungen und Diskussionen des Komitees stellte sich aber heraus, dass „Trinkwasser“
eine zu enge Kategorie ist, sondern dass das Recht auf Wasser den gesamten persönlichen
Verbrauch und die Verwendung von Wasser im Haushalt umfassen muss, da ansonsten Ge-
sundheits- und sanitäre Aspekte übersehen würden.147 Gleichzeitig wird die Verwendung von
Wasser als Bewässerungswasser in der Landwirtschaft aus der Definition ausgeschlossen. Das
Thema Zugang zu Bewässerung, um ausreichende Nahrung zu produzieren, wird vom WSK-
Komitee als Frage bewertet, die in den Bereich des Rechts auf Nahrung gehört.

2.3.1.2 Verpflichtungen für Staaten


Im Kommentar Nr. 15 werden in den Nationalen Verpflichtungen (Paragraphen 17-29) die
Verpflichtungen der Vertragsstaaten behandelt, d. h. zu welchen Handlungen oder Unterlassun-
gen von Handlungen der Staat gegenüber jeder Person, die auf seinem Territorium lebt, verpflich-
tet ist. Dazu gehört unter anderem die Verpflichtung des Schutzes des Wassers auch vor Dritten
(Garantenstellung, 23.) und die Verhinderung des Missbrauches durch Betreiber von Wasserver-
sorgungseinrichtungen wie Wasserrohrnetze, Wassertankwagen, Zugang zu Brunnen und Flüssen
(24.). Ziffer 27 regelt die Erschwinglichkeit von Wasser durch a) die Nutzung einer Reihe von
geeigneten (appropriate) kostengünstigen Techniken und Technologien, b) angemessene Preispo-
litik wie kostenloses oder preiswertes Wasser und c) Einkommensergänzungen.148
Weiterhin werden die internationalen Verpflichtungen von Staaten im Hinblick auf das Recht
auf Wasser beschrieben. Diese dem Kommentar zum Recht auf Nahrung (Nr. 12) folgende
Ordnung ist nach WINDFUHR besonders bemerkenswert:
Die Behandlung internationaler Verpflichtungen bezieht sich auf die Aktivitäten des jeweili-
gen Staates in internationalen Organisationen und um mögliche Auswirkungen seiner eigenen
Politikmaßnahmen auf internationaler Ebene bzw. auf Menschen in anderen Ländern. Viele
Völkerrechtler sehen die Verpflichtungen von Staaten nach wie vor ausschließlich auf der
nationalen Ebene, da Menschenrechte in ihrer Genese das Verhältnis (die Rechte) des Indivi-
duums gegenüber dem eigenen Staat regeln. Die Notwendigkeit, auch über die internationalen
Auswirkungen von staatlichen Politikmaßnahmen zu sprechen, wird allerdings seit langen

nächsten Berichten zu berücksichtigen. Die entsprechenden Berichte liegen inzwischen vor und bie-
ten wichtige Hintergrundinformationen zum Verständnis des Rechts auf Nahrung. Zusätzlich wurde
im Jahr 2002 ein eigener Berichterstatter zum Recht auf Wasser (El Hadji Guissé) von der Unter-
kommission für Menschenrechte eingesetzt, dessen Endbericht bis zum Jahr 2004 fertig sein sollte.
146
UN 2002b
147
Windfuhr 2003, S. 4
148
UN 2002b, S. 11
2.3 Schwerpunkt gesellschaftlich-soziale Bedeutung der Wasserwirtschaft 53

Jahren von Nichtregierungsorganisationen und einer wachsenden Zahl von Völkerrechtlern


betont. Eine Analyse der Rahmenbedingungen staatlicher Politikgestaltung in Zeiten der Glo-
balisierung macht schnell deutlich, dass es gute Gründe dafür gibt, diese Fernwirkungen staat-
licher Politik auf Bürger anderer Staaten als Teil des Menschenrechtssystems systematisch mit
zu erfassen, da solche Auswirkungen in wachsendem Maße festzustellen sind.149 Als Beispiel
wird von WINDFUHR die europäische Agrarpolitik mit den Auswirkungen der Agrarexport-
subventionen auf die Preise für Nahrungsmittel auf lokalen Märkten in Afrika angeführt. Die
nationale afrikanische Regierung könne diese Rahmenbedingungen nicht mehr beeinflussen,
da ihr durch Auflagen der Weltbank und des Währungsfonds sowie das Regelwerk der WTO
untersagt worden sei, handelsbegrenzende Maßnahmen zu ergreifen.
Das WSKR-Komitee differenziert deshalb zwischen den internationalen Verpflichtungen der
einzelnen Staaten (Paragraphen 30-35) und den Verpflichtungen anderer Akteure, wie interna-
tionaler Organisationen (Paragraphen 60 und 61). Die Internationalen Verpflichtungen (Para-
graphen 30-35) enthalten:
(1) Bestimmungen zur Entwicklungszusammenarbeit. Dabei wird im Kommentar unterschie-
den zwischen positiven und negativen Verpflichtungen in der Zusammenarbeit.
Die Entwicklungszusammenarbeit soll zuerst sicherstellen (negativ), dass sie nicht zu Verlet-
zungen des Rechts auf Wasser in anderen Ländern beiträgt. Sie kann (positiv) Länder in dem
Bemühen unterstützen, das Recht auf Wasser umzusetzen und ihren rechtlichen Verpflichtun-
gen nachzukommen.
Der Kommentar bestimmt, dass
(2) im Rahmen internationaler Beziehungen kein Embargo verhängt werden soll, das Wasser
umfasst.
(3) Jeder Staat ist verpflichtet, private Firmen und andere Bürger, die in anderen Ländern in-
vestieren, angemessen zu kontrollieren und sicherzustellen, dass deren Aktivitäten nicht zu
Verletzungen des Rechts auf Wasser beitragen. Staaten sollen darüber hinaus
(4) bei der Aushandlung neuer internationaler Abkommen ihre menschenrechtlichen Ver-
pflichtungen stets präsent haben und keine neuen rechtlichen Verpflichtungen eingehen, die in
Widerspruch zu menschenrechtlichen Verpflichtungen stehen. Auch bei ihrem weitergehenden
Engagement in internationalen Organisationen (IOs) sollen die Staaten
(5) sicherstellen, dass diese IOs nicht im Rahmen eigener Programme oder Projekte mitver-
antwortlich für Verletzungen des Rechts auf Wasser werden. Dies gilt nach Ansicht des Komi-
tees besonders für die Beteiligung in der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds.
Befürworter sehen im allgemeinen Rechtskommentar Nr. 15 zum Recht auf Wasser einen
Meilenstein für die weitere Menschenrechtsarbeit zum Wasserthema. Er bietet danach eine
verlässliche und autorisierte Interpretation des Rechts auf Wasser und kann in den zukünftigen
Debatten zum Thema hervorragend genutzt werden. Auch sind die Ansätze, Verschmutzung
und Verschwendung des Wassers als Völkerrechtsbruch zu sehen, aus Sicht der Wasserwirt-
schaftsfachleute durchaus begrüßenswert, besonders, wenn man die ökologischen, ökonomi-
schen und sozial-kulturellen Folgen für die Gesellschaft berücksichtigt.
Diese Ansicht wird aber nicht uneingeschränkt geteilt. So ist das Recht auf Wasser, wie es in Ziff.
12 des Kommentars angesprochen wird, eine Verpflichtungsebene, die Völkerrechtler immer

149
Windfuhr 2003, S 6f
54 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors

wieder dazu bringt, WSKR-Rechte nur als politische Ziele zu charakterisieren, da für die Umset-
zung eine physikalische Umgebung und finanzielle Mittel und andere Ressourcen notwendig
sind, die in vielen Fällen schlicht nicht vorhanden sind. Der Anspruch scheint also in vielen Fäl-
len nicht real und damit nicht durchsetzbar. Anlässlich der water week 2003 in Washington D.C.
wurde von SAGIR in die Diskussion eingebracht, die Frage des Menschenrechtes Wasser würde
sich so gar nicht stellen, weil dort, wo dieses Recht auf Mindestwasserstandards nicht erfüllt
würde, ohnehin kein menschliches Leben möglich sei. Die Geister scheiden sich auch in anderen
Bereichen. So ist der uneingeschränkte Zugang zu vorhandenem Wasser (Ziff. 10) u. U. mit den
wirtschaftlichen Forderungen (pay for water) nicht vereinbar, auch die Forderungen nach Quali-
tätserhalt des Wassers (Ziff. 21) können Umsetzungsprobleme bedeuten. Insbesondere die
Schutzpflicht (Ziff. 23 und 24) könnte sogar als Einschränkung der Privatisierungsmöglichkeiten
verstanden werden und stößt somit auf Kritik. WINDFUHR150 zitiert als typische Verletzungen
des Rechts auf Wasser die Erfahrungen aus der Arbeit der Organisation FIAN 151:
„In einer ersten Gruppe lassen sich Situationen kategorisieren, in denen der Zugang oder
Zugangsrechte von Bevölkerungsgruppen zu Wasser zerstört oder unterbrochen wurden.152
(...) Es gibt inzwischen auch eine Reihe von Fällen, in denen Zugangsrechte durch die Über-
nutzung knapper Wasserressourcen durch andere Nutzer zerstört werden. Manche dieser Zu-
gangskonflikte entstehen dadurch, dass verfügbare Wasserreserven oder Quellen privatisiert
werden. (...) In einer zweiten Gruppe lassen sich Fälle erfassen, in denen das Recht auf Was-
ser z. T. nachhaltig zerstört wurde, durch Verschmutzung der Wasserquellen, wie beispielswei-
se durch die Ölgewinnung im Tiefland von Ecuador, bei der zahlreiche Flüsse und Quellen
verseucht wurden, oder Zyankaliunfälle153 im Goldtagebergbau, die die Wasser- und Nah-
rungsversorgung ganzer Dörfer für längere Zeit unmöglich machen oder die Verseuchung von
Wasserquellen durch intensive Agrarchemikaliennutzung z. B. im Umfeld von Bananen- oder
Blumenplantagen. In einer dritten Gruppe lassen sich Fälle erfassen, in denen die Wasserver-
sorgung von Personen oder ganzen Gruppen durch Entwicklungsprojekte oder großflächige
Eingriffe in den Naturhaushalt dramatisch verändert werden, beispielsweise durch Zwangs-
umsiedlungen im Umfeld von Staudammbauten oder die Umlegung ganzer Flüsse oder die
Veränderung von Flussläufen durch große Tagebergbauprojekte.“
Gerade Übernutzung und Verschmutzung haben inzwischen eine weltweite Dimension. Die
Definition der Menschenrechte ändert sich in diesem Zusammenhang in eine Definition der
Menschheitsrechte. WINDFUHR führt letztlich aus: „Der Menschenrechtsansatz stellt eine
hilfreiche und wichtige Ergänzung zu anderen Formen der Thematisierung der Wasserprob-
lematik dar. Er kann in der allgemeinen Debatte über die Nutzung der knappen Ressource
Wasser oder über die Privatisierung von Wasserressourcen und Wasserversorgungssystemen
hilfreiche Kriterien zur Beurteilung von Fällen geben. Er wird es erleichtern, in Auseinander-
setzungen mit der WTO, der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds (zu154) einfa-
che Privatisierungskonzepte in Frage zu stellen und sich für eine angemessene Regulierung
der Wasserversorgung (besser: Wasserwirtschaft154) einzusetzen, in der einer funktionierenden

150
Windfuhr 2003, S. 8
151
(FIAN, das FoodFirst Informations- und Aktions-Netzwerk, setzt sich nach eigenem Bekunden als inter-
nationale Menschenrechtsorganisation dafür ein, dass alle Menschen frei von Hunger leben und sich ei-
genverantwortlich ernähren können. FIAN arbeitet auf der Basis internationaler Menschenrechtsabkom-
men, insbesondere des Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte.)
152
Hervorhebungen durch Verfasser
153
gemeint ist wahrscheinlich Quecksilber
154
Anmerkung des Verfassers
2.3 Schwerpunkt gesellschaftlich-soziale Bedeutung der Wasserwirtschaft 55

staatlichen Aufsicht und einem hohen Engagement des Staates in der Sicherung der Wasser-
versorgung eine besondere Aufgabe zukommt.“

Für die Umsetzung der wasserwirtschaftlichen Ziele gibt diese Diskussion mindestens ei-
nen Hinweis auf die direkte Verknüpfung des Wassersektors mit „basic needs“ und den
daraus ableitbaren hohen sozialen und das Gemeinwohl betreffenden Anforderungen.
Auch ist daraus zu schließen, dass Wasser zwar einen hohen Wert hat, aber keine „belie-
bige“ Handelsware ist.

2.3.2 Wasser als internationales Konfliktpotential


Die Sorge um kommende Konflikte um Wasser wird seit geraumer Zeit als eine der Motivatio-
nen für die Beschäftigung mit dem Wassersektor zitiert. Bei zwischenstaatlichen Konflikten
lässt sich nach Ausführungen des WBGU zunächst zwischen Konflikten um widerstreitende
Interessen, Konflikten um Mittel und Konflikten um Werte unterscheiden.
• Ein Interessenkonflikt zwischen zwei Akteuren folgt aus einer Mangelsituation: Zwei Ak-
teure wollen dieselbe Sache, aber es ist nicht genug für jeden vorhanden.
• Ein Mittelkonflikt liegt vor, wenn ein Dissens über den richtigen Weg zu einem gemeinsa-
men Ziel besteht.
• Ein Wertkonflikt beruht auf einem Dissens über den Status eines Objekts, worunter in der
Regel Wertkategorien wie Sicherheit, Macht, Herrschaft oder Territorialstaatlichkeit (z. B.
Einflusssphären, Grenzen) zu verstehen sind.
Bei echten Wasserproblemen handelt es sich nach WBGU überwiegend um Interessenkonflik-
te, die einer Verhandlungslösung („Regimelösung“) noch am ehesten zugänglich sind (gestrit-
ten wird mit rationalen Gründen, die auch rational aus dem Weg geräumt werden können).
Kritische Konfliktsituationen entstehen danach aus Mittelkonflikten. Die geringsten Chancen
für die Bildung von zwischenstaatlichen Regimen bieten Konflikte um Werte, also um Sicher-
heit, Herrschaft, Einflusssphären und Ähnlichem155. Diese Annahme wird durch Untersuchun-
gen gestützt: Wasser ist in den meisten Auseinandersetzungen vor allem dort zum Auslöser
von Konflikten geworden, wo bereits länger Spannungen aufgrund religiöser, ethischer oder
politischer Rivalität bestanden haben.156 Dennoch nimmt das Gefahrenpotential zu: bei einer
zunehmenden Verknappung der Ressource wird Wasser nämlich tatsächlich – wie heute das
Erdöl – nicht nur zur knappen Ressource sondern sogar zum Machtfaktor. Dann wird Wasser,
wie SCHNAPPAUF157 prognostiziert, das „Erdöl von morgen“.
Eine sehr griffige Darstellung der Entstehungsweise von Konflikten enthält das WBGU-
Gutachten von 1997 mit dem dort geschilderte Gefangenensyndrom von RAVEN und
RUBIN158 (Tafel 7). Dieses Prinzip gilt auf allen Ebenen, vom Lokalen bis ins Internationale.
In dieser Konstellation haben Spielpartner mit einer hohen kooperativen Kompetenz signifi-
kant bessere Erfolgsaussichten. Nach DESER wird in dieser Konstellation der Begriff des
Vertrauens zum wertschöpfenden Faktor. Auch (ggf. zurückliegende) Kommunikation fördert
grundsätzlich die Chancen auf Vertrauen und damit auf Wertschöpfung.

155
WBGU 1997, S. 218
156
Wallacher 1999, S. 93 f.
157
anlässlich einer Pressekonferenz 2001 zum Thema internationale technische Zusammenarbeit auf
dem Wassersektor, Kronach
158
nach Deser 1996, S. 158 ff, Spielmodell der „sozialen Austauschtheorie“ als Teil der Kommunikati-
onstheorie
56 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors

Das Gefangenendilemma
Umweltprobleme lassen sich häufig als Gefangenen-Dilemma-Situation modellieren. Beispiel-
haft wird folgende Situation angenommen: In zwei Staaten A und B werden Güter produziert,
bei deren Herstellung verschmutztes Abwasser anfällt, das in ein gemeinsam genutztes Gewäs-
ser gelangt. Die Produktion der Güter bringt den Einwohnern einen als messbar unterstellten
Nutzen von jeweils 8. Ohne Abwasserreinigungsmaßnahmen wird das Wasser so stark ver-
schmutzt, dass daraus kein Vorteil mehr gezogen werden kann. Ergreifen beide Staaten Abwas-
serreinigungsmaßnahmen, bringt das Wasser aufgrund seiner verbesserten Qualität für die Ein-
wohner in jedem Staat einen Vorteil von 6 mit sich, wobei die Kosten der Abwasserreinigung
jeweils 4 entsprechen.
Ergreift nur ein Staat Reinigungsmaßnahmen, bringt dies für jeden Staat einen Nutzen aufgrund
der verbesserten Wasserqualität von 3 mit sich.
Ertragswerte bei verschiedenen Staat B
Strategiekombinationen Strategie 1 Strategie 2
Strategie 1 Lösung I Lösung II
10, 10 7, 11
Staat A
Strategie 2 Lösung III Lösung IV
11, 7 8, 8
In der Matrix steht in den 4 Zellen I–IV jede Zahl für den Nettonutzen der Einwohner von A
(links) oder B (rechts). Verzichten beide Staaten auf die Abwasserreinigung, erreichen sie aus
der Güterproduktion jeweils einen Nutzen von 8 (Zelle IV). Führen beide Staaten Abwasserrei-
nigungsmaßnahmen durch, erlangt jede Gesellschaft einen Nettonutzen von 10 (Zelle I): Der
Nettonutzen aus der Produktion reduziert sich wegen der Kosten der Abwasserreinigung von 8
auf 4.
Diesem steht aber ein Nutzenzuwachs aufgrund des reinen, gemeinsam genutzten Wassers in Höhe
von jeweils 6 gegenüber. In der dargestellten Situation gibt es, wenn A und B die Strategie der je-
weiligen Gegenseite nicht kennen, sowohl für A als auch für B eine dominante Strategie: Unabhän-
gig vom Verhalten von B wird A immer Strategie 2 (Verzicht auf die Reinigung) wählen, und unab-
hängig vom Verhalten von A wird B sich immer für seine Strategie 2 (Verzicht auf die Reinigung)
entscheiden. Entschließt sich B zur Reinigung, erreicht die Bevölkerung von A dann, wenn hier auf
die Reinigung verzichtet wird, einen Nutzen von 11. Im Unterschied dazu wäre der Nutzen nur 10,
wenn in A ebenfalls Abwasserreinigungsmaßnahmen durchgeführt würden. Verzichtet B auf die
Reinigung, stellen sich die Menschen in A ebenfalls besser, wenn sie der Strategie 2 (keine Reini-
gung) folgen (Nutzen von 8 statt 7). Unabhängig vom Verhalten von B ist der Verzicht auf die Ab-
wasserreinigung für die Menschen in A die vorteilhaftere Lösung. Gleiches gilt aber für die Men-
schen in B. Da in beiden Staaten somit – bei fehlender Kooperationsmöglichkeit – rational auf die
Abwasserreinigung verzichtet wird, stellt sich die in Zelle IV dargestellte Situation ein. Die Men-
schen in beiden Staaten wären allerdings besser gestellt, wenn sowohl A als auch B ihre Abwässer
reinigen würden. Jede der beiden Gesellschaften könnte dann einen Vorteil (Nutzen) in Höhe von 10
erzielen.
Um dieses Ergebnis zu erreichen, sind aber Regeln erforderlich, die dazu beitragen, die Unsi-
cherheit über das Verhalten anderer zu reduzieren. Ohne eine bindende Regel werden sich beide
Staaten so verhalten, dass das Ergebnis in Zelle IV – welches zu einem von beiden unerwünsch-
ten Resultat führt – realisiert wird.

Tafel 7: Gefangenen-Dilemma als Modell für strategische Fehlentscheidungen im Umweltsektor


2.3 Schwerpunkt gesellschaftlich-soziale Bedeutung der Wasserwirtschaft 57

Allein das gegenseitige „sich sehen Können“ hatte in den Spielsituationen bereits das koopera-
tive Klima und damit die Ergebnisse verbessert. Auch kulturelle Einflüsse können einen weit
reichenden Einfluss haben, je nachdem ob eine gemeinschaftliche Misstrauenskultur (Bespitze-
lungsstaat) oder eine Kooperationskultur (Kibbuz) herrscht. Tatsächlich kommt es aber wegen
mangelnden Vertrauens bzw. mangelnder Einsicht bezüglich des Nutzens des Gemeinwohls in
der Realität regelmäßig zur suboptimalen Misstrauenslösung (Lösung I, s. u.).
Konsequenterweise nennt der WBGU drei Punkte, die entscheidend sind, damit die Akteure in
der Zusammenarbeit ihre Ziele erreichen können:
1. gegenseitiges Vertrauen in die Echtheit, Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit der Sprache
des Gegenübers,
2. Verständigung über die Situationsdefinition und den normativen Rahmen und
3. Kompromiss über die Verteilung.
Weltweit ist das mögliche Konfliktpotenzial gewaltig: Es gibt mindestens 214 Flussgewässer
mit Konfliktpotenzialen. 155 davon berühren die Interessen von 2 Staaten, bei 36 sind 3 Staa-
ten involviert und bei 23 vier bis 12 Staaten. Die meisten Anliegerstaaten hat die Donau, sie
durchfließt 10 Staaten, das Einzugsgebiet umfasst sogar 18 verschiedene Länder. Die Grund-
wassersituation ist in der Regel regional begrenzt, dort aber nicht weniger konfliktträchtig. In
den Regionen mit diesen Konfliktpotenzialen leben über 40 % der gesamten Weltbevölkerung
und dort existieren in den wenigsten Fällen mehrseitig akzeptierte Abkommen oder Verträge.
Eine Übersicht über die weltweiten Konfliktsituationen enthält der Bericht der UNESCO nach
einer Arbeit von WOLF et al159. Daraus ist zu entnehmen, dass ausweislich der aufgenomme-
nen Ereignisse die Zusammenarbeit die Auseinandersetzung überwiegt. Beispiele für aktuelle
Konfliktsituationen sind im Anhang 1 aufgeführt160, eine Typisierung in Abbildung 2-10.

159
UNESCO 2003, S. 27
160
Wallacher 1999 S. 108 ff
58 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors

450

400

350

300

250

200

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Abb. 2-10: Ereignisse im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Einzugsgebieten. Von links nach
rechts in 14 Stufen abnehmendes Konfliktpotential, auf der Abszisse sind Fallzahlen vermerkt. [Quelle:
UNESCO 2003]

Die Verfügungsgewalt über die Ressource Wasser und ihre Verteilung ist von existenzieller
Bedeutung. Der WBGU hat zur Bearbeitung der Ressourcenkonflikte ein Leitbild formuliert,
das folgende Aspekte umfasst:
• Unterstützung bei der Durchsetzung eines individuellen Rechts auf Wasser entsprechend
den von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) festgelegten Qualitäts- und Mengen-
standards
• Initiierung einer "Weltwassercharta" als Verhaltenskodex, die alle betroffenen Akteure auf
die Bewältigung der Wasserkrise verpflichtet
• Einführung von wettbewerbsorientierten Wassermärkten und Eigentumsrechten an Ver-
und Entsorgungssystemen zur Sicherung des Grundbedarfs unter staatlicher Aufsicht
• Zusammenarbeit der Industrieländer mit den Entwicklungsländern bezüglich des Ressour-
cenzugangs, des Technologietransfers, des Ressourcenschutzes usw.
• Nutzung und Schutz grenzüberschreitender Gewässer durch begleitende transnationale
Kommissionen
• Konfliktvermeidung durch Unterstützung von Regelungen und Projekten einer ausgewoge-
nen Nutzung von grenzüberschreitenden Gewässern.
• Bildungsmaßnahmen
• Ausschöpfung aller Einsparpotenziale
• Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien in der Bewässerungslandschaft
2.3 Schwerpunkt gesellschaftlich-soziale Bedeutung der Wasserwirtschaft 59

Ein hervorragendes Modell zur Konfliktvermeidung ist die Bewirtschaftung im Sinne von
Flusseinzugsgebieten, wie sie die WRRL vorgibt.
Besonders die Bundesregierung hat als Beitrag zur internationalen Friedenssicherung in den letz-
ten Jahren den Belang der grenzüberschreitenden Wasserwirtschaft verfolgt und in Kongressen
und Entwicklungsschwerpunkten Lösungen entwickelt. In Europa sind schon vor Jahrzehnten die
Internationalen Kommissionen entstanden, z. B. IKSR und IKSD für Rhein und Donau. Bilateral
gibt es seit der Gründung der Bundesrepublik die Grenzgewässerkommissionen, denen es schon
zu Zeiten des eisernen Vorhangs gelungen ist, größere Konflikte ums Wasser zu vermeiden. Eine
der Grundlagen, die dies ermöglichten, war die feste Überzeugung der beteiligten Fachleute, dass
sich der Belang des Wassers nicht als politisches Kampffeld eignet.

Es ist derzeit absehbar, dass das Konfliktpotential um das Wasser zunimmt, weil eine fort-
laufende Verknappung eintritt. Wassermanagement muss diese Gefahr berücksichtigen.

2.3.3 Politisch-gesellschaftliche Relevanz des Wassersektors


Die Relevanz des Wassersektors für die (Tages-) Politik ist situationsabhängig. Der Einschät-
zung des WBGU folgend sind die politisch besonders kritischen Wertekonflikte, d. h. Macht-
fragen, im Wassersektor bisher selten. Das kann sich in Zukunft bei fortschreitender Verknap-
pung zwar ändern, heute überwiegen weltweit aber so genannte Interessens- oder Mittelkon-
flikte, die einer Einigung im Grunde zugänglich sind.
Der konfliktträchtigste Bereich ist die Wasserversorgung, weil hier am offensichtlichsten
grundlegende Belange betroffen sind (basic needs). Eine starke Emotionalisierung der Kon-
fliktsituation ist nicht an bestimmte Länder gebunden, sondern kommt sowohl in Entwick-
lungsländern wie auch in wirtschaftsstarken Ländern vor. Abwasser wird in Verkennung sei-
ner tatsächlichen Bedeutung für Umwelt und Gesundheit in der Regel vor allem von der Kos-
tenseite her diskutiert. Hochwasser und andere Naturkatastrophen sind zwar nahe am Ereignis
konfliktträchtig, die Aktualität hat aber eine geringe Halbwertszeit.

2.3.3.1 Der Faktor politischer Willen am Beispiel der Abwasserbeseitigung


Im politischen System gibt es „top down“- und „bottom up“-Mechanismen. Entscheidungspro-
zesse sind üblicherweise komplex aus beiden zusammengesetzt.
Damit wird der politische Wille, etwas zu tun oder zu lassen, zum entscheidenden Faktor. Gewähl-
te politische Führung wird sich zunächst nach dem Willen der Bevölkerung richten. Bei weniger
populären Themen müsste die Politik entweder top down entscheiden oder durch entsprechende
Information und Kommunikation bottom up-Prozesse anstoßen (aktivierender Staat). Bei vielen die
Nachhaltigkeit betreffenden Themen ist aber beides schwierig, solange „der Mann auf der Straße“
die Notwendigkeit nicht ohne Weiteres einsieht. Beispielhaft ist dieser Effekt bei der Abwasserbe-
seitigung, die oft als reine altruistische Umweltleistung und damit von nachgeordneter Priorität
empfunden wird. Auch eignen sich Abwasseranlagen wenig für plakative politische Botschaften,
einfach, weil man sie überwiegend nicht mehr sieht, wenn der Bau abgeschlossen ist.
Teil des Problems sind am Bedarf beziehungsweise am Verständnis der Bevölkerung vorbei
gebaute „top down“-Ansätze. Der WSSCC beschäftigt sich ausgiebig mit diesem Thema:
ARPUTHAM, Präsident des indischen Nationalverbandes der Slumbevölkerung (India’s Nati-
onal Slum Dwellers Federation): “No progress is possible, until the urban authorities stop
trying to hand down centrally planned solutions. The urban elites are still clinging to the noti-
60 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors

on that they are the greatest experts in solving problems faced by the poor. It is an attitude
which has led to literally thousands of failed projects.”161
Umgekehrt ist mangelnder politischer Wille ein Haupthinderungsgrund. Gerade der Abwasser-
sektor wird nach wie vor stiefmütterlich behandelt, was sich in den weltweit unglaublich ge-
ringen Anschlussgraden zeigt. Ohne jedes Abwassersystem sind laut Angabe der UNDP162
weltweit 39 % der Bevölkerung. Die Zahl derer, die nicht an eine Abwasserreinigungsanlage
angeschlossen sind, ist nur zu schätzen:
„Die zunehmende Verstädterung in den Entwicklungsländern geht weitgehend ohne Ausbau der
Wasserversorgung und Zunahme der Kapazitäten zur Abwasserreinigung vor sich, so dass gar
nicht oder nur unzureichend geklärtes Wasser in den Vorfluter gelangt. Häusliche Abwässer
bilden z. B. in Südamerika ein großes Problem. Überdurchschnittlich viele Flüsse weisen eine
extrem hohe Keimbelastung (koliforme Keime) auf. Nach Schätzungen des World Resources
Institute werden hier nur 2 % der häuslichen Abwässer gereinigt. Von 3.119 Städten in Indien
besitzen nur acht Städte eine vollständig ausgebaute Infrastruktur zur Abwassersammlung und -
reinigung. Auch in den Ländern mit mittlerem und höherem Einkommen geben Städte wie Buenos
Aires oder Santiago de Chile, in denen lediglich 2 % bzw. 4 % der städtischen Abwässer geklärt
werden, ein Beispiel für die mangelnde Infrastruktur in der Abwasserreinigung.“163
Das Problem ist aber durchaus nicht der Politik (in diesem Falle der Stadtverwaltung) allein
zugeordnet. In der gleichen Veröffentlichung äußert sich die kolumbianische Regionalpolitike-
rin GUAPACHA über das Problem, dass eine unwürdige Situation zu Lethargie führt:
“The town was a dump. A depressed, depressing place. The streets were filthy, there was rub-
bish everywhere, and people wandered around barefoot. If it was raining when they got up in
the night to go to the toilet outside, they wrapped plastic bags around their feet to walk
through the mud.
There was already a well here, and a system that piped water into people's homes. But the well
was too close to the pits that people had dug to get rid of their excrement, so the sewage was
mixing with the water. What came out of the tap was so filthy and disgusting that you couldn't
even wash clothes in it. People washed their clothes in the river. I hated seeing the women all
day at the river washing clothes. And I hated it myself. We drank the water from the river, too.
The kids were constantly sick with diarrhea.
It was bad here – but as far as I could see, no-one was lifting a finger to do anything about it.
You might think that people who have to live with this kind of thing everyday would be commit-
ted to the cause of changing things. You might think it would be easy to get them to support
programmes aimed at helping them. You'd be wrong. Poverty breeds a kind of apathy, a resig-
nation. People here, in El Hormiguero, gave no time to bettering their everyday living conditi-
ons – they'd lived with it so long, they didn't even see how bad things were164.
Tatsächlich ist Nordwesteuropa, insbesondere Deutschland, mit seinen über 80 % Anschlussgrad
an Abwasserreinigungsanlagen, die den strengen Anforderungen der WRRL entsprechen welt-
weit die Ausnahme. Politisch ausgetragene Konflikte gibt es aber auch dort. Sowohl die hohen
Kosten wie auch die Art der technischen Lösung sind in kontroverser Diskussion. Ein Streitpunkt
sind z. B. sogenannte dezentrale Lösungen, d. h. Kleinkläranlagen. In besonderer Weise hatte sich

161
WSSCC 2004a, S.4
162
UNDP 2003, S. 25
163
WBGU 1997, S. 277
164
ebenda S. 46
2.3 Schwerpunkt gesellschaftlich-soziale Bedeutung der Wasserwirtschaft 61

hier ein Bürgerwille manifestiert, der weg von den kommunalen Anlagen hin zu individuellen
Lösungen tendierte. Mit der politischen Akzeptanz dieser Strömung haben sich interessanterweise
inzwischen Gegenströmungen gebildet, die wiederum die zentralen Anlagen als die komfortable-
re Lösung vorziehen. Durch dieses Beispiel kann eventuell belegt werden, dass eine frühzeitige
höhere Partizipation und ein Verbinden der top down-Ansätze der Kommunen mit den bottom
up-Ansätzen der organisierten und unorganisierten Bürgerschaft bessere Lösungen erbringt.

2.3.3.2 Diskussion der Aufgabenzuteilung: öffentlich oder privat?


Im Bereich der Siedlungswasserwirtschaft nimmt die politische Diskussion um Privatisierung
und Liberalisierung großen Raum ein. Die Argumentationen bewegen sich – kurz gesagt –
zwischen dem privaten Ansatz als die Lösung der weltweiten Wasserprobleme (verkürzt: pri-
vater Gewinn als Motivation zur nötigen Schaffenskraft und Erfüllung der MDG), und Sorge
um den Grundsatz der „freien“ und dem Allgemeinwohl verpflichteten Lebensgrundlagen.
Historisch wird der Wasserbereich oft als die staatliche Aufgabe interpretiert.165

Beispiel Bayern: Die Entwicklung der Siedlungswasserwirtschaft in Bayern ist typisch für
viele europäische Länder. Im 19. Jahrhunderts waren die katastrophalen hygienischen Ver-
hältnisse Ursache für Krankheiten und soziale Missstände. Wie heute in den Entwick-
lungsländern waren in der Regel die ärmeren Gesellschaftsgruppen am stärksten betroffen,
in doppeltem Sinn, weil nicht nur die gesundheitliche Gefahr unter ärmlichen Verhältnis-
sen durch die Nähe zu den Keimen und die Abhängigkeit von bedenklichem Wasser steigt,
sondern weil in der Folge auch kein Geld für ärztliche Versorgung vorhanden war. Letzt-
lich war die ganze Gesellschaft durch Epidemien betroffen, dazu kamen wirtschaftliche
Auswirkungen durch krankheitsbedingten Ausfall.166. Die hygienischen Zusammenhänge
wurden Mitte des 19. Jhd. von Max von PETTENKOFER erkannt und kommuniziert. In
der Folge wurde unter seiner Leitung ein Programm zur Verbesserung der Zustände so-
wohl der Wasserversorgungsanlagen wie auch der Abwasseranlagen entwickelt. Die Was-
serversorgung und Abwasserentsorgung selber sowie die Zuständigkeit für die kleinen
Gewässer wurde dagegen den Gemeinden übertragen. Die Wasserinfrastruktur wurde so
zur kommunalen Angelegenheit, kommunale Pflichtaufgabe und Teil der kommunal-
bürgerlichen Identität. Dazu gehören die eigenen Wasserrechte und das Empfinden, über
ein „eigenes“ Wassers verfügen zu können (ownership). Der Staat hat aber neben finan-
zieller Unterstützung (Investitionsanreiz) auch mit dem Bureau für Wasserversorgung zu-
nächst die technischen Strukturen zur Umsetzung geschaffen. Dabei übernahm das staatli-
che Büro nicht nur die Beratung der Gemeinden, sondern – gleichsam als implemente
Qualitätssicherung – auch die vollständige Planung und den Bau.
Wenige Jahre nach dem Beginn der Sanierungsarbeiten im Siedlungswasserbau wurden
nach dem gleichen Prinzip zur Verbesserung der staatlichen Infrastruktur unter Leitung
von Leo von KLENZE die Oberste Baubehörde gegründet, deren Abteilung für Straßen-

165
Es gibt Theorien, nach denen sogar das Staatsgefüge als solches zunächst aus der Notwendigkeit der
geordneten Wasserbewirtschaftung entstanden ist. Zitiert wird hier die Bewässerung in Mesopota-
mien und in Ägypten. Die Fortsetzung findet dieser Ansatz im römischen Reich, dessen berühmter
Siedlungswasserbau eine wichtige öffentliche Aufgabe war. Besonders interessant sind „bürgerliche“
Einrichtungen wie der Spanische Wassergerichtshof in Sevilla (Rogers 2003)
166
Schmitt 2001, S. 2
62 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors

und Wasserbau im Wassersektor Flussbaumaßnahmen und Meliorationen durchführte.


Damit wurde im Vollzug der Wassergesetze von 1852 der Lösungsansatz, der in der Sied-
lungswasserwirtschaft zu einer hocheffizienten Organisationsform geführt hatte, auf die
ebenfalls im Gemeinwohl stehenden Aufgaben wie Hochwasserschutz, Urbarmachung,
Schiffbarkeit, Schutzbauten usw. übertragen. Heute ist die Siedlungswasserwirtschaft
kommunale Pflichtaufgabe, private Modelle sind möglich, aber selten.

In den meisten Kulturen wird Wasser an sich als öffentliches Gut gesehen. Die meisten
Rechtsnormen kennen im Wasserbereich den Begriff des Gemeingebrauches, der auch die
(Trink-) Wassernutzung zum Eigengebrauch beinhaltet. Abhängig vom Rechtssystem, vor
allem im angelsächsischen Recht, gibt es allerdings auch aus dem Grundbesitz abgeleitete
Nutzungsrechte. Das Verhältnis zum Wasser wird auch von diesen Rechtssystemen bestimmt,
was u. a. an der Einstellung gegenüber einer Privatisierung erkennbar wird. So schreibt die
Weltbank in einem informellen Bericht: „Public bureaucrats lose their influence on promotion
and access to possibilities each time one of their own public-owned departments or enterprises
is privatized. Consequently they are generally against privatization. A mayor from Hesse[n]
said: ‘You don’t think I became mayor just to sit here with 12 Charlies once everything’s been
privatized’”167. Man kann diese Aussagen der (deutschen) öffentlichen Betreiber auf persönli-
che Unflexibilität und Geltungssucht münzen, aber auch als Ausdruck eines legitimen, dem
Gemeinwohl verpflichteten politischen Gestaltungswillens sehen.
Tatsächlich ist in den meisten Staaten der Besitz der Wasserinfrastruktur in der öffentlichen
Hand während der private Sektor überwiegend in Form von Betreibermodellen und anderen
reversiblen Modellen involviert ist. In einigen Staaten, z. B. Ungarn und Frankreich, ist der
Verkauf von Wasserinfrastruktur und Wasserrechten überhaupt verboten.
Es ist davon auszugehen, dass es eine Meta-Ebene im menschlichen Verhältnis zum Wasser
gibt. Die Sorge um das Wasser rührt von den grundlegenden Bedürfnissen aufwärts alle Be-
dürfnishierarchien der Menschen an. Auch die kulturell-spirituelle Ebene wird in den Weltreli-
gionen genauso wie in Naturreligionen angesprochen. Diese Zusammenhänge sind in Abbil-
dung 2-11 anhand der Maslowschen Bedürfnispyramide interpretiert. Mit dieser Meta-Ebene
der Bewahrung der Grundbedürfnisse hängt wohl auch die Sorge um die Konsequenzen für die
Nachhaltigkeit, die sich aus Übertragung von Aufgaben an Private ergeben könnten, zusam-
men: Wassernutzung hat immer auch mit Wasserschutz zu tun, eine klassische gesellschaftli-
che Aufgabe. Die Ausweisung von Schutzgebieten wie Trinkwasserschutzgebieten, Natur-
schutzgebieten oder auch Überschwemmungsgebieten ist praktisch nur aufgrund gesellschaft-
lich-gesetzlicher Legitimation möglich, da mit seltenen Ausnahmen immer in irgendeiner Wei-
se in Privateigentum eingegriffen wird. Solche Eingriffe zugunsten eines Privaten sind immer
umstritten. Ob dieser hohe Anspruch in öffentlich-rechtlichen Systemen dann auch umgesetzt
wird, ist für die subjektive Wahrnehmung oft unwichtig. Was zählt, ist nicht nur die Frage
nach dem technisch besten Management sondern auch die psychologische Frage der möglichen
Abhängigkeit von einem privaten, vielleicht sogar „anonymen Großkonzern“.

167
Briscoe 2005, S.9
2.3 Schwerpunkt gesellschaftlich-soziale Bedeutung der Wasserwirtschaft 63

Maslowsche Bedürfnispyramide im Bezug zum Wasser

5. Stufe Selbstverwirklichung
dazu zählen: Individualität, Güte,
(internationale?) Gerechtigkeit,
(anderen etwas geben)
4. Stufe Soziale Anerkennung
dazu zählen: "ich-Bedürfnisse" sammeln, wie
Anerkennung, Geltung, Selbstbestimmung
(Eigenes Wasser), Selbstachtung
3. Stufe Soziale + Kulturelle Bedürfnisse
dazu zählen: Kommunikation, Partnerschaft, Liebe,
Freundschaft, Gruppenzugehörigkeit, Naturerleben,
sauberes, appetitliches Wasser, , Kulturerleben
2. Stufe Sicherheit
dazu zählen abstrakt: materielle und berufliche Sicherheit,
Lebenssicherheit (Hochwasserschutz), und konkret: ein Dach über
dem Kopf, Versicherungen, Kündigungsschutz, ein Zaun, usw.

1. Stufe Grundbedürfnisse
dazu zählen:Trinken, Essen, Schlafen, Bewegung, Sexualität ,
Gesundheit, Würde (Abwasserentsorgung)

Abb. 2-11: Die Maslowsche Bedürfnispyramide, ergänzt (in kursiv) durch Belange, die direkt und indi-
rekt mit dem Wasser zu tun haben. Neben Trinkwasser ist auch Gesundheit, Schutz vor Hochwasser und
Erholung in der Natur berücksichtigt.

Aufbauend auf den Ausführungen zum Effizienz-Management in Kap. 2.2.2.1 entspricht es


tatsächlich dem weltweiten Erkenntnisstand, dass Betrieb bzw. Management der Wasserinfra-
strukturanlagen die größte Schwachstelle der internationalen Bemühungen um Fortschritte in
der Wasserwirtschaft ist. Ein Großteil der Diskussion um den Wassersektor betrifft deshalb die
Frage, wer die Einrichtungen des Wassersektors, insbesondere im Bereich Wasserversorgung
und Abwasser, betreiben soll. Abbildung 2-12 zeigt die prinzipiellen Möglichkeiten.
Der Idealfall eines öffentlichen Unternehmens ist ein effizienter Betrieb, der günstige, kosten-
deckende Preise verlangt. Etwaige Überschüsse können transparent in den allgemeinen Haus-
halt (Kommune oder Staat) vereinnahmt werden; daraus kann dann z. B. ein Ausgleich (Stadt
Ÿ Land, reich Ÿ arm, Versorgung Ÿ Reinigung) finanziert werden. Der Gewinn bleibt also
in jedem Falle bei der Gemeinschaft. Der ideale Private wirtschaftet ebenfalls effizient und
berücksichtigt im notwendigen (vorgeschriebenen) Maße die Belange des Gemeinwohls; die
(maßvollen168) Gewinne wird er allerdings abschöpfen. Für alle Varianten muss ein entspre-
chender legislativer, gesellschaftlicher und regulativer Rahmen vorhanden sein.

168
Gewinnmargen von 10 % bis 20 % sind zwar bei globalen Unternehmen heute übliches Ziel, können
aber im Wassersektor auf keinen Fall gemeinwohlverträglich erreicht werden.
64 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors

Unternehmensformen und Rechtsrahmen


z.B.Thames-Water

Aufsichtsrat, rein private Form,


Soziale und fachliche Gesetze, techn. Normen
Regulierungs- auch zuständig für
behörden
Umweltmanagement

Regulierungs- Aufsichtsrat, Besitz


Staatsbehörde behörden BOO

„übliche“ Privatisierung

Aufsichts- Beteiligung,
Staatsbehörde Konzession, BOT
gremium
Flußgebiets-
ausschuß z.B. französisches Modell

Gemeinderat, Betriebsführungsmodelle
Staatsbehörde
Bürger

Überwiegend in Bayern, USA Gesellschaftsform

Gemeinderat, Rein „staatliche“ Form,


Staatsbehörde Aufsichtsgremium
Bürger Kommunaler Betrieb

Abb. 2-12: Übersicht über die möglichen Organisationsformen im Wassersektor, dargestellt nach stei-
gendem Privatisierungsgrad. Bei der rein privaten Form ist auch das Umweltmonitoring weitgehend
privatisiert, dem Staat bleibt nur noch die reine Aufsicht.

Kritische Diskussion privater Lösungsansätze:


Der Vorteil privater Lösungen entsteht nach der Theorie der Gesetze der Marktwirtschaft, weil
die Ergebnisse unternehmerischen Handelns im Grunde zwangsläufig optimiert werden. Die
Gesellschaft gibt danach lediglich noch die Rahmenbedingungen vor, die auch die Anforde-
rungen des Gemeinwohls berücksichtigen. So sollen nicht nur die Erträge für die Shareholder
optimiert werden, sondern ebenfalls die Marktteilnehmer, in diesem Fall also alle Bürger,
profitieren (klassische Annahme der Win-win-Situation).
In der Festlegung dieser Rahmenbedingungen liegt aber ein erstes Problem: Die prinzipiellen
Grenzen eines wirtschaftsliberalen Ansatzes bezüglich der Erfüllung des Gemeinwohlanspru-
ches wurden in Kap. 2.2 erörtert. Der mittelbare, regelnde Einfluss des Bürgers (Stakeholder),
wie er in kommunalen Gremien sehr deutlich zum Ausdruck kommt, wird im privaten Betrieb
zum Großteil gegen den Einfluss der Shareholder getauscht. Je mehr Entscheidungen in einem
Wassersektor, z. B. Wasserversorgungsbetrieb, nicht mehr der direkten gesellschaftlichen
Kontrolle (Parlament, Gemeinderat, Partizipationsprozesse usw.), sondern der freien Markt-
entwicklung unterworfen werden, desto notwendiger und umfangreicher werden indirekte
Rahmensetzungen (Regelungswerke). Die Konsequenz ist also entweder eine entsprechend
höhere Regelungsdichte oder ein größeres Risiko für das Gemeinwohl.
Eine zweite, noch grundsätzlichere Frage ist, wie weitgehend es sich im Wassersektor über-
haupt um einen Markt handelt, d. h. ob sich die der Marktwirtschaft zugeschriebenen Vorteile
entfalten können. Die wirtschaftswissenschaftliche Kritik geht einmal davon aus, dass der
2.3 Schwerpunkt gesellschaftlich-soziale Bedeutung der Wasserwirtschaft 65

Wassermarkt kein echter Markt ist, sondern immer ein Monopol. Die Ressource Trinkwasser
ist ortsgebunden, d. h. üblicherweise für sich genommen schon ein „knappes Gut“. Aufgrund
der physikalischen Eigenschaften von Wasser ist es nicht beliebig mischbar und im Netz nicht
beliebig „lagerbar“, ohne hygienische Risiken zu vergrößern169. Durchleitungslösungen wie
bei Strom oder Gas sind also bei Trinkwasser eingeschränkt. Die Ver- und Entsorgungsstruk-
turen sind wegen der Leitungen, der Speicher und der Aufbereitungs- bzw. Reinigungsanlagen
aufwändig. Mehrere parallele Netze oder Kläranlagen kann sich keine Wirtschaft leisten. Des-
halb wäre eine Vollliberalisierung nur mit einem stark veränderten, voll aufbereiteten „Ein-
heitswasser“ möglich. Das wird von den meisten Fachleuten und Bürgern abgelehnt. Regionale
Ressourcen lassen sich folglich kaum handeln.
Einen klassischen Markt gibt es daher bei der Ressource selber nicht. Die notwendige Reaktion
des Marktes auf Knappheit und zu hohe Preise – der Verzicht bzw. das Umsteigen auf ein anderes
Produkt – ist beim Wasser damit praktisch unmöglich, es sei denn, man zöge weg. Deshalb wird
im Wassersektor der Wettbewerb nicht im Markt, sondern um den Markt ausgetragen. Es müssen
also zum Beispiel Konzessionen ausgeschrieben und dann für einen bestimmten Zeitraum (z. B.
in Frankreich ca. 10 Jahre) vergeben werden. Dieser Wettbewerb ist aber nicht einfach, weil die
der Ausschreibung zugrundeliegende Leistungsbeschreibung alles andere als trivial ist. Welcher
Anteil der Kosten170 wem unter welchen Bedingungen zuzuteilen ist, erfordert so komplizierte
Vertragswerke, dass üblicherweise die regelmäßige Nachverhandlung Teil des Vertrages wird.
Hierunter leidet die Transparenz. Dennoch gibt es viele Kommunen und Staaten, die mit privaten
Modellen sehr gut zu fahren scheinen, so z. B. Frankreich oder Großbritannien.
Die Kritik aus Sicht der Privatisierungsgegner besorgt unter diesen erschwerenden Randbedin-
gungen wegen der hohen Abhängigkeit vom Trinkwasser langfristige Gebührenerhöhungen.
Dabei wird durchaus eingeräumt, dass ein öffentlich-rechtlicher „Monopolist“, z. B. eine
Kommune, suboptimal wirtschaften kann und die durch private Betreiber möglichen Einspa-
rungen und Synergien vorübergehend durchaus zu Kosteneinsparungen und evtl. sogar Tarif-
vergünstigungen führen. Gewinnmaximierung, so die Sorge, führe dann aber sehr rasch zu
Gebührensteigerungen171, ggf. gesteigert durch Substanzentnahme durch verzögerten Unterhalt
(siehe Beispiel Großbritannien unten).
An den prinzipiellen Vorteilen einer Lösungsauswahl, die unter Wettbewerbsbedingungen zu
Stande gekommen ist, muss kein Zweifel bestehen. Die Gründe der internationalen Entwick-
lungsorganisationen für die Involvierung Privater, insbesondere großer internationaler Was-
serkonzerne wurden im Kap. 2.2.3 geschildert (überwiegend „rotte“ öffentliche Betreiber) und
werden von der GWP wie folgt konkretisiert172:
– Finanzierung: Staaten sind an den Finanzierungen Privater interessiert
– Politik: Private sind eher in der Lage, nötige, aber unpopuläre Reformen (z. B. Tariferhö-
hungen, das Eintreiben von unbezahlten Rechnungen, Kündigungen) durchzuführen
– Erfahrung: große internationale Gesellschaften bringen essenzielles Know-how mit
– Risikoteilung: Private sind typischerweise besser geübt, mit Risiken umzugehen

169
– falsch gemischt korrodieren Leitungen binnen Jahren (vergl. Kalk – Kohlensäuregleichgewicht),
lange Transportdauern lassen die Verkeimungsgefahr steigen
170
zu den Kostentypen vergl. Abb. 3-7, S.116: Dort sind allerdings nur interne Kosten aufgeschlüsselt,
dazu kommen Kosten durch externe Einflüsse, von den Normenänderungen bis zu Neubaugebieten.
171
die aber natürlich auch Ergebnis einer korrekten Kalkulation und Beendigung von versteckten Sub-
ventionen sein können
172
GWP 2002, S. 28
66 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors

Unter „Lessons Learned“ werden Rahmenbedingungen definiert, unter denen der Einsatz pri-
vatwirtschaftlicher Ansätze besonders geraten und möglich sei:
– “Deteriorating levels of service, lack of repairs, backlog in new connections, etc
– Severe budgetary pressure on the water undertaking and government reluctance to subsidies
– Good regulation is provided by government to ensure political and public confidence
– Tendering is open and transparent, and single bidder situations avoided
– Government ensures investment security through legislation
– Efficiency gains cannot be more cheaply and less controversially obtained by reforms to
public undertakings
– The balance between up-front financial bonus gains and long term higher tarif costs is
positive
– Specific targets are set for delivering services to the poor and socially exclude” 173
Positive Beispiele:
• Die großen französischen Wasserunternehmen betreiben seit Jahrzehnten durchaus erfolg-
reich den überwiegenden Teil der Wasserinfrastruktur. Es handelt sich um reine Betreiber-
modelle, bei denen die maximale Konzessionszeit inzwischen auf 10 Jahre begrenzt ist.
• Die Weltbank berichtet regelmäßig von erfolgreichen Privatisierungen.
Kritische Beispiele:
• Die Privatisierung in Großbritannien gilt als eines der weitestgehenden Beispiele in Europa. Je
nach Lesart ist hier sogar die Gewässeraufsicht in den privaten River Authorities organisiert.
Bislang funktioniert dieses System, auch wenn immer wieder kritische Meldungen über die
Versorgungsqualität und die Preisentwicklung gemacht werden. So berichtet der Public Servi-
ces International Research Unit (PSIRU) von erheblichen Preissteigerungen bei gleichzeitiger
Verschlechterung der Qualität174: In England und Wales hat die Regierung Thatcher im Jahre
1989 die Siedlungswasserwirtschaft komplett privatisiert. Zunächst wurden eine Reihe von
Aufsichtsgremien geschaffen, wie die OFWAT175 und die DWI176, dann wurden die zehn re-
gionalen Wasser- und Abwasserunternehmen in England und Wales zunächst mit Steuermit-
teln von über EUR 8 Milliarden entschuldet und mit einer weiteren Sonderzuwendung von
rund EUR 2,6 Milliarden ausgestattet. Die Regierung setzte den Ausgabepreis der Aktien weit
unter dem tatsächlichen Marktwert an, und die Aktienkurse verfünffachten sich schon in der
ersten Woche. Die neuen privaten Gesellschaften erhielten zu einmaligen Konditionen den
Besitz der Wasserwerke und Kläranlagen inklusive aller Leitungen, Kanalisationen,
Grundstücke und Wasserrechte sowie ein Versorgungsmonopol über 25 Jahre. In der Folge
stiegen die Preise für Wasser und Abwasser massiv, im Durchschnitt verdoppelten sie sich
zwischen 1989 und 1999 von jährlich 120 Pfund pro Haushalt auf 242 Pfund. Inflationsberei-
nigt bedeutet dies eine Verteuerung um 46 Prozent. Die Analysen der Regulierungsbehörde
OFWAT zeigen, dass fast der gesamte Umsatzzuwachs als Dividende ausgeschüttet wurde –
über EUR 6 Milliarden allein zwischen 1990 und 1997 – oder massive Gehaltserhöhungen im
Wasserwerksmanagement finanzierte. Das Geld sparten die Unternehmen bei den zugesagten
Investitionen in Rohrnetze, Wasserwerke und Kanäle ein. Im Trockenjahr 1995 kam es zu ei-

173
ebenda, S.28 (im aktualisierten Internetauftritt ist dieses Kapitel interessanterweise von den Grundla-
gen (A3.3) in das Kapitel Institutionen (B1.08) umsortiert worden.
174
Lobina, Hall 2001
175
Office for Water Services – Preisaufsichtsbehörde (Regulierungsbehörde)
176
Drinking Water Inspectorate - Wasserqualität
2.3 Schwerpunkt gesellschaftlich-soziale Bedeutung der Wasserwirtschaft 67

ner beängstigenden Versorgungskrise bei Trinkwasser. Ganze Regionen mussten monatelang


aus Tankwagen versorgt werden. Die Operation erforderte allein im Einzugsgebiet von York-
shire Water den Einsatz nahezu aller in Nordengland verfügbaren Lebensmittel-LKWs. Im
Fall von Yorkshire Water konnte die Aufsichtsbehörde überhöhte Dividenden auf Kosten von
Infrastrukturinvestitionen als direkte Ursache der Krise identifizieren. Nach
SCHLUCHTER177 wurden diese Zusammenhänge sowohl von der Weltbank wie auch vom
britische Unterhaus moniert
• SCHLUCHTER zitiert an gleicher Stelle Vorgänge in Frankreich: „Im französischen Gre-
noble zog die Stadtverwaltung 2000 die Wasserversorgung wieder an sich, die sie 1989 an
den Privatkonzern Suez ausgegliedert hatte: Wegen Missmanagement und Korruption hat-
ten die Bürger in 25 Jahren dem Unternehmen eine Milliarde Franc mehr bezahlt als dem
früheren kommunalen Versorger.“
• Ähnliche Entwicklung von gescheiterten Privatisierungen gibt es auch in den USA, (New
Orleans, Atlanta), Deutschland (Potsdam, Leipzig), Ungarn und anderen.
• Ein spektakulärer Fall ist die Stadt Cochacabama in Bolivien178. Dort hat eine Privatisie-
rung der Wasserversorgung zu revolutionsähnlichen Krawallen und einem Sturz der Regie-
rung geführt. Nach einem ähnlichen Muster verlaufen Konflikte in Paraguay (Asuncion).
Kritische Diskussion öffentlicher Betreiber:
Nach dem wesentlichen Argument der Befürworter sind öffentliche Organisationen Garanten für
das Gemeinwohl, u. a. wegen der Möglichkeit der Kontrolle (und Abwahl) durch den Bürger.
Dieses Idealbild wird aber sofort relativiert, wenn nichtideale Motive wie Misswirtschaft, Korrup-
tion oder einfach Unfähigkeit dazu führen, dass der gewünschte Zustand des Allgemeinwohls
schlicht nicht erfüllt wird. Auch die Anfälligkeit öffentlicher Systeme für sachfremde Einflüsse
der Tagespolitik (z. B. Vetternwirtschaft) ist abhängig von der politischen Kultur hoch.
Positive Beispiele:
• Die Weltbank nennt auch im internationalen Bereich positive Beispiele für alle Unterneh-
mensformen. Neben den Erfolgsmeldungen über gelungene Privatisierungen hat man sich
vor dem Hintergrund des Post Washington Konsenses auch öffentlichen Unternehmen
wieder verstärkt zugewandt. MUHAIRWE von einem sehr erfolgreichen Weltbank- Sanie-
rungsprojekt eines staatlichen Wasserversorgungsbetriebes in Uganda.179
• Auf dem Kongress Wasser Berlin 2001 wurden die Wasserwerke von Seattle als Muster-
beispiel für einen weltweit verbreiteten Typ der kommunal betriebenen Wasserinfrastruktur
vorgestellt. Sowohl in den wirtschaftlichen Kennzahlen als auch bei Qualität und Nachhal-
tigkeitskriterien bis hin zur public awareness glänzt dieses Unternehmen. Gewinne werden
erzielt, aber sofort in kommunale Infrastruktur und Lebensqualität refinanziert.180
• Sehr erfolgreich sind auch „gemischte Modelle“, bei denen zwar die grundsätzliche Strate-
gie in öffentlicher Hand bleibt, Einzelleistungen bis zur Betriebsführung aber an Private
vergeben werden. Die Zornedinger Gruppe181 versorgt rund 100000 Einwohner mit qualita-

177
Schluchter 2003, Wasser und Macht, Wasser*Macht* Leben, Band zur Vortragsreihe des Humanöko-
logischen Zentrums der BTU Cottbus, Cottbus
178
Spiller 2004, Wasser für alle?!, Heinrich Böll Stiftung, Internet
179
Muhairwe 2003
180
Dieses Beispiel stammt aus Vorträgen von der IWA Berlin 2000. Ähnlich bekannt wären in Deutsch-
land die Stadtwerke München.
181
Verband ca. 20 km östlich von München, Bayern
68 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors

tiv erstklassigem Wasser. Als Zweckverband von 5 Gemeinden organisiert, besteht das Be-
triebspersonal nur aus einer Handvoll Mitarbeitern. Selbst die Unterhaltung ist aufgrund
klarer Verträge an lokale Firmen vergeben, das Ersatzteillager besteht nur noch aus den
wenigen Sonderteilen, die auf dem Markt schwer erhältlich sind.
• Die (staatliche) Abwasserentsorgung von Salvador (Bahia) setzt bewusst in den sozial
schwachen Außenbezirken auf Bürgerbeteiligung in so genannten Condominos. Bürger
bauen (!) und unterhalten ihre Abwasserableitungen vom Hausanschluss bis zum Sammler
selber, betrachten sie als Gemeinschaftseigentum. Ursprünglich waren Condominos für et-
was teurere Gemeinschaftsanlagen wie Schwimmbäder, Tennisplätze u. Ä. erfunden wor-
den, die sich jeder wünscht, aber normalerweise alleine nicht leisten kann.182
Negative Beispiele: Negative Beispiele von öffentlichen Wasserinfrastrukturen, die nicht
zufrieden stellend funktionieren, sind „Legion“. Nachdem die meisten Anlagen weltweit nach
wie vor in öffentlicher Hand sind, kann man heute davon ausgehen, dass die in den MDGs
adressierten Mängel überwiegend (aus welchen Gründen auch immer) nicht funktionierende
öffentliche Anlagen betreffen.
Abwägung der Betreiberfrage:
Das Bild an positiven und negativen Beispielen sowohl öffentlich – rechtlich wie privat orga-
nisierter Lösungen ist überaus heterogen. RÖDEL kommt 2003 bei einem Benchmark bayeri-
scher Wasserversorger bei der Auswertung der laufenden Kosten nach der Rechtsform der
Unternehmen zu dem Ergebnis, dass „privatrechtlich organisierte Unternehmen wie auch
Verbundunternehmen gegenüber öffentlich-rechtlich organisierten Wasserversorgern grund-
sätzlich keine günstigeren Werte aufwiesen“.183
Inzwischen scheint die Phase der „um jeden Preis-Privatisierung“ als Allheilmittel zumindest
teilweise überwunden zu sein. Auch die GWP hat in der Fortschreibung ihrer Tool-Box neue
Kapitel aufgenommen, die sich mit der Verbesserung der „Public Services“ beschäftigen: „Im-
proved efficiency of operation in public sector service providers is an important means of
improving the effectiveness of financial resources, and indeed, many public water service and
irrigation agencies are inefficient and need reform. Reform can yield efficiency gains of the
sort normally associated with the private sector”.184

In Summe ist zu schließen, dass die Unternehmensform alleine gar nicht den entscheiden-
den Einfluss hat. Selbst die Rahmenbedingungen können nicht alleine ausschlaggebend
sein, wenn in ein und demselben Land sowohl gute als auch schlechte Beispiele nachzu-
weisen sind. Die Lösung muss also in jedem Falle komplexer sein. Diese Erkenntnis wur-
de zum Aufbau der unter Kap. 3 geschilderten Lösungsansätze berücksichtigt

Aus Sicht dieser Arbeit besteht der Konflikt zwischen den Positionen Wasser als Wirt-
schaftsgut und Wasser als Menschenrecht nur, wenn jeweils Extrempositionen aus einer
Annahme entwickelt werden. Umgekehrt sind in beiden Ansätzen strenge Hinweise auf
Rahmenbedingungen und Funktionalitäten enthalten, die bei der Bewirtschaftung des
Wasserschatzes berücksichtigt werden müssen. Wasser verlangt kurz gesagt wirtschaftli-
che und soziale Verantwortung.

182
Governo da Bahia 2003
183
Rödel 2003, S. 43 In der Untersuchung wurden Betriebe aller Betreiberformen miteinander vergli-
chen, d. h. sowohl rein kommunale wie auch private und alle Zwischenformen. (vergl. auch S.155)
184
GWP 2002, Fortschreibung im Internet, besucht April 2005, zu B1.07
2.4 Strategien internationaler Institutionen und ihre Maßnahmen auf dem Wassersektor 69

2.4 Strategien internationaler Institutionen und ihre Maßnahmen


auf dem Wassersektor
2.4.1 Wasserstrategien internationaler Entwicklungsbanken und Institutionen
2.4.1.1 Weltbankgruppe
Zur Weltbankgruppe gehört die am 22. Juli 1944 gemeinsam mit dem IWF in Bretton Woods als
Sonderorganisation der UNO gegründete International Bank for Reconstruction and Development
(IBRD), die für öffentlich rechtliche Aufgaben zuständig ist und deren Kunden weit überwiegend
Staaten sind, weiter die IDA (International Development Association), die Kreditgeber für die 81
ärmsten Staaten der Erde ist. Die IDA hilft dabei, den Entwicklungsländern einen besseren Zu-
gang zu Bildung, Gesundheit, Trinkwasser und Sanitäranlagen zu verschaffen. Sie unterstützt
Reformen und Investitionen, die Wirtschaftswachstum und Beschäftigung in den Partnerländern
fördern. Der Counterpart für privatwirtschaftliche Entwicklungsprojekte ist die IFC (International
Finance Corporation). Für die Förderung der Privatwirtschaft in den Entwicklungsländern über-
nimmt die IFC Beteiligungen an Firmen und gewährt diesen Kredite. Daneben ist sie in Fragen
der Privatisierung und Umstrukturierung von Unternehmen auch beratend tätig. Die Multilateral
Investment Guarantee Agency (MIGA) wurde 1988 gegründet und sichert privatwirtschaftliche
Direktinvestitionen in Entwicklungsländern durch Garantien gegen nichtkommerzielle Risiken,
wie Transferbeschränkungen, Vertragsbruch, Krieg, Unruhen oder Enteignung ab.
Kernaufgabe der Weltbank ist prinzipiell die Armutsbekämpfung. In diesem Zusammenhang ist
im Wasserbereich die Siedlungswasserwirtschaft schon lange ein Belang, ein zweites Schwer-
punktthema ist der Talsperrenbau für Energie, Bewässerung und Trinkwasser. Die Weltbank-
gruppe beschäftigt sich mit Hilfe erstklassiger, durchaus selbstbewusster Experten sehr intensiv
mit der Entwicklung des Wassersektors, unter anderem unterstützt sie eine Reihe von namhaften
internationalen Gruppierungen wie die Global Water Partnership (GWP) oder das World Water
Council (WWC). Im Rahmen dieser Entwicklungen war die Weltbank auch maßgeblich an der
Formulierung des Integrated Water Ressource Management (IWRM) beteiligt.
Die Weltbankstrategie:
Im Jahre 1993 verfasste die Bank eine Wasserstrategie, die 2004 zum dritten Mal wesentlich
erweitert und fortgeschrieben ist.185 Großprojekte wie der Talsperrenbau hatten die Weltbank
in der Vergangenheit in die Kritik gebracht. Daneben führt die strikte Anlehnung an die Welt-
wirtschaftspolitik der WTO und IWF (Washington-Konsens) bis heute immer wieder zu
höchst kontroversen Auseinandersetzungen. Von Anfang an hatte die Bank auch zur Lösung
der Weltwasserprobleme auf eine weitgehende Beteiligung Privater und auf Liberalisierung
gesetzt. Daraus entstanden unter anderem enge Verbindungen zu den großen Global Playern
vornehmlich aus Frankreich186. Inzwischen ist die Haltung der Weltbank auch aufgrund der
Rückschläge wieder offener, es scheint, als „erkenne auch die Weltbank in zunehmendem Ma-
ße, dass die alleinige Übertragung der Versorgungsaufgabe an den Privatsektor auch nicht
zielführend ist. Die Weltbank arbeitet heute mehr und mehr mit gut geführten öffentlichen
Versorgungsbetrieben zusammen.“187

185
World Bank 2004
186
IRN (International Rivers Network) 2003
187
Hahn 2004, S. 9ff
70 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors

Auch die dritte Fortschreibung der Strategie setzt auf die Einbindung des privaten Sektors, aller-
dings mit dem Unterschied, dass privat und öffentlich nicht mehr als Gegensatz sondern vielmehr
als Partner gesehen werden. „An important change in World Bank practice over the past decade
has been supplementing traditional support for accountable, public sector utilities with support
for private sector involvement in the provision of water and sanitation services. About 40 percent
of projects it finances now involve some form of private sector participation.”188
Die gesamte Wasserstrategie basiert auf den Dublin-Prinzipien und dem IWRM. Im Einzelnen
befasst sich die 3. Fortschreibung mit den Lehren der vergangenen Jahre und formuliert vier
Interventionstypen (Tabelle 2-3). Bemerkenswert ist die Unterscheidung zwischen „allgemei-
ner“ und „armutsbezogener“ Intervention.

Tab. 2-3: Interventionstypen der Weltbank im Wasserbereich189


Art der Intervention
Umfassend („Broad“) Zielgerichtet auf Armutsbe-
kämpfung
Wasser- Ressourcen, Entwicklung Typ 1 Typ 2
bezug und Management Breitangelegter, regionsweiter Gezielter Wasserressourcen-
Wasserressourceneingriff, zum eingriff, z. B. Wassermen-
Beispiel transsektorales FEM genbewirtschaftung in Tro-
und Grundwassermanagement ckengegenden mit armen
Farmern
Serviceleistungen, Sied- Typ 3 Typ 4
lungswasserwirtschaft Umfassende Wirkungen durch Gezielte Verbesserung des
Reform der Siedlungswasser- Wasserservices, z. B. ländli-
wirtschaft, z. B. Reform der che Wasserversorgung und
Wasserversorgung und der Abwasserprojekte
Wassernutzungsverbände im
Bewässerungsmanagement

Eine Kernannahme der Strategie ist, dass eine allgemeine (marktwirtschaftliche) Verbesserung
immer und besonders auch den armen Bevölkerungsteilen zu Gute kommt. Dies wird in Ab-
schnitt 4 des Papiers jeweils durch Beispiele aus Brasilien, Zentral Afrika, Indien, Nigeria,
Philippinen und Yemen hinterlegt. Gerade im Fall Brasilien wird deutlich, wie weit die Bank
ihre Strategie nicht nur als Bedingung für ein Darlehen sieht, sondern sie auch als Partner im
operativen Geschäft umsetzt. „Over the past decade the World Bank has been engaged directly
in the political economy of water reform. A first key element was the engagement of leading
political figures in understanding the stakes, in seeing (trough continuous policy dialogue,
seminars, sector work, study tours and other mechanisms) the means for making changes and
in supporting legislative and institutional reforms of the federal level.”190
Die Bank ist also in jedem Falle wesentlich mehr als nur ein Kreditgeber. Sie gestaltet die
Wasserpolitik in den Kreditnehmerländern aktiv mit:

Als ein Beispiel hierfür wird ein Großprojekt im Nordosten Brasiliens angeführt: Die Aus-
leitung des Rio San Francisco zur Bewässerung riesiger Trockengebiete einschließlich des

188
World Bank 2004, S. 19
189
ebenda, S. 6
190
ebenda, S. 54
2.4 Strategien internationaler Institutionen und ihre Maßnahmen auf dem Wassersektor 71

Ausbaus des Parana zur Wasserautobahn zur Erleichterung des Exports der dort gewonne-
nen Lebensmittel, ein Projekt, das in seinen Dimensionen an das Aralsee-Projekt erinnert
(Aralsee-Syndrom) und in Brasilien wegen seiner möglichen Umweltauswirkungen um-
stritten ist. Die Weltbank übernimmt bewusst durch ihre Ratschläge und Einflussnahme
(„der goldene Zügel“) hohe Verantwortung. So wurde in Brasilien im Rahmen der Novel-
lierung des Wassergesetzes auf Rat der Weltbank eine Konzessionierung der Wasserrechte
beschlossen191. Die längste Konzessionsdauer ist auf 35 Jahre festgelegt, was einer Privati-
sierung der Wasserressource nahe kommt. Die private Handelbarkeit der Konzession ist
nicht ausdrücklich ausgeschlossen192. Auch in Brasilien sind die Privatisierungsansätze bei
den Wasserver- und Entsorgungen umstritten. Im Beberibe-Projekt193 war von der Welt-
bank zum Beispiel vorgegeben worden, dass die Wasserinfrastruktur im Projektgebiet pri-
vat betrieben werden müsse. Dies scheiterte an der Haltung der Stadt Recife, die wie alle
PT194-regierten Kommunen private Modelle grundsätzlich ablehnt, aber auch an der fakti-
schen Situation, weil das Projektgebiet überwiegend aus Favelas besteht, für die sich kein
privater Betreiber finden lässt.

Die Rolle des privaten Sektors und des freien Marktes wird heute vor allem in der öffentlich-
private Partnerschaft (public-private partnership PPP gesehen:
“Toward public-private partnerships. Much of the necessary hydraulic infrastructure is multi-
functional (such as reservoirs that generate electricity and protect against floods). Financing for
water resources infrastructure is not cleanly separable into public and private sectors; increa-
singly, it requires public-private partnerships, both in investment and operation. While private
investment and management are playing, and must play, a growing role, this must take place
within a publicly established long-term development and legal and regulatory framework, and
without crowding out community-managed infrastructure and beneficiary participation in design
and management of water systems. Attracting private investment into low-income countries is
particularly important and necessarily a major focus for institutions like the World Bank.”195
Die Sektorstrategie Wasser unterscheidet zwischen den übergeordneten Organisations- und
Managementfragen und den „Wassernutzungssektoren“ (z. B. Landwirtschaft, Energie, s. u.).
Die übergeordneten Themen werden überwiegend dem öffentlichen (staatlichen) Bereich als
Aufgabe zugeordnet. Diese Einrichtungen werden in öffentlicher Verantwortung und Finanzie-
rung gesehen, Privatisierungen werden nicht als Alternative genannt. Die wichtigsten sind196:
• der institutionelle Rahmen wie Gesetzgeber und Überwachung in den Bereichen wie Um-
welt, Landnutzung, Infrastruktur;
• Managementinstrumente wie Regeln, Finanzinstrumente, Standards und Pläne, Partizipati-
on, Wissens- und Informationssysteme, Zuständigkeitsregeln;
• die Entwicklung und das Management der Infrastruktur wie jährige und mehrjährige Was-
serbewirtschaftung, der Hochwasserschutz und Trockenheit, Wasserspeicherung, Wasser-
qualität und Quellenschutz;

191
Cardoso 2002, MMA Kap IV, Sektion III
192
könnte aber aus dem brasilianischen Wassergesetz, Art. 15 II, (einer Drei-Jahres-Frist für Nichtnut-
zung) hergeleitet werden, wenn man Nutzung auf Eigennutzung bezieht..
193
Beberibe 2000
194
PT = Arbeiterpartei‚ (linke sozialdemokratische Partei), die 2005 die Regierung wie auch z. B. die
Bürgermeister der Städte Rio, Brasilia und Recife stellt
195
ebenda, S. 12
196
ebenda, S. 13ff
72 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors

• das politische Geschäft (the political economy) bzw. Bewirtschaftung des Wassermanage-
ments und Reformen mit einer besonderen Betonung der gerechten Verteilung der Kosten
und des Nutzens und einem Anreizsystem für eine effizientere Wasserressourcennutzung.
Als hauptsächlich wassernutzende Sektoren, die eher dem privaten Bereich zugeordnet wer-
den, sind genannt:
• Landwirtschaft: (Bewässerung und Drainage)197
• Energie: Hier hat die Weltbank ihr Engagement von 1 Mrd. US$ auf ein Zehntel zurückge-
fahren.
• Wasserversorgung und Abwasserentsorgung: Die Hauptaufgabe hier wird in der sicheren
und verlässlichen Wasserversorgung (insbesondere der ärmeren) Bevölkerungsgruppe ge-
sehen. Dazu wird die ganze Bandbreite von Lösungsansätzen zitiert. Als relativ neu wird
der Ansatz, mit der Wasserversorgung auch den Abwasserbereich zu beachten, besonders
gekennzeichnet: “… so too is there broad agreement on the central features of a sound wa-
ter supply and sanitation sector. This agreement draws on the same principles of separa-
ting the role of provision (public and private) from that of regulation, policy formulation
and assessment (a public role), and of stimulating competition among providers.62”.
• Umweltbereich: Der Umweltbereich wird bewusst unter den „Nutzungssektoren” subsu-
miert. Es sind damit vor allem terrestrische und aquatische Nutzungen gemeint, die einen
Einfluss auf den Sektor haben. Damit spricht die Bank deutlich die wirtschaftlichen Aus-
wirkungen von umweltrelevanten Verhaltensweisen wie Land (über-)nutzung, Erosion,
Wasserverunreinigung, Vernichtung von Retentionsräumen, Überfischung usw. an. Gleich-
zeitig wird in diesem Zusammenhang auch das Flusseinzugsgebietsmanagement sowie das
Thema Klimaänderung angesprochen.
• Preise und Wasserrechte: In diesem wichtigen Kapitel wird als Neuerung gegenüber frühe-
ren Strategien u. a. untersucht, warum die Theorie der kostendeckenden Preise in bestimm-
ten Fällen nicht zutrifft.
– Dazu wird auf sozial-kulturelle Hintergründe hingewiesen, die ein Grund für Abwei-
chungen vom Kostendeckungsprinzip sein können. Allerdings wird eingeschränkt, dass
der Kunde nicht bereit ist, unter diesem „Deckmäntelchen“ für die mangelnde Effizienz
der öffentlichen Betreiber zu zahlen.
– Ein weiteres Problem sei die Bereitschaft, zwar für Service, nicht aber für die Ressource
selber zu zahlen. Dies wird besonders bei Bewässerungen zum Problem, wo der Ressour-
cenpreis weit über dem Servicepreis liegt. Zur Abhilfe wird ein handelbares Wasserrecht
diskutiert, das den Wert des Wassers an sich in Marktpreise umrechnen lässt. Die Bank
sieht sehr wohl die Probleme, führt auch Staaten an, bei denen das Wasserrecht an sich
nicht handelbar ist, kommt dann aber dennoch zu dem Schluss, dass so erhebliche Vorteile
entstehen. Damit seien die Stichworte Wettbewerb, Regulierung, Transparenz, Benchmark
und Verantwortlichkeit verbunden. Als Herausforderung wird allerdings der rechtliche
Rahmen gesehen, damit der Besitzer auch zu seinem Geld kommt.198
Ein besonders strittiger Bereich ist die Privatisierung der Wasserrechte. Diese steht in der
Kritik, gegen ein Menschenrecht am Wasser zu verstoßen. Dieser Ansatz belegt das Misstrau-
en der Bank in staatliche bzw. gesellschaftliche Steuerungen199, weshalb der Kraft des Marktes

197
Hier fällt im Strategiepapier als Mangel die fehlende Thematisierung der Agrochemikalien auf.
198
ebenda 23 ff
199
“First, the prerequisites are relevant for any form of well-managed allocation system, and the absence
of such prerequisites is a problem for all allocation systems, including the administrative allocation
2.4 Strategien internationaler Institutionen und ihre Maßnahmen auf dem Wassersektor 73

zusammen mit staatlicher Garantie, dass Eigentumsansprüche auch durchgesetzt werden kön-
nen, eine größere Wirksamkeit unterstellt wird.
Die meisten Staaten in Europa denken hier anders. Sowohl Deutschland wie Frankreich, Groß-
britannien, die Niederlande und Portugal sehen Gewässer in der französischen Rechtstradition
an sich als öffentliches Gut an („domaine public“ bzw. sogar „patrimoine commun de la Nati-
on“) oder holen die faktische Bewirtschaftbarkeit über die Genehmigungspflichtigkeit der
Wasserbenutzung wieder ein. Im Wassersektor mutet der Ansatz der Weltbank aus diesem
Blickwinkel archaisch an. BREUER ordnet in seiner Systematik das Privateigentum an Was-
serrechten der „ersten, vorindustriellen Phase der Unbedarftheit“ zu200. Erst nach dem Versa-
gen der privatwirtschaftlichen Regelung aufgrund der deutlich werdenden Ressourcenver-
knappung und einer Eingriffsphase des Staates (zweite Phase) erfolgt danach die Überführung
dieser Privatnutzungen in einer „dritten Phase“ zur „öffentlich, gemeinwohlorientierten Be-
wirtschaftung“201 durch den Staat. Eine Ergänzung des europäischen Systems um marktbilden-
de Elemente im Sinne der Weltbank ist die öffentlich-rechtliche Bewirtschaftung und eine
„monetäre Bewertung“ anhand von gezielten Abgaben (vgl. dazu auch 202 ).
Eine weitere Absicht der Weltbank und gleichzeitig Motivation für eine Beteiligung des priva-
ten Sektors ist die Aktivierung von Finanzmitteln. Die Bank gibt die privaten Investitionen im
Wassersektor mit 700 Mrd. $ in der letzten Dekade an. Damit sei der Anteil der Privaten im
Wasserservice auf 5 % gestiegen. Diese Strategie wird auch von allen anderen Entwicklungs-
banken verfolgt.
Strategien der anderen internationalen Entwicklungsbanken der Weltbankgruppe:
Die kontinentalen Entwicklungsbanken wie die IADB (Interamerican Development Bank) ADB
(Asian Development Bank) fungieren unabhängig im Rahmen der Weltbankgruppe. Die Anleh-
nung an die Weltbankstrategie ist ausgeprägt, auch wenn natürlich regionale Belange schon auf-
grund der Aufsichtsgremien stärker gewichtet sind.203 IWRM ist auch dort Grundlage. Eine Zwi-
schenstellung nehmen Institutionen wie die Organisation Lateinamerikanischer Staaten (OAS)
ein. Die OAS hat ihren Sitz in Washington D.C. und kooperiert sehr intensiv mit der Weltbank.
Es sind dort die Staatschefs organisiert, eine Art Netzwerk in Entwicklungsbelangen. Die OAS
betreibt fund raising und finanziert damit Projekte, die als strategisch besonders wichtig eingestuft
sind. Oberziele sind die Vernetzung, aber auch capacity building innerhalb der Staaten.

Ein Beispiel ist das Guarani Aquifer Projekt: Eines der größten Grundwasservorkommen La-
teinamerikas erstreckt sich auf eine Länge von 2000 km und eine Breite von 1000 km zwi-
schen den Staaten Brasilien, Uruguay, Paraguay und Argentinien. Millionen von Menschen
nutzen das Wasser, u. a. im Staat Sao Paulo. Eine Bewirtschaftung, national oder internatio-
nal, findet kaum statt. In einigen der Länder wird Grundwasser wie ein Bodenschatz angese-
hen, d. h. „abgebaut“, nachhaltige Bewirtschaftung ist nicht üblich. Es gibt durchaus Span-
nungen zwischen den Ländern, weil es zu Nutzungskonflikten bei Trinkwasser, aber auch bei
Heil- und Thermalwässern kommt. Die OAS möchte in einem internationalen Projekt das

systems practiced in most countries. (As with everything in water management, the choice is not be-
tween first and second best, but between “imperfect” and “even more imperfect.”)”, ebenda, 24
200
Breuer 1997
201
ebenda, S.26 u. 27
202
Barraqué 1997, S. 623: „In allen europäischen Ländern, in denen auf wirtschaftliche Anreize zurück-
gegriffen wird, ergänzen diese eher die bestehenden Vorschriften als dass sie sie ersetzen.“
203
ADB 2002, S 15 f (policy), S 17 (Agenda 21), S 19 ff (IWRM), S 23ff (private sector participation,
PPP, Participation)
74 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors

Monitoring und eine gemeinsame Datenbank aufbauen und dann in einem zweiten Schritt zu
gemeinsamen Bewirtschaftungen kommen. Die OAS bringt ihre hohe regionale Kompetenz
in das Projekt ein. Durch den Aufbau des Projektes ist ein Mehrwert in Form eines grenz-
überschreitenden Netzwerks politischer und fachlicher Art entstanden.

2.4.1.2 Internationale Fachgruppen


Viele international tätige NGOs beschäftigen sich wenigstens am Rande mit dem Thema Was-
ser. Die Liste geht von allen international tätigen Hilfsorganisationen über die meisten Um-
weltorganisationen bis zu den Forschungsverbänden usw. Für die fachliche Seite sind drei
große Fachgruppen, GWP, WWC und IWA am wichtigsten. Diese drei weltweit operierenden
Organisationen haben ihren Hauptsitz in Europa. Allen dreien ist gemeinsam, dass sie sich den
Statuten der A21 bzw. der nachhaltigen Wasserwirtschaft verschrieben haben.
GWP (Global Water Partnership)
Die Global Water Partnership (GWP) mit Sitz in Stockholm ist 1996 als NGO aus einer Initia-
tive der Weltbank und der UNEP entstanden. Ihre Mission ist die Verbreitung des Integrierten
Wasser Ressourcen Managements (IWRM). In einem hochrangig besetzten Technischen Ko-
mitee arbeiten internationale Wasserfachleute an der Fortentwicklung des IWRM selber und
einer Reihe von unterstützenden Schriften.
Die GWP ist die der A21 und der UNCSD nächst stehende Organisation. Bei der letzen Umor-
ganisation 2002 wurde sogar diskutiert, in Zukunft als eine UN-Organisation zu firmieren.
Auch werden dort Gehälter nach UN-Statuten bezahlt. Man hat sich jedoch dazu entschieden,
den Sitz der Organisation weiterhin in Stockholm zu belassen und als NGO, wenn auch mit
starker Unterstützung der UN und anderer GOs, weiter zu arbeiten.
Im Jahre 2005 hat die Weltbank erhebliche Kritik an der GWP geäußert. Angeblich seien die
Fortschritte der GWP in den Augen der Weltbank nicht ausreichend: „Länderübergreifende
Initiativen der Weltbank im Wasserbereich erfüllen nur bedingt ihren angestrebten Zweck.
Unklare Ziele, zentralisierte Maßnahmen und schlecht definierte Verantwortlichkeitsbereiche
schwächen die Effektivität der Programme im Rahmen der "Global Water Partnership"
(GWP). Um den Erfolg zu verbessern, müssten die betroffenen Entwicklungsländer stärker in
die Durchführung der Programme einbezogen werden. Darüber hinaus muss die GWP die
Wandlung von einem Programm, das in erster Linie ein Netzwerk darstellt, zu einer mehr
handlungs- und ergebnisorientierten Partnerschaft vollziehen. Weniger Theorie und mehr
Praxis lautet daher die Anforderung für die Zukunft“, so das Fazit der Weltbank.204
WWC (World Water Council)
Das WWC ist in den Grundaussagen ebenfalls auf den Begriff der Nachhaltigkeit der A21 aus-
gerichtet. WWC ist der kommerziell ausgerichtete Verband. Es sind dort insbesondere die
großen international tätigen Wasserversorger wie ONDEO Mitglied. Mit Sitz in Marseille ist
ein gewisser Schwerpunkt in Frankreich, daneben aber auch bei japanischen und türkischen
Mitgliedern festzustellen. Auf der Regionalebene besteht zwischen WWC und GWP eine enge
Zusammenarbeit (Projektebene). Das WWC richtet zusammen mit der GWP alle 3 Jahre das
World Water Forum (WWF) aus (z. B. 2003 in Kyoto).

204
Europäischer Wirtschaftsdienst, Wasser und Abwasser, No4, Februar 2005
2.4 Strategien internationaler Institutionen und ihre Maßnahmen auf dem Wassersektor 75

IWA (International Water Assocation)


Die IWA ist eine Verbindung von Fachverbänden. Sie entstand 1999 aus der Zusammenlegung
der Verbände IAWQ (International Association of Water Quality) und IWSA (International
Water Supply Association). Die IWA arbeitet nach eigenem Bekunden mit der Weltbank, der
WHO und den UN-Organisationen zusammen, die auf dem Wasser- und Abwassersektor tätig
sind. Außerdem ist IWA Gründungsmitglied des WWC sowie an der GWP und dem CCWSS
(Collaborative Council on Water Supply and Sanitation) beteiligt. 205
Als deutsche Fachverbände sind DWA und der BGW, als Entwicklungsorganisationen GTZ
und KFW sowie das BMZ Mitglieder. Die IWA ist stark auf die Siedlungswasserwirtschaft
konzentriert, Naturgefahren spielen eine untergeordnete Rolle.

Der deutsche Einfluss auf die internationalen Wasserstrategien ist gering. Bei GWP und
WWC ist die deutsche Beteiligung vergleichsweise marginal. Wasserfachleute aus den in
Deutschland für den Sektor zuständigen Ländern fehlen in internationalen Gremien prak-
tisch vollständig. Damit sind auch die kommunalen deutschen Modelle206 kaum vertreten.

2.4.2 Europäische Wasserpolitik


2.4.2.1 Innereuropäische Wasserpolitik: Wasserrahmenrichtlinie (WRRL)
In wasserwirtschaftlicher Hinsicht hat sich die EU mit der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL)
positioniert, die aus einer Vielzahl von Einzelvorschriften als derzeit letzte Generation der
Normensetzung entwickelt wurde und sich mit der Qualität der Oberflächen- und Grundwässer
auseinandersetzt. Wesentliche Teile sind eine
• Bestandsaufnahme und das Monitoring einschließlich der Meldungen nach Brüssel, die
• Definition eines guten Zustandes in biologisch und chemischer Sicht, dazu
• Ziele für den morphologischen Zustand.
Die WRRL enthält bezüglich dieser Qualitäten ein grundsätzliches Verschlechterungsverbot
und Fristen zur Umsetzung der einzelnen Maßnahmen. Weiterhin werden strategische Aus-
sagen zur Bewertung von Wasser (Wasserpreise) sowie zum Wassermanagement gemacht.
Organisatorisch sieht die WRRL eine Bewirtschaftung in Flussgebieten (vgl. Kap. 3.3.4.4)
unter intensiver Bürgerbeteiligung vor.
Damit werden die meisten Zielvorstellungen der A21 adressiert, nimmt man das Verschlechte-
rungsverbot, auch in Hinblick auf die Nachhaltigkeit. Die Umsetzung ist in EU-typischen
Aktionsprogrammen vorgesehen. Die WRRL hat weltweit für den Wassersektor Vorbildcha-
rakter. Es gibt aber Einschränkungen:
• Der bürokratische Aufwand ist zumindest in der Aufbauphase erheblich.
• Es besteht die Gefahr der Überregulierung. Neben der WRRL existieren zum Beispiel auch
auf dem Wassersektor noch weitere Richtlinien im Wasserbereich, wie die Badewasser-
richtlinie oder die geplante Grundwasserrichtlinie.
• Umgekehrt sind noch nicht alle zur Materie gehörenden Regelungen enthalten bzw. har-
monisiert, was aus der Entstehungsgeschichte der EU zu verstehen ist.

205
http://www.iawq.org.uk/template.cfm?name=about
206
Viele Länder, wie z. B. auch die USA, sind kommunal organisiert. Es fehlt hier aber der aktive Wille,
im internationalen Wassergeschäft mitzuwirken. Diese Motivation ist bislang privaten Betreibern
vorbehalten.
76 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors

Das fehlende Glied ist bisher der Hochwasserschutz, dessen Rahmenbedingungen aber mit
Mitteilungen der EU vom Juli 2004 analog der Struktur der WRRL EU-weit empfohlen
werden. Dies ist die Konsequenz aus den großen Hochwässern 1999 und 2002, nach denen
die EU vehement um finanzielle Unterstützung der geschädigten Regionen gebeten worden
war207.
Sonderfall Agrarbereich: Die EU hatte ursprünglich als Wirtschaftsgemeinschaft begonnen.
Der Umweltschutz kam wie andere Bereiche als eigenes Ziel erst mit der Weiterentwicklung
zur EU in der „Einheitlichen Europäischen Akte“ von 1986, in Kraft getreten am 1. Juli
1987, hinzu. Der Agrarsektor, von Anfang an ein wichtiger Sektor innerhalb der EU und auch
im Jahre 2004 immer noch der größte Einzeltitel des europäischen Haushalts, hat eine Reihe
von Regelungen und Subventionen hervorgebracht, die unter Umweltgesichtspunkten bedenk-
lich sind. So werden Fruchtarten gefördert, deren Produktion mit unvermeidbaren Umweltbe-
einflussungen einhergeht, wie z. B. der Mais208, der hohe Düngegaben fordert und durch die
fehlende Bodenbedeckung zu Nitratauswaschungen und Bodenabtrag führt. In der Folge ist die
Verunreinigung des Wassers durch Agrarprodukte in weiten Teilen Europas der größte Mangel
in der Nachhaltigkeitsbilanz des Wassers209.
Seit Jahren wird schrittweise versucht, diese Widersprüche aufzulösen. Mit der Nitratrichtlinie
von 1990 wurde ein erster Schritt zur Verringerung der Einträge ins Grundwasser unternom-
men. Tatsächlich scheinen die Belastungen nicht mehr zuzunehmen. In der Richtlinie Cross
Compliance210 ((EG) Nr. 1782/2003), Bindung von Subventionen an Umweltauflagen und
betriebliches Beratungssystem, wird nun versucht, die verschiedenen Ziele in der ländlichen
Nutzung zu harmonisieren. Grundgedanke ist, dass nur noch solche landwirtschaftlichen Leis-
tungen gefördert werden, die auch im Einklang mit den Umweltanforderungen stehen.211

2.4.2.2 Transnationale und internationale Wasserpolitik der EU


Anlässlich des Gipfels von Johannesburg 2002 hat sich die EU zu weiteren internationalen Leis-
tungen im Wassersektor bereit erklärt. Zu den innergemeinschaftlichen Aktionsfeldern kommen
vermehrt solche, die auch Nicht-EU-Länder einschließen. Die Geltungsbereiche sind weltweit
verteilt. Die Vorgehensweise der EU unterscheidet sich dabei von der der Entwicklungsbanken
durch die Methodik der Programme. In einem Programm werden grundsätzliche Ziele (z. B.
Verbesserung der Infrastruktur) in einem bestimmten Geltungsbereich festgelegt. Außerdem wird
der Programmumfang (i. d. R. im neunstelligen Bereich) und die Laufzeit von Anfang an be-

207
EU 2004a. Die Reaktion der Bundesländer ist allerdings verhalten. Mehrheitlich werden die prinzi-
piellen Ziele des Papiers durchaus begrüßt, es wird aber der EU-typische Verwaltungsaufwand ge-
fürchtet. Außerdem ist eine Diskussion entstanden, ob auf diesem Sektor überhaupt Defizite beste-
hen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass zeitgleich die Bundesgesetzgebung ebenfalls zum The-
ma Hochwasservorsorge eine Novelle des WHG vorgelegt hat, die Anfang 2005 nach erheblichen in-
haltlichen Diskussionen vom Bundestag beschlossen wurde.
208
aber auch die Zuckerrübe, mit zusätzlichen globalen Auswirkung (Konkurrenz zum Zuckerrohr)
209
UN Berichte zur Nachhaltigkeit.
210
EU 2003
211
Auch international wird seit geraumer Zeit die Rolle der weltweiten Agrarmarktsteuerung kontrovers
diskutiert. Die Abschottung von westlichen Märkten verhindert – verkürzt gesagt – Importe aus Ent-
wicklungsländern, die stattdessen auf Entwicklungshilfe und Darlehen angewiesen sind. Erst seit den
Verhandlungen der WTO in Cancún 2003 kommt in diese Situation, an der auch die EU maßgeblich
beteiligt ist, Bewegung.
2.4 Strategien internationaler Institutionen und ihre Maßnahmen auf dem Wassersektor 77

stimmt. Die Programmmittel sind außerdem in der Regel Zuwendungen, d. h. „Grants“212 in ei-
nem bestimmten Prozentsatz zwischen 30 und 90 % der zuwendungsfähigen Kosten.
Die Randbedingungen enthalten innerhalb Europas immer die Annäherung an die Umwelt-
standards der Gemeinschaft (Acquis Communautaire); Nebenaspekte sind je nach Programm
bi- und multilaterale Zusammenarbeit oder bestimmte strukturelle Entwicklungen (z. B. Stabi-
lisierung des ländlichen Raumes). Finanznehmer sind, je nach Programm, entweder Länder
oder öffentliche Einrichtungen, aber auch Hochschulen oder Private. In der Programmperiode
bis 2005 hatten rund 20 Programme direkten und indirekten Einfluss auf die Umsetzung einer
nachhaltigen Wasserwirtschaft213:
• Bestimmte Bedingungen wie die Beteiligung verschiedener Nationen können einen Zusatz-
nutzen in Form des Informations- und Technologieaustausches erbringen. Gleichzeitig wer-
den gezielt nachhaltige Fragestellungen in einem internationalen Kontext aufgearbeitet und
stehen dann allen zur Verfügung. Ein Beispiel dafür sind die strategischen Interreg-Projekte.
• Durch die Teilnahme vieler Projekte in einem Programm entsteht eine Vergleichbarkeit,
besonders gute Lösungsansätze werden deutlich214.
• Einige Programme sind aufgrund ihrer Größe und thematischen Konzentration strukturbe-
einflussend, d. h. erzeugen eine flächige Wirkung (z. B. ISPA).

2.4.3 Deutsche Wasserpolitik (national und international)


Deutschland ist ein föderal organisierter Staat mit einer starken Position der Länder. Die Wasser-
gesetzgebung fällt in Deutschland in den Bereich der Rahmengesetzgebung, d. h., der Bund er-
lässt das Wasserhaushaltsgesetz (WHG), die meisten konkreten Ausformulierungen finden aber
im Rahmen von Ländergesetzen und Verordnungen statt. Die dadurch typisch föderal heterogene
Umsetzung wird insbesondere durch die Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) koordi-
niert, in der Bund und Länder vertreten sind. Diese historisch gewachsene Organisationsform ist
im Hinblick auf ein modernes, flusseinzugsgebietsbezogenes Wassermanagement nicht optimal.
Dennoch ist die deutsche Wasserwirtschaft in Bezug auf die Nachhaltigkeitskriterien sehr erfolg-
reich, vom Anschlussgrad an die Einrichtungen der Wasserver- und Entsorgung über die Gewäs-
sergüte bis zum Hochwasserschutz. Deutschland ist eine der führenden Nationen bei Umwelt-
schutz und Umwelttechnologie. Konflikte um Wasser sind die Ausnahme.

Daraus ist zunächst zu schlussfolgern, dass die Makroorganisation keine ausschließende


Bedingung für einen Gesamterfolg ist, was bedeutet, dass der Erfolg im Wassersektor we-
sentlich von weiteren Parametern abhängen muss.

Die Schwächen der Heterogenität können zum Beispiel durch Kommunikation und Abstim-
mung, aber vor allem durch gleichartige Leitbilder und eine entsprechende Arbeitsethik mehr
als ausgeglichen werden. Auch scheint die im föderalen System einfachere Berücksichtigung
der regionalkulturellen Bedingungen und Bedürfnisse Vorteile in der Wasserbewirtschaftung

212
Grant = nicht rückzuzahlende Zuwendung. Loan = rückzuzahlende Zuwendung
213
EU 2004
214
Zum besseren Wissensaustausch und zur Erhöhung der transnationalen Effekte wurde anlässlich der
Acqua Alta 2005 in München ein Netzwerk gegründet, das im Kern aus den Projekten SUMAD,
ILUP und Flussraumagenda besteht. An dieser DACH-Initiative können aber auch weitere internatio-
nale EU-Projekte teilnehmen. In München waren weitere 11 Projekte vertreten, die u. a. dort eine
gemeinsame Internetplattform beschlossen haben.
78 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors

zu bringen. Gleichzeitig steht auch die föderalistische deutsche Wasserwirtschaft in einem


gewissen Wettbewerb beziehungsweise Vergleich mit anderen Staaten, den Lösungen in der
EU und weltweit. Über die Bestandsaufnahme ist gemäß Artikel 15 Abs. 2 der WRRL bis zum
22. März 2005 für jede Flussgebietseinheit ein zusammenfassender Bericht an die EU-
Kommission zu übermitteln215. Soweit es bis heute erkennbar ist, liegt Deutschland bei der
Erfüllung der Anforderungen der WRRL trotz seiner hohen Besiedlungs- und Industriedichte
auf keinen Fall schlechter als die vergleichbaren Nachbarstaaten (vgl. Berichte zu WRRL).

2.4.3.1 Auswirkungen der Wasserpolitik der Weltbank auf die deutsche Wasser-wirtschaft
Die Weltbank besucht und evaluiert regelmäßig Länder, um Hinweise auf den Beispielcharak-
ter der dortigen Strukturen zu suchen. Für Furore hat in Deutschland im Jahr 1995 der soge-
nannte Briscoe-Report216 gesorgt: Die deutsche Wasserwirtschaft war dort differenziert beur-
teilt worden:
Positiv wurden gesehen:
• Ressourcenschutz
• Wasserqualität
• Versorgungssicherheit
Neben einer Anerkenntnis für die gute Wasserbewirtschaftung und die vorzügliche Qualität
wurden in einigen Kernpunkten deutliche Kritik geäußert:
• ungenügende Beachtung von Wirtschaftlichkeit und Kosten
• fehlende Diskussion über das Kosten-Nutzen-Verhältnis von hochgesteckten Umweltzielen
(z. B. Leckkontrolle, erweiterte Anforderungen bei Kläranlagen)
• mangelnde Beschäftigung mit den Auswirkungen hoher Kosten auf den Verbraucher
• die Dominanz politischer Faktoren zum Nachteil der Versorgungsstandards und der Kosten
beim Wiederaufbau der Wasserwirtschaft in Ostdeutschland
• bei bestimmten Flussgebieten die Verschiebung von partizipatorischen hin zu technokra-
tisch-wasserwirtschaftlichen Praktiken.
Der Bericht war nach BRISCOE ein eigentlich interner Reisebericht, in dem „frei und frank
Eindrücke geschildert wurden, ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit. Er war niemals als
grundlegende und fundierte Kritik an der deutschen Wasserwirtschaft gedacht, dazu war die
Analyse viel zu wenig präzise“ 217. Die deutschen Wasserverbände haben sich dennoch mit
dieser Kritik intensiv auseinandergesetzt.218Tatsächlich hat mindestens zeitgleich mit diesem
Bericht eine qualifiziertere Auseinandersetzung der deutschen Wasserwirtschaft mit ihren
Stärken und Schwächen begonnen, die bis heute nicht abgeschlossen ist. Es ist in den folgen-
den Jahren mit Hilfe von Benchmark-Methoden zu verstärkten Bemühungen um mehr Effi-
zienz der Wasserunternehmen gekommen219 (siehe Kap. 3.2.6.7).

215
Der Bericht und die dazugehörigen Karten sind auf den Internetseiten des Bayerischen Landesamtes
für Wasserwirtschaft (LfW) abrufbar: http://www.wasserrahmenrichtlinie.bayern.de/wrrl_live/navi-
gation/show.php3?id=246&nodeid=246
216
Briscoe 1995
217
zitiert aus einem persönlichen Gespräch anlässlich der water week 2002 in Washington D.C.
218
BMBF 2000, S. 27
219
Rödel 2002
2.4 Strategien internationaler Institutionen und ihre Maßnahmen auf dem Wassersektor 79

Die Kritik der Weltbank betrifft aber praktisch alle Länder: So wird aktuell im Jahr 2004 in der
3. Strategie eine Liste von Versäumnissen aufgeführt:
„The Policy Paper offers a vision toward which countries should be moving. While experience
has reinforced the relevance and importance of the Dublin Principles, a detailed recent review
by the Organization for Economic Cooperation and Development shows that even the most
advanced countries220 are far from full implementation of these principles in practice, as indi-
cated by the following excerpts:
• “Insufficient progress with integrating environmental and sectoral policies.”
• “Basic water quality standards not yet met.”
• “Prices rarely reflect full economic and environmental costs.”
• “Most work in improving water use efficiency remains to be done.”
• “Demand management policies are still little developed.”
• “Agricultural water use is still heavily subsidized.”
• “The progress achieved to date is the result of many years of effort.”
The implication is not that the principles are irrelevant, or that progress is not possible. Ra-
ther it is that it takes vision, persistence and patience to make progress.”221
Diese Sicht scheint überzeichnet. Für Deutschland, insbesondere für Bayern sind – selbst wenn
man selbstkritisch in vielen Bereichen mögliche Verbesserungen unterstellen kann – die we-
sentlichen Kriterien der Nachhaltigkeit erfüllt. Deutschland hat, differenziert betrachtet, bezo-
gen auf die universelle Verwendbarkeit eines der günstigsten (sozialsten) Trinkwässer der
Welt222. Auch die Situation der Grund- und Oberflächenwasserqualität ist – vor allem unter
Berücksichtigung der Besiedlungsdichte und der Wirtschaftskraft – hervorragend. Auf genau-
so hohem Niveau ist das Naturgefahrenmanagement. Unter diesen Aspekten ist es erstaunlich,
dass bei der Beurteilung der Fachleute der Weltbank bis heute nicht mehr an möglichen Anre-
gungen aus Deutschland identifiziert werden konnte.
Eine weitere Wirkung der Weltbankpolitik entstand aus der von der Weltbank vor dem Hinter-
grund des Washington-Konsenses vertretenen Privatisierungspolitik. Diese Bestrebungen wur-
den von den großen privaten europäischen Anbietern nach Kräften unterstützt. Das geschäftli-
che Interesse der privaten Anbieter, sich im europäischen Niedrig-Risiko-Markt zu positionie-
ren, ist klar. Mitteleuropa ist dabei auch strategisches Sprungbrett für den Wachstumsmarkt
Osteuropa. Im Ergebnis hat dies nicht nur zu einem verstärkten Druck privater Unternehmen
auf den deutschen Wassermarkt, sondern sogar zu Forderungen geführt, die deutsche Wasser-
wirtschaft selber verstärkt zu privatisieren, um so als Exportland wettbewerbsfähig zu werden.
Ergänzend werden größere unternehmerische Handlungsspielräume für die deutschen Ver- und
Entsorger gefordert. Das erfordere „eine Überprüfung z. B. steuerrechtlicher und kommunaler
Regelungen im Sinne der Wahrnehmung unternehmerischer Gestaltungsoptionen“223.

220
eigene Hervorhebung
221
World Bank 2004, S29
222
Auch der als relativ hoch bemängelte Wasserpreis müsste außerdem heute vor den Erkenntnissen der
auch von der Weltbank propagierten Nachfragesteuerung neu beurteilt werden. Wie RICHARDS aus-
führt, ist natürlich wassersparende Technologie teuer, er gibt für wassersparende Bewässerung einen
Faktor 3 an. Damit sind die von der Weltbankgruppe als zu hoch eingestuften Ausgaben für Leckkon-
trolle vor allem unter dem Aspekt der internationalen Verwendbarkeit neu zu bewerten (Richards
2002, S.2).
223
BMBF 2000, S.11
80 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors

In der damit verbundenen Strukturdiskussion werden zwar immer wieder Vorteile des deut-
schen Modells genannt224 – kommunale Verankerung, dezentrale Strukturen, Bürgernähe –
eine Diskussion, ob die deutsche Struktur nicht eine im Weltmarkt wichtige eigenständige
Lösung verkörpert, wurde vom BMZ und der GTZ begonnen, konnte sich aber zunächst nicht
durchsetzen225. In Bayern hat die Diskussion zu einer Ablehnung der Liberalisierungsbestre-
bungen geführt. Die bereits existierende Erledigung von Teilaufgaben durch Private soll dage-
gen weiter unterstützt werden. Der bayerische Umweltminister SCHNAPPAUF bezieht hier
eine klare Position:
„Wasser ist keine Ware wie jede andere, sondern unser wichtigstes Lebensmittel. Die Aufgabe
Wasserversorgung muss in kommunaler Hand und öffentlicher Verantwortung bleiben. Es ist
bewiesen, dass unser System bisher schon eine flächendeckende Versorgung in hoher Qualität
mit bundesweit günstigen Preisen sicherstellt. Eine Liberalisierung mit völlig freiem Wettbe-
werb würde dagegen hohe Risiken für Qualität und Preis mit sich bringen. Minderwertigeres,
gechlortes Einheitswasser kann nicht das Ziel sein. In Betracht können nur wohl überlegte
Privatisierungen kommen, ohne dass die Kommunen die Verantwortung der Aufgabenerfül-
lung aus der Hand geben“ 226.
In der Bundesregierung ist die Position nicht einheitlich. Während das Wirtschaftsministerium
mit dem Henzler Gutachten eine Liberalisierung fordert, sehen das BMZ und das BMU die
Frage differenzierter. SCHNAPPAUF fordert deshalb die Bundesregierung auf, hier „endlich
Flagge zu zeigen“ und sich nachdrücklich gegen eine Freigabe des Marktes einzusetzen227.

Aufgrund der hohen Nachhaltigkeitsqualität der deutschen Wasserwirtschaft scheint es nahe


liegend, nicht nur die gewachsenen Strukturen im Binnenmarkt positiver wahrzunehmen son-
dern sie auch auf einen internationalen Vor- oder Leitbildcharakter zu überprüfen.

2.4.3.2 Organe der internationalen Zusammenarbeit


Die internationale Zusammenarbeit ist Aufgabe des Bundes und seiner Institutionen, wobei in
der Bamberger Erklärung 1999 eine stärkere Mitwirkung der Länder für den Umweltsektor
vereinbart wurde. Die wichtigsten Institutionen auf Bundesebene sind neben dem zuständigen
Bundesministerium für Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) die KfW für die finanzielle
und die GTZ für die technische Entwicklungszusammenarbeit.

Internationale finanzielle Zusammenarbeit der KfW:


Die „Kreditanstalt für Wiederaufbau“ (KfW) wurde nach dem zweiten Weltkrieg gegründet,
um bei der Beseitigung der Kriegsschäden zu helfen. In Erweiterung ihrer ursprünglichen
Aufgaben wurden ihr wesentliche Teile der finanziellen Entwicklungszusammenarbeit (FZ)
übertragen, die die technische Zusammenarbeit (TZ) ergänzt. Heute ist die KfW sowohl finan-
ziell als auch fachlich ein bedeutender Partner in der weltweiten Entwicklungszusammenar-
beit: „[Die KfW] ist dem vorrangigen Ziel der deutschen Entwicklungszusammenarbeit ver-

224
ebenda 26 ff
225
BMZ, GTZ 1999, Heft 99: Der dritte Weg als Mittelweg zwischen Privatbetreibern und Staatsbetrie-
ben
226
StMUGV (Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz), 2005
“Wasserversorgung Schnappauf: Klares Nein zur Liberalisierung - Privatisierung kann Chancen bie-
ten“ in: Pressemitteilung Nr. 124, 10. März 2005 München
227
ebenda
2.4 Strategien internationaler Institutionen und ihre Maßnahmen auf dem Wassersektor 81

pflichtet, die wirtschaftliche und soziale Lage der Menschen in Entwicklungsländern nachhal-
tig zu verbessern. Mit ihrer finanziellen Zusammenarbeit trägt sie zur Bekämpfung der Armut,
zum Schutz der natürlichen Ressourcen und zur weltweiten Friedenssicherung bei.“228
Ähnlich wie die Weltbank ist die KfW bemüht, mit einer transparenten, regelmäßig fortge-
schriebenen Strategie das Risiko-Nutzen-Verhältnis des eingesetzten Kapitals zu verbessern.
Außerdem sollen die entwicklungspolitischen Ansätze der Bundesregierung und der von dort
unterstützten weltweiten Organisationen (vor allem der UN) unterstützt werden. Natürlich
wirkt die KfW bei der Erfüllung der MDGs229 genauso wie beim Thema Good Governance
mit. Im Wassersektor wird bankintern mit großer fachlicher Qualität gearbeitet, die Sektorstra-
tegien haben einen hohen Standard. Ähnlich der Weltbank werden dabei bestimmte weltpoliti-
sche Strömungen mit vollzogen. So hat die KfW über Jahre eine überaus privatisierungs-
freundliche Haltung eingenommen, durch die aber ähnliche Probleme generiert wurden wie bei
Projekten der Weltbank. Inzwischen ist die Haltung differenzierter230 (vgl. auch Kap. 3.3.2.4).
Gemeinsam mit der GTZ hat auch eine sehr klare ‚Übernahme’ der Ergebnisse der World
Commission on Dams (WCD) mit dem Anspruch nachhaltiger Planungen stattgefunden.231
In den Grundsatzpapieren wird auf die Nachhaltigkeitskriterien Bezug genommen:
„Dem Vorschlag des Entwicklungslandes zur Finanzierung eines Vorhabens [müssen] Unter-
lagen beigefügt werden, die möglichst umfassend über Ziele, Art und Umfang der beabsichtig-
ten Investition, deren ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Wirkungen, den für die
Durchführung und den Betrieb verantwortlichen Projektträger sowie die voraussichtlichen
Kosten informieren“ 232. Im Abschnitt „Gesamtwirtschaftliche, sozioökonomische, sozialkultu-
relle und ökologische Betrachtung“ wird eine Abwägung gemäß der Nachhaltigkeitskriterien
verlangt: „Entscheidende Bedeutung für die Beurteilung der Förderungswürdigkeit kommt
jedoch der zusammenfassenden Beurteilung zu, ob die angestrebten Ziele erreichbar sind und
wie ihre Erreichung entwicklungspolitisch zu beurteilen ist. Hierzu werden die gesamtwirt-
schaftlichen, sozio-ökonomischen, sozial-kulturellen und ökologischen Wirkungen des Vorha-
bens einschließlich möglicher unvermeidbarer Nebenwirkungen abgeschätzt. Bei der gesamt-
wirtschaftlichen Analyse spielen die Ermittlung der Rentabilität in Form einer Kosten-Nutzen-
Analyse sowie die Auswirkungen des Vorhabens auf die Devisensituation und die öffentliche
Haushaltslage im Entwicklungsland eine wesentliche Rolle.“233

228
Internetseite: http://www.kfw-entwicklungsbank.de/DE/KfW %20Entwicklungsbank/Inhalt.jsp
229
BMZ, KfW, GTZ 2004
230
Renner- Häberle, Schönewald 2004
231
GTZ und KfW 2004
232
KfW 2004
233
Der Text geht im Weiteren noch präziser auf die sozio-ökonomischen und kulturellen Bewertungen
ein: „Unter sozio-ökonomischen Gesichtspunkten sind u. a. die Auswirkungen des Vorhabens auf Be-
schäftigung, Einkommen und Einkommensverteilung sowie insbesondere auf die Befriedigung von
Bedürfnissen der Zielgruppe von Bedeutung. Sozial-kulturelle Aspekte (z. B. die traditionellen Rol-
len der Geschlechter im Arbeitsprozess oder religiöse Tabus) werden berücksichtigt, soweit sie für
das Vorhaben von Bedeutung sind. Die Auswirkungen auf die Umwelt werden sorgfältig erfasst, be-
wertet und bei der Gestaltung des Vorhabens berücksichtigt. Nur wenn sich zu erwartende Umwelt-
belastungen durch entsprechende Maßnahmen auf ein tolerierbares Niveau begrenzen lassen, wird
das Vorhaben zur Förderung vorgeschlagen.“
82 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors

Internationale Technische Zusammenarbeit: GTZ, InWEnt, DED:


Die GTZ gehört zweifellos zu den bekanntesten und best angesehenen Entwicklungshilfeein-
richtungen weltweit. Die GTZ ist ein Unternehmen im Bundeseigentum. Sie stellt an sich
selbst die Anforderung, komplexe Reformen und Veränderungsprozesse im Sinne zukunftsfä-
higer Lösungen für politische, wirtschaftliche, ökologische und soziale Entwicklungen in einer
globalisierten Welt dadurch zu unterstützen, dass sie berät und wirksame Strategien und effi-
ziente Lösungen entwickelt. GTZ ist in mehr als 130 Transformations-, Schwellen- und Ent-
wicklungsländern tätig. „Aus über 30 Jahren internationaler Zusammenarbeit kennen wir die
wirtschaftlichen, sozialen und politischen Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Entwick-
lung. Menschen, Sprachen, Kulturen und Märkte sind uns vertraut. Wir arbeiten in rund 2.700
Projekten gemeinsam mit unseren Partnern an der Lösung komplexer Struktur- und Reform-
prozesse. Wir beraten andere Regierungen, internationale Organisationen und Unternehmen
und realisieren deren Projekte als Partner oder Auftragnehmer“234.
Unter dem allgemeinen Spar- und Reformzwang hat die GTZ einen privatwirtschaftlich orien-
tierten Geschäftszweig ausgegründet, die „GTZ International Services“. Internationale Auf-
traggeber wie die Europäische Kommission, Entwicklungsbanken oder die Vereinten Nationen
sowie ausländische Regierungen und international tätige Unternehmen werden von diesem
Geschäftsbereich betreut, d. h. die GTZ International Services tritt im Grunde als Konkurrent
von Unternehmen auf, die sich im freien Markt um internationale Aufträge bemühen. Diese
Situation ist zweischneidig und gibt immer wieder Anlass für Kritik, wenn ein öffentlich fi-
nanziertes deutsches Unternehmen einem privaten deutschen Unternehmen Konkurrenz macht.
Umgekehrt ist das Know-how dieser Organisation so groß, dass es auch im Sinne der Projekte
möglichst intensiv eingesetzt werden sollte235. Die Position bezüglich der Nachhaltigkeit und
der A21 ist in der GTZ noch eindeutiger als in der KfW. Viele Statements und Veröffentli-
chungen werden ohnehin gemeinsam mit BMZ und KfW gemacht. Wasserpolitisch hat sich
die GTZ dadurch eindeutig positioniert, dass sie z. B. von Anfang an die GWP mitgestaltet hat
und dort auch im Steering Komitee vertreten ist.
InWEnt ist der größte vom Bund finanzierte Träger für internationaler Austausch- und Perso-
nalqualifizierungsprogramme, der DED ist der größte Personalentsendedienst der Bundesregie-
rung.
SEQUA als ein Beitrag der freien Wirtschaft:
Seit ihrer Gründung in 1991 unterstützt in Deutschland die SEQUA, ein Verband der Arbeit-
geberorganisationen zur Qualifizierung und Ausbildung, auch die weltweiten Entwicklungsak-
tivitäten der deutschen Wirtschaft.
Mit ihren Projekten leistet die SEQUA einen Beitrag zur wirtschaftlichen und gesellschaftli-
chen Entwicklung in den Reformstaaten Mittel- und Osteuropas sowie in den Entwicklungs-
ländern des Südens. Projektschwerpunkte sind die Förderung kleiner und mittlerer Unterneh-
men, der Aufbau von Selbstverwaltungseinrichtungen der Wirtschaft sowie die Stärkung der
beruflichen Aus- und Weiterbildung in den Partnerländern. Darüber hinaus unterstützt die

234
http://www.gtz.de/de/leistungsangebote/692.htm
235
Vielleicht könnte der Dissens dadurch vermieden werden, dass man auch hier noch mehr auf Zusam-
menarbeit setzt. Das würde bedeuten, dass die Bewerbung um Projekte gemeinsam mit starken Part-
nern (de facto oder potentiell) durchgeführt werden, nur ein Ziel vor Augen: die bestmögliche Per-
formance für den Auftraggeber.
2.4 Strategien internationaler Institutionen und ihre Maßnahmen auf dem Wassersektor 83

SEQUA das Engagement europäischer Unternehmen in Entwicklungsländern sowie in Südost-


europa. Bislang hat die SEQUA über 300 Projekte weltweit durchgeführt.236
Die SEQUA hat zwar keinen ausgesprochenen Schwerpunkt im Umwelt- bzw. Wasserbereich,
hat aber in der Vergangenheit mit einigen Projekten durchaus sehr erfolgreich wichtige Bau-
steine in der institutionellen Förderung des Wasserbereiches geschaffen. In Projekten, die
zusammen mit dem bayerischen bfz237 unter Beteiligung von TTW durchgeführt wurden, wur-
den modellhafte Vorgehensweisen entwickelt (vgl. Anhang 1).
TTW als ein Beitrag des Bundeslands Bayern:
In einigen Bundesländern wurden Initiativen gegründet, um die internationalen Tätigkeiten auf
dem Wassersektor zu unterstützen, was vor dem Hintergrund der Zuständigkeit der Länder für
den Wassersektor durchaus angebracht ist, auch wenn eine gewisse Gefahr der Verzettelung
besteht. Bereits seit 1999 besteht das in der bayerischen Umweltverwaltung angesiedelte Pro-
jekt Technologietransfer Wasser (TTW)238, dessen Konzept im Wesentlichen auf den Erkennt-
nissen der A21 und des IWRM basiert. Die politische Grundlage ist die Regierungserklärung
von 1998: “In der Umwelttechnik sehen wir ein Feld der Innovation und bedeutende internati-
onale Märkte. Wir werden bayerische Unternehmen und Dienstleister bei ihren Bemühungen
zum Export von bayerischer Umwelttechnik unterstützen. Wir werden außerdem dafür sorgen,
dass bayerische Anbieter auch auf dem Weltmarkt der Wasserwirtschaft mit seinen großen
Zukunftschancen Fuß fassen können”239.
TTW versteht sich als ein Baustein in den bundesdeutschen Bemühungen zur Förderung des
Technologietransfers auf dem Sektor Wasser. Die bayerische Wasserwirtschaftsverwaltung
will hierbei mit Hilfe des wasserwirtschaftlichen Netzwerkes die exportierenden Unternehmen
sinnvoll unterstützen (Katalysatorfunktion). Die Motivation für bayerische Auslandskontakte
liegt in den drei Zielebenen
• Mehrung des bayerischen Wissens und Verbesserung der bayerischen Lösungsansätze,
• Unterstützung anderer Länder durch Beratung und Information (Normenexport),
• Technologietransfer durch Verknüpfung von wirtschaftlichen und ökologischen Interessen.
Die praktische Umsetzung erfolgt durch Bereitstellung von Informationen und Beratungsleis-
tungen durch:
• Informationssammlung zum Weltmarkt Wasser,
• Hilfe zum Aufbau eines Kontaktnetzwerkes,
• Kontakte zu internationalen Institutionen im Wassersektor,
• Fortbildung und Beratung bayerischer KMUs240.
In Einzelfällen wirkt TTW auch in konkreten Projekten mit: Finanzierung von feasibility-
Studien im Bereich des IWRM, Projekten zu angepasster Technologie, Durchführung projekt-
begleitender Fortbildungen (capacity building), Experteneinsätze im Bereich Verwaltungsma-
nagement. Besonders im wichtigen Bereich des capacity buildings im Umfeld von good go-
vernance bewährt sich, dass die Beiträge von TTW immer aus Erfahrungen des praktischen

236
http://www.sequa.de
237
bfz = Berufliche Fortbildungszentren der Bayerischen Wirtschaft
238
Wasserwirtschaftsamt Hof, Projekt TTW: www.wwa-ho.bayern.de
239
Stoiber 1998
240
KMU = Klein- und Mittelständische Unternehmen (engl. SME)
84 2 Bestandsanalyse und Strategien des Wassersektors

Verwaltungsvollzuges in Bayern stammen. Nebenbei profitiert die bayerische Verwaltung


erheblich von diesen internationalen Kontakten.

2.5 Zwischenfazit
Die für den Wassersektor wichtigen Global Player verwenden inzwischen ohne Ausnahme die
Ansätze des auf der A21 basierenden IWRM. Damit sind die integralen Ansätze als richtig
anerkannt und können als sichere Grundlage für weitere Entwicklungen angenommen werden.
Konsens besteht in der Einschätzung des Wassersektors als erhebliche Herausforderung inter-
nationaler Politik, vor allem manifestiert durch die MDGs.
Partieller Dissens besteht über die Lösungswege: Alle bedeutenden Institutionen fordern normativ
Nachhaltigkeit, deren Auslegung aber umstritten ist. Bei der Auseinandersetzung zwischen der
sogenannten weichen und der harten Nachhaltigkeit geht es in erster Linie darum, ob der Belange
der Ökologie „gesetzt“, d. h. in der Abwägung als unverzichtbar gewertet werden muss. Die
Alternative geht von einer Subsumierbarkeit aus, d. h. im Extrem Geld statt Natur. Dieser be-
kannte Dissens wird noch komplizierter, wenn die Gesichtspunkte der Sozialethik berücksichtigt
werden sollen, d. h., mit welchem Gewicht sozioökonomische Belange gewertet werden.
Faktisch scheinen als Konsequenz der vorherrschenden Weltwirtschaftsordnung (Bretton
Woods) die Nachhaltigkeitsbelange der Ökologie wie auch des Gesellschaftlich-Sozialen im
Vergleich zur Wirtschafts- und Geldwelt immer noch zweitrangig eingestuft zu werden. Die
Formel: „Möglichst liberale Marktwirtschaft ist immer eine Win-win-Situation, und: „dort, wo
es der Wirtschaft besser geht, geht es auch immer den Armen besser“ ist in Kreisen der Ent-
wicklungsfachleute und der Sozialökonomen umstritten.
Als Folge dieses Dissenses ist der Streit um die Rolle der Privaten im Wassersektor zu sehen.
Die Unterschiede liegen darin, ob grundsätzlich Nachhaltigkeit im Wassersektor eher durch
freie Marktkräfte zum Beispiel durch Privatisierung/Liberalisierung oder durch administrativ-
politische, also dem Gemeinwohl ausdrücklich verpflichtete Kräfte entsteht. So wird auch die
Rolle des Staates zwischen den Positionen „möglichst guter Staat“ und „möglichst wenig
Staat“ gesehen.

Der Begriff der Partizipation ist als Handlungsmaxime zumindest verbal überwiegend aner-
kannt. Die Vorstellungen über die Umsetzung sind wiederum sehr unterschiedlich und reichen
von der civil society bis zur Einbindung armer Bevölkerungsschichten. Nicht ganz einleuch-
tend ist, dass das hoch partizipative deutsche System der kommunal bestimmten Siedlungs-
wasserwirtschaft international so wenig Beachtung findet.
Bis zu einem gewissen Grade prallen also tatsächlich Weltanschauungen aufeinander, doku-
mentiert auch in den divergierenden Meinungen über die Frage, inwieweit Wasserwirtschaft
ein Menschenrecht ist oder über eine Wassercharta, die die Rechte und Pflichten in Flussein-
zugsgebieten völkerrechtlich regelt.
Die großen „finanziellen“ Global Player, allen voran die Weltbank, haben im Wassersektor
politisch besonders wichtige Rollen. Deren strategische Linie wird durch die UN und NGOs
faktisch nur modifiziert. Die Art und Weise, wie die MDGs umgesetzt werden, wird daneben
noch von den „freien Globalisierungskräften“, also dem Agieren der freien Wirtschaft und der
Politik der souveränen Staaten bzw. der EU, beeinflusst.
2.5 Zwischenfazit 85

Weder die theoretisch-wissenschaftliche Diskussion noch die Erfahrungen der praktischen


Umsetzung haben bislang eine eindeutige Antwort nach dem besten Weg geben können. We-
der betont staatlich Systeme noch überwiegend marktwirtschaftliche Lösungen haben sich
bisher als eindeutig überlegen erwiesen.
Diese Unsicherheit hat dafür gesorgt, dass sich bislang keine weltweite Einheitslösung wie
Privatisierung oder Liberalisierung etabliert hat. Gleichzeitig schärfen die Auseinandersetzun-
gen auch die Qualität der Argumente. Wenn man den Post Washington-Prozess betrachtet,
scheinen sich die „Schulen“ durch die tiefgehende Diskussion etwas angenähert zu haben,
gleichzeitig wird die Wissenschaft und die Praxis ermutigt, weitere Beiträge zu leisten. Auf-
grund der weltweit unterschiedlichen Rahmenbedingungen wird es aber auch kaum die Ein-
heitslösung geben.
Die Idee der vorliegenden Arbeit ist es, nicht die Konfliktfelder zu entscheiden, sondern das
Abwägungsdilemma zwischen den Nachhaltigkeitsbelangen zu entschärfen. Dazu wird bei der
unstrittig notwendigen Effizienzsteigerung angesetzt, einem Bereich also, in dem die Frage
nach einer weichen oder harten Nachhaltigkeit noch keine Rolle spielt. Dieses Effizienzmodell
wird aber im Sinne der Nachhaltigkeit sofort um Komponenten einer ökologischen und sozio-
logischen Effizienz erweitert, wobei auch für diese – wo immer möglich – ein längerfristiger
ökonomischer Nutzen nachgewiesen wird. Dies ist nämlich die Botschaft aus den eingangs
zitierten katastrophalen Entwicklungen: es gibt keine wirtschaftliche Nachhaltigkeit ohne auf
Ökologie und sozial-kulturelle Einflüsse Rücksicht zu nehmen.
Ein Modell, das aus deutscher Sicht, aufbauend auf die Erkenntnisse des Kapitels 2, Lücken
schließen helfen soll, wird im folgenden Kapitel 3 vorgestellt.
87

3 From vision to action: Lösungsansatz für


die Umsetzung des IWRM

3.1 These und Ansatz

3.1.1 These

Es gibt eine Grundstruktur des Erfolges, Integriertes Wasser-Ressourcenmanage-


ment in die Praxis umzusetzen. Diese basiert auf den Prinzipien der Nachhaltigkeit und
der Effizienz, einem Staat, der eine Garantenstellung für das Wasser hat, auf einer aktiven
Beteiligung der Bürger in Form von Partizipation und privatwirtschaftlicher Beteiligung,
auf unter diesen Bedingungen entstandener angepasster Technologie und Management und
der unbedingten Berücksichtigung nichttechnischer Faktoren, insbesondere der Kultur.
Das Zusammenwirken dieser Faktoren ist aber nicht beliebig. Durch die nachweisbare
komplexe Abhängigkeit wird ein Erfolg nur durch die direkte oder indirekte Berücksichti-
gung bestimmter, zu benennender wesentlicher Einflussfaktoren hinreichend wahrschein-
lich.
Die Art der Abhängigkeit der Faktoren grenzt außerdem die Arten der Methodik zum Er-
reichen des Zieles auf elastische, iterative und partizipative Prozesse ein.

Die Herleitung und Verifizierung dieser These basiert auf der Betrachtung von erfolgreichen
Wasserwirtschaftsmodellen, insbesondere aus Bayern. Es gibt hier wenigstens zwei Motive,
sich mit internationaler best practice in der Wasserwirtschaft zu beschäftigen: Einmal der
Wunsch, mit der vorhandenen Erfahrung und Technologie durch aktive Beteiligung an interna-
tionalen Projekten bei der Umsetzung der MDGs als der internationalen Herausforderung
mitzuwirken, zum anderen die Notwendigkeit der Optimierung der eigenen nationalen Struktu-
ren mit Hilfe internationaler Erfahrung.
Deutschland gilt international bisher nur sehr bedingt als geeigneter Partner zur Umsetzung der
MDGs, insbesondere wegen des geringen Anteils großer privater Betreiber in der deutschen
Wasserinfrastruktur. Ganz im Gegenteil: Wie in Kap. 2.4.3.1 gezeigt, gilt die deutsche Struktur
eher als Problem denn als Vorbild. In der internationalen Diskussion ist der „deutsche Weg“
im Wassersektor deshalb derzeit fast ausgeblendet. Es herrscht teilweise sogar die Meinung,
dass die deutsche Wasserwirtschaft aus Gründen der internationalen Konkurrenzfähigkeit
strukturell „re-designed“ werden muss.241 Es ist dagegen ein Teil der These dieser Arbeit, dass
das deutsche Modell der Wasserwirtschaft einige bemerkenswerte Vorteile zur Lösung interna-
tionaler Wasseraufgaben hat.
Es gibt nämlich, wie gezeigt, international Bedarf an alternativen Lösungsstrategien. Die bis
heute vielfach propagierten „Einheitslösungen“ mit den Stichworten Liberalisierung, Privati-
sierung, Steuerung durch den freien Markt und „Lösungen aus einer Hand“ haben weltweit in

241
BMBF 2000
88 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

vielen Fällen versagt. Dagegen fällt auf, dass die Strukturen in einem Land wie Bayern zwar
gegen einige theoretische Regeln, insbesondere die der großen Einheiten, zu verstoßen schei-
nen, aber sie funktionieren. Was macht diese Strukturen effizient? Welche Rolle spielen die
mit den üblicherweise verwendeten Indikatoren nicht erfassten nichtmonetären Themen wie
Partizipation, Kultur und Eigenständigkeit?
Auch die Rolle des Staates bzw. der öffentlichen Hände ist zu klären. Im allgemeinen Ver-
ständnis ist weltweit die „richtige Staatspolitik“ (good governance) einer der wichtigsten
Schlüssel zum Erfolg. Die zeitgemäße allgemeine Forderung lautet ‚weniger Staat’. Die daran
geknüpfte Folgerung des Verwaltungsabbaus berührt automatisch auch die Staatsaufgabe Was-
serwirtschaft. Ist good governance gleichzusetzen mit Staatsabbau? Das Quo Vadis der Was-
serwirtschaft hängt heute unter anderem von dieser Frage ab. Das träge Medium Wasser be-
lohnt die richtige und bestraft die falsche Entscheidung aber erst nach Jahren.

Angesichts der weltweiten Suche nach zukunftsfähigen Lösungen und der hochemotiona-
len Wertedebatte um die Frage Privatisierung, Liberalisierung und Staatsreform sind des-
halb erkennbare Grundstrukturen des Erfolges im Bemühen um den Wassersektor abzulei-
ten.

3.1.2 Lösungsansatz

3.1.2.1 Lösungsansatz aus sechs Hauptfeldern


Die entscheidende Annahme ist, dass sich Erfolg aus einer Vielzahl von Komponenten zu-
sammensetzt, die in höchst verschiedenen Bereichen liegen können und die in den üblichen
Bewertungskriterien oft nicht abgebildet sind. Diese Komponenten wirken in einer komplexen
Art und Weise in einem fragilen System, so dass nur eine weitgehend vollständige Berücksich-
tigung aller Einzelkomponenten einen Erfolg garantiert.
Wesentliche Erkenntnis ist die Relevanz der Ergebnisse der A21. Sowohl die Grundforderung
der Nachhaltigkeit wie auch die Definition der Tripel-Belange, der Partizipation und der integ-
ralen Ansätze bilden Grundkoordinaten für weltweit anwendbare „ganzheitliche“ Handlungs-
grundsätze.242 Die A21 beschreibt ein Grundprinzip. In den Weiterentwicklungen der A21 zu
einem operativen Werkzeug spielen die integralen Ansätze eine erhebliche Rolle. Weil der
Begriff integral ebenso wie Nachhaltigkeit inflationär verwendet wird, müssen für die Umset-
zung im politischen Raum eindeutige Definitionen und klare Zielvorgaben gefordert werden.
Ein Ziel der vorliegenden Arbeit sind praktikable Vorschläge, durch welche konkreten, defi-
nierten Schritte integrale Projekte entwickelt werden können.
In der Bemühung um Verbesserungen im Wassersektor werden üblicherweise die „harten
Fakten“ wahrgenommen, also der Bedarf an neuen Wasserleitungen, einer Kläranlage, einer
Talsperre, einem Deich oder einer Bewässerung. Inzwischen ist auch prinzipiell akzeptiert,
dass zum Gelingen auch „weiche“ Faktoren gehören, also Management, Überzeugung, Moti-

242
Der in der Agenda 21 verankerte ganzheitliche Ansatz wird vor dem Hintergrund einer nachhaltigen
Umweltpolitik in praktischen Vorhaben der bayerischen Wasserwirtschaft verwendet. Sowohl die a-
nalog der Agenda 21 entwickelte ganzheitliche Sicht der Problemstellung als auch die daraus abgelei-
teten Konsequenzen für die operative Umsetzung unterstützen Projekte nachweislich.
3.1 These und Ansatz 89

vation und eine glückliche Hand. Tatsächlich ist die tägliche Praxis eine Mischung aus harten
und weichen Faktoren. Die UN definiert im Final Report des Millennium Projekts vier Haupt-
hinderungsgründe zum Erreichen der Wasserziele der MDGs: politische, institutionelle, finan-
zielle und technische Zwänge bzw. Herausforderungen.243 Im Rahmen dieser Arbeit werden für
die Realisation von Wasserprojekten dagegen sechs Hauptfelder harter und weicher Faktoren
identifiziert, in denen durch entsprechende Maßnahmen angesetzt werden muss. Es sind dies:
• Angepasste Technologie
• Angepasstes Management
• Finanzierung
• Der „Human Faktor“
• Netzwerke und Kommunikation und
• Kultur
Angepasste Technologie (appropriate technology) ist eine wohlbekannte Voraussetzung für
erfolgreiche Konstruktionen. Hier sollen aus der Praxis gewonnene Erfahrungen über Stärken
und Schwächen in diesem Bereich insbesondere vor dem Hintergrund des Zusammenwirkens
mit den anderen Bereichen diskutiert und gewürdigt werden.
Management ist heute ein Topthema im Wassersektor und bildet auch den Schwerpunkt dieser
Arbeit. Internationalen Projekte verlangen die Abarbeitung dieses Themas üblicherweise in
den ‚terms of references’ sowohl unter dem Aspekt good governance als auch im Bezug auf
betriebliches Management. Es ist Aufgabe dieser Arbeit, eine Systematik für die Entwicklung
von Verbesserungen im Wassermanagement vorzuschlagen. Dazu werden die bekannten An-
sätze im Wassersektor ausgewertet, um dann einen konkreten Vorschlag für ein schlüssiges
Gesamtsystem zu machen, das als Ausgangspunkt (Benchmark) für weitere Entwicklungen
dienen kann.
Die Finanzierung wird jenseits der reinen „Geldbeschaffung“ vor allem unter dem Aspekt der
gezielten Steuerung diskutiert. Der Finanzierungsbeitrag „Effizienz“ wird dagegen überwie-
gend in den beiden Kapiteln Technik und Management bearbeitet.
Der Bereich der „softfactors“ („Weichbildes)“, also Kommunikation und Netzwerke, Human
Factor und Kultur, könnte von der Systematik her ohne weiteres zum Management gezählt
werden. Aufgrund der eigenständigen und besonderen Bedeutung dieser Belange werden sie
aber als eigene Kapitel behandelt. In den klassischen Ingenieurfächern geht man an diese Be-
lange eher zurückhaltend heran. Teilweise hält man den richtigen Umgang damit für so selbst-
verständlich bzw. trivial, dass er einer Erwähnung gar nicht mehr wert scheint und dem intuiti-
ven Handeln überlassen bleibt. Die vorliegende Arbeit verfolgt die These, dass diese Belange
aber bewusst, als „conditio sine qua non“, in die Konstruktion aufgenommen und gesteuert
werden müssen, weil die regionale Kultur oder auch spezifische gesellschaftliche Strukturen
zu erfolgbeeinflussenden Parametern und Rahmenbedingungen zu zählen sind. Eine intuitive
oder unbewusste Einbindung ist nicht ausreichend.
Das Ziel der folgenden Kapitel ist deshalb, die bekannten Einflussfaktoren möglichst vollstän-
dig aufzuzählen und miteinander in Relation zu setzen. Es entsteht damit eine wissenschaftlich
fundierte „Checkliste“ für integrierte Projekte; in einigen Fällen können darüber hinaus kon-
krete Lösungsansätze formuliert werden.

243
UN 2005, S. 26ff
90 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

3.1.2.2 Lösungsansatz aus komplexen Systemen (Chaostheorie)


Die Aufgabe Wassermanagement ist auch im mathematischen Sinn komplex. Als Methode zur
Beschreibung komplexer Zusammenhänge hat sich in den letzten Jahren zunehmend die Chaos-
theorie als brauchbar erwiesen. Die Chaostheorie (CT) bietet Lösungsansätze für Phänomene der
nichtlinearen, dynamischen, komplexen Systeme, die das Gegenteil von determinierten, also
berechenbaren und damit vorhersehbaren Systemen sind. Der Übergang von den deterministi-
schen Weltbildern eines Descartes und Newton (vgl. das Bild des Laplaceschen Dämons244) zum
zufälligen oder mathematisch chaotischen Weltbild ist spätestens seit Einstein und Heisenberg
erfolgt245. Nach HEIDEN ist das erste in der Wissenschaft beschriebene chaotische Phänomen
das Dreikörperproblem, also die Unmöglichkeit, die Bahn von drei Körpern im Raum zu berech-
nen. Grund dafür ist die sog. Fehlerkatastrophe: Ein winziger Fehler an beliebiger Nachkomma-
stelle produziert auf längere Zeit riesige Abweichungen. Immer wenn in der Berechnung irratio-
nale Zahlen246 vorkommen, muss das Ergebnis Fehler beinhalten, weil man nicht unendlich viele
Kommastellen berechnen kann. Diese sensible Abhängigkeit von den Anfangszuständen produ-
ziert, obwohl man es mit physikalisch determinierten Zuständen zu tun hat, faktische Unbere-
chenbarkeit, d. h. sogenanntes deterministisches Chaos247. Der Anlass für die mathematisch-
physikalische Beschreibung der Chaostheorie war ein Versuch der Wetterprognose, der die Gren-
zen der durch lineare Berechnung ermittelten Prognosen (Konvergenzhypothese) gezeigt hat: In
mehreren Rechengängen hatte LORENZ 1961248 trotz gleicher Eingangsdaten divergierende
Ergebnisse erhalten. Eine minimale Veränderung der Eingangsdaten ergab extrem stark abwei-
chende Endergebnisse.
In der Quantenmechanik geht die Indeterminiertheit noch tiefer. Die Ungenauigkeit der Hei-
senbergschen Unschärferelation ist nicht auf Mess- oder Rechenmängel zurückzuführen, son-
dern hat prinzipiellen Charakter. Ob diese aber Folge eines „objektiven Zufalls“ oder ein Be-
schreibungsproblem ist, ist strittig. Für die Anwendbarkeit der Chaostheorie spielt es aber eine
untergeordnete Rolle, ganz im Gegenteil: Die quantenmechanischen Phänomene implizieren
nicht nur, dass man niemals den exakten Zustand eines Systems kennen kann, sondern „stellen
sogar einen indeterministischen Faktor dar, der massiv die makroskopischen Entwicklungen
beeinflussen kann, und zwar eigenartigerweise über die deterministischen Verstärkungsme-
chanismen (Schmetterlingseffekt) des chaotischen Systems“249.
Die grundsätzliche Anwendbarkeit der Chaostheorie auf gesellschaftliche Vorgänge wird in-
zwischen allgemein anerkannt. Während z. B. DESER (1996) und FLIK (1990) Unterneh-
mensstrukturen beschreiben, übertragen KLAUS (2004) und WALLNER (2004) die Ansätze
auf die Gesellschaft. Zweifellos lassen sich damit bestimmte, auf den ersten Blick überra-
schende Entwicklungen von komplizierten menschlichen Systemen ex post (Interpretation)
erläutern. Die Einsatzmöglichkeit reicht aber auch in die gezielte Intervention hinein. In nach-

244
Heiden 1996, S. 99: Der Laplacesche Dämon (nach dem Mathematiker Laplace, 1749-1829) ist in
Kenntnis sämtlicher Naturgesetze und kann, wenn er den Zustand der Welt zu einem einzigen Zeit-
punkt vollständig kennt, alle nachfolgenden (und auch alle früheren) Zustände aus den Naturgesetzen
berechnen.
245
Deser 1996, S.10 ff
246
d.h., dass es hinter dem Komma niemals zu einer Periode (ständigen Wiederholung) irgendeiner
Ziffernanordnung kommen wird
247
Heiden 1996, S.106 ff
248
Küppers 1996b, S. 167
249
Heiden 1996, S. 118
3.1 These und Ansatz 91

folgenden Untersuchungen verschiedenster „Phänomene“ wurden bestimmte Grundmuster der


nichtlinearen, dynamischen Systeme verwendet:

Das deterministische Chaos bedeutet, dass ein System auch dann unberechenbar werden
kann, wenn die Einzelteile deterministischen Gesetzen gehorchen.
Der Schmetterlingseffekt beschreibt „kleine Ursache, große Wirkung“ bzw. eine sensiti-
ve Abhängigkeit von den Anfangsbedingungen.
Ein Attraktor ist zunächst ein endlicher Raum, in dem die verschiedenen (möglichen) Er-
gebnisse der chaotischen Entwicklung liegen. Das allgemeine Kennzeichen von Attrakto-
ren ist aber, dass sie bestimmte Muster oder Fraktale bilden, d. h. es bilden sich in der
Makroebene „geordnete Muster“, obwohl auf der Mikroebene Chaos herrscht. Dies wird
eventuell zur Selbstorganisation, d.h. effizienten Musterbildung ohne äußeren Einfluss.
Eng mit der fraktalen Dimension verbunden ist der Begriff der Selbstähnlichkeit. Dies
führt dazu, dass beliebig kleine Abschnitte der Attraktoren – sozusagen unter der Lupe be-
trachtet – ähnlich wie die in größeren Skalen auftretenden Formen aussehen.
Eine Bifurkation ist ein (zufälliger) Verzweigungspunkt eines Systems (einer Entschei-
dung),
Fraktale sind „selbstähnliche“ Strukturen aus einfachen Grundmustern die ohne eigent-
lich erkennbaren Zusammenhang dennoch in ähnlicher Weise entstehen (zum Beispiel ei-
ne Koinzidenz zwischen unabhängigen Systemen).

Das wissenschaftliche Potential der Chaostheorie ist groß. Sie bildet im Grunde die fundamen-
tale Ergänzung des 2. Hauptsatzes der Thermodynamik. Dieser beschreibt die Zwangsläufig-
keit des Zerfließens aller Ordnung in ein strukturloses Gleichgewicht für alle Systeme, die von
ihrer Umwelt isoliert sind250. Im „Gegensatz“ dazu steht die Selbstorganisationskraft chaoti-
scher Systeme. Selbstorganisation ist die Entstehung dynamischer Strukturen, die sich selbst
reproduzieren. Die Anwendung dieses Grundprinzips geht von rein physikalischen Prozessen
(Musterbildung in kochender Flüssigkeit) bis zur Selbstorganisationsfähigkeit von Biomasse
(„Leben“, Lebensformen). Für die Anwendbarkeit im Wassersektor sind vor allem die vielen
Konsequenzen auf soziale (Selbstorganisations-) Prozesse interessant. Die CT kann bewusst
angewendet werden, um bestimmte für die Entwicklung des Wassersektors wichtige gesell-
schaftliche Prozesse zu verstehen und eventuell sogar positiv zu beeinflussen. Deutlich sind
die Hinweise darauf, dass sich bestimmte, nach den Erkenntnissen der Chaostheorie (CT)
gestaltete Organisationsformen als besonders kreativ erweisen. Gleichzeitig ist deren Anpas-
sungspotential besonders groß. Praktische Beispiele dafür sind komplex vernetzte Organisatio-
nen, von der Matrixorganisation bis zu Netzwerken, unter Umständen sogar ohne feste Hierar-
chien (vgl. 3.3.3.2).
Ein weiteres wichtiges Phänomen ist die Ausbildung von bestimmten Mustern in verschiede-
nen Ebenen einer Gesellschaft nach dem Prinzip der fraktalen Muster. Als Attraktoren bilden
sich vor dem Hintergrund der Menge von (chaotischen) kulturellen, spirituellen und wirt-
schaftlichen Einflüssen auf die Gesellschaft, die in der Summe niemals deterministisch zu
bestimmen, geschweige denn abzuschätzen wären, doch „zufällig“ gleiche (Verhaltens- oder
Organisations-) Muster auf verschiedenen Ebenen heraus. Ein weiterer in der Praxis zu nut-
zender Vorteil ist: wenn das Verhalten einer Ebene quasi verstanden ist, kann man auf andere

250
Küppers 1996a, S.25 ff
92 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

Ebenen rückschließen.251 Nach dem Ansatz von HEIDEN ist die Ursache für deterministisches
Chaos der sog. Schmetterlingseffekt, verbunden mit einer sensiblen Abhängigkeit von An-
fangszuständen. Die Arbeit versucht, diese Anfangs- und Eingangsgrößen für Wasserprojekte
mit größerer Wahrscheinlichkeit zu erkennen und einer Steuerung zugänglich zu machen.
Wenn man sich auf die Physik komplexer Vorgänge einlässt, muss man aber akzeptieren, dass
auch eine noch so vollständige Beschreibung der Einflussparameter und die Verwendung aller
bekannten Erfolgsmuster (Fraktale) letztlich ein bestimmtes Ergebnis nur wahrscheinlicher, nie
aber letztlich determinierbar macht. Jede Projektentwicklung muss also flexibel auf „chao-
tisch“ auftretende Veränderungen reagieren können. Diese Flexibilität muss folglich Teil des
Lösungsansatzes „from vision to action“ werden.
Es entsteht ein Dilemma: Die möglichst vollständige Erfassung aller Einflussparameter sowohl
im technischen wie im nichttechnischen Bereich einerseits und die dadurch entstehende, über-
komplexe, mit wichtigen (und unwichtigen) Belangen überlastete, auch theoretisch nicht mehr
zu lösende (undeterminierbare) Problemmatrix andererseits.
Zur Handhabung dieses Dilemmas wird das Denkmodell eines Lösungsraumes vorgeschlagen:
Zunächst werden die wichtigen Einflussparameter und ihre grundsätzliche Funktionalität und
Abhängigkeit wertfrei dargestellt. Aus der Summe der Parameter ergibt sich grundsätzlich die
Unmöglichkeit der konkreten Zuordnung, es gibt keine eindeutigen Lösungen, sondern nur
einen Lösungsraum. Die individuellen Verknüpfungen und tatsächlichen Zuordnungen der
Bedeutung können erst im praktischen Beispielfall vorgenommen werden. Selbst dann können
sie i. d. R. nicht diskret gelöst werden sondern nur auf dem Wege einer Iteration angenähert
werden. Der Denkweise des Menschen, also analog, intuitiv und fraktal, kommt diese Heran-
gehensweise entgegen.
Eine unter Umständen als „lexikal“ empfundene Darstellungsweise der einzelnen Argumente
dieser Arbeit rührt aus dem Gedanken des Lösungsraumes, die Verknüpfungen selber sind
dem konkreten Fall252 zu überlassen. Zum Teil können aber konkrete Beispiele typische Fall-
konstellationen und die daraus erwachsenden charakteristischen Verknüpfungen und Abwä-
gungen aufzeigen.

3.2 Angepasste Technologie

3.2.1 Entwicklung und Bedeutung der angepassten Technologie

3.2.1.1 Bestandsaufnahme
Mit der Brauchbarkeit und Standfestigkeit von technischen Anlagen unter globalen Bedingun-
gen beschäftigt sich in Deutschland bereits 1956 KRÜGER: „Milliardensummen werden [von
den Vereinten Nationen, der Weltbank, der IFC und anderen internationalen Institutionen]
investiert. Deshalb können Verluste, die durch Nichtbeachtung der landschaftlich wirksamen
Naturfaktoren verschuldet werden, Summen erreichen, die für sich genommen ganzen Völkern
die Existenz sichern könnten. Deshalb sollte es das Interesse der Großbanken sein, dafür zu

251
ebenda, S. 85
252
und damit dem Leser
3.2 Angepasste Technologie 93

sorgen, dass die Technik umsichtig derart eingesetzt wird, dass z. B. Klimaschäden möglichst
vermieden werden. Die Regionaltechnik, die naturgemäße Technik, wird somit zu einem welt-
wirtschaftlichen Prinzip der Neuzeit.“253 Der Text enthält etwas später auch Bezüge zu den
„weichen Faktoren“, wenn er zitiert: „Nach einer Mitteilung von Dr. K. YAO gab es [in China]
nicht nur Abwandlungen der Technik nach der Landschaftsnatur [gemeint ist Feng-Shui, An-
merkung des Verfassers], sondern auch gemäß der Psychologie und der jeweils überlieferten
Erziehungsvarianten, wie es z. B. in dem alten Werk des Kao-Kong-Chie verankert war“254.
Die sinngemäße Ergänzung in Bezug auf die Nachhaltigkeit liefert KRAMMER255, der in
einem Vortrag eine „soziale und ökologisch angepasste Technologie“ als „Alternative einer
Technologie von unten“ fordert.
Der Begriff der angepassten Technologie ist im Zusammenhang mit der Entwicklungszusam-
menarbeit vor rund dreißig Jahren entstanden und wurde z. B. von SCHUMACHER256 1974 in
„Small is Beautiful“ als „mittlere Technologie“ für die Verhältnisse der Technologie in Indien
verwendet. Der Verband für Angepasste Technologie, der „AT-Verband“, der sich seit dreißig
Jahren mit der Thematik gezielt beschäftigt, liefert eine Definition, die gleichzeitig die Fort-
entwicklung dieses Begriffes wiedergibt257. Danach umfasst angepasste Technologie die psy-
chologischen, sozialen, wirtschaftlichen, ökologischen und politischen Dimensionen der Tech-
nologie und reflektiert als „globales Konzept“ auch die globalen Probleme wie Armut oder
ökologische Krisen. Angepasste Technologie sei ein dynamischer Begriff; „nach einem langen
Lernprozess“ wird der stark vereinfachenden Definition, dass angepasst auch klein und ein-
fach sei, widersprochen. Vielmehr gehe es um eine richtige Technikauswahl (selten Neuerfin-
dung) unter den Kriterien der Sozial- und Umweltverträglichkeit, Wirtschaftlichkeit, techni-
scher Machbarkeit und Zuverlässigkeit, nachhaltiger Anwendbarkeit, kultureller Kompatibili-
tät und Einbeziehung traditionellen Wissens.
Die Bedeutung der angepassten Technologie ist heute ubiquitär anerkannt. Angepasste Tech-
nologie (appropriate technology) ist eine der Grundanforderungen, wenn internationale Er-
folgskriterien in technischen Projekten diskutiert werden.
Zum Stand der (angepassten) Technologie heute lässt sich augenfällig feststellen:
• Die technische Fortentwicklung ist in allen Bereichen allein schon durch die Anwendung
der IT gewaltig.
• Anders als zu Zeiten der ersten Weltausstellungen ist Information über weltweite Techno-
logie heute mit Hilfe des Internets und aller anderen Medien keine Hürde mehr.
• Die Ausbildung ist globalisiert. An den technischen Hochschulen wird weltweit nationales
und internationales Wissen gelehrt. Der Austausch von Studierenden ist groß258. Auch
wenn nicht alle Studenten in ihre Heimatländer zurückkehren, ist die Wissenshürde viel
niedriger geworden.
• Entwicklungsorganisationen, die Beratung der Banken und internationalen Consultants,
Erfahrungen in gemeinsamen Projekten und andere Formen der Zusammenarbeit tragen
seit Jahrzehnten zum Wissenstransfer bei.

253
Hervorhebung durch den Autor
254
Krüger 1956, S. 32f
255
Krammer 2004, S.14
256
AT 2005
257
ebenda, 3
258
Knapp ein Drittel der Studienanfänger an der TU München im Wintersemester 04 im Baubereich war
internationaler Herkunft.
94 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

• Das Wissen über die Einbettung der Technologie in Natur und Landschaft und mögliche
negative Auswirkungen ist nicht nur weltweit verbreitet, einschließlich der Instrumente,
diese Auswirkungen zu erkennen und ggf. auszuschließen (Umweltverträglichkeitsprüfung
(UVP)).
• Ebenso ist das grundlegende Wissen über die Bedeutung der sozial-kulturellen Komponen-
te der Technologie vorhanden.
Unbestritten haben diese Fakten zu enormen Entwicklungen geführt. Angesichts des Angebo-
tes, das heute im Bereich der Wassertechnologie weltweit vorhanden ist, und der Erfahrung,
damit umzugehen, ist die Frage zulässig, ob die (angepasste) Technologie überhaupt noch ein
Thema sein kann. Eine Evaluierung der globalen Situation zeigt aber eine erhebliche Lücke
zwischen theoretischem Wissen und der tatsächlichen Umsetzung auf:
• Bestandsanalyse:
– Schon eine oberflächliche Bilanzierung des Bestands zeigt, dass in vielen Gebieten der
Welt die Infrastruktur mangelhaft ist oder fehlt, ein Zeichen für technische Mängel sind
die zahlreichen defekten, nicht mehr funktionierenden Anlagen259.
– Die negativen Umwelteinwirkungen und Trends bestehen ausweislich der Evaluationen
der UN-Organisationen (siehe Kap. 1.1) ungebrochen, sei es in der Frage der Versor-
gungssicherheit, der wasserverursachten Krankheiten, der Entsorgungssituation usw.
• Aufgabenanalyse:
– Die Umsetzung der MDG verlangt eine gewaltige technische Entwicklung, die bisher
nur zum Teil erkennbar ist (vgl. Kap. 2.1.2).
– Auch die langfristige Vision des 10/4/34-Ansatzes (vgl. Kap.2.2.4) oder der Öko-
Effizienz basiert auf erhofften riesigen Effizienzsprüngen, die zu einem Großteil techni-
schen Ursprungs sein müssen.
Bei genauem Hinsehen ist also das „Technologieproblem“ aktueller denn je. Mit der grund-
sätzlichen Anerkennung des Prinzips der angepassten Technologie ist zwar die Richtung be-
stimmt, die Umsetzung steht aber nach wie vor enormen Herausforderungen. Die UN sieht im
aktuellen Bericht zu den MDGs die Hauptherausforderungen der technischen Entwicklung in
den ländlichen Gebieten260, Beobachtungen zeigen aber in Verdichtungsräumen genauso auf-
fallende Mängel, die zumindest in wichtigen Teilen auf nicht angepasste Technologie zurück-
zuführen sind. Im o.g. Bericht wird deshalb unter den „Ten critical actions“ unter Nr. 8 ausge-
führt:
“Governments and their civil society and private sector partners must support a wide range of
water and sanitation technologies and service levels that are technically, socially, environmen-
tally, and financially appropriate”261.

Die intensive internationale Beschäftigung mit dem Thema „Appropriate Technology“ ist ein
Indiz dafür, dass nicht nur im Abwassersektor Defizite vermutet werden bzw. Potential für
Verbesserungen gesehen wird. International sind diverse Netzwerke, meist NGOs, zum Be-
reich angepasste Technologie entstanden, wie die „Engineers Without Borders – International“
(EWB-international), die mit „Ingenieure ohne Grenzen e.V.“ auch eine deutsche Untergrup-

259
Ein Beispiel von vielen sind die Landesumweltberichte der UNECE, die die Situation in Osteuropa
und Zentralasien beschreiben.
260
UN 2005, S.31
261
ebenda, S. 51
3.2 Angepasste Technologie 95

pierung hat. Allein auf der Internetseite der EWB262 sind 17 Querverweise zu Dachinstitutio-
nen zu finden, die sich im internationalen Raum überwiegend mit angepasster Technologie
beschäftigen. Jedes einzelne dieser Institute gibt Hunderte von Beispielen für angepasste
Technologie in allen Bereichen, darunter auch im Wassersektor. So verfügt die gemeinnützige
Gruppe „Sustainable Village“263 über eine Sammlung von Beispielen zur angepassten Techno-
logie, die in einem Katalog angeboten werden. Eine ähnliche Non-Profit-Institution, „Global
Village, The Institute for Appropriate Technology“264 wurde bereits 1974 gegründet. Sie stellt
komplexere Wege zu angepasster Technologie vor, d. h., Schwerpunkt ist die Neuentwicklun-
gen von Technologie und Umgang mit Technologie.

3.2.1.2 Zuordnung der angepassten Technologie zum Nachhaltigkeitssystem


In der internationalen Diskussion wird sehr oft davon ausgegangen, dass in der Umsetzung der
limitierende Faktor das Geld sei. Das ist gewissermaßen eine Binsenweisheit, mit der man sich
aber bezüglich der Technologie genauer beschäftigen muss. Gute Technologie bedeutet durch
geschickten Entwurf ein bestimmtes Ziel mit möglichst hoher Effizienz zu erreichen, womit
neben der finanziellen Effizienz eindeutig auch die nachhaltige Effizienz i. S. der A21 gemeint
sein muss.
Eine Effizienzsteigerung in der Umweltinfrastruktur wirkt sich auch wirtschaftlich aus: Der
Markt bzw. die Nachfrage für Investitionen im Wasserbereich ist an sich riesengroß. Nach den
Zahlen der MDG ist eine „Marktsättigung“ bei den Basisbedürfnissen selbst bei optimistischen
Annahmen erst in vier oder mehr Jahrzehnten zu erreichen. Ein gehobener Standard ist über-
haupt nicht abzusehen. Das heißt wirtschaftstheoretisch aber, dass jede Kostensenkung der
Umwelttechnologie folglich sofort enorme Nachfrage generiert. In der Arbeit des TTW wurde
deshalb ein plakativer Grundsatz ausgegeben, der hier zu einem „Axiom“ 265 der Forderung‚
from vision to action’ erklärt werden soll:
Ansatz 1: Es wird als mittelfristiges, plakatives Ziel definiert, dass der heutige Preis
für technische Lösungen auf dem Wassersektor halbiert werden muss.
Damit ist gemeint, dass ein Ziel der zukünftigen technischen und nichttechnischen Entwick-
lung sein muss, die Kosten einer bestimmten technischen Lösung gegenüber dem „konventio-
nellen“ (heutigen) Ansatz zu halbieren. Das ist natürlich nur eine Metapher, die aber die Philo-
sophie der größeren Effizienz umschreibt.
Fakt ist, dass viele Lösungen – auch in Deutschland – schon in technischer Hinsicht ein er-
hebliches Einsparpotential beinhalten, sei es durch Optimierung des ursprünglichen oder Wahl

262
http://www.ewb-international.org/: „The outward vision of Engineers Without Borders - International
is of a world where ALL people have access to the resources and knowledge to meet their other self-
identified engineering and economic development needs. The Engineers Without Borders - Interna-
tional network members contribute to new and ongoing development projects around the world in an
effective way and at the same time promote the dimensions of experience for emerging and practicing
engineers. It is our inner vision that this is a primary path to achieving a more sustainable world,
without suffering the consequences of engineering projects that are socially, culturally, or economi-
cally inappropriate.”
263
http://www.sustainablevillage.com/
264
http://www.i4at.org/
265
Im Weiteren werden immer wieder solche Ansätze formuliert, die in der Summe den Schritt ‚from
vision to action’ erleichtern sollen. Sie werden deshalb laufend durchnummeriert.
96 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

eines alternativen Systems. Die richtige Wahl der Komponenten zur Reduzierung der Gesamt-
kosten bei gegebenem Gebrauchswert ist eigentliches Ziel technischen Könnens. Es entsteht so
die „gute technische Lösung“, die den Bedarf des Kunden in günstigster, d. h. insgesamt nach-
haltigster Weise befriedigt266. In komplexeren Zusammenhängen hat sich der Begriff der „best
practice“ durchgesetzt. In der internationalen Zusammenarbeit wird der Begriff der angepass-
ten (appropriate) Technologie verwendet. Mit dieser Begrifflichkeit wird besondere Rücksicht
auf den Einsatzort der Technologie unterstrichen. Angepasste Systeme müssen dabei die lokalen
Umfeldparameter in der Art berücksichtigen, dass sie – simpel gesagt – am Ort des Einsatzes
auch wie geplant selber funktionieren und quasi nach außen den gewünschten Effekt erzielen.
Aus der Kenntnis der A21 liegt es nahe, den Anpassungsgrad nach den drei Basiskriterien
Ökonomie, Ökologie und sozial-kulturelle Belange zu beurteilen. Unter Ökonomie sind die
Kriterien der grundsätzlichen klimatischen Brauchbarkeit analog der Ausführungen von
KRÜGER sowie die einschlägigen Wirtschaftlichkeitsbelange (Effizienz) zu subsumieren, die
Ökologie kommt u. a. in der Bewertung nach Umweltverträglichkeit beziehungsweise der
Ökoeffizienz oder im Sinne der DIN/ISO 14000 Evaluierung vor. Sozial-gesellschaftliche
Elemente sind der Umgang bzw. die Anpassung an kulturgesellschaftliche Rahmenbedingun-
gen, aber auch an „profane“ Fragen wie Ausbildungsstandard sowie im Nutzen der Technolo-
gie für die ganze Gesellschaft, besonders für die Bedürfnisse der Armen (Armutsbekämpfung).
Die Anpassung hängt auch von nichtphysikalischen Parametern ab. So führen zum Beispiel zu
strenge Umweltschutzauflagen zur Unfinanzierbarkeit, umgekehrt führen zu schwache Um-
weltrichtlinien zu einem Versagen der ökologischen Kriterien und damit zur Ineffizienz. Un-
geschickte (gesetzliche) Regelungen ergeben Optimierungen in Richtungen, die sich praktisch
immer durch geringere Effizienz auszeichnen. Eine Analogie dafür ist der Einfluss bestimmter
Ausgleichsformeln im Yacht-Rennsport und die dabei oft entstandenen seeuntüchtigen oder
unpraktischen Schiffsformen267. Ebenfalls kontraproduktiv sind vor diesem Hintergrund man-
gelnde Transparenz und darauf fußende Korruption, die Systeme zwangsläufig zum Schlechten
hin entwickeln. Aus diesen nichtphysikalischen Einflüssen resultiert die Forderung nach Good
Governance (vgl. Kap. 3.3.2.2).
Physikalische Parameter sind zum Beispiel die gesamte Umwelt, nichtphysikalische Parameter
sind politische Rahmenbedingungen, Gesetze, Gebräuche, Kultur usw. Diese Abhängigkeit der
Technologieziele von der physikalischen und nichtphysikalischen Umwelt ist in Abbildung 3-1
dargestellt. Neben der Ökonomie sind auch die anderen Tripel-Belange Ökologie und Soziales
dargestellt. Sie bilden zusammen idealisierte Zielvorstellungen einer Technologie.
Diese komplexe Struktur erfordert bestimmte Methodiken oder Systematiken des Um-
gangs:
Es ist anzunehmen, dass dazu bei großen Vorhaben wie der Restrukturierung eines Wassersek-
tors auch auf der Ebene der Rahmenbedingungen weitere Integrationsschritte notwendig wer-
den können. Das ist in der rechtlichen und physikalischen Verknüpftheit begründet. Ein Bei-
spiel dafür sind die homogen gewachsenen Gesetze eines Staates, die an vielen Stellen inein-
ander greifen268.

266
Zum Thema der nachhaltigen Lösung vgl. insbesondere die längerfristigen Berechnungen, die neben
der Investition auch die Betriebskosten, Abschreibung, Kapitalkosten usw. betrachten
267
Marchaij 1988, S. 28 ff
268
Eine Konsequenz davon ist, dass zur Änderung einer politischen Grundrichtung in der Regel Artikel-
gesetze erforderlich sind, die ihrerseits Änderungen in vielen verschiedenen Gesetzen regeln.
3.2 Angepasste Technologie 97

Natürliche, physikalische Umwelt


Rechtliche, normative
Umwelt
Technische
Lösung,
“hardware”
Nachfrage,
Kunde,
Bürger

Organisation
Management
“software”

Abb. 3-1: Technologie als Teil eines Systems, das aus der physikalischen (natürlichen) und der nicht
physikalischen (rechtlichen, normativen) Umwelt besteht. Der Mensch als Bürger ist Erbauer und Nutzer
der Technologie und gleichzeitig (v. a. in Demokratien) mitverantwortlich für die normative, rechtliche
Umwelt.

In der Theorie ist das bekannt. In der praktischen Umsetzung stellen sich diese komplexen
Zusammenhänge als schwer beschreibbar und noch schwerer steuerbar heraus. Aus Abbildung
3-1 ergibt sich schon, dass Lösungsansätze darin liegen müssen, dass bei der Konstruktion
eines Vorhabens alle Komponenten des Systems betrachtet und für sich sowie in ihrem Zu-
sammenspiel optimiert werden müssen. Das hier vereinfacht dargestellte System ist aber kom-
plex. Beeinflussungen und Abhängigkeiten finden nämlich, wie in Tabelle 3-1 gezeigt, gegen-
seitig statt, d. h., Technologie ändert ihr Umfeld und umgekehrt. Eine Kläranlage wäre ein
ökologisches Vorhaben, das aber die ökonomischen Ziele wie Effizienz und Standfestigkeit
ebenso erfüllen muss. Die in den entsprechenden Spalten genannten Einflusspotentiale treffen
dieses Vorhaben dann je nach Einzelfall verschieden deutlich. So kann eine Vorfluterstärke
oder Vorbelastung ausschlaggebend für die Bemessungswerte sein. Selbst die bisherigen
Trinkwasserpreise und die Einkommensstruktur werden auf die Finanzierbarkeit, v. a. auf die
Akzeptanz im sozial-gesellschaftlichen Raum wirken, usw. Oder man denke z. B. an eine neue
Kraftstoffkette durch einen biologischen Kraftstoff, die von der Motorentechnik über das
Tankstellennetz bis hin zur Agrarpolitik mit Technologie, Bewirtschaftungsweisen usw. ver-
netzt ist. Die prinzipiell gleiche Verknüpftheit besteht zwischen den Sektoren, also der Was-
serwirtschaft, dem Agrarsektor, der Wirtschaft usw. oder zwischen den Sektoren Wasser, Bo-
den und Luft.
98 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

Tab. 3-1: Einflussfaktoren auf die Erreichung (Zielwerte) der Tripel-Belange. Die Matrix nennt typi-
sche Beispiele. Die Liste ist nicht abschließend.

Angepasste Technologie
Umweltfaktoren (können „positiv“ oder „negativ“ wirken
Ökonomische Ökologische Sozial-kulturelle
Einflüsse (-Umwelt) Einflüsse Einflüsse
Ökonomische (+) verfügbare Natur- (+/-) Bildung, Motivati-
Ziele güter z.B. Wasser, on, Tabus, Verhältnis
Flüsse zur Arbeit, Familie,
Ziele in den Tripel- Bereichen

(-) Klimafaktoren (Kor- Stabilität, Bürgerge-


rosion), Naturgefah- sellschaft, Zahlungs-
ren, Klimawandel, moral
Krankheiten
Ökologische (-) Motivation für Ver- Öffentliches Bewusst-
Ziele schmutzung, Übernut- sein, Umgang mit Um-
zung, Landverbrauch welt und Natur
(+) Motivation für um-
weltfreundliche Tech-
nologie, Effizienz
Sozial- (+/-) Kapitalverteilung, (+/-) Wasserdargebot,
kulturelle Ziele Gerechtigkeitsindex, Bodenfruchtbarkeit,
Wirtschaftswachstum, Zugänglichkeit, Na-
Allg. Wohlfahrt, Was- turerlebnis
serpreise, Menschen-
würde

In der Regel werden diese Zusammenhänge sehr schnell so komplex und unübersichtlich, dass
man sie nicht mehr determinieren und in einem Schritt bearbeiten kann. Das bezieht sich auf
die Menge und Komplexität an sich, aber auch darauf, dass einige Faktoren für sich nicht de-
terminierbar sind, sich unabwägbar bzw. zufällig verhalten. Typisches Beispiel dafür ist das
Verhalten komplizierter und hoch generierter Systeme wie einer Gesellschaft oder Gruppe. Ein
praktikabler Lösungsweg ist, mit der Optimierung einzelner Komponenten anzufangen und in
einem zweiten Schritt dann ggf. iterative Verbesserungen des Gesamtsystems durchzuführen.
Das Prinzip ist dem der Evolution nicht unähnlich. Als Optimierungskriterium soll hier die
(idealerweise pure) Nachhaltigkeit gewählt werden.
Ansatz 2: Es ist die Aufgabe der technologischen Entwicklung, ggf. auf iterativem
Weg eine permanente Steigerung der Nachhaltigkeit technischer Lösungen zu finden.

3.2.2 Methode der Weiterentwicklung der Technologie aus erkannten Mängeln


Wegen der Undeterminierbarkeit komplexer Systeme, insbesondere an der Schnittstelle Tech-
nik – Mensch, ist das Lernen aus Fehlern ein Grundwerkzeug auf dem Weg zu angepasster
Technologie; die Diskussion von technischen Mängeln und die Suche nach Verbesserungs-
möglichkeiten ist ein unverzichtbarer Teil der technischen Evolution. Die Systematik dieses
Lernprozesses ist ein eigener Erfolgsfaktor. DÖRNER weist auf die vielschichtigen psycholo-
gischen Probleme des Lernens aus eigenen Fehlern hin269. Ein normativer Lösungsansatz ist
das vernetzte Analysieren und Planen, ein praktischer Lösungsansatz das Vermeiden von „bal-

269
Dörner 1992, S. 265 ff
3.2 Angepasste Technologie 99

listischem“ Denken (d. h. dass ein einmal eingeschlagener Weg nicht mehr verlassen werden
kann) zugunsten eines iterativen, aufgrund von komplexen Erkenntnissen steuernden Denkens
und Planens.
In einer frühen Phase der Erkenntnis sind Pilotanlagen und Pilotvorhaben die beste Möglich-
keit sich mit überschaubarem Risiko in an Optimierungen heranzutasten. Die meisten Fehler
passieren aber im laufenden Betrieb und müssen „in situ“ erkannt und beseitigt werden.
Bezüglich der Infrastruktur in der öffentlichen Hand spielen in großem Maßstab intern Innen-
revision und Benchmarkprozesse, extern die staatliche Aufsicht durch Aufsichtsbehörden oder
Fachbehörden, Finanzkontrolle durch die kommunalen Aufsichtsgremien, Rechnungshöfe und
Parlamente, die Überwachung der (Entwicklungs-) Banken und der NGOs (wie z. B. der Bund
der Steuerzahler oder die südbrasilianischen Bürgerforen) eine Rolle.
Durch die regelmäßige Diskussion der öffentlichen Haushalte sowie durch nationale und inter-
nationale Vergleiche wird es möglich, bestimmte wegen ihrer Großmaßstäblichkeit besonders
relevante bzw. gefährliche Muster für suboptimale Lösungen zu erkennen.
Im privaten Sektor ist das Hauptregulativ gegen suboptimale Lösungen normalerweise der
Markt. Diese Steuerung unterliegt im Wassersektor allerdings den zitierten Einschränkungen.
Im Folgenden werden einige typische positive und negative Fallkonstellationen im Bereich der
angepassten Technologie diskutiert. Die Auswahl soll auch belegen, dass ein Schlüssel zum
Erfolg in der Berücksichtigung aller Nachhaltigkeitskriterien liegt. Das gilt sowohl bei der
Wahl des Systems als auch der technischen Detaillösung.
Aus systematischen Gründen soll im Folgenden die Anpassung von Lösungen vor dem Hinter-
grund jeweils einer Schwerpunktsetzung an ökonomische, ökologische und soziale Belange
behandelt werden (vgl. auch die Einflussfaktoren aus Tabelle 3-1).

3.2.3 Anpassung unter ökonomischen Gesichtspunkten

3.2.3.1 Beispiele für nicht angepasste technische Lösungen


Es geht bei der nachfolgenden Betrachtung nicht vordergründig um die Lösungen im Detail,
sondern es sollen „Muster des Versagens“ und mögliche Gegenmaßnahmen herausgearbeitet
werden. Die nachfolgenden Beispiele, in der Ursache und Dimension sehr unterschiedlich,
haben gemeinsam, dass sie nicht ökonomisch nachhaltig sind. Die Grundprobleme können in
die Gruppen Struktur, Technik, Bemessung, Betrieb und komplexe Probleme unterschieden
werden.
Strukturfehler:
Beispiel aus der Wasserversorgung270: Eine Gemeinde in Niederbayern mit mehreren
Ortsteilen, zum Teil Weiler mit nur ein paar Häusern, sollte zentral versorgt werden. Eine
zunächst geplante Ringleitungslösung wäre zwar komfortabler, vor allem sicherer als ein Al-
ternativsystem mit Hauptstrang und Verästelungen gewesen, kostete in diesem Fall aber 30 %
mehr. Zusammen mit der Korrektur anderer Fehler – z. B. Wahl der Lage und Größe der

270
Dieser Fall datiert aus dem Jahre 1991 aus vertieften Prüfungen, die durch das Bayerische Innenmi-
nisterium, die Oberste Baubehörde (zu dem Zeitpunkt noch zuständig für Wasserwirtschaft) im Be-
reich der Zuwendungen Wasserversorgung vorgenommen wurden.
100 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

Hochbehälter – konnten die Kosten praktisch ohne Einschränkungen des Gebrauchswertes auf
fast die Hälfte (!) reduziert werden.
Konsequenz: Die größten Kostenunterschiede werden in der Planung der Grundstruktur gene-
riert. Dies ist in Abbildung 3-2 qualitativ dargestellt.

Abb. 3-2: Qualitative Darstellung des Einflusses verschiedener Realisationsphasen auf die Kosten von
Wasserinfrastrukturanlagen (basierend auf einer Darstellung, die von der ATV für Kläranlagenbau entwi-
ckelt wurde)

Beispiel falsche Technologiewahl: Ohne Rücksicht auf örtliche Verhältnisse werden in vielen
Ländern Schwemmkanalisationen nach europäischem Muster vorgesehen, auch wenn durch
Wassermangel z. B. in semiariden Gebieten diverse Probleme vorgezeichnet sind.
Konsequenz: Die Entscheidung für die Grundstruktur muss sich an den naturräumlichen Be-
dingungen orientieren. Dieses Problem ist bekannt. Es berührt die Wurzeln der Forderung nach
appropriate technology. Bemerkenswert ist, dass diese Fälle immer noch vorkommen. Damit
verwandt ist der Verkauf von Ladenhütertechnologie. Die Alternative sind Entwicklungen wie
ECO-SAN, d. h. alternative Abwassertechnologien.
Beispiel Kostenheterogenität: Bei einer Untersuchung271 in Bayern kam heraus, dass die
Kosten für Abfallentsorgungssysteme je nach Gemeinde erheblich schwanken. Trotz ver-
gleichbarer Situationen entstehen durch geschickte Planungen Einsparpotentiale (vgl. dazu
3.2.6.7).
Konsequenz Benchmarking: Benchmarking ist inzwischen zu einer wichtigen Maßnahme zur
Weiterentwicklung kostensparender Ansätze geworden. Dennoch wird noch zu wenig verglichen,
der Wettbewerb scheint im Ingenieurbau und Betrieb nur schleppend in Gang zu kommen.

271
Bauer 2004
3.2 Angepasste Technologie 101

Einfache technische Fehler


Beispiel falsche Materialwahl: In einer Stadt in Äquatornähe waren die hohen Leitungsver-
luste ein Problem. Ein Programm zur Verbesserung wurde aufgelegt. Ein Hauptpunkt waren
die zahlreichen undichten Hausanschlüsse. Bei den Reparaturen wurde ein in Europa zugelas-
senes und gefertigtes Rohrmaterial verwendet, das in einer Ausschreibung den günstigsten
Preis erzielt hatte. Die Leitungen gehen dennoch laufend kaputt. Die Erklärung: Das Material
ist für eine frostsichere Verlegung zugelassen, d. h. in einer Tiefe von ca. 80 cm bis 1,5 m. In
Äquatornähe verzichtet man auf die aufwendige Tiefenlage, weil dort natürlich kein Frost
vorkommt. Deshalb wird das Material in den Straßen in wenigen Dezimetern Tiefe verlegt.
Konsequenz: unter Umständen zerbricht schon der wegfahrende Reparatur-LKW die neue
Leitung wieder.
Konsequenz Qualitätssicherung: Einsparungen an der falschen Stelle können enorme Kosten
verursachen. Hier hat die Spezifikation des Materials nicht gestimmt. Man hat die Wahl zwi-
schen festerem Material, das günstiger verbaut werden kann, und günstigerem Material, dessen
Verlegung aufwändiger ist. Dagegen hilft nur eine Qualitätssicherung, die nicht nur auf selek-
tive Kriterien abzielt (Europäisches Prüfsiegel), sondern das Gesamtsystem absichert.
Beispiel grundlegende mangelnde Sachkunde mit fatalen Folgen: Die katastrophale Ver-
sorgungssituation in einem Gebiet in Zentralasien wurde durch Zumischen von Rohwasser aus
verschiedenen Quellen notdürftig behoben. Allerdings wurde beim Mischen übersehen, dass
das entstandene Mischwasser stark korrosiv wirkte – in der Konsequenz wurde (verschlimmert
durch schlechte Materialbedingungen) praktisch das gesamte Rohrnetz einer Stadt einschließ-
lich der Leitungen in den Häusern zerstört.
Konsequenz Sachkunde: Umfassende Sachkunde und Erfahrung sind nicht zu ersetzen. Der
Effekt der Leitungskorrosion bei gemischten Wässern ist den Fachleuten wohlbekannt (Kalk-
Kohlensäuregleichgewicht), laienhafte Entscheidungen verursachen enorme Schäden.
Im vorliegenden Fall kann allerdings auch die pure Not, unter hohem politischen Druck etwas
ggf. wider besseres Wissen zu tun, in Verbindung mit der Schwäche eines Systems, das be-
rechtigte Einwände nicht zulässt (politisches Diktat), der Grund für das katastrophale Ender-
gebnis sein. Diese Konstellation kommt oft vor, wenn politische Motive Entscheidungen
bestimmen.
Bemessung
Beispiel Überbemessung Abwasser: Schon fast die Regel sind Bemessungsfehler im Bereich
der Siedlungswasserwirtschaft. Eine typische Konstellation ist, dass von den Entscheidungs-
trägern die Bevölkerungs- und Gewerbeentwicklung zu optimistisch eingeschätzt wird (in
Deutschland besonders oft bei Abwasseranlagen in den Neuen Ländern). Diese Konstellation
ist besonders dann häufig, wenn durch hohe Fördersätze der Besteller nur einen Bruchteil der
Kosten selber trägt.
Konsequenz präzise Bemessung: In dieser Konstellation kommen zwei sich verstärkende
Effekte zusammen. Der Auftraggeber nimmt optimistische Prognosen gerne an oder fordert sie
sogar aus überwiegend psychologischen Gründen selber. Der Planer wird meistens nach den
Gesamtkosten abgerechnet, d. h. sein Interesse, den Auftraggeber auf den Mangel hinzuwei-
sen, ist oft gering. Hier helfen nur Kostenbewusstsein beim Auftragnehmer und seriöse, abge-
stützte Schätzungen. Diese besseren Abschätzungen sind in den meisten Fällen möglich, bei
Unsicherheiten ist zu prüfen, ob auf modulare Systeme ausgewichen werden kann
102 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

Beispiel Unterbemessung unter Kostendruck: Je nach Konstellation kann auch der gegen-
teilige Fall der Unterbemessung eintreten, wenn die Kosten als Problem überwiegen und sich
mit der Umsetzung politisch keine Lorbeeren verdienen lassen. Auch dieser Effekt kommt
häufig bei Abwasseranlagen vor, aber auch bei Schutzanlagen wie für den Hochwasserschutz
oder bei Trinkwasserschutzgebieten.
Konsequenz transparente Risikoabschätzung: Diese Konstellation ist praktisch nur durch
ein hohes Bewusstsein oder verbindliche Vorschriften abzufangen. Hilfreich ist hier auch eine
hocheffiziente Planung, d. h. eine Reduktion der Kosten.
Beispiel Fehlerketten: Ebenfalls ein typischer Bemessungsfehler entsteht dadurch, dass Spei-
cher,- Pump- und Aufbereitungskapazität in der Wasserversorgung auf ein bestehendes leckes
System ausgerichtet werden. Typische Kennzeichen dafür sind exorbitant hohe spezifische
Verbräuche (in einem Fall in Rumänien 700 l/E*d, in einer Stadt in Usbekistan 1000 l/E*d).
Konsequenz umfassende Kostenabschätzung: Es kann tatsächlich sein, dass es zumindest
vorübergehend wegen der hohen Kosten der „leakage control“ keine Alternativen gibt. Aller-
dings erzeugen solche Verluste ihrerseits üblicherweise wiederum Folgeschäden an Straßen
und Gebäuden. Im Zweifelsfall wäre auf Grundlage einer kalkulierten Strategie die Reihenfol-
ge der Sanierung zu überdenken, d. h. zunächst Dichtung der größten Löcher272, Druckabsen-
kung, alternierende Versorgung und Ausrichtung der Aufbereitungstechnologie auf verminder-
te Durchschnittsmengen. Auch diesem Fehler liegt ein Prinzip zu Grunde, das am besten mit
dem Satz „Wir haben keine Zeit einen Zaun zu bauen, weil wir die Hühner einfangen müssen“
zu umschreiben ist.
Betrieb
Beispiel Ergonomie: Eine neu gebaute Kläranlage ist so konstruiert, dass zwischen dem Sand-
fang und einem Becken so wenig Platz blieb, dass keine Maschine den Sandfang mehr errei-
chen konnte. Nicht einmal für eine Schubkarre war Platz genug. Ein an sich winziger Fehler,
der dem Wartungspersonal die Arbeit aber so erschweren wird, dass früher oder später Prob-
leme (Versanden der Becken) auftreten werden. In der gleichen Anlage waren Prallwände in
den Beckeneinläufen in einem Abstand von 10 cm betoniert – eine Reinigung der Leitungen
war damit unmöglich. Eine ganze Reihe solcher kleiner Erschwernisse für den Unterhalt ma-
chen es unwahrscheinlich, dass die Anlage zufrieden stellend laufen wird.
Konsequenz Ergonomie als Planungsaufgabe: Anlagen müssen im Betrieb praktisch sein.
Was kompliziert oder unpraktisch zu bedienen ist, wird bald nicht mehr funktionieren.
Komplexere Zusammenhänge
Die nächsten Beispiele betreffen Probleme, die mit allen drei Nachhaltigkeitskriterien zusam-
menhängen:
Beispiel Lasten aus einem anderen Sektor: Der Wildbestand der bayerischen Alpen war
über Jahrzehnte hinweg zu groß. Die Folge davon war ein erheblicher Wildverbiss an den
jungen Bäumen, so dass für fast dreißig Jahre jeder Nachwuchs ausblieb. In der Konsequenz
brechen alte Wälder unter der Lawinenlast zusammen – neben der unmittelbaren Gefährdung

272
In einem Projekt in Lateinamerika wurde der Stadtverwaltung für diesen Zweck ein High-tech-Gerät
zur Lecksuche („Ultraschalldurchflussmesser“) angeboten. Der Leiter der Abteilung erwiderte, in sei-
ner Stadt bräuchte man zur Lecksuche kein High-tech-Gerät, sondern es würde eine Ente genügen.
Wo die laufe, sei kein Problem vorhanden, wenn sie aber anfange zu schwimmen….
3.2 Angepasste Technologie 103

durch steigende Lawinengefahr führt die verstärkte Erosionstätigkeit zur Überlastung der
Wildbachverbauungen.
Konsequenz transsektorale Betrachtung: Transsektorale Beeinflussungen, die wie in diesem
Falle besonders langsam ablaufen, sind schwer zu erkennen und noch schwerer zu beseitigen.
Den beschriebenen Effekt hat bereits der Journalist Horst STERN in seiner damals sehr popu-
lären Naturberichterstattung “Sterns Stunde“ in den 70-er Jahren geschildert. Erst 10 Jahre
später haben einzelne, ambitionierte Persönlichkeiten wie der Forstamtsleiter KORNPROBST
aus Schliersee begonnen, dagegen durch Verstärkung der Wildabschüsse etwas zu unterneh-
men. Der Streit mit der Jägerlobby ist bis heute nicht abgeschlossen, obwohl kein Fachmann
mehr die Notwendigkeit der Verbissverminderung bezweifelt und obwohl der Bayerische
Oberste Rechnungshof mehrfach auf die negativen Auswirkungen der Verbissschäden hinge-
wiesen hat.
Beispiel negative Konsequenzen in anderem Sektor: Eine günstige Lösung des Abwasser-
problems sind Abwasserteiche (Lagunas in Lateinamerika). Diese stellen aber auch eine latente
Gefahr dar, insbesondere in südlichen Breiten können sie Brutstätten für Krankheiten werden
(Malaria, Tsetse-Fliege). Diese Anlagen müssen also unbedingt in ausreichender Entfernung
von Ansiedlungen errichtet werden. Ggf. ist nach alternativen Systemen zu suchen.
Konsequenz integrale Planung, Beteiligung anderer Sektoren: Verblüffende Fehler, die
durch sektorales Denken entstehen, sind auch heute noch an der Tagesordnung. Dagegen kön-
nen in generalisierbaren Fällen Normen und Richtlinien helfen, in jedem Falle aber stellen
interdisziplinär zusammengesetzte Projektgruppen eine höhere Sicherheit dar.
Beispiel Strukturfehler in anderen Sektoren: Weltweit werden hohe Kosten durch die Be-
siedelung ungeeigneter Gebiete generiert. Einmal sind dies Streusiedlungen bzw. die Zersiede-
lung der Landschaft, die die Kosten für Infrastruktur treiben, daneben ist es die Besiedelung
von Gefahren- und Schutzzonen wie Hochwassergebiete oder Trinkwasserschutzgebiete, die
zum Teil erhebliche Kosten für die Gesellschaft generieren. Bedauerlicherweise wird auch
nach Schadereignissen die Infrastruktur oft an gleicher Stelle wieder errichtet.
Konsequenz integrale Planung: Bei der Konkurrenz zwischen einerseits Baulandpreisen, Lage
und Besitzverhältnissen und andererseits Gefährdung öffentlicher Güter bleibt das fern liegen-
de, seltene oder abstrakte Ereignis oft zweiter Sieger. Diese Fragestellung berührt den klassi-
schen Bereich des öffentlichen Bewusstseins, der ‚public awareness’
Beispiel Mehrkosten durch ökologische Schäden: Die Rohwasserentnahme für Trinkwasser
wird weltweit überwiegend aus Oberflächengewässern vorgenommen. Gleichzeitig sind die
Flüsse für die Abwässer Vorfluter. Üblicherweise gelten für diese Einleitungen strenge Grenz-
werte bis zur Entkeimung, die aber aus Kostengründen nicht eingehalten werden können. Statt
wenigstens Teile des Abwassers zu reinigen, wird gar nichts unternommen, oder die Abwässer
werden zur Entkeimung gechlort – mit problematischen Folgen für die Selbstreinigungskraft
der Flüsse.
Konsequenz Gesamtbilanzierungen: Der Abwassersektor wird auch bezüglich seiner Kos-
tenrelevanz auf der Immissionsseite nicht ernst genug genommen. Es müssen Gesetze mit
erreichbaren Standards gesetzt und darauf basierende günstige Reinigungsmethoden entwickelt
werden. Chlorung von Oberflächengewässern ist kritisch; besser ist es, Uferfiltrat zu verwen-
den.
104 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

3.2.3.2 Zeitabhängige Problementwicklungen


Zeitbomben: Bestimmte Technologien erweisen sich erst im längeren Betrieb als problema-
tisch, obwohl die kurzfristigen Versuche sehr gute Ergebnisse gezeigt haben. Solche Effekte
hat es in allen Bereichen schon gegeben, sie sind deshalb besonders unangenehm, weil bis zum
Erkennen der Probleme unter Umständen bereits erhebliche Investitionen getätigt wurden. Die
Anlagenhersteller und auch viele Beteiligte haben Probleme, mit solchen Umständen umzuge-
hen, weil die Kosten solcher „Rückrufaktionen“ sehr hoch bis ruinös sein können. Wie heikel
der Umgang mit solchen Ereignissen ist, erkennt man schon an der Vorsicht, mit der solche
Vorgänge in der Literatur behandelt werden.
Unprognostizierte Veränderungen: Eine typische Herausforderung sind Veränderungen der
Eingangs- oder Bemessungswerte über die Laufzeit von Anlagen.
• so wird die Rohwasserqualität des Wasserwerks oft durch Verschmutzung, aber auch
durch längerfristige Effekte wie durch versauerungsbedingte ph-Wert-Veränderung so ver-
ändert, dass die Aufbereitungstechnologie versagt bzw. eine ungewünschte Chemie des
Wassers entsteht. Konsequenz: Umweltschutz
• Kläranlagen werden regelmäßig durch die Veränderungen der angeschlossenen Gewerbe-
betriebe massiv beeinflusst. Typische Fälle sind Wegfall oder Hinzutreten von großen
BSB-Lieferanten wie milcherzeugende Betriebe. Höhere Fettwerte können bestimmte Ty-
pen von Kläranlagen ebenso beeinflussen wie Dutzende von anderen Stoffen wie Säuren,
Öle, Schwermetalle oder organische Chemikalien. Konsequenz: Modular aufgebaute, fle-
xibel anpassbare Anlagen.
• Klimaschwankungen sind nur ein Einflussfaktor, der sich verändernd auf die Bemessung
von Hochwasseranlagen auswirkt. Andere sind die Versiegelung der Landschaft oder sys-
tematische Flusskorrekturen und vor allem Einflüsse durch Bewuchs und Ablagerungen in
den Vorländern. Konsequenz: Angepasste Technologie gibt es auch im Bereich der Unter-
haltung. Sie besteht im regelmäßigen sorgfältigen Nachmessen und Nachrechnen, im Fall
der Vorländer z. B. der Querschnitte und der dazugehörigen Hydraulik. Dem Restrisiko ist
quasi ein „Restmisstrauen“ in die bestehenden Anlagen und früheren Berechnungen und
Lastannahmen entgegenzusetzen. Oft werden die Veränderungen an den technischen Anla-
gen (Korrosion, Alterung, Setzungen) unterschätzt.
• Regelmäßig immer wieder bereiten bestimmte chemische Stoffe unangenehme Überra-
schungen. Beginnend in den 60-er Jahren, in denen Öl als besonders brisant erkannt wurde,
folgten bekannte Beispiele wie DDH, Atrazin, Schwermetalle, halogenierte Kohlenwasser-
stoffe (CKW), weitere Pflanzenschutzmittel, Makrokeime wie Cryptosporiden und aktuell
endokrine Stoffe wie Zinkorganyle und Medikamente273. Der Ereignisverlauf ist jeweils
ähnlich: Durch Messungen, manchmal auch durch Schadensfälle wie Epidemien kommt ein
neuer Stoff oder eine Stoffgruppe in Verdacht. Durch ein Monitoring versucht man den
Einfluss, insbesondere den Gefährdungsgrad bzw. die Brisanz möglichst schnell abzu-
schätzen. Nachfolgende Untersuchungen stabilisieren das Bild, ggf. werden zunächst
Richtwerte, später Grenzwerte festgelegt. Die Auswirkungen können sich auf die Aufberei-
tungstechnologie im Rohwasser wie im Abwasser beziehen, können die Verwendbarkeit
von Klärschlämmen oder Grauwasser betreffen, können Umweltindikatoren darstellen oder
neue technische Richtlinien oder Verfahren bewirken. Die Durchdringung von Beton durch
die LHKW war lange Zeit einfach unbekannt. Die Wirkung der endokrinen Stoffe konnte

273
BMU 2003
3.2 Angepasste Technologie 105

erst durch langwierige Untersuchungen und Forschungen entschlüsselt werden274. Konse-


quenz: Die EU versucht, bestimmte als besonders gefährlich vermutete Stoffe in Listen zu
erfassen. Bislang ist aber bei aller Sorgfalt immer wieder ein neuer Stoff des heute beste-
henden chemischen Zoos in Verdacht gekommen. Spektakuläre Beispiele waren die Dioxi-
ne und BSE.
• Wissenszuwachs: Oft geht es bei gefährlichen Stoffen aber gar nicht um high-tech-
Analytik oder Technik. Einer der unangenehmsten Fälle betrifft die Arsenbelastung der
Trinkwässer in Pakistan. Dabei wurden Tausende von Wasserquellen in ländlichen Gebie-
ten in Pakistan im Rahmen eines groß angelegten Entwicklungsprogramms erschlossen.
Leider wurden über Jahre zwar immer bestimmte Einheitsparameter untersucht, um die
Wasserqualität zu bestimmen. Erst nach Jahren zeigte aber eine Analyse des Wassers auf
Arsen, dass flächendeckend geogen eine enorme Erhöhung dieses für den Menschen wirk-
lich gefährlichen Stoffes vorhanden ist. Jetzt versucht man für weitere Millionenbeträge,
Aufbereitungen anzubieten, der Schaden ist aber bereits eingetreten. Konsequenz: Quali-
tätsmanagement auch in scheinbar eindeutigen Fällen. Hier ging es um fehlende Basis-
Grundlagenanalytik mit wirklich problematischen Folgen275.

3.2.4 Anpassung unter Umweltgesichtspunkten

3.2.4.1 Klimatische Anpassung


Wegen der großen Bedeutung ist den klimatischen Einflüssen besondere Aufmerksamkeit zu
zollen. Wie kann zuverlässig ein „klimatisches Versagen“ prognostiziert und vermieden wer-
den? Mit klimatischem Versagen sind die vielen Effekte gemeint, bei denen durch Wechsel der
Klimazonen Technologie der gemäßigten Zonen versagt. Praktisch alle Baustoffe sind in ihren
physikalischen Eigenschaften abhängig von der Temperatur und von Temperaturschwankun-
gen, insbesondere in der
• Elastizität,
• Viskosität und
• Wärmedehnung.
Die daraus entstehenden Probleme sind vielfältig. Von echten Frostschäden über Sprödbrüche
und erhöhte Abnutzung von ölgeschmierten Baugruppen bei Frost bis zu Überhitzungsschä-
den, Materialversagen durch Schmelzprozesse (z. B. bituminöse Dichtungen und Fahrbahnbe-
läge) usw.
Genauso interessant ist der Einfluss der Feuchtigkeit. Besonders in südlichen Breiten sind
unter dem Einfluss der Temperatur die Luftfeuchtigkeitseffekte besonders ausgeprägt. So ist
die höhere Verdunstung bei allen Wasserflächen von Belang, die Schlammbehandlung kämpft
zum Beispiel mit Verkrustungen und verändertem Fließverhalten. Umgekehrt führt hohe Luft-
feuchtigkeit zu einer Reihe von Anforderungen. Man denke nur an die Wärmeleitfähigkeit von
porösen Bauteilen, die Feuchtedehnung, Kondenswasserbildung und den in den Tropen allge-
genwärtigen Schimmel.

274
ATV 2002
275
Berg et al. 2002
106 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

In der Summe können sich erhebliche Mehrbelastungen für Baustoffe, Bauteile und Maschinen
ergeben.
So nimmt die Korrosion bei steigender Temperatur und gleichzeitiger Zunahme der relativen
Luftfeuchtigkeit oberhalb von ca. 65 % signifikant zu276. Dieser Vorgang wird durch Sonder-
beanspruchungen verstärkt, die sich in Deutschland vor allem in den Holzbaunormen abbilden,
in anderen Breiten aber durchaus auch Beton und Ziegel betreffen. Zu diesen Sonderbelastun-
gen zählen auch Konstellationen wie Sand (-stürme) und manchmal auch Schäden durch Tiere,
von diversen Krankheitskeimen über Termiten bis zum Waschbär.
KRÜGER277 stellt bereits 1956 ein Schema auf, das er „Ingenieurklima“ nennt und die Welt in
sieben technische Planungsräume aufteilt:
a. Die Kältezonen im Hochgebirge
b. Wohngebiete der gemäßigten Zonen
c. Länder mit Mittelmeerklima
d. Die Trockengürtel der Erde
e. Monsungebiete
f. Die Tropen
g. Das Meer als Planungsraum, Häfen
Für diese Zonen beschreibt er detaillierte Anforderungen und stellt die Forderung einer „Regi-
onaltechnik“ auf, deren Anwendung bereits damals im Klappentext so beschrieben wurde:
„Viele Fehler und Enttäuschungen hätten sich bei unseren Auslandsarbeiten vermeiden las-
sen, wenn man nicht immer den alten Fehler begangen hätte, die Verhältnisse in der Heimat
schablonenhaft auf ein anderes Land zu übertragen“.

3.2.4.2 Wirkungen auf die Umwelt


Generell können im Sinne der Effizienz und des Umweltschutzes Anforderungen an die Tech-
nik im Hinblick auf die Emissionen und den Energieverbrauch formuliert werden, d. h. ein
technisches Gerät soll nichts emittieren, was ökologisch bedenklich ist und mit der (Primär-)
Energie so sparsam wie möglich umgehen.
Die Auswirkungen technischer Eingriffe auf den Wassersektor hat der WBGU untersucht. Die
am engsten mit der Wasserwirtschaft verbundenen Syndrome waren das Favela278-, das Grüne
Revolution- und das Aralsee-Syndrom. Die Gefahr entsteht in allen drei Fällen überwiegend
aus mangelnder Anpassung. Die Konsequenzen dieser Veränderungen sind so dramatisch, dass
sie die gesamte Biosphäre in einer Region oder sogar einem Land verändern können.
Beispiel Bewässerung: So konnte in China und Ägypten eine intensive Bewässerungswirt-
schaft über Hunderte von Jahren betrieben werden. Erst die Umstellung auf großtechnische,
nicht der Situation angepasste Technologie hat binnen weniger Jahre ganze Systeme zusam-
menbrechen lassen. BORK beschreibt anhand der Landwirtschaft in Yan’an in der Provinz
Shaanxi des nordwestchinesischen Lößplateaus, einem Teil des Einzugsgebietes des gelben
Flusses, einen klassischen Fall von nicht angepasster Technologie: Dort wurde wegen der
leichten Erodierbarkeit der Böden über Jahrtausende eine Technologie entwickelt, die über
Terrassenanbauverfahren die abgeschwemmten Lößböden wieder auffängt und stabilisiert:

276
Rostasy 1983, S.100 ff
277
Krüger 1956, S. 66ff
278
vgl.
3.2 Angepasste Technologie 107

„Anschließend beherrschten die Landnutzer wohl mit angepassten Feldfrüchten und Frucht-
folgen die Wasserhaushaltskomponente ‚Abfluss auf der Bodenoberfläche’. Bis zum Jahr 1958
und damit über einen Zeitraum von mehr als 4000 Jahren wurde starke Abflussbildung ver-
hindert. Schwache Abfluss- und Bodenerosionsereignisse ließen die Ackerterrasse auf einer
Breite von mehr als 80 Metern über 6 m hoch aufwachsen.“ Mao Tsetung ließ aber ab 1959 die
gesamte Bewirtschaftung auf ‚modernere’ Verfahren zur Ertragssteigerung umstellen und
verkündete gleichzeitig das Ende allen Hungers. „Die Bodenerosionsraten wuchsen – im Ver-
gleich zu den vier vorausgegangenen Jahrtausenden – am Oberhang um 1300 %, im etwa 2
km² kleinen Wassereinzugsgebiet um über 6000 %“. Versuche, die Lößböden durch neuere,
höhere Dämme zurückzuhalten, schlugen fehl: „Bis heute gelingt es den Bauern nicht, die
landnutzungsbedingt veränderte Komponente des Wasserhaushaltes – den Abfluss auf der
Bodenoberfläche – zu beherrschen. Nahezu jedes Jahr sind gravierende Ertragseinbußen zu
verzeichnen.
Erst in den späten 1990-er Jahren wuchs das Umweltbewusstsein. Im Jahr 1998 wurde ein
nationales Umweltprogramm erlassen. Ein Teil des untersuchten Einzugsgebietes wurde auf-
geforstet. Die Beweidungsintensität wurde drastisch vermindert; die betroffenen Landnutzer
wurden entschädigt. Dadurch nahm das Ausmaß von Abflussbildung und Bodenerosion an den
Hängen lokal ab. Jedoch werden die Felder in den Trockentälern nach wie vor episodisch
überflossen“. 279
Herausforderung Technikfolgenabschätzung: Es ist ein typisches Merkmal der nicht ökolo-
gisch angepassten Technologie, dass sie in natürliche Gleichgewichte eingreift (Eingriff) und
sie stört (ein dem Ursprungszustand ähnlicher Zustand tritt nach einer bestimmbaren Zeit wie-
der ein) bzw. labil macht. (Es entsteht ein Zustand der laufenden Veränderung).
Die Unterschiede liegen
• in der Zeitdauer, die die Labilität anhält,
• in der Differenz vom ursprünglichen Zustand und
• in der Qualität des neuen Zustands.
Wenn der neue Zustand in seiner Qualität dem vorherigen vergleichbar ist, war der Eingriff in
der Regel verträglich. Unverträglichkeit ist festzustellen, wenn sich ein deutlich verschlechter-
tes Gleichgewicht einstellt oder gar ein labiles System entsteht. Natürlich wird sich in jedem
Falle irgendwann wieder eine „natürliche Stabilität“ oder besser „natürliche Dynamik“ einstel-
len. Im Falle der Eintiefung von Alpenflüssen, Austrocknung von Süßwasserseen oder der
Klimaveränderung sind die neu entstandenen Systeme aber Ergebnis einer nicht angepassten
Technologie bzw. Verhaltensweise. Eventuell wären solche Fälle noch in der Qualität des neu
entstandenen Lebensraumes zu unterscheiden. Bei kleinräumigen Veränderungen gibt es häu-
fig den Fall eines Sekundärbiotops, das unter Umständen ähnliche Qualitäten wie das Ur-
sprungsbiotop haben kann.
Sobald Eingriffe durch die Größe des Einzelprojektes oder die Summenwirkung vieler kleiner
Eingriffe eine bestimmte Dimension annehmen, wirken sie nicht nur bezüglich der Natur,
sondern auch in ökonomischer und sozialer Hinsicht:
• Die Aralsee-Katastrophe hatte unter anderem die Zerstörung ganzer Wirtschaftsstrukturen
und riesige soziale Probleme zur Folge.

279
Bork 2005, S. 148ff
108 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

• Wirtschaftliche Folgen kündigen sich durch die Übernutzung und die Verunreinigung vie-
ler großer Grundwasservorkommen in der ganzen Welt, unter anderem in den USA, sowie
durch den Verbrauch der letzen Wasserreserven der Wüste an. Die Folgen werden unter
anderem den globalen Agrarmarkt verändern.
• Verunreinigungen der Oberflächengewässer produzieren erhebliche Folgekosten in der
Aufbereitung, weitere Folgelasten wie z. B. im Gesundheitssektor sind zu befürchten.
• Eine zusätzliche erhebliche gesellschaftliche Belastung entsteht in allen Welten durch die
nicht angepasste Inanspruchnahme von Auen und Uferbereichen, die unvorsichtigen Be-
gradigungen und sonstigen Veränderungen des Retentions- und Abflussverhaltens der
Landschaft. Dadurch werden Millionenkosten für Hochwasserschutzmaßnahmen, aber
auch für Wasserhaushaltsmaßnahmen wie Sohlstabilisierungen verursacht.
• Andere flächendeckende Effekte sind die hohe Belastung durch den anhaltenden Flächen-
verbrauch und durch landwirtschaftliche Intensivnutzung, der flächige Eintrag von Um-
weltchemikalien und
• der steigende Energieverbrauch – eine der größten Nachhaltigkeitslücken unserer Gesell-
schaft – zusammen mit den Stickoxyd-Emissionen und dem Abholzen der Tropenwälder,
was zur Klimaveränderung und damit zu tiefgreifenden, alle Bereiche der Natur und der
Zivilisation betreffenden Veränderungen führt (und sich spätestens über die Wetterdynami-
sierung wiederum auf den Wassersektor auswirkt).

3.2.4.3 Technologie der Anpassung durch die Umweltverträglichkeitsprüfung:


Die Umwelt wird in der industrialisierten Welt zunehmend als wesentlicher Teil der Lebens-
qualität wahrgenommen. Damit wächst auch die Bereitschaft für die Durchsetzung ökologisch
angepasster Lösungen. Die Gesellschaften sind aber noch weit von einer „automatischen“
Umsetzung entfernt, zum Beispiel dadurch, dass sich in den üblichen Marktpreisen bezie-
hungsweise dem Käuferbewusstsein diese Zusammenhänge manifestiert hätten.
Die Situation in den in Entwicklung befindlichen Ländern ist weitaus angespannter. Aus dem
„Recht auf Entwicklung“ wird in Analogie auf die Geschichte der entwickelten Länder ein
z. T. auch artikuliertes Recht auf Umweltbenutzung bzw. Umweltzerstörung abgeleitet. Eine
Entwicklung von ökologisch angepasster Technologie scheitert oft schon am subjektiven wirt-
schaftlichen Fundamentalinteresse. Das kann so weit gehen, dass der rauchende Schornstein
und die Umweltverschmutzung sogar als Zeichen des Fortschritts angesehen und begrüßt wer-
den.
Das fortschrittlichste Mittel zur Erzeugung ökologisch angepasster Lösungen auch unter
schwierigen Bedingungen ist die Umweltverträglichkeitsprüfung. Sie ist nach SCHWARZ280
die höchste der Erkenntnisstufen im Umgang mit der Umwelt (vgl. Tafel 8).

280
So wurde nach D’EUGENIO (2004, Bericht zum Treffen der europäischen Wasserdirektoren zur
WRRL, Diskussionspapier) für die WRRL beschlossen, sozial-kulturelle Aspekte nicht als Teil der
wasserwirtschaftlichen Qualität sondern als Randwert oder Einschränkung eines wasserwirtschaftli-
chen Leitbildes zu definieren. Dies ist aus Sicht der Nachhaltigkeitsbelange der Agenda 21 problema-
tisch, weil dadurch sowohl ökonomische als auch soziale Belange übersehen werden können, wenn
sie sich nicht durch negative Einwirkungen auf die ökologischen Belange auffallen.
3.2 Angepasste Technologie 109

1. Phase der Unbedarftheit


Menschen greifen in den natürlichen Kreislauf ein, gebrauchen Wasserressourcen, auch zur Abfallbe-
seitigung, ohne auf Auswirkungen für die menschliche Gesundheit oder das Ökosystem zu achten.
2. Phase der Beschwichtigung
Die Folgen dieser Veränderung für den Menschen und das natürliche Ökosystem sind offensichtlich,
werden aber entweder als unvermeidbar hingenommen oder von den Nutznießern dieser Projekte ver-
harmlost.
3. Phase der Reparatur
Wassermanagement-Technologien werden entwickelt, um die schädlichen Nebenwirkungen im Nach-
hinein zu beseitigen oder wenigstens zu reduzieren. Vielfach treten dadurch weitere unvorhergesehene
Schädigungen ein, so dass diese Maßnahmen häufig ohne dauerhaften Erfolg bleiben. Ein nachsorge-
orientierter Gewässerschutz oder nachträgliche Vorkehrungen zur Hochwassereindämmung sind Bei-
spiele für solche Entwicklungen.
4. Phase der Prüfung der Umweltverträglichkeit
In dem am weitesten fortgeschrittenen Stadium wird versucht, die negativen Folgewirkungen wasser-
baulicher Eingriffe durch präventive Maßnahmen zu verhindern oder so gering wie möglich zu halten.
Umweltverträglichkeitsprüfungen, die am Beginn der Planungsphase jedes Großprojektes stehen soll-
ten, sind dafür ein ganz wesentliches Instrument.

Tafel 8: Vier Reifegrade des Umgangs mit der Natur [nach SCHWARZ281]

Eine UVP kann auch die längerfristigen negativen Konsequenzen aufzeigen und transparent
machen, so dass sie Entscheidungsgrundlage werden können. Daraus entsteht der
Ansatz 3: Angepasste Technologie muss sich an den Kriterien der Umweltverträg-
lichkeit orientieren.
Die UVP selber muss aber auch an den Kriterien der A21 gemessen werden: Aufsetzend auf
der Methodik der Umweltverträglichkeitsprüfung bildet sich innerhalb der EU durch die An-
wendung der Richtlinie Natura 2000 zusammen mit der Vogelschutzrichtlinie und der FFH-
Richtlinie eine sehr konkrete Forderung an ökologisch angepasste Technologie. Diese hat
allerdings ihren Preis: Die aufgrund dieser Richtlinien verlangten Untersuchungen führen zu
einem erheblichen Mehraufwand der Planung und damit zu einer zunächst signifikanten Ver-
schlechterung der Effizienz. Weiterhin kann sich dadurch die Konstellation ergeben, dass zwar
die Überprüfung von Eingriffen (geplanten Projekten) auf ihren Anpassungsgrad in Bezug auf
die Ökologie perfekt sichergestellt ist, entsprechende Bewertungsvorschriften für sozial-
kulturelle Belange aber fehlen.281 Unter Umständen ergibt sich dadurch sogar ein Nachhaltig-
keitsdilemma.
Ein Beispiel einer schwierigen Abwägung unter Umweltgesichtspunkten - das Vorlandmana-
gement im Bereich bedeichter (größerer) Flüsse - wurde im bayerisch-österreichisch-
ungarischen Programm SUMAD282 (Sustainable use and management of alluvial plains in
diked river areas ) untersucht. Konkret bestand folgende Situation: An der bayerischen Donau
existiert unterhalb von Straubing auf ca. 60 km eine beidseitig geschlossene Bedeichung. Die
vorhandenen Deiche sind knapp bemessen und entsprechen nicht mehr einem HQ 100-Schutz
nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik. In den letzten Jahrzehnten hatte sich auf
den zum Teil breiten Vorländern Bewuchs (Auwald) wiederangesiedelt, gleichzeitig hat sich

281
Aus Wallacher 1999
282
http://www.ioer.de/ccp/pdf/1_Call %204_3 %20Kurzbeschr_SUMAD.pdf
110 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

die vorhandene landwirtschaftliche Nutzung gewandelt: ein Teil der Flächen ist verbuscht, auf
den übrigen wird viel mehr Mais angebaut.
Die Vorländer waren, wie die meisten Flussauen, als Natura 2000 und Vogelschutz bzw. FFH-
Gebiete ausgewiesen worden. Die Ursprungsquerschnitte waren 1926 ohne Bewuchs gerechnet
worden. Obwohl wiederholte eindimensionale Nachrechnungen der Hydraulik in den vergan-
genen 15 Jahren keine nachteilige Veränderung erkennen ließen, wurde beim Sommerhoch-
wasser 2002 ein im Vergleich zur gemessenen Wassermenge stark angestiegener Wasserstand
festgestellt. Ähnliche Beobachtungen wurden auch in Ungarn und Österreich gemacht. Im
Rahmen des Programms SUMAD wurden deshalb unter Verwendung der internationalen Er-
fahrungen Überrechnungen mit einem 2D-Programm durchgeführt. Unter anderem wurden
dazu Modellversuche zum Abflussbeiwert für Mais neu erarbeitet (Abbildung 3-3) bzw. auf
für Wald in einem anderen EU- Projekt aktuell ermittelte zugegriffen283. Das Ergebnis der
erneuten Berechnung erbrachte an der Donau, aber auch bei Vergleichsgewässern in Öster-
reich und Ungarn Wasserspiegellagenänderungen im Dezimeterbereich. In der Konsequenz
waren hinter den Deichen der Donau einige zehntausend Bewohner erkennbar einem deutlich
größeren Risiko ausgesetzt. Anderseits hatte gerade der Vorlandbewuchs zur Einstufung dieser
Bereiche als FFH-Gebiet gesorgt, als Auwald sogar als prioritäre Art. Eine aus technischer
Sicht wünschenswerte schnelle Beseitigung widerspricht damit den EU-FFH-Regularien.

Abb. 3-3: Modellversuch zum Einfluss von Bewuchs auf Vorlandflächen in bedeichten Flüssen mit Mais,
TU München, Versuchsgelände Obernach284

Die Konsequenz daraus ist ein Abwägungsdilemma, bei dem auf der einen Seite der FFH-
Schutz steht, auf der anderen die Deichsicherheit. Die EU-Richtlinien sehen für diesen Fall –
vor allem bei prioritären Arten – eine Reihe von Voruntersuchungen, Alternativprüfungen
usw. vor. Diese „Umweltverträglichkeitsprüfung“ ist im Sinne eines nachhaltigen Umgangs
zwar angebracht, müssen sich aber an den Bedingungen der Gesamtsituation orientieren.

283
Aus Meixner, Schnauder, Bölscher, Riparian Forrest, EU- QLRT 1999-1229, Wien 2003
284
aus: Hartlieb, Sperer 2005
3.2 Angepasste Technologie 111

– Dazu gehört, dass sich der Aufwand für Untersuchungen im Sinne der ökonomischen
Effizienz in Grenzen halten muss.
– Wegen der Konkreten Gefährdung sind langwierige Untersuchungen nicht vertretbar.
– Aus der Abwägung im Sinne der Tripel- Belange ergab sich letztlich ein Vorrang der
Sicherheit bei dieser Fallkonstellation285.

3.2.5 Anpassung unter sozial-kulturellen Gesichtspunkten

3.2.5.1 Zweckbestimmung
Beispiel Hochwasserschutzanlage: Der Hauptzweck ist der Schutz von Mensch und Gebäu-
den. Ein sozial-kultureller Nebenzweck ist die die Aufwertung der flussnahen Stadtviertel
durch die Verbesserung der Zugänglichkeit zum Wasser einschließlich damit verbundener
Freizeit- und Erholungseffekte sowie dadurch angeregte Aktivitäten der Hausbesitzer zur
Ortsbildverbesserung (Fassadenverschönerung usw.) bis hin zu einer Verbesserung des sozia-
len Umfelds.
Eine Wasserversorgung und Abwasserentsorgung sind als Teil der MDGs unbestritten
sozial notwendige Einrichtungen. Sie verbessern unmittelbar die hygienischen Verhältnisse
sowie bei einer Abwasserreinigung die Gewässerqualität. Nebenzweck kann die Neuordnung
der Erschließungsstrassen (oft in Slums bzw. Favelas) und an den saubereren Gewässern eine
bessere Erholungsfunktion sein. Auch hier wird ein Neben- oder Folgeeffekt oft eine Stabili-
sierung der sozialen Verhältnisse sein.
Kritisches Beispiel für einen Mangel an Anpassung an sozial-kulturelle Bedürfnisse ist der
viel zitierte Brunnen, der in einem Dorf in Afrika als Entlastung für die Wasser schleppenden
jungen Mädchen und Jungen erbaut wurde, was in der Konsequenz zu einem Wegbrechen des
Kommunikations- und „Hochzeitsvermittlungsplatzes“ Wasserstelle geführt hat. Ein anderes
Beispiel sind die in vielen Ländern vorhandenen (Sub-) Strukturen der Wasserverteiler oder
Müllsammler und Müllverwerter („Ventadores“), die einen eigenen Platz und Wert in der
Gesellschaft haben und nicht ohne weiteres durch Technologie ersetzt werden können.
KRAMMER definiert Technologie deshalb als ‚Technik unter Einbeziehung der wirtschaftli-
chen und gesellschaftlichen Voraussetzungen’286.
Es lässt sich zunächst eine Forderung ableiten, dass positive Nebenzwecke und Nebeneffekte
erkannt und gefördert werden sollen, allein schon aus Effizienzgründen, durchaus auch aus
Akzeptanzgründen. Beide Zielebenen lassen sich nur durch integrale Planungsansätze errei-
chen, d. h. durch bewusste Miteinbeziehung nichttechnischer, sektorfremder Belange.
Ansatz 4: Angepasste Technologie muss durch integrale Planung sozial-kulturelle
Hauptziele erfüllen und mögliche sozial-kulturelle Nebenziele und Nebeneffekte be-
rücksichtigen.

285
Als Lösung werden kurzfristig nach überschlägiger ökologischer Bewertung des Eingriffes Schneisen
ins Unterholz geschnitten und der Maisanbau zurückgenommen. Erleichternd wirkte, dass sich mittel-
fristig die Situation durch geplante Deichrückverlegungen und Deichanpassungen auch ökologisch
wieder verbessern wird.
286
Krammer 2004, S. 14
112 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

3.2.5.2 Kulturelle Umwelt


Die KfW287 zitiert einen typischen Fall in Schwarzafrika, bei dem Unverständnis der Kunden
zum Scheitern einer technischen Lösung führt: „Wir brauchen keinen neuen Brunnen, das
stinkende Wasser aus der Lagune hat schon unseren Vorfahren genügt…“. Die Qualität des
neuen Brunnens wird gar nicht bezweifelt, sondern die Notwendigkeit. Das Bewusstsein einer
Gefahr ist unterschiedlich zwischen Entwicklungshelfern und Kunden.
Diese Missverständnisse mit den Kunden können auf jeder Ebene auftreten; Bildung, Religion,
Region, Haltung (Vorurteile), kurzfristiges Denken und mangelnde Information können dafür
Gründe sein. Diese Effekte treten deshalb auch nicht nur in der internationalen Entwicklungs-
zusammenarbeit auf, wenn zum Beispiel europäische Ingenieure auf afrikanische Medizin-
männer stoßen. Das sind nur die international typischen, „krassen“ Fälle. Analogien bei Was-
serversorgungen im bayerischen Schwaben und Niederbayern (Rottaler Wasserkrieg) sind
ebenso möglich wie das europaweite mangelnde Gefahrenbewusstsein von Bauwerbern, die in
Gefahrenzonen jeder Art bauen wollen.
Die Tugend, solche kulturellen Umwelteffekte wahrzunehmen und abzuarbeiten ist also er-
folgsbestimmender Teil der angepassten Technologie. Viele dieser Themen werden im Rah-
men der weiteren Kapitel behandelt, da sie oft mit dem „soft factor“, also dem Management,
dem Bewusstsein oder zentralen kulturellen Randbedingungen zu tun haben. Zusammenfas-
send wird in Tafel 9 ein Überblick über die Auswirkungen von mangelnder Anpassung von
Technologie dargestellt.

A) Kleine Auswirkung B) Mittlere Auswirkung C) Große Auswirkung


1) Ökonomie Einzelkomponente teuer, Systemfehler, Gesamtzweck richtet erheblichen finanziel-
erfüllt Zweck nicht, wird nicht erfüllt, betriebs- len Schaden auch bei Dritten
Probleme bei Unterhalt wirtschaftlich spürbar an, volkswirtschaftlich rele-
vante Auswirkung
2) Ökologie lokale Schäden, z. B. regional, Artenveränderung, weit überregionale desaströ-
Untergrundverunreini- Landschaftsbild, prioritäre se Wirkung (z. B. Aralsee),
gung Arten Klimaänderung
3) Sozial- individueller Arbeits- soziale Beeinträchtigung gesellschaftliche Stabilität
Gesellschaft- platz, Existenz kleiner ganzer Gruppen, z. B. wird gefährdet, Aufstände,
lich Betriebe, persönliche Krankheiten, hohe Gebüh- untragbare soziale Konse-
Betroffenheit ren, Erholungsraum, Luft- quenzen
qualität

Tafel 9: Schadensbilder durch nicht angepasste Technologie

287
KfW 2004
3.2 Angepasste Technologie 113

3.2.6 Ausgewählte Lösungsansätze zum Erreichen einer angepassten


Technologie

3.2.6.1 Richtige Lokalisierung


Eine der Hauptherausforderungen der A21 ist die richtige Austarierung teilweise konkurrie-
render Basisbelange. Dieses Dilemma ist in der Sache häufig nicht auflösbar, möglicherweise
aber, wenn man die Dimension der Betrachtung auf den Raum erweitert. Die Grundlage dafür
bildet das Principle of Translocation, eines von 10 Prinzipien der PEBLDS288: „Prinzip räum-
licher Alternativensuche (Principle of Translocation): Solche Projekte, die besonders schäd-
lich für die biologische und landschaftliche Vielfalt sind und nicht vermieden werden können,
sollten, wenn möglich und zumutbar (possible or practicable), an anderen Orten realisiert
werden, wo sie weniger gravierende Eingriffe nach sich ziehen.“
Man kann dieses Prinzip sinngemäß auch invers anwenden, d. h. bestimmte Entwicklung im
Sinne einer Verbesserung in besonders geeignete Bereiche lenken. Ein besonders eingängiges
Beispiel dafür ist das Zusammenwirken der Nachhaltigkeitsparameter in einem Flussraum.
Während sich ein Ausgleich der Belange in einem Querschnitt nicht immer verwirklichen
lässt, ist dies bei entsprechender Planung über mehrere Querschnitte durchaus erreichbar:
Die klassische Problemstellung sind wasserbauliche Maßnahmen im Zusammenhang mit Ver-
besserungen des Hochwasserschutzes in bebauten Gebieten. Die Problemlagen ähneln sich
dabei weltweit: Die meisten Siedlungen wurden am Wasser errichtet. Die Gründe dafür liegen
in der Wasserversorgung, der Transportfähigkeit, Energienutzung, Schutz vor Feinden, Brü-
ckenzoll oder am Meer wegen des Süßwassers, den natürlichen Häfen usw. Fast immer sind
die Siedlungen inzwischen dem Fluss oder dem Meer viel zu nahe gekommen. Bauland war
teuer, so dass der nötige Respektsabstand nicht eingehalten wurde.
In der Konsequenz leidet zunächst die Ökologie, zusätzlich belastet durch Abwassereinleitun-
gen, bald verlieren aber auch die Menschen an Lebensqualität. Dazu kommt die zerstörerische
Kraft der Hochwässer. Viele Städte haben ihr Gesicht inzwischen vom Wasser abgewandt,
weil durch die Verschmutzung und die Überschwemmungsgefahr aus dem die Besiedlung
begünstigenden Fluss ein Feind geworden zu sein scheint. Als Abhilfe wird vielerorts einfach
noch massiver verbaut, weiter auf Kosten der Ökologie und des Stadtbildes.
Tatsächlich begründet in diesem Falle der Begriff der Anpassung der technischen Lösung in
besonderem Maße auch ein Abwägungsgebot. Um diese Abwägung zu vereinfachen, wurde
mit Abb.3-4 ein Schema entwickelt, das Prioritäten in Abhängigkeit von der Ortslage und der
Breite des Gewässers vorschlägt.

288
Peters 2002, 182-182: PEBLDS = Paneuropäische Strategie der biologischen und landschaftlichen
Vielfalt (Pan-European Biological and Landscape Diversity Strategy - PEBLDS) Die Strategie
(PEBLDS) ist ein politisches Übereinkommen, das auf die Initiative des Europarates, der UN-
Umweltorganisation (UNEP) und des European Center for Nature Conservation (ECNC) zurückgeht.
Es wurde im Jahr 1996 von 55 Ländern unterzeichnet.
114 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

Translokaler Ansatz der Umsetzung der


Nachhaltigkeitsbelange im Siedlungsraum

town

Zone III Zone II Zone I Zone II Zone III Zone


Ökologie Freizeit und Ökonomie Freizeit und Ökologie
Erholung Kultur Erholung
Priorität

Abb. 3-4: Heuristisch hergeleitete Priorisierung der Nachhaltigkeitsbelange im Flussbau in Abhängigkeit


von der Lage der Siedlungsgebiete289

Das Bild definiert vereinfachend drei Zonen mit entsprechenden Präferenzen. Alle drei Nach-
haltigkeitsbelange müssen nach Möglichkeit in allen Zonen erfüllt sein, dennoch hat in jeder
Zone ein Belang eine besondere Präferenz. Mit der Zone geht üblicherweise auch eine Ein-
schränkung der freien Fließbreite des Gewässers einher. Eine angepasste Planung wird diese
Randwerte so berücksichtigen, dass
• keiner der Tripel-Belange zur Gänze versagt bzw. weggewürdigt wird,
• der Gesamtwirkungsgrad optimiert wird und
• damit sowohl die teleologischen wie die deontologischen Ziele290 erreicht werden.
Zone 1:
Hier liegt meistens die Hauptursache für die Planung: die Hochwassergefahr für wertvolle
bebaute Bereiche. Das Flussbett ist üblicherweise stark eingeengt. Oft genügt der verbliebene
Querschnitt nicht mehr, um den Bemessungsabfluss abzuführen. Die Konsequenz sind Planun-
gen mit hohen Mauern und günstigen hydraulischen Querschnitten.
Der verbleibende Raum für Ökologie ist gering, oft bleibt nur die Gestaltung der Sohle, vor
allem der Durchgängigkeit, und ein minimaler Uferrandstreifen. Vielleicht ist in Fließstrecken
mit etwas größerer Breite auch die Anlage von Trittsteinbiotopen möglich.

289
weiterentwickelt aus Grambow et al. 1998, S. 24
290
Teleologischer und deontologischer Ansatz bedeutet hier: „Welche Kultur(-landschaft) und welche
Lebensform wollen wir, wie ist eine gerechte Verteilung der Belange zu erreichen?“ (vgl. Kap.
2.1.1.2)
3.2 Angepasste Technologie 115

Die städtebaulichen („kulturellen“) Anforderungen werden durch entsprechende Gestaltung


z. B. der Mauern erreicht. Das kann sich auf das Relief beziehen; gut sind Bermen, um die
Flächen aufzulockern und die Zugänglichkeit zu erleichtern, bei Mauern ist eine Bearbeitung
oder Verkleidung der Oberflächen nötig (z. B. statt günstigem Sichtbeton). Unter Umständen
werden sogar mobile Hochwasserwände eingesetzt, um die Belange des Ortsbildes zu berück-
sichtigen291.
Es darf nicht verkannt werden, dass die Gestaltung dieses Bereiches über die Attraktivität der
Innenstadt mitentscheiden kann. Damit sind auch indirekte wirtschaftliche Auswirkungen
verbunden.
Zone 2:
Zone 2 sind die grünen Lungen der Städte, in denen neben den oft noch in naturähnlichem
Zustand fließenden Gewässern Platz für Auwaldbestände und vor allem für Freizeit und Erho-
lung in schönem Umfeld besteht292. In den Planungen der bayerischen Wasserwirtschaftsver-
waltung werden in dieser Zone ganz bewusst zusammen mit den Kommunen Erholungsein-
richtungen angelegt.
Ein Umsetzungsbeispiel ist der Isarplan in München. An einem schönen Sommertag werden an
der Isar Zehntausende von Erholungssuchenden gezählt. Damit haben diese Zonen auch eine
zusätzliche ökologische Funktion: die Bewohner der Ballungsräume können sich ortsnah erho-
len, der Verkehr wird dadurch reduziert, die urbane Lebensqualität steigt.
Das Wasser als Erholungsraum, besonders auch in der freien Natur, erlebt insgesamt weltweit
seit den 70-er Jahren eine Renaissance. Dazu das Army Corps of Engineers Vicksburg von
1978: „Engineers in 1930 could not have predicted with any degree of accuracy the current
demands upon the Nation’s water resources for recreation, fishing, wildlife, pollution abate-
ment, and other uses. The impossibility of anticipating all possible ramifications of any new
methods and demand has occasionally resulted in unfortunate choices of technological alter-
natives. Yet the Vicksburg Engineers have conscientiously sought to correct unfavorable re-
sults wherever possible”293.
In Bayern hat der freie Zugang zu Naturschönheiten sogar nach Art. 141 Abs. 3 Verfassungs-
rang294. So wurden ca. seit den 80-er Jahren zum Beispiel beim Neubau von Talsperren ganz
gezielt auch Erholungsnutzungen berücksichtigt. Bei Maßnahmen wie dem Hochwasserschutz
von Wasserburg 1985 wurden diese Erkenntnisse auch im Flussbau umgesetzt, indem unre-

291
Diese erst seit ein paar Jahren übliche Technologie ist nicht ohne Probleme, weil sie auf ausreichende
Vorwarnzeiten und einen reibungslosen Aufbau angewiesen ist, von den unmittelbar technischen
Voraussetzungen wie Statik und Dichtheit einmal abgesehen. Allerdings erreicht man dadurch auch
einen wichtigen Nebeneffekt: Durch die jährlich einmal nötige probeweise Aufstellung der Anlagen
bleibt die Hochwassergefahr auch in hochwasserarmen Zeiten in der allgemeinen Erinnerung – im
Sinne der Hochwasservorsorge ein sehr zu begrüßender Effekt!
292
http://www.wasserwirtschaftsamt-muenchen.de/downloads/info_3_isarplan.pdf
293
Mills 1978, S.190
294
„Der Genuss der Naturschönheit und die Erholung in freier Natur, insbesondere das Betreten von
Wald und Bergweide, das Befahren der Gewässer und die Aneignung wild wachsender Waldfrüchte
im ortsüblichen Umfang ist jedermann gestattet. Dabei ist jedermann verpflichtet, mit Natur und
Landschaft pfleglich umzugehen. Staat und Gemeinden sind berechtigt und verpflichtet, der Allge-
meinheit die Zugänge zu Bergen, Seen und Flüssen und sonstigen landschaftlichen Schönheiten frei-
zuhalten und allenfalls durch Einschränkungen des Eigentumsrechtes freizumachen sowie Wander-
wege und Erholungsparks anzulegen.
116 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

gelmäßige, einer parkähnlichen Landschaft nachempfundene Deiche mit Spazierwegen ein-


schließlich Verweilplätzen und einer Ausstellung von Exponaten bildender Künstler aus der
Region angelegt wurden. Inzwischen ist bei urbanen Wasserbaumaßnahmen in Bayern die
Berücksichtigung dieser Belange Standard295. Aktuelle Beispiele sind der Ausbau der Pegnitz
in Nürnberg oder die Baumaßnahmen an der sächsischen Saale von Hof bis Schwarzenbach.
Von grundlegender Bedeutung ist dabei die gestiegene Wasserqualität. So wurde zum Beispiel
an der sächsischen Saale in Hof bis zur Inbetriebnahme der Kläranlage in den 80-er Jahren
regelmäßig im Hochsommer wegen der Faulgasbelastung polizeiliche Anordnung zum Schlie-
ßen von Fenstern und Türen erlassen296. Auch wenn an anderen Gewässern die Belastung nicht
so extrem war, wäre in der Zeit großer Gewässerbelastungen kaum jemand auf den Gedanken
gekommen, einen Fluss als herausragenden Erholungsraum zu betrachten. Hier haben die In-
vestitionen in die Gewässerreinhaltung individuelle Lebensqualität und damit gesellschaftli-
chen Mehrwert geschaffen.
Allerdings spielt in vielen Bereichen der Welt bei der Nutzung dieser Gebiete die schlechte
Sicherheitslage eine große Rolle, die eine volle Wirksamkeit dieser Maßnahmen verhindert.
Zone 3:
Von Zone 2 findet ein fließender Übergang zur Zone 3, der - im Idealfall - freien Fließstrecke
statt. Hier hat die Ökologie Vorrang, und es sollte keine nennenswerten Einschränkungen des
Hochwasserabflusses geben. Durch die Retention in der Fläche leistet diese Zone auch einen
höchst wichtigen ökonomischen Beitrag zum Schutz der Besiedlung. Natürlich werden sich
vereinzelt auch noch Erholungssuchende, sei es als Angler oder Kajakfahrer, hier bewegen.
Auch ein Wegenetz ist möglich, nur wird es normalerweise ein Stück vom Fluss entfernt lie-
gen. Diese Zone 3 ist von der Längenentwicklung, mehr noch von der Fläche, der größte Teil
des Gewässers.
Fehler bei der Überplanung dieser Bereiche sind meist auf längere Sicht sehr teuer. Die Kor-
rektur, insbesondere die Laufstreckung und die Ausleitung zur Energienutzung erzeugt Prob-
leme: Sohleintiefungen bis hin zum Sohldurchbruch generieren enorme Folgekosten, zum Teil
sinken die Grundwasserstände, die Retentionswirkung nimmt ab.
Strukturelle Fehler der Zone 3 passieren normalerweise nicht nur im großen Hauptfluss, son-
dern ebenso in den Nebenflüssen und Bächen. Durch landwirtschaftliche Nutzung bis an den
Ufersaum wird aus dem strukturellen Dilemma zusätzlich auch eines der Wasserqualität. Sol-
che Lösungen rächen sich, zunächst „lautlos“, wenn nur die Natur leidet, später spektakulär,
wenn sich das Wasserregime selber verändert. Weltweit ist in diesem Bereich vermutlich eine
ähnlich dramatische Entwicklung wie bei der Vernichtung der Regenwälder im Gange, die
allerdings kaum wahrgenommen wird. Außer in der EU, wo durch die Berichtspflicht der
WRRL die Gewässerstruktur erfasst wird, gibt es weltweit nur wenige Untersuchungen und
Daten zu diesem Bereich. Der WWAP- Bericht nennt symptomatisch einen weltweiten Rück-
gang der Feuchtgebiete seit 1900 um 50 %297 und nimmt dies zum Anlass, jedes Jahr am 2.
Februar weltweit den Tag der Feuchtgebiete auszurufen298. Unter anderem wurde ermittelt,
dass entlang der Donau im 20. Jahrhundert 80 % der Feuchtgebiete verschwunden sind. Ein
Großteil davon waren auch Überschwemmungsgebiete, obwohl es mit Ausnahmen bisher

295
BStMLU 1998
296
Stadtgeschichte von Hof an der Saale
297
UNESCO 2003a, S.143ff
298
http://www.wateryear2003.org/
3.2 Angepasste Technologie 117

keine Angaben über Flächen oder gar Kubaturen gibt299. In den USA wurde im ‚Clean Water
Act’ ein spezieller, strenger Schutz der Feuchtflächen verankert, nachdem auch dort landesweit
ein Rückgang um 50 % seit dem 18. Jhd. festgestellt worden war.300 In jedem Falle sind die
weltweiten Zahlen aber alarmierend. Zweifellos ist der Flächenrückhalt durch diese Eingriffe
zurückgegangen und trägt damit zu dem signifikanten Ansteigen der weltweiten (allerdings
überwiegend durch Anwachsen der Risikopotentiale durch Besiedlung kritischer Räume be-
dingten) Hochwasserschadenssummen bei. Mit dem Erhalt der Feuchtgebiete befasst sich
gezielt die Ramsar-Kommission301. Ein weiterer durch das WWAP ermittelter Parameter ist die
Unterbrechung der Durchgängigkeit, wobei für 60 % der 227 weltweit größten Flüsse eine
starke „Fragmentierung“ durch Querbauwerke angegeben wird.
Als Fundamentalerkenntnis hat sich inzwischen bezüglich der Wassermengen- wie auch Was-
sergütewirtschaft der Oberflächengewässer ein sehr griffiges Ergebnis herausgestellt, das als
Ansatz analog der Formulierung der Ergebnisse der Dachinitiative SUMAD heißt:
Ansatz 5: Flüsse brauchen Platz (Rivers need Space).
Ohne Raum bzw. Raumordnung wachsen die Probleme an Gewässern überproportional, so-
wohl was den Aufwand, die Kosten, den Eingriff durch Maßnahmen und die bei Versagen
eintretenden Schäden anbelangt. Der hauptsächlich zu betrachtende Raum kann dabei auf den
Hochwasserabflussbereich reduziert werden. Dabei legen die üblichen Charakteristika der
Abflusskurven nahe, einen Bereich zwischen der hundertjährigen und zweihundertjährigen
Anschlaglinie als Mindestgrenze zu betrachten. Diese Herangehensweise ist auch innerhalb der
Alpenstaaten üblich geworden. Das Problem liegt allerdings in der Definition dieser Bereiche.
Rechnungen sind hier sehr aufwändig und besonders für die vielen kleinen Gewässer kaum
durchführbar. Im Vergleich: auf 7000 km „größere“ Gewässer in Bayern (definiert durch die
Ausbaulast des Staates) kommen über 60000 km kleine (Gewässer III. Ordnung)302. Eine rech-
nerische Feststellung der Überschwemmungsgebiete ist hier enorm aufwändig303, allerdings
auch begründet durch die in Deutschland verlangte Rechtssicherheit dieser Ermittlungen. Ohne
eine Feststellung der Hochwasserabflussbereiche bleibt die Forderung nach Raum für die Ge-
wässer aber inhaltslos.
Als Lösung könnten in erster Näherung in vielen Bereichen eine Bestimmung aufgrund von
Abschätzungen genügen, insbesondere bei im Relief eindeutigen Bereichen wie Kerbtälern
und Hochufern. Einen bahnbrechenden Ansatz hat man in Bayern mit dem sog. Auenpro-
gramm304 gefunden. Die Aufgabe ist, die Auen und Feuchtstandorte bayernweit zu kartieren
und zu inventarisieren. Dazu wurden unter anderem die Ergebnisse der Bodenkarten dergestalt
ausgewertet, dass „wasserbeeinflusste Böden“ definiert und dargestellt wurden, also Böden,
die von ihrer Zusammensetzung auf ehemalige und regelmäßige Überschwemmungen und

299
Für die bayerische Donau sind 50 % bis 80 % Verlust an Überschwemmungsgebieten aber eine gute
Schätzung; bezogen auf das gesamte Einzugsgebiet dürfte der Prozentsatz deutlich unter 50 % liegen,
autorisierte Zahlen dazu liegen aber nicht vor
300
Peters et al.2002, S.160 ff
301
http://www.ramsar.org/wwd2003_bkgdpaper_e.htm
302
Nach besser auflösenden GIS Karten wird vom LfW zum Stand 2005 sogar von 95000 km ausgegan-
gen.
303
Im Zusammenhang mit der Novellierung des WHG wurden die Kosten der Ermittlung der Ü- Gebiete
in Bayern an den kleineren Gewässern (an den großen sind sie überwiegend vorhanden) auf 70 bis
200 Mio. Euro geschätzt.
304
Kraier 2004
118 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

Wassersättigungen hinweisen. Aufgrund dieser Ergebnisse war es möglich, flächendeckend


diese wassersensiblen Bereiche selbst bei sehr kleinen Gewässern auch für die Öffentlichkeit
darzustellen305 (vgl. Abbildung 3-17, Seite 217).

3.2.6.2 Wasserversorgung und Abwasserentsorgung


Das Zonierungskonzept ist sinngemäß auch auf die siedlungswasserwirtschaftlichen Grundbe-
dingungen zu übertragen. Basierend auf dem Ansatz des flächendeckenden Wasserschutzes
soll in Anlehnung an Ansatz 5 für das Trinkwasser formuliert werden:
Ansatz 6: Trinkwasser ist unverzichtbar. Trinkwasserschutz hat absolute Priorität.
Es ist flächendeckend zu schützen. Zusätzlich sind in Grund- und Oberflächengewäs-
sern Schutzzonen bzw. Schutzgebiete einzurichten.
Das globale Abwasserproblem ist schon an einigen Stellen angesprochen worden, es ist welt-
weit omnipräsent. Es gehört bis heute zu den permanenten Kardinalfehlern, dass die Wasser-
versorgung als prioritär und die Abwasserentsorgung als sekundär gesehen wird. Die UN hat
diesen Zusammenhang zwar inzwischen erkannt (vgl. 2.3.3.1, S.59), in der Praxis wird diese
Erkenntnis allerdings, wie auch die UN selber beklagt, nicht umgesetzt. Dabei ist der Zusam-
menhang zwischen Trinkwasserversorgung und Abwasser fundamental. Wenn die Wasserver-
sorgung in einer Siedlung eingerichtet wird, vervielfacht sich der Wasserverbrauch, allein die
Abwassermenge führt zu Entsorgungsproblemen, ein feuchtes Milieu begünstigt die Keimbil-
dung. Weltweit wird dann das Abwasser wie im Mittelalter über Straßen und offene Kanäle
abgeführt, mit entsprechenden katastrophalen Folgen für die Hygiene (Abb. 3-5 und 3-6).
Auch in Deutschland gab es diese Probleme. Die mangelnde Abwasserreinigung in den 60er-
Jahren hatte eine Nutzung der urbanen Flussauen, so wie es im Zonenkonzept beschrieben ist,
unmöglich gemacht. Eine ähnliche Situation findet man heute weltweit, vor allem in praktisch
allen großen Ballungsräumen.

Abb. 3-5: Probleme mit der Abwasserbeseiti- Abb. 3-6: Schlammbildung durch mangelhafte
gung, Offene Abwasserableitung [Aufnahmen Drainage von Abwasser und Regenwasser [Auf-
Recife, Projekt SESAN] nahme wie links]

305
Loipersberger et. al. 2004
3.2 Angepasste Technologie 119

Als Konsequenz und in Übereinstimmung mit den aktuellen Erkenntnissen der UN wird for-
muliert:
Ansatz 7: Die geordnete Abwasserableitung und nach Möglichkeit die Behandlung
von Abwasser muss gleichzeitig mit der Wasserversorgung erfolgen. Der übliche
Weg, zunächst nur die Wasserversorgung zu installieren, ist nicht nachhaltig und
widerspricht der Menschenwürde.

3.2.6.3 Regelwerke als Unterstützung einer angepassten Technologie


Das Verhältnis zu technischen Regelwerken ist ambivalent. Fehlen Normen, führt das zu teu-
ren Bemessungsirrtümern. Umgekehrt werden Normen schnell als Überregulierung empfunden
und diskutiert306.
Technische Regelwerke erleichtern die Definition von allgemein anerkannten Regeln der
Technik und des Standes der Technik und sind prinzipiell Qualitäts-, Effizienz- und Sicher-
heitsbausteine. Sie existieren weltweit in verschiedener Qualität. Deutschland nimmt hier
durch den DIN (Deutsche Industrie Norm)-Verein und die Merkblätter der Fachverbände
(ATV-DVWK bzw. DWA, DVGW und VBGW) international einen Spitzenplatz ein.
Normen aus Deutschland sind international anerkannt und werden zum Teil weltweit verwen-
det. Aus diesem Grunde wird z. B. auch im Rahmen von Partnerschaftsprojekten der internati-
onalen Zusammenarbeit regelmäßig die Übersetzung bestimmter Normenwerke in die Spra-
chen der Partnerländer vorgenommen307. Dort ist grundsätzlich eine Anpassung und Weiter-
entwicklung zu prüfen.
KAHLENBORN/KRAEMER schlagen in ihrer Evaluation der deutschen Wasserwirtschaft308
Maßnahmen vor, die auf zukünftige internationale Normensetzungsprozesse übertragbar sind:
– „Systematische Berücksichtigung von Umwelt- und Ressourcenschutz in der regelgeben-
den Arbeit“
– „Einrichtungen von Beiräten von Verbraucher-, Umwelt- und Naturschützern“ (NGOs)
– Aufbau von „Konkurrenz unter den Regelwerken, damit sich die besseren Konzepte durch-
setzen können“309,
– „Ggf. Erhöhung der Konkurrenz durch Gründung neuer Verbände“ (zur Problematik der
Effizienz siehe ebenfalls 309),
– „Kontinuität bei der bewährten Arbeit im Europäisierungsprozess“.

306
Ein populäres Beispiel dazu sind EU-Regelwerke auf dem Nahrungsmittelsektor. Berühmt wurde die
Verordnung (EWG) Nr. 1677/88 der Kommission vom 15. Juni 1988 zur Festsetzung von Qualitäts-
normen für Gurken, Amtsblatt Nr. L 150 vom 16.06.1988, die unter anderem den zulässigen Krüm-
mungsradius von Handelsgurken regelt.
307
Gutes Beispiel ist das ATV – Regelwerk. So wurden im Rahmen eines vom UBA mitfinanzierten
Projektes Teile des Regelwerkes in polnisch, tschechisch und ungarisch übersetzt. TTW hat 2002 zu-
sammen mit Sponsoren das Klärwärter – Taschenbuch, ein Standardwerk der Abwasserwirtschaft, ins
Russische übersetzt.
308
Kahlenborn et. al. 1999, S.190-191
309
was zwar eine im Sinne der Technikevolution interessante Idee ist, aber aus Sicht der Effizienz nicht
wirklich zu raten. Im internationalen Raum besteht diese Konkurrenz durchaus zwischen den ver-
schiedenen in den Ländern bereits parallel entwickelten, vorhandenen Normen. Es stellt sich bei die-
ser Vorgehensweise aber die Frage der Angepasstheit.
120 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

Der Kritik an der mangelnden Transparenz der Entstehung bzw. Einbindung nichttechnischer
Beteiligter schließt sich der SRU in seinem Gutachten von 2002310 an.
Im Sinne der Effizienz sollten Normen international nach Möglichkeit harmonisiert bzw. ko-
piert werden, um zu vermeiden, dass bereits vorhandene Lösungsansätze immer wieder neu
entwickelt werden. Gleichzeitig müssen Normen an regionale Bedingungen im nötigen Maße
angepasst werden. Eine besondere Fehlerquelle liegt in den international unterschiedlichen
Dimensionen.
Normen und Regeln haben naturgemäß eine träge Entwicklung, die sich in Einzelfällen als
innovationshemmend erweisen kann. Eine besondere Gefahr ist der Missbrauch mit wirtschaft-
lichem Hintergrund, d. h. die Bevorzugung einer bestimmten Technologie. Dem ist nur durch
eine paritätische bzw. neutrale Besetzung der Gremien und hohe Transparenz zu begegnen.
Ein zweites mögliches Problem ist eine Überregulierung, der durch regelmäßige Evaluierung
und Kritik zu begegnen ist311.
Ansatz 8: Normen und Regelwerke tragen erheblich zur technischen Qualitätssiche-
rung und Effizienz bei. Dazu müssen Normen aber angepasst, übersichtlich und ak-
tuell sein.

3.2.6.4 Aus- und Fortbildung


Die Aus- und Fortbildung beschreibt die „Schnittstelle zwischen Mensch und Technik“ und ist
damit auch Teil des Managements (z. B. Kap. 3.3.3.2). Bedienung und Wartung als wesentli-
che Teile des Erfolgs angepasster Technologie basieren aber auf der Aus- und Fortbildung, so
dass diese impliziter Teil der Technologie wird. Während diese Zusammenhänge trivial anmu-
ten, sind gerade dort weltweit erhebliche Mängel erkannt. Die Abhilfe ist wesentlicher Teil des
„Capacity-Buildings“.
Es soll nicht Aufgabe dieser Arbeit sein, inhaltliche Vorschläge für eine strukturierte Ausbil-
dung zu geben. Es muss aber betont werden, dass diese Schnittstelle Teil der Projekt- oder
Aufgabenverantwortung ist. Die Aufgabe beschränkt sich nicht auf die Bedienung der Anla-
gen, sondern auf den gesamten unternehmerischen Design- und Betriebsprozess.
Beim Thema integrale Entwicklung und Betrieb sind regelmäßig Defizite vorhanden. Techni-
sche Fächer neigen zu einer gewissen „Technokratie“, d. h. Tugenden des „Weichbildes“ wer-
den nur am Rande gelehrt, nichttechnische Fächer zu mangelndem Bewusstsein der physikali-
schen Leitplanken. Insbesondere beim akademischen Nachwuchs führt dies zu Mängeln. Zu-
sammengespannt haben die Ausbildungsrichtungen dann Kommunikationsprobleme.
In Betrieben ist die interne Fort- und Weiterbildung ein wichtiger Teil des Aufbaus und der
Weiterentwicklung des Wissenspools, des „menschlichen Kapitals“: Jede Generation setzt
idealerweise auf den Erfahrungen der früheren auf und kann diese weiter entwickeln. Dies
führt zu einer hocheffizienten Evolution des Könnens einer Struktur und vergrößert deren
Wert erheblich.

310
SRU 2002
311
SPÖRL et. al. 1985: wurden versuchsweise von bayerischen Baureferendaren vor dem Hintergrund
der Kritik an komplizierten Regelwerken die Regeln zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen
in offiziellen Loseblattsammlungen und handelsüblichen Büchern zusammengestellt. Ohne Anspruch
auf absolute Vollständigkeit ergaben sich damals ca. 2 m Regalstrecke. [unveröffentlicht]
3.2 Angepasste Technologie 121

Ansatz 9: Der Bereich Aus- und Fortbildung ist als Ziel zu definieren, strategisch zu
planen, als Daueraufgabe durchzuführen und in seiner Qualität zu sichern.

3.2.6.5 Verzahnung Planer – Betreiber, Kunde – Auftragnehmer


Bestimmte typische Verhaltensweisen der am Bau Agierenden erschweren angepasste Lösun-
gen und führen zu Fehlern. Ein Hauptproblem ist die mangelnde Abstimmung zwischen Planer
und Auftraggeber, deren Merkmal eine beiderseitig mangelnde Definition der Aufgabe ist.
Eine weitere typische Fehlerstelle ist die mangelnde Überprüfung und Kommunikation der
Ausführung sowohl durch Planer wie Auftraggeber. Die systembedingte Komplexität der Inf-
rastruktureinrichtungen erfordert in allen Planungs- und Ausführungsphasen eine iterative,
dialogbasierte interaktive Abstimmung zwischen Kunde – hier sowohl auf der Management-
wie auf der (späteren) Betreiberseite –, Planer und ausführenden Firmen.
• In allen Phasen müssen natürlich betriebliche Erfahrungen bei vergleichbaren Anlagen
einfließen. Dies ist vor allem die Aufgabe des planenden Büros, muss aber durch Erfahrun-
gen des Betreibers bzw. Betreibern ähnlicher Anlagen ergänzt werden.
• Neuralgische Punkte bei der Strukturplanung und Bemessung sind
– realistische Prognosen, z. B. einer späteren Siedlungs- oder Wirtschaftsentwicklung.
– effiziente Bemessung, z. B. bei der Wasserversorgung Reduzierung der Verluste vor
Investition in Aufbereitungskapazitäten, beim Abwasser Abschätzung der Menge und
Zusammensetzung. Modularbauweisen können Unsicherheiten in der Bemessung oft
kostengünstig auffangen.
– beim Schutzwasserbau die Analyse der Kosten-Nutzen-Relation (Unstetigkeitsstellen
der Schadensverläufe in Abhängigkeit von der Überflutungshöhe und Umfeldnutzung
sowie bei Systemversagen (Deichbruch).
– definierte Systemsicherheiten durch primäre Qualität und ggf. gezielte Redundanz.
• Das Gleiche gilt dann beim nahtlosen Übergang in die Ausführungsphase: auch hier müs-
sen neben den ausführenden Firmen sowohl Planer als auch spätere Betreiber eingebunden
sein.
– Beispiel: Beim Bau der staatlichen bayerischen Talsperren wurde das spätere Bedie-
nungspersonal bereits während der Planungs- und Bauphase eingesetzt. Damit konnten
nicht nur unpraktische Lösungen vor Ort während der Ausführung erkannt und ggf.
verbessert werden, es entsteht beim verantwortlichen Personal auch eine als „owners-
hip“ zu bezeichnende Beziehung zur Anlage.
– Selbstverständlich sollte die Bauüberwachung durch den planenden Ingenieur sein. So-
wohl die plangerechte Ausführung wie auch oft erst in der Umsetzung auftretende
Probleme verlangen dies. Bemerkenswerterweise treten international gerade an dieser
Stelle oft Schwächen auf, es fehlt schlicht an Präsenz des Planers auf der Baustelle.
• Auch nach Abschluss der Bauarbeiten sind Planer und Firma noch gefragt. Neben dem
Einfahren stellt das feed back der Betreiber für weitere Planungen einen Mehrwert dar,
umgekehrt ist Kundendienst sicher in allen Fällen richtig.
Ansatz 10: Der Planer muss in enger Abstimmung mit dem späteren Nutzer an des-
sen Anforderungen und Möglichkeiten angepasste Lösungen entwickeln und für die
Umsetzung auf der Baustelle sorgen. Der Nutzer sollte seine Ansprüche und Ziele de-
finieren können.
122 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

3.2.6.6 Öffentlich-rechtliche Fachstellen als Qualitätsmerkmal


Vor dem Hintergrund der globalen Diskussion der möglichst freien Entfaltung der Marktkräfte
und der Entstaatlichung wird der Einfluss dieser Institutionen zum Teil kontrovers diskutiert.
Im vorliegenden Ansatz wird öffentlich-rechtlichen Institutionen aber eine wichtige Rolle im
Zusammenhang mit der Qualitätssicherung der nachhaltigen Entwicklung und der Umsetzung
von angepasster Technologie zugeordnet.
Fachstellen im Wassersektor sind staatliche oder andere öffentlich-rechtliche fachbezogene
Einrichtungen, also z. B. Behörden. Sie nehmen im Unterschied zur klassischen Verwaltung
nicht (nur) verwaltungsrechtliche Aufgaben wahr, sondern wirken bei der technischen Gestal-
tung mit, sind Gutachter bzw. Genehmigungs- oder Zertifizierungsstelle und – weltweit über-
wiegend im Wasserbau – in Bauherrenfunktion zuständig. Sie sind praktisch in jedem Land
der Erde, wenn auch in unterschiedlicher regionaler Ausprägung, eingerichtet und werden im
Kern als Wasserwirtschaftsverwaltung, -behörden oder -amt, in Englisch oft als „Agency“
oder „Office“ bezeichnet (vgl. auch in Frankreich die „Agences de l’Eau“). Abhängig von der
Herkunft werden sie auch unter dem Namen ihrer zuständigen Ministerien geführt (Lateiname-
rika: ABKÜRZUNG + zuständiges Ministerium z. B. CPRH, secretario de meio ambiente)
oder mit einer Sonderbezeichnung, z. B. das „Army Corps of Engineers“ in den USA, in Ost-
europa „Vodokanal“ oder „Agrovodokanal“312. „Halbstaatliche“ Einrichtungen (wie in
Deutschland DEKRA und TÜV e.V). werden mit dem Vollzug staatlicher technischer Aufga-
ben beliehen. Diese Institutionen sind jeweils landesweit organisiert, meist mit technischen
Zentralstellen und in der Fläche mit Dienststellen und Außenstellen präsent. Ihren Ursprung
haben sie in der Erfüllung großer technischer Aufgaben des Gemeinwohls. Je anspruchsvoller
und bedeutender die Aufgabe war, desto eher hat man vor allem in der Vergangenheit dazu
geneigt, die Aufgabe selber einer staatlichen Einheit zu übertragen313.
Ein Paradoxon dieser Organisationen besteht darin, dass sie sich scheinbar überflüssig machen,
je besser sie funktionieren. Zunehmend wird dann nicht mehr die positive Wirkung auf das
Gemeinwohl, sondern die einschränkende Wirkung auf die individuelle Handlungsfreiheit
wahrgenommen. Offensichtlich wird der Bedarf an großräumigen öffentlichen Strukturen mit
technischem Sachverstand und entsprechender Infrastruktur bei Anlässen wie der Transforma-
tion der ehemaligen Warschauer Pakt-Staaten oder bei der Bewältigung großer Katastrophen.
Die Qualität öffentlich-rechtlicher Fachstellen zeigt sich in der Zuarbeit zur Entwicklung und
im Umgang mit den Regelwerken (Gesetzen, Verordnungen, technischen Regeln). Eine rein
buchstabengerechte Anwendung genügt auch außerhalb von Ausnahmesituationen nicht. Das

312
Vodokanal und Agrovodokanal sind insofern eine Mischinstitutionen, als sie gleichzeitig sowohl als
technische Behörden wie auch als Betreiber im operativen Geschäft der Siedlungswasserwirtschaft
arbeiten.
313
Ein Hinweis auf das Verständnis der Art der Aufgabe ist das vor allem im 18tn und 19tn Jahrhundert
typisch militärisch anmutende Auftreten vieler Verwaltungen und Fachstellen. Die großen Infrastruk-
turmaßnahmen wurden mit der gleichen Logistik angepackt wie in der Armee. Eine nicht zufällige
Parallele besteht in den USA, wo speziell der Wasserbau bis heute sogar Teil der Armee selber ist:
Der wasserwirtschaftliche Sektor wurde mit dem „River and Harbor Act“ 1824 eigenständiger Teil
des 1775 gegründeten Army Corps of Engineers. Diese Organisationsform besteht bis heute. Ein Bei-
spiel für die Entwicklung der Wasserwirtschaftsverwaltungen im neuzeitlichen Europa ist die bayeri-
sche Wasserwirtschaftsverwaltung. Sie ist in ihrer heutigen Form durch Reform und Zusammenle-
gung aus mehreren Fachstellen wie einem Büro für Wasserversorgung, einer Landesstelle für Hydro-
logie, Ämtern für Flussbau, für Kulturbau und Wildbachverbau entstanden, die ihre Wurzeln zum
Teil im Ende des 18. Jahrhunderts haben.
3.2 Angepasste Technologie 123

ist bereits in dem Abwägungsdilemma der Nachhaltigkeitsansätze begründet. Es sind vielmehr


sachgerechte Anwendung und Abwägung nötig. Die Voraussetzung dafür ist nicht nur Sach-
kunde, sondern eine souveräne Beherrschung der Materie mit ihrem gesamten Umfeld.
Der Zusammenhang ist in Katastrophensituationen besonders auffällig, weil dann in aller Re-
gel die strengen, „üblichen“ Ordnungen faktisch teilweise außer Kraft gesetzt sind und durch
flexible, abgestufte, angepasste Reaktionen ersetzt werden müssen. Eine analoge Situation
findet sich aber auch im täglichen Vollzug der Gesetze. Die Realität produziert individuelle
Fälle, auf die die geschriebenen Normen nur bedingt passen. Es ist nötig, nach billigem Ermes-
sen im Einzelfall zu entscheiden, ansonsten entsteht der Typ von Bürokratie, der lähmend auf
Systeme wirkt.
Die Rolle der Fachbehörden wurde in Bayern im Rahmen der Verwaltungsreformdebatte an-
lässlich des Landtagshearings vom Mai 2004 überprüft314, mit dem Ergebnis, dass sich Bayern
auch in Zukunft eine solche „unbequeme“ Fachverwaltung leistet:
• Fachstellen sind als Teil der öffentlichen Verwaltung in ihrem Handeln definitionsgemäß
auf das öffentliche Interesse und das Gemeinwohl ausgerichtet. Im Normalfall entspricht
die innere Motivation und Überzeugung der Organisation diesen Zielen, d. h. die Erfüllung
der volkswirtschaftlichen Effizienz ist wahrscheinlich.
• Fachstellen verfügen über ein eigenes Basiswissen, das durch landesweite Erfahrungen
gespeist wird und – ggf. ergänzt durch externe Expertise – der Politik auf landesweiter wie
auf lokaler Ebene für ihre Entscheidungsfindung zur Verfügung steht. Aus der Stellung
heraus ist die Neutralität und Objektivität der fachlichen Meinung grundsätzlich gegeben.
• Gesetze und Normen müssen praxisnah umgesetzt werden. Der fachliche Hintergrund für
solche Prozesse wird von den Fachstellen zu Verfügung gestellt bzw. dort, wo es sinnvoll
ist, mit den Betroffenen (auf gleicher Augenhöhe) verhandelt (Partizipation in der Normen-
und Gesetzgebung).
• Fachstellen wirken mit ihrem Wissen in Genehmigungsverfahren oder in Zuwendungsver-
fahren315 qualitätssichernd.
• Fachstellen können aus dem entstehenden Wissenspool einen gesellschaftlichen Mehrwert
erzeugen
– durch Wiedereinspeisen des Wissens in die technischen und verwaltungstechnischen
Regelwerke,
– im Rahmen der Beratung, i. d. R. der Planer und sonstiger Multiplikatoren,
• Fachstellen erfassen und koordinieren Forschungs- und Entwicklungsbedarf. Dabei sind
die Universitäten ein Hauptpartner, aber auch alle entwickelnden Firmen und Berater. Zu-
sammen wird damit ein ganz wesentlicher Beitrag zur Weiterentwicklung und Implemen-
tierung angepasster Technologie geleistet.
• Vielfach sind diese Fachstellen auch für die Einführung und Qualitätssicherung neuer
Technologie mit verantwortlich. Ein Beispiel dafür sind die Prüfsiegel und Zulassungen
z. B. des TÜV, der LGAs, Merkblätter des Landesamtes. Damit tragen sie natürlich beson-
dere Verantwortung, sowohl für die Durchsetzung nachhaltiger Konzepte wie auch in Hin-
sicht auf die Innovationskraft der Wirtschaft.

314
Bayerischer Landtag, 15 Wahlperiode, Anhörung zum Thema „Verwaltungsreform im Geschäftsbe-
reich des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz“, 27. Mai
2004, Landtagsamt München 2004
315
Zuwendungsverfahren = Verfahren zur Haushaltskonformen Ermittlung und Verteilung (staatlicher)
Zuwendungen
124 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

Ansatz 11: Dem Gemeinwohl verpflichtete öffentlich-rechtliche technische Fachstel-


len leisten wichtige Beiträge zur Entwicklung und Umsetzung nachhaltiger, ange-
passter Technologie.

3.2.6.7 Unterstützung durch Forschung, Entwicklung und Benchmarking


Unterstützung durch Verbesserte Technische Entwicklung in Deutschland
Der Löwenanteil der speziell auf den internationalen Markt gerichteten Forschung wird von
der Privatwirtschaft, auch von mittelständischen Unternehmen, oft in Zusammenarbeit mit
Hochschulen betrieben. Zusätzliche Impulse kommen aus der Globalisierung der großen Un-
ternehmen, weil durch die internationalen Firmenstandorte eine Anpassung der Technologie an
die dort vorliegenden klimatischen und kulturellen Bedingungen nötig ist316.
Von Entwicklungsorganisationen gehen besonders wichtige Impulse aus. Beispiele dafür sind
GATE317 und ECOSAN318, beides auf Initiative der GTZ entstandene Netzwerke zur Erfor-
schung alternativer Technologie, speziell im Sektor Siedlungswasserwirtschaft, dort die Ab-
wasserentsorgung, an denen inzwischen Institutionen aus ganz Europa teilnehmen. Spurarbeit
wird oft von staatlicher Seite geleistet. So unterstützt in Deutschland – pars pro toto – das
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) eine Reihe von grundlegenden For-
schungen auf dem Gebiet der angepassten Technologie.

Ein Beispiel für eine erfolgreiche Umsetzung ist eine oberbayerische Firma319, die seit
Jahrzehnten mit der Technischen Universität München angepasste Lösungen entwickelt.
So wurde die ECOSAN- Idee durch die Entwicklung marktreifer dezentraler Klärtechnik
auf der Basis von Membranen und Filtern erheblich weiterentwickelt320, aber es wurden
auch günstig wirkende mechanische Anlagen konstruiert.

Dennoch laufen Entwicklung und Verbreitung angepasster Technologie nicht reibungslos.


Erfahrungen, die unter anderem im Zusammenhang mit der Betreuung nicht nur deutscher
Firmen im Rahmen der Arbeit des TTW gemacht wurden, deuten auf kommunikative Proble-
me hin.
Beispiel: Eine deutsche Firma hatte ein sehr kostengünstiges Verfahren entwickelt, Abwasser
mit einem bis dahin unerreichten Reinigungsgrad mechanisch zu reinigen. Diese innovative
Technik kam auch international zum Einsatz, so wurden Anlagen für Städte in Argentinien im
Rahmen eines Weltbankprojektes realisiert. Die Anlagen funktionieren reibungslos. Diese
erfolgreiche Technik könnte eine wegweisende Lösung für eine Reihe von Abwasserproble-
men darstellen, weil im Vergleich mit konventionellen Angeboten 50-70 % der Reinigungs-
leistung für 15-20 % der eingesetzten Mittel erreichbar sind. Auch zwei Jahre nach der Inbe-
triebnahme war diese Lösung aber in einer Umfrage unter deutschen Ingenieurbüros nur einem
einzigen beratenden Büro bekannt. Insbesondere die im Rahmen des Projektes angesprochenen

316
Pessimistisch gesehen könnte die Globalisierung auch dazu führen, dass weltweit eine jeweils vom
Hauptproduzenten beeinflusste Einheitstechnik produziert wird, d.h. Computerprogramme wären
dann besonders auf die indische Denk- und Handelsweise ausgelegt, Unterhaltungselektronik „denkt“
asiatisch und so weiter.
317
http://www5.gtz.de/gate/
318
http://www2.gtz.de/ecosan/
319
Huber Technologie, Berching
320
Huber 2003, Wasserreport, Berching
3.2 Angepasste Technologie 125

Ingenieure „vor Ort“ hatten diese Information nicht erhalten. Der Informationsfluss von den
Entwicklern zu den planenden Büros ließ in diesem Fall zu wünschen übrig.
Umgekehrt liegt der Verdacht nahe, dass auch der Informationsfluss in die andere Richtung
nicht immer gegeben ist. Statistiken über die Zahl nicht verwendeter Problemanalysen der „vor
Ort-Arbeit“ liegen naturgemäß nicht vor. Es besteht deshalb eine dringende Vermutung321,
dass die Kommunikation zwischen der praktischen Anwendung und der Entwicklung noch
verbessert werden kann.
Ansatz 12: Hochwertige technische Lösungen entstehen durch die permanente und
institutionalisierte Rückkopplung zwischen breiter praktischer Erfahrung in der
Umsetzung und entwickelnden und forschenden Einrichtungen.
Abb.3-7 beschreibt den Vorschlag eines Kreislaufs, bei dem Entwicklungs- und Forschungs-
bedarf zunächst firmenintern, aber Bedarfsweise auch innerhalb eines Verbundes kommuni-
ziert und einer Lösung zugeführt werden können. Wesentlich ist, dass die so gefundenen Prob-
leme und Lösungen allen Mitgliedern des Clusters verfügbar gemacht werden.

Situation vor Ort, Clearing-


Randbedingungen, Bedarf stelle,

Netzwerke,
Ecosan,
Consultant (im
Zulieferer Universitäten,
internat.Projekt)
Institutionen,

Forschung und
Forschungs-
Produkt
(angepasst) Entwicklung Einrichtungen

Staatliche
Stellen

Abb. 3-7: aktive Schnittstelle zwischen Bedarf und Entwicklung/Forschung

Einem solchen System könnten unter anderem organisatorische wie konkurrenzbedingte Be-
denken entgegenstehen. Allerdings verfährt zum Beispiel die Autoindustrie durchaus in diesem
Sinne. In der sog. BAIKA-Initiative, einem Verbund unter der Leitung von Bayern Innovativ,
sind über 1400 Unternehmen des Automobil-Zuliefersektors zum weltweit größten Cluster
dieser Branche zusammengeschlossen.

321
Diese Ansicht wurde auf einem Kongress von Bayern Innovativ über internationale Zusammenarbeit
im Umweltsektor 2002 in Augsburg zur Diskussion gestellt und vom dort anwesenden Fachpublikum
überwiegend geteilt.
126 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

BAIKA beschreibt seine Leistung wie folgt:


„Die Automobilindustrie fordert Systeme, die herkömmliche Technologien und Branchenraster
überschreiten. BAIKA moderiert einen Prozess, der auch neben Systemlieferanten kleine und
mittlere Unternehmen der Zulieferindustrie fit für die Anforderungen der Zukunft macht. Ge-
fordert wird ganzheitliches Denken vom Projektmanagement über die firmenübergreifende
Kommunikation und Kooperation bis zur vollständigen Systementwicklung.“ Das Ziel wird
beschrieben als: „Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen der Automobilzuliefe-
rerbranche durch Unterstützung in Ihren Innovationsprozessen, Intensivierung des Technolo-
gietransfers mittels eigen- und fremd initiierten Kooperationsprojekten von Unternehmen
untereinander sowie von Firmen mit wissenschaftlichen Instituten“ 322.
Benchmarking
Der Gedanke des Vergleichs und des „Lernen von den Besten“ setzt sich im Wasserbereich
seit ca. 15 Jahren durch. Bereits seit den 80-er Jahre hat man begonnen, die Leistung von Was-
serversorgungssystemen systematisch zu vergleichen323. Nicht alle Untersuchungen sind aber
geeignet, den Anlagenbetreibern konkrete Hinweise auf mögliche Verbesserungen zu geben.
Das Besondere der Aufgabe Benchmarking liegt darin, nicht nur vordergründige Basiszahlen
zu vergleichen (z. B. Wasserpreise), sondern die Kosten-Leistungsbeziehungen transparent zu
machen. Insbesondere die IWA hat sich dem Thema durch Aufstellung eines Kennzahlensys-
tems angenommen. Qualitätsmerkmale zu Organisation, Aufgabendurchführung und Rechts-
konformität sind zum Beispiel im deutschen DVGW-Arbeitsblatt W1000 enthalten. Eine Wei-
terentwicklung dieser Ansätze in Richtung der Nachhaltigkeitskriterien hat mit dem bayeri-
schen Programm Effizienz- und Qualitätsuntersuchung der kommunalen Wasserversorger in
Bayern (EffWB)324 ab dem Jahr 2001 stattgefunden. Es waren 95 für die bayerische Struktur
repräsentative Unternehmen in diese Untersuchung eingebunden. Obwohl diese Zahl ange-
sichts der insgesamt rund 2500 Wasserversorger in Bayern gering erscheint, sind doch wichti-
ge Kernergebnisse ermittelt worden:
• Die Organisationsqualität nimmt mit der Unternehmensgröße deutlich zu.
• Die Effizienzbeurteilung soll nach den laufenden Kosten vorgenommen werden, weil die
Miteinbeziehung der Kapitalkosten ein verfälschtes Bild ergibt.
• Die Nachhaltigkeit der Versorgung beinhaltet ökologische, ökonomische und soziale As-
pekte.
• Die Kennzahlendaten zeigten für die Anlagen einen hohen Qualitätsstandard von der Was-
serqualität bis zur Versorgungssicherheit.
• Das Kooperationspotential ist noch nicht voll ausgeschöpft.
Eine Grundlage der Untersuchung war die Definition von Kostenstellen bzw. Kostentypen
(Abb. 3-8), die insgesamt wegen ihrer Systematik und Tiefe einen hohen Aussagewert hat.

322
Internetseite von BAIKA: http://www.baika.de/portal/baika_ziele_und_aufgaben,15083.html
323
Rödl und Partner 2003, S.5
324
Rödl & Partner 2003, S. 9
3.2 Angepasste Technologie 127

Kostengruppen in Wasserinfrastrukturunternehmen
Gesamtkosten

Laufende Kosten Kapitalkosten

Laufende Kosten Laufende Kosten


Technik Verwaltung

Wasser- Gewinnung Transport Qualitäts-


Verteilung Zählerwesen
wirtschaft Aufbereitung Speicherung überwachung

Planung
Bau
Betrieb
Instandhaltung

Inspektion Wartung Instandsetzung

Abb. 3-8: Darstellung der Kostentypen in einer Wasserversorgungsanlage nach RÖDEL et. al.

Neben grundlegenden Ergebnissen, die an einigen Stellen auch in der vorliegenden Arbeit
zitiert sind, enthielt die Studie zahlreiche Hinweise auf mögliche Detailverbesserungen, die
natürlich von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich waren. Diese Ergebnisse sind so
offensichtlich interessant, dass daraus abzuleiten ist:
Ansatz 13: Die Leistungsfähigkeit der Technologie sollte laufend aufgrund eines
formellen oder informellen Benchmarks überprüft und weiterentwickelt werden
(Kontinuierlicher Verbesserungsprozess KVP)
Einen weiteren Ansatz für eine Verbindung von Netzwerken und Benchmarking verfolgt
BAUER325: In einem vom bayerischen Umweltministerium geförderten Projekt haben sich ca.
70 deutschsprachige Gemeinden in einer Plattform zum Thema Abfallentsorgungsanlagen
zusammengeschlossen. Die Teilnahme ist freiwillig. Der Inhalt des internetbasierten Forums
(ForumZ) sind Kenndaten zu Konstruktion, Leistung und Kosten von Abfallbeseitigungsanla-
gen. Die Plattform unterhält vier Rubriken:
• Neues Wissen schaffen,
• Aktuelles Wissen nutzen,
• Wissen strukturieren und
• Wissen teilen und anbieten unter shop&share.

325
Bauer 2003
128 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

Der zunächst wichtigste Prozess war ein Benchmarking, dass die in Abb.3-9 dargestellte, er-
staunlich hohen Bandbreite der Kosten deutlich machte. Es traten hier bei im Grunde ver-
gleichbaren Gemeinden Kostenunterschiede von Faktoren 2 bis 3 auf. Auch wenn sich das
Bild über die verschiedenen Abfallsorten etwas ausmittelt, sind dies doch bemerkenswerte
Ergebnisse. Aus den vergleichbaren Untersuchungen im Wasserbereich lässt sich mutmaßen,
dass die Kostenunterschiede dort nicht so groß sind, Spannen von 30 % dürften aber auch hier
auftreten. Der Vergleich (Benchmarking) lohnt also.

Abb. 3-9: Kostenvergleich der Bioabfallsammlung von 23 bayerischen Gemeinden326

BAUER entwickelt daraus eine Systematik einer besseren Wissensvernetzung. Die Idee baut
auf sogenannten Wissensbausteinen auf; das sind zum Beispiel Entwürfe für bestimmte Be-
handlungstechniken oder Managementschritte, die in einem internetbasierten Forum mit ihren
Kenndaten angeboten werden und – wie in einem Schaufenster – vergleichbar werden. Bei der
Zuliefererbranche ist diese Vorgehensweise normalerweise im Rahmen von Information des
firmeneigenen Materials üblich (Prospekte). Bei komplexeren Infrastruktureinrichtungen gibt
es solche Darstellungen praktisch nur in Form von Referenzen, die zwar die Existenz einer
Anlage oder Lösung belegen, über deren Wirkungsgrad aber nichts aussagen.
Echte Vergleichstests sind (in beiden Bereichen) selten. Die Benchmarks, die inzwischen vor
allem im Wasserversorgungssektor begonnen wurden, sind ein Schritt in diese Richtung. Al-
lerdings bleiben diese Untersuchungen üblicherweise intern. Hier beschreitet der Ansatz von

326
Nach Bauer 2003
3.2 Angepasste Technologie 129

BAUER insofern Neuland, als der Vergleich und die dahinter stehende Technik auch Dritten
verfügbar gemacht wird. Wegen des innovativen Ansatzes wurde dieses System inzwischen
mit finanzieller Unterstützung der GTZ auch für den lateinamerikanischen (spanischsprachi-
gen) Markt zur Verfügung gestellt.
Das Ziel dieser Art des Vergleichs von komplexen Lösungen ist die Kostensenkung. Es ist
aber nicht trivial, aus den Kenndaten (Anlagentyp, Größe, Aufbau, Komponenten, Investiti-
ons- und Betriebskosten) Leitlinien für folgende Anlagen zu entwickeln. Dazu sind die lokalen
Einflüsse normalerweise zu unterschiedlich. Dennoch könnte diese Vorgehensweise die tech-
nische Entwicklung fördern. Dabei sind zwei Effekte wichtig:
• Gute, innovative Lösungen werden besser bekannt gemacht.
• Die Leistungen verschiedener Grunddesigns werden transparenter, schlechte Lösungen
fallen ebenso auf wie gute.
Es gibt allerdings auch Probleme:
• Wenn die Projektbeschreibungen Blaupausen liefern, wird „geistiges Eigentum“ der De-
signentwicklung zu sehr günstigen Preisen weitergegeben, vor allem, wenn der Kunde
nicht, wie bei diesem System vorgesehen, die Detailplanung dann vom ursprünglichen
Schöpfer des Designs durchführen lässt, sondern die Idee einfach nimmt und selber weiter-
entwickelt. (Durch den offenen Vergleich wird besonders deutlich, worin das Erfolgsrezept
eines bestimmten Designs steckt.) Das kann unter Umständen auch innovative Kraft hem-
men und zudem nicht den gewünschten Erfolg bringen, wenn wichtige Details der guten
Lösung nicht erkannt werden.327
• Die Daten der Vergleiche müssen stimmen. Oft werden aus geschäftlichen oder politischen
Gründen Ergebnisse „ geschönt“.
• Einflussfaktoren wie Langlebigkeit (macht Anlagen längerfristig rentierlich) oder nichtmo-
netäre positive und negative Wirkungen werden nicht unbedingt abgebildet.
In jedem Fall muss mit den Ergebnissen solcher Vergleiche vorsichtig umgegangen werden.
Dennoch überwiegen wahrscheinlich die positiven Ergebnisse durch die bessere Vergleichbar-
keit und Transparenz der Ergebnisse. Solche Systeme könnten ein wichtiger Motor des nach-
haltigen Fortschritts werden, wenn mit diesem Instrument entsprechend verantwortungsvoll
umgegangen wird328.

3.2.6.8 Wettbewerb, Ausschreibungen


Eine der wichtigsten Ziele des Prozesses „from vision to action“ ist die größtmögliche Effi-
zienz, die sich in der Theorie der Marktwirtschaft unter Annahme nachhaltiger Grundziele
durch den Vergleich der Produkteigenschaften und der Preise bildet. Bei Bau und Betrieb von
Infrastrukturanlagen wird der Wettbewerb üblicherweise über die Ausschreibung ausgetragen.

327
Abhilfe könnte u. U. durch Gebrauchsmusterschutz oder Patente, eventuell auch über AGB in den
Internetseiten geschaffen werden.
328
Eine ähnliche Wirkung haben natürlich die „konservativen“ Messen und Kongresse. Der Vorteil hier
ist die unmittelbare interaktive Kommunikation über die Ergebnisse. Die Zielrichtung ist dabei
gleich: Vorstellen von innovativen, kostengünstigen (nachhaltigen) Lösungen und entsprechende
Verbreitung.
130 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

Die Ausschreibung eines fest umrissenen Baukörpers birgt kaum Probleme. Aufgrund der
systemimmanenten Komplexität der Infrastruktureinrichtungen nimmt aber bei umfassenden
Ersterschließungen oder Komplettsanierungen der Aufwand für die Ausschreibung, Angebots-
erstellung und die Beurteilung der Lösungsvarianten überproportional zu.
Die klassische Ausschreibung (in Deutschland) geht deshalb schrittweise vor.
Bis vor zehn Jahren wurden in Deutschland bei öffentlichen Aufträgen Ingenieurverträge als
„geistige Leistung“ überhaupt nicht ausgeschrieben, sondern direkt an ein Ingenieurbüro des
Vertrauens vergeben und nach der HOAI329 abgerechnet. Dies wurde im Idealfall in einem
interaktiven Prozess zwischen Auftraggeber (i. d. R. Kommune) und Büro, evtl. unter Ein-
schaltung von Fachstellen entwickelt. Die so entwickelten Lösungen waren überwiegend an-
gepasst. Allerdings nimmt nach HOAI das Ingenieurhonorar mit steigenden Kosten zu, ein
„sparsames“ Büro schmälert das eigene Einkommen. Es besteht also für den Planer nur ein
sehr bedingter Anreiz zum kostensparenden Planen.
Schlechte Erfahrungen mit manchmal überteuerten Lösungen und die EU-Wettbewerbsvor-
schriften haben bewirkt, dass Ingenieurleistungen heute ausgeschrieben werden müssen –
allerdings immer noch auf der Grundlage der Leistungsphasen und Systematik der HOAI. Das
heißt, dass sich finanzielle Unterschiede nur bei den angebotenen Nebenleistungen ergeben.
Ein Vergleich von angebotenen Lösungen kommt so im Grunde immer noch nicht zustande.
Es gibt aber Sonderformen wie den o. g. Ideenwettbewerb, die aber wegen des hohen Auf-
wands selten genutzt werden.
• Als in Einzelfällen recht erfolgreich hat sich die nachträgliche Wertung eines Entwurfes
durch ein zweites Büro oder eine andere unabhängige Prüfungsinstanz erwiesen. In staatli-
chen Zuwendungsprogrammen kann bei entsprechender qualitativer und quantitativer Be-
setzung noch die fördernde Behörde eine entsprechende Kontrollfunktion übernehmen.
Grobe Fehler werden dabei schon aus haushaltsrechtlichen Gründen aufgedeckt. In einem
beispielhaften Vergleichsfall bei einer Abwasseranlage in Nordbayern konnte durch ein
weiteres eingeschaltetes Büro330 dennoch nach der Prüfung durch den Zuwendungsgeber
eine (weitere) relevante Kosteneinsparung erreicht werden, obwohl der Ursprungsentwurf
qualitativ schon sehr gut war. Möglicherweise wird bei dieser Art der Prüfung einfach nur
der Vorteil des Mehr-Augen-Prinzips eingearbeitet. Bau und Lieferung wird dann aufgrund
des vom Büro entwickelten Entwurfes nach öffentlicher Ausschreibung vergeben.
• Einen ebenfalls strikten Ansatz verfolgt die Funktionalausschreibung, bei der nicht das
Bauwerk, sondern nur der „Erfolg“ ausgeschrieben wird. Das Verfahren klingt aber einfa-
cher, als es ist: In der Ausschreibung muss nicht nur die bloße Funktionalität beschrieben
werden, sondern eine Fülle von weiteren Qualitätsparametern, die sich auf die laufenden
Kosten, die Verlässlichkeit, die Langlebigkeit, den Komfort, die Anpassungsfähigkeit und
andere denkbare Eigenschaften der Lösung beziehen. Auf der Angebotsseite muss jeder
Bieter die komplette Anlage, eventuell mit mehreren Alternativen planen und kalkulieren.
Der Ausschreibende muss diese Angebote dann noch auf ihre tatsächliche Tauglichkeit und
Entsprechung mit den ausgeschriebenen Eigenschaften prüfen.

329
HOAI = Honorarordnung für Architekten und Ingenieure
330
Tatsächlich war es eine erbetene und vergütete Beratung durch einen Prüfer des kommunalen Prü-
fungsverbandes.
3.2 Angepasste Technologie 131

• Mit der Funktionalausschreibung verwandt sind die (auch in Deutschland zulässigen)


Betreibermodelle in verschiedener Ausführung wie z. B. BOT331 und BOO332. Auch da
muss die Leistungsbeschreibung und die gegenseitige Verpflichtung sehr exakt und detail-
liert dargestellt werden, also müssen zum Beispiel nicht nur die Zahl der angeschlossenen
Bürger, sondern auch Wasserdruck und -verfügbarkeit definiert sein. In die Wertung gehen
dann aber auch die Kosten, besser Konditionen für die ganze Betriebsdauer, in der Regel
mehrere Jahre, ein. Auch hier gibt es Herausforderungen: Die Qualität der Leistung, insbe-
sondere der Unterhaltungsaufwand und Unabsehbares wie neue Baugebiete oder Wegbre-
chen von Gewerbe muss vertraglich geregelt sein; insbesondere der Zustand bei Übergabe
der Anlage nach Konzessionsende ist immer heikel. Die Finanzplanung des Privaten hängt
immer erheblich mit der individuellen Entwicklung des Versorgungsgebietes zusammen.
Oft wird deshalb das Risiko wieder auf die Gemeinde verlagert, indem die Gebührenkalku-
lation auf garantierte Abnahmemengen bezogen wird.
In vielen Ländern werden Ausschreibungen im Bau ganz anders organisiert. Die in Deutsch-
land übliche strikte Trennung zwischen Ingenieurleistung und Bauleistung ist weltweit eher die
Ausnahme. Oft wird das ganze Bauwerk incl. aller Vor- und Nebenleistungen, insbesondere
aller Ingenieur- und Bauleistungen, ausgeschrieben. Wenn bei solchen Ausschreibungen das
Geld das einzige Kriterium für die Wertung ist, geht das oft im Sinne des Kunden schief, weil
die Gebrauchsfähigkeit und die Betriebskosten nicht abgebildet sind. (Es wird also eine kurz-
fristig billige, langfristig aber teure Variante gebaut.)
Deshalb setzt sich – auch bei getrennter Planungs- und Bauleistung- weltweit der Ausschrei-
bungstyp durch, der aus einem technischen und einem finanziellen Angebot besteht. Regel-
mäßig wird dann zuerst das technische Angebot geöffnet. Nur die technisch interessantesten
Angebote werden dann nach individuell verschiedenen Kriterien, z. B. über Punktesysteme,
bewertet und im zweiten Schritt im Preis verglichen. Fehler kommen auch hier vor, insbeson-
dere ist dieses Verfahren nicht besonders transparent, weil letztlich die Beurteilung des Preis-
Leistungsverhältnisses immer auch Geschmackssache ist. Dennoch ergibt diese Vorgehens-
weise gute Ergebnisse, vor allem, wenn die Auswertung von Fachleuten gemacht wird.
Eine einheitliche Empfehlung für die Ausschreibung von Infrastruktureinrichtungen gibt es
also nicht. Dennoch können Eckpunkte formuliert werden:
• Eine Grundvoraussetzung für gute Ergebnisse scheint zu sein, dass der Auftraggeber über
eigene Fachkunde verfügt. An dieser Stelle hat „Outsourcing“ Grenzen, weil der Zukauf
von Expertenwissen einmal teuer ist und zum anderen bei eingekaufter Expertise immer ei-
ne Fremdheit zum beauftragenden Unternehmen bleibt.
• Die zweckmäßigste Methode ist vom Einzelfall abhängig. Die Bandbreite geht von der
freihändigen Vergabe z. B. an einen bestimmten Spezialisten über beschränkte und öffent-
liche Ausschreibung bis zu Funktionalausschreibungen oder BOT/BOO.
• Die Qualitätskriterien sind wichtig. Formale Bedingungen wie Referenzen und Gütesiegel
spielen eine Rolle333, letztlich kommt es aber auf die individuelle Leistung der mit dem Pro-

331
BOT = build, operate, transfer (bauen, betreiben, Abgabe nach einer bestimmten Konzessionszeit)
332
BOO = build, own, operate (Wie BOT, aber ohne Ablauf der Konzession)
333
So ist immer wieder die Referenzliste besonders anfällig für solche Effekte: Über Handelsbeschrän-
kungen wie Versicherungs- und Steuernachweise können internationale Büros mit Sitz im Ausland
gebremst werden. Um die Gründung von Töchtern in den Ländern zu verhindern, werden Referenzen
in der Sache und im Einsatzland verlangt, und dabei die Referenzen der Mutter nicht anerkannt.
Schon ist der Markt dicht.
132 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

jekt befassten Persönlichkeiten an (die Weltbank behält sich z. B. die Akzeptanz der einge-
setzten Experten ausdrücklich vor, u. U. kommt es zu Auswechselungen während der Pro-
jektlaufzeit).
• Um neben den Investitionskosten auch die Kosten des laufenden Unterhalts einrechnen zu
können, müssen die Gesamtkosten über die Gesamtlebenszeit der Einrichtung angesetzt
werden (life cycle costs). Dieser Ansatz sollte nach Möglichkeit auf die Nachhaltigkeit be-
zogen werden, also „sustainable life cycle costs“.
Ansatz 14: Der Auftraggeber für Infrastrukturleistungen sollte selber fachkundig
und in der Lage sein, die für die individuellen Situation am besten geeignete Art der
Ausschreibung zu bestimmen. Die Kosten sind auf die Lebenszeit der Anlagen und
auf alle Tripel- Belange zu beziehen.

3.3 Management
Besseres Management steht im Zentrum der internationalen Diskussion um den Wassersektor.
Analog der Ausführungen zum Effizienzmanagement sind zwei Ebenen zu unterscheiden:
Analog der Zuordnung des Effizienzmanagements in politisch-gesellschaftliches und betriebli-
ches Management zählen sowohl Staatsführung (Wasser-Ressourcenmanagement) als auch die
Entwicklung von großen Projekten zum normativen334 Management, die Organisation und die
damit verbundenen Aufgaben dagegen zum betrieblichen oder operativen335 Management.
Management
– ist die systematische Ordnung und Steuerung von Arbeitsabläufen innerhalb einer Organi-
sation.
– betrifft im Wassersektor sowohl den öffentlichen wie den privaten Bereich.
– findet in zwei Maßstäben statt, der Gesamtorganisation bzw. Ordnung auf überbetrieblicher
Ebene (strukturelles bzw. normatives Management) und dem Erledigen einer bestimmten
Teilaufgabe auf betrieblicher Ebene (operatives Management).
Analog der sehr weitgehenden Definition des Begriffes der angepassten Technologie, der so-
wohl die Anpassung an klimatisch-kulturelle Unterschiede als auch die Anpassung an die
Nachhaltigkeitskriterien umfasst, ist es schlüssig, von einem angepassten Management (ap-
propriate management) zu sprechen. Der Anwendungsbereich des appropriate management

334
In Anlehnung an das St. Galler Management – Modell wird der Begriff des normativen oder struktu-
rellen Managements als Synonym eines langfristigen strategischen, d.h. im öffentlichen Raum politi-
schen Managements verwendet, das sich nach der Wikipeda-Definition „mit den generellen Zielen
der Unternehmung, mit Prinzipien, Normen und Spielregeln beschäftigt, die darauf ausgerichtet sind,
die Lebens- und Entwicklungsfähigkeit der Unternehmung [hier: der Gesellschaft] zu ermöglichen"
(Bleicher 1996, S. 73). Auf der normativen Managementebene legt eine Organisation ihre Unterneh-
menspolitik, Leitsätze / Leitlinien, Grundsätze und Unternehmens-Standards fest. Vgl. hierzu auch
'Verantwortung der obersten Leitung' in DIN EN ISO 9000/9001
335
Analog wird im Weiteren das auf einen abgeschlossenen Betrieb, sei er öffentlich oder privat, bezo-
genen Management als betrieblich oder operativ bezeichnet (das auf seiner Ebene natürlich auch
normative und strategische Entscheidungen beinhaltet, die aber hier als solche nicht angesprochen
werden).
3.3 Management 133

umfasst das normative Management, zum Beispiel der Staatsverwaltung (good governance),
wie auch das betriebliche Management in einem privaten oder öffentlichen Betrieb. Im Was-
sersektor treten zudem wegen des hohen öffentlichen Anteils des Aufgabenbereichs oft Misch-
formen zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Strukturen auf.
Nach Kap. 3.2 ist Management impliziter Teil jeder angepassten Technologie, wie in Kap.
2.2.2.1 gezeigt, sind im Wassermanagement sowohl starke wirtschaftspolitische als auch sozi-
alpolitische Interessenlagen zu berücksichtigen.

3.3.1 Prinzipieller methodischer Ansatz zur Entwicklung und Implementierung


von angepasstem Management
Sowohl zu strategischem wie vor allem zu betrieblichem Management gibt es eine große Zahl
von veröffentlichten Ansätzen, Grundsätzen und Schulen. Aus diesem internationalen Fundus
sind eine Vielzahl von Hinweisen auf appropriate management zu erschließen. Die Methoden
widersprechen sich aber zum Teil und sind nicht für jeden Einsatzbereich gleich gut geeignet.
Es soll deshalb im Weiteren für den Wassersektor ein methodischer Ansatz zur Auswahl von
angepasstem Management auf beiden Ebenen, normativem und operativem Management ent-
wickelt werden.
Weil sich die Menschen zur Existenzsicherung in jeder Region seit historischen Zeiten ir-
gendwie mit den Wasserbelangen arrangieren mussten, hat man es im Wassersektor typischer-
weise mit bereits existierenden, gewachsenen Strukturen zu tun. Der Neubau einer Struktur
„auf der grünen Wiese“ ist selten und kommt nur bei Stadtneugründungen (z. B. Brasilia),
großen Bewässerungssystemen (Überleitung des Sao Francisco Rivers, Brasilien) oder nach
katastrophalen Ereignissen besonderen Ausmaßes (Tsunami) vor.
Der Anstoß, sich mit dem Thema Management zu befassen, rührt normalerweise aus einem
objektiv erkannten Bedarf oder aus einer subjektiven Unzufriedenheit her. Es geht also prak-
tisch immer um eine Form von Veränderungen, d. h. Change-Management oder mindestens
Prozesse der kontinuierlichen Verbesserung (KVP). Für diesen Prozess werden in Tafel 10
Schritte und Eckpunkte vorgeschlagen.
Das Grundmuster der Vorgehensweise der Suche nach Verbesserungspotentialen beginnt mit
einer Fundamentaluntersuchung, der Zuordnung der Aufgaben der existierenden Strukturen
und der Festlegung der Ausgangswerte für den nachfolgenden iterativen Verbesserungspro-
zess. Eine Liste der Themenbereiche von der Gesetzgebung bis zum Flächenmanagement, die
in Schritt 2 und 3 je nach Aufgabenumfang der untersuchten Einrichtung zur Gänze oder in
Teilen eindeutig zugeordnet werden müssen, findet sich in Anhang 2.
Die Analyse der in der Praxis vorkommenden Lösungsansätze legt nahe, dass es fast beliebig
viele, in Details unterschiedliche Lösungen gibt, die im Gesamtergebnis doch ähnlich gut
funktionieren. Auch für den Fall, dass man zum Beispiel in der Frühphase einer Reform oder
eines Re-Engineering, bei der Empfehlung für das Gesamtsystem weitgehend frei ist, gelten
aber bestimmte Leitplanken. Die auswahlbestimmenden Parameter sind unter anderem von den
Randbedingungen und der örtlichen Situation abhängig, z. B. der (Betriebs-) Kultur. Prinzi-
piell wirkt diese Abhängigkeit besonders bei großen Infrastrukturprojekten sogar in beide
Richtungen, d. h. dass in gewissen Grenzen nicht nur die Randbedingungen und das bestehen-
de System die Lösungsansätze des Managementsystems beeinflussen, sondern auch umge-
kehrt. Eine hohe Wahrscheinlichkeit für solche reflexible Abhängigkeiten liegt bei Projekten
im politischen Raum, oder auch stark in die regionale Umweltsituation eingreifenden Projek-
134 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

ten, vor. Allerdings sind Art und Einfluss der gegenseitigen Abhängigkeiten typischerweise
zunächst nicht immer erkennbar oder sogar von einer gewissen Zufälligkeit (zum Phänomen
der Zufälligkeit solcher Prozesse wird auf die Analogien der Chaostheorie, insbesondere in
3.3.4.1 ab Seite 170 verwiesen).

1 Stärken- und Schwächenanalyse, d. h. die Struktur und ihre Probleme verstehen (sortieren) und
beurteilen (evaluieren).
2. grundsätzliche Aufgabenzuteilung, d. h. prinzipielle Klärung für die gesamte Struktur und für ihre
Teilunternehmen, z. B. auf welcher Ebene bzw. ob die betrachteten Aufgaben privatwirtschaftlich
oder öffentlich-rechtlich erledigt werden können und
3. Grobstrukturierung, d. h. Klärung, in welcher Detailform und Struktur dies am effizientesten
erledigt werden kann.
4. Ausgangspunkt: prinzipiell die vorhandenen Strukturen als ersten Anknüpfungspunkt zu nehmen
und weiterzuentwickeln, dabei
5. Leitplanken: extreme Weiterentwicklungen, die im betrachteten kulturellen Raum nicht verankert
beziehungsweise mit den ethischen Vorstellungen der UN nicht vereinbar sind, ausschließen.
(Nichtnachhaltige Lösungen, z. B. die Versorgung der Armen, aus Kostengründen einzustellen,
Grundwasservorkommen übernutzen, Krieg usw.)
6. Fokussierung: Aus der örtlichen Gesamtsituation können dann besondere Parameter des Bedarfs
als Aufgabe identifiziert und als Merkmale eines Erfolges indiziert werden. (Beispielsweise ist die
Aufgabe nicht, eine bestimmte Organisation zu reformieren, sondern zusätzlich eine bestimmte An-
zahl Einwohner mit Wasser zu versorgen, das Abwasser zu behandeln usw.).
7. Optimierung: Im Detail (also innerhalb der Organisationen auf der internen bzw. betrieblichen
Ebene) können dann Optimierungen der Umsetzung anhand von gezieltem Einsatz passender Ma-
nagementtools erreicht werden.

Tafel 10: Eckpunkte eines iterativen Konzeptes zur Reorganisation von Systemen des Wassersektors

Zum Design der Gesamtstruktur ist deshalb gerade bei besonders umfassenden Projekten ein
iteratives Verfahren kaum zu umgehen. Die GWP führt dazu in der tool-box zu Reformprozes-
sen unter lessons learned einige Argumente an:
– „Reform is a dynamic, iterative process and the only certainty is change itself.
– Not all necessary reforms can be done at the same time – it is important to decide on pri-
orities and a sequence of actions to suit those priorities.
– In any reform, regulation of service providers, both public and private, is a key element
and regulators must be independent and strong.”336
Selbst bei genauer Vorplanung werden sich große Reformprozesse auch nach dem realen Start
„in situ“ wegen der hohen Komplexität über längere Zeiträume dynamisch weiterentwickeln.
Je tiefer ein Vorhaben in die Systemik337 eingreift, sei es in gesellschaftlicher Hinsicht, sei es
bezüglich der Umweltbedingungen, desto komplexer, dynamischer und schwerer vorausplan-

336
GWP 2005, B1.01, wurde bemerkenswerterweise erst mit dem update 2005 aufgenommen.
337
„Ein erkenntnistheoretischer Ausgangspunkt der Systemik ist der Konstruktivismus, also die Annah-
me, das jedes Individuum seine eigene Sicht der Welt, seine eigene Realität für sich konstruiert …
Die Komplexität der dynamischen Systeme bedeutet aber nicht, dass jeglicher Versuch einer Beein-
flussung von vornherein aussichtslos ist. Die Systemik ermöglicht es, komplexe Phänomene, die
menschliches Leben und Zusammenleben charakterisieren, komplexitätsgerecht aufzufassen und eine
passende Methodik zu ihrer Behandlung zu entwickeln.“
[http://www.newstand.de/systemik.html]
3.3 Management 135

bar wird es. Es eignen sich deshalb keine starren Lösungsansätze, sondern nur flexible, die in
der Lage sich, Veränderungen zu erkennen und darauf zu reagieren (vgl. ebenfalls Kap.
3.3.4.1).
Ansatz 15: Aufgrund der komplexen Anforderungen an eine Wasserinfrastruktur-
entwicklung sind bei der (Weiter-) Entwicklung eines angepassten Managements in
der Regel iterative Vorgehensweisen angebracht (Iterationsansatz).
Man braucht zur Iteration einen „Startwert“. Dieser sollte normalerweise das vorhandene Sys-
tem sein.338
Zur Unterstützung der Entscheidung, in welchen Bereichen Verbesserungen überhaupt ange-
bracht sein könnten, kann als „Zielwert“ ein funktionierendes, noch nicht unbedingt optimier-
tes Basissystem entwickelt werden, an dem sich sowohl die Lösungen (Bestand) als auch Al-
ternativen „messen“ müssen. Als solche Basissysteme haben internationale Berater üblicher-
weise ein Vorbildsystem vor Augen, z. B. aus einem Projekt der Weltbank oder ein anderes,
im internationalen Bereich etabliertes System, das neben sektorspezifischen Merkmalen auch
bezüglich der wirtschaftlichen, sozialen und naturräumlichen Rahmenbedingungen vergleich-
bar sein sollte (z. B. in der gleichen Region oder woanders erfolgreich eingeführtes System,
z. B. ein französisches Privatisierungsmodell). Die Merkmale dieses Basissystems werden
dann auf die lokalen Bedingungen angepasst, es entsteht ein angepasstes, optimiertes System.
Ein „deutsches System“ würde vom Typ her
– einen hohen kommunalen Einfluss in der Siedlungswasserwirtschaft,
– die Wirtschaftsform der Sozialen Marktwirtschaft,
– nachhaltige Ansätze in der Wasserpolitik sowie
– die BGB-typische Rechtssystematik
repräsentieren.
Nachdem dieser deutsche Ansatz in der internationalen Wasserpolitik derzeit, wie in 2.4.3.1
gezeigt, wenig beachtet ist, wird im Folgenden vertieft, wie eine auf der deutschen Systematik
basierende Beispiellösung für appropriate management aussehen könnte. Dabei wird sehr stark
auf bayerische Erfahrungen zurückgegriffen, die aber um die Erkenntnisse aus dem Ansatz des
IWRM angereichert werden.

3.3.2 Normativ-strukturelles Management

3.3.2.1 Ansatz des „Viersäulenmodells“


Der hier vertretene Lösungsansatz („Viersäulenmodell“) basiert auf einem Modell, bei dem
bestimmte Rollen für die Umsetzung den vier Hauptakteuren Staat (I), Gemeinden (II), Pri-
vatwirtschaft (III) und Zivilgesellschaft (Bürgergesellschaft) (IV) zugeordnet werden. Die
Kommunikation beziehungsweise Vernetzung steht im Mittelpunkt.

338
GWP 2002, upgrade der Einführung im Internet, April 2005: „Perhaps the main lesson is that it is
often better to start somewhere, working as far as it is possible with existing arrangements, rather
than waiting for the more wide-ranging reform measures to be enacted. The main message is to re-
member the IWRM goals and find solutions which help in each individual circumstance!”
136 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

Ansatz 16: Zum Erhalt nachhaltiger wasserwirtschaftlicher Strukturen ist das Zu-
sammenwirken von Staat, Kommune, Privatwirtschaft und Bürgergesellschaft eine
Grundvoraussetzung. Das bedeutet auch, dass keine der genannten „Säulen“ alleine
die Aufgabe eines integrierten Wassermanagements übernehmen kann.
Die A21 unterstreicht (auch) im Wassersektor, Kapitel 18, die Prinzipien der Subsidiarität. Zur
Verbesserung der Zusammenarbeit mit dem Ziel des integrierten Wassermanagements wird
dort die Verlagerung der Zuständigkeit der Wasserbewirtschaftung auf die geeignete jeweils
„niedrigste Ebene“ empfohlen, einschließlich der „dezentralen Erbringung staatlicher Dienst-
leistungen durch Kommunalbehörden, private Unternehmen und Gemeinschaften.“
Die Grundlage für die Eingriffs- und Regelungsmöglichkeiten dieser vier Hauptakteure sind
demokratischer, marktwirtschaftlicher und öffentlich-rechtlicher Natur. Abbildung 3-10 zeigt
die acht gesellschaftlichen Regelungsinstrumente, mit denen eine nachhaltige Entwicklung
gesteuert werden kann.

Regelungsinstrumente
• Freier Markt
• Demokratische Prozesse
• Preiskontrolle –Beiträge
–Gebühren
• Steuern und
Zuwendungen –Wasserentnahmeentgelt
–Abwassereinleitungsgebühr
–Förderung
• Gesetze: Mindestanforderungen
• Bescheid: Verbote und Auflagen im konkreten Fall
• Freiwilligkeit: Ethische Grundwerte, Vereinbarungen
Selbstverpflichtung

Abb. 3-10: Marktwirtschaftliche und öffentlich-rechtliche Steuerungsmittel

Freier Markt, Freiwilligkeit und demokratische Prozesse sind gesellschaftliche Prozesse. Sie
bilden die aktive Bürgergesellschaft und deren moralisch-ethische Haltung ab. Preiskontrolle,
Steuern und Zuwendungen, Gesetze und Bescheide sind öffentliche Regelungseingriffe. Ein
gemeinsames Grundmerkmal sind die partizipativen Prozesse und die Integrität der Bürger-
rechte.
Die Optimierung eines Staatswesens besteht unter anderem in der Optimierung des Zusam-
menspiels seiner Rahmenbedingungen. Wird in einer Sache Regelungsbedarf erklärt, kommen
zunächst alle Alternativen gemäß Abb. 3-10 in Frage. Aus dem finalen Bezug auf die rechtli-
chen, ethischen und moralischen Grundordnungen ergibt sich im Rückschluss, dass die Ver-
3.3 Management 137

fassungen der Länder bzw. die internationalen Konventionen letztlich die Nachhaltigkeitskrite-
rien abbilden (sollten).
Ansatz 17: Für Gesetze und staatliche Normen gilt: Die Nachhaltigkeit sollte das uni-
verselle Prüfkriterium für gesellschaftliche Regelungseingriffe sein.

3.3.2.2 Säule I und IV: Staat und Staatsverwaltung (good governance), Bürgergesell-
schaft
Begriff und Definition Good Governance
Eine gute Regierungsführung einschließlich einer guten Verwaltung ist eine grundlegende
Voraussetzung für nachhaltige Wasserwirtschaft. Dieser bereits wesentlich ältere Ansatz wur-
de auf der Süßwasserkonferenz von Bonn, Dezember 2001, wieder in den Mittelpunkt der
Überlegungen gestellt. Die “Ministerial Declaration”, ein Ergebnis dieses Kongresses, stellt
die Regierungsleistung in den Mittelpunkt:
”The primary responsibility for ensuring the sustainable and equitable management of water
resources rests with the governments. Each country should have in place applicable arrange-
ments for the governance of water affairs at all levels and, where appropriate, accelerate
water sector reforms. We urge the private sector to join with government and civil society to
contribute to bringing water and sanitation services to the unserved and to strengthen invest-
ment and management capabilities. Privately managed service delivery should not imply pri-
vate ownership of water resources. Service providers should be subject to effective regulation
and monitoring. We encourage riparian states to co-operate on matters related to interna-
tional watercourses.” 339
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit definiert: „Good Governance
betrifft die Entscheidungsprozesse und Strukturen innerhalb des öffentlichen Sektors, die Spiel-
regeln, mit denen der Staat die Entfaltungsmöglichkeiten in Gesellschaft und der Privatwirt-
schaft vorstrukturiert und das Verhältnis zwischen Regierung und Regierten. Es geht um die
institutionelle Absicherung von Freiräumen, in denen sich die Menschen entfalten können, und
um die gesellschaftliche Akzeptanz des Staates und seiner Politik. Good Governance bedeutet
gute politische Rahmenbedingungen für eine soziale, ökologische und marktwirtschaftliche
Entwicklung und einen verantwortungsvollen Umgang des Staates mit seiner politischen
Macht und öffentlichen Ressourcen. Dies erfordert ein leistungsfähiges öffentliches Manage-
ment; Politik und Verwaltung räumen der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft Partizipations-
möglichkeiten ein, sorgen für Information und Transparenz und legen der Öffentlichkeit ge-
genüber Rechenschaft ab über ihr Handeln“ 340.
Good governance beschreibt also das komplette Zusammenspiel zwischen öffentlichem Inte-
resse, privatwirtschaftlichem Wirken und den individuellen Bemühungen des einzelnen Bür-
gers und ist damit auch ein normatives Konzept, das nur schlecht mit dem Begriff der „guten
Regierungsführung“ übersetzt ist. Wie dieses Zusammenspiel idealerweise aussehen soll, ist
durch den Begriff alleine bei weitem noch nicht erläutert. National wie international gibt es bei
der Interpretation erhebliche Unterschiede:

339
Konferenz für Süßwasser in Bonn, www.water-2001.de/days/, Bonn 2001
340
Klaus 2004
138 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

Nach MKANDAWIRE341 geht die ursprüngliche Verwendung des Begriffes good governance
auf afrikanische Wissenschaftler zurück, die einen wesentlichen Beitrag zum Bericht „Sub-
Saharan Africa: from Crisis to Sustainable Growth“ geleistet haben. MKANDAWIRE kriti-
siert, dass der Begriff heute im Wesentlichen eine an Markteffizienz orientierte rechenschafts-
pflichtige Politik meint. Die ursprüngliche Definition hätte dagegen auf eine gleichberechtigte
Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft abgehoben, die als Kernelemente Demokratie und
die Einbeziehung der sozial Schwächeren hatte.
Im Grunde ist dieser ursprüngliche Ansatz aber durchaus aktuell. Die Vorstellungen eines
modernen Staates unter dem Aspekt des aktivierenden Staates setzen ebenfalls wieder viel
mehr auf eine bedeutende Beteiligung des Bürgers (vgl. dazu S.139 Bürgergesellschaft und
aktivierender Staat).
Die GWP beschäftigt sich im Rahmen der Umsetzung des IWRM intensiv mit dem Thema
good governance. Im IWRM wird die Rolle des Staates als „enabler“, also Ermöglicher be-
schrieben. Diese Rolle wird in den verschiedenen Veröffentlichungen präzisiert:
• Sachlich scheint dieser Anspruch auf den ersten Blick klar zu sein; der Staat ermöglicht
den überwiegend privat Handelnden, das Richtige zu tun. Das ist ein schönes Bild: der
Staat gibt einen Rahmen vor, und in diesem Rahmen schaffen dann die Bürger „Mehrwert“.
Kritiker bemängeln, dass diese puristischen Haltung zur gesellschaftlichen Steuerung im
Sinne der Nachhaltigkeit noch nicht ausreicht, oder anders gesagt: der Staat ermöglicht
zwar, aber was?
• In der tool-box342 der GWP wird good governance in den drei Hauptthemen „Enabling
Environment“, „Institutional Roles“ und „Management Instruments“ angesprochen. In den
Bereich political awareness ist der ebenfalls bei der GWP erarbeitete „letter to my minis-
ter“, einzuordnen, der Politiker motivieren soll, den Wassersektor als Feld für eigene good
governance zu identifizieren und sich entsprechend dafür einzusetzen343.
• Nach der staatstheoretischen Ableitung von Rogers und Hall344 zu Effective Water Gover-
nance beinhaltet governance eine zuordnende bzw. zuteilende und regelnde (allocative and
regulatory) Politik, die ein Ressourcenmanagement der ökologischen, ökonomischen und
sozialen Belange umfasst, wobei als besonderes Merkmal sowohl formelle wie informelle
Institutionen beteiligt werden. Diese Form wird von KOOIMAN345 als distributed gover-
nance, im Sinne von „verteilter oder aufgeteilter, ev. dezentraler Macht“ bezeichnet. Je
nach Auslegung können diese Institutionen auch kommunale Strukturen sein, müssen also
nicht unbedingt NGOs oder Unternehmen sein. Dieser Ansatz legt viel der staatlichen Ver-
antwortung in die Hände Dritter (der ursprünglich weltanschauliche Hintergrund des
‘distributed governance’ wird in der Begründung deutlich “Many politicians (mainly in the
West) see the State increasingly as part of the problem rather than the solution“346).
Dieses Staatsbild der GWP und des IWRM ist vom US-amerikanisch-republikanischen Ansatz
beeinflusst, der von der Regierung Reagan ausgehend die Rolle des Staates zugunsten des
freien Marktes und Unternehmertums zurückhaltend sah. Das Zitat „Government is not the
solution, it’s the problem“ wird REAGAN zugeschrieben.

341
Thandika Mkandawire 2004, S. 380-381
342
GWP 2002, fortgeschrieben mit GWP 2005
343
GWP, Letter to my minister
344
Rogers, Hall 2003
345
ebenda, S. 12
346
ebenda, S. 12 f
3.3 Management 139

Die Reagansche Fundamentalkritik am Staatswesen wird von der Süßwasserkonferenz in Bonn


in den „Bonn Recommendations for Action“ nicht geteilt. Dort wird als wichtigste Komponen-
te für die Umsetzung einer besseren Wasserpolitik ausdrücklich „Good Governance“ als erstes
vor den Belangen „Mobilising financal resources“ und „Capacity building and sharing know-
ledge“ genannt. In der Praxis bedeutet dies nach dem Urteil der Konferenz, dass ohne intensive
Einbindung der Staatspolitik bzw. der Staatsverwaltung strukturelle Verbesserungen im Was-
sersektor kaum Erfolg haben können. Die wichtigsten inhaltlichen Schwerpunkte werden in 12
Unterpunkten genannt. Diese Aufzählung ist deklaratorisch; Einzelheiten einer Empfehlung,
wie der Staat diese Rolle wahrnehmen soll, sind nicht enthalten.
Probleme bei der Quantifizierung der Regierungsleistung
Um die Qualität eines gegebenen Systems einschätzen und Verbesserungspotential definieren
zu können, wird man versuchen, im Sinne eines Benchmarking die bisherige Staatsleistung zu
messen und einem Vergleich zuzuführen. Dieser Vergleich ist aber bis heute im globalen Maß-
stab nicht zufriedenstellend gelungen. Die Hintergründe sind ausführlich in Anhang 3 geschil-
dert. Damit ist bis auf sehr großmaßstäbliche Aussagen nicht seriös festzulegen, welches (poli-
tische, administrative) System die besten Ergebnisse erzeugt.
Festzustellen ist, dass in der politischen Praxis weltweit höchst unterschiedliche Lösungen für
water governance entstanden sind. Schon innerhalb der Länder des Geltungsbereiches der
europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) gibt es diesen bemerkenswerten Grad der Un-
terschiede. Dies betrifft sowohl die Organisation der Strukturen als auch die Ergebnisse. Au-
ßerhalb Europas nehmen diese Unterschiede noch zu, auch gegenüber den USA.
Zum Teil gibt es dafür einleuchtende Erklärungen: Ein wichtiger Unterschied liegt schon in
den verschiedenen Rechtssystemen, z. B. zwischen dem kontinental-europäischen bzw. latein-
amerikanischen und dem US-amerikanischen angelsächsischen Recht347. Ein weiterer Unter-
schied liegt in den historisch gewachsenen zentralistischen oder föderalistischen Ansätzen. Die
Aufgabenwahrnehmung in föderalistischen Staaten wie Deutschland oder Österreich unter-
scheidet sich stark von zentralistischen Systemen wie Frankreich oder Spanien, um nur europä-
ische Beispiele zu verwenden. Prinzipiell kann man auch vermuten, dass gesellschaftlich-
kulturelle oder auch religiöse Unterschiede einen durchaus erheblichen Einfluss haben, wie
zum Beispiel WEILER348 ausführt. Eine nachvollziehbare Quantifizierung dieser Einflussfak-
toren speziell für den Wasserinfrastrukturbereich wurde aber bislang nicht vorgenommen. Es
bleibt alternativ bzw. ergänzend der Versuch, bestimmte qualitativ im „Verdacht des Erfolgrei-
chen“ stehende Konstellationen heuristisch aufzusuchen und in einen Empfehlungskatalog für
Good Governance bzw. Good Management aufzunehmen. Eine Diskussion im Einzelfall muss
dann klären, ob die Maßnahme auch unter den angetroffenen Bedingungen wirken kann. Es ist
damit erlaubt, anzunehmen, dass es bestimmte Grundmuster (Fraktale) gibt, die einer Beobach-
tung und intuitiven Erfassung zugänglich sind, die auch ohne deterministische Argumentation
mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit als Erfolg bestimmend zu klassifizieren sind. Einige
davon sollen nachfolgend näher untersucht werden.
Bürgergesellschaft und aktivierender Staat
Der am meisten auffallende Aspekt der modernen Staatsbilder ist die Rolle der Bürgergesell-
schaft (civil society), die im Sinne der Partizipation sowohl eine demokratische Tugend als
auch Leitbild der A21 ist und die in allen genannten Ansätze materielle bzw. fachliche Anfor-

347
ebenda, S. 17 f
348
Weiler 2005
140 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

derung an good governance ist. BANDEMER teilt die derzeit diskutierten Staatsmodelle wie
folgt ein:
• den „Interventionsstaat“, der sich durch sein Regelungsgewirr und die überbordende
Regelungsdichte selbst untergräbt,
• den „schlanken Staat“, reduziert auf Kernaufgaben, um die „ausufernde staatliche Inter-
vention“ zu minimieren, da diese sowohl die Selbstregulierungskräfte der Wirtschaft hem-
men als auch der Staat im unüberschaubaren Regelungsgewirr seine Handlungsfähigkeit
verlöre,
• den „hierarchischen Staat“, der „nach Überzeugung vieler“ wegen der grundlegenden
Divergenz von Einzelrationalität und Gesamtrationalität (-Nutzen) als einzige Instanz nach-
haltige Entwicklung und Steuerung erreichen kann,
• den „verhandelnden“ Staat, der das „Staatsparadoxon des ausgehenden 20. Jahrhunderts
aufgreift um in einer produktiven Mischung von zentralen Imperativen und gesellschaftli-
cher Selbstkoordination neue Handlungsmöglichkeiten des Staates zu finden“,
• den „Minimalstaat“, der die Handlungsfähigkeit der mit „vorstaatlichen Rechten“ ausges-
tatteten Bürger und Gesellschaft stützt: Je nach Betonung der individuellen Rechte (öko-
nomischer Individualismus) oder der Gesellschaft bzw. Gemeinschaftlichkeit ergeben sich
verschieden betonte Modelle. Der Staat kann auch in seiner etablierten Aufgabe belassen
bleiben, durch Partizipation aber „stärker legitimiert und sachlich effektiviert“ werden349.
Der dem Modell der good governance nachkommende so genannte aktivierende Staat liegt
nach BANDEMER350 „quer“ zu den o. g. Modellen. Dieses Modell ist der Versuch einer Ant-
wort auf das Staatsparadoxon „Allzuständigkeit versus Steuerungsversagen“351: die Zunahme
der staatlichen Regelungskompetenz, ausgedrückt im Anwachsen der öffentlichen Haushalte,
der Staatsquote, der Regelungen, der Bediensteten und der Nachfrage nach staatlicher Rege-
lung einerseits und der schwindenden Akzeptanz und Identifikation gegenüber dem daraus
entstandenen Staatsgebäude anderseits. BANDEMER stellt die Forderung nach bestimmten
grundsätzlichen Steuerungs- und Handlungsfunktionen auf, die dieses Staatsparadoxon durch-
brechen sollen. Sie sind in [Tabelle 3-2] beschrieben.

Tab. 3-2: Handlungsleitende Prinzipien des aktivierenden Staates (nach Bandemer)


Verantwor- …ist die gemeinschaftliche Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch Staat und Ge-
tungsteilung sellschaft. Verantwortung soll nicht mehr den Akteuren Staat, Verbände, Unternehmen
und Bürger zugeteilt, sondern zwischen ihnen aufgeteilt werden.
Koproduktion Nach dem gleichen Schema sollen auch Leistungen erbracht werden. Dabei wird das
von Leistung trennende Verhältnis Besteller – Lieferer durchbrochen. Der Lieferant hat Einfluss auf
die Konzipierung und Planung der Leistung, Kosten- und Qualitätsziele werden ge-
meinsam erarbeitet.

349
Zitate jeweils: Bandemer ,, Der aktivierende Staat, : Konturen einer Modernisierungsstrategie von
Staat und Gesellschaft“,www.itge.de (2004)
350
ebenda
351
Anmerkung: Tatsächlich ist es nicht das Steuerungsversagen – die Steuerung funktioniert nämlich in
der Regel sehr gut – sondern vielmehr die mangelnde Akzeptanz der Bürger, so differenziert „gesteu-
ert“ zu werden. Möglicherweise würde deshalb die Bezeichnung „Bürgerparadoxon“ die Sache besser
treffen. Alles soll gerecht und risikofrei geregelt sein, nur die individuellen Freiheiten dürfen nicht
beschnitten werden.
3.3 Management 141

Leistungsak- Darin verbirgt sich ein Effizienzansatz, der einer Leistungssteigerung den Vorzug vor
tivierung als leistungssteigernd geltenden Mitteln gibt. Als Beispiel ist die Kosten-
Leistungsrechnung angeführt, die für sich keine Leistungssteigerung bringt. Alternativ
werden bestimmte überschaubar positiv wirkende Änderungen vorgeschlagen, also
nicht die Einführung theoretisch positiver Allgemeinmethoden, sondern gezielte Ver-
besserung einzelner Aspekte.
Dialog Dieser Ansatz entspricht den Grundsätzen der Partizipation. Als Beispiel wird die Ab-
schaffung von Subventionen nach Dialog (und Überzeugung) der Verbände genannt.

Der aktivierende Staat wurde in der deutschen Politik durch die Koalitionsvereinbarung 1998
als Leitbild eingeführt. Effiziente und demokratische Politik muss danach die Bereitschaft der
Bürger zu Selbstverantwortung und Einsatz für Gemeinwohlbelange nutzen und fördern und
die notwendigen Rahmenbedingungen dafür schaffen. Der Bürger wird danach möglichst
weitgehend in die Lage versetzt, auch für die Interessen der Allgemeinheit aktiv werden zu
können. Zur Steigerung des gesamtgesellschaftlichen Wirkungsgrads in Richtung Nachhaltig-
keit werden alle Möglichkeiten genutzt, insbesondere eine viel breitere Beteiligung und Ver-
antwortung des Bürgers auch über den demokratischen Wahlturnus hinaus. Die Prinzipien des
aktivierenden Staates oder der daraus von GLÜCK352 maßgeblich weiterentwickelte Begriff
der Bürgergesellschaft können auch international zumindest prinzipiell angewendet werden.
Insbesondere wird in diesen Ansätzen eine neue Kraft des Bürgertums erfragt, die in gewisser
Weise an die geschichtlichen Aufbruchstimmungen der Gründerjahre oder des Wiederaufbaus
Deutschlands, aber auch an Abschnitte der Geschichte der Vereinigten Staaten und anderer
rasanter Entwicklungen erinnert. Zwei Kernthemen bestimmen den Prozess:
• die Rolle des Bürgers als Marktteilnehmer. Der Stärkung dieser Rolle dienen Warenaus-
zeichnungen, Gütesiegel oder Evaluationen wie EMAS, nach denen der Bürger gezielt Wa-
ren einer bestimmten Herkunft oder (umweltbezogenen Produktions-) Qualität aussuchen
kann, und
• seine Rolle als Teilnehmer an staatlichen Entscheidungsprozessen.
Wie KLAUS340 ausführt, ist ein Erfolg dabei zwar keineswegs sicher, die Erfolgschancen
steigen aber durch solche Systeme signifikant. Mögliche systematische Probleme des Ansatzes
der aktivierten Bürgergesellschaft liegen in einem Ungleichgewicht der Aktivitäten: Bislang
sind Nichtregierungsorganisationen überwiegend lobbyistisch tätig, d. h., sie betonen be-
stimmte Sektoren des Gemeinwohls, vertreten Eigeninteressen gegen Gemeinwohlinteressen
oder benutzen Argumente des Gemeinwohls als Trittbrett individueller Interessen. So hat die
Aktivierung der Öffentlichkeit in einigen Fällen auch zu unerwarteten, zum Teil extremen
Ergebnissen geführt: In Bayern hat sich eine Bürgerinitiative der Wasserschutzgebietsgeschä-
digten gegründet, die mit allen Mitteln die Ausweisung oder Vergrößerung von Trinkwasser-
schutzgebieten verhindern will353. Sprichwörtlich sind auch die Auseinandersetzungen um
Abfallanlagen geworden, die alle brauchen, aber niemand will. So stellt sich die Frage, ob sich
für die übergeordneten, oft unpersönlichen Ziele immer genügend aktive Fürsprecher finden
lassen, die gegen die vehement vorgetragenen Interessen der durch konkrete Eigeninteressen
motivierten Gruppen vorgehen wollen. Auch die GWP sieht durchaus Grenzen der Beteiligung

352
Alois Glück, Entscheidungszeiten, Beitrag 24, CSU Landtagsfraktion, München 2003
353
v. Freyberg, http://www.schutzgebietsbetroffene.de/
142 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

der „Civil Society Institutions (CSIs), NGOs und Community-Based Organizations


(CBOs)“354.
Diese Kritik ist unter demokratischen Gesichtspunkten nicht abwegig. Insbesondere die in der
staatlichen Garantenstellung liegenden Aufgaben dürfen nicht nach Individualinteressen ab-
gewogen werden. Folgerichtig werden von der GWP im Besonderen die CBOs, also die ge-
meindlich oder gemeinschaftlich organisierten Gruppen, als wichtig bezeichnet. Dazu die
GWP in „lessons learned:
• Collaboration between service providers and CBOs can strengthen community ownership
and build water management capacity at local level (B2.1).
• Similarly, working linkages between CBOs and local government (see B1.10) provide a
strong structure, allowing local water management issues to be scaled up and strengthen-
ing local regulatory capacity.
• It is important to think through which level is most workable and will create a portfolio of
activities that justifies the existence of a permanent local organization. Micro-planning and
resource mapping are useful instruments at CBO level.
• Civil society organizations representing either professional categories or interest groups
are most effective in societies where there is a commitment to participation and consulta-
tion.
• There is a danger that unless CBOs are well structured they may be taken over by narrow
and stronger interest groups.“355
KUMMER [zitiert in KLAUS356] bricht den aktivierenden Staat auf eine praktische Ebene
herunter. Interessant ist dabei, wie nach seiner Definition der „aktivierende Staat“ mit vier
Grundanforderungen beschrieben wird (vgl. Tabelle 3-3).

Tab. 3-3: Rollenverständnis des „aktivierenden“ Staates nach Kummer


Staat ist „Ermöglicher“ (enabler) Der Staat gibt die Basis und den Rahmen für gesellschaftli-
che Leistungsprozesse. Er aktiviert und animiert zu eigen-
ständigen Problemlösungen und ist Innovationsträger.
Staat ist „Gewährleister“ Der Staat stellt sicher, dass Leistungen für die Gesellschaft
erbracht werden, ohne dass er sie zwingend selber produ-
ziert.
Staat ist „Regulierer“ Der Staat gibt Standardisierungen vor. Er überwacht durch
ein Normenregelungswerk prozessorientiert gesellschaftliche
Leistungen.
Staat ist „Produzent“ In Kernbereichen „produziert“ der Staat selber, soweit dies
strategisch notwendig oder wirtschaftlich geboten ist.

Wahrscheinlich ist diese Auslegung geeignet, die komplexen Ansprüche der Wasserinfrastruk-
tur an den Staat zu beschreiben. Wenn der Staat rein als Ermöglicher handeln wollte, müsste er

354
GWP 2005, B1.09: “However, there has been a proliferation of civil society and non-governmental
organizations that, however well-meaning, are often non-accountable and may operate from a nar-
row self interest with no responsibility for the consequences of their actions. They are not and should
not be taken as a substitute for government and government should not abdicate its responsibility”.
355
ebenda
356
Klaus 2004
3.3 Management 143

sehr genaue Rahmenbedingungen setzen (und überwachen!), um die unterschiedlichen Nach-


haltigkeitsanforderungen zu befriedigen. Insbesondere die monetär schlecht zu bewertenden
Nachhaltigkeitsansätze werden sich im freien Markt nicht durchsetzen können. Ein aktivieren-
der Staat übernimmt hier eine leitende, aber nicht in jedem Bezug intervenierende Rolle. Dazu
muss der Prozess höchst effizient arbeiten. Der Staat muss also „auf der ganzen Klaviatur
spielen“, d. h. er setzt Normen, wo es nötig ist, motiviert (aktiviert) die Gesellschaft zu eigen-
ständigen Lösungen und setzt die fundamentalen Anforderungen der Nachhaltigkeit nötigen-
falls rasch (hierarchisch) durch.
Dabei ist mit „Staat“ idealerweise nicht nur die jeweilige Regierung aufzufassen, sondern der
öffentliche Sektor von der supranationalen Ebene bis zu den Kommunen. Dieser öffentliche
Sektor muss insgesamt „Good Governance“ darstellen.
Aktivierender Staat und Bürgergesellschaft sind also korrespondierende Begriffe. Es kann
angedacht werden, das Staatsdilemma Regelungsdichte – Lähmung über einen darin enthalte-
nen Mehrwert aufzulösen, der sich in der determinierten Systembeschreibung nicht wiederfin-
det: die Lösung hochkomplexer Problemstellungen durch kollektive Prozesse. KLAUS unter-
sucht die Bürgergesellschaft nach den Methoden der Chaosforschung und Chaostheorie findet
eine Abhängigkeit des Wertes bzw. Maßes des erreichten Grades an aktiver Bürgergesell-
schaft (AB) von P = politischer Wille, T = Transparenz von Kosten, Motiven, Entscheidungen
usw., K = Kommunikation, W = Wissen, Wissenschaft, Politikwissen, B = Bildung, Befähi-
gung, S = Soziale Anforderungen, Aktionsbereitschaft, F = Finanzknappheit, Leidensdruck …,
R = Realisierungsmöglichkeit und E = Erfolgskomponente, die ihrerseits eine Funktion der
Rezeption des Modells „aktive Bürgergesellschaft“ ist und formuliert damit:

AB = f (P, T, K, W, B, S, F, R) · E357

Diese Formel zeichnet sich dadurch aus, dass, wie KLAUS selber ausführt, die einzelnen Pa-
rameter in hohem Maße voneinander abhängig sind. Durch gegenseitiges Einsetzen der Ab-
hängigkeiten entsteht eine hochgradig nichtlineare Gleichung, die nur noch mit den Ansätzen
der nichtlinearen Theorien (CT) zu „lösen“ ist. Analog zum Einsatz der Chaostheorie lassen
sich daraus praktische Hinweise für die Organisation der Bürgergesellschaft entwickeln:
Die Dynamik dieser Prozesse wird auch von W. und G. KASTENBERG und NORRIS358 be-
schrieben. Komplexe nichtlineare Systeme reagieren durch eine negative Rückkopplung
(Rückkehr zum ursprünglichen Gleichgewichtszustand) oder positive Rückkopplung (Suche
eines neuen Gleichgewichtszustandes). Positive Rückkopplungen neigen an „Bifurkati-
onspunkten“ zur Bildung neuer Gleichgewichtszustände, die weit vom ursprünglichen entfernt
liegen und einen wesentlich höheren Grad von Komplexität einnehmen – sie bilden integrale
Strukturen ab, eine Voraussetzung für IWRM!
Aus diesen Ausführungen von KLAUS und DESER359 lassen sich einige wichtige praktische
Hinweise für die Organisation und Analyse von partizipativen Prozessen ableiten:
Runde Tische und Arbeitskreise sind Beeinflussungen der Bifurkationspunkte, d. h., der Ent-
scheidungsebenen mit offenem Ausgang. Sie sind gleichzeitig die Kreativitätsebene, d. h. hier
werden Alternativen geboren und weiterentwickelt. Mit den Bifurkationen der runden Tische

357
Klaus 2004, S. 160
358
Kastenberg et al. 2005, S. 88
359
Deser 1996
144 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

sind oft Bedenken verbunden, weil diese Systeme „schlechter steuerbar scheinen“. Hier aller-
dings gilt der Verweis auf die Selbstorganisationsfähigkeit dieser Strukturen, d. h. es bildet
sich mit hoher Wahrscheinlichkeit bei diesen Prozessen als sogenannte Attraktoren (= Muster)
eine (konstruktive) Ordnung auf der Makroebene ab, obwohl die Ausgangslage chaotisch im
mathematischen Sinne war.
Nach KLAUS können die „seltsamen Attraktoren“ in Gestalt von Meinungsführern oder cha-
rismatischen Einzelpersonen Prozesse an ihren Bifurkationspunkten beeinflussen. Obwohl in
der CT jeder Teilnehmer zum „seltsamen Attraktor“ werden kann, ist es doch möglich, be-
stimmte Leitlinien durch die Einbeziehung der Meinungsführer einzuhalten360.
Die Rolle des Einzelnen ist aber durch den sog Schmetterlingseffekt361 (DESER) oder Iterati-
onseffekt (KLAUS) erheblich. Selbst ganz kleine Änderungen können in den chaotischen
Systemen durch mehrfache Rückkoppelung größte Wirkung erzielen.
Der Schmetterlingseffekt hat aber noch eine andere Konsequenz: kleine Ursache, große Wir-
kung. So können Informationsmängel und Kommunikationsmängel oft auf der Parallelebe-
ne362 Prozesse in die vollkommen falsche Richtung lenken. Die Gefahr, die solche „kleinen“
Fehler zu Beginn eines Prozesses darstellen – die falschen Personen angesprochen, die fal-
schen/ fehlenden Informationen, der falsche Zeitpunkt oder falsche Ort – kennt jeder aus der
eigenen Erfahrung, bewusst erklären kann sie die CT.
Ein Schlüsselbegriff sind die Fraktale, die „in kleinen Prozessen das große Bild spiegeln“. So
kann die aktive Bürgergesellschaft auf der Gemeindeebene als Fraktal der angestrebten Gesell-
schaft gesehen werden. „Es ist anzunehmen, dass aus Teilprozessen der Etablierung einer
aktiven Bürgergesellschaft auf Gemeindeebene Erkenntnisse für einen entsprechenden Ge-
samtprozess auf allen staatlichen Ebenen gewonnen werden können.“363 Dieser Ansatz entfal-
tet im nationalen wie im internationalen Kontext eine enorme Kraft. Damit ist ein Lernprozess
über mögliche Systemstärken und Schwächen möglich, gleichzeitig ist eine Veränderung „Bot-
tom up“ und „Top down“ über vergleichsweise kleine fraktale Strukturen möglich. Aus diesem
Ansatz lassen sich Hoffnungen für kreative Entwicklungen der Gesellschaft schöpfen.
Es besteht also durchaus eine Chance, dass eine neue Bürgergesellschaft nachhaltige Politik
lebt und fordert. Auf dem Weg dahin könnte ein „verhandelnder Staat“ zu nachhaltigen Ergeb-
nissen führen. Dieser würde zwar die nachhaltigen Ziele in wahrgenommener Verantwortung
und Garantenstellung für Fundamentalbelange vertreten, aber dort zurückweichen, wo sich ein
Bürgerwille zur Nachhaltigkeit manifestiert, der nicht nur fordert, sondern auch zu eigenen
Konsequenzen bereit ist. Dieses Vorgehen steht allerdings insoweit unter einem Vorbehalt, als
angesichts der globalen Situation die Zeit für Verhandlungen knapp ist. Insbesondere sind
freiwillige Commitments einiger weniger im globalen Maßstab unter Umständen nutzlos, Be-
wegungen müssten schon erhebliche Teile der Bevölkerung aktivieren.

360
Klaus verwendet den Begriff des Attraktors im Grunde in übertragenem Sinne, d.h. der seltsame
Attraktor gibt als Person einen Lösungsraum vor, der aufgrund der fraktalen Strukturen eine Abbil-
dung positiver (oder negativer) innerer Überzeugungen dieser Persönlichkeit ergibt. Auch Deser ü-
bersetzt diesen Begriff unmittelbar mit „Musterbildung“.
361
Das landläufige Beispiel dazu ist der Schlag eines Schmetterlingsflügels in Lateinamerika, der nach
vielfacher positiver Rückkoppelung den Orkan im Indischen Ozean auslöst.
362
Viele Konflikte basieren auf missverstandenen Botschaften, vgl. „die vier Ohren des Menschen“ von
SCHULZ v. THUN 1981, Miteinander Reden
363
Klaus 2004, S. 167
3.3 Management 145

Der aktivierende Staat als Handlungsschema könnte dieses Patt der Systeme auflösen, wenn er
„…das Staatsparadoxon (Allzuständigkeit versus Steuerungsversagen) in ein interaktiv zu
bearbeitendes Dilemma dynamisieren kann“.364

Ein interessantes Phänomen hat sich in Brasilien während der letzten Energiekrise 2001/
2002 ergeben. Aufgrund ungewöhnlich geringer Niederschläge, verursacht durch El Nino,
hatten sich die Stauseen der brasilianischen Wasserkraftwerke geleert. Da die Stromver-
sorgung Brasiliens zu mehr als 90 Prozent von der Wasserkraft abhängt, drohte dem größ-
ten südamerikanischen Land eine Energiekrise. Die Regierung verkündete am 11. Mai ein
Programm zur Stromrationierung, das am 1. Juni in Kraft trat und den Stromverbrauch um
zwanzig Prozent senken sollte. Es sah für "Großverbraucher" (mehr als 200 kWh monat-
lich) Preisaufschläge um bis zu 200 Prozent vor. Stromsparer sollten dagegen einen Bonus
erhalten.365 In allen Medien wurde außerdem laufend berichtet, Aufrufe aller politischen
und gesellschaftlichen Gruppen forderten zum Sparen auf. Es wurde Ehrensache, Strom zu
sparen, auch wenn es unangenehm war. Büros ohne Klimaanlagen, lauwarme Getränke,
reduzierte Straßenbeleuchtung waren die Folge366. Nach einer konzertierten Aktion wur-
den tatsächlich über Monate hinweg über 20 % Energie gespart367. Der Beweis für eine ak-
tive und aktivierbare Bürgergesellschaft war erbracht.

Ein anderes signifikantes Ergebnis von aktivem Bürgerwillen im ökologischen Sektor ist der
Umgang mit Abfall in Deutschland, insbesondere die inzwischen kulturell verankerte geordne-
te Entsorgung.
Der Staat als Garant für nachhaltige Wasserwirtschaft (Interpretation und Weiterent-
wicklung von „Good Governance“)
Angesichts der faktischen Irreversibilität vieler Vorgänge im Wassersektor muss das Ziel der
Nachhaltigkeit mit ausreichenden Sicherheiten verfolgt werden, es besteht kaum Spielraum für
Experimente. Im Sinne des Gemeinwohls muss der Begriff der ‚Good Governance’ in einer
umfassenden Definition unter Einbeziehung des Ansatzes von MKANDAWIRE341 auch die
sozialen und wirtschaftlichen Aspekte vor dem Hintergrund der Leistungsfähigkeit des Staates
beinhalten. Im Zentrum muss eine modifizierte starke Nachhaltigkeit stehen, die neben ökolo-
gischen auch die sozialen Belange schützt. Es gibt also zu einer die Tripel-Belange beachten-
den Entwicklung im Wassersektor keine Alternative. Der Staat muss dabei eine Garantenstel-
lung einnehmen, weil diese Gegenwarts- und Zukunftssicherung Inhalt des Staatsgedankens an
sich ist und auch keine Institution erkennbar ist, die dies alternativ garantieren könnte.
Diese Aussage wird hier ausdrücklich auf den Wassersektor als fundamentale Sicherung der
Lebensgrundlagen bezogen und begründet keinen Staatsgedanken, der sich für alles zuständig
hält. Selbst im Wasserbereich ist diese Garantenstellung nur bedingt mit einem eingreifenden
Staat gleichzusetzen. Es ist klar, dass das Gemeinwohl in einer ausgeprägten Bürgergesell-
schaft auch von dritter Seite mitvertreten wird. Das können bei enger Auffassung des Staats-
begriffes die kommunalen Körperschaften sein (die allerdings im Begriff good governance

364
Bandemer 2004, Der aktivierende Staat, Internet, www.iatge.de
365
FAZ, 28.5.01; Handelsblatt, 16.5.01
366
eigene Beobachtung, einschließlich einer Grundakzeptanz der Menschen, sich in dieser Krisensituati-
on solidarisch zu verhalten
367
CARDOSO, Präsident von Brasilien, zitiert von Brückner 2001 Dem Riesen geht das Licht aus –
Energiekrise und Rezession in Brasilien, Deutschlandfunk 4.11.2001
146 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

beinhaltet sind), eventuell auch NGOs. Umgekehrt ist in Zukunft auch eine mehr transnationa-
le Rolle der Staaten durch Organisationen wie die EU oder die UN denkbar.
Ob wirtschaftliche Kräfte alleine diesem Anspruch so umfassend genügen können, ist indessen
zu bezweifeln (vgl. Kap. 2.3). Die Differenzen liegen in der Frage, ob betriebswirtschaftliches
Wohlergehen unter möglichst freien Marktbedingungen auch immer das größte volkswirt-
schaftliche Wohlergehen im Sinne des Allgemeinwohls erzeugt. Wenn dies nach ULRICH368
bereits im Allgemeinen anzuzweifeln ist, gilt dies im Wassersektor umso mehr. Dort ist der
Zeitbegriff von entscheidender Bedeutung, es ist eine sehr langfristige Strategie von Nöten, die
so keinem freien Unternehmer abzuverlangen ist.
Ansatz 18: Der Staat hat im Wassersektor eine Garantenstellung für nachhaltige
Entwicklungen. Er muss diese operativ wahrnehmen, solange nicht Dritte dies mit
ausreichender Sicherheit tun können (bedingte Garantenstellung).
Unabhängig von grundsätzlichen, weit in die Theorie des Staates einwirkenden Fragen gilt es,
speziell für den Wasserbereich praxisnahe Anforderungen an good governance zu formulieren:
Ein kleinster gemeinsamer Nenner der aktuellen Diskussion um good governance ist, dass der
Staat für die gesetzlichen Rahmenbedingungen des öffentlichen Interesses im Allgemeinen und
für eine funktionierende Ordnung des Umwelt- und Wassersektors im Besonderen sorgen
muss (enabling).
Mit dem klassischen („hierarchischen“) Ordnungsrecht beeinflusst der Staat allerdings neben
den staatlichen (volkswirtschaftlichen) auch die betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen
und damit Effizienz und Prosperität. Es entsteht ein Nachhaltigkeitsparadoxon, in dem kurz-
fristige Prosperität gegen langfristige Nachhaltigkeit steht. In einer ganzheitlich ausgerichteten
Volkswirtschaft werden nachhaltige Handlungsweisen gefördert, auch wenn sie vordergründig
zunächst gegen rein wirtschaftliche Ziele zu verstoßen scheinen. Damit wird jedoch die lang-
fristige Prosperität des Landes gesichert.
Ein Beispiel sind die Umweltauflagen für Industrie und Gewerbe. Je strenger die Anforderun-
gen an die Einleitung von Abwasser sind, desto höher werden zunächst die Produktionskosten.
Ein unmittelbarer Spareffekt tritt ein, wenn das Wasser zum Beispiel für die Trinkwasserge-
winnung gebraucht wird. Als mittelbares Ergebnis werden so langfristig Ressourcen erhalten.
Für den einzelnen Betrieb sieht die Bilanz allerdings oft über Jahre hinaus negativ aus, es sein

368
Ulrich 2004, S. 11: „Das Rezept [ist:] mehr Markt ist für alle gut! Am besten würde man aus dieser
ökonomistischen Perspektive die ganze Gesellschaftsordnung dem Marktprinzip unterwerfen, also die
totale Marktgesellschaft schaffen, dann gibt es definitionsgemäß nur Gewinner, keine Verlierer. Kein
geringerer als der schwedische Entwicklungsökonom und Nobelpreisträger GUNNAR MYRDAL hat
dies schon vor mehr als 70 Jahren treffend die kommunistische Fiktion des Wirtschaftsliberalismus
genannt. Es ist die (Gemeinwohl-) Fiktion einer einheitlichen volks- oder gar weltwirtschaftlichen
Zwecksetzung, als ob die Gesellschaft wie ein Mann (nämlich ein Homo economicus) handeln wür-
de. Heute tritt diese Fiktion vor allem im Gewand der von fast allen realpolitischen Parteien geteilten
Ansicht auf, Wirtschaftswachstum sei das entscheidende Rezept zur Lösung der meisten gesellschaft-
lichen (und sozialstaatlichen) Probleme. Noch immer, ja vielleicht heute mehr denn je, prallen die
Bemühungen einer (nachholenden) wirtschaftsethischen Aufklärung an dieser Metaphysik des Mark-
tes bei deren gläubigen Fundamentalisten wirkungslos ab – zu blind macht solche Metaphysik für die
sozioökonomische Lebenswirklichkeit und zu mächtig sind offenbar die Interessen, deren scheinbarer
Rechtfertigung die Ideologie des „freien“ Marktes dient. Ein Hinweis auf das davon weitgehend ge-
prägte, entwicklungspolitisch höchst fragwürdige Wirken von Institutionen wie dem Internationalen
Währungsfond (IWF) soll hier genügen (STIGLITZ 2002).“
3.3 Management 147

denn, dass er nicht selber zum Beispiel von einer Kreislaufführung profitiert (Nachhaltigkeits-
paradoxon). Der Staat sorgt also dafür, dass im Sinne des Gefangenendilemmas (Tafel 7, Seite
56) jedem Akteur die 10/10 Lösung garantiert wird, also die entsprechende Gesamtwertschöp-
fung erreicht wird. Die freien Marktkräfte führen dagegen automatisch zur „8/8“-Lösung.
Diese Nachhaltigkeitspolitik ist nicht nur akademisch nachvollziehbar. Die veränderte subjek-
tive Haltung der Bevölkerung zur katastrophalen Verschmutzung des Rheins, vor allem nach
dem SANDOZ-Unfall 1986, führte zur plakativen politischen Forderung, dass eines Tages
wieder Lachse im Rhein schwimmen sollen. Obwohl die darauf folgenden Gewässerschutz-
maßnahmen im Rheineinzugsgebiet Milliarden von Euro kosteten, wird heute in den Anlieger-
staaten kaum jemand ernsthaft in Frage stellen, ob das der richtige Weg war.
Es gab also ein klares gesellschaftliches Votum in Richtung Nachhaltigkeit und eine klare, sehr
aktive und sehr erfolgreiche politische Antwort. Insofern kann man dieses Ergebnis im Grunde
auch als frühes Ergebnis eines „verhandelnden Staates“ interpretieren, bei dem letztlich Bür-
gerwille zu einer gesellschaftlichen (nachhaltigen) Zielstellung geworden ist.
Obwohl sich unter den geltenden Regelungen inzwischen viele kostengünstige Umwelttechno-
logien entwickelt haben (z. B. verschiedene Typen von Kreislaufführung, Prozesse, usw., vgl.
Kap 3.2), macht – und da setzt sich das aktuelle Dilemma fort – dieser „national verhandelte“
hohe Umweltstandard Deutschland heute sehr viel sensibler gegen Umweltdumping im globa-
len Wettbewerb. Die daraus entstehenden Marktnachteile schlagen in einem globalisierten
Markt ohne nennenswerte Handelsbeschränkungen auch durch. Damit setzt sich das betriebs-
wirtschaftliche Nachhaltigkeitsparadoxon auf Staatenebene fort. Der Wille, an einer internati-
onalen Nachhaltigkeitsstrategie mitzuwirken, ist sowohl in den Industriestaaten als auch in den
Staaten in Entwicklung nicht überall gleich ausgeprägt. Zunehmend argumentiert die „dritte
Welt“ moralisch mit einem Recht der Entwicklungsländer, analog unserem Wirtschaftswachs-
tum in den 50-er Jahren neuen Wohlstand zumindest vorübergehend durch Verschmutzung
erkaufen zu dürfen369. Dies ist fatal, weil sich Umweltschäden, erst einmal eingetreten, wenn
überhaupt, nur für ein mehrfaches des Geldes reparieren lassen, die ein Vermeiden der Schä-
den gekostet hätte. Diese Haltung widerspricht also den Nachhaltigkeitsprinzipien und der
Effizienz. Auf Konfliktlagen wie diesen basiert aber auch RADERMACHERS These von
einer drohenden Ökodiktatur370. Diese Konflikte werden sich erst auflösen, wenn sich die
Welthaltung zur Ökologie ändert. In Zeiten der fortschreitenden globalen Degradation wird die
Umweltqualität zunehmend zum Standortfaktor und Know-how in der Umwelttechnologie
zum globalen Wirtschaftsgut. In China hat dieser Prozess bereits begonnen und viele Firmen
weltweit halten den Umweltsektor letztlich für einen Wachstumsmarkt.
Trotz dieser durch globale Krisen verschärften Konflikte kann formuliert werden:
Ansatz 19: Good Governance im Wassersektor bedeutet die nachhaltige, umfassende
und langfristige Sicherung des Wasserschatzes. Effizienz und langfristig volkswirt-
schaftlicher Nutzen sind dabei Leitlinien, ebenso wie das Bewusstsein, dass ökologi-
sche und sozial-kulturelle Güter und Werte Teil des „Vermögens“ einer Gesellschaft
sind.

369
Quelle: unter anderem ein Gespräch mit Hama Arba Diallo, dem Leiter der UNCCD, 2001 in Amberg
370
So wird allen Ernstes von vielen zum Teil namhaften Brasilianern befürchtet, dass die Amazonas-
Region von Industrienationen militärisch besetzt wird, um die Reinigungsleistung des Regenwaldes
für nördliche Abgase zu erhalten. Umgekehrt wird tatsächlich finanzielle Hilfe zum Erhalt des Re-
genwaldes erwartet, der doch schließlich der ganzen Welt nutzte.
148 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

Die Diskussion, wie dies zu erreichen ist, dauert an. Verschiedene Staatsmodelle konkurrieren
miteinander. Es lassen sich aber Strömungen erkennen:
1. Das rein hierarchische Staatsbild ist auf dem Rückmarsch, der verhandelnde Staat und
andere die Zivilgesellschaft fordernde Alternativmodelle entsprechen eher dem modernen
Staat.
2. Das Nachhaltigkeitsparadoxon verlangt vorübergehende Einschränkungen zugunsten einer
langfristigen Prosperität.
3. Eine echte Nachhaltigkeit muss Ziel staatlichen Handelns sein. Die Definition und Durch-
setzbarkeit sind schwierig.
4. Es gibt ein Dilemma zwischen staatlicher Regelungsnotwendigkeit für langfristige Nach-
haltigkeit und Effizienz durch freie wirtschaftliche Entfaltung.
Eng an der Realität und Praxis orientiert ist hinzuzufügen:
5. Verschwendung durch mangelnde volkswirtschaftliche Effizienz einschließlich des Prob-
lems der Korruption ist die größte Herausforderung.
6. Good Governance wird immer auch auf den jeweiligen regionalen sozialen, wirtschaftli-
chen und ökologischen Bedingungen und Herausforderungen basieren müssen.
Bezüglich des Wassersektors gilt unter der Maßgabe der Garantenstellung zunächst eine ge-
wisse Wahrscheinlichkeit, dass der ‚hierarchische Ansatz’ zumindest während einer längeren
Übergangszeit tatsächlich den größten Anteil an Lösungsansätzen birgt, insbesondere was die
globale Umsetzung anbelangt. Die Hoffnung der ökonomischen Selbststeuerung (vgl. Club of
Rome, RADERMACHER371) hat sich bislang nicht erfüllt. Der aktivierende Staat ist als An-
satz anerkannt, ist aber kein Konzept, das sich schlagartig, spontan umsetzen ließe sondern
vielmehr ein langsamer Entwicklungsprozess.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass good governance auf einem starken, auf Nachhaltig-
keit ausgerichteten, „aktivierenden“ Staatswesen basiert. Dies besteht aus einem Staat, der eine
Garantenstellung für nachhaltige Politik einnimmt und einer auf den Prinzipien der Partizipati-
on basierenden, i. S. der Nachhaltigkeit verantwortungsvoll agierenden Bürgergesellschaft im
Gegensatz zur auf Individualinteressen (Egoismen) ausgerichteten Lobbyismusgesellschaft.
Das Bindeglied muss eine erheblich verbesserte Kommunikation i. S. der Information, Trans-
parenz und Verhandlung sowie leistungsfähiger Netzwerke sein.
Weil sich derzeit keine einheitlichen, globalen Standards der ökologischen und sozialen Sekto-
ren durchsetzen lassen, ist der Ansatz des weitgehend „selbststeuernden“ Neoliberalismus
unter Nachhaltigkeitskriterien keine Lösung der globalen Probleme. Damit fände lediglich eine
einseitig wirtschaftlich ausgerichtete Gewinnoptimierung statt.
Ansatz 20: Die Idee von Good Governance basiert auf einem starken, auf Nachhal-
tigkeit ausgerichteten Staat, der „aktivierend“ die Beteiligung einer partizipativ agie-
renden, verantwortungsvollen Bürgergesellschaft nutzt.

Good Governance in Anlehnung an die Papiere der GWP


Die tool-box der GWP nimmt das Thema governance auf und gibt Hinweise zur Umsetzung.

371
Rademacher 2002
3.3 Management 149

Die politische Zielsetzung und direkte wie indirekte Beeinflussung der Aktivitäten der Betei-
ligten wird als Kernkompetenz des Staates gesehen372. Die Ansätze der GWP können aus Sicht
dieser Arbeit nicht kritiklos übernommen werden. Sie decken sich zwar in wichtigen Punkten
mit den in dieser Arbeit verwendeten. Allerdings sieht die GWP die Rolle der Privaten auf der
Ebene der großen internationalen Wasserkonzerne deutlich dominierender als der in dieser
Arbeit vorgeschlagene Ansatz. Ein Vergleich der Fassungen der tool-box von 2002 und von
2005 zeigt aber, dass die GWP wie auch die Weltbank hier in den letzten drei Jahren wesent-
lich differenzierter an die Privatisierung bzw. staatsbasierte Modelle herangehen. Details sind
in Anhang 4 enthalten.
Administrative Umsetzung von staatlichen Aufgaben
Der Wassersektor ist naturgemäß konservativ. Bestimmte Nachhaltigkeitskriterien ändern sich
nicht, viele Aufgaben lassen sich nur durch längere Beobachtung und tiefgreifende Kenntnis
des Systems wirtschaftlich erledigen, z. B. die statistischen Auswertungen von Niederschlägen
und Hochwässern oder die langfristige Veränderung von Grundwasserkörpern. Weiterhin ist in
einigen Bereichen die Erfahrung fundamental, besonders ausgeprägt im Wasserbau. Auch die
Planungshorizonte sind im Wasserbereich eher auf Jahrhunderte als auf Jahrzehnte ausgerich-
tet. Das alles spricht für eine stabile Entwicklung der Administration, die auf fachlicher Kom-
petenz gegründet ist. Gerade weil die schnelllebig-globale Gesellschaft auf den träge reagie-
renden Wasserhaushalt trifft, ist es notwendig, die Ergebnisse dieser schnellen Veränderungen
auf den Wassersektor sicher abschätzen zu können und daraus dem gesellschaftlichen Willen
entsprechende Umsetzungsvorschläge entwickeln zu können („Technikfolgenabschätzung“ +
nachhaltige Umsetzung).
Wie auf S.145 ff ausgeführt hat der Staat im Wassersektor die Garantenstellung. Gleichwohl
wird von vielen eine fundamentale Veränderung des herkömmlichen Staatswesens für möglich
gehalten. So kann die von GLÜCK373 angedachte Vision der Bürgergesellschaft über längere
Zeiträume durchaus zu tief greifenden Änderungen führen. Im Grunde könnte die Bürgerge-
sellschaft eine Spezifizierung und Präzisierung der in der A21 verankerten Partizipation sein.
Aber es ist offen, ob und wie schnell sich die Gesellschaft in diese Richtung entwickelt. Die
politische Willenserklärung ist eine wichtige Voraussetzung dafür, aber noch keine Garantie.
Gleichzeitig ist es sehr wahrscheinlich, dass sich die Gesellschaften im Sog der Globalisierung
weiter entwickeln. Das erfordert kontinuierlichen Innovationswillen und Flexibilität des Staa-
tes und seiner Organe sowie ein Monitoring, das die Erfolge und Misserfolge dieser Änderun-
gen auch erkennbar und damit steuerbar macht.
Ansatz 21: Staat und Gesellschaft sind dynamische Systeme. Daraus folgt an die
staatlichen Strukturen eine Grundanforderung der Flexibilität und Bereitschaft zur
Fortentwicklung. Die Wasseradministration muss in diesem System langfristige Pla-
nungshorizonte vertreten können.
Die Garantenstellung des Staates für das Gemeinwohl auf dem Wassersektor bedingt, dass der
Staat auch Kräfte besitzt, die diesen Anspruch umsetzen können, also eine Verwaltung der
Wasserwirtschaft.
Die GWP definiert deshalb eine sehr starke Rolle der „regulatory bodies and enforcement
agencies“, übersetzt in etwa „Regulierungs- und Aufsichtsbehörden“:

372
GWP 2002, 18ff
373
Glück 2004, S. 1 ff
150 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

„Regulatory and enforcement bodies have an extremely important role in establishing and
ensuring the effective application of tools for building IWRM. Their functions range from the
allocation of water rights, environmental management related to water use, water quality, land
use planning and financial management of water resources management by the state…. Regu-
latory bodies and enforcement agencies may be financed through central government funds, or
by user fees (e.g. pollution charges) or fines for non-compliance. If the latter, the terms need to
be very clear or there is a potential risk of conflict of interest”374.
Die Aufsichts- und Regulierungsfunktion wird im System der GWP eindeutig dem Staat zuge-
ordnet, auch wenn bestimmte Aufgaben an Dritte abgegeben werden können. Damit bleibt
auch nach der Definition der GWP der Staat unmittelbar in der Garantenstellung.
Besonders wichtig ist aber eine gewisse Unabhängigkeit, wie die weitere Definition zeigt:
„Their specific functions are determined by government policy on water resources manage-
ment. They are usually in the government sector but may subcontract specific activities (e.g.
monitoring and testing of samples) to non-governmental organizations including private com-
panies. It is important that they can act without day-to-day political interference”375.
Der Wunsch nach einem von der Tagespolitik unbeeinflussten, unabhängigen Sachwalter des
Wassersektors ist nachvollziehbar, nachdem man sich „sachlich gerechte“ Verwaltungen
wünscht. Dies kommt auch in den Anforderungen der „lessons learned“ an die Personalausstat-
tung zum Ausdruck (die der Begrifflichkeit dem deutschen öffentliche Dienstrecht bemer-
kenswert nahe kommt)376.
• Sufficient staff of adequate capability to enforce regulations (enforcement agencies) and
make appropriate assessments about water management needs (regulatory bodies).
• Staff who are knowledgeable about good management practices and have appropriate
scientific knowledge in water resources management.
Schon vor dem Hintergrund der klimatischen, kulturellen, gesellschaftlichen und historischen
Unterschiede kann es nicht die Empfehlung für die Organisation der Wasserwirtschaft geben
In der Summe der bisherigen Erkenntnisse lassen sich aber im Sinne von good governance
folgende Eckwerte des staatlichen Vollzugs erkennen:
Nach den Nachhaltigkeitsprinzipien soll die normative Bewirtschaftung des Mediums Wasser
wegen der zahllosen Abhängigkeiten zentral integriert erfolgen. Daraus ergibt sich die Forde-
rung nach einer Organisation, die alle Bereiche des Wassersektors gemeinsam verantwortet.

374
GWP 2005, B1.05
375
ebenda
376
„Die Bayerische Verfassung hat sich ebenso wie das Grundgesetz für eine Wiederherstellung des
Berufsbeamtentums unter Berücksichtigung der dafür geltenden hergebrachten Grundsätze entschie-
den. Beide Verfassungen sehen im Berufsbeamtentum eine Institution, die, gegründet auf Sachwis-
sen, fachliche Leistung und loyale Pflichterfüllung, eine stabile Verwaltung sichern und damit einen
ausgleichenden Faktor gegenüber den das Staatsleben gestaltenden politischen Kräften darstellen soll.
Zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums zählt die Anstellung auf Lebenszeit. Sie
soll die Bereitschaft des Beamten zu einer an Gesetz und Recht orientierten Amtsführung fördern und
ihn zu unparteiischem Dienst für die Gesamtheit befähigen. Diese von der Verfassung – unbeschadet
der Gebundenheit an die rechtmäßigen Anordnungen der Vorgesetzten – gewährleistete Unabhängig-
keit soll den Beamten in die Lage versetzen, unsachlicher Beeinflussung zu widerstehen und seiner
Pflicht zur Beratung seiner Vorgesetzten und der politischen Führung unbefangen nachzukommen“
(Entscheidung Vf. 15-VII-01 des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 26. Oktober 2004).
3.3 Management 151

Aufgrund der Komplexität der Aufgabe wird aber in jedem Fall eine enge Verzahnung mit den
lokalen Kräften nötig sein, den Stakeholdern. Daraus ergibt sich eine Organisationsstruktur,
die örtlich präsent sein muss.
Die auftretenden Probleme und Fallkonstellationen sind auch vor dem Hintergrund permanen-
ter Veränderungen auf der Zeitachse (z. B. Klimaänderung, sozial-wirtschaftliche Veränderun-
gen) so variabel, dass sie nicht mit starren Regelungen alleine verwaltet werden können. Die
Administration verlangt also eigene fachliche Expertise, um die Lösungen selber suchen zu
können oder entsprechend an Partner – privatwirtschaftlich oder wissenschaftlich – vergeben
zu können. Gleichzeitig werden an die Flexibilität und die Kreativität der Organisationen des
Wassersektors große Anforderungen gestellt. Globale Wasserwirtschaft muss einer der innova-
tivsten Sektoren sein, wenn eine Chance bestehen soll, die Herausforderungen der MDGs
erfüllen zu können.
Ansatz 22: Zur Durchsetzung der gesellschaftlichen Interessen der Nachhaltigkeit
und der Integralität des Wassersektors sind Administrationen mit eigener fachlicher
Expertise, zentraler Verantwortlichkeit und regionaler Präsenz notwendig.
Eine wichtige Funktion der Fachverwaltungen ist die Schnittstelle zur Politik. Das bezieht
sowohl die Beratung der Entscheidungsgremien ein wie auch die landesweite Umsetzung der
politischen Entscheidungen.
Diese Fachverwaltungen sind auch Partner der Kommunen, der Wirtschaft und der weiteren
Stakeholder und sorgen dafür, dass die gewünschten Nutzungen sowohl für Individuen wie für
Interessengruppen im Sinne des Gemeinwohls (der Nachhaltigkeit) optimierbar sind. Dazu
gehört eine hinreichende, auf einem umfassenden Monitoring basierende Datenlage (Wissen)
(Erhebung von Grunddaten = assessment, in Bayern „Erhebung der Hydrologischen Grundda-
ten“) und die Information der Beteiligten, was gleichzeitig eine Grundlage der Leistungen
einer Bürgergesellschaft ist. Aufgrund dessen ist die Regulierung und Kontrolle als hoheitliche
Bereiche zur Überwachung der Bestimmungen der Wasserpolitik in einer nachhaltigen Art und
Weise gewährleistet.
Staatliche Beratung ist eine der wirksamsten Methoden, eine positive staatliche Entwicklung
zu unterstützen. Durch die flächendeckende Präsenz können so rasch neue Erkenntnisse kom-
muniziert und flächendeckend umgesetzt werden377. Grundsätzlich gehört die Beratung durch
den Staat zum Steuerungsprinzip im Bereich der Freiwilligkeit und ist als solches unverzicht-
bar, unabhängig vom zum Teil sehr hohen Wirkungsgrad, der im individuellen Fall erreicht
werden kann.
Je nach Bedarf können Fachverwaltungen auch unmittelbar operative Aufgaben übernehmen.
Die Weltbank nennt insbesondere den Wasserbau bzw. den Schutz vor Naturgefahren (Hoch-
wasser) als originäre staatliche Aufgabe. Andere Untersektoren wie Wasserver- und Entsor-
gung müssen nicht von staatlicher Seite übernommen werden. Als Beispiel für eine im We-
sentlichen nach diesen Grundsätzen organisierte Wasserwirtschaftsverwaltung ist in Anhang 6
das bayerische Modell geschildert.

377
Vor dem Hintergrund der Sparbemühungen soll sich der Staat in Bayern hier allerdings beschränken.
Nicht mehr „das Wünschenswerte“ sondern nur noch „das unumgänglich Notwendige“ soll Maßstab
staatlichen Handelns sein (Regierungserklärung Ministerpräsident Stoiber 2003). Es ist aber noch
nicht untersucht, wie sich diese Haltung auf die Zielsetzung eines Aktivierenden Staates auswirkt.
152 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

3.3.2.3 Säule II: Die Kommunen


Im Vier Säulen-Ansatz sind die Kommunen das bestimmende, demokratische Element auf der
lokalen Ebene. Als Modell dient hier Bayern, wo die Rolle der Kommunen in der Siedlungs-
wasserwirtschaft sehr ausgeprägt ist: Wasserversorgung und Abwasserentsorgung gehören zu
den kommunalen Pflichtaufgaben378. Die Kommunen können sich zur Erledigung dieser Auf-
gaben Dritter bedienen, letztlich bleibt sie aber deren Pflicht. Der Freistaat Bayern hat außer-
dem durch das Gesetz zur Änderung des kommunalen Wirtschaftsrechts vom 26.7.95
(BayGVBl. S. 376) den Vorrang der öffentlichen Rechtsform abgeschafft und räumt den
Kommunen die freie Wahl der Rechtsform ein. Als Zulässigkeitsvoraussetzung der Privat-
rechtsform gilt, dass:
• im Gesellschaftsvertrag oder in der Satzung sichergestellt ist, dass das Unternehmen den
öffentlichen Zweck erfüllt,
• die Gemeinde angemessenen Einfluss im Aufsichtsrat oder in einem entsprechenden Ü-
berwachungsgremium erhält und
• die Haftung der Gemeinde auf einen bestimmten Betrag begrenzt ist.
Die Umsetzung der kommunalen Pflichtaufgabe erfolgt damit flexibel durch kommunale Ei-
genbetriebe oder durch eigenständige Einheiten wie Stadtwerke, z. T. privatrechtlich organi-
siert, durch Kooperationen oder durch Konzessionierung von privaten Betreibergesellschaften.
Neben den unmittelbaren Kontrollgremien (Gemeinde-, Stadtrat, Werkausschuss usw.) über-
wacht der Staat bzw. der kommunaler Prüfungsverband die Aktivitäten, letztlich ist es aber
immer der Bürger, der durch Abstimmung und Wahl die kommunalen Gremien legitimiert.
Die damit definierte Bedeutung der Kommunen in Bayern entspricht dem Ansatz der A21, die
die Delegation auf die unterste, „bürgernächste“ Entscheidungsebene (vgl. Kap. 28) empfiehlt.
Der UN-Bericht zu den MDGs 2005 übernimmt diese Kenntnis aktuell unter den 10 Aktion-
spunkten „Critical Action“: “Action 5: Governments and donor agencies must empower local
authorities and communities with the authority, resources, and professional capacity required
to manage water supply and sanitation service delivery.” Weiterhin wird dann die Notwendig-
keit der Dezentralisation unter der Bedingung vertieft, dass die lokalen Behörden bzw. Ge-
meinden auch in die Lage versetzt werden, diese Aufgabe leisten zu können. Zusätzlich wer-
den Maßnahmen des capacity-buildings, Partnerschaft mit dem lokalen Gewerbe und Netz-
werke mit NGOs und Bürgergesellschaften (civic organizations) vorgeschlagen.
Auf einen in dieser Hinsicht bestehenden weltweiten Mangel weist McGRANAHAN379 hin:
„Low-income communities face a wide range of practical and political obstacles that widely
touted global agendas, such as Integrated Water Resource Management and private sector
participation, do not address.”380 und weiter: “From the perspective of water and sanitation
targets, the tendency of Integrated Water Resources Management to emphasize conservation
and economic aspects is problematic, since better management of upstream resources rarely

378
nach Art. 83 Abs. 1 Bayerische Verfassung i. V. m. Art. 57 Abs. 2 Bayerischer Gemeindeordnung
379
Direktor der IIED für Human Settlements Programme, (das IIED ist eine unabhängige, Non Profit
Organisation, die Muster für eine nachhaltige weltweite Entwicklung durch gemeinsame Forschung,
Potitikstudien, Netzwerke und Wissensverteilung unterstützt.
[http://www.iied.org/aboutiied/index.html])
380
IIED 2003, S. 48 ff
3.3 Management 153

improves access to adequate provision for currently deprived downstream residents.”381 Wei-
terhin setzt sich das Papier mit der Rolle der Privatwirtschaft in diesen ländlichen Regionen
auseinander und kommt zu dem Schluss, dass es wenig Anhaltspunkte dafür gibt, dass dort ein
Engagement des privaten Sektors die Ziele der MDGs im Siedlungswasserbau erreichen hilft.
Als Alternative sieht die IIED also nur die lokalen Initiativen unter kommunalem Manage-
ment, die „zunehmend Interesse von internationalen NGOs, Geberinstitutionen und, mit Ein-
schränkungen, von internationalen Wassermultis fänden“, die nach kostengünstigen Strategien
für flächendeckende Versorgung suchen würden382. Dazu nennt der Bericht Beispiele aus Pa-
kistan, Bangladesh, Indien und Angola:
„It is tempting to present community-managed water and sanitation as the locally driven alterna-
tive to the dominant international policy agendas of recent years. Community management does
typically imply that users participate in the management of their water and sanitation resources
and facilities, and some advocates of community participation are very critical of private sector
participation as well as the “top-down” water and sanitation planning associated with public
utilities. However, many of the most innovative and successful examples of community-managed
water and sanitation saw themselves not as replacing public or private provision but as showing
new ways in which public or private provision could reach poorer groups383.“ Im Grunde deckt
sich diese Ansicht mit den bayerischen Erfahrungen des Services in ländlichen Regionen, auch
wenn dort natürlich nicht der Armutsaspekt im Vordergrund steht.
Auch in urbanen Bereichen ist die Beteiligung der kommunalen Kompetenz im Wassersektor
unverzichtbar, unabhängig davon, ob die Städte die Aufgabe Wasserservice selber wahrneh-
men oder staatliche oder private Unternehmen dies leisten. Der Erfolg kommunaler Modelle
hat mehrere Gründe. Die Kommunen
• sind die Basis des demokratischen Staatsaufbaus.
• haben wichtige Aufgaben im Bereich der Daseinsfürsorge; vielfach ist Wasser kommunale
Pflichtaufgabe. Weiterhin sind in vielen Kommunen der Welt die Wasservorräte die einzi-
gen nennenswerten und gleichzeitig wertvollsten Bodenschätze.
• sind häufig für die sonstige Infrastruktur, insbesondere für Baurecht und Verkehrserschlie-
ßung, zuständig. Sie besetzen damit wichtigste kostenrelevante Entscheidungspositionen.
• sind nach den Familien und mit den Nachbarschaften ein Garant für soziale Belange. Was-
ser ist, wie kaum ein anderes öffentliches Gut, von hoher sozialer Bedeutung – gerade die
Versorgung der ärmeren Bevölkerungsschichten muss, wie in den MDGs verankert, ein
Hauptanliegen der Gemeinschaft sein.
• sind i. d. R. für die „Raumordnung“ (in Deutschland im Rahmen der Bauleitplanung, d. h.
der Flächennutzungspläne und der Bebauungspläne) in ihrem Zuständigkeitsgebiet verant-
wortlich und haben damit Einfluss auf die kostenrelevante Bautätigkeit), insbesondere
durch Steuerung der teuren Infrastruktur von Wasser bis Elektrizität und Schulen, durch
Berücksichtigung von Schutz- und Gefahrenzonen wie Natur- und Wasserschutzgebieten
sowie hochwasser- und erosionsgefährdeten Gebieten. Hier sind die ärmeren Bevölke-
rungsschichten oft die Opfer und Täter, wenn man die Situation in vielen Slums betrachtet,

381
Diese Kritik am normativen Charakter des IWRM ist nicht nur in Bezug auf die ländlichen Gemein-
den berechtigt. Dahinter steht, dass die deklaratorische Integralität für sich alleine noch keine Verbes-
serung produziert, viele Probleme haben auch gar nichts mit Integralität zu tun.
382
ebenda, S. 52
383
ebenda, S. 53
154 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

die in entsprechenden Risikozonen errichtet sind. Besonders die meisten montanen Regio-
nen sind aufgrund der knappen Siedlungsfläche von diesen Problemen betroffen.
Vieles spricht dafür, dass Wasser (wie Luft) unveräußerbares Eigentum der Öffentlichkeit sein
sollte und die kommunale Ver- und Entsorgung unveräußerbare Pflicht der Gemeinde (die sich
dazu allerdings weitgehende Unterstützung holen darf). Entscheidungen über Struktur, Tarife
usw. sollten in den Kommunen gefällt werden können und damit mit den gesellschaftlichen
Belangen harmonisiert werden. Diesem Gedanken entsprechen zum Beispiel sowohl die Rolle
der Kommunen in Deutschland als auch das französische Modell.
Ansatz 23: Die bedeutende Verantwortung der Kommunen für das Wasser bedeutet:
„Der Brunnen bleibt im Dorf“.
Die Gründe, die für solche Bedingungen sprechen, liegen nicht nur in verfassungsrechtlichen,
menschenrechtlichen Annahmen (Wasser ist Allgemeingut), sondern auch in der Forderung
nach größtmöglicher Effizienz gemeinschaftlichen Handelns. Dabei ist zu beachten, dass kom-
munale Lösungen in rein betriebswirtschaftlicher Hinsicht den privaten Modellen prinzipiell
gleichwertig sind384. Eine Effizienzsteigerung ist dann wahrscheinlich, wenn die Optimierung
des Betriebes auf volkswirtschaftliche Kriterien ausgerichtet wird. Ein weiterer Mehrwert lässt
sich durch den Ansatz der Partizipation erreichen, der auf kommunaler Ebene besonders güns-
tig umzusetzen ist.
Weltweit existieren kommunale Modelle in verschiedenen Nuancen. Die Wasserinfrastruktur
ist zum Beispiel in Deutschland, Frankreich und USA kommunale Pflichtaufgabe, die auf
verschiedene Weise erledigt werden kann, vom kommunalen Eigenbetrieb bis zu Konzession
oder Teilprivatisierung. Beispiele für gut funktionierende Betriebe gibt es in jedem Privatisie-
rungsgrad von 0 %, also vom rein staatlichen bzw. kommunalen System über beliebig aus-
weitbare private Beteiligung bis zu annähernd 100 %385, wie beim britischen Modell, bei dem
im Prinzip auch noch die staatliche Überwachung privatisiert ist. Wichtig ist aber, dass zu
jeder Lösung ein entsprechender ordnungsrechtlicher Rahmen gehört. (Vergleiche dazu Abbil-
dung 2-13, Seite 62, in der dieser Zusammenhang ausgehend vom kommunalen Eigenbetrieb
bei zunehmendem Privatisierungsgrad dargestellt wird).
In der tool-box der GWP wird den kommunalen Strukturen, im Gegensatz zum in dieser Arbeit
vertretenen Ansatz, keine besondere Rolle zugesprochen386.
In B1.07 wird der große Anteil der öffentlichen Einrichtungen im Siedlungswasserbau und der
Bewässerung einschließlich der verbreiteten Probleme bezüglich Effizienz angesprochen.
GWP geht davon aus, dass durch Reformen eine den Privaten vergleichbare Effizienz erreicht
werden kann („Reform can yield efficiency gains of the sort normally associated with the pri-
vate sector”).
Außerdem werden für öffentliche Infrastrukturen an sich Empfehlungen gegeben:
„There are some common elements for reform (improved efficiency) for service providers
which include:

384
Zur kommunalen/privaten Konkurrenz vgl. die Seiten der Gruppe: www.kommunaler-wettbewerb.de
385
IWA, Berlin 8. bis 9. April 2003
386
ebenda, Strengthening public sector water utilities (Die Texte in der Ausgabe 2005 sind bis auf re-
daktionelle Änderungen identisch, d.h. die Weiterentwicklung der Philosophie bezüglich der „public
services“ hat sich nur in Kap. B1.07 manifestiert)
3.3 Management 155

• A clear and effective regulatory framework (both financial and service delivery)
• Greater autonomy from government and day-to-day interference
• Commitment to effectively monitored performance targets, (e.g. new connections, leakage
reduction, reliability, bill collection rates, financial break-even, etc.)
• Tariff reform to improve cost recovery
• Motivation and training of staff, oriented to customer needs
• Sub-contracting services to the private sector, where this is feasible and efficient
• Restructuring the organization to reflect new goals and orientation.“
Die Empfehlungen sind zu unterstützen und entsprechen den Erfahrungen. Was in den weite-
ren Ausführungen der GWP zwar angesprochen wird, aber als Instrument in den anderen Ka-
piteln zu kurz kommt, ist die starke gemeinschaftliche, partizipative und kulturell-soziale Kraft
der Kommunen.
„In the context of IWRM, local authorities affect the aquatic ecosystems through their energy
supplies, land uses (including zoning and impermeable areas), point and non-point pollution,
construction practices, public education, solid waste and urban drainage practices, among
other areas.”…„The role of local authorities and governments in supporting IWRM is particu-
larly strong where there are moves towards decentralization and democratization of planning
and resource management. Local governments offer a strong forum for local participation,
particularly through internationally recognised programs, such as Local A21 planning, and
can be instrumental in providing information and supporting dialogue among stakeholders
and policy makers.”387
Kommunale Verantwortung und Verbünde als Modellsystem
Der Rahmen für eine leistungsfähige Infrastruktur ergibt sich aus der Auswertung der o. g.
Diskussion. Als Startwert kann folgendes Basismodell (Tafel 11) verwendet werden:

387
GWP 2005, B1.10
156 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

Staat Großstruktur
Talsperren
Grundwasserschutz

Zweckverband Fernleitungen,
Zuleitungen,
Große gemeinsame
Schutzgebiete
Verbandskläranlagen
Kommune Eigenversorgung
Verteilung, Sammlung
Kläranlagen

Privat Hausanschlüsse,
Ggf. Kleinkläranlagen

Tafel 11: Vorschlag für ein Grundmodell der Zuständigkeit für die Wasserinfrastruktur

1. Die Kommune ist Hauptverantwortlicher für Wasserver- und Entsorgung. Das beinhaltet
insbesondere die Wasserverteilung, aber auch die Tarifierung.
2. Soweit überlokale Verbünde nötig sind, können diese durch die betroffenen Gebietskörper-
schaften gebildet werden. Das bedeutet: „Beileitungen“ und gemeinsame Anlagen (Aufbe-
reitung, Speicherung, Pumpen, Abwasserreinigung) werden gemeinsam betrieben).
3. Die Verbesserung des überregionalen Dargebots sollte Staatsaufgabe im Rahmen des Res-
sourcenmanagements sein (z. B. durch Beileitungen oder Trinkwassertalsperren).
Offen ist, in welcher Form die Kommunen diese Aufgaben am besten wahrnehmen. Mit meh-
reren Tausend eigenständigen Wasserversorgern ist Bayern, ähnlich Thüringen, ein für europä-
ische Verhältnisse extremes Beispiel kleinräumiger Strukturen, die aber weltweit durchaus als
typisch gelten können. Einerseits ist durch diese kleinräumige Gliederung dem Gedanken der
Subsidiarität in hoher Weise Rechnung getragen, andererseits kommen besonders die ganz
kleinen Betriebe an Grenzen der technischen und finanziellen Leistungsfähigkeit. Dies bildet
sich in Bayern beispielsweise bei der Eigenüberwachungsverordnung ab, in der an kleine Be-
triebe schon per Verordnung deutlich geringere Anforderungen gestellt werden. (doch auch die
werden nicht immer erfüllt).
Das Gegenteil ist die strukturelle Entwicklung zum Beispiel in den Niederlanden, in denen
durch Zusammenlegung der kommunalen Betriebe die Zahl landesweit auf ein Dutzend Groß-
versorger geschrumpft ist. Es gibt tatsächlich Aufgaben, die nur in größeren Verbünden sinn-
voll geleistet werden können. Darunter fällt die Wasserbeschaffung durch Talsperren, Fern-
und Überleitungen, aber unter Umständen auch tägliche Aufgaben wie Wartung und Monito-
ring. Deshalb ist zu empfehlen, dass sich besonders kleine Gemeinden zur Erledigung dieser
Aufgaben zu Verbänden und kommunalen Gebietskörperschaften zusammenschließen (siehe
Abb.3-11), die groß genug sein müssen, um die anfallenden Aufgaben effizient zu bewältigen,
3.3 Management 157

und so nah an der kommunalen Verantwortung, wie dies zur Wahrung des Gemeinwohls ideal
ist.
Dort, wo größere Ausgleichsaufgaben zu lösen sind, ist ein stärkeres finanzielles oder auch
operatives Engagement des Staates sinnvoll, ev. im Rahmen von kommunalen Verbänden.
Ansatz 24: Verbände und Nachbarschaftshilfe machen subsidiäre, kommunale Sys-
teme effizient, ohne den partizipativen Einfluss der Bürgergesellschaft zu beschnei-
den.
Die Vorteile von Verbänden liegen auf der Hand, z. B. bei der Wasserversorgung:
• gemeinsame Nutzung und Schutz der vorhandenen Wasserressourcen; gemeindegebiets-
übergreifende Schutzmaßnahmen sind leichter durchsetzbar.
• Sicherheit durch (Ring)-verbünde, d. h. mehrere Standbeine für die Versorgung mit Roh-
wasser, erhöhtes Speichervermögen für Spitzenbedarf (Brand), evtl. Ringschlüsse für Lei-
tungsredundanzen z. B. im Reparaturfall,
• günstigerer struktureller Aufbau (Ortsteile können an den jeweils günstigsten Übergabe-
punkten anschließen, das Netz kann auf diese Synergien ausgerichtet werden.);
• Möglichkeit, aufgrund der besseren Auslastung qualifizierteres Personal in ausreichendem
Umfang einzustellen.
• Maßgeschneiderte Tarifsysteme innerhalb des Verbandsgebiets
• Synergien bei Rechnungswesen, Betrieb usw., leichtere Überwachung, Qualitätskontrolle
(u. a. wegen Fragen der Zulassung bzw. Akkreditierung)
• Erhaltung aller Vorteile der kommunalen Lösung trotz größerer Unternehmen (Die Bürger
behalten den (emotionalen) Bezug zu ihrer Infrastruktur.).

Organisationsformen der Wasserunternehmen,


Optimierung von Effizienz und Partizipation
Stadt,
Delegierte Mitsprache Betreiber BOT, BOO
Gemeinde

Stadt, Betriebsführungs-
Abstimmung
Gemeinde modelle

Stadt, Aufsichts- Kooperationsmodelle


Gemeinde gremium Zweckverband

Stadt, Eigengesellschaft
Gemeinde Eigenbetrieb

Stadt, Kommunaler
Gemeinde Regiebetrieb

Abb. 3-11: Empfohlene Organisationsmodelle der Siedlungswasserwirtschaft. Die grünen Varianten


entsprechen am ehesten den Ergebnissen dieser Arbeit
158 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

Bei der Abwasserentsorgung kommt den angepassten Lösungen, die aus vermischten Syste-
men bestehen können (Kleinkläranlagen, Gruppenkläranlagen, Gemeinde- bis Verbandslö-
sung) eine größere Bedeutung zu. Überregionale Verbünde kann es bei großen Bewässerungen
geben. (ein Beispiel ist die Drainierung der Bewässerungen im Aralseegebiet). Der übliche Fall
sind regionale Verbünde, mit folgenden Vorteilen:
• qualifizierte Überwachung und Beratung, auch bei kleinen Anlagen
• Synergien bei Unterhaltung und Betrieb
• Großkläranlagen erreichen üblicherweise bessere Reinigungsleistungen, vor allem bei lokal
einseitigem Abwassertyp (Industrie) hilft die bessere Mischung der Abwässer
• leichtere Durchsetzbarkeit in größere Sanierungsgebiete, um z. B. die Trinkwassergewin-
nung oder Seen vor Schadstoffeinträgen zu schützen (vergleiche den Fall Toritama, An-
hang 11).
Das Prinzip der Verbünde bzw. der Verbände lässt sich auch besonders gut für schwierigere
typische Problemlagen (siehe nächstes Kapitel) anwenden.
Die GWP beschreibt ebenfalls Partnerschaften. Die dort beschriebenen tools sind aber relativ
unverbindlich auf fundamentale Entwicklungszusammenarbeit bezogen388.
Strukturdiskussion der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung
Gegen die Verbünde auf kommunaler Basis kann es auch Einwände und öffentliche Kritik
geben. Werden die Strukturen größer, entstehen möglicherweise Probleme, die sich einem
Verstoß gegen das Regionalitätsprinzip (vgl. 3.3.4.1) zuordnen lassen. Größe ist aber ein rela-
tiver Begriff. Oft fühlt sich schon ein Ortsteil mit wenigen Einwohnern vom Hauptort oder der
Mehrheit der eigenen Gemeinde vereinnahmt. Psychologie, aber oft auch nur vordergründige
finanzielle Motive machen ein Ausscheren aus der Solidargemeinschaft attraktiv.

Ein sehr typisches Beispiel ist die Wasserversorgung. Nur wenn möglichst viele Bürger
anschließen, werden die strukturellen Fixkosten soweit verteilt, dass die Preise annehmbar
bleiben. Wenn einzelne (insbesondere größere) Verbraucher aus diesem Verbund aussche-
ren, weil sie zufälligerweise über eigene Quellen verfügen, trägt das zur Belastung der an-
deren bei. Oft richten solche Privatversorgungen überdies noch Umweltschäden an, wenn
Brunnen in tieferen Bodenschichten den Grundwasserstand absenken und es dadurch zu
Schadstoffdurchbrüchen (unzureichende Stockwerkstrennung) oder zu Meerwasserzutrit-
ten kommt, um zwei typische Fälle aus Europa und Lateinamerika zu zitieren.

Infrastruktur ist nicht nur ein Beitrag zum Gemeinwohl, sondern lebt auch (finanziell und
ideell) von der Solidargemeinschaft. Dieser Anspruch des Gemeinwohls muss immer wieder

388
GWP 2005, B1.11 „Building Partnerships“: Dort geht es mehr um Allianzen und Selbsthilfe als um
Zusammenarbeit. „A partnership is often characterized as a working relationship between stake-
holders with mutual and equal participation, joint interest and shared responsibilities. Processes in a
partnership are typically transparent and based on an open dialogue.” Dennoch sind die dort ge-
machten Schlüsse auch auf kommunale Verbände übertragbar, z. B. aus:„Lessons learned, Learning
and Capacity building: A tool is only of value in the hands of a craftsman. In West Africa facilitators
from Benin were trained on the job in Benin and Burkina Faso. After this they continued using the
tool almost independently (with only some advice through e-mail) in a different sector (social for-
estry). Transfer of this capacity leads to creating a community of facilitators, that can develop the
methods used. The trainees should have some experience in working with groups, as trainer, teacher
or manager.”
3.3 Management 159

verteidigt werden. Dies führt zum Ansatz des Solidaritätsprinzips, das fast zu den Nachhaltig-
keitsprinzipien gezählt werden muss und das sowohl zur wasserrechtlichen Genehmigungs-
pflicht wie auch zum Anschluss – und Benutzungszwang führt.
Oft sind die Auseinandersetzungen aber tiefer begründet und prinzipiell berechtigt, zum Bei-
spiel bei der Diskussion zentraler oder dezentraler Lösungen oder der emotional schwierigen
Auseinandersetzung um die zentralen Versorgungen der großen Wasserkonzerne (vgl. auch
Kap. 2.3.3).
In Bayern gibt es bis heute eine aus technischer Sicht kaum nachvollziehbare, immer wieder
erneuerte kontroverse Diskussion um die sogenannte Fernwasserversorgung. Die immer wie-
der diskutierten Kritikpunkte an diesem System beziehen sich zum Teil auf sachliche Argu-
mente, zum Teil auf emotionale:
• So wird manchmal die Qualität des Fernwassers als schlechter empfunden, weil der Härte-
grad nicht mit dem gewohnten Wasser übereinstimmt. (Versorgungsprobleme durch objek-
tiv schlechte Werte des lokalen Trinkwassers werden dagegen verdrängt.)
• Es wird ein Ausweichen vor Problemen der Verschmutzung durch die Landwirtschaft und
• eine Aufgabe der kommunale Selbstständigkeit und Eigenbestimmung befürchtet.
• In aller Regel ist das eigene Wasser viel billiger als beigeleitetes.
Dennoch sind Beileitungen und Verbünde unter bestimmten Konstellationen praktisch ohne
Alternativen:
• Naturräumliche Argumente: Verbünde und Beileitungen sind in Wassermangelgebieten
regelmäßig eine Voraussetzung für die Siedlungsentwicklung. Natürlich muss dies jeweils un-
ter Nachhaltigkeitsaspekten genau geprüft werden. Selbst im wasserreichen Südbayern
kommt eine Millionenstadt wie München nicht ohne die Beileitungen aus Mangfall und Loi-
sachtal aus, vor allem, wenn aus Qualitätsgründen auf Grundwasserressourcen zugegriffen
werden soll. Ähnlich ist es mit der Versorgung von Nordbayern: Die Wasserwirtschaftsver-
waltung hat einen Fehlbedarf durch die sauberen Bilanzierungen sehr frühzeitig (in den frü-
hen 60-er Jahren) erkannt und über Jahrzehnte mit den zur Verfügung stehenden Mitteln ein
sogenanntes Ausgleichs- und Verbundsystem aufgebaut 389. Ohne dieses System wäre es in
weiten Bereichen schon vor Jahren zu wirtschaftlichen Engpässen gekommen. Unter dem As-
pekt der Nachhaltigkeit sind solche Lösungen folglich prinzipiell zulässig – mindestens als
Teil der ökonomisch-sozialen Nachhaltigkeit – müssen aber natürlich in entsprechenden Pro-
zessen auf die Gesamtnachhaltigkeit überprüft werden. Dazu dienen die üblichen Instrumente
wie UVP. Das Regionalitätsprinzip wurde und wird in Bayern dadurch beachtet, dass trotz der
Wasserbeileitung alle lokalen Wasservorkommen nach Möglichkeit weiter genutzt werden.
Tatsächlich liegt der Anteil der Nutzung lokaler Wasserschätze im Schnitt bei über 2/3 des
Verbrauches. Fernwasser wird überwiegend in wasserknappen Zeiten (Hochsommer) zur Ent-
lastung ansonsten übernutzter Grundwasservorkommen eingesetzt. Damit ist dieses System
auch im Sinne strenger Maßstäbe als nachhaltig einzustufen.
• Qualitätsargumente: Jedes Land hat bestimmte Mindeststandards der Trinkwasserquali-
tät. Oft reicht das Dargebot in qualitativ einwandfreiem Zustand nicht aus. Bei anthropoge-
nen Belastungen ist eine Beileitung im Grunde nur vertretbar, um die Zeit bis zur Sanie-
rung des Rohwassers zu überbrücken, alternativ steht die Aufbereitung.

389
OBB 1977
160 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

• Strukturelle Argumente: Gerade die regionsübergreifenden Betriebe390 sind vom Prinzip


her in der Lage, einen Ausgleich zwischen Regionen, zwischen Stadt und Land, zwischen
regionalem Wasserangebot und Bedarf zu leisten. Diese Leistung ist bedeutend, weil die
Stabilität der ländlichen Regionen und damit die gesamtgesellschaftliche Stabilität auf dem
gerechten Ausgleich zwischen urbanen und ländlichen Regionen basiert. Das berührt das
Thema der Landflucht ebenso wie die Bildung städtischer Armutsgebiete (Slums, Favelas)
nachdem in vielen Fällen neben ungerechter Landverteilung und dem Fehlen anderer Infra-
strukturen wie Schulen, Straßen usw. auch die vollkommen unzureichende Wasserinfra-
struktur die Menschen in die Städte treibt. Große landesweite Einrichtungen sorgen für ei-
nen technischen wie auch finanziellen Transfer von den Städten ins Land hinein, eventuell
im Gegenzug mir der Gewinnung des Wassers in diesen (sauberen) Gebieten. Diese regio-
nale Solidarität ist in jedem Falle eine Grundbedingung für nachhaltige Entwicklung. Dazu
gehört allerdings in vielen Fällen die Reorganisation bzw. Verbesserung großer staatli-
cher Infrastruktureinrichtungen: In vielen Ländern wird der regionale Ausgleich durch
ineffiziente (staatliche) Betriebe übernommen. Dies war zum Beispiel das Organisations-
prinzip der ehemaligen Sowjetunion391. Ebenso sind die großen brasilianischen Wasserinf-
rastrukturen392 aus der Notwendigkeit landesweiter Ver- und Entsorgung entstanden, der
die Kommunen vor dem Hintergrund eines massiven Bevölkerungswachstums alleine nicht
entsprechen konnten. Bislang sind solche „kapitalen“ Infrastrukturen nur selten von Priva-
ten übernommen worden, weil diese nicht an den defizitären Gesamtstrukturen, sondern
nur an den urbanen und industriellen Ballungsräumen interessiert waren. Oft fehlt in diesen
staatlichen Strukturen aber das kommunale Mitspracherecht. Es entsteht dann fast ein Hie-
rarchieverhältnis, das aus dem Partner und „Kunden“ Gemeinde im schlimmsten Fall einen
Abhängigen macht. Hier könnten partizipative Ansätze unter Einbeziehung kommunaler
Verbände effizienzsteigernde Effekte erbringen.
Ansatz 25: Die regionale Solidarität und der Ausgleich zwischen Stadt und Land ist
ein grundlegender Nachhaltigkeitsbaustein.
Die kommunale Solidarität kann auch grenzüberschreitend wirken. Zwei Beispiele von vielen
aus der Arbeit des TTW:

Städtepartnerschaften
Das alte europäische Modell der Städtepartnerschaften wird zunehmend auf dem Wasser-
sektor weiterentwickelt und führt zu wasserbezogenen Städtepartnerschaften oder bewuss-
ter Einbeziehung des Wassersektors in vorhandene Partnerschaften. Dies ist besonders
dann hilfreich, wenn gleichzeitig in dieser Region größere, meist drittfinanzierte Projekte,
stattfinden. Erhebliche Synergien können die Folge sein, wenn das kommunale Know-how
in die Projekte eingebunden werden kann. Auf der IFAT 2002 wurden erste Wasserpart-
nerschaften auf kommunaler Ebene zwischen Polen, Rumänien und Ungarn sowie dem
Freistaat Bayern unterzeichnet.

390
meist staatliche Betriebe, deren sprichwörtliche mangelnde Effizienz interne Ursachen hat
391
In vielen GUS Staaten findet man heute noch die Aufteilung zwischen den beiden Staatsbetrieben
„Vodokanal“ und „Agrovodokanal“. Zweiterer übernimmt die Beileitung für die landwirtschaftliche
Bewässerung, teilweise auch der ländlichen Region
392
wie die SABESP (Sao Paulo) oder die COMPESA (Pernambuco)
3.3 Management 161

Weltbankprojekt Aralseeregion – Modul staatliche/kommunale Partnerschaft


Der ursprüngliche Versuch der Weltbank, private Betreiber für die katastrophal geschädig-
te Aralseeregion zu finden, ist gescheitert. Alternativ erfolgte neben der technischen Bera-
tung durch ein deutsches Consulting-Unternehmen die Einschaltung von Praktikern aus
dem Stadtwerkebereich. Ein integriertes Managementmodell einschl. Partizipation der Be-
völkerung wurde bei überwiegender Beibehaltung der vorhandenen Institutionen imple-
mentiert. Verbesserungsansätze waren nach 3 Jahren Projektlaufzeit erkennbar. Das baye-
rische Umweltministerium hatte zusätzlich eine Zusammenarbeit auf dem Wassersektor
mit der usbekischen Seite in einem „Letter of Intent“ vereinbart. Ein bayerischer Zweck-
verband hatte das Projekt durch Sammlung und Transport von technischer Ausrüstung un-
terstützt.

3.3.2.4 Säule III: Der private Sektor


Im hier vertretenen Modell haben zunächst der öffentliche Sektor und die Bürgergesellschaft
eine Schlüsselposition. Es wäre allerdings viel zu kurz gegriffen, daraus abzuleiten, der private
Sektor würde in diesem Modell eine untergeordnete Rolle spielen. Bezogen auf den Umsatz
gilt tatsächlich das Gegenteil: Unterhalb der ‚strategisch- normativen’ Entscheidungsebene
sollen aus Effizienzgründen möglichst viele Leistungen von Privaten unter Marktbedingungen
erbracht werden. In der Eckpunkte-Tafel 10 (Seite 130) ist deshalb die Frage, ob eine Erledi-
gung durch Private in Frage kommt, ganz an den Anfang gestellt. Das bedeutet bei einem mo-
dernen Infrastrukturbetrieb, dass 50–80 % des Geldumsatzes (cash flow) über private Betriebe
gehen können. Dieser Zusammenhang zwischen öffentlicher und privater Aufgabenerledigung
ist detaillierter in Tabelle 3-4 dargestellt.

Tab. 3-4: Aufteilung der Aufgabenerledigung


Von Privaten zu erledigen
in jedem Falle häufig unter bestimmten schwierig oder gar
Typ der Leistung Umständen nicht
Consultingleistung × ×
Bauleistung ×
Unterhalt (Maintenance) × ×
Fremdüberwachung × ×
Eigenüberwachung × ×
Public relation, Öffentlich- ×
keitsarbeit
Zulieferung von Ausstattung ×
usw.
Betrieb ×
Abrechnung ×
Strategie, ×
Strukturmanagement

Die grundsätzlichen Anforderungen an Effizienz sind, egal ob bei Staat, Kommune oder Privaten,
immer gleich. Es hängt vom Leistungstyp und von den individuellen Bedingungen ab, ob Leistun-
162 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

gen besser von privater oder öffentlicher Seite erledigt werden können. Zur Unterstützung der
Aufgabenzuteilung gemäß zeigt Tabelle 3-5 eine Zuordnung der Leistungen in drei Grundtypen.
Neben Aufgaben, die klar dem öffentlichen oder dem privaten Sektor zuzuordnen sind, werden
dort Opportunitätsleistungen definiert, d. h. Leistungen, bei denen je nach Umfeldbedingungen
eine Erledigungsform vorzuziehen ist. Ein nicht genormtes Merkmal für diese Entscheidung könn-
te die „Eleganz“ der Lösung sein, die sich zum Beispiel in der Zahl der Schnittstellen abbildet.

Tab. 3-5: Zuordnung von öffentlichen und privaten Leistungen im Wassersektor


Typ Leistung Beschreibung Beispiel
1 Eindeutig öffentli- nachhaltige Erledigung widersprichtGesetzgebung, strategische Raumpla-
che, staatliche nung, Garantenstellung für Gemein-
kurzfristigen geschäftlichen Interes-
oder kommunale sen, Monopolmarkt, hoheitliches wohl,
Leistung Handeln, Leistung wird im Markt Großräumige Überwachung, Non-
gar nicht angeboten profit-Bereiche (Teilvergabe aber
möglich)
2 Opportunitätsleis- sowohl öffentlicher wie privater operatives Geschäft der Siedlungs-
tung: sowohl öf- Sektor bieten die Leistung an. freie wasserwirtschaft. Die Kosten der
fentlich wie privat Entscheidung, was im Einzelfall vergebenen Leistung sollen nicht
möglich günstiger ist, aber nicht beliebig: wesentlich höher sein als Eigenleis-
hängt von den Randbedingungen ab. tung. Indikator z. B. Anteil der Pla-
nungsleistung, Betriebskosten, „Ele-
ganz der Lösung“
3 Eindeutig private Angebot des Marktes liegt vor; hohe Normalfall, in der Wasserinfrastruk-
Leistung Innovationskraft, Leistung kann im tur: gesamter Baubereich, Lieferung,
Markt deutlich günstiger erworben Einzelleistungen
werden

Als weiterer Beitrag des privaten Sektors wird von vielen Entwicklungsorganisationen, allen
voran der Weltbank, die Rolle als Kapitalgeber gesehen. Dies hat sich unter anderem im Mon-
terrey-Konsensus abgebildet (vgl. S. 48f). EID393fordert: „…, die Konferenz hat sich deutlich
für neue Partnerschaften ausgesprochen. Um alle Menschen mit Wasser zu versorgen, sind
jährlich rund 180 Mrd. US Dollar erforderlich – es stehen jedoch seitens der öffentlichen
Haushalte und der internationalen Staatengemeinschaft jährlich nur rund 80 Mrd. US Dollar
zur Verfügung. Um die Finanzierungslücke von 100 Mrd. US Dollar zu schließen, brauchen
wir einen aktiven Privatsektor, der sich im Wasserbereich engagiert und investiert. Deshalb
bemühen wir uns in der Entwicklungszusammenarbeit um die Einbeziehung der Privatwirt-
schaft, auch der deutschen Unternehmen.“
Der an anderer Stelle bereits beschriebene bisherige Lauf der Dinge zeigt aber, dass diese
Erwartungen hochgesteckt sind. Die Renditen, die private Anleger brauchen, wirft der Wasser-
sektor nicht ab (und darf er wohl im Sinne seiner ganzheitlichen Bedeutung gar nicht abwer-
fen). Das Kapital-Risikoverhältnis ist daher meist unbefriedigend. Die Bereitschaft der Priva-
ten, als Finanziers von risikoreichen Wasserinfrastruktur-Großprojekten aufzutreten, wird
deshalb bei weitem überschätzt. Inzwischen richten sich deshalb die meisten strategischen
Überlegungen der großen Privaten auf den europäischen und US-amerikanischen Markt, Ent-
wicklungsgebiete werden zunehmend gemieden.

393
parlamentarische Staatssekretärin des BMZ, im Schlussdokument zum Wassergipfel 2001
3.3 Management 163

Mindestens in Deutschland ist in diesem Zusammenhang ein weiteres kritisches Phänomen zu


beobachten: Private Finanzierungen werden genutzt, um die Haushaltszahlen zu verbessern.
Statt den Staatshaushalt mit Krediten zu belasten, die in den Bilanzen bei der Neuverschuldung
sichtbar sind, wird eine Anlage (z. B. Autobahn) von Privaten vorfinanziert oder geleast. Mit
dieser Verfahrensweise fallen die sichtbare Haushaltsverschuldung und die Zinslasten, die
laufenden Kosten steigen aber durch die Leasingraten und die Rückzahlungen an den privaten
Investor. Normalerweise macht der Staat wegen der höheren Leasingraten kein Geschäft, weil
neben den Kapitelkosten noch Risiko, Gewinn und Gemeinkosten des privaten Investors ge-
tragen werden müssen. Aus Effizienzgründen ist eine solche Finanzierung abzulehnen.
Tatsächlich ist der Ruf nach mehr privater Beteiligung, eigentlich Wettbewerb, im weltweiten
Wassermarkt aber aus einem anderen Grund richtig. Eine wesentliche Qualität des Wettbe-
werbs ist nämlich die Innovationskraft oder ‚Entdeckungskraft’, das erfinderische Potential.
GLÜCK 394 führt dazu aus: „Nur über den Wettbewerb kommen wir zu den bestmöglichen
Problemlösungen. Der Wettbewerb ist ein breit angelegtes Entdeckungsverfahren; er ermög-
licht es, dass sich neue Ideen und Initiativen durchsetzen. Wir haben deshalb auch keine Alter-
native: Angesichts der Fülle von Problemen heute und morgen sind wir geradezu verpflichtet,
das bestmögliche Entdeckungsverfahren für Problemlösungen zu fördern. Wie sonst sollte zum
Beispiel die weltweit zunehmende Umweltproblematik entschärft werden?“
Der private Sektor ist also ein höchst wichtiger Player im Sinne des Radermacherschen
10/4/34-Ansatzes, wenn er – im Wettbewerb stehend – durch technische Weiterentwicklung
erheblich Kosten sparende, effizientere Technologien anbieten kann. Dies wäre ein wichtiger
Beitrag des menschlichen Erfindungsgeistes, egal ob die Motivation letztlich altruistisch, e-
goistisch oder eine Mischung von beidem ist.
Dafür müssen allerdings auch die Voraussetzungen geschaffen sein. Die Privatwirtschaft kann
Wesentliches zum Gesamterfolg beitragen, wenn sie sich von sich aus auf bestimmte Rahmen-
bedingungen (Unternehmensethik) festlegt. Die Probleme der Transparenz versus Korruption
bestehen weltweit. Der „nachhaltige“ Markt395 wird durch unsaubere Aquisitionsmethoden,
Sozialdumping oder Nichterfüllen von Normen verzerrt. Insbesondere Kammern und Berufs-
verbände nehmen sich dieses Themas durch Ethikkommissionen oder Vorstände für den Be-
reich Ethik, eine Anlaufstelle für Ethikfragen oder ähnliche Stellen an.
Die moderne Wirtschaftswissenschaft und betriebliches Management beschäftigen sich aber
auch mit weitergehenden Fragen der gesellschaftlichen Verantwortung. Damit sind akut insbe-
sondere den primären Nachhaltigkeitskriterien zuzuordnende ökologische und arbeitsmarktpo-
litische Fragen angesprochen. BRINK führt dafür den Begriff der „Value-Based-
Responsibility“396 als „Governance Tool“ ein, der das Shareholder-Value- bzw. M&A397-
Management ergänzt, um „gesellschaftspolitisch multinationale Verantwortung als übergeord-
netes regulatives Anspruchsprofil von Unternehmen“ zu erreichen: „[Das] Unternehmen über-
nimmt als moralischer Akteur in der Gesellschaft Verantwortung für sein Handeln. Das Ver-
antwortungsbewusstsein, also die Verantwortungsfähigkeit und die Verantwortungsbereit-

394
Glück 1996, S.113f
395
d.h. der Markt, der die Bedürfnisse der Nachhaltigkeit erfüllt
396
Brink 2001
397
M&A Management = Mergers and Akquisition Management
164 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

schaft, kann als individuelle Voraussetzung verstanden werden“.398 Das Entscheidende bei
diesem Ansatz ist, dass BRINK zwei Motivationen für Value-Based Management sieht.
Erstens besteht eine deontologische Motivation (d. h. ethische Selbstverpflichtung): „Die Her-
ausforderung der Zukunft wird nicht technischer oder wirtschaftlicher, sondern ethischer und
kultureller Art sein“399.
Zweitens erwartet er auch einen echten Mehrwert für das shareholder-value-Konzept. Dieser
Mehrwert basiert auf den Synergien bzw. der Effizienz, die impliziter Teil der echten Nachhal-
tigkeit ist: „Die Steigerung des shareholder-value erfolgt nun (1) durch die veränderte Stake-
holderrezeption in Form einer Image-Steigerung, (2) durch die Erhöhung von Glaubwürdig-
keitspotential und damit einhergehend durch die Reduktion von Risiko und Kapitalkosten und
(3) durch die Verringerung von Agency-Costs (monitoring costs)“400.
Inwieweit diese Art des Managements realistisch ist, ist derzeit offen. Es ist strittig, ob sich
diese Verhaltensweise wegen des langfristigen Mehrwertes in der globalen Wirtschaft von
selber durchsetzt oder ob dies nur durch globale Rahmensetzung zu erreichen ist.
WALLNER401 et al. arbeiten eine Vision eines nachhaltigen Unternehmens aus. Dieser sehr
visionäre, nicht so weitgehend differenzierte Ansatz ordnet den Unternehmen selber die Rolle
einer nachhaltigen Kernzelle zu. Die Theorie dahinter lautet, dass sich die Wirtschaft insge-
samt in einem Wandlungsprozess zur Nachhaltigkeit hin befindet. Die Steigerungswirtschaft,
die auf permanenten Zuwachsraten basiert, wird durch eine Nachhaltigkeitswirtschaft ersetzt,
die einer „Ankunft“ in einer stabilen Situation entspricht.402
Gemeinsames Merkmal einer neuen Nachhaltigkeitswirtschaft sind implemente Nachhaltig-
keitsmerkmale, d. h. sie macht ökologische und soziale Nachhaltigkeit zum eigenen Ziel. Es
entsteht daraus unter anderem die „Corporate Social Responsibility“, die auf einem neuen
Wertesystem basiert. Unter anderem wird in diesem Konzept der Regionalitätsaspekt aufge-
griffen: „Wirtschaft braucht beides, einen starken Regionsbezug und die Freiheit internationa-
ler Märkte. Heute fehlt großteils der kulturell angepasste Regionsbezug“403. Eine implemente
Doktrin der Nachhaltigkeit in Unternehmen wäre ein wesentlicher Schritt zu einer nachhalti-
gen Welt. Mit einer so gestalteten inneren Unternehmensethik wäre der Anspruch des allge-
meinen Wohlergehens durch freies Wirtschaften besser zu erfüllen.

3.3.3 Operatives, betriebswirtschaftliches Management


Die meisten Papiere zum Wassermanagement beschäftigen sich mit dem normativen Manage-
ment, das die Rollenverteilung zwischen den Akteuren Staat, Gemeinden, Privatwirtschaft und
Bürgergesellschaft im gesamtgesellschaftlichen Rahmen regelt. Das normative Management ist
damit aber nur die eine Hälfte des Erfolgs, die andere liegt in der Durchführung des betriebli-
chen Managements.

398
Brink 2001, S. 266
399
ebenda, S. 269
400
ebenda, S. 266
401
Wallner et al. 2004
402
ebenda, S. 56: Die Motivation zu diesem Paradigmenwechsel wird aus einer aktuellen Zielkrise her-
geleitet: „Unsere Gesellschaft und somit die Wirtschaft stehen heute vor einer Zielkrise. Mit Effizienz,
als Mittel der Wahl in der Steuerkrise, lassen sich die Probleme unserer Wirtschaft nicht mehr ent-
scheidend verbessern.“
403
ebenda, S. 78
3.3 Management 165

Deshalb müssen die Methoden, wie innerbetrieblich größere Effizienz erreicht werden kann, in
die Überlegungen zum IWRM zentral miteinbezogen werden. Je effizienter jedes Teilsystem
bewirtschaftet wird, desto effizienter ist das Ganze.

3.3.3.1 Grundregeln des nachhaltigen Managements


Nachhaltiges betriebswirtschaftliches Management hängt ab von:
• den externen Zielen und Regeln, die als die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (Ge-
meinwohl, Staatsraison) festgelegt sind (normativer Rahmen),
• den internen Zielen, die sich die Organisation selber gibt (Qualität, Fertigungsmenge,
Marktanteile u. ä.) (Strategische Ziele), und
• den innerhalb der Organisationsebene angewandten Methoden, diese Ziele möglichst gut
zu erreichen (Ressourcenausstattung, Managementtools, Ethik), einschließlich der Rück-
meldung der internen und externen Zielerfüllung einschließlich einem intern und extern ge-
führten (gesellschaftlichen) Dialog zu den Zielen selber (Controlling) (Operatives Mana-
gement).
Erfolg wird sich nur dann einstellen, wenn in jedem Teilbereich erfolgreich gearbeitet wird.
Diese Anforderungen gelten unabhängig von der Betriebsform, d. h. sowohl in privaten wie in
öffentlichen Betrieben.
Ansatz 26: Es besteht rechtsformunabhängig in allen Organisationen eine (individu-
elle) Optimierungsforderung.
Zur Erfüllung dieses Anspruches stehen die ab dem nächsten Kapitel diskutierten Manage-
menttools zur Verfügung. Durch deren gezielte Anwendung ist zumindest dem Effizienzgebot
als Beitrag zur Nachhaltigkeit zu entsprechen. Dabei kann zwischen dem individuell betriebli-
chen Erfolg und einem volkswirtschaftlichen Effizienzgebot unterschieden werden.
WALLNER et al.404 definierten noch einen weiteren Schritt, nämlich eine „Business A21“, die
Unternehmen zum Ziel hat, die durch ihr Wirtschaften eigene, autarke Beiträge zur Nachhal-
tigkeit leisten. Damit wird das einzelne Unternehmen zum Fraktal einer nachhaltigen Entwick-
lung, d. h. es verhält sich für sich genommen und als Teil einer Gesamtwirtschaft nachhaltig.
WALLNER nennt dieses Verhalten – als eine von sieben Hauptaktivitäten einer nachhaltigeren
Wirtschaft – „Inseln der Nachhaltigkeit schaffen“ und entwirft ein umfassendes Bild der Krite-
rien dieser betrieblichen Nachhaltigkeit, das in Tabelle 3-6 in Form von Optionen bzw. Di-
mensionen dargestellt ist.

Tab. 3-6: Optionen der betrieblichen Nachhaltigkeit [nach WALLNER et al., verändert405]
Soziale und gesellschaftliche Dimension
Gesellschaftlicher Zusammenhalt Gleichbehandlung, respektvoller Umgang und Austausch mit ande-
ren Kulturen, Stärkung von Vereinen und Ehrenamt, Sicherheit und
Frieden
Schaffen von Entwicklungsmög- Zugang zu Aus- und Weiterbildung, neue Betätigungsfelder, Kreati-
lichkeiten (privat und beruflich) vität, Informationen

404
Wallner et al. 2004
405
Wallner et al. 2004, S. 154ff
166 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

Neue Formen des Miteinanders Selbstverantwortung, Vorbildwirkung, Entwicklung von Zukunfts-


bildern, Nachbarschaftshilfe, Partizipation im Verhältnis zu Bürgern
und Kunden, Projektgruppen
Wirtschaftliche Dimension
Sicherung der Grund-bedürfnisse Lebensqualität, Sicherheit, Gesundheit, Nahversorgung, Infrastruk-
tur, attraktives Umfeld für wirtschaftliche Entwicklung, Partizipati-
on am materiellen Wohlstand „für alle“, Abgleich wirtschaftlicher
Bedürfnisse zwischen den Generationen
Erhöhung der Entwicklungs- Qualifizierung (Ausbildung), neue, bessere Herstellungsverfahren,
chancen neue Verdienstmöglichkeiten, neue Formen des Wirtschaftens
Identität, Werte, Sinn Qualität der Arbeit verbessern, lebenslanges Lernen, Lokal- und
Regionalmärkte, Regionen stärken, Vernetzen
Ökologische Dimension
Verringerung der Rohstoffent- Keine Verschwendung mehr, Ersatzstoffe, nachwachsende Rohstof-
nahme/Verbrauch fe, Kreislauf und Reparaturwirtschaft
Verringerung von Schadstoffen Emissionsverringerung (Filter, Kläranlagen…), Risikoverringerung,
Zero Emission
Verbesserung des natürlichen Artenvielfalt, Erholungsfunktion406, Schutz von hochwertigen Na-
Umfelds turräumen, Landschaftsbild, Vermeidung von Bodenverbrauch (Ver-
siegelung)

In der Konsequenz können drei Qualitäten für nachhaltiges betriebliches Management identifi-
ziert werden:
1. Betriebliches Effizienzmanagement, also eine möglichst effiziente Art und Weise, her-
kömmliche betriebliche Ziele zu erreichen. Allein mit diesem Anspruch, der noch keinerlei
besondere Anforderungen an ein Unternehmen stellt, außer seine Sache im wohlverstande-
nen Eigeninteresse so gut wie möglich zu machen, wird bereits ein ganz wichtiger Schritt
in Richtung Nachhaltigkeit gegangen. So widerspricht bereits dieser Ansatz der Ver-
schwendung.
2. Gesellschaftsbezogenes Effizienzmanagement, d. h. die Miteinbeziehung volkswirt-
schaftlicher Gesichtspunkte in das Effizienzmanagement. Damit wird der Wirkungsgrad
der unter Nr. 1 genannten Maßnahmen weiter vergrößert. Insbesondere der Ressourcen-
verbrauch geht zurück, ggf. entstehen zusätzliche Mittel, um bestimmte, gesellschaftlich
verlangte Aufgaben zu lösen. Je nach Auslegung gesellschaftlicher Effizienz wird in dieser
Stufe bereits ein Paradigmenwechsel vollzogen, weil der Ertrag nicht mehr nur finanziell
definiert wird, sondern vielmehr auch den Erhalt/Ausbau des ökologischen und sozial-
kulturellen Potentials beinhaltet.
3. Nachhaltigkeitsmanagement: Spätestens hier findet ein Paradigmenwechsel statt. Das
Unternehmen erklärt die Ziele der Nachhaltigkeit zu seinen eigenen Zielen. Für das „Un-
ternehmen Staat“ sollte das der Normalfall sein, für Unternehmen der freien Wirtschaft ent-
spricht dies einer Vision. Dies könnte auch einer Bürgergesellschaft durch ein aktives Ein-
treten für nachhaltige Ziele unterstützt werden.

406
Dieser Aspekt wird ansonsten im Bereich der kulturell-sozialen Belange geführt.
3.3 Management 167

3.3.3.2 Managementmethoden
Die Steigerung der betrieblichen Effizienz ist eine kontinuierliche Herausforderung. Auf der
operativen Ebene braucht dazu nichts Neues erfunden zu werden, es ist lediglich notwendig,
sich mit den bekannten Managementtools auseinanderzusetzen.
Merkmal der Managementtools ist, dass sie überwiegend unabhängig von der Unternehmensform
anwendbar sind. Die Unterschiede, welches Mittel mit welcher internen Effizienz einsetzbar ist,
ergeben sich aus der speziellen Situation. Dies ist die eigentliche Kunst des Managements: die auf
die spezifisch vorhandene Situation am besten angepassten Tools anzuwenden.
Als Leitlinie kann gelten, dass in der Regel Extreme falsch sind. Die seltene Ausnahme sind
dabei Change-Prozesse, die mit solchen Verkrustungen zu kämpfen haben, dass nur revoluti-
onsähnliche Anpassungen zielführend sind. Der Regelfall sieht anders aus.
Erste Voraussetzung ist, eine möglichst große Zahl von Tools in ihrer Art und Anwendbarkeit
zu kennen. Daraus sind diejenigen herauszufiltern, die im Einzelfall Sinn machen. Der Erfolg
wird immer von der richtigen Mixtur der Maßnahmen abhängen. Einen Überblick über die
sechs Basisbereiche und dazugehörige wichtige Managementtools gibt Abb. 3-12.

Management-Bausteine
• Zeitaufschreibung • Erweiterung der Budgetierung
• Berichtswesen • Projektbudgets
• Kennzahlen • Langfristig: Produkthaushalte
• Benchmarking: intern/extern • Übersicht

• Strategisch langfrist. KLR, Finanzierung • Kennzahlen


• Operativ kurzfristig/ Controlling • Organisationsreform
mittelfristig • Change Management
• Kai Zen

Ziele: Organisations-
strateg./operativ Start TQM entwicklung

Qualitäts- P.Führung
management P.Entwicklung
• Prüf- u. Kontrolleinrichtungen • MA-Gespräche
• Vorschriftswesen • MA-Befragung
• Sicherheitsaspekte • Zielvereinbarungen
• P-Entwicklungskonzept
TQM = Total Quality Management • Aus – und Fortbildung, Trainee
KLR = Kosten- Leistungsrechnung
MA = Mitarbeiter
P = Personal

Abb. 3-12: Managementtools [weiterentwickelt DEINDL407]. Im Zentrum steht das Total Quality Mana-
gement. Die sechs Hauptgruppen müssen in irgendeiner Form in jedem Betrieb vorhanden sein.

407
Deindl 2003
168 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

Mit dieser Grafik entsteht eine Art Checkliste. Zu jedem der Hauptpunkte bzw. Unterpunkte
sollte ein Unternehmensmanagement „etwas sagen“ können, d. h. sie müssen reflektiert und
entschieden sein. Hier gilt: die Elemente sind überwiegend parallel geschaltet, d. h. wenn ein
Modul fehlt oder versagt, wächst zwar das Risiko, es wird aber nicht automatisch der Bestand
gefährdet.
Zu den einzelnen Unterpunkten existieren jeweils diverse Theorien und Ratschläge. Es ist
nicht Sache dieser Arbeit, diese Vorschläge und Methodiken im Einzelnen darzustellen und zu
diskutieren. Die wesentliche Aussage ist, dass man sich im Unternehmen mit jedem dieser
Bereiche bewusst auseinandersetzen muss. Welcher Managementphilosophie man sich dann
letztlich zuwendet, hängt von der Unternehmensphilosophie ab – und umgekehrt.
Ansatz 27: Modernes Management muss alle Werkzeuge kennen und bewusst dieje-
nigen auswählen, die zur Organisation und zur Anforderung passen.

Aus dem Umgang mit nachhaltigem Management ergibt sich allerdings eine Liste von prakti-
schen Hinweisen, möglichen Hinderungsgründen und Gefahren, die bei der Anwendung dieser
Tools zu berücksichtigen sind:
1. Die Offenheit von Managern und Mitarbeitern, sich bewusst mit der inneren Effizienz
auseinanderzusetzen, ist immer eine Grundvoraussetzung (vgl. change management). Hier
ist Kommunikation wichtig.
2. Wenn Änderungen anstehen, kommt es typischerweise zu einer überbordenden Menge an
neuen Tools. Die Mitarbeiter merken das daran, dass der Takt neuer Ansätze immer schnel-
ler wird. Ein Alarmzeichen ist, wenn sich grundsätzliche Reformvorschläge überlappen,
d. h. neue Strukturen schon wieder eingeführt werden, obwohl die alten noch mitten in der
Umsetzung begriffen sind. Das kann zwar vorkommen, bedeutet aber automatisch, dass ei-
ne der Lösungen – die alte oder die neue – ein Fehler war. Dies untergräbt natürlich das
Vertrauen in die Reform. Hier sind dosierte, überlegte Lösungen gefragt.
3. Kritisch sind rasch wechselnde strategische Zielbestimmungen. In der Wirtschaft ist ein
Negativbeispiel das Hin und Her zwischen Diversifizierung und Konzentration auf das
Kerngeschäft, im Staatsbereich Deregulierung und Outsourcing contra politische Steue-
rung.
4. Externe Berater sind eine unverzichtbare Hilfe. Auch hier hängt die Qualität von Persön-
lichkeiten ab. Außerdem lässt sich nachhaltige Führung durch externen Sachverstand un-
terstützen, aber nicht ersetzen.
5. In nachhaltigen Firmenstrategien ist die Bilanz nur ein Kriterium. Gerade in größeren Fir-
men finden sich deshalb unter den Zielen auch Begriffe wie Ethik, Nachhaltigkeit, Stand-
ortsicherung, Regionsbewusstsein, Gerechtigkeit usw.
Die Motivationen für Veränderungen muss in mehr als in Kosten- und Personaleinsparung
bestehen. Zu Verbesserungen, im Idealfall in Richtung Nachhaltigkeit, gehört eine Vision, eine
Mission, Unternehmensleitbilder und -ziele. „Nur ein Unternehmen, das in der Gesellschaft
eine wichtige Aufgabe erfüllt und Sinn zu stiften vermag, wird langfristig überlebensfähig
sein.“408 Der Wassersektor hat diese eindeutige gesellschaftliche Aufgabe; es sollte also sehr
gut möglich sein, die Visionen und Missionen in diesem Sektor zu definieren.
Die von WALLNER behauptete Verknüpfung der Überlebensfähigkeit von Unternehmen mit
ihren Visionen und Zielen gibt einen Hinweis darauf, dass es zu Managementtools eine Meta-

408
Wallner et al. 2004, S. 102
3.3 Management 169

ebene gibt, die mit den internen und externen Zielen der Organisation korrespondieren muss.
Für diese Ebene wird der Ausdruck der Corporate Identity verwendet, die sowohl eine Funkti-
on der Unternehmensphilosophie wie auch der Unternehmenskultur beschreibt. Zur Verdeutli-
chung soll das Konzept der Firma GORE dienen, die 2005 zum achten Mal unter die 100 US-
Firmen gewählt wurde, „für die sich am besten arbeiten lässt“409. Die Quelle für diesen Erfolg
sieht das Unternehmen vor allem in seiner Managementkultur.
Die Unternehmensprinzipien sind410:
• Die Freiheit zur Selbstentwicklung, Weiterbildung, Fähigkeiten;
• Die sog. Wasserlinie, die die Freiheit, „etwas Neues, Risikobehaftetes auszuprobieren dort
begrenzt, wo das Unternehmen selber in Gefahr kommt (das Unternehmen ist ein Schiff.
Ein aus Versehen beim Ausprobieren von etwas Neuem gebohrtes Loch über der Wasserli-
nie macht nichts, unter dieser Linie geht das Schiff vielleicht unter.);
• Commitment, übersetzbar mit (Selbst-) Verpflichtung oder auch Hingabe zu den Unter-
nehmenszielen (Ownership) und
• Fairness.
Unter den Unternehmenszielen werden „Money and Fun“ als Kreislauf definiert. Mit Geld ist
dabei sowohl das persönliche Einkommen als auch der Ertrag der Firma, an der die Mitarbeiter
über Aktien mit sehr langer Wiederverkaufssperre beteiligt werden, gemeint. Dies erzeugt
Ownership. Fun bedeutet das Gefühl von Mehrwert und Bedeutung der eigenen Arbeit, das
sich in der Reaktion des Kunden widerspiegelt, ein Produkt von hohem Wert erworben zu
haben.
Bemerkenswert sind auch die inneren Unternehmensstrukturen: Es gibt keine festen Hierar-
chien, sondern als lattice (Molekularstruktur, Gitter) bezeichnete flexible Strukturen, deren
Kernpositionen von wechselnden „Natural Leaders“ besetzt werden. Als Kommunikations-
form wird 1 to 1, also jeder mit jedem empfohlen. Letztlich entsteht ein Management als „A-
möben Konzept“ (Amoeba Concept), das nach der Chaostheorie zusammen mit den o. g. Spiel-
regeln sehr kreative Organisationsformen erlaubt (Open Systems) (vgl. die Rolle der Intermit-
tenzen und Bifurkation der Chaostheorie). Dieses Beispiel einer vom Üblichen abweichenden,
aber sehr erfolgreichen Organisation zeigt, dass
• keine festen Vorgaben für das beste Managementsystem existieren,
• eine stimmige innere Managementkultur wichtiger als mechanisch angewendete „tools“ ist,
• die Managementkultur die Kreativitätskraft und das Ergebnis maßgeblich beeinflusst, und
schließlich

409
Zitat: (http://www.gore.com/en_xx/news/fortune_besttoworkfor2005.html, 2005) “ABOUT THE
FORTUNE U.S. "100 BEST COMPANIES TO WORK FOR" LIST
Authors Robert Levering and Milton Moskowitz initiated the collection in 1984 with a best-selling
book, 100 Best Companies to Work For in America. Gore is one of only four companies to be in-
cluded in their three hardbound and eight subsequent magazine rankings. Selection and ranking was
based on a review of responses to a randomly distributed employee survey, written survey comments,
company responses to a "people practices" questionnaire, and company literature. In all, over 350
companies were evaluated from more than 1,000 under consideration. Companies are scored in four
areas: credibility (communication to employees), respect (opportunities and benefits), fairness (com-
pensation, diversity), and pride/camaraderie (philanthropy/celebrations). The Great Place to Work®
Institute, the research and consulting firm founded by Robert Levering, produces Best Companies to
Work For lists in more than 23 countries“
410
Flik, H. 1990, S. 92–97
170 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

• der Erfolg eines Unternehmens von seinen Mitarbeitern abhängt (über alle Hierarchieebe-
nen hinweg).
Zusammenfassend ist festzustellen, dass es keine feste Vorschrift für die Anwendung bestimm-
ter Managementtools gibt, wohl aber die Anforderungen an das Management, sich mit allen
bekannten Tools zu beschäftigen und daraus die passenden auszuwählen. Hier macht es die
Qualität, nicht die Quantität. Voraussetzung ist aber, dass man sich über die internen und ex-
ternen Unternehmensziele klar ist. Die grobe Methode, Effizienz alleine als Funktion der Kos-
ten bzw. des Personals zu sehen, ist in aller Regel nicht ausreichend und führt nicht zu nach-
haltigen Ergebnissen.
Ansatz 28: Nachhaltige Effizienz ist nicht überwiegend eine Funktion der Kosten
(u. a. Arbeitsplätze), sondern des Nutzens (nachhaltiger Mehrwert). Ziel ist nicht,
suboptimale Lösungen billiger zu machen sondern in Richtung Nachhaltigkeit opti-
mierte Ansätze zu gestalten.

3.3.4 Spezielle Kapitel eines erfolgreichen Wassermanagements

3.3.4.1 Ergebnisse der Chaosforschung als Teil der Kreativität und der Qualitätssi-
cherung
DESER (1996) hat sich intensiv mit der Rolle der Chaosforschung für Unternehmen auseinan-
dergesetzt, insbesondere damit, wie erkannte chaotische Prozesse wie Bifurkation, Musterbil-
dung (Fraktale) und Selbstorganisation Unternehmen positiv beeinflussen können. Man kann
diese Effekte in der Unternehmensorganisation nutzen, wie von WARNEKE411 bereits 1993
formuliert.
Die „Fraktale Fabrik“ bildet selbstähnliche Zellen in den verschiedenen Hierarchieebenen ab,
von der Konzernzentrale bis zur Fertigung vor Ort. Damit wird nach dem Prinzip der Zelltei-
lung das unternehmerische Credo in allen Ebenen verankert, die damit selbstständig kreativ
und flexibel auf ihre Umgebung (Markt, Kunde) reagieren können.
„Jede „Zelle“ des Unternehmens ist in der Lage, in ihrem Bereich Entscheidungen zu treffen,
die im Einklang mit dem Ganzen stehen – auch wenn sie nicht im Detail über die jeweiligen
Tätigkeiten in anderen Teilen der Organisation informiert sein kann.“412
Diese Zellen entwickeln damit auch eine hohe Reaktions- und Anpassungsgeschwindigkeit für
Veränderungen im Unternehmen. Nach diesem Prinzip ist GORE organisiert, aber auch die
Wasserwirtschaftsämter in Bayern weisen Parallelen zu diesem Prinzip auf.
Die Erkenntnisse über Vorteile des organischen (fraktalen) Prinzips haben Konsequenzen für
die Ansätze des Lean-Managements: Nach DESER stehen nämlich „unreflektiert übernomme-
ne Lean-Management-Konzepte“ in krassem Gegensatz zur heute notwendigen Flexibilität der
Struktur und synergetischen Entscheidungskompetenz („Subsidiarität“) im Netzwerk. „Frakta-
le Strukturen benötigen Redundanz, d. h. bei mechanistischer Sichtweise für überflüssig gehal-
tene Vielfachfunktionen, da jedes Subsystem mit allen für das selbstständige Agieren notwen-
digen Eigenschaften ausgestattet sein sollte. Undifferenzierte Magerkonzepte bei Unterneh-

411
Zitiert nach ebd, S. 86 ff
412
Deser 1996, S 89
3.3 Management 171

men, welche darauf abzielen, den „Organizational slack“ in Gänze zu eliminieren, tragen
zwar zur Minimierung des Ressourceneinsatzes mit den damit verbundenen kurzfristigen Ein-
sparungseffekten bei, aber sie vernachlässigen die Zukunftsvorsorge im Sinne der Flexibili-
tätserhaltung. Denn ‚zusätzliche Ressourcen begründen in diesem Sinne zukünftige Reaktions-
spielräume der Organisationen und tragen damit zu einer Erhöhung der Umweltflexibilität bei
unvorhergesehenen Umweltvariationen bei.’“ 413
Diese Interpretation der Redundanz der Personalausstattung legt nahe, dass fraktale Unterneh-
mensstrukturen möglicherweise Konsequenzen für den allgemeinen Betrieb als auch für Si-
cherheitsaspekte haben:
• Unternehmensberater setzen üblicherweise bei der Minimierung des Ressourceneinsatzes
an. Häufiges Ziel ist, die Prozesse so zu straffen, dass die Ressourcen möglichst zu einhun-
dert Prozent ausgelastet sind. Was bei Maschinen durchaus richtig ist, ist aber in Unter-
nehmen, deren Herausforderung im Sinne der kontinuierlichen Fortentwicklung und Ver-
besserung üblicherweise die Innovation ist, kritisch. So gesehen wirken zu schlanke Struk-
turen ebenso hemmend auf den Fortschritt wie zu große, unbewegliche.
• OELNITZ leitet die Notwendigkeit der dauernden Innovationskraft aus der permanenten
Veränderung der Umweltsituation ab. Diese auf Wirtschaftsunternehmen und verändernde
Märkte bezogene Aussage lässt sich aber genauso auf die permanente Veränderung unserer
Lebensumwelt, z. B. auf die technische Entwicklung, Naturereignisse oder großmaßstäbli-
che Effekte – vor allem Klimawandel - beziehen. Damit ist der Wassersektor erheblich auf
Flexibilität und Innovation angewiesen.
• Auch der Betrieb und die Qualitätssicherung basieren in einigen Bereichen auf Kreativität
und Redundanz, z. B. beim Vieraugenprinzip. Gleichzeitig ist Betrieb, Unterhalt und QM
aber oft auch ein schöpferischer, kreativer Akt, z. B. bei der permanenten Risikoabschät-
zung. Zum Beispiel kündigt sich das Versagen eines Bauteils, einer Struktur oder einer
Strategie oft an, allerdings selten in einer Weise, die nicht interpretiert werden müsste.
– Das Geräusch der Kavitation ist manchmal zu hören. Aber ab wann wird es zum Prob-
lem für die Leitung oder die Turbine?
– Die Druckmessanlagen der Sickerlinien in Talsperren sind leise Warner. Das Modell
der Beruhigung oder der Gefahr entsteht in den Köpfen der Beobachter, ist aber ge-
wöhnlich so komplex, dass es ohne intensive Diskussion kaum erschließbar ist (System
des Ausschlusses von Gefahrenszenarien durch Diskussion von Gefahrenhypothesen).
– Die Schwächen eines Deiches zeigen sich durch die Farbe des Grases, durch bestimmte
Pflanzen oder Bodenformen. Der Arbeiter, der die Deichschau vornimmt, muss diese
erkennen und verarbeiten können. Wächst die Strecke, die ihm zugeteilt wird, wird er
das irgendwann nicht mehr können.
– In einem Bereich häufen sich Fehler, z. B. der produzierte Ausschuss oder die Krank-
heitsrate steigt an – beides Hinweise auf Überlastung.
Auf der Ebene der Interaktion – also des human factors – setzt sich also die Erkenntnis der
Kreativität fraktaler Muster fort. Das Urprinzip ist das Vermögen der chaotischen Strukturen
zur (effizienten) Selbstorganisation, die quasi autark eine entsprechend flexible, leistungsfähi-
ge, produktive Arbeitsumgebung schafft. Wichtiger Teil davon ist die interne Kommunikation.
Statt abgegrenzter hierarchischer Linien ergibt sich ein hochkommunikatives Muster, das ne-
ben dem formellen ausdrücklich auch den informellen Informationsaustausch pflegt. FLIK gibt
als Leitlinie „1 to 1“ aus, d. h., jeder im Unternehmen soll mit jedem persönlich kommunizie-

413
Oelsnitz S.115, zitiert bei Deser 1996, S. 92
172 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

ren dürfen414. Das Management hat in diesem System eine neue Rolle: statt strengen „Perso-
nenkults“ ist ein kooperativer, offener Führungsstil das Ziel; Ordnung ins Chaos bringen klare
Delegation, Zielvereinbarungen und Leitlinien.
Eine wesentliche Frage liegt auch im Begriff des Vertrauens. Traditionelle Führung arbeitete
viel mit Ordnung, Weisung und Kontrolle. Selbstorganisierende, selbstverantwortliche Syste-
me basieren mindestens zusätzlich auf Vertrauen und Offenheit. Vertrauen hat eine kompli-
ziertheits- und komplexitätsreduzierende Wirkung415. Darin liegt ein erhebliches Synergiepo-
tential.
WALLNER (2005) wendet die Chaostheorie sogar auf die Entwicklung der Wirtschaftssyste-
me an. Er erkennt aktuell eine gesamtgesellschaftliche Bifurkation, die den Wandel einer auf
„Steigerungswirtschaft“ basierenden Gesellschaft zu einer „Nachhaltigkeitswirtschaft“ be-
schreibt. Diesen Wandel sieht er zeitgleich mit einem Wechsel in den „KONDRATIEFF-
Zyklen“416. Der dadurch entstehende Übergangsraum stellt ein klassisch chaotisches Umfeld
dar (Bifurkation), in dem labile gesellschaftliche Zustände eine Neuformation ermöglichen417.

3.3.4.2 Besondere Nachhaltigkeitskriterien


Synergien und Grenzen des integralen Projektverständnisses
Aus den bisherigen Ergebnissen folgernd ist es angebracht, den Begriff des integralen Mana-
gements umfassend zu definieren. Der Ansatz der Synergien durch integrales Projektverständ-
nis gründet auf drei Ebenen, nämlich:
• transsektorales Management (Ökologie, Ökonomie, Soziales), d. h. Agenda 21,
• translokales Management (FEM),
• transtemporales Management.
Das transsektorale Management berücksichtigt die Randwerte, Ziele und Bedürfnisse der „be-
nachbarten“ oder betroffenen Sektoren. So ist es bei Vorhaben im Bereich der Verbesserung
der sanitären Bedingungen selbstverständlich, auch die Abfallsituation mit zu untersuchen,
weil sonst die Verbesserungen der gesundheitlichen Verhältnisse ins Leere gehen. Auch eine
Miteinbeziehung der sonstigen Infrastruktur, in technischer Hinsicht Straßen, Energie, in
nichttechnischer Hinsicht Bildungseinrichtungen, Versammlungsstätten, Gewerbe ist ab einer
bestimmten Projektgröße selbstverständlicher Teil einer integrierten Planung. Eine Art Check-
liste, welche Bereiche mindestens untersucht werden sollen, enthält die Projektskizze in An-
hang 11. Das translokale Management berücksichtigt Faktoren aus anderen Gebieten. Das
klassische Beispiel in der Wasserwirtschaft sind die Emissionen und Immissionen im Flussge-
bietsmaßstab. Das transtemporale Management schließlich berücksichtigt den Zeitfaktor,
d. h. bekannte Entwicklungen wie den Massentransport und die Verlandung, Prognosen zur
Bevölkerung, Energieverbrauch usw.

414
Flik 1996
415
Deser, 1996, S 161
416
die den alle 40 bis 60 Jahre stattfindenden Übergang z. B. vom Öl- und Automobilzyklus zum Infor-
mations- und Computerzyklus zur Gen- und Biotechnologie und weiter zur Nanotechnologie be-
schreiben.
417
Wallner 2004, 48ff
3.3 Management 173

Kritische Diskussion:
Integralität ist kein Selbstzweck, sondern ein gezieltes Tool, das sich allerdings durch Mitein-
beziehung von zu vielen Parametern ad absurdum führen kann. Es gilt das Gebot der priorisie-
renden Reduktion, d. h. der Auswahl, welche Parameter für ein bestimmtes Ziel wichtig sind.
Ansatz 29: Integrale Wasserwirtschaft muss über Sektoren, Räume und die Zeit den-
ken. Einer Überfrachtung dieses Ansatzes ist durch eine gezielte Parameterauswahl
und Dimensionsabgrenzung zu begegnen.
Gerade bei transsektoralen integralen Betrachtungen entsteht regelmäßig ein Nachhaltigkeits-
dilemma, wenn ein echter Zielkonflikt zwischen zwei oder mehreren Nachhaltigkeitskriterien
besteht. Der Ansatz der „schwachen“ und „starken“ Nachhaltigkeit und die Frage der Anthro-
pozentrik oder Ökozentrik wurden in Kap. 2.1.1.2 umfassend diskutiert. Es entsteht daraus der
Bedarf nach einer abgestuften oder differenzierten Betrachtung418. Ausgangspunkt ist der me-
thodische Grundsatz der Einbeziehung der Stakeholderinteressen, wie bereits von BRINK
(s. o.) entwickelt. Im bayerischen Wasserbau ist das Prinzip der Projektveredelung durch Ein-
beziehung der Stakeholderinteressen vielfach erprobt und in seiner Wirkung nachgewiesen
(vgl. Kap. 3.2.4).
Ein alternativer Lösungsansatz ist, zunächst die Nachhaltigkeitskriterien für den betrachteten
Kernbereich zu definieren und dann in einem zweiten Schritt den Abgleich, gegebenenfalls
den Kompromiss, mit den verknüpften Belangen zu suchen. Hier sind klare Abgrenzungen
notwendig, für welche Bereiche in welchem Kontext sich die Frage einer strengen Nachhaltig-
keitsbetrachtung überhaupt stellt. GRUNWALD führt aus: “Specification of the fields of appli-
cation: exactly what they apply to, and what not must be stated. I.e. a field of responsibility for
sustainability must be delimited from questions for which sustainability isn’t relevant 419. Ein
Beispiel dafür ist das Thema Wassersparen: Zwar gibt das Axiom der Nachhaltigkeit bestimm-
te, allgemeingültige Regeln vor. Wie zu Punkt eins ausgeführt, muss aber tatsächlich der Ein-
zelfall beleuchtet werden. GRUNWALD weiter: „Operationalizability (Einsatzfähigkeit?):
concrete ascription must be made of these judgments (sustainable/ unsustainable) to societal
circumstances or possible developments“420. So hat in Südbayern, einer extrem wasserreichen
Region, Wassersparen einen vollkommen anderen Stellenwert als in wasserarmen Gebieten.
Der transtemporale Ansatz kann hier wie der translokale helfen. Nachhaltigkeit muss nämlich
als dynamischer Prozess verstanden werden421. In der Praxis muss man aber vielleicht diesen
komplizierten Dialog gar nicht führen, wenn man entsprechend dem Iterationsansatz (Ansatz
15) schrittweise vorgeht:

418
Diese Vorgehensweise entspricht Ansatz 15: Aufgrund der komplexen Anforderungen an eine Was-
serinfrastrukturentwicklung sind bei der (Weiter-) Entwicklung eines angepassten Managements in
der Regel iterative Vorgehensweisen angebracht
419
Grunwald , 2005 S. 108
420
Grunwald 2005 S. 108
421
Kyriakou 2005, 75ff
174 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

1. Planung nah am „Kunden“ bzw. am Bedarf, aber nach den anerkannten Grundsätzen integraler,
nachhaltiger Planungen
2. Beachtung der Effizienzkriterien, Wirtschaftlichkeit in der Planung
3. Zusatznutzen und Zusatzbedarf erkennen und berücksichtigen (Ansatz 4)
4. Kontrollschritt
a. Erkennbare Nachhaltigkeitskonflikte innerhalb des überplanten Systems?
b. Einbeziehung der Nachbarbelange, integrale, offene Planung
5. tiefer gehende Diskussion der schwachen oder starken Nachhaltigkeit nur wenn Konflikte auftreten
erforderlich => Änderung der Grundplanung oder Konsequenzen?
6. Wiederholung von Schritt 1 bis 5 unter neuen Erkenntnissen

Tafel 12: Einfaches Schema einer iterative Vorgehensweise zur integralen Planung

Konkreter Vergleich der Wasserwirtschaft mit den Nachhaltigkeitskriterien


Ein erster Ansatz zur Überprüfung der Nachhaltigkeit liegt in einem direkten, wenigstens qua-
litativen Vergleich einer bestimmten wasserwirtschaftlichen Situation mit den Kriterien der
A21. Ein differenzierteres Bild ergibt sich, wenn einzelne Bereiche im Detail verglichen wer-
den und zusätzlich auch die Zeitdimension berücksichtigt wird, also z. B. in einigen Belangen
zwar der Ist-Zustand durchaus befriedigend ist, aber eine negative Tendenz besteht. In Anhang
6 wird dieses „Benchmarking“ exemplarisch und qualitativ für Bayern unternommen.
In der Arbeit „Nachhaltige Wasserwirtschaft in Deutschland“ haben KAHLENBORN und
KRAEMER422 1999 aus den Untersuchungen der deutschen Wasserwirtschaft und Interviews
mit führenden Wasserwirtschaftlern neun Nachhaltigkeitskriterien entwickelt und damit eine
Stärken-Schwächenanalyse der deutschen Wasserwirtschaft vorgenommen. Die praktische
Anwendung zeigt bisher nicht, dass die Anwendungsmöglichkeiten auf Deutschland begrenzt
wären, es ist vielmehr so, dass diese Kriterien wohl international als Richtschnur angesehen
werden können. Ein exemplarischer Vergleich findet sich im Anhang 8.
Praktische Umsetzung der Nachhaltigkeit: Balanced score card
Einen im Sinne der Nachhaltigkeitsdiskussion bemerkenswerten Ansatz für eine Metaebene
der Unternehmensziele formulieren WALLNER et al. mit dem Portfolio der Nachhaltigkeit:
Dem Konzept „Reiz der kurzfristigen Gewinne auf Kosten der Umwelt und der Gesellschaft“
werden zwei grundsätzliche Alternativen entgegengesetzt. Erstens die Vertiefung der Themen
der nachhaltigen Entwicklung („stars in visionen“):
• Sicherung langfristiger Werte als Grundprinzip des Wirtschaftens
• Erhöhung der Innovationskraft
• Ideen der Nachhaltigkeit in der Produktgestaltung
• Umweltschutz in der Produktion und im gesamten Unternehmen
• Wahrnehmung der sozialen Verantwortung (insbesondere bezogen auf die eigenen Mitar-
beiter, also Arbeitssicherheit, Gesundheit, Gelder, usw.)
• zukünftige Kundenbedürfnisse aus heutiger Sicht
• Partnerschaft, Kooperation, regionale Netzwerke, Nutzung regionaler Potentiale
• Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung

422
Kahlenborn / Kraemer 1999, S. 165 - 180
3.3 Management 175

Zweitens durch den Anteil an Partizipation und Dialogen im Strategieprozess, („Stars in Busi-
ness)
• visionäre Orientierung der Unternehmensführung (gemeinsam entwickelte, kommunizierte
und gelebte Visionen)
• proaktive Handlungsmuster und Entscheidungsstrukturen
• Strategieentwicklung in Teams
• Einbindung von erfolgsrelevanten und gesellschaftlich relevanten Stakeholdern in den
Strategieprozess
• Langfristziele und Controlling (regelmäßige Strategieklausuren, strat. Controlling, Bal-
anced Scorecard423)
• Kommunikation der Visionen, Ziele im Unternehmen und außerhalb
Die gleichzeitige Erfüllung beider „Starbedingungen“ führt zum „Star in sustainable busi-
ness“, der „Nachhaltigkeit zum strategischen Prinzip der Selbsterneuerung innen und außen
vernetzt kommuniziert“424.
Zur Evaluierung der Unternehmensleistung wird dort ein an die Nachhaltigkeitsbelange ange-
passtes System der Balanced Score Card vorgeschlagen. Dieses in der Privatwirtschaft aner-
kannte Verfahren wird z. B. von HORAK et al.425 ausdrücklich auch für die Anwendung in
öffentlichen Organisationen empfohlen.
WALLNER et al. weiten das Prinzip auf die Nachhaltigkeitsbelange aus, indem sie eine „Bu-
siness A21 Scorecard“ definieren, die als Perspektiven Werte, Humanität, Ressourcen, Kom-
munikation und (ökologisches) Umfeld vorschlägt.426 In Analogie wird vorgeschlagen, für die
Wasserwirtschaft die in Tafel 13 genannten acht Basisziele werteorientiert indiziert und in die
BSC aufzunehmen. Um die integralen Nachhaltigkeitsbelange abzubilden wird vorgeschlagen,
die Partizipation i. S. der Beteiligung und Ergebnisse des Aktivierungsprozesses und die Kom-
munikation i. S. der public awareness als Grundaufgabe 9 und 10 aufzunehmen427.

423
Die Balanced Score Card dient einer ausgleichenden strategischen Steuerung einer Organisation
anhand von Leistungskennzahlen in meist 4 Zielfeldern (KundInnen/ MitarbeiterInnen/ Finanzen/
Organisationsentwicklung).
424
Wallner et al. 161 ff
425
Horak et al. 2002, 11f
426
Wallner et al. 2004, S. 175 ff
427
Eine Indizierung der Tripel-Belange als Unterziele – z. B. die wirtschaftlichen, sozialen und ökologi-
schen Unterziele des Monitorings – wäre alternativ ebenfalls möglich, würde die Zielmatrix aber un-
übersichtlich machen.
176 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

Nr. Grundaufgabe Hauptaufgabe Untergliederung


1 Rechtlicher Rah- 1.1 Fachliche Beratung, Empfeh-
men lungen (basierend auf 1)
1.2 Rechtsetzung: u. a. allgemeine Grenzwerte, Bemes-
Gesetze, Verordnungen sungswerte
1.3 Erlaubnis, Bewilligung, Be- Auflagen, Bedingungen, Grenz- und
scheide Richtwerte im Einzelfall, jeweils fach-
lich und rechtlich
2 Monitoring 2.1 Oberflächengewässer jeweils qualitativ und
2.2 Grundwasser quantitativ
3 Aufsicht und 3.1 Wasserversorgung Rohwasserseite (u. a. Schutzgebiete)
Kontrolle Reinwasserseite(Gesundheit)
3.2 Abwasserentsorgung
3.3 (Abfallentsorgung)
3.4 Umgang mit wassergefähr-
denden Stoffen
3.5 Gewässer Benutzungsanlagen, Anlagen am Gewäs-
ser
4 Technische Re- Allgemein anerkannte Regeln der Mindestanforderungen, Weiterentwick-
geln Technik, Stand der Technik, lung
Stand von Wissenschaft und For-
schung
5 Wasserversorgung 5.1 Wasserbewirtschaftung Schutzgebiete
Reinhaltepläne
Wasserspeicherung
5.2 Ausgleich und Verteilung Fernwasserversorgung
lokale Verteilung
6 Abwasser 6.1 Sammlung
6.2 Reinigung
6.3 Industrielle Abwässer Wasserschonende Technologie (Kreis-
laufführung, alternative Fertigungen etc.)
Vorreinigung
7 Einzugsgebiets- 7.1 Ökologie, Ressourcenschutz, qualitativ
management z. B. WRRL Gewässerstruktur
7.2 Flächenmanagement Landnutzung
Bauleitplanung
Schutzgebiete, Vorrangflächen
8 Naturgefahren 8.1 Hochwasser, alpine Naturge- Retention
fahren Technische Maßnahmen
vorbeugende Maßnahmen, z. B. Versi-
cherung, Flächenmanagement (7.2)
8.2 Trockenheit siehe Wasserversorgung
9 Partizipation428
10 Kommunikation
und Netzwer-
ke428

Tafel 13: Aufgaben der strategischen Managements in der Wasserwirtschaft

428
Vorschlag für eine Ergänzung einer Balance Score Card
3.3 Management 177

3.3.4.3 Veränderungsmanagement:
„Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Mauer, die anderen Windmühlen“ (chi-
nesisch)
Externe Dynamik und Veränderungen (kontinuierliche Weiterentwicklung der Abwä-
gungskriterien)
In Kap. 2.1.1.2 wurden bereits ausgiebig die Grenzen und Probleme der Nachhaltigkeitsansät-
ze diskutiert. Mehrfach wurde abgeleitet, dass Nachhaltigkeit eine gewisse Dynamik aufweist.
Das widerspricht allerdings dem Wunsch, Nachhaltigkeit nach einer einfachen, deklaratori-
schen Sicherung eines Ist-Zustandes zu definieren, wie es bisweilen im Rahmen der Auslegung
der europäischen FFH-Richtlinie passiert. Die Sorge hier ist, dass ein Anerkenntnis der natür-
lichen Dynamik zum Beispiel das Verschlechterungsverbot „aushebelt“429. Allerdings wird
sich dieser Ansatz bei natürlichen oder großmaßstäblichen Prozessen wie Erosion (Alpenfal-
tung) oder Klimaveränderung nicht durchhalten lassen. Die simple Lösung der komplexen
Gleichung Nachhaltigkeit, der rein bewahrende Naturschutz, der nach möglichst wenig Verän-
derungen strebt, geht deshalb nicht auf.

In einigen Fällen wurden z. B. selbst Renaturierungen von verbauten Flüssen in Frage ge-
stellt, weil sich an den Ufern inzwischen wieder Sekundärbiotope gebildet hatten, die als
schützenswert erklärt wurden – das Opfer würde zum zweiten Mal der Fluss430.

In einem anderen Fall wurden Auwälder als prioritäre Gebiete ausgewiesen, obwohl seit
der Korrektur eines Flusses seit 1888 eine dramatische Eintiefung voranschreitet, die in
kurzer Zeit ein Ende des Bestands des Auwaldes bedeutet. Dem Verschlechterungsgebot
kann aus finanziellen Gründen nicht entsprochen werden; selbst die günstigste Variante
der Sohlstützung kostet dreistellige Millionenbeträge in EUR. Tatsächlich ist der heute als
FFH-Gebiet ausgewiesene Zustand nicht mehr als eine Momentaufnahme eines seit über
100 Jahren hochdynamischen Systems, das sich so wahrscheinlich langfristig nicht erhal-
ten lassen wird.

So können sich die primären Leitbilder der Gewässerentwicklungsplanung durchaus an einem


natürlichen Zustand ohne anthropogene Einflüsse orientieren, eine Rückführung auf diesen
Zustand ist aber selten möglich. Durch die jahrtausendelange Bewirtschaftung sind Kultur-
landschaften entstanden, die wiederum eigene Wertigkeiten aufweisen. Dieses Rad menschli-
chen Wirkens ist nicht in der Summe umkehrbar, höchstens im Detail, und es stellt sich sogar
die Frage, ob eine Umkehrung in jedem Falle auch wünschenswert ist. In der Konsequenz
muss sich also auch wasserwirtschaftliches Management mit dem permanenten Wandel, so-
wohl geogen wie anthropogen, auseinandersetzen. Es müssen also vorhandene Ansätze in
einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess überprüft und ggf. fortgeschrieben werden.

429
Art 6 (2) FFH- Richtlinie: Die Mitgliedstaaten treffen die geeigneten Maßnahmen, um in den beson-
deren Schutzgebieten die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten
sowie Störungen von Arten, für die die Gebiete ausgewiesen worden sind, zu vermeiden, sofern sol-
che Störungen sich im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken könnten.
430
Beispiel Main im Bereich des ehemaligen WWA Bamberg: Dort hat nach einer zunächst aus natur-
schutzfachlicher Sicht wegen des Eingriffs in ein vorhandenes Sekundärbiotop abgelehnten Renatu-
rierungsmaßnahme ein sprunghafter Anstieg um über 70 gezählte geschützte Arten einschließlich
Eisvogel und Wasseramsel stattgefunden.
178 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

Dies ist kein Freibrief für kurzsichtige politische Opportunität, sondern vielmehr eine ständige
Herausforderung, gesellschaftliche Bedürfnisse zu erkennen und den langfristig besten Rat
dazu zu geben. In gewissem Sinne handelt es sich auch um ein Prinzip des „flexible response“,
der lagegerechten Reaktion auf erkannte Bedürfnisse unter bestmöglicher Umsetzung der als
langfristig richtig erkannten Maximen. Umgekehrt wird deutlich, wie leicht gegen das Rever-
sibilitätsprinzip verstoßen wird. Bei internationalen Planungen, die durchaus in kaum verän-
derten Landschaften stattfinden können, ist das zu berücksichtigen. Beispiele für in Europa zu
ihrer Zeit als richtig und heute als höchst problematisch angesehene Strategien sind die:
• Begradigung zur Schiffbarmachung und zum schnelleren Hochwasserabfluss,
• Meliorationen zur besseren Landbewirtschaftung,
• Polderung zur landwirtschaftlichen Nutzung (Oderbruch),
• Besiedlung bestimmter (Überschwemmungs-) Bereiche.
Interessant ist die Frage, ob man zu den Zeiten, als diese Maßnahmen durchgeführt wurden, zu
anderen Ergebnissen gekommen wäre, hätte man die Nachhaltigkeitskriterien bereits als
Gradmesser gehabt. Das Ergebnis ist wahrscheinlich unterschiedlich. Solange Hunger herrsch-
te, war sicher eine Abwägung in Richtung einer intensiveren Landwirtschaft vorgegeben. Ein-
tiefungen durch Begradigungen waren ein „intelligenter“ Ersatz für die damals noch nicht
vorhandenen großen Erdbaumaschinen.
Umgekehrt waren zwar die Siedlungen und Gewerbegebiete mangels anderer Energiequellen
überwiegend an die Flüsse gebunden, von der Ver- und Entsorgung ganz abgesehen. Ange-
sichts der heute bekannten Schäden hätte man aber sicher mehr Respektsabstand gehalten.
Eine Parallele zwischen Kultur und der Dynamik einer nachhaltigen Entwicklung sieht
GLÜCK: „Der notwendige Maßstab im Umgang mit der Natur steckt in dem Wort „Kultur-
landschaft“. Wenn wir mit der Natur umgehen wie mit anderen anerkannten und respektierten
Kulturgütern – einfühlsam, sehr sorgfältig abwägend, ob ein Eingriff oder gar eine Zerstörung
angemessen und zwingend notwendig ist, wissend um die Bedeutung der Kulturgüter jenseits
ihres materiellen Wertes und ihre Nützlichkeit für den Alltag – dann haben wir auch die not-
wendige Basis, das notwendige Einfühlungsvermögen für den Umgang mit der Natur. Dies
führt nicht zum Konservieren, zur Erstarrung, sondern zur behutsamen Entwicklung.“431
Beispiele für aktuelle Entwicklungen gibt es viele. Im Schutzwasserbau wurde in der Vergan-
genheit über Jahrhunderte vor allem punktförmig durch unmittelbare Bedeichung u. Ä. rea-
giert. Seit den 70er-Jahren wächst das Bewusstsein, in der Linie – also das Flussbett entlang -
zu denken, die Oberlieger-Unterlieger-Diskussion begann. Die 90er-Jahre brachten massiv die
Erkenntnis des Einflusses der Fläche – das Flusseinzugsgebietsmanagement wurde zum Maß-
stab. Insbesondere die großen Naturereignisse seit 1995 – mehrere große Hochwässer z. B.
1995, 1999 und 2002, der Lawinenwinter 2001, das Trockenjahr 2003 bis hin zur Tsunami-
Katastrophe 2004 – haben eine neue Diskussion des Naturgefahrenmanagements aufkommen
lassen. Das Erkennen der Bedeutung alternativer Schutzmechanismen – z. B. passive Sicher-
heit wie die Freihaltung der Überschwemmungsgebiete, Versicherungen, Frühwarnung, Ver-
netzung mit den Katastrophenbehörden – haben zu einer sprunghaften Veränderung der
Schutzstrategien geführt. In Bayern wurde Ende 1999 das Programm 2020 entwickelt, das auf
den drei Sektoren „Natürlicher Rückhalt“, „Technischer Schutz“ und „Vorbeugenden Maß-
nahmen“ basiert.432 In Österreich und der Schweiz wurde die Gefahrenzonenplanung forciert,

431
Glück 1996, S.165
432
STMLU 2001
3.3 Management 179

in der Schweiz wurde mit der Gründung der PLANAT ein auch organisatorisch integrales
Modell von Naturgefahrenmanagement gegründet433. Die IKSD434 hat im Jahre 2004 ein fluss-
einzugsgebietsbezogenes Hochwassermanagement beschlossen. Gleichzeitig haben die Ge-
setzgeber, z. B. in Deutschland durch den Gesetzesentwurf zu Hochwasserschutz, auf europäi-
scher Ebene mit dem Richtlinienentwurf zum Hochwasserschutz reagiert. Mit Stand 2005
werden zusätzlich zu diesen Initiativen die Verbesserung des Risikodialogs und abgestufte
Schutzkonzepte diskutiert. Diese absolut bemerkenswerte Entwicklung ist sicher auch mit der
Diskussion um die A21 und mit den integrieren Ansätzen verknüpft, kommt also nicht von
ungefähr. Dennoch ist daran abzulesen, welches Entwicklungspotential in diesem Bereich
noch vorhanden war.
Daraus ist als Konsequenz zu ziehen, dass jede Überzeugung auch offen für Veränderung und
Wissenszuwachs bleiben muss, sowie dass die Abwägungen trotz aller Sorgfalt immer wieder
überprüft und ggf. überarbeitet werden müssen. Es wird deshalb als Ansatz formuliert:
Ansatz 30: Die Abwägungskriterien müssen aufgrund des wachsenden Wissens in
Technik und Naturwissenschaft sowie bezüglich der Nachhaltigkeit von Prozessen ei-
ner permanenten Überprüfung unterzogen werden.

Interne Veränderungen, Change Management: Nicht Revolution, besser Evolution


Wie überall gibt es auch im Wassersektor keine Organisation, die nicht in irgendeiner Hinsicht
verbessert werden könnte, und sei es nur, weil sich die gesellschaftlichen oder naturräumlichen
Gegebenheiten über die Zeit ändern. Der Grad des Veränderungsbedürfnisses ist höchst unter-
schiedlich. Er reicht von kapitalen Fehlleistungen, mindestens in Teilbereichen, bis zu graduel-
len Verbesserungsmöglichkeiten. Außerdem besteht im Sinne des kontinuierlichen Verbesse-
rungsprozesses, der angesichts der Veränderungen im Grunde immer nötig ist, ein permanenter
Veränderungsdruck, zumindest in Unternehmensteilen. Change-Prozesse berühren nicht nur
die Unternehmenskultur, sondern die Kultur an sich. Auch hier wird der Vorteil partizipativer
Prozesse deutlich, die solche nichtdeterminierbaren Einflüsse im Sinne der Chaostheorie frak-
tal abbilden.
Änderungsprozesse finden in drei Phasen statt: Die erste Phase (Unfreezing) dient der Ent-
wicklung der strategisch-kulturellen Grundwerte. Das Veränderungsteam soll möglichst hete-
rogen zusammengesetzt sein und alle Hierarchieebenen und Unternehmensbereiche repräsen-
tieren. Diese erste Phase ist eine originäre Aufgabe der Führungsmannschaft. Die zweite Phase
(Changing) basiert auf der Erkenntnis, dass diese Änderungen nicht per Order ad hoc einge-
führt werden können, sondern sich homogen bilden müssen. Die Kompetenz zur Selbstorgani-
sation muss im Pilotfraktal435 erlernt werden. Die dritte Phase (Continuous Improving) be-
schreibt die länger dauernde kontinuierliche Anpassung an die Veränderungen. Im besten Falle
verläuft diese selbstorganisierend und selbstoptimierend.436

433
PLANAT 2003
434
KSD = Internationale Kommission zum Schutz der Donau
435
Die Pilotfraktale bilden die Kernzelle für die Muster der späteren Organisation. Sie werden sich in
diesen Prozessen früher oder später selber bilden, können aber auch gezielt z. B. durch Fortbildungs-
gruppen, Testphasen o.a. erstellt werden. Dieser Vorgang ist einem „Animpfen“ nicht unähnlich
(entwickelt aus DESER 1996).
436
Deser, 1996, S.113f
180 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

Grundlagen: Die Bereitschaft zur flexiblen Entwicklung sollte Teil der Unternehmenskultur
sein, ggf. ist folglich die Unternehmenskultur das erste Ziel für einen Veränderungsprozess.
Veränderungen sind als eigene Prozesse zu verstehen und entsprechend bewusst zu steuern.
Das dazu dienende Change-Management wird vor allem bei tiefgreifenden Veränderungspro-
zessen angewandt und ist sehr weitgehend untersucht und beschrieben. Tatsächlich treten bei
jeder Reform zunächst Aufwand und Kosten auf. Jeder Reformer muss sich darüber klar sein,
dass der mindeste Preis einer Veränderung interne Reibungsverluste für ca. ein bis zwei Jahre
sind. Diese sind nicht zu verhindern, sie ergeben sich auch bei bestem Willen aus sachlichen
Gründen (Umzüge, neue Arbeitsmittel, Übergangslösungen), aber auch aus halbsachlichen
Gründen wie Kommunikationsprozessen, Orientierungs- und Rüstzeiten, innerer Selbstfin-
dung, usw. Nach einem Leitsatz des Change-Managements besteht jeder Veränderung gegen-
über zunächst einmal als sehr typische Haltung Misstrauen. „Dramatische Veränderungen
lösen Unsicherheit und Ängste aus“437. Diesem (übrigens psychologisch völlig gesunden)
inneren Widerstand, der wohl bei 80 bis 90 % der Mitarbeiter vorhanden ist, muss durch eine
bewusste Auseinandersetzung mit den Sorgen begegnet werden438. Organisationen neigen
folglich in Summe zur Beharrung, Visionen und Veränderungen werden intuitiv abgelehnt.
Diese Beharrungskraft der Systeme ist bis zu einem gewissen Grade ein Selbstschutz gegen zu
sprunghafte Veränderungen und hat damit durchaus ihren Sinn. Sie muss unter Aspekten der
Qualitätssicherung in den Veränderungsprozess eingebunden werden; es sind also konstruktive
Argumente zu berücksichtigen.
Organisationen sind hochkomplex. Ihre innere Struktur ist organisch gewachsen, in aller Regel
ist das positive Bemühen des Managements über Jahre eingeflossen. Dabei sind diverse Ein-
zellösungen für eine Unzahl von individuellen Problemstellungen zur Bewältigung bestimmter
Konflikte erreicht worden. Die Gefahr, bei einem Change-Prozess solche Detaillösungen zu
verlieren, ist groß.
Eine weitere grundsätzliche Herausforderung ist der Selbsterhaltungstrieb jeder Organisation.
Dieses aus dem normalen Sicherheitsdenken und Selbstverständnis der Menschen entstehende
Gefühl stellt immer den Erhalt der eigenen Organisation als internes (nicht kommuniziertes)
Oberziel an die erste Stelle. Diese Behauptung der beruflichen Daseinsberechtigung ist durch-
aus nichts unlauteres, ist aber mit einzukalkulieren, wenn für tiefgreifende Veränderungen
Unterstützung gesucht wird. In diesem Normalfall sind deshalb homogene, schrittweise Ver-
änderungen leichter umzusetzen als Revolutionen.439
Es besteht in der Summe bei solchen komplexen Prozessen immer die Gefahr von Fehlent-
scheidungen, die aber bis zu einem gewissen Grade zugunsten der Geschwindigkeit der Um-
setzung in Kauf zu nehmen sind.

437
Bumiller, 2002, S.2/6
438
Ausgerechnet von Goethes Italienreise stammt das Zitat: „Ich habe viel Gutes und Neues gesehen,
aber das Gute war nicht Neu und das Neue nicht Gut“. Dieses Zitat ist aus Sicht des modernen Chan-
ge-Managements nicht up to date, gibt aber das Grundgefühl vieler Mitarbeiter heutzutage durchaus
wieder, wenn es um besagte Change-Prozesse geht.
439
Der Sonderfall sind unlautere interne Eigeninteressen. Besonders hart wird der Widerstand gegen
Veränderungen nämlich, wenn z. B. korrupte Systeme involviert sind. Die Hartlebigkeit solcher oft
am Rande der Kriminalität agierenden Systeme macht eventuell sehr radikale Reformansätze nötig,
wie beispielsweise die komplette Auflösung der gesamten Organisationsstruktur.
3.3 Management 181

In jedem Falle sind strukturelle Veränderungen als Projekt zu sehen und entsprechend
sorgfältig vorzubereiten. Die sensible Komponente ist der Mensch. Wer dies nicht ver-
steht, riskiert ein Scheitern.

Der Prozess: Nur wenige Organisationen haben eine interne, selbst steuernde Veränderungs-
kultur. Deshalb steht am Anfang in der Regel ein von außen, also vom Markt oder der Politik
vorgegebener Anlass des Veränderungswunsches. Im Idealfall beinhaltet der Veränderungsan-
lass eine Vision. Wenn irgend möglich, sollte dieser „Visionäre Zustand“ für viele erkennbar
„besser“ sein als die Gegenwart. Im Normalfall ist allerdings Kostenersparnis, insbesondere
Personalreduzierung, der profane Grund440. Dann sind andere Ziele gefragt, nämlich effiziente-
re, kreativere Strukturen, die den Output zum nachhaltigen Nutzen erhöhen und nicht die Kos-
ten für nichtnachhaltigen Output verringern.441 Auch dann lohnt es sich aber, die positiven
Aspekte der Veränderungen (zum Beispiel Erhalt der Organisation an sich, Chancen) heraus-
zuarbeiten und zu kommunizieren. Diese Grundlagen müssen vorab festgelegt werden und
dürfen während des Change-Prozesses nicht mehr in Frage gestellt werden. (reiner Top-down-
Prozess). Alle Details sollten dagegen während des Prozesses möglichst partizipativ, flexibel
und unideologisch erarbeitet werden.
Die grundsätzlichen Entscheidungen zur Aufbauorganisation und Schlüsselpositionen müssen
„in den ersten fünf Tagen (Spitzenpositionen) bis in den ersten fünf Wochen (obere Leitungs-
ebene)“ 442 getroffen werden, damit möglichst frühzeitig das neue Team die Motivation zur
raschen Umsetzung der Reform hat. (Minimierung der Unsicherheitsphase). Von dieser Früh-
phase abgesehen, bei der ein kleiner strategischer Kreis sehr interne Vorüberlegungen insbe-
sondere zur neuen Führungsmannschaft anstellen muss, sollte der Prozess grundsätzlich trans-
parent kommuniziert werden. Ein Grund ist, dass die Aufgaben der Veränderung i. d. R. so
komplex sind, dass sie nur iterativ und im Dialog erfüllt werden können. Experten geben dazu
umfassende Empfehlungen.
Für viele Betroffenen werden diese unternehmensstrategischen Erwägungen aber nicht nach-
vollziehbar sein bzw. keine Verbesserung bringen. Hier ist an die Loyalität zu erinnern und
ggf. auch einzufordern. Veränderungen müssen verarbeitet werden. Eine kurze „Trauerphase“
ist durchaus zu akzeptieren. Unter Umständen können hier rituelle Handlungen wie eine
„Trauerabschlussfeier“, ein gemeinsames Essen, Fest oder andere symbolträchtige gemeinsame
Aktionen helfen, den Übergang von der alten zur neuen Zeit zu kennzeichnen. Change-
Prozesse fordern Kraft. Im Sinne des Ganzen ist diese Leistung von allen Mitarbeitern zu for-
dern. Es ist aber Führungsverantwortung, den Prozess und seine Ergebnisse im Sinne eines
nachhaltigen Mehrwertes zu gestalten.
Ansatz 31: Strukturen sollen nach Möglichkeit permanent homogen fortentwickelt
werden. Eckpunkte für tiefgreifende Veränderungsprozesse sind: Klare Ziele – Ge-
schwindigkeit - offene Kommunikation.

440
Oben wurden an diesem Automatismus und seinen Folgen bereits Zweifel geübt, insbesondere dann,
wenn die Lohnkosten im Vergleich zu den Gesamtkosten niedrig sind, wie es im internationalen Be-
reich häufig vorkommt.
441
Ein klassisches Problem sind die Redundanzen. Z. B. im Flugzeug ist jedes wichtige Computersystem
mehrfach redundant aufgebaut. In Wirtschaftsprozessen geht man bei der „Humanressource“ aber an
die Grenze des Machbaren, auf die Flexibilität des Menschen setzend. Unternehmensberater denken
in der Luft anders über Redundanzen als am Boden.
442
Zitat aus persönlichen Gesprächen mit Unternehmensvertretern
182 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

3.3.4.4 Flusseinzugsgebietsmanagement
Die Organisation im Rahmen von Flusseinzugsgebieten hat sich heute weltweit im Wassersek-
tor als die gängigste Managementform etabliert. In der A21 wird das Prinzip unter 18.9 darge-
stellt: „Die integrierte Bewirtschaftung der Wasserressourcen einschließlich der Einbindung
boden- und wasserspezifischer Aspekte soll auf der Ebene von Gewässereinzugsgebieten oder
von Teilen von Gewässereinzugsgebieten erfolgen.“ Im IWRM wird im Originaltext von 2000
unter Bezugnahme auf das Beispiel Frankreichs das Flusseinzugsgebietsmanagement (FEM)
empfohlen443 (die Wasserwirtschaft in Frankreich ist seit 1964 in sechs Flussgebiete organi-
siert – übrigens nach dem ursprünglichen Vorbild des Emschergebietes444). In Europa wird das
Flusseinzugsgebietsmanagement durch die EU-WRRL als prinzipieller Maßstab vorgegeben.
Inzwischen ist im Wassersektor die Bewirtschaftung im Rahmen von Flusseinzugsgebieten
allgemein anerkannter Standard. Die organisatorische Ausformulierung ist dagegen heute sehr
unterschiedlich. Das liegt an historischen Entwicklungen, aber auch an sachlichen Gründen:
Fast immer ist aber das Problem vorhanden, dass sich die politischen Grenzen nicht mit den
Einzugsgebieten decken. Ganz im Gegenteil wurden große Flüsse in der historischen Entwick-
lung der Nationalstaaten häufig als natürliche Grenzen angenommen. Beispiele sind fast alle
größeren Flüsse, Rhein, Oder, Neisse, Donau, Inn, Salzach, um nur die deutschen Flüsse anzu-
sprechen. Besser „klappt“ es dort, wo Gebirge eine natürliche Grenze bilden, z. B. an der baye-
rischen Ostgrenze, wo im Bayerischen Wald die Wasserscheide ungefähr die Landesgrenze
markiert. Anders dagegen innerhalb der Staaten: In einigen Ländern wie Frankreich richtet
sich die innere Organisation historisch nach Flusseinzugsgebieten. Bemerkenswerterweise sah
auch die Montgelas’sche Reform Bayerns nach dem Ansbacher Memoire aus dem Jahr 1796
die interne Strukturierung nach Flusseinzugsgebieten vor. Weniger kritisch, als man anfangs
vermuten könnte, ist die Übereinstimmung der Grundwasserkörper mit den oberflächlichen
Einzugsgebieten. Hier ist die Übereinstimmung regelmäßig groß genug, dass nicht zwei Sys-
teme parallel geführt werden müssten. In bestimmten Gebieten, z. B. in der nördlichen Sahara,
könnten aber durchaus die Grundwasserkörper bessere Einzugsgebietsgrenzen vorgeben als
die (überwiegend fehlenden) Oberflächenwasserkörper.
FEM ist aber nicht davon abhängig, dass administrative Grenzen und Flusseinzugsgebietsgren-
zen übereinstimmen. Alle internationalen Flussgebietskommissionen wie die IKSD, IKSR,
aber auch im Nilbecken oder im Nigergebiet sind Formen der grenzüberschreitenden FEM.
Auch in Brasilien werden die großen nationalen FEG unabhängig von den Ländergrenzen

443
GWP 2000, S. 47: „River basin/aquifer/catchment management structures; Water flows according to
natural characteristics and does not respect administrative boundaries – therefore the question
arises: should water be managed and management structures defined according to existing adminis-
trative boundaries or according to natural boundaries, usually taken to be river basins? From a pure
water resource point of view there might be much logic in adopting a river basin approach, or at
least considering the river basin as the logical planning unit. However, in accordance with the prin-
ciple of demand-driven development, a river basin organization should only be established in re-
sponse to a perceived and expressed demand, typically expressed by multiple users. Existing adminis-
trative divisions and regulatory conditions might discourage the management of water according to
river basin boundaries. It should also be noted that river basin agencies cannot in themselves ensure
the sustainable development of the resource. They will need to be supported by a range of institutions
that help determine the demands placed on the resource by economic, social and political change.”
444
Hontelez, 2002
3.3 Management 183

bewirtschaftet. Die EU ging mit der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL)445 den gleichen Schritt.
Dort wurde das Gewässereinzugsgebietsmanagement (GEM) zum absoluten Standard erhoben;
d. h., neben den Oberflächengewässern wurden auch die Grundwasserräume gebietsübergrei-
fend erfasst. Die transnationale Zusammenarbeit findet im Rahmen von Flussgebietskomitees
statt, Berichte müssen FEG-bezogen gemeinsam erstellt und an die EU gegeben werden. Dazu
die WRRL, Art 3:
„(1) Die Mitgliedstaaten bestimmen die einzelnen Einzugsgebiete innerhalb ihres jeweiligen
Hoheitsgebiets und ordnen sie für die Zwecke dieser Richtlinie jeweils einer Flussgebietsein-
heit zu. Kleine Einzugsgebiete können gegebenenfalls mit größeren Einzugsgebieten zusam-
mengelegt werden oder mit benachbarten kleinen Einzugsgebieten eine Flussgebietseinheit
bilden. Grundwässer, die nicht in vollem Umfang in einem einzigen Einzugsgebiet liegen,
werden genau bestimmt und der am nächsten gelegenen oder am besten geeigneten Flussge-
bietseinheit zugeordnet. Auch die Küstengewässer werden bestimmt und der bzw. den am
nächsten gelegenen oder am besten geeigneten Flussgebietseinheit(en) zugeordnet.…
(3) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass ein Einzugsgebiet, das auf dem Hoheitsgebiet von
mehr als einem Mitgliedstaat liegt, einer internationalen Flussgebietseinheit zugeordnet wird.
Auf Antrag der betroffenen Mitgliedstaaten wird die Kommission tätig, um die Zuordnung zu
derartigen internationalen Flussgebietseinheiten zu erleichtern.…
(5) Wenn eine Flussgebietseinheit über das Gebiet der Gemeinschaft hinausgeht, so bemühen
sich der oder die betroffenen Mitgliedstaaten um eine geeignete Koordinierung mit den ent-
sprechenden Nichtmitgliedstaaten, um die Ziele dieser Richtlinie in der gesamten Flussge-
bietseinheit zu erreichen. Die Mitgliedstaaten sorgen für die Anwendung der Vorschriften
dieser Richtlinie in ihrem Hoheitsgebiet.“
Auch für die Bewirtschaftung im Rahmen der Naturgefahrenabwehr – die die WRRL bislang
ausgenommen hat – sind FEG-bezogene Regeln und Richtlinien zu erwarten. In der EU-
Mitteilung zum Hochwasserrisikomanagement von 2004 wird unter Punkt 4.1 ein „koordinier-
tes Aktionsprogramm zu Hochwasservermeidung, Hochwasserschutz und Hochwasserminde-
rung“ vorgeschlagen, dass als wesentliches Merkmal die „Verbesserung der Koordinierung
und Zusammenarbeit durch die Entwicklung und Implementierung von Hochwasserrisikoplä-
nen für jedes Flusseinzugsgebiet und für Küstenbereiche, wo menschliche Gesundheit, die
Umwelt, die wirtschaftlichen Aktivitäten oder die Lebensqualität durch Hochwasser negativ
beeinflusst werden können“ nennt.
Kritische Diskussion: Die integralen Ansätze auf Flusseinzugsgebiete zu beziehen ist ein-
leuchtend und in der Theorie zweifellos richtig. Es gibt allerdings ein paar Probleme:
Größenprobleme: Allein die Größe ist meist eine Herausforderung. So umfasst das bayerische
Donaueinzugsgebiet in Bayern ca. 45000 km2, bei drei Oberliegern und einem runden Dutzend
Unterliegern. Je nach Fragestellung ist eine Einzugsgebietsbetrachtung von beträchtlicher
Komplexität.
Maßstabsprobleme: Gleichzeitig liegt ein Problem in der Detailliertheit. Die WRRL be-
schränkt sich auf die Beschreibung der Gewässer ab 10 km2 Einzugsgebiet. Das sind in Bayern
von rund 70 - 100000 km Fließgewässern ca. 12000 km. Je nach Maßstab ergibt sich bei der

445
EU, RICHTLINIE 2000/60/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom
23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Be-
reich der Wasserpolitik
184 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

genannten Größe eine hohe Datenmenge, die die Datenverarbeitung schnell an Grenzen bringt.
Selbst in den Hauptästen genügen die heutigen Algorithmen der Hydrologie und Wetterkunde
kaum für genaue Prognosen bei den Abflüssen, insbesondere zur Steuerung von Talsperren
und anderen Rückhalteräumen. Rechengänge in 2D-Modellen sind heute noch so aufwendig,
dass sie für die praktische Steuerung zu langsam sind446.
Das ändert zwar nichts an der Richtigkeit des flächenhaften Ansatzes im Rahmen einer FEG-
Betrachtung, deutet aber auf die Notwendigkeit eines praxisnahen Vollzugs hin. Die Be-
standsaufnahme in der Fläche verschafft zunächst allen Beteiligten die gleiche Datengrundla-
ge. Auf der Basis von Übersichtsplanungen ist es aber notwendig, zu generalisieren oder mög-
lichst unabhängige Arbeitsfelder zu definieren, die mit vertretbarem Einsatz umgesetzt werden
können. Auch hier sind generalisierte Aussagen (z. B. flächendeckender Grundwasserschutz,
genereller Flächenrückhalt) einfacher umzusetzen als Listen von Einzelprojekten (deterministi-
scher Weg), bei denen die Fehleranfälligkeit im Aufstellungsverfahren liegt. Mit diesen gerin-
gen Einschränkungen gilt
Ansatz 32: Wasserwirtschaft denkt in der Fläche und im Rahmen von Flusseinzugs-
gebieten.
Zusammenfassend ist festzustellen: Die Organisation in Flussgebieten ist ein richtiger Schritt.
Dazu gehört eine zuständige Administration sowie Gremien der Stakeholder. Die tatsächliche
Umsetzung von flächendeckendem Wassermanagement ist aber höchst anspruchsvoll und mit
organisatorisch-administrativen Mitteln allein kaum zu erreichen. Ziel muss vielmehr eine in
der Bevölkerung verankerte Wasserkultur sein, die als einzige wirklich flächendeckend wirken
kann.447 Gleichzeitig sind Zuständigkeitsregelung analog des ‚distributed governance’ (wie in
Bayern, die die Kommunen in der Verantwortung für die kleinen Gewässer sieht und ihnen
auch gesetzlich bestimmte Pflichten auferlegt) ein gangbare Weg. Allerdings sind dann auch
Netzwerke nötig, die es den Kommunen gemeinsam ermöglichen, dieser Aufgabe nachzu-
kommen. Solche Netzwerke könnten sinnvollerweise auch auf Ebene der FEG organisiert
werden (vgl. auch 3.6.1).
Ergänzende Aussagen der GWP: Die Tool-Box macht konkrete Vorschläge zur Umsetzung
der FEG-Managements, die zu beachten sind. Ähnlich der WRRL wird die praktische Umset-
zung mit Hilfe verschiedener Planungsebenen vorgeschlagen, die ihrerseits auf einer Abschät-
zung der maßgeblichen Parameter (Assessment) beruhen.
Die Abschätzung (Assessment) wird im Kapitel „Water Resources Assessment“448 eingeteilt in

446
Diese Ergebnisse stammen aus 2005 noch laufenden Entwicklungsvorhaben des Bay StMUGV zum
Thema der großräumigen Steuerung der Donauhochwässer. Ähnliche Erfahrungen wurden mit Da-
tenbanken gemacht. Das System InfoWas sollte wasserrelevante Daten für Bayern raumbezogen im
Sinne des integrierten Managements zur Verfügung stellen. Bis zum Jahr 2005 war trotz über 10 Jah-
ren Entwicklungsarbeit noch keine vollständige Lösung vorhanden. Es stellt sich damit die Aufgabe
der Generalisierung. Nicht alle Einflüsse sind in jedem Maßstab eines Flussgebietes relevant.
447
Ein Beispiel für solch eine kulturelle, ethisch-sittliche Entwicklung hat in Deutschland mit dem Ent-
sorgen von Kleinmüll stattgefunden. Kein einigermaßen kultivierter Deutscher wirft heute typischen
Kleinmüll wie Flaschen oder Verpackungen einfach in die Natur. Nicht anders geht es den Nachbarn
Österreich oder Dänemark. Noch klarer sind die Verhältnisse z. B. in der Schweiz. Wie verschieden
dagegen ist das Bild auch heute noch an manchen Orten in Italien, oder gar in vielen Ländern Latein-
amerikas. Dort wird Müll nach wie vor vollkommen gedankenlos bei jeder Gelegenheit entsorgt –
wie bei uns vor vierzig Jahren.
448
GWP 2005, C1.2
3.3 Management 185

• Nachfrageabschätzung (demand assessment), also der Erfassung der konkurrierenden Nut-


zungen,
• Umweltverträglichkeitsprüfung (‚Environmental impact assessment (EIA)’ oder ‚strategic
environmental assessment (SEA)’), die Daten zur Umwelteinwirkung und zu den sozialen
Effekten von Projekten und Programmen erheben. Auffällig (und richtig) ist die Miteinbe-
ziehung der sozial-gesellschaftlichen Auswirkungen.
• Gesellschaftseinwirkungen (Social impact assessment (SIA)), die untersuchen, wie gesell-
schaftliche und institutionelle Strukturen den Wassersektor beeinflussen und umgekehrt,
• Risiko und Vulnerabiliätseinschätzung (risk or vulnerability assessment), die die Wahr-
scheinlichkeit von Extremereignissen wie Überschwemmungen und Trockenheit bzw. die
möglichen Wirkungen auf den Menschen untersucht und als Entscheidungshilfe die
• Wirtschaftlichkeitsberechnungen, die sich in Kosten-Effizienz-Untersuchungen (cost-
effectiveness analysis (CEA)) und Kosten-Nutzen-Analysen (cost-benefit analysis (CBA))
unterscheiden449.
Das Ziel ist die Entwicklung von auf diesen Erkenntnissen fußenden nationalen Plänen zum
IWRM.450 Diese Pläne sollen, im Kontext mit den nationalen und internationalen geographi-
schen und politischen Rahmenbedingungen, die mit dem Wasser zusammenhängenden Aktivi-
täten steuern. Als Beispiel sind ökologische Anforderungen, Siedlungswasserbau, Bewässe-
rung, Landnutzung und Forstwirtschaft, Fischerei, Wasserkraft und industrieller Nutzen ange-
geben. Die Folge des Managementplans ist ein Maßnahmenplan (development plan).
Die gleiche Struktur wird auf Ebene der Flusseinzugsgebiete vorgeschlagen.451 Als Inhalt wird
eine Liste von Belangen vorgeschlagen (siehe Tafel 14). Besonders zu Seeneinzugsgebieten
wird von der GWP darauf hingewiesen, dass wegen der Bioakkumulation und der Retentions-
wirkung besondere Beachtung der Nährstoffe und der toxischen Verschmutzung nötig ist.

449
CEA sucht nach der günstigsten Lösung für ein gegebenes Ziel, CBA stellt den gesamtwirtschaftli-
chen Nutzen den wirtschaftlichen Kosten gegenüber. Die Maßnahme der Wahl ist die mit dem größ-
ten Nutzen /Kostenverhältnis. Hier ist allerdings hinzuzufügen, dass solche Rechnungen schnell sehr
aufwändig und damit selber unwirtschaftlich werden. Es ist aber ausgesprochen schwierig, verein-
fachte Formen der Kosten-Nutzenrechnungen zu entwickeln. Ein alternatives Modell wird derzeit für
die Priorisierung von Hochwasserschutzmaßnahmen am bayerischen Umweltministerium erarbeitet.
450
GWP 2005, C2.1
451
GWP 2005, C2.2
186 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

• Physical description of the basin


• Land use inventories
• Current water availability and demands
• Pollution source inventories
• Aquatic and terrestrial ecosystem needs
• Vulnerability to floods or extreme meteorological events
• Identification of stakeholders
• Implications of changing land use
• Identification of priority issues (impact issues or user requirement issues)
• Short- and long-term goals for the river basin
• Water related development scenarios, future water demands
• Water allocation and water quality objectives
• Strategy, measures and action plan for achievement of goals
• Financing of water use and management
• Responsibility and schedule for implementation
• Mechanisms for monitoring and updating

Tafel 14: Inhalt eines River Basin Management Plans nach dem Vorschlag der GWP

Dieser richtige Ansatz muss an sich ohne Einschränkung auch auf das Grundwasser ausge-
dehnt werden. Hier nimmt die GWP mit ihren Hinweisen zu Managementplänen eine bemer-
kenswert zurückhaltende Position ein. Speziell für Grundwasser wird ein abgestuftes Vorge-
hen empfohlen452:
• Grundsätzlich sollen alle Quellen und Brunnen registriert sein, außerdem ist die Überwa-
chung der Ressource notwendig.
• In Situationen beginnender Spannungen mit wenigen, lokal konkurrierenden Nutzern und
Konflikten sind einfache Managementwerkzeuge zum Brunnenabstand einschließlich ent-
sprechender Regeln angemessen.
• Bei signifikanten Spannungen mit tiefgründigen Eingriffen in den Naturhaushalt und die
Interessen Beteiligter ist eine eigene Grundwasserentwicklungspolitik und ein gesetzliches
Regelwerk, basierend auf einer umfassenden Ressourcenabschätzung, notwendig.
• In nicht mehr nachhaltigen Situationen, in denen tiefgreifende unkontrollierte Eingriffe
irreversible Grundwasserdegradierungen erzeugen, besteht eine dringende Notwendigkeit
für eine rigorose politische, legislative, regulierende und von starkem Management beglei-
tete Reaktion.

Aus europäischer Sicht ist diese Vorgehensweise zu Grundwasser so nicht akzeptabel.


Sowohl die althergebrachte Grundwasserbewirtschaftung wie auch die neueren Regeln
der WRRL setzen eindeutig im Sinne des Vorsorgegedankens wesentlich früher mit der
Forderung nach genauer Kenntnis über das Grundwasser als auch mit regulativen Eingrif-
fen an. Die im vorletzten und letzten Schritt entstandenen Missstände haben sich schließ-
lich aus den ersten beiden ergeben; bei der langsamen Reaktionszeit des Grundwassers ist
dies nicht verantwortbar. Aufgrund der Verfügbarkeit und des natürlichen Schutzes ist
Grundwasser aus anthropogener Sicht sogar die am meisten schützenswerte Ressource
(vgl. Ansatz 6).

Zur administrativen Umsetzung werden insbesondere dann, wenn die Verantwortung für den
Wassersektor auf mehrere Oberste Landesbehörden verteilt ist, Spitzenorganisationen vorge-

452
GWP 2005, C 2.3
3.3 Management 187

schlagen.453 Ein Muster dafür wäre die deutsche LAWA, die Länderarbeitsgemeinschaft Was-
ser. Die Ableitung der Spitzengruppen auf die Flussgebietsebene sind die Flussgebietsorgani-
sationen, von denen die GWP schreibt, dass sie nach bisherigen Erfahrungen in ihrer Organisa-
tion höchst unterschiedlich aufgestellt sind, was vor allem mit ihrer Historie, u. U. auch mit
gesellschaftlichen Hintergründen zu tun hat. Als Konsequenz habe sich aber daraus als jüngste
Entwicklung als Ableger des IWRM das IRBM (Integrated River Basin Management) ausge-
prägt. Als Merkmale der Flusseinzugsgebietsorganisationen (River Basin Organizations
(RBOs)) werden genannt:
• einzugsgebietsweites Planen, um die Belange der Nutzer auszugleichen und wasserbeding-
te Elementarrisiken abzuwenden,
• umfangreiche Öffentlichkeits- und Stakeholder-Beteiligung an Entscheidungsprozessen,
Stärkung der regionalen Stärken,
• effektives Nachfragemanagement
• flussgebietsbezogene gemeinsame Lösungsansätze und Verpflichtungen, einschließlich der
Mittel, diese zu überwachen,
• angemessene personelle und finanzielle Ressourcen.
Unter lessons learned werden wichtige Hinweise zu den Bedingungen eines Funktionierens
gegeben, von denen folgende zu unterstreichen sind:
• Flusseinzugsgebietsorganisationen müssen über technisch kompetentes Personal verfügen.
• Flusseinzugsgebietsorganisationen müssen einen erkennbaren Nutzen bringen.
• Flusseinzugsgebietsorganisationen müssen über verlässliche Einnahmen verfügen und
umgekehrt in der Lage sein, finanziell zu steuern bzw. zu agieren.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass wasserbezogene Rahmenplanung auf Landesebene
und Einzugsgebietsebene eine Voraussetzung für die Umsetzung der Ziele der IWRM ist. Die
WRRL setzt dies mit den Bewirtschaftungsplänen fort, ebenso die Hochwasseraktionspläne
der EU und anderer Institutionen. Einschränkend muss allerdings gesagt werden, dass ein guter
Plan alleine noch kein Erfolg ist. Ohne personellen, institutionellen und vor allem finanziellen
Hintergrund ist eine Umsetzung unmöglich.

3.3.4.5 Flächenmanagement
Im Kern der planungsrechtlichen Verantwortung in der Fläche stehen die Fragen der Landes-
planung (Raumordnung), der Flächennutzungsplanung (Bauleitplanung), der Bodenordnung
und der Infrastrukturplanung. Die Ordnung der Landnutzung ist mit der Wasserbewirtschaf-
tung in mehreren Schnittstellen454 eng verwoben:
Konkurrierende Nutzungen bestehen in Gebieten, in denen die gewünschte Nutzung den
wasserwirtschaftlichen Anforderungen entgegenläuft. Das sind in erster Linie die natürlichen
Überschwemmungsgebiete und außerdem Gebiete zum qualitativen und quantitativen Schutz
des Wassers, insbesondere zum Trinkwasserschutz. Wasserwirtschaft wirkt als limitierender
Faktor für die Landnutzung. Damit sind alle Versorgungsbereiche angesprochen, insbesondere
Trinkwasserversorgung der Ballungsräume und die landwirtschaftliche Bewässerung.

453
GWP 2005, B1.03
454
GWP 2005, C6.4
188 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

Mit der einflussnehmenden Landbewirtschaftung sind überwiegend Auswirkungen auf das


Wasserregime wie Erosion, Nährstoffeintrag und großflächige Veränderung der Abflussbei-
werte angesprochen. Solche flächenwirksame Einwirkungen durch die landwirtschaftliche
Nutzung, aber auch andere Nutzungen wie der Abbau von Bodenschätzen (z. B. Braun-
kohletagebau) werden von BORK455 beschrieben. Danach hat sich weltweit die Landnutzung
des Menschen in radikalen Veränderungen von der Ursprungslandschaft zur Kulturlandschaft
ausgewirkt, die in allen besiedelten Gebieten zur Änderung der Abfluss- und Erosionsverhält-
nisse und damit des gesamten Wasserhaushalts geführt haben.
Sozioökonomische Belange der Landnutzung sind indirekt vielfältig mit wasserwirtschaft-
lichen Belangen verknüpft, sowohl, weil sie von diesen Rahmenbedingungen abhängen als
auch, weil sie diese beeinflussen. Einige der vom WBGU456 definierten auch für sozioökono-
mische Belange besonders kritischen Syndrome berühren die Landnutzung, so das Favela-
Syndrom (u. a. als Ursache der Landflucht) und das Aralsee-Syndrom. Neben der ökologi-
schen Dimension ist damit auch die Gerechtigkeit der Landnutzung (vgl. die Probleme der
Landbesetzungen in Brasilien) angesprochen.
Die Entwicklung der ländlichen Räume bestimmt aber auch die Entwicklung in den Ballungs-
räumen mit. Die UNEP hat 2000 die Auffassung vertreten, „der Kampf um den Erhalt des
Wassers wird in den großen Ballungsräumen der Welt entschieden“.457 Inzwischen ist das
Verhältnis differenzierter geworden. TÖPFER präzisiert 2004: „Today, no local, national,
regional and global environmental problem can be classified anymore as either rural or ur-
ban. Environmental problems should be seen in the light of the urban-rural link.”458 An glei-
cher Stelle fordert er mit dem “Ecosystem Approach”, eine Strategie für integriertes Manage-
ment von Land, Wasser und lebendiger Ressource (living resources) mit dem Zweck der Be-
wahrung und der nachhaltigen Nutzung in einer gerechten Weise. Effiziente Strategien für das
Verhältnis Stadt-Land sind Voraussetzung für nachhaltige Entwicklung. TÖPFER hält dies für
eine fundamentale politische Lehre, die in das 21. Jahrhundert eingespeist werden muss.459
Konsequenterweise müssen wasserwirtschaftliche Projekte bzw. Planungen die Bedeutung des
Flächenmanagements kennen und berücksichtigen. Die GWP führt unter „Land use planning
controls and nature protection“ aus: „An important topic for IWRM is the interface between
water use and land use. Consequently, regulating land use is part of IWRM. The steady growth
of urban agglomerations means that the water impacts of land use becomes of paramount
importance. Urban growth leads to massively increased local discharges of waste effluent with
serious impacts on surface and ground water. In the same way forestry and agricultural activi-
ties have significant impacts on both quality and quantity of surface runoff as well as ground-

455
Bork 2005
456
WBGU 1997 S. 175ff und 197ff
457
UNEP/GRID-Arendal 19.3.2001. Ebenfalls 2001, bereits im Februar, sieht TÖPFER die Rolle der
Städte auf der Eröffnungsveranstaltung der Kommission für Siedlungsentwicklung in Nairobi auch
im Bereich der Treibhausgasentwicklung. “The urban environmental challenge needs common solu-
tions from water and sewage via planning for waste, air pollution and cities. The fight to reduce the
greenhouse gas emissions must be won in the cities; renewable, decentralized energies are necessary
for rural energy needs and by achieving these ends, we shall stabilize the rural settlement structures“.
458
Töpfer 2004 S. 391ff
459
ebenda, S. 397
3.3 Management 189

water formation and quality. Land use planning should be a significant component of the im-
plementation of national plans for IWRM. “460
Dies wird bislang überwiegend übersehen. So wird das Thema Bodenreform in Brasilien zwar
seit Jahrzehnten politisch diskutiert, eine Umsetzung findet aber kaum statt. Symptomatisch ist
die schleppende Entwicklung der ländlichen Wasserinfrastruktur. Folglich bekommt man eini-
ge permanente Probleme, vor allem das Favela-Syndrom nicht in den Griff. Dazu führt der
WBGU461 aus, dass eine geregelte Urbanisierung eine Verminderung des Wanderungsdrucks
aus ländlichen Gebieten voraussetzt. Grundlage hierfür sei eine national und auch international
koordinierte Raumordnungspolitik, die auf einen angemessenen Strukturwandel im ländlichen
Raum ausgerichtet ist (WBGU, 1993) und sich in erster Linie gegen die fatalen Auswirkungen
eines „urban bias“ („Schieflage“ von Städten) wendet. Es müssen im Sinne der AGENDA 21
polyzentrische anstelle von monozentrischen Raumnutzungsstrukturen geschaffen werden.
Weiterhin seien konkrete raumordnerische Leitbilder zu entwickeln und u. a. über Bodenre-
formen umzusetzen, die durch eine ausgewogene Mischung von Nutzungsstrukturen zwischen
Stadt und Land aber auch innerhalb der Städte (durch den Erhalt und die Entwicklung ausrei-
chender innerstädtischer Grünflächen) eine Harmonisierung von „Umwelt und Entwicklung“
zulassen. Mc GRANAHAN und SATTERTHWAITE fordern mehr lokale Initiativen, die auf
die speziellen Bedürfnisse armer ländlicher Regionen eingehen. Dazu müssten mehr „lokale
Wirklichkeit, Wissen und Meinungen“ in den internationalen Agenden eingebracht werden.
Diese lokalen Beiträge seien zwar nicht unbedingt eine Basis für „best practice“, aber es wäre
alles besser als die „bad practice“, die derzeit weltweiter Standard sei 462. In der Konsequenz
schlägt ein Forschungsprojekt „Nachhaltigkeit in der ländlichen Entwicklung“, das KLAUS463
zitiert, zur Implementierung eines nachhaltigen Prozesses die Themenbereiche Ziele Sied-
lungsentwicklung einschl. der Gebäudeentwicklung, Infrastrukturentwicklung (Verkehr, Ver-
und Entsorgung), Landschaftsentwicklung, Wirtschaftsentwicklung, Sozialentwicklung und
Kommunikationsformen vor, die außerdem nach dem Leitbild des aktivierenden Staates und
der aktiven Bürgergesellschaft gestaltet seien sollen.
Ohne eine funktionierende Boden- und Raumordnung sind also viele Infrastruktur-Sanie-
rungsvorhaben zum Scheitern verurteilt. Damit wird neben der Landesentwicklungsplanung
der in Deutschland seit 1978 für ländliche Gebiete entwickelte Ansatz der Dorferneuerung464
zu einem der wichtigen Nachhaltigkeitsbausteine. Nach MILLER465 hat die Ordnung der
Landnutzung und die Sicherung der dörflichen Gemeinschaften folgende Aufgaben:
• die Wiederbelebung regionaler Kreisläufe, z. B. durch Regionalvermarktung,
• die Verbesserung der Lebensqualität durch Einrichtung von Infrastruktureinrichtungen, die
der Gesundheit, der Bildung, dem kulturellen Austausch und der Dorfgemeinschaft nutzen,
• eine Ausweitung des ökologischen Bewusstseins und der ökologischen Zielsetzungen bis
hin zu geordneter Ver- und Entsorgung,
• ressourcenschonende Bebauung und Bewirtschaftung466.

460
GWP 2005, C6.4
461
WBGU 1997 S. 212
462
IIED 2003, S. 48
463
Klaus 2003, S. 57 f
464
Buchta u. Lorig 2004, S. 50
465
Miller 2003, S. 35, ergänzt
466
vgl. auch Bündnis zum Flächensparen, BStMUGV 2005
190 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

Die Landesentwicklungsplanung und Landnutzungsplanung verfolgt also die Ordnung der


verschiedenen Ansprüche auf lokaler, regionaler und landesweiter Ebene, die vor allem auf
eine effizientere Nutzung (Landverbrauch, Verkehrsbeziehungen, Vorrang- und Vorbehaltsflä-
chen467) abzielt und die Stärkung bestimmter als notwendig erkannter Strukturen wie Dorf-
struktur, gerechte Bodennutzung usw. abzielt. Nach diesem hochpartizipativen, der A21 ent-
lehnten Prinzip können weltweit Beiträge zur Entwicklung ländlicher Gebiete geleistet werden.
MAGEL und WILKE haben nach diesem Schema in Shandong (China) Projekte zur nachhal-
tigen Entwicklung in ländlichen Gemeinden aufgebaut, die heute Vorzeigecharakter haben.468
Ansatz 33: Eine funktionierende Raum- und Bodenordnung sind unabdingbare Teile
eines integrierten Ansatzes. Die Landnutzungsplanung ist damit Teil des IWRM.

3.4 Finanzierung und Steuerung


Finanzierung hat in der Diskussion um die Verbesserung der weltweiten Wassersituation zwei
Bedeutungen. Einmal geht es um die Mobilisierung des nötigen Kapitals, um die Investitionen
in neue Anlagen und laufende Kosten des Unterhalts und des Betreibens der Wasserwirtschaft
zu decken. Zum anderen ist das System der Finanzierung, also Beiträge, Gebühren, Steuern,
Abgaben, Subventionen, Anreize und Strafen auch ein wichtiges Steuerungsinstrument.
Die GWP nennt als zu finanzierende Bereiche469:

1. Generelles Ressourcenmanagement, Bewahrung und Schutz der Wasserressource (einschließlich


der Kosten der Legislative und Exekutive, Monitoring, Überwachung, Zuteilung, Information
usw.)
2. Service (z. B. Trinkwasser, Bewässerung und Abwasserbeseitigung)
3. Investitionen in den Ausgleich von Angebot und Nachfrage in räumlicher und zeitlicher Hinsicht
(im wesentlichen Fernbeileitungen und Wasserspeicherung durch Talsperren)
4. Öffentliche Einrichtungen wie vor allem die Schutzeinrichtungen gegen Naturgefahren (Über-
schwemmungen, Muren, Lawinen, Dürren)
5. Bei dieser Aufzählung fehlt als wesentlicher Teil die
6. Reparatur bereits eingetretener Umweltschäden (die in Höhe von einigen Prozent der Gesamt-
kosten für den Wassersektor liegen können, wenn man die für Deutschland geltenden Zahlen
weltweit hochrechnet, dazu auch Kap. 2.2.1, Seite Kap. 2.2.1, Seite 32).470

Tafel 15: Abgrenzung der zu finanzierenden Bereiche der Wasserwirtschaft nach GWP, ergänzt

Die Finanzierung ist deshalb eine der wichtigsten Aufgaben bei der Erfüllung der MDGs. Die
grundsätzliche Leitlinie dabei ist sowohl nach übereinstimmender Meinung der UN, der Welt-
bank, aber auch der WRRL das Prinzip der kostendeckenden Preise, das wegen der fundamen-
talen Bedeutung des Wassersektors nicht nur für den Bereich der Siedlungswasserwirtschaft
gelten darf, sondern als Prinzip auf den gesamten Wassersektor angewendet werden sollte.

467
OBB 1974, Grundwassererkundung in Bayern, Schriftenreihe Wasserwirtschaft in Bayern, München
468
Wilke 2004, S. 453
469
GWP 2002, S. 25
470
Lars 2001, S. 109 ff
3.4 Finanzierung und Steuerung 191

Allerdings sind aus ökologischen oder sozialen Gründen unter Umständen Transferleistungen
angebracht.
Ansatz 34: Grundsätzlich sollen Wasserpreise kostendeckend kalkuliert werden. Dieses
Prinzip ist prinzipiell auf den gesamten Wassersektor auszuweiten. Transferleistungen
innerhalb des Sektors richten sich nach den Bedingungen der Nachhaltigkeit.
In Kapitel 3.2 – Angepasste Technologie – und 3.3 – angepasstes Management – wurden An-
sätze aufgezeigt, wie die Kostenseite beziehungsweise die Kosten-Nutzenrelation durch effi-
ziente Lösungen verbessert werden kann. Dieser sparsame Einsatz der Mittel (rationale Res-
sourcennutzung) ist die Grundvoraussetzung schlechthin. Es geht zunächst darum, möglichst
große Teile der anfallenden Kosten durch eigene, d. h. regionale Mittel zu bestreiten – die
Einschränkung „möglichst“ bezieht sich dabei auf im Vergleich finanzschwache Regionen.
Die Frage, woher international zusätzliches Geld für die notwendigen Investitionen kommen
könnte, ist im Rahmen von Kap. 2.2 behandelt worden.
Der Finanzsektor ist jedoch vor allem ein wichtiges Steuerinstrument. Die Möglichkeiten der
Steuerung – überwiegend mit Hilfe finanzieller Eingriffe – wurden prinzipiell in Abbildung 3-
13, Seite 125 dargestellt. Die Regelungsinstrumente – freier Markt, demokratische Prozesse,
Preiskontrolle, Steuern und Zuwendungen, Gesetze – Bescheide und freiwilliges Handeln –
wirken in der Summe, nachdem sich die Kosten/Einnahmen Unternehmen aus den internen,
vom Projekt oder Unternehmen selber beeinflussbaren Größen (wie Gewinnungskosten, Inves-
tition und Unterhalt, Personal, Abschreibung, Schuldendienst) und externen, nicht oder kaum
beeinflussbaren Kosten (wie Abgaben, Steuer, Zuwendungen, Kosten durch Erfüllung von
Bescheidsauflagen, Kosten für Fremdleistungen usw.) zusammensetzen.
Die Tool-Box der GWP setzt sich unter C7: „ECONOMIC INSTRUMENTS – using value and
prices for efficiency and equity” mit der Frage der Steuerung durch ökonomische Instrumente
auseinander, also z. B. wie durch Gebühren für Abwassereinleitungen die Entwicklung von
Abwasserreinigungstechnologie zu unterstützen ist. Die GWP sieht die Möglichkeiten der
Steuerung des freien Marktes aber eingeschränkt: „Economic instruments work best in combi-
nation with other supporting measures: they are unlikely to be effective acting alone. The ad-
age "the market is a good servant but a bad master" applies here.”471
Dies entspricht dem in dieser Arbeit vertretenen Ansatz, dass nur durch das Ausschöpfen aller
bekannten Regelungsmöglichkeiten effiziente Lösungen erreicht werden können.
Ansatz 35: Nachhaltige Lösungen lassen sich nur durch dosiertes und abgestimmtes
Ausschöpfen aller bekannten finanziellen und nicht-finanziellen Regelungs- und
Steuerungsmechanismen erreichen.

3.4.1 Regelung des freien Marktes: Was steuern private Lösungen bei?
Die Regulative des freien Marktes wirken als Steuerungsinstrument für die Finanzierung von
Leistungen im Wassersektor sehr weitgehend, weil normalerweise die meisten Teilleistungen
über den freien Markt angeboten werden: Zulieferungen, Bauleistungen, Serviceleistungen und
insbesondere auch Finanzierungen über den Kapitalmarkt. Durch diesen freien Markt werden
im Besonderen die technischen Fortschritte eingespeist, die sich durch ein besseres Preis-
Leistungsverhältnis auszeichnen.

471
GWP 2005, C7
192 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

Bei großräumigen Aufgaben der Siedlungswasserwirtschaft (Tafel 15, Ziff. 2, z. T. auch


Ziff. 3) gilt dies nicht. Rein marktwirtschaftliche Steuerung ist in diesem Bereich sogar kont-
raproduktiv. Insbesondere die Versorgung der ländlichen Räume ist gesamtgesellschaftlich
gesehen ein Muss; wenn man sie alleine aus dem Blickwinkel der betrieblichen Kosten des
Wassersektors betrachtet, ist sie dagegen oft unwirtschaftlich (vgl. dazu auch Kap. 2.3.3). So
kosten Transport und Verteilung in urbanen Regionen ab 0,5 $/m3, in ländlichen Regionen
können es wegen der notwendigen Überbrückung größerer Entfernungen bei kleinerem Um-
satz leicht 5 $/ m3 sein. Ein notwendiger Ausgleich wird in der Regel mit staatlichen oder staat-
lich gesteuerten Ausgleichszahlungen erreicht. „Because of lack of competition and the high
social sensitivity of water, governments usually regulate prices whether charged by public
utilities, municipalities or private concessionaires.”472
Die meisten Privatisierungsmodelle werden folglich in größeren Städten realisiert, die auch
ohne langfristige Quersubvention wirtschaftlich zu betreiben sind. Die Probleme der Privaten
Ansätze wurden ausführlich in Kap. 2.3.3.2 behandelt.
Eine interessante Variante zu Tafel 15, Nr. 4 hat sich Anfang des 20. Jahrhunderts in Bayern
durch den Wasserkraftausbau der großen Flüsse ergeben: Auf weite Gewässerstrecken, immer
aber dort, wo sich durch die Querbauwerke die Spiegellagen verändert haben, haben die
Betreiber die Ausbau- und Unterhaltspflicht für die Gewässer, insbesondere auch für die
Hochwasserschutzanlagen übernommen473. Diese Pflicht hängt wie das Recht der Wasser-
kraftnutzung an langfristigen Konzessionen (z. T. Laufzeiten wie Erbpacht, d. h. bis zu 99
Jahren). Vertrags– und Umsetzungsdetails müssen auch in diesem Fall immer wieder nachver-
handelt werden, z. B. die Konsequenzen aus der WRRL. Immerhin konnten so millionenteure
Schutzbauten zusammen mit dem Bau der Kraftwerke finanziert werden.
In jedem Fall haben die Regelungsmechanismen des freien Marktes einen erheblichen Einfluss
auf den Wassersektor. Die meisten Leistungen dieses Sektors – egal ob es sich um ein privates
Unternehmen oder ein öffentlich-rechtlich organisiertes handelt – bestehen zu 2/3 bis 3/4 aus
durch Vergabe oder Preisvergleich ermittelten Angeboten (vgl. Kap. 3.3.2.4).
Ein besonderes Betätigungsfeld für private Lösungen sind die Altlasten (Tafel 15, Nr. 5). Hier
ist sowohl eine stärkere in die Pflichtnahme der Verursacher wie auch eine Beteiligung der
Privatwirtschaft an Altlastenfonds möglich.474
Die Tool-Box setzt sich ebenfalls mit „Pricing of water and water services“ bzw. „pollution
and environmental charges“ und „subsidies and incentives”, allerdings in einer normativen
Art, auseinander475:
„As well as ensuring recovery of costs, an effective tariff should be:
• affordable: recognizing the vital role of water, the special needs of socially deserving
cases, and the importance of safe water and sanitation for public health. Mechanisms to
protect the poorest from high charges while avoiding subsidies to the better off are neces-
sary. The urban poor often pay more (per unit) for water via the informal private sector
than the better off pay to the official water utility. (C3, C1).
• acceptable to the public: tariffs should be clear, comprehensible and fair.

472
GWP 2005, C7.1, lessons learned
473
Allerdings waren die Vertragspartner zur Zeit des Vertragsabschlusses überwiegend staatliche Be-
triebe, die erst Ende des 20. Jahrhunderts privatisiert worden waren.
474
Lars 2001, S.171
475
GWP 2005, C7.1 und C7.2 und C7.4
3.4 Finanzierung und Steuerung 193

• administratively feasible: levying and collection of charges should be within the capacity of
the water undertaking (links with institutional capacity).”476
Obwohl diese normativen Ansätze für eine Umsetzung nicht konkret genug sind, geben sie
doch einen Hinweis auf die Zweifel der GWP, die Siedlungswasserwirtschaft allein über
marktwirtschaftliche Kräfte zu steuern.

3.4.2 Beiträge und Gebühren


Im Servicebereich setzten sich die Kosten für den Endkunden aus Beiträgen und Gebühren
zusammen. Beiträge sind Einmalzahlungen, die z. B. als „Anschlussbeitrag“ auf Basis eines
frei entwickelbaren Hebesatzes oder auch pauschal eingehoben werden. Sie fußen damit auf
fixen Parametern wie Grundstücksfläche, Wohn- und Geschäftsfläche, anschließbare Nutzer
oder einer Mischung daraus. Ein Sonderfall der Beiträge sind die Beteiligtenleistungen, die vor
allem zur Mitfinanzierung großer Infrastrukturprojekte der Bereiche 3 und 4 eingehoben wer-
den können. Beteiligte können alle Nutzen ziehenden Institutionen oder Personen sein. Typi-
sche Beteiligtenleistungen im Hochwasserschutzbau liegen in Bayern bei 50 % bis 30 % auf
die anrechenbaren Kosten. Bei diesen Infrastrukturmaßnahmen ist eine Beteiligung des einzel-
nen Bürgers nur in Einzelfällen sinnvoll, weil die Zuordnung des Nutzens sehr kompliziert
(und damit gleichzeitig zu Recht strittig) ist, i. d. R. werden die Kommune oder Institutionen
angesprochen. Gebühren setzen sich aus (jährlichen) Grundgebühren und verbrauchsabhängi-
gen Gebühren in im Grunde beliebiger Aufteilung zusammen.
Im Idealfall werden alle Investitionskosten der öffentlichen Anlage in Form von Beiträgen auf
die Kunden umgelegt, während die laufenden Kosten wie Betriebskosten und Unterhalt voll
über Gebühren abgerechnet werden. Damit würden die Darlehenskosten wegfallen. In der
Realität wird das selten erreicht, die meisten Infrastruktureinrichtungen werden durch Darle-
hen mindestens mitfinanziert, die Gebühren enthalten dann immer auch Zins und Tilgung. Sehr
viel hängt von der richtigen Staffelung dieser Instrumente ab. Dabei sind neben der Gerechtig-
keit auch soziale, ökologische und wirtschaftliche Gesichtspunkte für die zu wählende Syste-
matik maßgeblich. Die folgenden Beispiele geben solche Systeme wieder:
Soziale Staffelung in Armutsgebieten
Die Tool-Box gibt unter C7.1, lessons learned, Hinweise auf soziale Tarife:
• Thorough demand surveys and consultation with consumers are essential. In poorer com-
munities with underdeveloped services, willingness-to-pay surveys can be a useful pointer
to setting appropriate tariffs, provided that the people who actually pay (often women) are
actually consulted.
• Careful provision for poor or disadvantaged consumers. Direct support may be more effec-
tive, since subsidies often benefit the rich more.
• The structure of tariffs is just as important as the level of charges in achieving equity and
cost recovery aims.
Menschen, die im Bereich der Armutsgrenze der UN (2 $ Familieneinkommen pro Tag) leben,
haben nur bedingt Geld, um Wasserrechnungen zu bezahlen. Sie müssen aber natürlich auch
versorgt werden. In vielen Städten wie z. B. in Recife wird deshalb ein gestaffeltes System
angewandt: Dort, wo bereits Wasserzähler installiert sind, wird ein gestaffelter Betrag erhoben,
der mit der verbrauchten Menge wächst. Die unterste Stufe geht von ca. 30 l/E*d aus und er-

476
ebenda, C7.1
194 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

gibt einen Wasserpreis von weit unter einem Real/m3. Je nach Verbrauch steigt dieser Kubik-
meterpreis dann bis auf 4 Real./m3. Ohne Wasserzähler zahlt man eine Grundgebühr und einen
Schätztarif, der etwas über dem Sozialtarif liegt. Die Akzeptanz für diese Regelung ist in den
etwas weiter entwickelten Favelas durchaus hoch, bei einem Besuch im Jahr 2002 haben alle
Bewohner eines Quartiers nicht nur grundsätzliches Verständnis für den Wasserpreis gezeigt
sondern waren sich des Wertes der Leistung durchaus bewusst. Wasserversorgung wurde in-
nerhalb der Gemeinschaft positiv wahrgenommen, diejenigen, die nicht bezahlen konnten,
haben dies als Mangel oder gar Schande empfunden. Dazu gehört allerdings, dass die Arbeiter
der COMPESA, des örtlichen Versorgers, auch bei der Abrechnung der Gebühren sehr behut-
sam vorgegangen sind. Durch dieses Miteinander lässt sich die Zahl der schädlichen Schwarz-
anschlüsse deutlich reduzieren. Abwassergebühren wurden nicht erhoben, es war allerdings
auch kein Abwassersystem vorhanden.
Die Akzeptanz für Abwassergebühren ist zunächst grundsätzlich niedriger. Auch hier gibt es
aber Ansätze. In einer Gemeinde westlich von Recife wurde gerade (2004) mit Hilfe der KfW
ein Abwassersystem erstellt. Dieser Prozess wurde sehr stark durch Öffentlichkeitsarbeit un-
terstützt. Bei sehr niedrigen Gebühren muss jeder Hausbesitzer einen Anschlussbeitrag von
einheitlich 1000 Real zahlen, außerdem alle Leitungen ab Übergabeschacht selber errichten.
Dank einer Imagekampagne, die den Kanalanschluss zum Statussymbol macht, gibt es An-
fangserfolge477. In solchen Fällen der Neuerrichtung eines Systems oder der Neuerschließung
eines ganzen Stadtteils wären allerdings zusätzlich Anreizsysteme zu diskutieren, wenn aus
Akzeptanzgründen auf Zwangsmaßnahmen verzichtet werden soll.
Mengenabhängige Preise, insbesondere für Unternehmen
Ein eigenes Thema sind die Tarifgestaltungen für größere Betriebe. Je nach wirtschaftlicher
Lage sind hier zwei ganz unterschiedliche Modelle verbreitet: ein auf Reduzierung des
Verbrauchs ausgerichteter progressiv steigender Tarif und ein wirtschaftsfördernder Mengen-
rabatt. Beide Systeme können ihre Berechtigung haben (zu den prinzipiellen Problemen von
Subventionen siehe Seite 195).
In wirtschaftsstarken Gebieten kann Wassermangel zum limitierenden Faktor werden. Über
den Tarif kann ein Anreiz zur Entwicklung und Einführung wassersparender Technologien
geschaffen werden. Ein System dieser Art wurde zum Beispiel in der Wassermangelregion von
Toritama im Innenland von Pernambuco erprobt. Dort siedeln sich wegen der billigen Arbeits-
kräfte immer mehr Wäschereien an. Das Wasserangebot ist in dieser semi-ariden Region aber
sehr rar. Als Anreiz zum Wassersparen hat man mit dem Verbrauch progressiv steigende Was-
sertarife eingeführt (siehe auch Anhang 11).
Genau das gegenteilige Problem haben einige Städte in Europa, wenn durch Struktur-
änderungen stark wasserverbrauchende Betriebe schließen. Plötzlich sind die Abwasser-
reinigungsanlagen nicht mehr ausgelastet, mit der möglichen Konsequenz steigender Gebüh-
ren, die verbleibenden Verbraucher müssten dann zusätzlich mit den gestiegenen Stückkosten
der Abwasserreinigung belastet werden. Bei abwasserintensiven Betrieben kann das wirt-
schaftliche Probleme erzeugen, ein Teufelskreis beginnt, der eine ganze Region treffen kann.
In solchen Fällen ist es zulässig, durch das Angebot von Sondertarifen sowohl den vorhande-
nen Betrieben das Bleiben zu erleichtern wie auch Anreize zum Zuzug zu bieten. In einem
praktischen Fall war eine Hefefabrik, als abwasserintensiver Betrieb ein „Starkverschmutzer“,
besonders stark von dem steigenden Abwasserpreis betroffen, der u. a. durch das Wegbrechen

477
KfW Projekt Nr. 3060 u. Nr. 13344, Okt. 2003, und persönliche Gespräche vor Ort
3.4 Finanzierung und Steuerung 195

anderer Betriebe wie z. B. eines Milchhofes entstanden war. Ein Wegfall dieses Hefebetriebes
hätte weitere erhebliche Kostensteigerungen bedeutet (30 % Anteil an der BSB5-Fracht.)
Durch ein entsprechendes individuelles Tarifmodell konnte nicht nur der Wegzug des Betrie-
bes verhindert werden, sondern durch eine erhebliche Betriebserweiterung sogar eine viel
bessere Auslastung der Kläranlage erreicht werden – in einer strukturschwachen Gegend ein
Gewinn, der sich in stabileren Abwasserpreisen für alle und einigen Dutzend Arbeitsplätzen
niedergeschlagen hat. Die Betriebserweiterung erfolgte übrigens durch Umsiedlung eines Be-
triebsteiles, der in einer Wachstumsregion gelegen präzise das gegenteilige Problem hatte.
Starkverschmutzerzuschlag
Bei der Abwasserreinigung verursachen oft Starkverschmutzer überproportionale Kosten und
Risiken für den Kläranlagenbetreiber. Um einen Anreiz für die innerbetriebliche Abwasser-
reduzierung zu schaffen, kann ein parameterabhängiger Starkverschmutzer-Zuschlag erhoben
werden:
• Few pollution charges are set at levels high enough to encourage to firms to spend suffi-
cient on pollution abatement to meet pollution standards, but the existence of a charge,
even at a low level, provides some incentive and may be helpful in raising awareness of the
costs of pollution.
• Pollution charges need to be administered as part of an overall system of regulation.
• A precondition for successful pollution charges is the presence of a well-developed moni-
toring and measuring system (see also C1).
• Planned progressive increases in charges are useful in allowing dischargers to adjust their
processes over a given time period.478
Vollkosten für Baugebiete versus voll erschlossene Gewerbegebiete
Die Beitragseinhebung hat immer einen stark steuernden Einfluss. Viele Gemeinden geben
über asymmetrische Satzungen indirekte Subventionen für die Erschließung von Gewerbege-
bieten. Das kann im Sinne der Nachhaltigkeit sein, wenn die gesamtwirtschaftliche Lage dies
erfordert. Kritisch sind dagegen Effekte, die mit Effizienz nichts zu tun haben. Beispielsweise
kommt in Deutschland die Kommune in den Genuss von Gewerbesteuer, auf deren Hoheitsge-
biet der Firmensitz liegt. Die Konsequenz sind Gewerbegebietsausweisungen um jeden Preis,
also unter Umständen auch in Schutzzonen für Trinkwasser oder Überschwemmungsgebieten,
wenn innerhalb des Gemeindegebiets keine anderen geeigneten Flächen zur Verfügung stehen.
Solche Effekte sind volkswirtschaftlich bedenklich. Hier liegt der Grund sowohl in der unvoll-
ständigen Umlegung der Beiträge für den Hochwasserschutz und von nichtmonetären oder
zeitversetzten Kosten (Restrisiko) wie auch in einer mangelnden auf Gesamteffizienz ausge-
legten interkommunalen Solidarität. (vgl. Ansatz 25: Die regionale Solidarität und der Aus-
gleich zwischen Stadt und Land ist ein grundlegender Nachhaltigkeitsbaustein.)

3.4.3 Zuwendungen/Subventionen
Lange waren in der internationalen Politik Zuwendungen und Subventionen hochumstritten,
z. T. als „Wurzel allen Übels“ bezeichnet, weil sie eine unverzerrte Marktbildung verhindern
würden. Es gab und gibt aber durchaus gute Gründe für Subventionen. Inzwischen nimmt man

478
GWP 2005, C7.2
196 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

zu Subventionen auch innerhalb der Entwicklungsbanken eine differenziertere Position ein479,


wenn einige grundsätzliche Anforderungen an Zuwendungen/Subventionen erfüllt sind:
• Zuwendungen müssen im Sinne der Nachhaltigkeit nötig sein. Dabei sind, je nach Maß-
stab, lokale und globale Auswirkungen zu beachten. (Kritisches Beispiel sind insbesondere
die Agrarsubventionen.480)
• Zuwendungen müssen transparent sein, d. h. sie müssen in Art und Größe definiert und zur
Erreichung von bestimmten Zwecken ausgewiesen sein.
• Die Konditionen müssen an den Zweck angepasst sein. Gefahren sind
– Mitnahmeeffekte (Zuwendungszweck wäre auch ohne Zuwendung erreicht worden),
– Flops (Programm ist nicht attraktiv genug, Zweck wird nicht erreicht),
– Förderstaus (Bedarf viel größer als verfügbares Geld),
– Fehlsubvention (Programm steuert etwas anderes als erhofft) und
– Missbrauch (wird nicht zweckentsprechend eingesetzt).
• Die dazugehörigen Regelungen müssen für den Zuwendungsempfänger verständlich sein.
• Die Regelungen müssen Missbrauch verhindern, aber – schon aus Gründen der Verwal-
tungseffizienz – einfach zu vollziehen sein. Der Verwaltungsaufwand sollte bei unter 3 %
liegen.
• Der Zweck und die Zielerfüllung müssen regelmäßig überprüft werden. Es muss der Mut
vorhanden sein, überkommene Regelungen zu beenden. Änderungen der internen Steue-
rungen stehen aber unter dem Vorbehalt des Verwaltungsaufwands. Ein sinnvoller Über-
prüfungszeitraum sind 4 bis 5 Jahre.
• Die Programmausstattung sollte dem Zweck entsprechen. Selbst Anschubfinanzierungen
müssen eine bestimmte Mindestgröße aufweisen, um wirksam sein zu können. Kleine
(schwach dotierte) Programme sind immer verdächtig.
Im Wassersektor gibt es einige absolut typische Bereiche, auf denen Zuwendungen ein wichti-
ges Mittel der Steuerung sind. Das erste Feld sind die sozialen Belange vor allem der ärmsten
Bevölkerungsgruppen. Die Kunst ist, das Wasser/Abwassersystem zwar sozial gerecht, aber
nie umsonst zu verteilen, weil sonst Verschwendung und mangelndes Wertebewusstsein fol-
gen. Solche Zuwendungen können indirekt über die Beiträge und Gebühren erfolgen (s. o.),
aber auch direkt durch Auszahlung von Sozialhilfe an die Verbraucher oder materielle Hilfe,
also z. B. die Errichtung einer öffentlichen Zapfstelle. Das zweite Feld ist die Versorgung des
ländlichen Raumes. Ohne Unterstützung (Subvention) der ländlichen Regionen kommt es zu
den gefürchteten Effekten der Landflucht. Die volkswirtschaftlichen Schäden solcher Kollapse
sind hoch und angesichts der weltweiten Mangellagen an Grund und Boden (Bevölkerungs-
zuwachs) auch kaum zu vertreten. Selbst in Bayern werden deshalb bis in die Gegenwart länd-
liche Strukturen u. a. der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung staatlich unterstützt.
Weitere Gründe sind die Intervention in Entwicklungs- oder Krisenregionen und Steuerung
bestimmter gesellschaftspolitisch gewünschter Effekte. Solche Instrumente sind in Europa
aufgrund des strikteren Verwaltungsvollzuges gut umzusetzen. Ein Beispiel ist die bayerische
Förderung von Gewässerentwicklungsplänen und Rückhaltekonzepten im ländlichen Raum.
Die Gemeinden sind nach bayerischem Wasserrecht für ca. 60000 km kleine Gewässer zustän-
dig. Eine relativ hohe Förderung von 75 % berücksichtigt die überregional gewünschte Ver-
besserung des Flächenrückhalts und der naturnäheren Entwicklung durch Renaturierungen,

479
ebenda C7.4
480
World Bank 2004
3.4 Finanzierung und Steuerung 197

Geländemaßnahmen, Sicherung von Überschwemmungsgebieten und Neuanlage von Rückhal-


tebecken. Dadurch sollen landesweit rund 100 Millionen m3 zusätzlicher Retentionsraum ge-
schaffen werden. Es entstehen breit gefächerte integrale Ansätze, die den Prinzipien des
IWRM entsprechen, aber auch wichtige Bausteine zur Erfüllung der WRRL sind. Letztlich
können Subventionen auch neue, innovative Technologien zur Marktreife bringen, vor allem,
wenn diese noch in einem Entwicklungsstadium sind.
Jede steuerliche Ausnahme, jede Gebührenfestsetzung kann im Grunde „subventionsverdäch-
tig“ sein. Letztlich sind auch die internationalen Entwicklungsgelder, egal ob „loan“ oder
„grant“ Subventionen bzw. Zuwendungen. Tatsächlich gehören Zuwendungen zu den wich-
tigsten politischen Steuerungsinstrumenten. Gleichzeitig ist die Fehler- und Missbrauchsanfäl-
ligkeit hoch, weil Subventionen immer ein Eingriff gegen den Markt sind. Auch für Zuwen-
dungen gilt deshalb, dass sie streng nach nachhaltigen Kriterien eingerichtet und zurückge-
nommen werden müssen.
Bei der konkreten Verwaltung von Zuwendungen gilt es, das richtige Maß zwischen Verwal-
tungsaufwand und Gerechtigkeit zu finden. Beispiele verschiedenster Methoden finden sich
besonders in den verschiedenen EU-Programmen, wo bei fast jedem neuen Programm auch
neue Regelungen der Ausreichung und Kontrolle erdacht werden, aber auch in den Bundeslän-
dern. Die Ideallösung zur Gerechtigkeit, Überwachung (Missbrauch) und Verwaltungseffi-
zienz gibt es nicht. Wer die ersten beiden Punkte in übertriebenem Maße sucht, kreiert schnell
Verwaltungsmonster, die den Erfolg eines ganzen Programms gefährden können. Weiterhin
sind zweifellos unabhängige Kontrollinstanzen notwendig, die aber auch ihrerseits den Regeln
der Effizienz folgen sollen. Auch die Kontrolle ist eine mögliche Quelle für erheblichen Ver-
waltungsaufwand.

3.4.4 Abgaben und Steuern


Abgaben und Steuern sind zunächst die wichtigsten Möglichkeiten des Staates, sich das not-
wendige Geld zu besorgen (vgl. Tafel 15, S. 190, dort insbesondere der Bereich 1, aber auch 3
und 4); sie sind aber vor allem auch Teil der staatlichen Steuerung. Gleichzeitig bilden sie im
Idealfall zusammen mit den anderen finanziellen Regelungsinstrumenten die nichtmonetären
Kosten ab (Internalisierung der ökologischen und sozialen Kosten, zum Beispiel die Intention
der Ökosteuer).
Im Wassersektor gibt es sowohl den Bedarf wie auch Beispiele für bewusst steuernde Abgaben
und Steuern: Im Zusammenhang mit der Überdüngung und der Schäden im Grundwasser wird
beispielsweise eine Düngesteuer ins Gespräch gebracht. Die Idee ist, Düngung teurer zu ma-
chen, um für den Landwirt einen zusätzlichen Anreiz zur Verringerung der vermeidbaren Ver-
luste zu schaffen. „Levying charges on diffuse (non-point) pollution, e.g. from farms, is diffi-
cult to carry out directly, and tends to be done by proxy (acreage, number of cattle, etc.) or
product (e.g. tax on fertilizer)”481. Der Wassercent oder die Wassernutzungsgebühr ist eine
Abgabe auf Wasserentnahmen, eventuell nur die Trinkwasserentnahmen. Es gibt in Europa
und weltweit Beispiele sowohl für Oberflächengewässer wie für Grundwasserentnahmen, dazu
noch unterschiedlich auf verschiedene Nutzungsformen von der Kühlwasserentnahme über
Trinkwasser bis zur Wärmepumpe, Bergbau oder Industriebrauchwasser482. Damit werden
z. B. in einigen deutschen Bundesländern die Ausgleichsleistungen für Landwirte finanziert,

481
GWP 2005, C7.2
482
Buckland, Zabel, 1997, S.189 ff
198 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

deren ordnungsgemäße Bewirtschaftung im Sinne des Grundwasserschutzes eingeschränkt


werden musste483; eine im Sinne des Grundwasserschutzes sehr sinnvolle Regelung. Es wäre
darüber hinaus zu überprüfen, ob nicht auf diesem Weg die Leistungen des Staates im Rahmen
der Garantenstellung finanziert werden müssten.
Die Abwasserabgabe wird auf Abwassereinleitungen in Abhängigkeit von der Menge und vom
Verschmutzungsgrad erhoben. Sie ist ein wichtiger Anreiz zur Abwasserreinigung, wenn sich
die Höhe unter anderem auch nach dem Reinigungsgrad richtet. So zahlen in Deutschland
Anlagen, die die rechtlichen Anforderungen erfüllen, die Hälfte der regulären Abgabe, die
Zahlung kann durch Übererfüllen der Mindestanforderungen sogar noch reduziert (sog. „Er-
klären niedrigerer Werte seitens des Betreibers“), beziehungsweise bei bestimmten Neuinvesti-
tionen verrechnet werden484. Diese Abwasserabgabe kommt dem Gewässerschutz im weiteren
Sinne wieder zu Gute, d. h. es können davon verschiedene die Gewässergüte verbessernde
Maßnahmen finanziert werden. Sie wird in den meisten europäischen Ländern erhoben. Einen
Vergleich verschiedener Systeme machen BUCKLAND und ZABEL485. Daraus ist zu ersehen,
dass sich über die Art und Höhe der Abgabe Einflüsse auf die Wirtschaftlichkeit, Umwelt und
Akzeptanz erreichen lassen, um nur einige Punkte zu nennen.
Ebenfalls ökologisch begründet ist ein Starkverschmutzerzuschlag, der für Indirekteinleiter
(Einleitung in den öffentlichen Abwasserkanal) erhoben werden kann.

3.4.5 Gesetze, Verordnungen und Genehmigungen


Gesetze und Verordnungen sind als normatives staatliches Regelinstrument bereits behandelt
worden. Diese allgemein regelnden Bestimmungen werden durch das wichtiges Instrument der
Einzelgenehmigung oder -erlaubnis, verbunden mit auf den Einzelfall bezogenen (Nutzungs-)
Bedingungen und Auflagen ergänzt. Die gesetzlichen Bestimmungen über erlaubnispflichtige
und damit zu genehmigende Eingriffstatbestände sind Grundpfeiler einer nachhaltigen Bewirt-
schaftung (vgl. A21, Kap. 18.22.), ohne die eine Steuerung z. B. einer nachhaltigen Grundwas-
serentnahme (Präzisierung der allgemeinen Norm, nicht mehr zu entnehmen als wieder neu
gebildet wird) unmöglich ist. Der Vollzug verlangt die fachkundige, neutrale Stelle, die die
individuelle Situation richtig beurteilen und daraus entsprechende Auflagen und Bedingungen
entwickeln kann. Der Grad der Erlaubnispflichtigkeit ist umstritten. Der allgemeine Wunsch
nach Entbürokratisierung macht sich unter anderem an der Summe der Erlaubnispflichten fest.
Insofern ist es notwendig, die vorhandenen Regelwerke daraufhin zu überprüfen, ob bei einer
Nichtregelung dem Gemeinwohl Schaden entsteht. Dazu sind mehrere Fallkonstellationen
denkbar:
A. Der Belang hat Auswirkungen auf die langfristige Nachhaltigkeit der Wasserbewirtschaf-
tung. Beispiele: Grundwasser(über-)nutzung, Verschmutzung, Bauen in Gefahrenzonen.

483
Einschränkungen, die über die ordnungsgemäße landwirtschaftliche Praxis hinausgehen, sind gem.
§19(4) WHG ausgleichspflichtig.
484
Dabei hat sich durch eine Gerichtsentscheidung zur Verrechenbarkeit eine interessante Konsequenz
ergeben: Es ist danach praktisch jede Investition in die Abwasseranlage verrechenbar. Das entspricht
aber umgekehrt einer 100 %-igen Abziehbarkeit von einer Steuerschuld oder einer 100 %-igen Sub-
vention. Die Konsequenz ist, dass in bestimmten Grenzen jeder Anreiz zum sparsamen, effizienten
Bauen entfällt – mit der weiteren Konsequenz, dass nur die zentrale Erweiterung diesen Effekt er-
bringt, die politisch gewünschte Dezentralisierung wird verhindert.
485
Buckland, Zabel, 1997, S. 203 ff
3.4 Finanzierung und Steuerung 199

Hier sind vitale gesellschaftliche Grundlagen betroffen, eine Regelung ist (über-) lebens-
wichtig.
B. Es sind kurzfristig veränderbare Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit zu erwarten. Bei-
spiele: Ausweitung des Gemeingebrauchs wie Sport am Gewässer, Dachflächenwasserein-
leitungen. Hier ist der Spielraum viel größer, es kann ggf. eine Nichtregelung ausprobiert
werden.
C. Andere Steuergrößen, z. B. Marktlösungen sind möglich: z. B. Regelung des Bisamratten-
bestands: keine Regelung, bis Gegenteil bewiesen.
D. Es geht um „private Gerechtigkeit“ ohne Einfluss auf die große Wasserwirtschaft. Beispiel:
Regenwasserableitung im nachbarschaftlichen Umfeld. Bei Regelungen hier geht es eher
um den sozialen Frieden. Aus Sicht des IWRM ist keine Regelung erforderlich.

Tab. 3-7: Mängel aus Rechtsnormen und mögliche Vermeidungsstrategien


Hauptproblem Untergruppe Mögliche Abhilfe, Kommentar
Regel besteht, wird Regel hat technische Fehler. Ändern
angewandt, wirkt aber
nicht
Regel besteht, wird Vollzugsschwäche Vollzug stärken, eventuell neue Strukturen auf-
aber nicht angewandt bauen, Sanktionen und Öffentlichkeitsarbeit
(häufiger Fall) Regel „physisch“ nicht Schon bei der Aufstellung neuer Regelungen müs-
anwendbar: Ressourcen sen die Machbarkeit und die Finanzierbarkeit
fehlen, Technologie noch geprüft werden. Probates Mittel dazu ist die früh-
nicht entwickelt, zu enge zeitige Einbindung der Betroffenen.
Fristen oder zu teure Lö-
sungen
Regel zu kompliziert, Handwerkliche Fehler oder Wunsch zur übertrie-
bürokratisch benen, jedem gerecht werdenden Detailregelung,
häufig Hinweis auf das falsche „Medium“,
manchmal wirklichkeitsfremde, theoretische An-
sätze
Kulturell-gesellschaftlich Klassischer Fehler aus kurzsichtigen global beein-
nicht verankert flussten Sichtweisen. Echte Partizipation kann die
Probleme frühzeitig aufdecken.
Kontrovers zu anderen Klassischer Fehler zwischen Sektoren, die kon-
Regeln kurrierende Vorstellungen haben; harmonisieren!
(z. B. cross compliance)
Vorschrift fehlt ganz, Regel einführen. Entscheiden, auf welcher Ebene
ein Belang wie z. B. dies am besten passieren kann, (Zuordnungspro-
die Grundwasserent- zess analog Tafel 10, S. 122 z. B. durch Diskussi-
nahme wurde „verges- on des vorhandenen Instrumentariums, Entschei-
sen“, es zeichnen sich dung, in welcher Materie die Regelung am besten
Probleme ab (z. B. angesiedelt ist (z. B. durch Anreizsysteme oder
Absinken des Grund- Zwang, welche Lösung bieten die Privaten? usw.)
wasserstands und wie die o. g. Probleme verhindert werden
können.

Im Wasserbereich muss wegen der großen „Trägheit“ des Systems der Vorsorgegedanke not-
gedrungen ausgeprägt sein. Speziell das Reversibilitätsprinzip und das Intergenerationsprinzip
mahnen zur Vorsicht.
200 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

Umgekehrt können Vorschriften natürlich nicht nur lästig, sondern auch schlicht falsch sein.
Sie können dann eine Hemmung der Wirtschaft sein, schlimmer noch sich als Innovations-
bremse auswirken oder sogar direkt in die falsche Richtung steuern.
Die Fehlerhaftigkeit von Vorschriften kann sich in verschiedene Richtungen bewegen. Einige
Hinweise dazu sind in Tabelle 3-7 genannt.

3.4.6 Wassermärkte und handelbare Wasserrechte


Entsprechend der Weltbankphilosophie entwickelt auch die GWP ein tool „water markets and
tradable permits“. Die GWP führt eine Reihe von Vorteilen an:
• Erleichterung, von einer geringerwertigen Wassernutzung zu einer höherwertigen Wasser-
nutzung zu gelangen,
• Überwindung einer abweisenden Haltung von Grundstückseigentümern, die eine Nutzung
einfach nicht zulassen wollen,
• Dies könne ein günstigerer Weg für Landwirte oder Kommunen sein, ihr Wasser zu be-
kommen als sich vielleicht alternative Quellen zu erschließen und
• könne von ambitionierten Umweltinstitutionen486 verwendet werden, um Nutzern Wasser-
rechte abzukaufen, um das Wasser aus ökologischen oder naturästhetischen Gründen zu
bewahren.
Dazu werden auch Wasserauktionen vorgeschlagen, bei denen Wasserrechte meistbietend
versteigert werden. Die GWP nennt selber bereits einige Probleme bzw. Hinderungsgründe:
• Auctions are a useful source of revenue to public authorities, but they can create conflicts
of interest if the revenue raising function becomes more important than the issue of effi-
cient water allocation.
• As with charging systems, it is important to ensure that vulnerable groups are protected.
• There is a need for a mechanism for initial allocation of rights (whether for water or pollu-
tion discharges) which should be seen to be fair, and be equitable and effective.
• Experience suggests that water auctions can be efficient and effective in some situations.
• Water auctions may be useful to adjudicate water allocation under competitive conditions,
but must be regulated to prevent monopoly build up.
• Markets work best where there are a large number of traders and transactions, so that the
risk of build up of monopolistic "market power" is minimized.
und schlägt entsprechende Abhilfemaßnahmen vor.
Auch der Sachverständigenrat des BMZ liebäugelt mit handelbaren Wasserrechten, hält es
aber für schwer umsetzbar, „da es eine exakt quantitative Definition der Nutzungsrechte und
einen funktionierenden Mechanismus für den Handel voraussetzt“487.
Aus Sicht des Ansatzes dieser Arbeit sind handelbare Wasserrechte grundsätzlich abzulehnen.
Wasserrechte sind unverzichtbares Allgemeingut, ihr Handel berührt die Grund- und Men-
schenrechte. Die oben angesprochenen Vorteile sind im deutschen Wasserrecht auch ohne
Handel durch spezielle oder allgemeine Auflagen- und Genehmigungsvorbehalte erreichbar.
Wasserrechte sind per Gesetz immer zeitlich begrenzt. Sollte eine alternative Wassernutzung
(vgl. Beispiel der höherwertigen Nutzung) mit Nachteilen für einen Nutzungsberechtigten

486
Originaltext: „environmental champions“
487
BMZ 2001a
3.4 Finanzierung und Steuerung 201

verbunden sein, ist ggf. entsprechender Ausgleich zu leisten. Erhebliche Schäden in der Natur
oder am Gemeinwohl müssen immer zur Beendigung einer Nutzung berechtigen, ggf. gegen
Entschädigung. Die Verdeutlichung des „wirklichen“ Wertes von Wasser wäre durch eine
Allokation von Kosten über Wasserentnahmeentgelder (s. o.) u. Ä. darzustellen. Das Argu-
ment, dass der Staat zu schwach ist, solche Bedingungen zu schaffen, sollte nicht gelten; diese
Schwäche muss dann unter dem Aspekt der Garantenstellung verhandelt werden. Einnahmen
aus dem Gemeingut Wassersektor sollten dann aber wieder der Allgemeinheit zufließen (vgl.
auch Ansatz der WRRL zur Kostendeckung488).
Es besteht also kein Bedarf, die allgemeinwohlorientierte staatliche Bewirtschaftung des Was-
sers aufzugeben bzw. durch handelbare Wasserrechte zu ergänzen, dieses Tool wird deshalb
im Rahmen dieser Arbeit nicht weiterverfolgt.

3.4.7 Freiwilligkeit
Vor dem Hintergrund des Systems mit aktivierendem Staat und Bürgergesellschaft haben frei-
willige Leistungen bzw. freiwillige Selbstverpflichtungen und Handlungsmaxime eine geho-
bene Bedeutung. Die Freiwilligkeit basiert in jedem Falle auf Überzeugungen, die entweder
Teil des vorhandenen gesellschaftlich-moralischen Kontextes sind oder durch entsprechende
Bewusstseinsarbeit entstehen. Für Freiwilligkeit lassen sich hier wegen der sehr unterschiedli-
chen gesellschaftlich-kulturellen Wurzeln keine einheitlichen Vorgaben machen. Bestimmte
Grundsätze lassen sich aber mit Beispielen erläutern:
Allgemeine Verhaltensweisen: Ein klassisches Beispiel ist der bereits in Fußnote 447 geschil-
derte Umgang mit Abfall. Diese Verhaltensmuster müssten sich prinzipiell auf den Umgang
mit der Ressource Wasser übertragen lassen.
Bürgerliches Engagement: Jede NGO ist ein Teil bürgerlichen Engagements. Das gesamte
Prinzip der Partizipation basiert auf Freiwilligkeit und Interesse an der Mitwirkung. Internatio-
nal wird diesem Bereich immer größere Aufmerksamkeit gewidmet. MAGERL489 zitiert den
Bericht des Vorsitzenden des „Panel of Eminent Persons on United Nations – Civil Society
Relations", des früheren brasilianischen Präsidenten Fernando H. Cardoso, an Kofi Annan:
„Global governance ist nicht mehr allein eine Domäne der nationalen Regierungen. Die wach-
sende Beteiligung und der zunehmende Einfluss von nicht-staatlichen Akteuren (Anmerkung:
Nicht-Regierungsorganisationen) verbessern die Demokratie und die Pluralität. Zivilgesell-
schaftliche Organisationen sind die an vorderster Stelle tätigen Initiatoren und Innovatoren
beim Umgang mit den auftauchenden globalen Bedrohungen.“ und schlussfolgert: „Wir erse-
hen daraus, dass auf globaler Ebene Civil Society, Dezentralisierung und Kommunalentwick-
lung in einem Zusammenhang gesehen und verfolgt werden. Den Zweiflern am Ernstnehmen
der Zivilgesellschaft und der Bürger gibt die Kommission gleich – dem partizipationserfahre-
nen Leser wohl bekannte – Begründungen mit: „Viele Vertreter der Civil Society oder von
Wirtschaft und Gemeinden haben Erste-Hand-Informationen, große Erfahrungen und Kompe-
tenz. Auch haben sie besseren Zugang zu Ressourcen und entsprechende Fähigkeiten.“ Aller-
dings sollte dieses Prinzip nicht beliebig belastet werden, ab einem gewissen Grad an Aufwand
kann z. B. die Ehrenamtlichkeit durch Übernahme von Aufwendungen wie Reisekosten u. Ä.
unterstützt werden, nachdem durch das Ehrenamt auch konkrete Leistungen für die Gemein-
schaft erbracht werden.

488
Hintermeier 2005
489
Magerl 2004, S.12f
202 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

Freiwillige Vereinbarungen und Selbstverpflichtungen: Klassisches Beispiel ist der Um-


weltpakt Bayern, bei dem Wirtschaftsgruppen mit dem Umweltministerium freiwillige Verein-
barungen zu bestimmtem Umweltverhalten schließen.490 Dazu führt der bayerische Umweltmi-
nister SCHNAPPAUF491 aus: „1995 als politischer Modellversuch gestartet, ist er [der Um-
weltpakt Bayern] zum Aushängeschild unseres bayerischen Weges des kooperativen Umwelt-
schutzes mit der Wirtschaft geworden. Zum Erfolg des Umweltpakts leistet jeder einzelne teil-
nehmende Betrieb einen wertvollen Beitrag. Drei Grundprinzipien prägen den Umweltpakt
Bayern: Freiwilligkeit, Eigenverantwortung und Kooperation. Deshalb wollen wir deregulie-
ren und entbürokratisieren. Das heißt: Mehr Umweltschutz mit weniger Bürokratie, Umwelt-
qualitätsstandards halten und, wo möglich, weiter ausbauen, aber mit weniger Aufwand und
weniger Kosten. Wir wollen die Eigenverantwortung des Einzelnen stärken. Deshalb setzen
wir nicht auf staatliche, sondern auf gesellschaftliche, kooperative und selbstverantwortliche
Lösungen. Was der Einzelne leisten kann, muss er selbst leisten. Das Subsidiaritätsprinzip
muss auch in der Umweltpolitik zum Tragen kommen.“ In vergleichbarer Weise haben im
Rahmen eines Partnerschaftsprojektes der deutschen Stiftung SEQUA in Pernambuco die
Unternehmensverbände SINDIVEST und SINAENCO Umweltthemen aufgegriffen und in
ihrer Verbandspolitik instrumentalisiert, zum Teil mit großem Erfolg (siehe den Fall Toritama,
Anhang 11).

3.5 Der „Human Factor“: Vision und Motivation


Unausgesprochen steht hinter den meisten Fragestellungen der vorliegenden Arbeit der Faktor
Mensch, sei es als (Mit-) Verantwortlicher für Vorhaben, sei es als Zielgruppe. In der Analyse
verschwindet der menschliche Faktor aber leicht und wird durch unpersönliche Begriffe wie
Technologie und Management ersetzt492. In einer gezielten Betrachtung des „Human Factor“
soll deshalb der Stellenwert des menschlichen Einflusses in einem Projekt, einem Unterneh-
men oder einer nachhaltigen politischen Entwicklung vertieft werden und gleichzeitig sollen
Hinweise auf mögliche Schwachstellen von Projekten in diesem Bereich gegeben werden.
Die Bedeutung dieses Faktors in der wirtschaftlichen Bilanz zu beziffern, ist schwierig493,
findet facto bei der Bewertung von börsennotierten Unternehmen statt. Nimmt man zum Bei-
spiel einen Automobilhersteller wie DaimlerChrysler im Vergleich zu Microsoft, so ist im
ersteren Fall das Firmenkapital vor allem in den Produktionsanlagen und erst danach in den
Patenten usw. zu sehen. Im Fall von Microsoft sind es auch Rechte und Patente, vor allem aber
ist es das „menschliche Kapital“ 494, also die Mitarbeiter, das den Wert des Unternehmens
verkörpert. Das schlägt sich im Verhältnis Marktwert zu Buchwert (Börsenwert) nieder, das
z. B. bei Branchen wie Automobilherstellern bei Faktor 2-4 liegt, in der Computerbranche aber

490
www.umweltpakt.bayern.de
491
"Der Umweltpakt Bayern - eine Bilanz aus der Sicht der Staatsregierung“, Festveranstaltung anläss-
lich der Halbzeit des Umweltpakts Bayern, München, den 10.04.2003
492
als Teil des Managements, während die Ergonomie zum Bereich Technik zu zählen ist
493
vgl. ELIASSON 1998, Zur Problematik der Berechnung des Kapitalwerts von Kompetenz, in CEDE-
FOP, Europäische Zeitung zur Berufsbildung, Nr. 14, Mai – August 1998
494
Das Wort Humankapital wurde jüngst zum Unwort des Jahres 2005 gekürt.
3.5 Der „Human Factor“: Vision und Motivation 203

bei fast 10495. Dies zeigt, dass das nichtmaterielle Kapital einer Organisation einen eigenen
Wert hat, der sich natürlich nicht nur aus der Zahl der Mitarbeiter, sondern aus dem komplexen
Zusammenwirken aller mit den Mitarbeitern zusammenhängenden Wertschöpfungsquellen
ergibt. GORZ geht davon aus, „dass der Anteil des „intellektuellen Kapitals“ der meisten
Unternehmen einen 5 bis 6 mal höheren Börsenwert erreicht als das Sach- und Finanzkapi-
tal“496.

3.5.1 Bedeutung der kulturellen Unterschiede in den Arbeitswelten


Dafür, dass der Human Factor nachgewiesenermaßen einen so großen Anteil am Erfolg eines
Unternehmens oder Projektes hat, wird mit ihm aber erstaunlich unsensibel umgegangen. So
sind gerade im Arbeitssektor starke kulturelle Einflüsse unbestritten, werden aber in der „ver-
einheitlichenden“ Gedankenwelt der globalisierten Märkte oft nicht berücksichtigt: Bereits
innerhalb der europäischen Arbeitskultur ist nach HEIDENREICH eine Differenzierung not-
wendig, weil sich die Länder bereits erheblich in ihrer Arbeits- und Managementkultur unter-
scheiden.497 Sprichwörtlich ist der Vergleich zwischen der europäischen und der US-
amerikanischen Arbeitskultur (Tabelle 3-8), der einige entscheidende Unterschiede aufzeigt.
Als Konsequenz liegt nahe, dass es regional sehr verschiedene, gleichwohl funktionierende
Systeme der Arbeitswelten gibt. Nicht nur, dass man diese Unterschiede sehr genau kennen
muss, bevor man Managementempfehlungen vor allem auf operativer Ebene geben kann. Mehr
noch, eine Vereinheitlichung im Sinne einer „globalen Arbeitseinheitskultur“ ist vor allem
auch mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht möglich bzw. führt zu Verlusten. Auch unter diesem
Aspekt ist die in Kap. 2.2.3 geschilderte Strukturanpassung kritisch zu hinterfragen, insoweit
sie die Arbeitswelt, die Werte und die Arbeitskultur einschließlich der daraus abgeleiteten
Entscheidungen der Personalbewirtschaftung und Personalentwicklung betrifft.
Die hier angesprochenen Fragen sind im Kontext mit den Tripel-Belangen zu sehen, können
aber im Rahmen dieser Arbeit nicht weitergehend aufgeschlüsselt werden. Summarisch gese-
hen müssen aus Sicht der Ansätze dieser Arbeit Zweifel angemeldet werden, wieweit die aktu-
ell unter dem Anspruch der Effizienz global angestrebten Veränderungen der Arbeitswelten
wirklich nachhaltig sind.
Im Weiteren soll der Fokus auf konkreten, unmittelbaren Einflüssen des Human Faktors be-
züglich eines entscheidenden Projekterfolges liegen.

495
Zahlen von Ende der 90-er Jahre aus einer Studie von EUSTACE C. im Rahmen des EU-Workshops
Intellectual Capital/Intangible Investments der: IST (Information Society Technologies), Conference
in Helsinki, 22nd November 1999
496
Gorz 2001, S. 2
497
vgl. Heidenreich 1997, S. 26
204 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

Tab. 3-8: Plakativer, qualitativer Vergleich von Arbeits- und Managementkulturen beidseits des Atlan-
tiks
Europa USA
(am Beispiel Deutschland)
Ausbildung im Handwerk detaillierte Ausbildung in verschie- kaum überbetriebliche Ausbil-
denen Zweigen, hoher Anteil berufs- dung im handwerklichen Be-
fachlich qualifizierter Arbeitskräfte reich, keine Innungsgrenzen
usw.
Schulen/Universitäten wenig private Einrichtungen, länder- qualitativ große Unterschiede,
abhängig, aber qualitativ sehr gut viele private Einrichtungen,
vergleichbare Ausbildung, bisher Bildung ist Privileg, Stipendien
kaum Eliteeinrichtungen
Durchgängigkeit gering groß
Arbeitsverhältnisse treue, lange Betriebszugehörigkeit häufig wechselnd
Management „Angestellter“ des Betriebes, oft aus in der Regel von außen, viel
dem eigenen „Stall“, mittlere Gehäl- öfter wechselnd, deutlich höhere
ter, lange traditionelle Verweilzeit, Gehälter, größeres eigenes Risi-
Anlehnung an Familienunternehmen, ko (hire and fire)
soziale Verantwortung für Mitarbei-
ter

3.5.2 Deontologisch-teleologische Bedeutung , Motivation


Ansatz 36: Many little people/at many little places/doing many little things/will
change the face of the world. [afrikanisches Sprichwort]
Aus der philosophischen Nachhaltigkeitsdiskussion ergibt sich eine Metaebene des Human
Factor, deren Bedeutung über diese „arbeitsethischen“ und gleichzeitig wirtschaftlichkeitsbe-
gründete Diskussion hinausgeht.
Ansatz 37: Das Erreichen der Nachhaltigkeit ist letztlich eine Frage des (individuel-
len) Willens.
Nur wenn die grundsätzliche Willensentscheidung für nachhaltiges Verhalten – und seien es
auch nur Teilschritte – in der Gesellschaft und der Politik verankert ist, wird es zu diesen posi-
tiven Entwicklungen kommen können. Dieser Wille kann aber nur Ergebnis eines komplexen,
gesamtgesellschaftlichen Prozesses sein. Es sei auch dahingestellt, ob sich hier besser ein Bot-
tom-up- oder Top-down-Prozess eignen würde, weil die zum Umdenken notwendige „Destabi-
lisierung vorhandener, nicht nachhaltiger Verhaltensmuster“498 (Bifurkation) wohl nur eintre-
ten und genutzt werden kann, wenn beide Prozesse zur rechten Zeit funktionieren. Sowohl
wenn man den Kantschen Kategorischen Imperativ als Leitlinie eines nachhaltigen politisch-
gesellschaftlichen Prozesses versteht, als auch noch viel mehr, wenn man von einer Wollens-
und Strebensethik (vgl. HEINL 2005) ausgeht, gilt, dass im Sinne der Chaostheorie dieser
Prozess nur in Fraktalen, letztlich in Gesellschaftsteilen und individuellen Entscheidungen
entstehen kann. Letztlich ist es also der einzelne Mensch, der als Teil einer Summe der Persön-
lichkeiten der in der Lage ist, durch fraktale Strukturen strategische Entscheidungen zugunsten
(oder zu Lasten) der Nachhaltigkeit zu beeinflussen.

498
vgl. dazu auch die notwendige Umstellung des Konsumverhaltens, Agenda 21, Kap. 3 oder Wallner
2004
3.5 Der „Human Factor“: Vision und Motivation 205

Aufbauend auf Ansatz 37 ist dabei neben den institutionellen, formellen Zielen die Motivation
der beteiligten Persönlichkeiten für die Umsetzung nachhaltiger Projekte bedeutend. Diese
sowohl in die Philosophie wie auch die Psychologie hineinreichende Frage soll hier nur ge-
streift werden, um sie der praktischen Umsetzung in Projekten besser zugänglich zu machen.
Folgende Motivationstypen sind im Verlauf des Diskurses dieser Arbeit von Belang geworden:
Ertrag: Die Steuerung durch den freien Markt basiert auf dieser Art der Motivation. Proble-
matisch bleibt die Miteinbeziehung von ökologischen und sozial-kulturellen Erträgen, weil
diese mit Einzelinteressen indirekt oder komplex verbunden sind und damit keine individuelle,
direkt beeinflussbare Aufwand- Nutzenbeziehung besteht. Mit der Effizienz, die zu höherem
Ertrag führt, hat sich die Arbeit eingehend beschäftigt
Ownership: In der Managementlehre wird die motivationstiftende Identifikation mit dem
eigenen Unternehmen als „Ownership“ umschrieben. Das Interesse der Organisation (ggf.
auch Staat, Gemeinwesen?) wird damit als eigenes Interesse mit übernommen, im Gegenzug
gibt die Organisation Grundwerte wie Sicherheit, gemeinsames Erfolgsgefühl. Ownership
kann auf verschiedenen Ebenen wahrgenommen werden, vom Unternehmen bis zum (positi-
ven) Heimatempfinden, also z. B. Stolz auf bestimmte kulturelle Leistungen oder landschaftli-
che Schönheiten. Ownership gehört zu den ‚alten’ Tugenden und Werte (vgl. Kap. 3.3.3.2);
auf der Staatsebene entsprechen dem ‚alte’ Werte wie Tradition, Heimatverbundenheit u. Ä.
Prinzipienethik, Sollensethik, Moral: Im Sinne des KANTschen Imperativs gibt der Staat
bzw. die Gesellschaft ‚Muster des Allgemeinwohls’ vor und überwacht deren Einhaltung.
Diese Werte mögen sich aus einem gesellschaftlichen Konsens ergeben haben, werden dann
aber letztlich hierarchisch oder moralisch umgesetzt. Dieses Wohl der Allgemeinheit ist zwar
prinzipiell allgemein anerkannt, steht aber oft im Gegensatz zum (empfundenen) Eigeninteres-
se (Gefangenensyndrom und Liberalismus). Diese Art der Motivation steht deshalb zuneh-
mend in der Kritik.
Strebens-Wollensethik, Individualethik, Klugheitsethik: Der einzelne Mensch strebt unter
Nutzung seiner Freiheit nach einem klugen, nachhaltig guten Leben (Lebenskunst), das er
selbst für erstrebenswert hält. Die Motivation dafür ist die freie Einsicht. Wahrscheinlich füh-
ren äußere prägende Einflüsse wie eigene Kinder und Enkel zur Einsicht. (SCHMID 1998499).
Motivation ist also am einfachsten zu erreichen, wenn mit einer Lösung unmittelbare, wahr-
nehmbare individuelle Vorteile verbunden sind. Deshalb sind für mittelbare, schlecht wahr-
nehmbare Belange des Allgemeinwohls hierarchisch vorgetragene Ansätze unverzichtbar.
Relevante Fortschritte der Nachhaltigkeit sind aber durch Zwang kaum zu erreichen. Dazu
gehört eigenes, aktives und kreatives Handeln. Diese Ansätze sind in der Bürgergesellschaft
ebenso verankert wie in einer aufgeklärten Nachhaltigkeitslehre, die im Grunde bereits in der
Schule angelegt werden muss. Eine Checkliste für Begünstigende Faktoren einer Motivation
Fortentwicklung der Strebensethik in Projekten enthält die nachstehende Tafel 16:

499 zitiert von HEINL 2005, S. 179. HEINL formuliert in seinem Ansatz ein grundsätzlich gleichwertiges
Zusammenwirken von Sollensethik und Strebensethik, das er Konzept der integrativen Nachhaltigkeit
nennt. Die Motivation der Effizienz und der Ownership wäre in diesem System eher der Strebens-
ethik zuzuordnen.
206 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

• Wie kann man die Umstände begünstigen, unter denen sich Visionen und Visionäre
entwickeln?
• Visionen müssen umgesetzt werden. Was stärkt die Realisationschancen? Welche Rol-
le spielt dabei der Personalkörper, die Teamfähigkeit usw.?
• Normalerweise wollen Menschen etwas Sinnvolles machen. Welche Ziele im Projekt
unterstützen dieses positive Urstreben? Gibt es in der Gesellschaft/Unternehmen eine
Anerkennung für nachhaltiges Verhalten?
• Nachhaltiges Verhalten ist noch nicht selbstverständliche Norm. Woher kommt die ge-
nerelle Motivation für Nachhaltigkeit?
• Wo gibt es Schnittstellen zwischen dem Belang der Nachhaltigkeit und einem nach-
vollziehbaren individuellen Nutzen der Beteiligten.

Tafel 16: Fragekatalog für Begünstigende Faktoren einer Strebensethik zur Nachhaltigkeit

3.5.3 Zusammenhang zwischen Persönlichkeiten und Visionen


Im Sinne der Ethik trägt jeder Verantwortung, besonders wichtig ist aber natürlich die Haltung
der Führungsebenen in allen Sektoren.
Die Grundaufgabe des Entscheiders, das normale „gute“ Management, ist genauso wie die
angepasste Technologie eine absolute Voraussetzung für den Erfolg. Der Inhalt der Führungs-
verantwortung ist generell bekannt und wurde überwiegend in Kap. 3.3 behandelt. Die Heraus-
forderung IWRM verlangt aber vor allem eine Vision der Nachhaltigkeit. FREILINGER deutet
die Dualität zwischen gutem Management und Visionären wie folgt: „Es hat sich erwiesen,
dass der Erfolg eines Unternehmens auch darauf zurückzuführen ist, dass ein Leader (Visio-
när) an der Spitze steht, der folgende Eigenschaften und Verhaltensweisen aufweisen sollte:
Visionäres Denken, Gespür für Veränderungen, Beharrlichkeit im Verfolgen der Ziele, Aus-
strahlen von Wärme und Menschlichkeit, Mitreißen der Mitarbeiter durch Enthusiasmus, um
nur einige wichtige zu nennen. Es sind aber auch Manager gefragt, die sich durch folgende
Eigenschaften, Verhaltensweisen auszeichnen: Kontrolle der Zielerreichung, Prüfung der
Finanzierbarkeit, Streben nach Ordnung und Strukturen, Entwickeln von Plänen usw. Eine
Mischung von Leadern (Führungskräften) und Managern ist wichtig, um ein Unternehmen in
allen Situationen erfolgreich zu steuern. Eine optimale Vision ist immer eine Balance zwischen
Utopie und Realität.“500
Visionen lassen sich aber nicht nur Top-down verwirklichen. Auch der von FREILINGER
beschriebene „Leader“ ist darauf angewiesen, dass seine Visionen geteilt werden. Das findet
zum einen durch die der Vision innewohnenden Kraft der Motivation statt, zum anderen aber
durch fraktale Abbildung der Visionen in einzelnen Gruppen des Unternehmens. Diesen Typ
der fraktalen Vision verkörpern Menschen in verschiedenen Hierarchien.
Es sei an dieser Stelle an die Rolle erinnert, die die Chaostheorie nach KLAUS den „seltsamen
Attraktoren“ zuordnet. Führungspersönlichkeiten entwickeln sich auf allen Ebenen, formellen
wie informellen, als die bestimmende Kraft in gesellschaftlichen Systemen. KLAUS schreibt:
„Daher ist auf die Auswahl von „Leitfiguren“ im Prozess ein besonderes Augenmerk zu rich-

500
Freilinger 2004, S. 15
3.5 Der „Human Factor“: Vision und Motivation 207

ten. Dementsprechend sind Personen mit Charisma einzusetzen. Grundsätzlich können jedoch
alle am Prozess beteiligten Personen und Gruppen zu seltsamen Attraktoren werden.“501
Die Realität weicht in diesem Punkt signifikant von der Wunschsituation ab. Entscheider oder
Leitfiguren sind nicht in jedem Fall nur Lichtgestalten. In jedem Vorhaben gibt es Beispiele
von Führungsschwächen, die gewöhnlich sogar einem bestimmten Negativmuster folgen. In
der Arbeit des TTW hat sich als Bezeichnung für einen bestimmten besonders unangenehmen
„Problemtypen“ in der Führungsebene die Bezeichnung „power-man“ etabliert502. Tafel 17 ist
eine Karikatur seiner kritischen Eigenschaften. Schon einige Eigenschaften dieses Typs bei
Führungskräften bedeuten Schwierigkeiten, die nachhaltige Entwicklungen gefährden. Wenn
sich dieser Führungsstil einmal gebildet hat, ist eine Veränderung sehr schwierig503.

Kritische Merkmale des „power man“


• Die Performance seines Verantwortungsbereichs ist nicht so, wie sie sein sollte.
• Verantwortungsmangel: Für Probleme wird nicht die eigenen Organisation oder das eige-
nen Management bzw. die eigene Person verantwortlich gemacht, sondern immer schlech-
te Rahmenbedingung. (zu wenig Geld, schlechte Regierung).
• Selbstüberschätzung: Eine Einstellung, alles besser zu wissen und alles am besten selber
machen zu können, macht nicht nur „fremden“ Rat weitgehend unmöglich, auch seine ei-
genen Leute kommen nicht an ihn heran. So trifft er auch die meisten Entscheidung selber,
weil er von Unmündigen (unmündig Gemachten) umgeben ist. Gleichzeitig delegiert er
gerne, ist aber selten mit dem Ergebnis zufrieden. Er hätte es selber besser gemacht!
• Sein Netzwerk dient dem Machterhalt, nicht dem Erfolg des Unternehmens.
• Protektionismus: Er stellt Vertraute ein, unabhängig von deren Qualifikation.
• Vision: keine (außer das eigene Fortkommen)

Tafel 17: Kritische Eigenschaften von Führungskräften

Auffallend im Versagensmuster ist das Fehlen einer Vision beziehungsweise deren Ersatz
durch Egozentrismen. Diese Eigenschaften gefährden bereits den Erfolg des Unternehmens an
sich, von einem erweiterten Unternehmensziel „Nachhaltigkeit“ zu sprechen ist in diesem Fall
Utopie.
Ansatz 38: Die richtige Besetzung der Führungspositionen ist von überragender Be-
deutung. Zum Erfolg des Unternehmens sollte ein „Leader“ mit Visionen an der
Spitze stehen, der ein ethisches Commitment in Bezug auf Nachhaltigkeit für sich
persönlich und seine Führungsverantwortung eingegangen ist.

501
Klaus 2004, S. 165
502
wobei es in diesem Sinne sicher auch die „power-woman“ gibt
503
Ephraim KISHON zitierte: „Der Fisch stinkt vom Kopfe“. Im TTW ist der power-man an der Spitze
eines Unternehmens ein starker Hinweis für aussichtslose Projekte.
208 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

3.5.4 Identifikation und Qualität


Wie beschrieben, besteht der Wert einer Institution, gleich ob privatwirtschaftlich oder öffent-
lich-rechtlich zu wesentlichen Teilen aus ihrer Belegschaft. Die Nachhaltigkeit gibt zwar kein
bestimmtes Modell für Personalbewirtschaftung vor, legt aber insgesamt auf den Human Fac-
tor enormen Wert. In jedem Kapitel der A21 finden sich deshalb Hinweise auf capacity buil-
ding und Stärkung des Personals. Im Wasserkapitel ist jeweils unter ‚Instrumente zur Umset-
zung’, Ziffer c, die ‚Förderung der menschlichen Ressource’ ausgeführt. Die A21 setzt sehr
auf Kompetenz, die durch Aus- und Fortbildung sowie langfristige Personalentwicklungskon-
zepte gesichert ist. Ob dies im Widerspruch zu Personalabbau und kürzerfristigen Beschäfti-
gungsverhältnissen steht, ist ambivalent: Global scheint eine höhere Flexibilität und Kontinui-
tät wünschenswert; auf den ersten Blick ein Dilemma. MUHAIRWE, der Verantwortliche in
einem sehr erfolgreichen Projekt zur Sanierung urbaner Wasserstrukturen in Uganda, führt zur
Frage, ob er viel in Aus- und Weiterbildung sowie Motivationskampagnen für seine Beleg-
schaft investiert hätte (capacity building), aus: „Nein, in Uganda gibt es genug motivierte, gut
ausgebildete Leute. Da, wo es nötig war, habe ich die Leute einfach ausgetauscht.“504
Diese Auskunft ist sicher verkürzt gewesen. Es gibt grundsätzlich keine Alternative zu inner-
betrieblicher Aus- und Weiterbildung. Die Möglichkeit, besonders leistungsschwache Mitar-
beiter zu versetzen oder ausstellen zu können, ist aber sicher für den Gesamterfolg wichtig.
Umgekehrt zeigt die Erfahrung gerade in Entwicklungsländern, dass die Diskontinuität vor
allem von der mittleren Führungsebene aufwärts als eines der großen Probleme ist. Solange die
Gründe für einen Wechsel in der Qualifikation liegen, ist er akzeptabel bzw. notwendig. Übli-
cherweise geht es aber um Partei- oder Familienzugehörigkeit, Vetternwirtschaft oder andere
persönliche Motive. Auch wenn diese Wechsel oft tief verwurzelte kulturelle Gründe haben,
wird ohne Kontinuität in der Leitung nachhaltiger Erfolg immer schwerer.
Die Identifikation mit der eigenen Arbeit (Ownership) als eine Schlüsselfunktion in der Effi-
zienz benötigt ein gewisses Maß an Kontinuität und Verlässlichkeit. Diese Art des intensiven
emotionalen Verhältnisses zur Arbeit und zum Medium scheint auch im Wassersektor beson-
ders ausgeprägt, was sich in Begriffen wie der „Liebe“ zum Beruf und zum Wasser oder auch
der „Wasserfamilie“ widerspiegelt.505
Ein Beispiel für Ownership stammt von einem Delegationsbesuch in Usbekistan, Zentralasien.
Die dortigen Anlagen sind überwiegend in einem sehr schlechten Zustand, der aus dem Zu-
sammentreffen mehrerer problematischer Randwerte herrührt, von den Umbruchs-
schwierigkeiten über die allgemein mäßige Versorgungslage bis zu den Auswirkungen der
Aralsee-Katastrophe.

Mitten in Karalkalpakstan, einer von der Aralsee-Katastrophe stark betroffenen Provinz


von Usbekistan, wurde eine Wasserversorgungsanlage besichtigt. Der stolze örtliche Lei-
ter sprach von „seiner Anlage“, die er wie ein Kunstwerk in den buntesten Farben gestri-
chen hatte. Ein näherer Blick zeigte ein System: Zuleitungen blau, Strom rot, Aufbereitung

504
Muhairwe 2003, anlässlich der Diskussion während der water week der Weltbank in Washington
D.C.
505
Zitat: „Für Gerhard Heilingbrunner, Präsident des Umweltdachverbandes, ist das Entstehen einer
österreichischen "Wasserfamilie" das augenfälligste Ergebnis des „Jahrs des Wassers". Die „Wasser-
familie’", in der neben dem Ministerium, den Ländern und Gemeinden auch Umweltorganisationen
und die Bürger integriert seien, stelle den Bogen für die Arbeit der nächsten Dekade dar.
[http://gpool.lfrz.at/gpool/main.cgi]
3.5 Der „Human Factor“: Vision und Motivation 209

gelb, Mechanik grün usw. Jedes Mal, wenn er irgendeine Farbe bekommen hatte, hatte er
einen Typ von Anlagenteil verschönert. Diese Anlage unterschied sich aber nicht nur farb-
lich von vielen anderen in der Region. Trotz ärmlichster technischer Möglichkeiten lief sie
nämlich, wohl gepflegt und mit einer Fülle von phantasiereichen Lösungen immer und
immer wieder repariert.

Zweifellos ist die Umsetzung der Ziele aber auch sehr stark von der allgemeinen Arbeits- und
Unternehmenskultur in den verschiedenen Ländern abhängig. Eine einheitliche Anpassung der
Arbeitswelt an bestimmte [„westliche“] Vorbilder und Theorien ist problematisch, weil Ar-
beitskulturen unterschiedlich und homogen gewachsen sind. Die Veränderung einzelner Para-
meter bewirkt oft ungewollte Verwerfungen und Kosten an ganz anderer Stelle. Ein Beispiel
für ein Arbeitsklima, das scheinbar besonders die Kreativität fördert, wurde bereits unter Kap.
3.3.3.2 beschrieben. Bei der dort von FLIK zitierten Unternehmensphilosophie fällt auf, dass
sich fast alle Ansätze direkt oder indirekt auf die Mitarbeiter bzw. deren Verhältnis zum Erfolg
des Unternehmens beziehen, oder auf die Form der Zusammenarbeit506.
Mit der Unterstreichung der Werte Ownership und Kontinuität sollen aber nicht prinzipiell
Veränderungen in Frage gestellt werden. Die Produktivitätsschwächen in vielen Unternehmen
der Wasserinfrastruktur sind deutlich erkennbar und auch nicht zu rechtfertigen. Letztlich geht
es darum, zur Effizienzsteigerung Systeme zu finden, die
• sich prinzipiell an der vorhandenen [Arbeits-] Kultur des jeweiligen Landes orientieren,
• insbesondere die dort vorhandenen Tugenden erkennen und nutzen (und erkannte traditio-
nelle Schwächen berücksichtigen und vermeiden) und
• „Ownership“ erhalten oder schaffen.
Nach den Prinzipien der Fraktale können gut funktionierende Betriebe der gleichen Region als
Benchmark bzw. Ideengeber genommen werden.
Ansatz 39: Das Bewusstsein der Bedeutung der nichtmateriellen Faktoren und insbeson-
dere des Wertes der Mitarbeiter, der Kultur der Zusammenarbeit und der „ownership“
ist ein fundamentaler Nachhaltigkeitsbaustein in der effizienten Unternehmensführung.

3.5.5 Gender
Der Gender-Ansatz ist eine fundamentale Forderung des Protokolls von Dublin und der A21.
Dem ist im Rahmen dieser Arbeit nichts hinzuzufügen.
Die Welt ist allerdings von einer Gleichberechtigung teilweise noch weit entfernt. Dies ist aus
allen möglichen Gründen bedauerlich, im Wassersektor besonders, weil Frauen, vielleicht auch
aufgrund ihrer früheren Rollenzuordnung, oft den direkteren, intuitiveren Zugang zum Wasser
haben. Auch sind sie in vielen Gesellschaften in einer besonderen Verantwortung für die fami-
liären Strukturen und damit im Bereich der Nachhaltigkeit viel stärker motiviert. Oft sind zu-
dem gerade die noch im traditionellen Rollensystem lebenden Frauen auch die besseren Mana-
ger und Organisatoren, weil eine Familie schon ganz erhebliche Anforderungen an Manage-
mentqualitäten stellt.
Auch sollte man sich davor hüten, die Rolle der Frauen als stabilisierenden Einfluss auf die
Gesellschaft zu unterschätzen (vgl. dazu Kap. 3.7). Ein kluges Projekt nutzt diese Stärken auf
allen Ebenen, sei es bei der Zusammensetzung der Projektteams oder bei der Wahl der Partizi-

506
Flik 1990
210 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

pationsebene. Entweder man geht davon aus, dass es sowieso keine wirklichen Unterschiede
gibt – dann genügt ein Blick auf die Qualifikation, oder man unterstellt die in Büchern über
geschlechterspezifisches Verhalten viel zitierten Unterschiede, dann kann eine starke Einbin-
dung allein deshalb wichtig sein, weil nur damit die ganze Bandbreite möglicher Lösungsan-
sätze erfasst wird. Der zweiten These wendet sich DESER zu, wenn er die Parallelen der chi-
nesischen Mythologie des Yin und Yang mit den Ansätzen der Chaostheorie herstellt. Die im
Tao genannte klassische Unterscheidung der männlichen und weiblichen Eigenschaftsmerkma-
le entspricht der These der Anpassungsfähigkeit an Aufgaben des Lebens durch Kombination
entsprechender Merkmale. Diese von C.G. JUNG erst im 20. Jahrhundert weiterentwickelte
Annahme hat inzwischen zu einem gewachsenen Bedarf an „androgynen Führungsqualitäten“
geführt, welche es „ermöglichen, soziale Cleverness mit einer kooperativen Sachorientierung
zu kombinieren.“507

3.6 Netzwerke und Kommunikation


3.6.1 Netzwerke
3.6.1.1 Formelle Netzwerke
In jeder Arbeitswelt ist es wichtig, die in einer Gesellschaft auf verschiedenen formellen und
informellen Ebenen bestehenden Netzwerke zu kennen und mit ihnen umgehen zu können. Gut
strukturierte Netzwerke gehören zu den Stärken eines Sektors, weil sie Mehrwert in Form
einer besseren Kommunikation, besseren Technologie- und Wissenstransfers oder Synergien
bei der Verfolgung gemeinsamer Ziele erbringen. Der Aufbau technischer Netzwerke im Was-
sersektor, bezogen auf die räumliche Dimension, kann an der Situation in Deutschland ver-
deutlicht werden:
Auf der lokalen Ebene wirken (Zweck-) Verbände, also zum Beispiel Gewässerunterhaltungs-
Abwasser- oder Wasserbeschaffungsverbände. Ebenfalls auf der lokalen Ebene arbeiten die
Organisationen der verschiedenen mitwirkenden NGOs beziehungsweise die meisten Instituti-
onen der Bürgergesellschaft.
Regionale Netzwerke übernehmen transkommunale Aufgabenstellungen. Dies können Unter-
gruppen der Fachverbände und anderer Interessensverbände sein, die entsprechend einen be-
stimmten raumbezogenen Bedarf geschaffen wurden, in Bayern z. B. die Klärwerks- und Was-
serwerksnachbarschaften508 sowie die 2001 gegründeten Gewässernachbarschaften509.

Diese Nachbarschaften sind immer nach dem gleichen Schema organisiert. Ausgangs-
punkt ist eine wasserwirtschaftliche Aufgabe, die in den Zuständigkeitsbereich der Kom-
mune fällt. Je nach Größe der Kommunen müssen dort zum Teil recht kleinen Arbeitsein-
heiten – bis zum „Zwei-Mann/Frau-Betrieb“ z. T. komplizierte Aufgaben erledigen. Den
kleinen Einheiten mangelt es an geregelter Aus- und Fortbildung und fachlichen An-
sprechpartnern, also an Möglichkeiten des fachlichen Austausches und der gegenseitigen
Beratung. Aber auch größere Einheiten können vom Erfahrungsaustausch profitieren. Der
Staat kann diesen Bedarf mit seinen Behörden nur bedingt decken; eine laufende Präsenz
ist aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich und in dieser Form auch nicht gewünscht.

507
Deser 1996, 199
508
http://www.stmugv.bayern.de/de/wasser/versorg/betrieb.htm
509
Regierung der Oberpfalz, 2003
3.6 Netzwerke und Kommunikation 211

Die Lösung ist das Netzwerk der Nachbarschaften. In üblicherweise auf Landkreisebene
organisierten Gruppen treffen sich die im operativen Geschäft verantwortlichen Experten
regelmäßig 2 bis 4mal im Jahr. Im Mittelpunkt steht der gegenseitige Erfahrungsaus-
tausch. Dazu können Referenten aus Wirtschaft, Wissenschaft oder Verwaltung zu wich-
tigen Themen Vorträge halten. Die sogenannten Nachbarschaftsleiter werden in der Regel
aus der Mitte der Nachbarschaft gewählt, zum Teil sind es auch Freiwillige aus der Fach-
verwaltung. Sie werden von der staatlichen Wasserwirtschaftsverwaltung zusätzlich in
Form von Schulungen, Materialien und übergreifenden Treffen unterstützt, sei es im Rah-
men von Fortbildungen oder Informationen.

Durch dieses Nachbarschaftenprinzip war es möglich, stabile Strukturen des regionalen Wis-
senstransfers zu begründen und die Qualität der Strukturen signifikant zu stärken. Die Nach-
barschaften sind heute kaum verzichtbarer Teil der bayerischen Wasserwirtschaftsinfrastruk-
tur. Die Fachverwaltung wirkt als unverzichtbarer Katalysator.
Ebenfalls auf regionaler, vor allem aber auf nationaler Ebene wirken die großen Fachverbände,
der Definition nach NGOs. Überall auf der Welt spielen diese sowohl als Interessensvertretun-
gen als auch im Bereich der Normenfestlegung eine Rolle. Sie sind üblicherweise professionell
organisiert (mit hauptamtlichem Personal, klaren Strukturen und demokratisch legitimierten
Beschlussgremien) und normalerweise akkreditierte Partner der Legislative und der Exekutive.
Sie verkörpern damit fachliche Kompetenz in einem partizipativen Ansatz. In Ausschüssen
und Arbeitsgruppen wird der fachliche Austausch der Mitglieder unterstützt und dabei auch
homogen der Stand des Wissens fortgeschrieben, Impulse für Forschung und Lehre werden
gegeben und eine innere Qualitätssicherung betrieben. In Deutschland sind auf dem Wasser-
sektor für den Bereich Trinkwasserversorgung der VBGW und für allgemeine Wasserwirt-
schaft, Abwasser und Wasserbau der DWA zuständig. Beide Verbände haben durch ihre Ar-
beitskreise und Merkblätter normensetzende Kraft, sind offizielle Vertreter in staatlichen Gre-
mien und prägen das Erscheinungsbild der deutschen Wasserwirtschaft mit510.
Ein weiteres wichtiges Netzwerk stellen die Kammern, im Ingenieurbereich vor allem die
Ingenieurkammer Bau und die IHKs, dar, die, im Wesentlichen als Interessen- und Standesver-
tretung gegründet, wichtige Aufgaben im Bereich der Qualitätssicherung, aber auch in der
Fortbildung übernehmen. Dabei sind in fachübergreifenden Gebieten die Abgrenzungen zu
den Fachverbänden unter Umständen fließend, im Idealfall ergänzen sie sich.
Ein in föderalistischen Staaten wichtiges Instrument und Netzwerk ist die länderübergreifende
politische Abstimmung. In Deutschland liegt die Rahmengesetzgebung Wasser beim Bund, die
Durchführung ist Ländersache. Ähnliche Konstellationen gibt es in den meisten föderalen
Staaten. Damit besteht theoretisch die Gefahr eines inhomogenen Vollzuges; gleichzeitig ist
die „Rückmeldung“ über den Vollzug der Gesetze (einschließlich möglicher Verbesserungs-
vorschläge, d. h. Formulierung einer gemeinsamen Strategie) schwierig. Zur Abhilfe existieren
länderübergreifende Netzwerke, in Deutschland die Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LA-
WA), in der die Sektorvertreter aus Bund und Ländern Sitz und Stimme haben. Die LAWA
stimmt die Haltung der Beteiligten zu wasserpolitisch wichtigen Themen zwischen den Län-
dern ab, bezieht aber auch ggf. gegenüber der Öffentlichkeit zu aktuellen Themen Stellung511.

510
Der 1999 erfolgreichen Fusion der damaligen Verbände ATV und DVWK zum DWA ist leider bis
heute keine weitere Fusion mit dem BGW bzw. dessen Wasserteil gefolgt.
511
LAWA 2003
212 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

Zu besonderen Fachthemen existieren weitere nationale Arbeitskreise und Gruppen. Dazu


zählen Fachgruppen der Geologie und der Hydrologie. Ein gewisses Problem kann eine gerin-
ge Transparenz der Netzwerke sein. KAHLENBORN et al 512 sehen die mangelnde Beteili-
gung der nicht-fachlichen NGOs in den deutschen Fachverbänden besonders bei der Normen-
setzung als Nachteil.
Die nationalen Fachverbände haben sich auf der internationalen Ebene zusammengeschlossen.
So entstanden z. B. die International Water Association (IWA) aus den für den Trinkwasser-
bereich zuständigen nationalen Gruppierungen, für die Welternährung die FAO, für internatio-
nale Landnutzungsordnung die FIG usw.
Ein anderer transnationaler Typ von Netzwerken bildet sich bei bestimmten gleichartigen An-
forderungen, wie zum Beispiel im Alpenraum mit der Alpenkonferenz513. Im gleichen geogra-
fischen und fachlichen Raum agieren weitere Institutionen, Forschungsgemeinschaften und
Dachverbände wie AlpS in Innsbruck, das Eidgenössische Schnee- und Lawineninstitut in
Davos, die Forschungsgemeinschaft INTERPRÄVENT oder die CIPRA als Dachverband der
NGOs im Alpenraum als Teile des alpenumspannenden fachlichen Netzwerkes.
Projektbezogenen Charakter haben transnationale Zusammenarbeitsformen der DWA mit den
entsprechenden Partnern in Polen, Tschechien und Ungarn. Mit Mitteln der Bundesstiftung
Umwelt wurden sogar deutsche Normen übersetzt und eingeführt514.

3.6.1.2 Informelle Netzwerke


Neben den formellen Netzwerken prägen sich immer auch informelle Netzwerke aus, die aber
ebenfalls eine erhebliche Bedeutung für gesellschaftliche Vorgänge, auch in der Wasserwirt-
schaft, haben. Damit sind hier nicht primär Netzwerke im Graubereich gemeint, die mögli-
cherweise unlauteren Zwecken dienen, sondern Phänomene wie die von vielen auf dem Was-
sersektor Tätigen wahrgenommene „Wasserfamilie“: Unabhängig von allen regionalen, natio-
nalen oder kulturellen Unterschieden scheint die Beschäftigung mit dem Medium Wasser in
besonderem Maße ein unsichtbares Band darzustellen. Obwohl Untersuchungen zu dieser
These fehlen, herrscht doch eine gewisse Übereinstimmung zu diesem Merkmal. Dies zeigt
sich innerhalb der nationalen Diskussion, aber auch in internationalen Begegnungen. Besonde-
res Merkmal ist ein „common sense“, der jenseits der unmittelbaren Interessen herrscht. In
dieser Wasserfamilie wird – in der Regel unausgesprochen – ein höherer Anspruch an den
Umgang mit Wasser postuliert, in dem die Bedeutung des Wassers als Naturgewalt (Grenzen
der Beherrschbarkeit) und als lebenswichtiges Gut (sozial-gesellschaftliche Bedeutung) abge-
bildet wird. Unausgesprochen ist üblicherweise neben der Erfüllung der gerade gestellten Auf-
gabe ein besonderes Berufsethos auszumachen, das eine gewisse Legitimation behauptet, den
Belang Wasser gegen Bedrohungen zu „verteidigen“. Das ist besonders dann von Bedeutung,
wenn kurzfristig (betriebs-) wirtschaftliche Interessen gegen langfristige (auch volkswirt-
schaftliche) Interessen der nachhaltigen Bewirtschaftung stehen.

512
Kahlenborn, Kraemer, 1999, S 170
513
Auf dem Umweltsektor haben sich die 8 Alpenstaaten in der Alpenkonferenz organisiert, die mit ihren
verschiedenen Gremien die Belange einer nachhaltigen Bewirtschaftung des Alpenraums unterstützen
sollen. Daneben besteht mit der Arge-Alp ein weiteres Netzwerk auf Regionsebene (Mitglieder sind hier
überwiegend die Länder bzw. Kantone). In diesen Netzwerken werden auch zu erheblichem Teil die Be-
lange des Wassers, auch unter dem Gesichtspunkt des integrierten Managements, behandelt.
514
ATV- DVWK Projekt Ungarn, Tschechien, Polen, Schlussbericht 2002
3.6 Netzwerke und Kommunikation 213

Informelle Netzwerke transportieren eine weitere Botschaft: Jenseits der formalen, verstan-
desmäßigen Bünde existieren starke, auf emotionale Ebene gegründete Netze. Besonderes
gemeinsames Merkmal ist also die bedeutende Rolle der persönlichen Beziehung, von Werten
wie Respekt und Vertrauen, gegenseitiger Achtung bis Sympathie. Keine Organisation exis-
tiert ohne diese Werte. Ein Beispiel für Netzwerke, die vor allem auf diese Werte gegründet
sind, sind die international dienenden Verbände wie Lions oder Rotary515. Diese Clubs sind
zwar „formell“, haben aber die „informellen“, oder versteckten Stärken der Netzwerke zum
Programm erklärt. So beschreibt Rotary seine Grundsätze beispielsweise mit den vier Fragen:
Ist es fair? Ist es gerecht? Dient es der Freundschaft (… dem Netzwerk)? Dient es der Gemein-
schaft (… der Allgemeinheit)? Im Grunde können diese Fragen als ethische Leitlinie auch auf
andere Lebensbereiche übertragen werden.
Netzwerke haben also einen bedeutenden Einfluss. Sie sind, formell und informell, Vorausset-
zung für eine ‚Kräfte bündelnde’ Kommunikation. Sie dienen der Abstimmung, Absicherung
und Unterstützung von Projekten. Sie sind nicht Selbstzweck, aber Katalysator für Vorhaben.
Damit bedeutet aber auch das Fehlen von Netzwerkstrukturen genauso wie deren Nicht-
Erkennen eine Gefahr für Projekte. Netzwerke können allerdings auch problematisch sein.
Geltendmachen von sektoralen Interessen wird immer dann akzeptiert werden, solange in der
Summe der gesellschaftliche Gesamtnutzen erkennbar überwiegt. Bereits erwähnte Gefahren
aller Netzwerke sind überbordender Lobbyismus, Protektionismus, Ausgrenzungsstrategien,
Seilschaften usw.. Die zum Teil schmalen Grenzen und schleifenden Übergänge verlangen
klare ethisch-moralische Grundsätze, dann entfalten Netzwerke ihr segensreiches Wirken.
Typische Beispiele für mögliche Schwächen sind:
• Strukturen/Netzwerke, insbesondere nichtstaatliche, fehlen bzw. sind mangels klarer Auf-
gabenverteilung diffus, d. h. nicht richtig zu beschreiben;
• die Strukturen/Netzwerke sind instabil (dauernde Änderungen);
• es bestehen undefinierte ‚Schattennetzwerke’ mit übergroßer Bedeutung (z. B. Überbeto-
nung der „Beziehungen“, „alte Kader“;
• Netzwerke dienen, möglicherweise sogar gesellschaftlich toleriert oder akzeptiert, über-
wiegend dem Durchsetzen fachfremder, egoistischer Ziele; oder einzelne Netzwerke haben
übergroßen Einfluss (Grenzen des Lobbyismus).
Ansatz 40: Ethisch anspruchsvolle Netzwerke schaffen oder unterstützen [für die
Nachhaltigkeit] günstige soziale Strukturen.

3.6.1.3 Nutzen von Netzwerken innerhalb des IWRM


Netzwerke sind ein wichtiger Teil der Strukturen, auch eines Staates. Diese Strukturen bilden
in ihrer Komplexität selbst wiederum Netzwerke beziehungsweise Regelkreise. Dieser Zu-
sammenhang ist in Abbildung 3-13 dargestellt.
Abbildung 3-13 gibt nur die wichtigen Netzknoten der betrachteten Struktur wieder. Jeder
Knoten bildet seinerseits wieder Strukturen und Netzwerke aus. Auch sind die Arten der Ver-
knüpfung natürlich unterschiedlich. Hoheitliche Aufgaben, Sach- oder Dienstleistungen, Inte-
ressengemeinschaften oder Forschung sind die wichtigsten Verknüpfungen. In einer umfang-
reicheren, mehrdimensionalen Darstellung oder in einer entsprechenden Vergrößerung lassen

515
Rotary.de
214 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

sich die Typen der Verknüpfungen und die jeweiligen Unterstrukturen präziser darstellen. Das
macht für – auf die jeweilige Aufgabe bezogen – besonders sensible Relationen Sinn.
Zum Vergleich wird in Abbildung 3-17 eine für einen brasilianischen Bundesstaat analog
aufgestellte Struktur gezeigt. Zur besseren Vergleichbarkeit wurde dazu ebenso die Fragestel-
lung zum Bereich der kommunalen Wasserinfrastruktur vorausgesetzt.

EBRD KFW Landes-


UN, UNEP, ... Weltbank Europa Bund Bayerischer bank
WRRL Wassergesetze Landtag
Internationale Bayerische Staatsregierung, hier:
Verbände
IWA, GWP, WWC Staatsministerium für Umwelt Staatsministerium Staatsministerium für Arbeit,
Gesundheit und Verbraucherschutz des Innern Soziales,Frauen und Familie

Fachverbände
ATV-DVWK,
Landesamt für Regierung
BGW, DVGW... Kommunaler
Universitäten Wasserwirtschaft Kommunalaufsicht
Fachaufsicht Prüfungsverband
Rechtsaufsicht

Ing.-Kammer
Arch. - Kammer Wasserwirtschaftsamt Landratsamt Gemeindetag
Fachaufsicht Kommunalaufsicht
Wasserrecht Gesundheit
Städtetag
Förderung

Industrie- und
Handelskammer Firmen für
Unterhalt Auftrag Gemeinde Bank
Bürgermeister
Gemeinderat

Zulieferer
Ing.-Büro berät
Aufgabe WV und NGO´s
Abw.
z. B.Eigenbetrieb,
Baufirmen Auftrag
Betreiber, AG

Abb. 3-13: Netzwerk der bayerischen Wasserwirtschaft aus Sicht der Gemeinden. Das Darstellungsprin-
zip stellt eine Struktur in den Mittelpunkt (im Beispiel die Gemeinde) und sortiert die wichtigen Partner
darum herum. Im Bereich der Wasserinfrastruktur ist grundsätzlich neben der kommunalen Seite die
Rolle des Staates, also der Politik und Administration, sowie der Privaten wichtig. Ebenso werden die
NGOs abgebildet. Dazu die Finanzierungsinstitute und der Bildungssektor.

Als Konsequenz lässt sich für die Arbeit an Projekten eine Herangehensweise an Netzwerke
formulieren, die deren Bedeutung würdigt und aktiv in die konstruktive Arbeit einbindet:
Jedes Vorhaben sowie jeder individuelle Beteiligte in einem Projekt bewegen sich immer im
Rahmen von vorhandenen, formellen oder informellen Strukturen und Netzwerken. Deshalb ist
es wichtig, die vorhandenen Strukturen und Netwerke kennen zu lernen und zu beschrei-
ben. Netzwerke können in der Ausprägung und in ihren Erscheinungsformen höchst unter-
schiedlich sein, oft ersetzen persönliche Kontakte feste Strukturen, oder es spielen Kriterien
wie Berufsgruppe, Stamm oder Partei eine Rolle. Jeder verantwortliche Mitarbeiter eines
Projektes muss sich in den Strukturen und Netzwerken bewegen können. Die Durchsetz-
barkeit hängt davon ab, im Netzwerk Alliierte zu finden. Es ist nicht immer leicht, Partner zum
Mitmachen zu überzeugen, es ist aber relativ leicht, Partner dadurch zu beleidigen, dass sie
nicht entsprechend ihrem eigenen Selbstverständnis beteiligt wurden.
3.6 Netzwerke und Kommunikation 215

MERCOSUR,
OAS Bund Finanz Bundes-
UN, UNEP, ... hoheit
Wassergesetze ministerien
Weltbank IADB

Oberste
Parlament Wasserbehörde
Internationale ANA
Verbände Landesregierung von Pernambuco
IWA, GWP, WWC
Ministerium für Ministerium für Bundes-
Umwelt und Forschung (SECTMA) Infrastruktur Flußeinzugsgebiete
Kommitee
Universitäten
Umweltaufsicht ITEP
CPRH Technische
Fachaufsicht Umweltkompetenz Landes-
CREA,
Flußeinzugsgebiete
SINAENCO
Kommitee
FIDEM
COMPESA Kommunale
Firmen für Auftrag Wasserversorgung,
Unterhalt Planug
Abwasserentsorgung

SINDUSCOM Gemeinde Ev. SEMAI Örtliche


Bürgermeister (unabhängige Bank
berät Gemeinden)
Ing.-Büro Gemeinderat

WV und Abw. Prüfungs-


Einrichtungen?
COMPESA NGO´s
Zulieferer Baufirmen Auftrag Eigenbetrieb
Privat?
Skizze des Netzwerks der
Pernambucanischen
Wasserwirtschaft

Abb. 3-14: Netzwerk eines brasilianischen Bundesstaates

Netzwerke können also wichtige Komponenten einer Aufgabe oder sogar einer Gesellschafts-
gruppe sein. Im größeren Rahmen kann es notwendig sein, diese Umfeldstrukturen bedarfs-
weise im Rahmen der Projekte zu schaffen bzw. zu ergänzen (je nach Möglichkeit).
Letztlich hängt der Erfolg nicht an Organisationen oder technischen Abläufen, sondern an
Menschen und deren Fähigkeit, miteinander zu arbeiten.
Ansatz 41: Das aktive Einbinden und Nutzen von Netzwerken und vergleichbaren
Strukturen ist ein Nachhaltigkeitsbaustein in wasserwirtschaftlichen Projekten.
Anwendungsbeispiele dieser Ansätze sind in Anhang 11 ausgeführt, insbesondere die prakti-
sche Umsetzung im Anwendungsfall des Projekts Toritama.

3.6.2 Kommunikation
Die Kommunikation ist längst als eigenständiger Sektor innerhalb unserer Gesellschaft er-
kannt, sowohl was ihre politisch meinungsbildende als auch wirtschaftliche Bedeutung anbe-
langt. HEINL516 unterscheidet in Anlehnung an die UNESCO vier Kommunikationsstrategien
(Tabelle 3-9). Im Wassersektor trifft diese Gliederung vollständig zu, das zu vermittelnde
Konzept ist dabei die – allgemein – nachhaltige Wasserwirtschaft oder deren Teilziele.

516
Heinl 2005, S. 92
216 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

Tab. 3-9: Teilziele der Kommunikationsstrategie


Strategie Kommunikationsziel ist es, …
Populationsstrategie …das Konzept der Bevölkerung zielgruppengerecht bekannt zu machen und
als Handlungsorientierung anzubieten.
Innovations- und Alli- … das Konzept bei einflussreichen Akteuren mit dem Ziel zu verankern,
anzstrategie gesellschaftliche und technische Innovationen anzustoßen.
Bildungsstrategie … das Konzept im Bildungssystem mit dem Ziel zu verankern, zukunftsbe-
zogene Handlungs- und Reflexionskompetenzen aufzubauen.
Forschungsstrategie … die scientific community stärker für das Thema zu interessieren und eine
inhaltliche Weiterentwicklung und Politikberatung zu betreiben.
Mit Hilfe dieser grundsätzlichen Zuordnung der Strategieziele können Kommunikationspro-
zesse auf Vollständigkeit überprüft und nach Bedarf bestimmte Schwerpunkte bewusst ge-
stärkt werden.
Im Wassersektor ist Kommunikation wegen des großen Anteils der im Gemeinwohl begründe-
ten Entscheidungen ein wichtiger Erfolgsbaustein, ist allerdings weiter zu fassen:
• interne Kommunikation, die im Rahmen der organisationsinternen Maßnahmen (vgl. 3.3.3)
behandelt wurde,
• Kommunikation in der fachlichen Zusammenarbeit in Strukturen und Netzwerken (vgl.
3.6.1) und
• Kommunikation als komplexer Baustein und Voraussetzung im operativen Umgang mit der
Politik und der Öffentlichkeit.
Dieser letzte Punkt soll besonders vertieft werden: Peter BLUMENWITZ, langjähriger Leiter
der Abteilung Wasserwirtschaft am bayerischen Umweltministerium, antwortete auf die Frage,
was nach seiner Sicht die wichtigste Aufgabe der kommenden Wasserwirtschaft sei, mit einem
Appell an den Erhalt des öffentlichen Bewusstseins für die Bedeutung des Wassers sinnge-
mäß:„Nur der Wille des Souveräns selber, also des Bürgers, ist in der Lage, diese lebenswich-
tige Ressource vor dem Hintergrund der kommenden Herausforderungen zu erhalten. Wasser
befindet sich, ob wir wollen oder nicht, im Wettbewerb mit erheblichen, oft individuell moti-
vierten, anderen Interessen. Wir [die Wasserwirtschaftler] müssen unser Wissen über die Was-
sersituation und die daraus abgeleiteten notwendigen Maßnahmen mit der Gesellschaft und
vor dem Hintergrund der Gesellschaft kommunizieren, so dass die Gesellschaft den nachhalti-
gen Umgang mit Wasser wählen und fordern kann.“
Die Kommunikation ist in Bayern seit ca. zehn Jahren als eigener Prozess in der wasserwirt-
schaftlichen Arbeit implementiert. Die Umsetzung findet in drei Stufen statt, die Teile eines
integralen partizipativen Prozesses sind:
1. Klassische Kommunikationsstrategie (Information, public awareness), die in etwa den vier
Strategien der UNESCO entspricht;
2. passive Beteiligung, Anhörung;
3. aktive Beteiligung und strukturelle Einbindung (z. B. Risikodialog), die erheblich auf der
Kommunikationsstrategie aufbaut.
Die erste Stufe schafft einen allgemeinen mentalen Zugang zum Thema teilnehmen und ist
Voraussetzung für ein Grundverständnis (public awareness) und eine weitere Kommunikation.
Die Auswirkungen dieser Stufe auf die Wasserwirtschaft sind wichtig, aber mittelbar. In der
zweiten und dritten Stufe findet ein interaktiver Austausch statt.
3.6 Netzwerke und Kommunikation 217

3.6.2.1 Öffentliches Bewusstsein (public awareness)


Public awareness ist ein Hauptanliegen der A21. Die Kernaussage findet sich zu Anfang des
Kapitels 18.6: „Üblicherweise wird nicht genügend gewürdigt, in welchem Umfang die Was-
serwirtschaft zur wirtschaftlichen Produktivität und zur sozialen Wohlfahrt beiträgt, obwohl
das gesamte soziale und wirtschaftliche Leben in erheblichem Maße von der Menge und der
Güte des Wasserdargebots abhängig ist“.517 Die A21 nennt in einzelnen Kapiteln konkrete
Felder der public awareness:
18.12 g) die Förderung von Programmen zur rationellen Wassernutzung durch Schärfung des
öffentlichen Bewusstseins, durch Aufklärungsprogramme, durch Erhebung von Wassergebüh-
ren und durch sonstige wirtschaftspolitische Instrumente;
18.12 p) die Weiterleitung von Informationen einschließlich betrieblicher Leitlinien und die
Förderung der Aufklärung von Wassernutzern einschließlich der Erwägung der Veranstaltung
eines Weltwassertags auf Seiten der Vereinten Nationen;
18.50 d) Bewusstseinsbildung und Informierung/Beteiligung der Öffentlichkeit:
• der Ausbau der Sektorüberwachung und der Informationsverwaltung auf subnationaler und
nationaler Ebene;
• die jährliche Verarbeitung, Auswertung und Bekanntgabe von Messdaten auf staatlicher
und kommunaler Ebene als Sektorverwaltungsinstrument und als Instrument zur Schaffung
von Engagement/Bewusstsein;
• die Verwendung begrenzter Sektorindikatoren auf regionaler und globaler Ebene zur För-
derung des Sektors und zur Aufbringung von Mitteln;
• die Verbesserung der Sektorkoordinierung, -planung und -durchführung mit Hilfe einer
besseren Überwachung und Informationsverwaltung, um die Aufnahmefähigkeit des Sek-
tors, insbesondere bei auf kommunaler Ebene durchgeführten Selbsthilfeprojekten, zu
verbessern.
Die GWP hat in „Letter to my Minister“ ganz konkret auch die Politik als Adressaten für In-
formationsarbeit aufgenommen518. Tatsächlich tritt das, typischerweise langfristige Umwelt-
bzw. Wasserproblem regelmäßig in der Bedeutung hinter tagespolitische Fragen zurück, so-
lange keine wirklich unangenehmen Folgen wie Überschwemmung, Wasserklemme oder Seu-
chen stattfinden. Dieser Effekt betrifft sowohl die politischen Verantwortungsträger als auch
den Bürger. Um negative Auswirkungen aus diesem Automatismus zu vermeiden, gilt:
Ansatz 42: Konstantes öffentliches Bewusstsein ist eine Grundvoraussetzung für
nachhaltige Ressourcenbewirtschaftung; verständliche Information ist Grundlage
für öffentliches Bewusstsein. Dies ist die Aufgabe aller Wasserfachleute.
Folglich muss eine öffentliche Verwaltung, aber auch jede privatwirtschaftliche Institution, die
die Verantwortung für das öffentliche Gut Wasser hat, von sich aus eine entsprechende Infor-
mationspolitik betreiben, unter Umständen auch, um die Anstrengungen, die auf diesem Sektor
unternommen werden müssen, zu rechtfertigen. Es geht dabei auch darum, Mehrheiten für ein
nachhaltiges Verhalten zu bekommen, insbesondere, wenn es um Fragen der Verteilung der
Steuergelder geht.

517
UN 1992, Kap. 18.6 , S.160
518
GWP 2002
218 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

Die bayerische Wasserwirtschaft hat deshalb Ende der 90-er Jahre ein Kommunikationskon-
zept entwickelt519, das professionell die Vermarktung des wasserwirtschaftlichen Know-hows
verfolgt. Wichtiger Schritt war ein einheitliches Corporate Design (CD), das wie bei einer
Marke einen hohen Wiedererkennungswert darstellt. Alle Veröffentlichungen wurden mit
diesem Design gestaltet. Als Medien wurden Printmedien, Informationsfilme, zum Teil in
Zusammenarbeit mit dem öffentlichen und privaten Fernsehen, das Internet und eine große
Reihe weiterer Aktivitäten wie Unterricht in Schulen, Aktionen im Zusammenhang mit Bayern
Tour Natur, Einweihungen, Wasserfeste, Tag des Wassers, Tage der offenen Tür usw. genutzt.
Der Inhalt der multimedialen Veröffentlichungen wurde gezielt eindringlich und gut verständ-
lich gestaltet. Das Ziel dieser Information ist ein
• allgemeines Verständnis des Bürgers für Wasserbelange,
• positives Grundgefühl und Leistungsbeweis für die (mit öffentlichen Geldern) erwirtschaf-
teten Verbesserungen und Werte („tue Gutes und sprich darüber“),
um ein Potential für bewusste Entscheidungen „pro Ressource“ aufzubauen. Diese Art der
Information ist Teil der Popularisierungs- und Bildungsstrategie mit dem Ziel einer Motivation
zur Nachhaltigkeit. WILDERER et al.: „A principle task of education is to develop sensitivity
for the gift of life and the natural resources in the heads and hearts of people“520
Beispiele dafür sind grundlegende Verhaltensvorschläge zum Wassersparen, die Mittel zum
Zweck (Was kann der Einzelne für das Wasser tun? – persönliche „Betroffenheit“ schaffen),
oder auch Teil einer auf diesen positiven Effekten aufbauenden „Involvierung“ sein können
(dazu Kap. 3.6.2.3). Ein positives Beispiel für die Übernahme von Verantwortung durch nicht-
staatliche Beteiligte ist das Engagement der deutschen Wasserversorger (die überwiegend im
BGW organisiert sind). Dort wurde umfangreiches Informationsmaterial für Information und
Bildung erarbeitet521. Die Wasserunternehmen bauten diese Aktivitäten weiter aus (siehe Ab-
bildung 3-15). Solche „Werbung“ ist wichtig, weil sie den Konsumenten über (positive) Ei-
genschaften des Produktes aufklärt und damit gleichzeitig die Akzeptanz erhöht. Dies ist Teil
des operativen Geschäftes, wie der Fall der Stadtwerke München zeigt: Dort ging es unter
anderem um zu der Zeit umstrittene Ausgleichszahlungen an Landwirte, um die Nitratbelas-
tung im Einzugsgebiet der Münchner Quellen (Mangfalltal) zu reduzieren. Durch die Image-
kampagne wurde der wahrgenommene Wert des Trinkwasser so vergrößert, dass inzwischen
zu den, immerhin die Qualität des Münchner Wassers sichernden, Ausgleichszahlungen weit-
gehende Zustimmung herrscht.

519
stark unterstützt durch SCHREIBER, Pro Natur
520
WILDERER et al. 2005, S. 231
521
http://www.bundesverband-gas-und-wasser.de/de/trinkwasser
3.6 Netzwerke und Kommunikation 219

Abb. 3-15: Wasserkampagne der Stadtwerke München

Umgekehrt erhebt öffentliches Interesse auch Anspruch auf öffentlich erhobene umweltrele-
vante Zahlen und Fakten. Üblicherweise wird dies durch die entsprechenden Publikationen
befriedigt. In der europäischen Union wurde diesem öffentlichen Interesse zusätzlich durch die
sehr weit gehende Umweltinformationsrichtlinie522 Rechnung getragen. Darin ist festgelegt,
dass jeder Bürger ein Anrecht auf umweltrelevante Daten der öffentlichen Hand hat, es sei
denn, es sind geschützte Daten. Inzwischen ist der grundsätzliche Bedarf an Information im
Wassersektor fast weltweit erkannt. Auch wegen der Verbindung mit der politischen publicity
„wirbt“ fast jede Staatsverwaltung für ihre Leistungen im Wassersektor. Damit ist in der Regel
die Information für den Bürger verbunden, welche Situation nach Einschätzung der Experten
vorliegt und welche politischen Konsequenzen damit verbunden sind. Gleichzeitig wird oft
auch vermittelt, was der einzelne zum Erreichen des Zieles leisten kann. Die Ministerien und
Unternehmenszentralen unterhalten gewöhnlich für die Kommunikation eigene Arbeits-
bereiche, alleine schon um die Verzahnung mit den politischen Themen zu gewährleisten. Die
bayerische Wasserwirtschaftsverwaltung hat in ihrem Mustergeschäftsverteilungsplan für die
Wasserwirtschaftsämter ebenfalls ein Sachgebiet Kommunikation ausgewiesen (vgl. An-
hang 6).

522
RICHTLINIE 2003/4/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 28. Janu-
ar 2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen und zur Aufhebung der Richtli-
nie 90/313/EWG des Rates
220 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

3.6.2.2 Operative Kommunikation


Die Kommunikation zur Erreichung eines bestimmten Bewusstseins als Vorbereitung eines
bestimmten Verhaltens der Beteiligten wird von der Weltbank unter dem Titel „strategische
Kommunikation“ geführt. Das Konzept der Weltbank nennt als ein Ziel die Partizipation, was
definitionsgemäß deutlich über die reine Information hinausgeht523. Der Übergang von den
Kommunikationsstrategien über die strategische Kommunikation zur Partizipation ist also
fließend. Strategische Kommunikation birgt immer auch eine gewisse Gefahr der Propaganda.
Dieser Gefahr kann man nur durch sauber aufgesetzte, erkennbar nachhaltige (und damit „un-
verdächtige“) Prozesse entgehen. Damit muss Kommunikation fachlichen, integral nachhalti-
gen und psychologischen Kriterien genügen, was klar macht, wie anspruchsvoll dieser Sektor
wasserwirtschaftlicher Arbeit ist.
Grundlegend ist die operative Information im Zusammenhang mit Projekten. Dabei müssen in
jedem Falle die Beteiligten eingebunden werden, je nach Maßstab des Vorhabens kann der
Kreis aber bedeutend um weitere Interessenten aus dem öffentlichen Bereich erweitert werden.
Das ist immer dann der Fall, wenn wasserwirtschaftliche Großprojekte, wie typischerweise ein
Staudammbau oder Vorhaben ähnlicher Dimension, geplant sind. Auch neue Infrastruktur-
maßnahmen wie Wasserversorgung oder Abwassersysteme werden immer im öffentlichen
Raum diskutiert werden.
Eine besondere Entwicklung hat in den letzten Jahren die Risikokommunikation genommen.
Im Wassersektor spielt Risiko in mehreren Bereichen eine Rolle; der Begriff ist eng mit den
Nachhaltigkeitskriterien wie Vorsorgeprinzip, Quellenreduktionsprinzip, Reversibilitätsprinzip
oder Intergenerationenprinzip verbunden. Eine innovative praktische Anwendung ergibt sich
aber vor allem im Naturgefahrenmanagement: Vor etwas über zehn Jahren wurden Hochwas-
sergefahren überwiegend erst während der unmittelbaren Ereignisse wahrgenommen, beim
Schadensfall oder in der nachfolgenden Diskussion um Schutzmaßnahmen wie Ausbau. In
seltenen Fällen wird eine Bauleitplanung dergestalt durchgeführt, dass wenigstens Neubauten
in Überschwemmungsgebieten vermieden werden.
Durch die Häufung von Hochwässern (in Deutschland 1999 und 2002) und anderen Naturer-
eignissen wie dem Lawinenwinter 1999 wurde in Westeuropa die Einsatzbereitschaft von
Techniken zur Frühwarnung mit großem Aufwand erheblich verbessert524. Gleichzeitig begann
man, sich mit der Frage eines integralen Risikomanagements zu befassen. Wesentliche Arbei-
ten dazu wurden aus gegebenem Anlass in den Alpenstaaten entwickelt. So formuliert
PLANAT 2003525: „ Eine umfassende Risikokultur erfordert, die Risiken aus Naturgefahren
und deren Veränderung sowie Schutzmassnahmen transparent und vergleichbar darzustellen
und zu beurteilen. Die Interessenabwägung im Sinne der Nachhaltigkeit erfolgt in politischer
und gesellschaftlicher Debatte. Die Bevölkerung wird in einen Risikodialog einbezogen.“
Auch das bayerische Programm 2020 sowie die österreichische Strategie sehen vorbeugende

523
Ein möglicher Unterschied besteht aber doch: Je nach innerer Überzeugung bezüglich der Richtigkeit
des eigenen Vorgehens kann Partizipation verkommen zur Haltung „Ich lasse Dich teilhaben an der
Klugheit meines Systems“. Dann wird Meinungsaustausch so definiert: „Meinungsaustausch ist,
wenn Sie mit Ihrer Meinung in mein Büro hinein und mit meiner Meinung wieder heraus gehen.“
524
in Beispiel für ein ausgefeiltes System ist der Hochwassernachrichtendienst in Bayern, der im Inter-
net live Pegeldaten und Prognosen darstellt. Bei einem Hochwasser werden mehrere hunderttausend
Zugriffe auf diese Seiten verzeichnet.
525
PLANAT 2004, S.10
3.6 Netzwerke und Kommunikation 221

Maßnahmen als „dritten Sektor“ der Hochwasserschutzmaßnahmen an. Der neue Ansatz be-
deutet, die Risikokette als eine Einheit bzw. einen Kreislauf zu verstehen (Abbildung 3-16).

Ereignis
Einsatz
• Alarmierung
• Rettung
Vorsorge • Schadenwehr
• Organisation • Info / Verhaltensanweisungen
• Mittelplanung
• Einsatzplanung
• Ausbildung
• Warnung

g
• Information

Be
un


Instandstellung
ug • Prov. Instandstellung

lti
rbe
• Ver- und Entsorgung
Prävention • Transportsysteme

gu
• Raumplanerische • Kommunikation
Vo

ng
Massnahmen • ...
• Baulich-technische
Massnahmen
• Biolog. Massnahmen
Regeneration

Wiederaufbau
• Definitive Instandstellung
• Rekonstruktion
Integraler Ansatz • Erhöhung der
Widerstandsfähigkeit
•...

Abb. 3-16: Kreislauf des integralen Naturgefahrenmanagements nach GOETZ526

• Neben der Intervention wird insbesondere die Prävention beachtet, was sich in langfristi-
gen Maßnahmen – z. B. Meiden von Risikogebieten – und kurzfristigen Maßnahmen – bes-
serer Vorwarnzeit im Ereignisfall – manifestiert.
• Die Bevölkerung wird an allen Stellen des Prozesses aktiv eingebunden. Es werden die
Informationen gegeben, die ein aktives Reagieren auf die Gefahr erlauben, sei es durch
Vermeidung, sei es durch Schutz.
• Die Machbarkeit (i. d. R. Finanzierbarkeit) einschließlich der Betrachtung des Restrisikos
wird auch unter Effizienzaspekten beurteilt. Konsequenz daraus sind jeweils zu kommuni-
zierende Prioritätensetzungen und Kosten-Nutzen-Überlegungen.
Wesentlich ist die präventive Kommunikation von Risiko- und Gefahrenzonen. Dieses Thema
war lange umstritten, weil die Sorge der Beunruhigung der Bevölkerung bestand, vor allem
aber, weil durch die Ausweisung von Gefahrenzonen natürlich massiv individuelle Interessen
betroffen sind. Inzwischen gibt es aber im gesamten Alpenraum mehr und mehr Gefahren-
zonenpläne bzw. vergleichbare Darstellungen. Interessanterweise scheinen beim Umgang mit
dem Risiko auch kulturelle Hintergründe eine Rolle zu spielen: Während in der Schweiz für
jede Talsperre Katastrophenpläne mit Dammbruchszenarien existieren, ist dies in den meisten
Nachbarstaaten, so auch in Deutschland, absolut unüblich.

526
Präsentation des PLANAT-Ansatzes von GOETZ 2004
222 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

Abb. 3-17: Aus der Konzeptbodenkarte werden Bodentypen herausgefiltert, die wasserbeeinflusst sind.
Daraus werden wassersensible Gebiete entwickelt, die ein relevantes Risiko von Überschwemmungen
oder hohem Grundwasserstand bergen.

Eine Annäherung dieser Risikokulturen hat mit der technisch bemerkenswerten bayerischen
Lösung für „Warnzonen“ zu Flutgefahren stattgefunden (Abbildung 3-17): die Karten der
Überschwemmungsgebiete527 und der „wassersensiblen Gebiete“528 sind für jedermann über
Internet abrufbar. Über die Kenntlichmachung dieser Gebiete wird ein Dialog mit den Nutzern
dieser Gebiete eröffnet, der der persönlichen Vorbereitung auf ein mögliches Ereignis dient
oder im besten Falle sogar dazu führt, dass wirklich gefährliche Gebiete gar nicht erst besiedelt
werden.

3.6.2.3 Partizipation als höchste Form der Kommunikation


In der Soziologie bedeutet Partizipation die Einbindung von Individuen in Entscheidungs- und
Willensbildungsprozesse. Wünschenswert sind vielfältige Partizipationsmöglichkeiten (Betei-
ligungsformen) und eine hohe tatsächliche Partizipationsrate. Die A21 zitiert die Partizipation
an sehr vielen Stellen, für den Wassersektor sind v. a. Ziffer 18.12 m) „die Unterstützung von
Nutzergruppen zur Optimierung der Wasserbewirtschaftung auf lokaler Ebene“ und 18.12 n)
„die Entwicklung von Verfahren zur Beteiligung der Öffentlichkeit und ihre Umsetzung in der
Entscheidungsfindung, insbesondere in Bezug auf die Stärkung der Rolle der Frau im Rahmen
der Wasserwirtschaftsplanung und Wasserbewirtschaftung“ einschlägig. Die WRRL sieht die
Definition der Partizipation weiter gefasst ab der Ebene der Information und Anhörung als

527
http://www.bayern.de/lfw/iug/index.html
528
Bei der Ermittlung der wassersensiblen Bereiche wurden durch das LfW zum ersten Mal solche
„Verdachtsflächen“ über Bodenkarten ermittelt; ein konkurrenzlos günstiges, innovatives Verfahren,
das sich zur schnellen Abgrenzung potentiell gefährdeter Gebiete eignet (Abb. ). Weil die Kosten um
Faktor 100 niedriger als bei der exakten Berechnung liegen, stellt dieses Verfahren eine Alternative
zu umfangreichen hydrologischen und hydraulischen Berechnungen dar, wenn man die etwas gerin-
gere Genauigkeit in Kauf nimmt.
3.6 Netzwerke und Kommunikation 223

Pflicht der Flusseinzugsgebietsgremien. Die europäischen Wasserdirektoren empfehlen dar-


über hinaus die Aktive Beteiligung529 und geben im Rahmen ihres Papiers zur Kommunikation
konkrete Hinweise auf die Umsetzung.
Partizipation bedeutet Einbindung und Beteiligung. Der Unterschied zur „normalen“ Fach-
Kommunikation, also der Information, liegt in der Zweiseitigkeit. Es wird aus einem Monolog
ein Dialog, aus einer Erzählung ein Gespräch. Dazu müssen als Voraussetzungen gegenseitiges
Interesse, auf die Argumente und Wünsche einzugehen, gegenseitiger Respekt und Zeit (=
Ressource), miteinander zu kommunizieren, vorhanden sein.
Ansatz 43: Auch Kommunikation innerhalb partizipativer Prozesse basiert auf ernst-
haftem gegenseitigen Willen zum Austausch. Ziel ist, durch diesen Austausch einen
echten, materiellen oder ideellen Mehrwert zu erreichen.
Für einige der so angesprochenen Verfahrenstypen hat sich der Begriff der „offenen Planung“
eingebürgert. „Offen“ suggeriert einmal, dass vorhandenes Wissen offen, d. h. ohne Ressenti-
ments, kommuniziert wird. Tatsächlich sollte aber auch das Ergebnis zumindest in seinen De-
tails für Anregungen offen sein.
Im förmlichen Verfahren kann die Anhörung durchaus zu den partizipativen Elementen einer
Entscheidungsfindung gezählt werden, vor allem dann, wenn Einwendungen und Anregungen
entsprechend ab- bzw. eingearbeitet werden und dazu vielleicht sogar noch ein Dialogverfah-
ren stattfindet. Eine „vorgezogene Bürgerbeteiligung“ bezieht sich auf den Zeitpunkt der In-
formation bzw. Beteiligung im Verhältnis zum formellen Verfahren, kann aber durchaus Teil
einer offenen Planung sein, der den konstruktiven Dialog erleichtert.
Eine Voraussetzung für partizipative Prozesse sind gute Ausgangsdaten und Vorplanung, min-
destens auf Studienniveau. Hilfreich sind mit CAD erzeugte Pläne, die sich leicht ändern las-
sen sowie aktuelle Luftbilder (z. B. durch Befliegung und photogrammetrische Auswertung)
durch die sich auch jeder Beteiligte im Plan wiederfindet – eine oft unterschätzte Bedingung
für die Arbeit mit Laien. Eine noch eingängigere, wenn auch aufwändigere Methode ist die
Erstellung von Modellen, anhand derer sich auch einfachere Leute die zukünftige Planung
vorstellen können (Abbildung 3-18).
Moderne 2D-Verfahren erlauben es, Überschwemmungen vor und nach der Planung wie in
einem Film für verschiedene Zustände ablaufen zu lassen. Auch dies hilft Laien bei der Vor-
stellung der Gefahr und der Maßnahmen. Aufgrund der Berechnungen ließ das WWA Traun-
stein z. B. einen animierten Film über ein Hochwasser in Marquartstein (Chiemgau) erstellen,
der die prinzipielle Planungsmethode erläutert.

529
CIS 2002a, 5, 41f
224 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

Abb. 3-18: Modell einer Favela in Recife (M ca. 1:50) ERICSON jun.530 hatte mit seiner Studiengruppe
eine ganze Favela vermessen und befliegen lassen und dann ein maßstäbliches Großmodell mit Papier-
häusern für den Bestand und für die Planung gebaut. Die braun markierten Häuser sollen abgebrochen
werden, um Platz für Infrastruktur (Wasser, Abwasser, Strassen, Plätze) zu schaffen.

Einen ähnlichen „Nebeneffekt“ können die Versuche erreichen, die oft zur Überprüfung
schwieriger hydraulischer Situationen von wasserbaulichen Forschungsanstalten eingerichtet
werden. Die gemeinsame Diskussion zwischen Fachleuten und Beteiligten am Modell führt oft
zu einem vertieften gegenseitigen Verständnis.
Ansatz 44: Partizipative Kommunikationsprozesse sind Teile des Projektmanage-
ments und unterliegen den gleichen Kriterien wie das Projektziel selber (Nachhaltig-
keit, Integration).
Aus den guten Erfahrungen mit Beteiligungsverfahren u. a. der bayerischen Wasserwirtschaft
lassen sich allgemeine Schlüsse ziehen:
Offene Planungen eignen sich für alle wasserbaulichen Projekte. Eine frühzeitige Einbindung
der Beteiligten ergibt positive Wirkungen. Beispiel: In den Verfahren kamen viele gute Anre-
gungen, die die Qualität der Planung erheblich verbessert haben, von den Beteiligten. Die
Anregungen gingen von Wege- und Blickbeziehungen bis zu gewünschten Nutzungen (Spiel-
platz, Grillplatz, Furt). Neben der erheblich gestiegenen Zufriedenheit der Beteiligten hat die
hohe Akzeptanz zu erheblichen Verkürzungen der formellen Verfahren geführt.
Auch sonstige wasserwirtschaftliche Vorhaben wie die Wasserver- und Abwasserentsorgung
eignen sich für partizipative Prozesse. Als Beispiele kann in Lateinamerika, Salvador531, die
Entwicklung der Condominas gelten. In Deutschland wird die Partizipation oft „ex post“ durch
Bürgerinitiativen hergestellt, wobei leicht Effizienzverluste eintreten.

530
Ericson C. jun. 2003
531
Governo da Bahia 2003
3.6 Netzwerke und Kommunikation 225

Die Art und Intensität ist an den Bedarf und die Situation anzupassen. Bei kleineren Projekten
genügen allgemeine Informationen, gelegentliche Treffen in größeren Kreisen und (eventuell
viele) persönliche Gespräche. Bei großen Projekten (HW-Schutz Stadt Regensburg, Metropo-
le-Projekt Recife) waren der Dialog und die Partizipation aufwändig gesteuerte Prozesse mit
vielen runden Tischen, Gutachten, Bürgerversammlungen u. v. m. Zum Teil ist die Beteiligung
ein eigenes Vorhaben, d. h. wird langfristig geplant und von Fachbüros begleitet, es werden
eigene Strukturen wie besagte runde Tische, Arbeitskreise, Gruppen, Lenkungsgremien usw.
gegründet.
Mögliches Problem kann eine Überkomplizierung werden. Die Beteiligung wird im kritischs-
ten Fall beinahe zum Selbstzweck, Entscheidungen zu fällen wird immer schwerer. Der Durch-
bruch im Metropole-Projekt532 kam, als man sich auf die wichtigsten zehn Themen fokussierte
und fast 100 weitere, auch interessante, aber nicht fundamentale Themen aus der Entschei-
dungsrelevanz in die Detaildurchführungsphase verschob.
Ein Vorurteil gegen die Partizipation lautet, dass sie frühzeitige Fronten gegen ein Vorhaben
produzieren kann. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall, weil nicht nur potentielle Gegner
angesprochen werden, sondern die Mehrheit der Bürger. Wenn ein Vorhaben mehrheitsfähig
ist, wird dies auf diesem Weg auch mit der schweigenden Mehrheit kommuniziert. Bei der
Renaturierung der Regnitz in Nürnberg z. B. hatte sich eine große aktive Bürgerinitiative von
jungen Müttern gegründet, die vehement für das staatliche Projekt demonstrierten, das an De-
tailproblemen zu scheitern drohte. Das Projekt wurde auch aufgrund dieser positiven Mei-
nungsäußerungen rasch umgesetzt, die Regnitz ist heute einer der wichtigsten Erholungsräume
in Nürnberg.533
Der besondere Reiz der Partizipation ist, dass sie einen echten Mehrwert schaffen kann. Die
Menge und Qualität der Anregungen und Ideen, die durch die Beteiligten geäußert werden, ist
auf anderem Wege auch bei sorgfältiger Planung praktisch nicht zu erreichen. Nachdem die
Anregungen oft miteinander in Verbindung stehen (z. B. sich die Nutzungen überschneiden)
ist auch die Diskussion im größeren Kreis und eine darauf aufbauende iterative Planungs-
anpassung effizient.
Ein Hinweis, warum die Partizipation so einen hohen Wirkungsgrad haben kann, ergibt sich
aus der Chaostheorie. Wenn Systeme nicht deterministisch beschrieben werden können, ist
man bei der Beurteilung und bei der Entwicklung von Projekten auf Fraktale und Selbstorga-
nisation angewiesen. Genau das kann mit Hilfe der Partizipation erreicht werden. Jeder Betei-
ligte, der mitwirkt, trägt die Informationen über Kultur, Ethik, Moral, Bedürfnisse, Geschichte,
Tradition usw. in sich und bringt diese automatisch in partizipative Prozesse ein. Dort bildet
sich auf dem Wege der Selbstorganisation das Abbild oder Muster dieser nicht determinierbar,
fast beliebig komplexen Wirkungsmatrix.

532
Metropole-Projekt in Pernambuco, Finanzierung Weltbank, Ziel Verbesserungen in einer ca. 500.000
Einwohner zählenden Favela, Ergebnis eines Workshops im Dez. 2004. Ein neues Konzept be-
schränkt die Fragen an die runden Tische z. B. auf den Standard von Wasserinfrastruktur, auf Bil-
dung, auf Wegebeziehungen in den Favelas und auf Versammlungsstätten. Die Voruntersuchungen
hatten sich noch detailliert mit vielen weiteren interessanten Themen aller Lebensbereiche beschäf-
tigt, die aber nach Ansicht aller mit den geplanten Verbesserungen der urbanen Struktur nur sekundär
zu tun hatten.
533
http://www.bayern.de/wwa-n/stadtamfluss.htm
226 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

Die Vorteile der Partizipation sind also erheblich:


• Information: Ist in einer Demokratie an sich eine Selbstverständlichkeit. Ein echter (zu-
sätzlicher) Mehrwert ergibt sich dann, wenn etwas Positives durch die Information besser
wahrgenommen werden kann. Es wird eine intellektuelle Wertschöpfung betrieben (positi-
ves Gefühl). Ein Zusatznutzen kann ein besseres Risikobewusstsein sein.
• Akzeptanz: Eine breit mit den Beteiligten diskutierte und abgestimmte Planung wird
schneller akzeptiert. Der unmittelbare Mehrwert ist die Erleichterung der sowohl öffentli-
chen wie privatrechtlichen (Grunderwerb) Verfahren. Nach Erfahrungen des Autors wer-
den allein dadurch die Kosten der Partizipation bereits mehr als „amortisiert“
• Ideen: Partizipation erschließt traditionelles, gesellschaftliches und kulturelles Wissen.
Auch wenn die Anfangsplanung bereits sehr gut ist, wird das Wissen der Menschen vor Ort
immer noch einmal bereichernd wirken. Gerade kulturell-spirituelle Belange existieren oft
nur auf einer Metaebene und sind fast nur auf diesem Weg zu erschließen. Außerdem ent-
falten solche Prozesse unter Umständen ein eigenes kreatives Potential.
• Aktivierung: Im Idealfall tritt durch die Partizipation auch eine Aktivierung der Qualitäten
der aktiven Bürgergesellschaft ein. Beispiele sind Bachpatenschaften, die von Vereinen ü-
bernommen werden, Ortsbildverbesserungen, die analog der Maßnahmen der Städtebau-
förderung oder der Dorferneuerung einen Sogeffekt auslösen. Ein aktivierender Staat
kommt ohne partizipative Elemente nicht aus. Außerdem findet eine in beinah jedem Falle
positive Austarierung der Tripel-Belange statt.

3.7 Kultur als Erfolg beeinflussender Faktor


Es gibt in der Arbeit der bayerischen Wasserwirtschaft, aber auch in der internationalen Arbeit
des Projektes Technologietransfer Wasser (TTW) genügend praktische Beispiele, die zeigen,
dass Kultur erfolgsbestimmender Parameter in Wasserprojekten sein kann. Diese persönlichen
Erfahrungen decken sich mit diversen Untersuchungen. Damit entsteht die Notwendigkeit zur
aktiven Einbindung des kulturellen Aspektes in wasserwirtschaftliche Projekte.
Tatsächlich wird kaum jemand – direkt danach gefragt – diese Zusammenhänge in Frage stel-
len. Mit Selbstverständlichkeit wird direkt oder indirekt ein Einfluss der Kultur unterstellt, der
aber üblicherweise unbestimmt bleibt. Während soziale und ökologische Belange – wenigstens
in aufgeklärten Projekten – inzwischen selbstverständlich quantitativ implementiert sind, wer-
den kulturelle Aspekte oft nicht einmal qualitativ erfasst. Diese Arbeit geht davon aus, dass ein
weiteres „missing link“ der Lösungsansätze zur Wasserinfrastruktur in kulturellen, spirituellen
Ebenen zu suchen ist!
Ansatz 45: Kultur und Spiritualität sind fundamentale Nachhaltigkeitsbausteine. We-
gen ihrer Bedeutung werden sie als vierte Ecke des Nachhaltigkeitsmodells definiert.
Aufgrund der Breite des Themas muss sich diese Arbeit auf den kleinen Ausschnitt der Frage-
stellung beschränken, der sehr unmittelbar für die Aufgabenstellung „from vision to action“
notwendig ist, ohne zu verkennen, dass sich zu diesem Thema noch viel mehr beitragen ließe.
Auf die Notwendigkeit und Schwierigkeit sich aus dem Ingenieurfach heraus diesem Themen-
bereich überhaupt zu nähern weist HEINL hin534. Dennoch befasst sich die Europäische Aka-
demie der Wissenschaft und Künste auch mit der Bedeutung für Ingenieurwissenschaften (vgl.

534
Heinl 2005, S. 12 ff
3.7 Kultur als Erfolg beeinflussender Faktor 227

WILDERER et. al 2005). Die gezielte Behandlung dieses Themas durch die im Rahmen der
Entwicklungszusammenarbeit tätigen Institutionen geht auf die Mitte der 80-er Jahre zurück535.
Um das Thema kultureller Einflüsse der Anwendung im Wasserbereich leichter zugänglich zu
machen, wird es nachfolgend zwei gleichermaßen wichtigen Ebenen zugeordnet: „implizite“,
die innere Projektabwicklung beeinflussende Arbeits-/Betriebskultur und „explizite“ Kultur als
Ziel und Zweck der Projekte, als Bedarf und Teil einer menschlichen Lebensqualität.

3.7.1 Implizite kulturelle Einflüsse


Die implizite oder innewohnende Kultur ist Teil jeden menschlichen Handelns und damit Teil
jeden Handelns im Wassersektor. Im eigenen Kulturkreis wird diese Beeinflussung normaler-
weise nicht wahrgenommen, umso mehr, wenn man in einem anderen Kulturkreis arbeitet. Im
Zusammenhang dieser Arbeit wird der Begriff „angepasst“ vor allem auch in diesem Sinn
verstanden, d. h. angepasst auch an die jeweiligen kulturellen Bedingungen. Damit wurde der
Bereich „Kultur sowohl beim Thema „Angepasste Technologie“ wie auch „Angepasstes Ma-
nagement“ behandelt. Viele der dort geschilderten Anpassungserfordernisse sind tatsächlich
weniger auf geographische als vielmehr kulturelle Hintergründe zurückzuführen. Aus der
Außensicht heraus wird dies leichter verstanden und mit dem Anforderungsprofil der interkul-
turellen Kompetenz ausgedrückt. Aufgrund der im Folgenden noch weiter belegten Bedeutung
des Faktors ist die Forderung nach kultureller Kompetenz aber in jedem Fall zu stellen, also
auch im eigenen Kulturkreis. Eine zu diesem Problemkreis zu zählende Anforderung ist die
Sozialkompetenz, eine andere das von HEINL beschriebene Orientierungswissen536.

3.7.1.1 Sozial-kulturelle Dimensionen und (inter-) kulturelle Kompetenz


In der internationalen Zusammenarbeit werden viele mit Kulturunterschieden verbundene
Herausforderungen mit dem Begriff der sozial-kulturellen Faktoren verbunden. Diese Anfor-
derung wird üblicherweise vor allem auf die agierenden Personen bezogen. Mit Kompetenz
werden implizit zwei wesentliche Erkenntnisschritte beschrieben:
• Erstens das Wissen über die fremde Kultur (genau genommen im ständigen Vergleich mit
der eigenen. An sich ist ein differenziertes Verhältnis zur eigenen, angeborenen Kultur so-
gar Voraussetzung, Unterschiede wirklich zu erkennen.) ;
• Zweitens muss man das Wissen auch richtig anwenden können.
Zunächst sind als Konsequenz einfache, national unterschiedliche Verhaltensmuster („Be-
nimmregeln“) zu beachten. Interessant sind zum Teil die Spielregeln und ungeschriebenen
Gesetze, die hinter diesen Verhaltensweisen stehen. Diese haben großen Einfluss auf die Ar-
beitskultur, die Unternehmenskultur usw. Die KFW unterscheidet hier die immaterielle Di-
mension, d. h. das allgemeine Wertesystem und Deutungsmuster und die materielle Dimensi-
on, d. h. die Artikulation dieser Sinnzusammenhänge in Form von spezifischen Institutionen
und Einrichtungen537. Die sozial-kulturellen Dimensionen werden dort wie folgt aufgeschlüs-
selt (Tabelle 3-10):

535
KfW 2004, S. 2
536
Heinl 2005, S. 11f, S. 73 ff
537
KfW 2004, S. 5
228 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

Tab. 3-10: Sozial-kulturelle Dimensionen, aufgeschlüsselt nach kognitiven Strukturen und Sinnsystemen
Sozial-kulturelle Dimensionen
Kognitive Strukturen und Prozesse Sinnsysteme
Faktoren und Beispiele: Faktoren und Beispiele
Bedeutungszuweisung Religion/Weltbilder
Sprache Spiritualität
Denkformen/Wissensformen Mythen
Entscheidungsfindungssysteme Magie
Tabus
Lebenszyklusinterpretation

Daraus entsteht im gesellschaftlichen System ein politisches, ökonomisches, soziales und per-
sönliches Wertesystem. Beispiele für kognitive Strukturen im Wassersektor sind:
• Denkformen: (Fehlender) Vorsorgegedanke erschwert die Argumentation zu Nachhaltig-
keit bis zur Unmöglichkeit.
• Bedeutungszuweisung: Wasser ist sakral besetzt, es gilt als Verstoß, für die Gottesgabe
Wasser Geld zu bezahlen.
• Entscheidungsfindungssysteme: Afrikanisches Palaver als Entscheidungsform; vorgefertig-
te Lösungen werden nicht akzeptiert, solange sie nicht „besprochen“ sind (Information ge-
nügt nicht, auch wenn sie noch so einleuchtend ist).
• Sprache: Begriffe sind mehrdeutig, haben unterschiedliche Tiefenstruktur.
Beispiel für Sinnsysteme im Wassersektor:
• Religion: kann konstruktiv und problematisch wirken, hat aber in jedem Fall erheblichen
Einfluss, z. B. auf das Verhältnis zur Bedeutung des Wassers538
• Magie: „alternative Wasseraufbereitungen“, wie die vielen physikalischen mit Magneten
und anderen nicht in ihrer Wirksamkeit belegbaren Modelle;
• Tabus: insbesondere Umgang mit Abwasser, aber auch Bildung, Gender;
• Lebenszyklusinterpretation: Vorsorgeverhalten (Nachhaltigkeit), Hierarchien Jung und Alt.
Der sich daraus ergebende gesamtgesellschaftliche Kulturbegriff ist lt. KfW „bis heute zwar
wissenschaftlich thematisiert, aber in der Theorienbildung noch nicht aufgearbeitet“.539 Diese
„Nicht-Determinierbarkeit“ gibt einen wertvollen Hinweis auf die Herangehensweise. Das legt
nahe, die Ansätze der CT zu verwenden und nach fraktalen Mustern und selbstorganisierenden
Prozessen zu suchen. Dies wiederum geht nur in partizipativen Prozessen.
Ansatz 46: Sozial-kulturelle gesellschaftliche Einflüsse sind hochwirksam, aber nicht
determinierbar. Nach dem Prinzip der Fraktale können sie jedoch durch partizipati-
ve Prozesse abgebildet werden.

538
Wallacher 1999, S. 154 ff oder Kürschner-Pelkmann 2003a
539
KfW 2004
3.7 Kultur als Erfolg beeinflussender Faktor 229

3.7.1.2 Anwendungsbeispiele für implizite Kultur


Die Bedeutung der Kultur im Bereich des internationalen Technologietransfers ist mit der
persönlichen kulturellen Kompetenz noch nicht abschließend erfasst. Es gibt mindestens die
weitere Ebene, die Erkenntnisse über kulturelle Profile von Gesellschaften oder Gruppen aktiv
erarbeitet und als Baustein in das Projektmanagement und die Projektinhalte einfließen lässt.
Dies ist allerdings nicht ohne Risiken möglich, weil sich in diesem Umfeld auch die gängigen
Vorurteile massieren. Beispiele dafür sind die viel beschworenen Eigenschaften der Völker,
d. h. der „ernsten, gründlichen Deutschen“, der „oberflächlichen Amerikaner“, der „bienen-
fleißigen Asiaten“ usw. Solche Schubladen sind in der Regel grob bis verletzend, selten hilf-
reich. Umgekehrt gibt es aber kollektiv-kulturelle Einflüsse, die sich statistisch signifikant
auswirken. Nur aus weiter Ferne ergeben sich daraus die oben zitierten Zerrbilder, differen-
zierter betrachtet liegen in diesen Profilen Erklärungen für viele kulturell-gesellschaftliche
Zusammenhänge. Die Berücksichtigung solcher Charakteristiken ist wesentliches Kriterium
für die Effizienz von Projekten, beispielsweise durch:
• Umschiffen von kulturellen Fallen wie: Stolz verletzen, familiäre Verbindungen unter-
schätzen, Ängste übersehen;
• Krisenreaktionen richtig abschätzen, z. B. Wie verhält sich jemand, der auf einen innerbe-
trieblichen Missstand stößt?
• Transparenzverhalten, d. h. wo kann Bestechung oder Günstlingswirtschaft ein Problem
werden?
• Kennen und richtiger Einsatz von Wertepriorität.
Basierend auf solchen „sozial-kulturellen Kriterien des BMZ“ werden von der KFW540 dieje-
nigen Phänomene identifiziert, die für das Gelingen eines Projektes besonders wichtig sind,
nämlich das Wollen, das Können und die ethische Vielfalt.
Das Wollen oder die Legitimität entspricht der Akzeptanz. „Wie verhält sich das Projekt zu
den allgemeinen Wertvorstellungen und den ‚felt needs’ der Betroffenen?“ Die innere Akzep-
tanz der Zielgruppe lässt sich aber regelmäßig nicht auf die Existenz einer legitimierten Füh-
rung reduzieren, sondern resultiert – personenbezogen – in Summe aus den Vektoren Wollen
(unmittelbarer Handlungsimpuls), Sollen (allgemeine normative Werte) und Dürfen (politisch
und rechtlich sanktioniert) sowie dem Können. Die sich daraus bildende Resultierende ist von
lokalen Verhältnissen und der persönlichen Disposition abhängig, also Teil des appropriate.
Eine Maßnahme wird nach KFW nicht unbedingt dadurch als legitim empfunden, weil traditi-
onelle Führungsinstanzen sie bejahen; im Einzelfall kann es gerade umgekehrt sein.
Das Können entspricht dem erreichten Entwicklungsstand, der nicht in einem mentalen Hand-
lungskontext definiert ist. Hier bildet sich aber der Stand der handhabbaren appropriate tech-
nology und der entsprechenden Managementfähigkeiten ab. Beides kann auch mit kulturellen
Hintergründen zu tun haben, also z. B. kulturell-traditionell bedingter mangelnder Ausbildung
bestimmter gesellschaftlicher Gruppen (oft Frauen). Der letzte Schlüsselfaktor ist die sozial-
kulturelle Heterogenität (ethnische Vielfalt). Damit sind die Konsequenzen der ethnischen
Vielfalt und der daraus resultierenden Verteilungsrivalitäten angesprochen.
Die KfW leitet aus diesen drei Kriterien praxisnahe Prüfungsfragen für die grundsätzliche
Realisationschance der Projekte ab, die mit einer Vielzahl von erläuternden Beispielen hinter-

540
ebenda, S. 19 ff
230 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

legt sind541. Bei der Umsetzung der Projekte tritt aber eine riesige Zahl weiterer sozial-kulturell
beeinflusster Faktoren auf, deren „Beherrschung“ zum Erfolgsfaktor für das Projekt wird. Ein
wichtiges von vielen Beispielen ist die fehlende Bindung der Mitarbeiter an die Unternehmens-
ziele, weil die Familie im weitesten Sinne die alleinige Priorität besitzt. Damit wird Untreue
gegenüber dem Arbeitgeber ebenso begründet wie die bedenkenlose Alimentierung von Fami-
lienangehörigen durch Arbeitsstellen. Dieser Protektionismus ist ein erhebliches kulturelles
Problem in vielen Ländern der Welt (lack of ownership).
Es ist im Sinne der Nachhaltigkeit immerhin davon auszugehen, dass die prinzipiellen Ziele
der Effizienz, Leistung, Kommunikation, der Netzwerkbildung, der Flexibilität und Ownership
immer zutreffen, auch wenn sich die Methodik der Umsetzung kulturbedingt ändert.
WEILER542 geht der Frage nach, ob kulturelle Unterschiede, dargestellt am Beispiel der Welt-
religionen, Einfluss auf die Leistungsfähigkeit von Gesellschaften bezüglich der technischen
Entwicklung und Nachhaltigkeit haben. „It is not the high mortality of some societies or re-
gions of the world does raise questions, but on the contrary, the decreasing and low mortality
asks for an interpretation, which appears to be related to scientific and technological knowl-
edge.” Danach hat der technologische Fortschritt seine Wurzeln im jüdisch-christlichen Welt-
bild (letztlich doch aufbauend auf den antik-römischen Strukturen?543), was zu den technisier-
ten Gesellschaften in Nord- und Westeuropa geführt hat. Obwohl dies oft als Vorteil interpre-
tiert wurde, stellt sich nach WEILER die Frage, ob diese westlichen Gesellschaften (alleine) in
der Lage sein werden, ihre Visionen zu der Bedeutung und Rolle der Natur zu ändern. „Such a
cultural transformation represents de facto a paradigm shift in the Western way of thinking
and in Western culture.” Diese Impulse könnten mit anderen, mehr öko-zentrisch ausgelegten
Kulturen kommen. „Given the profound roots of technological progress in the culture and
world vision of the Western societies with a strong anthropocentric vision, the acceptance of
change for reaching a sustainable world society requires a more equilibrated one allowing the
incorporation of eco-centric values. A new vision or world order will be necessary. Without
any doubt, such a transformation will require a strong and convinced intellectual and political
leadership.” Im Idealfall könnte also das Match-making der Kulturen zu neuen Lösungen füh-
ren, indem die jeweiligen Stärken der Kulturen neue Visionen umsetzbar machen. Mindestens
sollte man es sich aber zur Regel machen, die Lösungsansätze anderer Kulturen bewusst zu
erkennen und ggf. auf Übertragbarkeit in das eigene System zu überprüfen. So haben der vir-
tuose Umgang mit der Partizipation in Brasilien, aber auch die alternativen Wertesysteme
anderer Kulturen die Ansätze dieser Arbeit und auch manches bayerische Projekt positiv be-
einflusst, um nur zwei Beispiele zu nennen.

541
ebd. S. 24-26
542
Weiler 2005, S. 53 ff
543
Das Technologieverständnis wie auch das Umweltverständnis insbesondere der römischen Antike
legen das nach THÜRY nahe. (Thüry 1995)
3.7 Kultur als Erfolg beeinflussender Faktor 231

3.7.2 Explizite Kultur


3.7.2.1 Kultur vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeit
Kultur ist aber noch mehr, als der interne Rahmen für operative Projekte.

1.Sustainability cannot be achieved without eradication of poverty, and poverty eradication


cannot be achieved without education. Poverty includes Spiritual as well as economic
poverty.
2. Measuring economic activity and quality of life with appropriate indices is necessary.
Economic objectives must be balanced with sustainable ambitions.
3. Education must be based on indigenous cultural knowledge, implemented by local human
resources and adapted to local present and future needs. A principle task of education is to
develop sensitivity for the gift of life and the natural resources in the heads and hearts of
people.
4. Culture includes religious endeavours. The principals and values common to religions
worldwide - such as thankfulness for all goods on which humans depend, sensitivity for all
living beings, compassion, humility and solidarity - should be utilized information of
concepts of sustainable development.
5. Economic globalization must be based on local economic activities. Indigenous knowledge
about the material and Spiritual value of natural resources must be taken into consideration
and adequately rewarded.
6. Sustainable development requires that local societies and economies have adaptive capacity.
Local participation in planning and decision making is necessary to develop adaptive
capacity. To strengthen the adaptive capacity of the various societies and economies of the
world, participation methods should be further developed and rigorously implemented.
7. Science and technology is to be understood as an important means to sustainable development.
Technological transfer and technological innovation must be integrated into the local cultural
knowledge

Tafel 18: Der Workshop von Kloster Banz hat sieben Postulate des Einflusses der Kultur auf den Was-
sersektor formuliert

Verschiedene, besonders wichtige Aspekte des Kulturbegriffes vor dem Hintergrund der Nach-
haltigkeit wurden im Abschlusspapier der Konferenz von Banz544 gefunden. Dort war die Fra-
ge des Einflusses der Kultur auf den Wassersektor in vier Gruppen diskutiert worden:
World cultures and world religions, Poverty and economical development, Global and tempo-
ral dimension of sustainability und Technology, conflict and sustainability
Das Ergebnis der Arbeitsgruppen waren die sieben in
Tafel 18 wiedergegebenen Basissätze
Bemerkenswert an diesem Thesenpapier ist die große Bandbreite, die von den endemischen
Fähigkeiten einer Gesellschaft bis zur Religion und Spiritualität reicht. Meilensteine sind die
Bildungsfrage, aber auch die Veränderungs- und Anpassungsfähigkeit von Gesellschaften.

544
Wilderer, Schroeder, Kopp 2004, Kap 18, S.231
232 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

Als das probate Mittel zur Umsetzung dieses Anspruches wird die Partizipation genannt. Parti-
zipation hat unter anderem das Ziel, das vorhandene endogene Wissen der Partner einzubin-
den, ist aber auch die Schnittstelle zwischen Projekt und Beteiligten. Daraus folgt:
Ansatz 47: Kultur, Spiritualität, Religion sind Werte per se. Sie müssen erkannt, be-
rücksichtigt und in Projekte aktiv eingebunden werden, wo immer das möglich ist.

3.7.2.2 Die kulturelle Ebene als Teil der integrierten Projekte


Das integrierte System der A21 basiert auf dem Dreieck Ökologie, Ökonomie und Soziales.
Üblicherweise werden die kulturellen Aspekte dem Sozial-Gesellschaftlichen zugeordnet.
Diese Arbeit bevorzugt aber aus praktischen Beweggründen ein Modell, bei dem die kulturel-
len Aspekte mit den drei anderen als eine dreiseitige Pyramide ein räumliches Gebilde bilden.
(vgl. Abbildung 3-19) Eine bewusste Einbindung kulturell kommunikativer Aspekte in moder-
nen Projekten passiert – selten bewusst – in der Regel indirekt durch Partizipation; wie bereits
beschrieben ein sehr vielversprechender Weg. Angesichts der hohen Bedeutung für den Men-
schen müssen aber Wege zur aktiven, gezielten Einbindung des kulturellen Faktors gesucht
werden.
Die Ursache für diesen Bedarf ist zunächst ein Dilemma: Internationale Ausschreibungen auf
dem Wassersektor sind heute in der Regel hoch integriert, neben wirtschaftlichen Aspekten
werden auch ökologische und vor allem soziale Aspekte indiziert. Das ist auch insoweit not-
wendig, als vor allem Weltbankprojekte in erster Linie der Armutsbekämpfung gelten. Ange-
sichts der weltweiten Situation bleiben aber immer Zweifel, inwieweit diese Projekte wirklich
der Armutsbekämpfung dienen können. Im Beispielprojekt Beberibe leben rund 500.000 Men-
schen überwiegend in ärmsten Verhältnissen, knapp die Hälfte unter der Armutsgrenze der
UN. Bei 80 Mio. $ eingesetzten Projektgeldern kommen rechnerisch auf eine Person Investiti-
onen von 160 $, der „Lebensbedarf“ für 80 Tage. Kann so wirkungsvoll die Armut bekämpft
werden? Sicher nicht allein:
Auch wenn deutlich ist, dass westeuropäischen Maßstäbe von Reichtum übertragen z. B. auf
brasilianische Verhältnisse unrealistisch sind, bleibt, dass das Ziel der Armutsbekämpfung
durch solche Infrastrukturprojekte schon aus praktischen Gründen nur summarische Verbesse-
rung der materiellen Bedingungen bedeuten kann. Einen bedeutender Hinweis auf einen mög-
lichen Mehrwert ist im Banzer Papier enthalten: Armut besteht nicht nur in materieller Armut,
sondern ebenso auch in spiritueller. Projekte, die Armut bekämpfen wollen, müssen auch die
kulturelle Armut mit einbeziehen beziehungsweise kulturellen Reichtum nutzen. Bis zu einem
gewissen Grade scheinen diese beiden Reichtumsarten sogar gegenseitig substituierbar zu
sein545, mit der klaren Einschränkung der menschlichen Mindestbedürfnisse, die sich nicht
substituieren lassen. Richtschnur dafür mag die Definition der Menschenwürde bzw. der mate-
riellen Grundbedürfnisse wie in der Maslowschen Pyramide sein (vgl. Abbildung 2-12, S. 61).
Unstrittig müssen diese Grundbedürfnisse befriedigt werden, also die Wasserversorgung, im
urbanen Bereich auch die Entsorgung von Abwasser und Abfall, weitere Mindestumweltstan-
dards sowie eine medizinische Grundversorgung, ein Mindestobdach und etwas zu essen. Dies

545
vgl. den Ansatz der Potentiale der schwachen Nachhaltigkeit (S. 12); plakative Beispiele wären der
Vergleich zwischen einem Asketen, vielleicht einem Einsiedler, der überwiegend von kulturellen Gü-
tern lebt mit manchem Westeuropäer, dessen Leben überwiegend dem Geldverdienen und Konsum
dient, der aber keine Kirche und keinen Konzertraum von innen kennt.
3.7 Kultur als Erfolg beeinflussender Faktor 233

kann der Beitrag der Wasserprojekte bzw. der Wasserwirtschaft sein, auf dem sich dann ein
weiteres Gebäude aufrichten lässt.
Der nächste Block, Familie, soziale Kontakte, Nachbarschaft, Sicherheit, Freiheit, ist nur noch
bedingt von rein materiellen Fragen abhängig. ABT546 äußert die Idee einer geistig-seelischen
Nachhaltigkeit, die Lebensqualität und Identität, Offenheit und ein positives Lebensgefühl
fördert, und leitet daraus Forderungen für die Landentwicklung ab, sich nicht überwiegend an
äußeren, materiellen Dingen zu orientieren. Daraus wird eine geistig-seelische Nachhaltig-
keitsdimension entwickelt, die mit der sozialen eine Achse der Immaterialität bildet547.
Auch für die westliche Kultur wird dieses Gedankengebäude von SCHMID, KRÄMER und
HEINL weiterentwickelt. Es entstehen die Ansätze der Lebenskunst: „Lebenskunst im Ange-
sicht der Freiheit erfordert eine aktive Lebensgestaltung, die Ausformung von Stil, ja einer
Kultur des Selbst“548. Die Lebenskunst transportiert auch Werte: „Das Pflegen der Umgangs-
formen wird damit zu einem Gegenstand der Sorge um Gesellschaften und zu einer Aufgabe
der Lebenskunst. Zu den Umgangsformen zählen Höflichkeit, Aufmerksamkeit, Rücksichtnah-
me, Zurückhaltung, Respekt, Anerkennung, Dankbarkeit, Erweisen von Gefälligkeiten, Tole-
ranz, Unvoreingenommenheit, Nachsicht für die Schwächen anderer etc.[…].
Die Probleme, die hinter diesen Fragestellungen jeweils in Europa und in z. B. Lateinamerika
in einer Favela stehen, könnten kaum unterschiedlicher sein. Hier eine Gesellschaft, die an
Egoismen aus einem überzogenen Konsumverhalten leidet, und dort eine Gesellschaft, deren
Mitglieder zur Hälfte unter der Armutsgrenze leben. Das soll hier nicht verkannt werden. Den-
noch ist in beiden Welten die kulturell-spirituelle Kraft gleich viel wert, wahrgenommen oder
nicht. Im Fall des Nordens ist eine Rückbesinnung auf nichtmaterielle Werte zu wünschen, im
Falle des Südens müssen wenigstens die Voraussetzungen geschaffen werden, dass die min-
destens benötigten Basisbedürfnisse soweit befriedigt werden, dass diese nichtmateriellen
Werte überhaupt gelebt werden können. Konsequenz daraus ist, dass bei Wasserprojekten
immer, egal in welcher Kultur, die kulturellen-spirituellen Anforderungen erkannt und imple-
mentiert werden müssen. Nur dann können die geschaffenen Grundversorgungen ihre Wirkung
eines Mehrwertes entfalten.
(vgl. Ansatz 4: Angepasste Technologie muss durch integrale Planung sozial-
kulturelle Hauptziele erfüllen und mögliche sozial-kulturelle Nebenziele und Neben-
effekte berücksichtigen.)
Einige wasserwirtschaftliche Aufgaben – wie die Abwasserentsorgung und die Trinkwasser-
versorgung – liegen im Kernbereich dieser Anforderungen. Sie können oft durch geschickte
Planung um weitere kulturelle Elemente erweitert werden (z. B. Wegesysteme, Ortsbildverbes-
serung, Erholungsräume) oder es können die Ziele anderer Träger entsprechend unterstützt
werden (z. B. kirchliche Ziele, Jugend- und Altenbelange). Weiterhin kann es auch ganz spezi-
fische kulturelle Ansprüche und Verbesserungsmöglichkeiten geben, auf die Planungen gezielt
eingehen können, z. B. Versammlungsstätten, spirituelle Bedeutung von Wasser, bestimmte
Riten usw..
Beispiel Recife: Vor dem Hintergrund der Leitlinie der Menschenwürde ist ein beispielgeben-
des Projekt der Stadt Recife entwickelt worden549: In einem klassischen Favela- Projekt war

546
Heinl 2005, S. 105
547
ebenda. S. 112
548
ebenda. S. 153
549
Ericson 2001
234 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

die Aufgabe, die Lebensbedingungen in mehreren Stadtvierteln zu verbessern. Von Anfang an


trat man in einen Dialog mit den Bewohnern ein.

Ein enormes Problem war von Beginn an die extreme Kriminalität. Nach fast täglichen
Überfällen auf das lokale Büro wurde von der Projektleitung entschieden, dass es so nicht
weiter gehen könnte. Per mündlicher und schriftlicher Einladung wurden über die bekann-
ten, internen Gruppen alle „Verbrecher“ zu einem Treffen eingeladen. Aus Furcht vor po-
lizeilichen Zugriffen kamen nicht die Angesprochenen, sondern deren Ehefrauen, Mütter,
Schwestern oder Töchter. Mit diesen wurde das Projekt diskutiert. Diese Gruppe der meist
weiblichen Bewohner stellte sich als zum einen hauptsächlich unter den katastrophalen
Verhältnissen leidend, aber auch gegenüber den geplanten Verbesserungen aufgeschlossen
heraus. Mit ihnen wurde ein „Nichtangriffspakt“ geschlossen, der mit den Mitteln der fa-
miliären Bindung auch durchgesetzt wurde. Über diesen „Gender“-Ansatz gelang ein sta-
biler Zugang zu den internen Strukturen der Favela.

Ein wesentlicher Baustein des Projektes ist ein „Bürgerbüro für Wasserfragen“
(SANIAMENTO): Am Rand der Favela wurde ein kleines Haus errichtet, in dem in zwei Bü-
ros je ein Vertreter der Stadt und ein Vertreter der COMPESA sitzen550. Jeder Einwohner kann
dort vorsprechen und Mängel am System melden. Diese Mängel werden schriftlich aufge-
nommen und in bestimmten Fristen wird Abhilfe geschaffen. Jeder Fall wird statistisch erfasst,
Reparaturdauer und Erfolg ebenso. 95 % der Eingaben werden in weniger als drei Tagen erle-
digt. Der psychologische Effekt auf die Bewohner ist erheblich. Sie werden von einer Verwal-
tung ernst genommen und es wird ihnen sichtbar geholfen. Viele dieser sozial schwächsten
Menschen erleben dies vielleicht zum ersten Mal. Sie geben dafür einen Teil ihrer selbstschüt-
zenden Abwehrhaltung gegen die etablierte Gesellschaft auf, die Reparaturtrupps und Wasser-
ableser stehen in der Regel unter Schutz; Übergriffe passieren seltener, werden statistisch er-
fasst und sind Grundlage für die regelmäßigen Verhandlungen mit den internen Machtstruktu-
ren (keine Sicherheit, kein Service!).
Zunehmend werden in die Planung auch klassische Versammlungsorte und Freizeitflächen
(Sport u. Ä.), aber auch Kirchen und Samba-Schulen aufgenommen. Weiterhin ist die Bildung
von nachbarschaftlichen Organisationen und Strukturen zunehmend Teil von Planungen in den
Favelas. Auf manchen Gebieten sind die bisherigen Projekte aber noch zu zurückhaltend, zum
Teil bestehen aus der Vergangenheit sogar noch Ressentiments gegen bestimmte Kulturen.
Beispiel dafür ist der Capoeira-Tanz551, der im Ruf der Revolution steht. Es ist immer zu prü-
fen, welche positiven kulturellen Elemente noch zusätzlich die Lebensqualität steigern und die
Menschenwürde fixieren können. Integrierte Projekte müssen das kulturelle Potential kennen
und operativ stützen. Ein weiteres Beispiel aus Bayern ist in Anhang 12 beschrieben.

550
Ein Problem in Brasilien ist die nicht ganz klare Zuständigkeit für den Wassersektor. Für Wasserver-
sorgung und Abwasser wurden große halbstaatliche Institutionen gegründet, in Pernambuco die
COMPESA, die für viele Kommunen zuständig sind. Einige Kommunen sind unabhängig, andere
möchten es gerne werden, insbesondere, wenn der Service vermeintlich schlecht ist. Umgekehrt
stimmen die Kommunen üblicherweise ihre Stadtplanung nicht mit den Versorgern ab, teurer Infra-
strukturbedarf entsteht. Verlierer ist oft der Kunde.
551
Capoeira-Tanz: eine Form des spielerischen, getanzten Kampfes, von den Sklaven Brasiliens erfun-
den und bis heute noch mit dem Ruf der Rebellion, des Widerstands gegen Ausbeutung und Rassis-
mus verbunden
3.7 Kultur als Erfolg beeinflussender Faktor 235

3.7.3 Fazit: Gezielte Implementierung kultureller Werte als Aktivposten in


Projekten
Armut darf nicht nur in materieller Hinsicht definiert werden. Das wird nicht nur von Planern
von technischen Infrastrukturmaßnahmen häufig übersehen. Das kann sich insbesondere dann
problematisch auswirken, wenn durch solch eine Sichtweise der Blick auf Potentiale, aber
auch Schwächen von Gesellschaften verstellt wird. (Bei allem kulturellen Reichtum der „west-
lichen“ Welt kommt manchmal der Verdacht auf, dass mit Reichtum dort überwiegend mate-
rielle Werte gemeint sind. Die wachsende spirituelle Armut wird übersehen).
Das Erkennen der kulturellen Stärken und Anforderungen darf auch nicht sektoralen Betrach-
tungen überlassen werden, sondern muss kommuniziert werden. In diesem Feld ist die inter-
disziplinäre Zusammenarbeit unersetzbar, was die Bandbreite der wissenschaftlichen Erkennt-
nis anbelangt. Die Lösungsmatrix wird aber erst vollständig, wenn noch die Dimension der
regionalen Unterschiede dazu genommen wird. Der günstigste und effizienteste Weg dazu ist
die Partizipation auf allen Ebenen, weil diese im günstigen Fall eine Art Automatismus entfal-
tet, einfach ausgedrückt: „…was der Kopf nicht leistet, leisten die Herzen…“.
Im Ergebnis wird die Kultur als Dimension in die Gleichung der A21 aufgenommen:

Kultur, Religion,
Spiritualität

Sozial-
gesellschaftlich

Ökonomie

Ökologie

Abb. 3-19: Das Dreieck der Agenda 21, erweitert um die Dimension der Kultur: In Wirklichkeit ein
Tetraeder?552

Die kulturellen Ziele sollten auch in das Wirkungsmonitoring der Projekte aufgenommen wer-
den. Indikatoren könnten z. B. funktionierende Familien, Nachbarschaftshilfe, Kirchbesucher,
geringe Kriminalität, Toleranz gegenüber Ausländern sein. (Vorschlag für die westliche Hemi-
sphäre, analog ähnliche Indikatoren für die südliche Hemisphäre).
Vor dem Hintergrund der Erfahrungen der praktischen Projekte ergeben sich für eine wenigs-
tens qualitative Beachtung der impliziten und expliziten Einflüsse des kulturell, spirituellen
Axioms folgende Schlüsse einschließlich eines Ansatzes:

552
Grambow 2005, S. 218
236 3 From vision to action: Lösungsansatz für die Umsetzung des IWRM

• Die Einbindung kultureller Aspekte scheint Grundlage für den Anspruch „von der Vision
zur Umsetzung“ zu sein.
• Armut ist auch spirituelle (kulturelle) Armut.
• Partizipation ist der Schlüssel zum Erfolg.
• Wir brauchen auf allen Ebenen, von der lokalen Projektebene bis zur globalen Ebene,
Netzwerke und fachübergreifende Kompetenz.
Ansatz 48: Armut kann auch in kultureller-spiritueller Armut bestehen
237

4 Synthese und Ausblick

Synthese
An der Nachhaltigkeit führt kein Weg vorbei, nicht im Wassersektor und auch nicht in den
anderen Sektoren. Die Umsetzung ist sowohl eine Frage der Überzeugung und Motivation als
auch der zur Verfügung stehenden Techniken. Als Lösungsansatz hat man für den Wassersek-
tor das IWRM gefunden. Dieser stellt zusammen mit den Aussagen der A21 aber zwei erhebli-
che Probleme für die Umsetzung dar:
Die A21 beziehungsweise die Nachhaltigkeit ist ein normatives Konzept, d. h. sie gibt
zunächst keine Antworten auf Detailfragen zur richtigen Abwägung zwischen den Tripel-
Belangen, sondern erzeugt sogar regelmäßig Dilemmata. Ein erster, immer richtiger Schritt zur
Auflösung des Dilemmas ist die nachhaltige Effizienzsteigerung. Das Instrumentarium dazu ist
im Wesentlichen im Bereich des angepassten Managements und der angepassten Technologie
zu finden. Weitere Ansätze zu Lösung der Dilemmas liegen in einer lokalen und temporalen
Differenzierung, d. h. in einer Vermeidung der dilemmatischen Situation durch Einbeziehung
räumlicher und zeitlicher Koordinaten. Die Ziele der Abwägung liegen in der Nachhaltigkeit,
hilfsweise Gerechtigkeit der ökonomischen, ökologischen und sozial- kulturellen Belange.
Die zweite Herausforderung des IWRM ist die Integralität. Durch die faktische Forderung
nach transsektoraler, translokaler und transtemporaler Integralität entstehen hochkomplexe
Aufgabenstellungen, die nicht mehr deterministisch zu lösen sind. Dies führt in der Praxis
leicht zu einer fehleranfälligen Ausblendung integraler Bestandteile bzw. einer unzulässigen
Vereinfachung der betrachteten Systeme. Besser ist, unter Beachtung aller Ebenen Lösungen
iterativ in einem hochvernetzten Lösungsraum zu entwickeln, damit die Komplexität Zug um
Zug gelöst werden kann. Dazu gibt es keine Schemata, als Kunstgriff kann aber analog der
Lösungsansätze der Chaostheorie insbesondere die Kraft der partizipativen Prozesse genutzt
werden, um diese komplexen Zusammenhänge abzuarbeiten, ohne diese im Einzelnen deter-
ministisch beschreiben zu müssten.
Als sachliche Beiträge zu Umsetzung des IWRM werden in Kap. 3 eine Reihe von Maßnah-
men und Verhaltensweisen empfohlen. Diese basieren auf den Überlegungen zu den spezifi-
schen Stärken und Schwächen der internationalen Modelle der Weltbank etc..
Dazu gehört die Klärung der Rolle des Staates bzw. der Steuerungsparameter einer nachhalti-
gen Politik. Hier sind im Vergleich zum globalen Mainstream als Ergebnisse der Untersuchun-
gen abweichende Einschätzungen zu den zukünftigen Rollenverteilungen im Wassersektor
entstanden. Prinzipiell hat danach der Staat bezüglich der Nachhaltigkeit gegenüber der Ge-
sellschaft eine Garantenstellung, die durch Privatisierungsbestrebungen nicht zu ersetzen ist.
In der zukünftigen globalen Entwicklung des Wassersektors sind zwei Stufen der kontinuierli-
chen Verbesserung vorstellbar: als mindeste erste Stufe die volkswirtschaftliche Effizienz, die
die finanziellen Freiheitsgrade für nachhaltige (Teil-) Lösungen vergrößert, und als zweite
Stufe zur Lösung des Abwägungsdilemmas ein Leitbild der puren Nachhaltigkeit im Rahmen
von good governance und einer Vision der Nachhaltigkeitswirtschaft.
International ist es sinnvoll, sich an guten Beispielen zu orientieren. Aus Sicht dieser Arbeit ist
dabei das bayerische Modell stärker zu beachten, als in der Vergangenheit. Es beinhaltet die
europaeinheitlichen Qualitäten der WRRL und die deutschlandtypischen hohen Ansprüche an
238 4 Synthese und Ausblick

die Wasserqualität in der gesamten Breite; Bayern ist als Flächenstaat traditionell stark kom-
munal und ländlich ausgerichtet, dadurch als Modell prinzipiell auch für ländliche Regionen
geeignet, gleichzeitig als Industriestandort auch in effizienten wirtschaftlichen Lösungen er-
probt.
Es gibt aber erkennbare Defizite: Augenscheinlich mangelt es an einer Wertediskussion, die
sich noch deutlicher mit nichtmonetären Werten, vor allem auch kulturellen, auseinandersetzt.
Die Arbeit zeigt für wasserwirtschaftliche Projekte und Politik diverse Felder eines auf diesem
Weg zu erreichenden Mehrwertes auf.
Integralität wird oft plakativ gefordert, dabei wird leicht die Wirkung von integralen Maßnah-
men überschätzt bzw. werden deren Ansprüche und Komplexität unterschätzt. Die Umsetzung
ist zunächst oft proklamistisch. Ein Großteil des Erfolges ist aber nicht durch theoretische
Konzepte – selbst wenn diese anspruchsvoll sind – sondern durch handwerklich saubere
Arbeit im Detail zu erreichen. Empfehlungen dazu enthalten die Ansätze, die im Folgenden
als Synthese noch einmal zusammengefasst seien:
Zu Angepasste Technologie:
Ansatz 1: Es wird als mittelfristiges, plakatives Ziel definiert, dass der heutige Preis für techni-
sche Lösungen auf dem Wassersektor halbiert werden muss.
Ansatz 2: Es ist die Aufgabe der technologischen Entwicklung, ggf. auf iterativem Weg eine
permanente Steigerung der Nachhaltigkeit technischer Lösungen zu finden.
Ansatz 3: Angepasste Technologie muss sich an den Kriterien der Umweltverträglichkeit ori-
entieren.
Ansatz 4: Angepasste Technologie muss durch integrale Planung sozial-kulturelle Hauptziele
erfüllen und mögliche sozial-kulturelle Nebenziele und Nebeneffekte berücksichtigen.
Ansatz 5: Flüsse brauchen Platz (Rivers need Space).
Ansatz 6: Trinkwasser ist unverzichtbar. Trinkwasserschutz hat absolute Priorität. Es ist flä-
chendeckend zu schützen. Zusätzlich sind in Grund- und Oberflächengewässern Schutzzonen
bzw. Schutzgebiete einzurichten.
Ansatz 7: Die geordnete Abwasserableitung und nach Möglichkeit die Behandlung von Ab-
wasser muss gleichzeitig mit der Wasserversorgung erfolgen. Der übliche Weg, zunächst nur
die Wasserversorgung zu installieren, ist nicht nachhaltig und widerspricht der Menschenwür-
de.
Ansatz 8: Normen und Regelwerke tragen erheblich zur technischen Qualitätssicherung und
Effizienz bei. Dazu müssen Normen aber angepasst, übersichtlich und aktuell sein.
Ansatz 9: Der Bereich Aus- und Fortbildung ist als Ziel zu definieren, strategisch zu planen,
als Daueraufgabe durchzuführen und in seiner Qualität zu sichern.
Ansatz 10: Der Planer muss in enger Abstimmung mit dem späteren Nutzer an dessen Anfor-
derungen und Möglichkeiten angepasste Lösungen entwickeln und für die Umsetzung auf der
Baustelle sorgen. Der Nutzer sollte seine Ansprüche und Ziele definieren können.
Ansatz 11: Dem Gemeinwohl verpflichtete öffentlich-rechtliche technische Fachstellen leisten
wichtige Beiträge zur Entwicklung und Umsetzung nachhaltiger, angepasster Technologie.
Ansatz 12: Hochwertige technische Lösungen entstehen durch die permanente und institutio-
nalisierte Rückkopplung zwischen breiter praktischer Erfahrung in der Umsetzung und entwi-
ckelnden und forschenden Einrichtungen.
3.7 Kultur als Erfolg beeinflussender Faktor 239

Ansatz 13: Die Leistungsfähigkeit der Technologie sollte laufend aufgrund eines formellen
oder informellen Benchmarks überprüft und weiterentwickelt werden (Kontinuierlicher Ver-
besserungsprozess KVP)
Ansatz 14: Der Auftraggeber für Infrastrukturleistungen sollte selber fachkundig und in der
Lage sein, die für die individuellen Situation am besten geeignete Art der Ausschreibung zu
bestimmen. Die Kosten sind auf die Lebenszeit der Anlagen (life cycle costs) und auf alle
Tripel- Belange zu beziehen.
Management
Ansatz 15: Aufgrund der komplexen Anforderungen an eine Wasserinfrastrukturentwicklung
sind bei der (Weiter-) Entwicklung eines angepassten Managements in der Regel iterative
Vorgehensweisen angebracht (Iterationsansatz).
Ansatz 16: Zum Erhalt nachhaltiger wasserwirtschaftlicher Strukturen ist das Zusammenwir-
ken von Staat, Kommune, Privatwirtschaft und Bürgergesellschaft eine Grundvoraussetzung.
Das bedeutet auch, dass keine der genannten „Säulen“ alleine die Aufgabe eines integrierten
Wassermanagements übernehmen kann.
Ansatz 17: Für Gesetze und staatliche Normen gilt: Die Nachhaltigkeit sollte das universelle
Prüfkriterium für gesellschaftliche Regelungseingriffe sein.
Ansatz 18: Der Staat hat im Wassersektor eine Garantenstellung für nachhaltige Entwicklun-
gen. Er muss diese operativ wahrnehmen, solange nicht Dritte dies mit ausreichender Sicher-
heit tun können (bedingte Garantenstellung).
Ansatz 19: Good Governance im Wassersektor bedeutet die nachhaltige, umfassende und lang-
fristige Sicherung des Wasserschatzes. Effizienz und langfristig volkswirtschaftlicher Nutzen
sind dabei Leitlinien, ebenso wie das Bewusstsein, dass ökologische und sozial-kulturelle
Güter und Werte Teil des „Vermögens“ einer Gesellschaft sind.
Ansatz 20: Die Idee von Good Governance basiert auf einem starken, auf Nachhaltigkeit aus-
gerichteten Staat, der „aktivierend“ die Beteiligung einer partizipativ agierenden, verantwor-
tungsvollen Bürgergesellschaft nutzt.
Ansatz 21: Staat und Gesellschaft sind dynamische Systeme. Daraus folgt an die staatlichen
Strukturen eine Grundanforderung der Flexibilität und Bereitschaft zur Fortentwicklung. Die
Wasseradministration muss in diesem System langfristige Planungshorizonte vertreten können.
Ansatz 49: Zur Durchsetzung der gesellschaftlichen Interessen der Nachhaltigkeit und der
Integralität des Wassersektors sind Administrationen mit eigener fachlicher Expertise, zentra-
ler Verantwortlichkeit und regionaler Präsenz notwendig.
Ansatz 23: Die bedeutende Verantwortung der Kommunen für das Wasser bedeutet: „Der
Brunnen bleibt im Dorf“.
Ansatz 24: Verbände und Nachbarschaftshilfe machen subsidiäre, kommunale Systeme effi-
zient, ohne den partizipativen Einfluss der Bürgergesellschaft zu beschneiden.
Ansatz 25: Die regionale Solidarität und der Ausgleich zwischen Stadt und Land ist ein grund-
legender Nachhaltigkeitsbaustein.
Ansatz 26: Es besteht rechtsformunabhängig in allen Organisationen eine (individuelle) Opti-
mierungsforderung.
Ansatz 27: Modernes Management muss alle Werkzeuge kennen und bewusst diejenigen aus-
wählen, die zur Organisation und zur Anforderung passen.
240 4 Synthese und Ausblick

Ansatz 28: Nachhaltige Effizienz ist nicht überwiegend eine Funktion der Kosten (u. a. Ar-
beitsplätze), sondern des Nutzens (nachhaltiger Mehrwert). Ziel ist nicht, suboptimale Lösun-
gen billiger zu machen sondern in Richtung Nachhaltigkeit optimierte Ansätze zu gestalten.
Ansatz 29: Integrale Wasserwirtschaft muss über Sektoren, Räume und die Zeit denken. Einer
Überfrachtung dieses Ansatzes ist durch eine gezielte Parameterauswahl und Dimensionsab-
grenzung zu begegnen.
Ansatz 30: Die Abwägungskriterien [zur Auflösung des Nachhaltigkeitsdilemmas] müssen
aufgrund des wachsenden Wissens in Technik und Naturwissenschaft sowie bezüglich der
Nachhaltigkeit von Prozessen einer permanenten Überprüfung unterzogen werden.
Ansatz 31: Strukturen sollen nach Möglichkeit permanent homogen fortentwickelt werden.
Eckpunkte für tiefgreifende Veränderungsprozesse sind: Klare Ziele – Geschwindigkeit - offe-
ne Kommunikation.
Ansatz 32: Wasserwirtschaft denkt in der Fläche und im Rahmen von Flusseinzugsgebieten.
Ansatz 33: Eine funktionierende Raum- und Bodenordnung sind unabdingbare Teile eines
integrierten Ansatzes. Die Landnutzungsplanung ist damit Teil des IWRM.
Zu Finanzierung und Steuerung
Ansatz 34: Grundsätzlich sollen Wasserpreise kostendeckend kalkuliert werden. Dieses Prin-
zip ist prinzipiell auf den gesamten Wassersektor auszuweiten. Transferleistungen innerhalb
des Sektors richten sich nach den Bedingungen der Nachhaltigkeit.
Ansatz 35: Nachhaltige Lösungen lassen sich nur durch dosiertes und abgestimmtes Ausschöp-
fen aller bekannten finanziellen und nicht-finanziellen Regelungs- und Steuerungsmechanis-
men erreichen.
Zum Human factor
Ansatz 36: Many little people/at many little places/doing many little things/will change the
face of the world. [afrikanisches Sprichwort]
Ansatz 37: Das Erreichen der Nachhaltigkeit ist letztlich eine Frage (menschlichen) Willens.
Ansatz 38: Die richtige Besetzung der Führungspositionen ist von überragender Bedeutung.
Zum Erfolg des Unternehmens sollte ein „Leader“ mit Visionen an der Spitze stehen, der ein
ethisches Commitment in Bezug auf Nachhaltigkeit für sich persönlich und seine Führungs-
verantwortung eingegangen ist.
Ansatz 39: Das Bewusstsein der Bedeutung der nichtmateriellen Faktoren und insbesondere
des Wertes der Mitarbeiter, der Kultur der Zusammenarbeit und der „ownership“ ist ein fun-
damentaler Nachhaltigkeitsbaustein in der effizienten Unternehmensführung.
Zu Netzwerke und Kommunikation
Ansatz 40: Ethisch anspruchsvolle Netzwerke schaffen oder unterstützen [für die Nachhaltig-
keit] günstige soziale Strukturen.
Ansatz 41: Das aktive Einbinden und Nutzen von Netzwerken und vergleichbaren Strukturen
ist ein Nachhaltigkeitsbaustein in wasserwirtschaftlichen Projekten.
Ansatz 42: Konstantes öffentliches Bewusstsein ist eine Grundvoraussetzung für nachhaltige
Ressourcenbewirtschaftung; verständliche Information ist Grundlage für öffentliches Bewusst-
sein. Dies ist die Aufgabe aller Wasserfachleute.
3.7 Kultur als Erfolg beeinflussender Faktor 241

Ansatz 43: Auch Kommunikation innerhalb partizipativer Prozesse basiert auf ernsthaftem
gegenseitigen Willen zum Austausch. Ziel ist, durch diesen Austausch einen echten, materiel-
len oder ideellen Mehrwert zu erreichen.
Ansatz 44: Partizipative Kommunikationsprozesse sind Teile des Projektmanagements und
unterliegen den gleichen Kriterien wie das Projektziel selber (Nachhaltigkeit, Integration).
Zu Kultur
Ansatz 45: Kultur und Spiritualität sind fundamentale Nachhaltigkeitsbausteine. Wegen ihrer
Bedeutung werden sie als vierte Ecke des Nachhaltigkeitsmodells definiert.
Ansatz 46: Sozial-kulturelle gesellschaftliche Einflüsse sind hochwirksam, aber nicht determi-
nierbar. Nach dem Prinzip der Fraktale können sie jedoch durch partizipative Prozesse abge-
bildet werden.
Ansatz 47: Kultur, Spiritualität, Religion sind Werte per se. Sie müssen erkannt, berücksichtigt
und in Projekte aktiv eingebunden werden, wo immer das möglich ist.
Ansatz 48: Armut kann auch in kultureller-spiritueller Armut bestehen
Ausblick
Einige Einzelthemen haben sich im Laufe der Arbeit als besonders ambivalent gezeigt. Diese
aktuell erkennbaren Kernthemen sind:
• Das Bewusstsein für die Ansätze der A21 und integrales Management ist noch besser in der
breiten Praxis des Wassersektors zu verankern.
• Es ist notwendig, weiter an der Definition der Nachhaltigkeit zu arbeiten (u. a. im Bereich
der temporären Dimension und der Dynamik) insbesondere mit dem Ziel, bessere Abwä-
gungskriterien zu bekommen. Gleichzeitig ist weiter an der Aufgabe zu forschen, wie sich
nachhaltige Gesellschaften bilden können oder, mit anderen Worten, woher für die Gesell-
schaft und den individuellen Menschen die Motivation für nachhaltiges Handeln kommen
soll.
• Die Rolle des Staates muss in der Nachhaltigkeitsdiskussion laufend überprüft werden.
Keines der aktuellen Modelle des modernen Staates kann uneingeschränkt als geeignet i-
dentifiziert werden, sowohl dem Ruf nach weniger Staat als auch der Garantenstellung zu
entsprechen. Ein Rückzug aus der Garantenstellung bedeutet aber vermutlich letztlich einen
Verzicht auf Nachhaltigkeit.
• Viele Gewässer weltweit sind noch wenig oder gar nicht verbaut. Es fehlt – zum Schutz der
Menschen und der Gewässer – an einer Schutz-Charta für diese Gebiete unter dem Motto
„Rivers need Space“, basierend auf einer weltweiten Erhebung der Überschwemmungsge-
biete und Auen.
• Angesichts steigender Bevölkerungszahlen und Erwerbslosigkeit kann Arbeitsplatzabbau
auch nicht das überwiegende Ziel der Technologieentwicklung sein.
• Die Globalisierung kann ihre Vorteile nur entfalten, wenn ihr Konzept durch regionale
Konzepte ergänzt wird.
• Sowohl die Kultur als auch der Human-Faktor scheinen im Wassersektor bislang als Er-
folgsfaktoren der Nachhaltigkeit noch nicht ausreichend gewürdigt.
243

5 Anhang

Anhang 1: Beispiele für Wasserkonflikte


Konflikte um Oberflächengewässer
• Grenzauseinandersetzungen zwischen USA und Mexiko am Colorado-River
• Der Attatürkstaudamm in der Türkei, der das Wassermanagement im Euphrat-Tigris-
Becken verändert. Die Türkei kontrolliert 99 Prozent des Euphratwassers und 50 Prozent
des Tigriswassers. Mit dem Staudammprojekt werden große Wassermengen für die Bewäs-
serung und elektrische Industrialisierung Südanatoliens abgezweigt. Dies führt seit Jahren
zu Konflikten mit den Unterliegern. Die Türkei vertritt dazu den Standpunkt, dass es zwi-
schen Wasser und Öl eine Analogie gibt. „Wer an der Quelle sitzt, hat ein Recht darauf,
dass ihm niemand streitig machen kann.“
• Streit um die Jordan Quellen: Im Jordan-Becken gibt es Auseinandersetzungen zwischen
den Palästinensern und Israel sowie zwischen Israel und den angrenzenden Staaten Jorda-
nien, Syrien und Libanon um das Wasser des Yarmuk, eines Zuflusses des Jordan. Israel
nutzt das Wasser intensiv für seine großen landwirtschaftlichen Bewässerungsprojekte,
wogegen der palästinensischen Bevölkerung lediglich ein Fünftel des Wassers zugänglich
ist. Der Streit um die Verfügungsgewalt über das Wasser des Yarmuk und des Jordans war
eine der Gründe des Kriegs von 1967.
• Das Wasserrecht der Palästinenser: Das Wasserrecht in den palästinensischen Gebieten ist
bei Israel geblieben. Große Wassermengen werden zu Versorgung außerhalb der Autono-
miegebiete abgeleitet. Den Siedlungen bleibt oft nur hochgradig verunreinigtes oberflä-
chennahes Grundwasser, das zudem nicht in ausreichender Menge zur Verfügung steht.
Diese Situation führt andauernd zu erheblichen Konflikten innerhalb der Bevölkerung und
war nach Angabe dortiger Politiker ein Anlass für die Intifada553.
• Afrika: In Zentralafrika werden seit Jahrzehnten oft kaum beachtete Konflikte ums Wasser
ausgetragen. Es gibt gut untersuchte Wasserkonflikte am Volta-Fluss in Ghana und an
zahlreichen anderen Orten. Aus den Ergebnissen kann man schließen, dass etwa „bei einem
Drittel der zwischen 1994 und 1997 beobachteten Kriege und bewaffneten Konflikte Um-
weltzerstörung und damit verbundene Ressourcenprobleme eine Rolle (spielen)“ CARI-
SUS554. Ähnlich angespannt ist die Situation am Niger- Einzugsgebiet und am Chad See,
wo bewaffnete Auseinandersetzungen an der Tagesordnung sind555 (wobei hier erhebliche
Bemühungen um eine Deeskalierung unternommen werden556.) Eine ähnliche Konkurrenz-
situation liegt am Senegal vor.
• Gabcikovo-Staudamm an der Donau, der beinahe zu ernsten Auseinandersetzungen zwi-
schen Ungarn und der früheren Tschechoslowakei geführt hätte557

553
persönlicher Bericht 2001
554
Carius et al.(2002): Umweltpolitik und nachhaltige Friedenspolitik. Ein neues Thema auf der interna-
tionalen Agenda. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 12/2002.
555
persönlicher Bericht 2004
556
F. Wilson, Transboundary Water Management in Cameroon, Transboundary Water Management
Course, Invent Bonn 2004
557
WBGU 1997 S. 225
244 5 Anhang

• Aralseeregion: Ein latenter Streit: wo mehrere Staaten von den Zuflüssen des Aralsees
leben, was durchaus nicht konfliktfrei abläuft, mindestens aber zu einem wenig abgestimm-
ten Vorgehen beim Umgang mit der Aralseekatastrophe führt.
Grundwasser:
• In Südamerika wird zwischen den vier Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Para-
guay um das Guarani-Aquifer diskutiert,
• die Auseinandersetzungen um die arabischen Wüstengrundwässer werden mit immer wei-
terem Absinken des Grundwasserstandes eines Tages vakant werden.
3.7 Kultur als Erfolg beeinflussender Faktor 245

Anhang 2: Aufgaben des normativen Managements


Nr. Grundaufgabe Hauptaufgabe Untergliederung Organisation
1 Rechtlicher Rah- 1.1 Fachliche Beratung, Emp-
men fehlungen
(basierend auf 1)
1.2 Rechtsetzung: u. a. allgemeine Grenzwerte,
Gesetze, Verordnungen Bemessungswerte
1.3 Erlaubnis, Bewilligung, Auflagen, Bedingungen, Grenz-
Bescheide und Richtwerte im Einzelfall,
jeweils fachlich und rechtlich
2 Monitoring 2.1 Oberflächengewässer Jeweils Qualitativ und
2.2 Grundwasser Quantitativ
3 Aufsicht und Kon- 3.1 Wasserversorgung Rohwasserseite (u. a. Schutzge-
trolle biete)
Reinwasserseite(Gesundheit)
3.2 Abwasserentsorgung
3.3 (Abfallentsorgung)
3.4 Umgang mit wassergefähr-
denden Stoffen
3.5 Gewässer Benutzungsanlagen, Anlagen am
Gewässer
4 Technische Regeln Allgemein anerkannte Regeln Mindestanforderungen, Weiter-
der Technik, Stand der Technik, entwicklung
Stand von Wissenschaft und
Forschung
5 Wasserversorgung 5.1 Wasserbewirtschaftung Schutzgebiete
Reinhaltepläne
Wasserspeicherung
5.2 Ausgleich und Verteilung Fernwasserversorgung
Lokale Verteilung
6 Abwasser 6.1 Sammlung
6.2 Reinigung
6.3 Industrielle Abwässer Wasserschonende Technologie
(Kreislaufführung, alternative
Fertigungen etc.)
Vorreinigung
7 Einzugsgebiets- 7.1 Ökologie, Ressourcen- qualitativ
management schutz, z. B. WRRL Gewässerstruktur
7.2 Flächenmanagement Landnutzung
Bauleitplanung
Schutzgebiete, Vorrangflächen
8 Naturgefahren 8.1 Hochwasser, alpine Natur- Retention
gefahren Technische Maßnahmen
Vorbeugende Maßnahmen, z.B.
Versicherung, Flächenmanage-
ment (7.2)
8.2 Trockenheit Siehe Wasserversorgung
9 Partizipation558
10 Kommunikation Information und Abstim-
und Netzwerke428 mung/Einbindung

558
Vorschlag für eine Ergänzung einer Balance Score Card, vergl. Kap. 0
246 5 Anhang

Anhang 3: Probleme bei der Quantifizierung der Regierungsleistung


Es fehlt nicht an mehr oder weniger umfänglichen internationalen Vergleichen der Situation
des Wassersektors. Allerdings ist die Qualität solcher Vergleiche höchst unterschiedlich, man-
gels belastbarer Daten und der komplexen (regionalen und kulturellen) Umgebungsparameter
fallweise mangelhaft. Ein aktuelles Beispiel dafür ist der viel zitierte Bericht der UN zum Län-
dervergleich Wasser559. Dort wurde ein sogenannter Nachhaltigkeitsindex aufgestellt, bei dem
Deutschland beim Parameter Wasserqualität auf Platz 57, z. B. hinter Ländern wie Bangladesh,
Brasilien, Spanien oder Slowenien zugewiesen wurde560. Dies hat zu erheblichen Diskussionen
geführt: „The table under discussion, “Water quality indicator values in selected countries”
Table 6.5, is derived from the original work “Environmental Sustainability Index” of its au-
thors*, details of which were given in the reference section of the Chapter 6 of the WWDR. The
Environmental Sustainability Index (ESI) is the result of collaboration among the World Eco-
nomic Forum's Global Leaders for Tomorrow Environment Task Force, The Yale Center for
Environmental Law and Policy, and the Columbia University Center for International Earth
Science Information Network (CIESIN). All are highly regarded in their respective fields.”561
Die LAWA und das BMU haben hier erhebliche Kritik geäußert und begründet. So wurden in
den Nationen nur wenige Messstellen in den großen Flüssen ausgesucht, in Deutschland zum
Beispiel die noch durch Altlasten aus der DDR-Zeit hoch belastete Elbe oder die Donau mit
einem relativ hohen Gehalt an natürlichen Schwebstoffen und vielem mehr. JEDLITSCHKA
führt dazu aus562: „Es zeigte sich, dass z. T. nicht ausreichend Daten verfügbar waren. Von
den 8174 Datenpunkten des ESI lagen für 22 % der Datenpunkte keine Messwerte vor. Die
fehlenden Daten wurden über verschiedene Wege abgeschätzt. Beispielsweise erfolgte die
Abschätzung z. T. aufgrund von Korrelationen zwischen einzelnen Variablen. So wurden feh-
lende Messwerte der Phosphorkonzentration über die Variable "Industrielle organische
Schadstoffe pro verfügbarem Frischwasser" geschätzt. Ein Teil der weiteren Daten wurde
modelliert, bspw. im Bereich der Wasserquantität. Insgesamt wurden 60 % der fehlenden
Daten abgeschätzt.
In den Indikatoren Wasserqualität und Luftqualität ist die Datenlage besonders kritisch. In
Anlage 1, Spalte 4 ist dargestellt, wie viele der untersuchten 122 Staaten Daten zur Wasser-
qualität zur Verfügung stellen konnten. Hier zeigt sich eine sehr schlechte Datenlage. So ist
bei der Variable Leitfähigkeit von ca. 34,4 % der Länder eine Datenlieferung erfolgt, während
für die Phosphorkonzentration nur in 22,1 % der Länder die Daten verfügbar waren (Gelöster
Sauerstoff 28,7 %, Trübung 27,1 %). Insgesamt lieferten nur 43 Länder, das entspricht 35,2 %
aller untersuchten Länder, Messwerte für die Variablen des Indikators Wasserqualität. Hoch-
gerechnet auf die insgesamt erforderlichen Messwerte (122 Länder * 4 Variablen= 488 Mess-
werte) ergibt sich bei 137 vorhandenen Messergebnissen eine Verfügbarkeit von lediglich
28,1 %. Auf dieser Datenbasis erscheint eine verlässliche Beurteilung und Vergleichbarkeit
nicht mehr gegeben.“
In der Summe kommt eine Einordnung heraus, die mit den wirklichen Zahlen und der tatsäch-
lichen Gewässergütesituation wenig zu tun hat. Diese ist in internen Diskussionen unwider-

559
UNESCO (WWAP) 2003
560
2001 Environmental Sustainability Index Used as the Table 6.5 of World Water Development Report
2003
561
ebenda
562
Jedlitschka 2003, Stellungnahme an die LAWA zum WWAP- Report, unveröffentlicht
3.7 Kultur als Erfolg beeinflussender Faktor 247

sprochen geblieben, YOUNG563 räumte ein, Teile dieses Papiers seien fehlerhaft gewesen.
Man müsse angesichts der beschränkten Mittel, die für diese Untersuchung zu Verfügung
stand, gewisse Ungenauigkeiten in Kauf nehmen. Das ließe sich dann verbessern, wenn die
Staaten mehr finanziell zu diesen Untersuchungen beitragen würden’.
Einen Vergleich von europäischen Lösungen stellen CORINA und KRAEMER564 an. Dabei
fällt auf den ersten Blick auf, wie unterschiedlich die westeuropäischen Länder die Aufgabe
Wasser angehen. Im Detail ist es trotz der an sich guten Datenlage auch innerhalb Europas
schwierig, eine eindeutige Bewertung der zu bekommen. Zudem haben sich allein durch die
übliche Dynamik des Sektors auch gegenüber dieser von 1998 stammenden Studie schon wie-
der diverse Veränderungen ergeben.
Eine neue Qualität erreicht der innereuropäische Vergleich mit der Einführung der Wasser-
rahmenrichtlinie. Im sogenannten CIS (Common Implementation Strategy) Prozess soll ein
europaweit einheitlicher Vollzug der Richtlinie erreicht werden. Dazu werden in EU-
Arbeitsgruppen zur Normierung des Vorgehens gemeinsame Papiere erarbeitet565.
Das Hauptziel der WRRL, das Erreichen eines guten ökologischen und chemischen Zustands
soll bis 2015 erreicht sein. Bei Nichterreichen drohen Sanktionen. Die Herausforderung war,
für alle Staaten gleiche = gerechte Anforderungen bzw. Parameter zu entwickeln, um an denen
das Erreichen dieses Ziels – oder anders gesagt dieser Leistung – feststellen zu können. Der
Arbeitsbericht der EU-Arbeitsgruppe 2.A setzt sich mit diesem Problem auseinander. IRMER
schreibt zu diesem Prozess: „Ein erhebliches Problem bei der Bewertung der Befunde für die
biologische Gewässerüberwachung besteht darin, dass die Wasserrahmenrichtlinie keine
einheitlichen Verfahren vorgeben konnte, so dass die Verfahren der EU-Mitgliedstaaten eine
unterschiedlich hohe Sensitivität gegenüber anthropogenen Einflussfaktoren aufweisen und
wohl auch in Zukunft aufweisen werden. Eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse der Bewer-
tungssysteme ist aber zwingend erforderlich, da die Klassengrenze gut/mäßig bestimmt, ob
Bewirtschaftungsmaßnahmen erforderlich sind oder nicht.“566 Im Weiteren wird dann ein
aufwändiges Verfahren geschildert, die sogenannte Interkalibrierung, das durch europäisch
und regional genormte Vergleichsquerschnitte und Indizes vergleichbare kalibrierte Datensätze
erzeugen soll. Die Arbeiten für die Kalibrierung selber laufen über 3 Jahre, von 2003 bis 2006
und sehen allein in Deutschland ein Interkalibrierungsnetzwerk von 70 Fließgewässermessstel-
len, 27 Seenmessstellen und 11 Küstengewässermessstellen vor.
Aufgrund solcher Leitlinien des CIS werden für die von der WRRL erfassten Belange eini-
germaßen vergleichbare Datengrundlagen mit erheblichem Aufwand geschaffen.
Weltweit ist man sehr weit von solchen „genormten“ Verfahren des Monitorings entfernt.
Vergleiche insbesondere zu Entwicklungs- und Schwellenländern sind in den verschiedenen
UN-Berichten zur A21 oder zur Situation der Siedlungswasserwirtschaft gezogen (vgl. Kap.
2). Die Aussagen dort sind aber überwiegend qualitativer Natur. Ein Vergleich mit den dahin-
ter stehenden Strukturen wird üblicherweise ebenfalls nicht vorgenommen, mit der Ausnahme

563
Young 2003, Leiter des WWAP der UNESCO im Gespräch mit dem BMU 17.12.03 sowie in einem
persönlichen Gespräch anlässlich der World Water Week in Stockholm, Aug. 03
564
Correia, Kraemer 1997
565
CIS 2002, S. 1
566
Irmer 2003, S. 2
248 5 Anhang

der quantitativ positiven Einschätzung von partizipativen Prozessen, wie sie vor allem im
WASH-Papier der WSSCC567 dargestellt werden.
Zusammenfassend kann man feststellen, dass belastbare weltweite Vergleiche rar sind, die
globale Datenlage ist mit wenigen Ausnahmen unpräzise, die weltweit anzutreffenden Rand-
werte kompliziert. Zusätzlich scheint es auch bei einigen Staaten gar nicht in deren Interesse
zu liegen, sich transparent zu zeigen und damit möglicherweise eigene Schwächen deutlich zu
machen. Während qualitative Aussagen mit gewissen Einschränkungen möglich sind, fehlt
damit die Möglichkeit für ein echtes Benchmark, wie es beispielsweise bei Wasserversorgern
durchgeführt wird. Das muss berücksichtigt werden, wenn aufgrund internationaler Vergleiche
Schlüsse gezogen oder Entscheidungen getroffen werden sollen.
Es bleibt folglich nur der Ansatz, wenigstens in einzelnen Bereichen belastbare Daten über die
Leistung des Staates auf dem Wassersektor zu ermitteln, um daraus Rückschlüsse auf die Leis-
tung und eventuell konkrete Vorbilder (best available technology) gewinnen zu können. Dazu
gibt es verschiedene grundsätzliche Möglichkeiten, angefangen von den reinen Ergebnisver-
gleichen über Indikatoren bis zu komplexen Kosten-Nutzen-Analysen.

Typ Beispiel Kommentar


1 Ergebnisvergleich, Leis- Wassergüte im Gewässer , An- z. B. Verwendet in WRRL,
tungsvergleich schlussgrad, Trinkwasserqualität WWAP, Problem der Kalibrie-
rung
2 Kostenvergleiche Kosten pro Einwohner, m3 Trink- z. B. verwendet in WRRL, Welt-
wasser oder Abwasser, ggf. bezogen bank, Problem der versteckten
auf Familieneinkommen Kosten und der ungewerteten
Kosten
3 (indirekte) Indikatoren Artenvielfalt, Gesundheitszustand, z. B. verwendet in WWAP,
Investitionen pro Kopf, eingesetzte UNDP, Problem der Berücksich-
Haushaltsmittel tigung der Randwerte, d. h. Indi-
kator könnte auch von anderer
Seite beeinflusst sein
4 Kosten-Nutzen- Hochwasserschutzprojekte, Bewäs- Aufwändiges Verfahren mit di-
Rechnungen serungsprojekte versen Untertypen, geeignet für
Großprojekte568, schwer zu ver-
allgemeinern

Tafel 19: Typen der verwendeten Vergleiche im Wassersektor

Die Möglichkeiten und Grenzen dieser Vergleiche können wie folgt anhand von relevanten
Beispielen beschrieben werden:
Bei der Siedlungswasserwirtschaft können relativ leicht der Anschlussgrad, sowie etwas kom-
plizierter aufgrund der Analyse- und Grenzwertunterschiede die Qualität des Trinkwassers
beziehungsweise der Abwasserreinigung erhoben und mit den Preisen für Wasserdienstleis-
tungen verglichen werden. Der Faktor Preise sieht harmlos aus, ist es aber nicht. Als Beleg für
seine Komplexität kann die Auseinandersetzung um den europäischen Vergleich der Kosten
für Wasserversorgung und Abwasser herangezogen werden:

567
WSSCC 2004a
568
Kopf 2005
3.7 Kultur als Erfolg beeinflussender Faktor 249

Vor allem unter dem Aspekt der Privatisierung und Liberalisierung findet ein reger Austausch
über die Vorteile und Nachteile der deutschen, französischen und englischen Ansätze statt.
Schon bei vordergründig simplen Zahlen geht aus der Diskussion hervor, wie schwierig eine
Vergleichbarkeit herzustellen ist und wie unterschiedlich dann die daraus resultierenden
Schlussfolgerungen sind. Typisch dafür ist der Briscoe-Report569, der überteuerte deutsche
Preise und überzogene Umweltanforderungen ausgemacht hat und daraus mangelnde Wirt-
schaftlichkeit und mangelnde Verwendbarkeit des deutschen Ansatzes für internationale Pro-
jekte der Weltbank geschlossen hat (vgl. 2.4.3.1.). Die in der nachfolgend begonnenen lang-
jährigen Diskussion ausgetauschten Argumente ergeben ein gutes Bild, warum man über die
Kosten für Wasser so lange diskutieren kann: Gewöhnlich werden die Verbrauchspreise pro
m3 angegeben und verglichen. In diesen Statistiken liegt Deutschland im weltweiten Vergleich
regelmäßig an der Spitze, d. h. hat die höchsten Kosten pro m3 abgegebenen oder gereinigten
Wassers. Die Belastung für den Kunden in Deutschland, aber auch in den meisten anderen
Ländern ergibt sich aber zusätzlich auch aus den (direkten) Abgaben, den sogenannten Beiträ-
gen, die in Form von Einmalzahlungen z. B. bezogen auf Geschossflächen und Grundflächen
ermittelt werden (vgl. z. B. bay. KAG570) und aus indirekten Belastungen (oder Entlastungen),
die als Subventionen in verschiedenen Arten von dritter Seite geleistet werden. Erst damit
entstehen tatsächliche Kosten.
Gerade zur letztlichen Beurteilung der Funktionalität dieser offenen und versteckten Subventi-
onen und Zuwendungen müssen präzise die kalkulatorischen Konsequenzen untersucht werden
– vor allem aber die nachhaltigen ökologischen und sozialen Konsequenzen. Dazu ist im Grun-
de eine aufwendige ganzheitliche Berechnung, z. B. eine iterative Ermittlung der Kosten-
Nutzen-Relation notwendig. Wegen der im Wassersektor immer bestehenden ganzheitlichen
Problemlagen ist diese Art der Finanzierung durch direkte und indirekte Subventionen absolut
üblich! So werden viele Anlagen weltweit durch Zuschüsse und Zuwendungen verschiedener
Art unterstützt. Quellen sind Steuern oder Quersubventionen innerhalb eines Haushaltes (Ge-
meinden), staatliche Zuwendungen, nationale oder internationale (Weltbank-) Kredite wie
nationale oder internationale Grands. Die Wirkung auf die Preise ist oft schwer zu ermitteln,
insbesondere im Nachhinein. Neben „offenen“ Subventionen oder Zuwendungen gibt es auch
die (praktisch nur bei öffentlichen Unternehmen) häufig auftretende versteckte Subventionie-
rung durch nicht kostengerecht umgelegte Preise (nicht kostendeckende Preise). Die verschie-
denen Typen der Finanzierung werden in Kapitel 3.4 behandelt.
Vielfach wurden Subventionen und Zuwendungen als grundsätzlich schlechte Lösung verstan-
den. Subventionen und Zuwendungen beziehungsweise Steuern und Abgaben genauso wie die
interne Preisgestaltung sind aber unverzichtbares Element einer staatlichen Steuerung von der
Wasserressourcenpolitik über die Wirtschaftspolitik bis zum Sozialbereich (vgl. Abbildung 3-
10). Problematisch ist an sich nur mangelnde Transparenz.
Jenseits der reinen Kostenbetrachtung ergibt sich mit der Qualität noch ein weiterer Parameter
mit erheblichen Auswirkungen auf die Kosten. Wasser ist nämlich nicht gleich Wasser! In
Deutschland ist die Qualität des Wassers so gut, dass Leitungswasser in aller Regel für den
lebenslangen Genuss nicht nur möglich sondern sogar besonders geeignet ist. So wird in Bay-

569
Briscoe 1995
570
Das KAG, kommunales Abgabengesetz, regelt die Art und Weise, wie die in Bayern zur öffentlichen
Ver- und Entsorgung verpflichteten Gemeinden ihre Abgaben und Gebühren einheben dürfen
250 5 Anhang

ern mehr als 70 % des Wassers ohne jede künstliche571 Aufbereitung, also auch ohne ge-
schmacklich störende Chlorzusätze oder ähnliches geliefert. Das bedeutet, dass Familien in
Deutschland im Grunde ohne Flaschenwasserzukauf auskommen. Dieses Bild ist bei einigen
europäischen Nachbarn und insbesondere außerhalb Europas ein gänzlich anderes: Dort ist es
normal, dass Leitungswasser, wenn es denn überhaupt fließt, sowohl bakteriell als auch von
den sonstigen Inhaltsstoffen von durchschnittlicher bis schlechter Qualität ist. Allein die zur
Verbesserung der Versorgungssicherheit weltweit vielfach praktizierte Lagerung in überirdi-
schen (Dach-) Tanks ist „Gift“ für die Wasserqualität. Meist geht das Problem aber schon beim
Rohwasser und im Leitungsnetz los. In der Konsequenz gibt die durchschnittliche Weltfamilie
neben dem Leitungswasser ein Vielfaches für Plastiktrinkwasser aus. Ganze Wirtschaftszwei-
ge leben von diesem Mangel der öffentlichen Versorgung. Nimmt man noch die durchschnitt-
lichen Einkommen als Vergleich, so kostet die Wasserversorgung in der Welt oft das 10-100
fache wie in Deutschland, von der Beschaffungsmühe, der Qualität und dem Müllaufkommen
ganz abgesehen.
Damit sieht eine Kosten-Nutzen-Rechnung für deutsches Trinkwasser vollkommen anders aus.
Dieser Effekt wird noch erheblich verstärkt, wenn Kollateralschäden in der Natur und Folge-
kosten z. B. in der Gesundheit einbezogen werden (vgl. Kap. 2.2., Seite 35). In den Entwick-
lungsländern wird also nicht nur die freie Natur durch Übernutzungen, Verschmutzungen usw.
getroffen, sondern fast immer auch der Mensch selber, wenn auch meist nicht gleichmäßig alle
Verursacher sondern, weit überproportional, die armen Bevölkerungsgruppen. Diese verwen-
den krank machendes Wasser zum Waschen, Baden und Trinken, weil sie sich teures Fla-
schenwasser nicht leisten können. Zusätzlich ist die Natur Teil der wahrgenommenen Umwelt,
die besonders zum gesamten Lebensgefühl und zur Lebensqualität beiträgt. Auch hier werden
ärmere Bevölkerungsgruppen, die nicht in schönere Gebiete ausweichen können, überpropor-
tional getroffen. Diese Beschreibung von komplexen Systeme, die Begriffe wie Lebensquali-
tät, gesellschaftliche Werte und Nachhaltigkeit enthalten, überfordern normalerweise die Eva-
luierer bzw. Ersteller von Nutzen-Kosten-Analysen.
Ebenfalls anspruchsvoll ist die zunächst harmlos klingende Gewässergüte. Hier spielen gemes-
sene Parameter, Messdichte, Messort und Auswahl eine Rolle. Trotz Normung gibt es erhebli-
che Möglichkeiten zu abweichenden Angaben. Der Abstimmungsprozess im Rahmen der Ein-
führung der WRRL wurde oben bereits beschrieben.
Noch viel mehr als bei Oberflächengewässern sind Grundwässer wegen der a priori schlechte-
ren Datenlage anfällig für Fehlbeurteilungen. Zu den analytischen Problemen kommen hier die
rein methodischen hinzu. Im internationalen Benchmarking einer Governance-Leistung wären
im Übrigen neben der nackten Gewässergüte auch die Randwerte zu berücksichtigen, insbe-
sondere die Besiedlungsdichte und die Wirtschaftsintensität, aber auch Wassermangelsituatio-
nen, geogene Belastungen oder Altlasten bis hin zu Vorbelastungen aus Kriegen oder früheren
Systemen wären miteinzubeziehen. Etwas Ähnliches wurde z. B. bei den Kriterien zur Einhal-
tung der Stabilitätskriterien des Euros durch Anrechnung der Lasten aus dem Aufbau Ost ge-
macht.
Auch kompliziert zu beschreibende Parameter wie die Gewässerstruktur werden im Rahmen
der WRRL ermittelt. In den meisten Ländern hatte man sich mit diesem Parameter vor der
Initiative der EU nicht gezielt beschäftigt. Das ist auch verständlich, weil deren Bewertung aus

571
unter künstlicher Aufbereitung wird nicht die bloße Einstellung natürlicher Werte auf die Trinkwas-
serverordnung verstanden, also z. B. die Enteisenung, Aufhärtung, Einstellung Kalk-Kohlensäure-
Gleichgewicht und Sauerstoffanreicherung
3.7 Kultur als Erfolg beeinflussender Faktor 251

ihrer Vorgeschichte unter Nachhaltigkeitsaspekten besonders schwierig ist. Veränderungen der


Strukturparameter sind, i. d. R. anders als Verschmutzungen, die „ungewollte Nebenwirkung“
einer auf ganz andere Ziele ausgerichteten Tätigkeit (industrielle Produktion) sind, üblicher-
weise bewusst herbeigeführte Veränderungen, die einen bestimmten Zweck erfüllen oder er-
füllten. Dies gilt für die Gewässerkorrektur zur Hochwasserabflussverbesserungen, zur Er-
leichterung der Schiffbarkeit, aber auch zur Wasserkraftnutzung oder Trinkwasserspeicherung,
bis zu Meliorationen und Begradigungen zur Landgewinnung oder besseren Landnutzung.
Während in Deutschland und einigen Teilen Europas inzwischen naturnähere Ausbaukonzepte
bis zu Renaturierungen Platz greifen, wird weltweit genau aus diesen Gründen weiter „begra-
digt“ und verbaut. Dennoch ist der Ansatz der WRRL aus wasserwirtschaftlicher Sicht richtig.
Gewässerstrukturelle Friktionen sind kaum besser als Friktionen der Gewässergüte. Auch in
diesem Bereich sind neben den eigentlichen Hauptwirkungen – z. B. Verringerung des Reten-
tionsraumes – die Nebenwirkungen in ökologischer und sozial-gesellschaftlicher Beziehung
oft ebenfalls gravierend.
Ein weiterer Ansatz könnte Kennzahlen (Indizes) für bestimmte, kritische Ereignisse ergeben.
In der Regel kommt hier (neben den oben angesprochenen Versorgungsstatistiken (Verläss-
lichkeit der Trinkwasserversorgung/Bewässerung, Wasserklemmen)) die Auswertung der
Schadensfälle, zum Beispiel durch Naturgefahren in Frage. Hochwasser, Mur- und Lawinen-
schäden könnten als Gradmesser einer erfolgreichen Wasserpolitik gelten. Auch hier existiert
aber eine sehr hohe regionale sowie methodische Abhängigkeit. Prinzipielle Untersuchungen
dazu werden im Alpenraum durchgeführt, so erstellt SUDA572 im Auftrag des bayerischen
Umweltministeriums ein Ereigniskataster, EU finanzierte Programme wie Dis-Alp oder EGAR
beschäftigen sich mit diesen Ansätzen. Intensiv sind auch die Untersuchungen der Versicherer,
insbesondere der Rückversicherer an diesem Thema. Sofort taucht aber ein anderes Problem
auf: viele indizierte Zahlen geben nicht nur die Leistungen der Staaten z. B. bei der Daseins-
vorsorge ‚Bewältigungen von wasserbasierten Naturgefahren’ wieder, sondern beinhalten in
hohem Maß Fremdeffekte, also z. B. die Folgen der laufenden Klimaveränderung oder der
veränderten Nutzungsgewohnheiten der Bevölkerung. Die schlechten Daten der Versauerung
der nordischen Seen sind ein typisches Beispiel für solche Dritteffekte.

572
Suda 2003
252 5 Anhang

Anhang 4: Good Governance bei der GWP


Im Zusammenhang mit dem IWRM werden im Abschnitt „Politik – Ziel für die Wassernutzung
setzen“ folgende Aufgaben genannt:
• Abschätzung und ins Verhältnis setzen des ökologischen, ökonomischen und sozial-
kulturellen Wertes des Wassers
• Wahrnehmung der Frauen als Nutzer und Manager des Wassers
• Berücksichtigung der Nachhaltigkeit bei Planung, Entwurf, Konstruktion, Betrieb und
Management
• Abschätzung der sozialen Auswirkungen
• Qualitätserhalt und -verbesserung der Gewässer
• Flexible Hochwasser- und Trockenheitsstrategien
• aktuelle Datenlage
• Koppelung der Wasserpolitik mit anderer Ökosystem-Politik
• Kostenabschätzung und Finanzierung
Unter A2.1 „Wasserrechte“ führt die tool-box Schüsselfaktoren zu ‚guten Wasserrechten’ an:
• Offenheit in der Zuteilung von Wasser und eine Rechtssituation, die soziale Unruhen ver-
meidet
• Verfügbarkeit der nötigen Umweltdaten über Grund- und Oberflächengewässer
• Ein Mechanismus, der garantiert, dass die Zuteilung von Wasser bei Interessenkonflikten
in einer nachhaltigen Weise stattfindet
• Klare Bedingungen und Auflagen für Wassernutzungen, bevor Wasserrechte genehmigt
werden, um aufwändige politische Streitereien zu vermeiden, wenn Veränderungen nötig
werden.
• Obwohl viele Rechtssysteme unlimitierte Erlaubnisse kennen, sollen Wasserrechte zeitlich
beschränkt werden.
unter A2.2 „Wassergesetzgebung zur Gewässerqualität“ und A2.3 „Reform bestehender Ge-
setze“:
• Eine Stärkung der Wassergesetzgebung zur Verbesserung der Wasserqualität ist mehr als
Überwachung von Einleitungen.
• Wegen der Komplexität ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Betroffenen (Einleitern)
und Gewässerschutz erforderlich.
• Selbstverpflichtungen der Einleiter sind nützlich, letztlich müssen aber Monitoring und
(Stichproben-) Überwachung sein.
• Einleitungsbedingungen müssen technisch machbar sein, außerdem muss die nötige Über-
wachungskapazität vorhanden sein.
• Die Wasserqualitätsanforderungen müssen sich auch in den anderen Gesetzen abbilden.
• Überzogene Anforderungen verursachen sehr hohe Kosten und schaden dem Ansehen der
Politik und Gesetzgebung.
• Gesetze müssen sozialverträglich und durchsetzbar („administrative feasible“) sein.
• Wassergesetze müssen einen Mittelweg zwischen Vollständigkeit und Flexibilität darstel-
len.
Im Weiteren wird die Reform der Institutionen für eine Verbesserung der Regierungsleistung
unter B1 dargestellt. Die GWP verfolgt dabei einen sehr umfassenden Ansatz, d. h. sie be-
schränkt sich nicht auf die (National-) Regierungen sondern spannt den Bogen von „sehr gro-
3.7 Kultur als Erfolg beeinflussender Faktor 253

ßen, grenzüberschreitenden oder internationalen Einrichtungen zu lokalen und regionalen


Regierungen, viel kleineren gesellschaftlichen Gruppen (civil society groups, in der Überset-
zung sehr nahe dem deutschen Begriff der Bürgergesellschaft) und kommunalen Organisatio-
nen“. Speziell zum Thema better governance führt B1.1 grundsätzliche Anforderungen aus, die
einer Vertiefung des Schrittes 1 (Seite 134) entsprechen: „Governance models must fit the
prevailing social, economic and cultural particularities of a country, but certain basic princi-
ples or attributes are essential. The approach taken to water governance should be transpar-
ent, inclusive, coherent and equitable. Similarly, the governance system should be account-
able, efficient and responsive. Better governance requires the participation of government,
civil society and the private sector as all are instrumental in different ways in the successful
implementation of institutional reforms.“573
Unter den Managementinstrumenten in Abschnitt C werden vor allem die Kategorien „Wis-
sensbasis zur Wasserressource“ (C1.1) und „Water Resources Assessment“, (C1.2) zu überset-
zen mit dem Begriffen „Hydrologie“ oder auch „technische Gewässeraufsicht“, beides in den
meisten Ländern der Welt Staatsaufgabe, weiterhin (in C2) die strategische Planung genannt:
• C2.1 National Integrated Water Resources Management Plans
• C2.5 Risk assessment and management
• C2.6 Environmental Assessment (EA)
• C2.7 Social Impact Assessment (SIA)
• C2.8 Economic Assessment
Sowie unter C7 die ökonomischen Instrumente, hier allerdings nur die Wasserpreise und die
Abwasser- und Umweltabgaben. (vgl. dazu 3.4, Seite 190)

573
GWP 2002, B1.01
254 5 Anhang

Anhang 5: Kennzahlen der bayerischen Wasserwirtschaft


• 4.200 km Gewässer erster Ordnung (Gew I)
• 4.800 km Gewässer zweiter Ordnung (Gew II)
• 13.000 km Wildbäche
• Über 60.000 km Gewässer dritter Ordnung (Gew III)
• 1 % der Landesfläche als Überschwemmungsgebiet festgesetzt, 0,8 % ermittelt, 1,2 % für
Gew I + II + wichtige Gew III noch zu ermitteln
• 23 staatliche Wasserspeicher mit fast 500 Mio. m³ Stauvolumen
• 4.250 Wasserkraftanlagen = 16 % der Stromerzeugung
• 680 Pegel an oberirdischen Gewässern und 120 Messstellen für die Gewässergüte
• 110 Niederschlagsmessstellen, 15 Messstationen für den Lawinenwarndienst
• 407 Grundwassermessstellen für den Wasserstand
und 275 für die Beschaffenheit
• 2.500 Wasserversorgungsunternehmen (WVU) (Nordrhein-Westfalen: 600 WVU für 18
Mio. E)
• 4 % der Landesfläche Bayerns als Wasserschutzgebiet (Durchschnitt in D bei 11,8 %)
• ca. 3.500 ausgewiesene Wasserschutzgebiete mit rd. 3.600 Wassergewinnungsanlagen
• 98,6 % Anschlussgrad an öffentliche Wasserversorgung – Stand 2001
• Rd. 900 Mio. Kubikmeter gewonnene Trinkwassermenge in Bayern 2001: davon 95 % (=
885 Mio. m3) aus Grundwasser (74 %) und Quellwasser (21 %)
• Rd. 2,7 % des geförderten Rohwassers überschreiten den Nitratgrenzwert von 50 mg/l,
durch Zumischen nur 1,5 % des an den Verbraucher abgegebenen Trinkwassers
• An 5 % der untersuchten Wasserversorgungsmessstellen Überschreitungen des Grenzwer-
tes für Pflanzenschutzmittel
• Bei rd. 14 % der Wasserversorgungsanlagen bzw. 23 % der Wassermenge wegen akuter
hygienischer Mängel des Rohwassers Desinfektion des Trinkwassers erforderlich
• Zur Zeit 526 Ausweisungsverfahren für Wasserschutzgebiete anhängig
• Über 80.000 Kilometer gemeindliche Abwasserkanäle, daneben private Kanäle in wenigs-
tens gleicher Länge; schätzungsweise 17 % sanierungsbedürftig
• 94 % der Bevölkerung Bayerns sind an über 2900 kommunale Kläranlagen angeschlossen,
in denen rund 1,9 Mrd. m³/Jahr Abwasser behandelt wird
• Über 700 Industrie-/Gewerbebetriebe behandeln ihr Abwasser abschließend in eigenen
Kläranlagen
• Derzeit rd. 150.000 größtenteils mangelhafte private Kleinkläranlagen; auf Dauer rd.
100.000 Kleinkläranlagen, die mit einer biologischen Reinigungsstufe nachgerüstet werden
müssen
• 65,7 % der Fließgewässer mit Güteklasse II (= mäßig belastet) oder besser
3.7 Kultur als Erfolg beeinflussender Faktor 255

Anhang 6: Organisation der bayerischen Wasserwirtschaftsverwaltung


Als Beispiel und Grundmuster für eine Struktur, die in der Lage ist, diese Leistungen sicher zu
erbringen, soll die bayerische Wasserwirtschaftsverwaltung (zum Stand nach der Reform
2005) dienen574.
Gesamtaufbau
Wie weltweit üblich hat der Wassersektor seine oberste Verwaltungsebene in der Wasserabtei-
lung am Ministerium (Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbrau-
cherschutz). Dem sind auf der operativen Ebene regionale Wasserwirtschaftsämter (WWÄ)
nachgeordnet, die (nach dem fraktalen Prinzip) alle Bereiche der Wasserabteilung abbilden.575
Bereits vor 30 Jahren wurde für die WWÄ eine Matrixorganisation eingeführt, die sich bislang
bewährt hat. Durch die vertikale (Landkreis = örtlich bezogene) und horizontale (technische)
Ebene wird eine hohe Verzahnung und insbesondere netzwerkähnliche Kommunikation beför-
dert. Die regionale Leitung liegt bei 7 Sachgebieten der Regierungen.
Eine Besonderheit ist, dass die WWÄ reine Fachbehörden sind, d. h. für den normalen rechtli-
chen Vollzug nur Sachverständige sind (amtlicher Sachverständiger), und die staatlichen bzw.
Gemeinwohlinteressen als unabhängiger Sachwalter in die Rechtsverfahren einspeisen, wobei
diese starke (und damit manchmal unbequeme) fachliche Position in der Vergangenheit durch-
aus auch zu Kritik aus dem politischen Raum geführt hat, wenn z. B. regionale Interessen
gegen Gesamtinteressen standen (Beispiel Bauen in Überschwemmungsgebieten)
Die Ortsnähe ist mit einer mittleren Wegstrecke von rund einer ¾ Stunde noch gegeben. Dabei
muss berücksichtigt werden, dass die Standortwahl oft auch unter strukturpolitischen Ge-
sichtspunkten stattfand (Arbeitsplätze in strukturschwachen Regionen). Vor allem für die Bau-
und Unterhaltslasten (Gewässer 1. und 2. Ordnung, staatliche Talsperren, Wildbäche und
Grenzgewässer) und die Gewässeraufsicht unterhalten die WWÄ sog. Flussmeisterstellen,
kleine Bauhöfe mit 7 bis 30 Bediensteten, die zudem ein wichtiges Element des flexiblen Ein-
greifens darstellen.
Die technische Qualität ist einer der bedeutendsten Faktoren der Nachhaltigkeit. Wie bereits in
anderen Stellen herausgearbeitet besteht die wirkliche Hauptherausforderung der Nachhaltig-
keit in der Qualität der tatsächlichen Abwägung der Nachhaltigkeitsbelange. Diese aber ist
eine unmittelbare Funktion der fachlichen Qualität der Planung und Begutachtung. Eine Be-
sonderheit hier ist das Gebot an den amtlichen Sachverständigen (das WWA), auch die recht-
lich geschützten Belange Dritter in die Begutachtung mit ein zu beziehen. Zusammen mit den
umfassenden Festlegungen der Wassergesetze selber ergibt sich bereits aus der wasserwirt-
schaftlichen Stellungnahme eine erste Abwägung der Nachhaltigkeitsbelange. Dies gilt damit
auch für die staatlichen Planungen, die letztlich nach (mindestens) den gleichen Anforde-
rungskriterien entstehen. Obwohl aufgrund der personellen Ressourcen viele Planungen zu-
mindest teilweise an private Büros vergeben werden, ist es Ziel, dass die WWÄ regelmäßig

574
vergl. auch die an vielen anderen Stellen verwendeten Beispiele aus der deutschen bzw. bayerischen
Wasserwirtschaftsverwaltung. TÖPFER hat anlässlich einer Veranstaltung zum nachhaltigen Grund-
wassermanagement in Unterfranken die bayerische Wasserwirtschaftsverwaltung als im weltweiten
Maßstab vorbildlich bezeichnet.
575
Zwischen der regionalen Ebene und der Landesebene gibt es nach dem in Deutschland nicht unübli-
chen dreistufigen Verwaltungsaufbau die 7 Regierungen, die auf einer überregionalen Ebene wirken.
Diese Ebene ist im Rahmen der Qualitätssicherung wichtig. (Vier-Augen-Prinzip und unterhalb der
ministeriellen Ebene möglich)
256 5 Anhang

selber Planungen durchführen. So soll auch jedes WWA in der Lage sein, selber 2D Hydrauli-
ken rechnen zu können, wenigstens, um die von außen gelieferten Ergebnisse qualifiziert ü-
berprüfen zu können.
Landesweite Qualitätssicherung und Entwicklung erfolgt durch die dem Ministerium nachge-
ordnete Landeszentralbehörde für Umwelt. Das LfU576ist mit seinen vier „Wasserabteilungen“
auch verantwortlich, auf technisch-wissenschaftlicher Grundlage strategische Vorschläge zu
erarbeiten. Zusätzlich ist auf allen Ebenen, insbesondere aber im LfU und im StMUGV eine
enge Abstimmung mit den Disziplinen des Naturschutzes und des übrigen technischen Um-
weltschutzes, aber auch mit den Gesundheitsabteilungen „über den Gang hinweg“ möglich.
Die Qualitätssicherung nimmt innerhalb der Wasserwirtschaftsverwaltung einen hohen Rang
ein. Die Hintergründe der Ausbildung und der Personalentwicklung wurden bereits in 3.2.6.4
geschildert. Dazu kommt die intensive Kommunikation mit den Nachbarstaaten und im inter-
nationalen Raum zu Erfahrungen und aktuellen ‚best practice’ Ansätze.
Bayern ist nicht in Flusseinzugsgebieten organisiert. Entsprechende Überlegungen hat es an-
lässlich der Verwaltungsreform 2004 gegeben, letztlich hat man sich aber doch zur Einräumig-
keit, d. h. Organisation in einheitlichen Verwaltungsgrenzen bekannt. Die Zuordnung zum
FEG erfolgt zum Stand 2005 über federführende WWÄ, die ämterübergreifend die für das
Flussgebietsmanagement nötigen Daten erheben (WRRL), bzw. Maßnahmen koordinieren.
Aufgrund der intensiven Kommunikation innerhalb der Verwaltung ist diese Vorgehensweise
möglich, obwohl aus rein wasserwirtschaftlicher Sicht die strikte Organisation in Flussgebieten
einfacher wäre.
Exkurs zum Flussgebietsmanagement: Nur wenige Länder der Erde sind in Flusseinzugsgebie-
ten organisiert. Eine Schnittstelle tritt immer auf, entweder innerhalb der Wasserbewirtschaf-
tung oder zum sonstigen Verwaltungsvollzug. Möglicherweise wird aber mit der Umsetzung
der WRRL hier noch ein Umdenken einsetzen, wenn die partizipativen Komponenten stärke-
ren Einfluss gewinnen. Neben der WRRL wird auch der Hochwasserschutz immer stärker auf
FEG ausgerichtet. So hat die IKSD 2004 integrierte Hochwasserpläne beschlossen577. Auch ein
Richtlinienentwurf der EU sieht Hochwasserbewirtschaftungspläne vor578.
Durch die interne Führungspraxis des Ministeriums können die WWÄ als sehr eigenständige
Einheiten arbeiten. Durch den hohen Delegationsgrad entstehen fraktale Strukturen, die kreati-
ven Input fördern. Die Leitplanken bzw. die Kontrolle (an möglichen Bifurkationspunkten)
wird durch die Eigensteuerung der Behörde oder durch die Mittelebene (Regierungen) in ver-
waltungstechnischer und durch das LfU in technischer Hinsicht sichergestellt. Diese Organisa-
tionsstrukturen wurden auch bei einer Untersuchung durch externe Unternehmensberatung579
als gut bestätigt.

576
vormals das Landesamt für Wasserwirtschaft, das 2005 mit dem Landesamt für Umweltschutz ver-
schmolzen wurde – ein wichtiger Schritt zur transsektoralen Integralität
577
Die internationale Kommission zum Schutz der Donau hat Hochwassermanagementpläne beschlos-
sen, die transnational umzusetzen sind. So ist die Donau oberhalb Passau unter Federführung Bayerns
ein Flussraum, der Inn unter Federführung Österreichs.
578
EU 2004a
579
Integrata 1995, unveröffentlicht
3.7 Kultur als Erfolg beeinflussender Faktor 257

Anhang 7: Skizzenhafter Vergleich der bayerischen Wasserwirtschaft mit der


Agenda 21

Tab. 5-1: Allgemeiner Vergleich der Agenda 21, Kap. 18, mit der bayerischen Wasserwirtschaft
Oberziel Agenda 21 Bayern Bemerkungen
Kap., Stichwort Kurzeinschätzung
A Integrierte Planung
18.7 Deckung des Wasserbedarfs Erfüllt
18.8 Schutz der Wasserressourcen, Priorität Bezüglich des
Deckung der Grundbedürfnisse und der menschlichen Bedarfs
Schutz der Ökosysteme voll erfüllt
18.9, integrierte Bewirtschaftung in FEG, 18Organisatorisch be- Organisatorische Grenzen decken sich nicht
a bis d sektorübergreifend, nachhaltig und dingt erfüllt, inhalt- mit Einzugsgebieten, Beteiligung ist über die
lich erfüllt
rationell, Partizipation, institutionelle Struk- Rechtsverfahren gewährleistet, Partizipation
turen ist aber als Methodik noch nicht ausgereizt
18.10 grenzüberschreitende Zusammenar- Erfüllt In besonderem Maße durch die Zusammenar-
beit beit in den internationalen Kommissionen wie
IKSD, IKSR
18.11 klare Programme Erfüllt Durch die WRRL
18.12 Maßnahmen zur Verbesserung der Erfüllt Die überwiegende Zahl der zitierten Maß-
integrierten Bewirtschaftung: Aktionspläne, nahmen sind bereits durchgeführt, wobei diese
Inventarisierung der Schutzbereiche, Model- Maßnahmen kaum abschließend zu erledigen
le, Optimierung der Nutzung, Hochwasser- sind. Das Wissen dazu und die technischen
schutz usw. Möglichkeiten steigen ständig
B Abschätzung des Dargebots
18.24 bis 18.26 Monitoring, Bedarfsprogno- Erfüllt, soweit erfüll- Soweit erkennbar, sogar vorbildlich
sen, Datensammlung, Forschung bar
C Schutz der Wasserressourcen, der Gewässergüte und der aquatischen Ökosysteme
18.36 ganzheitliche Bewirtschaftung der Weitgehend erfüllt Die Ressource wird von verschiedenen Insti-
Ressource tutionen bewirtschaftet, wodurch Differenzen
in der Anschauung entstehen können, was
ganzheitlich ist
18.37 Schutz des Grundwassers vor Konta- Bedingt erfüllt Vorbildlich z. B. allgemeiner Grundwasser-
mination schutz, Altlastenprogramme, Probleme bei
landwirtschaftlicher Nutzung
18.38 Gewässergüteaspekte bei der Bewirt- Erfüllt Denkbar hoher Standard bei den punktuellen
schaftung des Wassers Einleitern und der Krankheitsbekämpfung
18.39 Ermittlung verfügbarer Wasservor- Erfüllt Bereits in der Vergangenheit präzise Bilanzie-
kommen, Programm zur Reinhaltung rung des Wasserhaushalts, Schutz wichtiger
Vorkommen, insbesondere der programmati-
sche Ansatz der Eu WRRL deckt diesen Be-
reich perfekt ab
D Trinkwasserversorgung und Sanitärmaßnahmen
18.48 bis 18.49 Zugang für alle Menschen Umfassend erfüllt Detailverbesserungen sind zwar immer denkbar,
zu Wasserversorgung und Abwasserentsor- werden aber auch laufend vorgenommen. Zum
gung Teil ist die Situation sogar vorbildlich, z. B. bei
der wichtigen Rolle der Kommunen (18.48 c)
E Wasser und nachhaltige städtische Entwicklung
18.57 ff Uneingeschränkt Die Probleme deutscher Städte sind kaum mit
erfüllt der durchschnittlichen internationalen Lage vor
allem in Entwicklungsländern zu vergleichen
F. Wasser für die nachhaltige Nahrungsmittelerzeugung und ländliche Entwicklung
18.66 Erfüllt Wasser ist in Bayern kein limitierendes Krite-
rium für die landwirtschaftliche Erzeugung
258 5 Anhang

Ein differenzierteres Bild ergibt sich u. U., wenn einzelne Bereiche im Detail verglichen wer-
den. Zu beachten ist auch, dass in einigen Belangen zwar der Ist-Zustand durchaus befriedi-
gend ist, aber eine negative Tendenz besteht. Eine der Hauptaufgaben kann deshalb durchaus
der Erhalt der Standards sein. Beispielhaft werden im Folgenden einige kritische Anforderun-
gen diskutiert:

Tab. 5-2: Beispielhafter, qualitativer Vergleich kritischer Bereiche der bundesdeutschen bzw. bayeri-
schen Wasserwirtschaft mit der Agenda 21, Kap. 18 und anderen
Oberziel Agenda 21 Bayern Bemerkungen
A Integrierte Planung
18.11b bis zum Jahr 2025: die Verwirklichung der sub- WRRL Ob die gesetzten Fristen erreicht
sektoralen Ziele aller die Wasserressourcen betreffenden werden, hängt u. a. von der finanziel-
Programmbereiche len Ausstattung der Programme ab.
Könnte durchaus kritisch werden.
18.12 f: Maßnahmen zum Schutz vor Hochwasser und Mit dem Pro- Ebenfalls unter Finanzierungs-
Trockenzeiten einschließlich Risikoanalyse und Umwelt- gramm 2020 vorbehalt, aber z. B. auch abhängig
und Sozialverträglichkeitsprüfung ideale Vorausset- von klimatischen Bedingungen,
zung sowohl wegen eines möglichen nega-
tiven Ereignisses (großes Hochwas-
ser) als auch Folgen des Klimawan-
dels (Klimafaktor, vgl.)
18.12 g die Förderung von Programmen zur rationellen Instrumente sind Eindeutige Daueraufgabe und stark
Wassernutzung durch Schärfung des öffentlichen Be- in Anwendung abhängig von politischer Akzeptanz
wußtseins, durch Aufklärungsprogramme, durch Erhe- oder Vorberei-
bung von Wassergebühren und durch sonstige wirt- tung
schaftspolitische Instrumente
18.12 o,i: die Entwicklung und gegebenenfalls Verstär- Erfüllt, insbeson- Könnte durch die Privatisierungsbe-
kung der Zusammenarbeit, eventuell einschließlich ent- dere durch starke wegung in Frage gestellt werden,
sprechender Mechanismen, auf allen betroffenen Ebenen, Rolle der Kom- wenn Entscheidungen letztlich in den
und zwar auf der niedrigsten dafür geeigneten Ebene: munen Zentralen globaler Unternehmen
nach Maßgabe der innerstaatlichen Rechtsvorschriften die gefällt werden
generelle Verlagerung der Zuständigkeit für die Wasser-
bewirtschaftung auf diese Ebene einschließlich der de-
zentralen Erbringung staatlicher Dienstleistungen durch
Kommunalbehörden, private Unternehmen und Gemein-
schaften
B Abschätzung des Dargebots
18.24 bis 18.26 Hydrologie und technische Gewässerauf- Erfüllt, soweit
Vor dem Hintergrund der laufenden
sicht erfüllbar Einsparprogramme einschließlich des
Personalabbaus wird es aber schwie-
rig werden, den Standard zu halten
C Schutz der Wasserressourcen, der Gewässergüte und der aquatischen Ökosysteme
18.35 Es herrscht ein weit verbreiteter Mangel an Wissen Unter Vorbehalt Die Ressource wird von verschiede-
über die Wechselwirkungen zwischen der Entwicklung, erfüllt nen Institutionen bewirtschaftet,
Bewirtschaftung, Nutzung und Behandlung der Wasser- wodurch Differenzen in der An-
ressourcen und der aquatischen Ökosysteme schauung entstehen können, was
ganzheitlich ist. Echte Mängel bei
der Landbewirtschaftung. Hoffnung
durch Anwendung von cross compli-
ance
18.37 Das Ausmaß und der Schweregrad der Kontamina- Bedingt erfüllt Vorbildlich z. B. allgemeiner
tion der ungesättigten Bodenschichten und Grundwasser- Grundwasserschutz, Altlastenpro-
leiter sind lange Zeit ……unterschätzt worden gramme, wobei die Sanierung von
Altlasten ganz eindeutig an die fi-
3.7 Kultur als Erfolg beeinflussender Faktor 259

Oberziel Agenda 21 Bayern Bemerkungen


nanzielle Leistungsfähigkeit der
Gesellschaft heranreicht
18.40 Maßnahmenkatalog zu Schutz und Erhaltung der Vielfach Erfüllt Ein Großteil des Maßnahmenkata-
Wasserressourcen, Verhütung und Kontrolle der Gewäs- logs ist erfüllt, es bleiben aber Defi-
serverschmutzung, Entwicklung und Anwendung saube- zite vor allem beim Schutz des
rer Technologien, Schutz des Grundwassers, Schutz von Grundwassers, aber auch im Bereich
aquatischen Ökosystemen, Schutz der im Süßwasser der Gewässermorphologie und der
vorkommenden Lebewesen, Dauerbeobachtung und diffusen Einträge
Überwachung von Wasserressourcen und Gewässern, die
als Vorfluter für Abwasser dienen, Entwicklung nationa-
ler und internationaler Rechtsinstrumente, die gegebenen-
falls zum Schutz der Gewässergüte erforderlich sind
D Trinkwasserversorgung und Sanitärmaßnahmen
18.48 Die Erklärung von Neu Delhi (die auf der vom 10. Erfüllt Detailverbesserungen sind zwar
bis 14. September 1990 abgehaltenen weltweiten Global immer denkbar, werden aber auch
Consultation on Safe Water and Sanitation for the 1990s laufend vorgenommen. Probleme, die
verabschiedet wurde) formalisierte die Forderung, allen in der Agenda 21 gar nicht angespro-
Menschen dauerhaft Zugang zu Trinkwasser in ausrei- chen sind, bestehen im Schutz des
chender Menge und Güte und zu einer ordnungsgemäßen Grundwassers durch Trinkwasser-
Abwasserhygiene zu verschaffen, wobei der Ansatz des schutzgebiete. Hier gibt es bei der
"ein wenig für alle anstatt alles für einige wenige" betont Durchsetzung laufend Probleme.
wurde. Vier Leitprinzipien bilden die Grundlage für die Auch steht sowohl die Abwasserent-
Programmziele: sorgung als auch die Abfallentsor-
a) Schutz der Umwelt und Erhaltung der Gesundheit gung in der Kritik, sehr aufwändig
durch integrierte Bewirtschaftung der Wasserressourcen und teuer zu sein.
sowie flüssiger und fester Abfälle; Dennoch ist in Bezug auf Wasserver-
b) institutionelle Reformen zur Förderung eines integrier- sorgung, Abwasserentsorgung und
ten Ansatzes unter Berücksichtigung von Veränderungen Abfallentsorgung ausweislich zur
der Verfahren, Einstellungen und Verhaltensweisen und Verfügung stehender Parameter
unter umfassender Beteiligung von Frauen auf allen Deutschland, und insbesondere Bay-
Ebenen innerhalb der sektoralen Einrichtungen; ern ein Vorbild für Nachhaltigkeit.
c) die Verwaltung von Dienstleistungen auf kommunaler
Ebene, unterstützt durch Maßnahmen zur Stärkung kom-
munaler Einrichtungen bei der Umsetzung und Fortfüh-
rung von Wasserversorgungs- und Abwasserbeseiti-
gungsprogrammen;
d) ein solides Finanzgebaren durch bessere Verwaltung
der vorhandenen Mittel und weitgehende Anwendung
angepaßter Technologien.
18.49 Die Erfahrungen der Vergangenheit haben gezeigt,
daß jeder Staat seine eigenen spezifischen Ziele festlegen
sollte. Auf dem Weltgipfel für Kinder im September 1990
forderten die Staatsoberhäupter beziehungsweise Regie-
rungschefs sowohl den generellen Zugang zu Trinkwas-
serversorgung und Sanitäreinrichtungen als auch die
Ausrottung der Guineawurm-Infektion bis 1995. Selbst
wenn man von dem realistischeren Ziel einer flächende-
ckenden Wasserversorgung bis zum Jahr 2025 ausgeht,
müssen laut Schätzung die jährlichen Investitionen auf
das Doppelte der derzeitigen Quote erhöht werden. Eine
mögliche realistische Strategie, um den gegenwärtigen
und künftigen Bedarf zu decken, besteht daher darin,
kostengünstigere, aber angemessene Dienste zu entwi-
ckeln, die von den Kommunen realisiert und getragen
werden können.
260 5 Anhang

Oberziel Agenda 21 Bayern Bemerkungen


E Wasser und nachhaltige städtische Entwicklung
18.56 Zu Beginn des nächsten Jahrhunderts wird mehr als Uneingeschränkt Aufgrund der Erfolge der Landespla-
die Hälfte der Weltbevölkerung in städtischen Ballungs- erfüllt nung existiert in Deutschland bereits
zentren leben. Bis zum Jahr 2025 soll sich dieser Anteil das Urproblem kaum, wobei auch die
sogar auf 60 Prozent, also 5 Milliarden Menschen, erhöht Bevölkerungsentwicklung nicht zu
haben. Das rasche Bevölkerungswachstum in den Städten vergleichen ist.
und die Industrialisierung stellen eine enorme Belastung Mögliche Probleme sind der anhal-
für die Wasserressourcen und die Umweltschutzkapazitä- tende Landverbrauch und die Hoch-
ten vieler Städte dar. Besondere Aufmerksamkeit gebührt wasserbewältigung. Tatsächlich ist
dabei den zunehmenden Auswirkungen der Urbanisie- nach wie vor z. B. der Druck, in
rung auf den Wasserbedarf und die Wassernutzung und Überschwemmungsgebieten zu bau-
der wichtigen Rolle, die den Verwaltungen der Städte und en, hoch. Auch ist bislang kaum eine
Gemeinden bei der Bewirtschaftung, Nutzung und ge- Änderung in den Konsumgewohn-
samten Aufbereitung des Wassers zukommt, und dies heiten zu erkennen.
insbesondere in den Entwicklungsländern, die der beson-
deren Unterstützung bedürfen. Die Wasserknappheit und
die steigenden Kosten für die Erschließung neuer Was-
servorkommen haben erhebliche Auswirkungen auf In-
dustrie-, Agrar- und Siedlungsentwicklung und wirt-
schaftliches Wachstum der einzelnen Länder. Durch
effizientere Bewirtschaftung der städtischen Wasserres-
sourcen einschließlich der Abschaffung nicht nachhalti-
ger Verbrauchsmuster kann ein wesentlicher Beitrag zur
Bekämpfung der Armut und zur Verbesserung der Ge-
sundheit und der Lebensqualität der städtischen und
ländlichen Armutsgruppen geleistet werden.
F. Wasser für die nachhaltige Nahrungsmittelerzeugung und ländliche Entwicklung
18.65 Die Nachhaltigkeit der Nahrungsmittelerzeugung Nur bedingt Sowohl die Agrochemikalien im
hängt in zunehmendem Maße von einer vernünftigen und erfüllt Grundwasser als auch der Bereich
effizienten Regelung der Wassernutzung und des Gewäs- Erosion und Gewässerstruktur sind in
serschutzes ab, worunter in erster Linie die Planung und Deutschland durchaus Problemposi-
Bewirtschaftung von Bewässerungsmaßnahmen ein- tionen.
schließlich der Wasserbewirtschaftung in natürlich be- Allerdings ist angesichts der flächen-
regneten Gebieten bzw. in Gebieten ohne Zusatzbewässe- deckenden Kultivierung der Land-
rung, die Versorgung von Vieh mit Trinkwasser, die schaft mit bestimmten Grenzen bei
Binnenfischerei und die Agroforstwirtschaft fallen. der Behebung dieser Defizite zu
Darüber hinaus muss die ländliche Bevölkerung besseren rechnen
Zugang zu Trinkwasser und sanitären Einrichtungen
gewährt bekommen
G. Auswirkungen von Klimaänderungen auf die Wasserressourcen
18.82 Bei den Vorhersagen über die weltweiten Klimaän- Systembedingt Die Auswirkungen der Klimaände-
derungen gibt es Unsicherheiten. Zwar nehmen diese erhebliche Defizi- rung ist kaum vorherzusehen, betrifft
Unsicherheiten sowohl auf regionaler als auch auf natio- te, obwohl auf- aber alle Bereiche der Wasserwirt-
naler und lokaler Ebene erheblich zu, aber es ist vor allem grund der erst- schaft, auch in Deutschland. Bayern
die nationale Ebene, auf der die wichtigsten Entscheidun- klassigen Struktu- hat beispielsweise bei der Bemes-
gen getroffen werden müßten. Steigende Temperaturen ren die Wasser- sung von Hoch