S3-Leitlinie
Diagnostik und Behandlung
der Essstörungen
123
Prof. Dr. med. Stephan Herpertz (DGPM) Prof. Dr. med. Beate Herpertz-Dahlmann (DGKJP)
Klinik für Psychosomatische Medizin Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie
und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters
LWL-Universitätsklinikum Bochum Universitätsklinikum RWTH Aachen
Ruhr-Universität Bochum Neuenhofer Weg 21, 52074 Aachen
Alexandrinenstraße 1–3, 44791 Bochum
Prof. Dr. Dipl.-Psych. Brunna Tuschen-Caffier (DGPs)
Prof. Dr. med. Manfred Fichter (DGPPN) Institut für Psychologie
Medizinisch-psychosomatische Klinik Roseneck Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie
Am Roseneck 6, 83209 Prien Engelbergerstraße 41, 79106 Freiburg
und
Forschungsbereich Epidemiologie und Prof. Dr. med. Almut Zeeck (DKPM)
Evaluation an der Klinik für Psychiatrie Abteilung Psychosomatische Medizin und
und Psychotherapie Psychotherapie
der Universität München (LMU) Universitätsklinikum Freiburg
Nussbaumstraße 7, 80336 München Hauptstraße 5, 79104 Freiburg
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SPIN: 80063476
Vorwort
Essstörungen sind zum Teil durch Nahrungsverweigerung, zum Teil aber auch durch eine
übermäßige Nahrungsaufnahme gekennzeichnet. So streben die zumeist weiblichen Patien-
tinnen mit einer Anorexia nervosa (AN) danach, extrem dünn zu sein, und verweigern folg-
lich eine normalgesunde Ernährung. Das klinische Erscheinungsbild der Bulimia nervosa
(BN) ähnelt in mancher Hinsicht der Magersucht. So haben auch die an einer BN leidenden
Menschen eine ausgeprägte Angst davor, an Gewicht zuzunehmen, aber die Nahrungsverwei-
gerung ist – abgesehen von Phasen intermittierenden Fastens – moderat. Stattdessen stehen
für die Betroffenen die immer wiederkehrenden Essanfälle, gefolgt von Maßnahmen gegen
eine Gewichtszunahme (z. B. Erbrechen), im Zentrum der Störung. Menschen, die an einer
Binge-Eating-Störung (BES) leiden, zeigen ebenfalls episodisch ein anfallartiges Essverhalten,
allerdings setzen sie keine Maßnahmen ein, um einer Gewichtszunahme vorzubeugen. An
einer BES erkrankte Patientinnen – dies sind zu etwa zwei Drittel Frauen und zu etwa einem
Drittel Männer – sind häufig übergewichtig oder adipös, was eine besondere Herausforderung
für die Therapie darstellt.
Wenngleich die Essstörungen AN und BN nicht ganz so häufig sind wie affektive Stö-
rungen, haben sie eine große klinische und gesellschaftliche Relevanz: Es erkranken fast aus-
schließlich junge Menschen mit schwerwiegenden Auswirkungen für die körperliche und
seelische Gesundheit an diesen Essstörungen. Durch den Erkrankungsgipfel in der späten
Adoleszenz bzw. im jungen Erwachsenenalter bleiben beide Erkrankungen auch nicht ohne
Folgen für den schulischen bzw. beruflichen Werdegang. Die AN stellt eine schwer zu behan-
delnde psychische Störung dar, die häufig chronifiziert und auch einen lebensbedrohlichen
Verlauf nehmen kann. Die 12-Jahres-Letalität liegt bei ca. 10 % und ist damit weit höher als
die bei Depression oder Schizophrenie (7 Kap. 1 »Epidemiologie der Essstörungen«). Die Häu-
figkeit der BN in dieser Risikogruppe ist deutlich höher als die der AN, wobei zusätzlich mit
einer hohen Dunkelziffer zu rechnen ist. Die BES betrifft vornehmlich übergewichtige bzw.
adipöse Menschen, daher ist bei diesen Patientinnen infolge des Übergewichtes bzw. der Adi-
positas mit schwerwiegenden körperlichen Erkrankungen (z. B. Gelenkprobleme, Herz-Kreis-
lauf-Probleme, Diabetes) zu rechnen.
Insgesamt verursachen Essstörungen sehr hohe direkte und Folgekosten. Für die AN wird
ein jährlicher Kostenaufwand in Höhe von 195 Millionen Euro, für die BN von 124 Millionen
Euro (Behandlungskosten und Produktivitätsausfallkosten) veranschlagt. Die Essstörungen
stellen somit insbesondere unter Berücksichtigung der hohen Produktivitätsausfallkosten
sehr kostenintensive Krankheitsbilder dar.1
Bei der Genese der Essstörungen handelt es sich um zumeist multifaktoriell bedingte
psychische Störungen, bei denen intrapsychische, psychosoziale, soziokulturelle und biolo-
gische Faktoren ineinandergreifen und sich gegenseitig beeinflussen bzw. verstärken. Ambu-
lant werden im Rahmen der Richtlinienpsychotherapie die Essstörungen in Deutschland
derzeit vornehmlich kognitiv-verhaltenstherapeutisch oder tiefenpsychologisch behandelt. In
der stationären Behandlung haben sich multimodale Behandlungsstrategien durchgesetzt. Bei
jungen Patientinnen ist auch die Einbeziehung der Familie in die Therapie sinnvoll. Psycho-
pharmaka können bei der BN unter Umständen indiziert sein.
1 Krauth, C.; Buser, K.; Vogel, H. (2002). How high are the costs of eating disorders- anorexia nervosa and bulimia
nervosa – for German society. Eur J Health Econom, 3, 244–250.
VI Vorwort
In Anbetracht der Schwere der Störung, der zum Teil ungünstigen Langzeitprognose sowie
mit Blick auf das für die Betroffenen verbundene Leiden und die hohen Kosten für das Ge-
sundheitssystem ist die Erstellung von evidenzbasierten Leitlinien auch in Deutschland schon
seit vielen Jahren überfällig.
Im Herbst 2003 beschloss die Konferenz der Hochschullehrer des Faches Psychosomatische
Medizin und Psychotherapie, evidenzbasierte Leitlinien (S3) für Essstörungen in Deutschland
zu entwickeln. Auf dem Europäischen Kongress für Psychosomatische Forschung (European
Conference on Psychosomatic Research, ECPR) im Frühjahr 2004 in Berlin fand sich erstmals
ein Kreis von interessierten Ärztinnen und Ärzten sowie Psychologinnen und Psychologen
zusammen, um eine Arbeitsgruppe für die Erstellung von evidenzbasierten Leitlinien für die
Diagnostik und Behandlung von Essstörungen in Deutschland zu gründen. Ein wichtiges
Anliegen der Arbeitsgruppe war die Entwicklung von evidenzbasierten Leitlinien für alle Be-
rufsgruppen in Deutschland, denen die Diagnostik und Therapie von Patientinnen mit Ess-
störungen obliegt. Daher lag es auf der Hand, die Arbeitsgruppe um weitere Vertreterinnen und
Vertreter der Medizin und Psychologie zu erweitern. Im Frühjahr 2005 nahm die Arbeits-
gruppe, nunmehr bestehend aus 23 Klinikern und Forschern mit Expertise auf dem Gebiet der
Essstörungen, ihre Arbeit auf. Einzelne Mitglieder der Arbeitsgruppe wurden von den jeweili-
gen Fachgesellschaften als Mandatsträger für die Erarbeitung der wissenschaftlichen Leitlinien
bei der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften
(AWMF) autorisiert: Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik
und Psychotherapie (DGKJP), Fachgruppe Klinische Psychologie und Psychotherapie der
Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DPGs), Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische
Medizin und Psychotherapie (DGPM), Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie
und Neurologie (DGPPN) und Deutsches Kollegium für Psychosomatische Medizin
(DKPM).
Leitlinien sind systematisch entwickelte Darstellungen und Empfehlungen mit dem
Zweck, Ärzte und Ärztinnen, PsychologInnen, PsychotherapeutInnen und Patientinnen bei
der Entscheidung über angemessene Maßnahmen der Patientinnenversorgung (Prävention,
Diagnostik, Therapie und Nachsorge) zu unterstützen, zur Verbesserung der Versorgungser-
gebnisse beizutragen, Risiken zu minimieren, Therapiesicherheit und Wirtschaftlichkeit zu
erhöhen sowie nicht-indizierte Diagnose- und Behandlungsmethode zu vermeiden. Leitlinien
müssen die vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse in ihre Empfehlungen explizit ein-
beziehen. Dazu gehören gesichertes Wissen aus der Grundlagenforschung, systematisch ge-
sammeltes Wissen aus Anwendungserfahrung und Wissen aus den Ergebnissen fachgerecht
durchgeführter klinischer Studien. Dabei steht die Bewertung vorliegender Studienergebnisse
hinsichtlich ihrer Relevanz für die ärztliche, psychologische und psychotherapeutische Ent-
scheidungsfindung im Einzelfall im Vordergrund.
Leitlinien für die Diagnostik und Behandlung von Essstörungen wurden in verschiedenen
Ländern bereits entwickelt. Hervorzuheben sind die 2004 publizierten englischen Leitlinien für
Essstörungen des National Institute of Clinical Excellence (NICE 2004), deren Schwerpunkt
vornehmlich auf Evidenz aus randomisierten kontrollierten Studien liegt und die von nam-
haften Vertretern der British Psychological Society und des Royal College of Psychiatrists
entwickelt wurden, sowie die 2006 ebenfalls evidenzbasierten Leitlinien der Amerikanischen
Psychiatrischen Gesellschaft (APA). Die britischen und amerikanischen Leitlinien wurden an-
satzweise in die vorliegenden Leitlinien implementiert. In Deutschland waren zuvor Leitlinien
für die Behandlung der Essstörungen von Seiten der DGPPN (Fichter u. Schweiger 2000) und
der DGKJP (Herpertz-Dahlmann u. Hebebrand 2000) als S1-Leitlinien (Entwicklungsstufe 1)
der AWMF entwickelt worden.
VII
Vorwort
Besonderer Hinweis
Die Medizin unterliegt einem fortwährenden Entwicklungsprozess, sodass alle Angaben,
insbesondere zu diagnostischen und therapeutischen Methoden, immer nur dem Wissens-
stand zur Zeit der Drucklegung der Leitlinie entsprechen können. Hinsichtlich der angege-
benen Empfehlungen zur Therapie und zu der Auswahl sowie Dosierung von Medikamenten
wurde die größtmögliche Sorgfalt beachtet. Gleichwohl werden die Benutzer aufgefordert,
die Beipackzettel und Fachinformationen der Hersteller zur Kontrolle heranzuziehen und im
Zweifelsfall einen Spezialisten zu konsultieren. Fragliche Unstimmigkeiten sollen bitte im
allgemeinen Interesse der Leitlinien-Redaktion mitgeteilt werden. Der Benutzer selbst bleibt
verantwortlich für jede diagnostische und therapeutische Applikation, Medikation und Do-
sierung.
Off-Label-Use
Bei den Leitlinientexten und Empfehlungen zur Medikation wird in den jeweiligen Kapiteln
auf einen möglichen Einsatz von Medikamenten ohne Zulassung für den jeweiligen Indikati-
onsbereich hingewiesen (Off-Label-Use). Ein solcher Einsatz ist nur statthaft, wenn folgende
Kriterien berücksichtigt werden:
1. nachgewiesene Wirksamkeit,
2. günstiges Nutzen-Risiko-Profil,
3. fehlende Alternativen – Heilversuch.
Ein Off-Label-Use ist dementsprechend nur bei Erkrankungen zulässig, wenn es keine Be-
handlungsalternative gibt. Nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse muss die
begründete Aussicht bestehen, dass die Behandlung zu einem Erfolg führt. Darüber hinaus
besteht eine besondere Aufklärungspflicht. Die Patientinnen sind auf den Umstand des Off-
Label-Use und daraus resultierender Haftungskonsequenzen hinzuweisen. Eine gemeinsame
Entscheidungsfindung ist notwendig.
VIII Vorwort
Personenbezeichnung
An der AN und der BN erkranken vorwiegend Frauen. Die Mitglieder der Leitlinien-Arbeits-
gruppe entschieden sich daher für die durchgehende Verwendung der weiblichen Personen-
bezeichnung, obwohl bei der BES auch eine große Anzahl von Männern betroffen sind.
Inhaltsverzeichnis
4 Anorexia nervosa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
Almut Zeeck, Ulrich Cuntz, Armin Hartmann, Ulrich Hagenah, Hans-Christoph Friederich,
Gaby Gross, Kristian Holtkamp, Stephan Zipfel
4.1 Krankheitsbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
4.1.1 Klinische Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
4.1.2 Komorbidität und Krankheitsverlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
4.1.3 Ätiologie und relevante Umgebungsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
4.2 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
4.2.1 Behandlungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
4.2.2 Behandlungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
4.2.3 Behandlungssettings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
4.2.4 Psychotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
4.2.5 Stationäre Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
4.2.6 Tagesklinische Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
4.2.7 Pharmakotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
4.2.8 Ernährungstherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
4.3 Begleitsymptome und psychische Komorbidität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
4.3.1 Begleitsymptome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
4.3.2 Psychische Komorbidität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
4.4 Anhang: Tabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
4.5 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
5.2.11 Besonderheiten der medikamentösen Behandlung bei Kindern und Jugendlichen . . . . . 178
5.2.12 Behandlung psychischer Begleitsymptome und Komorbidität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
5.3 Anhang: Tabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
5.4 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
6 Binge-Eating-Störung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
Silja Vocks, Reinhard Pietrowsky, Brunna Tuschen-Caffier, Anette Kersting, Ulrich Hagenah,
Harriet Salbach-Andrae, Stephan Herpertz
6.1 Krankheitsbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
6.1.1 Klinische Merkmale und diagnostische Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
6.1.2 Komorbidität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
6.1.3 Krankheitsverlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
6.1.4 BES im Kindes- und Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
6.2 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
6.2.1 Somatischer Befund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
6.2.2 Anamnese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
6.3 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
6.3.1 Behandlungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
6.3.2 Behandlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
6.3.3 Behandlungssettings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
6.4 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
Prof. Dr. med. Annette Kersting Priv.-Doz. Dr. Dipl.-Psych. Silja Vocks
Klinik und Poliklinik für Psychotherapie Fakultät für Psychologie
und Psychosomatische Medizin Klinische Psychologie und Psychotherapie
Universitätsklinikum Leipzig Ruhr-Universität Bochum
Semmelweisstraße 10, 04103 Leipzig Universitätsstraße 150
44780 Bochum
Prof. Dr. Dipl.-Psych. Reinhard Pietrowsky
Institut für Experimentelle Psychologie Prof. Dr. Dipl.-Psych. Jörn von Wietersheim
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Abteilung Psychosomatische Medizin
Universitätsstraße 1 und Psychotherapie
40225 Düsseldorf Universitätsklinikum Ulm
Am Hochsträß 8
Dr. Dipl.-Psych. Stephan Jeff Rustenbach 89081 Ulm
Institut und Poliklinik für Medizinische
Psychologie Prof. Dr. med. Almut Zeeck
Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf Abteilung Psychosomatische Medizin
Haus West 26 (W26), EG und Psychotherapie
Martinistraße 52 Universität Freiburg
20246 Hamburg Hauptstraße 5
79104 Freiburg
Priv.-Doz. Dr. Dipl.-Psych.
Harriet Salbach-Andrae Prof. Dr. med. Stephan Zipfel
Charité-Universitätsmedizin Berlin, CVK Abteilung Innere Medizin VI
Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik Psychosomatische Medizin
und Psychotherapie des Kindes- und Jugend- und Psychotherapie
alters Universitätsklinikum Tübingen
Augustenburger Platz 1 Osianderstraße 5
13353 Berlin 72076 Tübingen
Prof. Dr. med. Ulrich Schweiger Prof. Dr. med. Martina de Zwaan
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Psychosomatische und
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Psychotherapeutische Abteilung
Campus Lübeck Universitätsklinikum Erlangen
Ratzeburger Allee 160, Schwabachanlage 6
23538 Lübeck 91054 Erlangen
Abkürzungsverzeichnis
Epidemiologie
der Essstörungen
Manfred M. Fichter
1.2 Inzidenz –3
1.3 Prävalenz –5
1.3.1 Binge-Eating-Störung – 6
1.3.2 Nicht näher bezeichnete Essstörungen –6
1.4 Mortalität –7
1.8 Literatur – 14
1.1 Einleitung und Begriffsklärung Praktikabilität (etwa, weil Teil einer größeren auf
1 andere Themen ausgerichteten Studie) – metho-
Epidemiologie beschäftigt sich mit der Verteilung dische Schwächen, wie die in Deutschland durchge-
von Krankheiten in Zeit und Raum sowie mit Fak- führte KiGGS-Studie (Hölling u. Schlack 2007).
toren, die diese beeinflussen. Um Aussagen zu der Hier wurden bezüglich Essstörungen außer Fragen
Frage machen zu können »Wie verbreitet sind Ess- zum BMI lediglich fünf kurze Fragen gestellt, die
störungen in Deutschland?«, ist es erforderlich, die eine Differenzierung von Essstörungen gemäß den
Grundgesamtheit (Population) genau zu definieren. ICD-10- oder DSM-IV-Kriterien nicht ermögli-
So eine Definition könnte lauten: deutsche Staats- chen. Bei Erkrankung mit niedriger Prävalenz, wie
bürger oder seit mindestens zehn Jahren mit Haupt- z. B. der AN, spielt die Fallidentifikation eine sehr
wohnsitz in Deutschland lebende Personen im Alter große Rolle. Wenn unter 200 Schülerinnen tatsäch-
von 20 bis 30 Jahren. Die Grundgesamtheit (Popu- lich zwei Magersüchtige sind, von denen eine bei
lation) stellt die Summe aller Individuen dar, über Screening und Interview übersehen wird oder am
die es gilt, eine quantitative Aussage über Verteilung Tag der Untersuchung krank ist und deshalb nicht
einer bestimmten Erkrankung zu machen. Da es aus einbezogen wird, ergibt sich eine um 50 % zu nied-
praktischen und kostenbedingten Gründen meist rige Prävalenzrate.
nicht möglich ist, die Grundgesamtheit (z. B. alle Wichtige Begriffe in der Epidemiologie sind
Bürger Deutschlands) insgesamt zu untersuchen, »Inzidenzraten«, »Prävalenzraten« und »Mortali-
beschränken sich viele Untersuchungen auf die tätsraten«. Unter Inzidenz versteht man die Anzahl
Auswahl einer repräsentativen Stichprobe. Eine ein- der in einer definierten Zeitstrecke neu auftretenden
zige von 20 Schulen einer Stadt wäre für die Grund- Fälle einer bestimmten Erkrankung in der Bevölke-
gesamtheit nicht repräsentativ (z. B. wegen Auswahl rung. Die Inzidenzrate wurde normiert als Anzahl
nach sozialer Klasse, Leistung); eine 20%ige Zufalls- der Neuerkrankungen pro 100 000 Personen in der
stichprobe aus der Grundgesamtzahl wäre bei ent- Bevölkerung pro Jahr. Inzidenz- und Prävalenzra-
sprechend hoher Gesamtzahl repräsentativ. Behan- ten sowie ihre Veränderungen über die Zeit helfen
delte Fälle einer Klinik in einer Region sind nicht auch dabei, Rückschlüsse auf die Ätiologie einer Er-
repräsentativ für die Region, wenn es Fälle auch bei krankung zu ziehen. Unter Prävalenz versteht man
Niedergelassenen oder anderen Kliniken gibt. Das die Häufigkeit einer Erkrankung (z. B. von Mager-
Konzept der repräsentativen Stichprobe ist für die sucht) in der Bevölkerung, was meist als Prozentsatz
Epidemiologie von großer Bedeutung. Wenn wir angegeben wird. Man spricht, je nach der Zeitstre-
eine bestimmte epidemiologische Fragestellung cke, auf die sich eine Prävalenzrate bezieht, von
empirischer Untersuchungen wollen, ist es weiter- Punktprävalenz (heute), Streckenprävalenz (z. B.
hin relevant, dass Messinstrumente verwendet wer- ein Jahr) oder Lifetime-Prävalenz (Prävalenz über
den, die diese Erkrankung reliabel und valide er- die Gesamtzahl der bisher erlebten Jahre). Präva-
fassen können. Viele der durchgeführten epide- lenzraten sind auch bedeutungsvoll für Planungen
miologischen Untersuchungen, die zum Teil vor im Gesundheitswesen. Magersucht ist die psychi-
Jahrzehnten verrichtet wurden, verwendeten Screen- sche Erkrankung in jungen erwachsenen Jahren,
ing-Instrumente, wie z. B. den EAT, die eine Diag- mit der allerhöchsten Mortalitätsrate (Harris u.
nosestellung z. B. für Anorexia nervosa (AN) oder Barraclough 1998). Die Mortalitätsraten für Mager-
Bulimia nervosa (BN) nicht zulassen. Ein Teil der sucht liegen weit höher als für Schizophrenie oder
späteren Studien verwendete hier einen differen- Depression. BN und BES (Binge-Eating-Störung)
zierten zweistufigen Versuchsplan. Auf der ersten haben eine deutlich geringere Mortalitätsrate als
Stufe erfolgt bei allen Probanden ein Screening mit Magersucht. Unter der »rohen« Mortalitätsrate ver-
Erfassung von Gewicht und Essverhalten. Auf der steht man den Prozentsatz der von der untersuchten
zweiten Stufe werden die im Screening auffälligeren Stichprobe oder Population verstorbenen Personen.
Probanden mit einem differenzierteren Interview, Damit eine Aussage zur Mortalität aussagekräftig
das eine Diagnosestellung ermöglicht, befragt. Aber wird, muss die Anzahl der beobachteten Todesfälle
auch neuere Studien zeigen – z. B. aus Gründen der bei Personen mit einer bestimmten Erkrankung in
1.2 · Inzidenz
3 1
Beziehung mit der erwarteten Todesrate in der Ver- nicht repräsentativ ist, da viele Schüler nicht auf
gleichspopulation (gleiches Geschlecht, gleiches ein Gymnasium bzw. ein College gehen. Zu be-
Alter) gesetzt werden. Man spricht dann von stan- rücksichtigen sind hier auch Schüler, die am
dardisierter Mortalitätsrate. Untersuchungstag erkrankt sind, sowie bei re-
Bei der Betrachtung von Inzidenz-, Prävalenz- präsentativen Bevölkerungsstichproben Perso-
und Mortalitätsraten über die Zeit ergibt sich das nen, die zum Untersuchungszeitpunkt in einer
Problem, dass über die Zeit unterschiedliche diag- Klinik oder einem Gefängnis sind.
nostische Kriterien verwendet wurden und somit
die entsprechenden Raten nicht unmittelbar direkt Bisweilen muss nicht eine Stichprobe aus der Popu-
vergleichbar sind. Fragen, die Journalisten schnell lation gezogen werden, sondern die ganze Popula-
geneigt sind zu fragen (»Nehmen Essstörungen tion steht für die Untersuchung zur Verfügung (z. B.
zu?«), sind somit auf epidemiologisch wissenschaft- Schüler einer bestimmten Klassenstufe in einem
licher Basis oft recht kompliziert zu beantworten. Schulbezirk). Hier ist ein zweistufiges Vorgehen
BN wurde erstmals 1979 von Russell beschrieben (s. o.) sinnvoll.
und ist 1980 in die diagnostischen Kriterien nach
DSM-III aufgenommen worden, sodass es dazu kei-
ne epidemiologischen Studien vor dieser Zeit gibt. 1.2 Inzidenz
1. Es gibt unterschiedliche Vorgehensweisen, an
eine möglichst repräsentative Stichprobe zu Für die Erfassung der Inzidenz von Magersucht
kommen. Der wohl sauberste Weg ist es, eine spielen Fallregisterstudien eine wichtige Rolle. Bei
repräsentative Bevölkerungsstichprobe aus dem britischen Studien kommen aufgrund der Struktur
Gemeinderegister zu ziehen, was in skandinavi- des Gesundheitswesens Studien bei »General Prac-
schen Ländern und Deutschland aufgrund der titioners (GP)« (Hausärzten) der Methodik von Re-
Meldepflicht aller Einwohner gut möglich ist. gisterstudien recht nahe. Die Inzidenzraten sind
2. Unter der Annahme, dass Erkrankte irgend- in . Tab. 1.1 (7 Anhang zu diesem Kapitel) sowie in
wann einen Arzt oder eine Klinik aufsuchen . Abb. 1.1 und . Abb. 1.2 durchweg dargestellt für
(was bei Essstörungen nicht als gegeben be- Fälle pro Jahr pro 100 000 Personen in der Bevöl-
trachtet werden kann), wurden verschiedene kerung. Die Zahlenangaben sind somit unmittelbar
Fallregister entwickelt und zum Teil über viele vergleichbar. Je höher die Inzidenz, desto größer
Jahrzehnte geführt. Aufgrund der Statistiken dann die Neuerkrankungsrate für AN bzw. BN.
des Fallregisters können dann Angaben zur in- Die Erhebungen zur AN von Theander (1970, 1985)
zidenz- und prävalenzdefinierten Erkrankung reichen zurück bis ins Jahr 1931. Über den unter-
gemacht werden. Je nach Setting ist hier mit suchten Zeitraum von 1931 bis 1960 zeigt sich dabei
einer zum Teil erheblichen Einbuße anderer Re- eine klare Zunahme der behandelten Fälle von AN
präsentativität zu rechnen. bei Frauen in Südschweden. In dem Monroe County
3. In manchen Ländern, wie z. B. Großbritannien, Fallregister in den USA von Jones et al. (1980) zeigt
ist das Gesundheitssystem so aufgebaut, dass sich auch für die 60er im Vergleich zu den 70er Jah-
nahezu jeder Bürger bei einem »General Prac- ren eine entsprechende Zunahme der Inzidenz.
titioner (GP)« registriert ist. In vielen Studien aus Dasselbe gilt für das Züricher Fallregister (Milos et
Großbritannien werden GP-Register für die Be- al. 2004). Im dänischen Fallregister war die Inzi-
rechnung von Prävalenz- und Inzidenzraten ver- denzrate 1970 noch niedrig und erhöhte sich dann
wendet, die damit relativ gut aussagefähig sind. 1980 und 1989 deutlich. Auch Lucas et al. (1999a)
4. Da es sich bei neu erkrankten Essgestörten meist berichteten für das Krankenblattarchiv einer Klinik
um Jugendliche handelt, liegt es nahe, Schul- in Rochester/USA für die Zeit von 1950 bis 1989
oder College-Populationen zu untersuchen. eine schrittweise Zunahme der Inzidenzraten für
Hinsichtlich der Repräsentativität ist zu beach- Magersucht. Die berichteten Daten für die Jahre
ten, dass eine Gymnasiumsklasse oder die Po- 1935 bis 1949 fallen aus dem Rahmen und stellen
pulation eines bestimmten Colleges eigentlich möglicherweise ein methodisches Artefakt dar.
4 Kapitel 1 · Epidemiologie der Essstörungen
. Abb. 1.1 Inzidenz von Ersthospitalisationen wegen Magersucht im Kanton Zürich. (Mod. u. erg. nach Milos et al. 2004, so-
wie für 1988 bis 2000 Inzidenzrate in England, berichtet von Currin et al. 2005; © M.M. Fichter)
In . Abb. 1.1 sind die Inzidenzraten von Erst- aus dem Rahmen und scheint die Inzidenzrate von
hospitalisationen wegen Magersucht im Kanton Magersucht weit zu überschätzen, wenn man sie mit
Zürich sowie für 1998 bis 2000 die Inzidenzrate Ergebnissen aller anderen Inzidenzstudien ver-
nach Currin et al. (2005) in Großbritannien für gleicht. Mögliche Erklärungen sind:
Frauen im Alter von 12 bis 25 Jahren dargestellt. Es a) Keski-Rahkonen et al. untersuchten eine hin-
zeigt sich ein kontinuierlicher Anstieg der Inzidenz- sichtlich der Neuerkrankung besonders rele-
rate für Magersucht, besonders von 1956 bis 1978, vante Altersgruppe von 15 bis 19 Jahren;
danach in abgeschwächter Form. Van Son et al. b) in zahlreichen anderen Inzidenzstudien ist der
(2006) fanden in einer größeren niederländischen Altersbereich breiter gefasst, wie z. B. bei Milos
Stichprobe von Hausarzt(GP)-Patientinnen eine et al. (12 bis 25 Jahre) sowie bei Currin et al. (10
Inzidenzrate von 7,4 für den Zeitraum von 1985 bis bis 39 Jahre);
1989 und von 7,7 per 100 000 Personenjahre von c) eine weitere Erklärung der vorherigen Diskre-
1995 bis 1999. Keski-Rahkonen et al. (2007) berich- panz ist, dass bei der Fallidentifikation kein spe-
teten über »Epidemiology and Course of Anorexia zielles Interview zur standardisierten Erfassung
Nervosa in the Community«. Im Titel dieser Arbeit von AN (in der zweiten Stufe bei Keski-Rah-
ist nicht erwähnt, dass es sich hier um eine Zwil- konen et al.) erfolgte;
lingskohorte handelt. Sie berichteten bei Mädchen d) die Autoren betonen, dass diese Studie die erste
im Alter von 15 bis 19 Jahren über eine Inzidenz- Studie in der Allgemeinbevölkerung sei (und
rate von 270 pro 100 000 Personenjahre (95 %, Kon- keine Studie an einer Inanspruchnahme-
fidenzintervall = 180–360). Diese Studie fällt extrem Studie).
1.3 · Prävalenz
5 1
. Abb. 1.2 Jährliche Inzidenzrate für BN im Alter von 10 bis 39 Jahren von 1988 bis 2000 (Inzidenzrate pro 100 000 sowie
95 % Konfidenzintervall). (Mod. nach Currin et al. 2005)
Dies stimmt nur teilweise. Die wahrscheinlichste Magersucht und BN für Frauen sehr viel höher als
Erklärung für die Diskrepanz ist aber, dass es sich für Männer. Darüber hinaus scheint es einen Selek-
nicht um eine wirkliche Bevölkerungsstichprobe, tionsfaktor für die behandelte Prävalenz zu geben,
sondern um eine Zwillingskohorte handelte und es indem sich Männer mit einer anorektischen oder
Belege gibt, dass die Prävalenz von Magersucht bei bulimischen Essstörung seltener als Frauen in Be-
Zwillingen höher als in der allgemeinen Bevölke- handlung begeben. Die Prävalenzzahlenangaben
rung ist (Weiteres dazu 7 Prävalenzteil AN). in . Tab. 1.2 sind wegen unterschiedlicher Stichpro-
Zur Inzidenz von BN liegen nur sehr wenige bengewinnung und unterschiedlicher Erhebungs-
Daten vor. Currin et al. (2005) berichteten Ergeb- instrumente nicht direkt vergleichbar. Für Frauen
nisse dazu im zeitlichen Verlauf bei Frauen im Alter mit AN liegt die Punktprävalenz für das Risikoalter
zwischen 10 und 39 Jahren. Die Inzidenzrate stieg zwischen 15 und 35 Jahren bei ca. 0,4 %. Lediglich
von 1989 bis 1993 kontinuierlich an; die nächste die bereits erwähnte Studie von Keski-Rahkonen et
Inzidenzrate fand sich 1996; in den folgenden Jah- al. (2007) an einer finnischen Zwillingskohorte
ren sank sie wieder deutlich ab. Einzelheiten zu kommt zu wesentlich höheren Lebenszeitpräva-
diesen Erhebungen von Currin et al. finden Sie in lenzraten. In den bereits oben genannten Gründen
. Abb. 1.2. Zu der BES und zu den nicht näher be- für die Diskrepanz der Ergebnisse dieser Studie mit
zeichneten Essstörungen gibt es nur sehr begrenzt anderen ergebt sich Folgendes: Zwillingskohorten
Daten. scheinen Besonderheiten aufzuweisen, die bis dato
zu wenig beachtet wurden. Die Lebenszeitpräva-
lenzrate für AN nach den DSM-IV-Kriterien lag bei
1.3 Prävalenz der Untersuchung von Keski-Rahkonen et al. bei
2,2 %. In einer sehr großen Zwillingsstudie bei
Eine Übersicht ausgewählter wichtiger Studien zur Frauen in Schweden, geboren 1935 bis 1958, wurde
Prävalenz von AN, BN und der BES sowie den nicht eine Lebenszeitprävalenz für streng definierte AN
näher bezeichneten Essstörung ist in . Tab. 1.2 ge- von 1,2 % festgestellt (Bulik et al. 2006). Bei aus-
geben. Die Prävalenzzahlen liegen insbesondere für tralischen weiblichen Zwillingen im Alter zwischen
6 Kapitel 1 · Epidemiologie der Essstörungen
28 und 39 Jahren betrug die Lebenszeitprävalenz für bis zu einem Drittel der Kinder und Jugendlichen
1 AN 1,9 %; für partielle AN (ohne Erfüllung des Kri- »Binge-eating«-Episoden an. Bei Betroffenen, die
teriums Amenorrhoe) betrug die Prävalenz zusätz- einer intensiveren (stationären) Behandlung bedür-
lich 2,4 % (Wade et al. 2006). In all den genannten fen, ist somit das Risiko für »Binge Eating« (Heiß-
Zwillingskohorten war die Prävalenz von AN höher hungerattacken) erhöht. Im Rahmen einer großen
als in den Untersuchungen an Bevölkerungsstich- epidemiologischen Studie, bei der alle 5-jährigen
proben oder Schulpopulationen. Möglicherweise Kinder eines Jahrgangs untersucht wurden, wiesen
haben insbesondere eineiige Zwillinge ein erhöhtes 2 % aller Probanden und 6 % der adipösen Kinder
Risiko, nicht nur aus genetischen, sondern auch aus (BMI ≥ 90. Perzentile) »Binge Eating« auf (Lamerz
Gründen der Selbstfindung und Individuation et al. 2005).
häufiger an Magersucht zu erkranken. Diese Frage-
stellung wurde in der bestehenden Literatur zur
Entstehung von Magersucht nahezu völlig vernach- 1.3.2 Nicht näher bezeichnete
lässigt. Essstörungen
Die Punktprävalenz für BN dürfte insgesamt bei
knapp 1 % liegen, die Lebenszeitprävalenz etwa bei Die Restgruppe der nicht näher bezeichneten Ess-
1,5 %. Die BES zeigt eine 1-Jahres-Prävalenz (nach störungen (ES-NNB) ist mit 60 % aller Essstörungen
den wenigen vorliegenden Ergebnissen) für Frauen die wohl größte Gruppe (Fairburn u. Bohn 2005).
von ca. 1,6 % und für Männer um die 0,8 %. BES ist Die Prävalenzraten schwanken hier erheblich. Das
bei Männern immer noch seltener als bei Frauen, liegt daran, dass dies eine Restgruppe ist, die Reste
aber deutlich häufiger bei Männern zu finden als der drei Hauptessstörungen AN, BN und BES ent-
bei den anderen genannten Essstörungen. Zu be- hält, aber auch zusätzliche, vor allen Dingen »sub-
merken ist, dass BES nicht eindeutig definiert ist, klinische« Essstörungen beinhaltet, die aber den-
sondern auf zweifache Weise: 1.) im Sinne einer Ess- noch häufig behandlungsbedürftig sind. Die Punkt-
störung (NNB) sowie 2.) in einem engeren Sinne prävalenz von ES-NNB betrug in Portugal bei einer
gemäß DSM-IV-Appendix als BES. großen epidemiologischen Studie bei Schülerinnen/
Studentinnen im Alter von 12 bis 23 Jahren 2,37 %.
ES-NNB machte in dieser Studie 77 % aller Ess-
1.3.1 Binge-Eating-Störung störungsdiagnosen aus (Machado et al. 2007). In
einer spanischen Studie betrug die Prävalenz von
Für das Kindes- und Jugendalter liegen nur verein- ES-NNB bei Jugendlichen im Alter von 13 bis 15 Jah-
zelte Arbeiten vor. Feldstudien zur BES zeigen Häu- ren gar 4,9 % bei Mädchen und 0,6 % bei Jungen
figkeiten zwischen 1 % und 3 %; dabei sind Mäd- (Rodriguez-Cano et al. 2005). In einer Untersu-
chen etwas häufiger betroffen als Jungen (Nicholls chung wurden Griechinnen und Griechen im Alter
et al. 2000; Marcus u. Kalarchian 2003). Im Verlauf von 12 bis 21 Jahren hinsichtlich des Vorliegens
der Pubertätsentwicklung nimmt die Häufigkeit der einer Essstörung im Heimatland (Veria, N = 2.920)
BES beim weiblichen Geschlecht zu und ist bereits und (als Kinder von »Gastarbeitern«) in Deutsch-
beim Jugendlichen häufig mit Übergewicht oder land untersucht. Griechinnen in Griechenland
Adipositas assoziiert. Bei adipösen Jugendlichen hatten eine Lebenszeitprävalenz für ES-NNB von
wird »Binge Eating« in einer Häufigkeit von 20 bis 19,4 % (Griechinnen in Deutschland 13,8 %); bei
30 % gefunden, ohne dass alle Kriterien für eine Jungen war die Prävalenz von ES-NOS deutlich
BES erfüllt sind. In einer Studie bei Jugendlichen, niedriger (2,7 % in Griechenland und 0,0 % in
die aufgrund extremer Adipositas an einer Lang- Deutschland) (Fichter et al. 2005). Es besteht Hand-
zeitrehabilitationsmaßnahme teilnahmen, litten lungsbedarf, diese große Restgruppe der Essstörun-
57 % der Mädchen und 35 % der Jungen an »Binge gen NNB diagnostisch genauer zu fassen und sinn-
Eating« (Ackard et al. 2007). In Untersuchungen, voller zu untergliedern. Tholin et al. (2009) berich-
die auch Kinder einschlossen und sich auf aus- teten für »Night Eating Syndrome« bei schwedischen
schließlich stationäre Maßnahmen bezogen, gaben Zwillingen über eine Prävalenz von 4,6 % bei Män-
1.5 · Spezielle Risikogruppen
7 1
nern und 3,4 % bei Frauen. Betroffene mit »Night 1.5 Spezielle Risikogruppen
Eating Syndrome« zeigten vermehrt Adipositas
bzw. Probleme mit dem Schlaf. Eine Reihe von Studien belegt, dass schwarze Frauen
in den USA extrem seltener als weiße Frauen in
den USA eine Magersucht entwickeln, obwohl sie
1.4 Mortalität zumindest von Seiten der Medien einem ähnlichen
Schlankheitsdruck ausgesetzt sind. Es sieht so aus,
Eine wichtige Arbeit zur Mortalität psychischer dass hier bestimmte subkulturelle Faktoren protek-
Erkankungen ist nach wie vor die von Harris und tiv wirken. Auch BN ist deutlich häufiger bei weißen
Barraclough (1998). Nach dieser Metaanalyse liegt im Vergleich zu schwarzen Frauen in den USA. Da-
die Mortalitätsrate für AN erheblich über der gegen scheinen die BES und andere Formen von
von Depression und Schizophrenie; für AN ist sie Heißhungerattacken bei Schwarzen und Weißen in
die höchste aller psychischer Erkrankungen. Man den USA etwa gleich verbreitet zu sein (Striegel-
unterscheidet eine »Crude Mortality Rate (CMR)« Moore et al. 2003, 2005). Risikopersonen sind zum
(Prozentanteil der Verstorbenen in einer Stich- einen jugendliche Mädchen in westlichen Industrie-
probe) von einer viel aussagekräftigeren »Standar- ländern. Button et al. (2008) berichteten über eine
dized Mortality Rate (SMR)«. Bei der Berechnung sehr große Stichprobe (N = 2.554) einer Region,
der SMR wird die Sterblichkeitsrate der Altersgrup- untersucht über 21 Jahre ab 1987, dass recht kon-
pe und für den jeweiligen Zeitraum mit berück- stant ca. 5 % der behandelten Essgestörten männ-
sichtigt und Werte über 1,0 drücken eine Übersterb- lichen Geschlechts waren. Weitere Risikofaktoren
lichkeit, Werte unter 1,0 eine Untersterblichkeit. sind Überangepasstheit in der Kindheit und man-
Birmingham et al. (2005) berichteten für 326 ka- gelnde Entwicklung eines positiven Selbstwert- und
nadische AN-Patientinnen eine SMR von 10,5 (95 % Körpergefühls. Diese Mädchen oder jungen Frauen
CI: 5,5–15,5). Millar et al. (2005) fanden bei 524 AN sind damit besonders empfänglich für gesellschaft-
Patientinnen in Nordost-Schottland eine SMR von liche Normen und geben dem Druck nach Schlank-
3,3 (95 % CI: 2,2–4,9). Fichter et al. (2006) berichte- heit eher nach als Frauen mit einem positiven
ten bei 103 AN-Patientinnen für einen 12-Jahres- Selbstwertgefühl. Risikopersonen machen infolge
Zeitraum eine CMR von 7,7 %. Lindblad et al. ihrer Überangepasstheit und des mangelnden
(2006) verglichen in einer schwedischen Studie die Selbstwertgefühls häufiger Diäten oder versuchen,
CMR von hospitalisierten AN-Patientinnen im Ver- auf andere Weise abzunehmen, und können damit
lauf für zwei Zeiträume. Die AN-Mortalitätsrate für schließlich eine Essstörung entwickeln.
den Zeitraum 1977 bis 1981 betrug 4,4 % und ver- Frauen im Alter von 12 bis ca. 35 Jahren haben
ringerte sich auf 1,2 % für den späteren Zeitraum im Vergleich zu den Männern ein deutlich höheres
1987 bis 1991 (möglicherweise durch verbesserte Risiko, an einer AN oder BN zu erkranken. Frauen
Therapiemöglichkeiten in Schweden). Allerdings in dem Alter sind mindestens zwölfmal häufiger
fand sich in einer norwegischen Studie im Zeitraum betroffen. Bei wegen einer Essstörung behandelter
1992 bis 2000 eine Zunahme von »AN related Stichproben sind Männer noch seltener, bei Be-
deaths« von 6,5 auf 9,9 per 100 000. Generell zeigten völkerungsstichproben etwas häufiger als im Ver-
sich die üblichen Todesbescheinigungen als wenig hältnis 1:12 betroffen. Hudson et al. (2007) fanden
verlässlich für Untersuchungen zur Todesursache. in einer Bevölkerungsstudie in den USA für BN bei
Neuere Untersuchungen zeigen, dass die Mortali- erwachsenen Männern eine Lebenszeitprävalenz
tätsraten für BN und BES deutlich unter den von von 0,5 % (Frauen 1,5 %). Der Anteil der Männer,
AN liegen (Fichter et al. 2006, 2008). Nielsen (2003) die eine BN aufwiesen, war in der nordamerika-
fand in einer Metaanalyse von 43 BN-Verlaufs- nischen Studie höher als in früheren Studien (Hoek
untersuchungen ein aggregierte SMR von 1,6 (95 % u. van Hoeken 2003). Bei der BES sind zwar auch
CI: 0,8–2,7). Frauen häufiger als Männer betroffen, doch liegt
bei Erwachsenen hier der Anteil der Männer bei 30
bis 40 %.
8 Kapitel 1 · Epidemiologie der Essstörungen
Für einige spezielle Gruppen konnte aufgezeigt Sundgot-Borgen und Torstveit (2004) untersuchten
1 werden, dass sie darüber hinausgehend ein beson- 1620 Wettkampfsportler und 1696 Kontrollperso-
deres Erkrankungsrisiko haben. Das gilt für Men- nen in Norwegen hinsichtlich der auftretenden
schen, die exzessiv Sport oder gar Leistungssport Wahrscheinlichkeit einer Essstörung in einem zwei-
treiben, sowie für Menschen, die ernsthaft klassi- stufigen Verfahren. Die Prävalenz von Essstörungen
sches Ballett tanzen. Für sie besteht eine größere war höher bei Wettkampfsportlern im Vergleich
Fokussierung auf ein niedrigeres Körpergewicht, zu Kontrollpersonen. Bei Wettkampfsportlern war
was das Risiko, an AN zu erkranken, erhöht (s. Über- sie bei Frauen höher als bei Männern. Zwischen den
sicht von Sundgot-Borgen et al. 2003). Tanzen unter Sportarten war die Prävalenz von Essstörungen re-
hohem körperlichen Einsatz, wie z. B. Balletttanzen, lativ am höchsten bei Sportarten, die eine Abhän-
erfordert ein hohes Maß an körperlicher Fitness, gigkeit von Schlankheit und Körpergewicht auf-
Schlankheit und Körperkontrolle. Auch Jockeys, wiesen. Sundgot-Borgen und Torstveit fanden eine
die Pferderennen reiten, haben ein erhöhtes Risiko, subklinische oder klinische Essstörung bei 13,5 %
da ein niedriges Körpergewicht ein eindeutiger Vor- aller WettkampfsportlerInnen und bei 4,6 % der
teil ist, das Ziel vor den anderen zu erreichen. Boxer Kontrollpersonen. Essstörungen fanden sich insbe-
und Ringer werden in Gewichtsklassen eingeteilt sondere bei Frauen in ästhetischen Sportarten 42 %
und versuchen nicht selten, sich vor Wettkämpfen (im Vergleich zu Ausdauersportarten, technischen
auf eine tiefere Gewichtsklasse herunterzuhungern. oder Ballsportarten). Bei Männern waren Essstö-
Nach einer Studie von Klungland Torstveit und rungen am häufigsten bei »Antigravitations-Sport-
Sundgot-Borgen (Torstveit u. Sundgot-Borgen arten« (22 %). Zu gleichen Ergebnissen kamen in
2005) sind Sportler, die an Wettkämpfen für »Lean- Australien Byrne und McLean (2002).
ness Sports« teilnehmen, mehr essstörungsgefähr- Eine neue häufig gestellte Frage ist die nach dem
det als Sportler, deren Wettkämpfe in »Nonleanness Zusammenhang zwischen Essstörungen und Dia-
Sports« stattfinden. In den Sportwissenschaften gibt betes mellitus. Man unterscheidet einen Typ-I-Dia-
es das Konzept einer female athlete triad. Beim ge- betes (Beginn meist im Jugendalter, Untergang der
sunden Sportler bestehen eine optimale Nahrungs- β-Zellen der Bauchspeicheldrüse mit folgendem ab-
energieversorgung, Eumenorrhoe und eine gesunde soluten Insulinmangel) und einen Typ-II-Diabetes,
Knochenstruktur. Durch erhöhten (sportlichen) der üblicherweise erst in der zweiten Lebenshälfte
Energieverbrauch oder reduzierte Kalorienzufuhr auftritt und häufig in Verbindung mit Adipositas
kann sich diese Triade bewegen in Richtung steht. Bei Patientinnen mit Typ-I-Diabetes entsteht
1. niedrige Verfügbarkeit von Energie mit oder dieser in der Regel vor dem Auftreten der Essstö-
ohne Essstörung, rung, bei Typ-II-Diabetes in der Regel danach. Nach
2. Osteoporose und Herpertz (2008) kommen Magersucht und Typ-I-
3. funktionale hypothalamische Amenorrhoe. Diabetes nicht häufiger miteinander vor, wohl aber
Typ-I-Diabetes und BN. Unter »Insulin-Purging«
Nattiv et al. (2007) verfassten im Auftrag des Ameri- versteht man die Reduktion der (in der Regel abend-
can College of Sports Medicine eine Übersicht. Da- lichen) Insulindosis zwecks Gewichtsreduktion. Es
nach haben Wettkampfsportler dann ein Risiko für wird auch als »Erbrechen über die Niere« bezeich-
eine niedrige Verfügbarkeit von Energie, wenn sie net. Bei Essgestörten mit einem Typ-I-Diabetes fin-
a. Kalorienreduktionsdiäten machen, det sich ein »Insulin-Purging« nicht selten und
b. sich sportlich exzessiv über längere Zeit betä- kann die Behandlung sowohl des Diabetes als auch
tigen, der Essstörung erheblich komplizieren (Neumark-
c. wenn sie Vegetarierer sind oder Sztainer et al. 2002; Colton et al. 2004; Grylli et al.
d. wenn sie ihr Nahrungsspektrum deutlich ein- 2004; Goebel-Fabbri et al. 2008).
schränken.
1.6 · Gibt es anorektische und bulimische Essstörungen in Entwicklungsländern?
9 1
1.6 Gibt es anorektische
und bulimische Essstörungen
in Entwicklungsländern?
. Tab. 1.1 In zidenz von AN und BN im Jahr pro 100 000 Bevölkerung (© M.M. Fichter)
a) Anorexia nervosa
Jones et al. (1980) 0.35 0.20 0.49 Monroe County (USA) Fallregister + 1960–1969 alle
Martz et al. (2001) 0.55 6.76 Zürich (CH) Krankenhausarchiv 1963–1965 12–25 J.
Milos et al. (2004) 1.12 16.75 Zürich (CH) Krankenhausarchiv 1973–1975 12–25 J.
Currin et al. (2005) 4.70 0.70 8.60 GB Hausarzt (GP) 2000 alle
Keski-Rahkonen et al. – – 270.00 Finnland Zwillingsregister Geb. 1975–1979 15–19 J.
(2007)
Lucas et al. (1999b) 9.10 3.40 15.00 Rochester. MN Krankenhausarchiv 1935–1949 alle
b) Bulimia nervosa
Currin et al. (2005) 6.60 0.70 12.40 GB Hausarzt (GP) 2000 alle
1 11
1
12
a) Anorexia nervosa
Råstam et al. (1989) – 0.09 0.47 Schülerinnen 15 2.136 Growth Tab. + DSM-III
– 0.00 0.23 Fragebogen DSM-III-R
Wittchen et al. (1998) 0.10c) 0.00c) 0.30c) Bevölkerungsstichprobe BRD 14–24 1.528 M-CIDI DSM-IV
0.60d) 0.10d) 1.00d)
Fichter et al. (2005) 0.30e) 0.00e) 0.59e) Schülerinnen (Griechenland) 13–19 2.920 ANIS/SIAB-Ex DSM-IV
Hudson et al. (2007) 0.00c) 0.00c) 0.00c) Bevölkerungsstichprobe USA >18 2.980 WHO-CIDI DSM-IV
0.60d) 0.30d) 0.90d)
Taylor et al. (2007) Schwarze 0.17d) 0.20d) 0.14d) NSAL Haushaltsstichpr. USA >18 5.191 WMH-CIDI DSM-IV-TR
Alegria et al. (2007) Latinos 0.08d) 0.03d) 0.12 NSAL Haushaltsstichpr. USA >18 2.554 WMH-CIDI DSM-IV-TR
Nicdao et al. (2007) Asiaten 0.08d) 0.05d) 0.12 NLAAS Haushaltsstichpr. USA >18 2.095 WHO-CIDI DSM-IV
Ackard et al. (2007) US div. – 0.00e) 0.04e) US Middle & High School 14.9 ± 1.7 4.746 Survey Quest. DSM-IV
Zachrisson et al. (2008) 1991 – – 0.10d) Norwegen 36.9 ± 12 1.537 Selbsteinschätzung DSM-III-R/IV
b) Bulimia nervosa
Garfinkel et al. (1995) – 0.10d) 1.10d) Bevölkerungsstichprobe 15–65 8.116 WHO-CIDI DSM-III-R
Ontario
Wittchen et al. (1998) 0.30c) 0.00c) 0.70c) Bevölkerungsstichprobe 14–24 1.528 M-CIDI DSM-IV
0.90d) 0.00d) 1.70d) BRD 14–24 1.493
Fichter et al. (2005) 0.93e) 0.68e) 1.18e) Schülerinnen (Griechenland) 13–19 2.920 ANIS/GHQ (DSM-IV)
Hudson et al. (2007 0.30c) 0.10c) 0.50c) Haushaltsstichprobe USA >18 2.980 WHO-CIDI DSM-IV
Taylor et al. (2007) Schwarze 0.20d) 0.97d) 1.90d) NSAL Haushaltsstichpr. USA >18 5.191 WHM-CIDI DSM-IV-TR
Alegria et al. (2007) Latinos 1.61d) 1.34d) 1.91d) NSAL Haushaltsstichpr. USA >18 2.554 WMH-CIDI DSM-IV-TR
1.7 · Anhang: Tabellen
Nicdao et al. (2007 ) Asiaten 1.09d) 0.71d) 1.42d) NLAAS Haushaltsstichpr. USA >18 2.095 WHO-CIDI DSM-IV
Ackard et al. (2007) US div.. – 0.17e) 0.34e) US Middle & High School 14.9 ± 1.7 4.746 Survey Quest. DSM-IV
Zachrisson et al. (2008) 1991 – – 2.00d) Norwegen 36.9 ± 12 1.537 Selbsteinschätzung DSM-III-R/IV
Hudson et al. (2007) 1.20c) 0.80c) 1.60c) Haushaltsstichprobe USA 2.980 WHO-CIDI DSM-IV
2.80d) 2.00d) 3.50d)
Taylor et al. (2007) Schwarze 1.66d) 0.78d) 2.36d) NSAL Haushaltsstichpr. USA >18 5.191 WHM-CIDI DSM-IV-TR
Alegria et al. (2007) Latinos 1.92d) 1.55d) 2.31d) NSAL Haushaltsstichpr. USA >18 2.554 WMH-CIDI DSM-IV-TR
Nicdao et al. (2007) Asiaten( 2.04d) 1.35d) 2.67d) NLAAS Haushaltsstichpr. USA >18 2.095 WHO-CIDI DSM-IV
Ackard et al. (2007) US div. – 0.34e) 1.91e) US Middle & High School 14.9 ± 1.7 4.746 Survey Quest. DSM-IV
Zachrisson et al. (2008) 1991 – – 0.90d) Norwegen 36.9 ± 12 1.537 Selbsteinschätzung DSM-III-R/IV
Fichter et al. (2005) 8.30e) 2.71e) 13.55e) Schülerinnen (Griechenland) 13–19 2.980 ANIS/GHQ DSM-IV
Machado et al. (2007) – – 2.37e) Schülerinnen (Portugal) 12–23 2.028 EDE-S DSM-IV
Zachrisson et al. (2008) 1991 – – 6.30d) Norwegen 36.9 ± 12 1.537 Selbsteinschätzung DSM-III-R/IV
a) EAT = Eating Attitudes Test; EDE-S = Eating Disorders Examination, Screening Version; ANIS = Anorexia Nervosa Inventory Scale; BCDS = Bulimic Cognitive Distortions Scale;
DIS = Diagnostic Interview Schedule; CIDI = Composite International Diagnostic Interview
b) Kumulierte Lifetime-Prävalenz
c) 12-Monats-Prävalenz
d) Lifetime-Prävalenz
e) Punktprävalenz
1
14 Kapitel 1 · Epidemiologie der Essstörungen
2.1 Früherkennung – 18
2.9 Literatur – 34
oder unerwünscht sind, aber objektiv keine aus prüfen, ob sich aus dem spezifischen Verhalten eine
dem Rahmen fallenden Mengen darstellen, können relevante Beeinträchtigung oder Gefährdung der
subjektiv ebenfalls als Essanfälle wahrgenommen körperlichen Gesundheit, der psychosozialen Funk-
2 werden. Typischerweise werden bei Essanfällen tionsfähigkeit oder ein erheblicher subjektiver Lei-
Nahrungsmittel gegessen, die ansonsten verboten densdruck ergibt.
sind. Bei einer langzeitig bestehenden Essstörung
werden Essanfälle häufig genau geplant, das heißt, Diagnosestellung
es werden für einen Essanfall geeignete Nahrungs- Falls der Verdacht einer Essstörung nach den vo-
mittel eingekauft und es wird dafür gesorgt, dass rangegangenen Schritten fortbesteht, sollte formal
niemand den Essanfall stört. überprüft werden, ob die Kriterien einer Essstörung
nach einem operationalisierten Diagnosesystem
Gegensteuerndes Verhalten wie ICD-10 oder DSM-IV erfüllt werden. Die wei-
Hier handelt es sich um ein Spektrum zielorien- terführende Diagnostik sollte Checklisten oder
tierter Verhaltensweisen, um aufgenommene Ener- strukturierte Interviews vorsehen (s. unten.) Um
gie oder Flüssigkeiten rasch wieder aus dem Orga- allen Frauen und Männern, die unter einer Essstö-
nismus zu entfernen. Alle Maßnahmen, die Erbre- rung leiden, adäquate Hilfe zukommen zu lassen, ist
chen oder Diarrhoe fördern, werden als abführendes es wichtig, auch die diagnostischen Kategorien aty-
Verhalten, »Purging-Behavior«, zusammengefasst: pischer oder nicht näher bezeichneter (NNB) Ess-
störungen anzuwenden. Versorgungsepidemiologi-
sche Studien zeigen, dass die aktuellen DSM- und
Typisches Purging-Verhalten
ICD-Hauptkategorien nur etwa 40 bis 60 % der Pa-
4 Erbrechen kann dabei automatisiert er- tientinnen mit einer klinisch bedeutsamen Essstö-
folgen, nach mechanischer Reizung des rung erfassen.
Rachenraums oder unterstützt durch che-
mische Substanzen, die Erbrechen fördern,
wie Radix Ipecacuanha oder Salzlösungen 2.3 Diagnostische Zugänge
4 Pflanzliche oder synthetisch hergestellte und Methoden
Laxanzien
4 Pflanzliche oder synthetisch hergestellte 2.3.1 Klassifikatorische Diagnostik
wassertreibende Substanzen (Diuretika) im Erwachsenenalter
4 Schilddrüsenhormone (um den Grund-
umsatz zu erhöhen) Diagnostisches Interview für psychische
4 Sport und Exposition gegenüber Kälte und Störungen (DIPS für DSM-IV)
Hitze (z. B. Sauna) Das DIPS ist ein umfassendes diagnostisches Inter-
4 Weglassen von Insulin bei Patientinnen mit view zur Erfassung und Diagnostik der für den kli-
Typ-1-Diabetes, um einen renalen Verlust nischen Bereich wichtigsten psychischen Störungen:
von Glukose zu induzieren Angststörungen, affektive Störungen, somatoforme
Störungen, Essstörungen, Schlafstörungen, Störun-
gen im Zusammenhang mit psychotropen Substan-
Beurteilung der Verhaltensweisen zen und die Borderline-Persönlichkeitsstörung.
Einzelne Verhaltensweisen, die bei Essstörungen Zusätzlich werden Dokumentationsmöglichkeiten
auftreten, werden auch bei gesunden Männern und für psychosoziale Daten, Problembereiche, Behand-
Frauen insbesondere in der Adoleszenz beobachtet lungsgeschichte, Familiengeschichte, Medikation,
(z. B. Diäten, induziertes Erbrechen, intensiver körperliche Erkrankungen und Einschätzung des
Sport zur Gewichtskontrolle) Die Bewertung von Schweregrades der jeweiligen Störung gegeben. Die
Verhaltensweisen als pathologisch kann dabei nicht Interrater-Reliabilität kann überwiegend als sehr
ausschließlich auf Frequenzen oder Intensitäten ge- gut bezeichnet werden, lediglich bei den somato-
stützt werden. Vielmehr ist in jedem Einzelfall zu formen Störungen und den Schlafstörungen lagen
2.3 · Diagnostische Zugänge und Methoden
21 2
die Kappa-Koeffizienten im genügenden bzw. guten den Nutzer im Rahmen der Diagnostik von Ess-
Bereich. Die Durchführungszeit liegt zwischen 60 störungen liegt in der systematischen Erfassung der
und 160 Minuten. Das Vorgehen ist durch Sprung- Komorbidität. Die Limitation des Vorgehens be-
befehle ökonomisiert. Die Anwendung des DIPS steht darin, dass ausschließlich diagnostisch rele-
setzt Training, Lektüre der Handanweisung und Be- vante Symptome erfasst werden. Das Interview ist
achtung der darin enthaltenen Regeln voraus. Der auch im klinischen Alltag anwendbar.
besondere Wert des DIPS für den Nutzer im Rah- Nach einer Eingangsexploration zu sozialen
men der Diagnostik von Essstörungen liegt in der Daten, Ausbildung und Beruf und zur derzeitigen
systematischen Erfassung der Komorbidität. Eine Problematik werden Screeningfragen gestellt. Die
Limitation des Vorgehens besteht darin, dass fast Fragen mit Bezug zu Essstörungen sind: »Kam es
ausschließlich diagnostisch relevante Symptome schon einmal vor, dass andere Menschen sagten, Sie
erfasst werden. Das Interview ist auch im klinischen seien zu dünn?« und »Hatten Sie jemals Essanfälle,
Alltag anwendbar. Nach einer Eingangsexploration bei denen Sie das Gefühl hatten, Ihr Essverhalten
zu psychosozialen Daten und Problembereichen nicht mehr kontrollieren zu können?«. In der Sek-
werden Screeningfragen gestellt. Die Fragen zu Ess- tion H werden dann die Kriterien von Essstörungen,
störungen beziehen sich zunächst auf Körpergröße, der Subtypen und des Krankheitsstadiums erfasst:
aktuelles Gewicht, höchstes und niedrigstes Ge- H1 bis H10 AN, H11 bis H24 BN und H24 bis H38
wicht im Erwachsenenalter. Weiterhin: »Gab es je- BES. Das Vorgehen ist durch Sprungbefehle ökono-
mals eine Zeit, in der Sie viel weniger wogen, als Sie misiert.
nach Meinung anderer Leute wiegen sollten, oder
in der Sie stark abgenommen haben?« »Haben Sie Internationale Diagnose-Checklisten
Essanfälle oder Heißhungerphasen, bei denen Sie in (IDCL)
kurzer Zeit sehr viel essen, das heißt, sehr viel mehr Durch internationale Diagnose-Checklisten für
als andere Menschen unter ähnlichen Umständen DSM-IV und ICD-10 besteht für die Forschung
essen würden?« Es werden dann die Kriterien der und Praxis die Möglichkeit, eine standardisierte
AN (inklusive Subtypen), der BN (inklusive Sub- und ökonomische Befunderhebung nach den neuen
typen) und der BES abgeprüft. Klassifikationssystemen DSM-IV und ICD-10 (zwei
Checklisten-Sets/IDCL für ICD-10 und IDCL für
Strukturiertes Klinisches Interview DSM-IV) durchzuführen. Insbesondere Diagnos-
für DSM-IV (SKID), Achse I und II tikern, die bereits in standardisierten Interviews
Das SKID ist ein umfassendes und komplexes diag- (wie dem SKID) erfahren sind, ermöglichen die
nostisches Interview zur Erfassung und Diagnostik IDCL ein noch rascheres Vorgehen. Als Störungs-
ausgewählter psychischer Syndrome und Störungen, bereiche sind psychotische Störungen, affektive Stö-
wie sie im Diagnostischen und Statistischen Manual rungen, Angststörungen, somatoforme Störungen,
für Psychische Störungen (DSM-IV) auf der Achse I Störungen durch die Einnahme psychotroper Subs-
(akute psychische Störungen) und II (Persönlich- tanzen, Essstörungen und organisch bedingte psy-
keitsstörungen) definiert werden. Außerdem wer- chische Störungen berücksichtigt worden, darüber
den Kodierungsmöglichkeiten für die Achse III hinaus auch der Bereich der Persönlichkeitsstörun-
(körperliche Störungen), Achse IV (psychosoziale gen. Anhand von 32 Checklisten können damit
Beeinträchtigung) und Achse V (psychosoziales die häufigsten und wichtigsten Störungsbilder der
Funktionsniveau) angeboten. Die Interrater-Relia- Achse I (Klinische Syndrome) und der Achse II
bilität des Interviews kann als gut bis sehr gut be- (Persönlichkeitsstörungen) des DSM-IV bzw. der
wertet werden. Die Durchführungszeit für das ICD-10 valide und reliabel diagnostiziert werden.
SKID I liegt zwischen 80 und 120 Minuten, für das Die Test-Retest-Reliabilität und die Interrater-Re-
SKID II zwischen 80 und 180 Minuten. Die Anwen- liabilität sind für alle untersuchten Störungsbereiche
dung des SKID setzt Training, Lektüre der Hand- (affektive Störungen, Angststörungen, Störungen
anweisung und Beachtung der darin enthaltenen durch Konsum psychotroper Substanzen) zufrie-
Regeln voraus. Der besondere Wert des SKID für denstellend bis sehr gut. Jede Checkliste bezieht sich
22 Kapitel 2 · Diagnostik von Essstörungen
auf eine Diagnose. Der besondere Wert der IDCL tation des Instruments stellt der hohe zeitliche Auf-
für den Nutzer im Rahmen der Diagnostik von Ess- wand für die Durchführung dar.
störungen liegt in der systematischen Erfassung der
2 Komorbidität bei gleichzeitig sehr hoher Zeiteffi- Kiddie-Sads-Present and Lifetime
zienz im klinischen Alltag. Die Limitation des Vor- Version (K-SADS-PL)
gehens besteht darin, dass ausschließlich diagnos- Die deutsche Version (Delmo et al. 2000) der Kiddie-
tisch relevante Symptome erfasst werden. Sprung- Sads-Present and Lifetime Version (Chambers et al.
befehle fehlen, die Struktur der Checklisten lässt 1985; Kaufman et al. 1997) ist ein semi-strukturiertes
eine unvollständige Durchführung zu, sodass Er- diagnostisches Interview, das für die Erfassung
fahrung mit anderen, höher strukturierten diagnos- gegenwärtiger und zurückliegender Episoden psy-
tischen Verfahren in der Vorbereitung hilfreich ist. chischer Störungen bei Kindern und Heranwach-
senden nach DSM-III-R und DSM-IV entwickelt
wurde. Für die Erfassung der Symptome werden
2.3.2 Klassifikatorische Diagnostik vorformulierte fakultative Fragen und obligatorisch
im Kindes- und Jugendalter zu erfassende Symptomkriterien vorgegeben. Fol-
gende Diagnosen und Störungen können mit dem
Diagnostische Interviews K-SADS-PL erfragt werden: Major Depression, Dys-
bei psychischen Störungen im Kindes- thymie, Manie, Hypomanie, Zyklothymie, schizo-
und Jugendalter (Kinder-DIPS) affektive Störungen, Schizophrenie, schizophreni-
Das strukturierte diagnostische Interview zur Er- forme Störung, kurze reaktive Psychose, Panikstö-
fassung psychischer Störungen des Kindes- und rung, Agoraphobie, Störung mit Trennungsangst,
Jugendalters stellt eine Ergänzung des für das Er- Vermeidungsstörung im Kindes- und Jugendalter,
wachsenenalter konzipierten Diagnostischen Inter- einfache Phobie, soziale Phobie, Überängstlichkeit,
views bei psychischen Störungen (DIPS) dar. Es generalisierte Angststörung, Zwangsstörung, Auf-
umfasst eine Kinderversion zur direkten Befragung merksamkeits-/Hyperaktivitätsstörung, Verhaltens-
des Kindes bzw. Jugendlichen sowie eine parallele störung, oppositionelles Trotzverhalten, Enuresis,
Elternversion zur Befragung eines Elternteils oder Enkopresis, AN, BN, vorübergehende Tic-Störung,
sonstiger Erziehungspersonen (Schneider et al. Tourette-Syndrom, chronische motorische oder vo-
2008) Im Hauptteil des Interviews werden affektive kale Tics, Alkoholmissbrauch, Substanzmissbrauch,
und Angststörungen, externalisierende Verhaltens- posttraumatische Stressstörung und Anpassungsstö-
störungen, Zwangs-, Ess- und Ausscheidungsstö- rungen. Das K-SADS-PL wird durchgeführt, indem
rungen erfragt. Darüber hinaus enthält das Kinder- zunächst die Eltern (ggf. ein Elternteil) und das Kind
DIPS einen Screeningabschnitt für Alkohol-, Dro- nacheinander befragt werden; aus den erhaltenen
gen- und Medikamentenmissbrauch sowie für nicht Informationen wird eine zusammenfassende Beur-
organische Psychosen. Das Kinder-DIPS wird als teilung generiert. Untersuchungen zur Interrater-
reliables (Kappa-Werte: .50– .89, Yule’s Y-Werte: Reliabilität (93 bis 100 % Übereinstimmung) sowie
.60– .81 für die Retest-Reliabilität der Oberklassen) zur Retest-Reliabilität (Kappa-Werte: .63–1) ergaben
und valides Instrument zur Erfassung der für die gute bis exzellente Ergebnisse (Kaufman et al. 2000).
Diagnosestellung nach DSM-IV oder ICD-10 erfor- Zur reliablen und validen Anwendung des
derlichen Diagnosekriterien angesehen. K-SADS-PL ist ein spezielles Training notwendig.
Analog zum DIPS setzt die Anwendung des Im Rahmen der Diagnostik von Essstörungen liegt
Kinder-DIPS ein Training, die Lektüre der Handan- der besondere Wert des K-SADS-PL in einer zuver-
weisung sowie die Beachtung der darin enthaltenen lässigen Abklärung psychischer Komorbiditäten. Es
Regeln voraus. Im Rahmen der Diagnostik von Ess- kann sowohl in der Klinik als auch in der Praxis
störungen liegt der besondere Wert des Kinder- eingesetzt werden. Somatoforme Störungen können
DIPS in einer zuverlässigen Abklärung psychischer mit Hilfe des K-SADS-PL leider nicht diagnosti-
Komorbiditäten. Das Kinder-DIPS ist in Praxis- ziert werden, was eine Limitation des Instruments
und Forschungseinrichtungen einsetzbar. Eine Limi- darstellt. Der hohe zeitliche Aufwand für die Durch-
2.4 · Vertiefende, auf die Therapieplanung ausgerichtete Diagnostik
23 2
führung des K-SADS-PL stellt eine weitere Ein- Psychopathologie umfasst Einschränkungen der
schränkung dar. Nahrungsaufnahme, die sich in Fasten, Schlank-
heitsdiäten oder in einem gezügelten Essverhalten
(restrained eating) äußern können. Parameter eines
2.4 Vertiefende, gezügelten Essverhaltens, z. B. der Versuch, über
auf die Therapieplanung lange Zeitperioden Nahrungsaufnahme zu vermei-
ausgerichtete Diagnostik den oder Diätregeln zu befolgen, werden im EDE
durch die Restraint Scale (Gezügeltes Essen) erfasst.
2.4.1 Strukturierte Interviewleitfäden Weitere Auffälligkeiten im Bereich des Essens wie
zur Erfassung der Essstörungen eine Konzentrationsbeeinträchtigung aufgrund des
(Erwachsenenalter) Nachdenkens über das Essen oder Schuldgefühle
beim Essen beschreibt die Eating Concern Scale
Durch die Nutzung von Interviewleitfäden wie dem (Essensbezogene Sorgen) Ein weiteres zentrales
Diagnostischen Interview psychischer Störungen Merkmal sind Störungen in der Bewertung von Fi-
(DIPS; Margraf et al. 1994) oder dem Strukturierten gur und Gewicht (Weight Concern, Shape Concern)
Klinischen Interview für DSM-IV (SKID; Wittchen Dies äußert sich in einer erhöhten Bedeutung von
et al. 1997) kann die Zuverlässigkeit von Diagnosen Figur oder Gewicht für das Selbstwertgefühl, in
deutlich erhöht werden (vgl. z. B. Wittchen et al. Konzentrationsbeeinträchtigungen aufgrund des
1988) Allerdings bieten die beiden im deutschen Nachdenkens über Figur und Gewicht oder in der
Sprachraum meistverbreiteten Interviewleitfäden Angst, dick(er) zu werden (. Tab. 2.1).
für den Bereich der psychischen Störungen – das Neben den Items der vier Skalen des EDE erlau-
DIPS (Margraf et al. 1994) und das SKID (Wittchen ben 14 diagnostische Items eine differenzialdiag-
et al. 1997) – gerade bei klinischen Essstörungen nostische Einordnung der AN, BN und der BES
kaum hinreichende Informationen für die Thera- nach den Kriterien des DSM-IV (mit ergänzenden
pieplanung. Vor diesem Hintergrund sind Leitfäden Items kann nach ICD-10 diagnostiziert werden).
entwickelt worden, die nicht nur die diagnostischen Darüber hinaus können optional mit Hilfe weiterer
Kriterien klinischer Essstörungen abdecken, son- Items soziodemographische Daten und Merkmale
dern darüber hinaus auch unmittelbar therapiere- der Entstehung und Aufrechterhaltung der Essprob-
levante Informationen liefern, beispielsweise über lematik dokumentiert werden. Für die Durchfüh-
individuelle Diätregeln von Patientinnen. Anders rung liegen neben einem ausführlich dokumentier-
als bei Fragebogenverfahren ist die Zahl der für den ten Manual ein Interviewleitfaden, ein Kodierungs-
deutschen Sprachraum vorliegenden Interviewleit- und ein Auswertungsbogen für Subskalenwerte
fäden im Bereich klinischer Essstörungen sehr be- vor (Hilbert u. Tuschen-Caffier 2006) Bezüglich
schränkt: Nur zu zwei Interviews (Eating Disorder der psychometrischen Gütekriterien liegt die Inter-
Examination [EDE] und Strukturiertes Inventar für rater-Reliabilität für die Subskalen des EDE zwi-
Anorektische und Bulimische Essstörungen zur Ex- schen .92 ≤ r ≤ .99. Die internen Konsistenzen der
pertenbeurteilung [SIAB-EX]) liegen ausführliche Subskalen lagen bei .73 ≤ Cronbach α ≤ .86 (Ge-
und für den deutschen Sprachraum gültige Evalua- samtwert: α = .93) Die Reliabilität des EDE ist somit
tionsbefunde vor. insgesamt als hoch zu bezeichnen. Für die kon-
vergente Validität sprechen hohe Korrelationen
Eating Disorder Examination (EDE) zwischen den EDE-Subskalen Shape Concern
Das Eating Disorder Examination (Fairburn u. und Weight Concern und Selbstbeurteilungsskalen
Cooper 1993; deutschsprachige Fassung: Hilbert et zum Körperbild. Die EDE-Subskalen Restraint und
al. 2004; Hilbert u. Tuschen-Caffier 2006) ist ein Eating Concern zeigen signifikante Zusammen-
international in Forschung und Praxis weit ver- hänge mit dem in Ernährungstagebüchern proto-
breitetes strukturiertes Experteninterview zur Er- kollierten Essverhalten, beispielsweise Mahlzeiten-
fassung der spezifischen Psychopathologie von Ess- oder Essanfallshäufigkeit oder Nährstoffaufnahme.
störungen. Die bei Essstörungen erfasste spezifische Die Subskalen des EDE unterscheiden zwischen
24 Kapitel 2 · Diagnostik von Essstörungen
Strukturiertes Inventar für Anorektische Die Items sind von 0 (liegt nicht vor) bis 4 (sehr
und Bulimische Essstörungen stark/sehr häufig) skaliert. Es kann ein Gesamt-
zur Expertenbeurteilung (SIAB-EX) Score berechnet werden sowie Scores für jede Sub-
Das Strukturierte Inventar für Anorektische und skala. Subskalen oder die diagnostischen Items kön-
Bulimische Essstörungen (Fichter u. Quadflieg nen auch isoliert für sich verwendet werden. Wird
1999a, 2001, 2004; Fichter et al. 1998a) ermöglicht z. B. in einer Untersuchung für die Allgemeine Psy-
als Experteninterview sowohl die Erfassung essstö- chopathologie SKID oder DIPS verwendet, könnte
rungsspezifischer Symptome als auch die Erfassung man die relativ umfangreiche Subskala »Allgemeine
von Symptomen, beispielsweise Ängste und Beein- Psychopathologie«, ggf. auch weitere Skalen weglas-
trächtigungen in der sozialen Kompetenz, die häu- sen.
fig mit Essstörungen einhergehen. Das SIAB-EX ist Das Instrument ist sehr gut brauchbar für die
somit im Vergleich zum EDE nicht ausschließlich Diagnosestellung, Therapieplanung und für Ver-
auf die Psychopathologie der Essstörungen, son- laufserhebungen. Für eine reliable und valide
dern zusätzlich auf assoziierte Symptome von Ess- Durchführung des Experteninterviews liegt ein
störungen ausgerichtet. Das Inventar umfasst 87 umfangreiches Manual mit »Ankerbeispielen« aus
Items, von denen 65 den sechs Subskalen zugeord- der Praxis und mit Definitionen vor.
net sind. Weitere 22 Items ohne Subskalenzuord-
nung erheben differenzialdiagnostisch relevante
Informationen. Das SIAB-EX ist für die Essstö-
2.5 · Fragebogenverfahren für klinische Essstörungen
25 2
2.4.2 Strukturierte Interviewleitfäden 2.5.1 Fragebogenverfahren
zur Erfassung der Essstörungen für das Erwachsenenalter
(Kindes- und Jugendalter)
Eating Disorder Examination-
Das Eating Disorder Examination für Kinder Questionnaire (EDE-Q)
(ChEDE; dt. Hilbert, im Druck; engl. Bryant-Waugh Das Eating Disorder Examination-Questionnaire
et al. 1996; Fairburn u. Cooper 1993) ist die für von Fairburn und Beglin (1994; dt. Übersetzung:
Kinder und Jugendliche adaptierte Version des Ess- Hilbert u. Tuschen-Caffier 2006; Hilbert et al. 2007)
störungsinterviews Eating Disorder Examination ist die Fragebogenversion des strukturierten Exper-
(EDE; dt. Hilbert u. Tuschen-Caffier 2006) Das teninterviews Eating Disorder Examination EDE
ChEDE erfasst in kindgerechter Sprache mit vier (Fairburn u. Cooper 1993) Analog zum EDE erfasst
Subskalen zum gezügelten Essverhalten, zu Sorgen das EDE-Q mit vier Subskalen Merkmale der spe-
über das Essen, Gewicht und Figur die spezifische zifischen Psychopathologie von Essstörungen. Die
Essstörungspsychopathologie (22 Items); 14 diag- Restraint Scale (Gezügeltes Essen) und die Eating
nostische Items ermöglichen die Diagnosestellung Concern Scale (Essensbezogene Sorgen) beschrei-
von Essstörungen nach DSM-IV. Die deutschspra- ben Auffälligkeiten im Essverhalten, z. B. eine Ein-
chige Übersetzung des ChEDE wird derzeit anhand schränkung der Nahrungsaufnahme durch das
von bevölkerungsbasierten und klinischen Stich- Befolgen von Diätregeln oder Schuldgefühle beim
proben validiert. In einer nicht klinischen Teilstich- Essen. Die Weight Concern Scale (Gewichtssorgen)
probe von Kindern mit versus ohne Kontrollverlust und die Shape Concern Scale (Figursorgen) erfragen
über das Essverhalten zeigten Items und Kennwerte eine erhöhte Bedeutung von Figur oder Gewicht für
des ChEDE hohe Interrater-Reliabilitäten. Die Sub- das Selbstwertgefühl. Darüber hinaus werden diag-
skalen verfügten über adäquate interne Konsistenz nostisch relevante Kernmerkmale wie verschiedene
und Stabilität. Belege für die konvergente und dis- Arten von Essanfällen bzw. des Überessens, selbst
kriminative Validität liegen vor. Diese ersten Ergeb- herbeigeführtes Erbrechen sowie Missbrauch von
nisse weisen darauf hin, dass die deutschsprachige Diuretika und Laxanzien erhoben. Die 28 Items des
Version des ChEDE für eine reliable und valide Di- EDE-Q entsprechen dem Inhalt der obligatorischen
agnostik der Essstörungspsychopathologie im Fragen des EDE. Alle Items beziehen sich auf den
Kindesalter geeignet ist. Zu den Limitationen des Zeitraum der letzten 28 Tage. Wie im EDE sind 22
ChEDE zählt der Zeitaufwand der Gesamtdurch- Items vier Subskalen zugeordnet. Häufigkeiten und/
führung (ca. 45 Minuten). Dieser kann für diagnos- oder Intensitäten werden auf siebenstufigen veran-
tische Zwecke dadurch begrenzt werden, dass allein kerten Ratingskalen eingeschätzt (0 = »Merkmal
die zur Diagnosestellung relevanten Items vorgege- war nicht vorhanden« bis 6 = »Merkmal war jeden
ben werden. Eine weitere Limitation ist die noch Tag bzw. in extremer Ausprägung vorhanden«) Wei-
schmale Datenbasis zur deutschsprachigen Über- tere 6 Items ohne Subskalenzuordnung erfassen das
setzung. Auftreten und die Häufigkeiten diagnostisch rele-
vanter Kernmerkmale, beispielsweise Essanfälle,
selbst induziertes Erbrechen oder Missbrauch von
2.5 Fragebogenverfahren Diuretika und Laxanzien.
für klinische Essstörungen Das EDE-Q ist für Erwachsene und Jugendliche
geeignet und ermöglicht eine Erfassung von Selbst-
Für die psychologische Diagnostik der Psychopatho- beurteilungen der spezifischen Essstörungspsycho-
logie klinisch relevanter Essstörungen steht eine be- pathologie in der klinisch-psychologischen Praxis
trächtliche Anzahl an Verfahren zur Verfügung, die und Forschung. Das EDE-Q ist beschreibend oder
hier nicht alle beschrieben werden können. Die Aus- als initiales Screeningverfahren in einem mehr-
wahl der Verfahren orientierte sich vor allem daran, stufigen diagnostischen Prozess einsetzbar. Im Ver-
ob die Verfahren im klinischen Kontext einsetzbar gleich zum EDE gilt die Verwendung des EDE-Q
und sinnvoll sind sowie an deren Verfügbarkeit. insbesondere dann als indiziert, wenn aus Gründen
26 Kapitel 2 · Diagnostik von Essstörungen
der Ökonomie ein strukturiertes Experteninterview Thiel (2004) haben. Unabhängig von Itemkodie-
wie das EDE nicht durchgeführt werden kann. Die rung und Übersetzungsvariante zeigt sich eine hohe
Durchführungszeit des EDE-Q beträgt in der Regel Übereinstimmung in den Evaluationsbefunden des
2 weniger als 15 Minuten. EDI (z. B. Rathner u. Waldherr 1997; Thiel et al.
Die Auswertung des EDE-Q erfolgt durch die 1997). So sind die internen Konsistenzen der drei
Berechnung von Subskalenmittelwerten und Aus- Skalen in klinischen Gruppen gut bis sehr gut. In
wertungen einzelner diagnostischer Items; ein Ge- nicht klinischen Gruppen, und hier besonders bei
samt(mittel)wert aus den 22 Items mit Subskalen- männlichen Probanden, fallen nur bei der Skala
zuordnung kann berechnet werden. »Bulimie« die Werte in den suboptimalen Bereich
Die psychometrische Evaluation zeigte gute in- ab. Die diskriminative Validität der drei Skalen zeigt
terne Konsistenzen der Subskalen von .84 ≤ Cron- sich in Mittelwertsunterschieden zwischen klini-
bach α ≤ .93. Über einen Zeitraum von drei Mo- schen und nicht klinischen Gruppen. Die Befunde
naten lag die Retest-Reliabilität der Subskalen bei zur faktoriellen Validität sind hingegen uneindeu-
.68 ≤ rtt ≤ .74. Die Reliabilität des EDE-Q ist somit tig. Dies könnte jedoch in erster Linie darauf zu-
als gut zu bezeichnen. Referenzwerte liegen für rückzuführen sein, dass die Skala »Schlankheits-
Frauen vor (vgl. Hilbert et al. 2007). Der Fragebogen streben« auch Aspekte der Figurunzufriedenheit
und die für die Auswertung erforderlichen Materi- erfasst, wie Ergebnisse zur Konstruktvalidität zeig-
alien sind elektronisch verfügbar (http://www.vfp- ten. Für die Änderungssensitivität des Verfahrens
muenster.de/publikationen/online.html) spricht, dass sich in einer Reihe von Therapiestudien
Limitationen ergeben sich – wie bei allen Selbst- zum Teil Verbesserungen in den Skalenwerten er-
einschätzungsskalen – dahingehend, dass das EDE-Q gaben. Die Brauchbarkeit für den klinischen Alltag
kein Instrument zur Erfassung von klinischen Diag- ist insbesondere für die essstörungsorientierten
nosen ist, sondern lediglich als Screeninginstrument Subskalen »Schlankheitsstreben«, »Bulimie« und
und zur Quantifizierung des Verlaufs der Essstö- »Körperunzufriedenheit« gegeben. Diese Skalen
rungen aus Sicht der Patientinnen einsetzbar ist. Ein weisen auch gute psychometrische Kennwerte auf.
strukturiertes Experteninterview zur Diagnosestel- Bei Jugendlichen wurden die psychometrischen
lung (EDE oder SIAB-EX) ist durch das EDE-Q nicht Gütekriterien des EDI-2 von Paul und Thiel (2004)
ersetzbar. ebenfalls überprüft (Salbach-Andrae et al., 2010).
Die Werte der inneren Konsistenzen sind für die
Eating Disorder Inventory (EDI, EDI-2) Patientinnengruppe als hoch, für die weibliche und
Das EDI (Garner et al. 1983; deutschsprachige männliche Kontrollgruppen als befriedigend bis
Übersetzungen u. a. Paul u. Thiel 2004; Rathner u. ausreichend einzustufen. Mittelwertsvergleiche der
Waldherr 1997) zielt darauf ab, Symptome zu erfas- einzelnen Skalen des EDI-2 zwischen essgestörten
sen, die häufig mit den Störungsbildern der AN und Patientinnen und Kontrollprobanden zeigen, dass
der BN verknüpft sind. Eine aktuelle Version (EDI- der EDI-2 gut zwischen den verschiedenen Grup-
2, Garner 1991) umfasst 91 Items bzw. 11 Skalen: (1) pen Jugendlicher differenzieren kann.
Schlankheitsstreben, (2) Bulimie, (3) Körperunzu- Limitationen des EDI-2 ergeben sich demnach
friedenheit, (4) Minderwertigkeitsgefühle, (5) Per- dahingehend, dass nicht alle Subskalen gute psycho-
fektionismus, (6) Zwischenmenschliches Misstrau- metrische Kennwerte aufweisen. Zudem handelt es
en, (7) Interozeption, (8) Angst vor dem Erwach- sich um ein Selbstbeurteilungsinstrument mit den
senwerden, (9) Askese, (10) Impulsregulierung so- damit üblicherweise verbundenen Einschrän-
wie (11) Soziale Unsicherheit. Durch diese kungen (z. B. Antworttendenzen). Als Screeningin-
Erweiterung beziehen sich letztlich nur noch ca. strument und zur Quantifizierung von Verläufen
25 % der Items auf die Primärsymptomatik von Ess- aus der Sicht der Patientinnen kann das Verfahren
störungen. Vom EDI bzw. EDI-2 existieren mehrere – insbesondere die drei störungsorientierten Ska-
Versionen (z. B. Paul u. Thiel 2004; Rathner u. Rai- len: (1) Schlankheitsstreben, (2) Bulimie, (3) Körper-
ner 1997; Rathner u. Waldherr 1997). Die weiteste unzufriedenheit – in der klinischen Praxis und For-
Verbreitung dürfte dabei die Version von Paul und schung von Nutzen sein.
2.5 · Fragebogenverfahren für klinische Essstörungen
27 2
Fragebogen zum Essverhalten (FEV) von Fichter und Quadflieg (1999a, 2001) ist die
Der FEV ist die deutsche Version des Three-Factor Fragebogenversion des Inventars zur Experten-
Eating Questionnaire TFEQ (Pudel u. Westenhöfer beurteilung SIAB-EX. Anhand des Verfahrens
1989; Stunkard u. Messick 1985) Der Fragebogen können aus der Sicht der Patientinnen sowohl
besteht aus 44 Items, die dichotom mit »trifft zu« Symptome von Essstörungen als auch Symptome
oder »trifft nicht zu« beantwortet werden müssen; von psychischen Störungen erfasst werden, die
13 Items, die auf einer vierstufigen Skala von »nie« häufig mit Essstörungen einhergehen. Die 87 Items
bis »immer« beantwortet werden müssen, und drei des SIAB-S entsprechen inhaltlich den Items
Fragen mit sechs bis acht Wahlmöglichkeiten. Das des Experteninterviews (SIAB-EX), nur dass sie
Verfahren erlaubt die Erfassung von drei Faktoren für den Laien allgemein verständlich formuliert
des Essverhaltens: sind. Auch die Subskalenzuordnung stimmt weit-
4 kognitive Kontrolle (Beispiel-Items: »Wenn ich gehend überein. Bei jedem Item werden zu-
die Kalorienmenge erreicht habe, die ich mir als nächst die aktuellen Ausprägungen eines Symp-
Grenze gesetzt habe, gelingt es mir meistens, mit toms erfragt, bezogen auf die letzten drei Monate;
dem Essen aufzuhören.« »Ich esse absichtlich danach wird nach dem Vorkommen der Symptome
kleine Portionen, um nicht zuzunehmen.«), in der weiter zurückliegenden Vergangenheit ge-
4 Störbarkeit des Essverhaltens (»Ich kann mich fragt.
bei einem leckeren Duft nur schwer vom Essen Das SIAB-S ist für die Essstörungsdiagnostik Er-
zurückhalten, auch wenn ich vor kurzer Zeit wachsener und Jugendlicher in der klinisch-psycho-
erst gegessen habe.« »Ich esse gewöhnlich zu logischen Praxis und Forschung geeignet. Die Durch-
viel, wenn ich in Gesellschaft bin, z. B. bei Festen führungszeit des SIAB-S umfasst 30 Minuten. Die
und Einladungen.«), internen Konsistenzen der Subskalen des SIAB-S
4 erlebte Hungergefühle (»Ich bin meistens so können überwiegend als zufriedenstellend beurteilt
hungrig, dass ich öfter zwischen den Mahlzeiten werden. Die Subskalen des SIAB-S sind zum Teil
esse.« »Weil ich zu großen Appetit habe, fällt es deutlich korreliert.
mir schwer, eine Diät einzuhalten.«) Die konvergente Validität des SIAB-S wird
durch eine Reihe inhaltlich plausibler Korrelatio-
Der Fragebogen verfügt über eine gute interne Kon- nen mit konzeptverwandten Selbstbeurteilungs-
sistenz. Es liegen Referenzwerte für große Bevöl- fragebögen und dem Eating Disorder Examination
kerungsstichproben vor. Die Faktorenstruktur des bestätigt. Des Weiteren weist die hauptkomponen-
Bogens ist allerdings umstritten. Gut anerkannt ist tenanalytisch hergeleitete Subskalenstruktur des
nur der Faktor »kognitive Kontrolle«. Insgesamt SIAB-S auf die Konstruktvalidität des Verfahrens
handelt es sich um den weltweit zur Untersuchung hin. Die inhaltlich-logische Validität des Verfah-
von Essverhalten am meisten eingesetzten Bogen. rens ist gegeben. Die diagnostische Sensitivität des
Dabei wurde er aber überwiegend bei Patientinnen SIAB-S hinsichtlich einer Unterscheidung von defi-
mit Übergewicht und BES erprobt und kann bei Be- nierten Essstörungen (AN und BN) und nicht näher
achtung der Limitation Kooperationsbereitschaft bezeichneten Essstörungen wurde belegt. Für die
zum Screening auf das Vorliegen von Essstörungen Änderungssensitivität von Subskalen des SIAB-S
in der klinischen Praxis eingesetzt werden. Weiter- und des Gesamtwerts sprechen signifikante Ver-
hin eignet sich der Fragebogen zur Quantifizierung änderungen durch stationäre Psychotherapie im
des Ausmaßes von gezügeltem Essverhalten und Anschluss an und nach mehrjährigen Follow-up-
Störbarkeit des Essverhaltens im Therapieverlauf. Zeiträumen (z. B. Fichter u. Quadflieg 1997, 1999b;
Fichter et al. 1998b). Referenzwerte liegen überwie-
Strukturiertes Inventar für Anorektische gend für Frauen vor.
und Bulimische Essstörungen Limitationen ergeben sich – wie bei allen Selbst-
zur Selbsteinschätzung (SIAB-S) einschätzungsskalen – dahingehend, dass das Ver-
Das Strukturierte Inventar für Anorektische und fahren zwar als Screeninginstrument und zur Quan-
Bulimische Essstörungen zur Selbsteinschätzung tifizierung des Verlaufs der Essstörungen einsetzbar
28 Kapitel 2 · Diagnostik von Essstörungen
geeichtem Instrumentarium, vorzugsweise durch Muskelmasse. Der wichtigste Moderator dieser Be-
den betreuenden Arzt oder Psychologen selbst. Die ziehung ist Sport. Menschen, die intensiv Kraft-Aus-
Patientin sollte in Unterkleidung ohne Schuhe ge- dauer-Leistung trainieren, können übergewichtig
2 wogen und gemessen werden. Die Delegation dieser oder sogar adipös sein, ohne ein vergrößertes Fett-
Leistung an Hilfspersonen oder Übernahme der kompartiment zu haben. Umgekehrt können über-
Angaben der Patientinnen selbst ist mit einem si- gewichtige, körperlich inaktive Patientinnen eine
gnifikanten Fehlbewertungsrisiko verbunden (bei- kleinere Muskelmasse haben als hyperaktive Patien-
spielsweise Unterschätzung des Risikos durch Un- tinnen mit AN. Bei der Bewertung des mit einem
tergewicht aufgrund einer fehlerhaft niedrigen Grö- erhöhten BMI verbundenen Gesundheitsrisikos ist
ßenangabe oder Wägung nach Konsum größerer zu beachten, dass die Fettverteilung zwischen dem
Flüssigkeitsmengen) viszeralen und subkutanen Kompartiment im BMI
Als Bewertungsmaßstab zur Beurteilung des nicht abgebildet ist. So können bereits normalge-
Körpergewichtes wird der Body-Mass-Index (BMI) wichtige Personen ein erhöhtes viszerales Fettkom-
verwendet. Er errechnet sich nach der Formel partiment haben und übergewichtige Personen ein
BMI = Körpergewicht (kg)/Körpergröße (m2) Eine unauffälliges viszerales Fettkompartiment. Bei der
Person mit 60 kg Körpergewicht und 1,70 m Kör- Risikobewertung im untergewichtigen Bereich ist zu
pergröße hat z. B. einen BMI von 20,8 kg/m2. In der beachten, dass ein stabiles Untergewicht bezüglich
Literatur finden sich detaillierte Angaben zur Vertei- kardiovaskulärer Risiken weniger riskant ist als ein
lung des BMI in verschiedenen Referenzpopulati- schneller Gewichtsverlust in diesem Bereich. Weiter-
onen und Altersgruppen sowie zum Zusammenhang hin ist zu berücksichtigen, dass eine Zunahme des
zwischen BMI und verschiedenen Gesundheitsri- Wasserkompartiments, z. B. bei Ödemen, das Risiko
siken. Für klinische Zwecke kann der BMI bei Er- bei Untergewicht verschleiern kann.
wachsenen beider Geschlechter unter Verwendung Für Kinder und Adoleszente ist es sinnvoll,
der folgenden Einteilung interpretiert werden BMI-Perzentiltabellen zu verwenden, die in den
(WHO Global Database on Body Mass Index, WHO meisten Lehrbüchern der Pädiatrie enthalten sind.
technical report 854): Hilfreich sind dabei auch verschiedene Internet-
4 hochgradiges Untergewicht BMI <16 kg/m2, Webseiten, die BMI-Rechner und Perzentiltabellen
4 mäßiggradiges Untergewicht BMI 16 bis für Jugendliche anbieten. In aktuellen Übersichten
16,99 kg/m2, (Hebebrand 2009; Herpertz-Dahlmann 2009) wird
4 leichtgradiges Untergewicht BMI 17 bis als Richtwert für das anzustrebende Zielgewicht die
18,49 kg/m2, 25. Altersperzentile, nach Möglichkeit mindestens
4 Normalbereich BMI 18,50 bis 24,99 kg/m2, die 10. Altersperzentile genannt. In einer Studie
4 Übergewicht BMI 25 bis 29,99 kg/m2, (Golden et al. 2008) lag der Mittelwert für den BMI
4 Adipositas Grad I BMI 30 bis 34,99 kg/m2, bei Wiedereinsetzen der Menstruation bei adoles-
4 Adipositas Grad II BMI 35 bis 39,99 kg/m2, zenten Patientinnen mit AN auf der 27. Perzentile,
4 Adipositas Grad III BMI ≥ 40 kg/m2. bei 50 % der Probandinnen setzte die Menstruation
zwischen der 14. und 39. Perzentile wieder ein. Als
Unter klinischen Gesichtspunkten kann das hoch- Kriterium für Untergewicht wird in den Leitlinien
gradige Untergewicht noch in zwei Stufen unterteilt der Fachgesellschaft ein Unterschreiten der 10. BMI-
werden: hochgradiges Untergewicht Grad I mit Perzentile, als extremes Untergewicht und Indika-
BMI 13,0 bis 15,99 und hochgradiges Untergewicht tion für eine stationäre Behandlung das Unter-
Grad II mit BMI < 13,0 kg/m2. Das Rational hierfür schreiten der 3. BMI-Perzentile bei Kindern und
ist die deutlich erhöhte Mortalität bei Patientinnen Jugendlichen definiert (DGKJPP 2007)
mit AN unterhalb eines BMI von 13,0 kg/m2. Entsprechend den Vorgaben der ECOG (Poskitt
Bei der Verwendung des BMI zur Bewertung 1995) empfiehlt die AGA (Arbeitsgemeinschaft
des Gesundheitsrisikos sind folgende Limitationen Adipositas im Kindes- und Jugendalter 2009) die
zu beachten: Der BMI hat eine hohe, aber keine sehr Verwendung des 90. bzw. des 97. Perzentils der
hohe Korrelation mit der Fettmasse und mit der oben vorgestellten Referenzdaten als Grenzwert zur
2.6 · Medizinische Diagnostik
31 2
Definition von Übergewicht bzw. Adipositas. Die Gefäßstatus
extreme Adipositas wird über einen BMI > 99,5. Per- Häufig bei AN ist eine Akrozyanose. Diese Patien-
zentil definiert. Diese rein statistische Festlegung tinnen sind bei Kälteexposition erhöht durch Er-
der Grenzwerte ermöglicht bei Verwendung der frierungen gefährdet.
neuen Referenzstichprobe für deutsche Kinder und
Jugendliche einen nahezu kontinuierlichen Über- Mundhöhle, Speicheldrüsen
gang zu den o. g. festen Grenzwerten im Erwachse- Insbesondere Patientinnen, die erbrechen, haben
nenalter. häufiger Zahnschäden mit charakteristischen
Mustern von Erosionen, Veränderungen der Mund-
Herzfrequenz, Blutdruck schleimhaut und Vergrößerung der Ohrspeichel-
und Orthostasetest drüsen und Zungengrundspeicheldrüsen. Die Kon-
Eine Bradykardie mit einer Herzfrequenz von unter zentration der Speichel-Amylase im Serum ist bei
40/Minute, eine Tachykardie mit einer Herzfre- Patientinnen mit Essstörung in Abhängigkeit von
quenz von über 110/Minute in Ruhe, ein Blutdruck der bulimischen Symptomatik erhöht. Die Betrof-
von unter 90/60 mmHg, ein Abfall des Blutdrucks fenen benötigen regelmäßige zahnärztliche Kon-
von > 20 mmHg oder ein Anstieg von > 20 der Herz- trollen, Behandlung und eine gezielte Beratung zur
frequenz im Orthostasetest sind Gefährdungsin- Zahnpflege. Die ausgeprägten Zahnschäden kön-
dikatoren, bei denen die Notwendigkeit einer sta- nen eine schwerwiegende lebenslange gesundheit-
tionären Behandlung überprüft werden sollte. Etwa liche Belastung bilden. Die Vergrößerung der Ohr-
43 % der Patientinnen mit einer AN haben eine speicheldrüsen und Zungengrundspeicheldrüsen
Herzfrequenz von weniger als 60/Minute, etwa 17 % ist ein wichtiges Element der Blickdiagnostik bei
von weniger als 50/Minute. Essstörungen.
Körpertemperatur Hautoberfläche
Bei bis zu 22 % der Patientinnen mit AN besteht Trockene Haut, Haarverlust, Akne, Störungen der
eine Hypothermie mit weniger als 36,0°C. Eine zen- Hautpigmentierung, Gelbfärbung der Haut bei Hy-
tral gemessene Körpertemperatur von 36,0°C oder perkarotinämie, Petechien, neurodermitische Verän-
niedriger stellt einen Gefährdungsindikator dar und derungen, Livedo-Vaskulitis, Intertrigo, generali-
sollte veranlassen, die Notwendigkeit einer statio- sierter Juckreiz, Hautinfektionen und Striae dis-
nären Behandlung zu überprüfen. tensae werden bei allen Formen von Essstörungen
beobachtet. Bei untergewichtigen Patientinnen be-
steht häufig eine typische Lanugo-Behaarung. Pa-
2.6.3 Internistische Untersuchung tientinnen, die Erbrechen induzieren, können
Schwielen am Handrücken der dominanten Hand
Thorax aufweisen (Russell’s Sign) Häufig stellen die Betrof-
Bei AN besteht gehäuft ein Mitralklappenprolaps. fenen keine Beziehung zwischen der Essstörung
Spezifische therapeutische Konsequenzen lassen und den Hautveränderungen her. Manchmal wer-
sich allerdings hiervon nicht ableiten. Arrhythmo- den die Hautveränderungen als »Allergien« gedeu-
gene Effekte eines Mitralklappenprolaps stellen bei tet. Hieraus abgeleitete Diäten können die Essstö-
ausgeprägt untergewichtigen Patientinnen einen rung verschlimmern.
zusätzlichen Gefährdungsfaktor dar.
Knochendichte
Abdomen Die Knochendichte ist bei AN frühzeitig erheblich
Häufig bei allen Formen von Essstörungen sind vermindert. Eine routinemäßige Untersuchung der
Veränderungen der gastrointestinalen Motilität. Knochendichte kann nicht empfohlen werden, da
Selten ist ein akutes Abdomen beispielsweise bei sich hieraus keine spezifischen weiteren diagnosti-
akuter Magendilatation. Dies stellt eine akute vitale schen oder therapeutischen Konsequenzen ergeben.
Gefährdung dar. Die Indikation ergibt sich aus Spontanfrakturen.
32 Kapitel 2 · Diagnostik von Essstörungen
Elektrolyte Nebenniere
Unter intensivem Erbrechen, aber auch Wiederer- Die Sekretion des Stresshormons Kortisol ist bei AN
nährung können rasche Veränderungen der Elek- regelmäßig und bei anderen Formen von Essstö-
trolytkonzentrationen auftreten. Insbesondere bei rungen in Einzelfällen gesteigert. Eine routine-
Dehydratation kann Kalium im Serum im Re- mäßige Bestimmung von Kortisol kann nicht emp-
ferenzbereich, das intrazelluläre Kalium aber erheb- fohlen werden, da sich hieraus keine spezifischen
lich vermindert sein. Etwa 20 % der Patientinnen weiteren diagnostischen oder therapeutischen Kon-
mit Essstörung weisen eine Hypokaliämie auf, etwa sequenzen ergeben.
7 % eine Hyponatriämie und etwa 6 % niedrige
Konzentrationen von Kalzium. Hypophosphatämie Schilddrüse
tritt vor allem bei parenteraler Wiederernährung Bei AN bestehen regelmäßig, bei BN in Einzelfällen
auf, kann aber auch Folge von hohem Kohlenhy- verminderte Konzentrationen von Trijodothyronin
dratkonsum nach einer längeren Fastenphase sein. (»low-T3-Syndrom«) Die Empfehlung, ausschließ-
Ähnliche Zusammenhänge gelten auch für Hypo- lich TSH zu bestimmen, richtet sich auf die Not-
magnesämie. Eine Konzentration von Kalium von wendigkeit, nicht direkt mit einer Essstörung in
3,0 mmol/l ist ein Gefahrenindikator, insbesondere Beziehung stehende Schilddrüsenerkrankungen
in Verbindung mit EKG-Veränderungen. Eine sta- auszuschließen (z. B. Hashimoto-Thyreoiditis) Eine
tionäre Behandlung muss erwogen werden. routinemäßige Bestimmung von T3 kann nicht
empfohlen werden, da sich hieraus keine spezifi-
Blutglukose schen weiteren diagnostischen oder therapeutischen
Auch bei ausgeprägter Mangelernährung ist die Konsequenzen ergeben.
Blutglukose meist im unteren Referenzbereich. Im
Zusammenwirken mit anderen Faktoren wie In- Sexualhormone
fektionskrankheiten oder Intoxikationen können Bei AN finden sich regelmäßig verminderte Kon-
lebensbedrohliche Hypoglykämien auftreten. Eine zentrationen von Östradiol, Progesteron und Lu-
Glukosekonzentration von weniger als 60 mg/dl ist teinisierungshormon (LH) Auch die anderen For-
ein Gefahrenindikator. Eine stationäre Behandlung men von Essstörungen weisen häufig Störungen der
muss erwogen werden. Sexualhormonsekretion auf. Eine routinemäßige
Bestimmung von Sexualhormonen kann nicht
Niere empfohlen werden, da sich hieraus keine spezifi-
Aufgrund der verminderten Muskelmasse sind die schen weiteren diagnostischen oder therapeutischen
Konzentrationen von Kreatinin bei AN typischer- Konsequenzen ergeben.
weise im niedrigen Referenzbereich. Chronische
Hypokaliämie, insbesondere bei andauerndem Er-
brechen und Laxanzienmissbrauch, können bei
einzelnen Patientinnen mit einer Essstörung zu
2.7 · Differenzialdiagnostische Überlegungen
33 2
2.6.5 Neurologische Untersuchung 4 infektiöse Erkrankungen (Tuberkulose, Para-
sitosen, systemische Pilzerkrankungen, HIV),
Bildgebende Untersuchungen 4 psychische Störungen (Depression, Angst- und
des Gehirns Zwangsstörungen, somatoforme Störungen,
Häufige Befunde bei AN und BN sind Erweiterun- Schizophrenie),
gen der äußeren und inneren Liquorräume. Eine 4 Drogen und Substanzmissbrauch (Polytoxiko-
routinemäßige bildgebende Untersuchung des Ge- manie, Heroin, Amphetamine)
hirns (CT oder MRT) kann nicht empfohlen wer-
den, da sich hieraus keine spezifischen weiteren Bei Patientinnen mit Erbrechen sind differenzial-
diagnostischen oder therapeutischen Konsequenzen diagnostisch zu erwägen:
ergeben. Die Indikation ergibt sich aus Auffällig- 4 Tumorerkrankungen des Gehirns (insbesonde-
keiten des neurologischen Befundes. re hypothalamische Tumoren),
4 endokrinologische Erkrankungen (Diabetes,
Schwangerschaftserbrechen),
2.7 Differenzialdiagnostische 4 gastrointestinale Erkrankungen (Magen- oder
Überlegungen Duodenalulcera, chronische Pankreatitis, in-
testinale Parasitosen, Bindegewebsstörungen
Die Diagnose einer Essstörung ist nur selten eine mit Beteiligung des Gastrointestinaltraktes wie
Ausschlussdiagnose. AN ist die häufigste Ursache Sklerodermie)
von ausgeprägtem Untergewicht in der Adoleszenz
und im jungen Erwachsenenalter in der westlichen Aus den genannten Erkrankungen ergibt sich aller-
Gesellschaft. Eine Schwierigkeit besteht in der Ab- dings nur selten ein ähnliches zeitliches Verhaltens-
grenzung AN mit leichtgradigem Untergewicht zu muster von Erbrechen wie bei einer typischen Ess-
konstitutionellen Formen von Untergewicht. Bei störung.
konstitutionellem Untergewicht fehlen die psychi- Bei Patientinnen mit Übergewicht sind diffe-
schen Merkmale einer Essstörung, die endokrinolo- renzialdiagnostisch zu erwägen:
gischen Funktionen sind unauffällig, es besteht ins- 4 Bewegungsmangel, z. B. sitzender Lebensstil,
besondere keine Amenorrhoe. Eine schwierige Ab- große Anzahl von Stunden vor einem Bild-
grenzung besteht zwischen der BES und nicht durch schirm, ungünstige Nahrungszusammenset-
eine Essstörung bedingtem Übergewicht. Hier ist zu zung,
beachten, dass die häufigste Ursache von Über- 4 schlechte Nahrungsqualität (»Junk Food«, zu-
gewicht Bewegungsmangel ist, und die nicht ess- ckerhaltige Getränke, fettreiche Ernährung),
gestörten Übergewichtigen nur Formen von 4 Konsum von Alkohol, Cannabis oder anderen
Überernährung aufweisen, die nicht als Essanfälle appetitsteigernden Substanzen,
klassifiziert werden können. Neurologische oder 4 endokrine Erkrankungen (Cushing Syndrom,
endokrinologische Erkrankungen, die die körper- Hypothyreoidismus, Insulinome),
lichen und psychischen Merkmale einer buli- 4 neurologische Störungen (Schädigung des me-
mischen Essstörung imitieren, sind selten. dialen Hypothalamus, Kraniopharyngeom),
Bei untergewichtigen Patientinnen sind diffe- 4 genetische Syndrome.
renzialdiagnostisch zu erwägen:
4 Tumorerkrankungen (Gehirn, Magen, Pankreas,
Lunge, Lymphome, Leukämie),
4 endokrinologische Erkrankungen (Diabetes,
Hyperthyreose, Nebenniereninsuffizienz),
4 gastrointestinale Erkrankungen (Sprue, zysti-
sche Fibrose, Oesophagusstenose, chronische
Okklusion der Arteria mesenterica superior,
Morbus Crohn, Colitis Ulcerosa),
34 Kapitel 2 · Diagnostik von Essstörungen
. Tab. 2.1 Bereiche klinisch relevanter Essstörungen, die durch das EDE abgefragt werden. (Mod. nach Hilbert u.
2 Tuschen-Caffier 2006)
3.1 Therapiemotivation – 38
3.5 Literatur – 45
werden die Patientinnen über das weitere Vorgehen So ist darauf zu achten, dass die Patientin das
(weitere diagnostische Erhebungen, Therapiestra- Erklärungsmodell gut versteht und behalten kann
tegien, -ablauf) informiert. Damit es gelingt, einen und dass sie es außerdem glaubwürdig findet und für
guten Kontakt aufzubauen, setzt der Therapeut im sich selbst annehmen kann (Fiegenbaum et al. 1992;
Erstgespräch (wie auch in der gesamten Therapie) Tuschen-Caffier et al. 2005). Bei der Vermittlung
Strategien der Gesprächsführung ein, die der Ent- eines glaubwürdigen Erklärungsmodells während
3 pathologisierung von Gedanken, Gefühlen oder der Sitzung zur kognitiven Vorbereitung auf die
Verhaltensweisen dienen, über die Patientinnen in Therapie wird weitgehend interaktiv vorgegangen.
der Regel nur ungern oder unter starken Scham- Die Patientinnen werden angeleitet, das Erklä-
und Schuldgefühlen berichten (vgl. Frank u. Frank rungsmodell anhand eigener Beispiele durchzuspie-
2009). In . Tab. 3.1 sind einige Beispiele dazu aufge- len. Sie werden durch konkrete Fragen zu eigenen
führt (7 Abschn. 3.4: Anhang). Schlussfolgerungen angeregt und nicht zuletzt aus-
Erfahrungsgemäß führt das Entpathologisieren drücklich gebeten, ihre Bedenken, Zweifel und Fra-
auf Seiten der Patientinnen dazu, dass sie offener gen frei zu äußern und – wenn möglich – auch eige-
über schwierige Themen (z. B. Essanfälle, Erbre- ne Erfahrungen zu berichten, die mit dem Erklä-
chen) sprechen können. Zudem wird der Therapeut rungsmodell in Widerspruch zu stehen scheinen.
nun als jemand erlebt, der sich mit Essproblemen Die Aufgabe des Therapeuten besteht dann darin,
offensichtlich gut auskennt, wenn es ihm gelingt, nach der Methode des geleiteten Entdeckens die
detailliert Bespiele zu bringen. Dadurch wird ver- offenen Fragen von den Patientinnen selbst beant-
mutlich die Entwicklung einer vertrauensvollen worten zu lassen und die Kompatibilität ihrer
Therapeut-Patientin-Beziehung gefördert. Erfahrungen mit dem Modell zur Erklärung der
Zum Abschluss des Erstgespräches werden die Essstörung herauszuarbeiten. Bei der Gesprächs-
Patientinnen darüber informiert, dass sie sich zu- führung achtet der Therapeut darauf, mögliche Ein-
nächst einer umfassenden medizinischen und psy- wände zu antizipieren und in das Erklärungsmodell
chologischen Diagnostik unterziehen müssen, an- zu integrieren. Dies gilt auch für die Ableitung des
hand derer abgeklärt wird, ob eine Psychotherapie Veränderungsmodells, das heißt für den Therapie-
erfolgversprechend ist. Ebenso kann auch erst nach vorschlag. Die Patientinnen werden angeregt, unge-
der Diagnostik ein individueller Therapieplan erar- achtet der Umsetzbarkeit, zunächst so viele Ideen
beitet werden. Mit der Durchführung der Diagnos- wie möglich zur Veränderung der Problematik zu
tik ist also noch keine Therapiezusage verbunden. generieren (z. B. weiterhin Diät halten und als »Aus-
gleich« gegenüber Mangelzuständen Vitamintablet-
Gesprächsführung im Rahmen ten einnehmen; vielseitiger essen; mehr Sport trei-
der kognitiven Vorbereitung ben etc.). Anschließend werden sie aufgefordert,
auf die Psychotherapie sich vorzustellen, dass sie ab sofort ihr Essverhal-
Nachdem die weiteren diagnostischen Erhebungen ten in gesundheitsförderlicher Richtung verändern
durchgeführt wurden (7 Kap. 2 »Diagnostik von Ess- (z. B. regelmäßiger und ausgewogener essen), und
störungen«), findet eine Sitzung zur kognitiven Vor- sie werden dann nach ihren Erwartungen in Bezug
bereitung auf die Behandlung statt. In dieser Sitzung auf kurz- und langfristige Folgen befragt. Dabei fin-
werden der Patientin die wesentlichen diagnos- den insbesondere Strategien der kognitiven Thera-
tischen Befunde zurückgemeldet, und gemeinsam pie Anwendung (z. B.: »Was spricht für bzw. gegen
wird ein Modell der Ätiologie der (individuellen) eine Gewichtszunahme?« etc.). Zum Abschluss des
Essstörungsproblematik sowie der Veränderbarkeit Gesprächs fasst der Therapeut die besprochenen
(Therapiemodell) der Probleme erarbeitet (zur Ver- Vor- und Nachteile für oder gegen die Therapie
tiefung: Tuschen-Caffier et al. 2005). Bei der kogni- nochmals zusammen, greift die Bedenken der Pa-
tiven Vorbereitung auf die Behandlung sollte der tientin auf, zeigt Verständnis für ihre Bedenken und
Therapeut eine Reihe von Regeln zur Gesprächs- räumt – sofern dies ihr Gesundheitszustand erlaubt
führung beachten, die erheblich zur Motivierung – eine Bedenkzeit ein, innerhalb derer sie sich für
für eine Therapie beitragen können. oder gegen die Therapie entscheiden kann. Die
3.2 · Die Gestaltung der therapeutischen Beziehung
41 3
Selbstständigkeit der Entscheidung, das wiederhol- ker der Therapeut die Patientinnen argumentativ
te Abwägen der Vor- und Nachteile der Therapie auf zu überzeugen versucht, desto mehr werden sie ihre
der Grundlage einer detaillierten Information über Denk- und Argumentationsweise im Sinne eines
die Anforderungen der Therapie sowie über mög- »Bumerang-Effekts« dagegen absetzen. Dieser so
liche Folgen bei Nichtbehandlung (z. B. Fortbeste- genannte Widerstand kann konstruktiv aufgelöst
hen der Essstörung; gravierende körperliche Folgen werden, wenn der Therapeut die Gedanken, Ge-
wie Herzrhythmusstörungen bis hin zum Herzstill- fühle, Ziele etc. der Patientin ernst nimmt, seine
stand), ist eine gute Möglichkeit, um Eigenmotiva- eigene Position relativiert und deutlich macht,
tion und Kooperationsbereitschaft auf Seiten der dass ihre Sichtweise durchaus nachvollziehbar ist.
Patientinnen herzustellen. Gleichzeitig werden eher beiläufig Informationen
vermittelt, die die Motivation für Veränderung
Gesprächsführung im Verlauf einer wecken können.
verhaltenstherapeutischen Behandlung
Während der gesamten Therapie berücksichtigt der Beispiel
Therapeut bei seiner Gesprächsführung, dass Pa- »Jeder anderen Patientin würde ich empfehlen, die
tientinnen mit Essstörungen in der Regel eine ambi- Ernährung umzustellen, denn dadurch gehen die
valente Änderungsmotivation haben (z. B. die Ess- Essanfälle erfahrungsgemäß deutlich zurück. Aber
anfälle loswerden, aber nicht zunehmen wollen). Sie sind sich da ja ganz sicher, dass das bei Ihnen
Nicht nur, aber gerade auch sie reagieren häufig so- nicht helfen wird ... Und so, wie ich Sie einschätze,
zusagen mit Widerstand oder Reaktanz, wenn sie sagen Sie das ja nicht nur so daher, sondern Sie
sich zu bestimmten Veränderungen gedrängt füh- haben da bestimmt Erfahrungen gemacht oder Über-
len. So ist es beispielsweise für viele Patientinnen legungen angestellt, die Ihre Ansicht untermauern.
mit einer AN oder BN äußerst aversiv, gemeinsam Lassen Sie uns doch zunächst mal darüber reden ...«
mit dem Therapeuten eine Mahlzeit einzunehmen. (Weitere Beispiele zu dieser so genannten system-
Sie fühlen sich beobachtet, kontrolliert und unter immanenten Gesprächsführung im Rahmen der Kog-
Druck gesetzt, ihren Teller leer essen zu müssen. Sie nitiven Therapie in: Tuschen-Caffier u. Florin 2002;
setzen daher mehr oder weniger offensichtlich Ver- Tuschen-Caffier 2005)
meidungsstrategien ein (z. B. Termine hinauszö-
gern oder absagen); ferner zeigen sie Reaktanz ge- Therapeutische Aufgaben, beispielsweise Expositio-
genüber den als unangenehm erlebten Verände- nen gegenüber der Figur oder ein veränderter Ess-
rungsversuchen des Therapeuten, indem sie sich stil, werden als Aufgaben eingeführt, anhand derer
beispielsweise nicht an Vereinbarungen halten (z. B. die Patientinnen mit Unterstützung des Thera-
weiterhin ausschließlich kalorienarme Nahrungs- peuten herausfinden können, inwiefern die in der
mittel essen). Der Therapeut sollte vermeiden, kognitiven Vorbereitung erarbeiteten Erklärungs-
durch die Art seiner Gesprächsführung in die Rolle muster angemessen sind. Ferner sollen die Verhal-
einer sanktionierenden Erziehungsperson zu rut- tensexperimente dazu dienen, Einflussmöglich-
schen und quasi mit »erhobenem Zeigefinger« da- keiten auf die Wirkmechanismen ihrer Probleme zu
rüber zu wachen, dass die Patientinnen den Emp- erproben. Wenn therapeutische Aufgaben als Ver-
fehlungen Folge leisten. Stattdessen macht er immer haltensexperimente vorgestellt werden, sind die Pa-
wieder deutlich, dass letztlich die Patientin selbst tientinnen häufig motivierter, auch stark angst-
für den Therapieerfolg und für das Tempo der Ver- besetzte Änderungen (z. B. Veränderung des Ess-
änderungen verantwortlich ist. Entsprechend der verhaltens in Richtung eines normalgesunden
Reaktanztheorie (zum Überblick vgl. Dickenberger Essstils) auszuprobieren.
et al. 1993; Eagly u. Chaiken 1993) ist zu erwarten, Bei »lästigen« therapeutischen Aufgaben (z. B.
dass die Patientin ihre Überzeugungen und Ziele das kontinuierliche Ausfüllen von Ernährungspro-
umso mehr verteidigen wird, je stärker sie sich vom tokollen) nimmt der Therapeut möglichst Gefühle
Therapeuten zu einer Einstellungs- bzw. Verhal- (z. B. Ärger) und Verhaltensweisen (z. B. die Proto-
tensänderung gedrängt fühlt. Das bedeutet: Je stär- kolle rückwirkend für die gesamte Woche ausfüllen)
42 Kapitel 3 · Die therapeutische Beziehung zu Patientinnen mit der Diagnose einer Essstörung
vorweg und betont, dass es in der Hand der Patientin tiger erscheint eine therapeutische Haltung, die
liegt, ob sie die beste Therapie (das heißt maßge- zwischen einer reflektierten, engagierten Parteilich-
schneidert auf ihre Problemlage) oder die zweit- keit und der notwendigen Abstinenz keine unüber-
bzw. drittbeste Therapie wählen möchte. Wichtig ist brückbaren Differenzen sieht und ein dynamisches
hierbei, dass der Therapeut dieses Konzept der Wechselspiel aus psychoedukativen und genuin
Selbstverantwortung für seinen Therapieerfolg als psychotherapeutischen Behandlungsstrategien zu-
3 therapeutische Haltung verinnerlicht hat und seinen lassen kann. Dazu gehört neben der empathischen
Patientinnen so auch authentisch vermitteln kann. Solidarisierung auch das Sprechen eines »Macht-
Typisch für die Gesprächsführung in der Verhal- worts« im Sinne einer strukturierenden Maßnah-
tenstherapie ist demnach die aktive Berücksichti- me. Auch kann die Hilfs-Ich-Funktion des Thera-
gung der Ziele, Wünsche, Gefühle und Gedanken peuten bei wichtigen Entscheidungsprozessen im
der Patientinnen im gesamten Therapieverlauf. Dies Hier und Jetzt ebenso bedeutsam sein wie die
gilt auch für die Phase der allmählichen Beendigung Deutung und das Durcharbeiten repetitiver neuro-
der Therapie (Hoffmann 2009). Der Therapeut zieht tischer, insbesondere interpersoneller Verhaltens-
gemeinsam mit den Patientinnen Bilanz über die muster. Der für diese Lebensphase charakterist-
erreichten Therapieziele und über die gegebenen- ische Autonomie-Abhängigkeit-Konflikt und die
falls noch erforderlichen therapeutischen Schritte. damit einhergehende ambivalent erlebte Vater- bzw.
Entsprechend dem Grundkonzept der Verhaltens- Mutterbeziehung finden sich in der Regel in der
therapie sollen die Patientinnen zu ihren eigenen therapeutischen Beziehung wieder und können
Problemlösern werden und aktiv in den Prozess der produktiv genutzt werden. Gerade die unspezi-
Beendigung der Therapie einbezogen werden. fischen Prädiktorvariablen des Psychotherapie-
prozesses wie Interesse, Neugierde, Engagement,
Authentizität und Verlässlichkeit werden auf dem
3.2.2 Aus der Perspektive der psycho- Hintergrund der Elternübertragung einer sehr kri-
dynamischen Psychotherapie tischen Prüfung unterzogen (»Gilt mir wirklich das
Interesse, ist es echt, kann ich mich auf sie oder ihn
Die Behandlung der AN und BN ist häufig eine Be- verlassen?«).
handlung junger Menschen, speziell adoleszenter Erhebliche Konflikte des Selbstwerterlebens,
Mädchen oder junger Frauen, was erhebliche Be- wie sie für Menschen mit Essstörungen pathogno-
handlungsimplikationen nach sich zieht, insbeson- monisch sind, bedürfen einer ressourcenorien-
dere für die psychodynamisch wichtigen Übertra- tierten Psychotherapie. Weniger die Defizite in der
gungsprozesse zwischen Therapeut und Patient bisherigen Entwicklung sind aufzugreifen, sondern
(Fichter u. Herpertz 2008). Die Adoleszenz bzw. die Fähigkeiten und bisher erbrachten Leistungen
das junge Erwachsenenalter stellt eine erhebliche sind hervorzuheben. Gleichzeitig gilt es, die Genese
psychosexuelle und soziale Herausforderung dar. der Selbstwertproblematik, die in der Regel in inter-
Die Konstituierung des Selbstbildes (-wertes) ist ein personellen Konflikten, insbesondere mit den El-
kontinuierlicher Prozess, der seinen Ausgang von tern, zu suchen ist (hohe Leistungserwartungen,
der frühen Kindheit nimmt, sicherlich aber in der »Anerkennung und Zuneigung kann ich nur mittels
Lebensphase der Pubertät, Adoleszenz und des Leistung bekommen«) herauszuarbeiten, um letzt-
frühen Erwachsenalters dem Individuum die an- lich auch korrektive Erfahrungen machen zu kön-
spruchsvollsten Entwicklungsschritte abverlangt. nen. Eine wohlwollende, die Ressourcen der Patien-
Im Hinblick auf die eigene, »private« wie auch be- tin fördernde (z. B. väterliche oder mütterliche)
rufliche Lebensgestaltung werden bedeutsame Ent- Übertragungsbeziehung bietet die Möglichkeit, po-
scheidungen gefordert, und die »erwachsene« Le- sitive Korrekturen im Selbstwerterleben zu machen,
benserfahrung, dass jede Entscheidung für etwas die dann aus der Therapie in andere Beziehungen
auch eine Entscheidung gegen etwas bedeutet oder transferiert werden können.
zumindest bedeuten kann, wird in den unterschied- Ein wichtiges Therapieelement psychodyna-
lichsten Lebensbereichen spürbar. Umso folgerich- mischer Behandlungsmethoden ist die produktive
3.2 · Die Gestaltung der therapeutischen Beziehung
43 3
Nutzung (z. B. Durcharbeiten) der Symptombil- und damit auch Selbstwirksamkeit abzusprechen.
dung als Ausdruck der Wiederholung des Konflikt- Für die psychotherapeutische Arbeit gilt vielmehr,
geschehens in der therapeutischen Beziehung. Der zusammen mit der Patientin den Rahmen zu be-
Starvation und Gewichtsabnahme als Kernsymp- messen, innerhalb dessen eine Gewichtsabnahme
tome der Magersucht sind aber enge Grenzen ge- und -stabilisierung möglich ist (Körpergewicht der
setzt, und sie können für den therapeutischen Pro- Eltern und Großeltern, Beginn der Adipositas, An-
zess nur bedingt genutzt werden. Strukturgebende zahl bisheriger frustraner Gewichtsreduktionsmaß-
Handlungselemente (z. B. ein Behandlungsvertrag nahmen etc.). Auch sollten psychische Störungen
mit einem vor der Behandlung zu definierenden und intra- bzw. interpsychische Konflikte im Hin-
Zielgewicht) sind sowohl vor dem Hintergrund der blick auf Ursache und Folge abgeklärt werden, um
passager biologischen als auch der strukturellen schließlich die Patientinnen in ihrem Selbstwert-
Störungsanteile unabdingbare Voraussetzungen für erleben als übergewichtige bzw. adipöse Menschen
den Behandlungserfolg. zu stärken. Gerade im Hinblick auf die Selbstwirk-
Unter Anwendung des psychoanalytischen samkeit als wichtige Determinante des Selbstwert-
Konstrukts des »Arbeitsbündnisses« (Greenson erlebens der Patientinnen ist eine therapeutische
1989) sind »Vertragsverstöße« etwa im Sinne einer Haltung von Vorteil, die weniger die Gewichtsab-
Unterschreitung des Vertragsgewichts besprechbar nahme, sondern vielmehr die Gewichtsstabilisie-
und auf ihren Zusammenhang mit aktuellen, psy- rung favorisiert.
chodynamisch verstehbaren Konflikten zu thema-
tisieren. Jede Änderung des Vertrags, etwa durch
implizite oder explizite Akzeptanz eines gegenüber 3.2.3 Informiertheit und Konsens
dem initialen Vertragsgewicht niedrigeren Körper- vs. Zwangsmaßnahmen
gewichts, kommt allerdings seiner Infragestellung
gleich. Die Folge ist eine Verunsicherung nicht nur In seltenen Fällen, die fast ausschließlich anorek-
der anorektischen Patientin, sondern auch des The- tische Patientinnen betreffen, kann aufgrund kog-
rapeuten im Hinblick auf den »anorektischen Sog«, nitiver Einschränkungen und Krankheitsfolgen
der in der Regel mit schwerwiegenden Störungen nicht mehr von einer folgenorientierten Entschei-
auch auf der therapeutischen Beziehungsebene ein- dungsfähigkeit ausgegangen werden. Hier müssen
hergeht (Herpertz 2006). die Behandlungsentscheidungen durch andere Per-
Im Fall der BES muss für das zumeist gleichzei- sonen übernommen werden (in der Regel durch
tig bestehende, oft deutliche Übergewicht ein eigen- den Arzt). Auch diese Zwangsmaßnahmen (via Un-
ständiger Einfluss auf die therapeutische Beziehung terbringung nach PsychKG, die Einrichtung einer
(Übertragung, Gegenübertragung) angenommen Betreuung oder die Einbeziehung psychosozialer
werden. Auf den therapeutischen Prozess bezogen, Dienste, 7 Abschn. »Zwangsbehandlung« in 4.2.3)
dürften diese Einflussvariablen bisher kaum unter- sollten der Patientin selbstverständlich erläutert
sucht worden sein, jedoch werden die nicht selten werden.
auch unbewussten gesellschaftlichen Vorurteile und Kindern und Jugendlichen sollten ebenfalls alle
Diskriminierungen gegenüber adipösen Menschen notwendigen Behandlungsschritte erläutert werden
wahrscheinlich auch vor Psychotherapeuten nicht und ihr Einverständnis angestrebt werden. Verwei-
Halt machen. Auch dürfte das Krankheitsverständ- gern minderjährige Patientinnen die Behandlung, so
nis sowohl des Therapeuten als auch der Patientin kann eine Behandlung auch ohne explizites Einver-
den Therapieprozess entscheidend beeinflussen, ständnis eingeleitet werden. Ein solches Vorgehen
insbesondere wenn sie divergent sind. Monokausale muss allerdings durch eine zu beantragende fami-
Erklärungsmodelle (»Willenssache« vs. »schwere lienrichterliche Genehmigung nach § 1631b BGB
Knochen«) sowohl von Seiten des Therapeuten als legitimiert werden (7 Abschn. »Zwangsbehandlung
auch von Seiten der Patientinnen sind nicht zielfüh- bei Kindern und Jugendlichen« in 4.2.3).
rend und laufen Gefahr, die Patientinnen entweder
zu entmutigen oder ihnen jegliche Verantwortung
44 Kapitel 3 · Die therapeutische Beziehung zu Patientinnen mit der Diagnose einer Essstörung
3.3 Die Rolle der Angehörigen Die Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklä-
rung stellt vielfältige Informationen für Angehörige
Eine Essstörung birgt immer auch interpersonelle als Broschüren wie auch im Internet bereit (www.
Probleme (Auswirkungen auf Familienangehörige, bzga-essstoerungen.de). Über Angehörigenthemen
Partner und Freunde). Häufig ist von dysfunktio- bei einer Vielzahl psychischer Erkrankungen infor-
nalen Interaktionsmustern zwischen der essgestör- miert z. B. der Bundesverband der Angehörigen
3 ten Patientin und den anderen Mitgliedern der psychisch Kranker (BApK, http://www.bapk.de). Im
(Herkunfts-)Familie auszugehen. Bei allen essgestör- Buchhandel sind Patientinnen- und auch Ange-
ten Patientinnen sind daher bereits im Rahmen der hörigenratgeber erhältlich. In vielen großen Städten
Diagnostik diese wechselseitigen Einflüsse im je- gibt es Kontakt-, Informations- und Beratungsstel-
weiligen familiären Kontext abzuklären. len im Selbsthilfebereich, die Listen und Kontakt-
Angehörige und Partner stehen einer Essstö- möglichkeiten von Selbsthilfegruppen zur Verfü-
rung häufig hilflos und verzweifelt gegenüber. Diese gung stellen. Auch viele Internet-Portale zu Essstö-
Hilflosigkeit ist oft kein guter Ratgeber bei dem Ver- rungen bieten sinnvolle Informationen. Allerdings
such, sich »richtig« und hilfreich zu verhalten, und sind andere Internet-Portale auch kritisch zu hin-
führt nicht selten zu heftigen Schuldgefühlen und/ terfragen. Im Falle psychischer Belastung, Überfor-
oder aggressiven, vorwurfsvollen Einstellungen ge- derung oder eigener psychischer Störungen kann
genüber der essgestörten Patientin. auch für Angehörige eine professionelle Hilfe sinn-
Die Einbeziehung von Angehörigen in die The- voll sein.
rapie sollte ungeachtet der therapeutischen Aus-
richtung unter Berücksichtigung des Alters der
Patientin, ihrer zwischenmenschlichen Beziehun-
gen (Familie, Partnerschaft) und des Gefährdungs-
grades der Essstörung frühzeitig erwogen werden.
Die Einbeziehung von Angehörigen bietet zudem
die Chance, fremdanamnestische Informationen zu
erhalten. Bei Kindern und Jugendlichen gehört die
Integration der Eltern in den therapeutischen Pro-
zess zu den wesentlichen Pfeilern der Behandlung.
Die Information von Angehörigen hat eine
wichtige, insbesondere entängstigende Funktion für
die Behandlung. Schon im Vorfeld der Therapie be-
nötigen Angehörige Informationen, um effektiv
kooperieren zu können. Die Informationen sollten
in der Regel im Beisein der Betroffenen gegeben
werden und können Folgendes beinhalten:
4 die Ursachen von Essstörungen,
4 die aufrechterhaltenden Bedingungen,
4 die Prognose und den zu erwartenden Verlauf,
4 die körperlichen Risiken und möglichen Folge-
schäden,
4 adäquate Behandlungsmöglichkeiten,
4 die individuelle Behandlungsplanung,
4 Methoden von Psychotherapie,
4 Risiken und mögliche Nebenwirkungen der Be-
handlung,
4 Empfehlungen für den Umgang mit der Pa-
tientin.
3.5 · Literatur
45 3
3.4 Anhang: Tabellen
. Tab. 3.1 Beispiel für Aspekte der Gesprächsführung im Rahmen der Strategie »Entpathologisierung« (Mod. nach
Tuschen-Caffier et al. 2005)
Erfolglose Versuche der Gewichts- Hinweis auf genetische Aspekte, die es schwerer machen, ein bestimmtes
reduktion bei Adipositas Gewicht zu erzielen oder zu halten
Diäten als Auslöser für BN Diäthalten ist in unserer Gesellschaft weit verbreitet
In den Medien werden ständig neue Diäten angepriesen
Mangelnde Bereitschaft, bei AN Hinweis darauf, dass das Verhalten sehr nachvollziehbar und verständlich ist,
über das Essproblem zu reden wenn man von den Eltern (dem Arzt etc.) geschickt wird
Verbalisation von Gedanken und Gefühlen, die der Therapeut z. B. hätte, wenn
er in der Lage der Patientin bzw. des Patienten wäre (z. B. Wut auf die Eltern,
Skepsis, ob der Therapeut insgeheim ein »Komplize« der Eltern ist)
Essanfälle bei BN Hinweis darauf, dass der Körper ganz normal reagiert: Zwischenzeitlich erhält
er zu wenig Nahrung und ist mangelernährt, dann holt er sich, was er braucht
Stress als Auslöser für Essanfälle Essen ist zunächst ein »guter« Problemlöser: Man wird müde, man lenkt sich
bei der BES von unangenehmen Gefühlen ab, Essen schmeckt gut
3.5 Literatur Herpertz, S. (2006): Essstörungen. In: Reimer, C.; Rüger, U.:
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4
Anorexia nervosa
Almut Zeeck, Ulrich Cuntz, Armin Hartmann, Ulrich Hagenah,
Hans-Christoph Friederich, Gaby Gross, Kristian Holtkamp, Stephan Zipfel
4.1 Krankheitsbild – 48
4.1.1 Klinische Merkmale – 48
4.1.2 Komorbidität und Krankheitsverlauf – 49
4.1.3 Ätiologie und relevante Umgebungsbedingungen – 52
4.2 Therapie – 54
4.2.1 Behandlungsziele – 55
4.2.2 Behandlungsvoraussetzungen – 56
4.2.3 Behandlungssettings – 57
4.2.4 Psychotherapie – 63
4.2.5 Stationäre Behandlung – 70
4.2.6 Tagesklinische Behandlung – 77
4.2.7 Pharmakotherapie – 78
4.2.8 Ernährungstherapie – 83
wobei die Angaben stark schwanken (0 bis 58 %; meidenden, abhängigen und anankastischen Per-
Cassin u. von Ranson 2005; Bornstein 2001). Bei sönlichkeitsstörungen. Vor allem die Beziehung
jugendlichen Patientinnen mit AN liegen nur we- zwischen anankastischer Persönlichkeitsstörung
nige Studien zur psychischen Komorbidität vor, die und AN wird intensiv diskutiert (Serpell et al. 2002;
aber auf ähnlich hohe Komordiditätsraten hindeu- Lilenfeld et al. 2006).
ten (Zaider et al. 2000; Lewinsohn et al. 1993; Stein Andere Arbeiten beschäftigten sich mit dem Zu-
et al. 1997; Salbach-Andrae et al. 2008a). sammenhang von Persönlichkeitszügen und ano-
Die Erfassung zusätzlicher Störungen ist für rektischer Psychopathologie. Insgesamt kann davon
4 Hinweise auf die Ätiologie, die Art der Essstörungs- ausgegangen werden, dass die Art der Essstörung
pathologie, den Behandlungserfolg und die Prog- durch prämorbide Persönlichkeitszüge mit bestimmt
nose bedeutsam (Lilenfeld et al. 2006). Die Bezie- wird. Bei der AN finden sich vergleichsweise hohe
hungen zwischen anorektischer Symptomatik und Werte für Perfektionismus und Konfliktvermeidung
komorbiden Störungen sind jedoch komplex. Es ist (»harm avoidance«), ein geringer ausgeprägtes Neu-
bis heute ungeklärt, inwieweit komorbide Störungen gierverhalten und ein größeres Beharrungsver-
Ursache oder Folge der AN oder aber Ergebnis eines mögen (Cassin u. von Ranson 2005; für eine Unter-
gemeinsamen prädisponierenden Faktors sind. Im suchung bei Kindern: s. Hueg et al. 2006).
Verlauf kommt es zu einer wechselseitigen Beein-
flussung, die in der Therapie berücksichtigt werden Krankheitsverlauf
muss. Der Verlauf der Erkrankung erstreckt sich in der
Die Angaben zur Prävalenz depressiver Störun- Regel über mehrere Jahre und ist sehr variabel.
gen bei AN variieren stark mit Angaben von 31 bis Selten tritt eine Heilung in den ersten zwei Jahren
zu 89 % (Godart et al. 2007). Godart et al. (2007) ein. Die mittlere Dauer bis zu einer Heilung betrug
weisen auf die methodischen Einschränkungen und in einer Studie von Herzog et al. (1997b) durch-
die Heterogenität der untersuchten Stichproben schnittlich sechs Jahre. Die vorliegenden Verlaufs-
hin. Insgesamt wird eine Lebenszeitprävalenz von studien beziehen sich allerdings auf Patientinnen,
40 % (im Vergleich zu 15,9 % in der Bevölkerung) die medizinische oder psychologische Hilfe in An-
angenommen. Der Starvationszustand scheint bei spruch nahmen. Es liegen kaum Daten zu unbehan-
den hohen Prävalenzraten eine Rolle zu spielen, delten Fällen vor, sodass die Rate an Spontanre-
möglicherweise auch über die Exazerbation einer missionen weitgehend unklar ist. Eine finnische
Prädisposition zu depressiven Reaktionen (O’Brien Verlaufsuntersuchung an Zwillingskohorten zeigte,
u. Vincent, 2003). Angaben zur Prävalenz von dass 50 % der Fälle von AN vom Gesundheitssystem
Zwangsstörungen liegen bei 15 bis 69 % für die Le- gar nicht erfasst werden. Nach fünf Jahren zeigten
benszeitprävalenz (Serpell et al. 2002) und bei 5 bis 67 % ein normalisiertes Gewicht, bekamen ihre
37 % für die Punktprävalenz in klinischen Stich- Menstruation wieder und gaben weder Essanfälle
proben (Herzog et al. 1992b; Thornton u. Russell noch selbstinduziertes Erbrechen an (Keski-Rah-
1997). Bulik et al. (1997b) diskutieren ferner die konen et al. 2007). Trotzdem zeigen viele Betroffene
zentrale Rolle von Angst in der Ätiologie und auch nach Remission der Essstörung im länger-
Aufrechterhaltung der AN und anderer Essstörun- fristigen Verlauf noch deutliche Probleme im Be-
gen. Sie fanden bei 60 % der AN-Patientinnen eine reich sozialer Integration und zwischenmensch-
Komorbidität mit Angsterkrankungen. Godart et al. licher Beziehungen (Wentz et al. 2001).
(2002) weisen in ihrem systematischen Review je- In einer Übersichtsarbeit von Steinhausen
doch darauf hin, dass aufgrund der derzeitigen (2002), in die 119 Studien mit 5590 Patientinnen
Studienlage noch keine verlässlichen Angaben zur eingingen, fanden sich Heilungsraten von knapp
Komorbidität der AN und Angststörungen gemacht 50 %. 30 % der Patientinnen besserten sich bzw.
werden können. wiesen noch eine Restsymptomatik auf, und bei
Einige Studien untersuchten die Komorbidität 20 % kam es zu einem chronischen Verlauf. 60 %
von AN und Persönlichkeitsstörungen. Bei der res- erreichten langfristig ein angemessenes Gewicht. Je
triktiven AN findet sich eine Assoziation mit ver- länger die Katamnesezeiträume waren, desto mehr
4.1 · Krankheitsbild
51 4
remittierte Patientinnen fanden sich (nach mehr als eines Familienmitgliedes) vorausgegangen war
zehn Jahren 73 %), desto höher lag aber auch die (North et al. 1997). In jüngeren 10-Jahres-Katam-
Sterberate. In ein aktuelles Review von Berkman et nesen (Herpertz-Dahlmann et al. 2001; Strober et
al. (2007) gingen 22 Verlaufsstudien zur AN ein: al. 1997; Wentz et al. 2001) fanden sich bei Nachun-
Eine prospektive Kohortenstudie (Göteborg-Studie; tersuchungen von im Jugendalter erstmals stationär
N = 51) zeigte bei 50 % der Patientinnen ein gutes behandelten Patientinnen keine Todesfälle mehr.
Ergebnis nach den Morgan-Russell-Kriterien (die
Symptomschwere wird im Hinblick auf Nahrungs- Prädiktoren
aufnahme, Menstruationsstatus, psychische und In der Übersichtsarbeit von Berkman et al. (2007)
soziale Situation beurteilt); 10 % wiesen nach zehn wurden eine Komorbidität mit anderen psychischen
Jahren einen chronischen Verlauf auf. Fallserien, die Erkrankungen (Angst, Depression, Suchterkran-
dieselben Kriterien verwandten, fanden ein gutes kungen) und ein schlechtes psychosoziales Funk-
Ergebnis in 28 bis 58 % und ein schlechtes in 11 bis tionsniveau als Prädiktoren für einen ungünstigen
42 % der Fälle (Katamnesezeiträume zwischen sechs Verlauf identifiziert. Die Übersicht von Steinhausen
und zwölf Jahren). Eine Schwierigkeit beim Ver- (2002) bestätigte Komorbidiät als ungünstigen
gleich von Studien ergibt sich aus unterschiedlichen Faktor. Es erwiesen sich zusätzlich Essanfälle und
Definitionen für Remission und Outcome (Pike Purging-Verhalten (selbstinduziertes Erbrechen,
1998) sowie dadurch, dass in der Regel nur behan- Abführmittelmissbrauch) sowie ein chronischer
delte Patientinnen erfasst wurden. Krankheitsverlauf als prognostisch ungünstig.
Die AN zeigt insgesamt eine deutlich erhöhte Einzelne Arbeiten geben ferner Hinweise auf
Sterberate. Die standardisierte Sterberate in den er- schlechtere Remissionsraten bei Patientinnen mit
sten zehn Jahren nach Erstdiagnose beträgt 9,6, was Persönlichkeitsstörungen (Herzog et al. 1992a) und
ein ca. zehnfach erhöhtes Sterberisiko im Vergleich bei Patientinnen, die einen sehr niedrigen BMI
zur Normalbevölkerung bedeutet (Nielsen 2001). aufwiesen oder während der Ersthospitalisation ge-
Die Sterberate liegt damit dreimal höher als bei ringe Gewichtszunahmen zeigten (Zipfel et al. 2000;
anderen psychischen Erkrankungen. Sie ist in den Kächele et al. 2001).
meisten Fällen auf medizinische Komplikationen In der Arbeit von Berkman et al. (2007) finden
oder Suizide zurückzuführen. Allerdings werden sich auch Hinweise darauf, dass ein geringeres Alter
diese Daten auch kritisch diskutiert (Palmer 2003). bei Krankheitsbeginn mit einer günstigeren Prog-
Eine schwedische Untersuchung von Patientinnen, nose verbunden ist; die Autoren betonen jedoch,
die stationär behandelt worden waren, ergab Hin- dass die Studienlage zu dieser Variable mit Vor-
weise darauf, dass die Sterberaten zurückgehen. Die sicht zu bewerten sei. Es zeigen sich hinsichtlich
Autoren bringen dies mit einer verbesserten Versor- des längerfristigen Verlaufs keine Unterschiede in
gung in spezialisierten Einheiten in Zusammen- Zusammenhang mit Geschlecht, Ethnizität oder
hang (u. a. mit Ernährungsmanagement, Suizidprä- kultureller Zugehörigkeit (Berkman et al. 2007).
vention) (Lindblad et al. 2006). In einer Studie von Herzog et al. (1997a) fand
Die Prognose von jungen Patientinnen hat sich sich ein Hinweis auf die prognostische Bedeutung
in den letzten zwei Dekaden deutlich verbessert und medizinischer Parameter: Hohes Serum-Kreatinin
scheint in den meisten Fällen günstiger zu sein als und niedriges Serum-Albumin waren mit einem
die bei erwachsenen Patientinnen (bei Steinhausen schlechteren Verlauf assoziiert. Hebebrand et al.
[2002] fand sich eine Remissionsrate von 57,1 %). (1997) zeigten, dass ein BMI bei stationärer Auf-
Es liegt jedoch nur eine begrenzte Anzahl an Fol- nahme von 13 kg/m2 und kleiner mit einem er-
low-up-Studien vor. In Einzelfällen ist eine vollstän- höhten Risiko für einen chronischen Verlauf und
dige Heilung nach einer ersten Episode zu beobach- höherer Letalität verbunden ist.
ten, besonders, wenn die körperliche und soziale Die Studie von Keel et al. (2002) zeigte, dass es
Entwicklung bis dahin unauffällig verlaufen ist bei Patientinnen mit schwerer Pathologie (geringe-
und der Entwicklung der Essstörung ein identifi- res psychosoziales Funktionsniveau, Komorbidität
zierbares, belastendes Lebensereignis (z. B. Verlust mit Persönlichkeitsstörungen) insgesamt zu einer
52 Kapitel 4 · Anorexia nervosa
Empfehlung
Tagesklinische Behandlung
Tagesklinische Behandlungen kommen bei Patien-
4 Das ambulante Behandlungsverfahren ers- tinnen in Betracht, die ambulant nicht mehr ausrei-
ter Wahl bei Patientinnen mit AN sollte eine chend zu betreuen sind bzw. bei denen der ambu-
evidenzbasierte Psychotherapie sein (B). lante Therapieprozess stagniert. Ein tagesklinischer
4 Vor Beginn einer ambulanten Therapie Aufenthalt kann somit der Intensivierung eines am-
sollten die Rahmenbedingungen mit der bulanten Therapieprozesses dienen. Er ermöglicht
Patientin (und ggf. den Sorgeberechtigten) komplexe Interventionen auf psychologischer und
4 klar besprochen werden: Umgang mit körperlicher Ebene, ohne dass die Patientinnen den
Wiegen, Vorgehen bei Gewichtsabnahme, Bezug zu ihrer Lebenssituation verlieren. An eine
Kontakte mit dem Hausarzt, Umgang mit tagesklinische Behandlung ist auch bei mäßig ge-
der Familie (KKP). fährdeten Patientinnen mit chronischer AN zu
4 Vorrangiges Ziel der ambulanten Therapie denken, bei denen eine ambulante Therapie zur Be-
von Patientinnen mit AN ist die Normalisie- wältigung der zwischenmenschlichen und sozialen
rung von Essverhalten und Gewicht und Ar- Probleme nicht ausreicht; insbesondere dann, wenn
beit an den damit verbundenen psychischen diese schon mehrfach stationäre Behandlungen
Symptomen und Schwierigkeiten (KKP). durchlaufen haben und in engem Kontakt mit ihrer
4 Die Überprüfung der Wirksamkeit einer am- Alltagssituation bleiben sollen. Tagesklinische Be-
bulanten Psychotherapie sollte kontinuier- handlungen können ferner im Anschluss an eine
lich anhand eines Gewichtsmonitorings er- stationäre Therapie den Übergang in die ambulante
folgen (KKP). Situation vorbereiten (»Step-down«-Ansatz). Patien-
4 Sind an der Therapie der AN mehrere Be- tinnen mit AN sollten jedoch nur dann in Tages-
handler beteiligt (wie z. B. Hausarzt, Psycho- kliniken behandelt werden, wenn diese spezifische
therapeut, Sozialarbeiter, Ernährungsbera- Programme für anorektische Patientinnen anbie-
ter, Familientherapeut), sollten diese sich re- ten. Solche Tageskliniken sind bei der derzeitigen
gelmäßig untereinander absprechen (KKP). Versorgungslage in Deutschland bislang jedoch
4 Bei einer Verschlechterung oder stagnieren- kaum vorhanden.
den Entwicklung im Rahmen einer ambu- Im Vergleich zur ambulanten Psychotherapie
lanten Psychotherapie sollten intensivere bietet eine Tagesklinik Patientinnen die Möglichkeit
Behandlungsangebote gemacht werden. strukturierter, supervidierter Essenssituationen,
Dies kann eine Kombination von Behand- eine Tagesstruktur und ein multimodales Therapie-
lungsmethoden im ambulanten Rahmen angebot, das neben Einzel- und Gruppentherapie
sein oder aber ein tagesklinischer oder auch Körpertherapie, Bewegungsangebote und Ess-
stationärer Behandlungsabschnitt (O). begleitung umfasst. Zu beachten ist, dass Patien-
4 Auch wenn viele jugendliche Patientinnen tinnen aber auch überfordert sein können, wenn sie
mit AN eine hohe Leistungsbereitschaft Mahlzeiten abends und am Wochenende eigenstän-
und gute Schulleistungen zeigen, müssen dig zubereiten und einnehmen müssen (die meisten
aufgrund der eingeschränkten Ernährungs- Tageskliniken haben an fünf Tagen pro Woche ge-
situation Eingrenzungen des Sportunter- öffnet). Tagesklinische Behandlung erfordert daher
richts und des Schulbesuchs erwogen eine ausreichende Motivation und ist für Patien-
werden (KKP). tinnen mit ausgeprägtem Untergewicht (BMI < 15)
4 Nach Abschluss einer ambulanten Psycho- und sehr ausgeprägter bulimischer Symptomatik oft
therapie sollten in regelmäßigen Abstän- nicht ausreichend (Zeeck 2008).
den über einen Zeitraum von mindestens
einem Jahr Folgetermine angeboten
werden, die die Rezidivprophylaxe und die
Aufrechterhaltung des Therapieergeb-
nisses zum Ziel haben (KKP).
4.2 · Therapie
59 4
Empfehlung
liäre Situation, unzureichende soziale Un-
terstützung) 4 Patientinnen, für die der Kontakt zu einem
4 Ausgeprägte psychische Komorbidität Psychotherapeuten oder einer Klinik einen
4 Schwere bulimische Symptomatik (z. B. zu großen Schritt darstellt, kann ein Ge-
Laxanzien-/Diuretikaabusus, schwere Ess- spräch in einer mit essgestörten Patien-
anfälle mit Erbrechen) oder exzessiver tinnen erfahrenen Beratungsstelle emp-
Bewegungsdrang, die ambulant nicht be- fohlen werden (O).
4 herrscht werden können 4 Beratungsstellen haben als niederschwel-
4 Körperliche Gefährdung oder Komplika- lige Anlaufstelle für essgestörte Patientin-
tionen (siehe Kapitel 1.2.2 »Krankheitsver- nen eine wichtige Schnittstellenfunktion.
lauf«) Sie sollten in enger Kooperation mit nieder-
4 Geringe Krankheitseinsicht gelassenen Psychotherapeuten und Klini-
4 Überforderung im ambulanten Setting, da ken eine Weitervermittlung von Patien-
dieses zu wenig strukturierte Vorgaben tinnen planen (KKP).
(Mahlzeitenstruktur, Essensmengen, Rück-
meldungen zum Essverhalten, Motivations-
bildung) bieten kann Wohngruppen
4 Notwendigkeit der Behandlung durch ein Wohngruppen spielen vor allem in der Betreuung
multiprofessionelles Team mit kranken- von Jugendlichen und jungen Erwachsenen und in
haustypischen Heilmethoden (stationäre der Versorgung chronisch kranker Patientinnen
Intensivtherapie) (KKP) eine Rolle. Geeignete Wohngruppen sollten ein spe-
zifisches Konzept für die Betreuung Essgestörter
Die stationäre Behandlung sollte an Einrich- aufweisen.
tungen erfolgen, die ein spezialisiertes, multi- Bei Jugendlichen ist die Jugendhilfe über den
modales Behandlungsprogramm anbieten § 35a SGB VIII (Eingliederungshilfe für seelische
können (O). Behinderungen) zuständig, die von den Personen-
sorgeberechtigten beim Jugendamt des Wohnortes
beantragt werden muss. Anspruchsberechtigt sind
Beratungsstellen die Jugendlichen. Über das 18. Lebensjahr hinaus
Beratungsstellen bieten niederschwellige Gesprächs- können Eingliederungshilfen als Unterstützung für
angebote an, die für Patientinnen mit AN ein erster junge Volljährige (§ 41 SGB VIII) auch über das 21.
Schritt sein können, sich Hilfe zu suchen. Dabei Lebensjahr hinaus weitergeführt, aber durchaus
kommt Mitarbeitern in Beratungsstellen die Auf- erstmals von Patientinnen nach Eintritt der Volljäh-
gabe der Aufklärung und Weitervermittlung in eine rigkeit beantragt werden.
psychotherapeutische Behandlung zu. Therapeu- Ambulante oder stationäre Jugendhilfe und Re-
tische Interventionen im engeren Sinne bleiben habilitationsmaßnahmen sind bei drohender oder
psychologischen und ärztlichen Psychotherapeuten bereits eingetretener Chronifizierung erforderlich,
vorbehalten. Die entsprechende Beratungsstelle wenn während einer stationären Behandlung eine
sollte Erfahrungen im Umgang mit anorektischen Stabilisierung der Symptomatik und der Lebens-
Patientinnen haben und einer regelmäßigen Quali- situation nicht so weit erreicht wird, dass eine Re-
tätssicherung und Supervision unterliegen. integration in das Lebensumfeld, das vor Beginn der
Erkrankung bestand, möglich ist. Hier ergeben sich
oft Zuständigkeitsfragen, die im Einzelfall gelöst
werden müssen.
4.2 · Therapie
61 4
Empfehlung
Zwangsbehandlung
Bei vielen Patientinnen mit AN bestehen eine ge-
4 Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen ringe Krankheitseinsicht und eine ambivalente Be-
sollte die Vermittlung in eine therapeuti- handlungsmotivation, verbunden mit ausgepräg-
sche Wohngruppe erwogen werden, wenn ten Ängsten vor einer Gewichtszunahme. Aufgrund
die Unterstützung in der häuslichen Situa- der vorhandenen körperlichen Gefährdung bis hin
tion nicht ausreichend oder nicht gesund- zu lebensbedrohlichen Zuständen wird daher in
heitsförderlich ist (KKP). schweren Fällen häufig das Thema »Zwangsbe-
4 Eine Wohngruppe sollte auch in Erwägung handlung« diskutiert. Auch Gefühle der Not und
gezogen werden, wenn eine chronifizierte Ohnmacht bei Behandlern und Angehörigen kön-
Essstörung vorliegt, die zu einer ausgepräg- nen dazu führen, dass Zwangsmaßnahmen in Er-
ten sozialen Isolation geführt hat und oder wägung gezogen werden. Carney et al. (2008) fan-
bei der Probleme in der Bewältigung des den folgende Indikatoren für die Durchführung
Alltags bestehen (KKP). juristischer Zwangsmaßnahmen bei der Behand-
lung anorektischer Patientinnen: Vorgeschichte
(Anzahl vorheriger Klinikaufenthalte), Komplexität
Ernährungsberatung der Erkrankung (Anzahl psychiatrischer Komorbi-
Die Rückkehr zu einer gesunden Ernährung ist ein ditäten) und aktuelles Gesundheitsrisiko (gemessen
zentrales Ziel jeder AN-Behandlung. Das Hinzu- an BMI bzw. Risiko eines Refeeding-Syndroms).
ziehen einer Ernährungsberaterin oder eines Er- Die Autoren empfehlen eine Zurückhaltung bei der
nährungsberaters ist daher empfehlenswert. Diese/ Durchsetzung juristischer Zwangsmaßnahmen so-
dieser sollte unbedingt Expertise im Umgang mit wie ein sorgfältiges Abwägen mit anderen Formen
Patientinnen mit AN haben, da die Patientinnen engmaschigen klinischen Managements.
selbst oft über ein fundiertes Wissen um Ernährung
verfügen, was sie im Alltag aber nicht in einer gesun- Betreuung
den Form umsetzen können. Ein detailliertes Be- Die Einrichtung einer juristischen Betreuung stellt
rechnen von Kalorienzahlen oder die Unterstützung einen ersten Schritt der Fremdkontrolle dar, wenn
einer rohkostreichen Ernährung, was bei anderen eine anorektische Patientin nicht ausreichend für
Menschen angezeigt sein kann, ist bei AN-Patien- sich sorgen kann. Sie kann auch dann in Frage kom-
tinnen beispielsweise kontraproduktiv. Eine Ernäh- men, wenn eine Patientin während einer stationären
rungsberatung als alleinige therapeutischer Maß- Behandlung von einem sehr niedrigen Ausgangs-
nahme ist nicht ausreichend (s. unten) (. Tab. 4.3j in wert auf einen mittleren BMI zugenommen hat, der
Abschn. 4.4: Anhang). noch im Bereich des Untergewichts liegt, und damit
entlassen wird. Die Betreuung sollte im Falle der An-
Empfehlung wesenheit eines professionellen Betreuers durch eine
Person erfolgen, die Erfahrung im Essstörungsbe-
4 Patientinnen sollten im Hinblick auf eine reich aufweist. Aufgrund der besonderen Belastung
angemessene Nahrungsmenge und -zu- der betroffenen Familien und der häufig komplexen
sammensetzung beraten werden (KKP). Familiendynamik sollte gut abgewogen werden, ob
4 Das Hinzuziehen einer Ernährungsberate- ein Familienangehöriger die Betreuung übernimmt.
rin/eines Ernährungsberaters sollte bei einer Die Betreuung sollte in jedem Fall die Aufgaben-
ambulanten Behandlung erwogen werden. bereiche Gesundheitsfürsorge und unterbringungs-
Voraussetzung sind auf Seiten der Ernäh- ähnliche Maßnahmen umfassen sowie für einen
rungsberatung umfangreiche Erfahrungen Zeitraum von mindestens drei bis sechs Monaten
im Umgang mit essgestörten Patientinnen eingerichtet werden, um eine gesundheitliche Stabi-
und eine engmaschige Abstimmung mit lisierung zu ermöglichen. Auf Antrag des juristischen
dem behandelnden Psychotherapeuten (O). Betreuers kann in Deutschland eine Zwangsbehand-
lung unter stationären Bedingungen genehmigt wer-
62 Kapitel 4 · Anorexia nervosa
den. Zwangsbehandlungen nach dem Betreuungs- me motiviert werden kann, kommen laut Thiel und
recht sind nicht nur in psychiatrischen, sondern Paul (2007) folgende Alternativen in Frage:
auch in anderen Kliniken und Einrichtungen mög- a) Ernährung über Magensonde ohne Fixierung,
lich. Informationen zum praktischen Vorgehen er- tagsüber oder nachts,
teilen das zuständige Vormundschaftsgericht am b) Ernährung über PEG ohne Fixierung, tagsüber
Amtsgericht sowie das Gesundheitsamt. oder nachts,
c) Ernährung über Magensonde oder PEG unter
Zwangseinweisung/ Fixierung, tagsüber oder nachts,
4 Geschlossene Unterbringung d) Kombination mehrerer Möglichkeiten.
Wenn die Essstörung ein lebensbedrohliches Aus-
maß erreicht, sollte die Möglichkeit einer Zwangs- Patientinnen sollten in die Entscheidung über die
behandlung im Rahmen einer geschlossenen Unter- Form der Nahrungsaufnahme mit einbezogen wer-
bringung erwogen werden. Eine Unterbringung zum den. Fixierungen müssen auf das absolut notwen-
Zwecke der Heilbehandlung gemäß BGB § 1906 dige Mindestmaß reduziert und zum frühestmög-
Abs. 1 ist zulässig, wenn die Betroffene einwilligungs- lichen Zeitpunkt ausgesetzt werden. Spätestens zum
unfähig, ihre Zwangsbehandlung im Rahmen einer Zeitpunkt der Entlassung müssen Patientinnen wie-
Unterbringung erforderlich und im Hinblick auf der in der Lage sein, selbst Verantwortung für eine
drohende gewichtige Gesundheitsschäden verhält- ausreichende Ernährung zu übernehmen.
nismäßig ist. Da eine Zwangsbehandlung die vom Eine Zwangsernährung kann dann erforderlich
Grundgesetz geschützte Freiheit und körperliche Un- werden, wenn Patientinnen im Stadium extremer
versehrtheit verletzt, muss das Vorliegen der gesetz- Starvation so beeinträchtigt sind, dass sie ihre Ge-
lichen Voraussetzungen sorgfältig geprüft werden. fährdung nicht mehr wahrnehmen und gleichzeitig
Eine derartige Abwägung kann vor allem bei anorek- massivste Ängste vor einer Nahrungsaufnahme
tischen Patientinnen mit chronischem Krankheits- haben. In den meisten Fällen zeigen sich im weite-
verlauf und über Jahre bestehendem extremem Un- ren Verlauf und mit zunehmender Gewichtsstabili-
tergewicht sowie bei Patientinnen mit starken para- sierung positive Entwicklungen.
suizidalen Tendenzen schwierig sein. Folgendes sollte laut Thiel und Paul (2007) bei
Der rechtliche Rahmen für eine Zwangsbe- der Zwangsbehandlung beachtet werden:
handlung im Zusammenhang mit einer geschlos- 1. Zwang ersetzt keine Psychotherapie, schließt sie
senen Unterbringung kann beim zuständigen Ge- aber auch nicht aus
sundheitsamt erfragt werden. In jedem Bundes- 2. Behandlung nach dem Betreuungsrecht bean-
land bestehen für Menschen mit psychischen tragen
Krankheiten Gesetze (Psychisch-Kranken-Gesetz = 3. Eigene juristische Verantwortung bedenken
PsychKG), die die Rechtssicherheit des Kranken 4. BMI ≤ 13 kg/m2: Indikation zur Zwangsbehand-
und die Zwangsmaßnahmen gegen ihn sicherstellen lung prüfen
sollen. 5. Zwangsmaßnahmen behutsam einsetzen und
dosieren
Zwangsernährung/Fixierung 6. Essen mit möglichst wenig Zwang
Eine Zwangsernährung im engeren Sinne sollte 7. Essen und Gewicht nicht überbetonen
die Ultima Ratio darstellen. Voraussetzung für eine 8. Behandlung mit Respekt
Zwangsernährung ist eine realitätsferne Einschät- 9. Familie einbeziehen
zung der lebensbedrohlichen Situation seitens der 10. Indikation für Psychopharmaka prüfen
anorektischen Patientin. In solchen Fällen ist die 11. Ziel ist nicht ein definiertes Gewicht, sondern
Zwangsernährung im Sinne einer Fürsorge für die die Fortsetzung der Behandlung ohne Zwang
Patientin zu betrachten. Zwangsernährung kann
z. B. die Einnahme von normaler Kost oder Flüssig- Kriterium 4 kann lediglich zur Orientierung die-
kost unter engmaschiger Supervision bedeuten. Nur nen. Es muss geprüft werden, ob eine körperliche
wenn eine Patientin gar nicht zur Nahrungsaufnah- Adaptation an das niedrige Gewicht vorliegt und ob
4.2 · Therapie
63 4
möglicherweise akute physische (z. B. Elektrolyt- lante Vorgespräche sind oft hilfreich, um Sorge-
entgleisungen aufgrund von Laxanzienmissbrauch, berechtigte/nahe Angehörige und die Jugendliche
Herzrhythmusstörungen, körperliche Erkrankun- selbst von der Notwendigkeit einer stationären Be-
gen wie Diabetes mellitus) oder psychische Prob- handlung zu überzeugen. Dennoch kann bei man-
leme (z. B. Alkohol- oder Drogenmissbrauch, Suizi- gelnder Kooperation der Patientinnen und drohender
dalität) auch bei einem höheren BMI eine Zwangs- vitaler Gefährdung oder dauernder Gesundheits-
behandlung notwendig machen. schädigung in Einzelfällen eine Unterbringung mit
Bezüglich Psychopharmaka (Punkt 10) ist zu freiheitsentziehenden Maßnahmen nach § 1631b
betonen, dass diese generell zur Behandlung der BGB notwendig werden. Diese muss durch die Per-
AN mit dem Ziel der Gewichtsregulation nicht in- sonensorgeberechtigten (in der Regel die Eltern)
diziert sind, eine Medikation in Krisensituationen beim zuständigen Familiengericht des Wohnorts be-
(z. B. Suizidalität) zur Sedierung oder zur Behand- antragt werden. Sollten sich die Sorgeberechtigten –
lung einzelner Symptome (z. B. starke Unruhe, z. B. bei Trennung/Scheidung – in dieser Frage nicht
Zwänge) aber in Frage kommen kann. In der Praxis einigen, ist eine familiengerichtliche Regelung nach
handelt es sich in solchen Fällen vorwiegend um die § 1666 BGB (Übertragung der elterlichen Sorge für
Indikation für eine neuroleptische Medikation. das Aufenthaltsbestimmungsrecht und die medizi-
In lebensbedrohlichen Situationen, in denen nische Sorge auf ein Elternteil) anzustreben. Stim-
eine stationäre Zwangsbehandlung oder künstliche men trotz vitaler Gefährdung die Sorgeberechtigten
Ernährung gegen den Willen einer Patientin ent- einer notwendigen stationären Behandlung ihres
scheidend für die Gesundheit und das Überleben Kindes nicht zu, besteht die Möglichkeit, über das
der Betroffenen ist, sollten die Interventionen in zuständige Jugendamt des Wohnorts eine Inobhut-
einer spezialisierten Einrichtung vorgenommen nahme nach § 42 SGB VIII einzuleiten, die bei vitaler
werden. Mit »spezialisierter Einrichtung« sind psy- Gefährdung auch gegen den Willen der Jugendlichen
chosomatische Kliniken gemeint, die auch eine mit freiheitsentziehenden Mitteln durchgeführt
intensive internistische Betreuung gewährleisten werden kann. Das Jugendamt muss in solchen Fällen
können, sowie Abteilungen für Innere Medizin, die aber bis zum Ablauf des Folgetages eine familien-
über einen psychosomatischen Liaisondienst ver- richterliche Klärung herbeiführen. Dieses Vorgehen
fügen und Erfahrungen in der Behandlung der AN hat gegenüber einer Unterbringung nach den Unter-
haben. Derzeit stehen noch zu wenige solcher Be- bringungsgesetzen der Länder (PsychKG) den Vor-
handlungsplätze zur Verfügung. teil, dass der Jugendlichen hierdurch zumindest eine
Eine Zwangsbehandlung sollte mit dem größt- Person außerhalb des medizinischen Kontextes als
möglichen Respekt gegenüber der Würde der Be- Unterstützung an die Seite gestellt wird.
troffenen und nur nach sorgfältiger Abwägung aller Bei Übergang in die Volljährigkeit während der
zur Verfügung stehenden Alternativen durchgeführt stationären Behandlung kann – bei sich abzeich-
werden. nender Notwendigkeit einer Behandlung mit frei-
heitsentziehenden Mitteln über den 18. Geburtstag
Empfehlung
hinaus – eine vorsorgliche Betreuerbestellung nach
Eine unter Zwang durchgeführte Behandlung
§ 1908a BGB erfolgen, die mit Eintritt der Volljäh-
der AN soll nur nach Ausschöpfung aller ande-
rigkeit wirksam wird. Inwieweit Sorgeberechtigte
ren Maßnahmen inklusive der Kontaktaufnah-
als Betreuer durch das Vormundschaftsgericht ein-
me mit anderen Einrichtungen erfolgen (KKP).
gesetzt werden können, muss im Einzelfall entschie-
den werden.
Excellence 2004; Gowers u. Bryant-Waugh 2004; Kliniker mit dem Störungsbild (Herzog u. Hart-
Bulik et al. 2007), besteht Einigkeit darüber, dass mann 1997; Kaplan 2002; Herpertz u. de Zwaan
eine psychotherapeutische Behandlung der AN un- 2005). In den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts
abdingbar ist. Ihr Ziel ist: kamen dann zunehmend verhaltenstherapeutische
a. die Wiederherstellung und das Halten eines Ansätze auf, die im Sinne der operanten Konditio-
für Alter und Größe angemessenen Körperge- nierung soziale und psychische Verstärker einsetz-
wichts, ten, um die Gewichtszunahme zu fördern. Parallel
b. eine Normalisierung des Essverhaltens, dazu wurden familientherapeutische Ansätze ent-
4 c. die Behandlung körperlicher Folgen von Essver- wickelt, die die AN zunächst als Ausdruck von Fa-
halten und Untergewicht, milienpathologie betrachteten, in der Folge aber
d. die Beeinflussung der dem Störungsbild zu- vor allem auf die Unterstützung der oft stark belas-
grunde liegenden Schwierigkeiten auf emotio- teten Familienangehörigen und das Anstoßen von
naler, kognitiver und zwischenmenschlicher Entwicklungsprozessen in den Familien fokussier-
Ebene, ten. Ziel familientherapeutischer Interventionen ist
e. eine Förderung der sozialen Integration, die oft heute die Entlastung der Familienmitglieder von
mit einem »Nachholen« verpasster Entwick- Schuldgefühlen, eine Aufklärung über die Erkran-
lungsschritte verbunden ist. kung sowie eine Reduktion aufrechterhaltender
familiendynamischer Faktoren. Ziel ist es ferner,
Das Vorgehen und die Zielsetzung der Behandlung die Familie als Ressource zu nutzen und dafür zu
sollten aufgrund der oft schwankenden Motivation gewinnen, die psychotherapeutische Behandlung
und starken Ambivalenz offen mit der Patientin be- des betroffenen Mitglieds zu unterstützen (zu den
sprochen werden, möglichst im Einvernehmen zwi- Behandlungsmethoden: s. auch Herzog et al. 2008;
schen Patientin und Therapeuten. In sehr seltenen Legenbauer 2008; Reich 2008).
Fällen kann aufgrund der körperlichen Gefährdung Die meisten Behandlungsansätze berücksich-
eine Einweisung gegen den Willen der Patientin er- tigen heute alle Bereiche: Verhaltensprobleme (z. B.
forderlich sein (7 Abschn. »Zwangsbehandlung« in fehlende Mahlzeitenstruktur, Essrituale, selektive
4.2.3). Nahrungsauswahl) und kognitive Fehlannahmen
Auch nach chronischem Verlauf kann eine Hei- der Patientinnen, psychodynamische Aspekte
lung noch möglich sein. Es ist aber zu prüfen, ob die (Selbstwert- und Körpererleben, Entwicklung der
o. g. Zielsetzungen bei Patientinnen mit chroni- Geschlechtsidentität, Umgang mit Affekten, Regu-
schem Verlauf angemessen sind. Unter Umständen lation von Nähe und Distanz in Beziehungen, Per-
muss der Fokus eher auf einer Verbesserung der Le- fektionismus u. a.) sowie die Familiendynamik. In
bensqualität und dem Halten eines stabilen (unter der Regel ist ein multimodales Vorgehen angemes-
Umständen auch eines nicht optimalen) Gewichts sen, das zusätzlich auch psychoedukative Anteile
liegen. und Ernährungsberatung beinhaltet. Besonders
Bei der Behandlung von Patientinnen mit chro- junge Patientinnen und solche mit kurzer Krank-
nischer AN ist insgesamt ein flexibles, auf die indi- heitsdauer sollten frühzeitig spezifisch und intensiv
viduelle Patientin abgestimmtes Vorgehen von Be- behandelt werden, um eine Chronifizierung zu ver-
deutung, das allgemeine Wirkfaktoren berücksich- hindern.
tigt (Glaubwürdigkeit, Empathie, Akzeptanz und In vielen Fällen werden psychische Schwierig-
Verständnis) (Kaplan 2002). keiten erst nach Besserung der körperlichen Situa-
tion zugänglicher, in einigen Fällen kann jedoch erst
Grundsätzliche Wirksamkeit an Gewicht und Essverhalten gearbeitet werden,
psychotherapeutischer Methoden wenn sich die psychische Situation (Selbstwertprob-
Als sich die Erkenntnis durchsetzte, dass psychische lematik, Ängste) ansatzweise stabilisiert hat.
Ursachen maßgeblich bei der Entstehung der AN
beteiligt sind, beschäftigten sich zunächst vor allem
psychodynamisch und psychoanalytisch orientierte
4.2 · Therapie
65 4
Empirische Evidenz Vorgehen, sondern eine deutliche Heterogenität
Eine systematische Literatursuche ergab bis Mitte (. Tab. 4.2). Einzelne Studien lassen aufgrund sehr
2008 23 randomisiert-kontrollierte Studien zur psy- hoher Abbruchraten gar keine Aussagen zu (Serfaty
chotherapeutischen Behandlung der AN. Darunter et al. 1999). Die Stichprobenbeschreibungen sowie
fanden sich eine Studie zur Rückfallprophylaxe nach die Berichte der Therapieergebnisse (Outcomes) sind
stationärer Therapie (Pike et al. 2003), sieben Studien in vielen Fällen ungenügend und die Stichproben
zu stationären Behandlungssettings (Crisp et al. 1991; meist nur schwer vergleichbar. Auch wird kontrovers
Eckert et al. 1979; Weizman et al. 1985; Goldfarb et al. diskutiert, welche Erfolgsraten als gut und befriedi-
1987b; Pillay u. Crisp 1981; Gowers et al. 2007) bzw. gend zu bewerten sind.
zu einer Kombination aus stationärem und ambu- Insgesamt ist die Effektivität praktisch aller Thera-
lantem Setting (Geist et al. 2000) und 16 Studien piemethoden bei AN nur eingeschränkt beurteilbar,
zu ambulanten Interventionen (7 Online-Version: da der Vergleich zu unbehandelten Gruppen bzw.
»Methodisches Vorgehen«). Erkenntnisse über Spontanverläufe weitgehend
Von den 16 Studien, die ambulante Interven- fehlen. Es finden sich jedoch Hinweise auf eine ge-
tionen untersuchten, fanden sich zwei, die nicht als ringe Akzeptanz von rein medikamentöser Therapie
vergleichende Studien konzipiert waren, sondern (Halmi et al. 2005) oder Diätberatung (Serfaty et al.
die gleichen Methoden prüften: Einmal wurde die 1999) im Vergleich zu psychotherapeutischen Inter-
Dosierung (10 oder 20 Sitzungen Familientherapie; ventionen.
Lock et al. 2005) geändert oder eine zusätzliche Ein Cochrane-Review zur ambulanten Therapie
Intervention hinzugenommen (Familientherapie +/– erwachsener Patientinnen mit AN (Hay et al. 2003)
»body awareness therapy«; Wallin et al. 2000). Eine identifizierte sechs randomisiert-kontrollierte Stu-
Studie (Bergh et al. 2002) befasste sich mit einem dien, von denen zwei Studien Kinder und Jugend-
computergestützten Essprogramm, das nicht als liche mit eingeschlossen hatten. Datenaggregation
Psychotherapie im engeren Sinne angesehen werden und Metaanalysen waren nicht durchführbar. In zwei
kann. Eine weitere Studie untersuchte ambulante Studien fanden sich Hinweise darauf, dass »treatment
Interventionen im Anschluss an eine stationäre The- as usual« ungünstiger ist als spezialisierte Behand-
rapie (Russell et al. 1987). Eine Übersicht über Studien lung. Keine spezialisierte Therapie war einer anderen
bei Kindern und Jugendlichen findet sich bei Gowers spezialisierten Therapie überlegen (s. unten). Auf-
und Bryant-Waugh (2004). grund der wenigen vorliegenden Studien, der
Fast alle Studien wurden mit kleinen Fallzahlen Schwere des Krankheitsbildes und der gravierenden
durchgeführt. Bis auf eine Studie, die eine Warte- Schwierigkeiten bei der Durchführung methodisch
kontrolle beinhaltete (Bergh et al. 2002), verglich aus guter Studien wurden alle vorliegenden randomisiert
ethischen Gründen keine Studie die jeweilige Inter- kontrollierten Studien (randomized controlled trials,
vention mit einer unbehandelten Kontrollgruppe. RCTs) detailliert beschrieben (. Tab. 4.2). Die Daten-
In der Studie von Bergh et al. (2002) suchten aus der lage rechtfertigte den Versuch, zu prüfen, ob eine
Kontrollgruppe 70 % anderweitig eine Behandlung. Metaanalyse unter Einschluss auch nicht randomisier-
Fünf Studien verglichen eine spezialisierte Interven- ter Studien empirisch fundiertere Aussagen erlaubt
tion mit »Standardbehandlung« (treatment as usual: (Hartmann et al., im Druck). Aufgrund der Heteroge-
Channon et al. 1989; Crisp et al. 1991; Dare et al. 2001; nität der Studien erlaubt auch diese nur wenige Aus-
McIntosh et al. 2005; »customary follow-up sessions«: sagen (z. B. zu zu erwartenden Gewichtszunahmen).
Russell et al. 1987), die aber jeweils unterschiedliche
Dinge beinhaltete. Viele Interventionen waren ferner Welche Gewichtszunahme ist zu erwarten?
nicht als »reine Methoden« anzusehen, da zusätzliche Die durchgeführte Metaanalyse ergab durchschnitt-
Bausteine eingesetzt worden waren (Gewichtsma- liche Gewichtsveränderungen von einem Ausgangs-
nagement, Diätberatung, vorübergehende stationäre BMI von durchschnittlich 14,9 (SD = 2,0; N = 1308)
Aufnahmen u. a.). Auch innerhalb eines Verfahrens auf einen BMI von 17,4 (SD = 2,2, N = 1297) über
(z. B. Familientherapie) findet sich kein einheitliches 50 Behandlungsarme. Dabei wurde bei Umrech-
6 nungen von Kg-Angaben und % MMPW durch
66 Kapitel 4 · Anorexia nervosa
einen Korrekturfaktor von 0,206 eine Größe von Studien bis 1995 einschloss (Herzog u. Hartmann
1,65 m als Standardgröße definiert. 1997), kam zu dem Schluss, dass anorektische Pa-
Im ambulanten Rahmen nahmen Patientinnen tientinnen in spezialisierten Einrichtungen und
mit AN bei einem Ausgangs-BMI von m = 15,6 störungsspezifisch behandelt werden sollten (. Tab.
durchschnittlich 0,08 BMI-Punkte pro Woche zu 4.3a, Abschn. 4.4: Anhang; Becker 1988).
(dies entspricht 260 g/Woche bei 1,65 m Körpergrö-
ße), bei stationärer Behandlung 0,20 BMI-Punkte Kognitive Verhaltenstherapie
(entspricht 530 g/Woche; Anfangs-BMI m = 14,6). Es fanden sich sechs Studien, die die Wirksamkeit
4 Die Effektstärken in beiden Settings lagen bei 1,16 ambulanter kognitiver (CT, COT)3, behavioraler
(ambulant) und 1,17 (stationär), bei signifikanter (BT, EBT) oder kognitiv-behavioraler (CBT) Inter-
Inhomogenität der stationären Therapie-Effekt- ventionen untersucht hatten (Fallzahl insgesamt
stärken und sich breit überlappenden Konfidenz- N = 95; Bachar et al. 1999; Ball u. Mitchell, 2004;
intervallen. Die Effektstärken waren nicht signifi- Channon et al. 1989; McIntosh et al. 2005; Serfaty et
kant unterschiedlich. al. 1999; Treasure et al. 1995). Eine Studie von Pike
Es ließen sich keine Unterschiede in den Effekt- (2003) hatte kognitiv-behaviorale Interventionen
stärken für Patientinnen unterschiedlicher Alters- als Rückfallprophylaxe nach stationärer Therapie
gruppen zeigen (< 18 Jahre, 18 bis 25 Jahre, > 25 Jah- geprüft. In der Regel wurde ein Umfang von 20 am-
re). Auch Studien mit hohem oder geringem Anteil bulanten Sitzungen angeboten. Aufgrund fehlender
von Patientinnen mit bulimischer AN unterschieden unbehandelter Kontrollgruppen und nicht ausrei-
sich nicht signifikant in ihren Effektstärken. Ein Ver- chender Katamnesezeiträumen sowie kleiner Fall-
gleich eines bestimmten Verfahrens (z. B. psycho- zahlen waren die Effekte insgesamt schwer abschätz-
dynamisch oder kognitiv-behavioral) mit einem an- bar. In einigen Studien fehlten wichtige Angaben
deren war nicht durchführbar, da es sich fast nie um zum Therapieergebnis, oder es wurden subsyndro-
rein schulenspezifische Interventionen, sondern in male Fälle mit eingeschlossen. Grundsätzlich ist
der Regel um die Kombination von Vorgehensweisen eine Wirksamkeit kognitiv-behavioraler Therapie
handelte (z. B. psychodynamisches Vorgehen mit zu- anzunehmen (. Tab. 4.3b, Abschn. 4.4: Anhang).
sätzlichen kognitiv-behavioralen Elementen sowie
Diätberatung) (Hartmann et al., 2011). Interpersonelle Therapie
Zu Interventionen mit interpersoneller Therapie
Spezialisierte Behandlung fand sich nur eine einzige Studie im ambulanten
vs. nicht spezialisierte Behandlung Setting (Fallzahl insgesamt N = 21; McIntosh et al.
Zwei Studien wiesen darauf hin, dass eine spezia- 2005). Da in die Studie auch subsyndromale Fälle
lisierte Behandlung einer nicht spezialisierten Be- einbezogen wurden, keine Katamneseuntersuchung
handlung überlegen ist (Dare et al. 2001; Crisp et al. vorlag und die Ausgangsdaten für die Therapiearme
1991). In zwei weiteren Studien fand sich kein Unter- nicht getrennt angegeben wurden, ist eine Be-
schied (Channon et al. 1989; Gowers et al. 2007). In wertung der Effekte nicht möglich. Die Studie von
einer fünften Studie fanden sich Hinweise auf eine McIntosh ergab Hinweise auf eine Unterlegenheit
Überlegenheit nicht spezialisierter Behandlung ge- der spezialisierten Therapieansätze (IPT4, CBT) ge-
genüber spezialisierter, manualisierter Therapie genüber der Kontrollgruppe (»treatment as usual«,
(McIntosh et al. 2005). In der Studie von McIntosh et signifikant nur in der Completer-Analyse). Ein-
al. wurde das »supportive unspezifische klinische Ma- schränkend ist zu sagen, dass die Kontrollgruppe
nagement« allerdings von Therapeuten durchgeführt, von denselben, mit Essstörungstherapien erfahre-
die viel Erfahrungen im Umgang mit essgestörten
Patientinnen hatten (McIntosh et al. 2006; 7 Abschn.
3 CT= kognitive Therapie; COT = kognitiv orientierte Therapie
»Interpersonelle Therapie« in 4.2.4), sodass die Defini-
(»cognitive orientation treatment«); BT = behaviorale Thera-
tion von »unspezifisch« problematisch erscheint. pie; EBT= edukativ-behaviorale Behandlung (»educational
Ein systematisches Review, das wegen der behavioral treatment«).
schlechten Datenlage auch nicht randomisierte 4 IPT = Interpersonelle Therapie.
4.2 · Therapie
67 4
nen Therapeuten behandelt wurde, die auch IPT ventionen beinhalten. Diese nehmen oft Anleihen
und CBT anboten, und den Vorteil aufwies, dass bei verschiedenen anderen Verfahren (edukative,
flexibler (»nicht manualisiert«) interveniert werden kognitive, interpretierende Elemente), beispiels-
konnte. In einer aktuelleren Arbeit beschreiben weise in der Studie von Russell et al. (1987). Thera-
McIntosh et al. (2006) diesen Ansatz als »specialist peutische Vorgehensweisen, die als »treatment as
supportive clinical management« (SSCM) (. Tab. usual« bezeichnet werden, können im weitesten
4.3c, Abschn. 4.4: Anhang). Sinne auch als »supportive Therapie« angesehen
werden (s. Studien von McIntosh et al. 2005; Dare et
Psychodynamische Therapie al. 2001; Channon et al. 1989). Wegen der Hetero-
Es fanden sich drei randomisiert-kontrollierte Studi- genität dessen, was mit »supportiver Therapie« ge-
en mit psychodynamischem Therapieansatz (Fall- meint ist, und wegen der Unklarheit darüber, ob
zahl insgesamt N = 44; Bachar et al. 1999; Dare dies bei Studien, in denen sie sich unterlegen zeigte
et al. 2001; Robin et al. 1999), die in ihrem Vorgehen (z. B. Dare et al. 2001), auf die geringere Therapie-
weniger auf die konkrete Symptomatik, sondern dosis zurückzuführen ist, sowie aufgrund fehlender
auf deren Bedeutung im Hinblick auf die Lebens- Vergleiche zu unbehandelten Kontrollgruppen, ist
geschichte, die persönliche Entwicklung und wich- eine abschließende Bewertung nicht möglich.
tige Beziehungen (einschließlich des Therapeuten)
fokussierten. Diese Studien sind kaum vergleichbar, Familientherapie
denn sie untersuchten unterschiedliche Stichproben: Im Bereich familientherapeutischer Interventionen
Die Patientinnen in der Studie von Robin und Mit- lagen die meisten Studien zur Therapie der AN vor
arbeitern (Robin et al. 1999) waren Kinder und Ado- (Fallzahl insgesamt: N = 230). Ein Cochrane-Re-
leszente mit Krankheitsdauern unter einem Jahr, view ist derzeit in Arbeit. Fast alle Studien zur Fa-
während Dare et al. (2001) Erwachsene mit einer milientherapie wurden an Stichproben von Kindern
durchschnittlichen Krankheitsdauer von über sechs und Adoleszenten durchgeführt. Die meisten orien-
Jahren untersuchten. Grundsätzlich weisen die Stu- tierten sich am Konzept des Maudsley-Hopitals in
dien darauf hin, dass psychodynamische Therapie- London und thematisierten in den Familien aktiv
ansätze wahrscheinlich wirksam sind (. Tab. 4.3d, den Umgang mit Gewicht und Essen. Die einzige
Abschn. 4.4: Anhang). Studie, die nur Erwachsene (Alter > 18 Jahre) ein-
schloss, ist die Studie von Dare et al. (2001). Insge-
Psychoanalyse samt sind die Effekte familientherapeutischer Inter-
Es liegt keine gesicherte empirische Evidenz für ventionen schwer zu beurteilen, da sich auch hier
die Wirksamkeit klassischer psychoanalytischer Be- kein Vergleich mit einer unbehandelten Kontroll-
handlung der AN vor. Über klassische Behand- gruppe findet und der Spontanverlauf der Erkran-
lungen im Liegen gibt es einzelne Fallberichte. An- kung nicht bekannt ist (s. auch Diskussion von
dererseits finden sich viele von psychoanalytischer Bergh et al. 2006; Le Grange 2006). Familienthera-
Theorie und Grundhaltung geprägte, modifizierte peutische Interventionen wurden im Vergleich zu
Ansätze. Zur Übersicht siehe die systematische einzeltherapeutischen Ansätzen untersucht (Dare et
Literaturübersicht bei Herzog und Hartmann al. 2001; Robin et al. 1999; Ball et al. 2004; Russell et
(1997), die alle Studien und Fallberichte bis 1995 al. 1987), oder es wurden unterschiedliche Vorge-
einschließt. hensweisen miteinander verglichen: Familienge-
spräche mit der gesamten Familie vs. getrennte Ge-
Gesprächspsychotherapie spräche mit der Patientin und dem Rest der Familie
Es liegt keine empirische Evidenz vor. (Eisler et al. 2000; Le Grange et al. 1992; Eisler et al.
2007). Aufgrund der vorliegenden Studien ist insge-
Supportive Therapie samt nicht zu beurteilen, ob Familientherapie selbst
Supportive Therapie ist eine Bezeichnung für Vor- (als definiertes Verfahren) günstige Effekte hat oder
gehensweisen, die in der Regel wenig direktive und aber eine grundsätzliche Einbeziehung der Eltern/
an den Bedürfnissen der Patientin orientierte Inter- Familie in die Therapie (Fairburn 2005).
68 Kapitel 4 · Anorexia nervosa
Lock et al. (2005) verglichen unterschiedliche (kleine Fallzahl, starke Variabilität der Anzahl an
Dosen von familientherapeutischer Intervention Sitzungen, manche Patientinnen wurden hospitali-
(10 vs. 20 Sitzungen) miteinander. Es fanden sich siert oder bekamen zusätzlich Einzelgespräche,
Hinweise darauf, dass bei Patientinnen aus Prob- neun der 26 Patientinnen zeigten zu Beginn kein
lemfamilien und mit ausgeprägten zwanghaften pathologisches Körpererleben) lassen die Ergeb-
Zügen eher längere Behandlungszeiträume von nisse keine Schlussfolgerungen zu (. Tab. 4.3g, Ab-
Vorteil sind. Insgesamt scheint es günstig zu sein, schn. 4.4: Anhang).
die Patientinnen auch zu Einzelkontakten zu sehen
4 (Eisler et al. 2000). In der Studie von Russell et al. Selbsthilfe
(1987; siehe auch Eisler et al. 1997a) erwies sich Fa- Zur Selbsthilfe liegt ein Cochrane-Review vor
milientherapie bei Patientinnen mit Krankheits- (Perkins et al. 2006), das allerdings alle Essstörungen
beginn ≤ 18 Jahre als günstiger, während Patien- berücksichtigt und keine einzige Studie zur AN be-
tinnen mit späterem Beginn eher von einem einzel- inhaltet. Zwölf RCTs und drei CCTs wurden ein-
therapeutischen Ansatz profitierten (. Tab. 4.3e, geschlossen. Als Ergebnis fand sich, dass sich Ess-
Abschn. 4.4: Anhang). Brechanfälle im Vergleich zu Kontrollgruppen durch
Selbsthilfe nicht verbesserten, aber andere Essstö-
Integrative Ansätze rungssymptome, die psychische Symptomatik allge-
Es fanden sich zwei Studien (Fallzahl insgesamt: mein sowie zwischenmenschliche Probleme. Es wird
N = 36; Dare et al. 2001; Treasure et al. 1995) zu zusammenfassend vorsichtig formuliert: »Selbsthilfe
einem integrativen Psychotherapieansatz (»cogni- könnte als erster Schritt einen Nutzen haben.«
tiv-analytic therapy«, CAT), der sowohl kognitiv-
behaviorale Elemente (Thematisierung der Funk- Kombination abgrenzbarer
tion von Verhalten und dysfunktionalen Denk- psychotherapeutischer Verfahren
mustern) als auch psychodynamische Elemente Vier Studien wählten explizit eine Kombination von
(Bearbeitung von interpersonellen Schwierigkeiten Verfahren, um sie mit einem anderen Verfahren zu
und Selbsterleben, Arbeit an der Übertragungsbe- vergleichen (Fallzahl insgesamt N = 110; Crisp et al.
ziehung) enthält (Ryle et al. 1990). Beide Studien 1991; Hall u. Crisp 1987; Wallin et al. 2000; Gowers
untersuchten erwachsene Patientinnen mit AN. In et al. 2007). Es wurden Einzel- oder Gruppenge-
der Untersuchung von Dare et al. (2001) waren CAT spräche mit Familientherapie und Diätberatung
und Familientherapie einer »Routinebehandlung« oder Familientherapie mit Körpertherapie kom-
überlegen. Treasure et al. (1995) zeigten, dass CAT biniert. Es ergaben sich keine eindeutigen Hin-
in der subjektiven Beurteilung der Patientinnen weise auf eine Überlegenheit eines kombinierten
besser abschnitt als ein edukativ-behavioraler An- Vorgehens, wobei jedoch einschränkend zu beden-
satz; im Gesamtbehandlungsergebnis fand sich kein ken ist, dass fast alle Studien zur Behandlung der
signifikanter Unterschied (40 vs. 20 % guter Out- AN neben der zu prüfenden Intervention zusätz-
come) (. Tab. 4.3f, Abschn. 4.4: Anhang). liche Elemente einsetzten (kurze psychotherapeu-
tische Gespräche, Konsultationen beim Hausarzt,
Körperorientierte Methoden Diätberatung, Beratung der Angehörigen, vorüber-
Zur Prüfung der Effektivität körperorientierter Me- gehende Hospitalisationen etc.). Die »reine« Be-
thoden findet sich nur eine kleine randomisiert- handlung mit einem Verfahren ist nicht nur in der
kontrollierte Studie, die an Kindern und Jugend- klinischen Praxis, sondern auch bei der Durchsicht
lichen durchgeführt wurde, die ihrerseits im Durch- randomisiert-kontrollierter Studien eher die Aus-
schnitt kürzer als ein Jahr krank waren (Fallzahl nahme (. Tab. 4.3h, Abschn. 4.4: Anhang).
insgesamt: N = 13; Wallin et al. 2000). Alle Patien-
tinnen erhielten Familientherapie und zusätzlich Rolle psychoedukativer
entweder »body awareness therapy« oder nicht. Es Vorgehensweisen
zeigte sich kein zusätzlicher Effekt der Körperthe- Edukative Elemente sind in den meisten Therapie-
rapie. Aufgrund methodischer Einschränkungen ansätzen enthalten und nur schwer isoliert zu unter-
4.2 · Therapie
69 4
suchen. Treasure et al. (Fallzahl insgesamt N = 14; legen ist (Evidenzgrad Ib; National Institute of
1995) verglichen einen Therapieansatz, der aus Auf- Clinical Excellence 2004; Bachar et al. 1999; Ball
klärung und Information über die Erkrankung so- et al. 2004; Channon et al. 1989; Dare et al. 2001;
wie einer Anleitung zum Essverhalten und Ge- McIntosh et al. 2005; Robin et al. 1999; Treasure
wichtsmanagement bestand, mit kognitiv-analyti- et al. 1995; Gowers et al. 2007).
scher Therapie. Die Patientinnen waren mit dem 4 Es liegt keine ausreichende Evidenz dafür vor,
edukativ-behavioralen Vorgehen weniger zufrieden dass ein bestimmtes Vorgehen in der Familien-
und zeigten einen Trend zu einem etwas schlech- therapie (gemeinsame Sitzungen mit der Patien-
teren Behandlungsergebnis (cave: kleine Fallzahl, tin oder getrennte Gespräche mit Patientin und
vier Dropouts). Eltern) wirksamer ist als das andere (Evidenz-
grad III; Eisler et al. 2000; Le Grange et al. 1992),
Sonstiges allerdings finden sich Hinweise darauf, dass es
Bergh et al. (2002; Fallzahl insgesamt N = 19) unter- bei einem hohen Ausmaß kritischer elterlicher
suchten ein computergestütztes Esstraining mit Kommentare günstiger sein kann, Eltern und Pa-
nachfolgender Wärmebehandlung (eine Stunde tientin getrennt zu sehen (EL III; Eisler et al. 2007).
Ruhe in einem bis zu 40°C warmen Raum) im Ver- 4 Es liegt keine Evidenz zur ambulanten Behand-
gleich zu einer Wartekontrollgruppe. Das Training lung einer AN mit starker körperlicher Gefähr-
wurde so lange fortgesetzt, bis eine Remission er- dung (BMI < 13kg/m2) vor.
reicht war. 73,7 % erfüllten nach ca. 14 Monaten
keine Kriterien einer Essstörung mehr. Allerdings Evidenz zur ambulanten Psychotherapie
war die Stichprobe sehr heterogen (Alter 10 bis 33, im Anschluss an
BMI 10,8 bis 17,6) und die durchschnittliche Krank- eine stationäre Behandlungsepisode
heitsdauer eher kurz (zwei Jahre) (. Tab. 4.3i, Ab- 4 Es liegt begrenzte Evidenz dafür vor, dass bei
schn. 4.4: Anhang). Kindern und Jugendlichen mit Krankheitsbeginn
< 18 Jahre und einer Krankheitsdauer von < 3
Zusammenfassung: Evidenz zur ambulanten Jahren auf die Familie ausgerichtete Interven-
Therapie der AN tionen Teil der sich an eine stationäre Episode
4 Es liegt begrenzte Evidenz dafür vor, dass bei AN anschließenden Behandlung sein sollten und
eine speziell auf die Erkrankung ausgerichtete ältere Patientinnen mit einem späten Krankheits-
Psychotherapie einem unspezifischen Vorgehen beginn eher von individueller Therapie profi-
vorzuziehen ist (Evidenzgrad II; Herzog u. Hart- tieren (Evidenzgrad III; Russell et al. 1987; Eisler
mann 1997; Dare et al. 2001; Crisp et al. 1991). et al. 1997b).
4 Es liegt begrenzte Evidenz dafür vor, dass Diät- 4 Es liegt begrenzte Evidenz dafür vor, dass eine
beratung alleine für Patientinnen mit AN nicht kognitiv-behaviorale Therapie im Anschluss an
ausreichend ist (Evidenzgrad IV; Serfaty et al. eine stationäre Therapie einem Vorgehen mit
1999; Hall u. Crisp 1987). Diätberatung überlegen ist (Evidenzgrad II; Pike
4 Es liegt Evidenz dafür vor, dass auch spezialisierte et al. 2003).
ambulante Behandlungsmethoden (fokal-ana-
lytische Therapie, kognitiv-behaviorale Therapie, Empfehlung
kognitiv-analytische Therapie, Interpersonelle
Klinische Empfehlungen:
Therapie, Familientherapie) nur zu mäßigen Er-
Ambulante Psychotherapie der AN
folgsraten führen (Gewicht, Anteil Patientinnen
4 Patientinnen mit AN sollte eine spezialisier-
in Remission) (Evidenzgrad II; National Institute
te Therapie bei mit Essstörungen erfahre-
of Clinical Excellence 2004; Hartmann et al.
nen Behandlern angeboten werden (B). Bei
2011).
der Wahl der Methode sollten die Präferenz
4 Es liegt keine ausreichende Evidenz dafür vor,
dass eines dieser Verfahren einem anderen über- 6
6
70 Kapitel 4 · Anorexia nervosa
Von Mead et al. (2001) liegt ein systematisches beitung einer Motivation für einen langfristigen
Review zum Vergleich ambulanter und stationärer Veränderungsprozess. Eine ausreichende Motiva-
Behandlung vor. Es wurden Patientinnen eingeschlos- tion ist eine wichtige Voraussetzung für das Gelin-
sen, für die eine stationäre Therapie in Frage kam, gen einer sich an die stationäre Phase anschlie-
die aber auch ambulant behandelt werden konnten. ßenden ambulanten Psychotherapie.
Neben der bereits erwähnten Studie von Crisp et al. Für chronifizierte und sozial sehr isolierte Pa-
(1991) wurden sieben Fall-Kontrollstudien identifi- tientinnen kann eine stationäre (oder auch tages-
ziert. Die Raten an günstigen Verläufen nach stationä- klinische) Behandlung das Ziel haben, durch Struk-
4 rer Behandlung variierten zwischen 31 und 72 %, die turierung des Tagesablaufs und den Wiederaufbau
Behandlungsdauern zwischen 32 und 280 Tagen. Die sozialer Kontakte eine Stabilisierung auf einem
Aussage, dass sich im längerfristigen Verlauf kein Un- Niveau mit höherer Lebensqualität zu erreichen
terschied zwischen den Settings findet, muss wegen (s. z. B. Ro et al. 2004).
der Heterogenität der Studien mit Vorsicht bewertet
werden. Behandlungsbausteine
Eine naturalistisch angelegte deutsche Multi- Es liegt keine ausreichende empirische Evidenz zu
centerstudie zur stationären Behandlung von Ess- der Frage vor, welche Behandlungsbausteine vor-
störungen (Kächele et al. 2001; Richard 2001; Richard gehalten werden sollten. Die vorliegenden rando-
et al. 2005), an der sich 43 Zentren beteiligten, zeigte misiert-kontrollierten Studien untersuchten zusätz-
ebenfalls große Unterschiede in den Behandlungs- liche Therapiekomponenten, die ergänzend zu
dauern (4,3 bis 27,8 Wochen) und Vorgehensweisen einem »Standardprogramm« angeboten wurden
der Kliniken. Nach 2,5 Jahren zeigte ein Viertel bis wie Medikation, verhaltenstherapeutische Interven-
ein Drittel der Patientinnen noch das Vollbild einer tionen (Desensibilisierung), ein »social skills trai-
AN. Wenn Patientinnen in spezialisierten Kliniken ning« oder Familientherapie (Weizman et al. 1985;
behandelt wurden, war die Gefahr von Rückfällen ge- Goldfarb et al. 1987a; Pillay u. Crisp 1981; Geist et
ringer. al. 2000). Die Ergebnisse sind jedoch aufgrund
In einer Studie von Fichter et al. (2006) fanden methodischer Mängel nicht zu verwerten (s. o.).
sich für eine stationäre Behandlung von anorekti- Studien zur Patientinnenzufriedenheit und sub-
schen Patientinnen in Deutschland bei Berücksichti- jektiven Bewertung von Therapiebausteinen durch
gung von Aufnahme- und Entlassmessungen starke die Patientinnen sprechen dafür, dass diese vor
Effekte von ES = 1,3 für eine Abnahme des Schlank- allem Einzeltherapie, körpertherapeutische Ange-
heitsstrebens im Eating Disorder Inventory (EDI-2); bote im Einzelsetting, den Austausch mit Mitpa-
für den EDI-2-Gesamt-Score betrug die entsprechen- tientinnen und strukturierte Vorgaben zum Essen
de Effektstärke 1,0. als hilfreich erleben (Swain-Campell et al. 2001;
Kennedy u. Garfinkel 1989; Konzag et al. 2005;
Zielsetzung Zeeck et al. 2008). Das Angebot einer Körperthera-
Ein Hauptziel stationärer Behandlung ist die kör- pie kann vor allem in der Phase der ängstigenden
perliche Stabilisierung, für die eine ausreichende Gewichtszunahme förderlich sein. Auch Kunst-
Gewichtszunahme Voraussetzung ist. Einzelne therapie hat einen wichtigen Stellenwert (Ganter et
Studien legen nahe, dass ein möglichst hohes Ge- al. 2009). Patientinnen geben den Wunsch an, über
wicht (BMI > 18 kg/m2) angestrebt werden sollte, Themen zu sprechen, die ȟber Essen und Gewicht
um das Rückfallrisiko zu mindern (Baran et al. hinausgehen« (Bell 2003).
1995; Howard et al. 1999). Eine stationäre Behand- Eine Untersuchung zum subjektiven Erleben
lung ermöglicht dabei eine intensive psychothera- von Bettruhe zeigte, dass Patientinnen diese nur
peutische Begleitung der Patientinnen während des zum Teil als Erniedrigung und Bestrafung erleben,
Prozesses der Gewichtszunahme, der in der Regel sondern vor allem als eine schwierige Situation, in
mit starken Ängsten, Gefühlen von Ohnmacht und der sie mit Langeweile und Einsamkeit konfrontiert
Hilflosigkeit verbunden ist. Weitere Ziele sind eine werden (Griffiths et al. 1998). Key et al. (2002) wei-
Normalisierung des Essverhaltens sowie die Erar- sen in einer Studie zur Spiegelexposition auf mög-
4.2 · Therapie
73 4
liche positive Effekte dieses Vorgehens hin, jedoch Gewichtsvorgaben bestehen, ohne die Ängste und
bei sehr kleiner Fallzahl (6 vs. 9 Patientinnen). Ambivalenz der Patientinnen aufzugreifen, vermie-
den werden. Sie können zu einer vordergründigen
Therapieverträge Anpassung der Patientinnen führen, die nach Ent-
Eckert et al. (1979) führten in drei Kliniken mit lassung erneut an Gewicht abnehmen. International
kognitiv-behavioraler Orientierung ein Programm werden aktuell Gewichtsvorgaben von 500–1000 g
mit Verhaltensmodifikation und operanter Kondi- Gewichtszunahme pro Woche im stationären
tionierung ein, das zu einer geringen, aber nicht sig- Rahmen empfohlen (National Institute of Clinical
nifikant höheren Gewichtszunahme führte. Die Excellence 2004; American Psychiatric Association
Vorgehensweisen der Kliniken und die Durchfüh- 2006).
rung der Studie sind nur unzureichend beschrieben. Untersuchungen zu Charakteristika des Ge-
In einer Kohortenstudie verglichen Herzog et al. wichtskurvenverlaufs geben Hinweise darauf, dass
(1996) ein psychodynamisches Behandlungspro- die Gewichtsentwicklung der dritten und vierten
gramm vor und nach Einführung von symptom- Woche eine gute Vorhersage des Therapieergebnis-
orientierten Behandlungsbausteinen (Therapiever- ses ermöglicht – und damit eine Identifikation von
trag, Arbeit mit Esstagebüchern). Während zuvor Risikopatientinnen, die ambivalent oder nur be-
nur ca. 25 % der Patientinnen bis zur Entlassung das grenzt motiviert sind (Hartmann et al. 2007). In
Zielgewicht erreichten, waren es nach Einführung einer Studie von Remschmidt und Müller (1987)
der zusätzlichen Komponenten 70 %. Dies spricht erwiesen sich ein längerer Zeitraum bis zur Ge-
dafür, dass klare Vorgaben zur Gewichtszunahme wichtsstabilisierung sowie eine größere Variabilität
und eine intensive Arbeit an der Symptomatik er- der Gewichtskurve als günstig. Die Autoren weisen
forderlich sind, um Patientinnen mit ausreichendem darauf hin, dass die Gewichtsentwicklung in der
Gewicht entlassen zu können. Obwohl ein solches Regel den »inneren Prozess« der Patientinnen wi-
Vorgehen inzwischen in den meisten Klinik üblich derspiegelt und eine intensive Auseinandersetzung
ist, findet sich hierzu nur begrenzte empirische mit den stattfindenden Veränderungen therapeu-
Evidenz. tisch von großer Bedeutung ist.
Es wird darauf hingewiesen, dass bei der Fest- Noch im stationären Rahmen die Erfahrung zu
legung eines Zielgewichts das Alter der Patientin- machen, dass das erreichte Gewicht über einen be-
nen berücksichtigt werden sollte (Hebebrand et al. stimmten Zeitraum gehalten werden kann, scheint
1994). Es finden sich jedoch keine Arbeiten zur ebenfalls bedeutsam zu sein und das Risiko für
optimalen Höhe eines zu vereinbarenden Zielge- spätere Rückfälle und Rehospitalisationen zu ver-
wichts. mindern (Lay et al. 2002).
Patientinnen scheinen mit höheren Gewichts- Touyz et al. (1984) verglichen einen strengen
vorgaben pro Woche im Durchschnitt zunächst und einen eher nachsichtigen Umgang mit der ge-
mehr zuzunehmen (Solanto et al. 1994). Möglicher- troffenen Therapievereinbarung miteinander. In
weise kommt es bei zu rascher Zunahme aber im beiden Fällen zeigten sich vergleichbare Gewichts-
weiteren Verlauf zu einer erneuten Gewichtsab- zunahmen unter Therapie, das flexiblere Vorgehen
nahme, die psychologische (Herzog et al. 2004) und ermöglichte den Patientinnen aber, sich eher auf die
auch physiologische Gründe haben kann (Holt- Therapie einzulassen, sie besser zu akzeptieren so-
kamp et al. 2004b), mit der Gefahr schnellerer Re- wie eine bessere therapeutische Beziehung aufzu-
hospitalisierung (Lay et al. 2002). In einer Unter- bauen (Touyz et al. 1987).
suchung von Herzog et al. (2004) nahmen Patien- Die Ausgestaltung von Therapieverträgen sollte
tinnen mit geringerer Gewichtsvorgabe pro Woche sich an den Erfahrungen und Arbeitsweisen des je-
(500 g vs. 750 g) in einer Stabilisierungsphase nach weiligen Teams orientieren und die therapeutische
Erreichen des Zielgewichts noch weiter zu, während Haltung im Hinblick auf die Therapieziele klar und
es bei höherer Vorgabe zu einer erneuten leichten konsistent, aber auch empathisch und flexibel sein.
Gewichtsabnahme kam. Daher sollten zu rigide Manche anorektischen Patientinnen neigen dazu,
Programme, die auf einer strikten Einhaltung der Behandlungsvereinbarungen zu unterlaufen (z. B.
74 Kapitel 4 · Anorexia nervosa
durch Trinken von Flüssigkeit vor dem Wiegen). Dies beinhaltet die Planung der ambulanten An-
Dieses Verhalten sollte nicht zum Abbruch der Be- schlusstherapie, die Antizipation von Rückfällen
handlung führen, sondern mit der jeweiligen Patien- und Schwierigkeiten nach Entlassung, übende
tin auf seine Funktion hin untersucht werden. Elemente (Einkaufen, Zubereitung von Mahlzeiten,
Restaurantbesuch) und das Erleben eines Ab-
Phasenspezifisches Vorgehen schnitts, in dem das Gewicht nicht weiter konti-
Zur Frage eines phasenspezifischen Vorgehens bei nuierlich ansteigt, sondern gehalten werden kann
einer stationären Psychotherapie finden sich keine (Lay et al. 2002).
4 Studien. Die klinische Erfahrung zeigt, dass zu Be-
ginn der Therapie eine Fokussierung auf die Moti- Behandlungsdauer
vation der Patientin und auf konkrete Hilfestellung Es findet sich keine direkte empirische Evidenz, aus
beim Essen und bei der Gewichtszunahme bedeut- der sich die günstigste Behandlungsdauer ableiten
sam ist. Manche Patientinnen sind durch die Hun- lässt; es liegen aber Hinweise darauf vor, dass meh-
gersituation in ihrem Denken und Fühlen zu Be- rere Faktoren zu berücksichtigen sind. Ziel einer
ginn deutlich beeinträchtigt. Die Psychotherapie stationären Behandlungsepisode sollte das Erreichen
hat in dieser Phase die Funktion, bei auftretenden eines adäquaten Gewichts sein (BMI 18–20 kg/m2
Ängsten und starker Ambivalenz zu begleiten, dys- bzw. 10. Altersperzentile, s. o.). Es ist daher mit Be-
funktionale Überzeugungen zu relativieren und zu handlungsdauern von mehreren Monaten zu rech-
einer Veränderung des Essverhaltens zu ermutigen. nen, wenn Patientinnen mit einem sehr niedrigen
In der Regel bedarf es zu Beginn einer engmaschigen Gewicht aufgenommen werden und wöchentliche
Begleitung des Essverhaltens, die konkrete Ver- Gewichtsvorgaben von 500–1000 g erhalten. Zu be-
einbarungen zu Veränderungsschritten beinhaltet. rücksichtigen ist, dass eine stationäre Therapie aber
Im weiteren Behandlungsverlauf rücken andere auch eine Herausnahme aus dem alltäglichen Le-
Themen stärker in den Vordergrund: beispielsweise benskontext und den sozialen Kontakten beinhaltet
eine Selbstwertproblematik, die Ablösung aus und bei zunehmender Länge negative Effekte bein-
dem Elternhaus, die Frage der weiblichen Identität, halten kann (s. o.). Die Möglichkeit einer Intervall-
interpersonelle Schwierigkeiten und perfektionis- behandlung mit einer erneuten Aufnahme innerhalb
tische, leistungsorientierte Persönlichkeitszüge eines abgesprochenen Zeitraums kann daher über-
(Herzog u. Zeeck 2001; Pierloot et al. 1982). Die legt werden. Die Ergebnisse der bereits erwähnten
schrittweise Hinzunahme von Behandlungsbau- naturalistischen Multicenterstudie zur stationären
steinen im Rahmen eines multimodalen Settings Behandlung von Essstörungen (Kächele et al. 2001)
muss sich an der Belastbarkeit, der Zugänglichkeit ergab Hinweise darauf, dass ältere Patientinnen mit
der Patientin und ihrer körperlichen Situation ori- langer Krankheitsdauer im Vergleich zu jüngeren
entieren. Zu berücksichtigen ist ferner, dass eine eher länger behandelt werden sollten, um ein gutes
rasche Gewichtszunahme zu einer Situation führen Therapieergebnis (ausreichende Gewichtszunahme,
kann, in der die psychische der physischen Stabili- Rückgang der Essstörung) zu erreichen.5
sierung »hinterherhinkt« (bei einigen Patientinnen
kann die Gewichtszunahme depressive Symptome Verlauf und Rückfallprophylaxe
bis hin zur Suizidalität auslösen, Jugendliche kön- Fichter et al. (2006) führten bei 103 erwachsenen
nen ängstigende Entwicklungsschritte bezüglich AN-Patientinnen eine 12-Jahres-Verlaufsunter-
Erwachsenwerden und Sexualität im »Zeitraffer« suchung bei stationärer Aufnahme, bei Entlassung
durchlaufen). Patientinnen sind in dieser Phase sowie zwei Jahre, sechs Jahre und zwölf Jahre nach
vulnerabel und bedürfen ausreichender Unterstüt-
zung, um nicht auf anorektische Verhaltensweisen
5 Anmerkung: Chronifizierte Patientinnen, bei denen die Ziel-
zurückzugreifen (Fennig et al. 2002).
setzung mehr auf Verbesserung von Lebensqualität und so-
Da Rückfälle nach stationären Behandlungs- zialer Einbindung liegt als auf einer Heilung der Anorexia
phasen häufig sind, sollte sich die letzte Phase auf nervosa, profitieren auch von tagesklinischen Behandlung
die Vorbereitung der Entlassung konzentrieren. und einer geringeren Therapiedosis.
4.2 · Therapie
75 4
Entlassung durch. Sie fanden im Vergleich zum Ent- nach stationärer Therapie am größten. Patientinnen
lassungszeitpunkt eine erneute Verschlechterung mit einem niedrigen Wunschgewicht und einer lan-
der allgemeinen Psychopathologie und der Essstö- gen Krankheitsdauer weisen dabei das höchste
rungspathologie nach zwei Jahren und in der Folge Rückfallrisiko auf (Richard et al. 2005).
dann durchschnittlich kontinuierliche Besserungen Eine Studie von Pike et al. (2003) an 33 Patien-
(nach sechs und zwölf Jahren). Nach zwölf Jahren tinnen zeigte, dass eine einjährige kognitiv-verhal-
war ungefähr das Ausmaß an Besserung wieder er- tenstherapeutische Intervention nach stationärer
reicht, das die Patientinnen zum Zeitpunkt der Ent- Behandlung effektiver war als als »nutritional coun-
lassung aus stationärer Therapie gezeigt hatten. seling« (Ernährungsmanagement). Letzteres führte
28 % wiesen nach zwölf Jahren ein gutes Ergebnis zu früheren und häufigeren Rückfällen (53 vs.
auf, 25 % ein mäßiges, und 40 % waren chronisch 22 %).
krank, 7 % verstorben. Dies entspricht den Ergeb-
nissen einer Studie von Eckert et al. (1995) aus den Behandlungsabbrüche,
USA, bei der sich nach zehn Jahren Heilungsraten Verlaufsprädiktoren
von 24 % fanden und 6 % der Patientinnen verstor- Die Patientinnen stehen einer Behandlung oft am-
ben waren (N = 76; Alter bei stationärer Aufnahme: bivalent gegenüber, deshalb ist die Gefahr groß, dass
20, Range 12–36). Eckert et al. fanden die meisten sie die Behandlung frühzeitig beenden (Zeeck et al.
Rückfälle (Patientinnen, die im stationären Rahmen 2005). Mit einem erhöhten Abbruchrisiko verbun-
ein stabiles Gewicht erreicht hatten und erneut an den sind der aktive/bulimische Subtyp der AN bzw.
Gewicht abnahmen) im ersten Jahr nach der Ent- eine Neigung zur Impulsivität (Woodside et al.
lassung (42 %). Patientinnen, die ihr Gewicht im 2004; Kahn u. Pike 2001; Kächele et al. 2001; Fichter
ersten Jahr nach der Entlassung halten konnten, et al. 2006), eine ausgeprägte Angst vor dem Er-
zeigten im späteren Verlauf nur in 8 % der Fälle wachsenwerden (Woodside et al. 2004; Zeeck et al.
einen Rückfall. Auch andere Studien geben Hin- 2005) sowie größere Gewichtssorgen (Woodside et
weise darauf, dass die ersten ein bis zwei Jahre nach al. 2004). Zwei Studien ergaben ferner Hinweise da-
der Entlassung aus stationärer Behandlung mit rauf, dass Patientinnen mit ausgeprägterer Patho-
einer erhöhten Gefahr von Rückfällen einherge- logie eher dazu neigen, eine stationäre Behandlung
hen (Isager et al. 1985; Strober et al. 1997). Bei einer früher zu beenden (Kahn u. Pike 2001; Castro et al.
10-Jahres-Katamnese nach stationärer Behandlung 2004), während depressive Patientinnen ein gerin-
von Kindern und Adoleszenten (N = 39; Alter bei geres Risiko zeigen (Zeeck et al. 2005).
Aufnahme: 16,2 Jahre) zeigten 69 % einen guten Hebebrand et al. (1997) fanden, dass Patien-
Verlauf, 23 % einen mäßigen und 8 % ein schlechtes tinnen, die mit einem BMI von weniger als 13 kg/m2
Ergebnis (Herpertz-Dahlmann et al. 2001). aufgenommen werden, ein besonders hohes Risiko
Aufgrund der Gefahr von Rückfällen bedarf es zur Chronifizierung und erhöhte Sterberaten auf-
vor der Entlassung aus stationärer Behandlung weisen. In einer Studie von Pinter et al. (2004) er-
einer ausreichenden Vorbereitung der nachfolgen- wies sich ein Gewicht von weniger als 15 kg/m2 als
den ambulanten Phase. Eine stufenweise Reduktion Prädiktor für einen ungünstigeren Verlauf nach
der »Therapiedichte« mit einer zunehmenden Ver- sechs und zwölf Monaten. Zu berücksichtigen ist,
antwortungsübernahme durch die Patientin ist dass in der Studie von Hebebrand Patientinnen mit
sinnvoll, wenn dies im Rahmen der jeweiligen einem Durchschnittsalter von 17 Jahren 9,5 Jahre
Klinik möglich ist (»Step-down«-Ansatz): z. B. über später nachuntersucht wurden, während die von
das Verbringen von Wochenenden zu Hause, Probe- Pinter et al. untersuchte Gruppe älter (durchschnitt-
entlassungen oder eine tagesklinische Phase vor der liches Alter: 22 Jahre) und der Katamnesezeitraum
Entlassung in die ambulante Situation. Es ist sinn- deutlich kürzer war.
voll, Interventionen bei einem Rückfall (inkl. einer Eine einzige Studie zu Rückfällen beim Über-
Wiederaufnahme in die stationärer Behandlung) gang von einer stationären in eine tagesklinische
mit allen Beteiligten abzustimmen, bevor dieser Fall Therapie ergab eine lange Krankheitsdauer (> 6 Jah-
eintritt. Die Gefahr eines Rückfalls ist im ersten Jahr re), eine Amenorrhoe von mehr als 2,5 Jahren sowie
76 Kapitel 4 · Anorexia nervosa
Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI)
Fluoxetin: Gegenüber Placebo fanden Attia et al.
(1998) in einer kontrollierten Studie keine Verbes-
4.2 · Therapie
81 4
serung der Gewichtsentwicklung. Bei der bulimi- randomisierte Studie zum Sertralin (Santonastaso
schen Form der AN waren die Gewichtseffekte von et al. 2001). Für die behandelte Gruppe wird die Bes-
Fluoxetin im Vergleich zu Amineptin nicht besser serung von Depressivität, Selbstwahrnehmung und
(Brambilla et al. 1995b).6 Die gleiche Forschergrup- Perfektionismus beschrieben. Bei der Gewichtsent-
pe fand ebenso keinen Unterschied zwischen Fluo- wicklung fanden sich keine Unterschiede.
xetin und Nortriptylin bei der restriktiven Form der
AN (Brambilla et al. 1995a). Beide kontrollierten Zusammenfassung Antidepressiva
Studien waren sehr klein (6 vs. 7 bulimische AN-Pa- Auch wenn die Evidenz bei Antidepressiva etwas
tientinnen; 15 vs. 7 restriktive AN-Patientinnen). besser ist als bei den Neuroleptika, reicht sie nicht
Für die initiale Gewichtszunahme gibt es somit aus, um die Gruppe der Antidepressiva insgesamt,
keinerlei Belege für den Nutzen von Fluoxetin. Zwei einzelne Substanzgruppen oder gar einzelne Phar-
kontrollierte Studien legen demgegenüber aller- maka in ihrem spezifischen therapeutischen Nutzen
dings Vorteile einer Fluoxetingabe in der Rezidiv- für die AN zu bewerten. Die fünf vorliegenden
prophylaxe nahe. Die Studie von Halmi et al. (1999) placebokontrollierten Studien (Attia et al. 1998;
legte dabei nur Halbjahresergebnisse vor, obwohl sie Halmi et al. 1986; Biederman et al. 1985b; Lacey et al.
für ein ganzes Jahr konzipiert war. In der Studie von 1980; Walsh et al. 2006) konnten eine Überlegenheit
Kaye et al. (2001) war die Anzahl der Dropouts ins- der Antidepressiva weder für den Bereich der Ge-
besondere in der Placebo-Gruppe sehr groß. Eine wichtsveränderung noch für den Bereich der Essstö-
positive Wirkung von Fluoxetin in der Rezidivpro- rungssymptomatik belegen. Die übrigen drei Studien
phylaxe ist durch diese beiden Studien jedoch nur (Ruggiero et al. 2001; Brambilla et al. 1995a, 1995b)
schwach belegt. In einer neueren Studie von Walsh verglichen einzelne Antidepressiva miteinander und
et al. (2006) unterschieden sich die Probandinnen konnten keine Unterschiede finden. Es ist gegenwärtig
des Fluoxetin-Arms von der Placebo-Gruppe am noch keine klare Linie zu erkennen, welche Dosie-
Ende weder hinsichtlich der essstörungsspezifi- rungen für richtig angesehen werden. Während bei-
schen Symptomatik (BMI, EDI-2, Zeit bis zum spielsweise Fluoxetin in der bei der BN erprobten ho-
Rückfall, Anteil Completer) noch bezüglich der De- hen Dosierung (60 mg) gegeben wird, werden andere
pressivität. Dieser Befund steht in Übereinstim- SSRI in Standarddosierung verordnet. Tricyclika wur-
mung mit einer über 24 Monate angelegten klini- den in den kontrollierten Studien eher niedrig dosiert.
schen Nachbeobachtungsstudie von Strober et al. Da für keine der Substanzen in keiner der vorgeschla-
(1997) bei 33 AN-Patientinnen, bei denen Fluoxetin genen Dosierungen ein nachweisbarer Gewichtseffekt
keine besseren Verläufe zeigte, wenn man sie mit nachgewiesen werden konnte, dürfte die Frage der
den Verläufen von anderen Patientinnen ohne Fluo- richtigen Dosis letztlich nicht entscheidend sein.
xetin retrospektiv verglich. Dieses Fazit wird auch von einem Cochrane-
Pharmakologisch nachvollziehbar sind Fallbe- Review aus dem Jahr 2006 geteilt, das die meisten
richte einer AN, die sich unter der Gabe von Fluoxe- der hier zitierten kontrollierten Studien bereits be-
tin bei einer BN entwickelt hat (Vaz u. Salcedo 1994; rücksichtigte: »In Übereinstimmung mit dem, was
Oliveros et al. 1992). Die Gefahr einer SSRI-indu- bisher in der Literatur berichtet wird, kann dieses
zierten AN dürfte auch bei anderen Substanzen Review keine Evidenz für eine Wirksamkeit von Anti-
dieser Gruppe gegeben sein (Sagduyu 1997). Citalo- depressiva in der akuten Phase der Erkrankung
pram: Es finden sich eine nicht kontrollierte (Ca- finden« (Claudino et al. 2006). Die in einer beträcht-
landra et al. 1999) und eine kontrollierte Studie lichen Reihe von Fallstudien nahe gelegte Wirksam-
(Fassino et al. 2002), die beide keine Hinweise da- keit von Antidepressiva dürfte damit eher auf die
rauf geben, dass die Gewichtsentwicklung durch regelmäßig parallel erfolgten Begleitbehandlungen
Citalopram günstig beeinflusst wird. Sertralin: Es zurückzuführen sein als auf die verwendeten Anti-
existiert nur eine einzige kontrollierte, aber nicht depressiva selbst. Die Studienlage gibt keinerlei An-
lass zu der Hoffnung, dass bessere Studien mit den
6 Amineptin ist ein atypisches Tricyclikum mit stark anregen- in Frage kommenden Substanzen eine wesentliche
der Wirkung, das inzwischen nicht mehr hergestellt wird. 6
82 Kapitel 4 · Anorexia nervosa
Änderung des Fazits mit sich bringen könnten: Es Kindern und Jugendlichen mit AN im Zustand der
gibt keinen Beleg für die spezifische Wirksamkeit von Starvation nicht zu empfehlen, da es keine Anhalts-
Antidepressiva in der Behandlung der AN, wenn man punkte dafür gibt, dass eine zusätzliche Gabe
hierbei gewichtsbezogene Kriterien zu Grunde legt. von Antidepressiva bei Untergewicht (< 10. BMI-
Antidepressiva werden in der klinischen Praxis Perzentile) den Behandlungsverlauf beschleunigt
der Magersuchtsbehandlung regelmäßig eingesetzt, oder verbessert (Leitlinien der Dt. Gesellschaft
um Begleitsymptome der AN wie depressive Stö- für KJPP 2007). Daten zur Sicherheit einer Behand-
rungen oder Zwangssymptome zu behandeln. Die lung mit Antidepressiva im Zustand des Unterge-
4 wissenschaftliche Basis hierfür leitet sich im Wesent- wichts bei Kindern und Jugendlichen liegen kaum
lichen aus Studien ab, die bei Patientinnen ohne vor.
Essstörung durchgeführt wurden. Die spezifische Evi- Bei weiter bestehender depressiver Symptomatik
denz für dieses Vorgehen, die sich aus den hier vor- nach einer ausreichenden Gewichtsrehabilitation
liegenden kontrollierten Studien bei der AN ergibt, sollte eine ergänzende Behandlung mit einem Sero-
reicht nicht aus, um diese Praxis hinreichend zu be- tonin-Wiederaufnahmehemmer erwogen werden. In
gründen. Es muss dabei auch an die spezifischen Deutschland ist zur Behandlung einer mittelgradigen
Risiken bei untergewichtigen Patientinnen mit ab- oder schweren Depression in dieser Altersgruppe le-
normen Essgewohnheiten, häufigem Erbrechen und diglich Fluoxetin zugelassen.
erheblichen Störungen im Wasserhaushalt hinge-
wiesen werden. Das Risiko von Nebenwirkungen ist Klinische Evidenz
bei dieser Patientinnengruppe sicherlich erhöht. Es liegt keine Evidenz für die spezifische Wirksamkeit
Die depressiven und zwanghaften Begleitsymp- von Antidepressiva bei der AN vor (EL Ia).
tome sind durch das niedrige Körpergewicht mit
bedingt und können sich durch Gewichtszunahme Empfehlung
ohne eine medikamentöse Therapie bessern (Meehan
4 Antidepressiva sind für die Erreichung einer
et al. 2006; Jordan et al. 2008; Dowson 2004); auch ist
Gewichtszunahme bei AN nicht zu empfeh-
von einer geringen Wirksamkeit von Antidepressiva im
len. Dies gilt sowohl für die initiale Therapie
Zustand der Starvation auszugehen (7 auch Kap. 4.3
als auch für die Rückfallprophylaxe (A).
»Begleitsymptome und psychische Komorbidität«).
4 Wenn Antidepressiva in der Therapie der AN
Das Risiko von Nebenwirkungen der antidepres-
(z. B. zur Behandlung einer Depression) einge-
siven Pharmakotherapie ist bei der AN aufgrund
setzt werden, sollte eine erhöhte Achtsamkeit
einiger spezifischer Bedingungen erhöht:
auf möglichen Nebenwirkungen liegen (z. B.
1. Das Körpergewicht ist niedriger; die Verteilungs-
kardiale Nebenwirkungen und SIADH) (O).
volumina geringer.
2. In Anbetracht des ungeregelten Essverhaltens
und des rezidivierenden Erbrechens ist die orale
Zufuhr erschwert. Appetitstimulanzien
3. Kardiale Nebenwirkungen sind aufgrund der Cyproheptadin
ohnehin bestehenden kardialen Besonderheiten Es finden sich einzelne Fallberichte, die eine Ge-
(7 Kap. 8 »Körperliche Folgeerkrankungen von wichtswirksamkeit von Cyproheptadin nahe legen
Essstörungen«) bedrohlicher. (Benady 1970; Goldberg et al. 1979; Mainguet 1972;
4. Elektrolytstörungen sind häufiger. Das Risiko, ein Silbert 1971). Die hierzu vorgelegten kontrollierten
induziertes Syndrom der inadäquaten ADH-Se- Studien finden den gewichtssteigernden Effekt al-
kretion (SIADH) zu übersehen, ist damit höher. lerdings nur für Subgruppen der AN (Goldberg et
al. 1980; Halmi et al. 1986; Kibel 1969).
Besonderheiten bei Kindern und Jugendlichen
Angesichts der vorliegenden Datenlage ist die Tetrahydrocannabiol
Behandlung einer depressiven Symptomatik bei Es liegt eine einzige kontrollierte Crossover-Studie
6 an elf Patientinnen mit AN zum Einsatz von THC
4.2 · Therapie
83 4
vor (Gross et al. 1983). Es ließ sich kein Effekt auf aber führt Zinkmangel zu einer Hypo- bis Ageusie,
die Gewichtszunahme verzeichnen. zum Appetitmangel und zur Gewichtsabnahme und
verursacht damit ein klinisches Bild, das dem der
Evidenz AN ähnelt. Es gibt Hinweise darauf, dass der Appe-
Es findet sich keine ausreichende Evidenz für eine titmangel mit einer verminderten Freisetzung von
Gewichtszunahme unter Appetitstimulanzien (EL IIa). NPY7 im Hypothalamus in Verbindung steht (Le-
venson 2003).
Empfehlung
Es gibt eine Reihe von Fallstudien (Bakan 1979;
Appetitstimulanzien können bei der Behand-
Birmingham u. Gritzner 2006; Bryce-Smith u.
lung der AN nicht empfohlen werden (B).
Simpson 1984; Safai-Kutti 1990; Safai-Kutti u. Kutti
1986a, 1986b; Su u. Birmingham 2002; Yamaguchi
et al. 1992), die teilweise über drastische Gewichts-
zunahmen nach Zinksubstitution bei AN berichten.
Sonstige Substanzen Es könnte sich dabei allerdings um Sonderfälle
Neben zwei Fallberichten (Barcai 1977; Stein et al. handeln, bei denen ein manifester Zinkmangel zur
1982) gibt es eine kleinere kontrollierte Studie zum Malnutrition beigetragen hat. Ein sinnvoller Einsatz
Einsatz von Lithium bei der AN (Gross et al. 1981). der Zinksubstitution bei AN wäre dann auf solche
Die in dieser Studie berichtete bessere Gewichts- Fälle beschränkt, bei denen tatsächlich ein Zink-
zunahme in der Lithiumgruppe muss aufgrund me- mangel besteht.
thodischer Schwächen der Studie in Frage gestellt In einer kleinen, offenen, kontrollierten Studie
werden. zur Zinksubstitution konnte Birmingham (1994)
eine zwar doppelt so hohe, aber nur mäßig signi-
Evidenz fikante Gewichtszunahme unter 100 mg Zink pro
Es liegt keine ausreichende Evidenz dafür vor, dass Tag gegenüber Placebo verzeichnen. In der Praxis
Lithium bei der Behandlung der AN im Vergleich zu gibt es keine Erfahrung mit der Substitution von
Placebo zu höheren Gewichtszunahmen führt (EL IIa). Zink bei der AN.
Empfehlung
Evidenz
Es liegt Evidenz dafür vor, dass bei einigen, aber nicht
Lithiumgabe zur Therapie der AN kann nicht
bei allen Patientinnen mit AN ein Zinkmangel besteht
empfohlen werden (B).
(EL Ib).
Empfehlung
Nahrungsergänzungsstoffe
Eine Substitution von Zink bei der AN spielt in
Zink: Trotz der Vielzahl der zinkhaltigen Nahrungs- der klinischen Routine bis heute keine Rolle. Eine
mittel führt die einseitige und mangelnde Ernäh- Bestimmung von Zink (und ggf. eine Substitu-
rung bei der AN häufig auch zu Zinkmangel (Ainley tion) kann bei typischen Hautveränderungen als
et al. 1986; Bakan et al. 1993; Bakan 1979; Casper et Hinweis auf Zinkmangel sinnvoll sein (O).
al. 1980, 1978; Dinsmore et al. 1985; Humphries et
al. 1989; Katz et al. 1987; Lask et al. 1993). Allerdings
ist Zinkmangel nicht in jeder Untersuchung gefun-
den worden (Van Binsbergen et al. 1988; Varela et al. 4.2.8 Ernährungstherapie
1992), sodass die Diagnose einer AN keineswegs
mit Zinkmangel gleichgesetzt werden kann. Unterernährung ist ein Kernmerkmal der AN. Die
Die Symptome von Zinkmangel sind vielfältig. Wiederherstellung eines ausreichenden Ernäh-
Wachstumsstörungen, Anämie, Haarausfall, trocke- rungszustandes ist eine zentrale, wenn auch allein
ne Haut und brüchige Nägel sind regelhafte Be-
gleiterscheinungen eines Zinkmangels. Vor allem 7 Neuropeptid Y.
84 Kapitel 4 · Anorexia nervosa
nicht hinreichende Aufgabe der Therapie. Verbun- Kenntnis des Grundumsatzes bei der Kalorienbe-
den mit dem schlechten Ernährungszustand treten rechnung während des Gewichtsaufbaus zugrunde
zahlreiche Mangelzustände auf, die zu Schäden an legen will, ist die Messung des Grundumsatzes not-
unterschiedlichen Organsystemen führen können wendig. Dies geschieht am einfachsten mit der indi-
und die im Rahmen der Therapie Beachtung finden rekten Kalorimetrie.
müssen. Der Grundumsatz ist bei der AN initial deutlich
Ernährungsrichtlinien werden in unterschiedli- erniedrigt. Eine Übersicht über die diesbezügliche
chen Institutionen und Kulturen verschieden inter- Literatur findet sich bei de Zwaan et al. (2002). Im
4 pretiert. Interindividuelle Unterschiede der Ernäh- Verlauf der Gewichtszunahme wird der Metabo-
rungsgewohnheiten verdienen auch in der Therapie lismus erheblich gesteigert, der Grundumsatz steigt
Beachtung. Gleichwohl besteht eine ganze Reihe überproportional (Stordy et al. 1977; Krahn et al.
von durch den kritischen Gesundheitszustand be- 1993; Obarzanek et al. 1994; Platte et al. 1994; Pagli-
dingte Notwendigkeiten, die diese Freiheitsgrade ato et al. 2000). Der hierdurch zunehmende Energie-
deutlich einschränken. bedarf erschwert die Gewichtszunahme. Gleichzei-
Die wöchentliche Gewichtszunahme liegt bei tig ist eine verlässliche Bestimmung des Nahrungs-
einer Normalisierung des Essverhaltens etwa zwi- bedarfs für die Gewichtszunahme auch anhand einer
schen 500 g und 1 kg pro Woche. Es scheint dabei initialen Grundumsatzmessung nicht möglich.
von Vorteil zu sein, in der Therapie auch explizit auf Ebenso wenig lässt sich der Arbeitsumsatz ver-
ausreichende Nahrungsaufnahme und Gewichts- lässlich schätzen. Es gibt erhebliche interindividuel-
zunahme zu fokussieren (Herzog et al. 1996; Solanto le Unterschiede zwischen kachexiebedingter Hypo-
et al. 1994). motilität und ausgeprägter Bewegungsunruhe und
Bewegungsdrang. Die subjektive Selbsteinschätzung
Empfehlung
der Patientinnen bezüglich des Ausmaßes ihrer
4 Ein notwendiges Therapieziel bei AN ist die
körperlichen Aktivität ist häufig sehr irreführend
Normalisierung von Mahlzeitenstruktur
(Shroff et al. 2006; Kaye et al. 1988; Holtkamp et al.
und -zusammensetzung mit dem Ziel einer
2003, 2006; Hillebrand et al. 2005; Platte et al. 1994;
ausreichenden Gewichtszunahme (A).
Casper et al. 1991).
4 Ernährungstherapie und Ernährungsbera-
Der zusätzliche Nahrungsbedarf für eine Ge-
tung ist als alleinige Therapie der AN nicht
wichtszunahme um ein Kilogramm liegt zwischen
geeignet (7 auch Kap. 4.2.1 »Behandlungs-
6000 und 10 000 kcal (Kaye et al. 1988; Dempsey et
ziele«) (B).
al. 1984). Für die Praxis kann die initiale tägliche
Kalorienzumessung bei sehr niedrigem Körperge-
wicht (BMI < 13) über die Formel 30–40 kcal/kg
(Körpergewicht) ermittelt werden. Diese Schätzung
Energiebedarf dient jedoch lediglich als grober Leitfaden, um bei
Der Energiebedarf, der für eine ausreichende Ge- den Patientinnen, bei denen jeglicher eigener Maß-
wichtszunahme während der Therapie erforderlich stab einer angemessenen Nahrungszufuhr fehlt, eine
ist, errechnet sich aus dem Grundumsatz, dem Ar- Überforderung des Metabolismus zu vermeiden.
beitsumsatz und der für den Aufbau von Körper- Bei den weniger bedrohlich untergewichtigen
substanz notwendigen Energie. Für die Schätzung Patientinnen lässt sich die ausreichende Nahrungs-
des Grundumsatzes sind die üblichen Berechnungs- zufuhr am sinnvollsten über die Gewichtszunahme
formeln, die den Grundumsatz aufgrund von An- abschätzen. Hierbei bestehen zwei Fehlerquellen,
gaben zum Körpergewicht, zur Körpergröße, zur die gerade in der kritischen Anfangsphase bedacht
Körperoberfläche und zum Alter berechnen, wenig werden müssen, um die Gewichtsentwicklung kri-
verlässlich und keine ausreichende Grundlage zur tisch zu würdigen.
Bemessung einer angemessenen Energiezufuhr Viele Patientinnen haben zu Beginn der The-
(Cuerda et al. 2007; Scalfi et al. 2001; Polito et al. rapie eine Hypovolämie (Comerci 1990; Caregaro et
2000; Forman-Hoffman et al. 2006). Wenn man die al. 2005). Rezidivierendes Erbrechen, Abusus von
4.2 · Therapie
85 4
Laxanzien und Diuretika sowie ein verminderter
Antrieb zu trinken, führen zu einem Flüssigkeits- nisse des Arbeitsumsatzes hinaus zusätz-
mangel, der klinisch an Zeichen der Exsikkose, an lich etwa 800 bis 1200 kcal täglich aufge-
niedrigen Serumnatriumwerten und einem relativ nommen werden (B).
hohen Hämatokrit erkenntlich wird. Angemessene 4 Um im Rahmen der Behandlung der AN
Wasserzufuhr führt damit zu einer Gewichtszu- angemessen Nahrung zuzuführen, ist für
nahme, ohne dass die Körpermasse als solche zu- den therapeutischen Alltag die Orientie-
nimmt. rung am Körpergewicht am besten geeig-
Zusätzlich besteht regelhaft eine Fehlregulation net. Hierbei muss die überproportionale
im Renin-Angiotensin-Aldosteron-Mechanismus Wassereinlagerung am Anfang der Thera-
(7 Kap. 8.3.3 »Wasser- und Elektrolythaushalt«; Ehrlich pie in Rechnung gestellt werden (O).
et al. 2006; Tey et al. 2005), die zu einer starken Ten-
denz zur Hyperhydratation führt. Gewichtszunah-
men insbesondere zu Beginn der Therapie ent- Nahrungszusammensetzung
sprechen häufig nicht einer echten Zunahme an Patientinnen mit AN sind nicht nur quantitativ,
Körpermasse, also der intrazellulären Körpermasse, sondern auch qualitativ schlecht ernährt. Neben
sondern sind durch eine überproportionale Ver- dem offensichtlichen Mangel an Energie fehlen
mehrung des extrazellulären Volumens bedingt. auch unterschiedliche lebensnotwendige Nahrungs-
Verbunden hiermit ist eine starke Neigung zur bestandteile wie Elektrolyte, Spurenelemente und
Ödembildung, gelegentlich auch die Ausbildung Vitamine (Hadigan et al. 2000; Rock u. Curran-
von Aszites und Perikardergüssen. Celentano 1994). Im therapeutischen Alltag können
Gewichtszunahmen insbesondere bei hoch- dabei nicht alle Ernährungsdefizite identifiziert
gradig untergewichtigen Patientinnen sollten des- werden, und in den meisten Fällen wird keine ge-
wegen durch regelmäßige klinische Prüfung der sonderte Zufuhr der mangelnden Nahrungsbe-
Ödemneigung, besser noch durch Messung der standteile erforderlich. Eine ausgewogene und aus-
Körperzusammensetzung begleitet werden. Für den reichende Kost reicht in den meisten Fällen, um
klinischen Alltag ist zur Messung des extrazellu- die Defizite auszugleichen. Im Folgenden werden
lären Volumens am ehesten die Multifrequenz-Kör- Nahrungsbestandteile genannt, die berücksichtigt
perimpedanzmessung geeignet (Mika et al. 2004). und in einigen Fällen zusätzlich zugeführt werden
müssen.
Empfehlung
Elektrolyte
4 Zur Orientierung in den ersten Behand-
Häufiges Erbrechen, aber auch der Abusus von Diu-
lungstagen kann bei hochgradig unter-
retika und Laxanzien führen zu erheblichen Ver-
gewichtigen Patientinnen die initiale Nah-
lusten an Kalium und Chlorid. Hypokaliämie kann
rungszufuhr (für eine enterale Ernährung)
zu bedrohlichen Herzrhythmusstörungen führen.
mit ca. 30–40 kcal/kg (Körpergewicht) be-
Dabei ist der Anstieg der Kaliumspannung zwi-
ziffert werden (O).
schen höherer intrazellulärer und erniedrigter ex-
4 Der Grundumsatz ist initial niedrig und
trazellulärer Konzentration dieser Elektrolyte ent-
steigt mit beginnender Gewichtszunahme
scheidend für das damit verbundene kardiale Risiko.
deutlich an. Die bei normal- und übergewich-
Die chronischen Kaliumverluste bei der bulimischen
tigen Menschen gewonnenen Formeln zur
Form der AN und der BN führen häufig auch zu
Berechnung des Grundumsatzes sind für die
einer Erniedrigung der intrazellulären Kaliumkon-
Anwendung bei der AN nicht geeignet (B).
zentration, sodass selbst bei hochgradiger Hypoka-
4 Um eine Gewichtszunahme von 100 g/Tag
liämie im Serum bedrohliche Rhythmusstörungen
zu erreichen, müssen über die Erforder-
ausbleiben können. Die Abschätzung der Kalium-
6 spannung bei bekanntem Serumkalium ist am
ehesten mit der Ableitung des Elektrokardiogramms
86 Kapitel 4 · Anorexia nervosa
Empfehlung
überlegen sei (Okamoto et al. 2002; Arii et al. keitsreaktionen bei zu schneller Applikation der
1996). Sondenkost. Bei länger dauernder Lage können
Voraussetzung ist die Verwendung von Flüssig- Schleimhautläsionen in der Nase oder an der Ra-
kostformen, die zur Vollernährung geeignet sind. chenhinterwand auftreten. Eine dauerhafte Ernäh-
Die Nahrungsbestandteile Fette, Eiweiße und Koh- rung über nasogastrale Sonden ist deswegen nicht
lenhydrate sollten alle in ausgewogener Form an- möglich.
geboten werden. Durch die Flüssigkost muss eine Bislang liegen keine randomisiert-kontrollierten
vollständige Versorgung mit Elektrolyten, Spuren- Studien zum Einsatz von nasogastraler Sondener-
4 elementen und Vitaminen möglich sein. Zu achten nährung bei hochgradiger AN vor. Die vorliegenden
ist auf die unterschiedliche Energiedichte der Pro- klinischen Studien und Fallberichte verzeichnen
dukte. Deswegen sollte die Kost kalorien- und nicht einen Vorteil bezüglich der Gewichtssteigerung
volumenkontrolliert verordnet werden. (Silber et al. 2004; Zuercher et al. 2003; Robb et al.
2002; Bufano et al. 1990) im Vergleich zu oraler
Empfehlung
konventioneller Ernährung.
Um eine ausreichende Nahrungszufuhr zu ge-
Sollte eine Zwangsernährung (7 Abschn.
»Zwangsernährung/Fixierung« in 4.2.3) notwendig
währen, kann insbesondere zu Beginn der
Therapie zur Ergänzung (oder notfalls auch
werden, sind nasogastrale Sonden eher nicht ge-
zum Ersatz) einer noch nicht ausreichenden
eignet, da deren Anwendungsdauer zeitlich limitiert
normalen Ernährung Flüssigkost zum Einsatz
ist. Hier bietet sich die perkutane endoskopische
kommen. Dabei sollten Produkte eingesetzt
Gastrostomiesonde (PEG) als Alternative an. Ob-
werden, die zur vollständigen Ernährung ge-
wohl deutlich invasiver als die nasogastrale Sonde,
eignet sind, das heißt, die alle Bestandteile
gilt die PEG als komplikationsarm. Kleinere Kom-
einer normalen Ernährung in ausgewogener
plikationen wie Wundheilungsstörungen, Sonden-
Menge enthalten (O).
dislokation oder peristomale Lecks treten in etwas
über 10 % der Fälle auf. Gravierendere Komplika-
tionen sind Blutungen und Hämatome bis hin zur
gastralen Perforation. Sie treten in etwa 3 % der
Sondenernährung Fälle auf (Hamidon 2006; Anis et al. 2006; Del et al.
Nasogastrale Sonden sind eine weitere Möglichkeit, 2006; Fang 2007; Figueiredo et al. 2007; Lee et
eine ausreichende Ernährung zu gewährleisten, al. 2007). Bei untergewichtigen Patientinnen mit
wenn die Patientin nicht bereit oder nicht in der schlechtem körperlichem Allgemeinzustand, um
Lage ist, sich auf oralem Weg ausreichend zu ernäh- die es sich bei den zwangsernährten AN-Patien-
ren. Zur rein gastralen Ernährung sind dünnlumige tinnen handelt, dürften die Komplikationsraten
Sonden (5–8 Ch) anzuwenden; dicklumige Sonden allerdings höher liegen. Dies sollte bei der Abwä-
sind nur zur Ableitung indiziert. Eine nasoduode- gung der Risiken einer Zwangsernährung sorgfältig
nale oder nasojejunale Platzierung ist bei der AN bedacht werden. Obwohl die PEG-Sonde bei hoch-
nur bei zusätzlichen gastrointestinalen Störungen gradiger AN in das Spektrum der Therapiealterna-
indiziert. tiven gehört, gibt es nur wenige Fallberichte über
Für die zu verwendende Flüssigkost gilt eben- deren erfolgreiche Anwendung (Neiderman et al.
falls, dass sie zur Vollernährung geeignet sein muss. 2000; Malfi et al. 2006).
Die Kaloriendichte ist limitiert: Hochkalorische
Produkte sind hochviskös und für die Sonden-
ernährung nicht geeignet.
Die Verwendung nasogastraler Sonden ist eine
invasive Maßnahme, die die Zustimmung der Pa-
tientin erfordert. Mögliche Komplikationen sind
Fehllage mit Aspiration, Reizungen im Nasen-Ra-
chen-Raum und gastrointestinale Unverträglich-
4.2 · Therapie
89 4
Laxanzienabusus Evidenz
Der Missbrauch von Laxanzien kann nicht als effek- Bisher wurde die Effektivität spezifischer Therapie-
tive Methode zur Gewichtsregulation angesehen programme zur Behandlung des Missbrauchs von
werden, da er nur einen marginalen Effekt auf die Laxanzien bei AN nicht geprüft.
Absorption der Nahrung hat (Bo-Linn et al. 1983;
Lacey u. Gibson 1985). Während Erbrechen häu- Empfehlung
figer als alleiniges Purging-Verhalten eingesetzt
wird, ist ein Laxanzienabusus meist als weitere 4 Auf die Erfassung eines begleitenden
4 Methode im Rahmen von multiplem Purging zu Laxanzienabusus sollte besonders geach-
beobachten (Tozzi et al. 2006). Bei Auftreten von tet werden, da bei diesen Patientinnen
medizinischen Beschwerden wie Diarrhoe – even- häufiger somatische und psychische Kom-
tuell im Wechsel mit Obstipation, abdominellen plikationen auftreten, die engmaschigere
Krämpfen, Blähungen und Elektrolytverschiebun- Kontrollen erfordern (KKP).
gen (7 auch Kap. 8 »Körperliche Folgeerkrankungen 4 Die Patientinnen sollten darauf hingewie-
von Essstörungen«) – sollte an einen Missbrauch von sen werden, dass mit Laxanzien das Körper-
Abführmitteln gedacht werden. Hierbei ist zu be- gewicht bzw. die Energieaufnahme nicht
achten, dass der Missbrauch häufiger verheimlicht effektiv reduziert werden kann. Ferner
wird, wie anhand von Urinkontrollen nachgewiesen sollten sie über mögliche Komplikationen
werden konnte (Turner et al. 2000). Ein chronischer einer längerfristigen Laxanzieneinnahme
Missbrauch von Laxanzien kann zu schwerer Ver- aufgeklärt werden (KKP).
stopfung bis hin zu einem paralytischen Ileus füh- 4 Bei Patientinnen mit einem Missbrauch
ren (Baker u. Sandle 1996; Wald 2003). von Laxanzien in hohen Dosen bzw. zu-
Patientinnen mit AN mit einem Laxanzienmiss- sätzlichem selbstinduzierten Erbrechen
brauch gelten als stärker beeinträchtigt in der stö- und/oder Diuretikaabusus sollten regel-
rungsspezifischen als auch allgemeinen Psycho- mäßige Laborkontrollen der Elektrolyte so-
pathologie und weisen häufiger Merkmale einer wie der Nierenfunktion erfolgen (KKP).
ängstlichen, perfektionistischen sowie emotional- 4 Grundsätzlich ist nach Absetzen des Ab-
instabilen Persönlichkeitsstörung auf (Tozzi et al. führmittels auf eine ausreichende Flüssig-
2006; Garner et al. 1993; Kovacs u. Palmer 2004; keitsaufnahme und Zufuhr von Ballaststof-
Bryant-Waugh et al. 2006; Pryor et al. 1996). Die fen durch die Nahrung zu achten (KKP).
umfassende Versorgung dieser Patientinnen ist so-
mit in der Regel komplexer und aufwändiger. Bei
einem nur geringen gewichtsregulatorischen Effekt Exzessive körperliche Aktivität
liegt nahe, dass ein Missbrauch von Laxanzien auch Die körperliche Hyperaktivität ist ein häufiges Be-
zur Spannungsreduktion und zur Angstreduktion gleitsymptom anorektischer Patientinnen. Die Prä-
eingesetzt wird. Dies ist therapeutisch insofern be- valenz wird bei chronisch Erkrankten auf ca. 40 bis
deutsam, als dass eine Aufklärung über den gerin- 55 % geschätzt, während bei akut Erkrankten Raten
gen gewichtsregulatorischen Effekt sowie die ge- bis 80 % angegeben werden (Shroff et al. 2006; Davis
sundheitsschädliche Wirkung eines Laxanzienabu- et al. 1997). Eine übersteigerte körperliche Aktivität
sus allein nicht ausreicht. Die mit einer Reduktion geht dem Beginn einer AN häufig voraus und gilt als
von Laxanzien möglicherweise einhergehende Zu- ein schwer beeinflussbares Symptom (Davis et al.
nahme der spezifischen und allgemeinen Psycho- 1999; Seigel u. Hetta 2001).
pathologie sollte psychotherapeutisch thematisiert Die körperliche Hyperaktivität ist eng mit neu-
und bearbeitet werden. Inwieweit eine schrittweise robiologischen Veränderungen der Starvation asso-
Reduktion der Dosis gegenüber einem abrupten ziiert (zur starvationsinduzierten Hyperaktivität: s.
Absetzen der Laxanzien Vorteile hat, ist, basierend Übersichtsarbeit von Pirke et al. 1993), es sind aber
auf dem derzeitigen Erkenntnisstand, nicht sicher auch psychologische Faktoren an der Entstehung
zu sagen (Colton et al. 1999). und Aufrechterhaltung beteiligt. Patientinnen mit
4.3 · Begleitsymptome und psychische Komorbidität
93 4
AN und körperlicher Hyperaktivität weisen höhere Thema ist jedoch aufgrund der geringen Fallzahl und
Angst- und Depressionswerte auf als jene ohne der fehlenden Angabe zur körperlichen Aktivität in
Hyperaktivität (Penas-Lledo et al. 2002; Brewerton der Kontrollgruppe nur sehr eingeschränkt aussage-
et al. 1995; Holtkamp et al. 2004a). Derzeitige Be- kräftig (Thien et al. 2000) (EL IV).
funde unterstützen die Hypothese, dass exzessives
Empfehlung
Sporttreiben unter anderem als Bewältigungsstra-
tegie bei einer Angstsymptomatik eingesetzt wird 4 Die körperliche Aktivität ist auf einen dem
(Holtkamp et al. 2004a). Gewicht sowie der täglichen Energieauf-
Exzessives Sporttreiben kann dem Therapieziel nahme angemessenen Umfang zu reduzie-
einer Gewichtszunahme entgegenwirken und sollte ren (O).
im Rahmen der Therapie reduziert werden. Auf 4 Die Patientinnen sollten auf mögliche kör-
eine Zunahme der psychischen Beschwerdesympto- perliche Komplikationen (z. B. Frakturen)
matik durch die Restriktion der körperlichen Akti- bei exzessiver sportlicher Aktivität hinge-
vität ist zu achten. Die körperliche Aktivität ist auf wiesen werden (KKP).
einen dem Gewicht sowie der täglichen Energie- 4 In der stationären Behandlung der AN ist
aufnahme angemessenen Umfang zu reduzieren. ein abgestuftes, supervidiertes und an
Ferner sind bevorzugt Sportarten zum Aufbau und das Gewicht der Patientin angepasstes Be-
Kräftigung der Muskulatur zu empfehlen (Gymnas- wegungsprogramm zu empfehlen (O).
tik, Yoga, Tanz, Ballsportarten etc.). Im Rahmen 4 Bei mangelnder Selbststeuerung hinsicht-
von Klinikbehandlungen ist ein Bewegungs- und lich körperlicher Aktivität sind Maßnahmen
Sportangebot für Patientinnen mit AN durchaus zu im Sinne von vertraglichen Vereinbarungen
empfehlen. Die Freude an der Bewegung in der angezeigt, die zwischen Therapeut und Pa-
Gruppe und die Wahrnehmung eigener Belastungs- tientin ausgehandelt werden sollten (O).
grenzen sollte dabei im Vordergrund stehen, und
nicht der Zwang, durch Sport das Gewicht und die
Figur zu beeinflussen.
Da das Frakturrisiko aufgrund einer Osteo- Amphetamin-
porose erhöht ist, sind Sportarten mit erhöhtem und Stimulanzienmissbrauch
Sturzrisiko ungünstig (Herzog et al. 1993; Zipfel et Zu diesem Thema empfehlen wir die Lektüre des
al. 2001). Bei Schmerzen im Bereich der peripheren Kapitels 4.3.2.4 (»Substanzabhängigkeit«).
Extremitäten ist auch an Stressfrakturen zu denken,
die in üblichen Röntgenuntersuchungen nicht nach-
gewiesen werden können (LaBan et al. 1995). 4.3.2 Psychische Komorbidität
Anorexia nervosa
ICD-10 (1993)
4 F 50.0
J Körpergewicht mind. 15 % unter dem erwarteten Gewicht oder Body-Mass-Index ≤ 17,5 kg/m2
J Der Gewichtsverlust ist selbst herbeigeführt durch:
– Vermeidung hochkalorischer Speisen und/oder
– selbstinduziertes Erbrechen
– selbstinduziertes Abführen
– übertriebene körperl. Aktivität
– Gebrauch von Appetitzüglern, Diuretika u. a.
J Körperschemastörung; überwertige Idee, zu dick
zu sein/zu werden, es wird eine sehr niedrige Gewichtsschwelle festgelegt
J Endokrine Störung (Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse), findet Ausdruck z. B. in Amenorrhoe
Bei Beginn vor der Pubertät ist Abfolge der pubertären Entwicklungsschritte verzögert, z. B. Wachstumsstopp, primäre
Amenorrhoe
. Tab. 4.2 Übersicht über alle randomisierten klinischen Studien zur psychotherapeutischen Behandlung der Anorexia nervosa
6
4.4 · Anhang: Tabellen
97 4
DSM-IV-TR (2000)
307.1
– Weigerung, das Minimum des für Alter und Körpergröße normalen Körpergewichtes zu halten; dauerhafter Gewichts-
verlust, Gewicht < 85 % des
zu erwartenden Gewichtes
– ausgeprägte Ängste vor einer Gewichtszunahme und davor, dick zu werden (trotz Untergewichts)
– Körperwahrnehmungsstörung, Überbewertung von Gewicht und Figur, Leugnen des Schweregrades des Untergewichtes
– Amenorrhoe
restriktiver Typus:
keine Essanfälle, kein Erbrechen, kein Laxanzien- oder Diuretikamissbrauch
Binge-Purging-Typus:
regelmäßig Essanfälle und »Purging«-Verhalten (Laxanzien o. Ä.)
guter Outcome: innerhalb 4 DSM-IV; auch subsyndromale Pat. eingeschlossen; keine Angaben
10 % ABW, Mens., kein bulim. zu Verblindung und Art der Randomisierung; nur Completer-Analyse
Verhalten, mind. + 4 kg) Ergebnis: kein Gruppenunterschied, die meisten nicht symptomfrei zu
M. u. R., ESE, EDI, BDI, STAI, 3 Kat., ~ 60 % guter Outcome zu post und 6-Mo-Kat.; ~ 25 % Dropouts in
Selbstwert, fam. Kommunik. beiden Gruppen
Outcome-Kriterium: Zeit bis ?? DSM-IV; Anzahl Dropouts, Anzahl Remittierte und Vorgehen sowie Analyse-
zur Remission methoden unklar beschrieben; Wartekontrolle: warteten 7–21 Mo, 70 %
(14/20) der Pat. in der Kontrollgruppe verließen die Studie und suchten
anderswo Behandlung; Intervention kaum relevant; sehr heterogene
Stichprobe, bei 4 Pat. CE unter stat. Bedingungen
Ergebnis: durchschnittliche Zeit bis zur Remission für Gesamtgruppe
(AN+BN): 14,4 Mo
nur 1 Pat. in Kontrollgruppe erreichte Remission (mittlere Wartezeit 17,5 Mo)
98 Kapitel 4 · Anorexia nervosa
6
4.4 · Anhang: Tabellen
99 4
M. u. R. 1 (Kat) Diagnose nach Morgen u. Russells Kriterien für AN; ITT-Analyse?, kleine
EDI, BDI, bulim. Symptome 1 (Kat) Fallzahl, keine Verblindung, eine Therapeutin für alle Pat. (diese machte
0 auch Assessments), keine Absolutwerte angegeben für post u. Katamnese
Ergebnis: Pat. bessern sich, keine Überlegenheit eines Settings
Gewicht, M. u. R., Dropouts 0 DSM-III-R; Art der Randomisierung und Verblindung nicht beschrieben;
12 Datenanalysen unzureichend beschrieben – ITT-Analyse? Wegen kom-
2 binierter Vorgehensweisen bleibt unklar, worauf Effekte zurückzuführen
3 sind.
Ergebnis: Gewichtszunahme geringer in »one-off« als in anderen Gruppen,
sonst ähnliche Verbesserungen, »one-off«-Gruppe hatte längste Krank-
heitsdauer; 5-Jahres-Katamnese: siehe Gowers 1994 (Auswertung nach
prognost. Gruppen: früher/später Beginn); viele Dropouts in stat. Gruppe,
hier auch weniger erfahrene Behandler (siehe Crisp 2002)
Gewicht, M. u. R., Dropouts, 4 DSM-IV; ITT-Analyse, keine Angaben zur Verblindung; Stichprobe
»Clinical Global Impression« 9 repräsentativ und ausreichend beschrieben, insgesamt kleine Fallzahl,
5 kein Follow-up
7 73 % kamen zu po nach 1 J, 12 Pat. (15 %) vorübergehend stat aufge-
nommen
Ergebnis: CAT und FT > RT bzgl. Gewichtszunahme; nach 1 J Gewicht
> 85 % ABW in spez. Therapien bei 33 % d. Pat., nach RT nur bei 5 %
6
4.4 · Anhang: Tabellen
101 4
EDI-2, CDI, BSI, FAM-III ? diagnostisches Interview für Kinder und Adoleszente; Fallzahl, Dropouts,
? stat. Methoden unzureichend beschrieben, kein Follow-up; keine Verblin-
dung; Effekte des strengen stationären Regimes überdecken Effekte der
Familienintervention (Tage: 8-107 stat Therapie); 5 Pat. nach erster Ent-
lassung erneut stat. aufgenommen
subsyndromale (N = 6) eingeschlossen; keine Kontrolle, die Beurteilung
des Effektes der Famillienintervention erlaubt
Stichprobe wenig repräsentativ (79 % aller stat. aufgenommenen Pat.
verweigerten Teilnahme)
Ergebnis: sign. Gewichtszunahme in beiden Gruppen, aber keine Bes-
serung psychischer Variablen; Zunahme der Beschreibung familiärer
Probleme
kein Unterschied in erreichtem Gewicht zwischen den Interventionen
(76 % davon im stat. Rahmen)
Gewicht, Rosenberg-Selfes- ? DSM-III; nur ein Therapeut (Psychologiestudent), extrem kleine Fallzahl
teem-Scale, Goldfarb’s »fear- ? (Daten von zusätzlichen 11 Pat. aus abgeschlossenen Akten, nur 7 rando-
of-fat«-Scale ? misiert), Einschlusskriterien unscharf (1 nicht stat. behand., 2 subsyndro-
mal), Interventionen nicht klar differenziert, Randomisierungsprozedur
unklar: »matched on the basis of duration of illness and randomly assigned
…«, keine Verblindung, keine ITT-Analyse; Dropouts?
Ergebnis: zusätzliches Entspannungstraining (EntT) besser als andere
Gruppen (Selbstwert, Angst vorm Dickwerden), nach 1,5 J auch im Ge-
samt-Outcome (wirklich Interventionseffekt?)
M. u. R., Gewicht, klin. Gesamt- 1 Diagnost. Instrument unklar, keine Verblindung, Art der Randomisierung
eindruck, Dropouts 4 unklar, ITT? sehr variable Dauer der Therapien (Range 84-168 Tage);
DA-Gruppe erhielt auch Familiengespräche und psychiatrische Gesprä-
che (15 min) von Therapeuten des anderen Therapiearms, 2 parallel in
Akupunktur oder Hypnose
Ergebnis: Outcome bzgl. Gewicht vergleichbar; in PG Gruppe 4 Vollremis-
sionen nach 1 Jahr, in DA-Gruppe keine; 11/15 PG-Pat. erhielten Empfeh-
lung für Folgetherapie und nahmen sie an, 15/15 aus DA-Gruppe: jedoch
nur 10 wollten diese beginnen
102 Kapitel 4 · Anorexia nervosa
Gewicht, EAT, M. u. R., SCFI, EE, ? DSM-III-R; Verblindung soweit möglich, Methode der Randomisierung
FACES-II ? nicht beschrieben, ITT?, kleine Fallzahl, Vergleich zweier familienthera-
peutischer Interventionen ohne zusätzliche Kontrolle, Dauer der Inter-
vention im Durchschnitt 26 Wo
Ergebnis: deutliche Effekte (Gewicht, Gesamt-Outcome), aber kein Unter-
schied im Vergleich; schlechterer Outcome assoziiert mit größerer fam.
Unzufriedenheit und höhrerem Ausmaß kritischer Kommentare in der
Familie (prä)
Gewicht, EDE, YBC-ED, CBCL, 10 DSM-IV; kein Follow-up; »patient flow« beschrieben, Verblindung soweit
Family Environement Scale möglich, ITT-Analyse¸ Vergleich unterschiedlicher Dosis von FT, keine
7 Vergleichsgruppe zu FT; stratifiziert nach KHdauer¸ sehr hoher BMI bei
Beginn (einige Pat. vor Beginn noch hospitalisiert)¸ 21 % bzw. 23 %
vorübergehend hospitalisiert (16 bzw 20 Tage im Mittel); 14 % bekamen
psychotrope Medikation
Ergebnis: kein Unterschied im Ergebnis; 96 % erreichen BMI > 17,5 zu
post (aber: Beginn bei BMI 17.1!); längere Therapie günstiger bei deutlich
zwanghaften Zügen und »non-intact-families«
Gewicht, CCEI (Crown u. Crip): 3 DSM?; Verblindung? Art der Randomisierung? Keine ITT-Analyse; ins-
Selbstbeurteilung bzgl. psychi- 8 gesamt ca. 17 Wochen stat. Behandlung (zusätzlich 12 Sitzungen der
schem Funktionsniveau; jeweiligen Intervention: bei Fallzahl ist nicht zu erwarten, dass unter-
»Social Questionnaire (SAD) schiedliche Effekte gezeigt werden können)
Ergebnis: ca. 50 % in jeder Gruppe erreichen normales Gewicht, andere
bleiben deutlich untergewichtig; mehr Dropouts in Placebo-Gruppe;
3 Todesfälle zur 1-Jahres-Kat., zusätzlicher Effekt des »social skills trainings«
(SST) ist nicht nachzuweisen
104 Kapitel 4 · Anorexia nervosa
6
4.4 · Anhang: Tabellen
105 4
Gewicht, Mens, EAT, EDI-2 ? DSM-II-R, keine Verblindung, Randomsisierung nicht beschrieben,
(drei Skalen), BDI, PARQ ? Dropouts nicht beschrieben, keine ITT-Analyse; auch in EOIT werden
(Familieninteraktion) Eltern parallel gesehen, zusätzlich Ernährungsregime und med. Ver-
sorgung; manche Pat. vorübergehend hospitalisiert (5/18 bzw. 11/19) →
»Interventionsgemisch«!
Rekrutierung über 6 J
Ergebnis: nach 1 J kein Unterschied zwischen Interventionen
Behandlungen:
TAU = »treatment as usual«; OM = »outpatient management« (ambulantes Management); SPT = »self psychological treat-
ment« (an Selbstpsycholologie von Kohut orientierte Behandlung); CBT = kognitive Verhaltenstherapie; BFT = »behavioral
family therapy« (kognitiv orientierte Familientherapie); CE = computergestützes Esstraining; FT = Familientherapie;
ET = Einzeltherapie; DC = »dietary counselling« (Ernährungsberatung), OGT = »outpatient group treatment« (ambulante
Gruppentherapie; RT= Routinebehandlung (»routine treatment«); CAT = »cognitiv-analytiv therapy« (kognitiv-analytische
Therapie); Focal analytic = Fokal-analytische Therapie; BM = »behavior management« (verhaltensorientierte Interven-
tionen); SB = Standard-Behandlung; CFT = »conjoint family therapy« (Familientherapie gemeinsam mit Patientin);
SFT = »separated family therapy« (getrennte Gespräche mit Eltern und Patientin); FGP = »family group psychotherapy«
(Familientherapie in der Gruppe); DS = Desensibilisierung; EnT = Entspannungstherapie; PG = individuelle Therapie +
Familiensitzungen; DA = »dietary advice« (Ernährungsberatung); NSCM = »non-specific clinical management« (unspezi-
fisches klinisches Management); IPT = interpersonelle Therapie; NC = »nutritional couselling« (Ernährungsberatung);
SST = »social skills training«; EOIT =«ego oriented individual therapy; BFST =«behavioral family systems therapy«;
CT = kogntive Therapie; EBT = »educational behavioral treatment«; BAT =«body awareness therapy«; VT= spezifisches
Verhaltensmodifikationsprogramm
4.4 · Anhang: Tabellen
107 4
GCS, EDI, Ch-EAT, VSE ? DSM-IV, keine Verblindung, keine ITT-Analyse, Randomisierung nicht
? beschrieben
Vergleich FT +/– zusätzlicher Körperintervention
»Mischintervention«: z.T. + Einzeltherapie
4/13 Pat. vorübergehend hospitalisiert (12–142 Tage); zum zweiten
Messzeitpunkt waren 2 Pat. noch in laufender Therapie, 3 hatten andere
Behandlung begonnen (Messung vermutlich in sehr unterschiedlichem
Abstand zum Ende der Therapie)
starke Variabilität der Sitzungsanzahl: 7–63; zusätzlich erfolgten bei
9 Familien Einzelsitzungen mit Pat. (1–61 Sitzungen pro Pat.); deutliche
Unterschiede zwischen den Gruppen bzgl. KHdauer (15,4 Mo vs. 8,2 Mo)
Ergebnis: kein zusätzlicher Effekt von BAT im Gesamtoutcome (GCS: Global
Clinical Score n. Garfinkel et al. 1977), aber Verbesserung des Körperbildes
(aber Cave: 9/26 Pat. hatten schon zu Beginn ein normales Körperbild!)
Instrumente:
M u.R =Morgan u. Russell-Scales; MRAOS = Morgan and Russell Average Outcome Scale; EAT = Eating Attitudes Test; BSI =Brief
Symptom Inventory; ESE =Eating Disorders Examination; EDI =Eating Disorder Inventory; BDI = Beck Depression Index;
STAI =State-Trait-Anxiety-Inventory; SMFQ = Short Mood and Feeling Questionnaire; RSE =Rosenberg Selfesteem-Scale;
MOCI = Maudsley Obsessive Compulsive Index; FACES =Family Adaptability and Cohesion Scale; SCFI =Standardized Clinical
Family Interview; FAM = Family Assessment Measure; CDI =Childrens Depression Inventory; EE = Expressed Emotion Ratings;
YBC-ED = Yale-Brown-Cornell-Eating Disorder-Scale; CBCL = Child Behavior Checklist; SCID =Structured Clinical Interview for
DSM IV; PARQ = Parent Adolescent Relationship Questionnaire; GCS =Global Clinical rating Scale; Ch-EAT =Childrens Eating
Attitutde Test; VSE = Visual Size Evaluation; HoNOSCA = Health of the Nation Outcome Scale for Children und Adolescence
(-SR: Selbstbeurteilungsform); FAD = Family Assessment Device; MFQ = Mood and Feelings Questionnaire
108 Kapitel 4 · Anorexia nervosa
Tabelle 4.3a-l: RCTs geordnet nach Behandlungsarmen/Art der Intervention (mit Beschreibung)
Gowers 2007 55 CAMHS/ »General child and adolescent mental health service 17
TAU treatment«: unsepezifisches Versorgungsangebot des
britischen Gesundheitssystems, 35 Zentren beteiligt:
meist multidisziplinäre Behandlung mit Familienge-
sprächen, variabler pädiatrischer und ernährungsmedi-
zinischer Unterstützung sowie indivídueller supportiver
Therapie
Pike 2003 18 CBT manualisierte kognitive Verhaltenstherapie (Manual von ? 0 für die
Pike), orientiert an Garner, Vitousek u. Pike 1997; Focus ersten 10
auf aufrechterhaltenden Faktoren, zusätzlich schema- Sitz.
basierte Interventionen zu Selbstwert und interperso-
nellen Problemen; 50 Sitz. über 12 Mo; Therapeuten:
erfahrene Psychologen, 2 x pro Monat Supervision
Dare 2001 19 Focal analytic Focal-analytische Therapie (Dare 1995, Dare u. Crowther 7
1995); orientiert an psychoanalytischen Prinzipien
(Malan 1976), non-direktiv, Arbeit an bewusster und
unbewusster Bedeutung der Symptomatik, ihrer Funk-
tion in Beziehungen (auch zum Therapeuten); 1 x/Wo
über 1 Jahr (im Durchschnitt : 25 Sitz.), 14-tägig Super-
vision; Therapeuten: ein Psychologe, ein Arzt, ein Sozial-
arbeiter mit Erfahrungen in psychodynamischer und
Familien-Therapie
Wallin 2000 13 FT + BAT Familientherapie (s. o.) plus »Body awareness therapy«; ?
BAT beinhaltet Edukation über den Körper und seine
Funktionen, Köpererfahrung (Grenzen, Wahrnehmung
von Bewegung, Interpretation von Körpersignalen),
Erlernen von Entspannungstechniken; durchschnittl.
16 Sitzungen, aber extreme Variabilität: je nach Bedarf
7 bis 56 (!); Frequenz?; Einzelsitzungen bei 9 Familien
(1–62 pro Pat.); Therapeut: Physiotherapeut mit psychia-
trischem Training
Crisp 1991 30 stationär Siehe auch Crisp 1980; Ziel ist Gewichtsnormalisierung, 12
wöchentlich Einzel- und Familiensitzungen, Gruppen-
therapie, Ernährungsberatung, Beschäftigungstherapie,
Psychodrama und Kunsttherapie; nach Entlassung 12
Sitzungen mit Pat. und Familie
. Tab. 4.3l Vergleich von Interventionen im Rahmen stationärer Therapie (7 Kap. 4.5)
6
4.4 · Anhang: Tabellen
117 4
6
4.4 · Anhang: Tabellen
119 4
6
4.4 · Anhang: Tabellen
121 4
Gewicht post:
Gr. I: BMI = 20,3
GR. II: BMI = 19,66
6
4.4 · Anhang: Tabellen
125 4
6
4.4 · Anhang: Tabellen
127 4
6
4.4 · Anhang: Tabellen
129 4
N = 39 primäres Zielkriterium: aufgrund der hohen Dropout- Total: 26 (4 Amb. Th. während
Verbesserung in Gruppe Quote Bildung von 4 Gruppen: Dropouts, der 52 Wochen
w, Gruppe I.:23 J (SD 9) I bzgl. Rückfall und 1. »Fluoxetine treatment nicht in war den Pat.
Gruppe II: 22 J (SD 6) Symptomminderung 1 J completers«, 2. »Fluoxetin Auswertung freigestellt.
nach Erreichung v. treatment dropouts«, 3. »Place- mit einbe-
AN (DSM-IV) Normalgewicht (90 % bo treatment completers«, zogen) 9 der 12 VPN
Restr: 20 »Average Body Weight«) 4. »Placebo treatment drop- mit amb. Th. sind
Purge: 15 outs« Fluoxetin- Dropouts.
(keine VPN mit Binge- sekundäres Zielkriteri- Gruppe I:
eating) um:sign. Verbesserung Gruppe 1 (Fluoxetine treat- 6 Dropouts sehr hohe Drop-
amb. Th: 12 v. Gruppe I auf folgen- ment completers) zeigte sign. out-Rate in Place-
keine PT: 23 den Skalen: HAM-D, Verbesserungen zw. Baseline Placebo- bo-Gruppe (nur
HAM-A, Y-BOCS + und Studienende bzgl. Gruppe II: 3 von 20 VPN
Gewicht prä (»average Y-BOCS-ED (Eating Gewicht, Depression, Angst, 16 Dropouts blieben bis
body weight«, %): disorders) und bessere Zwänge und Kernsymptome (je vor Ab- Studienende)
Gr. I: 89 % Gewichtszunahme v. der Essstörung. lauf der
Gr. II: 89 % Gruppe I vs. Gruppe II 52 Wochen
Gewichtsveränderung post (Ergebnisse
(»average body weight, %«) wurden in
Gr. I (completers): 5,3 % Auswertung
Gr. I (dropouts): -1.2 % mit ein-
Gr. II (completers): 11,2 % bezogen)
Gr. II (dropouts): -0,2 %
6
4.4 · Anhang: Tabellen
131 4
Powers, P. et al. Open Label Trial Gruppe I: Olanzapin 18 alle Daten bei Baseline
(2001) (10 mg/d) + Psycho-
Olanzapine in the Dauer: 10 Wo edukation (1 x/Wo) Gewicht, Vitalparameter,
Treatment of Ano- Nebenwirkungen, Be-
rexia Nervosa: An wegungs-auffälligkeiten:
Open Label Trial 1 x/Wo
6
4.4 · Anhang: Tabellen
133 4
6
4.4 · Anhang: Tabellen
135 4
Gewicht post:
Gr. I: 38,69 ± 9,38 kg
Gr. II: 42,7 ± 7,54 kg
Gr. III: 42,62 ± 10,09 kg
136 Kapitel 4 · Anorexia nervosa
6
4.4 · Anhang: Tabellen
137 4
N = 95 sign. Verbesserung bzgl. sign. Gewichtszunahme T0–T3 0 (k. A.) 40 VPN zeigten
folgender Größen: in beiden Gruppen keine Amenor-
Geschlecht: 91 w, 4 m Gewicht (BMI), Angst rhoe.
vor Gewichtszunahme, sign. Verbesserungen T0-T3
AN (DSM-IV) Erbrechen, Laxanzien- bzgl. DT und BD Gruppe I zeigte zu
Subtypen: Restr: abusus, Bewegung, T0 höhere Werte
21VPN (23,36 ± 4,04 J) Wunsch, dünn zu sein sign. Verbesserung in Gruppe I bzgl. »Angst vor
Binge-purge: 34 VPN (drive for thinness, DT), vs. Gruppe II in folgenden Gewichtszunah-
(22,84 ± 5,01 J) Zufriedenheit mit Größen: me« und niedrige-
AN ohne Amenorrhoe: Körper (body dissatis- BMI (T1,T2, T3), Bewegung re Werte in Dauer
40 VPN (24,08 ± 5,34 J) faction BD) der Erkrankung
sign. Verbesserung in Gruppe ggü. Gruppe II.
amb. Pat. Messinstrumente: II vs. Gruppe I: Angst vor
Long Interval follow-up Gewichtszunahme und DT Fluoxetin wurde
Gewicht prä (BMI): Evaluation Eating dis- denjenigen VPN
Gr. I: 14,83 ± 1,53 order (EDI-LIFE), EDI Gewicht post (BMI): zugewiesen, die
Gr. II: 14,29 ± 2,18 Gr. I: 19,72 ± 4,15 als »geeignet«
Gr. II: 16,52 ± 3,27 angesehen wur-
den (v. a. im Falle
depressiver
Komorbidität).
N = 22 sign. Verbesserungen nach 14 Wochen: 6 VPN jeder nach 14 Wo: VPN wurde nicht
bzgl. folgender Größen: Gruppe erfüllten noch volle 0 blind, sondern der
Geschlecht: k. A., Gewicht (BMI), DSM-IV- Kriterien der AN Reihe nach zuge-
19,3 ± 4,7 J Symptomatik der AN, nach 64 Wo: ordnet (die ersten
Interviews bzgl. Ess- BMI stieg in beiden Gruppen 1 (Gr. I) 11 Kontrollgrup-
AN (DSM-IV), störungssymptomatik auf 17,1 (Gr. I)/17,6 (Gr. II) 1 (Gr. II) pe, die nächsten
alle VPN restr. bei (Beschäftigung/Ver- 11 Sertralin-
Studienbeginn meidung v. Essen, Angst Gruppe I sign. Verbesserungen Gruppe).
vor Gewichtszunahme, bzgl. Körperschema und
amb. Pat. Körperschema), Selbst- Skalen des EDI und SCL 2 VPN v. Gruppe II
beurteilungsinstrumen- begannen Binge-
Gewicht prä (BMI): te: EDI, Hopkins Symp- beide Gruppen sign. Verbese- purging während
Gr. I: 15,6 ± 1,2 tom Checklist (SCL-58, rungen bzgl. Essverhalten und Studie, 0 VPN v.
Gr. II: 16,4 ± 0,9 nur Zwang, Depression, essstörungsspez. Kognitionen Gruppe I be-
Angst) gannen Binge-
Follow-up nach 64 Wo: 1 VPN, purging.
Gr. I und 5 VPN, Gr. II erfüllte
noch DSM-IV Kriterien für AN
6
4.4 · Anhang: Tabellen
139 4
N = 18 sign. Verbesserungen in VPN von Gruppe I zeigten 0 (k. A.) Gruppe II startete
Gruppe I bzgl. folgender Verschlechterungen bzgl. nach Baseline mit
Geschlecht: w Skalen: Gewicht, Skalen des EAT und B.A.T. höherem Gewicht
Gruppe I: 23,2 ± 6,5 J Anorectic Behaviour in Studie als
Gruppe II: 23,7 ± 9,6 J Scale for Inpatient keine Gruppenunterschiede Gruppe I – darum
Observation, EAT, Body (n. s.) Vergleiche schwer
AN (DSM-III) Attitudes Test (B.A.T.) möglich.
Subtypen: k. A. Sulpirid begünstigte Gewichts-
zunahme in Gruppe I (n.s.).
stat. Th.
Gewicht post (tägl, Gewichts-
Gewicht prä: zunahme in g):
Gr. I: 40,4 ± 4,6 kg Gr. I, 1. Phase: 153,8 ± 91 g;
Gr. II: 38,3 ± 4,3 kg 2. Phase: 97,6 ± 51,4 g
Gr. II: 1. Phase: 92,6 ± 49,4 g;
2. Phase: 102,6 ±4 7,5 g
140 Kapitel 4 · Anorexia nervosa
6
4.4 · Anhang: Tabellen
141 4
Unterschiede: »responders«
waren älter (24,1 J) als »non-
responders« (20,4 J) und
hatten längere Erkrankungs-
dauer.
Abkürzungen:
amb. Th.: ambulante Therapie
AN: Anorexia nervosa
Binge-purge: Binge-eating/Purging-Typ der AN
BN: Bulimia nervosa
d: Tage
J: Jahre
k. A.: keine Angabe
m: männlich
Mo: Monate
Pat: Patientinnen
PT: Psychotherapie
Restr:: restriktiver Typ der AN
stat. Th.: stationäre Therapie
VPN: Versuchspersonen
VT: Verhaltenstherapie
w: weiblich
Wo: Woche
ZH: Zusammenhang
4.4 · Anhang: Tabellen
143 4
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5
Bulimia nervosa
Corinna Jacobi, Burkard Jäger, Annette Kersting, Stephan Jeff Rustenbach,
Harriet Salbach-Andrae, Jörn von Wietersheim, Stephan Herpertz,
Martina de Zwaan
5.1 Klinik des Störungsbildes, das eigene Körperbild gebunden (z. B.: »Nur wenn
Komorbidität, Verlauf ich schlank bin, bin ich etwas wert.«). Die Gedan-
ken kreisen häufig um Figur und Aussehen. Dabei
5.1.1 Klinische Merkmale setzen die Patientinnen sich selbst häufig eine sehr
und diagnostische Kriterien niedrige Gewichtsschwelle, die unter dem als ge-
sund angesehenen Gewicht liegt – ihr Ziel ist es,
Die BN ist erst in den 80er Jahren des vergangenen möglichst dünn und attraktiv zu sein. Das Essver-
Jahrhunderts als eigenständiges Krankheitsbild be- halten ist unregelmäßig, öfters werden Diäten
schrieben und definiert worden (Russell 1979). Vor- durchgeführt und Mahlzeiten ausgelassen. Die Vor-
her war diese Störung der Magersucht zugeordnet stellung, zuzunehmen, ist für viele Patientinnen
5 oder als unspezifische Essstörung verstanden wor- unerträglich. Die Krankheit wird oft wegen der da-
den. 1980 wurde die BN in das Diagnoseschema mit verbundenen Schamgefühle der Umwelt gegen-
DSM-III aufgenommen. Die Hauptsymptomatik be- über geheim gehalten. Etwa ein Drittel der Patien-
steht aus Essanfällen, die von kompensatorischen tinnen hat in der Vorgeschichte Episoden einer AN,
Verhaltensweisen gefolgt werden. Die Patientinnen1 und auch im Verlauf der BN kommt es gelegentlich
befürchten, durch die Essanfälle an Gewicht zuzu- zu Episoden einer AN.
nehmen und setzen deshalb selbstinduziertes Erbre- In ihrem theoretischen Modell gehen Fairburn
chen und andere gewichtsreduzierende Maßnahmen et al. (2003) (. Abb. 5.1) davon aus, dass die Ab-
ein. Dazu gehören häufige Diäten, Fasten, Vermei- hängigkeit des Selbstwerts von Gewicht und Figur
dung hochkalorischer Lebensmittel, Missbrauch von sowie die Wichtigkeit der Kontrolle über die Nah-
Medikamenten (Laxanzien, Diuretika, Appetitzügler, rungsaufnahme als zentrale Aspekte gesehen wer-
Schilddrüsenhormone) und exzessive sportliche Be- den müssen. Bei vielen Patientinnen geht die nega-
tätigung. Essanfälle und gewichtsreduzierende Maß- tive Selbstbewertung über essensbezogene Themen
nahmen kommen oft mehrmals pro Woche vor, im hinaus und wird als Teil der eigenen Identität erlebt.
DSM-IV werden für die Diagnose zwei Essanfälle pro Die Abhängigkeit des Selbstwertgefühls ausschließ-
Woche über einen Zeitraum von drei Monaten gefor- lich von Figur und Gewicht führt zu rigidem Diät-
dert. Ein Essanfall ist definiert durch die Aufnahme halten mit strikten Diätregeln, die unmöglich einge-
einer objektiv großen Nahrungsmittelmenge und das halten werden können. Durch den ständigen Hun-
Gefühl, nicht kontrollieren zu können, was und wie gerzustand (»restriction«), aber auch durch den
viel gegessen wird (Kontrollverlust). Als objektiv ständigen Wunsch nach kontrollierter Nahrungs-
groß wird eine Menge bezeichnet, die deutlich größer aufnahme, auch wenn sie nicht gelingt (»restraint«),
ist als die Mengen, die andere Menschen in einer ähn- werden Essanfälle begünstigt, die wiederum kom-
lichen Situation essen würden. Viele Betroffene be- pensatorisches Verhalten wie Erbrechen oder La-
richten zusätzlich über so genannte subjektive Essan- xanzieneinnahme sowie das erneute Streben nach
fälle, bei denen die aufgenommene Nahrungsmenge striktem Diäthalten zur Folge haben.
zwar nicht objektiv groß ist, sehr wohl aber das Ge- Unter pathologischem Perfektionismus versteht
fühl des Kontrollverlusts besteht. Es hat sich gezeigt, Fairburn die Überbewertung hoher persönlicher
dass »subjektiv« erlebte Essanfälle (auch mit kleineren Standards und Ziele. Das Selbstwertgefühl wird
Nahrungsmengen) ähnlich belastend erlebt werden überwiegend vom Erfolg beim Erreichen dieser Ziele
wie »objektive« Essanfälle mit größeren Nahrungs- abhängig gemacht, wobei durch die gleichzeitig be-
mengen (Pratt et al. 1998). stehende selbstkritische Haltung eine ständige Unzu-
Viele der Patientinnen haben ein gering ausge- friedenheit in der Bewertung der eigenen Leistungen
prägtes Selbstwertgefühl, depressive Verstimmun- vorherrscht. Bei einigen Patientinnen steht die Unfä-
gen sind häufig. Das Selbstwertgefühl ist stark an higkeit, mit emotionalen Zuständen bzw. Affekten
umzugehen, im Vordergrund. Eine Verminderung
1 Es wird die weibliche Form verwandt, da überwiegend Frau-
der rigiden Diätregeln wird bei diesen Patientinnen
en/Mädchen unter einer Bulimia nervosa leiden. Die betrof- nicht ausreichen, um Essanfälle zu reduzieren. Neben
fenen Männer sind jeweils auch gemeint. Essanfällen zeigen diese Patientinnen häufig selbst-
5.1 · Klinik des Störungsbildes, Komorbidität, Verlauf
159 5
. Abb. 5.1 Modell zur Aufrechterhaltung der BN als Grundlage der kognitiven Verhaltenstherapie für BN (Adaptiert nach
Fairburn et al. 2003)
verletzendes Verhalten oder Substanzmissbrauch, kommt es wegen der zur Abgrenzung verwendeten
zum Teil auch eine Komorbidität mit einer Border- diagnostischen Kriterien (Gewicht, Häufigkeit
line-Persönlichkeitsstörung. Die Therapie sollte dann kompensatorischer Maßnahmen, Häufigkeit der
an die speziellen Bedürfnisse dieser impulsiven Pati- Essanfälle) öfter zu einem Wechsel der Essstörungs-
entinnengruppe angepasst werden. diagnosen (AN, BN, nicht näher bezeichnete Ess-
Unter interpersonellen Problemen werden z. B. störung [EDNOS] und BES).
Spannungen in der Familie verstanden, etwa ausge- Die Wahrnehmung von Hunger- und Sätti-
löst durch ein anderes Familienmitglied mit Essstö- gungsgefühlen der Patientinnen ist oft gestört oder
rungen. Auch veränderte Rollenerwartungen in der auch ganz verschwunden. Die Essanfälle und die
Adoleszenz und im frühen Erwachsenenalter kön- dafür benötigten Nahrungsmengen führen manch-
nen die Essstörung auslösen bzw. aufrechterhalten, mal auch zu finanziellen Problemen oder zu ent-
diese müssen in der Therapie Berücksichtigung fin- sprechenden Konflikten, beispielsweise im famili-
den. Es gibt keine Hinweise darauf, dass therapeu- ären Rahmen. Durch die gewichtsreduzierenden
tische Ansätze der Suchttherapie (z. B. Abstinenz) Maßnahmen liegt das Gewicht der Betroffenen
eine sinnvolle Entsprechung in der Therapie der meist im oder leicht unter dem normalen Bereich,
Essstörungen finden. in einer bevölkerungsbezogenen Stichprobe waren
jedoch ca. 30 % der Patientinnen mit BN überge-
Diagnostische Kriterien nach ICD-10 wichtig (Striegel-Moore et al. 2001).
und DSM-IV
In den Klassifikationssystemen ICD-10 (Weltge- Differenzierung von anderen
sundheitsorganisation & Dilling et al. 2005) und Essstörungen
DSM-IV (American Psychiatric Association 1994; Zunächst ist die BN von den anderen Essstörungen
deutsch: Saß et al. 2003) wird die BN anhand der in (AN, BES) abzugrenzen. Die Abgrenzung zur AN
den . Tab. 5.1 und . Tab. 5.2 in 5.3: Anhang wieder- geschieht über das Gewicht, bei der AN muss ein
gegebenen Kriterien definiert. definiertes Untergewicht (Body-Mass-Index
Die dargestellten Diagnosekriterien sind de- [BMI] < 17,5 kg/m2) vorliegen. Wenn Untergewicht
skriptiv und auf die Symptomatik bezogen. Ätiolo- vorliegt, muss auf jeden Fall die Diagnose einer AN
gische Aspekte und die häufigen Komorbiditäten gegeben werden, auch wenn zusätzlich bulimische
werden dabei nicht berücksichtigt. Patientinnen der Symptome vorliegen (bulimischer Typ der AN).
Untergruppe »Nicht-Purging« nach DSM-IV ma- Wenn nicht alle diagnostische Kriterien einer BN
chen weniger als 10 % der BN-Patientinnen aus. erfüllt sind, kann eine atypische BN (nur im ICD-10)
Diese Gruppe ist oft nur schwer von der BES zu dif- oder eine nicht näher bezeichnete Essstörung (NNB,
ferenzieren (Striegel-Moore et al. 2001). Generell ICD-10 und DSM-IV) diagnostiziert werden. Über-
160 Kapitel 5 · Bulimia nervosa
gänge zwischen den Diagnosen kommen häufig vor, depression«) bei 30 bis 60 %, die Lebenszeitprävalenz
vor allem der Übergang von der AN zur BN und von bei 50 bis 65 %. In einer Studie von Brewerton et al.
der BN zu einer atypischen oder NNB-Essstörung. (1995) lag die Prävalenz komorbider depressiver Stö-
Beim Vergleich der BN mit der BES sind die Haupt- rungen bei bulimischen Patientinnen bei 63 %. Die
unterscheidungsmerkmale der starke Drang der Zahlen für die Dysthymie schwanken stark und wer-
BN-Patientinnen nach Schlankheit und das ge- den zwischen 6 und 95 % (Casper 1998) angegeben.
wichtsreduzierende Verhalten (Erbrechen, Laxan- Es gibt Hinweise, dass bei Betroffenen, die keine The-
zienabusus usw.). Beides ist bei der BES nicht oder rapie aufsuchen, die Häufigkeit komorbider depres-
deutlich weniger vorhanden (Barry et al. 1999; Strie- siver Störungen geringer ist (»sampling bias«). So lag
gel-Moore et al. 2001). Schwierig wird die Unter- die Lebenszeitprävalenz depressiver Störungen bei
5 scheidung bei der Untergruppe der »Nicht-purging«- einer repräsentativen amerikanischen Stichprobe
BN, da hier definitionsgemäß die leichter zu erfas- von Probanden, die die Kriterien für eine BN er-
senden kompensatorischen Verhaltensweisen wie füllten, bei 36 % (Dansky et al. 2000) und in einer
selbstinduziertes Erbrechen oder Medikamenten- Forschungsstichprobe bei 27 % (Köppe u. Tuschen-
missbrauch nicht auftreten. Ab wann restriktives Caffier 2002). Beide Studien fanden somit geringere
Essverhalten, Diätverhalten oder Fasten als kompen- Prävalenzraten für komorbide depressive Störungen
satorisches Verhalten gelten soll, ist unklar, und so im Vergleich zu Studien, in denen Therapie suchen-
bleibt die Unterscheidung zwischen der Diagnose den Patientinnen untersucht wurden.
»Nicht-purging«-BN und BES oft willkürlich. Bezüglich der Reihenfolge des Auftretens der
depressiven Störung und der BN sind die Ergeb-
nisse uneinheitlich. Meist geht in der zeitlichen Ent-
5.1.2 Komorbidität wicklung die Essstörung der depressiven Störung
voraus. Es wird angenommen, dass in vielen Fällen
Komorbidität mit psychischen das restriktive (gezügelte) Essverhalten auch ohne
Erkrankungen bestehendes Untergewicht zur Entwicklung der De-
Die BN ist häufig von zum Teil schwerwiegenden pression beiträgt, wobei von einer Prädisposition
psychischen Störungen begleitet, die oftmals eigen- ausgegangen wird.
ständigen Krankheitswert haben und in der Thera- Bei bis zu 70 % der Patientinnen mit BN können
pieplanung berücksichtigt werden müssen (z. B. eine oder mehrere Angststörungen (Lebenszeit) dia-
Thompson-Brenner u. Westen 2005). Die Sym- gnostiziert werden. Milos et al. (2003) fanden bei
ptombelastung ist bei komorbiden Patientinnen 51 % bulimischer Patientinnen eine manifeste
höher, das psychosoziale Funktionsniveau beein- Angststörung, Köppe und Tuschen-Caffier (2002)
trächtigter. Die Komorbidität mit anderen psy- bei 41 %. Die häufigste Komorbidität bei BN ist die
chischen Störungen scheint den Behandlungserfolg soziale Phobie mit bis zu 59 % (Lebenszeitprävalenz)
von störungsspezifischen Behandlungsansätzen (Godart et al. 2000; Pearlstein 2002). Zwangsstörun-
(u. a. mit Fokus auf die Essstörungssymptomatik) gen haben bei der BN im Vergleich zur AN eine ge-
nicht zu schmälern, problematisch bleibt häufig das ringere Bedeutung (▶ Abschn. »Komorbidität mit psy-
schlechtere psychosoziale Funktionsniveau der ko- chischen Erkrankungen« in 4.1.2). Die Zahlen zur Le-
morbiden Patientinnen nach erfolgreicher Essstö- benszeitprävalenz der Zwangsstörungen bei BN
rungsbehandlung. schwanken zwischen 3 und 43 % (Pearlstein 2002).
Eine posttraumatische Belastungsstörung
Affektive Störungen, Angststörungen, (PTSD) besteht nach Dansky et al. (1997) bei 21 %
Zwangsstörungen und PTSD der bulimischen Patientinnen (Lebenszeitpräva-
Angststörungen und affektive Störungen stellen mit lenz 37 %) und damit häufiger als in der Allgemein-
einer Lebenszeitprävalenz von insgesamt 50 bis 65 % bevölkerung. Eine PTSD scheint bei Patientinnen
die häufigsten komorbiden Störungen bei Patien- mit bulimischer Symptomatik häufiger aufzutreten
tinnen mit BN dar. Nach Casper (1998) liegt die als bei Patientinnen mit restriktiver AN. Diese
Punktprävalenz für depressive Störungen (»major Prozentangaben korrespondieren mit verschiedenen
5.1 · Klinik des Störungsbildes, Komorbidität, Verlauf
161 5
Studien, in denen ein höherer Anteil von Patientinnen nen mit anderen Achse-II-Störungen nach DSM-
mit BN gefunden wurde, die Erfahrungen mit sexu- III-R aber nur bei 12,5 %.
ellen Übergriffen hatten (z. B. Sanci et al. 2008). Es galt lange Zeit als gesichert, dass die Prognose
Die Zwangsstörung und die soziale Phobie gehen der BN bei gleichzeitigem Vorliegen einer
in der zeitlichen Abfolge der BN häufig voraus, wäh- Persönlichkeitsstörung schlechter sei (z. B. Steiger et
rend sich eine PTSD und andere Angststörungen al. 1993). Neuere Studien fanden jedoch keinen Zu-
wie die Panikstörung bei der Mehrheit erst im wei- sammenhang zwischen dem Bestehen einer BPS und
teren Verlauf der Erkrankung entwickeln. den Remissionsraten der BN (Grilo et al. 2003; Rowe
et al. 2008; Zeeck et al. 2007). Nach Zanarini et al.
Substanzbedingte Störungen/Sub- (2009) ergeben sich bei Patientinnen mit BN und BPS
stanzabhängigkeit und -missbrauch hohe Remissionsraten (91 %); allerdings kam es in
Substanzmissbrauch und -abhängigkeit werden als dem weiteren Beobachtungszeitraum von über zehn
Lebenszeit-Diagnose bei bulimischen Patientinnen Jahren gehäuft zu Rückfällen oder Übergängen zu
mit einer Häufigkeit von etwa 30 bis 70 % berichtet anderen Essstörungen (70,7 %, insbesondere ED-
(Pearlstein 2002). Dansky et al. (2000) fanden bei bu- NOS). Eine Besserung oder Remission der BN ist in
limischen Patientinnen eine Lebenszeitprävalenz der Regel nicht mit einer Besserung der Symptome
von Alkoholmissbrauch bzw. -abhängigkeit von 31 der BPS assoziiert. Multiimpulsives Verhalten, als ty-
bzw. 13,2 %. Bulimische Patientinnen mit Substanz- pisches Symptom einer BPS, geht der Entwicklung
missbrauch bzw. -abhängigkeit weisen häufiger an- einer BN zeitlich meist voraus.
dere psychische Störungen auf, unter anderen auch
Persönlichkeitsstörungen. Die BN geht in der Regel Besonderheiten bei Kindern
der Substanzabhängigkeit voraus. Komorbide Sub- und Jugendlichen
stanzabhängigkeit erfordert im Allgemeinen kom- Auch im Kindes- und Jugendalter weisen Patien-
plexere Behandlungsstrategien mit längeren Behand- tinnen mit BN neben der Kernsymptomatik ein
lungsdauern (Thompson-Brenner u. Westen 2005). breites Spektrum weiterer psychischer Erkran-
In der Regel hat die Behandlung der Abhängigkeits- kungen auf. Die häufigsten komorbiden Achse-I-
erkrankung Priorität vor der Behandlung der BN. Störungen bei der BN im Kindes- und Jugendalter
sind Depressionen und Angststörungen (vor allem
Persönlichkeitsstörungen soziale Phobie) mit einer Prävalenz von 20 bis 70 %
Zur Häufigkeit komorbider Persönlichkeitsstörun- für Depressionen (Herpertz-Dahlmann 2002) bzw.
gen liegen zahlreiche Studien vor (Herzog et al. von 30 bis 70 % für Angststörungen (Godart et al.
1995; Rosenvinge et al. 2000). Die Punktprävalenz 2000). Alkohol- und Drogenabhängigkeit bzw.
einer oder mehrerer komorbider Persönlichkeits- -missbrauch sowie die einfache Aktivitäts- und Auf-
störungen wird zwischen 20 und 80 % angegeben merksamkeitsstörung (ADHS) werden als weitere
(Herzog et al. 1995; Rosenvinge et al. 2000), neuere psychiatrische Komorbiditäten angesehen (Cana-
Untersuchungen beschreiben Häufigkeiten von son u. Sher 2006; Fischer u. Le Grange 2007; Her-
mehr als 50 % (z. B. Ro et al. 2005: 77 %). Die häu- pertz-Dahlmann 2009).
figsten Persönlichkeitsstörungen bei BN sind die
Empfehlung
Borderline- (BPS) und die ängstlich vermeidende
Persönlichkeitsstörung (vgl. Rø et al. 2005; Skodol
Bei Patientinnen mit BN sollten komorbide psy-
et al. 1993). Zeeck et al. (2007) diagnostizierten bei
chische Störungen, insbesondere Angststörun-
13,8 % ihrer BN-Patientinnen eine komorbide Bor-
gen (vor allem soziale Phobie), Depressionen,
derline-Persönlichkeitsstörung, Herzog et al. (1995)
Substanzmissbrauch bzw. -abhängigkeit und
bei 11 % und Herzog et al. (1992) sowie Fichter et al.
Persönlichkeitsstörungen der Cluster B oder C
(1992) bei jeweils 8 %. Zanarini et al. (2009) konn-
gezielt erfragt werden. Bei diagnostischen Un-
ten in einer großen Stichprobe von Borderline-Pati-
sicherheiten ist die Vorstellung in einer Spezial-
entinnen (N = 290) bei 24,1 % die Diagnose einer
ambulanz zu erwägen (KKP).
BN stellen, in einer Vergleichsgruppe von Patientin-
162 Kapitel 5 · Bulimia nervosa
behaviorale Techniken) und deren mögliche addi- funktionalen) Gedanken und Gefühle exploriert,
tive Wirksamkeit geprüft. hinterfragt und gegebenenfalls korrigiert. Bei »rei-
Die kognitiv-verhaltenstherapeutischen und nen« ERV-Studien stehen Exposition und Reaktions-
rein verhaltenstherapeutischen Ansätze werden in verhinderung im Mittelpunkt, während auf kogni-
der Regel im Rahmen eines manualgestützten Vor- tive Techniken verzichtet wird.
gehens über einen begrenzten Zeitraum (oft ca. 19 Rein verhaltenstherapeutische Ansätze beschrän-
Sitzungen Einzeltherapie über 18 bis 20 Wochen) ken sich auf die Normalisierung des Essverhaltens,
durchgeführt. das heißt die Rückgewinnung der Kontrolle über die
Studien mit kognitiver Verhaltenstherapie bein- Nahrungsaufnahme, Akzeptanz bisher gemiedener
halten in der Regel sowohl kognitive als auch beha- Nahrungsmittel, regelmäßige Nahrungsaufnahme
5 viorale Techniken zur Veränderung des gestörten bzw. Aufgeben von Diäthalten (restriktives Essver-
Essverhaltens (Essanfälle und kompensatorische halten). Zentrale Techniken dabei sind Selbstbe-
Verhaltensweisen), zur Veränderung verzerrter obachtung, Stimuluskontrolle und Problemlösung.
Einstellungen zu Figur und Gewicht und gegebe- Effekte: Insgesamt weisen kognitiv-verhaltens-
nenfalls zur Veränderung von unzureichendem therapeutische Verfahren eine sehr gute Wirksam-
Selbstwertgefühl und übersteigertem Perfektionis- keit auf (Daten von 171 Patientinnen aus neun Stu-
mus. In der ersten Phase der Therapie liegt der dienarmen). KVT-Studien erzielten im Hinblick auf
Schwerpunkt darauf, wieder Kontrolle über das Es- die durchschnittliche Reduktion zentraler Outcome-
sen durch überwiegend rein verhaltenstherapeu- Maße im Post-KG-Vergleich näherungsweise große
tische Techniken (Selbstbeobachtung, Aufbau eines (Essanfälle: Reduktion um 68 %; d = .73); (Erbre-
regelmäßigen Essverhalten, Stimuluskontrolltech- chen: Reduktion um 70 %; d = .85) Effekte (Evidenz-
niken) zu erreichen. Weiterhin besteht diese Phase grad Ia); VT-Studien erzielten mittlere Effekte im
aus Psychoedukation zu Gewichtsregulation, zur Hinblick auf die Reduktion der Essanfälle (Reduk-
Rolle von Diäten und den Folgen kompensato- tion um 70 %; d = .62) und große in Bezug auf Er-
rischer Verhaltensweisen. Die zweite Phase ist stär- brechen (Reduktion um 70 %; d = .85) (Evidenz-
ker kognitiv orientiert und beinhaltet überwiegend grad IIb). Im Hinblick auf die Reduktion der Laxan-
kognitives Umstrukturieren der verzerrten Einstel- zieneinnahme lagen die Post-Effekte für jeweils eine
lungen zu Figur und Gewicht und Problemlösetech- verfügbare Studie im mittleren bis näherungsweise
niken. In der dritten Phase geht es primär um die großen Bereich (KVT: d = .68; VT: d = .75). Für zwei
Aufrechterhaltung der Fortschritte und um die Re- Studien mit zusätzlicher Anwendung von ERV-Ele-
duktion des Rückfallrisikos (Wilson et al. 1997). menten ließen sich Post-Effektstärken für die Re-
Im Rahmen von KVT-ERV-Studien wird der zu- duktion von Erbrechen bestimmen, diese sind als
sätzliche Effekt von Expositions- und Reaktionsver- groß (d = .98) einzustufen (Evidenzgrad Ib).
hinderungstechniken zu KVT (s. oben) untersucht. Zu Behandlungsende liegen die auf Essanfälle
Analog zur Behandlung von Zwangsstörungen bzw. bezogenen Abstinenzraten für KVT bei durch-
in Anlehnung an ein Angstmodell (Essen löst Angst schnittlich 38 % (Evidenzgrad Ia), für VT bei 65 %
aus, die durch Erbrechen reduziert wird) wurden (Evidenzgrad IIb) und für Studien mit zusätzlichen
diese Techniken auf Essstörungen übertragen. Sie ERV-Elementen bei 60 % (Evidenzgrad Ib). Die auf
werden meist etwa nach der Hälfte der KVT-Sit- das Erbrechen bezogenen Abstinenzraten liegen für
zungen eingeführt, wobei der Anteil an der Therapie KVT bei 34 %, für KVT-ERV bei 57 % und für VT
insgesamt variieren kann. Patientinnen werden in- (auf der Basis von zwei Studien) bei 58 %.
struiert, unterschiedliche (gemiedene) Nahrungs- Im Hinblick auf essstörungsspezifische und all-
mittel bis zu dem Punkt zu konsumieren, an dem sie gemeine Psychopathologie zeigten sich im Post-
sich unwohl fühlen, und den Drang, zu erbrechen, KG-Vergleich hohe Effekte (d = 1.47) für KVT,
verspüren. Gleichzeitig werden sie gebeten, das Ge- ebenso für KVT-ERV-Verfahren (d = 1.58), bezo-
fühl des Unwohlseins über längere Zeit (bis zu meh- gen auf den EAT-Gesamtwert, ein annähernd hoher
reren Stunden) zu tolerieren, ohne zu erbrechen. Effekt (d = .77), bezogen auf die EDI-Skala 1
Währenddessen werden die aufkommenden (dys- (»Schlankheitsstreben«), ein mittlerer Effekt auf der
5.2 · Behandlung
169 5
EDI-Skala 3 (»Bulimie«) und ein annähernd hoher tierter Verhaltenstherapie und Ernährungsberatung
Effekt (d = .71) hinsichtlich der Reduktion der De- (Bachar et al. 1998). Die Kurzzeitfokaltherapie ba-
pressivität. sierte auf Arbeiten von Hilde Bruch (1973) zur AN
und wurde für die BN adaptiert (Rosen 1979). Die
Interpersonelle Therapie psychodynamische Kurzzeittherapie basierte vor-
Als ähnlich wirksam wie die kognitive Verhaltenst- nehmlich auf dem Manual von Luborsky (1984).
herapie galt bisher auch die Interpersonelle Psycho- Die psychoanalytische Behandlung (Bachar et al.
therapie (IPT), die ursprünglich aus der Depressi- 1999) orientierte sich vornehmlich an der Selbst-
onsbehandlung stammt (Klerman et al. 1974) und psychologie von Kohut (1977).
mittlerweile für BN und BES (Agras et al. 2000; Fair- Effekte: Insgesamt sind die Ergebnisse der psy-
burn et al. 1991, 1993, 1995; Wilfley et al. 1993) ad- chodynamisch/tiefen-psychologisch/psychoanaly-
aptiert worden ist. Der Schwerpunkt der Behand- tisch orientierten Studien wegen der geringen Stu-
lung liegt auf der Bearbeitung von potenziellen dien- und Patientinnenzahlen kaum interpretierbar.
Problemen in vier interpersonellen Bereichen: Rol- Es existiert keine Studie mit einer unbehandelten
lenwechsel und -übergänge, interpersonelle Ausei- Kontrollgruppe, sodass Post-ES für die zentralen
nandersetzungen, soziale/interpersonelle Defizite Outcome-Maße nicht berechnet werden konnten.
und Trauer, gestörte interpersonelle Beziehungen Die Abstinenzraten in Bezug auf das Erbrechen auf
und soziale Rollen. Spezifische Techniken zur Ver- der Basis von einer Studie liegen bei 10 % (Garner
änderung des Essverhaltens (z. B. Selbstbeobach- et al. 1993).
tung, Informationsvermittlung) sind dabei nicht
Bestandteil der Behandlung. Andere psychotherapeutische Verfahren
Als spezifisches Therapieverfahren ist die Inter- In die Restkategorie der anderen psychotherapeu-
personelle Therapie nach den kognitiv-verhaltens- tischen Verfahren fallen diejenigen Studien, die sich
therapeutischen Verfahren am häufigsten (d. h. an nicht eindeutig einer bestimmten Therapierichtung
der größten Patientinnenanzahl N = 135) untersucht oder -schule zuordnen ließen, wie z. B. dialektisch-
worden (Agras et al. 2000; Fairburn et al. 1991). behaviorale Therapie, Entspannungstherapie,
Effekte Post-KG-Vergleich: Im Hinblick auf die Gruppentherapie, kognitiv-orientierte Therapie,
Reduktion der zentralen Outcome-Maße ließen hypnobehaviorale Therapie, Selbstbeobachtung +
sich keine Post-Effektstärken berechnen, da IPT- nondirektive Therapie, »guided imagery therapy«,
Studien mit unbehandelten Kontrollgruppen nicht eine Kombination von KVT und IPT, Stressma-
vorliegen. Zu Therapieende waren 21 % der Patien- nagement und andere verkürzte Formen therapeu-
tinnen symptomfrei bezüglich der Essanfälle und tischer Verfahren oder Mischformen mit anderen
13 % bezüglich des Erbrechens, was deutlich gerin- Therapieelementen. Da die Studien sehr heterogen
ger als in den anderen psychotherapeutischen Ver- sind, erscheint es nicht sinnvoll, die mittleren Ef-
fahren ist. fekte dieser Studien gemeinsam zu interpretieren.
Unter den genannten Verfahren nimmt die dia-
Psychodynamische/tiefenpsycho- lektisch-behaviorale Therapie (DBT) eine Sonder-
logische Therapie, Psychoanalyse stellung ein, da sie eine bei anderen Störungsbildern
Im Rahmen randomisierter und kontrollierter Stu- (z. B. emotional-instabile Persönlichkeitsstörung)
dien wurden psychodynamische bzw. tiefenpsycho- etablierte Behandlung darstellt. Im Rahmen des di-
logisch orientierte und psychoanalytische Verfah- alektisch-behavioralen Behandlungsmodells der
ren bislang in drei RCTs (N = 62) geprüft. Verg- BN stellt die emotionale Dysregulation das zentrale
lichen wurden im Einzelnen Kurzzeitfokaltherapie Problem der Patientinnen dar; Essanfälle und kom-
(»short-term focal psychotherapy«; Fairburn et al. pensatorische Verhaltensweisen werden als Versuch
1986) bzw. psychodynamische Kurzzeittherapie verstanden, schmerzhafte emotionale Zustände zu
(»supportive-expressive therapy«; Garner et al. kontrollieren. Den Patientinnen wird daher ein Re-
1993) mit der kognitiven Verhaltenstherapie sowie pertoire an Skills als Alternative zu diesen dysfunk-
psychoanalytische Behandlung mit kognitiv-orien- tionalen Verhaltensweisen vermittelt. Eine erste
170 Kapitel 5 · Bulimia nervosa
kleinere randomisierte, kontrollierte Studie (N = 31) Effekte: Insgesamt sind die Effekte der Selbsthilfe-
mit DBT fand ermutigende Effekte im Vergleich zu Methoden zwar geringer als die der psychothera-
einer Wartekontrollgruppe (Abstinenzraten bezo- peutischen Verfahren, dennoch klar nachweisbar.
gen auf Essanfälle und Erbrechen von 29 % (Safer et Die Post-ES für die Reduktion der Essanfälle liegen
al. 2001). Ein direkter Vergleich dieser Behandlung im mittleren Bereich (Reduktion um 57 %; d = .68)
mit den an sehr viel größeren Fallzahlen etablierten und sind bezüglich der Reduktion des Erbrechens
anderen psychologischen Behandlungsformen (ko- als klein (Reduktion um 50 %; d = .21) einzustufen
gnitive Verhaltenstherapie und Interpersonelle Psy- (Evidenzgrad IIb). Am Ende der Selbsthilfe-Be-
chotherapie) steht allerdings noch aus. handlung sind durchschnittlich 17 % der Patien-
Zu weiteren, insbesondere auch im deutschen tinnen aus vier Studien mit entsprechenden Anga-
5 Sprachraum etablierten Behandlungen wie der Ge- ben symptomfrei in Bezug auf Essanfälle und Erbre-
sprächspsychotherapie oder Familientherapie lie- chen. Post-ES zu weiteren Outcome-Maßen ließen
gen keine randomisierten, kontrollierten Studien sich nicht berechnen.
vor.
5.2.6 Pharmakotherapie
5.2.5 Selbsthilfe
Patientinnen mit BN werden überwiegend mit An-
Selbstbehandlungsansätze werden bereits seit län- tidepressiva (AD) behandelt. Einerseits liegt häufig
gerer Zeit als Alternative zu bestehenden psycholo- eine komorbide Depression vor, und andererseits
gischen und pharmakologischen Behandlungsan- gibt es Evidenz dafür, dass AD positive Effekte ge-
sätzen diskutiert, unter anderem auch im Rahmen genüber der bulimischen Essstörungssymptomatik
von »Stepped-care-Modellen«. Der überwiegende auch unabhängig von dem antidepressiven Effekt
Teil basiert auf Therapiemanualen, die wesentliche zeigen. In Deutschland ist ausschließlich der Wirk-
Elemente der KVT-Ansätze enthalten. In die Meta- stoff Fluoxetin zugelassen, wobei die Behandlung
analyse wurden drei randomisierte, kontrollierte nur in Kombination mit einer Psychotherapie als
Studien (mit unbehandelter Kontrollgruppe) mit sinnvoll ausgewiesen wird.
N = 111 Patientinnen aufgenommen. Folgende Un- In der Metaanalyse wurde die Pharmakothera-
tergruppen wurden gebildet: (manualgestützte) pie nach den Substanzklassen unterteilt in Sero-
Selbsthilfe, (durch Therapeuten) angeleitete Selbst- tonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), trizykli-
hilfe, andere (unspezifische, nicht-angeleitete) sche Antidepressiva (TZA), andere Antidepressiva
Selbsthilfe. Verglichen wurden im Einzelnen: und andere Psychopharmaka.
1. therapeutengeleitete, manualgestützte Selbst- Insgesamt gingen 23 Studienarme mit insge-
hilfe KVT-basiert (Bailer et al. 2004; Thiels et al. samt 1029 Patientinnen entsprechend den Ein-
1998), schlusskriterien in die Metaanalyse ein. Abhängig
6. manualisierte Selbsthilfe gefolgt von, falls erfor- von den Outcome-Maßen ist die Anzahl der
derlich, durch Therapeuten angeleiteter KVT Patientinnen aber für die Einzelauswertungen zum
(Treasure et al. 1996), Teil erheblich geringer. Die Ergebnisse der Meta-
7. Bulimie-spezifische Selbsthilfe vs. unspezifi- analyse basieren auf Studien mit unbehandelten
sches soziales Kompetenztraining vs. Warte- Kontrollgruppen. Kombinationsstudien aus Psy-
kontrollgruppe (Carter et al. 2003), chotherapie und Pharmakotherapie werden in
8. manualgestützte Selbsthilfe bei einem Allge- ▶ Kap. 5.2.7 (»Kombinationsbehandlung«) themati-
meinarzt vs. spezialisierte Behandlung (Mi- siert.
schung aus KVT + IPT) im klinischen Setting Die Patientinnen der Studien waren im Durch-
(Durand u. King 2003). schnitt 26,3 ± 2,4 Jahre alt und seit 7,5 ± 1,9 Jahren
9. Ernährungstherapie vs. Ernährungstherapie erkrankt. Die Behandlungen dauerten im Mittel
kombiniert mit KVT vs. Selbsthilfe (Hsu et al. 10,5 ± 4,2 Wochen, die Dropout-Rate betrug 34 %
2001). und liegt damit, wie schon beschrieben, signifikant
5.2 · Behandlung
171 5
über der der psychotherapeutisch behandelten Pa- matik der BN relativ schwach. Die Wirksamkeit
tientinnen (21 %). hinsichtlich der Frequenz der Essanfälle, gemessen
Effekte: Insgesamt ist die Wirksamkeit von Phar- als Post-Effektstärke im Vergleich zur Kontroll-
makotherapie als schwach einzustufen. Im Hinblick gruppe, beträgt d = .22 (Reduktion um durch-
auf die durchschnittliche Reduktion zentraler Out- schnittlich 55 %, neun Studien, Evidenzgrad Ia)
come-Maße betrugen die Post-Effekte für Essanfälle und das Erbrechen d = .18 (Reduktion um durch-
d = .28 (Reduktion um durchschnittlich 54 %) und schnittlich 49 %, acht Studien, Evidenzgrad Ia). Die
für Erbrechen d = .19 (Reduktion um durchschnitt- KVT ist im Hinblick auf das Erbrechen den SSRI
lich 48 %, Evidenzgrad Ia). Im Hinblick auf die Re- signifikant überlegen (weitere signifikante Unter-
duktion der Laxanzieneinnahme war der Effekt –.10, schiede gibt es für die hier behandelten pharmako-
das heißt, es kam sogar zu einer Zunahme der Laxan- logischen Stoffgruppen nicht). Hinsichtlich der
zieneinnahme während der Beobachtungszeiträume. Laxanzieneinnahme kam es in der einzigen Studie,
Nach Pharmakotherapie waren 16 % der Patien- die diese Variable erhob, zu einer Symptomver-
tinnen symptomfrei in Bezug auf Essanfälle wie schlechterung während des Beobachtungszeit-
auch Erbrechen (SSRI: jeweils 14 %, TZA: 22 % bzw. raums. Der Anteil der Patientinnen, die bei Ab-
30 %, andere Medikamente: 21 % bzw. 22 %, Evi- schluss der Behandlung symptomfrei waren, betrug
denzgrad Ia). für die mit SSRIs behandelten Patientinnen sowohl
Es ist aber einschränkend anzumerken, dass – bezogen auf die Essanfälle als auch bezogen auf das
abhängig von den untersuchten Variablen – in die Erbrechen 14 % (Evidenzgrad Ia).
Ergebnisse zu Studien mit TZA nur sechs (Essanfäl- Hinsichtlich der essstörungsspezifischen und
le) bzw. drei (Erbrechen) Studien eingehen konnten allgemeinen Psychopathologie erzielten Behand-
und diese deutlich älter sind als die Studien zu den lungen mit SSRIs im Post-KG-Vergleich schwache
SSRI-Präparaten. Die vergleichsweise guten Ergeb- Effekte. Eine Behandlung mit SSRIs zeigt im EAT-
nisse der TZA beruhen auf einer deutlich kleineren Gesamtwert eine Effektstärke von d = .39
Datenbasis. (»schwach«, drei Studien) und einen Effekt nahe 0
Bei symptombezogenen Fragebogenskalen (z. B. (d = .16, vier Studienarme) hinsichtlich der Reduk-
Eating Disorder Inventory [EDI], Eating Disorder tion der Depressivität (Evidenzgrad Ia).
Attitude Test [EAT]) erzielten pharmakologische
Behandlungen im Post-KG-Vergleich nur schwache Trizyklische Antidepressiva (TZA)
Effekte. Als Vertreter der Stoffgruppe der trizyklischen Anti-
pepressiva liegen Studienarme zu Imipramin und
Selektive Serotonin-Wiederaufnahme- Desipramin vor, zum Teil wurden die Präparate in
hemmer (SSRI) unterschiedlichen Dosierungen getestet. Insgesamt
Fluoxetin ist der einzige Wirkstoff, der in Deutsch- sechs Studienarme konnten einer Pharmakotherapie-
land zur Behandlung der BN zugelassen ist. Insge- studie mit TZAs zugeordnet werden, 184 Patientinnen
samt wurden neun Studienarme identifiziert, die gingen in die Berechnungen ein. Nicht in jedem Stu-
ein SSRI-Präparat als alleiniges Therapeutikum un- dienarm wurden alle Outcome-Maße untersucht.
tersuchten. Im Rahmen dieser Studien wurden ins- Patientinnen mit TZA-Medikation waren im
gesamt N = 666 Patientinnen behandelt. Die Patien- Durchschnitt 25,7 ± 1,3 Jahre alt und seit 6,3 ± 0,6
tinnen waren durchschnittlich 26,7 ± 2,7 Jahre alt, Jahren erkrankt. Die Dauer der Medikation betrug
im Mittel seit 9,3 ± 3,1 Jahren erkrankt, und die Be- im Mittel 8,7 ± 2,7 Wochen.
handlungen dauerten im Durchschnitt 11,8 ± 4,4 Effekte: Die Wirksamkeit der TZAs im Hinblick
Wochen. Bei den untersuchten Präparaten handelte auf die Kernsymptomatik der BN zeigt schwache Ef-
es sich um Citalopram, Sertralin und Fluoxetin, fekte, obwohl sie sich im Vergleich zu der Wirksam-
letzteres in unterschiedlichen Dosierungen und in keit von SSRI als stärker darstellen. Einschränkend
Kombination mit einem Placebo. sei noch einmal auf die geringe Anzahl der vor-
Effekte: Insgesamt ist die Wirksamkeit von An- nehmlich älteren Studien hingewiesen. Die Wirk-
tidepressiva der SSRI-Klasse auf die Kernsympto- samkeit in Bezug auf die Häufigkeit von Essanfällen,
172 Kapitel 5 · Bulimia nervosa
gemessen als Post-Effektstärke, beträgt d = .64 (Re- me von Laxanzien wurde nicht untersucht. Der An-
duktion um durchschnittlich 54 %, fünf Studien, teil abstinenter Patientinnen zum Ende der Behand-
Evidenzgrad Ia) und in Bezug auf das Erbrechen lung betrug 21 % in Bezug auf Essanfälle und 22 %
d = .38; (Reduktion um durchschnittlich 43 %, drei in Bezug auf das Erbrechen (Evidenzgrad Ia).
Studien, Evidenzgrad IIa). Damit wird für die Re- Bei der essstörungsspezifischen und allgemei-
duktion der Heißhungeranfälle ein mittlerer Effekt nen Psychopathologie ergaben sich für Behand-
erreicht. Zu einer möglichen Reduktion der Laxan- lungen mit den genannten Antidepressiva im Post-
zieneinnahme liegt keine Studie vor. In den Studien- KG-Vergleich eher schwache Effekte. Weder zum
armen mit TZAs, in denen diese Information erho- EDI noch zum EAT-Fragebogen liegen Ergebnisse
ben wurde, waren zu Behandlungsende 22 % der vor. Zwei Studien zeigten bei der Depressivität eine
5 Patientinnen abstinent in Bezug auf Essanfälle und Effektstärke von d = –.02 (nahe null).
30 % in Bezug auf Erbrechen (Evidenzgrad Ia).
Bei der essstörungsspezifischen und allgemei- Andere Medikamente
nen Psychopathologie ergaben sich für Behand- Weitere Medikamente, die im Rahmen randomisier-
lungen mit TZAs im Post-KG-Vergleich eher ter, kontrollierter Studien bei BN zum Einsatz ka-
schwache Effekte. Ergebnisse zum EDI liegen für men, waren Naltrexon Hydrochlorid und Flutamid
TZAs nicht vor. Eine einzige Studie mit TZAs be- in jeweils einer Studie bzw. einem Studienarm.
richtet Ergebnisse zum EAT-Gesamtscore und Effekte: Bezogen auf Essanfälle ergab sich eine
kommt zu einer Effektstärke von d = .50 (gerade Wirksamkeit von d = .37 (Reduktion um durch-
»mittel«) und einen knapp »schwachen« Effekt schnittlich 42 %; Post-Effektstärke), bezogen auf
(d = .21, drei Studienarme) hinsichtlich der Reduk- das Erbrechen von d = .18 (Reduktion um durch-
tion der Depressivität. schnittlich 37 %). Die genannten Medikamente
zeigten schwache Effekte bezüglich der Heißhunge-
Andere Antidepressiva ranfälle und keinen Effekt bezüglich des Erbrechens.
Zu folgenden weiteren Antidepressiva lag jeweils Die Wirkung auf die Einnahme von Laxanzien wur-
eine Studie bzw. ein Studienarm vor: Moclobemid, de nicht untersucht. Die beiden Studien zeigten
Bupropion, Trazodon und Mianserin, in zwei Studi- trotz der unterschiedlichen Präparate auf das Erbre-
en wurden unterschiedliche Antidepressiva bzw. chen eine vergleichbare Wirksamkeit (Huseman et
Medikamente kombiniert (Desipramin/Fluoxetin, al. 1990, Naltrexon: d = .30; Sundblad et al. 2005,
Walsh et al. 1997; Flutamid/Citalopram, Sundblad Flutamid: d = .51), sodass die Ergebnisse nicht ei-
et al. 2005). Wiederum werden nicht in allen diesen nem Ausreißer zugeschrieben werden können.
Studienarmen alle relevanten Zielvariablen unter-
sucht, was zu kleineren Stichproben führt.
Insgesamt 148 Patientinnen mit einem Alter 5.2.7 Kombinationsbehandlung
von 25,3 ± 1,2 Jahren gingen in die Studien ein. Die
durchschnittliche Krankheitsdauer betrug 6,6 ± 0,14 Mehrere Untersuchungen gingen der Frage nach,
Jahre, die Behandlung dauerte im Durchschnitt inwieweit eine Kombination aus Psychotherapie
7,5 ± 1,6 Wochen. und Pharmakotherapie mit Antidepressiva der je-
Effekte: Die auf die Häufigkeit von Essanfällen weiligen Monotherapie überlegen ist. Dabei wurden
bezogene Wirksamkeit, gemessen als Post-Effekt- sowohl TZAs (Imipramin, Desipramin) als auch
stärke, beträgt d = .31 (Reduktion um durchschnitt- SSRIs geprüft. Aufgrund methodischer Schwächen
lich 48 %, vier Studien, Evidenzgrad IIa) und die der (keine unbehandelte Kontrollgruppe) standen zur
auf das Erbrechen bezogene Wirksamkeit d = .12 Berechnung der Post-ES nur fünf Studien(arme)
(Reduktion um durchschnittlich 45 %, drei Studien, mit N = 144 Patientinnen zur Verfügung.
Evidenzgrad IIa). Die untersuchten Antidepressiva Es erfolgte eine Unterteilung in die Untergrup-
zeigen schwache Effekte in Bezug auf die Heißhun- pen Psychotherapie plus Imipramin (eine Studie,
geranfälle, bezogen auf das Erbrechen sind sie nicht N = 52), Selbsthilfe plus Fluoxetin (zwei Studien,
wirksam. Die Wirksamkeit gegenüber der Einnah- N = 45) und andere Kombinationsbehandlungen
5.2 · Behandlung
173 5
(Selbsthilfe plus Placebo in unterschiedlichen Set- pie, Pharmakotherapie, Kombinationsbehandlung
tings; zwei Studien, N = 47). und Selbsthilfe verglichen. Bezogen auf die Reduk-
Verglichen wurden: KVT alleine bzw. KVT tion der Essanfälle und des Erbrechens im Post-Ver-
kombiniert mit Desipramin und medikamentöser gleich, war die Psychotherapie der Pharmakothera-
Monotherapie oder Placebo (Agras et al. 1992; pie signifikant überlegen (Evidenzgrad Ia). Bezogen
Walsh et al. 2004), KVT in stationärem Behand- auf die Reduktion des Erbrechens, war die Psycho-
lungssetting + Fluoxetin und Placebo (Fichter et al. therapie zusätzlich auch der Kombinationsbehand-
1991), KVT + Imipramin und Imipramin als Mono- lung und den Selbsthilfemethoden überlegen (Evi-
therapie und Placebo (Mitchell et al. 1990b), Ernäh- denzgrad Ia). Was den Laxanzienabusus anbelangt,
rungsberatung + Placebo und Ernährungsberatung so standen für den Post-Vergleich nur zwei Studien
+ Fluoxetin (Beumont et al. 1997), KVT + Fluoxetin mit insgesamt fünf Studienarmen zur Verfügung.
und KVT bzw. Fluoxetin als Monotherapie (Jacobi Eine Interpretation der Unterschiede zwischen den
et al. 2002; Goldbloom et al. 1997), KVT + Desipra- Kategorien erscheint daher nicht sinnvoll.
min und Desipramin bzw. KVT allein (Leitenberg Beim Vergleich der absoluten Abstinenzraten in
et al. 1994), Fluvoxamin + Psychotherapie und Pla- Bezug auf die Essanfälle zwischen den übergeord-
cebo + Psychotherapie (Schmidt et al. 2004; Details neten Kategorien war die Psychotherapie allen ande-
. Tab. 5.4 im Anhang). ren Kategorien außer den Selbsthilfemethoden signi-
Effekte: Insgesamt ist die Wirksamkeit von fikant überlegen. Abstinenzraten bei Psychotherapie
Kombinationsbehandlungen als eher mäßig einzu- waren im Vergleich zu Selbsthilfe deutlich höher
stufen. Im Hinblick auf die Verbesserung zentraler (45 % vs. 17 %), der Unterschied war aber nicht signi-
Outcome-Maße waren die Post-Effekte eher klein fikant. Zusätzlich zeigte sich eine signifikante Über-
(Essanfälle: Reduktion um durchschnittlich 62 %; legenheit der anderen Behandlungen gegenüber der
d = .31, Evidenzgrad IIb; Erbrechen: Reduktion um Pharmakomonotherapie. Bezogen auf das Erbrechen
durchschnittlich 50 %; d = .27, Evidenzgrad IIb). (Abstinenz), war die Psychotherapie sowohl der
Im Hinblick auf die Reduktion der Laxanzienein- Pharmakotherapie als auch den Selbsthilfeverfahren
nahme war der Effekt einer verfügbaren Studie mit überlegen. Auch die Kombinationsbehandlungen
Angaben sehr klein (d = .12). Etwas besser sind die waren der Pharmakomonotherapie überlegen.
Effekte in Bezug auf die Symptomfreiheit (Essanfäl- Im Post-Vergleich der Unterkategorien ergab
le symptomfrei: 29 %, Erbrechen: 28 %). sich für die Reduktion der Essanfälle zwar generell
Im Hinblick auf weitere Outcome-Maße (De- ein signifikanter Wert, einzelne Unterkategorien
pressivität) erzielten Kombinationsbehandlungen unterschieden sich jedoch im Post-hoc-Vergleich
im Post-KG-Vergleich einen schwachen Effekt nicht signifikant voneinander. Bezogen auf die Re-
(d = .29). Ergebnisse zu den EDI- oder EAT-Skalen duktion des Erbrechens war hingegen die Unterkate-
liegen nicht vor. gorie der KVT der Unterkategorie SSRI signifikant
Kombinationsbehandlungen zeigen mit 37 % überlegen; weiterhin war die Unterkategorie der an-
die höchste Dropout-Rate der vier Oberkategorien deren psychotherapeutischen Verfahren den SSRIs
aktiver Behandlungen, was erstaunt, da man anneh- und den anderen Antidepressiva überlegen.
men sollte, dass mittels der Kombination zweier Im Vergleich der absoluten Abstinenzraten in
sehr unterschiedlicher Behandlungsansätze Patien- Bezug auf Essanfälle zwischen den Unterkategorien
tinnenerwartungen zu einem höheren Prozentsatz zeigten sich folgende signifikante Unterschiede:
entsprochen wird. KVT zeigte sich gegenüber den KVT-ERV-Verfah-
ren als unterlegen; KVT wies aber höhere Absti-
nenzraten als die Gruppe der SSRIs und die Gruppe
5.2.8 Kategorienübergreifende Selbsthilfe + Medikation auf. Sowohl KVT-ERV als
Effekte des Post-KG-Vergleichs auch reine VT hatten höhere Abstinenzraten als
IPT, TZAs und andere Antidepressiva, SSRIs, Selbst-
Im Rahmen der Metaanalyse wurden zunächst die hilfe + Medikation, reine Selbsthilfe und geleitete
Effekte der übergeordneten Kategorien Psychothera- Selbsthilfe. Die anderen psychotherapeutischen Be-
174 Kapitel 5 · Bulimia nervosa
handlungen waren den SSRIs und der Gruppe der als auch den Selbsthilfemethoden signifikant über-
Selbsthilfemethoden plus Medikation überlegen. legen (ES: 0.77 vs. 0.12 und –.24). Im Vergleich der
Die SSRIs erzielten außerdem geringere Abstinenz- Unterkategorien erwies sich KVT als überlegen ge-
raten gegenüber den Kombinationsbehandlungen. genüber den Selbsthilfemethoden; die KVT-ERV
Im Vergleich der Abstinenzraten in Bezug auf war den TCAs, den anderen Antidepressiva, den
Erbrechen fanden sich folgende signifikante Unter- SSRIs und den Selbsthilfemethoden überlegen.
schiede zwischen den Unterkategorien: KVT war KVT-ERV wies zwar eine deutlich höhere Effekt-
der KVT-ERV unterlegen, aber den SSRIs überle- stärke als KVT auf (1.36 vs. 0.71), der Unterschied
gen. KVT-ERV war sowohl den »reinen« VT-Ver- war aber nicht signifikant.
fahren überlegen als auch der IPT, den reinen Selbst- Bezogen auf die Veränderung von Angst, war
5 hilfemethoden, der angeleiteten Selbsthilfe, den die Pharmakotherapie den Selbsthilfemethoden si-
SSRIs, anderen Antidepressiva und den anderen gnifikant überlegen (ES: 0.38 vs. –0.32).
Kombinationsbedingungen. Schließlich waren die Insgesamt ist bei der Interpretation aller wei-
rein verhaltenstherapeutischen Methoden (VT), die teren Outcome-Maße zu berücksichtigen, dass die
Kombinationsbehandlungen und die Gruppe der Anzahl der einbezogenen Studien sehr unterschied-
anderen psychotherapeutischen Behandlungen den lich und klein ist.
SSRIs überlegen.
Insbesondere im Hinblick auf die überlegenen
Effekte der KVT-Studien mit zusätzlicher Anwen- 5.2.9 Prä-Post-Effektstärken
dung von ERV-Techniken (KVT-ERV) widerspricht
dieser Befund den Ergebnissen bisheriger Metaana- Die Veränderungen innerhalb der Interventions-
lysen (Jacobi et al. 1997; Hay et al. 2009). Hay et al. gruppen ohne Berücksichtigung der Kontrollgrup-
(2009) fanden im direkten Vergleich der beiden peneffekte sind hier separat dargestellt. Meist sind
Techniken keinen zusätzlichen Nutzen der ERV. Die die entsprechenden Effektstärken (ES) höher als die
Gründe für diese unterschiedlichen Ergebnisse fin- Post-ES (Vergleich der Post-Werte mit unbehandel-
den sich in einer unterschiedlichen Selektion von ter Kontrollgruppe), da in diese Effektmaße auch
Studien. Hay et al. betrachteten nur Studien, in de- die Veränderungen in den Kontrollgruppen (für
nen alle zu vergleichenden Bedingungen realisiert Psychotherapie: Warteliste, für Pharmakotherapie:
wurden (je nach Kriterium 3 bis 4 Studien), unsere Placebo) eingehen. Ein direkter Vergleich zwischen
Metaanalyse berücksichtigte 22 Studienarme KVT ausgewählten Behandlungsbedingungen, die keine
sowie zehn Studienarme KVT-ERP. Weiterhin wur- unbehandelten Kontrollgruppen aufweisen, ist al-
den in unserer Metaanalyse die Effekte generell auf lerdings nur möglich, wenn beide Effektmaße (d. h.
dem Hintergrund von ITT-Analysen dargestellt. Da- auch die Prä-Post-ES für die Studien mit unbehan-
durch sind zentrale Effekte (z. B. Abstinenzraten) für delten Kontrollbedingungen) vorliegen.
KVT gegenüber bisherigen Metaanalysen geringer. Im Rahmen unserer Metaanalyse gingen daher
Da wir alle inkludierten Studien für die Zahl der in die Berechnung der Prä-Post-ES sowohl Studien
Dropouts korrigiert haben, dürften unsere Effekte ein mit unbehandelten Kontrollgruppen als auch
zwar konservativer, aber auch einheitlicher sein. solche, die Kontrollbedingungen mit anderen psy-
Bezogen auf weitere Outcome-Maße ergaben chotherapeutischen Verfahren aufwiesen. Für diese
sich folgende Effekte im Post-KG-Vergleich der Analysen standen alle 36 Studien und 65 Studien-
übergeordneten Kategorien: Psychotherapie zeigte arme zur Verfügung.
eine signifikant größere Reduktion bezüglich des Die durchschnittliche Behandlungsdauer (Daten
EAT-Gesamtwertes im Vergleich zur Pharmakothe- aus der Prä-Post-Stichprobe) über alle Kategorien
rapie (ES: 1.28 vs. 0.40); im Vergleich der Unterka- betrug 15,4 Wochen, für KVT im Durchschnitt 15,4
tegorien waren sowohl KVT als auch KVT-ERV den Wochen, für reine VT 11,4 Wochen, für KVT-ERV
SSRIs signifikant überlegen. Hinsichtlich der De- 12,9 Wochen, für alleinige ERV 14 Wochen (eine Stu-
pressivität war bei den übergeordneten Kategorien die), für PD/PA 26,2 Wochen und für die Restkatego-
die Psychotherapie sowohl der Pharmakotherapie rie 17,0 Wochen. In 45 Studienarmen erfolgte die
5.2 · Behandlung
175 5
Behandlung im Rahmen von Einzeltherapien, in 20 Post-ES und liegen bei d = .50 für die Reduktion der
Studienarmen im Rahmen von Gruppentherapien. Essanfälle (Reduktion um 50 %) und bei d = .40 für
Bei den Studien, die in den Prä-Post-Vergleich die Reduktion des Erbrechens (Reduktion um
eingingen, hatte Psychotherapie signifikant gerin- 46 %). Es kann daher vermutlich davon ausgegan-
gere (22 %) Dropout-Raten im Vergleich zu den gen werden, dass die Post-ES aufgrund der geringen
Kontrollbedingungen (34 %), im Vergleich zu Phar- Studienanzahl verzerrt bzw. erhöht sind.
makotherapie (38 %) und den Kombinationsbe- Unterkategorien: Für KVT liegen im Hinblick
handlungen (43 %). Selbsthilfemethoden wiesen auf die Essanfälle und das Erbrechen die Prä-Post-
zusätzlich geringere Dropout-Raten (27 %) im Ver- ES im näherungsweise hohen Bereich (Essanfälle:
gleich zu Kombinationsbehandlungen auf. Reduktion um 66 %, d = .74 bzw. um 69 %, d = .73).
Sowohl für die VT als auch die KVT-ERV sind die
Prä-Post-Effekte in den Kontroll- Prä-Post-ES als hoch einzustufen (Essanfälle:
bedingungen d = 1.01 bzw. 1.21; Erbrechen: d = .83 bzw. .94).
Bezogen auf die Essanfälle, waren im Durchschnitt Insgesamt lagen Daten von 667 Patientinnen mit
7 % der Patientinnen der vier Warte-KG-Bedin- KVT und 292 mit zusätzlicher ERV vor. Für IPT
gungen abstinent, sofern hier nur die »reinen« War- fallen die Prä-Post-ES aus zwei Studien deutlich
te-KGs zusammengefasst wurden; unter Einbezie- niedriger als die der KVT-, VT- und KVT-ERV-
hung einer Studie mit einer psychotherapeutischen Studien aus und liegen bezüglich der Essanfälle
»attention-placebo«-Bedingung (Thackwray et al. und des Erbrechens jeweils im mittleren Bereich
1993) waren es 21 %. Bezogen auf das Erbrechen, (Essanfälle: d = .63; Erbrechen: d = .50). Für die
waren in den Warte-KG-Bedingungen (N = 5 Stu- Gruppe der psychodynamischen Verfahren liegen
dien) 5 % abstinent, unter Einbezug der o. g. »atten- lediglich aus einer Studie Daten vor. Die entspre-
tion-placebo«-Bedingung durchschnittlich 19 %. chende Prä-Post-ES liegt in Bezug auf die Reduk-
In den neun pharmakologischen Placebo-Be- tion der Essanfälle und des Erbrechens im hohen
dingungen waren durchschnittlich 9 % der Patien- Bereich (d = 1.07 und d = .88).
tinnen zum Post-Zeitpunkt abstinent in Bezug auf
die Essanfälle und 9 % (bei nur noch vier Studien Prä-Post-Effektstärken in den
mit Angaben) in Bezug auf das Erbrechen. pharmakologischen Behandlungen
Die Essanfälle waren in sieben »reinen« Warte- Auch in die Kalkulation der Prä-Post-Effektstärken
KG-Bedingungen um durchschnittlich 17 % redu- pharmakologischer Studien bzw. Studienarme
ziert, während sie in den 17 Placebo-Bedingungen konnten erheblich mehr Studien einbezogen wer-
um immerhin 37 % reduziert waren. Der Unter- den als in die Kalkulation der (verlässlicheren) Post-
schied zwischen beiden Gruppen war signifikant. Effektstärken. Die Anzahl der auswertbaren Studien
Das Erbrechen war in neun Warte-KG-Bedin- ist abhängig von den betrachteten Zielvariablen.
gungen um durchschnittlich 18 % reduziert und in Insgesamt konnten 31 Studienarme rein pharmako-
13 Placebo-Bedingungen um durchschnittlich 20 % logischer Behandlungen mit insgesamt 1277 Patien-
(Unterschied nicht signifikant). tinnen in die Metaanalyse der Prä-Post-Effekte ein-
gehen. Die Patientinnen in diesen Studienarmen
Prä-Post-Effektstärken waren zum Zeitpunkt der Aufnahme in die Studien
in den Psychotherapiearmen 26,7 ± 2,5 Jahre alt und seit 6,4 ± 2,1 Jahren er-
Bezogen auf die übergeordneten Kategorien, sind die krankt. Die Behandlungen dauerten im Mittel
Prä-Post-ES von Psychotherapie bezüglich der Re- 13,8 ± 12,5 Wochen, wobei die Standardabwei-
duktion der Essanfälle als groß (Reduktion um 71 %, chungen in der Regel groß ausfallen. Auch im Prä-
d = .81), im Hinblick auf das Erbrechen als mittel Post-Vergleich wiesen die rein pharmakologischen
(Reduktion um 60 %, d = .75) und bezüglich der La- Behandlungen mit 38 % wieder die zweithöchsten
xanzieneinnahme als klein (d = .35) einzustufen. Dropout-Raten nach den Kombinationsbehand-
Die Prä-Post-ES für Selbsthilfe sind bei fast dop- lungen (43 %) auf, die der psychotherapeutischen
pelter Studienanzahl nur etwas niedriger als die Studien lagen bei 22 %.
176 Kapitel 5 · Bulimia nervosa
Die Pharmakotherapie zeigte im Hinblick auf Es fand sich eine mittlere Effektstärke von d = 1.11,
Essanfälle und Erbrechen mittelgroße Prä-Post-ES aber eine Reduktion um nur 42 % im Hinblick auf
(Reduktion um 56 %, d = .55, bzw. 50 %, d = .35). Essanfälle. Bezogen auf das Erbrechen, konnte eine
Im Hinblick auf Laxanzienabusus ließ sich keine Effektstärke von d = .67 und eine Reduktion um
Aussage machen. 37 % errechnet werden. Informationen zu den Ef-
Vergleich der Effekte der verschiedenen phar- fekten auf die Laxanzieneinnahme lagen nicht vor.
makologischen Substanzklassen: Für SSRI-Arme
liegen die Prä-Post-ES der Reduktion der Essanfälle Vergleich der Prä-Post-Effektstärken
im mittleren (Reduktion um 57 %, d = .53) bzw. für Psychotherapie ist der Pharmakotherapie und den
das Erbrechen im niedrigen Bereich (Reduktion um Selbsthilfemethoden im Hinblick auf die Reduktion
5 52 %, d = .35). Damit rückt bei den Prä-Post-Verglei- der Essanfälle und des Erbrechen überlegen. Ebenso
chen die Effektivität der SSRIs beim Kriterium der waren in Bezug auf das Erbrechen Kombinationsbe-
Essanfälle etwas näher an die Effektivität der größten dingungen und andere Behandlungsmethoden der
Gruppe der psychotherapeutisch behandelten Patien- Pharmakotherapie überlegen. Im Hinblick auf die
tinnen (KVT) heran; nur noch die KVT-ERV-Gruppe Einnahme von Laxanzien gingen sechs Psychothe-
zeigt eine inferenzstatistisch belegte Überlegenheit. rapiestudien im Vergleich zu nur einer Kombinati-
Beim Erbrechen ist allerdings auch der KVT-Behand- onsstudie ein, was eine Interpretation der Unter-
lungsarm den SSRIs überlegen. Für das Kriterium der schiede nicht sinnvoll erscheinen lässt.
Essanfälle konnten immerhin 13 SSRI-Studienarme Im Prä-Post-Vergleich der Unterkategorien
mit 855 Patientinnen einbezogen werden. schnitt die Gruppe der KVT-ERV-Methoden in Be-
Trizyklische Antidepressiva erreichten im Hin- zug auf die Reduktion der Essanfälle signifikant bes-
blick auf Essanfälle eine Effektstärke von d = .65 (Re- ser ab als die KVT ohne ERV, als IPT, Selbsthilfe,
duktionsrate von 53 %, sieben Studienarme, SSRIs, andere Antidepressiva und andere Kombina-
N = 161), auf das Erbrechen eine Effektstärke von tionsbehandlungen. Bezüglich der Reduktion des
d = .32 (Reduktion um 44 %, sechs Studienarme, Erbrechens war KVT den SSRIs und den Selbsthilfe-
N = 142). Es findet sich jedoch kein statistischer Un- methoden überlegen, und KVT-ERV war den SSRIs,
terschied der ES zu den anderen Unterkategorien TCAs und den Selbsthilfemethoden überlegen.
pharmakologischer oder psychotherapeutischer Be- Schließlich zeigte sich auch die Gruppe der anderen
handlungen. Die Reliabilität der Ergebnisse ist we- psychotherapeutischen Behandlungen den SSRIs
gen der kleineren Stichprobengrößen aber als gerin- und den Selbsthilfemethoden überlegen. Bezogen
ger einzustufen als für die SSRI-Studien. auf die Reduktion der Laxanzieneinnahme, zeigten
Die Zahl der Studien mit anderen Antidepressi- sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den
va und anderen Medikamenten ist bezüglich des Unterkategorien. Bezogen auf weitere Outcome-
Zielkriteriums der Essanfälle klein (vier, N = 133, Maße, ergaben sich folgende signifikanten Unter-
bzw. zwei Studien, N = 22); daher werden diese schiede: Im EDE-Gesamtwert waren die Kombinati-
Gruppen nur kursorisch abgehandelt. Zu den »an- onsbehandlungen (Psychotherapie und Pharmako-
deren Antidepressiva« zählen die Medikamente therapie) der Psychotherapie als Monotherapie
Moclobemid, Bupropion, Trazodon sowie die Kom- signifikant überlegen (ES: 1.41 vs. 0.98). Im EAT-
binationen Desipramin/Fluoxetin und Flutamid/ Gesamtwert bewirkte Psychotherapie eine signifi-
Citalopram. Diese Medikamente bzw. Kombina- kant stärkere Reduktion im Vergleich zu Pharmako-
tionen zeigten für die Reduktion von Essanfällen therapie und zur Gruppe der anderen Behandlungs-
bzw. Erbrechen Effektstärken von d = .60 (Reduk- methoden (ES: 1.12 vs. 0.53 und 0.57). Die
tion von 52 %) und von d = .35 (Reduktion von Kombinationsbehandlungen waren zusätzlich noch
50 %). Nur im Hinblick auf Essanfälle liegt der Ef- den anderen Behandlungsmethoden signifikant
fekt im mittleren Bereich; ein signifikanter Unter- überlegen (ES: 0.98 vs. 0.57). Bei den Unterkatego-
schied findet sich nur für die Essanfälle und nur zu rien war KVT der Pharmakotherapie mit SSRIs und
KVT-ERV. Zu den »anderen Medikamenten« wur- den anderen Behandlungen signifikant überlegen.
den die Präparate Naltrexon und Flutamid gezählt. In der Skala 1 (»Drang zum Dünnsein«) des EDI
5.2 · Behandlung
177 5
waren die KVT-ERV-Verfahren den anderen Psy- selbstinduziertem Erbrechen steht. Wenn Serum-
chotherapiemethoden und der Pharmakotherapie spiegel für ein Medikament zur Verfügung stehen,
mit SSRIs signifikant überlegen. In der Skala »Buli- kann überprüft werden, ob ein effektiver Spiegel
mie« erwies sich die Gruppe der KVT-ERV-Verfah- überhaupt erreicht wurde. Für den Einsatz von Flu-
ren signifikant überlegen gegenüber der KVT ohne oxetin als Rückfallprophylaxe ist die Evidenz gering,
ERV-Methoden sowie psychodynamischen und an- es werden Wirkungsverlust bei Langzeitgabe und
deren Psychotherapiemethoden. Hinsichtlich der hohe Rückfallsraten nach Absetzen der Antidepres-
Depressivität war die Psychotherapie sowohl der siva beschrieben. Obwohl entsprechende Daten feh-
Pharmakotherapie als auch den Selbsthilfemetho- len, wird bei gutem Ansprechen in der Regel eine The-
den signifikant überlegen (ES: 0.69 vs. 0.53 und rapiedauer von neun bis zwölf Monaten empfohlen.
0.36). Im Vergleich der Unterkategorien schnitt KVT Allerdings wurde unter Fluoxetin auch eine Zunah-
signifikant besser ab als Selbsthilfe, und KVT-ERV me von restriktivem Essverhalten beobachtet. Dies
schnitt signifikant besser ab als Selbsthilfe, SSRIs, könnte sich als kontratherapeutisch erweisen, besteht
TCAs und andere Antidepressiva. Hinsichtlich doch ein wesentlicher erster Schritt in der Therapie
Ängstlichkeit waren KVT, KVT-ERV und die ande- der BN aus dem Aufbau eines geregelten Essverhal-
ren psychotherapeutischen Verfahren den Selbsthil- tens und einer Reduktion der Angst vor Gewichtszu-
femethoden überlegen. Im GSI-Gesamtwert zeigte nahme. Restriktives Essverhalten kann hingegen im
sich lediglich im Vergleich der Unterkategorien eine Sinne eines Teufelskreises das Risiko für das Auftre-
Überlegenheit der KVT-ERV-Verfahren gegenüber ten von erneuten Essanfällen erhöhen.
der Pharmakotherapie mit SSRIs und der Kombina- Alternativ (Off-Label-Use) können andere SSRI
tionsmethoden. Bezogen auf den BMI, kam es unter (oder in Einzelfällen trizyklische Antidepressiva)
Pharmakotherapie zu einer signifikanten Verringe- empfohlen werden. Bei trizyklischen AD ist jedoch
rung des BMI im Vergleich zu Psychotherapie. Aller- mit mehr Nebenwirkungen (z. B. Gewichtszunah-
dings waren die Effektstärken in beiden Gruppen me, QT-Zeit-Verlängerung) zu rechnen. Die Toxizi-
gering (PHT: –.11, PST: .08). tät und potenzielle Letalität bei einer Überdosierung
mahnen zu äußerster Vorsicht bei suizidalen Patien-
tinnen. Bupropion ist bei BN aufgrund der Gefahr
5.2.10 Zusammenfassende Empfeh- des gehäuften Auftretens von epileptischen Anfäl-
lungen zur medikamentösen len kontraindiziert.
Behandlung Antidepressiva haben nicht nur einen positiven
Effekt auf Essanfälle und kompensatorische Maß-
Nur Fluoxetin ist in Deutschland in Kombination mit nahmen, sondern reduzieren auch essstörungsspe-
Psychotherapie für die Indikation der Bulimie zuge- zifische psychopathologische Merkmale wie dys-
lassen. SSRIs stellen hinsichtlich Symptomreduktion, funktionale Einstellungen zu Körper und Gewicht.
Nebenwirkungsprofil und Akzeptanz die medika- In den meisten Untersuchungen wird auch eine Ab-
mentöse Therapie der ersten Wahl in der Behandlung nahme von depressiver Symptomatik und von
der BN dar. Die wirksame Dosis von Fluoxetin bei Angstsymptomen beobachtet. Einige Untersu-
der Bulimie ist höher als die bei der Depression (z. B. chungen schlossen Patientinnen mit depressiver
60 mg Fluoxetin). In der Regel wird empfohlen, die Symptomatik explizit aus, und es zeigt sich, dass das
Dosis schrittweise zu erhöhen, es gibt aber auch gute Ansprechen auf Antidepressiva unabhängig von der
Erfahrungen mit der sofortigen Gabe der vollen Do- Stimmung zu sein scheint. Es wird daher eine di-
sis von 60 mg/einmalig, morgens. Ein Behandlungs- rekte antibulimische Wirkung antidepressiver Sub-
versuch sollte mit einer Mindestdauer von vier Wochen stanzen angenommen.
unternommen werden, ein Wirkungseintritt wird oft Zusammenfassend muss der Einsatz antidepres-
bereits nach der ersten Woche beobachtet. Bei man- siver Medikamente nach dem heutigen Wissensstand
gelhaftem Ansprechen auf eine medikamentöse The- als Therapie zweiter Wahl bei der Behandlung buli-
rapie sollte überprüft werden, ob die Medikamenten- mischer Patientinnen angesehen werden. Es kann
einnahme in engem zeitlichen Zusammenhang mit empfohlen werden, Fluoxetin, wenn nötig, als eine
178 Kapitel 5 · Bulimia nervosa
Komponente einzusetzen, vor allem zu Beginn der bo-kontrollierten Studien durch US-amerikanischen
Therapie. Sollte keine qualifizierte Psychotherapie zur Zulassungsbehörde FDA (Hammad 2004) gezeigt
Verfügung stehen, kann Fluoxetin als initiale Therapie hat, müssen die Personensorgeberechtigten und die
empfohlen werden. Antidepressiva können sich als Jugendlichen besonders hingewiesen werden.
hilfreich erweisen bei Patientinnen mit ausgeprägter In jüngerer Zeit wurde ein Zusammenhang zwi-
komorbider Symptomatik wie Depression, Angst, schen BN und Aufmerksamkeitsstörung mit Hyper-
Zwanghaftigkeit und Impulskontrollstörungen oder aktivität des Kindes und Jugendalter berichtet (Bie-
für Patientinnen, die nicht oder nur suboptimal auf derman et al. 2007). Allerdings liegen bisher nur
eine adäquate Psychotherapie angesprochen haben. Fallberichte, aber keine kontrollierten Studien vor,
Andere Medikamente können für den routine- die bei Frauen mit bulimischer Symptomatik Auf-
5 mäßigen Einsatz zur Behandlung der BN zurzeit merksamkeitsstörungen untersucht haben (Her-
nicht empfohlen werden. pertz-Dahlmann 2009). Bei gesicherter Komorbidi-
tät sollte entsprechend eine Behandlung mit Stimu-
lanzien (Methylphenidat) oder Atomoxetin erwogen
5.2.11 Besonderheiten der medikamen- werden. Da vor allem unter Methylphenidat eine
tösen Behandlung bei Kindern Appetitunterdrückung auftritt, muss das Risiko
und Jugendlichen eines potenziellen Missbrauchs zur Gewichtsab-
nahme überwacht werden.
Die pharmakologische Behandlung der BN im Ju-
gendalter ist durch die fehlende Zulassung entspre-
chender Substanzen zur Behandlung dieser Störung 5.2.12 Behandlung psychischer Begleit-
erschwert. Fluoxetin ist – in Kombination mit einer symptome und Komorbidität
gleichzeitigen psychotherapeutischen Behandlung
– zur Behandlung einer mittel- oder schwergradi- Depression
gen Depression bei Kindern und Jugendlichen ab Ein hoher Prozentsatz von Patientinnen mit BN lei-
acht Jahren zugelassen, Fluvoxamin zur Behand- det unter einer komorbiden depressiven Störung.
lung von Zwangsstörungen in der gleichen Alters- Eine medikamentöse Behandlung der depressiven
gruppe. Kontrollierte Studien zur pharmakolo- Störung muss erwogen werden. Hier wird auf die
gischen Behandlung der BN bei Kindern und Ju- Leitlinien zur Behandlung affektiver Störungen ver-
gendlichen fehlen derzeit. wiesen.
Bei Jugendlichen ist der Einsatz von Fluoxetin
bei ausgeprägter Symptomatik zur Reduktion von Persönlichkeitsstörungen
Essanfällen und Erbrechen im Rahmen eines »indi- Eine komorbide Persönlichkeitsstörung, insbeson-
viduellen Heilversuchs« nach § 41 Arzneimittelge- dere eine komorbide Borderline-Persönlichkeits-
setz möglich und oft hilfreich. Das Haftungsrisiko störung, kann eine nach der Persönlichkeitsstö-
geht hierbei vom Medikamentenhersteller auf die rung orientierte Psychotherapie zur Konsequenz
Personensorgeberechtigten und den behandelnden haben (s. SII-Leitlinien zu Persönlichkeitsstörun-
Arzt über. Entsprechend hoch sind die Anforde- gen, AWMF 2008).
rungen an die Aufklärung und Dokumentation. Das
– auch schriftliche – Einverständnis beider Perso- Suchterkrankungen
nensorgeberechtigten muss auf jeden Fall eingeholt Die Standardtherapieverfahren für die BN scheinen
werden (Fegert 2002). Auf das gegenüber Erwachse- für Patientinnen mit und ohne Suchterkrankung in
nen häufigere Auftreten von Agitiertheit bis hin zu der Vorgeschichte gleich wirksam zu sein (Collings
maniformen Zuständen sowie das erhöhte Risiko für u. King 1994; Mitchell et al. 1990a; Strasser u. Wil-
das Auftreten von Suizidgedanken, Suizidhand- helmsen 1992). Die komorbide Diagnose einer ak-
lungen und selbstverletzendem Verhalten unter Be- tuellen Suchterkrankung hat jedoch Implikationen
handlung mit SSRI, das sich in einer Metaanalyse für die Behandlung der Essstörung. So benötigen
aller in dieser Altersgruppe durchgeführten Place- Bulimie-Patientinnen mit komorbider Suchter-
5.2 · Behandlung
179 5
krankung längere stationäre Behandlungsaufent-
halte. Sofern das Behandlungsteam dazu in der Lage näre bzw. teilstationäre Behandlung
ist, beide Erkrankungen zu behandeln, sollte dies darstellt (z. B. Suizidalität, schwere
gleichzeitig geschehen (Westermeyer u. Specker Selbstverletzung, Drogen- oder Alkoho-
1999; Thompson-Brenner u. Westen 2005). Sollte labhängigkeit),
die Suchterkrankung als die schwerwiegendere psy- – hoher Krankheitsschweregrad der Ess-
chische Störung angesehen werden, besteht initial störung (erheblich entgleistes Essver-
die Indikation für ein suchttherapiespezifisches Be- halten),
handlungssetting (Woodside u. Staab 2006). – Versagen oder fehlende Möglichkeiten
für eine ambulante Therapie,
Besonderheiten der Behandlung
– therapieverhindernde Umstände im
von Kindern und Jugendlichen
Umfeld der Patientin.
Es existieren nur wenige Studien zur psychischen 4 Stationäre bzw. teilstationäre (z. B. Tages-
Komorbidität bei jugendlichen bulimischen Pa- klinik) Behandlungen sollten in Einrich-
tientinnen (Herpertz-Dahlmann 2009). Analog tungen erfolgen, die Erfahrungen in der
zum Erwachsenenalter sollten die bei der BN Therapie mit BN haben und entsprechende
auftretenden psychiatrischen Komorbiditäten in essstörungsspezifische Therapiepro-
der Therapieplanung entsprechend berücksichtigt gramme vorhalten (KKP).
werden. 4 Für einige Patientinnen mit BN kann die
Teilnahme an einem evidenzbasierten
Empfehlung
Selbsthilfeprogramm, das unter Anleitung
Zusammengefasste Empfehlungen erfolgt (»angeleitete Selbsthilfe«) und auf
4 Bei Vorliegen einer BN soll den Patien- Elementen der kognitiven Verhaltensthera-
tinnen frühzeitig eine Behandlung ange- pie beruht, eine ausreichende Therapie
boten werden, um Chronifizierung zu ver- darstellen (B, Evidenzgrad Ia).
meiden. Es sollte berücksichtigt werden, 4 Erwachsene und Jugendliche mit BN soll
dass einige Patientinnen mit BN einer Ver- als Behandlungsverfahren der ersten Wahl
änderung ihres Essverhaltens ambivalent eine Psychotherapie angeboten werden (A,
gegenüberstehen und daher aktiv für eine Evidenzgrad Ia).
Behandlung motiviert werden müssen 4 Psychotherapeutische Behandlungen sind
(KKP). wirksamer als alleinige Pharmakotherapie
4 Hinsichtlich der Settings gibt es empirische (A, Evidenzgrad Ia).
Hinweise für die Wirksamkeit von ambu- 4 Die KVT stellt die am meisten beforschte
lanter, teilstationärer und stationärer Be- Psychotherapiemethode mit der höchsten
handlung (KKP). Evidenz dar, daher sollte sie Patientinnen
4 Patientinnen mit BN sollten ambulant be- mit BN als Therapie der ersten Wahl ange-
handelt werden (B, Evidenzgrad Ia). Bei boten werden (B, Evidenzgrad Ia).
Vorliegen bestimmter Indikationskriterien 4 Andere Psychotherapieverfahren sind ver-
(s. u.) oder fehlender Möglichkeit für eine fügbar und kommen beispielsweise in Fra-
zeitnahe ambulante Therapie ist eine statio- ge, wenn KVT nicht zur Verfügung steht,
näre oder teilstationäre Behandlung indi- sich im Einzelfall als nicht wirksam erweist
ziert. oder nicht gewollt wird (B, Evidenzgrad II).
4 Als Kriterien für eine stationäre oder teil- Als Alternative zu KVT sollte IPT (B, Evi-
stationäre Behandlung gelten (KKP): denzgrad Ib) empfohlen werden, diese ist
– psychische bzw. physische Komorbidi- allerdings in Deutschland im Rahmen der
tät, die eine Indikation für eine statio- Richtlinienpsychotherapie nicht zugelas-
6 6
180 Kapitel 5 · Bulimia nervosa
sen. Alternativ kann auch Psychodyna- gepasst sein (KKP). Bei Kindern und Ju-
mische Therapie empfohlen werden (O, gendlichen mit BN sollten die Familienmit-
Evidenzgrad II). glieder in die Therapie einbezogen werden
4 Auch in unkomplizierten Fällen von BN (KKP).
sollte die Therapiedauer mindestens 25 Sit- 4 Wenn eine Pharmakotherapie angeboten
zungen betragen, mit einer Frequenz von wird, sollte Fluoxetin eingesetzt werden (B,
mindestens einer Therapiestunde pro Wo- Evidenzgrad Ia). Nur dieser Wirkstoff ist in
che (KKP). Bei komplexerem Verlauf oder Deutschland in Kombination mit Psycho-
bei Vorliegen von psychischer und soma- therapie für die Indikation der Bulimie und
5 tischer Komorbidität sind definitiv länger nur für die Behandlung von Erwachsenen
andauernde Behandlungen auch mit einer zugelassen. SSRIs stellen in Bezug auf Sym-
höheren wöchentlichen Sitzungsfrequenz ptomreduktion, Nebenwirkungsprofil und
erforderlich (KKP). Akzeptanz die medikamentöse Therapie
4 Bei bulimischen Patientinnen mit Komorbi- der ersten Wahl in der Behandlung der BN
ditäten, z. B. Borderline-Symptomatik, dar (B, Evidenzgrad Ia). Die wirksame Dosis
sollte die Therapie um störungsorientierte von Fluoxetin bei der Bulimie liegt bei 60
therapeutische Elemente ergänzt werden mg/die (B, Evidenzgrad Ib). Ein Behand-
(KKP). lungsversuch sollte mit einer Mindestdauer
4 In der Behandlung von Kindern und Ju- von vier Wochen unternommen werden.
gendlichen sollte KVT als Methode der er- Bei Therapieerfolg ist von einer längeren
sten Wahl angeboten werden, diese sollte Behandlungsdauer auszugehen (KKP).
dem individuellen Entwicklungsstand an-
6
5.3 · Anhang: Tabellen
181 5
5.3 Anhang: Tabellen
. Tab. 5.1 Diagnostische Leitlinien nach ICD-10 . Tab. 5.2 Diagnosekriterien nach DSM-IV (Saß et al.
2003)
Bulimia nervosa (F50.2)
Bulimia nervosa (307.51)
1) Eine andauernde Beschäftigung mit Essen, eine
unwiderstehliche Gier nach Nahrungsmitteln; die A. Wiederholte Episoden von »Fressattacken«. Eine
Patientin erliegt Essattacken, bei denen große Men- »Fressattacken«-Episode ist gekennzeichnet durch
gen Nahrung in sehr kurzer Zeit konsumiert werden. beide der folgenden Merkmale:
1. Verzehr einer Nahrungsmenge in einem be-
2) Die Patientin versucht, dem dick machenden Effekt
stimmten Zeitraum (z. B. innerhalb eines Zeit-
der Nahrung durch verschiedene Verhaltensweisen
raums von zwei Stunden), wobei diese Nah-
entgegenzusteuern: selbstinduziertes Erbrechen,
rungsmenge erheblich größer ist als die Menge,
Missbrauch von Abführmitteln, zeitweilige Hungerpe-
die die meisten Menschen in einem vergleich-
rioden, Gebrauch von Appetitzüglern, Schilddrüsen-
baren Zeitraum und unter vergleichbaren Bedin-
hormonpräparaten oder Diuretika. Wenn die Bulimie
gungen essen würden.
bei Diabetikerinnen auftritt, kann es zu einer Vernach-
2. Das Gefühl, während der Episode die Kontrolle
lässigung der Insulinbehandlung kommen.
über das Essverhalten zu verlieren (z. B. das
3) Eine der wesentlichen psychopathologischen Gefühl, weder mit dem Essen aufhören zu kön-
Auffälligkeiten besteht in der krankhaften Furcht nen noch Kontrolle über Art und Menge der
davor, dick zu werden; die Patientin setzt sich eine Nahrung zu haben).
scharf definierte Gewichtsgrenze deutlich unter dem
B. Wiederholte Anwendung von unangemessenen,
prämorbiden, vom Arzt als optimal oder »gesund«
einer Gewichtszunahme gegensteuernden Maß-
betrachteten Gewicht. Häufig lässt sich in der Vorge-
nahmen, wie z. B. selbstinduziertes Erbrechen,
schichte mit einem Intervall von einigen Monaten bis
Missbrauch von Laxanzien, Diuretika, Klistieren
zu mehreren Jahren eine Episode einer AN nachwei-
oder anderen Arzneimitteln, Fasten oder übermäßi-
sen. Diese frühere Episode kann voll ausgeprägt
ge körperliche Betätigung.
gewesen sein oder war eine verdeckte Form mit
mäßigem Gewichtsverlust oder einer vorübergehen- C. Die »Fressattacken« und das unangemessene
den Amenorrhoe. Kompensationsverhalten kommen drei Monate
lang im Durchschnitt mindestens zweimal pro
Woche vor.
Oberkategorien
Unterkategorien
5 CBT 136 3 1.63 (.55–2.71) n.s.
KI: 95%-Konfidenzintervall; CBT:kognitiv behaviorale Therapie; andere PT: andere psychotherapeutische Verfahren;
SSRI: selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer
Oberkategorien
Unterkategorien
CBT 539 21 .38 (.33–.43) < CBT-ERP, > SSRI, > SH+MED
CBT-ERP 251 9 .60 (.53–.66) > CBT, > IPT, > SSRI, > AA
BT 71 3 .65 (.53–.76) > IPT, > Tri, > SSRI, > AA, >
SH+MED, > Selbsthilfe, > ange-
leitete SH
SSRI 639 7 .14 (.12–.17) < CBT, < CBT-ERP, < BT, < andere
PT, < PT+MED, < andere Kombi-
6 nation
5.3 · Anhang: Tabellen
183 5
SH+MED 174 4 .14 (.09–.20) < CBT, < CBT-ERP, < BT, < andere
PT
KI: Konfidenzintervall; CBT: Kognitiv behaviorale Therapie; CBT-ERP: Kognitiv behaviorale Therapie mit zusätzlicher
Anwendung von Expositions- und Reaktionsverhinderungstechniken; BT: Behaviorale Therapie; Tri: Trizyklische Antide-
pressiva; IPT: Interpersonale Therapie; andere PT: andere psychotherapeutische Verfahren; SSRI: Selektive Serotonin-
Wiederaufnahmehemmer; AA: andere Antidepressiva; AM: andere Medikamente; PT+MED: Kombinationsbehandlung
Psychotherapie+Medikament; SH+MED: Kombinationsbehandlung Selbsthilfe+Medikament; andere Kombination:
andere Kombinationsbehandlung; n.s.: keine signifikanten Unterschiede zu anderen Kategorien; angeleitete SH: ange-
leitete Selbsthilfe
Oberkategorien
Unterkategorien
KI: 95%-Konfidenzintervall; CBT: Kognitiv behaviorale Therapie; andere PT: andere psychotherapeutische Verfahren;
SSRI: selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer; n.s.: keine signifikanten Unterschiede zu anderen Kategorien
184 Kapitel 5 · Bulimia nervosa
Oberkategorien
5 Kombinationsbehand-
lung
262 13 .28 (.22–.34) > Pharmakotherapie
Unterkategorien
CBT-ERP 268 10 .57 (.50–.63) > CBT, > IPT, > SSRI, > AA,
> andere Kombination, > Selbst-
hilfe, > Angel. SH
SSRI 639 7 .14 (.11–.17) < CBT, < CBT-ERP, < SSRI,
< PT+MED
KI: 95%-Konfidenzintervall; CBT: Kognitiv behaviorale Therapie; CBT-ERP: Kognitiv behaviorale Therapie mit zusätzlicher
Anwendung von Expositions- und Reaktionsverhinderungstechniken; ERP: Expositions- und Reaktionsverhinderung;
BT: Behaviorale Therapie; IPT: Interpersonale Therapie; andere PT: andere psychotherapeutische Verfahren; SSRI: selek-
tive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer; PT+MED: Kombinationsbehandlung Psychotherapie+Medikament; SH+MED:
Kombinationsbehandlung Selbsthilfe+Medikament; andere Kombination: andere Kombinationsbehandlung; n.s.:
keine signifikanten Unterschiede zu anderen Kategorien; AA: andere Antidepressiva
5.3 · Anhang: Tabellen
185 5
Oberkategorien
Unterkategorien
KI: 95%-Konfidenzintervall, CBT: Kognitiv behaviorale Therapie, BT: Behaviorale Therapie, andere PT: andere psychothe-
rapeutische Verfahren, SSRI: selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, SH+MED: Kombinationsbehandlung
Selbsthilfe+Medikament
Oberkategorien
Unterkategorien
KI: 95%-Konfidenzintervall; CBT: Kognitiv behaviorale Therapie; CBT-ERP: Kognitiv behaviorale Therapie mit zusätzlicher
Anwendung von Expositions- und Reaktionsverhinderungstechniken; BT: Behaviorale Therapie; andere PT: andere
psychotherapeutische Verfahren
186 Kapitel 5 · Bulimia nervosa
Oberkategorien
Unterkategorien
KI: 95%-Konfidenzintervall; CBT: Kognitiv behaviorale Therapie; #: keine Vergleiche zu anderen Kategorien möglich
5
Oberkategorien
Unterkategorien
KI: 95%-Konfidenzintervall; CBT: Kognitiv behaviorale Therapie; CBT-ERP: Kognitiv behaviorale Therapie mit zusätzlicher
Anwendung von Expositions- und Reaktionsverhinderungstechniken; BT: Behaviorale Therapie; andere PT: andere
psychotherapeutische Verfahren; SSRI: Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer; PT+MED: Kombinationsbehand-
lung Psychotherapie+Medikament; n.s.: keine signifikanten Unterschiede zu anderen Kategorien; Tri: Trizyklische
Antidepressiva
5.3 · Anhang: Tabellen
187 5
Oberkategorien
Unterkategorien
KI: 95%-Konfidenzintervall; CBT: Kognitiv behaviorale Therapie; #: keine Vergleiche zu anderen Kategorien möglich
Oberkategorien
Unterkategorien
KI: 95%-Konfidenzintervall; CBT: Kognitiv behaviorale Therapie; CBT-ERP: Kognitiv behaviorale Therapie mit zusätzlicher
Anwendung von Expositions- und Reaktionsverhinderungstechniken; BT: Behaviorale Therapie; andere PT: andere
psychotherapeutische Verfahren; SSRI: selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer; PT+MED: Kombinations-
behandlung
Psychotherapie+Medikament; n.s.: keine signifikanten Unterschiede zu anderen Kategorien
188 Kapitel 5 · Bulimia nervosa
Oberkategorien
Unterkategorien
5 CBT 151 4 .53 (.21–.86) n.s.
KI: 95%-Konfidenzintervall; CBT: Kognitiv behaviorale Therapie; andere PT: andere psychotherapeutische Verfahren; n.
s.: keine signifikanten Unterschiede zu anderen Kategorien
Oberkategorien
Unterkategorien
KI: 95%-Konfidenzintervall; CBT: Kognitiv behaviorale Therapie; CBT-ERP: Kognitiv behaviorale Therapie mit zusätzlicher
Anwendung von Expositions- und Reaktionsverhinderungstechniken; BT: Behaviorale Therapie; andere PT: andere
psychotherapeutische Verfahren; SSRI: Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer; PT+MED: Kombinationsbehand-
lung
Psychotherapie+Medikament; n.s.: keine signifikanten Unterschiede zu anderen Kategorien
. Tab. 5.4 Studien aus der BN-Metaanalyse mit Zuordnung zu Kategorien
Nr. Studie Arm Beschreibung Oberkat. Unterkat. Post ITT n prä n post
4 Agras et al. (1989) SM+ND Self Monitoring + nichtdirektive Psychotherapie Psychoth Other Th x 19 16
7 Agras et al. (1992) CBT+DESI16w Kognitive Verhaltenstherapie + Desipramin 16w Combin. Tr PT+MED. x 12 10
7 Agras et al. (1992) CBT+DESI24w Kognitive Verhaltenstherapie + Desipramin 24w Combin. Tr PT+MED. x 12 10
6
5
5
190
Nr. Studie Arm Beschreibung Oberkat. Unterkat. Post ITT n prä n post
19 Ordman et al. (1985) CBT Kognitive Verhaltenstherapie (full intervention) Psychoth CBT x 10 10
19 Ordman et al. (1985) CBT brief Kognitive Verhaltenstherapie (brief intervention) Psychoth Other Th x 10 10
25 Goldbloom et al. (1997) FLUO+CBT Fluoxetin und Kognitive Verhaltenstherapie Combin. Tr PT+MED. 29 12
6
5
5
192
Nr. Studie Arm Beschreibung Oberkat. Unterkat. Post ITT n prä n post
48 Mitchell et al. (1993) HI/HE CBT high intensity, early interruption model Psychoth CBT-ERP x 33 29
6
5
5
194
Nr. Studie Arm Beschreibung Oberkat. Unterkat. Post ITT n prä n post
48 Mitchell et al. (1993) LI/HE CBT low intensity, early interruption model Psychoth CBT-ERP x 35 30
50 Wilson et al. (1986) CR-EP Cognitive restructuring + Response prevention Psychoth CBT-ERP 9 7
51 Ventura et al. (1999) CBT+PNR CBT + psych. Nutritional rehabilitation Psychoth Other Th 20 19
51 Ventura et al. (1999) CBT+TNR CBT + traditional nutritional rehabilitation Psychoth Other Th 20 18
57 Walsh et al. (1997) CBT+PL Kognitive Verhaltenstherapie + Placebo Combin. Tr Other Comb x 25 16
5.3 · Anhang: Tabellen
60 Walsh et al. (2004) GSH+PL Selbsthilfe (Gruppe) + Placebo Combin. Tr Other Comb x x 25 3
6
5
196 Kapitel 5 · Bulimia nervosa
5.4 Literatur
n post
Post = Post-Effektstärken berechenbar; ITT = Intention-to-treat-Auswertung; Other Th = Other Therapy; other tr = other treatments; Combin. Tr = Combination; Other Comb =
35