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Februar 2011

Die Karlsruher Praxis bei der Festsetzung von Dachbegrünungen in Bebau-


ungsplänen
Das Karlsruher Stadtgebiet reicht von den Ausläufern des Schwarzwaldes im Osten bis zum
Rhein im Westen. Durch seine Lage im wärmebelasteten Oberrheingraben und der Neigung zu
Hochsommerwetterlagen hat Karlsruhe im Wettlauf um die heißeste Stadt in Deutschland die
Nase vorn. Die reiche Grünausstattung hat in den zurückliegenden Jahrzehnten das Leben für
die 300.000 Einwohner auch an heißen Sommertagen erträglich gemacht. So kann man den
aufgeheizten steinigen Quartieren entfliehen und sich in den Schatten der Alleen, Parks und
Baum bestandenen Plätze zurückziehen.

Abb. 01: Blick von Osten auf


die Karlsruher Innenstadt
mit Schloss und Schloss-
garten

Besonders prägnant ist der


strahlenförmige Grundriss
der Stadt (Abb. 01). Der
Schlossturm bildet den Mit-
telpunkt. Neben den land-
schaftlichen Reizen der
Umgebung und Siedlungs-
randlagen hat auch das
zentrale Stadtgebiet eine
gute Grünausstattung zu
bieten. Ca. 1.000 ha öffent-
liche Grünflächen, 350 ha Kleingartenflächen, dazu kommen noch Friedhöfe, Sportanlagen
und die zentrumsnahen Waldflächen. Von den insgesamt 140.000 städtischen Bäumen stehen
über 60.000 entlang der Karlsruher Straßen (Abb. 02).

Abb. 02: Bäume


spenden Schatten in
der Karlsruher Kai-
serstraße, der zent-
ralen Einkaufsstraße

Die öffentlichen
Grünflächen sind
untereinander weit-
gehend vernetzt und
stehen in Verbin-
dung mit der umge-
benden Landschaft.
Dieses Grünsystem
ist Leitbild für die
Sicherung und Ent-
wicklung des Karls-
ruher Grüns, das
nicht nur der Stadt-
gestaltung und Er-
holung dient, sondern auch die Voraussetzung für die wirksame Erfüllung ökologischer
Funktionen bildet (Abb. 03).

Abb. 03: Das Karlsruher Grünsystem: Die Vernetzung aller öffentlichen Grünflächen unterein-
ander und ihre Verknüpfung mit der umgebenden Landschaft

In einer wachsenden Stadt sind Flächen immer knapp. Grundstücke werden wertvoller und die
bauliche Verdichtung nimmt zu. Um trotzdem das klimatisch und auch gestalterisch dringend
erforderliche Grün zu schaffen, werden in Karlsruhe seit vielen Jahren systematisch auch Ge-
bäude und Bauwerke begrünt. Dabei werden auch zahlreiche öffentliche Bauwerke wie Schu-
len, Sporthallen, Parkhäuser, Straßenbahngleise, Tiefgaragen und auch Straßentunnel einbezo-
gen. (Abb. 04).
Abb. 04: Auf dem Straßentun-
nel der Südtangente ist ein
Stadtteilpark mit hoher Auf-
enthaltsqualität entstanden.

Erstrebenswert ist der positi-


ve, bewusste Einsatz von
Dachbegrünungen als Teil des
architektonischen Gesamt-
werkes (Abb. 05). Dachbe-
grünung soll nicht als Pflicht-
übung, sondern als Chance
verstanden werden, um ein
Gebäude aufzuwerten. Be-
wohner und Nutzer sollen sich
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damit identifizieren können. Vermeintlich praktische Argumente gegen Dachbegrünungen
sollen durch die Vermittlung ihrer Vorzüge übertrumpft werden.

Abb. 05: Heinrich-Hübsch-Schule Karlsruhe mit Dach- und Fassadenbegrünung

Dabei ist es wichtig, dass alle am Bau Beteiligten (Bauherr, Architekt, Bauunternehmer und
Handwerker) davon überzeugt sind, dass heute alle technischen Hürden und Unwägbarkeiten
der Vergangenheit angehören. Das schließt allerdings wie bei allen anderen Gewerken nicht
aus, dass mangelhafte Ausführungen alten Ängsten Nahrung geben.

Dachbegrünungen dienen nicht nur der Stadtgestaltung und der ästhetischen Aufwertung des
Arbeits- und Wohnumfeldes. Sie haben nachweislich Temperatur senkende Wirkung, da sie
einer Aufheizung der Dachflächen im Sommer ebenso entgegen wirken wie dem Wärmever-
lust des Gebäudes im Winter und sparen gleichzeitig Energie für Klimatisierung und Heizung.
Sie filtern und binden Luftverunreinigungen, speichern Niederschlagswasser und erhöhen die
Luftfeuchte. Auch einheimische Pflanzenarten können auf Dächern eine ökologische Nische
finden und Lebensraum für Insekten und Vögel bieten. Schließlich können Dachgärten dort
attraktive Aufenthaltsorte werden, wo ebenerdige Gartenflächen fehlen (Abb. 06).

Abb. 06: Reihenhäu-


ser mit privaten Gär-
ten auf einem Park-
haus in der Karlsru-
her Innenstadt: Eine
exklusive Wohnlage.

In der Regel werden


mit einer Maßnahme
mehrere Funktionen
erfüllt. Das deutsche
Baurecht verlangt
gleichermaßen die
Beachtung stadtge-
stalterischer wie öko-
logischer Belange bei
der Bauleitplanung.
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Allein die §§ 1 und 1a des Baugesetzbuches enthalten eine Fülle an Vorgaben, die die Forde-
rung nach Dachbegrünungen rechtfertigt.

Abb. 07: Auf der Werbe-


tafel für ein neues Wohn-
quartier wird gezielt mit
Dachbegrünungen ge-
worben

Für neue Baugebiete sind


entsprechende Festset-
zungen leichter zu tref-
fen. Die Mehrheit der
jüngeren Bebauungsplä-
ne in Karlsruhe enthält
Bestimmungen zu Dach-
begrünungen, deren
Durchsetzung in der Re-
gel problemlos ist, da
Investoren festgestellt
haben, dass Dachbegrünungen den Immobilienwert steigern (Abb. 07). Allerdings wird gerne
versucht, an den vorgeschriebenen Schichthöhen zu sparen. Dazu wird das unvermeidbare
Maß der Setzung nach dem Aufbringen des Dachgartensubstrates gerne außer Acht gelassen
und aus 10 cm werden dann schnell nur noch 8 cm Schichtstärke. Hier ist im Rahmen der
Bauabnahme eine gezielte Kontrolle erforderlich, die allerdings nicht von der regulären Bau-
aufsicht des Bauordnungsamtes vorgenommen wird, sondern in Amtshilfe von den Grünpla-
nern des Gartenbauamtes.

Ein Beispiel für einen Bebauungsplan mit Festsetzungen zu Dachbegrünungen liegt im Osten
der Karlsruher Südstadt.

Abb. 08: Bebauungsplan Karlsruhe Südost, Teilrealisierung 2009

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Bebauungsplan Karlsruhe-Südost (Auszug textliche Festsetzungen):

Alle Dachflächen auf ein- und zweigeschossigen Bauteilen sind als Flachdächer aus-
zubilden, extensiv zu begrünen und als begrünte Flächen zu unterhalten. Bei der
Dachbegrünung ist ein Schichtaufbau von mindestens 10 cm erforderlich.

Decken von Tiefgaragen, die nicht überbaut werden, sind mit einer Erdaufschüttung zu
versehen und als Grünflächen gärtnerisch anzulegen und zu unterhalten.

Für die Erdaufschüttungen auf Tiefgaragen sind folgende Höhen festgesetzt:


für Rasen und Sträucher 60 cm
für mittelkronige Bäume 90 cm
für die Bäume entlang der Esplanade 100 cm

Abb. 09: Baugebiet


Karlsruhe Südost,
Bebauung an der
Ludwig-Erhard-Allee
mit erhöhter „Espla-
nade“ auf Tiefgara-
ge (vorne links von
der Bildmitte)

Nicht nur die zent-


rumsnahen Bauvor-
haben sind obligato-
rische Objekte für
Dachbegrünungen.
Während im Zent-
rum besonders das
Argument der kli-
matischen Vorzüge
greift, werden in Stadtrandlagen eher die Versöhnung mit der angrenzenden Natur und die
Minderung des landschaftlichen Eingriffs als plausible Begründung angeführt - neben den Zie-
len der Wärmedämmung am Gebäude und der Regenabflussminderung.

Ein solches Neubaugebiet liegt auf dem Areal der ehemaligen Kaserne Neureut am Nordrand
des Karlsruher Stadtgebietes.

Abb. 10: Bebauungskonzept Kirchfeld-Nord Abb. 11: Baufeld 1 (2009 realisiert)

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Bebauungsplan Kirchfeld –Nord (Auszug schriftliche Festsetzungen)

Flachdächer und flach geneigte Dächer bis 15° Dachneigung sind extensiv zu begrü-
nen. Der Schichtaufbau beträgt 10 cm. Soweit statisch möglich, sind Anhügelungen
von 15 bis 30 cm vorzunehmen. Zur Einsaat ist eine Gras/Kräutermischung zu verwen-
den.

Decken von Tiefgaragen, die nicht überbaut bzw. für Erschließungszwecke genutzt
werden, sind mit einer Erdaufschüttung zu versehen und als Vegetationsfläche anzule-
gen. Mindestens 1/3 dieser Flächen sind mit Sträuchern, die restlichen mit Rasen,
Stauden und Bodendeckern zu begrünen.

Für die Erdaufschüttung über Drainschicht sind folgende Höhen festgesetzt:


- für Rasen, Stauden, Bodendecker 40 cm
- für Sträucher 70 cm

Ein starke Durchdringung mit Grün und die Bauwerksbegrünung waren wesentliche Merkmale
dieses Bebauungskonzeptes. Angestrebt wird auch eine vollständige Versickerung des Nieder-
schlagswassers - ein Ziel, das gut mit Dachbegrünungen korrespondiert und ebenfalls den
Grundsätzen unseres Baurechtes entspricht.

Festsetzungen in Bebauungsplänen werden umso leichter durchsetzbar, wenn diese Vorschrif-


ten durch ergänzende Instrumente unterstützt werden. Ein solches Instrument ist z.B. die
„gesplittete Abwassergebühr“.

In der Kalkulation für die Gebühren von Frischwasser war bisher die Beseitigung der gleichen
Menge Schmutzwasser und die Kosten für die Beseitigung von Regenwasser enthalten. Durch
diese Koppelung wurde jedoch für ein Grundstück mit niedrigem Frischwasserverbrauch, aber
mit einer großen versiegelten Fläche, von der das Regenwasser in den Abwasserkanal geleitet
wird, zuwenig berechnet, während für ein Grundstück mit hohem Frischwasserverbrauch, aber
nur geringer Versiegelung, im Verhältnis zu hohe Gebühren für die Regenwasserbeseitigung
ermittelt wurden. Die Rechtssprechung hat schlussendlich eine höhere Gebührengerechtigkeit
eingefordert und die Kommunen zur Änderung ihrer Gebührensatzungen gezwungen.

Seit 2008 werden in Karlsruhe für Grundstücke mit einer Abflussfläche von mehr als 1000 m²
die Kosten für die Beseitigung von Schmutzwasser und Niederschlagswasser getrennt berech-
net. Damit machen sich Dachbegrünungen zusätzlich bezahlt. Das Regenwasser wird in der
Dachbegrünung zurückgehalten und es fließt deutlich weniger in den Abwasserkanal, wodurch
die Abwassergebühr entsprechend niedriger berechnet oder sogar vollständig erlassen werden
kann. So wird für Dachgärten ab 30 cm Substratstärke keine Abwassergebühr mehr erhoben.

Das deutsche Bauplanungsrecht (§1a Baugesetzbuch) verlangt die Vermeidung und den Aus-
gleich von Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes sowie der Leistungsfähigkeit des Natur-
haushaltes. Dabei soll mit Grund und Boden sparsam und schonend umgegangen werden. Un-
vermeidbare Eingriffe auf baurechtlicher Grundlage, die durch Siedlungsentwicklung, Stra-
ßenbau oder sonstige Inanspruchnahme stattfinden, müssen ausgeglichen werden. Wenn Ein-
griffe unvermeidbar sind, sollen sie möglichst am Ort des Eingriffs funktionsgleich ausgegli-
chen werden. Wenn dies nachweislich mit zumutbarem Aufwand nicht möglich ist, können
ersatzweise auch Schutzgut übergreifend und an anderem Ort die Kompensationsmaßnahmen
durchgeführt werden. Die Ermittlung oder Berechnung dieses Ausgleichs bleibt den Trägern
der Bauleitplanung überlassen. Sie muss allerdings plausibel und nachvollziehbar sein. In
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Karlsruhe wurde dafür ein Berechnungsmodell entwickelt (HENZ, A. 2006), dass auf alle Be-
bauungspläne angewendet wird.

Das Karlsruher Modell betrachtet die fünf Naturfaktoren Boden, Klima, Pflanzen, Tiere und
Wasserkreislauf. Beim Boden werden die Bodenfunktionen „natürliche Bodenfruchtbarkeit“,
„Ausgleichskörper im Wasserkreislauf“ und „Filter und Puffer für Schadstoffe“ bewertet.
Beim Klima ist das Ausmaß der sommerlichen Wärmebelastung der ausschlaggebende Faktor.
Außerdem werden Frischluftbahnen berücksichtigt, die für das Stadtklima wichtig sind. Die
Pflanzen werden entweder nach der Ausprägung der natürlichen Pflanzengesellschaft und den
Feuchtigkeitsverhältnissen beurteilt oder bei Gärten und Gehölzbeständen nach dem Anteil
heimischer, standorttypischer Pflanzenarten. Immer fließt das Vorkommen von Rote-Liste-
Arten in die Beurteilung ein. Der Bewertung der Tiere liegt die Betrachtung der Tierartengil-
den zugrunde. In einer Gilde werden Tierarten mit denselben Lebensraumansprüchen zusam-
mengefasst. Folgende Tierartengilden decken das Spektrum möglicher Lebensräume ab:
Acker/Ackerbrache, Grünland, Gehölze, Gärten/Parks, Bäche und Xero-Thermophile. Die
Bewertung innerhalb der einzelnen Gilden erfolgt anhand vielfältiger Kriterien wie zum Bei-
spiel Benachbarungen, Vernetzungen, Störeinflüsse, Vorkommen von Rote-Liste-Arten, Ver-
fügbarkeit von Nahrungspflanzen, Flächengröße, Zusatzstrukturen, Gehölzzustand, Gewässer-
güte, Wanderhindernisse usw. Kriterium für den Wasserkreislauf ist der Anteil des Wassers,
das im Landschaftsraum verbleibt.

Naturfaktoren und Bewertungskriterien:


• Klima - sommerliche Aufheizung
• Boden - Filter- und Pufferfunktion
- Ausgleichskörper im Wasserkreislauf
- Natürliche Bodenfruchtbarkeit
• Pflanzen - Artenzusammensetzung der Pflanzengesellschaften
- Seltenheit
- heimisch/nicht heimisch
• Tiere - Eignung als Lebensraum
• Wasserkreislauf - Grad der Geschlossenheit

Abb. 12: Dachbegrünung


(Wiese) mit Königskerze als
Nahrungsangebot und Le-
bensraum für heimische
Insekten

Der Bewertung nach dem


Karlsruher Modell liegt
folgender Grundgedanke
zugrunde: Ein durchschnitt-
licher Zustand wird gleich 1
gesetzt, bessere Zustände
erhalten Zuschläge und
schlechtere Zustände Ab-
schläge. Bei den Pflanzen
erhält zum Beispiel eine
typische Glatthaferwiese
die Bewertung 1, eine tro-
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ckene Salbei-Glatthaferwiese, die zudem noch überdurchschnittlich artenreich ist, die Bewer-
tung 1,4 und eine noch recht artenarme junge Wiese die Bewertung 0,7. Ein wertloser Zustand
(vegetationsfreie, versiegelte Fläche) wird gleich 0 gesetzt.

Obwohl Dachbegrünungen Vegetationsformen auf eher naturfernen Standorten sind, können


sie in der Ausgleichsbilanz rechnerisch beachtlich zu Buche schlagen. Bei der Verwendung
von speziellen Bodenmischungen mit autochthonen Komponenten kann auch der Natürlichkeit
des Standortes Rechnung getragen werden. Seltene einheimische Pflanzenarten können auf
Dächern einen passenden Standort finden. Die pflanzliche Vielfalt steht in direkter Wirkung
für die Funktion als Lebensraum für heimische Tiere. Insekten, Vögel und andere Kleinlebe-
wesen können Dachbegrünungen als Nahrungsbiotop, als Brutstandort und als Jagdrevier nut-
zen (Abb. 12).

Dachbegrünung mit 25 cm Aufbau (Beispielrechnung)

NATURFAKTOREN Grundbewertung Teilwertzahl *


(berücksichtigte Qualitäten/Eigenschaften) (1,0 ≙ durchschnittlicher
Zustand des Naturfaktors)
Boden
(Aus natürlichen Bodenmaterialien speziell
zusammen gemischtes Substrat)
Bodenfunktionen:
- Filter und Puffer 0,35
- Ausgleichskörper im Wasserkreislauf 0,07
0,35
- Natürliche Bodenfruchtbarkeit 0,35
Klima
Mittlere Verdunstung und Wärmeminde- 0,60 0,12
rung
Pflanzen
(Artenreicher, trockener Extensivrasen - ohne 1,00 0,20
Lolium perenne)
Tiere
(Bienen- und Schmetterlingsweide, außer in
kürzeren Trockenzeiten. Kein dauerhaftes
Bodenleben wegen extremer Temperaturen,
aber bessere Bedingungen als bei 10 cm. Re-
lativ wenige, verbreitete Arten. Pionierarten 0,10 0,02
der Laufkäfer und Spinnen. Regenwurm-, As-
sel- und Tausendfüßlervorkommen wie in
stark verdichteten Stadtböden. Gehäuse-
schnecken wie bei reicheren städtischen Bra-
chen)
Wasserkreislauf
(Regenrückhaltung im Jahresmittel 70 %, 1,00 0,20
Überlauf wird versickert)
Wertzahl: 0,61
*) Quotientenberechnung: Beim Boden wird die Summe der Grundbewertung durch 3 und durch 5
geteilt, die Grundbewertung der übrigen Naturfaktoren wird durch 5 geteilt.

Grundsätzlich passt sich die Vegetation den Standortbedingungen an. Einträge von außen kön-
nen diese zwar verändern, aber die Zusammensetzung des Substrates ist sehr dominant. So

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kann man z.B. durch Variation der Substratstärke und die Ergänzung mit naturraumtypischen
Substraten die Standortvielfalt steigern.

Eine intensive Dachbegrünung mit einer Wertzahl von 0,61 erreicht damit eine Ausgleichs-
funktion, die einem durchschnittlichen Hausgarten entspricht. Zwar deutlich geringer, aber
rechnerisch immer noch nennenswert ist die einfache Begrünung mit nur 10 cm Substratstärke.

Dachbegrünung mit 10 cm Aufbau (Beispielrechnung)


NATURFAKTOREN Grundbewertung Teilwertzahl *
(berücksichtigte Qualitäten/Eigenschaften) (1,0 ≙ 100 % Leistung für
den Naturhaushalt)
Boden
(künstlich zusammen gemischtes Substrat
ohne Oberbodenmaterial)
Bodenfunktionen:
- Filter und Puffer 0,00
- Ausgleichskörper im Wasserkreislauf 0,35 0,02
- Natürliche Bodenfruchtbarkeit 0,00
Klima
(mäßige Verdunstung, mäßige Wärmeminde- 0,50 0,10
rung)
Pflanzen
(Sedum, Moose, trockenheitsresistente Grä- 0,66 0,13
ser und Kräuter)
Tiere
(Bienen- und Schmetterlingsweide, außer in
Trockenzeiten. Kein dauerhaftes Bodenleben
wegen extremer Temperaturen. Pionierarten
der Laufkäfer und Spinnen. Regenwurm-, As- 0,10 0,02
sel- und Tausendfüßlervorkommen wie in
stark verdichteten Stadtböden. Gehäuse-
schnecken wie bei reicheren städtischen Bra-
chen).
Wasserkreislauf
(Regenrückhaltung im Jahresmittel 65 %, 0,65 0,13
Überlauf geht in den Kanal)
Wertzahl: 0,40
*) Quotientenberechnung: Beim Boden wird die Summe der Grundbewertung durch 3 und durch 5
geteilt, die Grundbewertung der übrigen Naturfaktoren wird durch 5 geteilt.

Um einen Standard in entsprechenden Festsetzungen in Bebauungsplänen zu verankern, spielt


die generelle Akzeptanz bei Bürgern und Bauherren eine große Rolle. Dies erreicht man am
wirkungsvollsten durch freiwilliges Engagement, das die Verwaltung gezielt unterstützt.

Karlsruhe tut dies seit 1977 mit dem städtischen Programm zur Hof-, Dach- und Fassadenbe-
grünung. Es schließt ganz bewusst die Dachbegrünung mit ein. Neben einer kostenlosen Bera-
tung gibt es finanzielle Zuschüsse aus dem Förderprogramm und zusätzlich Geldpreise beim
parallel laufenden zweijährigen Wettbewerb. Auf diese Weise sind zwischenzeitlich zahlreiche
und sehr individuelle Dachgärten und grüne Dachterrassen entstanden. Sie können eine außer-
gewöhnliche Bereicherung des persönlichen Wohnumfeldes bewirken und neben den genann-

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ten ökologischen und gestalterischen Funktionen sehr attraktive Aufenthaltsbereiche sein
(Abb. 13 und 14).

Abb. 13: Privater Dachgarten in der Karlsruher Oststadt.

Abb. 14: Privater Dachgarten in Karlsruhe-Mühlburg

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Inzwischen hat die Diskussion und die Sorge um den weltweiten Klimawandel jedermann er-
reicht. Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) hält in seinem 4. Weltklima-
bericht (2007) einen Temperaturanstieg weltweit um bis zu 6,4°C bis 2100 für möglich. Bis
2050 zeichnen die regionalen Klimasimulationen für die Temperaturentwicklung in Deutsch-
land eine beunruhigende Perspektive.

So wird die Anzahl der Sommertage (Tage mit +25°C und wärmer) in Baden-Württemberg
deutlich steigen. In Karlsruhe von derzeitig unter 60 auf über 80 Tage. Auch die Anzahl der
heißen Tage (Tage mit +30°C oder heißer) wird – teilweise um nahezu das Doppelte – zuneh-
men. In Karlsruhe von 16 auf über 30 Tage. Gleichzeitig werden Starkregenereignisse und das
Überschwemmungsrisiko zunehmen.

Für uns ist das die Herausforderung noch mehr Grün in die Stadt zu bringen, um die belasten-
den Veränderungen des Stadtklimas auf unsere Bürger abzumildern: Entlang unserer Straßen,
in unseren Parks und Gärten und auf unseren Dächern.

Zusammenfassung:
Karlsruhe liegt im wärmebelasteten Oberrheingraben. Die reiche Grünausstattung hat in den
zurückliegenden Jahrzehnten das Leben in der Stadt auch an heißen Sommertagen erträglich
gemacht. Um trotz knapper Flächen das klimatisch und auch gestalterisch dringend erforderli-
che Grün zu schaffen, nimmt das Verlangen nach Bauwerksbegrünungen zu. Für neue Bauge-
biete werden entsprechende Festsetzungen für Dachbegrünungen in den Bebauungsplänen
gemacht. Sie sind leichter durchsetzbar, wenn diese Vorschriften durch ergänzende Instrumen-
te unterstützt werden. Ein solches Instrument ist z.B. die „gesplittete Abwassergebühr“.
Die Eingriffs-/Ausgleichsberechnungen werden in Karlsruhe mit einem differenzierten Be-
rechnungsmodell vorgenommen, das die fünf Naturfaktoren Boden, Klima, Pflanzen, Tiere
und Wasserkreislauf berücksichtigt. Diese Berechnung zeigt, dass bereits extensive Dächer bei
entsprechender Ausstattung eine wesentliche ökologische Kompensation bewirken.
Um die generelle Akzeptanz für Dachbegrünungen bei Bürgern und Bauherren zu steigern,
unterstützt die Stadt Karlsruhe freiwillige Maßnahmen seit 1977 mit dem städtischen Pro-
gramm zur Hof-, Dach- und Fassadenbegrünung.

Helmut Kern
Stadt Karlsruhe
Gartenbauamt
76124 Karlsruhe
helmut.kern@gba.karlsruhe.de

Literaturnachweis:
HENZ, A. (2006): Das Karlsruher Modell zur Ermittlung von Eingriff und Ausgleich in Bebau-
ungsplanverfahren, unveröffentlichtes Manuskript

Bildnachweis:
Abb. 01, 13: Roland Fränkle, Bildstelle Stadt Karlsruhe
Abb. 08: Aurelis Real Estate GmbH & Co KG
Abb. 09: Fabry, Andrea
Abb. 10, 11: Volkswohnung GmbH
alle weiteren Abbildungen: Stadt Karlsruhe Gartenbauamt

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