J:isner
Dieydämonische
Leinwand~
Kommunales Kino
Lotte H. Eisner
Die dämonische Leinwand
Überarbeitete, erweiterte und autorisierte Neuauflage
Herausgegeben von
Hilmar HolTmann und Walter Schobert
Kommunales Kino Frankfurt
1. und 2. Tausend Oktober 1975
3. Tausend August 1976
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Vorwort 1975
Als zwanzig Jahre zuvor die erste Auflage dieses Buches erschien, war in
Deutschland noch kaum das Interesse ftir die vergangene Filmkunst rege, im
Gegensatz zu anderen Ländern wie Frankreich, England und Amerika. Man
bevorzugte Filmanekdoten, Filmschmonzetten. Alles schien abgeschnitten
von der Vergangenheit, die schlimmen Jahre hatten die Kultur von einst
hinweggefegt
Daß bei einem solchen Verfahren der Film an sich nicht als losgelöste
Einzelkunst betrachtet werden. kann, liegt bereits auf der Hand: er muß der I
Zeit und der Mentalität einer Nation, aus der heraus er geboren wurde, ver- \
bunden sein und aus diesen Gegebenheiten heraus erklärt werden. Künst-
lerische und literarische Kundgebungen dieser Epoche, ja sogar Probleme
gewisser Geistesrichtungen, die aus früheren Perioden herübergerettet wurden,
werden gleichfalls heranzuziehen sein.
11
fand, also im Grunde nur bis in die Jahre 1925/26 hinein reichte. Über die
Filmgeschichte der Pionierzeit, der Vorkriegsjahre und die des Ersten Welt-
krieges, die von der Verfasserio nicht bewußt genug miterlebt worden ist, wird
ein Berufenerer zu schreiben haben.
Wir feiern in diesem Jahr das sechzigjährige Bestehen des Films. Es ist
müßig, auf den Streit einzugehen, wem und welchem Land der Ruhm gebührt,
den Film ins Leben gerufen zu haben. Edison, Lumi6re, Friese-Greene und
Meßter haben jeder das ihrige dazu beigetragen. Wichtig ist heute vor allem
der Versuch, vergangene und vergessene Epochen der Stummfdmzeit wieder
vor Augen zu fUhren.
Für deutsche Leser ist es wohl kaum notwendig hinzuzufligen, daß der
Ausdruck "dämonisch" - wie ja schon das vorangestellte Ziegler-Zitat zeigt -
im Sinne der Antike und Goethes zu interpretieren ist und keineswegs etwa
diabolisch bedeuten soll. -Die impressionistischen Regie-Tendenzen von Max
Reinhardt und der bereits schon vor dem Ersten Weltkrieg rücksichtslos
durchbrechende Expressionismus scheinen mir die beiden Einwirkungen zu
sein, die seinerzeit der deutschen Filmkunst zu einer nie wieder erreichten
Blüte verholfen haben.
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I.
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Die Prädisposition zum Expressionismus I'
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Die Deutschen sind übrigens wunderliche ~
Leute!- Sie machen sich durch ihre tiefen Ge-
danken und Ideen, die sie überall suchen und
überall hineinlegen, das Leben schwerer als
billig. Ei! So habt doch endlich einmal Courage,
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Euch den Eindrücken hinzugeben ... , aber i'
denkt nur nicht immer, es wäre alles eitel, wenn
es nicht irgend abstrakter Gedanke und Idee
wäre . .. Es war im ganzen nicht meine Art, als
Poet nach Verkörperung von etwas Abstraktem
I
zu streben. Ich empfing in meinem Innem Ein- I,,
drücke, und zwar Eindrücke sinnlicher, lebens-
voller, lieblicher, bunter, hunderifältiger Art . ..
13
Jene schweren Jahre nach dem Ersten Weltkrieg bedeuten in Deutschland
eine besonders seltsame Epoche. Die Mentalität vieler Deutscher erholt sich
nur mühsam von dem Schock, imperialistische Träume zertrümmert zu sehen.
Und die radikalsten unter den Deutschen versuchen, durch eine revolutionäre
Bewegung wieder Boden unter den Füßen zu gewinnen, aber die Revolution
wird im Keim erstickt Eine fiebernde Unrast kommt zu ihrem Paroxysmus, "~ ·;
als die Inflation alle Wertbegriffe erschüttert!"die den Deutschen eingeborene
Zerrissenheit steigert sich ins Unmäßige.
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Mystizismus und Magie sind jene dunklen, dumpfen Kräfte, denen sich
die deutsche Seele gern hingegeben hat. Die ewige Verlockung zur Grübelei
führt zu der apokalyptischen DS>~trin des Expressionismus. Das Elend, die
ständige Sorge um ein ungewisses Morgen haben dazu beigetragen, daß die
deutschen Künstler jetzt diesem Stil mit Leib/und Seele verfallen. Denn der I;
Expressionismus, der schon seit 1910 ungefähr bestrebt war, alle bi$her gültigen .
Kunstprinzipien hinwegzufegen, konnte ihnen dank der Vehemehz seiner
kategory~~h,~stellten Forderungen wenigstens die Möglichkeit einer intellek-
tuellen Revolte bieten.
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L.-
Bei erster Sicht scheint der EXpressionismus mit seinem Te~ll"mmstil, ..,
seinen Exklatn!lF.ionen, die an jene der Sturm- und Drang-Epoche (1) ge-
mahnen, mit seihen explosi~~ kurzen Sitzen, in denen die heilige alte
Ordnung der Syntax umgepffügt worden ist, die umständliche Ausdrucks-
weise der Deutschen vereinfacht, das Dickicht eingeschachtelter Nebensätze
ausgerodet zu haben. Aber diese Klarheit ist nur scheinbar, täuscht, ist voller
Fallstricke. Die metaphysische Bedeutung der Worte ist aufgeb~t; !Pl-·
kürlieh aneinandergekettete kühne Wortbildungen, mystische ~egöB~n,'aie
aller Logik bar sind, verwirren. Beschwert von SyiDbol~ un'aMftiiph:em
bleibt die Sprache absichtlich dunkel, damit nur Bingeweihte ihren tieferen
Sinn erfassen können. ,- .. ·. , ' Jt • .J. •\' I ')'!'•l. J_,.
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Der Mensch, so proklamiert Edschmid, gibt sich der Schöpfung hin, von
der er nicht ein Stück ist, sondern die sich in ihm schaukelt, wie er sie wider-
spiegelt. Sein Dasein, sein Erleben haben Teil an dem großen Dasein des
Himmels und der Erde; sein Herz, verschwistert allem Geschehen, schlägt
im gleichen Rhythmus wie die Welt. Sein Leben reguliert sich ohne kleinliche
Logik, ohne Folgerung beschämender Moral und Kausalität lediglich nach
dem ungeheuren Gradmesser seines Gefühls; er ist dem Kosmos verstrickt;
er denkt nicht über sich nach, er erlebt sich. .,·~::;., ._
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(I) und weitere Ziffern s. Anhang Seite 3H f.
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In dieser großen Verwirrung der Gefühle wird daher die Psychologie,
die gefügige Dienstmagd des Naturalismus, genau wie die "falsche Realität"
der Natur völlig abgelehnt. Alle Anschauungen und Gesetze einer konfor-
mistischen Gesellschaftsordnung werden verdammt und mit ihnen alle jene
Tragödien, die auf "lächerlichem sozialem Ehrgeiz" beruhen.
Hier ist noch etwas über den so oft von den Dogmatikern des Expressio-
nismus gebrauchten Begriff der "Abstraktion" zu sagen. In seiner 1907 ver-
öffentlichten Doktor-These "Abstraktion und Einftihlung" nimmt Wilhelm
Worringer, ein Kunsthistoriker, der fast so mystisch dunkel wie Oswald Speng-
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ler schreibt, viele Formulierungen des Expressionismus vorweg; dies ist der
Beweis, wie sehr allejene ästhetischen Axiome der deutschen Weltanschauung 1.!
nahestehen.
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zwischen sich und der Natur"; darum erstrebt er eine abstrakte Kunst Das
Ausdrucksbedürfnis disharmonischer Völker braucht jenes unheimliche
Pathos, das der Verlebendigung des Anorganischen anhaftet Der Mittelmeer-
Mensch wird in seiner vollkommenen Harmonie niemals ,.die Ekstase der
expressiven Abstraktion" empfmden können.
Hier haben wir bereits jene paradoxe, hyb1/a~ Formulierung, die Ab-
straktion und intensive Expression zu verbinden sucht, hier fmden wir den
Schlüssel zur expressionistischen Weltanschauung und zu ihrem chaotischen
Mystizismus.
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Die Geburt der expressionistischen Filmkunst 'I
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,.Das Kabinett des Dr. Caligari" (1919)- ,.Genuine~ (1920) I
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21
gestaltung des Filmdekors zu gewinnen. Kubin bitte sicherlich Filmbilder in
Goya-Art erstehen lassen, und der expressionistische Film in Deutschland
wäre wahrscheinlich jener gefährlichen Abgrilndiskeit abstrakter Gestaltung
entgangen und auf anderem Wege zu der gleichen ihm heute innewohnenden
halluzinierenden Eindringlichkeit gelangt Kubin stammte wie Janowitz aus
Prag, der mysteriösen Golemstadt, in der damals noch das Mittelalter durch
die engen Gassen des Ghettos geisterte. Und wie .Janowitz kannte er das
Grauen einer unheimlichen Zwischenwelt In einer autobiographischen
Skizze, die im Jahre 1921 im "Ararat" veröffentlichtwurde, weiß Kubin zu
berichten, wie er ziellos durch dunkle Straßen irrt, geradezu genotzüchtigt
von einer dumpfen Kraft, die seltsame Tiere, Häuser, Landschaften, groteske
und furchtbare Situationen vor seinem Geist hinzaubert Wie einst die
Romantiker, fühlt er sich in dieser verwunschenen Welt unbeschreiblich wohl
und gehoben. Er betritt einen kleinen Teesalon; gleich beim Eintritt erscheint
es ihm, als seien die Kellnerinnen Wachspuppen und wie von einem rätsel-
haften Mechanismus angetrieben. Ihm ist, als habe er die wenigen Gäste,
die ihm wie unwirkliche Schattenwesen vorkommen, bei satanischen Ge·
schäften überrascht. Doch ist es vor allem der Hintergrund des Teesalons
mit seiner Spielorgel und seinem bürgerlichen Büfett, der ihm verdächtig
vorkommt: das ganze erscheint ihm wie eine Attrappe, die wohl das eigent·
liche Geheimnis - vermutlich eine trüb erleuchtete, blutige Höhle - ver-
bergen soll. Alle diese Vorstellungen wechseln und wandeln sich fortwährend
wie etwa die ineinandergleitenden Visionen bei Novalis, Schlegel oder Jean
Paul; er versucht sie mit dem Zeichenstift festzuhalten.
Liest man diese Zeilen, so bedauert man, daß es Kubin, dem dämonischen
Schöpfer lebensumwitterter Nachtmären, nicht vergönnt war, die Dekors
für CALIGARI zu ersinnen. Immerhin sind die eindrucksvollen expressio-
nistischen Dekors für den Stil dieses Films, dem bereits Carl Mayers Kunst
das Gepräge des Außerordentlichen gegeben hatte, bestimmend geworden -,
und zwar weit mehr als die Regie von Robert Wiene!
Der praktische, nur der Realität zugeneigte Pommer berichtet, daß er,
während Mayer und Janowitz ihm von Kunst sprachen, das Filmmanuskript
unter einem völlig anderen Gesichtspunkt sah. "Jene beiden", schreibt er,
.. wollten Experimente, ich indes erkannte, daß ein verhältnismäßig billiger
Film herzustellen war."
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---~ --------
•
Hier muß einmal auf die überragende Rolle der deutschen Filmarchitekten
hingewiesen werden. Schon vor CALIGARI sind Dekors gebaut worden, .
die bereits stimmungsmäßig die Einstellungen vorbereiteten. So etwa das
Arbeitskabinett im STUDENT VON PRAG aus dem Jahre 1913, dem die
Entwürfe von Klaus Richter ein romantisches Helldunkel verliehen haben.
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Vor allem seit CALIGARI haben die deutschen Fllmarchitekten bei
ihren Entwürfen den Darsteller in das GesamtbUd eingeordnet Jeder Entwurf
entspricht bereits der Kamera-Einstellung. Ein nicht allzu bedeutender Regis-
seur wie Robert Wiene konnte sich also an die Entwürfe seiner Film-
architekten halten.
Anders liegt der Fall bei einem so eigenwilligen und bedeutenden Regis-
seur wie Fritz Lang. Auch Otto Huntes und Erich Kettelhuts Entwürfe flir
DIE NIBELUNGEN zeigen, wie jeder Darsteller bereits in die Architektur
eingepaßt worden ist. Aber hier hat Lang drei bis vier Wochen vor Dreh-
beginn in Regiesitzungen, die von morgens bis in die Nacht hinein dauerten,
mit seinem technischen Stab (vom ersten Kameramann und ersten Film-
architekten bis zum letzten Beleuchter) alles genau besprochen und fest-
gelegt. Mumau ließ seinen großen Filmarchitekten Robert Herlth von den
Figuren ausgehen, das heißt, den Vorgang einer Szene zeichnen, und von
hier aus entwickelte sich für ihn der Raum.
•
Man hat oft von dem CALIGARI-Dekor geschrieben, er sei zu flach;
nichtsdestoweniger ist ihm eine gewisse Tiefenwirkung eigen, die ihm die
absichtsvoll verzerrte falsche Perspektive seiner schräg einmündenden, sich
in brüsken Winkeln schneidenden Gassen verleiht Mitunter wird diese
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Tiefenwirkung durch eine sich in ihre Schräge einspannende Hintergrund-
leinwand verstärkt, auf der Wellenlinien die Verlängerung der Gassen dar-
stellen. Diese fast dem Zufall überlassene Plastik wird noch verstärkt durch
die baufallig sich vomeigenden Kubenhäuser.
Aber diese Kurven und diese schrägen Linien haben eine tiefere Be-
deutung: Bei Einn.ihlung in Formen, so erklärt Rudolr Kurtz in seinem
Buch "Expressionismus und Film" im Jahre 1926, entstehen entsprechende
Strebungen in der Seele. Eine gerade Linie führt das Gefühl anders als schräge;
verblüffende Kurven, das Rapide, Abgehackte, jäh Auf- und Absteigende
rufen andere seelische Antworten hervor als eine Architektur mit reichen
Übergängen.
Kurtz hat das Wesentliche erkannt: hier sollen die Schrägen die Unruhe,
das Grauen, das sich dem Zuschauer mitteilt, verstärken; die Variation von
Einstellungen bleibt etwas vollkommen Sekundäres. In CALIGARI wird die I~
"latente Physiognomie" einer kleinen alten Stadt mit ihren gewundenen dunk-
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len Gassen, wo die vorgeneigten, vom Alter zerfressenen Hausfassaden das
Tageslicht nicht eindringen lassen, äußerst glücklich zum Ausdruck gebracht.
Keilförmige Türen mit schattenschweren Eingängen, schräge Fenster mit
verquollenem Rahmenwerk scheinen die Mauern zu zernagen. Wie Kabba-
listenzeichen ziehen sich Zickzacklinien, Dreiecksformen, schwarze Kreise
als grob angedeutetes Pflaster über den Boden hin, dunkle Rhomboide an den ,,
Hausrändern stellen gemalte Schlagschatten dar, weiße Sternen- und Blüten- !~
muster versinnbildlichen die gleichfalls nur aufgemalten Lichtreflexe ver-
bogener Straßenlaternen. Wie ein Alpdrucktraum verdichten sich überall
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Schrecken, Grauen vor künftigen Geschehnissen. i,l
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Die vorfallenden Häuser, die roh skizzierte Form eines Brunnens an einem 1 !I
Gassenwinkel vibrieren von innerem Leben. "Der Urweltcharakter alles Ge-
räts und aller Behelfe ist erwacht", schreibt Kurtz. (Wir erkennen hier jenes
"unheimliche Pathos", das, wie Warringer erklärt, der Verlebendigung des
Anorganischen anhaftet.)
Dieser Eindruck wird nicht nur dank der seltsamen Gabe, die dem
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Deutschen eigen ist, Objekte zu beleben, hervoraerufen. In der normalen
Syntax der deutschen Sprache haben die Objekte ja bereits völlig ein Eigen-
leben: man bedient sich bei ihnen der gleichen Adjektive wie fiir lebende
Wesen, man verleiht ihnen damit auch dieselben Eigenschaften. Schon lange
vor der expressionistischen Stilepoche ist dieser Anthropomorphismus äußerst
entwickelt gewesen, spricht ja Friedrich Theodor Vischer in seinem 1879
erschienenen Buch .,Auch einer" von der .,Tücke des Objekts". Jene Kragen-
knöpfe zum Beispiel, die voll Hinterlist unseren Fingern entgleiten, sich mit
Absicht unter die Kommode rollen, unsern Fortgang verspäten und uns so
um die Karriere bringen, sind zudem auch der verhexten Welt schadenfroher,
arglistiger Objekte E. T. A. Hoffmanns verwandt, wo sich dem Studenten
Anselm Rockschöße und Türklopfer in den Weg zu stellen wissen.
So kommt es, daß sich die Straße fUr die Autoren deutscher Sprache oft
teunisch gebärdet: in Gustav Meyrinks "Golem" sind die Häuser des gespen-
stigen Prager Ghettos, die wie Unkraut hervorwachsen und dem Zufall
überlassen werden, von einem perfiden, feindseligen Leben erfiillt, wenn an
Herbstabenden der Nebel sich senkt und ihr kaum wahrnehmbares Mienen-
spiel verschleiert. Sie verstehen es, am Tage sich ihres Lebens und ihrer
Gefühle zu entäußern, sie borgen sie alsdann den Einwohnern, jenen rätsel-
haften schattengleichen Geschöpfen, die ein magnetischer Strom nur schwach
anzutreiben scheint. Aber des Nachts heimsen sie ihr Leben mit Wucher-
zinsen von diesen unwirklichen Kreaturen wieder ein: die Türen werden
giihnende. schreiende Rachen, die Hausgesichter verziehen sich in tückisch-
ster Boshaftigkeit, lauem wie Raubtiere.
Wir dürfen die Macht der Abstraktion, die sich der expressionistischen
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Vision zugesellt, nicht unterschätzen. Mit Hilfe einer schöpferisch vor-
gehenden, auswählenden Verzerrung, so etwa erklärt Georg Marzynski in
seiner "Methode des Expressionismus" vom Jahre 1921, verfügt der expressio-
nistische Künstler über die Möglichkeit, psychische Komplexe in all ihrer
Eindringlichkeit zu gestalten. Indem er diese in den Vordergrund gerückten
Komplexe mit optischen verbindet, kann er das innere Leben eines Objekts,
den Ausdruck seiner "Seele" wiedergeben. Die Expressionisten arbeiten
lediglich mit Vorstellungsbildern und gelangen so völlig von selbst zu jenen
schrägen, statisch unmöglichen Wänden. "Es ist nämlich gerade ein Charak-
teristikum von Vorstellungsbildern, die Dinge so wiederzugeben, als seien sie
schräg von oben $esehen; denn bei dieser Sehrichtung fällt ein großer Teil
der verwirrenden Überschneidungen fort, der beim Blick von vorn die Über-
sichtlichkeit und gegenständliche Klarheit des Bildes beeinträchtigen würde."
•
Der Dekor diktiert gleichsam eine Stilisierung des Spiels der Darsteller.
Aber Werner Krauss, der diabolische Dr. Caligari, und Conrad Veidt in der
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Rolle des unheimlichen Somnambulen sind die einzigen, die sich der Abstrak-
tion und Verzerrung des Dekors durch die Konzentration ihrer Physiognomie,
durch die Verhaltenheit ihres Körperausdrucks anzupassen verstehen. Sie ver-
einfachen die Mimik, verdichten ihre Gesten zu fast linearen, mathematisch
abstrakten Bewegungen, die in der Fläche bleiben und die trotz einiger, wie
Kurtz sagt, "verfänglicher Kurven" brüsk erscheinen wie die gebrochenen
Winkel des Dekors.
Schon von vornherein übrigens entsprechen die Rollen des Doktor Cali-
gari und des Cesare einer expressionistischen Vorstellungswelt: der Somnam-
bule. der seiner Alltagsumgebung entrückt, der jeglicher Individualität, jeder
persönlichen Initiative beraubt ist, tötet ohne jedes Motiv, ohne Logik, ist
somit eine psychologisch undeutbare,abstrakte Kreatur. Während sein Meister,
der mysteriöse Doktor, völlig skrupellos mit jener gewalttätigen Gefiihl-
losigkcit, mit jener Verachtung einer konventionellen Moral agiert, die von
den Expressionisten als Hochleistung proklamiert wird.
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Wiene begriff die Unzulänglichkeit des Dekors von GENUINE: flir seinen
RASKOLNIKOW holte er sich einen Architekten besonderer Qualität -
Andrej Andrejew. Dank Andrejews Dekors bringt Wiene Bildwirkungen
zuwege, die aus dem zwangsschweren Universum Dostojewskis aufzusteigen
scheinen und denen eine seltsam dumpfe Halluzination entströmt. Oft ist die
Verzerrung seiner Dachstuben nur durch die natürliche VerwinkeJung alters-
schwachen Gemäuers bedingt; in anderen Fällen wiederum vermittelt ein
schon in den Entwürfen angegebenes strömendes Helldunkel zwischen über-
gangslosen Dreiecken und Rhomben, bis es ihnen sogar die abstrakte Zer-
stückelung nimmt. Eine schiefe Stiege mit ihren zerrissenen Latten, ihrem
schartigen Geländer erinnert bereits an jene unheimliche, gleichfalls von
Andrejew entworfene Treppe voll ausgezackter Schatten in dem Pabst-Film
DIE BÜCHSE DER PANDORA, wo Lulu den unseligen Jack den Bauch-
aufschiitzer zu ihrem und seinem Verderben die Stufen hinauflockt
Kobe läßt den jungen Liebhaber ähnlich wie den Cesare in CALIGARI
nachtwandlerisch willenlos einhertappen. Indes bleibt die expressionistische
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Haltung der Darsteller lediglich Beiwerk und bedeutet im Grunde nicht mehr
als jener überhohe Zylinderhut aus CALIGARI, der auch in TORGUS auf-
taucht. Nie wieder wird in einem der expressionistischen Filme die Einheit
zwischen Dekor, Spiel und Kostümwirkung erreicht, die in CALIGARI bei
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Krauss und Veidt zu finden war. Dies ist vielleicht besonders in Fritz Wend-
hausens Film DER STEINERNE REITER. (1923) zu spüren; hier steht
der von Wemdorff geschaffene expressionistische Dekor in einem abstrusen
Widerspruch zu dem naturalistischen Körpergebaren der Darsteller.
•
In CALIGARI war die Verzerruna als Vorstellunaswelt im Hirn eines
Irren gerechtfertigt. In VON MORGENS BIS MITfERNACHT ist der
Standpunkt ein wesentlich anderer; Objekte und Personen sind so gesehen,
wie sie der Kassierer, den ein Zufall seiner ehrlichen Alltagswelt entrissen hat,
wahrnimmt. Formen, die für seine getrübte Bewußtseinswelt von Bedeutuna
werden, sind gigantisch groß, sie sind, wie die Expressionisten es fordern,
aus allen Beziehungen mit anderen Objekten und Personen herausgerissen
und haben jegliche logischen Beziehungen und Proportionen, die sie einst
ihrer Umgebung einbanden, verloren. Andere, filr den Kassierer unwesentlich
gewordene Objekte verschwimmen, verkleinem sich in übertriebenem Maße.
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Indes ist es vor allem Pabst gewesen, der sich in einem Film aller jener
Errungenschaften bemächtigt hat, die ihm der Expressionismus als Erbe bot.
In den GEHEIMNISSEN EINER SEELE sucht er das traditionelle Verfahren
zu transponieren. Neben süßlich anmutenden Traumvisionen im Öldruckstil
und anderen, in denen ein neutraler weißer Hintergrund wie im .,absoluten
Film" die Realität mit ihren Beziehungen aufhebt, neben den Simultan-
eindrücke wiedergebenden Einblendungen, Überblendungen, wie sie fran-
zösische Avantgardisten verwerten, verwendet Pabst Visionen, die ihm allein
der deutsche Expressionismus vermitteln konnte. Er hat hier die Möglichkeit
gefunden, Personen und Objekten ein leuchtendes Relief, eine Art von Aura,
phosphoreszierende Konturen zu geben, architektonische Perspektiven zu
verzerren, ihre Proportionen zu übersteigern und sie so zu den seltsamsten
Gebilden umzuformen.
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DER STUDENT VON PRAG von Stellan Rye mit Paul Wegener
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DER STUDENT VON PRAG von Stellan Rye mit Poul Wegener
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RASKOLNIKOW von Wiene
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CALIGARI von Robert Wiene
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CALIGARI von Robert Wiene
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LANDRU, DER BLAUBART VON PARIS von Hans Otto Löwenstein
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RASKOLNIKOW von Robert Wiene
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RASKOLNIKOW
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Wir pflegen das berühmte Helldunkel des deutschen Films als ein wesent-
liches Attribut des Expressionismus anzusehen; man glaubt allgemein, seit
Kracauer darauf hingewiesen hat, daß dies Helldunkel auf die 1917 bei Rein-
hardt erfolgte Aufflihrung eines expressionistischen Dramas, auf den "Bettler"
von Reinhard Sorge, zurückzuführen ist.
Hier fanden sich der Kontrast, der Zusammenprall von Licht und Schatten
und jene plötzliche Ausleuchtung einer Person, eines Objekts, um die Auf-
merksamkeit des Zuschauers auf sie zu konzentrieren, während zur gleichen
Zeit alle anderen Personen oder Objekte in ein abgrundtiefes Dunkel getaucht
schienen. Dies bedeutete die visuelle Übertragung des expressionistischen
Axioms, das vorschrieb, im Chaos des Universums nur ein Ding zu fixieren
und es seinen vermittelnden Beziehungen zu anderen Objekten zu entreißen.
Hier gab es auchjene phosphoreszierende Aura,jene Gloriole, die den Kon-
turen eines Kopfes folgte, ihn plastisch aus dem Dunkel herausholte, oder
jene harten Strahlenbündel, die den weißen Fleck eines Gesichts wie einen
Schrei herausprallen ließen.
Max Reinhardt, der große Impressionist, hatte für den "Bettler" eine
streng expressionistische Aufrührung zuwege gebracht, um den symbolischen
Gehalt des Expressionistendramas auszuschöpfen. Es war indes nicht das
erstemal, daß er sich der suggestiven Magie der Beleuchtungen bediente.
Ihm hatte es stets gefallen, mannigfaltigste Formen durch ein warmes Leuch-
ten, das von einer unsichtbaren Lichtquelle flutete, zu modellieren, diese
Lichtquellen zu vervielfältigen, Oberflächen durch samtene Schattengebung
auszuhöhlen oder zu verwischen, das alles, um jeglichen Verismus und Natura-
lismus, die einer vorangegangenen Generation als höchste Kunst erschienen
waren, zu bekämpfen.
A'7
In den letzten Kriegsjahren, 1917/18, war Max Reinhardt, dem die Kritik
so oft seinen Hang für allzu reichen Dekor vorgeworfen hatte, aus Material-
und Geldmangel gezwungen, auf allen Prunk der Ausstattung zu verzichten;
er ließ jetzt oft sämtliche Szenen eines Stücks, die an verschiedenen Orten
abrollten, zwischen zwei ungeheuren Säulen spielen. Licht und Dunkel be-
kamen von nun an eine neue Bedeutung, sie mußten den einst verschieden-
artigen Dekor ersetzen, eine einzige, nur gerade angedeutete Architektur
beleben und wandeln. Wechselnde Beleuchtungen kreuzten sich, stießen auf-
einander, sie waren die alleinige Möglichkeit, die Mittelmäßigkeit von Ersatz-
material und -stoffen zu verschleiern und den Forderungen eirter bewegten
Handlung gemäß die Atmosphäre zu intensivieren. Oft tauchte eine kurze,
heftig geführte Szene leuchtend aus einem gähnenden Dunkel auf, und dieses
Intermezzo wurde im gewollten Moment wieder von einer erbarmungslosen
Nacht verschluckt, während im Augenblick danach Licht auf eine andere
Szene grellte. Diesen plötzlichen Wechsel von Hell und Dunkel ermöglichte
die Drehbühne des Deutschen Theaters oder die sich weit hinstreckende
Arena des Großen Schauspielhauses. Reinhardt fand hier zugleich eine neue
Art, die Darsteller zu gruppieren, ihre ganze Plastik durch den Kontrast
zwischen Licht und Dunkel herauszuholen. Eine Menge erscheint im Geheim-
nis der Schatten viel dichter. Solche Ausleuchtungen konnten die tragische
Spannung einer Szene, den pathetischen Gehalt der Handlung intensivieren,
eine Stimmung ausschöpfen, Atmosphäre geben; sie konnten gleichzeitig
auch das saftig Burleske einer commedia dell' arte funkelnd und glitzernd
unterstützen.
Daß dies der Fall gewesen ist, zeigen am besten die HOMUNCULUS-
Filmepisoden, die vor der Reinhardt-Aufflihrung vom "Bettler" gedreht
worden waren. In diesen Filmen finden wir bereits alle Kontrastierungen
von Hell und Dunkel, den Schock des Lichts mit den Schatten sowie alle
klassisch gewordenen Elemente des künstlerischen deutschen Films von dem
MÜDEN TOD bis METROPOLIS.
•
In seinem "Untergang des Abendlandes", einem Werk, das so charakte-
ristisch flir die damalige deutsche Weltanschauung gewesen ist, preist Oswa1d
Spengler das Nebelhafte, das geheimnisvolle Helldunkel, das Kolossale und
die grenzenlose Einsamkeit des faustischen Menschen. Der unermeßliche
Raum, den die nordische Seele kennt, ist niemals klar, niemals hell, düstere
Dämpfe durchströmen ihn. Germanias Walhall, das Symbol grenzenloser
Einsamkeit, ist nebelgrau, ungesellige Heroen, feindliche Götter hausen hier.
Wie späterhin Hitler, hat S12-eng]er deshalb eine Vorliebe für die braune
Farbe - "das Atelierbraun Rembrand"ts". Dieses Braun, eine "protestantische
Farbe" par excellence, fehlt am Regenbogen, ist daher die irrealste aller
Farben, wird die der Seele, wird das Emblem des Transzendentalen, des Un-
endlichen, des Raumhaften. Die Neigung zum Bräunlichen und daher zu dem
Schattenhaften ist auf Julius Langbehns berühmtes Buch "Rembrandt als
Erzieher", das 1890 veröffentlicht wurde und unzählige Auflagen erlebt hat,
zurückzuführen. Langbehn sieht bekanntlich in Rembrandt den typischen
Vertreter des authentischen Ariers, der den "helldunklen Charakter der Nieder-
deutschen" aufweist. Wie alle Deutschen, so behauptet Langbehn, sucht
Rembrandt das Melancholische, die dunkle Seite des Daseins, die Dämmer-
stunde, in der das Dunkle noch dunkler erscheint und das Helle noch heller. /
Das Helldunkel ist für ihn die typische deutsche Farbe, weil der Deutsche
zugleich hart und zart sei !
Liest man gewisse Sätze bei Jean Paul, so kommt es uns oft vor, als rolle
vor unseren Augen ein klassiscner deutscher Film ab. Er spricht zum Beispiel
in seinem 1802 veröffentlichten "Titan" von einem "helldunklen Zimmer", in
dem die Seele erschauert, weil ein Sonnenstrahl durch das hohe Fenster
herabbrennt und weil ein beseelter Staub, der Form zu nehmen scheint, in
ihm spielt.
Ist das Helldunkel unser Element, ist der Schatten die Heimat unserer
Seele? - so fragt sich Hölderlin, und ~flüchtet sich in den dunklen
Schoß der Nacht, weitab vom "armen und törichten Licht".
Wir finden jene gleiche hybride Sehnsucht nach dem Dunkel bei Zara-
thustra. "Licht bin ich: ach, daß ich Nacht wäre! Ach, daß ich dunkel wäre
und nächtig! Wie wollte ich an den Brüsten des Lichts saugen!"
Spengler, der große Theoretiker des Mystizismus, hat den Versuch unter-
nommen, die Beweggründe für diese Vorliebe aufzudecken. Das Tageslicht
legt dem Auge Grenzen auf, so erklärt er, schaffi körperliche Objekte, die
· Nacht jedoch löst das Körperliche auf, wie der Tag das Seelische auflöst
In diesem Sinne scheint ihm die Dunkelheit ein typisch gennanisches Erbteil
zu sein: schon die Edda trägt Spurenjener Mittemächte in sich, in denen Faust
in seiner Studierstube grübelt.
Die faustische Seele des nordischen Menschen gibt sich also den nebel-
haften Weiten hin, während Reinhardts "magische orientalische Seele" seine
Welt mit Hilfe des Lichts zu schaffen weiß und sich des Dunkels nur gleichsam
als eines Hintergrunds bedient.
*
Sieht man heute den ersten STUDENT VON PRAG wieder, den Stellan
Rye, der dänische Filmregisseur, mit Paul W~en~ in der Hauptrolle gedreht
hat, so mag man ein wenig enttäuscht sein. rotz mancher Unbeholfenheit
birgt jedoch dieser Film bereits viele jener Elemente, für die der deutsche Film
berühmt werden sollte. Man denke an die Beleuchtungseffekte der Kerzen,
an das romantische HeUdunkel in jener Szene, in der Scapinelli, der geheimnis-
voUe Böse, im Arbeitszimmer des Studenten auftaucht
Zuweilen wird auch der natürliche Dekor für die Stimmung ausgewertet.
Auf der Schloß-Terrasse werfen Säulen schwere Schatten. Und auf dem alten
Judenfriedhof von Prag ragen unheimlich die verwitterten mittelalterlichen
Grabsteine auf.
Noch ist dies für Wegener als Filmschauspieler nur ein Auftakt. Er mußte
sich erst auf der Leinwand sehen, um zu begreifen, daß für ihn, den Theater-
darsteUer, der Film eine grundlegende Umstellung bedeutete. Schon seine
RoHe im ersten GOLEM von 1914 zeigt, wie er zur Konzentration, zu spar-
samen Gesten, zur vereinfachten Mimik gelangt ist.
In diesem zweiten GOLEM wertet Wegener alle Lichteffekte aus, die von
Reinhardt stammen. Sterne glitzern auf einem Samthimmel, vom Herd des
Alchimisten lodert die Lohe, in einem Winkel wird Miriams Gestalt von der
kleinen Ölfunzel beleuchtet, ein Diener hält eine Laterne hoch, Fackeln
flackern durch die Nacht, und in der Synagoge sind die Flammen des sieberi-
armigen heiligen Leuchters angezündet, ihr Licht huscht über die nieder-
gesunkenen Beter. Weich verschwimmen alle diese Lichtwirkungen, ohne
jene Kontraste und ohne den Schock, die der expressionistische Stil mit sich
bringt. Ein Rembrandt-warmes Leuchten modelliert die rissigen Züge des
alten Rabbiners, das Gitter eines Fensters zeichnet sich als Schatten auf ein
Gewand. Die Beschwörungsszene mit ihren magischen Feuerkreisen, die
stärker wirkt als die ähnliche Szene in Mumaus FAUST, ist völlig auf Licht-
effekte eingestellt. Das phosphoreszierende Antlitz des Dämonen mit den
traurig leeren Augen fließt wie im Nichts daher, wird plötzlich an dem Rand
der Leinwand zu einer gigantischen Asiatenmaske, zu einer packenden
Drohung - die Macht der Vision ist hier bis zum Äußersten gesteigert.
Paul Wegener hat sich stets dagegen gewehrt, seinen GOLEM als ex-
pressionistischen Film gelten zu lassen. Wenn der GOLEM uns heute als
expressionistischer Film erscheint, so liegt dies in der Hauptsache an Hans
Poelzigs Bauten.
Poelzigs Golemstadt, so schreibt Kurtz, hat von dem Aspekt einer mittel-
alterlichen Siedlung nichts und von einem gotischen Traum alles. Kurtz sieht
in Poelzigs Schöpfungen eine "rhythmisch gefühlte Architektur", ein starkes
architektonisches Bewußtsein von Kräftespannung und Gebundenheit, teils
im Sinne des gotischen, teils in dem des expressionistischen Stils.
Was indes läßt jene Häuser, deren gotische Vertikalen Kurtz richtig
empfunden hat, sich so stark von den vom überfallenden schiefen Kuben-
häusern CALIGARIS unterscheiden? Es ist die wirkliche Form von steilen,
engen Giebelhäusern, die durchdringt; auf einem spärlichen, durch Mauem
eingezwängten Raum erhebt sich ein qualvoll gedrängtes Ghetto, in dem
Haus neben Haus keinen Platz hat, sich auszubreiten, und in die Höhe steilen
muß. Hier sind die expressionistisch empfundenen Bauten nicht zum ab-
strakten Dekor geworden. Die spitzen Judenhüte scheinen die Replik zu
den spitzen Giebeln zu sein, alles wird fast Greco-haft zackig, zackig wirken
die Spitzbärte, die im Winde wehen, zackig die flackernden Gesten, die in
die Höhe gereckten Hände. Die fiebernde Unruhe dieser Ghetto-Menge, ihr
Hin- und Herwogen in ewigem Schrecken hat nichts gemein mit dem ge-
schickten Mechanismus, mit dem Lubitsch eine Menge vor- und zurücktreibt.
Hier ist auch nichts von dem wohlgeordneten Vordringen in geometrisch-
architektonisch eingebundenen Gruppen zu finden, wie sie Fritz Lang zu
lenken weiß. Wegener sucht im Grunde keine omamentale Einordnung.
Wenn einmal in einer Einstellung die von oben aufgenommene Masse sich
dekorativ um die Thora-Lade einfügt, wenn sich zu beiden Seiten dieser
Lade die Schofarhörner der Synagoge erheben, so ist dieser sich zum Orna-
ment gestaltende Anblick, gerade weil er einmalig erscheint und organisch
aus der Aktion selbst herauswächst, von besonderer Wirkung. Ähnlich ist
es am Schluß des Films, wenn die vom Golem befreiten Bewohner sieh als
eine fast unabsehbare Menschenschlange aus der engen, langen Ghettostraße
zum Tor vordrängen; auch hier wieder sind Bewegung und die gebundene
Form der Masse aus der Handlung heraus entwickelt
I
*
I
Artbur von Gerlachs ZUR CHRONIK VON GRIESHUUS ist in einer
gewissen Beziehung dem GOLEM verwandt. Auch hier schimmert etwas von
I
dem Balladenton durch, der Wegencrs frühe Filme erfllJlt Der GRIESHUUS-
I Film zeigt in seinen Interieurszenen zudem auch jenes verwebende Schim-
mern des Lichts, jenes weich flimmernde Leuchten, das dem GOLEM eigen
I
ist und das wir in Murnaus FAUST wiederfinden werden.
·---~· ....... .
I
I
Erinnert uns die CHRONIK VON GRIESHUUS weiterhin so sehr an
einen schwedischen Film, weil Gerlach ein typisch nordisches Sujet von dem
I aus Schleswig stammenden Dichter Theodor Storm gewählt hat? Sind es die
I
Außenaufnahmen, der Sinn für Naturlandschaften, die diesen Film, wie etwa
auch Murnaus NOSFERATU, von anderen nur im Atelier gedrehten
I
deutschen Filmen unterscheiden? In der CHRONIK VON GRIESHUUS
I ist die Lüneburger Heide mit ihren düsteren, mageren Hängen, dem vom
Sturm zerrissenen Gesträuch zum Rahmen einer Geschichte von Bruderhaß,
Brudermord, unseliger Liebe und qualvoller Sühne geworden. Gegen einen
blassen Himmel erheben sich wie riesenhafte Fresken Reiter auf ihren ge-
bäumten Rossen, die faltenreichen Mäntel blähen sich im Wind, grausam-
wilde Leidenschaften gesellen sich dem Sturm zu. Und selbst das auf dem
Neubabelsberger Gelände aufgebaute expressionistisch verbeulte, verquollene
,...,
(von Robert Herlth meisterhaft entworfene) Heideschloß wird in diesem
FD~· der so voll der Poesie des schwedischen Pleinairs ~!,'i'~~e. r ..
tssonanz. · · .· · ··· ·· ·
. ·.
Mitunter mag es wundernehmen, daß die "nordische Invasion", ·das
Arbeiten so vieler Filmregisseure und Schauspieler aus Skandinavien in den
deutschen Ateliers, im Grunde nicht mehr Einfluß auf den deutschen Film
gehabt hat Vielleicht deshalb, weil die Einwirkungen, die Reinhardts ·ge-
bändigter Theaterstil und weit mehr noch der Expressionismus ausübten,
eine so unmittelbare Bedeutung hatten, daß Einflüsse von außen her kaum
eindringen konnten. ·
Dies ist sogar noch der Fall, wenn, wie im Sven Gade-Film HAMLET,
in dem A$1a.~ den Helden spielt, das dänische Element in .den
Vordergrund rückt Hier tragen zwar die Freilichtszenen typisch· skandi-
navische Prägung, aber die dekorativ gehaltene Stilisierung der Gruppen ist
direkt auf Reinhardts Inszenierung zurückzufUhren. Und mögen in HANNE- ·
LES HIMMELFAHRT, dem von Urban Gad in Deutschland gedrehten
Film, gewisse nordische Elemente durchschimmern, so ist doch die Licht-
führung als ein typisch deutscher, aus dem Expressionismus herausgewach~ ·
sener Stimmungsfaktor zu erklären.
•-.· ·~·· .
Plakat zu dem Film ALGOL von Hans Werckmeister (1920)
Der expressionistische Mensch "erscheint, als trOge er sein He
auf der Brust aemalt." (Kasimir Edschmid)
:JUne und Golem sind die bevorzugten Personen
"dämonischen Epoche".
Skizze von Professor Hans Poelzig für den Dekor des GÖLE/
WIE ER IN DIE WELT KAM
57
eil des Labors für den GOLEM,
eführt von Marlene Poelzig nach einer Skizze ihres Mannes
CREZIA BORGIA
"'"'
Der Einfluß von Max Relnhardt
VAN IN
69
---------·-··------
IV.
..,,
Skizzen von Ernst Stern für Max Reinhardts Theater
Die Hochflut historischer Filme in Deutschland um die Jahre 1919 bis
12f312·t~r;ter Filme, die man bezeichnenderweise "Kostümftlme" nennt, ist
aufdas Verlangen eines verarmten Volkes, das stets Paradenglanz geliebt
hat, nach Prunk, nach "Evasion" zurückzuführen. Die meisten dieser Filme,
die Paul Rotha in seinem Buch "The Film Till Now" als "commercial products
of the property room and Reinhardt" kennzeichnet, haben lediglich in recht
oberflächlicher Weise ein paar Regie-Elemente der Reinhardt-Bühneil nach-
zuahmen versucht.
.,.,
Auge des Zuschauers auf sie zu lenken, ist typisch flir Reinhardt Die ganze
Szene verrät seine Art; sogar die anstoßenden Palastfronten zeigen deutlich,
wie hier mit einem Bühnenraum gerechnet wurde. (Auch Lubitschs berühmte
Plätze in MADAME DUBARRY, SUMURUN und ANNA BOLEYN ver-
raten immer ihre Herkunft vom Theater.) Um gleichsam Reinhardts Regie-
kunst dokumentarisch zu fixieren, hätte man nicht besser vorgehen können.
Richard Oswald hat weit mehr als Ernst Lubitsch begriffen, wieviel der
Film von der Magie Reinhardtscher Beleuchtungskunst zu gewinnen hatte.
Für seinen Film CARLOS UND ELISABETH konnte er zudem Schillers
"Don Carlos", den Reinhardt wiederholt am Deutschen Theater inszeniert
hat, als Vorbild nehmen.
Wie bei Reinhardt tauchen die Darsteller plötzlich vor einem dunklen
Hintergrund auf, heben sich, von einer unsichtbaren Lichtquelle modelliert,
plastisch ab; durch ein hohes Mittelfenster fallt ein leuchtender Streifen,
gleitet über den Boden hinweg, und zu beiden Seiten drückt Finsternis den
Raum. Lamestoffe glitzern, Goldspitzen zeichnen ihr Spinngewebe in die
Luft, reich bestickte Samtwämser leuchten auf; wie Harnlet erscheint der
Infant von Spanien - Conrad Veidt- im schwarzen Gewand, aus der Dunkel-
heit heraus prallt sein bleiches Gesicht.
Das sind typische Reinhardt-Effekte. Mitunter jedoch, und das ist be-
zeichnend für alle jene von Reinhardt beeinflußten Kostümfllme, wird die
Magie der Beleuchtung außer acht gelassen; dann spüren wir die Mittel-
mäßigkeit der Schauspielerfl.ihrung, fl.ihlen, daß die Hand Reinhardts gefehlt
hat - obwohl die meisten Schauspieler dieser Filme der Reinhardt-Truppe
entstammen.
Hier sehen wir die Grenzen jener Nachahmung. Vielleicht ist das nir-
gends so deutlich zu erkennen wie bei den Filmen von Dimitri Buchowetzki,
einem in Deutschland arbeitenden, völlig in seinem Stil akklimatisierten
Filmregisseur, der mehr noch als die anderen Reinhardt nachzuahmen
bestrebt war. In seinem von naiv umständlichen Titeln beschwerten
OTHELLO ist nichts mehr von der leuchtenden opalisierenden Venedig-
Atmosphäre zu spüren, die der Impressionist Reinhardt hervorzuzaubern
wußte und die wir mitunter in der Karnevals-Episode des MÜDEN TOD
wiederfinden. Einzig allein die Figur eines ungewöhnlich agilen Jago erinnert
an Reinhardts Auffassung. Krauss hat ja auch im Deutschen Theater den
gleichen, halb tänzerisch-burlesken, halb dämonischen Bösewicht verkörpert,
der von Callots Grotesken der commedia dell' arte zu stammen scheintmit
seinem knöpfeblitzenden, aalhautgleich angegossenen Kostüm, aus dem sein
fetter Körper herausprallt Er fUhrt die skurrilsten Entrechats aus, um die
Schicksalsfäden Ahnungsloser zu verwirren, ist Marionette und Marionetteo-
ftihrer zugleich. Das Quiproquo eines tragischen Balletts der Eifersucht, das
Reinhardt inszeniert hat, kommt in diesem sonst so unbeholfen und schwer-
fällig anmutenden Film einige Augenblicke lang zum Ausdruck.
*
Lubitsch. der der Reinhardt-Truppe so lange angehörte, ist merkwürdiger-
weise weit weniger als andere deutsche FilmschafTende dem Einfluß dieses
großen Theaterregisseurs verfallen. Es mag daran liegen, daß Lubitsch seine
Karriere mit derben Filmgrotesken begonnen hat und so in den pseudo-
historischen Kostümfilmen lediglich eine Gelegenheit sah, komische Züge,
lächerliche Zwischenfälle und Situationen zu enthüllen, um ein anspruchs-
loses Publikum zu amüsieren.
Die Berliner galten früher als besonders realistische Leute, deren lebhaft
agierender Verstand rasch Lächerlichkeiten durchschaute und die zu witzigen,
oft scharfen Erwiderungen bereit waren. Dem in der Wirklichkeit verwurzelten
Spree-Athen hatten die sich ansiedelnden Hugenotten etwas von dem fran-
zösischen Esprit mitteilen können - man denke nur an Fontane, in dem sich
eine gewisse lateinische Ironie mit Preußengeist gemischt hat. Zu Beginn
des 19. Jahrhunderts kam im Salon Rahel Varnhagens ein neues Element
hinzu: der Witz und Scharfsinn jüdischer Intellektueller .wie Heine, die
gepflegte Geistigkeit eines reichen jüdischen Bürgertums. Gegen Ende des
Jahrhunderts und vor allem zu Beginn des neuen Jahrhunderts mischt sich
diesen heterogenen Elementen ein neuer Faktor bei: die Witzeleien, der
Jargon der "Konfektion", sein Galgenhumor, sein halb resigniertes, halb
zynisches Hinnehmen von Dingen, die man nicht ändern kann, jener
Fatalismus von Menschen, die gewohnt waren, in der Ghetto-Enge des Ostens
Pogrome und Verfolgungen zu erleiden.
Erst in Amerika wird sich Lubitsch bewußt, was er durch eine Verfeinerung
seines Komödienstils gewinnen kann. So betont er selbst, er habe "good
bye slapstick and hello nonchalance" gesagt. Erst jetzt gelangt er zu den
"rapierlike comments of his camera", die Lewis Jacobs in seinem "Rise of
the American Film" rühmt, zu jenen elliptischen Verkürzungen von Szenen,
jenen blitzartigen Andeutungen oder amüsanten Zuspitzungen einer Situa-
tion,jenen bildlich wiedergegebenen Gedankenassoziationen, zu einer doppel-
sinnig ausgewerteten Situationskomik, für die er berühmt geworden ist.
Die bürgerlich derbe Filmgroteske wandelt sich zur amüsanten leichteren
Filmkomödie, die in spiegelnden Parkettflächen, reichen Stukkaturen und
üppigen Draperien schwelgt.
Wenn jedoch der "Lubitsch touch" sich erst hier entwickelt hat, so beruht
]er auf manchen von Lubitsch nach Amerika mit hinübergenommenen
1Qualitäten, die er bereits in Berlin aufwies: seine berlinische Geistesgegen-
wart, seine Schlagfertigkeit, sein Hang zu realistischen Details, sein Spaß an
komischen, unmöglichen Situationen, an jüdischen Witzen und Doppel-
sinnigkeiten der Bildeinstellungen, an einer rasch gehandhabten Montage.
Dazu kommt zur Zeit des Tonfilms eine geradezu kaleidoskopische Ver-
wertung von Wort, Lied und Geräusch. Schon in Berlin hat Lubitsch es
verstanden, durch eine Einstellung das Wesentliche eines Charakters, einer
Situation bloßzulegen, mit dem Kontrast zwischen der imposanten Bedeutung
einer Hauptfigur und kleinen, an der Peripherie gehaltenen Manien, lächer-
lichen Eigenarten zu jonglieren. Aber Lubitsch ist der Kammerdiener, vor
dem es keinen Helden gibt, was einen kultivierten Zuschauer mitunter
wiederum recht peinlich anmutet. Gewiß, dieser Blick hinter die Kulissen
gibt seinen historischen Figuren des öfteren etwas überraschend Mensch-
liches. Indes gehen die Amerikaner, die ja das Authentische der Historie
selten respektieren (vor allem nicht der anderer Völker), zu weit, Lubitsch
deshalb als "great humanizer of history", als deutschen Griffith zu bezeichnen.
Einen König zu zeigen, der seine Mätresse höchst eigenhändig manikürt
oder in aller Einfachheit eine Hofdame in einen gewissen Körperteil kneift,
bedeutet gewiß noch nicht ungeschminkte Historie.
Lubitsch ist so von dem bunten Nebenbei, von allerhand Possen, Regie-
Einfällen in Anspruch genommen, daß er auf das deutsche Helldunkel, das
die anderen Filmschaffenden bereits erstreb~n, keinerlei Wert legt Seine
typisch berlinische Mentalität ist dem Phantastischen nicht sehr zugetan
(vergessen wir nicht, daß zum Beispiel Barlach mit seinem "Blauen Boll"
von der Ostseeküste und Billinger mit seinem wilden "Walpurgisnacht"-Drama
aus Oberösterreich stammt). So hängt Lubitsch trotz seiner PUPPE kaum
am Traumhaften - für ihn kann die Hölle wie der Himmel warten. Die
amerikanischen Filmkritiker der damaligen Zeit haben übrigens gefunden,
daß der Fotografie seiner Filme das Leuchten fehlt, das andere deutsche
Filme dieser Epoche haben.
-~
Ein Jahr später ist sich Lubitsch bewußt geworden, was für ein stilistisches i
Raffmement die subtilere Ausleuehrung bieten kann. So läßt er einmal in
seinem WEIB DES PHARAO die Menge im Vordergrund völlig im Schatten
und beleuchtet eine Szene im Hintergrund besonders scharf, wie Reinhardt
dies zu tun gewohnt war; enorme Scheinwerfer wurden mit ihren Lichtkegeln
auf die gigantischen Säulen des Thronsaales gerichtet, und diese Ausleueh-
rung charakterisiert gleichsam symbolhaft die Macht einer gottgleichen
Dynastie. In der FLAMME (Montmartre) gelangte Lubitsch zum erstenmal
zu einem schimmernden Helldunkel, und hier finden wir auch endlich jene
geschmackvollen Nuancen des Kostümlichen, mit denen seine amerika-
nischen Filme das Auge erfreuen.
78
die Treppe mit den angrenzenden Häusern, die geradezu dem GOLEM
entstammt Diese leicht aufgequollenen, lehmartigen Tr~pJ?~n~~fe.~ sind
auch in MONNA VANNA zu sehen. Von Poelzigs lehmverquollerier'Archi-
tektur fmden sich immer wieder Spuren in deutschen Filmen: noch die
GEHEIMNISSE DES ORIENTS [1928] von Strichewski, deren Dekor ein
Russe gestaltet hat, weisen ähnlich aufgeblähte, wie aus Plastilin geknetete
Bauten auf.) (
Aber es dauert noch eine Weile, bis sich Lubitsch endlich in Amerika
von allen jenen Schwerfälligkeiten und Geschmacksentgleisungen befreit,
die ihm sein deutsches Publikum nicht verübelt hat
*
Die deutschen Kostümfilme sind dem Einfluß der italienischen Monu-
mentalfilme weniger unterlegen als man denkt Die Joe May-Filme VERITAS
VINCIT 1/III (1918) und DAS INDISCHE GRABMAL 1/11 (1921) zeigen
zwar die leichte Vorliebe für grandiose Bauten und Filmkomparsen-Massen,
wirken aber nüchterner. Erst in TROJAS UNTERGANG (1923), dem
Film eines mittelmäßigen Regisseurs, Manfred Noa, der danach wieder die
üblichen Unterhaltungs- und Sittenfüme drehen sollte, spürt man mehr von
der italienischen großen Prunk-Schaustellung, aber auch hier fehlt die
Verve, die trotz aller Operntheatralik den italienischen Monumentalfllmen
eigen ist
Die von Otto Hunte auf dem Ateliergelände errichteten, reich ornamen-
tierten Monumentalbauten im INDISCHEN GRABMAL stehen im Kontrast
zu einer recht banalen Handlung. Der Film wirkt heute veraltet Der Auftakt
70
--------- -- --- --·----
des zweiten Teils ist jedoch herrliche deutsche Filmkunst. Conrad Veidts
hohe Gestalt wandelt durch ein helldunkles Tempel-Inneres. Über aufge-
raubte Mauermassen, über riesige, modern stilisierte indische Götterreliefs
fließt geheimnisvolles Schimmern.
Joe May kann dieses Niveau nicht halten. Fritz Langs Film in zwei Teilen
(DER GOLDENE SEE und DAS BRILLANTENSCHIFF), den er 1919
unter dem Haupttitel DIE SPINNEN gedreht hat, ist ein ähnlicher Abenteuer-
ftlm, aber Langs Freude am Omamentalen verleiht der teils realistischen,
teils phantastischen Handlung Relief.
So dürfen auch der italienische und der schwedische Einfluß auf den
deutschen Film nicht überschätzt werden. Das trim ebenso für die Einwirkung
der in Deutschland arbeitenden russischen Filmregisseure zu, wie Bucho-
wetzki, Ozep und Granowsky. Buchowetzki ist wohl der beste Beweis dafl.ir.
Selbst ein PETER DER GROSSE ist trotz des Sujets ein deutscher Film,
in dem Licht- und Schattenwirkungen in Reinhardt-Manier eingesetzt wurden.
Ornamentaler Mechanismus bel Lublts
ANNA BOLE
81
lNA BOLEYN
ANNABOLEYt'-
Polo Neg
85
V.
87
:! ' " . ' .~ ·. ...,.....
Was die Deutschen von anderen Völkern unterscheidet, ist ihr Hang zum
Tode - die anderen Nationen haben einen Hang zum Leben, sagt Clemenceau.
Hat aber nicht eher Hölderlin recht, der in seinem "Hyperion" schreibt, daß die
Deutschen den Tod so sehr fUrchten und daher sinnen und sorgen, wie sie
dem Schicksal entrinnen können?
Die Themen von Langs Stummfilmen wie auch die der Manuskripte,
die er ft.ir Otto Rippert geschaffen hat, vibrieren in Molltönen, handeln alle
vom erbarmungslosen Tod. Es ist das Leitmotiv seines MÜDEN TOD, in
dem ein Mädchen den Geliebten zu retten sucht, ihn aber immer mehr in
sein Geschick verstrickt und dem Verderben weiht
Lang hat sich weiter entwickelt: in einem Artikel über das "happy
ending" betont er mehrmals, daß er nicht mehr Tragödien verfilmen will,
"where one is trapped by fate". Er lehnt es ab, Filme zu drehen, in denen
das unbarmherzige Schicksal, die "ananke" der Griechen, das letzte Wort
behält
89
ünglinge im kurzen dunklen Mantel, enganliegendem Wams lehnen lässig
n einem Bogengang oder stürzen sich wie Falken auf einen Gegner. Wie
instmals bei den Reinhardt-Inszenierungen spüren wirmitunter die Lebens-
rische des Quattrocento, entdecken Szenen, wie wir sie auf florentinischen
lrauttruhen gemalt finden.
Diese Beleuchtung von unten oder von der Seite her, die bestimmte
mchtende Linien, Bänder oder größere Flächen herausholt, übermäßig
mterstreicht und sie abrupt mit dem Dunkel zusammenstoßen läßt, wird
ür den expressionistischen Film charakteristisch. In Fritz Wendhausens
:TEINERNEM REITER zum Beispiel wandeln derartige Lichtbänder
)ekorationsdetails zu glitzernden Arabesken. In der Beschwörungsszene von
~s FAUST, in dem nächtlichen Garten von Robisons SCHATTEN
teben sich Zweige als weißes Liniengewirr wie schimmernde Knochen ab.
Jnd die psychoanalytische Traumwelt von GEHEIMNISSE EINER SEELE,
lern Pabst-Film, erhält durch phosphoreszierende Lichtkonturen ihre my-
tische Plastik. Pabst, den man so oft realistisch genannt hat, kann dieser
:Cndenz zu dekorativen Lichteffekten auch späterhin nicht ganz widerstehen:
n fluoreszierendem Glanz erstrahlen des Nachts die Umrisse des Spielhöllen-
;chiffs in der 1927 gedrehten BÜCHSE DERPANDÖRA.
90
von Beleuchtungen, die "abgrundloseTiefen" erzeugen. Der jähe "Aufschr~i"
des Lichts, die alles umstürzende Wucht des Dunkels, das expressionistische
Aufreißen aller Formen finden den Höhepunkt in der letzten Episode von
Lenis WACHSFIGURENKABINETT. Mag es sich um einen Kontrapunkt
oder Kontrast zwischen Hell und Dunkel handeln, hier haben wir jedenfalls
sichtlich jene halb greifbare, halb irreale "feerie de laboratoire", von der Jean
Cassou einmal hinsichtlich des deutschen Filmes spricht.
Kurtz indessen erkennt noch nicht, wie in den deutschen Filmen expres-/
sionistische und impressionistische Stil-Elemente ineinander übergleiten:
wird beim GOLEM die gewundene Stiege im Haus des Rabbi Löw mit all
ihren leuchtenden Muschelkonturen expressionistisch herausgehoben, so
flutet in diesem Innenraum eine schimmernde Luft - eine rein impressioni-
stisch empfundene Atmosphäre erschließt sich.
Und in ähnlicher Weise weiß Fritz Lang Stimmung durch Licht zu er- (J
reichen. Die torlose Mauer im MÜDEN TOD öffnet sich, unter einem hohen,
steilen Spitzbogen leuchten und verflimmern unabsehbare Stufen. In der
Kathedrale des Totenreichs flackern zahllose Kerzen zu einer ewigen Aller-
seelenfeier. Dem Bambusdickicht der chinesischen Episode entströmen
Phosphordünste. Diese Stimmungsbilder sind eine Art von Präludium ftir
jene NIBELUNGEN-Szenen, in denen Siegfried auf weißem Zelter durch
einen sonnenumflossenen, geheimnisschweren Nebelwald reitet.
(
91
plastisches Herausarbeit~n von Formen, sein Talent, Lichtquellen zu diri-
gieren und auszuwerten, gehen über· den expressionistischen Stilwillen
hinaus. ·
92
"'.~· 'J':·,··:
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -------·
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Symphonien des Grauens !
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Welche Szene fl.ir einen deutschen Film ist hier gestaltet worden!
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Das Ergötzen am Makabren, am Schauerlichen scheint dem Deutschen : i
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eingeboren. In "Anton Reiser", dem Roman von Karl Philipp Moritz, jenem . I
merkwürdigen Vorfahren der Romantiker aus dem 18. Jahrhundert, verbringt
der kleine Anton schlaflose Nächte. Wenn der Wind durch den Kamin fegt
und pfeift, erschauert er beim Gedanken an das unheimliche Märchen vom
l
95
2 J 2 &2 I .J,U"''
Mann ohne Hände. Zugleich aber freut es ihn, sich mit einem eisenartigen
Wollustgeflihl vorzustellen, wie der Tod seinem Körper langsam Verwesung
bringen wird.
"Nichts war mir lieber, als schauerliche Geschichten von Kobolden,
Hexen, Däumlingen usw. zu hören oder zu lesen", läßt auch E. T. A. Hoff.
mann im "Sandmann" seinen tragisch endenden Helden Nathanael sagen.
Nathanael gefällt jene furchtbare Mär von dem Sandmann, dem bösen Mann,
der den Kindern, wenn sie nicht schlafen wollen, Sand in die Augen wirft, bis
diese blutig zum Kopf herausspringen; er wirft sie in seinen Sack, um sie
seinen Kleinen, die in ihrem Mondnest ihre scharfen Eulenschnäbel auf-
sperren, zur Atzung zu bringen.
In ähnlicher Weise genießt auch der Knabe in Eichendorffs "Ahnung und
Gegenwart" das grausige Märchen von dem Kind, dem die Rabenmutter mit
dem Truhendeckel den Kopf abschlägt; er lauscht mit einem eigenen, sehn·
suchterfüllten Schauern, derweil er sieht, wie der Abend blutrot hinter
schwarzen Wäldern versinkt. ·
Nirgends wird der Zwiespalt, dem die deutsche Seele so leicht verfallt, so
offensichtlich als in jenen Märchen, die, wie Tieck sagt, geschaffen wurden, um
die ungeheure Leere und das ti.uchtbare Chaos durch mannisfaltise Gestalten
zu bevölkern. In Deutschland macht der horror vacui einem neuen Grauen
Platz, dem wie einst das Märchen der Romantiker die Filmkunst Nahrung
zu geben weiß.
*
Der vollständige Titel des Mumau-Films lautet "NOSFERATU, EINE
SYMPHONIE DES GRAUENS". Und wirklich fllhlen wir noch heute, wenn
wir den Film sehen, daß "ei!t (l:o.sti&~!_!,.u&UL!l\IJ .d~m Jenseits", wie Bela
Balazs es nennt, in den "rllturmöglichen Bildern" wehte: Sö kommt es, daß
uns im Vergleich zu NOSFERATU der Schrecken, der CALIGARI erfullt,
plötzlich recht gekünstelt erscheint
96
-------·
......,.,,~."...
Er kommt von der Kunstgeschichte her; während Lang, der Maler,
berühmte Bilder seiner Zeit, so vor allem die damals im bürgerlichen Salon
immer wieder präsentierten Bilder Böcklins, getreu im Atelier nachbildete,
hält sich Mumau gerade nur an Anklänge, an Erinnerung großer Kunstwerke,
die er zu eigenen. Visionen transponiert Im FAUST zeigt er einen Pest-
kranken in seltsamster Verkürzung, mit ungeheuren Fußsohlen (man denkt
dabei an den Leichnam Christi bei Mantegna oder Holbein). Und wenn
Gretchen, das Haupt in den Mantel gehüllt, in den Ruinen einer beschneiten
Hütte ihr Kind wiegt, so erinnert das an das Bild einer flämischen Madonna.
In seinem Begehren, sich selbst zu entrinnen, hat Mumau sich nie mit
der gleichen Kontinuität des Stils ausgedrückt wie Lang, dessen künstlerische
Entwicklung sich so leicht analysieren läßt. Aber alle Filme Mumaus tra-
gen - sieht man von den FINANZEN DES GROSSHERZOGS ab - eine
Spur seines inneren Zwiespalts, sie bezeugen etwas von dem Kampf, den
er mit einer Welt geflihrt hat, die ihm ewig fremd blieb. Erst in seinem
letzten Film TABU hat er ein wenig Frieden, ein wenig Glück finden können
inmitten einer schwellend reifen Natur, die europäische Moral- und Schuld-
gefühle nicht aufkommen läßt. Andre Gide ist seit seinem "Immoraliste"
dank eines sanfteren Klimas von seiner anerzogenen Moralstarrheit, von
den Gewissensskrupeln, die sein Protestantenturn ihm einflößte, befreit
worden; er konnte sich so seinen natürlichen Neigungen hingeben. Aber
Mumau, der um 1888 geboren ist, stand als junger Mensch noch unter dem
grauenhaften Zwang des unmenschlichen Paragraphen 175 des Strafgesetz-
buchs, der allen Erpressungsgelüsten freie Bahn ließ und bis zur Revolutions-
zeit alle seinesgleichen bedrohte. (Privatleben ist etwas Heiliges, und wenn
wir hier auf Mumaus Veranlagung zu sprechen kommen, so geschieht dies :!.,
lediglich, weil diese Erklärung zum Verständnis seines Stils - man denke vor
allem an seinen FAUST- herangezogen werden muß.)
..
Murnaus Gewissenhaftigkeit bringt es mit sich, daß er niemals Künste-
leien, billigen Ausflüchten anheimfällt, die sein Schaffen hätten müheloser
machen können. Darum erscheinen seine Filme oft ein wenig umständlich -
nur langsam enthüllt sich die tiefe Bedeutung ihres Gehalts, ihres inneren
Rhythmus. Mitunter, zum Beispiel, wenn ihn geschäftskundige UFA-Leute
dazu drängen, seinem tragischen LETZTEN MANN ein "happy ending"
anzufügen, zieht er alle Register gröbster Komik und bemüht sich, ebenso
gewöhnlich zu erscheinen wie ein Publikum, das sich bei KOHLHIESELS
TÖCHTER, dem Lubitsch-Film, schallend auf die Schenkel klat.~chte und
dröhnend lachte.
.,
Wir müssen leider auch zugeben, daß wir bei Mumau die überraschend-
sten Ungleichheiten, ja Geschmacksentgleisungen finden. Dieser so sensible
Künstler verfällt manchmal dem Edelkitsch, gerät in seinem FAUST zu
97
faden Postkartenbildern wie beim Osterspaziergang oder bei dem Kinder-
reigen auf der Blumenwiese, und solche süßlichen Aspekte stehen unmittelbar
neben packenden, großartig schöpferischen Visionen, die damals geradezu
einmalig waren. Seine Seele ist von der schweren doppelten Erbschaft einer
typisch deutschen Sentimentalität und einer seiner Veranlagung innewohnen-
den morbiden Scheuheil belastet, die ihn dazu bringt, die muskelstrotzende
Vitalitiit, die ihm mangelt, bei anderen zu bewundern. So läßt er bei Jannings,
dem Mephisto, die schlimmsten Mätzchen zu und weiß dem naiv-rohen
Ungestüm des Valentin, den Wilhelm Dieterle recht naturalistisch spielt,
keine Schranken zu setzen.
•
Murnau ist aus Westfalen gebürtig, jenem weiten Weideland, in dem
grobknochige, riesenhafte Bauern schwerfallige Arbeitspferde aufziehen. Bei
allen Atelierlandschaften, zu denen seine Schöpfungskraft gezwungen wird,
spürt man die Sehnsucht nach Ländlichem, und diese Sehnsucht gibt seinem
BRENNENDEN ACKER wie seinem im amerikanischen Atelier gedrehten
SONNENAUFGANG den herben Reiz.
Hier ist also überall der Expressionismus mit seinen abstrakten Ausdrucks-
mitteln am Platz. (Bereits 1926127 versuchen allerdings Ruttmann oder
Richter in ihren "absoluten Filmen", durch Simultan-Einstellungen und
Überblendungen den Wirbel der Großstadt plastischer wiederzugeben.)
98
Mumau, der NOSFERA TU mit wenig Geld gedreht hat, wußte der
Natur die schönsten Bilder abzugewinnen. Er fangt die zarte, zerbrechliche
Form einer weißen Wolke über einer Düne ein, die jener Wolke gleicht,
von der einmal eines der schönsten Bert Brecht-Gedichte spricht. Der Wind
der Ostsee spielt im spärlichen Dünengras, auf einem abendlichen Frühlings-
himmel zeichnen ziselierte Äste ihr Filigran. Über eine Morgentau atmende
Wiese stürmen vom Zaumzeug befreite Pferde.
Die Natur nimmt auch an der Handlung teil. Das wilde Wogen der
Wellen kündet das Nahen des Vampirs, des Geschickes an, das die Küsten-
stadt bedrohen wird. Über allen diesen Naturbildern liegt, wie Bahizs betont,
"die Ahnung des Übernatürlichen".
ln einem Film von Murnau hat überdies jede Einstellung ihre bestimmte
Funktion in der Handlung. Wenn Murnau uns den Hafen am Abend zeigt,
so sucht er nicht nur den pittoresken Anblick von Schiffsmasten, die sich
vom dunklen Hintergrund abheben, sondern er bringt diese Szene, weil hier
eine der verdächtigen Sargkisten geöffnet werden kann und das Ratten-
gewimmel, das sie enthält, uns auf kommendes Unheil vorbereitet. Und
wenn er danach einen Augenblick die geschwellten Segel in Großaufnahme
zeigt, so ist diese Einstellung genau so notwendig wie jene von den Strom-
schnellen, auf denen ein Floß die verhängnisvolle Sarglast mit sich fUhrt.
Das Grau der Berge rings um das Vampirschloß, es sind die echten
Karpaten, hat etwas von dem fast Dokumentarischen gewisser Filme Dow-
shenkos. Ein paar Jahre später wird Murnau von der geschäftstüchtigen UFA
gezwungen, flir die Luftreise im FAUST Modellbauten zu verwenden. Nichts
fehltjenen Ersatzbergen aus Pappmache, weder die Fülle sorgfältig fabrizierter
Abgründe, noch die dazugehörigen Wasserfälle. Wenn dennoch der Anblick
dieser "K unstnatur" nicht nur erträglich, sondern sogar bewundernswert er-
scheint, so liegt das an Murnaus Meisterschaft, das Unechte mit Hilfe von
Nebeldünsten und hindurchschimmerndem Lichtgeriesel zu verschleiern.
Aber wir sehnen uns dennoch nach den grauen Hügeln von NOSFERA TU
.·!
zurück.
99
•
Die Bauten in NOSFERA TU sind typisch nordisch; echte gegiebelte Back-
steinfassaden. Mumau hat diese kühle Architektur in überraschender Weise
einem seltsamen Geschehen anzupassen gewußt Er hat es nicht einmal nötig
gehabt, die kleine Ostseestadt durch kontrastierende Beleuchtungseffekte
geheimnisvoller zu machen und für ihre steil einschneidenden Gassen ein
künstliches Helldunkel zu suchen. Unter seiner Leitung findet Fritz Amo
Wagners Kamera die Einstellungen, die nötig sind, um der kleinen Stadt oder
dem gleichfalls echten Vampirschloß den unheimlichsten Eindruck abzuringen.
Was kann es Packenderes geben als jene lange, enge Straße zwischen halb-
zerfallenen, eintönigen Backsteinfassaden, die von einem hochliegenden
Fenster aufgenommen worden ist, vor dem sich auch noch eine Fensterstange
quer über das Bild legt? Auf dem groben, unregelmäßigen Pflaster sieht man
Leichenträger, magere Gesellen im engen Bratenrock mit dem hohen Zylinde.r-
hut, in Gruppen mit regelmäßigen Abständen feierlich steif die schmalen
Särge tragen. Die "expressivste Expression", wie sie die Expressionisten for-
dern, ist hier ohne künstliche Mittel erreicht In seinem FAUST variiert Mur-
nau diese Szene. aber die allzu pittoresk gesehenen Kuttenträger, die mit ihren
Siirgcn die Stufen hinaufsteigen, erreichen nicht mehr die gleiche plastisch
eindringliche Wirkung wie die Leichendiener in NOSFERATU.
Bestimmte Einstellungen erhöhen das Grauen. So taucht die Figur des
Dr. Caligari oder die des Somnambulen Cesare meist von einem schrägen oder
gewundenen Pfad her auf. Mumau bringt auf andere Weise eine Spannung
zuwege, erstrebt eine direktere Bewegung und llißt seinen Vampir drohend auf
die Kamera zuschreiten; hier kommt die unheimliche Gestalt mit einer fast
unerträglich werdenden Langsamkeit heran. Mumau ist sich bewußt, welche
visuelle Macht ineinander übergehende, überraschend montierte Einstellungen
haben können. So f'ügt er zwischen die Einstellung, in der in·der Tiefe der Vam-
pir sichtbar wird, das ZuschJ.agen der Tür ein. Er richtet die Kamera auf diese
Tür, hinter der das Verderben lauert und immer näher rückt Die Tür wird
von unsichtbarer Hand geöffnet. und nun drlingt sich die Einstellung da·
zwischen. die den aufs Bett zurück geßüchtetenjungen Mann zeigt, bis schließ-
lich in einer neuen Einstellung der riesig gewordene Vampir in seiner ganzen
Schauerlichkeil erscheint. Und wie einstmals im Grand Caf6 die Zuschauer
sich unwillkürlich erschrocken auf ihren Sitzen zurückwarfen, weil Lumi~res
100
in den Bahnhof einfahrende Lokomotive riesengroß auf sie zuzufahren schien,
so kommt NOSFERATU als unheimliche Drohung auf uns zu und läßt uns
zusammenschrecken.
Nur einmal benutzt Wiene dieses unmittelbare Zuschreiten auf den Zu-
schauer, aber die bedrohliche Gestalt des Dr. Caligari inmitten des Jahrmarkt-
getümmels wird gerade in dem Augenblick, als sich Gesicht und Körper
dämonisch aufzublähen scheinen, von einer Abblendung zu rasch verschluckt.
In ähnlicher Weise schreitet im übrigen auch Cesare, der Somnambule, im Zelt
auf die Zuschauer zu. Dies geschieht gleichfalls, wenn er als dunkle Silhouette
in das helle Schlafzimmer Lil Dagovers eindringt. Aber niemals wird hier der
den Zuschauer gleichsam bestürzende Eindruck erreicht, wie ihn Mumau in
der Szene des Vampirs mit einer Tonleiter von durcheinandergeschobenen
Einstellungen zuwege gebracht hat. Selbst Lang, der seinen Automaten-
menschen in METROPOLIS urplötzlich auf das Publikum zuschreiten läßt,
kann nicht die gleiche Wirkung erreichen; nur der Kopf seines Dr. Mabuse,
· der zuerst winzig klein in der Tiefe der Leinwand erscheint und plötzlich
vorstößt, um gigantisch die ganze Leinwand einzunehmen, hat etwas von der
visuellen Eindringlichkeit des vordringenden Vampirs.
Man war oft verwundert, daß Wiene, der ft.it CALIGARI die mannigfaltig-
sten Blenden verwendet hat, niemals zu Tricks, die Georges Melies bereits
kannte, gegriffen hat, um die unheimliche Spannung zu erhöhen. Lang begritT
ftir seinen MÜDEN TOD die geradezu transzendentale Wirkung von Ein-
blendungen, Überblendungen, Erscheinungen und Verwandlungen und sah
in ihnen die Möglichkeit, den Film von seinen zweidimensionalen Grenzen
zu befreien.
101
Aber stärker als alle expressionistischen Stilfanatiker macht sich Mumau
die Halluzination des verzauberten Objekts zunutze. In dem Kielraum des
verhexten Schiffes schaukelt die Hängematte des toten Matrosen hin und her
wie zu seinen Lebzeiten. Und Mumau zeiat in der Kapitänskabine des
Schiffes, wo alles Leben erstorben ist, das Hin und Her des Lichtreflexes einer
schwankenden Hängelampe. Er wird diese Lichtbewegung im FAUSTwieder
aufnehmen, nur zeigt er diesmal die Lampe selbst, als der verjüngte Faust die
stolze Herzogin von Parma auf dem Paradebett·in seinen Armen hält (Unab·
hängig von Mumau bringt Sjöström in seinem in Amerika gedrehten WIJ'ID
eine ähnliche Wirkung: hier wird die durch Sturm und Einsamkeit verängstigt
kauemde Lillian Gish unter dem schwankenden Lampenschein einmal von
Licht, einmal von Schatten überströmt. Clouzot und Malaparte sind in ähnlich
eindringlichen Szenen im CORBEAU [Der Rabe) und im CRISTO
PROIBITO lediglich ihren berühmten Vorgängern gefolgt.)
*
E. T. A. Hoffmanns satanische Welt erschließt sich in einem heute fast
vergessenen Film, den Kar! Heinz Martin nach einem Manuskript von Rudolf
Leonhard gedreht hat- DAS HAUS ZUM MOND, wo ein Wachsfiguren-
bildner seinen unheimlichen Geschöpfen ähnelt Noch im Jahr 1928/29 findet
sich in einem Film eine Figur, die Zug um Zug dem diabolischen Dr. Caligari
gleicht. Es ist Alfred Abels NARKOSE, in dem sich auch sonst bereits die
Realität der sogenannten "neuen Sachlichkeit" mit phantastischen Elementen
mischt.
102
und bieder ist, wie Wiene uns am Ende des Alpdruck-Traumsglauben machen will.
Bei den deutschen Romantikem geschieht es oft, daß Personen, die sich
in der Folge als äußerst sympathisch erweisen, uns erst als seltsame Dämonen
erscheinen. In Hoffmanns "Goldenem Topf" erschrickt der Student Anselm
vor dem grauenvollen Gebaren, dem stechenden Blick des Archivars Lind-
horst, des Fürsten guter Geister. Und in Hoffmanns "Abenteuer einer Syl-
vestemacht" sieht der vom Teufel seines Spiegelbildes beraubte kleine
Spikher zuerst verdächtig und bösartig aus. (Hoffmann, so erklärt ja auch
Heine, sah überall nur Gespenster. Sie nickten ihm aus jeder Berliner Perücke
zu , er verwandelte Menschen in Bestien und diese sogar in königlich preu-
ßische Hofräte. Aber mit all seinen bizarren Fratzen klammerte er sich immer
an die irdische Realität.)
Es istjene halb reale Zwischenwelt E. T. A. Hoffmanns, die in den phan-
tastischen deutschen Filmen weiterlebte. Schon die Romantiker haben ihre
Freude daran gehabt, ihre skurrilen Geschöpfe einer kompliziert hierarchi-
schen Rangordnung einzufügen, der bürgerlich wohletablierten Gesellschafts-
klasse und ihrem minuziösen Räderwerk Phantastisches und Unwahrschein-
liches zu untermischen. Man weiß niemals so recht, ob einer dieser Honora-
tioren, die einen festumrissenen Beruf ausüben und offtziell einen pompösen
Titel tragen, nicht zu gleicher Zeit ein den romantischen Gemütern so geneh-
mes Doppelleben führt. Verstecken ein Stadtsekretär, ein Archivar, ein Titular-
bibliothekar oder gar ein Geheimrat hinter der Maske wohlanständiger Be-
amter ein paar Überreste von Zauberkünsten, die urplötzlich zum Vorschein
kommen können? So verwandelt sich der Obergerichtsrat Drosselmeier, dem
Hoffmann die eigenen Züge gegeben hat, im Märchen "Nußknacker und : i
Mäusekönig" in einen scheußlichen Uhu, der auf der Uhr sein garstiges
Gefieder sträubt.
Wir verstehen jetzt vielleicht jene Passagen in deutschen Filmen etwas
besser, die uns in so peinlicher Weise an Witzblatt-Komik erinnern. Im
MÜDEN TOD wie auch im LETZTEN MANN gefällt es Lang und Mumau,
des längeren die üble Trunkenheit von Spießern, denen die frische Luft
draußen nicht bekommt, anzuprangern. Leni und Jeßner, ebenso Lupu Pick
zeigen ähnliche torkelnde Bürger in HINTERTREPPE und SYLVESTER.
(Stroheim in GREED wird ihre ganze Erbärmlichkeit weit schonungsloser
während des Hochzeitsmahles enthüllen.)
Handelt es sich noch um den Konnikt zweier Seelen, die in Fausts Brust
wohnen, und zerreißt dieses unfreiwillige Doppelgängerturn ein ganzes Volk?
Sogar Heine hat seinen Tribut an den Doppelgänger, den finsteren Gesel-
len, zahlen müssen, Lenz ist wie Hölderlin schizoiden Visionen verfallen.
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IIj.
103
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Überall gibt es Spuren: in ,.Titan" wagt der Titularbibliothekar Schoppe nicht,
seine Hände und Füße zu betrachten, aus Anpt, daß sie dem "Anderen"
gehören könnten. In "Hesperus" besieht sich Viktor abends seinen bebenden
Körper so lange, bis er ihn "als eine fremde Gestalt neben seinem Ich stehen
und gestikulieren sieht". "Mein eigenes Ich, zum grausamen Spiel eines
launenhaften Zufalls geworden und in fremdartige Gestalten zerfließend", so
ruft Hoffmann in "Elixiere des Teufels" aus, "schwamm ohne Halt in einem
Meer all der Ereignisse ... Ich konnte mich selbst nicht wiederfinden ... Ich
bin das, was ich scheine, ich scheine das, was ich nicht bin, mir selbst ein
unerklärliches Rätsel, bin ich entzweit mit meinem leb!"
Es kommt vor, daß die Maske völlig zerreißt und daß ein Ungeheuer in
seiner ganzen Scheußlichkeit erscheint: der Graf Dracula aus dem Roman
von Bram Stoker, der NOSFERATU als Vorbild gedient hat, ist eine merk-
würdige Persönlichkeit, die einen gewissen Charme besitzt. Mumau hat die
unheimliche Seite seines NOSFERATU verstärkt und ihn sichtbar scheuß-
licher gestaltet.
104
l,t.A
KahlköpfJg wie Nosferatu ist auch der kleine bizarre Herr in GENUINE,
kahlköpfJS war bereits der schauerliche Gast, den Jean Paul in "Titan" plötz-
lich im Trinkkeller auftauchen läßt Jener Unbekannte, dessen Kahlheit "mehr
fürchterlich als häßlich" erscheint, prophezeit dem Titularbibliothekar Schop-
-'-': .... ...,-., ..
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pe, den ein dampfender Punsch exaltiert hat, er würde "binnen heute und
fünfzehn Monaten" wahnsinnig werden. In ähnlicher Weise kündet in
CALIGARI der Somnambule Cesare einem froh erregten jungen Menschen
den Tod vor Morgengrauen an.
"Titan" enthält schon alle jene unheimlichen Elemente, die sich ein Jahr-
hundert danach der Film zu eigen gemacht hat. Der widrige Kahlkopf, dessen
welkes Gesicht konvulsivischen Zuckungen unterworfen ist, so daß er jedes- !i
mal ein anderer scheint, erweist sich als Besitzer eines . Wachsfiguren-
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0 0
kabinetts. Und wirkt es nicht schon fast wie ein expressionistisch beleuchteter
Film, wenn Jean Paul schreibt: "Als beide durch das kleine dunkle Vorzimmer
des Kellers gingen, sah Albano in einem Spiegel seinen eigenen Kopf in einen
Rammenring gefassct"?
Auch die seltsame, altmodische Tracht, die uns bei den Bürgern in
CALIGARI oder dem MÜDEN TOD auffiillt, entstammt der Welt der
Romantik. Der diabolische dünne Herr, dem Peter Schlemihlleichtsinniger-
weise den Schatten verkauft, trägt einen grauen, altfränkischen Rock, grau
und seltsam unmodisch ist auch der Bratenrock des bösartigen Advokaten
Coppelius aus E. T. A. Hoffmanns "Sandmann", der im übrigen geradezu
als eine Vorahnung des Dro Caligari erscheint. In vielen deutschen Filmen
sehen wir skurrile Spitzweg-Gestalten im Biedermeierkostüm. Filme wie
NOSFERATU oder DER STUDENT VON PRAG suchen jene Zeit Eo T. A.
Hoffmanns aufs neue zu beleben, während die Bürger aus CALIGARl,
dem MÜDEN TOD, auch aus M vage Ankliingc an jene Biedermeiertracht
zeigen, in der sich das Solid-Bürgerliche und Unheimlich-Bizarre so glück-
lich mischen.
Das Kostüm gewinnt bei den deutschen Filmschaffenden oft eine "drama-
tische Funktion". Das Laboratoriumsgeschöpf Homunculus ersteht vor un-
seren Augen dank schärfster Kontrastwirkung; sein bleiches Gesicht, die
verkrampften weißen Hände prallen aus dem Dunkel heraus, werden durch
den schwarzen Radmantel, den hohen schwarzen Zylinderhut, die schwarze,
gewundene Kragenbinde zu stärksten Akzenten. Der Pelerinenmantel gibt
Dr. Caligaris dämonischer Erscheinung den Aspekt einer riesigen, flattern-
den Fledermaus - die ganze Freude der Deutschen an vielfältigen Verwand-
lungen und Vexierbildverzerrungen wird hier offenbar. Im STUDENT VON
PRAG wird Scapinelli, der Bürger im Biedermeierrock mit dem Regenschirm,
dem Zylinderhut, plötzlich halb zur Vogelscheuche, halb zum Dämon. Der
Wind bläht seine Rockschöße auf, der Schirm wird zur Waffe gezückt, und
105
wir denken zurück an Hoffmanns "Goldenen Topf", wo der Student Anselm
den Archivar Lindhorst sich in ähnlicher WeiJe in einen weißgrauen, scheuß-
lichen Geier verwandeln sieht: "Da setzte sich der Wind in den weiten Über-
rock und trieb die Schöße auseinander, daß sie wie ein paar große Flügel
in den Lüften flatterten und es dem Studenten Anselm vorkam, als breite ein
großer Vogel die Fittiche zum raschen Auge."
Die Natur selbst wird im Film zur Fratze. Ein knorriger, kahler Baum mit
nackten, verästelten Wurzeln ragt neben dem unheimlich verbogenen Scapi-
nelli auf. Er erinnert an jene Baumphantome, neben denen der Apotheker
aus dem MÜDEN TOD, mit Radmantel und überhohem Zylinderhut an-
getan, im Nachtdunkel die Mandragorawurzel sucht (9).
ln einem Mantel von seltsam bräunlicher (!) Farbe hüpft, wie von einer
Sprungfeder getrieben, der bizarre kleine Spikher aus dem "Abenteuer einer
Sylvestemacht" im Trinkkeller herum, und dieser Mantel weht in vielen
Falten und Fältchen auf ganz eigene Weise um seinen Körper, "so daß es im
Schein der Lichter beinahe anzusehen war, als führen viele Gestalten aus-
und ineinander, wie bei den Enslerschen Phantasmagorien".
So kann man nicht mit Unrecht behaupten, daß det phantastische deutsche
Stummfilm dieser Zeit im Grunde oft nur als eine Art von Weiterentwicklung
romantischer Visionen erscheint und daß eine moderne Technik den Imagina-
tionen einer Traumwelt lediglich neue plastische Form verliehen hat.
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VII.
Dekorativer Expressionismus
"Das Wachsfigurenkabinett" (1924)- Das Raumgefühl
Faszination der Korridore und Treppen
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DAS WACHSFIGURENKABINETT von Paul Leni ist mannigfaltigen
Einflüssen unterworfen gewesen. Schon der Titel mit seinem Anklang an den
des KABINETT DES DR. CALIGARI zeigt dies deutlich. In seiner ver-
spielten Manier versucht Paul Leni zu einer Epoche reicherer technischer
Entwicklung das abenteuerlich Geheimnisvolle des Jahrmarkttreibens, das der
CALIGARI-Film so glücklich verwertet hatte, neu zu gestalten. Eine fort-
geschrittene Fotografie läßt subtilere Helldunkel-Kontraste zu: Lampions
flammen auf, in einer Einblendung geistert das leuchtende Spinnengewebe
von Riesenrad und Karussell über die Leinwand. Die nächtliche Stimmung
des Jahrmarktbetriebes wird voll ausgekostet; um die Köpfe der Darsteller
legt sich im verdunkelten Zelt ein fahler Phosphorschein, die reichen Ge-
wänder der Wachsfiguren gleißen im Fackellicht, über ihre wächsern glatten
Gesichter huschen geheimnisvolle Schatten. Die Atmosphäre in CALIGARI
erscheint im Vergleich dazu verschnörkelt, sie erstarrt kulissenhart
Zugleich hat Paul Leni, ein expressionistischer Theater- und Filmdekor-
maler, der auch KostümZeichnerwar, ernnnt, welche variierenden Möglich-
keiten für den Dekor und das KostUmliche Fritz Langs MÜDER TOD
gerade durch seine drei zu verschiedenen Epochen und in verschiedenen
Ländern spielenden Episoden bot So wählte er für seinen Film gleichfalls
drei Episoden, die eine Rahmenerzählung zusanuilenhält {10).
Kracauer sieht in dieser Form einer Rahmenerzählung, die ja bereits
CALIGARI andeutet, eine Sucht, vor der feindlichen Welt zu flüchten und
sich gleichsam angstvoll in eine Muschelschale zurückzuziehen. {Vielleicht
denkt er daran, daß Hölderlin in seinem "Hyperion" etwas Ähnliches von dem
"Austemleben" der Deutschen gesagt hat)
113
Ist es aber vielleicht nicht noch mehr der typisch deutsche Hang zur lang-
atmigen, epischen Erzählung, der zu dieser Rahmenform geführt hat? Der
Deutsche liebt das Komplizierte, das zeigt schon die verzwickte Einschach-
telung von Nebensätzen in einem Hauptsatz.
Lenis Stil, der sich in seinen amerikanischen Filmen zum dekorativ Un-
heimlichen hin entwickelt, ist im WACHSFIGURENKABINETT noch nicht
allzusehr fixiert. Mehr noch als Lang variiert er die Formelemente je nach der
Episode und deren Sujet. Die wie Teig verquolleneo Dekors seiner Harun al
Raschid- und Bäcker-Episode weisen überall Rundungen auf, Wandungen, die
gleichsam zu schmelzen scheinen. Man spürt etwas von Poelzigs GOLEM-
Dekor, nur daß hier die jeder Struktur baren Kolonnaden, molluskenhart
weichen Treppen, aufgetriebenen Kuppeln etwas Unwirkliches bekommen
haben, als seien sie aus Kautschuk, als müßten sie vor jeder Bewegung zurück-
weichen, um dann wieder vorzuschnellen. Diese Dekors sind der Schieß-
budenfigur von Emil Jannings wirksam angepaßt,. seinem aufgedunsenen
Gesicht, dem eine absichtlich grob ausgeführte Verschminktheit alles Men-
schenähnliche nimmt. Mit seinem enormen Turban, seiner weiten, unfor-
migen Pludertracht, dem unheimlich runden Bauch rollt Jannings einem un-
geheuren Kreisel vergleichbar durch einen unwahrscheinlich komischen
Bilderbogen-Orient. Kurtz hat hier überaus scharfsinnig Stildivergenzen be-
merkt: in gewissen Momenten wirkt der entpersönlichte Jannings in völlig
expressionistischer Weise als "motorisches Formenelement"; in anderen wie-
derum überwiegt eine "psychologische Drolerie", die naheam Naturalismus zu
sein scheint. "So pendeln die Intentionen des Regisseurs zwischen zwei
Stilen einher." -
Die Episode vom blutigen Zaren Iwan dem Schrecklichen ist völlig anders
gestaltet: ein flutendes Helldunkel, in dem Staubkörner flimmern, erfüllt den
Raum. Der erwachende Impressionismus verschleiert Kontrastwirkungen.
Die weiche Modeliierung eines Pfostens mit seinen leuchtenden Konturen
schimmert auf, wie ein kostbares lkon dringt durch das unbestimmte Däm-
mern das Gebilde eines Portals, dessen bunte Verziertheft seltsam fühlbar wird.
Der Panzerschale eines Seegeschöpfes vergleichbar, erstarrt gleißend ein
Prunkbett
114
Dekorationstalent: die Rundheit der Kuppeln wird von den zahllosen Run-
dungen aufgequollener Thrbane aufgenommen; die Stadt Bagdad erstrahlt in
durchsichtigen Kurven (im Grunde wirkt sie indes nicht weniger schematisch
expressionistisch als die kleine CALIGARI-Stadt, die man oft mit Lyonel
Feiningers belebteren Architekturbildern verglichen hat). Auch die russischen
Zwiebelkuppeln in der Episode von Iwan dem Schrecklichen sind in ihrer
Strukturlosigkeit lediglich omamental eingesetzte Gebilde; sie fmden sich
überall, flankieren ein Palastportal oder verbergen halb den Eingang ge-
heimer Gänge.
Ein paar Jahre später bringt Leni bei seinem amerikanischen Film
DER MANN, DER LACHT ftir den englischen König, der mit .seinem
Narren heranschleicht, genau die gleiche verbogene Haltung; denn Leni ge-
hört zu den wenigen expressionistischen Künstlern, die sich nie ganz von
diesem Stil befreien können, weil sie von Anfang an im Expressionismus
nur das rein Dekorative gesehen haben.
•
Es ließe sich viel über die Vorliebe der Deutschen flir ~nd ihr
Einbeziehen in der Handlung sagen. Vielleicht ist die Faszu1ation, die das
Mysterium dunkler Korridore in all ihrer Verlassenheit immer wieder aus-
zuüben scheint, eher zu erklären. Wir finden solche Korridore in vielen
deutschen klassischen Stummftlmen. Artbur von Gerlach läßt sie in seiner
VANINA zum unheimlichen Labyrinth werden, das die Liebenden auf ihrer
Flucht vergeblich zu durchqueren trachten; Paul Leni bringt solche Gänge
in seinen amerikanischen Gruselfilmen, um die schaurige Atmosphäre noch
zu verstärken. Lange düstere Gänge sind auf alle Fälle ideale Gelegenheiten
für das berühmte Helldunkel. "Es ging fort", so schreibt E. T. A. Hoffmann
in seinem "Majorat", "durch lange, hochgewölbte Korridore, Franzens flak-
kemdes Licht warf einen wunderlichen Schimmer in die dicke Finsternis;
Säulen, Kapitäle und bunte Bogen zeigten sich oft wie in der Luft schwebend,
riesengroß schritten unsere Schatten neben uns her, und die seltsamen
Gebilde an den Wänden, über die sie hinwegschlüpften, schienen zu zittern
und zu schwanken."
Es kann allerdings auch sein, daß die Tragweite dieser Bilder nif;:ht über .
das rein Dekorative hinausgeht. So verwertet Robert Wiene seine unheim-
liche Wendeltreppe aus CALIGARI ftir das geheimnisvolle Haus von
GENUINE, wo die Zuschauer unzählige Treppenstufen bis in alle Ewigkeit
hinaufzuklimmen vermeinen.
116
~~~ :.... :._· ~- -:
FRIEDS TOD, wo der Vorrangstreit der Königinnen auf den DomstUfen
entfacht wird, oder an jenen für den Selbstmordversuch..~uelas9so not-
wendigen Treppenschacht in Leontine Sagans MÄDCHEN IN UNIFORM,
auch an jenen anderen, über den sich q.. Fritz Langs M die Mutter beugt,
um vergeblich ihr Kind zu rufen.
Bei den Deutschen wie bei den Russen baut gewissermaßen der Körper
des Darstellers den Raum. Kurtz erinnert, daß schon für den russischen
Theaterregisseur Tairow ein gebrochener Boden, verschieden hohe Flächen,
die gewissermaßen als "eine unendliche Treppe" wirken, die "entfesselte
Dynamik" des Schauspielers ermöglichen. ·
11'7
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...... -----
*
Reinsten Expressionismus bietet im WACHSFIGURENKABINETT zwei-
fellos jene letzte Folge von Jack dem Bauchaufschlitzcr. Hier brechen sich
jähe Winkel, verbiegen sich, Flächen gleiten ineinander, Dt:eiecke wachsen
steil auf, Rhomben durchbohren den Raum wie bei einem Riesen-Kalei-
doskop. Schiefe Wandungen geben einem unsichtbaren Druck nach, ohne
je ihr Geheimnis zu offenbaren. Es ist ein wahres Chaos von Formen, die
sich ergießen, Lichtkaskaden zerreißen ein höllisches Dunkel, die Gegen-
stände haben jede Beziehung zueinander, alle logischen Zusammenhänge
verloren, jede Relativität scheint aufgehoben; nirgends bietet sich dem Auge
ein Halt. In dem Maelström allen Geschehens wird gespenstig die Gestalt
des Bauchaufschlitzers, fahl und gedunsen in seiner scheinbaren Knochen-
losigkeit, herangeschwemmt: Werner Krauss, der unheimliche Jack the
Ripper, droht von allen Seiten her. Wie der Raum, so erscheint der Boden
durchlässig, lockert sich, gleitet unter irren FUßen hinweg, wird irreal. Das
Riesenrad, das Karussell eines infernalischen Jahrmarkttreibens nimmt fiir
Augenblicke Form an, wirft schauerliche, lastende Schatten.
Trotz aller technischen Fortschritte zeigt jedoch gerade diese Folge den
)cünstlerischen Rückschritt dieses Films, etwa einem GOLEM gegenüber,
an: eine eigentliChe Tiefenwirkung ist nicht vorhanden, sie fehlt sogar noch
da, wo Jack der Bauchaufschlitzer drohend vorschnellt und wo die Dekors
wie Schiebetüren auseinandergleiten. CAJ..IGARI ist im Grunde nicht
überflügelt worden. Eine erstarrte Vollkommenheit, eine allzu rafrmierte
KompoSiTiöil, die mitunter etwas von einer Schaufensterdekoration bat,
schadet heute der Wirkung des W ACHSFIGURENKABINEITS. Der nur
auf dekorativen Expressionismus eingestellte Film endet in der gleichen
Sackgasse wie GENUINE.
Die Faszination der Treppen
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.S WACHSFIGURENKABINETTvon Paulleni
>WACHSFIGURENKABINETT
128
VIII.
129
einem Programmheft für Conradt Veidts WAHNSINN
130
1t der Schatten ein seltsamer Doppelgänger, der wie ein Vampir die Kraft
und das Begehren jener verzehrt, denen er angehört und deren Identität er
sich bemächtigt, wenn sie, gleich Peter Schlemihl, seine 4ünne Haut ver-
kaufen? Dieses unheimliche alter ego wird stets zum erbarmungslosen Feind
desjenigen, der sich von ihm trennt Als der STUDENT VON PRAG auf
den Doppelgänger, sein Spiegelbild, schießt, auf jenen Bruder des Schattens,
der flir alle romantischen Gemüter das im Spiegel reflektierte Bild bedeutet,
zerstört er sich selbst
Ewig unheimliche Faszination der Lichter: derjenige, der den von Spikher
verhängten Spiegel enthüllt, erblickt sich selbst zunächst bleich und entstellt,
erkennt sich kaum wieder; dann ist ihm, als schwebe aus des Spiegels
tiefstem Hintergrund eine dunkle Gestalt hervor, die sich in seltsam ma-
gischem Schimmer zu einem holden Frauenbild entwickelt Ähnlich ist die
Wirkung in de Ia Motte Fouques "Undine": hier sieht der ungetreue Ritter
im Spiegel, vor dem eine Kerze unruhig flackert, die Tür sich öffnen und
die mit weißen Schleiern Umhüllte sich ihm zum verhängnisvollen Todes-
kuß nahen.
131
Welch wunderbare Gelegenheit, den Doppelgänger zu vervielfältigen, wenn
man Spiegel gegen Spiegel stellt: in dem verlassenen Spiegelkabinett sieht
der Titularbibliothekar Schoppe, jene pathologischste Figur, die Jean Paul
ersonnen hat, sich viermal entgegengrinsen. Erschreckt von den vielen "Ichs",
die ihn stören, will der wahnsinnig Gewordene die Spiegel zerschlagen.
Aber ist ein Spiegel immer nur ein Spiegel? Man weiß kaum mehr, ob
der Zauberspiegel, auf dem Hoffmanns Prosper Alpanus Erscheinungen herauf-
beschwört, nicht vielmehr der Kristallknopf ist, der seinen Spazierstock ziert.
Und im "Goldenen Topr' weben glitzernde Strahlen einen Spiegel, der sich
alsbald wieder zum Smaragden wandelt, den der Archivar Lindhorst an
seinem Finger trägt.
Jenseits der Spiegelfläche sucht der deutsche Film in seinem Hang zum
Metaphysischen weit mehr als Alice im Wunderland, die kleine, im Grunde
materiell gesinnte Angelsächsin. Er jongliert allzugern mit dem ihm will-
kommenen Zufall eines Reims, mit der Doppeldeutigkeit von "Sein" und
"Schein". Und wie Tieck in seinem "Phantasus", sucht er mit der Wirklich-
keit wie mit Träumen zu spielen, bis ftir ihn die Geburten der Dunkelheit
als die einzig wahren erscheinen.
Für Jean Paul bedeuten die Menschen, das Leben und seine mannig-
faltigen Formen, wie er wiederholt betont, nichts anderes als jene schwan-
kenden Figuren auf Latema magica-Platten, die scharf erscheineq, wenn sie
klein sind, und verschwimmen, wenn sie größer werden. lrgendwo in einer
klareren Welt existiert für ihn eine große Zauberlaterne, auf deren Platten
Länder, Frühling, menschliche Figuren gemalt sind, die als "wir" bezeichnet
werden und die wohl im Grunde nichts anderes als verwischt hüpfende
Schattenbilder sind.
132
·~ : ;,. _,, ···.:
Ist es der Hang zum Omamentalen oder zum Geheimnisvollen, der
Eichendorff in seinem Roman "Ahnung und Gegenwart" zu folgenden Wor-
ten treibt: " ... zuletzt sah er einen Schatten fort längs der Mauer gehen.
Der Schatten wuchs beim Mondenschein und mitjedem Schritt immer höher
und größer, bis er sich endlich in Riesengröße in den Wald hinein verlor."
Max Reinhardt hat die Macht des Schattens erkannt, die das Dekorative ·
und Rätselhafte mit dem Symbolischen vermengt In seiner frühesten In-
szenierung in den Kammerspielen, im Jahr 1906, ließ er, wie Julius Bab
sich erinnert, für jene Szene in Ibsens "Gespenster", wo die Mutter dem
wahnsinnig gewordenen Sohn nacheilt, die beiden Darsteller vor einer er-
leuchteten Lampe vorbeistürzen; sie warfen dadurch ungeheure Schatten auf
die Hinterwand, es war, als verfolgten sich Dämonen (11).
In den deutschen Filmen wird der Schatten auf ähnliche Weise zum
Ebenbild des Schicksals, dem niemand entrinnt: Cesare, der grausige
Somnambule, wirft, als er seine Mörderhände ausstreckt, seinen riesenhaften
Schatten auf die Wand. Es ist Nosferatus;des Vampirs Schatten, den wir die
Treppe hinaufsteigen sehen, oder er hängt sich einem Aasgeier vergleichbar
über den Schlafenden.
An der Öffnung des Saals, in dem Siegfried aufgebahrt liegt, ist dem
finsteren Hagen, dem Mörder, sein Schatten vorausgeeilt Auf der hohen
Wandung einer Terrasse, auf der sich die Liebenden im STUDENT VON
PRAG umarmen, droht der Riesenschatten von Scapinelli, dem Teufel.
In M sieht man den Schatten des Lustmörders auf dem Plakat, das vor dem
· Ungreifbaren warnt, und dieser Schatten schwebt über dem ahnungslosen
kleinen Mädchen, seinem nächsten Opfer.
Mitunter wird der Schatten von der nachtdunklen Form einer Figur, die
gegen das Licht aufgenommen wird, ersetzt, wie in der BÜCHSE DER
PANDORA von Pabst, wo wir Jack den Bauchaufschlitzer vor dem Plakat
sehen, das seine Verbrechen kündet Oder wir fmden in METROPOLIS die
dunklen Gestalten gigantischer Träger, die Verunglückte fortschaffen, und
durch die schwelenden Nebeldünste der Fabrik ragen ihre Silhouetten. In
Lupu Picks SYLVESTER starrt die junge Ehefrau auf die Silhouette ihrer
Schwiegermutter, die, als künde sie bereits Unheil, durch die vereiste Fenster-
scheibe sichtbar wird. In Mumaus TABU naht das Verhängnis auf gleiche
Weise: der Schatten des strengen Priesters, der das verbotene Liebesglück
zerstören kommt, gleitet über den Sand, spitzt sich zu wie eine bedrohliche
Lanze, kriecht wie ein Reptil über das schlafende Paar in der Bambushütte.
Mumau liebt diese Erklärung durch Schatten: in VIER TEUFEL sind der
Zirkusdirektor und der Clown, die sich um die Kinder streiten, nur als un-
geheure Schatten über den erschrockenen Kleinen sichtbar (12).
133
Die Filmschaffenden deutschen Ursprungs vergessen diese Vorliebe nie
ganz: es ist gewiß kein Zufall, daß Stroheim in seinem erschütternden Film
GREED (Gier) auf den Glasfüllungen einer Tür den Kopf des Mannes,
der eintreten wird, um einen Mord zu begehen, als Silhouette zeigt (13).
Jene Schatten wissen auch das Auge zu täuschen: hinter den durch-
sichtigen Vorhängen einer Glastür belauert der eifersüchtige Gatte gierige
Schattenhände, die nach seiner Frau greifen. Eine neue Einstellung zeigt
uns die Kehrseite der Situation - die junge Frau dreht sich vor ihrem Spiegel
hin und her, während hinter ihr ihre Anbeter mit den Händen die Rundungen
ihres Körpers in der leeren Luft nachzeichnen. Ein anderes Mal glaubt der
Eifersüchtige, das geheimnisvolle Einverständnis schuldiger Hände, die sich
halten, zu überraschen; und wieder sind es nur die Schatten getrennter
Hände, die ineinandergleiten.
Den Vexierbildern der Einbildung gesellt sich das Spiel der Spiegel zu.
Robison weiß meisterhaft mit den einander gegenüberstehenden Spiegeln zu
spielen, die in einem dunklen Gang aufgestellt sind. Fritz Arno Wagners
Kamera fiingt auf ihrer Oberfläche das Bild der jungen Frau ein, die sich in
ihr Zimmer begibt, und in einem dieser Spiegel sieht man die Tür sich
öffnen und schließen, durch die sich ihr Liebhaber zu ihr schleicht. Im
gleichen Spiegel erblickt danach der betrogene Gatte den Kuß der Ehe-
brecher, und es ist voll Bedeutung, daß er zuerst nur ihre Schatten hinter
134
der verhängten Glastür widergespiegelt sieht. Danach wird der Liebhaber
das Bild des lauemden Gatten im selben Spiegel gewahr. Und nach dem
Mord kehrt der Gatte zu dem Spiegel zurück, dessen betrügerisch glatte
Oberfläche nichts von dem empörenden Bild bewahrt hat. Im flackernden
Kerzenlicht - die zitternde Hand hält unsicher den Kandelaber - sieht er
sein Ebenbild seltsam verzerrt widergespiegelt. Er dreht sich wild im Kreise,
und von allen Seiten grinst ihm sein zerquältes Antlitz entgegen. Wohin soll
er flüchten? Wie sich entgehen? Um sich selbst zu zerstören, will er wie
der Titularbibliothekar Schoppe die Spiegelbilder zerschmettern, die ihn zu
verhöhnen scheinen. Doch das halb zerstörte Glas spiegelt noch das Bild
aus dem intakt gebliebenen gegenüberstehenden Spiegel wider.
*
SCHATTEN ist ein Film voller Erotik. Aber Robison verwendet das
Kerzenlicht, das den in ein leichtes Directoiregewand gehüllten Körper der
jungen Frau durchschimmern läßt, niemals vulgär, selbst dann noch, wenn
er den Kandelaber von dem diesmal ahnungslosen Gatten halten läßt.
Robison hat die enganliegende Tracht der "Merveilleuses" und "Incroyables"
sichtlich gewählt, um die erotische Atmosphäre des Films zu intensivieren.
Aber das Spiel der Darsteller bedarf einer gewissen Erklärung und viel-
leicht gerade deshalb, weil hier in der Charakterisierung absoluter vorgegangen
worden ist als in anderen Filmen dieser Zeit.
135
strebt war, dem bürgerlichen Konformismus noble Seelen-Impulse ent-
gegenzustellen.
Man muß sich die zur Weißglut erhitzte Mentalität der Inflationszeit
vorstellen, in der man um jeden Preis leben und genießen, jedes Vergnügen
bis zur Hefe auskosten wollte und sich nicht von der Angst vor dem Morgen
befreien konnte; in einer Welt voller Trümmer, in der sich ein normales
Leben nicht aufbauen ließ, wo die Unkosten für alles in jeder Minute aufs
neue stiegen und Millionen von Mark zu wertlosen Papierlappen wurden.
Lange noch trägt der deutsche Film das Stigma der Inflations-Mentalität:
in der BÜCHSE DER PANDORA lockt die Lesbierin Gräfin Geschwitz
den dicken Artisten zu sich in die Schiffskabine, um Lulu zu retten. Sie tut
das mit den brüsken, zusammenhanglosen Gesten eines Automaten, den
Oberkörper wirft sie in wilder Verkrampfung zurück. In HEIMKEHR er-
starrt Dita Parlo in expressionistischer Verzerrtheit, während sie Lars Hanson,
der rechtmäßige Gatte, umarmt. Selbst noch in SUNRISE, seinem amerika-
nischen Film, läßt F. W. Mumau in der Liebesszene den Vamp sich in
expressionistischen Zuckungen winden.
136
- ··::>
Die Forderungen eines expressionistischen Dramatikers, Paul Kornfeld, sind \
geradezu entgegengesetzt. Der Schauspieler soll keineswegs das Geflihl auf-
kommen lassen, daß die Idee und das Wort in ihm in dem gleichen Moment
entstanden sind, in dem er sie ausspricht. ·Der Schauspieler darf es wagen,
die Arme großartig auszubreiten und einem Satz voll Emphase und voll
Pathos Ausdruck zu geben, kurz, zu deklamieren, wie er es nie im wirklichen
Leben tun würde. Der Schauspieler soll kein Nachahmer sein - es ist keines-
wegs nötig, sich im Hospital Sterbende oder in der Kneipe Betrunkene
anzusehen, um sie auf der Bühne zu kopieren. Der Rhythmus einer großen
Geste hat, laut Kornfeld, weit mehr Sinn und ist weit mehr von tragender
Wirkung, als der naturgemäße Habitus es je sein könnte.
Manche Expressionisten empfehlen, die Worte auf der Bühne mit einer
leichten Verzögerung auszusprechen, sich also von jeder naturalistischen
Diktion zu entfernen. Andere betonen, daß es nur auf eine "Wortmusik"
ankomme, daß die absolute, direkte Stoßkraft der einzelnen Silben gesucht
werden müsse und das Wort aus jedem logischen grammatikalischen Zu-
sammenhang gerissen werden sollte.
Wenn wir das Wort durch die Gebärde, durch die Mimik des Stummfilm-
Schauspielers ersetzen, so muß dies jene zusammenhanglosen Gesichts-
ausdrücke und Gesten zur Folge haben, jene abrupten Bewegungen, die wie
halbwegs entzweigebrochen erscheinen und die ein Hauptrequisit expressio-
nistischer Schauspielkunst sind. Die Deutschen, die einen so ausgesprochenen
Hang zum Ausrufungszeichen haben (dies zeigen auch die Dichter des
Sturm und Drangs), lieben jene nicht zum Ausreifen gelangten Gesten. Die
Film-Pantomime büßt so die commedia dell' arte-Gelenkigkeit ein, sie behält
lediglich die Fähigkeit zum kaleidoskopischen Impromptu. Daher geht der
expressionistische Stummfilm über das ekstatische Theater hinaus: die auf
den Filmstreifen fixierten Gesten bekommen etwas Endgültiges, Absolutes.
Ein Darsteller wie Veidt, der dem Cesare Ausdruck zu geben verstanden
hat, der eine langjährige expressionistische Schulung besaß, vermag immer-
hin diese abgerissenen Gesten abzurunden. In dem flinf Jahre nach CALI-
GARI gleichfalls von Robert Wiene gedrehten Film, ORLACS HÄNDE,
erreicht er die intensivste Expression des Unheimlichen: der langsam zum
Wahnsinn getriebene Orlac, der sich vor seinen ihm seltsam entfremdeten
Händen fürchtet, weil er glaubt, daß man ihm die Hände eines Raubmörders
gegeben hat, vollführt mit einem Messer, dem diese Hände nicht entrinnen
können, zuckende Bewegungen. Die arabeskenhaften Körperwindungen von
Veidt nehmen eine unerhörte Vehemenz an, das expressionistisch Tänzerische
übersteigert sich. Von CALIGARI führt der Weg hinüber zu ORLACS
HÄNDEN, nur ist es merkwürdig zu konstatieren, daß selbst bei einem
sensiblen Darsteller wie Veidt Habitus und Geste bei dem späteren Film
1~7
weit outrierter geworden sind. Und bei weniger disziplinierten Darstellern
wird der expressionistische Körperausdruck immer stärker veräußerlicht.
Diese Formulierungen machen das Spiel von Kortner in Paul Lenis und
Jeßners HINTERTREPPE verständlich und vielleicht noch mehr seinen so
brüsk anmutenden Körperhabitus in SCHATTEN, sein verzerrtes Gesicht,
das in Großaufnahme mitunter wie die Fratze eines Neaerc:Ulmons erscheint.
So bekommen auch das überraschend wilde Hin· und Herschwenken seines
Körpers vor den Spiegeln, seine Art, Oberkörper und Arme von sich zu
· werfen, als seien sie kein Teil von ihm, einen Sinn: es handelt sich. hier um
eine auf den Höhepunkt getriebene absolute Abstraktion.
139
'r expressionistische Schauspieler
CALIGARI
145
Expressionistische Haltung
-I INTERTREPPE
146
-----------
Expresslonlstlsche l.~taw-~~9 .- .
iCHATIEN
148
- - - - - - - - - -----
SCHATTEN
149
;, Welt der Schatten
-lATTEN
~ATIEN
1('f'l
Die Welt der Schatte
on Fritz Lang
152
Schatten und Gegen\\ct
In dieser Epoche etwa ist übrigens nicht nur der expressionistische Stil-
wille, jene Tendenz, sich von der sogenannten "falschen Realität" der Natur
zu entfernen, der Anlaß zu solchen Atelierlandschaften gewesen. Die Seele
einer Landschaft, erklärt Bela Balazs in seinem Buch "Der sichtbare Mensch",
zeigt sich nicht an jeder Stelle gleich. Es ist die Aufgabe des Regisseurs, die
"Augen" einer Landschaft zu suchen: die schwarze Silhouette einer Brücke
mit einer schwankenden Gondel darunter, Stufen, die sich in das dunkle
Wasser versenken, in dem sich eine Laterne widerspiegelt, geben mehr
Venedig-Stimmung - auch wenn sie im Atelier aufgenommen sind - als die
Originalaufnahme des Markusplatzes. (Man denke nur - und Balazs scheint
dies gleichfalls vor Augen gehabt zu haben - an gewisse Szenen in Fritz
Langs Venedig-Folge vom MÜDEN TOD.)
Damit ein Film zum Kunstwerk werde, erklärt seinerseits auch Rudolf
Kurtz, muß man die Natur stilisieren. Das Menschenschicksal im Film paßt
nicht immer als neutrale Wirklichkeit in die Natur, es verlangt Stimmungs-
bilder. Nur wenn der Regisseur seine Landschaft selbst bauen kann, vermag
er ihr eine lebendige Seele einzuhauchen, die im Drama mitspielt
157
Wie die Ausleuchtungen den Personen .und Gegenständen gewisser-
maßen erst ein Relief geben, so bekommt also auch die Landschaft im deut-
schen Film eine "dramatische, dramaturgische Funktion". Es gibt, so erklärt
weiterhin Balazs, eine tiefe und geheimnisvolle Beziehung zwischen Mensch
und Landschaft: das Gesicht einer Landschaft kann die Spannung einer
Situation unterstreichen, sie intensivieren. Der Expressionismus will, so
schreibt auch Kurtz, nicht passiv hinnehmen, nicht nachschaffen, er will sein
Weltbild konstruktiv gestalten. (Schon Novalis behauptet, daß jede. Land-
schaft ein "idealischer Körper ftir eine besondere Art des Geistes" sei.)
Der Schleier, der, wie Worringer erklärt, den nordischen Menschen von
der Natur entfernt, kann nicht leicht zerrissen werden; so bauen sich die
deutschen FilmschafTenden im Atelier die Landschaft, die ihnen gemäß ist.
Als der E~us mit seiner absoluten Stilisierung ein Ende ge-
nommen hat, ~enteten siiNich-natllrali§yscbe Atc:ljer!andschalleP die Sf')ße
!
G~ ist sich dessen bewußt gewesen, und so sucht er für den Garten
der Reichen in METROPOLIS einen arabe~nba[ten..Dekor. Aber expres•
sionistische Landschaften sind weit schwieriger zu gestalten als eine expressio-
nistische Architektur. So ist der Garten in METROPOLIS, den Langs Archi-
tekten errichtet haben, in recht verhängnisvoller Weise dem schnecken-
förmigen Garten von GENUINE verwandt Niemals wieder wird der konzen-
trierte Stilwille erreicht, der sich in den Landschaften von CALIGARI aus-
drückte, wo die platt ausgestanzten Bäume mit ihren Domen, die Steilpfade
mit ihren farbig anmutenden Zickzacklinien ein so eindringliches Leben
gewinnen.
*
Fritz Langs Helldunkel-Effekte sind ungemein plastisch gestaltet: auf der
Zugbrücke bringen Krieger in dunkler Nacht die Bahre des Ermordeten
zurück. Den Trauerzug zerreißen Fackellichter, Lichtfetzen zucken auf wie
hreie; fahl wie ein Gespenst bäumt sich Siegfrieds weißer Zelter, der
ielt mit den Locken des lichten Helden, während Schatten über sein
ec Antlitz geistern. Der verhängnisvolle Wind, der zuvor den Staub
über die Zugbrücke wehte, bläht die Vorhänge in der Schlafkammer von
Kriemhild. Immer wieder lauert Zerstörung im Unorganischen, in den Gegen-
ständen. So flattern beim Nahen von Nosferatu die Gardinen, so bewegt sie
ein diabolischer Wind, wenn Gretchen in den Armen Fausts ihre Unschuld
verliert. Selbst Pabst, dieser Champion des Realismus, kann sich jenem psy-
chologischen Effekt nicht ganz entziehen: in der LIEBE DER JEANNE NEY
flattern die Vorhänge im Arbeitszimmer des Toten - hier allerdings motiviert
eine offene Tür den Vorgang. Kein Wunder, daß Paul Leni einen so wirkungs-
vollen Moment flir einen seiner amerikanischen GruselfJ.lme aufnimmt: ein
gespenstiger Wind bewegt die dichten Vorhänge des dunklen, langen
Korridors.
Der Natur wird die gleiche dramaturgische Funktion zuteil wie den Ob-
jekten: der Wind fegt auf einem mageren Hang Staubkörner auf, bevor der
"müde Tod" vor der Postkutsche auftaucht.
160
---------------------------
Nichts wird dem Zufall überlassen. Hagen lauert zum Beispiel auf das
Kommen von Kriemhild. Lang zeigt den Sitzenden bewegungslos wie eine
Statue, das Schwert, einer Drohung gleich, quer über die Knie gelegt. Oder
Brunhild erspäht inmitten von Felsmassen die Ankunft der Helden, und ihre
Silhouette legt sich als Diagonale über den kaltgrauen Horizont, durch den
das Nordlicht flackert. Wenn Lang ftir seine Einstellungen einerseits berühmte
Bilder heranzieht, so könnte man andererseits den Film jeden Augenblick
anhalten, um Szenen zu finden, die in ihrer ausgewogenen Statik völlig bild-
mäßig gesehen sind.
Obschon L~]fr beit mehr als Max Reinhardt eine dekorativ stilisierte
Komposition ans re t, spürt man den Einfluß des großen Theaterregisseurs.
So etwa bei dem Zusammenstoß der beiden Königinnen auf den Domstufen,
wor der dunkle Zug von Brunhilds Dienerinnen in einer Keilbewegung auf
die Gruppe des hell gekleideten Gefolges von Kriemhild vorstürzt (Diese
Bewegung erinnert an das Dirigieren von Massen auf der Arena des Großen
Schauspielhauses.) Aber jene Rechtecke, die von Siegfrieds Kriegern geformt
werden, stammen von einer anderen Anregung her, von der Massenführung
expressionistischer Sprechchöre.
Auch der einzelne Körper wird in den NIBELUNGEN wie ein Dekor-
Element behandelt. So heben sich in ihrer starren Statik Hornbläser von
einem klaren Himmel ebenso architektonisch profiliert ab wie die Zugbrücke,
die sich über den Raum spannt. Und in gleicher Weise sind die Filmkomparsen
aller Individualität beraubt. Pfeilern gleich ragen in genauen Abständen
Krieger auf, sie sind identisch in ihrer Haltung, gleichmäßig werden sie von
Speer und Schild flankiert. Ein Zickzack-Ornament auf ihrem Waffenrock
1"1
läßt sie in der Fläche erstarren, der Waffenrock scheint kaum mehr einen
wirklichen Körper zu umschließen. Und der Helm mit dem geschlossenen
Visier entpersönlicht sie völlig. Diese Krieger-Pfeiler scheinen den Ausblick
auf den zum Dom schreitenden Zug in gleicher Weise zu hindem wie die
Raumwirkung zu vertiefen. Oder Brunhild schreitet auf einer improvisierten
Schiffsbrücke zum Land, und jene Schiffsbrücke ist aus Kriegern gebildet,
die bis zum Hals im Wasser stehen und ihre Schilde aneinanderhalten; ihre
Helme wirken wie eine ornamentale Bordüre. Andere Figuren am Gestade
sehen wiederum wie ausgestanztes Gitterwerk aus.
Wir Iinden eine ähnliche Entpersönlichung bei KRIEMHILDS RACHE:
in Siegfrieds Grabgewölbe umringen Dienerinnen Kriemhild; sie wirken unter
ihren Kopfhüllen mit den geometrischen Ornamenten, in den schweren
Falten ihrer Mäntel geradezu körper- und gesichtslos. Sie biegen sich vor und
werden eins mit den Gewölbekurven, bis sie eine Art von Absis bilden und
nichts anderes darstellen als die Rundung schmückende Mosaiken.
/; Mitunter scheinen Langs Filme in ihrer extremen dekorativen Stilisierung
~~~O_'!!_!~s2!uten Fifm";"d~_!lbSl!',!.~!Cn ~~.. ~p~erp~~ Sö Ist esbedeut-
r sam, daß Lang a·n ·stelle "des herif<hsch stthsterten Trtckfilms von Lotte
Reinigereine absolute Filmschöpfung Ruttmanns gewihlt hat, um Kriemhilds
Traum zu interpretieren: vage, vogelähnliche, dunkle Flächen zerreißen eine
helle Vogelform. Nicht umsonst hat auch Moholy-Nagy in seinem Bauhaus-
buch "Malerei, Fotografie, Film" (München 1927) eine Einstellung aus Fritz
Langs DR. MABUSE, DER SPIELER wiedergegeben: das Bild des Tisch-
rückens, in dem man lediglich weiße Hände auf dem grauen Tischrund in
einem fast abstrakt wirkenden Ornamentenkreis verflochten sieht - die Fi-
guren selbst sind vom Dunkel wie verschluckt -, wirkt kaum anders als die
Röntgen-Großaufnahme einer Muschel.
Im zweiten Teil der NIBELUNGEN, der ein Jahr später gedreht worden
ist, wird ein völliger Stilwandel offenbar. KRIEMHILDS RACHE ist weit
weniger statisch. Das Thema ist wilder, dynamischer, es verlangt mehr Bewe-
gung. Die epische Schwere von SIEGFRIEDS TOD, sein langsamer Rhyth-
mus, die volksliedhaft ausgesponnene Idylle von Liebe und Hinsterben sind
einem prestissimo, einem jähen crescendo gewichen, das die am Mord Sieg-
frieds Beteiligten in ihr Verhängnis reißt
Dieser neue Rhythmus löst die Starre der GruppenbUdung auf, lockert
die bewußte Komposition von Formen. Lang kommtjedochjedesmal, wenn
das burgundische Element das der Hunnen überwiegt, auf dekorativ stilisierte
Bildungen zurück: so zeigt er zum Beispiel vor einer fast farbig wirkenden
162
Teppichwand drei Prunkbetten sarkophag-starr aufgebahrt. Aber je mehr man
·sich von Worms entfernt, um so stärker verliert sich das gefroren Monu-
mentale, es wird vermenschlicht: Hagen sitzt auf der Zugbrücke, er. hat
nichts feierlich Statuenhaftes mehr, baumelt lässig die Beine, als ironisch
lächelnder Zuschauer sieht er Kriemhilds Abreise nach dem Hunnenland.
Die "steinernen Türme", von denen Heine sprach, haben, wenn sie
übereinander herfallen, ihre Schwerfalligkeit verloren, und die. Helden· er-
scheinen in ihrem Todeskampf weniger voller Pathos als damals, wo sie an
den Kriegern vorbei im feierlichen Zug dem Dom zuschritten.
Die Hunnen werden dagegen als eine Art von Höhlenmenschen, eine
Kreuzung von Hottentotten und Rothäuten dargestellt Sie halten niemals
ihren Kopf aufrecht wie die germanischen . Helden, sondern kriechen wie
schleimige Reptilien über den Lehmboden hin oder hüpfen, den Körper
seltsam verrenkt, mit eingeknickten Beinen im Kannibalentanz einher. Es
genügt, daß Hagen sich zu seiner ganzen Höhe erhebt, um die Abkömmlinge
einer "Minderrasse" wie Ratten zu scheuchen.
Das Buntfarbene der Folklore, das sich ihm hier bietet, erfreut Lang.
Sein Stil, alle Effekte der Ausleuchtung werden flüssiger, beschwingter; das
Helldunkel belebt sich, flammt auf, wogt umher. Die Bewegung wird fre-
netisch, Schatten bohren sich in Lichtzonen ein, verfließen, eine kaleidosko-
pische Wandlungsfahigkeit tritt an die Stelle des bewegungslos Kolossalen
und bekommt etwas atemlos Spannendes wie die Helden in ihrem Todes-
kampf. Prerde mit wehenden Mähnen sausen über Steppen hin, aus unter-
irdischen Höhlen dringt ein wildes Gewimmel von Dämonen, die den Kriegs-
pfad zu einem kannibalischen Gemetzel beschreiten. Überall droht Hinterhalt,
lauert Verrat, ein Geruch von Blut, von Zerstörung erfüllt die Luft, Waffen
blitzen, Mauem stürzen in Staubwolken zusammen, Flammen zucken auf,
und dichte Rauchschwaden winden sich wie Schlangen, um die Überlebenden
zu ersticken.
163
eoel und Er&cllelnungen
:GFRIEDS TOD
164
SIEGFRIEDS TO
SIEGFRIEDS TC
167
EMHILDS RACHE von Fritz Lang
GFRIEDS TOD
168
- . :.·,.. :,.,_
.. ;~-.~J~);jtLid;~:'~·.· ·-1~ :
SIEGFRIEDS TO
KRIEMHILDS RACH
169
X.
Expressionistisches
Debüt eines "realistischen" Regisseurs
"Der Schatzn (1923) von Georg Wilhelm Pabst
171
...
:~L,- .. ;·,..·:
Deser Film ist überreich an schönen Bildern, die das Licht im Dunkel
zu modellieren scheint. Jedoch wirkt seine Beleuchtungskunst nicht direkt
der von Max Reinhardt verwandt, wie es etwa bei den aus der gleichen Zeit
stammenden Filmen von Oswald oder Buchowetzki der Fall ist. Anklänge
an Wegeners GOLEM vom Jahr 1920 sind dagegen unverkennbar, und wenn
der Glockengießer aus dem SCHATZ dem Rabbi aus dem Wegener-Film
so ähnlich sieht, so keineswegs nur deshalb, weil die Rollen beide vom
gleichen Darsteller, von Albert Steinrück, gespielt wurden.
Es wirkt überraschend, daß ein Künstler wie Pabst auf diese Weise
beginnt. Man spürt hier noch keineswegs seinen persönlichen Stil; jeder dem
Expressionismus zugewandte Regisseur, der schöne Bildwirkung sucht, hätte
diesen Film drehen können. Was jedoch noch mehr autrant, ist, daß Pabst,
der später die Montage so ungemein subtil beherrscht, hier Einstellung an
Einstellung ziemlich monoton aneinanderreiht Jede Einstellung ist überdies
zu langatmig, zu schwerfailig. Jede Situation wird zu ausführlich behandelt.
Denn Pabst sucht die psychische Reaktion seiner Figuren genau zu sondieren;
das steht zudem völlig im Widerspruch zu den expressionistischen Forderun-
173
----------------------- - - - - - - - -
gen, die jede Psychologie verdammen. So kommt es hier zu einem besonders
fühlbaren Kontrast mit dem sonst expressionistisch gehaltenen Stil des Films.
Indes spüren wir auf der anderen Seite in der naturalistischen Führung der
Schauspieler bereits c,iie analytische Arbeitsweise, die Pabst sich später zu
eigen machen wird. Er braucht allerdings noch Zeit, um zu jener scharf-
sinnigen Wahl von Einstellungen und mit ihnen zu der intensiven Durch-
ftihrung psychischer Reflexe zu gelangen, die seine BÜCHSE DER PAN-
DORA auszeichnen.
Hier und da allerdings haben wir fast eine Vorahnung des Regisseurs,
der die Orgie der russischen Offiziere in der LIEBE DER JEANNE NEY
drehen wird: so, wenn die drei Schatzfmder die Entdeckung feiern wollen
und zu trinken beginnen. Pabst malt jedes Detail aus, er genießt die Situation
in ihrer ganzen trunkenen Erbärmlichkeit. Aber noch ist sein Naturalismus
- sieht man von den expressionistischen Allgemeintendenzen dieses Films
ab - in eigenartiger Weise stilisiert. Wie Lang in seinen NIBELUNGEN,
so hat auch Pabst bestimmte Bilder im Sinn, nur hält er sich nicht an die
Komposition selbst, sondern sucht lediglich Modelle rür seine Figuren. So
stammen seine Bauern mit den grob verquolleneo Gesiebtem seiner Trunken-
heitsszenen direkt von Ostade oder Teniers, und die Schablonenhaftigkeit
der Anwendung verstimmt. (In GREED weiß Stroheim, ohne Vorbilder
nötig zu haben, weit erbarmungsloser Gier und Gemeinheit anzuprangern.)
174
•.."".
Helldunkel bedeutet fllr ihn alles: in der Wirtsstube flimmert das Licht d~r
· Hängelampe gedämpft über den Tisch, holt hier und da ein Gesicht aus
dem Dunkel. Wenn Krauss sich in die Nacht hinauswagt, um eine Wünschel-
rute zu schneiden, leuchten Weidenstümpfe fahl auf, Gestrüpp wird von einem
Atelier-Mondschein übergossen, Äste werden in den Konturen überscbai:f
akzentuiert, scheinen weiße Knochenarme gespenstig zu recken. (Dies wirkt
gemdezu wie ein Auftakt f\lr die berühmte Beschwörungsszene in Murnaus
FAUST.) ..
Kein Wunder, daß Pabst auch das Spiel unheimlicher Schatten sucht.
Über die alten Mauem geistert seltsam verkrümmt, fratzenhaft der ungeheure
Schatten von Kmuss, der mit seiner Wünschelrute die Wände abtastet, in
alle Winkel dringt Und wenn im Weinberg das junge Liebespaar sich in die
Arme sinkt, so zeigt Pabst einen Augenblick den Liebhaber in der Tür-
öffnung als Silhouette gegen die Sonnenklarheit So fmden sich hier ·alle
klassischen Stilformen des deutschen Films dieser Zeit, aber noch wenig
deutet darauf hin, daß Pabst einmal eigene, andere Wege gehen wird.
175
~SCHATZ von G. W. Pabst
177
XI.
179
,_;t _ ,,__._, __ ,_·~----
Wenn wir uns fragent woher der Begriff "Kammerspielftlm" stammt, müs-
sen wir wieder einmal auf Max Reinhardt zurückgreifen. Eines Tages, auf
der Probe eines äußerst subtilen Stückes, bei dem die seelischen Beziehungen
der Personen diskret aufzuzeigen waren, meinte Reinhardt, ·daß er zwar die
Geste gesehen und den Blick verstanden habe, weil er so nahe dabei sei;
er seufzte: "Leider aber sitzen die Zuschauer nicht wie ich auf der Bühne ...",
und er meinte damit, daß den Zuschauern in den Rängen und vor allem
jenen auf dem "Olymp" notgedrungen alle psychologischen Finessen ent-
gehen würden.
181
streit mit allen expressionistischen Prinzipien. Denn bekanntlich verdammen
die Expressionisten immer wieder die erklärende Psychologie, jede individu·
elle, kleinbürgerliche Tragödie, jede intime Seelenanalyse.
Der große Autor von SCHERBEN, Carl Mayer, dem auch das Manu-
skript von CALIGARI zu verdanken ist, hat für den Kammerspielfilm
SCHERBEN eine weittragende Erfmdung ersonnen: er läßt die Zwischen-
titel fort, und dies nicht nur, weil sie den Fluß einer visuell erfaßten Hand-
lung stören und beschweren. Er will auserwählten Zuschauern, die flihig
sind, Seelenregungen mitzuempfmden, die Gelegenheit geben, allein durch
das Bild zu erraten, was in der Seele, ja sogar im Unterbewußtsein seiner
Helden vor sich geht.
Das Interview mit Lupu Pick in Cinemonde ist noch in weiterer Hinsicht
bezeichnend: Pick erklärt, er habe sich stets gegen die Tagesmode gewendet.
Mit SCHERBEN habe er "die Lawine der psychologischen Filme" ausgelöst.
Mit SYLVESTER dagegen habe er den Versuch gemacht, über die Psycho-
logie hinauszugehen, um zur Metaphysik zu gelangen.
"Ich war'', so erklärt er im Vorwort für SYLVESTER, "als ich das Manu-
skript Jas, ergriffen von der Ewigkeit der Motive. Und ich wollte die Empfm-
dungen, die ich beim Lesen hatte, auf den Zuschauer übertragen. Aber im
Verlauf der Herstellungszeit öffneten sich immer mehr Ausblicke, erkannte
ich immer mehr, daß hier ein Stoff, der ewig ist und weit wie die Welt, meister-
haft eingefangen ist in das Geschehen einer einzigen Stunde. Einer Stunde,
die seltsamerweise entgegen ihrer sinngemäßen Bestimmung von der Mensch-
heit weniger dazu benutzt wird, um über sich nachzudenken, als um sinnlos
zu jubeln." (14)
182
Wir erfassen hier völlig eindeutig die ideologischen Ziele jener deutschen
Filmregisseure, denen das Schaffen künstlerischer Filme wirklich am H~rzen
liegt. "Dieses Buch", so fährt Lupu Pick fort, "erfullt schon deswegen die Vor-
bedingungen eines Filmmanuskriptes, weil-es - bei der Lektüre - nicht nur
rein optische Vorstellungsreihen vermittelt. Es löst in stärkerem Maße noch
rein geflihlsmäßig Empfindungen aus, die uns alle bewegen. Indem man also
die drei Menschen in ihrem engen Bezirk sich seelisch zerfleischen sieht,
fühlt man mit jedem einzelnen aen Schmerz, aaß er tn Wahrheit gut zu dem
anderen sein möchte - und es doch nicht vermag. Indem man das Prostevn·,
Jubeln und Feiern der Umwelt sieht, fühlt man, wie sehr alle diese Menschen
aneinander vobei rennen, jagen, irren. Fühlt man mit einem Wort den F1uch,
der auf der Menschheit lastet: Beschaffen zu sein wie ein Tier und denke
zu können - wie eben ein Mensch. Notabene, wenn man flihlen will un
nicht nur sehen."
Mit Ausnahme der Küche, Wohnstube, der Hinterstube und auch der
lkskonditorei, fUhrt Carl Mayer aus, sind alle sonstigen Schauplätze nur
"Umwe . ie fast magisch anmutende Umwelt, von der Carl Mayer spricht,
· gedeutet: "Neuartig erscheint mir die Komposition des Licht-
spiels auch", so schreibt Lupu Pick, "weil sie das Geschehen selbst im eng-
sten Rahmen hält, der Umwelt aber eine bedeutende, ja beinahe die Haupt-
rolle im Rahmen des Ganzen zuteilt, ohne diese Umwelt- was ja banal wäre -
mit der Handlung selbst zu verquicken. Sie soll den sinfonischen Unter- und
Hintergrund bilden für das herausgegriffene Einzelschicksal, das so am besten
zur Versinnbildlichung des Grundgedankens wird."
Der große Autor von SCHERBEN, Carl Mayer, dem auch das Manu-
skript von CALIGARI zu verdanken ist, hat fiir den Kammerspielftlm
SCHERBEN eine weittragende Erfmdung ersonnen: er läßt die Zwischen-
titel fort, und dies nicht nur, weil sie den Fluß einer visuell erfaßten Hand-
lung stören und beschweren. Er will auserwählten Zuschauern, die fabig
sind, Seelenregungen mitzuempfmden, die Gelegenheit geben, allein durch
das Bild zu erraten, was in der Seele, ja sogar im Unterbewußtsein seiner
Helden vor sich geht.
Das Interview mit Lupu Pick in Cinemonde ist noch in weiterer Hinsicht
bezeichnend: Pick erklärt, er habe sich stets gegen die Tagesmode gewendet.
Mit SCHERBEN habe er "die Lawine der psychologischen Filme" ausgelöst.
Mit SYLVESTER dagegen habe er den Versuch gemacht, über die Psycho-
logie hinauszugehen, um zur Metaphysik zu gelangen.
"Ich war'', so erklärt er im Vorwort ftir SYLVESTER, "als ich das Manu-
skript las, ergriffen von der Ewigkeit der Motive. Und ich wollte die Empfm-
dungen, die ich beim Lesen hatte, auf den Zuschauer übertragen. Aber im
Verlauf der Herstellungszeit öffneten sich immer mehr Ausblicke, erkannte
ich immer mehr, daß hier ein Stoff, der ewig ist und weit wie die Welt, meister-
haft eingefangen ist in das Geschehen einer einzigen Stunde. Einer Stunde,
die seltsamerweise entgegen ihrer sinngemäßen Bestimmung von der Mensch·
heit weniger dazu benutzt wird, um über sich nachzudenken, als um sinnlos
zu jubeln." (14)
182
Wir erfassen hier völlig eindeutig die ideologischen Ziele jener deutschen
Filmregisseure, denen das Schaffen künstlerischer Filme wirklich am Herzen
liegt "Dieses Buch", so fährt Lupu Pick fort, "erfüllt schon deswegen die Vor-
bedingungen eines Filmmanuskriptes, weil es - bei der Lektüre - nicht nur
rein optische Vorstellungsreihen vermittelt Es löst in stärkerem Maße noch
rein gefühlsmäßig Empfmdungen aus, die uns alle bewegen. Indem man also
die drei Menschen in ihrem engen Bezirk sich seelisch zerfleischen sieht,
fühlt man mit jedem einzelnen aen Schmerz, aaß er m Wahihelt gut zu dem
anderen sein möchte - und es doch nicht vermag. Indem man das Prostenf'
Jubeln und Feiern der Umwelt sieht, fühlt man, wie sehr alle diese Menschen
aneinander vobei rennen, jagen, irren. Fühlt man mit einem Wort den Fluch,
der auf der Menschheit lastet: Beschaffen zu sein wie ein Tier und denke
zu können - wie eben ein Mensch. Notabene, wenn man fühlen will un
nicht nur sehen."
Mit Ausnahme der Küche, Wohnstube, der Hinterstube und auch der
lkskonditorei, führt Carl Mayer aus, sind alle sonstigen Schauplätze nur
"Umwe . ie fast magisch anmutende Umwelt, von der Carl Mayer spricht,
· am gedeutet: "Neuartig erscheint mir die Komposition des Licht-
spiels auch", so schreibt Lupu Pick, "weil sie das Geschehen selbst im eng-
sten Rahmen hält, der Umwelt aber eine bedeutende, ja beinahe die Haupt-
rolle im Rahmen des Ganzen zuteilt, ohne diese Umwelt - was ja banal wäre -
mit der Handlung selbst zu verquicken. Sie soll den sinfonischen Unter- und
Hintergrund bilden fUr das herausgegriffene Einzelschicksal, das so am besten
zur Versinnbildlichung des Grundgedankens wird."
Viele Einstellungen dieser Umwelt sind in. den heute im Ausland erhal·
tenen Kopien verlorengegangen, und dies wohl zum Teil, weil ihre meta-
-
physische Bedeutung den anderen Nationen fremdartig erscheinen muß.
Es sind das ewige, endlose Meer, der grenzenlose Himmel, ein Friedhof, bei
dem skeletthafte Zweige und ragende Kreuze, die expressionistisch grell
beleuchtet werden, sich scharf von einem dunklen Horizont abheben. Es
sind eine einsame Heide in der Nacht, ein dumpfer Wald, wo unermeßlich
viele Stämme einen schwarzen, lähmenden Schatten werfen. Und wenn die
Kamera zurückrollt, um diese Umwelt in der Totale zu erfassen, erscheint
alles noch grenzenloser.
j
•
Es lohnt sich, Carl Mayers Manuskript näher zu betrachten, weil hier
vieles gefunden werden kann, das zum Verständnis des klassischen deutschen
Stummfilms beiträgt In den 54 "Bildern", die das Drehbuch mit. seinen oft
wechselnden Einstellungen enthält, existiert sozusagen kein einziges Bild, flir
das Carl Mayer nicht ganz ausfiihrlich die Ausleuchtung angibt, die eine
bestimmte Stimmung hervorrufen soll.
183
Zu Beginn, wenn das Innere der Konditorei aufblendet, finden wir die
Angaben:
Dann am Ende des gleichen Bildes, als ein Gast die junge Frau necki:
Oft, wenn Carl Mayer Gesten seiner Personen beschreibt, schiebt er eine
solche Angabe dazwischen:
Immer wieder, wenn die Konditorei aufblendet, heißt es: "Qualm. Rauch.
Trübes Licht. Betrieb. Es klimpert das Klavier." Während das vornehme
Lokal von gegenüber mit seinem feierlich gastlichen Getriebe "in Glanz und
Licht" nicht allzusehr charakterisiert erscheint Denn die dumpfe Verquollen-
heit der Atmosphäre aus Schweiß, Rauch, Alkohol, die Mayers "Volks-
konditorei" erflillt, wird weit IJiastischer vor Augen gefdhrt. ~t doch schon
MadamedeStael in ihrem Buch über Deutschland zu Recht: "Öfen, Bier und
Tabaksqualm umhüllen das einfache Volk in Deutschland mit einer Art
warmen, schweren Dunstatmosphäre, aus der es nur ungern herausgeht"
Die Küche, in der von dem Ehemann der Silvesterpunsch bereitet wird,
ist "in grellendem Gaslicht" gehalten; die Wohnstube ist halbdunkel, weil die
Gaslampe he~~bgedre~.t ist, oder ein.andel'Il)a~.,.veil die.junge Frau mit einem
Blatt Papier d<'!rl,.icbrdämpft, daniit .es·.nJcht den ScblUmtJler des Kindes in
seinem Wageil ~tqrt .Pl~' l'üt -?:W~schen .'WaluisiJ,tb~Jinci~c!te hat eine Fül-
lung aus mattem Glas; damit man sich ·währena··des Kaihpfes der beiden
Frauen fragen kann "Verlöschte das Licht darin? Es scheint ...", und damit
Lupu Pick die beiden Körper gegen das Mattglas gedrückt als Silhouetten
zeigen kann. Und die erste Gebärde des Mannes, als er eintritt, um Frieden
zu schaffen, ist, daß er die Lampe wieder empordreht: "So daß Licht wieder
fallt." . .
... ';~ 1·.:· · .. ·.·~ ·~ .·.' .. ·.• . .. ·• · .. ·.
Für die Fassaden gili diet~l~iclie.~~iigabe :· di~ ·.Fäss.ade der Konditorei ist
"abendlich schwarz" und zeigt ;,\iöö:.:i.nn~n.: w.~~bes ·'tic&t, das" durch
erfrorene Fenster sich zeichnet". Die:.Fassade. des vornehmen Lokals sieht
184
.?•
~·· •.
völlig anders aus: "Aus hohen Fenstern im Parterre: Grellendes Licht Ein
vornehmes Lokal also sichtlich." Näher beranrollend, erfaßt die Kamera eine
Drehtür: "Die sich immer dreht in Licht." Die Kamera folgt der Drehtür~
bewegung. "Wodurch ein Foyer sich zeichnet In Licht.";.. Im Foyer zeigen
hohe Spiegel "in Glanz" die eleganten Herren und Damen - eine Glastür läßt
den Saal erahnen, und wiederum heißt es: "in Glanz und Licht".
Und in gleicher Weise erscheint auch die Straße, die wie die symbol-
schwere Straße von Grune jene immer wieder erstrebte "metaphysische
Funktion" erfüllt. Carl Mayers Angaben könnten ftir alle jene Filme gelten,
in denen die Straße eine tragende urid tragische Rolle spielt:
Auf diesem Platz leuchtet das Zifferblatt einer großen Standuhr, das, als
die Kamera heranrolit, sich immer mehr vergrößert und schließlich ein paar
Minuten vor Mitternacht "schicksalhaft groß" wird, "fast zersprengend des
Bildes Rahmen", wie Mayer betont
Je mehr sich Mittemacht nähert, steigert sich auf Straße und Platz der
Glanz der Lichter:
185
aus den hochstrebenden Fenstern dringt nur noch matter Schein. Tisch unci
Stühle sind übereinandergestellt, Tand und Flitter bewegen sich schwach im
Wind.
Dann erlöschen die letzten Lichter des Platzes, bis alles "schwarz ruht"
und nur das Zifferblatt leuchtet Die Kamern rollt zurück, das Zifferblatt wird
kleiner, bis nur noch ein winziger Punkt durch das Dunkel schimmert
Bei der Lektüre erkennt man weit eher als beim Sehen des Films die
Funktion der fahrenden Karnern. Das Manuskript enthält unzählige vari-
ierende Angaben, wie zum Beispiel "langsam panommahaft zurückdrehend",
"immer mehr drehend nach links", "langsam zurUckrollend in einem Bogen
nach rechts", "wieder heranrollend" usw. Diese umständlichen Angaben wer-
den hauptsächlich flir die "Umwelt" angewendet, während Carl Mayer sich
ftir die Haupthandlung mit allgemeiner gehaltenen Angaben wie Totale und
Großaufnahme begnügt. Denn wie Mayer, der Autor, in seinen technischen
Vorbemerkungen schreibt, soll nur das Umwelthafte durch bestimmte, stetig
gegensätzliche, wandemde Bewegungen der Kamern gesteigert werden, um
dadurch das Gedankliche des "Gleichsam-eine-Welt-Aufzeigens" zum Aus-
druck zu bringen. Mit den fortschreitenden Begebenheiten sollen diese Bewe-
gungen auch in Tiefen und Höhen geführt werden, um den inmitten der
Natur alle Welt erfassenden Taumel bildhaft wiederzugeben.
In seinem LETZTEN MANN versteht Murnau, weit mehr als Lupu Pick
es für SYLVESTER getan hat, die Angaben Carl Mayers für die Kamern aus-
zuwerten; sie .werden zur Basis seiner hinreißenden optischen Wagnisse.
Ihm genügt die rollende Kamera nicht mehr, er schnallt sie auf den Leib
seines Kameramannes, zwingt ihn, Jannings übemll hin zu folgen, sich über
ihn zu beugen, sich zu verbiegen, zu winden, um die kompliziertesten Ein-
stellungen zu gewinnen.
'
Immerhin ist sich Lupu Pick der Trngweite von Carl Mayers technischen
Anweisungen einigermaßen bewußt So schreibt er: "Die neuartigen Bild-
bewegungen wie ,vor und zurück' oder ,seitwärts' usw. sind bedeutungsvoll
und untrennbar von diesem Manuskript. Sollte der Film, an und für sich
schon seinem Wesen nach, nur bewegtes Bild sein, so ist hier die Anregung
des Autors um so bemerkenswerter, als dadurch die Vision ausgelöst wird, daß
die Umwelt den engen Schauplatz des Geschehens gleichsam umfließt ...
Wie das Meer eine Insel." (Schuld mag gernde Lupu Picks übermäßiger
Hang zum Symbolhaften sein, daß er die bewegte Kamern nicht so souverän
wie Mumau zu meistem verstanden hat)
•
186
Mayers expressionistisch abgehackte Sprache mit den vielen Ausrufungs-
zeichen, mit den umgestellten Verben, ist, wie selbst der antiexpressionisti•
· sehe Pick gemerkt hat, dank ihrer Zäsuren, dank ihres Skandierens bewegt
wie das Bild selbst und macht das Tempo des Spiels fühlbar. Denn jene allein
auf eine Zeile gestellten "Jetzt", "Und!", "poch!", "Denn:" oder "Dann:",
"Und da!", die wie zufallig eingestreut erscheinen, die sich wiederholen,
kreuzen, sind in Wirklichkeit da, um die Handlung zu beschleunigen oder
aufzuhalten; vor allem aber enthüllen sie Carl Mayers wachen Sinn für
Rhythmus.
187
Mit Carl Mayer, der im Grunde nur formal ein Expressionistgewesen ist,
gibt sich Lupu Pick allen Umwegen des Seelischen hin: während die Schwie-
gertochter schläft, geht die kleine Alte schüchtern benommen umher, bleibt
müßig beim Kinderwagen stehen, den sie nicht anzufassen wagt, hantiert
mechanisch am Ofen. "Pick dreht viele, viele Meter, bevor er den Höhepunkt
seiner kleinbürgerlichen Tragödie enthüllt. Zwei Familienportraits- das erste
eine vergilbte Fotografie der stolzen Mutter mit dem ihr zärtlich zugewandten
Sohn, das andere neuer, goldgerahmt, mit dem glücklichen Brautpaar - sind
der Anlaß zu einer furchtbaren Eifersuchtsszene zwischen Schwiegermutter
und Schwiegertochter. Und der zwischen den zwei egoistisch um ihn ringen-
den Frauen hin- und hergerissene Mann, dessen Hirn der Silvesterpunsch
vernebelt, stürzt wegen dieser zwei Fotos hinaus zu einem sinnlosen Selbst-
mord.
Überall in diesem Film herrscht das Objekt: der Ofen, an den sich die
Alte festklammert, als der Sohn sich genötigt sieht, sie fortzujagen, wird zum
Symbol des heimischen Herds. Die Alte hetzt im Raum umher, in dem schon
die Leere, die der Tote läßt, fühlbar wird, sie dreht sinnlos den Kinderwagen
im Kreise, und dieses Kreisen des Kinderwagens wird unerträglich in seiner
Bedeutungsschwere. Die Papierschlangen, auf die man tritt, die man in den
Straßen am aufdämmemden Morgen schließlich wegfegt oder die wie verfilzt,
verwickelt, zerrissen auf Tischen und Stühlen der leeren Konditorei hängen,
das letzte Kalenderblatt, das ein Betrunkener über seiner Pappnase lange
beschaut, bevor er sich endlich entschließt, es abzureißen und zu zerknüllen
(eine Szene, die Mayers Manuskript übrigens nicht enthält)- alle diese Züge
sind ein Teil der Symbolhaftigkeit seelischer Beziehungen, die Pick aufzu-
decken bemüht ist.
Man weiß, für den Expressionisten bedeuten Personen nichts anderes als
die Verkörperung von "Prinzipien". Selbst die Hauptpersonen nennt Carl
Mayer immer nur "Gestalten". Er sieht sie lediglich als Vertreter ihrer Gattung
188
an, gibt ihnen keine Eigennamen, bezeichnet sie nur noch als "den Mann";
"seine" Frau, "seine" Mutter und nimmt so den beiden Frauen durch dieses
besitzanzeigende Fürwort noch jede persönliche Existenz. Andererseits· er-
klärt er in seinen technischen Anweisungen,. daß allein diese Hauptgestalten
in größerer oder großer Einstellung zu erschauen sein sollen, niemals aber die
Nebengestalten, "da die handlunggemäßen Vorgänge sich hier aus dem Hinter-
grund allgemeiner Neujahrsatmosphäre herausheben". Küche und Wohn-
stube, aber auch die Hinterstube sollen, so erklärt er ferner, von ganz kleinen
Ausmaßen sein, "damit anläßtich der hier oft gegebenen Gesamteinstellungen
die Gestalten dennoch intensiv im Raume stehen."
"Vor!
Und zurück/
Lupu Pick ist, das muß immer wieder betont werden, keineswegs ein
Regisseur, der dem deutschen Film einen neuen Realismus gegeben hat.
189
Er komplizielt lediglich durch eine "tiefgründige" Psychologie die geistige
Haltung und den schauspielerischen Habitus seiner Personen, die indes im
Grunde genau so nebelhaft vage im Raum verbleiben wie alle jene Gestalten,
die von der expressionistischen Ideologie geschaffen worden sind. Und wenn
er auch hier und da echte Bettler als Komparsen zugezogen hat, so sind sie
in gebührender Weise schablonisiert, verschminkt, bis sie schließlich nicht
anders aussehen als später einmal in der DREIGROSCHENOPER von Pabst
die von Peachum fabrizierten Bettler. Denn Lupu Pick, der schlichte Alltags-
figuren schaffen möchte, kann sich niemals naiven Symbolen, niemals dem
lannoyant Sentimentalen entziehen, so sehr er auch ehrlich um eine tiefe
Menschlichkeit bemüht gewesen ist
Doch!
Und im Foyer ragen hohe Spiegel, in denen sich die Gäste spiegeln,
Grooms öffnen eine Doppeltür aus Glas.
.,Und da!
Zeichnet deutlicher sich diese Tilr aus Glas. Die
den Saal läßt erahnen. In Glanz und licht.
Denn: (Immer gesehen durch der Türe Glas:) TI-
sche I Dicht besetzt. Mit reichen Gästen viel.
Und!
lQO
- -------------------.....
Wir wissen, was ein genialer Regisseur wie. Mumau aus solchen Einblicken
in Räume voll hastender Bewegung, voll schwirrenden Lichts in dem LETZ-
TEN MANN gemacht hat Man denke nur an seine Drehtür, an das Hotel-
foyer, den Blick vom Fahrstuhl aus: Mumau bringt hier ein souveränes
Fließen von Visionen zuwege, in denen Licht und Bewegung alles bedeuten.
Und wir verstehen, daß Lupu Pick, dem Carl Mayer schon in SYLVESTER
die Möglichkeit zu überraschenden optischen Wirbel-Effekten geboten hat,
niemals, wenn er den LETZTEN MANN gedreht hätte, Murnaus überragende
Leistung erreicht haben würde.
Hier zeigen sich deutlich die Grenzen eines ehrlich bemühten Regisseurs
wie Lupu Pick, der nicht Murnaus Begabung gehabt hat
I
*
Paul Czinner hat die fließende Zwiespältigkeit des Kammerspielftlms
subtiler zu gestalten gewußt. Zudem war seine Lebensgefährtin Elisabeth
Bergner für solche seltsamen Zwischenspiele des Seelischen die ideale Dar-
stellerin. So zeigt Czinner zum Beispiel in NJU seine Menschen schweigsam
nebeneinander, einander zugewandt, oft ohne Bewegung. Er bringt Pausen,
die beredt wirken, die keinerlei erklärender Zwischentitel bedürfen, und die
ganze Atmosphäre vibriert von dieser schweigenden Beredsamkeit, die hier
vom Stummfüm auszuströmen scheint Sein Ausspielen hat niemals die
Schwere, die Lupu Picks Symbolik hervorruft, Psychologisches wird nur er-
ahnt, niemals übertrieben akzentuiert. Und Czinners Kammerspiel gewinnt,
als er in seinen späteren Filmen Großaufnahmen einschneidet: die latente
Stimmung wird sichtbar auf den nahe gesehenen Gesichtern, auf denen sich
jetzt für Momente jede Regung, jeder Seelenreflex widerspiegeln kann,
Wolken vergleichbar, die über einen klaren Himmel hinwegziehen.
191
sie der als metaphysisch empfundenen Ausleuchtung, dem geheimnisvollen
Helldunkel zuzugesellen. Im Grunde umfließt die Stimmung Personen wie
Gegenstände. Sie bedeutet einen langaushallenden Akkord - nicht umsonst
spricht ja schon Novalis von dem "musikalischen Seelenverhältnis" der Stim-
mung, von der "Akustik der Seele" -, sie ist eine mystische Harmonie im
fließenden Chaos der Dinge, eine schmerzliche Sehnsucht, eine Art von
Wollust, die fUr den Deutschen immer dem Sterben verwandt scheint
Oft ist es eine verschleierte melancholische Landschaft, der mit dem auf-
steigenden Nebel Stimmung entströmt, oder es ist ein Interieur, wo das ge-
dämpfte Licht einer Hängelampe, das Flackern von Kerzen, eine Ölfunzel
jenes so willkommene Halbdämmern erstehen läßt Immer wieder finden
wir solche durch Lichtwirkungen geschaffenen Stimmungsbilder. Man
denke nn die abendliche Szene in Frttz Langs Altersheim aus dem MÜDEN
TOD. Noch in M suggeriert er eine gewisse Stimmung im Salon seiner Diebes-
bande, wo der Zigarrenrauch sich in das Leuchten der Hängelampe drängt
Oder durch die Spalten einer nur halb geschlossenen Jalousie, die man
hinter einem Gazevorhang ahnt, fällt vom Fenster her Licht ein und sickert
in leuchtenden Strähnen über den Boden des verdunkelten Raums. Wie ein
undeutliches Netzwerk reflektiert die durch die Gaze schimmernde Fenster-
rahmung in einem hohen Spiegel. In diesem stimmungsvollen Dämmern
kniet zum letztenmal der Student von Prag bei seiner Geliebten - und einen
Augenblick später wird der Spiegel sein unseliges Geheimnis verraten, der·
Liebenden offenbaren, daß er sein Spiegelbild verloren hat. :.... •..,...... ....:
Stimmungen heraufzubeschwören, vages Gefühl durch Vtsionen zu inter-
pretieren, langsam durch Ausspielen, Auskosten von Szenen die Geheimnisse
der Seelen zu enthüllen, ist an sich sehr deutsch. Lang hat in SIE(7FRIEDS
TOD ein typisches Beispiel eines solchen Ritardando gebracht: Siegfried und
Kriemhild nähern sich einander zum ersten Male, sie schreiten in hieratisch
starrer Haltung. Kriemhild trägt den Willkommenstrank wie den heiligen
Gral. Schritt fUr Schritt kommen sie sich entgegen, versenken die Blicke in-
einander, als existiere für sie sonst nichts auf der Welt. Schwere, endlose
Minuten verstreichen; das Kammerspiel wird zur Wagner-Oper.
Dieses langsame Zueinanderstreben zweier Liebender nimmt in expres-
sionistischen Filmen fast etwas stilisiert Balletthaftes an: so etwa in ORLACS
HÄNDEN, wo Gatte und Frau wiederholt in völlig verkrampfter Haltung
zögernd aufeinander zustreben. Veidt will die Gattin nicht mit seinen Mörder-
händen berühren. Bei der Frau ist es lediglich der mißverstandene expressio-
nistische Habitus einer an sich naturalistischen Darstellerin.
Die Stimmung kann sich allerdings plötzlich zum Grauen wandeln: In
dem STUDENT VON PRAG bricht jäh der Sturm aus, Wolken fegen über
den Himmel, Dunkelheit zerfetzt ihn, Bäume biegen sich im Unwetter - der
Aufruhr der Natur entspricht der inneren Zerrissenheit des fl~lden. Und die
Verzweiflung von Faust, der den Dämon beschwört, offenbaren Blitze, die
über einen· schwarzen Himmel· zucken; über weiße, Skelett-gleiche Äste, die
der Wind zu zerreißen scheint, prasselt Regen nieder, als sich die kleine zer-
brechliche Nju im weiten, flatternden Gewand in den Freitod stürzt. ·
Solche Stimmungen beschwören bereits die Romantiker immer wieder
herauf. Man denke nur an Stellen bei Jean Paul oder bei Büchnei:'. Und es
sind diese ererbten Erinn~~eö~ .{tic:., ·iQ, ~ine~ so leicQ.t iP.s ()~dru~~ ...·.
verfallenden Sujet wie ~~e~f~J~~~}~·ß:J: d~~ .Pl!~~~bp,l~. ~~~~-~~p.n~·. ;~~:,
Golgatha gestalten helfen . . .... ~'··· \.'!: r' ·I . . . . ~ ·.• '-·. •• :-~-~ ... ;· -,. ...... ,..,
·-·.' !' -·:.:·-.. '"· .. ~~.- -~--~:~ "'t.!' :'' • :. -~·-. ·-~~-:~.. :·_·::~''~:~ ~\.;..\:- ..~'.:'. ':.·:~: .. .
Aber der Schritt vom Erhabenen zum Lächerlichen ist immer 81Izu rasch .
getan; denn Visionen, denen die Romantiker den ·dramatischeii Aufruhr
ihrer belebten Sprache zu verleihen gewüßt haben, werden im· Filmbild oft
zu lange festgehalten. Wenn heute gewisse Passagen der klassischen deuts~hen .
Filme den ausländischen Zuschauern in ihrem· langatmigen Ausspiel~ri.Atjs
kosten einer Situation unerträglich schwerfällig ersch~1nen,.s.oJJegtda:.üi891:ri.~ :·: ,
daß die deutschen Regisseure danach streben, letzte Seelet®iitlde·.zu·:ey..: :? .
forschen. =·'7.. :::: \ ~: .· ' )'.
101
"Die Deutschen lieben es", so schreibt schon Madame de StaSI über das
damalige Theater in Deutschland, "sich langsam dem Genuß des Schauspiels
zu überlassen und dem Dichter alle Zeit zu geben, die er brautht, um die
Ereignisse vorzubereiten. und die Seelenentwicklung der Personen aufzu-
bauen; unsere französische Ungeduld duldet diese Langsamkeit keineswegs."
194
:- ' : .:.;;. ,',;~ '
Mag~ache S.l"ache\nungen·
199
GOLEM von Wegener und Boese
200
Deutsche Poesle
... ·. ·.
· .. ·_
3FRIEDS TOD
202
Deutsche. Poes\t
: WEISSE HOLLE VOM PIZ PAUJ von Arnold Fanck und G. W. Pabst
204
XII.
205
;.
..
Wie in SYLVESTER ermöglicht auch im LETZTEN MANN das Fehlen
von Zwischentiteln ein Übergleiten von einer Einstellung in die andere, die
Handlung fließt nur von rein visuellen Elementen getragen weiter. Und
wiederum ist hier, und sogar noch mehr als bei den Filmen von Lupu Pick,
der Widerstreit zu allen expressionistischen Formulierungen zu spüren. Hat
nicht Edschmid ausdrücklich die kleinbürgerliche individuelle Tragödie und
jene lächerlichen Dramen sozialen Ehrgeizes mit ihrem jämmerlichen "Leid
der Attrappe, des Kleides" - also der Uniform - verdammt?
Carl Mayer und F. W. Murnau zeigen hier die Tragikomödie eines Hotel-
portiers, der stolz auf seine goldstrotzende Livree ist, den seine Familie und
die Nachbarn aus dem Hinterhaus andächtig bewundern, als sei er ein groß-
mächtiger General in seiner Uniform. Der Portier ist zu alt geworden, um wie
einst schwere Koffer zu handhaben; so wird er "abgesetzt" und bekommt
zur Überwachung die Herrentoilette. Als letzter Mann muß er seinen Uniform-
prunk gegen eine schlichte, weiße Leinenjacke eintauschen. Seine Familie
kommt sich entehrt vor, die Nachbarn, die ·ftir ihre einstige Bewunderung
Rache nehmen, verhöhnen ihn. Diese kleinbürgerliche Tragödie ist im Aus-
land kaum mehr verständlich; sie kommt aus einem Land, in dem die Uniform
zuzeiten leider gottähnlich war.
207
hier etwa mit den letzten Spuren einer expressionistischen AUffassung zu
tun, wie etwa in Haseneievers Drama "Der Sohn", wo alle übrigen Figuren,
mit denen der Held in Konflikt gerät, schattenhafte Schemen bleiben, weil
sie lediglich "Ausstrahlungen seiner Innerlichkeit" bedeuten? Die Nachbarn
des "letzten Mannes" -sind ebenso wie die anonymen Gäste des Hotels Scha-
blonenwesen; sie beginnen nur zu existieren, wenn sie ihren großen Mann
im Hinterhof erwarten können, sie agieren nur, wenn er in seinem Glanz
erscheint. Ist der Portier (lie Treppe hinaufgestiegen, so kann hier das Gaslicht
gelöscht werden. Und wenn alle diese Schattenkreaturen sich des Morgens
an Fenstern und auf Balkonen zu schaffen machen, um Plumeaus zu klopfen
und Laken lüften, so geschieht dies gewissermaßen nur als recht bescheidene
Begleiterscheinung für die feierliche Hauptaktion: das Bürsten der sakro-
sankten Livree.
Es gefiillt Murnau, diesen Eindruck durch seine Einstellungen zu ver-
tiefen: er läßt den Portier, der in seiner Uniform stolz zum Hotel schreitet, so
aufnehmen, daß er weit größer erscheint als die Passanten, die ihm begegnen.
Und bei der Hochzeitsfeier überragt er wiederum, in die Mitte gestellt, alle
anderen, wirkt plastisch hervorgehoben, während die Gäste durch einen
Kameratrick verflaut, verschwommen aufgenommen sind.
Trotz solcher Momente kann man kaum behaupten, daß sich hier noch
viele expressionistische Tendenzen fmden. Wenn Murnau gewisse Form-
elemente des Expressionismus für seine Traumvisionen verwertet, so ge-
schieht das lediglich, weil er gefühlt hat, daß er Irreales auf diese Weise besser
gestalten konnte. Gewiß hat auch er einen Hang zum Symbolhaften, das ja
Carl Mayer besonders liegt, und so betonen beide, wo es angeht, die "meta-
physische Bedeutung" des Objektes. Der Riesenschirm des Hotelportiers
wird gleichsam zu seinem Szepter, und wenn er ihn für Augenblicke einem
Pagen überläßt, so geschieht das, als sei es eine königliche Gunstbezeugung.
Und wenn dem Hotelportier die Livree ausgezogen wird und dabei ein Knopf
abreißt, so bedeutet das Detail des fallenden Knopfes, das die Kamera um-
ständlich einfängt, geradewegs eine militärische Degradation. Aber bei
Mumau bekommt das Symbolhafte nie etwas Pomphaft-Leeres, nichts von
der sogenannten metaphysischen Grundlosigkeit eines Lupu Pick. Wenn
Carl Mayer mit Murnau arbeitet •. wächst das Symbol organisch aus der Hand-
lung heraus: nach dem Triumphtraum mahntgerade das Fehlen des·Knopfes
den Hotelportier wieder an die traurige Wirklichkeit
Mitunter wird das Symbol völlig schicksalhaft ausgewertet: wenn der Hotel-
portier die Stufen zur Herrentoilette hinuntergeht, so bedeutet das gleichsam
den Abstieg zur Vorhölle; erbarmungslos schlagen die Türflügel hinter ihm
zu - es gibt kein Zurück mehr. Lubitschs Vaudeville-Mentalität gefällt sich im
mannigfaltigen Spiel von Türen, die sich öffnen und schließen, aber nie bat
208
dieses Wechselspiel etwas von der Tragweite, die es bei Murnau annimmt.
Wenn in NOSFERATU, von unsichtbaren Händen gestoßen, das schwere
Portal zufällt, so bedeutet dies, daß der junge Mann nicht mehr dem Ver-
hängnis entrinnen kann. ·
Das ewige Karussell der Drehtür, das der Hotelportier mit soviel Stolz
dirigiert, und durch das er das Treiben' der Ein- und Ausgehenden be-
herrscht, wird zum Sinnbild des verrinnenden und sich erneuernden I,.ebens.
Und wiederum ist dem anorganischen Objekt, das der Handlung verquickt
wird, eine transzendentale Bedeutung verliehen. Wertet Murnau das auch
feierliehst aus, so bleibt er nicht im Schablonenhaften stecken: er weiß der
dominierenden Macht seiner Drehtür Plastik zu verleihen.
209
Hotelportier wird von unten her aufgenommen. So schiebt er stolz den Bauch
vor sich her und wird zu einer unförmig lächerlichen Masse, in der Art wie
Sowjet-Regisseure einen zaristischen General oder einen fetten Kapitalisten
fotografieren. Im Gegensatz dazu wird der seiner Pracht Beraubte von oben
her aufgenommen - erscheint in seinem Niedergang erbärmlich klein,
hinfallig. ·
Mumau, für den BewegunHlies bedeutet, ist der einzige deutsche Regis-
seur, der die Bewegtheit der Montage zu meistem verstanden hat Denn Fritz
Lang und andere haben das lange Ausspielen einer Szene bevorzugt, an die
eine andere sich ebenso ausführlich im langsamen Rhythmus anfügt. Pabst
seinerseits sucht das Ineinandergleiten von Szenen und tut alles, um den
Schnitt unmerklich zu machen.
Murnau dagegen kennt ftir NOSFERA TU bereits die Spannung, die der
Schock zwei er entgegengesetzter Passagen der Handlung zuwege bringen kann.
Der Erfolg des hinreißenden Auftaktes des LETZTEN MANNES ist völlig
210
auf die souveräne Handhabung der entfesselten Kamera aufgebaut Wir er-.
fassen mit einem einzigen Blick den gesamten Komplex - das Hotelvestibül
und das Bollwerk von Etagen - durch die Glastür eines Iangsani he~b
gleitenden Lifts. Wir spüren sofort die Besonderheit der Hotel-Atmosphäre,
das Hin- und Herströmen der Gäste, die durch die Drehtür eintreten oder
hinausgehen, diese unaufhörlich flimmernde Wandlungsfahigkeit, diese Mi-
schung von Licht und Bewegung, die sich hier bietet Konturen zerreißen,
bilden sich aufs neue, gleiten ineinander, und diese Kette optischer Eindrücke
nimmt uns in ihrem grandiosen Fluß den Atem.
211
zieren scheint. Autoscheiben, die gläserne Drehtür spiegeln die Silhouette
des Hotelportiers in seinem gleißend nassen·schwarzen Ölzeug wider, oder in
dunklen Häusermassen leuchten helle Fenster im Schachbrettmuster auf.
Fftitzen werden zu Spiegeln, das Halbdämmer der Straße durchfluten glit-
zernde Staubkörner, leuchtender Dunst fällt gedämpft von Straßenlaternen.
Fast impressionistisch werden Licht, Regen, Nachtstimmung in ihrem glei-
tenden Wandel wiedergegeben.
212
--~·
schon in der realen Handlung stets als einziger plastisch herausgeholt worden
ist, erscheint in dieser Traumwelt in ihrer ganzen Endgültigkeit: vo·n Alifang
an ist ja die Tragödie des Hotelportiers nur durch seine Augen gesehen und
dargestellt worden.
Mumau hat, wie Balazs betont, bereits in seinem Film PHANTOM die
"vom Traum überschwemmte Wirklichkeit" aufzuzeigen versucht: in dem
Chaos der Objekte beginnt eine Tischplatte sich zu drehen, für einen "schwan-
kenden Tag" ziehen Straßen in einem phantastischen Maelström unheimlich
rasch vorüber, Stufen heben sich und senken sich unter Füßen, die trotz
ihrer Regungslosigkeit entwurzelt zu sein scheinen.
Bei einigen Stellen des Films, die nichts mit dem Traum zu tun haben,
finden sich noch Spuren eines gewissen entwickelten Expressionismus.
')1'2
Um den damals an die Exaltation des ekstatischen Theaters gewöhnten Zu-
schauern die Verzweiflung seines Hotelportiers verständlich zu machen, zelgt
Murnau seinen Helden, zur Flucht bereit, mit der gestohlenen Livree unter
dem Arm einen Augenblick wie erstarrt, schief zur Seite geneigt wie ein
Schiff, das untergeht Seine tragisch-pathetische SUhouette breitet sich schräg
über die Leinwand aus, gerade vor jener Mauer, die er jeden Tag in der Selbst-
zufriedenheit des Mannes in Uniform hochaufgerichtet entlanggeschritten ist
Die Einstellung auf die Diagonalen, sagt Hans Richter, unterstreicht das
Erregende. Und ähnlich hat schon Rudolf Kurtz gesehen, daß die schräge
Linie andere seelische Empfmdungen auslöst als etwa die gerade Linie.
*
Heute wirft man Murnaus LETZTEM MANN seinen langsamen Rhyth-
us, die Schwerfälligkeit, das Ritardando seiner Handlung vor. Aber Murnau
stet jedes Detail aus, und wenn er mit übertriebener Gründlichkeit jede
· Phase des Gesichtsausdruckes seines Helden sondiert, so liegt das nicht an
dem naturalistischen Ausspielen, dem Bestreben von Jannings, sich an die
Rampe zu spielen. An der Überbetonung jeglichen Details ist weit mehr die
Stimmung des Kammerspiels schuld, die eben Pausen, Zäsuren verlangt
Und es ist auch- so widerspruchsvoll dies erscheinen mag- gerade die ent-
fesselte Karnern, die der Anlaß zu einem so langsamen Ausspielen wird.
Denn während die Kamera der von Zwischentiteln befreiten Handlung einer-
seits eine größere Beschwingtheit, ein optisches Ineinanderfließen verleiht; so
erlaubt sie andererseits, Personen und Gegenstände gründlich zu sondieren.
Zudem verlangt das Thema, jene kleine Lokalnotiz menschlicher Eitelkeiten,
214
.' · ... --.·-'it~: ..
eine gewisse rhythmische Schwere, eine Statik, die ihm erst den eigentlichen
sinn zu geben vermag. •·· ....~~ . .
R LETZTE MANN: Emil Jannings
· .. .,.
DER LETZTE MANN: Reflexe in den Spiegeln, Schatten von der Straf
217
~LETZTE
.. ,
MANN: Verzerrung
•• .
.. ,
.....
.I
.····....
''·
..
..
•.
.
·
R LETZTE MANN
218
OBERFALL von Ernö Metznt
OBERFAI
219
:RFALL
220
XIII.
221
Manche Passagen aus METROPOLIS kommen uns heute recht veraltet
vor, sie wirken mitunter lächerlich, vor allem dort, wo das Sentimentale, für
das sich vor allem Thea von Harbou einsetzt, sich dem Monumentalen zu-
gesellt ~at noch nicht die große Einfachheit von M erreicht, wo die
Wirklic~anz naturgemäß Seltsames mitklingen läßt
*
Die statische Symmetrie von SIEGFRIEDS TOD löste einen langsamen
Rhythmus aus, der erbarmungslos schien wie das Fatum, das über dem
barbarischen Epos lastel In METROPOLIS, wo Massen zu dirigieren sind,
wird dieser Rhythmus dynamischer. Lang trafman damals in jeder Uraufllih-
rung; er verstand es, zu beobachten und alles Gesehene auf eigene Weise
umzuformen, sich wirklich zu eigen zu machen. Er hatte Max Reinhardts
Massenfl.ihrung auf der weiten Bühne des Großen Schauspielhauses • oft
gesehen, er karinte die Ballung der Körper in den expressionistischen Sprech-
chören, Statistengruppierungen auf den gestaffelten Podesten, Gerüsten und
Treppenbauten.
Die Menge der Sprechchöre schien eine dichte, dunkle Masse, oft wirkte
sie völlig amorph, sie war einer langsamen, automatisch-schweren Bewegung
unterworfen. Nur von Zeit zu Zeit lösten sich aus ihr Chorftihrer in rhyth-
mischen Intervallen wie in der antiken Tragödie. Für Piscator war die anonyme
223
Kreatur der Expressionisten bewußter Teil eines Kollektivs geworden: der
Körper konnte einen vorschnellenden Willen, eine gebändigte Aktivität aus-
drücken. Als Regisseur eines technischen Zeitalters war Piscators Konzeption
vor allem konstruktiv. Er konnte daher den Menschen der Masse zum
Architekturelement erstarren lassen, er warf ihn herum zu einer keilf6rrnigen
Bewegtheit, als einzelnen oder eingemauert in die Menge. Schräg wie zu·m
Stoß fl.ihrte er seine Darsteller, hielt sie fest in einer intensiven Gespanntheit,
die fast an jene erinnert, die der Expressionismus erstrebte, von dem sich
Piscalors Stil insoweit unterschied, als er keine Übergangsbewegungen
vermied.
224
dunklem Cape, vom schwarzen Krawattenkragen, unter dem Zylinderhut .
wächst bleich wie eine Totenmaske das Gesicht des Laboratoriumsgeschöpfes,
aus dem Dunkel des Hintergrundes krampfen sich die. weißen Hände, es ist ·
gleichsam ein Auftakt flir Wienes ORLAC. Alle Elemente der deutschen
Filmkunst, wie sie sich in den nächsten zehn, zwölf Jahren entwickeln wird,
sind in den HOMUNCULUS-Filmen bereits angedeutet: die brüsken Gesten,
die wildwechselnde Mimik künden Kortners Spiel in HINTERTREPPE, in·.
SCHATTEN an oder den bizarren Erfinder, den Klein-Rogge in METRO-
POLIS verkörpert.
225
Mit der gleichen mechanischen Vollkommenheit marschiert in der Fieber-
vision der Zug der Moloch-Opfer in den aufglühenden Rachen hinein. Die
riesige Fassade der Maschinenzentrale wandelt sich filr einen Augenblick
in die barbarische Maske des alles verschlingenden Gottes. Lang erinnert
sich hier an CABIRIA: rechteckig geformte Kolonnen, die in genau einge-
haltenen Abständen marschieren, werden in den Feuerrachen hineinge-
trieben. (In ähnlich regelmäßigen Kolonnen sind bereits in dem Königssaal
von Worms Siegfrieds Krieger aufgereiht, und ebenso stilisiert in der Form
werden später einmal, von Leni Riefenstahls Kameraleuten aufgenommen,
von oben her die namenlos Marschierenden im TRIUMPH DES WILLENS
gezeigt werden. Nicht umsonst haben Fritz Langs NIBELUNGEN den
damaligen Machthabern so zugesagt)
Die Bewohner der unterirdischen Stadt sind fast noch mehr Automaten
als jener Automatenmensch, den der Erfmder Rothwang geschaffen hat; sie
sind dem Rhythmus komplizierter Maschinen völlig eingeordnet. Ihre Arme
werden zu Strahlen eines Riesenrades, ihre in den Nischen der Maschinen-
zentrale eingebetteten Körper wirken wie die Zeiger von Uhren und werden
wie diese mechanisch-rhythmisch bewegt Die extreme Stilisierung ver-
wandelt den Menschen in ein Objekt: in den beiden Etagen strebt die Dia-
gonale eines jeden dieser mechanisierten Körper automatisch in die entgegen-
gesetzte Richtung des Nachbarkörpers.
226
stoßen, wenn sie z. B~ vorstürzen, um die Maschinenzentrale zu zerstören,
·oder wenn sie am Ende des Films zum Tor der Kathedrale schreiten. A:uch
die Bewegung der Kinder zur rettenden Betoninsel vollzieht sich in Keilform.
(Jene vorstoßenden Dreiecksbewegungen von Massen sind, wie bereits er-
wähnt, schon in den HOMUNCULUS-Filmen zu fmden. Lang allerdings
intensiviert das Geometrische, bindet die Figuren noch stärker ein, so daß sie
den Raum tatsächlich mit formen helfen.)
*
Wie in allen seinen Filmen handhabt Lang in METROPOLIS das Licht
mit einer bewundernswerten Meisterschaft: die Stadt der Herrenmenschen
erhebt sich als leuchtende Pyramide der Wolkenkratzer, umgeben von einem
Strahlenbündel. Modellbauten sind so beleuchtet worden, daß aus ihren
angeblichen Riesenmassen, wo schachbrettartig leuchtende Fenster und
dunkle Mauem wechseln, Kaskaden.von Licht- und Dampfschwaden hinunter-
fluten und wie in einem leuchtenden Staubregen auseinanderstieben; hän-
gende Straßen und Brücken wirken gigantisch übersteigert. ln dieser Sym-
phonie des Lichts spürt man kaum mehr den Trick. Durch Schüfftans Spiegel-
technik ragen auch die Mietskasernen der Unterweltstadt, die nur zum Teil
wirklich gebaut waren, riesenhaft und drohend empor. ··
Mit Licht scheint sogar der Ton erzeugt zu werden: das Pfeifen der Fabrik-
sirenen wird durch vier grelle Strahlenbündel, die in vier Richtungen vor-
stoßen, anschaulich zum Ausdruck gebracht, und man glaubt sie fast zu hören.
(In ähnlicher Weise wird übrigens in Grunes SCHLAGENDE WETTER das
Heulen von Sirenen durch strömende Dampfsäulen veranschaulicht) Jene
Lichtbündel der Fabriksirenen in METROPOLIS sind übrigens auf das
Negativ gemalt worden.
Überall flutet in Fritz Langs Film das Licht - in der Symphonie der
227
Maschinen, deren Konturen phosphorhart verfließen, Wie auch in dem Labo-
ratorium, wo der Automatenmensch geheimnisvoll gebaut wird. Hier füllen
sich Retorten mit einem opalisierenden Licht, plötzlich gleißen Glasröhren
auf, Zickzack-Blitze fahren über die Leinwand, Funken sprühen, Flammen-
kreise steigen, das RäCiergetriebe mit seinen Hebeln scheint sich in glitzerndes
Gestrüpp zu verwandeln. Durch Ausleuchtung, durch Einblendungen mischt
sich der Strudel der Maschinen mit den Phantom-Formen langverzogener
Wolkenkratzer und reißt in einem Fieber-Alptraum Fröhlich hinein, der sein
Bewußtsein verliert, ins Endlose hinabzustürzen scheint.
228
StUlalerung bel llrlu ~an~
IEGFRIEDS TOD
230
Statisterle als "Architektur'·
SIEGFRIEDS TOC
SIEGFRIEDS TOD
231
'nge als "Architektur"
\ETROPOLIS
232
...·.«•;_!
!!! . .· ·.: ... ·;
'~~1·Mrt .. ·,.
Menge als "Architektur·
TROPOLIS
234
METRO PO LI
METRO PO LI
235
fROPOLIS
fROPOLIS
236
METROPOLIS
METROPOLIS
237
:TROPOLIS
238
Baumstämme aus Zement: der Wald aus SIEGFRIEDS TOD
239
XN.
241
Wie ein roter Faden zieht sich durch die Abenteuer-Filme von Fritz Lang
in dem einstigen Lande des wilhelminischen "Kadavergehorsams" und der
"Herren- und Sldavenmoral" Nietzsches der Mythos des dämonischen ~
menscheD, der die Weltordnung umzuwerfen trachtet
Noch ist dies nicht so völlig sichtbar in Langs Episodenftlm DIE SPINNEN
(1919). Von diesem Filme sind anstelle der vier geplanten Episoden nur zwei,
DER GOLDENE SEE und DAS BRILLANTENSCHIFF, gedreht worden.
In der ÜberfOlie ihrer Ereignisse, die fast die Handlung selbst überwuchern,
spürt man bereits Langs Sinn flir Spannung.
Es ist zudem erstaunlich, daß ein so junger Regisseur schon bei seinem
dritten Film - die anderen beiden frühen sind verloren gegangen - solch eine
Meisterschaft in der "mise en scene" bestimmter Sequenzen zeigt Szenen,
die wirklich in einem Aussichtswagen geftlmt worden sind - man kannte
damals in Deutschland noch nicht das Verwerten von Transparenten - geben
dem Abenteuer etwas Sachlich-Dokumentarisches. Daneben offenbaren eine
subtile Ausleuehrung und ein reicher Dekor Langs Freude am Phantastischen.
Hier sind bereits alle jene Elemente zu fmden, die Langs spätere deut-
sche Filme aufweisen: Geheime Falltüren, kompliziert geführte Aufzüge,
die ein ungeheurer Chinese mit großem Krummschwert zu bewachen hat,
unheimliche Kellergewölbe, in denen mysteriöse Zylinderherren gefährliche
Beratungen abhalten, Panzergewölbe, doppelte Wände, die ineinandergleiten,
Verschläge und Zimmer, die sich mit Gas füllen oder unter Wasser gesetzt
werden - alle jene Spannungsmomente sind bereits hier vorhanden. Lang
wird schon hier, wie in Alberichs Nibelungenschatz-Höhle bis hinüber zu der
243
Tempelgrotte seiner späten Indien-Filme und den Katakomben, aus denen
die Schar der Leprakranken quillt, eine Vorliebe f'tlr das Mysteriöse unter-
irdischer Gewölbe zeigen: so die unter der Erde versteckte Inkastadt oder
die Opiumhöhle des Chinesenviertels tief unten und die Schatzhöhlen der
Piraten.
Schon spüren wir Langs Sinn flir Humor in seinem Lebendigmachen von
Nebenfiguren: so im Zug, der hundert Abenteuern entgegenfahrt, der kleine
Neger-Groom, der behaglich in seine Banane beißt. Mitunter geht die Komik
einer Situation bereits ins Phantastische: der kleine bizarre Professor, der
inmitten von staubigen Folianten mit seiner zahmen Elster haust und den
der Held über die geheimnisvolle Inschrift befragen kommt, hat bereits etwas
von dem kleinen fadenscheinigen Apotheker im MÜDEN TOD und gleicht
fast schon dem verrückten Gelehrten in der FRAU IM MOND. Nichts geht
bei Lang verloren.
Typische Lang-Elemente also, denn Lang hat diesen Film noch ohne Thea
von Harbou geschrieben.
*
244
Der rätselhafte Vamp Lio Sha spinnt sein unheimliches Ränkespiel;
ohne daß wir die Motivierung erraten können. Ist es Abenteuerlust oder
Gewinnsucht? · ·
Dieser Dr. Mabuse verfällt einer Depression, wenn ihm seine Anschläge
fehl gehen; er betrinkt sich, wenn er triumphiert. Kurz, er ist kein bloßes
Ungeheuer. (Bei Dr. Caligari in all seiner expressionistischen Stilisierung
bleiben die Motive seiner Machtgier seltsam abstrakt.)
Alle Beweggründe sind bei Dr. Mabuse, der von seinen Launen abhängig
ist, wohl definiert und aus den Zeitgeschehnissen verständlich.
"Ein Bild der Zeit" heißt der erste Teil dieses Films und der zweite "Inferno
- Menschen der Zeit" - das haben sogar die damaligen Besprecher der beiden
Filmteile begriffen. Jene wirre Epoche der Nachkriegszeit, der Depression
des verlorenen Krieges, der im Keim erstickten Revolution, der Misere der
Inflation, die alle Werte zunichte gemacht hat, der hoffnungslosen Arbeits-
losigkeit und ihren Gegensätzen - der hemmungslosen Genußsucht, der Gier
der Kriegsgewinnler und Spekulanten - ist hier eindringlich aufgezeigt. Nach
Tod und Entbehrungen will man das Leben genießen, sich allen Freuden
und Perversionen hingeben. Sex, Opium, Kokain, Spielhöllen, um zu ver-
gessen.
245
dert, präzis mit der Uhr in der Hand dirigiert Mabuse ihn. Und daneben
immer wieder das Fantastische: der willenlose Graf, der durch Hypnose im
Kartenspiel betrügen mußte, wiederholt sein Spiel mit den Proloplasmen
seiner Ebenbilder; ft!r den wahnsinnig werdenden Mabuse wird die Falsch-
münzer-Druckpresse zu einem Ungeheuer mit Riesenkrallen. Doppelbelich-
tungen - die weiße Magie der surimpression - lassen seine Opfer drohend auf
ihn zuschreiten wie aus einer dritten Dimension heraus.
*
SPIONE (1927) hat nicht ganz die rigorose Struktur der MABUSE-Epi-
soden, doch dominieren gewisse wesensverwandte Züge: auch hier treibt
die Machtgier einen dämonischen Menschen, Leiter einer Spionenzentrale
und großer Bankier, mit Menschenleben zu spielen.
Lang weist darauf hin, daß jene chaotische Epoche sich nach den gefühl-
losen Kriegsjahren in allen Ländern allzusehr Gefllhlen hingab, und in der
Tat auch in Frankreich sind Filme von Abel Gance und Marcel L'Herbier fast
ebenso gefühlsüberschwänglich geraten. ·
*
Es geht um Ähnliches bei dem Zukunftsfilm FRAU IM MOND
(1929). Atemberaubend der Start der Mondrakete, fi1r den Lang das Rück-
zählen aus Spannungsgründen erfunden hat und der uns ungemein modern
und wirklich wie von heute vorkommt Großartig schon der Bau, das Heraus-
rollen aus der Halle und die Reportage, die wartenden Menschenmassen.
246
Auch die luminösen Mondlandschaften haben Stimmungsgehalt Nur
wo Gefühlsüberschwang einsetzt, Privates überwuchert, wirkt der Film ftir
uns heute veraltet
"M'7
MABUSE, DER SPIELER: EIN BILD DER ZEIT von Fritz Lang
251
:Oe metaphysische Weltanschauung von Künstlern deutscher Sprache
- mag es sich um Ludwig Tieck, Kubin oder Meyrink handeln - bringt es mit
sich, daß die Straße, die ihnen voller Hinterhalt, voller Versuchungen erscheint,
keinerlei Beziehungen zur Wirklichkeit hat. In deutschen Filmen wird die
Straße vor allem des Nachts mit ihren abrupt tief erscheinenden dunklen
Ecken, ihrem aufgleißenden Betrieb, den Lichtnebel ergießenden Straßen-
laternen, mit den flammenden Leuchtreklamen, Scheinwerfern von Autos,
mit dem von Regen oder Abnutzung glänzend gewordenen Asphalt, den
beleuchteten Fenstern geheimnisvoller Häuser, dem Lächeln geschminkter
Dirnengesichter zum Schicksal, das ruft und verlockt. Die Straße ist rätsel-
voller Anreiz, wollüstige Verführung für jene annseligen Teufel, die der
Monotonie ihres nüchternen kleinbürgerlichen Daseins müde, ihres engen,
dumpfen Heims überdrüssig sind und die Abenteuer, Flucht vor sich selber
suchen.
Für Kurtz bedeutet die Strahe entweder eine kahle Strecke mit Häusern
rechts und links oder einen dunklen "gebrochenen" Fleck, umrahmt von steil
aufmgenden Silhouetten, voll rasender Lichter, mit schattenhaft verschwim-
menden Gestalten, wo demnach auch die Figur "Fonnelement des dekora-
tiven Gedankens" wird und den Bildraum mitgestaltet Oder man kann eine
Art von Teilausschnitt dieser nicht existierenden S~ße wiedergeben, um
ihn durch gellende Lichtakzente und scharfe Schatten zu fonnen, so daß er
durch das Dunkel prallt. Man kann aber auch die verkürzten Führungs-
linien der Architektur grell aufhellen und so ihr leuchtendes Netzwerk ein-
fangen. ·
253
und Paul Leni, entspricht diesem kontrastierten Teilausschnitt, obwohl
hier gewisse neue Architektur-Elemente mitspielen. Kurtz erklärt, daß diese
Architektur gewiß nicht expressionistisch sei, jedoch nicht ohne den Expres-
sionismus zu schaffen gewesen wäre. Er weist auf die Art der Lichtverteilung
hin, die den Raum in-abrupt willkürliche Flächen teile, auf das "Zueinander
und Auseinanderstrebende des Gemäuers", das ihm noch den Einfluß des
Expressionismus verrät.
*
Für Grunes STRASSE spielt die Straße eine vielfaltig schimmernde RoHe,
wird gewissermaßen zum Hauptdarsteller. In dem kleinbürgerlichen Wohn-
raum erscheint sie zuerst nur als gleißende Verlockung, als Ruf des glanz-
vollen Lebens, der durch das Fenster dringt: Lichtflecke gleiten und zucken
über die Zimmerdecke, weben ihr leuchtendes Netz. Sie werden für den
braven Bürger, den Eugen Klöpfer spielt, zur geheimniserfü11ten Verheißung,
treiben ihn hinaus auf die Straße seiner Sehnsucht.
Und auf dieser Straße ergreift ihn der Strudel von Eindrücken, entwurzelt
seinen zögernden Fuß nicht anders, als es in Mumaus PHANTOM gesche-
hen ist, wo der Tag zu taumeln scheint. Das lockende Abenteuer entgleitet
ungeschickten Händen. Wieder verlebendigen sich die Objekte, lauem
tückisch: das Reklameschild des Optikerladens wandelt sich, wird zu den
Augelf eines Dämonen, das Schaufenster spiegelt neben dem Ozeandampfer,
der anlockenden Reise ins Unbekannte zugleich die verführerische Silhouette
einer Frau wider, der man folgen kann. Dieses ewig spielerische Widerspiegeln
von begehrten Gegenständen oder Personen auf Glasflächen fmdet sich oft
in deutschen Filmen: man denke nur an Fritz Langs M. Auch Pabst ver-
schmäht in seiner DREIGROSCHENOPER ein solches opalisierendes
Widerspiel nicht.
Laut Kurtz setzt Meidner, der Architekt von Grunes STRASSE, die
Dynamik einer nächtlichen Großstadtstraße in eine Lichtvision um, in der
malerische Mittel die Akz'ente verteilen. Hier fmdet sich, so erklärt er, die dem
Expressionismus eigentümliche, stilisierte Raumgliederung durch Lichtver-
teilung, Fronten zerreißen unregelmäßig, dunkle Kernschatten bohren sich
in die Häuser, helle Lichtkegel blähen die Atmosphäre künstlich leuchtend auf.
So wird also die unwirkliche Intensität, das Nachtgefühl, erzeugt.
254
"Der Geist einer beleuchteten Weltstadt", der für das Objektiv unfaßbar·
sein würde, wird durch stimmunggebende Formen, wird durch einen "kon-
struktiven Willen" bewußt gestaltet Man bedient sich überall dort des Expres-
sionismus, wo es sich um Wirkungen handelt, die im Naturobjekt nicht greif-
bar gegeben werden, sondern die nur ,,geistig erlebbar" sind.
Indes sieht Kurtz vielleicht nicht ganz, wie der Expressionismus sich in
der STRASSE gewandelt hat, wie fast impressionistische Momente hinein-
gleiten, die im Grunde die Atmosphäre geben, und das, obwohl hier die
Bilder einer Stadt als innere Vision eines Lebenshungrigen auftauchen, wie
Bahizs betont, also Vorstellungsbilder im Sinne der Expressionisten nach außen
projiziert werden. In den Interieurs wird der expressionistische Stil besser ge-
wahrt: den Spielsalon erfullt ein drohendes Dunkel, das der Schein der Hänge-
lampe zerreißt und so die Figuren scharf vom Hintergrund abhebt. Typisch
ist auch ein Treppenaufgang, den Schatten überfluten, dessen abgerissene
Zweideutigkeit nur eine gespenstig flackernde Gasflamme unter der schmie-
rigen Wölbung ahnen läßt. Pabst übrigens variiert einen solchen dämmerigen,
halb verlockenden, halb abstoßenden Treppenaufgang in dem Absteige-
quartier seiner FREUDLOSEN GASSE.
Der brave Spießer mit dem traditionellen Regenschirm, den Bugen Klöpfer
mit seiner schweren Massigkeit und weichlich haltlosen Gesten spielt, wankt
über die Straße, von der er dumpf und wirr hofft, daß sie ihn der langweiligen
Ehrlichkeit seines geregelten Daseins, der Monotonie seiner Ehe ftir immer
entreißen wird. Wie der Bankkassierer in Georg Kaisers "Von morgens bis
Mitternacht" fühlt er, daß er fortgegangen ist, etwas Unbestimmbares zu
suchen.
Die Flucht des Bankkassierers ist endgültig, hinter ihr steht ganz selbstver-
ständlich der Tod, während der brave Bürger der STRASSE sich aus dem
trügerischen Abenteuer, das im Grunde nur Schmutz und Mord bedeutet,
ins Bürgerlich-Sichere zurückretten kann. Die nächtlich gleißende Straße
gibt ihn frei. Ist das bereits ein Zeichen, daß sich der Expressionismus seinem
Ende zuneigt? Jedenfalls ist hier zum erstenmal die Tragödie nicht endgültig,
das Schicksal behält nicht mehr das letzte Wort - die Straßen münden nicht,
wie Georg Trakl glaubte, in Verwesung.
255
zu sehr komponiert, zu symbolhaft betont. Die Gassen sind zu verdächtig,
der Treppenflur zu geheimnisvoll, der Zusammenprall von Licht und Schatten
zu jäh. Das Gesicht von Werner Krauss, dem Fleischermeister, ist mit dem
gezwirbelten Schnauzbart übertrieben charakterisiert, der Haarscheitel wie
seine Gier zu ölig, seine Brutalität zu outriert. Die Dirnen an den Straßen-
ecken, der edel heruntergekommene Beamte, selbst die Kupplerin - obwohl
die gescheite Valeska Gert durch ihre expressive Geschmeidigkeit Bücklingen
und Körperwindungen ein prägnantes Gepräge zu geben weiß - sind zu sehr
in Bilderbogenmanier herausgestellt. Sie scheinen in knalligen Buchstaben
die Unterschrift zu tragen: "Menschliches Elend und menschliche Gemein-
heit." Das Pittoreske überwiegt das Tragische, schaltet es aus; daher ent-
täuschen heute viele Passagen dieses Films. Und so berührt uns das Pathe-
tische der Inflationsepoche, das alle Geschicke zertritt, kaum mehr.
256
movement continues." Das bedeutet also, daß er eine Einstellung dort schnei-
det, wo eine seiner Personen in Bewegung ist, um eine andere Einstellung
dort einzukleben, in der diese Bewegung oder eine andere aufgenommen
und fortgeführt wird. So sieht das Auge, das beschäftigt ist, der Bewegung
zu folgen, nicht den Schnitt. Es ist Pabsts Absicht, den Schock von aufeinander
prallenden Montagen zu vermeiden - man weiß, daß die Russen ihrerseits
die Wirkung dieses Schocks geradezu· suchen. Aber im Gegensatz dazu will
Pabst den vollkommenen Fluß einer Handlung erreichen.
251
Momente zu verstärken.
*
DIE FREUDLOSE GASSE verrät bereits, daß Pabst Schauspielerinnen
besser zu führen verstand als Schauspieler. Allerdings hat er in diesem Film
zwei außerordentliche Schauspielerinnen zu leiten gehabt: Greta Garbo, die
noch Anfangerio war, spielte zuvor in vollendeter Weise unter Stillers leiten-
der Hand die Gräfin in GÖSTA BERLINGS SAGA. Hier in der FREUD-
LOSEN GASSE kommt das edle Oval ihres Antlitzes, über das Furcht und
Trauer gleiten, vollkommen zur Geltung. Wenn sie einmal ein schüchternes
Lächeln versucht, erscheint sie unendlich bezwingender als in NINOTSCH-
KA, wo ein Slogan "Die Garbo lacht!" sie lancieren soll. Das Zögernde ihres
Spiels, das zum Teil ihre Angst vor der Kamera, vor den Scheinwerfern, das
Lampenfieber im wahrsten Sinn, bewirkt hat, gibt ihrer Rolle eine wunder-
volle Resonanz. Sie wirkt, wie sie immer sein wird, unendlich einfach; die
leidvolle Vollkommenheit ihrer Melancholie hat etwas von einer Ballade.
Und wenn Bahizs einmal von ihr sagt, daß in ihrer Schönheit alle Trauer der
Reinheit einer in sich selbst verkapselten inneren Schönheit, der fröstelnden
Empfindsamkeit des "noli me tangere" läge, so kommt dies in keiner Rolle
so zum Ausdruck wie hier.
lm Grunde weiß Pabst das Milieu der Schieber und ihrer teuren Vergnü-
gungen weit geschickter wiederzugeben als das graue Elend der hungrigen
Leute. Er kann kaum der Versuchung widerstehen, dieses Elend pittoresk zu
verschminken. (Man denke nur an jene Einstellung im Absteigequartier, wo
der amerikanische Offizier ausruft, er sei gekommen, Elend zu konstatieren,
konstatiere aber nur Ausschweifungen - und Pabst läßt ihn eine falsche Tür
beim Weggehen aufreißen: dabei präsentiert sich ihm, als sozusagen leben-
diges Bild, ein recht kitschiges Klischee vom "Elend in der Hinterstube".)
Für die LIEBE DER JEANNE NEY verzichtet Pabst in einigen Szenen
258
auf das allzu betonte Halbdunkel einer Atelier-Architektur und dreht eine
Reihe von Einstellungen in Pariser Straßen. Aber ftir die nächtliche Straße
mit dem Stundenhotel greift er genau wie ftir die Russenstadt wieder auf
Atelierbauten zurück, weil er ihrer romantischen Stimmung bedarf. Vielleicht
zeigt gerade diese Zwiespältigkeit, dieses Schwanken zwischen Stimmung und
Realismus, das in der Architektur der immer als realistisch gerühmten LIEBE
DER JEANNE NEY zum Ausdruck kommt, daß Pabst im Grunde kein
Realist ist Betont er doch selbst einmal, daß er realistische Sujets immer zu
stilisieren bemüht sei. Iris Barry hat das erfaßt, wenn sie in ihren "Footnotes
to Films" schreibt, daß Pabst seine Einstellungen so montiere, daß ihre An-
ordnung eine "realistische IDusion" verstärke.
Wenn demnach Pabst das Verlangen zeigt, eher "wie wahr" als "wie schön"
zu sagen, so wird er niemals eine Einstellung verwerfen, in der das Pittoreske
sich dem Dynamischen beigesellt
Vielleicht erklärt dies auch zum Teil, warum Pabst in seiner BÜCHSE
DER PANDORA ganz bewußt Atelierbauten verwendet Es ist nicht Wede-
kinds expressionistisch kontrastierter Stil - den man hier im übrigen kaum
mehr durchspürt -, der ihn dazu veranlaßt hat Pabst sieht im Sujet nur das
Phantastisch-Malerische, das Symbolhafte, das sagt ihm zu. Andrej Andrejew
schuf ftir ihn ein aus Nebeln gebautes London, ähnlich wie wir später bei
Fords INFORMER ein nebliges, verschwimmendes Dublin fmden werden.
Immerhin zeigen gerade jene London-Szenen, daß Pabst zuvor Teile von der
LIEBE DER JEANNE NEY in wirklichen Straßen gedreht hat Nichts ist hier
allzu pointiert Gleißende Profile, denen Pabst in der Schiffsszene nicht ganz
widerstehen kann, sind ftir die atmosphärisch gestalteten Visionen als unnötig
erachtet worden. Es mag allerdings sein, daß die Nebeljene Schleier bedeuten,
die der nordische Mensch, laut Warringer, so gern zwischen sich und der
Natur bestehen läßt Auf alle Fälle sind weder Lupu Pick noch Pabst die
"Champions des Realismus", für die sie das Ausland so oft ausgibt Und bei
Pabst bestätigt ein Film wie der PROZESS die Tendenz, über den Realismus
hinauszugelangen. ·
*
DIRNENTRAGÖDIE ist ein Film von Bruno Rahn, einem Regisseur,
der sich als sehr ungleichmäßig erwiesen hat. Rahn hat eine Reihe von soge-
nannten "Sittenfilmen" und ein paar recht kommerzielle Lustspiele gedreht.
Schon die Titel verraten, daß es sich um wenig Qualitätvolles handelt. Und
wenn sich in seinem Schaffen DIRNENTRAGÖDIE als etwas Ungewöhn-
liches erweist, so liegt das zum großen Teil an Asta Nielsen und dem echten
Pathos ihrer Rolle. Wenn sie den Mann anschaut, der ihr so unendliches Leid
zufügt, wenn sie sich mit müder, schwerer Hand schminkt, als wüßte sie,
alles sei vergeblich, so ist sie unvergleichlich. Es ist der einzige Film von Wert,
259
den Bruno Rahn geschaffen hat (belanglos erscheinen daneben seine KLEIN-
ST ADTSÜNDER, die Filmbücher des Auslands immer wieder hervorheben,
weil man gerade diesen Film als Werk des Regisseurs der DIRNEN-
TRAGÖDIE außerhalb Deutschlands zu sehen bekommen hat) Das istseine
Tragödie gewesen. V~rbittert ist Rahn vorzeitig gestorben.
Mitunter- und das ist neu - ist die Straße jetzt nur ein Stück Holperpflaster
voller Löcher, über das Füße auf zu hohen, schiefgetretenen Absätzen hüp-
fen, auf dem schwere Stiefel des Zuhälters stampfen, Iauemd anhalten oder
Pantoffeln träge schlürfen. Füße, Beine allein drücken die Müdigkeit des
Straßenmädchens aus, das den Kunden erwartet Denn die Straße und ihr
Pflaster haben längst die Seelen verschlungen. So bringt Rahn Meter auf
Meter nichts als Füße, immer nur Füße auf dem Trottoir, Füße auf schmut-
zigen, abgenutzten Treppenstufen. Und wenn er schließlich diesen anonymen
Füßen Körper und Gesicht verleiht, so bleiben seine Geschöpfe noch auto-
matenhaft, sie sind vom Schicksal Getriebene. Denn selbst als der Expressio-
nismus sich seinem Ende zuneigt, liebt es der deutsche Film, Symbole und
Prinzipien agieren zu lassen an Stelle menschlicher Wesen.
Hat Bruno Rahn diesen ungemein eindringlichen Effekt aus den Filmen
der deutschen Avantgardisten übernommen? Walter Ruttmanns BERLIN,
SYMPHONIE EINER GROSSSTADT mit ihren verfließenden Stimmungs-
impressionen, Hans Richters INFLATION und VORMITTAGSSPUK stam-
men aus dem gleichen Jahr wie die DIRNENTRAGÖDIE. Oder ist es ledig-
lich eine Erinnerung an die sich endlos dahinschleppenden Soldatenstiefel
in der Schneewüste aus Joe Mays HEIMKEHR?
•
Vielleicht ist es hier am Platz, einiges über den deutschen Avantgarde-
film, den sogenannten ,,absoluten" Film, zu sagen.
Für Viking Eggeling, der in Deutschland als erster absolute Filme zeich-
260
nete, bedeutet der Film nur eine Weiterführung seiner abstrakten Bildtafeln .
und ihre Transponierung auf Rollen. Ihn interessierte das Verhalten gewisser
Formelemente zueinander, ihre Anziehungs- und Abstoßungskraft, ihr Kon-
trast und ihre Analogie. In dieser Weise ist die Abwandlung seiner abstrakten
Figuren in DIAGONALSYMPHONIE zu verstehen.
Hans Richter geht über die Suche nach einer Gesetzmäßigkeit des Rhyth-
mus hinaus. Zeit-, Raum-, Farb- und Lichtprobleme werden weltanschaulich
mit einbezogen. Er will plastische Formen in Bewegung, ihre Dynamik und
Simultaneität einfangen. Der Rhythmus eines Objekts soll innerhalb von
Raum und Zeit veranschaulicht werden. Kurtz erkennt folgerichtig, daß es
Richter um die "rhythmische Urfunktion der Bewegung" zu tun war. Man
warf Ruttmann damals vor, "feuilletonistisch" zu arbeiten. Richter erklärt, daß
Ruttmann lediglich "Improvisationen mit Formen" gesucht habe, die unter-
einander durch Zufallsrhythmen verbunden seien. Im Gegensatz dazu hätten
seine und Eggelings Formen einen tieferen Sinn. Kurtz spricht geradezu von
den "wogenden, schwellenden Impulsen" der Ruttmann-Formen; man habe
den Eindruck, daß sich "organisch heranwogende Gebilde fressen, kämpfend
aufeinander stürzen, liebend umfangen". Das heißt also, Ruttmann bringt
gefühlsmäßige Momente, ein gewisses Erlebnis hinein. Nur so konnte er den
Traum Kriemhilds in den NIBELUNGEN ohne Stilbruch gestalten.
Der Einfluß der Avantgardisten auf ASPHALT, einen Film, den Joe May
im Jahr 1928 gedreht hat, ist unbestreitbar. Hier haben wir eines der charakte-
ristischen Beispiele dafdr, daß die UFA immer wieder bemüht war, flir ihre
Kassenfilme alle technischen Errungenschaften des künstlerischen Films zu
verwerten. Joe May läßt nichts aus: er profitiert vom Helldunkel, zeigt in einer
recht suggestiven Beleuchtung im Morgendämmern die Asphaltarbeiter aus
Ruttmanns Film BERLIN, bringt kühne Einstellungen, in denen man nichts
als ihre Beine sieht und die Werkzeuge, um den Asphalt glattzus1Bm:l'fen.
Dampf steigt, die Riesenwalze mit ihrem Rädergetriebe löst sich auf in Ober-
blendungen, Einblendungen. Es ist, als sähen wir eine Symphonie der Ma-
schinen, wie sie die französische Avantgarde schuf. Von allen Seiten her
kommen gleichzeitig wiedergegebene Einblendungen, die sich in der Schräge
verquicken, wandeln, zu wechselvollen Visionen steigern. Zwischendurch
wiederum fegt die Kamera wie in einem sachlich gehaltenen Dokumentarftlm
in großzügigem Panorama über die Straßen und ihre Marktkarren. Wir kennen
alle diese Bilder bereits, und wenn hier die Straße im Wirbel des Getriebes
gezeigt werden soll, so wissen wir, daß Ruttmanns BERLIN und Richters
RENNSYMPHONIE den Weg gezeigt haben.
Aber May hält nicht durch: er will einerseits das Lied der Lieder der un-
barmherzigen, gleichgültigen Straße zeigen, wo sich Beziehungen anknüpfen
und lösen, wo tragisches Begegnen stattfmdet, das von der Straße ignoriert
261
wird, wo brausender Autoverkehr wie eine Dampfwalze Zärtlichkeit zennalmt,
und so bringt er solche zerfließenden Impressionen immer wieder. Aber
andererseits schneidet er Einstellungen ein, in denen die übliche Luxus-
straße des UFA-Ateliers gezeigt wird, wo sogar ein paar echte Autobusse und
zahlreiche Komparsen agieren. Die sogenannten avantgardistischen Kühn-
heilen wirken daher recht oberflächlich und haben im Grunde in dieser recht
konventionell und banal gehandhabten Liebesgeschichte .keinerlei Berech-
tigung.
Joe May kann nicht die letzte Konsequenz ziehen: so wird ein sogenannter
"schwarzer" Film lediglich verspielt und gerät mit seinen recht beliebig behan-
delten Kontrastwirkungen völlig ins dekorativ Schwarz-Weiße.
262
...... 8 ............... ---· - · · ..... .,.
265
XVI.
267
De Transponierung einer Moliere-Komödie, die so charakteristisch franzö-
sisch erscheint, in ein deutsches Filmlustspiel mag ausländische Zuschauer,
vor allem Franzosen, schrecken. Dorine, die graziöse Kammerjungfer, hat die
imposante Statur von Lucie Höflich; die umfangreiche Taillenweite dieser
Schauspielerio wirkt ein wenig befremdend.
Ein moralisierender Prolog und ein im gleichen Ton gehaltener Epilog
sind gleichfalls etwas verwunderlich: es ist die Geschichte einer heuchleri·
schen Haushälterin, die einen armen Trottel, dessen Erbschaft sie erschleichen
will, langsam vergiftet Der Neffe führt dem senilen Onkel den Film TARTÜFF
vor und enthüllt damit die Heuchelei der Erbschleicherin. Auftakt und Ende
sind also im Grunde unnötige Anfügungen, aber unerhört schöne, kühne
Einstellungen lassen uns ihre Nutzlosigkeit vergessen.
Für Murnau wird, wie später in der BÜCHSE DER PANDORA von
Pabst, das Gesicht eines Darstellers gleichsam zu einer Art Landschaft, die
von der Kamera bis in ihre kleinsten Winkel unablässig erforscht und durch·
forscht wird. Das Kamera-Auge fmdet immer wieder neue Einstellungen, die
unvorhergesehen und überraschend erscheinen. Immer wieder Iieue Flächen,
die zu konfrontieren sind. Karl Freunds Kamera-Linse scheint alle Vertie-
fungen, Krümmungen, Ungleichheiten dieser ungeschminkten, in Groß-
aufnahme festgehaltenen Gesichter zu durchwühlen, alle Falten, jede Mund-
bewegung,jedes Augenzwinkern aufzufangen. Sie bringt mit Sommersprossen
und faulen Zähnen alle Laster zutage, die sich verstecken; Höhen und Tiefen
eines Antlitzes bekommen im Halbdämmer ein bewußtes Relief, Licht model-
liert Kurven und Kanten.
269
Später, im Jahr 1928, hat Kar! Freund in einem Interview für "Close Up"
erklärt: "Die Kamera-Arbeit ftir TARTÜFF war äußerst interessant. Ich habe
den Prolog wie den Epilog in einem modernen Stil fotografiert und den Schau-
spielern jedes Schmin.~en verboten; ich habe sie in den unerwartetsten Ein-
stellungen aufgenommen, dagegen die eigentliche Handlung der Film-
komödie selbst künstlerisch verflaut, wie durch eine Gaze hindurch foto-
grafiert."
Und wie im Prolog und Epilog kann eine einzige Großaufnahme alles
über den Charakter einer Figur aussagen; die Kamera bringt die Heuchelei
Tartüffs ans Licht, als sie seine spitz wie ein Zuckerhut zulaufende Schädel-
form mit den, angeklebten spärlichen Haaren zeigt, die zu seiner Erbärmlich-
keit passen. ·
*
270
Die edlen Konturen einer schlicht und sparsam gehaltenen Architektur,
die Herlth mit der Hilfe von Röhrig geschaffen hat, fügen sich dem Spiel der
Kamera ungezwungen ein; die schwingenden Kurven von Kannelüren, das
elegante Profil eines Halbpilasters, da~ Spitzenfilet einer Treppenbalu-
strade in graziöser Ziselierung, die im Kerzenschein auf die Wand belebte
Schatten wirft, erhöhen den Reiz der Atmosphäre des Dixhuiti~me. Murnau
versteht es, Nuancen von Schwarz, Grau und perlmuttfarbenem Weiß zu ver-
schmelzen. Jedes Architektur-Element bekommt seine Rolle in der bewegten
Handlung: ein ungeheurer Leuchter vor einer glatten Mauer bildet den
Kontrapunkt zu der starren, dunklen Form Tartüffs, der in dürrem Sektierer-
eifer hin- und herschreitet Die Voluten einer Freitreppe nehmen den grazilen
Fluß eines Reifrocks, der die Stufen hinunterhuscht, auf.
Einen Augenblick fangt die Kamera die anmutsvolle Architektur von drei
Etagen ein: auf der obersten öffnet sich eine Tür gerade so weit, um Tartüff
durchzulassen, der einer ungeheuren Fledermaus gleich hinunter zum Parterre
flattert. Alsbald öffnet sich eine andere Tür, und die Kamera beugt sich mit
Dorine über die Treppenrampe: wir sehen mit ihr auf den Fliesen der Halle
einen hellen Lichtstreifen unter der kaum geöffneten Tür. Murnau und Carl
Mayer wollen damit lediglich zu verstehen geben, daß Tartüff in die Falle geht,
wenn et in Elviras Schlafzimmer eindringt Und jetzt steigt Dorine ihrerseits
hinunter, sie hält eine Kerze, deren Flackern durch das Treppenhaus geistert.
Die Kammerjungfer eilt, um Orgon zu warnen. Wiederum lassen sich Mayer
und Murnau nicht die Gelegenheit entgehen, noch eine Tür zu einem Zimmer
zu öffnen, durch die hier ein stärkeres Licht strahlt. Diese an sich nicht allzu
lange Passage wird also zu einer wahren Beleuchtungssymphonie. Sie offen-
bart zugleich das geheime Leitmotiv des ganzen Films: als Allegretto öffnen
und schließen sich im rhythmischen Schwunge Türen; wie bei einem Andan-
tino gleiten Ober die Tonleiter der Treppenstufen immer wieder im bewegten
Hinauf und Hinab die Hauptpersonen. Vorhänge werden auf- und zuge-
schwungen, halb verstecken oder zeigen sie eine Gestalt. Stores, hinter deren
Transparenz sich das Fensterkreuz verschwimmend abzeichnet, werden
hinuntergezogen, um stimmungsvolles Dämmern zu verbreiten.
Und plötzlich bekommt die Filmkomödie, die uns noch eben eine Art
von "Minna von Barnhelm" schien, das Duftige eines Mozart-Intermezzos;
die dicke Dorine erscheint weniger schwerfallig, weniger preußisch, sie
nimmt, man weiß kaum wie, Züge einer Chardin-Figur an.
271
I einer Bettdecke ab und bringt die Zartheit eines Deshabilles zur Geltung. Und
I
alljene Duftigkeit tritt noch mehr in Augenschein, wenn die bäurische Tölpel-
haftigkeit des Tartüff-Jannings sie jäh durchbricht und sich auf dem Spitzen-
I
bett räkelt. Schlank, höchmütig verschlossen steht vor dem trunkenen Flegel
I
die schöne Elvira-Lil Dagover.
I
I Wie ein Echo Watteaus sucht F. W. Murnau das Perlmutt eines wollüstig
I gebeugten Frauennackens wiederzugeben, spielt mit den Nuancen einer
I
Seidenrobe, auf der sich Licht und Schatten spiegeln. Bei den deutschen Film-
regisseuren hat sich mehr und mehr ein Fingerspitzengefühl ftir die Kostüm-
I
frage ergeben. Jeglicher Verismus einstigen Theater-Requisitenkrams ist seit
I langem verschwunden. Robison und Ludwig Derger schwelgen in MANON
I LESCAUT und im VERLORENEN SCHUH im Aufzeigen gedämpfter
I Samtreflexe, lassen rieselnde, halbgeknitterte Seidenflächen aufleuchten.
Lubitsch wird keine Gelegenheit verpassen, seidige Flächen zu beleben, sie
I vibrieren zu lassen, verschwenderische Draperien über spiegelndem Parkett
I
aufzubauschen. Die deutschen Filmkünstler, die bestrebt sind, die Tiefen
der Leinwand zu durchdringen und mit Schattendunkel zu manipulieren,
I sind zugleich dazu gelangt, Oberflächen spielerisch zu beleben.
Mit TARTÜFF verhält es sich ähnlich: der F'llm mag die Komödie be-
schwert haben, aber man spürt eine merkwürdig schmerzliche Unrast; wir
ftihlen, daß selbst ohne Tarti.iff die Ehekonflikte tllr Orgon und Elvira nicht
besser werden können. Es gibt in Wirklichkeit kein eigentliches "happy
ending" für diese Tragikomödie von F. W. Mumau.
Grabbe,jener deutsche Dichter mit der zerrissenen Seele, hat eines seiner
Stücke einmal "Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung" genannt "Tiefere
Bedeutung" könnte der Titel für so manches Werk eines deutschen Künstlers
sein, mag es sich um einen Diqhter wie Heinrich von K.leist oder um einen
Filmschaffenden wie Mumau_.handeln.
Es ist stets die andere Seite der Dinge, die ihre Verzweiflung aufzu-
i suchen strebt
!
273
.RTOFF von F. W. Murnou
\RTOFF
274
.~·
XVII.
275
Nicht ganz ohne Grund haben uns die Tonfilme von Ewald Andre Dupont,
angefangen beim ersten Film ATLANTIK, enttäuscht. Die EinfUhrung des
Wortes trifft Dupont schmerzlicher als viele andere Filmschaffende. Er ist
ein Augenmensch, er versteht es, seine Darsteller dekorativ im Raum zu ver-
teilen, aber er vermag ihnen keine Ausdruckswerte zu verleihen, wenn sie
diese nicht selbst besitzen. Seine Stärke liegt auf einer anderen Ebene.
Eine Kopie des ALTEN GESETZES, die von Henri Langlois, dem Schöp-
fer der Cinematheque Franyaise, aufgefunden wurde, kann uns die wirklichen
Eigenschaften Duponts vor Augen führen: er weiß Nuancen bewegt wieder-
zugeben, sie schimmernd zu beleben, seine Licht- und Schatten-Palette un-
endlich reizvoll zu variieren. Er sucht nicht die Reglosigkeit der nur orna-
mental gesehenen Form, nicht, wie manche deutsche Filmregisseure, eine
dekorativ-geometrisch fixierte Stilisierung. Er bringt Valeur gegen Valeur,
strebt danach, das Fluten des Helldunkels durch Aufsetzen von in Schwarz-
Weiß-Kopien noch fl.ihlbaren Farbmomenten zu beleben. Hier ist es eine
karierte Weste, dort ein gestreifter Rockkragen oder eine buntverzierte
Blumenvase, ein GoJWID.-die diese Rolle übernehmen. Die Interieurs durch-
flimmert stimmÜng.svolles Dämmern, das sich der Situation anpaßt, der sam-
tige Schatten mischt sich mit dem seidigen Schimmern von Kerzenlichtem.
277
behutsam anordnen Jassen, damit wir der ganzen blütenhaften Biegsamkeit
ihrer Haltung gewahr werden.
*
In VARIETf: geht die rein ästhetische Intuition Duponts noch weiter.
Er bedient sich der letzten Elemente eines ersterbenden Expressionismus:
finstere Gefängnismauem bekommen eine steile Schräge, die noch unerträg-
licher lastet als die der Mauem der Mietskasernen von METROPOLIS. Der
Gefängnishof wirkt wie ein Grubenschacht, auf dem sich weiß auf.schwarz
die Runde von heilgekleideten Sträflingen abhebt, die sich unaufhörlich im
Kreise dreht.
278
Dupont zeigt uns taktvoll nicht die einzelnen Phasen dieses Zweik8lllpfes,
deren schauerliche Details so manchen Regisseur erfreut haben würden.
Die Kamera fixiert lediglich einen Augenblick, ohne dabei allzusehr Gewicht
darauf zu legen, das Bett, auf das der Verführer die Ha1bwillige gezogen haben
muß, zu zeigen. Dann sehen wir lediglich das Ende: ein erhobener Arm hält
einen Augenblick das Messer hoch, eine Hand öffnet sich, erschlafft, läßt die
Waffe zu Boden fallen, sinkt hinunter.
In ähnlicher Weise wird Pabst ein paar Jahre später in der BÜCHSE DER
PANDORA verfahren: hier sieht man als einziges Zeichen des Hinsterbens,
wie die Hand der Lulu aus der mörderischen Umarmung von Jack dem Bauch-
aufschiitzer langsam schlaff heruntergleitet
Kritiker der Zeit haben oft die überzeugende Weise gerühmt, mit der
Jannings "mit seinem Rücken voll Dramatik das Spiel ausdrückt". Aber ob-
wohl Jannings - soweit es seine naturalistische Konzeption zuläßt - den von
dem Vamp betrogenen Artisten mit einer für ihn seltenen Einfachheit ver-
körpert, bekommt der Zuschauer nach einer Weile ein wenig zu viel von
diesem "Spiel mit dem Rücken". Man sieht nur den Rücken von Jannings,
wenn er in der Strafanstalt durch einen jener typisch halbdunkel gehaltenen
Korridore zu der große Szene im Sprechzimmer des Direktors schreitet, wo
er wiederum nur von rückwärts gezeigt wird. Und man blickt auf Jannings'
kraftstrotzenden Rücken, wenn er im Lunapark den Anpreiser macht Nach
der ersten Szene, in der der Vamp - Lya de Putti - in den Wohnwagen ein-
dringt, ist es wieder nur der Rücken von JanD.ings, den man zu sehen bekommt,
wenn er sich schwerfällig und schon seiner sexuellen Hörigkeit bewußt zum
Ehebett in der Schlafecke hinter der Gardine begibt Und wenn Jannings in
dem Cafe lange auf die ihm den Betrug verratende Karikatur auf der Marmor-
tischplatte starrt, zeigt Dupont wiederum nichts als dessen breiten, an sich
regungslosen Rücken und die von rückwärts gesehenen, sich einkrallenden
Hände. Schließlich geht Jannings nach dem Mord durch den Hotelkorridor,
und wieder bringt ihn Dupont nur von hinten, zeigt, wie der Vamp, der sich
an ihn klammem will, von dem Vorschreitenden mit fortgeschleift wird. Diese
Einstellungen auf Jannings' Rücken, die in den verschiedensten Situationen
immer wieder gebracht werden, nutzen in ihrer stereotypen Wiederholung
die optische Intensität des Bildeffekts ab. (Wie weit eindringlicher weiß
Murnau den von rückwärts aufgenommenen Tartüff, dem die Kamera gleich-
sam auf den Hacken folgt, der Handlung einzugliedern; hier überzeugt diese
nur sparsam verwendete Einstellung, sie bekommt für den Zuschauer etwas
Überraschendes, Einmaliges.)
*
· Wenn wir die Atmosphäre des Lunaparks in VARIETE mit dem Jahr-
marktsgetriebe in CALIGARI vergleichen oder mit jener noch stilisierteren,
279
stark gekünstelten Jahrmarktsbuden-Nachtstimmung in dem WACHSFIGU-
RENKABINETT, so erkennen wir, worin Duponts Begabung besteht: er
versteht es, fließende Formen einzufangen, die sich unaufhörlich in Licht
I und Bewegung wandeJn. Überall sucht er leuchtende, wirbelnde Bewegung -
I er läßt hinter einem sich drehenden Ventilator ein kleines improvisiertes
I
Tanzfest der Artisten aufnehmen; das Wirbeln der Drehscheibe, Flackern
der Luft vermischt sich mit den sich windenden Leibern auf dem Tische
I
tanzender Frauen. Oder Dupont zeigt flir Augenblicke das Gesiebt von Jan-
I nings hinter der kreisenden Bewegung eines Thchs, mit dem der Artist seiner
erhitzten Partnerin Luft zufächelt
I
I
Dupont sucht also Impressionen einzufangen. Jedoch handelt es sich
I hier um einen Impressionismus, der im Grunde auf der expressionistischen
I
Abstraktion basiert. So läßt er einmal von oben her, über den verkürzt er-
scheinenden Körper eines auf seinem Trapez hin- und herschwingenden Ar-
I tisten die Zuschauer aufnehmen. Die Menge wird in diesem Schwarz-Weiß-
I Film fast zu einem buntscheckigen Etwas und wandelt sich zu verfließenden
Flecken, zu einer Art von bewegtem Mosaik. (Denn wir sehen die Zuschauer,
I
wie sie der hin- und herschwingende Artist erblickt.) Die sternenbesäte Decke
I des Berliner Wintergartens wird zu einem Sprühregen von Funken. Oder
Jannings auf seinem Trapez wird beim Anblick des Rivalen vom Schwindel
gepackt. Um ihn herum drehen sich trichterförmig blitzartig vorüberziehende
I Eindrücke. Rein optisch wird also offenbart, was in ihm vorgehl
280
Aus solchen Gründen bekommt das Schwarz und Weiß von Duponts
VARIETE eine ungemein optische Eindringlichkeit und Lebendigkeit, die
einem farbigen Eindruck nahekommen. So gleiten die weißen Figuren der
drei Akrobaten, bevor sie die Luftnummer beginnen, im verdunkelten Raum
an der bewegten Masse der Zuschauer vorüber, deren Reihen in der Ver-
schwommenheit der Impression im Dunst der Scheinwerfer etwas von einem
wogenden phosphorglänzenden Meer bekommen. Vom schwarzen Hinter-
grund heben sich die weißen Trikots, die bleichgepuderten Gesichter gespen-
sterhaft ab, die Körper werden von den Lichtkegeln der mächtigen Scheinwer. \
fer erfaßt, erhalten eine leuchtende Plastik, werden dreidimensional;· neue ·
Lichtkegel gesellen sich hinzu, durchbohren den dunklen Raum, verstreuen
sich, um dem jeweiligen Aufstieg dieser Luftkreaturen auf ihren Leitern zu
folgen. Einen Augenblick wird die Kamera unter einem dieser aufsteigenden
Körper eingestellt, als fange sie in liebevollen Details jede Bewegungsphase
ein, sie fixiert den verbogenen Körper in einer fantastischen Verkürzung, bis
er sozusagen nur noch als eine weiße, rein omamentale Krabbe erscheint.
Man spürt die Massenerregung, die die Zuschauermenge beim Salto
mortale ergreift, die Blutgier des Ungeheuers mit den tausend Köpfen. (Sobald
sich jedoch die Kamera nähert und die Menge sich in Einzelpersonen auflöst,
endet die halluzinierende Wirkung: Dupont bringt weiter nichts als banal
naturalistisch gesehene Karikaturen.)
Aber einen Augenblick wird die Menge unter dem Netz eines Funken- '
regens zu einem Fluten aufquellender unzähliger Augen, zu einer Art von
Morast, aus dem wie aus einem Lavaboden Blasen aufsteigen. Hier noch ist
für Dupont die Bewegung alles. Wenn Lang einmal bei der Galavorstellung
der falschen Maria ein solches Meer von gierig starrenden Augen bringt, bleibt
die Vision eine statische, wird zum fixierten Ornament.
Kar! Freunds Kamera folgt voller Bewegung den sich durch den Raum
schwingenden Körpern, die einander zuschnellen, aneinander vorbeigleiten,
sich kühn überschlagen oder jäh hinunterzustürzen scheinen, in ein Filigran \
von Kabelwerk und Seilen hinabtauchen, hochschnellen. Selbst die Luft-
akrobaten-Nummern, die Mumau ein paar Jahre später in seinem amerika-
nischen Film DIE VIER TEUFEL mit all seiner optischen Magie gestaltet,
haben diese unnachahmliche Virtuosität nicht aufzuweisen.
•
In dem Strudel von Licht und Bewegung bleibt die Liebespassion ein
wenig im Hintergrund: es ist die alte Geschichte vom trivial üblichen Dreieck,
dem sich das Leierkastenlied vom .,kühnen jungen Mann auf dem fliegenden
Trapez" zugesellt
281
Gelegentlich versucht Dupont, dem Akrobatenmilieu eine Kammerspiel·
stimmung unterzumischen: so zeigt er uns Janni!'lgs in Gedanken versunken,
im Schein einer einzigen elektrischen Birne am Sehminktisch. Und im Caf6·
I haus spiegeln sich Lichter in opalisierenden Gläsern wider.
I -
Dupont weiß, welches Spannungsmoment das Hervorheben eines Ob·
I jektes bringen kann, wie es eine Atmosphäre verdichtet, eine Situation pathe-
I tisch verschärft. Jannings' derbe Finger krampfen sich in Großaufnahme um
I
ein kleines Likörglas; in regelmäßigen und darum so enervierenden Abstän-
den fällt vom Ausgußhahn im Wohnwagen ein Wassertropfen, fällt und fällt
I Aber Dupont hat nicht die gleiche Ausdruckskraft, die Pudowkin eigen ist,
I der in MUTTER einen solchen grausig regelmäßig fallenden Tropfen auf-
nimmt und im Stummfilm allein durch das Bild sein Fallen hörbar macht.
I Dupont will die Monotonie des Daseins im Wohnwagen klar machen, aber
I er bringt sich um diesen Effekt, weil er eine schwerflillig-komische Analogie
I
herbeiholt: von der Wiege des Babies fallen, als der Hahn zugedreht ist, jetzt
auf einmal im gleichen regelmäßigen Abstand Tropfen.
I
I Dupont hat besondere Freude an lang ausgespielten symbolisch-kontra-
stierenden Situationen: Jannings starrt zum Beispiel fasziniert auf den Rücken
der tanzenden Lya de Putti auf dem Podium, um daM müde und wie ange-
ekelt einen Augenblick die Augen auf den gebeugten, im alten faltenreichen
Kleid unförmig erscheinenden Rücken seiner Frau am Klavier zu richten.
Seine Augen ziehen auch den Vergleich zwischen den wohlgeformten Beinen
der Tänzerin und den herabhängenden gestopften Wollstrümpfen der Klavier-
spielerin.
282
ihrer Symbolhaftigkeit diskreter werden, nicht etwa nur vom Manuskript her.
. So öffnet der Verführer, der auf das Kommen der jungen Frau lauert, das
Fenster, um dann, als er sie ins Zimmer gezogen hat, einen Vorwand zu
haben, die Tür des Zugs wegen schließen zu können; er läßt die Jalousie
herunter, um sie nachher, als die Frau gegangen ist, wieder- und hier wird
das Schweigen und das Ellipseverfahren unendlich beredt - hinaufzuziehen.
Vielleicht ist die schwerflillige Symbolik, zu der Dupont neigt, mit ein
Grund dafür, daß er in der Tonfilm-Ära nicht mehr Filme von der Qualität
des ALTEN GESETZES oder VARIETE drehen konnte. Obwohl er als
erster erkannt hat, was die Lautkulisse dem Bild zu geben vermag und sie in
ATLANTIK recht geschickt verwertet, offenbart der Dialog jedoch die Um-
ständlichkeit, zu der Dupont neigt, wenn er sich nicht völlig allein der Bild-
wirkung überläßt, sondern Sinnbilder sucht. Schon der Stummfilm MOULIN
ROUGE hat nicht mehr die visuelle Magie, die VARIETE ausströmt. Dupont
bringt allzuviel Detail, der Vorgang zerflattert in Regie-Einfällen, die sich
nicht organisch einfügen. Und SALTO MORTALE erscheint nur noch ein
schwacher Aufguß von alljenen Elementen, die VARIETE Leben gegeben
haben, Duponts optische Vutuosität gerät in einen Leerlauf.
Und so fragt man sich, ob man .es bedauern muß, daß Dupont, der heute
in Hollywood ein Lokal besitzen soll, nicht mehr Filme dreht.
283
e Natur Im Studio •••
/ARIETI~
290
Dramatasche Atmospnare
Falsche "Stimmung"
295
···----·----
.. ...'·
~.
-.:-;~.::.
Der Auftakt dieses Films bedeutet den Höhepunkt, den die Verwendung des
Helldunkels in deutschen Filmen erreicht hat. Die chaotischen Dunst-
schwaden der ersten Einstellungen, das Licht, das aus Nebeln geboren wird,
die Strahlen, die hier eine Luftwand durchdringen, diese brausende, optische
Fuge, die durch die Weite des Himmels zu hallen scheint - das alles benimmt
uns den Atem.
Die leuchtende Fonn eines fast die Sinne verwirrenden Erzengels stellt
sich dem Dämon entgegen, dessen Konturen, obwohl sie wie aus Nacht ge-
fonnt wirken, ein grandioses Relief bekommen. Jannings, der den Dämon
verkörpert, verzichtet hier endlich einmal auf alle naturalistischen Mätzchen,
er erscheint gebändigt, ursprünglich wie am ersten Tag. (Doch kaum zur Erde
zurückgekehrt, wird Jannings als spanischer Kavalier wieder in naturalistische
Details verfallen und sich an die Rampe spielen.)
297
Stimmung auf eigene \l{eise. Im quellenden Lichtdunst steigen Konturen auf,
und wie von einem unsichtbaren Pedal getreten, scheinen Akkorde vibrierend
nachzuhallen. Riesengroß steht der alte Faust im Auditorium vor dem Halb-
kreis der Schüler. Und wieder strömen Licht und Nebel. Hier wird Masse
gegen Masse, Valeur .gegen Valeur abgewogen, Formen wandeln sich, ver-
wischen sich, ein Bart, den Lichtstrahlen treffen, wird leuchtender Schaum,
Retorten spiegeln sanft auf bauchigen Rundungen vielfaltiges Schimmern
wider.
Wenn Nebel weichen, finden wir in diesem Film eine schwellende Plastik,
die aus Mumaus Liebe zum Visuellen geboren ist: wie Marmor leuchtet die
Maske der sterbenden Mutter, die Pestleichen auf den Treppen werden zu
gemeißelten Sarkophag-Figuren, ungeheuer prallen die Fußsohlen des Toten
aus der Fläche heraus. Köpfe werden unvergeßlich in ihrer fast dreidimensio-
nalen Eindringlichkeit, so der Tölpel mit der dumpf-frechen Fratze, der
schmatzend Gretchen am Schandpfahl begam, so die Köpfe der Chorkinder
mit den weitgeöffneten Mündern, voll unbewußter Unschuld und schön wie
zweideutige Botticelli-Engel. (Dreyer, der Murnau schon mit seinem VAMPYR
nahekommt, hat sich dieser Chorkinder-Antlitze fUr seinen DIES IRAE er-
innert.) Und der Plastik dieser kindlich vollen Gesichter steht Gretchens
Antlitz gegenüber, seltsam flächig-leer, von Schneeflocken wie geschlagen-
hier denken wir fast an das Antlitz von Lillian Oish im Schneetreiben von
WAY DOWN EAST.
Für Augenblicke gießt Licht Wellen auf die Gesichter. Über dem Antlitz
des sterbenden Mönches geistern die Schatten von Fliehenden, die selbst un-
~'"'
sichtbar bleiben. Licht strömt von überall her: auf Faust, der riesige staubige
·Kodexe verbrennt, auf die geschwärzte Gestalt von Mephisto, der mit dem
Feuer Zwiesprache hält, auf den Dunst eines Kreuzweges, dem in der Be-
schwörungsszene Flammenkreise entsteigen. Feuerlettern ziehen sich über
die Fläche hin und versprechen Faust, wie einst Caligari, Größe und Macht.
Aus dem Kirchenionern schwillt sanftes Leuchten, das zuvor mit dem
Andachtslied hoch ins Gewölbe gedrungen ist, zu einer dichten Mauer an,
vor der diejenigen, die der Finsternis geweiht sind, zurückweichen. So nehmen
Beleuchtungseffekte an der Handlung teil: als der wieder zum Dämon gewor-
dene Mephisto sich riesenhaft erhebt, um "Mord" zu schreien (wieder weiß
Murnau dem stummen Bild Klang zu verleihen), irren plötzlich Fackellichter
durch die Nacht, die diesen bildhaften Schrei aufzunehmen scheinen. Gret-
chen beugt sich aus den Feuerdämpfen hinab zu Faust, den die Sinnverstörte
unter den altgewordenen Zügen erkannt hat. Die Scheiterhaufenflammen
lohen zum Himmel empor, ein leuchtend ft.ir die Ewigkeit aufstrahlender
Sonnenball wird zum Symbol göttlicher Gnade, ist Auftakt der Apotheose
einer sich erfüllenden Erlösung. ·
In allen späteren Filmen von Murnau begegnen wir immer wieder solchen
Lichtsymphonien: in SUNRISE, seinem amerikanischen Film, spielt er mit
allen denkbaren Nuancen: Lichtschein von Laternen huscht über die Fenster-
scheiben eines dunklen Raums, wenn die Fischer nach der Verunglückten
suchen, und reflektiert sich auf dem Gesicht der spähenden jungen Frau;
als sie von einem Baumast heruntersieht, gleitet der Lichtschein von Fackeln
über das Gesicht der Versteckten, während im Hintergrund andere Lichter
auftauchen.
*
Wir spüren in FAUST die Bewegung der entfesselten Kamera weniger
als im LETZTEN MANN. Murnau hat gelernt, seine Freude an Bewegung
dem Gesamtrhythmus einzuordnen, der die Einstellungen beherrscht. Die
Hänge seiner mittelalterlichen Stadt, seiner tiefen Treppen hätten zu Einstel-
lungen von oben her verführen können, aber er treibt keinerlei artistischen
Mißbrauch mit ihnen. Wenn Carl Hoffmanns Kamera das tiefe Einschneiden
einer Treppengasse zwischen Häusern einfängt, die nur noch wie scharf ge-
schnittene Steildächer aussehen, so geschieht das nicht ohne Grund. Die Ein-
stellung fügt sich dramaturgisch der Handlung ein: von hier aus naht sich
Gretchen das Schicksal in der Gestalt ihres Liebhabers und seines Ratgebers,
des Teufels. Und wenn Mumau das berühmte Panorama der Luftreise in
allen EinZelheiten auskostet, so tut er das, weil er Zeit- und Ortswechsel sicht-
bar vor Augen führen will. Eindringlicher erscheint uns im übrigen jener
eingeblendete optisch gestaltete Angstschrei, der über weite Strecken aus
Gretchens angstvoll geöffnetem Mund dringt, um den fernen Faust herbei-
zubeschwören.
-,no
Dupont soll als erster daran gedacht haben, eb,1e Szene so. einzufangen,
als sei sie vom Darsteller aus gesehen. Er hat deshalb die Einstellurlg über
dessen Schulter hinweg aufgenommen. Murnau jedenfalls bedurfte Duponts
Beispiel nicht Schoq in NOSFERATU sieht die Kamera und damit der Zu-
schauer mit den Augen des kleinen verrückten Häusermaklers, der sich auf
dem Dachfirst festklammert, die winzigen Gestälten der Verfolger tief unten
in der schmal eingeschnittenen Gasse.
In FAUST ist das gleiche Verfahren so diskret angewendet, daß es kaum
bemerkt werden kann. Trotzdem hat ein amerikaDiseher Kritiker bereits
seinerzeit darauf hingewiesen, daß die Szene, in der Gretchen auf der Blüten-
wiese von Faust verfolgt wird, gewissermaßen so eingefangen wurde, als ob
der unsichtbare Mephisto ein ironischer Zuschauer sei.
Die Bewegung der Bilder wird von rhythmischen Kontrapunkten aufge-
nommen und weitergeführt: langsam steigt der helle Zug der Kinder die Dom-
treppen hinauf, sie tragen weiße Lilien wie Kerzen in den Händen. In der
Montage steht diesem Aufwärtssteigen das Vordringen der Landsknechte
mit ihren spitzen Hellebarden, aufgesteilten Fahnen gegenüber.
Mumau weiß Einstellungen der Straßentreppen immer wieder zu vari-
ieren, ihnen neue Aspekte abzuzwingen. In der Nacht, aus der Verwesung
dumpf zu schwelen scheint, tragen vermummte Kuttenmänner einen Sarg
hinauf, drängt sich die Menge mit ihren Sterbenden. Wenn wir die fließende
Bewegung dieser vorströmenden Körper genau betrachten, erkennen wir, wie
mechanisch die Massenbewegungen bei Lubitscb im Grunde sind; hier bei
Mumau stößt die Menge rhythmisch gegliedert vor, hier entwickelt sich alles
organisch, nichts wirkt einstudiert
Die stilisierten Steildächer, auf denen die Ziegel ein abstraktes Linear-
muster bilden, erscheinen als Überreste eines verklingenden Expressionismus.
·Herlths und Röbrigs Architektur ist weit entfernt von jener wirklichen Stadt,
die Murnau einst für NOSFERATU als Schauplatz wählte, und den Giebel-
häusern aus dem GOLEM näher. Herlth und Röhiig haben ihren Architektur-
stil entwickelt. Von der Nürnberger Spielzeugart der kleinen Stadt aus dem
MÜDEN TOD ist nichts mehr zu spüren. Vielleicht zeigt der Platz, auf dem
das nächtliche Duell stattfmdet, am besten, was damals deutsche Fümarchi- .
tektur, die sieb aus dem starren Expressionismus herausgelöst hat, im Verein
mit dem Regisseur und dem Kameramann zuweaebracbte. Hier wird nichts
mehr übertrieben. Fassaden werden nicht mehr von Schatten zerfressen.
Aber eine. subtile Beleuchtung gibt dem mittelalterHeben Vonchrägen des
Oberstocks Relief, einem Türflur geheimnisvolle Tiefe. Mumaus Rhythmus,
der so oft vom Ausland als langsam, als schwer empfunden wird, kommt in
einer solchen Szene zum AQsdruck. ·Mari:.spürt das Fließende seiner Kamera-
. Direktiven, erkennt, wie er in Zusanimenarbeit mit hochwertigen Architekten·
sich in das Bildhafte einerEinstellung eiilfühlt,"wie er Statisches zu beleben
weiß.
Heute wirkt der Film ohne die Hauptmann-Titel wie von Schlackenbe-
freit, man vergißt das Süßliche arigesichts der großartigen Orchestrierung des
Optisch-Magischen, angesichts der reich hinströmenden Visionen.
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REMBRANDTS FAUST
agfe des Lichts
IE STRASSE
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ARIETE
VARIETE
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XIX.
309
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Der Fall Pabst ist äußerst eigenartig. Er ist zugleich ein erstaunlicher und
enttäuschender Filmregisseur. Man wundert sich, wie der Schöpfer· von der
BÜCHSE DER PANDORA oder der DREIGROSCHENOPER einen so
peirilichen Film wie den PROZESS hat drehen können.
311
Welch neuer Faktor ist für die LIEBE DER JEANNE NEY hinzugekom-
men und woran liegt es, daß er mit der BÜCHSE DER PANDORA zu einer
intensiv gestalteten Konzeption gelangt? In ,.Close Up", dieser Monats-
schrift (16), die sich so angelegentlich mit den Pabst-Filmen befaßt hat, erklärt
ein Kritiker: "Pabst finds the other side of each woman", das bedeutet, daß er
auf ungemein überzeugende Weise das latente Leben, das in jeder Frau exi-
stiert, herauszuholen und zu entwickeln weiß. Daß dies mitunter der Fall ge-
wesen ist, zeigt zum Beispiel seine Führung von Brigitte Helm, die in der
Doppelrolle der echten und falschen Maria in METROPOLIS steif und kalt
erscheint und so rührend als blindes Mädchen in der LIEBE DER JEANNE
NEY wirkt. Wie kommt es jedoch, daß Pabst die statuenhafte Schönheit
dieser Darstellerio ftir ABWEGE oder D!E HERRIN VON ATLANTIS
nicht zu beleben verstanden hat und daß sie in diesen beiden Filmen ebenso
gefühllos unbeweglich wie in den beiden ALRAUNE-Filmen bleibt?
In der LIEBE DER JEANNE NEY erforscht die Kamera langsam eine
Szene, beginnt bei den spitzen Schuhen des kleinen Schurken, den Rasp
spielt, um dann die Beine entlang zu streifen, die unmittelbare Umgebung
einzufangen: schmutzige Papierfetzen, Zigarettenstummel, die sich häufen,
zeigen bereits die Erbärmlichkeit eines Hotelzimmers dritter Ordnung und
die elende Existenz eines Gauners ohne Format an.
. ,,~
von Valeska Gert, der Aufseherin in der Fürsorgeanstalt, man sieht, wie sie
auf einen Gong schlägt- die Kamera rollt langsam zurück und zeigtjetzt den
langen Tisch, an dem zu beiden Seiten die Zöglinge sitzen und im Takt ihre
magere Suppe essen.
Die Montage der BÜCHSE DER PANDORA erscheint flüssiger. Viel-
leicht, weil hier die Freude Pabsts an einer fließenden Atmosphäre, für
Helldunkel-Kontraste - man denke an das beleuchtete Spielhöllenboot in der
Nacht - die Oberhand behält. Das Verschmelzen zweier Theaterstücke in
einen Film bringt es jedoch mit sich, daß trotz des fluktuierenden Stils sich
gewisse Passagen vom Ganzen abheben. So bilden sich Einzeldramen heraus,
bei denen ein jedes seinen eigenen Rhythmus und Stil besitzt. So sind zum
Beispiel die Revue-Szenen in einem völlig impressionistisch gestalteten Flim-
mern gehalten, das Spielhöllen-Schiff in der Nacht wird expressionistisch
kontrastscharf beleuchtet, und die letzte Episode der Slums von London ist
in Nebel gehüllt - expressionistische Stilfaktoren verschmelzen hier mit einer
impressionistisch gefaßten Atmosphäre.
*
Niemand weiß so subtil wie Pabst das Fieber einzufangen, das während
der Premiere in den Kulissen einer großen Revue herrscht, jene verwirrende
Hast, das Hin und Her, das keinen eigentlichen Zweck zu haben scheint, das
Durcheinander von schwitzenden Leibern, während Dekors von einer Seite
zur anderen geschleppt werden. Für Augenblicke wird ein Teilausschnitt der
Bühne in seiner Schräge sichtbar, Fragmente einer Schaunummer werden
gezeigt. Das Auftreten, das Abtreten von Darstellern, ihre Verbeugung fUr
den Applaus des Publikums, dumpfe Rivalität, Selbstgefälligkeit, Humor
mischen sich dem verblüffenden Betrieb von Requisiteuren, Bühnenarbeitern,
Gard~robieren bei. Sogar die berühmte 42nd Street hat nicht diese dunst-
warme, atemberaubende Atmosphäre, diese schwüle Sinnlichkeit einer
Bühnenwelt, über die sich Lichter ergießen, die sich im Lame der Vorhänge
und auf den Helmen und Brustpanzern von Statisten spiegeln.
Pabst dirigiert diesen Wirrwarr mit erstaunlichem Geschick. Alles ist vor-
gesehen: in genau berechneten Intervallen durchqueren Figuranten den hin-
teren Bühnenraum, werden Kulissenstücke vobeigetragen, einmal vor den
Hauptpersonen, ein anderes Mal hinter ihnen, so daß auf diese Weise der
Eindruck dynamischer Bewegung hervorgerufen wird. Im flimmernden
Hintergrund Lulu, verftihrerisch in ihrem glitzernden Paillettentand; mitihren
wallenden Straußenfedern wird sie gleichsam zu einem heidnischen Götzen-
bild. .
Oft fiXiert die Kamera das schräg gesehene Antlitz Lulus: der Ausdruck
erscheint dann so animalisch wollüstig, so losgelöst vonjedem Gedanklichen,
daß es fastjeder Individualität beraubt wirkt In der Szene mit Jack dem Bauch-
aufschiitzer verwischt das Gesicht, wird zu einer glatten, schtilg über die
Leinwand hin reichenden Scheibe, die schimmernde Oberfläche verblaßt Die
Kamera beugt sich gleichsam über eine Mondlandschaft, deren Kurven sie
erfassen will. Ist es noch ein menschliches Wesen, eine Frau? Und nicht viel-
mehr die Blüte irgendeiner geheimnisvollen Giftpflanze?- Oder Pabst zeigt am
Rande der Einstellung nur das Kinn, einen Teil der Wange des Mannes, dem
sie gegenübersteht, und der Zuschauer identifiZiert sich mit diesem Partner.
Schließlich zeigt uns Pabst Lulu in der Londoner Dachkammer, wie sie
sich im Reflektor einer armseligen Lampe spiegelt, um sich mit einem Rest
von Lippenstift den Mund zu schminken. Der Schimmer dieser Lampe wird
sich kurz danach auf der Klinge des Brotmessers spiegeln und Jack dem
Bauchaufschlitzer die Waffe verraten. So verschmelzen von Bild zu Bild
Beleuchtungseffekte mit einer Person, einem Gegenstand. (Wir denken
zurück an die FREUDLOSE GASSE, an Asta Nielsen, die mit mechanischer
Geste einen Spiegel hochnimmt, als ihr der Juwelier eilfertig das Brillanten-
halsband umgelegt hat - das helle Lichtrund zeichnet sich auf ihrer starren
Maske.)
Das Gesicht Jacks taucht aus der Dämmerung, nimmt im Kontrast zu der
zerfließenden Oberfläche von Lulus hingegebenem Antlitz eine unheimliche
Plastik an. Einen Augenblick lächelt der Mund des gehetzten Mannes. Das
Lächeln scheint die Verzweiflung der verzerrten Züge auszuwischen, sie zu
glätten. Dann wiederum offenbart die Kamera alle Ungleichheiten seiner
Haut, jede schwitzende Pore über den verkrampften Muskeln.
Bei der Einftihrung einer Person weiß Pabst mit einer einzigen Einstellung
deren Charakter zu erklären: die Kamera fixiert den Akrobaten Rodrigo, der
unten auf der Straße wartet, umreißt seine breiten Schultern, den wohlgefällig
herausgepreßten Brustkasten. In dieser Einstellung wird der Kopf gleichsam
zum Beiwerk; und wir merken sofort, daß der Kerl nichts weiter als Mus-
keln hat. ·
Pabst geht demnach auf folgende Weise vor: ex: erstrebt sogenannte
"psychologische oder dramatische Einstellungen", die beim ersten Blick be-
reits die seelischen Beziehungen der Personen, eine Situation, die Verdichtung
einer Stimmung, die Spannung der Aktion, den tragischen Moment vor
Augen führen. Meistenteils zieht er solches Vorgehen einer Technik vor, die
Murnau vor allem zu eigen gewesen ist und bei der die Gleitkamera es erlaubt,
eine Szene lange zu verfolgen und auszuspielen. Für Pabst, der stets beim
Schneiden den Übergang von einer Bewegung zur anderen berücksichtigt,
ist es die Montage, die eine Handlung baut und ihre Kontinuität entscheidet -
in dieser Zeit übrigens ein überaus seltenes Vorgeben im deutschen Film, wo
allgemein das langsame Auskosten einer Bildwirkung und einer Situation
beliebt gewesen ist
')1<'
Atmosphäre, das vielfältige Schimmern, das der BÜCHSE DER PANDORA
den besonderen Reiz gibt. Mit dem TAGEBUCH EINER VERLORENEN
beginnt Pabst eine neue Phase, von nun an wird seine Arbeitsweise sachlicher.
louise Brooks in DIEBOCHSE DER PANDÖRA von Pabst
Gottfried Benn
in Kunst und Macht, 1934.
321
Die Dekadenz der deutschen Filmkunst, die sich in der ausgehenden
Stummfilm-Ära bemerkbar gern.acht hat, ist nicht ohne weiteres zu erklären)
Zu Beginn der Tonftlmzeit verstärken sich diese Merkmale - Filme wie DER
BLAUE ENGEL, DIE DREIGROSCHENOPER, MÄDCHEN IN UNI-
FORM und M bilden lediglich Ausnahmen.
Man kann nicht alle Schuld auf Hollywood schieben und auf das amerika-
nische Kapital, das, um in Deutschland Boden zu fassen, die UFA zu sanieren
versucht Selbst wenn das Gegengeschenk - das Engagement wichtiger deut-
scher Filmregisseure wie Mumau, Dupont und Paul Leni nach Hollywood -
für den deutschen Film eine erhebliche Einbuße bedeutete, so waren doch
noch Regisseure von Format wie Lang oder Pabst in Deutschland am Werk.
Auch Lamprecht, Froelich und Grune drehten in deutschen Ateliers. (Froe-
lich allerdings war immer mehr zum Regisseur sentimentaler Publikums-
Filme mit Henny Porten geworden und sollte zu Beginn der Tonfilm-Ära
rasch zum kommerziellen Film gelangen. Und Grune wird in der Film-
geschichte stets der Regisseur eines einzigen klassischen Films, DIE
STRASSE, bleiben, obwohl gewisse Ansätze zu Bildvisionen in SCHLA-
GENDE WETTER zeigen, daß er mehr gekonnt hat, als z. B. der MARQUIS
D'EON [1928], ein nur pittoreske Kostümwirkung erstrebender Film, er-
raten läßt)
Heute ist man sich nur selten darüber klar, daß die deutschen Filme, die
wir jetzt als klassisch bezeichnen, zur Zeit ihrer Entstehung Ausnahmen
waren, daß sie damals bereits von der Flut der publikumswirksamen Filme,
den Kassenfilmen vom Rhein, der schönen blauen Donau, vom Herz, das
man in Heidelberg verlor, den hurra-patriotischen Filmen über Friedrich den
323
Großen, die elf Schillsehen Offiziere, des Königs Grenadiere und den Ersten
Weltkrieg überschwemmt worden sind. Zu diesen Kassenrekordfilmen kamen
natürlich noch allerhand recht ordinäre Kasernenfilme und die Fülle der soge-
nannten "Aufklärungsfilme", die Bordell- und Geschlechtskrankheit-Melo-
dramen auf angeblich wissenschaftlicher Basis behandelten und lediglich auf ·
die Lüsternheit des Publikums spekulierten.
In den Jahren 1926 und 1927 wurden 185 bzw. 243 deutsche lange Spiel-
. filme zur öffentlichen Vorführung in Deutschland zugelassen. Zurückblickend
läßt sich heute feststellen, daß die Zahl der Qualitätsfilme in dieser Periode
äußerst gering war - es handelte sich höchstens um vier oder ftinf Filme pro
Jahr. Auch die Zahl der halbwegs annehmbaren Filme ist nicht allzu hoch
gewesen (kaum mehr als zehn bis zwölf im Jahr). Und wenn auch die Filme
der Jahre 1919 bis 1926 ein besseres Niveau gehabt haben, so ist die Anzahl
der wirklich guten Filme nicht allzu groß.
Zudem darf nie außer acht gelassen werden, daß einerseits das Hell-
dunkel, jenes Erbe Max Reinhardts und des Expressionismus, vielen Filmen
einen scheinbaren künstlerischen Wert verliehen hat; im übrigen ist dies oft
weit mehr auf das Konto der Dekor-Skizzen und auf das Talent der Kamera-
leute zu setzen als auf die Begabung der Regisseure. Andererseits gibt heute
eine Art von Patina, vielleicht auch das Zeitdokumentarische, manchen Fil-
men von einst bereits einen gewissen Reiz.
Weiter muß betont werden, daß eine Reihe von Filmregisseuren nach-
Ende des ...expressionistischen Stils, der ihren älteren Filmen interessante
Bildeffekte ermöglicht häüe",-nTclii& Gleichwertiges mehr drehte. Darum ist es
keineswegs verwunderlich, daß ein Robert Wiene, derminterben Film-
komödien wie DIE KONSERVENBRAUT (1915) begonnen hat, sich nach
den expressionistischen Filmen wie CALIGARI, GENUINE, RASKOLNI-
KOW und ORLACS HÄNDE populären Filmstoffen zuwendet, daß Zelnik
) nach DIE WEBER, einem ziemlich .~hrgeizigen, aber recht überschätzten
Gerhart Hauptmann-Film,. die SCHONE BLAUE DONAU und Richard
Oswald WIR SIND VOM K. UND K. INFANTERIE-REGIMENT drehen.
324
deutsche Film keine eigentlichen Komödien von Niveau hervorgebracht;
denn TARTÜFF ist weit mehr eine Tragikomödie und Ludwig Bergers
VERLORENER SCHUH ein Märchenftlm. Andererseits hat Lubitsch ;
LADY WINDERMERE'S FAN erst in Amerika drehen können, nachdem [
er, wie er selbst erklärt, "good bye slapstick and hello nonchalance" gesagt hat, i
also sich ganz bewuloit von seiner derbgrotesken Manier losgesagt hat.
-, 1
*
Es ist nicht leicht, einen Traum wiederzufmden, wenn man einmal aus
dessen Bann entkommen ist. Nach 1925 war mit der Stabilisierung die "pros-
perity" für Deutschland wiedergekommen, das Kriegsschuldgefühl der ersten
Nachkriegsjahre hatte sich verwischt. In den Kreisen der Schwerindustrie
strebte man nach reellen Gütern, nach der Rückerstattung der verlorenge-
gangenen Kolonien, und gerade die Schwerindustrie war es ja, die sich der
wichtigsten Filmproduktion bemächtigt hatte.
Darf man aus diesen Formulierungen von Kurtz schließen, daß der künst-
lerische deutsche Film freiwillig auf all das verzichtete, was einst seinen Wert
ausmachte?
In den letzten Stummftlmjahren kann das Bild, das noch immer das
Helldunkel-Verfahren zeigt, weiter den Anschein erwecken, als sei nichts
verändert, aber die Tonftlmperiode enthüllt bald die Mittelmäßigkeit der
landläufigen Produktion, die zuvor von den Errungenschaften des stummen
Qualitätsfilmes mit profitierte. Denn das Wort muß das Mysterium pantomi-
mischer Gesten herabmindem. Liegt es an der absoluten Stilisierung, die der
expressionistische Stilwille erreicht hatte, daß die Filmkunst in Deutschland
325
weit mehr als die der anderen Länder durch den aufkommenden Sprechfilm
beeinträchtigt worden ist? Wird der Schleier der Stimmung unwiderruflich
zerrissen?
Andererseits ist es dem Film von Leni Riefenstahl wie manchen anderen
Bergfilmen ergangen: die Frische und Unmittelbarkeit des Eindrucks von
Freilichtaufnahmen wird durch Einstellungen abgeschwächt, die im Atelier
aufgenommen worden sind. Für besonders romantische Gletscherspalten,
kühnen Abstieg und gewagte Sprünge wurden von Leopold Blonder, einem
recht geschickten Filmarchitekten, mitunter sogar Schneeberge im Atelier
aufgebaut
Fanck selbst erklärt, daß er mit seinen Naturvisionen niemals eine Spiel-
handlung "illustrieren" wollte. Er ist vom rein Visuellen ausgegangen und hat
die Handlung Schritt für Schritt aus der Fülle der gewonnenen Bilder. heraus
entwickelt und, wie er betont, "in Bildern gedichtet". Gerade weil er die Hand-
lung nicht mit dem sogenannten "schönen" Bild untermalt, hat er das kulissen-
haft Starre vermeiden können, das zuweilen im BLAUEN LICHT stört.
*
Rasch haben sich die deutschen Filmleute an das Wunder des Tons
gewöhnt und somit kaum mehr noch Tonexperimente vorgenommen. Wir
finden solche Versuche daher nur in der ersten Zeit; so vermischten sich in
Duponts in England gedrehtem Tonfilm ATLANTIK (1929) während der
Schiffskatastrophe Wortfetzen in allerhand Sprachen mit den Sirenen, dem
Weiterspielenden Orchester, Warnglocken, und man merkt deutlich, wie das
Stampfen der Maschinen auf einmal verstummt Im gleichen Jahr hat
Walter Ruttmann den Versuch gemacht, in seiner MELODIE DER WELT
die Plastik seiner Bildeffekte durch den Kontrapunkt des Tons sowie durch
Tonassoziationen zu unterstützen; aber sieht man näher hin, so ist bei diesem
Film trotz Hilfe von Wolfgang Zellers Musik und durch einige echte Ge-
räusche lediglich eine recht äußerliche Synchronisierung zustande gebracht
worden. Obwohl gerade Ruttmann interessante Tonexperimente gemacht
hat - man denke an seinen Film WOCHENENDE, eine ausgezeichnete
reine Tonmontage ohne Bilder.
Im Jahr 1931 hat Kurt Bemhardt in seinem Film DER MANN, DER
DEN MORD BEGING, nach dem Claude Farrere-Roman, ein Stück Straße
aufnehmen lassen, wo in schwelender Tropennacht sich die verklingenden
Schritte eines Passanten mit Worten vermischen, die auf einer Terrasse
gewechselt werden. Das Publikum im Kino konnte gleichzeitig mit den
verklingenden Schritten des Passanten das Abebben der Worte hören. Auch
Robert Siodmak brachte im gleichen Jahr in ABSCHIED einen originellen
Toneffekt zuwege: er stellte die Kamera auf die Ecke eines Zimmers ein,
wo die Anwesenheit eines unsichtbar bleibenden Liebespaares in einem Bett
sich nur durch ein paar geflüsterte Worte verriet
-<.':."
welche Bedeutung dem neuen Ton beizumessen ist. Die Dialoge in seinem
· Kriegsfilm WESTFRONT 1918 (VIER VON DER INFANTERIE) (1930)
oder seinem Bergwerksftlm KAMERADSCHAFT (1931) sind so banal
geführt, daß selbst eindringliche Lauteffekt~ wie Trommelfeuer und schla-
gende Wetter kaum zur Gelturig kommen, wodurch gute Bildeinsteilungen
abgeschwächt werden. Vielleicht zeigt die HERRIN VON ATLANTIS
(1932) am stärksten, wo die Fehler in der Tonftlmregie von Pabst gelegen
haben. Wenn in Jacques Feyders ATLANTIDE vom Jahr 1921 die Sturnm-
filmfassung dem phantastischen Sujet eine Art von Existenzberechtigung
gab, so bringt sich Pabst mit der ungeschickten Handhabung eines schwer-
fälligen Dialogs selbst um die Wirkung ausgezeichneter Wüstenaufnahmen
und optischer Tricks, die der Kamera Schüfftans zu verdanken sind. Es ist
vielleicht nicht ganz ohne Bedeutung, daß Pabst noch im Jahre 1937 erklärt,
daß trotz des Aufkommens des Tonftlms dem Text in einem Film nur
wenig Bedeutung beizumessen sei.
Heute indes, wo wir nicht mehr unter dem Eindruck der bewunderns-
werten Inszenierung des Werks auf der Bühne stehen, hat der Film gewonnen.
Zumal ja auch die dem Original innewohnende heftige Sachlichkeit - die
einander sonst ausschließenden Begriffe sind hier im Stendhalschen Sinne
vereint - im Film nicht verwischt werden konnte und außerdem die meisten
Schauspieler, abgesehen von Mackie Messer, den Rudolf Forster jetzt statt
Harald Paulsen spielt, von der Bühnenfassung in den Film übernommen
worden sind. Die plastische Herausarbeitung der Dialoge, der dynamische
Rhythmus der Chansons waren von Brecht bereits in der TheatervorfUhrung
als Beispiel gegeben und bildeten in vollendeter Weise das Gegenspiel zu
Bildeindrücken, für die Pabst zum Suggestiven seiner BÜCHSE DER
PANDORA zurückgefunden hat.
Im Gegensatz zu-Pabst ist sein großer Rivale Fritz Lang gleich von den
Ausdrucksmöglichkeiten, die der Ton dem Bild vermitteln kann, mitgerissen
worden; er gelangt völlig naturgemäß zu optischen und akustischen Kontra-
punkten. So bleiben zum Beispiel in M, als der Schatten des ungreitbaren
Mörders auf das Plakat fällt, das ftir seine Festnahme eine Belohnung ver-
spricht, Peter Lorre wie auch das kleine Mädchen, das die Warnung des
Plakats nicht verstehen kann, unsichtbar - und man hört beide miteinander
sprechen. In ähnlicher Weise zeigt Lang auch einmal nur die Schatten der
Diebe auf der Zimmerwand, während wir ihren Dialog vernehmen. Noch
in dem in einem französischen Atelier gedrehten LILIOM (1933) wendet
er das gleiche Verfahren an: er bringt lediglich die Spiegelbilder von Liliom
und seinem Kumpan im Wasser, während ihre Stimmen den Überfall, den
sie vorhaben, besprechen.
Auch Paul Czinner sieht gewisse Möglichkeiten des Tons, kann durch
ihn die du~pfe Spannung des Kammerspiels verstärken: in ARIANE (1931)
wie im TRAUMENDEN MUND (1932) werden die Worte subtilstes Zwi-
schenspiel, fl.igen sich organisch ein in die langen psychologischen Pausen,
die er bereits in seinen Stummfilmen mit Erfolg angebracht hat Das
beredte Schweigen seiner Figuren wird gerade im Kontrast zu dem Dialog
in Spannungsmomenten mitunter fast schmerzhaft fühlbar. Aber Czinner
bringt sich dann wiederum durch allzu sichtliche Routine und den Hang zu
Sentimentalität um seine Wirkung.
330
Richtig angewandte Dialogfl.ihrung läßt seelische Beziehungen rein durcn
die Klangfärbung zum Ausdruck kommen: so weiß Leontine Sagan, die von
der Sprechbühne herstammt, in MÄDCHEN IN UNIFORM (1931) in ftir
diese Frühzeit hervorragender Weise den Dialog zu leiten, holt die spröde,
halb zerbrochene Stimme von Hertha Thiele geschickt heraus und macht
somit die Pubertätsirrungen deutlich, ohne sie in Worten auszudrücken; wir
hören das Flüstern naiv unbewußter Pensionatskonfidenten in den Schlaf-
sälen, die ganze Atmosphäre wird uns akustisch nahegebracht Vergeblich
müht sich Frank Wysbar, zur Nazizeit die erschütternde Zwiesprache von
Hertha Thiele und Dorothea Wieck in seinem sentimental mystischen Film
ANNA UND ELISABETH wieder zu beleben, einen Angstaufschrei, der
durch die Weiten hallt, zu imitieren - es gelingt ihm nicht, das einmalig
Eindrucksvolle zu erreichen.
*
Der Tonfilm hat leider die erstickende Fülle der Operetten- und Musik-
filme heraufbeschworen, so zum Beispiel Wilhelm Thieles DREI VON DER
TANKSTELLE, einen Film, den man auch im Ausland als charmant
empfunden hat und der heute, wenn man ihn wiedersieht, außerordentlich
schwerfällig wirkt Schlimmer noch sind jene Musikerfilme gewesen, wo das
Liebesleben berühmter Komponisten durch den unvermeidlichen Lieder~
Regen eines gebrochenen Herzens Ausdruck findet.
Die Ausstattungsrevue des "Weißen Rössls", die von Erik Charell mit
showman-Prunk in Szene gesetzt worden war, hatte in Berlin die Massen
ins Theater gezogen. Kein Wunder, daß der geschäftskundige UFA-Konzem
die Gelegenheit ergriff, diesen recht geschickt auf Publikumswirkung be-
dachten Regisseur ftir den Tonfilm zu engagieren. So hat Charell seinen
Film DER KONGRESS TANZT in der Art seiner großen Ausstattungs-
revuen mit einem großen Aufwand an Dekors und Kostümen gedreht, und
der recht leere Prunk dieses Films, der auch im Ausland viel Erfolg hatte,
hat die gesamte kommende UFA-Produktion beeinflußt.
Indes ist DER KONGRESS TANZT nicht allein schuld daran: die
deutschen Filmschaffenden haben zu lange mit dem Helldunkel gespielt,
als daß der rein kommerzielle Unterhaltungsfilm sich nicht dieser Beleuch-
331
tungseffekte bemächtigt und sie naturgemäß versüßlicht hätte. Diese Gefahr,
die bereits den Stummfilm bedroht hat - ein frappantes Beispiel sind in Stil
und Ausleuehrung so geleckt glatte Filme wie die beiden Hanns Schwarz-
Filme DIE WUNDERBARE LÜGE DER NINA PETROWNA (1929)
und UNGARISCHE RHAPSODIE (1929) -,nimmt fUr den Tonftlm zu.
Die Tobis betreibt eifrig die Fabrikation des "day dream.", die UFA fUhrt
den ganzen Requisiten-Prunk ihrer wohlversehenen Filmateliers ins Treffen,
und dies zu einer Zeit, in der unabhängige kleinere Produzenten noch vor
den hohen Kosten des neuen Tonfilmverfahrens zurückschrecken. Für die
MELODIE DES HERZENS wertet die UFA alle Suggestion des Kitsches
in Öldruckmanier als Pendant zum Melodrama aus. Hier übrigens hat das
übliche Helldunkel einer Art von Grisaille Platz gemacht, die Reliefs be-
kommen etwas Verwischtes, jede Plastik verflacht, wodurch ein peinlicher
Eindruck von fader Süßlichkelt hervorgerufen wird. Dies ist bereits 1928 für
den Hans Kyser-Film LUTHER der Fall gewesen, in dem die Architektur
von Herlth und Röhrig die Eindringlichkeit verloren hat, die noch in den
Skizzen zu spüren war.
•
In seinen ersten Reden aus den Jahren 1933-1934 hat Goebbels erklärt,
der deutsche Film habe die Aufgabe, die Welt zu erobern und gewissermaßen
Schrittmacher für die nationalsozialistischen Truppen zu werden. Er verlangt,
man solle Filme "mit scharfen völkischen Konturen" drehen, die ein Milieu
und Menschen zeigen, wie man sie in der Wirklichkeit fmde. '
Wie der Kostümfllm, so ist der sogenannte Sozialfilm zu sehr auf schöne
Bildwirkung aus, und außerdem hat diese Filmart sich schon vor der.Hitler-
zeit niemals von dem Sentimental-Symbolischen freimachen können, das
bereits die soziale Auswirkung von SCHERBEN und SYLVESTER ge-
hemmt hatte. Man dreht nicht ungestraft Slums-Filme, die im Atelier gebaut
worden sind. Selbst dann, wenn man sich dazu entschließt, in echte Elends-
quartiere zu gehen, hinterläßt der einmal erworbene Bildstil noch unaus-
löschliche Spuren.
Selbst die Darsteller leiden unter dieser Verwirrung der Gattungen: das
el der Baranowskaja ist in dem Pudowkin-Film DIE MUTTER unend-
1 viel einfacher, unpathetischer als in SO IST DAS LEBEN (1929),
n Film, den Junghans mit ihr in Prag gedreht hat und der zu sehr
teilt, einstudiert wirkt; denn alle Situationen sind zu malerisch vorbe-
:ht. So ist das Leben gewiß nicht!
Immerhin ist der Stil des Junghans-Films weniger zwiespältig als der
:1 Phil Jutzis MUTTER KRAUSENS FAHRT INS GLÜCK. Man spürt,
,3 Junghans von der russischen Montage gelernt hat, auch wenn er die
Jcht gewisser Einstellungen nicht durchzuhalten versteht Vielleicht ist es
r ein einziger Film, ein KurzfJ.lm, der mehr noch als MENSCHEN AM
>NNT AG (1929), dem Film von Robert Siodmak, das Alltagsleben un-
schminkt wiedergibt: Wilfried Basses MARKT AM WITIENBERG-
,A TZ, in dem die neue Objektivität unpathetisch zum Ausdruck kommt.
lSSe bedarf nicht einmal der Kameratricks wie Ruttmann, der rur seine
tpressionen in BERLIN, SYMPHONIE EINER GROSSSTADT den
irbel von Eindrücken rhythmisch verschmilzt und der Symbole benötigt,
n sie von dem symphonischen Untergrund abzuheben. Der Basse-Film
msponiert nicht, bringt das Momentane, die Zufälligkeit des puren Da-Seins.
ier wird nichts ausgelegt, man legt auch nichts unter, und das ist etwas
1gemein Seltenes; nichts ist pittoresk gestaltet.
Scheint es nicht geradezu ftir die Vorliebe der Deutschen, soziale Sujets
1 stilisieren, bedeutsam, daß es sogar einen sogenannten ,.Paul Simmel"-
ttenfJ.lm gegeben hat? Der Fall des ,.Zille-Films" Dm VERRUFENEN
925), den seinerzeit Gerhard Lamprecht unter Mitarbeit von Heinrich Zille
:dreht hat, liegt immerhin etwas anders: Lamprechts einfache menschlich-
lUbere Konzeption ließ sich nicht allzusehr ins Schematische zwingen, wie
· denn auch nie das rein Pittoreske gesucht hat So steht sein Nacbtrlegs-
lm IRGENDWO IN BERLIN (1946) trotzmancher voft der ökonomischen
334
Situation bedingter technischer Unzulänglichkeiten weit über dem Filin
GERMANIA ANNO ZERO, der ja bereits infolge Rossellinis Unkenntnis
der deutschen Sprache und der deutschen Mentalität gehandicapt worden ist
Vielleicht sind nur zwei Filme etwas näher an die erstrebte Wirklichkeit
herangekommen: MENSCHEN AM SONNTAG (1929) und KUHLE
WAMPE (1932).
335
···------
irkt, ist vielleicht die selbstverständliche Sachlichkeit (nicht die sogenannte,
ft mißbrauchte "neue Sachlichkeit"), mit der er zu arbeiten weiß; hier ist
~in Stilisierungswille mehr am Werke, nichts ist dekorativ umgebogen.
Vielleicht war dies der Weg, den der deutsche Film hätte gehen sollen.
loch es kam der Tonfilm, die Schwierigkeit, im Freien zu arbeiten, mit
lichtschauspielem, die eine Dialogflihrung benötigten, zu drehen.
Auch Slatan Dudows Film KUHLE WAMPE, den er mit Bert Brecht
;huf, zeigt gewisse amateurhafte Elemente, die noch nicht ganz überwunden
rurden und auf das Konto eines debütierenden Regisseurs zu setzen sind.
\.ber phrasenlos sachlich wird das Elend von Arbeitslosen wiedergegeben,
1itunter erreichen die Wucht der Montage, der einhämmernde Rhythmus
ler musikalischen Untermalung einer Szene eine Dynamik, die sich man-
hen russischen Filmen annähert. Man denke nur an den radfahrenden
ungen Menschen auf der verzweifelten Suche nach Arbeit, an jene Passage,
lie sich in Schnitt und Musik chaotisch steigert.
Und wie verhält es sich mit den von russischen Regisseuren in Deutsch-
and gedrehten Filmen? In Robert Wienes RASKOLNIKOW, in Conrad
Nienes MACHT DER FINSTERNIS, den beiden frühen Stummfdmen,
1at das eingesetzte Ensemble des Moskauer Künstlertheaters immerhin
1och etwas von den nationalen Stileigenschaften durchschimmern lassen.
Dies ist jedoch in Ozeps zum Ausgang der Stummfdmzeit sedrehtem
folstoi-Film DER LEBENDE LEICHNAM kaunl mehr der Fall, hier macht
1ie Konzentriertheil des Spiels von Pudowkin und der MaretzlaYa das
imitierte Russenturn der anderen Darsteller wie auch des Milieus besonders
peinlich bemerkbar. Und die Regie-Entgleisungen Ozeps, die ein Nicht-
verarbeiten konträrer russischer und deutscher Stil-Elemente hervorruft,
verstärken sich noch in seinem .Spreclüdm DER MÖRDER DIMITRI
KARAMASOW - Anna Sten offenbart nichts mehr von der Naturhaftigkeit
ihrer Russenfllmrollen. (Nur der eigenwillig seine Rolle umschaffende Fritz
Kortner und das scharf ziselierte Episodenspiel von Fritz Rasp machen
manche Passagen erträglicher.)
336
Was ist heute von dem ehrlich bemunten ;:,ueo~;;n c.u• ..,.. ...... .....v .. , .........
Jutzi urid Jungbans, die Wirklichkeit phrasenlos wiederzugeben, übrig-
geblieben? Im Ausland kennen wir kaum genug von der heutigen deutschen
Filmproduktion, um ein. abschließendes Urteil abgeben zu können.
Die Deutschen selbst sind mitunter nicht allzu gut auf ihre eigene Film-
produktion zu sprechen. Aber ist die Zukunft des deutschen Films wirklich
so trübe, wie manche behaupten? Hoffen wir, daß man sich in Deutschland
immer mehr auf eine große Filmvergangenheit zu besinnen beginnt.
•
Diese Ausführungen wurden vor circa zwanzig Jahren geschrieben.
Inzwischen ist eine neue Generation herangewachsen, und, wenn es auch
noch nicht in Deutschland zu einer solchen Blüte der Filmkunst gekommen
ist wie in den zwanziger Jahren,. so sollte man doch einer Reihe von jungen
Filmschaffenden gedenken, die heute eine seriöse Hoffnung für den Film
bedeuten, aber leider noch nicht von den Offiziellen und dem Publikum
genug anerkannt sind. Man zeigt ihre Filme nur in spezialisiert.en Kunstkinos
und nichtkommerziellen Spielstellen, auf Festspielen oder eventuell bei dem
besseren Fernsehen.
Ich denke dabei an zwei gute Filine von Schlöndorff (DER JUNGE
. TÖRLESS, DER PLÖTZLICHE REICHTUM DER ARMEN LEUTE
VON KOMBACH), an das Gesamtwerk des sehr begabten Wemer Herzog,
an die Filme von Wim Wende(S, an zwei Filme von Fleischmann (man.
vergesse die mißlungene DOROTHEA), an Dr. Kluges drei Filme und eine
Reihe anderer etwa von Hauff, Schroeter, Fassbinder, Rosa von Praunheim,
Syberberg, Peter Lilienthai vor allem.
337
IER von Zelnik
n Fritz Lang
346
DIE DREIGROSCHENOPER von Pabst: Das Bordell
347
)REIGROSCHENOPER
348
OIE DREIGROSCHENOPER
·.- :~..;'..;.'
\'<350
Eine Skizze von Otto Hunte für DER BLAUE ENGEL
OLYMPIA
351
lieh-dokumentarisch: DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE
2. Kasimir Edschmid: Über den Expressionismus in der Literatur und die neue
Dichtung, 1917. Wenn hier im folgenden in der Hauptsache Edschmid herangezogen
wird, obwohl es weit bessere expressionistische Schriftsteller gab, so ist dies ge-
schehen, weil so besonders starr gefaßte Theorien die damalige Geisteshaltung am
eindeutigsten vor Augen fUhren.
4. Carl Hauptmann, Wegener, auch Hanns Heinz Ewers haben sich in dieser Zeit
dafUr eingesetzt, den .Film auf ein höheres Niveau zu heben und dieses Ziel in der
Hauptsache durch das Filmsujet, das Manuskript zu erreichen. So wurde 1913 der
ANDERE nach einem Paul Lindau-Stück von Max Mack als Film gedreht, und so
kam es vor allem zum STUDENTEN VON PRAG (1913) von Stellan Rye mit
Paul Wegener in der Hauptrolle und zum GOLEM (1914), den Paul Wegener mit
Henrik GaJeen drehte. Man hat oft behauptet, daß ein anderer Film von Stellan Rye,
DAS HAUS OHNE TÜR (1914), bereits expressionistische Elemente enthalten
habe. Es handelt sich aber hier um eine Verwechslung mit dem erst 1921 gedrehten
Film von Friedrich Feber DAS HAUS OHNE TÜREN UND FENSTER. Feher,
der bekanntlich im CALIGARI mitgespielt hat, war von diesem Film stark beein-
flußt worden. Man spürt diesen Einfluß noch in seinem in London gedrehten Ton-
film DIE RÄUBERSYMPHONIE. Aus Fotos des Lamprecht-Archivs ist zu ersehen,
daß der Stellan Rye-Film ein ziemlich naturalistisch gehaltener Abenteurerfilm ge-
wesen isl
7. Siehe: Mario Verdonein seinem interessanten Artikel "Dei Film tedesco o il gusto
del turbamento" (Bianco e Nero, Februar 1948).
353
Ein Bild von Caspar David Friedeich "Männer, den Mond betrachtend" zeigt die
ehe bizarre Baum-Silhouette. Lang dürfte sich an dieses Bild erinnert haben, und
een ist in dem Film DER STUDENT VON PRAG dieser Anregung gefolgt.
In TABU wird dem jungen Mädchen der Blumenkranz entrissen, den ihm der
liebte zuwarf ·.;; einen Augenblick zeigt Murnau den Kranz auf dem Boden, ein
1atten beugt sich darüber, eine Hand ergreift den Kranz. Es genügt, um uns vor
gen zu fUhren, daß der Liebende begriffen hat.
Siehe auch Josef von Sternberg, der in UNTERWELT den Schatten des Richters
·das Paar fallen läßt, von dem der Angeklagte glaubt, daß es ihn verraten hat.
In Wirklichkeit ist diese Lift-Szene nicht durch eine Glastür aufgenommen worden,
wohl Mumau den Anschein erwecken will. Die Vorderseite des Fahrstuhles war
en, so daß der Kameramann, der mit der festgeschnallten Kamera auf einem
hrrad saß, beim Anhalten des Lifts herausfahren und sich durch das Vestibül zur
ehtür bewegen konnte. Diese ganze Bildfolge Ist also durchgehend gefilmt worden!
Siehe "Close Up": Dezember 1927, September 1928, März und April und No-
mber 1929. .
Czinner, Paull91, 288, 330
Index Dagover, Li1101, 272
Delluc, Louis 19,135
Kursive Zahlen verweisen auf Bildseiten. de Putti, Lya 279, 282, 283
Deutsch, Ernst 277 ·
Dieterle, Wilhelm 98
Dietrich, Marlene 328
Dostojewski, Fedor Michailowitsch 29
Dowshenko,Alexander99
Dreyer, Carl Theodor 298
Dudow, Slatan 336,337
Dupont, Bwald Andr6 30, 132, 199,
211-283,293,300,307,323,328,
Personenregister 335
Eckennann, Johann Peter 13, 45, 71,
Abel, Alfred 30,102, 125 95
Andrejew, Andrej 29,259,329 Bdison, Thomas Alva 12
Ba~, Julius 133, 354 Bdschmid, Kasimir 16,17, 55, 136,
Bahr, Hennann 353 207,353
Baläzs, B61a 16, 96, 99, 157,158,213, Eggeling, Viking 260,261
255,258,327,333 Eichberg, Richard 63, 73,78
Baranowskl\ia, Wera 334 EichendorfT, Joseph Freiherr von 91,
Barlach, Ernst 77 96,133
Barryt Iris 259 Einstein, Carl 275
Basse, Wllfried 334 Eisenstein, Sergej M. 116
Bassennann, Albert 33 Engel, Brich 329
Behrendt, Hans 336 Erdmann, Otto 256
Benn, Gottfried 321 Ewers, Hanns Heinz 353
Berger, Ludwig 272, 324, 325 Fanck, Arnold 204, 326, 327
Bergner, Blisabeth 191 Farrere, Claude 328
Bernhardt, Kurt 328 Fassbinder, Rainer Werner 337
BUlinger, Richard 77 Fechter, Paull11
Blonder, Leopold 327 Feber, Friedrich 353
Böcklin, Arnold 97, 158, 165, 166 Fehling, Jürgen 214
Boese, Carl120, 182, 195-197, 200, Feininger, Lyonel 115
203,332 Feuillade, Louis 244
Botticelli, Sandro 298 Feyder, Jacques 329
Brecht, Berto1t 99, 245,329, 330, 336 Fleischmann, Peter 337
Brooks, Louise 211, 312, 315, 317, 319 Fontane,Theodor75
Büchner, Oeorg 78,193 Ford, John 259
Buchowetzki, Dimltri 64, 14, 75, 78, Forster, Rudolf 329
80, 83, 173, 233, 332 Fouqu6, Friedrich Heinrich Karl
Callot, Jacques 75 (Freiherr de Ia Motte-Fouqu6) 131
Carrick,'Bdward 24 Freud, Sigmund 134
Cassou, Jean 91 Freund, Karl24, 210, 269, 270, 281
Chamisso, Ade1bert von 131 Friedrich, Caspar David 126, 354
Chardln, Jean-Baptiste Sim6on 271 Friedrich der Große 323, 324, 332
Charell, Brik 331 Friese-Greene, William 12
Clemenceau, Oeorges 89 Froelich, Carl 290, 323, 332
C1ouzot, Henri-Oeorges 102 Fröhlich, Oustav 228, 262
Cser6py, Arz6n von 332 Gad, Urban 53
355
Hose, Die 336 Mann, der lacht, l>er 11!>
Indische Grabmal, Das 79 Manon Lescaut 272, 305
Inflation 260 Markt am Wittenbergplatz 334
Informer, The 259 Marquis d'Bon 323
I. N. R. I. 63, 193 Maskerade 326
Irgendwo in Berlin 334 Melodie der Welt 328
Isn't Life Wonderful256 Melodie des Herzens 326, 332
Iwan der Schreckliche 116 Mensch ohne Namen 118
Januskopf, Der 104 Menschen am Sonntag 334, 335, 344
Jenseits der Straße 333, 345 Metropolis 48, 61, 78, 101, 104, 133,
junge Törleß, Der 337 138, 143-145, 153, 159,210,223,
Kabinett des Dr. Caligari, Das 19, 225-228,232, 234-238, 244,278,312
21-30,.35-38, 44, 51, 54, 59, 60, 90, Monna Vanna 63, 73, 78, 79
96,101,105,113,115,116,118,125, Mörder Dimitri Karamasow, Der 336
137, 140, 141, 159, 161, 182,224. Moulin Rouge 283
245,279,324,353 müde Tod, Der 48, 73, 74, 89-91,
Kameradschaft 329, 333 101-106, 110, 113, 117, 127, 157,
Kindheit von Maxim Gorki, Die 335 161, 192, 196, 229, 230, 244, 286, 300
Kleinstadtsünder 260 Mutter, Die 282,334
Koffer des Herrn 0. F., Die 336 Mutter Krausens Fahrt ins Glück 333,
Kohlhiesels Töchter 76, 82, 97, 324 334, 343, 345
Kongreß tanzt, Der 331,352 Mutter und Kind 290
Konservenbraut, Die 324 Napoleon 332
Kriemhilds Rache 117, 160, 162, 168, Napoleon auf St. Helena 332
169 Napoleon und die kleine Wäscherin
Kuhle Wampe 335, 336 332
Lady Windermere's Fan 325 Narkose 30, 102,125 .
Landru, der Blaubart von Paris 38 Nibelungen, Die 24, 91, 152, 158, 160·
Last Warning, The 138 162,174,226,261,327
· lebende Leichnam, Der 336 Ninotschka 258
Leise flehen meine Lieder 326 Nju 191,288
letzte Droschke von Berlin, Die 182, Nosferatu - Eine Symphonie des
204 Grauens 52, 96, 98-101, 104, 105,
letzte Mann, Der 96, 97, 103, 134, 186, 107-109, 114, 149, 209, 210, 300
187' 190-192, 207' 210, 214, 216- Olympla351
218, 256, 299 Operette 326
Liebe 191 Orlacs Hände 62, 137, 146, 193, 225,
Liebe· der Jeanne Ney, Die 160, 174, 324
209,210, 256-259,291, 312 Othello 74
Liliom 330 Panzerkreuzer Poternkin 116
Love Parade, The 79 Pest in Florenz, Die 73
Lucrezia Borgia 64-66, 73,74 Peter der Große 80
Luther 332 Phantom 30, 213, 254
M 104, 105, 117, 133,152, 187, 192, plötzliche Reichtum der armen Leute
223,244,247,254,264,323,330, von Kombach, Der 337
333,346 Prozeß,Der259,278,311
Macht der Finsternis, Die 292, 336 Puppe, Die 76, 77
Madame Dubarry 68, 74,77-79, 85, Raskolnlkow 29, 35, 39, 41, 119, 324,
144 336
Mädchen in Uniform 30, 117,323,331 Rattentilnger von Hameln, Der SO,
Mann, der den Mord beging, Der 328 159,201
360
Kauoersytupuuu~<:, J..Ji~:> .>.I.> ~auu.u.~. VI, v;;, .... J.v
Rennsymphonie 261 Vari~t~ 30, 132, 199, 278,279,281-283,
Revolte der Fischer, Die 224 289, 290, 306, 307, 335
Romeo und Julia im Schnee 76, 324 Veritas vincit 79
Rübezahls Hochzeit SO Verlorene, Der 123
Salto Mortale 283 verlorene Schuh, Der 272, 324, 325
Sappho233 Verrufenen, Die 334
Schatten 40, 90, 134, 135, 138, 140, Vier Teufel133, 281
148-150,225 Von morgens bis Mittemacht 29, 30,
Schatz, Der 173,174, 176, 177 42,91
Scherben 181, 182, 292, 333 Vormittagsspuk 260
Schlagende Wetter 227, 323, 333 Voruntersuchung 341
Siegfried (Siegfrieds Tod) 116, 117, Wachsf~gurenkabinett, Das 66, 91, 102,
162, 164, 165, 167-169, 193, 202, 113,114, 118,12a 128,132,213,280
223,226,229-23423~ 284 Wahnsinn 285
So ist das Leben 334, 335, 338, 342 · Walzertraum, Ein 324
Spinnen, Die 80, 243, 244 Waterloo 332
Spione 246, 248, 339 Way Down East 298
steinerne Reiter, Der 30, 52,90 Weber, Die 122, 124, 324,333,338
Straße, Die 122, 254,255,263, 287, 304, Weib des Pharao, Das 77,335
323 weiße Hölle vom Piz Palü, Die 204,
Student von Prag, Der (1913) 23, 32, 326
50,353 Westfront 1918 329
Student von Prag, Der (1926) 62, 105, Wind, The 102
126, 131, 133, 151, 193, 285, 289, Wir sind vom K. und K. Infanterie-
326,354 Regiment324
Student von Prag, Der (1936) 326 Wochenende 328
Sumurun 74,79,84 wunderbare Lüge der Nina Petrowna,
Sunrise (Sonnenaufgang) 98, 99, 136, Die 332
212,299, Zur Chronik von Grieshuus 52, 69.
Sylvester 90, 96, 103, 133, 141, 179, 166, 192, 284
182,186,187,190,191,205,207,
214, 287, 333
Thbu 97, 100, 133, 210, 354
Tagebuch einer Verlorenen 104, 136,
211,312,315,316,31~ 340
'Thrtüß' 114, 269, 270, 272, 274, 325
tausend Augen des Dr. Mabuse, Die
244
Testament des Dr. Mabuse, Das 330,
352
Tochter Napoleons, Die 332
Torgus 29, 43, 286, 298
träumende Mund, Der 330
'IHumph des Willens 226
Th>jas Untergang 79
Überfall (Polizeibericht: Überfall) 30,
219, 220, 272
Ungarische Rhapsodie 332
Unterwelt 354
Vampyr298
361
------~·-··- -