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VASMER, »otec«, Russisches etymoiog

delberg 1954, S, 290.


WERNER, Comparative psychology
York 1940, 2. Auflage 1957.

L
logen, Pädiatern, Audiologen, Psydüatern und Pädagogen ein; nur auf das grammatische System angewendet werden. Es sind bis jetzt
die Sprachwissenschaftler sind mit Stillschweigen übergangen, als ob nur wenige Versuche in dieser Richtung unternommen worden, so daß
Störungen im Spradiverständnis nidits mit der Sprache zu tun diese Arbeiten fortgesetzt werden müssen.'
hätten.«
Aber auch die Linguisten sind für das Zurückbleiben einer gemein-
samen Aphasieforschung verantwortlich. Die bis in die kleinsten Ein-
zelheiten gehende linguistische Beobachtung von Kindern verschiedener 2. Der Doppelcharakter der Sprache
Länder hat nicht ihresgleichen in der Beobachtung von Aphatikern
gefunden. Es liegt auch kein Versuch vor, vom linguistischen Stand- Anwendung der Sprache bedeutet eine Auswahl von bestimmten
punkt die umfangreiche klinische Kasuistik über die verschiedenen linguistischen Größen und deren Kombination zu linguistischen Ein-
Typen der Aphasie auszuwerten und zu systematisieren. Dies ist um heiten von höherem Komplikationsgrad. I m lexikalischen Bereich ist
so erstaunlicher, als einerseits der zunehmende Fortschritt der struk- dies ganz offenbar: der Sprecher wählt Wörter aus und kombiniert sie
t u r e n Linguistik dem Linguisten günstige Mittel und Methoden für entsprechend den syntaktischen Regeln dieser Sprache zu Sätzen; Sätze
das Studium des Abbaues der Sprechfähigkeit liefert und andererseits werden ihrerseits zu größeren Äußerungen verknüpft. Der Sprecher
der aphatische Abbau des sprachlichen Systems dem Linguisten neue ist jedoch keineswegs in seiner Wortwahl völlig frei, sondern muß sich
Erkenntnisse über die der Sprache zugrunde liegenden Gesetzmäßig- in seiner lexikalischen Wahl (von den seltenen Fällen eines echten
keiten bringt Neologismus abgesehen) nach dem ihm und seinem Gesprächspartner
Die Anwendung rein linguistischer Kriteria bei der Auswertung und gemeinsamen Wortschatz richten. Der Kommunikations-Ingenieur
¬
Klassifizierung der Aphasie-Erscheinungen kann ein wesentlicher Bei¬ kommt dem Wesen des Sprechvorganges am nächsten wenn er an
trag zur Wissensdiaft von der Sprache und den Sprachstörungen sein, nimmt, daß Sprecher und Hörer beim optimalen Informationsaustausch
vorausgesetzt, daß die Linguisten mit dem psychologischen und neuro- mehr oder minder denselben »Karteischrank mit vorangefertigten Vor-
logischen Material ebenso sorgsam verfahren wie mit dem traditio- stellungen« zu ihrer Verfügung haben: der Sprecher der Mitteilung
nellen linguistischen Material. In erster Linie sollten die Linguisten wählt eine von diesen »in der Vorstellung vorbereiteten Möglichkeiten
mit der Terminologie und den Verfahrensweisen der Medizin im aus«, und der Hörer trifft vermutlich dieselbe Auswahl aus der Ivlenge
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Bereiche der Aphasieforschung vertraut werden, sodann ist es ihre der »Möglichkeiten, die vorgesehen und vorbereitet sind« Somit ver
Aufgabe, die klinische Kasuistik einer linguistischen Analyse zu unter- langt ein Sorechvorcane Zur Erzieluns der erwiin«rht*»n
S

ziehen und schließlidi sollen sie sich mit aphatischen Patienten selbst Benutzung eines allen Teilnehmern gemeinsamen Kodes
befassen, um sich ein eigenes Urteil über die Fälle verschaffen zu »Hast du >/>ig< oder >fi < gesagt?« fragte die Katze. »Ich habe pig
s

können und von den nach anderen Gesichtspunkten zusammengestell- gesagt«, antwortete Alice.» M i t dieser speziellen Äußerung versucht die
ten Krankenberichten unabhängig zu sein. angesprochene Katze eine vom Sprecher getroffene Wahl wiederaufzu-
Über die Desintegration des Lautsystems bei Aphatikern konnte nehmen. In dem für die Katze und Alice gemeinsamen Kode, also in
allerdings im Verlaufe der letzten zwanzig Jahre schon eine erstaun- der englischen Umgangssprache, kann der Unterschied zwischen einem
liche Übereinstimmung zwischen Psydüatern und Linguisten erzielt Verschlußlaut und einem Engelaut bei sonst gleicher Lautumgebung
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werden. Die Auflösungsersdieinungen vollziehen sich in einem sehr die Bedeutung der Mitteilung verändern. Alice hat das distinktive
regelmäßigen zeitlichen Ablauf. Der Abbau der Sprache hat sich als Merkmal »Verschlußlaut gegen Reibelaut« angewandt indem sie das
Spiegel des kindlichen Spracherwerbs erwiesen, er zeigt das umgekehrte letztere verwarf und das erstere der beiden Oppositionsglieder aus-
Bild der ontogenetischen Sprachentwicklung. Überdies ermöglicht uns wählte. Im selben Sprechakt verknüpft sie diese Lösung mit bestimm-
der Vergleich der Kindersprache und der Aphasie die Aufstellung ten anderen simultanen Merkmalen, indem sie das dunkle und das
mehrerer Gesetze des inneren Zusammenhanges. Die Erforschung des gespannte Merkmal von /p/ im ^jegensatz zum hellen Ivlerkmal des /t/
Zusammenhanges von Spracherwerb und Sprachabbau darf jedoch und zum ungespannten Merkmal des /b/ verwendet Somit wurden aile
nicht auf den Phonembereidi beschränkt bleiben, sondern muß auch diese Eigenschaften zu einer Gruppe von distinktiven Merkmalen dem

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sogenannten PHONEM, zusammengefaßt. Dem Phonem Ipl folgten die Merkmale zu Phonemen anbetrifft, so ist die Freiheit des individuellen
Phoneme Iii und /g/, die ihrerseits wieder Gruppen solcher simultaner Sprechers gleich Null. Der Kode sieht bereits aile Möglichkeiten vor
Merkmale darstellen. Somit sind das Zusammenwirken von simultanen die in einer gegebenen Sprache ausgenutzt werden können. Die Freiheit
Einheiten und die Verkettung der nacheinanderfolgenden Einheiten die Phoneme zu Wörtern zu kombinieren, ist eng begrenzt und bleibt auf
zwei Wege, die wir als Sprecher bei der Kombination sprachlicher die seltenen Fälle der Wortneuprägung beschränkt. Bei der Satzbildung
Bestandteile beschreiten. aus Wörtern besitzt der Sprecher größere Freiheit. Schließlidi verlieren
Weder die simultanen Bündel wie Ipl oder / { / noch Folgen von bei der Kombination von Sätzen zu größeren Äußerungen die obliga-
solchen simultanen Bündeln wie /pig/ oder /fig/ werden von den sie torischen syntaktischen Regeln ihre Wirksamkeit, so daß die Freiheit
benutzenden Sprechern erfunden. Weder das distinktive Merkmal der individuellen Sprecher, neue Kontexte zu schaffen, in bedeutendem
»Verschlußphonem gegen Reibephonem« noch das Phonem Ipl kommen Maße wächst, obwohl auch hier die zahlreichen stereotypen Äußerun-
außerhalb eines Kontextes vor. Das Verschlußmerkmal erscheint in gen nicht übersehen werden dürfen.
Kombination mit anderen simultanen Merkmalen. Die Möglichkeiten Jedes sprachliche Zeichen gehört zwei verschiedenen Systemanord-
der Kombination dieser Merkmale bei Phonemen wie Ipl, Ihl, Itl, Idl, nungen an:
/k/, Igl usw. werden durch den Kode einer gegebenen Sprache begrenzt. 1. KOMBINATION. Jedes Zeichen ist aus konstituierenden Zeichen
Der Kode setzt auch die Grenzen der Kombinationsmöglichkeiten von zusammengesetzt bzw. kommt nur in Kombination mit anderen Zei-
Ipl mit vorhergehenden und nachfolgenden Phonemen fest; nur ein chen vor. Das heißt, daß jede sprachliche Einheit zugleich als Kontext
Teil der möglichen Phonemfolgen wird tatsächlich in der Lexik einer für einfachere Einheiten dient bzw. ihren eigenen Kontext in einer
Sprache ausgenutzt. Sogar wenn noch weitere Phonemkombinationen komplizierteren sprachlichen Einheit findet. Somit vereinigt also jede
möglich sind wird der Sprecher in der Regel das Wort nur gebrauchen, Gruppe von linguistischen Einheiten diese Einheiten zu einer höheren
nicht aber prägen Begegnen wir individuellen Wörtern, so erwarten Einheit: Kombination und Kontextbildung sind zwei Erscheinungs-
wir daß sie kodifizierte Einheiten darstellen U m ein Wort wie nylon formen derselben Operation.
h 'f m I ! man aber wissen welche Bedeutung ihm der lexikali-
2. SELEKTION (Auswahl, Entscheidung). Eine Entscheidung zwischen
sdie Kode des Englischen verleiht
zwei Möglichkeiten setzt voraus, daß die eine Möglichkeit für eine an-
In jeder Sprache gibt es auch kodifizierte Wortgruppen, die soge- dere, welche der ersten in einer Hinsicht gleichwertig und in einer an-
nannten phraseologischen Wendungen (phrase-words). Die Bedeutung deren Hinsicht nicht gleichwertig ist, eingesetzt werden kann. Selektion
der phraseologischen Wendung how do yon do (wie %eht es dir) kann und Substitution sind zwei Erscheinungsformen derselben Operation
nicht aus der Zusammensetzung der Bedeutungen der einzelnen lexika- Die grundlegende Rolle, welche diese beiden Operationen in der
lischen Bestandteile abgeleitet werden; das Ganze ist hier nicht gleich Sprache spielen, wurde von Ferdinand de Saussure klar herausge-
der Summe seiner Teile. Solche Wortgruppen, die sich wie einzelne stellt. Doch von den beiden Arten der Kombination - Zusammenwir-
\^örter verhalten gehören zwar zu den nicht ungewöhnlichen, aber ken und Aneinanderketten - hat der Genfer Linguist nur die letztere
auch nicht allzu häufigen Erscheinungen einer Sprache. Für das Ver- die zeitliche Folge, erkannt. Trotz seiner Einsicht in das Wesen des
ständnis der größeren Mehrheit der Wortgruppen genügt es, mit den Phonems als eines Gefüges von zusammenwirkenden distinktiven Merk-
einzelnen Wörtern und den syntaktischen Regeln für ihre Kombina- malen (elements differentiels des phonemes) unterlag er der traditionel-
tion vertraut zu sein Innerhalb dieser Grenzen können wir ungehin- len Ansicht von dem »linearen Charakter der Sprache, welcher die
dert Wörter in neuen Kontexten einsetzen Natürlich ist diese Freiheit Möglichkeit ausschließt, zwei Elemente zugleich auszusprechen.« 10

relativ • der Zwang den feststehende Redewendungen auf unsere Kom¬


Um die beiden Systemarten, die wir Kombination und Selektion
binationsauswahl ausüben ist nicht unbeträchtlich. Dennoch ist die
nannten, gegeneinander abzugrenzen, behauptet F. de Saussure, daß
V % ' Kontexte zusammenzustellen unbestreitbar selbst
das erstere System »in ptaesentia ist, es beruht darauf, daß zwei oder
wenndie^^statistische Wahrheit ihres Vorkommens relativ niedrig ist. mehr Teile in einer gesprochenen Reihe gemeinsam auftreten«, während
Man kann also von einer fortschreitenden Skala der freien Kombi¬ das letztere System »Teile in absentia als Glieder potentieller Gedächt-
nationsmöglichkeiten sprechen. Was die Kombinationen der distinktiven nisreihen miteinander in Verbindung bringt«. Das heißt also, daß die

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Selektion (und dementsprechend die Substitution) mit Größen zu tun 3. Die Similaritätsstörung
hat die im Kode, aber nicht in einer gegebenen Mitteilung, miteinander
in Verbindung stehen, während im Falle der Kombination die einzel- Es ist klar, daß Sprachstörungen in verschiedenen Graden die Fähigkeit
nen Größen entweder im Kode und in der Mitteilung oder nur in der eines Individuums zur Kombination und Selektion sprachlicher Ein-
Mitteilung miteinander in Verbindung treten. Der Hörer empfindet, daß heiten beeinträchtigen können. Die Frage, welche von diesen beiden
eine gegebene Äußerung (Mitteilung) eine KOMBINATION von Bestand- Operationen hauptsächlich gestört ist, hat deshalb große Bedeutung für
teilen (Sätzen, Wörtern, Phonemen usw.) ist, die aus dem Kreis aller die Beschreibung, Analyse und Klassifizierung der verschiedenen Apha-
möglichen Bestandteile (Kode) AUSGEWÄHLT ist. Die Bestandteile eines siearten. Diese Dichotomie ist vielleicht sogar einleuchtender als die
Kontextes stehen miteinander im Kontiguitätsverhähms (das ist in klassische Unterscheidung (von deren Behandlung wir hier Abstand
linearem Zusammenhang - d. Übers.), während bei dem Substitutions- nehmen müssen) zwischen MOTORISCHER und SENSORISCHER Aphasie
verhältnis die Zeichen durch verschiedene Grade der Gleichartigkeit, (emissive and receptive aphasia), die nur besagt, ob die Fähigkeit zur
die sich zwischen der Gleichwertigkeit der Synonyme und dem gemein- Kodifizierung oder zur Dekodifizierung besonders beeinträchtigt ist
samen Wesenskern der Antonyme bewegen, miteinander in Beziehung Head versuchte, die Aphasiefälle in bestimmte Gruppen einzutei-
stehen. len indem er jeder dieser Gruppen »einen Namen entsprechend dem
Diese zwei Operationen ermöglichen die Beurteilung jedes lingui- Hauptdefekt beim Gebrauch und Verständnis von Wörtern und Phra-
stischen Zeichens je nach seinem Verhältnis zu den beiden Bezugs- sen« gab (p. 4 1 2 ) . Diesem Prinzip folgend, unterscheiden wir zwei
systemen (sets of interpretants), um den von Charles Sanders Peirce 11
Grundtypen der Aphasie, je nachdem, ob die Selektion und Substi-
eingeführten gut brauchbaren Begriff zu verwenden: um ein Zeichen tution bei relativ gut erhaltener Kombination und Kontextbildungs-
zu interpretieren, kann man sich sowohl auf den Kode als auch auf den fähigkeit mehr geschädigt ist oder ob umgekehrt die Kombination und
Kontext ungeachtet ob er kodifiziert oder frei ist, beziehen. I n beiden Kontextbildungsfähigkeit bei relativ gut bewahrter Selektion und
Fällen steht das Zeichen zu einer Gruppe anderer sprachlicher Zeichen Substitution den größeren Schaden erlitten hat.
in Beziehung, im ersten Falle als eine alternative Beziehung und im Um diese zwei Grundtypen der Aphasie zu umreißen, werde ith
zweiten Falle als lineare Zuordnung. Eine gegebene Bedeutungseinheit midi der Goldsteinschen Kasuistik bedienen.
kann durch andere exaktere Zeichen desselben Kodes ersetzt werden, Beim ersten Aphasietyp (Ausfall der Selektionsfähigkeit) ist der
wobei ihre allgemeine Bedeutung offenbar wird, während ihre Kon- Kontext ein unentbehrlicher und entsdieidender Faktor. Wenn einem
textbedeutung durch ihre Verbindung mit anderen Zeichen derselben soldien Patienten Wort- oder Satzsplitter genannt werden, so ergänzt
Lautfolge bestimmt wird. er sie ohne Sdiwierigkeiten. Er spridit nur reaktiv: er führt leicht eine
Die Bestandteile einer Mitteilung sind notwendigerweise mit dem Konversation, aber es fällt ihm schwer, einen Dialog zu beginnen. Er
Kode durch eine innere Relation und mit der Mitteilung durch eine kann einem wirklidi oder vermeintlidi vorhandenen Gesprädispartner
äußere Relation verknüpft. Beide Relationsarten treffen bei den ver- antworten, wenn er der Empfänger der Mitteilung ist oder es zu sein
schiedenen Seiten der Sprache zu. Sowohl wenn Mitteilungen ausge- glaubt. Besonders schwer ist es für ihn, eine in sidi geschlossene Rede
tauscht werden als auch wenn die Kommunikation einseitig vom Spre- wie z.B. einen Monolog, zu halten oder auch nur zu verstehen Je
cher auf den Hörer übergeht, muß eine gewisse A r t von Berührung mehr die Äußerungen vom Kontext abhängig sind, desto besser kommt
zwischen den Gesprächspartnern bestehen, um die Übermittlung der er mit seiner verbalen Aufgabe zurecht. Der Patient fühlt sich außer-
Mitteilung zu garantieren. Die räumliche und oft auch zeitliche Tren- stande, einen Satz auszusprechen der weder von einem Stidiwort
nung der beiden Partner wird durch eine innere Relation überbrückt: seitens des Gesprächspartners noch von der aktuellen Situation an
es muß eine gewisse Gleichwertigkeit zwischen den Symbolen, die der regt
o wird Der Satz ^es recnet^c
& kann
im von.
v \ju ihm
nun nur
nur ausgesprochen
Sprecher benutzt, und denjenigen, die der Hörer kennt und erkennt, werden ^t^enn er sieht, daß es regnet Je mehr die Äußerung durch
bestehen. Ohne diese Gleichwertigkeit bleibt die Mitteilung ergebnislos
- selbst wenn sie den Empfänger erreicht, wird sie von ihm nicht
einen verbalen oder nicht-verbalen Kontext
Kontext gestützt ist A 7 T
Aussicht besteht auf eine erfolgreidie sprachliche Leistung^dtens eines
, desto mehr
erfaßt werden. solchen Patienten

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Ebenso ist die Wortfindung um so weniger durch die Sprachstörung zwei homonyme Wörter. Da distinktive Wörter einen höheren Infor-
beeinträchtigt, je mehr das Wort von anderen Wörtern desselben mationsgehalt tragen als homonyme Wörter, neigen einige Aphatiker
Satzes abhängig ist und je mehr es sich auf den syntaktischen Kontext dieses Types dazu, die kontextbedingten Varianten eines Wortes durch
bezieht. Deshalb sind Wörter, die syntaktisch durch Kongruenz oder verschiedene Wörter je nach der gegebenen Umgebung zu ersetzen.
Rektion ein grammatisches Abhängigkeitsverhältnis haben, viel wider- So hat ein Patient Goldsteins nie das Wort Messer allein verwendet
standsfähiger, wohingegen das subordinierende Hauptwort des Satzes, sondern je nach Bedarf und Umgebung es als Bleistiftspitzer, Apfel-
das Subjekt, die größten Ausfallstendenzen zeigt. Soweit der Patient schaler, Brotmesser, Messer-und-Gabel (a. a. O . p. 6 2 ) umschrieben,
an Initiative-Hemmungen leidet, versagt er gerade auch an den A n - so daß das Wort Messer von einer FREIEN FORM, die allein vorkommen
fangspunkten der Redetätigkeit, also am Satzbeginn. Bei diesem Typ könnte, zu einer GEBUNDENEN Form wurde.
der Sprachstörung werden die Sätze wie elliptische Folgen empfunden, Ein Patient Goldsteins sagte: »Ich habe eine gute Wohnung, einen
die ihre Ergänzung aus Sätzen erhalten, die vom Sprecher selbst vorher Vorplatz, ein Schlafzimmer und eine Küche. Es gibt auch große
ausgesprochen wurden oder zumindest in seiner Vorstellung vorher- Wohnungen, nur hinten heraus wohnen Junggesellen.« Es hätte
gingen bzw die er von seinem Gesprächspartner tatsächlich oder ver- eine ausführlichere Form, die Wortgruppe unverheiratete Leute, statt
e' tl'ch gehört hatte Wichtige Wörter des Satzes können ausfallen Junggesellen gesetzt werden können, aber der Sprecher hat den uni-
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oder durA abstrakte anaphorische Ersatzwörter verdrängt werden verbalen Ausdruck vorgezogen. Auf die mehrfach wiederholte Frage,
Ein konkretes ^5^o rt wird - wie Freud feststellte - durch ein sehr allge¬
R Ki»' pinpm französischen Aohatiker durch machin was ein Junggeselle sei, antwortete der Patient nicht und war »offenbar
meines, wie z. jj* Dei einem iranzos s p in Verlegenheit« (a. a. O . p. 270). Eine Antwort, wie »Ein Junggeselle
CTY J \ oder
(Uingsaa) J rh
« o s e dache
pacne, T)'ne\
u g; ersetzt• Bei. einem
. .
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deutschen ist ein unverheirateter Mann« oder »Ein unverheirateter Mann ist ein
e r s e m e n

Aphatiker mit einer sogenannten »a p Junggeselle« wäre eine Identitätsaussage und damit eine Projektion
(nach Goldstern L0.Anm.4j 5.2461t-;«»«1 w o r t
' * e r
, einer Substitution aus dem lexikalischen Kode der deutschen Sprache
unbelebten Nomina, und das verbum »»«;*ore , in den Kontext der gegebenen Mitteilung. Die äquivalenten Wörter
dem Kontext oder aus der bituation ersichtlich waren werden zwei miteinander in Beziehung stehende Teile des Satzes und
Patienten als überflüssig erschienen. infolgedessen durch Kontiguität miteinander verbunden. Der Patient
Wörter, die von Natur aus kontextbezogen sind, wie Pronomina war imstande, den passenden Ausdruck Junggeselle auszuwählen,
und Pronominaladverbia, und Wörter, die zur Kontext-Konstruktion sobald er durch den Kontext einer alltäglichen Unterhaltung Über
dienen, wie Konjunktionen und Hilfszeitwörter, sind besonders zäh- »Junggesellen-Wohnungen« eine Hilfestellung erhielt, aber es war ihm
lebig. Eine typische Äußerung eines deutschen Patienten, dessen Fall unmöglich, der Ersatzausdruck unverheirateter Mann statt Junggeselle
von Quensel beschrieben und von Goldstein (a. a. O . p. 302) zitiert als Satzgegenstand einzusetzen, weil seine Fähigkeit zur selbständigen
wurde, soll als Illustration dienen: Selektion und Substitution gestört war. Der Identitätssatz, der ver-
»Ich bin doch hier unten, na wenn ich gewesen bin ich wees nicht, geblich vom Patienten verlangt wurde, enthält nur die einzige Infor-
we das, nu wenn ich, ob das nun doch, noch, ja. Was Sie her, wenn mation: »Junggeselle bedeutet unverheirateter Mann« oder »einen
ich, och ich weess nicht, we das hier war ja . . . « unverheirateten Mann nennt man Junggesellen«.
Es bleibt bei diesem Aphasietyp in seinem kritischen Stadium also Dieselbe Schwierigkeit tritt auf, wenn vom Patienten verlangt wird,
nur ein Skelett, die Verbindungsglieder der Kommunikation, übrig. einen vom Prüfenden vorgezeigten oder vorgeführten Gegenstand zu
Von Spraduheoretikern wurde seit dem Mittelalter immer wieder bezeichnen. Der Aphatiker mit Substitutionsstörung wird den durch
die Behauptung aufgestellt, daß das Wort außerhalb des Kontextes den Prüfenden vorgeführten Gegenstand nicht bezeichnen. Statt zu
keine Bedeutung habe. Diese Behauptung trifft jedoch nur bei einem sagen: »Dies ist ein Bleistift«, wird er nur eine elliptische Bemerkung
besonderen Typ der Aphasie zu. In diesen pathologischen Fällen be- über seinen Gebrauch machen: »Zum Schreiben«. Wenn eines der
deutet ein isoliertes Wort tatsächlich nichts anderes als »blab« (Ge- synonymen Zeichen (z. B. das Wort Junggeselle oder das Hinzeigen
plapper). Wie zahlreiche Tests gezeigt haben, erscheint einem solchen auf einen Bleistift) vorhanden ist, so wird das andere Zeichen (also die
Patienten ein und dasselbe Wort in zwei verschiedenen Kontexten wie Phrase unverheirateter Mann oder das Wort Bleistift) redundant und

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damit überflüssig. Für den Aphatiker stehen beide Zeichen in komple- W, Die Erläuterung eines sprachlichen Zeichens durch andere in gewisser
mentärer Distribution: wenn das eine Zeichen schon durch den Prü- § Hinsicht homogene Zeichen derselben Sprache ist eine metasprachliche
fenden ausgeführt worden ist, wird der Patient das entsprechende H Operation, die auch beim Erlernen einer Sprache durch ein Kind eine
Synonym vermeiden: »Ich verstehe alles« oder »Ich weiß es schon« W wesentliche Rolle spielt. Beobachtungen der letzten Zeit haben gezeigt,
wird seine typische Antwortreaktion darauf sein. Ebenso verursacht ff welch beachtlichen Platz das Gespräch über die Sprache im sprachlichen
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das Bild eines Objektes die Hemmung seiner Bezeichnung: es wird I Verhalten der Kinder im Vorschulalter einnimmt. Die Hilfe der Meta-
also ein verbales Zeichen durch ein bildliches Zeichen verdrängt. Einem ffi spräche ist sowohl für das Erlernen der Sprache als auch für den nor-
Patienten Lotmars wurde das Bild eines Kompasses vorgezeigt, worauf || malen Sprachgebrauch notwendig. Der aphatische Ausfall der soge-
f nannten Wortfindung ist eigentlich ein Verlust der Metasprache.
er antwortete: »Ja . . . es ist ein . . . Ich weiß, wozu es gehört, aber ich
kann den Fach-Ausdruck nicht finden... j a . . . Richtung... um die Rich- Tatsächlich sind die Beispiele der Identitätsaussage, um die sich die
tung zu zeigen . . . ein Magnet zeigt nach N o r d e n . « " Solche Patienten • oben genannten Patienten vergeblich bemüht haben, Beispiele für
können - wie Peirce sagen würde - nicht vom Hinweis (INDEX) oder ' metasprachliche Aussagen über die deutsche Sprache. Exakt formuliert
vom Bild (ICON) zum entsprechenden »Wortsymbol« (SYMBOL) um- müßte es heißen: »In dem von uns benutzten Kode ist der Name für
schalten.» den vorgesetzten Gegenstand >Bleistift<« oder »in dem von uns benutz¬
Sogar eine einfache Wortwiederholung eines vom Prüfenden vorge- * ten Kode sind das Wort >Junggeselle< und die Umschreibung unver-
sprochenen Wortes erscheint dem Patienten als unnötige Redundanz. heirateter Mann< gleichbedeutend «
Trotz genauer Anweisungen ist er außerstande, das Wort zu wieder- Solche Aphatiker können weder von einem Wort zu seinen Synony-
holen. Auf die Aufforderung, das Wort »nein« zu wiederholen, ant- men oder Umschreibungen noch zu seinen HETERONYMEN, d. h. zu den
wortete ein Patient Heads »Nein, ich weiß nicht, wie man das macht!« ihm entsprechenden Wörtern in anderen Sprachen, umschalten Der
Während dieser Patient also spontan das Wort »nein« im Kontext Verlust der Mehrsprachigkeit und die Beschränkung auf einen einzigen
seiner Antwort benutzte, konnte er die einfachste Form der Identitäts¬ Dialekt einer einzigen Sprache ist ein Symptom dieser Störung.
aussage, die Tautologie a = a: »nein« = »nein« nicht hervorbringen. Einem alten, aber immer wiederkehrenden Vorurteil zufolge soll die
Einer der wichtigsten Beiträge der symbolischen Logik für die Sprach- Sprechart eines einzelnen Individuums zu einer bestimmten Zeit, der
wissenschaft ist die Hervorkehrung des Unterschiedes zwischen OBJEKT- sogenannte LDIOLEKT, als die einzige linguistische Realität betrachtet
SPRACHE und METASPRACHE. Carnap sagt dazu: »Um Über eine werden. Dagegen wurde folgender Einwand erhoben:
Objektspracbe zu sprechen, benötigen wir eine Metasprache.*» Für »Jeder Mensch, der mit einem ihm bisher unbekannten Gesprächs-
diese zwei verschiedenen Ebenen der Sprache kann derselbe Sprach- partner spricht, versucht bewußt oder unbewußt einen gemeinsamen
schatz Verwendung finden; so können wir in der englischen Sprache Wortschatz zu finden: sei es, um zu gefallen oder auch, um verstanden
(als Metasprache) Über die englische Sprache (als Objektspracbe) reden zu werden, oder sei es auch nur, um den anderen zum Sprechen zu
und englische Wörter und Sätze mittels englischer Synonyme, Um- bringen, wird er die Ausdrucksweise seines Partners verwenden. Es
schreibungen und Paraphrasen interpretieren. Natürlich sind solche gibt in der Sprache gewissermaßen nichts Privates, ailes ist der Gesell-
Operationen, die von den Logikern als metasprachlich bezeichnet wer- schaft untergeordnet. Der sprachliche Gedankenaustausch, wie über-
haupt jeglicher Austausch, erfordert mindestens zwei Kommunikations-
den, nicht deren Erfindung: vielmehr kommen sie außer in der Wissen-
teilnehmer. Deshalb erweist sich ein ldiolekt als eine etwas weltfremde
schaft auch in der Alltagssprache vor. Die Teilnehmer eines Gespräches
Fiktion.«»
prüfen oft, ob sie beide denselben Kode benutzen: »Kannst du mir
folgen?«, »Verstehst du, was ich meine?« fragt der Sprecher den Hörer [ Diese Feststellung bedarf allerdings einer Einschränkung: Für einen
bzw. der Hörer selbst unterbricht den Sprecher mit den Worten: »Was 7 Aphatiker, der die Fähigkeit der Kodeumschaltung verloren hat, wird
hast du gesagt?« Der Sprecher versucht dann, dem Empfänger der Mit- sein »ldiolekt« tatsächlich die einzige sprachliche Realität. Solange er
teilung dieselbe leichter zugänglich zu machen, indem er das fragliche nicht die Rede des anderen als eine an ihn in seiner eigenen Sprache
Zeichen durch ein anderes Zeichen oder durch eine ganze Gruppe von » gerichtete Mitteilung betrachtet, befindet er sich in demselben Zustand,
Zeichen desselben sprachlichen Kodes ersetzt. wie ihn ein Patient von Hemphil und Stengel zum Ausdruck bringt:

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»Ich kann Sie sehr deutlich hören, aber ich kann nicht verstehen, was »Wenn der Patient das Wort »schwarz< nicht fand, umschrieb er es
Sie sagen . . . ich höre Ihre Stimme, aber nicht die Worte . . . es läßt mit den Worten: »Was Sie für die Toten tun<; diese Redewendung ver-
2
sich nicht aussprechen.« » Er betrachtet die Äußerung des anderen als kürzte er zu >tot<« ([o. Anm. 1 2 ] , p. 198).
Kauderwelsch oder zumindest als eine unbekannte Sprache. Solche Metonymien können als Projektionen aus dem Bereich eines
Wie schon oben erwähnt, vereinigt die äußere Relation der Konti- gewohnten Kontextes in den Bereich der Substitution und Selektion
guität die Bestandteile eines Kontextes, während die innere Relation aufgefaßt werden: ein Zeichen (wie z.B. Gabel), das gewöhnlich zu-
der Gleichartigkeit (Similarität) die Voraussetzung zur Substitution sammen mit einem anderen Zeichen (z. B. Messer) vorkommt, kann an
bildet. Deshalb treten für einen Aphatiker mit gestörter Substitution dessen Stelle verwendet werden. Wendungen wie »Messer-und-Gabel«,
und erhaltener Kontextbildung die mit der Similarität verbunde- »Tisdilampe«, »Rauche Pfeife!« sind der Ausgangspunkt für die Me-
nen Operationen hinter den auf linearer Berührung (Kontiguität) be- tonymien Gabel, Tisch, Rauch; die Beziehung zwischen dem Gebrauch
ruhenden Operationen zurück. Es könnte vorausgesagt werden, daß eines Objektes (geröstete Schnitte) und dem Mittel, durch welches das
unter diesen Bedingungen jede semantische Gruppierung mehr durch Objekt hergestellt wird, liegt der Metonymie e$$e» für Röster zu-
räumliche oder zeitliche Berührung als durch Similarität zustande grunde. Die Assoziation der Wendung »wann trägt man Sdiwarz?«
kommt. I n der Tat bestätigt Goldsteins Untersuchung diese Annahme: mit der Wendung »wenn man um Tote trauert« führt dazu daß statt
Eine Patientin dieses Aphasietyps zählte auf die Aufforderung hin, der Farbe der Anlaß für den traditionellen Brauch bezeichnet wird
einige Tiernamen zu nennen, dieselben in der gleichen Reihenfolge auf, Die Flucht von der Similarität zur Kontiguität ist besonders er-
in der sie diese Tiere im Zoo gesehen hatte; in derselben Weise klassi- staunlich in jenen Fällen, in denen Goldsteins Patientin die Meto-
fizierte sie trotz des ausdrücklichen Hinweises, gewisse Gegenstände nymien Glas und Himmel verwendet um nicht die Wörter Fenster und
nach Farbe, Größe und Gestalt zu ordnen, diese Gegenstände nach Gort zu wiederholen ([o Anm 4 ] S 2 8 0 )
ihren räumlichen Beziehungen wie Haushaltsgeräte, Büromaterialien Wenn die Selektionsfähigkeit stark geschädigt und die Kombina-
usw. und rechtfertigte diese Gruppierung mit dem Hinweis auf ein tionsfähigkeit wenigstens teilweise erhalten ist, dann bestimmt die
Schaufenster, in dem »es gleichgültig ist, was die Dinge sind«, d. h., Kontiguität das gesamte sprachliche Verhalten des Patienten und wir
daß sie nicht gleichartig sein müßten ([o. A n m . 4 ] , S. 6 1 f.; 262FR.). Die- können diesen Aphasietyp die SIMILARITÄTSSTÖRUNG nennen.
selbe Patientin war bereit, die Grundfarben - Rot, Blau, Grün und
Gelb - zu benennen, war aber nicht geneigt, diese Bezeichnungen auf
die Übergangsfarben auszudehnen (a. a. O. S. 268 f.), da für sie die
Wörter nicht die Möglichkeit besaßen, zusätzliche, abgewandte Bedeu¬ 4. Die Kontiguitätsstörung
tungen anzunehmen, die mit der primären Bedeutung im Similaritäts-
verhältnis stehen. Schon seit dem Jahre 1864 wird in den Pionierarbeiten von Hughlings
Man muß Goldstein zustimmen, we.nn er betont, daß solche Patien- Jackson über das moderne Studium von Sprache und Sprachstörungen
ten »die Wörter in ihrer buchstäblichen Bedeutung erfassen und nicht immer wieder hervorgehoben:
zum Verständnis der metaphorischen Bedeutungen dieser Wörter ge- »Es genügt nicht zu sagen, daß die Rede aus Wörtern besteht. Sie
bracht werden können« (a. a. O., S. 270). Es wäre jedoch eine voreilige besteht aus Wörtern, die miteinander in besonderer Weise in Bezie-
Verallgemeinerung, wenn man annähme, daß die übertragene Sprache hung stehen. Ohne eine edite Wediselbeziehung ihrer Teile würde eine
für diese Patienten völlig unverständlich sei. Von den beiden polaren sprachliche Äußerung eine bloße Folge von Namen sein die keinen
Tropenfiguren, der Metapher und der Metonymie, wird die letztere, Satz bilden w ü r d e n . « "
welche auf dem Prinzip der Kontiguität beruht, weitgehend von jenen »Verlust der Sprache heißt Verlust der Fähigkeit zur Satzbildung
Aphatikern verwendet, deren Fähigkeit zur Selektion in Mitleiden- Sprachverlust bedeutet jedoch nicht völligen Wortverlust«.«
schaft gezogen ist. So wurde statt Messer das Wort Gabel, Tiscb statt Die Störung der Fähigkeit zur SATZBILDUNG oder - allgemeiner ge-
Lampe, Rauch statt Pfeife, £sse» statt .Röster verwendet. Ein typisches sprochen - der Fähigkeit, einfachere sprachliche Größen zu komplizier-
Beispiel wird von Head berichtet: teren Einheiten zu kombinieren, ist auf einen Aphasietyp beschränkt,

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welcher dem im 3. Kapitel beschriebenen entgegengesetzt ist. Es gibt In einer normalen Anordnung der Sprache ist das WORT der Bestand-
hier keine WORTLOSIGKEIT, weil die in den meisten dieser Fälle erhal- teil eines Übergeordneten Kontextes, des SATZES, und zugleich selbst
tene Größe das WORT ist, das wir als die hödiste sprachliche Einheit, ein Kontext, der kleineren Bestandteilen, den MORPHEMEN (den klein-
die noch dem Kodifizierungszwang unterworfen ist, definieren können; sten mit Bedeutung versehenen Einheiten) und den PHONEMEN, Über-
d. h., daß wir unsere eigenen Sätze und Äußerungen aus dem vom geordnet ist. Wir haben die Auswirkung der Kontiguitätsstörung auf
Kode gelieferten Wortvorrat aufbauen. die Kombination von Wörtern zu höheren Einheiten bereits bespro-
Die Kontext-Störungs-Aphasie, die auch als KONTIGUITÄTSSTÖRUNG chen. Das Verhältnis zwischen dem Wort und seinen Bestandteilen
bezeichnet werden kann, vermindert das Ausmaß und die Verschieden- zeigt dieselbe Schädigung, doch in einer etwas anderen Weise Ein
artigkeit der Sätze. Die syntaktischen Regeln, welche die Wörter zu typisches Kennzeichen für den Agrammatismus ist die Abschaffung
höheren Einheiten zusammenfügen, gehen verloren. Dieser Verlust, der Flexion: es treten merkmallose Kategorien wie der Infinitiv für die
der AGRAMMATISMUS genannt wird, verursacht den Zerfall des Satzes verschiedenen finiten Verbalformen und in Sprachen mit einer Dekli-
nation der Nominativ für die obliquen Kasus in Erscheinung. Diese
in eine bloße »Wortanhäufung«, um mit Jackson zu sprechen.« Die
Ausfallerscheinungen gehen teils auf die Eliminierung der Rektion und
Wortfolgeordnung wird chaotisch; die Verknüpfungen der grammati-
der Kongruenz zurück, teils auf den Verlust der Fähigkeit, die Wörter
schen Koordination und Subordination, sei es die Kongruenz oder
in Stamm und Endungen zu zerlegen. Schließlich besteht ein Paradigma
die Rektion sind aufgelöst. Erwartungsgemäß gehen Wörter mit rein
(insbesondere ein Kasusparadigma wie wer - wem - wen oder ein
grammatischen Funktionen, wie Konjunktionen, Präpositionen, Pro-
Tempusparadigma, wie er sagt - er sagte) darin, daß derselbe semanti-
nomina, Artikel und Konjunktionen zuerst verloren, wodurch der
sche Inhalt jeweils mit einem anderen Inhalt nach verschiedenen Ge-
sogenannte Telegrammstil entsteht, während bei der Similaritätsstö-
sichtspunkten durch Kontiguität verknüpft ist. Dadurch entsteht bei
rung gerade diese Wörter am widerstandsfähigsten sind. Je weniger
Aphasie mit Kontiguitätsstörung eine weitere Ursache zum Abbau die-
ein Wort grammatisch vom Kontext abhängt, desto zäher ist es bei der
ser Paradigmen.
Kontiguitätsstörung und desto flüchtiger ist es bei Patienten mit Simi-
laritätsstörungen. Deshalb fällt das Subjektswort bei der Similaritäts- Auch Wörter, die von derselben Wurzel abgeleitet sind, wie z. B
störung als erstes Wort des Satzes aus, während es bei der Kontigui- schreiben - Schreiber - Schreibung, sind in der Regel durch Konti-
täts-Aphasie das am wenigsten anfällige Wort ist. guität semantisch verwandt. Die entsprechenden Patienten neigen ent-
Die Aphasieart, welche die Kontextbildungsfähigkeit abbaut, führt weder dazu, die abgeleiteten Wörter fallenzulassen, oder sie sehen
zu infantilen Ein-Satz-Außerungen und Ein-Wort-Sätzen. Nur weni- sich außerstande, die Kombination einer Wurzel mit einem Ablei-
gen längeren stereotypen »fertigen« Sätzen gelingt es zu überleben. tungssuffix oder gar die Komposition aus zwei Wörtern aufzulösen
Im fortgeschrittenen Zustand dieser Krankheit ist jede Äußerung auf Es wurde öfter von Patienten berichtet, die Komposita wie Thanks-
einen einzigen Ein-Wort-Satz reduziert. Während die Desintegration giving (Dankfest) oder Battersea (Vorort von London) verstanden
des Kontextes fortschreitet, wird die selektive Operation beibehalten. und aussprechen konnten, die aber nicht imstande waren, tbanks
Jackson bemerkt dazu (S. 12$): »Um zu sagen, was ein Ding ist, muß (Dank) und giving (Geben), toter (klopfen) und sea (See) zu erfassen
gesagt werden, womit es Ähnlichkeit hat.« Der Patient, der sich auf oder auszusprechen. Auch wenn der Sinn für Ableitungen noch vor-
die Substitution beschränken muß (sobald einmal die Kontextbildungs- handen ist, so daß im Kode noch neue Ableitungen gebildet werden
fähigkeit geschädigt ist), arbeitet mit Similaritäten; seine Annäherun- können, kann doch eine gewisse Neigung zur übermäßigen Verein-
gen sind METAPHORISCHER Natur und stehen im Gegensatz zu den fachung oder zum Automatismus beobachtet werden: Wenn das abge-
METONYMISCHEN, die für den anderen Aphasietyp charakteristisch sind. leitete Wort eine semantische Einheit darstellt, die nicht völlig aus der
Fernglas wird für Mikroskop, Feuer für Gaslicht gesagt, um nur einige Bedeutung ihrer Komponenten erschlossen werden kann, so wird die
typischen Beispiele zu erwähnen, die Jackson QUASIMETAPHORISCHE WortGESTALT mißverstanden. Das russische Wort mokr-ica bedeutet
AUSDRÜCKE nannte, weil sie im Gegensatz zu den rhetorischen und beispielsweise >Assel<, aber ein russischer Aphatiker deutete es als
poetischen Metaphern keine absichtliche Bedeutungsübertragung dar- >etwas Feuchtes«, besonders als »feuchtes Wetten, da die Wurzel mokr-
stellen. >feucht< bedeutet und das russische Suffix -ica häufig den Träger einer

130 131
Eigenschaft kennzeichnet, wie dies z . B . in nelipica (etwas Absurdes), und zum Absinken des Wortbestandes. Diese zweifache - nämlich
svetlica (heller Raum), temnka (Gefängnis, wörtlich »dunkler Raum<) phonematische und lexikalische - Verkuppelung schreitet weiter fort,
der Fall ist. bis die letzten Reste der Sprache nur noch Ein-Phonem-ein-Wort-ein-
Als vor dem zweiten Weltkrieg die Phonologie der meistdiskutierte Satz-Außerungen sind: der Patient gerät damit in die Anfangsstadien
Gegenstand der Linguistik war, wurden von einigen Linguisten Zwei- der sprachlichen Entwicklung beim Kind oder sogar in den vorsprach-
fel erhoben, ob die Phoneme wirklich eine autonome Rolle in unserem lichen Zustand. Er leidet dann an einer aphasia universalis und hat
sprachlichen Leben spielen. Es wurde sogar behauptet, daß die bedeu- jegliche Fähigkeit verloren, die Sprache zu verwenden oder zu erlernen
tungstragenden Einheiten des sprachlichen Kodes, wie die Morpheme Das Nebeneinanderbestehen der zwei Funktionen - der distinktiven
oder sogar die Wörter, die kleinsten Einheiten seien, mit denen wir es und der signifikativen - ist ein besonderer Wesenszug, durch den sich
tatsächlich beim Sprechvorgang zu tun hätten, während die rein di- die Sprache von anderen semiotischen Systemen unterscheidet Es
stinktiven Einheiten, wie die Phoneme, künstliche Gebilde seien, welche entsteht ein Widerspruch zwischen diesen beiden Funktionen, wenn der
die wissenschaftliche Beschreibung und Analyse der Sprache erleichtern aphatische Ausfall der Kontextbildungsfähigkeit die Tendenz besitzt
sollten. Diese Ansicht, die Sapir als die »Umkehrung der Realität« die Hierarchie der sprachlichen Einheiten zu tilgen und ihre Abstufung
brandmarkte", kann jedoch voile Gültigkeit bei einem bestimmten auf eine einzige Ebene zu reduzieren. Diese letzte Ebene ist entweder
pathologischen Typ, bei der sogenannten »ataktischen« Aphasie, be- eine Klasse signifikativer Werte, das WORT, oder eine Klasse distinkti-
kommen da in diesem Falle tatsächlich das Wort als einzige sprach- ver Werte, das PHONEM. I m letzteren Falle ist der Patient noch im-
liche Einheit erhalten ist. Der Patient hat nur ein unauflösbares Ge- stande, Phoneme zu erkennen, zu unterscheiden und zu reproduzieren,
samtbild des ihm vertrauten Wortes, während ihm aile anderen hat diese Fähigkeit aber hinsichtlich der Wörter verloren. I n einem
Phonemfolgen entweder fremd oder unzerlegbar erscheinen; bisweilen dazwischen liegenden Fall werden die Wörter zwar erkannt unter-
verwechselt er solche Phonemfolgen mit ihm vertrauten Wörtern, ohne schieden und reproduziert, aber - um Goldsteins knappe Formulie-
sich des phonetischen Unterschiedes bewußt zu werden. Einer der Pa- rung zu zitieren - »sie können nur als bekannt erfaßt nicht aber ver-
r Ii • r n einiee Wörter konnte aber die Vokale und standen werden« (fo Anm , t l S QOI Dam't verl' r A w
«enten ooiosteins »e au g , zusammensetzten nicht er- normale signifikative Funktion und nimmt die reindistinktive^Funk-
tion an, die normalerweise dem Phonem zu eigen ist
F erkannte> ver " -
1 S
lassen« ^ o Anm.4j,a.2iB;. 8^ £*n französischer Aphatiker
w l d
stand, f f ™ o i t e und sp a s g pu
außerstande unsinnige Laut¬
oder paw (1 uaster^ stralie;, aoer e unterscheiden oder zu
folgen, wie /eca, leefa, paje,zu er ss , 1 f
n o r m a e n r a n
5. Die P o l a r i t ä t zwischen Metaphorik und Metonymik
wiederholen. Diese Schwierigkeiten existieren
zosischen Hörer keineswegs, soweit die i.auttoigen p
Die Spielarten der Aphasie sind zahlreich und verschiedenartig, aber
nenten dem französischen l^onembestand entsprechen. 3
können sogar diese Lauttolgen als ihnen unbekannte, aoer scn aile bewegen sich zwischen den zwei oben beschriebenen Polen. Jede
zum franzosischen Wortbestand gehörende und vermutlich semantis Form der aphatischen Störung besteht aus einer mehr oder weniger
verschiedene Worter aufnehmen weil sie sich entweder in der nonem- ernsten Schädigung der Fähigkeit entweder zur Selektion und Sub-
folge oder in den Phonemen selbst voneinander unterscheiden. stitution oder zur Kombination und Kontextbildung. Das erstere Lei-
Wenn ein Aphatiker die Fähigkeit verliert, das Wort in seine den bringt eine Zerstörung der metasprachlichen Operationen mit sich
Phonembestandteile aufzulösen, so ist seine Kontrolle über die Wort- während das letztere die Fähigkeit zur Aufrechterhaltung der Hier-
konstruktion geschwächt; darauf folgen oft merkliche Schäden in der archie der linguistischen Einheiten in Mitleidenschaft ueht. Beim ersten
Beherrschung der Phoneme und ihrer Kombinationen. Der stufenweise Typ der Aphasie ist die Relation der Similarität, beim zweiten Typ
Abbau des Lautsystems in dieser Gattung der Aphasie steht in der die Relation der Kontiguität aufgehoben. Bei der Similaritätsstörung
Regel im umgekehrten Verhältnis zur Folge der Phonem-Aneignung bei entfallen die Metaphern, bei der Kontiguitätsstörung die Metonymien
Kindern. Dieser Abbau führt zum Uberhandnehmen der Homonyme Eine Rede kann sich in zwei verschiedenen semantischen Richtungen

132 133
entwickeln- der Gegenstand der Rede kann sowohl durch die Similari- semantischer Hinsicht verwendet - d. h. wie er sie auswählt, kombi-
tätsoperation als auch durch die Kontiguitätsoperation in einen ande- niert und einordnet - , kann man auf seinen persönlichen Stil undauf
ren Gegenstand überführt werden. Den ersten Weg könnte man als seine Vorliebe für bestimmte sprachliche Ausdrücke schließen.
den METAPHORISCHEN, den zweiten als den METONYMISCHEN Weg be- In der Wortkunst kommt die Wechselbeziehung zwischen diesen
zeichnen da diese Wege durch die Metapher bzw. die Metonymie am beiden Elementen besonders zum Ausdruck. Reiches Material für das
besten zürn Ausdruck kommen. I m Falle einer Aphasie ist entweder Studium dieser Beziehungen kann man in der Poesie finden i d e r n

der eine oder der andere dieser beiden Prozesse eingeschränkt oder zwangsläufig ein Parallelismus der Verszeilen erfolgen muß, so «um
völlig unterbunden. Deshalb ist das Studium der Aphasie für die Lin- Beispiel in der biblischen Dichtung oder in den finnischen und in
guistik besonders aufschlußreich. Bei normaler Sprechtätigkeit sind gewissem Sinne - auch in den russischen mündlichen Überlieferungen
beide Prozesse ständig in Aktion, aber eine aufmerksame Beobachtung Dies liefert uns ein objektives Kriterium dafür was in einer gegebenen
wird zeigen, daß unter dem Einfluß von Kultur, Persönlichkeit und Sprachgemeinschaft als Mittel zur Herstellung von Korrespondenz vcr-
Stil einem dieser beiden Prozesse ein gewisser Vorzug gegeben wird. wendet wird. Da eine dieser beiden Relationen (Similarität und Kon-
I n dem bekannten Assoziationstest, in dem Kinder auf ein Stichwort tiguität) auf jeder sprachlichen Ebene - der morphematischen der
die erste verbale Reaktion, die ihnen in den Kopf kommt, wieder- lexikalischen, der syntaktischen und der phraseologischen - auftreten
geben sollen, wird die Vorliebe für eine der beiden gegensätzlichen kann, und jede in positioneller oder in semantischer Hinsicht biete sich
linguistischen Prozesse gezeigt: das Kind trachtet entweder nach einer ein weiterer Variationsbereich für mögliche korrespondierende K n
substituierenden oder nach einer ergänzenden Reaktion auf den Wort- figurationen. Einer der beiden Pole wird dabei überwiegen I n si-
reiz. I m letzteren Falle bilden Reiz und Reaktion zusammen eine ent- schen lyrischen Liedern herrschen beispielsweise die metaphorischen
sprechende syntaktische Konstruktion, in den meisten Fällen einen Konstruktionen vor, während in der Heldenepik eher die Meton i
Satz. Diese beiden Reaktionstypen wurden die SUBSTITUIERENDE und überwiegt. ' °ny»ie
die PRÄDIKATIVE genannt. Es gibt in der Dichtung verschiedene Motive, welche die Wahl
Auf das Stichwort but (Hütte) antwortet das eine Kind mit burnt zwischen diesen Möglichkeiten bestimmen. Das Primat des metaphori-
out (ist abgebrannt) und ein anderes Kind mit is a poor little bouse (ist schen Prozesses in den literarischen Schulen der Romantik und des
ein ärmliches kleines Haus). Beide Reaktionen sind prädikativ; aber Symbolismus ist schon mehrfach anerkannt worden. Dagegen w rde u

die erste Reaktion bildet einen rein erzählenden Kontext, während die noch ungenügend auf die tonangebende Rolle der Metonymie für die
zweite eine doppelte Verbindung mit dem Subjekt but herstellt: einer- sogenannte »realistische« Literaturrichtung verwiesen, welche eine
seits eine Stellungs-Kontiguität (also eine syntaktische Kontiguität) Zwischenstellung zwischen der ausgehenden Romantik und dem ent-
und andererseits eine semantische Similarität. stehenden Symbolismus einnimmt und beiden gegenübertritt. pen
Dieser Wortreiz but kann folgende substituierende Reaktionen aus- Prinzipien der Kontiguitätsrelation folgend, geht der realistische Autor
lösen- die Tautologie but, die Synonyme cabin und bovel (Hütte), das nach den Regeln der Metonymie von der Handlung zum Hintergr nd
Antonym palace (Palast) und die Metaphern den (Höhlenbehausung) und von den Personen zur räumlichen und zeitlichen Darstellung über
und burrow (Erdbau). Die Möglichkeit, daß zwei Wörter gegenseitig Er setzt gerne Teile fürs Ganze. I n der Selbstmordszene Anna Kare
ausgewechselt werden können, stellt ein Beispiel der Stellungs-Si- ninas richtet Tolstoj die Aufmerksamkeit auf die Handtasche der
milarität dar - außerdem sind aile diese Wortreaktionen mit dem Reiz- Heldin: in »Krieg und Frieden« werden die Synekdochen (al d'
wort durch semantische Similarität (bzw. Kontrast) verbunden. Meto- Tropen des pUTS pTO toto S£6ftl4S pYO SpCClC)
nymische Reaktionen auf dieses Reizwort, wie z . B . thatcb (Stroh- oder nackte Schultern von Tolstoj für die Frauen, die'diese' Ei enh• m
dach) litter (Streu) oder poverty (Armut), stellen eine Kombination aufweisen, verwendet. ' "
bzw. 'einen Kontrast zwischen der Stellungs-Similarität und der seman- Das Vorhandensein des einen oder des anderen dieser beiden
tischen Kontiguität her. Prozesse ist keineswegs auf die Wortkunst beschränkt. Es tritt atich
Aus der A r t wie ein Individuum diese zwei Arten von Verbindun- in nicht-sprachlichen Zeichensystemen auf.« Ein illustratives Beispiel aus
gen (Similarität und Kontiguität) sowohl in positioneller als auch in der Geschichte der Malerei bietet die ganz offensichtlich metonymi lie
M

"34 i3$
Orientierung des Kubismus, wo das Objekt in ein Gefüge von Syn- beiden Subjekten eine andere: beide Subjekte sind die Namen ein und
ekdochen aufgelöst ist. Die surrealistisdien Maler dagegen zeigen eine derselben Person, die normalerweise nebeneinander als Form der
offensichtlich metaphorisdie Einstellung. Seit den Neuerungen des höflichen Anrede verwendet werden.
Filmregisseurs D . W. Griffith hat die Filmkunst durch Einführung der Das Satzpaar bezieht sidi bei der Volkserzählung auf zwei ver-
hochentwickelten Technik für Winkel-, Perspektiv- und Brennweiten- schiedene Tatbestände: auf den Familienstand des Thomas und auf den
Veränderungen mit der Tradition des Theaters gebrochen und gelangte des Jeremias. I m Vers des Hochzeitsliedes sind jedoch beide Sätze
zu einer nie dagewesenen Vielfalt von synekdocheischen Großauf- synonym: sie wiederholen in redundanter Weise die Ehelosigkeit der-
nahmen und metonymen Auf nahmeeinstellungen. I n Filmen, wie z. B. selben Person, die in zwei spradilidie Hypostasen aufgespaltet wird
in denen Charlie Chaplins oder Eisensteins, werden diese Erfindungen Der russische Schriftsteller Gleb Ivanoviü Uspenskij ( 1 8 4 0 - 1 9 0 2 )
noch durch weitere Neuerungen verfeinert, vor allem durch die meta- litt in den letzten Jahren seines Lebens an einer Geisteskrankheit
phorische Gesamtbildmontage mit ihren Überblendungen - den filmi- welche die Sprache in Mitleidenschaft zog. Sein Vor- und Vatername'
1
schen Allegorien." Gleb Ivanovic , die in der höflichen Anrede nebeneinander vorkommen,'
Die bipolare Struktur der Sprache (oder auch anderer semiotischer ersdiienen ihm nun als zwei versdüedene Lebewesen bezeichnende
Systeme) und die Verlagerung auf einen dieser Pole bei Aussdiluß des Namen: Gleb besaß aile seine Tugenden, während der Name Ivanovic"
anderen in der Aphasie erfordern ein systematisches vergleichendes der die Verwandtschaft des Sohnes zum Vater ausdrückt, zur Inkar-
Studium. Das Erhaltenbleiben einer dieser beiden Möglichkeiten bei nation aller Laster Uspenskijs wurde. Der sprachliche Aspekt dieser
den beiden Aphasietypen muß mit dem Vorherrschen desselben Poles Persönlichkeitsspaltung ist die Unfähigkeit des Patienten, zwei Sym-
bei bestimmten Stilgattungen, persönlichen Verhaltensweisen und bole für dasselbe Ding zu verwenden; es handelt sich also um eine
Bräuchen verglichen werden. Eine sorgfältige Analyse und ein Vergleich Similaritätsstörung. Da die Similaritätsstörung eng mit dem Hang zur
dieser Erscheinungen mit dem Syndrom des jeweiligen Aphasietyps ist Metonymie verbunden ist, war die Prüfung des Stiles des jüngeren
eine dringende Aufgabe für ein Forschungskollektiv, dem Psyddater, Uspenskij von besonderem Interesse. Anatolij Kamegulov der den Stil
Psychologen, Linguisten, Literaturwissenschaftler und Semiotiker (als Uspenskijs analysierte, bestätigte unsere theoretischen Erwartun en
Vertreter der allgemeinen Wissenschaft von Zeichensystemen) ange- Er zeigt, daß Uspenskij eine besondere Neigung zur Metonymie u d
hören sollten. Die hier behandelte Dichotomie scheint von erstrangiger besonders zur Synekdoche besitzt und dieser
Bedeutung und Konsequenz für das gesamte sprachliche Verhalten und daß der Leser durch die Menge der Einzelheiten H V ( h " •
das menschliche Verhalten im allgemeinen zu sein." relativ engen Redeumfang einstürmen
Um die Durdifiihrbarkeit des vorgeschlagenen Vergleiches zu illu- Ganze nidit zu erfassen vermag, so daß der
2 8
Zwltr^Von^tn i e r u n R
strieren, wählen wir ein Beispiel aus einer russischen Volkserzählung, oft verfehlt wird
in welcher der Parallelismus als Mittel zur Darstellung des Komischen Sicherlich wurde der metonymisdie Stil Uspenskijs audi durdi die
verwendet wird: »Thomas ist ein Junggeselle, Jeremias ist unverhei- vorherrschende Literaturrichtung seiner Zeit, durdi den Realismus des
ratet« (Foma cholost, Erj6ma nezenat). Hier sind die Prädikate der ausgehenden i . Jahrhunderts, beeinflußt, aber das persönliche Ge-
9

zwei parallelen Sätze gleichartig: sie sind praktisch synonym. Die präge von Gleb Ivanovic" war wohl dafür aussdilaggebend, daß er
Subjekte beider Sätze sind männliche Eigennamen und damit morpho- dieser Kunstriditung bis in jene extreme Ausführung Folge leistete,
logisch gleichartig, bezeichnen aber andererseits zwei nebeneinander deren Spuren sdiließlidi sogar in den sprachlichen Erscheinungen seiner
vorkommende Helden derselben Erzählung, die zwei gleiche Hand- Geisteskrankheit zu erkennen sind.
lungen auszuführen haben, so daß der Gebrauch von Synonympaaren Eine gewisse Rivalität zwischen den metonymischen und metapho-
im Prädikat gerechtfertigt erscheint. Eine etwas andere Version der- rischen Darstellungsweisen kommt bei jedem symbolischen Prozeß,
selben Konstruktion finden wir in einem Hochzeitslied, in welchem gleidigültig, ob es sich um einen intrapersonellen oder um einen sozia-
jeder Hochzeitsgast bei Vor- und Vaternamen angesprodien wird: len handelt, zum Vorschein.
»Gleb ist ein Junggeselle, IvanoviiS ist unverheiratet.« Während beide
So ist es auch bei der Untersudiung von Traumstrukturen eine ent-
Prädikate hier wieder synonym sind, ist die Beziehung zwisdien den
Kheidende Frage, ob die Symbole und die zeitlidie Reihenfolge auf

136 !37
Kontiguität (Freuds metonymische »Verdrängung« und synek¬ verstümmeltes, unipolares Schema, das ganz augenfällig mit dem einen
docheische »Verdichtung«) oder auf Similarität (Freuds »Identifizie- der beiden Aphasiesyndrome zusammenfällt, nämlich mit der Konti-
2
rung« und »Symbolismus«) beruhen. » Die Prinzipien, die den magi- guitätsstörung.
schen Riten zugrunde liegen, sind von Frazer in zwei Typen eingeteilt
worden- Zauberhandlungen bzw. Zaubersprüche, die auf dem Gesetz
der Similarität und solche, die auf Kontiguitätsassoziation basieren. Anmerkungen

Der erste dieser beiden Zweige der sympathetisdien Magie wurde


0 1 John Hughlings Jackson, »Papers on affections of speedi«, Neudruck von
»homöopathisch« oder »imitativ«, der zweite »ansteckend« genannt.» H. Head bearb. in: Brain, Band X X X V I I I , 1915.
Die Zweiteilung ist in der Tat einleuchtend. Trotzdem ist das Problem 2 E. Sapir, Language, New York 1921, Kap. V I I : »Language as a historical
6
der Polarität noch sehr wenig untersucht worden, obwohl ihre große product; drift«.
Bedeutung für das Studium jedes symbolischen Verhaltens, besonders 3 Siehe u. a. die Diskussion der Nederlandsdie Vereeniging voor Phone-
tische Wetenschappen, an der sich J. van Ginneken als Linguist und zwei
des verbalen, und dessen Störung außer Zweifel steht. Es entsteht also Psydiiater beteiligte«: F. Grewel und V. W. D. Schenk, Psychiatrische en
die Frage worauf diese Vernachlässigung zurückzuführen ist. Neurologische Binden, Band XLV, 1941. S IOJC f • vel audi F GrwA
Die Similarität in der Bedeutung verbindet die Symbole der »Aphasie en linguistiek., in NederlTijdschrift voor Ge^
Metasprache mit den Symbolen der Bezugssprache. Die Similarität XCIII, 1949, S. 72« ff. '
verknüpft einen metaphorischen Ausdruck mit dem Ausdruck, für 4 A. R Luria, Travmatiieskaja afaiija, Moskau 1947 (englisdi: The Hague
1970); Kurt Goldstein, Language and languaee disturbances New York
welchen er gesetzt wird. Infolgedessen besitzt der Forscher bei der 1948; Andre Ombredane, L'apbasie et VElaboration de la »enste extlicite
Bildung der Metasprache für die Interpretation der Tropen bessere Paris 1951. V

Mittel zur Behandlung der Metaphern als zur Behandlung der auf 5 H . Myklebust, Auditory disorders in children, New York 1954
einem anderen Prinzip beruhenden, schwerer zu interpretierenden 6 Die aphatische Verarmung des Lautsystems wurde von linguistischer
Metonymie. Deshalb steht der relativ reichhaltigen Literatur über die Seite von Marguerite Durand zusammen mit den Psydüatern Th. Ala-
1
jouamne und A. Ombredane in einem gemeinsamen Werk Le Syndrome
Metaphern» kaum etwas Vergleichbares über die Metonymie zur Seite. de disintigration pbonetique dans Vapbasie, Paris 1939 u»d von R Ja-
Aus demselben Grund wird zwar allgemein angenommen, daß die kobson (zuerst in einem Entwurf, der dem Internationalen Lineuisten-
Romantik eng mit der Metaphorik verknüpft ist, aber die gleichen kongreß in Brüssel 1939 vorgelegt worden war - vgl N Trubetzkov
engen Bande zwischen Realismus und Metonymie bleiben gewöhnlich Piincipes de pbonologie, Paris 1949, S 3 f i 9 - , 79 - und später zu dem
Aufsatz »Kinderspradie, Aphasie und allgemeine Lautgesetze« UoosaU
unbemerkt Nicht nur die Untersuchungsmittel, sondern auch das U n - Univexsitets Arsskrift, 1942/9 umgearbeitet wurde) untersucht und be
tersuchungsobjekt trägt die Schuld für das Vorherrschen des Meta- sprachen. Vgl. a. K. Goldstein (zit. in Anm. 4), S. 32 ff.
phorischen über das Metonymische in der Wissenschaft. Da die Poesie 7 Eine kollektive Untersuchung agrammatischer'Erscheinungen wurde durch
stark auf das Symbol angewiesen ist, während sich die pragmatische G. Kandier von linguistischer Seite und durch F. Panse und A Leischner
von neurologischer Seite an der Bonner Universitätsklinik durchgeführt-
Prosa viel mehr auf den Gegenstand bezieht, wurden Tropen und vgl. ihre Arbeit Klinische und sprachwissenschaftliche Untersuchung zum
Redefiguren vor allem als dichterische Kunstgriffe untersucht. Das Agrammatismus, Stuttgart 19J2. g

Prinzip der Similarität bildet für die Poesie die Grundlage; der me- I D. M MacKay, »In seardi of basic Symbols-, Cybernetics, Transactions
trische Parallelismus der Verszeilen oder die lautliche Gleichartig- of the Eight Conference, New York 1952, S. 183.
keit der Reimwörter legt die Frage nach der semantischen Similari- t Lewis Carroll, »Alice's adventures in Wonderland«, Kap. VI
10 F. de Saussure, Co«rs de linguistique generale, 1. Aufl. Paris 1922 S 6S f
tät und Gegensätzlichkeit besonders nahe: es gibt grammatische und undi of. y
7

antigrammatische, aber nie agrammatische Reime. Die Prosa ist da- 11 C. S. Peirce, Collected Papers, Bände I I und IV, Cambridge Mass
gegen im wesentlichen durch die Kontiguität getragen. Deshalb ist für 1932-1934.
die Poesie die Metaphorik und für die Prosa die Metonymik der Weg U H . Head, Apbasia and kindred disorders of speech, Band I , New York
1926.
des geringsten Widerstandes. Demzufolge wendet sich auch das Studium
IJ Vgl. L. Bloomfeld, Language, New York 1933, Kap. 1 : »Substitution«
5
der poetischen Tropen hauptsächlich der Metaphorik zu. An die Stelle 14 S. Freud, Zur Auffassung der Aphasie», Wien 1891.
der wirklichen Polarität trat bei diesen Untersuchungen ein unechtes, IJ F. Lotmar, »Zur Pathophysiologie der erschwerten Wortfindung bei

138 «39
Aphasischen«, Schweizer Archiv für Neurologie und Psychiatrie, Band
1 ganz an die eines Musselinstoffes heranreichte, und an deren weitem
X X X V , 1933, S. 104.
unteren Saum die Stiefel kaum mehr zu sehen waren.«
16 C. S. Peirce, »The icon, index and symbol«, Collected Papers, Band I I , 19 S. Freud, Die Traumdeutung, 9. Auflage, Wien 1950
Cambridge, Mass. 1932.
17 R. Carnap, Meaning and necesüty, Chicago 1947, S. 4.
18 Vgl. die bemerkenswerten Untersuchungen von A. Gvozdev: »Nabljudenija J i C. F. P. Stutterheim, Het begrip metaphoor, Amsterdam 1941.
nad jazykom malen'kich detej«, Russkij jazyk v sovetskoj skole 1929;
Usvoenie tebenkom zvukovoj storony russkogo jazyka, Moskau 1948;
sowie Fotmitovanie u tebenka grammaticeskogo stroja rwssfeogo jazyka,
Moskau 1949.
19 »Results of the Conference of Anthropologists and Linguists«, Indiana
University Publications in Anthropology and Linguistia, Band V I I I ,
1953, S. 15. (Abgedruckt in: Selected Writings, Band I I , S. 554-567.1
20 R. E . Hemphil, E . Stengel, »Pure word deafness«, /o*rn«/ 0/ Neuroiogy
and Psychiatry, Band I I I , 1940, S. 251-262.
21 J . H . Jackson, »Notes on the physiology and pathology of the nervous
System« (1868), in: Brain, Band X X X V I I I 1915, S. 65-71; hier S. 66.
22 J . H . Jackson, »On affections of speech from disease of the brain« (1879),
in: Brain, Band X X X V I I I , 1915, S. 107-129; hier S. 114.
23 J . H . Jackson, »Notes on the psychiology and pathology of language«
(1866), in: Brain, Band X X X V I I I , 1915, S. 48-58.
24 E . Sapir, »The psychological reality of phonemes«, Selected Writingj,
Berkeley/Los Angeles 1949, S. 46 ff.
25 Ich habe einige skizzenhafte Bemerkungen über die Metonymie gemacht
sowohl in der Wortkunst (»Pro realizm u mystectvi«, Vaplite, Charkov
1927, Nr. 2; »Randbemerkungen zur Prosa des Diditers Pasternak«,
Slavische Rundschau, Band V I I , 1935) als audi in der Malerei (»Futu-
rizm«, Iskusstvo, Moskau, 2. Aug. 1919) und im Film (»Üpadek filmu«,
List? pro umini a ktitiku, Band I, Prag 1933). Das entscheidende Problem
dieser beiden polaren Prozesse harrt jedoch noch einer ins einzelne gehen-
den Untersuchung.
26 Vgl. B. Balazs, Theory of the film, London 1952.
27 Was den psychologischen und soziologischen Aspekt dieser Dichotomie
anbetrifft, so vgl. Batesons »progressional« und »selective Integration« in
J . Ruesch und G . Bateson, Communication, the social matrix of psychiatry,
New York 1951, S. 183 fr. sowie Parsons Begriff der »conjunction-dis-
junction dichotomy« bei der kindlichen Entwicklung, in T. Parsons und
R. F . Baies, Family, socialization and interaction process, Glenroe, III.
1955, S. 119 f.
28 A . Kamegulov, Stil' Gieba Uspenskogo, Leningrad 1930, S. 65, 145. In
dieser Arbeit wird ein Beispiel dieser zersplitterten Porträtierung ange-
führt: »Unter einem alten Strohhut mit einem weinen Flecken auf dei
Krempe, sdiauten da zwei Strähnen wie die Fangzähne eines Wildebers
hervor; ein reichlich fettgeworJenes Kinn hing mit seiner ganzen Breite
über den speckigen Kragen des Baumwollatzes herab und lag in einer
dicken Schicht auf dem groben Kragen des netzleinernen, am Hais fest
zugeknöpften Mantels. Unterhalb des Mantels zeigten sich den Augen
des Betrachters massive Hän-k- mit einem Ring, der sich in den fetten
Finger eingegraben hatte, ein Spazierstock mit einer Kupferspitze, ein
beachtlich vorgewölbter Leib und sehr weite Hosen, deren Qualität nicht

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