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Online-Text (Schelling): Epikurisch Glaubensbekenntnis 16/09/16 18:14

Das untenstehende Gedicht stammt nicht aus der Feder Ballmers, sondern
wurde im Jahre 1799 von Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling verfasst.

Wir veröffentlichen es hier, weil es relativ unbekannt und im Internet sonst nicht
zu finden ist, und weil Ballmer mehrmals auf es Bezug nimmt.

So schreibt Ballmer auf einem Blatt aus dem Januar 1956 (offenbar als Motto
für seine kleine Schrift „Die Zukunft des deutschen Idealismus“ gedacht):

Als Schelling um 1800 dieses Gedicht verfasste – als Fazit der


Fichtisch-Goethisch-Spinozistischen Weltanschauung –, stand die
Zukunft des deutschen Idealismus noch als erschreckendes und
versteinerndes Gorgo-Haupt vor ihm. Die Wendung des älteren
Schelling zur „positiven“ Philosophie oder „Philosophie der
Offenbarung“ war einseitig geschichtlich – auf die Vergangenheit
hinorientiert. Erst in der Geisteswissenschaft (als Theosophie und
Anthroposophie) offenbart sich das Vergangene aus der Kraft
der Gegenwart.

Die geplante Veröffentlichung von Schellings Gedicht im „Athenäum“


unterblieb auf Goethes Anraten. Sie erfolgte durch Schelling selbst, etwas abseits
des literarischen Markts, im 1. Band seiner „Zeitschrift für spekulative
Metaphysik“ (1800), und zwar nur die Darstellung seiner Naturphilosophie,
die bei den Worten „Wüsst auch nicht, wie mir vor der Welt sollt grausen“
beginnt. Das Ganze wurde erst aus Schellings Nachlass bekannt („Aus
Schellings Leben“, hrsg. von Plitt, 1. Bd. 1869).
Der genannte Aufsatz Ballmers „Die Zukunft des deutschen Idealismus“ (auf
einem handschriftlichen Blatt gibt er ihm den Untertitel „Eine Einleitung in die
Theosophie“) wurde 1975 im Verlag Fornasella herausgegeben.

Friedrich W. J. Schelling:

Epikurisch Glaubensbekenntnis
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Heinz Widerporstens
Kann es fürwahr nicht länger ertragen,
Muss wieder einmal um mich schlagen,
Wieder mich rühren mit allen Sinnen,
So mir dachten zu zerrinnen
Von den hohen überird'schen Lehren
Dazu sie mich wollten mit Gewalt bekehren,
Wieder werden wie unsereiner,
Der hat Mark, Blut, Fleisch und Gebeiner.
Weiß nicht, wie sies können treiben,
Von Religion reden und schreiben;
Mag über solchem Zeug nicht brüten,
Will denn unter sie hineinwüten
Und mir nicht von den hohen Geistern
Lassen Verstand und Sinn verkleistern,
Sondern behaupte zu dieser Frist,
Dass nur das wirklich und wahrhaft ist,
Was man kann mit den Händen betasten,
Was zu begreifen nicht not tut fasten,
Noch sonst ander Kasteiung
Oder gewaltsame Leibesbefreiung.

Zwar, als sie sprachen davon so trutzig,


Wurd ich eine Weile stutzig,
Las, als ob ich was verstehen könnt,
Darum so Reden als Fragment.
Wollt mich wirklich drein ergeben,
Lassen von gottlos Werk und Leben,
Hoffte, dem Bösen gar zum Spotte,
Selber zu machen mich zum Gotte,
Und war schon über Kopf und Hals
Vertieft im Anschaun des Weltenalls,

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Als mich tät der Witz gemahnen,


Dass ich wär auf der falschen Bahnen:
Sollte kehren ins alt Gleis
Und mir nichts machen lassen weis.
Welches zu tun ich war nicht faul:
War doch nicht gleich wieder der alte Saul,
Musste, um zu vertreiben die Grillen,
Darvon mir tät der Kopf noch trillen,
Den Leib auf alle Weis beraten,
Mir holen lassen so Wein als Braten.
Solches tät mir trefflich frommen:
War ganz in meine Natur gekommen,
Konnt wieder mit Frauen mich ergehn,
Aus beiden Augen helle sehn;
Darob ich mich, gar sehr ergötzt,
Alsbald zum Schreiben niedersetzt.
Sprach so in meinen innern Gedanken:
Tu nicht von deinem Glauben wanken,
Der dir geholfen durch die Welt
Und Leib und Seel zusammenhält;
Können dirs doch nicht demonstrieren
Und auf Begriffe reduzieren.
Wie sie sprechen vom innern Licht,
Reden viel und beweisen nicht,
Füllen mit großen Worten die Ohren,
Ist weder gesotten noch gegoren,
Sieht aus wie Phantasie und Dichtung,
Ist aller Poesie Vernichtung.
Könnens nicht anders von sich geben noch sagen,
Als wie sies in sich fühlen und tragen.
Darum so will auch ich bekennen,
Wie ich in mir es fühle brennen,
Wie mirs in allen Adern schwillt,
Mein Wort so viel wie anderes gilt,
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Der ich in bös und guten Stunden


Mich habe gar trefflich befunden,
Seit ich gekommen bin ins klare,
Die Materie sei das einzig Wahre,
Unser aller Schutz und Rater,
Aller Dinge rechter Vater,
Alles Denkens Element,
Alles Wissens Anfang und End.
Halte nichts vom Unsichtbaren,
Halt mich allein am Offenbaren,
Was ich kann riechen, schmecken und fühlen,
Mit allen Sinnen drinnen wühlen.
Mein einzig Religion ist die,
Dass ich liebe ein schönes Knie,
Volle Brust und schlanke Hüften,
Dazu Blumen mit süßen Düften,
Aller Lust volle Nährung,
Aller Liebe süße Gewährung.
Drum, sollts eine Religion noch geben
(Ob ich gleich kann ohne solche leben)
Könnte mir von den andern allen
Nur die katholische gefallen,
Wie sie war in den alten Zeiten,
Da es gab nicht Zanken noch Streiten,
Waren alle ein Mus und Kuchen,
Tätens nicht in der Ferne suchen,
Täten nicht nach dem Himmel gaffen,
Hatten von Gott 'n lebend'gen Affen,
Hielten die Erde fürs Zentrum der Welt,
Zum Zentrum der Erde Rom bestellt,
Darin der Statthalter residiert
Und der Weltteile Zepter führt,
Und lebten die Laien und die Pfaffen
Zusammen wie im Land der Schlaraffen.
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Dazu sie im hohen Himmelshaus


Selber lebten in Saus und Braus,
War ein täglich Hochzeithalten
Zwischen der Jungfrau und dem Alten;
Dazu das Weib im Haus regiert
Und wie hier unten die Herrschaft führt.
Hätte über das alles gelacht,
Doch mir es wohl zunutz gemacht.
Allein, das Blatt hat sich gewandt;
Ist eine Schmach, ist eine Schand
Wie man jetzt und allerorten
Ist so gar vernünftig worden,
Muss mit Sittlichkeit stolzieren,
Schönen Sprüchen paradieren,
Dass allewege selbst die Jugend
Wird geschoren mit der Tugend,
Und auch ein christkathol'scher Christ
Ebenso wie ein andrer ist.
Drum hab' ich aller Religion entsagt,
Keine mir jetzt mehr behagt,
Geh weder zur Kirche noch Predigt,
Bin alles Glaubens rein erledigt,
Außer an die, die mich regiert,
Mich zu Sinn und Dichtung führt,
Das Herz mir täglich rührt
Mit ew'ger Handlung,
Beständ'ger Verwandlung,
Ohne Ruh noch Säumnis,
Ein offen Geheimnis,
Ein unsterblich Gedicht,
Das zu allen Sinnen spricht,
So dass ich kann nichts mehr glauben noch denken,
Was sie mir nicht in die Brust tut senken,
Noch als gewiss und recht bewahren,
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Was sie mir nicht tut offenbaren,


In deren tief gegrabnen Zügen
Muss, was wahr ist, verborgen liegen;
Das Falsche nimmer in sie mag kommen,
Noch ist es auch von ihr genommen –
Durch Form und Bild sie zu uns spricht
Und verhehlet selbst das Innre nicht,
Dass wir aus den bleibenden Chiffern
Mögen auch das Geheime entziffern
Und hinwiederum nichts mögen begreifen,
Was sie uns nicht gibt mit Händen zu greifen.
Drum, ist eine Religion die rechte,
Müsst sie im Stein und Moosgeflechte,
In Blumen, Metallen und allen Dingen,
So zu Luft und Licht sich dringen,
In allen Höhen und Tiefen
Sich offenbaren in Hieroglyphen.
Wollte gern vor dem Kreuz mich neigen,
Wenn ihr mir einen Berg könnt zeigen,
Darin den Christen zum Exempel
Wär von Natur erbaut ein Tempel,
Dass oben hohe Türme prangten,
Große Glocken an Magneten hangten,
Und an Altären, in den Hallen,
Kruzifixe von schönen Kristallen,
In Messgewändern mit goldenen Fransen,
Silbernen Kelchen und Monstranzen,
Und was sonst ziert die Kirchendiener,
Stünden versteinerte Kapuziner.
Weilen aber bis zu dieser Frist
Ein solcher Berg nicht gewesen ist,
Will ich mich nicht lassen narren,
Sondern in Gottlosigkeit verharren,
Bis einer werd zu mir gesandt,
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Geb mir den Glauben in die Hand,


Welches er wohl wird lassen bleiben.
Daher ich es will so forttreiben,
Wenn ich auch lebt bis an den Jüngsten Tag,
Den auch wohl keiner erleben mag.
Glaub, die Welt ist von jeher gewesen,
Wird auch nimmer in sich verwesen;
Möcht wissen, wenn sie sollt verbrennen
Mit allem Holz und Gesträuch darinnen,
Womit sie wollten die Hölle heizen,
Die Sünder zu kochen und zu beizen.
So bin ich aller Furcht entbunden,
Kann an Leib und Seel gesunden,
Statt mich zu gebärden und zu zieren,
Ins Universum zu verlieren,
In der Geliebten hellen Augen
In tiefes Blau mich untertauchen.

Wüsst auch nicht, wie mir vor der Welt sollt grausen,
Da ich sie kenne von innen und außen.
Ist gar ein träg und zahmes Tier,
Das weder dräuet dir noch mir,
Muss sich unter Gesetze schmiegen,
Ruhig zu meinen Füßen liegen.
Steckt zwar ein Riesengeist darinnen,
Ist aber versteinert mit allen Sinnen,
Kann nicht aus dem engen Panzer heraus
Noch sprengen das eisern Kerkerhaus,
Obgleich er oft die Flügel regt,
Sich gewaltig dehnt und bewegt,
In toten und lebend'gen Dingen
Tut nach Bewusstsein mächtig ringen;
Daher der Dinge Quallität,
Weil er drin quellen und treiben tät,
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Die Kraft, wodurch Metalle sprossen,


Bäume im Frühling auf geschossen,
Sucht wohl an allen Ecken und Enden
Sich ans Licht herauszuwenden,
Lässt sich die Mühe nicht verdrießen,
Tut jetzt in die Höhe schießen,
Seine Glieder und Organ verlängern,
Jetzt wieder verkürzen und verengern
Und sucht durch Drehen und durch Winden
Die rechte Form und Gestalt zu finden.
Und kämpfend so mit Füß' und Händ'
Gegen widrig Element,
Lernt er im Kleinen Raum gewinnen,
Darin er zuerst kommt zum Besinnen;
In einen Zwergen eingeschlossen
Von schöner Gestalt und graden Sprossen,
Heißt in der Sprache Menschenkind,
Der Riesengeist sich selber findt.
Vom eisernen Schlaf, vom langen Traum
Erwacht, sich selber erkennet kaum
Über sich gar sehr verwundert ist,
Mit großen Augen sich grüßt und misst;
Möcht alsbald wieder mit allen Sinnen
In die große Natur zerrinnen,
Ist aber einmal losgerissen,
Kann nicht wieder zurückfließen
Und steht zeitlebens eng und klein
In der eignen großen Welt allein.
Fürchtet wohl in bangen Träumen,
Der Riese könnt sich ermannen und bäumen
Und wie der alte Gott Satorn
Seine Kinder verschlingen im Zorn.
Denkt nicht, dass er es selber ist,
Seiner Abkunft ganz vergisst,
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Tut sich mit Gespenstern plagen,


Könnt also zu sich selber sagen:
Ich bin der Gott, der sie im Busen hegt,
Der Geist, der sich in allem bewegt.
Vom ersten Ringen dunkler Kräfte
Bis zum Erguss der ersten Lebenssäfte,
Wo Kraft in Kraft und Stoff in Stoff verquillt,
Die erste Blüt, die erste Knospe schwillt
Zum ersten Strahl von neu gebornem Licht,
Das durch die Nacht wie zweite Schöpfung bricht
Und aus den tausend Augen der Welt
Den Himmel so Tag wie Nacht erhellt,
Hinauf zu des Gedankens Jugendkraft,
Wodurch Natur verjüngt sich wieder schafft,
Ist eine Kraft, ein Pulsschlag nur, ein Leben,
Ein Wechselspiel von Hemmen und von Streben.
Deswegen mir nichts ist so sehr verhasst
Als so ein fremder fürnehmer Gast,
Der auf der Welt herumstolziert
Und schlechte Red im Munde führt
Von der Natur und ihrem Wesen,
Dünkt sich besonders auserlesen.
Ist eine eigne Menschenklasse,
Von eignem Sinn und geistlicher Rasse,
Halten all andre für verloren,
haben ewigen Hass geschworen
Der Materie und ihren Werken,
Tun sich dagegen mit Bildern stärken,
Reden von Religion als einer Frauen,
Die man nur dürft durch Schleier schauen,
Um nicht zu empfinden sinnlich Brunst,
Machen darum viel Wörterdunst,
Fühlen sich selbst hoch übermächtig
Glauben sich in allen Gliedern trächtig
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Von dem neuen Messias, noch ungeborn,


In ihrem Ratschluss auserkorn,
Die armen Völker groß und klein
Zu führen in einen Schaf stall hinein,
Wo sie aufhören sich zu necken,
Hübsch christlich in eins zusammen blecken,
Und was sie sonst noch verkünden prophetisch.
Sind von Natur zwar unmagnetisch,
Doch wenn sie 'nen echten Geist berühren,
Von seiner Kraft was in sich spüren,
Glauben, sie sei'n es selber geworden,
Können von selber zeigen nach Norden.
Wissen sich doch nur schlecht zu raten,
Reden so mehr von andrer Taten,
Verstehen alles wohl zu rütteln,
Gedanken untereinanderzuschütteln,
Meinen, viel Geist daraus zu entwickeln,
Tut aber nur in der Nasen prickeln,
Polemisch affizieren den Magen
Und allen Appetit verschlagen.
Rat jedem, der es hat gelesen,
Von der Verderbnis zu genesen,
Auf'm Sofa mit einem schönen Kinde
Zu explizieren die Lucinde.

Jenen aber und ihresgleichen


Will ich kundtun und nicht verschweigen,
Dass ich ihre Fromm- und Heiligkeit,
Ihre Übersinn- und Überirdigkeit
Will ärgern mit tüchtig Werk und Leben,
Solange mir noch ist gegeben
Die Anbetung der Materie und des Lichts,
Dazu die Grundkraft deutschen Gedichts,
Solang ich an süßen Augen werd hangen,
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Solang ich mich werd fühlen umfangen


Von der Einz'gen liebreichen Armen,
An ihren Lippen mich erwarmen,

Von ihrer Melodie durchklungen,


Von ihrem Leben so durchdrungen,
Dass ich nur nach dem Wahren kann trachten,
Allen Dunst und Schein verachten,

Dass mir nicht können die Gedanken


Wie Gespenster da- und dorthin schwanken,
Haben Nerven, Fleisch, Blut und Mark
Und werden geboren frei, frisch und stark.

Den andern aber entbiet ich Gruß


Und sage noch zum guten Schluss:
Hol der Teufel und Salitter
Alle Russen und Jesuiter.

Solches hab in der Frau Venus Horst


Geschrieben ich, Heinz Widerporst,
Der zweit genannt mit diesem Namen –
Gott geb noch vieln solchen Samen!

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