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2.869 Besitz HWPh Bd. 1, 847 2.870 Besitz HWPh Bd.

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feudalen Groß-B. wendet, weiterhin auf dem Postulat


Besitz (mhd. besitzunge) bezeichnet die Verfügungs- der freien Preisbildung, deren Wirkungsmechanismus
macht einer Person über eine Sache bzw. die besesse- durch gravierende B.-Unterschiede beeinträchtigt
ne Sache selbst. Während man im bürgerlichen Recht wäre, und schließlich wurzelt sie in der Bewertung
im Anschluß an das römische Recht scharf zwischen des B. als Unterpfand politischer und gesellschaftli-
B. als tatsächlicher Verfügungsgewalt und Eigentum cher Freiheit. So setzt nach KANT das Recht auf mit-
als nur rechtlicher unterscheidet, werden die beiden bestimmende Staatsbürgerschaft ökonomische Selb-
Begriffe in der historischen und sozialwissenschaftli- ständigkeit, d.h. Ausstattung mit B. voraus, wobei
chen Literatur sowie im allgemeinen Sprachgebrauch Kant den sinnlichen bzw. physischen und den intelli-
oft synonym verwendet. Ist bei den Naturvölkern der giblen bzw. rechtlichen B. unterscheidet [3]. Für
B. in den Lebenskreis des Besitzenden auf das Engste HEGEL ist die gesellschaftliche Freiheit ebenfalls im
eingeschlossen [1] und stiftet er im feudalen Lehens- Eigentum verwirklicht, zu dessen Momenten der B.,
verhältnis die Beziehungen zwischen dem Lehens- d.h. das, was ich «in meiner selbst äußeren Gewalt
herrn und seinem Vasallen in Form von Fürsorge- habe» [4] gehört. Die Notwendigkeit der Verschrän-
bzw. Treuepflichten, so sind in der bürgerlichen kung von B. und staatsbürgerlicher Teilhabe wird
Tauschgesellschaft die B.-Verhältnisse ihrer persona- auch von den konservativen Autoren betont; für F. J.
len und sozialen Bindungen entkleidet; den Beziehun- STAHL ist es «ein natürliches Gesetz und eine sittli-
gen zwischen dem Besitzenden und seinem B., der che Wahrheit, daß B. und Bildung zu einem Einfluß
nun dank der modernen Finanztechnik und der bür- auf das öffentliche Leben, einer Theilnahme an der
gerlichen Rechtsordnung fristschnell übertragen wer- Herrschaft berechtigen» [5].
den kann, sowie dem Verhältnis zwischen den Besit- Wenn in der liberalen und in der konservativen So-
zenden fehlt es nun an emotionaler Füllung. Die libe- zialtheorie der B.-Begriff eine positive Akzentuierung
rale Forderung nach einer relativ breiten Streuung des hat, so ist sein Bedeutungsfeld im sozialistischen Ge-
B., die Ablehnung «großer Besitzungen» (R. MOHL) sellschaftsdenken, das die bürgerlichen B.-Verhältnis-
[2], gründet einmal in der bürgerlichen Arbeitstheo- se kritisch befragt, vorwiegend negativ bestimmt. Daß
rie, die aus der individuellen Arbeitsmühe alle B.-An- in der bürgerlichen Gesellschaft neben den Arbeits-
sprüche ableitet und sich somit gegen den ererbten einkommen auch B.-Einkommen (Grundrente und Ka-

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pitalzins) – unter Ausschluß der Nichtbesitzer der [4] G. W. F. HEGEL, Grundl. der Philos. des Rechts § 45.
Produktionsfaktoren Boden und Kapital – bezogen [5] F. J. STAHL: Die gegenwärt. Parteien in Staat und Kirche
werden, daß die Proletarier, d.h. nach W. H. RIEHL (1863) 100.
die «B.-Losen, die von der Hand zum Mund leben» [6] W. H. RIEHL: Die bürgerl. Gesellschaft (1851) 268.
[6], sich den Weisungen der Besitzenden zu fügen
haben, ferner daß der «bürgerliche B. ... oder der Ka- [7] F. LASSALLE, Arbeiterprogramm. Werke, hg. E. BLUM
1, 179.
pital-B. die Bedingung der Herrschaft über den Staat
geworden» ist «wie im Mittelalter der adlige B. ... [8] L. v. STEIN: Gesch. der sozialen Bewegung 1 (/1921) 136.
oder der Grund-B.» (F. LASSALLE) [7] erregt insbe- [9] K. MARX, Die heilige Familie. MEW 1/3, 206.
sondere die sozialistische Kritik. Die B.-Verhältnisse
können dadurch geändert werden, daß die besitzlosen [10] Programm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
(1891), in: Der Weg des Sozialismus, hg. K. FARNER/TH.
Arbeiter «zum Kapital-B. gelangen», wie dies L. v. PINKUS (1964) 16.
STEIN [8] forderte, oder, der marxistischen Lehre
entsprechend, dadurch, daß die «besitzende Klasse» Literaturhinweise. F. KNIEP: Der B. des Bürgerlichen
Gesetzbuches gegenübergestellt dem römischen und gemeinen
(K. MARX) [9] enteignet und ihr B. in den «B. der Recht (1900). – L. T. HOBHOUSE, G. C. WHEELER und
Gesamtheit» [10] überführt wird. M. GINSBERG: The material culture and social institutions of
Heute engt die Verfügungsgewalt der Manager die the simpler peoples (London 1915). – M. SCHMIDT: Grund-
Rechte der Besitzer immer mehr ein, ungeachtet, ob riß der ethnol. Volkswirtschaftslehre 1. 2 (1920). – R. H.
TAWNEY: The acquisitive society (London 1921). – A.
sich die Produktionsmittel in Privat- oder Gemein-B. MENGER: Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volks-
befinden. klassen (1927). – A. A. BERLE und G. M. MEANS: The mo-
dern corporation and private property (New York 1932). – M.
Anmerkungen.
WEBER: Wirtschaftsgesch. (31958). – F. L. GANSHOF: Was
[1] Vgl. L. LÉVY-BRUHL: Les fonctions mentales dans les ist das Lehnswesen? (1961). – R. LUKIC: Notions de la pro-
sociétés inférieures (Paris 1910). priété dans l'Europe socialiste et dans les états capitalistes. Ra-
bels Z. ausl. und int. Privatrecht 26 (1961) 238.
[2] R. MOHL: Die Polizei-Wiss. (1832) 2, 19.
J. B. MÜLLER
[3] I. KANT, Met. Sitten I, § 1.

HWPh: Historisches Wörterbuch der Philosophie

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