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Augustinus
Bildung – Wissen – Weisheit
Beiträge des
VI. Würzburger Augustinus-Studientages
am 6. Juni 2008
Band 398
res et signa
Augustinus-Studien 8
Therese Fuhrer
De doctrina christiana galt seit dem frühen Mittelalter als Grundlagentext eines
christlichen Bildungskonzepts und einer ‹christlichen Kultur›, und der Bil-
dungshistoriker Henri-Irénée Marrou hat diese Interpretation noch im 20. Jh.
prominent gemacht1. Man las bereits den Titel als Ankündigung eines umfas-
senden Programms, verstand also die Junktur ‹doctrina christiana› im Sinn
einer ‹christlichen Wissenschaft und Bildung›, der ‹christlichen Lehre› oder
‹christlichen Bildung› schlechthin2. Auch noch lange nach Marrou begriff man
De doctrina christiana als Lehrbuch (‹institutio›) der christlichen Bildung3 oder als
Antwort der Christen auf das griechische Ideal der παιδεία4.
Heute liest man den Text allerdings anders, und in der neuesten Forschung
zu De doctrina christiana ist man sich weitgehend einig: Die Schrift enthält ganz
konkret eine systematische Anleitung zum Lesen und Interpretieren des Bi-
1 H.-I. MARROU, Augustinus und das Ende der antiken Bildung, Paderborn et al. 21995,
281sqq. Erstauflage: Saint Augustin et la fin de la culture antique, Paris 1938, Neuauf-
lage mit ‹Retractatio›, Paris 1949. Cf. auch R. LORENZ, Die Wissenschaftslehre Au-
gustins, II. Teil: ZKG 5 (1955/1956) 213–251, bes. 247sq.
2 Cf. die Darstellung der Positionen bei G.A. PRESS, The Subject and Structure of
Augustine’s De doctrina christiana: AugStud 11 (1980) 99–124, hier 101–107;
K. POLLMANN, Doctrina Christiana. Untersuchungen zu den Anfängen der christlichen Her-
meneutik unter besonderer Berücksichtigung von Augustinus, De doctrina christiana, Fribourg
1996, 72.192: «christlicher Kulturfahrplan» (nach Schäublin).
3 L. VERHEIJEN, Le De doctrina christiana de saint Augustin: Aug(L) 24 (1973) 10–20.
Cf. auch noch I. BOCHET/G. MADEC, Œuvres de saint Augustin 11,2. La doctrine chré-
tienne. De doctrina christiana, Paris 1997, 528: «Une charte pour une culture classique
‹in usum christianum conversa›».
4 E. KEVANE, Paideia and Anti-Paideia: The prooemium of St. Augustine’s De doctrina
christiana: AugStud 1 (1970) 153–180.
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beltexts5. Sie liefert eine theoretische Reflexion über die Möglichkeiten, den
Bibeltext zu verstehen, also eine Bibelhermeneutik6. Thema von De doctrina
christiana ist somit nicht die Bildung, die der Christ schlechthin erwerben soll,
sondern die Bildung, die den Christen zum Umgang mit dem Text befähigt, der
die christliche Lehre enthält und vermittelt. In den Büchern 2 und 3 geht es
denn auch in erster Linie um die Sprache des Bibeltexts und die Möglichkeiten
seiner Auslegung sowie in Buch 4, der Predigtlehre, um die rhetorische Kom-
petenz, die den christlichen Exegeten befähigt, seine Bibellektüren der Ge-
meinde mitzuteilen.
Augustin empfiehlt dem Bibelinterpreten zunächst – in Buch 2 – den
Fremdsprachenerwerb (des Hebräischen und Griechischen), die Konsultation
von Lexika mit den Namen von biblischen Orten und Personen sowie das
Bemühen um eine umfassende Realienkenntnis, also das Bildungswissen, das
für das Verständnis der Bibel unmittelbar relevant ist (2,16–28).
Im Anschluss an diese konkreten Empfehlungen folgt in 2,29–65 ein Ab-
schnitt, den man gerne als Exkurs bezeichnet und dem man seit Cassiodor den
Status eines christlichen Schulcurriculums zuschreiben wollte7: Augustin sagt,
er wolle nun die Bildung insgesamt in den Blick nehmen, also auch die Dis-
ziplinen, die in der heidnischen Tradition gepflegt werden8. Dabei unterschei-
det er zwei Arten von Bildung (‹doctrinae›): Die eine umfasst Dinge, die die
Menschen erfunden und eingerichtet haben («instituta hominum»), d.h. Dinge,
die im weitesten Sinn das soziale und kulturelle Leben der Menschen betreffen.
In der Folge nennt Augustin die Sterndeutung und die Horoskopstellerei, den
pantomimischen Tanz, Bilder und Statuen sowie die fiktionale Literatur («fa-
bulae fictae»), die Schreibkunst, weitere Sprachenkenntnis und die Stenogra-
phie. Diese Dinge sind gemäß Augustins Ausführungen ohne Nutzen im Hin-
blick auf die Frage, wie der Bibeltext zu verstehen sei. «Nützlich» sind aber
Schrift, Sprache und Stenographie («utilia sunt»).
Die zweite Kategorie der Bildung umfasst die von Gott geschaffenen Dinge
(die «diuinitus instituta»); sie sind notwendigerweise weniger trivial: Die Ge-
schichtsschreibung, der Dialektik und der Mathematik keine von Nutzen («ni-
hil utile esse arbitror»). Und auch für diese gelte: «Nichts im Übermaß» («ne
quid nimis»)15. Das Kriterium der Nützlichkeit dieser drei Disziplinen wird also
strikt abhängig gemacht von der Frage ihrer unmittelbaren Relevanz für das
Verständnis der Bibel (2,59). Dasselbe gilt für eine vierte und letzte Disziplin,
die Augustin aber erst am Schluss erwähnt: die Philosophie, namentlich die
platonische.
wenn sie nicht notwendig seien zum guten Leben in der Gemeinschaft, meiden
oder sogar verachten solle.
15 Nach Ter. Haut. 519. Dazu G.A. MÜLLER, Formen und Funktionen der Vergilzitate und
-anspielungen bei Augustinus von Hippo, Paderborn et al. 2003, 159sq.
Augustinus zum ‹rechten› Umgang mit paganem Bildungswissen 53
werden. Um die Struktur der Argumentation zu verdeutlichen und zudem die
Orientierung innerhalb des Textes zu erleichtern, wird der Text seinerseits
nochmals in drei Abschnitte untergliedert (A–C).
Augustin operiert zunächst (Abschnitt A) mit dem Gegensatz zwischen den
Heiden, die er später mit den Ägyptern gleichsetzt, und den Christen (‹nos›),
die er ebenfalls später mit den Israeliten gleichsetzt. Die Heiden sind hier im
Besonderen die «Philosophen», namentlich die Platoniker, die «Wahres»
(«uera») und «dem christlichen Glauben Angemessenes» («fidei nostrae ac-
commodata») gesagt haben, das sie aber in ungerechter Weise besitzen (IIa)
und das die Christen für ihren Gebrauch beanspruchen müssen (IIb: «in usum
nostrum uindicanda»):
(A) philosophi autem qui uocantur, si qua forte uera et fidei nostrae accommo-
data dixerunt, maxime Platonici,
(I) non solum formidanda non sunt,
(II) sed ab eis etiam tamquam (a) ab iniustis possessoribus (b) in usum nostrum
uindicanda.
Wenn aber diejenigen, die Philosophen genannt werden, zufällig etwas Wahres
und zu unserem Glauben Passendes gesagt haben, wie besonders die Platoni-
ker,
(I) dann darf dies nicht nur nicht gefürchtet,
(II) sondern muss sogar von diesen wie (a) von ungerechten Besitzern (b) für un-
seren Gebrauch eingefordert werden16.
16 Übersetzung nach: K. POLLMANN (Ed.), Augustinus, Die christliche Bildung (De doctrina
christiana). Übers., Anm. und Nachwort, Stuttgart 2002.
54 Therese Fuhrer
(II) sondern auch Gefäße und Kostbarkeiten von Gold und Silber sowie Klei-
der, welche jenes Volk bei seinem Auszug aus Ägypten gleichsam (b) für einen
besseren Nutzen heimlich für sich beansprucht hat, nicht durch eigene Autorität, son-
dern nach dem Auftrag Gottes, während die Ägypter selbst ihnen in ihrer Un-
wissenheit dies überließen, (a) was sie selbst nicht gut gebrauchten.
Augustin macht hier einen Gegensatz auf zwischen den Dingen, die die Hei-
den (im Vergleich in Abschnitt B: die Ägypter) erfunden haben, die aber von
den Christen (in Abschnitt B: den Israeliten) nicht zu beachten sind (I), und
den Dingen, die für die Christen einen Nutzen haben (II). Ersteres (I) sind in
Abschnitt B die Götterbilder («idola»), in Abschnitt C nun die abergläubischen
paganen Lehren («simulata et superstitiosa figmenta»); dieser negativ konno-
tierte Besitz interessiert im Folgenden nicht weiter17. Die dem Christen nützli-
chen Dinge (II) sind in A – sinngemäß – wahre Philosopheme, in B Gold,
Silber und Kleidung und in C die Bildungsgüter der Heiden, nämlich die Wis-
senschaftsdisziplinen («liberales disciplinae») und bestimmte ethische Konzepte
(«quaedam morum concepta»).
In allen Abschnitten operiert Augustin innerhalb von II mit dem Gegensatz
zwischen dem falschen (a) und richtigen (b) Gebrauch der Güter:
Abschnitt A: Weil die Philosophen die «unrechtmäßigen Besitzer» dieser
Güter waren ([a] «iniusti possessores»), müssen die Christen sie für ‹ihren («un-
seren») Gebrauch› einfordern ([b] «in usum nostrum uindicanda»).
Abschnitt B: Denn wie das Volk Israel auf Gottes Geheiß das Ägyptergold
und -silber sowie die Gewänder «für einen besseren Nutzen» ([b] «ad usum
meliorem») einforderte, während die Ägypter diese Güter «nicht gut ge-
brauchten» ([a] «non bene utebantur»), …
Abschnitt C: … so gebrauchen auch die Heiden die Wissenschaftsdiszipli-
nen und die Ethik und damit das Wahre («uera»), das sie gefunden hatten, «auf
verquere und unrechte Weise» ([a] «peruerse atque iniuriose»). Somit «miss-
brauchen» sie es («abutuntur»). Erst der Christ macht von diesen Gegenstän-
den den «gerechten Gebrauch» ([b1] «ad usum iustum»), indem er sie «zur Ver-
kündigung des Evangeliums» nutzt; (b2) die Gewänder, die den menschlichen
Einrichtungen («hominum instituta») entsprechen, funktioniert er zum «christ-
lichen Nutzen» um («in usum conuertenda christianum»).
In den drei Abschnitten macht Augustin also je einmal die Aussage, dass
die Christen bzw. die Israeliten von den Gütern den «besseren» bzw. «gerech-
17 Mit den «abergläubischen» Lehren setzt sich Augustin ib. 2,29–37 auseinander.
56 Therese Fuhrer
ten Gebrauch» machten, dass dagegen die ehemaligen Besitzer – die Philoso-
phen, die Ägypter, allgemein die Heiden – sie in ungerechter Weise (Abschnitt
A), «nicht gut» (Abschnitt B) oder «auf verquere und unrechte Weise» (Ab-
schnitt C) gebraucht hätten. Der «usus noster» (Abschnitt A), der «usus melior»
(Abschnitt B) und der «usus iustus» (Abschnitt C) bedeuten also eine Zuord-
nung der Güter zu ihrem richtigen Zweck oder Gebrauch. Deshalb haben die
Christen und Israeliten auch das Recht, sie ‹einzufordern› (‹uindicare›, Ab-
schnitte A und B) oder (Abschnitt C) sie ‹wegzutragen› (‹auferre›) oder für den
christlichen Gebrauch ‹umzuwandeln› (Abschnitt C: «conuertenda»). Mit dem
Begriff ‹auferre› (‹wegtragen›) interpretiert Augustin den Vorgang des Gold-
raubs im Text von Exodus: Gott gibt Moses und damit den Israeliten den Be-
fehl, die Ägypter zu ‹berauben›18.
Worin der höhere Nutzen besteht, wird nur in Abschnitt C gesagt: «ad
usum iustum praedicandi euangelii» («zur Verkündigung des Evangeliums»).
Dies entspricht dem Skopos der ganzen Schrift, insbesondere des zweiten
Buches, in dem die paganen Bildungsgüter nach dem Kriterium der Nützlich-
keit für die Bibelauslegung bewertet werden (cf. oben Kap. 1). Ebenfalls in Ab-
schnitt C begründet Augustin, worin der Missbrauch der Güter besteht: Die
Heiden nutzen die freien Künste falsch, «um den Dämonen zu willfahren» («ad
obsequia daemonum»). Hieraus ergibt sich das Postulat, dass der Gebrauch der
Bildungsgüter ausschließlich im Hinblick auf das Verstehen und Auslegen der
christlichen Lehre finalisiert werden soll, dass also der Gebrauch, den die
Nicht-Christen davon machen, in die falsche Richtung führt («peruerse …
abutuntur»: «sie missbrauchen [sie] auf verquere Weise»), nämlich zur Vereh-
rung der falschen Götter, der Dämonen. Der Missbrauch dieser Güter führt
somit von Gott weg19. Der «gerechte Gebrauch» hat die Bibelexegese zum
Ziel.
18 Ex 3,21sq. Vulgata: «daboque gratiam populo huic coram Aegyptiis et cum egredie-
mini non exibitis uacui, sed postulabit mulier a uicina sua et ab hospita uasa argen-
tea et aurea et uestes, ponetisque eas super filios et filias uestras et spoliabitis Aegyp-
tum»; 12,35sq.: «feceruntque filii Israhel sicut praeceperat Moses et petierunt ab
Aegyptiis uasa argentea et aurea uestemque plurimam. dedit autem dominus gra-
tiam populo coram Aegyptiis ut commodarent eis, et spoliauerunt Aegyptios».
19 Er bedeutet eine ‹per-uersio› und damit keine ‹con-uersio›. Cf. Abschnitt C: «per-
uerse atque iniuriose ad obsequia daemonum abutuntur … accipere atque habere li-
cuerit in usum conuertenda christianum»; cf. auch doctr. chr. 1,4. Das Wortspiel fin-
det sich öfter in den augustinischen Schriften.
Augustinus zum ‹rechten› Umgang mit paganem Bildungswissen 57
3. Der Raub des Ägypterschatzes in der antiken exegetischen Tradition
Diese Forderung begründet Origenes mit der Exegese der Exodus-Stelle und
ihrem weiteren Kontext, wobei er hervorhebt, dass die Israeliten mit den ge-
raubten Gütern ihr Allerheiligstes ausstatteten. Dazu waren sie zum einen des-
wegen berechtigt, weil Gott ihnen dies befohlen hatte, und zum anderen, weil
die Ägypter die «Gegenstände» «nicht angemessen» (οὐκ εἰς δέον) gebraucht
hatten, während die Israeliten sie «für die Gottesverehrung» verwendeten (εἰς
θεοσέβειαν). Im Folgenden wird der Aufenthalt bei den Ägyptern als Aufent-
halt «bei den weltlichen Wissenschaften» (τοῖς τοῦ κόσµου µαθήµασι) gedeutet,
wodurch auch die geraubten Gegenstände nachträglich – jedoch nur implizit –
als pagane Wissenschaften verstanden werden können.
Die Stelle gilt als Vorlage für die exegetische Tradition, die den Umgang der
Israeliten mit dem Ägyptergold als ‹rechten Gebrauch› der paganen Wissen-
schaften durch die Christen interpretiert24. Allerdings ist es erst Gregor von
Nyssa, der in der Vita Moysis konkret den Besitz der Ägypter als Reichtum der
paganen Bildung versteht, den die Christen «gebrauchen» sollen, um «das
wahre Zelt der Kirche» zu «schmücken»25.
Die explizite Rechtfertigung des Goldraubs der Israeliten fußt möglicher-
weise auf einer apologetischen Tradition der Exodus-Exegese. Die Verse Ex
3,21sq., 11,2 und 12,35sq. dienten den Gnostikern als Beweis für die Bösartig-
keit des alttestamentlichen Schöpfergottes, der den Israeliten – durch Moses –
den Befehl erteilt hatte, die Ägypter zu überreden, ihnen Gold, Silber und
Kleider zu überlassen. Dadurch, dass sie diese Gegenstände beim Auszug aus
ren, welche die Ägypter nicht so, wie es sich gehört hätte (οὐκ εἰς δέον) zu gebrau-
chen pflegten, die Hebräer jedoch dank der Weisheit Gottes für die Gottesvereh-
rung (εἰς θεοσέβειαν) verwendeten? Die Heilige Schrift freilich weiß, dass es man-
chen Leuten zum Verhängnis geworden ist, vom Lande der Söhne Israels nach
Ägypten hinabzuziehen; sie deutet an, dass manchen der Aufenthalt bei den Ägyp-
tern – das heißt, der Aufenthalt bei den weltlichen Wissenschaften – zum Verhäng-
nis wird». Übersetzung aus: P. GUYOT/R. KLEIN (Ed.), Das frühe Christentum bis
zum Ende der Verfolgungen. Eine Dokumentation 2. Die Christen in der heidnischen Gesell-
schaft, Darmstadt 1997, 89–91 (= FC 24, 217–219). Dazu C. GNILKA, XPHΣIΣ. Die
Methode der Kirchenväter im Umgang mit der antiken Kultur 1. Der Begriff des «rechten Ge-
brauchs», Basel 1984, 57.
24 So neben Gnilka auch M. SIMONETTI, Sant’Agostino, L’istruzione christiana, Milano
32006, 473; B. NEUSCHÄFER, Origenes als Philologe, Basel 1987, 414; F. GASTI, L’Oro
degli Egizi. Cultura classica e paideia cristiana: Athenaeum 80 (1992) 311–329, hier
317sq.; BOCHET/MADEC (cf. n. 3) 540 u.ö.
25 Gr. Nyss. v. Mos. 2,115sq. Cf. auch laud. Bas. 20. Dazu GASTI (cf. n. 24) 316sq.319;
GNILKA (cf. n. 23) 78sq.
Augustinus zum ‹rechten› Umgang mit paganem Bildungswissen 59
Ägypten mitnahmen, «beraubten» sie die Ägypter, wie der Text explizit sagt26.
Diese Handlung, zu der der Schöpfergott die Israeliten anwies, kann als un-
rechtmäßig gelten, er selbst somit als ungerecht und böse. Gegen diese Ausle-
gung, im Besonderen gegen den Gnostiker Markion, wendet sich Irenaeus in
Aduersus haereses, indem er die Israeliten und Ägypter mit den Christen und
Heiden in Beziehung setzt: Was die Heiden einst in ungerechter Weise erwar-
ben, «führten» die Christen «in den Gebrauch des Herrn über», wodurch der
Befehl Gottes als typologisches Handeln erklärt und gerechtfertigt wird27.
Die apologetische Tradition lässt sich auch in Augustins Auseinanderset-
zung mit den Manichäern erkennen. Augustin interpretiert das Gold als
«Lohn» («merces») für die Fronarbeit, die die Israeliten in ägyptischer Gefan-
genschaft geleistet hatten; die Ägypter hätten den Raub «zu Recht» («iure»)
hinnehmen müssen, die Israeliten hätten die Gegenstände somit «ungerechten
Menschen» («ab iniquis hominibus») weggenommen28. Gegen Faustus, der die
Stelle als Beweis für die Ungerechtigkeit des Schöpfergottes eingeführt hatte,
macht Augustin in c. Faust. 22,71 geltend, dass die Ägypter die Gegenstände
«schlecht gebraucht» hätten («male utentes») und damit dem Schöpfer gegen-
über im Unrecht waren («ad creatoris iniuriam»); das Unrecht begingen also
nicht die Israeliten, sondern die Ägypter. Vielmehr verhielten sich die Israeliten
korrekt, indem sie pflichtgemäß den göttlichen Befehlen gehorchten («diuinis
imperiis cedendum obtemperando»)29. Dementsprechend könne man sagen,
26 Cf. n. 18.
27 Haer. 4,30,1–4, bes. 4: «Denn alles, was Gott bei dem Auszug des jüdischen Volkes
aus Ägypten machte, war ein Typus und Vorbild des zukünftigen Aufbruches der
Kirche aus dem Heidentum». Cf. auch Clem. Alex. strom. 1,23; 1,157,1–4; Ph. VMos
1,141sq. Zu Markions Auslegung cf. Tert. adu. Marc. 2,20. Dazu GASTI (cf. n. 24)
314–316; GNILKA (cf. n. 23) 57 n. 120.
28 Cf. en. Ps. 104,28: «debitam iustamque mercedem; nec … putandus est deus huius-
modi dolos … et his fecerunt qui talia iure passi sunt, et quamuis per dolum, ab ini-
quis hominibus tamen quod sibi reddi debuit, abstulerunt»; diu. qu. 53,2: «merce-
dem tam diuturni laboris atque operis pro talium animarum gradu non iniustam
deus esse uoluit, et poenam illorum quos digne fecit amittere id quod reddere de-
buerunt. non itaque deus deceptor est … sed meritorum et personarum iustissimus
distributor».
29 Ib.: «quid ergo iam de exspoliatis Aegyptiis Faustus obicit nesciens, quid loquatur?
quod faciendo Moyses usque adeo non peccauit, ut non faciendo peccaret. deus
enim iusserat … carnalis itaque adhuc ille populus erat et rerum terrenarum cupi-
ditate occupatus, Aegyptii uero sacrilegi et iniqui; nam et auro illo, hoc est dei cre-
atura male utentes ad creatoris iniuriam, suis idolis seruiebant et homines peregri-
nos labore gratuito iniuste ac uehementer adflixerant. digni ergo erant et isti, quibus
talia iuberentur, et illi, qui talia paterentur». Cf. ib. 22,72–79.
60 Therese Fuhrer
dass die Israeliten «keinen Raub begangen hatten» (qu. 2,39: «nec … furtum
fecerunt»)30. Wiederholt betont Augustin, dass Gott den Befehl «iustissime»
erteilt habe, und verweist dabei auch auf seine allegorische Auslegung in De doc-
trina christiana, wo er Gold, Silber und Gewänder als «bestimmte Lehren» ge-
deutet habe, «die selbst nach der Tradition der Heiden im Studium nicht ohne
Nutzen gelernt werden»31.
30 Ib.: «hoc enim deus iussit, qui nouerat quid quemque pati oporteret. nec Israhelitae
furtum fecerunt, sed deo iubenti ministerium praebuerunt»; ib. 2,6: «quod mandauit
dominus Hebraeis per Moysen, ut acciperent ab Aegyptiis uasa aurea et argentea et
uestem atque addidit: et praedabimini eos, mandati huius non potest iniustum esse
iudicium. mandatum enim dei est, de quo non iudicandum sed ei obtemperandum
fuit. ille enim nouit quam iuste mandauerit; ad seruum autem pertinet oboedienter
facere quod mandauit».
31 C. Faust. 22,91: «quod uero exspoliauit Aegyptios iussu domini dei sui, nihil nisi
iustissime iubentis, quid praefigurauerit, iam in quibusdam libris, quos de doctrina
christiana praenotaui, quantum mihi tunc occurrit, me recolo posuisse, quod auro
et argento et ueste Aegyptiorum significatae sint quaedam doctrinae, quae in ipsa
consuetudine gentium non inutili studio discantur».
32 ‹Spoliare›, cf. n. 18. Im Referat der Exodus-Stelle in doctr. chr. 2,60 verwendet Au-
gustin neben ‹auferre› auch ‹uindicare› (cf. oben 53).
33 Zur Texteinteilung cf. oben 53–55.
Augustinus zum ‹rechten› Umgang mit paganem Bildungswissen 61
(«uindicanda»). ‹Vindicare› ist ein Begriff aus der Rechtssprache, den Augustin
wiederholt verwendet (Abschnitt B). In Abschnitt C betont er nochmals, dass
die Heiden die Bildungsgüter «auf unrechte Weise missbrauchen» («iniuriose
… abutuntur»), weswegen der Christ sie «zum gerechten Gebrauch» («ad usum
iustum») – zur Verkündigung des Evangeliums – wegtragen muss. Im Folgen-
den wird nun auch das Wegtragen allegorisch gedeutet: Der Vorgang wird als
Trennung «im Geist» «von der elenden Gemeinschaft» interpretiert («cum ab
eorum misera societate sese animo separat»). Der Christ «trägt» das pagane
Bildungsgut dann von den Heiden «weg» – cf. Ex 3,22 und 12,36: er «beraubt»
sie –, wenn er sich im Geist von ihnen trennt. Eine so definierte Handlung ist
nun in keiner Weise mehr «ungerecht». Ohnehin seien das Gold und das Silber,
mit denen das Wahre («uerum») verglichen wird, nie ein genuines Gut der Hei-
den gewesen («non ipsi instituerunt»), vielmehr hatten sie es aus «den Minen
der alles durchdringenden göttlichen Vorsehung» hervorgeholt («quasi metallis
diuinae prouidentiae»). Sie hatten also das Gold als Teil der Schöpfung – und
nicht als ihr eigenes Werk – gemäß Gottes Vorsehung ausgegraben. Die Hei-
den hätten also die Wissenschaften zwar entdeckt, aber nicht erfunden, und
dann hätten sie sie auf eine unrechte Weise gebraucht. Die Christen mussten
das Gold nicht mehr ausgraben, sie mussten die Wissenschaften nicht ent-
decken, aber erst und nur sie nutzen es bzw. sie in gerechter Weise. Ebenso
dürfen die Christen die geraubten Gewänder, d.h. alle von den Menschen ein-
gerichteten Dinge («hominum instituta»)34, übernehmen und in ihren Besitz
überführen, um sie «für einen christlichen Nutzen umzuwandeln» («in usum
conuertenda christianum»).
Der Begriff des ‹usus iustus› (Abschnitt C), der wegen seiner Prägnanz
große Berühmtheit erlangt hat, ist also im Kontext der Rechtfertigung der An-
eignung paganer Bildung durch die Christen zu verstehen. Die Exodus-Exegese
und damit die Rechtfertigung des Goldraubs und des Gottesbefehls gegenüber
der gnostischen Tradition werden hier eingesetzt für die Legitimierung der pa-
ganen Bildung, die Augustin in Buch 2 für den christlichen Exegeten einfor-
dert. Der apologetische Gestus und der gehäufte Gebrauch der Rechtssprache
lassen sich möglicherweise dadurch erklären, dass es am Ende des 4. Jh.s öfter
Bemühungen gab, den Christen diesen ‹Gebrauch› des paganen Bildungswis-
sens zu verbieten. In conf. 8,10 erwähnt Augustin Julians Rhetoren- und Unter-
richtsgesetz des Jahres 362, dem sich Marius Victorinus unterworfen hatte:
Julians Maßnahme verbot es einem Lehrer, im Unterricht die alten Schriftstel-
34 Nach doctr. chr. 2,40 wären dies die Schreibkunst, Sprachkenntnisse und die Steno-
graphie. Cf. oben Kap. 1.
62 Therese Fuhrer
ler zu behandeln, ohne ihnen und ihrer Religion die gebührende Ehre zu er-
weisen; damit war – vorübergehend – einem Christen der Unterricht in den pa-
ganen Disziplinen an den öffentlichen Schulen nicht mehr möglich35. Augustin
konnte wohl auch selbst in Rom unter der Präfektur des Symmachus im Jahr
384 den Streit um den Victoria-Altar sowie die Bemühungen einer Reihe er-
klärter Heiden mitverfolgen, durch neue Editionen von Texten wie Vergil oder
Livius und der Vergil-Kommentierung die pagane Tradition zu fördern36. Au-
gustins Rechtfertigung des christlichen Gebrauchs paganen Wissens lässt sich
also durchaus als Antwort verstehen auf die Versuche, die Christen von den
Bildungsinstitutionen fernzuhalten oder ihnen die paganen Verdienste um die
Bildung entgegenzuhalten.
Die Vorstellung des ‹gerechten Gebrauchs› in doctr. chr. 2,60 scheint aber auch
noch durch weitere Überlegungen motiviert zu sein:
Der Begriff ‹iustus› ist nicht allein juristischer Terminus und nicht aus-
schließlich an den Begriff der Gerechtigkeit gebunden, sondern bedeutet in
einem weiteren Sinn ‹gemäß Vorgabe, gemäß der vorgegebenen Ordnung,
ordnungsgemäß›37. Diese Ordnung kann, muss aber nicht eine Rechtsordnung
sein. Bestimmend ist vielmehr die Vorstellung der Ausrichtung an einer Vor-
gabe oder Regel. Im augustinischen Textcorpus wird ‹iustus› ebenfalls oft in
dieser Bedeutung (‹richtig ausgerichtet›) gebraucht; die Vorgabe oder Regel,
nach der sich der ‹iustus› ausrichtet, kann, muss aber nicht die göttliche Ge-
rechtigkeit sein, von der das göttliche und das irdische Recht abgeleitet sind.
Deutlich wird diese Grundbedeutung des Begriffs ‹iustus› aus den Ausfüh-
rungen im ersten Buch von De doctrina christiana: Das «gerechte und heilige
35 Neben dem Edikt (Cod. Theod. 13,3,5) ist Jul. ep. 55 die Grundlage. Dazu R. KLEIN,
Kaiser Julians Rhetoren- und Unterrichtsgesetz: Roma versa per aevum. Ausgewählte
Schriften zur heidnischen und christlichen Spätantike, Hildesheim et al. 1999, 128–155.
36 Cf. conf. 5,23. Dazu J.J. O’DONNELL, Augustine, Confessions 2. Commentary on Books 1–
7, Oxford 1992, 320sq. Zur Diskussion um die ‹pagane Renaissance›, deren anti-
christliche Tendenz in der neueren Literatur bestritten wird, cf. bes. C. TORNAU,
Die Heiden des Augustinus. Das Porträt des paganen Gebildeten in De civitate dei
und in den Saturnalien des Macrobius: Die christlich-philosophischen Diskurse der Spät-
antike (hrsg. von T. FUHRER), Stuttgart 2008, 299–301; T. KRÄMER, Augustinus zwi-
schen Wahrheit und Lüge, Göttingen 2007, 55–59.100sq.
37 Cf. E. BAER, iustus: TLL 7,2 (1956–1979) 720,33sqq.
Augustinus zum ‹rechten› Umgang mit paganem Bildungswissen 63
Leben» («qui iuste et sancte uiuit») wird durch die «geordnete Liebe» («ordinata
dilectio») definiert38. Mit dem Begriff ‹iustus› wird das Leben gemäß dem dop-
pelten Liebesgebot beschrieben, in dem der Prozess des Liebens auf Gott hin
ausgerichtet ist39. Der Mensch ist dabei nur insofern ‹gerecht›, als Gott selbst
als sein Bezugspunkt ‹iustus› ist40. Wenn der Mensch seinen Gebrauch der
Dinge in der Welt an Gottes Gerechtigkeit ausrichtet, ist er auch selbst gerecht.
Die Vorstellung der richtigen Ausrichtung liegt somit auch dem Begriff
‹iustus› in doctr. chr. 2,60 zugrunde (Abschnitt C): ‹Gerecht› ist der Gebrauch der
heidnischen Bildungsgüter, wenn diese der Verkündigung des Evangeliums
dienlich sind («ad usum iustum praedicandi euangelii»), er soll also auf dieses
Ziel ausgerichtet sein; gemäß dem Thema von De doctrina christiana ist damit die
Exegese sämtlicher biblischer Schriften und die anschließende Verkündigung
der damit eruierten Botschaft gemeint. Dieser Gebrauch ist – im Gegensatz
zum paganen Gebrauch – ‹gerecht›, weil er auf Gott hin ausgerichtet ist und
weil er das doppelte Liebesgebot befolgt, das die Auslegung und Verkündigung
an die Gemeinde bestimmt41.
Das Postulat, dass eine Tätigkeit auf ein höheres Ziel finalisiert sein muss,
liegt auch Augustins Verwendung des Begriffs ‹uti› zugrunde, mit dem er wohl
auf das antike Konzept der ‹Chresis› rekurriert, das Christian Gnilka in einer
Reihe antiker philosophischer und theologischer Texte nachgewiesen hat42. Die
38 Ib. 1,28: «ille autem iuste et sancte uiuit, qui rerum integer aestimator est; ipse est
autem qui ordinatam habet dilectionem, ne aut diligat quod non est diligendum, aut
non diligat quod diligendum est».
39 Dazu R. DODARO, Iustus (iusti): AL 3 (2004–2010) 883–888, hier 884sq.; id., Iusti-
tia: ib. 865–882, hier 869sq.
40 Ib. 1,35: «sed neque sic utitur ut nos: nam nos res, quibus utimur, ad id referimus ut
dei bonitate perfruamur; deus uero ad suam bonitatem usum nostrum refert. quia
enim bonus est, sumus; et in quantum sumus, boni sumus. porro quia etiam iustus
est, non impune mali sumus; et in quantum mali sumus, in tantum etiam minus
sumus».
41 Damit kommt Augustins Gebrauch der Junktur ‹usus iustus› dem nahe, was Orige-
nes in seinem Brief an Gregor mit εἰς θεοσέβειαν («für die Gottesverehrung») um-
schrieben hat (cf. n. 23). Zur ‹caritas› als «hermeneutische(m) Normenhorizont»
von doctr. chr. cf. POLLMANN (cf. n. 2) 121–147.
42 GNILKA (cf. n. 23). P. GEMEINHARDT, Das lateinische Christentum und die antike pagane
Bildung, Tübingen 2007, 486.511 spricht von einer «diakritischen Chrêsis», die er
von einer «ungesteuerte(n), symbiotische(n) ‹Hellenisierung› bzw. ‹Romanisierung›»
unterscheiden will, in der die Nutzung des paganen Bildungsguts ohne «kompli-
zierte Begründungen» erfolgte. Im Besonderen zu Augustins Verwendung des Be-
griffs ‹uti› bzw. des Begriffspaars ‹uti›/‹frui› cf. GNILKA (cf. n. 23) 80–88;
H. CHADWICK, Frui-uti: AL 3 (2004–2010) 70–75.
64 Therese Fuhrer
‹Chresis› ist «ein Schlagwort der Sophistik» in der Diskussion zum Wert der
Rhetorik in Platons Euthydem und Menon: Güter sind – so Platon – weder gut
noch schlecht, und sie dienen nur dadurch, dass der Mensch sie «gut ge-
braucht» (ὀρθῶς χρῆσθαι), dem Ziel der Weisheit43. Im Protreptikos warnt Aristo-
teles vor der Gefahr, die Instrumente für das Leben, wie den Körper, «nicht in
rechter Weise zu gebrauchen» (µὴ δεόντως χρῆσθαι)44. In der stoischen Güter-
lehre wird der rechte oder unrechte Gebrauch der Adiaphora im Hinblick auf
die Frage definiert, ob der Gebrauch sich an der Natur ausrichtet, also κατά
oder παρὰ φύσιν ist. Seneca und Epiktet diskutieren in diesem Zusammenhang
auch den ‹richtigen› Gebrauch der Wissenschaftsdisziplinen45. Der Gedanke
wurde von den Christen übernommen: Tertullian bezeichnet die weltlichen
Güter als Dinge, die die Menschen nicht ‹missbrauchen› dürfen, da die Schöp-
fung den Menschen zum «natürlichen Gebrauch» («usus naturalis») zur Verfü-
gung gestellt worden sei46. Clemens von Alexandria empfiehlt mit Verweis auf
die stoische Güterlehre den ‹Gebrauch› der Philosophie, die er zu den «schö-
nen Dingen» (καλά), die Gott geschaffen habe, zählt47. Gregor von Nazianz
versteht in der Gedächtnisrede auf Basilius die Bildungsgüter als Teil der
Schöpfung, von denen der Christ Gebrauch machen kann, die – wie alle Werke
Gottes – auch missbraucht werden können, weil sie auch «Elemente» enthal-
ten, «die zu den Dämonen führen»48. Die Empfehlungen von Origenes und
Gregor von Nyssa, sich das pagane Wissen zunutze zu machen, wurden im
Kontext der Exodus-Exegese bereits erwähnt (cf. oben 57sq.).
Gehäuft finden sich die Junkturen ὀρθὴ/δικαία χρῆσις bzw. ὀρθῶς/δικαίως
χρῆσθαι in Clemens Alexandrinus’ Traktat Quis dives salvetur (‹Welcher Reiche
gerettet wird›). Clemens diskutiert anhand der Geschichte vom reichen Jüng-
43 Pl. Euthd. 280b–282e; Men. 87d–89a; R. 601c–602d. Dazu GNILKA (cf. n. 23) 31–
34.
44 Arist. Protr. frg. 14 SCHNEEWEIß; cf. frg. 19a. Die Fragmente sind hier zitiert nach
der Ausgabe: Aristoteles, Protreptikos. Hinführung zur Philosophie. Rekonstruiert, übers. und
hrsg. von G. Schneeweiß, Darmstadt 2005. Cf. dazu GNILKA (cf. n. 23) 34–36.
45 Arr. Epict. 1,1,4–6; Sen. epist. 88. Zum stoischen Konzept der ‹Chresis› in der Gü-
terlehre cf. M. FORSCHNER, Die stoische Ethik. Über den Zusammenhang von Natur-,
Sprach- und Moralphilosophie im altstoischen System, Darmstadt 21995, 117.170; M.
POHLENZ, Kleine Schriften (hrsg. von H. DÖRRIE), Hildesheim 1965, 406sq.;
GNILKA (cf. n. 23) 36–38.
46 Tert. coron. 5sq.8.10 (mit Verweis auf 1 Cor 11,14 und 7,31 sowie Rm 1,25–27 und
2,14). Dazu GNILKA (cf. n. 23) 45–50.
47 Strom. 1,28,1; 1,157; 6,159,6–8; dazu GNILKA (cf. n. 23) 50–54.
48 Gr. Naz. or. 43,11; cf. 45,20. Dazu GNILKA (cf. n. 23) 73–76; GEMEINHARDT (cf.
n. 42) 482.
Augustinus zum ‹rechten› Umgang mit paganem Bildungswissen 65
ling (Mc 10,17–31) die Frage, wie sich der Christ zu Wohlstand und Reichtum
zu verhalten habe (13–16). Christus verbiete nicht den Besitz von Reichtum,
sondern fordere dessen δικαία χρῆσις (15,6). Diese wird wie folgt definiert: Der
Reichtum ist ein ‹Werkzeug› (ὄργανον), mit dem man den Mitmenschen Gutes
tun kann (14,1), und dient, wenn man ihn ‹gerecht gebraucht› (δικαίως
χρῆσθαι), der Ausübung von Gerechtigkeit (14,3: πρὸς δικαιοσύνην). Umge-
kehrt kann man ihn auch im Dienst der Ungerechtigkeit gebrauchen. Dies
erklärt Clemens mithilfe der paganen Güterlehre, gemäß der eine Sache oder
ein Gut, das nicht dem höchsten Gut entspricht, nicht per se gut oder schlecht
ist, sondern nur gut oder schlecht, also mit oder ohne Vernunft gebraucht
werden kann (15,1sq.)49. Im Fall des Reichtums setzt der gute Gebrauch die
Freiheit von den Leidenschaften – gemeint sind offenbar Habgier und Geiz –
sowie «Verstand, Besonnenheit und Frömmigkeit» voraus (15,5). Die δικαία
χρῆσις muss in dem Kontext also so verstanden werden, dass derjenige, der
den Reichtum gerecht gebraucht, durch ihn seine eigene Gerechtigkeit üben
kann, indem er den Reichtum gerecht verteilt. Die Gerechtigkeit, zu der er
dem Reichen in diesem Fall dient (πρὸς δικαιοσύνην), impliziert damit auch die
Ausrichtung an ethischen und theologischen Werten und ist letztlich die göttli-
che Gerechtigkeit50.
Die Passage in Clemens’ Traktat Quis dives salvetur ist nicht nur wegen der
Junktur δικαία χρῆσις, die Augustins ‹usus iustus› entspricht, für die Argumen-
tation von doctr. chr. 2,60 aufschlussreich. Denn dadurch, dass Augustin mit
dem Verweis auf die Exodus-Allegorese die Bildungsgüter mit Wohlstand und
Reichtum (Gold, Silber, Kleidung) vergleicht, macht er das Problem des Um-
gangs mit den Bildungsgütern auch zum Gegenstand der philosophischen
Güterlehre und Reichtumskritik. Die Bildungsgüter sind ein Besitz, der zwar
innerhalb der Werteskala der äußeren Güter hoch, also als Reichtum, zu veran-
schlagen ist, der aber per se weder gut noch schlecht ist, der allein durch die
Art des Gebrauchs einen Wert erhält, und zwar dann einen positiven, wenn
man ihn im christlichen Sinn ‹gerecht› gebraucht. Indem Augustin den Begriff
‹iustus› hier im Hinblick auf die Verkündigung des Evangeliums definiert, lässt
er den Gebildeten Gerechtigkeit und Wohltätigkeit an den Mitmenschen in
Form der Schriftauslegung üben.
49 Eine ähnliche Diskussion zur Verwendung von Reichtum findet sich in Senecas
Selbstverteidigung in De uita beata und in De beneficiis. Cf. dazu T. FUHRER, The Phi-
losopher as Multi-Millionaire: Seneca on Double Standards: Double Standards in the
Ancient and Medieval World (ed. by K. POLLMANN), Göttingen 2000, 201–219.
50 Dazu GNILKA (cf. n. 23) 51.
66 Therese Fuhrer
Der ‹Gebrauch› der Bildungsgüter ist somit auf zwei Weisen ‹gerecht›: zum
einen weil die Christen zu Recht den Heiden ihren Besitz ‹wegnehmen›, da
diese ihn in ungerechter Weise missbraucht haben. Damit greift Augustin die
apologetische Auseinandersetzung mit der Exodus-Stelle auf. Zum anderen
bietet der Besitz von Bildungsgütern – der Besitz des Ägyptergoldes – dem
Christen die Möglichkeit, ‹wohltätig› zu sein im Sinn der göttlichen Gerechtig-
keit, die die richtige Ausrichtung der Bemühungen – auf Gott hin – zur Vor-
aussetzung hat. Auch diese Argumentation ist letztlich apologetisch: Der Be-
sitzer eines Gutes muss rechtfertigen, warum er es sich angeeignet hat und
weiterhin besitzen will. Er kann dies nur mit dem Bezug auf Werte, die außer-
halb dieser Besitztümer liegen.
Indem die Ausführungen in doctr. chr. 2,60 die Ausführungen zum Nutzen
der Bildung im zweiten Buch abschließen, sind sie auch als Bilanz zu verste-
hen: Augustin vertritt hier eine durchweg utilitaristische Position: Bildung und
Bildungswissen sind nicht per se gut und sollen immer im Hinblick auf das
Ziel der Bibelexegese vermittelt werden51. Indem er die paganen Bildungsgüter
mit dem Reichtum der Ägypter vergleicht, schreibt er ihnen aber von vorn-
herein einen hohen Wert zu. Erst dadurch wird der Anspruch des ‹gerechten
Gebrauchs› durch die Christen relevant: Nur der Christ kann das kostbare Gut
der Bildung gerecht verwalten und verteilen, da er den ‹Gebrauch› auf Gott
und damit die göttliche Gerechtigkeit bezieht. Da die Aneignung (das ‹Wegtra-
gen›) der Bildungsgüter auf die Verkündigung des Evangeliums hin finalisiert
wird, ist der gebildete Exeget und Prediger gleichsam der Reiche, der mit seiner
Bibelerklärung die rechtmäßig erworbenen und für sich ‹vindizierten› ‹Reich-
tümer› verteilt und damit wohltätig ist und auch eine moralische Gerechtigkeit
übt. Die Ausbildung in den Wissensdiziplinen, die Augustin in Buch 2 nach
streng utilitaristischen Kriterien im Hinblick auf die Bibelerklärung beurteilt,
hat damit nicht allein eine propädeutische, sondern auch eine karitative Funk-
tion: Der Christ soll sich auch aus Nächstenliebe bilden, um denjenigen, die
dieses ‹Gold› nicht besitzen – den Ungebildeten –, die Heilige Schrift ‹richtig›,
d.h. gemäß dem rechten Glauben und dem doppelten Liebesgebot, erklären zu
können.
51 Mit der Funktionalisierung der Bildung stellt sich Augustin in eine lange bildungs-
historische und -theoretische Tradition. Cf. dazu G. RECHENAUER, Enkyklios Pai-
deia: HWRh 2 (1994) 1160–1185; auch POLLMANN, Untersuchungen (cf. n. 2) 192–
195.
Augustinus zum ‹rechten› Umgang mit paganem Bildungswissen 67
Literatur
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