MEDIZIN
Punkte
cme
W
ährend das Hauptaugenmerk in der Beschrei-
Zusammenfassung bung des Schocks ursprünglich ausschließlich
auf dem traumatisch-hämorrhagischen Schock
Hintergrund: Allen Schockformen ist ein gravierendes Missverhältnis von O2-Ange-
lag, erfolgte später eine Differenzierung in fünf
bot und O2-Bedarf gemeinsam. Vorgestellt werden eine neugestaltete und klinisch
Schockformen (1). Auch wenn alle Schockformen
orientierte Systematik der verschiedenen Schockformen und deren therapeutische
letztlich in die gemeinsame Endstrecke eines Multior-
Implikationen.
ganversagens als Folge der Imbalance zwischen O2-Be-
Methode: Selektive Literaturrecherche (1990–2018) in PubMed und Berücksichti- darf und O2-Angebot münden können, erscheint auf-
gung von Leitlinien und Metaanalysen. grund ihrer unterschiedlichen Pathogenese und Patho-
physiologie eine geänderte Klassifikation nicht nur aus
Ergebnisse: Es wurden nur vier Hauptgruppen gebildet, die je einem von vier Organ- didaktischen Gründen, sondern insbesondere auch im
systemen zugeordnet werden. Der hypovolämische Schock bezieht sich auf das Blut- Hinblick auf die unterschiedlichen therapeutischen
und Flüssigkeitskompartiment und der distributive Schock auf das Gefäßsystem. Beim
Maßnahmen bei den verschiedenen Schockformen not-
kardiogenen Schock ist primär das Herz und beim obstruktiven Schock das Kreislauf-
wendig. Die neue Klassifikation erhebt keinen binden-
system betroffen. Dem hypovolämischen Schock liegt ein intravasaler Volumenverlust
den Anspruch, und die therapeutischen Effekte sind in
zugrunde, der durch balancierte Kristalloide substituiert wird. Dagegen handelt es sich
aller Regel zunächst nur auf die Wiederherstellung der
beim distributiven Schock um eine relative Hypovolämie infolge einer pathologischen
Vitalfunktionen, insbesondere einer mit dem Überleben
Verteilung des intravasalen Volumens, die mit einer Kombination aus Vasokonstrikto-
vereinbaren Kreislauffunktion beschränkt.
ren und Volumenersatz therapiert wird. Der kardiogene Schock wird durch eine unge-
Aus den genannten Erwägungen umfasst die neue
nügende Herzleistung ausgelöst, die durch medikamentöse, operative und interventio-
Klassifikation nur vier Hauptgruppen:
nelle Therapie verbessert werden muss. Beim obstruktiven Schock erfordert die wider-
standsbedingte Minderperfusion eine sofortige lebensrettende Intervention. ● hypovolämischer Schock
● distributiver Schock
Schlussfolgerungen: Die neue Einteilung soll die zielgerichtete Behandlung des ● kardiogener Schock
Schocks im präklinischen und klinischen Bereich erleichtern, wobei sich innerhalb ● obstruktiver Schock.
der jeweiligen Schockgruppe einheitliche Therapiemaßnahmen festlegen lassen. Wobei der hypovolämische Schock vier Untergruppen
und der distributive Schock drei Untergruppen ein-
Zitierweise
schließt. Der obstruktive Schock wurde als eigenständige
Standl T, Annecke T, Cascorbi I, Heller AR, Sabashnikov A, Teske W:
Schockform aufgenommen. Auch wenn die vorliegende
The nomenclature, definition and distinction of types of shock.
Nomenklatur und Einteilung schematisch ist und gewisse
Dtsch Arztebl Int 2018; 115: 757–68. DOI: 10.3238/arztebl.2018.0757
Schnittmengen zwischen den Hauptgruppen umfasst,
lassen sich diesen vier Hauptgruppen schwerpunktmäßig
vier Organsysteme zuordnen (Grafik 1), die aufgrund der
jeweils unterschiedlichen Pathogenese und Pathophysio-
logie einer gruppen- beziehungsweise organspezifischen
Therapie bedürfen (Grafik 2):
● Blut- und Flüssigkeitskompartiment
● Gefäßsystem
Klinik für Anästhesie, Operative Intensiv- und Palliativmedizin, Städtisches Klinikum Solingen ● Herz
gGmbH: Prof. Dr. med. Thomas Standl, MHBA ● Kreislaufsystem.
Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Universitätsklinikum Köln:
Prof. Dr. med. Thorsten Annecke, DESA
Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein:
Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Ingolf Cascorbi Klassifikation der Schockformen
Notaufnahme Zentrum Chirurgie, Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie, Universitätsklinikum • hypovolämischer Schock
Carl Gustav Carus an der TU Dresden: Prof. Dr. med. Axel R. Heller, MBA, DEAA • distributiver Schock
Klinik und Poliklinik für Herz- und Thoraxchirurgie, Herzzentrum der Universitätsklinik Köln: • kardiogener Schock
PD Dr. med. Anton Sabashnikov • obstruktiver Schock
Zentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie, Kath. Krankenhaus Hagen gGmbH:
PD Dr. med. Wolfram Teske
Aufgrund der Schwierigkeit der Durchführung pro- sind akute Blutungen durch isolierte Verletzung eines
spektiv-randomisierter Studien an Schockpatienten, größeren Blutgefäßes, gastrointestinale Blutungen,
stützen sich die therapeutischen Empfehlungen größ- nicht-traumatische Gefäßrupturen (Aortenaneurys-
tenteils auf Leitlinien und Registerstudien. Wo vor- ma), Blutungen in der Geburtshilfe (zum Beispiel
handen, wurde der Grade of Recommendation (GoR) postpartale Atonie) und im Hals-, Nasen-, Ohren-Be-
aus den Leitlinien angegeben. Wenn kein Empfeh- reich (Gefäßarrosionen). Schockauslöser ist die kriti-
lungsgrad angegeben wird, handelt es sich um eine sche Abnahme des zirkulierenden Blutvolumens, ein
Empfehlung der Autoren (eTabelle 1). Die Effekte der massiver Verlust von Erythrozyten verstärkt die Ge-
vorgestellten Interventionen in Bezug auf das Überle- webehypoxie.
ben und das behinderungsfreie Überleben sind teil- Der traumatisch-hämorrhagische Schock weist im
weise nicht stark. Unterschied dazu zusätzlich ein erhebliches Gewebe-
trauma mit einer Aggravierung des Schocks auf. Typi-
Lernziele sches Beispiel dieser Schockform ist das Polytrauma,
Der Leser soll nach der Lektüre des Beitrags: am häufigsten durch Verkehrsunfälle und Stürze aus
● die neue Klassifikation der Schockformen kennen großer Höhe verursacht. Diffuse Blutungen, Hypo-
● die unterschiedliche Pathogenese und Pathophy- thermie, insbesondere ≤ 34 °C, und Azidose bewirken
siologie der vier Hauptgruppen des Schocks ver- vital bedrohliche Gerinnungsstörungen (3, 4). Das
stehen Gewebetrauma führt zur postakuten Inflammation,
● Kenntnisse der unterschiedlichen therapeutischen die diesen Prozess weiter verstärkt. Auf mikrozirkula-
Ansätze der verschiedenen Schockformen erwor- torischer Ebene verursachen Leukozyten-Endothel-
ben haben. Interaktionen (5) und eine Destruktion der endotheli-
al-membrangebundenen Proteoglykane und Glykosa-
Hypovolämischer Schock minoglykane eine mikrovaskuläre Dysfunktion mit
Der hypovolämische Schock ist ein Zustand unzurei- Capillary-Leak-Syndrom. Intrazellulär entsteht eine
chender Durchblutung von Organen aufgrund eines metabolische Imbalance (6) mit möglicher mitochon-
meist akuten intravasalen Volumenverlustes. Es resul- drialer Schädigung (7) und negativem Einfluss auf die
tiert eine kritisch verminderte kardiale Vorlast und ei- Vasomotorik (8).
ne Reduktion von Makro- und Mikrozirkulation mit Hypovolämischer Schock im engeren Sinne und
negativen Folgen für den Gewebestoffwechsel und traumatisch-hypovolämischer Schock weisen rele-
Auslösung einer Entzündungsreaktion. vante Flüssigkeitsverluste ohne Blutung auf.
Der hypovolämische Schock unterteilt sich in vier Der hypovolämische Schock im engeren Sinne ent-
Untergruppen (2): steht durch äußere oder innere Flüssigkeitsverluste
● hämorrhagischer Schock infolge akuter Blutung und eine inadäquate Flüssigkeitszufuhr. Ursachen
ohne wesentliche Gewebeschädigung sind Hyperthermie, anhaltendes Erbrechen und Diar-
● traumatisch-hämorrhagischer Schock infolge rhö (beispielsweise Cholera) sowie nicht kompensier-
akuter Blutung mit Gewebeschädigung und zu- te renale Verluste (zum beispiel Diabetes insipidus,
sätzlicher Freisetzung von Aktivatoren des Im- hyperosmolares diabetisches Koma). Die Sequestrati-
munsystems on großer Flüssigkeitsmengen in das Abdomen zum
● hypovolämischer Schock im engeren Sinne infol- Beispiel bei Ileus oder Leberzirrhose führt ebenfalls
ge einer kritischen Abnahme des zirkulierenden zur Reduktion des zirkulierenden Plasmavolumens.
Plasmavolumens ohne akute Blutung Der pathologisch erhöhte Hämatokrit und Leukozy-
● traumatisch-hypovolämischer Schock infolge ten- und Thrombozyten-Interaktionen verschlechtern
kritischer Abnahme des zirkulierenden Plasma- die rheologischen Eigenschaften des Blutes zusätzlich
volumens ohne akute Blutung durch Gewebe- und können auch nach einer Schockbehandlung zu
schädigung und Freisetzung von Mediatoren. persistierenden Organschäden („No-Reflow“-Phäno-
men) führen.
Pathogenese und Pathophysiologie Die typische Ursache des traumatisch-hypovolämi-
Blutungen kennzeichnen den hämorrhagischen und schen Schocks sind großflächige Verbrennungen, Ver-
traumatisch-hämorrhagischen Schock. Unterschied- ätzungen und tiefreichende Cutisläsionen. Durch das
lich ist das Ausmaß der Gewebeläsion. Die klinisch Trauma werden zusätzlich die Gerinnungskaskade
relevantesten Ursachen des hämorrhagischen Schocks und das Immunsystem aktiviert, was die bestehende
GRAFIK 1
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Synopse der vier Klassen der Schockformen (weißes Feld innen) mit primär assoziierten Organsystemen (äußere Ecken), Manifestationsor-
ten beziehungsweise -mechanismen (außerhalb des Kreises) sowie pathogenetischen und pathophysiologischen Charakteristika (äußere und
mittlere Kreissektoren). Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurde auf eine optische Darstellung von Mischformen des Schocks verzichtet.
Beeinträchtigung der Makro- und Mikrozirkulation aus dem Traumaregister der Deutschen Gesellschaft
potenziert. Die inflammatorische Reaktion führt zu für Unfallchirurgie ziehen. Im Jahresbericht 2017
Endothelschäden, vergrößert das Capillary-Leak- hatten von 40 836 Patienten 27 147 (66 %) einen ma-
Syndrom und verursacht gravierende Koagulopathien ximalen Schweregrad der Verletzungen von AIS 3
(9, 10). („abbreviated injury score“) oder mehr, 10 639
Vorsichtige Rückschlüsse auf die Häufigkeit des (26 %) waren lebensgefährlich verletzt (ISS, „injury
traumatisch-hypovolämischen und traumatisch-hä- severity score“ ≥ 11), woraus sich etwa eine Patien-
morrhagischen Schocks lassen sich möglicherweise tenzahl von 30 000/Jahr errechnen lässt. Die Inzi-
GRAFIK 2
Die Umstände bestimmen maßgeblich die Verdachtsdiagnose die Pathophysiologie die Therapie
volumenbedingt Herzzeitvolumen
oder SvO2
Verlegung, Schaukelatmung
A Atemwege kloßige Sprache, Zyanose ● Verschiebung
→ distributiv
normal
niedrig
Echo: unauffällig oder hoch
Tachypnoe, Giemen, SaO2↓,
hypersonorer Klopfschall,
B Belüftung abgeschwächtes Atemgeräusch ● Verschiebung
(Spannungs-)Pneumothorax → hypovoläm
niedrig
Echo:
arterielle Hypotonie, Kammerfüllung ↓
Volumenverlust, Tachy- (Brady-)
C „Circulation“ kardie, Rekapillarisierungszeit
> 2 s, Laktat↑ auswurfbedingt
EKG-Veränderungen, Oligurie ● extrakardial kardiale
→ obstruktiv variabel Vorlast
nach Ursache
„Disability“ veränderte Bewusstseinslage, Echo: variabel
D Neurologie Unruhe, Bewusstseinsverlust nach Ursache
● kardial
→ kardiogen
Algorithmus zur hoch
kühle blasse (warme) Haut,
Differenzialdia- E Exposition Kaltschweißigkeit, Flush, Fieber, Echo: Kontraktilität ↓
gnostik als thera- lokalisierbare Beschwerden Kammerfüllung ↑
peutische Basis für
die verschiedenen
Schockformen
denz der gastrointestinalen Blutungen liegt bei etwa mithilfe des ATLS-Scores (ATLS, „advanced trauma
100 000/Jahr, wovon grob geschätzt 10 000 einen hy- life support“) eingeschätzt werden (11). Bei traumato-
povolämischen Schock erleiden. Somit ergeben sich logischen Patienten mit Schock sollte ein direkter
unter Berücksichtigung der restlichen Untergruppen Transport in ein Traumazentrum erfolgen (GoR: B).
des hypovolämischen Schocks etwa 50 000 Patien- Die chirurgische Versorgung erfolgt zeitnah unter
ten/Jahr (Tabelle 1). Anwendung der sogenannten „Damage-Control-
Technik“ (12). Bei fortbestehender Hypotension
Therapie sollte, insbesondere beim Schädel-Hirn-Trauma, ein
Die präklinische und klinische Therapie des hypo- Vasokonstriktor (zum Beispiel Noradrenalin) verab-
volämischen Schocks besteht in der unverzüglichen reicht werden, um einen systolischen arteriellen Blut-
intravasalen Volumensubstitution mit balancierten druck (systolic arterial blood pressure [SAP]) von
Kristalloiden (GoR: B) über großlumige periphere ≥ 90 mm Hg zu erreichen (GoR: B) (13).
Venenzugänge und bei Hämorrhagie in der raschen Bei kontrollierbaren Blutungen bis unterhalb al-
Blutstillung (Tabelle 2). Zur Vermeidung oder Besei- ters- und komorbiditätsspezifischer Hb-Grenzwerte
tigung einer Hypoxie erfolgt in der Regel eine endo- werden Erythrozytenkonzentrate (EK) transfundiert.
tracheale Intubation und Normoventilation (GoR: A). Bei unkontrollierter Blutung sollen unabhängig vom
Das Ausmaß des Blutverlustes kann näherungsweise aktuellen Hb-Wert frühzeitig EK, FFP und TK trans-
Distributiver Schock
Der distributive Schock stellt eine relative Hypovolä- druck (MAP) > 65 mm Hg zu halten, definieren den
mie infolge einer pathologischen Umverteilung des septischen Schock (21). Eine Hypovolämie als allei-
absoluten intravasalen Volumens und die häufigste nige Ursache der Kreislaufinsuffizienz muss zum
Schockform dar (Tabelle 1). Ursachen sind entweder Beispiel durch Echokardiografie ausgeschlossen wer-
ein Verlust der Steuerung des Gefäßtonus mit Ver- den (19, 21).
schiebung des Volumens innerhalb des Gefäßsystems
und/oder eine Permeabilitätsstörung des Gefäßsys- Pathogenese und Pathophysiologie
tems mit Verschiebung des intravasalen Volumens in Patienten über 65 Jahre, mit Immunsuppression oder
das Interstitium. Die drei Untergruppen sind der septi- malignen Grunderkrankungen sind überproportional
sche, der anaphylaktisch/anaphylaktoide und der neu- häufig betroffen. Die Entzündungsantwort ist bei man-
rogene Schock. chen Patienten nur gering oder gar nicht ausgeprägt
(19, 22, 23). In Deutschland erkranken etwa 280 000
Septischer Schock Patienten pro Jahr an einer Sepsis, die Inzidenz steigt
Eine Sepsis ist nach den aktuell gültigen Sepsis-III- jährlich um 5,7 %, die Letalität ist im Zeitraum von
Kriterien als fehlregulierte Körperantwort auf eine In- 2007 bis 2013 von 27,0 % auf 24,3 % gesunken (20).
fektion mit lebensbedrohlichen Organdysfunktionen Rund 35 % dieser Patienten erleiden einen septischen
definiert. Diese werden anhand einer Zunahme des Schock, wodurch sich eine Anzahl von etwa 100 000
SOFA (Sequential Organ Failure Assessment)-Scores Patienten/Jahr ergibt (Tabelle 1).
um ≥ 2 Punkte (eTabelle 2) charakterisiert und quanti- Pathophysiologisch steht die endotheliale Dysfunkti-
fiziert (19). Im Rahmen einer Notfallversorgung kann on im Zentrum, die zu einer fehlregulierten Steuerung
zum Screening auch der „Quick-SOFA Score“ (qSO- des Gefäßtonus mit Vasodilatation, Verteilungsstörun-
FA) herangezogen werden. Dieser erfordert lediglich gen und Volumenverschiebungen in der Makro- und
eine orientierende Untersuchung des Bewusstseinszu- Mikrozirkulation sowie einer Erhöhung der vaskulären
standes, der Atemfrequenz und des Blutdrucks. Sind Permeabilität (Cappillary-Leak-Syndrom) führt
diese Parameter pathologisch verändert (Bewusst- (22–25). Oft liegen zusätzlich biventrikuläre myokar-
seinstrübung, Atemfrequenz ≥ 22/min, systolischer diale Funktionsstörungen im Sinne einer septischen
Blutdruck ≤ 90 mm Hg) und liegt ein Infektionsver- Kardiomyopathie vor (26), die zur Sterblichkeit der Pa-
dacht vor, kann von einer Sepsis ausgegangen werden tienten beitragen (26, 27). Der septische Schock ist eine
(20). Mischform verschiedener Pathologien (Hypovolämie,
Ein Laktatwert von > 2 mmol/L und eine persistie- Vasodilatation, kardiale Funktionsstörungen und mito-
rende Hypotonie, die den Einsatz von Vasopressoren chondriale Dysfunktion) mit regelhaft komplexen Ge-
notwendig macht, um den mittleren arteriellen Blut- rinnungsstörungen (22–25).
TABELLE 2
gigen Volumentherapie wird Noradrenalin in steigen- Mortalität der Patienten im kardiogenen Schock wird
den Dosierungenverabreicht, bis eine Erhöhung des in der Regel durch hämodynamische Instabilität,
peripheren Gefäßwiderstandes erzielt werden kann Multiorganversagen und systemische Inflammation
(Tabelle 1). Zur Tonisierung des Gefäßsystems kön- verursacht.
nen zusätzlich direkte oder indirekte Sympathomime- Um ein ausreichendes Herzzeitvolumen und somit
tika eingesetzt werden (35). Weiterhin sind Mineralo- eine suffiziente Organperfusion aufrechtzuerhalten,
kortikoide zur Erhöhung des Plasmavolumens eine werden systemische Gegenregulationsmechanismen
therapeutische Option. wie das sympathische Nervensystem sowie die neu-
rohumorale, renale und lokale Vasoregulation akti-
Kardiogener Schock viert.
Der kardiogene Schock ist eine primär kardiale Funk-
tionsstörung mit kritischer Verminderung der kardia- Therapie
len Pumpleistung, verursacht durch eine systolische In der Diagnostik stehen Echokardiografie und inva-
oder diastolische Funktionsstörung mit Verminderung sives Monitoring im Zentrum. Primäres Ziel der Be-
der Auswurfleistung oder Beeinträchtigung der ven- handlung ist die Beseitigung der kardialen Ursachen
trikulären Füllung. Er ist definiert durch einen SAP des Schocks. Dazu gehören die frühestmögliche Ko-
< 90 mm Hg oder Mitteldruck von 30 mm Hg unter ronarreperfusion beim ACS durch die PCI (Perkutane
dem Ausganswert sowie einen Herzindex beziehungs- Coronar-Intervention) mit Insertion von Stents (BMS,
weise Cardiac Index (CI) < 1,8 L/min/m2 ohne phar- „bare metal stent“, oder DES, „drug eluting stent“)
makologische oder mechanische Unterstützung bezie- (GoR: A), die chirurgische oder interventionelle The-
hungsweise < 2,0 L/min/m2 mit Unterstützung (36). rapie mechanischer Ursachen und struktureller Herz-
Entsprechend der Deutsch-Österreichischen S3-Leit- erkrankungen sowie chirurgische oder interventionel-
linie ist der Cardiac Index für die klinische Diagnose le Ablationsverfahren und die Schrittmachertherapie
des kardiogenen Schocks nicht erforderlich (37). Ne- (36, 38). Darüber hinaus erfolgt eine symptomatische
ben diesen hämodynamischen und klinischen Krite- Therapie mit dem Ziel der Verbesserung der End-
rien bedarf es des Nachweises einer kardialen Dys- organperfusion, der Mikrozirkulation und der zellulä-
funktion sowie des differenzialdiagnostischen Aus- ren Sauerstoffutilisation. Diese umfasst sowohl phar-
schlusses anderer Schockformen. makologische Katecholamine wie Dobutamin (GoR:
B), Noradrenalin (GoR: B) und Adrenalin (GoR: 0),
Pathogenese und Pathophysiologie Vasodilatatoren (GoR: 0), Calcium-Sensitizer (GoR:
Die kardiale Dysfunktion kann durch myokardiale, 0), PDE-3-Hemmer (GoR: 0), Antiarrhythmika und
rhythmologische oder mechanische Ursachen be- andere mehr (Tabelle 1) als auch mechanische
dingt sein (Grafik 1). Bei der myogenen Form steht Kreislaufunterstützung wie die intra-aortale Ballon-
die Herabsetzung der Pumpfunktion durch ein akutes gegenpulsation (GoR: B), chirurgisch und perkutan-
Koronarsyndrom (ACS) an der Spitze der Ursachen. interventionell implantierbare ventrikuläre Unterstüt-
Verschiedene Kardiomyopathien, Myokarditis, Phar- zungsysteme oder die extrakorporale Membranoxy-
makotoxizität oder ein stumpfes Herztrauma sind genierung (ECMO) (37, 38).
weitere Ursachen. Zu den mechanischen Ursachen
gehören fortgeschrittene akute und chronische Herz- Obstruktiver Schock
klappenerkrankungen sowie mechanische Komplika- Der obstruktive Schock ist ein Zustand, der durch die
tionen nach einem Myokardinfarkt oder intrakavitäre Obstruktion großer Gefäße oder des Herzens selbst
Strukturen, die eine Flussbehinderung verursachen verursacht wird. Obwohl er in der Symptomatik dem
(Thromben oder Tumore). Auch tachykarde oder bra- kardiogenen Schock ähnelt, muss er wegen seiner hier-
dykarde Rhythmusstörungen können das klinische von grundsätzlich abweichenden Therapieansätze klar
Bild eines kardiogenen Schocks verursachen. Bei von diesem abgegrenzt werden (39).
durchschnittlich 280 000 Myokardinfarkten und ei-
nem Anteil von 8 % mit kardiogenem Schock ergibt Pathogenese und Pathophysiologie
sich eine Zahl von annähernd 23 000 Patienten/Jahr Zu den Störungen mit diastolischer Füllungsbehinde-
(Tabelle 1). Zu den führenden Symptomen des kar- rungen und Minderung der kardialen Vorlast zählen
diogenen Schocks gehören Agitiertheit, Bewusst- das V. cava-Kompressionssyndrom, der Spannungs-
seinstrübung, kühle Extremitäten und Oligurie. Die pneumothorax, die Perikardtamponade sowie eine
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Weitere Informationen zu cme
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1795–1815. (Heft 41/2018) bis zum 6. 1. 2019
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International Guidelines for Management of Sepsis and Septic Shock: – „Diagnostik und Therapie von Angsterkrankungen“
2016. Intensive Care Med 2017; 43: 302–77. (Heft 37/2018) bis zum 9. 12. 2018
30. Triggiani M, Montagni M, Parente R, Ridolo E: Anaphylaxis and – „Arterielle Hypertonie“
cardiovascular diseases: a dangerous liaison. Curr Opin Allergy Clin
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management of anaphylaxis. S2 guideline. Allergo J Int 2014; 23:
96–112. Fort- und Weiterbildung zertifiziert. Die erworbenen Fortbildungspunkte
32. Pastrana EA, Saavedra FM, Murray G, et al.: Acute adrenal insuffi- können mithilfe der Einheitlichen Fortbildungsnummer (EFN) verwaltet
ciency in cervical spinal cord injury. World Neurosurg 2012; 77: 561–3. werden.
33. Matsumoto T, Okuda S, Haku T, et al.: Neurogenic shock immediately Auf www.aerzteblatt.de („Mein DÄ“) muss hierfür bei der Registrierung
following posterior lumbar interbody fusion. Global Spine J 2015; 5: die EFN hinterlegt oder unter „Meine Daten“ die EFN eingetragen und
e13–e6.
der Ergebnismeldung zugestimmt werden. Die 15-stellige EFN steht auf
34. Summers RL, Baker SD, Sterling SA, et al.: Characterization of the
spectrum of hemodynamic profiles in trauma patients with neurogenic dem Fortbildungsausweis (8027XXXXXXXXXXX).
shock. J Critical Care 2013; 28: 531.e1–531.e5.
Frage Nr. 6
Was kann bei größeren Verbrennungen
in den ersten 24 Stunden einen Anhalt für die benötigte
Volumensubstitution geben?
a) Ficksches Diffusionsgesetz
b) Lambert-Beer-Gesetz
c) modifizierte Brooke-Formel
d) Homa-Index ►Die Teilnahme ist nur im Internet möglich:
e) PROCAM-Score cme.aerzteblatt.de
Zusatzmaterial zu:
eTABELLE 1
Quelle www.awmf.org/leitlinien/awmf-regelwerk/ll-entwicklung/awmf-regelwerk-03-leitlinienentwicklung/
ll-entwicklung-graduierung-der-empfehlungen.html
eTABELLE 2
SOFA (Sequential Organ Failure Assessment)-Score als Grundlage für die Definition der Sepsis entsprechend Konsens
der ESICM (European Society for Intensive Care Medicine).
Punkte
Organ Parameter 1 2 3 4
Lunge PaO2/FiO2 mmHg < 400 < 300 < 200 < 100
mit Beatmung mit Beatmung
*Katecholamindosis niedrig = Dopamin ≤ 5 oder Dubutamin (jede Dosis) für mind. 1 Stunde
mittel = Dopamin > 5 oder Adrenalin/Noradrenalin ≤ 0,1 µg/kg*min
hoch = Dopamin > 15 oder Adrenalin/Noradrenalin > 0,1 µg/kg*min
eGRAFIK
Hypothalamus
afferent efferent
NA
RVL
N. vagus
NTS
Karotissinus
Intermedio-
lateralsäule
Fasern des
Aortenbogen Sympathikus
thorakale Barorezeptoren
„low pressure“- Grenzstrang N. splanchnicus
Rezeptoren minor et major Splachnikus-
Gefäße
vasokonstrik-
torische Fasern
Muskelgefäße